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'
Ailturildie Seillrif
herausgegeben von
Heinrich von Sybel,
ordentl. 8. Profeffor an ber Univerfität in Bonn.
Sechſter Band,
München, 1861.
Literarifch:artiftifehe Anſtalt
der I. ©. Kotta’fchen Buchhandlung.
10<i:»21
Inhaſts⸗Aeberſicht.
Seite.
. Neue Mittheilungen über bie erſte Theilung Polens. Bon Georg
Waitz. 1
. Höfler's Entbedungen in Mabenonicz, Bon u. Senna . 18
. Bon dem römifhen Papſt Bon 3. Söilt! . . 22
. Behrenhorfi und Bülow. Bon %. v. Meerheimb . . . 46
. Zur Geſchichtſchreibung des alten Mexieo. Bon Theodor Waitz. 75
. Das Heidelberger Schloß in feiner funft- und aumrgeſciuütichen
Bedeutung. Bon K. B. Star! . 983
Ueberfiht der hiflorifchen Literatur bes Yahres 1860 (erfeum)
8. Die Schweiz . . . . . . . 142
I. Belgien . . . . . . . . . . 177
10. Die Niederlande . . . . . . . . 208
11. Dänemart . . . . . . . . . 228
12. Schweben und Norwegen . . . . . . . 223
13. Rußland und Polen . . . . .
14. Ungarn und Giebenbürgen . . . . . . 232
15. Die Türkei. Griechenland . . . . . . . 234
15a. Afien. Oſtaſien. China und Japan . . . . . 235
16. Borberindieun . . . . . . .. 887
17. Sinterindien unb ber inbifche Ardipel . 239
18. Kleinafien. Die Kaulafusländer . . . . . 240
19. Eyrien und Paläftina . . . . . . . 241
20 Afrika . . . . . . . . . . 2423
91. Rorbamerila . . . .
23. Mittel- und Eib-Amerila .
Preisausſchreiben . . . . .
Beilage. Nachrichten won ber hiſtoriſchen Gemeifion t bei ber kgl.
bayer. Alabemie der Wiſſenſchaften. Dritter Jahrgang. Erfies Stüd.
VII. Zur Geſchichte der oberbayerifchen Landeserhebung im Jahre 1705.
Bon Auguf Shäffler .
IX. Ueber bie fortfchreitende Entwidiung ber geſchichtüchen Studien im
Königreiche Neapel von ber zweiten Hälfte bes 18. Jabrhunderts
bis auf die Gegenwart. Aus dem Italienifhen von Adolf Beer.
X. Zur Würdigung von Ranke's hiſtoriſcher Kritif. Bon Georg Waik
XI. Die Hiftorifche Kritit und das Wunder .
XII. Ueberfiht der hiftorifhen Literatur bes Jahres 1860 (Stuf).
23. Frankreich . . .
24. England .
25. Epanien unb Vortugel
- 26. Italien
27. Nachträge zur eiteratur ber Nordemerilaniſchen G· ſqicht⸗
Beilage. Nachrichten von der hiſtoriſchen Commiſſion bei der kgl.
bayer. Alademie der Wiſſenſchaften. Dritter Jahrgang Zweites Stulck.
Seite.
245
247
249
251
293
349
356
374
438
483
488
552
I.
Neue Mittheilungen über die erſte Theilung Polens,
Bon
Georg Waitz.
— J u —
Frederic II., Cathérine et le partage de la Pologne,
D’apres des documents authentiques par Frederic de Smitt. Paris
et Berlin, 1861. 8.
Seitdem in dieſer Zeitfchrift in Anlaß der Schrift Schlözer’s
über die erjte polnifche Theilung gehandelt worven, ift das oben ans
geführte Buch eines Autors erfihienen, der ich fchon wiererholt auf
diefem Gebiete bewegt, und, wie ihm bei feinen Arbeiten die
rujliihen Archive zu Gebote fanden, auch mit einer gewilfen Vor»
liebe ven ruſſiſchen Standpunkt vertreten bat. Er ift, wie er fugt,
gerade durch Schlözer's Darftellung zur Veröffentlichung tiefes Wer-
fes veranlaßt worden, babe es aber fihon früher ausgearbeitet ge=
habt und jegt nur einige nachträgliche Bemerkungen hinzugefügt.
Dieß wird auch durch tie äußere Beichaffenheit wohl beftätigt, ine
dem, abgejehen von der Vorrede, das Buch aus drei verjchievenen
Theilen beiteht, einer fritifchen und erzählenden Darftellung, einer
Diſtoriſche Jeitſchrift VL Band. 1
2 ne Georg Waitz,
Sammlung” sa Urkunden mit einigen eingeftreuten Erläuterungen
und Ausfüßtungen, und einem Anhang (Suppl&ment), ver ſich be-
fonvers: mit Schlözer, aufferdem auch mit dem betreffenden Abfchnitt
in Herrwann's ruſſiſcher Gefchichte befchäftigt. (Da dieſe Theile auch
beſonders paginirt ſind, werde ich ſie gls J. II. III. citiren). Unſer
Auſſei iheint dem Verfaſſer noch nicht bekannt geweſen zu fein.
2 Die Abficht ift zu zeigen, daß nicht Rußland, fondern Preußen,
: geieprich II., ten eigentlihen Anlaß zu der Xheilung gegeben;
and infofern ſtimmt der Verfaffer mit ver früher hier vertretenen
. Anficht in der Hauptjache überein. Doch geht er dann weiter, wenn
er barzuthun fucht, daß Friedrich den Plan zu einer Vergrößerung
feines Staatsgebietes auf Koften Polens fehr früh in bejtimmter
Weije gefaßt, unter allen Umftänven feitgehalten, eifrig und gefchickt
verfolgt und dadurch das ganze Ereigniß herbeigeführt habe. Au⸗
dererſeits ift er weit entfernt, dem König in irgend einem Sinne tar-
aus einen Vorwurf zumachen, und ftcht in der Würdigung des ganzen
Vorganges mehr auf dem Stantpunft, den, unter fich freilich noch
vielfach abweichent, Herrmann und Schlözer einnehmen, als daß er ge-
neigt wäre, ſolchen Erwägungen Raum zu geben, wie fie jener
Auffag in Erinnerung zu bringen für recht und nethwendig hielt.
Es ift nun die Meinung nicht, jett auf dieſe Fragen noch einmal zu-
rüdzufommen. Die Bedeutung des Buches Tiegt auch gewiß am we—
niaften in foldyen allgemeinen Grörterungen. Aber es ift dankens—⸗
werth durch neue Mitteilungen eben aus ven rufjifchen Archiven, vie
es gibt, und auch von den Fritifchen Erörterungen, die ver Verfafjer
über die bisherigen Darftellungen und befenvers über einzelne Punfte
anftellt, verdient Einzelne Beachtung; es fcheint mir angemeffen,
mit Rüdjicht hierauf wie auf vie fonft befannten Nuchrichten etwas
näher darzulegen, wie der Gang der Suche fich jett darftellt. Da⸗
bei bleibt freilich zu bevauern, daB ver Verfaffer von dem ihm zugäng-
fichen Diaterial eben nur die auf Preußen bezüglichen Actenftüde mit⸗
getheilt hat, fehr wenig was Rußland unmittelbar angeht, fo gut wie
gar nichts was fih auf den Verkehr mit Defterreic bezieht. Dieß
erwedt dann auf's Neue wohl das Verlangen nach einer Kenntniß
deffen, was die öfterreichifchen Archive felbft enthalten mögen. Und
wie fchon djterd bemerkt, iſt es ſehr wahrjcheinlich, daß eine folche
Neue Mittheilungen über die erſte Theilung Polens. 3
Mittheilung die Dinge nur günftiger für den betreffenden Staat wird
ericheinen lajjen, al& die bisherige Annahme war.
So ift e8 nach Allem, was jegt vorliegt und zulegt eben Smitt
mitgetheilt bat, als gewiß anzunehmen, daß bei den Zuſammenkünften
von Friedrich und Joſeph zu Neijje und Neuſtadt, in feiner Weife,
wie man früher nach Core und Andern annahm, über eine Theilung
Polens verhandelt, oder der Plan einer ſolchen entworfen worden ift;
was zulcgt in diefer Beziehung von Et. Prieft und Herrmann ausge⸗
jührt worden, hat Emitt gewiß mit Recht (I, p. 62. III, p. 6) zurückge⸗
wiejen. Dian darf fich in diefer Beziehung vielleicht auch auf ben
Beriht von Kaunig über die legte Zufammenkunft, die man vor—⸗
zugsmeife im Auge bat, berufen , ven U. Wolf in dem Jahrbuch für
vaterländifche Gefchichte (Wien, 1860) veröffentlicht Hat, und in dem
turchaus nichts der Art vorfonmt, obwohl ja möglicher Weife dieſe
Angelegenheit als nicht geeignet zur Erwähnung in einem ſolchen
Schreiben hätte angefehen werden können. Cine Stelle aber in einem
von Smitt mitgetheilten Brief Friedrich's, wo diefer von der Maria
Thereſia berichtet, fie jolle ihrem Sohne Joſeph vorgeworfen haben :
que ses entrevues avec le Roi de Prusse 6taient la premiere
source des embarras oü elle se trouvait aujourd’hui (Il, p. 186)
fortert am wenigiten eine folcye Auslegung.
Aus der Zeit vor dem Anfang der 7Oer Jahre gibt die Publication
Smitt's überhaupt nichts wefentlich Neues außer einem ausführlichen Aus»
zug aus tem projectirten Bündniß Friedrich's LI. mit Zaar Peter III., aus
dem erhellt, daß ver Vertrag von 1764 in wichtigen Punkten nur eine
Wiederholung deſſelben ift, und namentlich die beiden hier im deutjchen
Iriginaltert mitgetheilten Separatartifel, die fih auf Polen bezogen,
und tie dienen feollten, feine Schwäche zu erhalten und zugleich die
Wahl eines auswärtigen Königs zu verhindern, ſchon damals von
Friedrich beantragt waren. — Herr Smitt polemifirt außerbem
(IIL, p. 18) gegen die Auslegung, welche Friedrich und mit ihm
Schlözer YAeußerungen gegeben haben, welche der Ruſſiſche Minijter
Panin bei Gelegenheit der Verhandlungen über ven Vertrag gemacht,
und welde ter König glaubte auf vie Free d’un partage &
faire en Pologne dans le cas d’une guerre dans ce pays-lä
beziehen zu ſollen; aber gefördert wird die Suche dadurch weiter nicht,
1 »
& Georg Waitz,
Eine Depefche Friedrich's an feinen Gefandten in Peter@burg,
den Grafen Solms, die früher in einer Schrift de8 Grafen Görtz be⸗
kannt gemacht worben, erfcheint hier, wie wenigften® der Herr Herausgeber
meint, in einer authentifcheren Geftalt; bie Meinung, bie id)
früher wohl geäußert, daß fie in ihren etwas dunkeln Wendungen
über die Pacification Polens auch fchon auf eine Theilung hingedeu⸗
tet, erhält wenigftens feine weitere Beftätigung und mag dahin ger
ftellt bleiben.
Wichtiger find die Vorgänge bei der Anweſenheit des Prinzen
Heinrich im Jahre 1770/1771 in Petersburg. Die drei Erzählun⸗
gen, welche über feine Unterredung mit ter Katharina und bie bier
ftattgefundene Erwähnung einer Xheilung Polens früher geprudt
find und alle auf mündliche Nachrichten des Prinzen zurüdgehen,
werben verglichen und ihre Abweichungen und Wiverfprüche gut in's Licht
geftellt (I, p. 14). Dabei ijt vem Verfaſſer aber paffirt, den jetzt
in der Sorrefpondenz Friedrich’ mit feinem Bruder gebrudten eigenen
Bericht deſſelben (Corresp. XI, p. 345) unbeacdhtet zu laffen, und
erft in vem Supplement (ILI p. 39) bei Gelegenheit ver Darjtellung
Schlözer’s, der jenem gefolgt ift, kommt er auf benfelben zu fprechen.
Wir werden gewiß, mas der Prinz bier erzählt, ale authentifch
fefthalten und zugleich dieſe Unterredung als ten wirklichen Beginn
zur Ausführung früher nur unbeftimmter Pläne betrachten müſſen.
So erklärt fich, wie früher angeführt (Zeitfchr. Bo. ILL, p. 10, 13) vie
Dankbarkeit, welche Friedrich wegen viefer Sache gegen feinen Bru-
der empiand, tie Art und Weife, wie der Prinz fich feiner Ver:
bienfte rühmte. In legterer Beziehung kommt ein bier (II, p. 114)
mitgetheilter, ganz merkwürdiger Brief deffelben an den Grafen Solms
in Betracht, wo er fagt: Il est vrai que je puis me dire, que
mon s&jour à Petersbourg a &t€ marqu& par le commencement
des negociations pour la plus grande r@union entre le Roi et
la Russie. Je puis aussi me flatter, sans prevent'on, et jeen ai
läa-d-ssus Paveu du Roi dans plus de vingt lettres de sa main,
d’avoir mis sur le tapis l’affaire qui a donne lien & la Conven-
ion Wenn Herr Smitt dagegen meint, der Prinz fei mit ber
Kunde von einem beftimnten Plan Friedrich's nach Peteroburg gegangen
und babe dann bier vie Gelegenheit benutzt, ja alle Mittel der
Rene Mittheilungen über bie erſte Theilung Polens. 5
Ueberredung anfgebeten, um benfelben ber Kaiferin zugänglich zu
machen (I, p. 138), fo entbehrt das ver Begründung. Gewiß trug
fi Friedrich mit ſolchen Gedanken, aber mehr allgemein und in weiterer
Verne. Da gaben der Einmarjch ber Defterreicher in die Zips
und vie dadurch veranlaßten Aeußerungen ber Katharina den Anftoß,
ihnen rafch Seftalt und Ausführung zu geben, nicht in der befchränf-
ten Weife, wie man zuerjt wohl nur in Rußland meinte (Bd. III
rer Zeiticrift p. 10), fendern gleich in einem Umfang, welcher des
Königs Wünſchen und Intereſſen zu entfprechen fchien.
Herr Emitt glaubt das entfchiedenfte Gewicht auf eine Note
Friedrich's vom 2. Diärz 1771 legen zu feollen: fie wiberlege over
berichtige alle bieherigen Darftellungen; fie enthalte ven erften be«
ftimmten Borfchlag zu ver Theilung, und zwar von preußifcher Eeite,
ehne Daß auf einen Antrag ober eine bereitd ausgeſprochene Zuftimmung
Katharina's Rückſicht genommen werde. ‘Dabei ift aber zu beden⸗
fen, daß jenes eben eine gefchäftliche Depefche ift und durch fie bie
Sache nun zuerft in die Wege tes gewöhnlichen diplomatischen Ber-
kehrs gebracht werden fell. Der König theilt fie feinem Ges
ſandten mit, tamit fie turch tiefen an den ruffiihen Miniſter ges
lange. Borbergeht auch fchen ein anderes Schreiben vom 20. Fer
bruar, das Shlözer (257) gegeben und ber Berfaffer erft im
Nachtrage berüdfichtigt. Beide zufammen zeigen allerdings, daß un-
mittelbar nach ter Rückkehr tes Prinzen aus Petersburg Friedrich)
mit Lebhaftigkeit auf ven Gedanfen einging, fich jegt einiger bes
ſonders wohlgelegener polnifcher Gebiete zu bemächtigen, wie er in
beiten Briefen fagt, um fo das Gleichgewicht gegen Defterreich auf
recht zu erhalten, und damit fie als Entſchädigung dienen für bie
Eubfirien und anderes, was ihm der ruffifch » preußifche Krieg ge«
feftet; damit verbindet er dann ben Gedanken, daß auch Rußland
bier feine Entfchärigung erhalten möge (qu’il doit &tre indifferent
à la Russie, de quel cöt& lui vient le dedommagement quelle
a raison de pretendre pour les frais de sa guerre), und führt
aus, wie das Ganze zugleich zu einer Vefeftigung ber mit Rußland
beſtehenden engen Verbindung führen“ werde.
Es ift num ganz richtig, wie Herr Smitt hervorhebt, daß bie
feitenden ruſſiſchen Stantsmänner nicht fo glei und umbebingt da⸗
6 Georg Waitz,
rauf eingingen ; doch einen principiellen Wiberftand fanden Fried⸗
rich's Vorſchläge keineewegs. Tiefer aber betreibt die Sache auf's
Lebhafteſte, läßt Rußland in feinen Anfprüchen gänzlich freie Hand
und fucht nur das turdhzufegen, was ihm felbft tag Wünfchene-
werthefte erfcheint. Anfangs forbert er BPomerellien, jedoch mit
Auénahme von Danzig, und als Erfak für diefe Stadt Eulm und
Marienburg, eventuell Ermeland, Elbing, Marienburg und Eulm,
fpäter für Thorn, wegen deſſen Rußland Schwierigkeiten macht,
Elbing. C'est une bagatelle, fchreibt er, II, p. 35, et ıl nen cou-
tera qu'un coup de plume & la Russie. Im Uebrigen ver-
wantelt fich tie Eventualität, das Cine oder Antere zu erhalten, fpä-
ter in eine Bereinigung von beiden. Und auch auf Danzig fommt er
jurüd, intem er e8 als Entſchädigung für eine Rußland gegen Oeſter⸗
reich zu leiftente Hilfe in Anfpruch nimmt und nur aufgibt, als jenes
fih entſchieden dagegen erflürte, um dann aber mwenigftens zu ver-
langen, daß es als völlig freie Stadt anerkannt werte (II, p. 66. 67).
Dan mag bier wohl bemerken, daß tie häufig wieberholte Dar-
ftellung, welche Friedrich fpäter felbft gegeben hat (f. Zeitfchrift
III, p. 8), die Theilung fei unternommen als das einzige Mittel um
einen großen Krieg unter ten Oftmächten zu vermeiten, in biefen
Actenſtücken auch gar feinen Anhalt, vielmehr eine entfchievene Wi⸗
derlegung finvet. Rußland wegen feiner Siege in der Türkei zu entſchädi⸗
gen, iſt freilich ein Gedanke, den Friedrich gleich zu Anfang einmal aus:
fpricht, den er dann aber wenigften® nicht befenvers verfolgt, und ter
auch bei Katharina und ihren Miniftern offenbar wenig Anklang fin-
bet: fie nehmen den Gewinn in Belen, ohne zunächſt an ein Aufgeben
ihrer Pläne gegen bie Türken zu venfen. Oeſterreich aber, das
diefe fürdtet und fich ihnen entgegenzutreten eutfchloffen zeigt,
bleibt zu Anfang den polnifchen Projecten fern, und daran, daß bie
Theilung gemacht wird, um biefes zu befchwichtigen und zu gewinnen,
fehlt fo viel, daß längere Zeit hindurch fehr ernftlich davon Die Rebe
war, fie gegen Defterreich auch mit ten Waffen purchzuführen (II,
p- 49 ff.). Daher verfpricht auch Rußland ftatt Danzig dem König:
& sengager à ne pas deposer les armes, jusqu’ à ce que cette
puissance (Vejterreih) ait &t6 obligee & donner au Roi une in-
demnit6 suflisante, c’est-A-dire, dans le cas od elle attaquerait
la Prusse (p. 65).
Nene Mittgeilungen über die erſte Theilung Polens. 7
Es ift hiernach eine Frage von befonverer Wichtigkeit, in welcher
Weiſe und Zeit Oeſterreich überhaupt bei den Plänen auf Polen bes
theiligt werden ift. Echlözer hat zuletzt (p. 263) erzählt, ber
zuffifhe Miniſter Panin habe auf Friedrich's Vorſchläge geantwor«
tet, er fönne fi für bie Annahme verfelben und für ein Vorgehen
Rußlands und Preußens gegen Polen unmöglich eher entfchließen, bis
er nicht wenigftens darüber Gemißheit babe, wie man in Wien einen
jelden Plan auffajlen, und ob etwa das dortige Cabinet zu bewegen
fein würpe, mit den beiden verbündeten Höfen gemeinfchaftliche Sache
zu machen. Friedrich habe in Folge davon es bereitwillig übernommen,
tiche Aufklärung feweit als thunlich zu befchaffen und fei zu tem
Ente perjönlic” mit dem öjterreichifchen Geſandten in Berlin van
Smieten in Berhantlung getreten *), habe diefem im Allgemeinen bie
Wittheilung gemacht, dag man nichts gegen die öſterreichiſche Befig-
ergreifung einzumweuden habe, aber zugleich Die Abficht hege, dieſem
Beijpiel zu folgen und gleichfalls einige Theile von Polen in Beſitz
zu nehmen. Darauf aber ſei ven Kaunig eine entfchieven -ab«
ichnente Antwort erfolgt: Oeſterreich habe nicht die Abficht,
jene Gebiete zu behalten; ter Plan einer Xheilung fei mit
großen Gefahren verbunden, und man möge von beinfelben abſtehen.
Gegen Die Richtigkeit dieſer Mittheilungen ift gewiß fein Zweifel.
Wenn Sclözer aber fortfährt, Friedrich habe ſich dadurch nicht irre
machen laſſen, weil er eingefehen, Uejterreich werde, wenn Preußen
und Rußland nur feft und ceinmüthig in ter Sache aufträten, nicht
zurücbleiben, fondern ſich auch mit aller Unbefangenheit dem Theilungs⸗
project anfchließen, fo ilt das nun doch in der Weiſe keineswegs
richtig. Vielmehr ijt in der mächiten Zeit auf eine Theilnahme
Oeſterreichs offenbar nicht weiter gerechnet und Rückſicht genommen.
So erllärt ſich Frietrih am 11. Juli 1771 (IL, p. 34); er fchreibt
einmal ausbrüdlih (II, p. 80): Je crois qu'il faut rejeter toute
idee de se concerter avec la cour de Vienne sur les acquisitions
à faire en Pologne, und will, taß man ohne das zu verfuchen,
Aefig ergreifen jell. Darauf beziehen fich auch die weiteren Verhandlun⸗
gen über die Möglichkeit eines Krieges gegen Oeſterreich im Sep⸗
*) Den Irrthum, vielleicht nur Drudfehler bei Schlözer, Swieten fei erfi Dez.
1771 nad Berlin gelommen, hat Smitt III, p. 54 berichtigt.
8 Georg Waitz,
tember bis Dezember des Jahres; wo allerdings zunächſt die tür-
kiſchen Angelegenheiten, taneben aber auch biefe pelnifche Sache in
Betracht kommen; noch in dem Vertrag zwifchen Rußland und Preußen,
der im Februar 1772 zum Abfchluß kam, betrifft ein geheimer Arti⸗
fel die Eventualität eines felchen. Alle Verhandlungen find jet
ganz ohne Zuziehung des Wiener Hofes gepflegen, und es wirb als
etwas Beſonderes bervorgebeben, daß man in Wien wie in Warfchau
und Conftantinopel duch eine gewiffe Kunde davon erhält. Dieß war
im November, und am 4. Dezember tbeilt dann Friedrich eine Stelle
ans tem Bericht feines Geſandten in Wien nach Petersburg mit, in
ber es hieß: L’Imperatrice-Reine aussi bien que l’Empereur
ont touch6 quelque chose, quoiqu’ on termes generaux et à
demi-mot seulement, qu’on voulait sa part, au cas quil s’a-
gissait d’un dömembrement de la Pologne, et qu'il fallait e’ex-
pliquer lä-dessus, (Schlözer p. 275. Smitt II, p. 24). Mit
Recht behauptet Herr Smitt, daß man von bier an die Zeit ber nä-
beren Theilnahme Defterreih8 an der ganzen Angelegenheit tatiren
könne. Freilich fieht man danach wohl, daß e8 mit der Forderung
der Integrität Polens, vie Kaunig am 25. Oktober gegen den ruſſi⸗
ſchen Geſandten erhoben hatte, nicht eben ernftlich gemeint fein konnte,
und wenn berfelbe ſchon vorher dem preußijchen Gefandten ven ver
Nothwendigkeit geiprechen hatte, daß, wenn Rußland mit großen
Bortheilen aus dem Kriege hervorgehe, zur Bewahrung des Gleich⸗
gewichts auch Defterreih und Breußen eine Vergrößerung erlangen
müßten, jo mag e8 wohl fein, wie Schlö;er (p. 234) annımmt, daß
bier an Polen gedacht werden. Die öſterreichiſche Politif war da-
mals, wie zu antern Zeiten auch, offenbar vie, daß fie am liebften
den status quo erhalten hätte, wenn aber andere Gewinn bavon-
trugen, für fich das Gleiche verlangte; fie befand fich in einem ent-
ſchiedenen Gegenfag gegen Rußlands Türliſche Pläne, hatte im Juli
ben Vertrag mit der Türkei gegen vaffelbe gefchloffen, und fegte
alles daran, um namentlich den Webergang der Moldau und Walachei
unter ruſſiſche Herrfchaft zu verhindern, während ihre freilich an fich
bie Integrität der Türkei eben nicht mehr am Herzen lag, ale Fried⸗
rich die von Polen.
Das ergab ſich in auffallenner Weife, als e6 nun wirklich zu
Rene Rittheilungen über die erſte Theilung Polens. 9
Berbantlungen mit Defterreich kam, die möglich wurden, ta Rußland
jene Anſprüche auf die Donaufürftentbümer aufgab und fich zugleich,
ebenfe wie Preußen, ganz bereit zeigte, Defterreich einen Antheil an
tem pelnifchen Raube zu gewähren. Statt unmittelbar darauf ein⸗
zugeben, wagte fich jenes zuerft mit zwei anderen Vorfchlägen hervor.
Ein von Smitt mitgetheilter Brief Friedrich's beftätigt, daß man für
ten Preußen zu überlaffenren Antheil an Polen die Abtretung von
Glas vorfhlug. Und die Antwort, welche Frierrich darauf gab, ver-
dient wohl bier hervorgehoben zu werden. Je lui repartis, fchreibt
er an Solms (II, p. 93), que je n’avais la goutte que dans les
pieds et que ce serait une proposition & me faire, si je l’avais
dans la t&te. Da meinte der öſterreichiſche Geſandte, man würde
nicht ungerne Belgrad und Serbien nehmen. Je crus, führt Fried»
ri fort, tomber de mon haut & ces paroles, auxquelles je ne
pouvais m’attendre d’un alli6 des Turcs et de cette cour dont
la phrase favorite étoit celle de la balance d’Orient. Er fügt
binzu: Pour ce qui est de la r6pugnance que cette cour t6-
moigne de partager avec nous la Pologne, c’est pour ménager
les Polonais, sur les quels elle a un oeil, et pour que toute la
baine de cette Nation tombe sur les Russes et sur nous. Des-
balb iſt er auch ganz zufrieden, als ver Micner Hof nun bald dar⸗
anf Doch eben einen Antheil an Polen fich gefallen läßt, und erklärt
ven Wechſel der Anſicht damit, daß die beiden kaiſerlichen Berjonen
und Kaunig nicht übereinftimmten und bald die Anficht des einen oder
andern das Uebergewicht erhielt. Die Abneigung der Maria Therefia
gegen eine Betheiligung an dieſer Angelegenheit erhält auch hier volle
Beftätigung; Friedrich berichtet nach den ihn zugegangenen Mitthei-
(ungen von Wien, daß fie Ichhafte Gewiſſensbiſſe habe, Joſeph heftige
Bormwürfe mache, und vie Streitigkeiten, die e8 täglich zmifchen ihnen
gebe, häufiger und bitterer feien, als jemal® (II, p. 135); ein an-
dermal, daß die Kaiferin ihren Beichtvater gefragt und dieſer geant«
wertet, ta er nichts von legitimen Rechten auf die Diitricte wiffe,
jo fönne er das Unternehmen nur vertammen; andere Geiftliche ba-
gegen hätten gemeint, daß es Umſtände gebe, wo nur das Staate-
wohl entjcheiden könne; dieſe Erklärung, fett er hinzu, werbe den Je⸗
fuiten beigelegt. Und es ijt bie, welche damals in Defterreich das
10 i Georg Waitz,
Uebergewicht erhielt, wie fie in ven andern betheiligten Staaten von
Anfang an allein in Betracht gezogen ift, ohne baß es eines folchen
Rathes bedurft hätte.
Oeſterreich verſuchte ſpäter noch feinen Beitritt auch äußerlich
in der Form einer „Acceſſion“, nicht einer unmittelbaren Theilnahme
an ber „Lonvention« zu vollziehen; es erhob dann Auſprüche von einer
Größe, daß Friebrich betroffen ward, und jenes Gleichgewicht, auf
das man fortwährend fo viel Gewicht legte, ernſtlich bedroht bielt.
Er fand aber ald das befte Mittel, pour couper court à toute dis-
cu3sion, d’6tendre les portions que nous nous sommes reserv6s;
er fordert fpäter beftimmt Thorn und ein Gebiet bis an die Warthe
und die fchlejifche Grenze, das er auf einer Starte näher bezeichnet;
und eigenhändig fügt er ber Depefche hierüber hinzu: Je n’ai point
parl& dans tout ceci de la part de la Russie, je souscris d’avance
& ce qu’ils voudront se stipuler. Da Oeſterreich einiges nachpibt,
ift er dann entſchieden dafür, daß man fich einig. In einem Brief
vom 12. Yuli 1772 befpricht er ein Ultimatum, das jenes geftellt,
und empfiehlt Rußland die Annahme Ihm liegt alles daran, daß
bie Angelegenheit zu einem Abfchluß gelangt.
Bon Rüdjichten auf Polen, überhaupt von Rüdjichten des Rech⸗
tes ift nie die NRete. Bon der Begründung ver Anfprüche, die ver
Form wegen vorgenommen werben fell, jagt der König in einem Brief:
Cest une rögle generale dans la politique, que, faute d’argu-
mens sans replique, il vaut mieux d’exprimer laconiquement,
et ne point trop Eplucher la matiere. Or, je sais bien que la
Russie a beaucoup plus de raisons à alleguer, mais il n’est pas
de m&me de nous (Il p. 155); was nur einer Yeußerung in ben
Memoiren entipricht.
Dagegen ift es denn außer dem Erwerb der nahegelegenen Land⸗
fhaften namentlich die Befeftigung der Verbindung mit Rußland, auf
welche Friedrich bei dem ganzen Vorgang das entfchiebenfte Gewicht legt.
Alle Briefe, die er nach Petersburg fchreibt, find voll ber Verſiche⸗
sangen, ter Heffnungen, ver befrienigenkiten Weußerungen in Bezug
hierauf. Je serai bien aise, fchreibt er am 2. März 1771, de
pouvoir dire, que c’est & la Russie que j’en ai principalement
lobligation de cette nouvelle acquisition, qui fournirait en meme
Rene Mittheilungen über bie erſte Theilung Polens, 11
temps une nouvelle occasion de raffermir nos liens r&ciproques
et de les rendre encore plus indissolubles (II p. 13); fpäter:
N en re@sultera une impossibilitE morale de pouvoir jamais
rompre l’union intime et 6troite qui subsiste entre nos deux
monarchies (p. 144); eigenhäntig 27. Sept. 1772: Vous direz au
comte Panin, qu'il peut assurer P’Imperatrice en mon nom:
qu’ aujourd-hui, jour de ’hommage de la Prusse, je L’assure :
qu’Elle n’a pas oblige un ingrat, et que j’epierai toutes les oc-
casions, pour lui t@moigner à Elle et & la Russie ma reconnais-
sance, nun pas en paroles, mais en effet (p. 177); 24. Növ.:
plus qu’on m’apprend & connattre, et plus reconnaitra-t-on dans
ma facon de penser et d’agir Yalli& le plus fid2le et le plus
zel€E de Empire de Russie (p. 1%). Er berichtet, daß er
feinen Geſandten in Deiterreich, Frankreich, Holland, England, Schwe
den und Dänemark Orbre gegeben, vie engfte Verbindung mit benen
Rußland's zu unterhalten und ſich gegenfeitig alle Mittheilungen zu
machen.
Aber er faßt zugleich vie Diöglichkeit in's Auge, Daß bie gemein-
fchaftliche Betheiligung an dieſer Eache und Die gegenfeitige Garantie
ter Enverbungen in Polen Tünftig zu einer Allianz ter brei Höfe
führen fünne; & la quelle, fügt er, je n’aurai certainement rien
& redire (p. 102). Une union entre nos trois Cours sera tou-
jours une @poque bien heureuse pour le repos de ’Europe, et
je m’y pre@terai avec plaisir, aussitöt qu'elle se fait conjointe-
ment avec la Cour de Russie (p. 108).
Damit, wird man fagen türfen, blickt Friedrich in eine weitere
Zukunft hinaus und gewinnt Gefichtspunfte von noch allgemeinerer Be-
deutung. Bei ver Beurtheilung berfelben wird man aber freilich
nicht ven dem auegehen, was in fpäterer Zeit die Allianz dieſer brei
Oſtmächte beteutet hat, nnd je nach tem verfchienenen Standpunkt
der Borliebe over Abneigung dafür, ven der Einzelne einnimmt, Lob
eter Tadel ausfprechen follen.
Ueberhaupt ift es ja gewiß genug, daß auch dieſes fo tief in bie
Geſchichte ter betheiligten Staaten cingreifende, zugleich bedeutungs⸗
und verhängnißvolle Ereigniß und die Theilnahme ber handelnden
Rerfönlichleiten gewürbigt werben muß nach den Grunpfägen und
12 Georg Waitz.
Tendenzen, bie überhaupt in jener Zeit obwalteten. Es hängt bie
Convenienzpolitit, wie fie Kaunig genannt hat, auf das engfte zufam-
men mit der Auffaffung, die man überhaupt vem Staat hatte, ber
doch eben nur als eine zufällige Vereinigung von Einzelnen betrachtet
ward, über teffen Bildung nach innen und außen fein höheres Gefeg
entſchied, der⸗ nichts Organifches an fich hatte, ver auf keinerlei na⸗
tionale over biftorifch begründete Verhältniffe Rüdficht nahm, fondern
den man eben nur nah Zwedmäßigkeitsrüdjichten fo oder anders zu
geitalten fuchte. Dies zeigt fich in den innern Reformen wie in ber
auswärtigen Politik. Man hat ficher Unrecht, tie einen zu preifen
und die andere zu verdammen, wenn die legte auch nicht felten, ka
fie eben noch über den eigenen Staat hinaus griff und auch auf das
Recht anderer keine Rüdficht nahm, härter und ungerechter erfcheint.
Man geht aber am meijten in bie Irre und gibt nur ein Zei-
hen des eigenen Mangels an aller wahren gefchichtlichen Erlenntniß,
weun man, wie wir neuerdiugs geſehen, eine Perfönlichkeit, „wie die
Friedrich's des Großen, nad einem willkürlich zurecht gemachten Maß—⸗
ftab von Moral, Recht und Patriotismus meſſen will, und meint
damit, daß man Ginzelnes aneinander fügt, das man heutzutage an«
ders wünjchen möchte, Anderes verkleinert und entſtellt und ein Zerr-
bild ohne wirklich biftorifche Wahrheit zeichnet, der Nation eine der
wenigen Geftalten nehmen zu können, an deren Anfchauung fie fich
gehoben hat, und Lie auch kommenden Gefchlechtern ein Zeugniß da⸗
von fein wird, was die große Perjönlichkeit, die ihre Aufgabe zu
faffen und turchzuführen verjteht, einem Volke fein kann. Wie man
auch über tie polnifche Theilung denken und wie entſchieden Friedrich's
Standpunkt bezeichnen mag, zu einer folden Verdammniß oder auch
nur zu irgend welcher Veränterung bes Urtheils, das feit lange im
deutfchen Bewußtjein lebt, gıbt fie fo wenig Grund wie irgend ein
anderes einzelnes Ereigniß in feiner Gefchichte.
Dies auszufprechen, hielt ich hier um fo mehr am Platze, da
dem früheren Aufjag von einer Seite her eine Auslegung gegeben ift,
gegen die ich mich auf das entjchiebenfte verwahren muß.
\
lI.
Höfler's Entdelungen im Miadenopicz.
Bon
U. Hausrath.
Herr Profeſſor Höfler wurde bei feiner Herausgabe böhmifcher
Hiſtoriler der huffitifchen Bewegung *), wie er felbft jagt, von dem
toppelten Gefichtöpunft geleitet, einerfeits einer Zeit zu gerechter Wür⸗
bigung zu verhelfen, „in welcher das Cechenland mit einem Male eine
europäifche Bedeutung, ja beinahe die Diktatur in Europa erlangte«,
anderſeits „jenem Hin⸗ und Herreden, ven rheterifchen Scmpilationen,
wie fie in ver legten Zeit in literarijchen oder religiöſen Vereinen
More geworben find, dem Aufputzen einer biftorifchen Purpe, welche
man Hus zu nennen beliebt, ein Ende zu machen«.
Er bat ſich tabei offenbar feinem Stoffe gegenüber in einer fehr
getheilten Gemüthsverfaſſung befunden. Denn während dein ultra
*) Fontes rerum Austriscarum, herausgegeben von ber hiſt. Kommilfion
der f. Alademie der Wiffenfd. in Wien. I. Abth. 2. BVd. Th. 1 Ge
ſchichtſchreiber der huf. Beweg. in Böhmen, edirt von Dr. 8. Höfler.
14 A. Hausrath,
montanen Hiftorifer jene gewaltige bufitifche Bewegung nur als eine
traurige Verirrung erjcheinen fonnte, fo war es doch wieder dem
Prager Batrieten wohlthuend, zu fehen, wie die Weltgefchichte im
berfelben Zeit den Umweg über Dejterreich genommen. Die Ausgleis
Kung dieſes Zwielpaltes für das öfterreichifche Hiftorifche Bewußtſein
fheint denn auch bie Hauptaufgabe unferes Herausgebers gewefen zu
fein, ta er fih ein Beſonderes darauf zu gut thut, bie äußerſt
fehwierigen nationalen wie die confeffionellen Nüdfichten im
gleichen Maße beobachtet zu haben“. Und in der That ift das für
jenen Standpunkt Feine leichte Aufgabe, denn wir Andern waren mwe«
nigitens feither der Unficht gewefen, die Wichtigkeit jener hufitifchen
Bewegungen beruhe hauptfächlich auf dem ungeheuern Einprud, ben
das Erwachſen eines afatholifchen Staatsweſens mitten im Kreife
ber fatholijchen Yänder auf die bamalige Welt machte, und auf dem na⸗
tionalen Pathos des fpezifiichen Techenthums, ven dem fie getragen
waren. Höfler lehnt in katholiſchem und djterreichifchem Intereſſe
Beides ab und kann dennoch die Bedeutung diefer Bewegungen nicht
überjhwänglich genug preijen; fein Wunder, daß ba die „neuen Auf«
fajjungen« lediglich auf fich felbjt widerfprechende Behauptungen und
auf das wunderliche Unternehmen herauskommen, den Hufitismus
möglichft gewaltig, Hus felbjt aber möglicyft nichtig, trivial und uns
bedeutend barzuftellen.
In ver Würdigung der Wichtigkeit der huſitiſchen Bewegungen,
zu welcher übrigens vie Forſchungen ganz auterer Gelehrten verhols
fen haben — ftimmen alle neueren Hijtoriler mit Herrn Höfler über⸗
ein, und nur das müſſen wir als einen lichbenswürpigen Lokalpatrio⸗
tiemus zurüdhweifen, wenn er behauptet, der Aufſchwung ter Geijter
in Europa uud das Erblüen der neuen Cultur fei minder der Kine
wirkung der flüchtigen Griechen als „Karl IV. tiefem Sinn für Kunft
und Wilfenfchaft zuzufchreiben, ver Prag zum geijtigen Mittelpunkt
Deutfcher und flavifcher Länder erheben“, denn auf den innern Um⸗
fhwung ver Geifter hat vie Eutvedung der alten Welt, die dadurch
nahgelegte Vergleihung der alten und neuen Verhältnijfe, die von
dort kommende Befruchtung und Umbiltung der Aufhauungen ganz
anders eingewirkt und ver damaligen Welt ein ganz anderes Correftiv
geboten, als die flavifchen Bewegungen. Wenn auch den deutſchen
Höfler’s Entbediungen im Miabenovicz. 16
Berfaffungsbeftrebungen die Furcht vor ber höhmifchen Klinge ein
beteutenter Impuls war, fo wurden boch die Geifter durch ganz an⸗
vere Dinge mündig gemacht.
Das aber ift wohl fo ernft nicht gemeint, wenn biefer geijtige
Aufſchwung des 15. Jahrhunderts beiläufig auch "ven den großen
Gongrefien ver bebveutenpften Männer aller chriftlichen Länder“ her⸗
geleitet wird, "von beren gegenjeitiger Berührung ber eleftrifche Fun⸗
fen entjprungen«. Das willen wir denn doch, was das für Geiſtes⸗
funten waren, bie bort aufbligten und auch Mladenovicz bat (p. 276
in Höfl Ausg.) davon ein fchönes Bilt gegeben.
Doch hat Herr Höfler fi) überhaupt nicht die Mühe genommen,
une über die eigentlichen Urfprünge jener Bewegung aufzuflären, ges
nug Daß bie feitherige Auffaffung „banale Phrafe, ein bloßes Hin⸗
und Herreden, rhetorijche Compilation« ift, die richtige Auffaffung
bogegen, bie Erfenntniß deſſen, „was wahrbaft bleibend, was von
weitgefchichtlicher Bedeutung, von innerer Nothwendigkeit in dieſen
Bewegungen war — und eine neue Zeit anbahnte», vie will Herr
Höfler erit bei feinen fünftigen Publicatienen der Welt offenbaren.
Bis dahin müjjen wir uns gedulden, und mit ben negativen Reſulta⸗
ten vorlieb uehmend, ihm danken, daß er uns durch eine gleichſam
nee enttedte Duelle von bem „Mythus vom Hus« befreit hat.
Diefe Duelle ijt nämlich nach Höfler die wohlbefaunte Historie
de fatis et actis Magistri Johannis Hus Constanciae, aus welcher
man gerade feither jenes ideale Bild Hufens geichöpft hatte. Aber
freilich, wir hatten nur eine wahrſcheinlich von Hutten herftammene,
von Luther durch eine Vorrede fanctionirte gefälfchte Ausgabe dieſes
Buches, und jegt erft bat Herr Höfler den Ächten Mladenovicz ers
mittelt und ift fo in ber beneivenswerthen Lage, mit einen Echlag
Hus, Luther und Hutten moralıfch vernichten zu lönnen. Es iſt um
ſo beicheivener von dem Herausgeber, daß er Die Priorität diefer Ent⸗
tedung Herrn Palady überläßt, als in der von ihm citirten Stelle
der köhmifchen Geſchichte Palady davon gar nicht und in der eins
jigen, in ter er fich über ten Quther’fchen Text äußert, etwas ganz
anderes fagt *).
“, Nämlich daß die urfprünglich böhmiſch gefchriebenen Briefe bem Ueber-
16 A. Hautrath,
Daß die Briefe fchlecht gerathen fein mögen, glauben wir
Herrn Pulady aufs Wort, daß aber bie ganze Ausgabe von 37
nur eine „von Luther fanctionirte tendenzidfe Fälſchung- fei, dafür
bat Herr Höfler nichts beigebracht al8 — Unwahrbeiten. Ep. 253
foll eine gefälfchte Rede des Biſchofs von Leitomiſchl ftehen, dort ftehen aber
bie von den Inquiſitoren aus Hufen’6 Buch de ecclesia gezogenen
Wrtifel, die in andern Worten ganz genau denfelben Sinn geben, wie
bie Höfler’fche Ausgabe. In einer Note citirt dann Herr Höfler
biefelbe Rede als auf pag. 194 ver Briefe. Die Zahl trifft zwar
wieder nicht zu, doch findet fich dieſelbe wenigitens in ver Nähe. Die
Stellen, die hier ausgelaſſen worten find, weil fie geeignet gewefen
wären, bie Deutfchen über das wahre Verhältniß des cechifchen Hus
gegenüber ihrer Nation aufzuklären, find nun folgende:
1) Bei den Worten quidam infamatores et abtrectatores regni
Bohemise fehlt ter volitommen überflüffige Relativfag quos falsos
iniquos illos (illi) videlicet reputant vermuthlich bed grammat.
Fehlers wegen und ftatt notitia fteht audientia.
2) Statt bes faft unverftänrlichen Satzes licet ego — cum alıis
praelatis — christo fidem defendere quantum in eis est cupien-
tibus, exstirpatione hujus secte laboraverim, demum hic in na-
tione mea germanica aliqua dolenter referens non in dedecus
sed in honorem regni ipsius proposuerim quoddam novum scan-
dalum . . esse subortum . . . fteht einfacher und verftändlich Kcet
ego .. cum aliis .. . christi fidem defendere cupientibus .. .
pro exstirpatione ejus sectae laboraverim, tamen hic in voca-
tione mea non in dedecus, sed in honorem regni ipsius proposui
... Die andern Stellen find noch unbedeutendere Auelafjungen, wos
bei Herr Höfler neh zudem mehr Worte als ausgelaffen zu unter
ftreichen beliebt, al8 ter Wahrheit entfpricht. Was aber bei dieſen
Auslajfungen Höfler zur Aeußerung veranlaßte: es fei "poffirlich zw
fehen, wie ta gerate die Stellen mweggelafien feien, bie für das Ver⸗
hältniß ter Yöhmen und Deutfchen von befonderer Wichtigkeit finde,
ſeter „Außerft ſchlecht gerathen“ feien, zuweilen Unſinn, zuweilen Bere
fehries berichteten. Damit bat aber Balady noch keineswegs das ganze
Bud für eine tenbenzidfe Ueberarbeitung erklärt.
Höfler’s Eutbeddungen im Miabenovicz. 17
das möchten wir noch erfahren. Kin zweiter Beweis, wie bie alte
Unsgabe gefälfcht fei, foll wiederum durch Palacky's Namen unter«
Rügt werten. Herr Höfler fchreibt wörtlich: „Daß die ungerechte
Anklage, 8. Sigmund babe ven Geleitsbrief gebrochen, aus ver falſchen
Ueberjegung von Hufen’s Briefen hervorging, hat bereits Herr Pa⸗
lady bemerkt und dabei auf ven lächerlichen SYrrifum aufmerkſam ges
macht, wie finnesftörend ber falſche Petrus bei Gelegenheit ver An⸗
tunft des Hus in Konftanz berichtet: rex est in regno — judica-
mus enim quod sequatur regem forte per 60 milliaria et rever-
tatur Constanciam“ , während es im ächten Petrus heißt: rex Si-
gismund est in Reno quem sequitur D. Wenceslaus et nos de
nocte pergimus Constantiam — judicamus enim quod esset in-
utile sequi regem forte per 60 milliarıa et reverti ad Con-
stanciam“'!
Die Stelle findet fich allervings bei Palacky (III 1, 31T)vals
Probe, wie uncorrect auch die lateinifch gefchriebenen Briefe Hufen’s
erirt find“. Daß aber Palacky daraus die Yolgerung ziehe, Hufen’s
Geleit fei nicht vom Kaijer gebrochen worden, ift eine Lüge. Höfler
mag die Priorität biefer Entvedung ruhig für fich behalten, denn Pa⸗
lady erzählt S. 327—30 ausführlich, wie Sigmund über den Bruch)
feines Geleite® entrüftet gewejen, aber aus Furcht, das Eoncil
werde feine Drohung erfüllen und auseinanvergehen, endlich nachge=
geben habe, und fich mit ber geltend gemachten Meinung getröftet, daß
fein zum Rachtheil des katholischen Glaubens gegebenes Berfprechen giltig
fein könne, das nennt Hr. Höfler: rauf die ungerechte Anklage auf-
mertjam machen, als babe Sigismund den Geleitsbrief gebrochen“.
Deiteres hat er nicht für nöthig erachtet, um Luther’s Fälſchung
zu conftatiren. Wenden wir uns nun zu dem fo grünbfich purificir-
ten Mladenovicz, um zu erfahren, welche ganz neue Anjchauung von
ber Berfon des Hus Herr Höfler aus demſelben gefchöpft hat.
Bir wollen weiter feine Zeit mit ven Expectorationen verlieren,
weldhe ber Herausgeber felbjt nicht zu begrünten beliebte. Jeder
Unbefangene muß es ja Herrn Höfler zugeben, daß Hus ein „Dekla⸗
mater war, befefjen von einem unwiderſtehlichen Drang fich hören
zu Laffen, daß deſſen ganzes Syſtem darauf hinauslief, fich eine durch
Niemanden zu beeinträchtigende Prebigerlicenz zu vindiciren, und ber
Diſtociſqe Zeitfärift VL Bam, 2
18 A. Hausrath,
hoffte, das ganze Eoncil in Grund und Boden zu reden. Kin eitler
Menſch, ver ſich mit feinem Baccalaureat brüftet, es aber nie zum
Doktor gebracht hat, ein fchlechtes Mönchslatein jchreibt und feine
ganze Theologie aus Wikleff geftohlen hatte. Weßhalb er denn auch
feinen Aerger nicht bemeiltern Tonnte, als man ihm feine Plagiate
nachwies. Seine Stärte beftand im Ausbeuten der nationalen Anti⸗
pathien; fein Ideenkreis reichte über die böhmifchen Berge nicht hinaus
und war unfähig, den Gedanken Karl IV. zu faſſen, ver eine Welt⸗
univerfität aus Prag machen wollte; er ruinirte bie Univerfität nur
weil die beutfchen Profefjoren feiner Carriere im Wege ftanden".
Belege hiefür beizubringen, hat Herr Höfler nicht für nöthig erachtet,
„Und wenn es Gründe gebe wie Brombeeren, ihr ſollt feinen einzi⸗
gen haben» — er wollte ja nur „ben: bloßen Hin⸗ und Herreven ein
Ende machen, wie e8 in ber legten Zeit in den literarijchen und re⸗
ligtöfen Vereinen Mode geworben“, und diefe Anfchauung drängte ſich
ihm eben fo im Allgemeinen auf bei ber Lecture eines Schriftftellere,
von dem er felbjt fagt, „derſelbe Tenne nichts Höheres als Johannes
Hus und fege ihn unbewußt dem leidenden Chriftus gleich“. Aber
ein Dann, wie Höfler, liest eben andere Dinge, als gewöhnliche
Menfchen.
Neben diefen allgemeinen Einprüden trägt uns Herr Höfler aber
auch zwei pofitive Entdeckungen von größter Tragmwelte vor.
Die erfte ift nämlich die, daß Hus fich feinen Tod felbft durdh
einen Mißgriff zugezogen, indem er nach Konftanz kam, währenp er
fih nur einen Geleitsbrief an vie kaiferliche Pfalz erwirkt hatte, ftatt
ſich mit einem Geleitsbrief des Concils zu verfehen. Das Eine ft
unwahr, das Andere albern. Der Geleitöbrief, ven Herr Höfler
ſelbſt abdruckt, lautet nicht auf die Taiferliche Pfalz, fondern auf Con⸗
ftanz und fichert ihm ten faijerlihen Schug zu "Constantiam ve-
niens et e converso ad Bohemiam rediens”. Lächerlich ift aber
bie Behauptung, Hus hätte einen Geleitöbrief des Concils nehmen
müſſen; feit wann wäre denn ein Concil in beutfchen Landen berech⸗
tigt geweſen, Todesurtheile zu vollftreden ohne Zuziehung des welt-
lihen Armes, fo daß man ein anderes Geleit gebraucht hätte als
das faiferlihe? Wozu follte denn ein Concit Geleitsbriefe ausftellen,
da e6 ben Ketzer in einem wie dem andern Fall zum Tode verur⸗
IV1
Hoͤſler's Entbedungen in Nladenovicz 19
theilen mußte, ſonſt aber nichts thun durfte, als ihn dem brachium
seculare überliefern? Was Rechtens im Reiche war, iſt doch durch
den Prozeß Luthers in Worms befannt genug, und wenn Herr Höfler
glaubt, vergleichen Thorheiten vortragen zu müſſen, fo follte er we-
nigftens nicht Palacky's Namen mißbrauchen, ſolchen Entdeckungen
am Decoration zu dienen. |
Tie andere Entdeckung aber ijt eine, wie fie eben nur im ultras
mentanen Zuger geinacht werden konnte und wie fie unter den Ultra⸗
mentanen wieder nur Herr Höfler zu Tage zu fördern vermochte.
Es iſt nämlich die, daß Hus felbft dad Eoncil habe zwingen wollen,
ihn zu verbrennen, um dadurch Kaifer und Concil gleich jehr in Ver⸗
iegenbeit zu fegen. Er wußte wohl, daß bie Verfammlung der größ-
ten Canoniſten ſich nicht ihres cigenen rechtlichen Grundes berauben
würten, fondern dem Prozeß feinen Lauf laffen müßten: fo that er
denn Alles, um feinen Tod herbeizuführen. Er batte ja feine Wolle
nach allen Seiten bin ausgefpielt. Er hatte fich jeder Stellung, je
des Platzes in ver Sefellfchaft beraubt; Sigismund hatte die ganze Ge⸗
fährlichleit des Diannes und feiner Yehren erkannt, und auch von König
Wenzel ftand vie Todesſtrafe bei der Heimkehr zu erwarten. Selbſt bas
Berhalten feiner Begleiter wurde ein fälteres: fie rufen ihm zu, er
möge wohl überlegen, was er thue; — er hatte fich durch fein Be⸗
nehmen beim Berhör allgemein verächtlich gemacht, indem er feine
Qereitwilligfeit zu revociren bis zum Ekel oft wieberholte und dann
dennoch im entfcheitenden Moment tie angebotene Verfühnung von
fih ſtieß — da blieb ja fein anftändiger Ausweg übrig als dasjenige,
was er freiwillig und mit Vorbedacht ergriff, fein Ende, dem, um
tragifch zu fein, — ſehr jcharffinnig! — die wahre Größe fehlte.
In ver That Alles was möglich ift! Wir haben ung beweifen
laſſen mäffen, daß vie Protejtanten ven friepliebeuden Ferdinand II.
zum Kriege nöthigten, daß die Magdeburger ihre Stadt felbjt an-
ftedten — nun auch noch das, daß Hus im Grunde fich felbft ver-
brannt Habe, in der boshaften Intention, feine rechtgläubigen Gegner
in Mißcrebit zu bringen. In der That, wer den böhmifchen Dia-
sifter zu einem folchen melopramatifchen Ungeheuer "aufzuftugen“ verfucht,
das aller Piychologie Hohn fpricht, ter follte doch billig feinen Dritten
wegen einer „hiſtoriſchen Buppe« umb einem „mythiſchen Hus« ber-
28%
20 A. Hausrath,
Hagen. Was nun aber die Begründung ber vorgebrachten Neuig-
feiten betrifft, fo ift nur das imponirend, daß Herr Höfler biefen
Kram einer Evition des Mladenovicz beifügt, der Seite für Seite
das Gegentheil beweift.
Huß foll von den Böhmen felbft, ja fogar von feiner Umgebung
in Konftanz fo ganz aufgegeben und bei ihnen fo discreditirt gewejen
fein, daß der Tod als einzig anftändiger Ausweg offen blieb. Man
febe nur in das Buch, in dem Herr Höfler diefe Entvedung machte.
Am 13. Mai 1415 überreichen eine Anzahl böhmifcher und polnifcher
Barone eine warme Apologie Hufen’ beim König Sigismund und
wieberholen biefelbe noch eindringlicher in einem Schreiben an bie vier
Nationen vom 18. Mai. Am 31. widerlegen fie mit gleicher Wärme
bie Angriffe des DBifchofs von Lytomisl, eine weitere Proteſta⸗
tion wird am 30. Yuguft, eine weitere am 2. Februar über-
reiht. Am 8. Mai 1415 richten die Nitter und Herren der Mark⸗
graffchaft Mähren im Namen ihres Kreistages zu Brünn gleichfalls
eine warme und eindringliche Vorftelung an Sigismund, und eine
gleiche, verfehen mit 270 Unterjchriften ver böhmifchen Nitterjchaft,
läuft aus Prag beim König, eine mit 52 beim Goncil ein. Daraus
folgert Höfler, Hus fei jeder Stellung in ver Gefellfchaft beraubt
und allen Theilen gleich verächtlich gewefen. Gleich wahrheitsfiebend
behauptet Höfler weiter, felbit Hufen’ Umgebung fei merklich älter
geworben und habe ihm felbjt anheimgeftellt, was er thun wolle. Die
angezogene Stelle aber lautet: Ecce Magister Joannes, nos sumus
laici et nescimus tibi consulere et ergo videas, si sentis te esse
in aliquibus illorum, quae tibi objiciuntur obnoxium, non ve-
reris de illis instrui et revocare. Si vero non sentis te esse
reum illorum, quae tibi objiciuntur, dictante tibi conscientia tua,
nullo modo facias contra conscientiam tuam, nec in conspectu
dei menciaris sed pocius ista in ca ad mortem quam cognovisti
veritatem.
Woher follte nun Hus die Intention kommen, fich verbrenuen
zu laffen, wenn e8 nicht etwa eine eigenthümliche Moncmanie war?
und wenn er biefe Intention hatte, wie fam er denn dazu, feine Be⸗
reitwilligfeit zu revociren, bis zum Cfel oft zu wieberholen? Die
Briefe, in denen Herr Höfler diefe Entdeckung gemacht, verfpricht er
Höfler’s Entbedungen im Miabenovicz. 21
kiter erft im 3. Band nachzubringen. Luther's „gefälfchter, Mlade⸗
nevicz enthält allerdings davon feine Spuren. Indeſſen, wie wir
kiren, hat Herr Höfler nun auch ein Tagebuch Huſen's entdeckt, und
wir zweifeln nicht, daß dieſe „Entdeckung- bie früheren „Entdeckun⸗
gen“ glänzend beftätigen wird. Wir werben aber auch fie mit eini-
gem Mißtrauen aufnehmen, da man wenigftens jene Entvedungen
weit richtiger Erfindungen nennen muß.
ul.
Bon dem römiihen Bapft.
Ein Yortrag für den römifhen König Iofeph 1.
— — — —
Unter den vielen handſchriftlichen Schätzen der kgl. Hof⸗ und
Staatsbibliothek zu München befindet ſich ein Aufſatz mit der Ueberſchrift:
Kurz gefaßter Begriff alles deſſen, ſo einem Neu erwöhlten Rö⸗
miſchen König, fürnemblich welcher auf dem Durchleichtigiſten hauſ
Oeſterreich entſproſſen, ſowohl wegen dero hechſten Perſohn ſelbſt,
alſ des Röm. Reichs, vnnd deſſen Glieder: dann aufwerttigen Poten⸗
taten: Nit weniger dero Erblandten, vnnd angebohrenen Vnnderthonen
zuwiſſen anſſtendig, vnnd nöttig ift.«
Im erſten Theile des Aufſatzes wird gezeigt, wie ein Fürſt und
Regent an ſich ſelbſt beſchaffen ſein ſolle, und worauf er ſeine Re⸗
gierung vornemlich zu gründen und einzurichten habe. Im zweiten
zeigt der Verfaſſer, wie ſich der roͤmiſche König und Erbherr künftig
gegen andere fremde Potentaten und fouveräne Häupter zu richten
(babe) und was ihm von Jedem zu wiffen nöthig und vorträglich
fein möchte und beginnt: Bon dem römifchen Bapfte Da in
biefem Abſchnitt die Stelle vorlommt: "Und hat man zu unfern
—
Von dem roͤmiſchen Papſt. 23
Fiten genugfam erfahren, was Frankreich unter Bapft Alexander VII.
md Junocenz X1. zu Rom felbft unternommen batu, der Letzte aber
m Jahr 1689 ftarb: fo ift unzweifelhaft, daß die Schrift für ven
m Jahre 1690, 14. Januar erwählten römifchen König Joſeph I.
tn Sohn des Kaiferd Leopold I. verfaßt wurde -und zwar vielleicht
um das Fahr 169, da derfelbe erft am 26. Juli 1678 geboren und
dio wohl kaum früher fähig war, die in dem Auffate entwickelten
Anfichten gehörig zu würdigen. Bon wen bie Schrift herrührt, wage
ig nicht zu eutſcheiden. In „Johann Beterd von Ludwig erläuterte
Germania Princepe. Das erjte Buch von Böhmen, Defterreich
u. f. w. Frankfurt und Leipzig. 174. ©. 812 heißt ed: Sein
(ved Römiſchen Könige) Fnformator war Franz Ferdinand Freiherr
von Rummel, nachmals Bifchof zu Wien. Sein Hofmeifter Wagner
informirte ihn in der Hiſtorie fonderlich des deutfchen Reichs und tes
öfterreihifchen Hauſes.« Einer diefer beiden möchte alfo wohl der
Berfaffer des Auffapes fein, von welchem ich bier einen Abfchnitt
mittbeile *), der mir ter wichtigfte fchien.
Münden, im Januar 1861. Söltl.
Bon dem römifchen Bapft.
Es ift eine allbefannte und richtige Sad, daß vie päpftliche
Bürte die fürnehmfte und höchſte in der Ehriftenheit fei, inbem ber
Barft ‘ale Haupt der römifchen Kirche und Statthalter Chrifti auf
Erven billig vor anderen Monarchen mit geziemender Ehrerbietnng
ven ihnen venerirt zu werben verbient. Nachdem aber dieſe hohe
Würde fo nır auf das Geiftliche anfangs gerichtet und mit nichts
Anderem befchäftigt war, als ven wahren Glauben Gottesdienft und
hriftlihen Wandel fortzupflanzen und auszubreiten, mit ber weltlichen
Macht und Herrlichkeit vergefellfchaftet werden: hat es nicht wohl
anders fein können, als daß die damit Gewürbigte auf das weltliche
Intereſſe gleichfalls ihr Abſehen zu vichten und bie Vorſicht für ber
Menfchen Seel und Seligleit mit tem Anliegen und (der) Sorgfalt
“) Zu wörtfigem Abdruck nur mit ber neuen Gchreibart, und Hinweglaf-
fang einiger, an ſich micht bedeutenden hiſtoriſchen Grörterungen.
24 Bon dem roͤmiſchen Papf.
um zeitliche Güter zu vereinbaren angefangen und welche ben Gipfel
ber höchften geiftlichen Ehren beftiegen, zugleich auch einer Oberherr⸗
ſchaft in weltlihen Dingen über andere Fürften, welchen body ber
Alterhöchfte allein aus feiner göttlichen Worfichtigleit Krone und
Szepter in die Hände gelegt, fi anzumaſſen Feine Schen getragen,
welches Niemand mehr und höher empfunden bat als bie vömifchen
Kaifer und Könige, deren Vorfahren doch der römischen Kirche fo
namhafte Schanfungen gethan und durch ihre zwar lobliche Andacht
und Freigebigfeit nicht allein das Neich gefehwächt, fondern auch bem
Päpften Anlaß gegeben, daß felbe ihr geiftliche® Amt jeweilen hinten
gefett und ihre Gedanken auf die irdiſchen und zeitlihen Güter all
zuviel gewendet und ihre Gewalt noch weiter zu erftreden, die Herrſch⸗
fucht dergeftalt überhand nehmen laffen, daß felbe auch diejenigen zu
unterdrücken fich nicht entblöbet haben, von welchen fie fo hoch er-
hoben und in den Stand geſetzt worden, dergleichen unternehmen zu
dürfen. (Folgt eine längere Auseinanderfegung über Karl den Großen,
Gregor VII., Ludwig den Bayern).
Daher fo fehr ein römischer Kaifer oder König Amts halber
verbunden ift, als supremus Advocatus et defensor Ecclesise in
Glaubensſachen und geiftlihen Dingen dem päpftlichen Stuhl alle
Ehrerbietung und Gehorſam zu erweifen, auch venfelben kräftigft zu
fhügen: alfo will hingegen eben fo nöthig und anſtändig fein, fich
wider dergleichen allzuweite Erftredung ber päpftlichen Gewalt wohl
zu verwahren und vorzufehen, und gleichwie ein Unterſchied zwijchen
dem päpftlihen Stuhl und römischen Hof zu machen ift, weil ber
erftere die Glaubensſachen und (das) geiftliche Wefen, ver andere aber
die weltliche Beherrſchung zum Ziel und Abfehen hat: alfo muß man
Beides wohl zu unterfcheiven wilfen und nicht zugeben, daß eines
mit dem andern vermifcht werde. Denn eben biefes war die Haupt«
urfache, warum bie päpftliche Gewalt auch in weltlichen Dingen über
den römischen Kaifer jo hoch geftiegen und die Taiferliche Autorität fo
merklich geftutt worden, weil bie Bäpfte der geiftlichen Waffen fich zu
weltlichen Dingen gebraucht Haben, welche vor Zeiten fo fehr ge
fürchtet worden, daß Könige und Potentaten vor dem römifchen
Kirchenbann erzittern mußten, und bat die verfchmigte Art und Klug⸗
heit etlicher Päpſte fich dieſes Mittels fo vernünftig zu gebrauchen
Son dem römifchen Papſt. 5
gewußt, daß biejenigen, fo fich ihnen wiberfeßt und die fchänblichen
Folgen geprüfet, lieber Alles nachgeben und einwilligen wollten, als
fih in Gefahr feten, von Männiglich verlaffen auch ihrer Land und
Leute Szepter und Kron gar beraubt und verlurftig zu werben.
Nachdem aber nichts fo Herrliches und Lobliches auf der Welt
zu finden, weldyes von dem Menſchen nicht gemißbraucht auch nichts
fo Heiliges und Reines, welches nicht übel angewendet werben mag,
fo bat man endlich gar zu fehr wahr genommen, daß die Päpfte bie
Schranken der ihnen zukommenden geiftlichen Macht und Gewalt alls
zuweit überfchritten, und anftatt ſie das Himmelveich, zu welchem uns
fer Heiland ihnen die Schlüffel anvertraut, ihren Schafen als geift«
liche Hüter eröffnen follten, jeweil® vielmehr dahin befliffen geweſen,
wie fie die wahren Eigenthume-Herren und rechtmäßigen Befiger um
ihre Länder und Herrfchaften bringen möchten, welcher Mißbrauch
folder Bann und Achtserklärung, womit man öfters unndthiger und
ungerechtfamer Weis zugebligt felbe nach der Hand verächtlich ge⸗
macht, fo daß auch die beiten Chriſten durch dergleichen Blitz nicht
mehr gefchredt werden können, wann fie nicht eine vechtmäßige Urs
fach dabei befinden, wie man beffen vielfältige exempla von Boni«
faz VIII und Julius II. und mehr anderen beibringen könnte, des
rentwillen denn auch heutiged Tags von den Päpften felbft hiebei
größere Beſcheidenheit gebraucht und dieſes Mittel des geiftlichen
Banns fonderheitlich gegen gefrönte Häupter nicht mehr fo fhlechter
Dinge (wegen) ergriffen wird, nachdem bie leidige Erfahrung ges
zeigt, was für ſchädliche Wirkung e8 bei Heinrid VIII, König in
England, nad fich gezogen. ‘Denn es läßt fich feine Folgerung von
den Zeiten der erften Kirche auf die jeßige machen, weil die Kirchen⸗
disciplin damals in viel befferem Flor und (in) Aufnahm und bie
Gewilfen der Menfchen in Belennung des chriftlichen Glaubens viel
eifriger und die rechtgläubigen Gemüther viel aufrichtiger gegen einans
der verbunden gemwefen, da fich ein Jeder feiner Gewilfenspflicht erin«
nerte und die Geiftlichleit auf nichts anderes bebadht war, als was
ihr Amt eigentlich mit fich brachte. Von dieſen alten chriftlichen Zei⸗
ten, fage ih, muß gar fein Schluß auf die gegenwärtige gemacht
werben, in welchen die Ketzer und Schwärmer nicht allein die (zu) vor
befannte Lehr des Fatholifchen Glaubens zu fälfchen und zu ſtümmeln,
26 Bon bem römifhen Papſte.
fondern auch viel Atheiften den Grund ber evangelifchen Wahrheit zu
miniren angefangen, auch die Sirchenvorfteher felbft wicht jederzeit
denjenigen Zweck allein vor Augen gehabt, um welches willen ihnen
Gott die Macht ertbeilet, zu binden und aufzuldfen, ſondern allzu
bandgreiflich zu erfennen gegeben, daß es ihnen nicht jederzeit um ben
Himmel, fondern vielmehr um die Erbe zu thun fei, zu gefchweigen,
daß deren Wandel und Lebensart ihnen den vermaligen Crebit und
Hochſchätzung merklich beuommen und zu großem Wergerniß Urfach
gegeben haben, bevorab (zumal) da ihrer Anverwandten unerjättlicher
Geiz nach Geld und Gut vielmals nicht zu ſtillen gewefen, und folche
Mittel ergriffen worden, wodurch nicht allein nach dem Exempel am
berer Fürſten die weltlichen Güter befchwert fondern auch mit geift«
lihen Dingen Handelſchaft getrieben worden.
Durch diefe und mehr andere Unorbnungen bes römifchen Ho⸗
fes hat der päpftliche Stuhl und die fatholifche Kirche felbft hienach
großen Anftoß leiden und der Madel und Zleden des Hauptes ent
gelten müſſen, indem unterm Vorwand der Reformation und Abſtel⸗
lung folder Mißbräuch fo viel Königreich und Länder von ber römi⸗
fhen Kirche abgefallen, ob zwar tie Urheber der leider noch dauern⸗
ben Religionsipaltung nicht durch einen Eifer für Gottes Ehre dahin
angetrieben worden, wohl wiffend, daß bei laſterhaften Geiftlichen
dennoch vie Reinigfeit des Glaubens könnte gefunden werben und baß
der menfchlihe Wille zwar öfters zum Böſen neigte, obſchon bie ges
funde Vernunft dawider wäre, und eben diejenigen Befehle und Ges
fee Gottes kraft deren wir der Geiftlichfeit Fehler meiden und flies
ben follen, dennoch von uns auch dieſes erfordert, daß wir ihrer
Lehre und demjenigen Weg folgen follen, auf welchem wir ben Las
ftern, worein fie gefallen, entgehen mögen.
Aber die Anfänger der fo fchärlichen Glaubensneuerungen wur⸗
den durch ganz andere Bewegungen biezu verurfachet und theils durch
den Geiz wegen gefuchter Ablaßprebigt theils durch den Hochmuth
und (fehlt) wider ben römifchen Hof Gefchöpfen Umwillen angereizt,
bergeftalt, daß anftatt fie den Fehlern und Mißbräuchen feind und ge
Häffig fein follten, fie fich vielmehr an die Perfonen der geiltlichen
Oberen zu reiben und dawider aufzulehnen fich (nicht) entblöret und an»
ftatt fie Gottes gnädige Vorforge für feine Kirche und Gemeinde bil
Bou dem romiſchen Papſte. 27
fig yreifen und bewundern follten, baß fie mitten unter ben verberb-
tn Sitten und Verfolgung dennod von ihrem Grundftein nicht ber
wegt werben fünnen, haben fie vielmehr davon abtrünnig werben,
fin Haupt der Kirche mehr erfennen und felbe gänzlich zergliebern
wollen.
Deß ungehindert aber, gleichwie ber Allerhöchfte das niemals
genug gelobte Erzhaus Defterreih als eine Säule ver chriftlichen
Kirche abjonverlich erwedt bat, alfo ift deu daraus entfproffenen Kaie
fen und Königen dieſes und des abgewichenen Säculi fürnehmlich zu
danlen, daß ver katholifche Glaube und (die) geiftliche Würde bes
Nipftlichen Stuhles fo kräftig unterftüßt und aufrecht erhalten worden.
Gleihwie aber (auf die Päpfte wieder zu gelangen) die Regie⸗
rung tverfelben wegen ihres gemeiniglich abtragenven hoben Alters
uicht lange Zeit bei einer Perſon zu beftehen, fonvern ſich mehrere
Abwechslung al& bei feinem antern Regiment dabei zu ereignen und
folglich auch nach Unterſchied der Püpfte Particular-Neigungen, Sit«
ten und Humor, auch jeweild wegen ihrer Familien Privatinterefie
fih öftere Veränderungen als anderswo zu begeben pflegen, inmafjen
bie fo zu folder hohen Würde gelangen wollen, fich vielmals fo mei»
fterlich zu verftellen wiſſen, daß man ihre Affecten und inclinationes
eher nicht wahrnehmen oder errathen kann, bis felbe den Gipfel ver
Hoheit erftiegen (deſſen von Sixto V. merkwürdige Proben zu
leſen): als ift leicht zu ermeifen, dann an feinem chriftlichen Hof
ſchwerer zu negotüren und Elugere Leut zu gebrauchen feien, als eben
au dem römifchen, wo man überaus vorfichtig und behutfam handeln
und gar leife in die Suchen geben, tagegen aber wohl Achtung geben
muß, daß durch eine allzugroße Ehrerbietung oder Willfährigfeit dem
Staat fein Schaden und Nachtheil zugezogen werbe, weil an feinem
Orte gefährlicher zu handeln und leichter irr zu geben ift.
Wie fih dann vielmals ereignet hat, daß bei den Papftwahlen
felbft das Abſehen übel verftellt und manchmal Einer zu der päpft-
lichen Würde befürbert worben, von welchem man glaubte, feiner Geburt
oter anderer Umftänte halber alles Gutes fich getröften zu können und
ſich das Widerfpiel nachmals in ver That gezeigt hat, wie fich mit
Paul IV. und andern eremplificiven ließe, geftalten vie geiftliche und
weltliche Dignität, kraft deren bie Päpfte über andere Menſchen ers
28 Bon tem römifchen Papfte.
hoben werben, fie von ber gemeinen Art der Menſchen nicht abge⸗
fondert und alfo fein Wunder ift, daß, nachdem Einer ſich in fo ho⸗
ber Würde befindet, als dann auch andere Gedanken fchöpfe und ben
Glanz oder Strahl, womit er umgeben, viel weiter fchieffen Laffe,
al8 man fih von ihm etwa eingebilvet hätte, weil gemeiniglich bie
große Veränterung des Standes und der Ehren auch bes Menfchen
Sitten und Humor ja bie vorher gejehte Meinungen felbft zu verän-
dern pflegt. Daher fi gar nicht tarauf zu verlaffen, daß Einer
nachdem er den päpftlichen Stuhl beftiegen, eben nur folche Conduite
halten oder diejenige Freundſchaft pflegen werbe, deren er ſich ale
ein Cardinal oder niedriger Brälat befliffen Hat.
Dep unangefehen ift doch das erfte und vornehmfte Stüd, fo
ein römifcher Kaiſer oder König bei der römischen Kirche zu beob⸗
achten hat, daß er bei ver päpftlichen Wahl einen großen Teil zu
haben fich bemühe, als wodurch man nicht allein noch einigen Schate
ten besjenigen Rechts und (ver) Befugſame, fo die Kaifer etlich hun⸗
dert Jahr in Setung der Päpfte gehabt, erhalten, fonvern auch bei
bem neu erwählten fich alfo verdient und angefehben machen möge,
daß man fich feiner MWohlgewogenheit und Willfahrung in allen Vor⸗
fallenheiten defto eher verjehen könne, welche Staatemarime jeweils
allzuviel auffer Acht gelaffen und fo wenig darauf reflectirt worven,
daß man bei dem conclavi und fonft ven nichts als der fpanifchen
und franzöfifchen action zu reden gehabt, und ein vömijcher Kaifer
bei dem päpftliden Hof in feiner größeren Confiveration al® ein
jeder gemeiner und Heiner Fürft gehalten worven, welches nicht nur
um willen des einem römischen Saifer über alle anderen Botentaten
gebürenden Vorzugrechtes etwas ſchimpflich, fondern auch in vorfal⸗
lenden Begebenheiten fehr nachtheilig ift. Daher auf alle Weis zu
trachten, bie Taiferliche Partei bei dem römifchen Hof zu verftärten,
und bei den Promotionen und (der) Austheilung ver Cardinalhüte
fih nicht präteriren zu laffen, fondern diejenige welche man biezu bes
nennt, mit allem Eifer und Nachdruck zu portiren, und ohne wohl
empfindliche Ahnpung nimmermehr zu geftatten, daß, wie zumeilen ges
ſchehen, auf andere Kronen mehr reflectirt und verfelben Nominirung
mit Ausschluß der Taiferlichen beobachtet werde, welches deſto leichter
zu erreichen in alle Weg rathſam und erforberlich ift, gegen bem
Bon dem römifchen Papf. 29
römifchen Hof in weltlichen und politifchen Dingen eine Stand und
Ernithaftigfeit fpüren zu laffen und vemfelben den Wahn zu beneh⸗
men, als ob man Alles gleich gelten oder fich unfchwer wieber bes
fänftigen laffe.
Es wird aber zur Verſtärkung ver kaiſerlichen Partei und ver
daraus zu gewarten habenden guten Wirkung allerdings nöthig fein,
daß man auf folche Subjecte jederzeit antrage, welche nicht allein
ihrer hohen Verdienſte und vortrefflichen Qualitäten halber fo geftals
tene Würbe wohl meritiren, und Feine Austellung leiden, fondern auch
daß man fich auf deren Treu und Devotion eigentlich verlaffen, und
nicht geringen Nuten ſich von deren Beförberung verfprechen möge,
wie dann wohl jeweild gefchehen fein dürfte, daß man folchen Leuten
dazu behilflich fein wollen, welche auszufchließen die promotiones für
die Kronen gar unterlaffen oder da felbe endlich mit dem Cardinalhut
begabt worben, eine fo fchlechte Figur an dem päpftlichen Hof gemacht
haben, daß felbe einige erfprießliche Dienft zu leiften- nicht vermögt,
auch jeweil® wohl gar ſolche Subjecta promovirt worden find, deren
Intereſſe mit dem öfterreichifchen nicht in Allem zugetroffen und aus
deren Erhöhung mehr Schaden als Nuten zu gewarten war.
Dahingegen (zu gefchweigen anderer und älterer Eremplen) auf
gegenwärtige Stund in bes Hrn. Carbinal von Gt Eminenz ein
fares Beiſpiel fich zeigt, wie gut und vortrefflich fei, wann zu fo
geftalter Dignität allein Leute von großer Capacität und Weriten
befürdert und dabei auf nichts anderes gefehen wird, al® wie man
fich berfelben Fünftig-nutlich bedienen möge.
Eben dieſes ift bei Ernennung der Beifiger in rota Romana
und in allen andern Deccurenzien zu beobachten, welche einen Rapport
zu dem päpitlihen Stuhl haben, als wo einem Herrn und Regenten
am alfermeiften gelegen ift, wohl bevient zu werben und fich conſi⸗
derable zu machen, welches ver vortreffliche Staatsmann Antonius
Berez, (weldyer bei dem Hugiften Negenten viefer Zeiten Philipp II.
König in Hijpanien in folder Gnabe und Anfehen gewefen, daß er
unangemeltt bei ihm freien Zutritt gehabt und mit Beſtand Nechtens
nichts anders befchuldiget werden könnte, als daß er ein Mitwiffer
ber ihm alleinig anvertrauten Geheimniffe gewefen und fich zum Werts
zenge einer Sache gebrauchen Taffen, welche ein großer Herr nicht
80 Bon dem römifchen Papfl.
gern von fich gefagt wiſſen will) nachdem er dem unverfchuldeten Tod
zu entgehen die Flucht nehmen und fich an den franzöfifchen Hof res
tiriren mußte, allwo König Heinrich IV. ihm reichlichen Unterhalt
gereicht, mit wenigen aber jcharffinnigen Worten zu verftehen gegeben,
da er — gedachter König — (gefragt), worauf er fürnehmlidy bedacht
und fich mächtiger zu machen befliffen fein folle, mit bloßen drei
Worten ausgedruckt und drei boch erleuchte Rathſchläg zugleich gegeben
bat, da er nichts Anders erinnerte, als Roma, Confeio, Pielaga.
Und biefe find in Wahrheit die drei Stud, wodurch fich von felber
Zeit an die Kron Frankreich fo hoch empor geſchwungen und wonad)
die zwei Carbinäle, fo an dein Steuerruder der Königlichen Regierung
nach einander gefeffen, ihren Staatscompaß gerichtet haben, welche
zwar felbft mit dem Purpur geziert und Glieder des päpftlichen Stuhls
geweſen, jedoch eine ſolche Conduite beobachtet haben, daß die Berech
tigung des Königs unverlegt geblieben und auf ven böchften Punkt
hinauf getrieben worden, woran fich alle hohen Miniftri billig [piegeln
und e8 ihnen nachzuthun bearbeiten follten nach tem Ausspruch uns
ſeres Heilands und Seligmachers: date Caesari quae Caesaris sunt
et Deo quae Dei. Wie fi denn ein Fürft und Regent in Vor⸗
falfenheiten, fo den römifchen Hof betreffen, wohl vorzufehen und nicht
allen Rathichlägen zu trauen, fonbern zu erwägen hat, woher felbe
kommen, venn bei Manchen fonverbeitlich den Geiftlichen der blinde
und unbefcheidene Eifer oder anderweitige Regards, fo fie auf ben
Papft und das Jutereſſe ihres Ordens tragen müjfen, einen Regenten
oftmals zur allzugroßer Coudescenz gegen ben römifchen Hof verleiten,
Andere hingegen der Geiftlichkeit fo gehäffig oder deren Rathſchläge
ohne das nicht nach der Richtſchnur der Tugend und chriftlichen
Politique gerichtet find, benjelben zu gefährlichen Dingen und allzu⸗
großer Widerfeglichleit oftmals zu verführen trachten, alfo hierin ein
Auges Maß zu treffen vonnöthen, weil der Staat und deſſen mehren.
theils verborgene Angelegenheiten nicht allezeit zulaffen wellen, daß
man in Allem und Jedem ſich nach der Päpfte Willen und Aufnahme
des Kirchenſtaates, fondern feiner eigenen Land und Leute Wohlfahrt
und Convenienz regulire. Daher man dem Erempl Kaifer Karl V.
nachzufolgen, welcher als er in Welfchland vie kaiſerliche Kron zu
empfangen anlam und bie päpftlichen Legaten, fo ihm entgegengefchict
Bon dem römifchen Papfl. 8
werben andielten, ee möchte vorderift ihnen eidlich anzuloben geruhen,
daß er die Freiheit der chriftlichen Kirche nicht kränken und der Brant
Jeſu Ehrifti feine Schmach anthun wolle, hat er feine Zufage dahin
gerichtet, er wolle keine Aenderung in den Berechtigungen ver Kirche
vornehmen, aber anch dem Reich in feinen Anfprüchen nichts vergeben.
Welche Wort auf Parma und Piacenza gerichtet waren, fo er für
Reichslehen, der Papft aber für Lehen des päpftlichen Stuhls haben
wollte.
Man muß alfo eine kindliche Liebe und Unterwürfigfeit gegen- ben
allgemeinen Vater ver Chriſtenheit bezeigen, aber dabei auch der Schul-
digkeit, die ein Prinz gegen fich felbft und feinen Staat ob fich tragt,
nicht vergeffen. Denn obfchon vie Päpfte zu vorigen Zeiten und bei
dem Anwachsthum der chriftlichen Kirche den weltlichen Botentaten
mit herzlicher und ungefärbter Liebe als Väter ihren Kindern zuge⸗
than waren, weil fie fi in ihrer Bedrängniß alles Schutzes von
ihnen zu verfehen hatten, nachdem fie aber über die ihnen fürnehmlich
zuftändige Eigenſchaft eines geiftlihen Oberhaupts auch die Mahl-
zeichen eines weltlichen Negenten angenommen, und das Intereffe der
Kirche mit dem Intereſſe der Welt vermifcht worden, bat man er⸗
fahren müſſen, daß fie auch nicht jederzeit al8 Bäter gegen ihre Kin⸗
der fich verhalten haben, und wollte Gott, daß man nicht auch viel
irdiſch Gefinnter leider angetroffen hätte, welche aus getreuen Seelen-
hütern reiffende Wölfe worden. Deſſen z. B. dürfen wir nicht weit
zurüdgehen und bie uralten Gejchichten hervorſuchen fondern wollen
nur die legteren Säcula ein wenig durchgehen und vorterift Papft
Alerander VI. anfchauen. War nicht diefer Papft allein auf die Er-
höberung und Bereicherung feines Staatd und Haufes bedacht, ge⸗
brauchte er nicht alle hiezu dienende Mittel, fo verwerflich und unzu⸗
läßlich fie auch immer fein mochten? Mußten nicht durch Diele
ungemefjene Ehrfucht vie geiftlichen Güter felbft entweiht und gemiß-
brancht werben? Violirte er nicht alle geiftlichen natürlichen und welt-
lichen Rechte, nur daß er feinem andern Schn Cäfari Borgiä anf
ven Thron verhelfen möchte, fo daß fein ganzer Lebenslauf nach un-
partelifcher Gefchichtfchreiber Verzeichniß in lauter Vergiftung Ber
räthereien Meuchelmorden Meineiven und andern laſterhaften Thaten
befanden? Unb wenn wir Julium II. feinen Nachfolger betrachten,
32 Bon dem römifchen Papf.
deifen Leben und Wandel zwar nicht: fo gottlo8 als feines Vorfahrers
gewefen, fo war er doch zu Krieg und Blutvergießen alfo geneigt uub
fein Herz durch unerfättliche Begierde zu Erweiterung bes Kirchen⸗
ſtaats jo fehr entzündet, daß Welfchland und andere Potentaten von
ihm nicht ruhig und unangefochten verbleiben Ionnten, wie benn
Solches Anleitung gegeben, daß im Jahr 1511 das befannte Conci⸗
lium zu Bifa wiver ihn von etwelchen Cardinalen ausgefchrieben und
er bejchuldigt worden, daß er zur Reformation der Kirchenmißbränuche
obngeachtet er von den chriftlichen Potentaten deſſen zum öfteren er-
innert worden, Solcdyes unterlaifen und hingegen in der Chrijtenheit
immerfort Krieg und Unruhe anrichte und bäge, bannenbero (weine
gen) die Sardinile der Kirchen und gemeinen Ruheſtand Rath zu
ſchaffen mit Hülf des römischen Kaiſers, und Könige in Frankreich
(jo dazumal Maximilian I. und Ludwig XII. miteinander verbunden
waren) eine Kirchenverſammlung zu halten gemüjliget worden feien,
wozu fie auch vermög der Concilien-Decreten zu Conſtanz und Bafel
guten Zug und Macht hatten, worurch zivar witer ihn nicht viel aus⸗
gerichtet, weniger aber die Reinigung der in (der) Kirche eingefchli»
henen Mißbräuche erreicht worden. Denn obſchon eine fo nöthige
als gute Sache war, wenn felbe wieder in den Stand ihrer vorigen
Unſchuld und Heiligkeit gefegt werten Eönnte, fo fcheint doch, Daß
biefe® vielmehr zu wünfchen als zu hoffen ftehe, weil es ein Wert
langiwieriger Zeit und über menfchliches Wefen ijt, weil ſich bevorab in
einem folhen Ding nicht fo leicht von einer Extremität zu der an⸗
bern fchreiten läßt und würde man in Abjchaffung der alten böfen
Gebräuche noch viel gefährlichere Irrungen und Mißverftändniß und
einen Zumult in der ganzen Chriſteuheit erweden.
Der weltlichen $otentaten hohes mit der Kirche gemein habendes
Intereſſe und gegeneinander führenve Eiferfucht würde vergleichen Re⸗
formation der Maſſen fchwer machen, daß es zu reden leichter fallen
würde, Zobte zu erweden, als die Chriftenheit zu ver alten Kirchen-
Disciplin Conformität des Glaubens und einmüthigem Vernehmen in
Bott und weltlichen Dingen zu bringen. Genug ijt es, baß in un
jerer katholiſchen Kirche, fei fie in einem Zuftand, wie fie immer
wolle, Jeder darnach durch Gottes Gnade fein Heil und (feine) Ses
ligleit, wann er nur will, wirken kann, und (c8) erwedt Gott noch
Bon dem roͤmiſchen Papſt. 33
immer bei der nicht mehr fo reinen Kirchen» Disciplin einige Vors
fteher,, jo verjelben wieder aufzubelfen fich befleigen, allermaffen wir
zu dieſen unjeren Zeiten bei den glorwürbigen Papft Innocenz XI.
mit fonverem Troſt und Nuten der Chriftenheit erfahren haben.
Diejes aber (auf Julinm II. wieder zu gelangen) ift merkwür⸗
dig und dieß Orts nicht zu übergeben, daß, als Kaifer Marimilian I.
fih anftellte, al8 wenn er gedacht einen Zug nach Rom zu thun, fich
allda Frönen zu laffen (welches aber um willen wider bie Venediger
vorgehabten Kriegs nur zum Vorwand gebraucht wurde), der Papft
aber, als tem gleich allen andern Päpften vie Gegenwart eines gewaffneten
Kaiſers in Welfchland mißfällig und verdächtig war, hat einen Fund
erdacht und dem Kaifer burch feinen LXegaten zu vernehmen gegeben,
wie daß Seine päpitliche Heiligkeit, nachtem fie vernommen, daß
Maximilian nah Rom zu veijen und daſelbſt die Faiferliche Kron zu
empfangen Borhabens wäre, hiebei in Betracht gezogen, derfelbe durch
bie Herrichaft Venedig an ſolchem Zug und Betretung Ihrer Lande
feinvlich abgehalten werten wollte, woraus großes Blutvergießen zu
beſergen, welches zu vermitteln Er — der Bapft befchloffen, Seine
Majeſtät durch Ihr dero Legaten abwefend mit ver Tuiferlichen Würde
zu begaben und Sie alſo der Mühe und Gefahr deswegen nach Rom
reifen überheben wollte. Wie er dann ben Kaiſer eine päpſtliche Bull
mit gulvenen Buchftaben gefchrieben überreichte, wodurch ihm ber
laiſerliche Titel beftätigt wurde, alſo daß es ſolche Wirkung haben
folle, als wann er gegenwärtig von bed Papſtes eigner Hand bie
Kaiſer Kron empfangen hätte.
Ich fchreite aber weiter, noch einige hernachfolgende Päpſte vor-
zuſtellen, und ift weltfunbig, wasmaffen Bapft Leo X., welcher Julio II.
nachgefolgt, vor das Wohlergehen und hohes Aufnehmen feiner Vet⸗
tern allzufehr bemüht gewefen, fo daß die übermäßig au fie ges
wendte Geldverſchwendungen und aus verkauften Ablaß-» Briefen er-
eroberte Barjchaft jogar die noch dauernden Neligionsfpaltungen in
Deutfchland und den mitternächtigen Königreichen erweckt bat.
Nicht weniger hat Papft Clemens VII. fein Nachfolger fich aller
Staatsfünfte bedient, damit er die Mevizeifche Familie bei dem floren»
tinifchen Herzogthum erhalten und befeftigen möchte. Wie bezeigte er
fih gegen Earl: V. bald fo geneigt und ftiftete die Heirath zwifchen
Diſtoriſche Zeitfärift VI. Band. 3
34 Bon dem römifchen Papſt.
Carl's natürlicher Tochter und feinem Better, auf daß tiefer zum
Großherzog von Toskana von dem Kaifer erflärt wurbel Bald aber
widerſetzte er fich dem Kaiſer und verurfadhte bie Belagerung unb
Ausplünderung der Stabt Rom und feine eigene Gefangenfchaft. Wie
eifrig hat er ſich bearbeitet, feine Bafe Katharina be Medicis zu einer
Königin von Frankreich zu machen |
Diefen Mangel und Gebrechen hat man auch in dem Leben und
Wandel Papft Paul III. angemerkt, welcher aber jonft ein Loblicher
Bapft gewefen, durch unanftändige Unterwindungen das Farneſiſche
Haus, wovon er entfproffen war, reich und mächtig zu machen und
demfelben beide Herzogthümer, Parma und Piacenza, zuzuwenden, für
den Hauptzwed feiner Regierung gehalten. Und mit diefer Gemüths⸗
krankheit find faft alle Päpfte behaftet geweſen, bevorab welche bie
Sorge und Regierung bes Kirchenftants ihren Anverwandten und
Nepoten überlaffen haben. Denn obſchon jeweils ihr Abſehen gar
loblich und rühmlich, ihr Leben und Wandel auch fonft nicht zu ſchel⸗
ten gewefen, fo war doch ihr Verftand aus übermäßiger Liebe und
Neigung gegen die Ihrigen allzufehr eingenommen und zu unbilligen
Dingen verleitet; die Cardinäle aber, welche dieſes obriften Haupts
der Kirche Gliedmaſſen find und vemfelben in der fchweren Regierung
Hilfhand leiften follen, werden oftmals in dem päftlichen Gonfiftorio
vielmehr um eine Sach befragt, daß fie diefelbe durch ihre Genehm⸗
haltung autorifiren al8 deren Recht oder Unrecht unterfuchen follen.
Es find aber der Cardinäle dreierlei Gattungen und wohl zu
unterfcheiden, benn einige derfelben über die Geburtspflicht, womit fie
dem Kirchenftaat zugetban, einem regierenden Papft ihr Glück und
Defürderung zu banken haben, woraus unſchwer zu ermeffen, daß fie
fonft auf nichts als ihr eigenes Intereſſe bedacht feien und benjeni«
gen in Allem Beifall geben, durch welche fie erhebt worden; andere
aber find geborne Fürften und folglich dem Intereſſe ihrer Häufer
beigethan. Endlich depentirt der mehrere Theil der übrigen Garpinäle
von auswärtigen Kronen, durch welche felbe zu folcher Ehrenftell und
Hochwürde befürbert worben, theild gar durch erträgliche Beftallung ober
ihnen verliehene Beneficia verpflichtet oder Durch dergleichen Verheiſſungen
gewonnen find, zumal ihre Promotores oder Benefaktores nicht einerlei Ab⸗
jehen und Intereſſe haben: alfo find auch dieſe in verſchiedene Faltiones zer⸗
Bon dem römifhen Papfl. 35
teilt und aus diefer fo manichfaltigen Art und Eigenfchaft des sacrı col-
legüi ergibt fich von felbft, wie ſchwer mit bemfelben zu handeln und wie
viel daran gelegen fei, daß man barinnen viel wohlgefinnte Gemüther
und großen Anhang haben möge, zumal vie wichtigften Gefchäfte und
Borfallenheiten durch gewiſſe ‘Deputirte und anordnende Congregatig«
nes aus dero Mitte überlegt und dem Papft vorgetragen zu werben
pflegen: Alfo Haben die dabei intereffirten Fürften und Potentaten
wohl Achtung zu geben und bahin zu unterbauen, daß Niemand PVer-
bächtiger oder dem andern Theil allzufehr Gewogener hiezu verorbnet
werbe, weil der Bapft nicht jederzeit durch feine eigenen, ſondern durch
biefer Leute Augen fieht. Und wie kann er eine Sache recht zu Ges
ficht befommen, wenn diefelben von Solchen verftellt und durch aller-
hand betrügliche Anftriche gefälfcht wird ?
Nicht weniger Vorfichtigkeit haben Fürſten und Regenten zu ges
brauchen, welche mit päpftlichen Legaten und Nuntiis verhandeln, um⸗
zugehen oder Etwas tractiren zu laſſen bemüjfiget find, al8 von denen
man fich nichts Anderes einzubilden, al8 daß fie wohl abgeführte und
fchlaue Leut feien, welche niemals eine Sache vor die Hand nehmen
oder fich einlaffen, bevor fie Alles wohl überlegt und fozureven in
den Grund gelegt haben. Sie find mehrentheils Taltfinnige und wohl
bedachte Leut, die durch Higige Gemüthsbewegungen fich, nicht leicht
übereilen ober die Heiterkeit ihres Verſtandes durch die Kunſt ver
allzu fenrig aufjteigenden Dämpfe verdunkeln und bewölfen laſſen,
fondern ihr natürliches wohl abgewogenes Phlegma in ihren Hand⸗
ungen thut jederzeit die Oberhand behalten, indem fie alle fich dabei
ereignenden Beſchwerden mit großer Sanftmuth und Geduld zu er⸗
tragen und Huglich zu Inpiren oder temporifiren wiffen. Man muß
fich deſſen von ihnen vergewiſſen, daß ihr Verſtand durch gute Erfah-
rung in Staategefchäften und heimlichen Unterricht aller Bewandtniß
nnd Angelegenheit des Hofs, allwo fie fich befinden, alſo erleuchtet
fei, daß fie in ihrem Vorhaben nicht Teichtlich fehl fchieffen oder Et⸗
was vergeben, wohl aber jederzeit einen Vortheil davon tragen wer⸗
den. Sie wiffen in Einem und Andern zu weichen und nachzugeben,
damit fie deſto mehr hernach erhalten mögen. Sie pflegen mit den
wichtigften und dem vorgefegten Hauptzweck betreffenden Dingen jehr
wohl bevachtlich zurückzuhalten und basjenige erft zulegt hervorſcheinen
3%
86 Bon dem römifchen Papſt.
zu laſſen, fo das Hauptabfehen ihrer Negsciation geweſen. Sie glei-
chen ven Bots⸗ und Sciffleuten, vie demjenigen Ort ben Rüden
lehren, wohin fie Doch zu fahren bedacht fine, und obſchon ber gerabe
Weg für den fürzeften gehalten wird, fo erwählen fie dennoch einen
Umweg, um folchergeftalt deſto ficherer zu dem Ziel zu gelangen.
So muß dieſem nad) ein Regent ben Staategriffen folcher päpft«
licher Nepräfentationen mit gleichförmiger Kunft und Behutſamleit
zu begegnen, ſich aber dermaſſen kluglich anzuftellen wiſſen, damit er
im Öeringften nichts an ſich fpüren und merfen laffe, baß er einiges
Mißtrauen in ihre Aufrichtigkeit ſetze. Er muß fich äußerlich eine
einfältige Freimüthigteit anzunehmen befleigen und alle bienliche Be⸗
zeigung feiner guten Meinung ausführlich. zu erkennen geben und
nicht unterlaffen, was zu feiner mehreren Verbindung und guter
Vertraulichkeit erjprießlich fein mag. Denn wenn ein Zürft ober Re⸗
gent e8 dahin gebracht, dag er die Liebe und (das) Vertrauen desje⸗
nigen, der mit ihm zu handeln, gewonnen hat, wird er bernachmals
über feine Sinne und Berftand den Meifter fpielen können. Wan
muß ſich aber dabei befcheiden, daß vergleichen Difjimulirkunft vor
feine Kunſt und Geſchicklichkeit alsdann mehr zu Halten fei, fobald fie
aus Bericht and von Andern wahrgenommen oder verfpürt wird. Da⸗
ber fogeftalte Vertraulichkeit ganz ungezwungen und in gewiffer Maß
beftehen muß, wofern fie ihrer Wirfung nicht beraubt fein folle.
Denn ſobald felbe verdächtig wird, verliert fie alle ihre Kräfte und
wirfet vielmehr das Widerſpiel. Auf daß e8 aber nicht das Anfehen
gewinne, als ob ich bierinfalls von meinem vorher gefegten Princip
abweichen und einen mir felbft wiberfprechenden politifchen Lehrſatz
einführen wolle, nıuß ich meine Meinung bierüber bejjer erflären, wie
dag man fich nämlich der Gefchidlichkeit, feine Herzensgebanten klug⸗
(ih) zu verftellen und Andern das Widerſpiel beglaubt zu machen,
nicht ohne Uuterſchied in allen und jeden Staatsangelegenheiten ge⸗
brauchen und fich dieſes Mittels bevienen müfje oder folle, Andere
damit Kijtiglich zu betrügen, ſondern vielmehr der Audern Fallſtricken
und gefährlichen Hintergehungen mit gleicher Schlangenlift zu begeg«
nen und fich nach Möglichkeit verfelben zu entbrechen und alfo das⸗
jenige nicht zu einer Vergiftung zu gebrauchen, deſſen man fich als
eines Praͤſervativmittels nutzlich und beilfam bedienen fol. Denn
Bon dem römifchen Papft. 37
gleichwie die Unmwahrheit einem ehrlichen Mann fehr übel anfteht und
tobelmäffig ift, daß Mund und Herz einander zuwider fei, als hin-
gegen fein Menſch zu Entdeckung feiner Herzensgedanken verbunden
vielweniger ſchuldig ift, daß er einen even zum Beichtuater und
Richter feiner innerften Gedanken mache, und ift uns won Gott ebenfo
wohl verboten, die geführlihen Wahrheiten zu eröffnen, als er uns
Kräfte verliehen hat, die nöthigen und nußlichen durch unfere Zunge
auszufprehen. (Wird an den Beifpielen Cäfar Borgia's und Lud-
wig des Mohren weiter erläutert).
Ich Tehre aber wiederum von wannen mich bie politifche Hand⸗
Iungsart des römiſchen Hofe in etwas entfernet, und ob zwar biefelbe
veritanbtnermaijen alfo befchaffen, daß man fich wohl vorzufehen, und
nicht allzuviel zu trauen hat, fo foll doch zwifchen ven beiden höchften
Häuptern der Chriftenheit ein gutes Vernehmen zu unterhalten bes
fonderer Fleiß angewendet werben, weil ſowohl der Religion als des
Staats Intereſſe folches unumgänglich erfordern will und ift fon«
derheitlich wann hriftlihe Potentaten unter fich in Krieg zerfallen bie
Bermittelung des römischen Papſtes nicht auszufchlagen, wenn der⸗
felbe fich al8 einen allgemeinen Vater und feinem Theil zuviel beige-
than zu fein bezeigt. ‘Dann obfchon viel Päpfte fich in ber weltlichen
Botentaten Späne und Irrungen nur (um) viefelben vefto mehr zu
verwirren eingemifcht und eben hieraus das deutfche Kaiferthum in
fo merflihen Abfall und Verlurft feiner vorigen Macht und Autoris
tät geſetzt worden: fo bat man doch auch fromme Päpſte gefehen,
welche turch einen rühmlichen Eifer für ver Kirchen Wohlfahrt ent-
zündet allen unmäjfigen Begierden abgefagt und fich al8 Richter und
Schlichter verberblicher Zwiefpalt erwiefen haben, wozu auch Nies
mand tüchtiger ift al8 ber päpftliche Stuhl, und (c8) fällt jeweils ven
im Krieg begriffenen Parteien die päpftliche Mediation fehr bequem,
wenn fie durch langwieriges Kriegen einander abgemattet und durch
ſolche heimlich anſuchende Bermittelung wieder zufrieden geftellt und gleich“
fam wilfiglich dazu angeftrengt oder zu Hinlegung ihrer Mißverftänbniffe
durch auswärtige Feinde ober innerliche Schwahheit veranlaft wer
ben, wie fich heut zu Tag mit der Iron Frankreich ereignet. Denn
wie e8 jenen hartnäckigen und kriegsſüchtigen Advokaten zu ergehen
fheint, welcye nicht aus Liebe zum Frieden, fondern aus Unvermds
38 Bon dem roͤmiſchen Papſt.
genheit ihrer Elienten von tem vermeinten Recht ausfeßen und ſich
nicht durch eine lobliche Mäffigung, fondern aus Mangel der Koften
zum Dergleich bequemen und es benjenigen nachmachen, welche auf
ihrer Reife nicht auszuruhen fich nieberlaffen, ſondern gar figen blei⸗
ben müffen, weil es ihnen an erforderlichen Kräften weiter fortzu-
kommen ermangeln will. So haben auch etliche Päpfte nicht allein
vor die Hinlegung ber zwifchen chriftlihen Potentaten entſtandenen
Zwiftigfeit Sorge getragen, fondern diefelben auch vor tem Wall er-
örtert und die von ihnen erlittenen Schäven geheilet und verbeffert,
und weil fie doch die Ehre haben, das jichtbare Haupt der Kirche ges
nannt zu werben, als fie nicht unbillig derſelben Wohlfahrt und Auf
nahm zu befürdern getradhtet. (So in den Kreuzzügen gegen bie
Türken, bei dem Kriege des Yuan d'Auſtria). — Wir müffen uns
aber mit dem begnügen, daß man dem damals drohenden Uns
glüd fo glüdlich entgangen und die türkifhe Seemacht von Ueber⸗
fhwenmung ganz Italiens abgehalten und gezeigt habe, daß bie
vereinbarte chriftlihe Macht noch wohl das Ottomanijche Reich zu
ſtürzen vermöchte, welche unfer fiegreicher Kaiſer und allergnäpigfter
Herr Leopold der Große in dieſem noch obfchwebenven Krieg mit uns
fterblichem Nachruhm noch mehr bewährt hat, worin die vom Bapft
Innocenz XI. vermittelte Taiferliche Liga und verwilligte geiftliche
Subfidien nicht wenig geholfen haben, gleichwie auch vor Zeiten, ale
Soliman wider die kaiſerliche Reſidenzſtadt Wien, um bie allda vor⸗
ber erlittene Scharte wieder auszuwegen mit graufamer Macht an«
gezogen, und Kailer Karl V. alle feine Kräfte einem fo wüthenben
Feind entgegenfegen mußte, ver Bapft an Volk und Geld benfelben
rühmlich unterftügt hat. Wie nicht weniger Papft Paulus ILL. ihm
Garolo auch wider bie Proteftirenden in Deutfchland vie Hilfreiche
Hand geboten und deſſen Kriegsheer mit 10” alten wohl verfuchten
Soldaten verftärtt hat. Dergleihen Hülfe man (ſich) öfter zu er-
freuen und nutzlich zu bedienen hätte, ba ver allerhöchfte Wille viel
jo wohl gefinnte Päpfte den Stuhl Petri befteigen ließe, welche von
allen unorbentlichen Affecten befreit alleinig auf die Wohlfahrt ver
allgemeinen Chriftenheit ihr Abfehen richteten und man unfrerfeits
nicht allein durante conclavi fondern auch in Zeit währenver Re
gierung eines jeden Papſtes durch taugliche und erfahrne Leute mache
drucklich und unabläßlic Unterhandlung pflegen thäte.
Bon bem roͤmiſchen Papſt. 39
Es entfteht aber bier die fernere und einem jedem Regenten zu
wiffen faft nöthige Frage, ob und wie weit einem chriftlichen Poten-
taten gezieme und zugelaffen fei, wider ven Papft Krieg zu führen?
Alwo man fi) wiederum oben angebeuter Diftinction oder vielmehr
einer Bräcifion zu bedienen und bierinfalls einen Papft nicht als Vi-
carius Chrifti, der ausprudlich bezeugt, daß fein Reich nicht von dies
fer Welt fei, fondern als einen zeitlichen Potentaten und Regenten
des Kirchenftaats zu betrachten hat. Zumal der gefunden Vernunft
und (den) allgemeinen Rechten gemäß ift, daß bie Päpfte, fo ſolche
Länder und Provinzen als das fegenannte Patrimonium Divi Petri
anjegt befigen und genieffen, dem Völkerrechte eben fo wohl als bie
vormaligen Inhaber unterworfen feien und fie ſich auch billig zu bes
ſcheiden haben, daß bei den Geiftlichen noch eine mehre Frommheit
und Gerechtigkeit als (bei) den weltlichen Regenten zu vermutben,
und die Werlke chriftlicher Liebe von ihnen mehr al8 (von) weltlichen
Oberherrn befürbert werben folle, denfelben aber gar wohl vergönnt
und zugelaffen gegen andere Potentaten in gewiſſen Fällen und Um⸗
ftänden fich felbjt Recht zu fchaffen, wann ihnen folches verjagt wird,
als (ta) es mit tem Papft Feine andere oder beforgende Bewandtniß
Sat. Daher als Papit Paulus IV. Philipp II. in Spanien ven
Krieg ankündigen ließ, weil er fich des Königreichs Neapolis zu be-
meiftern und felbes einem feiner Nepoten zuzuwenden trachtete, (ar)
ter einhellige Schluß verfchievener berentwillen gefragter Gottesge⸗
lehrten und fonderheitli des Melchior Canus dahin ausgefallen:
der König wäre nicht allein befugt, des Papftes Kriegsheer fich Träf-
tigft zu wiberfegen, ſondern er könnte auch mit gutem Gewiffen in
den Kirchenſtaat einfallen und eine Diverfion machen um dadurch dem
drohenden Kriegsungewitter vorzubauen.
Gleichwohl aber muß hierin ein großer Unterſchied gemacht wer⸗
ven, ob die Waffen zu feiner feldfteigenen Befchügung oder Wieder
eroberung des Berlornen gebraucht ober aber offenfive ben Kirchen»
ftaat anzugreifen und zu übergewaltigen geführt werden, welches Letz⸗
tere feinem chriftlichen Potentaten vergönnt und zugelaffen, obfchon
zwifchen weltlichen Regenten vie durch das Schwert errungene Pof”
feffion durch ven Titel eines rvechtmäffigen Kriegs gebilliget und ger
rechtfestiget werden kann. Diefen Unterfchieb nun befier zu beleuchten
m Bon bem römiſchen Papfl.
werde ich zu einer abermaligen Digreſſion veranlagt, ken wahren
Grund viefer Waffen Gerechtiame deſto volllommener verzuftellen,
und dasjenige, was einen Krieg rechtfertigen Tan, zu unterjuchen.
Souveräne Häupter, die fenjt feinen Höheren al® Gott und ben
Degen über fich erfennen und von feinem Dienjchen auf Erden tes
penbiren, find dennoch Recht und Gerechtigkeit aus Augen zu fegen
feineswegs befugt und richten ihre Actiones billig nad) dem vorge-
fehriebenen Maß ein, bergeftalt daß fo oft fie tie Rechte kränken und
dieſes heilige Land, welches diejes große Weltgebäu in einer loblichen
Harmonie und Ordnung zufammenhält, entzweien und auflöjen
durften, ein anderer hoher Potentat, welchen: bierinnen zu nahe ge⸗
treten worden, wegen des ihm dadurch zugefügten Schadens und (ter)
Unbilf gar wohl Abtrag zu fordern und dazu durch feine eigene
Fauſt fich zu verhelfen berechtigt if. Ein felcher Krieg lauft gar
nicht wider unſer Gewijjen, weil man fich dadurch zu Folge und
nach Unleitung natürlicher Rechte gewalttgätiger Zunöthigungen zu
befreien und felbft in Sicherheit zu fegen befugt ift, zumal Gott fein
eigenes Volk die Iſraeliten wider ihre Feinde zu Feld gerüftet und
ihnen fichtbarlich beigeftanden ift, auch ein Gott ver Heerichaareu
bat wollen genannt werben. Die Tapferkeit ift jeberzeit für eine ver
rühmlichiten Zugenten gehalten und die Kunſt und Gefjchidlichleit vie
Waffen Huglich zu führen bei ven Helven (Heiden ?) hoch gepriefen
worben, taß ber Ruhm Aleranders des Großen und des Julius @ä-
far oder ihres Gleichen ftreitbarer Männer, wenn fie auch 100 Yahr
länger gelebt und in Fried und Ruhe zugebracht hätten, doch nicht fo
boch gelommen fein würde, als er in einer fo furzen Zeit durch den
Glanz der Waffen und ihre unvergleichlichen Helventhaten emporge-
ftiegen if. Dürfen wir ung Menfchen ver widerwärtigen Arzneien
und Inſtrumenten bedienen, unfere Adern damit eröffnen oder andere
leiblihe Gliedmaſſen wieder zur Genefung zu bringen mit Gift und
Feuer angreifen: um wie vielmehr follen wir zu gewaltfamen Ab«
belfungsniitteln fchreiten können, wenn die gelinden nicht mehr er-
Heden und die Yuftiz anders nicht zuwege gebracht oder die Gefund«
beit des Staats und (ber) Seele des politifchen Körpers durch keine
andere Weg laun erhalten werben. Und gleichwie bie Handhabung
der Gerechtigkeit gegen bie Unterthanen in der nothwenvigen Beſtra⸗
Bon bem römifchen Papft. 41
fung des Böſen und Belohnung des Guten dem Allerhöchften fehr
angenehm und der Welt hochnöthig und vorträglich ift: alſo nicht
weniger diejenige Manutenenz, derer ſich Große wider Große und
Mächtige wider mächtige Potentaten zu bedienen pflegen, für zuläjfig
zu achten. Und wäre zwar wohl winfchenswertd, daß von bei«
den die Justitiam distributivam begreifenden Theilen nur ver Eine,
welcher. die Tugend zu frönen und bie guten Dienfte zu belohnen
gewohnt und der Welt befannt fein möchte; nachdem aber unfere im
Grund verderbte und zum Böfen geneigte Natur mehr nach Laftern
als Zugenden zur ftreben pflegt: alfo hat auch berjenige Theil, jo die
Lafter bejtraft, weit mehr als der andere zu thun, von welchem auch
bie fouveränen Häupter ebenfo wenig als die Privatperfonen befreit
find, weil fie gleichmäffigen Fehlern und Gebrechen unterworfen und
noch härter uud gefährlicher als vie Unterthanen fich vergreifen.
Deswegen hat Gott ihnen auch das Schwert in tie Hand ges
legt und Gewalt, daß fie nicht allein die lafterhaften Delinquenten
ihres Staats mit gebürender Etrafe anfehen, fonvern auch von ihres
Sleihen wegen ter ihnen erwiefenen Befchimpfungen und zugefügter
oder verurfachter Schäden Abtrag zu fordern berechtigt feien, weil fie
och fenft feinen Richter hier auf Erden über fich erfennen. Und dies
ſes verfteht fich wie gemelot allein von den Beeinträchtigungen, fo
einem fouverainen Fürjten von einem andern gleicher Condition vis
erfahren. Den was benjenigen Fall betrifft, da ein Regent feinen
Unterthanen zu kurz und Unrecht gethan, ift es eine folche Suche,
darüber andere hohe Häupter gar nichts zu fprechen haben, und ber
Allerhöchite feinem oberften Aichterftuhl felbe vorbehalten. Muß ein
Unterthan etwa von feiner rechtmäßigen hoben Obrigfeit leiden, fo
muß er zur Geduld und Sanftmuth feine Zuflucht nehmen und ift
ber Herrfchaft fich zu widerſetzen oder fremde Hülf anzurufen in eis
ner Weis berechtigt. Es ijt ihm nichts mehr als die Ehre des Ge-
berfams und das Flehen und Bitten zu dem Himmel zugelaffen,
als (von) welchem er fich allein diesfalls Hülf und Rettung getröften
fol. _ Der Unterthanen Geborfamspflicht erftredt fich nicht ſowohl
auf die Perſon ihres Oberherrn als vielmehr auf die hohe von Gott
ihm zugelegte Autorität. Lafterhafte Fürſten find eben dieſes hohen
Anſehens von Gott gewürdigt und ſoll ihnen mit gleichem Reſpect
42 Ben dem römiihen Bapk.
und Gehorfam begegnet werden als dem Ebenbilde ver göttlichen
Macht und Gewalt, wenn fie fchon nicht auch für ein Ebenbild ſei⸗
ner Güte und Gnade zu achten find.
Aus ven jet angeführten Staatsgründen ergibt fich (ver) insgemein
angenommene Schluß, daß fouveraine Fürften und Botentaten in Entftehung
(Bermweigerung) gütlicher Satisfaltion einander befriegen und fich Einer
des Anvern Lande bemächtigen und des erlittenen Schadens bei deſſen
Untertyanen erholen möge, welche mithin unfchulbiger Weiß ihrer
Obern entgelten und fowohl an berfelben glüdlichen als unglüdlichen
Zufällen Antheil haben und von ihren Häuptern als davon dependi⸗
rende Gliedmaſſen ihre Influenz erwarten müſſen. Unb ob zwar
ein dergleichen vechtmäßiger Krieg von der ganzen Welt für einen
gültigen Titel das mit dem Schwert Eroberte als ein wahres Eigen-
thum befiten und innbehalten zu können erachtet wird: fo wäre doch
hieraus vie Folge nicht gleich zu machen, baß wenn auch zwifchen
dem Römifchen Papft und einem andern Potentaten ein vechtmäßiger
Krieg fih anfpinnen follte, wodurch der Kirchenftaat oder ein Theil
besjelben in fremde Gewalt gerathen thäte, mit gutem Fug der Kirche
auf ewig entzogen werben lönne, ba ein Papft das Patrimonium
Petri nicht veräuffern oder verwirten kann. Deswegen ber Herzog
von Alba in oben angezegener Begebenheit, da er wiver PBapft Pau⸗
Ins IV. im Namen feines Königs den Krieg führen mußte, feinen
Marſch, ehe und bevor bie päpftlichen und franzöfifchen Völler zu⸗
fammengeftoffen und das Königreich Neapel überziehen können, eil«
fertig fortgefegt, den Kirchenftaat felbft angegriffen, unterfchiepliche
Ort darinnen erobert und vie Stabt Rom felbft in Furcht und
Schreden geſetzt, aber fich mit bem befriedigt hat, daß er tem Papft,
welcher verber mit Glimpf bahin nicht zu bringen geweſen, zu befs
ferer Beobachtung feiner geiftlichen Hirtenpflicht mit Gewalt ange⸗
ftrengt und mit Neftitution des Eroberten zu einem vergänglichen
Frieden gendthigt bat, worauf er gleihfam im Triumph zu Rom
eingezogen und von dem Papft geiwürdiget worden, daß er von ibm
zur Zafel berufen und mit dieſem Lobſpruch aus bes Papftes Munde
beebrt wurde: der Herzog hätte den päpftlichen Stuhl mitten in fei-
nem feindlichen Angriff befchirmet und vertheidigt.
Es erhält ſich aber auch ein großer Unterfchieb unter ven zeit»
Ben dem xömiichen Papk. 43
lichen Gütern und Lanbfchaften des Kirchenftantes, als deren theils
ber Römifchen Kirche freiwillig gefchenkt und eigenthümlich übergeben
werben, welche dann eigentlich das Patrimonium divi Petri zu nen»
nen, antere aber haben bie Päpfte in ander Weg und burch folche
Zitel an fich gebracht, ‘welche noch wohl einen Einwurf und mehrere
Unterfuchung leiden dürften und nicht fo gar für befreit und. gebeiligt
zu achten, daß felbe nicht eben auf folche Weis, wie fie die Päpfte
an fih gezogen, wiederum auf Andere gelangen könnten. Es ift aber
die Staatskunſt des Römifchen Hofes fo hoch geftiegen, daß berglei-
heu Beränderung nicht leicht mehr zu befahren iſt, da erjtlich einem
zeitlichen Papſt die Macht und Gewalt felbjt benommen und abges
ſchnitten worben, einige Herrichaft und Kirchengüter Andern zu ver«
leihen und von dem Kirchenftaat mehr abzufondern, nachben Pau«
(ns III. die Fürſtenthümer Parma und Piacenza feinem Geblüt in
der Berfon Peter Ludwigs Farneſe lehenweis zugewendet und dadurch
verurfacht bat, daß den Fünftigen Nachfolgern vergleichen zu unter«
nehmen abgeftellt worden, auch daß die Kirche durch fo geftalte In⸗
feubationes nicht ganz erarmen möchte,
Und obſchon ein jeweiliger Papft insgemein mit feinem Kriegs⸗
volk in dem Kirchenftaat verfehen, -jo bat verfelbe doch von Auſſen
ber gleichfalle Leine Gefahr zu gewarten, fo lang der römifche Hof
fih an feine gewöhnlichen Staatsmarimen halten thut, welche haupt⸗
fählih in dem bejteben, daß erftlih in Welfchland ver Fried und
jegtmalige Vertheilung des Landes in feinem Stand erhalten werte
und Seiner ber welfchen Fürften oder Republiten an Macht und Ges
walt allzufehr überhand nehme ober fich in den Stand fege, den An«
dern weit überlegen zu fein, welches nicht allein ver Papft ſondern
auch alle übrigen italienijchen Potentaten angelegentlich zu verhindern
und einander beizufpringen pflegen, deswegen ihnen und fürnehmlich
dem römifchen Hof jeberzeit verdächtig und mißfällig geweſen, daß bie
Kron Spanien fo ftarfen Fuß in Welfchland gefegt, welche wiederum
binauszutreiben man öfters unternommen und vielleicht noch beut zu
Tag wünfchen thät, zumal aber Solches nicht anders als durch die
franzöfifche Macht gefchehen könnte, und dieſes Mittel viel gefährlicher
wäre, als das Uebel felbft, veffen man fich dadurch zu entledigen ver⸗
meinte: alſo läßt fih der vömifche Hof vielmehr angelegen fein, bie
4 Bon dem römifchen Papf.
beiden Kronen ſtets gegeneinander befchäftigt und in gleichem Gewicht
zu halten, als werin bes Papftes felbfteigene Sicherheit fürnehmlich
befteht, va auch von Seiten Deutjchlants und anderer fürftlichen Pos
tentaten, fo lang felbe in bermaliger Regierungsart und Epaltung
tes Glaubens und Etaatsintereffe verharren, auch das Kaiferthum
nicht zu ben vorigen Kräften fich wieder erfchwingen Tann, ber roͤ⸗
mifche Hof nichts zu beforgen hat. Wann es aber einft bahin kom⸗
men fellte, daß ein römifcher Kaifer feine Macht und Gewalt wieder
um alfo befeftigen könnte, taß ihm feine fremde Potenz daran bin-
derlich fein möchte, dürfte es wohl noch gefchehen, daß man bie alten
Gerechtfame wierer in ten Schwung zu bringen und beſſer handzu⸗
haben bedacht wäre. Daher fich billig zu verwundern, daß man jegie
ger Zeit an dem römifchen Hof Frankreichs Abfehen und Vorhaben
nicht kräftig zu bintertreiben fucht, fondern vielmehr dazu behülflich
ift, pa doch tie allzufehr zunehmende Macht und weit ausſehenden
Abzielungen viefer Kron einem Papft um fo mehr verdächtig fein
follen, weil der römifche Hof von biefer Potenz mehr lingelegenbeit
al® (ven) feiner andern zugewarten bat, da weltkundig ift, wie man
fi der verjährten und veralteten auch wirklich fchon begebenen Zu-
fprüche zu bedienen und felbe hervor zu fuchen pflegt, fo daß man
anf Rom felbft und ten größten Theil des Kirchenftaats fo gut ale
antere Länder Prätenfiones zu formiren und weiß nicht was für
ſcheinbare Rechtogründe ex lege Salica herauszupreffen ſich nicht
fhenen würde, fobald man zu dem fchon lang abzielenden Zweck ge⸗
langen und die römische Kron mit der franzöfifchen wieder vereinba-
ren ober fonft fih in tem Stand befinden thäte, felbe auszuführen.
Und hat man noch zu unfern Zeiten genugfam erfahren, was Frank
reich unter Papft Mlerander VII. und Innocenz XI. zu Rom felbft
unternommen bat, woraus dann die Rechnung zu machen ift, was bei
ber feither noch mehr zugenommenen Macht und erwachfenen Kräften
zu befahren fei, da die Bilanz zwifchen beiden Kronen nicht mehr
gleich gehalten, fondern ver einen fo bereits das Lebergewicht bekom⸗
men, und mehr zugelegt wird. Da man fich im Oegenftand gar wohl
zu entfinnen weis, welcher geftalten vor Zeiten ber Kaifer Karl V.
wider die Proteftirenden in Deutfchland gejiegt und die Oberhand ges
habt, der römische Hof in folche Apprebenfion geratben, daß man
W
—
Bon dem roͤmiſchen Papſt. 45
lieber den latholiſchen Glauben hat wollen in Gefahr ſtecken laſſen
ds zu völliger Ausreutung ber Ketzerei dem Kaifer weitere Hülf und
Leiftand leiſten, da Paulus III. vie herausgeſandte Hüffsvölfer
gleich wiederum zurüdgezogen. Nicht weniger ift erinnerlich, wie daß
Gregor XV. ſich mit ten Graubündnern ungehindert felbe meiftens
wirriger Religion find in dem Velbtenkrieg wider Spanien verbun⸗
den und Papſt Urban VIII. in dem 3Ojährigen ‘Deutfchl. Krieg die
feinnlichen Progreß mehr gepriefen als gehemmt hat, wodurch fo viel
anfehnliche Erz⸗ und Bisthümer auch andere geiftlihe Güter ben
Broteftirenden in Hanten und zurüdgeblieben find, dawider zwar ver
Papft bei rem Weftphal. Friedenéſchluß proteftirt, aber Solches zu
rerhindern den Kathefijchen im Geringften nicht geholfen, fondern ten
glerwärtigften Kaifer Ferdinand II. als felbiger die verträftete Geld⸗
bülf gefucht, nichts Anders als Ablaßbrief ertheilt hat. Une fo nun
bie ratio status dem Intereſſe Religionie bei tem römijchen Hof in
fe weit vorbringen thut, daß man gegen das höchftloblihe Erzhaus
Defterreich deutſcher und ſpaniſcher Linie fo eiferfüchtig gewefen und
ſelbes nicht hat wollen höher empor fich ſchwingen laſſen, welches doch
tie fürnehmfte Säule ver römifchen Kirche iſt und noch niemals eigene
Patriarchen zu fegen gebroht oder fo fchimpflihe Säulen in Rom
aufzurichten die Püpfte gezwungen, noch venjelben wegen der Quar⸗
tiersfreiheit Geſetze worzufchreiben begonnen hat: mit was für Augen
fol man dann billig die fo ungeheure Ausbreitung der franzöfifchen
Macht und Gewaltfame unb die fchon weit gebrachte allgemeine Bes
herrſchung anfeben?
Diefes aber fei von dem päpftlichen Stuhl genug gefagt.
IV.
Behrenhorft und Bülow.
Bon
5 v. Meerbeimb.
Zwei Lebensbilver will ich verfucyen hier vorzuführen , bie beibe
als Militärs und Schriftfteller auf unfer Intereſſe Anfpruch haben,
da fie das alte Syſtem ter Kriegskunft, das im vorigen Jahrhundert
allgemein herrfchte, zu erfchüttern begannen, und bie Keime bes heute
Geltenden legten. Beide am Schluß des vorigen Jahrhunderts ihre
bebeutenpfte Wirkung ausübend, waren angeregt durch alle Ideen ih⸗
rer tiefbewegten Zeit; der Eine, Behrenhorft, durch ein langes Leben
poll Schmerzen und Enttäufchungen geläutert, rang fih durch alle
fittlichen und geiftigen Gefahren hindurch, bewahrte bei aller geiftigen
Freiheit fein patriotifehes Gefühl und kam von dem Unglauben feiner
Jugend zum feften innigen Ehriftenglauben. Der Andere, Bülow,
reich mit Talenten begabt, fand für feine Kraft und fein Selbftge
fühl nicht genügende Thätigfeit, jeve Zäufchung, jede Demüthigung
fteigerte feinen Stolz, zerrüttete Vermögensverhältniſſe kamen dazu,
und feine reiche Kraft ging auf Abwegen des Lebens zu Grunde.
Behrenhorſi und Bülow. 47
Die militairifche Literatur im eigentlichen Sinne, beginnt erft
mit den Kriegen Ludwig XIV., d. 5. mit den ftehenden Heeren und
igrer Bedingung, einem Officiercorps, deſſen Lebensaufgabe der Krieg
and die Vorbereitung dazu if. Solche Officieecorps hatte es feit
ver römljchen Kaiferzeit nicht gegeben, und nur damals finden wir
rein militärwifjenfchaftliche Werke, wie die des Vegez und Hygienus.
Der Berfuch, den Lebensberuf wiljenfchaftlich zu begreifen, mußte zu
theoretijchen Schriften über ven Krieg führen, wie fie Feuquieres,
Puhyſegur und Folard uns binterlaffen haben. ‘Durch die Magazins
Verpflegung, die Louvois zuerft im franzöfifchen Heere einführte,
mußte der Krieg regelmäßiger, methobifcher, abhängiger von den rück⸗
wärts gelegenen Magazinen, als ven Bebingungen ver Subfiftenz des
Heeres werden. Daher drehen fich die Kriege jener Zeit auf einem
Heinen Terrain herum, Feſtungen werben belagert, BVerpflegungslis
wien bedroht, Lunftoolle Umgebungen angeveutet oder ausgeführt, —
folge lühnen Züge wie der des Banner und Zorftenfohn im dreißig⸗
jührigen Kriege, wie der des großen Kurfürften nach Sütland, von
Heilbronn nady ter Mark, von Berlin nach Königsberg werden ale
ber Methode wiberfprechend nicht mehr ausgeführt. In folder Krieg⸗
führung, bie ſich befonders in Luremburgs Campagne in den Nieder
landen zeigt, ſahen Theoretifer wie Beaurain die Blüthe der Kriegskunft.
Carf’8 XII. glüdliche Kriege fchienen zuerft ver Regeln zu fpetten;
bie Schlacht bei Pultawa und ihre Folgen geben ihnen bie Betätigung.
Ebenſo trat Friedrich II. in ven fchlefifchen Kriegen und in den brei
erften Jahren des Tjährigen Krieges wie ein Held tes 30jährigen
Krieges auf, während bie regelrechte methodiſche Kriegführung in ven
Armeen der Prinzen Heinrich und Yerbinand von Braunfchweig geübt
wurde. Als nun fpäter auch der große König mehr vefenfiv zu
Berke ging, die Entſcheidung durch vie Schlacht zu ſcheuen fchien,
ds man feine Aeußerung von Mund zu Mund trug: „Prinz Hein«
rich ift der einzige General ter nie einen Fehler gemacht hat“, da
jhien auch er biefer Art ver Kriegführung die Weihe gegeben zu
haben. Der bayerifche Erbfolgefrieg, ſowie Lasch's Strieg gegen die Tür⸗
kn, waren bie rechten Schulen des Poften» und Cordonkrieges, der
van in den Rheincampagııen von 1793 und 1794 ja bie 1806 von
ven leitenden Intelligenzen des Heeres als bie richtige Methode an⸗
48 &. v. Meerheimb,
gefehen wurde. Tempelhof's Gefchichte des fiebenjährigen Krieges
ift als vie Hauptquelle der Kenntniß dieſes Krieges felbft ans
zufehen, namentlich aber find die Anmerkungen die Grundlagen auf
der alfe Kritit militärifcher Operationen, auf der fogar die fpätern
Syſteme fußen. Maſſenbach, Venturini, felbft ver revolutionäre Bülow
ftehen ganz auf der Grundlage eines Räſonnements, das alle Bewe⸗
gungen und Handlungen bed Heeres von ber gebietenten Nüdficht auf
die Subfiftenz deſſelben abhängig macht, — auf Heere mit einem an«
dern Verpflegungsmodus hat ihre Theorie alfo feine Anwendung. —
Es war Folge einer ſolchen Anfchauungsweife, wie die Art des Er»
ſatzes es nothwendig machte, daß das Heer wie ber einzelne Soldat
zu einer Mafchine gemacht wurde, daß das Erercitium wie die Dis«
eiplin Außerft ftrenge war, ohne irgend einen geijtigen ober fittlichen
Hebel zur Einwirkung zu gebrauchen, die Majchine wurde nach me
chaniſchen Gefegen und Regeln bewegt, und das Streben war nur
darauf gerichtet, die eigene noch befjer zu zimmern und auszubilven,
noch gewandter zu gebrauchen als ter Gegner. Sehr wahr fagte
fhon damals Guibert in feinen Essai general, „die moderne Tactif
hält nur fo lange Stich, als der Geift der europäifchen Verfaffungen
der alte bleikt, fobald man eine Phalanx moeralifcher Kräfte zum
Gegner befemmt, wird fie den Weg aller menfchlichen Erfindungen
gehen.«u Ehe nun die napolecnifchen Kriege dieß propbetifche Wort
bewährten, fihrieb Behrenhorft feine Betrachtungen über die Kriegs⸗
funft, Bülow feine theoretifchen und kritifchen Werte, und beide er-
fhütterten durch ſie ven Glauben an die Unfehlbarkeit der preußifchen
Tactik, an die Nichtigkeit der Art den einzelnen Soldaten auszubilden,
und zu behandeln, endlich die ftolze Hoffnung, daß mit der aus ben
Feldzügen und Schlachten des fiebenjährigen Krieges abjtrahirten
Weisheit ein Gegner beficgt werben könne, ber ganz andere Mora»
liſche und phyſiſche Kräfte, eine neue Tactik und neue Art der Ver⸗
pflegung mit in den Stampf brachte.
Folard und der Marfchall von Sachſen find als Behrenborft’s
Vorläufer anzufehen, fie theilen mit ihm vie Vorliebe für tie Alten,
heben die moralifchen Potenzen hervor, und taveln bie zu ihrer Zeit
übliche Kriegführung, — vie ganze Umgeftaltung unferer militärijchen
Literatur, die Revolution bie fich in Folge der pofitifchen auch auf
Behrenhorſt und Bülow. 49
biefem geiftigen Gebiete vollzog, wurde durch bie beiden Männer ein«
geleitet, veren Leben und deren Werle zu betrachten, ver Zweck dieſes
Aufjakes ift.
Georg Heinrih von Behrenhorft wurde 1733 in Anhalt-Deffau
geboren. Der Vater war Fürſt Leopold von Anhalt» Dejfau, die
Mutter die Tochter des Schultheigen Söldener in Elrih, ſpäter an
ten Amtsrath Rode verheirathet. Da er zum Sobbaten bejtimmt
war, hatte man auf feinen Unterricht wenig Mühe verwendet, ſchon
mit 15 Jahren trat er bei vem Regiment feines Vaters in Halle
ein. Seine wijjenfchaftliche Ausbildung verdankte er nur dem Selbit-
ſindium; 1757 als er als Arjutant zum Prinzen Heinrich kam, konnte
er noch Fein Franzöſiſch und lernte es erjt auf deſſen Ermahnung
"bag man doch Fein deutſches Beeſt fein möge.» 1759 wurde er Ads
jutant des Königs und muchte tie Feldzüge bis 1762 als Brigade—
Major mit. Gerade diefe nähere Stellung zum großen König, der
eft gegen feine perfönlihe Umgebung rauh und hart war, jcheint
Behrenherft zu einer Bitterfeit gegen Friedrich II. verleitet zu haben,
veren Ton in ben Betrachtungen nicht zu verfennen ift. In der
Schlacht bei Zorgau rettete er den König aus größter Gefahr, und
biefe Begebenheit ift fo wenig befannt und fo charafterijtifch für
beine, daß ich jie mit wenig Worten erwähnen will. Die öfterrei=
chiſche Gavalerie hatte anfänglich) die preußifche des linken Flügels
zurückgedrängt, und auch das Fußvolk fing an zu weichen. Der Kö—
nig hielt ver der vorderſten LYinie, nur umgeben von Graf Friedrich
von Anhalt, ver links von ihm, und Behrenhorft, ver 10 Schritt hinter
ihm hielt. Auf einmal rief Anhalt: »Behrenhorjts. Behrenhorft
eilte hinzu und fah ben König zurüdjiufen; Graf Aubalt konnte we-
gen feines verſtümmelten Armes nicht helfen, nur Behrenhorſt Half
dem König vom Pferte und trug ihn in den nahen Wald. Den
König Hatte eine Kugel auf vie Bruft getroffen und war durch ben
Pelzinantel, Ueberrod, Leibrock und Wefte gedrungen. Nach einigen
Minuten fagte ber König: „Voyez s'il y a du sang“! Behrenhorft
nöpfte ihn auf und fand nicht. „Aa vie est ce qui importe au-
jeurdhui le moins, allons faire notre devoir, malheur à ccux
qui ne le font pas“, fagte ver König und beftieg fein Pferd wie—
ker. — Als einige Tage nach ter Schlacht Beprengorf ben König
Hißsrifge Zeitſchrift VL Ban.
%
50 5. v. Meerheimb,
ben Rapport über ven Verluft ber Preußen in der Schlacht mit "
20,000 Dann angab, rief der König: „Es Toftet ihn den Kopf, wenn
die Anzahl ruchbar wirt.u Die Gefchichte des fiebenjährigen Krieges
vom großen Generafftabe giebt ven Verluſt ver Preußen nur auf
12000 — 14000 Mann an. Seit viefer Zeit, meint Behrenhorft,
habe ihn ver König hart und rüdjichtlog behandelt, weil es ihm um«
angenehm gewefen, daß jener ihn in einem Woment lörperlicher
Schwäche gefehen, oder wie andere meinen, weil Behrenhorft entvedt,
daß Friedrich II. ein kugelfeſtes Wamms auf der Bruft getragen;
vielleicht war auch Behrenhorft durch des Bringen Heinrich humane
und freundliche Behandlung feiner Untergebenen verwöhnt: gewiß ift,
taß er eine bittere und gereizte Stimmung gegen ben großen König
nie bat unterbrüden fünnen und daß er 1762 Urlaub nad Deffan
nahm, um feinen Abſchied bat und ihm auch erhielt. — Der alte
Fürft Hatte ihm und feinen Brüdern Vermögen binterlaffen und
mußte, wie Behrenhorft meint, in dieſem Falle wohl von der Wirk
fichkeit feiner Vaterfchaft überzeugt fein. In den Jahren 1765 bie
1768 begleitete er ben Prinzen Hans Jürge auf feinen Reifen durch
Stalien, England und Frankreich. Der bekannte E. v. Bülow, Beh
renhorſt's Neffe, hat in feinen Nachlaß die Neifeerinnerungen heran
gegeben, in denen fich vieles intereffante Detail und manches für bie
Sitten damaliger Zeit höchſt charakteriftifche findet. Einige Zeit
brachte er bei dem Prinzen in Stettin zu, ber bier das Regiment
Bevern als preußischer General commandirte. Seit 1776 verwaltete
Behrenhorſt das ganze fürftlihe Hauswefen in Deffau, war Hofmar⸗
fall, Bräfivent der Rchnungskammer und Schloßhauptmann. Seine
ausgebehnte practifche, wie feine wiffenfchaftliche Tpätigfeit hielten ihn
nicht ab, an fich felbjt zu arbeiten, und bie ftreng religiöfe Richtung,
die feine fonft jehr vernachläffigte Erziehung in ben erften Jugend⸗
jahren gehabt, trat in feinem fpäteren Dannesalter wieder hervor.
Er fpricht fich hierüber, wie über den Zuftand feiner Seele, mit einer
Dffenbeit und inneren Wahrheit aus, die nur mit Rouſſeau's Con-
fossions zu vergleichen ift. In diefen ebenfall® in dem Nachlaß ent«
haltenen Selbftbefenntniffen, vie vie Form eines Briefes an feinen
älteften Freund, den Arzt Holze in Zürich haben, fagt er, wie er in
jener Zeit anfing von Epicureismus und Unglauben jener Zeit zum
52 F. u. Meerheimb,
Jahren las er Kants tamald erfcheinende und vielbeſprochene
Werke, und dieſe regten ihn fo an, baß er biefelbe Art per Kritik
auf die Wiffenfchaft des Krieges anzuwenden befchloß. Wie jener
die Art der Thätigkeit des menfchlichen Geiftes und bie Grenzen
deffelben feiner Prüfung unterwirft und alles jenfeits jener Grenzen
Liegende als uns unerreichbar bezeichnet, fo fucht Behrenhorft vie
Kriegshunft und Wiffenfchaft, nachdem er ihre Entwidelung barges
ftellt, als unzuverläffig und widerfpruchsvoll zu bezeichnen. 1790
fhon Hatte er fih von allen Gefchäften zurüdgezogen und lebte nur
den Wiffenjchaften und ver Correfpendenz mit feinen zahlreichen Freun⸗
den, — aus feinen Briefen hat E. v. Bülow eine Auswahl in dem
Nachlaffe herausgegeben, deren intereffantefte an Valentini, Maſſen⸗
bach und Rühle von Lilienftern gerichtet find. Namentlich mit Ex
fterem, dem fpätern Generallieutenant von Valentini, ftand er jahres
lang in fortwährendem Briefwechfel, ber alle wichtigen militärifchen,
namentlich Titerarifhen Creigniffe befpricht und für vie Kenntniß um
ferer Militär - Literatur jener Zeit eine wichtige Quelle ift. Diefe
Briefe enthalten Urtheile über alle Begebenheiten von 1800— 1814,
namentlih vie fchärfften und treffenvjten über vie Theorieen bes
Krieges, welche fih damals im Gegenfag gegen jene Artter Kriegführung
geltend machten, vie in ver Schlacht bei Jena ten Todesſtoß erlitt.
Nach den unglücklichen Feldzügen ven 1806 und 1807 war das re
gefte Leben in der Wiffenfchaft des Krieges wie in der Bubliciftil, bie
Erfolge fpäterer Fahre vorbereitend. Scharnhorjt, früher in ven
Böttinger gelehrten Anzeigen Behrenhorſt's Gegner, hielt in Berlin
feine trefflihen Vorträge, Archenholz Minerva ging unter dem Na⸗
men Pallas in Rühle's Hände über, und deſſen „Bericht eines Augen⸗
zeugen“ wie Müffling’$ „Bemerkungen über ven Operationsplans
ftellten die Fehler und Unglücksfälle im militärifchen Gebiet dar, welche
hart und ungerecht, in Cölln's vertrauten Briefen, in Maſſenbach's
und Buchholz politifchen Schriften gerügt waren. Die Feuer
brände, Löfcheimer und Lichtftrahlen bejprachen , regten an und
vermittelten biefelben Streitfragen. Hierüber liefert diefe Correfpon-
denz intereffante Auskunft und felbft einen bisher ungedruckten Nach⸗
trag zu Maſſenbach's Charakteren in einer vortrefflichen Charakteriftif
Braunſchweig's und Maſſenbach's. Zum Theil durch Behrenhorſt's
Behrenhorſt und Bülew. 53
Betrachtungen angeregt, ſuchte die junge Schule, — die ſich ſelbſt
bieweilen, an die Betrachtungen anknüpfend, die antiſaldern'ſche nannte,
— ſuchten außer Balentini auch -Rühle und Müffling ihm näher zu
treten, auch mit Bülow und felbft mit Maſſenbach ftand er im freund»
ſchaftlichen Briefwechſel; keiner hielt treuer an ihm feft al8 Valen⸗
ti, den er feinen im Geift erzeugten Sohn nennt. Diefer war ba-
mals Major beim preußifchen Generalftabe, Rühleaber Mentor des Brin-
zu Bernhard von Weimar mit dem Zitel eines Kammerherrn, ihn
wie Müffling hatte Carl Augnſt von Weimar nach tem Frieden von
Tilſit angeftellt. Müffling, ale Kammerherr am Hofe zu Weimar
Iebeub, fchrieb fchon damals unter dem Titel C. v. W., und Behren-
berft fagt von ihm: „er gehört zur neuen antifaldern’fchen Schule,
tritt Bülow.und mir auf bie Schultern, predigt was wir längft ges
prebigt haben, ohne ſich eben deſſen ausdrücklich zu rühmen, thut es
ober mit Einficht , VBerftand und Genie und unterläßt nicht in feinen
Briefen des Papa grauen Bart mit wohlriechenvder Seife einzubalfa-
wiren.uo In einem Briefe vom 15. Juli 1812 gibt er den Rath,
ven Krieg gegen Napoleon fo zu führen, wie er fpäter geführt wurde,
Hauptfchlachten zu vermeiden, mit unfruchtbarem Boden freigebig zu
fin, — der Krieg werde fich durch die Ungeheuerlichfeit ter Streit-
mittel von felbit aufzehren. Wieder ein neuer Concurrent um ben
Preis, ven Rath zu dem ruffiichen Sriegsplan von 1812 gegeben
a haben.
Behrenhorft war ein treuer Patriot und Haffer Napoleon’s, hatte
aber Preußens Unfälle vorhergefehen, wie fie auch zur Beftätigung
des Tadels, den er in ven Betrachtungen ausgefprochen, dienten. Die
Viederbefreiung des Vaterlandes erlebte er noch und ftarb 1814 in
Deſſan 81 Yahre alt, als gläubiger Chrift, als welchen er fich wie-
verhelt in feinen Briefen und Werfen und noch auf bem Xopbette
bekannte.
Behrenhorſt war ein großer kräftiger Mann, von ſeltener Schön⸗
keit und feſter Geſundheit, nur in ven letzten Jahren ſah und hörte
er fhwer. Bon ihm fagt fein Neffe Bülow, ver Derausgeber des
Nachlaffes: „Er befak einen hellen und tiefen Berftand, ein treffe
liches Gedächtniß, einen fchlagenden Wit und ſtarkes Gefühl. Aller
£üge und Dummbeit war er unverföhnlicher Feind. Sein Charakter
54 J. v. Meerheimb,
war edel, mannhaft und feſt und ſchreckte anfangs durch eine gewiſſe
Rauhheit, ſein Herz war aber theilnehmend und ſein Gefühl weich
. wie bei einem Kinde. Er war Chriſt im beſten Einne des Worte,
und es verging fein Tag, wo er nicht aus ver Vibel, Fenelon's Wer-
ten, Luther’ Schriften einen Abjchnitt lad. Behrenhorſt hinterließ
einen Sohn, der kürzlich ald Kanımerherr in Deſſau geftorben, einer
feiner Entel dient noch in ter preußifchen Armee. Er batte einen
jüngern Bruder, der ale Major 1780 verabfchievet in Deffau ale
Boftmeifter lebte, und den ich hier erwähne, weil er häufig mit dem
Schriftfteller verwechfelt worben ift. —
In den Jahren 1795 und 96 fchrieb Behrenhorft fein Haupt⸗
werk, begann alfo feine Schriftfteller-Laufbahn im 62. Jahre; es er-
fohien anonym 1797 unter dem Titel: „Betrachtungen über die Kriege
kunſt, ihre Fortfchritte, ihre Widerfprüche und ihre Zunerläffigkeit«.
Als den Hauptgebanlen des ganzen Werkes bezeichnet er folgentes:
„Die Kriegskunft fordert einen weiteren Umfang von Wiffen unb
mehr angeborene Zalente als eine der anderen Künfte und Wiſſen⸗
haften, um eine Mechanik zu bilden, vie nicht, wie die eigentliche
auf unwandelbaren Gefeten, fondern auf unbefannten, alfo auch un»
Ienfbaren Mobificationen der Seele beruht und mit Hebelu und Wine
ben arbeitet, vie Willen und Gefühl haben. Sie hat durch Verhäng«
niß in ter neuern Zeit eine erfte bewegente Kraft befommen, welcher
menschlicher Muth und menfchliche Kraft ungleich find und bleiben
werbens. Kurz der Verfaſſer fucht aus ver Kriegegelehrfamleit var-
zutbun, wie wenig es mit ber Sriegsgelehrtheit auf fi babe, —
wozu die Geſchichte auf das willigfte die Hand biete. Behrenhorſt
beginnt mit einer gefchichtlichen Ueberſicht und Entwidelung ber Kriegs⸗
funft, die trot ihrer Kürze noch immer vie bei weiten befte Gefchichte
berfelben ift; nachdem er das Sriegswefen ver Griechen und Römer
dargeftellt, erwähnt er furz das Mittelalter und vie Zeit bes 15. und
16. Jahrhunderts und kommt dann zu der Zeit, in der bie Erfin-
bung bes Pulvers eigentlich erft Die Tactik umzugeftalten begann, zu
ben Kriegen Ludwig XIV. Set erft wurbe bie Stellung der Heere
auf die möglichfte Feuerentwidelung berechnet, wie auch jet erſt bie
Ausbildung des einzelnen Soldaten, die Elementartaftif überhaupt all»
gemein eingeführt wurde. Nun gebt er auf Preußen über, wo Friebrich
IV 111 —
Behrenhorſt und Bülow, 55
Bilheſin J. und des Schriftſtellers Vater Fürſt Leopold ein Heer,
eigentlich nur eine Infanterie, bildeten, die im Sinne ihrer Zeit vor⸗
trefflich war. Die Schilderung damaliger Zuſtände im Heer und
anßerhalb deſſelben iſt unübertroffen und bei aller Schärfe des Ur⸗
theils doch in mildem billigem Sinn geſchrieben. Weniger gerecht iſt
er gegen den großen Helden der ſchleſiſchen Kriege, den Grund ſeiner
Bitterfeit,, deſſen der ſonſt edle Mann ſich wohl nicht bewußt war,
habe ich oben berührt; die kindliche Liebe läßt ihm aud glauben, daß
Friedrich feinen Vater zurückgeſetzt und in feinen Schriften nicht mit
genügender Anerkennung beurtheilt habe. Er fagt ſelbſt, daß er bie
Facta des fiebenjährigen Krieges benuge, um feine Meinung zu be«
legen, »daß bis zum Hubertsburger Frieden die moderne Kriegskunſt
wegen Mangels einer haltbaren Zaftif und wegen ver Befchaffenheit
ver Kriegsleute noch unter bie unfihern Künfte gehöre und die mei«
fien ihrer Erfolge, günftige oder ungünftige, dem Zufall beizurechnen
hatte⸗ Friedrich II. war bekanntlich in ven legten Jahren des fie-
benjährigen Krieges mit feinem Heere wenig zufrieden, wenigſtens
nicht mit feiner Infanterie. Er fügt in der Geſchichte deſſelben:
„Rad mehrerken Feldzügen wirb fich die Infanterie immer verjchlech-
tern, die Cavalerie fich verbeffern", was boch wohl faum eine halt-
bare Behauptung ift. Um feine Jufanterie zu verbeffern, verinderte
er Einiges an Leopolv’s und Friedrich Wilhelm's Kinrichtungen.
Behrenhorſt aber meint: „Wohl verjtand er vie Mafchine zu gebrauchen,
winter wohl fie zu zimmern.u “Die Elementartaktit wurde durch neue
Feinheiten bereichert, durch vie ftrategifche Inſtruction, die Mandvers
bei Potsdam, zu denen balb Europa Zufchauer jandte, eine haarge⸗
naue PBräcifion und mechanifche Vollkommenheit erreicht, bei ver alle
moralifchen Elemente unbeachtet blieben, ja verachtet wurden. So
verbrängten gegen das Ende bes Jahrhunderts die Illuſionen ber
Mandvrirkunſt alle Rückſicht auf Möglichkeit ver Ausübung im Exnfte,
mit den wirklichen Borzügen waren Vielwiſſerei, Mikrologie, Minus
tismus, Aengſtlichkeit, höchfter Grad der Grobheit, der Härte und
Dienftfllaverei verknüpſt. An den Ausprud Minutismus will ich
eine charalteriftifche Anelvote von dem General Saldern anknü⸗
yien, den Behrenborft immer irrtümlich Sallern nennt. ‘Diefer war
Ynfpectionsgeneral in Magdeburg und, fonft als braver Soldat und
56 F. v. Meerheimb,
gewandter Führer vielfach im Kriege ausgezeichnet, beſonders durch
die Pedanterie und Strenge des Dienſtes, der auf die härteſte und
kleinlichſte Weiſe unter ihm betrieben wurde, bekannt. Er ſchrieb ein
Reglement und tactiſches Lehrbuch, das -jelbft in vielen fremden Staaten
der Ausbildung der Soldaten zu Grunde gelegt wurde, daher er vor⸗
zugsweiſe als Vertreter der ganzen Richtung angegriffen wird. In
dieſem Lehrbuch ſagt er an einer Stelle, „es wäre freilich vorge⸗
ſchrieben 76 Schritt in einer Minute zu marſchiren, nach reiflichem
Nachdenken und vielfältigen Beobachtungen ſei er aber dahin gekom⸗
men anzunehmen, daß 75 Schritt in der Minute noch beſſer ſeien« —
Der 3te, einige Jahre fpäter erfchienene Band, befpricht bie
ruffifhe Armee und befondere Münnich und feine Feldzüge, es fcheint
faft als fuchte er ihm als Das gute Beiſpiel aufzuftellen, wie ihm
Friebrich II. das böfe Beifpiel gewejen war. “Der Ate Theil enthält
Streitſchriften. Maſſenbach, damals militärifcher Referent ver allge
meinen beutfchen Bibliothek Nicolai's, Mitarbeiter ver militärifchen
Monatsfchrift und Höchfte Autorität in Eriegeliterarifchen Angelegen⸗
heiten, hatte „Betrachtungen über die Betrachtungen“ herausgegeben,
in tenen er mit Recht Behrenhorſt's Animofität gegen Friedrich II.
tabelte und fich mit geringerem Glück zum Vertheidiger ver ftehenten
Heere im damaligen Sinne aufwarf. Er greift ben in den Vetrach⸗
tungen gerühnten Marfchall von Sachſen an und fpottet über Beh—⸗
renhorſt's Vorliebe für die Kriegsweiſe der Roͤmer und Griechen
und feine Empfehlung ber Lanze. Auch) Scharnhorft hatte in den
Göttinger gelehrten Anzeigen Behrenhorſt's Bajonetthaß verfpottet
und gemeint, er wolle die Solpaten nadt, mit Bellen behangen und
mit einer Steule bewaffnet in's Feld jehiten. Mathieu Dumas hatte
in feinem Precis historique einige Auejtellungen bei fonjtiger Aner-
fennung gemacht, biefe beantwortet Behrenhorft im Yten Theil durch
quelques remarques, wie er nöthige Randgloſſen zu den hoͤchſt un-
nöthigen Betrachtungen bed Herrn von Maffenbad macht. Dieſe
einzelnen Entgegnungen abgerechnet, wurben die Betrachtungen mit
großem Beifall aufgenommen, man fehrieb fie den bebeutenpften Män-
nern, wie dem General Schlieben, zu, und Archenholz bedauerte feine
ganz Tempelhoff, dem Lobrebner Friedrich II., folgende Gefchichte des
fiebenjäbrigen Krieges gefchrieben zu haben, feitbem er bie „furdht-
DE... —
Behrenhorſt und Bülow. 67
baren» Betrachtungen geleſen. Noch vor Kurzem bat ein viel gele⸗
fener Schriftſteller, Pönitz, gefagt: "Nur zwei Militärfchriftfteller
haben Werfe von tauerntem Werth hinterlaffen, ver Verfaffer ber
Petrachtungen und Claufewig, bie Werke aller übrigen werden mit
ver Zeit, in ber fie entftanten, ihren Werth verlieren. Es ift ein
ſchöner Zug im Charakter unferes Behrenhorft, daß er feine Anonys
mität bewahrte, als das Werk allgemein Beifall gefunden; er hatte
es auch nicht um eitlen Schriftftellerruhm gefchrieben. Durd einen
Zufall entdedte fein Freund, der Conſiſtorialrath Demarees, einige
Yahre fpäter ven Verfaffer. Er fah bei einem Buchbinder dad Ma⸗
aufcript und erkannte die Hanpfchrift.
1805 erfchienen die Aphorismen über bie Kriegsfunft, eine Samm-
lung vortrefflicher Bemerkungen und Einfälle, vie ver Herausgeber
des Nachlaffes noch um einige vermehrt hat. Wie Claufewig lämpft
Behrenhorſt gegen die Phrafe, gegen pas was erjterer „Vorſtellungen
ehne Wirklichkeit” nennt, gegen Ausdrücke wie „aufrollen,« meinen
Ochſen bei ven Hörnern anfafjen,« »ftrategifche Nüdjichten«, „Schlüſ⸗
felpumfte und Stellungen⸗, und dieß Regiſter von wiffenfchaftlichen
Begriffen, venen feine Anfchauung ter Praris entfpricht, ließe fich
aus unferer Terminologie noch bedeutend vermehren. Er ftreitet für
die moralifchen Elemente: ver Krieger müſſe glauben an Gott und
Seligkeit, jo würde er tapferer fein, al® wenn er durch Phrafen von
ber Unfterblichfeit des Nachruhmes echauffirt wäre. Das Bajonett
hält er für eine ungenügende Waffe, das faſt nie zur Anwendung
füme. Seine Darftellung des wirklichen Verlaufs eines Gefechts ift
ein Pendant zu Claufewig’ berühmter Befchreibung einer Schlacht.
Das Bajonett hat feit feiner Erfindung am Ende des 17ten Jahr⸗
hunderts viele und gewichtige Gegner gehabt — damals Folarb und
Montecuculi, fpäter ven Marſchall von Sacfen, in fiebenjährigen
Kriege Behrenhorft und Tempelhoff, dann Bülow und neuerdings den
Generell Marwitz. Ein Kenner der Gefchichte und Literatur würde
gewiß noch viele aufzählen können.
Wie Juſtus Möfer ift unfer Schriftfteller gegen jedes Avance⸗
ment nach Berbienften, und erwähnt, wie er von den Orden fpricht,
das intereffante Factum, daß Ziethben und Ferdinand von Braun⸗
ſchweig während des ganzen fiebenjührigen Krieges feinen Dfficier zu
58 $. v. Meeıheimb,
einem Orden vorgefchlagen haben. (Zu Nut und Frommen ber ſtra⸗
tegifchen Kritiker a posteriori erzählt er eine Gefchichte ans dem He⸗
bammeninftitut zu Bologna, die Jedem, dev folche Kritiken lieft, oft
einfallen wird.)
Im Nachlaß wird eine Betrachtung mitgetheilt, die ich zum
Schluß anführe, weil fie den ganzen Mann charakterifirt, und alle
einzelnen Seiten feiner Wirkſamkeit darin zufammengefaßt find. Sein
Spett über die fünftlihe Taktit und über die Manövers des großen
Könige, die Abneigung gegen deſſen Berfon, feine Verehrung für
Leopold von Deffau, feine Forderung der Religiöfität der Heere —
das Alles ift hier in wenigen Worten zufammengebrängt. „Syn feiner
Wiſſenſchaft ift mehr Unnüges, blos Blendendes und Spielerei, als
in der mobernen Tatil. Das Ueberfeine verfelben, was fo vielen
Künftlern und Erfindern die Köpfe zerbricht, ven Offizieren vie größ-
ften Verweife und dem gemeinen Mann bie verbften Schläge zuzieht,
ijt gerade das, was im Ernfte nie gebraucht werben Tann. Bejahrter
braver Officier, Did, den der Feind nie fchredte, den Du vaftehen
oder auf Did anrüden fahft und hiernach Deine Maaßregeln mit
kaltem Blute nahmft, wie dauerft Du mich, wenn ich beim kunſtvollen
Manöver Dih in Verlegenheit fehe: ob nicht etwa 10 Schritt an
der Diftance fehlen? oder, ob Du vielleicht in den Geiſt aller ge
machten Suppofitionen eingebrungen ſeiſt? Ich will es darauf an«
fommen lafjen, midy der Verhöhnung vieler meiner Lefer vom Hand⸗
werfe preiszugeben, — d'rauf! b’rauf! die alte Loſung der Schwe-
den unter Karl XII., der Preußen in ihren erften Kriegen ift ver
Kern, die Quinteffenz der ganzen practifchen Kriegskunſt. Schon vor
bem Treffen ſchwebt der Sieg über dem angreifenden Heere und nur
mit Widerwillen fliegt er zu dem vertheibigenden. Der Soldat, der
voll heiliger Begeifterung den Gedächtnißkelch Jeſu emporhebt, ift
eben der, welcher von Gideon zum Streiter erwählt worben wäre.
Seid verjichert, der Donner zerjchmetterte die Gegner jener berühmten
Legion, bie davon den Namen bekam; was kann einer Schaar wider:
ftehen, die Glaube und Zuverficht entflammt, die der Weg des Todes
zum Leben führt? Mehr als ein tapferer Serieger, der dieß lieft, wird
fih erinnern, was es fei mit Zweifeln und wunbem Gewiffen dem
Tode in ben Rachen zu ſchauen. Mehr ale einem jungen Krieger
BE rn
Behrenhorſt und Bülow. 59
wirb es beifallen, wenn nun die unten glimmen und ber Gefchüße
Knall die Lofung zum Treffen gibt.« —
Wenn wir Behrenhorſt's Streben im Allgemeinen ein negatives,
gegen ven Zuftand des Heeres unter und nach Friedrich II. und ges
gem bie nach dem fiebenjährigen Kriege geltend gewordenen Anfichten
gerichtete® nennen mußten, jo müffen wir bei Bülow eine zweite pofis
tive Thätigkeit unterfcheiven. In jener hatte er im Marfchall von
Sachſen und dem Berfaffer ver Betrachtungen Vorgänger, wie gleiche
zeitig mit ihm ber Prinz von Ligne, durch feine zahllofen Witzworte
kefannt, in feinen prejuges militaires und Brentenhoff in feinen
Paradoxen bie damalige Kriegefunft mit den Waffen bes Ernftes und
Spottes anzugreifen juchten; in feinem pofitiven Streben, ein Syitem
ver Kriegführung im Großen zu entveden, hatte er keinen Vorgänger,
wenn er gleich durch eine Stelle der Betrachtungen angeregt zu fein
befennt. Ginzelne Regeln und Borfchriften, abjtrahirt aus hiſtoriſchen
Beifpielen oder aus der Natur ver Sache jelbit, Lehrbücher ver Aus»
bildung ber Solvaten, bie hatte man feit des Prinzen Mori von
Oranien erftem Exercirreglement, aber ein Syſtem der Kriegführung,
das alle möglichen Kriegsbandlungen aus einem ober einigen allge-
meinen Gruudſätzen herleitet, das hatten weder Puyſegur in feiner
Art de la guerre noch Friedrich II. in feinen „Inſtructionen für
meine Generale» zu geben verfucht. Wenn es ein Verdienſt ift, vie
bunten, mannichfaltigen, wechjelvellen Bilder des Kriegeelebens auf
Ne magere Schnur eines abftracten Princips gereiht und andere
Enfteme als die Jomini's, des Erzherzog Karl und neuerdings Willi«
fen’8 angeregt zu haben, fo gebührt dieß Verbienft nuftreitig Dietrich
ron Bülow. Bülow erfannte in den YOger Jahren und in ten erjten
biefes Jahrhunderts die Schwächen unferer Kriegführung. Friedrich IL
Heeresformation, Ausbildung, Kriegführung und Angriffsmethode
war auf feine Zeit und ganz befonders auf die Schwächen
feiner Gegner berechnet, und da waren fie, wie taufend glänzende Er⸗
folge bezeugen, vortrefflih, nie hat er ihnen cine abfelute Gültigkeit
jugefchrieben. Als nun bie Revolution ein neues Heer, in Allem von
jenen Gegnern des großen Könige verjchieden, auf den Kampiplatz
führte, da waren wenige, die einen deutlichen Begriff von ben völlig
veränderten Gefechtöverhältniffen hatten, denen man auch mit einer
60 F. v. Meerheimb,
entſprechenden Taktik begegnen müſſe. Die damals im preußiſchen
Heere geltenden Anſichten, bitte ich mit Höpfner's Worten ſchildern
zu dürfen.
„In dem Exercitium ber preußiſchen Infanterie beſtand nach ber
Anſicht ver Offiziere die eigentliche Stärle der Armee. Das Res
glement hatte früher mit Recht die Norm für Europa abgegeben,
Offiziere aller Nationen waren nach Potsdam gekommen, um von den
Wachparaden und Manövers Friedrich II. Vortheil zu ziehen, bie
älteren Offiziere glaubten fih noch 1306 auf dem Höhenpunkt takti⸗
fher Ausbildung. Der Ecellon- Angriff ftand noch im vollen Ans
feben, wie im fiebenjührigen Kriege, man bielt ihn nach wie vor
für das ficherfte Mittel zum Siege und übte ihn bei allen Zuſammen⸗
ziehungen, wandte ihn auch bei jeder Gelegenheit vor dem Feinde an
ohne ſich etwas dabei zu denken. Alle Vortheile des Echellon-Angriffs
batten feinen Werth gegen einen Feind, ber eine fehr bewegliche In⸗
fanterie und Cavalerie befaß, der eine Aufftellung in Colonnen und
das zerftreute Gefecht in großer Ausbehnung und vor Allen eine
Ziefiteliung von mehreren Treffen und eine Referve anwendete- — und
an anderer Stelle: „anfehnliche mathematifche und große Terrainkennt⸗
niffe waren es faſt ausfchließlich, die bein Generalftab zu feinem Dienft
befühigten, Kenntniffe, die wefentlich zu ver Anfchauung von ber
Kriegführung gehörten, die man fich theoretijch gebildet hatte und bie
die Truppen auf's Genauefte mit den Terrain verband. Cine vor-
züglich in der preußiichen Armee ausgebildete höhere Anficht von ver
Formation des Terrain's brachte in dieſe Ktriegführung ein fcheinbar
wijfenfchaftliches Moment und gab ihr ein geijtoolles Anfehen. Die
örtlichen und räumlichen Verhältniſſe wurden ausfchließlicher Ge⸗
genftand der Beachtung, man fprach nur ven Straßen, Communicas
tionen, DVerpflegungsrapien und Stellungen, nie von Streitkräften,
deren Zahl und Befchaffenheit, niemals von meralifchen Angelegen-
beiten. Der General Gramert und Maffenbah waren WRepräfen-
tanten dieſer Anfchauungsweife.u — Dieſe Anfichten theilt Bülow
noch vielfach, fein Syſtem ruht auf ähnlicher Grundlage, feine Kri-
tit fußt auf denfelben Grunbfägen. Dennoch erkannte er viele Schwächen
ber damaligen Zuftände, und bie Keime ber Gebanfen der fpätern
Reorganifation unferes Heeres, die Ahnung ver Folgen eines Zuſam⸗
IüR
Behrenhorſt und Bülow. 61
menſtoßes mit tem napoleoniſchen Heer finden wir zerſtreut in feinen
Schriften ausgefprochen. Deßhalb und wegen feines noch bauernten
Einflufjed auf unjere militärijche Literatur muß ih ein Wort das
turch manchen Schatten getrübte Bild feines vielbewegten Lebens vors
anichiden. —
Dietrich Heinrich Freiherr von Bülow wurbe 1757 in Falten⸗
berg dem Gnte feines Vaters in der Altmark geboren. Sein älterer
Bruder war ver Feldmarſchall, ver Sieger von Großbeeren und Dene
wewig, zugleich ausgezeichnet durch feine Kompofitionen geiftlicher Muſik.
Dietrich kam als Knabe in bie Berliner Viilitärfchule und trat
mit 15 Fahren in ein Ynfanterieregiment, fpäter ging er zur Cava⸗
Ierie über. In einem feiner Werke belennt er, während feiner ganzen
Dienftzeit nie einen Stall betreten zu haben. Auch fagte ihm ber
Dienft der Subalternen nicht zu, er ftubirte ben Polybius und Fo⸗
lard und von nicht militärischen Schriftftellern Rouffeau; deſſen Xecs
türe nährte feine Abneigung gegen vie ftaatlichen und gefelligen Zus
ftände, bie fich fpäter zum bitterjten Haße fteigerte. 1790 nahm er
ven Abfchieb und ging nach Belgien, wo eine Empörung gegen (Jos
ſeph II. ausgebrochen war, um unter General Schönfelbt zu dienen,
doch fand er Teine feinen Wünfchen entfprechende Verwendung, uud
kehrte zurüd, ohne fich ausgezeichnet zu haben. In Preußen fuchte
er eine Schaufpielergefellfchaft zu engagiren; als er in Tangermünde
fpielen wollte, verweigerte e& ihm der Magiſtrat, weil er feine Con⸗
ceſſion Hatte; er verkaufte daher die ſchon befchafiten Coftüme und
Decorationen an ben fpätern Director Butenop und ging 1792 nad
Amerifa. Es mag al® Beweis dienen, wie wenig ficher die Nuch-
richten über fein verlorenes Leben find, daß Behrenhorft, ter perſön⸗
lich mit ihm befannt war, von einer Reife nach Afrika fpricht; er
fehrte bald zurüd und berevete feinen Bruder, ihr gemeinfames, ges
ringe® Bermögen in Glaswaaren zu fteden, mit einer folchen Ladung
nach Amerila zu gehen und fie dort mit Vortheil zu verkaufen, um
fo ein Vermögen zu erwerben. 1795 gingen fie bin, gaben viel
Credit, um bie Waaren loszuwerden, belamen nichts bezahlt und ver
loren ihr ganzes Vermögen. Nach Berlin zurüdgelehrt ſchrieb Bü⸗
low fein Hauptwerk: „Geiſt des neueren Kriegsſyſtems⸗, in Folge
deſſen er eine Anjtellung beim Duartiermeifterftabe hoffte, fie erfolgte
62 ' F. v. Meerheimb ,
nicht, und nachbem er noch ein Buch über das Gelb gefchrieben, das
an Hogarth's Bild jenes Mannes erinnert, der im Schuldthurm
einen Plan zur Bezahlung der englifchen Nationalſchuld entwirft, und
nachdem er Mungo Park's Reifen überfegt hatte, ging er nach Eng⸗
land, um ta ein Journal zu fchreiben. Doch fand er keine Ab⸗
nehmer, wurbe in Schulthaft genommen, ging endlich erlöft nad
Baris, foll Hier nach einer unwahrfcheinlichen Angabe der Gal⸗
lerie preußifcher Charaltere Agent der veutfchen Meichsritterfchaft ges
weſen jein und kehrte 1805 nach Berlin zurüd. Bei feiner völligen
Mittellofigkeit mußte er für Brod fchreiben und in dem kurzen Zeit
raum dreier Jahre verfaßte er, außer mehreren Flugfchriften und vielen
Artikeln in Zeitfchriften, die Lehrfäge des neuern Krieges, die Ge
ſchichte des Feldzuges von 1800, die neue Taktif der Steuern, bie
fritifche Gefchichte des Prinzen Heinrih, Blide auf zufünftige Bege⸗
beuheiten und ven Feldzug von 1805. Bei feinem Drang, bie im
befebenven Ideen mitzutheilen, auf Andere zu wirken, genügte ihm vie
Schriftftellerlaufbahn nicht; troß feines unruhigen, wehl ziemlich fitten-
fofen Lebens, fanden Swedenborg's Träumereien bei ihm Kingang,
und er fuchte Profelyten zu machen, Toll fchon in Amerika in frome
men Gonventifeln geprebigt haben und erwartete, einer Sweden⸗
borg’jchen Weiffagung zufolge, im Jahre 1818 eine Umwandlung ver
Welt und ven Beginn des taufentjährigen Reichs, in dem ihn, Bär
low, eine ausgedehnte Apoftelthätigkeit beftimmt fei. Bei fcharfem
Beritande, vielem Wit, auegebreiteten, aber ungeorbneten und ober
flächlichen Kenntniffen, bei unmäßiger Citelfeit, mußte ihn vie ftete
Stfolglofigkeit feiner Haftigen, ungeſtümen Thätigkeit "in Verachtung
einer Welt bineintreiben, beren Mängel er im Einzelnen Mar genug
erfannte, ohne die Höhe eines Standpunktes gewinnen zu können, von
dem ans auch diefe als nothwendige Stufen der Entwidelung erfcheie
nen. Seine fchnell aufeinander folgenden Schriften find im Grunte
nur Wiebergeburten feines Erſtlingswerkes; um feinen Wig und feine
Schärfe, um berentwillen feine Bücher gelefen und bezahlt wurden,
anzuregen, trank er, wie Jean Paul, aus Probuctionseifer, trank, ım
feine unendlich brüdenden Geloverlegenheiten zu vergeffen, und lebte
in der erjchöpfenden Abwechfelung angeftrengter geiftiger Thätigkeit
und zügellofen Genießens. Ueberallhin begleitete ihn fein überreistes
DE. ⸗
Behrenhorſt und Bülow. 63
Selbſtgefühl, das ſich, Mirabeau's Wort parodirend, in dem Urtheil
über feinen Bruder ausſprach: „Mein Bruder iſt zwar der Dümmſte
von uns beiten, aber doch der klügſte Officier der preußiſchen Ars
me. Gebr feltfam ift das Urtheil der Gallerie preußifcher Charake
tere: »Mancher, der Bülow gekannt Hat, könnte ihm vielleicht wegen
feines freien und nicht eben Feufchen Lebens nur für einen unechten
Schüler Swedenborg's halten, man bedenke indeß, daß es ihm mit
feinem Myſticismus ebenfo gehen mußte, wie mit feinem militärifchen
Syſtem. Da viefes von Niemand befolgt wurte, und er nicht im
Stande war, fich eine entfprechende Welt zu fchaffen, fo trat er,
turch Die Umſtände verleitet, das nit Füßen, was ihm das Heiligſte
wor. Wenn fich zuweilen in ver Handlungsweife und dem Syſtem
genialifcher Menſchen eine Verſchiedenheit zeigt, fo liegt der Fehler
nicht fowohl in ihnen felbft, al8 in ihren Umgebungen. Die Ums
fände ſetzen fie in Wiberjpruch mit fich felbft wären biefe für
Bülow günftiger gewefen, er würde ein Heiliger geworben fein,“
Eine feltfame Apolegie, freilich viel, charakteriftifcher für Maſſenbach
als für Bülcew. Der Feldzug von 1805, militärijch-politifch betrachtet,
enthält neben einer äußerſt ſcharfen Kritik ver Operationen ber Oeſter⸗
reicher und Ruſſen eine Menge politiſcher, religiöfer, philoſophiſcher
Reflerionen uud Bemerkungen von dem ungleichiten Werthe. Neben
überrafchend treffenden und ſchlagenden Worten ftehen andere höchft
amvahre, von fait unbegreiflicher Ignoranz zeugende, die ber Feder
eines fo gewanbten Kopfes nur bei fo gebantenlofer und baftiger Viels
ſchreiberei entfließen konnten. Jede Seite aber ift Zeuge grenzenlofer
Bitterleit und der maaßloſeſten Eitelkeit und Selbftüberjchägung. Im
Tefterreih, wohin das Buch heimlich gefchafft war, ging es reißend
ab, und fein wie Rußlands Gefanbter forderte Bülow's Verhaftung.
Erin letztes Lebensjahr und Ende befchreibt Behrenhorſt in feinen
Briefen an Valentini und Rühle, vie bezüglichen Stellen theile ich
nachſte hend mit, da fie zugleich interefjante Urtheile über ihn und feine
Schriften enthalten.
"Bülow figt feit dem 7. Auguft in der Hausvegtei, feine Pa-
piere find verfiegelt, und alle Exemplare den Buchhändlern wegge⸗
nommen. Man kann ihn kanm bebauern, denn die Schrift ift wirflich
raſend, im dieſem Betracht verbient er einen Platz im Irrenhauſe.
64 8. v. Meerheimb,
Man hat ihn bei einem Mädchen in der Kronenftraße arretirt und
daſelbſt noch eine fehr gravirende Correſpondenz mit einem Herrn
von Nordenſchild in Stodholm gefunden. In ver wegen feiner Ver⸗
haftung erfolgten Cabinetsordre ift verfügt, feinen Verftandeszuftanb
durch Aerzte zu unterfuhen, um ihn, fall® er verrüdt befunden, im
die Charite zu liefern.“
Die Aerzte erklärten ihn für völlig bei Verſtande, und man bes
(bloß, da die Kataftrophe von Jena eingetroffen, ihn nach Colberg
zu bringen. Als er die Nachricht von der Schlacht erhielt, fagte er:
„Das kommt davon, wenn man tie Generale einfperrt und einfäl
tige Menjchen commandiren läßt.“ Maffenbach foll Anfangs Oktober
Bülow’s Rath noch aus ter Hausvogtei eingeforvert haben. Auf
der Durchreife in Stettin wurte Bülow vom Pöbel, ter ihn für
Lombard hielt, mit Eteinen gewerfen und in Colberg in ftrenger
Haft gehalten. Später wurde durch den Commandanten Gneifenau
feine Lage fehr verbeffert, bis er ſich in einem Weinhaufe prügelte,
und Gneifenau ihn wieder in ein Zimmer über dem Thore einfperrem
ließ. — "Wit und Laune haben ihn nie verlaffen. Schade, daß
diefer Genius fich fo oft im Ninnftein gewälzt bat, in der Wirklichkeit
auf ven Straßen zu Colberg, moralifch in feinen nachgelaffenen Hands
fohriften. Geift ift in Allem, aber umgeben von mancherlei Schmuß,
vorzüglich von den Ausbrüchen des gröbften Egoismus”. — Später
wurde er nach Riga eingefchifft und übergab ein Manuſcript, das
ber Empfänger verbrannt bat, mit ven Worten": „Dieß Schreiben
an Napoleon über Politik und Staatsverwaltung ift das Beſte, was
ich in meinem Leben gefchrieben.«
"Auf dem ruſſiſchen Schiff ift es ihm übel ergangen; da feine
geringe Equipage aus Verſehen zu Colberg zurüdgeblieben war, bat
er die ganze Seereife in leichtem rad und Sommerhofen machen
müfjen, ein Umftand, ver wahrfcheinlich zu feinem frühen Tode bei⸗
getragen. Nah Einigen ift er 1808 in Riga am Nervenfieber, nad
Anderen in Folge einer Schlägerei in's Gefängniß geworfen an er-
haftenen Wunden gejtorben.« Behrenhorſt fchließt jeinen Brief an
Kühle: „Er Hätte ſich ungemein gut geſchickt, der Duintus Yabins
eines Friedrich II. zu werben, eines Regenten, ter ohne helle Köpfe
zu fcheuen und zu fürchten, ihnen die Freiheit ließe, ihre Zungen bis
Behrenhorſt und Bülow. 65
su einem gewiljen Punkte zu gebrauchen.o „Mit 1200 Rthl. Jahre
gehalt und Tafel bei Hofe, welchen Pla in ber Gefellfchaft würde
Dietrich von Bülow mit dem Wiß, der Laune, und ven Kenntniſſen
die ihm zu Gebote ftanten, nicht ansgefüllt Haben! Beinahe ven
größten Theil feiner Immoralität muß man feinem wibrigen Schidfal .
zuſchreiben: Dürftigkeit, bei Mangel an Hoffnungen und Ansfichten,
m eine fo gefährliche Lage, daß Niemand, ver nicht felbft in einer
ähnlichen geftedt hat, weiß, wie tief fie leider auch das ebelfte Gemüth
m ven Koth zu drücken vermögen iſt.“ —
Bülow war ein langer, hagerer Menfch, fehr cholerifch, mit fchar-
fen, ſtechenden Augen, die über eine große Habichtenafe fortfahen.
Benngleich tie Gallerie ihm die Fähigkeit des mündlichen Vortrags
abſpricht, fo war doch fein Gefpräch äußerſt belebt, feine Bemerknn⸗
ven von gebrängter Kürze und von fchlagendem Wit. Das Drückende
feiner Lage Tonnte er nicht verbergen und fiel im Gefpräche oft fich
mberoußt in tiefes Nachdenken, war bann wieder ruckweiſe fehr mun⸗
tr. Wenn wir einen Rüdblid auf ein fo wild umgetriebenes , fo
dend endendes Leben werfen, deſſen Refultate Bülow’ großen Ta⸗
lenten doch wenig entfprechen, fo mögen wir an feines Rouſſeau
wahres Wort uns erinnern: „Il est trop difficile de penser noble-
ment, quand on ne pense que pour vivre.“ — j
Bülow war der erite, der ein Syſtem der Kriegführung aus fpe-
eulativen Gründen aufzuftellen verfuchte, nicht aus ver Erfahrung
früherer Kriege, abſehend von ten ſtets veränderlichen Verhältniſſen
des Striegstheaters, der Organifation der Heere, von den meralifchen
Elementen fuchte er ein immer gültiges Syſtem nach geometrifchen
Grundfägen aufzuftellen, das in der Wirklichkeit ganz auf die ba-
malige Art ver Verpflegung bes Heeres aus Magazinen und bie
tete Abhängigkeit deſſelben von biefen rüdwärts liegenden Punkten
berechnet war. Behrenhorft hatte dagegen zu zeigen verfucht, ein Sy⸗
Rem ver Kriegführung fei für alle Zeiten unmöglich, diefe Wiffenfchaft
habe nichts Pofitives, und das Streben danach führe zur Meberfchäßung
ver miechanifchen, zur Unterfchägung der moralifchen und intellectuel-
len Elemente des Krieges. So wenig praftifchen Werth Bülow's Sys
kem auch Hat, fo ift doch feine Terminologie ber Literatur geblies
ben; vie Ausprüde Taltik und Strategie, deren Definitionen dag
Hißsrifge Zeitfgrift V. Baud.
66 F. ©. Meerheimb,
Stedenpferb aller Theoretiker geworden find, Hatten vor ibm noch
feine conventionelle Bedeutung. Friedrich IL 3. B. fpricht, etymolo⸗
gifch ganz richtig, von einer tactique oblique und meint damit feine
fchräge Schlachtoronung. Die Worte und wohl auch bie Begriffe
der Bafirung einer Unternehmung, ihres Objects, ihrer Subjecte find
burch ihn eingeführt. Wie Valentini, Rühle von Lilienftern, Clau⸗
fewig und Ponig auf Behrenhorſt und Scharnhorft fußen, fo fin
bie Syſteme des Erzherzog Karl, Jomini's, Willifen’8 und das neuer⸗
dings befannt geworbene des General Pfull auf Bülow’s Werk zu
rüdzuführen: fie unterfcheiden fich von ihm wohl in den Refultaten,
aber nicht in der Art der Anfchauung.
1798 erjchien der „Geiſt des neuen Kriegsſyſtem's⸗ hergeleitet
aus dem Grundſatz einer Bafis der Operationen. Bei der Termine
logie wird fih fein Syſtem am leichteften erläutern laflen. Der
Gegenftand, auf den eine operirende Armee losmarſchirt, iſt das Ob⸗
ject, die rückwärts gelegenen Punkte ihrer Subfiftenz, Feſtungen mit
Magazinen, Stügpunfte find ihre Subjecte, die Marſch⸗ und Berpfles
gungswege find die Operationslinien, die die Subjecte verbindenbe
Linie ift die Baſis. Diefe Bafis und die äußerften Operationslinien,
bie fi) am Object ſchneiden, bilden einen Zriangel, deſſen ver Bafis
gegenüber liegender Winkel 90° fein muß, wenn die Unternehmung ges
hörig bafirt fein fol. Auf dieſem Grunpfag beruht fein ganzes Sy
ftem, eigentlich ift dieſer Grundſatz fein Syſtem. Glaufewig fertigt
ihn in feinem „Lehrbuch von Kriege“ mit den wenigen Worten ab:
„Ein witiger Kopf verfuchte eine Menge von Umftänden: vie Ernäß
rung bes Heeres, die Ergänzung befjelben und feiner Ausrüſtunge⸗
mittel, tie Sicherheit feiner Nachrichtenverbindung, endlich die Sicher»
heit feines Rückzuges in einen Begriff, den ber Bafis zuſammenzu⸗
faffen,, und zuerft dieſen Begriff allen jenen einzelnen Beziehungen,
dann aber wieder die Größe der Baſis ihr felbft und zulett den Win⸗
fel, ven die Streitfraft mit diefer Bafis macht, ver Größe verfelben
zu fubftitwiren, und bieß Alles blos um auf ein rein geometrifches
Nefultat zu kommen, welches ganz ohne Werth ift.« Im Sinme
feiner Zeit, fcheint er im Object ber Operation nur einen Ort, eine
Feſtung, ein Magazin, eine Hauptftabt, lurz ein Subject bes Feindes
zu feben, nicht aber den Feind felbit, während Friedrich IL wie Na⸗
Behrenhorft und Bülow. 67
poleon zum Ziel ihrer Unternehmungen faſt überall das feindliche
Heer wählten. Das Heer aber ijt beweglich, bald bier bald da; es
läßt ſich alfo unmöglich nach Winkeln und Graben ver Werth einer
Operation beftimmen. — Die tactifhen Regeln entiprechen dem
Grmupfag einer umfaffenden Bafis: der Feind foll in der Fronte
feftgehalten und dann umgangen werden — daher faherin der Schlacht
kei Erefeld die volllominenjte tes jiebenjührigen Krieges —; dem cons
centrifchen Angriff mit umfajjenver Bafis entfprechend (vie Frontal⸗
Aszriffe zum Schein, ber Hauptangriff ftets in der Flanke) foll ver
Rüdzug excentriſch zeriplittert fein. Einer feiner Kritifer wirft ihm
wit Recht ver, da ber Angreifer das Heer im Ganzen gefchlagen,
Irandye er ja nur fein Heer in ebenfoviele Theile zu zerjplittern und
er wärbe ibn fo gut en detail fchlagen, wie vorher en masse. Bü⸗
sw fagt, er Habe die Kriegstunft aus der Förperlichen Organifation
hergeleitet: von zwei Kämpfern fuche einer dem andern bie Eeite ab»
moewinnen, weil unjer Körper mehr nach vorn als feitwärts zu
idlagen fähig ift; ebenfo fei e8 mit Heeren, von denen eins dein an«
vern die Flanke abzugewinnen fuchen müſſe. Wenn er nun auch ver
Erfinder dieſes Witzes ift, was hat er mehr gethan, als längft bes
lannte Dinge in nener Form ausgefprochen. Gerade jo ift es aber
nit feinem Grimdfa ver Bafirung. Schon dem Cyrus wiberrieth
man, in das Land ber Mafjageten zu gehen und fich fo weit von
Perfien zu entfernen, aus denſelben realen Gründen, die Guſtav Adolph
veranlaßten, erft Pommern zu erobern, ehe er nach Sachfen und
Bayern trang; turch die abjtracte Form eines Grundſatzes wird die
Sache weder Harer noch anſchaulicher, und höchitens hat ver wifjen«
fchaftliche Ausdruck gewonnen. Eben durch vie fcheinbar wilfenfchaft«
liche Form, namentlich durch mathematiſche Ausdrucksweiſen, gebt ſehr
oft die Klarheit und Deutlichleit der Vorſtellung verloren. Wenn
man Bülow's Geijt des Kriegsſyſtems burchblättert, fieht e8 aus wie
ein geometrifches Handbuch, und die ftricte mathematiſche Beweisfühs
zany nimmt leicht ven Geijt gefangen, — gegen jeten folcher Wort-
fehter ift man verloren, wenn man die Prämiſſen zugiebt, bier alſo
meieht, daß fich eine Reihe Feſtungen durch einen Strich, eine Armee
derch ein Heine Oblongum, wieder eine Feſtung durch einen Punft
ww der Marſch einer Armee durch einen Strich verfinnlichen laſſe,
. j " b*
68 5. ©. Meerheimb,
und daß alles, was hier von Strichen und Punkten baarfcharf ber
wiefen werde, auch auf bie leibhaftige Wirklichkeit, auf Heere muthi⸗
ger und Fräftiger, von kühnen Führern geleiteter, ober feiger, er⸗
ichöpfter, planlos hin und ber gezerrter Menfchen zu übertragen ſei.
Bülow und die nachfolgenden Syitematifer vergeffen, um Claufewig’
trefflichen Ausbrud zu gebrauchen, daß bie Bewegung ber Mafchine
des. Heeres auf dem Papier feine Friction erleivet. Ich bitte hier
vorgreifen und ein fchlagenves Veifpiel aus einem fpätern Werle Bü⸗
low's anführen zu dürfen, wo er auf faft komiſche Weife ein höchſt
complicirtes Verhältniß des wirklichen Lebens durch ein vielfaches
Nechenerempel zu erläutern fucht und ben Zahlenbeweis ohne Weis
teres auf die Wirklichkeit überträgt; er vergißt ganz, daß eine Zahl
wie eine geometrifche Figur nur begriffliche Wahrheit Hat, und baß
alles Rechnen nur ein Umformen des Auspruds if. Bülow will
gegen Buchholz’ Behauptung beweifen,-baß je größer ein Staat, je
mehr Bortheil, je mehr Kraft für das ihm angehörige Individunm.
Den 2 +2 =2x2—=4
Dagegen 200 4 200 = 200 = 200 — x
x — 39,600 repräjentirt den Vortheil größerer Staaten über
Heine: — das klingt wie Wahnfinn, aber Beifpiele ähnlicher Art,
nur weniger kraß, finden fich in viel gelefenen Büchern, ſelbſt Rühle
von Lilienſtern's Bericht eines Augenzeugen, enthält eine folche Bes
weisführung. So fehr nun auch Bülow's Shftem noch in den Feffeln
der Vorurtheile feiner Zeit ftedt, fo wenig man feine Grunpfäge als
allgemein gültig wird anerkennen wollen, fo Har erkannte er bodh
die Mängel des damaligen preußifchen Heeres. Behrenhorſt fchwebte
immer ver Zuftand der legten Regierungsjahre Friedrichs vor, zu
Bülows Zeit war fehon manches geändert, vie Disciplin war milver
geworden, das Exercitium wurde fchlaffer betrieben, das Selbftver«-
trauen war wanlend geworden, — die gewaltigen Erfolge franzdfifcher
Waffen lagen klar genug vor Augen, aber zu ben nothwendigen Re⸗
formen fam es nicht. In den Anmerkungen zur 2ten Ausgabe bes
Kriegsſyſtems fagt er unter anderm: „Ein preußifches Infanterieregi⸗
ment führt 200 Pferde mit ſich (jeder Subalternoffizier hatte ein
Reitpferd). Man hat es mir übel genommen, daß ich verlange, die
Faͤhnriche ſollten ohne Federbetten in ben Krieg ziehen. eben
betten — wie unkriegeriſch! wenn’® noch Bärenbäute wären.«
Behrenhorft und Bülow. 69
Bon dem Bajonett, ale deſſen Gegner ich ihn anführte, fagt er
mehe originell als wahr, aber bezeichnend für bie formlofe Schreib«-
were: „Die eulenfpiegelartige Eonftruction ber Kolben, das Fappernde,
Rumpfe, verbogene Bajonett, mehr geeignet, im Kriege eine Hammeld«
feule zu braten, als einen Feind zu turchitechen, die Erercice mit
diefer fonterbaren Waffe, von dem Soldaten Kuhfuß, von ten Offis
jieren hyberboliſch Gewehr genannt, die ganze Befchaffenheit der Ge⸗
wehre legt uns das vollfommenite Exemplar einer Schilpbürgererfin-
ang dor Augen. Bekanntlich waren 1806 die Gewehre vieler Re-
gimenter in faft unbrauchbarem Zuſtande. "Wenn bie Frage entjteht,
eb die Infanterie zweckmäßiger zu bewaffnen fei, fo erkläre ich mich
mm Bortheil ver Pile, die Folard die Königin der Waffen, Homer
ven Echreden der Menſchen und Hunde nennt.“ Ueber die Salvern«
und Lasch'ſchen Taktiker, die als Wertheitiger einer ausgebehnten
Mauer Heiner Poften meinen, man müfje feine Feftungen haben, weil
der Feind, wenn er fih in unferem Lande feſtſetzt, jchwer daraus zu
vertreiben fein würbe, bemerkt er treffend: "Das ift gerade fo, als
wenn man deßhalb feine Thüren in feinem Haufe haben wollte, weil
ein Dieb, der hineingebrochen wäre, nur befto fchwerer hinauszuwerfen
wire.a Schon 1798 fagte er prophetifch: „Kin von leichter tirailli-
render Jufanterie umgebenes Duarree gehört unter die bebauerlich-
fen Objectes, und verfinnlichte e8 durch eine Zeichnung des concen⸗
trifchen Feuers der Tirailfeure, des ercentrifchen ber Colonne. Die
Schlacht von Jena und namentlich die fächjifchen Bataillone im Ge-
fechte von Saalfeld beftätigten feine Behauptung. ‘Den Echellon-An«
griff, in dem tamals das preußifche Heer ein Recept zum Siege fah,
hielt er in thesi für fehlerhaft und meinte, durch ihn habe Friedrich II.
feine Schlacht gewonnen, felbft bei Leuthen Habe nicht ver fchräge
Angriff in gebrochener Linie, fontern ber Flankenangriff ben Sieg
entſchieden. Mit gleichem Rechte tadelt er die Form bes Quarrées
en cr&maillere die Form einer Levkoye fei eben fo zwedmäßig, das
Echrägfenern, das Pelotonfeuer und ähnliche Künfteleien, die er Sup»
yefitionen der Paratetaftif nennt. So zeigt er allerbings eine größere
Einficht in vie veränderte Natur der damaligen Kriege, als die Tüh-
rer des Heeres, und fein Selbftgefühl entbehrte nicht aller Begrüne
vun. Den Grundfag ber Baſirung befennt er felbft aus einer
10 . 9. Meerheimb,
Stelle ver Betrachtungen gezogen zu haben. Behrenhorſt fpricht ein-
mal von win gehöriger Breite bafirten Unternehmungen mit Räds
fiht da® Eroberte zu behaupten“ und an anderer Stelle, im $ten
Theil, von einem offenfiven Dreied, deffen Bafis von Antwerpen bis
Maftricht gebt, während die Schenkel in Landrech zufammenlaufen.
Der 3te Theil erfchien 1799, Bülow’s Buch 1798, er behält alle
ven Anfpruch auf bie Erfindung, nennt fich aber an mehreren Stellen
Behrenhorſt's Schüler und fpricht überall mit böchfter Achtung von
ihm. Die mehrften feiner andern Schriften Tann ich übergehen, da
fie nur frühere Ideen reprobuciren, immer mehr Srembartiges in ben
militärifchen Stoff hineinziehen, um das abftracte Geripp ſchon bes
fannter Begriffe mit einigem Fleiſch zu bekleiven und bie nöthige
Bogenzahl zu füllen; bie Art feiner Darftellung wurde immer flüch-
tiger, fein Ton rüdjichtslofer und pofjenhafter. Die „neue Taktilk
der Steuern, wie fie fein follte«, die wiever manches Neue und Wahre
enthält, beginnt ironifh: „Die Taktik auf den Exercierplätzen ift
etwas in fich felbft Vollendetes nach dem äfthetifchen Grundſatz vom
Göthe und Schiller. Sie hat ihren Zwed in fich ſelbſt. Auf dem
Erercierplage zu glänzen, das ift ihr Zwed. Ich hingegen befchäfe
tige mich mit einem ibealifchen Heere, welches in Friedenszeiten
etwa zum Kriege vorbereitet würde." Die folgenden Abjchnitte über
Errichtung, Erhaltung, Ausrüftung und Webung te& Heeres find
ganz im Sinne der am weiteften gehenden Vorſchläge zur Reorgani⸗
fation unferes Heeres nach dem Frieden zu Tilfit. Er fügte ſchon
1805, worauf fi unfere SHeeresorganifation zum Theil gründet:
"Disciplin, Taktik, Muth find nur mitwirtende Potenzen, die Waffen,
die Quantität ver Streiter entfcheidetu. Und an anderer Stelle: "Die
Schlachten ver Zukunft werben durch Ziraillirfeuer entfchieden wer⸗
den«, was turch die Echlachten bei Groß- Görfchen und Lignh und
neuerdings durch das Gefecht von Schleswig eine, wenn auch bedingte
DBeftätigung findet. Sein neuer tactifcher Grundſatz, den er eben fo
wichtig, als den der 90 Grad im ftrategifchen Gebiete findet, daß
nemlich »das Dbject des tactifhen Angriffs nicht der Schlüffel ver
tactiſchen Bofition, ſondern ter Echlüffel ver ftrategifchen Bafis“
fein fell, feheint mit Napoleons Angriffen auf ter innern Linie über»
einzuftimmen. Diefe Taktil wollte er Antiſaldern und Antilasch«
Behrenhorſt und Bülow. 71
nennen, was bie Cenſur nicht billigte, ba die Wittwe bes General
Eoldern noch lebe und dadurch gekränkt werben könne. Da ber
Berleger die Gegenfchriften gegen Bülow mit der Zaktif zufanmen-
zudrucken wünfchte, fo nannte er diefe „Antibülow”, da er nicht unter
bie Reputationen zu gehören glaubte, die fein „Anti- zuließen. Der
Ae Auffatz dieſes Antibülow ift vortrefflich, und faft möchte ich Va⸗
lentini für den Berfaffer halten; Bülow wird überall mit feinen eig.
nen Waffen gefchlagen, und mit geometrifch logifchen Beweifen fein
Syſtem als falſch erwiefen. Die gründlichfte Prüfung und Beur⸗
tfeilumg erfuhr er in Rühle's Auffag in ver Pallas: „Ueber Gel«
tung und Bebeutung des Begriffs Operationsbafis.«
Sein Syſtem machte bei feinem Erfcheinen das größte Auffehen,
ebwohl es bie erwünfchteften Früchte einer Anftellung nicht trug,
mehrere feiner Werke wurten in's Dänifche und Franzöfifche überfekt,
amd der bänifche General Binzer fchrieb 1803 eine Abhanplung über
fie. In Deutfchland griff ihn Gaugreben heftig an, auch Maſſen⸗
bach in der allgemeinen deutſchen Bibliothek und Scharnhorft in den
Göttinger Anzeigen recenfirten ihn ungünſtig. Am fchlagenditen ift
er durch Rühle, Jomini und Balentini widerlegt. 1807 erſchien in
Berlin eine Brodhüre: „H. v. Bülow nach feiner Hhpergenialität und
feinen Abentbenern gefchilvert«, vie ich nie zu Gefichte bekommen
babe; bie Artikel im Militär-Sonverfationslericon von v. d. Kühe und
im Brodhaus’fchen find nur Auszüge aus dem parteiifchen Charaktere
bilde der Maffenbach’fchen Gallerie. Eine neue von jenen nicht. bes
untzte Duelle bieten die Briefe Behrenhorſt's. Das meifte Auf
fehen machte Bülow's berüchtigtes Buch über den Feldzug von 1805,
deſſen Grfcheinen für ihn fo unglüdlihe Folgen batte. Bülow,
faft der Erinnerung der Gegenwart entſchwunden, ift fürzlich durch
einen vielgelefenen, aber oberflächlichen, klatſchſüchtigen Wielfchreiber,
Behfe, neben Maffenbach als einer ver Märtyrer Preußens dargeſtellt
worden. Behſe, der vermuthlich nie eine Zeile von Bülow gelefen,
meint, biefer wäre wegen feinen liberal »conftitutionellen Anfichten,
wegen feiner deutſchen kriegsmuthigen Gefinnung, wegen feines Fran⸗
zefenhafjes von der damals herrichenden Partei Haugwitz, Lombard,
Bob, die Vehſe Samarilla nennt, eingefperrt und geopfert worden.
Run finden wir in dem in Rebe ftchennen Buche Bülow als ven
12 J. v. Meerheimb,
Lobredner Haugwitzens. Er ſieht in dem Schönbrunner Vertrag, der
Hannover an Preußen brachte, Preußens Rettung, er empfiehlt wie
Maſſenbach und Buchholz die fraͤnzöſiſche Allianz, haßt Rußland
und England und hofft im Sinne der ſpätern Continentalſperre die
Vernichtung der engliſchen Seehegemonie, erwartet und hofft eine Uni⸗
verſalmonarchie Napoleons, mit einer Erhaltung: ver Dynaſtie durch
Adoption, wie unter Zrajan und den Antoninen, „Gott, bat, führt er
fort, die Franzoſen zur Herrfchaft beftimmt, weil fie durch Ehre und
Decenz die Eorruption mildern, während die Andern, wie bie Deut
ſchen, ebenfo Lafterhaft und noch mehr, weil das Judicium fie nicht
zügelt, ohne Decenz und Ehre ihre Grenelthaten verüben würden,
Die Weiblichkeit des franzöfifchen Charakters mildert das Herbe ihrer
Tyrannei und Verachtung Ich bin deßhalb überzeugt, daß Das
franzöfifche Reich von der Vorfehung zur Oberherrichaft beſtimmt ift“.
Und hätte tie Samarilla, was fie nicht getban, Bülow verbaften
laffen, fo wäre e8 nur zu vechtfertigen; es findet fich eine Stelle in
ber Vorrede des 2ten Theils, die fih wohl zu einer Unterfuchung
wegen Landesverraths qualificirte. Bekauntlich war 1805—1806 ber
Krieg zwifchen Preußen und Schweden erklärt, und da fchlägt Bü—
low dem König von Schweden vor, Stralfund ber Bewacung bes
Aufgebotes zu überlaffen, ſich mit ver Beſatzung einzufchiffen, und
eine Diverfion gegen Colberg und Danzig zu machen, Colberg fei
von der Seeſeite am ſchwächſten befeftigt, und eine Xeitererfteigung
würde zum Ziele führen. ‘Der König von Schweven hätte den Ger
neral Kalkreuth in feinen zeritreuten Quartieren überfallen, dann
Stettin, das ebenfall$ ganz vernachläſſigt fei, einnehmen follen, — au
ber Wafjerjeite fei e8 ohnehin ganz offen — um von dba nach Polen zu
marfchiren, und es zu infurgiren. Wenn wir auch ganz von ter Aus⸗
führbarfeit diefer Vorfchläge abjehen, fo geben fie doch hinreichenven
Grund, den preußifchen Untertfan und ehemaligen Offizier zu vers
baften, um fo mehr, wenn wir bie frühere Notiz eines Briefes über
die bei ihm gefundene gravirende Correſpondenz nad Stedholm in
Erwägung ziehen. Das Zitellupfer des Buchs zeigt einen Soldaten,
ver ſich beſchämt die Ohren zubält, während über ihm eine Fama
in den Lüften tie Gejchichte des Feldzuges von 1805 verkündet. Wenn
- Bülow einmal von feinen pelitiichen und philoſophiſchen Phantafien
Behrenhorſt uud Bülow. 13
m einer Erzählung der Begebenheiten kommt, ift fie anziehenb genug.
De Eapitulation von Ulm, bie Schlacht bei Aufterlig, beide find
höchſt anfchaulich und lebendig befchriceben. Bon Mad fagt er: „Wenn
Raroleon ihn umgangen hatte, jo hatte er Napoleon ebenſo gut ums
gangen; er brauchte ihn nur zu fchlagen, fo war im Fall des Ders
Infte® Napoleon in fo fchlimmer Lage ald Mad. Das ijt gewiß
richtig, läßt ſich aber auf Bülow's Syitem der Umgebungen und
Flankenangriffe eben fo gut anwenden. Sonft ift fein Räſonnement
wie das Lichbs und Majienbachs: er hält Nördlingen für ven Schlüſ⸗
jel Bayern® — rarauf mochte ibn das Studium des 30jährigen Krieges
geführt haben — und meint: hätte Mad fich bei Nördlingen ftatt bei
Ulm aufgeitellt, fo wäre alles geivonnen gewefen. Gerade wie Llohd's
Nifennement, daß Paſſau der Schlüffel von Oeſterreich fei. Die
muftifche Idee von Schlüffelpuntten und Schlüffelftellungen, vie am
Ende des vorigen Jahrhunderts allgemein angenommen war und
felbit auf die Kriegführung nicht ohne Einfluß blieb, vie wie Clauſe⸗
wie jagt, ihr zähes Judenleben in ven Büchern an einem bünnen
Baden bi® heute fortzufpinnen gewußt hat«, beherrſchte Bülow ganz.
So Mnüpft er den Gewinn der Schlacht bei Aufterlig einzig an ven
Bein ber Höhen vor Pragen, wie Majfenbach ten ter Schlachten
ven Jena und Auerftäbt an die Aufftellung auf dem großen Etters⸗
berge; bamals, meint er, hätte Preußen den Krieg an Defterreich er⸗
Hären, in Böhmen einrüden follen, ver König hätte fich in Prag bie
Krone aufgefekt: das Alles würde Feine Schwierigkeiten gehabt has
ben, denn in Böhmen fei eine ftarfe protejtantijche Partei, namentlich
Huſſiten, tie dem protejtantifchen König ſchnell zufallen würden, —
in feinem gedankenloſen Hinfchreiben vergißt er ganz was 200 Yuhre
feit ter Schlacht amı weißen Berge geändert haben.
Und dennoch nennt er ſich "burd feine Schriften zum Range
erfter Feldherrn erhoben“ und fagt an anderer Stelle: „Ich habe nun
einmal nichts gelernt, als Staaten zu regieren und Armeen zu com⸗
mantiren, meine vorhergehenden Schriften haben es bewiefen, und
meine fünftigen werben e8 noch nehr beweifen, daß ich mein Metier
verftche» und mehrmals ruft er entrüftet aus: „Mich zu leſen und
wichts zu lernen! Nicht ummwigig erwähnt er ten Galembeurg ber
Sorfehung, daß Mad auf hebräifch Nieberlage bedeute, als hätte ber
14 5. v. Meerheimb, Behrenhork und Bülow.
Stammpater Mad die Beftimmung feines Enfel® vorbergefehen, 1794
und 1805 Nieverfagen zu veranftalten. Bei jpäter erwähnten, un
entfchloffenen, ſchwachen Handlungen Anderer fagt er: „I ya du
Mack la dedans.“ Als ver Herzog von Würtemberg Napoleon um
die Königswürde bat, antwortete ihm dieſer nach Bülow's Erzählung:
„Mais apr6s avoir fait pleurer vos sujets tant d’anndes, vous
voulez faire rire tout le monde?“ Sehr viele Wite und Bes
mertungen lafjen ſich ihrer Obfrönität wegen gar nicht mittheilen,
aber begreiflich wird es, wie ein Buch fo voller Wit, Bitterkeit und
Schärfe, wenn auch voller Irrthum, Unwiſſenheit und Selbftüber-
fhägung viel gefefen wurde. Wahrheit und Unfinn, Ernft und Spott,
humane, moralifche Abfichten und freche Zoten, das Alles wechfelt
mit einander ab, und bei ben treffenbften Bemerkungen ift man ins
bignirt über den Ton, in dem fie gefprochen werben, bei ber robeften
Berhöhnung des Baterlandes, jeder Sitte und Zucht, kann man ein
Lächeln nicht unterbrüden,, jo daß fich die Zwiefpaltigleit des Buches
felbft der Empfindung des Leſers unwillkührlich mittheilt.
So können wir fein tragifches Geſchick, nicht aber das beffagen,
daß die Eataftrophe feines Lebens zugleich feiner Schriftftellerei ein
Ende machte; auf der geneigten Fläche eines regellofen Wandels und
polemifcher Schriftftellerei mußte er immer abwärts gleiten, und jebes
Jahr, das das Schidjal ihm noch gegönnt, jedes folgenbe feiner
Werte hätte ihn tiefer gefunfen, dem Vaterlande, ber angeſtammten
Treue und jeber heiligen Sitte entfremveter gezeigt. —
V.
Zur Geſchichtſchreibung des alten Merico.
Bon
Theodor Waith.
RB. A. Wilson, A new history of the conquest of Mexico. Philad.,
1859. 1 vol 8.
Brasseur de Bourbourg, Histoire des nations civilisces du
Bexique. Paris, 1857—59. 4 vol. 8.
Die Geichichte der Völker von Mexico und Central» Amerika,
teren relativ hohe Eultur die Entveder und Eroberer tiefer Länder
bewunberten, ift in Folge der gründlichen Zerftörung des einheimifchen
Heidenthums Durch tie Spanier in eine Dunkelheit zurüdgetreten, bie
zu lichten bis jet nur noch wenig gelungen ift. Zwar fehlt es nicht
an einer Menge von Denkmälern und biftorifchen Nachrichten, welche
uns von jener Kultur Kunde geben, aber theils erfchwert die Eigen
tbümlichkeit der letzteren, die oft in hohem Grade von Allem abweicht,
was jich bei andern Völkern findet, und durchaus einzig in ihrer Art
dafteht, die richtige Beurtheilung des Einzelnen und deſſen fichere Zus
fanmenfaffung zu einem befrievigenden Geſammtbilde, theil hat die
Kritik bis jet noch nicht dermocht, in Rückſicht diefes uns fo fremd
76 Theobor Waitz,
anfprechenven und fo fern liegenden Gegenſtandes zu einigermaßen
feften Refultaten über den Werth und die Zuverläffigkeit ter Quellen
felbft zu gelangen, die uns zu Gebote ftehen. Die monumentalen
Ueberrefte, nur erft unvollflommen durchforſcht, find größtentheilsg nur
in Abbildungen bekannt, deren Genauigkeit vieles zu wünfchen übrig
läßt, ja deren Treue im Einzelnen, fo weit fie eben gebt, manche
Zweifel erregt bat. Die von Lord Kingsborougb gefammelten Bil-
berfchriften ftellen nur zu einen Heinen Theile Hiftorifche Gegenftänbe
bar, das Meifte bezieht fich auf ven Feſtkalender, die Wahrfagefunft
und die Mythologie und verfpricht, ſelbſt wenn es verftinplicher wäre,
als es ift, kaum einen tieferen Auffchluß. ‘Die fchriftlichen Denkmäler,
welche noch übrig find, ftammen theils von Eingebornen, theils ven
Spaniern, fie liegen uns in fpanifcher Sprache vor und fchöpften
ihren Inhalt aus der Tradition und aus Bilderſchriften, vie fpäter
verleren gingen. Welcher Grab von Glaubwürdigkeit diefen zu Grande
gegangenen einheimifchen Annalen felbjt zukam, Täßt fich ſchwerlich
noch ermitteln, ebenjo wenig ob und wie weit fie von denen, bie fie
benutzten, richtig verftanden und treu wiebergegeben wurben, nicht
minder, ob das in ben einheimifchen Sprachen Gefchriebene mit der
erforverlichen Sorgfalt und Genauigkeit in's Spanifche übertragen
werben ift.
Erklärt fih aus dieſen Umftänden die große Verſchiedenheit des
Urteils über bie mericanifche Gefchichte und ihrer Darftellung, fo
ftaunt man doch über ven Gegenfaß ver Anfichten, ver fich in ven
obengenannten Werken zeigt. Wilfen, deſſen neneres Buch durch eine
frühere Schrift (Mexico and its religion, New-York 1855) vor«
bereitet ift, erflärt die Aztelen für ‚eine Horde amerilanifcher Wil⸗
ben”, teren Tempel nur klein und unbedeutend, deren Bauten und
Götterbilver nur aus Lehm gemacht waren, während alferbings bie
viel älteren Tolteken in Gentral» Amerika ein wahrbaftes Culturvolt
gewefen feien. Die Bilverfchriften find ihm eine Erfindung fpanifcher
Mönche, und tie einheimifchen wie fpanifchen Schriftfteller gelten ihm
für durch und durch unglaubwürtig. Er geht darin fo weit, daß er
die Memoiren des Bernal Diaz ale nntergefchoben bezeichnet und
Torquemaba, ven er allerdings eine fchägenswerthe Quelle nennt, an⸗
verwärts gelegentlich als einen Lügner hinſtellt.
EEE... —
Zur Geſchichtſchreibung des alten Mexico. 77
Daß er hierin viel zu weit geht, bedarf keines ausführlichen
Beweiſes. Die Aechtheit der Briefe des Cortez an Earl V. iſt bis
iegt unbezweifelt, felbit von Wilfon: vie mannigfachen Gold» und
Echmudjachen, bie jener, als an ten Kaiſer von ihm abgefendet, tarin
erwihnt, und was er in Verbindung damit von dem hohen Stante
vieler Künfte und Handwerke in Mexico berichtet, Tann nicht. erlogen
jein. Die vorhandenen Altertbümer genügen zu ven Beweiſe, daß bie
Mexicaner ſich auf Steinbauten wohl verftanden, und baß etwa fpa=
nifcbe Mönche die fteinernen Götzenbilder verfertigt hätten, die man
gefanden bat, wird man boch wohl fchwerlich behaupten wollen. Eine
Bilderfchrift von fo hoͤchſt eigenthümlichen Typus zu erfinven, wie
tie mericanifche, dürfte leicht für einen Europäer eine unlösbare Aufe
gabe fein. Sollen wir glauben, daß fich ihre Erfinder biefe Mühe
gegeben haben, nur um einen ganz nuglofen Betrug zu fpielen, daß
fie geſchikt genug waren, zugleich auch alles das zu erbichten, was
bisher für bie mericanifche Mythologie und für den mericanifchen
Kalender gegolten bat, die in jenen Bildern deutlich genug dargeſtellt
find, gefchidt genug, um all ihren Zeitgenoffen und felbft ven Eon»
guiftaberen vie Eriftenz einer einheimifchen Bilderfchrift einzureden
over in beren Berichte tie Erzählung von einer folchen allerwärts
einzufchwärzen? Dieß Alles läßt fich nebft der behaupteten großen
Unglaubwürbigfeit ter alten Schrijtfteller über Merico ganz direct
wirerlegen, wenn man anders als unmöglich zugibt, daß eine große
Anzahl von Dienjchen, welche ſich Jahre lang in einem neu entveckten
Kante aufhalten, ausſchließlich Tügenhafte Berichte mit nach Haufe
bringen, vie aber gleichwohl in allen Hauptfachen faft volltonmen
miteinander übereinftimmen.
Fe. Martyr fammelte in Italien ven Inhalt zu feinen aller
ringe zum Theil ziemlich flüchtig gefchriebenen Briefen über die neue
Belt. Er entuahm ihn aus fchriftlichen und mündlichen Mittheilun«
gen einer Menge von Minnern, die an Ort und Stelle gewefen was
ven, bie felbft geſehen und gehört und einen großen Theil deſſen was
fie gefchrieben, ſelbſt miterlebt hatten. ‘Die Abfafjung jener Briefe
fälit theil® noch ins 15. theil® in den Anfang des 16. Jahrhunderts.
Gomara fchöpfte in gleicher Weiſe Kauptfächlich aus perfönlichen Be⸗
richten vieler Conquiſtadoren; eine feiner Hauptquellen find die Briefe
18 Theodor Waitz,
des Cortez, deſſen Verherrlichung bei ihm nicht ſelten als eine ab⸗
ſichtliche erſcheint. Er brachte ſein Material in Spanien zuſammen
und fein Werk. wurde zum erftenmale im I. 1652 herausgegeben.
Der Mönd Sahagun fam 1529 nad) Mexico, winmete fi) 61 Jahre
fang dem Stubinm ver mericanifchen Sprache und Gefchichte und
ftarb dort in einem Alter wen mehr ald 90 Jahren in einem Kiofter
(Torquemaba XX, 46). Seine Wahrheitsliebe und feine Gelehr⸗
famfeit fine bis jetzt unbezweifelt geblieben, wenn man auch bie hiſto⸗
riſche Kritik nicht als feine ftarle Seite bezeichnen mag.
Die vorurtheilsfreie Erwägung dieſer Thatſachen führt zus dem
Schluſſe, daß die älteften Schriftjteller über Merico durchaus nicht
fo unglaubwürdig find, als Wilfon fie machen möchte, felbft wenn
wir ganz abfehen wollten von ven Beltätigungen, bie fie durch eine
ganze Reihe von kleineren Originalberichten in allen Hauptſachen us
halten — wir erwähnen von tiefen nur beifpieleweife die des anonh⸗
men Begleiters des Cortez und bes Nuäo de Gunzman (beive bet
Ramufio), bie Ritos antiguos (1541) bei Kingeborougb vol. IX,
die Befchreibung bes großen Tempels von Merico durch Fr. Her-
nandez*) ebendef. vol. VII und bei Nieremberg Hist. nat. VIII,
Zurita bei Ternaux⸗Compans, die Briefe des Alvarabo an Cortez.
Wilſon fcheint freilich diefe Quellen nur zum Theil gelannt oder zu
wenig forgfältig benugt zu haben; er würde fonft fehwerlich in feinen
Zweifeln an der Wechtheit der Denkwürdigkeiten des B. Diaz befan«
gen geblieben fein, eines Buches, das in fehr hohem Alter geſchrie⸗
ben, manche Irrthümer in Folge von Gedächtnißfehlern enthalten und
von einigen Webertreibungen ber Großjprecherei nicht frei fein mag,
in ber großen Menge tes Details aber völlig zufammenftinmt wit
dem, was wir aus andern Quellen über bie Eroberumgsgefchichte
willen und überall in der Darftellung bis auf die nicht feltene Con⸗
fufion des Stile herab den alten Solvaten zeigt, ven die Erinnerung
feiner Thaten und Crlebniffe in lebhafteften Eifer bringt.
Sinen zu hohen Werth bat man bisher wohl auf Xcofta gefekt,
e) Er wurde von Philipp TI. nah Merico gefhidt, um bie Naturgeſchichte
des Landes zu fubieren; fein äußert reichhaltiges Wert wurde bis au
immer uur auszugäweife gebrudt.
IIII ⸗
Zur Geſchichtſchreibung bes alten Mexico. 79
deſſen Berichte aus ziemlich oberflächlich aufgerafften Notizen entſtan⸗
ven ſcheinen. Leber Merico gibt er fajt nur einen Auszug aus Du-
ran, Hist. antig. de la N. Espaüa (Ms. Bibl. Madrid), der feiner-
feits mit Borficht benutzt fein will, da er vieled Sagenhafte aus bem
Bolfe (des contes populaires) völlig kritiſlos in feine Gefchichtserr
üblung aufnahm (Brasseur 1II, 568 note). Aelter zwar als Tor⸗
guemaba , trreicht er biefen toch bei weiten nicht an Sorgfalt und
Heiß. Das Werl des letzteren zu Anfang des 17. Jahrh. geſchrie⸗
ben nad auf fechzehnjährige Stutien bafirt, enthält allerdings manche
Widerſprũche und unmögliche Angaben, begnügt fich meiſt mit bloßer
Rebeneinanverftellung deſſen, was fich in älteren Quellen vorfand, vie
mehrfach beſtimmt angeführt werden, doch iſt es keineswegs fo
ganz unfritifch, wie man oft behauptet hat, und ſcheint völlig freie
geiprechen werben zu bürfen von jeder abfichtlichen Unwahrheit. Wenn
Gallatin (Transactt. of the Am. Ethnol. Soc. I), einer der tüch⸗
tigften und gelebrteften Kritifer ver neueren Zeit auf biefem Felde,
samentlich an den trefflichen feierlichen Reden Anftoß genommen bat,
bie von Sahagun und Torquemada mitgetbeilt werden, weil fie wegen -
ber Reinheit ihrer Moral nnd Neligiofität unmöglich für ächt meri-
caniichen Urfprungs gehalten werben könnten, fo bat er wohl über»
fchen, daß Torqnemada felbft fich durch fie an die Bibel und insbe
fondere an Paulus erinnert findet, daß er Hinzufügt, wie auch bie
Chriften über dieſe Dinge nichts Beſſeres zu jagen wüßten, und wie
fewehl die Dominicaner als auch die Franciscaner und Auguftiner
veshalb Tiefen Gegenſtand mehrfach unterfucht, alle aber gleiche Ber
richte über venfelben gegeben hätten (Zorg. IX 32, XIII 28). Die
ſes Zeugniß wiegt fchwer bei ver befannten Eiferſucht und Feindſchaf⸗
ten ber beiden erften ter genannten Orden untereinander, und es er⸗
fcheint als vollkommen zuverläffig, wenn mau beveuft, daß gerabe vie
Mönche, welche jene Reden mittbeilen, fich keine Gelegenheit entgehen
laffen, um zu zeigen, wie biefe elenden Heiden, vie fie belehren wol⸗
len und bie fie nie beffer ſondern nur oft fchlechter darſtellen, als fie
wirtlich waren, in Allem, was fie venfen, thun und treiben, nur durch
vie Künfte des Teufels verblenvet und ber ewigen Verdammniß ent»
gegengeführt worven ſeien. Kounte es diefen Mönchen wohl in ben
Siun kommen, folche Reben zu erbichten und ben Heiden in ven Mund
80 Theodor Waitz,
zu Tegen als deren eigene Lebensanficht? Und wenn fie felbit e6
nicht thaten, wer hätte dieſen Betrug begangen und bie Miffionäre
getäufcht? Gab es aber in Mexico moralifche und religiöfe Ans
fihten von verhältnißmäßig großer Lauterfeit, wenn vielleicht auch
mehr in der Theorie als in der Praxis und überhaupt nur bei we
nigen bochgebilveten Männern, fo wird dadurch in Rüdficht der Cul⸗
turftufe, auf welcher jene Völker ftanten, gar manches glaubhaft, was
es vorher nicht war.
Welchen Grad von Zuverläffigfeit man ven einheimifchen Schrift
ftellern Tezozomoc und Srtilxodhitl (beide fehrieben um das J. 1600)
zuerfennen bürfe, tft fchwer zu fagen, ba es faft an allen Anhalte
punkten für ihre Beurtheilung fehlt. Dei dem letteren, einem Nach⸗
fommen bes Königshaufes von Tezcuco, tritt das Beſtreben feine
Ahnen zu verberrlichen, oft fo ftark und beutlich hervor, daß wir ſei⸗
ner Wahrhaftigkeit kein Vertrauen fchenfen können.
Das Vorftehende fcheintzur Würdigung des Buches von Wilſon hin
reichend, und wir haben nur noch hinzuzufügen, daß er in feiner Schilperung
des focialen Zuftandes ver Azteken, die er in biefer Hinficht ven Iroke⸗
fen glaubt gleichftellen zu dürfen, eine Wenge von Einzelnheiten aus
Morgan's Werk über die legten ohne Weiteres aufnimmt, daß er bie
Reſte toltelifcher Cultur in Gentralamerifa kurzer Hand für phönis
zifch erflärt, daß er linguiftifche Gründe in etbnographifchen Dingen
für ganz unerheblih Hält. Er glaubt die Unmöglichkeit einer bichten
Bevölkerung im Thale von Anahuac erwiefen zu haben, während bie
großartigen Vauwerke die in Yucatan noch heute zu fehen find, une
widerlegbar dafür zeugen, daß felbit die Schwierigkeiten, welche äuſ⸗
ferft waſſerarme Länder ber Civilifation in den Weg legen, von je
nen Völkern glüdlich überwunden worten find.
Wer ſich vor entgegengefegten Fehlern in ber Gefchichte des alten
Mexico hüten will, wird wohl daran thun, die Werke von Wilfon
und von DBrafjeur näher miteinander zu vergleichen. Jener erklärt
felbft in ver Geſchichte der Eroberung die Berichte der Conquiſtado⸗
zen und Miſſionäre in ben wejentlichiten Dingen für Fabel und läßt
daher auch die Reihe der mericanijchen Könige von Acamapichtli bie
auf Moteuczoma II., welche von ven meiften älteren Onellen faft
ohne alle Abweichung mitgetheilt wird, nicht für hiſtoriſch gelten, ob»
Zur Geſchichtſchreibung bes alten Mexico. 81
gleich die vielen aber nicht eben fehr erheblichen Differenzen ihrer Re—
gierungszeiten, welche fich angegeben finden*), bafür zu zeugen fchei«
nen, daß jene Regentenliſte nicht erfunden ift und jebenfalls nicht
von einem Schriftiteller aus dem andern abgefchrieben wurbe. Un-
ſicherer mögen zum Theil die Ereignijje fein, welche in bie Zeit der
einzelnen Könige von den Berichterjtattern gefeßt werben, aber mit
Recht fcheint man mit Gallatin annehmen zu dürfen, daß die Grün-
tung der Stabt Merico, welche nach den zuverläffigften Quellen in’s
Jahr 1325 fällt, das Ältefte Datum von wahrhaft hiftorifchem Cha-
talter in der mericanifchen Geſchichte if. Sehr verſchieden Hievon
urtbeift freilich Braffeur. Er glaubt vie Gefchichte diefer Völker mit
völliger Sicherheit bis zum 8. Jahrhundert zurücverfolgen zu kön⸗
nen und gibt von biefer Zeit an bejtimmte Jahreszahlen.
Faſſen wir zunächft die Mittel in's Auge, durch welche er zu
tiefem überrafchenden Reſultate gelangt ift, fo müffen wir geftehen,
daß dieſe allerdings viel erwarten lafjen. Er hatte nach den aus
jährlichen Angaben der Vorrede nicht bloß über eine Menge von fel-
tenen gedruckten Werken zu verfügen, fonvern es ftanden ihm auch
ältere und neuere Manufcripte in fpanifcher und in mehreren einhei«
mifchen Sprachen von Mittelamerila in reichem Maße zur Benugung
zu Gebote, und zu diefen Schäßen Fam noch eine Anzahl von Bilver-
ſchriften, die ebenfalls noch nicht publicirt find und fi) in Herrn
Anbin's Beſitze in Paris befinten. Als Hauptquellen für bie ältere
Zeit bezeichnet er hauptſächlich ven Cod. Chimalpopoca , eine Ge-
ſchichte ver Reiche von Culhuacan und Merico in aztelifcher Sprache,
angeblich verfaßt von einem anonymen Zeitgenofjen Diontezuma’s IL;
ferner das Manuſer. Quiché von Chichicaftenango von Pater Xime⸗
nez entdeckt und von Braſſeur, wie er fagt, felbft überfegt; dann das
Mi. Eakchiquel orer Dem. de Zecpan-Atitlan von einem Sohne des
vorfegten einheimifchen Könige von Duaubtemalan (Guatemala)
geichrieben.” Das an zweiter Stelle erwähnte Werk ift daſſelbe, wel-
des zum Theil von Scherzer in ver fpanifchen Ueberfegung bes Xi⸗
9 6. die Zufammenftelung derſelben in L’art de verifier les dates 3me
partie IX p. 135 und vollflänbiger bei Gallatin in Transaott. of the
Am. Ethnol Soc. I p. 162.
Piſtociſche Zeitfarift VI. Bam. 6
82 Theobor Waitz,
menez (Hist. del origen de los Indios de Guatemala trad. de la
lengua Quiche. Vienna 1857) herausgegeben worben ift. Braſſeur
erklärt dieſe Ueberfegung für fehr ungenau und ift auf ben beutfchen
Herausgeber ſchlecht zu fprechen, da er fich ſelbſt die Priorität dieſes
Fundes vindicirt. Müffen wir biefes Letztere dahin geftellt fein laf«
fen, fo ift dieß nicht weniger mit ver Trage der Fall, ob Braſſeur
felbft ver genannten drei‘ Sprachen hinreichend mächtig ift, um jene
brei Manufer. wiffenfchaftlich verwertben zu Können. Mit franzöfl
cher Rapidität reifte er im Oktober 1848 von Neu-Orleans nach Mes
zico, verweilte dort 2 Jahre, machte dann große Reifen, boch „a
petites journdes“, im Norben dieſes Landes bis nach Galifernien
hin, befand fich zu Ende des Jahres 1850 ſchon wieder in Mexico,
lernte nun bort die aztefifche Sprache und war gleichwohl 1851 fchen
wieder in Paris! Später hielt er jich noch zwei Jahre hauptfächlich
in Guatemala und anderen Theilen Centralamerika's auf.
Wir hegen nicht den Verdacht gegen Braffeur, daß er den Befig
literarijcher Schäge blos vorfpiegele, obwohl e8 leicht Mißtranen ger
gen ihn erregen kann, daß er unter ihnen ein antiles Drama nemmt,
welches ein einheimifcher Königsfohn von Rabinal i. J. 1856 ihm
bictirte und vor ihm aufführen ließ, fo daß er auch die zugehörige
Mufif in Noten gewinnen fonnte, wogegen bei Ximenez ed. Scherzer
p: 179 not. ausprüdlich bemerkt wird, daß eine hohle Schilpfräte
und ein hohles Stüd Holz, auf denen getrommelt wurde, die einzigen
Muſikinſtrumente feien, die es dort gegeben habe. So lange Braffeur
bie neu entdedten und von ihm benußten Handſchriften nicht felbft
berausgibt, wird fich nie mit Sicherheit beurtheilen lafien, was fie
werth find, noch auch in wie weit feine jedenfalls fehr freie Bear
beitung verfelben Zutrauen verdient. Judeß läßt fich fchon jeßt er⸗
weiſen, daß das lettere troß des großen Fleißes den man anerfennen
muß, nur ein fehr fchwaches fein darf. Wir geben zuvörberft einige
Beifpiele, tie dieß zur Gewißheit erheben.
Daß in dem Mf. Quiché, ebenfo nach Braſſeur wie in ver
Ausgabe von Scherzer, von weißen und fchwarzen Menfchen die Rebe
ift — ein fohlagender Beweis für fein relativ geringes Alter — fin»
det jener nur ſehr merkwürdig (I 106 not.), es hindert ihn aber
durchaus nicht in dem Buche die wahre Urgefchichte der mittelameri⸗
Zur Geſchichtſchreibung bes alten Merico. 88
laniſchen Böller zu ſuchen. Die eingebornen Riefengefchlechter, von
denen fo häufig die Rebe ift, gelten ihm für hiftorifche Völker von
ſehr großer Statur, und die bis zur Unmöglichkeit lange Lebensdauer
und Regierungszeit vieler Könige fucht er durch den Hinweis auf bie
ricken Weifpiele ausgezeichnet hoben Alters eingeborner Amerikaner
amehmbarer zn machen, (I 66, 153, IL 279), ganz als ob er bei den ra⸗
tiswaliftifchen Erklaͤrern der biblifchen Wunder in die Schule gegan-
gem wäre. Es erregt feine Verwunberung, daß ver mericanifche Gott
Texcatlipoca eine Brille trug und daß e8 alfo ſchon Brillen
vor Ankunft der Spanier in Mexico gab (III 507 note.), ohne
za bevenfen, daß viele Brille des Gottes eben nur in zwei glänzen-
ven Heinen Spiegeln beitand, welche die Allwiffenheit deſſelben, bie
Spiegelung des Univerfums in feinem Geifte darftellen.
Ya ver willlürlichen Behandlung der Quellen, in Rüdjicht der
Deutung, die er mit ihren Worten vornimmt, ift Braſſeur nicht
minder flart als in der Ausfchmüdung und betaillirten Ausmalung
igrer Angaben, von deren Bedenflichkeit er eben fo wenig eine Ah⸗
nung hat, als von ber Unftattbaftigkeit auf eine weit frühere Zeit
eine Schilderung zu übertragen, die für eine fpätere gilt.
Bon ben Hnaftecas erzählt er als charakteriftifch im 11ten Jahr⸗
handert, was ber fogenannte anonyme Eroberer im 16ten über fie
ſchreibt, fchildert die Märkte ver alten Toltekenſtadt Totllan mit ih⸗
ren Waaren, obne auch nur ein Gitat ver Duelle nöthig zu finden,
und entwirft aus der Zeit des Toltekenheros Quetzalcohuatl Bilder,
als Hätte er felbft dieſe Zeit mit durchlebt (I 401, 271, 266): De
quelque cöt6 que la suite de Quetzalcohuatl laissät tomber ses
regards sur la valle& d’Anahuac, elle leur offrait des scönes
€galement ravissantes.. Autour des grands lacs, profond&ment
encaisses au centre des masses porphyritiques qui la separent
des plateaux voisins, on ne voyait partout que des for&ts mag-
nifiques, que riches prairies, que champs fertiles s'inclinant
vers le rivage. Du fond des eaux, les villes toltöques, à demi
cach@es dans la verdure s’@lancaient, avec leurs blancs t&ocallis.
Au milieu de toutes se distinguait, comme une reine entre ses
compagnes, la noble cit6 de Culhuacan . . . So werben im
Zen Bande die Verwaltung, das Gerichtäweien und die inneren
6*
84 Theobor Waitz,
Berhältniffe von Yucatan in alter Zeit überhaupt: viel weiter in’e
Detail ausgemalt als die Quellen erlauben, und baffelbe fcheint zu
Anfang des Aten in ver Befchreibung der Stabt Merico ftattgefunben
zu haben, welche mehrfach aus dem ergänzt ift, was ber Verfaſſer
heutzutage dort beobachtete. Müſſen wir demnach erwarten, daß er feine
literarifchen Schäe durchgängig auf die Weife benutzt bat, baß er fie
viel beftimmter fprechen und weit mehrere Einzelnheiten erzählen läßt als fie
wirklich enthalten, fo ift fein Buch mindeſtens zur Hälfte ein Roman.
Mit einzelnen Angaben verfährt er meift fehr willkührlich. Ohne
einen Grund anzuführen, erklärt er öfters, wohl wegen ver Lautähn-
lichkeit, die Stadt Champoton an der Weftfüfte von Yucatan, fel
identifch mit Potonchan am Fluſſe Zabasco, und e& beruhe nur auf
einem Irrthume Gomara’s, daß beide al8 verfchieben bezeichnet wär
ben (IV 43 not.), was Übrigens durchgängig in ven Duellenfchriften
ber Sal iſt. Die Ausprüde, welche er in feinen hanbdfchriftlichen
Chroniken findet, deutet er auf eine Weile, deren Berechtigung oft
als ſehr zweifelhaft erfcheint. „Es gab keine Sonne“ beißt nady
feiner Auslegung „es gab noch Feine Civilifation«, und wenige Seiten
weiter verfteht er unter bem „Großvater der Sonne⸗- ben Urheber
des Kalenders. Eine andere Stelle des Textes lautet: „Da meldete
man ber Sonne, daß 5 Andere eben geboren worven waren⸗, bie
heißt nach feiner Deutung: „da hörte man, daß andere Chichimelen
(neue Einwanderer) auf den benachbarten Bergen ſich ſehen ließen⸗
(I 113, 122, 200).
Braffeur verfichert wiederholt, daß er in feiner @efchiehte ber
Eulturvölfer von Merico und Gentralamerifa fein vorgefaßtes Syſtem
zu vertreten babe, fontern überall nur die Hiftorifchen Thatfachen
fprechen laſſe. Indeſſen gibt er zu veritehen, daß bie ältefte Bevol⸗
ferung Amerika's aus Europa, eine fpätere aus Afien gekommen
fein möge. Die Typen von Wegypten und Paläftina, bie Typen
welche fih an den Monumenten von Niniveh und von Theben finden,
treten uns dort entgegen und auf biefen orientalifchen Stamm find
in fpäteren Zeiten Formen aufgepfropft worden, welche an bie Mon⸗
golen und Tataren erinnern; das blonde Haar des Gottes Ca—⸗
martli, das man in Zlarcallan unter deſſen Reliquien gefunden, tft
eine Thatjache mehr zu Gunſten berer, welche die Toltelen aus
86 Theodor Waitz,
das Maya, fcheint nur durch deſſen räumliche Ausbreitung veran-
laßt, und daher unmotivirt, auch ift fie viel zu vag und allgemein
gehalten al8 daß fie Zutrauen verbiente. Daß Votan als der äl-
tefte Eultucheros der mittelamerifanifchen Völker zu betrachten fei
und im erſten Jahrtauſend v. Chr. gelebt babe, ift nicht nur mer⸗
weislich, ſondern entbehrt jelbjt jedes Wahrfcheinlichleitsgrundes, ebenfo
wie die Verbindung, in bie ihn Brafjeur mit den Ruinen von Ba
lenque gebracht hat. Gleich willfürlih und nur durch bie vorge
faßte Theorie des Verfaſſers geftügt, ift die Annahme, daß die Tol⸗
tefen aus ben füblichen Gegenven, fei e8 zu Wafler oder zu Laube,
nach Mexico gefommen feien. ‘Die mythologiſche Erzählung von Hu⸗
nahpu und Xbalanque bei Ximenez ed. Scherjer ©. 36 ff. läßt dieſe
Heroen in bie Unterwelt wandern und bort die Götter durch ihre
Thaten in Erftaunen und Bebrängniß fegen, Braffeur aber erlärt
biefe Sage fo, daß unter jenen Helven Toltelen zu verftehen feien,
bie an den Hof der Votaniden in Palenque kamen und fehließlich de⸗
ven Reich zerftörten! Es iſt leicht erfichtlich, daß durch ein folches
Verfahren fi) Alles aus Allem machen läßt und daß neu entdeckte
Duellen in folchen Händen feine neuen Auffchlüffe gewähren. Braf-
feur ift nicht der Erfte, welcher eine Einwanderung ber Tolteken und
ihrer Verwandten nad) Dierico von Süben ber behauptet hat. Viel⸗
mehr hat fchon im vorigen Jahrhundert Cabrera die alte Tolteken⸗
ftabt Huehuetlapallen in den Ruinen von Palenque wieberzufinden
geglaubt (vergl. Del Rio, Descr. of the ruins of an ancient city
near Palenque Lond. 1822), wogegen Juarros in feiner Gefchichte
von Guatemala merkwürdig genug die legteren mit dem Ramen Cul⸗
buacan und bie Baurefte von Ocofingo mit dem Namen bes alten
Zoltefenfiges Tulha bezeichnet hat. Bei ber weiten Verbreitung ag
tetifcher Ortsnamen in Mittelamerifa — nachgewiefen von Buſch⸗
mann (Abh. ver Preuß. Alab. der Wiff. 1852) — verliert indeſſen
biefe Angabe das VBefremdende und fann ald Grund für bie Eimwan⸗
derung vom Süben ber, für die fich überhaupt kaum irgend etwas
von Bedeutung fagen läßt, nicht mehr geltend gemacht werden, nach
bem ber oben genannte Gelehrte durch feine Entvedung ber fonori«
ihen Spracdfamilie die Herkunft dieſer Völker aus dem Morben,
wenn nicht enbgältig entfchieben, doch zu einem fo hoben Grabe ber
ä ⸗
Zur Geſchichtſchreibung des alten Mexico. 87
Bahrfcheinlichleit gebracht hat, daß die wenigen und wagen biftorifchen
Analogteen, aus denen man das Gegentheil hat fchließen wollen, ba-
gegen nicht in Betracht kommen können.
Auch die allgemeine Sage des fpäteren Eulturvolfes von Mes
zico, ter Aptefen, behauptet beitimmt eine Cinwanberung von Norden.
Vie aber diefe Sage in Einflang zu fegen fei mit jener angeblichen
Herlunft der Toltelen vom Süpen, obgleich beide Völker eines Stam-
mes find, kümmert Braffeur nicht. Er ftellt die erftere Angabe vurch-
ans nicht in Abreve, findet fie vielmehr höchſt wahrfcheinlich, fucht
fe fogar zu beweifen (II 190 ff.), bleibt aber troßven bei feiner
Lehre von dem Urfprunge aller viefer Völfer aus Mittelamerika fte-
ben. Am fchlimmften geht er mit ver Chronologie und ben Perfonen-
samen nm. Die erftere fcheint er durchgängig zu ben zerftreuten
thatfächlichen Notizen, die ihm feine Quellen lieferten, aus eigenen
Mitteln für die ältere Gefchichte Hinzugemacht zu haben, und läßt
feine Willlür ſehr naiv in den Worten durchblicken (II 37 note): Si
ces details que nous trouvons @pars dans un petit nombre
d’auteurs, sont d’accord avec la chronologie Maya que nous
y avons adaptee . . . und an einer andern Stelle, wo ter
Zuftand des Duichereiches und was fich dort zugetragen hat, fehr ge—
nau gefchilvert wird, beißt e8, über vie Zeit der Regierung bes da—
maligen Käniges Dilab „Tann mau nur Vermuthungen wagen, aber
man weiß, daß fie an das Ende bes Idten und in den Anfang bes
15ten Jahrhunderts fiel« (II 509).
Bas die Perfonen betrifft, fo werten bald die verfchievenften
Ramen auf nur eine Perjon bezogen, bald verfelbe Name auf viele
Berfonen vertheilt oder für einen Titel genommen, je nach Bebürfniß.
Ein ſolcher Titel mehrerer Herrfcher fol 3. B. der Name des alten
miuthifchen Königs ver Chichimelen Xolotl fein, dem eine Regierungs—
zit von 200 Jahren zugefchrieben wird. Allerdings iſt wahrfchein-
ich, daß ver angeblihe Stammpvater der Mexicaner, Mecitl oder Des
ritli diefelbe Perſon ift mit Huigilin, ver ſpäter Opochtli beigenannt,
als Huigilopochtli vergöttert wurde. Auch mag e8 ferner Billigung
finden, daß Votan ter Culturheros im Lande ver Tzendals iventifi-
art wird mit dem Cucumatz der Duiches, dem ufulcan der Yuca⸗
tefen nud dem Quetzalcohuatl der Mericaner, da dieſe Perfonen, wie
88 Theobor Waitz,
die Gulturen deren Träger fie find, viele Analogien miteinander ha⸗
ben und die Wortbeveutung aller dieſer Namen bie gefieberte
Schlange ift, wie Braffeur angibt; aber e8 muß VBebenlen erregen,
wenn nun wieder ein König Gugumatz, verfchieden von jenem Halb⸗
gotte, im 13. Jahrhunderte als Hiftorifche Perfon auftritt und bie
Hanptftabt des Duichereiches, Utlatlan gründet (II 4%), und wenn
in gleicher Weife ein angeblich Biftorifcher Toltekenkönig Quetzalco⸗
huatl, identiſch mit dem Könige Ceacatl, aber verfchieben von bem
mythiſchen Dueßalcohuatl, ver die erfte Auswanderung ber Tolteken
von Süben her leitete, Anahuac mit einem Gefolge von Künftlern
aller Art verläßt, nach Tlapallan zieht und fpäter zurücklehrt, ja
wenn es weiterhin heißt, der Name Quetzalcohuatl fei fpäter als Bel
name von Herrfchern fo oft gebraucht worben, baß man eine Menge
verfchiedener Perfonen darunter zu verftehen habe. Jener Toltelen-
fönig num wurbe durch Tezcatlipoca vertrieben und civilifirte theils
felbft auf ven Reiſen, vie er in Folge hievon machte, vie öftlich und
füplih von Merico gelegenen Länder Cholula, das Land der Mix
tefen und ver Zapotefen, theil® fenbete er Schüler aus, bie das
Gleiche thaten, während Tezcatlipoca unter dem Namen Huemac in
Zollan regierte. Diefer Fürſt, der die mildere und reinere Religion
des Quetzalcohuatl ausgerottet und ven alten blutigen Cultus mit
feinen Menfchenopfern wieder Hergeftellt hatte, wurde gleichwohl ſpä⸗
ter al8 die Seele der Welt angebetet. Trotz dieſer Feindſchaft auf
Erden wurden aber dieſe beiden Perfonen im mericanifchen Götter
bimmel miteinander iventificirt (III 484), und es kann uns eben nicht
wundern, daß nach Braſſeur's Darftellung in dem legteren ganz bie
nämliche Verworrenheit herrfcht wie in der mericanifchen Geſchichte
felbft, die er mit vieler Gelchrjamleit aus einem Garten voll Une
traut in einen unburcheringlichen Urwald umzufchaffen gewußt hat.
Aus häufigen Andeutungen geht die Art hervor, auf welche er
feine Quellen benugt hat. Er verwerthet ben ganzen Sagenfchag,
ben cr aus Manufcripten, Bilderfchriften, ‘Drudwerten und münd«
lichen Ueberlieferungen gefanmelt hat, jo, daß er fie zu einer fu
ſammenhängenden Erzählung ver alten Gefchichte jener Völfer verar-
beitet. Er nennt dieſe Sagen „biftorifche Monumenten in dem Sinne,
daß fie die volle Hiftorifche Wahrheit enthalten, wenn man fie nur
'80 Theodor Waitz,
von Mexico und Mittel» America Betrifft, faft nur das äußerſt We⸗
nige als brauchbar, was er wörtlich aus ihnen mitgetheilt hat.
Dan kann es nur aufrichtig bedauern, daß man von einem fo
umfangreichen Werke, welches von fo vielem Fleiße und von fo großer
Liebe und Ausdauer des Studiums Zeugniß gibt, fich genöthigt fickt,
mit einem folchen Urtbeile zu ſcheiden, und wir würden es ſchwerlich
zum Gegenftanbe einer fo ausführlichen Beiprechung gemacht haben,
wenn es nicht auch einige lobenswerthe Seiten befäffe, die wir noch
zu erwähnen baben.
Allerdings brachte e8 die Gefammtanficht des Verfs. mit fich,
dag er geneigt war, Verſchiedenheiten zu überjehen ober zu gering zu
ſchätzen, welche vie Eulturzuftände ver einzelnen von ihm behandelten
Länder varbieten, denn überall fieht er nur Tolteken, alle Etoilifation
in Amerifa führt er auf diefe als ihre Urheber zurüd, alle höheren
Leiftungen und Beftrebungen follen von biefen ausgegangen fein. Dieß
ift fein „Sufteme. Aber er Hat dabei fich zugleich das Verdienſt er⸗
worben, ausführlich nachgewiefen zu haben, daß die Stufe der Civi⸗
liſation, auf welcher mehrere Völfer von Mittel-America ftanden und
bie Geftalt, welche fie bei ihnen angenommen hatte, in ben we⸗
fentlichen Punkten identifh war mit ber des alten Mexico. Die
große Webereinftimmung der Sagen, des Eultus und bes Kalenders
bei beiden bieten in dieſer Hinficht eine beſonders wichtige und fchla-
gende Parallele dar.
Ferner wird Braffeur’s Arbeit in ihren fpäteren Theilen immer:
beffer, fie wirb um fo zuverläffiger, je mehr fie fich ver biftorifchen
Zeit nähert. In ver Gefchichte des mericanifchen Reiches unter ben
einbeimifchen Königen feit dem Jahre 1384 folgt er den Quellen
ftrenger, und erlaubt fich viel feltener die Angaben, die er in ihnen
fand, zu ventwideln« (developper), wie er es nennt, d. h. fie aus⸗
zufhmüden und in's Einzelne auszumalen. Die gegebenen Eitate find
größtentheil® richtig, wenn auch oft zu fparfam, und wir müffen ge
jtehen, daß wir uns erft hier von der Wahrheitsliebe des Verfs. hin⸗
reichenb überzeugen konnten. In diefem Theile dürfte er fich Leicht
etwas zu nabe an feine Gewährsmänner angefchloffen haben, denn
wenn dieſe 3. B. ausführlihd von den Vorgängen und Berathungen
erzählen bie in Tlaſscala, Merico und andern Städten ver Einnahme
Zur Gekäiätfiärelbung bes alten Serleo. 9
berfelben durch die Spanier voransgingen, fo Tann zwar ber Treue,
mit weicher man fie nacherzählt, an fich kein Vorwurf gemacht wer⸗
ben, aber es wird fich Taum behaupten Lafjen, daß in dieſen und ähn⸗
Eichen Dingen vie fpanifchen Duellenfchriftfteller zuverläßig feien, da
es ſchwerlich möglich war, längere Zeit nach der Eroberung hierüber
noch etwas Sicheres zu erfunden.
As den werthvollſten Theil des Ganzen betrachten wir ven 4ten
Band, obgleich gerave für dieſen die neuen Hilfsquellen, aus denen
ver Verf. fhöpfen konnte, bei weitem am fparfamften floffen. Wie
ih die Eroberung der Spanier von Mexico aus allmälich über die
umliegenden Länter verbreitete, wie Michoacan und die füplichen Län-
ber gewonnen wurben und welche Zuftände nach ver Eroberung eins
traten, ift lebhaft und offen, ohne Verhüllung der geſchehenen Greuel
und des furchtbaren Drudes gefchilvert, ver auf ver eingebornen Be⸗
wölterung laftete. Die Darftellung diefer Verbältniffe liefert manche
bisher unbelannten Details und manche nicht unwichtigen Auffchlüſſe.
Endlich darf als ein Gegenftand von hohem Intereſſe nicht un⸗
erwähnt bleiben, daß bie Vorrebe des ganzen Werkes den wejentlichen
Juhalt einer im ‘Drude unvollendet gebliebenen und deshalb nicht in
den Buchhandel gelommenen Schrift von Aubin (Memoire sur
6criture figurative et la peinture didactique des anciens. Me-
xicains, Paris 1849) auszugsweife mittheilt, einer Schrift, bie vom
‚böchften Intereſſe ift, da fih in ihr die Reſultate von Aubin's lang»
jährigen Unterfuchungen über die mericanifhe Bilderſchrift niederge-
legt finden. Wach ven gegebenen Proben fcheint es unzweifelhaft, daß
es ihm gelungen ijt, vieles glücklich zu entziffern, vieles nämlich von
derjenigen Schriftart, die, wie er bemerkt, gewöhnlich zur Darftellung
hiſtoriſcher Gegenſtände, gerichtlicher Verhandlungen und abminiftra-
tiver Angelegenheiten, angewenvet wurde, wogegen die Schrift, welche
ver Mantik, Aftrologie und dem religiöfen Eultus diente, von anderer
Urt war und fih wohl faum jemals wird enträthfeln laffen. ‘Der
Entveder befindet fich im Beſitze vieler unebirten Bilderſchriften und
das Weſentlichſte bei feiner Entdedung, auf die wir bier nicht näher
eingehen können, kommt barauf hinaus, daß ähnlich wie bei unjeren
Rebus die Wörter durch ein Bild oder turch eine Combination meh⸗
rerer Bilder bargeftellt wurben, deren jedes entweber ein ſelbſtſtän⸗
92 Theodor Waite, Zur Geſchichtſchreibung des alten Nexico.
diges Wort, den Laut des abgebildeten Gegeuſtandes, oder bie An
fangsſilbe deſſelben oder auch nur den Anfangsvocal bezeichnete.
Manche Ungenauigkeiten und Uubejtimmtbeiten ver Schreibweiſe wa⸗
sen hierbei unvermeidlich, einzelne Andeutungen ſcheinen indeſſen ſchlie
Ken zu laſſen, daß die Schrift der Mericaner für manche Fälle dem
Uebergange in eine wirkliche Silbenfchrift, welche ven Laut felbft be
zeichnet, nicht mehr fern ſtand.
VI.
das Heidelberger Schloß in ſeiner funft- und tulturgeſchicht⸗
lien Bedentung.
Bon
K. B. Start.
Es war im Jahre 1693, als Ludwig XIV. von Frankreich eine
Münze prägen ließ mit einer in Flammen aufgehenden Statt und
Schloß, den jammernden Flußgott des Nedar und eine Yungfrau,
des Balatinat, im Vordergrund. Die Inſchrift des geiftreichen Boi⸗
lean meldete latonifch Heidelberga deleta: das zerjtörte vernichtete
Heivelberg, erinnernd damit an das alte Wort des Romers Cato und
au Rom’s Erbfeinbin Carthago. Das Refivenzfchloß der Pfalzgrafen am
Rhein und Kurfürften des deutſchen Reiches war eine Ruine und
he iſt es geblieben bis auf ven heutigen Tag, währenn bie Stadt zu
jeinen Yüßen, bie noch fchwerer faft heimgefucht war von den Banden
franzöfifcher Plũuderer und Worbbrenner, fich wieder erhoben hat als
ein Gig regen Bürgertfums und eine Stätte geiftigen Lebens.
Nicht allein jene brutale Gewalt mit ihren Bulverminen, mit
iſren Brecheiſen und zerftörenden Fäuſten hat das Heidelberger Schloß
94 8. 3. Stark,
zur Ruine gemacht, ſondern in noch höherem Grade bie Herrſchaft der
von Paris ausgehenden Anfchauungsweife und Eultur bed mobernen
Defpotismus und ebenfo fehr die unglüdjelige Richtung, welche
das wenige Jahre vor der traurigen Kataftrophe von 1689 und 1698
zum Befige ver Kurwürbe und ber Rheinpfalz gelangte Haus Pfalz
Zweibrüden in ber materiellen und geiftigen Verwaltung des Landes
verfolgte.
Den Anfchauungen und Bebürfniffen fürftlicher Allgewalt, dem
Genußleben an den Höfen, das abgezogen von plebejifcher Berufung
geführt werben follte, dem Streben von einem Mittelpunfte aus in
wohl abgezirkelten Kreifen Handel und Wandel, Kunft und Wiffen-
Schaft zu leiten, entfprachen die immerhin engern Räumlichkeiten eines
ans dem mittelalterlihen Burgenbau bervorgegangenen Schloffes auf
kecker Höhe nicht, nicht die nahen Beziehungen zu ven engen
and gemwundenen Gafjen, zu ven fpigen SKirchenbächern, zu ben
Höfen, alademifchen Burfen und Collegien einer Bürger- und Uniners
fitätsftabt. Nein, es galt neue Mittelpunkte zu fchaffen in weiter
Ebene, in flachiter Umgebung, nach gleichen Wuftern breite Straßen
anzulegen, Kirche und Schule, Rathhaus und ftäptifche Lokale in glei⸗
hem Hofftile zu bauen. Der Fürft zog wo möglich noch weiter hin⸗
aus, um fernab vom ftädtifchen Treiben Sanphügel, Wald und Sumpf
in große, weite Parks mit weitgevehnten Schloßflügeln und architelte«
nifchen Kunftftücden aller Art umzuwandeln. So tft Mannheim mit
feinem koloſſalen unvellendeten Schlofje neben Heibelberg entftauben,
fo ift Schweßingen das Verſailles der Pfalz geimorben.
Doch Kurfürft Karl Philipp zog im Sabre 1720 nicht allein als
glänzender moderner Fürft von feiner Burg zu Heidelberg, fondern zürs
nend und drohend verließ er die Stadt, tie ber kirchlichen Reftauratiom
in ihren legten Forderungen mannhaften Widerſtand geleiftet: Gras
jollte auf ihren Gaſſen wachſen. Und bereits hatte diefe Reaktion
weithin Wurzel gefchlagen, ver es um die Vernichtung bes geiftigen
freien Culturlebens zu thun war, beffen Schug und Pflege die Kur⸗
fürften von der Pfalz feit Generationen in ven Nheinlanden übernom⸗
men, für bas fie gekämpft und gelitten Hatten. ‘Die proteftantifche
Kirche ſah fich bedroht im eigenen Haufe, ja felbft im Necht ver Exi⸗
ſtenz. Die Univerfität, an ber bie größten Männer bes XVL uns
96 8. 3. Stark,
bie Verwäftung dem Ban und in bemfelben dem bentfchen Vaterlande
gefchlagen. Um fo greller mußte der armfelige Gemäfe-, Dbft- und
Cichorienbau erfcheinen, der die verwilberten Flächen ber großartigen
Gartenterraſſen deckte. Noch dazu wurben alle plaftifchen Dentnäler
von denfelben nach Schwegingen und Mannheim verfekt.
Die Begeifterung: für Naturfchönheit, das Schwelgen in wehmüthig
füßen Gefühlen beim Anblid einer Ruinenwelt, die Richtung auf das
allgemein Wenfchliche, von dem politifchen Kampf, vor dem bie nationale
Stellung als Befchränktheit erſchien, wie fie in der zweiten Hälfte des vori⸗
gen Jahrhunderts in per Durchſchnittsbildung und deren Literatur eine fo
allesbeherrſchende Geltung gewann, fanben bier reiche Nahrung. In ein«
fachen, trefflichen Worten hatte zuerft ver Naturforfcher de Luc in
feinen Reifen Heibelberg’8 Gegend und Schloß gefchilvert. Bon deut⸗
fen Dichtern war es wohl der, Maler Müller, ein Pfälzer, zuerſt,
ber feine interjectionenreichen, übervollen Kraftworte der Vergangen-
heit des Schlofjes weihte. Matthifon aus Magdeburg ließ bald dar
anf feine elegifchen weichen Klänge über viefe Stätte ertönen unb er⸗
warb ihr als ver fpecififchen Burgruine in ganz Deutſchland Auer⸗
kennung. Wer kennt nicht jene Worte:
„Hier auf biefen waldumkränzten Höh'n
„unter Trümmern ber Vergangenheit,
„wo ber Borwelt Schauer mid ummeh'n,
„lei dies Bild, o Wehmuth, Dir geweiht“ ?
Bei der Jubelfeier ber Univerfität im Jahre 1786 fang ein ein⸗
beimifcher Dichter, Reimold, von ber Stätte:
„wo neben lachenden Gefilben
ſich drohendes Bebürg erhebt
und Gegen über wilden
verjährten Belfen ſchwebt,
wo große Scenen abzufhildern
Die Schöpfung ſelbſt zum Griffel fuhr“.
Der ſchwäbiſche Hölderlin nennt Heidelberg „der Vaterland
ftäbte ländlich fchönfte”; er befingt „bie gigantifche ſchickſalskundige
Burg, nieder bis auf den Grund von ven Wettern zerriffen«.
Clemens Brentano, Kogebue, Lafontaine, Amalie Imhof bil
ben ben weitern Kranz romantiſcher Dichter und Dichterinnen
a. _
Das Heidelberger Schloß zc. 97
m biefen einen lolalen Mittelpunft. Göthe hat in wenigen ein-
ishen Worten feiner unmittelbarften Situation, da er als Gaft in
Zhibant’6 Haufe fich aufhielt, den bleibenden idealen Ausdruck ver-
lieben :
„Rof und Lilie morgenthaulich
blüht im Garten meiner Nähe,
hintenan bebuſcht und traulich
Reigt ber Felſen in die Höhe
und mit hohem Wald umzogen
und mit Ritterfchloß gefrönet
lenkt fi bin bes Gipfels Bogen,
bis er fih dem Thal verſöhnet“.
Uhland endlich und Mar von Schentendorf griffen zurüd in vie
gekbichtliche Vergangenheit, inpividuelle Sceneu auf biefer Stätte
poetijch neu zu ſchaffen.
Parallel diefer mächtigen Anziehungstraft der Heidelberger Schloß-
rume auf die deutſchen Dichter am Anfange unferes Jahrhunderts
bit eine neue deutſche Landſchaftsmalerei geradezu fich in ihren edel—
ften Bertretern an ihrer Zaubermacht herangebilvet. Seit 1787 fing
man überbaupt wieder an, das Schloß zu zeichnen. Auf die Namen
Ernſt Fried, Karl Fohr, vor allem Karl Rottmann bat Heidel⸗
berg Urſache ftolz zu fein. Die Präcifion und Schärfe der Zeich-
nungen, der großartige Gefammetcharakter landfchaftliher Gruppen,
tie Meifterbaftigleit der Beleuchtung, die ten Bildern ber zwei
von ihnen zu voller Entwidelung gelangten aus Stalien und Hellas
einen jo unwanvelbaren Werth verleihen, find bier an ver Schloß-
ruine zuerit geübt worden.
Aus Poeſie und Kunft. erwuchs das praftifche Intereſſe, dieſe
Stätte zu fchüten gegen weitere Verwahrlofung und durch die ord⸗
ende Hand des Gärtners einen einheitlichen malerifchen Eindruck ber
Umgebungen mit der Ruine bervorzurufen. Seit 1804, feit 1811
find die herrlichen Baumgruppen, die bequemen Wege entjtanten, die
int Zaujenven aus Nah und ern eine Stätte der Erholung und
des laudſchaftlichen Genuffes bieten. Mit dem Eintreten bes neuen
badiſchen Regentenhauſes in den Befig der Pfalz hat dieſe äfthetijche
Bürforge von oben dem Schloffe bleibend ſich zugewenpet.
Oißerifge Beisfgrift YL Baus. 7
98 ’ 8. B. Stark,
Noch lebt als ehrwürdiger Greis Herr Ch. de Graimberg, wel⸗
her feit 1810 das Studium der Schloßruine, bie Bekanntmachnug
ihrer architeltonifchen Detail, vie Anfammlung eines großen hifte
rifehrantiquarifchen Upparates für und in berfelben fich zur Lebens
aufgabe gefekt hat.
Wenn ich es wage, meine Xefer zu einem Gange auf die Heivel-
berger Schloßruine einzulaten, fo gefchieht dies nicht mit dem An»
fpruche unter der Fülle literarifcher und maleriſcher Hilfemittel, Die
fih uns al8 Führer bdarbieten, nur Neued und völlig Unbelanntes
mitzutbeilen, noch weniger in der Abficht, die landſchaftlichen Schön-
beiten mit ſchwachen Worten zu zergliedern, bie bie eigene Anfchauung
in ihrer Geſammtheit fo unmittelbar vor die Seele rüdt, noch eine
Reihe intereffanter Anekdoten aus ter pfätzifchen Regentengefchichte
an die Lokalitäten anzufnüpfen. Es ſchien mir aber feine umplirbige
Aufgabe, eines ver größten fünjtlerifchen und biftorifchen Denkmäler
Deutfchlands näher zu betrachten und den inneren Zuſammenhang fei-
ner Theile mit dem Qulturleben ter deutfchen, beſonders rheinifchen
Lande aufzuweifen und feine Epochen an bie Epochen ber veutfchen
Sultur- und Kunftgefchichte anzufnüpfen.
Wer von der Bergſtraße kommend bei dem Dorfe Neuenheim
in die tiefe großartige Thaldffuung umbicgend eintritt, welche ber
Nedar, indem er tie fünweftliche Erhebung des Odenwaldes fenkrecht
durchjchneibet, bildet, dem wird vie Anfchauung es unmittelbar klar
machen, daß der Vorfprung tes hochragenten Königſtuhles, der Heine
Geisberg das natürliche Centrum ciner gefhügten menfchlichen An
lage innerhalb des Thales bildet, daß von den Ausgängen des feinen
Fuß umziehenden Heinen Thales, ver Klinge, bis hinab zu dem Fluf
fich die Afteften Anlagen bürgerlicher Xhätigfeiten finten werben. Die
Höhe felbft Hat auch in den Särnpfen des 17. und 18. Sahrhundert®
ihre militärifche Bedeutung immer bewährt. Hier ift zugfeich ber
Punkt, wo auch dem Webergange über den Fluß die wenigjten Schwier
rigfeiten entgegentreten. Unmittelbar oberhalb durchziehen Riffe von
Sranitfelfen das Strembett, um vieffeits wie jenfeits als fcharfe
Kanten an den Bergmaffen fich empor zu ziehen, bis fie enblich ber
Sandſtein wieder überlagert. Ein folher Granitvorfprung ift ber
Hügel des ES chloßes, der Yettenbühel in ältefter Weberlieferung ges
Das Heidelberger Schloß ıc. 099
nannt. Aber er lehnt fich nur an die oben bezeichnete Sandſteinklippe
Des Geisbergs. Und das Schloß felbit ift nur ein Sind des älteften
Herrnfitzes auf bem lettern Punkte. Won dort aus beginnt die Ges
ſchichte ver rheinischen Pfalz als eines felbftjtändigen Ländercomplexes,
sen dert bie Gefchichte des Schlofjes und der Stadt Heidelberg.
Wir haben allen Anlaß an jener die Gegend beherrſchenden Stätte
bereits ein Meines vrömifches Saftrum, einen Nömerthurm anzunehmen.
Die neueren Forſchungen im Gebiete ver Topographie und Befefti-
zungékunſt liefern einen fchlagenden Beweis dafür, daß ber mittel-
alterliche Burgenbau fich zuerft in ven Gegenden römifcher Eultur
mit römifcher Technik auf den von den Römern mit dem ihnen eige-
nen Scharfblid herausgefundenen, ftrategifih wichtigen Punkten aus«
gebildet hat. Nun ziehen fich zwar vie äußerften öſtlichen Grenzbe⸗
feftigungen in tiefer Gegend vom Main bei Seligenftabt durch das
Erbachiſche Gebiet im Odenwalde zum Nedar in die Nähe von Moe»
bach und ftehen dann mit den größern Anlagen bei Wimpfen in Ver⸗
Eindung, und wir willen, daß das Nedarthal aufwärts von Heidel⸗
berg nach Mosbach zu Feine Römerftraße zog, diefe vielmehr ver gro-
ken weiten Niederung des Kraichgau’ bei Wiesloch nach den Steins-
berg bei Sinsheim folgte, aber die Spuren Hleinerer, dem äußerten
rimes paralleler Reiben von Befeftigungen find hier wie am Taunus
rehrfach nachgewicjien, und vor allem tft der Kranz der die Ausgangs«
sunfte ter Odenwaldthäler in die Rheinebene deckenden römifchen
Thürme zuleßt noch aus ver Zeit tes PValentinian (369) bezeugt.
inmittelbar bei Heidelberg hat auf der Norbjeite bes Nedar der bie
Fde des Thales bildende Abhang des Heiligenberge® reiche vömifche
unbe aller Art ergeben, an feinem Fuße warb das Mithreum von
Kenenheim aufgededt, auf feinem Gipfel find römifche Altäre und
Rotivfteine gefunden worden.
Auch mag der Mebergang über ven Nedar bireft unter der Höhe
a der Stelle des jeßigen Warftallhofes irgendwie militärisch geſchützt
zeweſen fein, jeboch ift e8 ein Irrthum, die gewaltigen Boffagemanern
tieſes Gebäudes in Nömerzeiten zu verlegen, während fie authentifch
in Werk des 16. Jahrhunderts find.
Tat acht Jahrhunderte liegen zwifchen jener letten Epoche rö-
miſcher Herrſchaft am Nedar unter Valentinian und bem Zeitpunkt,
23
100 K. B. Stark,
wo die Geſchichte des Schloßes und der Stadt Heidelberg anhebt.
Die Kirche war inzwiſchen weſentlich in die Erbſchaft römiſcher ſtädti⸗
ſcher Mittelpunkte und der dortigen fränkiſchen Königeburgen, römi⸗
ſcher Cultur und Herrſchgewohnheit eingetreten und hatte die frän⸗
tifche Bevölkerung, vie ſchließlich alle germanifchen und Provinzialbe-
ftanbtheile in fich aufgefogen, in ihren materiell freilich zu bezahlen
den Schuß und in ihre Zucht genommen. Hier am Nefar war es
das Bistyum Worms, das zunächſt ven Ladenburg aus feinen Län-
verbefig, feine Schug- und Gerichtsrechte am linken Nedarufer weit
ausgedehnt hatte und oben vom Heiligenberg gebot am rechten fer
die Filiale des fürftlichen Kloſters zu Xorfch, die Benediktiner vom
Michaelektofter. Aderbau, Obſtzucht, Fifcherei, Mühle und Fähre,
Weg und Steg ftanden in ihrem Dienjt und unter ihrer Fürſorge.
Ein fleines Kirchlein, Maria zur Eindde genannt, ftand unter dem
Heinen Geisberge und Eremiten, vie fpäter unter dem Namen bes
hl. Auguftin fefte Ordnungen erhielten, hatten dabei ihren Wohnfig.
Auch auf jener Granithöhe des jegigen Schloſſes beftand eine uralte
Kapelle, bie der SYetta ober Jutta nach dem Namen ver Lolalität
genannt; bie Bezeichnung als Heivenfapelle läßt fie wohl als eine
Gründung der erften fränfifchen Zeit erfche inen.
Im Jahre 1135 Hatte Das Klofter Lorſch eine neue Klöfterliche
Stiftung auf der Neuenburg des veichen Anfelm am Nedar (jekt
Stift Neuburg) gemacht und fichtlih im Wetteifer damit Biſchof
Burkhard von Worms Gliever des damals in jugenvlicher Begei⸗
fterung aufjtrebenden vie Beneviftiner weit überflügelnden Orkens
vom Citeaur in die Schönau an ver Steinach gezogen. Da war es
Konrad der Hoheuftaufe, ver Bruder bes Kaiſers Barbaroffa, welcher
mit den Stammgütern ber Staifer falifhen Stammes am Mittel-
thein, der mütterlichen Erbſchaft begabt, feit 1147 feinen Sig im
einem castrum am Heidelberg, einem Lehen des Bisthums Worms nahm,
und von dba aus mit ftarker gefürcdhteter Hand die Güter felbft
Ihügte, die erworbene Vogtei und Örafenrechte zum Stahlbühel, einer
Dertlichleit zwifchen Ladenburg und Schriesheim über bie kirchlichen
Güter im Lobdengau handhabte. Bald darauf ward ihm das Amt
und die Würde des kaiſerlichen Pfalzgrafen, des Hofrichters an Kö»
nigöftatt am Rhein, die bis dahin von Achen, Cöln, Stahled aut
.
. ”
⸗
*
...
. -
Das Heidelberger Schloß ıc. ” J 101
geübt war, Übertragen. Wit ihm tritt ein weltliches Regtinent zuerſt
vurchgreifend in diefem Thale auf und zwar ansgeftattet mit -All ben
Iutereffen für Handhabung des Rechtes, für Schug und Eichereit,
für Unterricht und feinere Sitte, wie fie das Hohenſtaufiſche Raifth-
hans in fo glänzenvder Weife verfolgte. "_
Bon der Burg Konrads von Hohenftaufen, feiner nachſten Mai: u
felger, des Welfen Otto, endlich der Wittteldbacher, vie feit Ludwig
1215 und Otto dem Erlauchten 1228 nun erblic jene Befigungen
md bie rheinifche Pfalzgrafeuwürde erhielten, find Heutzutage nur
tümmerliche Reſte auf dem Plate des alten Schloßes geblieben. Aber
nech weift ber tiefe Welseinfchnitt, der ihn vom Königftuhl trennt,
nech die abgefchrofften Felewände und ber tiefe Graben im Nord und
Rorbweit, die an ven Fels ſich anfchließenden Mauern auf tie Si«
derbeit bin, die hier einft vor Allem gefucht ward. Auf geglätteter
Hechfläche erhob ſich die eigentliche Burg im unregelmäffigen Viereck
verfpringend davor ein Vorthurm in ber aüßern Mauerumfchließung,
während das Herrenhaus felbit in feinem untern Theile, die innere
Mauer varftellend, mit anderen Fleineren Bauten ven engften Bereich
derſelben bildeten, in deren Innern ber Burgfried, der Hauptthurm
mit fonifcher Spike fich erhob.
Im Ganzen können wir uns die Burgenbauten bes 12. Yahr-
bunderts nicht einfach, beſcheiden, unbequem genug für das
hansliche Leben denken. Da begegnen uns noch nicht hohe gewölbte
fänlengetragene Räume, zierlihe Wenveltreppen, anmutbhige Erker,
befchattete Hofpläge, prächtige Thorfahrten. Doch bilden Die
Mauern, in ihrem obern Theil meift noch aus Holz beftehend , die
Hauptſache, an fie lehnen fich vereinzelt die Wohnungen und Ställe
an, hoch hebt fih nur das Wohnhaus, nach normannijcher Art mit
vem Hauptthurm zum Donjon verfchmolzen, in Deutfchland als Pa-
(a6 vom Burgfried gefchieden. Die Fenſter find eng, Hein, ſchlitzar⸗
tig, fchlecht verwahrt, von Holzwerk ift Dede und Boben, bie Thüren
niebrig und eng, die obere Etage mit ihren Kemenaten oft nur burch
Leitern zugänglich.
Allerbings ift die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts bie
Zeit, in welcher vie kaiferlichen Pfalzen, auch einzelne Sige mächtiger
Lchensträger, wie der Landgrafen von Thüringen, der Herzöge von
mn 2. B. Surt,
Sadjen,. die feit Generationen bereit bewohnt und erweitert waren,
einen + rechern Charalter annehmen. Der Kaiſerpalaſt zu Gelnhauſen,
das. Schloß Münzenberg in der Wetterau, die Wartburg bei Eiſenach,
ſivd pafür Beiſpiele. Da war das Wohnhaus mit zierlichen Bogen
‚"gängen nach tem Hefe zu ausgeftattet, und zwei bi® brei Etagen
.„Abereinanber. Zu dem großen Saal im Innern, den immer noch
„eine Holzdecke det, öffnet jih ein oberer Umgang. Einzelne, aber
" wenige ftügende Steinfäulen femmen vor. Zierlihe Stufen (Quadern)
führen zur Hauptthüre. Das alte Schloß zu Heidelberg, jegt erft
neu als ein Herrenfchleß gebaut, kaun in die Reihe biefer glänzenden
Bauten nicht gerechnet werten. Im weiteren Verlauf feines Beſte⸗
hens ift allerkings an tem Herrenhaus tem Palas viel wohl geän⸗
bert; bie Fenſter auf ber Zeichnung von 1519 erfcheinen gothifch ges
glievert, in großer Zahl, auch auf der Norbjeite vortretend ein breiter
Feuſtererker.
Wollen wir eine Anſchauung gewinnen von der Größe und dem
Style ver Bauten, die bie. Fürſorge und das volle Intereſſe Pfalz-
graf Konrads und feiner mächjten Nachfolger in Aufpruch nahmen,
fo müjjen wir und nad) Schönau wenden, bort bie Ucherrefte der ge-
waltigen Klofterfirche ter Cijtercienfer, ver Ruheſtätte ver Pal;
grafen, ihres Ktlejterganges, tert tie uch erhaltene prächtige Zwi-
ſchenhalle mit dem ſchönen Kapitelſaal, die jegige proteftantifche Kirche
mit ihrer mittleren Pfeilerreihe und ven einfach ſtrengen Gewälbrip
pen in Augenfchein nehmen. Nicht jewehl ver Grabſtein felbft ſollte
prunfent die Nerbienfte tes Verftorbenen fünten, ſondern ber über ihm
jich erhebente ſtelze Bau, und bie Gefünge und Gebete der Kloſter⸗
brüter für das Scelenheil tes Verftsrbenen follten jein Antenten er-
halten. Und das erjchien als eine der wictigjten Angelegenheiten
auch für die Männer, welche im Leben eft mit ter Kirche im hejtig-
jten Conflict geftanten und ihren weltlihen Anſprüchen oft ſehr kräf«
tig ſich witerjegt haben.
Unter tem Schuge ter pfalzgraͤflichen Burg hatten unten am
Neckar und allmälig anſtützend am Weg zur Burg ſich auf dem Ter⸗
ritorium des Pfalzgrafen Wohnungen von niedern Hofhörigen, auch
einzelner Freien geſammelt. Die Ueberfahrt über den Neckar galt
bereits als eine wichtige Einnahme, bald, noch im 13. Jahrhundert,
Das Heidelberger Schloß ꝛc. 103
war eine bölzerne Brüde daſelbſt entitanden. Aus ben burgus, wie
aukdrücklich tiefe Häufer zuerft genannt werben, bem offenen, im Schuß
des castrum gelegenen Häufercompler entſtand eine civitas, ein um-
mauerter Ort nur mit Schultheiß und Schöffen, aber durchaus ale
ein Anhängfel ber Burg betrachtet. Noch war bie Fleine Kapelle zum
geiligen Geiſt — eine Bezeichnung, vie erft feit Innocenz III. und
weiten großer Stiftung ©. Spirito in Rem, und ber gleichnamigen
zen Die Ketzerei gegründeten Bruderſchaft in Südfrankreich bei
Kirchen auftritt — Feine felbftjtändige Pfarrkirche, fondern eine Filiale
;a der vor dem Ort gelegenen alten St. Peterskirche, ver Pfarrkirche
ver benachbarten fchon lange blübenten Dörfer in der Ebene. Das
Augnitinerklofter nahm in feine erweiterten Räumlichkeiten bie Pfalz«
zrafen oft gaſtlich auf.
Ludwig ter Strenge war im Jahre 1294 auf feiner Burg
zu Heidelberg in derſelben Kemenate, wo er geboren war,
getorben.” Der Drand, ver 1288 Burg und Stadt vermwältete,
mußte in erjierer wenigſtens bald wieber bergeftellt fein. Unter ſei⸗
mn Söhnen, bie ben Känperbefig am Rhein ausprüdlich in Gemein»
ihaft behielten, aber jonft in verhängnißvoller Weife ben Zwieſpalt
im Reiche in fich darjtellten, unter Rudolf I. und Ludwig, der ale
vudwig ter Bayer feit 1314 bie deutfche Königs, dann Kaiſerkrone
mug, wird und zum erften Male im Jahre 1308 auch ein unteres
Schloß von Heidelberg genannt *).
Bir betreten biemit den Boden, auf bem ber Glanzpunkt des
rfälziichen Daufes fich ausgelebt hat, an deſſen gewaltigen und fchös
sen Bauten unjer ganzes fünftlerifches und genießendes Intereſſe zu⸗
nächjt haftet. Und doch werben wir auch heute neben viefem reichen
Cinblick den großartigen Weberblid um feinen Preis vermiſſen mögen,
den uns die Höhe des alten Echloßes in das volle Gebirge und in bie
Rheinebene gewährt, und türfen ebenfo wenig des fühnen fe
) In bem berühmten Bertrage von Pavia vom Jahre 1329 , in dem Lud⸗
wig fid mit ben Söhnen feines Bruders, Rudolph II. und Ruprecht,
anseinanderſetzte, und wo bie Theilung ber zwei Linien, welde Bayern
und die Pfalz beherrihten, dauernd ausgeiprodhen warb, eine Tren⸗
nung, bie bis 1777 ſich erfitedte, da wird jenen die obere und bie un-
tere Burg von Heidelberg ausbrüdlich zugeſchrieben.
104 8. 3. Stark,
ften Mutterſitzes des pfälztichen Haufes neben ber reicher prangenben
Tochter vergeffen.
Es drängt fi) und zumächft die Frage auf, welches die Urfache
zur Anlage einer zweiten Burg nun tiefer am Abhang des Berges
in unmittelbarer Verbindung mit der darunter liegenden Stabt waren.
Die Erfcheinung felbft ift feine ifelirte, begegnet uns vielmehr zur
felben Zeit in verfchievenen Gegenden. Gewiß war es einestheils
die allmälige Aenderung bes ganzen Qulturlebens, das Bedürfniß
nach größern, gefehmüdteren Räumen für bie Herren felbft, ſowie
ihre num zahlreicher werdende böfifche und Beamtenumgebung, Ges
fihtspunfte der Bequemlichkeit, mit dem Aufblühen ver Städte die
Nothwendigkeit, viefen fich auch äußerlich mehr anzufchließen, eine Ver⸗
bindung ter Schugmittel mit denfelben herzuftellen, was zu folchen
neuen Anlagen führte. Auf der andern Seite ift e8 aber meift eine
ganz beftimmte Veranlaffung in der Yamiliengefchichte der Dynaſten,
nämlich der Herftellung beſonderer Site für Gefchwifter, die Antheil
an bemjelben Zerritorium behalten, dieſes gemeinfam verwalten und
bo in der Stammburg felbft nicht Raum für eine Selbſtſtändigkeit
des Haus- und Hofweſens finden. Ich kann es nicht für einen Zu-
fall halten, daß bier in Heidelberg vie zwei castra gerade auftreten
in der Zeit des gemeinjchaftlichen Beſitzes ver Pfalz durch Rudolph
und Ludwig, zugleich in ver Zeit ihrer feindfeligen Stellung gegen
einander. Rudolf fcheint vor Allem in der untern Burg feinen Wohn-
fig gehabt zu haben. Seit dem Vertrage von Pavia, woburd bie
gegenfeitigen Befigverhältniffe genau beftimmt wurben, wird entfchie-
ben bie untere Burg der eigentliche Hoffig ver Pfalzgrafen, pie cbere
bagegen blieb al® fchügende, das Kriegsmaterial enthaltende Beſte
noch wohl im Stande, bis im Jahr 1537, alfo in verfelben Zeit,
wo die untere Burg zu einem prächtigen Schloß ſich umgeftaltete,
eine furchtbare Pulvererplofion jene in eine Ruine verwandelte. Die
Schanzen der Kaiferlichen wie der Franzoſen haben das Ihrige ger
than, dieſe Ruinen unkenntlich zu machen.
Ehe wir uns zu dem älteften Nern und feinen großartigen Er⸗
welterungen wenden, haben wir in Gebanfen bie ganze Umgebung in
den urſprünglichen Zuſtand zurüdzuverjegen. Alſo weg denken wir
uns bie Terraffen des Schloßgartene, weg den ganzen künſtlich ge-
Das Heidelberger Schloß ꝛe. | 105
hobenen Städgarten, weg die gewaltigen YAufmauerungen ber ganzen
nördlichen Schloßfacade, weg bie drohenden weit hinaus gerüdten Eck⸗
thärme, überall alfo Berghang mit Wiefen und Wald, fowie einzel«
nen hervorragenden Klippen des Granitgrabens. Noch ftand abwärts
an ter Nortfeite, ganz außerhalb ber Burg, aber bereits im vollen
Berfallen die alte Juttakapelle.
In zwei Hauptepochen koͤnnen wir bie Geftaltung bes ganzen
Schloffe& zu erfaflen hoffen, deren jede wieder in zwei Abfchnitte fich
theilt. Zunächſt find die Bauten des 14. und 15. Jahrhunderts an
ver Weſtſeite des jetigen Schloßhofes, an denen ber Name Rudolf
und Ruprecht haftet, weiter Friedrichs des Siegreichen durch ihre
Maſſen und Wehrhaftigfeit imponirende Bauten an der Südſeite zu
beſchanen. Mit dem 16. Jahrhundert, wohl fchon mit Philipp dem
Aufrichtigen, vor Allem mit Ludwig V. (1508— 1544) beginnen bie
eußerorbentlichen Erweiterungen und vie großen Subftructionen ber
ganzen Norbjeite bis zum biden Thurm, zugleich die Erneuerung und
Ausftattung des alten Schloßbaues.
Die zweite Hauptepeche hebt an von der Anlage Friedrichs III.,
von dem fogenannten neuen Hof und den an ben achtedigen Thurm
ſich anfchließenden Bauten. Bon da ftredt fi) dann der Otto Hein⸗
rihebau (1556 — 1559) an ber Oftfeite hin, fchließt auf der Norb-
feite fi der neue Schloffapellenbau, das Schloß Friedrich's IV.
(1592 —1607) mit der prächtigen Altane an. Weiter nach der Nord⸗
weitede zu, vermittelt durch einen Heineren durch Johann Gafimir
über dem großen Keller errichteten Zwijchenbau ſtreckt fich tann ber
englifhe Bau unter Friedrich V. (1610 — 1618) und entet mit vem
tiden, im Innern zu Geſellſchaftszimmern umgemwandelten Thurm
(1619). Die umfaffenden künſtlichen Gartenanlagen fchließen endlich
das GSefammtbild des Schloffes am Beginne des breißigjährigen
Krieges (1615— 1619).
Diefe beiden Hauptepochen Lönen wir als bic der Gothik und
Renaiffance ſcheiden. In jener haben wir wieder den leichten, idea⸗
im Schwung, ten anmutbhigen Reichthum ber Gotbil an einem Rit—⸗
terichloffe und die Maſſenhaftigkeit, die Xrefflichkeit des feften Ge⸗
wölbe und hochragende, ſtarke Thürme einer Feftung einander gegenüber,
zuftellen. Unter ven Gebäuden der Renaiſſance ericheinen ver Friedrichs⸗
106 j 8. B. Stark,
und der Ottoheinrichsbau als nahe verwandt, Bauten weſentlich auf die
Wirkung für den inneren Hofraum berechnet, jener ſoeben aus gor
thifchen Ruinen in antife übergehend, viefer in ſchönſtem Maße ans
tite Formen offenbarend und boch in wahrhaft freier Weife fie ver
wendend. Saum vierzig Jahre find vergangen und bereits Tünbet
fih durch alle entjchickene Nachahmung des Dttoheinrihebaues ein
nener Geift in dem Werke Friedrichs IV. an: berechnet in die Ferne
zu wirken, das befeftigte Schloß als Luftfchloß öffnend nach Außen,
überfüllt in unrubigem Drange des Schmudes und mit genealogifcher
Weisheit prunfend. Endlich in Friedrich V. Anlagen bricht fich der
moterne Geift in Hauseinrihtung und Fünftlihem Park - vollftändig
Bahn. So können wir den Ottoheinrichsbau als einen eveln Pa⸗
lazzo eines fürjtlichen Bürgers, eined Medicäers auf beutfchem Bo⸗
ben bezeichnen, dagegen dieſe letzten Bauten tragen bie Anfpräche ver
mobernen Eultur fördernden Monarchie an ber Stimm, wie fie in Heine
ri IV. von Frankreich fich verförperte. Mitten im böchften Glüd,
um Reichthum der gentalen Entwürfe eines über feine Zeit weit bins
ausgreifenden Stammes bricht die Gefchichte bes herrlichen Baues ab.
Der vreißigjährige Krieg, ver Deutſchlands Eultur und gefchichtliches
Bewußtſein in zwei große Hälften zerriffen hat, bildet auch den SchInf
unferer Aufgabe. Was im Laufe der wechjelnden Eroberumgen durch
Kaijerlihe und Schweden, was von dem endlich in bie Heimath und
auf den herrlichen bereits fo verwüſteten Sig feiner Väter zurückkeh—
renden Fürften, von Karl Ludwig und Karl gefchehen it, kann nur
als Reftauration und als äußerliche, meift wieter verſchwundene Zu«
that betrachtet werden. Zwiſchen 1350 und 1620 fpielt vie Gefchichte
bes jüngern Heidelberger Schlofjes. Welche Fülle Hochbebeutenter,
glänzender, tapferer von frommem Sinn und eblem Wiffensprang
getragener Fürſten haben inzwifchen die Kurwürde getragen! Und
wie hat ihr Natur fich gleichjam ausgeprägt in Stein ver Architektur
und Plaftit, wie haben fie ben herrlichen Ring allmälig gefchleffen,
ber zufammen die Schloßmaner bilvet! Ueber allen ragt als Edel⸗
ftein in diefem Ringe der Ottoheinrichebau hervor. In ihm reichen
bie Elemente, auf denen unfere Qultur fortan ruhen wird, fich bie
Hände: deutſche Tüchtigkeit und Gedankenfülle, antikes Maß und
Schönheit, die fittlih rein bildende Weligiofität. Es ift ein feltener
Das Heibelberger Schloß ıc. 107
Zauber barüber ausgegoffen, ver Blüthenduft wahrer Kunſt webt um
ihn, der aus ten Kunftwerfen ber erſten Hälfte des 16. Jahrhun⸗
derts und fo wunterbar anmeht.
Berſuchen wir nun diefe allgemeine Charalteriſtik im Einzelnen,
in inbivituellem Zuge nachzumweifen! Die Zeiten von NRupredt I.
Ruprecht II. und Ruprecht III. (1353 — 1410) find für die Macht
ſtellung der furpfälzifchen Fürſten unter den beutfchen Fürften, für
das Aufblühen der Stadt Heidelberg, für die Gründung eines gei-
tigen Mittelpunftes in der unmittelbarften Verbindung mit dem fur»
fürftlichen Hofe von entſcheidender Bedeutung. Die goldene Bulle
vom Jahre 1336 ficherte die feite Verbindung ver Kurwürde mit ben
Pefigungen ber älteren WittelSbacherlinie und gab dem Pfalzgrafen
tie erſte Stelle nach dem Stönige von Böhmen, gab ihn das Neiche«
Bicariat im Südweften Deutſchlands. Im Fahre 1400 warb Rup⸗
recht III. zum beutfchen König gewählt, und Hat in zehnjährigem,
freilich oft fruchtlofem Kampfe bie hohe, allgemeine Aufgabe bes
dentſchen Königthums vertreten. Die Bifchöfe von Worms und
Speyer, tie Aebte von Lorfch, Schönau und Maulbronn ftehen unter
tem Schube des Pfalzgrafen, eine Menge edler Gefchlechter, wie die
Leiningen, Eponheim, die Herren von Steinach, Hirſchhorn, nehmen
Ehrenämter vom kurfürſtlichen Hofe an, bauen fich ihre Herrenhäufer
unten in ver Stabt unter dem Schloſſe. —
Im Jahre 1386 gründete Ruprecht I. im Wetteifer mit ven
ven ben Luremburgifchen Haus beſonders geförberten Anftalten in
Prag und Wien eine Univerſität wefentlich nach dem Vorbild ver
Barifer hoben Schule, und reiche Begabungen, fowie kräftiger Schutz
gegen ten Uebermuth bed Adels warb ber jungen Anftalt von ihrem
Stifter und feinem Nachfolger zu Theil. Die engen Grenzen bes
alten Stabtbereiches, fchienen nicht mehr auszureichen für Burgen,
Herrenhöfe, Klöjter und Burſen der Stupirenden. Daher warb feit
1392 das Heranziehen des Dorfes Bergheim befchlojjen und ausge:
rührt, die Vorſtadt Heidelberg hart an ver Stadt gegründet und mit
Bejeftigungen umgeben.
Die Scheitung beider Theile hat jich im Sprachgebrauch bis heu⸗
tigen Tages erhalten und ber lantwirtbfchaftliche Charalter ver Vor⸗
ſiadt ift noch heute in ven entlegeneren Theilen nicht verwifcht. Wie
108 8. B. Start,
bie Petersfirche nun als Hauptlirche der Borftabt einen Neuban er
bielt, jo ward die Meine Kirche zum hl. Geift nun felbftftändig ale
Pfarrkirche ter älteren Stadt, und eine Reihe geiftlicher Einkünfte
ward an jie gefmüpft, um fo ein unmittelbar unter dem päpftlichen
Stuhl ſtehendes Stift herzuftellen, deſſen Canonici weſentlich aus ben
Univerfititslehrern genommen wurven. Was bas entferntere Schönau
den eriten Pfalzgrafen geweſen, warb nun die Stiftöfirche zum. heili⸗
gen Geiſte feit Ruprecht III, die Begräbnißftätte der Kurfürſten.
Daher ift ſeit 1398 ver herrliche Bau des Chores der Kirche begon-
nen worden, an ten in allmälig fich ändernden Formen ber Spätgothil
das Hauptſchiff mit feinen intereffanten Emporen die Seitenfchiffe und
endlih der Thurmbau fich durch das Jahrzehent des 15. Jahrhun⸗
derts anfchloß.
Kehren wir zum Schloffe zurüd und fuchen vie Alteften heile
auf, denen das Gepräge jener eben bezeichneten Epoche aufgebrüdt ift.
Yon der Höhe des Stüdgartens überfchaut man befonders in winter
licher Zeit am Beften den älteften Bau, ven fogenannten Rudolphs—
bau. Als mäßiges Viereck jteigt er in fünf Etagen faft thurmartig
aus der Tiefe empor mit ber einen epheuüberwachjenen Außenwand,
mit den dunklen Mittelgängen und Erpgefchoffen, mit ben Gewölb⸗
vejten auf zierläch geformten Rippen, endlich durchblickend bie herrfi-
chen, ſpißbogigen, reich Durchbrochenen Fenſter des Erkers. Nach ber
Wußenfeite zeigen fich nur wenige Benfteröffnungen, zwei vorfpringende
Strinbalfen auf der Süpfeite, um bier einen befcheivenen hölzernen
Bipvorfprung zu tragen. Nach Innen bilvet ver Rudolphsbau ven
weſtlichen Abſchluß des älteften Schloßhofes, auf den jener polygone
Wär freundlich berabblidt; die bervortretenden Steinbalfen weifen
auf den doppelten hölzernen Umgang, ver einft bier am Bau fich bin»
zog. In der Witte des Heinen Hofes befand fich ein Brunnen, und
darüber auf einer Säule ver pfälzifche Löwe.
Sur Seite nach Süden weiter eingerüdt fchließt fich an den Ru-
duphebau der leider ven bem plumpen jungen Thorthurm ges
nafte Ruprechtebau an, an und für fich betrachtet ein treffliches
Wern wine reichen Herrenhaufes im gothifchen Stile. Ein Tängliches
nd Im Grundriß bildend, fteigt es in drei Etagen empor mit
dehenn Dtufengiebel nach Nord und Süd. Der deutſche Reichsadler
Das Heidelberger Schloß ıc. | 109
in Stein gehanen kündigt nach dem Hofe zu einfach die Würbe bes
Erbaners an. Kine fpigbogige Pforte, mit einem einft zierlich geglie⸗
verten Fenfterbild darüber, führt in der Witte der Front in ben ven
tern Raum theilenden Gang, dem ein achtediger Treppenthurm nach
ver Außenſeite fich anfchließt. Schmale Fenfter markiren auch oben
den in der Mitte liegenden Vorraum. Rechts und links fchließt fich
au den Gang je ein großer von einer gewaltigen Säule getragener
Saal mit treiflichen Kreuzgewölben; ver eine ift erhalten, ber andere
Begt allerdings in Trümmern, doch find die Details, fo die Anfäge
ver Gewölbe noch fehr gut zu erfennen. Wir können bie beiden un⸗
ten Räume als bie bei feitlichen Schmäufen oft genannten Junker⸗
uud Jungfernſääle bezeichnen, während ver einjt wegen feiner Pracht
fe gerühmte Sönigfaal mit veichem Täfelwerk eine Treppe hoch zu
fehen iſt. Ich mache hier auf die Bildung der Fenſter aufmerkſam,
es find keine fpitbogigen Yenfter, fondern vieredig abfchließend , lang
gezogen, zu je brei gruppirt, fo baß das mittlere höher emporragt.
In ver feinen Ablantung ver Wand- und tenfterftäbe liegt vor Als
lem vie künftlerifche Durchbiltung
In wunderbarer Weife hat fich endlich über dem Schlußftein tes
Epigbogens der Thürpforte ſchwebend ein höchſt cnmuthiges Wert
ver Plaſtik des gotbifchen over germanijchen Stile erhalten. Zwei
Engelgeftalten mit hoch gehobenen Flügeln (Aplerfittigen), von einem
weiten Mantel befleivet, ſchweben auf Heinen Wölfchen und halten ge⸗
meinfam einen Kranz mit fünf NRofen, in deſſen Mitte ein etwas ge⸗
dffneter Zirkel fich befindet. Die Geſichter, vie lodigen Haare, bie
Gemwänber in großen und reichen Maſſen machen den Eindruck füßer
Anmuth, Spuren ver Bemalung find noch taran fihtbar. Eine Mei»
ſterhand Hat dies gebildet. Die Bedeutung des Ganzen ijt noch nicht
recht Mar. Auch bie Statue ves Gründers Ruprecht III. an dein Bau Fried»
rich IV. zeigt ven Zirkel neben ver Himmelskugel neben ſich. Es fcheint fich
dies auf vie von Ruprecht für den Bau der föniglichen, wie fie jpe-
ciell genannt wird,. hl. Geifttirche, wie für dieſen Königlichen Schloß-
bau geftiftete Bauhütte, beren erſter WMeilter von der Straßburger
Hätte fam, zu beziehen.
Bereits früher als der Ruprechtebau war mit dem älteren Ru«
delphoban, der vie eigentliche Bamilienwohnung ber SKurfürften blieb,
110 8. 3. Etarl,
eine kirchliche Anlage in Verbindung gefett, bie fo ganz an® bem
Sinne und Bepürfniß der Zeit hervorgegangen, als ein wichtiger
Theil eines reicheren Schloßbaues betrachtet wurbe; es ift dies bie
Hoftapelie, im J. 1348 dem bi. Udalrich, Bifchof von Augsburg, ge-
weiht, ber religidfe Mittelpunkt für die Burgbewohner und bie im
Schute der Burg von der Stadt weftlich ganz getrennt lebenven Bes
twohner der Bergſtadt. Unter Friedrich dem Siegreichen ift die Ka
pelle ebenfo fehr baulich ganz erneuert worben, wie in Einkünften,
Koftbarkeiten und Ausftattung des Cultus zur Bedeutung gelangt feit
1467. Die Tage der großen Gefahr vor den Schlachten bei Pfeb-
bersheim und Sedenheim (1462) ließen ben fo entſcheidenden Sieg
als göttliche Gnade lebhaft erfcheinen. Der Schladhttag bei Secken⸗
heim ward nun burch eine Stiftung in ber Hoffapelle alljährlich feiere
ih begangen. Die Kapellmeifterei ward im 16. Jahrhundert als bie
reichfte in Deutfchland von ven Päpften anerfanıt. Mehrere Geift-
liche verfahen ben ‘Dienft und am Fuße des Berges war eine eigene
Sängerfchule eingerichtet für ben mit befonderer Sorgfalt gepflegten
Kirchengeſang.
Auf die Yage dieſer Kapelle und deren Reſte iſt es nöthig, etwas
genauer einzugehen, da biefer Punkt bisher noch nicht mit Schärfe
in's Auge gefaßt ift. Allgemein wird das fogenannte Bandhaus, wel
ches an die Norpfeite des älteſten Schloßhofes ſtößt, als die alte
Hoffapelle bezeichnet, die fpäter unter Friedrich V. in einen Banket⸗
faal umgewandelt worden fei. In den allein erhaltenen Barterrmauern
dieſes Raumes, Über denen fich jest ein plumpes Dach erhebt, find
die Reſte gothifcher Fenſter an ver Weftfeite noch zu finden, aber uns
geſchickt den modernen fonftigen Fenftern angepaßt. In der Mitte anf
dem Erdboden zeigen fich Spuren der 4 einſt die ‘Dede tragenden dicken Pfei⸗
ler. Der nördliche Theil des Raumes ijt erhöht mit einer Stufe
und bier findet fich noch unverfehrt eine erferartig vortretende, aber:
gerad abſchließende Wand mit zwei gothifchen Fenſtern, zwiſchen
Strebepfeileen. Der vieredige Unterbau eine® Thurmes ift an ver
Weftfeite nahe der Nordweſtecke noch erhalten.
Nun aber ift es fchon fehr auffallend, dieſe Kapelle ganz ent-
gegen ber fejten Regel über Anlage ber Kirche, fpeciell der Altäre,
von Nord nah Süd, nicht von Oft nad Weft gebaut zu benfen, un«
Das Helbelberger Schloß ıc. 111
erhoͤrt iſt es, geradezu einen Bau für den eigentlichen Gottesdienſt
in der Mitte durch Pfeiler in zwei gleiche Schiffe ſich getheilt zu
venfen. Schließlich wiberfprechen dem burchaus die älteften Abbil⸗
dungen aus tem J. 1540, und der urkundliche Bericht von dem Neus
ban Friedrich's IV. erweilt, daß um dieſen, ©. h. den jetzigen Schloß«
tapelienbau herzujtellen, der Theil der Yurg, in dem vie alte Stapelle
ſich befand, ver zur linfen Hand ver nördlichen Schloßpferte lag, zer
tört werten mußte. Nein, vie Kapelle lag von Weft nach Oft, nahm
ben binteren heil tes Banchaufes und einen Theil des heutigen Ka⸗
vellenraumes ein. An ihrer Weitjeite befand fich ganz naturgemäß
ver Kirchthurm. Jene vom Schloßaltan aus gefehenen gotbifchen
Fenfter zwifchen den eifernen Strebepfeilern bilden nicht ven Chorab⸗
ſchluß, ſondern wieberholten fich noch zweimal an ber Nord» alſo der
Yangfeite ver Kapelle. An tiefe Rorpfeite konnte fich dann die Ne—
bentapelle um fo beſſer anfchließen, die über dem gewaltigen Stellers
gewölbe, das ſpäter pas große Faß aufnahm, errichtet ward. Was
wor aber nun ber Haupttheil des Bandhaufes? Es war ver zur Nas
relle gehörige Saal zur Verſammlung ter Geiftlichen, ver Sänger,
zur Aufbewahrung ter Schäße ber Kapelle, burch jie war für bie
jürftliche Familie die Verbindung zwifchen Wohnung und Kirche uns
mittelbar bergeitellt. Die Form felbjt mit der einen Reihe von Pfeis
ler iſt durchauo bie eines Capitelſaales oder einer großen Sacriftei.
Ueberbliden wir noch einmal dieſe ältejten Beſtandtheile des
SEchloſſes, fo tritt uns bie große Entwidelung der Gejanuntanlage
und Einrichtung gegenüber dem alten Schloße fehr beſtimmt entgegen.
Bercits ijt ein Nord- und Südthor vorhanden, nah Süpen fchneibet
em Graben in ben lebendigen Feld das Schloß vom Berge ab, dop—
schte Mauern mit einem Zwinger bazwijchen umziehen es bahinter,
im Innern ein ftattliches Wohnhaus, vaneben ein Gebäude für feſt⸗
liche Berfammlungen, eine große Kapelle mit Nebenanlagen, hohe ge⸗
welbte Räume, zierlihde Steintreppen und Umgänge, ein ſchöner Er⸗
tr, Thürme mit Machlcoulis und vortretenden Eckthürmchen charak⸗
trrifiren «8.
Wie nun tiefe gothijchen reichen Bauten feit Friedrich) dein Sieg-
reichen (14491477) von einen Kranz gewaltiger Befeftigungen ums
geben wurben, zu denen bie Kämpfe mit dem Saifer, mit dem Lehns⸗
112 8. B. Stark,
adel, mit den weltlichen und geiſtlichen Nachbarn, welche ber Kurfürft
fo fiegreich beftand, Veranlaſſung gaben, das will ich im Einzelnen
nicht näher nachweifen. Die ganze Süd⸗ nnd Oftfeite wurbe da⸗
mals in ber jegt noch erhaltenen Weife befeftigt. Bor allem ift es
der gefprengte Thurm, deſſen Riefenmauern und inneren Räume jet
fo offen vor uns liegen, welchen Friedrich erbaute, aber auch fchon
die Grundlagen zum achtedigen Thurme wurden damals gelegt. Die
neue Befeltigungsweife mit Caffematten und Baſtionen, bereits berech⸗
net für die neue Kriegführung mit Geſchützen und Solbtruppen, ift
dann von Philipp dem Aufrichtigen und Ludwig V. fortgeführt wor
ven. Der legtere (1508— 1544) Hat gegen Weften und Norbweiten
bie Bauten weit vorgejchoben. Die älteren zierlihen Schloßbauten
verjchwinden fichtbar vor der Mafjenhaftigkeit der neuen Anlagen, vor
ber gewaltigen hohen Bajtei des Stüdgartens, vor dem Rieſenban bes
dicken Thurmes, der aus ver Tiefe des Thales über 200 Fuß em
porgeführt ward und Ted als drohender Vorpoften über die Stadt
fi vorſchob. Ueberall galt es, durch unterirpifche Gewölbgänge bie
Verbindung berzuftellen und die Vertheidigung zu erleichtern. Da
warb auch ver fchwere vieredige Thorthurm vorgefett, die Steinbrüde
über den Graben geführt. Alle diefe Werke tragen nicht das Ge
präge ber Schönfeit, ſondern ber Maſſe, der Feſtigleit. Die gothie
ichen Glieder werden bereits ſchwer und voll, der Spikbogen weicht
mehr einem Rund» oder Nachbogen. Man fehe fich nur bie beiden
wachthaltenden Schilpfnappen an unter ihren Heinen Balbachinen zur
Seite des großen pfälzifchen und witteldbadyiichen Wappens über bem
Thore. Wie handfeft, kräftig, aber plump fie daftehen!
Auch in dem Innern des Schloßhofes erjcheint Lubwig V. ae
Berordentlich thätig. Er wird durch eine Inſchrift am Ruprechtsben
als Erneuerer deffelben bezeichnet. Daß diefe Erneuerungen ein fünft-
lerifcher Gewinn nicht eben waren, zeigen bie großen und bogigen
Benfter in dem innerlich zerftörten Theile des Parterres. Es kündigt
fih damit ein modernes Bedürfniß für durchgehende Erhellung ber
Innenräume an. Auch wenn unter Ludwig V. nur von dem Schmade
des Königfaales in den Bildern der Ahnen gefprecdhen wird, fo haben
wir Dies als eine neue Zugabe durch die eben unter niederlänbifchem
Einfluße fo reich erblühte Tielmalerei zu betrachten; auch Borträts
von Dürer’8 Band jollen ſich darunter befunden haben.
Das Heidelberger Schloß ıc. 113
Gegenüber ven Ruprechtsbau zieht unfer Auge die freie Brun-
nenbalfe mit Tem darauf leicht ſchwebenden Eckzimmer an. Noch er.
ſcheint Hier ver Spitzbogen in feiner vollen reinen Anwendung; auch
tie Granitfäulenfchäfte, aus dem Palaft zu Ingelheim hierher vers
fest, Haben gethifches Fußgeſtell und Capitelle. Es ijt nicht unwichtig
za hören, daß dieſe Anlage noch in das erjte Negierungsjahr Lud⸗
wig's 1508 gehörte.
Die bereits von Philipp begonnenen, von Ludwig vollendeten
green Delonomiegebäute liefern ven augenjcheinlichen Beweis, welche
Ansvehnung das ganze Hofleben gewann, in welchen Größenverhäfte
ziffen Küche und Keller, Magazine, Schlachthäufer, Bäckerei für bie
Hefhaltung, für all’ die glänzenren Schmauſereien bei Turnieren,
Hochzeiten, Empfang faiferlicher Berfonen zum Bedürfniß geworden
waren.
Ludwig war es auch, der bereits getrennt von dem alten Wohn⸗
bauſe, an der Oſtſeite des Hofes und zwar auf dem alten Burgwall
fich ein neues Wohngebäude gründete. Heutigen Tages erregt nur
nech der achteckige Treppenthurm mit dem zierlich gehauenen Wappen
ven 1524 unſer Intereſſe; er ſtand einſt in der Mitte ver in ftunts
rem Winkel gebauten Fronte des Haufes, ter nörtliche Flügel hat
der Façade bes Otto Heinrichbaues weichen müſſen. ‘Der noch vor«
bantene Theil, fpäter um eine Etage überhöht, erfcheint mit feinen
Neinen Fenſtern völlig ſchmuck- und kunſtlos.
Es Tonnte feine größeren Gegenſätze geben zwifchen Brüdern,
ald bie uns in Ludwig V. und dem ihm nachfolgenten Frietrich IL.
entzegentreten. So ernſt und wortfarg, fo wenig beweglich und ge⸗
wantt, fo vorſorglich und zuverläffig, fo Acht deutfch. bürgerlich, fo
abgeneigt fremder Sprache und Sitte jener war, fo lebhaft, unter-
baltend, unruhig, verfchwenterifch, voli hochfliegender und wieder
iehlichlagenver Pläne, fo empfänglih für ven eben ſich ausbildenden
hranzäfiichen Hofton zeigte ſich Friedrich. Bei allem Intereſſe für
Naffiiche Sturien, für freie Wiffenfchaft, für die neue Iutherifche Lehre
war er Doch cin zu großer Breund des Genuffes, ein zu großer per=
jönliher Anhänger des Kaifers Karl V., um für ten Glauben, für
freiheit der Lehre große Opfer zu ringen. Gr war in Stalien,
öranfreih, Spanien viel und oft gereijt und trug ſich in Folde (einer
daoxiſqe Zeitſqtiſt VL Bear, 8
114 K. 8. Stark,
Verheirathung mit Dorothea von Dänemark mit dem Gedanken ſehr
lebhaft die drei Kronen Dänemark, Schweden und Norwegen auf ſei⸗
nem. Haupte zu jehen.
Hatte Friedrich II. früher über die Bauluſt feines Bruders und
den dadurch verurfachten Geldaufwand fich tadelnd ausgefprocdyen, fo
finden wir ihn als Kurfürſt fofort darin mit jenem wetteifern, ja ihn
weit übertreffen. Sein Begleiter und Biograph Thomas Leodius Hatte
einen befondern Abfchnitt ven YBauunternefmungen bes Kurfürften ger
widmet und muß befennen, wenn er nicht Fürſt gewejen wäre, würde
er gerechtem Tadel verfallen fein. Mit ihm wirb von einem neuen
Ausgangspunkt im Bereiche ter Schloßbefeitigungen begonnen; ver
neue Hof tritt in Gegenfag zum alten. Neue Bauformen machen
fih dabei geltend, im bizarrer Weife wird das antike ven Italien in
Deutjchland einpringende Syſtem angewendet, dabei in andern Thei⸗
fen noch vollſtändig die Formen der entarteten Gothik befolgt. Nur
in einem höchſt intereffanten Kaminbau tritt die volle italienifche Re
naiffance dabei auf.
An der Norboftede des Hofraumes, tie Grundmauern ber Hei-
nen Settafapelle überbauend, beginnt Friedrich feine Bauten und führt
fie weit über die innere Schloßmauer hinaus, fie an ben großen Eck⸗
thurm anfchließend. ‘Diefer felbjt erhält einen achtedigen Oberbau
mit Kuppeldach; im Innern ftügt je ein ungeheurer Mittelpfeiler vie
Gewölbe; große, mit ſpätgothiſchem Maßwerk gegliederte [pigbogige Fen⸗
fter beweifen ſchon, daß er der Befeſtigung nicht hauptfächlich mehr bienen
follte; vielmehr warb eine gewaltige Glocke hineingehängt, um- ent-
fprechend dem franzöjifchen tours de l’horloge fein Glodenfpiel tö⸗
nen zu lajfen. Davor zieht fich ein großer langer Pelaft Hin, jekt
eine ausgebrannte Ruine, zum großen Theil durch ſpäter eingebrochene
große Yenfter nach Norven noch verunftaltet. Alles war berechnet
auf den Eintrud vom Hofe aus: Hier fpannen ſich in brei Etagen
über einanver die in antiker Weife profilirten Bogen von Stein auf
kurzen, jchweren, aber mit antiker Cannelirung und Capitellen ausge⸗
ftatteten Säulen und barüber erhob fich einjt noch eine hölzerne Bo⸗
gengalerie. In der Mitte war ber zierliche Treppenthurm angebracht.
Nur die eine Hälfte diefer Fronte ift jet noch fichtbar, Die andere
warb bald durch den Otto» Heinrichsbau verbedt. Zur Seite firedt
Das Heibelberger Schloß ıc. 115
ih in ven Hof ein Flügel mit wohl erhaltenem Giebel, an dem an-
tilen Wafferjungfrauen in wunderlicher Weife vie Abfätze ver⸗
serend angebracht find. Nah Außen, mit dem herrlichen Blick in
das Redartbal, an ter Oftfeite ragt noch ein ftattlicher Erker mit ges
drũcktgothiſchen Fenſterformen heraus. In einem großen gewölbten
Saale follte Hier die Bibliothek zuerft aufgeftellt werden, jedoch man
beftimmte ihn dann für bie Rechnungsfammer. Den Baumeifter dies
ſes Theiles kennen wir dem Namen nach als einen Jalob Haidern.
Wie an tem NRuprechtebau bereits die große deutſche Inſchrift
ans dem Jahre 1545, bie ven Erbauer Ruprecht und den Reftaurstor
Ludwig V. melvet, umgeben ift von Säulen und Gebälk in gefchweife
ten Renaiffancefornien, welche in auffallenpfter Weife an Zeichnungen
von Säulen von Albrecht Dürer erinnern, fo bietet endlich der große
Vrachtkamin im Königsfanle des Ruprechtbaues und das erjte Bei⸗
friel einer durchgängig wahren und ebenmäßigen Anwendung antiker
Gliederung in den Wantpilaftern, in ben hoben Tragfteinen oder Con⸗
felen, in dem befrönenten Gefimd und der Attika. In feinften
Flachrelief find auf denfelben die Verzierungen angebracht. ‘Die beutfche
Yufchrift ift bereits in Lateinifchen Fnitialen gegeben. Die Kamine
als natürlicher Schmuck ter Wanpdfläche, als Sammelpläte der Fa⸗
milie und der Gefellfchaft fpielen in ver Gejchichte ver Stilummand-
(ung des 15. Jahrhunderts auch in Italien, wie fpäter in den Nie»
derlanden eine fehr große Wolle.
An diefem Kamine ift zugleich in Wappen und Bruftmebaillons
der Einn der Kurfürften für äußeren Glanz und Ehre auf merfwür-
tige Weife ausgeprägt: auf der einen Seite ter pfälzifche Kurhut,
darunter das pfälzifche und wittelsbachifche Wappen und in ver Mitte
ver Reichsapiel, deſſen Aufnahme in das Wappen von Karl V. ale
beſendere Gunft an Friedrich II. verliehen wurde; daran hängt das
goldene Vließ, auf der anderen Seite bie königliche Krone, gehalten
über den Wappen von Schweren, Dänemark und Norwegen, eben«
falld mit einem Orden daran, „Drei Stönigreiche ftart” war ja Frau
Dorothea. Das Symbol des Todes im Todtenkopf und Sanduhr,
des Lebens in ver freffenden Schlange find burchaus moderne Sym⸗
bele dabei.
"Sein Regiment wol lang befton«: biefer Wunfch der Kamin
| g*
116 8. B. Stark,
inſchrift ging an Friedrich IL. nach tem Maße des böhern Alters,
in dem er bie Wegierung ‚angetreten, in Erfüllung; aber doch iſt
Friedrichs II. Zeit wefentlid nur als Vorbereitung anzufehen für
bie durchgreifenden Schöpfungen feines Neffen und Nachfolgers Otto
Heinrichs. Selten hat eine Regierung von drei Jahren ſoviel ges
jchaffen als die des DOttbeinrich von 1556 —1559. Wie durch einen
Zauberfchlag brechen alle die Blüthen auf, die bis dahin zurüdiges
halten waren. Die Reformation ward, wie fie von Sachfen ausge
gangen war, unter des Pfälzers Melanchthons Beiſtand durchgeführt,
nachdem fie ſchon 1545/1546 wefentlich begonnen, einmal nach bem
unglüdlihen Ende des ſchmallaldiſchen Krieges zurüdgefchoben war.
Daran ſchloß fich eine vollſtändige Reformation der Univerfität im
ihrer Organifation und mit dem Gewinne einer Reihe neuer Kräfte,
der Humanismus fiegte velljtändig über die Scholajtif, dann weiter
eine Einrichtung der höheren Stabtfchulen und envli eine Schul
ordnung für die Volfsichulen. Die palatinifche Bibliothek auf dem
Schloße wurde mit ver der hl. Geiftkicche vereint und ihre werth⸗
vollſten Schäße von Otto Heinrich erft durch umfichtige Aufträge am
reifende Gelehrte erworben. Und die Betheiligung des Kurfürften
an allen diefen Dingen war eine nicht bloß äußerliche oder pflichtge-
mäße, nein, fie entjprach feinen innerften Intereffer. Eine Reife im
Italien und dem Drient hatte frühzeitig ihm großartigen Anfchaunns
gen gewährt. Selbſt techniſche Geſchicklichkeit unterftügte ihn im
jeinen wijfenfchaftlichen Vefchäftigungen, jo zeigte man noch fpäter
eine Sonnenuhr von feiner Eunftfertigen Hand.
In denjelben drei Jahren ijt der fehönfte Theil des Heidelber⸗
gerfchlojjes auf wunderbarſte Weife aus der Erbe emporgeftiegen und
legt noch Heute von jener harmonifchen Entfaltung der Bildungsele⸗
mente in feinem fürftlichen Erbauer das herrlichſte Zeugniß ab.
Otto Heinrich hatte Schon in Neuburg an der Donau beveutende Schloß.
bauten gemacht, über ihren Styl fehlt es bis jet an näherer Kennt⸗
niß, bier nun tritt uns in dem feinen Namen tragenden Bau bie
volle Ueberlegenheit eines vurchgreifenden, bewußten fpezifiich künſtle⸗
rifchen Gedankens und trefflichfter Ausführung über alle vorausgehenden,
mehr von Gefichtöpunften des Berürfniffes und vereinzelten Kunfttenben-
zen ausgeführte Bauten des Uebergangsityles entgegen. Es weht uns ein
füblicger, antiter eift aus den Tormen on, und man bat wohl den Gin
Das Heidelberger Schloß x. 117
trud, daß biefe Blüthe unter veutfchem Himmel doch nur das Er⸗
zengniß einer befonders günftigen Conftellation, daß fie mehr ein
ſchöͤner Fremdling als ein bier ächt heimiſches Kind ift.
Betrachten wir den Bau möglichit einfach und feharf, che wir
an die Gefammtausdentung und an die Frage feines baulichen Urs
ſerunges berantreten. Unter möglichft verjchievenen Beleuchtungen
giit es fein Details auffaſſen. Immer bleibt zu beflagen, daß man
ven immeren Theil gegen eine freie, ungehemmte Beichauung des
PBablitums abgefperrt hat.
Der Ottoheinrich&bau ift zwifchen ven Ludwigs⸗ und Friedrichsbau
angelegt und nahm von beiden einen Theil ihrer Ausbehnung weg. Nach
Anßen, nach Often ragt er durchaus einfach und ſchmucklos über ber
Tiefe ber Thalſenlung und den hohen Baftionen hervor. In drei Etagen
reiben fich vechtedige Fenſter über einander, in ihrer Zahl 9, dann
m 11 nach oben gemehrt; vie Profilirung ber Fenſterbekleidung und
Stäbe ift wefentlich noch im gothifchen ever beutfchen Stil, nur aus
dem einen Sauptfaal treten Hermen aus den Fenfterftäben hervor.
Die einft darüber emporfteigenden zwei hoben Giebel, venen eine
turchgebenbe Bildung zweier Firſtdächer entſprach, neben einander
find verfchwunden. Aller fünftlerifcher Glanz ift auf die Façade nad)
tem Hof zu und auf bie innere Ausfchmüdung ber Räume verwen-
bet. Hier find ed bie Thürfronten und inneren Thürbelleidungen,
ſind es vie Kamine, find es die einft die Gewölbe tragenten Eonfolen,
ſind es die Reſte der in ver Dlitte der größten Ruine ftehenden, das
Gewölbe ſtützenden Säulen, deren Haupttheile im Schloßgarten als
Tijchſtũtzen u. dgl. leiver verwendet find, tie unfer Intereſſe in An«
ipruch nehmen.
Die Fagçade erhebt fich in trefflihen Quaderbau von Heilbron⸗
ser Santftein über dem ungleichen Terrain breit und doch leicht.
Gin heher einfacher Sodel gibt ihr gleichfam eine Unterlage zum elafti«
ſchen Auffchwunge. Eine Prachttreppe führt in ber Mitte deſſelben
zum Hauptportal, einft mit funftreichen Eifengelänvern geziert. Die
gewölbten Gingänge in vie unteren Tellerartigen Gewölbräume, ſowie
bie wenigen enfteröffnungen haben breite Berhältniffe und find ein-
fach gethifch profilirt. Die Gefammtflüche des Hauptaufbaues er⸗
ideint nach dem Verhältniß von drei zu fünf nach Höhe und Breite
118 8. B. Stark,
gegliedert. Zugleich macht ſich in den drei durchgehenden Hauptabtheilun⸗
gen ein feines Abnehmen ver Höhenverhältniſſe bemerlbar. Die un
terfte Abtheilung ruht außerdem noch auf einem burchgebenven be
fonderen Scdel. Die Gliederung wird gebildet durch je ſechs Bilafter
und Halbfäulen und darauf ruhenden Gebäffjtreifen. Elegante Con-
folen ftügen das Gebälk zwifchen je zwei Pilaftern und dadurch wird
mit den den Conſolen entfprechenden Nijchen für Aufnahme von Sta
tuen jene Fünftheilung verboppelt und fo für je zehn Fenſter die Vor
bereitung gegeben. Der ganze Bau fchließt oben jett wejentlich ho⸗
rizontal, aber noch ragen zwei Statuen und vie Reſte fenfrechter ar-
chiteftonifcher Glieder hervor, die für die zwei hohen Giebel, in be
nen diefelben fich befanden, Zeugniß ablegen. Der berportretenben
Treppenrampe entfpricht das reiche Portal mit einem Bogeneingang
und fchlanfen Zenftern zur Seite, in der Breite aus der “Dreitheilung
allmälig nach oben fich in eine Schlußmaffe zufammenziehend, in ver
Höhenrichtung durch zwei ftarfe Gebälfe, in den von vier Atlanten
geftügten Haupttheil, in bie Attifa mit zwei Kryatiden und endlich ben
reich gefchweiften freien Schluß dreifach ſich abjtufend.
Sehen wir uns die Detailbildung näher an. Jene flachen ver-
titalen tragenden Reihen find als ionifche und korinthiſche Pilafter,
in der oberften Reihe als Torintbifche Halbſäulen charalterifirt. Die
Einzelnturchbildung verändert fich bier fehr glüdlich von unten nad
oben. Das darauf ruhende Gebälfe ift zu unterft ein doriſches mit rein or⸗
namentiftifch behandelten Triglyphen und dazwiſchen wechfelnden Bukre⸗
nien und Opferfchalen, in zweiter Reihe ein ionifches mit einem Wellen-
ornament des Friefes, und Zahnfchnitt, in ver oberften aber durch
eine Palmettenreihe in wechjelnder Aufitelung und verbindenden Ran⸗
ten geſchmückt. Auch jener bejondere Sodel des hohen Barterraumes
mit feinen ſchwach vorfpringenden Bojtamenten, die zur Aufnahme ver
Pilafter und Statuen in ten Nifchen vorbereiten, bat in facettirten
aus eingefenkten Mechteclen hervortretenden Steinen eine fehr glück⸗
liche Durchbildung erhalten. Die mit ven Pilaftern wechfelnden Con⸗
folen oder Tragſteine, mit Afanthusblättern übertedt ftehen in
der wechſelnden Richtung ihrer Profilirung in glüdlicher Beziehung
zu ver Mufchelbilvung ver Nifchen. In den Nifchen nehmen vie
Poftamente der Statuen in entfprechender Weije nach oben hin ab.
Das Heidelberger Schloß ꝛc. 119
In beſonderem aber wohl abgewogenen Reichthum find vie
denjter gebildet; in ver unterjten Reihe galt e8 die große Schwierig-
kit, das aus ter Gothif herübergenommene Fenjterfreuz in antikifi«
vente Formen zu überſetzen und es gelang dies, indem bie untere Ab«
tbeilung als breite, vorbereitenve Unterlage zu der oberen, dem eigent-
lichen Fenſter aufgefaßt wurde. Pilafter oder Halbfäulen tragen in
allen Etagen ein fchweres, reiches Gefims, über dem fich unten ein
Giebelvreied erhebt, während in ven oberen Etagen ein leichter Ara-
bestenfchmud von einem fich erhebenden menjchlichen Oberkörper rechte
und links verläuft oder ein Gorgonenbruftbild in der Mitte einer an
ven gefchweiften Seiten fich umſchlagenden Aegis geftellt ift und darin
ald bekrönender Abjchluß dient. Ju ven Giebelvreieden iſt je ein
Medaillon aufgeftellt, umgeben von zwei muficirenden Genien. Eine
beſondere Eigenthümlichkeit des Fenſterſchmuckes liegt in der burch- -
zingigen Belegung bes mittleren vertifalen Fenſterſtabes mit Her-
wen, tie auf Poltamenten ftchen; an ihnen wechjeln männliche und
weibliche Bildungen und fowohl das von ihnen getragene Capitell
wie ter fich verjüngende Pfeiler, endlich das Poſtament haben wech»
ſelnde Formen erhalten. Die plajtifchen, ftehenden Geftalten, deren Be-
ventung uns bald bejchäftigt, find mit Glück für die Nifchen berechnet.
Bei ver künſtleriſchen Ausfchmüdung des Portals bat für den
Haupttheil fichtlich das Vorbild eines römijchen Zriumphbogens be
ftimmene gewirkt. Feſte männliche Gejtalten, vie zwei äußeren bär-
tig und reifen Alters, bie mittleren jugentlih und bartlos in treffe
lihen, wechſelnden Draperien halten gleihfam Wache an venfelben, auf
Boftamente geftellt und nach oben durch Schmale, ioniſche Voluten
su Trägern ber oberen Portaltheile gemacht. Wir werben bei ihnen an
jene gejangenen Barbarenfönige römifcher Triumphthore und unter-
worfenen Provinzen erinnert. Alles deutet an diefem Haupttbeil auf
hriegerifche Thätigfeit Hin; in feinſtem Flachrelief umgeben Waffen-
küäntel in bunter Miſchung des Alterthums und mittelalterlicher Be—
waffnung, ja felbjt von Stanenen, ven Bogen des Cinganges und bie
Voſtamente. Biltorien reichen aus ven Eden tes Bogens ihre Palmen.
Mufitalifhe Inſtrumente für ernfte und beitere Muſik zieren den
breiten Fries, in deſſen Mitte eine deutfche Inſchrift uns den Nas
men und die Würden Otto Heinrichs vorführt. Die obere Attifa
120 8. DB. Start,
wird Durch zwei meifterhaft gearbeitete Karyatiden wieber in beſonders
reicher Gewandbildung in ein Hauptfeld und zwei offene, fehräg ab
faufende Seitenfelver getheilt. Jenes ijt mit ten großen Wappen
des Kurfürsten angefüllt. Cine Meijterhand fpricht fich in ver freien
Durchbildung aller heraldifchen Theile, ver Wappenfchilde von Balz,
Vayern und des kurfürftlichen mit dem Reichsapfel auf dem Orunde bes
Baumzweiges, des Helmes, ver gefränten Löwen, des Laubwerkes ans.
In den Seitenfeldern rechts und links, welche vie gefchweiften, fich
umlegenden Ränder eines Wappenſchildes haben, ijt ver Kampf eines
Mannes mit einem Löwen in zwei Situationen targeftellt mit fieg-
reicher Weberlegenheit hier ve8 Mannes, dort des Töwen. Das ganze
Bortal bekömmt endlich einen reich jich Fräufelnden Auffag mit dem
Medaillon des Kurfürften, zwei Iuftig flötenblafenve Genien zur Seite.
Kchren wir nun zu einem Gefammtüberblid ver Façade zuräd,
fo wird die Klarheit und Weberfichtlichleit ter Gliederung, das Maaß
des Schmudes, feine Mannigfaltigfeit und feine Derchbildung uns
doppelt erfreuen. Noch blieb aber ein wichtiger Theil bisher un-
beachtet, und zwar ein folder, ver gewöhnlich zuerft gleich den Be⸗
fchauer zu Fragen verarfaft; es find die Statuen, welchejene Nifchen ver
drei Etagen füllen und endlich einfam jegt auf ter Höhe des Schloßge⸗
fimfes ftehen, im Ganzen fechzehn; es find ferner die Köpfe ber Heinen
Medaillons der befrönenden TFenftergiebel der unterften Etage.
Bier Helvdengeftalten durch Inſchriften bezeichnet bilden bie untere
Reihe, Joſua, der Herzog, „ber durch Gottes Kraft ein und dreißig
König hat umbradht«, in römischer Königstracht, ven Fuß auf ein
gefröntes Haupt gefegt, Simſon, „ver Starke, ein Naſir Gottes“
kurz gefehürzt mit dem Löwenfell, den Ejelskinnbaden in ber Rech—
ten, den topten Löwen zur Seite, Hercules als »Yovis Sun« bezeichnet,
durch feine herrlichen Thaten wohl Bekannte» , auf die Keule geftüßt,
unter dem der Eberkopf fich zeigt, entlich der Jüngling David, age⸗
berzt und Hug” im Furzen Hirtengewanh, in ter Rechten das große
Schwert, in der Linken das Haupt Goliaths gefenft haltend. Wir
ſehen alſo vier Helten, alle in göttlihem Dienft ftehenn, Führer,
Richter, Könige des Volkes, unbedenklich Herkules neben einem Sim⸗
fon, wie die Aehnlichkeit ihrer Tradition fehon früßzeitig in dem chrift-
lien Bolt ſich geltend machte.
Das Heidelberger Echloß ꝛc. 121
Die Köpfe der Medaillons geben ſich als wirkliche ober fcheine
bare Rachbildungen vömifcher Münzen zu erfennen. Unb zwar fol«
gen fie bier von der Linken zur Rechten nach den Inſchriften, vie
aber einer genauern Unterfuchung aus nächjter Nähe noch bevürfen:
Vitellius imperator, Antonius (sic!) Pius, Tiberius Claudius Nero,
Nero Caesar, C. Marius, M. Antoninus, Rom. N. Pamphilius,
M. Brutus, alfo vier römische Kaifer: Nero, Claudius, Antoninus
Pius und Vitellius, dann zwei mädftige Männer ver Republik, Ma⸗
rius und Antonius, endlich Numa Pompiliud und Brutus ver Ael⸗
tere aus der Königezeit. Ob bier bei ver einzelnen Auswahl beſon⸗
dere Gefichtepunfte gewaltet haben, möchte ich faft bezweifeln. Mög-
lich iſt es 3. B., daß man Bitellius gewählt als einen von den ger«
manifchen Legionen zum Kaifer Ernannten. Doch ijt es eher eine
freie Benügung berühmter römifcher Herrjcher und Staatslenfer ver-
fhietener Zeiten, um bier an eine Contimiität des Imperiums zu
erinnern.
Die mittlere Statuenreihe beiteht aus lauter weiblichen idealen
Geitalten, Hinlänglich charafterifirt ald Virtutes (Zugenden) und'zwar
als Glaube, Liebe, Hoffnung, Stärke und Gerechtigkeit. Die Liebe
mit einem Kind auf dem Arme bifvet vie Mitte und ift fchon wegen
tes bechragenten Portals höher geſtellt. Der Olaube mit einem Buch
und tie Hand auf’8 Herz, auch mit einen Echleier befleivet, vie
Stärfe eine zerbrochene Säule haltend, die Hoffnung mit dem Anker,
die Gerechtigfeit mit Schwert und Wage, vertheilen fich rechts und
inte. In den bewegten Öewäntern, tie zum Theil vie cine Schulter
frei laffen, iſt außerordentlich viel Leben, aber durchaus antikiſirende
Eiudien. Wir haben alfo die chriſtlichen Tugenden, die Liebe als bie
höchfte unter ihnen und dazwiſchen von ven heidniſchen Zugenben bie
einem Regentenhaufe nöthigften: Stärke und Gerechtigfeit.
Wir kommen zur oberften Weihe. Da begegien uns antife Göt⸗
trr und Göttinen: Eaturn mit einem lebhaft bewegten Kind, das er
zu fich gehoben, Mars in voller Rüftung mit dem Schild zur Eeite,
Venns in freier und doch decenter Bildung mit dem an ber Mitte
bin aufreichenden Amor, Merkur und die hochgefchürzte Diana mit der
Ronpfichel. Noch gehören fichtlich Die zwei darüber allein ftehenden Geſtal⸗
ten der Giebel dazu : den eine kennzeichnet ald Jupiter der gehobene dro⸗
122 8. B. Etarf,
bende Arm mit Donnerleil und der Adler zur Seite, doch wer ift
der Andere? Bisher ſchwankt man in feinen VBenennungen, man
nennt ihn Pluto oder Vulkan. In xömifcher Imperatorentracht fteht
er da, fein Haupt umgibt die Strahlenfrone Es ift Niemand an-
vers als der Sonnengott, ber römifche Sel, der mit Sarapis zu
einer Bildung verfhmolzen ift, daher nicht als jugendliche Geftalt,
wie in Hellas, ſondern als König gebildet ward.
Haben wir dieß richtig erfimnt, dann ergibt fich fofort auf bie
einfachite und befriebigenpfte Weife die Grundlage der Götterauswahl
und tamit ihre ganze Bedeutung. Was hat man nicht berumges
beutet, um biefe Götter für bie Regierung Otto Heinrich gleichſam
genießbar zu machen! Es find feine anderen, als die fieben mächti-
gen Geftirngötter des Alterthums und des Mittelalters: Sonne,
Mond und die fünf alten Blaneten: Saturn, Yupiter, Merkur, Mars
Venus: alfo die himmlifchen Mächte, ver Geburtftunde des Men»
fchen und aller entfcheivenden Stunven des Menfchenlebens, die im
aftrologifchen Glauben gerade des 16. Jahrhunderts fo feſt wurzeln,
für einen Melanchthon, den Rathgeber Dtto Heinrichs volle Geltung
befigen, mit beren Lauf noterifch der Kurfürft jelbit fich eingehen
befchäjtigte. Nun ordnet fih auch Alles in beitem Zufammenbange.
Wir fehen, die plaftiichen Darftellungen ver Façade des Palajtes
bilven zufammen einen fchönen Spiegel der fürftlihen Regierung.
Auf ber Kraft der Perfönlichkeit, auf den Heldenthum des Volles
baut fich ficher die fürftiihe Gewalt auf; fie hat ihr Centrum in
der Uebung der chriftlichen Tugenden vereint mit Stärke und Ges
rechtigfeit, fie fteht envlih unter dem Einfluß höherer Potenzen, einer
himmlischen Leitung, die fih im Laufe der Geſtirne kundgibt.
Und dieſe Zufammenftellung ift feine außer dem Gedankenkreiſe
jener Zeit liegende, im Gegentheil fo recht begründet in der chriftlich-
humaniftifhen Anfchauung der Künftler und Kunſtförderer. Wir
finven in Italien, aber auch in Deutjchland treffende Belege dafür.
So malte im Palaft Schifanoja zu Ferrara Pier della Francesca
(+ 1484) geſchichtliche Thaten eines Herzogs von Ferrara, darüber
in Reihen Zeichen des Thierkreiſes, Götter und Tugenden, fo ordnete Bes
rugino im Saale des Collegio di Cambio zu Perugia um 1500 Männer
bes alten Zeftamentes und antike Helden, Tugenden, Apollo und bie
Das Heibelberger Schloß ꝛe. 123
Planetengötter über einander, fo zeichnete Rafael feine herrlichen Pla⸗
netengötter für die Kapelle Chigi der Kirche S. Maria del popolo.
a, entfprechende Darftellungen an Hausfacaben begegnen uns aus dem⸗
felben Decennium, wo das Werk in Heidelberg entftanden iſt: an
anem Haus in Florenz malte im %. 1554 Meijter Gherardo, gen.
Deceno, eine Friesreihe und einzelne Geſtalten übereinander, ba bes
gegnen uns bie fieben Blanetengötter, vie ficben Lebensſtufen, die fieben
Ingenden, bie fieben freien Künſte; die Befchreibung der Götter
fimmt in auffaflender Weife mit dem unfrigen zufammen. An einem
Hanfe in Unteröjterreih in Eggenburg find vie Sgraffitomalereien
(dell auf dunklem Grunde) vom %. 1547 erhalten, mit den horizonta⸗
in Reihen von Darftellungen; bie “oberften find wieder die Planeten-
götter. Aber noch eine fpeciellere Beziehung ver fieben leitenden Ge⸗
fine zu der Würde und Stellung Otto Heinrich’8 ergeben gleich-
kitige Denkmäler. Was Schiller in jeiner Ballade vom Grafen von
Habsburg fo ſchön fagt:
Und alle bie Wähler, bie fieben
Wie der Sterne Chor um bie Sonne fih ftellt,
Umftanden gefchäftig den Herrſcher der Welt
Tie Würde des Amtes zu üben,
das war bis zum J. 1811 an der dem Rathhaus zu Nürnberg
gegenüber einft befinplichen Kapelle des Schatzamtes als befrönendes
Gefims zu fehen; fie war 1526 erbaut worden. Da unigeben eine gewal«
tige Sonne, die zugleih Uhr iſt, der Kaiſer und ber König von Böh—
men und rechts und links orpnen fich die Kurfürjten, vie geiftlichen
und die weltlichen und zu jedem ift eine planetarifche Gottheit ges
ftellt, jo ver Mars zu Kurpfalz. Die zwei weiblichen Gottheiten und ver
friedliche Merkur find ven geiftlihen Kurfürſten zugetheilt. Das Bild
ver Welt, des Kosmos, ift auf das Reich übertragen. Unter ver
bimmlifchen Leitung der Geftirne ftehen ſpeciell dic Leiter des Rei—
bes, die Kurfürften, ihr irdiſcher Abglanz. Und das ift offenbar
auch bier an ter Facçade ausgefprochen.
Rachdem wir jo in eingehenverer Weife das Berftinpniß der Fa—
sabe in architeftonifcher und plaftifcher Hinficht uns gefichert haben,
darf ih auf vie Einzelbetrachtung der erhaltenen wenigftens fünf
Thũrportale bes Innern verzichten. Diefelbe Sauberkeit der Arbeit
124 8. 8. Star,
zeigt fich bier wie ſchon bort befonvers im Flachrelief der Thürbe-
kleidung, viefelbe Weichheit und Gefchid in Behandlung der Körper
formen der männlichen und weiblichen Hermen, ber ftehenben ober
ſchwebenden Viktorien, ver zwei ruhenden antiten Geftalten, etwa Fluß⸗
gottheiten im Giebelauffag, ver Blumen und Fruchtgehänge haltenden
Genien, derſelbe in die komiſche Arabesfe Hinüberfpielende Humor ber bär-
tigen Masten, dieſelbe doch noch im Zaum gehaltene Neigung zu über»
quellenden, etwas unruhigen gefünftelten Ornamentbilvungen, bie bem
Wappenrefte entftammen, und fo bietet enplich jeber Blid auf eine
ber zurüdgebliebenen Conſolen ber Gewölbe eine - anmuthige und
eigenthümliche Form bar.
Wohl haben wir nun aber däs Recht, uns die Frage nach ben
bildenden Händen, nach dem Tünftlerifchen Geijte, ver hier gewaltet,
vorzulegen und genauer zu zergliedern. Leider find wir bis jetzt dar⸗
über noch ohne allen bocumentalen Anhalt. Eine immer in Büchern
wiederholte Tradition fchreibt ven Entwurf des Ganzen Michel Ans
gelo zu, eine andere will einen Heidelberger zum Künſtler machen.
Es fteht wohl zu hoffen, daß genauere Nachforfchungen in ven Ba-
pieren über die Hofverwaltung der Zeit Otto Heinrich's in dem
Reichsarchiv und in dem Hausarchiv zu München ung Auffchläffe beftimm«
tefter Art bringen werben. Inzwiſchen Fönnen wir boch zu gewiffen
aligemeineren Refultaten aus der Funftgefchichtlichen Betrachtung ges
langen. Zunächft ftehen wir nicht an, zu behaupten, daß ber Plan
bes Ganzen wie die Detaildurchführung fehwerlich von einem italieni⸗
ihen Baumeifter und Bilphauer, am wenigften ven einem römifchen
ober Florentiner berrührt, fondern von einem deutſchen, ver allerdings
in Stalien, und zwar vorzugsweife in Oberitalien, in der Lombardei
und Venedig feine Studien gemacht hat. Bei der Beichreibung haben
wir ſchon mehrfach auf die noch vielfach durchklingenden gothifchen For⸗
men aufmerkfam gemacht, fo auf Thür⸗ und Fenfterladung der Sou-
teräns, jo auf die Langbildung und Eintheilung der unteren Fenſter⸗
reihe. Wir können noch viel dem Entfprechendes hinzufügen: fo bie
Bildung der an und für fich fehr teilen SFenftergiebel, beſonders bie
Umbiegung der Profilirung in den Eden, dann ver ganz mittelalter-
liche, romaniſche Charakter ver vie oberen Fenfter umgebenden Säul-
hen — vomanifche Formen treten befanntlich in ber Schlußzeit ber
Das Heibelderger Schloß ıc. 125
Gothik wieder mehrfach hervor. Ein Staliener dieſer Zeit würde
ſchwerlich doriſchen Triglyphenfries mit ionifchen Bilaftern verbunden
haben. Auch die hoben Giebel deuten nicht eben auf italienische Bau⸗
meifter bin, ebenfo wenig jene gefräufelten veichen giebelartigen Ab⸗
Ihluffe über den Portalen. Was die Plaftif betrifft, fo machte einer
ver biftorifch gebilvetiten Bildhauer, mit dem ich das Vergnügen hatte,
ten Yan aufmerkfam zu burchmuftern, Herr von der Yannig, auf bie
überaus reiche, ächt nordiſche Behandlung des mittleren Wappens aufs
merffam, ebenfo wenig entfprechen vie muficirenden Genien ober
Engel irgend ber fonftigen italienifchen Bildung viefer fo reich ver«
tretenen Gattung.
Endlich ijt auch zu erwähnen, daß wenigſtens an einzelnen ber ins
nern Portale Steinmebzeichen fich finden, die noch auf einen Bau⸗
hättenverband hinweifen, wie er bei den Stalienern, wenigitens den
florentinifchen und römifchen, in dem 16. Jahrhundert nicht mehr
nachweisbar ift.
Treten uns alfo ſehr bezeichnente Unterfchiede dieſer Renaiffance
auf deutfchem Boden von der italienijchen derſelben Zeit entgegen,
je haben wir fchon oben die Bildung des Künftlers auf italifchem
Boden als ganz ficher bezeichnet, wir haben zugleich das nähere Ter⸗
ritorium anzugeben fein Bedenken getragen. Zunächft ift zu fagen,
in der Schule des Michel Angelo haben wir den Künftler nicht zu
ſuchen. Finden ſich auch bereits einzelne Anflänge an veifen plaftifche
germen, wie in jenen männlichen Portalgeftalten, wie in den nadten
Relieffiguren über einer Thüre, wie in einzelnen Gewandungen, fo ift
tie Gefammtanordnung, ift die reiche, zierliche Behandlungsweiſe ver
Flähenernamentation ihm ganz fremd. Jene Anklänge weifen nur
anf den in jenen Jahrzehnten bereits über ganz Italien fich verbrei⸗
tenden Einfluß bin, dem auch tie Schulen Oberitaliens ſich nicht ent=
pyen. Oberitalien, das mailändifche Gebiet und das Gentrum der
tortigen Bilchauerfchule des 16. Jahrhunderts, die Karthauſe von
Paria Haben aber fpeziell auf unferen Künftler beftimmend gewirkt.
Die Belebung ver Balaftfronte turch Statuen in Nifchen iſt dert auf
das reichfte durchgeführt, Lombarden haben baffelbe auch in Rom an
Paläften angewendet. Dort finden wir ganz diefelbe reiche Flaächen⸗
deloration der Pilafter, dort genau denſelben belrönenden Arabesten«
126 2. 3. Earl,
fhmud über ten Fenftern ftatt tes Giebeld wierer, dort dieſelben
Medraillons mit Kaijerlöpfen, tert tiejelbe Berwendung von Hermen
an ten Fenſterſtäben, tert auch tie Neigung zu einer dem gothijchen
Etilgefühl entſprechenden teforativen Ueberfülle, dort in ftatuarifcher
Beziehung treifliche Zorbilver für tie Anmuth bes Ausprudes, ber
Bewegung und ten reichen Zaltenwurf unjerer Statuen. Daß aud
bie venetianifche PBalaftarchiteftur des Jacopo Sanjovino, feine Münze
von 1535 und Bibliethef 1536 unjerm Baumeijter nicht unbekannt
geblieben waren, möchte ich 3. B. aus jenen die Edflidyen über den
Portalen füllenden Tiktorien und aus Maslenbildungen ſchließen.
Immerhin bleibt tem Künſtler jelbftjtäntiges Verdienſt in hohem
Maße. Und vor Allem leuchtet durch das Ganze ter finnige, auf
das wahrhaft Bedeutungsvolle und Entſprechende gerichtete Geiſt bes
fürftlichen Erbauers durch. Che wir von ihm Abfchied nehmen, fei
e8 und verjtattet, auf den merfwürbigen Eonflift hinzuweifen, in wel
chen tiefe künſtleriſche Richtung Otto Heinricy’8 mit der in Heidel⸗
berg bereit fcharf fih ausprägenden Richtung der fchweizerifchen Re
formation gerieth, aber auch auf vie entfagenve Schonung, die ber
Kurfürft in derfelben bewies. Er hatte der Sitte feiner Zeit gemäß,
ſpeciell als ver Lebte feines Zweiges, ein prächtige® Grabdenkmal
ven weißem Marmor für fih in Angriff nehmen laffen, weiches im
Chor ter hi. Geiftlirche errichtet werden follte. Da erregte die Frei⸗
heit im Nadten, bie die Künftler bei der Darftellung ver fieben klu⸗
gen Jungfrauen wie ber Cherubim fich erlaubten, .bei vem Pfarrer ver
Kirche Johann Flinner großen Anftoß, ihm fchloffen ſich die andern
Geiftlihen im Widerſpruch zu dem lutheriſch gefinnten Hofprebiger
Zileman Heßhuſius an und der Kurfürft ließ darauf Alles, was Ans
ftoß erregen fonnte, vom Denkmal entfernen.
Unter den nächften Nachfelgern Otto Heinrich's, unter Fried⸗
rich III. dem Frommen (1559 — 1576), deſſen Sohne Ludwig VL
(1576 — 1583), unter der Adminiftration von Johann Eafimir (1583
— 1592) ruhte die gewaltige Bauthätigfeit, welche unter Fürfter ber
mit Otto Heinrich erfofchenen Heidelberger Linie faft ununterbrochen
auf dem Schloſſe zu Heivelberg geherrfcht hatte. Das religiöfe, das
ſpecifiſch theologiſche Intereffe trat ganz in den Mittelpunkt des fürfte
lichen wie des Vollslebens; die ftreng reformirte Richtung, welche
Das Heidelberger Schloß ıc. 127
durch Friedrich III, dann von Neuem durch Johann Caſimir in voll⸗
ftem Umfang und mit vollſtem ſittlich regelnden Einfluß auf alle Le—
bensverhältniffe in der rheiniichen Pfalz zur Herrfchaft gelangte, war
einer wahren Kunftentwidiung durchaus ungünftig. Andererſeits freie
id wurde Kurpfalz durch dieſe religiöfe Stellung zugleich zu einer
fehr bedeutenden politijchen geführt und nirgendwo in Deutfchland
fanten fo frühzeitig die neuen Elemente ter Eultur in Induſtrie,
!andesanbau und Verwaltung, in reicherer Gewöhnung des häuslichen
Lebens, in Eleganz und weltmännifcher Feinheit des Hoflebens, in
glänzenden, aber auch auf Gelehrjamfeit bajirten Fejtlichkeiten, frucht«
bareren Boden als gerade in der Pfalz durch die einwandernden refor-
mirten Franzoſen und Wallonen, durch die engen Beziehungen zu ben
Zührern ver Hugenotten und zum königlichen Hofe von Tranf-
reich, zu den Generalftaaten und England. Sowie das politifche und
Sulturintereffe das religiöfe überwog, wie e8 unter Friedrich IV., dem
Zögling Johann Safimir’d der Fall war, finden wir daher auch neue
up fehr bedeutende Unternehmungen, um feine Intereſſen äußerlich
m imponirender Weife auszuprägen.
Der Bau Friedrich's IV., welcher die Schloßkapelle und darüber
m zwei Etagen bie furfürftlichen Wohnzimmer enthielt, ijt heutigen
Tages ber in die Augen fullendfte und wohl erhaltenjte Theil des
ganzen Schloffee. Er bildet tie Hauptmafje ver Norpfeite und ent«
faltet, über vie breite, prachtvolle Zerafje frei hinausſchauend, auch
für ben fernen Beſchauer feinen Glanz, während feine andere Facade
mit fpecififch plaſtiſchem Schmude tem Schloßhofe zugefehrt ift, aber
hier fichtlich durch feine tiefere Tage fchon in der Wirkung beeinträch-
tigt wird. Friedrich IV. ließ im Jahr 1601 vie dort vorhantenen
alten Baulichkeiten, befonders einen großen Theil ter alten Kapelle
abreigen und am 2, Auguft warb ter Gruntftein zum neuen Bau
gelegt. Im Verlauf von ſechs Jahren war das Werk vollendet. Die
bildneriſchen Werke taran wurten im Laufe eined Jahres von tem
Meifter Sebaftian Götz aus Chur, der mit acht Gefellen dazu ges
lommen war, gefertigt. Am J. 1608 ward an Stelle eines Theile
tes nördlichen Schloßwalles ver Schloßaltan mit feinen Eckpavillons
und der fchönen in Bogen geöffneten Gewölbhalle erbaut. Auch ber
Schloßhof, bieher in feinen Abfägen die verfchiedenartige Erweiterung,
128 2.2. Stath,
barlegent, wart nun turch Planiren, durch Errichtung von Rampen,
durch Anlage eines großen Waſſerbaſſins mit Springbrunnen, durch Aufs
ftellen ven Thelisfen, von antiken Gegenitänten, wie einer Statue det
Merkur, eines Altars, Funden der Umgegend, zu möglichiter Einheit
umgebilret.
Wir ſehen bereits ein neues architeltenijches Princip hier fich zuerſt
geltend machen, welches in Italien feit Viichel Angelo’8 Bauten, feit
Piero Ligerio und Vignola zu immer durchgreifenderem Einfluße ge
langt war, und jo eben in Frankreich unter Heinrich IV. ben neuen
Anlagen veffelben in Paris eine bejonvere Bedeutung verlied — id
meine das Prinzip der perjpectivifchen Wirkung, ter Berechnuug bes
einzelnen Banes als Glied einer großen räumlich imponirenden Ans
lage. Noch erſcheint diefe Richtung bier gemäßigt, aber fie ift voll
ftändig eingetreten. Damit hängt eine völlig andere Behandlung ber
einzelnen architektonijchen Glieder zujanımen; fie werden maffenbafter,
wirkjamer im Schattengeben over als reine Flachverzierung gebilvet.
Die Aufgabe war für diefen Bau, wie die fateinifche, nicht mehr
beutfche Injchrift über dem Durchgang es ausfpricht, nem Gottete
bienft und einer bequemen Wohnung zu dienen und die Bilder ver
Borfahren zu zeigen». Es mußte daher das Parterre mit feinen
Senftern bedeutend höher gebilvet werben, als bie oberen Stockwerke,
und an den Fenſtern ver Eirchliche Charakter noch hervortreten. ‘Das
bei macht fich unverkennbar ter vorbildliche Einfluß des Otto⸗Hein⸗
rich'sbau's geltent.
Die Gejammtverhältnijfe find entfchieden weniger günftig, wie
bert: das Ganze erfcheint fteiler, Schlanker und vicl unruhiger. Wüh-
rend dort die Theilung nad) Höhe und Breite nach ten Zahlen 3:5
erfolgt, ifi fie hiernah 3:4 durchgeführt. Zwei Eingänge in ver Mitte
und an dem einen Ente entiprehen fich und theilen bie Breite in zwei
gleiche Hälften. Die Facadenfläche wird durch Pilajter mit Gebäft
eingetheilt und zwar felgt bier tosfanifche, berifche, römische Ordnung
auf einander. Die beiten noch erhaltenen Giebelmände aber erfcheis
nen ſchon als Dekoration ohne entfprechenten durchgehenden Giebelban,
fügen nech eine korinthiiche Ordnung darauf und jchließen mit Spi⸗
valen und Halbkreiſen ab. Die Nifchen, je vier in jeder Etage zur Auf
nahme der Statuen find in die Pilafter eingejenkt und auf ſchweren Krag⸗
, Das Heidelberger Schloß ꝛc. 129
feinen tritt tie Fläche mit den Statuen hervor. Die Fenfter, je 8
in einer Reihe, folgen in der Bildung ihrer Pfeiler der Ordnung ber
Etage, fie find alle von Giebeldreiecken befrönt, die Kapelleufenfter
enden im Halbkreis und haben in einem Rund und den zwei einge-
sreneten Rundbogen noch eine Neminiscenz wie gothiſches Maßwerk.
Bärtige alte Männerlöpfe, troßige Lanzinechtgefichter, endlich feine
Ruaben- und Mädchenköpfe fchauen aus den Giebeln bizarr hervor.
Un gefchnörkelten Wappenſchildern, Löwentöpfen, Confolen, reich ger
ſchliffenen Cvelfteinen ift fein Mangel, ſpröde und fcharf fpringen
ihre Zierrathen wie von Blech ober Leber gejchnitten hervor. Und
wieber überveden Riemengeflechte mit fehnallenartigen Punkten bie
ſchmalen längeren Flächen. Es iſt als wenn Schloffer und Riemer
bier im Stein alle ihre Geſchicklichleit zur Schau gelegt Hätten.
Die Yufchrift bezeichnete bereits die Statuen als Ahnen Yried-
rich's und die Gelehrſamkeit Marquard Freher's, des trefflichen Ver⸗
faffers der Origines Palatinae hat ihr Mögliches geleiſtet, ſechzehn
Ahnen geſchickt auszuwählen. Namen und Todesjahr ift in lateiniſcher
Yafchrift beigefügt. Von oben nach unten folgen ſich die Reihen auf
einander. In den Giebeln finden wir Karl ven Großen (814), Otto
von Wittelebach (1183), Ludwig I. (1213 sic!), Rudolph I. (1329);
Karl ven Großen als Stifter der rheinifchen Pfalzgrafenwürbe, ob
auch als Ahn ift mir nicht näher befannt. Die andern drei bezeichnen
alſo Die erften Uebertragungen an vie Witteldbacher und fpeciell an
ven einen Zweig feit Rubolph I. Die zweite Reihe befteht ans lau⸗
ter Königen aus wittelsbachiichem Stamme; da reihen fich Kaifer Lud⸗
wig ver Bayer, Ruprecht von der Pfalz, König Ludwig von Ungarn
(1312) und Chriftop& II. von Dänemark (1539 sic!) an einander.
Die dritte Reihe führt vier bedeutende Fürften ver Pfälzer Linie vor,
NAuprecht I., den Begründer ver Ehren des Kurhauſes, Wriebrich ven
Giegreihen, Friedrich II. und Otto Heinrid. Die vierte bilven bie
vier legten Kurfürften der Linie Pfalz- Sinmmern von Friedrich ILL.
bis zum Stifter des Baues Friedrich IV. Das Coſtüm iſt bei allen
trefflich und mit eingehenver Kenntniß behandelt, die Gefichter und bie
ganze Haltung zeigen eine energifche, etwas rohe Naturmwahrbeit..
Ein anderer Geift lebt fichtlich in viefen Bildwerken, al8 in be-
nen des Ottoheinrichsbaues. Das fürftliche Hausintereffe überwuchert
Oepeciſche Zeitfarift YL Baus. 9
130 8. 3. Siark,
ben Trang nach einer idcalen begeiſtert verfolgten Cultur. Zugleich
ipricht jich eine gewilie Unrube, ein Streben, Kraft und Würde zu
jeigen, bier aus, aber noch nicht geipreist unn hohl. Die Justitia
die oben zwijchen ven Giebeln doppelt verhanten ift, war reine Allegorie.
Mit ihr jteht in einer Ortbeziehung ver hebräiſch und lateiniſch ge
gebene Spruch über rer Kapellenthüre; „das ijt die Thüre bes Herrn,
bie Gerechten werten durch jie eingehen.“ Die Gelehrfamfeit und
zwar eine grünkliche philologiſche hatte durch Friedrichs Lebendige
Fürſorge in Heitelberg und in naher Beziehung zum Hofe eine treff-
lihe Stätte gefunten. Männer wie Janus Gruter, Baul Melijjus,
Friedrich Sylburg, Heinrich Smetius, Pitiscus, Pitheus, ber
Jurift Gothefredus, ver Orientaliſt Chriſtmann wirkten damals an
ter Univerſität, an Regierungeſtellen, an ver Bibliothek hier vereint.
Aber dieſe Gelehrſamkeit, teren wilfenjchaftliche Rejultate fo hochbe-
beutend waren, ijt weit verjchieten ven jenem lebendigen, poetiſch ges
ftaltenden Humanismus, wie er fünfzig Jahre früher in einem Jalob
Michlius und anderen jich thätig erwies.
Gleichzeitig mit dieſen für ven Charalter der Zeit fo bezeich-
nenten Bauten im Bereiche des alten Sites ver rheinifchen Kurfür-
ſten fällt eine Anlage von Friedrich IV. der umfaſſendſten Art, welche
fo recht aus der weltpolitifchen Stellung, die das Kurfürſtenthum fo
eben ji) errang und aus modernen Gulturbejtrebungen hervorging,
eine Anlage, welche hundert Jahre fpäter die Stadt und das Schloß
Heidelberg ganz in den Hintergrund drängen follte. Ich meine bie
Grüntung Mannheims: am Zufanmenflug von Nedar und Rhein
als eines feſten Bollwerks der protejtantijchen Union, als eines Siges ber
täglich mehr in der Pfalz zufammenftrömenten fremden proteftanti«
ſchen Familien, als eines trefflichen Plages für Handel und Lebens⸗
thätigfeit. Am 17. März 1606 ward ter Grunpjtein in feierlichiter
Weiſe dazu gelegt, im Jahre 1610 meldete bereits die Juſchrift des
Neckarthores, daß Friedrich IV. bieje gemeinnügig edle Stadt mit Wall
und Mauern umfchlojfen, ven guten Bürgern das Thor dazu
geöffnet habe.
Friedrich IV. ftarb im felben Jahr noch in jüngerem Maunes
alter, jein Erbe war der vierzchnjährige Friedrich V., zunächft unter
die Vormundſchaft des Pfalzgraf Johann von Zweibrüden geftellt,
Das Heidelberger Schloß ıc. 131
jet 1614 aber ſelbſtſtändig vegierend. Nie hat die rheinifche Pfalz
umd jpeziell Heibelberg glängenvere Tage gejehen, als bei dem Ein-
mge des 17jäbrigen Fürſten mit ver jungen Gemahlin aus engli-
ſchem Königsſtamme, Elifabeth, im Sommer 1613, nie bat ritter-
liche Gefchicklichkeit , franzöfifche Weltfitte, antike Gelehrſamkeit mehr
gewetteifert in Feſtbauten, Aufzügen und Spielen, nie find hochflie-
gnbere Plane für die Pfalz genährt werben, als in ven Jahren 1613
Ks 1619 — aber audy nie ſtand ber furdtbare Umſturz des Kur⸗
hanſes näher, nie die Drangfale des Krieges für das ganze Land,
wie bie zerftörende rohe Gewalt für die Herrlichkeit des Heidelberger
Schloßes. Und tiefe Herrlichkeit zu mehren, die ganze Umgebung wie
wit einem Zauberichlag aus dem Charakter einer kräftigen Gebirge-
natur in ein wohlgezogenes, zierlich gefchmüdtes Kind menfchlicher
Kunft zu vereveln, daran arbeitete Friedrich V. mit größtem Eifer und
mit maßlofer Verſchwendung der Mittel.
Zunächſt galt es ter jungen Fürftin eine neue glänzende Wohe
aung zu fchaffen, tanı aber rechts und links ältere Räume für große
Ruuftjammlungen wie für fürjtliche Banquets umzugeftalten. Auf den
tihn aus ver Tiefe unter Ludwig V. emporgeführten Befejtigungs-
manern, bie den diden Thurm mit bem eigentlichen Gebäubdecompler
bes Schloßes zur Verbindung brachten und hohe gewölbte Kafematten
im fich einfchließen, warb nun der fogenannte engliiche Bau errichtet,
jest nur noch in den Außenwänden, aber auch nach der Stabt zu
aur in dem untern Stode erhalten. Kleine Gartenanlagen zieren in
dem Innern den fogenannten englifchen Bau und nur vereinzelte Reſte
ver feinften Stuccaturarbeit in ben Fenſterniſchen lajjen vie Pracht
des Innern ahnen, zu deſſen Ausſchmückung ver angefehene Maler
Fonquiered aus Antwerpen berbeigerufen ward. Eine kunſtvolle Dreh⸗
bräde ließ unmittelbar von einer Thüre des unteren Stodes hinüber
in den jogenannten Stüdgarten gelangen, ver feine Bedeutung ale
Baftion nun ganz verloren und als ein herrlicher Ziergarten Eli-
ſabethens durch vie noch erhaltene Elifabethenpferte aus dem Jahre
1615 fi zum Haupteingange- des Vorhofes des Schloſſes öffnete.
Das Gebäude erhob ſich über der riefigen Untermauer in zwei
Stodwerten und zwei Giebeln. Die Glieverung nach der Außen-, wie
Yunenfeite überrafcht gegenüber dem eben betrachteten Schlokbau
g*
132 8. 3. Stark,
Friedrich's IV. durch ihre Einfachheit; nach Außen erſtrecken ſich zehn
flache, fchlante Wunppfeiler mit einem Fußgeſims und einem beirö-
nenven vorgelirpften Gebälf ungetheilt durch beide Etagen durch und
zwifchen fie fügen fich je zwei neue große Bogenfeniter ein. In ven
hohen Erkergiebeln machten ſich nach den erhaltenen Zeichnungen durch»
aus einfachere gefchwungene Linien geltend. Die Zacade nad) dem Schloß.
graben und dem Stüdgarten zu hat gar feine ſenkrecht durchgehenden
Glieder, fonvern nur ein einfaches Horizontales Band und demgemäßes
Hauptgefims und imponirt fenjt mit ihrem einfachen Duaberban. Die
rechtedigen Fenfter find fauber umrandet und durch ein kräftiges Ger
bält befrönt, an dem eine convere Fläche herrfcht.
Wie kommt dieſe fo einfache, fait nadte aber auf das künftleri-
[he Auge wohlthätig wirfende Form auf einmal in vie Reihe ber
bisher von ung kennen gelernten, barod überreichen Stilentwidelungen bes
Schloßes, wie paßt fie zu der Prachtliebe ihrer Beivohner? Unver-
fennbar fpricht ſich bier ein ſehr beftimmter, aus der Fremde friſch
bereingebrachter Stilgevanfe aus. Es ift in einfachlter Weife das
von Balladio in Vicenza durchgeführte Syitem, das damals foeben
von Inigo ones, dem jugendlichen Baumeifter des 1612 ver-
ftorbenen Prinzen von Wales, nach England gebracht wurte und in
dem von ihm fpäter das berühmte Schloß zu Wpitehall gebaut war.
Zu gleicher Zeit brach taffelbe in Frankreich unter Heinrich IV. ſich
Bahn und ift in großartig einfacher Weife an tem Schloß zu Et.
Germain, dem Lieblingsaufenthalt jenes Königs, durchgeführt.
An die Vollendung des englifchen Baues im Jahre 1615 fchloß
fih jofort die völlige Umgeftaltung ver anftoßenden Baulichleiten, aber
kaum ift ein Theil des Schloßes fo zerftärt, al8 der auf ber Grund»
lage eines Theiles der alten Schloßkapelle und der anftoffenben kirch⸗
lihen Räume aufgeführt nun dem Glanze der rafch wechfelnben Seite
dienen fellte. Auch der Eunftreiche Oberbau des dien Thurmes mit
feinem ſich frei tragenden Gewölbe, einem Werte eines Nürnberger
Architekten, ift zum größten Theil längft in die Tiefen geftürzt. Nur noch
an dem erhaltenen Theile ber gewaltigen Wauerfchale, den ber be⸗
rühmte Epheu überkleibet, fteht die pompöfe Inſchrift, die das Werk
Friedrichs aus dem Jahre 1619 meldet und dabei im Grün faft ver-
ftect die Statuen des ehrenfeften männlichen Ludwig V. nnb des ga
Sant fi) drehenden jugenblichen Friedrich's.
Das Heidelberger Schloß ıc. 133
Ter Geift der modernen Cultur und der damit eng verbundenen
Menarchie batte von Stufe zu Stufe fich feit den Zeiten Ludwigs V.
m Schloß zu Heidelberg ausgeprägt; noch fehlte die legte Signatur,
und fie ift ihm noch aufgetrüdt von bemfelben jugendlichen Friedrich,
ver in Zäufchungen über tie Dinge und eigene Kraft, in falſchem
bauſchen nach göttlihen Rufen einer Königswürbe zuftrebte. Noch bo-
ten die Umgebungen tes Schloßes mit Ausnahme des Klifabethen-
garten® auf ter Weftbaftion und eines ältern fogenannten Hafengar-
tens, eines Heinen Wildgartens fünlich vom Schloffe, feine irgend
ine Architektur in näherer Verbindung ftehenden Anlagen dar. Der
prachtvolle Abhang des Königftuhles mit Baumwuchs und Bergiwiefen
erſtreckte ſich hart an ven Fuß ver Mauern heran. Ye mehr bie
mererne Architeltur and ten Innenbau der Höfe, aus der feinen
Deteration zur Maſſenwirkung in die Ferne, zum imponirenven, glän-
men Gefammteindrud fortjtrebt, um fo näher war es ihr gelegt,
auch die Naturumgebung, auch ten vegetabiliichen Charakter berjelben
ihren Gefichtspunften zn unterwerfen, durch jene auf die Bauten vor«
bereitend einzuwirten, die Natur gleichfam einzufchließen in bie ma-
thematifchen Formen und durch die Plaftif zugleich mannigfache Ueber-
gngeftufen zur Natur jelbft zu fuchen. So entftanten die großartig
änfachen Parkanlagen in Stalien, wie die Billa d'Eſte vor Tivoli,
ie Billa des Papftes Yulius III, ver Garten Boboli in Flo—
renz, fo bie Gärten von Fontainebleau und St. Germain. Der
Pilanzencharalter der fünlichen Natur, vie fanften Abhänge ter Berge,
teten treffliches Material dazu dar und bie antiken Wafferleitun-
gen Vorbilder für ähnliche Conſtructionen. Ein folcher moderner
Perf follte nun auch bas Heidelberger Schloß umgeben.
Anfcheinend eine Unmöglichkeit -- und doch hatte Friedrich V.
dazn bereits einen Mann gefunden, ter den ſchwierigſten Aufgaben
ver Mechanik gewachfen war, ver Gelehrfamfeit und einen gewiſſen
Geſchmack in ſich vereinte, einen Dann, der in biefen Anlagen zu«
eich wilfenfchaftliche Probleme zu liefern ftrebtee Der Normanne
Eslomen de Caus als ingenieur gebildet, war in die Dienfte des
Prinzen von Wales, Johann Jakob I., wie Inigo Jones, deſſen
wir eben gebachten, getreten. Dort hatte ihn Friedrich V. bei feinem
Aufenthalt zur Bermählung in England im inter 1612— 1613 offen-
134 8. B. Stark,
bar kennen gelernt. Der Prinz ſtarb in dieſem Winter, und Salo⸗
mon de Caus muß der Prinzeß, der Schweſter ſeines Fürſten, bald
nach Heidelberg gefolgt ſein. Da hatte er ſein erſtes Werk über die
Perſpektive in London im J. 1612 bereits herausgegeben, es folgten
dann zwei Werke, die in Deutſchland erſchienen, im Jahre 1615 bie
Theorie der bewegenten Sräfte mit verfchievenen Dlafchinen und
Zeichnungen von Grotten und Fontainen (les raisons des forces
mouvantes avec diverses machines et plussieurx dessins de grot-
tes et fontaines) in Frankfurt und feine Harmonielehre (Institutions
harmoniques) in Heidelberg. In demſelben Jahre 1615 beginnt
feine große Thätigkeit für die Schöpfung des Heidelberger Gartens
und er hat bier eine Reihe von Entwürfen der Deleration wie ven
Mafchinen für Herftellung des Wafferbrudes, von genau geftimmten
Tönen durch Wafferergeln fofort angewendet. Im Herbft 1619 war
das in ber That riefenhafte Werk großentheile vellenvet, als ber
böhmifche Krieg hemmend dazwiſchen trat. Noch am 20. December
1619 vollendete aber ve Caus fein Werk über den hortus Palatinus
mit einer Reihe von Abbilvungen, um an feinem Antheil bie fpätere
Bollendung möglichft zu fördern. Er rühmt, daß der Kurfärft fi
durch keine Schwierigkeiten und often habe abjchreden laſſen, vaß
fehr vieles aus beffen eigenen Angaben und gnäpigften Verordnen
herrührt.
Es galt zunächſt durch Sprengen der Felſen, durch Aufführen
von ſeſten, zum Theil mit Gewölbniſchen verſehenen Manern von SO
—80 F. Höhe, durch Ausfüllen der Zwiſchenräume den Ranın ber-
zuftellen. Man wird fich heutzutage diefer Tünftlichen Schöpfung ges
wöhnlich nur bei den fogenannten Bögen bewußt. In vier Terraffen
ftieg ver in vie Ede des Gebirges eingefenfte Garten herab, deren
zweite von unten ben eigentlichen Mittelpunkt bildete. Da begegnen
und nun alle Wotive derartiger Anlagen; ein Syſtem gewölbter Laub⸗
gänge, Blumenbeete mit zierfichen buntfarbigen Steinmofailen und
einem reichen Wechfel ver Linien, Irrgärten, Baumſchulen, Baſſins
mit felfigen Inſeln mit Urania und den acht Mufen, mit rubenven Fluß⸗
göttern, mit gewwänberringenben Nymphen, fprigenven wilden Dännern,
mit Venus und Amor ; weiter Portale, freiſtehende Facaden, Prachttreppen,
Nifhen mit der Statue des Kurfürften, Bogenhallen mit fchattigen
—
Das Heidelberger Schloß ꝛc. 135
Grotten und darüber die Thaten des Herkules im Relief. Einen
Stolz bildete die prachtvolle Reihe von Orangenbäumen, die zum
Theil bereits in dem frühern kurfürſtlichen Luſtgarten unten in der
Ebene, in der Vorſtadt neben dem Turnierplatz ſich befunden hatten.
dür fie warb ein großes ſteinernes Gebäude im Angriff ges
sunnen mit beweglichen Wänden. Ueberhaupt wurben num feltene
Gewächle, Blumen wie Bäume bier vereint. Noch fteht heute als
an ebrwürbiges Zeugniß biefer Eultur ein Lebensbaum (Thuia
orientalis, unter bein jungen Gefchlechte der Bäume der jekigen An-
lagen. Die äußerjten Gränzen des Gartens nach dem Thale zu follte ein
heher und breiter vierediger Thurm bilten, aus deſſen Loggia ber
Bid hinaus in die Herrliche Ebene unbegränzt ſchweifte. Ebenſo
waren fchon große Bogen gewölbt, Mauern geführt aus ver Nähe
des Schloßthores am andern Ende der Anlage, um bier für warme
Bäder, für warme Pflanzenhäujer und endlich Wafferorgeln zur Dar
fellung ver antilen Zongejchlechter Räume zu erhalten.
Mitten aus tiefen jo eben ſich vollendenden Echöpfungen ber eigen-
fen Neigung und des Reichthums eines hochblühenden Landes, aus
dem Schloße, dem herrlichen Denkmal eines ruhmvollen glänzenden
Gefchlechtes zog Friedrich V. am 24. Septenber 1619 aus, um bie
Königskrone von Böhmen in Empfang zu nehmen, um, wie er nicht
ahnte, nie wieder in das Schloß feiner Väter zu kehren. Mit dieſem
Tage jchließt die Blüthezeit ver rheinifchen Pfalz, fchließt die Ge-
Ihichte bes Heibelberger Schloffes, des Sitzes ver rheinifchen Kur⸗
fürften. Schon nach kaum trei Fahren war dafjelbe und die Stadt
ver Gegenftand ber heftigften Kämpfe, und das Schloß mit all feinen
Echigen und Vorräthen fiel in Tilly's Hände. Der Stolz und das
Kleinod des Kurfürften, vie bibliotheca Palatina, warb weggeführt,
une wanderte in Folge geheimer Stipulation zwifchen Bayern und
vem Bapft nach Kom. Im J. 1624 bildete e8 den Mittelpunkt ver im
Glück wechſelnden, im Erfolg gleich verberblichen Operationen ver
Raiferlichen, Schweren und Franzoſen in ber biefjeitigen Pfalz. Ein
halbes Jahrhundert fpäter ward durch die Franzofen unter Melac
zweimal im Jahre 1689 und 1693 ein förmliher Bernichtnngs-
lampf gegen die gewaltigeu Mauern und Thürme des Schloſſes ge⸗
führt und das Teuer verwültete den reichen Innenbau.
136 8. B. tert,
Wir find an das Ziel unferer Betrachtungen gelangt, bie Leident⸗
geſchichte des Schloſſes, ver Stadt Heivelberg, ber Pfalz felbft zu geben, fiegt
nicht in unferem Plane. Die gewaltige Mahnung für Deutfchland,
welche aus den Decennien des 17. Jahrhunderts und aus ber ZJer⸗
ftörung des Schloſſes fo vernehmlich uns entgegentönt, in einbring
licher Weife und auf der Grundlage lebendiger Schilverung ber Sce⸗
nen auszufprechen, muß ich dafür Befähigteren überlaffen. Nicht ums
fonft aber, hoffe ih, find wir an ber Hand der Anfchauung, mitten
aus dem Genuffe der Betrachtung des gegenwärtigen Zuſtandes zu-
rüdfgeleitet worben in bie frühern Culturepochen unfere® Volles, ba
ben vor allem verweilt in jenem fo unendlich reichen Seit.
alter der Reformation und bei feinen herrlichen Blüthen in
Kunft und Bildung, deren Schimmer und noch heute entgegenglängt,
deren Früchte wir noch heute genießen. Dorthin werben wir auch
unferes Erachtens immer zurüdgreifen müffen, wenn es fi darum
handelt, in Gebilven der monumentalen Kunft nicht einfeitige Theorien
nur zurückgewendeter Sehnjucht, fonvern bie ebelften bewegenden Kräfte
ver deutjchen Nation zur Geltung und zum vollen Ausbrud zu bringen.
Kiterarifche Wotis.
Die äußere Korm dieſer Abhandlung war zunächft bebingt burch ben Zweck afe
Borlefung einem großen SKreife von Mäunern unb Frauen in ben Mufenm zu
Heibelberg in einem für das Denkmal Steins zufammengetretenen Vereine vorge⸗
tragen zu werben. Yür die allgemeine hiftorifhe Unterlage war mir durchaus
Dudle Ludwig Häußers Geſchichte der Rheinifhen Pfalz nad
ihren politifhen, kirchlichen und Literarifhen Berhältniffen. 2 Bde 2. Ausgabe.
Heidelberg, 1856, ein Wert, dem die vielfeitigfte Anregung unb Belehrung auch
für meine Gefihtspunfte zu verbanfen ich gerne Öffentlich befenne.
Spezielle Quellen:
Hub. Thom Leodii de Heidelborgae antiquitatibus bei befr
felben: Annales de vita ot rebus gestis Friederici II. (1556 ge
ſchrieben). Franlfurt 1624.
Melchior Adami apographus monumentorum Heidelber-
gensium. Heidelberg. 1612.
Das Heidelberger Schloß ıc. 137
Marqu. Freheri Origines Palatinae, bannchronicum breve
eiritatis Heidelbergae. Ed. Heidelbergae 1612.
9. &. Widder, Berfuh einer geogr. Hifl. Befhreibung ber
tnrfüäral Pfalz Erſter Theil 1786.
Topographiſche pfäl ziſhe Bibliothek. Mannheim. ©. 789.
e 1 — 54.
Fr. Beter Wundt, Geſchichte und Befhreibung der Stabt
Seidelberg. Bd. 1. (der einzige). Mannheim 1806.
Alois Schreiber, Heidelberg und feine Umgebung. 1811.
Dr. Th. Alfr. Leger, Führer für Fremde, bie die Ruinen bes
Seinelberger Schloßes beſuchen. Erſte Auflage 1814. Vierte herausgeg. von
8. v. GSrainsberg. 1849 (turz und genan).
Johann Metger, Beihreibung bes Heibelberger Schloßes
nd Bartens Mit 24 Kupfertafeln. Heibelberg 1829 (ein fehr grünb-
bes Werl)
8. E. v. Leonhard, Fremdenbuch für Heidelberg um. bie Um-
segent. 2 Ubthlgu. Heidelberg 1834. 8.
Richard Janillon, Wanderungen durch bie Ruine bes Hei.
beiberger Schloßes und feine Umgebungen. 1857.
Monographie du chäteau de Heidelberg dessinde et gravde
pr Rod. Pfnor, accompagnde d'un texte historique et descriptif par Da-
ziel Ram'e. Paris. Morel et C'*. 1859. folio. 24 Kupfertafeln, ein zum
geßen Theil jehr gelungener Text, warm unb geſchickt gefchrieben.
Unter ben überaus zahlreichen Abbilbungen mit umb ohne Text waren für
mi von befonberem terefle:
Beb. Hunsteri, Cosmographia. Baſel, Herm. Peri 1548.
y. 495. NUutgabe von 1628 p. 1043.
Merian, Topograpbhia Palatinatus Rheni. 1649. p. 87. ff.
Ch. deGraimberg, Antiquitds du chäteau de Heidelberg.
Euerfelio. 7 Hft. (unfhägbear für das architeftonifche Detail, leider unvollenbet).
Primavesi, 12 Anſichten bes Heidelberger Schloßes. 1802.
38 ©. 6 |. de Luo phyfilalifhe Reifen. 1781. 1 ©. 666 fi;
SL and Abt v. Berola maleriihe Reiſe. ©. 81.
©. 7. Das Gebdicht von Hölderlin erfhlen 1801 in ver Aarkiiht
138 E. B. Stark,
Aglaja, dann in feinen Gedichten. Stuttgart bei Cotta. Bon Klemens Brer
tano ift das “Lied von eines Studenten Ankunft in Heibelberg und feinem
Traum auf der Brücke.“ In ber Nacht wor bem Danffefte den 26. Yuli 1806*,
als fliegenbes Blatt bei Mohr und Zimmer gebrudt, ein Lieb, welches ſehr
verdiente, nach feiner löfchpapiernen Erfheinung im mobernen Gewanb wieder
anfzutreten. Die Worte Göthe's ſtehen im weſtöſtlichen Divan Buch, im bem
Gedicht: In Gegenwärtigem vergaugen. Die Kenntuiß ihrer Beziehung anf
Heidelberg verdanke ich meinem verewigten Collegen, geb. Kirchenrath Umbreit
©. 12. Für die römischen Dentmale in ber Pfalz, fpeciell bei Heibelberg
vergl. Ereuzer, zur Geſchichte altrömifher Kultur am Oberrhein und Nedar in
deutſche Schriften. II. 2. & 385 — 530, bef. ©. 446 fi. Für bie römifchen
Straßenzüge vergl. jet Paulus archäologifhe Karte von Würtemberg. Etatif.
Bureau 1859. Bl. 1. Weber römifhe Befeftigungen f. Kriegk. v. Hochfelden.
Geſchichte der Militärarditeltur in Dentfchland. Stuttgart 1859 bef. &. 83 ff.
S. 16. Bon dem alten Scloße zu Heidelberg erifiirt eine intereffante
Zeihnung v. J. 1518 im Beſitz des Herrn v Oraimberg, eine Kopie bei
Herrn Wagner auf ber Molkenkur.
©. 31. 32. Eine Abbildung dieſes plaftifchen Werkes bisher allein bei
Mebger, Geſetze der Pflanzen- und Mineralienbildung angewenbet auf altbentidhe
Bauftyle. Stuttgart 1835. Titelblatt dazu 6. 13 f. Ebenbafelbfi Genfer ber
bl. Geiſtkirche Taf V Pig. 58. 59. Rundfenſter vom Rupretebau. Taf. 12.
Fig 57. Steinmebzeihen von ben Bauten Ruprechts, Lubwige und Fried⸗
richs 11. auf Tafel 8. Fig. 81. 92. 97.
€. 34. Leger führt a. a. D. ©. 51 Anm. 37 aus ben von jemer Seit
erhaltenen Dienftiahrbüchern folgente Etelle an: Martius anni 1601 8. Im
aula electorali consilium agi coepit de distruenda illa parte arcis Heidel-
bergensis, qua teınplum continchbatur, ad latus sinistrum ejus portae, quae
cancellariam (am Fuße bes Berges nahe dem jetigen Carlsplatz gelegen) atque
ipsaın urbem montemque sacrum respicit. Cum itaque staret sententia,
decima hujus mensis initium destructionis factum est,
S. 37. Ein intereffantes Zeugniß für dasjenige, was unter Lubwig damals
am meiften im Edjloße bewundert wurde, vor Allem Pracht ber Kirche umb
Kriegsapparate liefert der Brief Luthers an Spalatin vom 18. Mai 1518 im
der Sammlung ber Briefe von be Wette Br. I n. 65. ©. 111: Suscepit
me egregius, illustrissimus princops Wolfgangus comes Palatinus et magi-
ster Jacob Simler sed et Flavius curiae magisterr. — Dulei jucundaque
Conversatione inviccm gaudebamus cdentes et bibentes et omnia sacelluli
Das Heidelberger Schloß ıc. 139
castrensis ornamenta deinde bellicos apparatus denique ommia fere quae
kabet regale illud et plane illutrissimum castrum decora illustrantes.
©. 40. Thomas Leodius de acdificiis illustrissimi prineipis Frie-
deriei etc. libellus singularis in dem angeführten Werte p. 298 fi. unter
Underem : antequam factus esset Elector prinoeps Friedericus detestabatur
magnificentiam et sumtus quos frater Ludoricus in reparatione arcis Hei-
delbergensis faciebat et se in alios potiores usus 608 sumtus mutaturum
pollicebatur, cum mortuo fratre et ad eleotionem admissus mox majores
inchearvit et inprimis vetustatem aedificii, ubi fuerat Ihettse formae, sumtu
mazimo reponere instituit. Et in bibliothecae usum elegantem et maxi-
nam cCarcerem asdificare fecit; summitatem vicinae turris a fratre dudum
aastrustam demoliri fecit. Quod aedificium postquam consummavit, mu-
tsta sententia de bibliotheca in usum computationum conrertit et maximam
ecampanam in praedieta turri appendere fecit.
©. 45. Bergl. Froher Orig. palat. p. 105: elegans illud et vere
rsgiicum singulari artificio et sapientia spectandum et pulcherrimis pluri-
misguo statuis insigne Ottonem Honricum elecotorem habere auctorem
ipsum loquitur.
©. 55. Zu ben planetarifhen Darftellungen vgl. vor allem Piper My⸗
helsgie und Symbolik ber rifl. Kunſt I. 2. &.228—243, dem ich die wei-
teren menumentalen Belege zu ber von mir bier zuerft aufgeflellten Deutung
ver Bildwerke ganz werbanfe; vgl. dazu auch Burkhardt Cicerone ©. 784, 813,
835. atereffent if es, daß bie Heibelberger Bibliothek ein für Pfalzgraf
Dtte Heinrich gearbeitetes, mit prachtvollen Miniaturen verziertes Kalenderbuch
vom 3. 1552 handſchriftlich befißt (Cod. Palat. 833), iu dem auf E. 98 bie
Hanetengätter um eine Sonne im Kreis geftellt find und zwar auf Wagen
fehrend; da erſcheint Bol, unter berjelben war Luna, jener bärtig, mit Strab-
lentrone genau in berfelben kriegeriſchen Kleidung, wie hier mit Mantel; er
hält im der Hand einen Etab mit Eonnenfcheibe baranf, ben wir aud hier
in feiner Hand als einft vorhanden vorausfegen können. Was bie Beziehung
zı bem Kurfürflen betrifft, To iſt bie Sonne fichtlih Doppelrepräfentant bes
Raifers und des erfien weltlichen Kurfürften, des Königs von Böhmen, Würden,
vie ja oft, ja von ber Zeit bes 16. Jahrhunderts (feit 1526) an dauernd
in einer Perſon vereinigt waren. Die Abbildung bes Schatzamtes, ſ. Heibeloff
Ernamentit bes Mittelalters VII. t. 5, ber Text, wie gewöhnlich, ſehr unge-
©. 59. Ruglec Haube. d. Lunſtgeſch. 3. Mafl. I. ©. 608 und Heine
Gärten IL ©. 408 findet bereite das Gchloß ben Iombarbifchen Bauten ver»
140 8. 3. Stark,
gleihbar; ber Tert zu Suhl und Kaspar Atlas Taf. 87 A. 91 erinnert eu
die Certofa von Pavia.
Zu den Dentmälern lombardiſcher Kunft im 15. u. 16. Sahrhundert, vgl.
Burdharbt Eicerone S. 201. 648 f., Kugler Hanbbud der Kunſtgeſchichte 11,
&. 622 Der Palazzo Spada in Rom, ber Gtatuen in Nifchen ale Facaden⸗
ſchmuck Hat, unb reihen Friesfhmnd, war das Werl eines Leombarben, Ginulie
Mazzoni, |. Burkhardt ©. 814
©. 60. Die Geſchichte findet fi) in Henr. Altingii historia eoclesiast.
Palatina, abgebrudt in Monument pietat. literar. I. p. 178: occasio refor-
mationis plenioris fuerunt certamina Heidelbergae nata declinante prinei-
patu Ottonis Henrici Electoris 1558. — Otto Henricus Eleetor prinoeps
magnificus, quod orbus esset, ultimus suae stirpis, quae in ipso deficiebat
mandavit sibi monumentum sive mausoleum splendidum excitari, in quo
tumularetur. Structum fuit ex solido marmore summo artificio ac ornatu,
sed ita ut sculptoria licentia multa adderentur, quae lasciviam ae cultum
meretricium ostenderent partim in forma Cherubinorum partim in adspecte
septem virginum. Id quis scandalum daturum erst tenerae eoclesise, ma-
xime quod in templi sacrario Collocaretur, unde amotae erant pridem
imagines sanctorum et ubi s. coena celebrabatur, monuit Electorem Joan-
nes Flinnerus pastor Heidelbergensis, ne id fieret: Elector consuluit dos-
torem Tilemanem Heshusium, an id sibi licere arbitraretar, qui id affr-
mavit et probavit exemplis regum ac principum, quibus id in usu. (8
folgt nun die Schilderung bes Streitee, die Übrigen Geiflichen fiimmen Flum⸗
mer bei unb unterfchreiben nicht bie Erflärung bes Heshnfins. Das Reſultat
it: quo motus Elector pleraque, quae offensam eoclesiae datura videbantar
amoveri jussit.
©. 68. Bgl. Beſchreibung der Reiß Empfahung bes ritterlihen Orbene,
Vollbringung bes Heirathe und glüdlicher Heimführung, wie aud ber anfehn-
fihen Einführung gebaltener Ritterſpiel und Freudenfeſts das bie Fürſten umb
Herrn Frieberihen des Fünften ber mit ber Königlichen Priuzeffin Cfifabethen,
bes großmechtigſten Herrn Jakobs des Erſten Könige in Großbritannien einzigen
Tochter Mit fhönen Kupferflihen gezieret. In Gotthard Vögelius Verlag.
Anno 1613 Unter ben gehaltenen Aufzügen und Kingelrennen erfchien ber
Argonantenzug, ber bes Ariovift, des Bacchus und des Apollo, ber Königin
Beutafllea (sic!), des türkifhen Kaiſers Bajazetto
©. 78. Hortus Palatinus a Frederico rege Boemise electore Palaiino,
Häidelbergae exstrustus Balomone de Caus architeoto. 1620; nen abge»
Das Heidelberger Schloß ꝛc. 141
drudt 1795 von Mebicns in Mannheim, dann von Megger feiner Beſchrei⸗
bung bes Heidelberger Schloßes unb Gartens. 1829 beigefügt.
©. 76. Ueber die Zerfiörung des Schloßes durch bie Franzoſen ſetzen wir
Vier nur ein franzöftihes Urtheil bei. Daniel Ramée fagt in dem oben ange-
führten Werk wörtlih p. 4: il nous reste maintenant une tAche & remplir,
une täche beaucoup plus penible, qui est de faire I’histoire de la de-
straction de ce chäteau, consommede par les ordres d’un roi de France
« la sauvagerio furieuse de capitaines frangais. L’andantissement
de eet «ddifice n’avait aucun pretexte raisonnable et admissible.e Le
temps et les mosurs en avaient fait, non un chäteau fort, un point mili-
taire et stratögique, mais un chäteau sans fortifications, un simple pa-
iais de plaisanoe. Les convoitises les plus basses, les passions les plus
viles, la vengeances acerdotale, concoururent toutes ensemble & concentrer
sar co malheureux edifice les effets d’une colere cause par la betise, l’or-
gesil et l’ignorance! La ruine du chäteau de Heidelberg est cause, en
grande partie, d'une haine nationale d’outre-Rhein que plus d’une sitcle
« demi n's pudteindre. Ou comprendra la ldgitimitd de cette haine, quand
on eomnaltre l’histoire detaillde de la brutalitd exercde par les gändraux
francais qui furent chargés de prendre et de detruire cette magnifique ha-
bitation des princes dlecteurs palatins du Rhin.
vu.
ueberſicht der hiftorifchen Literatur des Jahres 1860.
(Fortſetzung.)
8. Zie Schweiz.
1. Allgemeines.
Anzeiger für ſchweizeriſche Geſchichte und Alterthume⸗
kunde. .6. Jahrgang. 4 Nummern. Zürich ac.
Tortfegung bes in ber hiſtor. Zeitfchrift von 1860 (3. Heft S. 187)
angezeigten Blattes.
Wolf, Rudolf, Dr, Prof. der Aftronomie in Zürih, Biographien
zur Eulturgefhidhte der Schweiz. 3. Cyelus. Zürich u. f. f.
Auch dieß ift Fortſetzung einer bereits in der hiſt. Zeitihr. (S. eben-
dort ©. 186.) angezeigten Sammlung. Diefer dritte, der Hochjchule
Baſel zu ihrem Jubiläum gewidmete Band der verbienftlichen Arbeit ent-
hält, wie der vorhergehende, zwanzig Biographien von fehmeizerifhen Ma—
thematikern und Naturforfchern, von Theophraftus Paraceljus von Ein:
fieveln (+ 1541) bis auf Jean Frederic Ofterwald von Neuenburg
(t 1850). Voran fteht ein Bildniß von Daniel I. Bernoulli.
Die Schweiz. 143
Wir können nur das anerfennende Urtheil wieverholen, mit welchem
ver frühern beiden Bände gedacht worden ift. Umficht und Grimdlichkeit
ver Forſchung find aud bier mit der lobenswertheften Einfachheit ver
Darftellung vereinigt, wie in ven bisher erjchienenen Biographien, und
für die Geſchichte der mathematifchen und der Naturwiflenichaften wiebe-
rum eine Fülle intereffanter Nachweije gegeben. In ver Abficht, mit einem
vierten Cyclus den Abſchluß feiner Arbeit zu machen, hat der Verfafler
für den vorliegenden dritten eine etiwa8 veränderte Auswahl von Biogra⸗
phien getroffen, als im Vorworte des zweiten Cyclus angelündigt worden.
Gemäß feinem Streben bieten übrigens wirflih die drei Bände feiner
Sammlung ein ſtets ſich fteigerndes Intereffe Dar und wird der verheißene
Schlußcyclus, der die Sauffure, Euler, Ejcher von ver Linth, de Sans
dolle u. A. darjtellen joll, von dieſer Kegel feine Ausnahme wachen.
_y—
Lorenz, Dttocar, Leopolb II. und die Schweizer Blinde,
Bortrag, mit Erenrfen und einer Beilage Wien, ©. Geroflb’s
Eohn, 1860. IV, 50.
Nah dem Stande ver heutigen Forſchung wird bier in populärer
gebilveter Form ein Ueberblid über die Geſchichte ver alten Schmeizer-
Bünde gegeben, um jo dankenswerther, als eben vie ältern Zuſtände ber
betreffenven Landſchaften feit 25 Jahren in ein vielfach ganz neues Ticht geftellt
werben und bie Arbeiten auf diejem ebiete ſehr maſſenhaft angewachſen
find und ven Ueberblick erfchweren. Der Verfaſſer fchließt fih im Gan⸗
zen der Kopp’ihen Richtung an, doch mit nicht unmejentlihen Modifi⸗
cationen, indem es ihm mit Recht ungerecdhtfertigt erfcheint, die Ideen
des Landesfürftentbums des 14. Jahrhunderts in die frühere Zeit hin-
einzutragen. In diefem Sinne erörtert er den ewigen Bund von 1291.
Aus der Regiftratur zu Baden im Argau, deren Einrichtung näher bes
fhrieben ift, wird als Nachtrag zu Lichnowsky's Regeſten eine Reihe von
Inhaltsangaben über Urkunden von 1301 — 1380 mitgetheilt. Bon ho⸗
bem Intereffe iſt die Mritifhe Unterfuhung über Winkelried und vie
Schlacht bei Sempach. Ohne Beweis hatte ſchon Lichnowsky fih dahin
ausgeiprochen, daß von Winkelried Feine Rede fein könne. Lorenz läßt
die Berfon ftehen, feine That aber ift wahrfcheinlich nicht gefchehen, und
wenn der Erzählung irgend ein Ereigniß zu Grunde liegt, fo hat bafjelbe
VI.
Heberficht der hiftorifchen Literatur des Jahres 1860.
(Fortſetzung.)
8. Zie Schweiz.
1. Allgemeines.
Anzeiger für ſchweizeriſche Geſchichte und Altertfuame
unbe. .6. Jahrgang. 4 Rummern. Zürich xc.
Fortſetzung des in ber hiſtor. Zeitfchrift von 1860 (3. Heft S. 187)
angezeigten Blattes.
Wolf, Rudolf, Dr , Brof. der Aftronomie in Zürih, Biographien
zur Culturgeſchichte der Schweiz. 3. Cyelus. Zuürich m. f. f.
Auch dieß ift Yortjegung einer bereits in der hiſt. Zeitihr. (S. eben-
dort ©. 186.) angezeigten Sammlung. Dieſer dritte, der Hochſchule
Baſel zu ihrem Jubiläum gewinmete Band der verbienftlihen Arbeit ent-
hält, wie der vorbergehenve, zwanzig Biographien von ſchweizeriſchen Ma⸗
thematitern und Naturforfchern, von Theophraftus Paraceljus von Ein⸗
fieveln (+ 1541) bis auf Jean Frederic Ofterwald von Neuenburg
(t 1850). Voran fteht ein Bildniß von Daniel I. Bernoulli.
Die Schweij. 143
Bir lömmen mr das anertennende Urtheil wieverholen, mit welchem
ver früßern beiten Bände gedacht worben ift. Umficht und Grünvlichkeit
ver Forſchung find aud hier mit ver lobenswertheften Einfachheit ber
Turftellung vereinigt, wie in den bisher erjchienenen Biographien, und
für tie Gefchichte ver mathematischen und ver Naturwiffenfchaften wiede⸗
ram eine Fülle intereffanter Nachweiſe gegeben. In der Abjicht, mit einem
virten Cyclus den Abſchluß feiner Arbeit zu machen, bat der Verfaſſer
für den vorliegenden dritten eine etwas veränderte Auswahl von Biogra⸗
rhien getroffen, als im Borworte des zweiten Cyclus angekündigt worben.
Gemäß jeinem Streben bieten Übrigens wirflih die drei Bände feiner
Sammlung ein ſtets fich fteigerndes Intereife dar und wird der verheißene
Schlußcyclus, der die Sauffure, Euler, Ejcher von der Linth, ve Can⸗
tele u. U. darſtellen fol, von biejer Regel feine Ausnahme wachen.
_y—
Lorenz, Dttocar, Leopold IN. und die Schweizer Bünde.
kortrag, mit Erceurfen und einer Beilage Wien, C. Gerold'e
Cohn, 1860. IV, 50.
Nah dem Stunde der heutigen Forſchung wird bier in populärer
gekilveter Form ein Ueberblid über vie Geſchichte der alten Schweizer-
Bünde gegeben, um fo dankenswerther, als eben vie ältern Zuſtände ber
betreffenden Landſchaften feit 25 Jahren in cin vielfach ganz neues Licht geftell
werden und bie Arbeiten auf dieſem Gebiete fehr maſſenhaft angewachſen
fine und ven Ueberblick erfchweren. Der Verfaſſer fchließt fih im Gan-
en der Kopp'ſchen Richtung an, doch nut nicht unmejentlihen Modifi⸗
catienen, indem es ihm mit Recht ungerechtfertigt erfcheint, die Ideen
des Yanbesfürftentbums des 14. Jahrhnnderts in bie frühere Zeit bin-
anzutragen. In diefem Sinne erörtert er den ewigen Bund von 1291.
Aue ver Reyiftratur zu Baden im Argau, deren Einrichtung näher be-
fhrieben ift, wird als Nachtrag zu Lichnowsky's Negeften eine Reihe von
Inhaltsangaben über Urkunden von 1301 — 1380 mitgetheilt. Bon ho-
bem Intereſſe ift die Fritifhe Unterfuchung über Winfelried und bie
Schlacht bei Sempach. Ohne Beweis hatte fhon Lichnowsky fih dahin
ausgeiprochen, daß von Winkelried feine Rede fein könne. Lorenz läßt
tie Berfon ftehen, feine That aber ift wahrfcheinlich nicht gefchehen, und
wen der Erzählung irgend ein Ereigniß zu Grunde liegt, fo hat daſſelbe
144 uUeberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
doch ganz ficher keine entſcheidende Bedeutung für den Erfolg der Schladt.
Die Kritik ift fein und durchaus überzeugend”). . J.W.
Segeffer, Antou BHilipp dv, Die Beziehungen ber Schwei⸗
jer zn Mathias Eorvinus, König von Ungarn, in beu Jahren
1486 — 1490. Luzern, Schiffmann. 114 S. 8.
Der gelehrte Berfaffer der Rechtsgeſchichte der Stapt und Republit
Luzern und Bearbeiter der eingenöflifchen Abſchiede aus den Jahren
1478—1499 ift durch feine Befhäftigung mit ven letztern auf das Bäub-
niß der Eidgenoſſen mit König Mathias Corvinus vom Jahr 1479 ges
führt worden und bat davon Beranlaffung genommen, ven Urſachen unb
der Bedeutung dieſes Actes, wie überhaupt des ganzen VBerhältniffe® ver
Eidgenofien zu König Mathias, eine befondere Unterfuchung zu wibmen,
deren Ergebniffe in diefer Schrift mitgetheilt werden. Sie berichtigen
nicht nur und ergänzen, was bisher über jene Beziehungen befannt war,
ſondern fegen auch die Sache felbft, zum erften Male, in vollftänpiges
Licht und weiſen deren Zuſammenhang mit der allgemeinen europätfchen
Geſchichte jener Zeit nad. Ungeachtet die Darftellung natürlicher Weiſe
vom Standpunkte jchweizerifcher Geſchichtsforſchung ausgeht, muß fie doc
auch als intereflanter Beitrag zur Aufbellung ver viplomatiichen Fäden,
bie von dem Hofe des großen Ungarkönigs nach den großen weftfichen
Staaten ausliefen, ſehr willlommen fein.
Sorgfältige Benugung aller zugänglichen Quellen, Grümdlichkeit ber
Unterfuhung und eine völlig unbefangene, ruhige Behandlung des Stof-
fes zeichnen dieſe Schrift aus. —y—
— —— —— —— —
*) In demſelben Einne urtheilt das literariſche Centralblatt nebſt andern kri⸗
tiſchen Blättern Deutſchlande. Anderer Meinung aber iſt man in der Schweiz.
So ſchreibt uns ber gelehrte Mitarbeiter, dem wir ben Bericht über bie ſchweijer
Literatur zum großen Theil verbanfen, daß er mit bem oben Gefagten,
wenigftens in Betrefj ber Winfelriebfage, durchaus nicht einverſtanden fei.
Inzwilhen hat Hr. Dr. R. Ranchenſtein in feiner „hiſtoriſch⸗kritiſchen
Abhandlung”: „Winkelried's That bei Sempach ift keine Fabel” (Pro
gramm der Aarau'ſchen Kantonfchule 1861, April) — die von D. Le⸗
venz geübte Quellenkritik öffentlich zu widerlegen gefucht, worauf Hr. Lorenz
neuerdings in einer aus ber Germania VI. 2 abgebrudten Abbenblung:
„Die Sempacher Schlachtlieder“ (Wien, 1861) antwortet. K.
Die Schweiz. 145
n. Gäriften betreffend vie innere Schweiz.
Geſchichtefreund. Mittheilungen bes Hiftor. Ber. ber fünf
Orte. 16. Band. Ginfiebelu, Benziger, 1860. 3086. 8. Nebſt 2 litho-
traphiſchen Tafeln.
Bortjegung der in der Zeitfchrift (Jahrg. 1860 S. 187) erwähnten
Bereinsſchrift. Im vorliegenden Bande find vorzüglich bemerfenswerth.
ame Arbeit von Carl Deſchwanden, Zürfpred in Stanz, über das Bes
waffuungefnften der Nidwaldner, als willlommener Beitrag zum ſchwei⸗
grifchen Kriegsverfaſſungsgeſchichte; die Beichreibung und Geſchichte des
„Waſſerthurms“ in Lızern von Fr. X. Schwytzer, Ingenieur daſelbſt;
zab vier Briefe von Aegidius Tſchudi aus den Jahren 1560 und 1561,
mitgeteilt von M. Kothing, Kantonsarchivar in Schwytz. Diefe Briefe
(arig iſt im Abdrucke auf S. 275 zweimal gefet: „die großen Haufen“
Ratt: „die großen Hanfen“; es ift von den Bornehmen im Laube,
m Gegenfage zur Menge, die Rede) gewähren ein großes Intereſſe zur
Charablteriſtik Tſchudi's und ver Olarnerijchen Religionshändel. Unter
ven Tichhlichen Mittheilungen wird ein Sahrzeitbuch des aufgehobenen Klo⸗
Bere St. Urban, vom Herausgeber, ven Genealogen, eine Geſchichte des
Siechenhauſes zu Luzern von Quratpriefter Lütolf dafelbft dem Culturhi⸗
ſtoriler willlommen fein. Sehr bemerkenswerth ift in dem Vorberichte
mn Bande (der vom regen Leben des Vereins Zeugniß ablegt) ein
. Beitrag zur Tell- Frage, worin Hauptmann 2. Müller in Altorf, jonft
am entfchiedener Gegner der Anfichten Kopp’s, die Behauptungen des
kstern mit Bezug auf das Ergebniß der Forſchung in den Kirchenbüchern
des Landes Uri (Kopp Gejchichtöblätter IL 326) auf Grund eigener
fergfältiger Unterſuchung beftätigt. — —
M. Deſtliche und nordöſtliche Schweiz.
Moor, Courabin von, Archiv für bie Geſchichte der Repu-
blit Sranbändten. 31. und 32. Heft. Chur. Im Gelbfiverlage bes Ver-
Ifiers. Gebrudt bei Prabella. 8.
Fortſetzung der im zweiten Jahrgange ver Zeitichrift (drittes Heft
©. 188) angezeigten Sammlung. Gejammelte Schriften von J. U. von
Salis-Seewis). Die Dynaften von Bat, Schluß. Starte ber Herr-
Oipeciſqͥe Beitfrift VL daud.
146 Ueberfiht ber Hiftorifchen Literatur von 1860.
Schaft Hohentrins. Geſchichte der Gemeinde Flims und ber Herrichaft
Belmont. Geſchichte der Landſtraßen Bündtens. Die Bergamaster Hir-
ten in Bündten u. ſ. f.) und Fortſetzung des verbienftlichen Codex diplo-
maticus Rhaetiae bi® 1377.
Flugi, A. v., Die Hoheiisrecdhte des Kantone Graubündten
über das Biſsthum Chur. Chur, 1860.
Mont, Chr. 2. u, Tombelan, und Plattner, PI, Brof. Das
Hochſtift Chur und ber Staat. Gecſchichtliche Darftellung ihrer wedhfel-
feitigen Rechteverhältniffe von ben älteſten Zeiten bie zur Gegenwart. Chur,
2. Sig. 1860. ©. 79 und LXXVI. 8.
"Zwei Schriften, die durch Verhältniffe ver Gegenwart hervorgerufen
worden find und welchen die Gefchichte nicht Zweck, fondern Mittel im
Kampfe zwijchen klerikalen und flaatlichen Intereſſen iſt. Die Arbeit von
Flugi ift weſentlich Auffriſchung einer älteren im Jahre 1755 zu pral
tiſchen Zweden erſchienenen Staatsjchrift (des Minifters Ulyſſes von Sa⸗
lis⸗Marſchlins): „Ausführung der Rechtſamen des Gottshausbundes über
das Hocftift zu Chin.“ Die Arbeit ver Herrn von Mont und Plattner
fetst fich die Widerlegung Flugi's zum Ziele, indem fie zugleich aus ber
alten Reichsſtandſchaft der Biſchöfe einen gewiſſen Anſpruch des Bisthums
auf Unabhängigkeit von dem jetzigen Staate Graubündten herzuleiten und
zu begründen fucht. Die gefchichtliche Darftellung muß freilih, um zu
biefem ber factijchen Entwidlung, ver Dinge und dem Ergebniffe verjelben
wenig entjprechenden Ziele zu gelangen, ziemlich einjeitig und unvollitän-
dig gehalten werben. (Bergl. die treffliche Beurtheilung der Schrift im
Nr. 231 und 238 ber eidgenöſſiſchen Zeitung von 1860).
Schneider, Karl, Biographiſche Skizze des Kreiberrn Hans
Philipp von Hohenfar Altſtädten. Xobler - Kobelt.
Eine gebrängte, aber anziehenve Schilverung eines als Staatsmann,
Krieger und Gelehrten ausgezeichneten und an vielen wichtigen Geſchäften
teilnehmenden Mannes, des am A. Mai 1596 in Sale erfchlagenen
Freiheren Hans Philipp von Hohenfar, einft Beſitzers des jogenannten
Maneifiichen Cover. Es iſt ein Berdienft des Verfaſſers, das Anventen
an bieje beveutente Perjönlichleit mit großer Liebe und Sorgfalt erneuert
zu haben,
Die Schweiz. | 147
Senn, Werdenberger Chronik Ein Beitrag zur Geſchichte der Kan-
we St. Gallen und Glarus. Chur. Hit, 1860,
Unfzeichnungen über vie Ereigniffe und Verhältniſſe, welche die Ge»
mäinde Werdenberg in den leuten Jahrhunderten betreffen.
Bäaändneriſchet Monatsblatt. Jahrgang 1860.
S. hiſtor. Zeitir. 2. Jahrg. Heft 3. ©. 189.
Zürderifhe Nenjahrebltter auf bas Jahr 1860.
Hifteriichen Inhalts find darumter folgende: ver Stadtbibliothek
(Becher der ehemaligen Chorberrenftube und Berbindungen Zürich mit
ten Proteftanten Englands zur Zeit der Reformation, von Prof. Sal.
Segelin); der Hüffsgejellichaft (Yeben von Anna Wolifchweiler, Gattin
des Antiftes Bullinger, von Diakon F. von Orelli); des Waifenhaufes
(Leben des Theologen Johann Caſpar Schweizer, + 1688, Verfaſſer des
Thesaurus ecciesissticus, von Prof. Al. Schweizer); ver Feuerwerkerge⸗
ſellſchaft (Geſchichte der 3. Artillerie Fortf. v. J. 1798 — 1804, von
Oberſtl. D. Nüicheler) ; ver Künftlergefellichaft (Leben des genialen, von
Ferſter in einem eigenen Werke gejchilverten Architekten Johann Georg
Rüller von Wyl Kt. St. Gallen, + zu Wien am 2. Mai 1849, von
RM. Ziegler von Winterthur); und der antiquarifhen Geſellſchaſt
(Sbilverung des Grafen Wernher von Homberg, Feldhauptmann Kaiſer
deinrih8 VIE. in der Lombardei, + 1320, von Prof. ©. v. Wyß).
Neujahrsblatt der Bürgerbibliothel zu Winterthur anf
tas Jahr 1860. Winterthur. Ziegler, 1860.
Gortiegung ber Ueberfehung vo Bitoduran. ©. hiſt. Zeitihr. 2. Ihrg.
$eft 3. ©. 192.
Mittheilnugen ber antignarifhen Geſellſchaft in ZU
tig Züri bei Meyer und Zeller. 4. Bon biefer Sammlung find im
lanfe bes Jahres 1860 uachfolgende Beftandttheile erfchienen, bie alle auch
angeln verabfolgt werben :
(Bd. 12 Heft 7.) Keller, Dr Ferd., Die römiſchen Anfiede-
Inngen in ber Oſtſchweiz. I. Abtheilung. 77 S. 4. mit 7 Tithographi-
en Xafeln.
Bas Lubdwig von Baller in feinem „„Helvetien unter ven Römern”
1811 m. 1812, nach dem Stande der damaligen Kenntnig und Kritik, zu
10*
148 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
feiften verſucht hat — die Entwerfung eines vollfländigen Bildes des römi-
fchen Helvetiens (freilich in ſehr ungenügender Weiſe) — ift bier für die öf-
liche Schweiz, von Nätien bis in die Nähe von Bafel (mit Aufſchluß
von Vindonissa, welches den Gegenftand einer II. Wbtheilung ber Arbeit
bilden joll), wirklich geleiftet. Wir erhalten ein möglichſt vollftändiges,
richtiges und anſchauliches Bild der ſämmtlichen römiſchen Anfievlungen
früherer und fpäterer Zeit in den genannten Landſchaften. Die Ergebnifie
ber antiquarifchen Forſchung vor und feit Haller, wie auch bes, feit ver
letzteren Zeit fo weit vorgefchrittenen richtigern Verſtändniſſes ver Hiftori-
hen und epigraphifchen Quellen, finden fi) in ver vorliegenden Arbeit
gefammelt. Faſt vreißigjährigen eigenen Bemühungen des Verfaflers, ber
unermüdlich die behandelten Gegenden bereift und burchforfcht hat, ver⸗
dankt man bie intereffanteften jener Ergebniffe, und es ift unnöthig zu
fagen, daß diefelbe gewäillenhafte und gründliche Unterſuchung, verfelbe
Scharffinn, dieſelbe Klarheit der Darftellung, welche alle Arbeiten des Ent
deckers der leltiſchen Pfahlbauten auszeichnen, auch der vorliegenden Schrift
zu Gute gelommen find. Die Tafeln bieten eine Reihe intereffanter Grund⸗
riffe römiſcher Anfienlungen und Anfichten von Gebäuden und Kımftgegen-
ftänden bar.
(Band 13 Abth. 2. Heft 3.) Keller, Dr. Ferd, Pfahlbanten,
3. Beriht. ©. X und 74. 4 Nebf 7 Steinprudtafeln.
Wiederum höchſt reichhaltige Ausbeute zur genaueren Kenntniß der
Wohnſitze und Kultur der Älteften (keltischen) Landesbevöllerung, gezogen
aus den Pfahlbauten in den ſchweizeriſchen Seen. Immer Mlarer und voll-
ftändiger geftaltet fi das Bild, welches Keller's merkwürdige Entoedung
(Die keltiſchen Pfahlbauten 1854. Pfahlbauten, zweiter Bericht, 1858) umb
die dadurch bervorgerufenen Arbeiten anderer Forſcher allmälig über jene
Urzeit des Landes verbreiten. Das vorliegende Heft bringt viel Eigen⸗
thuümliches: Die auffallende, von allen andern in ihrer Ardpiteltur- unter:
jchietene Seeanlage von Wauwyl, Tunftreiche Geflechte ver Pfahlbaube⸗
wohner und Erzeugniſſe ihres Ader- und Gartenbaues. Das Bedent⸗
jamfte ift der fihere Erweis, daß die Pfahlbauten fehr verfchiedenartigen
Kulturepochen angehören, deren Verlauf eine ungemein lange Zeitdauer
erfüllt haben muß. Die Pfahlbauten reihen von ber älteſten fogenannten
Steinzeit, die noch jeglichen Metalls entbehrte, bis hinab im Jahrhanderte,
Die Schweiz. 149
ta bereitö der Berlehr mit gebilveten Völlern des Sübens ihre Bewohner
in den Belig ver Metalle und der Kunft dieſe zu bearbeiten brachte ; ja
bie in tie hiſtoriſche Zeit, da die römische Cultur im Gefolge ver rö⸗
wilden Waffen über vie Alpen hereindrang und fi im Lande feftjetste.
Unwiteriprechlihe Thatſachen zeugen biefür, bie, bier zuſammengeſtellt,
anen lehrreichen Ueberblid über jene, ihrer Dauer nad freilich incom-
wenjurable Vergangenheit gewähren.
(Band 13 UAbthlg. 2. Heil 2.) Rütimeyer, Dr. L., Prof. in Baſel.
Interfudung der Thierrefe ans ben Pfahlbanten ber
Sumei, 7268. 4.
Eine dem vorerwähnten Berichte zur Seite gehende und ihn ergän-
gute Schrift. Wie dort die Menfchenmwelt, welche die Pfahlbauten bes
zehnte, aus ten Erzengniflen ihres Kunftfleißes erkannt und bargeftellt
wird, fo dienen hier die Thierrefte, welche unter ven Trümmern ihrer
Robmungen fi finden, dem fcharffinnigen, mit allen Mitteln ver heuti⸗
sen Wifſenſchaft ansgeftatteten vergleichenden Anatomen zur Reconſtruc⸗
tien ver Fanna, welche die Pfahlbaubewohner umgab. Natürlih, daß
Ne Kenntniß verfelben hinwiederum ein Picht auf ven ganzen Zuftand
tes Landes ımb tie Cultur jener Bevölkerung zurückwirft. Es beſtä⸗
tigt ſich auch hierdurch jenes Geſammtergebniß der Unterſuchungen von
Dr. Keller auf's Intereſſanteſte. Eine lange, vielleicht viele Jahrhun⸗
terte antauernde Periode allmäligen Fortichrittes in dem Wechſelverhält⸗
aß zwifchen Menſchen⸗ und Thierwelt gibt ſich in ben Ueberreſten ver
leztern aus den Pfahlbauten deutlich hm.
(BD. 13 Abtheilung 2 Heft 1) bildet das oben erwähnte Reujahreblatt
ver Geſellſchaſt über den Grafen Wernher von Homberg.
(Bd. 13 Abtheilung 1 Heft. 4) Mandrot, A. de, Lieut. Col,
Scesux du Canton de Vaud. I S. mit 2 Tafeln. Fortſetzung bes
von bem verfierbenen E. Schultheß begonnenen fchweizerifchen Siegelwerks,
Velen Vollendung biefe erſte Wbtheil. des Bandes 13 gewibmer if. Die
Sefte 1 und 2 (heransgelommen 1858) enthalten die Kantone St. Gallen,
Granbändten, Hargan, Thurgau unb Genf; Heft 3 (herausg. 1859) Wallis;
Seht 5 (5. anfangs 1861) Zeffin Mit dem noch fehlenden Hefte 6, Neuen-
burg, wirb bie Sammlung geſchloſſen fein.
Die Bappenrolle von Züri. Gin beralbiihes Denkmal bes
150 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
14. Jahrhunderte. Herausgegeben von ber antiquarifchen Geſellſchaft in Zürich.
Im Selbſtverlage der Geſellſchaft. 25 Tafeln in Barbenprud. 24 ©. Tert.
gr. 4.
Bildet eine befondere, nicht in die Sammlung der „Mittheilungen“
eingereihte Publication der genannten Geſellſchaft. Es ift dieſelbe ver
genauen Nachbildung eines höchſt merkwürbigen leberreftes des Mittel-
alters gewidmet: einer Sammlung von 587 (meift oberventjchen und ſchwei⸗
zeriihen) Wappen, welche auf einer der Stadtbibliothek Zürich angehö-
enden Pergamentrolle gemalt ftehen. Nach ven Unterfuchungen, die da⸗
rüber geführt worden, gehört diefe Rolle den Anfange des 14., nad
Einigen ſogar dem 13. Jahrhunderte an, jo daß fie zu den älteften
Dentmälern ver Heralbif gehört, ja vielleicht das älteſte derartige noch
erhaltene Kunſtproduct auf bem Continente if. Schon früher hat bie
antiquariiche Geſellſchaft (Mittheilungen. 6. Band 1347.) eine kleine
Auswahl jener Wappen und kurze Bejchreibung der Rolle als Beilage
. zu einer Abhandlung von Dr. Frievrih von Wyß: „Ueber den Urjprung
und die Bebeutung der Wappen” veröffentlicht. Hier erjcheint nun bie ganze
Rolle in vollftändigem Facsimile, begleitet von einem durch Herrn
Heinrih Runge verfaßten Terte, welcher eine vollftänpige Beſchrei⸗
bung biejes jeltenen Denkmales, eine eingehende Unterjuchung über deſſen
Bedeutung und Zwed und erläuternne Bemerkungen zu ven Wappen
jelbft enthält, Für jeden Freund ver Heralvif eine jehr anziehenve
Schrift, wie fie denn ſchon vor ihrem Entſtehen die Aufmerkjamleit und
Förderung hochgeftellter Gönner gefunden hat.
Argovia, Jahresſchrift ber Hiftor. Geſellfchaft des Kan-
tons Aargau, durch E. L. Rochholz, Prof. in Aarau nd K. Schrö—
ter, Stabtpfarrer in Rheinfelden. Aarau. Sauerläuder, 1860. XII und
1738 S. 8. mit 2 Gteinbrudtafeln.
Taſchenbuch ber Hiftorifhen Geſellſchaft des Kantons Aar-
gau. Durch biefelben. Ebendaſ. 1860. XII. 156 S. 12. mit einem lith.
Plan von Binboniffe.
Gegen Ende 1859 hat fich für den Kanton Aargau, der noch feine
hiſtoriſche Geſellſchaft befaß, eine ſolche erſt gebilvet und ihre Aufgabe
aljobald fo rüftig an die Hand genommen, daß man ihr bereit8 obige
zwei verbienftliche Erzeugniſſe verdankt. Die Jahresichrift iſt fürmlichen
Die Schweiz. 151
wiſſenſchaftlichen Mittheilungen und urkundlichem Stoffe, das „Taſchen⸗
bach“ der Bearbeitung geeigneter Stoffe für einen weitern Leſerkreis ge⸗
wirmet, anf welchen es willenfchaftlih und volksthümlich zugleich wirken
fell; beibe werten von den obengenannten zwei Kebultoren .bejorgt.
Der vorliegende erſte Band der „Argovia“ enthält, neben ver Chro⸗
nit des Bereins, neben Inſtruktionen für feine Mitglieder u. |. f., tbeils
Abhandlungen ver Herausgeber („Aargauiſche Ortsnamen“ und „vie
trei Hunnenlöpfe, Steinbilver zu Brugg” von Rochholz; „ver Anichlag
ter Berner auf Rheinfelden“ anno 1464 von Schröter) theild Urkunden:
das Rheinfelder Stadtreht von 1290 mit Anmerkungen von Rochholz;
vie Offinmg von Tätwil, mit vechtsgejchichtlichen Anmerkungen von
€. Welti, Regierungsrat), und das Staptbuh von Baden von 1384,
rechtögeichichtlich bearbeitet von Ebendemſelben. Letztere treffliche Arbeit
bildet unftreitig denjenigen Beſtandtheil des Heftes, der das allgemeinite
Iuterefie bat; auch die Übrigen verdienen aber alle Anerkennung. In
dem Taſchenbuche gibt 8. S. (Schröter?) eine einläßlihe Darjtellung
ver Belagerung der Stadt Rheinfelden im Jahr 1634, in engem Rahmen
an höchſt lebendiges Bild der vrangjalvollen Zeit des breikigjährigen
Krieges aus dem damals öfterreihiichen, ven Feind und Freund gleich
ihlinm behankelten Frilthale. Aus dem Nachlaſſe eines Berftorbenen,
4 H. überarbeitet, folgt die „Geſchichte des Schloſſes Brunegg”; eine
fleißige und anziehende Monographie, wobei aber doch manches Einzelne
za berichtigen jein dürfte. Columban erichien nicht 588, fondern 610 in
Helvetien.. Der Gotfried von Brunegg, welcher in den Urkunden der
Könige Rudolf und Albreht von Habsburg erjcheint, gehört nicht dem
ihweizertichen, jondern dem tiroliichen Brunegg im Pufterthale an. Daß
der Rame Brunegg nicht mit einen Brunnen zu thun babe, ift richtig;
eb verjelbe von braun — braun und dieß von dem alten „brinen“ (breu⸗
sen, gebrannt) herkomme, möchte doch zweifelhaft fein. Noch viel weniger
kann der Name ver Habsburg, vie auf hohem Hügel weit von ver Aare
und den Stapelplägen von Altenburg und Brugg entfernt liegt, mit einer
Habe (Haabe) d. h. einem Yandungsplap fir Schiffe, oder vielmehr einer
Hafenmauer (denn dieje bezeichnet wohl eigentlich das Wort Hauke, das
fh um an Seen, ſchwerlich an Flüſſen finden wird und das, als Femi⸗
nimm, nicht in Habs verfürzt worden jein kann) zu thun haben. Wir
werben bei dem alten und zweifelsohne richtigen „Habichtsburg“ ftehen
152 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literature von 1860.
bleiben müſſen. Vollends apokryph ift die hier wieder erwähnte Abftam-
mung der Habsburger von ven Etichonen. Schätzbar ift die Geſchichte
der „Geßler“, als einftiger Beliger von Brunegg. Den Schluß des
Tafchenbuches bilden eine Sammlung von „Infchriften, Hausreimen und
Grabſchriften aus dem Aargau” und eine Abhandlung über „Sammlung
und Erklärung biftorifcher Sagen“, beide von E. 2. R. (Rochholz), die
ſehr charakteriftifche Erzeugnifle des Volksgeiſtes und treffliche Bemerkungen
über deren Behandlung enthalten. — —
Heusler, Andreas, Dr., Privatbocent ber Rechte an ber Univerſtüt
Baſel. Berfajfungsgefhihte der Stabt Bafel im Mittelalter
Bafel. Bahnmayer (Detloff). XVII uud 508 S 8. mit drei Siegeltafeln.
In einem ftarten Bande gibt der Verfaſſer eine ausführliche Gefchichte
der Stadt Bafel von ven Zeiten ihrer Entftehung bi8 zum Jahre 1585,
wo fie fih unter Biſchof Blarer von dem Nefte ver biſchöflichen Ober⸗
berrihaft völlig frei machte Den Mittelpunkt der Unterjuchungen bilvet
zwar überall die Seftaltung der Stadtgemeinde und die Entwidlung ber
ftäptifchen Berfaffung, wie auch der Titel des Buchs andentet, aber darau
reihen fich ganz naturgemäß andere ſchätzbare Nachrichten über das Biss
thum Bafel und über die allgemeinen politifchen Verhältniſſe, vie ja auf
die iunern Zuftände der Stadt häufig weſentlich beftimmenn wirkten. Es
ift in bobem Grade anerfennenswerth, daß der Berfafler Teine Mühe
icheute, alle irgend erreichbaren ungedruckten Quellen fir feine Arbeit auf-
zuſuchen und auch vie gebrudten mit den Driginalien von neuem zu vers
gleichen. Leider find bei dein Erbbeben vom J. 1356 die älteren fläbti-
ſchen Urkunven großentheils untergegangen, und ebenjo fehlen in: bifchöflichen
Archiv die Briefe über wichtige königliche Berleihungen (namentlich ver
Immunität) an die Biſchöfe und einflußreiche Verfügungen ber letzteren.
Diefer Mangel macht fi in den Ausführungen des Verfaſſers über die
älteren Zeiten der Stadt fehr weſentlich fühlbar; er verſucht es zwar bie
Lücke durch Hereinziehen ver Analogie anderer Städte und Zuhälfenahme
der ſpäteren Zuftände zu ergänzen; aber feine Darftellung bat vielfach
etwas Unbeftimmtes behalten und eriheint uns zum XTheil and nicht
zutreffend. Bis zum Jahre 1274, wo Rudolf von Habsburg die Vogtei
in der Stadt Bafel zum Reihe zog, war der Bifchof Inhaber aller
Gerichtsbarkeit dafelbft; er felber oder der von ihm ernannte Schultheiß
Die Schweiz. 153
faß zu Gericht bei Klagen über Schul» und Schaden und bei Heinen
Bergehen ; Über Verbrechen konnte er als ©eiftlicher nicht felbft Gericht
halten, fondern mußte dieß einer weltlichen Perſon überlaffen, einem Bei-
ftand, Vogt (major civitatis advocasus, vgl. ©. 100), ben er jwar frei
ernannte, aber als ©eiftliher vermöge der Kirchengefege nicht mit dem
Blutbann beleihen durfte. Auch fortan empfing daher der Vogt ven
Blutbann vom Könige. Dieß lettere war eine bloße Form und hatte
feineswegs, wie ver Berfafler S. 19, 43 und 44 meint, zur Folge, daß
die Gerichtsbarkeit zwiſchen Kaifer und Biſchof gewiffermaßen getheilt
geblieben wäre, fowie es durchaus ungegründet ift, daß der Schultheiß
feinen Bann mittelbar vom König empfing, wie ©. 19 bemerkt fteht.
An dem Grundſatz, daß alle Gerichtsbarkeit des Biſchofs fei, änderte
ſelbſt die im 11. over 12. Jahrh. eintretende Erblichkeit des Vogtamts
(S. 42 und 100) oder die erbliche Verleihung des Schultheißenamts
(5. 207) nichts; aber die Erblichkeit machte die Vögte trogig und an⸗
maßend und gab um 1180 Anlaß zur Abfjegung eines ſolchen (S. 103).
Die Darlegung diejer einfachen Berhältniffe hätte unferer Anficht nad
überhaupt klarer und bünpiger fein können, und die Zerreißung des Stoffs
in mehrere verſchiedene Abjchnitte, in denen map fich die einzelnen weſent⸗
Gchen Anhaltspunkte mühſam zuſammenſuchen muß, wäre beſſer unter-
blieben, während eine weniger fparfame Mittbeilung ver wichtigeren Ur⸗
bunden:Stellen dem Leſer das eigne Urtheil erleichtert hätte.
Aber auch nad) einer andern Seite finden wir mandherlei auszujegen.
Der Berfafler juht S. 19, 50, 64 und 91 barzuthun, die anfänglich
noch in der Stadt oder der Umgegend angejeflenen freien Leute hätten im
9—12, Jahrh. dem Biſchof ihre innerhalb der Mauern gelegenen Haus«
pläge und Pänvereien gefchenft, jo daß ver Biſchof alleiniger Eigenthilmer
des ganzen Grund und Bodens geworben fei; alle Stabtbewohner hätten
ihren Beſitz aljo vom Biſchof abgeleitet, jeien dieſem zinspflichtig geweſen,
hätten folgeweije aber auch einen Verluft an ihrer freiheit erlitten, ſeien
unter „bijchöfliche Vogtei“ gerathen, wie fi) der Verfaſſer S.41 u. 149
ausdrückt. (Diefer unquellenmäßige Ausprud wäre befler vermieden wor⸗
den, da man darunter aud) etwas ganz anderes, nämlich das vom Biſchof
zu vergebene Amt ver Bogtei verftehen Könnte), Im 11. u. 12. Jahrh.
hätten ſich aber vie Verhältniffe geändert; zahlreiche Freie feien in bie
Stadt eingewanbert, welchen der Biſchof Baupläge zwar gegen Zins
154 Weberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.
aber zu vollem freien Eigenthum abgegeben habe, und mit ber Zeit fa
auch das übrige früher nicht freie Eigenthum frei geworben; der darauf
rubende Zins ſei eine bloße „Boyteiabgabe*, eine „Steuer” von freiem
Eigenthum, die Befiger damit ganz freie Leute geworben. Das jcheint
der Verfaſſer S. 99 als „Sturz der alten Vogtei“ bezeichnen zu wollen.
— Daß ſich dieſe Säge nicht erweiſen Laffer‘, gefteht der Berfaffer ſelbſt;
er glaubt aber nur mit ihrer Hülfe erflären zu können, daß der Biſchof
noch fpäterhin jährlich auf St. Martinstag von jeder ganzen Hof⸗
ftatt 4 Piennige, von jeder halben 2 Pfennige ſog. Martinszins er
bob, daß zur Abärndtung feiner Felder jedes Haus einen Schnitter ftellen
mußte, daß er allein das Recht hatte zu gewiflen Zeiten Wein zu ver-
kaufen und nur mit ferner Bewilligung Badöfen errichtet werden durften
(S. 62, 70 und 85). Allein dieſe Befugniffe laſſen fih noch lange
nicht als Ausflüffe einer privatrechtlichen Grundherrſchaft anſehen; Bann⸗
wein zu legen und Frohndienſte zu verlangen, fpradhen Fürſten und Gra⸗
fen im ganzen deutſchen Reich als gräfliches Recht an, und die Martins
pfemige find ohne Zweifel ebenfall® von Anfang an nichte anderes
geweſen, als eine öffentliche Abgabe. So wie auf dem Yand jede Hant-
haltung dem Grafen oder, auch den Obermärker etwas Hafer und eim
Rauchhuhn abgibt (worin freilich der Verfaſſer S. 69, ver früheren
durchaus unrichtigen Meinung folgend, eine Recognition des „Hörigkeits⸗
verhältniſſes erblidt)“, jo gibt ftatt deſſen in ber nicht aderbautreibenven
Stadt jedes ganze und halbe Haus eine geringe Geldgebühr. Der Vogt
erhält davon, wie von allen anderen Gerichtsgefällen, ein Drittbeil. Daß
der Biſchof den Martinszins „von weltlicher gewaltiame wegen“ beziehe,
wußte der Rath zu Bafel auch fehr wohl und erklärte e8 im I. 1466
ausdrücklich. (S. 52 und 397.)
Können wir jo, was bie älteren Rechtsverhältniſſe betrifft, der Auf⸗
faſſung des Verfaſſers in weſentlichen Punkten nicht beipflichten, ſo finden
wir uns dagegen für die ſpätere Zeit mit ihm in voller Uebereinſtim⸗
mung und müjfen der gründlichen und umſichtigen Behandlung vielfach
ſehr verwidelter Verhältniſſe unjere volle Anertennung zellen. Auf bie
einzelnen wichtigen Reſultate einzugehen, welche ver Verfaſſer feftgeftellt
hat, erlaubt leider ver Raum nicht, denn es find deren nicht wenige, wie
denn überhaupt die Gejchichte von Bafel nad allen Rüdfichten ein be»
ſonderes hohes Intereſſe bietet. Darım iſt auch zu wünſchen, daß das
Die Ehweiz. | 155
angelänvigte Basler Urkundenbuch nicht allzu lange auf fi warten
laſſen möge. F. Th,
Bifher, Dr. Wilhelm, Prof. in Bafel, Geſchichte der Univer-
fität Bafel von ber Gründung 1460 bis zur Reformation 1529. Im Aufe
trag der alab. Regenz verfaßt zur Feier bes 400jährigen Jubiläums. Baſel,
Gerrg, 1860. 830 ©. 8.
Hagenbach, Dr. B. R., Prof⸗ in Bafel, Die theologifhe Schule
Bajele von ber Gtiftung Hochſchule 1460 bis zu Dewette's Tod 1849. Bas
ſel. Echweighäufer, 1860. 7865 4.
Fitting, Dr. Herm. Heinrich, Prof. in Bafel, Ueber bas Alter
ber Schriften römifcher Juriſten von Habrian bis Alerander. Ebenda.
56. 4
Mieſcher, Dr. Friebr., Brof. in Bafel, Die medizinifhe Facul-
tät in Bafel und ihr Aufblühen unter F. Plater und €. Bauhin. Ebenda.
46. 4
Merian, Beter, Brof. in Bafel, Die Mathbematiler Bernoulfi.
Ende. 62 ©. 4.
Bedernagel, Dr. Wilhelm, Brof. in Bafel, ansa nregoevrao.
Eienda. 5068. A.
Teftichriften Hiftorifchen (u. theilweije fachwillenichaftlichen) Inhaltes,
melde von ter Univerfität Bafel und ihren Fakultäten zur eier ihres
rierhuntertjährigen Yubiläums am 6. September 1260 ausgegeben wor:
den finn und nicht allein den Fachmännern, insbejontere denjenigen, bie
fe glücklich waren, das ſchöne Feſt mitzufeiern, fondern ber Zukunft übers
haupt als werthe Erinnerungszeihen an dasſelbe dienen werben. Bon
allgemeinerm biftorijhem Intereſſe ift, ver Natur der Sache nad), haupt⸗
fächlich vie erſtgenanute. Was Heusler für die politiihe Entwicklung
ven Bafel und gegeben bat, wird hier mit Bezug auf das geiftige und
wiftenfchaftliche Yeben der Stadt in feinen Anfängen und feiner Entfaltung
Ne zur Reformation geleiftet. Nach einem Blicke auf die erften Regungen
terielben auf dem kirchlich⸗ theologiichen Felde (tie Dominikaner und die
„Settesfreunde‘‘), im Gebiete der Dichtlunft (Konrad von Würzburg,
Baltter von Klingen) und anf ven Einfluß, ven das Basler Concilium
(1431— 1448) übte, werben bie Gründung ver Univerfität, ihre Orga⸗
⁊
166 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
nifation, ihre erfte Wirkſamkeit, dann auch bie Organifatien
und Thätigfeit der einzelnen Fakultäten einläßlich, foweit- es bie
vorhanvenen urkundlichen Quellen geftatten, erzählt. Vorzüglich bemer-
fenswerth find die Meittheilungen über vie Initiative des Rathes ber
Stadt und feiner Häupter, Bürgermeifter Hans von Flachsland, bei
Stiftung der Univerfität, die ihrem Geſuche an Papft Pius IT. und veſ⸗
fen Gewogenbeit für Bajel den Urfprung verdankt, fowie über das ganze
Verhältniß der Stadt und ihrer Behörden zu ber von ihnen beinahe
völlig unabhängigen akademiſchen Korporation. Wiffenjchaftlich bietet das
Kapitel über die philofophijche oder Artiftenfatultät und den Kampf des
Nominalismus und Realismus in derſelben bejonderes Intereffe bar. Die
Wirkſamkeit des Realiften Johannes Heynlin von Stein (de Lapive) —
erſt einflußreich al8 Philofoph in Bafel und in Paris, dann ausgezeich⸗
neter Theologe und Prediger in Bajel, Wirtenberg, Baden - Baden und
Bern, zulett Kartbäufer in St. Margaretben in Klein-Bafel (+ daſelbſt
am 12. März 1496) — wird hier von Viſcher (S. 157—165) in Zü-
gen gejchilvert, welche die Kunde, die man bisher über den merfwürbigen
Mann befaß, berichtigen, vervollftändigen und eine anziehende Epiſode
bes Buches bilden. Sehr willtommen find die mitgetheilten urkundlichen
Beilagen, Stiftungsprojecte, Bullen, organijatoriihe Statuten und Be⸗
ſchlüſſe und Berzeichniß der Rectoren von 1460— 1529. .
Heusler's Werk weift in ſeinem Vorworte auf das bevorſtehende Ju⸗
biläum der Basler Hochſchule Hin; vie ebengenannten Schriften find von
ihr ſelbſt zu dieſer Feier ausgegangen; ihr theils von Gejellihaften, theils
von Einzelnen als Feftgaben gewidmet find nachfolgende vier Schriften:
Beiträge zur vaterlänbifhen Geſchichte. Herausgegeb. von ber
biftor. Gefellichaft in Bafel. 7. Bd. Bafel, Schweighäufer, 1860. XIV unb
3886 8.
Mittheilungen der Geſellſchaft für vaterländ. Alterthümer
in BafeLl Achtes Heft. (Die Klefterliche Klingenthal in Bafel von Dr. €.
Burdhardt und E. Riggenbach, Arditelt.) Bafel, Bahnmayr (Detioff),
1860. 40 ©. 4 Mit 3 lithogr. Tafeln (1 in Yarbenbrud) und 4 Holz⸗
ſchnitten.
Burdharbdt, Dr. C. A., Die Hofrödel von Dingheofen Baſeliſcher
Gotteshäufer uud Anderer am Oberrhein. Baſel, Otto Stuckert, 1860. VI
unb 254 ©. 8.
Die Schweijz. 157
Merian, Dr. 3. 3, Geſchichte ber Biſchöfe v. Bafel. 1. Abthl.
Ball, Ecweighäufer, 1860. 84 6, 8.
- Die erfigenannte dieſer Schriften, der von ver hiſtoriſchen Ges
iellichaft herausgegebene Band ver Beiträge, enthält Mittbeilungen zur
Gerhichte Baſel's und der Schweiz aus ältefter, mittlerer und neuer Zeit.
Mooyer in Minden gibt in einem Beitrage („zur Yeltitellung ver Rei⸗
benfelge ‚ver ältern Biſchöfe des Hochftiftes Bajel“) eine revidirte Lifte
der Basler Biſchöfe als Berichtigung, zu jeinem Onomastikon chronogra-
phicon hierarchiae Germanicae (Minden 1854), von Biſchof Waldo (um
800) bis auf Johann I. Senn von Münfingen (F 30. Juni 1365).
Tue Quellen dafür find Trouillat’8 Urkundenwerk (Monumens de l’histoire
de Tancien Ev£che, de Bäle. 3 Bände. 8. Borrentruy 1852 — 1858)
und ein ungebrudtes, von Böhmer mitgetheiltes Basler Nekrologium,
ſewie einige Rotigen über fpätere Biſchöfe. Dr. Karl Stehlin in Baſel
sörtert in einem Aufjate das bisher wenig befannte Thema der biple-
matischen Beziehungen von England zur Schweiz im 16. und 17. Jahr⸗
hundert und tbeilt darüber merkwürdige Aufſchlüſſe und Aktenſtücke aus
den Papieren mit, welche er und Profeſſor Bachofen von Baſel im Bri-
ish Museum in London aufgefunden haben und wovon ihnen bereits
Vand 12 des Archives für Schweizergeichichte (Zürich, Höbr, 185%) ein
Berzeichniß und intereffante Proben verdankt. 9. W. Heß, Lehrer in
Baſel, ſchildert das Leben und den Charakter des Kaspar Bauhin, erften
Vrefeſſors der Anatomie und Botanik in Bafel (+ 1624), Dr. B.Reber
tusjenige des Bündner Pfarrer und Helden Georg Jenatjch (F 1639) und bie
blutigen Bündner» und Beltlinerhändel in der Epoche tes breißigjährigen
Krieges. Zwei andere Arbeiten, von Dr. C. A. Burckhardt und Dr. E.
Bölfflin in Bafel, find kulturhiſtoriſchen Erjcheinungen gewidmet: dem
Berhalten und Einfluffe ver im 16. u. 17. Yahrhundert in Baſel er-
ſchienenen Religionsflüchtigen (Proteftanten) aus Frankreich und dem
Collegium musicum und deſſen Wirken (Concerten) in Baſel.
Die Geſellſchaft für vaterländiſche Alterthümer theilt in gelungener
Darſtellung und künſtleriſchem Schmucke die Geſchichte und Abbildungen
des Kloſters Klingenthal (Dominikanerinnen) in Klein⸗Baſel mit, hauptſäch⸗
Gh bemerkenswerth durch die Gunſt Walther's von Klingen, des Waffen⸗
geführten König Rudolf's von Habsburg und Minneſängers, welcher das
Kofter fein Aufblühen vervantt.
158 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
Als Beitrag und Fortjegung von Grimm’s Weisthümers gibt Dr.
L. A. Burdhardt in ver dritten oberwähnten Schrift Abdrücke der Hofe
röbel von 28 bafelgau’ichen und eljaffiihen Dinghöfen (von mehreren äl⸗
teen und fpätern Redaktionen) aus den Originalen oder alten Urbaren,
nebft einer Abhandlung, welche die gemeinjame, zu runde liegende Re
gel heraushebt und dadurch die Ueberſicht und das Berſtändniß ber man⸗
nigfaftigen einzelnen Beltimmungen erleichtert *).
Die vierte Schrift von Dr. J. J. Merian enthält eine fleißige, kurz⸗
gefaßte Zufammenftellung vesjenigen, was über die Bilchöfe von Bafel
von Ältefter Zeit bis auf Biſchof Walther von Nöteln (depos. 1215) be⸗
kannt ift. In der Kritik der äftern Namen ſtimmt Merian mit Mooyer
nit überall ftberein.
Diefem reihen Scriftentranze, den das Basler Jubiläum bervor-
gerufen, ift endlich ans Baſel noch anzureihen:
Nenjahrsblatt für Bafels Jugend, h. von ber Befellihaft bes
Guten und Gemeinnügigen. 38. Stüd. Bafel, Mafl. 1860. 32 ©. 4.
Geſchichte Bafels vom großen Sterben bis zur Erwerbung der Lanbichaft,
1349 — 1400. -y—
W. Weſtliche und ſüdweſtliche Schweiz.
1. Mémoires et documents publiés par la société d’hi-
stoire ot d'archdologie de Gendve. Tome deuxitme. Gentre ches
Jullien freres, et Paris chez A. Allouard. 1860. 8.
Zunächſt erhalten wir von J. d. Blavignac, der ſich durch feine
histoire de l’architecture sucree dens les &ev&ches de Genève, Lausanne et
Sion (1853) zuerft befannt gemacht hat, durch den Abbrud von Baus
*) Einem anbern uns vorliegenden Referate entnehmen wir noch folgenbe
Vernerlung: „Die Zufammenftelung über Beſtaud und Arten ber Hob
güter, Abgaben der Hofleute, Rechte bes Hofherru und Zwed ber Hub-
gerichte, foweit bie mitgetheilten Weisthämer ben Stoff an bie Hand ge
ben, ift lichtvoll; nur können wir ber Anfiht des Berfaflere S. 40, baf
die Tinghöfe oder Hubgerichte eine urbeutihe Ginrichtung feien, aus vier
fen Gründen nicht beipflihten; ſchon baß fie ben Vollsgerichten in aflen
Gtüden nachgebildet find, was fi ja auch bei ben geiftlihen Eendgerich⸗
ten in ähnlicher Weife wieberhoft, verräth fpätere Entftehung“. K.
Die Schweiz. 159
rechnuugen urkundliche Nachrichten über den Bau des St. Nikolaus-Mün⸗
ſters zu Freiburg in der Schweiz. Dieje Rechnungen find nicht allein
interefiant für vie Geichichte des Baues, der jedenfalls zu den merkwür⸗
Digeren ver Schweiz zählt, ſondern auch für vie Kenntniß der franzöfie
ihen Spradye jener Zeit, die auch in dem halbventjchen Freiburg mit
isrem allgemeinen Entwidelungsgange Schritt hielt. Ihr Vorrüden ge-
gen Oſten bis Freiburg, da einft das Deutſche, wie urkuundlich deutſch
geichriebeue Ortichaftenamen z. B. Wülflingen, jest Vufflens u. a. m.
darthun, am Genferſee geſprochen wurde, jchreibt der Verf. mit Recht
ber Herrſchaft des ſavoyiſchen Hauſes zu, das einft aus den Schluchten
bes Moniceynis-Paſſes herunterfteigend bald an den Genferfee gelangte
mp endlich durch Graf Peter IT. mit Yılt und Gewalt feine Eroberungen
bis nach Freiburg, Murten und Gümminen fait bis an die Thore Berns
ausdehnte. ALS umgelchrt Bern jpäter feine Eroberungen bis über den
Senferjee ausbreitete, unterließ es zu jeinem eigenen Schaben, die beutiche
Sprache wieder einzuführen. Wie hätte es die Waadt enger an fi und
bie deutſche Schweiz gefeljelt!
Blavignac ließ zehn Rechnungen aboruden, welde tie Koften des
Baues vom 24. März 1470 bis 1490 enthalten. Ein beigefügtes Gloſ⸗
jar hilft zur Entzifferung der undeutlihen Ausbrüde, von welchen indeß
viele deutjch find. Zu bemerken ift, daß bie älteren Rathsbücher, Bros
totolle u. ſ. w. in Freiburg bis Ende des 16. Ih. geführt worden.
Es folgt (S. 189) vie amtlichen und zeitgenöffiichen Aufzeichnuns
gen enthobene Darftellung „Du rolle politique de la Venerable compagnie
dans l’ancienne republique de Geneve, specislement dans la crise de 1734
et anndes suivantes, Bekanntlich hatte Calvin, Theolog und Jurift, als
Geiftliher und Staatsmann bie firchlihe und politifche Gewalt in Genf
geeinigt, von dem Grundſatze ausgehend, daß das Irdiſche den Ueber-
irdiſchen, das Zeitliche dem Ewigen fid zu unterziehen habe. Nach des
großen Reformators und Politiferd Tod beeilte ſich die weltliche Macht
wieder ihre Herrſchaft zu gewinnen und bie Kirche ſich unterthan zu mas
hen. Daher mußte denn auch der junge Geiftlihe, bevor er das Pre⸗
Digtamt ausüben durfte, unter Anverm ſchwören: „Tiercement, je pro-
inels et jure degarder et maintenir de mon pouvoir l’honneur et profi
de la Seigneurie et de la ville, meltre peine enlant qu’ & moy sera pos-
sible, Que le peuple s’entretienne en bonne paix et union sous le gou-
160 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur ven 1860.
vernement de la Seigneurie, et ne consentir aucunement & oo qui oomlre-
viendrait & cela“.
Der Berf. weist nun nad, wie die Geiftlichleit von Zeit zu Zeit
biefer dienenden Stellung fi zu entheben ſuchte. Ihr Selbfigefühl
machte fie auf ihre Stärke aufmerkjam, welche hauptſächlich darin beſtaud,
daß fie jeden Augenblid die Maſſe des leicht entzünnlichen Genfervolles
für oder gegen die Regierung flimmen konnte. Auffallend ift, daß, ob
wohl eine beveutenve Anzahl Rathsglieder viele nächte Verwandte umier
der Geiftlichfeit hatten, wie die de la Rive, Lullin, Le Clerc, Le Fert,
Tichet, Troudin u. |. w., dieſe nichts beftoweniger auch mit gegen ben
Rath auftraten. Died war gerade im Jahre 1734, in welchem ber ges
gen die Ufurpationen des Raths ſchon längft gährenne Sturm zum Au
bruche kam. Hier mifchte fich die ©eiftlichkeit ein, die durch Pfarrwahlvorſchlaͤge
von Neubürgern vollsfreundlich fi gezeigt hatte, und fuchte in chriſtlich⸗
religiöfem Sinne zu vermitteln, wie dies ber Verf. durch Docmmente bar-
tbut (p. 209). An Bean Trembly, Syndic de la garde, findet der Berf.
das Gegentheil von dem, was bis jet Geſchichte und Ueberlieferung über
ihn berichtete, daß er nemlid von ſtarr ariftofratifchem Charakter gewalt-
thätig und tyranniſch gehanbelt habe, und fucht feine gewagte Behauptung
durch Zeugniſſe zu erhärten. Nebftvem findet ſich in feiner Darftellung
Mandyes, was unjere Aufmerkjamleit in Anfpruch nehmen muß.
Den inhaltreihen Band befchließt: Note sur les antiquitss Romaines
decouvertes sur les tranchees par Henry Fary.
2) L’ordre du college de Gentve. L'’Olivier de Robert Etienne A.
Gentvre. Leges Academiae Genuensis. Oliva Roberti Stephaäi. Generas.
Eine Benertung am Schluffe gibt uns über den Wieberabtrud
biefer Verordnungen und Gefege Nachricht. Demnach find fie wegen
ihrer Seltenheit und als zu den letzten Druden Robert Etienne's gehb⸗
rend von I. W. Fick auf Beranftaltung des Hrn. Charles Le Fort,
Brofeffor der Jurisprudenz in Genf, zum Beier des 300jährigen Iabi-
läums der Genfer Akademie (1859) gebrudt worden.
Wir bemerken darin die charalteriftifchen Eidesformeln für die Pro⸗
fefjoren und Studirenden der Akademie. Sie mußten am diefer zur Be
feftigung der Reformation geftifteten Schule, deren Gründer mit be
Palladium der Glaubensfreiheit gegen ihre Gegner zu Felde zogen, einen
firengen Glaubenseid auf den caloinijchereformirten Katechiemus ablegen.
Die Schweiz. 161
Nebſt Auderm mußten fie ſchwören, die Irrthümer Servedo's zu meiden,
jenes fpanifchen Arztes, der um feines Irrglaubens willen im refornirten
Genf verbrannt wurde.
3) Le livre du Recteur. Catalogue des dtudiants de l’Academie de Ge-
nive de 1559 & 1859. Gendve, Imprimerie de Jules-Guillaume Fick, 1860.
4) Galiffe, J. B. G., J. U. Dr. Notices gendalogiques sur les famil-
les Gentvoises. Tome quatrieme, seconde *erie, contenant les articles:
Ameaux, Auddoud en Franpe et & Geneve, Benoit à Genevo et A Berne,
Boisier branche francaise, Duval & Geneve et en Angleterre, Fazy, Gautier,
Horngacher, de Pitigny, de Sellon, de Sovernier, de Trie en France et à
Gendve, de Visencier, Weber à Schwytz et & Gendve ct divers matedriaux
pour servir & l’historie de Gentve au XVI. sitcle. Gentve, chez Jullien
frtres, 1860. |
5) Epistre de Jaques Sadolet Cardinal, envoyde au Senat et
an penple de Gendve. Réimprimé & Gentve par Revillod, 1860.
6) Jean Kessler, chroniqueur 8. Gallois. Notice par Edouard Fick.
Dr. en droit et en philosophie. Gentve, 1860. 42 p. 12.
7) Le dernier Seigneur de Copponex par Jules Vuy. Gendre,
Diefes anmuthige Schriftchen theilt uns einen merkwürdigen Crimi⸗
walrechtsfall mit, der im J. 1776 um und in Genf fich zutrug und in
jeglicher Beziehung für ganz umerhört galt. Herr von Gopponer, voll
zanbritterlicher Raufluft und ftarfem Selbftgefühl, ähnlich den Edelleuten
aus ver Zeit des jog. Löffelbundes (1530), gebrauchte, Recht und Macht
ber Genfer verachtend, unerlaubte Selbfthilfe und ward deßhalb, erft 30
Jahre alt umd reich, zu lebenslänglicher Kerkerſtrafe verurtheilt.
8) Le dix-huitidme sitcle & l’dtranger. Genère, 1860.
9) Les Suisses romands et les refugids de l’Edit de Nantes, rar T.
Gaberel. Paris, 1860.
10) Vie do Madame Loyse deSavoye, Religieuso au couvent de
Madame Sainte Claire d’Orbe. Escripte en 1507 par une religieuse.
Gendre, 1860. +
11) Souvenirs d'un voyage en Suisse par un iconophile (Hormann
Hammann de Gentve) publi6 Par la olasse de Beaux-arts. Gentve, Ram-
boz, 1860.
12) Memoires et documents publids par la societd d’histoire de la
Suisse romande Tome XVIl. Lausanne, Georges Bridel dditeur, 1860.
Diefer Band enthält einzig: Habilitations lacustres des temps ancieng
e& modernes par Frederic Troyon. 380 Figures, Friedrich Troyon legt
Biſtoriſche Zeitſchrift VL Band. 11
162 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.
in diefem umfangreichen Bande bie Refultate feiner Unterfuchungen nieder,
bie er, veranlaßt durch einen Altertfumsfund auf feinem eigenen Land⸗
gute, fhon 22 Jahre fortgeführt bat. Bol Eifer und Fleiß dehnt er
feine Nadforfhungen über ganz Europa aus. Häufig verfügte ex fid,
auch weite Reifen nicht ſcheuend, an Ort und Stelle, um grünblicher und
fiherer unterfuchen zu können. Nichts deſto weniger mögen hin und wie⸗
der Irrthümer ımterlaufen oder Betrüger Täuſchungen veranlaflen, wie
wir denn aud ſchon Schneivefteine in Horn oder Knochen eingefügt mit
hydrauliſchem Kalt (!) gefittet fanden. — Wie und Hr. Troyon mil
theilt, bejchäftigte er ſich bauptjächli mit der Unterſuchuug von Fünden
aus antilen Gräbern. Als aber durch Dr. Ferdinand Zeller jener merk⸗
würbige antiquariihe Fund bei Meilen im Zürichfee veröffentlicht umb
badurh ein ganz neues, bisher ungeahntes Feld zu amtiguarifchen
Nachforſchungen eröffnet wurde, machte fih Hr. Troyon nicht nur mit
ben gewonnenen Ergebniſſen bekannt, ſondern vucchforfchte auch felbft eine
Anzahl Seen in der Schweiz fowie auch bis in ferne Gegenden bes Aus
landes, Dadurch häufte fich ihm eine Menge Stoff au, den er mm ver
bunden mit den Ergebnifjen feiner übrigen antiquariſchen Forſchungen als
ſyſtematiſches Ganzes in diefem Buche uns vorführt, das zur eigentlichen
Alterthumskunde jener Zeit der fog. Seewohnungen (Habilitetions Incusires
— letzteres ein von Troyon zuerit hiefür gebrauchtes Wort, nun von ben
Ländern franzöflicher Zunge allgemein angenommen —) fich geftaltet, ans
der uns keine fhriftlichen Nachrichten aufbewahrt find. Das Buch beftcht
aus zwei Theilen: Im erften Kapitel des erften Theiles, der die See
wohnungen an ſich beipricht, behandelt Troyon das Steinzeitalter mit Bes
zug auf die Funde in ven fchweizeriihen Seen von Moosjeevorf, Wan⸗
wol, Zürich, Pfeffiton, Biel, Neuenburg, Genf, Inkwyl. Nupbaumen, im
Bodenſee, in der Ziehl und Orbe; dazu Nachrichten Aber Fünde in
Frankreich, Irland, England, Deutichland, Holland und Dänemark, Im
zweiten Kapitel folgt ver Uebergang zum Ironzezeitalter (Zürcher, Bieler
und Neuenburgerfee). 3. Kap. Eigentlicheg Bronzezeitalter. Nebft eini«
gen der obgenannten Seen, aud die von Kuiflel, Murten, Sempach, An⸗
nech, dann ranfreih, Nordeuropa. 4. Kap. Uebergang vom Bronze⸗
zum @ifenzeitalter. 5. Kap. Erſtes Cijenzeitalter. Beſonders die Seen
von Biel und Neuenburg; Frankreich, Irland, Schottland, Dänemarl,
europäifche Türkei, Kaulafus und Aſien. 6. Kap. Romiſch⸗helvetiſche Zeit.
Die Schweiz. 163
7. Kap. Spätere Zeiten. Europa, Ajien, Amerifa. ‘Der zweite Theil
enthält allgemeine Betrachtungen über deu geiwonnenen Stoff und Schlüffe
über Urfprung, Zwed ter Scewohnungen, Kultur, Lebensweiſe der Bes
wehner, Thiergattungen u. |. w.
In einem Anbange theilt uns Hr. Troyon mit, daß aud in ben
italieniſchen Eeen wie im Lago maggiore untergegangene Wohnungen mit
gleichen Ueberreften wie in denen dieſſeits ber Alpen zu finven feien; felbft
im Meer bei Mentone bat Hr. Forel, wie Troyon berichtet, vergleichen
Bafferwohnungen entvedt. Schließlih darf wohl mit Recht gejagt wer:
ven, Daß Hrn. Troyon's Schrift ein reiches Willen über die älteften Zeiten
des Schweizerlandes birgt und felbft vom beſoundern Fachkenner gewiß
mit Befriedigung gelejen wird, follte er auch nicht mit allen Schlüffen und
Pehauptungen tes Verfaſſers einverftanven fein.
13) Charles Victor de Bonstetten, étude biographiquo etlittdraire
d’apres des documents, en partie inedits, par Aim& Steinleon. Lausanne,
Georges Bridel, &diteur. 1860.
Wenn der Berfaffer bemerkt, er babe Bonftettens Biographie deß⸗
halb gefchrieben, weil derſelbe, obwohl bei Deutjchen und Franzoſen durch
jeine Schriften bekannt, doch zu wenig gekannt fei, fo erlauben wir uns
nech einen tieferen Beweggrund anzugeben, den wir feinem Buche glauben
entnehmen zu dürfen.
Hr. Eteinlen, ter die deutſche Sprache und Piteratur fat ebenfo
gut kennt wie die franzöfijche, fieht in beiden Treffliches, aber auch Ein⸗
jeitige®, von tem man hüben und trüben Vormerfung nehmen könnte:
deutiche Srüntlichkeit und franzöfiiche gefällige Form, veutjcher Ernft und fran-
zẽfiſche Beweglichkeit möchten fih zuſammen finden. Als annähernves
Beiipiel hiefür gilt ihm Bonftetten, ver deutſch geboren, deutſch und fran-
zefifch gebildet, in feinen Schriften deutſche Tiefe mit franzöſiſcher Ge-
wanttheit des Austruds verbinde. Bonftetten ſteht ihm als Menſch und
-chriftſteller jehr hoch, obwohl er tie Feſſeln gar wohl fennt und aud
anfmeift, durch welche irdiſche Unvollkommenheit denſelben gefangen hält.
Ws deſſen beſte Schriften bezeichnet er auch, auf Zſchokke ſich berufend,
vie Briefe. (Brgl. S. 338.) Begreiflich! In ten Briefen konnte er
feine tiefften Gedanken und Empfindungen in gefälliger und vor Allem
in ſchulfremder Form ausſprechen. Daß er tief und ernft dachte, bemeift
feine „Philefophie ver Erfahrung ;" doch die Maſſe feiner geiftreichen
10 *
164 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.
Gedanken und Anfichten findet fi in feinen Briefen. Wenn wir fowohl
in der Grundidee wie in der Ausführung und Beurtheilung mit dem
Berfafler größtentheils zufammengehen, fo wird er uns doch vielleicht auch
beiftimmen, wenn wir geradezu an ber Hand feiner Bemerkungen fagen,
daß Bonftetten Bielerlei war, nur kein feſt ausgeprägter und vor Allem
fein bernifher Charakter. Darum bat Bonſtettens Anvenfen in feiner
eigenen Vaterſtadt ſich kaum erhalten, abgeſehen davon, daß er einen
fteten Widerwillen gegen die Berner zeigte und nicht felten fpöttifche Bes
merkungen über fie machte. Nur das Feſte, Zuverläffige, mag es fogar
einfeitig fein, bält fi, während das Schwebende, Schwankende ver-
ſchwindet, wie das vom feiten Stamme ver Eiche loßgerifiene Blatt,
Berne letzter Schultheiß, der dem neufränfiihen Uebermuthe kühn fid
entgegenftellte, wird nimmer vergeſſen, fo lange e8 eine bernifche over
ſchweizeriſche Geſchichte gibt, während Bonftettens Andenken, das übrigens
nie im Volke wurzelte, nur in begrenztem Raume fi wird halten können,
mögen auch noch fo treffliche Biographien, gerade wie die vorliegende vom
Hrn. Steinlen, gejchrieben werben. Steinen ſchildert und nad) dern
Quellen, die er mit großer Mühe ſich verichafft hat, auf das Genauefte
Leben, Schriften nnd Meinungen Bonftettens. Wir erfahren durch ihm,
wie ber junge Bonftetten geb. 1745 3. Sept. vol Geift und Gefühl in bie
franzöfifche Schweiz nach Iverdon kam und dort feine eigentliche Heimat,
bas bisher entbehrte Familienleben, frifche Landluft, Yreiheit und Glüd
fand. Er fam nad Genf und war bei Voltaire eingeführt; fein gefühl
volles Herz, fein freibeitsluftiger Sinn ward von Rouſſeau's Echriften
hingeriffen; demokratische Ideen beherrſchten feine Gefinnungen, ohne daß er
je ein Demofrat wurde. (S. 344.) Nachdem er durch Bonnet mit ber
Philoſophie bekannt gemacht worden war, bezog er die Unverfität Leyden
und bereifte England und fpäter auch Italien. Wichtig war feine Be—
fanntichaft mit 3. v. Müller, dem er ftets mit Rath und That aushalf
und deſſen Studien er auf jegliche Weife förderte. Sein Eintritt in dem
großen Rath der berniihen Republik im Frühjahr 1775 bereitete ihm
nur Widerwärtigkeiten, da er feine Ideen ftetS im Widerſpruche mit denen
feiner Eollegen fand; Müller tröftete ihn. Glücklicher ging es ihm als
Landvogt zu Saanen, Nyon und im Teſſin. Seine Humanität mb
die Neigung zu Verbefferungen gewann ihm bie Herzen feiner Un⸗
tergebenen. Ihm verdanken wir grünbliche Nachrichten über ben traurigen
Die Echweiz. 165
Zuſtand ter damals von den Eidgenoſſen fo ſchlecht beberrichten foge-
nanıten italienischen Bogteien ; ihm verbanlen die Tefliner ven erften An-
ban ter Kartoffeln. Die Tefliner fahen fie al8 eine Frucht für bie
Schweine an, weldes Borurtheil aber Bonftetten durch eine Broclamation
zu beſeitigen fuchte, indem er ihnen mittheilte, daß die Königin von Eng⸗
land täglıh Kartoffeln auf ihrem Mittagtifche babe. (S. 171.) Nod
fo manches Intereffante könnten wir dem Buche entheben,, das mit deut⸗
(her Grundlichkeit, franzöſiſcher Aumuth und Klarheit gefchrieben iſt.
14) Note historique sur la direction de la bourse francoaise de Lau-
sanne. 1859. (Cette brochure redigee par M. Solomiac, ancien principal du
collöge de Lausanne, & l’oocasion de la fusion operde I’hiver dernier entre
ia dite Bourse et la bourgeoisie de Lausanne renferme des details curieux
sur les Refogiés, vonus dans le Pays de Vaud & la suite de la rövoostion
ds TEdit de Nantes.)
15) De la neutralit6 de la Suisse dans l’interöt de l’Europe par Pictet
de Roshemont. Nourelle ddition. Chez Jo&l Cherbuliez libraire & Ge-
neve. 1860.
16) Les publications de la section des sciences morales et politiques
de T’institut Genevois, publication d’une charte du XIV. siecle. 1860.
17) Morlot, A., Etudes geologico-archeologiques en Danemark et en
Suisse. Lausanne, Mars 1860. Sm Bulletin de la societe Vaudoise des
seiences naturelles. Tome VI. Nr. 46. Inhalt: I. Kjoeken moedding.
N. Marais tourbeux. Ill. Question des races. IV. Changements physi-
ques. V. Comparaison du Nord avec Is Suisse. VI. Question chronolo-
gigque.
18) Some general views on archeology. By A. Morlot. London.
1860.
19) Le conservateur Suisse ou Recueil complet des Etrennes helvetien-
mes. Ze. 2dit. 14 vol Dis l’annde 1860 il paraitra chaque annde pour
je jour de l’an un nouvean volume,
20) Un magistrat Suisse. Auguste Pidon, Landammann du Canton
da Vaud. Notice historique par L. Vulliemin. 844 pages. Lausanne,
G. Bridel, 1860.
21) Bulletin de la socidte des sciences naturelles de Neuchätel (T. V.
%. 1860) ſchilbert den Betrug, ber von ben Arbeitern mit Nachahmung ber bei
Gencife gefundenen leltiſchen Alterthmer getrieben wurde. Wie verfihert wird,
166 Ueberfiht der Hiftorifchen Literatur von 1860.
blieben bie Arbeiter bei ber Nachahmung nicht fliehen, fonbern verfertigten fogae
antite Tabadpfeifen. Bon nun an werben bie fogenannten keltiſchen Alterthu
mer einer genaueren Prüfung unterworfen.
22) Musde historique de Neuchätel et Valagin publid par Georges
Auguste Matile. Tome III 3e cahier. Neuchätol 1860.
Dies Heft, welches ven britten Band abſchließt, wurbe von ben
Fremden Matile's, welcher ven Stoff dazu ſchon vor feiner Abreiſe nad
Amerifa (1848) gefammelt hatte, herausgegeben. Es enthält folgenbe
Dorftellungen:
Notices sur des tombeaux Romains decouverts pres de Serriöres —
La Comba à la Vuivra (traditions populaires des serpents monstrueux). —
Les inondations du Seyon en 1579 et 1750.— Journal d’Abraham Chail-
let, maire de la Cöte. Description d’Hennipolis.
Die erfte nnd legte dieſer Darftellungen find durch beigefägte Seide
nungen veranſchaulicht. Das Tagebuch von U. Chaillet, S. 230, deſſen
Entelin, Lucretia Chaillet, die treffliche Mutter David Pury's, des
Wohlthäters der Stadt Neuenburg war, enthält manche 8 VBenertene-
werthe, namentlich für jene Zeit trefflihe Witterungsbeobachtungen, Die
früheren zwei Hefte dieſes dritten Bandes enthalten:
Des noms de famille neuchätelois. — Chanson du condsei Heiri, poe-
sie patoise. — Extrait du journal de Jean Lardy, d’Auvernier. — Bt.
Guillaume; ses autels, sa chapelle, son portrait. — Annales du che
pitre de l’dglise oollögiale de Notre-Dame de Neuchätel. — La reima da
corti, podsie patoise. — Neuchätel mentionnd pour la premiere fois dans
l’hbistoire. — Fondation et dotation d’une maison d’ecole à Peseux en
1560. — Manuscrit do traites de medecine à la bibliothöque de la classe.
— Marquos pour les pauvres. La femme blanche, po6sie.
Es iſt ſehr zu bevauern, daß dieſe Zeitichrift in zwangloſen Heften
nunmehr eingegangen, da überbies kaum Hoffnung vorhanden ift, daß
bald wieder eine hiſtoriſche Schrift im Kanton Neuenburg gejchrieben
wird, wenn nicht etwa Hechtöftreit eine ſolche nöthig macht.
28) Histoire d’une annexion, par Charles Guy. Paris, Amyot, ddit.
ruo de la paix, 1860.
Der Verfaſſer will unter diefem Titel die vollſtändige Bereinigung
Neuenburgs mit der ſchweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft und die erfolgte Ceſ⸗
ſion des königlich preußiſchen Hauſes verſtehen. Er hätte dieß bemetken
Die Schweiz. 167
felen, da gewiß Niemand ans biefem Zitel auf den genannten Iuhalt
ſchliefßt. Uebrigens wiederholt die Schrift nur längſt Geſagtes.
34) Response de la comune (Bourgeoisie) de Neuchätel contre l’au-
terité maunicipale de Neuchätel. Neuchätel, imprimerie de H. Wolfrath et
Metsner, 1860.
235) Newhhatefs Einwohnergemeinbe unb Burgergemeinbe und beren Ab-
ferungsfireit Aber den Davib Pury'ſchen Gtiftungsfond. Deutiche Bearbeitung
ber Rechteſchriften ber Einwohnergemeinde.e Solothurn, Drud von J. Gaß⸗
mann Sohn, 1860.
Beide Schriften beichäftigen fi in der Einleitung mit der Geſchichte
der Gemeinde Neuenburg, um dadurch für fie günftige Schlüffe zur Ent»
ſcheidung der Streitfrage ziehen zu können. Die legtere ift ausführlicher.
De Staat Neuenburg weiſt in feiner durch die Geſchichte gewordenen
Geſtaltung eine vielartige Gliederung auf. Schon in frübeiter Zeit und
nachgehends wit allerlei Privilegien für vie Stabt, einzelne Gemeinven
uud Körperfchajten wie für das ganze Land ausgeftattet, beſaß derſelbe
die Elemiente der Monarchie, Artftofratie und Demokratie in frieblicher
Beie nebeneinander, bis allmälig vie Stadt Neuenburg und in biefer
anzeine Geſchlechter unter dem Schuge eines fern fich haltenden und fern
lebenden Fürften alle Gewalt auf fich vereinigten. Der Sturz diefer rei«
den und mächtigen Geichlehterherrihaft war das Werk unjerer Tage
und die Gründung der Republik und Umgeitaltung bes ftäbtifchen Ge-
meindbewefend eine nothwendige Yolge, wie dies Hr. von Chambrier im
Corps legislatil im Jahre 1831 vorausfagte: La republique est totale-
ment incompalible avec l’existence de pareilles corporations. La destruc-
ion de nos bourgeoisies serait dans la suite necessaire de l’etablissement
da pouvoir rèpublicain. (Bulletin officiel 1831, pag. 375.) Diele Noth-
wendigfeit wie auch der Umſtand, daß in ben Ältern Zeiten Fein Unter⸗
ſchied zwilchen Einwohnern und Burgen beftanven zu haben fcheint, half
ver Ginwohnergemeinbe zum Siege. Dazu hatten auch die Gewandtheit
ihres Anwalts (Hrn. Nationalratd Hungerbühler von St. Gallen)
und die Analogie in der Gemeinbeeinrichtung der meilten andern Kan⸗
tene das Ihrige gethan. Bericht und Urtheil finden fich in ver Zeit
ſchrift Für vaterländiſches Recht. Neue Folge. Band L Lieferung 5.
(Haller'jche Buchdruckerei in Bern.) Beide Parteien hatten nemlich im
ſich ſelbſt ehrender Weile ihre Streitfrage dem Bundesgerichte unters
168 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.
breitet. Der Einwohnergemeinde wurde ein Theil des Zinfenertrages
vom David Pury'ſchen Fond zugefprochen. Für die Gefchichte des ſchwei⸗
zerifchen Gemeindeweſens ift dieſer Prozeß von hoher Wichtigkeit.
26) Recueil diplomatique du Canton de Fribourg. Bixi&tme annee.
Volume sixidme. Fribourg en Suisse, imprimerie Marchand et Comp. 1860.
Bon den Mitglievern der hiftorifchen Gejellihaft des Kantons Frei⸗
burg, welche dieſe Urkundenſammlung berausgibt, betheiligten fich bie
Herren Stantonsbibliothefar und Pfarrer M. Meter, welcher bie deutichen,
Profeffor Chatton, der die lateinijchen, und Abbe J. Gremaud, welder
die franzöfiihen Urkunden beforgtee Sie umfaffen ven Zeitraum von
1400 bis 1410, und find an Zahl 90. Sie betreffen größtentheils den
freiburgifchen Staatshaushalt, einige find jedoch nicht ohne allgemeines
Intereffe für die geſammte Schmweizergeichichte, wie überhaupt flr bie
Eulturgeichichte jener Zeit. S. 27 findet fi der Wortlaut bes erften
Bünpniffes (auch von Yuftinger S. 251 erwähnt) oder fog. Burgredts
zwiſchen Bern und Freiburg, 1403 8. Nov., welche beide darin geftehen,
wie jehr fie einander bis jetzt geſchadet haben, künftig aber nur zu nützen
gejonnen feien durch ein ewige Bündniß. Bern nimmt darin das rd»
mijche Reich aus, wird demſelben aber nicht gegen Freiburg beiftehen;
Freiburg nimmt vie Herrfchaft Defterreih aus, wird aber berfelben keine
Hilfe gegen Bern leiten. Dagegen zieht e8 den Eirgenofien von Zürich,
Lucern und Zug, beſonders aber Uri, Schwyz, Unterwalden zu Hilfe,
wenn e8 von Bern gemahnt wird, Glarus ift nicht genannt, da es
auch damals noch nicht den Übrigen Eidgenoſſen gleichgeftellt ift, obwohl
es chen über fünfzig Jahre im eidgen. Bunte war. Das Bünpnif,
gegen welches übrigens einige Rathsherren confpirirten (S. 77 und 79),
ift hauptjächlich gegen „weljche Herren und Stett“ gerichtet, gegen welche
Freiburg ven Bernern beiftehen will. Es Tann dies wohl nur Savohen
und Burgund betreffen, gegen welche fpäter Freiburg wirflih mit Bern
und den Eidgenoffen ruhmvoll fämpfte und dann 1482 förmlich in den Bund
ver Eidgenoſſen aufgenonmen ward. Bon culturhift. Interefle ift Nr. 404
©. 23%. Die freiburgifhe Regierung verbietet (1409 11. Sum.) ben
„großen und Meinen Kindern“ nicht das Bild des bi. Johannes durch
die Straßen zn tragen und zu rufen „Alaman contre Roman“ ımd ums»
gelehrt. — Auffallend ift auch Nr. 392 ©. 119 vie Verordnung (1408
12. Jun.) gegen bie Männer, welche ihre Frauen ohne Grund verjagen
Die Schweiz. | 169
und in ber „Liberlinageo“ leben. Mehrere Urkunden beweilen die dama⸗
lige Blũthe der Tuchfabrikation in Freiburg, von ver heutzutage Teine
Spur mehr vorhanden if. — Dieje fleißige Arbeit ver genannten Frei⸗
burger Gelehrten kann nur gelobt werden; bagegen wäre etwa zu einem
inftigen Bande ein Wörterbuch für die jchwierigern franzöfiihen Aus»
trüde zu wünfchen.
. 27) P. Urban Biniförfer. Ein Gedenkblatt für feine Freunde unb
Beresrer. Bon F. Fiala. Solothurn, 1860. Drud und Berlag von B.
Edwenbimaun. 8.
P. Urban Winiftörfer, deſſen Eltern zu Winiftorf im Kanton Sos
lethurn den Bauernflande angehörten, war bis zu deſſen Aufhebung im
9. 1848 Möndh des Klofters St. Urban im Kanten Rucern. Seine
außerorventliche Thätigkeit war vielfeitig: er war ein eben fo tüchtiger
Gelehrter und Pfarrer ald Delonomieverwaiter feines Stiftes, zu deſſen
Zierden er im jever Beziehung gehörte. Als Bicepräfident der allgemei-
nen geichichtforjchenden Geſellſchaft ver Schweiz nahm er den regiten An-
teil an deren Beltrebungen, beſonders aber an der Herausgabe des
ſchweiz. Urkundenregiſters; ebenjo eifrig arbeitete er an den Vereinsſchrif⸗
ten des biftorifchen Vereins des Kantons Solothurn, den er 1851 ftif-
tete und bis zu feinem Lebensende leitete. Gerne ſtimmen wir mit ein
im tie freundlichen Gedächtnißworte des Berfaffers, die ex dieſem treffli-
den Mönche widmete.
28) Schweizeriſcher Tobtenlalender für 1857, 58 u. 59. Bon %. Fiala.
Solothurn, 1860.
Entyält biographiihe Skizzen über bie im Laufe diefer Jahre verftorbenen
Echweizer von öffentlicher Stellung.
39) Die keltiſchen Altertpümer ber Schweiz, zumal des Kantons Bern, in
it auf Kunft und äfihetifches Intereffe, dargeftellt von Alb. Jahn. Bern
ki 2 93. Wyß, 1860.
Der Berfaffer fucht ven Gebrauh und die Beftimmung ber kelti⸗
ſchen Alterthämer an Waffen, Geräthen, Münzen u. |. w. aus ven Pe⸗
rioden des Steines, der Bronze und des Eiſens zu beuten und ben be-
fondern Kunſtwerth verjelben geltend zu machen, wozu einige Abbildun-
gen beigefügt find. Er ficht bei ven Ureinwohnern des Schweizerlandes
beachtenewerthe Keime ſowohl der Architeltur als ver bildenden Kunft“,
170 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.
md wiünfcht, daß auch in den Nachbarländern das Studium der lelti⸗
ſchen Alterthümer gefördert werben möchte.
30) C. R. v. Fellenberg, Analyfen von antifen Bronzen in Mittheilungen
der naturforfhenden Gefellihaft in Bern. Haller’ihe Buchdrucllerei. In Com⸗
milfion bei Huber u. Comp. 1860. ©. 43 un. 65. 8.
31) 3. Uhlmann, Geologiſch archäologiſche Verhältniffe am Moosfeeberf
in Mittheilungen ber naturforjchenden Gejellihaft in Bern, 1860. ©. 57. &
32) Vortrag vor dem bernifhen Kantonal- Kunftverein gehalten bei ber
Hauptverfammlung vom 4. Dezember 1860, nebſt einem Kunfiberict aus Män-
den und ale Anhang ein Lebensabriß des Malers I. H. Yuillerat. Bern, Hal
ler'ſche Buchbruderei, 1860. 8.
Wir verdanken diefen Bericht und die Iehrreihe Biographie Juille⸗
rat's der unermüblichen Thätigleit des Hm. R. v. Effinger von Wildegg,
defien Schöpfung ver bernifche Kunftverein ift. Hr. v. Effinger beweiſt,
wie viel möglich iſt, wenn man ımabläßig einen Zwed verfolgt und je
den Augenblid benntt, um venjelben zu fürbern. In wenigen Jahren
bat er einen Kunftverein von beinahe 700 Mitglievern und mit geringen
Beiträgen einen Fond von über 4000 Fr. zufammengebradht. Was aber
den Werth feiner Thätigkeit erhöht, ift, daß er die Künftler feines engern
und weitern Baterlandes nad Kräften auffucht, ermuntert und auf jeg-
liche Weife fördert. Auch dem Andenken verftorbener Künftler wibmet
er in pietätsvoller Weife Aufmerkſamleit, um veren Berbienfte zu ver»
ewigen.
83) Beiträge zur Bernifhen Nechtegefchichte von 8. &. König, in Zeit
fhrift für vaterländifches Recht. Nene Folge. Band I. Lief. 1. Haller'fe
Buchdruckerei in Bern.
Dieje Beiträge, welche fortgejegt werden follen, enthalten zunädhft
einen genauen Abdruck ber fogenannten bernifhen Handfeſte von Kaiſer
Briedrih II. aus dem Jahre 1218, ſammt Ueberfegung, fowie den Text
der älteften Freiburger Verfaffungsurkunde und des fog. Freiburger (in
Breisgau) Stadtrodels. Mit Recht fagt Hr. König, daß die bermifde
Handfefte einen bedeutenden Rang unter ben beutfchen Stabtrechten bes
Mittelalterd einnehme; es lohne ſich daher wohl der Mühe, die urfpräng-
lichen Elemente dieſes Freiheitsbriefes an der Hand der Wiflenfchaft auf-
Die Schweiz. 171
zufahen, zu erläutern und ihren Einfluß auf die bernifche Geſetzgebung
nahzınweifen. Die Ueberfegung ift fehr genau und Har.
SA) Docnmentirter Bericht über das Berhältniß der katho—
liſchen Pfarrei in Bern binfihtlic ihres Didcefanverbandes Bern, 1860.
daller ſche Buchdruckerei.
Zufälliger Weiſe kam die zu Anfang dieſes Jahrhunderts errichtete
latholijche Pfarrei in Bern unter das Bisthum Lauſanne (Freiburg) zu
ftehen; nun wünfcht bie bernifche Regierung deren Vereinigung mit bem
Yıstyam Bafel (Solothurn), zu welchem ver katholiihe Theil des Kau⸗
tens Bern gehört. Die Curie beruft ſich aber anf die urſprüngliche
Episcopatseintheilung, nach welder das Bisthum Laujanne bi8 an bie
Aare fich eritredte. Dagegen dürfte Bern, was leider in diefer Schrift
zuht angeführt ift, geltend machen, dag Biel, wo jüngit eine katholische
Bharrei errichtet wurde, aud unter das Bisthum Baſel geftellt worden
MR, ebwohl es auch einft zum Bisthum Laufanne gehörte.
35) Archiv bes hiforifhen Bereins bee Kantons Bern. IV.
Bernd. tes n. Ates Heft. Bern, 18360. GStämpfliihe Buchdruckerei. Ju
Commitfion bei Senf u. Gaßmann. 8.
Inhalt des dritten Heftes: SIahresbericht vom Präfidenten Prof. G. Stu-
der für die Jahresverfammlung des hiflorifhen Bereins ben 15. Juli 1860.
— Leber die Quellen der Geſchichte bes Laupenkrieges. — Ueber bas Berhält-
si Nurtens zu Bern während des Laupenkrieges. — Bruchſtück einer beutichen
Ueberfegung des Nitterromans Cleomades von Adenas la Roi. — Nachtrag zu
der Geſchichte des Inſellloſters. — Brotolol der Hauptverfommiung vom 15.
ali 1860. (Sämmiliche Beiträge find von Hrn. Prof. Etuber, der es fich ber
ſenders zum Ziele geſetzt bat, bie erfte bedeutende Freiheitsſchlacht der Berner
im ein Hares Licht zu feen, indem er bie Quellen fidhtet, prüft und zu einer
gräntlichen Darftellung verwendet.)
Inbalt des vierten Heftes: Die Handfchriften der Berner Stabtchronik von
Gone. Zufivger, Dittlinger⸗Tſchachtlang, Dieb⸗Schilling und die Berner Stadt:
Gronik im Anſchluß an Königehofen von Br. G. Etuder. — Alterthämer und Sa⸗
gen in ber Ungegend des untern Thunerfee's, von A. Jahn. — Rudolf von
Erlech und die Narratio proelii Laupensis, von Prof. G. Studer. — Der 6.
Kür 1798 bei Neneneck, nad den Ergebniffen der neueren Gtubien barge-
Mt von Prof. Lohbauer.
Das in der letzten Darftellung geſchilderte Treffen ift deshalb in»
172 Ueberficht ber Hiftorifchen Literatur von 1860.
tereffant und Iehrreih, weil dort die fonft überall fiegreichen Franzoſen
von den Bernern, obwohl diefe zuerft ihre Pofition ganz hatten aufgeben
und ſich zurüdziehen müſſen, vollftändig gejchlagen und in eine alle Orb-
nung auflöſende Flucht getrieben wurden, während freilih ein anderes
Corps der Franzofen fo eben der Stadt Bern fi) bemädtigte zum gro
gen Schmerz der bernifchen Sieger.
86) Helvetia sacora, ober Reihenfolge ber kirchlichen Obern unb Oberiunen
in ben ſchweizeriſchen Bisthämern, Collegiatftiften unb Klöſtern von Egbert
Friedrich v. Mülinen. Zweiter Theil. Bern, gebrudt in ber Stämpf
liſchen Buchbruderei (G. Hünerwabel), 1860. Fol.
Schon der erfte Band erregte mit Recht die volle Aufmerkſamleit
der Forſcher; in einem erhöhteren Grade dürfte dieß bei dieſem zweiten
Bande der Fall fein, da er fih, wo möglich, noch vor dem erften ande
zeichnet. Fleiß, Grünblichleit und Gewandtheit in der componirenben
Darftellung, wo ber Stoff e8 erheifcht, zeigen fich auch hier wieder, wäh
vend die Einſicht, was eigentlich gegeben werben foll, geftiegen ifl. Die
Einleitungen zu ben verfchiedenen Orden und Stiften, Entſtehung, Gut
widlung u. ſ. w. enthaltend, find weit veichhaltiger und umfangreicher,
als im erften Band und erhöhen den Werth des Werkes nicht wenig.
Während im erften Theil die Doms und Chorberrenftifte, ſowie die alten
Abteien behandelt wurden, erjcheinen nun im zweiten bie jpäteren Mönche
orden, ſowohl die der Bettelmönde (Dominicaner, Frauciskaner, Augu-
ftiner, Carmeliter), die im XI. Jahrhundert entftanden, als aud bie
fichlihen Corporationen und Congregationen, bie im Gegenſatze zu ber
Reformation in den katholiſch gebliebenen Ländern ver Chriftenheit feit
dem XVI. Jahrhundert und bis in vie neueren Zeiten ſich entwidel-
ten, nämlich Rapıziner, Iefuiten, Trappiften, Pigorianer oder Redempto⸗
riften u. |. w. Darauf folgen die Frauenklöfter nah dem Alter ihrer
Orden. Die Einleitung enthält eine gejchichtliche Ueberficht und Charal-
terifirung ber verſchiedenen Mönchsorden und ihrer inneren Einrichtung,
welche ſich bei den neuern Orden (Jeſuiten, Capuziner u. |. w.) durch⸗
weg bemofratiih oder, wollen wir beifügen, demokratiſch- deſpotiſch zeigt.
Wir erfahren ſchließlich auch die Anzahl ſämmtlicher geiftlicher Stiftungen
in dee Schweiz, nämlih 340. Bon dieſen waren 8 Gathebral» ober
Domftifte, 30 Propfteien, 120 Mannsklöfter, Hoſpize, Collegien n. f. w.
Die Schweiz. 173
ven 20 verfchiedenen Orben und 110 Frauenklöfter von 9 verjchierenen
Orten
Zu den wichtigften Orden im zweiten Bande gehören die Jeſuiten
zur Rapuciner, indem fie der menſchlichen Gejellihaft fich anfchmiegend
allmãlig einen fehr bebeulenven Einfluß auf viefelbe ausübten, vie Je⸗
fuiten auf vie höhern Stände, die Kapuciner auf die nievern. Die
—— zu denſelben ſind angemeſſen unparteiiſch und ſehr intere⸗
haut geſchrieben, indem fie des Guten ober bes Lobes weder zuviel noch
za wenig enthalten. Zur Gefchichte der erften Einführung der Jeſuiten
in Lucern (5. 46) ift beizufügen, daß Stabtichreiber Renward Cyſat,
deſſen Bater ein Mailänver war, die Jeſuitenberufung nach Lucern bes
wirtte (vergl. Historia collegii soc. Jesu Lucern.); zwei feiner Söhne
Ich. Baptift, ver Mathematiker und Aftronom, und Caſpar traten in
den Jefnitenorden. Bei den berühmten Lucerner- Iejuiten ift (S. 48) zu
awähnen, daß Pater Peter Hug gefchrieben: Katholiſch Handbüchlein.
In welchen von vierzehen fürnemmen ftrittigen Artidien vnſers Chriſtli⸗
den Glaubens gehandlet wird. Durch B. Hugonem. Ingolftatt. 1628. —
38 den wwichtigften und älteſten Frauenftiften, deren Geſchichte vielfach
mit der des Landes verflocdhten iſt, gehören Sädingen, das zwar nicht
im der Schweiz gelegen, aber wegen feiner Beziehungen zu derſelben füg⸗
Gh Raum fand, Scöunis und Fraumünfter in Zürid. Zu dieſen
find daher ausführliche Einleitungen über Geſchichte, Befitftand u. ſ. w.
gegeben, weldye gewiß die Aufmerkſamkeit des Pejers in Anſpruch nehmen
werten. Das Werk, einzig in feiner Art und ein wirkliches Bedürfniß
für ven Forſcher, darf und muß einer weiten Verbreitung fich erfreuen.
37. AUmtlide Sammlung ber Altern eidgendffiihen Ab⸗
ſchiede. Herausgegeben auf Anorbnung ber Bundesbehörden unter Leitung
des eidg. Arqhivare 3. K. Krütli
Die eibg. Abſchiede aus dem Zeitraume von 1712—1743. Bearb.
von Daniel Albert Fechter. Der amtlihen Abſchiedeſammlung Band 7. Ab⸗
tyelung I. Bafel, Baner'ſche Buchdruckerei, 1860. 8.
Das große Werk ver eidg. Abſchiedeſammlung, von dem wir früher
Band 3 angezeigt haben, jchreitet rüftig vorwärts unter der Aegide ber
beben Bundesbehörden, die ſeit einigen Jahren der Wiſſenſchaft und
Kunft überhaupt die freumblichfte Aufmerfjamfeit ſchenken. Diefer Band
enthält nicht weniger als 1410 Seiten ohne das umfangreiche Regifter,
174 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
Der Verfaſſer hat großen Fleiß und unverbroßene Ausdauer bewieſen,
aber nicht weniger Genauigkeit und Scharffinn. Wir verbanten ihm
auch einige Meodificationen znr Erleichterung des Gebraudes, vie uns
fehr willlommen find; in dem Abjchnitte der Herrichaftsangelegenheiten
find ven einzelnen Artikeln nicht bloß die Zahl des Paragraphen, fon-
bern auch der Abſchiede beigefügt. Die Abſchiede felbft find nicht nur
wichtig für die politiiche Gejchichte der Schweiz im Allgemeinen, ſondern
bauptjählih auch für die Verwaltungsgeſchichte der ſog. Unterthanen-
länder, die fo gut wie unbefannt ift, da ſelbſt in ben einzelnen Kantons⸗
geihichten wie von St. Galler, Thurgau u. ſ. w. nichts Gründliches
vorgebracht werben konnte. Erſt durch die Abſchiede lernen wir bie
ſtaatsökonomiſchen Verhältniſſe dieſer Yandfchaften kennen, jo wie nod
vieles Andere, 3 DB. Poſt⸗, Straſſen⸗, Zollweſen u. |. w. Es erhellt,
daß viefelbe eine reihe Fundgrube für die ſchweizeriſchen Hiftorifer bil⸗
den. Als erläuternder Anhang zum vorliegenden Bande fcheinen nicht
nur eine Reihe Zufüge — wir maden beſonders auf Seite 1337 auf»
merkſam, die Erflärung wenig oder gar nicht befannter Ausprüde enthaltend —
fondern auch 16 ungebrudte Aftenftüde, größtentheils jonjt nicht befannte
Bündnifje einzelner Kantone mit auswärtigen Staaten, wie Spanien,
Frankreich, die Generalſtaaten, ferner Friedensſchlüſſe u. |. w.
88. Berner Tafhenbuh auf das Jahr 1860. Herausgegeben
von 2. Lauterberg. Neunter Jahrgang. Dit 4 Abbildungen. Bern 1860.
Drud und Berlag der Haller'ſchen Buchdruckerei. B. %. Haller. 8.
Auch dieſer Jahrgang enthält wie die früheren eine Reihe trefflicher
Driginalarbeigen oder Quellenfchriften, größtentheils zur Beleuchtung und Ver⸗
vollftändigung der neuern Berner Gejchichte feit 1798 beftimmt. Cr
enthält: Wolfgang Musculus oder Müslin. in Pebensbild der Refor-
mationgzeit. Aus dem handſchriftlichen Nachlaſſe des verftorbenen Dr. W.
Th. Stradebor, Profeffor in Bajel, wmitgetheilt vom Beransgeber. —
Nah Graubünden Die 4 erſten Tage meiner KReifeerinnerungen.
Bon Sigmund Kiftler, Kantonslafjier, mit 2 Abbildungen, welche ver
Berfaffer, ein eifriges Mitglied der Künftlergejelihaft in Bern, ſelbſt an
Drt und Stelle zeichnete. Diefe Keijeerinnerungen, hin und wieder
dich eine poetiihe Einlage gewürzt, find recht anſprechend und
treu — gerade das, was wir von einer guten Reijebeichreibung wün⸗
Die Schweij. 175
ſchen — Beiträge zur Geſchichte des Unterganges ver alten Republik Bern
im Jahr 1798.
1) Erinnerungen des 8Tjährigen Veteranen Johannes Jaun, ges
meiniglich genannt Battenhans, von St. Beatenberg, an feine Erleb⸗
niſſe im Sabre 1798, getreu nach jeiner Erzählung mitgetheilt von R.
Lröpenbühl, Pfarrer zu St. Bratenberg. |
2) Aus meinen Erlebniffen im Jahre 1798. Bon dem 8Ojährigen
Aurolph Bärgi von und in Seedorf. Mit einleitenden biographiichen
Notizen über ven Verfafier von bem Herausgeber. —
Ein Spottliev in Knittelverfen über ven fog. Stodlifring 1802
(Bertreibung der helvetiſchen Regierung) von K. L. Stettler.
Albrecht Friedrich May, Staatsichreiber von Bern, dargeftellt in
feinem Leben und Wirken von dem Herausgeber. Mit dem Bildniſſe von
u 5 May.
Das Leben eines‘ ſchweizeriſchen Staatsmannes zu beichreiben, ver
60 Jahre lang (geb. 1773 und gefl. 1852) in einer Republik während
vier Staatöunmwälzungen in öffentlicher Stellung blieb, ift eine ſchwie⸗
Tige Aufgabe, die jedoch der Verfaſſer trefflich gelöft hat. Nicht allein
wei er troß des überreichen Stoffes, der fih ihm in den Weg ftellt,
ſtets ein reges Intereſſe für die Hauptperfon zu bewahren, fonbern er
ſchildert den oft Icharf einjchneidenden Staatsmann fo unbefangen und
muporteiifh, als ob er in einer längft verſchwundenen Zeit gelebt hätte.
Die Biographie des Staatsſchreibers May wirb immerhin einen wichtigen
Beitrag zur modernen Bernergefchichte bilden, einzelne Abjchnitte möch-
ten auch für Deutſchland von Interefie fein wie 3. B. May's Stu:
dierzeit in Jena, wohin er fih im Frühjahre 1796 „ftaatspolitiicher
Ausbilwung» wegen begeben hatte; ven gemaltigiten Einprud übte auf
ven denlenden Züngling der große Philojoph und wahrhaft deutſche Dann
Fichte, den er in jeinen Briefen noh fpäter wiederholt neunt. Er
hielt auf vielfeitiges Studium und hörte eine Reihe ausgezeichneter Vor⸗
träge an; ex fuchte und fand jpäter Gelegenheit genug, feine vieljeitigen
Renminiffe anzınnenden. May wirkte einzeln und im Verein mit Andern.
Yu letzterer Beziehung bat nun der Biograph ein bejonveres Berbienft,
inbems ex bei dieſer Gelegenheit mehrere bedeutende politiſche, militärijche,
wiftenfchaftliche Gefellihaften, die in ber Regel ihrem Zwede und ihrer
Eutwidelung nad) mehr genannt als befannt find, gründlich ſchildert
T76 Ueberficht ber hifterifchen Literatur von 1860.
3. B. den fog. Äußeren Stand in Bern, die helvetiſche (Schingnacher oder
Dltener) Geſellſchaft u. a. m.
89. Neujahroblatt für bie bernifhe Jugend. 1860. Heraus
gegeben unter Mitwirtung ber bernifchen Künftfergefellihaft vom hiſt. Berein
des Kantons Bern, — Die Schweizer in Stalien und ber bernifche Felbhaupt-
mann Albrecht vom Stein. Bon Dr. 8. Hibber. Bern. Berlag der Bude
handlung von H. Blom. 8.
Die Züge der Schweizer nach Italien, vornehmlidh im 16. Jahr⸗
hundert, werben nad fchweizeriichen und italienifchen Quellen geſchildert.
Unter den Schlachten ragt die von Novara (1513 Yuni 6) hervor, im
welcher die Franzofen troß großer Uebermacht von den Schweizern (fie
gebrauchten eine fonft nicht bekannte Kriegsliſt) furchtbar geſchlagen wur»
den, jo daß das franzöfifche Kriegsheer in Trümmer aufgelöft in Einem
fort über den Mont Cenis bis nah Frankreich floh. Doch gelang
es der franzöfifhen Schlauheit, fi jpäter mit den Schweigern abzu«
finden, fogar die bebeutenpften Kämpfer wie U. vom Stein u. f. w. zu
gewinnen. Stein bezahlte feine Schuld durch heldenmüthigen Tod auf
dem Schlachtfeld zu Bicocca. 1522. April 27.
40. Das Geſetz über die Rehte bes Staates in kirchlichen
Dingen und bie Schul- und Ehegefengebung im Kanton Tep
fin. Locarno. Kantons Buchbruderei. 1860. 8.
Was im Titel genannt ift, erjcheint eigentlih mır als Beilage, in⸗
bem die 102 Seiten ſtarke Schrift — Ueberjetung oder Original ber
früher erichienenen italienifhen Schrift gleichen Inhalts — faft nur eine
tirchenhiftorifhe Auseinanderjegung enthält, wie früher, und insbeſondere
buch die Eidgenofien im Zeffin, die Rechte des Staates in kirchlichen
Dingen ausgelibt worben find.
41) Die Trennung von Teffin, Puſchlav und Bräs von deu
lombardiſchen BisihHämern Mailand und Como und beren Anfchiuf
an fchweizerifche Bisthumsfprengel. Et. Gallen, Scheitlin u. Zollilofer, 1860.
Die lange gefhichtliche Einleitung ift reich an beweilenden That»
ſachen, firhlihen Ausſprüchen und Verordnungen, um die Rechtmäßigkeit
der Trennung auf das Schlagenbfte darzuthun. Dieſe wie bie vorher⸗
gehende Schrift find von der gewandten Feder bes befannten ſchweizeri⸗
ſchen Staatsmannes, Nationalrath J. M. Hungerbühler.
42) Das Beltlin nebf einer Beihreibung der Bäber von Bermie. Ben
Belgien. 177
G. Leonkarbi, ref. Pfarrer in Brufio. Leipzig, W. Engelmann, 1860. Ent⸗
Kilt ſowohl im Eingange als auch fpäter Hiftorifches für die Schweiz, Ges
ſchichte des Beltlin befonders mit Rüdficht auf die ſchweiz. Reformationsgefchichte
uud den fog. Beltlinermorb. Hd.
9. Belgien.
1. Algemeine Landesgeſchichte und vie einzelnen Zeiträume und Freigniffe.
1) L David, Vaterlandsche Historie. Tom. VIll. Loeren XIl
2.688 © 8.
2) 1.G.Moke, La Belgique ancienne et ses origtnes gau-
loises , germaniques et frangaises. 2idme edit. Gand. 508 ©. 8.
3) A Wauters, Une episode des Annales des Communes
belges. Arvdnement et mort de Guillaume de Normandie comte de
Flandre. 1127—1128, 8.
4) LGachard, La captivite de Frangoislet le traited de
Madrit. Brux. 346. 8.
5) W.H. Prescott, Histoire du regne de Philippe II. tra-
duite par G. Renson et P. Ithier. Brux, 1859/1860 bis jebt
3 Binde.
6,N Considdrant,Histoiredela revolution du XVl.sitcle
dans les Paysbas. 2dme edit. augmentte d'une introduction par M.
Frederix. Brux. 3206. 8.
7) C. Chalon, Un coup d'état mangqud. Brux. brochure. 8,
8) Gemelli et P.Royer, Histoire de la revolution belge
de 1830. Brux. 8.
9) J. Quinsonas, Matdriaux pour servir A l’histoire de
Margu6rite d’Autriche. Paris, 1860. 3 Vol. illuſtrirt.
Die Meine unter Nr. 4, aus Br. IX ©. 498 des Bulletin ver
Alabemie v. 1860 beſonders abgebrudte Schrift des unermüdlichen Hi-
ſterilers Gachard ift ein ebenjo gründlicher, als claſſiſch gejchriebener
Beitrag zur Geſchichte Carl's V., oder vielmehr feines Kampfes mit
Zranz l. und verdient in's Deutſche übertragen zu werben.
Die Ueberjegung von Preſcott's Geſchichte Philippe MI. (M. 5)
war unentbehrlich für die Förderung der vaterländiſchen Geſchichtsſtudien
Oeboriige Zeirigrift VI. Bar. \2
178 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
und reiht fih der des freilich nicht foviel Lob wie Prejcott verbienenden
Werts feines Landesgenoſſen Motley an.
Conſidérant's Geſchichte der niederländiichen Revolution des 16.
Jahrhunderts wird von Herrn von Bemel in Band II der Revue trime-
strielle von 1861 ©. 37 als der erfte und zwar fo glüdlihe Verſuch
einer Darftellung dieſer Epoche gerühmt, daß in deren zweiter Auflage
ihr Verfaſſer nur wenige unbedeutende Aenderungen zu machen nöthig ge-
habt habe. Herrn Frederix zu poetijche, zuweilen fatyriiche Einleitung,
jagt v. Bemel weiter, fteche. ehr gegen den Ernſt des übrigens richtig
von ihm gewürdigten Buches ab.
Die unter Nro 8 genannte Gefchichte der beigiichen Revolution des
Jahres 1830 hat den erften, auf ihrem Titel genannten, längere Zeit im
Belgien lebenden italienifchen Gelehrten Gemelli zum Berfafler, erfchien
zuerſt in italieniiher Spradhe und darauf von Royer überſetzt in fran-
zöfiiher. Nah v. Bemel a. a. O. S. 375 bat Gemelli ven Charakter
diefer Revolution im Ganzen richtig erfaßt und gefchilvert, in mauchen
Beziehungen jedoch ans natürlich zu erklärender Unkunde des Landes umb
ber belgiſchen Nationalität nicht immer richtig geurtheilt. Zum Ber
bienfte wird ihm angerechnet, daß er über den Parteianfchauungen flche
und durchaus unbefangen jei.
Die unter Nro. 1, 2, 3, 7 und 9 aufgeführten Bücher find Referent
nicht zu Geſicht gekommen *).
D. Geſchichte einzelner Provinzen, Bezirke und anverer Derilichkeiten.
A. Fũttich und Mamur.
Louis de Bourbon, &evtque-prince de Litge (1455 — 1482)
par Ed. Garnier, Archiviste des Archives de l’Empire. Paris 176 ©. 8.
Berfhiedene Selegenheitsfhriften von Aristide Cralle.
a) Deſſen Souvenirs Archdologiques ou esquisses de l’dtat, de la ville et
du pays de Li®ge, da moyen ange jusqu’ aux temps modernes. Litge,
60 S. 8.
b) Revue des diverses parties de la ville de Litge & Toceasion des
fetes royales en 1850 (par Rambler) 38 p. — c) Revue des monuments
de la ville de Litge 1856 (149 6) — d) Lettres sur les travaux pub-
®) Ueber Rro. 9 ſiehe bas Urtheil unten am Schluß bes Berichtes.
Belgien. 179
Bques et les projets d’embellissemens de la ville de Lidge suivies de d6-
convertes archeologiques 1859. 10 ©. 8.
Ferd. Henaux, Histoire de la Commune de Bpa et de ses
eanx mindrales. Nour. edit. 8.
Derfelbe, Le Palais Carolingien & Lidge.
A. Leroy, La philosophie au pays de Li&ge dans les 17
et 18 Bitcles. Lidge. 160 ©. 3. Liöge. 8.
Notice sur 1. @. et J. H Lefort, herauts d’armes du pays de
Litge au XVII et XVII Sidcles von Gtanislaus Bormans im Bulletin Ar-
ehöologique p. 321. 8.
Siderins, Dinant et ses onvirons. Fragments historiques. Di-
zant 18569. 200 ©. 8.
R. Chalon, Recherches sur les monnaies de Namur.
148 ©. und 22 Stiche. 4.
Während des Referenten zehnjährigen Profeſſorats in Püttih (1817
bis 1827) war das Intereſſe für geſchichtliche Studien daſelbſt jehr ge-
rmg. Ein einziger Gelehrter, der fiebenzigiährige Baron von Billenfagne,
fürieb über feines Baterlandes Vergangenheit; fein Hauptwerk Recherches
sur ia cidevant Principaut6 de Litge 2. Bd. 8. erſchien 1818. Seine
tredene, reactionäre Behaudblungsweife fprach eben fo wenig an, wie eine
1822 erfchienene in materieller Beziehung fonft löbliche Geſchichte Lüttiche
ven Dewe, dem Berfaffer der histoire generale de la Belgique und an-
derer nennenswerther Schriften über belgifche Geſchichte. Neigung zu ars
chãelogiſchen Studien über da6 Land war nirgends ſichtbar. Nur bie
Erinnerung, daß Lüttich einft eine freilich über hundert Jahre lang nicht
mehr fungirende freie Berfaflung gehabt habe, war Iebendig und von
Eifluß auf die Entwidlung der liberalen Oppofition gegen bie vergebens
nach Bollsthümlichleit in den fogen. fünlichen Provinzen des Königreichs
ringende wieberländifche Regierung. In geiftreiher Weile begann Herr
ven Gerlache vie Geſchichte Lüttichs nach dieſer Richtung hin zu bear-
keiten. Seine erften Verſuche erfchienen von 1825 an in bem Annuaire
ter Societ€ d’Emuletion,
Es ift erfreulich zu fehen, welchen Umſchwung die hiftorifchen, wie
andy vie archäologiſchen Studien feitvem in Lüttich gemacht haben. Die
allgemeine Geſchichte des Landes wurde 1843 auf's Neue von Gerlache
12*
180 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
bearbeitet. 1844—1847 erſchien die ſchon unter dem Einfluß ber beut-
ihen und neufranzöfiichen Hiftoriographie gejchriebene Histoire de l’ancien
pays de Liege von dem verbienftvollen, durch eine Menge geichichtlicher
Monographien berühmt gewordenen Archivdirector Polain; dann 1852
um erften, 1857/1858 zum zweiten Mal bie Histoire du pays de Liege
depuis le temps plus recul&s jusqu’ à nos jours von Ferd. Henaux, ſowie
deſſen (in gegenwärtiger Zeitichrift im Jahr 1859 Bd. II S. 199 kurz
angezeigte) Constitution du pays de Liege. Den 12. April 1850 ward
der Verein des Institut archeologique Liegois gegründet, deſſen Bulletin
im Yahr 1852 zu erfcheinen begann ').
Referent lenkt den Blick auf vielen Entwidlungsgang der geſchicht⸗
lichen - Studien in Lüttich deßhalb zurüd, weil die in gegenwärtiger Un»
zeige zu beſprechenden Schriften als weitere Erfolge auf diefer Bahn zu
betrachten find.
In des Referenten Ueberſchau ver belgiſchen Geſchichtsliteratur vom
Jahre 1859 (Bd. IT ©. 255 dieſer Zeitfchrift) mußte er die ihm noch
nicht befannt gewordene Histoire populaire des Litgeois von ©erimont
übergehen. Leider kann er jetzt nad) deſſen Kenntnignahme das Buch nicht
rühmen. Es ift eine durchaus unkritijche Arbeit, eine Art Abkürzung ver
Geſchichte Lüttichs von Henaur. Der Verfaffer hat nur jehr unflare Ideen
von den altgermaniſchen Staatseinrichtungen , fpricht ſchon von ber Feo-
dalit& im fiebenten Jahrhundert, wiederholt Längft widerlegte Irrthümer,
hält feine maßgebende Periodifirung ein und legt e8 überall nur baranf
an, ber oft fo verkehrt verfahrenven Democratie das Wort zu reden. (Cine
richtige Einfiht in die wahren ftaatlichen Berhältnijie des Landes ift im
Buche nicht zu finden. Eine Anleitung hiezu gab Referent in feiner
1860 zu Lüttich felbft in's Franzöſiſche überfegten Recenfion des He⸗
naur'ſchen Werkes und führte dieſelbe weiter aus in einer 1859 von ihm
verfaßten „Ueberihau des einft zum deutſchen Reiche gehörenden Tandes
von Lüttich“, die im April und Mai 1860 im Feuilleton der Kölniſchen
Zeitung (Nro. 114— 128) erſchien.
So lange von belgijhen Geſchichtsforſchern und Geſchichtsſchreibern
1) Näheres über Henaux und dieſes Inſtitut theilte Referent mit in ben ge⸗
lehrten Anzeigen ber k. Alademie vom J. 1858 Nro. 26 und 27 und
1859 Pro. 46 ff.
Belgien. 181
ver wahre Organismus des germaniſchen Staatsweſens ignorirt wird,
tan e8 ihnen unmöglich gelingen, treue Gemälde ver früheren focialen
Zuftände ihrer durch und durch germaniſch organifirten Provinzen aus»
mfähren.
Eine ver widtigften Epiſoden ver Lüttiher Geſchichte bildet Die
Regierungszeit des 1455 vom Herzog Philipp von Burgund dem Lande
aufgeprungenen Biſchofs Louis von Bourbon feines Neffen. Ohne vom
Capitel gewählt, ohne ordinirt zu fein, warb ber 17jährige joviale
junge Prinz von dem durch Philipp gewonnenen Papft beftätigt, begann
kin Regiment mit Berfuchen, die Yandesverfaffung aufzuheben, mit Prä⸗
gung von falfchem Gelde, mit Anleihen und Erpreffungen, um das Ge-
wounene zu verprafien. Dan nannte ihn mur den Bettelbiſchof. Die
Folge feined Gebahrens waren furdhtbare VBollsaufftände, welche ber
blaue König Ludwig XI. als Mittel gegen Philipp und feinen Sohn
Carl den Kühnen nährte und die zulegt den jchredlichen Untergang ber
Stadt zur Folge hatten. — Nach längerer Zeit einer befeftigten Herr»
haft wurde indeſſen Bourbon das Opfer der Rache des verrätheriichen
Wilhelms de la Mark, Herrn von Ahrenberg, der ihn 1482 mit eigener
Hand ermorbete, ein Verbrechen, wofür ihn fpäter 1485 Kaifer Mari«
milian umbringen ließ. Das 27jährige blutige Drama wurde nicht bloß
in Walter Scott Quentin Durrard in einer freilich fehr geſchichtswid⸗
rigen Weiſe behandelt, fontern fand in einer meifterhaft gefchriebenen
Monographie von Herrn von Gerlache 1831, ſowie in Barantes histoire
des Ducs de Bourgogne jehr gelungene Bearbeitungen, die in Polain's
uud Henaur's Geihichten von Lüttich großen Theil® zu Grunde Liegen.
Auch Referent entwarf in feiner oben erwähnten Ueberficht der Gefchichte
Lüttich8 davon ein quellengetreues hiſtoriſches Gemälde).
Es ift daher das Gegentheil der Wahrheit, wenn ver Faiferliche Reichs⸗
archivift Garnier (der den Lüttichern zugleich ihre einftige Wiebereinver-
kibung in frankreich anfündigt) nicht blos erklärt, dieſe Epiſode ber
Lütticher Geſchichte ſei noch unbearbeitet (während er Gerlache überall
benägt), ſondern auch wirklich feinen Helen, ven völlig elenden Louis
von Bourbon rein wachen und als ein unfchulviges Opfer ber Demagogie
binftellen will. Daß ter Bifchof deren Opfer ward , ift richtig; allein
@ bat dieß zumächft fich felbft und feiner verkehrten Politit zuzufchreiben.
Mu Recht bat Herr Henri Helbig in dem Lütticher Tagblatt Ia Meuse
182 Ueberfiht der hiſtor iſchen Literatur von 1860.
vom 18. September 1860 Nro. 223 ein nur zu gemäßigtes Berbam-
mungsurtheil über das oberflächliche, parteiifche, ganz unhiftorifc ausge
führte und werthloje Machwerk Garnier’8 ausgeſprochen. Referent muß
die deutſchen Gejchichtsfreunde warnen, Garnier’8 Darftellung, bie ben
Angaben fervil burgundiſcher Parteigänger folgt, Glauben zu ſcheuken.
Zur Geſchichte des Lütticher Yandes gehört auch die der berühmten
Bäderſtadt Spa. Herrr Ferd. Henaur hat das Berbienft, in dem unter
Nro. 3 aufgeführten Buche viefelbe in anziehenver Weiſe beichrieben zu
haben. Sie bildet ein würdiges Seitenftüd zu feiner Geſchichte der Stadt
Berviers ?).
Derjelbe Berfaffer hat in der mit Nro. 4 bezeichneten and bem
Bulletin de l’institut archeologique Liögois Bd. IV p. 301 abgebradten
Schrift; Notice sur le Palais Carolingien à Litge die Eriftenz eines Ka-
rolingiſchen Palaftes in dieſer Stadt nachzuweiſen verſucht, die fi ans
ber in ber Vita St. Huberti angeführten Thatjahe v. J. 743 ergebe,
daß bei der Translation der Reliquien dieſes Heiligen Pipins Bruder
Karlomann fi) von demfelben aus in die Kirche begeben habe, um fid
von der vollftänvigen Erhaltung des Leichnams des bL Hubertus zu
überzeugen.
Da von Karl dem Großen berichtet wird, er habe 769 in Lüttich
vico publico die Oftern gefeiert, jo nunmt ver Verfaſſer an, jener ſehr
umfangreiche Palaft habe fortbeftanden, der 774 ver Aufenthaltsort des
entthronten Longobardenkönigs Deſiderius geweien, dann fpäter gegen
971 in das Eigenthum ver Fürftbifchäfe gefommen und im Laufe ver
Jahrhunderte durch das jett noch erhaltene Palais derſelben erfeßt wor⸗
den. Aus des Berfaflers Unterfuchungen geht wenigftens hervor, daß
(was ohnehin natürlich war) die Karolinger eine Wohnung oder ein Ab»
fleigequartier in Lüttich) hatten, doch dürfte es jchwerlich den Namen und
bie Beveutung eines Palatium gehabt haben. —
Außer viefen Unterfuchungen haben wir nod eine gründliche im
3b. IV Liv. 1 ©. 159—175 veröffentlichte Notice sur le quartier de ia
1) ©. au beffen Anzeige von Henaur histoire de Liege in ben gelehrten
Anzeigen ber Igl. Alademie vom 31. Oftober 1859. ©. 387 fi.
) ©. bie hiſtoriſche Zeitfhrift Bb. 1V 6. 260.
BE |
⸗
Belgien 188
Seaveniere in Luttich von Herrn Ferd. Henaur zu rühmen, bie fich an
deſſen 1857 im III. Bo. ©. 350 eingerückten Note sur le Pont des Arches,
anihließt. Die unter jenem Namen berühmte uralte Maasbrücke wurde
tech eine neue im Jahr 1859 vollendete erjegt, was bie Veranlaſſung
zu geichichtlichen Unterjuchungen über bie ältere wurde ; unter benfelben
wırd Die histoire du Pont des Arches recherches archeologiques par
E. M. O. Dognee (VI u. 143 ©.) im Bo. II der Revue trimestrielle
ven 1861 S. 384 beſonders hervorgehoben.
Diefen Schriften find die vom Referenten unter Nro. 1 aufgeführ-
ten Arbeiten des ebenſo gelehrten als claſſiſch gebildeten Lütticher Alter»
thums⸗ und Geichichtsfreundes Dr. Ariftive Cralle anzureiben. Seine
in Briefform gefchriebene Revue des monumens de Liege vom J. 1856
fagt uns, was die von ihm gejchilverten Baudenkmale einft waren und
was fie jebt find. Seine Souvenirs archeologiques vom Jahre 1860
beginnen mit einer ffiggenartigen Ueberſicht ver Geſchichte Lüttichs und
enthalten genaue Angaben über die Entftehung und Geichichte jener Mo⸗
aumente, über beren neuefte, zwedmäßige oder mißlungene Reftaurations-
vertuche er ſich in jeinen 1859 erjchienenen Lettres sur les travaux publics
et embellissements de la ville de Liege ausſpricht, fowie in etwas ſaty⸗
rücher Weije pſeudonym bei Gelegenheit der dem König Leopold im Oc»
teber 1860 in Lüttich gegebenen Telte.
Alle diefe Schriften find ſchätzbare Beiträge zur monumentalen Ge⸗
ihichte einer Stadt, welche in viejer Beziehung noch bis auf unfere Tage
unbeachtet blieb. Bon verichiedener Art aber nit minder belangreid
für vie Geſchichte Lüttichs find die beiden unter Nro. 5 und 6 von ung
aufgeführten gleichfalls zuerft in Bd. IV bes Bulletin de l’Institut archeo-
logique erihienenen Abhandlungen.
Eine Geichichte der philoſophiſchen Studien in Lüttih dürfte wohl
für etwas Unmögliches gehalten werden: denn wer bat je von einem
auch mur einiger Maßen namhaften Philojophen in ber dem ftreng kirch⸗
fihen Prieſterdruck untergebenen Stadt gehört? Herr Dr. U. Leroy,
Profeſſor der Philoſophie an der Univerfität daſelbſt, fchließt uns daher in
ſeiner Schrift eine wahre terra incognita auf. Indeſſen jagt er uns jo«
gleich S. 10, daß die von ihm aufzuführenden Männer ihr 2008 ver-
geſſen zu fein vervient hatten, und daher nur ihrer Beftrebung wegen vor»
geführt werben jollen.
184 Neberficht ber hiſtoriſchen Literatur vom 1860.
Die Schrift Leroy's ift übrigens ein mit gründlicher Sachkennt⸗
niß und geiftreih geichriebener Abriß der Geſchichte der Philoſophie
im 17. und 18. Jahrhundert mit fortlaufender Angabe der Einwirkung
der verjchiebenen Doctrinen "auf das durch die biſchöfliche Cenſur som
Ausland foviel wie thunlich abgejperrte, geiftig von ten Jeſuiten be
berrichte Land. So lange wie möglih waren lettere Vertheidiger ber
falichen Ariftoteliichen Philofophie des Mittelalters, unterlagen aber zu»
Ietst dem Gartejianismus. Diejer hatte auch feine Borlämpfer in Löwen
und neben beiden Richtungen war die von Ban Helmont dort weiter
ausgebildete der Theofophen und der Anhänger ver auch von dem
Fürſtbiſchff Mar von Bayern geliebten Alchymie (S. 72) fichtbar.
Die freieften Denker des Landes waren Aerzte. (S. 117) Auch einen Rechte:
philojophen hat das Land aufzumweijen in Mathias de Grati, ver 1676
einen Discours du droit moral et politique herausgab. Mit großer Ge
nauigkeit gibt der Berfaffer eine Skizze der Anfichten und Doctrinen Dies
jer von ihm richtig bezeichneten Halbgelehrten. Unter der Regierung des
aufgeflärten Fürſtbiſchofs von Belbrud begann eine freie intellectuelle
Bewegung im Land. Das Journal encyclopedique wurde in benfelben
gebrudt, ebenfo die von Rouffeau redigirte Encyclopedie methodique. Ans»
dere Werke von berühmten franzöfifchen Freidenter wurden nachgedruckt.
Als 1789 die Pütticher Revolution ausbrah, waren die alten Schuldoc⸗
trinen in Bergefienheit gerathen und alles vorbereitet, dem Boltärtanismus
und ber fenjualiftiichen Philofophie Frankreichs Thür und Thor zu öffe
nen. Sie war noch Herrin im Lande zur Zeit der Errichtung der Unis
verfität Lüttich im Jahre 1817, und nur mit größter Mühe gelang es
veutfchen Lehrern, jüngere Männer für vie beutiche Philoſophie zu in
tereſſen. Indeſſen liefern die Arbeiten des leider zu früh verſtorbenen
Profeſſors Tandel und unjeres Verfaſſers felbft, namentlich das bier be
ſprochene Buch, den Beweis, daß die dortigen Bertreter der philoſophi⸗
hen Wiſſenſchaft jest rühmlih auf ver Höhe des Jahrhunderts ftehen.
Die zweite Schrift (Nro. 6) ift allen Geſchichtsforſchern nicht bloß
Belgiens fondern Frankreichs und anderer Länder zu empfehlen. “Die
Fürftbifchöfe Hatten eine heraldiſche Behörde, an deren Spige ein fogen.
Heraut d’Armes für Tüttih, vie Grafſchaft Pooz und das Herzogthum
Bonillon ftand. Das Amt war unter Anderem deßhalb von Wichtigkeit,
weil nur Mitglieder des alten Adels fähig waren, Domberrn (Tresfoncieres)
Belgien. 185
ron St. Lambert zu werden. Im Jahr 1682 übertrug der Fürftbi-
ſchef Marimilian Heinrih von Bayern dieß Amt dem in Verviers ges
bormen Jean Gilles Lefort, deſſen Oheim es begleitet, ihn zwanzig
Jahre Lang zum Gehülfen gehabt und berangebilvet hatte. Im Jahr 1688
emannte ihn Leopold I. zum kaiſerlichen Heraut d’Armes für den Nieber-
them. 1701 gab ihm der Kaiſer auf feine Bitte in feinem Sohne Ja⸗
ques Henri Lefort einen Nachfolger, dem denn aud vom Fürftbifchof
die Stelle feines 1718 verftorbenen Bater8 übertragen wurde. In feiner
erften Eigenſchaft hatte lettterer ven Titel eine® Scutarius eques et
miles sureatus ac sacri Palatii et anlae Lateranensis comes (p. 339 des
Bulletin t. IV). Er ftarb ven 3. Oftober 1751.
Die beiden Lefort haben fih nun dadurch ein immerbleibendes Ver⸗
vienft erwerben, daß fie jehr ausgedehnte genealogiſche Sammlungen und
Regiſter anlegten, welden man noch jest eine Menge der wichtigften
Notizen entnehmen Tann. Sie beftehen 1) aus 25 Bänden Genealogies
de familles nobles, welche 710 ©enenlogieen enthalten; 2) aus 27 Bän-
ten eine® Recueil divers und 3) aus Fragments genealogiques de fu-
milles nobles et bourgeoises de Liege et pieces a l’appui.
Diefe Sammlungen wurbden mit Zuftinmung der Pandftände 1762
ven der Regierung gefauft und befinden ſich jet im Provinzialarchiv
za Lüttich. Herr Arhivift Bormans bat nun zu diefen Sammluugen
ein gemeinjames alphabetijches Regifter gefertigt mit genauer Angabe ver
Pagina jeder derjelben, wo ſich Angaben über die Familien befinden, und
dieſes Regiſter hat der archäologiſche Verein in feinen Bulletin Bd. IV.
5.349 —496 und daraus auch befonvers abdrucken laffen. Unter ven dar⸗
m aufgeführten deutſchen Adelsfamilien bemerfen wir die Dalberg, vie
Herzoge von Bayern — die Bentind, Brandenburg, Gronsfelt, Ingel⸗
kun, Metternich, Löwenftein, Naffau, v. Quadt, Sayn, Schwarzenberg,
Weſtphalen u. ſ. w. Man kann jederzeit Abjchriften der in ben brei
Sammlungen enthaltenen genealogiichen Notizen erhalten.
B. JSlandern.
Bruges et le Franc, ou leur magistrats, leur noblesse etc. Bruges,
1860. 8.
P. Heyndriks, Jaerbooken van Veurne en Veurnambacht
uitgegeven door E. Ronse. 3, Deel. Gand.
186 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur vom 1860.
J. L. W. Diegerik, Inventaire analytique et chronolo-
giquo des Archives de la ville d’Ypres t. V. Bruges. 312 ©.
Inscriptions fundraires et monumentales de la Flandre orien-
tsle. IV. Livr. 22 — 23. 4.
Kervyn de Volckersbeke, Les &glises de Gand, 1859.
2 Vol. 8. von 352 n. 390 &. nebſt Stichen.
C. Brabant, Antwerpen und Fimbarg.
L. Galesloot, La province de Brabant sous l’ompire ro-
main. Brux. 1859.
A. van denEyndo, Tableau chronologique des ecoutetes bourgne-
meströs et Echevins de Malines depuis 1236. 9ieme livraison.
Ecrivisse, Verwoesting van Maestricht hist. Taferecl cist,
de XVI. L. 305 ©. 4. mit 4 Stichen.
Inscriptions fundraires de la ville d’Anvers. 49 livwr.
E. Gens, histoire de la ville d’Anvers livr. 26—37. An-
ndes 1860. Nach ber Vollendung bes Werles werden wir eine Iubaltsangabe
zu geben verſuchen.,
nı. Lebenöbefreibungen und Benealogien.
Fr. de Potter, Vaderlandsche Biographie. Gand. 187 €. 8.
C. F. A. Piron, Algemeene Lovensbeschryving der ver-
maerde Manen en Vrouven in Belgie. Vilvorde. 25. Liv.
V. Gothaels, Miroir des notabilitds nobiliaires de la
Belgique. Liv. 7 et 8 Brux. 4.
N. 8. van derHeyden, Notice historique et gdndalogique
de la maison de Lebidarts-Thaumaide.
Lacroix et van Meenen, Notice historique et bibliogra-
phique sur Philippe de St Aldegonde, Bruxells. 118 ©. 8.
R. Chalou, le dernier duc de Bouillon (1815) extrait de t. II
de la Revue historique et archeologique. Brux.
Belgien. 187
De Bt. Genois, Notice sur Leu Jos. van der Vynckt,
membre de l’Acaddmie de Bruxelles. Gand 1860. 34 6. Beſonderer Ab⸗
brad ans bem Messager des Sciences historiques.
IV. Beröffentlidungen der Societs de I’hisloire de la Belgique.
Me&moires Anonymes sur les troubles des Paysbas 1565 — 1580
peblids par J. B. Blace. t. II. 405 ©.
M&moires de Frederic Perrenot Bieur de Champagney 1573—1590
avec notice et annotations parA.L.P. de Robaulx de Soumoy. XCIX
mb 426 ©. 8. j
M6&moires de Pontus Payen, avec notice et annotations par Al,
Henne tom. 1 XXVIII u. 368 ©. t. II erſchienen 1861. 280 ©.
Me&moires de Philippe Warny de Visenpierre sur lo Bidge,
de Tournay en 1581 publ. par A. G. Chotin.
Commentaires de Bernardo de Mendoca sur les é(vénemens
de la guorre des Paysbas 1567 — 1576 traduction nouvelle par Loumier
aree notice et amnotations par le colonel Guillaume. t. I. XXVI und
“01 ©.
Der Berein zur Herausgabe der Collection des M&moires sur l’hi-
stoire de la Belgique verdient fortwährend das größte Lob. Im Ber:
laufe des Jahres 1860 publicirte er vier umfangreihe Bände und ben
Anfang eines fünften. Er verviente von allen Geſchichtsfreunden Deutſch⸗
lande, namentlich den deutſchen hiftorifchen Vereinen, auch finanziell unter-
fügt zu werten, da, wie uns mitgetheilt warb, bis jetzt Die gemachten Opfer
tur Ten Abjat der erichienenen Schriften bei weiten nicht gedeckt find.
Was den zuerft genannten 11. Band ver von Herren Blaes heraus«
gegebenen Memoires anonymes betrifft, jo bedauert Referent noch immer
nichts Näheres über deren geſchichtliche Bedeutung und Wichtigkeit fagen
zu Eoımen, da bie vom Herausgeber verſprochene und auch kürzlich er⸗
ihienene Einleitung aud mit dieſem Bande ihm noch nicht zugelommen
fl. Doch erleichtert die genaue chronologifche table des Matieres (S. 301)
vie Benütung der auf die Yahre von 1577-—1578 bezüglihen Mitthei⸗
Iungen, welchen unter ven Pieces Justificatives 21 Schreiben und Des
reihen aus biefer Periode beigefügt find.
188 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
Die Memoiren Friedrich's Berrenot Siem de Champagne, Bruders
von Granvella (No. 2) find vom Refer. ſchon in einer 1860 im B. IV
biefer Zeitihrift S. 239—244 enthaltenen Anzeige befprochen worden.
Den Herausgebern aller Bände gebührt das Lob des geeignetften
Berfahrens; Herr von Robaulr ſchickt dem Texte der Memoiren Cham⸗
pagney’8 eine XCVIII Seiten füllende Biographie feines Helden voran,
Oberſt Guillaume eine kurz gefaßte Lebensbeihreibung Menpoca’s auf
XXVI S. und AL Henne Nachrichten und Mittheilungen über Pontus Payen
Seigneur des Essarts. Seiner ber drei Verfaſſer ver Denkwürdigkeiten
gehört ver Aufitantspartei an: Mentoca der Spanier ift der entfdhie-
denfte Anhänger Philipp’8 II. und feiner Politik, Bewunderer Alba’s, und
beurtheilt die nieverländiichen Zuftände vom fpanifchen Geſichtspunkte aus.
Champagney und Pontus Payen find zwar entſchiedene Katholilen und er-
Härte Gegner des Prinzen von Oranien, verwünfchen und haflen aber
nicht minder bie Spanier, deren Entjernung aus dem Baterlande eime
Hauptaufgabe der politiihen Beſtrebungen des erfteren ift.
Die Verſchiedenheit ihrer Parteiftellung erflärt die von einanter ab»
weichenden Yeußerungen und Schilderungen mancher Thatfachen und den
rabicalen Gegenſatz ihrer Dentwürtigfeiten zu den im B. IV ©. 227
biefer Zeitjchrift angezeigten von Jaques v. Weſenbeke. KRüdjichtlich der
Zeitabjchnitte beziehen ſich die Champagney’s auf die Jahre 1573—1590;
bie Mendogas ſchildern die Kriegsereignifle zwifchen 1567 und 1577, bie
von Pontus Payen enthalten zwei verjchievene Aufzeihnungen, 1. über
ben Gang der ‘Dinge von 1539 bis zur Ankunft des Herzogs Alba im
Jahr 1567 (B. I und 2. II) bis p. 40) und 2. eine Darlegung ber
Creignifle in Arcas 1577 und 1578. 38.11 ©. 48 fi.
Eine Zufammenftellung der Ergebnilfe eines vergleichenden Studiums
biefer neu eröffneten Gejchichtöguellen über vie niederländiſchen Aufſtände
ſcheint Refer. im gegenwärtiger Anzeige nicht an ihrem Plage zu fein, fie
verlangt ein kritiſches Eingehen auf vieles Einzelne. Erſt nad dem Er⸗
fcheinen der übrigen Bände ter auf diefe Zeit bezüglihen Denk⸗
wärbigkeiten kann eine auch alle andern Geſchichtsquellen berückſichtigende
Arbeit diefer Art in einer befonvern Abhandlung verjucht werden, Refer.
begnügt fich daher, hier mur einige Notizen hervorzuheben.
Frieprih Perrenot, Öranvella’8 jüngfter Bruder, den 3. April
1536 in Barcelona geboren, trat fhon 1550 in Kriegsvienfte, machte
Alba's Züge in Italien mit, erlangte bald den Grab eined Capitains
ver Cavalerie, gehörte 1558 der höheren Hofpienerihaft Philipp’s II.
an, ſah aber fein Streben, ein Kommando zu erhalten, nicht in Erfüls
lung gehen. Er betheiligte fih am Aoelscompromiß in Brüffel, trat
aber ſofort zurüd,
Rah Beſancon ſich zurüdziehend erwarb er fi) durch verfchiedene
in Religionsungelegenheiten geleiftete Dienjte die Gunft Bhilipp’s und
wurde 1571 zum Militär» und Civilgouverneue der Stadt Antwerpen
ernanut, gerieih aber bald mit dem Commandanten der Eitadelle Sancho
d'Aquila in Gollifion, beklagte ſich erfolglos bei Alba und bei Philipp II.
1573 über teffen Regiment in den Niederlanden zur Zeit als Medina
Coeli gejandt wurde, um Alba abzulöjen. Er gab die Mittel und Wege
an, welde er für die einzig möglichen hielt, die Ruhe und den Wohl⸗
Kınd des Landes wieder herzuftellen. Dieß ift der Inhalt feines ©. 221
getruckten Discours sur les affaires des Pays bas, einer an den König ge-
richteten Denkſchrift, in Folge ber Ueberrumpelung Antwerpens durch
tie meuterijchen jpanifchen Truppen im Jahre 1574 (worüber fih in
tieier Zatichrift B. IV ©. 241 die Hauptjache mitgetheilt findet) verließ
er dieſe Stadt.
Er wurde darauf mit Friedensunterhandlungen in Holland beauf⸗
tragt, und nahm auch an dem in Breda gepflogenen und erfolglos ge⸗
bliebenen Congreß Theil. Als Tadler der ihm verhaßten, noch im⸗
mer befolgten ſpaniſchen Politik gerieth er in Oppoſition mit
Requeſens, wurde dann nah England geſchickt, um die Bewer-
kungen Draniens und der Aufitändifchen bei der Königin Elifabeth zu
vereiteln, was, wie er ſich rühmt, ihm gelungen ift. Seine an Reque⸗
ins und nach deiien Tod an den Staatsrath gejchriebene Briefe find im
Appendice ter Memoires S. 311 410 gedrudt und inhaltsreihe Docu⸗
mente über jeine freilih nur kurze Miſſion vom 15. Jänner bis 28. März
1576. Di Requejens den 5. März geitorben war, fo ftand Berrenot
nun unter der Regierung des Conſeil d'Etat und ven alsbald einberufe-
nen Generalftaaten, leijtete (immer noch als Gouverneur von Antwerpen)
bedentende militärifche Dienfte und ward auch anfangs von dem neuen
Statthalter Don Yuan d’Auftria gut aufgenommen, verdarb aber
bald mit ihm und dann mit den Ständen felbft jein Spiel — da er als
ja Oranien ſich neigend verbächtigt wurde, während biejer ihm als fanati-
1% Veberficht der hiftorifchen Literatur von 1860.
ſchem Katholiken noch weniger traute. Seine Stellung wurde unbaltbar,
anfangs dem Staatsrath affeciirt, warb er auf eine Anflage der demo⸗
Fratifchen Conmiffion ver Achtzehner zu Brüffel aus vemjelben entfernt,
in einem Bollsauflauf feftgenommen und unter falſchem Vorwande nad
Gent in Haft gebracht, wo die von Oranien gejhüsten Hembyſe und
Reyhove ihr Wefen trieben und Perrenot, nachdem er in Folge von PBlüns«
derungen fein ganzes Vermögen verloren hatte, in tieffter Armuth, audı
von feinem niit ihm grollenden Bruder Granvella verlaffen, ſechs Jahre
und einige Monate im Gefängniß gehalten wurde. Er ſpricht von feinen
ſchlimmen Bermögensverhältniffen in einer Memoire sur les affaires par-
ticulieres (S. 325).
Unter dem Statthalter Alerander Farneſe erhielt er als Belohnung
feiner Bernühungen für die Wieverherftellung des guten Einvernehmen
ber flandriſchen Oberbehörden und des Prinzen 1584 die Gouverneur⸗
ftelle ver Citadelle von Gent und 1585 feine frühere in Antwerpen, ge
rieth wieder in Conflict mit dem Commanbanten ver dortigen Citadelle
— gerirte fih abermals als leidenſchaftlichen Oppoſitionsmann und feind-
feliger Tadler Parma's, der endlich den mit jeder Regierung unzufriedenen
Mann (unter Zuftimmung Philipp’s) aller Functionen enthob, worauf
er fih nach Dole in der Franche Comté zurüdzog und bis zu feinem im
9. 1600 erfolgten Tode mit Abfaffung von Denkſchriften befchäftigte umd
einen fehr ausgedehnten ſechs Foliauten füllenden Briefwechjel unterhielt.
Es bot fih ihm auch Gelegenheit, in Staatsangelegenheiten fi thätig
zu zeigen.
Unter feinen fpätern Dentichriften find die ©. 253 und 303 in
franzöfifcher Ueberjegung veröffentlichten Discours sur les affaires des
Paysbas von 1589—1590 fehr leſenswerth. Sie enthalten den empfind»
Iichften Tavel ter Regierung Alerander von Parnız, al® eines ven
jeinen Creaturen außgebeuteten ſchwachen Mannes. Er zeigt, wie in
Folge der ſeit Alba's Sendung befelgten Politif des Königs der Wohl⸗
ftand der Niederlande ohne allen Gewinn für das königliche Intereſſe
und bie katholiſche Religion zu Grunde gehen mußte ımb gibt als vie
einzigen auch jett noch zur Herbeiführung befjerer Zuftände anzuwendenden
Mittel vie zwei ſehr frieblihen an: Wieberherftellung ver verfaffungs-
mäßigen nur Einzelnen zu übertragenven Landesregierung und gute res
ligidfe Vollserziehung durch einen befier gebildeten Klerus, als der war,
Belgien. 191
veffen Unwiſſenheit er als die Haupturſache der Verbreitung ber neuen
Glanbenslehren betrachtet.
Bontus Bayen, Bürger von Arras und Beliter der Herrſchaft des
Elarts, erhielt ven 17. Mat 15°2 durch Philipp I. ein feine frühere
Erhebung in ten Xrelsftand beftätigendes Diplom, war aljo königlich
md fireng katholiſch gefinnt — jedoch beides nicht im fanatifcher Weife.
Er erflärt vor 1566 es mit den beiten Katholiken für allzuftreng, vie
ihre Irrthümer abſchwörenden Kezer dennoch mit dem Tode zu beftrafen,
überhaupt ruhig lebende Leute ihrer religiöfen Meinung wegen in Unter⸗
fuhung zu ziehen und Strafen zu unterwerfen, warb aber nad dem
Bilderſturm anderer Anfiht, indem er deſſen Gräuel ver den Neuerern
geichenften Nachficht zufchreibt. Die Spanier haft er von Grund feines
Herzens: viele im Lande wohnende hätten (jagt er) an den üppigen
Mahlzeiten reicher Niederländer Theil genommen, teren geheime Ge-
tanfen beim Nachtiſch abgelodt und fie dann in Madrid angefchwärzt.
eher Alba und den Blutrath fällt er ein ftrenges Urtheil — fchreibt
ten Tod Egmont's Alba’s Eiferfuht und Neid zu. Da die NRegentin
tie Ruhe wieder hergeftellt gehabt, fo fei die Beſetzung des Landes durch
Spanier nit mehr nöthig geweien. Auch von den Franzoſen hat P.
Fugen eine nichts weniger ald gute Meinung und felbft niederländiſche
Staatsbeamte werden von ihm nicht gejhont, wie van Meghem, ven er un
meigr& poux qui voulait s’engraisser nennt, ſowie felbit der als Gelehrter
ven ihm geehrie Granvella, von dem er jagt, er habe ein coeur flam-
boyant de vengeance pour les oultrages, qu’il avait recus, Das.
gegen wird mancher ausgezeichnete Mann der Gegenpartei mit Lob
ammannt, 3. B. der zu Auftruvell bei Antwerpen von Beauvois ge
ſchlagene und jein Leben opfernde Johann von Marnir, Philipp’s
Drurer. Oranien findet aber feine Gnade vor ihm. Er erklärte ihn
für feig und unfittlih. In den erſten Denkwürdigkeiten von Pontus
Fugen werten viele bisher wenig befannte Einzelnheiten ans den Zeiten
ven 1559 — 1567 mitgetheilt; in den fpäteren zum erftenmal von Motley
VI. 1 vollſtändig benütten wird die Geſchichte der Ereigniffe zu Arras
1589 erzählt, d. 5. die dort ſtattgehabte antioraniiche Gegenrevolution
and die Verbrüberumg der walloniſchen Provinzen mit ter vom Herzog
ren Aerſchot geleiteten Partei der royaliſtiſch gefinnten Malcontents:
Greiguifie, welche die definitive Trennung der füblichen Nieterlane
193 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
von den nörblichen zur Folge hatten. Der Name eines Geſchichtſchreibers
im wahren Sinne des Wortes kann nad) tem Herrn Herausgeber bem
Berfafier dieſer Memoiren nicht ertheilt werben.
Unbeanftandet kommt dagegen der Ruhm eines Hiſtorikers Ber⸗
nardo Mendosa zu, deſſen aus tem Spanijhen von Loumier neu
überjegten Commentaires sur les &venemens de la guerre des Paysbas,
ein wahres Geſchichtswerk find. Bei deren Abfaſſung bat ver ebenfo ge-
lehrte und ſtaatsmänniſch gebilvete wie tapfere Kapitain fi Julius Cäjar
zum Vorbild genommen. Er gehörte einer der eriten Adelsfamilien Spa⸗
niend an; 1530 geboren, madhte er unter Carl V. ven Zug nah Oran
mit und 1567 als Freiwilliger die Erpebition in den Niederlanden, nahm,
von Alba bejonvers geliebt, an allen Schlachten Theil, zulegt au der von
Don Yuan d'Auſtria 1577 gewonnenen, aber nicht benütten von Gem⸗
blow. Im Yahr 1574 bejehligte er, zum Rang eined Maestro de Gamp
erhoben, ein bebeutendes Neitercorpe. Nach dem Jahre 1577 iſt er mit
diplomatijchen Mijjionen betraut, wie 1578 bei Eliſabeth, wo ihm Phi⸗
lipp IL 40 — 50,000 Ducaten zur Berjügung ftellte, um bie Minifter
der Königin zu beftehen; dann 1584— 1590 in Franfreih, wo er im
Namen jeines Herrn die gegen Heinrich IM. und Heinrich IV. arbeitende
Ligue leitete oder unterftügte. Seine im Archiv zu Simancas aufbe⸗
wahrte umfangreiche Correſpondenz mit Philipp ift daher für jene Zeiten
eine wichtige Geſchichtsquelle.
Bon Blindheit bedroht zog ſich Mendoça nun von den Staatsge⸗
ſchãften zurück, arbeitete aber mit Hülfe der einſt täglich gemachten Auf⸗
zeichnungen ſein Geſchichtswerk aus. Es erſchien 1592 ein anderes, dem
Prinzen Philipp (nachherigem König Philipp III.) gewidmetes Buch: feine
auch durch politüche Betrachtungen auszeichnende . Theorica y practice di
guerra war ſchon 1577 von ihm herausgegeben worden. Er überjette
auch des Philojophen Lipfius Bücher de republica ind Spanijhe. Die
Comentarios find vom 2. Buche an eine genaue von Strada, Benti⸗
voglio und allen andern wohl benütste Gejchichte der von Spaniern im
ben Nieverlauden zwijchen 1567 und 1577 geführten Kriege. Das erſte
Buch enthält eine Ueberſchau des Aufſtandes von feinem erften Urſprung
an, welches deshalb von bejonderer Wichtigkeit ift, weil fie vom fpanie
ſchen Gefichtspunkte aus geichrieben, uns die Hauptmotive der Politik
= -
-
Belgien. 193
Phiipp’6 IL und feiner Gehülfen und Anhänger enthüllt, welche die des
Schutzes ver Religion waren. Mendocça fchilvert das allınälige Umfich-
greifen der Lehren der Seltirer beim ganzen Volle, welches der Adel zu
ken Sweden auögebeutet habe. ‘Den Bilverfturn von 1566 fieht er
als das Werk einer in der Berfammlung zu Saint Trond unter den
Hinptern der Aufitandspartei getroffenen Verabrevung an. Dem Gan⸗
ya ift eine Guiccardini entnommene Beſchreibung der niederländiſchen
Previnzen vorangeſchickt.
Die trefflihen Anmerkungen des Herrn Herausgebers erleichtern das
Eiubium des übrigens ſchon für fich ſelbſt fehr anziehenden Wertes,
Der vorliegende erfte Band enthält die erften in Kapitel mit geeigneten
Ueberfchriften yetheilten fieben Bücher.
Die Memoiren Warny's über die vom Prinzen von Parma gelei-
tete Belagerung Tournay's im I. 1581 erftreden ſich ſammt einem Ap⸗
yenbig nur auf 40 Seiten und bilden den Anfang eines Bandes, in
welchem eine Anzahl Eleinerer auf die nieverländijchen Unruhen und Aufs
ſtände im 16. Jahrhundert bezüglihen Schriften veröffentlicht werben
tollen.
Der königlich gefinnte Berfaffer dieſer Dentihrift, Philipp Warny
aus Bisempierre bei Zournai, befand ſich in der belagerten und von ber
heroiſchen Fürſtin Espinoi, gebornen Gräfin von Horned, vertheidigten
Statt. Begonnen den 5. Okt., enbigte die Belagerung mit ter Ein-
nahme der Stadt den 27. November. Der Berf. bemerkt am Ende fei-
ser Erzählung, es feien 10,500 Kanonenkugeln auf die Stadt abgejchoi-
kn und 594 Menfchen aller Klaffen in verjelben getödtet over verwundet
werden. Der Anhang enthält die auf die Uebergabe der Stadt und ben
glerreichen Abzug der Fürſtin und ihrer Truppen bezüglichen Aktenftüde,
V. Veröffentligungen der Commisaion royale de histeiro de la Belgique.
1. Compte rendu des Sdances de In Commission royale d’histoire ou
Recusil de ses Bulletins. Troisibmo serie t. I. 3. et 4. Bulletin t. 11.
1.— 3. Bulletins.
Diefe vier Lieferungen enthalten außer ven Sigungsprotofollen und
den in benjelben an vie Commiffion gejchriebenen Briefen eine nicht ges
ringe Zahl wichtiger Geſchichtsquellen, Regeften u. |. w. Wir heben hervor:
a) Die Fortſegungen ber Liste analytique des documents concornant
Oiex iſche Zeitfgrift VL Bam, 13
19 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
l'histoire de ls Belgique conserres au Btate Papers- Office in Lonbon, ge
fertigt von dem Seitens ber belgifchen Regierung auf ihre Kofen dahin gefanbten
jungen Gelehrten van Bruyffel B. I ©. 151 8. Il. ©. 829.
b) Notice sur les Archives d’Aurich et d’Emden et les doocumens re
latifs au soulevement des Paysbas jusqu’ à la mort de Guillaume de Taei-
turne, vom Archivrath Dr. Klopp (I. 167).
c) Extrait de l’inventaire des archives de l’abbaye de Saint- Hubert
redig6e en 1750 v. Hourt. I. 272.
d) Analectes historiques 8. Serie par Gachard I 311 - 296.
e) Douze lettres de Lacvinus Torrentius in Lüttich & Jean Fonck Garde
de Sceaux pour les affaircs des Paysbas & Madrid (v. 1583 — 1585), mit-
geteilt von Herrn de Ram, II p. 11— 62.
f) Venerabilis Gerardi Magni de Daventria (f 1384) epistolae VIII ex
duobus codic. bibl. publ. Argentoratensis. Bon bemfelben (p. 66—IIT). Er
iR Stifter der Congregatio fratrum vitae communis,.
g) Extraits della correspondance diplomatique des envoyds du Duc de
Savoie Eman. Philibert pres la cour de Vienne pendant les troubles de
Paysbas, mitgetheilt von Giuſeppe Erespi in Turin II. 229.
h) Notice d'un Manuscrit intitul& Cartulaire de van den Bergh, oom-
servd aux archives de l’Etat & Liege, mitgetheilt von Stanislans Bormans
(p. 276). Diefe von bem Lütticher Kanonicns v. ben Berg, eluf Wappen
herold, angelegte und von feinem Nachfolger 3. Le ort forgfältig bewahrte
Handſchrift enthält Kopialien von Urkunden, beren ältefte bem 10. Jahrhundert
angehört und bie Ietten bein 16. Die von Herrn Arch. Bormans daraus fehr
zweckmäßig gefertigten Negifter find um fo fchätenswerther, als bie alten 1794
nah Deutichland geflüchteten Urkunden des Hochftiftes Lüttich Yicht mehr anf
zufinden find.
i) Abbrud einer Chronicum Diestense von 1142 bis 1530 nebſt Urkun⸗
den, mitgetheilt von Herren Reymalers, Prior der (wiederhergeſtellten) Abtei Bare
bei Löwen, 1I, &. 392.
Noch haben wir einige der Conummiffion von Mitgliedern verfelben
erftatteten Berichte zu erwähnen. Es find dieß:
a) der von Herrn Gachard über von Hohnck van Bapendrocht einem
Canonicus Hollander als Verfaſſer zugefchriebenen Discours de troubles
de Gand (1539 — 40) — B. 2 ©. 250. Nah dem von ver Raiferl.
öfterr. Regierung der belgiſchen überlaffenen Original (nebſt Concept) er-
gibt ſich, daß dieſelbe offiziell ſchon 1540 gefertigte Denkſchrift einen bei-
gischen Staatsrath Namens Louis de Schore zum Verfaffer bat.
Belgien. | 195
b) Die weiteren Berichte find bie der Herren de Ram und Borgnet
äber den Stand und gejchichtlichen Werth ver Fortſetzung der Acta Sanc-
toramı buch die fogenannten neuen Bollandiften.
Belauntlid, verdankt man dieſe Fortſetzung der Unterftügung ver belgi⸗
ihen Regierung. In den Rammerfigungen des Jahres 1860 wurde bie auf
dieſe Unterftägung bezügliche Pofition des Staatsbudgets lebhaft ange
griffen. Minifter Rogier fand ſich daher veranlaßt, Aufichlüffe hierüber
zen der Geſchichtscommiſſion zu verlangen, welche ja vor 25 Jahren bie
Forderung dieſes Unternehmens der Regierung empfohlen hatte. Die Com⸗
miifion beauftragte die genannten Mitglieder mit Abfaffung von Berich⸗
ten hierüber. Der des Heren de Ram begreift 72 Seiten (Il. p. 120
— 192) md ift aud in befonderm Abprud erſchienen; der Borgnet’s
erſtredt fi nur von S. 192 — 198: beide erklären, daß das Unterneh»
men wiſſenſchaftlich höchft wichtig fei und deſſen Ausführung Hinter ver
ver ältern Bollandiften nicht zurückſtehe. De Ram theilt auch Auszüge
eines von unſerem Per über vieje Angelegenheit gerichteten Briefes mit,
in welchen der Wunſch, daß bie Fortſetzung des Werkes nicht unterbro-
den werde, auf das Lebhaftefte ausgeiprodhen wird. Borgnet glaubt
Einiges tadeln zu müflen, 3. B. den Aborud einer 700 ©. begreifenden
Biographie der heil. Therefia.
Die Sommiffion ſpricht fih im Sinne beiver Berichterftatter aus
mb beichlieht den Drud ihrer Referate im Bulletin. — Herrn de Ram's
Bericht ift als Annere S. 187 beigefügt eine Note sur la continuation
des Acta sanctorum Belgii selecta von Ghesquière, weldye gleihfall® ven
aenen Bollandiften übertragen ift.
2. Die zweite Beröffentlihung der Commiſſion ift die erſte Abthei⸗
ung des 1. ‚Bandes der Chronit von Dynterus. Dem ganzen ans 3
Quartbãnden beſtehenden ſeit 1854 erfcheinenden Geſchichtswerk fehlte bie
jest der Anfang. Der Herr Herausgeber Herr de Ram veröffentlicht
denfelben unter dem Titel:
Chronique des Ducs de Brabant par Edmond de Dynter en VI livres;
publide d’aprös les M. S. de Corsendonck, avec des notes et l’ancienne
tmduetion francaise de Jean Waugnelin. T. I. Prem. Partie: comprenant
Fistroduetion, les opuscnles de Dynter et la table analytique des Matieres.
Brux. 1854 — 60. 295 p. 4. Nebſt Borträt des Chroniſten (21. Bd. ber
Gslicction).
13 *
196 Ueberfit ber Hiftorifchen Literatur von 1860.
Die Introduction enthält unfafjende Mittheilungen über Dynterus,
feine Schriften, die Handſchriften jeiner Chronit und deren franzöfiide
Ueberjegung, den Werth des freilich nicht immer kritischen Werkes u. |. w.
Die angehängten Heineren Scrijten S. 1—69 find zwar nidt
von Belang, verbienten jedoch den Abdruck. Vortrefflich ift bie
auf alle drei Bände bezüglihe, von Herru Galesloot in Antwerpen ge
fertigte Table analytique des matieres. Sie wird namentlich unſeren
deutſchen Geſchichtsforſchern fehr willlommen fein, weil fie ihnen vie Ve
nützung des auch für die Geſchichte Deutſchlands wichtigen Wertes, wenn
nicht erft ermöglicht, Doch weſentlich erleichtert.
VI. Beröffentlihungen ver Academie royale des Sciences des lettres et des beaux arts.
Annuaire de "Acad&dmie royale des Sciences des lettres et
des beaux arts de Belgique pour 1860. XXVI. annde. Brux. 1600.
285 © 8.
Die in diejem Bündchen des Jahrbuchs ver gl. Akademie veröffent-
lichten Biographieen find: 1) die über den am 23. Dezember 1779 geborenen
und ten 28. Dezember 1858 verjtorbenen Botaniter Dr. 4. 2. ©.
Lejeune von Verviers verf. von J. Kickr. ©. 114 ff. 2) über ven Genter
Prof. ver Mathematif Dr. 3. B. Muresta geb. den 9. September 1808
geftorben den 31. März 1858, von Quetelet (S. 129). 3) Die ven
Schayes geb. ten 11. Jänner 1808 + d. 8. Yan. 1859 von Chalon
S. 139. 4) die Biographie des k. niederl. Staatsmannes von Ewyck, früher
Chef des Tepartementd des höhern Unterrichts im Minifterium des Innern
und Mitglied der Akademie, geboren 1786 + 1859. Bon Quetelet.
©. 157. 5) van Ch. Morren, Prof. der Botanik zu Lüttich geb. 1807
in Gent F 1858 vom Sohne dejjelben. S.163- 251. Mit Ausnahme
Der van Ewyk's ftehen allen Biographien in Stahl geftochene jchr gut
getroffene Porträts ber verjtorbenen Akademiker voran und ift ihnen
eine Lifte ihrer ſämmtlichen Schriften und in Zeitſchriften veröffentlichten
Artikel beigefügt.
Das Ende 1860 ausgegebene Annuaire für das Jahr 1861 enthält
©. 129— 186 eine fehr in's Einzelne gehente Lebensſtizze des den
22. November in Athen gefterbenen berühmten Parijer Akademilers Ch.
Lenormant, Afjocie der Akademie von I. de Witte in Antwerpen.
Die im Jahre 1860 erjchienenen Bände IX und X des Bulletin
Belgien. 197
ter Aladmie enthalten außer ber oben fchen aufgeführten Notice sur la
aaptivite de Francois | von Herrn Gachard noch eine Notice von Herrn
Teämet sur la Renaissance de la ville de Gand, apres la retraite des
prats da Nord (IX 287) und in Band X von Herrn Kervyn te Let-
timbeve, a) ein Fragment de l’histoire des Croisades ©. 365; b) Le
proc&s de Robert d’Artois (im 15. Jahrhundert) premiere partie p. 641.
In beiden Bänden it mehrmald von ven Verhandlungen über tie
Anstäbrung der fgl. Verordnung vom Jahre 1845 bie Rede, in welcher
ter Akademie tie Ausarbeitung einer Biographie nationale aufgetragen
worte. Berichierene Commiſſionen waren mit ter Feſtſtellung eines Pla⸗
nes tiefes Unternehmens beſchäftigt. Baren ven St. Genois, ihr leßter
Kerſtand, machte den 10. Mat 1860 über ihre Bejchlilife einen (auch bes
ſenders gebrudten) Rapport sur les moyens de metire en execution l'ar-
rete royale vom 1. Dezember 1843 en ce que qui concerne la publi-
cstion d’une biographie nationale (37 ©.) mit Angabe der hiezu als
Inellen zu benützenden Schriften. ‘Der vorgelegte Entwurf wurde gut
gebeifen und vom Minifter Rogier ben 29. Mai 1860 beftätigt (S. 35,
37 und des Annnaire von 1861 ©. 76) und dann tie Mitgliever ver
Redactionscommiſſion ans ben drei Claſſen der Akademie ernannt. Gie
keftebt aus 16 Mitglievern, Präſident ift Baren von Et. Genois und
Sekretär Er. Fetis. (Ebend. S. 97). Cine Notize über ten Gang Die
ier Angelegenheit findet ſich in demſelben Annuaire S. 106, tefigleichen
ame über tie Ausführung des Tal. Beſchluſſes Letreffend eine durch vie
Atademie zu verfalfente Kunſtgeſchichte (S. 11-4) jowie über bie Ar-
ten Der Commission pour la publication des anciens monuments de la
Atterature flemende (p. 103). Zwiſchen 1857 — 1R60 find erjchienen
s; Maerlants Rhymbibel herausgegeben von David b) deſſen Naturbioe-
men berausgegeben von Bormans e) deſſen Aleranver Geeften herausgege-
in ven Suellaett.
TV Reröfenligungen ter Commissi’n reyale pour la publication des anciennes lols et erdon-
nances de la Belsique.
Proces verbaux des Seances. Tome III. Cahı. 3 et 4.
Brux. 1859. 8.
Liste chronologique des ddits ot ordonnances de 1a
prineipauted de Lidöge de 1507 A 1684. Brux, 1860. 8.
198 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.
Beoueil des Ordonnances des Paysbas autrichiens.
IN. Serie 1700 — 1794 t 1 cont les Ordonn. de 18. Nov. 1700 au
23. Jun. 1706 publi6 par M. Gachard. 1 Vol. fol XXXVI uub 873-
8. f. Brux. 1870. fol.
Becueil des Ordonnances de la princoipaute de Lidge.
II. Serie 1684 — 1794 II. Vol. cont les Ordonn. du 10. Mars 1744
au 5. Jun. 1794 par M. Poloin. Brux. 1360. IX und 1084 ©. fi. 8.
Zu den unvergänglichen Verdienſten ber belgiſchen Regierung ge
bört auh das fait unabfehbare Unternehmen der anf Staatsloften ver-
anftalteten Herausgabe aller, einft (vor 1799) in ben verfchievenen Pros
vinzen geltend geweſenen Rechtsquellen. Der Gedanke dazu wurbe 1846
von dem damaligen Juftizminifter Baron von Anethan Sr. Majeftät
vorgetragen, von legterer bereitwilligft aufgenommen ; jofort eine aus ju-
riſtiſchen uud Hiftorifchen Notabilitäten beftehende Commiffiog ernannt,
weldye nicht zögerte, ihre fehwierige, umfaſſende Thätigkeit zu beginnen.
Bon 1846 auf 1848 gab fie den erften, 1852 ben zweiten Band ber
Protololle ihrer Sigungen wit einer Maffe von Rechtsdocumenten und
von da bie 1860 den dritten, jedesmal in periodifch erſcheinenden Heften,
heraus.
Sie ließ ferner ihre Vorarbeiten druden: nämlich chronologifche
Berzeichniffe ver Edicte und Verordnungen. a) ber öfterreihiichen Nieder»
ande 2 Bde. b) des Fürſtenthums Lüttich c) des Fürſtenthums Stave⸗
lot und Malmedi, jedod nur die der dritten Serie d. h. die der letzten
Geſetzgebung der Länder angehörenven Altenftüde. Endlich erichienen brei
elegant gebrudte Foliobände der Verordnungen und zwar bes Fürſten⸗
thums Lüttich von 1684 bis 1794 und der öftereihiichen Niederlande
von 1700 bis 1706. Die Herausgabe der eriten bejorgte Herr Bolain,
ber zweiten Gachard, Männer, deren Name fchon für das glüdliche Ges
lingen des Unternehmens bürgen.
Ref. machte vom Anfang deſſelben und dem Erſcheinen des 8. I
des Recueil des Ordonnances de Liege ausführliche Drittheilungen in ben
Gel. Anzeigen ver k. bay. Afatemie des Jahres 1857 Bd. XLV Nro. 47
bis 48 ©. 348— 359 und 378 — 383. Da ihm zum Zeit noch eim
Theil der Sigungsprotofolle und ver chronologiſchen Piften fehlen, fo bes
hält er fi vor, in einem folgenden Bande dieſer Zeitfchrift einen voll-
ftänbigen Bericht über dieſe auch für die Gefchichte Deutſchlande fo ſehr
delangreidhe Publication zu veröffentlichen.
Belgien. 199
VOL Vereins, und Zeitſchriften und dgl.
1) Revue historique et d’Archdologie. t. ll. Bruxelles.
2) Annales historiques, politiques et litdraires V. annde
(Liege).
3) Annales do la Bocidte archdologique de Namur. t. VI.
4) Revue de lanumismatique belge, publide par M. M. Chalon
et Piot, t. IV. 168 p.
5) A. Piuchart, Archives des arts, sciences et lettres.
Doeuments inddits. 1. Serie. t. I. Bruxglies.
6) Journal hist. et littdraire de Liege, publid par M. Kersten.
t XVII. .
7) Bulletin scientifique et littöraire du Limbourg. Tongres.
8) Bulletin del’Institutarchdologique Lidgeois. t.’IV. Livr.
ie II.
9) Mdmoires de la Bocidte d’Emulation de Lidge: process
verbaux et pitces couronndes: nouvelle Serie. t. 1. Litge 1860. XXIV
e.548p. 8.
10) Messager des Sciences historiques annde 1860. Gand.
28 p- 8.
11) Revue trimestrielle, redigde par M. van Bemmel. Brux.
25 — 28. 12.
Sämmtliche bier aufgeführte periodiſche Blätter find Fortſetzungen
ver ım Bd. IV dieſer Zeitichrift 1860 S. 264 — 270 vom Refer. bes
ihriebenen oder bezeichneten Zeitjchriften. Leider find nur die brei legten
zu jeiner Kenntnißnahme gelangt und vom Inhalt des unter Nr. 8 aufs
geführten Bulletin de Pinstitut archeologique Liegeois oben (S 182) das
Röthige gejagt worden.
Tie Memoires der Societ d’Emulation find in ein neues Stabium
getreten: flatt eines Meinen Bändchens haben wir jet einen mit Yurus
gerrudten diden Octavband vor und, ber von dem großen Eifer ber
Geſellſchaft ein rühmliches Zeugnig ablegt. Man ficht überall die kräf⸗
tige Hand ihres thätigen Geſchäftsführers Hrn. Ulyfſſe Capitaine. Leider
200 ucherſicht ber hiſtoriſchen Literatur bes Jahres 1860.
entbält tiejesmal ver Band als gefränte hiftorifche Abhandlungen mur zwei
Preisſchriften über vie Fertichritte ver Eiſenbahnprodultion im: Lüttich’jchen
ten Fraquete unt v. Warzee. g
Ter Genter Messager des Sciences historiques enthält in feiner Ab⸗
theilumg Notices et Dissertations treischn abermals ſehr gebiegene Ar⸗
beiten und in der Chronique des Sciences et arts werthvolle antiquari⸗
{he und literariihe Mittheilungen. Elf Stahlflihe zieren ven Band.
Beſonders lefenswerth fine vie Geichichte ter Kirche Notre dame au Lac
zu ZTirlement von Moulaert (S. 1 u. 183), die geſchichtliche Beſchrei⸗
bung des geweienen Dominicanerklofter8 und feiner Kirche zu Gent von
von ter Meerſch S. 149 und der St. Quentinskirche zu Hafſelt von
Schaepkens S. 297.
Bon beſonderem Intereſſe iſt der ©. 495 gegebene Nachweis des
däniſchen Urſprungs tes ben Beffroithurm zu Gent ſeit Jahrhunderten
ſchmückenden, ven Conſtantinopel nach Flandern gebrachten vergoldeten
Drachen von Bronce. Dieſen Urſprung hat 1859 Dr. Kiern in Kopen⸗
hagen nachgewieſen, deſſen Abhandlung darüber franzöſiſch im Meſſager
wiedergegeben wird.
Die Belgien betreffenden hiſt. Artikel ver Revue trimestrielle find von
zweierlei Art, nämlich 3. eigene Abhandlungen wie 1) Le roman de le
cour de Bruxelles sous Isabelle von Camille Bique (B. 1 ©. 171-207)
2) Jottrand's Biographie von de Potter (II. 5— 104), 3) Un Vaudois
beige (im 12. Yahrhundert von GC. var der Ef. Eben. ©. 173).
4) Leitres sur l’histoires de la Belgique von P. A. %. Gerard 111 ©. 152
Ill, 193 — 222, die eine neue lejenswertbe Erklärung der Urfachen und
des Zweckes der Normänniihen Raubzüge in den karolingiſchen Reichen
geben. 11. Kritiſche Anzeigen neu erjchienener Schriften über beigifche
Geichichte von van Bemmel, z. B. die im B. 1 ©. 301 gegebene Ueber⸗
ſchau ter periopifhen Schriften der hiftorischen Bereine im Lande, melde
Nefer. 1860 in feiner eigenen eben angeführten benüst bat, und eine Re⸗
cenfion von Henne's Geſchichte Carl's V. 3. 11. ©. 370,
TR. GEultwurgefhidte und Varia.
1) F.N.J.G. Baquet, Analectes pour servir & l’histoire de
l’Universitö de Louvain. 122 p. 8.
Belgien. | 201
2) Annuaire de l’Universitd catholique de Lourain. 26
ımde LXXXII u 824 p.
3) Annuaire de l’Universite deLidge. I. annde 1859 — 60.
XXIV u. 490 p. 8. j
3a) Catalogue des Livres et Manuscrits, formant la biblio-
de M. J. B. Th. De Jonghe, Officier de l’ordre de Leopold. Brux. 1860.
Ul vol. 8.
4) F. van der Haeghen, Bibliographie Gantoise. II. Partie.
17. Sieele.
5) Oouvres de Marnix de Ste. Aldegonde, publids par de
Croix. Brux. t. VII. 500 p.
6) P. Laurent, van Espen, Etude historique sur l'’Eglise
et IEtat en Belgique. Brux. 218 p. 18.
7) M&moires du prince de Ligne suivis des pensdes du prince,
«& preed6 d’une introduction par A. Lacroix. Brux. 286 p. 8.
8) Calendrier Belge, fetes religieuses et civiles, usages, croyances
et pratiqnes populaires des Belges anciens et modernes par le Baron de
Reinsberg-Duringsfeld. Brux. 1860.
9) Essais sur les grandes dpoques de notre histoire nationaleet
melanges politiques ct litteraires par le Baron de Gerlache. Nouvelle
“dition. Bruxeles 1859. 2 Abtheilungen. 222 u. 260 ©. 8,
10) Th. Juste, La Belgique en 1860, Brux. 136 8. 8. Mit
fth. Borträt bes Könige Leopold.
11) La Belgique inddpendante par J. Boniface (Le Defred)
Brux. 120 p. 12.
12) La Belgique et 1’Empire Francais. Brux. 1860. p.1 — 28.
Die vier Lieferungen des unter Nro. 8 aufgeführten Calendrier Belge
vom beutichen Baron v. Heinsberg » Düringsfeld find der Anfang eines
hechſt verdienſtvollen zugleich unterhaltenven Beitrags zur belgifchen
Eittengeihichte. Es werben darin vom 1. Januar an bie religiöjen Feſte
jeden Zages mit allen dem Berf. fund geworbenen Eigenthümlichkeiten
oft in den Heinften Dertlichleiten bejchrieben und dieſe Seite des Bolle-
202 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur bes Jahres 1860.
lebens in anziehenver Weije geſchildert. Mit Hecht fagt ber Berfafler,
Belgien fei im wahrſten Sinne bes Wortes das Land ber Feſte immer
geweien, und fei e8 noch jett. Neben ven religiöſon Teierlichkeiten, deren
nicht felten heidniſcher Urjprung nachgewiefen wird, fanden allerlei welt⸗
liche Boltbeluftigungen ſelbſt feurile Aufzüge ftatt, mande Wohlthätig-
feit8acte wurben ausgeübt, und das Anvenfen an vergangene Zeiten zus
rüdgerufen. Daß manches Abergläubiiche zu erbliden ift, erklärt fich ans
ben Zeiten des Wunderglaubens, genährt buch fromme Legenden und
Sagen. Welches felbft proteftantiihe Land hat nicht dergleichen aufzu⸗
weijen? Dieje Vollsfeſte jchildern uns anjchaulicher als es fonft gefchehen
könnte, die Gulturhöhe der Zeiten, die Anhänglichleit der Bevölkerung an
das Hergebrachte und ihre Verehrung religiös fittlicher Ideen, follten die⸗
ſelben auch etwas materiell und craß fein, wie man von dem Bildungs
ftand ver unteren Boltsichichten nicht anders erwarten kann.
Baron dv. Keinsberg- Düringsfeld zeigt in der Durchführung feines
Unternehmens, daß er ein deutſcher Gelehrter ift, dem Gründlichkeit und
Wahrhaftigkeit erfte Gejege find. Er hat fi mit der geſammten älteren
und neueren religidjen und biftorijchen Literatur Belgiens vertraut ges
macht, reiste im ganzen Lande umber, um unendliche Belehrungen über
die Ortsfefte und Gebräuche zu erhalten und jpricht in der Vorrede fie-
benzig ihm in feinen Nachforſchungen unterftügenven Freunden in allen
belgiſchen Provinzen, worunter mir Namen von beiten Klang begegnen,
feinen Dank aus,
Eine Hauptunterftügung fand der Verf. in Corremans zu Bräffe,
beffen Wert l’Annee de l’ancienne Belgique ihm als Vorbild diente und
jehr oft in den Noten angeführt wird, neben andern zum Theil wenig
bekannten Schriften.
Auch befliß ſich der Berf., mandes in den flamändiſchen Provinzen
vorkommende mit Hülfe germaniftiich-philolegiicher Erupition zu erflären.
Der mit dem religiöjen Yeben anderer katholiſcher, auch proteitantijchen
Länder befannte Yejer des Calend. beige ſieht alsbald, daß viele Feſt⸗
inttäten, Uebungen u. f. w. nicht belgiich » national, jondern germaniſch⸗
hriftlich find, fo daß ihm deren Schilverung nım in fo weit Neues
bietet, al8 in dem von Berfafler bejchriebenen Ortsgebrauche dieſelben
eigenthümliher Art waren. Das Hinweilen auf das anderwärts vor
kommende wäre baber erwünjcht geweſen.
Belgien. 203
Nach dem Titel des Wertes Nr.9 von Hrn. v. Gerlache erwartet man
darin eine wiſſenſchaftlich begründete Feſtſtellung und eingehende Charalters
zichnung ber Hauptperioden ber belgiſchen Geſchichte. Allein das. Buch ent«
Kit ner die zu verjchievenen Zeiten zum Theil in Yulletins der königlichen
Alademie veröffentlichten Memoiren und Vorträge des Berfaflers, deren
Tendenz weniger eine objectiv hiſtoriſche als eine religiös » politiiche ift.
En ver liberalen Partei im Lande angehörender Schriftfteller Felix del
Habe gab im zweiten Banve ber Revue trimestrielle vom Jahre 1857
ame ſehr fcharfe, nicht wohlwollende Kritit Gerlache's als Hiftorifer, und
führte aus, wie derſelbe durch und durch politiicher Barteimann , der zur
Zeit feiner Rücklehr in jein Baterland noch vom literarifch freifinnigen
Geifte des Jahrhunderts befeelt, almälig, nach einer einflußreichen Stel-
bag firebend, fih an die Spige der damals ſog. katholiichen Oppoſitions⸗
yartei flellte und mit Umſicht fortjchreitend im Jahr 1831 zuletzt Präfi-
vent des Rationalcongrefies wurde. Es mußte für Herrn v. Gerlache
eine ſchwere Aufgabe fein, in fi das Hevolutionsprincip mit dem
Gehorſam gegen die Obrigfeit, welchen die Kirche gebietet, in Einklang
a bringen.
Es gelang ihm in ver Weife, daß bis zur Confolibirung des neuen
Königreich8 er das erfte vorherrfchen ließ, daß aber nachher in fteigenver
Kogreffion in jeiner politiihen, wie in jeiner literäriſchen Thätigkeit
das zweite bie Oberhand gewann, jo zwar, baf er in ver feinen Oeuvres
auverleibten neueften Auflage jeiner belgiſchen Geſchichte als Bertheiviger
Fhilipp IL auftritt. ©. die Revue trimestrielle von 1861 Bd. II.
&. 356. Jedvenfalls ift e8 richtig, daß Herr von Gerlache entſchieden
mehr politiſcher Schriftiteller als Hiftorifer ift; feine gejchichtlichen Ar⸗
keiten find von dem eben bezeichneten Geiſte durchdrungen. Man
zug dieß bemerken, um das Verſtändniß auch des vorliegenden
Bandes feiner Werke und deren richtige Beurtheilung zu ermögs
ihen und die Variationen in feinen Anfichten in feinen früheren und
fpäteren gefchichtlichen Arbeiten fich zu erklären.
Die erſte Abtheilung des Gerlache'ſchen Wertes führt den Titel
Ktisnges historiques , und enthält eine Reihe von geiftreih und claſſiſch
geſchriebenen Abhandlungen, die fi zwar auf Ouellenſtudien ftügen, fich
aber doch mehr auf der Oberfläche bewegen und im Grunde wenig Neues
bieten. 1) De l’Etablissement du Christianisme en Belgique Nro. 1,
204 Ueberſicht der hiftorifchen Literatur bes Jahres 1860.
2) St. Benoit, Patriarch des Moines d’Occident p. 33. 3) Charlemagne
©. 55. 4) La Feodalit, la Chevalerie, et les Communes eu Belgique
pP. 9... 5 et 6. La Commune Flamande et Jaques d’Arteveide mit
einer Antwort auf die Kritik diejer Arbeit Seitend ver Herrn db. St.
Genois und Kervyn ve Lettenhove (S. 121—143). 9) Notice sur la
suite de la Chronique de LiMuisis S. 169. 8) Charles Quint et Clement
V. ©. 201. Ziemlich am Ende des erften Aufſatzes Nro. 31 findet
man eine Apologie des Mönchweſens, welches 1792 nicht aufgehoben ſon⸗
bern jeiner urfprünglichen Beſtimmung gemäß hätte reformirt werden jollen.
Der zweite Aufjat endet mit einer Zujanmenftellung des vielen durch
den DBenebiftinerorven Belgien im Mittelalter zu Theil gewordenen
Guten. — Die dritte (S. 61) giebt eine dem erften günftige Parallele zwi⸗
ihen Karl dem Großen und Napoleon. Unter den in der Iten Abhand⸗
lung ausgelprochenen Anfichten ift vie La commune est sortie de Ia feo-
dalits bemerfbar — aber nicht näher begründet. In ver Polemik gegen
Artevelde befenut fich der Verfaſſer ald Gegner ver in Flandern herrſchenden
Anficht, daß dieſer wirklich mit ſtaatsmänniſchem Geiſte begabte, fieben
Jahr das Yand regierende Volfsführer cin Charakter von politijch-moralis
ichem Geiſte gewejen jei. Er fagt von ihm ©. 150: Je ne saurais
voir dans Artevelde qu’un terrible dictateur populaire; je n’aime pes la
tyrannie sous quelque forme qu’elle se presente, que ce soil un tribua
qui l’exerce ou bien un despot, je crois devoir la fletrir &galement.
In der letzten Abhandlung ſpricht ver Verfaffer S. 202 auch über
die Reformation. In deren Studien find Audie und der Abbe Rohr⸗
bacher feine Autoritäten. Seine Anſicht ift, Luther et Calvin, ces grands
heresiarques en XVI. siecle, n’ont pas fait la reformation, pas plus
que Voltaire et Rousseau la revolution de 89. Beite waren mır Xes
präfentanten ihrer Zeit, und jelbit Papſt Hadrian hatte Hecht, wenn er
über bie Berterbtheit der Kirche jelbft in jeinen Centrum tagte (S. 213).
Indeilen war dieſe durch fich felbft zu reformiren und that es im Concil
von Trient. Allein heißt es ©. 219: En me&me temps le Lutheraniswe
poursuinit son oeuvre de destruction, organisait l’anarchie rompant le
lien, qui existait jadis entre les nations, frappant le Christianisme sp
coeur, et poussant par son principe même ä l’ancantisme de toute croy-
ance. — Ferner S. 221: On bouleversa le monde du XVI Siöcle
avec le mot reforme, comme ou le bouleversa de nos jours avec les
Belgien. 205
mots libert& et progres u. |. w. Die zweite Abtheilung des vorliegenden
Bades mit der Ueberſchrift: Melanges politiques hat ven Specialtitel:
Esssi sur le moavement des partis en Belgique depuis 1830 jusqu’ &
B0S jours, " suivis de quelques reflexions sur ce quon appelle les grands
pincipes de 1789, 3me edition corrigee et augmentée.
Dieje politiihe Flugſchrift erjchien zuerft ohne Nennung ihres Ver⸗
faffers im Jahre 1852 und fand nicht blos im Lager feiner politijchen
Gegner, jonvern jelbft im eigenen großen Widerſpruch. Als Motiv, dies
kite ver Sammlung feiner Werke einzuverleiben, wirb in einem kurzen
Sorwort angeführt, daß deren Erhaltung den künftigen Gefchichtsjchrei=
bern Belgiens einft von Werth jein dürfte als Schilverung der Unmands
lung, welche in ven Anjichten der politifchen Barteien feit 1830 vorgegangen
ei Der Berf. ıft mit berjelben aber keineswegs zufrieden, indem er aus⸗
mit: Combien sommes nous aujourdhui loin de notre depart! Er fchilvert
tem Kampf des Jahres 1830 — 31, die Fehler des Congreſſes. Die
tatbofiten machten ver liberalen Partei zu viele Concejjionen; vie Union
beider dauerte nur bis 1840. Seitdem vie jchroffen Gegenſätze ber Cle⸗
rtalen und Liberalen, in deren letten Schooße die Clubbs und die für
Kirche und Staat gefährlihen Maurerlogen ihre jubverfive Thätigkeit
eatwideln. Mit großer Energie zieht der Ber. gegen die Zeitrichtung
des Liberalismus zu Felde.
Dem Essais sur le monvement des partis find angehängt: eine An⸗
zahl Reden des Berfaiters, ferner an Journale gerichtete Briefe u. j. w.
unter beſonderem Titel ©. 170: Pensees morales, politiques et litteraires ;
ebgleich nicht alle von gleihem Werth, find fie geijtreich gefchrieben, und
xenn auch nicht felten von Befangenheit zeugend doch ehrenvoll für bes
Verfaſſers Charafter.
Die unter Nro 10— 12 bezeichneten Flugſchriften find ver Ausdruck
mergiicher Proteſtation gegen Frankreichs Annerionsgelüfte und ver hoche
berzigen Begeifterung des evelften Patriotismus. Aus dem letzten Schrift-
lein erfchien den 14. Juni 1860 in der Beilage zu Nro. 161 der Augsb.
Allg. Zeitung ein Auszug. Das Schriftchen von Defres, dem berühmten
entifleritalen Bamphletair, erinnert an bie gegen ben macebonifchen Phi⸗
lipp im Athen gehaltenen Reben des Demofthenes, und Th. Juſte's Schil«
derung ber dem König 1860 im ganzen Lande gegebenen großartigen
Gehe zeigt uns die Geſinnung des Bolles, deſſen kräftige Freiheitstiche
206 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur bes Jahres 1860.
und treuefte Anhänglichkeit an ven Fürſten, auf welchen als einen feiner
würbigften Söhne Deutſchland ftolz zu fein alle Urfache hat. —
Schließlich ift noch einiges über das unter Rro.3 a aufgeführte Bücher-
und Handfichriftenverzeichnig der vom Nov. 1860 bi8 Ende Januar 1861 m
Brüffel öffentlich verfteigerten Bibliothet des den Mär; 1860 verftorbenen
Dr. 3. B. Th Dejonghe mitzutbeilen, eines Katalogs, deſſen leßter Theil
von Nro. 5210 bis 8112 eine wiſſenſchaftlich georbnete, faft vollftändige
hiſtoriſche Bibliographie Belgiend und theilmeije der nördlichen Nieder»
lande enthält. Eine kurze Biographie des ehemaligen Herrn der Samm-
lung ift verangeihidt. Refer. ftand mit diefem in jehr naher Beziehung.
Sohn einer der angejehenften und reichten Familien Brabants wurde ber
junge Dejonghe im Oftober 1818 den Referenten, damals Profefier der
Rechte in Lüttich, übergeben, um, in deſſen Haufe wohnend, feine alade⸗
miſchen Studien an ber dortigen Univerfität zu machen. Er blieb an ber
felden fünf Yahre und entwidelte eine von Jahr zu Jahr wachſende Nei⸗
gung zu ernften, grünblichen, namentlich hiſtoriſchen Studien. Den Bes
weis ihres glüdlihen Erfolges legte er 1823 in feiner umfangreichem,
von ihm unter des Refer. Teitung allein ausgearbeiteten, aud in Deutſch⸗
land anertennend aufgenommenen Inaugural-Diflertation: de matrimonie
ejusque impedimentis ab. Drei Jahre fpäter ward er im nieberlänpiichen
Minifterium des Aeußern angeftellt und nahm 1831 erft nach ber facti»
ihen Zrennung ver belgifchen Provinzen feinen Abſchied, trat aber nicht
wieder in den Staatödienft, fondern wiomete fi ganz und gar den Stu
dien. Sein Hauptbeftreben war die Bildung einer vorzugsweife bifteris
ſchen Bibliothef, in welder die Geſchichte feines Vaterlandes fo vollſtän⸗
dig wie möglich vertreten fein ſollte. Ein Vermögen, das jährlich gegen
40,000 Franken Einkünfte abmwarf, fette ihn in ven Stand, feine zur
Leidenſchaft gewordene Neigung zu befriedigen. Zulegt war fein fehr ge
räumiges, dem Objervatorium zu Brüfjel gegenüber gelegenes Haus nur
noch eine Bibliothek, in welcher die meiften oft mit größtem Lurus ein⸗
gebundenen Bücher in Glasſchränken von Mahagoni aufbewahrt wurben.
Seit van Hulthem war keine fo ausgezeichnete Sammlung belgifcher Ge
ſchichtswerle zu Stunve gekommen. Ihres Beſitzers ſchwache Geſundheit
verhinderte ihn an gelehrten Arbeiten, wozu er in Folge ſeiner nicht
blos bibliegraphiſchen Kenntniſſe wohl fähig geweſen wäre. Mit Liberalität
geſtattete er die Benutzung ſeiner literariſchen Schätze den Freunden
Belgien. 207
ver Wiſſenſchaft. Lieblingsftudien von ihm waren Numismatit und He⸗
ralpif, in welchem Sache ihm, dem Mitglieve ver heraldiſchen Commiſſion,
m Belgien Niemand gleihlam. Seiner gründlichen rechtshiſtoriſchen
Kenntniffe halber ward er 1848 auch zum Mitglied ver Königlichen Com⸗
ziffien für die Herausgabe ver fänmtlichen Quellen des früheren Rechts
m Belgien ernamnt.
Seine große 8112 Nummern zühlende Bibliothet war wiſſenſchaftlich
geerdnet, was die fo ſehr gelungene Ausführung des Kataloge duch Hrn.
Ruelens, Beamten ver belgiſchen Staatsbibliothek, fehr erleichterte. Da ver
Catalog in Deutſchland ziemlich befannt geworben ift, jo hat Nefer. nicht
aithig, eine Beichreibung feiner Anordnung namentlih auch ver bel-
giſchen Geſchichte zu geben: fonvern venjelben nur allen Gefchichtsfreun«
ven insbeſondere den ſich mit hiftoriihen Stubien über die Niederlande
befafſenden als die befte, leicht fich zu verſchaffende Bibliotheca historica
belgica zu empfehlen. Eine nicht geringe Zahl Handſchriften finden fich in dem⸗
ſelben verzeichnet. Es ift nur zu wünjchen, daß in einem Nachtrag zum Catalog
angegeben werde, wohin diefe, jewie anbere feltene Werte — oft nur
uica — in Folge des Verkaufes gekommen find. L. A. Warnkönig.
Quinsonas, Eateriaux pour servir & l’'histoire de Mar-
guerite d’Autriche, vergl. oben ©. 177.
Das voluminöfe, prächtig ausgeftattete und mit vielen Illuſtrationen,
Aachimile 2c. gefchmüdte Werk entfpricht leiver durchaus nicht den Erwar⸗
tunen, welche feine äußere Erfcheinung hervorruft. Margaretha von
Oeſterreich, die Tochter Marimilians, ift zwar eine von der belgiſchen
Hifteriographie mit Vorliebe behandelte Berjönlichfeit, und es liche fi
ſehr gut im Anſchluß an ihre Biographie eine Gejchichte der habsbur-
gijch » burgundiſchen Politik im Beginn des 16. Jahrh. geben. Aber 3
ridleibige Bände mit bloßen Vorarbeiten dazu ift denn doch etwas zu
riel. Und nun gar vie Beichaffenheit dieſer Vorarbeiten. Sie fcheis
nen in ber That dem Berfafler bloß dazu zu dienen, feiner Indig⸗
nation Über die Berverbtbeit des 19. Jahrh., feiner Bewunderung des
fronsmen Mittelalters Anlaß zu längeren Ercurjen zu geben, mit denen
vie beiden erften Bände erfüllt find. Sie ftimmen jedenfalls unfere Er⸗
wortungen anf die vom Verf. in Wusficht geftellte Biographie Marga-
‘
208 Ueberficht ber Hiftorifchen Literatur bes Jahres 1860.
rethens ſehr herab. Eine kurze Ueberficht über ven Inhalt wird zeigen,
welhen Werth das Werk für die allgemeine Geſchichte hat.
Bd. 1 enthält bloß topographijch = hiftoriiche Beſchreibungen einiger
Orte, vorzüglich Klöfter und anderer geiftliher Stiftungen, an denen
Margarethe fih einmal aufgehalten, theils Auszüge aus Druckwerlen,
theil8 auch Bearbeitungen urkundlichen Materials, das aber nur provin-
zielle Bebeutung hat (betr. das franz. Departement Yin). Bo. 2 p. 1
— 273 gibt eine breite Erörterung über vie Grabftätten Margarethen
und ihres Gemahls Hzg. Philibert v. Savoyen und die Beijegung ber
Erfteren. p. 275 — 547 folgt ſodann eine Auswahl von Büchern über
die Gejchichte der Jahre 1480—1530, die unter alphabetijch geordneten,
ganz willfürlichen Rubrifen eine Menge Bücher in bunteften Gemifch anf-
führt, deren Beziehung zu genannter Zeit ınan beim beften Willen nicht
ertennen kann: wie 3. B. Bert’ Monumente, eine Ausgabe des Widnu⸗
find, der Loi Gombette, des Bocaccio, Werke über ven Einfluß der Krenz⸗
züge, Frankreich vor der Revolution u. |. w. An irgend welche Boll»
ftändigfeit ift gar nicht zu denken, am wenigften für deutſche Geſchichte;
der Verf. bat offenbar deutſche Zitel nicht leiden können. Werthvoll kann
allenfalls Br. 3 genannt werben, der 36 meift unbelannte Dokumente
auf jene Zeit bezüglich aus den Archiven von Turin und Pille enthält,
die aber au zum Theil bloß Leichenconducte und Einkünfte vor Schlöj-
fern ꝛc. betreffen.
Die der Berf. (I, X) in feiner Beſcheidenheit ſelbſt voransfieht,
wird bie Nachwelt jein Werk weniger für ein gutes als für ein ſchönes Buch
halten und weniger den Inhalt als „sa rarete et l’ex&cution typogre-
phique“ loben. H. P.
10. Bie Niederlande.
Wir beginnen unfere Ueberfiht ber hiftorifhen Literatur ber Niederlande
vom Jahre 1860 mit 2 Reben:
Dr. R. Fruin, De onpartydigheid van den geschiedschry-
vor. Amsterdam, J. H. Gebhard. Borgetragen am 1. Juni, als Hr. Fruin
bie Profeffur der vwaterlänbifchen Geſchichte antrat.
Dr. W. G. Brill, De juiste beschouwing der geschiedenis
Die Niederlande. 209
ia hare vrymakende kracht. Leiden, J. E. Brill. Borgetragen
m 20. September beim Beginn bes neuen alabemijchen Studienjahres.
Algemeene Geschiedenis des Vaderlands, van de vroegste
tüjden tot op heden. door Dr. J. Arend, voortgezet door Mr O. van Rees
a Dr. W. G. Brill Derde deel, derde stuk. aflevering 1—9. Amsterdam,
C. L. Schleyer en Zoon. Fortsetzung, siehe Jahrgang 1859.
L. Mulder, Handleiding tot de kennis der Vaderlandsche
Geschiedenis ten dienste van hen, die zich tot de lessen by de
koninkiyke Militaire Academie wenschen voor te bereiden, de druk. Leiden,
ER J. Ball. 8.
J. c. de Jonge, Geschiedenis van het Nederlandsche
Leewezeon. Vermeerderd met de nagelaten aanteekeningen van den over-
kidsn schryver en uitgegeven onder toezigt van Jhr. Mr. J. K. J. de Jonge.
2. äruk. Haarlem, A. C. Kruseman. Aflevering 21 — 31. Fortsetzung.
sche Jahrgang 1859.
J. L. Hotley, History of the United Netherlands from the
desth of William the Silent to the Synod of Dort. 2 volumes. Continental
Copyright Edition. The Hague. Martinus Nyhoff.
— —, De opkomst van de Nederlandsohe Republiek
ut het Engelsch vertaald onder toezigt van Dr. R. C. Bakhuizen van den
Beink. Aflev. 12 en 13. 'sGravenhage, W. P. van Stockum. Hetzelfde
werk. 2. druk. 8.
— —, De opkomst van de Nederlandsche Republiek.
Tweede afdeeling, ook onder den titel: Geschiedenis der Vereenigde Ne-
derlanden, sedert den dood van Willem den Zwyger tot op de Synode
van Dordrecht, met een volledig overzigt van de worsteling van Engeland
«a Holland tegen Spanje, en van den oorsprong en ondergang der Spaan-
scho Armada. Uit het Engelsch vertaald onder toezigt von Dr. R. C.
Bakkuisen van den Brink. Eerste aflevering. 'sGravenhage, W. P. van
Stoekum.
J. van Vloten, Neerlands opstand tejen Spanje in zyn’ ver-
deren voortgang, 1575—1577. Haarlem, A. C. Kruseman. Fortsetzung,
siehe Jahrgang 1859.
Pifesitge Heitfärift VI. baud. 14
210 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
William H. Prescott, Geschiedenis der regering van
Philips II, Koning von Spanje. Uit het Engelsch vertaald door Dr. W.
J. A. Huberts, met eene voorrede van den Hoogleeraar W. G. Brill en
eene levenschets van den Schryver. Aflever. 1 en 2. Zutphen.
Die Geſchichte Philipp’s II. von Prescott läßt fich faft als die Ge
ſchichte des Anfangs der Erhebung der Niederlande gegen vie ſpaniſche
Herrihaft betrachten, fo daß wir glauben, hier bie Ueberfehung des Wer⸗
tes notiren zu dürfen, der Hr. Prof. Brill eine intereffante Vorrede bei⸗
gefügt Hat.
C. L. Vitringa, Geschiedenis der Bataafsche Republiek,
Tweede gedeelte (Gedenkschrift derde stuk), Arnhem, Js. An. Nyhoff ea
Zoon. Fortsetzung, siehe Jahrgang 1859.
Bosscha,P., De geschiedenis van Oostelyk en Noordelyk
Europa gedurende het merkwaardig tydvak van 1687 — 1716: opgehel-
derd uit onuitgegeven brieven en andero oorkonden van Nederlandsche
Staatsmannen. Zalt Bommel, Joh. Noman en Zoon.
Das Bud, enthält vie Correfpondenz Gisbert Cupers mit den Ges
fanbten der Vereinigten Provinzen zu Conftantinopel Jacob Colyer, und
dem Gonful de Hacepied zu Smyrna. Cuper war einer der einflußrei-
hen Staatsmänner feiner Zeit, von König Wilhelm gejchätt und mit
einer colofjalen Gelehrſamkeit ausgeftattet, Er führte einen weit ausge-
dehnten Briefwechjel mit vielen bemertenswerthen Perſonen feiner
Zeit, u. a. mit dem Bürgermeifter von Amfterdam, N. Witfen,
aber auch mit berühmten Männern des Auslandes wie mit Leibnitz.
Gegen das Ende feines Lebens wurde er zum auswärtigen Mitglieve
ber Pariſer Alademie der Injchriften ernannt. Da er auf feinen Brief
wechjel, wie er uns jelbft in einem unebirten Briefe an Witſen belehrt,
große Sorgfalt verwandte, fo hinterließ er nad feinem Tode eine große
Menge von Blättern, welche für die Literaturgejchichte dicchweg von
großem Intereſſe find. Hr. Boſſcha, Profeffor am Athenäum zu Deventer,
welcher einen raifonnirenden Catalog von Cuper's Manufcripten beraus-
gegeben und fi außerdem viel mit ihm beichäftigt hat, veröffentlicht in
dem vorliegenden Bande eine Reihe von Briefen, welche zwar des Intereſſes
nicht entbehren, für deren Veröffentlichung man aber eine andere Form
hätte wünjchen können. Was die Manujcripte Euper’s betrifft, fo finden
Die Nieberlanbe. 211
fie fi jeßt, nachdem fie lange Zeit in den Händen ‚von Privatperfonen
waren, großentheils in dem königl. Archiv im Hang.
Gedenkstukken van Johan van Oldenbarnevelt en zyn
tyd. Verzameld en met inleiding en aanteekeningen uitgegeven door M.
L. van Deventer. Eerste deel 1577 — 1589. "sGravenhage, Martinus
Nyhoff.
Die Papiere des Rathspenſionärs van Oldenbarnevelt wurben zur
Zeit feines Prozefles mit Beſchlag belegt; aber obwohl der Vorſchlag dazu
gleich nach feiner Verhaftung gemacht worben war, fo hatte Die Wegnahne
der Papiere doch erft nach der Erecution ftatt. Man kann faum anneh»
men, daß die Familie fie währenn der Monate, die zwilchen jener bei⸗
den Creigniffen verfloffen, unberührt gelaffen hat. Was davon übrig
it, befinvet fi im Archiv des Königreihs und bilvet eine Sammlung
von hohem Intereſſe wegen der Wichtigkeit und ber langen Dauer bes
Miniſteriums jenes Staatsmannes, von dem fie herrühren.
Hr. van Deventer hat eine Quelle, welche jo fruchtbar zu fein
verſprach, benugen zu miüjlen geglaubt, und bat fi) angeſchickt, fie zu
durchforſchen, ein Unternehmen, das deshalb außerordentlich ſchwierig iſt,
weil die Schrift Dlvenbarnevelt’8 beinahe umleferlich fein fol; das Face
fünile, weldyes dem vorliegenden Bande beigefügt ift, beftätigt dies. Die⸗
fee Band reicht nur bis 1589. Mit Ausnahme einiger Papiere von prie
vatem Charakter, welche zeigen, daß D. über ven Staatsgejchäften feine
ägenen leineswegs vernachläfligte, findet man ba intereffante Details über
ben Antheil, den er an der Bildung der Union von Utrecht gehabt hat,
amd anßerben eine Fülle von Actenftüden über die Verhandlungen mit
der Königin Elifabeth, die ſchon Motley in feinem neueften Buche benugt
bat. — Die Correjpondenz Oltenbarnevelt’8 mit den diplomatifchen Agen⸗
ten der Republik wird unzweifelhaft ein um jo helleres Licht auf die Ges
ſchichte feiner Zeit werfen, als Oldenbarnevelt vie Seele der auswärti-
gen Politik war: im erften Bande finden wir gleih bie Correſpondenz
mit Ortell, dem Geſandten in London. Hr. v. Deventer theilt mit, daß
er nicht das Glück gehabt habe, vertraute Briefe zu finden; wir bebauern
das fehr, weil fo noch ein Schleier das private Leben des großen Staats»
mannes verbirgt. Hoffen wir wenigftend, in ben folgenden Bänden eine
große Zahl von Actenftüden zu finden, die fih auf die Feſtſetzung ber
inneren VBerhältuifle der vereinigten Provinzen, auf bie Oldenbarnevelt
j 14%
158 Ueberſicht der hißtoriſchen Literatur von 1860.
Als Beitrag und Fortſetzung von Grimm’! Weisthümern gibt Dr.
L. 4. Burdhardt in der dritten oberwähnten Schrift Abbrüde ver Hof⸗
töbel von 28 bajelgaw’ihen und elfafliichen Dinghöfen (von mehreren äl⸗
teen und fpätern Rebaktionen) aus ven Originalen ober alten Urbaren,
nebft einer Abhandlung, welche die gemeinfame, zu Grunde liegende Re⸗
gel heraushebt und dadurch die Ueberſicht und das Berſtändniß ber man⸗
nigfaltigen einzelnen Beftimmungen erleichtert *).
Die vierte Schrift von Dr. I. J. Merian enthält eine fleißige, kurz⸗
gefaßte Infammenftellung vesjenigen, was über die Biſchöfe von Bafel
von ältefter Zeit bis auf Bifchof Walther von Röteln (depos. 1215) be⸗
fannt if. In der Kritik der ältern Namen ftimmt Merian mit Mooher
nicht überall fiberein.
Diejem reihen Schriftenfranze, ven das Basler Jubiläum hervor⸗
gerufen, ift endlich ans Bafel noch anzureihen:
Nenjahrsblartt für Bafels Jugend, h. von ber Geſellſchaft bes
Guten und Gemeinnügigen. 38. Städ. Bafel, Mafl. 1860. 33 6. 4.
Geſchichte Baſels vom großen Sterben bis zur Erwerbung ber Landſchaft,
1349 — 1400. -y—
IV. Weftlige und ſũüdweſtliche Schweiz.
1. Memoires et documents publids par la socidte d’hi-
stoire et d’archdologie de Gen&ve. Tome deuxitme. Genère ches
Jullien freres, et Paris chez A. Allouard. 1860. 8.
Zunächſt erhalten wir von J. d. Blavignac, der fih durch feine
histoire de l’architecture sucrée dans les &v&ches de Geneve, Lausanne et
Sion (1853) zuerft befannt gemacht hat, durch den Abdruck von Bau⸗
*) Einem andern uns vorliegenden Referate entnehmen wir noch folgende
Bemerkung: „Die Zufammenftellung über Beſtand und Arten ber Hof
güter, Abgaben der Hofleute, Rechte bes Hofperru und Zwed ber Hub-
gerichte, foweit die mitgetheilten Weisthämer den Stoff an die Hand ge-
ben, ift lichtvoll; nur können wir ber Anficht bes Berfaflers ©. 40, baf
die Dinghöfe oder Hubgeridte eine urbeutihe Einrichtung feien, ans vie-
fen Gründen nicht beipflichten ; ſchon daß fie ben Bolfsgerichten in allen
Gtüden nachgebildet find, was ſich ja auch bei den geiſtlichen Eendgerich⸗
ten in äbnficher Weiſe wieberhoft, verräth fpätere Entfiehung”. K.
Die Schweiz. 169
rechuungen urtumbliche Nachrichten über ven Ban des St. Nikolaus: Mün-
ſters zu Freiburg in der Schweiz. Dieje Rechnungen find nicht allein
intereilant für vie Geſchichte des Baues, ver jedenfalls zu den merkwür⸗
Ngeren ver Schweiz zählt, jondern aud für die Kenntnig der franzöjie
iben Sprache jener Zeit, bie aud in dem halbveutjchen Freiburg niit
ihrem allgemeinen Entwidelungsgange Schritt hielt. Ihr Vorrüden ge
gen Tften bis Freiburg, da einft das Deutſche, wie urkundlich deutſch
geichriebeue Ortichaftenamen z. B. Wülflingen, jest Vufflens u. a, m.
tartbun, am Genferſee geſprochen wurde, jchreibt der Verf. mit Recht
ver Herrichaft des ſavoyiſchen Hauſes zu, das einft aus ven Schluchten
des Momicenis⸗-Paſſes herumterfteigend bald am den Genferfee gelangte
mp endlich durch Graf Peter II. mit Lift und Gewalt feine Exroberungen
dis nach Freiburg, Murten und Oümminen faft bis an die Thore Berne
ansdehnie. ALS umgefehrt Bern jpüter feine Eroberungen bis über ven
Genferſee ausbreitete, umterließ es zu feinem eigenen Schaden, vie deutſche
Sprache wieber einzuführen. Wie hätte es die Waadt enger am fi und
Die deutſche Schweiz gefeſſelt!
Blavignac ließ zehn Rechnungen aboruden, welche vie Koften des
Banes vom 24. März 1470 bis 1490 enthalten. Ein beigefügtes Gloſ⸗
jar hilft zur Entzifferung der undeutlichen Ausprüde, von welchen indeß
viele dentſch find. Zu bemerien ift, daß die älteren Rathsbücher, Bro»
tolelle u. |. w. in Yreiburg bis Ende des 16. Ih. geführt worden.
Es folgt (S. 189) die amtlihen und zeitgenöjjiichen Aufzeichnun⸗
gen enthobene Darftellung „Du rolle politique de la Venerable compagnie
dans l’ancienne republique de Geneve, specialement dans la crise de 1734
et annees suivsntes. Bekanntlich hatte Calvin, Theolog und Juriſt, als
Geiftliher und Staatsmann die kirchliche und pelitifche Gewalt in Genf
geeinigt, von dem Grundſatze ausgehend, daß das Irdiſche dem Leber»
irdiſchen, das Zeitliche dem Ewigen ſich zu unterziehen habe. Nach des
großen Reformators und Politikers Tod beeilte ſich die weltliche Macht
wieder ihre Herrſchaft zu gewinnen und die Kirche ſich unterthan zu ma⸗
chen. Daher mußte denn auch ver junge Geiſtliche, bevor er das Pre⸗
digtant ausüben Turfte, unter Anderm ſchwören: „‚Tiercement, je pro-
Weis ei jure degarder et maintenir de mon pouvoir l’honneur et profit
de la Seigneurie et de la ville, mettre peine entant qu’ & moy sera pos-
sible, que le peuple s’entretienne en bonne paix et union sous le gou-
160 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur ven 1860.
vernement de la Seigneurie, et ne consentir aucunement & 06 qui comire-
viendrait & cela“.
Der Ber. weist nım nach, wie bie Geiftlichkeit von Zeit zu Zeit
diefer dienenden Stellung fih zu entheben ſuchte. Ihr Selbftgefühl
machte fie auf ihre Stärke aufmerkjam, melde hauptſächlich darin beftaub,
daß fie jeden Augenblid die Maſſe des leicht entzündlichen Genfervolles
für oder gegen die Regierung ſtimmen Tonnte. Auffallend ift, daß, ob
wohl eine bedeutende Anzahl Rathögliever viele nächte Verwandte unter
der Geiftlichkeit hatten, wie die de la Rive, Lullin, Le Clere, Le Fort,
Tichet, Trouchin u. f. w., dieſe nichts beftoweniger auch mit gegen ben
Rath auftraten. Died war gerade im Jahre 1734, im welchen ber ger
gen die Ufurpationen des Raths ſchon längft gährenne Sturm zum Ws
bruche kam. Hier mifchte ſich die ©eiftlichleit ein, die durch Pfarrwahlvorfchläge
von Neubürgern vollsfreundlich ſich gezeigt hatte, und fuchte in chriſtlich⸗
religiöfem Sinne zu vermitteln, wie died der Verf. durch Documente dar⸗
tbut (p. 209). An Jean Tremblyh, Syndic de ia garde, findet der Verf.
das Gegentheil von dem, was bis jegt Geſchichte und Ueberlieferung über
ihn berichtete, daß er nemlich von ſtarr ariftofratifchem Charakter gewalt-
thätig und tyranniſch gehandelt habe, und ſucht feine gewagte Behauptung
durch Zeugniffe zu erhärten. Nebſtdem findet fih in feiner Darftellung
Manches, was unfere Aufmerkjamleit in Anſpruch nehmen muß.
Den inbaltreihen Band beichließt: Note sur les antiquites Romaines
decouvertes sur les tranchdes par Henry Fary.
2) L’ordre du college de Gentve. L’Olivier de Robert Etienne. A.
Gendve. Leges Academise Genuensis. Oliva Roberti Stephaüi. Giemevas.
Eine Benertung am Schluffe gibt uns über ven Wieberabprud
biefer Verordnungen und Geſetze Nachricht. Demnach find fie megen
ihrer Seltenheit und als zu ven legten ‘Druden Robert Etienne's gehö-
rend von 3. W. Fick auf Beranftaltung des Hrn. Charles Le Sort,
Profeſſor der Yurisprubenz in Genf, zur eier des 300jährigen Inbi⸗
läums der Genfer Akademie (1859) gebrudt worden.
Wir bemerken darin die charakteriftiichen Eidesformeln für bie Pro⸗
fefiorem und Studirenden ver Alavemie Sie mußten an dieſer zur Be
feftigung der Reformation geftifteten Schule, deren Gründer mit be
Balladium der Glaubensfreiheit gegen ihre Gegner zu Felde zogen, einen
ſtrengen Glaubenseid anf den calvinifch-reformirten Katechitenns ablegen.
Die Ehmeiz. 161
Reef Auderm mußten fie ſchwören, die Irrthümer Servedo's zu meiten,
jenes fpanijchen Arztes, der um feines Irrglaubens willen un reformirten
Genf verbrannt wurde.
3) Le livre du Recteur. Catalogue des dtudiants de l’Academie de Ge-
nere de 1559 & 1859. Gendre, Imprimerie de Jules-Guillaume Fick, 1860.
4) Galiffe, J. B. G., J. U. Dr. Notices gendalogiques sur lcs famil-
les Genevoises. Tome quatritme, seconde Serie, contenant les articles:
Amesux, Auddoud en Franpe et & Geneve, Benoit à Gentvo ct & Berne,
Boisier branche francaise, Duval & Geneve et en Angleterre, Fazy, Gautier,
Horngacher, de Pitigny, de Sellon, de Sovernier, de Trie on France et A
Gentve, de Visencier, Weber à Schwytz et & Gentve et divers matdriaux
pour servir & l’historie de Gentve au XVI. siecle. Gentve, chez Jullien
frtres, 1860.
5) Epistre de Jaques Sadolet Cardinal, envoyde au Senat et
au penple de Gendve. Reimprime & Gentve par Revillod, 1860.
6) Jean Kessler, chroniqueur 8. Gallois. Notice par Edouard Fick.
Dr. en droit et en philosophie. Geneve, 1860. 42 p. 12.
7) Le dernier Seigneur de Copponex par Jules Vuy. Gendve.
Diejes anmuthige Schriftchen theilt uns einen merkwürdigen Erimi«
salrechtöfall mit, der im J. 1776 um und in Genf ſich zutrug und in
jeglicher Beziehung für ganz unerhört galt. Herr von Gopponer, voll
raubritterlicher Raufluft und ftarfem Selbftgefühl, ähnlich den Evelleuten
aus ver Zeit des jog. Löffelbunnes (1530), gebrauchte, Recht und Macht
der Genfer verachtend, unerlaubte Selbfthilfe und ward deßhalb, erft 30
Jahre alt umd reich, zu lebenslänglicher Kerkeritrafe verurtheilt.
8) Le dix-huititme siecle A l’dtranger. Gentve, 1860.
9) Les Suisses romands et les refugies de l’Edit de Nantes, par T.
Gaberel. Paris, 1860.
10) Vie de Madame Loyso de Savoye, Religieuse au couvent de
Madame Sainte Claire d’Orbe. Escripte en 1507 par uno religieuse.
Gendve, 1860. .
11) Souvenirs d'un voyage en Suisse par un iconophile (Hermann
Hammann de Gendve) publis Par la classe de Beaux-arts. Gentve, Ram-
boz, 1860.
12) Memoires et documents publids par la société d’histoire de la
Buisse romande. Tome XVII. Lausanne, Georges Bridel dditeur, 1860.
Diefer Band enthält einzig: Habilitations lacustres des temps anciens
et modernes par Frederic Troyon. 380 Figures, Teiereik, Treayan (Kal
Oißsrifge Beirfgeift VL Band, 1\
162 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
in diefem umfangreichen Bande die Reſultate feiner Unterſuchnngen nieder,
die er, veranlaßt durch einen Alterthumsfund auf feinem eigenen Lands
gute, ſchon 22 Jahre fortgeführt Hat. Voll Eifer und Fleiß dehnt er
feine Nachforfhungen über ganz Europa ans. Häufig verfügte er fi,
aud weite Reifen nicht fcheuend, an Ort und Stelle, um gränblicher und
fiherer unterfuchen zu können. Nichts deſto weniger mögen bin und wie
ber Irrthümer unterlaufen oder Betrüger Täufchungen veranlaffen, wie
wir denn auch ſchon Schneivefteine in Horn oder Knochen eingefügt mit
hydrauliſchem Kalt (!) gekittet fanden. — Wie uns Hr. Troyon mit
tbeilt, befchäftigte er fich hauptſächlich mit der Unterjuhung von Yünben
aus antifen Gräbern. Als aber durch Dr. Ferdinand Zeller jener merk
würbige antiquarifche Yund bei Meilen im Zürichjee veröffentlicht umb
dadurch ein ganz neues, bisher ungeahntes Feld zu antiguarifchen
Nachforſchungen eröffnet wurde, machte fih Hr. Troyon nit nur mit
ben gewonnenen Ergebniffen bekannt, ſondern durchforſchte auch felbft eime
Anzahl Seen in der Schweiz fowie auch bis in ferne Gegenden des Aus
landes. Dadurch häufte fi ihm eine Menge Stoff an, den er num ver
bunden mit den Ergebniffen feiner übrigen antiguariichen Forſchungen als
ſyſtematiſches Ganzes in diefem Buche uns vorführt, das zur eigentlichen
Alterthumstmde jener Zeit der fog. Seewohnungen (Habilitetions Inousires
— letzteres ein von Troyon zuerft biefür gebrauchtes Wort, nun von den
Ländern franzöftfcher Zunge allgemein angenommen —) ſich geftaltet, au⸗
der und keine fchriftlichen Nachrichten aufbewahrt find. Das Buch beftcht
aus zwei Theilen: Im erften Kapitel des erften Theile®, ber bie Sees
wohnungen an ſich beipricht, behandelt Troyon das Steinzeitalter mit Bes
zug auf die Funde in den fchmweizeriichen Seen von Moosjeevorf, WBan-
wyl, Zürich, Pfeffiton, Biel, Nenenburg, Genf, Inkwyl, Nußbaumen, im
Bodenſee, in der Ziehl und Orbe; dazı Nachrichten über Fünde in
Frankreich, Irland, England, Deutichland, -Holland und Dänemarl, Im
zweiten Kapitel folgt der Uebergang zum Ironzezeitalter (Zürcher, Bieler
und Neuenburgerjee). 3. Kap. Eigentlicheg Bronzezeitalter. Nebſt eini-
gen der obgenannten Seen, auch die von Kuiffel, Murten, Sempach, An-
nech, dann Yrankreih, Nordeuropa. 4. Kap. Uebergang vom Bronze⸗
zum Gifenzeitalter. 5. Kap. Erſtes Eifenzeitalter. Beſonders die Seen
von Biel und Neuenburg; Frankreich, Irland, Schottland, Dänemarl,
enropäiiche Türkei, Kaulaſus und Afien. 6. Kap. Römiſch⸗helvetiſche Zeit.
Die Schweiz. 163
7. Kap. Spätere Zeiten. Europa, Ajien, Amerifa. ‘Der zweite Theil
enthält allgemeine Betrachtungen über ben gewonnenen Stoff und Schlüſſe
über Urfprung, Zweck der Seewohnungen, Kultur, Lebensweiſe der Be⸗
wehner, Thiergattungen u. |. w.
In einem Anhange theilt uns Hr. Troyon nit, daß aud in den
italieniſchen Eeen wie im Lago maggiore untergegangene Wohnungen mit
gleichen Ueberreſten wie in denen dieſſeits ver Alpen zu finden jeien; felbft
im Meer bei Mentone bat Hr. Forel, wie Troyon berichtet, dergleichen
Baffermohnungen entvedt. Schließlich darf wehl mit Recht gejagt wer:
den, daß Hrn. Troyon’s Schrift ein reiches Willen über vie älteften Zeiten
des Schweizerlantes birgt und jelbit vom beſondern Yachfenner gewiß
mit Befriedigung gelejen wird, jollte er auch nicht mit allen Schlüffen und
Behanptungen des Verfaſſers einverftanten jein.
13) Charles Victorde Bonstetten, dtude biographique etlitteraire
d’apres des documents, en partie inddits, par Aimé Steinlon. Lausanne,
Georges Bridel, &diteur. 1860.
Denn ter Berfaffer bemerft, er habe Vonſtettens Biographie deß⸗
halb gejchrieben, weil verjelbe, obwehl bei Deutſchen und Franzojen durch
feine Schriften befannt, doch zu wenig gekannt fei, fo erlauben wir un
nech einen tieferen Beweggrund anzugeben, ven wir feinem Buche glauben
entnehmen zu bürjen.
Hr. Steinlen, ver tie deutſche Sprache und Fiteratur faft ebenfo
gut kennt wie die franzöfiiche, fieht in beiden Treffliches, aber auch Ein-
fitiges, von dem man hüben und trüben Vormerkung nehmen könnte:
dentſche Gründlichkeit und franzöſiſche gefälligegerm, deutſcher Ernft und fran-
zẽſiſche Beweglichkeit möchten fih zuſammen finten. Als annäherndes
Reitpiel biefür gilt ihm Bonftetten, ver deutſch geboren, deutſch und fran=
zeͤſiſch gebildet, in feinen Echriften deutſche Tiefe mit franzöſiſcher Ge⸗
wandtheit des Austruds verbinde. Bonftetten ftcht ihm als Menſch und
Schriftſteller ſehr hoch, obwohl er tie Feſſeln gar wohl kennt und aud)
aufweiſt, durch welche irdiſche Unvellfommenheit venjelben gefangen hält.
Als deſſen befte Schriften bezeichnet er auch, auf Zſchokke fich berufend,
die Briefe. (Prgl. ©. 338.) Begreiflih! In den Briefen konnte er
feine tiefften Gedanlken und Empfindungen in gefälliger und vor Allem
in ſchulfremder Form ausſprechen. Daß er tief und ernft tachte, bemeift
feine „Philofophie der Erfahrung ;" doch die Maffe feiner geiftreichen
i1*
164 Ueberfiht ber Hiftorifchen Literatur von 1860.
Gedanken und Anfichten findet fi) in feinen Briefen. Wenn wir fowohl
in der Grundidee wie in der Ausführung und Beurtheilung mit dem
Berfafler größtentheils zufanmengehen, fo wird er uns doch vielleicht auch
beiftimmen, wenn wir geradezu an ver Hand feiner Bemerkungen fagen,
daß Bonftetten Bielerlei war, nur kein feft ausgeprägter und vor Allem
fein bernifcher Charakter. Darum bat Bonftettens Andenken in feiner
eigenen Vaterſtadt ſich kaum erhalten, abgeſehen davon, daß er einen
fteten Widerwillen gegen die Berner zeigte und nicht felten fpöttifche Ve⸗
merkungen über fie machte. Nur das Feſte, Zuverläflige, mag es ſogar
einfeitig fein, hält fi, während das Schwebende, Schwankende ver-
fhwinvdet, wie das vom feften Stamme ver Eiche losgerifiene Blatt.
Bernd letter Schultheiß, ver dem neufräntifchen Uebermuthe kühn fich
entgegenftellte, wird nimmer vergeffen, fo lange e8 eine berniſche over
fchweizeriihe Geſchichte gibt, während Bonftettens Andenken, das Übrigens
nie im Volke wurzelte, nur in begrenztem Raume fi wird halten können,
mögen auch noch fo treffliche Biographien, gerade wie die vorliegende von
Hrn. Steinlen, gejchrieben werden. Steinen fchilvert und nad ben
Quellen, die ee mit großer Mühe fi) verſchafft hat, auf das Genauefte
Leben, Schriften nnd Meinungen Bonftettens. Wir erfahren durch ihn,
wie der junge Bonftetten geb. 1745 3. Sept. voll Geift und Gefühl in bie
franzöſiſche Schweiz nad Iverdon fam und dort feine eigentliche Heimat,
das bisher entbehrte Familienleben, frifche Landluft, Freiheit und Glück
fand. Er kam nah Genf und war bei Voltaire eingeführt; fein gefühl-
volles Herz, fein freibeitsluftiger Sinn ward von Rouſſeau's Echriften
hingeriffen; demokratiſche Ideen beherrſchten feine Gefinnungen, ohne daß er
je ein Demokrat wurde. (5. 344.) Nachdem er durch Bonnet mit ber
Bhilofophie befannt gemacht worden war, bezog er die Unverfität Leben
und bereifte England und fpäter auch Italien. Wichtig war feine Be-
fanntichaft mit 9. v. Müller, dem er ſtets mit Rath und That aushalf
und deſſen Studien er auf jegliche Weife förderte. Sein Eintritt in ben
großen Rath der berniſchen Republit im Frühjahr 1775 bereitete ihm
nur Widerwärtigfeiten, da er feine Ideen ftet3 im Widerſpruche mit denen
feiner Collegen fand; Müller tröftete ihn. Slüdlicher ging es ihm als
Landvogt zu Saanen, Nyon und im Teſſin. Seine Humanität und
die Neigung zu Verbeſſerungen gewann ihm die Herzen feiner Un⸗
tergebenen. Ihm verbanten wir gründliche Nachrichten über ben traurigen
Die Echweiz. 165
Zuſtand der damals von ben Cidgenoſſen fo fchlecht beherrſchten foge-
naunten italienifchen Vogteien ; ihm verbanfen die Teffiner ven exrften An⸗
bau ver Kartoffeln. Die Teſſiner fahen fie als eine Frucht für die
Schweine an, welches Borurtheil aber Bonftetten durch eine Proclamation
za befeitigen fuchte, indem er ihnen mittheilte, daß bie Königin von Eng-
land täglich Kartoffeln auf ihrem Mittagtifche habe. (S. 171.) Noch
fo manches Intereſſante könnten wir dem Buche entheben , das mit deut⸗
fher Grundlichkeit, franzöfiiher Anmuth und Klarheit gefchrieben if.
14) Note historique sur la direction de la bourse francaise de Lau-
sanne. 1859. (Cette brochure redigde par M. Solomiac, ancien principal du
colldge de Lausanne, à l’oooasion de la fusion opérée l’hiver dernier entre
ls dite Bourse et la bourgeoisie de Lausanne renferme des details curieux
sur les Refagies, venus dans le Pays de Vaud & la suite de la r&vocation
da [Edit de Nantes.)
15) De la neutralit de la Suisse dans l’interöt de l’Europe par Pictet
de Roohemont. Nouvelle ddition. Chez Jo&l Cherbuliez libraire & Ge-
neve. 1860.
16) Les publications de la section des sciences morales et politiques
de l’institut Gentvois, publication d’une charte du XIV. siecle. 1860.
17) Morlot, A., Etudes geologico-archeologiques en Danemark et en
Suisse. Lausanne, Mars 1860. Sm Bulletin de la société Vaudoise des
seiences naturelles. Tome VI. Nr. 46. Inhalt: I. Kjoeken moedding.
H. Marais tourbeux. III. Question des races. IV. Changements physi-
ques. V. Comparaison du Nord avec la Suisse. VI. Question chronolo-
gique.
18) Some general views on archeology. By A. Morlot. London.
1860.
19) Le conservateur Suisse ou Recueil complet des Etrennes helvetien-
nes. Ze. dit. 14 vol. Dis l’annde 1860 il paraitra chaque annde pour
le jour de l’an un nouveau volume.
20) Un magistrat Suisse. Auguste Pidon, Landammann du Canton
de Vaud. Notice historique par L. Vulliemin. 944 pages. Lausanne,
G. Bridel, 1860.
31) Bulletin de la societe des sciences naturelles de Neuchätel (T. V.
2. 1860) ſchilbert ben Betrug, ber von ben Arbeitern mit Nachahmung ber bei
Gencife geſundenen Teltifhen Alterthümer getrieben wurbe. Wie verfihert wirb,
166 Ueberfiht ber biftorifchen Literatur von 1860.
blieben die Arbeiter bei der Nachahmung nicht flehen, fonbern verfertigten fogar
antike Tabadpfeifen. Bon nun an werben bie fogenannten kelliſchen Alterthu⸗
mer einer genaueren Prüfung unterworfen.
22) Musde historique de Neuchftel et Valagin publid par Georges
Auguste Matile. Tome III 3e cahier. Neuchätol 1860.
Dies Heft, welches den britten Band abſchließt, wurbe von ben
Fremden Matile's, welcher den Stoff dazu ſchon vor feiner Abreife nad
Amerifa (1848) gefammelt hatte, herausgegeben. Es enthält folgende
Darftellungen:
Notices sur des tombeaux Romains decouverts pres de Berrieres —
La Comba & la Vuivra (traditions populaires des serpents monstrusux). —
Les inondations du Seyon en 1679 et 1750.— Journal d’Abrahsm Chail-
let, maire de la Cöte. Description d’Hennipolis.
Die erſte nnd legte dieſer Darftellungen find durch beigefügte Zeich-
nungen veranſchaulicht. Das Tagebuch von A. Chaillet, S. 230, veffen
Entelin, Lucretia Chaillet, die trefflide Mutter David Pury's, bes
Wohlthäters der Stadt Neuenburg war, enthält manche s Bemerlkent⸗
werthe, namentlich für jene Zeit trefflihe Witterungsbeobachtungen, Die
früheren zwei Hefte diefes dritten Bandes enthalten:
Des noms de famille neuchätelois. — Chanson du condsei Heiri, pod-
sie patoise. — Extrait du journal de Jean Lardy, d’Auvernier. — Bt.
Guillaume; ses autels, sa chapelle, son portrait. — Annales du cha-
pitre de l’öglise oollögiale de Notre-Dame de Neuchätel. — Les reima du
corti, podsie patoise. — Neuchätel mentionnd pour la premiere fois dans
T’histoire. — Fondation et dotation d’une maison d'écolo & Peseux en
1560.. — Manuscrit de traites de medecine & la bibliothöque de la classe.
— Marques pour les pauvres. La femme blanche, poesie.
Es ift fehr zu bedauern, daß dieſe Zeitichrift in zwauglofen Heften
nunmehr eingegangen, da überdies kaum Hoffnung vorhanden ift, daß
bald wieder eine hiſtoriſche Schrift im Kanton Neuenburg geichrieben
wird, wenn nicht etwa Rechtäftreit eine ſolche nöthig mad.
28) Histoire d’une annexion, par Charles Guy. Paris, Amyot, edit.
rue de la paix, 1860.
Der Berfaffer will unter dieſem Titel die vollſtändige Vereinigung
Neuenburgs mit der ſchweizeriſchen Eidgenoſſenſchaft und vie erfolgte Ceſ⸗
fion des Tönigfich preußiſchen Haufes verftchen. (Er hätte bie bemerken
Die Schweiz. | 167
folen, da gewiß Niemand aus biefem Zitel auf ben genannten Inhalt
ſchließt. Uebrigens wiederholt die Schrift nur längſt Geſagtes.
24) Response de la comune (Bourgeoisie) de Neuchätel contre l'au-
torit€E municipale de Neuchätel. Neuchätel, imprimerie de H. Wolfrath et
Metaner, 1860.
25) Neudatel’s Einwohnergemeinbe und Burgergemeinbe und beren Ab-
farungsfreit Aber ben Davib Bury’fchen Gtiftungefond. Deutſche Bearbeitung
ber Mechtöfchriften der Einwohnergemeinde. Solothurn, Drud von I. Gaf-
mann Gobn, 1860.
Beide Schriften beſchäftigen ſich in der Einleitung mit der Gefchichte
ver Gemeinde Neuenburg, um baburd für fie günftige Schlüffe zur Ent»
ſcheidung der Streitfrage ziehen zu können. Die legtere ift ausführlicher.
Der Staat Neuenburg weilt in feiner durch die Geſchichte geworbenen
Gefaltung eine vielartige Gliederung auf. Schon in frühefter Zeit und
nachgehends mit allerlei Privilegien für die Stadt, einzelne Gemeinben
md Körperichaften wie für das ganze Land auögeftattet, beſaß verfelbe
die Elemente der Monarchie, Ariſtokratie und Demofratie in frievlicher
Beije nebeneinander, bis allmälig die Stadt Neuenburg und in biefer
anzeine Geſchlechter unter dem Schuge eines fern fi haltenden und fern
lebenden Fürſten alle Gewalt auf fich vereinigten. Der Sturz dieſer reis
den und mächtigen Geſchlechterherrſchaft war das Werk unjerer Tage
md die Gründung ber Republif und Umgeftaltung des ftäbtifchen Ge⸗
meindewefens eine nothwenbige Folge, wie dies Hr. von Chambrier im
Corps legislatif im Jahre 1831 vorausjagte: La republique est totale-
ment incompalible avec l’existence de pareilles corporations. La destruc-
tion de nos bourgeoisies serait dans la suite necessaire de l’etablissement
da poavoir republicain. (Bulletin officiel 1831, pag. 375.) Dieſe Roth:
wendigfeit wie aud der Umſtand, daß in den ältern Zeiten fein Unter⸗
ſchied zwifchen Einwohnern und Burgen beitanden zu haben fcheint, half
ver Eimmohnergemeinde zum Siege. Dazu hatten auch die Gewandtheit
ihres Anwalts (Hrn. Nationalrath Hungerbühler von St. Oallen)
amd die Analogie in der Gemeindeeinrichtung der meiften andern Kan⸗
tene das Ihrige gethan. Bericht und Urtheil finden fi in der Zeit-
ſchrift für vaterländiiches Recht. Neue Folge. Band L Lieferung 5.
(Hallerjche Buchdruckerei in Bern.) Beide Parteien hatten nemlid in
ſich ſelbſt ehrender Weile ihre Streitfrage dem Bundesgerichte unter-
168 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
breitet. Der Eiuwohnergemeinde wurde ein Theil des BZinfenertrages
vom David Pury'ſchen Fond zugefprochen. Für die Gefchichte des ſchwei⸗
zerifchen Gemeindeweſens ift dieſer Prozeß von hoher Wichtigkeit.
26) Recueil diplomatique du Canton de Fribourg. Bixi&me annde.
Volume sixitme. Fribourg en Suisse, imprimerie Marchand et Comp. 1860.
Bon den Mitgliedern der biftorifchen Sejellihaft des Kantons Yrei-
burg, welche dieſe Urkundenſammlung berausgibt, betheiligten fich bie
Herren Kantonsbibliothefar und Pfarrer M. Meyer, welcher die deutſchen,
Brofeffor Chatton, der vie lateinifchen, und Abbe I. Gremaud, welcher
die franzöfiichen Urkunden beforgtee Sie umfaffen ven Zeitraum von
1400 bi8 1410, und find an Zahl 90. Sie betreffen größtentheils den
freiburgiihen Staatshaushalt, einige find jedoch nicht ohne allgemeine®
Intereſſe für die gefammte Schweizergefchichte, wie überhanpt für vie
Culturgeihichte jener Zeit. S. 27 findet fih der Wortlaut des erflen
Bündniffes (auch von Yuftinger ©. 251 erwähnt) oder fog. Burgrechte
zwijchen Bern und fyreiburg, 1403 8. Nov., welche beide barin geftchen,
wie fehr fie einanver bis jetzt geſchadet haben, künftig aber nur zw nützen
gejonnen jeien durch ein cwiges Bündniß. Bern nimmt darin das rö«
miſche Reich aus, wird demſelben aber nicht gegen Freiburg beiftchen;
Freiburg nimmt bie Herrfchaft Defterreih aus, wird aber berfelben keine
Hilfe gegen Bern leiften. Dagegen zieht e8 den Eidgenoſſen von Zürich,
Lucern und Zug, beſonders aber Uri, Schwyz, Unterwalden zu Hilfe,
wenn es von Bern gemahnt wird. Glarus ift nicht genannt, da es
auch damals noch nicht den übrigen Eidgenoffen gleichgeftellt ift, obwohl
es chen über fünfzig Jahre im etvgen. Bunte war. Das Bünbnif,
gegen welches übrigens einige Rathsherren confpirirten (S. 77 und 79),
ift hauptfächlic gegen „welſche Herren und Stett“ gerichtet, gegen welche
Vreiburg den Bernern beiftehen will. Es Tann dies wohl nur Savohen
und Burgund betreffen, gegen welche fpäter Freiburg wirflih mit Bern
und den Eidgenoſſen ruhmvoll fämpfte und dann 1482 förmlich in den Bund
ver Eidgenoffen aufgenommen ward. Bon ceulturhift. Intereffe ift Nr. 404
S. 23%. Die freiburgifche Regierung verbietet (1409 11. Im.) den
„großen und Heinen Kindern“ nicht das Bild des bi. Johannes durch
die Straßen zn tragen und zu rufen „Aleman contre Roman“ und um⸗
getehrt. — Anffallend ift au Nr. 392 ©. 119 vie Berorbnung (1408
12. Yun.) gegen die Männer, welche ihre Frauen ohne Grund verjagen
Die Schweiz. | 169
und in der „Libertinage‘ leben. Mehrere Urkunden beweiſen die dama⸗
lige Bläthe der Tuchfabrikation in Freiburg, von der heutzutage feine
Spur mehr vorhanden ift. — Dieſe fleißige Arbeit der genannten reis
burger Gelehrten kann nur gelobt werben; dagegen wäre etwa zu einem
tünftigen Bande ein Wörterbuch für die ſchwierigern franzöfiihen Aus»
brüde zu wünſchen.
„27, P. Urban Winiſtörfer. Ein Gebenkblatt für feine Freunde und
Berehrer. Bon 8. Fiala. Bolothuru, 1860. Drud und Berlag von B.
Edwenbimann. 8.
B. Urban Winiftörfer, deſſen Eitern zu Winiftorf im Kanton So⸗
lethurn dem Bauernftande angehörten, war bis zu deſſen Aufhebung im
I. 1848 Mönd des Klofters St. Urban im Kanten Lucern. Seine
außerordentliche Thätigleit war vielfeitig: er war ein eben fo tüchtiger
Gelehrter und Pfarrer als Delonomieverwaiter feines Stiftes, zu deſſen
Zierden ex in jever Beziehung gehörte. Als DVicepräfivent der allgemei-
nen geſchichtforſchenden Geſellſchaft der Schweiz nahm er den regſten Ans
teil an deren Beſtrebungen, beſonders aber an der Herausgabe des
ſchweiz. Urkundenregifter; ebenjo eifrig arbeitete er an den Vereinsſchrif⸗
tm des biftoriichen Vereins des Kantons Solothurn, ben er 1851 ftif-
tete und bis zu feinen Lebensende leitete. Gerne ſtimmen wir mit ein
im vie freundlichen Gedächtnißworte des Verfaſſers, die er dieſem treffli⸗
den Mönche widmete.
28) Schweizeriſcher Todtenkalender für 1857, 58 u. 59. Bon F. Fiala.
Solothurn, 1860.
Enthält biographiihe Skizzen Aber bie im Laufe dieſer Jahre verftorbenen
Schweizer von Öffentliher Stellung.
239) Die keltiſchen Alterthümer der Schweiz, zumal des Kantons Bern, in
Abficht auf Kunft und Aſthetiſches Intereffe, dargeftellt von Alb. Jahn. Bern
ki 8 9. Wyß, 1860.
Der Berfafler fuht ven Gebraud und die Beftimmung ber felti-
ſchen Alterthümer an Waffen, Geräthen, Münzen u. f. w. aus ven Pe⸗
rioden des Steines, der Bronze und des Eiſens zu deuten und ben be⸗
fonderu Kunſtwerth derſelben geltend zu machen, wozu einige Abbildun⸗
gen beigefügt find. Er fieht bei ven Ureinwohnern des Schweizerlandes
beachtenswerthe Keime ſowohl der Arcchiteltur als der bildenden Kunft“,
170 Ueberfiht ber Hiftorifchen Literatur von 1860.
md wünſcht, daß auch in den Nachbarländern das Studium ber lelti⸗
ſchen Alterthümer geförbert werden möchte.
30) C. R. v. Fellenberg, Analyfen von antifen Bronzen in Mittheilungen
der naturforfhenden Gefellihaft in Bern. Haller'ſche Buchdruckerei. In Com⸗
miffion bei Huber u. Comp. 1860. ©. 43 n. 65. 8.
31) I. Uhlmann, Geologifh archäologiſche Berhältniffe am Moosfeeborf
in Mitteilungen ber naturforſchenden Gejellihaft in Bern, 1860. ©. 57. 8.
32) Vortrag vor dem bernifhen Kantoual- Kunftverein gehalten bei ber
Sauptverfammlung vom 4. Dezember 1860, nebſt einem Kunftbericht aus Män-
den und ale Anhang ein Lebensabrig bes Malers I. H. Juillerat. Bern, Hab
ler'ſche Bnuchbruderei, 1860. 8.
Wir verdanken dieſen Bericht und die lehrreiche Biographie Yuilles
rat's der unermüblichen Thätigleit des Hrn. R. v. Effinger von Wildegg
defien Schöpfung ver bernifche Kumftverein if. Hr. v. Effinger beweiſt,
wie viel möglid ift, wenn man unabläßig einen Zwed verfolgt und je
den Augenblick benugt, um venjelben zu fördern. In wenigen Jahren
bat er einen Kunftverein von beinahe 700 Mitgliedern und mit geringen
Beiträgen einen Fond von über 4000 Fr. zuſammengebracht. Was aber
ben Werth feiner Thätigfeit erhöht, ift, daß er die Künftler feines engern
und weitern Baterlandes nah Kräften auffucht, ermuntert und auf jeg-
liche Weife fördert. Auch dem Andenken verftorbener Künftler widmet
er in pietätsvoller Weile Aufmerkſamleit, um deren Verdienſte zu ver
ewigen.
83) Beiträge zur Bernifhen Rechtsgeſchichte von 8. G. König, im Zeit-
ſchrift für vaterländiſches Recht. Neue Folge. Band I. Lief. 1. Haleer'ſche
Buchdruckerei in Bern.
Diefe Beiträge, welche fortgefegt werben follen, enthalten zunächſt
einen genauen Abdruck der fogenannten bernijchen Handfeſte von Kaiſer
Friedrich II. aus dem Jahre 1218, ſammt Ueberfegung, fowie den Tert
ber älteften Freiburger Verfafſungsurklunde und bes ſog. Freiburger (in
Breisgau) Stadtrodels. Mit Hecht fagt Hr. König, daß die berniſche
Handfefte einen bedeutenden Hang unter ven bentichen Stabtredhten bes
Mittelalters einnehme; es lohne ſich daher wohl ver Mühe, die urfpräng-
lichen Elemente dieſes Freiheitobriefes an der Hand ber Wiſſenſchaft auf
Die Schweiz. 171
zufuchen, zu erläutern ımb ihren Einfluß auf die bernifche Geſetzgebung
nadzumeifen. Die Ueberjegung ift fehr genau und Kar.
3) Docnmentirter Bericht über das Berhältniß ber katho—
liſchen Bfarrei in Bern binfichtlich ihres Diöceſanverbandes Bern, 1860.
Hallerſche Buchdruckerei.
Zufälliger Weiſe kam die zu Anfang dieſes Jahrhunderts errichtete
latholiſche Pfarrei in Bern unter das Bisthum Lauſanne (Freiburg) zu
fieben; nun wünfcht die bernifche Regierung deren Bereinigung mit dem
Bisthum Bajel (Solothurn), zu welchem ver katholifche Theil des Kan⸗
tens Bern gehört. Die Curie beruft ſich aber auf die urjprüngliche
Eriscopatdeintheilung, nad welder das Bisthum Lauſanne bis an bie
Ware ſich erftredte. ‘Dagegen vürfte Bern, was leider in diefer Schrift
wicht angeführt ift, geltend machen, daß Biel, wo jüngft eine katholische
Biarrei errichtet wınde, auch unter das Bisthum Baſel geftellt worden
iR, obwohl es auch einft zum Bisthum Laufanne gehörte.
35) Archiv bes Hikorifhen Vereins bes Kantons Bern. IV.
Band. Ztes m. Ates Heft. Bern, 1860. Stämpfliihe Buchdruckerei. Im
Caumiffion bei Jenk u. Gaßmann. 8.
ZJuhalt des britten Heftes: Jahresbericht vom Präfidenten Prof. &. Stu-
der für die Jahresverſammlung des Hiftorischen Vereins ben 15. Yuli 1860.
— Ueber die Quellen der Geſchichte des Laupenkrieges. — Weber das Berhält-
zig Murtens zu Bern während des Laupeufrieges. — Bruchſtück einer beutjchen
Ueberſetzung bes Ritterromans Cleomabes von Abenas la Roi. — Nachtrag zu
ber Geſchichte des Inſelkloſters. — Protokoll der Dauptverfammlung vom 15.
Zali 1860. (Säimmtlihe Beiträge find von Hrn. Brof. Etuber, der es fich ber
ſenders zum Ziele geſetzt hat, bie erfte bebeutende Freiheitsſchlacht der Berner
in ein Hares Licht zu feen, indem er bie Quellen fidhtet, prüft und zu einer
gräutlichen Darftellung vermwenbet.)
Inbalt des vierten Heftes: Die Handfchriften ber Berner Stabtchronit von
Gene. Juſtinger, Dittlinger⸗Tſchachtlang, Dieb-Schilling und die Berner Stabt:
dronil im Anſchluß an Königshofen von Br. G. Etuder. — Alterthümer und Sa-
gen im ber Umgegend bes untern Thunerfee’s, von A. Zahn. — Rudolf von
Erlach und die Narratio proelii Laupensis, von Prof. ©. Studer. — Der 5.
Rärz 1798 bei Neuened, nah den Ergebniffen der neueren Studien barge-
ſtellt von Prof. Lohbauer.
Das in ver Testen Darftellung gefchilverte Treffen ift deshalb in-
172 Ueberſicht der Hiftorifchen Literatur von 1860.
tereffant und Iehrreih, weil dort die fonft überall fiegreichen Franzoſen
von den Bernern, obwohl dieſe zuerft ihre Pofition ganz hatten aufgeben
und fich zurädziehen müſſen, vollftändig gefchlagen und in eine alle Orb»
nung auflöfende Flucht getrieben wurden, während freilich ein anderes
Corps der Branzofen fo eben der Stadt Bern fi) bemächtigte zum gro
Ben Schmerz der bernifchen Sieger.
86) Helvetia saora, ober Reihenfolge ber firdlichen Obern unb Oberiumen
in den ſchweizeriſchen Bisthämern, ollegiatftiften und Klöſtern von Egbert
Friedrich v. Mülinen. Zweiter Theil. Bern, gebrudt in ber Gtämpf
liſchen Buchdruckerei (G. Hünerwabel), 1860. Fol.
Schon der erſte Band erregte mit Recht die volle Aufmerkſamleit
der Forſcher; in einem erhöhteren Grave dürfte dieß bei biefem zweiten
Bande der Fall fein, da er fih, wo möglih, noch vor dem erften aus
zeichnet. Fleiß, Grinblichleit und Gewandtheit in der componirenben
Darftellung, wo der Stoff es erheifcht, zeigen fich auch hier wieder, wäh
vend die Einfiht, was eigentlich gegeben werben foll, geftiegen ifl. Die
Einleitungen zu den verfchievenen Orden und Stiften, Entſtehung, Ent⸗
widlung u. |. w. enthaltend, find weit veichhaltiger und umfangreicher,
als im erften Band und erhöhen ven Werth des Werkes nicht wenig.
Während im erften Theil die Doms und Chorherrenftifte, fowie die alten
Abteien behandelt wurden, erfcheinen nun im zweiten die jpäteren Mäöndye-
orden, fowohl die der Bettelmönde (Dominicaner, Franciskaner, Auge-
fliner, Carmeliter), die im XIM. Jahrhundert entftanden, als aud bie
fichlihen Sorporationen und Congregationen, die im Gegenfate zn ber
Reformation in den katholiſch gebliebenen Ländern der Chriftenheit feit
dem XVI. Jahrhundert und bis in vie neueren Zeiten ſich entwidel-
ten, nämlich Rapıziner, Jeſuiten, Trappiften, Rigorianer oder Redempto⸗
riften u. |. w. Darauf folgen die Frauenklöſter nad dem Alter ihrer
Orden. Die Einleitung enthält eine gejchichtliche Ueberficht und Charal⸗
terifirung der verfchievenen Mönchsorden und ihrer inneren Einrichtung,
weldye fiy bei den neuern Orden (Jeſuiten, Capıziner u. ſ. w.) durch⸗
weg demokratiſch oder, wollen wir beifügen, demokratiſch⸗ deſpotiſch zeigt.
Bir erfahren ſchließlich auch die Anzahl ſämmtlicher geiftlicher Stiftungen
in der Schweiz, nämlih 340. Bon diefen waren 8 Cathebral» ober
Domftifte, 30 Propfteien, 120 Manusklöfter, Hofpize, Collegien u. f. w.
Die Ehweiz. 173
ven 20 verfchievenen Orben und 110 Yrauenklöfter von 9 verjchietenen
Orden.
Zu den wichtigſten Orden im zweiten Bande gehören die Jeſuiten
und Kapuciner, indem fie der menſchlichen Geſellſchaft ſich anſchmiegend
allmãlig einen ſehr bedeutenden Einfluß auf dieſelbe ausübten, die Je⸗
ſniten auf die höhern Stände, die Kapuciner auf die niedern. Die
Einleitungen zu denſelben find angemefjen unparteiifh und fehr intere-
ſant geichrieben, invem fie des Guten ober des Lobes weder zuviel noch
zı wenig enthalten. Zur Gejchichte der erften Einführung der Jeſuiten
in Lucern (S. 46) ift beizufügen, daß Stabtichreiber Renward Cyſat,
tefien Vater ein Mailänder war, die Jeſuitenberufung nach Lucern bes
wirfte (vergl. Historia collegii soc. Jesu Lucern.); zwei jeiner Söhne
Ich. Baptift, ver Mathematiker und Aftronom, und Gafpar traten in
ten Jeſnitenorden. Bei ven berühmten Yucerner-Iefuiten ift (S. 48) zu
erwãhnen, daß Pater Peter Hug geichrieben: Katholiſch Handbüchlein.
In weldem von vierzehen fürnemmen ftrittigen Artidien vnſers Chriftlis
den Glaubens gehandlet wird. Durch P. Hugonen. Ingolftatt. 1628. —
3a ven wichtigſten und älteften Frauenſtiften, deren Geſchichte vielfach
mit der des Landes verflochten ift, gehören Sädingen, das zwar nicht
im der Schweiz gelegen, aber wegen feiner Beziehungen zu berjelben füg-
id Raum fand, Schönnis und Fraumünſter in Zürich. Zu dieſen
find daher ausführliche Einleitungen über Geſchichte, Beſitzſtand u. ſ. w.
gegeben, welche gewiß die Aufmerkjamfeit des Pejers in Aufpruch nehmen
werten. Das Werk, einzig in feiner Art und ein wirkliches Bedürfniß
für den Forſcher, darf und muß einer weiten Verbreitung fich erfreuen.
37. Amtlide Sammlung ber ältern eidgenöſſiſchen Ab-
ſchiede. Heransgegeben auf Anorbnung ber Bundesbehörden unter Leitung
des eibg. Archivare I. 8. Krätli.
Die eidg. Abſchiede aus dem Zeitraume von 1712—1743. Bearb.
von Daniel Albert Fechter. Der amtlichen Abichiebefammlung Band 7. Ab»
teilung I. Bafel, Bauer'ſche Buchbruderei, 1860. 8.
Das große Werk der eidg. Abſchiedeſammlung, von dem wir früher
Band 3 angezeigt haben, ſchreitet rüftig vorwärts unter ter Aegide ver
hoben Bundesbehörden, die jeit einigen Jahren der Wilfenfchaft und
Kuuſt überhaupt die freundlichfte Aufmerkſamkeit fchenken. Dieſer Band
enthält wicht weniger als 1410 Seiten ohne das umfangreiche Kegifter,
174 Ueberfiht ber Hiftorifchen Literatur von 1860.
Der Berfafler hat großen Fleiß und unverbroßene Ausdauer bewieſen,
aber nicht weniger Genauigkeit und Scharffinn. Wir verbanfen ihm
auch einige Modificationen zur Erleichterung des Gebrauches, die uns
ſehr willlonmen find; in dem Abfchnitte der Herrichaftsangelegenheiten
find den einzelnen Artikeln nicht bloß die Zahl des Paragraphen, fon-
bern auch der Abſchiede beigefügt. Die Abſchiede felbft find nicht nur
wichtig für die politiiche Geſchichte der Schweiz im Allgemeinen, fondern
hauptfählih auch für die Verwaltungsgeſchichte der ſog. Unterthanen⸗
länder, die fo gut wie unbekannt ift, da felbft in den einzelnen Kantons
gefchichten wie von St. Gallen, Thurgau u. |. w. nichts Gründliches
vorgebracht werben konnte. Erſt durch die Abſchiede lernen wir bie
ftaatsöfonomijhen Verhältniſſe dieſer Lanpfchaften kennen, jo wie noch
viele8 Andere, z. B. Poſt⸗, Straffene, Zollweien u. |. w. 8 erhellt,
baß biefelbe eine reiche Fundgrube für die fchmweizerifchen Hiftorifer bil⸗
pen. Als erläuternder Anhaug zum vorliegenden Bande fcheinen nicht
nur eine Reihe Zuſätze — wir machen beſonders auf Seite 1337 auf-
merkſam, die Erklärung wenig oder gar nicht befannter Ausprüde enthaltend —
fondern auch 16 ungedruckte Aktenftüde, größtentheils jonft nicht belannte
Bündniſſe einzelner Kantone mit auswärtigen Staaten, wie Spanien,
Frankreich, die Seneralftaaten, ferner Friedensſchlüſſe u. f. w.
38. Berner Tafhenbuh auf bas Jahr 1860. Herausgegeben
von 2. Lanterberg. Neunter Jahrgang. Mit 4 Abbildungen. Bern 1860.
Drud und Berlag ber Haller’ihen Buchdruckerei. B. F. Haller. 8.
Auch diefer Jahrgang enthält wie die früheren eine Reihe trefflicher
Driginalarbeifen over Duellenfchriften, größtentheils zur Beleuchtung und Ber-
vollftändigung der neuern Berner Geſchichte feit 1798 beſtimmt. Gr
enthält: Wolfgang Musculus oder Müslin. Ein Lebensbild der Refor⸗
mationgzeit. Aus dem hanvichriftlichen Nachlaffe des verftorbenen Dr. W.
Th. Stradebor, Profeffor in Bajel, wmitgetheilt vom Heransgeber. —
Nah Graubünden. Die 4 erften Tage meiner BReifeerinnerungen.
Bon Sigmund Kiftler, Kantonslaffier, mit 2 Abbilvungen, welche ver
Berfafler, ein eifriges Mitglied der Künftlergefellihaft in Bern, felbft an
Drt und Stelle zeichnete. Diefe Keijeerinnerungen, bin und wieber
duch eine poetiihe Cinlage gewürzt, find recht anſprechend und
‚ten — gerade dad, mas wir bon einer guten Reiſebeſchreibung wün-
1üäü
Die Schweiz 175
ſchen. — Beiträge zur Geſchichte des Unterganges ver alten Republik Bern
im Jahr 1798.
1) Erinnerungen bes 8Tjährigen Veteranen Johannes Jaun, ges
meiniglich genannt Battenhans, von St. Beatenberg, an feine Erleb-
niſſe im Jahre 1798, getren nach feiner Erzählung mitgetheilt von R.
Kräbenbühl, Pfarrer zu St. Bratenberg.
2) Aus meinen Erlebniffen im Jahre 1798. Bon dem 8Ojährigen
Autolph Bürgi von und in Seevorf. Mit einleitenden biographiichen
Notizen über den Verfafler von dem Herausgeber. —
Ein Spottlied in Knittelverfen über den ſog. Stodlifring 1802
(Bertreibung der helvetiſchen Regierung) von K. 2. Stettler.
Albrecht Friedrich May, Staatsjchreiber von Bern, dargeftellt in
ſeinent Leben und Wirken von dem Herausgeber. Mit dem Biloniffe von
«5. May.
Das Leben eines‘ fchweizeriichen Stantsmannes zu bejchreiben, ver
60 Jahre lang (geb. 1773 und geft. 1852) in einer Republik während
wer Staatsumwälzungen in öffentlicher Stellung blieb, ift eine ſchwie⸗
rige Aufgabe, bie jedoch der Verfaſſer trefflich gelöft hat. Nicht allein
weiß er trotz des überreichen Stoffes, ver fih ihm im ven Weg ftellt,
ſtets ein reges Intereſſe für bie Hauptperſon zu bewahren, ſondern ex
ſchildert den oft Icharf einfchneidenden Staatsmann fo unbefangen und
uuparteitfh, als ob er in einer längft verſchwundenen Zeit gelebt hätte.
Die Biographie des Staatsjchreibers May wird immerhin einen wichtigen
Beitrag zum modernen Bernergeichichte bilden, einzelne Abſchnitte möch⸗
tn auch für Deutihland von Intereſſe fein wie 3. B. May's Stu⸗
dienzeit in Jena, wohin er ſich im Frühjahre 1796 „ftaatöpolitiicher
Ausbildung» wegen begeben hatte; den gewaltigften Einbrud übte auf
ben denlenden Jüngling der große Philoſoph und wahrhaft deutſche Mann
Fichte, den er in jeinen Briefen noh fpäter wiederholt nennt. Er
hielt anf vielfeitiged Stubium und hörte eine Reihe ausgezeichneter Vor⸗
träge an; er fuchte und fand fpäter Gelegenheit gemug, jeine vieljeitigen
Kenminiffe anzuwenden. Day wirkte einzeln und im Verein mit Anvern.
Ya letzterer Beziehung bat num der Biograph ein beſonderes Berbienft,
indem er bei dieſer Gelegenheit mehrere beveutende politifche, militäriiche,
wiſſenſchaftliche Geſellſchaften, die in ber Kegel ihrem Zwecke und ihrer
Extwidelung nad mehr genannt als bekannt find, gründlich ſchildert
176 Ueberficht ber Hiftorifchen Literatur won 1860.
3. B. den fog. äußeren Stand in Bern, bie helvetiſche (Schingnacdher oder
Oltener) Geſellſchaft u. a. m.
89. Neujahroblatt für die berniſche Jugend. 1860. Heraus
gegeben unter Mitwirkung ber bernifhen Künftiergefellihaft vom hiſt. Verein
des Kantons Bern, — Die Schweizer in Italien und ber berniſche Felbhaupt⸗
mann Albreht vom Stein. Bon Dr. B. Hidber. Bern. Berlag der Bud»
hanblung von 9. Blom. 8.
Die Züge der Schweizer nad Italien, vornehmlich im 16. Jahr⸗
hundert, werben nach ſchweizeriſchen und italienijchen Quellen gefchilvert.
Unter ven Schlachten ragt die von Novara (1513 Juni 6) hervor, in
welcher die Franzoſen trog großer Uebermacht von den Schweizern (fie
gebrauchten eine fonft nicht befannte Kriegslift) furchtbar geſchlagen wur-
den, fo daß das franzöſiſche Kriegsheerr in Trümmer aufgelöft in Einem
fort über den Mont Cenis bis nad Frankreich floh. Doc gelang
es der franzöfiichen Schlauheit, fih fpäter mit den Schweizern abzu⸗
finden, fogar bie bebeutenpften Kämpfer wie U. vom Stein u. f. w. zu
gewinnen. Stein bezahlte feine Schuld durch heldenmüthigen Tod auf
den Schlachtfeld zu Bicocca. 1522. April 27.
40, Das Geſetz über die Rechte bes Staates in kirchlichen
Dingen und die Shul- und Ehegeſetzgebung im Kanton Tep
fin. Locamo. Kantons Buchbruderei. 1860. 8.
Was im Titel genanut ift, erfcheint eigentlich nur als Beilage, in⸗
bem bie 102 Seiten ſtarke Schrift — Ueberſetzung oder Original ber
früher erfchienenen italieniſchen Schrift gleichen Inhalte — faft nur eine
ticchenhiftorifche Auseinanderſetzung enthält, wie früher, und insbejondere
durch die Eingenofien im Teſſin, bie Rechte des Staates in kirchlichen
Dingen ausgelbt worben find.
41) Die Trennung von Teifin, Puſchlav und Brüs von den
lombarbifhen Bischämern Mailand und Como und beren Anfchiuf
an fchweizerifche Bisthumefprengel. Et. Gallen, Scheitlin a. Zollilofer, 1860.
Die lange geſchichtliche Einleitung ift reich an beweijenden That»
fachen, kirchlichen Ausiprüchen und Berordnungen, um bie Rechtmäßigkeit
der Trennung auf das Schlagenbfte darzuthun. Dieſe wie bie vorher
gehende Schrift find von ber gewanbten Feder bes befannten ſchweizeri⸗
fen Staatsmannes, Nationalrath I. M. Hungerbühler.
42) Das Beltlin nebſt einer Beſchreibung ber Bäder von Vormio. Ben
Belgien. 177
G. Leonharbi, ref. Pfarrer in Brufio. Leipzig, W. Engelmann, 1860. Gnt-
hält ſowohl im Cingange als auch fpäter Hiftorifches für bie Schweiz, Ges
ſchichte des Veltlin bejonders mit Rüdficht auf bie ſchweiz. Reformationsgefchichte
und ben fog. Beltlinermorb. Hd.
9. Belgien.
1. Allgemeine Laudekgeſchichte und vie einzelnen Zeiträume und Ereigniffe.
1) L David, Vaterlandsche Historie. Tom. VIII. Loeren XIl
n. 688 ©. 8.
2) 1.G.Moke, La Belgique ancienne et ses origtnes gau-
loises , germaniques et frangaises. 2ième edit. Gand. 508 © 8.
3) A Wauters, Une episode des Annales des Communeos
beilges. Avdnement et mort de Guillaume de Normandie comte de
Fiandre. 1127—1128, 8.
4) LGachard, La captivitd de Frangoislet le traitd de
Madrit. Brux. 836. 8.
5) W.H. Prescott, Histoire du regne de Philippe II. tra-
duite par G. Renson et P. Ithier. Brux, 1859/1860 bis jekt
3 Bände.
6)N Consid6erant,Histoiredela revolution du XVlsitcle
dans les Paysbas. 2éme ddit. augmentte d’une introduction par M.
Frederix. Brux. 3206. 8.
7) C. Chalon, Un coup d’&tat manqud. Brux. brochure 8.
8) Gemelli etP. Royer, Histoire de la revolution belge
de 1830. Brux. 8.
9) J. Quinsonas, Matdriaux pour servir A l’histoire de
Margudrite d’Autriche, Paris, 1860. 3 Vol. illuftrirt.
Die Meine unter Nr. 4, aus Bd. IX ©. 498 des Bulletin ver
Alademie v. 1860 beſonders abgedrudte Schrift des unermüdlichen His
ſterilers Gachard ift ein ebenjo grünblicher, als clafliich gejchriebener
Beitrag zur Geſchichte Carl's V., oder vielmehr feines Kampfes mit
Franz l. und verdient in's Deutſche übertragen zu werben.
Die Ueberjegung von Preſcott's Gejchichte Philipps II. (N. 5)
war umestbehrlich für die Förderung ber vaterläundiſchen Geſchichtsſtudien
Oiperiſche Zeitſhcift VI Band. 12
178 Ueberficht ber hiftorifgen Literatur von 1860.
und reibt fich der des freilich nicht ſoviel Lob wie Preſcott verdienenden
Werts feines Landesgenofien Motley an.
Conſidérant's Geſchichte der niederländiichen Revolution des 16.
Jahrhunderts wird von Herren von Bemel in Band II der Revue trime-
strielle von 1861 ©. 37 als ver erfte und zwar fo glüdliche Berfud
einer Darftellung diefer Epoche gerühmt, daß in beren zweiter Auflage
ihr Berfaffer nur wenige unbeveutende Aenderungen zu machen nöthig ge-
habt habe. Herrn Frederix zu poetifhe, zumeilen ſatyriſche Einleitung,
fagt v. Bemel weiter, fteche-fehr gegen den Ernft des übrigens richtig
von ihm gewürbigten Buches ab.
Die unter Nro 8 genannte Gefchichte der belgiſchen Revolution des
Jahres 1830 hat den eriten, auf ihrem Titel genannten, längere Zeit im
Belgien lebenden italienifchen Gelehrten Gemelli zum Verfaſſer, erfchien
zuerft in italienifcher Sprache und darauf von Royer überfeht in fran-
zöfifher. Nah v. Bemel a. a. D. ©. 375 bat Gemelli den Charalter
biefer Revolution im Ganzen richtig erfaßt und gefchilvert, in mandhen
Beziehungen jedoch aus natürlich zu erklärender Unkunde des Landes umb
der belgiſchen Nationalität niht immer richtig geurtheill. Zum Ber-
bienfte wirb ihm angerechnet, daß er über den Parteianfchauungen ſtehe
und durchaus unbefangen fei.
Die unter Nro. 1, 2, 3, 7 und 9 aufgeführten Bücher ſind Referent
nicht zu Geſicht gelommen *).
D. Geſchichte einzelner Provinzen, Bezirke und anderer Derilichkeiten.
A. Fũttich und UNamur.
Louis de Bourbon, dev&que-prince de Litge (1455 — 1482)
par Ed. Garnier, Archiviste des Archives de l’Empire. Paris 176 ©. 8.
Berfhiedene Selegendeitsfhriften von Aristide Cralle.
a) Deifen Souvenirs Archeologiques ou esquisses de l’dtat, de la ville et
du pays de Litge, du moyen age jusqu’ aux temps modernes. Liöge,
60 S. 8.
b) Revue des diverses parties de la ville de Litge à Toceasion des
fetes royales en 1850 (par Rambler) 38 p. 5 c) Revue des monuments
de la ville de Litge 1856 (149 &) — d) Lettres sur les travaux pub-
®) Ueber Rro. 9 fiehe das Urtheil unten am Schluß bes Berichtes.
Belgien. 179
Eques et les projets d’embellissemens de la ville de Liöge suivies de de-
eouvertes archöologiques 1859. 10 ©. 8.
Ford. Henaux, Histoire de la Commune de Spa et de ses
eaux mindrales. Nouv. edit. 8.
Derielbe, Le Palais Carolingien & Lidge.
A. Leroy, La philosophie au pays de Litge dans les 17
et 18 Sitcles. Lidge. 160 ©. 8. Liödge 8.
Neties sur 1. G. et J. H. Lefort, herauts d’armes du pays de
Liege aa XVII et XVIII Sidcles von GStanisfaus Bormans im Bulletin Ar-
cheologique p. 321. 8.
Siderins, Dinant et ses environs. Fragments historiques. Di-
zaat 1869. 200 ©. 8.
R. Chalon, Recherches sur les monnaies de Namur.
148 S. und 22 Etide. 4.
Während des Referenten zehnjährigen Profeflorats in Lüttich (1817
bis 1827) war das Intereſſe für geihichtlihe Studien daſelbſt fehr ge
rmg. Ein einziger Gelehrter, der fiebenzigjährige Baron von Billenfagne,
ſchrieb über feines Baterlandes Vergangenheit; fein Hauptwerk Recherches
sur ia cidevant Principauts de Litge 2. Bd. 8. erſchien 1818. Seine
trodene, reactionäre Behandlungsweife ſprach eben fo wenig an, wie eine
1822 erſchienene in materieller Beziehung fonft löbliche Geſchichte Lüttiche
von Dewez, dem Berfafler ver histoire generale de la Belgique und an-
terer nennenöwerther Schriften über beigifche Gejchichte. Neigung zu ars
cdãologiſchen Stuvien fiber das Land war nirgends fichtbar. Nur die
Erinmerung, daß Lüttich einft eine freilich über hundert Jahre lang nicht
mehrer jungirende freie Berfaflung gehabt habe, war lebendig und von
Einfluß auf die Entwidlung der liberalen Oppofition gegen bie vergebens
nach Bolksthümlichleit in den fogen. füblihen Provinzen des Königreichs
rmgende niederländiſche Regierung. In geiftreiher Weile begann Herr
von Gerlache tie Geſchichte Lüttichs nach dieſer Richtung hin zu bear-
keiten. Seine erften Verſuche erfchienen von 1825 an in dem Annuaire
ter Societ€ d’Emulation,
Es iſt erfreulich zu fehen, welchen Umſchwung bie biftorifchen, wie
auch die archäologiſchen Studien feitvem in Lüttich gemacht haben. Die
allgemeine Gefchichte des Landes wurde 1843 auf's Nene von Gerlache
12*
180 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
bearbeitet. 1844—1847 erſchien die ſchon unter dem Einfluß ber beut-
hen und nenfranzöfiichen Hiftoriographie gejchriebene Histoire de l’ancien
pays de Liege von dem verbienftvollen, durch eine Menge geichichtlicher
Monographieen berühmt gewordenen Archivpirector Polain; dann 1852
um erften, 1857/1858 zum zweiten Mal vie Histoire du pays de Liege
depuis le temps plus recul&s jusqu’ & nos jours von Ferd. Henaux, fowie
befien (in gegenwärtiger Zeitfchrift im Jahr 1859 Bd. II ©. 199 kurz
angezeigte) Constitution du pays de Liege. Den 12. April 1850 warb
ber Verein des Institut archeologique Lidgois gegründet, deſſen Bulletin
im Jahr 1852 zu erfcheinen begann ').
Referent lenkt den Blick auf dieſen Entwidlungsgang ver gefchicht-
lichen - Studien in Lüttich) deßhalb zurüd, weil die in gegenwärtiger Au⸗
zeige zu befprechenden Schriften als weitere Erfolge auf diefer Bahn zu
betrachten find.
In des Referenten Ueberſchau ver belgifchen Geſchichtsliteratur vom
Jahre 1859 (Bd. II ©. 255 diefer Zeitfchrift) mußte er die ihm noch
nicht befannt geiworbene Histoire populaire des Liögeois von ©erimont
übergehen. Leider kann er jett nad deſſen Kenntnißnahme das Buch nicht
rühmen. Es ift eine durchaus unkritifche Arbeit, eine Art Ablärzung ver
Geſchichte Lüttichs von Henaur. Der Berfafler hat nur fehr unklare Ideen
von den altgermanifchen Staatseinrichtungen , fpricht ſchon von ber Feo-
dalit& im fiebenten Jahrhundert, wiederholt Längft widerlegte Irrthümer,
bält feine maßgebende Periodiſirung ein und legt e8 überall nur darauf
an, ber oft jo verfehrt verfahrenven Democratie das Wort zu reden. Cine
richtige Einfiht in die wahren ftaatlichen Verhältniſſe des Landes iſt im
Bude nicht zu finden. Eine Anleitung hiezu gab Referent in feiner
1860 zu Püttih ſelbſt in's Franzöſiſche überfegten Recenſion des He⸗
naur'ſchen Werkes und führte dieſelbe weiter aus in einer 1859 von ihm
verfaßten „Ueberjhau des einft zum beutjchen Reiche gehörenden Landes
von Lüttich”, die im April und Mai 1860 im Feuilleton der Kölnifchen
Zeitung (Nro. 114— 128) erſchien.
So lange von belgiſchen Geſchichtsforſchern und Geſchichtsſchreibern
1) Näheres über Henaur und biefes Inſtitut theilte Referent mit in bei ge-
fehrten Anzeigen ber . Alabemie vom I. 1858 Nro. 26 und 27 und
1859 Nro. 46 ff.
Belgien. 181
ver wahre Organisums des germaniſchen Staatsweſens ignorirt wird,
kam e8 ihnen unmöglich gelingen, treue Gemälde ver früheren focialen
Zuftände ihrer durch und durch germaniſch organifirten Provinzen aus⸗
jufähren.
Eine ver wichtigſten Epiforen der Lütticher Geſchichte bildet die
Regierungszeit des 1455 vom Herzog Philipp von Burgund dem Lande
aufgebrungenen Biſchofs Louis von Bourbon feines Neffen. Ohne vom
Gapitel gewählt, ohne orbinirt zu fein, warb der 17jährige joviale
junge Prinz von bem buch Philipp gewonnenen Papſt beftätigt, begann
ein Regiment mit Berjuchen, die Yandesverfaflung aufzuheben, mit Prä-
gung vou falichem Gelve, mit Anleihen und Erpreffungen, um das Ge»
wonnene zu verprafien. Man nannte ihn mur den Bettelbiihof. Die
Felge feines Gebahrens waren furchtbare Vollsaufftände, welche ber
ſchlane König Ludwig XI. ald Mittel gegen Philipp und feinen Sohn
Earl den Kühnen nährte und vie zulett den fchredlichen Untergang ver
Stadt zur Folge hatten. — Nach längerer Zeit einer befeftigten Herr»
ihaft wurde inbeffen Bourbon das Opfer der Rache bed verrätheriichen
Biihelms de la Mark, Herrn von Ahrenberg, ver ihn 1482 mit eigener
Hand ermorbete, ein Verbrechen, wofür ihn fpäter 1485 Kaifer Mari«
milian umbringen ließ. Das 27jährige blutige Drama wurde nicht bloß
in Balter Scotts Quentin Durrard in einer freilich fehr geſchichtswid⸗
rigen Weiſe behandelt, fondern fand in einer meifterhaft gefchriebenen
Monographie von Herrn von Gerladhe 1831, jowie in Barantes histoire
des Ducs de Bourgogne fehr gelungene Bearbeitungen, vie in Bolain’s
md Henaur's Geſchichten von Lüttih großen Theils zu Grunde liegen.
Auch Referent entwarf in feiner oben erwähnten Weberficht der Gefchichte
rũttichs Davon ein quellengetreues hiſtoriſches Gemälde).
Es ift daher das Gegentheil der Wahrheit, wenn der kaiſerliche Reichs⸗
archiviſt Garnier (der den Püttichern zugleich ihre einftige Wiedereinvers
kitung in Frankreich ankündigt) nicht blos erklärt, dieſe Epifote ver
Lũtticher Geſchichte ſei noch unbearbeitet (während er Gerlahe überall
benägt), fonvern aud wirklich feinen Helven, ven völlig elenven Louis
ven Bourbon rein waſchen und als ein unjchuldiges Opfer der Demagogie
hinftellen will. Daß ver Biſchof deren Opfer warb, ift richtig; allein
er bat dieß zunächſt ſich felbft und feiner verehrten Politik zuzufchreiben.
Mit Net hat Herr Henri Helbig in dem Lütticher Tagblatt la Meuse
182 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur von 1860.
vom 18. September 1860 Nro. 223 ein nur zu gemäßigtes Verdam⸗
mungsurtheil über das oberflächliche, parteiiiche, ganz unhiſtoriſch ausge⸗
führte und werthlofe Machwerk Garnier’8 ausgeiproden. Referent muß
die deutfchen Gejchichtöfreunde warnen, Garnier's Darftellung, bie den
Angaben jervil burgundiſcher Parteigänger folgt, Glauben zu fchenten.
Zur Geſchichte des Lütticher Tandes gehört auch die der berühmten
Bäderſtadt Spa. Herrr Ferd. Henaur hat das Verbienft, in dem unter
Nro. 3 aufgeführten Buche viefelbe in anziehender Weiſe beichrieben zu
haben. Sie bildet ein würdiges Seitenftüd zu feiner Gejchichte der Stadt
Berviers ?).
Derjelbe Berfafler bat in der mit Nro. 4 bezeichneten ans dem
Bulletin de l’institut archeologique Liögois Bd. IV p. 301 abgebradten
Schrift; Notice sur le Palais Carolingien & Liege die Eriftenz eines Ka»
rolingijchen Palaftes in dieſer Stadt nachzuweiſen verfucht, die ſich ans
ber in ber Vita St. Huberti angeführten Thatſache v. 3. 748 ergebe,
daß bei der Translation der Reliquien dieſes Heiligen Pipins Vruder
Karlomann fi) von demjelden aus in die Kirche begeben babe, um fi
von der vollfländigen Erhaltung des Leichnams des bL Hubertus zu
überzeugen.
Da von Karl dem Großen berichtet wird, er habe 769 in Lüttich
vico publico die Oftern gefeiert, fo nimmt der Berfafler an, jener ſehr
umfangreiche Balaft habe fortbeftanden, der 774 ver Aufenthaltsort des
entthronten Longobardenkönigs Defiderius geweſen, dann fpäter gegen
971 in das Eigenthum ver Fürftbiichöfe gefommen und im Laufe ber
Jahrhunderte durch das jett noch erhaltene Palais derſelben erjegt wor⸗
den. Aus des Verfaſſers Unterfuchungen geht wenigftens hervor, daß
(was ohnehin natürlih war) die Karolinger eine Wohnung ober ein Ab»
fteigequartier in Lüttich hatten, doch dürfte e8 fchwerlich den Namen und
die Bedeutung eines Palatium gehabt haben. —
Außer dieſen Unterfuchungen haben wir noch eine gründliche im
Bd. IV Liv. 1 ©. 159—175 veröffentlichte Notice sur le quartier de le
1) ©. au befien Anzeige von Henaur histoire de Liege in ben gelehrtem
Anzeigen ber !gl. Alabemie vom 31. Oltober 1859. ©. 387 fi.
N 6, vie hiſtoriſche Zeitſchrift Bo. IV &. 260.
Belgien. 183
Senveniere in Lüttich von Herrn Ferd. Henaur zu rühmen, bie ſich an
deſſen 1857 im III. Bd. ©. 350 eingerüdten Note sur le Pont des Arches,
nihließt. Die unter jenem Namen berühmte uralte Maasbrücke wurde
tur) eine neue im Jahr 1859 vollendete erſetzt, was die Beranlaffung
zu geichichtlichen Unterjuchungen über die ältere wurde ; unter benfelben
wird tie histoire du Pont des Arches recherches archeologiques par
E. M. O. Dogaee (VI u. 143 ©.) im Bd. II der Revue trimestrielle
von 1861 ©. 384 bejonver® hervorgehoben.
Diefen Schriften find die vom Referenten unter Nro. 1 aufgeführ-
ten Arbeiten des ebenſo gelehrten als claſſiſch gebilveten Lütticher Alter
thums⸗ und Geſchichtsfreundes Dr. Ariftive Cralle anzureihen. Seine
in Driefforu gejchriebeue Revue des monumens de Liege vom J. 1856
jagt und, was bie von ihm geichilverten Baudenkmale einjt waren und
was fie jebt find. Seine Souvenirs archeologiques vom Jahre 1860
keginnen mit einer ffiszenartigen Ueberſicht der Geſchichte Lüttich und
enthalten genaue Angaben über die Entftehung und Geſchichte jener Mo⸗
mumente, über deren neuefte, zwedmäßige oder mißlungene Reftaurations-
verfuche er fich in feinen 1859 erjchienenen Lettres sur les travaux publics
et embellissements de la ville de Liege ausſpricht, jowie in etwas ſaty⸗
rijcher Weiſe pjeubonym bei Gelegenheit der dem König Leopold im cs
teber 1860 in Lüttich gegebenen Feſte.
Alle dieſe Schriften find ſchätzbare Beiträge zur monumentalen Ge⸗
ihichte einer Stadt, welche in biejer Beziehung noch bis auf unfere Tage
znbeachtet blieb. Von verjchievener Art aber nicht minder belangreich
für vie Gefchichte Lüttichs find die beiten unter Nro. 5 und 6 von uns
aufgeführten gleichfalls zuerft im Bd. IV des Bulletin de l’Institut archeo-
logique erſchienenen Abhandlungen.
Eine Geſchichte ver philoſophiſchen Studien in Püttih dürfte wohl
für etwas Unmögliches gehalten werben: denn wer bat je von einem
auch nur einiger Maßen namhaften Philojophen in der dem ftreng kirch⸗
lichen Prieſterdruck untergebenen Stadt gehört? Herr Dr. U. Leroy,
Brefeffor der Philofophie an ver Univerfität dafelbft, ſchließt uns daher in
feiner Schrift eine wahre terra incognita auf. Indeſſen fagt er und ſo⸗
gleich S. 10, daß die von ihm aufzuführenden Männer ihr Loos ver-
gefien zu fein verdient hatten, und daher nur ihrer Beitrebung wegen vor»
geführt werben ſollen.
184 ueberſicht ber Hiftorifchen Literatur von 1860,
Die Schrift Leroy’s ift Übrigens ein mit gründlicher Sachkennt⸗
niß und geiftreih gejchriebener Abriß der Geſchichte der Bhilofophie
im 17. und 18. Jahrhundert mit fortlaufender Angabe der Einwirkung
ber verfchiedenen Doctrinen "auf das buch die biſchöfliche Cenſur som
Ausland foviel wie thunlich abgejperrte, geiftig von ben Jeſuiten be
berrichte Land. So lange wie möglih waren letztere Vertheidiger ber
falichen Ariftoteliihen Philofophie des Mittelalters, unterlagen aber zn»
letzt dem Cartejianismus. “Diefer hatte auch feine Vorkämpfer in Löwen
und neben beiden Richtungen war die von Ban Helmont dort weiter
ausgebildete der Theofophen und der Anhänger der aud von vem
Fürftbifhof Mar von Bayern geliebten Alchymie (S. 72) fichtbar.
Die freieften Denker des Landes waren Aerzte. (S. 117) Auch einen Rechte»
philofophen hat das Land aufzuweiſen in Mathias ve Grati, der 1676
einen Discours du droit moral et politique heransgab. Mit großer Ges
nauigfeit gibt ver Berfaffer eine Skizze der Anfichten und Doctrinen bie
jer von ihm richtig bezeichneten Halbgelehrten. Unter der Regierung des
aufgellärten Yürftbiihofs von Velbruck begann eine freie intellectuelle
Bewegung im Land. Das Journal encyclopedique wurde in denſelben
gebrudt, ebenfo die von Rouſſeau redigirte Encyclopedie methodique. An-
dere Werke von berühmten franzöſiſchen Freidenker wurden nachgebrudt.
Als 1789 die Pütticher Revolution ausbrach, waren die alten Schulboc»
trinen in Vergeſſenheit gerathen und alles vorbereitet, dem Boltärianismus
und der jenjualiftiichen Philofophie Franfreihs Thür und Thor zu öffe
nen. Sie war noch Herrin im ande zur Zeit der Errichtung der Uni»
verfität Lüttich im Jahre 1817, und mr mit größter Mühe gelang es
beutfchen Lehrern, jüngere Männer für vie beutiche Philofophie zu in⸗
tereſſen. Indeſſen liefern vie Arbeiten des leider zu früh verftorbenen
Profeſſors Tandel und unferes Verfaſſers ſelbſt, namentlich das bier be
ſprochene Buch, den Beweis, daß die dortigen Vertreter der philoſophi⸗
ſchen Wiſſenſchaft jest rühmlich auf ber Höhe des Jahrhunderts ſtehen.
Die zweite Schrift (Nro. 6) iſt allen Geſchichtsforſchern nicht bloß
Belgiens ſondern Frankreichs und anderer Länder zu empfehlen. Die
Fürſtbiſchöfe hatten eine heraldiſche Behörde, an deren Spitze ein fogen.
Heraut d’Armes für Lüttich, vie Grafſchaft Looz und das Herzogthum
Bouillon ſtand. Das Amt war unter Anderem deßhalb von Wichtigkeit,
weil nur Mitglieder des alten Adels fühig waren, Domherrn (Tresfoncieres)
Belgien. 185
ven St. Lambert zu werben. Im Jahr 1682 übertrug der Fürſtbi⸗
hei Marimilian Heinrih von Bayern dieß Amt dem in Bervierd ge⸗
beremen Sean Gilles Lefort, deſſen Oheim es begleitet, ihn zwanzig
Jahre lang zum Gehülfen gehabt und berangebilvet hatte. Im Jahr 1688
emannte ihn Leopold 1. zum kaiſerlichen Heraus d’Armes für den Nieder⸗
them. 1701 gab ihm der Kaijer auf feine Bitte in feinem Sohne Ja⸗
ques Henri Lefort einen Nachfolger, dem denn auch vom Fürſtbiſchof
me Stelle feines 1718 verftorbenen Vaters übertragen wurde. In feiner
erſten Eigenſchaft hatte lepterer den Titel eines Scutarius eques et
miles sureatus ac sacri Palatii et anlae Lateranensis comes (p. 339 des
Lulletin t. IV). Er ftarb den 3. Oktober 1751.
Die beiden Lefort haben ſich nun dadurch ein inmnerbleibendes Vers
dienſt erworben, daß fie jehr ausgevehnte genenlogiihe Sammlungen und
Negifter anlegten, weldhen man noch jett eine Menge der wichtigiten
Notizen entnehmen kann. Sie beftehen 1) aus 25 Bänden Genealogies
de familles nobles, welche 710 ©enealogieen enthalten; 2) aus 27 Bän⸗
ven eine® Recueil divers und 3) aus Fragments genealogiques de fu-
milies mobiles et bourgeoises de Liège et pieces a l’appui.
Diefe Sammlungen wurden mit Zuftimmung ver Landſtände 1762
ven der Regierung gelauft und befinden fi jest im Provinzialardiv
za Lüttich. Herr Arhivift Bormans bat nun zu dieſen Sammluugen
an gemeinjames alphabetiſches Regiſter gefertigt mit genauer Angabe ver
Pagina jeder derjelben, wo ſich Angaben über die Familien befinden, und
tiejed Regiſter hat der archäologiſche Verein in feinem Bulletin Bd. IV.
5. 349 —496 und daraus auch beſonders abtruden laffen. Unter den dar⸗
m aufgeführten veutichen Apelsfamilien bemerken wir die Dalberg, vie
Herzoge von Bayern — die Bentind, Brandenburg, Grousfelt, Ingel⸗
kim, Metternich, Löwenftein, Naffau, v. Quadt, Sayn, Schwarzenberg,
Beftphalen u. f.w. Man kann jederzeit Abjchriften der im den drei
Sammlungen enthaltenen genenlogifchen Notizen erhalten.
B. Slandern.
Bruges et le Franc, ou leur magistrats, leur noblesse etc. Bruges,
1860. 8.
P. Heyndriks, Jaerboeken van Veurne en Veurnambacht
uitgegeven door E. Ronse. 3, Deel. Gand.
186 Ueberfiht ber hiftorifchen Literatur von 1860.
J. L. W. Diegerik, Inventaire analytique et chronolo-
giquo des Archives de la ville d’Ypres t. V. Bruges. 312 ©.
Inscriptions fundraires et monumentales de la Flandro orien-
tale. IV. Livr. 22 — 23. 4.
Kervyn de Volckersbeke, Les &glises de Gand, 1859.
2 Vol. 8. von 852 n. 390 ©. nebft Stichen.
C. Prabant, Antwerpen und Kimburg.
L. Galesloot, La province de Brabant sous l'’oempire ro-
main. Brux. 1859.
A. van denEynde, Tableau chronologique des ecoutetes bourgne-
meströs et Echevins de Malines depuis 1236. 9iéme livraison.
Ecrivisse, Verwoesting van Maestricht hist. Taferecl cist,
de XVI. L. 305 ©. 4. mit 4 GStiden.
Inseriptions fun6raires de Ia ville d’Anvers. 49 livwr.
E. Gens, histoire de la ville d’Anvers livr. 26—37. An-
ndes 1860. Nach ber Bollendung bes Werles werden wir eine Jubaltsangabe
zu geben verſuchen.,
ni. Lebensbeihreibungen und Genealogien.
Fr. de Potter, Vaderlandsche Biographie. Gand. 187 ©. 8.
C. F. A. Piron, Algemoene Levensbeschryving der ver-
maerde Manen en Vrouven in Belgie. Vilvorde. 25. Liv.
V. Gothaels, Miroir des notabilitds nobiliaires de la
Belgique. Liv. 7 et 8. Brux. 4.
N. 8. van derHoyden, Notice historique et göndalogigque
de la maison de Lebidarts-Thaumaide.
Lacroix et van Meonen, Notice historique et bibliogra-
phique sur Philippe de St Aldegonde. Bruxelles. 118 ©. 8.
R. Chalou, le dernier duc de Bouillon (1815) extrait de t. I
de la Revue historique et archedologique. Brux.
Belgien. 137
De St. Genois, Notice sur Leu Jos. van der Vynckt,
membre de l’Acaddmie de Bruxelles. Gand 1860. 34 ©. Befonderer Ab-
bad aus dem Messager des Sciences historiques.
IV. Beröffentligungen der Societ# de I’histoire de la Belgique.
Me&moires Anonymes sur les troubles des Paysbas 1565 — 1580
pablies par J. B. Blaes. t. 11. 405 ©.
M&moires de Frederic Perrenot Bieur de Champagney 1573—15%0
avec notice et annotations parA.L.P. de Robaulx do Soumoy. XCIX
tb 426 ©. 8. "
Ms6moires de Pontus Payen, avec notice et annotations par Al,
Henne tom. I XXVIII u. 368 ©. t. 11 erihienen 1861. 280 ©.
Me&moires de Philippe Warny de Visenpierre sur le Biöge.
de Tournay en 1581 publ. par A. G. Chotin.
Commentaires de Bernardo de Mendoca sur les dvenemens
de la guerre des Paysbas 1567 — 1576 traduction nouvelle par Loumier
avec notice et annotations par le colonel Guillaume. t. I. XXVI unb
401 ©.
Der Berein zur Herausgabe der Collection des M&moires sur l'hi-
stoire de la Belgique verdient fortwährend das größte Lob. Im Ber:
laufe des Jahres 1860 publicirte er vier umfangreihe Bände und ven
Anfang eines fünften. Er verdiente von allen Geſchichtsfreunden Deutſch⸗
lands, namentlich den deutſchen hiftorifchen Vereinen, auch finanziell unter-
ſtützt zu werben, da, wie und mitgetheilt ward, bis jett die gemachten Opfer
turch ven Abſatz ver erfchienenen Schriften bei weiten nicht gevedt fin.
a8 den zuerft genannten 11. Band ter von Herrn Blaes heraus⸗
gegebenen Memoires anonymes betrifft, jo bevauert Referent nocd immer
nicht8 Näheres über deren gejchichtliche Bedeutung und Wichtigkeit fagen
ja fürmen, da die vom Herausgeber verjprodhene und auch kürzlich er⸗
ſchienene Einleitung auch mit biefem Bande ihm noch nicht zugefommen
iſt. Doch erleichtert die genaue chronologijche table des Matiöres (5.301)
tie Benügung ber auf die Jahre von 15771578 bezüglichen Mitthei-
kımgen, welchen unter ven Pieces Justificatives 21 Schreiben und Des
reihen ans biefer Periode beigefügt find.
188 Ueberfiht der Hiftorifchen Literatur von 1860.
Die Memoiren Friedrich's Berrenot Sieur de Champagney, Bruders
von Granvella (No. 2) find vom Refer. ſchon in einer 1860 im B. IV
diefer Zeitihrift S. 239—244 enthaltenen Anzeige beiprodhen worden.
Den Herausgebern aller Bände gebührt das Lob des geeignetften
Berfahrens; Herr von Robaulx fehidt dem Texte ver Memoiren Cham⸗
pagney's eine XCVIII Seiten füllende Biographie feines Helden voran,
Oberſt Guillaume eine kurz gefaßte Lebensbeſchreibung Mendoca’s auf
XXVIS, und Al, Henne Nachrichten und Mittheilungen über Pontus Payen
Seigneur des Essarts. Keiner der drei Verfaſſer der Denkwürdigkeiten
gehört der Aufftandspartei an: Mendoça der Spanier ift der entſchie⸗
denſte Anhänger Philipp's II. und feiner Politik, Bewunderer Alba's, und
beurtheilt die niederländiſchen Zuſtände vom ſpaniſchen Geſichtspunkte aus.
Champagney und Pontus Payen ſind zwar entſchiedene Katholiken und er⸗
klärte Gegner des Prinzen von Oranien, verwünſchen und haſſen aber
nicht minder die Spanier, deren Entfernung aus dem Vaterlande eine
Hauptaufgabe der politischen Beftrebungen des erfteren ift.
Die Verſchiedenheit ihrer Parteiftellung erklärt die von einander ab-
weichenden Aeußerungen und Schilderungen mancher Thatjadhen und ven
radicalen Gegenſatz ihrer Denkwürdigkeiten zu den im B. IV ©. 227
biefer Zeitjchrift angezeigten von Jaques v. Wefenbefe. Rülckſichtlich ver
Zeitabfchnitte beziehen fich die Champagney's auf die Jahre 1573—1590;
bie Mendocas ſchildern die Kriegsereigniffe zwiichen 1567 und 1577, die
von Pontus Payen enthalten zwei verfchievene Aufzeichnungen, 1. über
ben Gang der Dinge von 1539 bis zue Ankunft des Herzogs Alba im
Jahr 1567 (B. I und B. II) bis p. 40) und 2. eine Darlegung ber
Ereigniffe in Arras 1577 und 1578. B. 1 ©. 48 ff.
Eine Zufammenftellung der Ergebniffe eines vergleichenden Stubiums
biefer nen eröffneten Gejchichtsquellen über die niederländiſchen Aufſtände
Scheint Refer. in gegenwärtiger Anzeige nicht an ihrem Plage zu fein, fie
verlangt ein kritiſches Eingehen auf vieles Einzelne. Erſt nah dem Er⸗
fheinen ver übrigen Bände der auf biefe Zeit bezüglichen Denbk⸗
wäürdigkeiten kann eine auch alle andern Geſchichtsquellen berückſichtigende
Arbeit diefer Art in einer befonvern Abhandlung verjucht werden. Refer.
begnügt fich daher, hier nur einige Notizen hervorzuheben.
Friedrich Perrenot, Öranvella’8 jüngfter Bruder, den 3. April
1536 in Barcelona geboren, trat ſchon 1550 in Kriegsvienfte, machte
Belgien. j 189
Alba's Züge in Italien mit, erlangte bald ven Grad eines Capitains
ter Cavalerie, gehörte 1558 ber höheren Hofdienerſchaft Philipp’s II.
an, jah aber jein Streben, ein Kommando zu erhalten, nicht in Erfül«
lung geben. Er betbeiligte fih am Apelscompromiß in Brüffel, trat
aber fofort zurüd.
Rah Belangen fi zurüdziehend erwarb er fi durch verjchievene
in Religionsangelegenheiten geleiftete Dienjte die Gunſt Philipp’s und
wurte 1571 zum Militär und Civilgouverneur der Stadt Antwerpen
emannt, geriet aber bald mit dem Commandanten der Citadelle Sancho
dAquila in Gollifion, beflagte ſich erfolglos bei Alba und bei Philipp LI.
1573 über deſſen Regiment in den Niederlanden zur Zeit als Medina
Coeli gejandt wurde, um Alba abzulöjen. Er gab die Mittel und Wege
an, welche er für die einzig möglichen hielt, vie Ruhe und den Wohl⸗
fand des Landes wieber herzuftellen. Dieß ift der Inhalt feines ©. 221
xtrudten Discours sur les affaires des Pays bas, einer an ben König ge-
richteten Denkſchrift, im Folge der Ueberrumpelung Antwerpens durch
tie meuterifchen ſpaniſchen Truppen im Jahre 1574 (worüber fih in
dieſer Zeitihrift B. IV S. 241 die Hauptſache mitgetheilt findet) verließ
& tiefe Stabt.
Er wurde darauf mit Friedensunterhandlungen in Holland beauf-
tragt, und nahm auch an dem in Breda gepflogenen und erfolglos ge⸗
bliebenen Congreß Theil. Als Tadler der ihm verhaßten, noch im⸗
mer befolgten jpanifhen Politik gerieth er in Dppofition mit
Requeſens, wurde dann nah England geihidt, um die Bewer-
kungen Oraniend und der Aufſtändiſchen bei ver Königin Elijabeth zu
vereiteln, was, wie er fi rühmt, ihm gelungen if. Seine an Reques
ſens und nach deſſen Tod an den Staatsrath geichriebene Briefe find im
Appendice ter Memoires 5. 311—410 gebrudt und inhaltsreihe Docu⸗
mente über jeine freilich nur kurze Mijfion vom 15. Jänner bis 28. März
1576. Da Requejens deu 5. März geftorben war, jo ftand Perrenot
aum unter ber Regierung des Conjeil d'Etat und den alsbald einberufe-
nen Generalſtaaten, leijtete (immer noch als Gouverneur von Antwerpen)
bedentende militärijche Dienfte und warb auch anfangs von bem neuen
Statthalter Don Yuan d’Auftria gut aufgenommen, verdarb aber
bald mit ihm und dann mit den Ständen jelbft jein Spiel — da er als
jı Oranien fich neigend verbächtigt wurbe, während biejer ihm als fanati⸗
1% Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
ſchem Katholifen noch weniger traut. Seine Stellimg wurde unbaltbar,
anfangs dem Staatsrath affeciirt, ward er auf eine Anflage der demo⸗
kratiſchen Conmiffion der Achtzehner zu Brüjfel aus vemfelben entfernt,
in einem Bollsauflanf feitgenommen und unter falfchen Vorwande nad
Gent in Haft gebradt, wo die von Oranien gefhüsten Hembyſe und
Reyhove ihre Weſen trieben und Perrenot, nachdem er in Folge von Plün⸗
derungen fein ganzes Vermögen verloren hatte, in tieffter Armuth, aud
von feinem mit ihm grollenven Bruder Granvella verlaffen, ſechs Jahre
und einige Monate im Gefängniß gehalten wurde. Er fpricht von feinen
ihlimmen VBermögensverhäftniffen in einer Memoire sur les affaires per-
ticulieres (©. 325).
Unter dem Statthalter Alerander Yarnefe erhielt er ald Belohmmg
feiner Bemühungen für die Wieverherftellung des guten Einvernehmen
der flandrifchen Oberbehörden und des Prinzen 1584 die Gouverneur⸗
ftelle der Citavelle von Gent und 1585 feine frühere in Antwerpen, ge-
rieth wieder in Conflict mit dem Commandanten der dortigen Citadelle
— gerirte fi) abermals als leivenfhaftlichen Oppofitionsgmann und feind-
jeliger Tadler Parma's, der endlich ven mit jeder Regierung unzufrievenen
Mann (unter Zuftimmung Philipp’s) aller Functionen enthob, worauf
er fih nah Dole in der Franche Comté zurüdzog und bis zu feinem im
J. 1600 erfolgten Tode mit Abfaffung von Denkſchriften beichäftigte und
einen fehr ausgedehnten ſechs Folianten füllenden Briefwechſel unterhielt.
Es bot fi ihm auch Gelegenheit, in Staatsangelegenheiten ſich thätig
zu zeigen.
Unter feinen fpätern Denkſchriften find die ©. 253 und 303 in
franzöftfcher Ueberfegung veröffentlichten Discours sur les affaires des
Paysbas von 1589—1590 fehr Iefenswerth. Sie enthalten den empfind-
Iihften Zabel der Regierung Aleranters von Parma, als eines von
feinen Creaturen ausgebeuteten ſchwachen Mannes. Er zeigt, wie in
Folge der feit Alba’8 Sendung befolgten Bolitit des Königs der Wohl-
ftand der Niederlande ohne allen Gewinn für das königliche Intereſſe
und die fatholifche Religion zu Grunde gehen mußte und gibt als vie
einzigen auch jett noch zur Herbeiführung beſſerer Zuftände anzuwendenden
Mittel vie zwei fehr frieblichen an: Wieverherftellung der verfaffungs-
mäßigen nur Einzelnen zu übertragenven Panbesregierung und gute res
ligidſe Bollserziehung durch einen beſſer gebilveten Klerus, als der war,
Belgien. 191
veffen Unwiffenbeit er al® die Haupturſache ver Verbreitung der neuen
GElanbenslehren betrachtet.
Pontus Payen, Bürger von Arras und Befiter der Herrſchaft des
Charts, erhielt den 17. Mai 15°2 durch Philipp II. ein feine frühere
Crhekung in ven Adelsſtand beftätigendes Diplom, war alſo königlich
mb fireng katholiſch gefinnt — jedoch beides nicht in fanatijcher Weile.
Er erflärt vor 1566 e8 mit den beften Katholiken für allzuftreng, vie
ie Irrthümer abſchwörenden Kezer dennoch mit dent Tode zu beftrafen,
überhaupt ruhig lebente Lente ihrer religidfen Meinung wegen in Unter«
nhung zu ziehen und Strafen zu unterwerfen, warb aber nach dem
Bilverfturm anderer Anficht, indem er beilen Gräuel ver ven Neuerern
geichentten Rachficht zufchreibt. Die Spanier haft er von Grund feines
Herzens: viele im Lande wohnende hätten (jagt er) an ven üppigen
Mahlzeiten reicher Niederländer Theil genommen, veren geheime Ge»
vanfen beim Nachtiſch abgelodt und fie dann in Madrid angeſchwärzt.
Ucher Alba und den Blutrath fällt er ein ftrenges Urtheil — ſchreibt
ten Tod Egmont's Alba's Eiferfuht und Neid zu. Da die Negentin
die Ruhe wieder bergeftellt gehabt, jo jei vie Beſetzung des Landes durch
Spanier nicht mehr nöthig gewefen. Auch von den Franzoſen hat P.
Foyen eime nichts weniger als gute Meinung und felbft niederländiſche
Staatsbermte werben von ihm nicht gefchont, wie van Meghem, ven er un
meigr& poux qui voulait s’engraisser nennt, fowie ſelbſt der als Gelehrter
von ihm geehrie Granvella, von dem er fagt, er babe ein coeur flam-
boyant de vengeance pour les oultrages, qu’il avait recus, da⸗
gegen wird mancher ausgezeichnete Mann der Gegenpartei mit Lob
zenaunt, 3. DB. der zu Wuftruvell bei Antwerpen von Beauvois ges
ihlagene und fein Leben copfernde Johann von Marnir, Bhilipp’s
Drurer. Dranien findet aber feine Gnade vor ihm. Er erflärte ihn
für feig und unfittlih. In den eriten Denkwürdigkeiten von Pontus
Fugen werben viele bisher wenig belannte Einzelnheiten aus den Zeiten
vn 1559 — 1567 mitgetheilt; in den jpäteren zum erſtenmal von Motley
11. 1 vollſtändig benügten wird die Geſchichte ver Ereigniffe zu Arras
1589 erzählt, d. h. die bort ftattgehabte antioranijche Gegenrevolution
uud bie Berbrüderung der walloniſchen Provinzen mit der vom Herzog
vom Aerſchot geleiteten Partei der royaliſtiſch gefinnten Malcontents:
Greiguiffe, weidhe bie definitive Trennung ver füplichen Mieberlanne
⸗
198 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.
von den nörblichen zur Folge hatten. Der Name eines Geſchichtſchreibers
im wahren Sinne des Wortes kann nah dem Herrn Herausgeber bem
Verfaſſer dieſer Diemoiren nicht ertheilt werben.
Unbeanftandet fommt dagegen der Ruhm: eines Hiftorilerd Ber⸗
nardo Mendoca zu, deſſen aus dem Spanijchen von Loumier neu
überjegten Commentaires sur les evenemens de la guerre des Paysbas,
ein wahres Geſchichtswerk find. Bei deren Abfaſſung hat ver ebenfo ge⸗
lehrte und ſtaatsmäuniſch gebilvete wie tapfere Kapitain fi Julius Cäſar
zum Vorbild genommen. Er gehörte einer der erjten Avelsjamilien Spa»
niend an; 1530 geboren, machte er unter Carl V. den Zug nah Oran
mit und 1567 als Freiwilliger die Erpebition in den Niederlanden, nahm,
von Alba beſonders geliebt, an allen Schlachten Theil, zulett an ber von
Don Juan d’Auftria 1577 gewonnenen, aber nicht benütten von Gem⸗
blour. Im Jahr 1574 befehligte er, zum Rang eine Maestro de Camp
erhoben, ein bedeutendes Reitercorps. Nach dem Jahre 1577 iſt er mit
diplomatiſchen Miſſionen betraut, wie 1578 bei Eliſabeth, wo ihm Phi⸗
Iipp IL 40 — 50,000 Ducaten zur Berfügung ftellte, um vie Minifter
ber Königin zu beftehen; dann 1584— 1590 in Franfreih, wo er im
Namen feines Herrn die gegen Heinrich II. und Heiuric IV. arbeitende
Ligue leitete oder unterftügte. Seine im Archiv zu Simancas aufbes
wahrte umfungreihe Correfponvenz mit Bhilipp ift daher tür jene Zeiten
eine wichtige Geſchichtsquelle.
Bon Blindheit bedroht zog ſich Mendoça nın von den Staatsge⸗
ichäften zurüd, arbeitete aber mit Hülfe der einft täglich gemachten Auf»
zeichnungen fein Geſchichtswerk aus. Es erjchten 1592 ein anderes, bem
Prinzen Philipp (nachherigem König Philipp IN.) gewidmetes Buch; feine
auch durch politiiche Betrachtungen auszeichnende Theorica y practica di
guerra war ſchon 1577 von ihm herausgegeben worden. Er überjeßte
auch bes Philojophen Lipfius Bücher de republica ind Spaniſche. Die
Comentarios find vom 2. Buche an eine genaue von Strada, Benti⸗
voglio und allen andern wohl benüßte Gejchichte der von Spaniern im
ben Nieverlanden zwijchen 1567 und 1577 geführten Kriege. Das erfte
Buch enthält eine Ueberſchau des Aufitandes von feinem erften Urfprung
an, welches deshalb von beſonderer Wichtigkeit ift, weil fie vom ſpani⸗
ſchen Gefichtspunkte aus gejchrieben, und die Hauptmotive der Politik
Belgien. 193
Philipp's IL und feiner Gehülfen und Anhänger enthüllt, welche die des
Schutzes ver Religion waren. Mendoca ſchildert das allmälige Umſich⸗
greifen der Lehren der Sektirer beim ganzen Volfe, welches ver Adel zu
ken Zwecken außsgebeutet babe. Den Bilverfturm von 1566 fieht er
als das Werk einer in der Berfammlung zu Saint Trond unter den
Häuptern der Aufftandspartei getroffenen Verabredung an. Dem Gars
ya ift eine Guiccardini entnommene Beſchreibung ber niederländiſchen
Provinzen vorangeſchickt.
Die trefflihen Anmerkungen des Herrn Herausgebers erleichtern das
Etubium des übrigens fchon für fich ſelbſt fehr anziehenden Wertes.
Der vorliegende erfte Band enthält vie erften in Capitel mit geeigneten
Ueberjchriften getheilten fieben Bücher.
Die Memoiren Warny's über die vom Prinzen von Parma gelei-
tete Belagerung Tournay's im I. 1581 erftreden fi ſammt einem Ap⸗
pendix nur auf 40 Seiten und bilden den Anfang eines Bandes, in
weichen eine Anzahl kleinerer auf vie nieverlänpijchen Unruhen und Aufs
ſtände im 16. Jahrhundert bezüglichen Schriften veröffentlicht werden
ſellen
Der königlich gefinnte Verfaſſer dieſer Denkſchrift, Philipp Warny
ans Bisenpierre bei Tournai, befand ſich in der belagerten und von ver
keroifchen Fürftin Espinoi, gebornen Gräfin von Hornes, vertheidigten
Stadt. Begonnen ven 5. Okt., endigte vie Belagerung mit ver Ein⸗
nahme der Stadt den 27. November. Der Berf. bemerft am Ende ſei⸗
sr Erzählung, es feien 10,500 Kanonenkugeln auf die Stadt abgejchof-
in und 594 Menichen aller Klaffen in verjelben getödtet oder verwundet
worden. Der Anhang enthält die auf die Uebergabe der Stabt und ben
glorreihen Abzug der Zürftin und ihrer Truppen bezüglichen Aktenſtücke.
V. Beröffentligungen der Commisalon reyale de histoiro de la Belgique.
1. Compte rendu des Seances de la Commission royale d’histoire on
Recueil de ses Bulletins. Troisieme serie t. I. 3. et 4. Bulletin t. 11.
1.— 3. Bulletins,
Diefe vier Lieferungen enthalten außer ven Sigungsprototollen und
den in benfelben an die Commiffion gefchriebenen Briefen eine nicht ge⸗
ringe Zahl wichtiger Gejchichtöquellen, Regeften u. ſ. w. Wir heben hervor:
a) Die Bortfegungen ber Liste analytique des documents Concernant
Pibex iſche Zeitfgrift VL Bam. 13
14 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.
T'histoire de lg Belgique conserres au State Papers- Office in ®onbon, ge
fertigt von dem Seitens ber belgifchen Regierung auf ihre Koften bahin gefanbten
jungen Gelehrten van Bruyffel 8. I ©. 151 8. Il. S. 829.
b) Notice sur les Archives d’Aurich et d’Emden et les documens re-
latifs au soulevrement des Paysbas jusqu’ & la mort de Guillaume de Taei-
turne, vom Archivrath Dr. Klopp (1. 167).
c) Extrait de l’inventaire des archives de l’abbaye de Saint- Hubert
redig& en 1750 v. Hourt. I. 272.
d) Analectes historiques 8. Serie par Gachard I 311 - 296.
e) Douze lettres de Laevinus Torrentius in 2üttih & Jean Fonck Garde
de Sceaux pour les affaires des Paysbas à Madrid (v. 1583 — 1585), mit-
getheilt von Herrn de Ram, II p. 11—62.
f) Venerabilis Gerardi Magni de Daventria (} 1384) epistolae VIII ex
duobus codic. bibl. publ. Argentoratensis. Bon bemfelben (p. 66—IM). Gr
iR Stifter ber Congregatio fratrum vitae communis.
g) Extraits della correspondance diplomatique des envoy&s du Duc de
Savoie Eman. Philibert pres la cour de Vienne pendant les troubles de
Paysbas, mitgetheilt von Giufeppe Erespi in Turin II. 229.
h) Notice d’un Manuscrit intituld Cartulaire de van den Bergh, cos-
servd aux archives de l’Etat à Liege, mitgetheilt von Stanislaus Bormans
(p. 276). Diefe von bem Lüttiher Canonicns v. ben Berg, einſt Wappem
herold, angelegte und von feinem Nachfolger 3. Le Fort forgfältig bewahrte
Handſchrift entHält Copialien von Urkunden, beren älteſte dem 10. Jahrhundert
angehört und bie Iettten dem 16. Die von Herrn Arch. Bormans baraus fehr
zwedhnäßig gefertigteu Regifter find um fo fhätenswerther, als bie alten 1794
nah Deutſchland geflüchteten Urkunden des Hochſtiftes Lüttich nicht mehr anf
zufinden find.
i) Abdrud einer Chronicum Diestense von 1142 bis 1530 nebſt Urkun⸗
den, mitgetheilt von Herrn Reymalers, Prior ber (wieberbhergeflellten) Abtei Bare
bei Löwen, II, &. 392
Ned haben wir einige der Commmiſſion von Mitgliedern verjelben
erftatteten Berichte zu erwähnen. Es find dieß:
a) ber von Herrn Gachard über von Hoynd van Papentrocht einem
Canonicus Hollander als Verfaſſer zugejchriebenen Discours de troubles
de Gand (1539 — 40) — B. 2 ©. 250. Nah dem von ber kaiſerl.
öfterr. Regierung ber belgiſchen überlaſſenen Original (nebft Concept) er⸗
gibt fi, daß dieſelbe offiziell ſchon 1540 gefertigte Denkſchrift einen bel⸗
giſchen Stanterath Namens Louis de Schere zum Verfaſſer bat.
Belgien, | 1%
b) Die weiteren Berichte find die der Herren de Ram und Borgnet
äber den Stand umd gefchichtlichen Werth ver Fortiegung ver Acta Sanc-
toram durch die fogenannten neuen Bollandiiten.
Bekanntlich verdankt man biefe Fortjegung ber Unterftügung ver belgi⸗
ſchen Regierung. In den Kanımerfigungen des Jahres 1860 wurde die auf
dieſe Unterftägung bezügliche Pofition des Staatsbudgets lebhaft ange⸗
griffen. Miniſter Rogier fand ſich daher veranlaßt, Aufſchlüſſe hierüber
von ver Geſchichtscommiſſion zu verlangen, welche ja vor 25 Jahren die
derperung dieſes Unternehmens ber Regierung empfohlen hatte. ‘Die Com-
milfien beauftragte die genannten Mitglieder mit Abfaffung von Berich-
ten hierüber. Der des Herrn de Ram begreift 72 Seiten (II. p. 120
— 192) und ift aud in beſonderm Abdruck erjchienen; der Borgnet’s
aftredt fih nur von S. 192 — 198: beide erklären, daß das Unterneh⸗
men wiſſenſchaftlich höchſt wichtig fei und deſſen Ausführung binter der
der ältern Bollandiften nicht zurüditche. De Ram theilt auch Auszüge
eines von unjerem Per über dieſe Angelegenheit gerichteten Briefe mit,
in welchen der Wunſch, daß die Fortſetzung des Werkes nicht unterbro-
den werbe, auf das Lebhaftefte ausgeſprochen wird. Borgnet glaubt "
Einiges tadeln zu müflen, z. B. ven Abdruck einer 700 ©. begreifenven
Biographie der heil. Therefia.
Die Commiſſion fpricht fih im Sinne beider Berichterftatter aus
mb beſchließt den Druck ihrer Referate im Bulletin. — Herrn de Ram's
Bericht ift als Annere S. 187 beigefügt eine Note sur la continuation
des Acta sanciorum Belgii selecta von Ghesquière, welche gleichfalls den
nenen Bollandiften übertragen ift.
2. Die zweite Veröffentlihung ver Commiſſion ift die erfte Abthei-
kung de 1. Bandes ber Chronik von Dynterus. Dem ganzen aus 3
Quartbãnden beſtehenden feit 1854 erfcheinenden Geſchichtswerk fehlte bis
jetzt der Anfang. Der Herr Herausgeber Herr te Nam veröffentlicht
denfefben unter dem Titel:
Chronique des Ducs de Brabant par Edmond de Dynter en VI livres;
pablide d’aprös les M. S. de Corsendonck, avec des notes et l'ancienne
twaduetion frangaise de Jean Wauguelin. T. I. Prem. Partie: comprenant
Tiatrodnetion, les opuscules de Dynter et la table analytique des Matieres.
Beux. 1854 — 60. 295 p. 4. Nebſt Borträt bes Ehroniften (21. Bd. ber
Geliection).
13*
196 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
Die Introduction enthält umfaſſende Mittheilungen über Dynterus,
feine Schriften, die Handichriften feiner Chronik und deren franzöſiſche
Ueberjeßung, den Werth des freilich nicht inner kritifchen Werkes u. ſ. w.
Die angehängten Hleineren Schriften S. 1— 69 find zwar nicht
von Belang, vervienten jevoh ven Abdruck. Vortrefflich iſt die
auf alle drei Bände bezüglihe, von Herrn Galesloot in Antwerpen ge
fertigte Table analytique des matieres. Sie wird namentlich umferen
beutichen Gefchichtsforfchern ſehr willfonmen fein, weil fie ihnen die Ve
nügımg des auch für die Geſchichte Deutihlands wichtigen Werkes, wem
nicht erft ermöglicht, doch weſentlich erleichtert.
v1. Beröffentligungen der Academio reyale des Sciences des letires et des beaux arts.
Annuaire de "Acad&emie royale des Sciences des lettres et
des beaux arts de Belgique pour 1860. XXVI. annde. Brux. 1600.
285 © 8.
Die in diejem Bündchen des Jahrbuchs ver kgl. Akademie veröffent-
lichten Biographieen find: 1) bie über den am 23. Dezember 1779 geborenen
und den 28. Dezember 1858 veritorbenen Botaniter Dr. A. 8. ©.
Lejeune von Verviers verf. von J. Kickr. ©. 114 ff. 2) über ven Genter
Prof. ver Mathematik Dr. 3. B. Mareska geb. den 9. September 1808
geftorben den 31. März 1858, von Quetelet (S. 129). 3) Die von
Schayes geb. den 11. Yänner 1808 F d. 8. Jan. 1859 von Chalon
S. 139. 4) die Biographie des k. nieberl. Staatsınannes von Ewyck, fräber
Chef des Departements des höhern Unterrichts im Miniſterium des Innern
und Mitglieds ver Akademie, geboren 1786 + 1859. Bon Quetelet.
©. 157. 5) van Ch. Morren, Prof. der Botanik zu Lüttich geb. 1807
in Gent + 1858 vom Sohne deſſelben. S. 168 — 251. Mit Ausnahme
der van Emwyf's ftehen allen Biographieen in Stahl gejtochene fehr gut
getroffene Porträts der verjterbenen Akademiker voran und ift ihnen
eine Liſte ihrer ſämmtlichen Schriften und in Zeitſchriften veröffentlichten
Artikel beigefügt.
Das Ende 1860 audgegebene Annuaire für das Jahr 1861 enthält
©. 129 — 186 eine fehr in's Einzelne gehende Lebensſtizze des ven
22. November in Athen gefterbener berühmten Parijer Akademikers Ch.
Lenormant, Aflocie der Akademie von I. de Witte in Antwerpen.
Die im Jahre 1860 erjchienenen Bände IX und X des Bulletin
Belgien. 197
ver Alatmie enthalten außer ber oben fchon aufgeführten Notice sur la
captivite de Francois | von Herrn Gachard noch eine Notice von Herrn
Tesmet sur la Renaissance de la ville de Gand, apres la retraite des
pirats da Nord (IX 287) und in Band X von Herrn Kervyn de Let⸗
tmbeve, a) ein Fragment de I’histoire des Croisades ©. 365; b) Le
poces de Robert d’Artois (im 15. Jahrhundert) premiere partie p. 641.
In beiten Bänden it mehrmals von ven Verhandlungen fiber bie
Ausführung ver Tgl. Berorenung vom Jahre 1845 die Rebe, in welcher
ter Afabdemie vie Ausarbeitung einer Biographie nationale aufgetragen
wurde. Verſchiedene Commiſſionen waren mit ver Feftftellung eines Pla⸗
nes tiefes Unternehmens beſchäftigt. Baron ven St. Genois, ihr letzter
Vorſtand, machte den 10. Mai 1860 über ihre Bejchlüffe einen (auch bes
inter gedruckten) Rapport sur les moyens de mettre en execulion l’ar-
rete royale vom 1. Dezeniber 18413 en ce que qui concerne la publi-
tstion d’une biographie nationale (37 ©.) mit Angabe ver hiezu ale
Cnellen zu benügenten Schriften. Der vorgelegte Entwurf wurde gut
geheißen ımb vom Minifter Rogier ven 29. Mat 1860 keftätigt (S. 35,
37 und des Annnaire von 1861 ©. 76) und dann tie Mitglieder der
Redactionscommiſſion aus ben drei Claſſen der Akademie ernannt. Sie
kefteht aus 16 Mitgliedern, Präfitent ift Baron ven St. Genois und
Schretär Er. Fetis. (Ebent. S. 97). Eine Notize über ven Bang die—
jr Angelegenheit findet ſich in demſelben Annuaire ©. 106, deßgleichen
me über tie Ausjührung des kgl. Beſchluſſes betreffend eine durch die
Akademie zu verfaſſende Kunftgeihichte (S. 114) jewie über bie Ar-
keiten ter Commission pour la publication des anciens monuments de la
Ktterstare Aamende (p. 103). Zwiſchen 1857 — 1860 find erichienen
Maerlants Rhymbibel herausgegeben von David b) deſſen Naturbloe-
men herausgegeben von Bormaus c) deſſen Alexander Geeſten herausgege⸗
ken ven Suellaert.
TIL, Sereffenlidungen ter Commissi“n royale pour la publication des anciennes lols et erdon-
nancer de la Belgique.
Proces verbaux des Ssances Tome III. Cah. 3 et 4.
Brux. 1859. 8.
Liste chronologique dos édits ot ordonnances do 1a
principaut6 de Livge de 1507 à 1684. Brux, 1860. 8.
198 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
Becueil des Ordonnances des Paysbas autrichiens.
IH. Serie 1700 — 1794 t. 1 cont les Ordonn. de 18. Nov. 1700 as
23. Jun. 1706 publi6 par M. Gachard. 1 Vol, fol XXXVI unb 873-
8. f. Brux. 1870. fol.
Recueil des Ordonnances de la princoipaute de Lidge.
III. Serie 1684 — 1794 I. Vol. cont les Ordonn. du 10. Mars 1744
au 5. Jun. 1794 par M. Poloin. Brux. 1360. IX und 1084 ©. fi. 8.
Zu den unvergänglichen Verdienſten der belgifchen Regierung ge
bört auch das faft unabjehbare Unternehmen der auf Staatsloften ver-
anftalteten Herausgabe aller, einft (vor 1799) in ven verichiebenen Pro⸗
vinzen geltend gewejenen Rechtsquellen. Der Gedanke dazu wurde 1846
von dem bamaligen Juftizminifter Baron ven Anethan Sr. Majeſtät
vorgetragen, von legterer bereitwilligft aufgenommen ; jofort eine aus jn⸗
riftifchen uud hiſtoriſchen Notabilitäten beſtehende Commiſſion ernannt,
welche nicht zögerte, ihre jchwierige, umfaſſende Thätigkeit zu beginnen,
Bon 1846 auf 1848 gab fie den erften, 1852 ven zweiten Band ber
Protololle ihrer Sigungen wit einer Maſſe von Rechtspocumenten und
von da bis 1860 ven britten, jedesmal in periodiſch erjcheinenden Heften,
heraus,
Sie ließ ferner ihre Vorarbeiten druden: nämlich chronologifcde
Berzeichniffe der Edicte und Berorbnungen. a) ber öfterreichiichen Nieder»
lande 2 Bde. b) des Fürſtenthums Lüttich c) des Fürſtenthums Stave⸗
Iot und Malmedi, jedoch nur die der dritten Serie d. h. die der letzten
©efetgebung ver Länder angehörenven Aktenſtücke. Endlich erichienen brei
elegant gebrudte Foliobände der Verordnungen und zwar des Fürſten⸗
thums Lüttich von 1684 bis 1794 und ber öftereihiichen Niederlande
von 1700 bis 1706. Die Herausgabe der erften bejorgte Herr Polain,
ber zweiten Gachard, Männer, deren Name fchon für das glüdliche Ges
lingen des Unternehmens bürgen.
Ref. machte vom Anfang veffelben und dem Erſcheinen des 9. I
bed Recueil des Ordonnances de Litge ausführlihe Mittheilungen in ven
Gel. Anzeigen ver k. bay. Alademie des Jahres 1857 Bd. XLV Nro. 47
bis 48 ©. 348— 359 und 378 — 383. Da ihm zur Zeit noch em
Theil der Sigungsprotofolle und der chronologifchen Piften fehlen, fo be
hält er fi vor, in einem folgenden Bande dieſer Zeitichrift einen voll.
ſtändigen Bericht über diefe auch für die Geſchichte Dentſchlands fo ſehr
Belangreiche Bublication zu veröffentlichen.
Belgien. 199
vu Vereins, und Zeitfäriften und dgl.
1) Revue historique et d’Archdologie. t. Il. Bruxelles.
2) Annales historiques, politiques et litdraires V. annde
(Liege).
3) Annales de la Socidte archdologique de Namur. t. VI.
4) Revue de lanumismatique belge, publide par M.M. Chalon
et Piot, t. IV. 168 p.
5) A. Piuchart, Arohivos des arts, sciences et lettres.
Doeuments inddits. 1. Serie. t. I. Bruxglies.
6) Journal hist. et littdraire de Lie&ge, publid par M. Kersten.
AIXVII.
7) Bulletin scientifique et littéxairo du Limbourg. Tongres.
8) Bulletin del’Institutarchdologique Lidgeois. t.’IV. Livr.
le II.
9) Memoireos de la Société d’Emulation de Lidge: process
verbaux et piöces couronndes: nouvelle Serie. t. 1. Lidge 1860. XXIV
2.548 p. 8.
10) Messager des Sciences historiques annee 1860. Gand.
28 p. 8.
11) Revue trimestrielle, redigee par M. van Bemmel, Brux.
25 — 28. 12,
Sämmtliche bier aufgeführte periopiihe Blätter find Fortfetsungen
ter im Bd. IV Diefer Zeitihrift 1860 S. 264 — 270 vom Refer. be
khriebenen oder bezeichneten Zeitichriften. Leider find nur die drei letten
a feiner Kenntnißnahme gelangt und vom Inhalt des unter Nr. 8 auf-
geführten Bulletin de l’institut archeologique Liegeois oben (S 182) das
Nöthige gelagt worden.
Tie Memoires der Societe d’Emulation find in ein neues Stadium
getreten : flatt eines Meinen Bänpchens haben wir jett einen mit Luxus
getrudten diden Octavband vor uns, ver von dem großen Eifer ver
Geſellſchaft ein rühmlihes Zeugniß ablegt. Man ficht überall die kräf⸗
tige Hand ihres thätigen Gefchäftsführers Hrn. Ulyſſe Capitaine. Leider
200 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur bes Jahres 1860,
enthält dieſesmal ver Band als gekrönte hiftorifche Abhandlungen nur zwei
Preisſchriften über die Yortichritte der Eijenbahnprobuttion im Lättich’jchen
von Fraquote und v. Warzee. ’
Der enter Messager des Sciences historiques enthält in feiner Ab⸗-
theilung Notices et Dissertations treizehn abermals fehr geviegene Ar-
beiten und in ber Chronique des Sciences et arts werthvolle antiquari⸗
fhe und literariſche Mittheilungen. Elf Stahlftihe zieren ven Band.
Beſonders lejenswerth find die Gefchichte der Kirche Notre dame au Lac
zu Tirlemont von Moulaert (S. 1 u. 183), vie gejchichtliche Beſchrei⸗
bung des geweienen Dominicanerflofters und feiner Kirche zn Gent von
van der Meerih S. 149 und der St. Quentiuskirche zu Haflelt: von
Schaepkens ©. 297.
Bon bejonderem Intereſſe ift der S. 495 gegebene Nachweis bes
bänifchen Urjprungs des den Beffroithyurm zu Gent feit Jahrhunderten
ſchmückenden, von Conftantinopel nad Flandern gebrachten vergolveten
Draden von Bronce. Diejen Urjprung hat 1859 Dr. Kiern in Kopen⸗
hagen nachgewiefen, vefien Abhandlung darüber franzöfifh im Meſſager
wiedergegeben wird.
Die Belgien betreffenden hift. Artifel ver Revue trimestrielle find von
zweierlei Art, nämlich I. eigene Abhandlungen wie 1) Le roman de le
cour de Bruxelles sous Isabelle von Gamille Pique (B. 1 ©. 171—207)
2) Yottrand’8 Biographie von de Potter (II. 5— 104), 3) Un Vaudeois
beige (im 12. Jahrhundert von G. van der Elf. Ebend. ©. 173).
4) Lettres sur l’histoires de la Belgique von P. A. %. Gerard II ©. 152
111, 193 — 222, bie eine neue lejenswerthe Erflärung der Urſachen und
des Zweckes der Normänniichen Raubzüge in den Tarolingifchen Reichen
geben. 11. Kritifhe Anzeigen neu erjchienener Schriften über beigifche
Geſchichte von van Bemmel, 3. B. die im B. 1 ©. 301 gegebene Ueber⸗
ſchau ver periodiihen Schriften der hiftorifchen Vereine im Lande, welde
Refer. 1860 in feiner eigenen eben angeführten benütt bat, und eine Re⸗
cenfion von Henne's Geſchichte Carl's V. 3. 11. S. 370.
MR. Talturgeſchichte und Varia.
1) F.N.J.G. Baquet, Analectes pour servir & l’histoire de
l’Universit6 de Louvain. 122 p. 8.
Belgien. | 201
2) Annuaire de l’Universitd catholique de Louvain. 26
ımnde LXXXII u 824 p.
3) Annuaire de l’Universitd deLidge. I. annde 1859 — 60.
XXIV u. 430 p. 8. "
38) Cataloguo des Livres et Manuscrits, formant la biblio-
de M. J. B. Th. De Jonghe, Officier de l’ordre de Leopold. Brux. 1860.
Il vol. 8.
4) F. van der Hacghen, Bibliographie Gantoise. II. Partie.
17. Siecle,
5) Oeuvres de Marnix de Ste. Aldegonde, publids par de
Croix. Brux. t. VIII. 500 p.
6) P. Laureut, van Espen, Etude historique sur l’Eglise
et l’Etst en Belgique. Brux. 218 p. 18.
7) M&moires du prince de Ligne suivis des pensdes du prince,
et preede d’une introduction par A. Lacroix. Brux. 286 p. 8.
8) Calendrier Belge, fetos religieuses et civiles, usages, croyances
et pratiqnes populaires des Belges anciens et modernes par le Baron de
Beinsberg-Duringsfeld. Brux. 1860.
9) Easais sur les grandes dpoques de notre histoire nationale et
melanges politiques et littraires par le Baron de Gerlache. Nouvelle
“dition. Bruxeles 1859. 2 Abtheilungen. 222 u. 260 ©. 8.
10) Th. Juste, La Belgique en 1860, Brux. 136 8. 8. Mit
Dh. Porträt bes Könige Leopold.
11) La Belgique inddependante par J. Boniface (Le Defree)
Brax. 120 p. 12.
12) La Belgique et l’Empire Francais. Brux. 1860.p.1 — 28.
Die vier Lieferungen des unter Nro.8 aufgeführten Calendrier Belge
vom veutichen Baron v. Reinsberg⸗Düringsfeld jind der Anfang eines
hochſt verbienftvollen zugleih unterhaltenven Beitrags zur belgiſchen
Sittengeſchichte. Es werden darin vom 1. Januar an bie religiöjen Feſte
jeden Tages mit allen dem Berf. fund gewordenen Eigenthitmlichkeiten
oft in dem Heinften Dertlichleiten bejchrieben und dieſe Seite des Volls⸗
208 Neberficht der hiſtoriſchen Literatur bes Jahres 1860,
lebens im anziehenver Weije geſchildert. Mit Recht jagt bee Berfaſſer,
Belgien fei im wahrſten Sinne des Wortes das Land der Feſte immer
geweſen, und jei es noch jegt. Neben ven religiöfon Feierlichkeiten, deren
nicht felten heidniſcher Urjprung nachgewiejen wird, fanden allerlei welt
liche Boltbeluftigungen feloft ſcurile Aufzüge ftatt, manche Wohlthätig-
feit8acte wurden ausgeübt, und das Andenken an vergangene Zeiten zus
rücgerufen. Daß manches Abergläubijche zu erbliden ift, erlärt fich ans
ben Zeiten bes Wunberglaubens, genährt durch fromme Legenden und
Sagen. Welches jelbft proteftantiiche Land hat nicht vergleichen aufzu⸗
weiien? Dieje Boltsfefte ſchildern uns anjchaulidher als es fonft gefchehen
tönnte, die Culturhöhe der Zeiten, die Anhänglichfeit ver Bevölkerung an
das Hergebrachte und ihre Verehrung religiös fittlicher Ideen, follten vier
felben auch etwas materiell und craß fein, wie man von dem Bildungs
ftand der unteren Bollsſchichten nicht anders erwarten Tann.
Baron dv. Keinsberg- Düringsfeld zeigt in der Durchführung feines
Unternehmens, daß er ein deutſcher Gelehrter ıft, dem Grünplichleit und
Wahrhaftigkeit erfte Gejege find. Er hat fi mit der gefammten älteren
und neueren religiöjen und biftorijchen Literatur Belgiens vertraut ges
macht, reiste im ganzen Lande umber, um unenbliche Belehrungen über
die Ortsfefte und Gebräuche zu erhalten und ſpricht in der Vorrede fie
benzig ihm in feinen Nachforſchungen unterftügenven Freunden in allen
belgiſchen Provinzen, worunter mir Namen von beften lang begegnen,
feinen Dank aus.
Eine Hauptunterſtützung fand der Verf. in Corremans zu Brüſſel,
deſſen Wert l'Année de l'ancienne Belgique ibm als Vorbild diente und
jehr oft in den Noten angeführt wird, neben andern zum Theil wenig
befannten Schriften.
Auch befliß fih ver Berf., mandes in den flamändiſchen Provinzen
vorfommente mit Hilfe germaniſtiſch-philologiſcher Erudition zu erklären.
Der mit dem religiöfen Leben anderer katholiſcher, auch proteftantiichen
Länder befannte Yejer des Calend, beige fieht alsbald, daß viele Feſt⸗
ioitäten, Uebungen u. ſ. w. nicht belgijch »natienal, jondern germaniſch⸗
hriftlich find, jo daß ihm deren Schilverung nur in fo weit Neues
bietet, al8 in dem vom Berfaffer bejchriebenen Ortsgebrauche viefelben
eigenthümficher Art waren. Das Hinweiſen auf das anderwärts vors
tommende wäre baber erwünjcht geweſen.
Belgien. 203
Nach tem Titel des Werkes Nr.9 von Hrn. v. Gerlache erwartet man
tarın eine wiljenichaftlich begründete Feſtſtellung und eingehende Charakters
zihnung ter Sanptperioden der belgiichen Geſchichte. Allein das Buch ent«
halt nur Die zu verſchiedenen Zeiten zum Theil in Bulletins der königlichen
Atademie veröffentlichten Memoiren und Borträge des Verfaſſers, deren
Tendenz weniger eine objectiv hiſtoriſche als eine religiös» politiihe if.
Ein der liberalen Partei im Lande angehörender Schriftfteller Felix vel
Haße gab im zweiten Bande ber Revue trimestrielle vom Jahre 1857
eme fehr ſcharfe, nicht wohlwollende Kritit Gerlache's als Hiftorifer, und
führte and, wie terielbe durch und durch politijcher Parteimann, ter zur
Zeit jeiner Rüdtehr in fein Baterland noch vom literariſch freijinnigen
Geifte des Jahrhunderts bejeelt, allmälig, nach einer einflußreichen Stel
lung ſtrebend, fih an tie Spige der damals jog. katholijchen Oppoſitions⸗
rartei ftellte und mit Umjicht fortichreitend im Jahr 1831 zulegt Präſi⸗
vent des Nationalcongrefies wurde. Es mußte für Herrn v. Gerlache
ame fchwere Aufgabe fein, in fi das Revolutionsprincip mit dem
Geherjam gegen die Obrigteit, welchen vie Kirche gebietet, in Einklang
m bringen.
Cs gelang ihm in ver Weife, daß bis zur Confolivirung des neuen
Königreich er das erfte vorherrjchen ließ, daß aber nachher in fteigenver
Progreſſion in jeiner politiihen, wie in jeiner literärijchen Thätigkeit
das zweite die Oberhand gewann, jo zwar, daß er in ver jeinen Oeuvres
änverleibten neueften Auflage jeiner belgiſchen Geſchichte als Bertheiviger
Philipp IL. auftritt. ©. die Revue trimestrielle von 1861 Bd. I.
©. 356. Jedvbenfalls ift es richtig, daß Herr von Gerlache entichieven
mehr politischer Schriftfteller als Hiftoriter ift; feine gejchichtlichen Ars
keiten find von tem eben bezeichneten Geiſte durchdrungen. Man
zug dieß bemerken, um das Berftäntuig and tes vorliegenden
Bandes jener Werke und teren richtige Beurtbeilung zu ermög⸗
lichen und die Bariationen in feinen Anfichten in feinen früheren und
fpäteren geſchichtlichen Arbeiten fich zu erflären.
Die erſte Abtheilung des Gerlache'ſchen Wertes führt den Titel
Melsages historiques , und enthält eine Reihe von geiftreih und claſſiſch
geichriebenen Abhandlungen, die fi zwar auf Ouellenſtudien fügen, fich
aber doch mehr anf der Oberfläche bewegen und im Grunde wenig Neues
bieten. 1) De l’Etablissement du Christienisme en Belgique Nro. 1,
206 Ueberſicht ber Hiftorifchen Literatur bes Jahres 1860.
nnd treuefte Anhänglichkeit an den Fürften, auf welchen als einen feine
würbigften Söhne Deutichlaud ſtolz zu fein alle Urſache hat. —
Schließlich iſt noch einiges über das unter Rro.3 a aufgeführte Bücher⸗
und Handjchriftenverzeichniß der vom Nov. 1860 bis Ende Januar 1861 in
Brüffel öffentlich verfteigerten Bibliothel des den März 1860 verftorbenen
Dr. 3. B. Th Dejonghe mitzutheilen, eines Katalogs, deſſen letz ter Theil
von Nro. 5210 bis 8112 eine wiſſenſchaftlich geordnete, faſt vollſtändige
hiſtoriſche Bibliographie Belgiens und theilweiſe der nördlichen Nieder⸗
lande enthält. Eine kurze Biographie des ehemaligen Herrn der Sanım-
lung ift vorangefhidt. Refer. ftand mit diefem in ſehr naher Beziehung.
Sohn einer der angejehenften und reichten Familien Brabants wurde der
junge Dejonghe im Oftober 1818 ven Referenten, damals Profefior ber
Nechte in Lüttich, übergeben, um, in deſſen Haufe wohnend, feine alade⸗
miſchen Studien an ber dortigen Univerfität zu machen. Er blieb an ber
felben fünf Jahre und entwidelte eine von Jahr zu Jahr wachſende Neis
gung zu ernften, grünvlichen, namentlich hiftorifchen Studien. Den Be
weis ihres glüdlichen Erfolges legte er 1823 in feiner umfangreichen,
von ihm unter des Refer. Leitung allein ausgearbeiteten, auch in Dentſch⸗
land anerkennend aufgenommenen Inaugural-Differtation: de matrimonio
ejusque impedimentis ab. Drei Jahre jpäter warb er im nieberländifchen
Minifterium des Aeußern angeftellt und nahm 1831 erft nach der factie
fhen Trennung ber belgifhen Provinzen feinen Abſchied, trat aber nicht
wieder in den Staatsbienft, fondern widmete fih ganz und gar den Stu⸗
bien. Sein Hauptbeftreben war die Bildung einer vorzugsweije hiſtori⸗
ſchen Bibliothek, in welcher vie Gefchichte feines Vaterlandes jo vollftän-
dig wie möglich vertreten fein follte. Ein Vermögen, das jährlich gegen
40,000 Franken Einkünfte abwarf, feste ihn in ven Stand, feine zur
Feidenihaft gewordene Neigung zu befriedigen. Zulegt war fein fehr ge
räumiges, dem Obfervatorium zu Brüſſel gegenüber gelegenes Haus wur
noch eine Bibliothef, in welcher die meiften oft mit größtem Lurus ein»
gebundenen Bücher in Glasſchränlen von Mahagoni aufbewahrt wurden.
Set van Hulthem war keine fo ausgezeichnete Sammlung belgiſcher Ge
ſchichtswerle zu Stande gelommen. Ihres Beſitzers ſchwache Geſundheit
verhinderte ihn an gelehrten Arbeiten, wozu er in Folge ſeiner nicht
blos bibliographiſchen Kenntniſſe wohl fähig geweſen wäre. Mit Liberalität
geſtattete er die Benügung feiner literariſchen Schäge den Freunden
Belgien. 207
ver Wiſſenſchaft. Lieblingsfindien von ihm waren Numismatif und Ge-
raltıl, in welchem Fache ihm, dem Mitglieve ver heraldiſchen Commiſſion,
m Belgien Niemand gleihlam. Seiner gründlichen rechtshiſtoriſchen
Kenmnifſe halber warb er 1848 auch zum Mitglied der königlichen Com⸗
stiften für vie Herausgabe der fämmtlichen Quellen des früheren Rechts
m Belgien ernamt.
Seine große 8112 Nummern zählende Bibliothek war wiffenfhaftlich
geerdnet, was die fo fehr gelungene Ausführung des Kataloge duch Hrn.
Ruelens, Beamten ver belgiſchen Staatsbibliothet, fehr erleichterte. Da ver
Catalog in Deutſchland ziemlich befannt geworben ift, fo hat Refer. nicht
zöthig, eine Beichreibung feiner Anorbuung namentlich auch ver bels
gijchen Geſchichte zu geben: ſondern denſelben nur allen Geſchichtsfreun⸗
den insbeſondere den ſich mit hiſtoriſchen Studien über die Niederlande
befaſſenden als die beſte, leicht ſich zu verſchaffende Bibliotheca historica
beigica zu empfehlen. Eine nicht geringe Zahl Handſchriften finden ſich in dem⸗
ielben verzeichnet. Es ift nur zu mwünjchen, daß in einem Nachtrag zum Catalog
angegeben werde, wohin dieje, jewie andere feltene Werte — oft nur
miea — in Folge des Verkaufes gefommen find. L. A. Warnkönig.
Quinsonas, Materiaux pour servir & l’'histoire de Mar-
guerite d’Autriche, vergl. oben ©. 177.
Das voluminöfe, prächtig ausgeitattete und mit vielen Sluftrationen,
Facfimile 2c. gefchmüdte Werk entipricht leiver durchaus nicht den Erwar-
umyen, weiche feine äußere Erſcheinung hervorruft. Margaretha von
Ceſterreich, die Tochter Marimilians, ift zwar eine von der belgiſchen
Hifteriegraphie mit Vorliebe behandelte PBerjünlichkeit, und es ließe jich
ſehr gut im Anſchluß an ihre Biographie eine Geſchichte der habsbur⸗
giſch-burgundiſchen Belitit im Beginn des 16. Jahrh. geben. Aber 3
tidleibige Bände mit bloßen Vorarbeiten dazu ift denn doch etwas zu
viel Und nun gar die Beſchaffenheit dieſer Vorarbeiten. Sie fcheis
nen in der That dem Berfajler bloß dazu zu dienen, feiner Indig⸗
nation Über die Berderbtheit des 19. Jahrh., jeiner Bewunderung des
fronmen Mittelalters Anlaß zu längeren Excurſen zu geben, mit denen
vie beiden erften Bände erfüllt find. Sie ftimmen jedenfalls unjere Er⸗
wartungen anf die vom Verf. in Ausjicht geftellte Biographie Marga⸗
208 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur bes Jahres 1860.
rethens fehr herab. Cine kurze Ueberjicht über ven Inhalt wird zeigen,
welchen Werth das Werk für die allgemeine Geſchichte hat.
Dr. 1 enthält bloß topographiſch-hiſtoriſche Beſchreibungen einiger
Orte, vorzüglihd Klöfter und anderer geiitliher Stiftungen, an benen
Margarethe fi einmal aufgehalten, theils Auszüge aus Druckwerken,
theil8 auch Benrbeitungen urfuntlihen Materials, das aber nur provin⸗
zielle Bedeutung hat (betr. das franz. Departement Yin). Bo. 2 p. 1
— 273 gibt eine breite Erörterung über vie Grabſtätten Margaretbens
und ihres Gemahls Hzg. Philibert v. Savoyen und die Beilegung der
Erſteren. p. 275 — 547 folgt ſodann eine Auswahl von Büchern über
bie Geſchichte der Jahre 1480—1530, die unter alphabetiſch geordneten,
ganz willkürlichen Rubrifen eine Menge Bücher in bunteſten Gemiſch auf-
führt, deren Beziehung zu genannter Zeit man beim beſten Willen nicht
erkennen kann: wie z. B. Pertz' Monumente, eine Ausgabe des Widu⸗
find, der Loi Gombette, des Bocaccio, Werte über ven Einfluß ber Krenz⸗
züge, Frankreich vor der Revolution u. |. w. An irgend welche Boll
ftändigfeit ift gar nicht zu denken, am wenigften für deutſche Gejchichte;
der Berf. hat offenbar deutſche Titel nicht leiden können. Werthooll kann
allenfalld Br. 3 genannt werben, ber 36 meift unbelannte Dokumente
anf jene Zeit bezüglih aus ven Archiven von Turin und Lille enthält,
die aber auch zum Theil bloß Leichencenducte und Einkünfte von Sclöf-
jern zc. betreffen.
Die der Berf. (T, XI) in feiner Beſcheidenheit ſelbſt vorausficht,
wird die Nachwelt fein Werk weniger für ein gutes als für ein ſchönes Buch
halten und weniger den Inhalt als „sa rareté et l'exécution typogre-
phique“ loben. H. P.
10. Bie Wiederlande.
Wir beginnen unfere Weberfiht ber hiſtoriſchen Literatur ber Niederlande
vom Jahre 1860 mit 2 Reben:
Dr. R. Fruin, De onpartydigheid van den geschiedschry-
ver. Amsterdam, J. H. Gebhard. Borgetragen am 1. Juni, ale Hr. Fruin
die Profeſſur der vaterländifhen Geſchichte antrat.
Dr. W. G. Brill, De juiste boschouwing dor geschiedenis
Die Niederlande. 209
ia hare vrymakende kracht. Leiden, J. E. Brill. Borgetragen
ım 20. Geptember beim Beginn bes neuen alabemiichen Stubienjahres.
Algemeene Geschiedenis des Vaderlands, van de vroegste
tijden tot op heden. door Dr. J . Arend, voortgezet door Mr O. van Rees
ea Dr. W. G. Brill Derde deel, derde stuk. aflevering 1—9. Amsterdam,
C. L Schleyer en Zoon. Fortsetzung, siehe Jahrgang 1859.
L. Mulder, Handleiding tot de kennis der Vaderlandsche
Geschiedenis ten dienste van hen, die zich tot de lessen by de
koninkiyke Militeire Academie wenschen voor te bereiden, de druk. Leiden,
E J. Brill. 8.
J. c. de Jonge, Geschiedenis van het Nederlandsche
Loewezen. Vermeerderd met de nagelaten aanteekeningen van den over-
isden schryver en uitgegeven onder toezigt van Jhr. Mr. J. K. J. de Jonge.
2. ärak. Haarlem, A. C. Kruseman. Aflevering 21 — 31. Fortsetzung.
siehe Jahrgang 1859.
J. L. Motley, History of the United Netherlands from the
desth of William the Silent to the Synod of Dort. 2 volumes. Continental
Copyright Edition. The Hague. Martinus Nyhoff.
— —, De opkomst van de Nederlandsche Republiek
wit het Engelsch vertasld onder toezigt van Dr. R. C. Bakhuizen van den
Brink. Aflev. 12 en 13. ’sGravenhage, W. P. van Stockum, Hetzelfde
werk. 2. druk. 8.
— —, De opkomst van de Nederlandsche Republiek.
Tweede afdeeling, ook onder den titel: Geschiedenis der Vereenigde Ne-
derlanden, sedurt den dood van Willem den Zwyger tot op de Synode
van Dordrecht, met een volledig overzigt van de worsteling van Engeland
ea Holland tegen Spanje , en van den oorsprong en ondergang der Spaan-
sche Armada. Uit het Engelsch vertaald onder toezigt von Dr. R. C.
Bakkuisen van den Brink. Eerste aflevering. "sGravenhage, W. P. van
Stoekum.
J. van Vloten, Neerlands opstand tejen Spanje in zyn’ ver-
deren voortgang, 1575—1577. Haarlem, A. C. Kruseman. Fortsetzung,
siehe Jahrgang 1859. "
Oipesiige Beitfärift YL Bams. 14
210 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.
William H. Prescott, Geschiedenis der regering van
Philips II, Koning von Spanje. Uit het Engelsch vertaald door Dr. W.
J. A. Huberts, met eene voorrede van den Hoogleeraar W. G. Brill en
eene levonschets van den Schryver. Aflever. 1 en 2. Zutphen.
Die Geſchichte Philipp’s II, von Prescott läßt fich faft als die Ges
ſchichte des Anfangs der Erhebung der Nieverlande gegen die fpanifche
Herrſchaft betrachten, fo daß wir glauben, hier die Ueberſetzung des Wer-
kes notiven zu dürfen, ver Hr. Prof. Brill eine interefjante Vorrede bei-
gefügt hat.
C. L. Vitringa, Geschiedenis der Bataafsche Republiek,
Tweede gedeelte (Gedenkschrift derde stuk)., Arnhem, Js. An. Nyhoff ea
Zoon. Fortsetzung, siehe Jahrgang 1859.
Bosscha,P., De geschiedenis van Oostelyk en Noordelyk
Europa gedurende het merkwaardig tydvak van 1687 — 1716: opgehel-
derd uit onuitgegeven brieven eu andere oorkonden van Nederlandsche
Staatsmannen. Zalt Bommel, Joh. Noman en Zoon.
Das Bud enthält die Korrefponvdenz Gisbert Cuperd mit dem Ges
fandten der Vereinigten Provinzen zu Conftantinopel Jacob Colyer, und
dem Conful de Hachepied zu Suyrna. Cuper war einer der einflußrei-
hen Staatsmänner feiner Zeit, von König Wilhelm gefhätt und mit
einer coloffalen Gelehrſamkeit auögeftatte. Er führte einen weit ausge»
dehnten Briefwechfel mit vielen bemertenswertben Perſonen feiner
Zeit, u. a. mit dem Bürgermeifter von Amfterdam, N. Witjen,
aber auch mit berühmten Männern des Auslandes wie mit Leibniß.
Segen das Ende feines Lebens wurde er zum auswärtigen Mitglieve
der Barifer Akademie der Injchriften ernannt. Da er auf feinen Brief
wechjel, wie er und jelbft in einem unedirten Briefe an Witjen belehrt,
große Sorgfalt verwandte, fo hinterließ er nach feinen Tode eine große
Menge von Blättern, welche für vie Literaturgefchichte durchweg von
großen Intereſſe find. Hr. Bofiha, Profeffor am Athenäum zu ‘Deventer,
welcher einen raiſonnirenden Catalog von Cuper's Manufcripten beraus-
gegeben und ſich außerdem viel mit ihm bejchäftigt hat, veröffentlicht in
dem vorliegenden Bande eine Reihe von Briefen, welche zwar des Interefies
nicht entbehren, für deren BVeröffentlihung man aber eine andere Form
hätte wünjchen können. Was die Mlanujcripte Cuper's betrifft, fo finden
Die Nieberlanbe. 211
fie fi) jetzt, nachdem fie lange Zeit in den Händen -von Privatperſonen
waren, großentheils in dem königl. Archiv im Haag.
Gedenkstukken van Johan van Oldenbarnevelt en zyn
tyd. Verzameld en met inleiding en aanteekeningen uitgegeven door M.
L. van Deventer. Eerste deel 1577 — 1589. "sGravenhage, Martinus
Nyhoff.
Die Papiere des Rathspenſionärs van Oldenbarnevelt wurden zur
Zeit feines Prozeſſes mit Beſchlag belegt; aber obwohl der Vorſchlag dazır
glei nach feiner Verhaftung gemacht worden war, fo hatte die Wegnahme
der Papiere doch erft nad) der Erecution ftatt. Man kann faum anneh-
men, daß die Familie fie während der Monate, die zwifchen jenen bei⸗
ven Ereigniſſen verfleffen, unberührt gelaffen hat. Was davon übrig
if, befindet fi im Archiv des Königreihs und bilvet eine Sammlung
von hohem Intereſſe wegen der Wichtigkeit und der langen Dauer des
Miniſteriums jenes Staatsmannes, von dem fie herrühren.
Hr. van Deventer hat eine Quelle, welche jo fruchtbar zu fein
verſprach, benugen zu müſſen geglaubt, und bat fih angeſchickt, fie zu
turhhferfchen, ein Unternehmen, das deshalb außerordentlich ſchwierig iſt,
weil die Echrift Oldenbarnevelt's beinahe unleferlich fein fol; das Fac⸗
finrife, welches dem vorliegenden Bande beigefügt ift, beftätigt dies. Die⸗
fer Band reicht nur bis 1589, Mit Ausnahme einiger Papiere von prie
vatem Charakter, welche zeigen, daß D. über den Staatögejchäften feine
ägenen leineswegs vernachläſſigte, findet man ba intereffante Details über
den Antheil, den er an der Bildung der Union von Utrecht gehabt hat,
umd außerdem eine Fülle von Actenftüden über die Verhandlungen mit
der Königin Elifabeth, die ſchon Motley in feinem neueften Buche benutzt
bit. — Die Correjpondenz Olvenbarnevelt’8 mit ven diplomatifchen Agen⸗
ten ver Republik wird unzweifelhaft ein um jo helleres Licht auf tie Ges
fhichte feiner Zeit werfen, als Oldenbarnevelt tie Secle der auswärti-
gen Politik war: im erſten Bande finden wir gleih vie Correfponvenz
mit Ortell, dem Gejandten in London. Hr. v. Deventer theilt mit, daß
er nicht das Glück gehabt habe, vertraute Briefe zu finden; wir bedauern
das fehr, weil jo noch ein Schleier das private Leben des großen Staats»
mannes verbirgt. Hoffen wir mwenigftend, in den folgenven Bänden eine
große Zahl von Actenftüden zu finden, bie fi auf die Feſtſetzung der
inneren Berhältniffe der vereinigten Provinzen, auf die Dlvenbarnevelt
14*
212 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.
einen jo großen Einfluß gehabt bat, beziehen. In der Stänbeverfanunfung
Hollants war jein Einfluß ungehener. Die Geſchichte der hervor
ragenten Staatsmänner, welche mächtig auf die Gcidfale ver Re
publik eingewirkt haben, gewährt jedoch uicht jenes eigenthämliche In⸗
terefie, welches die Staatsmänner Englands erregen, wenn man fie auf
dem parlamentariihen Kampfplag ftreiten jieht In ten vereinigten Pros
vinzen konnten weder die Verſammlungen ter General» noch der Provin-
zialftanten, wo jedes Mitglied genau an die ihm gegebene Inſtruction
gebunden war, in gleihem Maße ten oratoriihen Talenten der Mitglie⸗
ter Spielraum bieten. Dies war ebenje ter Yall mit Oldenbarnevelt,
welcher die Staaten Hollants beinahe 40 Jahre hindurch geleitet bat.
Die Methode ver Edition tes in Rede ftehenten Bandes ſcheint uns
fehr empfehlenswerth. Die verſchiedenen Stüde, aus denen er beftcht,
find zu einem Ganzen vereinigt und durch Noten erläutert, die von einer
joliven Gelehrſamkeit zeugen. Es ift zu hoffen, daß die folgenven Bände
nicht zu lange auf ſich warten laffen werten.
Groen van Prinsterer, Mr. G., Verspreide Geschriften.
2. d. Amsterdam, H. Höveker, 1859, 60.
— — — —, Le parti antirdvolutionnaire et
confessionnel dans 1’Eglise Reformde des Pays-Bas. Etude
d’Hintoire contemporaine Amsterdam, Höveker. Paris, Meyranis Ce.
Wir haben bier 2 Bublicationen des Herrn Green van Prinfterer
zufanmengeftellt. Die erfte enthält Schriften und Brochuren, die zu verſchie⸗
denen Zeiten veröffentlicht worden find, darunter 5 Stüde, die auf die Geſchichte
der Niederlande Bezug haben: 1) Ueber Conſtantin Huygens. 2) Ueber bie
Hauptinotive, welche heutigen Tages bejonders in dem Königreich der Nieder⸗
lande zum Studium ver Nationalgefchichte beftimmen, (geſchrieben
1826; 1829 erſchien eine franzöfiihe Ueberſetzungſ. 3) Ein Bor»
trag gehalten in einer Situng des königl. Inftituts im December
1836, der Detaild über eine im Intereffe der Herausgabe ver Archives
de ia Maison d’Orange Nassau unternommene Reiſe enthält. 4) Ein fran-
zöſiſcher Artikel Über die Grunpfäge und die Folgen der Reformation.
6) Ein Bortrag, gehalten 1842 in einer Sitzung des Inftituts über das
Licht, welches die Eorrefpondenz des Prinzen Wilhelm von Dranten über
die Gefchichte feines Lebens verbreitet. — Was die zweite Schrift bes
-—
“
x
Die Niederlande. 213
trifft, fo Hat fie ohne Zweifel einen hiſtoriſchen Charakter. Der Berf.
nennt fie jelbft eine Studie zur zeitgenöffischen Geſchichte. Wir haben
früher ſchon des Buchs von Herrn Kiehl gedacht: Geſchichte der Reprä-
fentatioverfaflung in den Niederlanden, ein Werk, das bejonders für das
Ausland beftimmt ift. ‘Diejenigen, welche dies Buch gelefen haben, wer:
ven wohl thun, auch das Wert des Herrn Groen zu lefen. Aber wir
glauben doch nicht, hier genauer darauf eingehen zu follen, weil die Ent-
ſtehung des Buche mit den religiöjen und politiichen Kämpfen unferer
Zeit zufammenhängt und es fi) dabei nicht um die reine Geſchicht
hanbelt. |
Thorbecke, J. R, Historische Schetsen. 'sGravenhage, Mar-
tinus Nyhoff.
Es wird uns in dieſem Buche eine Sanımlung von hiftorifchen
Studien geboten, die von einen Politifer erften Ranges gefchrieben find.
Alles was Herr Thorbede jchreibt, ift der Beachtung werth, wenn e8
ſelbſt nur einfache Bemerkungen bei Gelegenheit eines Porträts find, wie
dies mit feinen Bemerkungen über Guizot der Fall iſt. — Der erfte
Artikel dieſes Bandes datirt von 1836, ber legte von 1860; zwiſchen
beiden liegt alfo beinahe ein Zeitraum von einem Biertel - Jahrhundert,
währenbbejlen der Verf. in der Geſchichte feines Vaterlandes eine große
Kolle gejpielt bat. — Haft alle Artikel dieſer Sammlung haben Bezug
auf Die Geichichte ver Niederlande; nur drei machen eine Ausnahme und
unter biefen ift einer, worin der Berf. gegen Leo das Recht der Niever-
lande auf eine von Deutichland getrennte Eriftenz vertheidigt. Der erfte
Artikel ift eine Studie über Johann de Witt, in Form einer Kritik eines
Bertes von Simond. Wir übergeben die Biographie Wittewaal’s
eine® achtungswerthen Gelehrten, deſſen Geſchichte aber nur wenig allge-
merne® Intereſſe bat. — Bor allem aber müſſen wir auf die Skizze
einer Geſchichte der Civilgeſetzgebung in den verfchievenen Provinzen ber
Republil der vereinigten Niederlande hinweijen: ein Wert, das um fo be⸗
merfen&werther ift, als der Autor hier ein fehr wenig befanntes Feld be-
arbeitet hat. Da zeigt fid denn eine Reihe von fruchtlofen Beftrebungen,
um eine Einheit in der Gejeßgebung wenigftens für jeve Provinz herbei,
mführen, bis zuleßt, unter dem Einfluß des revolutionären Geifted des
vorigen Jahrhunderts, die Civilgefeßgebung in die Hände ber Codifica⸗
toren fiel, welche jedoch ihrerfeits das Wert auch nicht zu fehr beſchleu⸗
214 Ueberfiht ber biſteriſchen Literatur ven 1860.
nigten. Unglüdliher Weite findet ſich derſelbe Fehler in ber politifchen
Organijation; es ſcheint, daß man mährene ter Dauer der Republik es
nicht verſtanden hat, tie erforterliben Reiermen zu macen. Mehrere
Staatsmänner haben tieien Mangel lebhaft empfunten, unter andern
der Ratböpenjienär Zimen van Zlingelantt, von dem wir eine Sanmı«
(ung politiiher Schriften in 4 Bänden baben, aus benen man feine
Gedanken kennen lernt. In dem Buche Thorbecke's findet fih eine aus
dem Pateiniichen überfegte Rete über tie Bemühungen van Stingelandt's
um bie Reform des Staats. Unglücklicher Weiſe mar Slingelandt ber
erfte Minifter einer Provinz, welche zum großen Theil tie Urſache war,
dag tie Utrechter Union zu ter pelitiiben Conftituirung der Nieder:
lande nicht mehr beigetragen bat, und außerdem lebte er in einer Zeit,
wo tie feparatiftiihen Gedanken Holland's und bie oligarchifhen Eym-
pathien feiner hervorragentften Staatsmänner in voller Kraft beftan-
den. — Außerdem haben wir bier trei Ztudien, welde insbefon-
dere auf die Ereigniſſe von 1795 — 1810 Bezug baden. Man
darf fagen, daß der Autor ein eifriger Anhänger der Revolution von
1795 ift, welche ver Republit ver Vereinigten Niederlande ein Ende made;
nicht8 defto weniger ift vie Kritik, die er an dem Betragen ver bervorras
gentften Männer jener Zeit und an ihren Talenten übt, ſehr bemerkens⸗
werth. — Die Studie über Tald ift jehr neuen Datums, gejchrieben
bei Gelegenheit ver Publication einer Sammlung ven Briefen tiefes
Staatsmannee, Wenn man in allen andern Studien den Politiker in
bem Gewande des Hiſtorikers fieht, fo ift dies begreiflicher Weife ganz
beſonders in dieſer Studie ver Fall, ta es ſich hier beinahe um zeitge-
nöſſiſche Geſchichte handelt.
R. C. Bakhuizen van den Brink, Studien en Schetsen over
Vaderlandsche geschiedenis en letteren. Uit vroegere opstellen byoen ver-
sameld en herzien. Eersto deel, eorsto stuk. Amsterdam, F. Muller. 8
P. Lyndrajer, De ontwikkeling der stadhouderlyke
maeht onder prins Frederik Hendrik, Amsterdam, Johannes
Muller, 1859. 8.
F. J. K. van Hoogstraten, Do Chambro mi-partie van
het Hunstersche vredestractaat. Eene bydrage tot de geschiedenis
az Weiuisnäsche Diplomatie. Utrecht, Kemink en Zoon. 8.
Die Niederlande. 215
W. J. Hofdyk, Ten vierdag gerechtigd. Feestrede gehouden
tw Alkmaar, 8. October 1860. Alkmaar, Joh. Roem. 8.
J. A. Alberdingk Thym, De heer W. J. Hofdyk, geschied
en staatsleeraar. Een woord ten gunste van konstitutie en historie, ens.
Amsterdam, C. L. van Langenhuizen. 8,
J. J. de Geer, Bydragen tot de geschiedenis en oudhe-
den der provincie Utrecht. Uit de oorkonden bewerkt: eerste ge-
deelte. Utrecht, T. de Bruyn. 8.
w. J. Hofdyk, Eene vede van driehonderd jaren. Am-
sterdam, Seyflardt. 8.
@. D. J. Schotel, Het klooster, de kerk en het Hof der
Augustynen te Dordrecht. Dort., P. Brast.
A. J. Enschedd, Verslag over de geschiedenis en den
eigendom van het H. Elizabeths of groote gasthuis te Haarlem.
Haarlem, Job. Enschede en Zonen.
Preeve oner lyst van Beschryvingen, plaaten, oudheden
en seden van de provincie Zeeland: overgedrukt uit het Zeeuwich
jaurboekje 1860.
De gemeente Oost en West-Bouburg: eene statistische bydrage tot de
plaatsbeschryving van Zeeland. Middelburg. G. C. en W. Altorffer.
Kronyk of breedvoerige tydrekenkundige tafel inzonderheid voor de
prurincien Groningen, Friesland en Drenthe. Door M. D. Teenstra. tweede
deel 1581—1795. Uithuizen.
Biographiesch Woordenboek der Nederlanden, bevattende
levensbeschryvingen van zoodanige personen, die zich op eenigerlei wyze
is ons vaderland hebben vermaard gemakt. Byeengebragt door A. J. v°
der Aa en voortgezet door K. J. R. van Harderwyk. Haarlem, J. J. van
Brederode. Fortsetzung; z. Jahrgang 1859 und 1860.
J. H. de Stoppelaar, Jacob Cats te Middelburg 1603 — 1623.
Niddelburg, J. C. en W. Altorffer.
216 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.
J. ten Brink, Dirk Volkertsen Coornhert en syne well»
venskunst. Historisch-ethische studie. Amsterdam, Gebroeders Binger. 8.
Het leven van Menno baron van Coehoorn, beschreven door
zyn zoon Gosewyn Theodoor baron van Coehoorn; uitgegeven en met aan-
teekeningen vermeerderd door Jhr. J. W. van Sypesteyn, in naam van het
Friesch Genootschap van geschied. oudheid en taalkunde. Lesuwaarden, G.
T. N, Suringar.
G. D. J. Schotel, Pollens en zyn tyd. Eene proore van levems-
beschryring. Tiel. Wedwe, D. R. van Wermeskerken.
B. Glasius, Geschiedenis der nationale Synode in 1618
gehouden te Dordrecht. 1. Leiden, P. Engels.
C. M. van der Kemp, Geschiedenis der nationale Synode
in 1618 en 1619 gehouden te Dordrecht. volgens de beschry-
ving van B. Glasius, naar de waarheid der historie beoordeeld en veroor-
deeld: oerste aflevering. Rotterdam, van der Meer en Verbruggen. 8.
F. Nagtglan, De algemeene kerkeraad der Neder-
duitsch Hoervormdeo gemeente te Middelburg von 1574—1860.
Met oene inleiding en aanteekeningen. Middelburg, J.C. en W. Altorfer. 8.
B. W. 8. Boeles, De geestelyko goederen in de provineie
Groningen; van de vroegste tyden tot op heden. Een geschiedkundig
ondersoeh. Groningen, A. L. Scholtens.
Jacob van Maerlant, Spieghel Historical: uitgegeven door
de Maatschappy der Nederl. letterkunde ts Leiden. Leiden, E. J. Brill. 4.
Kronyk van Gerardus Coccius (Chronicon Monasterii "Beth-
l8emitioi prope Swollam). Uitgegeven door de Vereeniging tot beoefening
van Overysselsch Regt en Geschiedenis. Deventer, J. de Lange. 8.
Kronyk van Arent toe Boecop. (Siehe unten: Historisch
Genootschap te Utrecht).
A. A. J. Meylink, Over een charter van graaf Floris V.
van den 14. Mei 1273: medcedeeling van G. H. M. Delprat nader toege
licht, en over een charter van graaf Floris V. van den jare 1281. Met
Die Nieberlaube. 2317
iscsimile van segels en merken. ’sGravenhage, Gebroeders van Langen-
kaysen. 8.
Bibliotheok vanpamfletten, traktaten en andere stukken
erer de Nederlandsche geschiedenis, beschreven, naar tydsorde gerang-
sehikt en met alfabetische registers voorzien door P. A. Tiele. Amster-
dam, Frederik Muller. Fortsetzung: s. Jahrgang 1859.
HB. C. Rogge, Beschrijvende Catalogus der pamflettenver
sameling van de boekery der Remonstrantsche kerk te Amsterdam. Stuk
DL. afd. I. aflev. I. Amsterdam, J. H, Scheltema.
R A. van Zuylen, Inventaris van het groot Archief
der gemeente 'sHortogenbosch op last van Burgemoester en Wethouders op-
gemaakt. 'sHertogenbosch. 8,
C. W. Moorroes en P. J. Vermeulen. Vervolg van Mr. Johan
van de Waters Groot placaatboek 'slands van Utrecht. Van de vroegste
tyden af tot het jaar 1805. Utrecht, Kemink en Zoon. Fortsetzung: s.
Jahrg. 1860.
J, B. Bietstap, Armorial général contenant la description des
familles nobles ot patricionnes de l’Europe: preöcdde d’un dictionnaire des
termes du blason. afler. 14—19. Gonda van Goor. Fortsetzung.
W. J. Hofdyk, Ons voorgeslacht. Haarlem, A. C. Kruseman.
Fortsetzung des Jahrg. 1860.
Monumens typographiques des Pays-Bas au XV. siecle.
CoDeetion dc facsimilds d’apres les originaux oonserves à la bibliotheque
Royale de la Haye et ailleurs: publide par J. W. Holtrop. Lithogr. de
E Spanier. Livr. 9—11. La Haye. Martinus Nyhofl. Fortsetzung.
C. Leemans, Nieuw ontdekte muurschilderingen: eene
bydrage tot de geschiedenis der Vaderlandsche kunst. Uitgeg. door de
kosinkl. Akademie van Wetenschappen. Amsterdam, C.G. van der Post. 4.
Bydragen voor Vaderlandsche Geschiedenis en Oud-
keiäkunde, versameld en uitgegeven door Mr. Js. An. Nyhofl. Am-
318 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
hem, J. A, Nyhoff en Zoon. Nieuwe Serie. Tweede doel, eerste en tweede
stuk.
Inhalt: J. ter Gouw, Over den oorsprong der Wapens: P. C. Mol-
huysen. Aanteekeningen uit de geschiedenis van het Strafregt. Van
Vloten, Oranje's Krygsbeweging in het Overkwartier van Gelderland
(1572). Mr. Js. An. Nyhoff, Berigt aangaande het oud archief
der stad Doesburg. Mr. R. W. Tadama. Verslag van het archief
van de Havezate den Dam onder Gorssel: Verordening, betreffende het be-
heer der inkomsten van den Valcweerd, als bezitting van het Fraterhuis
te Doesburg. Dr. J. A. Wynne. Twee punten van de scherpe Resolutie.
P. C. Molhbuysen, Public Records.
Bydragen tot de oudheidkunde en geschiedenis, inson-
derheid van Zeenwsch Vlaanderen: verzameld door H. Q. Jansen en J, H.
van Dale. Vyfde deel. Middelburg, J. C. en W. Altorffer. 1860.
Inhalt: J. H. van Dale, Reglement voor de schecpvaart en de heffing der
tollen op het Zwin van den Jare 1252: H. Q. Jansen Domburg
in het begin der Zeventiende eenw: A. E. Gheldolf. Byzonder-
heden betreffende de Doopsgezinden in en rondom Aardenburg: T.
Caland. Jets over het vrye keizerlyke gilde van den edelen ridder en
martelaar Sint Sebastiaan, op nieuw opgerigt te Selzaten door keizer Ka-
rel V. 13. Juni 1526: J. v. Yloten. Brieven v. Champagney. Een spel van
Sinne van Cornelis Everaert: A. E. Gheldolf Aanteekeningen op de
Bydragen tot de Oudheidkunde en Geschiedenis inzonderheid van Zeeuwsch-
Vlaanderen. H. Q. Janssen. Deo abt var St. Quentin in Vermandois,
patroon der kerken in Oostkerker ambacht. J. van Vloten. West-
Vlaamsche krygszaken. Brieven en bescheiden van en aan den graaf van
Roeulx en anderen: Jan. tot Nov. 1576.
Lauts, G., Gesohiedenis van de vestiging, uitbreiding, bloei
en verval van de magt der Nederlanders in Indie. deel 4 en 5. Am-
sterdam, F. Muller. 8.
J. A, van der Chys, De Nederlanders to Jakatra. Lit-
gegeven in de Werken van het koninklyk Iustituut voor taal, land en
volkenkunde van Neerlandsch Indie. Amsterdam, F. Muller.
E. de Waal, Nederlandsch Indie in de Btaten Genoraal
Die Niederlande. 219
sdert de grondwet van 1814. Eene bydrage tot de geschiedenis der ko-
ioniale politiek in Nederland. I, deel. 'sGravenhage, M. Nyhofl. 8.
Bydragen tot de tasl. land en volkenkunde van Neer-
landsch Indie. Uitgegeven door het koninklyk Instituut voor taal, land
ea volkenkunde van N. Indie. Nieuwe Volgreeks: III deel, 2. stuk.
Amsterdam, F. Muller. Batavia, van Haren Noman en Kolff. 8.
A. J. A. Gerlach, Fastes militaires des Indes Orienta-
les Neerlandaises avec cartes portraits et planches. Zalt Bommel,
Jean Noman et fils, 1859. 8.
a
J. Wolbers, Geschiedenis van Suriname, van de ontdekking
van Amerika tot op den tegenwoordigen tyd. Amsterdam, H. de Hoogh.
Fortsetzung s. Jahrgang 1859.
Publieationen gelehrter Gesellschaften, periodische
Sammlungen: Verslagen en Mededeelingen der koninklyke Akademie van
Wetenschappen: afdeeling Letterkunde V. deel. 1. stuk,
Over sen charter van graaf Floris V. van den 14. Mei 1273,
mededeeling van G. H. M. Delprat.
Bapport derCommissie voorhetHollandschenZeeuwsch
Charterboek, uitgebragt door R. C. Bakhuizen van den Brink. Verslag
sangaande de door de respectieve rapporteurs opgemaakte lysten der plaats-
samen: uitgebragt door W. G. Brill.
Bir machen vor allem auf den Beriht der Commiſſion aufs
zerfiam, ver die Alademie bie Herausgabe des „Charterboek“ anver⸗
haut bat. Die Sammlung Mieri®’, die, im vorigen Jahrhun⸗
dert veröffentlicht wurve, ift weit davon entfernt, volljtändig zu fein,
und die hiſtoriſchen Studien werden aus einer Edition, die dem gegen-
wärtigen Stand der Wiſſenſchaft eutfpricht, großen Nutzen ziehen. Man
kt vie Sache mit großem Eifer ergriffen, die Commiſſion befteht aus ven
daran Badhuizen van den Brink, van ven Bergh, de Wal, te Bries, Del⸗
prat und van Limburg Bruwer, während viele andere Gelehrte ihre Mit⸗
virkung zugejagt haben. Die Commiſſion hat geglaubt, fid) auf bie
Provinzen Holland und Seeland beichränfen zu müſſen. Der Bericht,
ven Gr. Bachnizen van ben Brink in der Sitzung der Akademie vom
220 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur won 1860.
9. Januar 1860 erftattet hat, gibt ſehr mterefiante Details über vie
erften Arbeiten der Commiſſion.
Historisch Genootschap gevestigd te Utrecht.
Inhalt: Kronyk vanArenttoeBoeoop. Croenick der Bysooppen v.
Uttert, Hertoghen van Ghelre, van haer anvancke hoe dat sye beyde onder
keiser Carell dye 5 als hertog van Beyeren, graven van Hollant Synnen
ghewemen, wair in wordt bechrewen was by hoer regirringhe int Sticht
van Uttert, Landt van Gelre, grewscap van Sutphen, het landt van Over-
yssel, Vreslant, Groninghen, Groenigher Landt ys gheschit, uyt verschieden
scryveren und olde loffeliche scriften myt groeten viyt byeden anderen
durrich Arent tue Boecop ghebrocht. Het erste deell
Codex diplomaticus. Tweede Berie IVe deel 2e afdeelig bl 1— 304.
Oorkonden betrekkelyk tot de abdy van St. Laurentius en bet Vrow-
wenklooster te Oostbroek: medegedeeld door Jhr. J. J, de Geer.
Onuitgegevene oorkonden betreffende hat slot, de stad en de heerly-
kheid van Ysselstein: medegedeeld door Jhr. J. J. de Geer.
Onuitgegeven oorkonden aangaande het patronast regt der kerk te
Jutphaas: medegedeeld door Jhr J, J. de Geer.
Quelques lettres de Marnix de St. Aldegonde et du prince Jean Ca-
simir comte palatin du Rhin publides par M. J. Diegerick.
Rekening der stad Lier: over de drie laatste maanden van 1394;
medegedeeld door F. H. Mertens.
Onuitgegeven brieven van Gillis van Berlaimont, heer van Hierges
enz: uit de maanden Mei 1576 tot January 1577: uitgegeven door pro
fessor van Vloten.
Berigten van het historisch genootschap.
Claudius Civilis en zyne worsteling met de Romeinen: in drije navol-
ging van het geschiedverhaal van Tacitus door A. G. W. Ramaser.
Legende by de kaart van het hoofdtonel des oorlogs tusschen de
Batavieren en Romeinen; en vergelyking van den toenmaligen en tegenwoor-
digen loop der rivieren de Ryn en de Waal, naar de aanwyzingen van het
terrein en authentieke bronnen zamengesteld, door A. G. W. Bamaer.
Geschiedkundige bydrage over het jaar 1490 door Mr. P. van der
Brandeler.
Kronyk 1860. bL 1-18.
Maatachappy der Nederlandsche Lotterkunde te Leiden.
über die Sammlung biflorifcher Lieber und Sprüche. 2
auch für dort und für einige von bort leicht erreichbare wichtigere
Punkte die Nachforjchung übernommen.
Ich jelbft Habe forann im Sommer die deutfche Schweiz bereift.
Ehe ich in die Einzelnheiten dieſer Reife eingebe, kann ich nicht um⸗
bin, der ungemein großen Zuvorkommenheit, mit welcher meine Ar-
beiten dort von allen Seiten unterjtügt worden find, auf das dank
barſte zu erwähnen. Meine Beauftragung feitens ber biftorifchen
Sommifjion galt überall als befle Legitimation und weit entfernt,
biefen ‘Theil meiner Sammlung etwa als einen Kingriff in fpeziell
fchweizerijches Arbeitsgebiet zu betrachten, hat man fich vielmehr bes
darin hervortretenden engen Zuſammenhangs zwiichen Deutfchland
und der Schweiz erfreut.
Deffentlihe wie Privatfammlungen ftanden überall in liberalfter
Weife offen; nirgends war bie mindeſte Läftige Beſchränkung weber
in ber Zeit noch in ber Art der Benugung des Materials auferlegt.
Es ift bekannt, daß die foftbaren Schweizerliever bes 14. unb
15. Jahrhunderts in ältefter Yalfung bei ben Chroniſten zu fuchen
find. Daß für dieſen älteren Zeitraum noch viel Unbelanntes zu
entveden fei, war faum anzunehmen, doch fand fich immer noch Ein.
zelnes, u. U. ein merkwürdige Lied aus dem Jahre 1332. In an-
derer Beziehung bot aber gerate dieſe ältere Zeit der Unterſuchung
eine fchwierige Seite, indem es nothwendig war, innerhalb biefer man»
nigfach verzweigten chroniftifchen Literatur, foweit fie für bie Lieber
in Betracht kommt, das Verhältniß ver Texte und Redactionen zu
fennen. Nur durch die vortrefflichen mündlichen wie fehriftlihen Be⸗
Iehrungen der Herren Profefforen v. Wyß in Züri, Scherer in St.
Gallen und Studer in Bern, fowie des Herrn Stantöfchreibers v.
Stürler in Bern, deren eigene Forfchungen hauptfächlich erft in neues
rer Zeit einen fihern Grund für jene Unterfuchung gelegt haben, ift
es mir möglich gewefen, mich hierüber, foweit es für meine Arbeit
in Betracht fommt, ficher und ausreichend, wie ich hoffen barf, zu
orientiren.
Zu Bafel, wo ich meine Nachfuchungen begonnen habe, gewährte
die Bibliothek an Druden nur weniges, welches mir ber Herr Unter
bibliotbelar Dr. Viſcher forgfältig abzufchreiben vie Güte hatte. Auch
von Chroniken ift nur das dort vorhandene eine von ben 4 Exempla⸗
2232 Ucherfiiht ber hiferifgen Literatur von 1860.
door J. P. van Visoliet. Lyst van Zeeuwsche edelen door gelserdheid
lofwaardig: door W. te Water. Eene heidensche offerplaats op Walche-
ren, door Jhr. C. A, Rethaan Macare.
ProvincisalGenootschap vanKunsten en Wetenschappen
in Noordbrabant.
Handelingen over het jaar 1860.
Catalogus der Noord en Zuid Nederlandsche munten en der historis
en andere penningen van het Provinciaal Genootschap van Kunsten em
Wetenschappen in Noord-Brabant.
Provincisal Utrecht-Genootschap vanKunsten en Wetten
schappen.
Verslag van het verhandelde in de Algemeene Vergadering a. 1860.
Vereeniging tot beoefening van Overysselsch Regt en
Geschiedenis.
Verzameling van stukken, die betrekking hebben tot Overysselsch
Regt en Geschiedenis: tweede afdeeling. .
Verslagen en mededeelingen: eerste stuk. Deventer, J. de Lange. 8.
Kronyk van Gerardus Coocius. 8. oben.
De Gids Vierentwintigste jaargang. Nieuwe Serie twaalfde jaargang.
Amsterdam 1860.
Darin find 2 Aufjäge über niederländische Geſchichte.
Dr. R. Fruin, Het voorspel van den tachtigjarigen oorlog II en Ill.
Kolonel W. J. Knoop, Beschouwingen over onze Indische kryge
geschiedenis.
Nieuwe Bydragen voor Regtsgeleerdheid en Wetgeving,
Versameld en uitgegeven door Mr. B. J. L. de Geer en Mr. van Boneoval
Faure. Tiende deel. Amsterdam 1860.
Dr. J. A. Wynne, Leveren de bemoeyingen van Oldenbarnevelt
en de Groot met de aangelegenheden der provincie Utrecht voldoende
stoffe op, om de sententien tegen hen uitgesproken te weitigen.
C. v. B.
Danemark. Schweden und Norwegen. 228
11. Pünemark.
samlinger til Fyens historie og topographie, udgivne af
Fyens stifts littersere selskab. Andet hefte. Odense, Hempel, 1860. 86. 8.
P. Rhode, Samlinger til Laalands og Falsters historie,
Paany udgivet af J. J. F. Frijs. 3.— 6. Hefte. Kjöbenhavn, Steen,
1860. 8.
F.Hammerich, Danmark under adelsvaelden (1523—1660).
4 de bind. Adelsvaeldens sidste menneskealder (1629 — 1660). 2 det hefte.
Kjöbenhavn, Jversen, 1860. 120 8. 8.
C. E. Carstens, Die Stadt Tondern. Eine historisch statisti-
sche Monographie. 1. - 6. Heft. Tondern, Dröhse, 1860. 32 8. 8.
12. Schweden und Horwegen.
A.M. Strinnholm, Sweriges historia i sammandrag. Tredje
delen. Gustav I och hans tid. Med. Gust. I: s, porträtt. Stockholm, 1860.
4678. 8
And. Fryxell, Berättelser ur Swenska historien. XIX. de-
len. Karl den Tolftes historia. Nionde afdelningen. Görtziska tiden.
Krigsrörelser och fredsunderhandlingar samt sista fülltog, död och minne.
Stockholm, 1860. 212 8. 8.
Kindblad, K. E., Handbok i Swenska historien för ung-
dom och menige man. Fjärde delen. Stockholm, Huldberg, 1859. 5128. 12.
Arkiv till upplysning om Swenska krigens och krigsin-
vättningarnes historia. Audra bandet. Stockholm, Norstedt et 8., 1860.
LxVI, 678 8. 8.
Mankell, J., Berättelser om Swenska krigshistoriens
märkwärdigaste fältslag. Häftet III. Warschau, Lund, Landskrona, Stock-
kolm, 1859. 8 485—866. 8. m. Atlas in Fol.
Gabr. Anrep, Swenska adelns äAttar-taflor. 1. afdeln.
Häftet 6. Andrea afdeln. 1.—5. häftet. Stockholm, Norstedt och S., 1860.
8. (93—951 u. 800 S. 4.
Olai Petri Bwenska krönika utgifwen af G. E. Klem-
ming. Stockholm, Klemming, 1860. 370 8. 8.
24 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literature won 1860.
Beskow, Bernh. v., Minnes-bilder. Eörsta delen. Stockholm
(Samson et Wallin), 1860. 324 8. 8.
Franz6n, Franz Michael, Minnesteckningar döfwer ut-
märkte Swenska statsmän, hjeltar, lärdsa, konstnärer och skalder.
Tredja och sista delen. Stockholm, Samson et Wallin, 1860. 678 8. m.
8 Kpfm. 8.
Westin, Petter, Historia om Gustav Eriksson Wasa elle
Konung Gustav den förste, som befriade Swerige fran utländskt förtryck,
krossade pafwewäldet och införde Lutherska läran. Med teckningar. Stock-
holm, Huldberg et Ko., 1860, 64 8. 16. m. 8 Kpfrn.
Flaux, A. de, La Sutde au seizitme sidcle. Histoire de
la Sudde pendant la vie et sous le r&ögne de Gustave ler. Paris, Didot,
1860. 467 8. 8.
Pederssön, Absalon, Liber capituli Bergensis, dagbog
over begivenheder isaer i Bergen, 1552 — 1572. Udgiven efter offentling
foranstaltning med anmerkninger og tillaeg af N. Nicolaysen. Christi»
nia, 1860. VI, 846 S. 8.
Pallin, Joh. Rud., Unterhandlingar mellen Swerige och
Liffland 1554 - 1560. Akademisk afhandling. Upsala, 1860. 27 8. 8.
Odhner, Claes Theod., Bidrag till Swenske städernas
och borgarestandets historia före 16338. Akademisk afhandling. Upsala,
1860. 92 8. 8.
Nordström, Simon Erik Theod., Jemförelse emellan statshwälf-
ningarne i Bwerige 1680 och i England 1688. Upsala, 1860. 31 B. 8.
Hellstenius, J. A. C., Bidrag tillSwenska Ost-Indiska
Compagniets historia 1781 — 1766. Akademisk afhandling. Up-
sala, 1860. 49 S. 8,
Bergmann, C. W., Gustav den Tredie og hans tid. Over-
sat af J. H. Halvorsen. 7.— 9. hefie Kjöbenharu, Wöldise, 1860.
08. 8,
Milenius, Jos. Wilh.,, Om kapitenen grefwe H. H. v. Lie-
vens sändning af Bwenska regeringen till Konstantinopel ar 1789. Btock-
holm, 1860. 8.
AMußland mit Polen. 25
Bidrag till Sweriges officiela statistik, A) Befolkning-
statistik. Ny följd.T, 8. Statistiska central: byrans underdanign berättelse för
ıren 1851 med 1855. Tredja och sista afdelningen , innehallande folk-
mängden den 31. December 1855 after kön, alder, civilstand, hushall,
standsklasser, lefnadsyrken, och näringer m. m., jemte dödlighets och lif-
iäagdstabeller. Stockholm, 1860. XCVIII, 85 8. 4.
13. Unflend und Yolen.
Archiv für wissenschaftliche Kunde von Russland. He-
rausgegeb. v. A. Erman. 20 Bd. 4 Hefte. Berlin G. Reimer, 1860. 8.
Historischer Inhalt von XIX, 1—4, 1860. — Eichwald, über tschu-
üische Ausgrabungen S. 55— 70. — Ribäry, die hunnisch-scythische Völ-
kerfamilioe 8. 71 — 76. — Alexander Nikolaj Radischtschew, Schicksale
eines russischen Publicisten. S. 77 — 92. — Galsan-Gombojew, über alte
und neue Gebräuche der Mongolen, mit Beziehung auf Plano Carpini’s
Beschreibungen. 8. 93— 108. — Arbeiten der morgenländischen Abthel-
lung der kaiserlichen archäologischen Gesellschaft. S. 109—121. — Freie
Colonisation und Leibeigenschaft im Gouvernement Orenburg. 8. 122— 25.
— Tschirikow, über die Arbeiten der persisch - türkischen Gränz-
Commission. 8. 218 — 224. — Russische Reisen nach Japan. S. 243
— 364; — 315 — 388; 577 — 581. — Wogulische Sprache und Sage.
B 288 — 297. — Sch., Kalewi Poeg, eine epische Sage der Esten.
B. 346 — 363. — Dorn, morgenländische Handschriften der öffentlichen
Bibliothek von St. Petersburg. S. 389—39% — (Kostomarow) Stenjka
Rasin’s Aufstand. S. 393 — 440. 652 — 696. — Berösin’s Uebersetzung
des Saschided-din. 8. 451 — 460; über die Mässigkeitsbestrebungen in
Rusmland. S. 501—508. Kadinskji, über die Mortalitätsverhältnisseo
in Russland. S. 509 — 514. — Ahlgvist‘ die Mordwinen, ihre Sprache
und Sitten. 8. 556. — Ueber historische Werke der Mongolen, in Son-
derbeit die Chronik Altan Tabtschi. 8. 557 bis 576.
XX, 1: Uebersicht dor neuesten russischen Literatur. 8. 1 — 19.
Golubjew, kurzer Bericht über die Resultate einer Expedition nach dem
Issyk-Kul S. 26—37. Tscheremschanskji, Beschreibung des Gou-
vernements Orenburg. 8. 38—50. — Der Lamaismus im bstlichen
Sibirien. S. 5l — 72. Ahlgvist, über Wohnsitze und Lebensweise
der Wogulen. 8. 150 — 166.
Dipeeiige Beitfäeift Ti. Bun, 1
236 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.
C. Schirren, Nachricht von Quellen zur Geſchichte Ruß⸗
lande, vornehmlich ans ſchwediſchen Archiven und Dibliotheken. (Aus dem
bulletin de l'academio imp. des sciences.) St. Petersburg, 1860. Leipzig,
Bf. 806 8.
Herrmann, Geschichte des russischen Staates. 6. Bd.
Auswärtige Beziehungen von 1775 — 1792. Gotha, Perthes, 1860. XXI,
696 S. 8.
Grahame, F. R., The archer and the steppe; or the empires of
Soythia, a history of Russia and Tartary, from the earliest ages till the
fall of the Mogul power in Europe in the middle of the 16th century.
London. 480 8. 8.
Georgii monachi, dicti Hamartoli, Chronicon ab orbe oomdito ad
a. p. Chr. n. 842 et a diversis scriptoribus usque ad annum 1143 oom-
tinustum nune primum ad fidem cod. Mosquensis, adjecta passim varietate
reliquorum cod. neo non Leonis Girammatici et Cedreni et annotatis locis
s. scripturae etc. Edidit E. de Muralto. Petropoli 1869. Frankfart
a. M., J. Baer. LII und 10168 mit 1 Steintafel. gr. Lex. 8.
Le Procdös du tsarevitch Alexis Petrowitch. Par N.
Oustrialof. Traduit du russe par Constant de White. Leipzig,
Gerhard, 1860. VII und 546 8. mit 2 Portr. in Stahlst. 8.
Abbott, Jacob, History of Peter the great, emperer of
Russia. New -York. 368 8. 8.
La Cour de Russie il y a cent ans 1725 —1783. Extraits des de-
p£ches des ambassadeurs anglais et frangais. Se edition. Berlin, F.
Schneider. 422 8, 8,
Peter den Tredje og Cathrine. Brudstykker af Russlands bi-
stoire. Efter Lamartines „histoire de la Russie.““ Nörresundby (Kjöben-
havn, Eibe), 1860 196 S. 8.
Jauffret, E., Catherine Il. et son r&ögne. Paris, Dentu, 1860.
2 vols. VII und 979 8. 8.
Hertzen, A., Catharina den Andens memoirer. Skrevne af
hende selv. Oversatte efter den franske originals andet oplag af F. 8%
rensen. 1 — 6te hefte. Kjöbenhavn, 1860. 862 B. 8.
Derfelbe: Le monde russe et la rdevolution. Memoires. 1812
bis 1835. Traduit par H. Delaveau. Paris, Dentu. XXII und 8569, 18.
Nußland mit Polen. 227
Taigny, Edm., Catherine Il. et la princesse Daschkoff.
Naumburg, Pätz, 1860. 40 8. 8,
Volkhausen, C., Nikolaus J. och det Ryska kofwet fran
Polska revolutionen till interventionen i Ungarn. Oefwer-
sättaing fran Tyskan. Stockholm, 1859. 262 8, 8,
Wilson, General Sir Robert, Narrative of events during the
invasion nf Russia by Napoleon Bonaparte, and the retreat of the French
army 1812. 2d edit. London, Murray, 1860. 430 8. 8.
Russland unter Alexander Il. Nikolajewitsch. Zur in-
nern Geschichte und äussern Politik vom Thronwechsel bis auf dio Ge-
geswart. 1855 1860. Leipzig, Brockhaus. X und 424 8. 8.
Adye, John, Lieut -Col., A review of the Crimean war to
the winter of 1854. London, Hurste, 1860. 200 Ss. 8.
Anitihlof, Hauptm., Der Feldzug in ber Krim. 3. (Euppl.-)
TU. Bon Dberlieut. G. Baumgarten. Berlin, Mittler u. Eohn, 1860.
V, 68 GS. 8
Basancourt, Beron de, L’expedition de Crimée. L’armee
francaise & Gallipoli, Varna et Sebastopo. 2 Vols. Paris, Amyot. 1860.
IXXIII, 883 8. 8.
Golorvine, Ivan, Ephdmerides russes. Leipzig, Hübner, 1860.
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Derfelbe: Los alliances de la Russie. Ebd. XII und 124 S. 8.
Die Kosacken, in ihrer gschichtlichen Entwickelung und gegen-
wärtigen Zuständen von A. v B. Berlin, Riegel, 1860. VII und 259 8. 8.
Melanges russes tirdes du „Bulletin historico-philolo-
gique“ et du „Bulletin“ de l’Acaddmie imperiale des scien-
ces de 8t. Pötersbourg. T. IV. 1 livr. St. Petersbourg. Leipzig,
Voss, 1860. Ill 8. u 8. 1—115. 8. mit 1Stein- u. 1 Kupfertaf. in gr. 4.
Troubetzkoy, prince Alexandre de, La Russie rouge.
Paris, Dentu, 1860. 178 8. 8.
Valory, prince Henri de, La question russe, en réponse
au parti ultra-liberal de la Russie. Ebd. 23 8. 8.
15*
228 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.
Beitrag zur russischen Finanzlage. Eine Stimme aus Russ
land im J. 1859. 1. und 2. Aufl. Berlin, Behr, 1860. 68 8. 8.
Dolgorouky, prince Pierre, La veritd sur la Russie,
Paris, Frauck, 1860. 468 8. 8,
Dumas, Alex, Impressions de voyage en Russie ete.
Vol. 6 Fin. (Bibliothöque choisie. Vol. 296). Naumburg, 1858, Pätz.
148 8. 16.
Schedo-Ferroti, D. K, Etudes sur l’avenir de la Russie.
5. Etude: Le militaire. le und 2e ddit. Berlin, Behr. 166 8, 8.
Socialisme, le,.en Russie. Etude contemporaine. Paris. 480 S. 8.
Tourgueneff, N., Un dernier mot sur l’dömancipation des
serfs en Russie. Paris, Franck, 1860. 118 8. 8.
Zapasnik, Alexandre, Etudes financitres sur l’d&manei-
pation des paysans on Russie, sur l’impöt foncier, le systöme me-
netaire et le change exterieur. Paris, 1860. VII und 175 8. 8,
Materialien zur Aufhebung der Geſchichte ber Leibeigen-
haft, welde ben Befigern von Bauern in Rußland unter der Herrſchaſt bes
Kaifere vorgefchrieben if. 2. Bd. (Schluß) 1859, 1860. Berlin, 3. Schnei⸗
ber. (ARufliih.) 478 ©.
Mittheilungen aus dem Gebiete ber Gefhichte Liv⸗, EpR-
and Kurland's, heransgegeben von ber Geſellſchaft für Geſchichte und Ulter⸗
thumstunbe ber ruff. Oflfeeprovinzgen. 9. Bd 3. Heft. Riga, Kyınmel, 1860,
(Leipzig, C. F. Blelfher.) XVI, &. 817—563. 8.
Enthält: Chronologiſche Forſchungen anf dem Gebiete ber ruffifgen und
fteflänbifchen Geſchichte des XIII. n XIV. Jahrhunderts, verfaßt von Auguſt
Eugelmann. Aus dem Ruſſiſchen Überſetzt.
Rutenberg, Otto v., Geschichte der Ostseeprovinsen
Liv-, Esth- und Kurland von der ältesten Zeit bis zum Untergangs
ihrer Selbsständigkeit. 2 Bd. Mit einem Namen- und Sachregister und
1 lith. Karte von Liv-, Esth- und Kurland sur Ordenszeit in gr. Fol
Leipsig , Engelmann, 1860. XVI und 550 8, 8.
Die 700 Jahre der Geſchichte Livland'e. ie ige,
1859. (Leipzig, €. F. Fleiſcher). 11 ©. 4.
Nußland mit Bolen. 229
Tiefenhanfen zu Weiſſenſee, Ed., Baron, Ueberſichtliche
Sarkellung der hiforifhen Entwidlung ber Hauptpunfte aus
ber Linlänbifhen Landesverfaffung Zur Erinnerung au bie vor
150 Jahren am 4. Yuli 1710 flattgehabte Vereinigung Livlands mit bem rufl.
Raiferreih. Riga, Kymmel, 1860. (Leipzig, Fleiſcher) 28 ©. 8.
Berkholz, C. A., Die sieben Jahrhunderte Livlands, von
1159 — 1859. Ein Rückblick ans der Gegenwart. 1. Hälfte, Die 4
Jahrhunderte 1159 — 1559. Riga, Götschel. 58 S. 8
Brandowsky, Alfr., De Stanislai Oxii Orichovii annali-
bus Polonicis. Dissertatio inauguralis. Berolini, 1860. 40 S. 4.
Mosbach, A, Wisdomosci do dziejöw Polskich z archi-
wum prowincyi Szlaskiej. Breslau und Ostrowo. L nnd 404 8. 8.
Notisen zur polnischen Geschichte aus den Archiven der Provinz
Schlesien.
Derſeſbe: Prayczynki do dziejöw Polskich z archiwum
miastu Wroclawia. Ostrowo, 1860. 194 8. 8.
Beiträge zur polnischen Geschichte aus den Archiven der Stadt
Breslau.
Nestora latopis. Stary text Mnicha Lawrentego z
IV wieoka. Od zial I. Czese przez Schlözera krytycznie wypraco-
was, prsepolsscayl Juljan Kotkowski. Kijow. XXLV und 272 8. 8.
Nestor’s Chronik. Der alte Text des Mönches Laurentius aus dem
l& Jahrh. 1. Abth., von Schlözer kritisch bearbeitet, in’s Polnische
übertragen
Wolowska, Tokla, Historya polska Tom. 1. Paris, 5408. 8,
Polnische Geschichte,
Skarbiec diplomatöw Papierkich, Cesarskich, Krolewskich,
Ksiaseoych nihwat narodowych postanowien röznych, wlads i urreddw
pestayujacych do Krytyoznego wyjasnienia dziej6w Litwy, Rusi Litewskiej
i osciennych im Krajoöw zebrat i w tresci opisat Ignacy Danilowicz.
Tom. I. Z posyonnych rekopismdw znadnjacych sic w bibljoteco Mu-
soum Wilenskiego wydal dan Bidorowicz. Wilna. (Berlin, B. Bohr.
E. Beck.) 1860. 4.
280 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.
Bon dem lebendigen Intereffe, womit die polniſche Nation feit ben
letzten Dezennien ſich dem Studium ihrer heimathlichen Geſchichte zuge,
wendet, geben die im jedem Jahre veröffentlichten zahlreichen Ergebniffe
theils der Hiftorifchen Forſchung theild der Sammlung und Sichtung des
hiſtoriſchen Material mehr und mehr Kunde. Borliegende Regeſten
(945 Nummern) enthalten in chronologiſcher Ordnung die Ercerpte aus
Urkunden meift kirchlichen und ftantsrechtlichen Inhalts bis z. J. 1410 zur
Erläuterung der Pitauifchen Geſchichte. Voran geht eine Turze Angabe
deſſen, was in den Geſchichtsſchreibern des Altertbums und der erften
Zeiten des Mittelalter über Land und Bol der Litauer geboten ift von
Herodot bis Jornandes. — Die hanpichriftlihe Sammlung von Danilowie
gehört ver Bibliothet des Wilnaer Muſeums an. v. H.
Vetera monumenta Poloniae et Lithuanise gentiumque
finitimarum historia illustrantia maximam partem nondum edita ex
tabulariis Vaticanis deprompta collecta ac serie chronologica disposits ab
Augustino Theiner. T. I. Romae, 1860. Fol.
Dbige Urkundenfammlung ift ein Pendant zu den Monumenta Hus-
gariae von bemjelben Verfaſſer. Die vielfachen Beziehungen, welche in
allen Jahrhunderten zwijchen dem katholiſchen Polen und dem römifchen
Etuhle ftattgefunvden, liefern ein reiches, für die polnijche Geſchichte zu
verwerthenves Material. Der bier gegebene Band umfaßt die Bullen
und Breves von 24 Päpften, aus den Yahren 1217— 1409 (von Ho
norius II. bis Gregor XI.) Nach dem angedeuteten Plane fol das
Bert in 3 Bänden vollendet fein und bis zum Tode Johanns TIL (So-
biesfi'8) herabreihen. Der vorliegende Band, in äußerſt glängenber
Ausftattung und von fehr correftem Drude, ıft überjichtlich geordnet und
mit einem Ramen- und Ortöregifter verjehen. v. H.
Sharbek, F., Dzieje Ksieztwa Warszawskiego. 2 tomy.
Posen, 1860. X. und 134 und 290 8. 8.
Geschichte des Grosshersogthums Warschau.
Opowiadania historyczne. (Kronika Helmolda. W wsiecie Po-
snania 1715 roku. Niewola Fr. Poninskiego 1734 roku. Powstanie
Kosciusski w Kurlandyi. Wspomnienia z czasöow Pruss. poludniowych)
Posen, 1860. IV und 368 8. 8. j
Historische Notizen zur polnischen Geschichte.
En
Rußland mit Polen. 231
Wecloewski, Stanislaus, De Polonorum cultu et huma-
nitate decimo sexto et ineunte decimo septimo saeculo exteris testibus
et arbitris advocatis. Gym-Pr. Culm 1859. 52 8. 4.
Wegner, Leon, Jan Orstrorog, doctor obojga praw, wojewoda
Pozuanski i jego pamietnik na zjazd walny koronny za Krola Jana Kasi-
mierza Jagiellonczyka o urzadzeniu rzeozypospolitej. Poznan, 1859.
138 S. 8.
Johann Ostrorog, Dr. der Rechte und Statthalter von Posen, und
seine Denkwürdigkeiten über den grossen Reichstag der polnischen Krone
zur Zeit des Johann Casimir von Polen.
Albertrandy, Panowanie Henryka Welezyusza i Stefana
Batorego, krölöw Polskich. Z rekopismöw podlug wydaniar.
Onscewicza , z dolaczeniem pamietniköw history Stefana Batorego dotycza-
eych i listu Jedrzego Chiakora sekretarza krölewskiego, Opisujacego ostat-
sis chwile tego monarchz. Krakau. 1860. VIII und 475 8. 8.
Geschichte der Regierung von Heinrich Valois und Stephan Batory.
Kosmowski, Stanislaw, Pamietniki z konca XVIII
wieku. Denkwürdigkeiten aus dem Ende des 18. Jahrhunderts. Posen.
1860 IV und 100 S. 8.
Herrmann Sternberg, Berfuh einer Geſchichte der Juden
in Bolen. TH I. Bien. 8. Rud. Lichner's k. k. Univerfitätsbuchhandlung.
Für die Juden war Polen im Mittelalter nach Lelewel's Ausdruck
„ein wahres Paradies.” In ganz Europa verfolgt, gelangten fie hier zu
einem Aſyl, zu Reichthum nnd unter Cafimir dem Großen ſelbſt zu An⸗
hen und Einfluß. Die Geſetzgebung hat ihnen frühe ſchon durch das
Brivilegium Boleslaws einen rechtlichen Anhaltspunkt gewährt. Ihre
aceptionelle Stellung in dieſem Lande rechtfertigt ven Verſuch einer Mo⸗
nograpbie um fo mehr, als vie hiftorifhe Entwidlung des Judenthunis
in Polen noch bis heute eines Bearbeiter harrt. Ob der Berfaffer
ehiger Schrift jonverlid dazu befähigt erjcheine, dürfte nach dem Vor⸗
liegenden faft zu bezweifeln fein. Der Berfaffer, jelbit Jude, verräth
durch den Ton jeiner Vorrede einen einjeitig nationalen Standpuntt.
Der bier vollendete erfte Theil feines Buches enthält die Periode der
Piaſtenherrſchaft. Der zum Berftänpniffe allerdings erforderliche Abriß
der polmifchen Gefchichte ift nichts als eine dürftige Compilation ans
233 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
einigen neueren Hilfsmitteln. Der Abdruck und Commentar bes Statu-
tum Boleslai bringt ebenfalls nur Bekanntes. v. H.
14. Ungarn und Siebenbürgen.
Ed. Rösler, Dr, Zur Kritik älterer nugariſcher Geſchichte.
Troppau, Schüler, 1860. 30 ©. 4.
Szalay, Lässlöd, Magyarorszäg törtdnete. VI kötet. Post,
1860. 8. (Geſchichte von Ungarn. 6. Heft)
Monumenta Hungariae historica Diplomataria V. A. u. d.
T. Magyar törtenelmi okmänytär, Londoni Könyr és leveitärakböl. Oss-
sossedte s lemäsolta Bimonyi Ernö. 1521— 1717. Pest, 1859. VI,
818 8. 8.
_ — — VI. A. u.d. T.: Codex diplomaticus Arpadlanus
oontinuatus. Arpdädkori üj okmänytär. A. m. Tud. Akademia tört bizott-
mänya megbizdäsäböl közzd teszi Wenzel Gustäv: Elsd kötet. 1001 —
1235. Ebd. 1860. XLII, 405 8. 8.
— — Seriptores. VI. A. u. d. T: Verancsios antal Összes mun-
ki. Közli Szalay Läszlo.. Otödik kötet. Mäsodik pö6rtai követsdg.
1567 — 68. Ebd, 1860. VII. 392 8. 8.
Civilisation in Hungary; seven answers to the seven letters
addressed by M. Barth. de Szemere to Richard Cobden, Esg. By an Hun-
garian. London, Trübner, 1860. 8.
Daniel Iränyi et Charles Louis Chassin. histoire poli-
tique de la revolution de Hongrie, 1847—1849. 9. partie. Fin.
La guerre. Paris, Pagnerre, 1860. 632 S. 8.
.‚Szemtre, Barthelemy de, ancien ministre president de Hongrie.
La question hongroise (1848-60). Paris, Dentu. 1860. 164 S, 8.
— — Hungary from 1848 to 1860. Pro deo, patria et
libertate. London, Bentley. 1860. 8.
Terra incognita. Notizen über Ungarn. Hrsg. von Jos. v. Oross
und einigen Patrioten. 2. Aufl. Leipzig, O. Wigand, 1860. 259 8. 8,
Zur ungarischen Frage. Eine Denkschrift. Von einem ungar.
Patrioten. Leipzig, Bteinacker, 1859. 85 8. 8.
* . Mngarır mb Giebenbärgen. 233
8. MR. Kertbeny, Erinnerungen an Graf Stefan Szsecdenyi.
1.w 3. Aufl Baſel, Georg, 1860. 149 ©. 8.
La Hongrie politique et religieuse. Etudes sur ses institutions
et sa situation actuelle, Bruxelles, Lacroix, v. Moenen et C., 1860. 8638. 12.
La Hongrie devant l’Europe. Les institutions nationales et oon-
stitutionelles de la Hongrie et leur violation. Bruxelles, v. Meenen et C.,
1860. 200 8. 18.
Das Eoncorbat und die ?. f. Sermanifirung in Ungarn.
Zwei Briefe aus und über Ungarn. Hamburg, Hoffmann unb Eampe, 1860.
16. 8.
Mailath, Coloman, Graf, Fünf Büher vom Staate Ein Bei-
trag zur Germanifirung ber Öfterreichifhen Monardiee Mit befonberem
nadblid auf Ungarn. Leipzig, Wigand, 1860. 133 ©. 8.
J E Horn, La Hongrie et la crise europdenne. Paris,
Deatu, 1860. 31 8. 8,
Ungarn’s gutes Recht. Politiſches Memorial und ſummariſche Ge⸗
ſchichte Ungarn’s vom 9. Jahrh. bie auf die Gegenwart mit Rüdficht auf bie
neneſten Öferreichiichen Zugeſtändniſſe. Nah hiſtoriſchen Quellen und eigenen
Eriebuiffen von einem Magyaren. Luzern, Etraube, 1861. V, 82 © 8.
Deutfhe Zundgruben zur Geſchichte Siebenbürgense Neue
felge; herausgegeben von Dr. Eugen v. Traufchenfele, 1860. 414 ©. 8.
Sahelt: Album Oltardianum, 1526 — 1629. — Fortſetzung ber Chronik
bes Hieronymus Ofermayer buch Andreas Heygeſch, 1562 — 1570. — Bi-
monis Nocssner res actae quaedam in partibus Hungariae et Transilvanise,
1570 — 1619. — Simonis Czauck Ephemeris libellus, in quo acta quoti-
disna perscribuntur, 1590 — 1602 — Liber annalium raptim scriptus per
Nichaelem Weyss. Continuatio, 1612—1615. — Auszug bes Audreas He-
ges ame einer fremden Ehronil, 1608— 1612. — Diarium bes Andreas Hegyes,
1613 —1617. — Hiftorifhe Anmerkungen eines Kronftäbtere, 1631 —1660. —
Tagebuch des Johann Irthell des Altern und jüngern, 1638 - 1710. — Wahr-
heftige Beſchreibung, was fih in ber in Eiebenbürgen liegenden Hermannſtadt
unter der Raloczianifchen Belagerung zugetragen im I. 1659 und angehalten
WW anno 1660 im Mai. — Nots pro anno 1660. Berfaßt von Troſtfrieb
Segenitins.
234 Ueberfiät ber hiſtoriſchen Literatur don 1860.
Archiv des Bereins für fiebenbärgifhe Lanbestunbe. Neme
Folge. Dritter Band. 3. Heft. Vierter Band. Heft 1 u. 2. Kronflabt, 1859
u. 1860.
11, 8: Die Bronzealterthümer, eine Duelle ber älteren fiebenbürgiihen
Geihichte, von Friedr. Müller. — Kritiihe Beiträge zur Kirchengeſchichte
bes Hermanftäbter Kapitels in Giebenbürgen vor der Reformation. — Ge⸗
ſchichtliches Aber die fiebenbürgifche Paläontologie und bie Literatur derſelben,
vou Joh. Ludw. Neugeboren.
IV, 1: Die Geten und Daten. Ein Hiftoriicher Berfuh als Beitrag
zur fiebeubürgiichen Landeskunde, von Wilhelm Schmidt. IV, 2: Schluß ber
Abhandlung über Geten und Dalen. — Zur ältern fiebenbürgifchen Glocken⸗
funde von Briedrid Müller. — Zur Gedichte von Bifrik. Bon G. D.
Teutid.
15. Bie Türkei. Griechenland.
Wuk Steph. Karadfhitfh, Der ferbifge Senat unter Kara
Georg oder das Etreben ber damaligen Oberhäupter nad ber höchſten Ge⸗
walt. (In ferbifher Sprache.) Wien (Berlin, &. Reimer), 1860. V, 178 ©. 8,
Ballmerayer, Dr. 3. Ph, Das Albanefifhe Element in Brie
benland. 1. Abth. Was man über die Thaten und über bie Schidfale
des alban. Bolles von feinem erfien Auftreten in ber Geſchichte bis zu feiner
Unterjohung durch die Türken nach dem Tode Stander »Beg’e mit Sicherheit
wiffen fann. (Aus den Abhandl. der E. bayer Mad d. Wiffenfchaften.) Mün-
hen, Stanz. 1860. 80 ©. 4.
Dilzuarv, Imarıns, doxiuiov negi ins Ekimvixns dnasagtagsas.
Tonos rgwrog xzai Ösurepos. Athen, 1859. XLVIII u. 417, XXXVI u.
42185. 8,
Lombardi, Ettore, Ordinamento politico della Greecia
moderna: cenni storici. Torino, Bona, 1859. 191 8. 8.
Lunsi, Ermanno, Della oondizione politica delle isole
Jonie sotto il dominio Veneto preceduta da un compendii della storia
delle isole stesso della divisione dell’ imperio Bizantino. Versione con
note di Marino Typaldo Foresti e Nicola Barozzi, riveduta od aumentata
dall’ autore. Venesis, 1859—60. Faso. 2—6 8.
Aſien. Oſtaſien. Chinas unb Japan. 235
Valiero, senatore Andr., Storia della guerra di Candia.
2 voll. Triest, Coen, 1859. XX, 669 8. 8.
15. Afım. Ofofien. Ehine and Japan.
Journal asistique, Ou Recueil de mdmoires, d’extraits et de no-
tioss relatifs à Thictoiro, & 1a philosophie, aux langues et & la litterature
des peuples orientaux. publi6 par la Socidte asiatique. 5. Serie. Paris,
Duprat, 1860. LXV. u. XVI, 550, 552 S. 8.
Journal of the Royal Asiatio society of Great Britain
aud Ireland. Vol. XVII. Part. 2. London, Parker et Son, 1860. 84 8.
u 223—3%. 8.
Darin: 8ykes, traits of Indian character. 8. 223 -51. Fowle,
translation of a Burmese version of the Niti Kyan, a code of ethics in
Pali. 8. 252-—-66. Forbes, notes on the ruins of Wallabhipura. 8. 267
—72. Latham, on the date and personality of Priyadarsi. 8. 273—85.
Graham, on the inscriptions found in the region of EI- Härrah, in tho
great desert south-east and east of the Haurän 8. 286—97. Bykes, ac-
ooant of some golden relics discovered at Rangoon. S 298 — 308.
Priaulx, on the Indian embassy to Augustus. Ss. 309— 21. Morley,
description of an Arabie quadrant. 8. 322— 30. Wylie, on an ancient
inseription in the Neu-chih language. S. 331—45. Mann, on the cotton
trade of India. S. 346 — 87. Rawlinson, on the birs Nimrud, or the
great temple of Borsippa. 34 S.
Melanges asiatiques tirds du „Bulletin historico- philologique“
et da „Bulletin“ de l’Acaddmie imperiale de St. Pötersburg. T. 11. 6. livr.
T. IV. 1. live. St. Petersbourg, 1859, 1860. Leipzig, Voss. IV, S. 613
756. 8. 1—-134. 8.
Käunffer, Joh. Ernf Rudolf, Dr., Conſiſt.R. u. Hofpred., Ge⸗
ſchichte von DOfafien. Für Freunde der Geſchichte ber Menſchheit barge-
geRellt. 3. Theil. Leipzig, Brodhaus, 1860. VII, 727. 727© 8.
Taylor, Bayard, A visit to India, Chinas, Japan. Newly
revised and edited by George Fred. Pardon. J,ondon, Blackwood, 1860.
300 S. 12.
Moges, Marquis de, Souvenirs d'une ambassade en Chine
et au Japon, en 1857 et 1858. Paris, Hachette et Ce. 355 S. 18.
236 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur won 1860.
— — Recollections of Baron Gros’s omhbassy to
China and Japan in 13857 — 58. London, Griffin, 1860. 370 S. 12.
Oliphant,Laurence, Narrative of the Earl ofElgin's mis-
sion to China and Japan in the ycars 1857, 68, 59. Ist and 2d edit.
London, Blakwood 1860. 990 8. 8.
— — La Chine et le Japon, mission du comte d’Elgin
pendant les anndes 1857, 1858 et 1859. Traduction nourvelle, precddse
d’une introduction, par Guizot, 2 vols. Paris, Levy fr. XXXIX u,4088. 8.
Osborn, Sherard, Capt., The past and future of British re-
lations in China. London, Blackwood, 1860. 190 8. 8.
Picard, Jules, Etat göndral des forces militaires et ma-
ritimes de la Chine, solde, armes, &quipements, etc.; pröcdded d’une
6tade sur les rapports commerciaux & 6tablir avec cet empire. Ouvrage
oomposé d'àprès les textes officiels chinois, recueilldes par T. F. Wade et
sur d’autres documents röcents. Paris, Corrdard, 1860. VII u. 534 8. 8.
Etude politique et militaire sur la Chineo, preoddee de
considerations sur l'industrie et le commerce exterieur de la Belgique et
sur la necessite pour elle de order des dtablissoments dans les pays trans-
atlantiques. Paris, Tanera, 1860. 219 S. 8. m. 1 Kpfr.
Bell, Georges, Voyage en Chine du capitaine Montfort,
avec un resume historique des drdnements des dix dernidres anndes. Paris,
libr. nouvelle, 1860. 360 8. 18.
Years, twelrve, in China: the people, the rebels, and the man-
darins, By a British resident. With illustrations. Edinburgh, Hamilton,
1860. 340 8. 8.
Kina, Land och folk, skildradt efter de bästa källor.
Fri öfwersättning af Kjellman-Göranson. 66— 126 häftenea. Stock-
holm, Huldberg et Komp., 1860. 8. 81-236. 4. m. 20 Kpfrn.
Heine, Wilhb., Japan und seine Bewohner. Gsschichtliche
Rückblicke und ethnogr. Schilderungen von Land und Leuten. Leipzig,
Costenoble, 1860. XX, 388 8, gr. 8.
Japan och dess innebyggare. Försa häfte. Stockholm,
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& regering en de Staten-Generaal, aangaande de koloniön, 's Gravenhage,
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‘
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uitgegevene als niet uitgegevene, bewerkt door J. A. v. d. Chijs. Am-
sterdam, Muller. XII und 264 8. 8.
Woordenboek, aardrijskundig en statistisch, van Ne
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Amsterdam, v. Kampen. S. 401 —480. 8.
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164 8. 8.
Krapf, Dr. J. L., Traveols, researches, and missionary la-
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her with journeys to Jagga, Usambara, Ukambani, Shoa, Abbessinia, and
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an appendix respecting the Snow-capped mountains of Eastern Afrika, the
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Eastern Africa, etc, by E. G. Ravensden. London, Trübner, 1860.
600 8. 8,
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281 8. 18.
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Cookb,’&@borg Wingrevre, Conquest and solonisation in
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padas en el establecimiento litografico de Julio Donon. Entreg. 1 & 4.
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Kunstmann, Dr. Frdr, Valentin Ferdinand’s Boseohrei-
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bußrie - Comptoir. X, 185 ©. ol. mit 2 Karten in Kol.
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Abbott, Jacob, American history, illustrated with numerous
„Mi
262 Anguſt Schäffler ,
und hatten mit einem Verlufte von zwei Mann fich zurückgezogen.
Gegen Abend erhielt man Kunde von ber Stärke der Bauern ’*).
Nochmals fandte man an Striehbaum mit dem Vefehl, er folle
mit feinem Corps nah München rüden und feinen Marſch beſchleuni—⸗
gen, fobald er Kanonendonner vernehme °*). Gegen Abend rüdten ale-
dann auch alle Truppen zu „Roß und zu Fuß aus, um bie Bürger
in Schranken zu halten. Nach Mitternacht entftand plötzlich Lärm vor
ber Stadt. Die oberbayerifche Landespefenfion war angelommen. Ein
Theil wartete am Softthor auf Einlaß‘’), der andere hatte fich mit
ber Zunft der Zimmerlente von der Au verftärkt und griff jett, als
ſich das verabredete Zeichen noch immer nicht zeigte‘*), den „rothen
Thurm“ an der Sfarbrüde an. Es war dieß ungefähr um 1 Uhr
Morgens. Nach kurzer Gegenwehr wurde derfelbe genommen °’). Von
biefer Zeit an bi8 Morgens acht Uhr befchoffen fie die Stadt mit
den beiden Feldſtücken, die fie in Benediktbeuern erpreßt hatten,
und ben hier eroberten, füuberten mit wohlgezielten Büchjenfchüffen
bie Wälle der Stadt von vertheidigenden Defterreichern und ließen
bie Stadt durch einen Tambour zur Uebergabe auffordern. Die Defter-
reicher vertheidigten fich fehr fchlaff; fie warteten auf Entjag durch
Kriehbaum. Diefer hörte halben Weges Kanonendonner, befchleunigte
feinen Marſch, fo viel er konnte, und um 8 Uhr Morgens verlünde-
ten 3 Kanonenſchüſſe von der Gafteigerhöhe aus den DBelagerten feine
Ankunft. Die Iſarbrücke Hatten vie Oberländer unbegreiflicher
Weiſe unbefegt gelaffen. In gefchloffenen Reihen ließ Kriechbaum
feine SYnfanterie über biefelbe ziehen, um die Belagerer vom Rüden
anzufallen; durch bie feichte Iſar ließ er feine Hufaren und Pan-
duren fegen, um zugleih auf beiven Flanken einen Cavaleriean«
griff zu formiren. Zu eben berfelben Zeit gefchah ein Ausfall aus
ber Stadt, die Oberlänvder kämpften wie Löwen, mußten aber ver
Uebermacht weichen. ‘Die Befakung der Stadt war 5000, das Striech-
baumifche Korps 3000 Dann ftark; vie Landesvertheidiger zählten
faum 3000 Köpfe. Sie wurden von München weg gegen Sendling ®)
zu gebrängt, faft von allen Seiten von den Solvaten umringt, zu—
fammengetrieben und gezwungen, ihre Waffen zu ftreden. ALS fie
bieß in der Hoffnung, tie verfprochene Begnadigung zu erlangen, ges
than hatten, da wütheten die Solvaten gegen vie Wehrlofen. Ein
AT: Mttehe und EAdamerile. : =’ 347
'grapkie, "histoire natureHe, histoire, thélbologiqus, moeurs.et Contumes.
2 role Paris; Dante, 1860. XOV und 976 8. mit IR. und 10 x. 8,
02 Site und —
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ot politique du Paraguay et des dtablissemeonts des j«“
suites; aocomusgnee d'un atlas, de pidoes justificatives et d'une biblio-
graphie. Tome ler. Paris, Hachette et Ce. LXIV und 486 S. 8.
Documents officiels relatifs & la me&diation pacifique
de la rdpublique de Paraguay dans le diffrend existant entre les
gouvernements de la eonf6deration Argentino et de Budnos- Ayres. Paris,
impr. de Racon et Ce., 1860. 259 8. 8.
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Hayti. 2. Unsgabe. Kiel, Homann. 1860. 192 ©. 8.
Preisausſchreiben.
Die Societe des Arts et Sciences zu Utrecht veröffentlicht folgende
Freisaufgaben, um teren Abdruck wir erjucht werben.
1. Exposer les principes qui depuis le Trait€ de Mnnster jnsqu’ &
203 jours. ont éeté enonces et appliques à l’occasion de la reconnaissance
de Tindependance des peuples qui avaient brise leur joug, ou des chan-
gements operes dans la forme de gouvernement.
2. Puiser dans l’histwire des Grecs et des Romains les preuves de
Vinduence que les idees et les theories des philosophes ont exercee sur
les vues et la conduite politigue des hommes d’etat et demontrer les
consequences de cette influence dans les tentatives de reforme politique
et sociale, quils ont pratiquedes.
3. Un apercu historique sur l’etat de nos connaissances concernant
Pile de la Nouvelle-Guinee.
4. La societe demande, que le poids atom.que de deux elements
su moins, choisis de preference parmi ceux, sur lesquels M. Stas n’a
pas encore publie des recherches, soit determine de la maniere la plus
rigoureuse et en suivant des methodes varices autant que possible.
5. Lhistoire de l'évolution d’une ou de plusieurs espèces d’ani-
Diſtoriſche Zeitfärift VL Banv. 17
250 Breisansichreiben.
maux invertebres, dont l’histoire n’a pas encore 6tE decrite, accompagnee
de planches illustratives du texte.
Le prix qui sera decerne & chaque réponse jugee satisfaisanfe, con-
sistera en une me&daille d’or de la valeur de trois cent florins de Hol-
lande (600 francs). Les r&ponses pouvent être €crites en Frangais, en
Hollandais, en Allemand (en lettres italiques), en Anglais on en Latin,
Eles doivent etre adressees, franches de port, avant le 30. Novembre
1862. au Secretaire de la Societe, M. le Dr. J. W. Gunning à Ur
recht. Pour les questions No. 3 et 4 le concours restera ouvert
jusqu’au 30. Novembre 1863. Les memoires doivent &tre égcrits d’une
autre main que de celle de l’auteur, et accompagnes d’un billet cachet&,
reufermant son nom et portant sur l’adresse la lettre L, s’il est membre
de la Societe. Les responses couronnees seront inserees dans les Me-
moires de la Sociéto.
S’adresser pour de plus amples informations, au Secretsire M.
Gunning.
Druh von Dr. C. Well & Bohn.
Xadridten
von der
hiſtriſchen Commiffion
bei ber
Aöniglich Bagerichen Akademie der Wilenichaften,
(Beilage zur Hiftorifchen Zeitichrift herausgegeben von H. v. Sybel.)
Dritter” Jahrgang.
Srfles Htüd.
KMünden, 1861.
Literarifh-artiftifge Unftalt
: ber 3. G. Coſtta'ſchen Buchhandlung.
Drah von Dr. E. Wolf & Zehn.
L
Plenarverſammlung
der
hifterifchen Commiſſion bei ver königlichen Akademie der Wiſſenſchaften
vom 4. bis 8. Oct. 1861.
Die großen Arbeiten der Kommiſſion haben, wie die Berichte
zeigten, die bei der heurigen Plenarverſammlung über die einzelnen
Unternehmungen erftattet wurden, einen guten Fortgang gehabt. Von
ten Quellen und Erörterungen zur bayerifchen und deut-
ſchen Geſchichte ift im letzten Jahre der 6. Band erfchienen, ver
10. wird bis Michaelis 1862 die Breffe verlaffen haben; jener enthält
die Monumenta Wittelsbacensia 1293 — 1397, herausgegeben von
Wittmann, nach deſſen Tode Muffat die Nevifion des Tertes über-
nahm und bie meiiten Noten binzufüste; diefer gibt die Yormelbücher
mit biltorifcher Ueberficht über das Formelweſen und einleitenven Nos
ten über bie Autoren und deren Zeit von Nodinger; die Nefte des
2. und 3. Bandes follen im Laufe viefes Etatsjahres wo möglich
ebenfalls gedrugt werden, fo daß das Geſammtwerk bis nächjten
Herbft zu Ende küme. Die Forſchungen zur deutſchen Geſchichte
mit einer Reihe werthooller Unterfuchungen find in Jedermanns Häns-
\*
\
270 Auguſt Schaͤffler,
Der ſtarke Schmiedbalthes zu Kochel, Fahnenträger und
Anführer der wackern Hochländer bei dem bayeri—
ſchen Volksaufſtand in der Chriſtnacht 1705. Abge—⸗
bildet im Kirchengemälde zu Unterſendling. Cine bahyeriſche
Volkslegende, aus dem in einem Kalender tes Jahres 1734
ſchriftlich niedergelegten Aufjage, welcher dem Verfaſſer zu
Kochel mitgetheilt wurde, gefchöpft von F. J. Gruber. Mün-
hen, 1832. Mich. Lindauer'ſche Buchhandlung (George Ja⸗
quet °°).
Das Büchlein hat 62 Seiten in Detav und ganz das Aus-
feben und die Ausſtattung der gewöhnlichen fogenannten „Volks⸗
bücher⸗. — Es zerfällt in zwei Theile:
1) in eine Erzählung,
2) in fachbienliche Notizen zu dieſer Erzählung. |
In dem eriten Theile ift eine Lebens» und Schidfaldgefchichte
des Schmiedbalthes angegeben ’').
Beim Beginne der Erzählung finden wir den Schmiebbalthes mit
. vem Pfarrer Albertus und feinen beiden noch lebenden Söhnen, Lo⸗
renz und Paul, am Sterbebette feines Erftgebornen Martin. Diefer
war fchwer verwundet aus der Schlacht bei Höchſtädt nach der Hei-
math gebracht werden. „Zweimal neunundbreigig Wochen“ litt er bie
furchtbarjten Schmerzen. Seiner Mutter brach bei denſelben das
Herz und fie ftarb, ehe ihr Sohn ausgerungen hatte. Kaum war
Martin geftorben, fo kam eine andere Leivensbotfchaft zum Schmied⸗
balthes nach Kochel. In einem Aufjtande, der in Weilheim ftatt-
gefunden, wurde Balthafar Mayr’8 Bruder, ver Sirchenpfleger Ulrich
Mayr, deßwegen vom ungarifhen Militär graufant ermordet, weil er
das heilige Gut der Kirche nicht in die Hände der Barbaren lieferte.
Eilig fuhr der Balthes nach Weilheim und holte die verwaifte Zoch»
ter feines Bruders, Angelifa, und nahm fie an Kinbesftatt an.
Balthaſar Hatte wie gefagt noch zwei Söhne; Lorenz war adht«
zehn, der Paul „ward am Vorabend des heiligen Chrifttages erſt
fünfzehn Jahre altı.
Nachdem fi der Schmied in einer Epiſode über die Regierung
und das Geſchick des Churfürften Max Emanuel ergangen und bie
öfterreichifche Negierungsweife in grellen Farben dargeſtellt bat, er-
II.
deriht über den Stand der Arbeiten zur Herausgabe der
dentſchen Reichstagsatten vom SHerbite 1861.
Bon
Zulind Weisfäder.
Schon im Berichte des vorigen Jahres wurde hervorgehoben,
daß die Fruchtbarkeit ver Archive für die verfchievenen Zeiträume uns»
ferer Arbeiten im allgemeinen nur ven fpätern Theil begünftigt. Nicht
bloß in München Hat der bisherige Stand ver Unterfuchung zu dieſem
Ergebniß geführt, ſondern buffelbe wibderholte fi) auch bei ber im
Sept. vor. %. unternommenen Erhebung in verfchiebenen bayerifchen
Provinzialarchiven. Würde man bis etwa 1486 ven fraglichen Stoff
fammeln fowie er am leichteften zu erreichen ift — vie legten Bände
müßten früher fertig werben als der erſte. Während wir mit ber
gofvenen Bulle ven Drud zu beginnen haben, befajjen wir im vorigen
Jahre bis 1414 excl. noch fein Blatt, fo reih und hoffnungser⸗
wedend auch die Vorräthe für bie zweite Hälfte des 15. Jahrhun⸗
verts fih angefammelt hatten. Es lag in ber Natur ter Sache, bei
einer Aufgabe, deren Umfang fidh erſt allmählich im Verlaufe ihrer
Löfung herausftellen konnte, mit dem Nabeliegenven, unfchwer zu Er⸗
6 Bericht von Julius Weizfäder,
reihenden zu beginnen. Inzwiſchen ift dieſe Löſung foweit fortge-
Schritten, daß es Zeit war, fih auf der einmal erlangten Höhe um-
zufchauen und nad) rüdmwärts die Ausgangspunkte zu gewinnen, ohne
den längft angetretenen Lauf zu hemmen. Das, was diefes Yahr
zu leiften hatte, war daher ein gedoppeltes: 1) die leicht zu⸗
gänglichen Materialien ver fpätern Periode ruhig weiter auszubeuten
wie fie fi und zunächſt durch die reichen Sammlungen in München
barbieten, damit fünftig, wenn der Anfang mit dem Drude gemacht
ift, die Bände ſich raſch und ungehemmt folgen können; 2) aber das
Augenmerk auf die Gewinnung des aus bisherigen Veröffentlichungen
ſchon befannten und gleichwohl bei der ehemaligen Läßigkeit in Angabe
der Fundorte erft wieter aufzufpürenten, und weiterhin auch etwa noch un«
befannten Stoffes aus der 2. Hälfte des 14. und dem Anfange des
15. Jahrhunderts zu richten, damit wir ficher find, den Drud bald
genug beginnen zu können. Nun ift gerade bei unferer Sammlung
die Unannehmlichleit zu überwinden, daß eben ver erfte Band der
fchwierigfte ift in jeder Beziehung: im Suchen und Finden, im Ent-
ziffeen, im Drdnen und Bearbeiten. Um fo mehr gereicht es ung in
biefer Beziehung zu großer Freude der heurigen Plenarverfammlung
die Anzeige machen zu können, daß auch auf tiefem Boden vie Be⸗
mühungen des verfloffenen Jahres von Erfolg gewefen find.
Während ein Theil der Mitarbeiter die branvenburg-ansba-
chiſchen, die churpfälziſchen und beſonders die bayrifchen
Neihstagsacten weiter behandelte, tie Negiftrirung der Neubur⸗
ger Kopialbücer in Angriff nahm, die Codices der hiefigen
Bibliothel und vie bayerifchen Fürftenbriefe ausbeutete, —
faft Tauter Material für vie fpätere Zeit —, wurde ein anderer
Theil unferer Kräfte auf das Suchen ber zerftreuten Urkunden ber
früheren Periode verwendet. Denn neben einzelnen Gutachten
und feltenen und kurzen Kanzlei « Aufzeichnungen über die ver
hanvelten Gegenftände muß die Gefchichte diefer Reichstage vornehm⸗
(ich nicht auf Verhantlungen fondern auf teren Ergebniß, wie es fi
in den Urkunden uud Ausfertigungen niedergefchlagen bat, und ans
Briefen, mit Beziehung chroniftifcher Nachrichten, zufammengefeht
werden, und man wird bon vornherein darauf verzichten müſſen, die⸗
ſelbe auf eigentliche protofollarifche Alten aus dem 14. Jahrhundert
über bie Reichötagsacten. 7
zu grünten. Die erfte Archiv-Wote, die etwas ähnliches bietet unter
tem bis jegt von uns Aufgefundenen ift von 1387; fie ift nicht bie
ültefte, aber eine von den wenigen vorhandenen biefer Art. Es ift
eine Zufammenftellung ber einzelnen Punkte ver geführten Verhand⸗
ungen und ihres Abfchluffes: biz ift geret zu Nurenberg ztwuſchen
ten furften berren und ftetven«. ‘Der Gang der Handlung felbft
wird nicht fichtbar, es ift nur eine fachliche Aufzählung zur Erleich-
terung des Gedächtniffes: Zum erften, und Item, Item u. f. f. Die
erften mohlerhaltenen Protokolle, ever doch Archivnoten, die biefer
Form fchon fehr nahe kommen, find die von 1405 und 1406, die er-
ftere nody ganz kurz, die leßtere fchon ausführlicher; noch find bie
fpäter getrennten Stüde, Lifte der Anweſenden, Anbringen bes Kö⸗
nige, Haudlung der Stände, Abſchied, hier wie im Keime verfnüpft.
Das Stüd von 1405 erhebt fich erit am Schluß zu einer oratio di-
recta. Die erftere größere politifch- juridifche Streitfchrift, die ung
zu Gebote fteht, folgt bann im Jahre 1409. — Bei biefem Stande der
Dinge läßt ſich gleichwohl ohne Zweifel ein genügenter Stoff für
bie Geſchichte ver Reichstage auch der Älteften Beriode heritellen. Dan
wird aber für tiefe Zeit in ver Auswahl etwas weiter greifen müſſen
ale fpäter. Oft find bier Brivaturfunden aus dem Kreiſe einer fol«
hen Berfammlung erhalten, aber feine vom Reich; over neben ven
öffentlichen find private erhalten, die doch für die Kenntniß ver Dauer,
ver Theilnehmer und bes Verlaufs eines folchen Tages wegen eines
Datums, wegen ber Unterfchriften und Zeugen, wegen irgend eines
formellen oder materiellen Zufammenhanges mit der politiihen Ge-
fhichte nicht entbehrt werden können. Dan kann nicht umgehen, fte
zu berückſichtigen, theilweife fie geradezu der Sammlung einznverleiben,
letzteres befonters, wenn etwa eine felche Privaturfunte das einzige
Dokument ver betreffenden Zufammentunft, vielleicht die einzige Spur
verfelben ift; in ten meilten andern Fällen muß und wird ein ein⸗
faches Regeſt genügen.
Trog allen angeführten Schwierigkeiten durfte man auch für bie
ältere Zeit fchon guten Muth faſſen, fobald die Memminger Hand»
ſchrift des Andreas Ratishbonenfis, der fich hier zwei ältere
ans dem 15. Jahrhundert anfchloffen, und für deren Ergebniffe der gleich“
geitige Wiener Eoder aus Mouſee maßgebend fein wird, und bie auf
8 Bericht von Julins Weizfäder,
ber Reife im September vorigen Jahres in Würzburg vorge
nommenen Mainzs Afchaffenburger Yngroffaturbüder
näher unterfucht waren. Unfere Hoffnung ift nicht getäufcht worden,
Andreas enthält weit mehr einfchlagende Stüde als zuerft erwartet
wurden, und die genannten Würzburger Kopialien find gleichzeitig,
meift wohl erhalten und fehr fchägbar. Dazu fam bas im biefigen
tgl. Reichs-Archiv aufbewahrte Mainzifhe Ab
fhriftenbud in 6 Foliobänden. :Diefe beiden Meainzifchen
Sammlungen enthalten ein fo mafjenhaftes Material zur Gefchichte
bes Zurerzbifchöflichen Gebiets und Regiments und ber größte Theil
beffelben liegt fo weit ab von unferer Aufgabe, daß bei näherer Ein-
fihtnahme fich faft unmittelbar ver Wunfch erhebt, es möchte irgend
ein gelehrter Arbeiter daſſelbe ver biftorifchen Forſchung zugänglicher
machen durch ein darauf zu gründendes Mainzifches Regeftenwerk, wie
wir deren für verſchiedene Territorien ja bereits befiten, und für das
in Rebe ftehende wegen feiner hiftorifhen Bebeutung lebhaft wün-
ſchen müffen. Für uns ift in Betreff unferer ältern Zeit neben dem
Genannten ver Beitrag der wichtigfte geworden, den das Stadt: Archiv
zu Frankfurt gab und noch erwarten läßt.
Und hier fcheint mir nun der Drt zu fein, wo ich einen kurzen
Bericht über eine im Juni und Yuli d. 8. mit Dr. Menzel nad
Frankfurt unternommene Reife zu geben habe. Ich glaube
nicht, daß ein anderes Archiv in Deutfchland für unfere Zwecke wich
tiger und ergiebiger fein wird. Die Reihstagsacten, in einer
Reihe von 96 Foliobänden, begannen bort mit 1414 umb
laufen von 1446 an ohne Unterbredhung fort bis 1541, zeigen
auch fpäter nur wenige Lüden. Leider ift aber von ven beiben
erften Bänden bloß noch tie Regijtratur vorhanden, fie jelbft jind ver-
loren gegangen. Dr. Böhmer erinnert ji noch, fie gefehen zu
haben; foviel ich weiß hat auch Br. Palacky dieſelben benügt; Br.
Aſchbach Hat eine Anzahl von Stüden aus dem früheften herausge⸗
geben. Mr. I. gieng von 1414— 1435, Wr. IL ven 1440 — 1446.
Der Verluft ift freilich fehr zu beflagen. Aber was die Zeit Sig-
mund's betrifft, fo hat eben der letztgenannte Gelehrte dus wichtigfte
ſchon mitgetheilt, anderes (viele Briefe beſonders) iſt durch die ziem-
U genaue Ausführung der Regiftratur gerettet (dieſe wurde voliftändig
über bie Heichstagsacten. 9
zen uns fopirt und ben Regeſten unfers Unternehmens einverleibt) ;
nech anteres, mas hier erwartet werben burfte, war fehon von An—⸗
fang am nicht eingereiht, jo daß für die wichtigen und fchiwierigen
Suifitentage der Zwanziger » Jahre nicht allzuviel erbeutet worden
wire. Nur was bie Zeit Friedrich's betrifft, ijt ver Schaten größer,
da hier nichts benußt war; aber auf ber antern Seite flieffen in viefer
Zeit auch andere Quellen fchon reichlicher, fo daß die Lücken wohl noch er-
gänzt werben fönnen; auch bier find die Briefe ziemlich erjett durch
tie Regiftratur; aber der Verlujt ver Frankfurter Acten in der Kirchen»
Stage auf den Tagen ber PVierziger- ahre bleibt immerhin ſchmerz⸗
ih. Die Heffnung, daß Pr. Aſchbach noch unedirte Wbjchriften
befäße, die er früher etwa genommen, hat fich nicht erfüllt; wie er
mir mitzutheilen die Güte batte, find fie faſt ſämmtlich in ben
Beilagen zu feinem Werk über K. Sigmund fchon veröffentlicht. Die
Bahltagsacten beginnen ven 1397 und enthalten hier fegleich
bie ganze Entwidlung des legten Stampfes zwijchen Wenzel und Rus
precht. Frankfurt war ja Wenzels getreuejte Stadt, unter ven lebten
Anhängern im Reich tie ihn aufgaben; fie verjieht ihn fortwährend
mit Nachrichten, und crft nachdem bie Kunde von tem Abfall der rheis
niſchen Städte eingetroffen ijt, bittet die Wahlftatt ven neuen König,
einen gelinden Zwang auf fie auszuüben, auf daß fie mit Ehren zu
ihm übergeben fünne. ‘Darauf folgen vie Wahlaften von Sigmund
Albrecht, Friederich u. f. f. in zujammenhängenter Reife. Es find
in gleichzeitiger Schrift förmliche referirende Aufzeichnungen wen dem
ganzen Hergang der Wahlen, tie vorausgehende SKorrejpondenz ter
Stadt in eingefügten Abfchriften, die Befchreibung des Einzugs und
ter ganzen Verhandlungen, fomweit jie zur Kenntniß des Raths Tamen,
und die ftatthabenten Feierlichkeiten. Da hier viele örtliche Wezie-
bungen aujtreten, fo ift Die Bearbeitung biefer Stücde für die Heraus-
gabe nur an Ort und Stelle möglich, wo bejonbers das hantfchrifte
liche topographifche Wert über" das hiftorifche Frankfurt ven Batten
und Fichard (eben jet von Frankfurter Geſchichtovereine zum Drud
vorbereitet) die unentbehrlichfte Hilfe gewährt. Bis zur Wahl Fried⸗
rich's ift dieſe Arbeit guten Theil ſchon beentigt. Die erwünfchtefte
Ergänzung ver Reichstags⸗ und Wahlacta bilden die Frankfurter Kaijere
fhreiben, welche in einer umfangreichen Serie von Bänden ziemlich
10 Bericht von Julius Weizfäder
chronologiſch vereinigt find. Vieles was dort abſchriftlich vorkommt,
ift hier im Original vorhanden, anderes Neue fommt hinzu, naments
li für die Zeit vor 1414. Hier finden fich jene alten protofollari»
fhen Aufzeichnungen des Mainzer Tages von 1405 und des von 1406
und eine Reihe von Stüden zu dem Frankfurter Tag von 1409. Auch
für Karl und Wenzel ift hier zu hoffen, da vie Schreiben ſchon mit
Ludwig dem Baiern beginnen. Das Bud des Bundes enthält
eine ganze Anzahl von Stüden für die Reichstage unter Wenzel,
Schreiben, Urkunden und Gutachten, ähnlich das gleichzeitige Abfchrift-
buch unter der Bezeichnung „Randfriede anno 14034. Ebenfo der
Kopialband unter dem Titel „der Stättbund in Schwaben,
Branden und am Rhein“. Ein hurpfälzifhes Urkunden
buch, eines älteren Werkes fpätere Abfchrift aus dem 17. Jahr⸗
huntert, bietet einfchlägige Urkumten aus ber Zeit Karls IV., die fi
fonft nicht erhalten haben. Die Alten des Konftanzer und
Bafeler Concils müſſen erjt unterfucht werden. Außerdem fin-
den fih verſchiedene diplomatiſche Schreiben der Stadt
an ben königlichen Hof, auch aus Ruprecht's und Sigmund's Zeit,
und zerftreute wie in Summelbänvden vereinigte Urkunden, bie für
uns von Bebeutung find; turch die Freundlichkeit des Dr. Böhmer
find uns die Fundorte der in dem codex diplomaticus gebrudten
Stüde befannt geworden. Einzelne Notizen enthalten auch in Frauk⸗
furt tie Rathbsprotofolle un die Stadtrehnum
gen, erjtere feit 1428, letztere noch aus der zweiten Hälfte
des 14. Jahrhunderts erhalten. Es ift Hoffnung vorhanden, für
beren Bearbeitung bewährte einheimijche Kräfte zu gewinnen. Wir
felbft kehrten nach fechöwöchentlicher Arbeit, bei der uns bort bie
freifte Benügung ber Nepertorien bereitwilligft zugeftanden wurbe,
mit der Hoffnung nach München zurüd, die ausgewählten Archivalien
bieher gefchict zu erhalten. Die Erlaubniß des Senates der freien
Stadt ift eingetroffen, auch der größte Theil der erbetenen Bor
räthe, und für das Uchrige bürgt uns bie ausnehmende Güte und
aufopfernde Gefälligfeit des Archivars Dr. Elof, der dazu berufen
fcheint, zum erftenmal diefe großen Schäge zu fichten und zu ordnen
und in einer ber Stadt und ihrer Gefchichte würdigen, bie Durch⸗
forfchung begünftigenden Weiſe aufzuftellen.
über die Reichstagsacten. 11
Ich gebe nunmehr im Folgenden eine ungefähre Ueberficht
bes neugewonnenen Stoffes, wobei ich in ber fpäteren Zeit mehr
zur das bis jeßt Ungebrudte aufzeichne.
Aus ver Zeit Karls IV. fammelten wir vor allem eine bes
teutende Auzahl von Urkunden, die als Vorbereitung und Begleitung
der goltenen Bulle anzufchen find. Schon aus 1351 gehört hieher
ein unbelannter Vertrag zwifchen Gerlach von Mainz und dem älteren
Ruprecht von ber Pfalz wegen Erhebung des leßteren zum beutfchen
König; dann bie Verträge von 1355 aus Wiesbaden zwifchen eben
denſelben, webei ſich Ruprecht mit einem Vertheidigungsbund und ber
Anerfennung feines kurfürftlichen Nechts durch Gerlach begnügte, eben»
falls unbelannt, Weiterhin verfchievene Urkunden zum R. T. von Nürn-
berg 1355 und 1356, theilweiſe unbekannt, mit der Aufklärung wie
ber Kaifer von einzelnen Reichsſtänden zu den privilegirenten Beſtim⸗
mungen der Goltenen Bulle vermocht wurde, theild wie er andere,
welche in ver Bulle leer außgiengen, durch fonftige Begünjtigungen
und Berleihungen zufrieden ftellte; endlich ein unbekanntes Schreiben
Gerlach's aus Nürnberg an die päpjtlichen Legaten, und bie befannten
Berleihungen ter Kurjtimmen zu Nürnberg und Met faft vollftändig;
auch fie können, wie die meilten Stüde ver älteren Eritoren faft
als nen betrachtet werden in Folge der Behantlung, die fie nunmehr
fahren haben. Es folgen faft ſämmtliche (fchon edirte) Stüde
wm SKurfürfientag zu Bacharach 1359; einiges DBefannte vom
Kurfürftentag zu Nürnberg 1302; Bekanntes und Unbefanntes
von dem Frankfurter Tag 1366, befenders Mainziſche Verhältniſſe
betreffend.
Unter Wenzel fällt fchon ver fragliche Reichstag von Frankfurt
im April 1380, ver jegt durch eine Urkunde im Frankfurter Buch
bes Buntes beftätigt wird, dann die Verhandlungen ver Städte mit
Wenzel auf dem Reichstag zu Nürnberg, Febr. 1381, durch Böhmer
befannt, und die folgenden vom November (unebirt), vie befannte
Bereinigung Wenzels mit ven Kurfürften gegen Clemens VII. und
verfchiedene neue Urkunden zu bei Februartage, die fich befenders auf
das VBerhältniß von Mainz zur Kurie beziehen. Die bekannte Be:
lehnung Adolf's von Mainz ift bis jet das einzige Stüd von bem
X. T. zu Frankfurt 1382; nem ift die Urlunde der Nürnberger Ver⸗
12 Bericht von Julins Weizſäcker,
ſammlung von 1383 über die Verſöhnung von Mainz und Speier
durch ven Kaiſer. Der Fürftentag zu Mergentheim im Febr. 1384
ift zwar feine NReichöverfammlung, aber wegen feiner Beziehung zu
ber folgenden Heidelberger veffelben Jahres kaum zu umgehen; über ihn
gibt das Frankjurter Buch des Bundes neue und überrafchende Verichte.
Bon dem Tlegtgenannten Tage ijt die Heidelberger Stallung in ver
Ausfertigung der Städte und die Erflärung berfelben auf ber Fürften-
verfammlung zu Koblenz befannt. Neu find von bem Heidelberger
Tage bie Aufhebung der Rheinzölle und mehrere Urkunden und Ber
richte über die Stallung, darınter das politifche Gutachten eines un-
genannten Schwaben, der in Böhmen gewefen und mit ver Rage bes
Königs vertraut ift, das Nichterfcheinen deſſelben zu Heidelberg erffärt
und die Haltung der Städte bei ber Zuſammenkunft in conciliateri-
fcher Weife geregelt fehen will. Von dem bisher etwas fraglichen
RT. zu Nürnberg von 1387 ift jett nicht bloß beftimmte Nachricht
fonbern fogar eine Archivnote von ziemlicher Ausführlichkeit gefunden,
bie ich vorhin fchen charakterifirt habe. Bekannt bagegen ift die Stal-
fung von Mergentheim, 5. Nov. veffelben Jahres, fowie auch ber Tag
zu Eger von 1389, ver in ziemlich vollftändiger Anzahl von Urkunden
vorliegt. Von dem fonft wenig erläuterten Jubilatetag zu Frankfurt
1397 Haben wir aus Frankfurter Korrefpondenzen jett weitere Nach⸗
richten über bie äußern Vorbereitungen, die Plane der Kurfürften und
das Verhältnig der Stadt zum König. Das im Gegenfag zu tiefer
Berfammlung gefaßte Projeft eines königlichen Tags in Nürnberg,
der ziemlich zur gleichen Zeit abgehalten werden follte, wird bier zum
erstenmal durch Wenzel's Einladung an Frankfurt, vie Vereitelung
beffelben durch einen Nürnbergifchen Bericht an viefelbe Stadt vorge
führt. Wenzel’8 Landfriede von 1398 war längft vorhanden, aber
bet Goldaſt und Koch defekt, nunmehr ift er vollftändig da. Die
Abſetzung antreffend, fo find jett außer einer Anzahl ver ſchon ge
brudten Dokumente auch die Einladung des Markgrafen oft nad
Dberlahnftein, die Geſandtſchafts⸗Inſtruktion der deutſchen Fürſten
von Frankfurt nach Rom, worin tie Kurie für den Fall des Wiper-
fpruchs mit allgemeiner Neutralität Deutſchland's bebroht wird, und
eine besgleihen an Karl von Franfreich aus bemfelben Frankfurter
Tag vom Febr. 1400 zur erſten Veröffentlichung bereit, worin fle
über bie Reichstagsacten. j 13
ſich insgeheim bereit erklären dajjelbe zu thun, weshalb fie Wenzel
laut anflagten, nemlich im Falle franzöfifcher Unterſtützung zur frans
söfifchen Obedienz überzutreten.
Leon Rupredt iſt gleich die Krönungsgejchichte mit neuen
Material aus ven pfälzifchen R.⸗T.⸗A. bereichert; fein und feiner Ge⸗
mahlin Ciuzug in Sranffurt aus den Wahltagsacten, in einer gleich»
zeitigen Genception, zum erftenmal mit vieler Schwierigkeit gewonnen
worten. Ein intereffantes Bild von dem böhmifchen Könige und
jeinen lahmen Gedanken, von Sigmund und Sojt, die in Kuttenberg
mit ihm zuſammen waren, gibt die lebendige Aufzeichnung eines Ohren»
zeugen ; bisher unbekannt. ‘Der bei Chmel geprudte Landfriede von
1404 mußte aufgenonunen werden, weil er mit fpätern Entwürfen
zujammenbängt (Menminger Stabtbibliothef: copia nova confede-
racionis ciuitatum imperialium). Folgt dann das früher geſchil⸗
derte Protokoll des Mainzer Tages von 1405 über den Marbacher
Bund und das von 1406 ebenfalls aus Mainz, von welchen beiden
nur das lettere bei Olenſchlager getrudt iſt. Daran fchließen fich
die weiteren Verhandlungen über das genannte Bündniß: tie Wer-
bung Ruprecht’8 bei ven Keicheftäbten, eine fpätere Ähnlichen Juhalts
ven eben bemjelben, die Mainzifche Werbung bei Frankfurt, und bie
Xcten eines heimlihen Tags zwifchen letteren über Reichskanzler⸗
ſchaft und Reichskammer, wobei Frankfurt hinübergezogen werben foll;
von allen dieſen nur das erfte Stüd befannt. Zu dem Frankfurter
Zag ron 1409 liefert Andreas Ratisbonenfis eine gegen das aus
&ivorno erlajjene Manifeſt der Kardinäle gerichtete Streitfchrift von
loöniglicher Ceite, und gegen tiefe ein großes juribijches Öutachten
bed Robertus de Franzola, das in Mainz verfaßt war uud auf dem
Reichstage vor dem König vorgetragen wurde, zu Gunſten der Car⸗
binäale, bieder nur im Auszug aus L'Enfant befannt. Dazu fommen
mehrere antre auf das Verhältniß Ruprecht's und des Erzbiſchofs
von Mainz zum Concil von Pifa bezügliche, theilweife noch unbefannte
Actenjtüde, bie fpäter noch für uns zu verwertben find, und verfchie-
dene Srankjurter Korrefponvenzen in Beziehung auf dieje Verſamm⸗
lung.
Außer dem bei Wender gebrudten Landfrieden von 1414 (aus
ven Brand⸗Ansb. R⸗T.⸗A. und ber Copia nova in Meminingen)
14 Bericht von Yullus Weizfäder,
ift die Regierung Sigmund's durch viele neue Dokumente erläutert
worden, bejonders bie Huflitentage von 1421—29 aus wichtigen,
großentheil® noch ungebrudten, oder nur von Palacky benügten Er⸗
zählungen und Aktenſtücken, meiftens aus Andreas Ratisbonenfis, dar⸗
unter noch ganz unbefannte oder erſt durch Palacky konſtatirte Ver⸗
fammlungen. So von 1421 der Tag zu Wefel und ein ungenannter
vom Rhein. Dann die Vorbereitungen, der Verlauf und bie Ergeb-
niffe des Nürnberger Reichstags von 1422, in ausführlicher Erzählung,
aus ver bis jetzt nur ein Bruchftüd über das Wahlprojelt von Höfler
aus einem unfrer Hiefigen Codices mitgetheilt war; warum die Ber
fammlung nicht in Regensburg gehalten wurde und warum Sigmund
den Fürften fchließlicd doch nah Nürnberg folgte, ift hier Har ent-
widelt: fchon hatten bie Kurfürften davon gefprochen einen andern
König zu wählen, ter Aſpirant war Burggraf Friderich von Nürn-
berg und bei den in diefer Stadt ungefetlich verfammelten Kurfürften
befand fich auch der apoftolifche Legat; fo war die Lage des Könige
freilich nicht der Art, daß er einen kühnen Entſchluß hätte faſſen
mögen. Dazu kommt das Ausfchreiben der Kurfürften und das des
Kaiſers in Betreff des Anfchlage, fowie die Forma dandi vexillum
vivifice crucis contra perfidos hereticos, alles von diefer Zuſam⸗
menkunft und umebiert. Die Tage zu Boppard 1423, zu Bingen 1424,
zu Nürnberg 1425 und 1426 find alle mit neuen Aktenſtücken ats
geftattet worden. Das Jahr 1427 zeigt zuerjt neu aufgebellt ben
Lichtmeßtag zu Mainz und deſſen Vorbereitung durch eine Zufammen-
kunft der fränkifchen Ritterfchaft in Bamberg, von der zuerft Palacky
erzählt hat, dann den Frankfurter Huffitentag durch Erzählung und
Atenftüde aus Andreas von Negensburg, durch nene Briefe ans ven
bairischen Fürftenfachen und durch die übrigens befannten Avisata et
conclusa über die Reichötriegejteuer vom 2. Dec. Der noch bie auf
Palacky kaum gelannte Tag zu Nürnberg 1429 ift aus ungebrudten
Altenftüdlen des Andreas erläutert, der ebenfalls zu Nürnberg abge
baltene von 1430 aus bairifchen Korrefpontenzen, und ter von 1431
(neben belannten Stüden) auch durch bairifche Korrefponvenzen über
ben dort verhanbelten Streit tiefer Herzoge. Daran fchließt ſich vie
Korrefponvenz des Herzogs Wilhelm von Baiern als Proteltors des
Soncils von Bafel mit 8. Sigmund und Kafpar Schlid; die ganze
ur
u
über bie Neichstagsacten. 15
italieniſche Politik des Königs, die Verhandlungen und Creigniffe,
welche ver Krönung zu Rom vorangehen und bdieje bebingen, und bie
Krönung felbft betreffend; dieſe Briefe find bis jett meift verborgen
geblieben. Darunter erregen befonders einige unbelannte Schreiben
großes Intereſſe, welche den Kurfürftentag zu Frankfurt von 1433
und den militärifchen Sukkurs für Sigmund nach Italien betreffen,
und in diplomatifcher Geheimfprache ausgeführt find: der Pabſt heißt
der Bfarrer, die Kurie der Pfarrhof, die Väter des Concile find bie
Maier, das Concil ſelbſt ver Maierhof, Vogt heißt der römifche Kuifer,
bie Rurfürften Weber, Roſſe und Gewand beveuten Reiterei und Fuße
voll u. f. f.
Die Wahltagsacta zu Frankfurt enthalten eine ausführliche Dar»
ftellung ver Wahl Albrecht's die noch unbekannt ift. Den Lanpfrie-
den von Nürnberg 1438 haben wir jett vellftäntiger als bieher.
Altes und neues zu dem Frankfurter Nurfürftenvereine ton 1439 er-
gaben vie bairifchen Fürſtenſachen.
Die römifche Königswahl Fride rich's III., wie fie in den Frank⸗
furter Wahltagsacta vorliegt, war nur theilweife neu. Der Diainzer
Reutralitätätag von 1441 hat durch einige Berichte in den bairifchen
Zürftenfachen Bereicherung erfahren. Ganz neun war tie große Be⸗
ihreibung des erftmaligen Einzugs Friderich's III. in feine Wahls
ftant, aus den Wahltagsacten; fie gibt das Programm des Rathes,
dann eine Erzählung von officieller gleichzeitiger Hand mit Inſtruk⸗
tionen und Notizen, welche das Verhältnig der Start zu König und
Reich behandeln. Dem Neichstag zu Wien 1446, dem Römerzug
Zrivericy’8 III, dem Andreätag zu Nürnberg 1456 find neue
Korreipondenzen zugewachſen. Zum Nörplinger Tag von 1466 find
neu die Berichte und eine bairifche Inſtruktion und bairifche Vers
handlungen über den Landfrieden bajelbjt. Die verberathente Vers
fammlung ver kurfürſtlichen Geſandten auf den Nürnberger Diar-
tinitag dieſes Jahres zu Lorſch ift in tem Kurerzkanzlerarchiv
zu Wien erſt entvedt worden. Der genannte Nürnbergertag
felbft und das Jahr 1467 Haben Bereicherung erfahren durch
unbelannte Protofollitüde, Gefanptichafts» Berichte, Verhandlungen,
Korrefpondenzen und andre Wftenjtüde aus Münden und Wien.
16 Bericht von Julius Weizfäder,
Zu dem Fürftentag von Speyer 1468 (gegen die Schweizer) bat
fih eine verlorene protofollarifche Aufzeichnung gefunten in bayeri⸗
fhen R.T.⸗A. Die Verfammlungen von 1469 zu Regensburg und
Nürnberg haben aus bairifchen und £urpfälzifchen Alten unbelaunten
Zuwachs erhalten. Für die zu Nürnberg 1470 ift ein von dem bis⸗
berigen abweichendes Protololl aus dem Kurerzlanzlerardyiv in Wien
gewennen worden, neue Rathſchläge verjchiedener Fürften und Kors
refpondenzen aus pfälzifchen und bairifchen Alten. Zum Reichscon⸗
vent zu Trier 1473 bat fih ein Bericht bairifcher Räthe am kaiſer⸗
lichen Hof aufgefunden. Der Augsburger R.-X. von 1474 zeigt jet
mebrere, früher nicht gefannte Inſtruktionen und Nelationen von
Geſandtſchaften, beſonders Verföhnungsprojefte ver bairifchen Räthe
für den Saifer und ben Pfalzgrafen und daran ſich Inüpfende Ver⸗
bandlungen aus bairijchen Alten. Beſonders die Nürnberger-Berfanm-
lungen von 1479, 1480 und 1481, fowie der Freiſinger Türkenkonvent
vom März 1479 haben an Acten, Berichten, Korrefpondenzen, tie bie»
ber unbelannt waren, großen Gewinn erfahren, vornemlich tie kurs
pfälziſche und tie bairifch-ungarifche Politik betreffend, aus ten ent-
fprechenden R.T.⸗A. Aehnlich die Neichstage von 1485, 86, 87,
88, 89, befonders für das PVerhältnik Deutfchlands zu Ungarn und
Tranfreih, und für die Wahl Marimilian’8 und der Zuftände ber
Niederlande, aus kurpfälziſchen und bairifchen Acten und dem Kurerz-
tanzlerarchiv zu Wien. Aus benfelben bairifchen und kurpfälziſchen,
auch brandenburg-ansbachifchen Quellen ift neues Material für ven
Nürnberger Tag von 1490 und den von 1491, ven Furfürftenconvent
zu Wefel aus dem Iegtern Jahre, ven RT. zu Coblenz und bie eng-
liſche und franzdfifche Politit von 1492, für die Verhandlungen bei
dem Leichenbegängniffe Friedrich's III. 1493, und in fehr reichhaltigen
und regelmäffigen batrifchen Gefanbtfchaftsberichten für die Reiche
verfammlung zu Worms von 1495, endlich noch einiges für die Jahre
von 1497 und 1501 gefchöpft worben.
Die manchfaltigen Ergebniffe dieſes Jahres waren nur möglich
burch den Zuwachs von Arbeitöfraft, den die bisherigen Mitarbeiter
Br. Büdinger In Wien, Dr. Kluckhohn und ich feit diefem Früß
jahr mit der feften Betheiligung ber Doctoren Menzel und Beter
erbielten, welche ſchon früher ab und zu bei diefen Gefchäften mit-
gewirlt hatten.
über bie Reich6tagsacten. 17
Pr. Büpinger, welcher bis dahin für die Zeit Friderich's III.
die Auebeutung der Wiener Archivalien nahezu vollendet Hatte, ift in
einen neuen Wirkungskreis getreten und hat jeine Mitwirkung, über welche
dießmal fein beſonderer Bericht erjcheint, da fie in dem allgemeinen
theilweiſe mitberüdfichtigt worden ift, bis auf Weiteres abgefchloffen.
Prof. Sidel hat fich bereit erflärt, die vorläufige Durchficht ver
Regiftratur des König Sigmund dvemnächft zu beginnen und bereits hoff.
sungerwedende Proben mitgetheilt. Statt des durch Prof. Droyſen
anderweitig befchäftigten Dr. Peter wird im Oftober Dr. Kerler
ans Ulm eintreten.
Schließlich darf ich noch die erfreuliche Mittheilung beifügen,
daß Pr. Pfeiffer in Wien eine neue Ausgabe des Eberhard Win-
bed von ſich aus vorbereitet und wir fomit, wenn biefe wie wir
boffen für uns noch zu vechter Zeit fertig wird, einer bebeutenven
Sorge enthoben find.
III.
Bericht über die Sammlung hiftorijcher Lieder und Sprüche.
1. Altgemeiner Jahresbericht von Herrn u. Filiencron.
Durh Herrn Prof. v. Sybel ift mir die Beſcheidung ber hiſto⸗
riſchen Commifflon auf meine bei der vorigen Jahresſitzung geſtellten
Bragen und Anträge zugegangen; und ich habe felbftverftändlich mein
Verfahren bei Fortfegung ver Arbeit danach eingerichtet.
Die VBervollftändigung der Sammlung bat audy während dieſes
Jahres noch die Hauptaufgabe bilden müjjen. Meinen Wunfch, fchon
jeßt den erjten Zeitraum der Lieder im Zufammenbang zu behandeln
und auszuarbeiten, hätte ich mit Nüdficht auf ven Beitand der Samm⸗
lung aufgeben müffen, wenn mich felbft nicht, wie es der Fall gewe-
fen, Dienftgefchäfte gerade während des abgelaufenen Jahres mehr
wie gewöhnlich in ber Förderung ber Lieverarbeit eingeſchränkt hätten.
Nachdem der Grund ter Sammlung durch das in Neupruden
vorhandene Material gelegt und durch die Schäge hauptſächlich der
Berliner und Münchener Bibliothek erweitert war, hoffte ich zunächft
bie Vervollftändigung durch die Vermittlung Anderer anf brieflichems
Bericht von Herrn v. Lilieneron über die Sammlung hiſt. Lieber ꝛc. 19
Wege zu erreihen. Mir find auch manche ſchätzbare Beiträge zuge—
fleifen; namentlich zu danfen habe ich in dieſer Beziehung den Herren
Grecelius in Eiberfeld, Gödeke in Göttingen, ver die große Liberali-
tät gehabt hat, mir die ganze eigene Sammlung fchöner Abfchriften
zezufenten, Greif in Augsburg, Haßler in Ulm, Kern in Nürnberg,
Kriegk in Frankfurt, Landau in Caſſel, Mantel8 in Lübeck, Mayer in
Regeneburg, Neubronner in Ulm und Reuß in Nürnberg. Bon An—
teren find Beiträge in Augficht geftellt. Im Ganzen aber hat fich
tiefer Weg als unzulänglic erwiefen. Beſſer ſchon als brieflich lieg
fi in mündlicher Befprehung wirken und ich habe nicht ohne Erfolg
zu ſolchem Zweck im vorigen Jahre die Verſammlung ver biftorifchen
Tereine in Münden, und fo eben vie Philologenverſammlung in
Frankfurt a. M. beſucht. Duneben aber ftellte fich, wie ich fchon in
meinem vorigen Bericht anbeutete, die eigene Nachforfchung als uns
entbehrlich Heraus, wenn annähernde Vollſtändigkeit erreicht werben
ſellte. Allerdings ift eine Beſchränkung auf die beveutenderen Biblio-
tbefen dabei geboten, wenn nicht die Arbeit in’8 Unermeßliche gehen
fel. Dieſe Beſchränkung ift aber auch wohl zuläßig, denn wenn
gleich die kleineren ftäptifchen oder Privatbibliothefen und Archive ein«
seines, und je nachdem ber Zufall fpielt, vielleicht intereffantes Ma-
terial enthalten können, fo befigen fie toch felten jene umfangreichen
Sammlungen und Sammelbände, welche vie eigentliche Fundgrube
für die Dichtungen bilden; und zutem find fie in den wenigften Fäl-
im fo geordnet und durch Katalogifirung zugänglich gemacht, daß das
Suchen irgend fihern Erfelg verſpräche. Selbſt in großen und fonft
wohlgeordneten Bibliotheken ift dies letztere in Betreff deffen, was ich
zu fuchen habe, keineswege immer ver Fall, und nur in ben feltenften
Fällen kann man ter Volljtändigfeit feiner Ausbeute leidlich gewiß
fein. Gift dies ſchon ven ten Bibliotheken, jo iſt es vollents in ben
Archiven völlig unmöglich, Tas unter den Akten und Urkunden vers
ſteckte Material flüßig zu machen, fofern es nicht, oft ganz zufälliger-
weife, den Archivaren bereits befannt geworben ift. Kann nun bei
einer Sammlung, wie bie vorliegende, von abjoluter Vollſtändigkeit
überhaupt fchon der Natur ver Sache nach nicht die Rede fein, fo ift
namentlich in ten Archiven ter Eammler nicht einmal deſſen gewiß,
bag er nicht an bedeutenden Schägen vielleicht nahe vorüberftreift,
2%
2 Bericht von Herrn ’v. Lilieneron
ohne fie heben zu können. Nur deſſen glaube ich mich nach dem jet
eingefchlagenen Verfahren verfichert halten zu bürfen, daß bie große
Menge der Dichtungen, foweit fie überhaupt durch Schrift und Drud
erhalten wurden, bei Abfchluß der Sammlung beifanımen fein wird.
Ich Habe zunächſt Würzburg, Frankfurt, Darmitadt, Heidelberg,
Stuttgart, Tübingen, Ulm, Augsburg, Regensburg, Nürnberg, Er⸗
langen und Bamberg befuht. In Würzburg bat Herr Profeſſor
Sonten bereits gejummelt und die Mittheilung feiner Ausbeute, wie
ber biftorifchen Commiſſion befanut ift, für meine Arbeit verjprochen.
Ich Hoffe auf recht baldige Erfüllung diefer, auch mir mündlich wie
berbolten freundlichen Zufage rechnen zu dürfen. Die Kataloge der
dortigen Bibliothek ergaben mir auffallender Weife gar feine Aus
beute; der Herr Oberbibliotefar, deſſen Unterftügung vielleicht befjer
geholfen hätte, war leider nicht anwefend. In Frankfurt bat ver
Bibliothefar Dr. Haueifen, fowie die Herren Dr. Roth, Profeſſor
Kriege und Direktor Claffen meine Arbeit auf dad Zuvorkommenſte
gefördert. Das Arhiv warb nah einigen vermutheten Xies
dern vergebens eingefeben; die Bibliothef, über deren betreffende
Schätze mir ſpäter ber damals leider ſchwer erfrankte Dr. Böhmer
freundlihe Mittheilung machte, gewährte fchöne Ausbeute, namentlich
für das 16. Jahrh. Eine fpecielle Durchficht ver großen Handſchrif⸗
tenfjammlung des Marimilian zum Jungen dürfte einjtweilen jeden⸗
falls noch unterbleiben, da fie, wenn überhaupt für bie dem breißig-
jährigen Kriege voraufliegende Zeit, doch nur für den Anfang tes 17.
Jahrhunderts Ausbeute erwarten läßt.
Weniger Erfolg bot Darmftadt; aus dem Archiv machte Herr
Director Bauer einige Wittheilungen. Es befindet fih u. A. dert
gegenwärtig im Beſitz Sr. königl. Hoheit des Großherzogs die Per-
gamentbandfchrift, deren auf die Mainzer Unruhen von 1429 bezüg-
licher Inhalt in Fichard's Archiv III 335 ff. gedruckt ift.
Das in Heidelberg einzufehende war aus Willens Katalog,
Wadernagels Bibliographie, Häuffer’s Pfälz. Gefchichte u. f. w. be-
fannt. Für die Zufendung einiger noch genauer zu prüfenden Hand⸗
fhriften erbot Herr Geh. Hofrath Bähr auf das Gefälligfte feine
Bermittelung. Für die unermüdliche Güte, mit ver in Stuttgart
Oberftubienrath v. Stälin meine Arbeit in der Bibliothek geleitet und
über die Sammlung hiſtoriſcher Lieder und Eprüche. 21
gefoͤrdert hat, darf ich ihm Hier meinen herzlichen Dank wiederholen.
Der Erfolg war lohnend, unter ten bortigen Quellen find Gabel-
fever’8 Miscell. historica hervorzuheben. — Die Tübinger Biblio-
tet gewährte feine Ausbeute, deſto mehr ein Beſuch bei Ludwig Uh-
fand, der fih, mit wohlwellender Theilnahme an der Arbeit, über bie
bei feiner Sammlung der Volfsliever befolgten Grundſätze auf das
Lehrreichfte ausſprach.
Die reihen Schäße ber Ulmer Stadtbibliothek, namentlich bie
überaus merkwürdigen Schade'ſchen Sammlungen, deren Durchficht
vermöge ber Gefälligfeit und vortrefflihen Sachkunde des Herrn
Pibliothefar Neubronner ebenfo raſch als vellftändig bewerfftelligt
werben konnte, täufchte meine Erwartungen infofern, als fie faft nur
für vie letzte Zeit von c. 1590 — 1618 wichtigen Zuwachs für meine
Sammlung ergaben. Ihre Hauptfchäße fallen in fpätere Zeit. Na-
mentlich ift bie Periode des dreißigjührigen Krieges in einem wahren
Walde von fliegenden Blättern aller Art vertreten, von denen Scheible
nur erft ven Heineren Theil befannt gemacht bat.
In Augsburg war ih durch Uhland's Empfehlung zunächft
an Heren Archivar Herberger gewiefen, der mir bie Mittheilung des
von ihm im Archiv gefundenen Materials freunblich zugefidhert hat,
Dichtungen auf Ulrid Schwarz (1478), Herbrot (1552) u. f. w.
Zeitraubende® Suchen in ter Stabtbibliothel, aus ver ein Sammelband
mir zur Denugung zugehen wird, wiberrieth der wohlorientirte Herr
Stutienlehrer Greif ale nutzlos. Dagegen hatte er die Güte, bie
Durchſicht feiner eigenen Aufzeichnungen zn gewähren und mir feine
fergfältigen Abſchriften einiger fonft noch nicht befannten Gedichte des
15. Jahrh. für die Sammlung zu überlaffen.
In Regensburg ijt e8 mir nicht gelungen, bie k. Kreisbiblio⸗
tet felbft zu betreten, da ich nicht in ber Lage war, zu biefem
Zweck von Sonnabend bis Dienftag, als dem nächften Bibliothek⸗
tag mit feinen 2 — 3 Bibliothefftunden, in Regensburg zu verbleiben.
Glücklicherweiſe war mir das Vorhandenfein und durch gütige Mit-
theilung Prof. Kellers in Tübingen auch ver Inhalt der ohne Zweifel
wichtigften bortigen Duelle, bes außgezeichneten Cod. ms. I. befannt.
Durch geneigte Bermittelung des Königl. bayrifchen Dinifteriums habe
ih die werthoolle Handſchrift ſogleich nach meiner Rückehr hieher
22 Bericht vom Herrn v. Lilieneron
erhalten, um die darin enthaltenen biftorifchen Dichtungen (1486 bis
1510) abzujchreiben. Einige Ausbeute bot in Regensburg noch Pie
Bibliothek des biftor. Vereins, Die mir in zuvorlommenfter WWeife
Herr Domainenratd Mayer zugänglich machte. In Nürnberg babe
ich aunächft nur die hiſtor. Stüde der berühmten Val. Holl’fchen Yieder-
banpfchrift in der Merkel'ſchen Bibliothek verzeichnen und veren Ab»
ſchrift einleiten wollen, wobei Dr. Merkel jeve gewünjchte Hülfe gerne
gewährte. Cine Anfrage im Archiv führte ver Sammlung einige fehr
anziehende Nova zu. Anderes burfte ich dort einftweilen auf fich be-
ruhen laffen, da mir für die Ausbeutung der Nürnberger Schäge
mehrfache freundliche Hülfe zu Gebote und in Ausficht fteht.
In der Erlanger Bibliothek fand fich nicht eben viel, neueß.
Im Vorbeigeben fei bemerkt, daß ver in PH. Wackernagel's Biblio
graphie mehrfach citirte dortige Sammelband als folcyer nicht mehr
exiſtirt. Die Drude find auseinandergefchnitten, lagen indeſſen vor⸗
läufig noch beifammen. Auch in der Bamberger Bibliothek ließ
fih nur eine geringe Ausbeute finden.
Wenn ich mit der mir für dieſe Reife vergönnten Zeit fo weit
reichen wollte, mußte ich auf bie Durchficht der Chroniken verzichten-
Es ift im Ganzen nach den gemachten Erfahrungen tie von taber zu
boffende Ausbeute geringer, al8 man annehmen möchte. ch durfte
aber in dem damals bereiften Kreife um fo mehr von eigener Durch
ficht abftehen, da die Arbeit berjenigen Herren, welche mit ber Her⸗
ausgabe der Stäbtechronilen befchäftigt find, fich zunächft gerade ziem⸗
lich innerhalb verfelben Gegend bewegt und mir ben vorhandenen
Stoff zuführen Tann. Herrn Dr. Kern, welcher hierfür die Bermit-
telung übernommen, babe ich für eine Reihe von willlommenen Nach⸗
weifungen beften® zu danken.
Um den Fortgang ber Sammlung rafcher zu förbern, habe ich
fodann im Frühjahr Herrn Dr. Reinhold Bechftein den von ihm gerne
übernemmenen und mit Eifer und Einficht ausgeführten Auftrag ge-
geben, eine Reihe norddeutſcher Bibliothefen und Archive zu befuchen.
Er war in Wolfenbüttel, Braunfchweig, Göttingen, Hannover, Ham⸗
burg, Lübeck, Bremen, Elberfeld, Cöln und Bonn. Seinen mir er
ftatteten Bericht fchließe ich an.
Dr. Bechftein, welcher fich gegenwärtig. in Leipzig aufhält, Kat
über bie Sammlung hiſtoriſcher Lieder nud Sprüche. 23
andy für dort und für einige von bort leicht erreichbare wichtigere
Punkte die Nachforſchung übernommen.
Ich felbjt Habe ſodann im Sommer die veutfche Schweiz bereift.
Ehe ich in die Einzelnheiten biefer Reife eingebe, kann ich nicht um⸗
bin, der ungemein großen Zuvorlommenheit, mit welcher meine Ar-
beiten dort von allen Seiten unterftügt worben find, auf das dank
barſie zu erwähnen. Weine Beauftragung feitens der biftorifchen
Sommiffion galt überall als befle Legitimation und weit entfernt,
biefen Theil meiner Sammlung etwa als einen Eingriff in fpeziell
ſchweizeriſches Arbeitsgebiet zu betrachten, hat man fich vielmehr bes
darin hervortretenden engen Zuſammenhangs zwiichen Deutfchland
und ver Schweiz erfreut.
Deffentliche wie Privatſammlungen ftanden überall in liberalfter
Weiſe offen; nirgends war die minbefte läſtige Beſchränkung weber
in der Zeit noch in der Art der Benutzung des Material auferlegt.
Es ift befannt, daß die koſtbaren Schweizerliever des 14. und
15. Jahrhunderts in äftefter Faſſung bei den Chroniften zu ſuchen
find. Daß für diefen älteren Zeitraum noch viel Unbelanntes zu
entdecken fei, war kaum anzunehmen, boch fand fich immer noch Ein-
zelnes, u. A. ein mertwürbiges Lied aus dem ‘jahre 1332. In an-
derer Beziehung bot aber gerave dieſe ältere Zeit der Unterfuchung
eine fchwierige Seite, indem es nothwenbig war, innerhalb biefer mans
nigfach verzweigten chroniftifchen Literatur, foweit fie für bie Lieber
in Betracht Tommt, das Verhältniß der Texte nnd Rebactionen zu
fennen. Nur durch die vortrefflichen mündlichen wie [chriftlichen Be⸗
lehrungen ber Herren Profefjoren v. Wyß in Züri, Scherer in St.
Gallen und Studer in Bern, fowie des Herrn Staatsfchreibers v.
Stürler in Bern, deren eigene Forſchungen bauptfächlich erſt in neue-
zer Zeit einen fihern Grund für jene Unterfuchung gelegt haben, ift
es mir möglich gewejen, mich hierüber, ſoweit es für meine Arbeit
in Betracht kommt, ficher und ausreichend, wie ich hoffen darf, zu
orientiren.
Au Bafel, wo ich meine Nachfuchungen begonnen habe, gewährte
bie Bibliothek an Druden nur weniges, welches mir ber Herr Unter:
bibfiothelar Dr. Viſcher forgfältig abzufchreiben die Güte hatte. Auch
non Ehronilen ift nur das dort vorhandene eine von ben 4 Erempla-
24 - Bericht bon Herrn v. Lilieneren
zen ber fog. alten Berner Chronik für die Arbeit von Bedeutung.
Bon Herrn Pfarrer Ad. Sarafin in Bafel erhielt ich den von Uhland
Bollolieder S. 980) benugten Sammelband fliegender Blätter, wel
cher fich früher in Prof. Wadernageld Befi befand. Er enthielt,
anßer neuen Druden von anberweitig fchen befannten auch 5 noch
unbefannte Lieder aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts. Prof.
Wackernagel, deffen freundfchaftlicher ZTheilnahme ich überhaupt viel
fache Förderung für die Schweizerreife danke, Hatte bie Güte, mir
eine von ihm ſelbſt collationirte vortrefflidde Abſchrift verfelben zu
überfenven.
In Züri, wo die Herren Bibliothelare Dr. Horner und Pros
fefior Vögelin die Ausbeutung der Waflerkirchenbibliothel in jeder
Weiſe förverten, war zunächit eine Tſchudiſche Hanpfchrift kennen zu
(fernen, welche, obwohl noch nicht die fette Redaction feines Gefchichte-
werkes felbft, doch für vie darin aufgenommenen Docnmente und fo
auch für die Lieber als vornehmfter und autbentifcher Tſchudiſcher
Tert gelten muß. Sodann war Werner Steiners Liederbuch zu bes
nugen. Die von Rochholz (Vorr. p. XVL) gebrauchten Exemplare
diefer wichtigen Sammlung find Wbfchriften von 1586 (Mülinenfche
Bibliothek) und 1657 (Berner Stadtbibliothek). Das Züricher Erems
plar dagegen ift Werner Steiner Yutographon, wohl im Jahre 1586
abgefchloffen.
Bon weniger großer Bedeutung, aber doch nicht zu entbehren ift
bie viel citirte Ufterifche Liederfammlung, ein Groß⸗Octavband
mit fehr fauberen Abfchriften von bes verftorbenen Uftert Hand. Gr
bat offenbar mit der Abficht gefchrieben, im Wefentlichen diplomatifch
treu zu copieren, erlaubt ſich aber gleichwohl Abweichungen, wenig⸗
ftens in Weußerlichleiten. Leider hat er verfäumt, feine Quellen nam⸗
haft zu machen. In einem anderen Octavbbändchen giebt Uiterl ver-
gleichende Werzeichniffe und Wittheilungen aus 2 berühmten St.
Galler Lieverhandfchriften, die eine von Tſchudis Hand, die andere
älter. Ohne Zweifel ift erftere die von Rochh. Vorr. XVII. ver-
mißte Tſchudiſche Handſchrift. Ufterie Arbeit überhob mich ber Mühe,
bie Handfchriften felbft in Et. Gallen zu prüfen; fie enthalten eine
biftorifchen Lieber.
Es fanden fih 2 Sammelbände Fliegender Blätter, mit einigen
über die Sammlung Yiftorifcher Lieder unb Sprüche. 25
baubfchriftlichen Liedern untermifcht, ver eine mit Druden ver 2 Tek-
ten Jahrzehnte des 16. Ihdts. der andere in feinen Druden etwa
von 1596— 1613 reichen. Dieſer legtere erfennt ſich als der 2.
Theil einer Sammlung, deren erjter, wenn nicht alles täufcht, viels
leicht anf Ufteris Auction erworben, gegenwärtig der königl. Bib⸗
liothet in Berlin einverleibt iſt. Ebenſo zweifle ich nicht, daß ber
eben da vorhandene Drud Ye, 2011, Titel, Inhaltsverzeichniß und
Einleitung ber 1600 bei Rud. Wyſſenbach in Zürich erfchienenen 37
Schweizerliever enthaltend, eben dasjenige von Prof. Wyß in Bern
und aus deſſen Sammlung von Rochh. gelannte Exemplar iſt (f.
Rochh. Borr. XVI.), welches ehedem Uſteri befaß. Ein 2 e8 Exem⸗
plar davon ift nirgends aufgetauht. Daß man bie dazu gehörigen
37 Lieder ſelbſt überhaupt nicht mehr findet, fo weit fie nicht etwa,
wie mir wabrfcheinlich ift, mit anteren Wyſſenbachiſchen Einzeldrucken
identifch find, ift fchwerlich ein großer Verluft. Einzelnes übergehend,
erwähne ich nur noch der großen Simlerſchen Sammlung, einer chro⸗
nologifch geordneten Zufammenftellung von Acten und gefchichtlichen
Documenten aller Art, wenn ich nicht irre ungefähr 150 Foliobände.
Eie enthält Dichtungen in Abfchriften und Druden, auch gelegentlich
außerfchweizerifche. So befand fich tort u. U. eine Merkwürbigfeit,
die an biefem Ort doppelt überrafchte: nänlich ein Drud, v. O.
1567, der Nachtigal, jenes von Leſſing zuerft herausgegebenen Spruch⸗
gedichtes auf die Grumbachifchen Händel, ver erfte und einzige Drud,
welcher wenigftens mir neben 14 Hantfchriften befannt geworben ift.
Ich kann zugleich die erfreuliche Dlittheilung machen, daß in Kürze
ein feit Jahren von Herrn Dr. Horner gearbeiteter Katalog voll
ftändige Auskunft über bie reichen Schäge der Wafferlirche geben
wird. Das erfte Stüd war bereits gebrudt.
In der St. Galler Etiftsbibliothet war bamald noch Prof.
Henne im Amt. Durd die Kataloge war, feiner Mittheilung zu«
folge, tem, was ich zu fuchen hatte, nicht beizufommen, fontern es
mußte in ber Bibliothek felbft gefucht werben, wofür mir bie freifte
Bewegung geftattet ward. Die Voliftänbigfeit des Ergebniſſes bleibt
freilich unter folchen Umftänten fehr zweifelhaft. Das Wichtigfte war
die Durchficht des umfangreichen Tſchudiſchen Nachlaſſee. Der Codex,
ans welchem Prof. Henne fo eben bie von ihm fo genannte Klingen
% Bericht von Herrn v. Liliencron
bergifche Chronik herausgegeben hat, enthält von Tſchudis eigener
Hand mehrere Lieber, welche Ettinäller, nicht ganz diplomatiſch genau,
in feinen eidgenöß. Schlachtlievern herausgeneben hat. Nicht allein
um der Collation willen, fondern auch anderweitig war es lehrreich,
dieſe Handſchrift felbft einzufehen. Die Art nämlich, wie Worte und
Berfe burchftrichen und geändert, ganze Strophen durch andere er-
fest wurden, beftärkt den auch fonft begründeten Verdacht, daß Tſchudi
bei feiner Textbehandlung mit ziemlich großer Willtühr zu Werl ge-
gangen ift, was mit feinem Verfahren bei andern Dingen überein⸗
ftimmt. Es jcheint, als ob er fich einfach in feinem Recht fühlte,
wenn er die Lieder nach feinem Geſchmack und feiner Gefchichtsfennt-
niß befferte.
Größer, als gewöhnlich in den Archiven, war in dem St. Galler
Stiftsardhiv vie Ausbeute unter zuvorlommeuber Vermittelung des
Heren Archivars v. Gonzenbach. Auch die Staatsbibliothek, wo Herr
Bibliothefar Wartmann freundlich zur Hand ging, gewährte Einige®.
Wit befonverem Dank habe ich noch die Gefälligfeit zu erwäh⸗
nen, mit der mich in St. Bullen ein jüngerer Hiftorifer,, der Stabt-
fohreiber Dr. Wartmann gefördert hat, fo wie der Liberalität, mit
welcher Herr v. Tſchudi, der bekannte Verfaſſer des Thierlebens in
der Alpenwelt, mir ein Verzeichniß und jede gewänfchte weitere Mit⸗
theilung aus feiner eigenen Xiederfammlung zugejagt hat.
In Aarau war zunächſt Prof. Nochholz, der Herausgeber ber
eidgen. Liederchronik, zu begrüßen. Was die bortige Staatsbibliothek
an einjchlagenden Hantfchriften und Drucken befigt, war vermöge
bes Kataloge, wie der vortrefflichen Orientirung ves Herrn Biblio
thekars, Brof. Kurz, leicht zugänglid. Die größte Zurlaubenfche
Sammlung ijt, da fie nur junge Abfchriften bietet, gegenwärtig für
die Liederarbeit von feinem erheblichen Intereſſe mehr. Wichtig aber
war, außer einem Sammelband fliegender Blätter, zumal der dort
aufbewahrte 2. Band des Autographons von des Bremgartener Sche-
belers Chronil, vie Zeit von 1468 — 1525 umfaffend. Der erfte
Band findet fih in Bremgarten, eine werthvolle Abfchrift des ganzen
Wertes in Einfiebeln*).
®) Gelegentlich bemerle ih, daß bie Bilder, mit benen das Sqhobeler q4⸗
&
über die Sammlung hiſtoriſcher Lieber und Sprüche. 27
In Bern war zuförberft die Wyß'ſche Sammlung (Rochh.
Bor. XVI.) zu durchſuchen. Bon dem Hiftorifer Prof. Joh. Wyß
in Bern im Jahre 1809 angelegt, enthält fie in 8 Quartbänden Alles,
was ein fundiger und eifriger Sammler- jener Zeit an ſchweizer Lie⸗
bern aller Art in Abfchriften zu erlangen wußte. Wenn ich nicht
irre, bilret hauptfächlich fie die Gruntlage des Rochholz'ſchen Werkes;
für eine erfte Arbeit wie diefe, mußten ihre Nachweifungen von uns
ſchätzbarem Augen fein. Die Abjchriften, aus denen fie befteht, find
von ungleihem Werthe; Cinzelnes davon fommt aber auch jet noch
in Betracht, weil tie Quelle, aus ber e8 gefchöpft ift, fchwerlich noch
aufzutreiben fein dürfte. Ihr jeßiger Beliter, des Sammler Sohn,
Herr Stabtfchreiber Wyß, gewährte fie zur bequemften Benugung.
In der Berner Stabtbibliothet würde vie, für die Textredaktion
einer Menge von Liedern erforderliche Drientirung in der reichen
Sülle der Chronifenliteratur eine in kurzer Zeit faum überhaupt zu
leiftende Vorarbeit gebildet haben, wenn nicht Prof. Studer tie Güte
gehabt Hätte, mir feine hanpfchriftlichen Duellenforfchungen anzuver-
trauen, um mir daraus die Ergebnijje für meine Zwecke auszuziehen.
Nachdem das gefchehen, konnte ich meine eigene Arbeit für jest auf
Weniges beichränten: das Schilling'ſche Autographen, deſſen Lieber-
ſchatz mit dem, aus abgeleiteter Duelle ftammenden, Drud feiner
Burgunterfriege zu collationiren war; die durch Staatsfchreiber
v. Etürler mit biplomatifcher Treue veranftaltete Copie des älteften
(Winterthurer) Textes der Juſtinger'ſchen Chronik; das ſchon er.
wähnte Werner Steinerjche Wert u. ſ. w. Leider war ein von Prof.
Su für feine Sammlung benügter Band mit fliegenden Blättern,
von ihm mit H. 5. 42. Misc. Helv. poet. mm. bezeichnet, nicht
anfzufinden. Rochholz (Bor. XV) fcheint ihn noch gefehen zu haben,
falls er nicht die Wyß'ſchen Abjchriften daraus benugte. Wenn übri«
gend Rochholz 1. c. fagt, vie Mülinen’iche Bibliothek befige ebenfalls
eine noch unbelannte Zahl folcher Drucke, fo muß ich bekennen, daß
auch mir dieſe Zahl unbekannt geblieben ift, denn weber ver Herr
Befiger noch der Katalog, foweit ich gelefen habe, wußte davon zu
Autographon fehr reich ausgeftattet ift, wegen ber überaus großen Fülle
an Detail für Eultur- und Kriegegefchichte befonbere Beachtung verdienen.
28 Bericht von Herrn v. Lilteneron
berichten. Dagegen bot dieſe Bibliothek, welche Graf Mülinen, eigene
dazu in die Stadt gekommen, freundlichft öffnete, eine treffliche hand⸗
fhriftliche Lieverfammlung, um 1562 gefchrieben, von der Prof. Wyß
und Rochholz mit Unrecht behaupten, fie fei fehr uncorrect. Schreib
fehler zwar finden fich mandhe, aber im Ganzen ift die Schrift nicht
nachläfjig noch etwa ungebilbet.
Mühe machte es, Aufklärung über eine von Nochholz mehrfach
erwähnte und reiche Duelle zu erlangen. &r fügt barüber (Borr.
VI). „Eine unbetitelte fehr beſchädigte Handfchrift, im vorliegen»
ben Werke unter dem Namen Reimchronif des Ludwig Sterner von
Raconix aufgeführt, konnte fpäterhin nicht mehr zum Vorfchein ges
bracht werten. Sie ftammt aus ver Zeit des Schwabenkrieges.“
Da biefe Notiz ſich an die Aufzählung ver von ihm in Bern benuß-
ten Quellen anfchließt, jo mochte man vermuthen, die Haudſchrift
fei vor ihrem Verſchwinden in Bern gewefen: Aber weder in ber
Mülinen'ſchen noch in ber Staptbibliothel, wo man bereits auf die
Rochholz'ſche Bemerkung bin der Sache nachgeforfcht hatte, fand fich
irgend eine Spur, Die Wyß'ſche Summlung und Nachfragen in
Freiburg, wohin ich von Bern ging, ergaben envlich, daß biefe foge-
nannte Reimchronif des Sterner nichts Anderes ift, als das Gedicht
über den Schwabenfrieg von Lenz, welches (Zürich 1849) v. Dießbach
berausgegeben hat. Sterner ift nurder Schreiber des in der Dieß-
bach'ſchen Bibliothek befindlichen Eremplare, welches ver Ausgabe zu
Grunde liegt, nur daß er einige Zufäge zu feiner Vorlage gemacht
hat. Dem Lenz’fchen Gedicht vorauf geht in der Handfchrift eine
Gefchichte der Burgunderfriege; auch dieſe wird, Archives de la
Societ6 d’hist. du Cant. de Fribourg, prem. Cah. p. 91, vem
Sterner zugefchrieben, ift aber ganz gewiß nichts als eine Abfchrift
bes Schilling’schen Werkes. Ob die Hanrfchrift übrigens noch vor⸗
handen ift, habe ich nicht erfahren können, da Graf Dießbach nicht
in Freiburg war und eine briefliche Anfrage bis jetzt unbeantwortet
blieb. So viel aber Tieß fich couftatiren, daß die Hanbfchrift vor
Zeiten dem Prof. Wyß in Bern geliehen ward; die in ihr enthalte
nen Lieber hat berfelbe in feine Sammlung eingetragen unb zwar
gerade unter ver oben angeführten irrigen Bezeichnung ⸗Reimchronil
Aber die Sammlung hiſtoriſcher Lieder und Eprüche. 209
tes L. Sterner.« Rochholz, der dies wiederholt, wird eben das ganze
Werk nur aus den Wyß'ſchen Abſchriften gekannt haben.
Rachforſchungen nach etwaigen ſonſtigen Dichtungen in Freiburg,
bei denen mich Prof. Daguet liebenswürdig unterftüßte, blieben ohne
Erfolg. Die Handſchriften der Bibliotb. &conomique habe ich felbft
burchgefehen. Daß die Santonalbibliothef nichts ‘Derartiges enthalte,
verficherte ver Oberbibliothelar Herr Pfarrer Meier.
Auch ein Beſuch ver fchönen Bibliothef des Kloſters Engel-
berg brachte feine Ausbeute.
Was in Luzern die Bürgerbibliothef an biftorifchen Dichtungen
befigt, war vermöge ber vortrefflihen Drientirung des Herrn Bib⸗
liothekars Schiffmann, wie durch den gebrudten Katalog, leicht zur
Hand. Bor Allem gewährten tie 16 werthvollen Bände ver Eollec-
taneen bes Cyſat (F 1614) Ausbeute an fliegenden Blättern. — Die
Schmähgedichte des Luzerner Salat gegen Zwingli, welche fo großes
Aergerniß gaben, Laß fie ihren Verfafler ins Gefängnig brachten,
fanten ſich bier in verjchievenen Exemplaren. Dagegen enthält vie
handſchriftliche Reforinationsgefchichte Salat’8 feine weitere Dichtungen;
eben fo wenig bie Chronik des, mit dem Berner nicht zu verwechleln-
den, Yuzerner Diebelt Schilling, deren Driginal fich bier finvet.
Nah Klofter Einfiedeln waren mir faft von allen Stationen
meiner Reife Grüße und Empfehlungen an den in der ganzen Schweiz
bochverehrten Pater Gall Morel mitgegeben, deſſen genaue Kenntniß
ver berühmten Klejterbibliothel mich der Mühe des eigenen Suchens,
wie jeden Zweifel® an der Vollſtändigkeit des Ergebniffes überhob.
Bater Gall Morel hatte fich felbft eine Sammlung hiftorifcher Lieder
angelegt, welche mir auf das liberaljte zur Benutung übergeben warb.
Es fanden fich darin unter Anderem einige Stüde aus einer Hand»
fchrift der Propaganta in Rom Auch weitere Beihülfe ward freunds
lih zugeſagt.
In Kloſter Einfieveln beſchloß ich meine Schweizerforfihungen,
deren Ergebniß ich wohl als ein erfreuliches betrachten darf. Die
biftorijchen Schweizerlieder beginnen, von einer einzigen beventlichen
Ausnahme abgejehen, mit dein 14. Jahrhundert; auch bier iſt zu«
nächſt noch Vorficht zu üben: daß das Tellenlied viel fpäüteren lirs
ſprungs ift, bedarf feiner Bemerkung, auch aber in den Dichtungen
30 Bericht von Herrn v. Liliencron
auf vie Schlacht bei Laugen und in noch ein paar andern fteden
ſchwerlich alte Beſtandtheile; bie Zweifel gegen da® größere Sempacher-
lied find befannt. Zu ven äfteften Stüden ber ganzen Sammlung
überhaupt wird ein Schweizer Lied von 1332 gehören. Im 15. Jahr⸗
hundert aber fteht die Schweiz allen andern beutfchen Landfchaften an
Liederreichthum voran; der Appenzeller Krieg im Anfang, der Züricher
gegen bie Mitte des Jahrhunderts, vor Allem aber dann der Burgun⸗
difhe und Schwäbifche Krieg find reich vertreten. Im 16. Jahr⸗
hundert folgen zunächſt fchöne Lieder aus ben italienifhen Kriegen.
Die Reformationszeit ift, da Jahr 1531 etwa ausgenommen, im
Bergleih mit dem übrigen Deutfchland im Ganzen nicht reich an
poetifchen Produktionen, was offenbar zum Theil mit der Natur bes
Reformators felbft zufammenhängt. Meine Sammlung wird aller:
dings durch diefen Ausfall nur theilweife berührt, denn er bezieht ſich
vor Alleın auf vie halbgelehrte Polemik in Spruchgetichten allgemei⸗
nen Inhalts. Von 1536 an find dann Hauptfächlich die ſavoyiſchen
und franzöfifchen Händel, die Hugenottenkriege zc. vertreten.
Meine Verzeichniſſe weifen bisher etwas über 1200 Dichtungen
auf; reichlich zwei Drittheile davon find Lieder, ein Drittheil Spruch⸗
gebichte. Ausgefchloffen habe ich von legteren, wie foeben angedeutet,
jene polemifchen und Spottgebichte allgemeinen Inhalts, an welchen
die Neformationszeit fo fruchtbar gewefen iſt. Ihr Inhalt, ſoweit
er fih in Spott und Klagen gegen Kirche und Geiftlichfeit nach bei⸗
den Seiten hin ergeht, liegt ftrenge genommen außerhalb des Gebietes
der eigentlichen hiftorifchen Dichtung, zu deren Wefen es gehört, im⸗
mer auf ein einzelnes Ereigniß ober eine beftimmte Perfönfichfeit ge⸗
richtet zu fein. Auch aber in ter Ausführung unterjcheiren fie fich
von der rein volfethümlichen Dichtung häufig durch ihren mehr ge»
lehrten Charakter. Vielleicht hätte ich in Beziehung auf fie die Gren-
zen weiter gezogen, wenn nicht Schade's „Satiren und Paeguille aus
der Reformationgzeit» fehon eine Weihe ſolcher Dichtungen befannt
machte, deren Zahl ber Herausgeber gewiß gerne, wenn fich intereffan-
ter Stoff fintet, durch eine Yortfegung der Sammlung vermehren
wird. Eine auf Bollftänpigkeit ausgehende Publikation derfelben fcheint
mir ohnehin nicht gerade geboten.
erw
e u
|
über bie Sammlung biftorifcher Lieder und Sprüche. 91
Es wird nun für meine Sammlung zunächft taranf affommen,
im Often Deutfchlands noch einige Bibliotheken zu befuchen, welche
fich füglih in eine Neife zufammenfaffen laſſen (ans Königsberg das
Sorhantene mitzutbeilen, hat Herr Profeffor Voigt zugefagt) und
ſchließlich dann die bisher noch ganz unberüdfichtigt gebliebenen Nies
derlande nachzuholen. Sobald dies gejchehen, läßt ſich ein erfter Theil
des Werkes im Zuſammenhang zum Drud ausarbeiten.
Meiningen, ven 29. September 1861.
v. Liliencron.
— — — — —
2. Meifebericht von Dr. N. Jechttin.
Am erſten Zielpunkt meiner Reife, in Göttingen, befchleh ich
wegen der noch andauernden Bibliothefsferien für's erfte nicht länger
in verweilen, fondern nach ver in Wolfenbüttel vollbrachten Arbeit
fieber wieder hierher zurüdzulehren, nachtem ich in ber kurz zugemef-
fenen, wenn auch durch die aufopfernde Güte Herrn Profeſſor Schwei⸗
ger's verlängerten Bibliothelszeit nur zu einer flüchtigen Weberfchau
des durchzuarbeitenden Material® gelangt war. Herr Profeffor Waitz
hielt für zweckmäßig und nothwendig, auch die hanpfchriftlichen Chro⸗
niken einer genauen Durchficht zu unterwerfen, felbjt auf die Gefahr
hin, daß tagelange Forſchungen nur ein negatives Reſultat ergeben
würden. Bon Herrn Prof. Havemann erhielt ich einfchlägige Nach⸗
weite fowie das Verfprechen, ſich mit Ahnen in Verbindung ſetzen
zu wollen. Zu meiner Freude traf ich Herrn Dr. Starl Görefe bier
und konnte mich‘ fomit gleih am Beginne des Unternehmens fei«
ned Rathes erfreuen. ‘Der größte Gewinn dieſes erften Turzen
Aufenthaltes in Göttingen und ficher nicht der geringfte der ganzen
Reife war ter, daß Gödeke mir für Sie feine Collectaneen aus dem
Gebiete des hiftoriichen und politifchen Gedichtes, darunter in über-
wiegender Anzahl zuverläffige Abfchriften theil® bekannter, theild un⸗
gerructer Stüde mit rühmenswerther LKiberalität zu freiem Gebrauche
überließ und mitgab. Auch Herrn Dr. Sohn lernte ich Tennen und
32 Reife von Dr. R. Bechſtein
wurbe in ber zuvorfommenpften Weife von ihm über feine Ausgabe
ber Lieder und Satiren des breißigjährigen Krieges unterrichtet. Die
Sammlung ift eine reichhaltige, gut ausgewählte, aber keineswegs eine
vollftändige. Sie ift fhon im Drude begriffen und wird in nid
allzulanger Zeit veröffentlicht fein.
Die berühmte Bibliothek zu Wolfenbüttel feffelte mich bei
nicht befchränfter Arbeit beinahe zwei Wochen, und ſchon aus biefer
Zeitangabe werden Sie ermefjen, wie groß die Ausbeute gewefen fein
mag, die mir bort zu Halten vergönnt war. In Herren Dr. Beth
mann fand ich nicht allein den zuvorfommenpften und liberalften Bib⸗
liothefar, fondern auch den wohlwollendjten Rathgeber und Lehrer,
auch der Herr Bibliothekſekretär förderte an den Bibliothelstagen meine
Beftrebungen freunplichft. Die handfchriftlihen wie bie gedruckten
Mifh- und Sammelbände, an denen ja bekanntlich die Wolfenbüttler
Bibliothek fo überaus reich ift, enthielten zum Theile eine Fülle brauch⸗
baren Materials und die hanpfchriftlichen Chroniken wurden mit nicht
geringem Erfolge durchſucht. Erftreden fich die in letteren aufgefun«
been Lieder und Gedichte auch meift auf Braunfchweiger Angelegen-
beiten, fo fehlen doch auch nicht höchſt wichtige Aufzeichnungen aus
andern Gebieten der Länder⸗ und Städtegeſchichte, fo führe ich z. B.
namentlich an: eine Chronik ver Wirtembergijchen Graven, fchon von
Soltam (Hilvebrand) benugt, eine jüngere Abjchrift des Neocorus,
eine Relation über bie herbrotifchen Händel in Augsburg. — Das
Staatsardiv zu Wolfenbüttel, zu deſſen Befichtigung die Genehmi⸗
gung des berzogl. Staatsminifteriums gehört, konnte diesmal nicht
durchforfcht werben, doch wird dies noch zu gefcheben haben, da dass
felbe auch viele literarifche Dinge enthalten foll und die Vermuthung
nabe liegt, daß bier, wie in Hannover bie Lieber auf bie ver
fchiedenen Braunfchweiger Händel in gleichzeitigen Einzelhaudſchrif⸗
ten oder Druden vorhanden fein werden.
Don Wolfenbüttel aus befuchte ih Braunfhweig, deſſen
Stadtarchiv eine Reihe von handſchriftlichen braunfchweigifchen unb
lüneburgifchen Chroniken aufzumweifen bat, vie faft alle die ſich immer
wiederholenden Lieder enthielten. Herr Weſtphal, deſſen Obhut das
Archiv anvertraut ift, und Herr Dr. Hänfelmaun wollen bei ver jegt
vorzunehmenden Orbnung und Satalogifirung der Archiobibliothek ige
**
für die Sammlung hiſtoriſcher Lieder und Sprüche. 33
Augenmert auf hiftorifche Lieder richten und etwaige Funde fundgeben.
Ramentlich verbanfe ich auch der Güte des Letzteren die Verniittelung
ver Belanntfchaft mit einem Sammler, Herrn Sreisgerichtsregiftrator
Sad in Braunfchweig, welcher außer einigen Braunfchweiger Chro-
fen auch einige Einzeldanpfchriften und Drude von Liedern befikt,
veren Rotirung freundlichft geftattete und treue Abfchriften zu liefern
rerſprach.
Die Univerſitätsbibliothek zu Golting en gewährte nächſt der
Volfenbütteler die meiſte Ausbeute. Außer in den Drucken, welche
in dem von Wilhelm Grimm gefertigten Kataloge „Poetae« verzeich⸗
et find, fand fi unter der Firchlichen Polemik einiges Brauchbare,
vie hauptfächlichite Thätigkeit aber war auf die Durchforfchung ver
Chronitenmanufcripte gerichtet. Und bier förterte Herr Dr. Mül-
vener, welcher das Gebiet ver Hanpfchriften zu verwalten hat und ges
genwärtig mit einer genaueren und zwedmäßigeren Satalogifirung be=
Khäftigt ift, die Arbeit auf die freunplichite Weife, und nicht minder
bin id Herrn stud. phil. Arndt zu Danke verpflichtet, ver mir auf
Anregung des Herrn Profeffor Waitz bereitwilligft fuchen half und
bie Aufzeichnungen vorbereitete.
In Hannover war die königliche Bibliothel, das königliche
Archiv und die Stadtbibliothel zu durchforfchen. Namentlich Herr
Archivſekretaͤr Dr. Grotefend war mir ein treuer Führer, und einen
befonberen Gewinn bietet das Archiv dadurch, daß mehrere Gedichte
auf die verjchiedenen Braunfchweiger Händel, vie ich in einer Anzahl
halbweg guter und noch mehr werthlofer Texte fchon vielfach aus
Chronifen angemerkt hatte, ſich hier unter Akten in gleichzeitigen Ein-
gelhanpfchriften vorfinden, welche im Befige der Herzoge waren und
von ihnen zum Theil mit eigenhändigen Randbemerkungen verjehen
wurden und fomit gewijjermaßen ald Originale gelten können. Auch
die Chronikenmanuſcripte ter Archivbibliothef lieferten eine verhältniß-
mäßig gute Ausbeute. Die Benugung der königl. Bibliothek wurde
mir durch das freundliche Entgegenlommen des Herrn Dr. Böttger
ganz wefentlich erleichtert. (Herr Oberbibliothelar Schaumann lag
leiter krank darnieder.) Auch bier vorzugsweiſe in Druden und Hand⸗
fchriften Gedichte auf die Braunfchweiger Händel. Die Stabtbiblioe
thel wurde mir durch die Herten Dr. Guthe und Dr. Deihmann
3
34 Reife von Dr. R. Bechſtein
bereitwilligft zugänglich gemacht, und hier find es vor allem vie Eol-
(ectaneen eines im Anfange des 17. Jahrh. verjtorbenen Rathemit⸗
glieves, Namens Hofmeifter, welche viele Einzeldrucke von Lierern
enthalten, meift felche, welche fich auf die Zürfenkriege, auf auswär⸗
tige Angelegenheiten, auf tie Kalenderunruhen in Augsburg beziehen.
Auch bei zwei Privatleuten konnte ich mir manches notiren Herr
Senator Culemann befigt in feiner Foftbaren Sammlung auch eine
Handſchrift des 16. Jahrhunderts, angebunden an die Saffenchronit,
welche einige nieterteutfche Gerichte enthält, tarunter eines, welches
mir fonft nicht wieder vorgekommen ift; außertem finten fi unter
feiner Collection früherer Druderzeugniffe ein paar fliegende Blätter
mit niederländifchen Gedichten. Herr Herrmann Keftuer, ber fih mit
dem Volkeliere überhaupt und namentlich mit der Melodie des Volks⸗
liedes fehr angelegentlich bejchäftigt, konnte mir für bie Literatur einige
ſchätzbare Nachweije geben und befaß einen mir noch unbelannten
Drud eines Yandsfnechtsliedes mit Melodie, früher in Heyſes Bi⸗
bliothef.
Die bis jet entdeckten einfchlägigen Schãtze des Staatsarchive
zu Hamburg ſind alleſammt bekannt gegeben durch Herrn Dr. Lap⸗
penberg, der mir auf die freundlichſte Weiſe entgegenkam und mir
über die hanſiſchen Lieder beachtenswerthe Fingerzeige gab. Herr
Dr. Eler Meyr unterſtützte mich bei der Notirung zuvorkommend.
Die große ſtädtiſche Bibliothek bot verſchiedenes Wichtige, ſo unter
den politiſchen Brochüren und unter den Schriften aus der Zeit
der Reformation. Auch in den Chroniken, bei deren Durchforſchung
Herr Oberbibliothekar Dr. Peterfen mir wahrhaft aufopfernd behülf—
lich war, fanden ſich brauchbare Stücke, wenn auch zu größtem Theile
ſchon vorher nachgewieſen. In dem werthvollen Sammelbande mit
Flugblättern, meiſt aus ber Zeit des dreißigiährigen Krieges find
auch mehrere enthalten, welche in den Anfang des Jahrhunderts ges
hören. Ermähnt mag fein, daß fih in dem höchft intereſſanten nie⸗
derdeutſchen Liederbüchlein, welches Herr J. L. de Bouck aus einer
Bücherſchale durch Ablöſungen gewonnen hat (ſ. ſeinen Bericht im
Serapeum 185. Nr.), auch das bekannte Lied „Wilhelmus von
Naſſawe⸗ befindet.
In Lübec fand fih auf bie Verfiherung bes Herrn Biblio-
’
für tie Eammlung hiſtoriſcher Lieber und Eprüche. 35
thekars Profeſſor Dr. Deele und des Herrn Staatsarchivars Dr.
Wehrmann weder in der Bibliothek noch im Archiv irgend etwas
Einfchlägiges, was nicht ſchon durch Mantels in der Zeitfchrift für
Lũbeck'ſche Geſchichte bekannt geinacht wäre.
Geringer als ich erwartet hatte, waren meine Funde in Bremen,
Unter den handfchriftlichen Schägen ter Bibliothek, welche mir durch
deren Dr. Meyr in höchſt liberaler Weife zur Benugung geöffnet
wurde, fand ich nicht ein Stüd, wohl aber unter den alten Druden
in einigen Sammelbänven; tarunter, was ter Erwähnung verbient,
den Drud eines Dithmarfenlieves aus dem Anfange des 16. Jahrh.,
der einzige dieſer Art, ver mir überhaupt zu Gefichte kam. Im Stadt«
Archive, deffen Benugung mir durch Herrn Senator Cmibt
fehr freundlich geftattet wurde, fand ich durch die Gefälligkeit des
Herrn Dr. Ehmck faft alles Dienliche fchon bereit gelegt. Das wich.
tigfte Gericht, welches das Archiv aufzuweifen bat, iſt ſchon im 11-
Bande von Haupts Zeitfchrift veröffentlicht.
Nicht der Bibliothek wegen, tie neueren Urfprungs ift und für
bie Liederſammlung nichts enthält, fondern um Herrn Dr. Erecelius
aufzufuchen, begab ich mich nach Elberfeld. Derſelbe theilte mir
zwei wichtige Stüde mit, eines im Original aus dem 16. Yahrh.
und eines in zuverläffiger Abfchrift und gab die Zuficherung feiner
ferneren Antheilnahme an ver Arbeit*). Herr Dr. Arnold tafelbft
befhäftigt ſich Hauptjächlich in mufikalifcher Beziehung mit dem beut«
(den Volks⸗ und Kirchenliede und konnte mir fchäßenswerthe Ans _
gaben über die Literatur machen, wenn fich auch nichts unter feinen
werthoollen Sammlungen befand, was aufzuzeichnen geweſen wäre.
War fon in Bremen die Erndte feine ergiebige, fo bot das
Rheinland noch weniger Früchte. In der königl. Bibliothek zu Düf-
ſeldorf findet fich auf die beftimmt gegebene Verficherung des Herrn
Bibliothekars und Archivars Lacomblet nicht das minvefte Einjchlägige,
und ein von ihm im Staatsarchive entvedtes, gegen Luther heftig
eiferndes Gedicht zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu laffen, trägt
er grundfägliches Bedenken.
*) Herr Dr. Crecelius hat feitdem bie Güte gehabt, die Dortmunder Stabt-
bibliothet durchſuchen zu Taffen und das Gleiche, was von fpecielleg
Intereffe if, für Goeft zugefagt.
3
98 Reife von Dr. 8. Bechſtein.
Wider alles Erwarten war die Ausbeute in Cöhn eine burchans
unerheblihe. Im Staptarchive hat Herr Dr. Ennen nur drei hiſto⸗
rifhe Gedichte entvedt, die fih auf Cölner Unruhen beziehen. Gr
gab das freundliche Verſprechen, von biefen Stüden getreue Abfchriften
fenden zu wollen. Die Gymnaſialbibliothek, frühere Jeſuitenbibliothek,
ift vor kurzem bislccirt und zur Zeit noch unzugänglid. Da fie fehr
alt ift, fo läßt fi vermurhen, daß fie manches für die Sammlung
entbält, muß alfo noch vurchforfcht werden. In einer Cälnifchen
handſchriftlichen Chronik im Befige des Herrn Dr. E. von Groote,
welcher freunplichit feine Ausgaben des Muscatblüt nnd Wierftraat
verehrte, fand ich wenigſtens ein Gedicht, das notirt werden mußte.
Daß ich auf der Univerfitätsbibliothel zu Bonn nicht viel fin-
den würde, fonnte wohl vermuthet werden. Doch auc die wenigen
Stüde trugen zur Vervollftändigung der Sammlung bei, zumal fie
zum Theil bier zum erftenmale erfchienen.
An Herrn von Liliencron. gez. Bechftein.
Meiningen, ven 19. Mai 1861.
VIII.
Zur Geſchichte der oberbayeriſchen Landeserhebung
im Jahre 1705.
Von
Auguft Schäffler.
J.
Der blutige Tag bei Blindheim⸗Höchſtädt am 13. Auguſt 1704
batte Mar Emanuel’8 völliges Unglüd entſchieden) und ihn mit ben
Neften feines ftehenten Heeres ?) nach Flandern gejagt. Seine Ges
mablin Therefe Kunigunde folle an feiner Etelle über das unglüds
lihe Bayern herrfchen, fo lautete Maxen's lette Verfügung auf beut-
fhem Boden; fie folle, wenn c8 möglich wäre, ben Frieden, ben er
furz vorher ausgefchlagen ’), dem fehwergeprüften Lande bringen.
Wohl kam derſelbe nach ven temüthigenjten Zugeſtändniſſen am 7.
November 1704 zu Ilbesheim zu Stande, aber unter welchen Be»
dingungen! Die Knechtfchaft Bayerns unter Dejfterreich war ber aufs
preis dafür. Das einzige Rentamt München wurde nech der unglüde
lichen Tochter des großen Sobiesfy und ihren Kindern gelaffen, Alles
andere, barunter alle Feſtungen des Landes, wurden von öfterreichijchen
Truppen beſetzt ).
Biherifge Zeitfärift VI. Bond. W
262 Auguſt Schaͤffler,
Nah Ratification des Vertrags’) wurde Bayern, ohne dag man
bie Zuftimmung ber Kurfürften einholte, wie ein mit den Waffen
erobertes feinvliches Land, wie ein an Oefterreich heimgefallenes Lehen
behandelt. Vom Kaiſer beftellte Miniſter verwalteten dasſelbe. Max
Karl Öraf von Röwenftein-Wertgheim wurde zum Statthal-
ter, ver Graf von Lamberg zum Profurator in Sachen des Krie-
ges, ter Graf von Mollart in „Lameralibus« eingejegt. Die
neu ernannte Atininiftration nahm in Yandshut ihren Sig‘).
Der Hulbigungseid wurte nach kaiſerlichem Mandat) am 9.
Mai 1705 abgenommen und von allen Herrfchaftd- und Hofmarks⸗
inhabern und Pfleg- und Landrichtern geleiftet. Die Laften, bie man
dem durch ſchlimme Verwaltung und Krieg bereits ſtark herabgekom⸗
menen Bayerland aufbürtete, überftiegen jede Gerechtigfeit und Menſch⸗
lichkeit *), Es gab mit Ausſchluß des Rentamtsbezirkes München faft
fein Haus und feine Hütte, wo nicht Solvaten Tagen und dem Bür⸗
ger und Bauer fein Hab und Gut verpraßten und fein Haus ente
ebrten. Prinz Eugen hatte zwar eine ftrenge Orbonnanz *) erlafjen,
„es follten nirgens mehr als zwei Manu ins Quartier gelegt wer-
den, Bürger uud Landmann follten im Betrieb ihres Gewerbes
nicht gejtört werben; man zahle nad Belieben entwerer 3 Gulden
für den Mann over gebe ihm täglich ein Pfund Fleifch, zwei Pfund
Brod, eine Maß Wein und für jedes Pferd fechs Pfund Haber, acht
Pfund Heu. Zwiſte zwijchen Selbaten und Quartierträgern foll nicht
die militärifche, ſondern die Ortsobrigkeit fchlichten, ſchwere Fälle bie
öfterreichifche Regierung zu Landshut entjcheiven. Eigenmächtige Exe⸗
eutionen eines Corps oder Regiments feien unftatthaft«.
Man kehrte fih aber nicht an dieſe Verordnungen. Hätte man
fie auch beobachtet, was wäre es für eine Erleichterung gewefen, ba
ja ſchon die andern Yeiltungen, außer dieſen Cinquartierungslaften
unerfchwingbar waren. So mußte jeder Gontribuent wöchentlich fünft-
halb Gulden an tie öſterreichiſche Generalkaſſe nach Landshut lies
fern '°); alle Etaatseinfünfte waren in der Gewalt des Feindes, wohl.
habendere Orte hatten noch eine eigene Contribution zu zahlen, Bür⸗
ger und Bauern hatten jett cine dreifache Stener, eine außerorbent-
lihe Kriegsftener und mußten das bisher unbekannte Stempelgeld
und endloſe Naturalleiftungen geben. Uber nicht allein vie völlige
Die oberbayerifhe Lanbeserhebung i. 3. 1705. 253
Ansſaugung Bayerns hatte Oeſterreich im Auge, fein Sinn war auch
auf eine Zerjtüdelung tes Landes gerichtet, um mit deſſen Trümmern
bie Alliirten für ihre Dienftleiftungen abzufüttern und eine Wieder-
vereinigung des ganzen Bayerlandes unter einem Scepter zu verhins
dern’). So erhielt bald nach der Schlacht bei Blindheim Marl«
berongh Mindelheim als unmittelbares Fürftenthun‘) Ein Hin⸗
derniß jtand freilich ven Kaiferlichen noch im Wege, che fie ganz nach
Belieben mit tem Bayerlante verfahren konnten, der Umſtand näm⸗
ih, daß ter unglüdlichen Kurfürjtin ver Rentamtsbezirk München
zugeſprochen werten war. Auch tiefer wurte bald entfernt.
Am 21. Dez. 1704") war Thereſe Kunigunde mit ihrem jüng«
iten Prinzen Max Emanuel nievergefommen. Kaum von den Wochen
genejen, reijte fie zu ihrer Miutter nach Venedig '*) (am 16. Februar).
Die Gründe, die jie nach tem Süden trieben, werten verfchieden ans
gegeben. Ein Theil der Hiſtoriker behauptet, jefuitifch » öfterreichifcher
Einfluß hätte fie zu tiefem Schritt veranlagt, ein anderer will wiſſen,
ter Churfürjt hätte ihr diefen Rath ertheilt, ein tritter fucht in dem
Bedürfniß einer Erhelung an Geiſt und Leib tie VBeranlafjung '),
Kaum war bie Kurfürftin aus ben waterländiichen Marken, fo
erichienen unerwartet am 15. Mai Morgens 7 Uhr unter dem Kom⸗
mando des Grafen Gronsfeld zehn- bis zwölftauſend Mann öſter⸗
reihifcher Zruppen vor München '‘), die man in GCilmärfchen aus
Tyrol, ven wo aus jie fih nach Stalien hätten begeben follen, vor
die churbayeriſche Reſidenzſtadt dirigirt hatte.
Diefe gewaltjame Vaßregel bafirte auf Folgendem. Wider den
unerträglichen Druck ter faijerlichen Arminiftratien in Abgaben und
Yeiftungen hatten ſich bayeriſche Männer zu einen geheimen Bund
sujammengethan; abgedankte Officiere und Soldaten, ſewie auch frane
zöſiſche Emiſſäre, organijirten das Ganze. Man trug fi mit dem
Plane, Die ganze öſterreichiſche Bejagung an einem Tage ’’) (Hine
melfahrtstage) niederzumachen, fich ter Stätte im Lande und eines
Paſſes zu der Donau zu bemächtigen und dort fich fo lange zu halten,
bie ein franzöfijches Heer entweder durch tie Schweiz oder durch Elſaß
eder Schwaben zur Unterftütgung ankine'*) — da wurte plößlich
Baron von Yier'), ber fih vom SKaifer einen Pag nah Brabant
ausgemirkt und jetzt Durch jein zu häufiges Hin⸗ und Hcrreifen Verdacht
8*
254 Auguſt Schäffer.
erregt hatte, mit zwei Begleitern, verkleiveten Stabsoffizieren, zu
Donauwörth gefangen genommen und feiner vom Churfürſten mitge-
brachten Briefichaften, die er durch die Poft vorausgeſchickt hatte”),
beraubt. Die aufgefangenen Briefe haben feinen Beweis von einer
geheimen Reaction den Kuaiferlichen in die Hand gegeben — ein Ber
räther *') und Spione haben fie ficher auf die richtige Fährte geleitet
— aber fie waren doch die gewünſchte Hanphabe, die ſchon feit
lange erfehnte Befegung?’) Münchens zu vollziehen, zumal ba jet
die Kurfürftin, der man die Immunität der Nefidenzftatt garantirt
batte, fich außer Landes befand. So warb General Grondfelod vor
Dünen gerufen. Die Bürger fchloffen die Thore, befegten die
Wälle und machten Miene, mit den Waffen in ber Hand den Ilbes⸗
beimer Vertrag aufrecht zu erhalten”). Die Kaiferlichen fandten ben
Grafen Edenfort *’) an die Bürger. Er zeigte ihnen den Tod des
Kaiſers Leopold an, melvete ihnen durch ein kaiferliches Mandat ),
daß der neue Kaiſer Joſeph mes wichtiger Urfachen halber und zu
deß Landes eigenen innerlichen Ruhe und Sicherheit ohnumbgänglicher
Nothdurft zu ſeyn befunden, eine Bejagung in München einzulegen
und fie dannenhero unverzüglich in der Stabt einzunehmen, anbey al-
ler Schug und Gnaden, auch von ter Beſatzung guter Difciplin vers
fidert, wie nicht weniger die Prinzen außer aller Furcht und Sorge
zu ſeyn hätten, zumahlen ihnen fein Leyd widerfahren, auch ihrem
Stand nad mit geziemender Ehrerbietigfeit begegnet und alle Sicher
beit gefchaffet werden folfew.
Um dieſer von ter Ffaiferlichen Adminiftration, die fich mit im
Lager befand, unterzeichneten "Propofition« mehr Nachdruck zu ver-
leiden und die Folgen einer Nichtannahme voraus anzuzeigen, traf
General Grongfeld die nöthigen Anftalten zu einer Befchießung ver
Stadt. Das wirkte. Am 16. Mai zogen 5000 Mann kaiſerlicher
Zruppen und mit ihnen ver faiferliche Statthalter, der von nun an
in München refivirte, durch das „Neuhaüſerthor« in die Stadt ein **).
Was auf diefen Vorgang folgte, war durchaus nicht dazu an
gethan, bei dem Bayernvolle freubigere Hoffnungen, denn früher zu
erweden. Sogleih wurden alle ven Kaiferlichen verbächtigen Perſo⸗
nen verhaftet ’’). Unter ihnen befand fich auch ver Hoffammerrath
Neuſammer, ver den Ilbesheimer Vertrag ftatt ver Churfürftin un
Die oberbayerifhe Lanbeserhebung i. 3. 1705. 255
tergeichnet hatte. Er wurde unter militärifcher Bedeckung nach Kuf⸗
fein abgeführt. Die andern Bürger mußten ven Hulbigimgseid
leiften. Das bürgerliche Zeughaus zu München wurbe ausgeleert,
ver Waffenvorrath nad Straubing gefchafft**), alle Einwohner wur-
ven entwaffnet und die Befeftigungswerle ver Reſidenzſtadt gefchleift.
Auf tie Kunde von ſolchen Vorfällen, wollte die Churfürftin in
iger Land zurüdfebren; man verweigerte ihr den Eintritt an ber
Sreuze *’), trotzdem ihr freie Rückkehr verfprochen worden war ?°).
Ihr älteſter Sohn drückte in einem Schreiben dem neuen Saifer
Joſeph fein Beileid über den Heimgang Leopold I. aus, beglück⸗
wänfchte ihn zum Untritte feiner Kegierung und lag ihm mit ven
rũhrendſten Bitten an, er möge doch die Churfürftin Mutter zu ihren
Kindern zurüdfehren lajfen. Die Antivort tarauf war, daß man bie
Zügel bed Despotismus noch ftrammer faßte al8 früher; felbft vie
Srauen?') derer, die tem Churfürſten nach Brabant gefolgt waren,
eine Gräfin „Zörring » Seefeld, „Retbberge, „Wath“, „Taufkirch«,
"eine Baroneſſe Brielmeier« wurden aus ihren Behaufungen gejagt,
ihre Familieupapiere durchwühlt, ihr Eigenthum geraubt. Gontribus
tienen auf Contributionen wurden bein Lande abgepreft und durch
eine gewiljenlofe Apminijtration Millionen verfchleubert ?); heimliche
Epäher zegen Lurch Dorf und Stadt und jett ging der Befehl ??) durch
vie Lande neuerdings zwölftaufend Mann in Bayern auszuheben ’*),
am fie in Italien oder Ungarn für ten Kaiſer binfchlachten zu laſſen.
Man fandte Deputirte aus geiſtlichem und weltlichem Stande*) nach
Bien an ten Kaijer, die um Crleichterung ter drüdenven Laften
Ktten fellten °). Es war umfonjt. Damit war aber auch bie
Stunde der That gefommen.
Immer ſchwüler zogen fih die Wetterwolfen über ven Häup-
tern ter Unterbrüder zufammen ”). Es war damals in Bahern eine
erchtbare Zeit, vie Loſungsworte „Kaiſer- und »Churfürft« waren
es, welche die bayeriſche Bevölkerung in zwei Heerlager theilten.
Wem follte man geboren? Die Arelichen und der hehe Klerus
fchloffen ſich fait allgemein dem Kaiſer an, das unmenſchlich ges
Inechtete Volk blieb jeinem Churfürften getveu, ber in der Ferne weilte
und ihm feine Hilfe bringen konnte. Es war auf fih allein ange-
wiefen, e8 mußte fich felbit zum (Erlöfer werden, es erhob ſich und
256 Auguſt Schäffler,
ber Ruf ſcholl durch das Land: „Lieber bayeriſch fterben,
als in des Kaiſers Unfug verderben“ Wohl war eine Er⸗
hebung in diefer Zeit ein unbedachter, gewagter Schritt. Die
feinplihen Zruppen waren bereits in bie Winterquartiere eingerüdt,
friegsgeübte Schaaren; tie Aufjtändifchen bingegen ein ungeübter, uns
bisciplinirter, fanatifcher Haufe, zufammengewürfelt aus allen Eden
und Enden, ohne gehörige Bewaffnung und Munition, ohne energijche
Führung. Und doch wäre cs möglich gewefen, das Joch abzufchüt-
teln, hätte nicht Verrath und Hader in der Mitte der „Landesver⸗
theidiger⸗ gelauert und wäre Abel, Glerus’*) und Volk muthig und
getreulich wie ein Mann zufammengeftanten. Co aber rotteten ſich
Bürger und Bauern allein zufammen und fehwuren einen Bund auf
Leben und Tod.
Den Anfang der Erhebung machten 500 Bauern, bie bei Neun-
burg vorm Wald und bei Reg in der Oberpfalz den Oefterreichern
bie ausgehobenen jungen Leute mit ten Waffen entrijfen. Ihnen
thaten e8 die Bauern am Inn und an ter far nah. Kühne
Männer tauchten allenthalben empor und ftellten fih au tie Epiße
einzelner Rotten. So Meindl, jo Hofmann, jo der Wirth von Ried,
fo vie Söhne des Pfleger von Mühlheim und jpäter Straus, fo
eine Schaar abgedankter churbayeriſcher Soltaten ”). Innerhaib wer
niger Wochen war das Heer ber bayerifiben „Vanbesvertheitigers —
fo nannten fie ſich — bis auf 30000 gewachfen. Burghaufen, Brau⸗
nau und Schärbing wurden erftürmt. Vom Sun und ter Iſar zog
ber Aufitand an tie Donau. Kelheim, Vilshofen und Cham erhoben
fih nach einander. Patente, die ein gewiljer Forchhammer abgefaßt,
und cin gewiſſer Johann Wilhelm Heymon mit J.H. Wormbs unterzeichnet
batte *°) und vorgeblihe Mandate *') des Churfürften, wurden
aller Drten verbreitet. Tauſende der Aufſtändiſchen fielen unter
dem Schwerte, Hunberte ber Gefangenen wurden von den Oeſterrei⸗
Kern an ben nächjten Bäumen aufgefnüpft, die Erhebung jedoch wuchs.
Aus dem Blute ver Gefallenen erjtanten nene Streiter. So weit
war die Sache getichen. In Oberbayern — au ber Throler
Grenze — von ten fogenannten Iſarwinklern — wurbe ver Plan
ausgehedt, tie Statt München den Oeſterreichern abzuringen und bie
Churfürſtlichen Prinzen, die dort in einer Art von Haft fich noch
Befanben, ben Händen der Kaiferlichen zu entreißen.
Die oberbayerifche Landeserhebung i. 3. 1705. 51
Schon Anfangs Dezember famen zu biefem Zwede die Bauern
sur Nachtözeit heimlich an drei verfchievenen Orten zufammen und
berathichlagten. Verabſchiedete Soldaten waren auch hier wieber bie
Seele der Apitation. Den Tyrolern und Kaiſerlichen blieb dieß
nicht verborgen. Erſtere verfchanzten ihre Päſſe, verjtärften die Fer
ſtungswerke, leßtere riefen noch größere Truppenmaſſen in's Land.
Die Bauern äußerſt beſtürzt über dieſe Nachricht beſchworen in
ber Nacht des 13. Dez. ein Bündniß, ſtürmten um 1 Uhr früh in
das Klofter Benebictbeuern und forderten Waffen. Der Prälat '’)
verweigerte fie; die Bauern fchleppten num ben Stlofterrichter mit fich,
machten ven Weg am WWalchenfee unzugänglich und ftellten Wachen
aus. Der Prülat berichtete diefe Vorfälle ver kaiſerlichen Apminijtra-
tion nach München. Van achtete ort bie drohende Gefahr für ger
ring uud gab ihm bie Weifung, er, ter bie ganze Sache angeftiftet
habe, folle gleichviel auf welche Art fo fehnell als möglich die Bauern
zur Ruhe bringen. Dafür follte das Stlofter auf alle Weife ver-
ihent und demſelben bie Koſten erftattet werden, tie durch den Durchs
zug ber Solvaten erwacjen wären. Das Bemühen bes Prälaten
war unfonjt. Die Bauern fammelten ſich wieder am Stlofter mit
rem wiederholten Begehren nach Waffen, und zwangen burch Dro⸗
bungen ten Präfaten, ihnen zwei Heine Kanonen und zwei Trompeten
audzuliefern. Immer näher zog die Gefahr für die Kaiferlichen he⸗
ran. Die „niederbayerijche Lantestefeufion« fette ſich mit der ober-
bayeriſchen in's Einvernehmen, man einte ſich dahin, gemeinschaft.
lid am Weihnadtstage München zu erobern. Auch in Tölz
lamen um tie Mitte des Dezembers ans der ganzen Umgegend und
auch aus München Beamte, Offiziere, Bürger und Bauern
und ber Kriegscommiſſär Fuchs zu einer Verſammlung zufammen.
Man machte Mittheilungen, "Die Kaiferlichen hätten im inne, bie
furfürftlichen Prinzen zu entführen *’), ja der Graf von Lüwenftein
habe Befehle erhalten, tie auf ken totalen Ruin des Bayerlandes
abzielten und ter Art wären, daß der Graf vor ter Ausführung
zurückbebe. Der Wille bes Kurfürjten fei es, Laß man fich erhebe.
Der Aufftand fei bereits im Gange; aus dem Rentamt München
feien allein 2UUV Mann beiſammen und 8000 Mann Unterlandepes
fenforen träfen zur bejtimmten Stunde mit ihnen zufammen. Waffen
258 Anguſt Schaͤffler,
liefere München und das Schloß „Hochenburg.uu Der 24. Dezem⸗
ber wurde ald Sammeltermin in Schäftlarn feftgefeßt, tiefes Still⸗
fchweigen jedem auf die Seele gebunden.
In der Stadt München felbft organifirte ein Bürger, Bütler,
eine Erhebung, bie gleichzeitig mit der ver Landesbefenfion ftattfin-
den follte. Es wurde verabredet, daB ſich mit Waffen unter ben
Diönteln zur Zeit der Chriftmette (am 24. Dezember), die Stu-
benten am Unger , die Hofbebienfteten vor ver Reſidenz, die Bürger
vor dem Stlofter der Auguftiner einfinden follten. Auf ein gegebenes
Zeichen follten fie bie faiferlihde Beſatzung entwaffnen, fich eines
Thores bemächtigen und mit Granaden **) ven beranziehenden Lan⸗
desvertheibigern, mit denen man fich in's Einvernehmen feßte, das
Zeichen zum Angriff und Sturm geben. Der Braumeifter im
weißen Bräuhaus hatte verfprochen, ven Streithaufen , welchen Güt⸗
ler anführte, durch das Bräubauspförtchen in die Stadt einzulaffen.
Ein anderer Bürger, Senfer, fchaffte Waffen und Munition. Würbe
die Oeffnung des Einlaßthürmchens am Koftthore mißlingen, fo
folle zu einen Straffenfanpfe und einer Erftürmung ter Thore ge-
fchritten werben.
Anı 24. Dezember ſammelten fich 2769 ’°) Bauern, Beamte,
Offiziere und Soldaten unter dem Obercommando deo refer-
mirten d. h. außer Dienft geftellten churbaheriſchen Haupt.
manns Mayr**) in Schäftlarn zu dem Zuge nah Münden. Echon
bier zeigten fich einige Mißhelligkeiten. Manche Angaben ver Tölzer⸗
Verſammlung erwiefen jich als unftichhaftig und mancher Beamte,
ber beim Zug war, wollte wieder zurüd, Die Tölzer Schügen ber
fegten die Schäftlarner Brüde und drohten, jeben Beamten, ter zu»
rüdginge, erſchießen zu wollen. Man brach auf, die Beamten
mußten mitzicehen. Die Sache geftaltete fich immer geführlicher. Der
Poftmeifter von Anzing, ein treuer Patriot, hatte vie Nachricht ge-
fandt, daß man fich auf die Anfunft der Unterlantsvefenforen nicht
mehr verlaffen könne. Kaiſerliche Truppen feien ihnen entgegenge-
fantt worben und einige Stunden vor München ftehe eine feinkliche
Heeredabtheilung. Wieder gemahnten einige au ben Rüdzug. Der
gräflich Tattenbachifche Pfleger von Ballai, Marimilian Alram”),
der fih mit 400 Vallaiſchen Unterthanen den Landesvertheidigern ange
Die oberbayerifche Lanbeserhebung i. 3. 1705. 259
ſchlofſen Hatte, gab ven Rath, man folle über die Brüde bei Schäft-
larn wieder zurüdfehren, bis Vallai fich zurüdziehen, dort fich halten
bis die Unterlanbspefenforen anfämen und mit biefen vereint das
feintliche Korps auffuchen und wenn baffelbe gefchlagen wäre, —
was, wenn die nieber- und oberbaherifchen Landesdefenſoren fich
geeint hätten, ein Leichtes fein würde — fo übergäbe fi) die Gar»
niſen von München ven felbft. Trüge man Bedenken, fich in eine
Schlacht einzulaffen, fo Könnte man doch vermöge ber Ueberzahl vie
Raiferlichen zwingen, bie Prinzen im Lande zu laffen, und ihnen ta«
bei für Bayern förberliche Sonceffionen abnöthigen.«
Alle Beamten und Offiziere, darunter auch Gautbier, der ſich
burch feinen Dollmetfher den Borfhlag Alrams inter
pretiren ließ“), ftimmten Alrams Rathe bei und fügten ihrer-
feit8 nur bei, daß man die Unterlanpsvertheibiger fchnell von dem
Entichluße in Kenntniß fegen und fie zur Eile antreiben folle. Der
Münchner Weinwirtg Johann Jäger, ein Mitgliev des äußern
Rathes ) ver Stadt München, ein gebeorner Tölzer und fein Gas
merad „Baffauer« genannt — erjterer war angeblich als Abgeord⸗
neter ver Münchner Bürgerſchaft, letzterer als der eines churbaheri«
fhen Cavaliers nah Schäftlarn gekommen — fprachen gegen ben
Rath des Alram, mahnten an das Einverſtändniß mit ven Münch:
nern, erinnerten an bie Cinzelnheiten des feftgefegten Kampfes und der
beſchloſſenen Ueberrumpelnng und fügten vie Behauptung bei, es ſei
mr in der Chriftnacht allein möglih, München im Einverftänpniffe
und mit Linterftügung ber Bürger zu nehmen. „Des Kurfürften
Ungnabde treffe jeten, ber fih tem Befreiungszuge nicht an—⸗
fliege... — Man glaubte aber tem Jägerwirth nicht fo recht, zu—
mal da es ſich um ein Lurfürftliches Patent handelte, Das man
niemals zu ſehen befonmen hatte, und von dem man
nur hörte, es fei bei einem Cavalicre in München depo—
nirt°). Es wurde allgemein ter Rückmarſch nah Schäftlarn und
von da über tie Brüde nach Vallai befchlejjen. Jäger tachelte nun
die Zölzer Schügen wicber auf, fo daß fie durch Abgeordnete den
Sommantanten Mayr und Hip fagen liefen, fie würden fie rin
Stüde zerhauen« wenn fie noch ein Wort vom Rückzuge fprächen.
„Spe’'), bie Schüten, ſeyen capabl ohnne der Minchner ober der
260 Auguſt Eehäffler,
Bnderlandtsdefenforn Hilf die Keyſerliche nit allein aus Minchen:
fondern auch aus dem gannzen Yannbt zejagen.w
Alram mahnte wiererholt, die Sache ernftlich zu überlegen, da⸗
mit e8 in der Folge nicht heiße, wenn ein Unglüd eintrete, mbie
Bauern feien verführt worbden.u Jäger vereitelte auch tiefe Bera⸗
tdung und trieb die „furioſen⸗ Zölzer Schützen zum eiligen Aufbruch
an. Man 303 wierer cine Strede weiter. Da zeigten ſich 50 Rei»
ter, welche bie Kaiferlichen, bie von der „Bauernrevolte” Stunde er⸗
balten hatten, zur Recognoscirung ausgefandt hatten, vie Zölzer-
Schützen griffen fie an und fchlugen fie fiegreich zurüd und „haben
nun vermeint, die völlige Victori: und die Statt Minden fchonn
erobert zehaben, ſagent, nun werden bie Steyferliche gleich die Flucht
ergreifen, und Minchen verlaffen«. Die Commanbanten Wahr und
Huy und die Beamten ftinnnten für [hleunigen Rüdzug »in er
wegung vernünfftig zeichlieffen ware, daß das feindtliche Corpo vnf
nun balt auf ven Ruckhen khommen: vnd daſ vorbeigegangene
revanchiern werbe.u Das dritte Mal zog fich eine Abtheilung ver
Landesdefenſoren zurüd. Nach kurzer Frift eilten ihnen die Tölzer
Schügen — wahrfeinlih im Bewußtſein ihrer Schwäche — nad,
und zwangen fie zum dritten Mal zur Umfehr, fetten den Ober
commandanten Mayr ab mit dem Weifügen, er folle fid
nicht mehr bliden laſſen, wenn er nit erſchoſſen wer—
den wolle, und ernannten Alram zum herbefehlehaber '') Der
ſchlug die Wahl aus. Co ift, wie ſchon Föringer ganz richtig er
fannt bat, ber Zug von Bayerbrunn aus, thatjächlid ohne alle mis
Litärifhe Oberleitung der Geſammtheit ausgeführt worben.
Leiter bricht hier Alvam feinen ausführlichen Bericht, der ven
Stempel ver lauterjten Wahrheit an der Stirne trägt, mit ten Wor-
ten ab: „wie es aljtann herganngen, bauon werten Eur furfürftl.
Durchl. vorhin fchon Allergenedigiſte Wiljenfchafft haben, und will
zu Abküerzung diſer meiner Alleronverthenigiiten Relation vnd Dies
morials nur Volgentes melden, daſ 2c.u Von dem Scidjale des
Hauptmanı Viayr wiſſen wir nur das eine zu berichten, daB er bei
Senpling gefangen und fpäter zu München hingerichtet wurde. Wie
er nach München gefommen, läßt ſich nicht entfcheiven. Nicht uns
wahrjcheinlich möchte es fein, daß derfelbe mit feinem Anhange zurüd
Die oberbayerifche Lanbeserhebung i. I. 1705. 961
über die Schäftlarner Brüde ging und — gleichviel durch was ver⸗
anlaßt — auf ter rechten Eeite ber Iſar nach München hinabzog. —
cfr. Europaiſche Fama XLV. ©. 660.
Che wir jedoch tie Oberbayeriſche Landesdefenſion auf ihrem
rlegten« Gange begleiten, wollen wir einen Blick auf bad Innere
ter churbayeriſchen Reſidenzſtadt thun.
In München waren die Kaiſerlichen von dem ganzen Vorhaben
ber Oberlänter und tem Cinverjtäntniß biefer mit den Münchner
Bürgern in Kenntniß gefegt worden. Der Pflegeommifjär von
Starnberg Johann Joſeph Dettlinger‘’) war zum Verräther
an ter Eache tes Vaterlandes geworten. Er Hatte fih mit 200
feiner Mitbürger bei ver VBerfammlung in Schäftlarn befunden und
war von dort, nachdem er ven Expeditionsplan ter Oberländer in
Erfahrung gebracht hatte, mit einem von ten Bauern gefangenen
tnijerlichen Tambour entwijcht, in die Stadt geritten und hatte dem
Grafen von Pöwenftein den ganzen Anjchlag hinterbradht. —
Alle Bürgershänjer wurten auf folde Kunde hin durchſucht,
bie Einwohner zum zweiten Male entwaffnet, Kanonuen auf ben zum
“osbruch des Aufftantes bejtimmten Plägen aufgeführt und ven
Bürgern bei Tovesftrafe verboten, fich zu erheben oder felbjt nur
einen Schritt auf die Gaſſe zu thun. Der gut öjterreichifch gefinnte
Bürgermeifter Vachieri ließ viejen Befehl von Haus zu Haus an⸗
fügen. — Keiner der Bürger regte fi.
Zu gleicher Zeit zeigte der Poſtmeiſter ter Taijerlichen Admini—
ftration an, daR ihm zwei Kuriere und ein Staffettenpferd ausge⸗
blieben feien, auch zehn Reiter hatte man vor 3 Lagen bereitd aus⸗
gefhicdt, fie waren nicht mehr zurückgekommen. Man fandte num
einen »Hauptmann⸗ mit achtzig Dragonern aus, um tie Stellung
und Stärke der Bauern zu erfahren. Damit aber tie Stadt nicht
von Gavalerie, bie zu Patroullen verwendet wurde, entblößt wäre,
wurben bunbert Mann zu Pferd °*) von dem Striechbaumijchen Corps,
das drei Stunden vor München bei Anzing jtand, hereinberufen.
Tiefe rüdten alsbald ein. Nachmittags 2 Uhr fchrten bie ausge⸗
fhidten Dragener mit ihrem Hauptmann zurüd; fie waren, wie wir
fhon oben erwähnt haben, mit ven Oberlänvern zufammengetroffen,
262 Anguſt Schaͤffler,
und hatten mit einem Verluſte von zwei Mann ſich zurückgezogen.
Gegen Abend erhielt man Kunde von ber Stärke ver Bauern ’°).
Nochmals fandte man an Kriechbaum mit dem Vefehl, er folle
mit feinem Corps nad München rüden und feinen Marſch befchleuni-
gen, ſobald er Kanonendonner vernehme °%). Gegen Abend rüdten ale
dann auch alle Truppen zu „Roß und zu Fuß“ aus, um vie Bürger
in Schranken zu halten. Nach Mitternacht entftand plöglich Lärm vor
ber Stadt. Die oberbayerifche Landespefenfion war angekommen. Ein
Theil wartete am Koſtthor auf Einlaß°”), der andere hatte fich mit
der Zunft der Zimmerleute von der Au verftärkt und griff jegt, ale
ſich das verabrevete Zeichen noch immer nicht zeigte **), den „rothen
Thurm“ an der Yarbrüde an. Es war dieß ungefähr um 1 Uhr
Morgend. Nach kurzer Gegenwehr wurte derfelbe genommen ‘’). Won
biefer Zeit an bis Morgens acht Uhr befchoffen fie die Stapt mit
den beiden Feldſtücken, vie fie in Benediktbeuern erpreßt hatten,
und ben bier eroberten, füuberten mit wohlgezielten Büchfenfchüffen
bie Wälle der Stadt von vertheidigenden Dejterreihern und ließen
bie Stadt durch einen Tambour zur Uebergabe auffordern. Die Oeſter⸗
reicher vertheidigten fich ſehr fchlaff; fie warteten auf Entſatz durch
Kriehbaum. Diejer hörte halben Weges Kanonendonner, befchleunigte
feinen Marſch, fo viel er konnte, und um 8 Uhr Morgens verkünde⸗
ten 3 Kanonenſchüſſe von der Gaſteigerhöhe aus den Belagerten feine
Ankunft. Die Yarbrüde Hatten vie Oberländer unbegreiflicher
Weile unbeſetzt gelaffen. In gefchlofjenen Reihen ließ Kriechbaum
feine Infanterie über diefelbe ziehen, um die Belagerer vom Rüden
anzufallen; durch vie feichte Iſar ließ er feine Hufaren und Pan
duren fegen, um zugleich auf beiden Flanken einen Gavaleriean-
griff zu formiren. Zu eben berfelben Zeit geſchah ein Ausfall aus
der Stadt, die Oberländer kämpften wie Löwen, mußten aber ver
Uebermacht weichen. Die Befakung der Stadt war 5000, das Kriech⸗
baumifche Corps 3000 Dann ſtark; tie Landesvertheidiger zählten
kaum 3000 Köpfe. Sie wurden von München weg gegen Senbling *)
zu gebrängt, faft von allen Seiten von den Selvaten umringt, zu-
fammengetrieben und gezwungen, ihre Waffen zu ftreden. Als fie
bieß in der Hoffnung, Die verfprochene Begnadigung zu erlangen, ges
than Hatten, da wütheten die Solvaten gegen die Wehrlofen. Ein
®.
Die oberbayerifche Lanbeserhebung i. 3. 1705. 263
Theil entlam durch die Flucht, ber größere heil jeboch wurde ge-
tödtet oder auf das Gefährlichite verwundet. „So wurde,“ fchreibt
Meichlbeck, „ver Geburtstag des Heren nicht fo faft durch ein Kriegs⸗
gefecht, als vielmehr durch Hinmorbung der unglüdlichften Menjchen
entehrt und gebrandmarkt⸗. j
Um 11 Uhr Mittags decken gegen 2000 Leichen das Wahlfeld.
Nachmittags fchleppte man 500 meift fchwer Verwundete in die Stadt
und »ſeindt — fo berichtet Vachieri — pro Terrore lang auf venen
Gaſſen liegent gelafjen worden, bis man fie hin und wieder in bie
Spitäler *') vertheilt hats. Sechs Kanonen, fünf WMunitionskarren,
zwei Heerpauden, vier Fahnen mit den bayerifchen Wappen fielen in
die Hände der Sieger.
Die Bürger von München wurten ſodann von ter Faiferlichen
Kominiftration wieberbelt beeidigt und zum dritten Male entwaff-
net. Letzteres geſchah am 29. Dez. 1705 wie ein Erlaß des Grafen
Löwenftein beweift *). cfr. Rhats⸗Prothocoll. Anders Buch. Statt«
ſchreiberey. Wünden Pro Anno 1705. Im ganzen Lande fahndete
man auf die Theilnehmer an dem Bauernaufitande. Beſonders wur⸗
ben die reformirten Soldaten der churbayerifchen Armee in ftrenge
Unterfuchhung genommen. Wer von ven Gefangenen nicht ſchon auf
der Straße verblutete over im Spitale gefterben war, ber endete auf
em Schaffot. So ftarben auf vem Blutgerüfte zu München am 29.
Ianuar 1706 Abel, Adjutant im Regiment Lügelburg, der Lieutenant
dv. Lange, der Kifenhändler Senfer und ter Wirth Kitler vom
Thal. Der Jägerwirth wurde am 17. März 1706 zu München
bingerichtet, der todte Körper publice vgeviertheilt«, ter Kopf auf
ven Iſarthurm, vie vier Theile aber, wie mit dem Kitler gefchehen,
im Burgfrieden aufgeftedt und fein Vermögen confiscirt. Unter ven
Gefangenen befand fich wie fchon erwähnt ver Hauptmann Mayr. —
Fuchs, Alram und ber in Alram's Bericht öfter genannte Lieute-
sant Huy waren entkommen. cfr. Oberbay. Archiv XVII. ©. 341 ff.
Bei Aidenbach unweit Vilshofen wurden die letzten Reſte der Lan⸗
beserhebung blutig zufammengehauen und die hie und da fich noch
jeigenden Funken der Oppofition zertreten. Hofmann und Kraus und
noch viele andere Patrioten verbiuteten ebenfull® auf dem Schaffote.
Das arme Bayerland zitterte noch lange unter dem Joche des Yays
264 Auguſt Schäffler,
teſten Deſpotismus, die vier älteſten kurfürſtlichen Prinzen wurden
unter dem Namen „Grafen von Wittelsbach⸗ 1705 als Geißeln nad
Klagenfurt, 1711 nach Grätz in Steiermark geführt und dort wie Ge⸗
fangene behandelt, die Prinzeſſin ſperrte man in's Angerkloſter, die
die drei jüngern Prinzen wurden einem Fräulein von Weichs in Mün⸗
chen zur Erziehung übergeben, den Kurfürſten und ſeinen Bruder
Joſeph Clemens, Erzbiſchof von Köln, traf am 29. April 1706 die
Acht, ihr Beſitz wurde in Stücke zerriſſen und verſchenkt. Erſt mit
dem Tode Joſeph's J. im Jahre 1711 entzündete ſich der erſte Hoff⸗
nungsſtrahl beſſerer Tage in den Herzen ver ſchwergeprüften Bayern.
II.
Wir haben die Geſchichte des vaterländiſchen Bauernaufitandes
uns vergegenwärtigt; bayeriſchen Leſern wird es aufgefallen fein, Daß
ein Name, eine Helvdengejtalt darin nicht vorgekommen ijt, welche
mehr als jede andere in unjern Panden populären Ruhm und banks
bare Feier gewonnen bat, deren Thaten lebendiger Befig des Volle
bewußtfeins und weitverbreitete, unbetingt anerkannte Volfsfage ge»
worden find. Wir wollen die Cage berichten, wie fie im Volle von
Mund zu Mund geht, wie fie in Schrift und Bild uns aufbehalten wurde.
„Balthaſar Mayr ift ver Ueberlieferung zufolge in Waalir«-
hen auf dem fogenannten „Chrijamgütelu von armen aber reblichen
Bauersleuten geberen. Er erlernte in feiner Jugend das Schmiede-
handwerk, trat aber in der Folge als Ylügelmann ver bayeriſchen
Leib« und Grenavier-Abtheilung in tie kurbayeriſche Armee. In den
Zürfenfriegen, die er unter Mar Emanuel mitmachte, zeichnete er ſich
durch feine Tapferkeit, Stärke und Größe aus, und erwarb jich den
Beinamen des bayerifchen Riefengrenadiers. Acht Schuh drei Zoll
foll ev groß gewefen fein‘). Vor Wien ſchlug er mit dem geſchwun⸗
genen Gewehrkolben ganz allein mehr denn zwei Dugend Ungläubige
zu Boten; in der Schladht bei Siclos jprang ihm feine „Wehr«a, er
riß die Deichfel eines Wagens ab und zerjchellte einen ganzen Schwarm
berittener Zürfen, Als Dar Emanuel vie hohe Belgradmauer ftürmte,
war es Bayerns Rieſengrenadier, ber ſich mit feinem Nüden an das
Hauptthor ftemmte, dasſelbe jprengte, als der Erſte hineinftürzte und
zu Boden ſchlug, was ihm Wirerjtand bot. Nach Beendigung der
Türkenkriege, in denen er auch ehrenvolle Wunden erhalten hatte, zog
{1
L}
Die oberbayerifche Lanbeserhebung 1. 3. 1705. 265
er fi) nach Kochel zurück und lebte dort, bis ihn bie Erhebung ber
Bauern nechmal® unter die Waffen rief, als Schmied. Auch in die
fer Funltion gab er wiederholte Broben feiner Kraft. Das ftürfite
Hufeiſen 3. B. brach er mit einem Riß entzwei, das unbänbigite
Pferd warf er zu Boden und befchlug es. Wegen biefer feiner Stärke
‚wurde er zum Anführer in ber Chriftnacht-Erpebition gewählt. Die
von der Gräfin Arco *°) geſtickte Löwenfahne in der einen, bie mehr
als einen Zentner ſchwere Stachelfeule in ver andern Hund, ftürmte
er allen voran. Wie vor Belgrad, fo fprengte der Schmiedbalthes
auch am „rothen Thurms vor München die fetgefchlojjene Pforte,
fhlug mit feiner Keule achtzehn Mann zu Boden, uud als die Lan-
besvertheidiger nach Sentling zurücdgebrängt wurden, fo war ber
Schmiedbalthes ver legte Kämpfer über hochgethürmten Leichenhaufen.
Ihm zur Seite waren fein Vetter Reifenſtuhl aus Gmund
und feine beiven Söhne, Lorenz und Paul, gefullen, er hatte fchen
viele Berwundungen empfangen und dennoch ftand er ech und kämpfte
wie ein Löwe. Da durchbohrte eine Lanze feine Bruft, er ſank und
farb. Seine Hand umfaßte im Tore noch das Yöwenbannern.
Brüfen wir zunächft, wie weit biefe Ungaben thatfächlich auf
gefchichtlichen Beſtand Anſpruch machen können.
Ber Allem fei vorausgefchicdt, daß alle gleichzeitigen Quel—
len über ven Schmiedbalthes fchweigen.
In der Sage heißt ed: „der Schwiedbalthes fei in
Waakirchen geboren“. ch habe mich fhriftlih an ten dortigen
Pfarrer Herrn KaſparSchießl gewandt und von ihm mir eine Bes
fätigung aus ten Aften erbeten. Durch feine Güte erfuhr ich,
daß die Pfarrei Wanfirchen als jolche erft feit 1809 beiteht, Die Ma⸗
tritelbücher alfo nichts von einem Schmiedbalthes enthalten können.
Eine fteinerne Tafel, welche über dem Eingang ter Waakirchner Pfarr:
firche ber frühere Pfarrer und jegige Beneficiat an ter Lorettofirche
zu Rofenbeim, Herr Peter Schreiber, im Jahre 1854 zum Gebächt-
niß ver in der Schlacht bei Sendling gefallenen Waalirchner anbrins«
gen ließ und die alle Namen aufzählt *°), weiſt auf feinen Schmied»
bafttes Hin. Daß der Balth. Mayr (Schmiedbalthes) auf dem
„Shrifamgätlu geboren cder vom fogenannten "Chrifilbauern« mau
266 Anguſt Echäffler,
Haufe gewefen« ift allgemeine Vollstradition. Waalirchen war ver
dem Jahre 1809 in Gmunb eingepfarrt. Nach gefälligen Mitthei⸗
lungen des Herrn Pfarrer G. Schmidber ger in Gmund ift in ben
Pfarrbüchern fein Balth. Mayr mit einem derartigen "Hausnamen«
genannt. Ein Balth. Mayr findet ſich wohl im Taufbuche als am
2. Juli 1641 geboren; viefer ift aber der Sohn bes Lukas Mehr
"vom Bach bei Waalirchen und mit unferm Helden wohl nicht ein
und biefelbe Perjon. Die allgemeine Zradition des „Hausnamene«
wäre bagegen und auch das Alter des Mayers „vom Bach". Diefer
nämlich wäre, wie wir unten fehen werden, um 3 Jahre älter ale
der Mann ver Volksſage, als der Schmiebbalthee.
Ueber bie ganze angebliche militärifche Laufbahn unferes Schmied⸗
balthes ijt ein undurchbringliches Dunkel gehüllt. Wann ver Schmieb«
balthes nach Kochel gekommen, tarüber gibt uns die Sage nur Die Auskunft:
„nach den Türkenkriegen“ *). In den Kochler Acten kommt ein Balth.
Mayr nirgend vor, wasich in Kochel erfahren und Herr Pfarrer Aug.
Stapler mir brieflich beftätigt hat. Der tamalige Schmied hieß nicht
Mayr fondern Georg Hainrizi‘). Er war getraut 1674, geſtor⸗
ben 1720. Im Pfarrbuche beißt es: „Die 14. Febr. in Dom. de-
functus est perhonestus (ieorgius Hainrizi faber ferrarius et
Ecclesiae parochialis ad S. Michaelem in Kochel praefectus etc.“
Afo Schmiedmeifter kann der Balthafar Mayr nicht gewefen
fein, wohl aber ©efelle. Herr Pfarrer Stadler hat mich gütigit
darauf aufmerkſam gemacht, ich möchte ben in tortiger Gegend herr
ſchenden Sprachgebraud beachten und auf den Volksausdruck ‚Schmiede
balthesu ſehen. „Schmiedbalthes- Heißt nämlich: vein Mann, ber
Balthafar heißt und Gefelle eines Schmiedes ift«. Sol
ausgedrückt werten „"Schmiebmeifter«, fo fagt das Volk einfach: „ver
Schnied«, ohne ven Taufnamen hinzu zu jekent.
Es ließe fih auch zur Noth das gänzliche Yehlen des Namens
Balthes Mayr in ten Pfarrbüchern erklären. Geboren foll er in
Waalirchen, getraut kann er irgendwo anders fein, geftorben ift er
in Sentling. Wann er jetoch geheiratet 2c., das bleibt wieder um
gelöft. Nicht beffer können feine „Kraftſtücke⸗ als Schmied bifterifch
beftätigt werben; fie gleichen einer uralten Volkstradition, bie fich bei
mehreren Völfern gleihmäßig findet.
Die oberbayerifche Lanbeserhebung i- 3. 1705. 267
Daß ein Balthafar Mayr nicht Anführer ber Bauern ge
weien, haben wir ſchon oben (Anmerkung 46) aus gleichzeitigen Quellen
nachgewiefen. Ein „Mayr war freilich für kurze Zeit ver Anführer, aber
es war bieß fein Schmied, ſondern ber reformirte churbayeriſche Haupt-
mann gleichen Namens. An ven Namen Mayru Inüpfen fich, nach meiner
Anſicht, Geſchichte und Sage zufammen, d. h. ich glaube, daß ber
hiftorifche Name „Mahr« erft auf ven Mann der Sage, ven
Schmiebbalthes« übertragen wurte; und es ift möglich, daß ber
Schmienbalthes, wenn ein ſolcher eriftirte, ganz anders geheißen hat’°),
Man fieht, die urkundliche Gefchichte bietet wenig Raum für bie
Thaten des Kochler Schmied. Es fragt fich, wer bie Sage zuerft
aufgezeichnet, und wer fie in die gefchichtliche Literatur eingeführt hat.
Wie fhon erwähnt, gleichzeitige Quellen und Urkun—
ven fennen feinen „Schmiepbalthesu. Bon ihm fchweigen
auch alle Gefchichtswerte, die vor dem Jahre 1835 er-
ſchienen find. Das Berdienft, ihn in die gefchichtliche
titeratur gebracht zu haben, gebührt feinem Öeringeren
ale dem Freiherrn v. Hormayr in feinem »Taſchenbuch
für die vaterländifche Gefhichten. Neue Folge. Sechſter
Yahrgang 1835, in einem Auffage, der überfchrieben ift:
„Die Mortweihnahten von Sendling« (25. Dez. 1705).
Wir lafjen die hieher gehörigen Stellen Wort für Wort folgen.
Gr fchreibt S. 9:
„Der Schmied Balthafar Mayr von Kochel, insgemein ber
arte Schmiebbalthes«, damals ein Niefe von 61 Jahren, 8 Schuh
3 Zoll body, von Alt und Yung "ber bayerifche NRiefengrenadieru ges
nannt, fo gewaltig, daß er bie wildeften Pferde bändigte, und in Mar
Emanuel's Türtenfriegen ausgezeichnet, arbeitete wie raſend mit feiner
Stachelleule unter ven Defterreichern und hob die eine Seite des ros
then Thurmes aus ihren Angeln«. — Und Seite 102:
"Als den Letzten (der bei Sendling Gefallenen) nennt die Sage
ten alten baherifchen Niefengrenabier, den ſtarken Schmiedbalthes von
Kochel, der ſchon am rechten Iſarufer achtzehn Oefterreicher niit feiner
Stachelleule nieberfchlug. Neben ihm ſanken zwei junge Sühne, es
fiel fein Better, der fchöne junge Zimmermann Reifenftuhl von Gmunb,
wackere Männer von Egern und Zegernfee, von Lenggries und Warn-
Hiperifge Beitfärift TL Bam. 19
268 Arguſt Schäffter,
gan. — Wohl mag das Erftnunen des Feindes über dieſe Erſchei⸗
nung aus ber alten Yabelzeit, des ftarfen Schmiebbalthes Leben etwas
länger gefrijtet haben. Endlich ftredte der zweite Yanzenftoß eines
Hufaren biefen Pförtner gewaltigerer Zage neben ben Eeinigen auf
ben befledten und zerfleifchten vaterläudiichen Boten hin«.
Alſo Hormayr Hält den Schmiebbalthes für eine gefchichtliche
Berfon und glaubt nur den Einen Zug an dem Gemälde nicht, ven, daß
ber Schmiepbalthes zulegt gefallen jei. Woher hat aber Hormahr
die Daten und Zahlen gejchöpft, vie in ter Erzählung vorkommen?
Die Sage an fich rechnet nicht auf den Zell die Größe eines Mannes aus,
auch kümmert fie ſich wenig um das Alter vesfelben, fontern fie ftellt
das Bild ihres Helden nur in großen allgemeinen Umrijjen hin.
Nach langem vergeblichen Suchen glaube ich die Duelle Hormayer's
und zugleich auch den entredt zu haben, der zum erften Male die Sage
fohriftlich aufgezeichnet und veröffentlicht, ja der fie ausgebildet und,
um es fofort heraus zu fügen, in ihrer jeßigen Gejtalt erfunden hat.
Es iſt dieß ein gewiſſer 5. J. Gruber. Diefer außer Mün-
hen wohl völlig unbelannte Xiterat fchreibt in einem Buche feiner
Tochter Caroline, welches im Jahre 1833 erfchienen ift und ten Titel
"Maiblümchen« führt, Seite 118 Folgendes über ſich: „Frühe fchen
neigte jich mein wißbegieriger Geiſt über den duftenden Blumenkelch
hiſtoriſcher Erforſchungen. Die Stlojterbibliothefen ver oberen Pfalz,
biefer meiner Hochgeliebten vaterländiſchen Heimath, boten hiezu ven
erften Anlaß. Eleonore von Frauenſtein, ein hiſtoriſch romantiſches
Gemälde ritterlicher Vorzeit, ein Schriftwerk, welches ich im 16. Le⸗
bensfrühling fertigte, entwickelt einen ſichtlichen Nachweis, wie ſehr es
mir darum zu thun war, althiſtoriſche Erforſchungen in den gefall⸗
ſüchtigen Aufputz der Romantik einzukleiden. Eine noch reichlichere
Ausbeutung lieferte bie im Jahre 1802 vor ſich gegangene Säculari—
jation ter Höjterlihen Stifte meines Vaterlandes Bayern. Ich pil
gerte an ter Seite eines alternten Geſchichtsforſchers von Klofter zu
Klojter, von Zelle zu Zelle, um Bücher einzulaufen, alterthümtiche
Handſchriften abzufopiven 2. Die mir wie zu einer zweiten Natur
gewortene Neigung, aller Orten und bei jeder Gelegenheit für das
Fach der deutjchen Bolfagejcpichte zu funmeln, gewann in ben mitger
machten Feldzügen von 1805 bis 1815 — nach einer andern Angabe
Die oberbayerifche Lanbeserhebung i. 9. 1705. 969
Gruber's war er „volle 154 Monaten fang Soldat gewefen — einen
acc regeren Auffhwung, und fo wie bier das bergumthürmte Tyrol
und Vorarlberg, warb einige Jahre fpäter (1816, 17 u. 18) das ros
mantifch fitnirte, gebirgige Helvetien vorzugsweife die Fundgrube ver
reichhaltigften Erforfchungen.” In einer andern Schrift, dem „Schmied⸗
balthes«, von dem wir fogleich fprechen werben, fagt er ©. 43 und
38, daß er fhen 34 Jahre lang Literat gewefen und ich fchen 11
Yahre lang mit geo-und hiftoriegraphifchen Studien befaßt habe. Gruber
jheint nach eigener Angabe in ven »Maiblümden S. 1824 Hans
dei mit feinen hiftorifchen Koſtbarkeiten getrieben zu haben. Es
beißt dort: „So gelangte ich zu einem nicht unbebeutenven hiltori«
ſchen Reichthum, deſſen größere Hälfte bereits vor G Wochen in bie
Hände eines erlauchten Verehrers ter europäiſchen Gefchichte zu Et.
Petersburg abgegangen ift, nachdem ich mir nur von dem Wichtigſten
eine copiam copiae genommen hatte“. Gruber hat cine Anzahl von
Schriften und Schriftchen veröffentlicht, er ijt aber eine ganz pocfies
loſe, gefchraubte Natur. Zum Beweiſe meiner Behauptungen will
ih bier nur einige Zeilen in Profa und in Verſen herjegen. Mehr—
folder Proben werten wir unten finden. Co fchreibt er:
Seite 1: „Des Morgens jugentlihe Morgenröthe befah
ih in ver Flut des Kochelſees, ver in ten Farbenſpiel unzähliger
and Reſenlicht gefermter Kronen blitzte 2c.«
Seite 5: eine große Thränenperle negte im filbernen Gekoller
allgemach vie Wange ꝛc.⸗
Eeite 5: mverfnüpft Die ftumme Zeugin tiefen Seelengrams (das
iR die Thräne) mit einem lauten Seufzer, fchlägt jedoch hierauf ven
hellgeword'nen Blid zum Himmel, trüdt an die Bruft — der Hände
frommen Knoten ꝛc.⸗
Oder Seite 42: "Und Aurorens rofiger Kuß
Etrahlte bie Wellen des Sceftrems au,
Und ich traf, o Wonnegenuf
Jetzt den erfehnten braven Mann,
Der tie erwünſchte hiſtoriſche Spente
Willig mir gab in die flehenden Hinten.
Das Büchlein aber, aus tem wir tiefe Stilproben genommen
und dad uns zur Grundlage unferer Unterfuchung dient, heißt:
19°
270 Auguſt Schäffer,
Der ſtarke Schmiedbalthes zu Kochel, Fahnen träger und
Anführer der wackern Hochländer bei dem baheri—
ſchen Volksaufſtand in der Chriſtnacht 1705. Abge⸗
bildet im Kirchengemälde zu Unterſendling. Eine bayeriſche
Volkslegende, aus dem in einem Kalender des Jahres 1734
ſchriftlich niedergelegten Aufſatze, welcher dem Verfaſſer zu
Kochel mitgetheilt wurde, geſchöpft von F. J. Gruber. Mün⸗
chen, 1832. Mich. Lindauer'ſche Buchhandlung (George Jar
quet '°).
Das Büchlein hat 62 Seiten in Octav und ganz das Aus
feben und die Ausftattung der gewöhnlichen fogenannten Volle
bücher“. — Es zerfällt in zwei Theile:
1) in eine Erzählung,
2) in fachbienliche Notizen zu dieſer Erzählung.
In dem eriten Theile ift eine Lebens» und Schickſalsgeſchichte
des Schmiedbalthes angegeben ‘').
Beim Beginne der Erzählung finden wir den Schmiebbalthes mit
. bem Pfarrer Albertus und feinen beiven noch lebenden Söhnen, Lo⸗
renz und Paul, am Sterbebette jeines Erjtgeboruen Martin. ‘Diefer
war ſchwer verwundet aus der Schlacht bei Höchftäpt nach der Hei⸗
math gebracht werden. „Zweimal neununddreißig Wochen« litt er bie
furchtbarjten Schmerzen. Seiner Mutter brach bei benfelben das
Herz und fie ftarb, ehe ihr Sohn ausgerungen hatte. Kaum war
Martin geftorben, fo kam eine andere Leirensbotfchaft zum Schmied
balthes nach Kochel. In einem Aufſtande, der in Weilheim ftatt-
gefunden, wurde Balthafar Mayr's Bruder, ver Stirchenpfleger Ulrich
Mayr, deßwegen vom ungarifchen Militär graufam erinorvet, weil er
das heilige Gut der Kirche nicht in die Hände der Barbaren lieferte,
Eilig fuhr der Balthes nah Weilyeim und holte tie verwailte Toch—
ter feines Bruders, Angelifa, und nahm fie an Kindesftatt an.
Balthaſar Hatte wie gefagt noch zwei Söhne, Lorenz war acht⸗
zehn, ver Paul „warb am Vorabend des heiligen Chrifttages erft
fünfzehn Jahre alt«.
Nachdem fih der Schmied in einer Epifode über die Regierung
und das Gefchid des Churfürſten Max Emanuel ergangen und bie
Öfterreichifche Regierungsweiſe in grellen Farben dargejtellt hat, er⸗
Die oberbayerifhe Lanbeserhebung i. 3. 1705. 271
Hfinet ex dem Pfarrer, dem Pater Albertus, daß die bayerifche Lan⸗
beterhebung bald zur That werde, daß er zum Führer und Fahnen⸗
träger in Lenggries geftern bei der Verſammlung erwählt worben
ſei. Er ſagt demfelben auch, daß er heute Nacht ein fonverbar-
liches Geſicht⸗ gehabt, das er fich aufgezeichnet habe und mit feinem
Zeftament dem Pfarrer übergeben wolle.
Das gefchieht alles noch an ver Leiche Martins, und feine Brü-
der müffen fchwören, Gut und Blut, „des Lebens legten Hauch» im
Kampfe für das Vaterland zu opfern. Der Pater Albertus weihte
„mit feierlich gejprocheneım Gebete zu Gott den fchönen Bund ber
Zreue ein". —
Sodann ging es zur Arbeit in der Schmiede. Da kömmt ber
äfterreichifche Oberſt Graf von Plattenberg, mit welchem ber Schmied⸗
balthes vor Neuhäufel gekämpft und der ihn „gaftfreundlich gefpeift,
ale es in dem mBayerlageran allem mungelte und ihm Brod und Wein
gejandt, während er im Hefpital zu Pefth verwundet lag«. Der Oberjt
bat einen Eifenfchinnmel bei fich, ver fich nicht befchlagen Taffen will,
aber er hatte mit rem Oberſten Auerfperg gewettet, daß der Schmied»
balthes in Kochel das Thier befchlüge. Auerfperg bat ein filbernes
Sufeifen als Preis der Wette gefegt. Der Oberjt reicht tem
Schmierbalthes ein eifernes Hufeifen bin, das er für ben Befchlag
mitgebracht, Balthes bricht e8 entzwei „wie Butter“. “Der riefige
Schmier umfaßt das fträubende Roß am Naden, „zwängt ihm den
Athen ein“, und ſchleudert es zu Boden, daß laut die Balken „ver
Brücke“ krachten und die Leute zufammenliefen. Das Pferd läpt ſich
nun willig befchlagen. Der Oberft fprach zum Balthes: „Du bift
und bleibt ein Wunder deiner Zeit. Nicht fordre, daß mit Worten
meinen Dank ich dir zerlege. Nimm dieß Silbereifen und biefe Börſe.
Geld und Gut bebarfft du nicht, das weiß ich; wende Beides an, wie
dir's dein frommes, gutes Herz gebeut«.
Bald darauf erhält Balthes Kunde von ver niederbayeriſchen Lan—
deeerhebung und „der Freude Heller Morgenſtrahl erglänzte im Hel—
denauge unſeres braven Balthcew.
Nachdem S. 15 ff. die Epiſode von Plinganſer und Meindl
und Oertel ꝛc. ꝛc. eingeſchaltet, wird auf die Erhebung der Ober—
länter übergegangen. Balthes Mayr feuert feine Landsleute und
212 Unguk Eier,
Natbarn an: „SHum ift es Zeit, ihr Nachbar'n, daß amch wir bie
Wehr ergreifen, Lak vor Gettes Augen une ver tem Wngeficht ver
Welt wir zeigen, tap wir Hochländer, tag wir Bayern ſind. Berau
zum großen Werl! Es ruft tie That rer Thaten, fallen, frürzen fell
und muß die Tyrannei, Pie uns fo lange trüdt. Zwar iſt uns
jere Wehr abgenommen; roch hat für fiebenhundert Büchfen und
rieihundert Partifane Münchens Bürger, ter brave Senfer, längft
geforgt. Noch heute trifft cingepadt in forngefüllten Eäden ber
ganze fchöne Waffenvorrath cin. Was ſonſt noch fehlt, Tapt uns
durch Senſen, Beile, durch Zrifcheln, und was in bie Hänte und
lommt, erfegen! In der Fauſt Des Zapfern wird ein Pflod zum
Sihwert und eine Keul' zur Lanze. Seht hieher! eine foldye hab’ id
mir gefertigt; mehr deunn hundert Pfunde wiegt tie Bauernwaffe.
Stachel hat fie any Eifen. Sat ein eifern Stacheljoch uns ja bie
rende auſgezwängt; darum laßt es und ihr mit gleicher Münz
bezahleu! Der brave Hauptmann Gauthier betreibt den Aufftand in
der Herrſcherſiadt, die Münchner, vom Jüngling bis zum jechzigjäß
vinen reis, Die Bürger in der Au, die Kofbebienten, vie Bauern
an der Würm und vinge herum, fie lauern alfe Tampfbegierig auf
den Wint des kriegderfahrnen Gauthier, um rajch wie eine Sturm
brant über Die Tyrannen herzufallen, und das Joch, das lang er
tragene, endlich zu gertriimmern. Der beilige Tag, we nach Jahr⸗
tamſenden uneliger Nacht — das ſtrahlende Heil ter Welt in Jeſu,
Gettes Sobne, aufgegangen, er wird uns allen, wird tem Vater⸗
land, wird unſerm hochgeliebten Füriien Mar Emanuel, wird feinen
tbeuern Kindern, als Tag des ſchönen Glücks, als Tag der endlichen
eileſuna alanzen.
Nun folgt die Zuſemmentanit bit Zölle. der Zaug ned
7*
Munchen Ber Zum uf ten reihen Turm, die Nimeriae Be
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Die oberbayerifche Lanbeserhebung i. 3. 1705. 273
Topographie von Kochel S. 37 zc. 2c. auch an — und das zählt für
uns zur Hauptfache — wie er zu einer alten fchriftlichen Aufzeich-
nung de6 Lebens von Balthes Mayr in Kochel gelommen.
Er jagt, er habe die Ferienmonate bes freundlichen
Herbſtes 1827 in Kodel zugebracht. Bei einem Bauern — ten
Namen gibt ©. nicht an — hatte ihn ein achtbarer Tölzer- Bürger
FJoſeph Anton Niggl’’) einquartiert. — Sein Hausherr war
hen beinahe achtzig Jahre alt, aber jo geſund, rüftig und munter
wie ein Dreißiger. Er war in feiner Jugend berrfchaftlicher Jä⸗—
ger, ſodann Eolrat geweſen, und hatte mehrere Schlachten mitge-
macht und unterhielt fich in feinen alten Zagen am liebiten mit Ge-
ſprächen über einen Militärgegenſtand. „Muntersleben- — diefen
Veinamen gab ihm Gruber — verſtand es, angenehm und lebhaft zu
erzaͤhlen.
»Eines Abends — fo ſchreibt Gruber S. 40, wörtlich —
kreiſte der Faden des Geſpräches um den ſchwarzen Unglückstopf des
ſpaniſchen Erbfolgekrieges, und als eine bluttriefende Zuſpeiſe ward
in ein erwärmendes Andenken gebracht der ſogenannte Hochländer⸗
Yancrnaufjtand, ein gefhichtliches Ereignig von hohem Intereſſe, ob«
gleich damals noch vie bayeriſchen Geſchichtsannalen hievon uns fehr
wenig und tiefes Wenige nur im Erzählungstene einer auffallenden
Unbejtimmtheit und Unvollkommenheit aufzutifchen wußten.“
Gruber erhielt nun ven feinen Hauswirth ben weitläufigften
Rericht über tes Schmiedbalthes Kriegsthaten, fein fonftiges Leben zc.
mp als ihn Gruber fragte „woher er tiefe umftändlichen Nachrichten
bezogen habe⸗ fo fagte derſelbe, er könne dieß Allee von A bis 3 in
einem Bürger und Bauernkalender bei tem Dorffchulmeifter Anton
Bihelmayr eingefchrieben leſen.
Gleich tes andern Tages in aller Frühe gingen Gruber und
fein Hausherr zun Bichelmayr und »„es beburfte nur des platt
keutfchen Erfuchens« '’), um für ven Raum voller 24 Stunten zum
Befig des erwünfchten Calenders zu gelangen. „Der Calender, fchreibt
Gruber, trug am Titelblatt tie Jahreszapl 1734 ten Drudort
Kempten und als angeheftete Zugabe netto ein überfchriebenes hals
bed Auch Papier in Quart, worauf in großen und uncorrecten, jedoch fo
gtemlich leferlichen Federzügen als Titel ſtand:
274 Anguf Schaͤffler,
„Sroff undt Heldtentatten deß alBobetittuliert fer
Stardhen Schmiedtbaltheß zu Kocell in türthentriegh
genanth ber bayerrifch rießengranadhier balthaßarnt
Mayr welder da tragn thätte die fahnne in ven hoch—
ländterbauren Uffftandt, undt rumiglich gefalln zulleg
undt al& per legt ufin freyihoff zue Senbtlingben, in
der allerhailidft chryſtnachgt, alß mann thätte zälln
nachg hochgebenideihte geburth Yefu Chryſti der weldt
erleßer ain tauſd ſiebenhunderdt finf jare; warhafftigh
lich und ſer akgarat beſchribbn von ain augnzeich fo
fHeihmaafin glidhlihg den grauſamb thürkhenkriegh
mietgmadhtgt: ahuno aintaufd fiebnhunderdt virr
undt draifig.“
Bichelmayr fagte Grubern, daß er diefen Kalender im Fahre 1792
von feinem Amtsvorfahrer erhalten habe ’°).
Gruber ſchrieb das Manufeript völlig ab und fagt, e
babe «damit nicht gegeizt.ua Schon im Herbfte 1828 habe er ein
gebrängtes Thatengemälte des berühmten Schmiedbalthes zu Ko
chel veröffentlicht und zwar in einer Zeitjchrift '*).
„Dieſes, jo führt Gruber S. 45 fort, hatte zur Folge, daß mehrere
Freunde ver vaterläntifchen Geſchichte, vie uns hie und da noch fo
viele fichtliche Yüden zeigt, jih um das Umjtändlichere meiner Bifte
rifchen Erforſchungsgabe erfundigten, und daß tie gefchidte Hand eines
geachteten Künftlers’’), ver das Ste Vild unter ven Bögen ves fol.
Hofgartens gemalt hat, im Vordergrund des von ihm inventirten
und rühmlich ausgeführten Friſchgemäldes zum Andenken ber weiß
mächtlichen Echlacht vom Jahre 1705 ten ftarfen, heldenmüthigen
Schmiedbalthes ven Kochel aufzuführen für gut und ſchicklich Fand,
fe wie dieſer wahre, vaterläntiihe Epaminondas als der Letzte jener
braven Hochländer, die ſich tem rühmlichen Heldentode weibten, in
der linken Hand die Fahne, in der rechten aber die ſtachelbeſetzte Kenle
ſchwingt, wie die Yanze eines „Madſchyaren- auf das treu⸗— nad
fremmgeſinnte Bayernberz anträgt ꝛc. Sogar ein Theil jenes Traum-
geſichtes, welches unſer vaterländiſcher Heros (wie wir weiter unten
audfũhrlich aus dem Calentermanujcripte Xro. 17 entnehmen werden), Lit
Die oberbaverifche Landeserhebung i. 3. 1705. 275
Racht zuvor, als fein Soyn Martin ftarb, gehabt, ift in Anwendung ge-
bracht worden ꝛc.“
Am 17. April 1832 -hielt Gruber im großen Saale bes
ſchwarzen Ablers ’*) eine Vorlefung nebft Mufit nnd Ymprovifation ;
auch bier trug er unter allgemeinem Beifall ein Lebens und Thaten⸗
gemälde des Schmiebbalthes vor. Seit biefem Tage ergingen an
Gruber mehrfältige Anregungen, dieſes biftorifche Kriegs⸗ und
Thotengemälve zu veröffentlichen. Er that e8 und „ba es der Raum
diefer Blätter — fo ſchreibt Gruber S. 47 — nicht geftattet, den
ganzen Auffat buchjtäblich Hier anzuführen’°), jo bejchränte ich mich
anf Auszüge, die als eben jo viele Erhellungsnoten gelten mögen‘ d. h. zu
feinem vorauegeitellten Lebens⸗ und Thatengemälde des Schmiebbalthes.
Aus dem fogenannten Salentermanufeript theilt Gruber 17 Ab⸗
fhnitte mit, die wir genau nad ber eriten Auflage wiedergeben.
Sie lauten:
Nr. 1. Dieweillen ver frume Patter Allberbtus Pfarrherr
birfelbft auß ter hochwirrdtigſt Prelladturr Penedicktbeurren thätte
ainfegn und peerbtige ven gottjechlich endtfchlaffne reutter: Marthinnus
Mayr fchmiebtefohnne auf Kochell und iſt ain folchg gichehn an
enlifften Tagh in wainmondt ahnno 1705.
Nr. 2. baltheß Mayr thätte anblidge das ſchönne Taghligt an
hochghailig draykünnigtagh ahnno 1644 in dorff waahlirchn, warre ber
Sohnne ehrlihg undt tughenbtfammer bauersleith, hat erlernth daß
ſchmiedte handwärkg und gnomme (genommee) ahnno 1671 bießt bay
hochgkurrfirſthl Tatbquarbtie zu fueß ftehllt für denn flighlman, in
Erßt Kliedt; findtemahl Er groß 8 Schue 3 Zohl und gweßt ohnn⸗
gemain ftarkh, fo Er thätte aintrette zue ain haußtürr, odter Stuebn-
tärr mußt ahllema ſichg buckge Halb laibs; wardt berroweeghn betittu-
tiert: rießengranabbier diewailn er thätte im Türkenkriegh wundter
undt rießenwerkh zue bewundtern von jebermannighlih, n. f. w.
Nr. 3. des balthaßari Mayr Erfgebehrner fohnne: überauß
braff, unbt wadher undt frum wie fain nahme Pabtron ft. Ritter
Marthinnus; wachtmaiftere von denen fehwerre ardhoreuttern hat iber-
Bomme 3 tiffe pleffure in der Battailly bay höchſtädt.
Nr. 4. undt der Hochgadtbar Herre Uhlrickhus Mayr kürchn⸗
fifftpflegderre in wailbeimb, mußt walle (meil) Er ain frum
276 Anguf Schaffler,
gwiffenhaffter Man nit kunth echötrebire (ertrakiren) denen gottver⸗
gefin ungerifch raubgſindtl tag ihm anvertrauth kürchngeld; verbiuethe
graußamblichg an merer ten (mehr tenn) 20 empfahne Seblſtich; fo
erfchrädlich war annzuefchaun.
Nr. 5. ta tbätte der grave Platthenburgh ten baltheß mahn
(mahnen) wie Sie in der harbn (herben) battalfn bei neubeußl (Rem
häuſel) gepledtert (gejagt) tie türdhen und terer viell erleght mit
aigner handt.
Nr. 6. Der hengßt des Grave Platthenburgh pflumpfete nämb⸗
lichen allßo ſchwär undt gwalltthättig waiß (auf eine gewaltthätige
Weiſe) uff die bſchlachtbruckh darniedter daß die leuth in geſambte
Dorff (im ganzen Dorf) ailendts ſprunge (iprangen) an die fenßter
undt thätte daß wundterſamm kräftig ſtückh ſchaue ſo außgeibt (aus⸗
geübt) Ihr ſtarkh ſchmiedte baltheß ꝛc. ꝛc.
Nr. 7. alßo magh auchg nit gnughſamb geruhmbt werden die
Clemmentz der Herre Burghere zu Minichgen, alldiewailln ſellbige
unß zu lindtern vie harbe noth gſchikht: 3 waaghn uff denen gleg⸗
gen (gelegen) 95 ſackh (Säcke) kohrn undt verpackht mith 700 pichſe
(Büchfen) alßo auchg 300 bartheſane (Partijane).
Nr. 8 wardt betittulieret Herre pettrus gottjehr (Gauthier) fe
mit ten durchlauchtichſt chuerfirſth gzoghn innß tyroll alß ed gkommn
bay ſchwatzh zue batailly, wardt gahr harb pleſſiret (bleſſirt) im
d'hufft (Hüfte) daß er mußt zuruckh innß bayrlandt, warre ſpinnefeindt
wiedter alls waß thätte tragn öſterraichſch muntur; undt beratteth die
minigner (Münchener) burghere alßo daß fie nit längher zait fehlte
tulte (dulden) keiſſerlichg dirrahnai (Tyrannei).
Nr. 9. Etlinchger (Etlinger) der ſchufft, jo fo fruher viehl gnadte
iberfomme von duerchlauchtichſt churfirith thätte begchn ſchwartze ver-
rath, vabpertirt (rapportirt) von fchlos ſtahrnbergh haimlichg dem
ghaimi jchraiber von firſthlewnſtain, uff daß Er mag bziegn alß ain
andter judt isfariett fchnört bluetgeltt zc.
Nr. 10. tätte baltheß erfcghn ven erſth feindt undt, nachgveme
er gftehint vie braite fchullter annß iferthorr laßt anghl und rieghl
und gaiht (geht) ain flighl in trümer, wie baltheß jegundt ftrads
mith der ſchwär ftachlail zue recht und linkher Saite allain 18 keiffer-
®
Die oberbayrifche Lanbeserhebung i. J. 1708. 277
lichg man wacht fchlaght Hin uff den Bobtn; machgt plat allerfaitn
und abtergirpt (attaquirt) den rothen turn.
Nr. 11 undt herre haubtman gottjehr undt ter ſtarkhe Bal⸗
theß mith ihrren leithn waichn nit: fechtn wackher gen die keiſſerlichg
noch gain klockenſtundt ſindt ihrrer glai draimahl mer.
Nr. 12 thätte man uff der annhöch rechts von minnichgen drai
feurtöfjel uffpflauge zue ibergraußn ſchadtn vom Senbtlinghen zc.
Nr. 13 führt ann herr Gottjehr von freitboff wech 300
bauern ten tie keiſſerlehg; thätte fie ruckhdruckn trieft ihn ain
eichingkugl und mueß uffgebn jain beldtngaift im arm des ehr-
babrn pettrus wiefer waagnermaiftere von gmundt, und hatt tießer
den herr haubtman gheght und gpfleght; wie fellber gkommen pleſſi⸗
rirt auß den throllerlandt.
Nr. 14. Wie unfre leith fahn von hint, und vorni fain hülff
thätten fie fichg durchgſchlaghn im dem forſth ſindt glidlichg gkom⸗
men big 7 Uhr uff leutjtettn, beerbigte allta den laichnamb,
des here gottiehr undt alß abzehlt wiejer tie köpff ſindt gewehn
463 nether (netto).
Nr. 15. Fiehle jegundt der fohnne deß zimermaiſtere veiffenftuel
bon gmundt ain gar ſchönn jungh, mith hellblundt Haar hatt
ftätighlichg lieb ten frum ftarkhen balthaparus Mayr; vießer ihme
ſeufzendt zueſchloß die himelklar aughn.
Nr. 16. uff den bayrijch rießengranadhier thätte jetzundt her⸗
fahln die ungeriſch veutherey wie ain ſchwarm geyer uff die frum
taub, hat ter ſtarkh baltheß ſchon vier pleßure fchlagt im«
mer nochg rum mith ver kail gänzligh allain und würght nochg
manchen.
Nr. 17. Undt alß binfchwindt die legt krafft undt der rauche
unger fain fpige lan wibterheltmahl ven rießenheldt ſtoßt durchg die
bruftd, der jegunnt fallt uff die ertt und bhält nochg den fahnne,
thätte befelch faine frum Sell goth ven allhöchſtn undt bethn für
fain firft und vatterlandt giebt uff fain gaiſt felichlichg daß alßo
erfühlt wardt fain traumgficht, jo er ghabt in der nacht ehvor ain
feellig Endt gnommen, fain ſohnne marthinus ardhoifch reutterwacht⸗
maifter, undt bat baltheß alßo erzällt den traum:
Wie ichg michg bai der nachtwachgt thätte Hinfteiere uffs kopf⸗
218 Anguſt Schaffler,
bolſterl maines ſohnne; mich bfiel ain Taife ſchlaff undt iſt mier
erſchiene ain ſondterlich traumgſichgt daß ich thätte ſehn, ain großn
lewe; der lagh uff ain grabhigl nebn ainen kreutz und ſtundte
darnebn die fahne waiß undt blau mit den bildtuß der hai⸗
ligſten jungfraue undt müetter gotteß mariä: und fiech von gbürg
fladtert van ain dickher ſchwarm geyer undt thätte herab ftirzn
uff die fahnne wolt fie zerhack'n, mith ven ſpitz fehnebln die gflig⸗
gelten unthier lajin nit ab undt ten guetn lewe gehts ellen⸗
btighlich; innerdeß (indeffen) blühn uff undt an den grabhigl, um
zehlichg gar ſchönn waiſe hochge lillien tie umbjchürm den
lewe undt die fahnn: vie geyer laſſn nit ab zerpflidgn
bie waißn lillien undt es thätte jämerlichg klagn, und heulin
der lew: ſiech da es liecht wirdt, undt ſtrahlnhell, und hochg in
bimelgewöldh thätte erſchain gott vatter: und mith den zerhackt lillien
in den händte nahn die Engelain undt naign ſichg ehrfürchgtigligh:
gott der vatter ſchaut ann mildt, undt gnedtiglichg die lillien und es
werdte drauß ſchönn grünne matererzwaig (Martyrerzweige) druff
thätte ſchalln himmelß muſickh und ſayn ibergroß jubylirn undt freidt
in chor der engIn und außerwehlten gottes.
Hätte man auch feine hiſtoriſchen Quellen, nah denen man bie
Daten im Calendermanuſcript prüfen könnte, fo wird ſchon jeder Ken⸗
ner fogleih auf ven erſten Blick an dieſer Art des Ausdruckes, an
biefer Orthographie Anſtoß nehmen und die Aechtheit des Manuſcrip⸗
tes bezweifeln. Das „Gemachte« fpricht fich in jeter Seile aus. Man
beachte nur die affectirte Tehnung und Schärfung, ten ganz unna
türlichen Stil, den verbrehten Satzbau, wie fie fih im achtzehnten
Jahrhundert nie und nimmer finden. Dieß Alles ſpringt zu fehr in
bie Augen, al8 daß man einzelne Belege anzuführen brauchte.
Prüft man aber erft ven Inhalt, fo wird man ganz anderer
Dinge gewahr werden. Wir wollen die Auffintungsgefchichte und die An⸗
gaben des Galenvermanufcriptes mit Hülfe der Pfarrbücher von
Kocel, Benediktbeuern, Waakirchen, Weilheim und Gmunb
unterfuchen. Die ganze Auffindungegejchichte ftürzt durch ein Zeugniß
aus Kochel als eine abfichtliche Myſtification in Nichts zufam-
men. Gruber will, wie wir jchen oben erwähnt haben, in ten wife
rienmonaten des freundlichen Herbftes 18274 das Calender⸗
Die oberbayerifche Lanbeserhebung i. I. 1705. 279
manufcript vom Heren Lehrer Anton Bihelmayr erhalten haben.
Das ift unmöglich und völlig aus der Luft gegriffen. VBichelmayr ift
nämlih, wie das Sterberegifter in Kochel nachweilt, ſchon am 7.
Juni 1827 in einem Alter von 78 Fahren in Kochel geftorben! Wie
konn er alfo Grubern im Herbfte noch ein Schriftſtück ausgehändigt
haben? Damit, glaube ich, ift die Findungsgefchichte und zugleich auch
der Charakter Gruber's hinlänglich beleuchtet.
Schon als ich dieſe Entvedung machte, bilvete fich mir die
felte Ueberzeugung, daß das ganze Schriftftüd mit all feinen
Angaben eine bewußte Unterfhiebung Gruber’s fei, der durch einen
Betrug eine v„Sages zur „Geſchichte- zu fteinpeln verfuchte und leichte
glänubige Herzen genug fand, die feine Angabe ohne Prüfung ale
Wahrheit hinnahmen.
Gruber hat ſich lange Jahre im bayeriſchen Hochlande herum⸗
getrieben, er fpürte den Sagen nach, die im Volke lebten, und fo war
es ihm leicht, jeinem Mährchen einen Anftricy von Wahrheit zu ges
ben, zumal er die Keckheit befaß, Alles bis in das Heinfte Detail auss
zumalen.
Nun zu den Angaben im Calentermanufcript.
Die erſte ift durchweg eine Fiktion Gruber's. Ein Pater Als
bertus wer nach ben Pfarraften zu Kochel dort niemals Pfarrer.
Ebenjo wenig nennt das bortige Tobtenregifter einen Martin Mayr,
Schmiebjohn von Kochel, ald am 11. Tag des Weinmeonats 1705 ges
fiorben. Seltfamer Weife zählt das Sterberegifter in Kochel in ven
Jahren 1704 und 1705 gar feinen Sterbefall*). Das Pfarrbuch
it aber vollſtändig unverleßt und es iſt unmöglih, daß tie Jahre
1704 und 1705 aus demſelben herausgefchnitten fein könnten.
Groichtungen find ferner die Angaben: zwei — wir baben
biefelbe bereits früher widerlegt — drei, ſechzehn und fie
benzehbn. Die Angabe vier ift cbenfalld unwahr. Ein Ulrich
Mayr ift nach einer gefälligen Mittheilung meines Vetters, des
Stadtpfarrers Böhaimb in Weilheim, in ven dortigen Pfarr«
amtsalten nicht zu finden. Eined Mathias Maper gefchicht in
denfelben Erwähnung. Derſelbe ift aber am 11. Oktober 1725 in
einem Alter von 66 Jahren in Weilheim gejtorben. Seine Stan»
des ein Weber, war er 42 Jahre lang Sirchenpfleger et erat —
280 Anguft Schäffler,
fo fchreibt das Pfarrbuch mörtlid — vir in functionibus diligen-
tissimus, tempore Caesarei belli contra Bavariae motus pro
conservanda ecclesiae supellectile fidelis et obsequentissimus
etc. Hat Gruber diefen vor Augen gehabt? Das Sterberegifter vom
Sabre 1705 ift im Pfarrbuche herausgejchnitten! Auch die Angaben
fieben und zwölf find troß ihres hiftorifchen Anſtrichs bloße Fil⸗
tionen Gruber’s. Gleichzeitige Duellen und Schriften vor dem Jahre
1835 berichten nicht8 dergleichen. Die Angaben fünf, ſechs, zehn,
eilf und fünfzehn find theil® von Gruber erfunden, theil® ber
Vollsfage entnommen. Die Angaben acht, neun, dreizehn und
vierzehn fußen zwar auf Gefchichte, find jedoch auch nicht ohne Zu⸗
thaten Grubers. Zur Charakterijirumg eines Theiles der Angaben
breizehn und fünfzehn ſei noch hinzugefügt, daß es nach dem
Ausweis rer Gmunder Pfarrbücher und des VBerzeichnijfes der im
Jahre 1705 bei Senbling Gefallenen aus der Pfarrei Gmund *') nie
einen Wagnermeijter Peter Wiefer und nie einen Simmermeifter
NReifenftuhl in mund gegeben. Pofitiv können viefe Angaben
freilich nicht alle widerlegt werben, aber fchen dieſes negative
Nefultat wird die Ueberzeugung wachrufen, Laß dad ganze Schrifte
ſtück eine abfichtlihe Täufhung des Publikums von Seite Gru—⸗
ber's ift.
Nachdem wir nun Hormayr's Angaben vorausgeftellt und ben
Inhalt des Calenvermanufcriptes nebjt Prüfung desfelben haben nadhe
folgen lajfen, brauchen wir die Aehnlichkeit, ja die Gleichheit ver Ans
gaben beider kaum erſt ausbrüdlich zu conftatiren. Was Hormahr
von des Schmiedbalthes Perjünlichkeit angibt, ijt beinahe wörtlich aus
Gruber’8 Aufzeichnungen entnommen. Man vergleihe nur die
Angaben zwei, ſechs, zehn, fünfzehn und ſechzehn des Calen—
bermanufcriptes mit dem, was Hormayr ©. 99 und ©. 102 an-
führt. Webereinftimmend werten des Schmierbalthes Größe, fein Alter,
fein Beiname, feine Stärke, feine Thaten im Zürfenfriege und am
rotben Thurm berichtet. Auch, daß er am rechten Yfarufer 18 Defter-
reicher erjchlagen, taß feine zwei Söhne und der fchöne Zimmermann
Reifenſtuhl von Gmund neben ihm fielen und daß er als ver letzte
feinen Ted in Senpling fand, berichtet Hormayr ebenfo wie Gruber
in feiner drei Jahre früher erfchienenen Schrift. Hormayr erzäßft
—
|
Die oberbayerifhe Landeserhebnug i. 3. 1705. >81
Seite 101, daß 3 Mörſer vie Höhe auf ver heutigen Thereſienwieſe
beberrfchten, und Seite 102 daß Gauthier neben feinem früheren Gaſt⸗
freunde, tem Gmundner Wagnermeifter Peter Wiefer, gefallen fei:
zwei Angaben, vie das Galendermanufcript in Nummer zwölf und
dreizehn berichtet.
Unfere Zeit gilt für eine kritifche und nüchterne; Viele meinen,
daß bei ver allfeitigen Controle der Wiſſenſchaft und der Oeffentlich⸗
kit feine Dichtung im Stande fei, thatſächliche Glaubhaftigkeit
in mweitern Kreijen zu behaupten; Manche glauben, daß dem Volke
felbft wie Stimmung und Neigung verloren fei, ſagenhafte Erinnerun
gen an feine Bergangenheit fortzupflanzen. Der Gegenftand unferer
Unterfuhung — und hierin ſcheint uns das eigentliche Intereſſe der-
felben zu liegen — zeigt das Irrthümliche biefer Vorftellungen. Kin
namenloſer und font talentlofer Yiterat erfindet die Hiftorie eines
Kämpen, melde das eine Verdienſt beſitzt, die Gejtalt eines ober»
bayeriihen Bauern nach dem Herzen ter Bevölkerung in terben Zü-
gen zu veranfchaulichen. Gin berühmter Schriftfteller führt die Ges .
fhichte in Lie Bücherwelt ein, ein artiftifches Denkmal ftellt fie
ver Die Augen ter Menſchen und fofort wird fie zum Gemein⸗
gut des öffentlichen Bemwußtjeins, geht von Ort zu Ort, und
(bt in allen patriotijchen Grinnerungen tes Volkes. Inmitten
des 19. Jahrhunderts fehen wir das Schaffen der Sage in voller
Ahätigfeit.
Anmerkungen.
) Aueführlicheres cfr. Arneth, „Prinz Eugen” und Eugens Corresponden;.
2) cfr. Finſterwald. Germaniı princeps. „VBayern”. Band IV. S. 2303.
2) Zinfterwald. Germania princeps, „Bayern.” Band IV. Seite 2330.
) Die ausführlichen Friedensbedingungen find im Theatrum Europ.ıcum
XVII. 1704. ©. 104 und Binfterwald Germania princeps. „Bayern“
IV. Theil S. 2363 akgedrudt.
5) Die Hauptpunfte bes Vertrages wurden von ber Churfürftin in Bälde
vollzogen. Die Feſtung Ingolſtadt hingegen wurbe erſt am 7. Dez.,
Kufkein am 29 Nov. übergeben. cfr. Europäiſche Fama XXVIII. 259.
Theatrum Europaeum 1704. 105.
282 Auguſt Schaͤffler,
) cfr. Theatrum Europ. 1705. 112.
”) Monatliher Staatsipiegel. Mai 1705. ©. 45 ff.
°) Ueber die Leiden ber Bürger und Bauern vergleiche eine Urkunde, bie
Hormapyr in feinem Tafhenbuh 1835 S 149 fi anführt.
*, Diefelbe ſteht ausführlich in ber europäifhen Yama XXXI. 473. Und
in Finſterwalde Germania princeps „Bayern“ IV. 2865. Theatrum
Europ. 17. Band Jahr 1705. ©. 112.
20) Taſchenbuch für die waterlänbifche Geihichte 1835 von Hormayr ©. 69.
1) Diefe Maafregeln wurben nach ber Adhtserflärung Mar Emanunels voll-
zogen.
1!) Theatrum Europ. XVII. 76.
3) Nach der europäifhen Kama XXXI. 477 am 22. Dez. Nach Finfterwalb
2367 am 21. Dez.
Die europäifhe Kama nennt Bologna als den Ort der Zufammenkuaft.
XXXI. 478. cfr. Thextrum Europ. XVII. 1705. 112 und Hormayr's
Taſchenbuch 1835 ©. 65 u. 71.
26) Der zuletzt angegebene Grund ift wohl ber richtigfle.
Noch andere Gründe, bie mir jedoch die aller unwahrſcheinlichſten zu fein
bünfen, gibt bie europäifhe Yama XXXI. 478 an
10) Theatrum Europ. B. 17. 1705. ©. 113 fi.
N Kinfterwald. „Bayern“ IV. 2370.
ss) Kaftenftein bayerifhe Befchichte III. 815. Monatlicher Staatsfpiegel Mai
1705 p. 45.
19) Guropäifhe Fama XXXVI. 839 fi.
20) Man ift geneigt anzunehmen, und bie europäifhe Fama hat dieſe Un⸗
wahrheit zuerft in die Welt gefandt, daß die Briefe, die vom Churfürften
aufgefangen wurben, eine detailirte Darftelung des bevorfiehenden Auf.
ftandes enthalten haben. cfr. Europ. Fama XXXVI. 839 fi. Dem if
nicht fo; denn wie konnte fonft Mar Emanuel an feinen Obriſt Kämerer
ſchreiben „— man wird ja faiferlih Seits kein Bedenken tragen, biele
3 Briefe überantworten zu laffen“. Theatrum Europ. XVII. 1705, 113,
114 ift der Brief abgebrudt.
Auh Faßmann glaubt an das Märchen ber europäifhen Kama ofr
©. 16.
29) Diefer Berräther war kein anderer ald Baron von Lier. Gr wurde
nah Wien gebracht und beichtete dort, wo Geſchüutz und Diunition ver
graben lagen ac. Guropäifhe Yama XXXVI. 841.
Die oberbayerifche Lanbeserhebung i. 3. 1705. 988
ef) cfr. Limberty Memoires tom. III. 614.
») The.trum Europ. XVII Band Jahrg. 1705 ©. 113.
2) Thestrum Europ. Vil. Band. 1705. 113.
25) Thestrum Europ. 1705. 113.
⁊*) Theatram Europ. 1705 113.
7) Die abenteuerliche Flucht des geheimen Secretaͤrs Urban Bedenftellere,
der in den Blan des Aufftundes vollſtändig eingeweiht war, ift ausführ-
fih von Lory, Sammlung bes bayeriihen Kreisrechts, und Lippert
Abhandlungen der Alabemie ber Wiffenfchaften, Band 11. Theil I. S. 40.
berichtet. In Kürze erzählt fie Raftlos (Advolat Faßmann) in fei-
nem Buche: „die Defterreiher in Bayern zu Anfang bes 18. Yahrhun-
derts“ Seite 19.
” Ein Berzeihniß der Waffen ber Raſtlos (Faßmann) Beilage XI. 127.
”)efr. Theitram Europ. 1705. 114, wo aud bie Gründe, bie ben
Biener Hof dazu beftimmten, angegeben fiub.
”) daß e3 der Churfürftiin verfprochen war. ſteht im Briefe bes Prinzen, ben
er an den neuen Kaifer Joſeph fchrieb (cir. denſelben Theatrum Europ.
1705. 114 nnd Falfenftein III. 815) dort heißt es: „geftalten ohne bem
„der Herr Feldmarſchall Gronsfeld, wie beiliegende Copien aus
„weiten in ber erfteren vom 9. Febr. unferer Frau Mutter einen Paß-
„port zur Rüdlunft accordirt”.
Raſtlos (Faßmann) hat wie fonft, aud hier die Urkunde fehr nach»
1Sifig gegeben. Er hat hier aus bem Theatrum Europ. abgefchrieben.
Fallenſtein III. 815 und europäifhe Fama XXXVI. 842 geben ben
Brief wohl getreuer.
1, efr. Theatrum Europ. 1705. 117.
" In einem Jahre 7 Millionen Gulden! Nur 1,200,000 Gulden waren
in die faiferfihe Kaffe gefloffen. Mollart hatte fih in biefem einen
Iahre 1,500,000 Gulden erfpart und fie in ber Venediger Bank ange-
legt cfr. Theatrum Europ. 1705. 116.
I Wie man babei verfuhr cfr. Monatliher Staatsipiegel Dec. 1805. ©.
78. Theatrum Europ. 1705. 118. Die wehrpflichtige Jugend flellte
fig nit auf den Mufterungsplägen, man griff zur Gewalt, ließ fie bei ber
Naht aus ihren Betten holen und mit Ketten belaftet im Spätherbfi
1705 nah Tyrol fchleppen.
20) Im Unguſt 1705.
ss Die Depntation beflanb aus bem Biſchof von Fahrenbach, dem Grafen
von Torringen, dem Bürgermeifter von Straubing.
OPipociſqe Beisfärift VL Bam. a
Unzup Echiffter,
6) Tie an ben Nailer eingeradte Ferkelung Thestram Europ.
©. 111.
”, Tie ven bier bis zu Ende bes erſten Tbeiles benügten veorzägl
Luellen ſiellen wir, um ;u binfiges &itiren zu vermeiden, Togheid
zufammen.
In eberfier Reihe Recht au Werth für „tie Eendlingerſchlachte ba
Feringer verẽffentlichte Altenküd cfr. Cberbayeriſches Achie XV
334— 314 und WMeidelbela Hist Frising. Tom Il. P:
bazı zur Zeügeihihte: der Menatliche Stautsipiegel
den Jahren 1704. 1705. 1705. Tie eurepiifbe Zama
denfelben Jahren, ebenic Faber's Staatekanzlei, Germ
princeps „2avern“ IV. Hank von ginfterwald, Cäfar Wg
une „ausfährlihe Hiſterie sc. Theatrum Europzaeum Baud
Sallenflein bayeriihe Geibihte Band I. Jebannes Ka
(Faßmann) Denkſchrift „die Ocñerreicher in Bavern* Horm
Taſcheubuch 1835 und 1849. Akten und Ratbéprotokoll
ben Muuchener Stadtarchive.
20) Wie treu Adel und Clerus (beſonders der hohe) zu Kaiſer Joe
ſtanden, beweiſt am beſten ein Edict des Kaiſers an die Adeligen
ben Clerus datirt vom 23 Febr. 1705, in welchen beiden Stünd
größten Lobſprüche wegen ihrer Haltung ertheilt werden Das
ef. Monatlicher Staatſpiegel 1706 Februar Seite 283 fi.
?°) Der fpäter flets gerühmte Plinganſer wird in feiner gleichzeitigen 4
unter den Helden dieſer Erhebung genannt Erſt Heinrich 3
bat ihn zur Hauptperſon gemadıt, tregtem er es durchaus mid
dient Unfer Urtheil über dieſe Perjönlichkeit muß fih anf
Schriftſtücke Plinganiers grüuden. Es if das eine der Berid
Georg Sebaſtian Plinganfer an den Kurfürfen Mar Emanuel!
Bayern über den Bollsaufjtand gegen die Defterreiher in den S
1705 und 1706 welden in einem ungenauen Abdrud 1805 der |
richtsadvolat und Reichsvikariatsagent, Joſeph Gerand Faßmann
dem Ramen „Johannes Raſtlos“ in einer Schrift veröffentlicht hei
ben Zitel führt „die Deitreiher in Bayern zu Anfang bes )
Jahrhunderts.“ Das andere ift ein Altenftüd , das noch umebi
tgl. Archive liegt Es iſt „Alleronberthenig: gehorſambſtes Mem
Georg Sebaſtian Plinganfer vnd deſſen entlafjung ays tem Arrek |
welches der Benannte aus dem Falkenthurm in Münden um
1. Juli 1706 „An ben Allerdurch⸗-Leichtigiſten grofmedtigißen &
Die oberbayerifhe Landeserhebung i. 3. 1706. 985
windtlichiſten, vnd Allergenebigiften keyſer, vnd Herrn zur Hochlöb⸗
lichen Regierung Burghauſen“ geſandt hat. — Vergleicht man beibe
miteinander, fo ergiebt fi) ganz beutlih, daß Plinganfer in ber Ge-
ſchichte durchans dieſen Ehrenplatz nicht verdient, ben er jebt flatt
anbrer würbigerer Männer einnimmt. Gr ift ein ganz unentichloffe-
zer waufelmüthiger Mann gemefen, ber heute öfterreichifch und morgen,
wenn es ohne Gefahr feines Lebens fein konnte,
ober wenn ihn bie Noth bazu zwang, baverifch gefinnt war.
Er ſchildert in biefem Altenftüd, daß er nur buch die Drohungen ihn
zu erihießen zum Anſchluß an die Aufſtändiſchen gezwungen worben fei;
mehrmals habe er verjucht durch Liſt ihnen zu entkommen, aber flets fei
ihm dieß mißlungen. Das mit Wormbs unterzeichnete Patent fei nicht
von ihm, fendern von Forchhammer abgefaßt, und ein gewifler Johann
Wilhelm Heymon habe fih ale I. H. Worms unterzeichnet und „bruchte
fein Börtichaft barunder“. Cr babe flets zum Kaifer gehalten und für
ihn gehandelt, habe den Grafen Tattenbach und zwei verfleibete öſter⸗
reichiſche Spione gerettet c. — Um zu zeigen, wie Plinganfer an ven
Raijer fchrieb, davon eine Probe: „Es beiämerte zwar bas vermittibte
Bayern nit ohne Vrſach den hechſtſchmerzlichen hintritt Ihres Allerburd-
leihtigiften großmechtigiſten, Vnyberwindtlichſten, vnd allergenebigiften leyſers
und Herrn Leopoldj: dero glorwilrbigiften herrn Vattern, vmb will er ſyyi (sic?)
laum glaubete, daſ widerumben ein gleichmeſſige Saufftmueth, gilette, vnd CIe-
menzineinem fürſtlichen geblüeth ſich mit Ihn vermählen ſolte; Aber demnach
Ew. leyſ. Meyſt. Vnſer Allergenedigiſter herr, herr nach glorwürdigiſter Suc-
cession, bie wider allerhechſt gedacht deroſelbe Rebelliſche Vnderthannen
zn allerhechſt keyſ. hulden widerumben annemmen „vnb ben allergdigſt
Pardon ertheillen wollen, ware bo vbergroſſes herzenleidt mehr als woll
erſezt, vnd haben hierinnfalls Em. keyſ. Meyſt bero glorwürbigiften Herrn
Battern au allerhehfter Cloemonz etwas yberſtigen, da zwar auch aller-
hechſtgedacht do hr. Batter das vormals feinbtlich geweien, nachmals ce-
dirte Bayern im die feyf. Protection an: vnd aufgenommen, Gm. feyf.
Meyſt. aber noch yberhin das beſchüzte Landt allergbift conservirt, vnd
obmwollen ef wegen hechſtſtraffbahrer empörung auf das neue mit dem
ſchwerdt bat mieffen gebenpfet werbten, bie wollverdiente ftraff, mithin
dere Berhör: vud Verdörbung nachgefehen, ia nach foll Rebelliicher ent-
zweyung benen vorigen allerhechſt levj. Genaden wiberumben verein-
bahret.“
“) Vergleiche bie vorausgehende Anmerkung.
a,*
Unguſt Schaͤffler,
) Der Churfürſt war an der Erregung bes Aufſtandes nicht betheiligt.
verfidhert das felbft in einem Briefe an feine Gemahlin, bat. vom
Sannar 1706. Die bezügliche Stelle bes Briefes iR m Duchn
bayerifher Geſchiche Band IX, und im oberbäyerifchen Yı
Band XVII. Heft 3 S. 829 abgetrndt; auch Alrams U
(Oberbayerifhes Arhivo Band XVII. Heft 8 ©. 835) weifen auf
beutlichfte eine Unterfhiebung ber Mandate nad. Dr. Schreiber j
hält in feiner Schrift: „Mar Emanuel, Ghurfürf vou Bayern“ ©,
das Manifeft umbegreifliher Weile für Act. Ueberhaupt fei
diefe Arbeit Schreibers bemerkt, baß fie in ben hier einfchlägigem '
tien voll Fehler if. Plinganfer und bie Senblinger Schlacht finb ri
aufgefaßt, daneben iftaber bie Zahl der Landesvertheidiger um Viele zu
angegeben, Bauthier als Anführer berfelben gefett u. f. w. Unferes
achtens ift es auch nicht anders möglih, wenn man innerhalb zwe
Jahre, drei darunter zwei umfangreide Schriften „nur auf Urkun
gegründet“ im Drude herausgeben will.
2) Er hieß Tobias Dettl unb war der Sohn eines Holzhauers, bei
Dienfte des Klofters Benebiktbeuern ftaud. Er war am 9. Septbr. 1
zu Steinbach geboren, erhielt feine wiffenichaftliche Bildung zu „Bene
und Münden. Am 11. Nov. 1676 trat er in bas Kloſter Beue
beuern und erhielt von ber Zeit an ben Namen Elianbus 1
wurbe er zum Vrieſter geweiht. Bald darauf ernannte man ihn
Novizen- Lehrer, etwas fpäter zum Seelforger in Kodel und Bene
beuern und nad bem Tode bes Abtes Blacivus (am 25. Yufi U
wurde er als Eliandus II. zum Abt von Benedictbenern erwählt.
ſtarb im Jahre 1707. Aus Meichelbeds Chronic. Benedict. zufammengef
*3) Mit der vergeblihen Entführung ber dhurfürftlihen Prinzen agi
man befonbere unter deu Beamten. Nicht minder mußte „bes C
fürften Wille“ „feine allerhöchſte Ungnade“ eine Rolle fpielen.
) Man verabrebete fih, am Karlsthor dieſelben auffteigen zu laffen.
#5) Soviel weilen die Muflerungsliften aus cfr. Alrams Bericht. Oberb
Ardiv Band XVII. ©. 838. Kaum ein Drittel berfelden war vn
mäßig bewaffnet. — Durch diefe Angaben tritt die Tapferkeit der Ba
in ein noch helleres Licht.
*) Diefer und Niemand anderer iſt eine kurze Zeit der D!
anfüährer ber Bauern geweſen. Man nennt Gautbier als
Gen, das ift eine Unmöglichkeit. Denn Gauthier verfkand m
einmal deutſch cfr. Oberbayer. Archiv XVIL 838. Zwei g
— Pa
1
|
Die oberbayerifche Lanbeserhebung i. 3. 1705. 287
zeitig erſchienene Drudfchriften nennen Meyr, ihn nennt bie europäifche
Same, über ihn gibt Alrams Bericht ven deutlichſten Aufſchluß. Epätere
Hiſtoriker wichen ohne allen Grund von biefer Thatfache ab.
Ueber ben Anführer, den das Volk als folhen Tennt, über:
„ben Echmieb von Kochel Balthafar Meyr“ vergleihe ben ganzen
zweiten Theil,
#) Naheres Über Alam fiehe im oberbayer. Arhiv Band XVII. S. 330 fi.
) Nachdeme ihme befien Truchement meine propofition erpliciert, mit öfftern
Hepetiern fort bien, vor guet gehalten ” Alrams Bericht oberbayer. Ardiv
Baenb XVII. ©. 838.
” Im Rhaté Brothocoll, Anderes Bud. Stattfhreiberey
MRüuden Pro Anno 1705 findet fih Kol. 182. Die Angabe,
daß der Weinwirth Johann Jäger am 29 Dez. 1705 feines Amtes als
Mitglied des äußern Rathes entfegt und an feine Stelle ber Weinwirth
Döpfl gewählt wurde. —
2) cr. Oberbayer. Archiv Band XVII. Heft 3 ©. 339,
s, Oberb. Archiv. Band XVII, 239.
we) Dberbayerifhes Archiv. Band XVII. Heft 3 Seite 340.
T) Nach Anderen foll der Münchner Bürgermeifter Vachieri den Berrath
verübt haben. Bon wohl unterrichteter Seite fam mir bie Mittheilung zu,
Daß Dettlinger mit Vachieri verwandt war. Es ift baher nicht un-
wahrſcheinlich, daß Bachieri den Dettlinger zu Löwenſtein begleitet, ja
dort ihn als einen verläßigen Boten vorgeftellt umb empfohlen habe.
8 follen nach dem monatlihen Staatsipiegel Dez. 1805 ©. 112 an
disfem Tage and eine Anzahl Cuſaniſcher Recruten zu Pferd in München
angelangt fein.
Monatliher Staatsſpiegel S. 123.
se) Monatlicher Staatsipiegel S. 123.
s”, cfr. Dberbayer. Archiv. Band XVII. Heft 3 ©. 341.
cfr. Anmerkung 44.
„nemblichen baf Sye Münchner, beren angrif durch fleiglafjung einiger
Raquet oder Sturmbſchlags auf St. Peterstyurm, vnns kundt machen
foflen.“
DOberbayer. Archiv. 8. XVII. 9. 3 ©. 340.
Die Landesvertheibiger vor Münden hatten auch fchriftlih Nachricht er-
halten, daß ihr Einverſtaͤndniß mit ben Bürgern entbedt fei unb baß bie
Unterbanerifche Landesdefenſion nicht zu ihnen floßen Fönne.
Oberbayex. Urhiv. Band XVII. Heft 3 ©. BAl.
288 Unguſt Schaffler,
sn fo mit mehr alſ 200 Mann beſezet waren, vnd eroberung bemeltes
Thurns vnd ber baranf geweften 6 Stuchen gelungen.“
Oberbayer. Arhiv. Band XVII. 9. 8 ©. 341.
°o) Beim Bericht von ber Genblinger Schlacht halten wir ums am bie An
gaben Earl von Meichibede Hist. Frising. Tom Il. Pars I. ©. 432 fi,
eines Zeitgenofjen. — Des Herrn Hauptmann Mar Grafen Topor Re
rawitzkky Arbeit fenne ich nicht. Sie ift noch Manufcript. Leber biefelte
fauteten bie feiner Zeit veröffentlichten Berichte: „Herr Hauptmann Gef
Morawitzky Rellte (am 3. Januar 1859) ber Rebaction (des hiſtoriſchen
Vereins von und für Oberbayern) aus feinen reichhaltigen archivaliſchen
Erzerpten zur Geſchichte bes ſpaniſchen Erbfolgelrieges höchſt wichtige Alten
ſtücke über die Schlacht bei Sendling zur Hand, namentlich bie Abjchrift eines
Driginalbriefes bes Gerichtefchreibere Wolfgang Schmidt von Abensberz
I an den hurfürftlichen Rath Dulac im Gefolge Mar Emanuels in Brüffel,
woburd wahrhaft empörende Einzelnheiten jenes blutigen Greignifjes auf
gebedt werben, fo baß bie ihm beigelegte Bezeichnung „ber Mordweih⸗
nachten“ nur zu fehr gerechtfertigt erſcheint. Auch über ben zum Ober
Iommanbanten ber oberlänbifhen Streitſchaar ernannt geweſenen bayeri-
fhen Hauptmann Mayr, ber nach ber Maffacre in die Hände ber äfer-
reichiſchen Adminiſtration fiel und ber Zortur unterſtellt wurbe, brachte
Herr Graf Morawitzky völlig neue, alle bisherigen Nachrichten berichtigenbe
und ergänzende Mittheilungen bei.“ Bon einer Niebermekelung ſpricht
auch die europäifhe Fama und Badieri cfr. Raſtlos. „Oeſterreicher in
Bayern” ©. 144.
*, So wurben nad bisher noch unveröffentlichten Rehuungeausweien, bie
mir durch die befondere Güte bes Herrn Bürgermeifter von Widder
und bes Herrn Archivrathes Muffat zur Einfiht übergeben wur⸗
den, im bürgerlichen Krankenhaus am Anger von Dr. Stebler unb Bader
Sanfon 34 Bauern aufgenommen. Die Verpflegung loflete ber Stadt
148 fl. 83 fr., die nöthigen Mebicamente 81 fl. 22 fr., das Begraben ber
während ber Kur Geftorbeuen 17 fl. 44 kr, alfo in Allem 247 fl. 39 ir.
*) Der Erlaß Tautet:
Joſephus von Gottes Genab, Ermöhlter Röm. Khayfer ıc.
Fürfigtig Ehrſambweiſe Liebe Gethreue ob Wür fhon Bus Eurer Threu,
nah dem anheint Berneurten jurament allergbift Berfichert halten, vnd ob
ber bei iungflerer Bornembung von ber ganzen Burgichafft gefichrten
guetten Condiute allergbiftes gefallen trage So erfordern doch bie iytigen
Coninncturen, auch bießigen Ratt aigeme ficherheit zu erhaltung bei Fr,
Die oberbayerifhe Lanbeserhebung i. 3. 1705. 9
wendtige ruheſtandis, ba ber Man feiner aigner fach ſelbſt nit maifter
fein berffite, alle behdrigen praechutiones zu nenmen. Zumahlen Wür
bau, ganz zuverleſſig Berichtet fein, daſ faft jeber Burger annoch mit feur
gewöähr ia vberfliſſig Berfehen; als Befelhen Wär unbtgebenen Vür⸗
gern unbt zwar iedem in fonberheit, in Unferm allerhöchſten Rammen
allergoſt auffzutragen, baf iedweder yber bie beraits ſchon gelifertem herrn-
au daß annoch in feinen Hanbten habente privat, aigene hauſ gewöhr, in
Slinten, gezogenen feur Robren, Piftollen oder auch Mufquetten Beftehent, Bon
fi, in daf Buergliche Zeughauf fogleich heint noch bei Vnauſbleiblich deter-
minierter leib: und Lebeneftraff, auch Confiscation haab und Guetts Zur
Berwahr yberlifere, der Khonfftig Vergwiſſten reflitution Vnd erfhanbtnuf
halber aber ſolchen gewöhr feinen Nammen Bf Zötlein geſchriben Zuelege.
Welches ſodann in gegenmwartt. 2. Bon Bnf.: VBnd 2". Bon euch beputiers
ter Commiss. Zu ybernemmen, deß Wür Bns Zu gefhechen allergudiſt
Vorſechen Bnd feint ench anbey mit ©. gewogen.
Mäuden ben 29. Dez. anno 1705.
Mar Carl Graf Zu Lebenftein
Administrator.
5) Diefe Angabe ift aus dem Vollsbüdhlein genommen.
“) Ebenfalls aus dem Vollksbüchlein. Das Boll kennt und nennt unr bie
Türlenkriege.
“ Es if dieß Anna Franziska von Luchier, nachmalige Gemahlin Fer⸗
Pinanb von Arko's, vie Mutter des belannten Emanuel Comte de
B:viere. Sie ftarb 1717 in Paris.
9 Auch der verfiorbene 3. Sutner hat nad einer Angabe in feinen 1828
eribienenen „Bermifdten Schriften“ S. 435 die Namen ber in ber
Sendlinger Schlacht Sebliebenen zu fammeln begonnen, „um ihnen ein
geringes Denkmal — im Jahre 1828 war nämlich nocd feines errichtet
— anf Bapier zu ftiften,“ und bereits aus ben Sterberegiftern der Pfar-
reien Lenggries, Egern, Gmund, Waalichen unb Dietramszell 168 biefer
Barrioten mit Tauf- und Familiennamen und Geburtsort in ein Ber:
zeichniß gebracht. Von denen, welche lebend in ihre Heimath zurückkamen,
kennt Sutuer 62 Männer. Sutner flarb, das PVerzeihniß blieb unver-
öffentlicht. Wer feinen literariihen Nachlaß erbte, weiß ich nicht.
, Auch bie im oberbayerifchen Arhiv Baud XVI. Heft 3. S. 306 ff. vom
Grafen Morawitzky nah Archivakten veröffentlichte Weberfiht ber vom
Klofer Benebictbeuern fir das allgemeine Lanvesbefenfionsweien im ſpa⸗
niſchen Erbfolgekrieg aufgebotenen Untertanen, fowie ber längs ber Grenze
290 Anguſt Scäffier,
gegen Tyrol in ben Gebletötheilen ber Klöfer Benedietbenern unb Tegeru⸗
fee vom Jahre 1702 — 1705 getroffenen Bertheibigunge-Anfalten enthält
keinen „Balthafar Mayr“. In der zwölften Corporalſchaft (Kochel) iR
wohl ein Melchior Mairgenaunt, aber fein Balthafar. Der Yemi-
fienname Mayr hat fih Bis heute in Kochel erhalten. Wo aber fände
ch nit der Name Mayr?
es, Derielbe war mit feinen Söhnen bei ber Lanbesbefenfion. ofr. More
witzky'e Weberfiht: Georg Hainrizi &. 318. Jakob Hainrizi unb Johaun
Hainrizi S. 821. Auch ein Joſeph Hainrizi it ©. 320 als Trompete
genannt. Im ber „Spezification“ S. 322 „der Kloſter Benedici⸗
beuerſchen Hausbebienien fo mit Ziel- Rohren verfehen und zu bei
Kloftere Guardia verorbnet ſeynd“ if auch ein Heinrich Andrä Dorf
ſchmied angeführt.
er Nicht ohne Bedeutung ift es auch, daß fih von allen Namen die ber bl
Dreilönige Kaspar, Melchior, Balthafar unter den Kochlern am bäuflg
ften finden. So find unter ben von Morawitzky angeführten 52 Mam
ber XIL und XIII. Corporaffchaft (Kochel) vier Daun, die „Kaspar“,
zwei, bie „Melchior” unb zwei, bie „Balthafar” heißen.
?0) Die zweite Auflage dieſes Vollebüdhleins, bie im Jahre 1849 zu Ange
burg in George Jaquets Verlagébuchhandlung erſchienen ift, enthält 3
Holzſchnitte und bat den Titel „ber ftarfe Schmiebbalthes zu Kochel, Fah⸗
nenträger und Anführer der wadern Hoclänber bei dem bayerifchen Volle
aufftanb in der Chrifinacht 1705.” Grubers Name ale BVerfafler nnd bie
ausführlihe Findungsgeſchichte des Calendermanuſcriptes ift im biefer 2.
Unflage weggelaflen. Hat man fih etwa gar geihämt! —
71) Wir behalten, wo es immer möglich if, Grubers eigne Worte bei, unb
verwahren uns daher ob ber ftellenweife ganz ungenießbaren Diction.
2) ine Epiſode ift noch der Erwähnung werth. Der Hauptmann Gauthier
nämlich kommt nach Kocel und übergiebt dem Schmiebbalthes die Fahne,
worin die Hand ber fhönen Gräfin Arlko den Kamen Mar Emannel ge-
fidt Hatte. ©. 21.
3) Diefem Heren Ntggl, „ber mir — fo ſchreibt Gruber in der ermähn-
ten Brochüre Seite 38 — durch Tiberale Unterftügungen zum Beſitze jo
mander koſtbaren Srforfhung im Bereiche ber vaterländifchen Geſchichte⸗
funde verhaff" wird ein fchriftliches Denkmal in bem genannten Büchlein
gelegt. Sie mag Herrn Niggl theuer zu fleben gelommen fein.
”%) Gruber fagt, er babe Herrn Bichelmayr, der ungemein viel anf Kirchen-
mut und Lectäre gehalten, duch das Geſchenl einer Jugenbfchrift,, umb
En
Die oberbayerifche Sanbesexrhebung i. I. 1705. 201
einiger Begräbnig- Bilder von bem genialen GHoflänger Herrn von
Gchneiber freigebig gemadt. ©. 48.
6. 45.
©) Ih Habe mich vergeblich bemüht, berfelben auf bie Spur zu kommen.
”) Lindenfhmitt. Die Eröffnungefeier des Freskobildes an ber Außenwand
der Seublingeriche fanb im Juli 1830 flat. Es if nit unwahr-
ſcheinlich, daß Gruber für „Selb“ Lindenſchmitt feine „hiſtor iſche Lüge“
aufbürbete ober erft nach Lindenfhmitt's Bild den Traum zc. fabricirte.
’®) Jet Hotel Maulik (Detzer) in München.
2) Das if ſehr verdächtig. Gruber bat, wie es ſcheint, dieß Mandvre öfters
producirt. So theilt er in ben obengenannten „Maiblümchen“ Geite
119 von einem in Klofter Einfiebeln gefundenen Iateinifhen Manuſcript
das dem Titel führen foll: „Speculum Gloriae Teutonicae, posteritati
datum cura et opera Patris Willibaldi Oeffele, inceptum anno Salutis
Christianse CIJIyIN.“ und das er innerhalb 27 Lagen und Nähten auf
157 enggeichriebenen Kopirbogen abgeichrieben haben will, nur einige
zwanzig Zeilen unb zwar beutfch mit. — Nicht minder Verbächtiges
vergleihe „Maiblümden" Seite 182 fi. u. S. 189 fi.
2) Weil Kochel um bie betreffende Zeit noch Leine ſelbſtſtändige Pfarrei war,
fonbern von Benedietbenern aus paftorirt wurbe, habe id mid nad Be⸗
nebictbenern gewandt, ob vielleicht die in Kochel in ben Jahren 1704
und 1705 Geftorbenen fi im bortigen GSterberegifter füuben. Herr
Pfarrer Lihtweis hatte die Güte, das Benebictbeurer Archiv zu durch⸗
fuhen; es fand fih nichts. —
) Das Berzeihniß der im I. 1705 bei Sendling Gefallenen
ans der Pfarrei Gmund lautet:
1) Zocham Sebaftian vom Kapflihufter, ungefähr 30 Jahre alt, led.
2) Möringer Blafins zum Hadl in Dürnbad), 50 Jahre alt, verh.
3) Gſchwaudner Sebaftian zum Romhard in Feſtenbach, ungefähr
35 Jahre alt, verb.
4) Leitner Sebafian zum Seppen in ber Gaſſe, ungefähr 20
Jahre alt, led.
5) Reiter Johann zum Kramer in Bernloh, 60 Jahre alt, verh.
6) Faſchinger Quirin zum Graber in Feſtenbach, ungefähr 40
Jahre alt, verh.
7) Mayr Chryſogomus zum Ertl in Finſterwald, ungefähr 22
Yahre alt, led.
8) Bauer Aegid zum Kohlhauf in Dürnbach, ungefähr 36 Jahre alt. verh.
Auguſt Schaffler.
9) Moſer Johann zum Rayrbäck in Dirnbad, 18 Jahre ei, led.
01) Hd5 Joſeph zum Oswald in Finſterwald, 33 Jahre alt, verh.
11) Hohenadel Wolfgang zum Schufter am Graben bei Dürubad,
40 Jahre alt, verh.
12) Buhberger Mathias vom Branbhof, 33 Jahre alt, Tebig.
18) Spangler Johann zum Heiffremer in Durnbach, 64 Jahre alı,
verheirathet.
14) Schenaner Wolfgang zum Schäfler in Bernloh, 50 Jahre alt,
verh.
16) Auracher Georg zum Knoll am Moos, 23 Jahre alt, ledig.
16) Schußmann Michael zum Schecken in Finſterwald, 50 Jahre
alt, verh.
17) Rott Caspar zum Vögl in Finſterwald, 50 Jahre alt, verh.
18) Loferer Caspar zum Echkſchuſter in Feſtenbach, 21 Jahre alt,
febig.
19) Steinberger Quirin aus ber Buchleiten, 34 Jahre alt, verh.
20) Erlacher Georg von Öfterberg, 33 Jahre alt, verh.
21) Roboger Quirin zum Wuiffer in Dürnbah, 22 Jahre alt,
ledig.
22) Schweiger Abraham zum Paulengel in Bernloh, 40 Jahr
alt, verh.
23) Eder Johann von ber Oed, 23 Yahre alt, ledig.
24) Gſchwandner Nikolaus, Knecht zu Partenhaus, ungefähr 30
Jahre alt, Tedig.
25) Wollfchlager Martin zum Sirt in Binfterwald, ungefähr 30
Jahre alt.
236) Gſchwendtner Simon zum Rechenmacher aus bem Bürgthale
naͤchſt Bernloh.
237) Pöottinger Michael von Marolbn „obiit ex vulnere Sendün
gano 28. Jän. 1706 „et. 24 ann“,
RX.
Ueber die fortſchreitende Entwidlung der geſchichtlichen Stu⸗
dien im Königreiche Neapel von der zweiten Hälfte des
18. Jahrhunderts bis auf die Gegenwart.
Aus dem Italieniſchen
von
Adolf Beer.
Die Hiftorifche Literatur Italiens ift bei uns in Deutfchland
weniger befannt, als fie verbiente. Italien hat im 19. Jahrhundert
eine Reihe Hiftorifer anfzuweifen, vie zu ven beften aller Völker und
Zeiten gehören. Tüchtigkeit und Gründlichkeit der Forſchung, Licht»
volle Darftellung , Begeifterung, ohne die nun und nimmermehr ein
bedeutendes biftorifches Werk zu Stande gebracht werben kann, wird
ihnen Niemand abfprechen, ver fich die Mühe nimmt, jie näher kennen
zu lernen. Es find hervorragende Namen, die zu erwähnen wären,
um die fich eine Maſſe Sterne zweiter und britter Klaffe gruppiren.
Wenn man noch in den breißiger Jahren der italienifchen Hiftorio-
graphie den Borwurf machen Tonnte, fie fei eine Literatur ber Spe-
ztalitäten, ohne Mittelpunkt und Kern, wohl ftrogend von Gelehrfam-
feit, aber nicht von dem frifchen Hauche bes Lebens, von ben wo⸗
genden Sutereffen der Gegenwart berührt, die höchften und wichtigften
Fragen, welche tief in das Leben ber Bölker eingreifen, nicht berückſich⸗
294 Die Entwicklung ber gefchichtlichen Stubien in Neapel.
tigend,, jo hatte man wenigften® theilweife, aber auch nur theilmelfe
Recht. Uber ſchon damals ahnten Kenner, baß fich ein anderer Zw
jtanb vorbereite und erkannten, daß bie eigenthümlichen politifchden und
focialen Berhältniffe Italiens darauf einwirkten.
In den leiten zwei ‘Decennien ift e8 anders geworben. jene
zwediofen Differtationen, Monographien, mit denen Italien früher
überſchwemmt wurde und bie nur ber Austrud eines engberzigen
municipalen und provinciellen Geiftes waren, haben Werken Platz ger
macht, vie eine hohe Aufgabe verfolgen: die Fehler und Mängel ver
Vergangenheit in's belle Licht zu fegen, um eine beffere Zulunft an-
bahnen zu helfen. Das Princip nationaler Freiheit und Selbftftändigfeit
burchbringt alle nur einigermaffen hervorragenden Arbeiten und jem
Tendenzen, welche in der Politif von den beften und tüchtigften Ita⸗
lienern verfolgt werden, find meift von Hiftoriferu angeregt und ges
nährt worben.
Diefelben Einflüße, welche das geſammte Literarifche Leben einer
Nation bedingen, machen ſich auch in tem Stubium ber Geſchichte
geltend. Dieſe kennen zu lernen und bloszulegen ift ebenfo lohnend
als anerfennenswerth. Herr Carlo Ceſſare hat fich der Aufgabe uns
terzogen, bie Entwicklung ter neapolitanifchen Literatur zu zeichnen
und bat die Nefultate feiner tüchtigen Studien im Archivio storico
italiano, einer ausgezeichnet redigirten hiftorifchen Zeitfchrift, 1859
und 1860 veröffentlicht. Sie fcheinen und werth, dem beutfchen Pubs
likum vorgelegt zu werten.
Die Ueberfeung, welche wir hier bieten, fchließt fidh im Ganzen
eng an das Original an. Nur waren Kürzungen nöthig, und manche
weitfchweifige Auseinanderjegung konnte ohne Nachtheil für das Ganze
befeitigt werden. Die Briefform, in ber das Original vorliegt,
brachte e8 mit fi, daß der gelehrte Verfaſſer fich etwas mehr als
nöthig gehen ließ. Einen Brief, ver fich über Vico verbreitet, haben
wir gar nicht, ten über Troya nur theilweife überjegt; bie beiden legten
Briefe mußten fchon des Raumes wegen beträchtlich gekürzt werben.
Die Verdienſte der bervorragendften neapolitanifchen Hiſtoriler
find theilweife auh von Deutfchen gewürbigt worden und bie Urs
theile lauten im Wefentlichen mit ven hier gegebenen übereinftimmenb,
Gefare und Amari haben an Giefebrecht in ver Zeitfchrift für Ge⸗
Die Entwidlung ber geſchichtlichen Gtubien in Neapel 2%
ſchichtswiſſenſchaft von Schmivt 1345 einen ebenfo gerechten als
bmbigen Beurtheiler gefunden und Carlo Troya's Werke hat
Hegel in feiner Gefchichte der Städteverfaffung in Stalien gebührend
gewürdigt. Nur konnten die Yaltoren, welche auf vie Gefchicht«
ſchreibung in Italien überhaupt einwirkten, von unfern deutſchen Hi«
ftoritern ald mit ver Aufgabe, die fie fich vorgefekt, unvereinbar,
nicht dargelegt werben. Und gerade bieje find es, welde Herr Ce-
fare im Auge bat und mit feinem Verſtändniſſe und vichtigem Takte
barftellt. 1
Unzweifelhaft gibt es keine Epoche in der Geſchichte der Litera⸗
tur, die fich mit der 2ten Hälfte des 18. Jahrhunderts vergleichen
Bunte, fowohl was ten neuen Impuls betrifft, den fie ver europäi—
ſchen Cultur verlieh, als vüdfichtlih ver allgemeinen Bewegung,
ver Wünfche, Hoffnungen, Uebertreibungen, Schwärmereien. Gleich
dem Antäus in ver Babel erbebt fih ein Bolt von Schrift:
ftellern und ihnen zur Seite ein noch größeres Volk von Lefern. In
allen Geiftern regt fich ein glühenver Durjt nach Wijfen. Und in-
dem fie den Weg zu dem beißerfehnten Ziele zurüdlegen, machen fie
ungeheure Anftrengungen, wenven fie eine außerorventliche Mühe,
eine unausgeſetzte riefige Arbeit an, und werben bierin von einem
mächtigen Vereine von Kräften und Beſtrebungen unterftügt, bie in
einem großartigen gemeinfchaftlichen Plane fo zu fagen verkörpert
find. Es ift eine Umgeftaltung ver menfchlihen Beſtimmungen, eine
Entwidelung von früher nicht gefannten Fähigkeiten, ein fertwähren-
des Streben nach großen ‘Dingen; furz es ift eine neue Welt, bie
erwacht, kühn genug, fih an tie jchwierigften Unternehmungen zu
wagen, die Alles zu Stande bringen möchte, und vor feinem Hin-
derniffe zurüdweicht, fich vielmehr neue Hinterniffe fhafft, um ben
Ruhm zu ernten, fie überwunden zu haben.
Gelrönte Häupter fchließen fich freiwillig viefer großen Bewe⸗
gung an, und Joſeph II. von Defterreich, Friedrich II. von Preußen
und Katharina von Rußland feren eine Ehre darein, ihrem Burpur«
mantel das befcheivene Gewand des Philefephen und Schriftitellere
vorzuziehen. Mit chnifhem Spotte befämpfen Voltaire, Rouffeau,
Diverot und die Enchelopädiften an der Seine vie alte Welt; in
296 Die Eutwicklung der geſchichtlichen Studien in Neapel.
Deutſchland kämpfen Kant umb Fichte gleich jungen Athleten; im
Stalien fchwingen Beccaria, die Brüder Berici, Genoveſi, Pagano
und Filangeri in offnem Kampfe ihre Waffen; Volta, Galvani ımb
Brijtley bannen die geheimen Kräfte der Natur, und machen fie bem
Menſchen vienftbar; Cook macht feine Runde um die Welt und For-
jter wird der Plutarch dieſer Erbumfeglung; Bernarbin de St. Pierre
und Anquetil unternehmen und vollenden ihre merfwürbige Pilger
fahrt; und Franklin, ver ven Blik in Feſſeln legte, bringt feinem
fernen Vaterlande den Gruß Frankreichs.
Aus diefer allgemeinen geiftigen Gährung, aus tiefem kühnen
Wettlampf von Gedanken und Beitrebungen, tiefen Studien und
Leidenfchaften, drängenden Zweifeln und Hoffnungen, aus bie
jer in Zerfall und Auflöfung begriffenen alten Welt, treten bie
Keime neuen Lebens, neuen Wiſſens, neue Kräfte an’s Licht, bie
den Bildungsftoff einer neuen Welt enthalten.
Während fo das gelehrte Europa in Studien vertieft war und
die neuen Ideen, die jich alsbald in Thaten umzuſetzen ftrebten, alle
Semüther ergriffen, während die großen Geifter damit befchäftiget
waren, bie lebende und jichtbare Natur zu erforjchen, eine neue Ord⸗
nung der Dinge zu ſchaffen, wie hätten jie ihre Mühe und ihre
Studien ver Vergangenheit, der tunfeln, verworrenen, unfichtbaren umd
ungewijfen Vergangenheit zuwenden follen? Die Zeit ves Handelns
ift nicht die des Berichtens. Daher erfchien die Geſchichte in ver
2ten Hälfte ded 18. Jahrhunderts den Repräſentanten des nenen
handelnden Gedankens ald eine einfache wiljenfchaftlide Summlerars
beit, als ein Zeitvertreib für mittelmäßige Talente von unfruchtba-
rer Gelehrſamleit.
Die Zähigkeit, mit der man an den neugejchaffenen Syſtemen
fefthielt war fo groß, daß die Enchelopätiften im Gefühle der Roth
wendigfeit mit der Vergangenheit und ben aus derſelben überkomme⸗
nen Kinrichtungen zu brechen, die Gefchichte mit lauter Stimme
für etwas Unnüges erklärten; Alles müjje von Neuem angefangen
werden, die Menſchheit habe lange genug in ben Zuſtänden der alten
Barbarei, ver Beſiegerin ber römiſchen Republik gelebt. "Die
felben alten und gemeinen Wiſſenſchaften,“ ſagten fie mit Campa⸗
nella, machen bie Achtungswürdigfeit der Menſchen geringer.
Die Entwidlung ber geſchichtlichen Studien in Neapel. 297
Daber beten vie Geſetzgeber ven Volkern Neues und Merk⸗
mwärbiged. Denn neue SDoctrinen machen ben Fürſten bewunde⸗
unge» unb actungswürdign.
Während fie das Paradoxon von der Nutzloſigkeit der Geſchichte
prochamirten, während fie fich mit Abfcheu von allem Ueberlebten und
VBerzangenem abwandten, geberbeten ſich fpäter die Männer des Nas
ttonalconvents in ihrer Kleidung und in ibren öffentlichen Reben
gan; wie bie alten Römer, und viele wollten Paris nad dem Zur
fchnitte des alten freien Rom ummobeln, ohne auf bie Zeit, ven
Drt, und die Bedingungen des menfchlichen Geiſtes Rückſicht zu neh⸗
men. Kin lehrreiches Beiſpiel, wie Lebereinjtimmung in den Aus
fhauungen, bei gleichzeitiger Berjchievenheit in Sitten beftehen Tann.
Denn alle Geifter an der Seine waren gleicher Meinung über vie
Auslofigleit der Gefchichte, welche ihren Plänen zur Umgeftaltung
des wijjenfchaftlichen und fecialen Lebens nicht förberlihd war. Man
führe uns nicht die Schriften des Marquis d' Argens, Condorcet's
und Anderer ald Gegenbeweis an, denn vie nene und kühne Nich-
tung, welche tiefe großen Talente rer Gefchichte des Menſchengeiſtes
gaben, befräjtigen und bejtärfen vielmehr meine Behauptung über ben
Umfturz; des Alten. Ja das Uebergewicht ter neuen Ideen war
ſelbſt ein Hinderniß für die Verbreitung der Lehren Vico's, ber in
der Gefchichte einen neuen unbelanuten Weg einfchlug, der in ber
Folge von ten vorzüglichiten Geijtern in ven erften Jahren unferes
Jahrhunderts verfolgt und in ein helleres Licht geſetzt wurbe.
Indem vie Jtaliener, an der rajchen allgemeinen wiifenjchaftlichen Ent⸗
widlung, die damals in Europa vor jich ging, und felbjtim entlegenen Ame⸗
rifa einen Wiederhall fand, theilnahmen und jie unterftüßten, ließen fie
die Gefchichte außer Acht, fo daß dieje fange Zeit hindurch jeder Förde⸗
rung entbehrte. Und was das Stönigreich (Neapel) betrifft, da wa⸗
ren alle Köpfe begeiftert von Antonio Genoveſi, dem Wiederberfteller
der öconomijchen und philofophifchen Disciplinen,, hing Alles an den
Lippen des Vario Pagano, der mit größtem Scharffinne die kühnften
philofophifhen und politifchen Theorien, als Hanptgrundzüge der
bürgerliden Ordnung und tes Brivat- und öffentlichen Nechtes aufs
ftelte; horchte Alles mit Sefpanntheit auf die edle und berebte
Sprache des Gaetano Filangeri, ter eine ideale Geſetzgebung con-
298 Die Eutwiclung ber geſchichtlichen Stubien in Neapel.
fteuirte und bieburch zu lobenswerthen Reformen aufmunterte ; ſuchten
alle Belehrung in den Schriften des Filippo Briganti, Giufeppe
Balmieri, Ferdinando Sagliani, Domenico Eicillo und vieler anderer
verzäglicher Autoren, die mit ben Genannten die Umgeftaltung ver
pbilofophifchen, ölonomifchen, politiihen, phyſikaliſchen, mebizinifchen
und chemifchen Wilfenjchaften anjtrebten, und feiner fühlte das Be
bürfniß, fich an das Vergangene zu erinnern, ja man verfchmähte es,
fih erntlih damit zu befchäftigen. Allein die alten Gelehrten, ges
reizt burch foviel Zurüdfegung, blieben nicht ruhig, daher erjchienen
wohl niemals fo viele Gefchichten von Kirchen, Klöjtern, Stäpten,
Dörfern und Ländern, in ven neapolitanifchen Offizinen, als eben in
der 2ten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Allein dieſe Gejchichten wa⸗
ven das, was fie in foldhen Händen fein mußten, ungeorbnete Zur
fammenjtellungen von unwichtigen Begebenheiten, welche durch bie
befchräntte Anfchauungsweife des Erzählers zu großen und ungerecht
fertigten Ereigniffen, zu glänzenden Unternehmungen und denkwür⸗
digen Unglüdefällen erhoben wurven , oder Anefootenfanmlungen von
glüdlichen oder unglüdlichen Königen, Helven u. dgl. Diefe Dinge
wurden jtet® in einem tragifchen Style vorgetragen, der, je dunkler
er war, befto mehr als dem Tacitus Ähnlich angefchen wurde und
ben Beifall des Hiftoriferd erwarb. Ueberhaupt befchäftigte fich bie
Gefchichte vornehinlih mit den höhern Schichten ver Gefellichaft;
lobte vie todten Fürjten, ohne bie Lebenden zu beleidigen, denen man
ſchmeicheln mußte, fie mochten noch jo ſchlecht fein, machte ſich in je
ber Beziehung den Herren angenehm, und vernachläjjigte ven namen-
Iojen Pöbel; fie ftand weiter in feinem Zuſammenhange mit der ges
ſammten Menfchheit. Nichts deſto weniger müjfen wir, um gerecht
zu fein, viele Ausnahmen gelten laffen, welche mehr als die Ges
ſchichtswerke im eigentlichen Sinne, gelehrte Arbeiten über wichtige
Documente darjtellten, oder Erzählungen minder bekannter That⸗
ſachen, welche das intellectuelle, politifche , gefchäftliche und bürger-
liche Leben ber ältern Bewohner der jürlichen Gegenten Italiens ober
der Provinz Apulien und Sicilien betreffen.
Bor allem Andern heben wir eines ver gelehrteften Werke rüh—
mend hervor, welches in jener Zeit bei ung erfchienen ift, es ift das
Wert des Aleſſio Simmaco Mazzochi über die Bronzetafeln,
Die Entwicklung der gefhichtlichen Studien in Neapel. 299
welche in der Gegend bes alten Heracler') gefunden wurbden. Sn ver
Einleitung und in ven Collectaneen ſpricht ber berühmte Verfaſſer
von dem Urſprunge der Städte Siri, Eraclea, Tarent, Metapont,
Sybaris oder Turio, Sybaris II oder Lucia und Lupia, Canlonia,
Reggio, Bibone, Belia und Peſto, und fördert, ihre Wappen erflä-
rend, viel Unbekanntes zu Tage, heilt manches Dunkle auf, und rechte
fertigt Vieles, was geläugnet oder nicht angenommen wurde, und
leiftet auf dieſe Weife der Gejchichte des alten Großgriechenlands
wichtige Dienfte.
Giuſeppe Antonini behandelt den alten Staat Lucania?)
bis zu Ende des Bürgerfrieges, ver mit Verleihung bed römifchen
Bürgerrechtes fchloß; ferner die Gefchichte fpüterer uns näher liegen»
ver Zeiten, wie auch deſſen geographifche Eintheilung, Grenzen, Ge-
birge, Flüſſe, Meere, Injeln, Städte, Schlöffer, berühmte Männer
und vorzüglihe Probulte.
Serrafino Tanſi erzählt tie Gefchichte des Kloſters zum
Erzengel St. Michel in Wontefcagliofo, und fein Buch verfchaffte
ſich troß der fchlechten Schreibart eine gewiſſe Wichtigkeit, durch die
Beräffentlichung von 24 Karten, nebft Diplomen und päpftlichen
Yullen von 1065— 1231, die viel Licht über die Gefchichte unfrer
Rormannifchen Fürſten verbreiten’).
Francisco Saverio NRofelli veröffentlichte bie
»Grumentiniſche Geſchichte⸗); Bita Giliberti die „ Unter«
!) Commentarii in Regii Herculanensis Musei aeneas tabulas Heracle-
enses Neapoli 1754, tom 2 in fol
?) La Lucanis. Napoli 1745 in 4. Diejes Werk erſchien zuerſt ao. 1745
und wurbe 1750 in einer vermehrten und verbefjerten Auflage, vom
Berfafler ſelbſt beiorgt, wieder gebrudt ; eine britte Anflage erichien nad
dem Tode bes Autors im Jahre 1795, und bie Ate 1817.
?) Historia chronologica monasterii S. Michaelis Archangeli Montisca-
veosi, Congr. Casin. Ord. 8. Benedicti ab a 1065 ad a. 1484 ex
ejusdem monasterii tabulario depromta. Accessit series genealogica
Prinecipum benefactorum monasterii ex Nortmannica Altavilana stirpe
deducte. Neapoli 1746 in 4. (ein jehr feltenes Buch).
) Btorla Grumentina. Napoli 1790 in 8.
Oißerikäe Beitfäeift VL Band. M
800 Ueber die Entwicklung ber gefchichtlichen Gtublen Im Neapel.
fuchungen über das Vaterland des Lucan!); „Placido Troyli bie
allgemeine Gefchichte des Königreichs Neapel*)», welche viel
berfpruch erfuhr“); Natale Maria Cinaglia «die Venufſiniſchen
Antiquitäten '), worin der Verfaſſer behauptet, die Stadt Venofa fei
von den Umpbriern gegründet, dann von den Pelasgern befeffen, ſpa⸗
ter von den Samnitern eingenommen worten und fchließlich in ben
Befig der Römer gerathen, welche jpäter eine dem Stamme ber He
ratier zugefchriebene Kolonie darin anfievelten; in demſelben Werke
werben auch vie Schidfale ver Stadt und ihrer Behörden, ver
Handwerlerinnung, bes Theaters, der Kirchen, des Appifchen Weges
und der Veberrefte aus dem Alterthum, welche vafelbft bewahrt wer
ben, erzählt und viele Inſchriften mitgetheilt; er ſpricht ferner von
ber Lage der Stabt, deren Ausdehnung, ver Fruchtbarkeit ihres Be
dens, ihrer Zerftörung burch die Sarazenen und von ihrer Wicher
beritellung zur Zeit Kaiſer Ludwig's II. Diefem Werke fchließt Rd
eine Schrift von Michelangiolo Lupoli an, welche viefelben Dinge
behandelt; nur daß noch einige Briefe über die Venufinifchen Schrifb
fteller und über das Leben des Horaz hinzukommen °).
!) Ricerche sulla patria di Ocello Lucano. Napoli 1790 in 8.
?) Storia generale del Reame di Napoli, Napoli 1748 — 1754
in 4. 5 Theile in 11 Bänden.
2) Unter andern auch von Antonio Zavarroni „Das Borbanbenfein
und bie Giltigleit ber von ben normännifchen Fürſten, ber
Cathedralkirche von Tricarico für das Gebiet von Monte
muro und Armento bewilligten Privilegien, gegen bie An-
griffe der modernen Kritiker vertheibigt” Neapel 1749 in A.
und Giuſeppe Palmieri welcher in Form eines Briefe an 8.
Gerardo de Angelis eine „Dilfertation über das Vorhandenſein
und bie Giltigkeit ber von ben normännifchen Fürften ber Kirde
von Triaerico gewährten Privilegien” Neapel 1751 in 4. ver
öffentlichte.
*) Antiquitates Venusinae tribus libris explicatae. Neapoli 1757
in 4.
*) Iter Venusinum vetustis monumentis illustratum. Neapoli 179 ..
in 4.
Die Entwickinng ber geſchichtlichen Studien in Neapel. 301
Domenico Tata handelt von ven gefchichtlichen Ereigniffen ver
Rbte: Venoſa, Lavello, Melfi, Rapolla und Barife, und theilt viele
imifche und hebräifche Inſchriften aus dem 8. Jahrhundert mit').
aucefcantonio Grimaldi veröffentlichte die „Annalen bes
sigreiches Neapel⸗, welche jpäter vom Abbate Ceftari?) fortge-
E wurden. Domenico Forges Davanzati eine „Difjertation
7 die zweite Gemahlin des Königs Manfred und ihre beiden Sin-
=>), verſehen mit vielen aus dem Archive ber erzbifchöflichen
che feiner Vaterſtadt Trani gezogenen Documenten ; Giufeppe
aria Salanti feine „neue hiftorifch - geographifche Befchreibung
ver Sicilien“ *); der Marcheſe Spiriti die „Memoiren der Co⸗
tiniſchen Schriftfteller” °); Lorenzo Ginftiniani die «hiſto⸗
Sen Memoiren der Schriftiteller über Reichögefetfunbe” *); der Ab-
e Soria bie nhiftorifch » kritifchen Memoiren der neapolitanifchen
fdyichtfchreiber” ’); Antonio Xobovico Antinori bie „hifteris
en Memoiren ver brei Provinzen ver Abruzzen‘), welde, ob»
th nur eine unvolllommene Sammlung gefchichtlicher Notizen ohne
dnung und Zujammenhang in fchlechter Schreibart, dennoch theil-
üfe Bervienftliches enthalten.
Unter all’ viefen Schriftftellern (und fie find dic befferen) fin-
m wir nicht einen ausgezeichneten, gefchweige einen vollfommenen
leſchichtſchreiber, wenigſtens keinen folchen, der die gefchichtliche Wif-
') Lettera sul monte Vulture. Napoli 1778 in 8.
) Annali del Regno di Napoli. Napoli 1778 in 8.
2) Dissertazione sulla seconda moglico del re Manfredi oe su’ loro
figliuoli. Napoli 1791 in 4
*) Nuova Descrizione storica egeografica della Sicilie. Napoli 1787 —
17%. 4 vol. in 8.
®) Memorie degli scrittori Cosentini. Napoli 1750.
6) Memorio storiche degli sorittori legali del Regno. Napoli 1787 —
1788 vol. 3 in 4.
?) Memorie storico - critiche degli Storici napolitani. Napoli 1782.
®) Memorie storicho delle tre provincio degli Abruzzi. Napoli 1781
1782 e 1783. Vol. 4 in 4.
a *
502 Die Entwidiung ber geichichtlichen Stubdien im Menypel.
fenfchaft wirklich geförvert, oder der Gefchichte eine neue Bahn eröffne
bätte. Wohlgab es unter ihnen männliche Geijter und tiefe Köpfe, allein
fie verftanden es nicht, fi) von ver Gefchichte einen rechten Begriff
zu bilden, und daher vermijchten fie tie Glemente verfelben,, das ne
türliche und urfprüngliche Streben, vie erften Urſachen ver Creiguifke
fennen zu lernen, mit ben antiquariichen und philelogifdhen Studien,
die mit der Gelehrſaukeit verknüpft fine. In der That mmßte ſich
auch in einem Lande, wie in Neapel, voll alterthümlicher Erinnern⸗
gen und befäet mit Ueberreften alter Denkmäler und Ruinen und is
jener durch tie Entdeckung ganzer ausgegrabener Städte bereicherten
Zeit, eine Vorliebe für die Alterthumskunde geltend machen, und p
den ernfteften Forſchungen auf dem Gebiete ver Philologie auffer-
bern. In jener Zeit hatten wir fehr gelehrte Männer, weldye bie
Welt rücfjichtlich der Alterthumskunde verwirrt machten, aber die ven
Giacomo Martorelli, Niccolo Ignarra, Michele VBargas - Macciners
und vor allen Antern von Alejfio Simmaco Mazzochi geärnteten
Kränze verdrehten den ausfchließlich der Gefchichte gewidmeten Mär
nern vollends den Kopf, und anftatt fich den philojopbiichen Studien
und der „neuen Wiffenfchaft” zuzuwenden, verlegten fie ihren gamzen
Fleiß auf die Kenntnig der orientaliichen Sprachen, um geſchicht⸗
lide Marmortafeln, alte Vaſen und Inſchriften zu erklären,
aus denen fie die Thatfachen fchöpften, welche ſodann als weſentliche
Momente zur Abfaffung von Geſchichtswerken dienten. Diefe That
fachen jedoch waren oft die Propucte ihrer vorgefaßten Weinungen
und fühnen Gonjecturen, vie nicht felten von Anderen geläugnet wur
den. Daher find unſere Gefchichtfchreiber aus ver 2ten Hälfte des
18. Jahrhunderts nicht einmal von Seiten der Wahrheit ihrer Aut
einanderjegungen ſchätzenswerth.
Cine Blüthezeit ver Hiftoriographie war aljo das 18. Yahrhuw
bert nicht; Hingegen war es eine Epoche der Neugeftaltung in jever
Beziehung. Der Rüdblid in die Vergangenheit, ohne dieſelbe ber
Gegenwart gegenüber zu halten und die Zukunft vorberzufehen, war
fein Fortſchritt, und daher mußte jede gefchichtliche Arbeit, felbft in
den Händen eines Giacinte Gimma, der in ber italienifchen Literatur:
gefchichte Tiraboſchi die Bahn vorzeichnete, und eines Giambattifta (x
paffe, der in der Art die Gefchichte der alten und modernen Philoſophie
Die Entwidiung ber geſchichtlichen Studien in Neapel. 8083
reiben Brnder’s Wegmeifer ward, ihren Zweck verfehlen, und hin⸗
rm Ziele zurücdbleiben. Die Einzigen, die noch in gutem An⸗
s fieben, bie einzigen, welche troß ihrer Irrthümer und ihrer
afamen falfhen Richtung alle übrigen Generale und Spezial«
üchtfchreiber jener Zeit überlebten, waren Carlo Bechia und
yele de Jorio. Der Erjtere handelt mit gefunver Kritik und Ge
Heit von unfern Geſetzen und Gerichtshöfen, ber letztere erzählt
zeſchichte des Seerechtes. Allein ſowohl in jener durch den Tod
Zerfaffers unvollendet gebliebenen, als auch in dieſer Geſchichte
De Jorio findet fich ein gemeinfames Band, das auf bie neuen
mungen jener Zeit binweift und bas ift ihre Hinneigung zu
angeitrebten Reformen und ihre Hoffnung auf deren Verwirkli⸗
1; das war genug, ihren Ürbeiten den Erfolg zu fichern, fonft
w auch fie gleich dem übrigen Troß heutzutage vergeffen und un-
an).
Nachdem die große und mächtige Schule des Genovefi, des wah-
krlöſers der italienifchen Geifter aus den Irrlehren des Epicu⸗
Gaſſendi zerftreut war; nachdem jene eble Richtung des Den-
aufgehört hatte, welche die Philofophie als das oberjte Princip
vernünftigen Erklärung, als bie Regel eines wohlgefitteten Le—
betrachtete; nachdem jene Wiffenfchaft der Politit vernichtet
welche von dem Grundfage ausging, daß die Bedingungen bes
ichen Lebens nicht fowohl durch gewaltfamen Umfturz, als viel-
"auf vem Wege friedlicher Reformen auf dem Felde der Gefet-
ıg geändert werben müſſen; nachdem jene großartige ſtaatsöko—
ſche Entwidlung geſchwunden war, welche vie Lehre vom Ger
wohl mit allen Zweigen des menfchlichen Wiffens zu verknü⸗
‚, and auf das moralifche und ftaatliche Leben der Nationen zu
m ftrebte; mit einem Worte, nachdem jene große Bewegung,
umermübdliche geiftige Xhätigleit, welche der Stadt Neapel in je-
Tagen ben Namen des italienifchen Athens erwarb, aufgehoben
nachdem das Handeln aufgehört hatte, begann das Erzählen
*, und mit größern Fehlern als je zuvor. Das Land wurde
‚ Des Bud Jorio's if in mander Beziehung auch heute noch branchbar.
504 Die Entwidiung ber gefhichtlichen Gtubien im Reapel
von Scribenten überſchwemmt, bie ſich's zur Aufgabe machten, ben Ur
fprung und bie Chronik dieſer ober jener freiberrlichen Familie, bier
ſes ober jenes Großen, ober irgend einer Sirche, eines obfenren Dev
fes oder Ländchens zu verherrlichen; und Alles wurbe von ben Gries
chen und namentlich von Diomedes abgeleitet, als hätte er allein das
Land mit Städten und Orten befäet.
Die Unkoſten diefer ganzen wirren Maſſe von Gefchichtchen um
fabelhaften Mittheilungen über Land und Leute beider Sicilien tr
gen die beiden gefchichtlichen Werke, welche Pietro Napoli Signe
relli veröffentlicht hat, das eine über die Eultur der Völker bes ganzen
Königreiches ') und das andere über die alten und modernen Thea⸗
ter ), Arbeiten, welche, obgleich mit edlem Eifer und mit einem Auf
wanbe von ungewöhnlicher Gelehrſamkeit gefchrieben, doch weit hinter
ihrer Aufgabe zurücblieben. Im verfloffenen Jahrhunderte war ber
alte Gedanke wenigftens gut dargeftellt, und überaus gelehrte Leute
unterftüßten bie Erzählung ver Thatſachen durch die Wiſſenſchaften,
und fchöpften neue früher dunkle und unbefannte Facta mit Hilfe ver
Alterthinnstunde aus Inschriften in Steinen, alten Monumenten, ans
andgegrabenen Städten, aus Papieren, Kalendern und aus ben Ge
fegen der urjprünglichen Befiter diefer Landſtriche. Daher drang ber
Name eines Mazzochi durch das gunze gebilbete Europa, und er
warb feinem Träger und deſſen Vaterlande die höchſte Ehre. Allein
nach den Kämpfen von 99, während ter eriten 15 Fahre unferet
Jahrhunderts blieben die Wieteraufwärmer ter alten Gejchichten und
die obſeuren Erzähler der Ereignijfe ihrer Zeit, ſelbſt was bie
Wahrbeit und die Auswahl betrifft, weit hinter ihren gelehrten Bor
gängern zurück.
Nach einer denkwürdigen Epoche, in welder Athleten kämpften,
Vivende della colturs delle Due Sicilie. Napli 1793. Die reikiz-
drsſte Auegade in die von ISIO 22d 1811.
N Storia eritiea de’ tearri antichi e mwierri Die erte Urs in
x Seden rise 1ESD, init werifentidee Der Bertarfter zer Arzt
Addisioni un 3 15389. Die eeikictiste Aussıe ı8 Ne wen Iahır
1513 ım I tom.
Die Eutwiiung der geſchichtlichen Studien in Neapel. 305
man, nachdem biefe wieber verſchwunden und bie wenig übrig
benen Helden in Schweigen gefunten find, gewöhnlich ein Heer
Zygmäen erſtehen, welche gleich einer gemeinen Inſektenſchaar
pen Leib eines großen Mannes berfallen und ihn über und über
ben. Das geſchah auch in Stalien nach den blutigen Ereig«
von 99. Die ebſcuren und obumächtigen Gefchichtfchreiber ver
x und Länbchen, der Kirchen und Beiligthümer, anftatt die Ges
e, die fie fi zur Aufgabe gemacht hatten zu fchreiben, fpran-
om einem zum andern über, und ergingen fich in gemeinen
ädungen gegen die Kämpfe bes Vaterlandes, und ließen ihren
echtigten Zorn aus gegen das eigene Land und das heilige An⸗
ı unglüdlicher aber edler und großer Männer.
Höchſt entrüjtet über biefe Pietätlofigfeit und vielleicht aus einem
ten Grunde beeilte fih Melchior Delfico den alten und
s Bararoriemus von der Nutzlofigfeit ver Gejchichte zu behaup⸗
Viele glaubten, der berühmte abbruzzifche Schriftjteller habe,
loßem Zeitvertreibe, dasjenige wieder geltend gemacht, was einige
Wide Enchelopäbiften über dieſen Gegenſtand bereit8 angedeu⸗
sten, und Manche machten ihm dieſes in mehrfacher Beziehung
Borwurfe. Delfico hat wahrfcheinlich fein Wert in der Abficht
ieben, jenem muthwilligen Schwarme von Kirchthurm⸗Geſchicht⸗
yern Einhalt zu gebieten, welche felbjt das Anſtandsgefühl ver«
„ das boch jedem Schriftfteller innewohnen follte. Indem er eine
ige Geſchichte als unnütz tarjtellte, legte er die Art an die Wurzel
ſchädlichen Pflanze und raubte ihren Pflegern ven Kikel, ſich einen
ı zu erwerben. Daburh gewann zwar das Paradogon im
be nichts an Wahrheit und Berechtigung, allein der berühmte
des Autors, der bereits fo viel Licht über jtaatswirtbfchaftliche
ıftände verbreitet hatte, die Sonderbarkeit ber entwidelten Theo⸗
nd bie große Oppofition, welche ‘Delfico’8 Werk hervorrief, hat:
nen mächtigen Einfluß auf den Abjag tes Buches, welchem in
burzer Zeit bis zum Enbe 1814 die Ehre wiberfuhr, 3mal
egt zu werben.
— —
Pensieri sulla storia e su la incertesza ed inutiliti della medesima
del cavalier Melchiore Delfico. dte Ausgabe Napoli 1814.
806 Die Entwidiang ber geſchichtlichen Stubien in Neapel.
Unter fo viel obfeuren Namen und Werken, mangelte es dennoch
nicht an einigen gefchichtlichen Arbeiten, die eine rühmende Erwähnung
verbienen, und geeignet find, die Ehre der Talente dieſes Theiles von
Stalien zu retten. Lorenzo Guiſtiniani fanımelte ein werthvolles
und feiner Zeit fehr gefchättes Dizionario istorico - geographico,
welches troß vieler Irrthümer und Anachronismen immerhin eu
beachtenswerthes Werk bleibt '). Es war und ijt noch Beute bie Duelle
jener Stabtchroniffchreiber, welche ohne irgend eine Kritit und Her
meneutik anzumenden alle Fehler, felbft bie falfchen Daten die in die
volumindfen Werke Giuſtiniani's ſich eingefchlichen Haben, blindlinzt
nachfchreiben.
R Emmanuele Biggiano veröffentlichte die Memoiren ver Stabt
Botenza, heute die Hauptſtadt der Provinz DBafilicata’), worin e
zuerft die alten Lucaner und ihre Schickſale beſpricht und hierauf zu
Geſchichte der Stadt übergeht, die Reihe ihrer Bifchöfe, ihrer Vaſallen
und berühmten Dänner aufzählt, ihren Zuftand befchreibt, und fchließ
lich einige antike potentiniſche Marmordentmale erklärt.
Nicola Vivenzio fchrieb „bie Gefchichte des Königreiche
Neapela?). Er hatte Diamone vor fi, fo daß feine Arbeit, bei aller
Vortrefflichkeit einzelner Theile, mehr eine Rechts⸗ als eine Civil⸗
Geſchichte geworben ift.
Am meilten beachtenswerth jedoch ift der hijtorifche Verſuch über
bie neapolitaniiche Revolution von 1799°), verfaßt von Vicenzo
© oco, dem neuen italienifchen Zacitus. Coco gehörte jener heiligen
Phalanx von Männern an, weldhe im 18. Jahrhundert fi vurd
Gelehrfamfeit und Talent auszeichneten.
Wie aus den Annalen, aus ven Gefchichtsbüchern, und dem Leben
Agricola’8 von Tacitus, fo tönt und bisweilen aus den Erzählungen
des ernſten und feierlichen Erzählers der Schidfale Neapels ein Ton
tiefiter Trauer entgegen; und fo fehmerzlich er über ven Sturz ber
') Dizionario storico-geographico ragionato del Regno di Napoli 1797—
1805. 10 vol. in 8.
!) Memorie della citta di Potenza Nap. 1805 in 4.
3) L’istoria del Regno di Napoli. Napoli 1816 in 8.
*) Baggio storico su la rivoluzione napolitana del 1799. Milano 1809 in 8.
RE
Te
Die Entwiiung ber geſchichtlichen Gtubien in Neapel. 807
Ordnung Hagt, fo tröftlich ift ihm die Erinnerung an bes Vater»
8 Intelligenz, feinen Ruhm, und feine beroifche Tugend, von
yer er auch in einer andern Schrift, worin er bie Sitten unb bie
Seit der alten Italioten ver großen Welt befammt machte‘), mit
u lebhaften Anfptelungen auf die Gegenwart unnachahmliche Bei⸗
e bringt.
Aehnlich den großen Gefchichtsfchreibern der griechifchen und
nifchen Welt Herotot und Tacitus hielt fih auch der Bürger
Eivita Campomarano von pfüchologifchen Wbftractionen fern. Er
whtet die Dinge in concreter Weife, unb wo er das Ideale bes
eilt, da Heidet er es tet in die Form der wirklichen Gegenwart.
er ift Coco der Teste Hiftoriler, ven man ven hoben Geiftern
antilen und bellenifchen Welt anreihen Tann und darf, welche bür⸗
che orer praftifche genannt werben könnten, da fie an ven Staats⸗
men einen thätigen Antheil nahmen, oder doch zu nehmen würbig
a, wenngleich äußere Urfachen fie an dieſer Theilnahme binberten.
II.
Bon 1734 bis 1821, während eines Zeitraumes von 80 Jahren,
das Königreich beider Sicilien ver Schauplag großer Thaten und
ufchvoller Ereigniffe, die von Umſtänden eingeleitet, begleitet und
(gt waren, bie bei andern Bölfern Europas ungewöhnlich find.
plicher Wechjel der Dynaſtien, Regierungsformen, Gefetze, ber
te und der Sitten; Kämpfe zwifchen Heeren und Völkern auf
ſem Felde, wie auf öffentlichen Plätzen, innerhalb wie außerhalb
igenen Gebietes, Umgeftaltungen in ver Denk- und Hanblungsweife,
a Wiffenfchaften und in der Literatur, in ber Gefeßgebung und Ver-
ung, in ben allgemeinen Angelegenheiten und in den Yamilien, uner«
bare Beifpiele von Muth, Tugend, Wiffen und Heroismus, neben
Hörter Feigheit, Inconſequenzen, Widerſprüchen, Irrthümern,
cath und Verbrechen; unbezähmbare und ſtets wachſende Frei⸗
zbeſtrebungen, an bie ſich jedoch extreme Parteiſucht und Ri—⸗
tät ſchloß, und denen blutige Saturnalien, Hinrichtungen, Proſecri⸗
Platone in Italia, Milano 1806 vol. 8 in 8.
308 Die Entwicklung der gefchichtlihen Etubien in Meapel.
birungen und allgemeine Kämpfe folgten; vie wiberfprechenbiten Echid>
fale und Erfolge, unerklärliche Widerfprüche in dem @ebahren ber
politifchen und militärifchen PBerfönlichkeiten, der Fürften und Regie⸗
rungen, ber beligen und Plebejer; unerwartete Invaſionen und Die
naftienwechfel, falfche DVerfprechungen und Verfpottung verrathener
Völker; außerdem fchredliche Vulfanausbrüche, Erbbeben, welche ganze
Provinzen verheerten, zur Verzweiflung treibende Theuerung, allge
meines Elend und Seuchen: das find die Huuptereigniffe, bie in we⸗
niger als einem Jahrhunderte gefchehen find. Alle diefe Thatſachen
hatten in dem Bewußtfein zeitgenöjfifcher Gefchichtfchreiber Teinen
politifhen und rationellen Werth, und mit Ausnahme Euoco’8 verftand
es feiner währen beinahe eines Jahrhunderts, vie entfernteren That
fachen aufzufuchen, und fie in nationalem Sinne, mit echt italienifchem
Gefühle und mit einer Einheit in der Anjchauung der unendlichen
Mannigfaltigkeit ver Thatjachen und Wechjelfülle, auseinanderzufegen.
Einige glaubten, wenn die Dinge gewilfenhaft auseinandergefegt wür⸗
ben, fo würden fie von jelbjt reden, ohne einzufehen, daß fie nur
Falſches reden müffen, wenn ben Thatſachen, fo gewiffenhaft fie ges
fohrieben fein mögen, falfcye Urfachen zu Grunde gelegt werben.
Andere begnügten fich mit einer Beredtfamfeit ohne Lebenswärme und
Begeifterung, und während fie die großen Mufter des Alterthums an
biftorifcher Beredtſamkeit übertroffen zu haben glaubten, häuften fie
bloß pompöfe, unfruchtbare und leere Bagatellen aufeinander. Zudem
hatten die blutigen Thaten einer fchredlichen Vergangenheit, die noch
friſch im Untenfen der chnmächtigen Gefchichtfchreiber lebten, fie fo
ſehr eingefchüchtert, daB fie fogar vorfüglich logen; auf dicfe Weife
hörte die Gejchichte fogar auf, das zu fein, was fie ihrem Namen
nach jein muß, und wurde ein unverbauter Roman. Gin allen fehlte
das logiſche Band, welches felbit die verjchievenartigften Theile zu
einem Ganzen verbindet, in allen das Nationalgefüpl, in allen vie
wahre Idee des Baterlantes, denn darunter verftand Jeder bie Stat,
das Ländchen oder das elende objcure Dorf, in welchem er geboren
war, unter Nation das Land, und Stalien hießen die centralen und
fubalpinifcgen Staaten ter Halbinfel. Nicht wenige fahen im König-
reiche zwei befondere Nationen, die Sicilifche und die Neapolitanifche,
und juchten in offenem Hader die Herrfchaft ver einen über bie
Bm
4%
Die Entwicklung ber geichichtlichen Studien in Neapel. 809
entre geltend zu machen. Die municipalen Jämmerlichkeiten alſo
biſdeten in jeder Hinficht die Grundlage und den Ausgangspunkt aller
unfrer Geſchichten.
Allein nach dem großen Handel der Völker in Wien i. %. 1815,
nachdem Italien als ein erobertes Land betrachtet worden war, bloß
weil es nichts gethan hatte, um das franzöfifche Joch abzufchätteln),
nachdem Defterreich zur alten Lombardei auch das Veltlin und Venetien
webft dreihundert Meilen Seeküfte hinzugefügt hatte, und durch Befegung
der Throne von Toskana, Modena und Parma mit verwandten Prin-
zen, feine Herrſchaft auch über Mittelitalien ausgebehnt hatte; nachdem
vie alte und die von den Yranzofen in die Halbinfel gebrachte neue
Ordnung abgefchafft, die alten italienifchen Einrichtungen ale für
ben Frieden Europa’s gefährlich erklärt worden waren und Vorurtheile
an die Stelle liberaler Zwecke traten, da merkten die evelften Geifter
den Scharen, welcher aus dem Municipal:Wefen und daraus entjtan«
ben war, daß auf ber Halbinfel ein Staat dem andern gegenüber als
Ansland galt. Nun begannen Literaten und Dichter von Italien zu
fprechen, über deſſen Knechtung durch die Fremden zu Hagen, und ber
nenen Richtung ber Literatur entfprechend bildete fich vie öffentliche
Meinung; allein die Parteien fuhren dazwifchen und verbarben Allee.
Unter den Auſpicien des berühmten Grafen de Maiftre bildete fich
vie Geſellſchaft der Sanfediſten, welche ſich Guelfen nannten und
deren Streben tabinging, ganz Italien unter der Oberherrichaft bes
Papftes zu vereinigen. Die Liberalen hingegen, welche von ver ent⸗
gegengefeßten Partei Ghibellinen genannt wurden, ftrebten tahin, ven
Sapit feiner Gewalt zu entkleiden, und Italien frei und unabhängig zu
machen, unter dem Scepter besjenigen Fürſten, ver für dieſe Ideen
impfen wärbe; bie unglüdjeligen Kämpfe ver Parteien erneuerten
die alte Feinpfchaft zwifchen ven Söhnen einer und derfelben Miutter
and riefen durch bie unüberlegten Aufftände von Neapel und Turin
neues Weh, neue Proferiptionen und neuen Sammer über Italien
herbei.
Diefe Bewegungen jedoch galten als ein feierlicher Proteft gegen
vie Verträge vom Jahre 15, und wären von noch größerer Wirkung
N) Worte Lorb Caſtelreagh's im engl. Parlamente 20. Märy 1815.
810 Die Entwicklung der geſchichtlichen Gtubien im Neapel.
gewefen, hätten nicht bie Kämpfe ber entgegengefeßten Parteien bie
Richtung verfälfcht, welche die Vernünftigen dem Nationalgefühle ge
geben hatten. ebenfalls war das Fahr 1821, in Anſehung bes
Principe der Unabhängigkeit Ytaliens das Programm zum Sabre
1848, fowie biefes wieder ein großes Vorfpiel zu dem großen Drama
war, beffen Cataſtrophe ſich in günftigern Zeiten und unter beffers
Auſpicien löfen follte.
Von diefem Ausgangspunkte an begannen die vorzüglichften Geifter
auf verfchievenen Wegen und mit verfchievenen Mitteln thätig zu fein, umb
fie nahmen um ihre Behauptungen zu beweifen Zuflucht zur Geſchichte.
Solcher Geftalt wurde die Gefchichte das Feld für die künftigen Be
ftrebungen, ver Wegweiſer der öffentlichen Meinung für bie Zukunft,
die Wederin des Nationalgefühle, die Enthüllerin der vaterlänbifchen
Zrabitionen, bie VBerbefjererin vergangener Irrthümer in vielen hoch⸗
wichtigen Dingen.
Der Kampf der entgegengefegten Meinungen nahm feinen Aus
gangspunft von ben weitern und tiefern Stubien über bie Doctrinen
Dante's, des nationalen Dichters, wenn es ſich um die Nationalitätt
frage banvelte, denn keiner wußte beſſer als Dante fie zu formuliren,
in ihren künftigen Entwidelungsftabien vorauszufehen, und der Rechte
einbeit, der Unabhängigkeit des Staate® und dem wiebgrgeborenen
Nationalgeifte zu coorbiniren.
Diefe durch die vaterländifche Weberlieferung erhaltene und in
einer ber Entwicdlung ver Dante’fhen Ideen minder günftigen Zeit
in ber lebendigen Perfönlichkeit Nicolo Macchiavelli’8 verkörperte
Doctrin hielt den Keim der nationalen Ideen in ten ftarriten Geiftern
lebendig.
Indem nun die mit Dante und Macchiavelli übereinſtimmende
Partei in allen ihren Arbeiten dieſe Ideen immer wieder aufnahm
und gründlich darauf einging, begründet fie gefchichtlich die Anſicht,
daß Italien nicht eher das fremde Joch abjchüttlen und feine heiligen
Rechte einer Nation und feine Freiheit wieder erlangen könne, al®
bis es die weltlihe Macht ver Päpſte leugne und befämpfe. Bon
Pipin bis auf die neuefte Zeit (fagten fie), fei das Papſtthum, um
fich felbjt die Oberherrfchaft zu fihern, ver Stein des Anftoßes für
die Einigkeit Italiens gewefen. Da aber bie Eriftenz, die Einheit
nel 19
Die Entwidiung ber gefchichtlichen Studien im Neapel. 311
Die erfte Bedingung einer Nation ift und bie zeitliche Gewalt des
Papftes fich dem wiberfegt, wie eine taufenpjährige Gefchichte bemeift,
fo fei es bie Pflicht ver Ftaliener, das eigentliche Hinverniß ihrer
Rationalitätsbeftrebungen zu befinmpfen. Das mühe die erfte Sorge
fein, das Uebrige würde ſich finden.
Die entgegenftehende Partei eiferte vor allem für bie Freiheit
mb hielt dieſe auch dann für möglich, wenn der Fremde im Haufe
fi. Er würde aufhören, es zu fein, wenn zwifchen ven italienifchen
Bölkern unter der Anführung des Papftes fich ein feſter Bund gebildet
baben würde. Ohne Freiheit, ſagten fie, fei Feine Befferung des Schick⸗
ſals Italiens möglich und die unermüdlichiten Beſchützer ver Freiheit
feien von jeher vie Päpſte gewefen, fie hätten die italienifche Cultur
vom lintergange gerettet, das Webergewicht der barbarifchen Herr⸗
ichaft gehinvert und die Fremden gegen einander gehegt, um den
tatholifchen Glauben und daher auch die abendländiſche Eultur aufrecht
zu erhalten. Wenn auch die weltliche Macht der Päpfte wirklich ber
Einheit ver Nation hinderlich gewefen fei, fo fei dieſes Hinderniß ein
providentielles gewejen, weil ohne bafjelbe die antern Nationen ben
letzten Rettungsanfer für ihre Unabhängigkeit und Cultur vernichtet
hätten.
Diefe Parteien, welche noch feinen Namen hatten, Hätten einen
aus dem Wejen der Suche bergeholten befommen fönnen und zwar
hätte man die eine tie nationale und die andere bie municipale nen—
nen dürfen. Allein der große Haufe, welcher ſich um bie veränderten
Berhältniffe ver Zeiten, der Creignijfe, Beſtrebungen, Dynaſtien, Re-
gierungen, Conjtitutionen, Geſetze und königlichen Privilegien nicht
fümmerte, gab ihnen, den alten gefchichtlichen Ueberlieferungen folgend
die Namen ver Öbpibellinen und Guelfen, als wäre fein Unterfchieb
zwifchen unfern Zeiten und benen des Papftes Hildebrand, Fried»
rich's Barbaroſſa's und Alerander III., Friedrich's II. und Inno⸗
cenz III., Manfred's und Clemens IV., und als könnten auf dem
ewig wechſelnden Felde der Geſchichte dieſelben Thatſachen wieder⸗
kehren, dieſelben Menſchen wieder erſtehen. Dieſe Stichnamen erhiel⸗
ten auch die Hiſtoriler, je nachdem ihre Arbeiten von nationalem oder
mnnicipalem Geifte befeelt waren.
812 Die Entwidiung ber geſchichtlichen Stubien in Neapel.
Während biefer heißen Kämpfe erfchien bie Gefchichte des König |
reich8 Neapel von 1734 bi 1825 von Pietro Eolletta. Bis zw den
Zage, an welchem biefe Gefchichte, die Frucht Ianger anhaltender umb
mühſamer Arbeit durch den Drud veröffentlicht wurde , herrichte ein
gemeiner Empiriemus auf gefchichtlichem Gebiete, da man bloß bie
verfchiedenen Thatſachen äußerlich aneinanderreihte, ohne ven tiefer
verborgenen Urfachen ver Begebenheiten nachzugehen‘). Colletta binge
gen, weit entfernt, fich an ver bloßen Oberfläche zu halten, brang im
dem er unfere Gefchichte fchrieb, in ihre verborgenpften und entfernteften
Gründe ein und fuchte Alles mit der hohen Idee, bie fein Werk be
herrſcht, in Einklang zu bringen. Er fchrieb tie Gefchichte nad
Art der Lateiner; ohne jeboch den Einfluß der Vorſehung auf den fe
cialen Fortfchritt zu Täugnen; und, in Hinficht auf dieſen hat er
einen kühnen und unferer Zeit würdigen Sprung gemacht.
Es ift wunderbar, wie ein Menſch, deſſen »erfte Erziehung ver-
fehlt war”, ein Menſch, dem „das Leben ber That die Zeit zum
Studium raubte ?), durch die bloße Kraft eines erjtaunlichen Ta
Ientes, durch Feſtigkeit im Entfchluffe, und Geduld zu einer langen
und unaudgefegten Arbeit, im reifen Alter eine Gefchichte zu Stande
gebracht Hat, welche die clajfifchen Formen erneuernd und aus bem
Alten das Neue entwidelnd, überbieß ber italienischen Geſchichte eine
beffere, wenn nicht neue Bahn vorzeichnet. Das ahnten ſchon Capponi,
— — — ⸗2
1) Dies if der Ball bei ber „Geſchichte bes Königreichs Neapel wen
Arrighi”; der „Geſchichte von S. Marino“ von M. Delfico; ber „Ge
fchichte des Königreich® Neapel unter ber bourbonifhen Dynaſtie bie zum
allgemeinen Wiener Frieden“ von De Angelis, Neapel 1817 in 8. 8 vol,
ben „Hiftorifchen profanen und religiöfen Memoiren der Stabt Matera*
von Della Bolpe, Neap. 1818 in 4.; der „hiftorifhen Abhandlung über
bie Stadt Teano“ von Bezzullo, Neap. 1820 in 8.; ber „Geſchichte von
Pozzuoli“ von Balatino, Reap. 1826 in 8.; den „hiſtoriſchen Memoiren
Afragola's“ von Kaftaldi, Neapel 1830.
?) Lettera di Pietro Colletta a Giacomo Leopardo 30 gennais 1823
nell’ „Epistolario del Leopardi Napoli 1856.“
Die Entwidtang ber gefchichtfichen Studien in Neapel. 818
Giordani, Leopardi und viele andere tüchtige Maͤnner, benen Eolletta feine
Getchichte vorlas, che er fie durch den Druck veröffentlichte.
Allein die zeitgenofjiiche Gefchichte, von einem Wanne gefchries
ben, ver größtentheil® fi an ben erzählten Ereigniffen betheiligte,
mußte Gegner und Feinde finden, und Colletta hatte deren fehr viele.
Einige befchulvigten ihn der Parteilichkeit, und antere ter Animofi-
tät gegen damals noch lebende Perfonen. Ohne Zweifel hat die Ges
ſchichte dieſes Neapolitanerd auch ihre Irrthümer; irrthümlich ift,
was er über die municipalen Wahlen, über tie Abfchaffung des Hei-
figen Officiums, über die Macht des heiligen Conſiliums, über bie
Rotirirung in den gerichtlichen Urtheilen, über einige Reichsgeſetze,
ud über mehreres Andere fagt, was ſich auf die öffentliche Apminis
ration bezieht; allein diefe Fehler find unvermeiblich bei einem Sol⸗
daten, der fein Leben auf Schlachtfelvern zubradhte, und dem Zeit,
Muße und die notbwenrigen Stuvien fehlten, um in das alte und
wene Legislative Gebäute des Reiches einzubringen. Ueberdieß ent«
kehren einige Thatfachen ver nöthigen Documente, um das zu bes
weiten, was uns ter Gefchichtichreiber glauben machen will. Wer
aber das unglüdliche Leben des Verbannten, bie Unmöglichkeit , fich
diefe Documente zu verfchaffen, une antere ähnliche Gründe erwägt,
wird Colletta wegen ber von ihm verfochtenen Irrthümer durch ten
Mangel genauer Notizen über Thatfachen, tie ſpäter nach ber Wieder⸗
anffindung koftbarer Schriftftüde erſt ins helle Licht gefegt werden konnten,
entſchuldigen. Abgefehen von diefen, in einer langen und fehwierigen Arbeit
oft unvermeidlichen Fehlern, ift die Geſchichte von Colletta eines tüchtigen
Antors wärbig undeine ver fchönften, was Einheit im Blanc, Freiheit in der
Gefinnung und im Urtheil, was Styl und Sprache betrifft:
Eigenfchaften, vie ihm von tüchtigen Männern den Namen eines aus-
gezeichneten Gefchichtfchreiber6, und vom Volke ven eines eifrigen
Barteimannes und eines Shibellinen erworben.
An ven wichtigen Fragen, vie damals bie helliten Köpfe Ita⸗
liens fortwährend befchäftigten, nahın feinen Antheil auch Giufeppe
di Gefare; und feine Stubien über das „Leben Dante's, Die
Brüfung der götlihen Comödie“ und fein „Arrigo di Ab-
batte” hatten ihm in ten Stand gefegt, eine ſchwierige gefchichtliche
Arbeit zu vollenden, welche von Vielen gewünfcht wurde, ſowohl in
314 Die Entwiliung ber geſchichtſichen Erubien in Neapel
Ralien als in Deutſchland, wo Niemand die wahren Urſachen
welche zum Sturze des hobenftaufiichen Haufes bei uns unb damit
auch in Dentfchland beigetragen haben, anzugeben wußte. Die ghi-
bellinifche und guelfiiche Partei hatten bie Thatfachen unjerer Ge
ſchichte, die ſich anf bie kurze Periode der Schwabenherrfchaft beje⸗
ben, entftellt; und aus faljchen, nicht genug Haren Urfachen, hatten
unfre Chroniften und fpäteren Gefchichtsfchreiber noch falfchere Com
fequenzen gezogen; fo galt in den Augen aller Welt und in gebik
deteren Zeiten fogar ber bievere und ritterliche Manfred, einer ber
weifeften und ebeljten dürften, bie dies jchöne Land beberrfchten, fir
illohal, treulo®, ungläubig, ja ſogar für einen Bater- und Bruder
mörder. Doc vie bunlelfte Periode der Gefchichte des 13. Zubrkum
derts war jener Uebergang von 1250 zu 1266 d. h. bis zur Schladt
von Benevent, wo mit einem Streiche die Monardhie, das Heer,
Treue, Muth, Tugend, ſchützende Gefege und dffentliche Freiheiten
verfehwanden, und mit dem Triumphe Carls von Anjou die Knecht⸗
fchaft des Reiches für mehrere Jahrhunderte begann.
Diefe Lücke wollte Giufeppe di Cejare ausfüllen, und fchrieb zu
biefem Zwed feine „Geſchichte Manfred's, Königs von Sicilien um
Apulien ).“
Bei dem Mangel an Denkmalen und öffentlichen Alten 28
nig Manfred's, melde von ven Anjous verbrannt und ger
ftört worden waren, bei der Leidenfchaftlichkeit und Rohheit ver
gleichzeitigen Zeugen, bei dem niedrigen Beſtreben ver jpätern Ge⸗
fchichtsfchreiber, einen ritterlichen Fürſten von italienifcher Geburt
und Erziehung und von italienischen Geifte zu verunglimpfen, wunbte
di Ceſare, um in die wahren Gründe der Thatfachen, in ihre Hein
ften Befonverheiten einzubringen und in ber Finfterniß das Wahre zu
erfennen, die forgfältigfte Aufmerkfamfeit an, und prüfte auf das Ge
wiffenhaftefte alle Schriften der gleichzeitigen Zeugen, fie mochten
guelfiich oder ghibellinifch fein, hielt die Thatſachen und vie Daten
jever Thatſache, wie fie von ben verfchiedenen Hiftorifern dargeſtellt
1) Storia di Manfredi re di Sicilia e di Puglia. Volumi due, Ne
poli 1887.
Die Entwidiung der geſchichtlichen Studien in Neapel. 315
erden, gegen einander und ftellte fie den öffentlichen Aktenſtücken und
teinungen der Zeit, in welcher jene Thatſachen gejchehen find, ges
näber. Auf diefe Weife ftand Niccolo di Jamſilla, ein ghibelli-
ſcher Sefchichtfchreiber, dem guelfiihen Saba Malaspina, die Chro-
fien Ricobaldo da Ferrara und Pipin von Bologna dem Vlatteo
pinelli da Giovenazzo, die authentifchen Memoiren und öffentlichen
ktenſtũcke der römifchen Curie ven wenigen, aus ber Regierungszeit
danfred's übrig gebliebenen Urkunden gegenüber. Diefe Dinge verglich er
sh mit den fpätern Gefchichtsjchreibern, von Coftanzo, einem ent-
hiebenen Quelfen, bis zu ten ghibellinifchen Prälaten Forges Da-
nzata, und gewann fo ven Vortheil, viele chronologifche Irrthümer
zichtigen, manche jcheinbare oder wirkliche Widerſprüche der Ge-
bichte rüdjichtli Manfred's ausgleichen und endlich bie wichtigeren
sagen über bie jtreitigen Punkte löfen zu Fünnen.
Aus dieſer tiefen Kritik, die allein bingereicht hätte, einen
xchriftſteller berühmt zu machen, ging jene Wahrheit rein und ungetrübt
ervor, welche der Haß, die Leidenſchaft und das Intereſſe der Par-
sen zu verbunfeln ftrebte, zum Schaden eines wadern Fürſten,
er die große Idee des Boetius und Pietro delle Vigne in’d Werf
sen wollte. Allein wenn auch die Geburt, bie VBerbältniffe unn bie
on Manfred unter der Regierung Conrad's und während bed Pon-
filates Innocenz IV. und Alexander's IV. vellführten Thaten, bie
wdern Unternehmungen tes großherzigen Königs, jeine Regierungs⸗
andlungen von jeiner Thronbeſteigung bis zur unglüdlichen Schlacht
on Benenent, die Menfchen und Dinge jener Zeit beleuchtet waren ;
venn auch die Verläumdungen vernichtet waren, die man einem Mo—⸗
archen aufgebürdet hatte, ver unfer Land überaus liebte; fo waren
8 boch weniger die wahren Urſachen, welche ten Fall der Deutſchen
a Stalien befchleunigten. Denn es war nicht nur bie römiſche Gu-
ie, die mit offener Feindſeligkeit und heimlichen Berfolgungen ihnen
ie Herrfchaft über das Land entriß, ſondern weit mehr noch vie po-
itiſchen Fehler Friedrich II., vie in offnen Wiverjpruch ſtanden mit
einen weifen Gejegen und mit den Anfichten ver Mehrheit ver Böl-
er, welche guelfijch geſinnt wareu: die fortwährenden ungerechtfertig«
en Angriffe auf vie lombardifhen Städte, bie Granjamleiten,
velche von ihm in feinen legten Lebensjahren gegen die ficilianijchen
Piſtoexiſche Zeitſchrift VI. Bow. 22
316 Die Entwidlung ber geſchichtlichen Studien in Neapel.
und apulifchen Barone, nie ohnehin über ven Verluſt ihrer Immmi⸗
täten Klage führten, und gegen feine treueiten Ratgeber verübt war⸗
ben; ferner der zum Nerger des Papſtes zur Schau getragene Atheiömnus,
in einer Zeit voll aufrichtigen fatholifchen Glauben, in der ein Yranz v.
Affifi, ein Dominifus v. Gusman, ein Thomad ve Aquino, ein
Pietro Martir, eine Clara v. Aſſiſi und eine Rofa da Viterbo Wunder
wirkten; endlich feine Freundlichkeit gegen die graufamften Tyrannen ber
Zrevigianifchen Mark, welche auf der ganzen Halbinjel verhaßt waren
— alles das wirkte mit zu feinem Sturz. Edel warfeine Abficht, alle Theile
Italiens unter einem Ecepter zu vereinigen ; aber die Zeit war dem Unter
nehmen nicht günftig. Friedrich wollte bloß durch Strenge und Wef
fengewalt feiner Herrfchaft ganz Italien unterwerfen, als die Päpfe
noch in zweifacher Hinficht eine große Gewalt darauf ausübten, ale
noch zwei Drittel der Italiener entfchievene Guelfen waren, als
ben tapfern Söhnen der Kämpfer von Legnano noch friſch in Erin
nerung ſtand, daß ihre Väter an ber Adda und am Teffin fieben
beutfche Heere zerftreut und zerfprengt hatten, bie der ſchreckliche
Barbaroſſa anführte, und als das Land noch ven Verluft feiner Ner
mannifchen Fürſten beflagte, und bei tem Antenfen an ben wilven
und rauhen Heinrich VI. ;itterte.
Auh noch andere Gründe, bie zum Fall des hobenitan-
fifchen Haufes in Neapel beigetragen haben, ließ bi Ceſare unbe
rüdjichtigt, indem er das flägliche und fchnelle Ente ver ‘Deutjchen
einer einzigen ausfchließlichen Urfache, nämlich dem Haffe, den Yu
triguen und ben Bannflüchen ver römifchen Curie zufchrieb. Gr
verfiel in biefen Srrthum, weil er die Unfchuld Manfred's im Ange
hatte, der ven Berbrechen feines Vaters fremd war, und nichts von
Conrad's Graufamkeit befaß: allein er berachte nit, daß die Fehler
in ber Bolitif fowie vie Ungerechtigkeit der Großen ver Erbe ent
weder auf fie jelbft zurüdfallen, oder auf Kinder und Enkel ihre
Wirkung erjtreden. Für diefe Wahrheit bietet die Geſchichte
unendlich viele unabweisliche Beifpiele, welche ſich mit einer Ste
tigfeit der Urfachen und Wirkungen wiederholen, daß feine Thatſache
der Welt ihre hierin gleich kommt. Abgeſehen davon, muß bie
Geſchichte Manfred's von di Ceſare als eine gewifjenhafte und um
parteiifche Arbeit angefehen werben. Ueberdieß eilt feine Darftel-
Die Entwidiung ber geſchichtlichen Studien in Neapel. 317
lung raſch, wirkſam und unmittelbar vorwärts, wird nicht von Ab-
ihweifungen unterbrochen ober von unnützen Diecufjionen aufgehal-
ten und ift von feiner Leidenſchaft verblendet. Er rechtfertigt ein
jedes Ding an feiner Stelle durch ummiderlegliche Documente, authen-
tifche Memoiren, mit öffentlichen Akten und Originalcitaten aus (Ges
ichichtsfchreibern, Chroniften und alten Codices und gelegentlichen Er-
läuterungen in ten Noten, bie zu Ende eines jeven der ſechs Bücher
feiner Geſchichte angefügt find. Styl und Sprache entfprechen ganz
ver lebendigen Schilderung und ver Wirte des Buches. Di Gefare
lieferte aljo ein in jeder Hinſicht vortreffliches Wert, welches jenem
nationalen Rechte entipricht, das in ber Folge in ten Werfen von
Männern, welche vie lebenbigjte Verförperung ver italienifchen Unab-
hängigfeit waren und ſind, weiter entwidelt wurde.
Unter ver fchönen Zahl verjelben that fich einer als männlicher,
heller und edler Geijt hervor, Antonio Ranieri, ver die hochgeſchätzte
„Geſchichte Italiens vom 5. bis zum 9. Jahrhunderte“ veröffentlichte.
In dieſer ift mehr als in jeder andern tie Iliade der Uebel, wenn
man fo fagen darf, ausgeprägt, welche Italien peinigten, nachdem
Habrian I. Karl ven Großen in die Halbinjel gerufen, und Leo Erzbifchof
ton Ravenna ihm ven Plan und vie Art gezeichnet hatte, wie er den Lon⸗
gobarden zum Trog die Alpen überjteigen könne. In dieſem Aufruf, fagt
Ranieri, verbarg fich die Abjicht des Papſtes, weltlicher und geijtli-
ber Fürſt zu werben; dieſes fuchte er durch verftedte Mas
nöder zu erreichen, indem er bie ganze Gefchicklichkeit nnd das
räpftliche Anjehen anwandte, um vie Yongobarten gegen ihren Sou—
verain aufzuwiegeln. So fiel in Stalien vie Königliche Macht der
Longobarden, und an ihrer Stelle erhob jich vie kaiſerliche Macht ver
äranten, nicht in Italien, denn in Italien Eonnte fich dieſelbe nie
behaupten, fontern im Auslant. Tiefe kaiſerliche Macht räumte Ita⸗
lien keine Rechte über irgend eine Nation ein, gab aber vielen Na—
tionen den Borwand, ein Recht über Italien auszuüben. Wieviel
Ungläd, wieviel Blut und Stnechtjchaft Tiefer Vorwand über Ita⸗
lien brachte, weiß tie ganze Welt, und es betarf dazu nicht meiner
Gefchichte. Die Pongobarten fielen, um ven Franken Play zu machen,
diefe übertrugen auf andere Ausländer und dieſe wicker auf andere
einen Titel, welcher für jeden Antern beveutungslos, bloß für Italien
N*+
318 Die Entwicklung ber gefchichtlichen Studien in Neapel.
die Bedeutung hatte, daß er es von ven Alpen bis zum äußerften
Ende Siciliens mit Blut überfchwenmte.” Dieſes Urtheil, zuerft von
Mackhiavelli ausgefprochen, wurde von ben beften Geſchichtſchreibern
wiederholt, die nach ihm kamen; allein keiner wußte bejjer als Ra-
nieri e8 als natürliche und nothwendige Folge der Thatſachen darza⸗
ftellen, indem er Karls des Großen Zug nach Italien als eine Cala
mität für unfer Vaterland auffaßte.
Ranieri ging noch einen Schritt weiter, rückſichtlich der rationellen
Idee der Gejchichte und der natienalen Gefinnung. Erſtens umfaßt
feine Gefchichte die gefammte Nation und betrachtet fie als folde;
zweitens fett er an vie Stelle der Einheit Italiens unter einer Herr
fchaft, die von ter Gewalt ober dem Ehrgeize dieſes oder jenes
Fremden ausgeübt wird, die Idee ver Gollectivmadht ver ta
liener, als das ausfchließlich italienische Princip, worurch das Weſen
der Nation begründet würde. Allein die Vorliebe, mit welcher er bie
bürgerliche und politiiche Gewalt vor ver religiöjen bevorzugt; einige
beftige, wenn auch nicht ungerechte Ausfälle gegen die römifche Curie;
bie weite Entwidiung, welche er ter nationalen Idee gab; jener eble
Stolz, mit ficherem Auge alle Theile der Halbinfel zu durchlaufen
und fie mit einander zu affimiliven, auch jener Stolz, mit welchem e
felbjt bei den größten Mißgeſchicken fich voll Herz und Muth, veil
Würde und echt italienischer Liebe fühlt, verleiteten Viele zu vem
Ausfpruche, feine Gefchichte fei Feine Geſchichte, fontern die ftolzefle
und gelehrtejfte Vlanifeftation der alten moderniſirten ghibelliniſchen
Anſchauung. So verwechfelte man, aller Wahrheit zum Trotz, um
durch eine fonderbare Sucht, ſchmerzliche Weberlieferungen aftererbten
Bruderhaſſes aufzufrifchen, die mehr oder weniger rationelle Weiße,
bie Thatfüchen zu verwerthen und die nothwendigen Folgen aus ihnen
abzuleiten, mit einer vorgefaßten Parteianficht, welche der männlichen
Zalente und edlen Geifter unwürdig gewefen wäre, die fich damals
beitrebten vie Geſchichte Italiens jener blinden Parteileivenfchaft zu
entfleiven, und jie zu ihren nationalen Brincipien und zur Wahrheit
zurüdzuführen.
Wie verfchieben aber auch tie fich gegenüberftchenten Meinun-
gen feien, jo bleibt c8 voch wahr, daß das Buch Ranieri's in
freiem Geifte, mit edler Zenbenz, mit Ziefe des Gedankens im echt
.
*
Die Entwicklung ber geſchichtlichen Studien in Neapel. 319
Haflenifchem Style geſchrieben, die Gemüther einer ganzen Nation zu
befriebigen im Stande ijt, indem e8 berfelben in hohem Grabe Ehre
macht. Denn ber Ruhm Italiens und fein Mißgeſchick während fünf
gahrhunderte find darin nicht befchrieben, fonbern in Quadern gehauen,
und es wird auf's anfchaulichite gezeigt, wie alle Stäbte und Flecken
bes Landes eine gemeinfchaftliche Gefchichte haben, wie aus ein und
benfelben fcheinbar entgegengefeßten Elementen bie gefchichtliche Einheit
hervorgeht, ähnlich der Einheit, die der Autor in ter Nation erblidt,
„weiche, wie fehr e8 auch dem Schidjale und den das Schickſal an
Grauſamkeit übertreffenden Menfchen gefallen hat, fie taufenpfach zu
grreißen unb zu zerftüdeln, doch ſtets eine bleibt«').
Die Bücher Ranieri's und di Cefare’d waren ein mächtiger Sporn
für die Freunde der Gefchichte; denn faft alle Schrijtfteller über bie
Gefchichte der Wunicipien, bie feit 1837 ſchrieben, betrachteten bie
den jenen Zweien erzählten Thatfachen von vemjelben Gefichtöpunfte.
Bis dahin hatte die Partialgefchichte der Städte bloß eine Lifte der
Bifhöfe, und der Thatfachen, die ſich auf die Lehensherren und
Heinen Gebieter, auf die Kirchen und Schlöjfer bezogen, geliefert;
denn jeve Commune wurde als außerhalb des Reiches ſtehend und dieſes
wieder als von Italien abgeſondert betrachtet. Einige Schriftſteller, dem
Bietro Giannone folgend, trugen einen ungerechtfertigten Haß gegen
bie römifche Kurie zur Schau, fo wie andre wieder nach dem Bei—
fpiele Coſtanzo's Schmähungen und Läfterungen gegen bie Deutfchen
fhleuverten; feiner aber vermochte fich eine beftimmte Grundan⸗
Ihanung über die erzählten Thatſachen zu bilden, feiner vermochte bie
eigene Meinung zu begründen, feiner ein gerechte Urtheil zu füllen.
Nach ver BVeröffentlihung der Bücher Ranieri's und bi Ceſare's ver:
ſchwanden viefe Fehler aus den Geſchichtsbüchern, und Viele, die fich
old Verfechter einer von päpftlichen und ausländifchen Einflüffen gleich
mabhängigen Herrichaft erhoben, galten für Ohibellinen ; und ebenfo
Jene, welche mit Wärme die Herrfchaft der Longobarden, ter Nor-
mannen und Deutjchen vüdfichtlih ver politifchen Richtung ihrer
Gejeße und Regierung lobten. Daher wurden zu ben ghibellinifchen
— —— —— —
') Della storia d’Italia dal quinto al nono secolo, ovvero da Teodosio a
Carlomagno, libri due diAnt, Ranieri, pag. 152— 153. Brixelles 1841.
320 Die Entwicklung ber gefchichtlichen Studien in Neapel.
Geſchichtſchreibern gezäglt: Giordano‘), Bartoletti”), Lombarbl?),
Adilardi), Maldacea“), d’Urfo°), D’Ayala?), Yatta*), Apinolfi *),
Sena '°), Morelli ''), Branca '*) und einige Andere, welche hiſtoriſche
Stizgen über tie Hauptereigniffe ihrer Geburtsorte und Laͤndchen
fchrieben.
In den Schriften der Genannten herrſcht, vie Wahrheit zu fagen,
nicht der gefchichtliche Ernft, noch paſſen Styl und Sprache zu einer
Geſchichte; allein die Thatjachen find durch ein logiſches Band zuſam
mengehalten und in Beziehung zu jenen gebracht, die bie allgemeime
Gefchichte des Reiches angehen. Auf viefe Weife werben bie Heinflen
wie bie größten Vorfälle von weiten umfaffenten Geſichtspunkten am
betrachtet. Man ftreitet fich nicht mehr um die lächerliche Autonomie
bes eigenen Kirchthurms, um ein von biefem oder jenem fFürften
einer Stabt zum Schaden der andern verliehenes Privilegium; e⸗
!) Memorie istoriche di Frattamaggiore. Napoli 1834.
?) Biografie degli uomini illustri della cittä di Alessa nelle dignits
ecclesiastiche, in letteratura, armi e titoli. Napoli. 1836.
?) Raggio storieo sulloe accademie Consentine-Saggio storico-letterario sugl’
illustri giureconsulti Calabria-Citeriore-Saggio sulla topografia e sugli
avanzi delle antiche cittä Italo-Greche, Lucance, Daunie e Peucesi®
amprese nell’ udierna Basilicata. Cosenza 1836.
‘) Memorie storiche della cittä die Nicotera. Napoli 1839.
5) Storia di Sorrento, vol. 2. Napoli 1841 ce 1844 — Storia di Mass
Lubiensc. Napoli 1840.
*) Storia della eitta di Andria, dalla sua origine fino al 1841. Nap. 1842.
?) Le vite do’ piu celebri capitani e soldati napolitani, dalla giornats
di Bitonto fino ai di nostri. Nap. 1843.
*) Cenno storico sull’ antichissima citta di Ruvo nella Peucezia, vel
giureconsulto napolitano Giovanna Jatta, colla giunta della brere
isturia del faınoso combattimento dei 13 cavalieri italiani con altret-
tanti francesi, seguito nelle vicinanze della cittA rel di 13. febbraio
1503. Nap. 1814.
9, Storin della cara. Salerno 1816.
1%) Cenno istorico cronologico sulla citta di Montemarano. Nap. 1846.
11) Quadri storici di Brindisi, Locce 1848.
It) Momorie storiche della citt4 di Rora, Napoli 1847.
or
Die Eptwicklung ber geihichtlihen Studien in Neapel. 321
handelt fich nicht mehr um die Herrfchaft eines Landes über bas
anbre, wie in ben Gefchichtfchreibern der Stäbte von älterem Datum;
foubern Unglüd und Ruhm, Wohl und Wehe, Sieg und Niederlage
Amer Stadt, wird als allen gemeinfan angefehen, und das Gefühl
ver Baterlandsliebe ijt nicht mehr auf ven Kreis des oft unbebeuten-
ven und mikroskopiſchen Geburtsortes befchränkt, fondern nimmt einen
mößern Maßſtab an und erftredt fich auf alle Theile des Königreichs
mb umfaßt oft ganz Stalien.
Pietro Giannone ausgenommen wurde die guelfifche Partei gänz-
ich in ben Hintergrund gebrängt, oder erhob fich doch nicht in Geiftes-
werfen in einer erwähnenswerthen Weiſe. Bon einigen Municipal»
Sefchichtfchreibern wurden bie ‘Deutfchen als Gegner ber PBäpfte
serläftert und oft auch verleumtet; jevoch gab es unter ihnen feinen,
ver die weltliche Macht des Papſtes gelobt ober ein Verlangen darnach
gezeigt hätte; im Gegentheile hatten die Schriften des unglücklichen
Sonforti und feiner biedern Ruhmes- und Unglücdgefährten in ven
legten Jahren bes achtzehnten Jahrhunderts, betreffend die verjährte
und berühmte Frage über den fogenannten Huldigungstribut, welchen
das neapolitanifche Königshaus dem heiligen Stuhle zu entrichten
pflegte, allen guelfifchen Parteigelüjten ven Nerv abgefchnitten, und
das ganze Land für vie ghibellinifchen been erwärmt, jedoch immer
hm Sinne der alten Partei.
Die erſte gefchichtliche Arbeit, welche fich für das guelfifche Brin-
ip ausſprach, war bie des Michele Baldacchini über vie Vorfälle
en 1647 in Neapel '). Nicht Specialgefchichtfchreiber und Zeitgenoffen,
ondern auch Generalgefchichtfchreiber Italiens hatten die Ereigniffe
eſes denkwürdigen Jahres erzählt. Jene konnten fich von perfön-
ichen Leidenſchaften, von den Einflüffen und Meinungen ihrer Zeit
wi ver Betrachtung ber Ereigniffe, welche vie Erhebung von 1647
yrbereiteten, der Daraus bervorgehenden Folgen, und ber fie in's Wert
egenden Menjchen nicht 108 machen; daher betrachteten fie das Schei-
$) Storia Napolitana dell’ anno 1647; Italia 1836. Diefem Werle wiber-
fuhr die Ehre, in 10 Jahren dreimal aufgelegt zu werben. Die erfte
Aufl. wurbe 1834 veranftaltet, bie zweite 1836 und bie britte 1845,
322 Die Entwicklung der geſchichtlichen Studien im Peapel.
“tern ber Unternehmung für gerecht und hielten ven Sieger für loben&
werth, bloß weil er gefiegt hatte. Den Andern war es nicht gegeben,
in bie offenbaren und verjtedten Leidenschaften ver gleichzeitigen (Ges
Schichtfchreiber einzubringen und die Thatſachen haarklein zu erzählen
und fie bes Falſchen zu entkleiven, denn ba fie die Ereignifle ver
ganzen Halbinfel im Allgemeinen erzühlten, fo fonnten fie fich nicht
lange bei einem bejondern Yactum aufhalten und es von allen Seiten
entwideln, um die Wahrheit zu fuchen. Baldacchini that Dies entfchieben
und forfchte, indem er die wahren Thatfachen verfolgte, nicht nur
bei den verausgegangenen Gefchichtjchreibern, ſondern bejragte und
ftubirte mit einer feltenen Ausdauer und gewiffenhaften Fleiße bie
unebirten Manufcripte, weldye ver berühmte Monſignor Gapecelatre
und andere gelehrte Neapolitaner verwahrten, jowie auch die alten
Karten und Bücher der Privatbibliothefen Neapels. Auf folche Weife
fonnte er in reiner Sprache und edlem Style ein lleines aber fchöneh
Bild entwerfen von dem ganzen unbefonnenen und bespotijchen Bor»
gange jener viceföniglichen Negierung, ber in der ganzen neapolitanis
chen Gefchichte feines Gleichen nicht hat. Denn die Vicelönige rich
teten, man möchte faſt jagen gefliffentlich, die Künfte und den Handel
bei uns zu Grunde, fie liegen fortwährend unfere Küften unvertheidigt,
und ven Einfällen der Piraten und Barbaren ausgefegt, verödeten bie
Felder, den Aderbau uud vernichteten überdies die Sitten, corrumpirten
bie Gewiſſen, verwirrten die Gefege, brandfchagten Adel und Belt,
trieben unfer Heer in ferne Gegenden zur Unterjtügung fremder unb
ehrlofer Dinge, häuften Confiscationen und Verbannungen, ftürzten
das ganze Land in Verarmung und machten jo unfere Väter, die
eines bejjern Loojes würdig geweſen wären, höchſt elend. “Mitten
unter dieſer Verderbniß ter Regierung, dem jtolzen Pompe bes Adels
und dem äußerjten Klend des Volkes, erhebt fich ein armer Fiſcher,
ein zweiter Michele di Yando, ganz Herz, evelmüthig, kühn, religiös,
ein wahrer Neapolitaner, und ruft e8 ven böfen Gewalthabern zu, daß
das Volf feine Luſt und Geduld mehr habe, die traurigen Folgen ber
Mipregierung zu ertragen, und mit ver Verwegenheit eines glübenten
Charakters und mit natürlicher Berebtjamfeit vertheibigt er bie mit
Süßen getretenen Rechte des Volkes, und macht fich zu deſſen Haupt
und Anführer. Aber ringe um ihn ſammeln ſich die verfchiedenar«
Die Entwidlung der gefchichtlihen Studien in Neapel. 323
tigſten Perfonen, Scheinheilige und Fromme, VBerräther und Getreue,
Feige und Beberzte, Verfchlagene und Schlechte, Betrüger und Un«
ſchuldige, uud ber erle Volksmann füllt als ein Opfer feines Vers
trauen® und fremver Treulofigfeit.
Tiefe Dinge erzählt Baldacchini in der Weife des Porzio und
mit derjelben Würte und Wirkſamkeit des Gefchichtfchreibers ver be-
rühmten Berfchmörung ver KReichsbarone unter Ferdinand von Arra-
genien. Er beligt eine wahre Meifterfchaft, alle Hauptperfonen des
Dramas von 1647 dem Leſer vor die Augen zu führen, unt in der
Kunſt, die Charaktere aus den Handlungen abzuleiten, ſteht er feinem
andern ausgezeichneten Gefchichtichreiber nach. Auch zieht er aus ven
erzählten Ereigniffen die nütlichften Lehren: fo wird durch das Leben
ed Zommafo Aniello das gegenwärtige Zeitalter aufmerffam gemacht,
anichts ſo jehr zu verabjcheuen, als die Fremdherrſchaft — nicht zu
leicht der blinven Menge zu vertrauen, bie denjenigen, ver fich zu
ihrem Führer macht, eben jo fchnell verläßt, als fie ihm folgt«, daß
nichts fo jchredlich und ſchädlich fei, als die Folgen, fowohl einer zu
weit getriebenen Tyrannei als einer zügellofen Freiheit”; daß ſich bie
infferfte Tyrannei mit ihrem Schreckens-Uebermaß endlich Lächerlich
mache» , Daß rauf das Verlachen die Verachtung folge, ijt e8 einmal
dahingekommen, fo kannſt du ohne zu fehlen beine baldige Vernichtung
für gewiß balten«. Allein, da die neapolitanifche Revolution von 1647
ihren erftien Urfprung und ihren erſten Herb in ven langen und uns
heilvollen Kriegen hatte, die von Epunien in ber Lombardei und in
dlandern unterhalten wurben und für welche Neapel witer feinen
Billen mit Geld und Soldaten herhalten mußte, um Staliener und
Lölfer zu bezwingen, bie fich vom fpanifchen Despotismus losmachen
bollten, welche Wirkung mußte fie auf Italien haben, nad) ihrem
Ausbruche, und welche auf die ſpaniſche Politif nad) ihrer Dämpfung ?
hatte, bei der Bejegung ber tosfanifchen Prüfivien durch vie Frans
iofen, bei ver Bolitif des Italieners Mazarin, des Tamaligen Mini—
ſters des minderjährigen Ludwig XIV., bei ven Hoffnungen, tie man
bis zu Richelieu's Zeiten in dem Savohiſchen Königshaufe unterhielt,
die meapolitanifche Revolte Feine Berechtigung? Une nachdem biefe
überwunden und niebergehalten, nachtem ver Prätendent Heinrich IL
324 Die Entwidiung der gefchichtlichen Gtubien in Neapel.
von Lotbharingen gefangen worben war, und ber Graf Onatte Galgen
und Schaffote im SKönigreiche hatte errichten laffen, welchen Einfluß
übte da das fiegreiche Sıhwert Don Juan's von Defterreich auf das
Schickſal Italiens bis zum pyrenäiſchen Frieden, beziehungsmweife auf
bie Sympathien der ſchönen Halbinfel für die Sranzofen, und ihren
Haß gegen die Spanier?
Ueber all’ dieſe Dinge, welche die mehr und weniger entfernten Urfa-
chen, und mehr oder minder unmittelbaren Folgen des Aufſtandes von 1647
waren, gibt uns Baldacchini Feine Nechenfchaft, und vielleicht thut er
e8 abfichtlich aus jenen Grundſätzen ıinunicipaler Unabhängigkeit, bie
ihn zum Guelfen ftempeln. Ich fage vies, weil ich ven ſchönen Sat
Antonio Ranieri’s für wahr halte, daß man tie Gefchichte eines Theiles
Italiens «weder verjtehen nod erzählen könne, ohne die ber andern
Theile mit zu berühren”. Abgefehen hievon ift die Geſchichte Bal
dachini's als fpeciale und ausjchlichlich neapolitanifche für ein umnade
abmliches und erftaunliches Werk anzufehen, welchen nicht lange barauf
ein anderes, verfchierenen Inhaltes, aber tieferes und gelebrteres
folgte, nämlich) das Leben und bie Lehren des berühmten Mönches
Thomas Campanella?), das reich an foftbaren Documenten ift, bie
fih Baldacchini durch eifrigen Fleiß und forgfältige Mühe zu ver
Schaffen wußte‘). Zum Glücke war Baldacchini fein einfacher Ges
lehrter, fontern er hatte unermübliche und gewifjenhafte Studien über
bie alte und moderne Philofophie gemacht, fo daß er eine Campanella’s
würdige Gefchichte liefern und ben Werth ver philofophifchen Doctrinen
erhöhen konnte. Aber bier offenbart ſich Baldacchini deutlicher ale
Guelfe, fei e8 weil Campanella zuerft als Guelfe und dann als ent-
fchiedener Ghibelline Partei nahm, oter aus eigener Wahl, oter ans
beiden Urfachen; ftets aber bewahrt er die Würte eines Philoſophen
und Schriftjtellere, ver die Wahrheit zu erforfihen ftrebt, und tft fein
gemeiner eingefleifchter Parteigänger.
Die Synpathien Campanella’8 für bie Ideen Telefio’8, feine
?) Vita e Filosofla del Campanclla, vol. 2, Napol. 1840-43.
2) Baldacchini gab hierin aud eine Eammlung der Briefe bes kalabreſiſchen
Philoſophen mit Anmerkungen heraus
—————
Die Entwidlung der geſchichtlichen Studien in Neapel. 325
sitrelegijchen Studien, die von ihm aufgeſtellten philoſophiſch-politiſchen
und Negierungsfpitene, vie Zweifel, welche daraus über feinen Glauben
lommen, feine Beitrebungen, Prophezeihungen, Zräume, bie Verſchwö⸗
rangen, ba® alles bat mit feinen Thaten, jeinem langen Mißgeſchicke,
mit ben Beſtrebungen feiner Zeit, mit dem Schuße, den ihm Wichelieu
angedeihen ließ, einen fo genauen logifchen Zufammenhang, und bildet
an fo wohlgefügtes Ganze, daß man nicht weiß, ob man in Baltacdhini
mehr ten Gefchichtfchreiber oder den gelebrten Philoſophen bewundern
ill, welcher durch vie Meijterhaftigfeit feines nüchternen und zuyleich
Haren Styles und durch eine geläuterte Sprache zuerſt das philo—
ſephiſche Syſtem des Fraters von Stilo gemeinverſtändlich machte ').
Zu den guelfiſchen Ideen neigt ſich in ſeiner Geſchichte auch
Camera?) bin; allein ohne vorausgefaßtes Syſtem, oder Parteigeiſt.
In ſeiner „Geſchichte Amalfi's- benützte er Panſa jehr ſtark, und in
ven „Annalen beider Sicilien⸗ die vorausgegangenen Geſchichtſchreiber,
woh ohne Ordnung, nnd aus municipaler Vorliebe oft That⸗
ſachen und Documente entſtellend oder erdichtend'). Es iſt nicht zu
leugnen, daß in der „Geſchichte Amalfi's viele gute und brauchbare
Retizen zu finden find; doch macht er es wie die Nechtsgelehrten und
Srofaten des vorigen Jahrhunderts, welche, um vie Unjtichhaltigkeit
As ein fehr fchänes Beiſpiel eracter Biographie iſt auch das „Leben bes
Camillo PBorzic*“ zu erwähnen, bas 1832 von Agoflino Gervaſio ver-
dffentlicht wurde. Es ift dies bie vollkemmenſte Arbeit, die aus italient-
her Weber fiber das Leben eines Mannes gefloffen, welder, wie Gior⸗
dani meint, „ein Geſchichtswerk von folder Schönbeit unb Bollenbung
geliefert bat (bie Berichwörung ber Barone), daß in Neapel nie und im
Stalien jelten eim gleiches gefchrieben wurde.“
') Istoria dell& cittä4 e costiera d’Amalfi di Matheo Camera. Nap. 1836.
Annali delle due Sicilie. Nap. 1841.
) Er hat fogar den Geburtsſchein Mafanielle's zu Tage gefördert, ben er
aus ber Pfarrmatrifel von Amalft gesegen zu haben vergab. Er wurbe
befür von Luigi Belticela zurechtgewieſen, welcher in einer zu Cofenza
1841 erjchienenen Schrift nachwies, daß ber berühmte Held ber Ereigniffe
von 1647 in Neapel geboren war, lebte und flarb, und zu biefem Zwede
den ans ben Pfarregiftern bes Stabtviertels Mercato gezogenen Todten⸗
(dein Maſaniello's abſchreibt.
326 Die Entwicklung ber geſchichtlichen Stubien in Neapel.
der Rechte der römifchen Curie, der Kirchen und Barone zu beweifen,
bie Archive, alle Bibliothelen, öffentliche und Privat-Bücherfannulungen
burchftöberten, und alle möglichen Documente bervorbolten, welche
ihre Behauptungen beweifen konnten, ohne ihre Authenticität zu unter
fuchen und erft ven Beweis zu liefern, daß fie ächt fein. Gamers
förderte jedoch die nöthfgen Materialien fir die kommenden Gefchicht-
fchreiber zu Zage, welche mit Urtgeil ihren Werth beſtimmend, fie
orbnend und in eine gewählte Form Heidend (lanter Dinge, die Ca⸗
mera abgehen), ein lobeuswerthes Gefchichtswerk werben liefern können.
III.
- Nach den unglüdlichen Ereigniffen des Jahres 1820 hatten fid
bie ebelften Geifter ver Halbinfel am Arno vereinigt, wurben
bier von den vorzüglichen Männern Toscanas gaftfreundlich anf
genommen, und machten aus Florenz Das italienifche Athen,
in welchem gewiffermaffen ver Vorſitz vom Marcheſe Gino Cappomi,
dem trefflichen Biedermann, dem edlen Geijte, dem freien Bürger, bem
Borläufer der lebendigen Verkörperung ver Auferftehung Italient,
wie fich einer unferer tiefften lebenten Gejchichtsforjcher, ver Schuud
und bie Zierde Italiens, austrüdt, geführt wurde, Unter venen,
welche in jener Zeit tie ermeuerten Kämpfe des Vaterlantes durch
das ebelfte Selbitopfer ehrten, befanden fi der Demofthenes Ita⸗
liens, Baron Giufeppe Poerio, Pasquale Borelli, Giufeppe de Thor
mafis, Pietro Colletta und Carlo Troha, welche mit Pellegrino Roſſi,
Giuliano Frullani, Pietro Giordani, denen ſich ſpäter der verewigte
Giacomo Leopardi, Coſimo Ridolfi, der italieniſche Cato, Giovan
Battiſta Nicolini, und viele Andere damals weniger berühmte Männer
anſchloſſen, eine Art heiliger Phalanx bildeten, ähnlich der alten maze⸗
doniſchen, deren Bildung allein ſchon ein Symbol der mächtigen und
ſchnellen Ausbreitung der griechiſchen Civiliſation war und dem un⸗
bezaͤhmbaren Eifer und Muthe des griechiſchen Geiſtes, vor Allem
jedoch Alexander's Schnelligkeit einen Ausprud gab. In Bezug auf
ihre Ideen hatte die italienische Phalanz, vie ſich zwifchen 1821 und
1830 am Arno bilvete, nicht wie bie griechifche die Eroberung ferner
Die Eutwiclung der geihichtlihen Stubien in Neapel. 327
Länder, fontern des eigenen Vaterlandes von den Alpen bis’zur Spitze
Calabriens ſich zum Ziele geſetzt, aber nicht durch Beſiegung der Leiber,
fendern ver Geijter und Gemüther ver Staliener, welche getheilt und
mterbrüdt waren burch den Fremden, ver die Söhne berfelben uns«
glücklichen Mutter zur offenen Feindſeligkeit gegeneinander heite.
Die Aufgabe war groß und fchwierig, aber würdig ber Männer,
die fie fich ftellten, würtig Toscanas, der Wlutter uralter italienifcher
Bildung, der Lehrerin lateinischer Kultur, der Erneuerin europäijcher
Civiliſation; daher ließ die Heilige Phalanx der italienifchen Geifter
anzefichtd der fchweren Aufgabe den Muth nicht ſinken, vielmehr
wuchs ihr Eifer, ihre Vegeifterung, ihre Thätigkeit das Ziel zu errei-
den, Alles zu unternehmen, Allem, auch ven äußerjten Gefahren zu
tretzen und eine vortheihafte Spitze zum Angriff gegen vie Feinde zu
bilden, mehr noch als um fich felbjt zu vertheidigen. Allein vie evlen
Kämpfer fühlten von vorneherein die Nothwendigkeit, einen Alexander
d. h. einen oberften, der Natur ihres Kampfes angemejjenen Führer
a haben und wandten fih an Tante Alighieri. Die Wahl konnte
rem Berbaben nicht entjprechender, nicht würbiger und rühmlicher
für Die gefammte Nation ausfallen, jie verfprach die größten Siege
in der künftigen Entwicklung der nationalen Idee; denn, ver Dichter,
ver bie heterogenen Elemente des Papſtthums und der bürgerlichen
Denarchie in feiner Lehre, Moral und Politit vertörperte, hatte
den ten Grund zu einer neuen ganz Stalien und bem gejammten
Eurropa gemeinfchaftlichen Bildung gelegt.
Auf dieſe Weife fand tie Einheit der Ideen und Xhatjachen
iſten Sammelpunkt in ver heiligen und Profanwifjenfchaft, in ber
Geihichte, den Sitten und dem Leben des Dante'ſchen Zeitalters ;
un man fonnte indem man biefe in jeder Beziehung verfolgte, und vie
tänftigen Entwicdlungszujtände ver Nationalitee im Auge behielt, vie
Zukunft worausjehen. Da wurde es denn Mar, daß Dante nicht
ehr der Dichter der Vergangenheit allein, fondern auch der Gegen:
wart und aller Zeiten gewejen ift, und daß er deßhalb als ber les
bendigfte und greßartigfte Repräſentant der Elemente einer angejtrebs
ten, aber von feinem Volke noch erreichten Bildung angejehen werden
müffe. Da fchwand endlich der thörichte Glaube, ver fich in Italien
und noch mehr im Auslande eingefchlichen hatte, vie göttliche (os
328 Die Entwiclung ber geſchichtlichen Stubien in Neapel.
möbie fei ein Buch voll abftrufer Speculatisnen, myſtiſcher Lehren, voll
Magie und von dem praftifchen realen Leben weit entfernt ; denn eine
größere Realität konnte e8 nicht geben als die Wirkung, bie der große
Dichter auf das Florentinifche Volk übte, welches, indem es auf bie
ahnen feines Heeres einen Vers Dante's fchrieb, als es um bie
Erhaltung der letzten Reſte von italienifcher Freiheit und Unabhän—
gigfeit im 16. Jahrhundert kämpfte, deutlich bewies, daß es bie Leh⸗
ren, die hoben Winfe und bie freibeitlichen Ermahnungen wohl ver
ftand, welche in ver göttlichen Komödie enthalten find; fowie hinficht⸗
lich der Politit und Kunft Macchiavelli und Michelangelo die hohe
Idee ihres ausgezeichneten Mitbürger aufzufrifchen und zu iffuftr
ren wußten. Die von Dante entzündete heilige Flamme hörte nid
einen Augenblick auf, die Bruft ver größten Schriftiteller und Künfts
ler des ruhmreichen Florenz zu erwärmen, felbjt in ven unjeligen
Zeiten des größten Elends und der Stnechtfchaft Italiens; und ir
ift e8 Daher zu verdanken, daß fich im Toscanifchen Volke ein großer
Theil des alten Geiftes erhalten hat, wovon es gegenwärtig ber ger
fitteten Welt das großartigfte Meifpiel liefert, und das chriftlick,
gebildete und civilifirte Europa muß, wenn es Gefühl für Zuge
und Mäßigung bat, ihm Beachtung ſchenken. Die neue Richtung ver Hr
ftorifchen und politischen Studien, welche von jenen wadern Männern
eingefchlagen wurde, begann mit der Auslegung der Allegorie im er
ften Geſange ver göttlichen Comörie — und einige glaubten in bem
Windhunde, der auf die Wölfin Jagd macht, Uguccione della Faggr
nola zu erbliden, Andere wieder ven Can bella Scala, wieder An
bere Benedict XT., endlich noch Andere Friedrich v. Montefeltro, we
bei die edlen Ausleger der Dante'ſchen Idee vie Tendenz der eigenen
Meinungen im Auge zu haben und biefe zur Öruntlage ber neuen
biftorifchen und politifchen Richtung, welche fich der Zuftimmung ber
Mehrzahl der Italiener erfreuen follte, zu machen pflegten. Die
Disenfjion ging ruhig und ernft zwifchen ben waderen Männern ver
fich, aber feiner von ihnen, er moechte mit einem noch fe ftarten Ber
ftande und tiefen Studien ausgeftattet fein, wollte oder konnte fich im
Geringften von feiner vorgefaßten Idee losſagen und jever verwanbte
zum Dienfte berfelben bie gejchichtlichen Forſchungen und die Kräfte
feines Talentes. Ein Einziger, entfernte ſich davon, in der Wbficht,
Die Entwidlung ber geſchichtlichen Studien in Neapel. 329
nicht8 Anderes zu verfolgen, als die Gefchichte, die alten Erinnerungen
und die Orte, die er auf feinen langen Wanderungen durch die päpſt⸗
lichen Uppeninnen und Xoscana bejuchte, und diefer Mann war
Carlo Troya, der in feinem im Jahre 1826 in Florenz veröfs
fentlichten »allegorifchen Winpfpiel des Dante Alighieri«, chne irgend
einer Anſicht zu huldigen, ja jegar feine eigene bei Seite fegend, bie
"Windfpielfrages zn einer bis dahin von ven beften Zalenten verges
bens angeftrebten Region zu erheben fuchte.
Das große Verdienſt Troha's bejteht darin, daß er bie göttliche
Eomddie auf das gefchichtliche Gebiet verfegt und fie mit dem Leben
and dem Zeitalter Dante’8 verflochten hat. Seiner vor ihm verftand
es, den ausgezeichneten Florentiner ven Italienern in den Orten, welche
er lebend durchwandert hatte, mitten unter den Menfchen und Din-
gen feiner Zeit, gleichlam lebend und redend vorzuführen, und auf
diefe Weife eine Dante’fche Geographie und Chronologie zu ſchaffen,
die an Klarheit und Präcifion ihres Gleichen fucht.
Diefe tiefen Studien des gelchrten Neapolitaners trieben auch
Ceſare Balbo zu einer weitern und fchwierigen. Arbeit an, und waren
ihm fehr förverlich, als er fein „Leben Dante's“ jchrieb. Sie ver-
breiteten gemeinschaftlich mit ven Schriften Dioniſi's, Pelli's und
Marchetti’8 in ganz Europa die Kenntniß der Dante’fchen Lehren,
welche viele Ausländer begierig aufnahmen. ‘Diefe veröffentlichten for
dann viele in mehrfacher Beziehung Lobenswerthe Schriften: nämlich die
Arbeiten von Lyell, Cary, Lord Vernen in England, von Ozanam, Ars
taub und Ratiebonne in Franfreih, von Schelling, Wilhelm Schle-
gel, Kopifh und vom Prinzen von Sachfen in Deutfchland. Mitt«
ferweile entbrannte in Italien der Streit, den Troya durch fein we—
nig umfängliches, aber an tiefen Betrachtungen und ausgewählten
Sturien über die Dante’fche Gefchichte reiches Buch angeregt hatte;
and ſchien in immer weitere Kreiſe zu dringen, nachdem die Illuſtrationen
Gluſeppe di Ceſare's und eine zweite Schrift Troya's (im Jahre 1832
und als Beitrag in der Zeitjihrift „il progresso‘ veröffentlicht) er—
ſchienen waren. Mit dieſer Schrift wollte Troya, wie er meinte,
dem Streit über das Windſpiel ein Ende machen; er änderte da—
ber ven Titel allegorifches Windfpiel Dante's“ in mallegorifches
Windfpiel der Ghibellinen- um. Allein der Streit hörte deßhalb
330 Die Entwicklung ber gefhichtlihen Studien im Neapel.
bob nicht auf, und das war ein Glück. Denn bie Dante’fchen
Studien nahmen von einem Ende der Halbinfel bi8 zum andern einen
großen Auffhwung, und bie unausgefegte Erferfchung des „Wind
fpieles‘‘, des Symboles der Nationalidee, vie von dem Florentinifchen
Dichter verkörpert, in einem einftigen „weifen, liebevollen, tugendreichen
Erlöjer Italiens“ gefchilvert wurde, bewies hinlänglich, daß die ruhm⸗
vollen Zhaten von Legnano und mit ihr die Auferftehung Italient
fi erneuern follten. In der Folge drang die Dante’jche Doctrin aud
in wilfenfchaftlicher Beziehung durch, und Nicola Nicolini fchrieb,
das edle Vermächtniß Vico's und Gravina's aufnehmend, ein fehr ge
lehrtes Buch voll etymologifcher Stuvien über die göttliche Komödie,
die er mit großem Scharffinn dem ganzen Vico’fchen Syſteme anpaßt '),
worin ihm 10 Jahre fpäter Marini folgte‘), Alles dies trug bazs
bei, in fremden Ländern nicht nur die Erläuterungen über das ‘Dan
te'ſche Gedicht, fondern dieſes felbft zu verbreiten; daher erfchienen im
ben legten 20 Jahren nicht weniger als drei Ueberjegungen veffelben
in Frankreich und zwei in Deutfchlanv.
Wie gefagt, die tiefen Studien über Alighieri’s Zeitalter hatten
dem Troya ein weites gefchichtliches Feld in entlegeneren Zeiten
eröffnet, und ba er ohnehin einen ungewöhnlichen Reichthum am
urkundlichem Material wie fein Zweiter befaß, fo glaubte er eine
Lüde in der Gejchichte Europa’s ausfüllen zu follen, und fchrieb bie
„Geſchichte Italiens im Mittelalters , der fünf Bücher einer "Kin
leitung“ über die barbarijchen Völker vor ihrer Ankunft in italien,
porangeben. Ich fagte in der europäijchen Gefchichte, denn im Mittels
alter beruht die Gefchichte der übrigen Völker auf der Italiens.
Bor Troya hatten alle Geſchichtſchreiber Italiens von den Cin-
fällen der Barbaren, ber Burgunder, Vandalen, Hunnen, Avaren,
Gothen gefprochen, allein keiner hatte es verftanven, fie in ein Bild mit
großen Pinfeljtrichen zufammenzufaffen. Erft in diefer riefigen Arbeit
Troya's erhalten die getrennten Theile ein ſo bewunderungswürdiges logie
') Dell’ Analisi o della Sintesi, saggio di studi etimologici di Nicolas
Nicolini Nap. 1842.
) Giambattista Vico al cospetto del secolo XIX per l’Avr. Cesare Hs»
rini. Nap. 1852.
Die Entwicklung der gefhichtlihen Studien in Neapel. 331
ſches Band, daß fie eine vollkommene Einheit bilden, aus welcher der ohn⸗
nichtige aber conftante Kampf des Rechtes der Beſiegten gegen bie
Macht ver Sieger in den erften barbarifchen Einrichtungen Kar ber-
vorgeht. Außerdem ergeben fich aus ben Problemen, die fih Troha in
feinem "Apparatou gejtellt und gelöjt hat, eine ganze Reihe moralifcher
Zhatjachen, nicht minder wichtig als tie Genealogie der barbarifchen
Bölfer; ver gemeinfchaftliche Glaube, vie Wünfche und Hoffnungen ver
Cingeborenen, wenn auch nur unfruchtbar in der Reihe ber politifchen
Zeitereignüffe, tie Sitten, die politijchen und fecialen Formen, der in-
telfectuelle Zuftand, die vielfachen Unternehmungen, die Erfolge und
Kämpfe ter Barbaren werten targeftellt, und dadurch nicht wenige
Rirerfprüche nicht nur ber italienifchen, fentern auch ber franzö«
fihen, fpanijchen, dänifchen, ſchwediſchen Gejchichte und ver Ge>
dichte Der Länder längs der Donau aufgeklärt.
Cine einzige für bie italienische Gefchichte ſehr wichtige Frage
fand überall Widerſpruch, und zwar jene, welche ben Zuftand ber von
ten Zongebarten befiegten Römer und tie richtige Lesart einiger Worte
des Paolo Diacone über biefen Gegenjtand betraf. Unfere Väter
hatten über dieſe Frage ein langes Raifonnement angeftellt und waren
zu dem Schluße gefommen, daß bei ven erſten Einfüllen der Barbaren
tie Römer noch einige politifche und faft alle bürgerliche Einrichtungen
beibehalten hätten; daß unter den Griechen, welche nach den Barbaren
eintrangen, die bejiegten Römer abermals wichtige Nachtheile erlitten;
und daß deshalb Las von allen Seiten bearbeitete Italien, obgleich noch
nicht gänzlich unterworfen, voch eine leichte Beute für neue Barbaren
wur, Die in dem unterjochten Lande bleibente Wohnfige nahmen.
Tiefe neuen Barbaren waren bie Pongobarten, tie im Jahre 568
aus Pannenien herabgekommen waren. Ihre Herrſchaft änderte den
Zuſtand Italiens, wo fie Wifjenfchaften, Künſte, Gefege und Yürger-
thum vernichteten, ausgenommen in ben noch nicht eroberten Städten
und Gebieten, wo die Ueberrejte der alten Einrichtungen jich erhielten.
Unfere erften Schriftjteller, Rechtsgelehrte und Geſchichtſchreiber
fellten bloß auf dem Wege mehr oder weniger kühner Gonjecturen
Behauptungen auf, ohne fie zu beweiſen. Die Nechtögelchrten wagten
nicht, in die Finſterniß des Mittelalters einzudringen; aber rin ver
Abſicht, an vie Gefege gefihichtlich anzufnüpfen und ihrer Sache unge
Diſteriſche Zeitfärift VL Band. 23
832 Die Entwidiung der geſchichtlichen Studien in Neapel.
wig, dem römifchen Rechte eine ſtillſchweigende Geltung laſſend,
Iprangen fie mit beiten Füßen von Yuftinian zum Jahre zwölfhun⸗
dert und abftrabirten fo von einer fiebenhunvertjährigen Lücke, ober
von ben Geſetzen, welche fieben Menſchenalter geherrſcht hatten“ '). Die
fpäteren Gefchichtfchreiber wußten nichts Anderes, als alle Barbaren
in eine Race, „bie der Germanen“ zufammenzuwerfen und das zu
wiederholen, was vie frühern Hijtorifer erzählt hatten. Der erfte
italienifche Gefchichtfchreiber, welcher einen von ven frühern ver⸗
fchievenen, ihnen wiberfprechenden Ausfpruch that, war Niccolo Macs
hiavelli, welcher behauptete, daß das Schidjal der befiegten Römer,
Ausgenommen in ben erjten Zeiten ver Eroberung, fein unglüdliches
gewefen fei, ja fie hätten fogar, als Karl ver Große feinen Rd»
merzug hielt, mit ven Siegern ein Volk gebilvet, jo daß biefe bloß
bem Namen nach Fremde waren.) Allein die kurzen Worte bes
florentinifchen Secretärs genügten nicht, ven Glauben zu ändern, den
bie frühern Geſchichtſchreiber, welche in ganz Italien maßgebend waren, ver
breitet hatten, bis ver Neapolitaner Donato Antonio d'Aſti es im Jahre
1720 zuerft unternahm barzuthun, „daß der Gebrauch und die Autos
rität der bürgerlichen Ordnung in ben Provinzen des weftlichen Reiches,
von dem Tage, ba fie von den Barbaren überſchwemmt wurven, bis
zu Lothar Il.“ nicht abgeftellt werben waren, trog ber von biefen
Barbaren eingeführten Gefege. Die von dem neapolitanifchen Rechts⸗
gelehrten angeftellten Raiſonnements wurden von zwei tüchtigen Ges
fchichtfchreibern angenommen, von Giannone und Muratori, welche bie
Herrfchaft der Longobarven überaus lobten, die fie für feharfjinnige
umfichtige und milde Gefeßgeber hielten, welche den Beſiegten vie
Wohlthat des Bürgerrechts uub die eigenen Geſetze ließen. Deſſen
ungeachtet ſchien bie Frage noch nicht beigelegt, und wurde nicht lange
barauf von Männern voll großer Gelehrſamkeit wieder aufgenommen.
Guido Grandi, der berühmte Mathematiker und Bernardo Tanucci,
ein berühmter Statijtifer und Minifter in Neapel unter Karl III., wa-
ren die Hauptfämpfer in biefem erneuerten Streit. Grandi bes
) Carlo de Cesare, Dell’ Enfiteusi, ovvero esposizione del Tit. IX.
Lib. Ill. delle leggi civili, pag. 9. Napol. 1854. second. edit.
Die Entwicklung ber gefchichtlihen Studien in Neapel. 333
heptete, bie longobarbifchen Herzoge ebenfo wie der von ihnen er-
wählte König Rotaris hätten bie bejiegten Römer bei ihrem Bürger-
nechte und ihren Gejegen belaßen, Tanucci hingegen behauptete, wäß-
ud ber barbarifchen Herrichaft der Longobarven, fei nit nur in
ben eroberten Provinzen, fondern auch in Rom und Ravenna, wos
bin bie Longobarven nicht gebrungen waren, jede Spur römifchen
echtes verloren gegangen. Das römifche Necht fer erft wieder im
zwölften Jahrhundert zum Borfchein gefommen, als die Pandecten
in Amalfi aufgefunden wurben; jedoch fei e8 wahr, daß die Geift-
Schleit im Longobardiſchen Reiche nach römiſchem Geſetze gelebt habe.
9a der Meinung der Gelehrteften trug der Mathematiker ven Sieg
Ber ven Statijtifer davon, uud ter Streit fihien nun ein Ende zu
haben. Dem war aber nicht alfo, denn Bizzetti erhob fich gegen
Ruratori und Granti, und behauptete: „Laß die Knechtſchaft, in
weldhe die Herzoge und König Rotaris das römiſche Volk verfegt hatten,
eime gänzliche und vollſtändige gewefen fei, und daß unter ben Lon⸗
gborden das römische Recht gänzlich und volljtändig aufgehört
babe“. Allein Pizzetti verwidelte ſich in fo viele und fo große Wis
berfprüche, daß auf die von ihm verfochtenen Unfichten fein Gewicht
zu legen ift.
Seine Anfiht in diefer Frage hatte ein ebenfo großes Gewicht
Im allgemeinen Bewußtfein als vie Anficht Muratoris, auf welche fich
auch Pecchia ftütte') fowie Bagnencelli‘), bis Acrander Manzeni das
Jalſche ter Anfichten Muratori’s und Giannone’8 über tie Herr-
haft ter Longobarden in Italien tarzulegen verfuchte. Der große
noch lebende Dichter ift Hierin ganz anderer Anficht als tie beiten
Gefhichtfchreiber )). Dennoch behielt Muratori's Unficht immer noch
a8 Uebergewicht, nicht nur in Stalien fontern auch jenfeit® ber
Berge, wo fie von dem deutſchen Zuriften Savigny bekräftigt wurde,
3) Storia della G. C. della Vicaria. Nap. 1778.
) Dei Governi Municipali, Bergamo. 1823.
?) Discorso storico sopra alcuni punti della storia Longobardica, al®
Anhang zu ber „Adelhi“ betitelten Tragödie,
23°
334 Die Entwicklung ber geſchichtlichen Studien in Meapel
welcher, nachdem er die einander entgegengefegten Anftchten Waffe
und Lupi's widerlegt hatte, fehlieglich den Ausfpruch that, das Vär-
gertfum und das römifche Geje hätten im longobardiſchen Reiche
nie aufgehört. Savigny wurde fpäter von einem andern Deutſchen,
Leo, bekämpft, dem es zu behaupten beliebte, tie Römer hätten um
ter den Longobarden bloß als ZTributpflichtige, die jeder Art wa
Quälereien preisgegeben waren, oder ald Sklaven gelebt.
In einer fo mißlichen, verworrenen und bornigen Frage, vor
beren Löfung die Begründung wichtiger Thatfachen abbing, wit
bloß im Intereſſe der Gefchichte Staliens, ſondern ber ganz Eur
pa's, fuchte Troya, nachrem er fo lange Kämpfe mit ten unterrid
teteften Männern ausgehalten hatte, vor allem andern auf rein &
ftoriihes Gebiet Diejenigen Thatſachen zu ziehen, welche fich amd
ben von ihm geſammelten neuen Documenten ergeben, vie er bar
die befannteren, bereit8 von Muratori veröffentlichten verftärkte, um
zu beweifen, „vaß in den von den Yongobarten eroberten Provinzen
bie Freien oder römifchen Bürger jeten Echatten römifchen Bürger
rechtes, jede Verwaltung des eigenen Landes, jeden öffentlichen Ges
brauch des juftinianifchen Cover oder anderer eigenthümlicher (Gefege
verloren haben.“
Mit fehr kräftigen Argumenten, mit ter vollen Weberzengung
deſſen, was er erzählt, mit einer unvergleichlichen Klarheit entwidel
Troha feine Behauptungen. Eign. Fr. Rezzonico war ver Erſe—
welcher mit großer Kenntniß und Gelehrſamkeit den Anfichten Treyab
widerfprah und deſſen Argumente für größtentheil® negativ e
Härte‘). Später ließ Gino Capponi, vie Deructionen Troya's the
weife annehmend, theilweije verwerfend, feine Zweifel über den Gegew
ftand laut werben’). Als Gegner Trova’s traten noch hervor Bianch
Giovani, Pezzarofa und Capei, tech nicht minder Achtung gebietend
find die Namen derer, vie feine Anjicht theilten und vertheitigten, je
1) Storia d'Italia dell medio-evo. Nap. 1841.
?) Gino Gapponi veröffentlichte über bie Longobarben im Jahre 1354
abermals feine Geſchichte im Archivio stor. Ital. 1858 und 1859.
we
Die Entwidiung ber geihichtlihen Stubien in Neapel. 335
äbeario '), Balbo ?), Gregorj ’), Zrevifani*) und viele Andere ber
w jenem Hiſtoriker gebildeten Schule.
Aber abgefehen von allen Einwendungen, bie ſich gegen Troha's
afichten erheben Lajjen und erhoben werben, muß man gefteben, taß
we Wrbeitöfraft des unfterblichen neapolitanifchen Gefchichtsfchreibers
efig war, und groß wie feine Kraft fein Talent. Troya wollte
brigens mit feiner Gefchichte des Mittelalters Fein Kunftwerk liefern,
me Abjicht war bloß, die Urfachen des Verfalles und der Auflöfung
ws römischen Reiches aufzuzeigen; ben Urfprung ver Barbaren,
nelhe die bürgerlichen politiichen und militärischen Einrichtungen
Roms zerftörten, und andere Geſetze, andere Sitten, andere Ein-
Uhtungen an beren Stelle fetten; ferner ihre Regierungsform, die
keislativen Beziehungen, weldye fich nach ihrer Anſiedlung geltend
machten, und vie wechjeljeitigen Einflüffe, welche Sieger und Befiegte
wfeinander übten, varzıılegen. Dabei fuchte er in den allgemeinften Thatſa⸗
den ſowohl, al8 auch in ben geringfügigften Dingen die Urfachen ber
wehmaligen Schickſale Italiens auf. Bon vorneherein ſchon fah es ber
Geichichtichreiber des Mittelalters ein, daß die ifolirten Thatſachen
ſänem Vorhaben nicht genügten, fonvern daß es nöthig fei, bis zur
wiprünglichen Quelle ver Dinge, bis zur feinften Wurzel der Uebel
grüdzugeben. Denn die ifolirten Thatſachen ftellen fich unter vers
Wiedenen Geſichtspunkten dar, und laſſen die Kenntniß des Ganzen
mmer unvollflommen; während man das Scidjal einer Nation nur
veun vollkommen fennen kann, wenn es ſowohl in fich felbit, als auch
jeinen offenen und geheimen Beziehungen mit dem ter Andern be-
achtet wird. Würde dieſes außer Acht gelaffen, fo verlöre tie Ge⸗
Wichte ihre ganze Wichtigkeit und Großartigteit und würde aus einer
stionalen, erhabenen, eine miunizipale, gemeine. Das Leben ber
Liller und daber auch ihre Gefchichte beruht auf fortmährenver und
wechfeljeitiger Action und Reaction. Diejenigen, welche dieſen Grund-
) Storia di Torino. Torino 1846.
?, Della fasione delle schiatte in Italia.
3, Statuti civili oe criminali di Corsica Lione 1843.
4) Di aleuni teoremi principali della Storia d'Italia nel medio evo. Nap.
1846.
336 Die Entwidiung ber geſchichtlichen Stubien in Neapel.
fag mißtennen, haben mindeſtens ein Finbifches Urtheil über die menſch⸗
liche Natur, deren Bebürfniffe, Fähigkeiten und Beſtimmung. Dieß
fah Troya wohl ein, er erfannte früh, daß, um in tie Urſachen
der Thatfachen, vie er aus ber tiefiten Finſterniß bes Mittelalters her⸗
vorziehen follte, einzubringen, es nöthig fei, nicht bloß bie beſondere
Gefchichte feines Volkes, fonvern die der ganzen Welt, ja vielmehr
zweier Welten, ber gefitteten und barbarifchen, im welche bie bes
fannte Erde damals getheilt war, zu ergründen. Auf biefe Weiſe
feste Troya, nach dem Vorbilde des Polybins und Mardiie
velli, nur unter günftigeren Debingungen als jene beiven, im ee
Gefchichte das rationelle Element an die Stelle des künftlerifchen, wub
lieferte fo ein ver Zeit, und der größern gefchichtlichen und philefer
phifchen Entwicelung würbiges Werl. Das fchabete freilich ter Per
pularität des Werkes, weil es bloß in vie Hänbe ter Gelehrim
tom; das hinderte aber nicht, daß aus den durch Troya's Gefſchichte
angeregten Discuſſionen der Gelehrten ganze Völker Nutzen zogen.
Die Behauptung, daß unſer Geſchichtſchreiber im Syſteme der
Geſchichte die Wiſſenſchaft an die Stelle der Kunſt fette, iſt aber
nicht fo zu verfteben, als wenn das epifihe und bramatifche Clement
penfelben ganz fehlen würde; denn ba die Gefchichte eine continuirlide
Entwicklung bat, fo entbehrt fie nie des Intereſſes und ter Ku.
Der berühinte Schriftfteller Tonnte nicht anters zu Werke geben, in
bem er bie fchwierige, mühſame und verwidelte Arbeit vollenten weilte;
er mußte disputiren und tiscutiren, Menſchen und Dinge, Thatjuchen
und Ideen, bürgerlide und militärifche Einrichtungen, Gefege und
Erinnerungen, Originaldocumente und Gefchichten gegeneinanter hal
ten, ebe er bie Erzählung unternahm, um eine dauernde und glaubwär.
dige Grundlage zu gewinnen, damit er überzeugen, fih Glauben verfchaffen
önne. Daher bie Nothwentigfeit feines „Apparats« zur Gefchichte, wer
durch er vorläufig die verwideltejten und jpigfindigften Fragen über ben
Urfprung und bie Natur der barbariſchen Rölkerfchaften, welche nad»
einander in unfere Halbinjel einfielen, über ihre Regierung, ihre Eit
ten und Geſetze vor der Invaſion, über die Gewohnheiten, welche jyi-
ter Geſetzeskraft in Italien erlangten, lölte, bei weldber Gelegenheit er mit
einer bewundernswertben und grünblichen Kritik die Cinrichtungen ber
Barbaren mit denen der lateinifchen Welt verglid, um ſodam je
Die Entwiciung ber gefchichtlichen Gtubien in Neapel. 837
feiner Hauptaufgabe zu fchreiten, die darin beſtand, den Urfprung bes
Melienifchen Volles aufzufuchen, ob derſelbe von den älteften Urvätern
ver Barbaren, bie nach dem Falle des römifchen Reiches eindrangen,
abuleiten fei, oder von ber Vermifchung fchtifcher, gothifcher und
germanifcher Racen; mit andern Worten: ob fich die eingeborne ita=
Ehe Race durch die Jahrhunderte und die Barbarenherrfchaft Hin»
" Wach ſtets erhalten, und die neue Civilifation Europa's bewerfftelligt
habe, oder ob fie fich mit den Barbarenvölfern vermifcht und zu einem
seuen Bildungsgang Deranlaffung gegeben babe, den man nicht ans»
vers als den gothijch-germanijchen nennen könnte. Das war eine un-
geheure Zeichnung, der Licht und Farbe zu geben für einen einzelnen
Denfchen unmöglich fchien; allein zum Ruhme Italiens wurbe die
Zeichnung ein unnachahmliches Gemälde, nur daß leider das Leben
: Zrega’8 zu kurz war, um es ganz zu vollenden.
Aus alledem ergibt ſich aber, wie grunpfalfch e8 wäre, Troha
als einen einfachen Gelehrten betrachten zu wollen; denn ein Dann,
ver einen fo großen Plan für eine jo fchwierige Arbeit entwirft, und
m zudem ncch fo weit entwidelt und großentheil® zur Ausführung
bringt; ein Genius, der eine neue Schule ftiftet, und zahlreiche Schüs
ker und Nachfolger hat (von denen ich nun fprechen werde), verbient
ven Titel eines großen Philofophen und Gejchichtfchreibers und nicht
ven eines einfachen Gelehrten.
IV.
Die Hiftorifhe Schule Italiens wurde allmählig reich an aus-
geeichneten Arbeiten, und zeigte fich, trot der verſchiedenen Richtun«
gen der Gefchichtfchreiber, im Ganzen genommen dem italienifchen Fort-
ſchritt förderlih. Die Provinzen Lombardo⸗Venezien und Piemont
hatten bereit8 folgende Werke aufzumweijen: „Geſchichte der ital. Muni⸗
cipien“ von Morbio, ‚vie berühmten Familien Italiens“ vom Grafen
Litta; die Univerfalgefchichte von Cantü; bie origini italiche von
Mazzoldi; die Gefchichte Ztaliens von Balbo; das Werk Cicog-
na's über bie Inſchriften Venedig'; das von Vesme über bie
Schickſale der Befigungen in Stalien; vie Gefchichte der Geſetzgebung
von Sclopis; die fchägbaren Schriften von Sauli, Manno, Pey-
338 Die Eutwiliung der geſchichtlichen Gtubien im Neapel.
ron, Gazzera, Petitti, Saluzzo, Eibrario, Promis, Pro⸗
vanı, Ricotti, Della Marmora und bie „hiftorifchen Dentmä-
ler Piemonts“, welche die Regierung in Zurin veröffentlichen ließ.
Mittel-Ytalien lieferte außer den Arbeiten Pezzana's für die po⸗
fitifche und Literatur-Gefchichte der Provinz Parma, und ver Samm-
lung ver auf die Gefchichte des Herzogthums Lucca bezüglichen Docu⸗
mente: bie Gefchichte ver Malerei in Italien von Rofini; pas Wörterbuch
der toscanifchen Gefchichte von Repetti; über die Urkunden ver
ital. Gefchichte von Molini und das Archivio storico italiano, wel«
ches die Veröffentlichung ver fchätenswertheiten Schriften und Docu⸗
mente bezwect, die über alle Theile ver italien. Gefchichte das meifte
Licht verbreiten.
Schön und rühmilich war diefer Verein von Italienern, welche
wetteiferten, den Urfprung, die Schidjale und Bewegungen der Idee
eines gemeinfchaftlichen Vaterlandes von verfchievenen Standpunften
aus zu erzählen.
Im Allgemeinen muß man’ geftehen, daß alle ven Gedanken an
die Fremdherrſchaft verabjcheuten; hierin kamen Guelfen und Ghibel⸗
linen überein und bildeten eine einzige Phalanır. Die Thatfachen, vie
man unterfuchte und prüfte, die Gefchichte, die man fchrieb, die Kehren,
bie man darand zog, wurden ſämmtlich von dem einen Gefichtspunkt
aus betrachtet, nämlich dem der Eintracht Italiens zur Wiedererlan⸗
gung ber nationalen Selbftftändigfeit; für die Guelfen unter der Form
einer Conföberation unter dem Vorſitze des Papftes; für die Ghibel-
linen al8 abfolute Einheit unter der Regierung eines tapfern liberalen
italieniſchen Monarchen. Allein die guelfiihe Partei war fo zuſam—
mengefhrumpft und in Stalien in Mißkredit gerathen, daß als bie
Kenntniß des großartigen Werkes ins Publikum getrungen war, wel«
ches Carlo Zroya mit fo viel Austauer zu Stante gebracht hatte,
fich feine innigften Freunde von ihm losfagten, namentlich waren es
die beiden Biedermänner Emanuele Repetti und Gabriele
Pepe. Auch der Umftand, daß Cäfare Balbo fi zum Guelfen-
thum befehrte, was er in ber Fortſetzung feiner italienifchen Gefchichte
that (wovon er die erften beiven in einen antern Sinne gehaltenen
Bände bereits im Jahre 18° hatte erjcheinen lajfen), war
Die Eutwicklung der geſchichtlichen Etubien in Neapel. 339
sk im Stande, ter Guelfifchen Partei zu größerem Anſehen zu ver-
ſetfen.
So ſtanden die Dinge, als cin hoher Geiſt aus dem Eril
einige Arbeiten veröffentlichte, die von einem Ende ber ſchönen Halb»
ünfel bis zum andern in ven Gemüthern ter Staliener tie glorreiche
Erinnerung an eine vergangene Zeit und das freubigfte Vertrauen in
daB künftige Geſchick des Vaterlantes erwedten. Boll Philoſophie in
Beorten und Gedanken zeigte er uns, daß obgleih uns das Miß-
gihid tief hinabgeftürzt habe, wir dennoch im Stande feien, das
verlorene wieder zu gewinnen, und noch einmal bürgerlih und mo—
lich die Erſten in der Welt zu fein.
Tiefen Ausfpruch juchte er zu befräftigen durch eine großartige
höchft originelle Darftellung ver Kämpfe jener Gewalten, welche das
Rittelalter beberrfchten, durch tie Schilderung ver Kirche und bes
Laiſerthums). Die vdialektiiche Entwidlung und Grzählung, mit
äner bei modernen Schriftjtellern unerreichbaren Klarheit, mit einer
mansſprechlichen, Achtung gebietenven Liebe zum Vaterlande gepaart,
weten auf überrafchente und wunderbare Weife die italienifchen Ger
müther aud dem ftarren Schlafe, in welchen fie verſunken ſchienen.
Sincenzo Gioberti, tenn von biefem fprechen wir, fchien ter
Berfüntiger der Leiden, des Elends, ver Tugenten, des Geiſtes von
alien; man begreift feine Bedeutung, wenn man bedenkt, in
welher Zeit er feine geltenen Bücher ſchrieb. Damals brauchte
alien mehr als alles Andere bie Eintracht im Wollen, Wiits
ſchen und Hanteln, vie Ginheit in ten Richtungen und Deftres
bangen. Die Befolgung der Lehren Gioberti's, welder die alte
guelfiiche Idee in eine neuere beſſere Form kleidete, ſchien damals das
befte für Italien zu fein, und dies ijt unftreitig ter Grund ber gro-
ben Popularität, welche Gieberti's Schriften auf ver Halbinfel
erlangten. Die Guelfen betrachteten ihm ale ihr Oberhaupt, obwohl er
ds Bermittler der beiden einanter gegenüberftehenden Parteien auftrat.
Auch ſchien das guelfiiche Syſtem in ter Weife, wie es Gioberti
torgefchlagen, einer viel leichtern Löſung fühig. Die Guelfen fuchten
3) Wir übergeben bier eine langatbmige etwas phraſenhafte Stizzirung bes Buches
Prolegomini dal Primato civile e moralo etc. als unweſentlich. A.B.
340 Ueber bie Entwidiung ber geſchichtlichen Stubien in Neapel.
auch ihre Ueberzeugungen durch gefchichtliche Darftellungen zu erhär«
ten, indem fie bie von dem fubalpinifchen Philofophen angegebenen
Geſichtspunkte auf die Gefchichte anwandten, und fie kämpften durch diefe
und mit dieſen in ungewohntem Eifer und ungewöhnlicher Glut für
die eigene Sache,
An der Spige ver guelfifchen Bartei in der Gefchichtichreibung
ftanden ſchon früher Balbo und Troya, und um diefe Grunpfäulen
fammelten fich die jungen Köpfe ver Halbinfel. Uber hinter ber
Reine von Männern entfchievenen und reinen Herzens fchleppten
fih wie ein Schweif jene politifchen Kamäleone nach, welche mit dem
jeweiligen Regierungsfpfteme auch ihre politifchen Meinungen zu wech
feln pflegen, welche mit eberner Stirne heute öffentlich loben, was fie
geftern laut verabfcheuten. Solchergeftalt wurde bie guelfifche Partei
zahlreich und mächtig.
Unter den Jüngern der gefchichtlihen Doctrinen Troya's ift zu⸗
erft Gaetano Trevifani anzuführen, ver nur zu bald dem Leben
und der Wilfenfchaft entriffen ward. Ducch volle zwanzig Jahre und
mit feltener Ausdauer kämpfte Trevifani für Troya's hiftorifches Sy⸗
ftem, und während eines fo langen Zeitraumes war er mit nichts an⸗
derem befchäftigt, als mit der Aufbellung, Erläuterung und Erklärung
ber vorzüglichften Grundſätze deſſelben. In der italienijchen Litera⸗
turgefhichte nimmt Zrevifani ohne Zweifel die Stelle des wärmften
Apologeten des Troya'ſchen Syſtems ein, wenn er auch nur das
von dem berühmten neapolitanifchen Gefchichtfchreiber Geſagte wies
verholt. In der That hat er zu ben von Zroya felbit verfoch⸗
tenen Lehren und SKenntniffen feine neuen Hinzugefügt; die Richtung
feiner Stubien Hatte ihn dahin geführt, die Anſichten deſſelben an⸗
zunehmen, und er ftrebte darnach, fie mit Eifer in dem Lande zu
verbreiten, welches die Wiege feine® Lehrers verherrlichte. Anftatt
ihm aus der Zähigfeit feiner Meinungen einen Vorwurf zu machen,
muß man ihm dafür dankbar fein, weil er dadurch das Intereſſe
und den Eifer für gefchichtliche Discuffionen wach erhielt, welche vie
Geſchichte Italiens nicht unerheblich förderten.
Die Geſchichte von Monte Caſſino hatte in P. Luigi Toſti,
ein ſtaunenswerthes Talent entdecken laſſen, das es ſich zur Auf-
gabe machte, den Ruhm bes abendländiſchen Mönchthums und des
Die Entwidiung ber geſchichtlichen Etupien in Neapel. 341
isffinefifchen Stiftes, viefes einzigen Leuchtthurmes in der Winfterniß
er Barbarei zu erzählen, und Tofti löfte feine Aufgabe auf das Lobens⸗
sertbefte'). Bor ihm waren Mabillen ’), Urmellini?), Legipontiug *),
tegelbauer') und Garbarini*) die vorzüglichften, welche vieles auf die
Beichichte des Benedictinerordens Bezügliche behandelten, feiner aber
beachte daran, eine Gefchichte der Abtei von Viontecaffino zu fehreiben,
wit Ausnahme Des Caſſineſers Erasmo Gattola, welcher eine Spe-
Kelgeichichte Montecaſſino's von 529 bis 1725’) zu fehreiben ver»
ſuchte. Toſti, vem alle früheren Schriften zu Gebote ftanben, lieferte
ein beſſeres Wert als Gattola. Er entrolft uns ein großes Ge—
wälre der Gefchichte Montecaſſino's bis auf unfere Tage. Und wenn
wir uns auch nicht mit Allem einverftanden erklären können, was ber
gelehrte Mönch fchrieb, fo kann ihm doch Feiner das Verdienſt raus
ben, daß er es verftand, mit großer Geſchicklichkeit die wichtigften Les
bentfragen ver allgemeinen Gejchichte des Mittelalters an eine Epe-
defgefchichte zu knüpfen, wobei er ſich jedoch nicht von ven Geſichts⸗
yanften Troya's entfernte. Wichtig find die Noten und Documente,
weiche auf jedes Buch ver Gefchichte folgen, namentlich die von Toſti
zwerft veröffentlichten bisher ungedrudten Papiere. Daher muß man,
ebgefeben von den bejonveren Anfichten des Schriftitellers über bie
mittelalterlichen Zuftänte, vie Gejchichte ven Montecafjino für das
Bert eines tüchtigen Talentes halten.
Diefer Arbeit folgten nach und nach noch andere deſſelben Ver:
ſaſſers über Abilard, Bonifacius VIII, das Concil ven Conftanz,
das Schisma des Orients, und die Gräfin Mathilte, lauter Gegen»
I) Storia di Monte cassino Napol. 1842 und 1843.
) Annal. Benedict. edit. Trid. 1724. De studiis monastieis, Venetiis
1730.
3) Bibliotheca Benedictino-Cassinensis. Assisiis 1731.
%) Historia rei litterariase ordinis 8. Benedicti, Augustae 1744.
*) Idem, Herbipoli 1754.
®) Discorso su i vantaggi recati dall’ ordine di S. Benedetto alla Chiesa
e alla societä Modena 1823.
) Venezia 1734, Vol. in 4. in foglio.
342 Die Entwidlung ber geſchichtlichen Stubien in Neapel.
ftände, welche für die Gejchichte, nicht nur Italiens, ſondern ganz
Europas höchſt wichtig find. Die Studien Toſti's über die Ges
ſchichte Montecaffino’s, und die Noten und Documente, welche er aus
den Archiven des Kloſters fchöpfte, öffneten ihm den Zugang zu allen
biefen wichtigen Arbeiten, und er entlebigte fich derſelben mit feltenem
Fleiße und Austauer.
In ver Geſchichte von Diontecaffino gibt ſich der gelehrte Mönch
natürlicher Weile als Guelfen zu erkennen, allein er thut bieß nach
dem Syſteme Troya's d. 5. mit Klugheit und Ruhe, und den Be⸗
weis für die angeführten Behauptungen mehr aus den Thatſachen
und Urkunden als aus dem eigenen Talente herbolend. Allein im
feinen letttern Werken offenbart er fich mehr denn irgend ein anderer
Guelfe des neunzehnten Jahrhunderts als einen entſchiedenen Partei⸗
gänger der Päpſte, und fieht und beurtheilt alles und jedes mit
den Augen und dem Geifte eines Guelfen aus den Zeiten Alexan⸗
der's III., Innocenz III, und Bonifacius VIII. Es ift für ihn ein
Labjal, wenn er vie politifche Welt vor dem römifchen Stuhle ge-
beugt ſieht, wenn er feinen Blick auf die Gräfin Mathilve Heftet,
welche ihre ganze Macht Hilvebrand anbietet, wenn er fieht, wie
Heinrich reuig und büffend zu den Füßen Gregor’ VII. um Gnade
fleht oder wenn er Bonifaz VIII. ausrufen hört: „Das Schwerbt muß
bem Schwerdte unterliegen und die zeitliche Macht der geiftigen unter-
werfen fein, beide Schwertter hat die Slirche in ihrer Gewalt. Da
kümmert er fich nicht mehr um die feierliche Ruhe der Gejchichte,
nicht um ihre unabweislichen Folgerungen, fonvern vergift die Welt
um ſich ber, vertieft fich in's Mittelalter, ftellt ſich dieſes lebendig
und redend vor feine Blide, fett es an die Spike aller feiner Ge—
danken, beweint deſſen Verdunklung als den Verluſt der fchöniten
Sache, und im Angeſichte ver Geſchichte ſchweigen alle übrigen Men—⸗
ſchen und es bleiben nur zwei übrig, ber Papſt und der Schrift:
fteller, der ver ihm anbetend auf den Knieen liegt. Sekt ift es nicht
mehr der ernjte Gejchichtfehreiber, welcher |pricht, fondern der unbeug-
fame Parteigänger, nicht mehr ter Mann des XIX. Jahrh., fondern
ber feurige Guelfe des Mittelalters, nicht mehr der Nichter über
menfchliche Handlungen, fondern ter Lobredner des Papftes. Ale
folcher wurde er auch von einem noch lebenden Manne aus berfelben
Die Entivilinng ber geſchichtlichen Studien in Neapel. 341
Gaflinefifchen Stiftes, dieſes einzigen LeuchttHurmes in ver Winfterniß
der Barbarei zu erzählen, und Toſti löfte feine Aufgabe auf das Lobens⸗
wertheite‘). Bor ihm waren Mabillen ‘), Urmellini?), Legipontius *),
Biegelbaner') und Sarbarini®) die vorzüglichften, welche vieles auf bie
Geſchichte des Benedictinerordens Bezügliche behandelten, feiner aber
dachte daran, eine Gefchichte der Abtei von Montecaſſino zu fchreiben,
wit Ausnahme des Cafjinefers Erasmo Gattola, welcher eine Spe⸗
zialgefchichte Montecaſſino's von 529 bis 1725) zu fehreiben ver-
ſuchte. Toſti, vem alle früheren Schriften zu Gebote ftanden, lieferte
ein befferes Werk als Gattola. Er entrolft uns ein großes Ges
mälde ber Gefchichte Montecaſſino's bis auf unfere Zage. Und wenn
wir uns auch nicht mit Allem einverftanvden erklären können, was ber
gelehrte Mönch fchrieb, fo kann ihm doch Feiner das DVerbienft rau-
ben, daß er es verftand, mit großer Geſchicklichkeit die wichtigften Les
bensfragen der allgemeinen Gejchichte des Mittelalters an eine Spe—
dafgefchichte zu knüpfen, wobei er fich jedoch nicht von ten Geſichts⸗
yanften Troya's entfernte. Wichtig find vie Noten und Documente,
welche auf jeves Buch der Geſchichte folgen, namentlich vie von Zofti
zuerft veröffentlichten bisher ungedrudten Papiere. Daher muß man,
abgefeben von ten bejonveren Anfichten des Schriftjtellerd über Die
mittelalterlichen Zuftänte, die Gefchichte ven Montecafjino für das
Berk eines tüchtigen Talentes bulten.
Diefer Arbeit folgten nach und nach noch antere deſſelben Ber:
faſſers über Abälard, Bonifacius VIII, das Concil ven Gonftan;,
das Schisma tes Orients, und die Gräfin Mathilde, lauter Gegen-
I) Storia di Monte cassino Napol. 1842 und 1843.
") Annal. Benedict. edit. Trid. 1724. De studiis monastieis, Venetiis
1730.
’) Bibliotheca Benedictino-Cassinensis. Assisiis 17.31.
) Historia rei litterariae ordinis 8. Benedicti, Augustae 1744.
) Idem, Herbipoli 1754.
*%), Discorso su i vantaggi recati dall’ ordine di S. Benedetto alla Chiesa
e alla societä Modena 1823.
) Venezia 1734, Vol. in 4. in foglio.
342 Die Entwillung ber geſchichtlichen Studien in Neapel.
ftände, welche für die Gefchichte, nicht nur Italiens, fondern. ganz
Europas höchſt wichtig find. Die Studien Toſti's über bie Ges
fchichte Montecaffino’s, und die Noten und Documente, welche er aus
den Archiven des Kloſters fchöpfte, öffneten ihm den Zugang zu allen
biefen wichtigen Arbeiten, und er entletigte fich berfelben mit feltenem
Fleiße und Austauer.
In ver Gefchichte von Montecaſſino gibt fich ber gelehrte Mönch
natürlicher Weile als Guelfen zu erfennen, allein er thut dieß nach
dem Syſteme Troya's d. h. mit Klugheit und Ruhe, und den Des
weis für bie angeführten Behauptungen mehr aus ten Thatſachen
und Urkunden als aus dem eigenen Talente berbolend. Allein in
feinen legtern Werken offenbart er fich mehr denn irgend ein anderer
Guelfe des neunzehnten Jahrhunderts als einen entſchiedenen Partei⸗
gänger der Päpſte, und fieht und beurtheilt alles und jedes mit
den Augen und dem Geifte eines Guelfen aus ven Zeiten Aleran«
der's III., Innocenz III. und Bonifacius VIII Es ift für ihn ein
Labjal, wenn er bie politifche Welt vor dem römijchen Stuhle ges
beugt fieht, wenn er feinen Blick auf die Gräfin Mathilde beftet,
welche ihre ganze Macht Hildebrand anbietet, wenn er fieht, wie
Heinrich reuig und büffend zu den Füßen Gregor’ VII. um Gnade
fleyt oder wenn er Bonifaz VIII. ausrufen hört: „Das Schwerbt muß
bem Schwerbte unterliegen und bie zeitliche Macht der geiftigen unter-
werfen fein, beide Schwerdter hat die Kirche in ihrer Gewalt. Da
fümmert er fich nicht mehr um vie feierlihe Ruhe der Gefchichte,
nicht um ihre unabweislichen Folgerungen, fonvern vergift die Welt
um ſich ber, vertieft fich in’8 Mittelalter, ftellt ſich dieſes lebendig
und rebend vor feine Blide, fett es an die Spite aller feiner Ges
danken, beweint deſſen Verdunklung als den Verluſt der fchönjten
Sache, und im Angeſichte ver Geſchichte ſchweigen alle übrigen Men—⸗
ſchen und es bleiben nur zwei übrig, der Papſt und der Schrift⸗
ſteller, der vor ihm anbetend auf den Knieen liegt. Jetzt iſt es nicht
mehr der ernſte Geſchichtſchreiber, welcher ſpricht, ſondern der unbeug—
ſame Parteigänger, nicht mehr der Mann des XIX. Jahrh., ſondern
der feurige Guelfe des Mittelalters, nicht mehr der Richter über
menſchliche Handlungen, ſondern der Lobredner des Papſtes. Als
ſolcher wurde er auch von einem noch lebenden Manne aus derſelben
ro Tee — — m ee
Die Entwidlung ber gefchichtlichen Studien in Neapel. 343
Zroya’ihen Schule bezeichnet, deſſen Urtheil lautet: „Saft alle
tie Schönen und beredten Werfe, vie Zofti bis jest veröffentlicht hat,
reihen ihm mehr umter bie Apologeten als unter bie Gefchicht-
ſchreiber. As ein glühender und Leidenfchaftlicher Kämpfer für
eine ſchöne Sache ficht, ringe, argumentirt und vertheibigt er viel-
mehr als er erzähft. Die gefchichtliche Erzählung erfordert cine ganz
andere Ruhe des Geijtes, eine ganz andere Gelajjenheit des Urtheils,
eine anzere Klarheit des Stiles, als Toſti je befigen wird. Er vers
ſteht es nicht, die Thatfachen von felbjt fich abmwideln und reden zu
faffen mit ver befcheivenen und gewinnenten Evidenz einer fchlichten
ud anſtandsvollen Rede. Er fchleutert den Epeer bei den erften
Borten, und wirft feine Behauptung als eine Herausforderung Hin,
zimmt das Urtheil gebieteriich gefangen und verfolgt feine Rebe
mt ſtets wachſendem Eifer und mit hohen Phraſen, als gälte c8 eine
Zubörerfchaft fortzureißen und nicht einen ftillen Leſer zu belchren
und zu unterrichten“ ').
Diefes geſunde Urtheil jtellt nun zwar vie Eigenfchaft Toſti's
ds eines unparteiiſchen Gefchichtichreibers in Abreve, läßt jedoch bie
weientlihen Mängel der ven ven cafjinefischen Schriftfteller vertbei-
tigten Lehren unangefochten. Der Hauptfehler ver guelfiſchen Schriftftel-
ler befteht darin, daß fie die Travitionen des Mittelalter auf unfere
morernen Zeiten übertragen wellen, daß fie den Myſticismus pre=
digen in einer Zeit der thatkräftigen Civilifation, das Leben ver
Zrigheit, die ausſchließliche Herrichaft eines alten Syſtems vor einer
Generation, tie unter ten Kämpfen und Grfüllungen ber fecialen
lichten zu einem hohen Grate von Bildung und Thätigkeit gelangt
ft. Daher die offenbaren Feindſeligkeiten gegen die neuen Einrich—
tungen des XIX. Jahrh., gegen den potitiichen und bürgerlichen Fort-
ſchritt der Gefellichaft, gegen vie menarchifche Gewalt felbjt, wo dieſe
an vie unglüdliche Geſchichte der Stuarts erinnert. „Denn“, um mit
einem großen gefrönten Haupte zu fprechen, das heute vie Geſchicke
des armen Stalien und ganz Europa's in Händen hält, „bie Stuart
follten ven Katholicismus herftellen, und haben ihn für Jahrhunderte
—⸗·—
!) Giovanni Manna in ber neapolitan. Zeitſchriſt „il Diorama“ Jahr⸗
gang III Rro. 17. April 1858.
846 Die Entwidlung ber geſchichtlichen Gtubien in Neapel.
von Anjou, einem edlen und wadern Monarchen, ber fie bie an feim
Tod mit Wohlthaten und Gnaden überhäufte”. Wohin führen uk
die vorgefaßten Meinungen und ver blinde Parteigeift, felbft bis zu
Entftellung ter Thatjachen, und zur Verdrehung der Wahrheit, weid
boch das einzige Fundament ver Gefchichte fein follte. Ich behaup
nicht, daß in derſelben die Individualität des Gefchichtfchreibere gem
untergehen müſſe, denn dieſer ijt es ja, welcher urtheilt und über bi
Thatfachen Gericht hält; allein Die Gefchichte und ihr Erzähler dir
fen nicht das Wefentliche ver Thatſachen verbrehen, um fie ihrer eige
nen Sache und ihrer invivivuellen Meinung dienftbar zu machen, be
fonder8 wenn die Tharfachen mit biefer im Wiverfpruche find.
Die Dynaſtie der Anjeu war ein wahres Unglüf, nicht nur fh
bas Rand, ſondern auch für ganz Stalien. Die Graufamfeiten, MG
bräuche, Ungerechtigfeiten, Die Frohnden, Beraubungen mit bewaffes
ter Hand, und das eiferne Zoch Carl's von Anjou find von ala
zeitgenöffifchen Gejchichtfchreibern hinlänglich befchrieben worden, bi
Guelfifchen jelbft nicht ausgenommen.
Zomacelli erwähnt abfichtlich einige Fehler der Regierung Carl'e I,
aber er wirft vie Schuld derſelben auf vie Minifter, in ver Abſicht
den Fürften zu entjchultigen, ver Doch in abfeluten und despotiſche
Staaten allein verantwertlich ift für eine fchlechte, habjüchtige, unge
treue und finnlofe Verwaltung; und während er ven tapfern und ri
terlichen Manfred Vatermörder, Brudermörder, Giftmiſcher, Blutfchänden
Ehebrecher und Tyrann nennt, wagt er es bernach, einen Carl ver
Anjou edel, großherzig und fromm zu nennen! Während er die Ri
ter, welche Konrabin verurtbeilten, ‚‚feig und feil nennt, denkt er beim
lich dabei, daß alle Richter für vie Yosfprehung waren: „ver Ein
zige Roberto di Bari, ein Brovencale, Protenotar des Reiches ftimmt
für den Zod, und das war genug, dab ihn Carl tecretirte. Un
faft ärgerlih tarüber daß er viefen Fleden aus tem Leben Garfı
von Anjou nicht wegwifchen kann, behauptet Zomacelli, c8 wäre at
beften geweſen „Konradin in lebenslänglicher Haft zu halten, Gift ü
bie Speijen zu mifchen, bie ihm ter König reichen ließ” als men
die Zodekart ob durch Tas Schwert over Gift einen nieberträchtige
Meuchelmord in eine fchöne und chrenvolle That verwanteln könntt
Daß der Papft Innocenz IV. vie Unabhängigkeit und Einhei
Die Entwicklung ber gefhihtlihen Stubien in Neapel. 347
Italiens begünftigt habe ift etwas, was von allen modernen Ges
fchichtichreibern der Halbinfel Tomacelli allein zu behaupten wagt.
Allein die unparteiifche Gefchichte ehrt und int Gegentheil durch
ein Jahrtauſend hindurch, daß das römiſche Papſtthum wegen eines
mifroftopifchen Ländchens oder um mit der nationalen Muje Giu—
feppe Giuſti's zu jprechen, wegen einer „Kaſtanienſchale“ ſtets ber
Stein des Anſtoßes für die Einheit gewejen ift; daß das Papitthum,
um den Schimmer einer zeitlichen Gewalt zu bewahren und bie Spal-
tung der Italiener wach zu erhalten, ftet8 einen Fremden angerufen
bat, um ihn einem andern in ven Angelegenheiten unferer unglück—
lichen Halbinfel entgegenzufegen. And was bie Zeit betrifft, von
welcher Zomacelli redet, jo erinnere man ſich nur, daß, al8 im Jahre
1267 ver Papjt den Earl von Anjou als Frievensftifter nach) Toscana
fanbte, diefer ihm ſchwören mußte, daß er die Autorität nicht länger
al8 3 Jahre behalten und fie fofort wieder abgeben werde, fobald ein
Kaifer die Anerkennung erhalten haben würde. Sein einziges Factum
fpricht für die Liebe der Staliener zu den Anjons, wie unfer Ge—
ſchichtſchreiber erzählt, fontern gerade das Gegentheil fteht feit.
Wer will nach alledem bei Tomacelli Gefchichte lernen? Wer
fönnte ihn je zu ten Gejchichtfchreibern zählen troß feiner wirffamen
Schreibart und der ſchönen Sprache ? Allein damals, als Tomacelli fein
Bud ſchrieb, war ganz Stalien, gut- oder böswillig, wirklich oder
ſcheinbar, auf einmal guelfifch geworben, und erwartete und verfprach
fich viel von dem neuen Bapfte und dein neuen Papftthume fowie von
denjenigen, » welche durch Talent, Einfluß und Schuß daſſelbe begün—
ftigten. Diefen Umfchwung, wir wieberholen es, hatte Vincenzo Gios
berti wunderbarer Weife bewirkt, und auf das Wort des großherzigen
Verbannten bauten alle Staliener, mit Ausnahme jener wadern Xeute,
welche lange gekämpft und gearbeitet hatten, um in Stalien eine ftarfe,
eble und allgemeine Meinung berzuftellen, welche der betretenen na⸗
tionalen Richtung entfpräche, wie fie von dem Vater der neuen ital.
Cultur zuerft formulirt worden war. Daher kam es, daß fich die Guelfen
bemühten, eine Macht zu kräftigen, von ber fie das Heil des Vater:
landes erwarteten, jelbft um ben Preis ber Verfälfchung der Ge
ſchichte. Trotzdem verſtand es das Papſtthum nicht, oder hatte es den
Willen nicht, die Gunſt des öffentlichen Vertrauens zu benützen, wel⸗
Diſtoriſche Zeitſchrift VL. Band. 24
348 Die Entwidfung ber geſchichtlichen Etnbien in Neapel.
ches ihm das neue guelfifche fogenannte vermittelnde Element ned
Gioberti verfchaffte, ja deſſen goltne Schriften felbft wurden mit bem
Banne belegt und auf ten Index libr. prohibit. gejegt. Dies beftätigte
auf das FFeierlichfte ven Ausfpruh Dante's und Macchiavelli's, bie
Thatfachen der alten und neuen Geſchichte und vie Anfichten aller
Ghibellinen Hinfichtlich des künftigen Schickſals ver Halbinfel. Das Papf
thum felbft nämlich zerftörte das Werk ver Guelfen durch vie Hark
nädigleit und Zähigkeit, mit ber e8 an ben alten Traditionen bei
römifchen Stuhles feithielt und fich als den unverföhnlichen Fein
der italienifchen Unabhängigkeit offen erklärte. Indem es vie öſter
reichifche Herrfchaft begünftigte, neue bewaffnete Fremde in’s Far
rief, beftätigte e8 feierlich und auf unläugbare Weife tie Behaup
tung der Öbhibellinen von Pietro delle Vigne bis auf bie neuefte Je,
dap nämlich ver legte Grund ver Knechtſchaft, der Uneinigkeiten,
Giferfüchteleien, des Haffes, des Zwiefpaltes und ver endloſen ebd,
welche die Italiener feit Jahrhunderten zu leiten hatten, in ber weltlichen
Macht des Papſtes liege. Daher hatten vie wahren und freifinniger
Weiſen Recht zu fagen, daß bie legte Manifeftation und Umtmantlung
bes Guelfismus in Italien vie Schriften Gioberti's waren, gerade
fo wie der größte Sieg der Öpibellinen in Intereſſe der künftigen
Unabhängigkeit Ftaliens in der Enchclica vom 29. April 1848 mb
balten fei.
X,
Zur Würdigung von Ranle’s hiftorifcher Kritik.
Georg Waitz.
Sranzöfifge Geſchichte vornehmlih im fechzehnten und fiebzehnten
afehundert von Leopold Rauke. 5. Band. Etuttgart, 9. ©. Cotta'ſcher
klag, 1861. 5336. 8.
Die großen Arbeiten, mit denen Leopold Ranke fortführt unfere
ftorifche Literatur zu bereichern, finven nur felten noch eine aus⸗
Igelihe Beiprehung in unferen kritiſchen Qlättern. Bei dem Pub»
ham des In⸗ und Auslantes, das begierigft nach jedem neuen Werfe
nd Bande greift, bevürfen fie Feiner Einpfehlung: jeder Leſer weiß,
se wie anziehende Darftellung großer welthifterifcher Epochen, eine
ie intereffante Schilverung hervorragenver Berfönlichkeiten er finden wird;
⁊ mitforfchende Gelehrte aber freut fich im voraus ber Fülle neuer
uffchlüffe, die aus einem eingehenden Stubium ber Periode, aus der
enugung eines ausgebehnten urlundlichen und handſchriftlichen Mas
riais gewonnen worden ift; ex erwartet mit einer gewiflen Span⸗
QAr
350 Georg Waitz,
nung, wie in ber Betrachtung Ranke's die oft verhandelten Frages
in ben nach den verfchiedenften Seiten hin fo inhaltsreihen Jahe
hunderten, denen er vorzugsweife feine Forſchung zugewandt hat, &
fcheinen. Dabei bleibt dann freilich dem einen wie dem andern ein Zweifd
über die Art ver Auffafjung und Beurtbeilung einzelner Charaktere id
Begebenheiten; die ganze Behandlungsweije erfreut fich nicht bei allen
gleicher Gunft, oder fie erfcheint wenigftens nicht für alle Aufgaben
gleichinäßig geeignet: wie auch ter größte Maler ja wohl nicht mil
gleichen Erfolg feinen Pinfel den verfchierenen Darftellungen des %
bens leiht. Gewiß haben auch andere Betrachtungsmweifen ihr Neil
und Ranfe felbft hat bei mehreren Gelegenheiten es ausgeſprochet,
wie er am wenigften gemeint ift, für feine von einem beftimmten Stau
punft aus unternommene Schilderung nun zuleßt der großen Epochen
der Gefchichte der beiden in der neuern Zeit vor allen andern in da
Vordergrund tretenden europäiſchen Nationen, eine, daß ich fo fa,
unbedingte Gültigkeit in Anſpruch zu nehmen. Wie fie aber in Frank
reich und England reiche Anerkennung gefunden haben, fo werten wü
in Deutfchland in ihnen ficher einen neuen Beweis ſehen, wie unfer
hiftorifche Wiffenfchaft ven Beruf und vie Fähigkeit hat, die Ge
fchichte der verfchiedenjten Nationen zu durchdringen und von em
wahrhaft univerfalhiftoriichen Stanbpunft aus zu würbigen. &
werten auch wenige anftehen, namentlich der nun vollendet vorliegen
ben franzöfifchen Sefchichte unter den Arbeiten Ranke's einen der @ |
ften Pläße anzumeifen: gerade bier war cin Stoff gegeben, wie er
wohl ganz eben feiner Natur entjpricht, an dem er alle die glänzer
den Eigenfchaften feines Geiftes auf das bejte bewähren konnte. And
bier ift dann, nad) allen den Arbeiten, welche die Franzoſen felbit der
Zeit des Höhepunftes ihres alten Königthums zugewandt Haben, nicht
bloß in ver Auffaffung im ganzen, auch in ven Einzelheiten viel eb
Eigenthümlichen und Neuen gegeben: ungebrudte Quellen, wie ber
Verfaffer fie immer ſchon benutzte, diplomatische Relationen und Gar
rejpondenzen, gleichzeitige Aufzeichnungen verfchievener Art haben
dazu das Material geboten.
Wenn aber die Ausbeutung folder Quellen ben erften Werten
Ranke's einen befondern Ruhm eintrug, da fie in überrafchenrer Welke
zeigten, welche Wufichlüfje über Eis dahin wenig ober gar nicht ge
Zur Würdigung von Ranke's hiſtoriſcher Kritik. 351
kannte Seiten der Gefchichte hier zu gewinnen feien, fo bat ihm fpä-
ter wohl aus der bevorzugten Benugung berfelben eher ein Vorwurf
gemacht werben follen. Den Diplomaten, „Leuten, deren Schrift und
Wort fo oft nur zur Verjtellung der Wahrheit dienen müffes, werde
eine ungebührliche Autorität beigelegt, da doch „ihr Bericht keine größere
Bedeutung habe, als die Mittheilung jedes andern fühigen zeitges
nöffifchen Beobachter, der in dem eigentlich factifchen Theile der Ge-
ſchichte den Täufchungen leicht weniger als jene ausgefeßt feis; bie
Dinge belämen, in dem Spiegel ihrer Auffaffung gefehen, leicht etwas
kleinliches; die große Macht der Ereigniſſe fomme fo in den täglichen
Aufzeichnungen nicht zur Geltung. Es nimmt Wunder, einen Gervinus
in biefen Ton einftimmen zu fehen (Fr. Chr. Schloffer S. 26), nachdem
er jelbft neuerdings in den legten Bänden feiner neuejten Gefchichte
gezeigt, wie viel diefen ihm erjt ſpäter zugänglich geworbenen Pa⸗
pieren entnommen werben könne, und wie auch die Beurtbeilung an
fih wohl befannter Ereigniffe darnach eine andere werde. Wer näher
auf Ranke's Behandlungsweiſe eingegangen war, bie einbringenbe
und umfaffende Forſchung fannte, die er feinen Darftellungen voran«
gehen ließ, wußte wohl, wie wenig Grund die Meinung habe, daß er
anderweitige Quellen vernachläßige over zurüdfege. Allerdings hat er
oft einen Zweifel fundgegeben gegen hergebrachte Erzählungen, und
zwar gerate auch folche, die fich auf vielgelefene, berühmte, in man
cher Beziehung fehr hervorragende Gefchichtsbücher ftügen. Wie er
aber ſchon in ver Beilage zu feiner erften Schrift: Zur Kritik neuerer
Geſchichtſchreibung, ein folches Miktrauen rechtfertigte, jo hat er auch
fpäter wohl, in den Beilagen zur deutfchen Gefchichte, und fonft ge-
legentlich, die Refultate feiner kritiſchen Forſchungen dargelegt. Doch
aber vielleicht für manche Lefer nicht genug. Und es ift daher im
jever Beziehung erfreulich, daß jet der ſchon vor einigen Sahren voll»
endeten franzöfifchen Gefchichte ein Band mit Belegen und Eritifchen
Erörterungen nachfolgt, der gerade in dieſer Beziehung eine befonbere
Bedeutung hat: Analecten zur franzöfiichen Gefchichte im fechzehnten
und fiebzehnten Jahrhundert, wie der Verf. ven Yuhalt bezeichnet.
Ich verweile nicht bei dem, was bier an. neuem urkundlichen
Material geboten wird. Für weitere Sreife amt intereffanteften bürfs
ten jedenfalls bie Briefe ver Herzogin. von’ Orleans, Elifabeth Ehar«
352 Georg Waitz,
Iotte, an die Kurfürſtin Sophie von Hannover, fein, pie hier, freilich
nicht vollftändig, aber in reichen Auszügen, aus dem bannoverfchen
Archive mitgetheilt werben. Außerdem haben bie venetianifchen Nelaties
nen zu verfchiebenen Auszügen Anlaß gegeben, von benen allerbings ein
Theil feit dem ſchon vor einigen Fahren begonnenen Drud des Ba
bes anderweit publicirt worben ift. Daneben fehlt es nicht an DM
theilungen über andere handſchriftliche Aufzeichnungen zur Geſchicht
ber Zeit, unter denen Memoiren des bekannten Pater Joſeph jeben-
falls ven erften Pla einnehmen. Bier hebe ich aber beſonders fer
vor eine Reihe von Auffügen, die fih mit befannten Darftellunges
aus der franzöfifchen Gefchichte befchäftigen, über Davila's Geſchicht
ber franzöfifchen Bürgerfriege, und über einige ber bebeutenbften Die
moirenwerfe diefer Zeit, Richelieu's, des jüngeren Brienne, des Ca
binal Re und des Duc de St. Simon. Sie find alle Mufter fir
ner und umfichtiger Kritik: die Fragen ver Echtheit, der Glaubwär
bigfeit, des Werthes einer beftinnmten Betrachtungsmweife, kommen bier
zur Erörterung und werben in einer Weiſe behandelt, die über des
Verfaſſers eigene Art zu arbeiten ven beften Aufſchluß gibt und bes
Anregenden und Belehrenden im allgemeinen gar viel enthält.
Bortrefflich ift gleich anfangs die Auseinanderfegung über die Schwächen
Davila’8. Ranke vedt die vielen Unrichtigfeiten feiner Erzählung af,
aber er verhehlt nicht die Bewunderung vor feinem Zalent; er &
Härt den großen Erfolg, ten das Buch gehabt, würdigt ven Einfluf,
den es geübt: wie e8 dazu beigetragen, alle® auf Meine Motive, und
in ben religiöfen Angelegenheiten auf egoiftifche Antriebe zurückzuführen,
und wie dieſe Anficht dann in dem Pragmatigmus des 18. Jahrhuw
bertS vorgeherrjcht habe. "Das Göttliche oder Gottverwandte in be
menſchlichen Natur war aus ver gefchichtlichen Darftellung entfchwur
ben: ohne Enthufiasinus und Willfür, forjchend und ter Wahrheit
die Ehre gebend, fuchen wir e8 wieder zu finden«.
Mit voller Anerkennung fpricht Ranke auch von dem Talent des Car⸗
binal Reg. „Seine Bildwerle haben eine Feinheit des Pinfels um
Sicherheit der Conturen, welche man nur bei ben großen Meiftern
finret«. Den Memoiren wird ein hohes, in einem ober dem andern
Bezug unvergleichliches literarifches Verdienſt vindicirt. Aber freiliqh
mit dem biftorifchen Werth fteht es anders. „Das Vorgetragem,
a4 "2
Zur Würdigung von Ranke’s Hiftorifcher Kritik, 353
int es, wird zu tem Beweiſe genügen, daß man bei einer erneuer-
u Darftellung ber Freude am beften thun wird, bie Erzählungen
8 Sartinal Reg fürs Erfte auf fich berugen zu laffen und fich nur
u die zuverläßigen, wiewohl ıninder braftifchen Nachrichten zu Halten,
ie wir anterweit finden-. Aehnlich bei der Betrachtung von Brienne's
Infzeichnungen: „In tiefen leichten Darjtellungen mag fich auch mans
hes Wahre finden: wer will es aber mit Sicherheit unterfcheiven«?
Anters iſt die Beurtheilung St. Simon’s, deſſen eigenthümliche
Stellung am Hofe Ludwig XIV. bier eine Würdigung erhält, vie
niele Einfeitigfeiten, ja Unrichtigfeiten in feinen Erzählungen erklärt,
ıber ihm doch eine nicht geringe Bereutung läßt, wenn man ihm auch
ven Ruhm nicht zufprechen kann, den einige feiner Landsleute ihm
haben ficyern wollen. „Nicht als unbefangene Anfchauung können
wir aljo die Urtheile St. Simon’s anfehen: fie find in den Anfichten
bes Hofes und ter Parteiftellung begründet. Aber das große Talent
bes Schriftjtellers gibt ihnen doch einen hohen Werth. Yu feiner
Geſinnung ift bei aller Parteibejchränftheit etwas Aechtes, was über
biefelbe erhebt. Es redet ven Bewegungen ver menfchlichen Seele,
welche fie adeln, das Wert: Entfernung von gemeinem Intereſſe, Unab-
hängigfeit ter Geſinnungen und Bravheit. Alles entgegengeſetzte Beftreben
vertammt er und verfolgt es mit unbarmberzigen Scharffinn bis in
feine geheinften Schlupfwinkel. Diefer ſcharfen und ftrengen Moral
verdankt cr jene Vergleichung mit Tacitus hauptſächlich, und es ift
etwas werth, daß er fie in einer verfallenten Zeit behauptete: aber
in allen audern Cigenfchaften, die ven Hijtorifer ausmachen, fteht er
tief unter ihm«.
Die Abhandlung über die Memoiren tes Cardinals Richelieu im
Jahre 1850, in ber Berliner Akademie gelefen, nimmt bie in einem
Auffag ver hijtorifch-politiichen Zeitfchrift gegebene Unterfuchung wie-
der auf und führt fie zu einem andern Refultat. Der Zweifel an ber
Berheiligung Richelieu's bei der Abfaffung des Werkes, wie es vor»
liegt, wird aufgegeben. „Ohne Zweifel hat Richelieu ſelbſt das Wert
zur Bekanntmachung bejtimmt: doch war e8 von ber Geftalt, in der
eine felche für ihn ausführbar geweſen wäre, noch weit entfernt, als
er ſtarb⸗. „Die Kritik,“ fügt Ranke Hinzu, „ift wie tie Wurfel auf ber
Tenne, welche ven Weizen von ver Epreu ſcheidet. Manchmal fintet
354 Georg Waitz,
fie nichts al8 Spreu auf dem Boden: Hier ift viel Spreu, aber zu⸗
gleich viel Weizen«.
Aber auch ein anderes Wort des Verf. mag hervorgehoben wer-
den. „Wer es nicht felbjt verfucht Hat, kann fich faum einen Begriff
davon machen, auf welche Schwierigkeiten man ftößt, wenn man bunlle
und zweifelhafte hiftorifche Thatfachen erforfchen will«. Hier ift zu⸗
nächft eben von der Forfhung die Rede. Die ganze zugleich fchäne
und große Aufgabe des Gefchichtfchreiberd aber Hat Ranle an einer
andern Stelle dieſes Bandes in treffenden Worten bezeichnet, bie wohl
als ein Ausſpruch über das, was er erftrebt, angefehen werben und
an biefer Stelle eine Wiederholung finden Dürfen.
«Gerade bei Werken dieſer Art aber zeigt ſich die unermeßliche
Schwierigkeit der Aufgabe des Hiftorifers.
Wenn ein poetiiches Werk geijtigen Inhalt und reine Form ver«
bindet, fo ift “Jedermann befriedigt. Wenn eine gelehrte Arbeit ihren
Stoff durchdringt und neu erläutert, fo verlangt man nichts weiter.
Die Aufgabe des Hiftorifers dagegen ift zugleich literariſch und gelehrt;
bie Hiftorie ift zugleich Kunſt und Wiffenfchaft. Sie Hat alle For-
berungen der Sritif und Gelehrfamkeit fo gut zu erfüllen, wie etwa
eine philologifche Arbeit; aber zugleich foll fie dem gebildeten Geiſte
benfelben Genuß gewähren, wie bie gelungenfte literarijche Hervor⸗
bringung.
Dan könnte fih zu der Annahme neigen, als ob die Schönheit
ber Form fih nur auf Koften der Wahrheit erreihen laffe. Wäre
bieß der Yall, fo würde die Idee der Verbindung von Wiffenfchaft
und Kunft aufgegeben werben müffen und als falfch zu bezeichnen
fein. Ich Halte mich jedoch von tem Gegentheil überzeugt und vente,
baß das auf die Form gerichtete Beftreben fogar den Eifer ter Uns
terfuchung befördert. Denn worauf könnte die Darftellung beruhen,
als auf lebendiger Kenntniß? Diefe aber ift nicht zu erreichen, außer
durch tiefe und erfchöpfente Forſchung. ine freie und große Form
kann nur aus beim mit dem Geiſte vollfommen Ergriffenen hervorgehen.
Aber freilich ift das ein Ideal, das faum jemals erreicht worden
und unendlich ſchwer zu erreichen ift. Gelungene poetifche Hervor-
bringungen find unfterblich, Hifterifche Werke von großem Ruf und
Verdienſt jehen wir dennoch veralten. Beſonders bei ver neuern Ge-
| |
Zur Bürbigung von Ranke's hiſtoriſcher Kritik. 355
(dichte iſt dies der Fall, wo ver Natur der Sache nach Vieles Tange
Kit verborgen bleibt und ver Autor die Unvolffommenheit feiner
Kenntnig zu überwinden ober vielleicht zu verbeden fein Mittel als
kine Vermuthung zu haben meint und biefe als erkannte Wahrheit
enfftellt.. Später zur Kunde gelangte Thatfachen pflegen die werfuchte
Kembination als unhaltbar auszuweifen. Allein die vornehmfte For-
Krung an ein Hiftorifches Werk bleibt doch immer, daß es wahr fei,
dej die Dinge fich fo begeben haben, wie fie targeftellt werben: das
wiienfchaftliche Verdienſt ift das bei weiten überwiegenve. Um einer
Irheit zu Grunde zu liegen, bie nicht das Siegel der Vergänglichkeit
auf der Stirne tragen foll, muß bie Forſchung auf eine Stufe gebiehen
kin, wo fie ver Wahrheit im Ganzen und Großen ficher ift“.
XI.
Die hiſtoriſche Kritit und dad Wunder.
Ein Sendſchreiben an den Herausgeber.
Bon dem Verfaſſer der Abhandlung: „Die Tübinger hiſtoriſche Schule.“
(Hift. Ztſchr. 1860, 3, 90 ff.)
Es war doch nicht ganz ohne Grund, mein verehrter Freund,
daß ih anfangs Vedenken trug, für meine Erörterungen über tie Ge
ſchichte der älteſten chriftlichen Kirche eine Stelle in Ihrer Zeitfchrift
in Anfpruch zu nehmen. Ich wußte eben nur zu gut, wie leicht auf
diefem Gebiete ein Wort das andere hervorruft, und fo konnte ich
nich der Beforgniß nicht entfchlagen, daß ich Ihnen, wenn mir ein
mal die erfte Rebe vergönnt fei, auch noch mit einer zweiten unb
britten würbe zur Laft fallen müſſen. Dieſe Beforgniß geht dann
nun auch wirklich, wie der Augenfchein zeigt, in Erfüllung. Sonſt
aber hat freilich die Aufnahme und der Erfolg ter Heinen Arbeit
meine Erwartungen, und daß ich e& nur gejtehe, meine Befürchtungen
übertroffen. Die Hiftorifer, an welche ich mich dießmal wandte, zeige
ten für Die Fragen, um die e8 fich darin handelt, ein unbefangeneres
Verftänpniß, als die Theologen, an welche wir uns fonft gewendet
. .
In
a
Die hiſtoriſche Kritit und das Wunder. 357
heiten. jenen gegenüber hätte ich wohl auch feinen Anlaß gehabt,
weinen Ramen, der zuerft, wie Sie Sich erinnern, unter ber Ab⸗
kablung nicht fehlte, wieder zu ftreichen. Aber doch iſt es mir lieb,
dej ich mich in ber Folge dazu verftanten babe. ‘Denn ohne biejen
fälligen und äußerlichen Umſtand wäre uns doch wirklich Manches
algangen. Oder hat es Eie nicht auch erfreut, als ver äußerſt wohl»
wellende Berichterftatter eines politifchen Blattes Ihrem Freunde aus
Ulaß eines Artikels, dem er feinen Namen vorgeſetzt hatte, ben un-
grannten Verfaſſer der „Tübinger Schule» als Mufter des richtigen
Ins für derartige Darftellungen vorhielt? Was fagen Sie ferner
van, daß einer Ihrer Bonner Collegen dem „Nichttheologen», ver
ſih in Ihren profanen Blättern über neuteftamentliche Kritik zu
äußern gewagt hat, mit bem vollen Selbftgefühl des zünftigen Theo»
bogen vie Belehrung zu Theil werben läßt, verfelbe „habe fich offen-
bar feine Rechenfchaft varüber abgelegt, was es mit der Religion auf
ſich bat. So wenig nun Jemand zur technifchen Beurtheilung ber
Ruſik geeignet fei, der gar feine Einficht in die mathematifchen Ges
ke der regelmäßigen Verbindungen und Folgen ver Töne fich ver-
ſchafft habe, fo mißlich fei es, über Religion zu urtbeilen, wenn man
wicht georpnete Beobachtungen über tie Eigenthümlichkeit ver Religion
mb des religiöfen Erkennens angeftellt habe«?') Kaben Sie fi)
bach Ritſchl überzeugen lajfen, daß Ihr Mitarbeiter bei dem, was
er über Baur fagt, „der vollſtändigen Kienntniß der Akten entbehrt«?
Ober haben Cie unigefehrt mit dem Schreiber viefer Zeilen gedacht,
wer bei einer jo offen valiegenven Frage fo weit neben das Ziel fchießt,
wer bie deutliche Erflärung des Verf., daß er ein Theolog und ein
Schüler Baur’s fet, in fo unbegreiflicher Weiſe überhört hat, ber
Bitte beffer gethan, nicht gerade mit dieſer Probe feiner eigenen
kritik in ber Hand Anvere zu meiftern und über bie veclatanten Fehl:
geiffes eines Gefchichtsforfchere, wie Baur, fich vernehmen zu laffen?
Dier aljo hat une die Anonymität wirklich einen Dienft geleiftet. Und
dann, glauben Sie wohl, taß ter große Göttinger Prophet fich fo
freundlich und anerfennend über meinen "langen zahmen Aufſatz“ ge-
I) Jahrbicher für deutſche Theologie 17, 3, 441.
358 Die hiſtoriſche Kritit und das Wunder.
äußert hätte, wenn mein Name darunter ftand? Denn freundlich wer⸗
ben Sie doch in Vergleich mit dem fonftigen Ton feiner Orakel im⸗
merbin finden müjjen, was barüber in ben Jahrbüchern der biblifchen
Wilfenfchaft XI, 134 zu leſen iſt. Es wird dort jener Arbeit boch
weiter gar nichts nachgefagt, als daß „Fein Auffag unwiſſenſchaft⸗
licher fein könne, als dieferw, und ihrem Verfaffer nichts Schlimmeres,
als daß er „zu dem großen zerftreuten Heere heutiger verborbener
Theologen gehöre«, daß „feine Sachkenntniß äußerſt gering, fein Wiſ⸗
jen um Bibel und Chriſtenthum grauenvoli niebrig feis«, daß ves ihm
an aller wahren Religion und Sittlichkeit, ja fogar an Logik fehlen.
Aber was will das heißen? Daß Jemand, der fich offen zur Tübinger
Schule befennt, nur ein verborbener Theologe fein kann, wirb fein
Leſer der Ewald'ſchen Schriften bezweifeln, und daß ein folcher weder
auf Gelehrfamtfeit noch auf Logik, weder auf Sittlichfeit noch auf Re
ligion den minbeften Anfpruch hat, haben wir gleichfall® fchon oft ges
nug gehört. Hierin befindet ſich alfo Ihr Meitarbeiter mit anderen
feiner Meinungsgenoffen nur in berfelben gemeinfamen Verdammniß.
Dagegen werden fich wenige von den letteren rühmen können, baß
fih Ewald beinahe herabgelaffen hätte, eine fo menſchliche Negung
gegen fie zu empfinden, wie gegen ven Verfaffer der „Tübinger biftor.
Schules, mit dem der Erhabene „wohl Mitleid haben könnte“, ba
berfelbe, wie beigefügt wird, „eine Menge zerjtreuter gelehrter Dinge
weiß und fich wenigftens hütet, nicht fo offen boshaft über bie Geg-
ner feiner Schule zu reden“. Und auch auf Sie felbit, mein verehr-
ter Freund, bat fich dieſe wohlwollende Gefinnung bort verbreitet.
Denn das freilich wird Ihnen mit Recht vorgehalten, daß fie in Ihrer
„Tübing'ſchen Verblendung“ einer „durch falfche Philofophie und
und üble Sittlichkeit” jo gründlich verborbenen Schule in Ihrer
„Münchner Zeitſchrift“ Unterfchleif geben. Aber doch bürfen auch
Sie, troß diefer fchweren Verſchuldung, und trog Ihrer ebenfo ſchwe⸗
ren politifchen Verirrungen, am Heile noch nicht gänzlich verzweifeln:
Sie können vielmehr dereinſt noch „auch wiffenfchaftlic ein ganz an—
berer Mann werben“, wenn Sie „nur erft Ihren preußifchen Kopf
(ber in ber legten Zeit freilich wohl kaum unpreußifcher geworben
fein wird) „in einen teutfchen verwandelt haben“. Iſt das nicht
recht beruhigend? Wir beite alfo, das werben Sie zugeben, haben
uns über ben berühmten Theologen im Geringften nicht zu beklagen.
Die Hiftorifhe Kritit und das Wunder. 359
Aber laffen Sie und zu meinem Bonner Kritiker zurüdfchren.
Ritihl Hat von meiner Abhandlung Anlaß genommen, a. a. O.
©. 429 — 459 ſich „über gefchichtlihe Methode in der Erforfchung
des Urchriſtenthums⸗ in einer Weife zu äußern, die eine Entgegnung
in tiefen Blättern um fo mehr vertient, je ausdrüdlicher es ihr
Berfaffer darauf abgejehen hat, in derſelben den Verbacht abzumeh«
ren, „daß die Gefchichtsforfchung ter Theologen andere Wege, als
bie der gefchichtlichen Methode verfolge.» Die beutjche Gefchichts>
wilenichaft hat ohne Zweifel ein erhebliches Intereſſe dabei, zu er⸗
fahren, wie es hiemit beftellt if. Nur daß wir freilich fogleich fra:
gem müſſen, wer die Theologen find, deren Geſchichtsforſchung tiefes
Leb ertheilt wird. Auf Hengftenberg over Baungarten wird es ja
wohl Nitfchl nicht ausdehnen wollen; von Baur fucht er anderer-
feitö zu beweifen, daß feine Methode ver Erforfchung des Urchri—
ſtenthums für rein Hiftorifch nicht gehalten werden könne.“ Welche
aber von den zwijchen beiden In der Mitte Stehenden es find, denen
ein rein gefchichtliches Verfahren nachgerühmt wird, darüber hat fich
Ritfchl nicht geäußert. Suchen wir nun dieſe Lüde zu ergänzen,
und feben wir uns biefür in Ritſchl's Abhandlung nah ven Merf-
malen um, welche feine „rein bifterijche« Methode von ber unreinen
eines Baur fcheiben, fo tritt uns Lein anderer Zug mit größerer Bes
deutung entgegen, als das beiverjeitige Verhalten zum Wunderglau⸗
ben. Auch ſonſt freilich Hat Ritfchl, wie wir dieß ſchon längſt wilfen,
an Baur und natürlich jegt auch an tem Bericht Ihrer Zeitfchrift
über tenfelben allerlei auszufegen. Aber er ijt vabei, es thut mir
kid, dieß fagen zu müffen, nicht mit der Gerechtigkeit und der Lime
fiht verfahren, vie er einem Theologen von Baur's Beveutung ges
genüber fich hätte zur Pflicht machen follen. Er klemmt fih z. 8.
an die Worte in Baur's Gnoſis (S. 715): „Was der Geiſt ijt und
thut, ift Feine Hiftorieu, aber er verſchweigt, daß dieſe Worte dort
ame aus Hegel (Rel. phil. IL, 328) veferirt werben. Er fragt, „ob mit
der Ueberzeugung von ber Geiftlofigfeit der Geſchichte ein richtiger Ge—
brauch der hiftorifchen Methode zufammen beftehen fönne?« (S. 438) —
worauf ihm natürlich jeder halbwegs Unbefangene und Sachkundige
antworten wird, dem Wahn von ver Geijtlofigkeit ver Geſchichte habe
Niemand nachbrüdlicher als gerade Baur widerſprochen, er hätte
360 Die hiſtoriſche Kritil und das Wunder.
aber darum doch jenes Hegel’iche Wort ſich aneignen können, fofern
ber in der Gefchichte waltende Geift hoch etwas anderes ift, ale be
einzelne gefchichtliche Erſcheinung, und nicht erft durch dieſes einzelne
Gefchehen zu dem wird, was er feinem Wejen nach ift; ähnlich
wie man fagen ann: „Was Gott iſt und thut, ijt nichts Enbliches«,
ohne damit zu läugnen, daß Gott in allem Enblichen gegemwärtig
fei und wirkte. Ritſchl wirft ferner Baur vor, daß er gefagt habe
(Gnoſis S. 713), was der Glaube an ven Gottmenfchen zur Bow
ansfegung hat, fei nicht Chriftus als Gottmenſch, fondern als bloßer
Menſch, als menfchlich - finnliche Erfcheinung; er überfieht auch bie,
daß dieß Baur nur aus Hegel's Religionsphilofophie (II, 306 f.
317 u. a.) anführt, daß er felbit aber im Folgenden (S. 717) die
ſer Hegel’jchen Darftellung die Bemerkung entgegenhält: „Wie Hätte
aber der Glaube an ihn, als den Gottinenfchen, entftehen können,
ohne daß er auf irgend eine Weife auch objectiv das war , wofür ihn
der Glaube nahm? Die nothwendige Vorausfegung ift in jebem
Falle, daß die an fich ſeiende Wahrheit, die Einheit der göttlichen
und menfchlichen Natur, in Chriftus zuerft zur concreten Wahrheit,
zum felbftbewußten Wiffen wurde, und von ihm ald Wahrheit ange
ſprochen und gelehrt wurde.» Und an dieſen Berftoß reihen ſich
dann fofort weitere an. Baur’s erjte Meußerung foll der zweiten wb
berfprechen, was übrigens auch dann nicht der Fall wäre, wenn er
beide in eigenem Namen gethan hätte, da bie eine durch bie andere
vielmehr nur ergänzt wird; und die Entvedung biefes vermeintlichen
Widerſpruchs gibt dem Sritifer ein folches Bewußtfein feiner Ueber
legenheit, daß er triumphirend fragt, ob ber, welder tiefen Wider
fpruch begangen babe, ohne ihn wahrzunehmen, „zur gefchichtlichen
Erforfhung und Darftellung der Perſon Chriſti methodiſch Disponirt
fei?u Nach den obigen Erörterungen wird ſich diefe Frage eher da
bin umkehren: ob ver, welcher die Worte eines Andern fo wenig
nach ihrem urfprünglichen Sinn auffaßt, zu einer unbefangenen Beur⸗
theilung deſſelben disponirt ſei. Zeigt fich doch dieſer Mangel an
Unbefangenheit auch darin, dag Ritſchl (S. 437) bei Baur bloß als
unwillführliches Zugeftändniß die Anerkennung zu finden weiß,
bag man über bie Religion nur dann mit Erfolg philofophiren könn,
wenn man eine perjönliche Betheiligung an ihr und ihrem Object
Die hiſtoriſche Kritit nnd das Wunder. 361
feſthält. Wer Baur und feine Schriften einigermaffen kennt, ver
müßte wiffen, daß er fich zu dieſer Wuhrheit, wie dieß von einem
Schüler der Schleiermacher'ſchen Theologie zum Voraus nit an«
ders erwartet werten kann, fowohl in feinem perfönlichen Verhalten,
als in feinen gruntjäglichen Erklärungen fein Leben lang bekannt hat.
Auch davon würte fich aber ein folcher, wenn ihm nicht ber Eifer
des Streits den Blick getrübt hat, leicht überzeugen, daß Baur zu
feinem kritiſchen Standpunkt und feinen kritifchen Ergebniffen auf
einem andern Wege gelommen ift, als Ritſchl es darſtellt. Hört
man biefen (S. 450 ff.), fo follte man meinen, nur ver Einbrud,
welchen er von den clementinifchen Homilien empfangen hatte, fei
es gewefen, ver ihm feine leitenden Gedanken über ven Gegenfag von
Judenchriſtenthum und Paulinismus eingab, nur die eigenfinnige
Durchführung einer vereinzelten Wahrnehmung fei e8, der feine Com⸗
Binationen über die Geſchichte des älteſten Chriſtenthums entiprungen
find. Wer bagegen auch nur Baur's erfte Arbeiten über biefen Ge—
genftanb ohne Vorurtheil Lurchlieft, der kann fich leicht Überzeugen,
daß jene von ihm allerdings zuerft in ihrer vollen Bedeutung er-
fannte Schrift werer ven einzigen noch den erften Anfteß zur Entwick⸗
fung feiner Gefchichtsanficht gegeben hat, daß vielmehr neben andern
Momenten von Anfang an in erfter Linie bie in ben paulinifchen
Briefen fich varftelleuren Partheiverhältniffe e8 waren, von benen er
ausging. Kine Behauptung vollends, wie die (S. 451): Baur habe
fi für genöthigt gehalten, vie Aechtheit der meiften neuteftament-
lichen Schriften fallen zu laffen, weil feine Anficht über die Homi⸗
lien mit derſelben fich nicht vertrugu — eine folche Behauptung
ſchlägt nicht allein ver Wahrheit, fonvern auch der Wahrfcheinlichkeit
fo ſtark in's Geficht, daß fie mir bei Jemand, ber viel beffer unters
richtet fein könnte, wirklich unbegreiflich ift, faft ebenfo unbegreiflich,
wie der Vorwurf, daß Baur in feinem »„Chriſtenthum ter brei er-
ften Yahrhundertes die Schriften ber großen Stirchenlehrer am Ende
des zweiten und am Anfang bed dritten Jahrhunderts für vie Des
ſtimmung ber praktiſchen Grundanfchauung des katholiſchen Ehriften«
thums zu gebrauchen unterlaffen haben,“ (S. 459) ober wie bie ihm
©. 468 fchuldgegebene Prätention eines abfoluten Wiffens, vie er
niemals erhoben bat. Sie werben aber nicht erwarten, daß ich
362 Die hiſtoriſche Kritif und das Wunder.
hier in das Einzelne der Gründe näher eingebe, aufwelche fi Bam’s
Anficht vom Urchriftenthfum ftütt, ober baß ich bie Unterfuchungen
über bie Wechtheit ber einzelnen Schriften bis auf ven Brief au
Philemon herab, wieder aufnehme, um zu bejtimmen, ob Baur wirk
(ich in feiner Kritik diefer Schriften fo eklatante Fehlgriffe begangen
hat, fo „tumultuarifch und tendenzids verfahren“ ift, wie Ritſchl behanptel,
Was hierüber zu fagen wäre, das läßt fich nicht auf wenigen Ylät-
tern abthun. Dazu ift das Material, aus welchem fich der Geſchichte⸗
forfcher fein Urtheil zu bilven hat, ein viel zu reiches, die Ginzelum
terfuchungen, auf deren wifjenfchaftlicher Zufammenfaffung es beruft,
viel zu verwidelt. Auf fo befchränftem Raum laſſen ſich immer nm
die Ergebniſſe mittheilen, tie wejentlichften Gründe höchſtens ander
ten, keinenfalls aber erfchöpfen oder gegen alle Einwendungen fider
stellen. So ging es mir bei meiner Abhandlung über vie Tübinger
Schule, und Ritſchl ging es bei feiner Entgegnung auch nicht am
ders. Cr hat einige von den Gründen, die er für feine Anficht gel
tend machen kann, angeführt, aber etwas Neues, etwas, worauf nid
ſchon längſt auch wieder geantwortet wäre, fonnte er der Natur ber
Sade nach nicht vorbringen. Um fo mehr hätte er fich hüten
follen, über einen von den erften ©elehrten und bahnbrechenpften
Geiftern der Gegenwart, unmittelbar nach beffen Tode, in Austrüden
abzufprechen,, vie wir, offen geftanden, aus Ewald's Mund weit
eher, ald aus tem feinigen erwartet hätten. Ueber fo fchwierige
und veriwidelte ragen, wie die ver neutejtamentlichen Kritit, werden
auch bei ſolchen, vie in ihren allgemeinen Eritiichen Grundſätzen einig
find, nicht felten verfchierene Anfichten möglich fein; wie vie
mehr ta, wo der Gegenſatz theologifcher Standpunkte und dogmati⸗
fiber Intereſſen in die gefchichtliche Unterfuchung eingreift. De
follte man jich Loppelt in Acht nehmen, von eclatanten Mißgriffen,
tumultuarifchen Verfahren u. dgl. zu reden, wo man vielleicht nur
genauer hätte zufehen und vie Frage nur richtig jtellen dürfen, um
Alles, was wenigftens das wifjenfchaftliche Verfahren betrifft, ia
Drdnung zu finden. Aber gerade an der richtigen Frageſtellung laf-
fen e8 unfere Theologen bei ver Unterſuchnng über bie Wechtheit
einer biblifhen Schrift oder die Geſchichtlichkeit einer darin erzählten
Zhatfache in der Regel viel zu fehr fehlen. Die eine wie bie andere
Die hiſtoriſche Kritif und das Wunder. 363
ſteht ihnen als eine Vorausfegung feft, vie jo lange aufrechtgehalten
werven müſſe, als nicht die Unmöglichkeit hievon unwiderleglich bes
wielen fei, und ba nun ein derartiger mathematifcher Beweis in hi⸗
Rerifchen Dingen überhaupt nicht zu führen ift, wenigftens nicht für
felhe, denen felbft etwas fo Unglaubliches, wie ein Wunder nicht
zum Anſtoß gereicht, fo bringen fie e8 dann mit leichter Mühe fer-
fig, auch das Unwahrfcheinlichfte fich gefallen zur laffen, und fich dabei
uch des guten Glaubens zu getröften, daß fie auf vein hiſtoriſchem
Wege dazu gelommen feien. Das Nichtige ift ja aber vielmehr, daß
man zuerft frage, wodurch uns bie Gefchichtlichfeit eines Vorgangs
ser die Authentie einer Schrift verbürgt iſt; erfcheinen dieſe
Bürgichaften ausreichend, dann allerdings müßte man, um ihnen zu
mißtrauen, bie zwingenbiten Beweiſe für das Gegentheil haben;
find fie dagegen an fich felbjt ungenügend und der Beitätigung Durch
innere Gründe und umfaſſendere gejchichtliche Combinationen bedürftig,
fo erhalten vie Zweifel, welche von diefer Seite her auftreten, ein
Hänz anteres Gewicht; es ftehen nicht Vermuthungen gegen zuvers
läßige Zeugniffe, ſondern es fteht eine Wahrfcheinlichkeit gegen bie
andere, und auf welche Eeite die größere Wahrfcheinlichkeit fällt,
dieß wird fich nur nach vem Werthverhältniß ber Gründe und Ges
gengrünte bejtimmen Lafjen. Würde man fich dieſe Regel immer
gegenwärtig halten, fo würte man es wohl mit feiner Apologetif
etwas weniger leicht nehmen. Die Frage ift in dieſem Falle nicht
die, ob die UnächtHeit einer Schrift, die Unwahrheit einer Erzählung
unwiderleglich bewieſen fei, und man kann nicht den einfachen Schluß
machen, da fie nicht miathematifch bewiejen ſei, müſſe bie Erzäh—
lung für gefchichtlih, die Schrift für ächt gehalten werten; ſondern
bie Frage ftellt fich jo: was ijt wahrfcheinficher, daß die Zeugen fich
imen, oder daß alle die Dinge, welche uns zum Anſtoß gereichen,
wirklich vorgelommen find. Wer vie Frage fo ftellen gelernt bat,
und wer zugleich ten literarifchen und Eritifchen Charakter des Zeit-
alters, aus dem unfere neuteftamentlichen Bücher ftamınen, fich Klar
gemacht hat, der wird allerdings in vielen Fällen etwas anders ur
teilen müffen, als vie Mehrzahl unferer Theologen: ber wird
. DB. nicht fo leicht, wie Ritſchl (S. 458), darüber weglemmen,
daß der firengite unter ven Judenapoſteln dem Paulinismus ſolche
Dißerife Zeitfärift. v7. Band W
364 Die hiſtoriſche Kritit und das Member.
Zugeftändniffe gemacht und ein fo reines Griechifch gefchrieben haben
foll, wie der Verfaſſer des Jalobusbriefs, oder daß ein Schriftfiäd,
das von Neminifcenzen an alle paulinijchen Briefe, felbft an ven Gb»
räer- und Jakobusbrief, fo voll ift, und eine fo ungefchichtlicke Gi
tuation vorausfeßt, wie ber erjte Brief Petri, von dieſem Apoſtel her
rühren fol. Noch viel weniger aber wird fich ein folcher über bie
biblifyen Wunder mit Gründen beruhigen können, wie fie Rithqhl
a. a. O. vorbringt. i
Erlanden Sie mir, daß ich auf biefe Frage etwas näher
gebe, da es fich hier nicht um das eine oder das andere fpecielle Er
eigniß, fondern ganz allgemein um die Möglichkeit einer gefchichtliden
Betrachtung des Gebiets handelt, mit dem wir es bier zu thun he
ben. Leider muß ich aber auch hier mit der Klage beginnen, dab
mein Kritiker über meine früheren Yeußerungen zu ungenau veferist
bat. Zu der wiffenfchaftlichen Gefcichtfchreibung, fagt er (S. 438),
gehöre meiner Darftellung zufolge der Grundſatz, daß Wunder um
möglich feien. Diefen Grundſatz lege ih auch Baur bei. Allein
Baur erkläre im Paulus S. 96 flg., daß er e8 in einer hiſtoriſch-kri⸗
tifchen Unterfuchung für überflüffig halte, in bie allgemeine bogme-
tifhe Frage, ob Wunder überhaupt möglich find, einzugehen, ba eb
fi bei einer folcyen Unterfuchung nicht um die Möglichkeit , ſondern
nur um bie Erlennbarteit der Wunder handle, und er bezeichne ba
mit die Grenze, innerhalb welcher ver Hiftorifer mit dem Wunder zu
thun habe, richtiger, als fein Apologet in der Hiftorifchen Zeitfchrift.
Wenn Ritfchl in meiner Abhantlung die Hauptftelle über dieſen Ger
genftand nicht überfehen oder ignorirt hätte, fo würde er dort ba&
felbe, und faft auch mit denfelben Worten gefunten haben. Von ber
bogmatifchen Frage nach ber Möglichkeit des Wunders, fage ich a. a. O.
©. 101, können wir hiebei ganz abjehen: „möchte e8 der Metuphy
fit noch fo ſehr gelungen fein, jene Möglichleit zu beweifen , wie
Könnte von dem Hiſtoriker verlangt werben, daß er fich im irgend
einem gegebenen alle für feine Wirklichkeit entſcheide?“ Da näm
lich die Wahrfcheinlichkeit einer Thatſache fich nur nach ber Analogie
ber Erfahrung beurtheilen laffe, ein Wunder aber ein Borgang fel,
welcher der Analogie aller fonftigen Erfahrung wiperftreite, während
von unrichtiger Verichterftattung zahliofe Beiſpiele vorliegen, fo lafe
. SE
Die Hiftorlfche Kritit und das Wunder. 365
ſich kein Ball denken, in welchem es der Hiftoriter nicht ohne allen
Bergleich wahrfcheinlicher finden müßte, daß er es mit einem un⸗
richtigen Bericht, al8 daß er es mit einer wunderbaren Thatfache
zu thun habe. Diefe Beweisführung betrifft, wie Sie fehen, nicht
bie Möglichkeit, fondern lediglich die Erfennbarkeit des Wunders, fie
ift nicht der Metaphyſik, fondern der Erfenntnißtbeorie, und näher ber
Theorie ber hiftorifchen Kritif entnommen. Auch vie metaphyſiſche
Möglichkeit des Wunders kann ich natürlich nur verneinen, und ich
halte es nicht für denkbar, daß irgend Jemand, dem es um Einheit
und Folgerichtigfeit feiner Ueberzeugung zu thun ift, barüber anders
urtheile, wenn er fich einmal von der Unerfennbarkeit und Unerweise
barkeit de8 Wunders überzeugt hat. Auch über die Möglichkeit und
Unmöglichfeit urtheilen wir ja gleichfalls nach der Analogie ver &r-
fahrung: „was mit den formalen Bedingungen der Erfahrung über»
einfommt, jagt Kant, ift möglich.” Diefen formalen Bedingungen.
der Erfahrung aber, dem Gefet des Widerfpruches, dem Geſetz ber
Saufalität u. |. w., wiberjtreitet das Wunder immer und nothwen⸗
dig; denn was dieſen Gefeten gemäß ift, das ift fein Wunder. Den
mancherlei Wendungen aber, durch welche man dieſer einfachen Fol⸗
gerung zu entgehen verfucht bat, läßt fich ihre Unhaltbarkeit Leicht
nachweifen. So einfeuchtend mir aber die Undenkbarkeit des Wun⸗
ders auch von biefer Seite her zu fein feheint: um zu beweifen, daß
der Hiftoriter von demfelben keinen Gebrauch machen kann, daß er
bie Frage nach ver Glaubwürbdigfeit eines Wunberberichtes unter allen
Umftänden verneinen muß, daß, wie meine Abhandlung ſich aus⸗
drückt: „das Wunder und die gefchichtliche Betrachtung ver Dinge fich
ausschließen” — um viefes zu bemeifen, genügt es an der Erwä—
gung, welche ich dort angeftellt habe.
Was Hält nun mein Kritiker dieſer Bemeisführung entgegen?
Auf meine Gründe läßt er ſich zunächft einfach gar nicht ein. Gr
macht auch nicht den entfernteften Verfuch, zu zeigen, daß nach ge=
ſchichtlichen Srunpfägen das Dilemma: „entweder ein Wunber oder
ein unrichtiger Bericht”, jemals zu Gunſten des Wunders entjchieven
werben koͤnne. Statt deſſen gibt er uns zu bedenken (S. 439), daß
doch nicht bloß bie Hiftorifchen Bücher des Neuen Teſtaments von
WBundererzählungen voll feien, fondern auch Paulus (1 Kor. 2, 4,
OP 3
366 Die hiſtoriſche Kritik und das Wunder.
12, 9 f.) von eigenen und fremden Wundern rede, unb er Inüpft
hieran bie Bemerkung: man dürfe nicht fchließen, daß, weil eine
folhen Wunder mehr gefchehen, „das Wunver dem Chriftenthum,
alfo auch dem Urchriftenthum nicht wejentlich fei. Angefichte der Aeu⸗
Berungen des Paulus müffe der Hiftorifer dieſes Element in ber Ur
gemeinde als faltiſch zugeftehen”. Aber wie follen wir bieß verftehen?
Behauptet Ritſchl, daß wirkliche Wunder dem Urchriſtenthum wefent-
lich feien, oder behauptet er dieß nur von dem Wunverglauben?
Iſt feine Meinung die, vaß im apoftolifchen Zeitalter Thatſachen vor⸗
gefommen feien, welche fchlechthin und an fich felbft, Teine natürliche
Erklärung zulaffen, oder will er nur fagen, es feien Dinge vorgelom
men, welche die erften Chriften auf feine natürlichen Urfachen zuräd-
zuführen wußten, welche fie als Wunder aufzufaffen fich berechtigt und
gendthigt glaubten? Das Lektere bat bekanntlich weder Baur noch
ſonſt Einer von uns jemals bezweifelt; da wir uns ja vielmehr eifrig
bemüht haben, mit gefchichtlichen und religionsphilofophifchen Grün⸗
den zu zeigen, daß der Wunverglaube allen Religionen, auf einer ge
wilfen Stufe ihrer Entwidlung, Bedürfniß fei, und daß gerabe bei
ber älteften chriftlichen Kirche alle die Bedingungen zufammentreffen,
welche ihn zu etwas Naturgemäßem und Nothwendigem für fie mach
ten. Aber folgt daraus nur im Geringften, daß auch wirklich in die⸗
fer Kirche Wunder, im ftrengen Sinne des Worts, vorgefommen find,
und nicht vielmehr das Gegentheil? Wenn Ritſchl dieſes behaupten
will, fo müßte er vor Allem darthun, daß es irgend ein Mittel gibt,
uns von der Thatfächlichkeit eincd Vorgangs zu überzeugen, der eben-
fo den Gefegen unferd ‘Denkens, wie der Analogie aller Erfahrung
wiberftreitet. So lange er biefes Mittel nicht aufgezeigt hat, werben
wir bei jedem Wunderbericht, von wen er auch herrühren mag, nur
urtheilen Tönnen, daß die Wahrbeit bejjelben ohne allen Vergleich un«
wahrjcheinlicher fei, al® die Annahme eines Irrthums bei dem Be
richterftatter, und wenn dieſer auch ein Augenzeuge oder der Wunder
thäter jelbit wäre. ‘Denn auch ein folher kann ſich über bie faktiſchen
Borgänge, und noch weit mehr über bie Urſachen viefer Vorgänge täufchen,
fo gut, wie Auguftin fich getäufcht hat, wenn er die auffallendften Wun⸗
der zu Dugenden in gutem Glauben urfundlih aufnahm, over wie
Sokrates fi täufchte, wenn er die Stimme feines Innern für eine
Die hiſtoriſche Kritit und das Wunder. 367
Dfienbarung ber griechifchen Götter hielt, wie überhaupt Unzählige
ſch getäufcht haben, vie Wunder erlebt oder felbft verrichtet haben
wellen. Aber biefen Nachweis bat Ritſchl weder geführt, noch auch
mr verfucht: er begnügt fich mit ver Behauptung, „Wundererzählun⸗
gen feien für die wilfenjchaftliche Gefchichtfchreibung incommenfurabel“,
weil ber Hiftoriler nicht im Stante fei, aus ben einzelnen Mitthei⸗
Iungen über geſchehene Wunder zu ermitteln, was nach dem Maßftabe
ber allgemeinen Regeln über Urfache und Wirkung fich ereignet habe“.
Ach hier müſſen wir uns jetoch über bie gleiche Zweideutigkeit be«
Magen, wie vorhin. Was in einem bejtimmten Falle gejcheben ift,
web ob überhaupt etwas dem Berichteten Aehnliches gefcheben ift, dieß
mit Sicherheit zu ermitteln find wir freilich nur felten im Stande,
weil und eben ftatt eines gefchichtlichen ein ungefchichtlicher, ein Wuns
berbericht, vorliegt. Um fo entjchievener können wir aber auch in
ſolchen Fällen fagen, was nicht gefchehen iſt; Teinenfall® nämlich
ein Wunder. Oder wie würde Ritſchl über ven Hiftorifer urtheilen,
ber etwa bei den Wundererzühlungen des Livius ober des Herodot
mit befcheidener Zurüdhaltung erklärte: was ſich Hier ereignet hat,
lat fich nicht ausmitteln, alfo wollen wir es babingejtellt fein laſſen,
eb nicht doch vielleicht Göttererfcheinungen und Wunder ftattgefunden
baten? Nun, was dem Einen recht ijt, das ift dem Anvern billig.
Für einen heutigen Theologen freilich, ter zu gebilvet ijt, um an
Runder zu glauben, und zu rücjichtövell, um fie zu läugnen, wäre
6 unbezahlbar, wenn er die Wunder als etwa Incommenfurables zur
Exite fchieben und tabei noch tenen, welche weniger Rückſichten, als
er felbft, nehmen, ein unhiſtoriſches Verfahren ſchuldgeben vürfte.
Aber vie Wiffenfchaft kann eben eine folche Halbheit nicht ertragen:
wer die biblifche Gefchichte wiljenfchaftlich behandeln will, ver muß
über feine Stellung zum Wunderglauben mit fich im Keinen fein, er
muß willen, ob er felbit diefen Glauben tbeilt over nicht theilt, ob der
wunderbare Charakter einer Erzählung für ihn ein Grund ift, ihre
Wahrheit zu bezweifeln, over ob er dieß nicht iſt. Weder in dem
äinen noch in dem anderen Fall aber wird er bei der Zurückhaltung
des Urtheils ftehen bleiben können, welches Ritfchl uns anräth. ©e-
reicht ihm das Wunder nicht zum Anftoß, glaubt er, daß wir nicht
das Recht haben, eine Wundererzählung bloß deshalb, weil fie dieß iſt,
868 Die Hiftorifche Kritit und bee WBunber.
zu bezweifeln, nun dann ift die Sache einfach: er hat ohne alle Um
ftände zu glauben, was gefchrieben fteht, und mag es feinem natäg
lichen Menfchen noch fo fauer eingehen; er bat dann aber freilich uf
auf den Anſpruch, daß er an bie biblifchen Erzählungen ben gleiden
Mapftab anlege, fie nach venfelben Grunbfägen ber biftorifchen Kr
behandle, wie alle andern, zu verzichten. Glaubt Jemand ungelche,
daß das Wunder als folches mit einer wiſſenſchaftlichen Anſicht ver
GSefchichte fich nicht vertrage, fo ftellt fich die Sache wieber fehr ein
fach: wo uns ein Wunder entgegentritt, fteht eben damit zunächſt dab
verneinende Urtheil für uns feft: fowie ver Vorgang bier erzählt in
kann er fich nicht zugetragen haben. Wie er ſich aber zugetragen fat
und ob er fich überhaupt zugetragen hat, wo bie unbiftorifchen Ele
mente einer Erzählung anfangen und wie weit fie geben, in welde
Weife und aus welchen Motiven fie entſtanden find, vieß ift amd ber
Beſchaffenheit des gegebenen Falles nach den allgemeinen Grundſaͤtzen
der biftorifchen Kritik zu beurtheilen. In ver Regel wird allerbinge
bei diefer Unterfuchung feine Gewißheit, fondern nur eine höhere eder
geringere Wahrjcheinlichkeit, oft nicht einmal dieſe, zu erreichen fein.
Aber in dem gleichen Fall ijt die Gefchichtsforichung hundert⸗ und
taufendmal, fo oft eben ihre Quellen zu fpärlich ober zu trübe fliehen,
um ben wirklichen Hergang feftzuftellen. Der Sicherheit unferes we
gativen Urtheild über die Wunder thut diefer Umftand Teinen Eiw
trag. Mit jener bequemen Unbejtimmtheit bagegen, welche die Wunder
weder anerkennt noch bezweifelt, ift ver Wifjenfchaft und dem Glan
ben gleich wenig geholfen.
In der gleichen Unbeftimmtheit bewegt fi) aber Ritſchel's ganx
Erörterung über die Wunder. Vom Wunter, fagt er, fei nur zu
reben als dem Objekt des eigenthümlichen religidfen Erfennens. Es
fei nichts im empirifhen Sinne Objektive, dad man unter phhfile-
lifche oder metaphyſiſche Gefichtspunfte faſſen Fönnte, ſondern es ſei
immer etwas Objektives nur in Beziehung auf bie fubjeltive religidſe
Erkenntniß. Dieſes Merkmal fei das Wefentlihe, das gewöhnliche
Merkmal des Wunders dagegen, als eines von den Naturgefeßen un
abhängigen Naturereigniffes, fei fo gewiß der Sache zuwider, ale bie
bilbiſchen Berichterſtatter gar keine Vorftellung von Naturgefegen ha⸗
ben. Ebendeßhalb jei es für die Hiftorifche Forſchung völlig unmög-
Die hiſtoriſche Kritit und das Wunder. | 369
ich, aus ben borliegenven Berichten zu ermitteln, was benn objektiv
ergegangen fei. Aber andererſeits überfchreite der Gefchichtsforfcher
eine Befugniß, wenn er der religiöfen Erfahrung von Wunbern feine
Meberzeugung von ber Unmöglichkeit des Wunders entgegenwerfe. Das
Wunder foll alfo zwar etwas Objektives fein, aber nichts empirisch
Dbjeltines, ſondern etwas Objektives nur in Beziehung auf die fub-
jekttive religiöfe Erfenntniß. Ich weiß nicht, mein verehrter Freund,
sb es Ihnen mit diefer Aufklärung ebenfo ergangen ift, wie mir;
aber mir wurde es, als ich fie zum erjtenmal las, fait wie dem
Schüler im Fauft, faft „als gieng mir ein Mühlrad im Kopf ber-
am“. Bisher hatte ich geglaubt, es fei nur Eines von zweien mög
Gh, entweder die Wunder find gefchehen oder fie find nicht gefchehen,
bad Wafſer ijt in Wein verwandelt, die Taujenve find mit fünf Bro-
ben gefättigt worben u. f. w., ober dieß ift nicht ber Tall geweſen.
Ein Drittes hatte ich gemeint, jei nicht möglich. Weil ich nämlich
noch dem alten ariftotelifchen Vorurtbeil anhing, daß zwiſchen con⸗
tadictorifch Entgegengejeßten nichts in der Mitte liege. Jetzt werben
wir belehrt, daß e8 ein folches allerdings gibt, daß etwas zugleich ges
heben und nicht gefchehen fein kann, nichts empirisch Objektives fein,
sber doch etwas Ohjektives, jedoch nur in Beziehung auf das Sub»
Be. Wir Anderen freilich werden barin, fürchte ich, eher ein fophi-
Rifches Spiel mit Worten, als einen realen Auffchluß zu fehen ges
zeigt fein. Iſt das Wunder wirklich vorgekommen, ift wirklich aus
dem Waſſer Wein geworben, fo ift es auch etwas empirifch Objel-
tives; ift es dagegen nicht wirklich vorgeflommen, cder doch nicht in
biefee Weile, als Wunder, ift das Waffer in den Krügen geblieben,
er nur auf natürlichem Wege durch Wein erfegt worben, nun dann
ft das Wunder als folches nur in der Vorftellung, nur als etwas
Enbjeftives vorhanden. Als „religiöfe Erfahrung” braucht man es
deßhalb allerdings nicht zu läugnen, wenn man nämlich unter Erfah.
mmng nur das verftebt, was Jemand erfahren zu haben glaubt,
me das Innerliche gewiljer Gemüthszuftände und die Vorftellungen,
woburch fich der Einzelne viefe inneren Zuſtände erklärt; aber wegen
ver Unmöglichkeit des Wunders diefe innere Erfahrung zu bejtreiten,
ft auch noch Niemand eingefallen; uns wenigftens fo wenig, daß wir
Hielmehr gerade nur aus der Eigenthümlichfeit des religiöſen Bewußt⸗
370 Die hiſtoriſche Kritit und das Wunber.
feins, aus ber „religiöfen Erfahrung“ den Wunberglauben und bie
Wunbererzählungen herleiten. Verfteht man bagegen ‚unter Erfahrung
das, was man allein darunter verftchen darf, wenn man Mißverftaub
und Zweiventigleiten vermeiden will, tie Wahrnehmung realer Borgänge,
nicht die vermeintliche, ſondern vie wirkliche Erfahrung, dann wird
man allerdings nicht umbin können, zu fchließen, wenn bie Wunder
an ſich felbft unmöglich find, fei auch eine Erfahrung berfelben um
möglich; fo lange wenigftens, al8 der logiſche Sag gilt, an dem man
freilich in unfern Tagen durch manche Erfcheinungen, auch auf wif-
fenfchaftlichem Gebiete, irre werden könnte, daß Alles, was wirklich
fein fol, auch möglich fein müſſe. Haben aber die biblifhen Männer
und Schriftftellee von dieſem Sate nur ein unvollkommenes Bewußt⸗
fein gehabt, hatten fie, wie Ritſchl behauptet, „gar Feine Vorftellung
von Naturgefeten‘‘, ſo würde taraus allerdings folgen, daß fie auch nicht bie
Borftellung des Wunders, als eines von ven Naturgefegen unabhängigen
Erfolgs hatten; feineswegs aber, daß wir im Unrecht find, wenn wir das
Wunder fo befiniren, und bie biblifchen Erzählungen darauf anfehen,
ob fie Wunver in diefem Sinn berichten. Gerade da, wo bie Bor«
ftellung der Naturgeſetze fehlt, iſt ja dieſes am Cheften zu erwarten,
und man fann nicht etwa jagen: wer ben Gedanken der Naturgefeke
nicht bat, der könne auch nicht denlen, es fei etwas den Naturgefegen
Wiverfprechendes geichehen. So in abstracto fann er bieß freilich
nicht denen; um jo mehr aber fann er, wie der alltäglichite Augen-
fein zeigt, Dinge erzählen, die den Naturgefeßen widerfprechen.
Ritſchl verwechjelt die Frage nach dem gefchichtlichen Inhalt der Wun⸗
bererzählungen mit der nach dem bogmatijchen Begriff des Wunders.
Indeſſen ift auch die Vorausſetzung, als ob den biblifchen Schrift-
ftelleen die Vorſtellung der Naturgeſetze gänzlich gefehlt hätte, durch⸗
aus unrichtig. Was ihnen fehlt, ijt nur vie wiffenfchaftliche Kennt⸗
niß dieſer Gefege, und die Ueberzeugung von ihrer Unverbrüchlichkeit;
baß fie tagegen an ſolche Geſetze überhaupt nicht gedacht haben, baß
es für fie feinen Unterfchied gemacht habe, ob Jemand auf dem Waf-
fer geht over im Waſſer unterfinkt, ob er durch eine offene oder durch
eine verfchlojfene Thüre in ein Zimmer tritt u. f. w., davon wirb
felbft Ritſchl's Verfiherung wohl fchwerlich irgend wen überzeugen.
Doc mein Kritiler rückt mir mit noch ſchwererem Gefchüge zu
Die hiſtoriſche Kritit und das Wunber. 371
feide. Der religiöfe Begriff des Wunbers, fagt er, fei nichts ans»
vers, als ber einer Erfahrung fpecieller Vorfehung Gottes. In dies
ka Sinne Wunder für unmöglich zu erklären, hieße jo viel, als daß
we pofitive Religion eine Illuſion fei”. Das lautet denn freilich fehr
gefährlich. Glücklicherweiſe zeigt fich aber vie Gefahr doch etwas ges
ruger, wenn wir ihr fcharf in's Geficht fehen. Wie wir uns bie
tlihe Vorſehung zu denken haben, darüber find ja bie Theologen
kimesweg® einig. Die einen denken fie fich allertings jo, daß ihr
Begriff das Wunder mit einfchließt. Sant und Schleiermader da⸗
gegen unb unzählige Andere widerfprechen; und doch wird Niemand
behaupten wollen, daß alle diefe Männer die Vorſehung geläugnet und
vie pofitive Religion für eine Illuſion erklärt hätten. Um fo weniger
wird bie Biftoriiche Kritit darauf warten können, bis biefer Streit
anter den Theologen ausgemacht ift; fie wird vielmehr ganz in ihrem
Achte fein, wenn fie fich zunächit an das hält, was unabhängig von
allen bogmatifchen Annahmen feititeht; und dieß ift, daß die ung ben
kanten Geſetze des Weltlaufd und die ausnahmsloſe Analogie ber
Grfahrung uns verbieten, ein Wunder, d. 5. ein wirkliches Wunder,
sicht ein folches, das fih am Ende doch wieder in ein Erzeugniß bes
inbjeftiven Bewußtſeins vwerflüchtigt, in irgend einem Yalle für erwies
fen oder auch nur für wahrfjcheinlich zu Halten. Die gleichen Grund
füge gelten aber freilich auch für die Dogmatil. Wollen wir wiſſen⸗
ihaftlih verfahren, fo dürfen wir nicht die Erfahrung nach einer
vergefaßten Meinung über bie göttliche Vorfehung uns zuvechtlegen,
ſendern von den erweisbaren Erfahrungsthatfachen aus haben wir une
die Begriffe über die Urfuchen, aus venen fie hervorgehen, und fo
andy über die höchite derjelben, die göttliche Saufalität, zu bilden. Die
Thatfächlichkeit der Wunder aus einem Begriff über vie göttliche VBors
fehung beweifen, welcher das Wunver unmittelbar enthält, ift nichts
weiter, als eine einfache petitio principii.
Die weitere Beweisführung Ritſchl's (S. 45 ff.), daß „vie He
gel'ſche Srundanjchauung die Annahme des Wunderanfangs des Chri-
ſtenthums fordere“, will ich Ihnen erlaſſen. Es find befanntlich nicht
die fchlechteften Kenner ver Hegel’jchen Lehre, welche genau das Ge-
gentbeil behaupten. Da aber weder für Sie noch für mich Segel
eine unfehlbare Auftorität ift, und ba er es ebenjo wenig für Baur
872 Die hiſtoriſche Kritit und das Kuunber. .
war, ba ber Lebtere namentlich in feinen fpäteren Jahren von ben
Hegel'ſchen Einflüffen, denen er ſich nie unbedingt bingegeben hatte,
fih immer unabhängiger gemacht bat, fo fehe ich uicht ein, welches
Gewicht für unfere Frage viefe Erörterung auch dann hätte, wenn ihr
Ergebniß begründeter wäre, als dieß in Wahrheit ver Fall if. Nur
darum möchte ich auch hier bitten, daß es mein Kritifer mit dem Wun⸗
verbegriff etwas genauer nehme, als bieß in ver Behauptung ge-
ſchieht: ſchon der einzelne Menſch, um wie viel mehr aljo Ehriftus
müſſe „nicht als Refultat eines natürlichen Gattungsproceffes, fon
dern, unter der Bedingung eines folchen, als wunderbare Schöpfung
Gottes verftanden werben“. Sonft nennt man die natürliche Er
zeugung eines Menfchen fein Wunder. Diefen Begriff bier hereinzu⸗
Bringen, Eönnte nur dazu dienen, die Grenzen bes Natürlichen und
bes Uebernatürlichen im Nebel figürlicher Ausprüde zu verwirren.
Aber Ritſchl fagt ja felbft, jenes jog. Wunder folle „unter ver Be
dingung eines natürlichen Gattungsproceffes” eintreten. Nun, biefe
Beringung fehlt bekanntlich in der evangelifchen Erzählung unb ber
firchlichen Lehre über die Entftehung der Perfon Jeſu. Die Ana⸗
(logie, welche Ritfchl für fich anführt, hört alfo genau ba auf, wo daß,
was fie ftügen foll, anfängt.
Wenn Ritſchl gegen Baur endlich noch einwendet, feine gefchicht-
lihe Erklärung bes Chriſtenthums fei ungenügend, und fomit fein
Proteft gegen ven Wunberanfang des Chriftenthbums nicht begründet,
fo müffen wir auch bier die dialektifche Fertigkeit bewundern, mit ber
es ihm gelingt, die Darftellung des Gegners dadurch zu widerlegen,
daß er fie auf den Kopf ftellt. Nicht deßhalb läugnet Baur bie wuns
berbare Entftehung des Chriftentyums, weil er dasſelbe gefchichtlich
erjchöpfend erklärt zu haben überzeugt ift, ſondern deshalb fieht er
fih nach feiner gefchichtlichen Erklärung um, weil er fich in bie her»
kömmliche Wunvervorftellung nicht zu finden weiß. Ye vollftänbiger
diefe Erklärung gelingt, um fo vollftändiger wird allerdings gegen bie
wunterglänbige Auffaffung auch der pofitive Gegenbeweid geführt fein.
Aber die Vermwerfung ber leßteren kann nicht von dem Gelingen ter
erfteren abhängig gemacht werten. Daß das Chriſtenthum nicht
auf wunberbare Weife entftanten ift, ift an und für fih klar, daß
bie Erzählungen, welche e8 behaupten, ungefchichtlich find, läßt fich
Die hiſtoriſche Kritit und das Wunder. 373
mittelbar an ihnen felbft nachweifen; inwieweit es gelingt und ge⸗
üngen kann, an die Stelle dieſer ungefchichtlichen Vorftellung die ge-
ſcichtlich richtige zu ſetzen, dieß hängt zunächſt von ber Befchaffenbeit
ver Quellen ab, die uns biefür zu Gebot ftehen. Und ba uns nun
dieſe über die Jugend⸗ und Bildungsgefchichte Jeſu vollfommen im
Danteln laffen, da uns auch die damaligen geijtigen Zuftände feines
Geburtslandes nur fehr unvolljtändig und mehr nur im Allgemeinen
kannt find, jo muß bier nothwendig, was das Einzelne betrifft, im⸗
mer eine bebeutenve Lüde bleiben. Aber daraus zu fchließen, daß
vs Chriſtenthum übernatürlichen Urfprungs fei, vieß wäre ebenfo
Wnbig, wie wenn jemand bie Gefchichtlichfeit der Wunderberichte
über Pythagoras aus unferer Unbefanntjchaft mit feiner wirklichen Les
bensgefchichte folgern wollte.
Doch ich muß fchließen, wenn ich nicht noch tiefer in die Theo»
legie Hineingerathen will, als dieß, troß der beften Vorfäge, bisher
don gefchehen ift. Viel Neues werve ich freilich werer Ihnen noch
ver Mehrzahl Ihrer Lefer gefagt haben. Indeſſen mochte es immer-
bin gut fein, an einem DBeifpiel zu zeigen, wie auch bie Gebilveten
und Wiffenfchaftlichen unter unfern Theologen fich in der Negel noch
immer zur biftorifchen Kritik ſtellen. Mein Name aber mag aud)
dießmal ungebrudt bleiben: wäre es boch unrecht, meinem Kritiker
das Vergnügen, daß er ihn burch eigenen Scharffinn findet, zu ver⸗
derben.
XII
Ueberſicht der hiftorifchen Literatur des Jahres 1860.
(Bortfegung.)
23. $tankreid.
Wir ftellen einige Anzeigen franzöfticher Schriften von 1859
1860 voran und laffen die zahlreichen übrigen Titel von 1860 ber
tern Ueberficht wegen in ununterbrochener Reihe folgen:
Geographie historique de la Gaule.
1) Le Pagus aux differentes dpoques de notre hisi
par M. Alf. Jacobs. Paris, 1859. 32. 8. 8.
2) Fleuves et Rividöres de la Gaule et de la Fran:
moyen Age par le möme. Paris, 1859. 25. 8. 8.
8) Examen historique et topographique des lieux pr
pour representer Uxellodonum par le General Creuly et Alf. Jacobs
98. 8. u. 2. Karten
Diefe drei Heinen Schriften erfchienen als Abhandlungen im
Zeitſchrift und find (was indeſſen nicht bemerkt wirt) Separatab
der letteren.
Hr. Alf. Jacobs, ein jüngerer Schüler ver Ecole des chartes, dı
Frankreich. | 375.
en lettres, archiviste palöographe und 1860 membre de la Commission de
la Topographie des Gaules, hat fich feit einigen Jahren durch gefchicht-
liche Detailforihungen einen Namen gemacht. |
Die vorliegenden Schriften find fchätenswerthe Arbeiten. In der erſten
wird nachgewiefen, daß das Wort Pagus nicht immer einen wirklichen Gau
bezeichne, ſondern zuweilen jo viel als Bezirk oder Gegend überhaupt,
In der zweiten werben bie Namen der in der (vom Verfaſſer überſetzten
und geographiich commentirten Gefchichte der Franken Gregore von Tours⸗
bei Fredegar, in Urkunden und in Valesius notitia Galliarum genannten
Flüge und Flüßchen im alten Gallien oder beginnenden Franlenreiche er⸗
Härt, d. b. ihre jegige Benennung und Lage angegeben. Die Arbeit.
des Verfaſſers ift indeß weder erſchöpfend, noch vollftändig, fondern nur
ein Beitrag zum geographiihen Studium Frankreichs in jenen Zeiten,
Die dritte Abhandlung, welche Herr Ale. Jacobs in Gemeinſchaft mit
einem feiner Kollegen, Heren General Ereuly von der topographiichen Com⸗
miſſion ſchrieb, unterſucht die Richtigkeit der verfchievenen Anfichten der
Gelehrten über die Lage der alten Celtenſtadt Uxellovonum, ver letten
von Cäjgr eroberten galliichen Feſtung. Hirtius, der Fortſetzer von Cäſars
Geſchichte des galliichen Kriegs, gibt eine fehr eingehenve Erzählung dieſer
Eroberung, weldye daher die Berf. ©. 1 ff. nebft Ueberjegung und
mit einigen andern auf biefelbe bezüglichen Stellen aus den Klaſſikern
aboruden laſſen. Da aber nirgends die Lage bes Orts genau angegeben
ift, jo ftritt man fi) von jeher über dieſelbe. Es wird gerathen auf:
Cahors, Buy PEveque, Uzerche, Uſſel, Capvenac, Buy d' Iffolu, Luzech
— alle im Süden der ehemaligen Herrichaft Quercy oder zunächſt der»
jelben, gelegen. Die Herren Berf. bejuchten dieſe Lotalitäten, nahnıen
Zeihnungen verjelben auf, verglichen ihre Wahrnehmungen mit den Ans.
gaben der Alten und kamen zu dem Ergebniß, daß der lebte an dem in
bie Garonne fih ergießende Fluß Lot gelegene Ort Luzech das alte
Urellobonum geweſen fein müſſe. L. A. W.
Histoire des Classes ouvritres en France depuis la con-
qu&te de Jules Cdsar jusqu’ & la revolution: ouvrage couronne par l’aca-
demie des sciences morales et politiques par E. Lovasseur. Paris, 1859.
2. Vol 8. XII, 686 u. 560 8.
Die vorliegende Geſchichte der arbeitenden Elaffen, zugleich die des. Ent⸗
wicklungsganges ver Inbuftrie in Frankreich, von ben älteften Zeiten bis auf bie
876 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur von 1860.
Revolution von 1789 ift eine der bebeutenpften Erfcheinungen auf dem
biftorifchen Gebiete im Jahre 1859 und füllt eine große Lücke im ber
Eulturgefhichte aus. Das Werk verdient den von ber Wlabemie ber
moraliihen und politifchen Wiflenfchaften ihm im Jahre 1858 zu.
ertannten Preis, indem es feine höchft fchwierige Aufgabe in glädlicher
Weiſe gelöft bat. Es ift fchwer zu fagen, ob das Buch wichtiger iſt
für das Verſtändniß der politiihen Geſchichte, als für die Gefchichte ver
Bollswirtbichaft und des Handels; doch wirb die genauere Prüfung ber
Darftelung und der Anfichten des Berfaflers dem Nationalöfononen
überlaflen bleiben müflen. Wir begnügen uns bier mit einer gebrängten
Ueberficht des reihen Inhalte. |
Das Werk zerfällt in fieben Bücher, vie eben fo vielen Perioden ent⸗
Iprechen.
Das erite Buch mit ber Ueberfchrift: La Gaule romeine im Bp. I
von S.1—96, zeigt die Lage der arbeitenden Elaffen unter den Römern unb
ber Induſtrie, welche in Folge der Verachtung aller Brodkünſte den Sela⸗
ven anheimfiel, vermittelt deren indeſſen gegen das Ende der Republit
reichere Männer die Gewerbe in ähnlicher Weile im Großen trieben, wie
noch jetzt die Befiger von Zuderplantagen in Amerifa. Unter den Kai«
fern leben die früher fchon im Keime vorhandenen Handwerkerkorporatio⸗
nen wieder auf, und gelangen, von Aler. Eeverus beſchützt und privile⸗
girt, zu großer Blüthe, welche aber tem Steuerbrud fpäterer Herrſcher
wieber erliegen mußte *).
Das zweite Buch mit der Aufichrift Invasions beginnt mit einem
Blick auf die Urzuftände der aller Induſtrie baaren Germanen, ſpricht
von den Gilden, die der Verf. nicht nad Wilde, ſondern Aug. Thierry
(Considerations sur l’histoire de France) jchilvert, und die er als fociafi«
*) Es if zu bedauern, daß ber Hr. Verfafler, ber für bie erſte Periobe
außer den Claſſikern die Nechtsdentmale benutte, bie neueren in Deutich-
land erfchienenen Ausgaben ber letztern nicht kannte, wie 3. B. Hänel's
Codex Theodosianus, Böding’® Notitia dignitatum, bie neueften kriti⸗
fen Ausgaben bes Corpus juris, bie Rapitularien von Perk, fowie un⸗
fere ganze reiche Titeratur ber römischen und beutichen Rechtsgeſchichte. Wie
fange fol e8 bauern, baß and bie beſſern franzöfiihen Gelehrten bie
dentſche Wiſſenſchaft iguoriren bürfen?
Frankreich. 377
iihe, ja geheime Geſellſchaften ter niedern Claſſen zu gegenſeitigem
ccntze (mit Bezugnahme auf ein engliſches Statut aus dem 11. Jahrhun⸗
et ©. 102) betrachtet; der Berf. beichreibt dann die Bölferzüge nad)
Galien und fpricht hierauf von ver Arbeitdorganijation in den Guts-
kerrichaften der weltlichen Großen, der Städte, der Klöfter, und von ber
lgmeinen Lage der Inbuftrie und des Handels unter den Merovingern
ud Karolingern. Seine Mittheilungen jchöpft der Verfaſſer vorzugsmeije
ans dem von Guerard herausgegebenen und jo meijterhaft commentirten
Polypticam Irminonis verbunden mit anderen fürzeren Documenten biejer
Art, dem Capitulare de villis, aus Holstenius codex regular. Monaster.
md anveren (älteren) Urkuntenjammlungen. Was die Städte betrifft, fo
Kt er fih an Savigny Geſchichte tes römijchen Rechts im Mittelalter,
Kenonard hist, du droit municipal en France, nimmt ten freilich |pärlichen
Fortbeſtand der römischen Zunftlollegien 3. B. der Nautae in Parıs an
iS. 122) und zeigt, daß manche Gewerbe 3. B. das der Gold- und
Silberarbeiter in verjchievenen Stärten Galliens berühmt waren. (S. 125
—128.) In den Klöjtern verpflichteten jhen die Statuten die Mönche
a Banbarbeiten; es gab Müller, Bäder, Schmiede, Gerber, Schuiter,
Zuhwalfer, Korbflechter umter ihnen. (S. 131.) Manche Klöfter trieben
Handel. (S. 142.) Im 9. Jahrhundert blieben freilich die induftriellen
Berhäftigungen den Laienbrüdern und Dienern berjelben überlaffen.
(©. 144.)
Bud III. La Feodalitö et les Croisades (pp. 161 — 387). Bor
den 13. Jahrhundert waren die arbeitenden Claſſen zwar nicht mehr
Sclaven im Sinne des römijchen Rechts, aber Peibeigene oder Hörige:
ar Erleichterung ihrer Lage Ichufen die Grundherren die jpäter für alle
fe trüdenven und ter Induſtrie jo nachtheiligen Bannrechte (der Mühlen,
Badöfen), überließen manden von ihnen bevorzugten niedern Freien oder
Halbfreien die Ausübung von Profejlionen (Monopole) als Dienft-
rechte, benachtbeiligten aber ven tur vie Abhaltung von Märkten
begünſtigten Handelsverkehr durch Zölle und andere Abgaben, fanven es
dann freilich wieder vortheilhaft, in ven von freien Bürgern bewohn⸗
ka Etädten den Aufihwung der Gewerbe zu fürbern durch die Orga⸗
niſatien der Handwerksinnungen (Corps des me&tiers), über welde ver
def. (S. 191—284) ſich ausführlich verbreitet. Die Befugniß zu ar-
keiten wurde für ein privilegioriiche® Recht erklärt, und beffen Ausübung
378 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur von 1860.
von oft brüdenven Bedingungen abhängig gemadt. Der Geift der Zunft
ftatuten war der des Monopol. Die Tragweite ver Regiemenis da
travail wird vom DBerfaifer dur die Beleuchtung ver Statuten vieler
Zünfte namentlih in Paris nachgewieſen, beſonders nad den ven
Depping herausgegebenen Boileau's aus dem 13. Jahrhundert (pp. 241
— 261). Der Verf. hält es für lehrreih, auf die Zunftverhältniſſe ber
Bäder» und ver Mebgerinnung in Paris näher einzugehen (S. 275
—284 und ©.285—296) und eine kurze Gejchichte der unter dem Namen
der Hanse de Paris belunnten uralten Schifförheberinnung ver Gauptfabt
zu geben. ©. 297 — 318 hanvelt er von ven Laften ber «arbeitenden
Claſſen, d. h. den ihr auferlegten Steuern, Bannrehten und Frohnden
Hierauf folgt bis 367 ein überfichtlihes Gemälte ver Blüthe der Künfe
der Induſtrie und des Handels im 13. Jahrhundert, S. 369-378 ein
Schilverung ver rechtlichen Stellung der Arbeiter, deren Verbeflerumg
mit der Steigerung ver küniglihen Gewalt gleichen Schritt hielt.
Bud IV. La guerre de cent ans, 1323— 1498, (S. 387—575).
Das Zufammengehen des Königs und des Bürgerthums war von kurzer
Dauer. Dan fah bald, daß vie Zunftprivilegien mit dem Geſammtwohl
nicht vereinbar waren; die erften Valois machten einen Berjuch, fie za
vernichten, und näherten fi) teshalb dem Adel. Allein vie Kriege mit
England und der Berluft der trei Hauptichlachten von Crecy, Poitiert,
und Azincourt erzeugten nicht nur für die Könige eine durch feines ber
vielen von ihnen angewantten Mittel zu bebende Geltnoth, fondern eine
allgemeine Verarmung im Reiche und unabjehbares Elend. Daher Auf
fände; ver mehrmals fiegreiche dritte Stand mißbrauchte fein Weberges
wicht zur Beherrihung des ganzen Staates; die Könige emancipirten ſich
mit graufamer Waffengewalt, das Entrejultat ver Kämpfe über 108
Fahre war — ein zum abenteuerlichen gefteigerter Zuſtand der Bettelei.
Die mehrmals aufgelöfte, dann unter Modificationen wieder hergeftellte
privilegiarijche Zumftverfaffung wußte fih zu erhalten und tie Com
pagnonages (Handwerkervereine), vie felbft unter ven Schuß der Kirche
geftellten Bruderſchaften ver Handwerker, gaben ven gewerbetreibenden Claſ⸗
fen eine unzerftörbare Cinheit und Feſtigkeit. Trotz der Kriege, der Ber
armung und des Elends blühten doch mehrere Zweige der Induſtrie
Nah der Herftellung des Friedens mit England unter Carl VII. began⸗
nen beilere Zeiten; das Regierungsſyſtem dieſes Königs, fowie feines
oe
%
Frankreich. 379
Nechfolgers, Ludwig's XI., war dem Entporfommen ber Induſtrie und
ws Handels günftig, fo daß man einer neuen Blüthezeit mit ver
Nenaiffauce entgegenging. Dieß ift, mit wenigen Worten gejagt, ber
Ahalt ver ihres überreichen Detail wegen jehr lejenswertben 9. Ka⸗
pitel des 4. Buches.
Buch V. Renaissance et la Ligue: siöcle de 1498 — 1598 t. II.
pw. 1— 130. — Die italienischen Kriege Karl's VIII., Ludwig's XIT.
ud Kranz I. machten die Franzoſen mit den höchft verfeinerten Cultur-
Zeſtänden und dem Lurus des Südens hefannt und erwedten Gefühle ver
Nacheiferung. Der Berf. beginnt mit einer Schilderung jener Kul⸗
tm. Es waren bie reihen Blüthen ver höhern Künſte, ver Ma⸗
ki, ver Sculptur, ter Baufunft, der Dichtkunſt in ver Landes—
frrahe. Die Könige riefen ausgezeichnete italienische Künftler in’s Land,
belehnten Entdeckungen und Erfindungen mit einträglichen Privilegien,
hießen Paläfte aufführen, begiluftigten die vor Kurzem eingeführte Buch⸗
druderkunſt. Alle Zweige des Handels und ver Gewerbe, darunter ver-
fbierene neue, nahmen einen fchnellen Aufichwung, auch das Bankweſen
begann unter dem Schuß der vaterlänbijchen Gewerbthätigkeit; bald ge-
langten die Stätte namentlich zu einem von Jahr zu Jahr, felbft noch
unter Heinrich 11. und Karl IX. fteigenten Wohlftand, bis die Sturm⸗
uud Drangperiode der Ligue die glüdlihen Fortjchritte gewaltfan unter:
brach.
Ein allgemeine Greignig von nachhultigfter Rückwirkung auf bie
Gewerbtbätigfeit und ven Handel war tie Werthverminverung bes Gel-
des ımb bie Preisfteigerung der Waaren. Die Regierung wollte die hier-
ans folgente Berarmung ver nievern Stände aufhalten, ergriff aber hiezu
(wie ſchon Bodin ihr enthällte) vie verkehrteften Maßregeln ver Ausfuhr-
verbote der Wuaren, teren Tarifirung :c., ftatt die Freiheit des Handels
namentlih mit ven Auslande zu begünftigen. Es entwidelte fid) auch
nach und nah ein regelmäßiges Yinanziyften, deſſen leitendes Prinzip
vie Protection war. Dagegen wurden die Mißbräuche des Zunftwejens
wu der Handwerlkervereine inter jchreiender (Ch. IV. pp. 79—103), und
a6 mehr und mehr nad Abſolutismus ftrebende Königthum ſah fich ger
nöthigt, dieſelben durch Verordnungen zu bekämpfen. Erſt unter Heins
rich IV. gieng es ſiegreich aus dem Kampfe hervor und ebnete den Weg
a den großen Reformen Colberts.
Pikerifge Zeltfgrift vi. Bam, 95
380 Neberfiht ber hiſtoriſchen Litertur.
Buch VI. Colbert et Louis XIV. de 1598 à 1715 (pp. 131—340).
Die Regierung Heinrich's IV. war eine für den Aufſchwung der franzö⸗
fiichen Induftrie glüdliche Zeit; die Zünfte wurben ftrenger überwacht,
neue Gewerbözweige eingeführt, namentlich vie im Laufe ver Zeit fo ber
deutend gewordene Seibenkultur und Seivenfabrication, welche der Kö⸗
nig gegen Sully's Anfichten mit größter Energie pflegte; aud begannen
Sefellihaften für den auswärtigen Hanvel, wenn aud nicht immer mit
Erfolg, fih zu bilden. Der Luxus blieb im Steigen, auch boten könig⸗
lihe Bauten Gelegenheit zum Erwerb, und die Herftellung eines geregel-
ten Staatshaushaltes wirkte heiljam auf vie Yage ber arbeitenden Claſſen
zurück. Was in Ranke's franz. Geſchichte Br. I. S. 64— 80 und 95
— 114 in Kürze beſprochen wird, ſchildert unfer Verf. im erften Kapitel
des fiebenten Buches genauer, verbreitet ſich aber mit größter Ausführ-
lichkeit über das unendlih Viele und Großartige, was Colbert trog feines
unhaltbaren Reglementirungsſyſtem für die Hebung ber Induſtrie und
des Handels bis zu feinem Zope, ja bis auf unjere Zeiten, mit nachhal⸗
tigem Erfolge geleiftet Hat — Darftellungen, welchen zu folgen vie Grem-
zen diefer Anzeigen unmöglid) machen.
Das Ende der Periode feit Colbert's Tode war unbeilbringend für
Gewerbe und Handel, wozu befonders noch der Widerruf des Edicts von
Nantes und bie unglüdlichen Kriege Ludwig's XIV., die fort und fort
fi) erneuernde Creirung verfäuflicher Aemter und Stellen und überhaupt bie
verberbte Finanzverwaltung des Neiches beitrugen. Das fich ftetö wieder
ermannende (in feiner Organifation vom Verf. ©. 311 ff. geſchilderte)
Zunftweſen war ein allgemeiner Hemmſchuh des Wortfchrittes, der in⸗
deſſen bie pecuniär günftigen Zuſtände ber Gewerbtreibenden nicht ver
Ihlimmerte.
Bud VII. Le dixhuitieme siecle pp. 341— 422. Der Berf. be
ginnt mit Law und endigt mit Turgot und ten erften Decreten ver
Assemblee constituante,
Die Monardie Ludwig's XV., gebilvet in ver Schule Ludwig's XIV,
hält während befjelben am Hergebrachten feſt, ohne einzufehen, daß bie
Zeit eine andere war: ſclaviſch dieſelbe nachahmend ließ fie ven Druck
ver Gewerbereglements noch jchwerer fühlen und fteigerte noch Colbert's
Irrthümer.
Indeſſen war das Bürgerthum erſtarkt, die Welt gebildet geworden, und
Frankreich. 381
ätereugend proclamirten bie Schriftſteller das Princip ber Handelsfreiheit
mr die Vortheile ver Concurrenz. Während der Minderjährigkeit hatte
em allzu kühner Neuerer die Bahn des Fortſchritts chne Sachkenntniß
&treten und mit Banferott geenbigt. Im Anfang der Regierung Lud⸗
wig's XVI. unterlag ein wiflenfchaftlich gebilteter Refermater (Turgot)
dem Widerſtande aller Borurtheile und ten Intrigen des Privatintereſſes.
Tie geringen Freiheitsconceſſionen konnten nicht befriedigen. “Die herein:
brechende Revolution vernichtete im Sturm tie Monopole, die Reglements
an die Zünfte mit ven übrigen Einrichtungen ter alten Monarchie.
L. A. W.
Ch. Desmaze, le Parlament de Paris, son Organisation, 308
premiers presidents et procureurs g“ndraux, avec une notice sur les autrcs
jwlaments de France ctc. Paris, 1859. IV. u. 359 8. 8.
A. W. 5 von Tippelsfird, K. Ober - Ztaats- Anwalt in Stettin,
Reber Die alten Parlamente Frankreichs und beren Einfluß auf
die Staatsformen ber Gegenwart. Berlin 1859. 55.6 8.
Mit Berauern muß ınan fagen, daß Leite Schriften über die Par-
Ismente Frankreichs ohne wiſſenſchaftliche Bedeutung find. Die erfte ift
eine compilatorijche Arbeit, in welcher ter Berfailer, ein ehemaliger Ma⸗
giftrat, weder ten Stoff keherricht, noch eine tiefere Einſicht in das
Beien dieſer berühmten Inſtitute gewinnt und ſich darauf beſchränkt, längſt
Bekanntes meiſtens in oberflächlichſter Weiſe wieder vorzubringen. Bon
einigem Werth darin ſind der Abdruck der wichtigeren, die Organiſation
tes Parlaments ven Paris betreffenden königlichen Verordnungen, Die
Netizen über die Organiſation des Parlaments, die Reihenfolge der Prä—
ſidenten ꝛc. Cine bibliograp hiſche Ueberſicht ver Literatur über den Gegen—
ſtand iſt unvollſtändig und ungenau ſelbſt in den Titelangaben. Man
bat in B. J. des Refer. franzöfiſcher Staats- und Rechtsgeſchichte 8. 141
and 181-— 139 vom Jahre 1846 und in Schäffners Geſchichte Der Rechts—
rerfaſſung Frankreichs B. I. vom Jahre 1849 S. 384 cine genauere
and wenn kürzere doch ausreicheude Geſchichte Der Parlamente, welche
ven unſerem Brewer ſchon früher glüdlich Learbeitet war. - - Tie Vroſchüre
des Herrn von Tippelöfirdy enthält nur tie allgemeinften und befaunteften
hiſteriſchen Thatjachen über die Adminiſtrativjuſtiz und die Competenz—
conflicte. L. A. W.
20 *
382 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur.
Le Parlement ot la Fronde: la vie de Mathieu de Mols. Notices
sur Edouard Mol& procureur generale pendant la Ligue et M. le Come
Molé par M. le Baron de Barante. Paris, 1859. XIX. u. 405 8. &
Der Hauptgegenftand dieſes neuen Wertes des berühmten Hiſtorilers iſt die
Geſchichte des politifchen Lebens des Parlamentspräfidenten Mathien Mel,
eines der größten Staatsmänner Frankreichs im 17. Jahrhundert. Da dieſelle
mit ber des Parlaments und der Revolutionsperiode der Fronde (1649— 1658)
innig verwebt ift, jo konnte ver Derfaffer feinem Geſchichtswerle ben
obigen Titel geben. Die Einleitung zur Lebensgejchichte des Parlamenik
präfiventen Mathieu Mole enthält eine Skizze des während ber Be
berrihung von Paris durch die Ligue (von 1592 — 1594) zum procaren
general des Parlaments ernannten Rechtögelehrten Edouard Mole (+ 1616)
Vaters des großen Mathieu Mole (S. 3— 18). Den Schluß des Buche
bildet eine kurze Biographie feines Nachkommen Mathieu Mole, ve
legten Eintagsminifterd (den 23.— 24. Febr.) Königs Lonis Philipy,
ver als Mitgliev der conftituirenden VBerjammlung im Jahre 1848 ſtarb.
Das ganze Werk hat die Vorzüge und Mängel ver früheren hiſto⸗
riihen Arbeiten des Verfaſſers. Es iſt eine im correcteften Style, mit
größter Klarheit und Objectivität gefchriebene chronitartige Geſchichte,
deren Lectüre und Verſtändniß aber nicht blos deßhalb jchwierig if, weil
fie ohne alle Abtheilungen (von S. 19 — 397 fein Abfchnitt!) in einem
Conterte, ohne Ruhepuncte, fortläuft, fondern weil ihm auch der prag⸗
matiſche Charakter abgeht. Keine Gemälde ver allgemeinen Zuſtände,
feine eingehenden Charafterjchilverungen der hervorragenden Perſonen, feine
Zeichnungen ber politiihen Stellungen der Hauptperfonen des jchon am
fid verwirten Dramas, fo daß man erft andere Darftellungen leſen
muß, um dem Berfaffer folgen zu können. Bekanntlich beſchäftigte ſich
in unjeren Tagen ein franzöfifcher Gelehrter erften Ranges, Herr Couſin,
mit der Geſchichte der Fronde, freilih nur um vie Theilnahme hochge⸗
ftellter Perfönlichkeiten an verjelben zu zeichnen oder einzelne Epiſoden der⸗
jelben zu ſchildern, ſowohl in ver zuerft der Revue des deux mondes ein
verleibten wirklich claffiich gefchriebenen Lebensgejchichte der Frauen von
Chevreuje (1858) und von Longueville (Paris 1859) als neueftens im
feinen Sciences historiques de la Fronde (Revue des deux mondes von
1859 t. XX. p. 178 und 257, t. XXI. p. 751 6. XXI. p. 109).
Den Werken Couſin's kann nun das neue Buch des Kern von Barantı
Frankreich. 383
an bie Seite geftellt werben, weil deſſen Hauptgegenſtand bie Bethei⸗
figung Mathien Molé's an jenen Ereignifien if. Daneben wird aber
auch feine ganze politifche Laufbahn feit 1622 dargeftellt.
Mit großem Lob muß man anerkennen, baß ver Berf. ven wirklich
merfwürbigen Dann, deſſen politiiches Leben er im größten Detail ſchildert,
redend und handelnd fo vor uns treten läßt, daß wir feine ganze Per-
fönlichkeit erſchauen, feine mit wahrhaft ftaatsmännijcher Weisheit ver-
bundene, fi in den fchwierigften Verhältniſſen bewährende Charaktergröße
bewundern können. Wir überzeugen uns, daß er in ven Kämpfen des
Barlaments mit der rüdfichtlo8 nad Abfolutismus ringenden Königsmacht
die Hauptrolle fpielte, und daß, wenn das Parlament in ruhmvoller
Weiſe fi benahm, ex, fein ftreng rechtlicher zugleich und kluger Vertreter,
es war, ber ihm bie glorreihe Stellung gab und behauptete. Alle feine
Staatshandlungen, wie fie vom Verfaſſer uns mitgetheilt werben, beweifen
die Wahrheit von Couſin's Charafterichilvderung des großen Mannes in
der Revue des deux mondes von 1859. B. XX. ©. 278,
Man kann die Lebensgeſchichte Mole’8 in drei Perioden theilen:
1) die von 1614—1641, in welcher er Procureur general des Parlaments
wer, und einerfeit dieſem, andererſeits dem Könige Ludwig XII. und
Richelieu gerecht zu fein fich beſtrebte. Die zweite beginnt mit feiner,
Ende 1641 erfolgten Ernennung zum erften Präfiventen des Parlaments,
d. 5. zur erften Richterftelle im Königreich, die dritte mit feiner Ernen⸗
nung zum Siegelbewahrer over Yuftizminifter (1653). Da Ludwig XI.
den 20. April 1643 ftarb, fo fiel jetzt feine Thätigfeit in Die Zeiten ber
Kegentichaft der von Mazarin beherrfchten und von ven Prinzen beshalb
angefeindeten Königin Anna. Er war als entjchiedener Feind des Abjo-
Intismus lange Zeit Mazarin’d Gegner, in Gemäßheit feiner Stellung,
ale Haupt der einzigen politischen Inſtitution Frankreichs, welcher ber
Willkürherrſchaft ein legaler Damm fein Tonnte und ſollte. So lange
Mole diefen Boften allein inne hatte, war fein Benehmen ftets feft und
unzweideutig. Nachdem er aber zum Siegelbewahrer ernannt worben
war, hinderte ihn der natürliche Gegenjag feiner beiden Aemter, dem
des Präfidenten unbefangen vorzuftehen, und fein Einfluß war (freilich
zur Zufrievenheit des Hofes) zu Ende (p. 330); auch war er bald ge⸗
nöthigt, jene Stelle aufzugeben. Herr von Barante hat feine Mitthei-
Inngen über Mols namentlich ans theils gedruckten theils handſchriftlich
384 neberficht ber hiſtoriſchen Literatur.
hinterlafienen Memoiren vefjelben geichöpft, aber felten auf fie und dau
nur in allgemeinfter Weiſe verwiejen. Zu bevauern ift es and, baf
man nicht felten auf Druckfehler, namentlich in ven Jahreszahlen ſtößt
Die Biographie des Grafen M. Meole ift ein ſchätzbarer Beitrag ur
Geſchichte Frankreichs feit 1794. L. A. W.
Histoire de la libertd politique en France par Jules de
Lasteyrie. Premiere partie. Paris, 1860. XXIV, 408 8. 8.
Unjer Urtheil über das Werk, veilen 1. Bd. vorliegt, geht dahin,
daß es ein im klaſſiſchen Styl gefchriebenes geiftreiche® und angenehm ja
fefendes Buch ift, in welchem aber Wahrheit und Dichtung bunt durchein⸗
ander laufen. Wie ver Verf. weder gelehrter Hiftorifer noch Philojeph
fein will, fo befriedigt uns auch fein geichichtsphilojophifches Wert were
nad der einen noch nad der andern Richtung. Nicht allein, daß Sr.
v. Lafteyrie von beutfchen Arbeiten über die fränkiſche Periove, aud von
Waig und Roth, nichts weiß: er ift nicht einmal in der franzöfiichen Li⸗
teratur ganz zu Haufe; wenigftens gibt er fich oft Mühe, zu beweifen, was
auch in Frankreich fein Gelehrter mehr bezweifelt. Was aber die philoſophiſche
Seite des Buchs betrifft, fo vermiffen wir ein klares conjequentes Denten;
fogar ben Begriff ver politifchen Freiheit, über die er doch fchreiben wollte, hat
fi der Berf. nicht ganz klar gemadt. Schon deshalb gehen feine Ausfüß
rungen oft in's Unbeftimmte und Vage. Gleichwohl kann nicht gelengnet
werben, daß das Buch manche richtige Bemerkungen und gute Gedanken
enthält. Schon eine Stelle des Vorworts, vie hier mitgetheilt werden
möge, wenn fie aud) mehr der Zukunft als der Vergangenheit Frankreichs gift,
gibt ein ehrendes Zeugniß für ten Verf. ab: Quinconque a des principes
est condamné de voir ses principes outrages, renverses, proscrits, et doit
cacher sa douleur, crainte de fatiguer l’indifference ou d’importuner la
bassesse, Les peres ne savent pas, dans quel pays viveront leurs enfass,
si ce sera dans un pays de libert& ou dans un pays de servitude; ils se
demendent,, si’ faut &lever les ämes ou assoupir les coeurs. Jameis ua
peuple, qu’ animent le mouvement de la vie et l’action de la pensee, ne
s’est fait A ce point l’esclave des circonstences (p. XVII — XVII).
Histoire des classcs laborieuses en Franco depuis B
conquöte de la Gaule par Jules Cesar jusqu’ & nos jours par M. F. de
Frankreich. 385
Cellier, agreg6 de l’histoire, inspeoteur de l’enseignement primaire du
dpartement de la Seine. Paris, 1860. VII, 479 S. 8.
Das Bud hut mit dem vorhergehenden die fchöne lebendige Dar-
ftellungsweife und die Hafjiiche Sprache, daneben aber auch die Ungründ-
lichkeit, die Unrichtigkeit mancher Auffaffung und ven Mangel an Bes
weifen für manche zu allgemeine und apodictiiche Behauptungen gemein.
Doch treten dieje Mängel bei Hrn. de Eellier nicht fo ſcharf als bei ve
Laſteyrie hervor, und wenn ſchon im Allgemeinen ver Verſuch, eine wenn
auch kurze doch möglichſt vollſtändige Geſchichte der arbeitenden Klafien,
nicht blos der Gewerbetreibenven, zujchreiben, alle Anerkennung verdient,
indem dieſe Seite der Gejchichte auch bei und noch immer viel zu wenig
berädfichtigt wird: jo jcheint uns die eine oder andere Partie in Cellier's
Bud nicht allein neues, fondern auch treffliches zu bieten. Er hat z. B.
das Berdienft, in der innern Gejchichte des 18. Jahrh. zum erften Mal
bie Wirkjamleit der geheimen ejellenvereine (le compagnonage) ge
ſchildert zu haben; fie find zum Theil fehr frühen Urſprungs, zum
Theil beftehen fie noch heute; die fie betreffenden ‘Documente werben, wie
der Verf. ©. 460 angibt, theilweije nod) geheimgehalten. Ueberzeugend
ſchildert er u. a. auch die Zerſtörung des Nationalwohlitandes durch vie
Geſetzgebung der conftituirenden Verfammlung, durch das Regiment des
Nationalconventd und die Schwäche des Directoriums, bis dann Napo⸗
leon durch den Code civil, bie neue Gerichtöverfaflung und Prozeßord⸗
nung einen geſicherten Zufland ver inbividuellen Freiheit und Schuß des
Eigenthums und Verlehrs hervorrief; aber erſt unter ber Reſtauration
tonnte fi in dem wirklich frei geworbenen Staate ver Wohlftand ver
arbeitenden Klaſſen auf der gewonnenen Grundlage kräftiger entwideln.
Der von Yahr zu Jahr ſteigende Nationalreihthbum hinderte aber nicht
den Sturz der ‚Yulixegierung, ven theils fie felbit, theils die parlamenta-
riſchen Tribunen und die Prefie, theils der von Elementen ber neun»
ziger Jahre gebilvete Carbonarismus herbeiführten (S. 351 — 376). Die
mit Hilfe der demokratiſchen Elemente im Schooße der arbeitenden Klafjen
von der fog. Bourgevifie, d. h. der Ariftofratie des Bürgerthums ausge⸗
führte Revolution von 1830 gab zwar dem letzteren bie Herrſchaft im
Staate, erhob aber jenes Clement zu einer von Jahr zu Jahr auch
durch die Propaganda der Saintjimoniften und Fomrieriften ſich fleigern-
den politiihen Macht, die nothwendig im Conflict mit ber herrſchenden
386 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatırr.
Kaffe lommen, und, von ben ber Juliusmonarchie feinblich geſtunten
Legitimiften unterftägt, um fo leichter über jene ven Sieg erringen mußte,
ald die Regierung, die Beratung ber Demofratie zu gering ſchätzend,
nicht8 that, aud nur um der Bewegung eine der Erhaltung des Conſti⸗
tntionalismus günftige Richtung zu geben. Manche Berfuche wurben in»
deß für das Wohl der ärmeren Volksklaſſen gemacht, wie 1835 bie Er⸗
richtung der Sparkafien. Im Interefje der geſammten Bevölferung wurde
1833 das Geſetz über den PBrimärunterricht erlaflen, auch die Tendenz
der chriſtlichen Wohlthätigkeit begünftigt, Aderbau und Strafcolonien ger
ichaffen, die Fabrifarbeit der Kinder (1841) beichränft, die Arbeiter zur
gegenfeitigen Unterftätung verpflichtet, das Inftitut der Pruhhommes 1844
in Paris eingeführt. Allein der auch vermittelft doctrineller, inbeſondere
ſozialiſtiſcher Einwirfungen gefteigerte Bruch zwiſchen dem Capital umb
der Arbeit wurde immer heftiger. Die dennoch unerwartete Kataſtrophe
im Februar 1848 — revolution d’ouvriers — brachte freilih nur auf
kurze Zeit ven fog. vierten Stand zur Herrihaft (S. 377—418).
Der Berf. ſchildert in anziehender Weife die von der republifanifchen
Regierung begoimenen und von der des 2. Dez. fortgeführten Maßregeln
zue Hebung des Wohle ber arbeitenden Klaſſen, und fpricht fich fiber
das durch das fuffrage univerſel gejchaffene Gonvernement, den Man-
gel politifcher Freiheit gänftig aus. In feiner Aufzählung der Reformen,
welche die Utopien des Sozialismus und Communismus wie der Ber
einsatelier8 der Handwerker, ihre Anſprüche auf Arbeitgebung durch ben
Staat u. f. w. glüdlich umgehen, veffen gefährlichen Aufihwung paraly⸗
firen, bekundet er eine die Verhältniffe richtig beurtheilende Sachkenntniß
(S. 419 — 58).
Bemerkt mag hier noch werben, daß der Herr Verf. zwar kirchlich
gefinnt ift und das zweite Kaijerreich für eine populäre umd bie Intereſſen
Frankreichs wahrhaft fördernde Regierung hält — aber doch ©. 444
feine Darftelung mit den Worten fchließt: Le clerge, quand la foi re-
naitrait dans toutes les &mes, ne saurait gouverner la democratie de
notre temps plus, qu’il n’a pu gouverner la societe du X sitcle, et notre
systEme administratif, si emimente que soit la volont& qui le fait mou-
voir, demeurerait impuissant le jour oü la nation abdiquerait toute activité
et cesserait delivrer elle m&me les Elemens de ses progres ulterieurs.
L. A. W.
Frankreich. 387
Etienne Marcel ou le Gouvernement de la Bourgeoisie
m quatorziome siöcle (1356 — 1358) par F. 8. Porrens. Paris 1860, .
U u 1770 S. 8.
Examen critiquo de l’ourrage intituld Etienne Marcel
ete. par M. Simdon Luce, auxilisire de l’institut imperial de France.
Paris, 1860. 43 8. 8. (Befonders abgebrudt aus ber Bibl. de l’Ecole des
(hartes, Serie V. t. 1.).
Die kurze Epifode de8 von Et. Marcel prevot des Marchands,
db. dem Borftand der Pariſer Stadtgemeinde geleiteten Aufftands zwi⸗
Wen den Jahren 1356 und 1358 gehört zu den Capiteln der Geſchichte
drankreichs, worüber bie älteren und neueren franzöfiihen Hiftorifer fehr
berſchiedener Anficht find. Während die erften in jenem Manne einen
ir und rachflichtigen Demagogen und Staatsverbrecher ſehen, erflären
die letzteren ihn für einen dem Verrath und dem Despotismus als Opfer
geiallenen Verfechter ver Ideen der bürgerlichen freiheit und ber conftitu«
tienellen Regierungsform, deſſen Unglück gewefen fei, daß er 500 Jahre
a früh für das 1789 vollführte Werk ver großen Staatöreformen fein
Leben eingeſetzt habe.
Die erſte auf Quellenſtudium geſtützte Apologie Marcel's findet ſich
m Sismondi's) histoire des Francais T. X. (v. J. 1828) ©. 4277 432,
176 — 497, 510 — 538, vie zweite noch ftärfere in Michelet’8 hist. de
France t. III. p.564 ff. (v. 9. 1837). Derſelben Richtung folgt Henri
Martin im B. V. feiner histoire de France. Wichtige Actenftüde und
Aufflärungen über das politiihe Drama von 1356—1358 gaben 1839
Sacabane in ®. I. ver Bibliotheque de Ecole des Chartes, 1841 Douet
d'Arcq in derſelben B. II. 350 — 397: Jules Quicherat im Plutarque
francais von 1844 (Art. Etienne Marcel), 1846 Lervour de Lincy in ber
kist. de la maison de ville de Paris p. 200; 1853 ſprach ji Aug ujtin Thiery
iz feinem Essai sur l’histoire de la formation et des progres du Tiers
Etat p. 24 ff. in günftigfter Weiſe für ven großen Volfsführer aus und
ermuthigte einen jüngern Gelehrten, Hrn. Berrens, jetzt Prof. am kaiſ.
Lyceum Bonaparte , die Geſchichte veflelben in einer Monographie zu be=
banteln. Der etwas fchmärmerijche junge Mann unternahm das Wert,
3) Ber ihm 1815 ſchrieb Naubet fein Buch: la conspiration d’Etienne
Marcel.
388 | Ueberficht der Hiferifchen Literatur.
fiellte Nachforſchungen in ven Archiven an und übergab das in glänzen»
der Sprache geichriebene, mit 25 großentheils jedoch ſchon gedruckten Acten-
ftüden begleitete Buch 1860 ter gelehrten Welt.
Die Herren Perrend vorangegangenen Apologeten E. Marcel’ von
Sismondi an traten nicht ohne Reſerven für ihren Helven in die Schranten.
Ihm unberingt das Lob eines anfangs ehrenvoll und Icyal fich gebahren-
ven, ein edles Ziel mit ſtaatsmänniſcher Weisheit verfolgenden Vaterlanda⸗
freundes ertheilend, brachen fie über ihn von dem Augenblid an ven Stab,
wo er den 11. Febr. 1358 an der Spite der aufgewiegelten Handwerker
zum Reichsverweſer, nachherigen König Karl V., ftürmte, neben ihm bie
Marjhälle ver Normandie uud der Champagne in Stüde hauen ließ und
darauf (den 31. Juli) ven Plan ausführen wollte, Paris und den Thron
Frankreichs dem Schwager und doch Feinde Karl's, König Karl vor
Navarra, Charles le mauvais genannt, zu überantworten. Zugegeben wir,
daß er auf ver jchlüpferigen Bahn, vie er einzujchlagen zuletzt ger
nötbigt war, nur durch dieje Verbrechen fein Ziel erreichen zu können
glauben mußte Was vie ſchon 1355 begonnenen, tie weiteren 1356
fanctiontrten Staatsreformen betrifft, jo find jene Gejchichtsforjcher weit
entfernt, fie Marcel als ausichliegliches Berdienft zu vindiciren, inbem
actenmäßig feſtſteht, daß fie durch das Zufammmenwirten aller brei
Stände ver Langue d’ Oil zu Stante lamen. '
Diefe von Sismondi, Michelet und Aug. Thierry ausgegangene nur
bedingte Apologie Marcels ſchien num Heren Perrens nicht ausreichend.
Er will den tur ihn auf tas höchſte gefteigerten Ruhm ves Mannes
ungetrübt im glänzentften Vichte ver Mit⸗ und Nachwelt erſcheinen lafien
— und ihm unter ven Kämpfern von Frankreichs politiſcher Freiheit für
immer eine erfte Stelle ſichern.
Leider ift ihm dieſer Verſuch mißlungen. Der Verf. hatte von einem
andern Geſchichtsforſcher Herrn Simeon Luce das zum Brud fertige
Manufcript einer auch 1860 erjchieneneu Histoire de la Jaquerie zur
Durchſicht mitgetheilt erhalten, aber faum Zeit gehakt, ihm das jeinige zur
Einfiht zuzuftellen. Ta ter indas Jahr 1358 fallende Bauernkrieg der
Faquerie Herrn Luce genöthigt hatte, auch tie Geſchichte E. Marcel’s
genau zu ſtudiren, fo konnten ihm vie Mängel und Webertreibungen tm
Buche des Verf. nicht entgehen, und da er dieſe allzu jchreiend fand, jo
veröffentlichte er im dem rubricirten Examen critique eine, wie aud) Re⸗
—
Frankreich. 889
rent zugeſtehen muß, nur zu jehr verdiente Zurechtweijung des in ſei⸗
zer Begeifterung für Marcel ſich offenbar überftürzenven, allzu phan-
twitereichen jungen Profeſſors.
Tas Enturtheil des Herrn Sinteon Luce über das geprüfte Buch
ht (5. 41) dahin: daß es des Neuen faſt ganz und gar Baar, im
Eimelnen veller Irrthümer ift, und daß die daſſelbe beherrſchenden Grund⸗
xtunfen jedenfall parabor find. Der durch eine trefflihe Darftel-
lmgsgabe ausgezeichnete Verfaſſer, heißt c8 am Schluſſe, hätte Tüch⸗
tiges leiſten können, wenn er bie Endreſultate ber zerftreuten Forſchungen
kiner Borgänger in populärer Weiſe zuſammengeſtellt wiebergegeben hätte.
Ru tiefem Urtheil jtimmt aud Referent überein. Das Ergebuiß einer
jelchen gewiß verdienftlichen Arbeit wäre etwa Folgendes gewejen:
Frankreich befand fich bei ver Thronbejteigung Johanns II in der
traurigſten Page. Die für dafjelbe unglüdlid, geführten Nriege mit Eng«
land jeit 1339, die Verſchwendungen tes Hofes, die Betrütgereien auch der
hechſten Beamten hatten die Staatskaſſe ganz und gar erjchöpft, vie
Rünzfußveränderungen und immer wiederfehrende Münzverfälfchungen
hatten das Verkehrsleben in Verwirrung gebradyt. Der Drudf ver arkeis
kauen Klaffen namentlih auf dem Lande hatte eine unerträglihe Höhe
erreicht.
Ter König berief die Reichsſtände mehrmals und zuleßt 1355. Dieſe
fuhten vor allem Mittel, ver jchlechten Finanzwirthſchaft Einhalt zu
thun, und fchlugen höchſt wichtige, freilidy die königliche Machtomnipeteuz
beſchränkende Reformen vor, Die ver König auch janetienirte. (Sismondi X.
129.) Ein zweiter Zujammentritt ver Stände ſollte am Ende des folgenven
Jahres ftattfinden. Im April nahm Nönig Johann verrätherijcherweije
Karl von Navarra, angeblid) als Verſchwörer, bei einem Gaſtmale mit
keinem Schne in Rouen gefangen, ließ in ihrer Gegenwart Harcourt und
drei Anteren ald Mitverſchworenen das Haupt abſchlagen.
Ter Krieg mit England entbrannte aufs Neue und führte ken
19. Sept. 1356 zur unglüdlihen Schlacht von Poitiers, in welcher der
König und viele Areliche gefangen genommen wurden, und ter Reſt lets
terer in jchimpflicher Flucht davon eilte. Der Tauphin Karl floh nad
Paris, rief auf ten 17. Oct. tie Etänte zujanmen, entließ fie aber,
mit ihrer Haltung unzufrieden, ſchon den 3. November, um bci feinem
heim Kaifer Karl (in Metz) jein Heil zw ſuchen. In jeinen Erwar⸗
890 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur.
tumgen getäufcht, nahm er auf's Neue zu denſelben feine Zuflucht. Gie
traten den 5. Februar 1357 zufammen, trugen in energifcher Weiſe ihre
Beſchwerden vor und redigirten ven in der Staatsgeichichte Frantreihe
jo denfwürbigen Entwurf einer durchgreifenden, alle Mißbräuche rädfichte-
[08 aufvedenven und befämpfenden Heform-Berorpnung, bie den 3. März
von der Geiſtlichkeit, dem Adel und dem dritten Stande gutgeheißen, auch
von Karl als Lieutenant general du royaume in einer Ordonnance ')
fanctionirt wurde.
Der fie begründende Redner war ver Biſchof Le Eocg von Laon,
nach ihm ſprachen zuftimmend für ven Adel Johann v. Peguigny und
für den dritten Stand Etienne Marcel (Sismondi p. 493—496). Dem
Regenten mißfiel vor allem vie Claufel, nach welcher die Verwaltung
ber bewilligten Subfivien in die Hände eines ſtändiſchen Ausſchuſſes ge-
fegt wurde, fo wie die ihm abgenöthigte Abfegung von 22 feiner ihm
liebften Näthe. Der aus 38 Mitglievern beftehende Ausſchuß wurde er⸗
nannt. ®)
Wenn Perrend die Abfaffung diefer Reformverordnung als das aus⸗
fchließliche Wert des dritten Standes und insbejondere als von E. Marcel
ausgegangen wiſſen will, jo ift er vie Beweiſe biefer Behauptung ſchuldig
geblieben. Zugegeben muß werben, daß für Marcel die Bertretung ihrer
Durchführung eine Hauptangelegenheit wurde, namentlih als vie Geiſt⸗
lichen und Adelichen dem Regenten fich wieber zuwendend nach und nad
fi zurüdzogen, und Karl unzweideutige Beweiſe gab, wieder als Aus
tofrat regieren zu wollen.
Inzwifchen warb ein Waffenftillftand mit England abgefchloffen.
Der Regent fuchte feine Abhängigkeit vom ftändifchen Ausfhuß zu brechen,
mußte jedoch den 7.Novbr. 1357 die Stände felbft wieder um Subſidien
anfprechen und bei biefer Gelegenheit ven noch in Haft gehaltenen König Karl
von Navarra freigeben; er verfuchte auch wieder eine Miünzverfälichung.
Jetzt beginnt die eigentliche Aufftandsbewegung mit E. Marcel an ber
Spige, die Mordſeene ver beiden Marfchälle hat Statt; Karl belagert
Baris; mit Robert de Cocqg und dem durchaus zweideutigen Karl von
1) Den Inhalt derſelben gibt Perrens vollſtändig an S. 129.
2) Donet b’Arcq gibt S. 382 deren Namenslifte mit Erläuterung.
Frankreich. 391
Rvarca fich verbindend macht ver Demagoge den 31. Yuli 1358 Ans
Kalten, die Stadt dem legteren zu Überantworten, wird aber jelbft ver⸗
tathen von Jean Maillart, feinem Collegen im ſtädtiſchen Rath, und mit
überlegener Mannſchaft im Augenblid überfallen, als er Karl'n die Thore
öfeen wollte. Cr befand fich in ähnlicher Tage wie Wallenftein, als er
Eger den Schweden überliefern wollte, und fiel wie biejer.
Da man Navarra, näher den Capetingern verwandt, als die Valois,
md Eduard Il. von England, ver felbft König von Frankreich werben
weite, das allerfchlimmfte zutraute, fo wantte fih ein Theil feines
Arhangs von ihm ab und dem Regenten zu, tie Reaction ging mit Rie⸗
imfhritten vor ſich, viele Hinrichtungen fanden ftatt und von ber Reform⸗
Serervunng bed Jahres 1357 war nicht mehr die Rede. Die Jacquerie
bildete ein nur 3 Monate dauerndes, von Marcel nicht benütstes, ben
9, Yuni beendigtes, für die arbeitenden Claſſen auf dem Lande höchſt
blatiges Intermezzo. Als Haupt der Reformatoren und der Verſchwore⸗
nen vom Jahr 1358 möchten wir eher ven Biſchof Robert Le Cocy bes
trachten. Marcel möchte nur ver Mann ver That (ter Ausführung)
zweien fein. Für den Eonftitutionalisnus, d. h. ſelbſt für deſſen An⸗
jang, war bie Zeit noch lange nicht ta. Die königliche Autokratie war
nicht blos von Jenen feitgehalten, ſondern gult auch bei allen Ständen
as erſtes ſtaatsrechtliches und unantaftbares Princip. L, A. W.
Chronique du roy Francois, premier de ce nom, publide
pour la premitre fois d’apres un manuscrit de la Bibliothtque imperiale,
aree une introduction et des notes par Georges Guiffrey. Paris,
reuve Renouard, 1860. 493 8. 8.
Diele Chronik, auf welche, nach einer Notiz in der bibliotheque de
ltedle des chartes (1860, 2. Bd. S. 193), zuerfi Hr. Lalanne aufs
merkſam gemacht bat, verbreitet fi) über die Jahre 1515 bis 1542.
Cie it eine Chronik im wahrften Sinn tes Worts, in der Ueberſchwem⸗
ummgen und Brand, Peſt und Seuchen, Mord und Vergiftung, Prozeſſe
md Sinrichtungen, Turniere und Zweilinpfe, Seite und Maskeraden,
lenigliche Aufzüge und Prozejfionen ven größten Raun ausfüllen. Für
tie eigentliche Geſchichte bildet fie aljo nur eine ſecundäre Quelle; aber
fie bietet ein großes Yutereffe für das Studium der Sitten im Anfang
det 16. Jahrh. dar und zeichnet die Regierung Franz I, volllommen fo,
3092 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur.
wie fie einem Zeitgenoffen, welcher ver zweiten Kaffe ver Gefellfchaft angehörte,
erſcheinen mußte. Der Autor wird nämlich ein fchlichter Bürger von
Sens gewejen fein, nach dem Detail zu urtheilen, das er gibt. Er bes
zieht fih auch ausdrücklich auf amtliche Actenſtücke jener Stadt. Die
endgültige Rebaktion der Chronik fcheint gegen das Ende ber Regierumg
Franz I. erfolgt zu fein.
Der Herausgeber wird als fehr forgfältig gerühmt; er hat mit ängfl-
liher Genauigkeit den Tert des Manuffripts mit allen feinen orthogra⸗
phiſchen Wunverlichfeiten wiever gegeben. Unter ven Tert finden fich viele
Noten, die theils Manuſkripten ver faijerlichen Bibliothek, theils ven fehr
feltenen Slugichriften, deren ſich der Chronift beviente, entlehnt find. Dazu
lommt ein Anhang von gleichzeitigen unedirten Stüden. Nur die Ein»
leitung findet der Kritifer in der genannten Zeitfchrift mager.
Projets de Gourernement du dnc de Bourgogne Dauphin.
Me&moire attribud au Duc de Saint-Simon et publid pour la premitre fois
d’apr&s un manuscrit de la bibliothöque imperiale par M. P. Mesnard.
Paris, 1860. CXIV u. 291 8. 8.
Auf den erften Blick ift man geneigt, die Veröffentlichung des rubri«
eirten feit faft 150 Jahren im Staube ver Vergeſſenheit befindlichen
Memoires fir einen Literariichen Yurus zu erklären, zumal fein Titel
eine Unwahrheit enthält. Liest man aber die Einleitung des Werkchens
jelbft und die trefflichen Anmerkungen des Herausgebers dazu, und ver»
bindet damit Ranke's Mittheilungen im vierten Bande jeiner franzöfifchen
Geſchichte S. 359 und ff., fo überzeugt man fi, daß der Wiffenfchaft
ber Geſchichtsforſchung durch deſſen Herausgabe ein ſchätzenswerther Dienft
geleiſtet iſt. Es gehört einer Zeit an, in welcher wenige bie unheil⸗
Ihwangeren Zuftände ihres Vaterlandes richtig erfaffende, wahrhaft pa«
triotiich gefinnte franzöfiiche Staatsmänner, den Untergang der Monardie
vorausſehend, fi mit dem Gedanken befaßten, durch Reformvorſchläge
das drohend herannahende Schidfal abzuwenden. Durch Ludwigs XIV.
Verſchwendungsſucht und Groberungspolitif war die Staatsſchuld auf
2 Milliarden ſechshundert Millionen Livres geftiegen, der innere Drud
merträglih, und der ganze Verwaltungsorganismus fo verwerflidh, daß
nicht blos die Freiheit vernichtet, fondern auch der Wohlftand ganz und
gar ımtergraben war. Da lebte in biefer Ungläd weiffagenben
Zeit ein zur Nachfolge auf Ludwig's Thron durch Geburt berufener
Frankreich. 393
lbechbegabter, hochherziger Prinz, ver von einem weiſen und edel geſinnten
Etaatemanne erzogen, ſich die Nationalreform der geſammten Staats⸗
verhältniije zu feiner künftigen Regentenaufgabe machte und in der Stille die
Serarbeiten dazu veranitaltete. Diefer Brinz war ter (zweite) Dauphin des
Lönigs Enlel, Herzog von Burgund, der Staatsmann — der große Fer
wien. Gewöhnlich nannte man von biejem nur feinen, wie Mohl) fagt,
we Idealiſirung beſtehender Stautseimeichtungen bezweckenden Staats⸗
tenan des Telemach. Allein diejenigen, welche mit der franzöſiſchen Ge⸗
chichte genaner bekannt find, willen, daß er als politiſcher Reformator weit
größere Berdienſte bat. Dieſe beſtehen nicht blos darin, daß er als
lehrer des Dauphin viefen zu einem überaus gründlich gebilveten, Frank⸗
rich damalige Tage volljtändig durchblickenden, mit den nöthigen Kennt⸗
niſſen ausgerüjteten und vem feiten Willen, baldmöglichſt Hand ans Werl
a legen, beſeelten Staatsmann machte, jondern aud darin, daß er bie
Kefermideen in überzeugenver Weiſe aufzeichnete, feinem Zögling vorlegte
mb biejen für ihre Ausführung gewann. Der Herzog von Burgund
war 1682 geboren; er fellte von jeinem Großvater ſchon ven 25. Oct.
1699 den Cintritt in das Conseil des depeches, und im Dec. 1702
dann im das Conjeil der Finanzen und den Staatsrath erhalten und
jemit Gelegenheit befommen, vie gejummten Verhältniſſe des Reichs tens
wer zu lernen. Später machte er die Feldzüge in ven Niederlanden,
heilich ohne großen Ruhm zu ärndten, mit. Seine Vebensbeichäftigung
miren ſtaatswirthſchaftliche Studien, woher ihn verjchievene auch
uch Schriften ausgezeichnete Staatsmänner durch Rath und That zur
Seite ſtanden. Außer dem jchen genannten Fenelon, deſſen lettre Ecrite
a ®* pour Etre lue au Duc de Bourgogne, und deſſen Plan du Gouverne-
ment bier zu nennen find, Lefaßten fi noch in vwerichiedenen Richtungen
äine Reihe von Männern, von denen vor allen der Herzog von Saint-Simon
welthiſtoriſch geworden ift, mit biejen Studien. Die aus denſelben von dem
Prinzen jelbit gewonnenen Früchte fennt man aus deſſen hinterfaflenen Bapieren,
aus welden Abbe Proyard in feiner 1782 in zwei Bänden veröffent
üchten Vie da Dauphin, pere de Louis XV., des Prinzen Reformideen zu⸗
ſammengeſtellt hat. ’)
RN. Mohl, Gefchichte der Stautswiffenichaften B. I. S. 206.
) Eine kurze Charalteriſtil derfelben gibt Ranke Bd. IV. &, 378 folg.
894 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.
Leider ftarb der Prinz fchon den 18. Febr. 1712, ein Jahr nach feined
Vaters, des erften Dauphins, Tode — und flatt eines ausgezeichneten
Königs erhielt Frankreih 1715 einen Wüftling zum Regenten. Somit
blieben die Reformideen papierne Wünfche, haben aber für bie Kenutnif
der Zuftände am Ende der Regierung Ludwig's XIV. den unſchätzbaren
Werth, daß man aus ihnen erjieht, wie groß die Gebrechen des Staates
waren, und wie fie nad) ven Urtheilen ver tüchtigften Männer des Zeil
alters hätten geheilt werben können und follen. Unter ven ſolche Reform⸗
pläne enthaltenden Schriften erjcheint num bie von Herrn Mesnarb zu⸗
fällig in ver Taiferlichen Bibliothek entvedite und zum erften Dal heraus⸗
gegebene als eine ver wichtigften. Gewiß würde unfer Rante fich wit
ihr befaßt haben, wäre, was wirklich zu bevauern, viefelbe ihm wid
unbelannt geblieben. ‘Der Herausgeber jagt im Eingange feiner Borreie,
baß er beichäftigt mit Stubien sur les dessins politiques du duc de Bourgogee,
petit fils de Louis XIV. bei Nachforſchungen nach ſchriftlichen Aufzeich⸗
uungen bed Prinzen durch Zufall (in Nr. 1260 des Supplement ſru-
cais) anf die Titel: Projets de gouvernement resolus par Mgr. le
Duc de Bourgogne apr&s avoir märement pense, ftieß, die er aber offen
bar mehrerer Lüden und Unklarheiten wegen als bie Copie eimer
nicht mehr vorhandenen Urſchrift erlannte. Er ftellte jofort die gränd-
lichſten Unterſuchungen über das Wert an, namentlih zum Behufe der
Beantwortung der Frage: ob die Autorſchaft deſſelben dem Herzog Daw
phin zuzuſchreiben jei, over wenn nicht, welchem andern Verfafler, und m
welcher Zeit daſſelbe gefchrieben worden fein könne?
Aus dem ausführliden Referat über feine Forſchungen fowie ans
ben dem Werke beigefügten Anmerkungen ergibt fi nun 1) daß ver
Herzog von Burgund daſſelbe nicht verfaßt haben kann, 2) daß ver
wirkliche Verfaſſer vefjelben fein anderer fein kann, als der von uns fchen
genannte Herzog von Saint-Simon, und daß 3) die Schrift kurz nad
bes Dauphin’8 Tod vollendet worden fein muß, und den faljchen Titel
vielleicht vom Verfaſſer nur deshalb erhalten hat, um ben darin nieber
gelegten Ideen bei dem Saint-Simon befreundeten ber Negentichaft ent-
gegenblidenden Herzog von Orleans!) Eingang zu verſchaffen *). Die
1) ante, franz. Beh. B. V. ©. 460.
N) Projets p. CVI.
Frankreich. 395
Unterfchimgen bes Deren Herausgebers waren zunächſt darauf gerichtet,
de Keformideen, mit welchen der Dauphin ſich herumtrug, genau zu
elamen und anzugeben, mit benjelben die in dem Memoire enthaltenen
„a vergleichen und ferner zu conftatiren, mit welches anderen Staats⸗
minued Reformplanen biefelben übereinftimmten. Das Ergebniß war:
DE zwar die des Dauphins zuweilen mit ven in ber Schrift verzeich-
nen zuſammenfielen, daß aber bei weitem bie meiften fich in ben gro⸗
in Memoirenwerk Saint Simons:) und zwar oft wörtlich wieder fin-
ven, Wie bier jo wird in dem Memoir der von den einzuberufenven
Nahsftänden auszuſprechende Stantshbanferott, die Abjchaffung der Inten-
danten ber Genöbarmerie, die Ueberantwertung ver gefammten Stuats-
mwaltung an den Übel, fowie eine Menge Detailreformen empfohlen, was
es Herr Mesnard theild im Allgemeinen in ver Vorrede, theils im
Einxelnen in ven Anmerkungen überzeugend nachgewiejen hat.
Außerdem vergleiht er Saint Simon’d Reformpläne mit denen
Fenelen's und zeigt, daß bie des Herzogs niehr mit dem lettern ald ben
aftern verwandt find. Wenn invefien, wie wir fagten, ver Titel des
Berfchens eine Unwahrheit enthält, fo iſt tod, wie ter Herausgeber
6. XCIH—XCIV u. XCVII conftatirt, jo viel wahr, daß der Dauphin
Genferenzen mit Saint Simon hatte?) feine Mittheilungen — als De-
siignemens — entgegen nahm und verichierenen Vorſchlägen deſſelben jich
jmneigte.
Rah einem Blick auf die traurigen Yinanzzuftände empfiehlt der
Berfoffer, um ihnen aufzuhelfen, die Nachahmung Englands und Hollands,
usb die Einberufung der Reichsſtände von 5 zu 5 Jahren; ferner Ber-
wanblung aller Abgaben in eine einzige Steuer, Aufhebung ver elections und
der iresoreries de France, der Intendanten, KReorganijation der Parlas
merte und ter gefammten Juſtiz zum Behufe prompter und wohlfeiler
Proceßführung, desgleichen des Conseil ecelesiastique, des conseil d’affaires
1) ©. über baffelbe und feinen Werth ale Geſchichtsquelle: Ranke a a. O.
V. feiner &. 443—469.
) &t. Simon fagt 8. XIV &. 350 feiner Memoires: Travaillant sous les
yeux de Dauphin aux projets, dont vous avez pris quelques parties etc.
diberiſqe Beitfärift VL Bam. 27
896 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur.
eirangöres, de Guerre, de Marine, de finances, de dep6ches, d’ordre,
d’Etat und der Umgeftaltung ver beftehenven Einrichtung der Soerdtairen d’6tes,
beren es damals für 4 Regionen des Reichs vier gab. Es wirb baun ge
handelt von den auswärtigen Fürften, ven Sarbinälen, dem Hofe, ben
Mitgliedern der königlichen Familie, ven natürlichen Kindern des Könige,
dem Hofceremoniel, und zwar im Detail, und zulett von dem Orden de
St. Esprit, St. Louis und St. Michel — endlich vom Tiers Eiat, von bem
freilich nicht gefagt, ſondern blos ausgeführt wird, daß die Magiſtratar,
d. ſ. g. noblesse de Robe einen eigenen neben ven. brei verfaflungee
mäflig beftehenden Ständen bilven dürfe.
Der Herausgeber beipricht in der Vorrede die Frage, ob bie Projeis
de reforme de gouvernemens zur Klaſſe der utopiftiihen Staatsverfaſ⸗
ſungs⸗ und Verwaltungspläne zu zählen fein, und iſt geneigt, troß ber
praktiſchen Tendenz jener Vorſchläge die Frage zu bejahen. Da indeſſen
durch die Revolution von 1789 manche dieſer fowie der von Yenelon umb
dem Herzog von Burgund ausgefprodhenen Reformgedanfen, wenn aud in
anbrer ald der von ihnen gewollten Weile ausgeführt wurden: fo gehört
ber Verfaſſer doch unter die Vorläufer der päteren Neformatoren.
L. A. W.
J. Quicherat, professeur de !’Ecole imperiale des Chartes, Hi-
stoire de Sainte-Barbe. Collö&ge, communautd, institution. Paris,
1860. 8. T.1.
Das Inftitut von Sainte-Barbe ift heute eine der blühenpften Un⸗
terrichtöanftalten der franzöfiichen Hauptſtadt, aber feine Geſchichte war
bisher wenig belannt; mußte man doch weder ven Gründer ber Anftalt,
no das Jahr der Gründung. Nad den weit ausgedehnten Quellen⸗
Unterſuchungen des gelehrten Quicherat war es ber Profeflor Geoffroy
Lenormant unter Karl VII, ver die neue Anftalt am 1. Oktober 1460
eröffnete. Der Verf. handelt ſodann von dem Beginn der Stubien zu
Sainte-Barbe, von dem Streit der Realiften und Nominaliften, von dem
Unterricht in der Rhetorif, von dem Beginn des Stubiums ver franzöftichen
Sprade zu Paris. Die verfchievenen Vorſteher ver Schule, die daſelbſt um
das Jahr 1500 herrſchenden Sitten und Gewohnheiten, die merhwirbigften
Männer Frankreichs und des Auslandes, die dort ſtudirten, werden ausführlich
beſprochen. Zu den Zöglingen von SaintesBarbe gehören u. a. Ignaz
Frankreich 397
won Loyola, Franz Xavier und mehrere andere Gründer der Geſellſchaft
Ku, denen Hr. Quicherat ein eigenes Capitel wiomet. Die Könige von
Sertugal hatten ſchon zu Anfang des 16. Jahrh. zu Suinte-Barbe eine
gehe Anzahl von Burſen, was viele Bortugiefen borthin zog. Ueber
der weitern Inhalt f. d. Bibliothöque de l’ecole des Chartes 1861 ©. 293.
Wenfalls iſt Das Werk Quicherat's von mehr als Iocalem Intereile, und
verdient auch bei uns, wo man längft der Geſchichte der höhern Yehr-
«kalten jeine Aufmerkſamkeit zugewandt hat, alle Beachtung.
Correspondance de Napoldon I., Publiee par ordre de l’empereur
Kapoldon Ill. Tomes I—-VII. Paris, Plon et Dumaine 1858 — 1861. 8.
Schon gegen Ende des Jahres 1854 wurde auf Befehl des jeßi-
gen Kaiſers der Franzoſen eine aus dreizehn Mitgliedern zujammengejette
Sommiffion gebilvet, um die „auf tie verjchievenen Zweige des öffentlichen
Intereſſes“ bezügliche Correſpondenz Napoleons 1. zu ſammeln, zu ordnen
md zu veröffentlichen. Der damalige Kriegsminiſter Marſchall Baillant
sud der Senator Charles Dupin wurden zu Bräfidenten dieſer Commiſſion
emannt, unter deren Mitgliedern, außer ben Generalen Aupif, Belet und
Slahault, die Herren Boulay de la Meurthe, Paul Merimee, Lefevre und
Champagny die auch in weitern Streifen bekannten Namen waren. Im
Januar 1858 erftattete die Commiffion einen Beriht an ven Kaijer, in
dem, nach vorausgegangener officieller Verzückung über den heim, ter
Neffe wegen feiner Weisheit beglückwünſcht und ter Plan auseinanderge-
jetzt wird, nach welchem tie Sommiljion bei Herausgabe dieſer Actenjtüde
za verfahren gedenke.
Es ift ſchon in einem früheren Bande biejer Zeitſchrift (Jahrgang
1859 11 Heft, S. 220) erwähnt, daß alle Mittel aufgeboten wurten,
um alle Briefe Napoleons im In= und Auslante in möglichſter Voll⸗
ſtändigleit zufammenzubringen, aber aud wie weit bie Conunijlion bie
Grenzen ihrer Aufgabe gezogen, und daß fie zur Correſpondenz des Kai:
ſers nicht nur die von ihm im Staatsrathe abgegebenen Gutachten, ſon⸗
vern fogar feine im Moniteur zeitweije veröffentlichten Artikel gerechnet
hat. Aubererfeitö wurde Alles, was Napoleon an Mitglieder feiner Fa⸗
21*
898 Ueberſicht der hiſtorijchen Literatur.
mifie oder an Bertraute in Bezug auf feine -hänslidden Verhältniſſe ge
fchrieben, grumbfäglich von der Sammlung ausgeſchloſſen. So bietet uns
diefe im günftigften Yalle, d. 5. wenn fie auch Alles, was ver Kaiſer
jemals officiell geäußert, entbielte, höchſtens nur einen Anhalt zur Benr⸗
theilung vefielben als General, Gejebgeber und Staatsmann; Aber Re
poleon in feiner rein menfchlichen Beziehung bringt fie ſelbſtverſtändlich
fehr magere Aufflärungen. Ob aber dieſer günftigfte Yall angenommen
werben darf, ob e8 möglich ift, alle auf Napoleons Befehl und im feinem
Sinne verfaßten Schriftftüde, vie während feines reichbemegten, beinahe
zwanzigjährigen Wirkens an der Spite der franzöfiichen Nation erwachſen
find, zu fammeln, glauben wir billiger Weiſe bezweifeln zu follen. Und nod
ein anderer Zweifel darf in Berüdjichtigung bereit gemachter Erfahren-
gen nicht verjchwiegen werben, nemlich: ob in biefer „officiellen“ Beröffent-
lichung nit ein und das andere fatale Document, welches mit ver be
zwedten Berherrlihung Napoleons 1. zu feltfan contraftirt hätte, von ber
Commiſſion abfihtlih unberüdfichtigt geblieben oder doch mit nöthig he
fundenen Eorrefturen verfehen worben fein mag? Denn daß das Streben
nah Berherrlihung Napoleons I. und des Napoleenismns, nicht aber
das Bedürfniß, das Licht ver Wahrheit auf die noch dunklen Stellen einer
großen Vergangenheit zu werfen, erfte und einzige Urſache der Zuſammen⸗
ſetzung biefer Commiſſion geweſen, kann Angefichts des gegenwärtig in
Frankreich herrichenden Syftems nicht wohl in Abrebe geftellt werben. Es if
überflüßig hinzuzufügen, daß überbieß vie Mehrzahl ver Namen, aus wel
chem die Commiſſion gebilvet ift, feine Bürgſchaft bietet, wodurch unfer
Mißtrauen gehoben werben könnte.
Aber felbft fo, wie die Correſpondenz uns vorliegt, aljo trotz ihrer
zweifach möglichen Unvollftändigfeit und Ungenauigfeit, befigt fie unbeftreit-
baren Werth als Quellenfammlung. Und wenn man auch aus ihr nidt
Alles erfährt, was gefchehen, — und wenn vielleicht auch nicht Alles, was
man darin erfährt, geichehen ift, jo geftattet fie doch genaueren Einblid
in mande bisher noch unergrünveten Tiefen eine gewaltigen Geiftes und
gewährt jedenfalls dem Bolitifer wie dem Militär reiche Belehrung.
Die erften beiden Bände umfaffen ven Zeitraum vom Oftober 1793
bis Mitte April 1797, begreifen demnach die Wirkſamkeit Napoleon Be
napartes von der Belagerung von Toulon bis zur Unterzeichnung ber
Brievensprälimimarien von Leoben, in nicht weniger ald-1746 Stüden.
Zranlreich. 309
Aus ven erſten Monaten dieſes Zeitabſchnittes find, wie ſich von
KR verſteht, die Schriftſtücke ziemlich ſparſam und beziehen fi in ber
Regel auf artilleriftifche Gegenſtände; hin und wieder findet fich ein Me⸗
ueire Über die von ber italienifhen und Alpenarmee zu vollziehenven
Operationen; bie bereitö in ven Me&moires du roi Josephe veröffentlichten
Briefe Napoleons an feinen Bruder Joſeph find bier ebenfalls ſämmtlich
weder aufgenommen. Es find bieß die einzigen, in welchen auch von an⸗
dern Dingen, ald von Operationen, Schlachten, politiichen Parteien und
Serfaffungen bie Rede if. Mit Ende Yuli 1795, dem Zeitpunfte, zu
weichem der General Bonaparte bei der Section für das Kriegsweſen im
Vehlfahrtsausſchuſſe verwandt wurde, beginnt für ihn bie Periode einer
mafaflenderen und einflußreicheren Thätigkeit; die Inftructionen, welche im
faufe der nächſten Monate an die Vollsrepräjentanten und den Comman⸗
Kreuden ber italieniichen Armee abgingen, wurden von ihm verfaßt. Aber
an mit der Nieverwerfung des Aufitandes ver Barijerjectionen am 13.
rendemisire und Bonaparte's Ernennung zum General en chef der Armee
des Innern tritt bie beherrſchende Ueberlegenheit jeine® Weſens in den
Berdergrumd. Der befehlende Zon, den er von da an nit nur in feinen
Grlaffen an die Generale der Armee des Innern, jontern auch in feinen
Roten an die Minifter und an das Direktorium felbft anichlug, bewies
ken damals unmwiberleglid, daß die papierene Verfaſſung vom Jahre III
für ihn fein Hinderniß fein würde, wenn ihre Beſtimmungen mit feinem
Willen nicht mehr im Einflange ftünden. In ver Regel ift zwar vie Form
änkerlicher Unterwürfigleit unter die beſtehenden Ordnungen noch immer
gewahrt, aber wie jet uns, lann e8 damald ven Machthabern in Paris
wicht ſchwer geweien jein, zwiſchen ven Zeilen das trogige Selbftgefühl
und ben wwiderwilligen, knurrenden Gehorfam des Schreibenven heraus»
zulefen.
Noch mehr tritt dieß in den Berichten hervor, die der General en
chef der italienifchen Armee über die Kämpfe um den Befis von Mantua,
vom Mär; 1796 bis Februar 1797, an das Direktorium einfanbte.
Weſentlich Neues bringt die Correſpondenz über dieſen ganzen, militärifch
jo intereffanten Zeitabichnitt nicht; die wichtigften von Bonaparte's Rela⸗
tiomen und Ordren find theils in der, ſchon 1819 bei Panckoule zu Paris
exjchienenen oorrespondance inédite officielle et confidentielle de Napoleon
Bensperte gejammelt, theils find fie in den verjchierenen Geſchichtswerken
400 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur.
über dieſe Periode zerftrent zu finden. Namentlid wird dem ſchon von
Klaufewig (in feiner Darftellung des Krieges von 1796 Banb IV feiner
binterlafienen Werte pag. 172 u. ff.) bebauerten Mangel eines genauen
Anfichluffes über die Intentionen und Gefechtspispofitionen Bonaparte's
in den Tagen vom 15. bis 17. November 1796 bei Arcole durch bie
vorliegende Sammlung Teine Abhilfe Was wir jest barüber erfahren,
wußte man auch ſchon vor dreißig Jahren. Ebenfo wenig Neues wird
über die Beendigung biefes Feldzuges durch Bonaparte's flegreiches Vor⸗
bringen bis nahe vor die Mauern Wiens, im März und April 1797,
gebracht, mit deſſem Reſultate, dem Prüliminarfrieven zu Leoben, ver
zweite Band fchlieft.
Der dritte Band umfaßt die Periode vom Ende April 1797 bis
März 1798, während welcher fi) Napoleon größtentheils in Mailand, in
dem nahe bei dieſer Stadt gelegenem Schloſſe Mombello und in Baffa-
riano aufbielt, von welch' letzterem Orte aus er die Friebensunterhand«
lungen mit ven in Udine befinplichen öfterreichifchen Berollmächtigten lei»
tete. Der Kreis der Angelegenheiten, welchem Napoleon feine fpecielle Auf⸗
merkjamleit zumwendet, erweitert fich immer mehr. Zuerſt find e8 vie Bes
fignahme Benedigs und der Sturz feines bisherigen Gouvernements, melde
feine Thätigkeit in Anfprud nehmen; dann die Bereinigung ver kaum
erft errichteten cis⸗ und transpadanijchen Republiken in die cisalpinifche;
endlich der Abſchluß einer Defenfiv- und Offenſiv⸗Allianz mit Sarbinien
und bie Regelung der Beziehungen Frankreichs mit den jonifchen Inſeln.
Aber über die auswärtigen Angelegenheiten verlor er keineswegs den Par⸗
teienlampf in Paris aus den Augen, und getreu feinem Grundſatze, das
herrſchende Syftem nur bis zu dem Momente aufrecht zu erhalten, in dem er
es zu feinem eigenen Bortheile umftürzen könne, ſchickte er Ende Juli 1797
ben General Augereau nah Paris, der, alsbald zum Commandanten ber
bortigen 17. Militärbivifion ernannt, am 18. ruftivor die vom Club
Clichy erregten Unruhen mit ftarfer Hand erbrüdte. Die Friedensunter⸗
handlungen zu Udine gingen inzwifchen ihren Gang, wenn auch nicht ohne
vielfache Hemmniſſe von Seite ver öſterreichiſchen Geſandten und nament⸗
lich Cobentzel's, über deren üblen Willen Napoleon wiederholt zürnend an
das Direktorium berichtet. Die Ernennung des zu einem Obercommanbo
unfähigen Angereau’3 zum General en chef der Rheinarmee bewog jedoch
Rapoleon, den Abſchluß des Friedens von Campo Formio zu befchleumi-
Frankreich. 40%
gen. Durch die Schweiz und über Raſtadt eilte er dann nach Haufe, den
Kopf füllt von der Belämpfung Großbritanniene und ber Aufftellung
einer Armee von England, als deren einen Flügel er auch die nach Aegyp⸗
ten beftiuimten ‘Divifionen in feiner Prollamation vom 10. Mai 1798
anrebet.
Die Detal8 dieſes phantaftiichen Unternehmens find in ben beiden
folgenden Bänden IV und V ver correspondance enthalten, welche ſomit
ben Zeitraum von Anfangs März 1798 bis zur Landung Napoleons im
Fréjus Anfangs Oktober 1799 umfaflen. Gerade biefe beiden Bände
bringen ungewöhnlich, viel Neues, wohl hauptſächlich deßhalb, weil dieſer
abenteuerliche Kriegszug bisher das Intereſſe ver Militärs wie ber Ge⸗
ſchichtsforſcher verhältnigmäßig weniger angeregt bat, als die übrigen Feld⸗
züge und Staatsactionen bes großen Mannes. So verblieben viele Do⸗
enmente über denjelben in Privat⸗ und Staatsardhiven, deren num vor⸗
liegende Beröffentlihung nicht verfehlen wird, das theilweife noch immer
über diefe Erpedition gebreitete romantiſche Halbdunkel zwedmäßig zu er-
heilen. Eine Anzahl von nahezu 1800 Altenftüden, vie aus ver Zeit
von Napoleons Verweilen in Malte, Alerandrien, Gizeh, Kairo, El Ariſch,
Jaffa und Acre ftammen, darf wenigftend zu diejer Hoffnung berechtigen.
An ver Spitze des fechiten Bandes befindet fi) die Rebe, welche Na⸗
poleon beim Stantöftreihe zum 18. Brumaire im Rathe der Alten ges
halten hat; ihr ſchließen fich Verordnungen und Befehle bes verſchieden⸗
artigften Inhalte an, welche Napoleon von dieſem Tage, der ihm bie
unbeftrittene Herrſchaft in Frankreich überlieferte, bis zu feiner Abreife zur
italienischen Armee erließ. Seine Abwejenheit von Paris vom 7. Mat
bi6 3. Inli, während welcher er den Feldzug von 1800 in Stalien be»
endigte, unterbrach nur für kurze Zeit feine Thätigleit ald Staatsmann,
um jene als Feldherr wieder mehr in den Vordergrund treten zu laſſen.
Das ımter Nr. 4910 in ber Correspondance abgebrudte Bulletin: Die
Relation über die Schladht von Marengo ift, wie wir vermutben, ber
erfte und wirkliche Originalberiht Bonaparte; die drei anderen auf ſei⸗
nen Befehl nac mehreren Jahren neu rebigirten und fpäter ſämmilich
feinem Memorial einverleibten Relationen finden ſich in vorliegender Samm⸗
Iung nicht anfgenommen.
Schon bie Ramen berjenigen, an welde die Schreiben Rapoleons
aus biefer Zeit gerichtet find, find höchſt bezeichnend für bie leitende Stel-
408 neberficht ber hiſtoriſchen Literatur.
fang, die ee damals einnahm; er verkehrt nur mehr mit ben Miuniſtern
Lucian Bonaparte (Inneres), Carnot (Krieg), Talleyrand (Aeußeres),
Forfait (Marine), Gaudin (Finanzen), Fouché (Polizei) ꝛc. ꝛc, ben com⸗
mandirenden Generalen: Brune (Reſerve⸗Armee), Maſſena (italieniſche Ar⸗
mee), Bernadotte (Weſtarmee), Augerau (Armee in Holland), Morean
(Rheinarmee) u. ſ. f.; bie und da findet ſich auch ein Sthreiben an ein
oder das andere gekrönte Haupt, an den deutſchen Kaiſer, ven Markgra⸗
fen von Baden, ven Grafen von Provence, ven König von Spanien u. |. f.;
eine Meinungsäußerung gegen einen Verwandten, eine Mittheilung an
einen Bertrauten würde man jedoch vergebens fuchen: der Menſch iſt bes
reits vollkommen in den Staatsmann aufgegangen.
Aber mehr noch als die Adreſſe dieſer Schreiben beftätigt ihr In⸗
halt, daß ver erfte Conſul mit unbeſchränkter Souverainetät über Yranl-
reich berrichte, und daß Sienes Wort eine Wahrheit geworden: „Bir
haben einen Herrn; Bonaparte kann Alles, weiß Alles und will Alles.“
— Und in der That kann man fagen, daß Nichte, was auf das Wohl
und Wehe feines Adoptivvaterlandes und feiner Mitbürger Einfluß haben
fonnte, von ihm zu gering erachtet wurde, feine Aufmerkſamkeit zu bes
Ihäftigen: Hanfvorräthe und Kanonen, der Stand ber Eurje und bie
Gemälde aus der italienischen Schule, Pferdeankäufe und Sternwarten, bie
Schuhe feiner Solvaten und die Corfos von Rom — über Alles ver
fügt er in der gleichen energijchen und ſtets zutreffenden Weife, die gleich
zeitig feine Inſtructionen an Touffaint Louverture in Domingo, an feinen
Bruder Joſeph in Yuneville, an Lebrun in Madrid, an Murat in Rom ꝛc.
harakterifiren.
Die Periode des Friedens von Amiend und des Concordates um:
faſſend, fchließt der fiebente und letzte bisher erjchienene Band mit Mitte
Auguft 1802, aljo mit der Stiftung des Ordens der Ehrenlegion und
mit Napoleons Ernennung zum erften Conful auf Lebenszeit ab. Die Mos
narchie war fertig; denn ber Beſitz der unumſchränkten Gewalt machte
Napoleon zum Herriher Frankreichs, nicht die prunkvolle Krönung in ber
Notre Dame, durch welche er feinen revolutionären Urfprung, gegenüber
ben Parteigängern für das Herricherreht von Gottes Gnaden, feltfamer
Weile zu legitimiren trachtete.
Zu erwähnen Bleibt uns ſchließlich noch, daß ſich die vorliegende
Correspondance in ihrer äußeren Ausftattung, namentlich in Bezug auf
Fraukreich. 403:
Llarheit und Weberfichtlichleit des Inder, auf das Bortheilbaftefte aus⸗
yihnel. L. H.
Fieffe E., Histoire des troupes dtrangeres au service
de France, depuis leur origine jusqu’ä nos jours. 2. Vol. Paris 1858. 8°.
Dentfh unter dem Titel:
Geſchichte der Kremb- Truppen im Dienſte Frankreichs von
ihrer Eutſtehnung bis auf unfere Tage, ſowie aller jener Regimenter,
weikhe im ben eroberten Ländern unter ber erften Republit unb bem Kaiſer⸗
wie ansgeboben wurden, von Eugene Fieffs, k. franz. Archivs - Ober-
kamten im Kriegeminiſterium. Dentih von F. Symon be Karneville,
Rajor im !gl. bayer. 1. Infant.- Regiment König Ludwig. Autoriſirte Aus⸗
abe im zwei Bänden mit Kupfern. Münden, 3. Deſchler'ſche Buchbruderei
1860. 8.
Die Geichichte Franfreihs ift, wie faum die einer andern Nation,
ach am glänzenden Thaten kriegeriſchen Ruhmes, aber auch wie fein an-
deres Volk haben die Franzoſen won jeher e8 verſtanden, die ftaunende
Belt mit der Erzählung ihrer militairiſchen Peiftungen zu erfüllen. Daß
em gutes Theil derjelben von den in Frankreichs Sold ftehenven Fremd»
Truppen zu Stande gebracht worden iſt, fintet ſich in ben wenigſten
kiegägejhichtlichen Werken franzöſiſchen Urſprungs, und da nur fo neben
kei erwähnt. Um jo überrajhender muß aber eine geichichtliche Arbeit
wirfen, welche, die Theilnahme fremder Staatsangehöriger an ven Waffen-
tbaten des franzöjischen Nationalheeres ſchildernd, dieſen Zweck auf fo
vorurtheilsloſe und unparteiiſche Weiſe anſtrebt, daß fie, wie fie und ver»
liegt, ebenfo wohl von einem Englänver oder Deutjhen, Schweizer over
Staliäner u. f. w. verfaßt fein könnte. Es wäre nur zu wünſchen ges
weien, daß Ähnliche Motive auf Thiers, Marmont, Segur und andere
neuere franzöfiiche Kriegsgeichichtsjchreiber eingewirft hätten, ehe fie ihre
Bere der Oeffentlichkeit übergaben.
Die Geſchichte der Freindtruppen zerfällt in 8 Napitel, welche man
ihrem Umfange nach ebenjogut Bücher heißen könnte. Vom früheften
Erſcheinen ver Schotten, Deutſchen, Scmeizer ꝛc. als Soldtruppen im
Dienfte Frankreichs führt uns das 1. Kapitel (Dr. I. p. 1— 176) durch
ie Kriege Karls VI, Ludwig XII., Heinrich I. und Franz 1. in die
Periode der religiöfen Bürgerkriege unter Karl IX., Heinrich Il. und Hein»
rih IV. Die Geſchichte gerade diejed Zeitraums (1560 — 1610) iſt ein
404 Meberfiht ber hiſtoriſchen Literatur.
unmterbrochenes, rühmliches Zeugniß für die Treue, Tapferkeit uub
friegerifche Tüchtigkeit der germanischen Race, zugleih aber auch wieer
eine glänzende Betätigung beflen was Zacitus von ihr rühmt: Nelles
mortalium armis aut fide ante Germanos. — Das zweite Kapitel, die Res
gierungsjahre Ludwig XIN. und Ludwig XIV. umfaflend, macht uns er
mit den Eingelnheiten der Kämpfe befannt, welche Richeliens Bolitik mit
meift deutſchen Truppen gegen die Streitkräfte des deutſchen Reiches
groͤßtentheils ſiegreich zu beftehen wußte, — eine Bolitit, welche gleich⸗
zeitig die fchwebiichen Generale Baner und Torſtenſohn an der Spige
ihrer Heere im Herzen Deutſchlands mit gutem Erfolge zu verfechten
wußten. Sehr charakteriftiich in Beziehung anf die Aushebung oder Ans
werbung der Fremdtruppen ift die im Band I. p. 218 w. f. aufgeführte
Kapitulation des fchweizerifhen (Berner) Infanterie-Regimentes von Er
lad, vom Jahre 1672.
Aber auch in ven Tagen ber Fronde, unter deren Fahne ver Haf
gegen ben übermächtigen Mazarin bie beiben großen SHeerführer Franl-
reichs, Turenne und Condé, trieb, fehen wir die Fremdregimenter in erfler
Reihe ftreiten; ebenfo in ven blutigen Eroberungszügen Ludwigs XIV.
gegen Holland, in denen auch die Sieger von Nörblingen und Nocrey
wieder an der Spike ber Höniglihen Heere ſtanden. Mit Er
zählung der Thaten ver Fremdtruppen in Italien, in den Niederlanden,
in Spanien, am Rhein und an ver Donau während bes ſpaniſchen Erb
folgekrieges ſchließt dieſer Abfchnitt, dem der Ueberſetzer eine überſicht⸗
liche Zuſammenſtellung des damaligen franzöftichen Heeres und ſeiner
Einrichtungen beigefügt hat.
In der dritten Periode (1115 — 1793) tritt ein ſcharfer Unterfchieb
zwifchen den Schweizer- und den andern fFrembregimentern im Dienſte
der franzöftfhen Krone dadurch hervor, daß die Schweizer nunmehr
allein das Vorrecht eigener Verwaltung und Gerichtsbarkeit befigen, und
nur unter dem Titel von Verbündeten und felbftändigen Hülfstruppen
den Bourbonen ihre Kriegsdienſte leihen, während bie übrigen {Fremden
im Laufe des 18. Jahrhunderts gleih Nationaltruppen betrachtet und
behandelt werden. Der ſich feines Vaterlandes mit Stolz beimmfte
Schweizer blieb eben auch im Dienfte Frankreichs Schweizer; die Polen,
In, Italiäner und vor Allem, ihrem YTosmopolittichen Charakter ge
treu, vie Deutfchen, welche die Mehrzahl der Fremden bildeten, lichen
Frankreich. 405
ib, unzufrieden mit ten Zuſtänden ihrer Heimath, geduldig zu Franzo⸗
ſen ummoteln und nahmen, bis auf das Kommandowort, alle Einrich⸗
tungen des franzöſiſchen Heeres an. Bezüglich der numeriſchen Stärke
ver Frembtruppen, fo dienten hievon 1741: 51,315 Mann, 1788 noch
4,063; jedoch 1791 nur mehr 23,067 Diann, letztere meiſtens Schweis
ze, in Frankreich. — Der polniiche Wahltrieg, der öſterreichiſche Erb»
jelzekrieg, ver fiebenjährige Krieg, der Kampf mit den Engländeru um
Kınada, der norbamerifaniihe Unabhängigfeitsfampt ꝛc. boten vielen
Schaaren noch Gelegenheit zur Auszeichnung, ehe die Yulitage des Jah⸗
res 1789 die gänzlihe Auflöjung ber Fremdtruppen in Frankreich ans»
bahnten. Ein Bericht des in bie Baftille mit feinen Leuten zur Ver⸗
Rirfung ber dortigen Befatzung kommandirten Lieutenant von der Flüe
vem Echweizerregiment Salis, über die Tage vom 7. bis 13. Juli iſt
hẽchſt leſenswerth (Bd. I. p. 469 u. folg.). Und nun begannen aud)
in den Reiben der ?Trembregimenter die Empörungs- und Aufſtands⸗
vertuche, unter beren verderblichen Einflüſſen die alte fünigliche Armee
vorftel und allmälig zum brauchbaren Werkzeuge ter erbittertften Partei⸗
kitenfchaft wurde. Ein Beiipiel einer ſolchen Militairrevolte findet ſich
Pr. 1 p. 478 u. f. angeführt, nämlich ver Aufſtand des Schweizerregis
nentes Pullin-Chateauvienr am 12. Auguft 1790 zu Nancy.
Der 10. Auguft 1792 beſchloß faktiſch tie Dienftleiftung der alten
Schmeizerregimenter im Königlichen Frankreich; ein Dekret ver Nationalver⸗
ummlung vom 20. dankt tie Schweizerregimenter auch fürmlich ab. Die
übrigen Fremdtruppen in franzöfiichen Dienften beftanten zu biefer Zeit
auc mehr aus einer geringen Anzahl von Offizieren und Soldaten; die
meiften von biefen fanden ſich noch unter ven Negimentern: Salm, Royals
Allemand, Royal-Aljace, Royal» Euetois, Royals Deurponte, Ya Mard,
Berwit, bei Laffayette's, Kuftine's und Luckner's Armeen, welch’ letzterer,
m Cham in der Baheriſchen Oberpfalz geboren, felbft einer ver hervor⸗
ragenbften Ausländer im Dienfte Frankreichs iſt. — Die leute Stunde
ter Monarchie war jedoch zugleich die der Fremdregimenter, denn jene,
welhe nach den Auguft- und Septembertagen des Jahres 1792 noch ale
folge nominell beftanden, wurden in folge des Geſetzes vom 21. Februar
1793 entweder der franzöfifchen Infanterie einverleibt oder aufgelöfl. —
Ein am Schluß des I. Bandes gegehenes Verzeichniß der Oberften fänmt-
iger Sremdregimenter von ihrer Errichtung bis zu ihrer Auflöfung ift
406 Meberficht ber hiſtoriſchen Literatur.
deßhalb für den Kriegsgeſchichtsforſcher wichtig, weil biefe Regimenter
nur nad den Namen ihrer Oberften benamm und nicht numerirt
waren.
Noch che jedoch das republikaniſche Frankreich die Fremdtruppen ber
alten Monarchie aufgelöft hatte, forverte es in feiner PBroflamation am
alle Bölfer vom 20. April 1792 fchon wieder die Unterthanen frember
Länder zum Kintritte in franzöftiche Kriegsvienfte anf, alle jene im Ber
ans als feine Söhne adoptirend, welche ihre Kräfte der Bertheibigung
der Freiheit und Unabhängigkeit Frankreichs weihen würden. Wisbal
zogen aus allen Theilen Europa’s, namentlih aus Holland und Belgzien,
beträchtliche Haufen von Unzufriedenen und Abentenerern nach dem ges
lobten Lande der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, um fich unter
den hochtrabendſten Namen dem franzöfijchen Heere einverleiben zu laflen.
Da gab es denn bald batavifche, germanifche, norbfränfifche, lombardiſche,
allobrogifche, fpanifche, irifhe, helvetiiche ꝛc. Legionen, auch Malteſer,
Griechen, Türken, Kopten ꝛc. fehlten nicht in der bunten Reihe, um
felbft Armenier, Aethiopier, Nubier und Mameluken führte ver Aufent-
halt franzöfifcher Armeen in den ſüdlichen Küſtenländern des Mittel⸗
Meeres unter die Trikolore, welde jedoch nach Wiebererrichtung ber
Monardie dem Taiferlihen Adler den Play räumen mußte. Als dann
dieſer Adler jeine Raubzüge begann und fi) mit ver Zeit auf den Zin-
nen faft aller europäifchen Hauptftädte niederließ, genoffen alle dem fran-
zöflihen Kaiferreiche incorporirten Ränder die Ehre, der großen Armee
Rekruten jchiden zu dürfen. Sehr lehrreich ift in mancher Beziehung
die Bo. U. p. 249 u. f. aufgenommene Repartition der durch Dekret vom
11. Januar 1813 in ven „fremden Departements“ anbefohlenen Rekru⸗
tenaushebungen aus ben Altersflaffen der Jahre 1809, 10, 11 und 12.
So finden wir fortan die Frembtruppen bes republilanifchen um
taiferlihen Frankreichs auf allen Schlachtfeldern, wohin fie der uw
ruhige Ehrgeitz des eriten Conſuls und des Imperators warf. In Aegyp⸗
ten und Italien, in Syrien und in der Schweiz, in Domingo und Neapel,
in Rom und an der Küfte Irlands, in Spanien und Ungarn, Illyrien
und Polen, in Moskau, Liffabon, Wien und Berlin, überall finden wir
fie, fi mit Muth und Ausdauer fchlagen und einen großen Theil zu
Erringung der Siege beitragen, deren Crfolge tem franzöfiichen Her
{her zu gute kamen, und deren Lorbeeren die franzöfifche Nation als bei
Frankreich. 407
wsichließliche Verdienſt ihrer eigenen Kinder hochfahrend und voll Selbft-
wiähl im Aniprud nahm. Aber nicht nur die Truppen des eigentlichen
empire, ſondern auch fpanifche, irijche, polniſche, neapolitaniſche, nord⸗
italiãniſche Bataillone und Schwabronen, kurz Truppen aus all’ jenen
fändern, die man in Paris ſchlechtweg als zum empire indirect gehörig
beeichnete, wurden von dem „Saiferlichen Aare in feinem Fluge mite
gzogen“, bis es endlich den vereinten Kräften des aus mehr hundert⸗
Mieigem Schlafe eriwachten Deutichlands, dann Rußlands und Englands
glädte, dem übermüthigen Adler vie Flügel zu ſtutzen. Kurz vor biejem
Zeitpunkte wurde es jedoch dem ſtolzen Soldatenkaiſer ſchon unheimlich,
fo viele Fremde in den Reiben ſeines Heeres zu willen, und die Auf⸗
my mehrerer Frembregimenter, ſowie vie Berlegung von andern in
die Kolonial- Depots, welche er gegen Ende tes Jahres 1813 anorbnete,
fellten wenigftens die verdächtigſten umter ihnen auf fchidliche Weiſe von
der altiven Theilnahme am Kriege zurüdhalten. Daß die Entwaffnung
bei der Mehrzahl dieſer dem Kaijer mit Enthufiasmus ergebenen Re:
gimienter eine unnöthige Maßregel war, läßt ſich bei ver faſt zauber-
baften Gewalt, welche Napoleons Perjönlichleit auf jeine Armeen überall
zur zum jeder Zeit anszuüben und zu behaupten wuhte, ınit Sicherheit bes
haupten. Und vie Fakta, welche ver Verfaſſer Bd. II. p. A16 anführt,
laſſen in dem beutichen Baterlandsfreunde nur das Bedauern zurüd, daß
eine folde Summe von Hingebung und Opferfreudigleit, wie fie von ben
damals in Spanien ftehenden Naſſauiſchen, Frankfurtiſchen, Würzburgi⸗
fhen Truppen für die Sache des Franzoſenkaiſers bethätigt wurde, nicht
der Heimat und ihren heiligften Intereſſen erhalten blieb.
Am Schluſſe ver Periode des Kaiſerreichs ift ein Verzeichniß ver
Sremten angehängt, welche währent ver Jahre 1792 bis 1814 Marſchälle
ever Generale in franzöfiichen Dienften geworden jind; vie hervorragend»
Ren unter ihnen möchten wohl fein: Die Belgier Baillet te la Tour
wur Dumonceau, tie Bahern Ludner und Marulaz (Marola), ver Helle
Eidemayer, ber Irländer Kilmaine, ver Holländer Chafle, tie Bolen Dom⸗
irewsty, Poniatowoky und Joſeph Zajonczef, die Sartinier Gurial, Fe⸗
ter, Maſſena, Pacthod und Rusca, die Schweizer Iomini, Laharpe und
Reynier, wozu auch noch ver aus Schottland ſtammende Machonalv und
arte, aus einer irifhen Familie feine Abkunft herleitend, zu rechnen
Wien,
A408 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur.
Mit der Wiederkehr der Bourbonen verſchwanden alle Freubd⸗
teuppen aus Frankreich; die Polen wurden dem SKaifer von Nu
land, die Kroaten dem SKaifer von Defterreih, und auf dieſe Weiſe
fort die übrigen Hefte der Yrembtruppen ven andern einfchlägigen Gon-
vernements zur „Dispofition geftellt“. Wer ſich dieſem Machtipeude
über feine Perfon nicht fügen wollte, folgte dem verbanuten Kaiſer nach
Elba, um deſſen Leibwache zu verflärken; die Bourbons hingegen ver
trauten gemäß ber erblichen Ueberlieferung ihrer Ahnen die Hut ihrer
Perſon und ihrer Krone ausſchließlich wieder den neuerrichteten Schweiger
regimentern an, welche nad Napoleons Landung im März 1815 zum
Theil dem Könige treu blieben, und nad ihren Kantonen heimlehrten,
zum Theil aber bei Formirung der neuen Fremdregimenter verwendet wur⸗
den, welche fich nun wieder mit einem Schlage bildeten. Mit den Drama
der hundert Tage ſchloß jedoch auch vie Epoche ver Nepoleoniſchen Freud⸗
regimenter zum zweitenmale ab, als deren letztes Gedächtnißzeichen die bes
rüchtigte Helemamebaille zu betrachten ift. Und wieder trat die Schweiger
garde auf ven Platz, ven fie feit vier Jahrhunderten bei den Söhnen des
heiligen Ludwig behauptet hatte. Die am 1. Yuli 1816 mit den Schwer
zerfantonen abgejchlofiene Kapitulation, die legte welche Schweizer zum
Kriegsdienſte Frankreichs verbindlih machte, fette den Stand der Schwei-
zertruppen auf zwei Garde⸗ und 4 Linienregimenter feſt; das Gewitter
der Yulitage fegte jedoch dieſe Leibwache unbarmberzig und wohl für
immer vom Boden Frankreichs weg. Gleiches Scidjal hatte die Les
gion Hohenlohe, welche 1816 aus den Reiten der von Napoleon in deu
100 Tagen formirten acht Fremdregimenter gebildet worden war.
Aber als ob ein geheimnigvoller Magnet immer und innmer wieber
die Untertbanen fremder Ränder unter die franzöfifhen Fahnen züge, fe
finden wir auch unter den Orleans erft in Morea, bamem Algeries
und unter dem zweiten Kaiferreihe in ver Krimm und 1859 in Italien
Frembtruppen in franzöfiichen Dienjten, von welchen ſich namentlich dw,
allerdings zum großen Theil aus gebornen Franzoſen beftehenden, Zona⸗
ven unb Turcos bereitd einen europäifchen Ruf erworben haben. Doch
diefe Epoche gehört ter Gegenwart und noch nicht der Geſchichte an, mat
Tann demnach ihre kritiſche Beurtheilung erft in Sahrzehnten erwarten.
Warum wir bei Beiprehung gerade dieſes Wertes fo ausfähelid
geworden find, jevenfalld viel zu ansführlic für den fo larg zugemeflenes
Frankreich. 409
Kaum? — Beil uns die Betrachtung über ven Antheil, den die Söhne
ve wichtiramzöflihen Europas und vor Allem die Deutichen an ben
ahlreichen Kriegen Frankreichs zum Nachtheile ihres Vaterlandes nahmen,
pn eruften Gedanken ſtimmte und bie verhängnigvolle Trage anregte, ob
ucht Mangel au patriotifher Geſinnung bei jenen Nationen,
welche im Yaufe ber Jahrhunderte das ftärkite Kontingent für die Fremdtruppen
Fraukreichs lieferten, die Haupturfache des Gelingens franzöſiſcher Be⸗
ſerrſchungs⸗ und Eroberimgspläne gewejen iſt? Aus diefen Grunde und
weil wir das vorliegende Wert als einen Gewiſſensſpiegel betrachten, in
welchem auch das deutiche Volk nicht oft genug bliden kann, haben wir
vestielben eine beſondere Aufmerkſamkeit zumenven zu müſſen geglaubt, eine
gößere, als es im Verhältniffe zu andern wiſſenſchaftlichen Leiftungen
verbient hätte.
L. H.
Les dtats de Normandie sous la domination anglaise par
Ch. de Baurepaire, ancien 6lev& de l'dcole de Chartes Paris, 1859.
195 8. 8.
Eine äuferft gründliche Schrift, die ihrem Verf. und der berühmten Schule,
in der er gebildet wurbe, große Ehre macht. Als nad) der Schlacht von
Uimcourt (1415) König Heinrih V. von England mit Hilfe ver Bur⸗
gunder die Normandie und bald barauf einen großen Theil des nördlichen
Frankreich, ſich als deſſen König gerivend, erobert hatte, organifirte er noch
ver dem ihn zum Könige von Frankreich erflärennen Vertrag von Troyes
(i. 3. 1422) jenes Stammland feines Haufes mit Cinverleibung ber
nächften Provinzen und rief zum erftenmale 1421 die Stänve zuſam⸗
men, um fih Subſidien votiren zu laflen. Die Krone England beſaß das
Laub bis zum Yahr 1449, und während diejer langen Periode zeigten fich
die Stände als ihr unterthänig und treu ergeben. Thaten fie dieß mit Aufs
richtigkeit und mit Freiheit ? zogen fie die engliſche Herrſchaft ver franzö⸗
fiigen vor? Die Beantwortung dieſer Fragen ift ver Hauptgegenftand
ber Unterſuchung, die ſich überall ftreng an die, freilich dürftigen Quel⸗
im hält, und das Ergebniß die Berneinung jener Fragen. In einer
Abhandlung (S. 10—102) feiner Schrift gibt der Verf. eine aftenmäßige
Geſchichte der zahlreichen Ständeverfammlung der Normandie et des pays
de sonqußte von 1421 bis 1449; in der zweiten beichreibt er ihre Or⸗
410 Meberficht ver hiſtoriſchen Literatur.
ganifation (S. 103—136) und das Verfahren in venfelben. Kin Appenbiz
(S. 137—152) enthält die Liſte ver englifchen Tresoriers und Rocevenzs
generaux im Lande, ferner Die der Abgeorpneten ber brei Stände Auf
bieien Anhang folgt ©. 133 ver Abdruck von 26 piöces justiicatives.
Man erlangt durch die gründlihe Schrift eine vollftändige Kenntniß ber
Zuſtände des Stänbewejens des Landes während der englifchen Herrſchaft.
L. A. W.
Histoire de Bar sur Aube sous les comtes de Champagne (1077
— 1284) par M. H. @’Arbois de Jubainville avec la collaboration
de M. L. Pigeatte. Paris et Troyes 1859. XXVII u. 164 8. 8
Diefe Schrift des rühmlich befannten Paläographen und Geſchichts⸗
forichers füllt eine Püde in der vor eigen Jahren in einer Monographie
Chevalier's gegebenen Geſchichte der im 11. Jahrhundert mit der Cham⸗
pagne vereinigten Grafſchaft Bar-sur-Aube aus. Sie wurde veranlaft
durch die dem Verf. gemachte Mittheilung eines Domherrn des Stifts
St. Marlon in der Stadt Bar, und befteht vorzugsweile in der Zu.
fammenftellung und Beleuchtung ver in dieſer wichtigen Geſchichtsquelle
enthaltenen Auffchlüffe über die Schidjale des Landes zwifchen 1159 bis
1273, eines Zeitabjchnittes, über welchen das Wert Chevalier’ jo gut wie
nichts enthält. Da Refer. das letztere nicht zu Gebote fteht, fo ift er
außer Stand, vom Verhältniß beider Arbeiten etwas zu jagen.
In einer Introduction von ©. IX—XXVIl gibt der Berf. eine kurze
fritiich bearbeitete Chronologie der Lanvesherren von Bar, die als Er⸗
gänzung ber Regentengejchichte der Champagne in dem berühmten Wert V’ert
de verifier les dates anzufehen ifl. Der Hauptinhalt des Buches befteht
1) in einer gejchichtlih-ftatiftifchen Darftellung der institutions civiles et
ecclesiastiques de Bar, d. h. der bürgerlichen und kirchlichen Organifation
der Srafihaft (S. 1—88); 2) in einer ausführlichen Topographie der
Stadt Bar, welcher eine Karte der Stadt, wie fie 1769 war, vorangeht.
Was die Anführung der in den Quellen ver Localgeſchichte enthal⸗
tenen Daten über die Beaniten ꝛc. betrifft, fo können fie nicht für
ausreichend erklärt werben, theils weil fie nur einzelne, meiftens ifolixte
Thatjachen conftatiren, theil® weil ver Verf. ven erſt in neuefter Zeit bes
fonder8 durch den Refer. und Schäffner (welchen legteren er übrigens au⸗
führt) feftgeftellten wahren Charakter jener Beamten nicht kennt. Auch
Frankreich. 411
nahm er keine Rückſicht auf die doch ſchon durch Guizot hervorgehobenen
Eigenthumlichkeiten ver franzöſiſchen Städte mit ſogenannten Communal⸗
d. h. Schutzgilden⸗Verfaſſungen.“) Bar ſcheint eine ſolche gehabt, aber
verloren zu haben. Das Amt des Vicomte ſetzt er gauz und gar dem
des Vicarins (Vignier) gleich, während doch in einem großen Theile Frankreichs
das Amt des Ietsteren nichts anderes als das bes Lentenarius war. Er
beftimmt nit das Verhältniß der Scabint und ber erft in Folge ber
Communal-Verſchwörungen eingeführten Jurati, fowie nicht das des lan⸗
desherrlichen Prevot zum ftäptifhen Mayeur (Major oder Villicus). Eine
Sommunal-Charte von Bar fett er zwar in die Jahre 1230—1231, jagt
aber nicht, ob man deren Tert noch hat oder nicht; fie fol die von Meaur
gewejen fein, welche der von Soiſſons und mit dieſer aljo der von Beau⸗
vais nachgebilvet war.
GSelungener ift die in der zweiten Abtheilung gegebene Darftellung
der institutions ecclesiastiques, in welcher er von ben Archidiacres
ben doyens ruraux, dem chapitre de St. Maclou (deſſen Organifation voll»
ftändig auseinander gefegt ift), den Prieuré de St, Germaine, de St. Pierre,
den Hospices St. Nicolas und St. Esprit, der Leproferie und dem Hofpital
de St. Jean de Jerusalem (S.43— 87) handelt. Bon großem Wertbe find XII
theils fchon gedruckte, theils bisher unbelannte pieces justificatives, meiſtens
lateiniſche Urkunden, unter welchen die letzte, welche vie Statuten bes
Stifts von St. Maclou enthält, die wichtigfte if. Außer der topogra-
phiſchen Karte find noch fünf Siegelaborüde gegeben. Ein genaues alpha-
betifche8 Regiſter erleichtert die Kenntnignahme des Inhalts des Buches,
das jedenfalls ein zu beachtenver Beitrag zur Provinzial- und Städte
Geſchichte Frankreichs ift. L. A. W.
Histoiro de Chatelleraud ct du Chatelleraudais par M.
Vabb& Lalanne. Chatelleraud 1859. 2 Vol. XI. 613 u. 42836 8,
mit einer Karte unb mehreren Eteinabbrüden.
Es ift ein erfreuliches Zeichen ver fortichreitenven hiftorifhen Stus
dien in Frankreich, daß mehr und mehr Monographien Über die Geſchichte
*) Anoführlich handelt von benfelben und allen anderen mittelalterlichen
Gtäbteverfaffungen Frankreichs Refer. in feiner franz. Etaate- und Rechte
Gedichte Bd. 1. S. 262 ff.
Hiſtoriſche Zeitfärift VI. Band. 28
412 Ueberficht ber Hiftorifchen Literatur.
einzelner Provinzen, Bezirke, Stäbte und anderer Dertlichleiten gefchrieben
werben, und zwar nicht mehr in ber frühern oberflächlichen Weife, ſon⸗
bern mit Hilfe gründlicher und gewifjenhafter Forſchungen und im mehr
oder weniger alljeitiger Richtung.
Ein durch diefe Eigenfchaften ausgezeichnetes Werk ift die rubricirte
Geſchichte des früher eine VBicomte in der Provinz Poiton bildenden “Dis
ſtriktes Chatelleraud im Departement der Vienne. Der fonderbare Namen
ift entftanden durch die Verbindung ber lateiniichen Worte Castrum und
Airaudi — Castrum Airoldi, denn der erfte erbliche Befiger ımb Herr
der Vicomté hieß, Airaldus gallijirt in Airaudus.
Die Grafſchaft Poitou, hervorgegangen aus dem Pagus Pictaviensis,
zerfiel nämlich in drei fchon im 9. Jahrhundert erblich geweſene Vice
Grafſchaften, wovon die nördlich von Poitiers gelegene eine war. Die mit
dem älteft bekannten Bicomte im Jahre 890 beginnende Geſchichte des
Ländchens zerfällt in zwei Perioven, in deren erfter es feine eigenen Lan-
desherren, Bafallen der Krone Frankreichs, hatte, und in deren zweiter, von
1504 an, es unmittelbar dem Könige unterworfen war und als eigene
Herrihaft und eine Zeitlang als Duche-Pairie im Genuſſe einzelner Mit-
glieder des Königshaufes ſich befand. Vorangeſchickt ift unter dem Titel
Statistique (S. 1—148) eine Befchreibung des Landes mit einem freilich
nur furzen Ueberblick auf deſſen Vorgeſchichte in den celtifchen, römiſchen
und fränfifhen Zeiten. In berjelben ift auch von den noch vorhandenen
Alterthümern die Rede, unter welchen uralte befeftigte Sonterrains, worin
urſprünglich die celtiihen Bewohner der Gegend ſich gegen feindliche An»
griffe und fpäter die erften Chriften zu verbergen pflegten, befchriehen
werden. Die meiften INuftrationen des Buches befinden fi in dieſer
ftatiftifchen fehr lefenswerthen Einleitung.
Die Lanvesgefhichte von Chatelleraud von 890 bis 1503 ift ganz
feudal. Die Vicomte zerficl in eine Anzahl Heiner Pehensherrichaften, bie
alle aufgeführt und, jo weit es möglich war, nebft der in ihnen ſtatt⸗
findenden Lehenfolge am Ende des Br. I. von ©. 321—506 unter der
Auffchrift: Hierarchie f&odale de l’ancienne Election de Chatellerand bes
ihrieben werben. Der Verf. geht überall in das kleinſte hiftoriiche Detail
ein und führt, fo oft er mit beſonderen einzelne Dertlichkeiten namentlich
Klöfter und Stifter betreffenden Ereigniffen fich zu befallen bat, veren
Specialgejhichte bi8 zum Ende des 18. Jahrhunderts fort, durch welche
Kıırhkeäs. 415
Ercurſe ter allgemeine Gang ter Landes geſchichte oft viele Seiten hin⸗
durch unterbrechen wirt. Ten Leſer entihärigen tie meiſtens ſehr in⸗
terefianten Mittheilungen.
Cs ıft ſchwer, dem Rerfafter zur feititellung ver Erbfolge in ter
Bice⸗Grafſchaft Chatelleraur zu felgen: die Herrſchaft fam haufig durch
Erbtöchter an andere Säuier, im 11. Yahrbuntert an das ter Grafen
von Rechefoucauld, im 12. an tas ter Grafen von Peitierd, darauf
an das Haus Luſignan, ven dieſen an tie Grafen ven Harcourt, die fie
1445 an Karl IV. von Anjeu und Maine gegen eine andere Herrichaft
vertaufchten.
Nah dem Tere Karls IV., ver Yubwig IX. zum (Erben eingejett
hatte, 30g leßterer das Yant an fih (1482), ftatt e8 den legitimen Nachfol⸗
gern, d. h. ten Kintern tes 1476 entbaupteten Grafen ven Armagnac,
zu überlaflen, und gab es jeiner Tcchter Anna, Tame von Baujeu (S.
317), welhe 1491 daſſelbe ten letzteren zurüderftattete; ala aber tiefe
es an das Haus Rohan verfauft hatte, brachte fie ed, ein Retractsreht aus⸗
üben, 1504 wieter käuflich an fib (Br. 11. S. 5) und gab es 1505
ihrer Tochter Sujanne ven Bourbon zum Brantihag. Dieje verkaufte
bie zum Serzogthum erhebene Herrihaft an Franz von Bourbon, deſſen
Sohn der berühmte Connetable Karl von Bourbon fie erbte, aber in Folge
der Intriguen Lonifene von Saveyen, Franz I. Mutter, wieder verlor.
Nah Karla Tod vor Rom 1527 wurte Chatelleraud al8 Staatsdomäne
confiscirt, jedoch abermal® zurüdgegeben, bis e8 1545 wieder mit ber
Krone vereinigt wurde. Heinrich II. gab es taranf zur Belohnung gelei⸗
fteter Dienfte dem ſchottiſchen Herzoge von Hamilton (11. 9), unter deſſen
Regierung der proteftantiihe Cultus ſich darin verbreitete, confiscirte es
aber ebendeßhalb 1559 wierer. Während der Hugenottenkriege war Cha⸗
telleraud häufig der Schauplatz bilutiger Kämpfe; 1585 ergab es fi
Heinrich IV., der 1591 dort die Conferenzen der Proteftanten halten
ließ, deren Ergebniß das Edikt von Nantes war. Nach deſſen Wiber-
ruf ließ Ludwig XIV. die proteftantifche Kirche in der Stadt ſchließen
und ımterbrüdte ven Cultus. Die Geſchichte des Ländchens geht vom
17. Jahrhundert an in der von Yranfreid auf.
Der zweite Band ſchließt mit einer Biographie Chatelleraudaise, d. h.
Lebensbeſchreibungen namhafter Perfonen in alphabetiiher Orbnung (S.
313-397), und einer chronologifhen Lifte der Vorfteher ver Stifte und
28*
414 Ueberfüht der hiſtoriſchen Literatur.
Kirchen, fowie der höchſten Beamten der Stabt und des Landes (S. 398
bis 422). L. A. W.
Histoire de Lorraine au XVill. Sidcle Le chätoau de
Luneville. Par Alex. Joly, Architecte. Paris, 1860. 8.
Ein mit genauer Sachkenntniß in anziehender Weiſe gefchrichene
Beitrag zur Lekalgeſchichte der eine Zeitlang die Refivenz der Herzoge von
Lothringen kildenten Stabt Yımeville, vorzugsweije im vorigen Zahrkes
dert. Die Schrift zerfällt in eine Einleitung, d. h. in eine Chronik der
Tertlichleit ven den älteſten Zeiten bis 1702 (S. 1—22), danı in wie
Abtheilungen, deren erite tie Geſchichte des Schloffes Luneville und fees
Bewehuer unter Verpelt von 1702—1729 (S. 27—67) enthält, be
zweite tie anter Franz II. und ter Regentihaft zwijchen 1729 und 1737
(S. 7288), die tritte die unter Stanislaus von 1737—1766 (5.89
big 142), die vierte die Geſchichte der von Jahrzehent zu Jahrzehent
unmer betrüßenter wertenten Schickſale tes verfallenden und zu verjchie⸗
denen Benägimgen umgewantelten Schloſſes — das ver Berfafier in cin
Iuealivenhaus für betürftige Cirilperjonen umgewandelt fehen mödte —
Die Schrift if ein würdiger, auf ven Lejer einen tiefen Eindrud machen
der Küdblid auf vergangene Herrlichleiten, eine Art Grabrede, wie man
deren jegt vielen einft prachteellen fürftlihen Paläften halten könnte —
L. A. W.
Recueil journalier de ce qui s’est passed de plus mdmer
rable dans la Citd6 de Metz pays Messin et aux environs de 1656
& 1674, fait par Joseph Ancillon, publi6 par M. F. M. Chabert
Metz et Paris 1860. XI. u. 117. 8. 12.
Diefes ven einem ber Ahnen ımjeres berühmten Ancillon geſchrieben
Tagebuch, werm in kürzefter Verbindung eine Dienge Localereigniffe der
verichievenften Art ven Jahr zu Jahr aufgezeichnet find, gleicht ben
in früheren Jahrhunderten verfaßten Kloſterannalen, hat aber nicht dad
Berdienft, Thatſachen von „allgemeiner geſchichtlicher Erheblichkeit auf
führen. Der vom Herausgeber gerühmte Berfafler der Notizen hatte fir
gewiß nicht zur Veröffentlichung beftinmt. Sie können nur Bewohnen
von Meg oder der Umgegend von Intereſſe fein, find aber ſelbſt für
dieſe ohne ein in's Einzelne gehendes Studium über die Stadtgefchiche
don Web unverftänblich. L, A, W.
Frankreich. | 415
Histoire de la ville de Saint-Mihiel par Dnmont jugd &
ßt. Mihiel. Nancy et Paris, 1860 u. 1861. 2 Vol. 357 u. 408 8. 8.
Diie mit großem Yurus gedruckte Geſchichte der Stadt St. Mihiel
in dem ehemaligen Herzogthume Bar ift ein mißlungenes Werl. Es
mangelt dem mit ven hiſtoriſchen Einzelheiten feiner Baterftabt frei-
lich vertrauten Verf. ſonſt an allen einem Hiſtoriker nöthigen Kenntniffen,
an aller Methode und dem Verſtändniß ver Aufgabe eines Hiſtorikers.
Das Buch iſt eine Chronik, in welcher alle möglichen Thatfachen und Lo⸗
ealereigniffe der Zeitfolge nach erzählt werden, ımtermifcht mit ftatiftifchen
Angaben der verfchieenften Art, einigen Anecboten u. |. w. Nur bie und
da begegnet man werthoolleren Mittheilungen, namentlich über die Abtei,
fo Band I, S. 111 —143 einem Verzeichniß ſämmtlicher ſehr beträchtlicher
Befigungen und Gerechtſame verjelben im 14. Jahrhundert. Sie hatte
damals 23 Grundherrſchaften (Seigneuries), 3 Bezirke mit hoher ımd 18
mit nieverer Gerichtsbarkeit, 28 Höfe in ebenjo vielen Dörfern, 12 Prio⸗
reien mit bedeutenden Einfünften, 50 Pfarreien, ven ganzen Zehnten in
der Gemarkung von 8 Gemeinden, Antheil am großen Zehenten in 52
Dörfern und am Heinen in 43, das Frohnrecht iu 12 Dörfern, 500
Morgen Aecker und 400 Wieſen in 17 Gemeinden, 18 Mühlen,
Jagd und Fiſcherei in 5 Gemeinden, 35 Morgen Weinberge,
9 Keller, A Fiſchteiche, 5000 Morgen Wald, außerdem Einnahmen von
Steuern, Gilten, Naturalabgaben u, |. w.
In Deutihland wäre die Abtei ein Hochftift geweſen. Schon Kaifer
Ludwig der Fromme führt fie auf in feiner Constitutio de Servitio mo-
nasteriorum v. 817 und zwar in ber Claſſe verjenigen quae tantum dona
dare debent sine militia (bei Bert Monum. Germ. hist. leg. t. I. p. 323;
fie heißt dort: Monasterium Sancti Michaelis Maresci primi, was, wie ſchon
Bert bemerkt, ein umrichtiger Text ift und heißen muß M. S. Marsu'pii,.*)
— Rultuchiftoriich bemerkenswerth ift auch die 1659 vorgenommene Ex⸗
conmmmication und Erorcirung ber Feldmäuſe, die man durch dieſen Akt,
fowie durch Bittgänge und Betſtunden vertilgen zu können glaubte. (Bd.
1. ©. 96.)
*) Marsupium war ein Bächlein, au welchen das Klofter zur Ehre bes Erz⸗
engels Michael anfangs errichtet wurbe.
416 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur.
Bon Werth find insbefondere des Verf. Notizen über die Sigungen
der Landſtände vom Jahre 1787 und die von ihnen gefertigten Beſchwer⸗
den und Geſuche (Bd. II. ©. 210 — 224). Ein traurige Gemälde
ift das der 1791 erfolgten Aufhebung der Abtei und der anderen Klöfter
der Stadt, der Verkauf ihrer Bejitzungen und das Verbrennen aller Men⸗
bel, Gemälde, Statuen u. f. w. in der Kirche, welches unter Triumphgeſchrei
auf den Marktplage ver Stadt vorgenommen wurde (I. S. 234). 8
gab natürlich zwei Parteien, und mit Freuden jah bie evangelifche 1792
das Einrüden ver Armee des Herz0g8 von Braunſchweig, deren baldiger
Rückzug die Anklage von 31 Verdächtigten in der Stadt, ſowie viele Hins
richtungen zur Folge hatte. Der Verf. theilt ausführlich die Geſchichte
ber Berfolgten, ihrer Bermögensconfiscationen u. |. w. bis 1797 mit (IL
S. 238272).
Der Reft der Geſchichte der Stabt, der die Alliierten i. 3. 1814
eine enorme’ Kriegscontribution auflegten, ift kurz erzählt ©. 275 ff.
Ein 1861 erjchienener dritter Band bringt das Werl zum Abſchluß.
LA. W.
Recueil de documents inddits concernant 1a Picardie.
publies, d’apr&s les titres originaux conserves dans son cabinet par Vic-
tor de Beauville, de la société imperiale des antiquaires de France. —
Paris, imprimé par autorisation de M, le garde des sceaux & l’imprimerie
imperiale. MDCCCLX. 4.
Eine Sammlung von 162 Stüden, wovon 6 dem zwölften, 22 dem
breizehnten, 41 dem vierzehnten, 60 dem fünfzehnten, 31 dem fechzehnten,
8 dem fiebzehnten und 3 dem achtzehnten Jahrh. angehören. Es find
Documente fehr verjchiedener Art und von verjhiedenem Werth: Urkun⸗
den, Orbonnanzen, Patente, Rechnungen u. ſ. w., in denen faft alle
Städte der Picardie vertreten find. Eine eingehende Analyfe gibt Hr.
Douet d'Arcq in ber bibliotheque de l’ecole des chartes t. 12 p. 281
— 293. Darnach iſt die Sammlung nad) vielen Seiten von hervorra⸗
gendem Intereſſe, und vervient der Herausgeber alles Lob. Er hat durch
Inhalts-Ueberjihten und Namen» und Sadıregifter die Benützung feines
Buches jo bequem als möglich gemacht. An ver Einleitung rühmt man
Gewiſſenhaftigkeit, Yreimuth und Lebhaftigfeit des Geiftes — dieſelben
Borzüge, welche des Berfaflers Gedichte von Montdidier charakteriſiren.
|
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Frankreich. 417
Aus Zeitfchriften.
Linvestigateur, Journal de l’Institut historique T. X,
IL ssrie. Paris, 1860. 384 8. 8. ,
Enthält u. a.: Une annde du regne de Francois I. (1525) von Joret
Desclositres, p. 205. — Esquisse historiquo de la politique de l’Espagne
pendant la dynastie autrichienne. Discours lu en sdance publique & l’aca-
&mie royale d’histoire de Madrid, le 22 avril 1856, par Martinez de
le Rosa; traduit de l’espagnol par M. Smith.
Bibliothdque de l’dcole dos chartes. V. Serie. T. 1 u. 2.
Paris, 1860. 8.
a Bd. I folgende Abhandlungen: E. Boutaric, Les premiers Etats
gacraux (1302 1314). p. 1--37. — Deo Mas-Latric, Essai de clas-
sßestion des continuateurs de l’histoire des croisades de Guillaume de Tyr,
» 38, 140. — Leopold Delisle, Lettre de l’abb6 Haimon sur la con-
strustion de l’6glise de Saint-Pierre-sur-Dive, en 1145, p. 113. — Lefevre,
Les baillis de la Brie au XIII, siecle, p. 179. — Douet d’Arcgq, Un
petit trait6 de cuisine dcerit en francais au commencement du XIV. siecle,
». 209. — Marion, Les actes de Saint Benigne, p. 228. — Simdon
Luce, Examen critique de l’ouvrage in titule Etienne Marcel et le gou-
vernement de la bourgeoisie au XIV. siecle, par Perrens, p. 241. — La-
esbane, Observations sur la géographio et l’histoire du Queroy et du
Limousin, & propos de la publication du cartulaire de Beaulieu, p. 305.
— De Mas-Latric, Fragment d’histoire de Chypre, Premiers temps
dAmauri de Lusignan, p. 339. — D’Arbois de Jubainville, Nou-
velle hypothöse sur la situation du Campus Mauriacus, p. 370. — De-
lisle, Recherches sur l’ancienne bibliothdque de Corbie, p. 393—498. —
Quicherat, Do l’enregistrement des contrats & la curie, p. 440. —
Raymond, Pieces sur l’hötel de Clisson, aujourd’hui palais des archives
et &cole des Chartes, p. 447. — Vallet do Viriville, Mandement
adress6, 67 mars 1492, par le roi Charles VIII aux dlus pour connaitre
le nombre des feux du royaume, p. 455. — Meyer, Anciennes po6sies
religieuses en Languedoc, p. 481. — Blancard, Documents inddits sur
Thistoire politique de Marseille an XIII. sitcle, p. 516. —
Fa ®b. II; Boutaric, Organisation militaire da la France, sous la
troisieme race, avant l'établissement des armdes permanentes, p. 1. —
Paul Meyer, Etudes sur le Chanson de Gerard de Roussillon, p. 31. —
Celestin Port, Documents sur l’histoire du thdätre à Angers et sur le
418 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur.
veritable auteur du Mystere de la passion, p. 69. — Th. Sickel, Lettze
de Jeanne d’Arc aux Hussites, p. 8l. — Lacabane, Observations sur
la geographie et l’histoire du Quercy ct du Limousin & propos de la pub-
lication du cartulaire de Beaulieu (2. Artikel), p. 97. — Anatole de
Barthelemy, Recherches sur la noblesse maternelle, p. 123. — Le
Roux de Lingy, Discours des Cerdmonies du Mariage d’Anne de Foiz,
de la maison de France, avec Ladislas VI roi de Bohöme, de Pologne et
de Hongrie, precede du discours du voyage de cette reine dans la seig-
neurie de Venise; tout mis en éorit par Pierre Choque, dit Bretagne, rol
d’armes de la reine Anne de Bretagne, p. 156, ‚
Sdances et travaux de l’Acad&mie de sciences morales
et politiques en 1859 et 1860. Paris, Durand, 1860. 8. T. 47m
folg.
Bon ben bier veröffentlichten hiſtoriſchen Arbeiten ericheinen ermähnens-
werth: Etude sur la Bretagne et l’&vöchd de Cornouaille, par
M. Du Chätelier, in t. 47 der Eerie p. 267 u. 439 (1859), fortgefekt
im 93. 1860 in t. 3 bes Jahrganges p. 5 u. 193. — L’empire d’Alle-
magne et l’Italie au moyen Age, par M. Eugene Rendu, t 4
p. 821, fortgefett t. 28 p. 161 fi. — L'Extinction de la dime ot du
regime f&odal en Angleterre, par Henri Douniol, t. 47 p. 295;
fortgefegt t. 48 p. 243.
Mit bem Jahre 1860 beginnt eine neue, die vierte Serie ber Scances
et travaux. — Der 2. Bd., ber 52. ber ganzen Sammlung (jeder Jahrgang
hat 4 Boe.) enthält eine nene Arbeit bes berühmten Mignet: Le Connd-
täble de Bourbon; sa oonjuration avec Charles -Quint et
Henri VIII contre Francois I.; invasion de la France en 1523 p.7 u 325.
— Etude sur l’histoire et l’orgenisation comparde des Etats
provinceaux avec diverses epoques de la monarchie fran-
oaise jusqu’ en 1789, par M. Laferridre, p. 99 u. 335 des 3. Bdes.
u. p. 321 bes 4. Bbes. — Le Grand dessein de Henri IV, par M.
Wolowski, t. 4. p. 9.
Revue des deux mondes. Paris, 1800. Tom. 3 — 30. 8.
In Bd. 25 und 26: Mignet, Rivalit€ de Charles-Quint et de Fran-
gois I. Le Conndtable de Bourbon. Drei Artikel. — Victor Con
sin, La jeunesse de Mazarin, Band 26 p. 81 u. 275 EM. — Mi-
ohclet, Decadence morale du XVII. sitcle, p. 538. — Sn Br. 27: L
de Carne, la Chute du grand ompire. — L. Binaut, une rerolation
au XIV. sitole (Etienne Marcel cto.) p. 1009. — Bb. 28: Charles de
Frankreich. 419
Masade, La Monarchie absolu en Espagne. Les Trois Charles, les Habs-
kourg et les Bourbons dans la Peninsule, p. 704. — 2b. 29: Gingueng,
ue mission en Suisse pendant les Cent-Jours, Papiers inddits, p. 497. —
&. 50: Amedde Thierry, trois ministres de l’empire Romain sous les
fl de Theodose. I. Rufin. p. 5. — Charles de Mazade, Le Cardinal
Alberoni et une expedition en Sicile au 18. siecle, p. 185.
A Uligemeine franzöfifhe Geſchichte.
Pierrot, abbe , Histoire de France depuis les premiers
iges jusqu’ en 1848. Tomes 14. 15. Angers, (Paris, Vives) 1860.
Wu 6788 8,
Anquetil, Histoire de France, depuis les tomps les plus ro-
ealis jusqu’ & la revolution de 1789, suivio de la continuation de Nor-
rians, comprenant l’histoire de la revolution ete., jusqu’ & la revolution
& 1830. Nouvelle &dition. Tome 5 Paris, Furne et Ce. 1860. 755 8. 8.
— —, Histoire de France, depuis les temps les plus re-
ealds jusqu’ & la revolution de 1789; continude depuis l’ouverture des
ders gendraux jusqu’ & la fin de l’empire, d’aprts Dulaure; depuis la re-
staurstion de 1814 jusqu’ au 10 decembre 1848, par Paul Laoroix; de-
yais l’dleetion du president de la röpublique jusqu’ & la fin de la gnerre
@Italie, par E. F. D. T. 1, 2. et Ire partie du T. 3. Paris, Dufour,
Malat u. Boulanger, 1860. 1445 S. 8.
Martin, Henri, Histoire de France depuis les temps les plus
toenlds jusqu’ en 1789. 4. edition. Paris, Furne, 1860. Tome XVl.
684 8. Table analytique. 608 8. 8.
Gabourd, Amédée, Histoire de France, depuis les origines
gauloises jusqu’ & nos jours. Paris, Gaume fr. et Duprey, 1860. Tome
W u XVI (1686—1763), 644 u. 557 8. 8.
Lavallde, Thöophile, Histoire des Frangais, depuis lo
waps des Gaulois jusqu’ en 1830. 13. ddition. 4 vols. Paris, Char-
Pentier, 1860. 2315 S. 18.
Crowe, E. E., The history of France. 5 vols. Vol. 2. Lon-
ior, Longmaan, 1860. 658 8. 8.
420 ueberficht der hiſtoriſchen Literatar.
Godwin, Parke, Theo history of France... Vol L Ancient,
Gaul. New York, 1860. 495 8. 8.
Mury, P., abbe, Precis de l’histoire politique ot reli-
gieuse de la France. Tom. 1. u. 2. Paris, Bray, 1860. VII u
370 S. u. 676 8. 12.
White, James, History of France, from the earliest times to
1848. 2de edit. London, Blackwood, 1860. 660 8. 8.
Raffy, C., Leotures d’histoire de France et d’histoire da
moyen Age. Paris, Durand, 1860. 428 8. 12.
— —, Leotures d’histoire de France et d’histoire des
temps modernes. Paris, Durand, 1860. 844 S. 12.
Lasteyrie, Jules de, Histoire de la libert& politique ea
France. 1, partie. Paris, Levy fr., 1860. XXVII u. 408 8. 8. $.o.
8. 384.
M. F. du Collier, Histoire des Classes labouriouses ea
France. Paris, 1860. S. oben 8. 385.
R. de Laroy, Des vicissitudes politiques de la Franee
Etudes historiques. Ire partie: des institutions depuis les origines de la
monarchie jusqu’ & Louis XIV. 2e partie: le duc de Bourgogne at T
uelon. Paris, Amyot, 1860. XVI. u. 535 8. 8. L’ouvrage se compe-
sera de 3 parties.
Negociations de la France dans le Levant, ou correspon-
dances, memoires et actes diplomatiques des ambassadeurs de France &
Constantinople et des ambassadeurs, envoy&s ou rdsidents à divers titres b
Venise, Raguse, Rome, Malte ct Jerusalem, en Turquie, Perse, Georgi,
Crimde, Syrie, Egypte etc. ot dans les dtats de Tunis, d’Algier et de Ms
roc.; publi6s pour la premiere fois par E. Charridre, T. 4. Paris, 1860.
4. (Collection de documents inddits sur l’histoire de France.)
Aimé Champollion-Figeao, Les archives departements-
les de France. Manucl de l’archiviste de prefectures des mairies et des
hospices, contenant les lois, decrets, ordonnances, r&glements, circulaires et
instructions rolatifs au service des archives, des Tenseignements pratigues
pour leur exdeution et pour la redaction des inventaires; et préoéodé d’ume
Franukreich. 421
itroduetion historique sur les archives publiques, anciennes ot modernes.
fars, imprimerie et librairie administrative de Paul Dupont; librairie ar-
theologique de J. B. Dumoulin, 1860. 400 S. 8.
Creuly, general, et Alfred Jacobs, G&dographie historique
de la Gaule. Examen critique et topographique des lieux, proposés
pour repr6senter Uxelodunum. Paris, Durand, 1860. 38 8. 8. m. Kpfrn,
8. 0.8. 374.
Desmase, Charles, Le Parlement de Paris, son organisation,
ses premiers presidents et procureurs généraux, avec une notioe sur les
autres parlements de France et le tableau des premiers presidents et pro-
eareurs gendraux de la cour de Paris et des bätonniers de l’ordre des
arocats (1334 — 1860). 2. edition, revue et augmentdee Paris, Cosse et
Marchal, 1860. IX, 538 S. 8. Vergl. o. S. 381.
Hatin, Eug&ne, Histoire politique et litteraire do la
presse en France, avec une introduction historique sur les origines du
journal et la bibliographie gentrale des journaux depuis leur origine. T.4
a 5. Paris, Poulet-Malassis et de Broise, 1860. 466 u. 483 8. 8.
Mazas, Alex. et Theodore Anne, Histoire de l’ordre ro-
yalet militaire de Snint-Louis dequis son instiution en 1693 jusqu’
en 1830. 2. edition, revue, corrigie et considdrablement augmentee. To-
mes 1. 2. Paris, Didot, 1860. 1198 S. 8.
Champion, Maurice, Les inondations en Franco depuis
le sixieme sitcle jusqu’ & nosjours, Recherches et documents contenant les
relations contemporaines, les actes administratifs, etc. Tom. 2. Paris
Dalmont et Dunod, 1859. 8.
Armorial national de France. Recueil complet des armes des
villes et provinces du territoire francais, rduni pour la premiere fois, des-
sine et gravd par H Tavorsier, avec des notices deseriptives et histo-
riques par Leon Vaisse. TPrecddde d’un apercu de l’histoire, d’un traits
de l’art et d’un dictionnaire des termes du Blason. Paris, Traversior, 1860.
104 S. 4.
Armorial do la noblesse de France, publid par une societ6
de gendalogiques paldographes, sous la direction de MM. d’Auriac et
Acquier. Registre Te. Paris, burcaux hdraldiques, 1860. 262 S. 4,
422 Meberfiht der hiſtoriſchen Literatur.
Gourdon de Genouillac, H., Becueil d’armoiries des meisons
nobles de France. Paris, Dentu, 1860. III, 454 8. 8.
Pocy d’Avant, Faustin, Monnaies féodalos de France
2 vol. Paris, Rollin, 1860. 422 8. 4.
Suppl&dment & la gendalogie de la maison de Cornulier, imprimte
en 1847. Nantes, Gudraud et Ce. 1860. VII u. 335 8. 8,
B. Zur Geſchichte einzeluer Zeiträume. Biographien uno Diemeiren.
Mönoires de Joan, sire de Joinville, ou Histoire et chros«
logie du trös-chretion roi saint Louis, publies par Fr. Michel, preosäts
de dissertations par Ambroise-Firmin Didot, et d’une notice sur les mr
nuscrits du sire de Joinville par Paulin Päris. Paris, Didot, 1860. 5548. 18.
Documenti inediti riguardanti le due crociate di Sa
Ludovico, re di Francia, racolti ed illustrati da L. T. Belgrano. Ge
nova, 1859. Disp. 1—6. 8.
Perrens, Etienne Marcel, undSimdon Luce, Examen oriti-
que de l’ouvrage intitul& Etienne Marcel etc. Paris, 1860. 8. obes
5. 887 5L
Safe, Dr. Karl, Die Jungfrau v. Orleans. 2. verbefl. Un.
(Neue Proph. 1. Hft.) Leipzig, Breitkopf und Härtel, 1861. 184 ©. 8,
Dr. Eyfell, Das Leben ber Johanna d'Are, genannt bie Jungfrex
von Orleans. 4. Theil. Gymn.-Progr. Rinteln, 1860. 39 ©. 8.
Laoombe, Ferdinande, Le sitge et la bataille de Nancy
(1476 — 77). Episodes de l’histoire de Lorraine. Nancy, Maubon, 1860.
163 8. 8.
Le Roux de Lincy, Vie de la reine Anne do Bretagne,
femme des rois de France Charles VIII. et Lonis XII; suivie de lettres
inedites et de documents originaux. Tome 1. Paris, Curmer, 1860. XVI
und 228 8, 8.
Chronigue du roy Frangois, publide par G. Guiffroy
Paris, 1860. 8. oben 8. 391.
QGachard, La captivite de Frangois L & le traitd de Ms-
And, Bruzellen, 1860. 94 8. 8,
Frankreich. 428
Ebeling, Frhr. W., Sieben Bücher französischer Ge-
schichte. Nach gedruckten und handschriftl., theilweiss unbenutsten
Quellen. 2. Bd. 1. Abth. Tübingen, L. F. Fues, 1860. 8.
Inhalt: Geschichte der religiös-politischen Unruhen in Frankreich vom
Tode Franz Il. bis zum Frieden von Amboise. 234 S.
Bolenz, Glob. v., Geſchichte db. franzöfifhen Calvinismus
bis zur Nationalverſammlung i. J. 1789. Zum Theil aus handſchriftl. Quel⸗
Im. 3. Bd. A. u d. T.: Geſchichte d. politifhen franzöfiihen Calvinismus
vom Anfftand v. Amboife i. 3. 1560 Bis zum Gnadenebict von Nimes i. 9.
1629. 2. Thl., der polit. franzöf. Calvinismus im Begriff u. feine Literatur.
Gotha, F. A. Perthes, 1860. XVI u. 480 © 8,
Freer, Martha Walker, History of the reign of Henry IV,
king of France and Navarre, from numerous unpublished sources, inclu-
ding Ms. documents in the Bibliotheque imperiale, and the archives du
Royaume de France, etc. Part. 1, Henry IV and the League. 2 vola.
London, Hurst et B., 1860. 8.
Lettres inedites de Henri IV., recueillies par le Prince August
Galitzin. Paris, Techener, 1860. 1X u. 449 8. 8,
Mdmoires de Marguerite de Valois, premiere femme de
Henri IV, avec notes biographiques et litteraires par Charles Caboche,
Paris, Charpentier, 1860. CXIX u. 811 8. 18.
Caillet, J., L'administration en France sous le ministäre
du cardinal de Richelieu, 20 edition, refondue, 2 vols. Paris, Di-
dier, 1860. XXIII u. 892 8. 18.
Memoiren des Herzogs von Richelieu, Aus dem Französ.
2. Aufl. Berlin, Schlingmann, 1860. VI u. 1898. 16. A.u.d. T.:
Sittenbilder der Nationen und Jahrhunderte dargestellt in Memoiren und
Selbstbiographien. I.
Sainte-Aulaire, Histoire de la Fronde. 2 vols. Paris, Du-
eroeq, 1860. 701 8. 8.
Challamel, Augustin, Histoire aneodotique de laFronde,
1643 a 16563. Paris, libr. nouvelle, 1860. 264 8. 18.
Journal d’Olivier Lofdvre d’Ormesson et extrait des m&-
94 Ucherfiäit ber hiſeriſchen Literatur.
moires d’Andr& Lefevre d’Ormesson, publi6 par M. Chöruel
Tome ler. 1643—1650. Paris, impr. imperiale, 1860. CXV u. 868 8. 4.
Colleetion de documents inedits sur l’hist. de France, publids par les soling
da ministre de linstructioa publique. 3e serie. Hist. politique.
Michelet, J, Histoire de France au dix-septieme sitcl«
Louis XIV et la revocation de l’edit de Nantes. Paris, Chamerot, 1860.
XVI u. 480 8. 8.
Marne, H de, Du gougernement de Louis XIV. dans sw
rspports avec la religion. Paris, Dentu, 1860. 186 8. 12,
Houssaye, Arsene, Mademoiselle de la Vallidre et mı-
dame de Montespan. Etudes historiques sur la cour de Louis XIV.
3e edition, revue et augmentde. Paris, Plon, 1860. 428 S. 8.
M&moires complets et authentiques du duc de Saint-
Simon sur le siecle de Louis XIV et la Regence, collationnds sur le mr
nuscrit original par Cheruel, et précéaaés d’une notice par Sainte
Beuve. Tome ler. Paris. Hachette et Ce., 1860. XXAVI, 456 8, 12.
Projets de Gouvernement du duc de Borgogne Dar-
phin. Memoire attribu& au Duc de Saint - Simon etc. Paris, 1860. 8.
oben S. 392.
Lescure, de, Les maitresses du Regent. Etudes d’histoin
et de moeurs sur le commencement du dix -huitieme siecle, Paris, Dents,
1860. XXX u. 489 S. 18.
Crusenstolpe, Magn. Jak. v., Der Versailer Hof vom An-
fange des 18. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Deutsche
Orig.- Ausgabe. 7. Bd. Hamburg, Hoffmann u. Campe, 1860. III und
846 S. 8,
Filon, L’alliance anglaise au 18e siecle, depuis la peis
d’Utrecht jusqu’ & la guerre de la succession d’Autriche. Paris, Durand
1860. 69 S. 8.
Souvenirs du marquis de Valfons, vicomte de Sebourg, comie
de Blanddques, baron d’Helesmes eto. 1710 — 1786. Publids par son pe
tit-neven, le marquis de Valfons, Paris, Dentu, 1860. LIII u. 432 8. 18
Journal da marquis de Dangeau, publi6 en entier, pour Is
Frankreich. 4%
premidre fois, par MM. E. Souli6 et D. Dussieux, avec les additions in-
ddites du duo de Saint-Simon, publides par M. Feuillet de Oonches.
Paris, F. Didot, 1860. Tome XVIII. (1719—1720), 494 S. 8. *
Journal et mömoires du marquis d’Argenson, publies pour
la premitre fois d’apres los manuscrits autographes de la bibliothtque du
Louvre, pour la Sociedts de l’histoire de France, par E. J. R. Rathery.
Tome 2.. Paris, Renouard, 1860. 460 S. 8. Supplöments et errata au
2e vol. 768. 8.
Me&moires du duo de Luynes sur la cour de Louis XV. (1735
—58), publids sous le patronage de M. le duc de Luynes par L. Dus-
sieux ot E. Souli6e. Tome 1—4. Paris, Didot, 1860. 2059 S. 8.
Goncourt, Edmond et Jules de, Les maitresses de
Louis XV. (Lettres et documents inddits). Tomes 1 et 2, Paris, Didot,
1860. XVI u. 634 8. 8.
Me&moires du marquis de Pomponne, ministre et secrötaire
d’etat au departement des affaires &trangeres, publids d’apr&s un manuscrit
de la bibliothtque du cours legislatif, precddes d’une introduction de la
vie du marquis de Pomponne; par J. Mavidal. Paris, Duprat, 1860.
XI u. 560 8. 8.
Falloux, comte de, Louis XVI. 4e edition. Paris, Bray, 1860.
XHU u. 419 S. 18.
Hue, Frangois, Dernidres anndes du rögne et de la vie
de Louis XVI. 30 edition, revue sur les papiers laissds par l’auteur,
precedee d’une notice sur Hue, par Rene du Menil de Maricourt, et d’un
avant-propos par H. de l’Epinois. Paris, Plon, 507 8. 8.
Boiteau, Paul, Etat de la France en 1789. Paris, Perrotin,
1861. 5398. 8.
Gastineau, Benj, Les amours de Mirabeau et de la mar-
quise de Monnier, suivis des lettres choisies de Mirabeau & la mar-
quise., Leipzig, A. Dürr, 1860. 359 8. 12,
A, Thiers, Histoire de la r&evolution frangaise, ibe ddi-
tion, ornde de 40 grar. d’aprös Ruffet et Scheffler. T. ler. Paris, Turne,
1860. XIV, 576 S. 8.
— — The history of the French revolution. Tirans-
f
436 Veberfiht der hiſtoriſchen Literatur.
lated, with notes and illustrations from the most authentic souross, by
Frederik Bhoberl. New edit. 5 vols, Vol. VI. London, Bentley, 1860.
480, 580 u. 670 N. 8.
Gabourd, Améd ée, Histoire de la revolution et de l’om-
pire. 2e edition. Tome db. Directoire. Ebd. 543 8. 8,
Poujoulat, Histoire de la revolution francgaise. 2o däit,
Tours, Manu et Ce., 1860. VII, 663 S. S. m. 10 Kpfm.
Michelet, J, History of the French revolution, from its
earliest indications tho flight of the king in 1791. Translated by C.
Cooks. New edit. with general index. London, Bohn, 1860. 646 8. 8.
F. A. Mignet, Goschichte der französischen Revolutios
1789—1814. Deutsch von Frädr. Köhler. Mit 16 Illustr. Leipsig, Pk
Reclam jun. 1860. 510 8. 12.
Remusat, Charles de, Politique liberale, ou Fragmats
pour servir & la defense de la rövolution frangaise. Paris, Löry fr. 1860.
xl u. 466 8, 8.
Castillo, Hippolyte, Histoire de soixante ans La
volution (1789 — 1860). Tome 3. Paris. Poulet-Malassis et de Broise.
1860. 8345 S. 8. m. 4 Kpfra. L’ouvrage aura 10 volumes.
Girardot, baron de, Les ministres de la r&publigque
frangaise: I. Roland et Mme. Roland. Paris, Guillaumin, 1860. 2678.
8. mit Faosim.
Lamartine, A. de, Histoire des Girondins. 7e edit. Paris,
Furne et Co, 1860. 2514 S. 8.
Granioer de Cassagnac, A., Histoire des Girondins [T
des massacros do septembre, d’aprts les documents officiels et ir
ddits, acoompagnde de plusieurs facsimiles. 2 vols. Paris, Dentu, 186.
vın, 1094 8. 8. m. 2 Facs.
Cordier, Alphonse, Martyrs et bourreaux de 1793. 3 vol.
Paris, Virds, 1860. XI u. 1082 8. 18.
Thonard, P. J, Quolques souvenirs du regne de la Ter-
rour & Cambrai, appuyes sur des pidoes authentiques st rocueilles d#
ia bouche de tdmoins oculaires. Cambrei, Carion, UN. 632 8. 8
Frankreich. 4971
A.B. C. de Saint-Albin, Championnet, gendral des armees
is söpublique francaise, ou les Campagne des Hollande, de Rome et
Naples. Paris, 1860. 284 8. 12.
Nagel, Dr. Frdr., Die Napoleoniden. Ein genealogisch - histo-
ws Tebleaux. Leipzig, Grunow, 1860. 1 Bg. in Imp.-Fol. 2. viel
ı Aufl.
D. L. Ambrosini, et Adolphe Huard, La famille impé-
a Histoire de la famille Bonaparte depuis son origine jusqu’ en
). 2e ddition. Paris, Lebigre-Duguesne freres, 1860. VIII u. 691 8. 8,
Cerrespondance de Napoldon ler, publide par ordre de
poreur Napoleon lil. T. 4 u. 5. Paris, impr. imperisle, 1860.
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Rodier, Charles, Souvenirs de la rdvolution et de l’em-
. Te edition, avee notes et augmentations considerables. 2 vols.
1, Charpentier, 1860. XII u. 772 Ss. 18.
E. Jurien de la Gravidöre, Guerres maritimes sous la rd-
lique et l’empire, avec des plans des batailles navales du cap
"Vincent, d’Abonkir, de Copenhague, de Trafalgar et une carte du Sund.
dition, revue, corrigde et augmentde. 2 vols. Paris, Charpentier,
. XVI, 712 8. 18.
Loudun, Eugöne, Les victoires de l’empire. Campagnes
ie, d’Egypte, d’Autriche, de Prusse, de Russie, de France et de Cri-
2e et 3e edit. Paris, Dupont, 1860. VIII u. 296 8 8.
Marco de Saint-Hilaire, Emile, Souvenirs intimes du
ps do l’empire. Paris, Gennequin, 1860. 6 vols. 1964 8. 8.
Tisseron, L, Le senat de l’empiro francais, documents
riques sur les membres du premier grand corps de l’etat, avec table
ıbötique T. 1er. Paris, Dentu, 1860. 864 8 8.
Thiers, A., Histoire du consulat et de l’empire Tome 17,
maat l’invasion, Brienne et Montmirail, premitre abdication. T. 18,
wrstion des Bourbons, Gouvernement de Louis XVIII. Congrts de
ne. Paris, Paulin, L'beureux et Ce., 1860. 915, 660 8. 8.
Atlas de l’histoire du consulat et de l’empire. 12e et dernitre liv-
a Ebd.
weilte Seitfeift v2. Band. 2
488. Meberfiht ber hiſtoriſchen Literatur.
- Thiers, &., La möme. Nourelle edition. Tome 7. Paris, Paulin,
Le heureux et Ce. 999 8. 8. m. 8 Kpfrn.
— —, La même. Tome XVII. Bruxelles, Meline, Cans et
Ce., 1860. 770 8. 8.
— —, Geschichte des Consulats und des Kaiserthuns
A, d. Frans. 17. Bd. Ebd. 796 S. 8.
— —, Geſchichte des Conſulats und bes Kaiſerreicht
51—53. Thl. Leipzig, O. Wigand, 1860. 936 ©. 8.
— —, Geſchichte des Conſulats und des Kaiferreidt
Aus dem Fran. von Dr. Ed. Burdharbt und Dr. Fr. Steger, 14
— 155 Mg. Leipzig, Lork, 1860. 4. ®b.: Der Gturz des SKeiferreift-
XI, 634— 897 &. mit eingebr. Holzſchn. er. 8.
— —, Geſchichte des Conſulate und des Kaiſerreiqhe.
Aus dem Franz. überſetzt von Dr. Chr. Fr. Grieb. 19. Bd. Manu,
Bensheimer, 1860. 349 S. 8. (Atlas zur Geſchichte bes Conjulats x
20. u. 21. fg. Ebdſ. 4 lith. Karten in qu. Fol.)
_ —, History of the Consulate and the Empire of
France under Napoleon. Vol. 17. London, Willis, 1860. 4708. 8.
_ —, Napoleon. Konsulatets och kejsardömets historia. Oel-
wersatt af Gustaf Thomde. Tjonde bandet. 1. 2. Stockholm, Bonnier,
1859. 211 S. 8.
_ —, Consulatets og kaiserdömmets historie. Eie
det Franke ved J. C. Magnus. 187 —99e levering. Kjöbenharn, Eibe,
1860. 48 8. 8.
— — , Storia del consolato e dell’ imperio di Napo-
leone. T. XVIII, XIX. Torino, 1860 18.
— —,, Daffelbe. Disp. 88 o 89. Firenze, 1860. 8.
Mömoires et corrcspondance politique et militaire da
prinoe Eugdne, publids, annotds et mis en ordre par A. Du Casst.
T. 8—10. Paris, Levy fr. 1860. 483, 519 u. 438 8. 8.
F. Ladimire et E. Moreau, Histoire des guerres de |#
LT
Grantreil. 439
que ot de Tempire, campagnes de la grande armde, d’apr&s
ins des armdes etc. Paris, Renanlt et Ce. 1860. 324 8. 8.
adimire et E.Moreau, Histoiredela guerre de Russie
sampagne de 1813 en Allemagne, en Italie, et en Es-
ıprös les bulletins des armees, le Moniteur, des documents, notes,
. et rapports ofliciels. Ouvrage enrichi de cartes et de portraits.
aault et Ce. 1860. 824 S. 8.
—, Histoire descampagnos deFrance et de l’Italie
ot en 1815, d’apr&s les bulletins des armdes, le Moniteur, des
, notes, me&moires et rapports ofliciels. Ouvrage enrichi de car-
portraits etc. Paris, Renault et Ce., 1860. 307 8. 8. m. Kpfrn.
el, Heinr. v., Die Erhebung Europas gegen Napo-
Drei Vorlesungen, gehalten zu München am 24., 27., u. 380. März
üänchen, literarisch-artist. Anstalt, 1860. VI u. 146 S. 8,
el, Heinri von, De verheffing van Europa tegen Na-
L Drio voorlesingen, gehouden te Munchen op den 24, 27 en
1860. Uit het Duitsch vertaald door Dr. D. Brugger. Met
ding van G. W. Vreede. Zutphen, Thione 1860. VI, 878. 8.
stre, Jos.de, Correspondance diplomatique, 1811—17,
et publide par Albert Blanc. 2 vols. Paris, Levy fr. 1860.
ıR. 8.
noires du prince de Ligne, suivis de pensdes et pre-
"une introduction par Alb. Lacroix. Leipzig, A. Dürr.
2.
tang, S. A. de, Souvenirs et enseignements, France
ie. 1787 —1859. Paris, Franck, 1860. 2. edition. 160. 8. 8.
tement, Alfred, Histoire de la restauration. Tomes
estauration de 1814 Cent jours. Paris, Lecoffre et Ce., 1860.
108. 8.
‚dars, Napoldon & Sainte Hélène. Ire livraison. Paris,
iteur, 1860. 88, 8
1-Oastel, Louis de, Histoire de la restaurstion. To-
2. Paris, Levy fr., 1860. VII. u. 1020 8. 8.
nr
450 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur.
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lementaire en France, 1814—1848, pröcddse d’une introduetien T. 4
Paris, Levy fr., 1860. 544 8 8.
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venirs parlamentaires. — M. Dupin president de la Chambre des depatis
pendant huit sessions (du 23 novembre 1832 au 26 mars 1836). Paris,
Plon, 1860. 583 8. 8.
Guizot, M&moires pour servir l’histoire de mon temp.
Tome 3. Leipzig, Brockhaus Sort, 1860 507 8. 8.
— —, Me&moires pour servir & l'histoire de mon temps.
2e edition. Tome 3. Paris, Levy fr. 1860. 511 8. 8.
— —, Denkwürdigkeiten. Beiträge zur Geschichte der nee*
sten Zeit. Deutsch von Dr. L. Wachler. 1. Bd. 4 Lfgn. Sonder
hausen, Neuse, 1860. 8.
Regnault, Elias, Histoire de huit ans, 1840 — 1848, om
pletant le régne de Louis-Philippe ?2e Edition. Tome 1. 3. Paris, Pıp
nerre, 1860. 8. m. 8 Kpfrn.
(Harcourt, Me. de) The Duchess of Orleans, a memeit.
Translated from the French by Mrs. Austin, with a preface by tbe traa®
lator. 2d edit. with additions. London, Jeffs, 1860. 270 8. 8.
Schubert, Dr. Ghilf. Heinr. v., Erinnerungen aus demlr
ben Ihrer Königl. Hoh Helene Louise, Herzogin v. Orleans, geb.
Prinzessin v. Mecklenburg-Schwerin. Nach ihren eigenen Briefen zum
mengestellt. Mit 1 Portr. in Stahlst. 5 unveränd. Abdr. u. 6. verm. %
verb. Aufl. mit 1 photogr. Porträt. Mit einem Anb. München, lit.-art.
Anstalt, 1860 XIV u. 282 8. (6. Aufl. XVI, 2528. 8.)
_ —, Lettres originales de Mme. la duchesse d'Or
ldans, Hdltne de Mecklenbourg-Schwerin, et souvenirs biographigets
recueillis. Seule edition francaise autorisde par l’auteur 2e et 30 tiragek
Paris, Magnin, Blanchard et Ce., 1860 (Bäle, Georg). XVI u. 280 S. 8
— —, Herinneringen uit het leven vanHelenaLouiss
Hertogin van Orleans, geboren Princes van Mecklenburg-Schwerin. Volgens
hare eigene brieven. Naar den ben Hoogd. druk. Met cen aanbevel. wood,
van P. Hofstede de Groot, Hoogezand, Borgesius, 1860. XII u. 256 8. 8.
Frankreich. 41
Etude politigue. Mr. le comte de Chambord, correspondance
(M1—59). Bruxelles, 1869. CX u. 190 8. 12.
Kretzschmar, A., Geschichte Ludwig Napoleons des Drit-
tea, Kaisers der Franzosen. Dem deutschen Volke erzählt. (In 5 Bdn.)
L Bd. [1808—1848.] Salzkotten, v. Sobbe, 1860. VIII u. 208, VII u.
135. 16.
Mirecourt, Eugöne de (Jaquot), Napoleon III, Uit het Frensch.
iusterdam, Bührmann, 1860. VI u. 738. 8.
— —, Napoleon 1ll. Nach dem Leben gezeichnet. Berlin, J.
ibelsdorfi, 1860. 72 8. 8.
Gottschall, R. Napolecon III., zijn leven en lotwisselingen tot
% dena tegenwoordigen tijd. Uit het Hoogd. 26 druk. Rotterdam, Nijgh.
1860. 160 8. 8.
Mansfeld, Albert, Napoleon Ill. Traduit de l’Allemand. Ourv-
tage ornd de gravures. Tome 1. Paris!1860. 356 8. 8.
3. Geſchichte einzelner Orte und Diſtrikte.
L Zole de Brance und Drleannais,
La Gournerie, Eug&ne de, Histoire de Paris et de ses
omuments. 3e edition. Paris, Mame et Ce. 1860. 472 S. 8.
is 8 Kpfrn.
Descauriet, Auguste, Histoire des agrandissements de
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Springer, A., Paris su treizieme siecle Traduit libre-
went de Vallemand, avec introduction et notes, par un membre de
6dilitE de Paris (Fouchor). Paris. Aubrv. 1860. XXIV n. 17. 8
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cette commune et sur la cdlöbre bataille de Cesar contre les Nerviens. Ve
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du Nord. Tome V. Lille, 1860. 860 8. 8.
Lebeasu, Isidore, Recueil de notices et articles divers
sur l’histoire de la contrde formınt l’arrondissementd’Arver
nes, avec de nombreuses additions par Michaux ainé. Avesnes, Michses
aind 1860. XVI u. 728 8. 8.
Desmasures, Alfred, Histoire des communes du eanten
de Trölon, et notes historiques sur les environs. Avesnes, Daboisli-
roux, 1860. 160 S. 8.
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Boulogne-sur-Mer. Tome 1. Boulogne, 1860. VII, 455 B. 18.
Tailliar, Recherches pour servir Al’histoire de l’abbaye
de Saint-Vaast d’Arras, jusq’a la fin du 12e siöcle. Arras 1859.
9832 Ss. 8. Mem. de l’Acad d’Arras. Tome 31, 26 partie, p. 173—50l.
Me&moires de la Commission historiques de Picardie
Tome 17e, Te de la 2e serie Amiens (Paris, Dumoulin) 1860. 860 5.
8. m. Vign. u. 1 Pl.
Tresor göndalogique de la Picardie, ou Becueil de doer
ments inddits sur la noblesse de cette province; par un gentillomme P
card. Tome 2. Montres et gnittances. Amiens, 1860. IX. 201 8. 8.
Manuscrits de Pagds, marchand d’Amiens, dorits & la fin da 1le
et au commencement du 18e sidcole, sur Amiens et ia Picardie; mis =
ordre et publids par L. Douchet. Tome 4. Amiens 1860. 509 8. 12.
Gusrard, Frangois, Histoire de Péglise Saint-Germais
@Amiens. Amiens 1860. 346 8. 8 Extr. des Mem. de la Soc. des
antig. de Picardie, tome 17.
Darsy, F. J., Pioquigny et ses seigneurs vidames d’Amiens. Albe
ville 1860. 196 8. 8. m. 1 Kopf.
Lefils, Fl., Histoire civile, politigue et religieuse de la rl
Sranfreich. 488
de Rue et da pays de Marquenterre. Avce des annotitions par HL. Dusovel.
Abbeville, Housse 1860. VII u. 422 S. 18.
Lefils, Histoire de la ville du Crotoy et de son ch&-
teau; aveo des annotations per H. Duservel. Abberille, Housse 1860.
XIX, 320 8. 12.
11. Die weſtlichen Provinzen.
M&moires de la commission historique de Normandie.
3e sdrie. 4e vol. 24e vol. de la collection. 2e livr. Caen (Paris, De-
rache) 1860. S. XXXIX—LXXVIII u. 153—290. 4. m. 12 Kpfrn.
“ Guislain Lemale, A, Le Havre sous le gouvernement du
duc H. de Saint-Aignan (1719 — 1776). Etude historique, d'après
les documents eonserves dans les archives de I’hötel de ville du Havre,
dars colles de l’ancienne intendance & Rouen, et aux archives de lempire,
& Paris. Le Havre, 1860. 472 8. 8.
"Leörue, J.A de, Histoire de la ville de Blanggsur-Bresle
ä6partement de Seine-Inferieure. Rouen, 1860. 197 S. 18.
Busserolle, E. de, Recherches historiques sur Fecamp
ot eur quelquesuns des anciens chätesux et seigneurs du pays de Caux.
F6camp, Hue 1859. 184 8. I.
Suppldment & la göndalogie de la maison de Cornulier,
inspriınde en 1847. Nantes, Gudraud et Ce. 1860. VII u. 335 S. 8.
Gautier, Toussaint, Cathedrale de Dol. Histoire de sa fon-
dation; son état ancien et son dtat actuel. Rennes, Ganche 1860. 136 8. 8.
Godbert, H., Documents relatifs & l’histoire du oomtsé
de Laval, contenant: Description du comte de Laval, par Le Clero du
Flecheray. — Titres du comté de Laval et de ses priviléges. — Extrait
sommaire des Me&moires de M. de Miromenil-Pancarte concernant les statuts
et ordonnances de la prevöte de Laval. — Lettres de commission donndos
par le roy Charles IX & Lanoelot de Bree. Laval, Godbert, 1860. 207 8, 8.
Cauvin, Thomas, Documentsrelatifs Al’histoire des cor-
pordtions' d'arts et mötiers dw dioodne du Mans, publid6s par
l'’abb6 Lochet. Le Mans, Monnoyer 1860. VIIl u. 504 8. -12.
454 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.
Cougny, @. de, Notice archeologique et historique sur
le ch&teau de Chinon. Chinon 1860. 120 8. 8. m. 2 Kpfen.
Bulletins de la Société des antiquairesde l’Onuent. Anndes
1859—60. 9e serie. : 4 cahiers. Poitiers 1859. 143 8. 8.
IV. Güppropinzen.
O'Reilly, abbé Patrice-John, Histoire comple&te de Bor
deaux. Ire partie. Tome 3. Ire edition. Paris, Furne, 1860. XVIII,
693 8. 8.
Samazeuilh, J. F, Monographie de la ville de Casteljs-
loux. Ire et 2e livr. Nezaco 1860. 251 S 8.
Cabrol, Etienne, Annales de Villefranche de Bouergue,
publides sous les auspices du conseil municipal de Villefrancho, Tome 1.
Villefrenche 1860 659 8. 8.
Du Möge de Lahaye, Alexandre, Archedologie pyrönd
enne; antiquitds religieuses, historiques, militaires, artistiques, domestigues
et söpulcrales d’une portion de la Narbonnaise et de l’Aquitaine, nommee
plus tard Novempopulanie, ou Monuments authentiques de l’histoire da
sud-ouest de la France depuis les plus anciennes dpoques jusqu’au XIlle
sidcle. Tome ler. 3e partie. Tome 2, Toulouse, Delboy 1860. XLI,
703 8. 8.
Crouzat, Alfred, Histoire de ls ville de Roujan et du
prieurd de Cassan; suivie d'une notice sur les diverses communes du
canton. Beziers 1859. 285 8. 8,
Brieu, J., Histoire du d&Epartement de ’Hdrault, depuis les
temps les plus reculds jusqu’ & nos jours, avec de notes particuliöres pour
chaque ville du departement, suivies de la geographie physique et admi-
nistrative et do notices biographiques des grands hommes, Lodöre, Brieu
1861. 1 u. 25885. 8m. LK.
Becherches historiques sur la ville d’Alais. Alais, Maliguon-
Martin, 1860. 672 8. 8.
_ —, sur la ville dAlais. Alais, Malignon-Martin 1860,
6728. 8. m. 1 Pl
Frankreich. 435
Enigratiom protestante de la principautd d’Orange en
1103, arrivde sous le rögne de Louis XIV, et racontde par un historien
contemporain. Orange, Clauzel, 1859. 108 8. 12.
Toselli, Jean Baptiste, Biographie nigoise ancienne et
noederne, ou dictionnaire historique de tous les hommes qui se sont fait
mmarquer etc. dans la ville et la comtd de Nice, Tome I, Nice, Visconti
(Paris, Dentu), 1860. 384 8. 8
Sauret, abbé , A. Esssi historique sur la ville d’Em-
drun. Gap. De la place, 1860. 576 8. 8,
M&moires et documents publids par la Socidte Savoisienne
diistoire et d’archdologie Tome 4. Chambery, 1860. LXVII, 340 8. 8.
v. De Dften und Norvoften.
Armorisl general du Lyonnais, Forez etBeaujolais, com-
prenant les armoiries des villes, des corporations, des familles, nobles et
bourgeoises actuellement existantes ou edteintes, des archeväques etc. Le
tout compose de 2,080 blasons dessines et d’environ 3000 notices heral-
diques et gendalogiques. Lyon, Brem, 1860. XV, 96 8. 4. m. Bildern.
Monfalcon, J.B., Origines et bases de l’histoire de Lyon,
ou diplömes, chartes, bulles, lois, arr&ts, etc. Parties 2 et 3. Lyon, Brun
(Paris, Durand), XIX u. 452 8. 8. m. Kpfrn.
La Marc, Joan-Marie de, Histoire des ducs de Bourbon
et des comtes de Forez, en forme d’annales sur preuves authentiques, ser-
vant d’augmentation & ]'histoire du pays de Forez et d’illustration à celle
des pays de Lyonnais Beaujolais, Bourbonnais, Daupbind et Auvergne, et
aux gendalogies tout de la maison royale que des plus illustres maisons
du royaume. Publide d’apres un manuscrit de la bibliotheque de Mont-
beison portant la date de 1675. Revue, corrigee et augmentde de nou-
veaux documents et de notes nombreuses, et ornde de vues, Portraits,
scoaux monnaies etc. T. ler. Lyon, Brun (Paris, Potier), 1860. LXXVIII,
40 8. 4.
Chazaud, Fregments du cartulaire & la Chapelle-Aude,
reeueillis et public. Moulins, 1860. XOIV u. 204 8, 8. Publication
de la Boe. d’dmulatiom de l’Allier,
486 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.
Mémotros de ls commission historique du Oher. Ii& vol.
Ze partie. Bourges, Vermeil (Paris, Dumoulin), 1860. IV =. 288 8. 8,
m. 4 Kpfrn.
Develay, Viotor, La Bourgogne pendant les cent jeurs,
Wapres les documents originaux et les traditions contemporaines, Paris,
Corrdard, 1860. 268 S. 8. m. 1 Kpfr.
Cartulaire, general, de 1’Yonne. Recueil de documents au-
thentiques pour servir & l’histoire des pays qui forment co departement,
publi6 par la socidts6 des sciences historiques et naturelles de 1’Yonne,
sous la direction de Maximilien Quantin. 2e volume. Auxerre, 1860.
CII n. 592 8, 4.
Gastan, Auguste, Origines de la commune de Besangon.
Besangon, Balle, 1858. VII u. 192 8. 8. Extr. des Mém. de la Soe,
d'é mulation du depart. du Doubs.
Briffaut, abbd, Histoire de la ville de Fayl-Billot ot no-
tioes sur les villages du canton. Besangon, 1860, Vil u 398 S. 8 m
1 Pl u. 6 Kpfrn.
Pillot et Neyremand, Histoire du conseil souverain de
l’Alsace Paris, Durand, 1860 568 8. 8,
Schmidt, Charles, Histoire du Chapitre de Baint-Tho-
mas de Strasbourg pendant le moyen Age, suivie d’un recuell de
chartes. Strasbourg, Schmidt, 1860. VIII u. 480 8. 4. m. 2 Kpfrn.
Recueilde documents sur l’'histoire de Lorraine. Tome 5.
Nancy, Wiener, 1859. XV u. 368 8. 8. Publication de la Soc. d’archeol.
de Lorraine
Me&moires de la Commission d’archdologie lorraine. Be
oonde serie. ler volume. 9e de la collection. Nancy, 1860. 438 5. 8,
m. Kpfrn.
Lepage, Henri, Commentaires sur la Chroniqueo de Lor-
raine au sujet de la guerre entre Rene II. et Charles le Temeralre
Nancy, Wiener, 1860. 124 8. 8.
Haussonville, comte d’, Histoire de Ia rdunion de la Lor-
raine & la France, avec des notes, pitoes justificatires et documents
ao
England. 431
Iteriques, emtiörement inédite. 2e Edition. 4 vols. Paris, Levy fr,
180. XV u. 1798 8. 18.
Notice historique et militsire sur la ville de Mont-
atdy. Montmedy, Petre, 1860. 154 8. 8. m. 2 Kpfrn.
Dumont, Histoire de la ville de Saint-Mihiel. Tome ler.
Paris, Derache, 1860. 355 S. 8.
Correspondance du duc de Mayenne, publido sur le manuserit
% ia bibliothdque de Reims, par E. Henry et Ch. Loriquet. Tome ler.
Paris, Didron, 1860. 446 8. 8. Publication de l’Acad. imper. de Reims.
M&moireos de la Socidtd des antiquaires de la Morinie
T.10. 1858. 2e partie. Saint-Omer, (Paris, Derache), 1860 429 8. 8.
Barbat, L., Histoire de la ville de ChAlons-sur-Marne et
de ses monuments depuis son origine jusqu’ à l'é poque actuelle. Edition,
ode de dessins, de plans etc. 30e livr. Chälons, Martin. Paris, Di-
dran, 1860. 8. 657—786. 8. Ouvrage termine.
L6epine, J. B., Histoire de la ville de Rocroi depuis son
eigine jusqu’ eu 1850, avec une notice historique et statistique des hom-
mes cdltbres ou digues de souvenirs qui l’ont habite.e Mézièros. Reims,
Beissart-Rischet, 1860. 468 8. 8.
24. England.
Knight, Charles, The popular history of England: an
llastrated history of society and government from the earliest period to
our own times. Vol. VI. (1714-1783), London, Bradbury and E. 1860.
408. 8.
Lingard, John, Histoire d’Angleterre depuis la premitre in-
vasion des Romains jusqu’ & nos jours; traduite de l’anglais sur la 3e
#dition, par le Baron de Roujoux, revue et corrigde par Camille Baxton.
6e ddition, revus, corrigde et publide sous la direction de l’auteur. Tome 1.
Paris, Parent-Desbarres, 1860. 701 8. 8.
Bucklie, Heinr. Thom., Geschichte der Civilisation in
438 | Ueberfiht der hiftorifchen Literatur.
England. Mit Bewilligung des Verf. übers. v. Arn. Ruge. 1.Bd. I.
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Creasy, Sir Edward, The rise and progress of the Eng-
lish constitution. 5. edit. revised, and with additions. London,
Bentley, 1860. 400 S. 8
BRerum Britannioarum Medii Aevi Soriptores, or Chro
nicles and Memorials of Great Britain and Ireland during
the Middle Ages.
Die von der Negierung unter dem Master of the Rolls eingeführte
Commiffion fährt fort, worauf in dieſen Blättern ſchon wiederholt aufs
merljam gemadt worben (vgl. 1. ©. 548 ff., IV. ©. 459 ff.), ohne viel
Plan und Auswahl bisher noch gar nicht gebrudte oder feltene Hiftoriem,
Urkunden und politiihe Dichtungen des britiichen Mittelalters heranszu-
geben. Unter den jüngft erfchienenen Bänden, für deren Güte wieder ein
jever Herausgeber einzeln zu haften hat, dürfte vor allen auch in Deutich-
land von allgemeineren Intereſſe fein:
The Anglo-SaxonChronicle according to the several ori-
ginal authorities, edited by Benjamin Thorpe Esq London 1860,
Longman. 2 Vol. 8.
Das altehrwürbige Geſchichtswerk, das ältefte Denkmal hiftorijcher
Proja in einem germaniſchen Dialecte, iſt zwar ſchon viermal im Drud
erichienen, aber die Eritionen von A. Wheloc, Cambridge 1644, und
E. Gibſon, Orford 1692, ftütten fi) nur auf einige ver Handſchriften,
9. Ingram, London 1823, ver fie zuerft alle benugte, fucht in m
kritiſcher Weiſe aus verfchievenen Rebactionen und Arbeiten einen Zert
zu conftruiven, und die Ausgabe in Monumenta Historica Britanica fol, 1848
bricht wie die meiften in jenem Bande enthaltenen Ehroniken mit vem
Jahre 1066 ab. Es läßt ſich alfo rechtfertigen, daß für die neue Samım
bung dem als erſten lebenden angelſächſiſchen Gelehrten rühmlihft bekann⸗
ten Hrn. B. Thorpe eine neue vollftändige Ausgabe Übertragen wurde.
Er hat denn auch, wie dies nicht anders zu erwarten war, em
tweffliche, vor allen den kritiſchen Anforderungen des Terts entſprechende
England. 439
Arbeit geliefert, ver ſäͤmmtliche fieben Manufcripte zu Grunde gelegt find,
darunter auch, fo weit möglich, das in dem Brande vom Yahre 1732
zrftörte Ms. Cotton. Otho B. Xl, 2. &8 ergibt ſich nämlich aus drei wie-
ver hergeftellten Blättern veijelben, daß Wheloc eben darnach gewiſſenhaft
abgenrudt hatte. Tür Referenten, der vor mehreren Jahren einmal bie
Abſicht gehabt, die gefammte Chronik zu ediren, und der daher dem gegen-
wärtigen Herausgeber feine Abjchriften und Eollationen hat zur Verfügung
ſtellen können, ift es beſonders erfreulich, den damals gefaßten Plan, näm⸗
Gh fänmtlihhe Handichriften parallel neben einander abzubruden, enplich
zur Ausführung gebracht zu jehen. Die früheren Berjuche find doch alle
mehr over weniger ungenügend geblieben, gerade weil man beliebig ein
Manufeript zu Grunde legte und die abweichenden Stüde entweder in
Parenthefe oder unter dem Texte beigab. Die Handichriften find aber nad
Raum und Zeit fo verichievenen Urjprungs wie Inhalts, und ver politi«
ide Standpunkt ihrer Berfafier zumal zu ten Ereigniflen des eilften Jahr⸗
handerts ift oft geradezu fo entgegengejegt, daß fein anderer Ausweg
bleibt als ver angewandte, ganz abgejehen von den zahllojen dialektiſchen
und orthographiichen Abweichungen, die den Philologen den Beſitz des
ganzen Materiald unentbehrlid machen. Sieben trefflihe Schriftproben
and ein Verzeichniß der geographiichen und ethnographiichen Namen find
dem Terte beigegeben. Der zweite Band enthält eine engliſche Ueberjehung,
einen chronologiſchen Inder und ein kurzes Gloſſar einiger wichtigen angel-
ſächſiſchen Appellative.
Was nun die großen kritiichen ragen betrifft, jo iſt es bei dem
Mangel ver Nachrichten auch leider der neuen Ausgabe nicht gelungen
mehrere Räthfel in Bezug auf den Urjprung und das gegenjeitige DVer-
hãltniß jo wichtiger Schriftftüde zu löjen. Sie find zu ungleid, al8 daß das
eine dem anderen vorgelegen haben könnte, höchſtens darf man eine ges
meinjame, uns unbelannte Quelle annehmen, die von ven Schreibern ver
änzelnen Klöfter benugt wurbe und die an die in allen jo ziemlich gleichen
Oftertafeln anfnüpfte. Auf die vermeintlihen Autoren fällt auch nirgends
ein neuer Lichtſtrahl. Nur in ver jüngften, in ter Abtei Peterborough
entſtandenen Hanbfchrift fpricht zu ven Jahre 1087 ter namenloje Verf.
einmal in eigener Perfon und erwähnt feine perjünliche Bekanntſchaft mit
dem Eroberer. Daß im neunten Jahrhunderte König Alfred und fein
Freundes» und Gelehrtentreis zu den Autoren gehört, findet ſich zwar
40 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur.
nirgends beglaubigt, wird aber aus dem Alter der älteften Handſchrift im
Cambridge, ven größeren, auch in Aſſer's biographiihe Fragmente über
gegangenen Details über die Regierung des Könige, der Gleichmäßigkeit
dieſes Abſchnitts in den übrigen Manuferipten und ben befaunten Berfen
bei Geffrei Gaimar gefolgert:
ll fait escrivere un livre Engleis
Des aventures e des leis etc.
An mehreren Hanbichriften haben nachweislich eine Reihe von Berfaflern
gearbeitet, wie Schrift, Zeitalter, Stanbpunft und fogar Abweichungen
nach weſtſächſiſchem ober merciſchem Dialecte kund thım. Zwei reichen
bis ins zwölfte Jahrhundert hinab, darunter die von Peterborongb (jet
in Orford) die merhwilrbigfte, die mit Heinrich's II. Thronbefteigung abe
bricht‘ und im ben legten Abfchnitten das unter fremden, ungelehrten Eins
flüßen verkommende angeljächfiiche Idiom ertennen läßt. Auch dem Unter
ber ſchönen poetijchen Epiſode über die Schladht bei Brunnanburh unter
dem Sahre 937 hat man noch nicht beifommen Tünnen.
In derjelben Sammlung find kürzlich erjchienen, aber noch nicht eins
getroffen:
The Works of Giraldus Cambrensis Vol. I. Ed. by the Ber.
J. 8. Brewer, M. A.
Letters and Papers illustrative of the Wars of the En-
glish in France during the Reign of Henry the Sixth King
of England. Vol. 1. Ed by the Rev. J. Stevenson, M A.
Letters and Papers of the Reigns of Richard Ill. and
Henry VII. Ed. by James Gairdner Esq.
Letters and Treatises of Bishop Grosseteste, illustrative
ofthe socisl condition of his time. Ed. by the Rev.H.R. Luard,
M. A,
Bon den unter derſelben Leitung erjcheinenden Calendarien verſchie⸗
dener Partieen der Staatsurkunden find neuerdings ausgegeben:
Calendar of State Papers, Domestic Series, of the
Reign of Charles ll. Ed. by Mary Anne Everett. Green 1860, VoLL
1660 — 1661.
Calendar of State Pepers relating to Ireland 1509— 1578.
Ed. by H. C, Hamilton Esg. 1860.
England. 441
Calendar of State Papers, Colonial Series. Ed. by W. Noöl
Sainsbury Esq. 1860.
Calendar of State Papers, Foreign Series, of the Reign
of Eduard VI. Ed. by W. B. Turnbull, Esaq.
Im Drud vorgejhritten, aber durch weitere Forſchungen unterbro-
hen iſt:
Calendar of State Papers of the Reign of Henry VIII. Ed.
by the Ber. J. 8. Brewer M. A.
Kür dieſes Werk werden gegenwärtig bie weitelten Vorbereitungen im
ſpeniſchen Staatsarchive zu Simancas getroffen, nachdem ſich ergeben, daß
dert eine Fülle urkundlichen Materials für die ganze Zeit ver Tudor⸗
Semge vorhanden, das, wie es heißt, auf manche Perfönlichkeiten und
Eeignifſſe ein ungeahntes, grelles Licht werfen wird.
Crimes et Delits de l’Angleterre contre la France ou
TAngleterre jugde par elle-möme par C. Chatelet, Chevalier
de lordre de Saint-Gregoire-le-Grand, Lyon. Girard et Fosseraud, 1860.
8. VIII. 444.
Der Titel reiht hin um ven Inhalt des Buchs zu erruthen, die
beidensgeſchichte des Lamms, das faft zwei Yahrtaufende lang mit dem
Wolfe ringt. Unvergleichlich ift vie Charakteriftif der beiden Nationen.
Die eine, tapfer und unerjchroden bis zur Zollfühnheit, jucht auf dem
Schlachhtfelve nur den Ruhm; ihr Geſchmack für die ſchönen Künfte gilt
als Mufter allen Völkern; ihre leichten und janften Sitten verloden die
Fremden; die Unabhängigkeit und Treue ihres Charakters treiben fie
überall dem Unglüd und der Schwäche Leizuftehn. Dieje Nation würde
Arhen fein, bejäfle fie nicht mehr Kraft und mehr Ruhm.
Die andere Nation [hätt den Reichthum über Alles und vie Mittel,
bie ihn erwerben; ihre Tugenden und Yafter find unzertrennlich von ver
Begierde nah Schägen; ihre Kriege find Speculationen. Der göttliche
Funke, der allein große Künfte erwedt, jcheint in ihrer Mitte erloſchen;
Sittenverberbnig hält ſich in den dichten Mantel einer ſtrengen Bigoterie.
Ale Welt lacht Über die Treue, veren fie fi) bei jeder Gelegenheit rühmt ;
aus Gewohnheit oder Bolitif ſpricht fie von Huntanität; doch füet fie
Haß und Zwietracht du, wo ihre Hand zu ſchwach ift um Blut zu ver-
443: neberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.
gießen. Diefe Nation würde Carthago fein, wenn fie bei mehr Madt
nicht noch treulojer wäre.
Und num folgt eine Ueberfiht ver Beziehungen zwiſchen Frankreich
und England von Wilhelm dem Eroberer, „dem Baſtarde eines Herzogt
und der Tochter eines Gerber von Yalaije“, bis auf umnfere Tage, bie
jedem Kronenträger Englands Lüge, Verrath und Grauſamkeit, als von
ihm an Frankreich begangen, ſiegreich nachweiſt. Merkwürdig aber, wi
von der Nation dabei kaum die Rebe ift; bis in die neuere Zeit fündig
der Fürft an der Spike des Volks, Heinrih TI. wie Eduard Nil,
Jakob II. wie Wilhelm III, erft ſpäter ftehen ihnen Henteröfnechte bei wie
bie beiden Pitt und Sir Hudfon Lowe. Mit welcher hiftorifchen Trew
Dabei auf jeder Seite die angeborene Treulofigleit des perfiden Albions
erhärtet wird, mag ber Leſer beijpieldweife aus folgender Stelle übe
Napoleons Tod abnehmen: „Ehe er die Erde verließ, vermadhte er dem
regierenden Haufe Englands ven Schanvfled feines Todes. For (!) über
nahm e8 im Parlamente den Fluch des Dulders zu wiederholen: „Die
Welt, fagte er, trägt Trauer um den Helden, und die, welche zu dieſer
großen Frevelthat beigetragen, find der Verachtung der gegenwärtigen mb
zulünftigen Geſchlechter Preis gegeben.“
The Greatest of all the Plantagenets , An historical sketch. Lomdos.
Bentley. 1860. 8. XIIL 457.
Der anonyme, dem Anjcheine nad ariftofratifche Verfafler"), chi
feinem Buche auf dem erften Blatte eine Liſte von Zeugniffen verand,
die von den gangbarften engliichen Hiftorifern Eduard I. als dem größ
ten Könige aus dem Haufe Plantagenet ausgeftellt worden find. Rie
mand hat gegen eine ſolche Auffaſſung etwas einzuwenden, auch nicht da-
gegen, daß der Verfafler dieſes Thema nod einmal in einer Monogra⸗
phie des Weiteren ausführt. Der Berfaffer iſt denn auch voll von
feinem Helden und zürnt nur den Schatten, welche die Härte des kraft⸗
vollen Eroberers, des Scotorum malleus, wie er auf feinem Grabfteime
beißt, immer noch nicht ganz verwunden haben. Die Daritellung es
geht fi mit großer Breite durch die ganze Geſchichte der Zeit mb
macht ſich offenbar am liebften mit ven jchottifchen Kriegen und ber
) Hugufus Elifforb, Esq.
England, 448
Entwillung der parlamentarifchen BVerhäftniffe zu ſchaffen. Wber das
Bud, fo gut es gemeint ift, lieſt fih troden und bietet namentlicy für
die Berfafiungsgefchichte weder neue Gefihtspunfte, noch ift irgend ein
Beriud gemacht, was für engliihe Geſchichte des 13. und 14. Jahre
hunderts noch immer nicht fruchtlos ift, neues, urkundliches Material
berbeizufchaffen. Zwar heißt e8 in der Vorrede, man behanble jest bie
früheren Zeitalter mit ganz anderem Verſtändniß als das frühere Schrift»
fteller gethban; nur jener Wendepunkt, ver wahre Anfang englifcher Ge-
ſchichte, fei von dem neuen hiftorijchen Geiſte noch nicht erfaßt worden,
Aber der Berfafler ftügt fih doch nur auf die allbefannten, gedruckten
Duellen und citirt auf jeder Seite faft das Urtheil einiger Vorgänger,
welche venfelben Abjchnitt behandelt. Niemals ift es ihm eingefallen,
die handſchriftlichen Schäge des Mufeums und des Archivs felbft anzu-
ſehen. Gerade für die Regierung Eduard I. bieten doch die Staatsrallen
eine unerfchöpfliche Fundgrube und finden fich viele Hunderte von Ori⸗
ginalbriefen, aus denen manches Urtheil zu entnehmen wäre. Bon ben
Haushaltbüchern, vie fo viel wirtbichaftliches Material bieten, ift nur
ein längft geprudtes benütt worden, während Referent feiner Zeit ein
halbes Dutend im Original hat zu Rathe ziehen können. Es ſcheint,
als ob den Engländern erft Alles umſtändlich abgebrudt werben müſſe,
bis fie daran gehen, die unvergleichlichen Quellen ihrer Nationalgefchichte
wirklich zu verwerthen. Allein fchon jet wird faft zu viel gebrudt, und
e8 gibt keine einfichtsvolle Autorität, welche Maß und Ziel geböte,
R. P.
Rheinhold, Pauli, Bilder aus Altengland. Gotha, F. A.
Perthes, 1860. VIII, 395 S. 8.
Piotures of Old England by Dr. Reinhold Pauli, translated
with the authors sanction by E. C. Otté. Macmillan. Cambridge and
London, 1861. XII, 457 8. 8.
Eine Zufammenftellung Heinerer Arbeiten und Aufſätze des bekann⸗
ten Geſchichtſchreibers, die zu feinem größeren Werk eine jehr willtonmene
Zugabe bilden, indem fie Einzelnes aus demſelben weiter erläutern und
ausführen. Die friiche und lebendige Darftellung mit ihrer fauberen
Zeichnung der einzelnen Charakter, ihrer ſtets originellen, aber wahren
Färbung des Ganzen — jene allbelannten Vorzüge aller Arbeiten Pau⸗
Hißsrifge Beitfärift VI. Bow. 50
44 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur.
li's — verleihen gerabe feinen Eſſays einen eigenthümfichen Reiz. Usb
bieß bewährt ſich auch bier in glänzender Weiſe. Ohne auf das Ei
zelne näher einzugehen, heben wir doch als beſonders anziehend herrer
die ‚Beziehungen zwiſchen Kaijer Ludwig IV. und König Eduard IM.
(S. 118 ff.) Hier ift auf Grund der von Pauli felbft früher bein
gegebenen Quellen vie fo intereffante Reife Eduards duch Deutjchlarh
im Spätfommer 1338 Har und anſchaulich geicdhilvert.
Ein wahres Meifterftüd einer literarhiſtoriſchen Skizze, die med
— — —
allen Seiten hin über politiſche und ſociale Zuſtände ihrer Zeit it |
verbreitet, finden wir in dem 7. Stüd ver Sammlung „Zwei Didte,
Gower und Chaucer“ (S. 74 ff.) Auf Grundlage der neuerdings voll
fländig edirten Werke jener Autoren des 14. Jahrhunderts erörtert Park,
welchen Einfluß fie auf Bildung der englijchen Sprade und Yiterater,
überhaupt auf die Entwidlung des nationalen Lebens geübt haben.
Gibt ſich num ſchon in allen Stüden die vollendet’fte Kenntni ug
liſcher Geſchichte kunt, fo tritt doch gegen einen Auffat alles Andere be
beutend zurück. Wir meinen bier: „Kondon im Mittelalter.“ (©. |
353 ff.) Topographifche Erläuterungen, baugefchichtliche Vemerkungen,
verbunden mit allgemein hiſtoriſchen Entwicdlungen rollen uns das Bil
ber alten Stadt auf. Das fociale und politische Leben, das Wogen ud
Treiben der großen Handelsſtadt, die ſchon im 14. und 15. Yahrhert.
zu großer Bedeutung gelangte, ift hier aus ven Urkunden ver Zeit ſelbſt
bem liber albus, geſchöpft und in lebenvigfter Weije unjerm Auge ver
geführt,
Solche „Bilder,“ veren unfere Piteratur leider nur wenige aufwe-
fen kann, begrüßt ebenfowohl ver Fachgenoſſe, als aud das ganze ge
bilvete Publikum mit dem höchften Intereffe und zollt ihnen gerne reide
lichen Beifall und lobende Bewunderung. — Die englifche Ueberfegung dei
Buches wird gelobt. u.
Eckerdt, Herm, De origine urbium Angliae. Diss. inauger.
Königsberg, 1859. 31 S. 8.
J. A. Froude, History of England from the fall of Wolsey w
the death of Elisabeth. Vols. V. VI. London, 1860.
ge ein Band fir die Gefchichte Eduard's VI. un der blutige
England. 445
Maria. Der Ber. bleibt darin auch nachträglich der von uns als Miß⸗
griff bezeichneten und jedenfall überſpannten Auffaflung Heinrich's VII,
getreu, daß nämlich die von biejem rüdjichtslofen Fürſten befolgte Re
gierungsweife und- die enge Form, in welche er vie kirchliche Reformation
gezwungen, ven wahren Bebürfnifien England’8 entiprochen habe; vie ent-
ſchieden proteftantiichen Richtungen unter Eduard VI. werben daher eben
fo gut verdammt wie die fatholifhe Reaction Maria's, freilich mit einer
gelinden Hinneigung zu legterer. Diefelbe mag zunächſt in ben etwas
verſteckten hochkirchlichen Tendenzen des Verf. ihren Grund haben, hängt
aber noch mehr mit feiner jungengliichen, carluliftiichen Vorliebe für eine
kräftige Perfönlichkeit zufammen, vie mehr Geihmad an Heinrich’8 legi-
timer, entſchloſſener Tochter findet, als an dem warmen, weitherzigen Volks⸗
freunde, dem Protector Somerjet, die aber feltfam genug, fo oft ſich
nur die Gelegenheit bietet, ebenfo gut dem lutheriſch gefinnten Biſchofe
Latimer oder dem fchroffen John Knox Bewunderung zollt. Noch Mehr
als in ven vorhergehenden Bänven wird eine anglikaniſche Katholicität,
nur gelöft vom päpftlichen Primat, als das Ideal bes Tudorregiments
bingeftellt, was dann eine vornehme, eifigkalte, mitunter fogar ſpöttiſche
Haltung gegenüber ven echt reformatorijchen, vom Auslande beeinflußten
Beftrebungen zur Folge hat. Das Protectorat des edlen Somerfet wird
verurtheilt, weil e8 von den teftamentarijchen Beſtimmungen Heinrich's VIII.
willkürlich abgewichen, und faft auf diefelbe Stufe mit der Verwaltung
bes nichtöwürbigen Herzogs von Northumberland geftellt. Der ganzen
minorennen Regierung wird fuftematifche Beeinfluffung ver Barlaments-
wahlen, Corruption der Gerichtshöfe, die Ärgfte Zerrüttung ver Finanzen
nachgeſagt, Anflagen, die Heinrich VII. bei allen feinen Gewaltthaten,
wie man fich erinnert, nicht zur Laſt fallen follen. Als ob legterer beim
Wechſel feiner Laune, feines Syſtenies und feiner Alliancen ſich ſtets mit
der Nation im Einklange befunden; als ob die Berjchleuderung des von
ihm confiscirten gewaltigen Kirchenguts nichts mit der Verſchlechterung
der Münze und dem Sinfen des Kredits zu ſchaffen gehabt, obwohl dieſe
Mebelftände jhon ein Fahr nad) feinem Tode eingetreten. Die anglika⸗
nifche Liturgie, heißt es, fei die einzige nennenswerthe Frucht jener uns
glädfeligen Regierung (which the unhappy reign produced V, 394).
Es fragt fich jedenfalls, ob die fpätere Geſchichte Englands es recht⸗
fertigt, wenn das echt proteftantifche Verlangen, das fi in allen Kreiſen
30*
446 Ueberſicht ber hißoriſchen Literatur.
fund gab, wegen ber ihm unterlaufenden unveinen weltlichen und perjän
lichen Tendenzen zugleich mit biefen verurtheilt wird. Soll der Rüdiell
der rohen Bevölferung zur Mefle, zumal in ven länblihen Diſtricjen
mehr Begründung haben als die in den Städten und in einem Zheike
des Adels verbreitete evangelifhe Gefinnung, als der Zuſammenhang wi
ber deutſchen Reformation? Müſſen die auslänvijchen Theologen anf ke
Univerfitäten, die 15,000 fremden Proteftanten in London von einem pe
teftantijchen Gefchichtjchreiber in Webereinftimmung mit Renarb, dem Ge
fandten Karl’8 V., verbädhtigt werben ?
Die Rage bei Maria's Thronbefteigung erſcheint dem Verf. bi
aus günftig, die Haltung des Biſchofs Gardiner namentlich) bis bahn
entichieven correct und fogar beiwundernswärbig. Mit fichtlichen Behagen
fällt ex das craffe Urtheil: „Die Wirkungen der Refonnation in Eng
land Hatten ſich bis dahin hauptſächlich in ver äußeren Herrichaft von
Spkebuben (in the outward dominion of scoundrels) fund gethan und in
dem Crlöfchen der erblihen Tugenven des Nationalharakters“ (VI, 6).
Seit Yahren (for many years, aljo vermuthlich auch unter Heinrich VII.
©. VI, 106) jeien die Wahlen nicht fo unabhängig geweſen; eim pre
fantifches Parlament im beften Sinne des Worts habe Maria’s Titel
anerkannt. Erſt als mit dem fpanifchen Gemahle Maria’ und Ger
ner’8 Gelüfte zum Durchbruche kommen, als die päpftliche Gewalt wieder
an die Stelle des Supremats tritt, die blutige Verfolgung anhebt, dei
jequeftrirte Kirchengut zurücgefordert wird, verfällt Maria dem verdien
ten Verhängniß und tem Tadel des Verfaſſers, der den Standpunkt ikeel
großen, für ihn untadelhaften Vaters firirt zu haben glaubt.
Died mag genügen, um bie Conjequenz hervorzuheben, mit welder
Froude bei feiner paraboren Geſchichtſchreibung beharrt. Der Leer if
ihm aber vemungeachtet wie bei den vorhergehenven Theilen zu großem
Dante verpflichtet für das überaus reihe Material, das er wieberum
aus den Archiven flüflig gemacht hat, und für mehrere großartig geſchrie
bene Partien des Buchs, namentlich im fechften Bande, als welche wir
bie Abſolution von Parlament und Bolt durch Cardinal Bole (S. 287 fi.)
und das Martyrium ver proteftantifchen Biſchöfe und ihrer Genoflen
(S. 333 ff.) hervorheben möchten. Daß die urtunvlihen Schäge ud
die bereits vorhandenen Ergebniſſe hiſtoriſcher Forſchung indeß noch ix
anderem Sinne zu verwerthen find, erhellt abermals aus ber ſehr man⸗
England. 447
gelhaften Behandlung ver auswärtigen Beziehungen. Man lefe was von
der Schladht bei Mühlberg, von Karl’ V. Niedergang in Deutichland
faſt ansichlieglih nach Pallavicino erzählt, wie Papft Paul III. charak⸗
teeifirt wird, und man wird fich füglich wundern, daß Ranke's Arbeiten
dem Berf. völlig unbelannt geblieben zu fein fchienen. Band VI, 344
unter dem Jahre 1555 wird dranz I. gar noch unter den Lebenden ges
zahlt! Wie weientlih ander8 aber werden Perſonen und Hergänge auch
auf dem Feſtlande gerade von dem Lichte getroffen werden, das von ben
englifchen Archiven ausftrahlt. R. P.
The Pilgrim, a Dialogue on the life and actions of king Henry the
eightb, by William Thomas, clerk of the council to Edward VL, ed. by
J. A. Froude, London 1861. Parker. 8
Es wird bier eine Vertheidigungsfchrift zu Ounſten Heinrich VIII.
die bald nad deilen Tode gejchrieben und ſchon einige Mal gebrudt
worden, wiever aufgelegt. Der Berfafler, Waltfer von Geburt, ftubierte
zu Orford, wurde Proteftant und vor der zu Ende der Negierung
Heinrich's VIII. eintretenden Reaction flüchtig nad Italien. Dort, zu
Bologna, etwa zwei Monate nad des Königs Tod findet das fingirte
Zwiegeſpräch mit einem katholiſchen Italiener flat. Der Engländer
vertritt darin patriotiich fein Vaterland, veflen Fürften und deſſen Ge-
fege und theilt durchweg die populäre Auffaflung bes königlichen Cha-
rakters. Bon den allgemeinen Dingen und den Inftitutionen Englands
zeigt er ſich unterrichtet, aber über die eigentlihe Politit Heinrich's ur-
theilt ex weder als Sachverſtändiger, noch erjcheint er irgend wie in ben
Geheimnifjen des Hofes unterrichtet. Seine Anftellung unter dem Nach⸗
folger fpricht geradezu dagegen. Nirgends ftößt man auf eine Beſtäti⸗
gung der paradoxen Bergötterung, welche H. Froude mit dem Könige ge-
trieben. Allein Froude ift unberehenbar. In der Beilage zu bem
Dialoge veröffentlicht er nachträglich eine Anzahl Documente aus ven
Archiven zu Paris und Brüffel, leiver nur in Auswahl und in englijcher
Ueberjegung, von benen einige den wejentlichen Behauptungen feiner Ge⸗
ſchichte auffallend widerſprechen. Er fuchte bekanntlich Heinrich nad)
Kräften von dem Verdachte des ſinnlichen Impulſes zu feinen Gewalt⸗
thaten zu reinigen; jetzt erfahren wir aus einem franzöſiſchen Gelandt-
fchaftsberichte vom October 1534, aljo über anverthalb Jahre vor
a
448 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur.
Anna Boleyn's Sturz: M a des nourvels amours! und Aehnliches wird
im November nad Brüffel gejchrieben. Auch nad der Scheibung vom
Anna von Eleve zeigt der König fofort Dispofition, ein anderes Weib
zu nehmen; aber der Ausbruch einer Seuche und Heinrichs Angſt ver
verfelben halten ihn einige Wochen zurüd, bis es ſchon am 21. Inli 1540
heißt, daß er von der Schönheit der Catharina Howard geblenbet fü.
Auch deren rafche Kataftrophe bat ihn keineswegs mit Weltichmerzge
danken. erfüllt, vie Froude in feinem Werke jo berebt geſchildert, denn ſech
Tage vor der Hinrichtung Catharinas gibt der König ein Damenfeh,
auf welchen ihn Lady Cobham und die junge hübfche, aber geſchiedene
Frau Wyatt's befonderd angezogen haben. Die mitgetheilten Depeſche
Marillac’8 über Empfang, Hochzeit, Scheidung ber Anna von Clem,
über Crommell’8 Sturz, über das Project, die Prinzeffin Maria mi
Philipp von Bayern zu verheirathen u. |. w., find fhon von Kante m
Driginal benutt. Vgl. beſonders Engliihe Geſchichte I, 218. Zu de
Correfpondenz Carl's V. mit ven iriſchen Magnaten finden ſich entfper
chende Berichte im Staatsardhive zu London. Der Herausgeber verbiat
gewiß Anerkennung, wenn er fo freimüthig mittheilt, was eine gan
Kette in feiner Darftellung jener Zeit zerreißt.
Aber wohin dieſen unkritiſchen Schriftfteller eine neue Lectäre mb
die Sucht nad romantischen Paraboren zu bafchen verführen kann, if
und neuerdings recht entgegengetreten beim Leſen von:
Queen Elizabeth, Lord Robert Dudiey and Amy Robsart, a Story
from the Archives of Simancas by J. A. Froude, in Fraser’s Magazine,
for June 1861.
Während er früher (vgl. History II, 142) im Gegenfate zu Ama
Boleyn, die er zur Ehebrecherin gemacht, von der großen Tochter nicht
erhaben genug reden konnte, — fie, die beftimmt die Welt umzugeftalten,
zu deren Berläfterung nur die fchmusigften Cloaken aufgewühlt würden
— erſcheint ex jett in einer Vorſtudie zur Fortſetzung feines Gefchichte
werkes auf der anvern Seite und erflärt mit dürren Worten, fie babe
Leicefter zum master of her government and of her person gemadtt,
nachdem fie diejem fein Weib habe ermorben helfen. Und woher ftanmt
biefe Entvedung? Zunächſt fcheint fie eingegeben von I. Lothrop Met:
len, dem gegenwärtigen amerifanifhen Geſandten in Wien, ver in ber
History of the United Netherlands Alles aufgeboten, um Eliſabeth's Tu
England. 449
gend und Politik in den Koth zu zerren und fremden ben Weg zu ben
Berichten der Geſandten Philipp’s IL. gewiefen bat als ver reinften
Duelle über diefe Tragen. Ein kurzer Ausflug nah Simancas und das
Studium ber Depeihen des Biſchofs von Aquila, Alvarez de Quadra,
haben Froude jofort von der Richtigkeit jo monftröjer Dinge überzeugt, mit
denen er feine Lanvsleute zu überrajhen und nicht zu empören hofft.
Aus verbrecheriicher Leidenſchaft ſoll eine Elifabeth ihr Vaterland und bie
Reformation an Spanien haben verrathen wollen, nur Cecil fei ber
Retter geweien, fchon habe der Siaatsrath mit Abfegung gedroht.
Und das wird einem ſpaniſchen Biſchofe nachgefchrieben , deſſen jefwitifche
Umtriebe in England befannt genug find, deſſen Abberufung Elifabeth
ichon im Jahre 1563 von Philipp verlangt hat. Proteftanten, Republi⸗
caner wagen e8, mit folder Hilfe die Gegenfäge der Geſchichte umzu-
ſtülpen; ober muß Eliſabeth nun durchaus zur Metze werben, nach⸗
dem die Mutter als ſolche bingeftellt wird und die Tugend des Vaters
fih nicht halten läßt? Wahrlih, das Geſchichte Tiebende und leſende
Bublicum in England müßte doc verlommen fein, wenn es bergleichen
fih ruhig wollte bieten laſſen. R. P.
Personal History of Lord Bacon, from unpublished letters,
by William Hepworth Dixon. London, Murray, 1861. 302. (Auch in
Tauchnitz, Collection of British Authors. Vol. 549.) 8.
Die Buch hat die Beachtung, die es gefunden, unftreitig dem Zu⸗
ſammenhang zu verbanfen, in welchem ver Berfafler mit einem hervor⸗
ragenven literarifchen Journal fteht. Auch war man nach einigen früs
heren Leiftungen wohl berechtigt, eine wirklich hiſtoriſche Arbeit zu er-
warten. Dagegen zeigt fich bier das eitel gewordene Literatenthum in
feiner ganzen Selbftüberfhägung, das ſich einen Heroen wählt, um ihn
zu apotheofiren und fich zu dieſem Zwede einer Sprache bebient, die je⸗
ber ehrliche Angelfachfe gewiß nicht als der Königin Engliſch wieder er»
kennt. Um den großen Francis Bacon, der, wie männiglidh befannt,
fih als Juriſt und Staatsmann, als Philofoph und Effayift unver
weltliche LZorbeeren erworben, aud von ben nicht minder bekannten Ma⸗
keln und Flecken, die an feinem Charakter und feinem Gedächtniß haf⸗
ten, völlig zu reinigen, greift ber Verfaſſer ohne alles hiſtoriſche Ge⸗
wiſſen und ohne ſich ernfllih und eingehend mit dem Zeitalter und ſei⸗
|
450 ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.
nen gewaltigen Gegenfägen zu befaflen, zu ganz erbärmlichen Abvolaten⸗
kunſtſtücken. Es wird einfach überjehen oder verftellt, was nicht in biefe
Auffaffung paßt, um mit oft ganz albernen Pinfelftrichen ein Gemätbe
zu entwerfen, das ohne tief zu forichen ein Jeder gar bald als undhuhl
und unwahr erflären wird. Wenn Carlyles Manier noch mehr folk
Nachahmer zieht, dann follte man in der That um Hiftorifche Gewiſſe
haftigfeit in England bange werben.
Trog der Ankündigung auf dem Titel findet der Leſer nur Außer
wenig Neues in dem Buche, denn bie zuerft benüßten, oder ausgezogenen
Briefe der Mutter Bacon’s find fo geringfügigen und felbft Heinlichen 9a
baftes, daß fie auf die eigentlihe Entwidlung des Jünglings und dei
Mannes kaum irgend ein Licht werfen. Dagegen find eine große Ur
zahl wichtiger Briefe ganz bei Seite gelafien, aus venen hervorgeht, we
Bacon noch ehe er zwanzig Jahre alt in unwürdig kriechender Weiſe
fih an hoher Stelle um Beförberung beworben. In feinen eigen
Worten, aber nicht bei Herrn Diron kann man lejen, wie er im Jake
1593 den Inhalt einer Liberalen Rede widerruft, wie er nady dem trag
ihen Ende feines Gönners des Grafen Effer in einer befonveren Flaz⸗
ſchrift denfelben erft im Tode zu verleumben wagt. ‘Der mächtige ftaat
rechtliche Gegenſatz zwiſchen Bacon und Coke, über den die Revolution
und die Nachwelt zu Gunften des Letzteren entſchieden, wird fogar be
nugt, um vor der faljhen Glorie des Helden feinen Gegner umd veffen
Partei (a parliament of fanatics, four hundred of the most violent men,
who were met in the great Council) in den Schmuß zu ziehen. Und za
welcher Caricatur wird dann erft die Kataftrophe, in welche den großen
Mann die Schladen hineingeriffen, von tenen fein unvergleichlicher Geift
ſich nicht zu läutern vermochte. Dic Gerechtigkeit des Verfahrens wider
ihn wird felbftverftändlidh geleugnet. Bacon befennt fih zufolge Diron
feiner Beftehung ſchuldig; nur forglos jet er geweſen, aljo liebenswürdig
wie immer. Kein Wort von den Schreiben, die in feinem Namen Ba
dingham und der Prinz von Wales beim Haufe ver Lords einreichten.
Und die Geſchichte lehrt doch Längft, wie Bacon keine Rechtfertigung ver-
ſucht hat, venn feine eigenen Worte lauten: „Ich beienne einfach umb
aus freien Stüden, daß ich der Beſtechung ſchuldig bin, verzichte auf
jebe Bertheibigumg und werfe mid auf vie Gnade und Barmherzigkeit
Eurer Lordſchaften. Habt Mitleid mit einem gefnicdten Rohr!“
England. 451
Die wenigen Beifpiele mögen für die ganze Behandlungsmeife die⸗
wen, die ums durchweg als eine verwerfliche erſcheint. Aber mem bie
Zriumphe eines höchſt dilettantifchen Journalismus zu Kopfe geftiegen,
ber befinvet ſich leicht in ver Rage zu vermeinen, er habe eine hiſtoriſche
Aufgabe hinreichend erforjcht um mit der Meberzeugung aufzutreten, er
wiffe nun Alles und Jedes, und fenne nicht mir jeve Handlung, jon«
den felbft die innerften Gedanken ver Perſonen, vie er ſchildert. Die
Sucht der Imagination unter denen, welde jest in England Geſchichte
fhreiben, führt nur zu häufig zur Erfindung von Motiven, die fih in
keiner Weife nachweiſen laflen. Hätte Herr Diron wie in feiner Bio»
graphie des Admiral Blake ſich unbefangen und ehrlich feinem Gegen»
Rande gegenübergeftellt, er würde nicht durch eine Arbeit wie die vorlies
gende von feinem guten, Iiterariichen Namen eingebüßt haben. Wer aus
dem Buche von der wahren Lage der Dinge unter Elifabetb und Ya»
cob, von Bacon dem Philofophen und Hiftorifer,, von feinem Plane das
engliſche Recht zu cobificiren, etwas erfahren zu können meint, ber
braucht fi nicht die Mühe des Nacjichlagens zu geben und warte
ieber, bis die von Spebbing, dem Herausgeber von Bacon’d Werken,
verheigene Biographie erjchienen ift. R. P.
Wahner, Dr., Zur Geschichte Jakob I., Königs von Gross-
britannien u. Ireland. 2. Theil. Gymn.-Pr. Oppeln, 1859. 14 8. 4.
Memoirs, letters and speeches of Anthony Ashley Coo-
por, first earl of Shaftesbury, Lord Chancellor; with others papers illustra-
ting his life from his birth to the restoration. Edited by W. Dougal
Christie. London, Murray, 1860. 248 8. 8.
3. Forster, The Debates on the grand Remonstrance
November and December 1641, London 1860. Murray. 8.
Diefe Arbeit ift zuerft in deſſelben Verfaſſers Historical and Biogra-
phical Essays Vol. I, London 1858 erjchienenen und nunmehr noch ein-
mal abgevrudt. Sie ſchöpft vor Allem aus einer noch immer nicht
völlig zugänglich gemachten Fundgrube, ven im britifchen Muſeum be
wahrten, aber äußert unlejerlihen handſchriftlichen Tagebuche des Sir Si-
monde D’Ewes, der unter der puritaniichen Majorität im langen Parlament
gefeflen. Man Hat jene wichtigen, die Revolution unvermeidlich machen⸗
ven Verhandlungen in ven einzelnen Stadien und den Wortlaute nad
45 ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.
bisher noch nicht gelannt, denn ſelbſt Ruſhworth Hat fie nur im Ans
zuge bemust und wieder gegeben. Der Wortlaut aber läßt es zweifellos,
daß das große Altenftüd ein Meifterwert John Pym’s ift, des gewaltis
gen Leiters in ver erften Epoche ver Bewegung; Form und Sprade
erinnern unmittelbar an feine Reden. Aber fo großartig und überwäl
tigend er in den erften Partien erjcheint, fo weit bie hiftoriiche Reca⸗
pitulation aller Beſchwerden wider die Krone reiht, jo ſchwach und ves
dvolutionär unfiher find fpäterhin die Mittel, die zur Abhilfe vorgeſchla⸗
gen werben. H. Forfter aber verläugnet auf keiner Seite den Barteis
mann, denn er gehört zu ber heute noch in England ſehr zahlreichen
Claſſe ehrlicher puritanifcher Geifter, die fi vollftänvig in die Seele ih⸗
rer gefinnungsvollen Vorfahren zu verjegen vermögen und gegen bie
Mifgriffe und den habituellen Wortbruch des Königs die Schritte bei
Barlaments vertheidigen. R. P.
J. Forster, Arrest of the Five Members by Charles the
First. A Chapter of English History rewritten. Londen, Murray, 1860. &
Dieſes Buch bilvet jo ziemlich eine Fortſetzung des vorbergehenben,
indem es bie betaillirte Schilvernng des unglüdjeligen Streidyes biete,
zu dem Karl I. aus Zorn über jene Debatten ſich hinreißen Tief. Man
weiß, wieviel er ſich und der Königlichen Würde dadurch vergeben, wie «
dadurch den Bruch mit der Hauptftabt und den Ausbrud des Bürger
kriegs bejchleunigt hat. Clarendon verſichert zwar ausprüdlih, er umb
feine politifchen Freunde, vie damals ſchon in ven Rath des Königs ge
zogen worben, hätten nichts um ven Gewaltſchritt gewußt, und gibt fid
nachträglih Mühe, feine Mißbilligung recht ſtark auszuſprechen. H. For
fter ſucht das Gegentheil nachzumeijen, indem er fi wiederum anf bi
urkundlichen Aufzeichnungen des Augenzeugen D'Ewes ftügt fowie auf
Berichte, die Über den Hergang an ven Admiral Pennington gerichte
worden find. Allein der Berfafler malt abermald zu grell in ſeine—
Farben; es handelte fich Teineswegs um einen tief angelegten Staatk
ſtreich; die Agitation der Königin und ihrer ausländiſch papiſtiſchen
Umgebung vielmehr riß ven König in einer verhängnißvollen Aufwallumg
des Momentes fort. Dan wird gut tbun, bei Darftellung dieſer Zeiten
Maag nnd Vorſicht imme zu halten wie Ranke, der im zweiten Baude
der Englischen Gefchichte 3. Forſter's Schriften mehrfach zu Rathe gezogen,
RP,
m — —— .
England. 463
Memoirs, Biographical and Historical of Bulstrode
Whitelocke, Lord Commissioner of the great Scal, and Ambassador
& the Court of Sweden, at the period of the Commonwealth, by R. H,
Whitelocke. London, Routledge, 1860. XV, 415. 8.
Ranke, Englifhe Geſchichte IM, S. 316 fagt furz und bündig
ven bem Gegenſtande dieſer Lebensbeſchreibung: „Er hatte eine unwider⸗
fehlihe Neigung ſich ven herrſchenden Gewalten anzufchliegen und per-
ſenliche Förderung von ihnen anzunehmen, wenn fie nur dabei das Shitem
ver englijchen Geſetze, wie e8 einmal eingeführt war, im Ganzen beftehen
beſen.“ Es liegt darin die Schwäche und tie Vereutung des Mannes,
den jein wechjelvoller Vebenslauf als Theilnehmer an allen Phajen durch
Ne große Bewegung bes fiebenzehnten Jahrhunderts hinturchgeführt. Nach
Urprung und Erziehung den altconjervativen Elementen jeiner Heimath
geiſtesverwandt, widmet Whitelode fi) dem Studium und ber Praris
des Rechts; im Anfange Karls I. fteht er gejellihaftlih noch ven Ber:
theitigern von Kirche und Staat nahe, während er im Parlamente niit
ter Oppoſition geht und ſich bald von feinem Freunde Edward Hyde
abwendet. In den Jahren des Bürgerfriegs wird er vorwärts geſchoben,
wie ftart auch fein religiöſes oder juriftiiches Gewiſſen gegen die revo—
lutionären Maßregeln und ihre Vertreter ſpricht. Unter Cromwell rettete
er, vielfach im Gegenfage gegen ven Gewaltigen, die ftaatsrechtliche Con⸗
timmität, deren Dafein auch troß der Nevolutionsperiode in ver Berfaf-
jungsgeihichte Englands fih nicht wird ableugnen laſſen. Aus ſolchen
Gefihtepuntten hat er Cromwell zum König erhoben haben wollen.
Später hilft er ten Staat vom Protectorate zum legitimen Königthume
mrüdführen und rettet ſich dabei Leben und Eigenthum, indem er einft
weislich der Theilnahme am Königsmorde ausgewichen.
Seine Memoiren gehören zu ven merkwürdigſten gleichzeitigen Auf—
zeichnungen, aus denen ter gewiſſenhafte Hiſtoriker eine Fülle echter Ueber—
lieferung ſchöpfen kann; ſein Journal of the Swedish Ambassy betrifft
wichtige europäiſche Verhältniffe in ben Jahren 1653 une 1654, als vie
Macht des Protectorg faft zur leitenten in ber Welt wurde. Aus dieſen
Schriften, aus Briefen und Fragmenten ähnlicher Papiere, melde White:
lode zur Zeit ver Reftauration zu zerftören gejucht, ſchöpft fein gleich—
namiger Biograph, der — wir willen nicht woher — ſich Professor
Royal of Wurtemberg nennt. Er fcheint auch eine Art von Puritaner
4 neberſicht der hiſtoriſchen Literter.
bes neunzehnten Jahrhunderts zu fein, aber feine Leiftung fteht weit un-
ter denen des Herrn Forſter. Jedenfalls gelingt es ihn nicht, was er
unternommen und was wohl der Mühe werth wäre auszuführen, Wbite
lode, ven Staatsman der Nepublif und bes Protectorats, als einen ber
Begründer des gegenwärtigen conftititionellen Syftems zu fchilvern.
R. P.
Ranke, Leop., Englifhe Geſchichte vornehmlich im 16. und IT,
Iahrhundert. 2. u 3. Bd. Berlin, Dunkler u. Humblot, 1860—61. 8.
Guizot, Fr. Life of OliferCromwell. New edit. London, Best-
ley, 1860. 450 8. 8.
— —, Etudes sur 1a r6dvolution d’Angleterre —
Munk, chute de la r&publique et retablissement de la monarchie en Ar
glettere, en 1660. Etude historique. be edition. Paris, Didier et (8,
XIV u. 404 8. 12,
Macaulay, T. B.,, Die Geschichte von England seit dem Be
gierungsantritt Jacobs II. Uebersetzt v. weil. Prof. Friedr. Bfülau. 2%
Aufl. Mit d. Portrait des Verf. in Stahlst. 3 —9. Lfg. Leipzig, T. 0.
Weigel, 1860. 2. Bd. XII u. 612 8. 3. Bd. XIV u. 702 8. 4. Bd. W
u. 928 8. 8.
— —-, Geschichte von England seit dem Begierungses-
tritte Jacob des Zweiten. Uebersetzt v. L. G. Lemcke. 2. Aufl. (In ?
Bän.) 1. Bd. 1. Lfg. Mit Macaulay’s Portr. in Stahlst. Braunschweig,
Leibrock, 1860. VII u. 96 8. 8.
— —, Storia d’Inghilterra. Tradotta da P. Emiliani-Gis
dici. Vol, I, IL 2 edis Firenze, 1859, 60. 18.
— —, Histoire du rögne de Guillaume III, pour fain
suite & l’Histoire de la r6volution de 1688. Traduit de I’Anglais per
Ameded Pichot. Edition complete 3 Bde. Faris, 1860. 8.
Massey, William, A history of England during the reige e
George the Third. Vol 3. London, Parker, 1860. 500 8. 8
On ceortainßtatements respecting theChurch ofEngland
Correspondenoe between the Bishop of Exeter and theR.H. T. BU»
oaulay. London, 1861. 60 8. 8.
England. 4bb
Hier werben durch den bekannten Biſchof Philpotts, das firenge
Haupt der Bufeyiten, ver Deffentlichfeit einige Briefe übergeben, vie er
mt dem großen Hiftorifer zu Anfang des Jahres 1849 unmittelbar nad
dem Erſcheinen ber beiden eriten Bände gewechſelt hat. Bezeichnet er es
ach als ein unfterbliches Werk, pas ihn, ven ftrengen Tory, fo gut wie
ale ſeine Landsleute gefeſſelt hat, jo hält er e8 doch für feine Pflicht, den
Verf. auf arge kirchliche Berftöge aufmerkſam zu machen, damit er fein
Kuitwert von ſolchen Tleden reinige. Es handelt fi) beſonders von
Rocanlay’3 Auffaſſung der Reformation unter Heinrih VIII, ven er in
Bang auf die Verleihung des geiftlihen Charakters an den Klerus
u England durchaus an die Stelle des Papftes treten läßt. Dagegen
empört fich des Biſchofs hohe Meinung von ver göttlichen Einjegung ver
woſtoliſchen Succeflion: nur die Macht des Schwertes, nicht die ber
Shlüffel Habe Heinrich in feinen Artikeln und Statuten beanfprudt. Mas»
canlay'8 Anficht, daß die anglitaniiche Kirche zu Ende des 16. und An⸗
fang des 17. Jahrhunderts calviniftiichen Einflüßen nicht habe wiberftehen
fiunen, feine Beweije, daß die Succeſſion und die durd fie erwirkte regel-
rechte Ordination eben durch jene Einflüge häufig durchbrochen worpen,
will er um Teinen Preis gelten laſſen. Leſenswerth im Gegenſatze zu bem
fhclaftiich ſtark gerüfteten Eifer ift vor allen ver erite Brief des großen
Geſchichtſchreibers, worin er mit der Feinheit des echten Gentleman und
dem ganzen Zauber feines Styls auf vie Beſchuldigungen ver Parteilich-
fett und der Flüchtigfeit in der Forſchum antwortet und zur Begründung
feiner Ueberzeugnng aus dem reihen Schate feines Tirchenhiftorifchen
Wiſſens Nichts ſchuldig bleibt. Dagegen muß er dann ven Vorwurf ver-
nehmen, traditionelle Whigfehler zu begehen, ohne freilich feinen Gleich⸗
muth zu verlieren; noch einmal dankt er dem Prälaten für fo mannigfache
Belehrung und verheißt feine Sätze, bejonders auch maß er über bie Prä-
beftination gejagt, nochmals zu prüfen ohne wejentliche Abänderungen ver«
beißen zu Können, wobei e8 dann auch geblieben ift. Bezeichnend ift ver
Charakter, den der Bifchof dem Könige Jakob I. ertheilt: „Er, der eitelfte
and lenkſamſte aller königlichen Pedanten, jo lange er fi in den Händen
von James Montagu, des Biſchofs von Bath und Wells befand, ein
bigoter Calviniſt. Als Montagu ftarb, fiel Jakob in gute Hände und
wurde ein fo feuriger Remonſtrant, als er zuvor das Gegentheil geweſen.“
Auch erlennt der Biſchof von Exeter keine ſchottiſch⸗presbyterianiſche Kirche
456 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.
an. ©. 52 heißt es: „Alle, die zu Anfang des 17. Zahrhunderts in
Schottland dem Episcopalismus anhingen, waren damals bie Kirche von
Schottland, wie die, welche e8 in jenem Lande noch thım, jetzt die Kirche
bilden“. RP.
Smucker, Samuel M., A history of the fourGeorges, kings
of England; containing personal incidents of their lives, public events of
their reigns, and biographical notices of their chief ministers, courtiers,
and favourites. New-York, 1860. 454 8. 8.
William Pitt, Atterbury by Lord Macaulay. Leipzig. B.
Tanchnitz. 1860. 8.
Dieje beiden für die Biographia Britannica gefchriebenen Eſſays
müſſen vor anderen, und bejonvers denen, die nad dem Tode des bes
rühmten Berfafjerd aus früheren Zeiten wieder hervorgezogen, bie er
jelber einſt nicht für werth gehalten, in vie befannte Sammlung aufge
nommen zu werben, als bejonders bemerkenswerth erjcheinen, da fie bie
letsten Erzeugniffe diefer von ihm zu fo unvergleichliher Blüthe entwidd-
ten Stilart fein follten. Ihre Publication fiel mit dem unerwarteten
Tode des Verfaſſers zufammen. Beide Aufſätze offenbaren eine Reife bes
Urtheil und eine Vollendung der Diction, vie als Borboten des jo
bald eintretenden Endes gelten können. Der Umftand, daß fie für eime
große biographifche Enchklopävie beftimmt waren, mag zwar eine gewiffe
Berichievenheit von den urfprünglic in der Edinburgh Review erfchiene
nen Essays rechtfertigen; man darf fie aber dennoch wie mehrere von jenen
als Studien zu dem großen Geſchichtswerke betrachten, das nach feinem
Grundplane bis „in die Zeiten unmittelbarer Erinnerung«, berabgeführt
werben ſollte. Sie lejen ſich eben fo bezaubernd, wie einige verwandte
Partien ver Geſchichte und gehören ftiliftifch jedenfalls zu dem köſtlichſten
Nachlaffe ver herrlichen Muſe Macaulay's.
Man wird die biographifhe Skizze des Williom Pitt, zumal in
Bergleich mit den beiden älteren Aufjägen über das Leben des Vaters,
aber auch jachlih mit Spannung leſen, va fie „dein größten Meifter ver
Geſammtkunſt parlamentarifcher Regierung, ven e8 je gegeben, gleichſam
ein Denkmal errichtet. Die Bemerkungen über die Nebefunft, über die innige
Berbindung zwifhen Stil und Charafter, an dem Gegenſatze zwifchen
Pitt und Bor entwidelt, beruhen auf dem Urtheile des vollgältigften Kri⸗
England. 457
tiere. Hiſtoriker und Politiker wird die Kunſt anziehen, mit welcher bie
beiven fharf durch das Yahr 1792 gejchievenen Abſchnitte in Pitt's Le-
ben auseinander gehalten find, ver jugenvliche, von beijpiellofem Glücke
getragene, dem Frieden und der Ordnung dienende Staatsinann von dem
wit den Mächten ver Revolution ringenvden, den neuen Anforderungen
ziht gewachjenen, im Kriege ſchonungslos alle nationalen Kräfte über bie
Gebühr anjpannenden Minifter. ALS folcher hat er aus Schwäche und
Gewaltthãtigkeit oft gefehlt, aber trogdem den Wiverftand Englands ge=
gm Napoleon eingeleitet, die Union mit Irland geſchaffen, die Emanci-
pation der Katholifen und die Parlamtentsreform angebahnt,
Der kurze Abriß über Francis Atterbury hält fih im Maaße des
gegebenen Stoff, ift aber nicht minder ein Kleines Meifterwerk, in wel«
dm der ehemalige Zögling von Cambridge, der Whig und Geſchicht⸗
ſchreiber Wilhelms mit jeinem bekannten Behagen ven aus Oxford her⸗
vorgegangenen Tory und jakobitijchen Biſchof charakteriſirt. Unvergleich⸗
lich if die Schilderung des damaligen literariſchen und eccleſiaſtiſchen
Treibens an der Univerſität, der Theilnahme Atterbury's an der von
Bentley jo glänzend enthüllten mit den Phalaris Briefen getriebenen My⸗
Rification, ver zänkiſchen gewaltſamen Thätigkeit des Mannes in Kirche
md Staat, feines verrätheriichen Zuſammenhangs mit dem Pretender,
sachdem er in jungen Yahren für König Wilhelm gejchrieben und als
Biihof bei der Krönung Georg's I. ajjiftirt, feiner Verbannung und
feines wehmüthigen Endes im Eril. R. P.
William Pitt’s Ministere och Englands yttre förhallanden un-
der denna tid. Akademisk afhandling af Fredrik G. Rung Stockholm,
1860. 24. 8.
Eine PBromotionsichrift, die nach einer kurzen Einleitung fchlicht und
wehlmeinend vie Gejchichte des berühmten Miniſteriums des Älteren Pitt
von 1757 bis 1761 erzählt und die großen Siege ſchildert, weldye Eng⸗
land, in Europa im Bunde mit Friedrich dem Großen, in drei Melt-
theilen errungen hat. Die Darftellung ftügt fi) vollig auf Macaulay's
belannten kritiſchen Aufjag über Lord Chatham und Pord Mahon's Ger
ſchichtswerk R. P.
Memorials, personal and historical, of Admiral Lord Gam-
bier, with original letters from William Pitt, first Lord Catham, Lord
458. Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.
Nelson, Lord Castlereagh, Lord Mulgrave, Henry Fox, first Lord Holland,
Hon. George Canning. Edited from family papers by Georgiana Lady
Chatterton. 2 vols. London, Hurst et B., 1860. 780 8. 8.
Lord John Russell, Memorials and Correspondenoe
of Charles James Fox. Vol. 8,4. London. Bentley. 8.
Die leiten beiven Jahre find in England befonverd ergiebig ger
weien in Beröffentlihung von Lebensbefchreibungen, Memoiren und Brie⸗
fen großer und geringerer Zeitgenoffen ver Revolutiond- und Reformpe⸗
riode. Immer mehr ſchwindet die Zeit hin, wo noch auf Angehörige,
Parteigänger oder Gegner Rüdfiht zu nehmen wäre, und viele Docks
mente kommen an den Tag, durch welche mande empfindliche Lüde im
Feſtſtellung der Ereigniffe ausgefüllt, manche Frage in Betreff eines Cha⸗
rafters beantwortet wird. Den eigentlihen Reihen fo vieler neneren
Bublicationen hatte ſchon vor einiger Zeit Graf Ruſſell nicht uneben mit
den Memoiren von or eröffnet, und ein Leben dazu gejchrieben, das
feiner Zeit auch in der Zeitichrift Berüdfichtigung gefunden (1, ©. 571
IV, 482). Seitvem find noch zwei weitere Bände Memoiren erjchienen,
welche das Wert abfchließen.
Das bebauernde Urtheil des Londoner Athenäums, daß in den
Büchern zwar viel von den allgemeinen europätfchen Verhältniſſen, aber
wenig von For felber zu leſen ftehe, erweift ſich nunmehr keineswegs al#
ftihhaltig. Zwar ift er feines Parteiftanppunftes wegen auf lange Jahre vom
jever officiellen Thätigkeit ausgefchloffen geblieben, er erjcheint aber wicht
deftoweniger als Staatsmann in der Oppofition, wie viele jeiner Briefe
bezeugen. Sein intimes und, was bie perjönlihe Moral betrifft, nicht
eben rühmliches Verhältniß zum Prinzen von Wales erhält aus vielen
Bänden manch dankenswerthen Aufihluß. Auf Gegner und Parteige⸗
genoffen fallen oft Streiflichter, die dem eingehenden Studium ver Ges
ichichte jener bewegten Zeit zu Statten fommen. Einmal bei Berhand-
lungen im Haufe der Gemeinen, wo im Jahre 1792 von Seiten echter
Baterlandsfreunde eine Koalition mit Bitt betrieben wurde, äußert ſelbſt
For: die Sache war fo verdammt richtig (so damned right a thing),
daß fie gefchehen müßte, IN, 17. Bon freunden, wie dem jungen GErch
dem fpäteren Reformminifter, heißt e8 chen um 1795: wäre das Pad
in ver Lage ſich retten zu laflen, er wäre ber Mann. Bon Ganning
will er fchon 1794 lieber ſchweigen, da er ehrlicher Weije nicht jagen
Englanb. 450
lönnte, was ein freund hören möchte. Ueber- feine eigene kurze, vom
Tode unterbrochene Thätigkeit als Minifter des Aeußeren finden ſich felbft-
verftändlich nnr wenig Belege. Dagegen wird mander Blick eröffnet in
das innere geiflige Leben des überaus warm fühlenden, fich eifrigft fort
bilvenden, vorwärts firebenden Mannes. Im fpäteren Tagen bat fid
fein Wefen doch bedeutend abgeflärt und beginnen die Makel, bie
ben jugenblichen, ſchwungvollen Charakter verunziert, zu erbleihen. Seine
Partei, deren mächtiged Haupt er ift, gebt ihm freilich ftets über Alles.
Wohl auf einen Augenblid, mitten im beißen parlamentarifhen Kampfe
fann er irre werben, ob nicht Berföhnmg für beide Seiten und das
Baterland vor allen das Beſte fe. Aber fofort erflärt ee wiever : Par-
teiregierung ift das befte, wenn nicht das einzige Syſtem, um in bie
ſem Lande bie Sache der Freiheit hoch zu halten. Mit fittlicher Ent⸗
rüftung erflärt er fich gegen einen Ausſpruch Hume's, ver im alle der
Alleinherrichaft des Haufes der Gemeinen die abjolute Monarchie pro-
phezeit hat, die überhaupt der leichtefte Tod, die wahre Euthanaſia ver
engliihen Verfaſſung fein würde 111, 88. or bat bekanntlich feine
Grundſätze theoretiih im feiner Gefchichte der Revolution von 1688 zu
verarbeiten gefucht, e8 ift daher fehr interefiant, dieſer Arbeit bie und ba
folgen zu können. Aeußerſt fireng urtheilt er natürlich über Hume's
Geſchichte der Stuarts, indem er fie das ververblicäfte Buch nennt, das
je geichrieben fei. „Es ift mit unendlich mehr Kunft abgefaßt, als ir-
gend ein anderes feiner Werke, und dadurch, wie ich meine, ein Meifter-
ſtück.“ GCharakteriftiich für For im Gegenfaß wider feinen großen Geg⸗
ner ift feine Geringſchätzung aller Nationaldlonomie; dennoch entichließt
ex fi) in feiner Arbeit von der Errichtung der englifhen Bank zu hans
deln, doch without going into your cursed science, 111, 416. In wei⸗
teren Kreilen wird man die eigenen Mittbeilungen über feine literariſchen
Stubien mit Vergnügen lefen. In den Spradichägen ver romaniſchen
Bolker iſt er von jungen Jahren wie ein Meifter zu Haufe, und nicht
minder zugänglich der Größe feiner Landsleute, Chancer's und Shakſpe⸗
re's. Die meiften Mußeſtunden aber find den riechen gewidmet; mit
Bhilologen von Fach correfpondirt er über Emenbationen in ven Tragie
tern, feine Bemerkungen zur Odyfſſee können ſich Fachleute gerne ge-
fallen laffen.
Bon der Arbeit Graf Rufſel's, die fi) mehr auf die legten Bände
Oinoriſche Zeitſchrift VI. Bam, 31
A5O Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur.
bezieht, Täßt ſich eben nicht viel rühmen,; die Ausgabe trägt die Spuren
flüchtiger und haſtiger Compilation. Bon Bedeutung ift mm, wie be
Barteichef fih am den Vorgänger anzulehnen und die Principien bei
ben als zum Siege durchgedrungen barzuftellen ſucht. Der vierte Bat
ſchließt daher mit einer Art Whig Katechismus, nad dem fie beide ge
handelt: 1) Der König muß fich ſtets vom parlamentarifchen Rathe im
Ien lafien und nicht ohne alle Rüdjiht auf Parteiftellung regieren web
In. 2) For war für völlige Ölaubensfreiheit, obwohl durch ihn wer
Katholiten noch Diffidenten zum Wahlrechte gelangt find. 3) Pitt ſpraqh
nur gegen den Sclavenhanvel, For verfeßte ihn ven Todesſtoß. 4) And
die Reformbill wäre zunächft die Folge von Fox's Bemuhungen geweien
5) Selbft in ver finanziellen Reform fei er nicht ohne Verdienſt ge
weien, da er ſchon das corrupte Syſtem des Lord North habe belin⸗
pfen helfen. 6) Darf natürlich die gerühmte Friebenspolitit des großen
Fuührers nicht Übergangen werben. RE.
Life of the. Right Honourable William Pitt by Barl
Stanhope, London. Murray 1861. XII. 403. XXIIL — VII. 46
XXXII. 8°.
Seitdem Pitt's Erzieher Tomline, den er zum Bifchof von Lincoln
gemacht, ihın nach jeinem Tode dadurch gedankt, daß er, wie Macanlay
jagt, die jchlechtefte Biographie von ſolchem Umfange gefchrieben, blieb
die Aufgabe lange ungelöft, bis nunmehr Graf Stanhope (Lord Mahen)
durch feine Engliſche Gejchichte im achtzehnten Jahrhundert rühmlichſt be
kannt, Hand anlegt. Berwandtihaft mit dem großen Staatsmanne kat
es ihm möglich gemacht, viele unter verjchiedenen Familienmitgliedern umd
Nahlommen von Parteigenoffen zerftreute Papiere zu fammeln, wobd
ih dann freilich ergibt, Daß derſelbe Biſchof, der fih an feinem Schüler
jo verfündigt, auch dafür Sorge getragen bie meiften von Angehörigen
und Freunden an Pitt gerichteten Briefe zu vernichten. Ganze Conveluk
von Briefen an jeine Mutter und feinen Bruder Lord Chatham fo wit
verſchiedene Correſpondenzen in anderen ariftofratiihen Ardiven find
glücklicherweiſe ſolchem Vandalismus entgangen. Mit diefen Hülfsmitich
num bat der Herausgeber die beiden erften Bände eines Lebens er
feinen lafien können, das in der That mehr vom Manne, feiner Eat
twidlung, feinem Charakter und feinen Thaten handelt als von den Zeit
I: m. 00 LAG EEE
England. 461
ereigniffen, worüber in Bezug auf Lord Ruſſell's Leben von For geflagt
worden if. Auch veriteht Graf Stanhope ficherlich beſſer am Faden der
Biographie ein lesbares Buch zu jchreiben. Aber nichtödeftoweniger
will uns bedünken, als ob vie vielen Briefe und Altenftüde, die voll
ftändig oder, im Auszuge in den Tert eingereiht werden, und die mit ben
fih daran knüpfenden Urtbeilen nur zu häufig die Erzählung unterbrechen,
‘den Biographen zu allzu rajcher Abfafjung und Teineswegs gleichmäßiger
Etilifirung verlodt haben. Allein das große Verlangen des englijchen
Bublitums gerade nach Büchern diejer Art mit zahlreich eingeftreuten ‘Do-
anmenten kann unmöglich Mufterwerte der Gattung fördern. Deſto mehr
muß der Geichichtsforicher dankbar fein, dem in ver That ver Fleiß und
die bewährte Gewiflenhaftigkeit Lord Stanhope's im Cinzelnen viel
Nenes bieten.
Es ift dieß nicht der Ort um an feiner Hand ven wunderbaren
Bildungsgang des vor allen und faft in allen Stüden frühreifen Staate-
mannes zu überbliden; aber (Eines vürfte wohl hervorgehoben werben.
Geſchloſſen und fertig wie in feinen Neben offenbart ſich auch der junge
Pitt ſehr bald in feinen brieflihen Mitteilungen, doch bat er die Weife_
derjelben nicht wie feine Neben dem großen Bater ablaufchen können, dem
die Gedanken und das geflügelte Wort viel zu raſch vorausflärmten um
fi fefleln zu laſſen. Seine Briefe, fo wohl gejett fie find, haben bie
Pedanterie feiner Studien nicht völlig abgeftreift und nehmen, wenn fie,
wie meiftens, an bie auf ihn fo ſtolze Mutter gerichtet find, nur zu bald
etwas von dem Tone des Bureaus, der Treajury an. - Wie oft, wie
immer wieder in neuen Phrafen entſchuldigt er fein Ausbleiben over
Schweigen; wie geheimnigvoll deutet er dabei auf bie großen Staats»
actionen hin, die ihn ganz und gar gefangen balten..
Das Buch bietet noch manche Fingerzeige, wie Pitt in der Schule
feines Vaters und durch eigene Entwidlung jo recht zum leitenden Staats⸗
mann geviehen war, ver kühn und entichloffen mit freifirmigen Reformen
das Staatsfhiff in neue Bahnen überführt. Was er einft während des
einzigen Ausflugs, ven er nach Frankreich unternommen, auf die verfäng-
lie Frage, worin zuerft die Engliihe Verfaſſung Verfall zeigen werde,
geäußert hat: in der Prärogative des Königs und dem Haus ber Lords,
das kann er auch fpäter im Leben nicht geleugnet haben, das flimmt
fo gar fhlecht zu dem Torythum ver Liverpool und Caſtlereagh, zu deſſen
| 31*
462 Ueberfigt ber hiſtoriſchen Literatur.
Borlänpfer man ihn bat machen wollen. Der Verfaſſer ift befanutüg
viel zu gemäßigt in feiner politifchen Ueberzeugung, als daß er, wo «
ſich um Pitt handelt, ſich allen Ertravaganzen der Partei überlaffen folk.
Sr meint vielmehr in Pitt’8 Verftänpnig von der Lage ber Dinge in
Srantreih vor dem großen Ausbruch bemerkenswerthe Uebereinftimemumg
mit der Darftellung zu entdeden, wie fie Alexis de Zocqueville entworfen,
Mit befonderer Hingebung behandelt er vie inlänpifchen Dinge und erfeumt
in Pitt den erfien Miniſter, der zum Beſten der unglüdlihen Rachbariukl
nad) den verſchiedenſten Seiten hin die größten Pläne in's Wert zum fehen
trachtet. Er hat für Pitt, ald diefer aus dem großen Wahlkampfe gegen
die Coalition von North und For zu Ende 1783 faft allein im feiner
Größe fiegreich hervorgeht, als ehrenvollften Vergleih nur den Sir Re
bert Peel’8 bei ähnlichen Hergängen in ben Yahren 1834 und 1888.
Allein gerade die Inauguration der langen, für die nächften zehn Jahre
wenigftens beijpiello8 glanzvollen Regierung Pitt's ift doch nicht jo malel⸗
[08, wie Lord Stanhope zu denken ſcheint. Der Sturz feiner Vorgänger
durch den König perfönlich mit Hülfe einer Intrige im Oberhaufe kommt
doch einem Berfaffungsbruhe ganz nah; hat auch der junge deſignirke
Premierminifter nicht felber Hand angelegt, jo hat ex doch die Handlunge⸗
weife des Königs bei ven ©emeinen, und man weiß, welcher Oppofition
gegenüber, verfechten müſſen. Ueberhaupt tft der Berfafler wie fo mander
Biograph wohl etwas zu blind gegen feinen Heroen, bei dem nun einmal
auch jeve Schwäche befeitigt werben fol. Ober war biefer wirklich gan
frei von Rachſucht gegen For bei Gelegenheit des Wahlhandels zu Weſt⸗
minftr? War es eines Pitt’8 würdig, einem bigotten, wiederholt geifig
geftörten Fürſten wie Georg II. gegenüber das, was ihm aus innerfler
Ueberzeugung kam, die Emancipation der Katholiten, noch einmal fahren
zu laflen?
In den beiden vorliegenden Bänden folgen wir der Erzählung bi
zum Jahre 1796, al8 die Zeit, wo Pitt als Reformer und Finanzmam
jo Unvergeßliches geleiftet, in der er ven Grund gelegt zu den weſentlichſten
Reformen unjerer Tag, bereits abgelaufen. Mit dem Anfange des frau⸗
zöſiſchen Kriegs beginnt die zweite Periode, die Macaulay nicht mit Ur
recht in grellen Contraft zu ber glänzenven Friedensadminiftration geſtelli
bat. Wie fein Vater verwegen und unter unabſehbaren Gefahren einen
glüdlien Krieg zu führen, dazu war die ganze für das ſtaatemänniſche
England, 463
und nationaldfonomifhe Geſchäft angelegte Natur des Sohns nicht ge
geihaffen. Am wenigften vermochte er furchtlos dem republifanischen
Frankreich entgegenzutreten, in dem er wie die höheren Kreife feiner Lands⸗
leute eine Ausgeburt der Hölle erblidte. Hier alfo reichte feine Größe
wiht aus; und fo viel Mühe der Biograph ſich gibt fie gegen die Aus-
fälle Macaulay's zu vertheidigen, Pitt's Maßregeln in ven erften Jahren
des Kampfes hatten jedenfalls das Unglüd fehr wenig genügenden Händen
zur Ansführung übertragen zu werben.
Auf die zahlreichen meift in den Beilagen mitgetheilten Briefe Ge⸗
org's 111. verdient noch beſonders aufmerkſam gemacht zu werben, nicht
nur weil fie manche Züge aus dem perfönlichen Berhältniffe zwiſchen dem
Fürften und feinem Miniſter bieten, ſondern erfteren in feiner ganzen
Heinlich genauen, eiferfüchtig nad Macht haſchenden, ja, ſogar mitunter
eben aus phyſiſchem Blödſinn aufwachenden Regententhätigkeit offenbaren.
Mehrere ſind ſelbſt für die Verfaſſungsgeſchichte nicht ohne Bedeutung. R. P.
The Journal and Correspondenee of William, Lord Auck-
land, with a preface and introduction by the Right Hon. and Right Rer.
the Bishop of Bath and Wells, London. Bentley 1861. 2 Vols. XX, 588,
vii, 520. 8°.
William Even, der dritte Sohn eines Baronets, deflen Fünfter eben-
falls einen Namen als Diplomat erworben, wurde im Jahre 1772 Unter»
ftaatsfecretäör und gieng 1778 als TFriebenscommiffär nach Amerika.
1780 finden wir ihn als Regierungsfecretär in Irland, wo er zwei Jahre
fhätig blieb bis zum Sturz der Aominiftration des Lord North. Auch
an dem dann folgenden Coalitionsminifterium zwifchen North und Tor
betheiligte er ſich und gehörte, als dasjelbe gefallen, längere Zeit zu ven
beftigften Gegnern William Pitt's, bis diefer Ende 1785 den ehrgeizigen
Mann gejchidt zu fich herüberzuziehn wußte, indem er ihn zum aufer-
ordentlichen Gefandten am Hofe von Berfailles ernannte um ben Hanbels-
Bertrag zwiſchen Frankreich und Großbritannien abzufchließen, ver Damals
nicht geringeres Auffehen machte als der vom Jahre 1860. Even be»
währte fich nicht nur in biefer velicaten Aufgabe, fondern trug auch we⸗
fentlich zue Erhaltung des Friedens bei, als verjelbe im Jahre 1787
durch die holländiſche Trage bedroht erſchien. Er wurde dafür mit bem
Geſandtſchaftspoſten in Madrid und einer irifhen Batrie belohnt. Aber
ſchon 1789 geht er als Gefandter nach dem Hang, wo er während ber
464 Ueberficht der Hiftorifchen Literatur.
vier erften Jahre der franzöfifchen Revolution bis zum Congreß von
Antwerpen thätig geweſen. Dann tritt er als Lord Audland in's Ober
hans und häft feſt zu Pitt, der ihn 1798 zum Generalpoftmeifter mad,
Er verbleibt in dieſer Stelle unter dem Miniſterium Addington, trit
aber natürlich zurüd, als Pitt wieder die Leitung übernimmt. 1806
überträgt ihm Lord Grenville das Präſidium des Handeldamts, das er
jedoch fchon im folgenden Jahre nieverlegt um bis zu feinem Tode in
Jahre 1814 zu privatifiren. Sein Abfall von Pitt, deſſen Größe ihn
vielfach im Wege geftanven zu haben fcheint, ift ihm auch von deſſen Aw
bängern nicht verziehen worden, wie denn namentlih Lord Malmesburh
und George Roſe in ihren Memoiren ſich heftig über ihn auslafjen. S—
fteht feſt, daß Audland und fein Better, der Lord Kanzler Loughborough,
der wie er aus North’8 Schule kam, es geweien find, die dem Könige
Georg II. frühzeitig Pitt's Abficht beigebracht haben, zugleich mit ber
trifhen Union die Smancipation der Katholiken durchzuführen. men
fällt e8 nächft der bornirten Hartnädigleit des Würften zur Laft, wenn
biefe fo dringend nothwendige Maßregel noch auf faft dreißig Jahre
binausgefchoben worben ift.
Der Biſchof von Bath und Wells, ver Sohn Auckland's und Erbe
feines Titels, jucht nunmehr durch Beröffentlihung eines Theils ſeines
Ichriftlihen Nachlafies, das firenge Urtheil der Partet Über deu Vater zu
berichtigen, der demnach in der That nicht nur liebenewürbig als Maui,
jondern auch in einer Reihe bedeutender Yeiftungen tüchtig als Staat
mann erfcheint. Man wird ihn gewiß nicht als ven geringften der vielen
geihäftsfunnigen Gehülfen betrachten dürfen, vie den großen Miniſter
umftanden; Genie freilich bejaß er nicht, und fein Ehrgeiz erſetzte dieſen
Mangel am wenigften.
Die beiden vorliegenden Bände enthalten eine Fülle von Correſpor⸗
benzen mit ben nambafteften Stantsmännern ver Zeit und den Spitzen ber
damaligen engliichen Gejellichaft. Im erften Bande find von wejentlicher
Bedeutung die mit Lord Loughborough gemwechielten Briefe fo wie bie
Papiere aus Eden's Parijer Miffion, vor allen vie Correipondenz mit
Pitt. Der zweite Band bietet zuerft ein Tagebuch über den Aufenthalt
in Spanien, in Briefen an vie Mutter, Lady Even, gerichtet. Es befaft
fih faft gar nicht mit Politit, ift aber doch von Intereije wegen ber ein
gehenden Schilderungen über die focialen Berhältniffe am Hofe Carls Il.
Eugland. 465
und Carls IV., denn gerade den Regierungswechſel hat Even in Madrid
erlebt. Die folgende Partie umfaßt die Briefe der Freunde und Bartei-
genofjen während der Abwejenheit in Spanien und enthält Manches über
bie Krankheit Georg's II. und Pitt's Abwehr ver Regentſchaft des Prinzen
von Wales. Dann folgt bis zum Schluß des Bandes die Miffion nach
Holland, aus der weniger officielle Aftenjtüde als Correſpondenzen von
verſchiedenen Seiten über die großen Ereigniſſe ver Zeit mitgetheilt wer-
ben. Mehrere Briefe aus Paris vom Sommer 1789 aus Neder’s Kreife
ericheinen wegen ihrer Details beſonders leſenswerth. Auch über ven
Feldzug der erften Coalition findet ſich Einiges; auf ein Schreiben über
ben Hof und bie Staatöleute von Berlin vom November 1791 dürfte
beſonders aufmerkfjam gemacht werden, Vol. II, 393. Mit dem Enve
1793 jchließt die gegenwärtige Sanımlung, ber dem Anſcheine nad) eine
Fortſetzung folgen wird. R. P.
The Diary and Correspondence of Charles Abbot, Lord
Colchester, Speaker of the House of Commons 1802—1817, edited by
his son, Cbarles Lord Colchester, 3 Vols. London. Murray 1861. 8°,
XXVIII. 559. XI. 620. XII. 643.
Charles Abbot widmet fih, nachdem er feine Bildung in Orforb
erhalten, ver Advocatur, bis er 1795 in das Parlament tritt, Obwohl
aus ben Kreijen der Whigpartet nominirt, geht er doch bald zu Pitt über
und bleibt fernerhin ein Tory vom reinften Waſſer. Da diefe Partei fich faft
ununterbrochen am Ruder bielt, konnte auch er leicht dem Grundſatze treu
bleiben, mit dem ex feine parlamentarifche Laufbahn begonnen, nämlich
upon all general occasions to vote in support of the minister of the day,
be he Pitt or Fox, for to me they are as indifferent as Pompey or
Caesar. Nachdem er im Jahre 1801 kurze ‚Zeit NRegierungsjecretär von
Irland geweien, wird er 1802 unter dem Mintfterium Addington Sprecher
der Gemeinen, als welcher er bis 1817 ehrenvoll thätig ift und eine
auch im Unterhaufe merkwürdig bewegte Zeit durdlebt hat. Eine Krank⸗
heit nötbigt ihn alddann das Amt nieberzulegen, für welches damals bie
Berfaffung noch keinen Stellvertreter kaunte. Seine Berbienfte indeß
wurden mit einer Pairie belohnt, die ihm bis an fein Lebensende die
Gelegenheit bot ſich eifrig an der Politil des Vaterlands zu beteiligen.
Nur vie Jahre 1819 bis 1822 verbrachte er im Auslande, bauptfächlich
in Italien. |
466 neberſicht ber Hiftorifchen Literatur.
Ein Leben in fo hervorragender Stellimg und ben großartigen
Zeitlänften hat Lord Eolchefter num von vorn herein benugt um nicht wer
jede Correſpondenz von Bedeutung forgfältig zu bewahren, ſondern anf
mit großer Gewifienhaftigkeit und Präcifion ein Tagebuch zus führen, das
vom Sabre 1795 bis zum Todestage 8. Mai 1829 reiht und, foweit ed
mittheilbar ift, jest in brei ſtarken Bänden vorliegt. Wir lernen barams
ven Dann felber und durch feine Gläſer wenigftens fehr genau Lu
und Leute feiner Zeit fennen. Mit gutem praftiichen, legalen Berſtane
ansgerüftet, hat er raſtlos Hand angelegt an die Förderung zahlreiden
öffentlicher Mafregeln, bei deren formaler Behandlung gerade zuverläffige
Geſchäftskunde und tabellofe Pflichttreue in erfter Linie ftehen. Der Eier
geiz hat ihn nie verlodt feine Kräfte zu überſchätzen; als ihn Speer
Perceval einmal zum Minifter des Innern beitimmt bat, zieht er ve
aufreibenten Borfig im Unterhaufe vor, für den er ſich recht eigentlh
geihaffen fühlt. Es verdient wohl hervorgehoben zu werben, daß ex iM
Yahre 1801 gegen ven Widerſtand ver Biſchöfe vie erfte Boltszähtung
eingeführt bat, daß er ald Sprecher die laufende Veröffentlichung ber
Statute des Reichs, die urkundliche Neuausgabe der alten Statute uw
die Ausgabe jährliher Finanzberichte einführt. Für vie Geſchichts⸗ ud
Rechtsforſchung bat er fich durch Einjegung der Record Commiſſion, duch
bie erfte Reorganifation der Archive und des britifhen Muſeums dauerunde
Berbienfte erworben. Seinem gerade in den Sphären minutidjer Beſſer⸗
ung ſchwelgenden Ordnungsſinn hat der Geſchäftsgang nah allen Seiten
bin viel zu verdanken. Ein Mann der Etiquette freilich legt er fofert
die Sporen ab, die er ald Neuling unter den Gemeinen an den Stiefels
behalten, nachdem er erfahren, daß dieſer Schmud von Alters ber zur
den Grafichaftsmitglievern (den Knights und nicht den Burgeſſes) als
Privileg zuftehe. Aber er bemerkt doch auch bald nad feinem Eintritt,
wie der Stil der Reden und Debatten buch Pitt und For geradezu um
erträglich weitjchweifig geworden, und vermißt namentlich die Abweſenheit
jeder Controlle deſſen, was geſprochen. Statt ver gefeglich nicht gedulde⸗
ten und nur unregelmäßig nachgejehenen Aufzeichnung durch Berichterflatter
beihäftigt ihn frühzeitig die Organifation einer möglichſt vollftändigen,
autorifirten Wiedergabe der Verhandlungen.
Ueberhaupt find dieſe Tagebücher fehr Iehrreih um ben ganzen Zu
Ihnitt des Parlaments zu erkennen, wie er vor der Reform Bill doch ein
England. 467
fe durchaus verfchiebener von bem gegenwärtigen war. Bon dem Mini⸗
Rerium Shelbinme bis zum Regierungsantritt Wilhelms IV. ift feine ein-
zige der zahlreichen Apminiftrationen durch bie Gemeinen geftärzt worden;
das gieng von einem der beiden anderen Kreife der Verfaflung, der Krone
oder dem Oberhanſe aus. Die legislative Thätigkeit des Unterhaufes
war nichts weniger als populär, denn oft genug gerieth es mit einfluß«
reihen Wahlkreifen, zumal dem von Weitminfter, in Conflict. Eine
ſcharfe Sprache bei den Verhandlungen, Herausforverimgen, Berhaftungen
und andere gewaltfame Auftritte gehören keineswegs zu den Seltenheiten.
Iept gilt meiftene das Gegentheil; und wenn bie Gemeinen in ihrer
pehitiichen Bedeutung weit über die Lords emporgeftiegen find, jo haben
fie fih am ihrem Theile weit mehr unter ver Wucht ver öffentlichen Mein-
ung beugen müſſen. Auch der Sprecher, der uns heute als ver vollendete
Uestrud inpaffiver Unparteilichkeit erſcheint, ſtellt ſich damals noch ge-
kegentlich entſchieden auf eine Seite. Zwar handelte Abbot nach befter
Ueberzeugung, als er in ber Sade Lord Melville'8 wegen Mißbrauch
öffentlicher Gelder als Schagmeifter der Flotte bei Stimmengleichheit
fine Stimme für die Anklage abgab; aber er hätte gegen ven heutigen
Branch ſchwer gefehlt, al8 er im Jahre 1813 von feinem Site aus bie
tritte Lefung einer Bill zu Ounften der Emancipation ver Katholiken
zieberfänpfte.
In viefer Frage eben war er bald über Pitt's Torythum binausges
(hoffen und neben feinen übrigen Eigenfchaften fo recht ein Staatsmann
wach dem Herzen Georg's IM. geworven. Nach ver Stellung zu diefer
Trage mißt er alle folgenden Diinifterien und behandelt er namentlich auch
die irifchen Angelegenheiten, die ihm im llebrigen feineswegs fern liegen.
Im Jahre 1822 oppenirt er erfolgreich der verjuchten Einführung katho-
Giger Pairs in's Oberhaus, und noch jeine letzte Rede kurz vor feinem
Tode, kurz vor dem Siege der fo lange zurüdgebrängten Maßregel ift
gegen dieſelbe gerichtet gewejen. Seiner unerfchütterlichen Treue für Kirche
ud Staat fuchte er ſogar mit täglichen Excerpten uud Aunlegung einer
Concordanz aus der Bibel zu Hülfe zu fonımen, ein Gefchäft, das mit
verfelben regelmäßigen Bedanterie betrieben wurde wie die Aufzeichnungen
in dent Tagebuche.
Allein bei aller Engberzigkeit und Geiftlojigfeit hat ver Dann wie
kine literariſche Hinterlaffenfhaft jedenfalls fehr refpectable Seiten. Les
188 ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur.
tere bietet neben völlig unnügen Detail® über alle möglichen Zeit
genofjen, mit denen ver Sprecher und ber Ford in Berührung kam, Do:
eumente, Urtheile, Heine und große Züge, die für gefchichtliche Zweck
umgemein jhägbar find. Auf Canning namentlih, jeine Zanfjucht und
feinen maßloſen Chrgeiz ſcheint der Verfaſſer ſchon früh ein Icharfes Ange
gerichtet zu haben. Auch die italienifhe Reiſe enthält Manches, über ven
Einmarſch der Deiterreiher, über die Gejellihaft in Rom, in welder
auch der Freiherr vom Stein und Niebuhr begegnen, legterer bejonders
anziehen für Colchefter, weil er ihm klar maden kann, wie ver König
von Preußen es anfängt jich mit jeinen katholiſchen Unterthanen und deren
Kirchenregiment auseinander zu jegen. Dem waderen Diener bes Staats
endlich wollen wir e8 ſchon gönnen, daß man jeine Leiche zu Weftminfter
in demſelben Gewölbe mit Pitt und For beigeſetzt bat. R. P.
Some acount of the Life and Opinions of Charles, Second
Earl Grey, by Lieutenant-General Hon. C. Grey. London, Bentky.
1861. 8.
Der Sohn fchilvert hier ein Stüd des Lebens feines Baters, ve
berühmten Urhebers der Neformbil. Sein Buch läßt freilich ven Leer
mbefriebigt, da es nur bis zum Jahre 1815 reiht und die eigentliche
ſtaatsmaͤnniſche Thätigkeit Grey's gar nicht berührt, ftatt deſſen aber ven
Zeiten hantelt, welche durch Greuville's und Fox's Memoiren jüngft fo
heil beleuchtet werben find. Nichts deſto weniger ift es vervienftlich, einen
Charakter wie den Grey's im Proceß der Bildung und Reife vorzufähren.
Seitdem er, kaum velljährig, im Jahre 1786 ind Haus der Gemeinen
trat, war er durch feine Sittenftrenge von antiker Reinheit und durch bie
Conſequenz jeiner Handlungsweiſe faft jofert zum Führer feiner Partei
beftimmt, Mit voller Ueberzengung ſchließt er ſich For an, tem er fih
geiſtesverwandt fühlt, denn beide haben die Anziehungspunkte von Stan
desintereſſen und feiner Bildung. Beide ale Whigs fühlen fih zu Ber
fämpfern ber Fortſchrittspartei berufen, beide hegen einen Abſcheu gegen
das öffentliche Leben, in das fie fich geftürzt, ihr Geſchmack zieht fie zu
pen Studien, an den heimifchen Herd. In ber Heftigkeit der Rede mb
in revolutionärem Schwunge hat Grey ven älteren Freund bekanntlich
weit überboten; als Bor fi) mehr zurüdzog, und gar nachdem er ge
ftorben, war niemand fo gejchaffen wie er, unter ven trüben Ausſichten
ber Partei drinnen und draußen das Haupt der getreuen Whigs zu wer
England. 469
ven. Neum Jahre lang theilte er diefe Stellung im Unterhauſe mit Pord
Grenville, ver, an der Spike ver von Pitt abgefallenen Tories ftchend,
mit vielen ebenfalld in die Oppofition gedrängt worden war. Gelten
wehl haben zwei Politiker, die lange einander gegenüber geſtanden, jo ein=
wichtig umd ehrenwerth Hand in Hand mit einauder gehandelt. Den⸗
uch Lam die alte Differenz wierer zu Zuge. Als Napoleon von Elba
wieder erichien, wollte Korb Grey, der mit ungeftüner Hartnädigfeit jchon
die jpaniichen Kriege und Wellington perjünlid, bekämpft hatte, ver alten
Bhigdectrin gemäß von einer Wiederaufnahme des Kriegs nichts willen;
Grenville trat ihm außer dieſer Frage auch in Bezug auf die Emancis
ntien der Katholiken entgegen, in ber er ebenfalld bereit war, den To—
red Sonceijionen zu machen. Das Parlament und vie üffentlihe Mei—
mm ter Tage haben ihm Recht gegeben. Noch fait auf weitere fünf-
Ya Jahre Hin blieb Grey ver Dann des Proteſtes, ver Mann des
delles, wie einft in den Tagen ber franzöfiihen Revolution. Dann erft
war feine Zeit gelommen, als er, 66 Jahre alt, nachdem er kaum jes
wald in öffentlichen Aute geftanvden, jofert Premierminiſter wurde, um
mit Anwentung feiner Parteigrundjäge ven Staat zu retten.
Aus Yor’s Briefen ift jchon Allerlei über das ſchöne Familienleben
Lerd Grey's befannt; man weiß, wie der Fremd ihn aufforverte, doch
bei Eröffnung der Barlamentsfeffion ja nicht ohne die Frau zur Stadt
a fommen, da er chne biejelbe feinen Augenblid zufrieden und politijch
sicht viel werth jein werde. Der vorliegende Band erzählt noch viele
ſchẽne Züge häuslicher Anhäuglichkeit, Die Grey vor allen andern engli
ſchen Ariftofraten vortrefflich ſtehen. Es ijt aber jehr zu wünſchen, daß
die Antentung des Verf. ſich Lewahrheite, ter gegenwärtige Graf Grey
keabjichtige, vie zweite Partie des Yebens feines Vaters nad) deſſen Pas
pieren zu behandeln, denn jo anziehend aud) Die gegenwärtige Scilverung
des veinen, ſtrengen Charakters erjcheint, ter Geſchichte dient er erft, ſo⸗
kald er unbehindert feinen Beruf erfüllen kann. R. P.
Maley, A. J., Historical recollections of the reign of
William IV. 2 vols London, Hope, 1860. 690 8. 8,
Memoirs of the Courts and Cabinets of William IV. and
Vietoria, from original family documents, by the Duke of Buckingham
and Chandos, K. G. In two volumns. London, Hurst and Blackett, 1861.
VI, 401, VII, 429 S. 8,
410 Neberfiht ber Hiftorifchen Literatur.
Der in feinen finanziellen und politiichen Verhältniſſen völlig deran⸗
gierte Herzog ift kürzlich geftorben, nachdem er, wie früher, über die Zei-
ten Georg’8 III. und Georg's IV., noch über die Jahre 1830 bis 1840
geichrieben hatte. Die Bände haben wie bie vorausgegangenen einen fehe
geringen literarifchen Werth, indem der Verf, mas er aus feiner vornch«
men Correſpondenz als geeiguet für die Oeffentlichkeit betrachtet, derch
ein loſes Raifonnement in leichtfertiger Tory⸗Fafſung an einander reiht.
As Lord Steward im Miniſterium des Herzogs von Wellington hatte
er nicht mir gute Öelegenbeit vom Hofe Wilhelms IV. zu berichten, ſon⸗
dern feine Ueberzeugungen und Connerionen führten ihm mandes Bapier
zu, das von der Stimmung und bem Urtheile ver hoch ariftokratifchen
Kreife in den Tagen der Reformbewegung, die in Englaud Hof, Regie
rung und parlamentarifches Regiment völlig umfchaffen follte, eigenthüm⸗
liche Kunde gibt. Dieſer Schriftftüde wegen ift das Buch immerhin von
Deventung. Die befonnene vorfichtige Haltung Wellington’ gegenäber
den Heißfpornen feiner Partei wird mit feinen eigenen Worten documentirt,
Auch die Urtheile des alten Lord Grenville haben ein eigenthümliches
Intereſſe; der Zeitgenoffe Pitt's kann ſich in die zur Thatſache gewor⸗
dene Reform nicht finden. Pilanter fchreiben ver Marquis von London-
derry und der Herzog von Cumberland. Ein Brief des letteren vom
13. November 1837 nach der Befigergreifung und dem Staatöftreide
im Hannover (II, 294) darf in einer Würdigung biefes Fürften nicht ſeh⸗
Im. Was fonft Über die verjchievenen Minifterwechiel und vie erflen
Jahre ver Königin Victoria mitgetheilt wird, erjcheint überaus oberfläd«
lich, da felbft in Hof und Cabinet die Blicke des mit feiner Zeit zerfal⸗
Ienen Ariftofraten nicht mehr zu dringen vermögen. Wo er nicht amd
feiner Correſpondenz ſchöpft, muß er wie jeder gewöhnlide Menſch zum
Annual Regifter, zu Hanſard und den Zeitungen feine Zuflucht nehmen.
Da gibt e8 auch von Gegnern ver Reform eine Anzahl weit befierer Ab
riife, welche das für die innere und äußere Bolitit Großbritanniens fe
jehr merkwürdige Jahrzehnt jchilvern. R, P.
Peel, Sir Lawrence, A sketch of the life and career ol
Bir Robert Peel. London, Longmann, 1860. 820 8. 8.
The Constitutional History of England since the aooession
of George the third 1760—1860 by Thomas Erskine May, C. B. in tm
volumes. Vol. I London, Longman, 1861. XVI, 612 8. 8.
England. 471
Ser May, dur fein Buch Law and Procedings of Parliament
überall rũhmlichſt befannt, wo gegenwärtig ein verfaflungsmäßiges Staats⸗
ieben befteht, Hat fich ver ſehr dankenswerthen Aufgabe unterzogen, dem
Meifterwerte Hallam's eine Fortjegimg bis auf die Gegenwart zu ver»
Marten. Es dürfte fchwerlich jemand hiezu geeigneter fein. Und doch
wie verfchieden erfcheinen auf den erften Blid Plan und Ausführung; faft
lafſen fih Borgang und Nachfolge nicht mehr mit einander vergleichen.
Ein Grund freilich, weshalb Hallam mit dem Tode Georg's II. ſchließt,
weshalb Hier ein Abichnitt in ver Behandlung ver Berfaffungsgeichichte
Englands gemacht werben follte, ift nicht nachzuweijen. Und bennody hat
die nengewählte, entgegengefegte Form viel für fih. Wer lennt nicht
Hallam's gebulpige, am chronologiichen Faden gewiſſenhaft aufbanenbe
Irt, die in den Roten und Excurſen offen gelegte, überaus gründliche
Belefenheit, das Trachten mit allen Mitteln ver Forſchung und des Ar⸗
muments in den großen Kontroverjen zu einem abjchließenven Urtheil zu
langen. Wen bat die trodene, jchwerfällige Darftellung nicht ermüdet,
das Suchen in der Maſſe des Stoffs nicht auch umwillig gemacht. “Der
Fortießer zerreißt ohne Weiteres den chronologiſch⸗hiſtoriſchen Faden und
trägt flatt deſſen jein Gewebe in ein ſyſtematiſch entworfenes Ne ein.
Die einzelnen Beftanbtheile ver gemifchten Berfaflungsform bieten eine
sotürliche Eintheilung, bei der nur Wieverholungen zu vermeiden find, bie
aber jedenfalls einem praktiſchen Studium des Gegenftandes viel mehr zu
Hälfe kommt, als die gemellen vorwärts fchreitende, nothwendig die ver⸗
ſchiedenartigſten Fäden durch einander fpinnende Gefchichtserzählung. ‘Der
Berf. ift Yurift genug um kurz und ſcharf faſſen zu können; auch abge
ſcehen von der Wahl jeiner Eintheilung, hat ihn natürliche Anlage oder
Uebung zum gewandteren Stiliften gemacht, als fein Vorgänger geweſen.
Bei oberflächlichen Lektüre des Buchs freilich könnte man zweifeln, ob er
and den Schatz der Kenntniffe und die Fülle hiftoriichen Wiſſens befige,
wie diefer. Allein wer fich einen Ueberblick verichafft hat über vie Lite
ratur der verichievenen Epochen der Berfaffungsgeichichte, weiß auch, wie
ſehr im Laufe der Zeit ber literarifche und urkundliche Stoff fich umge⸗
Raltet, wie ganz andere und welde Schriften und Aufzeichnungen ale
Quellen der modernen noch flüjjigen Verfaffungsgeichichte betrachtet wer»
ven mäffen. May ift viel fpärlicher mit Auszügen als Hallam, aber
feine @itate ans der ganzen Maſſe der Biographien, Memoiren und Cor⸗
472 Ueberſicht der hiſtoriſchen Literatur.
refponbenzen der englifchen Staatsleute während des letzten Jahrhunderts,
aus den Parlamentsgejchichten, Journalen, Debatten, aus ven einfchla-
genden Blue-Books offenbaren einem even, ver einmal in biefe Quellen
bineingeblidt hat, einen nicht minder foloffalen Unterbau. In einem, ımb
zwar dem wichtigſten Punkte aber folgt der Verf. bereitwillig dem be
währten Beijpiele, das ihm Hallam gegeben. Wie diefer glaubt er feft
an den politiihen Fortſchritt der Menjchheit und feines Volks im Beſon⸗
beren. „Dätte ih Mißtrauen over Berzagtheit empfunden, dies Buch
wäre nicht gejchrieben“. Wie Hallam gebt er aber eben deshalb ver
Verſuchung aus dem Wege, von einem Barteiftandpunfte aus bie ſchwie⸗
rigen, viel umftrittenen ragen zu erledigen. Zählte Hallam feiner Zeit
zu den gemäßigten Whigs, jo gehört May offenbar zu der Partei, für
bie man heute in England feinen andern Namen hat, als ven ber eim
fihtsoollen Liberalen.
Der erfte Band handelt in fieben Capiteln von den Prärogativen,
dem Einfluße und Einkommen der Krone fowie von ver Berfaflung, ber
Gewalt, ven Functionen und dem politiichen Verhältniffe des Ober- nub
des Unterhbaufes. Bor allem erhält ver beharrliche Verſuch Georg's IH,
fein Rönigthum wieder zu einer Macht von perjönlicher Geltung zu er
heben aus ver reichen Memoirenliteratur vie hellite Beleuchtung. Aus—⸗
gehend von einem geheimen Cabinet, das, außerhalb der Parteien ftehend,
des „Königs Freunde” umfchließt, das fchon bie Eröffnungsrede beim
eriten Barlamente der Kenntnignahme des verantwortlichen Minifteriums
zu entziehen gewußt, zieht fi) der Kampf über ein halbes Jahrhundert
fort. Während die talentvollften und geiftreichften Männer als Gegner
von den Aemtern auögejchloffen bleiben, werden William Pitt und bie
Nation mit ihm zu Tories, König und Minifter können es wagen, „bie
Freiheit des Gedanken zurüdzubrängen und Krieg gegen bie öffentliche
Meinung zu führene. Der Fürft, der urſprünglich trotz des beiten
Whipper-in über Perſonen und Parteien bi8 in das Kleinfte unterrichtet
ift, der auf eigene Hand als Kriegsherr ſchaltet, Negimenter marjchieren
und halten läßt, verfällt dann wieberholt in Wahnjinn und endet gleich
fear:
A poor old man,
As full of grief as age, wretched in both.
Es folgt der Sohn, verlommen an Leib und Seele, einft der Buſenfreund
England. | 413
von er und der größte Verſchwender in allen Stüden, als König ein
furdtiamer Geizhals in feinen Finanzen wie in feinen Prärogativen. Und
doch muß er noch die Emancipation der Katholiken, den erften bahnbre⸗
chenden Schritt zu den großen Reformen unterzeichnen, welche ftets als
größte That der Regierung Wilhelm’ IV. genannt fein werden. Unter
Bictoria hat die Krone, weile berathen durch den fo eben durch jähen Tod
fo früh entriffenen deutſchen Prinzen, die jeltene Erkenntniß walten laffen,
daß im durchgebildeten Berfafjungsftaate die directe Macht keineswegs
das Object der Staatögewalt, jondern nur eines ihrer Mittel ift.
Nicht minder lehrreich find die Abfchnitte, welche von den großen
Wandlungen handeln, die feit einen Fahrhunderte mit den beiden Häufern
des Parlaments vor fi) gegangen. Ein Gleichgewicht der drei Staatsgewalten
beftand factiſch nicht, das repräjentative Princip bet den Gemeinen war
eine große Lüge. Aber hatten auch die franzöfiiche Revolution und bie
ihr folgenden Kriege die Freiheit Englands auf zwei Generationen zu⸗
rüdgevrängt, vie Vertreter verjelben bei Lords und Gemeinen wachten
forgfam über das ihnen befohlene Vermächtniß, fie ſammelten den Stoff
für die große politische Arbeit, die im Intereſſe aller vorgenommen wer»
den mußte, ſobald die Waffen des Krieges rubten. Die alten Anſätze
zur Reform feit Lord Chatham's Tagen jowie die enplihe Durchführung
derſelben, Alles findet jih nad beſtimmter Eintheilung forgfältig, an-
ſchaulich und ſyſtematiſch dargeftellt. Auch das Techniſche im parlamen⸗
tariſchen Verfahren der Gegenwart, die lange, ſchwere Auseinanderſetzung
mit der Preſſe, der gegenwärtige Brauch bei Zulaſſung des Publikums
und der Berichterſtatter im Unterhauſe, das Abgeben und Verzeichnen
der Stimmen, das moderne Petitionsſyſtem und vieles Aehnliche wird
lichtwoll und praktiſch zugleich abgehandelt. Beſonders aber erſcheinen der
Niedergang des ariſtokratiſchen, der Aufgang des demokratiſchen Elements
im ſcharfen Gegenſatz zu einander. Darüber iſt denn auch die Stellung
des Miniſteriums durchaus eine andere geworden: heutzutage kann es
nicht mehr vom Oberhauſe allein geſetzt oder geſtürzt werden, auch iſt es
weit weniger von der Krone abhängig, als ehedem, dagegen aber dem
Unterhauſe mehr verantwortlich geworden. R. P.
Despatches supplementary, and memoranda of Field Marshal Ar-
tbur Duke of Wellington. Edited by his son. Vol, V. VI. 1806—1810,
London, Murray, 1860. 8.
472 ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur.
refponbenzen ber englijchen Staatsleute während des legten Jahrhunderts,
aus den Parlamentsgefchichten, Journalen, ‘Debatten, aus ven einfchla-
genben Blue-Books offenbaren einem „Jeden, ber einmal in bieje Quellen
bineingeblidt bat, einen nicht minder foloffalen Unterbau. In einem, umb’
zwar dem wichtigften Punkte aber folgt ver Verf. bereitwillig dem bes
währten Beijpiele, das ihm Hallam gegeben. Wie diefer glaubt er feſt
an ben politiichen Yortichritt der Menſchheit und feines Volks im Below
beren. „Hätte ih Mißtrauen oder Berzagtheit empfunden, dies Bud
wäre nicht geichrieben“. Wie Hallam geht er aber eben beshalb ver
Berjuchung aus dem Wege, von einem Parteiſtandpunkte aus die ſchwie⸗
rigen, viel unftrittenen ragen zu erlevigen. Zählte Hallam feiner Zeit
zu den gemäßigten Whigs, fo gehört May offenbar zu der Partei, für
bie man heute in England feinen andern Namen hat, als ben ver eim
ſichtsvollen Liberalen.
Der erfte Band handelt in fieben Capiteln von den Prärogativem,
den Einfluge und Einkommen der Krone fowie von der Berfafjung, ver
Gewalt, den Yunctionen und dem politiichen Verhältniſſe des Ober» und
des Unterhauſes. Bor allem erhält ver beharrliche Verſuch Georg'’s UL
fein Königthum wieder zu einer Macht von perjönlicher Geltung zu er
heben aus der reihen Memoirenliteratur die hellfte Beleuchtung. Aus
gehend von einem geheimen Cabinet, das, außerhalb der Parteien ftehend,
ded „Königs Freunde“ umfchliegt, das fchon die Eröffnungsreve beim
eriten Parlamente ver Kenntnignahme des verantwortlichen Minifteriums
zu entziehen gewußt, zieht fidy der Kampf über ein halbes Jahrhundert
fort. Während die talentvollften und geiftreichiten Männer als Gegner
von den Aemtern ausgejchloffen bleiben, werden William Pitt und bie
Nation mit ihm zu Zories, König und Minifter können es wagen, „di
Freiheit des Gedanken zurüdzubrängen und Krieg gegen bie öffentliche
Meinung zu führen, Der Fürſt, der urſprünglich troß des beſter
Whipper-in über Perſonen und Parteien bis in das Kleinfte unterrichtet
ift, der auf eigene Hand als Kriegsherr fchaltet, Regimenter marjchieren
und halten läßt, verfällt dann wiederholt in Wahnjinn und endet gleid
Lear: |
A poor old man,
As full of grief as age, wretched in both.
Es folgt der Sohn, verlommen an Leib und Seele, einft ber Bufenfremd
England. 413
ten er umd ter größte Verjchwenver in allen Stüden, als König ein
furchtſamer Geizhals in feinen Finanzen wie in jeinen Prürogativen. Und
roh muß er noch die Emancipation ver Statholifen, den erften bahnbre⸗
henten Schritt zu den großen Reformen unterzeichnen, welche ſtets als
größte That der Regierung Wilhelm's IV. genannt fein werten. Unter
Ticteria hat die Krone, weiſe berathen durch ten jo eben durch jühen Tod
ie früh entrifienen deutſchen Prinzen, die jeltene Erkenntniß walten laſſen,
daß im durchgebildeten Verfaſſungsſtaate die directe Macht keineswegs
das Object der Staatsgewalt, ſondern nur eines ihrer Mittel iſt.
Nicht minder lehrreich ſind die Abſchnitte, welche von den großen
Vandlungen handeln, die ſeit einem Jahrhunderte mit den beiden Häuſern
des Parlaments vor ſich gegangen. Ein Gleichgewicht der drei Staatsgewalten
beſtand factiſch nicht, das repräſentative Princip bei den Gemeinen war
eine großße Lüge. Aber hatten auch die franzöſiſche Revolution und die
ihr folgenden Kriege die Freiheit Englands auf zwei Generationen zu⸗
rückgedrängt, tie Vertreter derſelben bei Lords und eneinen machten
ſergſam über das ihnen befohlene Vermächtniß, ſie ſammelten den Stoff
für die große politiſche Arbeit, vie im Intereſſe aller vorgenommen wer⸗
ten mußte, ſobald tie Waffen des Krieges rubten. Die alten Anſätze
um Reform feit Lerd Chathau's Tagen ſeowie die eudliche Turchführung
derſelben, Alles finvet ſich mach beſtimmter Eintheilung jergfältig, ans
ibaulich und ſyſtematiſch dargeſtellt. Auch Tas Techniſche im parlamens
tariichen Verfahren ver Gegenwart, die lange, ſchwere Anseinanderſetzung
mit ter Preije, ver gegenwärtige Brand) bei Zulaſſung des Publikums
and der Berichteritatter im Unterhaufe, das Abgeben und Verzeichnen
rer Stimmen, das moderne Petitionsſyſten und vieles Aehnliche wird
lihteell und praftiich zugleich abgehandelt. Beſonders aber ericheinen ver
Rierergang des arijtofratifchen, der Aufgang des demokratiſchen Elements
un fcharfen Gegenjat zu einanter. Darüber ift denn auch Pie Ztellung
des Dlinijteriums durchaus eine andere geworden: heutzutage kann es
nicht mehr vom Oberhanſe allein geſetzt oder gejtürzt werten, auch iſt es
weit weniger von der Krone abhängig, ale ehedem, dagegen aber dem
Unterhauſe mehr verantwertlid, geworden. R. P.
Despatches supplementary, and memoranda of Field Marshal Ar-
tbur Duke of Wellington. Edited by his son. Vol, V. VI. 1805 —1810.
London, Murray, 1860. 8.
476 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur.
Earl of Dundonald, G. C. B. Admiral of the Red; Rear-Admiral of the
Fleet, &c. &e. London, Bentley, 1860. 2 vols. XXIII, 428, XıV,
488 8. 8.
Auch in einem Bande: London, Bentley, 1861. XVII. 517.
Lord Cochrane, ver Sproße einer alten jchottiichen Grafenfamilie, ber
auch Zeit Lebens das heiße Blut jeiner Ahnen nicht hat verleugnen für
nen, hat noch im 85. Jahre, kurz vor jeinem Tode, wenigftens ein Städ
der Autobiographie, das vie biß zum Jahre 1814 dem Baterlande g
leifteten Dienfte umfaßt, herausgegeben, voll Feuer, voll materiellen Werthel.
Man weiß, wie er durch jeine kühnen Thaten, vor allen im biscajijchen
Meere ſich an die Seite der größten britiihen Seehelden emporzujchtingen
im Begriffe war, als ihn ver kriegsrechtliche Proceß des Admirals Lord
Gambier zunächft mit ver Armiralität, und die eigene heftige Betheiligung
an ber parlamentariihen Ippojition zur Herbeiführung politijcher uud
abminiftrativer Reform mit der Regierung überwarf. Seine verdächtige
Beziehung zu einem häßlichen Actienjchwindel brachte im Jahre 1814 ihm
ſelber ginen Proceß auf den Hals, der, gegen ihn entjchieren, feine Au⸗
ftofjung aus dem Unterhauje, Gaflırung und Abnahme ver Orden zu
Folge hatte. Tief erbittert verließ er die Heimath und lieh jein tapfer
Seemannsjchwert ven Chilenos znr Befreiung vom jpanijchen, ven Hel⸗
lenen vom türkiſchen Joche, überall glüdlicher auf feinem Element, van
Meere, als in ten Tiefen und Untiefen radicaler Politik. Erſt unter
Wilhelm IV. erhielt er als Graf Dunvenald Rang und Titel, mer
Victoria Das Großkreuz des Bathordens zurüd. Iſt ihm auch durch de
einft von Lord Ellenborough gefällte Urtheil Unrecht geſchehen, tritt arh
heute noch wie damals Lord Brougham als Advocat und Poarteigeneſe
für ihn auf, jo iſt es trotz aller Bemühungen, die ver alte Mann ım
Abende feined Lebens aufgeboten, ihm doch nicht völlig gelumgen ein
jeden Verdacht in dem unangenehmen Handel binwegzuräumen. Eire
aber ift unzweifelhaft, England hat dadurch die Dienfte eines Krieget
verloren, der e8 in verwegener Kühnheit mit Nelfon aufnahm, und beat
Bud wegen lebhafter Schilverungen und praktiſcher Vorſchläge ed
Greiſes ebenfalls feines Gleichen ſucht. Perſönlichkeit und Stoff habe
noch einmal verdientes Aufſehen erregt. RR.
Memorials of Thomas Hood, collected, arranged and edited b
England. 477
kis daughter, and a preface and notes by his son. 2 vols. London,
Moxon, 1860. 680 S. 8.
Doran, Dr., The book of the princes of Wales, heirs to the
erown of England. London, Bentley, 1860. 530 S. 8.
Hook, Walter Farquhar, Livos of the archbishops of
Canterbury. Vol 1. Anglo-Saxon period. London, Bentley, 1860.
50 8. 8.
Johns and Nicolas, Naval and military heroes of Great
Britain; or, calendar of victory: being a record of British valour and
eenquest by seı and land, ete. Illustrited with 24 portraits engraved on
steel. London, Bohn, 1860. 8.
Military (the) heroes of England, from the invasion of Julius
Caesar to the suppression of the Indian mutiny. London, Blackwood,
1860. 326 8. 12.
Blunt, Humphry, Perils and panics ofinvasion in 1796
- 7-8, 180% —5, and at the present time. London, Newby, 1860.
436 8. 8.
Moorsom, W. S:, Historical record of the 52. regiment
(Oxford light infantry), from the year 1755 to 1858. London, l’entley,
1860. 8.
— — — —
Irving, Joseph, The history of Dumbartonshire, civil,
ecclesiastical and territorial; with gencalogical notices of the families in
the country: the whole based on authentic records, public and private. Lon-
don, Bimpkin, 1860. 613 8. 4.
Chronica Regum Manniae et Insularum. The C'hronicle of
Man and the Sudreys edited from the Manuscript Codex in the British
Museum and with historical Notes by P. A. Munch Christiania 1860.
XXxXIV 191. 8.
Die Heine, nur 31 Seiten umfaſſende Chrouik verdiente trug ber
Ausgaben von Camden, Johnſtone und Langebeck noch einmal bequen
32*
418 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur.
und getreu abgerrudt zu werden. Sie bildet für tie Jahre 1017 bis
1374 eine wichtige Quelle nicht nur für die Herrſchaft der Nordmannen
in Schottland, jentern vorzüglich jür vie feltiihen Inſeln an ter Weſt⸗
füfte von Britannien. Man muß nur bebauern, daß die dem Manufer.
beigefligten Limites Mannise nicht ebenjalld ver neuen Ausgaben beige
fügt find. Aber Her Mund ift ganz ter Mann, um als Hifteriler,
Altertbums- und Sprachforſcher in der Einleitung und jehr ausführlichen
Noten tie früheren jcandinavifch - britiichen Beziehungen zu beleuchten mit
ganz amterer, ftrengerer Wiffenfhaft, als dieß von bekannter däaniſcher
Eitelteit zu geichehen pflegt Mit feiner gründlichen Kenntniß der ge
jammten Sagaliteratur, mit pbilologifcher und tiplomatijcher Gewiſſen⸗
haftigkeit gelingt e8 ihm, eine Menge jenes jo frühe Zeitalter in jo ab
gelegenem Himmelsſtriche betreffender Local- und Perjenalfragen zu ar
örtern. Die nordiſchen Nieterlaffungen auf ten Hebriven und Wan fab
len zujammen mit ter Enttedung von Island; tie Heinen Injeln er
ſchienen ven kühnen Seefahrern als. eine natürliche, bequeme Zwiſchenſta⸗
tion. Hier ließen ſie ſich unter den Gaelen nieder und machten dieſe
zu Unterthanen ter Krone von Norwegen, ein Verhältniß, das in Bezug
auf Man bis zum Jahre 1286 antauert. Die Beziehungen der beiden Racen
zu einander erjcheinen heute no in den Orts: und Geſchlechtsnamen,
wie fie jih auf Runenfteinen, in Urkunden und in ver Chronik vorfir-
den. Auf jchottiihe, iriſche, engliſche Geſchichte der Zeit fällt manches
Schlagliht. Tas von den Norwegern geftiftete Bisthum ver Sudreyjar
(ver Sütinjeln), Episcopatus Sodorensis. auch Manensis, gehörte bi
zum llebergange ter Scuveränität an Schottland und dann an einen
Bafallen ver englijhen Krone, zur Provinz von Nidros; e8 ift nicht je
wohl dem Umfange, als tem nun finnlos gewordenen Namen nach in
dem heute noch Leftchenten, zur Provinz Port gehörenden Sprengel
Sodor and Man vorhanten. Der Appentir enthält eine Reihe dem Ba-
ticanifhen Archive entnommener Urkunden zur Geſchichte dieſes Bisthums.
Mund hat feine für den Index Scholarum ver Univerfität Chriftiania im
Jahre 1857 verfaßte Schrift dem Inhalte gemäß in englifcher Sprache
publicirt, im Ganzen jehr correct, wenn auch bie und da ungewöhnlich
und überaus breit. R. p.
Scotland in the Middle Ages. Sketches of carly Seotoh history
England. 419
and social progress, by Cosmo Innes, Professor of History in the Univer-
sity of Edinburgh. Edinburgh, Edmonston and Douglas, 1860. XLIIT,
368 8°. ’
In einer Reihe an der Univerfität zu Edinburgh gehaltener Bor:
fefungen werben zunächft tie widhtigften Punkte altſchottiſcher Geſchichte
behandelt, von denen ſich die einheimijchen Öelehrten jeit den Tagen von
Finferton und Chalmers jo gut wie abgewentet zu haben fchienen. Tyt⸗
ler's Wert, das bekanuteſte Buch über ſchottiſche Gejchichte um Mittelalter,
hebt erft mit Alerander III, mit dem Eude des dreizehnten Jahrhunderts
an; Das Zeitalter der Freiheitskämpfe gegen England, Die Schilterung
ir feudalen Öeftaltung des Königreichs galt bisher als viel anziehender
fir ven Forſcher wie für ven Leſer. Es ift Daher ein weſentliches Be-
dürfniß, dem der Profeffor abzuhelfen jucht, indem cr wieder auf die
ältere Zeit zurüdgreift und, was jeine zu jchr vernachlälligten Vorgänger
me unvolllommen verftanven, man kann nicht anders jagen, als mit
Glück, vie läuternde Hand moderner Kritif anlegt. Leiter nur befennt
er wie fo mancher jeiner Landslente jich niemals mit feltijchen Studien
befaßt zu haben und kein Wort gaeliſch zu veritchen, jo daß, was ſehr zu
wünjchen gewejen wäre, jo manche midhtige Frage Über die Zuſtände ver
alten Bevölferung, vie hier jo wenig wie in Irland für ihre eigene Ghe
ſchichte jemals Sinn gehabt, unerledigt bleibt. Im Uebrigen ferfcht und
arbeitet ver Berfailer nad) gejunden Principien und weiß feinen Schülern
die Ergebniffe leicht und gefällig vorzulegen.
Wirklich hiſtoriſche Aufzeichnung beginnt in Schottland doch überaus
fit. Die erſte, noch nicht ganz zweifellofe Urkunde ijt vom Sabre 1095,
das erfte Fragment einer Chronik, ein Blatt in der bekaunten tem Klofter
Melreſe angehörenden aus dem treizehmten Jahrhundert, vom Jahre 1165.
Die erite Handſchrift, welche Geſetze verzeichnet, ift faum älter ala 1270,
und parlamentariihe Aufzeichnungen beginnen einzeln erjt ſeit Robert
Bruce. Ueber vie Anfänge ver Picten und Scoten läßt ſich nur aus
ipäteren Angaben und Vermuthungen im Allgemeinen je viel ausſagen,
daß jene ohne Frage die rothhaarigen Caledonier Des Tacitus, aber ſchwer—⸗
id Germanen oder gar eine vorfeltiiche Bevölkerung waren, die einjt den
ganzen Tften des Lantes, den Südweſten (Galloway) aber nachweislich
bis in das breizehnte Jahrhundert bewohnten, daß tie Scoten wahrjcein:
fi im vierten Jahrhunderte ven übrigen Weften mit jeinen Bergen bes
480 Meberficht der Hiftorifchen Literatur.
feßten. Im neunten werben beide unter Kenneth Mac Alpine vereinigt;
von feinem Stamme geht der Gejammtname Schotten aus, vermuthlid
g alfo eine ähnliche Verbindung wie die der Angeln und Sadjen. Sehr
früh, wenigftens feit dem fechiten Jahrhundert ericheinen dünne germaniſche
Niederlaffungen längs der Oftküfte, dann bringen die Angeln vom Hum⸗
ber und Tweed ber bis zum Yorth vor; mit dem Ende des achten warfen
die Seezüge der Bilinger ihren ſcandinaviſchen Niederſchlag auf Nord
fchottland, auf die Infeln in Norden und Welten. Mit Malcolm Can
more (t 1093), der eine angeljähfiiche Königstochter zur Gemahlin ge
nommen, gewinnt das teutonijche Element die Oberhand; Angeln, Dänen,
bald auch Normannen bilden den Hofadel; der Zerfall des angelſächſiſchen
Reichs bringt Niederſchottland und jelbft Northumberland herbei, wodurch
fih die Geſchichte der beiden Reihe und ihrer Völker auf Generationen
verhängnißvoll verjchlingen.
Nach den älteften Daten der Kirchengeſchichte hat St. Ninian bereits
um vierten Jahrhunderte wenigftens einem Theile der Picten von Rom
ber das Chriftenthum gebracht; im folgenven ericheint St. Columba mit
feinen ren auf der Infel Hy (Jona). Die Culdäer predigen zuerft ven
ftammverwandten Clans des Hochlands, dann ziehen fie weiter gen Oſten
zu den Picten, die von ihnen die älteſte Didcejaneintheilung empfangen.
Ihre Inftitute und ihre Vehre beherrichten bald ganz Schottland mit
feinen Injeln. Viele der alten Pfarreien des Landes laſſen ſich bis auf
die Columbiten zurüdführen ; Die ältefte Kirche auf Island war nachweis-
lich St. Columba debicirt. Die Culdäer weichen erft ven Eiftercienfern,
bie um biejelbe Zeit geiftlicd) auch Irland erobern helfen; nur in einzelnen
Kapiteln werden noch bis in's dreizehute Jahrhundert Culdäer geduldet.
Diefe geiftlihe Ummälzung geht Hand in Hand mit den Fortſchritten
antiteltifcher, feudaler Boliti. Der Verfaſſer hat fehr richtig ver viel⸗
feitigen Thätigkeit David's I. (1124 — 1153) bejondere Aufmerkſamkeit
geſchenkt; er ift nicht nur der Begründer der ecclefiaftiihen Eintheilung
bes fpäteren Mittelalters mit ihren Sprengeln, Parochien und Zehuten,
jondern ebenjowohl der erfte feudale König, der die Clans des Hoclands
und die Barone des Niederlande beherrſcht. Unter ihm ſchon erjcheinen
die Häufer Stewart und Bruce.
Sehr lehrreich und ſyſtematiſch georonet ſind die Mittheilungen über
bie ftänbiichen Verhältniſſe. Sklaven und Peibeigene, manchmal noch wit
Spanieu und Bortugal. | 481
teltiichen Namen, nur einzeln als Picten bezeichnet, haben fo ziemlich die—
jelbe Seichichte wie in England, bis herab zu dem letzten Documente,
das den Fang eines Sklaven fordert, aus dem Jahre 1364. Schon
unter David erjcheint eine Anzahl ſchottiſcher Städte zu einer beſonderen
mercantilen Genoflenichaft verbünvet, die in einer Urkunde Wilhelms des
Löwen fih ganz germanifch als Anse (Hanje) bezeihnet. Im Süden
des Landes haben vier Fleden eine gemeinſame Tagfahrt, der Urfprung
des beſonderen ftäptiichen Parlaments, das fi) neben ven Hoftagen bes
Könige längere Zeit behauptet, bis feit 1326 wirkliche Gemeine nach⸗
weislich werben. Die frühe Gefchichte des ſchottiſchen Parlaments mit
jeinem Ausjchuffe (Committee of Articles, jeit 1367), jo wie des im
fünfzehnten Jahrhunderte entftehenden oberften Gerichtöhofes, aus ben brei
Ständen gebildet, erſcheint namentlih im Vergleich mit beuticher Ber-
faſſungsgeſchichte von Wichtigkeit. Im Erbrechte ftreiten das Majorat
und das altleltiihe Tanisſtry noch lange miteinander, wie fi fogar noch
in dem Kronprocefie zwiſchen Baliol und Bruce nachweijen läßt.
Die legten Abjchnitte über die focialen, materiellen und geiftigen
Zuftände des fchottiichen Mittelalter8 zeugen nicht minder von ficherer
Behandlung und werden auch von dem Laien mit Vergnügen gelejen wer-
ben. Für ein eingehenveres Stubium find der Einleitung drei Karten
beigegeben, Schottland im zehnten und im breizehnten Jahrhunderte, vom
legteren zwei, eine politiſche und eine ecclefiaftifche, mit Angabe und Liſten
der urkundlich zu beſtimmenden Namen. R. P.
Tytler, William, Recherches historiques et critiques
sur les principales preuves de l’accusation intentde contre Marie Stuart.
Ouvrage traduit de l’anglais en 1772. Paris, Amyot, 1860. XI u 2028. 8.
Haverty, Martin, The history of Ireland, ancient and mo.
dern. London, Lew, 1860. 8.
Irish History and Irish Character, by G. S. Goldwin Smith
Oxford and London 1861. 107 8. 8.
Ein Meines, aber jehr leſenswerthes Buch, zu welchem ver gegeniolt-
tige Profeffor der neueren Gefchichte in Oxford eine Gelegenheitsvorlefung
weiter ausgeführt hat. In meifterhaften Strichen, die von umfafjender
hiſtoriſcher Belefenheit, von unmittelbarer Anfchauung und von bei dieſem
482 Ueberficht der hifterifchen Literatur.
Gegenſtande fo unerläßlichem national-öfonomifhen Intereffe zeugen, wird
einmal von einem gebilveten Englänver Barmherzigkeit gelibt an der Schwe⸗
fterinfel und ihren Bewohnern, denen herkömmlich alle Greuel ihrer Lan-
desgeſchichte als Verbrechen angerechnet zu werben pflegten. Nicht Ber-
bredyen fordern Sühne, jondern ein unheilvoller Gegenſatz jucht Jahrhun⸗
derte hindurch Löſung und Abſchluß. Ihm liegt nicht die Berſchiedenheit
des Glaubens, nicht der Streit um das Eigenthum des Bodens, jonbern
der unvermittelte Haß der Racen zu Grunde, wie fie in invivuellem Che:
rakter, in Sitte, Recht, Sprade auseinander gehen. Kin vortrefflicder
Ueberblid über vie ganze Geſchichte Irlands liefert ven fortlaufenden
Commentar zu den Vorderſätzen, und bis auf die Gegenwart wird mit
einer Objectivität, die erft ganz neuerdings in England zu erjcheinen wagt,
der Schaben aufgededt, ven fich die beiden feindjeligen Nationalitäten ein
ander zugefügt. Erft William Pitt hat die erfolgreichen Mittel zur He
lung anzulegen begonnen. Erſt ſeit Hungersnoth, Seuche und Auswan⸗
derung das Maß ber Leiden voll zu machen jchienen, die Hand bes engli⸗
chen Bedrängers fi) aber von allem Drud zurüdgezogen, fcheinen Yant
und Leute froheren Zeiten entgegen zu gehen, wie fie nie gelanut. Bid.
leicht, daß nunmehr die Prophezeiung Sir Robert Peel's ihrer Erfüllung
nahe ift, daß, fobald einmal ver legte Nachklang des Bürgerfriegs, der
Ruf nad Kepeal, völlig verftumnt, Irland jo raſch aufblühen wert,
wie fein anderes Land. Uns will freilich fcheinen, daß fo jehr ver Berl.
auch den Racenunterſchied betont, er doc weder die von der Natur ge
botene Nebenftellung Irlands noch vie Beftimmung des germaniichen
Stammes gehörig hervorhebt, der wie im Often gegen vie Slaven, m
Welten gegen die Ueberrefte ver alten Selten einmal Elbogenraum ge
fordert und behauptet hat, neben dem die letzteren unftreitig ganz ver
ſchwinden müſſen. Es liegt in den panegyriichen Aeußerungen, vie übe
das gegenwärtige Wohlbefinden Irlands fo häufig in der englijchen Preik
laut werden, doch ein Stüd von einheimiſchem cant, wenn man die YAup
nahme des Landes rühmt, ohne eigentlich das unvermeitliche Ausfterben
einer Nationalität zu erwähnen oder gar zu betrauern, die fo heldenmuü⸗
tbig bis zur Erſchöpfung ausgehalten. R. P.
O’Donoghue, John, Historical memoir of the O’Briens:
with notes, appendix, and a genealogical table of their several branches,
compiled from the Irish annalists. Dublin, Simpkin, 1860. 580 8. 8.
Spanien und Portugal. 483
Marmion, Anthony, The ancient and modern history of
the maritime ports of Ireland. 4. edit. London, Simpkin, 1860. 666,8. 8,
25. „Spanien uud Yortngal.
Schäfer, Heinr., Dr. Prof, Geschichte von Spanien. 3. Bd.:
Geschichte des südöstlichen Spaniens, iusbesondere seiner innern Zustände
im Mittelalter. XIV, 507. Gotha, F. A. Perthes, 1860. 8. (33. Lfg.
aus der Geschichte der europäischen Staaten von A. H. L. Heeren u. F.
A Uckert.)
Aldama, Dionisio 8. de, y Manuel Garcia Gonzalez, Hi-
storis general de Espaiia desde los tiempos primitivos haste fines del ano
1860, inclusa la glorioss guerra de Africa. 2. edicion. Madrid, 1860.
Trillo. Tomo 1. 344 p con 10 lam. litogr 4 Constarä de cinco Tomos,
Cabanilles, Antonio, Historia de Espana. Madrid, 1860.
T. 1. Banches. VI—470 p. 4.
Tärrega, Juan Carmelo, Poqueño compendio dè la histo-
ria de Espana 3 edic. To'edo, 1860. 174 pug. 8.
Rico y Amat, Juan, Historia politica y parlamentaria de
Espaüa (desde los tiempos primitivos hast ı nuestros dias). Madrid, Bailly-
Bsilliere, 1860. T. I. LVI—-520 p con el retrato del autor
Del Villar, Petro Fernandez, Compendio de historia
de Espaiia, que comprende desde la ontrada de los Cartagineses hasta
el aijo presente. Mälaga 1860. 112 p. 8.
Lafuente, Modesto, Historia general de Espaiia. Tomo
XXII. Madrid, Mellado, 1860. 584 5 8.
Memorial histörico espaliol: colleccion de documentos, opüs-
culos y antiguödades, que publica la Real Academia de la historia. To-
mos X y XI. Madrid, 1857—59. 654 u. 496 8, 8.
Colleceion de documentos indditos para la historia de
Espaiia, por marqucs de Pidal y de Miraflores y D. Miguel Salva. Ma-
ärid, Banchos, 1860. Tomes 33—35. 4.
484 Uieberficht der hiftorifchen Literatur.
Coleccion de documentos inéditos del archivo general
de la corona de Aragon, publicada de real örden por el archivero
mayor D. Prospero de Bofarull y Mascaro. Tomos XIV y XV.
Barcelona, 1858. VIII, 496 u. 504 8. 4.
Dozy, R., Recherches sur l’'histoire et Ia litterature de
l’Espagne pendant le moyen Age. Seconde &dition augmentée et entitre-
ment refondue. 2 vols. Leyden, Brill, 1860. LXXVII, 16 u. 360; XCIX
u. 390 8. 8.
Aschbach, Dr. Joh., Prof., Geschichte der Ommaijiden in
Spanien nebst einer Darstellung des Entstehens der spanischen christli-
chen Reiche. 2 Thle. Neue Ausg. (Titelauflage)., Wien, Braumüller, 1860.
XXVIUI u. 752 8. 8.
Memorias de D. Fernando IV de Castilla. Madrid, Sanches,
1860. Dos tomos en 4, mayor, CXXII — 700 p. con tres läminas el pri-
mero, VI— 914 el segundo.
Hefele, Ch.J., Le cardinal Ximenes et l’6glise d’Espagne
& la fin du 150 et au commencement du 16e sidcle, pour ser-
vir & l’bistoire critigue de l’inguisition. Traduit sur la 2e edition are
l’approbation do l’auteur, par l’abb& A. Sisson et labbé A. Crampon.
2e edition. Lyon et !'aris, 1860. XXXII, 458 8. 8.
Prescott, W. H. Histoire du r&ögne de Philippe II. Tradaite
de l’anglais par G. Benson et P. Ithier. Tomes 1 et 2. Leipzig, A.
Dürr, 1860. 717 S. 8.
— —, Philip den Anden, konge af Spanien. ÖOversat fra
Engelsk af L. Moltke. 7—12e hefte. Kjöbnhavn, Eibe, 1860. 96 8. 8.
_ —, Spaniens historia under Ferdinand och Iss-
bella. Oefwersättning. 4—5. häftet. Stockholm, Fonnier, 1860. 256 S.
8. (Historiskt bibliothek. Europeiska staternas och folkens historia. Trodje
serien).
— —, Geschiedenis der regering van Philips II., ko-
ning van Bpanje. Uit het Engelsch vertaald door W. J. A Hubertr
le en 26 afl. Zutphen en Doesborgh, Willemsen en Schattenkerk. 8 1
—160. 8.
_ —, Geschiedenis der rogering van Philips den
Spanien und Portugal. 485
tweede, koning van Spanje. Uit het Engelsch vertaald door Dr. W. J.
A. Huberts, met eene Voorrede van den Hooglceraar W, G. Brill en cene
levensschets van den schrijver. le deel. Zutphen, J. A, Willemsen, 1860.
8 en 399 bl. met uitsl. tabel. 8,
Thierry, Jules, L’Espagne et l’Angleterro en 1588. Cam-
pegne de l’Armada; documents nouveaux. Paris, Aubry, 1860. 24 8. 12.
Napier, General Bir W. F., History of the Peninsular war.
New edit, revised by the author London, Boone, 1860. 6 vols. 8.
Der Kampf um Badajoz im Frühjahr 1812. Nah den ur-
fpräugtichen Quellen unb nad Mittpeilungen von Augenzeugen. Grundzüge
und Beifpiele für kritiſche Behandlung kriegsgeſchichtlicher
Stoffe. Bon 8. Brodräd, Major im Großh. Heiflihen Generalguartier-
meifterftab, Lehrer ber Kriegsgeichichte an ber Gr. Heffifchen Militärfchufe. Mit
einer Planſtizze. Leipzig, 1861. Dyfihe Buchhandlung. XII u. 150 S. 8.
Der Name des Verfaſſers wurde zuerft 1858 in der Fiteratur bes
kannt. Die Schrift über ven „Feldzug der Reichsarmee von 1757“, die
als Erftlingsarbeit damals von ihm erjchien, wurde überall von ver
Kritik (in unferer Zeitichrift im 1. Heft von 1859) mit verdienter Au—
erkennung beurtheilt. Die neuere Schrift, deren Titel oben genannt ift,
reiht fih würdig an dieſe frühere Arbeit; auch fie ijt die Frucht ernfter
Studien und reifer Kritik.
Die nähfte Aufgabe, welche tie Schrift fich geießt hat, ift die Wis
derfegung der Berläfterungen, die fi in den Geſchichtswerken, zulett in
ftarten Farben bei Thiers, gegen das deutſche Regiment finden, dad 1812-
in Badajoz mitkämpfte. Der Verf. weift ſchlagend nad, daß von einer
Verſchuldung des deutſchen Regiments, von dem eine Abtheilung von nur
80 Mann mit Bertheivigung der weitläufigen Citavelle beauftragt war,
gar Feine Rebe fein kann, und daß jelbft in Frankreich cine Reihe von
Jahren hindurch niemand an eine ſolche Anklage auh nur dachte,
bis endlich die dortige Piteratur zu Ounſten des franzöfiichen Generals
Bhilippon, ver in der Feſtung befehligte, vie Verſchuldung ber deutſchen
Truppen geradezu erfand. Der franzöjifche General hatte längft feine
Flucht aus dem Huuptplag vorbereitet, und mitten im Kampf führte er
fie ans, jo daß von dem ganzen Berhängniß, das die Bejagung traf,
alle Schulv allein auf den Befehlöhaber ver Feſtung füllt. Das ift ter
486 Meberfiht der hiſtoriſchen Literatur.
Kern ver ganzen Vorgänge und zugleih das nahe liegende Motiv, das
die franzöfiihen „Geſchichtsverbeſſerungen⸗ bervorrief.
Die kritiſche Unterſuchung der Gejchichtsquellen, auf welcher dieſes
Reſultat beruht, bietet fo vielfache Anhaltspunfte für kritiſche Betrachtun⸗
gen allgemeiner Art, daß der Berf. nicht mit Unrecht jeinen Stoff als
ein Paradigma für Uebung ver hiſtoriſchen Kritik bezeichnet. Der Neben-
titel der Schrift und die ihm entiprechende Behandlung des Stoffes ent⸗
ſpricht dieſer Eigenthümlichkeit desjelben, und eben dadurch wird das Buch
zugleih zu einer Lehrichrift, die ſchon darum befonvere Beachtung ver:
dient, weil die theoretifche Seite der hiftorijchen Arbeit in fo gebrängter
ſchlagender Kürze noch eigentlich gar nicht behandelt ift. Him.
Relazioni sulla Corte di Spagna, dell’ abate Doria del Maro
e del conte Lascaris di Castellar, pubblicate per cura di Domenico Carutti.
Torino, stamperia Reale, 1860.
Kayserling, Dr. M., Geschichte der Juden in Spanien u.
Portugal. 1. Thl.: Die Juden in Navarra , den Baskenländern und auf
den Balearen. Berlin, Springer, 1861. XIl u. 224 8. 8
Amador de los Rios, Don Josd, Etudes historiques, politigues
et litteraires sur les juifs d’Espagne; traduites pour la premitre fois en
francais, par J. G. Magnabal. Paris, 1860. XV u. 8. 417—608. 8.
Burgos, D. Augusto de, Blason de Espaüa. Libro de oro
de su nobleza. Hesena genealögica y dcoscriptiva de la casa real, la gran-
.deza de Espania y los titulos de Castilla. Parte primera Casa real y
_grandeza de Fepafia. Madrid, Bailly-Baillitre 1859 Tomo IV. Fol.
Vilar y Pascual, D. Luis, Diccionario histsrico, geneald-
gico y heräldico de las familiss ilustres de la monarquia espaiiola. Madrid,
Bailly-Baillitre Tomo 1°, entregas 1 y 2 (Estra obra constar& de ocho
tomos). 1860. 4.
Piferrer, Franc., Nobiliario de los reinos y seiiorios de
Espaita. Contiene las armas y blasones de los reinos, provincias, ciu-
dades, villas y principales pueblos de Espaiia, con todos los apellidos que
se encuentran en los tratados de heräldica y nobilarios mas autorisados,
como son el libro-becerro de Castilla, Gracis-Dei, Mejla, Barcelos, Men-
doza, Argote de Molina, Vitales etc. etc. Revisado por D. Antonio Rujuls
Spanien unb Portugal. 487
y Bussel, ilustrado con un diccionario de heräldica. Adornado con mas
de dos mil escudos do armas por acreditados artistas, heraldos y profesores
de bellas artes. Madrid, impr. de Minnesa 1860. T. 1 & VI. y ultimo,
260 4 mayor.
Vilar y Pascual, D. Luis, Diccionario histdrico, genealö-
gico y heräldico de las familias ilustres de la monarquia espaliola Ma-
drid, Bailly-Bailliere. Entregas 3— 16. Tomo II - IV. 1860. (Esta
obra constar& de ocho tomos).
Aben-Adhar6 de Marruecos, Historias de Al-Andalus,
traducidas directamente del aräbigo y publicadas con notas y un estüdio
historicocritico, por Francisco Fernandez Gonzalez. Granada. (Madrid,
Bailly-Balliöre), 1860. Entreg. 1a. 8
Simonet, Francisco Javier, Descripeion del reino de
Granada bajo la dominacion de los Naseritas, sacada de los autores ärabes,
y seguida del testo inedito de Mohammen-Ebn-Aljathib. Madrid 1860.
Bailly-Baillitre. 224 — 32 päg. Con un cadro cronolögico de las cinco
dinastias que bajo lo dominacion ärabe gobernaron en las diferentes co-
marcas de que andando el tiempo lleg6 &’ formarse el reino de Granada,
con senorio propie 6 indipendiente de los emires que reinaban en otras
regiones del Andalus. 1860. 4 m. (Las 32 ultimas p4g. estän en Arabe),
Capmany y deMontpalau, Historia dela muy noble, muy
leal, muy herdica, imperial y coronada villa de Madrid. Ma-
drid, 1860. Entr. 1a. 8 S. Fol. m. 2 Kpfrn.
Lopez y Ramajo, Manuel del viajero en el real monas-
terio de San Lorenzo. 3a edicion, corregida y aumentada. Madrid,
Bailly-Bailliere. 1860. 86 S. gr. 8.
Tomeo y Benedicto, Zaragoza, sa historia, descripcion,
glorias y tradiciones, desde los tiempos mas remotos hasta nuestros dias-
Zaragoza, Andres (Madrid, Cuesta),. 1860. Entreg. 1 A 8.
Salomon, Remigio, Guia de Santander. Santander, Hernan-
dez 1860. 266 S. 8. m. 1 Kpft.
Rebello de Silva, Luiz Augusto, Historia de Portugal
nos seculos XVII e XVII. T. 1. Lisboa 1860, 8.
Colleogao de monumentos ineditos para a historia das conquis-
488 Ueberficht ber Hifterifchen Literatur.
‚as dos Portuguezes, em Africa, Asia e America, publicada de ordem da
classe de sciencias moraes, politicas e bellas lettras da Academia Real das
sciencias de Lisboa e sob a direecao de Rodr. Jose de Lima Feiner.
Obra subsidiada pelo governo de Portugal. Tome II parte I. Historia
da Asia (Lendas di India por Caspao Correa. Livro segundo em que
se recontao os famosos feitos d’Alfenso Alboquerque, Lopo Soares, Diogo
Lopes de Sequeira, D. Duarte de Menezes, D. Vasco Ja Gama Visorey, D.
Anrique de Menezes. Lenda de 17 annos, acabados no anno de 1510).
Lisboa, typographia da academia. 1860. S. 1—482. 4.
26. Italien.
a. Literatur der italtenifhen Geſchichte v. 3. 1859.
F. Gregorovius Geſchichte der Stadt Rom im Mittelalter.
Bom fünften bis zum ſechſten Jahrhundert. 8. Stuttger. I. G. Cotta,
Bd. 1. (X, 484 ©.) 1859. Bb. 2. (X, 548 S., 1859. Bd. 8. (XII,
584 ©.) 1860.
Wer eine Monographie über Rom im Mittelalter fchreiben will,
kann hierunter zwei ganz verjchiedene Aufgaben verftehen; entweder faft
er vorzugsweije die Gejhichte der Stadt Rom ins Auge oder er geht
ber Entwidlung des Papftthums durch die Neihe der Jahrhunderte nad.
Letzteres ift jaft gleichbedeutend mit einer Univerfalgeichichte von Europa,
und dann ift nur der Titel für dieſe Arbeit ein ſchlecht gewählter. Wer aber fich auf
bie Stadt Nom beihränft, hat die wegen ver Dürftigfeit des Materiales äußerft
ſchwierige Aufgabe, nadhzumeijen, wie aus dem Rom ver Kaiſerzeit ſich
das fo eigenthümliche Leben der chriftlihen Welthauptſtadt entwidelt hat,
wie dann bie ftäptiihen Dinge ftets in Wechjelbeziehung zu den großen
kirchlichen und politiihen Bewegungen des Mittelalters geftanden haben,
wie zulegt die ehemalige Weltftapt in die Orbnung des Heinen Kirchen-
ftaates eingefügt worben ift. Und dieſe Aufgabe zu löſen find ſchon
verſchiedene Anſätze gemacht, bisher aber ſtets ohne genügenden Abſchluß
der Arbeit. F. Papencordt, ver, foweit wir aus dem von Höfler
edirten Nachlaß jehen können, dazu der geeignete Mann gewejen wäre,
iſt leider der Vollendung feines Werkes durch frühen Tod entriflen. Faſt
gleichzeitig mit ihm, aber unabhängig von feinem Plane, faßte der in
Rom lebende deutſche Schriftſteller F. Gregorovius vie Idee, ſich
Spanien und Portugal. 489
einer ähnlichen Arbeit zu unterziehen. Von feinem Werke liegen uns bie
jest 3 Bände vor, bie von 410 bis 1002 reihen. —
Gregorovius verjucht nun jene keiten an ſich verfchiebenen Aufga-
ben in Ein Werk verichmelzend, beide gleichzeitig zu löſen; nach unjerem
Dafürhalten ein mißliher Verſuch, deſſen Yöjung aud ihm keineswegs
geglückt ift.
Wenn man fi über die Aufgabe einer Sefchichte ver Stadt Rom
Mar geworden ift, die doch als Geſchichte einer Stapt*) immer
eine Spezialgeichichte Bleibt, jo wird man freilich nicht alle Erörterungen
über allgemeinere Berhältniffe ausſchließen, man wird aber tod, biefe
fırz berührent, das Hauptgewicht auf die innere Geſchichte der Stadt
(d. 5. auf Darlegung ver Verfaflungsentwidiung, Scilverung foctaler
md Gulturzuftände) legen. Gregorovius will aber, Non als das Cen⸗
tum ver Weltgefchichte auffaflent, in feiner Geſchichte die Geſchicke ver
Menichheit erzählen. Indem er tabei die Stadt Rom mit dem römis
ſchen Bisthum und ber päpftlichen Curie iventificirt, wird ver Unter⸗
ſchied zwiſchen einer Stadtgejchichte und einer Geſchichte ver püpftlichen
Macht verwilht. Letztere geradezu zu übernehmen, lehnt Gregorovius
zmweilen ab, fann aber ber Berjuhung nicht immer wiverftehen, Frag⸗
‚mente einer ſolchen Geichichte zu liefern. So fehlt ihm vie Selbſtbe—
ſchränkung auf ein feitgezeichnetes, feſtzuhaltendes Thema; Das ganze Bud)
fällt oft faſt in geiftreihe Journal⸗Artikel auseinander. Tiefer Mangel
findet wohl feine Erklärung in einer dem Verfaſſer von früheren Arbeiten
noch anklebenden journaliftiichen Arbeitsweiſe. Damit wollen wir keines⸗
wegs dem Verfaffer zu nahe treten, wir erfennen jeine Bebeutung in
diefem Fache gern an, — aber, eine hiſtoriſche Arbeit ift ein ganz
anderes Bing, als eine Reihe von guten Journalartikeln oder eine geift-
veiche Reiſebeſchreibung. Trotzdem aber — und obwohl wir auch von
fo mandyer einzelnen Austrudeweije, vie offenkar nicht hierhin paßt, von
der häufigen Schauftellung ver eigenen Perſönlichkeit des Autors, beſon⸗
ders aber von einer ganz unpaflenten Bezugnahme auf vie Tagescreig-
nifle, wie fie leider den 3. Bd. befonvers eigen ift, jehr oft unangenehm
® Daß hen im Titel eine derartige Einſchränkung entbalten fein müſſe,
erfennt auch der im Uebrigen reichliches Lob fpenbente Referent in ben
Breuß. Jahrb. (Märzkeft 1861) am.
490 Ueberfiht ber hiſtoriſchen Literatur.
berührt worden find — troß allevem glauben wir in dem Berfafler Be
gabung zu hiftorijchen Arbeiten zu erkennen, und das hat uns veranlaßt,
den Hauptmangel des Buches jo ausführlid darzulegen. Durch alle
jene gerügten Eigenſchaften, beſonders durch jene Unklarheit über Die
Örenzen jeiner Aufgabe, ſchadet ſich ver Verfaſſer bei der wiſſenſchaftli⸗
hen Welt, an die er fi doch vorzugsweije rihten muß. ‘Die knappe
Form, welche die Anlage Papencordt's erfeunen lüßt, könnte da als Mu⸗
‚fter dienen! — "
Wenn wir nın auf Einzelnes eingehen, jo wollen wir vorab geftehen,
daß zu einem Urtbeil über die kunfthiftoriihen und topegraphiichen Ab⸗
ichnitte uns ebenjowohl das Material als die Befähigung fehlt. Die
tultuchiftoriichen Schilderungen dagegen finden wir größtentheil® wahr,
meiſtens auch lebendig und anſchaulich. Als bejonderd gelungen heben
wir hervor; die Charakteriſtik ver heidniſchen und chriſtlichen Gejellicaft
. (1. 134— 146) die Schilderung der Entftehung des Mönchthums (Il.
6— 13) die Darſtellung der wachſenden ftäbtifchen Ariftofratie (IL
passim, bej. III 277 ff.) — An einzelne Behauptungen jei e8 uns mm
noch geſtattet, Bemerkungen anzuknüpfen und indem wir unjere abweichende
Anſchauung ihnen an dieſem Orte gegenüberſtellen, dadurch vie Auf
merkſamkeit der Kenner zugleich mehr auf das vorliegende Buch hinzulenlen.
Im l. Bd. möchten wir gegen das über Theodorichs Verhalten
‚ gegen Boethius ausgejprochene Urtheil (I. S. 309 ff.) Proteft einlegen.
Aud wir wollen keineswegs jenen Act tumultuariichen Yuftiz bejchönigen,
allein Gregorovius jelbft zeigt doch die auf eine Conſpiration der Sena⸗
toren mit Oſtrom bindeutenden Spuren au. Iſt dem aber fc, dann fin-
ben wir in Theodorich's Strenge einen Akt der Nothwehr, und ob dann der
Berräther ein Handwerker war oder „ein Dann wie Boethius das golpne
Zroftbud der Philojophie in der Hand“: das durfte Nichte an vem
Urtheil Theodorichs ändern. Durch die Vorliebe für „einen Philoſophen⸗
läßt fi Gregorovius bier zu einer Ungerechtigfeit gegen ven vortreff-
lichen König der Gothen verleiten. — Daß die Stadt Rom von Theo⸗
borih dad verfafjungsmäffige Recht erhalten habe, von fremden ober
gethijhen Truppen nicht bejegt zu werten (1. 340), jcheint ung keines⸗
wegs nachgewiefen. Die dafür angeführten Schreiben Theodats beweiſen
es wenigftens nicht; und die Eriftenz des comes Romae, des gothijchen Mi-
fitärbejchlöhabers, zeigt deutlich das Gegentheil. Denn auch in Betreff
alien 1859. 491
diejer Würde können wir keineswegs Gregorovius Erklärung (1. 279) für
richtig halten, wir bleiben bei der Hegel's ftehen (©. d. i. St. 1.11 7).
Für immer, glauben wir, hat Gregorovius die Behauptung widerlegt,
daß die Gothen unter Alaric oder die Vandalen der Vorwurf trifft,
Roms Kunſtdenkmale zerjtört zu haben. (1. 156 161, 214— 216). Die
Römer jelbit haben jenen „Bandalisnus« begangen (I. 221 f. 451 ff.).
— Jroniſcher Weije will Gregorovius idıwras als „Ehrentitelu fallen;
(1. 374) ſolche der Sprache jener Zeit ganz fern liegenden Beziehungen
innen wir nur als unpaflend und das Gefühl des Leſers verletzend
bezeichnen. Aehnlich müſſen wir und entſchieden gegen Ausdrücke wie
„rationelle Schafe” „mitengliſcher Vater“ (11. 33 f.) erklären. Will
man Briefe jener Zeit überſetzen, ſo ſoll man doch die Ausdrucksweiſe
der Schreibenden nicht lächerlich machen wollen. Einen Ueberſetzungs⸗
fehler ſogar haben wir bemerkt (II. 277) ades in Chriſti Leib geliebten
Heeres“ „im corpore Christo dilecti exercitus.“ — Aehnliche Wendungen,
deren wir noch manche anführen könnten, jchreiben wir auf Rechnung
des nach geiftreihen oder geiftreich jein ſollenden Bointen haſchenden Jour⸗
naliften: möge der Verfaſſer ſolche Mittel fliehen! —
In vem 2. Bo. find vie beiten für vie Auffaffung des Ganzen
entfcheivenden Tragen behandelt: wir meinen vie Natur ver ſtädtiſchen
Regierung, die Berechtigung ver Optimatengeſchlechter, kurz, vie Contro-
verje über ben senatus und das, was damit in Zuſammenhang jtcht:
und dann die Entftehung und Natur ver päpitlichen Herrihaft. Was
die erfte Frage betrifft, jo erflärt ſich Gregorovius wiederholt mit dem
„negativenn Reſultat der Forſchungen Hegel's einverftanten, (vgl. bei.
It. 55 ff.) und will nur ven pofitiven Gang ver Entwidlung noch ge:
nauer nachweiſen. Es ift hier nicht ver Ort, meine von beiden Schrift:
Rellern etwas abweichende Anfiht genauer darzulegen; nur darauf
möchte ich doch hinmeifen: daß die von beiden Autoren vergeführten
Zeugniffe für das Erlöſchen des senatus am Ente des 6. Jahrhuuderts
mir keineswegs turchgreifender Art zu fein fcheinen (vgl. Hegel, 1. S.
273 f. u. Gregorovius II. 45 ff. 57 f.). Die Stelle aus ver 18. Ho—⸗
milie Gregor's beweift zu viel, mithin gar Nichts. rer war Rom
wirtih ganz ohne Bevölkerung? — Meiner Meinung nad tritt
ver alte senatus freilich zurück oder richtiger, geht auf in bem neu em⸗
portommenden Amtsadel der militäriichen und geiftlichen Ariftofratie; —
Pipeciſqe Zeltſqͥriſt. VI. Ban⸗ 33
492 Neberficht ber hiſtoriſches Literatur.
es tritt alio im Berlauf tes 7. Jahrhunderts allerdings eine Adeléherr⸗
ichaft immer deutlicher hervor, die aber, um ihre politiſchen Rechte aus:
zuüben (bei. bei der Papftwahl) doch nicht ohne eine politiſche Form
gedacht werben fann. ben biete Form glaube id in dem von ber
Mitte des 8. Yahrhunterts an jo häufig genannten senatus zu jchen.
Alle von Hegel (1. 279 — 283) angeführten Stellen zeigen vies
ganz deutlich. Auch Gregorovius ſcheint fh zuweilen biejer Auficht zu
nähern, er redet wohl von einem nfläbtiichen Gemeinderath⸗ (Il. 476
ff.) oder für das 10. Jahrhundert jogar von einem „»römijhen Bar-
Iament“ (al8 Ueberjegung von senatus Ill. 186). Aber dieſen Ge
danfen vrüdt er nirgendwo beftimmt aus, polemifirt ſogar aud in jpä-
terer Zeit oft unnöthiger Weiſe gegen bie Eriiten; bes senatus.
Demnach weiche ich von dem hochverehrten Berfafler ver italieni⸗
hen Städteverfaſſung nicht darin ab, daß ih in der Materie zwi«
fhen Avel und Senat einen Gegenſatz ſähe — tiefe Anſchauungen hat
er vollftändig vernichtet — ſondern nur darin, daß ih ten Senat als
die Form betrachte, in melder ver Adel politiih auftritt. Senat
wäre darnach wirklich, eine Art von Bertretung des Adels. Gre
gorovius gegenüber glaube ih in ber That nur feiner Anfchauung eine
präcijere Yaflung gegeben zu haben. Meine Auffafjung hoffe ih an ge
legenerem Orte, ausführlicher darlegen und beweijen zu können. —
Was die andere Frage betrifft, die nach der Entſtehung der welt:
lichen Herrihaft des Bapftes, jo können wir im Ganzen nur unjere volle
Zuftimmung ausjprehen. Wäre dieſe Partie des Buches iu knapperer
Form und ſchärferer Beleuchtung zujammengefaßt, jo würden wir jagen,
Gregorovius habe dieſe Frage als Ganzes erledigt: im Einzelnen freilich
müſſen wir aud hier mannichfachen Widerſpruch erheben. Da vermifjen
wir zuerft für bie Zeit Gregors 11. einen Nachweis, wie man von grie-
chiſcher Seite fid) dem fait accompli gegenüber verhalten habe; über ein-
zelne Gunſtbezeugungen der Kaijer muß ſich Gregorovius (II 271, 311)
daher wundern, weil er e8 überjehen hat, daß eine ſtillſchweigende Aner-
tennung von Byzanz anzunehmen ift, ja daß biefe wohl fon in dem
©. 267 erwähnten Friedensichluß erfolgte. —
Wenn wir ferner feiner Anfiht vollftändig beipflichten, daß Papft
Gregor Il. dem Franten Carl Martell vie Schutzherrſchaft über Konz
Ralien 1859. 493
nicht angeboten habe, wie man es noch in allen neueren Darftellungen
lieſt (vergl. II. 284 f.); fo erſtreckt ſich dieſe Zuſtimmung nicht auf bie
von ihm vorgebradhten Gründe Er motivirt jeine Ablehnung ver übli-
den Annahme nur damit, „daß ein jo großer Antrag weber mit ber Bo-
litit Gregors nody mit ber Anficht der Zeit zu vereinen ſei.“ Wir glau-
ben, daß auch in ven Quellen nur ein „Hülfegeſuch,“ nicht aber ein
Antrag auf fränfiihe Schugherrihaft über Rom vorliegt, finden aber
auch die Lesart in dem päpftlichen Briefe „ad rogum'* ftatt „ad regnum“
nicht gar jo „abgeſchmackt“ wie unfer Berfafler. —
Daß das Batriciat Pippin's nur den Schuß der Kirche und ter
päpftfihen Macht bereutet habe, hat Gregorovius richtig erkannt (II.
309 — 313). Aber jeine weitere Behauptung, daß Karl 774 fich vie
Souveränetät über ben Kirchenftaat vorbehalten habe (II. 398 ff.), finden
wir umgegründet. Nach unjerer Meinung ift Karl damals einfach in
dieſelbe Stellung eingetreten, wie jie Pippin gehabt hatte. Beweiſe da—
für, daß Karl wirkli Akte ter Souveränetät ausgeübt habe, jehen wir
nirgendwo beigebracht, und das, was Gregorovius S. 405 ff. dafür an-
führt, ift leicht zu widerlegen. Die Briefe des Papftes, in denen er Aus-
lieferung der zu Karl geflüchteten Verbrecher fordert, zeigen doch deutlich, daß er
fih als Souverän fühlte; auch alle übrigen Aeußerungen des Papftes in
feinen Briefen zeigen ihn als Herru von Ravenna und Ron, wenn ihn
auch in Ravenna die Ausübung feiner Herrihaft durchzuſetzen oft recht
fhwer wurde. Ausgedehntere Rechte erhielt Karl erft 795 tur Papft
Leo 111. ; e8 würde fid) dies auch hei Gregorovius gezeigt haben, wenn
er hier etwas tiefer in bie außerrömiſchen Geſchichtsquellen eingegangen
wäre, und die ſtets weiter um fich greifenven Forderungen Karls an ven
Bapft dargelegt hätte. Tieje Entwidlungsreibe jchließt ab mit ter Kai—
ſerkrönung Karls; und hier ift e8 uns interefjant gemejen, vie Beweiſe
unſeres Verfaſſers zu jehen, daß Leo 111. chen jeit 795 die Idee Des
Kaiſerthumes gefaßt hatte (vgl. 11. 514 Fi.) Tiefer Bemeisführung
ſtimmen wir vollftändig zu, ebenjo vem S. 520 ff. geführten Nachweis,
daß Karl von 795 ab als Herricher von Rom zu betrachten jei.
Der 3. Band fciltert dann die Kämpfe ver Päpfte theils mit ven
Kaiſern und den äußern Feinden, theils im Innern der Stadt jelbit durch
das 9. und 10. Jahrhundert hindurch. Wir wollen uns hier nicht auf Einzelnes
einlaffen, ſondern nur bemerten, daß wir manchen Theil der Darftellung
33%
494 Ueberficht ber hiftorifchen Literatur.
bier als völlig überflüflig entfernt jehen möchten, daß wir aber aud
manchen Theilen der Geſchichtsdarſtellung vollftändig zuftimmen müflen
(beſ. II. 277 fi.) Nur das bemerken wir noch, daß wir jene über-
ihwänglichen Redensarten, mit denen der Verfaſſer dieje Periode einzu⸗
leiten für gut befindet, nicht nur als überflüſſig und nichtsſagend, ſondern
auch als vollftändig unbegründet bezeichnen müſſen. Wer iu aller Welt
hat von einem „Begriff ewiger Neutralität Roms, als des moralifchen
Centrums der Welt“ (S. 5) gehört over gelefen? Eine moderne Theorie
biefer Art ift wohl einmal aufgeftellt: wer aber wollte das auf das 9.
Jahrhundert Übertragen? Zeigt die Geſchichte des Mittelalterd und denn
etwa Ruhe und Frieden in Rom? Jedes Blatt feines eignen Buches
wiberlegt dieſe Vhrajen des Verfaſſers; wir bitten ihn, in Zukunft ſich
auch ſolche pomphaft Hingenden Einleitungen (aud) die des I. Bds. leidet
an biefem Fehler) zu fparen ober beifer zu überlegen, was er darin fagen
will. —
Wir bemerken noch, daß wir den von ihm angenommenen Gegenfag
zwiſchen Papft Nicolaus I. und Johann VII, (S. 224 ff.) nicht fehen;
in ihren Mitteln unterſcheiden fie ſich, ihr Ziel ift daſſelbe.
In dem Kaiſerthum Guido's und anderer italienifchen Fürften jehen
wir einen nationalitslienischen Verſuch, nicht den Anſpruch auf die Hoheit
über die Welt, wie reg. meint. (S. 234.)
Auch die Darftellung der inneren römiſchen Verhältniſſe im 10.
Jahrh., bejonderd unter Alberih8 Tyrannis (im grieh. Sinn des Wor⸗
tes), die wir eben als bie richtige bezeichnet haben, möchten wir nocd von
einigen in den ſchon an und für fich fo verwirrten Stoff hineingemifchten
Hypotheſen des Verf. befreit fehen. Iſt die Darftellung als Ganzes
auch bier bie richtige, jo wird die Erkenntniß des Einzelnen doch erft
dann zum Abſchluß gelangen, wenn man jede auch noch fo wahrſchein—⸗
liche Notiz, jo lange fie nicht urkundlich feſiſteht, als Grundlage zu
nehmen verſchmäht.
Wir ſchließen mit dem Wunſche, daß der Berf zu weitern biftor.
Arbeiten fortfchreiten, aber dabei, alles Ueberflüjfige in Inhalt und Form
vermeidend, ſich einer präcijeren Darftellung befleigigen möge. W. M.
Sidel, Dr. Th, Das Bilariat ber Bisconti. (Aus bem Yänner-
befte des Jahrganges 1859 der Situngsberichte ber Hift. phil. Ef. der k. Aka⸗
bemie ber Wiffenfhaften Bd. 30 ©. 3 beſonders abgebrudt.) Wien, 1859. 8.
Hallen 1859. 495
Eine ſehr tächtige fcharffinnige Arbeit. Die Herrichaft der Visconti
berubte auf doppelter Grundlage. Einerſeits auf Uebertragung von Red-
ten durch bie reichsfreie Stadt, die fih auf ben Coftniger Frieden ftüß-
ten und in beren Beſitz das Geſchlecht der Viskonti allmälig fam. Auf
der andern Seite ftüßten fich viele auf das Reichsvicariat, welches Matteo
Bisconti zuerft vom König Adolf 1294 erhielt und fpäter von Albrecht
ſich beftätigen ließ. Auf welche Weiſe fi) die Viskontiſche Herrſchaft bie
zur Verwandlung des Viskariats in ein Ducat, erft von Mailand, dann
der Lombardei entwidelte, wie dieſe auf die verwidelten italienischen Ber:
hältniffe einwirkte, fest der Berfafler in der erften Hälfte feiner Schrift,
deren Grünblichfeit ungetheilte® Lob verdient, auseinander. In dem zwei⸗
ten Theile der Abhandlung erhalten wir eine Unterfuchung über das We-
fen des Bicariatd in Mailand, über die mit ihm verbundenen Rechte und
Pflichten. Außer den ſchon gedruckten Vicariatsurkunden war der Berf.
jo glücklich, zwei neue berbeizicehen zu können, ein Diplom K. Heinricy’8
für Matteo Bisconti vom 13. Juli 1311, deffen Original ſich in Paris be-
findet, und ein Diplom 8. Wenzel’s für Joſt von Mähren vom 5. Juli
1383 ans dem mährijchen ſtändiſchen Landesarchive zu Brünn, deren genauer
Abdruck im Anhange eine weientliche Bereicherung ver Schrift bilvet. Die
Sorgfalt und Klarheit der Beweisführung, die trefflihe Methode werten
gewiß von allen anerfannt werden, vie zu beurtheilen im Stande find,
welche umfaflende Quellenftudien ver Berf. anftellen mußte, um vie fid) ge⸗
fiellte Aufgabe befriedigend löſen zu können. A. B.
Heyd, W. Brof., Die italienifhen Hanbelscolonien in Srie-
chenland zur Zeit bes Lateinifhen Kaiſerthums (in ber Zeitfhrift für die ge-
ſammte Staatswiffenichaft, Tübingen, 1859, 15. Band, ©. 40 fi.).
Die italienifhen Hanbelscolonien in PBaläfina, Syrien n.
Kleinarmenien zur Zeit ber Kreuzzüge (in berfelben Zeitſchrift 1860 16. Bd.
© 3—71 u 411 — 460).
Die erfte Abhandlung fchließt fih an die im J. 1858 in berjelben
Zeitfchrift erfchienene über die Anfänge der italieniihen Handelscolonien
im byzantiniſchen Reiche an. Sie verdient jebenfall® als eine Bereiche
rung der biftorifchen Forſchung das aufmerfjame Studium aller veret,
die ſich mit der Gefchichte des Mittelalters befchäftigen, ba man hier
über manche dunkle Partien Aufllärung findet. Nachdem ber gelehrte
496 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur.
Berfafler die Beranlaffung zum fogenanmten vierten Krenzzuge kurz und
bündig auseinandergefegt, beipricht er ausführlich die Theilungsverträge,
welche die Führer unter einander abſchloſſen, und erzählt die Schidjale
der neuen, auf griechifhen Boden erftandenen Reiche und Eolonien. Ob⸗
wohl Tafel und Thomas im venetianifchen Urkundenbuch und Tafel im
den „‚Symbolae criticae geograpbiam byzantinam spectantes“ (Abhantian-
gen ver 3. Elaffe der Münchner Alademie Br. 5 Abth. 3 S. 1— 136)
wejentlih vorgearbeitet und fih um die oft fehr ſchwierigen Ortsbeſtim⸗
mungen Berbienfte erworben haben, blieb Hrn. Heyd noch manche werth-
volle Nachleſe übrig. Namentlih die Unterfuhung, wie viel von ben
Provinzen des byzantiniſchen Reichs, auf welche die Benetianer im Folge
des Theilungsvertrages von 1204 ein Anrecht gewonnen, in ihren Beſitz
überging, war ſehr fchwierig. Sodann behanvelt ver Berf. auch jew
Handelönieverlafjungen, welche die Benetianer in Kleinafien und dem heu⸗
tigen ſüdlichen Rußland zu jener Zeit theils gründeten, theils vorbereites
ten. Außer den Venetianern ließen ſich überdies auch die andern Han⸗
belsnationen des Mittelalters im byzantiniſchen Reiche nieder, ſelbſt Dä-
nen und Engländer find vertreten.
In der zweiten Abhandlung erörtert der Verf. die italienijchen Han-
belsfolonien in Paläftina, Syrien und Kleinarmenien zur Zeit der Kreuz
züge. Die Nieverlaffungen in Syrien reichen in die Periode vor Begim
ber Kreuzfahrten; tie Amalfitaner waren die erften, welche als Handels
leute die |prijchen Gegenden durchzogen und etwa jeit den fechziger Jah⸗
ven des 11. Jahrh. beftand eine Station für amalfitaniide Kaufleute in
Jernſalem, noch früher finden wir foldhe in den Seeſtädten Syriens.
Entſcheidend für Colonifatien, ja das eigentli befruchtende Element war
ven die Kreuzzüge, an benen die italieniihen Handelsnationen anfangs fi
nicht. jehr rege betheiligten, indem venetianijhe und genuefiiche Schiffe
blos Proviant oder andere Waaren den Kreuzfahrern zuführten, aber bei
dem meitern Ausbau der neugegründeten chriſtlichen Staaten wirkten fie
wejentlih mit. Gegenjeitiges Interejfe verband die Fürften und Italiener,
jene erkannten die Nothwenbigfeit einer Seemacht zum Eroberung ver fyri«
ſchen Seeftädte, dieſe bedangen fich gewiſſe Bortheile für ihre Dienfte aus.
Früh hatten die handelskundigen Italiener die Vortheile erfpäht, melde
ihnen die Küfte bieten könne. Die europäiiche Induſtrie bat dem Ber
kehr mit Syrien ungemein viel zu danken, fo die Zuckerfabrikation, welche
Stalien 1859. 497
man daſelbſt erft kennen lernte, die Färberei, Glasfabrikation u. dgl. m.
Außer Italienern ließen fih Provencalen, Engländer, Catalanen hier
nieber, doch überwogen die Italiener und unter dieſen die VBenetianer und
Genuejen. Der Berf. fest einjihtig und klar die inneren Berhältniffe
der italieniihen Colonien auseinander und jchilvert beſonders ausführlic
den zwiſchen Benetianern und Genueſen ausgebrochenen Colonialkrieg, wel»
der un 3. 1255 begann und 1270 durch einen Waffenſtillſtand auf Läns
gere Zeit beendet ward. Syrien wurde bei allen Kämpfen in Mitbrus
verichaft gezogen. Die Fehden und Kriege durch Handelsneid hervorge:
rufen erleichterten den Feinden den Sieg und vergebens bemühten fich oft
die Päpſte, zwiichen den rivaliſirenden italieniihen Staaten Frieden zu
Kiften. Rad dem Falle ver chriitlihen Staaten im Oriente verloren bie
Staliener an Hab und Gut ungemein viel, aber die Handelsverbindungen,
bie fie zur Zeit der Kreuzfahrten mit Damascus und Aleppo angeknüpft
hatten, trugen auch noch jpäter Früchte, und beſonders Beyrut ward das
Hauptziel für ihre Hanbelsflotten.
Sodann wendet fih der Hr. Verf. zu Tripolis, deſſen Gebiet Graf
Raimund von Touloufe zu erobern begann. Heyd beitimmt mit Recht
die Eroberung Kleingibellums (Dſchubeil, Gibelet) als in das Jahr 1104,
und die Gründe, welde gegen v. Sybel's Zeitbeftinnmung (Zeitichrift
für Geſchichtswiſſ. herausg. von Schmidt Br. I. S. 62), ver das Ful-
tum in's Jahr 1102 fett, beigebracht werben, können als volllommen
ſtichhaltig angefehen werden. ‘Der Hauptinduftriezweig in ten Städten
der Grafſchaft Tripolis war die Seidenmanufaltur, ven berentenpften
Handelsverkehr beſaß Tripolis. Von ten italimifhen Handelsnationen
ließen ſich die Genueſen zuerſt hier nieder, da ſie auch bei der Eroberung
von Tripolis weſentlich mitwirkten. Auch die Piſaner beſaſſen hier eine
formliche Colonie mit eigener Gerichtsbarkeit. Obwohl die Venetianer
fi an ver Vertheidigung der Stadt gegen Sultan Kelaun 1289 betheiligten,
fcheint e8 dennoch nicht, daß fie eine beveutende Niederlaſſung vajelbft
inne hatten. — Wichtiger als Tripolis ift das Yürftenthum Antiochien, wo
die Karavanenſtraßen aus dem mittern Aſien mündeen. Schon Ritter
bat in feiner Erdkunde hierauf ausführlich aufmerkſam gemacht, XVII 1,
p- 904 u. 2 p. 1606 ff. 1636 ff. Der Berf. beipricht jorann die bortigen
italienifchen Handelskolonien, die mit der Entftehungsgefhichte des Staats
anf das Inmigſte verflochten find und erzählt die Schidjule berjelben.
498 Ueberficht ber hiſtoriſchen Fitertur.
Der Berf. hat hiebei anch arabiiche Quellen im ergiebiger Weiſe benutzt
Wichtig für vie italieniſchen Haubelsftaaten war tie Bildung des Künig-
reichs Kleinarmenien, welches jeit 1200 in die Reihe der oriemtalijchen
Staaten eintrat. Richt die einheimiſchen Produkte machten das Land den
Stalienern werthvoll, aber bieher kamen die Waaren aus ven afiati⸗
ichen Gegenten zujammen, welche zu einem großen Theile hier den Land»
transport mit dem Seetransport vertauſchten. Die Blüthezeit des arme
nijchen Handels dauerte nur kurze Zeit, das Land litt durch die verhee⸗
renden Einfälle der ägyptiſchen Herriher ungemein. Yajazzo, der Haupt
fit des armeniſchen Handels, war 1320 vom Sultan Naftr erobert, und
obwohl die Armenier ji) jpäter wieder in den Beſitz desſelben fetten, jo
drang die muſelmänniſche Occupation jeit 1360 immer weiter vor; ba
Pand wurde jeit 1375 eine ägyptiihe Provinz. — Inden wir dem Hrn.
Berf. jür die reihe unv manigfaltige Belehrung unjern aufridtigen Dank
fagen, fügen wir ten Wunſch bei, die verfprochenen Yortjegungen über
die Kolonien in Kaffa und Zana, welde nun die Bermittlung zwiſchen
Orient und Occident übernahmen, bald veröffentlicht zu fehen. A. B.
Relazioni degli Ambasciatori Veneti, ed. FEugenio Alberi
Ser. II. Vol. 5 (®b. II der Eammlung) 1858 1. Ser. Vol. 4(Bd. XII d. S.). 1860.
Mit dem erfteren diejer zwei Bünde ift die zweite Serie der befann»
ten Alberijhen Sammlung, die der Relationen über die italienijchen Staa-
ten gejchloffen; die dritte Serie, bie ver Berichte über das osmanuiſche
Reich, ift ſchon früher beendet worden; der erſten, welche tie übrigen
europäiſchen Länder umfaßt, gehört der zweite der hier angezeigten Bände
an; ihm ſoll noch ein fünfter, Spanien betreffender, und ein jechfter, ver
bie noch nicht publicirten Relationen über Teutichland, ſowie über Polen
und bie Übrigen in Betracht kommenden nordiſchen Länder enthalten wird,
folgen; mit dieſen wird Dann diefe Serie und zugleid das ganze Alberi-
che Unternehmen jeinen Abjchluß erreichen.
Beide hier anzuzeigenden Bände enthalten auch diesmal höchſt werth⸗
volle Beiträge; in dem erfteren bemerken wir, neben vier Relationen über
Mailand (die erfte von 1520) und mehreren über Neapel, Sicilien und
verjchievene ber kleineren italienischen Staaten, bejonder8 die von Su-
riano über Ylorenz von Jahre 1529, welche nun zufammen mit den ans
deren früher publicirten Berichten von 1527 und 1530 (Bd. IL Fol. I.)
Stalin 1859. 4%
das venetianifche Material Über diefe letzten Jahre ber florentinifchen Frei-
beit ergänzt. Den Hauptinhalt des Bandes machen aber die Relationen
über Savoyen aus; auch über dieſes find einige ſchon in früheren Bän⸗
den enthalten; hier erhalten wir nun noch eine ftattliche Reihe hiezu, bie
von 1566 bis 1601 reiht. Man braucht diefe Periode nur zu nennen,
um anzudenten, von wie großer Wichtigfeit dieſelben find; es ift das Zeit-
alter Emanuel Filiberts, des großen Neugrünvers des ſavoyiſch⸗piemonte⸗
ſiſchen Staates, und feines Sohnes Karl Emanueld I., der in unabläßi-
gen Kämpfen und Projekten nad allen Seiten hin als großer Krieger,
als gewandter Diplomat die neugewonnene PBofition und Macht feines
Landes erprobte und auszubeuten ſuchte. Die enge Verbindung ber In⸗
treffen, worin Venedig mit dieſem Herzogthum in ver entgegengejetsten
Ede Italiens ſtand, ließ die Oratoren der Republik mit bejonderer Aus»
führlichkeit die Natur dieſes Staates, feiner Fürſten, jeines Volkes, feiner
Hilfsmittel, feiner Verbindungen ſtudiren und ſchildern, und man wirb
ben piemonteſiſchen Geſchichtsſchreibern kaum zu nahe treten, wenn man
dieſe Relationen als das weitaus bebeutenpfte Material für die Geſchichte
jener beiden großen Fürſten bezeichnet, welches bis jett vorliegt. Wir
wollen bemerfen, daß mehrere verjelben bereits im Anfang dieſes Jahr⸗
hunderts handichriftlic benützt worden find in dem trefflihen Werke von
Saluces, histoire militaire du Piemont. Turin 1818.
Der zweite diefer Bände enthält dreizehn Relationen über Frankreich,
von denen nur vier bisher durch die Ausgabe von Tommaſeo befannt
waren. Bemerfenswerth ift hier namentlich die erfte von Zaccaria Con-
tarint aus dem Jahre 1492 als die ältefte aller überhaupt bis jetzt be=
kannt gewordenen venetianiichen Relationen, älter auch als vie früheften
bon denjenigen, welche nur auszugsweiſe in dem großen handjchriftlichen
Tagebuch des Maria Sanudo enthalten find. Contarini begab ſich nach
Frankreich, um Karl VII. zu feiner Vermählung mit Anna von Bretagne,
der einftigen Verlobten Maximilians J., zu beglüdwünjchen; feine Schil⸗
derungen bes Königs und ber Königin, fein Bericht von der Lage bes
Landes, von dem Stand ber k. Finanzen, von der Einrichtung der Steuern,
Alles in einer alterthümlich naiven Sprache, die noch ringt, ſich aus ben
Banden des Iateinijchen Gejchäftäftiles loszuwinden, ift im hohen Grabe
anziehend; zwei Jahre nach dieſer Relation unternahm Karl VII. jenen
bekannten Zug nad Italien, der eine neue verhängnipvolle Epoche in ber
Geſchichte dieſes Landes bezeichnet. Leider ift die Relation nur ein Frag:
ment; fie bricht ab, wo Contarini begann über den Hof Karl VIE. und
über vie Parteien an tenjelben zu ſprechen. Die übrigen Stüde dieſes
Bandes gehören ver zweiten Hälfte des jechzehnten Jahrhunderts au (1543
bis 1600): tie oben erwähnten ſavoyiſchen Relationen aus ver gleichen
Zeit find aud für die Geſchichte Fraukreichs reich an manichjaltigen No
tizen und bieten eine willkommene Ergänzung für manche Lüden, welde
dieſe franzöfiihen Relationen doch laſſen. B. E
Luigi Cibrario, Brevi Notizie stricte e genealogiche dei Reali di Be
voia, colla serie cronologica dei loro acquisti. Torino 1859. 4. Reti. 92 8.
Tiejes Werlchen ift eigentlich eine Gelegenheitsſchrift, tie der be
fannte piemontejiiche Hiftorifer bald nach dem Kriege von 1859 verfaßt,
in ber Abficht, dem größeren Publikum einen rafchen und leichten Lebe:
blif über vie Geichichte der Monarchie zu ermöglichen, der ſich eben in
diejen Tagen ganz Italien zuwandte. Dieſem Zweck zu Folge hält fiä
die Darftellung natürlich in den engften Grenzen; nur in ben beigefügten
Noten erörtert der Berfaffer einige Fragen genealogifcher, chronologiſcher
und heraldiſcher Art. Bon Intereffe ift vie beigefügte tabellarifche md
chronologiſche Ueberfiht über die jeweiligen territorialen Erwerbumgen md
Berlufte des Haufes Savoyen von dem Grünter deſſelben, Humbert Beh
band, au bis zur Gegenwart. Wir Inüpfen an bie Erwähnung tie
Schriftchens den Wunſch, daß der Verfaſſer jein größeres Wert über die
Geſchichte feines Vaterlandes, welches bis jett nach dem britten Vande
der bis zum Tod des „grünen Grafen“ (1383) reicht, längere Zeit ji
paufiren fcheint, recht bald fortjegen und namentlich feine Darftellung tet
jo wichtigen Zeitalter Ameveus VIII. den Freunden italienifcher Geſchicht
nicht vorenthalten möchte. B. E.
Relazioni degli Stati Europei lette al Senato dagli An-
basciatori Veneti nel secolo decimo settimo, raccolte ed ar
notate da Niccold Barozzi e Gnglielmo Berchet. Serie I, Spagna Voll
1856 Ser. II, Francia Vol. 1. II. 1857. 1859. Venezia, Naratovich.
Die von Alberi herausgegebene Tlorentiner Sammlung von ver
zianifchen Relazionen beſchränkt fih ihrem Plane nah auf das fechzehate
Jahrhundert; die hier vorliegende venezianiiche Ausgabe von Barezzi und
Berchet ift für das ſiebzehnte beftimmt und bildet die Fortſetzung jew.
Dan jollte meinen, daß für biefes Jahrhundert, welches an aller Art
Stalin 1859. 501
geſchichtlichem Material und namentlih auch an fpeciell diplomati⸗
nicht cben Mangel leivet, dieſe Geſandtſchaftsberichte wohl Etwas
bem eigenthümlichen Werth einbüßen müßten, ven fie für vie frühe:
Zeiten anerkannter Maßen befigen, zumal ja überdies vie Politil ver
bit jetzt bekanntlich ſchon faſt völlig fich auf dem Wege ver Neu⸗
ät quand memo befeftigt hatte und allein nach dem Orient hin noch
Activitãt zeigte. Indeß ift dies durchaus nicht der Fall. Diele
jionen behalten doch nach wie vor ihren jpezifiichen Charakter, der jie
ede Zeit werthvoll macht und ber von andern Altenftüden verwandter
boch niemals erreicht worten ift; Romanin hat noch jüngft in dem
fchienenen Bande feiner venezianiichen Gejchichte eine Relazion über
Infänge der franzöfiichen Revolution herausgegeben, und nod viele,
ſcheinlich vie letzte, welche gejchrieben worden ift, wird man nidt
Genuß und Belehrung leſen. So hat aud im fiebenzehnten Jahr»
ert Benevig von ter hohen Warte jeiner europäijchen Friedenspolitik
mmabläfjig fharfen Auges Wacht gehalten über all’ die großen ges
tlichen Borgänge dieſes Zeitalterd, an denen es jich jelbit jo wenig
nöglih, am liehften als frievenftiftenve une vermittelnde Macht be
gte; es will uns fat ſcheinen, als habe, jei e8 gerade bieje Weiſe
fortwährend ſcharf beobachtenden Politik, ſei es die fortgejeßte Praxis
Tradition dieſer Art diplomatiſcher Schriftſtellerei, oder endlich die
janpt dem ſiebenzehnten Jahrhundert unzweifelhaft eigene Steigerung
zubliciſtiſchen Thätigkeit und Fähigkeit, auch dem Geiſte dieſer vene⸗
ſchen Oratoren noch etwas von Schärfe der Beobachtung und Klar⸗
des Urtheils hinzugefügt, als ſeien dieſe Relazionen des ſiebenzehnten
Genderts ſachlich und formell im Allgemeinen ven früheren noch über⸗
. Dan darf e8 vielleicht als ein Symptom dieſer potenzirten Auf-
ugsweiſe hervorheben, wenn bier einmal in einer Relazion aus Spas»
zur Charakteriſtik des Landes auch des blühenden Stantes ber Pi-
ne gedacht wird (Simeone Contarini Relaz. di Spagna Vol. I pag. 335);
mimt jonft, wenn wir nicht irren, eine ſolche Rüdjichtnahme auf
geiftige Leben einer Nation in biejen diplomatijchen Aftenftüden wohl
I dor.
Mit ven Relazionen aus Spanien wurde im Jahre 1856 die Samm⸗
eröffnet; der einzige bis jett erichienene Band dieſer Serie reicht
16823. Die inmerfte Art der ungebeuren ſpaniſchen Monarchie, bie
502 Neberficht der hiſtoriſchen Literatur.
unter Bhilipp IT. und IV. und ber Günftlingswirtbichaft fchon unver:
fennbar hervortretende Fäulniß des Koloſſes werben bier in den ftärkften
und harakteriftifchften Zügen mit veichem Detail und mit erftaunlich kla⸗
rem Bewußtjein aller Zufammenbänge geſchildert. Wollten wir Einzel⸗
nes hervorheben, fo würden wir namentlich auf eine Relazion von Alvife
Mocenigo 1626 —1631 (Vol. I. p. 592 — 697) hinweiſen, ſachlich und
formell wohl eine der vorzüäglichiten, welche überhaupt bis jet bekannt
geworden find.
Die beiden folgenden 1857 und 1859 erjchienenen Bände enthalten
die Berichte aus Franfreih vom Beginne des Jahrhunderts bis 1655;
bin und wieder, wo einzelne Relazionen fehlten, hat man dafür Auszüge
ans den Depeichen ver betreffenden Geſandten eingeſchaltet. So reich bie
Geſchichte Frankreichs unter Heinrih IV., Richelieu, Mazarin durch bie
eigene franzöſiſche hiftorifche Literatur illuftrirt ift, immer werben zeitge⸗
nöffishe Zufammenfaflungen viefer Art noch beinerfenswerthe Einzelheiten.
und Geſichtspunkte hinzufügen. Bon beveutendem Intereſſe find unter an»
derm die Depeichen des durch fein tragiiches Ende befannten Antonio
Foscarint, der von 1608 bis 1611 Geſandter in Frankreich war und
bie legten Zeiten Heinrih’8 IV , feinen Tod und bie Anfänge ber es
gentin Maria von Medici auf's eingehenpfte ſchildert (Vol. I. p. 303
— 382). Bor allen wird die biefen Nelazionen eigene Rüdjichtnahme
auf Finanzen und Verwaltung hier wie anderwärts die gewöhnlichen
Lücken der meiften übrigen Quellen oft in willkommener Weife ausfüllen
können.
Dieſe Sammlung iſt auf ſechs Serien, je eine für Spanien, Frank⸗
reich, Deutſchland, Nom und die Türkei, vie jechfte für England und bie
Heineren in Betracht kommenden Staaten angelegt. Der Arbeit ber
Herausgeber bei den vorliegenden drei Bänden ift das Lob des Fleißes
und der Sorgfalt zuzuerfennen, welche man bei den Florentiner Editoren
bisweilen vermißt; jo fine namentlih vie den einzelnen Relationen vor⸗
ausgeſchickten biographiihen Skizzen über ihre Verfaſſer ſehr dankenswerth
und bringen mancherlei intereffante biftorifche und literariſche Notizen; bie
Erläuterung einzelner Stellen in ven Relationen durch Bruchftüde aus
den Depeichen deſſelben Gejanbten empfiehlt ſich gleihjalls fehr, und
bürfte man vielleicht diefem Verfahren eine noch ausgebehntere Anwendung
winfchen. Wir hoffen, daß das Unternehmen recht bald feinen feit 1859
unterbrochenen Fortgang gewinnen möge. B. E.
Stalien 1859. 503
Francesco Storsa Benvenuti Storia di Crema. Milano 1859.
2 Vol. 8.
Zu den mannigfaltigen Monographien über die Gejchichte einzelner
oberitalienifcher Städte gejellt fich hier eine neue über Crema. Das ift
das Eigenthümliche vor allen ver lonibardiſchen Städte, daß fie gleihjam
Individuen find, die zur Biographie reizen; benn wenn es die Haupter⸗
forberniffe einer folhen find, daß man einmal ein Individuum vor fi
habe, das durch die Eigenthümlichfeit jeiner Art und feiner Schidjale ſich
kenntli und merkwürdig macht, und welches zugleih in Mitten größerer
allgemeiner Bezüge gelebt und gewirkt hat, fo trifft dies, wenn man ben
Bergleih von einem Einzelweſeu zu einer ſtädtiſchen Gemeinichaft machen
barf, in vorzüglicher Weite bei diejen Städten zu, deren jede eine Reihe
wichtiger, ihr. eigenen Entwidelungen nnd Begebenheiten aufweift, während
doch jede auch wieber in den größten weltgejchichtlichen Zujammenhängen mit
größerer ober geringerer Bedeutſamkeit eine Stelle hat.
Die eigentliche Geihichte von Crema beginnt nicht vor dem elften
Jahrhundert; denn wir werben gern ven fabulöſen „Grafen“ Crema's,
mmter welchen, wie e8 beißt, vie Stadt bald nad dem Einfall Alboins
in Italien gegründet ward, dem Cremasſscher Yocalpatriotisinus zu aus⸗
ſchließlicher Benutzung überlaffen; aber in ver Zeit der Erhebung ber
Communen gehörte Crema zu den erſten Städten, die durch Waffengewalt
ihre municipale Freiheit errangen; zugleih mit dieſem Schritt beginnt
auch die mehr als hundertjährige erbitterte Fehde, die e8 mit dem be⸗
nachbarten Cremona zu führen hatte, weil dieſes nach einer Schenkung
der Markgräfin Mathilde Anſpruch auf das Cremascher Gebiet erhob.
Diefe Feindſchaft trieb Crema in das engjte Bündniß mit Mailand und
mit diefem Borort der lombarbiichen Stäpte bleibt e8 in ver längiten
Zeit feiner Selbftänpigkeit in nächfter Verbindung. Im Jahre 1159 lag
Barbaroffa, verbündet mit Cremona, Lodi, Pavia, vor der Stadt; eine
benfiwärbige Belagerung von mehr als ſechs Monaten; zuletzt ward bie
Stadt erobert und zerftört; lange Zeit hindurch verhinderte die Erbfein-
bin Cremona, ver das Territorium von Barbaroffa zugewiefen war, ben
Wiederaufbau; an der großartigen Erhebung des lombarbijchen Bundes,
an dem Conftanzer Frieden hat Crema, wenigftend als Stadt, feinen An⸗
theil nehmen können; erſt zwei Jahre nach dem letzteren 1185 erlangten
vie Mailänder von Barbaroffa, ven Cremoneſen zum Trotz, die Erlaub⸗
504 Ueberfiht der Hiftorifchen Literatur.
niß, bie Stadt wieder aus ihren Zrümern zu erheben. Nun folgten allent-
balben die wilden ftädtiichen Kämpfe der Guelfen und Ghibellinen; wie
in Mailand überwog in Crema bie guelfifche Bartei unter Führung bed
Hauſes Benzoni, die Öhibellinen ftanden ihnen entgegen unter ven Contis
fani; wie überall endlojes aufreibendes Ringen und Schwanken zwiſchen
beiden; nachdem in Mailand die Bisconti Über die guelfiſchen Torre ges
fiegt, fommt e8 wohl in Crema einmal im Anfange des 15. Jahrhunderts
zu einer Heinen Localtyranıms der Familie Benzoni, aber es währt kurz
jo kehrt die Stapt wieder unter die directe Herrſchaft des viskontiſchen
Mailand zurüd. Und fo. blieb es bi8 zum Ende der Visconti; nad ihrem
Ausfterben gehörte Crema zu den Städten, die Francesco Sforza, ber
neue Herr von Mailand, an Venedig abtrat, und bis zum Ende diefer
Republik ift e8 dann eine ber venetianijchen Unterthanenſtädte geblieben.
Dies ift die Geichichte, Die uns hier von einem Abkömmling einer
ber älteften Cremascher Familien gejchilvert wird. Auf erſchöpfende Gründ⸗
lichkeit und auf ftrenge Kritik, namentlid in den älteren Parthien, dürfte
das Werk feinen Anſpruch erheben; für die fpäteren bringt e8 zum Theil
aus Handfchriften und Familienardhiven manche nicht uninterejlanten Bei-
träge (Fol. I, S.297, ein intereffantes, ungebrudtes Fragment von einer
Predigt des Bernardino da Feltre, 1493 in Crema gehalten, culturhifto-
riſch merkwürdig); von Werth ift u. a. auch das Kapitel, worin er un»
befangen und unpartheijch in dem Beijpiel von Crema das Verfahren der
Benetianer gegen ihre Unterthanenſtädte auf der Terraferma eremplificitt.
In zwei legten Kapiteln erzählt ver Berf. noch die Geſchichte jeiner Ba-
terftabt von der franzöfiichen Revolution an; die Bublilation des Buches
wurde im Februar 1859 von der öfterreichiichen Polizei verboten; nad)
bem Kriege erfchien e8 dann bis auf die neuefte Zeit fortgeführt. B.E.
Nuova istoria della republica di Genova del suo commereio
e della sua letteraturs dalle origini all’ anno 1797 narrata ed illustrata
con note ed inediti documenti da Michel Giuseppe Canale. Vol. I.
p. 472. Vol. IL. p. 688. 1859.
Der Berfaffer hat fi) durch feine Arbeit unftreitig ein großes Ver
bienft um bie Gejchichtfchreibung erworben, indem er durch dieſe ausführ-
liche Geſchichte feiner Vaterſtadt einem wahrhaften Bedürfniß entſprach.
Die Vorarbeiten, welche er dazu angeftellt hatte, befähigten ihn in jeber
Hinſicht dazu. Abgejehen von ven reichhaltigen genuefifchen und piemon-
Stafien 1859. 508
tefiichen Archiven, die ihm zu Gebote fanden, hat er es auch in Venedig,
Florenz ımd Wien an Nachforſchungen nicht fehlen laſſen und auf Diele
Weiſe ein reichhaltiges Material zuſammengebracht. In den vorangefcid-
ten diseorso storico gibt der Verf. eine Überjichtlihe Gejchichte Genua's
von den älteften Zeiten 5i8 zum Jahre 1100. So richtig im Ganzen
das Bild ift, welches mit geübter Haud bier entworfen ift, je läßt ſich
anderfeit3 nicht in Abrebe ftellen, daß einzelne Irrthümer nıitunterlaufen,
bie bei kritifcher Würdigung ter vorhandenen Quellen hätten vermieten
werben fönnen. Der Berf. kann ſich von einzelnen Vorurtheilen und Hy⸗
potheſen, bie von gründlichen deutſchen Hiſtorikern längſt Lejeitigt wurden,
nicht losmachen. Defto mehr befriedigen die folgenden Abſchnitte. Die
exſte Periode vom Jahre 1100— 1190 behandelt in ſechs Büchern die
imnern und äußern politiſchen, ſocialen und commerciellen Verhältniſſe Ge-
aua’s. Der bie politiihe Geſchichte behandelnde Abjchnitt, mit den Kreuz⸗
zügen beginnend und mit dem Tode Friedrich I. endend, bietet nichts
weſentlich Neues, wohl aber vie Parthien über tie Verfaſſung Genua's.
Unbedingtes Lob vervienen die Abſchnitte Über den Stand und Verkehr
Genna's bis an's Ende des 12. Yahrhunderts. Der Verf. gibt erſt eine
Ueberficht des Handels in den legten Jahrhunderten vor Chriſti Geburt,
und ſchildert ſodann ven genuefiichen Handel im Bosporus und Pontus
Baxinus, auf den Balearen und Spanien, Frankreich und int Übrigen Itas
hen. Iſt auch nicht Alles neu, jo verdient doch die are und faßliche Zuſam⸗
menftellung alle Anerkennung. Wichtig find die beiten Kapitel delle leggi
commercisli und dei Consolati (S. 371— 379), weil ter Berf. bier ein
Gebiet betritt, welches leider noch jehr wenig aufgehellt iſt und ter Bear⸗
beitung jo ſehr bedarf. S. 382 ff. werben zwei Preistafeln aus dem
12. Jahrhundert veröffentlicht. Das fünfte Buch beſchäftigt fich mit Kunſt,
Wiſſenſchaft und Literatur der Genueſen, wofür tie storia letteraria della
Liguria vorgearbeitet bat. Noch mehr Ausbeute liefert ter zweite Band,
der bis zum Jahre 1270 reiht. Unter ten jehr interejjanten Kapiteln
dieſes Theiles heben wir wieder bejonverd die materiell » commercielle und
imbuftrielle Verhältniſſe behandelnden hervor. So S. 112 della moneta
d’oro e della Zecca genovese und das fiebente, achte, neunte, zehnte und
elfte Buch. Manches finvet jich jchen in dem vor einigen Jahren ver⸗
öffentfichten Werte des Verfaſſers Über die genuejiichen Kolonien in ber
Leim. Einige unweſentliche Punkte bepürfen hier ver Berichtigung. So
506 Ueberfiht ber hiftorifchen Literatur.
3. B. was über die Geſchichte des Wechſels beigebracht wird; die Arbei-
ten von Ahrens und Biener find dem Berfaffer unbelannt und er begnügt
ſich Pardeſſus abzujchreiben. Der im beurigen Jahre cerfchienene dritte
Band ift nns noch nicht zu Geſichte gefommen. A, B.
Negociations diplomatiques de la France avec la To»
cane. Documents recueillies par Giuseppe Canestrini et publids par Abel
Desjardins. T.1. 4. LXVII. S. 714. Paris, 1859. 8.
Herr Desjardins hat fih die Aufgabe geftellt, alle jene Documente
zu ſammeln, welche auf die diplomatiſchen Berhandlungen zwiſchen Frank⸗
reich und Toscana Bezug haben und er wird von den in Italien all
befannten Hiftorifern Caneftrini und Bonaini unterftägt. Die Sammlung,
deren eriter Band hier veröffentlicht wird und einen Theil ver Documents
inedits bilvet, wird aus mehreren Bänden beftehen. Bis jeßt liegen bie
bireften Verhandlungen zwijchen Frankreich und Toscana unter den Valois
und zwar von Philipp von Balois bis zum Tode Karla VIN. vor. Der
Herausgeber bat fi durch feine Einleitungen, welche er jever Epoche vor»
herſchickkt, durch die biographiichen Notizen über jeden Geſandten ein
bejonveres Berdienft erworben. Jede Verhandlung wird überdies durch
eine Heine Skizze eingeleitet, die uns ermöglicht, das Weſentliche und Bes
beutende herauszufinden. Die politifchen Beziehungen zwiſchen Frankreich und
Toscana, die in der Folge immer beveutender wurden, batiren feit der
zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Bon großem Intereſſe find die
Handelsverbindungen, die zwijchen Florenz und Frankreich in den legten
Jahrhunderten des Mittelalters ſtatthatten. Jede Zunft war im Aus
lanvde durch Konjuln vertreten. Am bedeutendften war vie arte di Celi-
mala, welche ſich mit dem Appretiven der franzöfiichen Tuche befchäftigte,
bejonver8 das Färben war ein einträgliches Gewerbe. Die vorzüglichften
Zwifchenorte des Handels waren Narbonne, Montpellier und Marjeille;
bie Babrifen von Paris, Saint Denis, Bourges, Rouen, Caen, Monti-
villiers, Troyes, Lagny, Provins, Avignon, Arles, Toulon, Marſeille,
Nimes, Montpellier u. m. a. lieferten die meiften Tuche. Die Rurustuche
wurden größtentheild aus Italien nah Frankreich geführt, welches bie
rohen Zuche den Italienern lieferte. Nicht minder wichtig war die Wol-
Ienweberei, wozu der Rohſtoff aus Portugal, England, Franfreih, ver
Berberei, den Balearen bezogen wurde; im 9. 1338 wurden etwa
80,000 Stück im Werthe von 1,200,000 Goldgulden gefertigt, und be-
Stalien 1859. 507
hauptete ſich bis ins 15. Jahrh. ‘Die Seivenwebereien von Florenz mach⸗
ten jchon feit dem 13. Jahrh. den andern italienijchen, beſonders den in
Lucca gefertigten Concurrenz; bie franzöftjchen Märkte wurden mit flo-
ventinischen Arbeiten förmlich überſchwemmt.
Die Angaben, welche wir über das florentinifche Wechſelgeſchäft er-
halten, find nur theilweiſe von Belang. Das Meifte ift längſt befannt, ebenjo
was wir über die Innung der medici e speciali erfahren. Die Ausein-
auberjegungen der Herausgeber über die politijchen Berhältniffe von Flo⸗
renz bieten ebenfalls nichts Neues. Deſto intereflänter find vie Aftenftüde,
welche uns in das Getriebe ber franzöſiſchen Politik einmweihen, nnd für
vie Geſchichte des 15. Jahrh. mandes Beachtenswerthe enthalten; na⸗
mentlich die zweite Abtheilung, welche vie Periode Karl's VIII. umfaßt,
iR berädjichtigenswerth. A. B.
Carte comparde de la Sicile moderne avec la Sicile au XII Sidcle
d’apres Edrisi et d’autres gdographes arabes publide sous les auspices de
M. le Duc de Luynes par B H Dufour geographe, et M Amari. Notice
par M. Amari Paris, 1859, p. 51. 4.
Der berühmte Verfafler ver Geſchichte der Araber in Sicilien bat
fi durch die Bemerkungen, welche er viefer Karte hinzugefügt, ein neues
Berbienft um die Geſchichte und Geographie der Infel unter arabifcher
Herrſchaft erworben. Die Hauptquelle, aus der er fchöpfte, um das
topographifche Detail ficher zu ftellen, ift ver befannte arabijche Geograph
Edriſi, der fein Werk im I. 1154 verfaßt hat. Die Arbeiten der neuen
Gelehrten über Edriſi find mit außerorventlihen Fleiße benugt worden,
namentlich Reinand, Colerel nnd Jaubert, der in den 9. 1836—40 die
Arbeit des Arabers ins Franzöſiſche überjegt hat. (La geographie d’Edrisi
trednite de l’Arabe en francais. 2 Vol. Paris.) Die früheren Arbeiten ita-
Genifcher Gelehrten find ſehr lückenhaft. Unter ven neuern war auch Nies
mand fo fehr geeignet für vie erafte Durchführung eines ähnlichen Wertes
wie Amari, der aus eigener Anfchauung die Infel fennt und bamit eine
außerordentliche Belejenheit arabijcher biftoriicher und geographifcher Werte
verbindet. A, B.
1. Allgemeines.
Troya, Carlo, Storia d'Italia del medio evo. Vol. IV. Co-
dies diplomatieo Longobardo. Napoli, stamp. reale, 1859. 8.
Oilpexiſqͥe Beitfäeift VL Bam. 34
506 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur.
Bilvin, Maurice, Apercus historiques sur 1’Italie depuis la
fondation de Rome jusqu’ au lbtme siecle. Turin, 1859. 2 vols. 8.
Mutinelli, Fabio, Storia arcana e aneddotica d’'ltalia
racoontata dai Veneti ambasciatori. Fasc 16-23. Vol. IH. IV. Venezia,
Narratovich, 1858. 8.
Bosco, G., Storia d'Italia raccontata alla gioventü dai suoi primi
abitatori sino & nostri di, corredata di una carta geografica d'Italia. 2a
ediz. Torino, 1859. 18,
The Story of Italy. By the author of „Mary Powell“. London,
Bentley, 1859. 380 8. 8.
Cantu, Cesar, Histoire des Italiens, traduite sous les yeux
de l’auteur par Armand Lacombe, d’apres la neuvieme &dition italienne.
Tome 1—3. Paris, Didot, 1859. VIlI, 622, 548, 556 8. 8,
Rosa, Gabriele, Sommario di storia della coltura Its
liana. II. edit Venezia, 1859.
Bellini fasti della civilta coltura e indipendenza degli
Itsliani. Venezia, 1859. Vol. Il. 8.
L’Iltalie, ses gloires et ses malheurs. Réeit indispensable &
Yintelligence des &venements contempor.ins. Paris, Dentu, 1859. VI,
64 S. 18.
Förster, Dr. Otto, Italidö wat het was en is. Oversigt der
geschiedenis, aardvijkskunde en statistiek van ltaliö van den vroegsien
tijd tot op onze dagen. Uit het Hoogd. vertaald door N. S. Calisch.
Amsterdam, Binger, 1859. VIII, 157 S. 8.
Pöppelmunn, Ludw., De Italico itinere Johannis Lt
cimburgensis Bohemiae regis. Pars. prior. Dissert. inaug. Breslau.
1858. 80 8. 8.
Rendu, Eugen, I’Italie et l’empire de !’Allemagne. 26 dä
tion, augmentde d’un chapitre sur la politique de la France en Italie et
pieces diplomatiques tirdes des archives de Turin. Paris, Dentu, 1859. x
184 8. 8.
Vespasiano de Bisticio, vite di nomini illustri del secalo AT
Stalien 1859, 6509
stampate le prima volta da Angelo Mai e nuovamenta da A, Bartoli. Fi-
renze, 1859. 8.
La storia di Girolamo Savanarols e de suoi tempi narrata de
Pasquale Villari con l’aiuto di nuori documenti. Volume primo di
p. 489. Firenze, 1869.
Recueil de traitds, conventions et actes diplomatiques
concermant l’Autriche et l’Ltalie (1703—1859). Paris, Amyot, 1859.
xV. 792 8.8,
Wrightson, Rich. Heber, Geschichte des neueren Italiens,
Von der ersten französischen Revolution bis zum J. 1850. Aus dem Engli-
schen von Jul. Seybt. 2te unveränd. Aufl. Mit dem Porträt des Papstes
Pins IX. in Stahlstish. Leipzig, Tork, 1859. XVI. 264 S. 8.
Moreau, E. Histoire des guerres d’Italie sous la républiquo,
le consulat et l’empire (1792-1814), suivie du recit de l’occupation d’An-
eöne en 1832 et du siöge de Rome en 1849. Redige d’apres les bulletins
des armees, les documents officiels et les ouvrages militaires de l’empereur
Napoleon. Paris, libr. populaire, 1859. 286 8. 8,
Guerres des Frangsis en Italie depuis 1794 jusqu’ & 1814,
avec 16 cartes ot plans des principales batailles. 2 vols. Paris, Didot,
1859. VIII. 1012 8. 8.
Turotti, Felice, Storia dell 'armi italiane dal 1796 al 1814,
con p efazione e note dal Dr P. Boniotti. Edizione illustrata. Disp.
61—72. Milano, Boniotti, 1869. Vol 111. 8. 187—569. Mit 12 Kpfm. 8.
Le Duc, Leouzon, L’empereur Napoleon 1. et l’Italie. Paris
Levy Fr., 1859. 16 8. 8.
- Buth, Dr. E, Geschichte des italienischen Volkes unter
der Napoleonischen Herrschaft als Grundlage einer neuesten Ge-
schichte Italiens. Leipzig, G. Müyer, 1860. VI u. 95 8. gr. 8.
Farini, Carlo, Storia d’Italis dall’ anno 1814 sino à giomi
nostri. Vol, II. Torino, Franco e Figli, 1809. 8.
Reuchlin, Dr. H., Italien historia fran de regrande dynastier-
nas grundläggning tid närwarande titt. Oefwersättning of Gustaf Thom de.
1—8, delen. Stockholm, Bonnier, 1859, 8. 1—409. 8.
a
610 Ueberfiht der Hiftorifchen Literatur. |
Gretton, A. L. V., The vicissitudes of ltaly sinee the
congress of Vienna. London, Routledge, 1859. 340 S. 8.
Rioeiardini,Joseph, Histoire de l’Italie et de ses rapports
avec l’Autriche de 18315 jusqu’ & nos jours. lllustrations de Char-
les Mettais. Carte de l’Italie dressee par A. H. Dufour. Paris, Barba, 1859.
144 8. 4. "
Rendu,Eugdne, L’Autriche dans la confeddrationitalienne
Histoire de la diplomatie et de la police de la cour de Vienne dans les
Etats du pape depuis 1815, d’apres les documents nouveaux et les pièces
diplomatiques. Paris, Dentu, 1859. 164 8. 8.
La Varenne, Charles de, Les Autrichiens et l’Italie. Histoire
anecdotique de l’Occupation autrichienne depuis 1815, pröcddee d’une intro-
duction par A. de la Forge. 3 ddition, revue et augmentee, Paris, Dentu,
1859. XVI. 344 8. 18.
Soria Diego, Histoire göndrale del’Italie de 1846 & 1850.
Paris, Grassart, 1859. 2 vols. 1440 8. 8,
Le istorie italiane di Ferdinando Ranalli, 1846—1853. Tersa
edizione riveduta dall’ autore. Vol. IV. Firenze, 1859.
Coppi, A., Annali d’Italia dal1750. Tom. IX. dal 1846 al 1847.
Firenze, Cellini e Ce., 1859. 280 8. 8.
Vimercati, Cösar, Histoire de l’Italie, en 1848 et 1849, Te
edition, précodéo d’une pröface par Charles Hertz. Paris, 1859. 6258. 8.
Ulloa, general, Guerre de l’inddpendance italienne on 1848
et en 1849. T. ler. Evénements anterieurs & la guerre, campagnes du
Pidmont et guerre dans la Venetie. T. 2. Affaires de Toscane et de Sicile;
guerre de Rome; blocus et siöge de Venise. Paris, Hachette et Ce, 1859.
XII. 784 8.8.
®
Schönhals, göndral, Campagnes d’Italie de 1848 et 1849.
Ouvrags traduit sur la septiöme &dition allemande par Theophile Gautier
fils; avec une pröface et une carte Alenoon et Paris, Poulet-Malassis et
de Broise, 1859. XII. 428 8. 12.
Bastide, Jules, La rdpublique frangaise et VItalie en
1848; recite, notes et documents diplomatiques. Bruxelles, Hotsel, 1859.
270 8. 12.
9”
Stalien 1859. 511
Lamartine, A. de, Le Pismont et la Franee en 1848, Lettre
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Rê Chassin, Ch. L., Manin et!’Italie Paris, Pagnerre, 1859.
418.8.
Delle nuove speranze d'Italia paralello tra il 1848 e il 1859
per Biazio Caranti. Torino, 1859. 8
Bufini, J. Lorenzo Benoni, Me&moires d’un refugid italien. Tra-
duit avec l’approbation expresse de l’auteur, par Octave Sachot. Paris,
Blanchard et Ce., 1859. VIII. 348 8. 18.
Büstow, W., Der italienische Krieg 1859, politisch-militärisch
beschrieben. 3 Abthlgn. Zürich, Schulthess, 1859. III. u. 4118. 8. 8 lith.
K. in Imp.-Fol.
— —.. dasselbe. 1. Abth 2 Hefte 2te durchges. Aufl. Ebend, 8.
Mit 1 K
Waohenhusen, Hans, Tagebuch vom italienischen Kriegs-
schauplatz. Aus dem Hauptquartier. 5 Lfgn. Berlin, Verlags-Comptoir,
1869. 301 8. 8. m. 3 Holzschntaf.
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schen Offsier. 2. Aufl Wien, Gerold’s Sohn, 1859. 76 8. 8.
Boggio, PietroCarlo, Storia politico-militare della guerra
dell’ indipendenza Italiana (1859) compilata su documenti e rela-
sioni autentiche. Opera corredata di uns Gran Carta strategica dell’ alta
italia divisa in 8 fogli ed arrichits dei ritratti dei principali oondottieri
dell’ esercito Franco-Sardo, di disegni e piani topograflei, eoc. Torino,
Franco o figli e comp., 1869. Fasc. 1—8. 4.
Achard, Amddde, Montebello, Magenta, Marignan. Lettres
@Italie (mai et juin 1859). Paris, Hachstte et Ce., 1859. 314 8. 18,
Basancourt, Baron de, La campagne d’Italie de 1859. Chro-
niques de la guerre. Ire partie. Paris, Amyot, 1859. VII. u. 450 8. 8.
Poplimont, Ch., Campagne d’Italie 1859. Lettres & l’Obser-
vateur beige. Bruxelles, 1859. 504 8. 8,
Teoxzier, Edmond, Chronique de la guerre d’Italio. Paris, Ha-
ehotto et Ce., 1869. 846 8. 8.
512 ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatım.
Adam, Ch., La guerre d’Italie. Histoire complöte des opdrations
militaires dans la Peninsule, rédigée d’apres le Moniteur, les pidces offi-
cielles, les correspondances particulieres et des documents inddits, et pre-
cödee d’un exposed des faits qui ont amend les hostilites, ainsi que des
eclaircissements qui peuvent faciliter l’intelligence des &evönements. Ire u.
2e partie. Paris, Walder, 1859. 172 u. 170 8. 8. m. Portr. u. Karten.
Roy, J. J. E., Histoire de la guerre d’Italie en 1859, pre-
eédée d’un coup d'oeil sur la question italienne et sur les causes de cette
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La Värenne, Charles de, Lettres italiennes. Victor Emanuel II.
‘et le Pidmont en 1858. Paris, libr. nouvelle, 1859. 891 8. 18.
IL Piemont und die Lombardei.
Verona, A., Storia della monarchia di Savoja. Torino
1859. 12.
Cibrario, L., Brevi notizie storiche e genealogiche dei
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Litta, conte Pompeo, Storia dei duchi di Savoja. Parte 1.
Milano, Meiners, 1859. 8.
Corelli, P., Da San Quintino ad Oporto, ossia, gli eroi di
Casa Savoja. Edizione di lusso con contorni e filetti, con 87 illustrazioni
ecec. 4 vol. Torino 1859. 60. 8. .
Greppi, comte Joseph, Reve6lations diplomatiques sur
‘les relations de la Sardaigne avec l’Autriche et la Russie
pendant la premidre et la deuxi&me coalition, tirdes de la correspomdance
officielle et inddite des ambassadeurs de Sardaigne à Baint- Pötersbourg.
‚Paris, Amgot, 1859. 240 8. 8.
Costa de Beauregard, marquis, Souvenirs du regne d'Amé-
dee YVIIl. premier duc de Savoie. Memoires accompagnds de pidces
justificatives et de documents inddits., Chambdry, 1859. 275 8. 8.
Mandelli, Vittorio, Il eomune di Vercelli nel medio evo,
studi storici. Vercelli, Guglielmo, 1858. Vol. II. III. 8.
Rossi, 8Storia della oitta di Ventimiglia. Torino, Barrera,
1858, 8.
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Bertacchi, D., Monografia di Bobbio, overro oenni storici,
statistici, topografici ed economici. Pinerolo, 1859. 8.
Della oitta di Libarnia e memorie e documenti per servire alla
storia della cittä e provincia di Novi, raccolti, publicati dal Sac. G. F.
Capurro. Torino, 1859.
San Giovanni, barono Gius Man. di, Dei marchesi di Vasto
e degli antichi monasterii dei 8S. Vittore e Costanzo e di S. Antonio
nel marchesato di Saluzzo. Studi e notizie critiche. Torino, 1858. 380 8. 8.
'Schiavinae, Guillelmi, Annales Alexandrini, Edid. Vin-
centius Ferrerus Punziglionus, Augustae Taurinorum, 1859. 2 voll
600 u. 700 8. 8.
Mdmoires et documents de la Socidtd saroisienne d’hi-
stoire et d’archeologie, & Chambery. Tome 11, 1858. Chambery, 1858,
8310 8. 8.
Enthält u. A.:; Rabut, numismatique, savoisienne. Mortillet,
note sur la voie romaine qui traversait Passy en Faucigny. — Rabut,
documents relatifs au couvent de St. Dominique de Chambery. (2. serie).
D’Arve, sur lancienncte, les noms ct la situation du diocöse de Mauricnne
manuscrit de R. Esprit-Combbet,
Atti della societä Ligure di st oria patria. Vol. 1. Genora
Ferrando, 1859. Fasc. 1 u. 2. 1858 u. 1859. 8.
Olivero, Agostino, bibliotecario, Monete, medaglio o sigilli dei
principi Doria che serbansi nella biblioteca della regia Universita ed in
altre collezioni di Genova, descritti ed illustrati. Genova, 1859. 107 8. 8.
mit D Kpfrn.
Capelloni, Loronzo, La congiura di Giovan Luigi
Fiesco, illustrata con note e documenti da Agostino Olivieri. Genova,
1858. 8.
Martini, Giuseppe, Storia della restaurazione della
republica di Genova all’anno 1814, sua caduca e riunione al Piemonte,
Fanno 1815. Con documenti inediti. Asti, Raspi 1855. 8.
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sua origine fin al 1857, dal Canonico Bosisio. Pavia, 1858,
)
614 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur.
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sisio. Paris. 1859.
Corio, Bernard, Storia di Milano, eseguita sull edizione prin-
cipe del 1508, ridotta a lezione moderna con prefasione, cita e note del Prof.
Egid. de Magri. Vol III. Disp. 21 22. Milano, Colombo 1859. 8. 641
—719. 8.
Casati, A, Milano ed i principi di Savoja; cenni storici.
2a ediz. rifuss ed aumentsta, Torino 1859. 16.
Odorici, F., Storie Brescianc dai primi tempi fino all’ eta
nostra: Vol. VIII. Brescia, 1858 — 1859.
Codice giplomatico Bresciano dal quarto seculo sino all’ era nostra,
raccolto e pubblicato da F. Odorici. Parte V. VI. Brescia 1859. 8.
m. Benetien und Wälſchtyrol.
Daru, Graf, Geschichte der Republik Venedig. Deutsch von
Theod, Ruprecht 2te vollständige Ausgabe. 4 Bde Leipzig. C. Wi-
gand, 1859. LXV, 1955 8. 8.
Dandolo, G., La caduta della republica di Venezia edi
suoi ultimi cinquant’ anni. Studii storici. 2 vol. Venezia 1859. 8.
Romanin, S., Storia documenta di Venezia Tomo VIIL
parte 1-4. Venezia, Narrotovich 1859. 60. 8.
Moroni, G, Venezia e quanto appartiene alla sua storia
politica e religiosa, alle sue arti ed industrie, a suoi dogi ed a’ suoi
vescovi e patriarchi. Venezia. 1859. 8.
Del diritto dei Veneziani e della loro jurisdizione sul mare
adriatico. Opera del giureconaulto di Marostica e Vicenza Angelo Matteazsi
prof. di Pandette a Padova nel seculo XVI ripubl. voltata in italiano 6
commentata da Leonardo Dudreville Venezia, 1859. 8.
Numismatica Voneta. Serie di monste e medaglie dei dogi di
Venezia. Illustrasione scientifiche che fanno parte o possono starsene se-
parate dalla storia dei dogi. Con tavole. Venezia 1859. 4. .
Stalien 1859. 515
Venétie devant PEurope, Correspondance diplomatique
le Manin. Paris, Dentu, 1860. 47 8. 8.
Documents et piöces autbentiques laisses par Daniel Manin, s. un-
sere Zeitschrift Bd. V 8. 213.
Bonato, Modesto ab, Storia dei sette comuni e contrade annesse,
Fasc. XV, tom. 1. 2. Padova 1858. 112 S. 8.
Dario, della guerra di Chioggia d’un anonimo Padovano contem-
poraneo ora per la prima volta publicato. Padova, 1859 p. 23. 8.
Relazione inedita di Pietro Sanudo Capitano di Padova del 27 Set-
tembre 1572 al Veneto Senato. Padova 1859.
Monumenti artistici e storici delle provincie Venete.
Descritte dalla commissione instituta da S. A J. R. l’arciduca Ferdinando
Massimiliano Faso. I. Milano, 1859. 4.
Bibliotheca trentina ossia raccolta di documenti inediti e rari
relativi alla Storia di Trento redatta di Tomaso Gar. — Disp. VII a IX:
statuti della cittk di Roveredo 1425 — 1610 con una introduzione di To-
maso Gar. Trento, 1859. 8.
Gar, Tommaso, Ricerche storiche riguardanti l’autoritä
e giurisdisione del magistrato consolare di Trento composte dal barone
Giang. Crosseri, riordinate ed annotate. Trento, 1858. XXXI, 64 S. 8,
V. Parma, Movena, Toscana.
Poszzana, Angelo, Storia dellacittä& di Parma. Tomo V. Parma,
tip. reale 1859. 450 u. 139 8. 4.
Chronaca Fr. Salimbene Parmensis. Parma, Fiaocadori, 1857.
425 8. 4.
Biancey, Henri de, Madame la duchesse de Parme et les derniers
6r6nements. Paris, Dentu, 1859. 175 8. 8.
Documenti relativi al governo degli austro-estensi in Modena
pabblicati per ordine del Dittatore delle provincie Modenesi. Dispensi 10,
11, 12. Modena, 1859 — 60.
Scharfenberg, J. H. A, Geschichto desHerzogthums Mo-
‘
516 Ueberfiht der hiftorifchen Literatur.
dena und des Herzogthums Ferrara. Bis zum J. 1815. Mainz,
Kirchheim, 1859. VII. 294 S. 8. |
Nerli, senatore Fil. de, Commentari dei fatti civili occorsi
dentro la cittä di Firenze dall’ anno 1210 al 1537. 2 voll. Triest,
Coen, 1859. XIX. 517 S. 8.
Relations commercials de Flörence et de la Sicilie aveo
l'Afrique au moyen-Age par M. L. de Mas. Latrie in der. bibliotheque de
T’Ecole des Chartes IV. Serie tome V. 8. 209 ff.
Documenti relativi a Santa Caterina da Siena pubblicati
nella occasione della dominica in Albis dell’ anno 1859 per Cura dell’ av
G. B. Regoli. Siena, 1859.
Toecana e Austria. Cenni storico-politici. (Dispensa quarta della
Bibliotheca Civile dell’ Italiano). Firenze, 1859. 8.
Trollope, T., Adolphus, Tascany in 18538 and 1859. London,
Chapman, 1859. 340 8. 8.
Carletti, Mario, Quattro mesi di storia Toscana dal 27.
Aprile al 27. Agosto 1859. Firenze, 1859.
Buon-Campagni, Considerazioni sull Italia centrale. Torino, 1859.
Varenne, Charles de la, L’Italie centrale, la Toscane et la
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intimes, son gouvernement, son systeme administratiff Par un ancien me-
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Constant, B. M., L’histoire et l’infabilitd dos papes ou
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2 vols. 910 S. 8.
Maguire, John Francis, Rome, its ruler and its institutions.
2d editiou, considerably enlarged. London, Longman, 1859. 560 8. 8.
Maistre, J. de Du pape, löe edition seule conforme & celle de
1851, augmentde de lettres inddites de l’auteur, de notes, et d’une table
analytique. Paris et Lyon, Pelagaud et Ce., 1859. XLIV. 508 8. 8.
Veutllot, Louis, De quelques erreurs sur la papaute, Paris,
G@aume fr. et Duprey, 1859. LVII, 804 S. 18.
518 Ueberſicht ber hiſtoriſchen Literatur.
Laubert,*) K. Wilh, Vitae Urbani Il. papae. Part. L Dissert,
inaug. Breslau, 1858. 45 8. 8.
Ranke, Leopold, The history ot the papes, their church and
state; the sixtoenth and serventeenth centuries. Translated from the las
edition of the German by W. K Kelly. New edit. London, Routledge,
1859. 8.
Histoire du pontificat et de la captivitd de Pie VI. %
edition. Lille, Lefort, 1859. 2148. 18.
Histoire du pontificat de Pie VIl., oxtraite en grande partie de
Youvrage de M. Artaud et des mdmoires du cardinal Paoca. 40 «dition.
Lille, Lefort, 1859. 204 8. 12.
Wiseman,Cardinal, Souvenir sur les quatre derniors papes
et sur Rome pendant le pontificat. Traduit de l’anglais par l’Abb4
A. Goemaero. Bruxelles, 1859. 602 8. 8.
Balleydier, Alfonso, Storia della rivolusione di Roma.
Quadro religioso-politico-militare degli anni 1846—1850 in Italia. Versione
italiana coll’ agginnta di note e documenti storici, illustrata da incisioe,
litografie e due quadri. Disp. 36—38. Milano, Guiglidimi, 1858. & 163.
m. Kpfrn. 8.
Hercolani, conte E. Gaddi, Storia dello stato pontifieio
considerata nelle sue oittà municipie e famiglienobili. Nani,
Gattimelata, 1859.
— —,storia degli ordini equestri negli stati di sants
chiesa. Roma, 1859. 8.
V. Neapel und Gicilien.
Capeoelatro P., Diario contenente la storia delle oose advenute nd
Reame di Napoli negli anni 1647 — 1650; ora per la prima volta mem
a stampa sul manuscritto originale con l’aggiunta di varii documenti per
la piü parte inediti ed annotazioni del marchese A. Granito. Vol. Il
e III. Napoli, 1859. 8.
*) Andere Monographien zur Geſchichte des Papſtihums finb umter allge
meiner Geſchichte bes Mittelalters verzeichnet.
Staflen 1859. 619
Bianchini: Ludorvico, Storia delle finanze del regno di
Napoli. Terzs edisione, riveduta ed accresciata dall autore. Napoli,
1859. 8.
Colletta, Pietro, General, History of the kingdom of Nap-
les, 1734— 1825. Translated from the Italian by 8. Horner, with a
supplementary chapter, 1825 - 1856. 2 vols. Edinburgh, Hamilton, 1858.
1080 8. 8.
Porcio, C., La oongiura de’ Baroni del regno di Napoli
oontra il r& Ferdinando I. seguita da’ famigerati processi contra i Segre-
tari ed i baroni congiurati, con molte notizie o documenti inediti per cura
di St. Aloe. Napoli, 1859. XIV, 247 u. CCLXXV 8. 16.
Durelli, F., Cenno storico di Ferdinando II., re del regno
delle du Bicilie. Napoli, 1859. 430 S. 8.
Castille, Hippolyte, Ferdinand II., roi de Naples. Aveo
portrait et autographe. Taris, Dentu, 1809. 64 8. 32.
Gemelli, Giovanni, Napoli e Austria. Cenni storici poli-
tel. Firenze, 18569.
Santis, Tommaso de, Storia del tumulto di Napoli.
Vol I. II. Trieste, Coen, 1858. 244, 230 S. 8.
Collectio Salernitana publicata per cura di Salvatore de Renzi.
VoL 1—5. Napoli, 1857—59. 8.
Volpicella, 8, Delle antichitä d’Amalfi ed intorni in-
vestigasioni. Napoli, 1859. 90 S. 8.
Riccs, E., La nobilitä del regno delle due Bicilie. F%sc.
1-3. Napoli, 1859, 60. 8.
Me&moires historiques pour servir à l’'histoire de la Revolution
sillienne de 1848 et 1849. Traduit de l'italien. Neuchätel, 1859. VIII
u 769 8. 8.
wm. Die italienifgen Iufeln.
Conte-Grandchamps, La Corse, sa colonisation et son röle dans
la Möditerrande. 2. ‘Sdition. Paris, Hachetie et Co., 1859. XIII, 194 8. 8,
520 Ucherfict ber hiſtoriſchen Literatur.
. Buttafoco, comte de, Fragments pour servir & |’histoire
de Corse de 1:64 & 1769, accompagnes de notes. Bastia, 1859.
189 8. 8.
Giamarehi, Fr. Maria, Vita politica di Pasquale Paolo.
Basti, 1858. XL, 510 Ss. &
Porter, Major Whitworh, A history of the knights of Malta,
or the Ordre of the Hospital of St. John of Jerusalem. 2 vols. Londons,
Longman, 1859. 1020 S. 8.
Vertot, abbe de, Histoire des chevaliers hospitaliers de
Saint-Jean de Jerusalem, appelds depuis chevaliers de Rhodes ot
aujourd’hui chevaliers de Malte, revue et continude jusgue & nos joars,
par A. M. L. de Bussy. 3 vols. Paris et Lyon, 1859. XIV,
1098 8. 12.
B. Literatur v. 3. 1860.
Cesare Balbo, Sommario della storia d'Italia dalle origimi fine =
nostri tempi. Edicione undecima. Torino 1860.
Tie elfte Ausgabe viejes belannten, in jeiner Weiſe unũbertrefflichen
Handbuchs ver italieniichen Geſchichte, weldyet, wie man wohl gejagt bat
„das Vade mecum jeres guten Italieners jein jellte”, und über meldet
jegt jete weitere Ausführung unnöthig ift. In ter Pomba'ſchen Ausgabe
ter Bibliotheca popolare erſcheint daſſelbe hier zum zweiten Male, ber
chert tur eine im Nachlaß tes Grafen Balbo gefundene Fortjetzung ven
1814 bis 1848; leiter ift tiefe Fragment geblieben, fie bricht in ve
Mitte tes legtgenumten Jahres ab. B. K
JacobBurckhardt,Die Cultur der Rainaissancein Italier
Ein Versuch. Basel, 1860. 576 S. 8.
Wenn ter Verfaſſer dieſes vortrefflichen Buches daſſelbe ala cm
„Verſuch“ bezeichnen will, jo ertennen wir es um je mehr ale eine Pflicht
dieſen Verſuch wenigitens einen in hervorragenter Weiſe gelungenen ;#
nennen. Der tur bereutente Leiftungen auf näher und ferner liegenter
Gebieten ſchon bekannte Verfaſſer unternimmt es hier ein culturgeſchichtliche
S
Stafien 1860. 521
Bild jener merfwürdigen geiftigen Entwidlungsperiove zu entwerfen, vie
in Btalien begonnen und am meiften typiſch und ſelbſtbewußt ausgeprägt,
für das geſammte moderne europäiſche Geiftesfeben vie erjten Keine und
Anregungen enthielt. Die Erkenutniß und Darftelung dieſer Culturepoche
ward bisher zumeift als literarhiſtoriſche Aufgabe gejagt; man erkannte
in dem erneuten Studium der Echriftiteller und Denkmäler des Alterthums
tie Hauptyuelle, oter wohl gar Fie einzige dieſer großen geiftigen Bewe⸗
gung und wandte in Folge deſſen aud) ven Blid hauptſächlich auf die—
jnigen von ihren Hervorbringungen, tie mit ven überlieferten, zumeiſt
ten literarijhen Reiten des Alterthums in der greifbarjten Verbindung
Reben; man börte wohl bald auf die Eroberung Konſtautinopels und Die
Auswanderung griechiſcher Gelehrter ald das epochemachendſte Ereigniß
in dieſer Biltungsgeichichte zu Letradhten, man ging auf Petrarka und
Zunte zurüd, aber immer blieb c8 — neben dem kunſthiſtoriſchen, Der abs
gelontert für fich betrachtet wurte — faſt ausſchließlich ver literarifche
Getihtspmit, der in's Auge gefagt wurde. Burdhardt hat hier einen
ganz neuen Weg eingejchlagen und gebahnt: er hat zuerjt ftatt der Vites -
taturgejchichte die geſammte Gultur ver Renaiſſance (mit Ausſchluß der
bildenten Künſte, die er in einem bejeuteren Werk behandeln will) zur
Aufgabe jeiner Tarftellung gemacht, und mit Tiefer Erweiterung ter Aufs
gabe gewinut nun aud jener bisher faſt ausſchließlich behantelte Theil
derielben, von Ganzen aus betrachtet, ein ganz eigenthümlich neues Licht
und eine neue Stellung, tie ihm freilich Etwas von ter Bedentung nimmi,
die man ihm bisher beizumeſſen pflegte. Wir müſſen dies ala eines der
wichtigften Kejultate des Buches bezeichnen, daß in ihm die Gultur der
italieniihen Renaiſſauce auf die breite Grundlage eines ganzen Vollkes—
und Zeitgeiftes gejtellt, daß gezeigt wirt, wie Die Wietererwedung des
Alterthums, von der fie den Namen trägt, und die man gern ald ben
erzeugenden Quell des Ganzen darſtellte, Ted) eigentlih auch nur eines
von ten Symptomen ter weit tiefer gegründeten, geſammten geijtigen
Dispofition des Volfes und ter Zeit war, ein Symptom, das dann freis
lich wiederum von ſich aus in ter einflufreichjten Weiſe weiter wirkte,
Der Verfaſſer bat dieſes wichtige Reſultat nicht an ven Anfang feines
Werles geitellt, er wirmet ihm jogar nur wenige Worte, dennoch leuchtet
es in allen Abjchnitten überzeugend durch, daß in der That nicht die Wie—
dexerwedung des Altertfuns allein, „jondern ihr enges Bündniß mit dem
622 Ueberficht ber Hiftorifchen Literatur.
neben ihr vorhandenen italienischen Volksgeiſt die abendländiſche Welt be
zwungen hat”, und wir glauben, daß in dieſem Sat und in feinen Con⸗
jequenzen ein höchſt wichtiger und hier vortrefflich documentirter Beitrag
zum Berftändniß der modernen europäiſchen Culturgeſchichte überhaupt ge
geben ift. "
Der Berf. theilt fein Werk in ſechs Abjchnitte: Der Staat als Kunſt⸗
wert — Entwidelung des Individuums — die Wiedererwedung des Alter-
thums — die Entdefung der Welt und des Menſchen — die Gefelligkeit
und die Feſte — Sitte und Religion. Man mag aus diefer Angabe auf
bie Mannigfaltigkeit und den Reichthum des Stoffes fchließen; denn ber
hier vergönnte Raum würde nicht erlauben, auch nur einen einzigen jener
Abſchnitte annähernd zu umfchreiben. Man wird mit Recht überall bie
enorme Yülle geſchickt disponirten Materials, die wohl einzige Beleſenheit
in einer wenig gefannten und zum Theil ſchwer zugänglichen Literatur
bewundern; das größere Verdienſt befteht in der geiftvollen Weife, wie
das culturgefchichtliche Material von dem Berf. zu einem Geſammtbild
"verwebt wird, wie er die einzelnen Exrfcheinungsformen bis in ihre letten .
Gründe hinein verfolgt und aus ihrem erkannten Wejen heraus die Symp-
tome mit überzeugenver Klarheit und ſympathiſch feinem Berftänpnig ana⸗
Iytiich hervorgehen läpt. Es mag fein, daß die Gefahr, weldhe die ana-
Igtiihe Methove, anf geichichtliche Objekte angewandt, immer hat, daß
man alle Erfcheinungen, die fidy bieten, in das Bereich feiner Analyſe
hineinziehen will und dazır bisweilen eines leifen Drudes bevarf, auch une
jeren Berf. in einzelnen Fällen berührt bat; aber es dürfte dies doch nur
Hleinere Nebenzüge betreffen; im Uebrigen glauben wir im Großen und
im Kleinen diefes Wert als ein in hohem Grave gelungenes, ja wohl als
ein Mufter für die Behandlung der Culturgefchichte überhaupt empfehlen
zu dürfen. B. E.
Alfred von Reumont. Die Gräfin Albany. 2 Bbe (XII 445
n.422 ©.) Berlin, Verlag der ? geh. Ober-Hofbuchhrnderei (R. Deder), 1859. 8,
Herr von Reumont, dem wir ſchon jo manden intereflanten Beitrag
zur italienischen Staats» und Culturgeſchichte verdanken, behandelt in
feinem neueften Werk die traurigen Schidfale der Stuarts feit ihrer Ver-
treibung aus England. Auf Grund der in einem Anhang aufgeführten
und kritifirten Quellen — wir vermweifen beſonders auf die Briefjanmlung
Italien 1860. 593
—
(11. 159—225) und die feinen Bemerkungen über einzelne dem vorigen
Jahrhundert angebörigen, gewöhnlich jehr hoch geſchätzten Memoirenwerke
(11. 254 ff. 291 ff.) — entwirft verjelbe uns in warmer nnd lebendiger
Darftellung, die eine gewiſſe Vorliebe für das legitime Königsgeſchlecht
feineswegs verläugnet, ein Bild der Stuarts in Italien, ihrer Beſtrebun⸗
gen in der europäiſchen Belitik, ihrer Verbindungen wit italienijchen Häu-
jern, ihres Berhältuijjes zum römiſchen Stuhle Des lebten Stuarts, des
Prätendenten Carl Eduard, Gemahlin ift die Gräfin Luiſe von Stolberg-
Gedeon, belannt unter dem Namen der Gräfin von Albany. Deren Schid-
fale find zwar fchon häufiger mitgetheilt, zuleßt noch von U. von Stern-
berg, aber erft hier find fie volljtändig und zuſammenhängend Dargelegt
aus gleichzeitigen Aufzeichnungen, aus mündlichen Meittheilungen von Zeit:
genoffen und befonders aus dem gebrudten und ungedruckten Briefmechiel.
Diefe Erzählung in’ihrem ganzen Berlauf auszugsweiſe mitzutheilen,
ft und nicht geftattet; wir wollen hier nur auf den hohen Werth hinmeijen,
den in dieſem Buche die interejjanten Schilderungen ſocialer und literari-
ſcher Zuſtände Italiens befigen. Da erfährt jowohl Alfieri, ver geliebte
Freund der Gräfin, eine eingehende Würdigung (I. 252 ff. 311 ff.), ale
auch Ugo Foscolo einem in Yob und Tadel Maß haltenden Urtheile un-
terworfen wird (vgl. II. 3 ff. u. 375 ff.).
Die vielen eingeftreuten Bemerkungen ebenjo über politifche wie litera-
rifch-tünftlerifche Zuftände Toskanas während ver Regierung Leopolds 1.
und beſonders der Periode Ferdinands I. verrathen immer ben tiefen Ken⸗
ner italieniſcher Dinge, deſſen politiicher Standpunlt freilid in gelegent-
lichen Seitenhieben auf moderne Ereignijfe und Perſonen fi fund gibt,
der aber trotzdem anzuerkennen bereit ift, „daß abgeſehen von allem revo-
Intionären Schwindel und von ven obligaten Yanfaren und maßloſen
Uebertreibungen neue mächtige Faktoren wirkſam geworben find im Yeben
und Fühlen des italieniichen Volkes“ (1. 330).
Dieje Bejonnenheit des Urtheils verbunden mit der genauen Kennt⸗
niß Italiens, ift es, die in dem Leſer des Buches, auch bei abmeichenten
politifchen Anfichten, ven Wunſch rege macht, daß ſich ber hochgeehrte
Berf. zu einer zujanmenhängenven und zujammenfaflenden Darftellung des
bier behandelten Abjchnittes italienifcher Gejchichte entſchließen welle! M.
Reuhlin, Dr. Hermann, Geſchichte Italien von ber Grün-
Oiſoriſqhe Heitfärift VL Bam. 35
%
524 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur. —
dung der regierenden Dynaſtien bis zur Gegenwart. 2. Thl. I.u II.
Hälfte (vom Januar 1848 bis auf die Gegenwart) (A. u. d. T. Staatengeſchichte
der neueſten Zeit herausgegeb. von Karl Biedermann). Leipzig, 1860. 8.
Der erſte Band des verdienſtvollen Werkes iſt ausführlich in dieſer
Zeitſchrift beſprochen worden. Der und vorliegende zweite Band über-
trifft num den erften formel und inhaltlih in jeder Beziehung. Dort
ftanden dem Berfajfer manche werthvolle Arbeiten, namentlich italienijche
zu Gebote, die nur gehörig benügt fein wollten. Hier mußte er erft aus
dem Rohen arbeiten und aus Blaubüchern, Memoiren und andern Alten⸗
ſtücken, theilweife auch aus mündlichen Mittheilungen, den ganzen Stoff
mühſam zufammenbringen, um ein interejjantes lebendiges Bil . der ita⸗
lieniſchen Verhältniſſe und Zuftände liefern zu fünnen. Mit geübter Hand
entrollt er uns die jüngfte Vergangenheit. Die Klarheit und Unpartbei-
lichkeit verdient alles Lob, mit der und der Verf. bald die Zuftände Si⸗
cilien® und Neapels, bald die Roms und ver Lombardei bloslegt und
überall das gemeinfame Streben, das allmälige Reifen ver Nationalitäte-
Idee, in der Zufammengehörigfeit nachweift. Der Verf. ift fih auch über
feinen Stanppunft entweder klarer geworden over er ift weniger zurüdhaltend
als im erften Bande. Die Berechtigung der italienischen Nationalitätsbeftreb-
ungen findet an ihm einen warmen Anwalt, ber jedoch für die Märgel
und Fehler des italienifchen Charakters nicht blind ift. Die Berichte ver
verſchiedenen Parteien find umfichtig und kritiſch abgewogen und man kann
fih im Weſentlichen mit den Urtheilen Reuchlin's einverftanden erklären; es
ift ihm blos um die Wahrheit zu thun und er tritt einerjeitd ben gefärb-
ten piemontefifhen Darftellungen mit Entjchievenheit entgegen und adoptirt
anderſeits die öfterreichichen, wo fie ven richtigen Sachverhalt geben. Die
Fehler und Irrthümer der italieniichen Politiker werben ſchonungslos auf⸗
gedeckt, obwohl die Sympathieen des Berf. ſich ihnen zuwenden. Was uns
am meiſten freut, iſt das gereifte politiſche Urtheil über das Verhältniß
Italiens und Deutſchlands. Die Anſicht bricht ſich in immer weitern
Kreiſen Bahn, „daß ein national geſtaltetes Italien, wofür mehrere For⸗
men möglich ſind, ſich Deutſchland als natürlichen Bundesgenoſſen gegen
das ſich beiden aufdringende Frankreich darbieten würde. Die deutſchen
Kaiſer und Oeſterreich haben dieſe Aufgabe nach ihren Verhältniſſen, ſehr
oft aber dem Zeitgeiſt entgegen, darum größtentheils nicht zum Segen
für beide Völker angefaßt“. A. B.
Staften 1860. 625
Ricordi biografici di Vinoenzo Gioberti di G. Massari. To-
rino 1860. Vol. I p. 383. 8.
Der Berfafier hat ſchon früher die nachgelaſſenen Werke Gioberti’s
berausgegeben und liefert nun eine Biographie des berühmten Italieners,
Die bis iu's Jahr 1838 reicht. Beſonders intereſſant ift das hier mitge-
tbeilte Tagebuch ©. vom Jahre 1821 und der Briefwechſel, ven er nad
jeiner Berbannung aus Turin mit bedeutenden Männern unterhielt. Das
Bud, defien zweiter Band Gioberti's politiiche Thätigkeit als Minifter
Carl Albert’8 darlegen joll, ift Har und einfach gejchrieben. A. B.
Operette varie del Cavaliere Luigi Cibrario. Torino 1860.
» 455. 8.
Der gelehrte Verfaſſer auch in Deutichland durch jein größeres Wert
über die politiſche Dekonomie im Mittelalter befannt, bietet nn8 bier eine
Reihe von Abhandlungen, die in jever Hinjicht der Beachtung werth find.
Der Aufjat über die Yinanzverwaltung des ſavoiſchen Hauſes im Mittel
alter ift ein recht intereffanter Beitrag zur Gefchichte der Voltswirthichaft.
Für den Specialhiftoriler verdient Beachtung der Abjchnitt Über die Gra⸗
fen von Afti vom 9. bis 11. Jahrhundert. Die Handelsgeſchichte ift
durch die Abhandlung über den Sclavenhanvel der Genueſen vertreten.
Die Germejen verkauften die gefangenen Sarazenen als Sclaven und be-
trieben von ihren Colonien am jhwarzen Meere aus einen ausgedehnten Scla-
venhandel. Dankenswerth find die abgedruckten Notariatsverträge über
Berlänfe jeit 1391. Außerdem enthält das Buch auch einen Aufſatz über bie
Entftehung der Zunamen, A. B.
Archivio storico Italiano. Nuova serie. Tom. Xl, Xll. Fi-
renze, 1860. — Giornale storico degli Archivi Toscani, Tomo IV. ibid.
Inmitten ver politiihen Bewegung, welche die geijtigen Kräfte ver
Ration zu jehr in Anſpruch nimmt, um ungeftörte Ruhe und Mufe zu
gelehrten Arbeiten zu gewähren, weldye aber andrerjeits diefe Kräfte manig«
fach wedt und belebt, und auf willenjchaftlihen Felde fruchtbare Con⸗
traſte hervorruft, hat das florentinijche Archivio Storico Italiano den ſech⸗
hen Jahrgang feiner neuen Folge vollendet. Im Jahre 1842, in ruhi⸗
gen Zeiten, als Sammlung älterer Gejchichtswerfe und Documente be⸗
gonmen, nahm e8 im Jahr 1855 die Form einer hiſtoriſchen Zeitichrift
an, Regierungen und gelehrten Gejellichaften die Bekanntmachung der noch
35 *
526 Ueberficht der hiftorifchen Fiteratur.
ungebrudten Schäge der Hiftoriographie zur Ergänzung der vorhandenen
großen Sammlungen überlaffend. Auf dieſem Wege ift e8 rüftig vor-
wärts gefchritten, ungeftört durch momentane Ungunft oder Ungewißheit
der Zeit, mit ſtets gleichem Eifer gefördert durch den werbienten Heraus⸗
geber, 3. P. Bieufjeur, welchen feine jechzehn Luftra nicht an viel
feitigfter Thätigkeit hindern. Die noch lebenden älteren Revactionsmit-
gliever und Mitarbeiter find dem Unternehmen meift treu geblieben;
manche neue haben fih ihnen beigejellt, und wer das Berzeichniß jener
durchſieht, die im Verlauf von 19 Jahren an diefem Sammelmerf mehr
oder minder eifrig ſich betheiligten, wird äußerft wenige nur von ‘Denen
vermiffen, vie überhaupt thätig geweien find auf dem Felde hiſtoriſcher
Wiſſenſchaft. Ein Beweis, wie e8 in Italien an Zuſammenwirken und
Mittelpunkten nicht fehlte; ein ehrenvolles Zeugniß für die toscaniſche
Regierung, welche viefem mit Privatmitteln begonnenen und geförber-
ten Unternehmen aufmunternden Schuß gewährte; ein glänzender Beweis
der Umſicht, der Thätigfeit, der vermittelnden Billigfeit des vielbeſchäftig—
ten Herausgebers, weldyer manche Klippe zu umfegeln, mandyerlei Anjprä-
hen zu begegnen batte, während er einträdhtigem Zujanmenwirfen ben
Sieg über partielle Zerwürfniſſe verjchaffte.
Der Yahrgang 1860, welcher den 11. und 12. Band der neuen
Folge bildet, enthält gleih ven früheren zahlreiche ſelbſtändige Arbeiten
über alle Epochen und Zmeige der italienijchen und mit Italien zuſam⸗
menhängenden Geſchichte. N. Zommafeo, welchen der dauernde Aufent-
halt in Florenz wieder in engere Beziehungen zum Archivio storico ges
bracht hat, gibt nicht weniger als drei gehaltvolle Aufjäte. Zwei der»
jelben gehören ver neueren Geſchichte an. Sie handeln von dem Helden
Corſita's, Paoli, zu deſſen Biographie Tommaſeo vor Jahren durch Her⸗
d
ausgabe der Correſpondenz das reichhaltigſte, von Kloſe wie von Grego⸗
rovius und von mir felbft benutte Material geliefert hat, und von deſſen
Berhältnig zu Matteo Buttafuoco, wie von dem im vorigen Jahr ver
ftorbenen Corfioten Andrea Muftorivi, ver ſich ebenfo durch feine Be⸗
theiligung am italienischen literarijchen Leben in ver Monti-Foscolo’ichen
Zeit und feine italienische Ueberfegung des Herobot befannt gemacht, wie
er in den Irrungen und Kämpfen feiner Heimath, von Capodiſtria's Ta-
gen an bis auf die jüngfte Bergangenheit britifcher Lord-Ober-Commiffäre
der jonifchen Inſeln eine Rolle gefpielt hat. Die etwas Lofe Form thut wenig
Ralien 1860. 527
ſtens dem leßteren, manche perjönliche Erinnerungen und geiftvolle Bemerkun-
gen über den Charakter ver Injelgriechen und die Volkspoeſie in das Biogra-
rhiiche verwebenden Aufja feinen Abbruch. Die dritte Arbeit Tommaſeo's ber
ihäftigt ſich mit andern Zeiten, nämlich mit ver bi. Katharina von Siena
in ihrem Berhältnig zu ven heftigen politiihen Partetungen in Florenz
m Jahre 1378, in jenem Jahre, wo der Streit zwiichen ver dominiren-
den gueffiichen Adelspartei und ihren um gerechte Theilnahme an der Re⸗
gierung ringenden Gegnern zu jener wüſten Empörung ver unterften Volks⸗
Haile führte, die unter dem Namen des Tumulto dei Ciompi bekannt ift. Wir
haben hier einen hiftoriichen Excurs zu der neuen in mehrfacher Beziehung be
mertenäwertben Ausgabe der Briefe ver Heiligen, welche gegenwärtig mit
dem 4. Bante vollentet, Allen willlommen jein wird. Die Zeit, um bie
es ſich Handelt, verhängnigvoll für Katharina, für Florenz, für den heil.
Stuhl wie für die ganze Chriftenheit durch Tas beginnende große Schisma
bietet dem hiſtoriſch⸗politiſchen Studium ein fruchtbares Feld, auf welchem
wir bald Gino Gapponi bei der Fortjeßung jeiner Unterfuchungen über
ven pelitijchen Gharalter ver Epoche Kaiſer Carl's IV. zu begegnen bof-
in. — 5. Odorici handelt von dem Aifociationsgeift in ben lombar⸗
diſchen Städten des Mittelalters, und zeigt, mit bejenverer Rückſicht auf
die Kunſtſchulen, die Thätigkeit und das Zujammenhalten ter Maſſen.
G. Rofa beipricht die Verhältniſſe ver Iombardiichen Pandgemeinden mit
Dersiehung auf das Statutarrecht von Vertova im Bergamaskiſchen. Die
häufigen älteren wie neueren Geſchichtfälſchungen Tonnen, nach fleißigen
Uuterfuhungen Tb. Wüftenfeld’s, zur Sprache in kritiſchen Aufjägen
ven C. Cantu und von tem genannten Odorici, der in jeiner ©e-
ichichte Brescia's vor derartigen Täuſchungen nicht hinlänglich auf ver
Hut geweien ift. Bon ten Geſchichtſchreibern Neapels bis auf die neuefte
Zeit handelt C. ve Ceſare, von ven Arbeiten ver neuen Genueſer hiſto⸗
riſchen Geſellſchaft L. T. Belgrano. Das Ente des unglüdlichen
Sohnes Philipp's II., unter beſonderer Beziehung auf italieniſche Ge⸗
ſandtſchaftsberichte wie auf Gachard's Captivité et mort de D. Carlos,
bat der Verf. gegenwärtiger Bemerkungen erzählt. Von drei Zeitgenoſſen,
Carlo Troya, Bartolomeo Borgheſi und Th. Panofka, reden Mamiani,
de Roſſi in Rom und ber Ref. — Auch vie alte Geſchichte und Spra⸗
Gentunde Staliens find in den Bereih Hineingezogen.. ©. Capponi
handelt in einem erften Blatt von Studien über Cicero’8 Briefe von dem
528 " neberſicht der hiſtoriſchen Literatur.
politifchen Charakter ver legten Zeiten ver Republit und des großen Red⸗
nerd Verhältniß zu Cäſar, Brutus, Gate. M. A. Migliarini fpridt
von den Zahlen bei den Etrusfern, ©. 3. Ascoli von Tarquini's und
Stickel's Verſuchen einer femitifchen Ableitung ver etrusfifchen Sprache,
G. C. Coneftabile von den dur die Societät Colomberia zu Florem
im Gebiete von Sovana veranftalteten, ebenjo wie die früheren im Chi
finifchen nicht fehr ergiebigen Ausgrabungen.
Soweit der jelbftändige Theil diejer Bände. Der bibliograpbiid-
feitifche, welcher größeren Raum einnimmt, enthält mehr oder minder aus
führliche Bemerkungen über eine beveutende Zahl von Schriften aller Art.
Desjardin’d und Cageitrini’s Negociations diplomatiques de la France
avec la Toscana, Tafel's und Thomas' Urkunden zur Handels - und
Staatsgeſchichte Venedig's, Rabanis’ Clöment V. et Philippe le Bel finden
fih neben zahlreichen italienischen Arbeiten beiprodhen, wie A. Vannucci“
Sefchichte des alten Italiens bis zur Longobardiſchen Eroberung, F. Uge
lini's Grafen und Herzoge von Urbino, C. Minutoli's Leben Gio. Gui⸗
diccioni's, F. Mutinelli's geheime Geſchichte Italiens, A. Coppi's Anna⸗
len für 1848, wovon in der Zeitſchr. ſchon vie Rebe war, Romanin's Geſchichte
Venedigs u. a. m. Mancherlei Notizen verfchiedener Art fchließen fih
an, wie, in jedem Hefte, eine fleißige und nütliche hiſtoriſche Biblie⸗
graphie. Früher war diefe nad) den verſchiedenen Staaten der Halbiniel
georbnet, deren Zahl fih in Folge der Annerionen allmälig vermindert,
jo daß im Herbſte v. J., außer dem Regno Italico nur nach Rom, Na:
pel und Venedig blieben. Jetzt find plöglic alle Abtheilungen verſchwun⸗
ben, um einer großen Italia Bla zu machen, wozu, ungeachtet ver off
ciellen Berlengnung ver Anſprache des aufßerorventlihen Commiſſärs Er.
Sardiniſchen Majeftät in ven Marken, auch Trieft gerechnet wird. Ohne
in Bolitit übergreifen zu wollen, möge bier vie einfache Bemerkung ſtehen,
daß, wenn man die alten Staaten, Rom ımd Venedig eingefchloffen, nicht
mehr als Staaten anerkennen will, e8 für harmloſe Bibliographen jet
bequem wäre, fie ald Brovinzen beibehalten zu ſehen, was ber leichtem
Ueberficht zugute fommen würde, und ſchwerlich ernſte Bejorgniffe anli⸗
nationaler Tendenzen weden könnte! *)
*) Zu dem Jahrgang 1861 hat auch ſchon die alte Eintheilung in vollen
Umfange wieber Platz gegriffen. Dabei entſcheidet übrigens nicht der
Hmbalt der Schriften, fonbern nur ber Verlagsort. X.
Stalien 1860, 529
Seit vier Jahren erfcheint al8 Zugabe zu dem Archivio storico Ite-
lieno das vor kurzem in dieſer Zeitihrift I. Br. IV. ©. 517 ermähnte
Giornsie storico degli Archivi Tosceni, herausgegeben von ver General:
Tirection diefer großen und ſchönen Anftalt, an deren Spite der eigent-
lihe Begründer verjelben, ver thätige und verbiente Cav. Fr. Bonaini
ſteht. Ich babe wiederholt in der Allgemeinen Zeitung und anderwärts
von dem florentiihen Archiv gehanvelt, welches, eine ver nüglichften
Schöpfungen der jüngften Jahre der großherzoglihen Regierung unter der
unmittelbaren Yürjorge und Pflege des Miniſterpräſidenten Cav. Bals
bafferoni, ver fih dadurch Anfprud auf den Dank der gefammten Ge-
Iehrtenmwelt erworben bat, ungeachtet ungünftiger Zeitverhältniffe binnen
unglaubli kurzer Frift eine Geftalt und Austehnung gewann, die es
mm Gegenitande des Neides der größten Hauptſtädte mahen — ein
Dentmal der Regierung Leopold's 11., ver, was immer feine heutigen
Anfläger behaupten mögen, für Wiffenihaft und Kunft vieles gethen,
befien übermäßige Beſcheidenheit jedoch nicht, nach heutiger Sitte, täglich
lirmend an die Deffentlichfeit appellirte, und veffen lette Handlung, wäh»
rend ſchon die Brecheijen an die Fundamente feines Thrones gelegt wa⸗
ven, ver Wiſſenſchaft zugute kam: der Ankauf ver Bibliothef und Hund»
khriften des Schweizer Philologen Ludwig von Sinner, welde u. A. die
griechifchen Studien Giacomo Leopardi's umfaflen. Für das fernere Ge⸗
deihen dieſer Anftalt, welcher die Ardive in Yucca, Piſa und Siena un⸗
ter tüchtigen Directoren als Filiale beigeorbnet find, ift nichts fehnlicher
zu wünſchen, als daß man fie in ihren gegenwärtigen Berhältniffen be=
laſſe, flatt fie von Zurin aus durch Miniſterialerlaſſe veglementiren zu
wollen, wozu man nicht übel Puft zu haben fcheint, während man Billig
bedenken follte, daß man auch in dieſer Beziehung von Toscana manches
lernen kann. Berftändiger ift ver Gebanfe ter Unterfuhung des Zuſtan⸗
des der Archive ber Romagna und der Herzogthüner Modena und Parma,
wemit ber Cav. Bonaini im September v. 9. durch den piemontefiichen
Minifter Grafen Mamiani beauftragt wurde. Ein Auftrag, welcher den
genannten Gelehrten in vie Archive von Bologna, Ferrara, Ravenna,
Forli, Ceſena, Rimini, Faenza, Imola, in die von Modena und Reggio
und das Abtei-Arhiv von Nonantola, wie in jene von Barma und Pia-
cenza führte. Wie viel von einer freieren Benugung dieſer Ardive, na⸗
mentfich des Bologneſiſchen und des berühmten Eſtenſiſchen Archivs zu
530 ueberficht der hiſtoriſchen Literatur.
Modena, für das Studium der Gefchichte zu erwarten fteht, braucht laum
angebeutet zu werden. Das Parma’jche Archiv, unter dem tüchtigen Ron⸗
chini, das Navennatiihe u. a. find bereits früher zugänglicher geweſen.
Ein ausführlicher Bericht Bonaini's über die ihm gewordene Miſſion
fteht mit nächſtem zu erwarten. |
Kehren wir nun zu der hiſtoriſchen Zeitſchrift zurückk. Der Umfang
verfelben fteht in keinem Verhältniß zu ber Maſſe des Stoffs und der
Größe der Aufgabe: ein Band von etwa 360 ©. genügt keineswegs für
jene Publicationen, denen ſich zu unterziehen die Archiv - Verwaltung bie
Abfiht Hat, wie 3. B. die Reihen jener Gejandtichaftsberichte der repub-
likaniſchen Epoche, welche über vie politiihe Geſchichte nicht blos Tos⸗
cana’8, fondern auch des Auslandes immer helleres Licht verbreiten wür-
den, wovon neuerdings bie auf Koften der franzöjiichen Regierung be
gonnene Herausgabe der wichtigſten Stüde ver Verhandlungen zwiſchen
Florenz und Frankreich eine Probe geliefert hat. Man kennt gemeinhin
faum etwas anderes als die Berichte Machiavell's und etwa noch Guic—⸗
ciardini's; aber man würde finden, daß die StaatSmänner des 15. Jahr:
hunderts ihnen faum over gar nicht nachftehen an Scharffinn und Ge
wanbtheit. Die bezeichnete Beichränfung des Raums bringt nun mit
fi, daß bisher, mut einigen Ausnahmen, nur Meinere Arbeiten und De
cumentenfammfungen nebſt hiſtoriſchen Miscellen gegeben werten konnten.
Bon Bonaini felbft finden wir, außer der Fortſetzung jeiner Abhand-
fung über ven flerentiniihen Magiftrat der Parte Guelfa, welder, ein
Staat im Staate, bie zum Emporkommen der Medici die politiiche Rich:
tung vertrat, einen antiquariihen Commentar über die Handſchriften⸗
bändler und Verleiher (Stazionarj), Correctoren und Abfchreiber (Peciarj)
in Toscana und Bologna im 13.— 14. Jahrhundert, und über die da
mals üblichen Rechtsbücher. P. Berti handelt vom Urjprung des fles
ventiniichen Katafters, dem erften Verſuche viejer Art (1427), und weil
nad, daß Gedanke und Ausführung dem Giovanni de Medici, Cosmus,
des Alten Vater. fälſchlich beigemeſſen worden find. 2. del Prete theilt
das gerichtliche Geſtändniß jenes Francesco Burlamacdyi mit, welchem man
in Lucca zum Lohn feines Planes, Toscana gegen Herzog Cosmus
aufzulehnen und zu vereinigen, eine Statue zu feren beſchloſſen hat —
eine Öejchichte, welche ich nach gleichzeitigen Hiſtorikern und Documentes
in den Beiträgen zur ital. Geſch. Bd. II. behandelt habe. Bon ©. €.
Stafien 1860. 531
Saltini ift die Gefchichte der medizeiſchen orientaliſchen Druderei, welche
ver Carbinal Ferdinand, der nachmalige erfte Großherzog dieſes Naniens,
zum Zweck ber Unterftügung ver Abfichten und Anftalten P. Gregor's XI.
für die Ausbreitung des Chriftenthums unter den morgenlänvifchen Völ—⸗
terichaften in Rom gründete, und welche jpäter nach Florenz übergefievelt,
wohin fie von der Wanderung nad) Paris in ver franzöfiichen Kaiſerzeit
zmrüdgelehrt und wenig benutt, dem Prof. M. Amari zur Belannt-
machung ver arabiihen Documente der toscaniſchen Archive und Biblios-
thefen dienen wird, wenn die politiiche Thätigkeit des jcharfjinnigen und
beredten Hiftorifers ihn dazu kommen läßt. Bon S. Bongi finden wir-
Rachrichten über eine Geſandtſchaft, melde ver gelehrte G. Scioppio im
J. 1633 für einen tärkijchen Prätenventen, den jogenannten Sultan Jakia,
bei der Republik Lucca übernahm; von G. Milaneji urkundliche Beiträge
me florentinijchen Ruuftgeichichte des 14.-— 15. Zahrhunverts,
Nicht ohne Intereſſe für Deutſchland find vie von C. Quafti mit-
getheilten Auszüge aus ben Berichten des Grafen Lorenzo Magaletti, des
gelehrten und eleganten biplomatijchen Bertreterd Toscana's unter Groß»
berzog Cosmus III. am Hofe Kaiſer Leopold 1. in ben 9. 1675 — 78.
In hiſtoriſcher und politiicher Beziehung ift die Ausbeute nicht groß,
aber über Heilen, Lebensweiſe, Haushalt, Ausgaben, Geremonien, Ges
ſellſchaft finden fi eine Menge Details. Auch über die Perjonen am
Hofe, über Staatsmänner und Militäre, über vie Bevollmächtigten beim
Nymweger Congreß 1676 u. f. w. Am ausführlichften iſt Montecuccoli
gefchilvert, unter Bezugnahme auf fein öffentliches wie auf fein Privat
leben. "Montecuccoli, heißt e8 im Cingang, tft ber lebendige Gecorial.
Das Heißt, bei Keinem findet ſich ein folcher Verein von Eigenſchaften,
wie bei ihm, obgleich einzelnes bei Andern vorzüglicher jein mag. Conde
und Turenne find größere Feldherren ald er: nad) ihnen nimmt er aber
gewiß den erften Platz ein. Keiner anf ver Welt vermag unierer Schwäche
abzubelfen wie er. Seine Stärke bejteht in den Märſchen; nie hat irgend»
einer ſich beſſer darauf verftanden. Gerne lehnt er mweituusjehente Uns
ternehmungen ab: find fie abe, fo jucht er ihnen nie auszuweichen. In
hohem Grade verfteht er fih auf Alles, was Militär-Oekonomie und
Unterhalt eines Heeres betrifft. In der Dieciplin ift er nachſichtig, in
Allen fehr gemäßigt. Er hat politiihen Scharfſiun, Gelchriamteit, fei-
nes Benehmen, Salanterie, und vereinigt alle Eigenfchaften des Cavaliers
532 Ueberficht der hiſtoriſchen Literatur.
und Hofmanns“. Ueber die Ereigniffe von 1675 — 76, über den Feld⸗
zug im Eljaß, in welchem am 27. Juli erftern Jahres Turenne bei Saß⸗
bach fiel, über die Intriguen gegen Montecuccoli und veflen Reiſe nad)
Wien ꝛc. lejen wir eine Menge Einzelheiten. Auch von des Kaijers
Schwager, Herzog Carl (V.) von Lothringen, dem Sieger bei Mohacz,
ift vielfach die Rede. , „Lothringen, ſchreibt Magalotti, ift in Bezug auf
Grundjäge und Sitten vom Bater und vom Obeim (Carl IV., vem er
1670 nachgefolgt war) völlig verſchieden. Er ift ein Mann voll Recht⸗
ſchaffenheit, Religioſität, Urtheil und Bejonnenheit. Sein Temperament
ift higig, aber durch ftrenge Haltung wie durch Mißgeſchick gemäßigt. Er
liebt den Krieg über Alles, und verfteht ſich befjer darauf, als man nad
feinen Dienftjahren jchließen follte.e Binnen wenigen Jahren wird er
einer der erften Feldherren Europas fein. Er liebt ven Kaijer, welchem
er wie ein Privatmann dient, blo8 darauf bedacht, eine andere Rolle zu
jpielen, als alle feine Angehörigen. Mit der Disciplin wird es unter
ihm gehen wie unter Montecuccoli, nicht beffer und nicht fehlimmer. Die
fen nimmt er fih in ver Kriegführung zum Meifter und Vorbild. Gegen
bie Freunde ift er kalt, und läßt fie bisweilen warten, wie ber Herrgott
die Seinigen. Mit den Dienern geht er hart um: hundert verfelben
würde er opfern, um einen Musfetier zu retten. Sein Aeußeres ift we.
ber verbeißend noch anziehend. Er ift nicht geizig, aber bis jet hat er
fih, vielleicht ſeiner Armuth wegen, auch nicht freigebig gezeigt. Beim
Heer ift er mäßig, wachſam, thätig. In einem Wort, ein Mann von
trefflihen Kigenjchaften bei unfcheinbarer Außenfeite”. Man weiß, wie
bie Intereſſen dieſes tapfern Fürſten, franzöfiicher Ländergier gegenüber,
im Nymmeger Frieden (1678) und in beffen Supplementarverträgen ges
opfert wurden, und er die Regierung feines becimirten Landes nie antrat.
Auch von Eaprara, Chevagnac, Leslie, Heifter u. A. ift die Rebe. Bon
Spork heißt es: „Ein guter Cavallerieoberft, der aber nichts mehr ges
leiftet hat, feit er General geworben. Gegenwärtig durch fein vorgerüd-
te8 Alter zum Dienft unfähig, geizig, und zum Commandiren en chef
gar nicht zu gebrauchen“. Bom Markgrafen Herman von Baden: „Ein
vortreffliher Herr, voll Feuer und Eifer für ven Dienft des Kaiſers;
ehrlih und liebevoll gegen die Braven, ohne Eigennug, ohne Galle, ob⸗
gleich heftigen Temperaments. Er hat nur einen Fehler, nämlih vom
Kriegsweſen nicht genug zu verftehen“. — Meagalotti war nicht gerne in
Stalin 1860. 533
Bien. Abgefehen von dem Clima, welches ihm nicht zuträglich war, bes
bagten ihm weder Hof noch Boll. „Die, welche glauben, daß ich vielen
Hof herzlich fatt habe, fchreibt er, täuschen ſich nicht; ich hatte genug
daran vom erſten Moment an, wo ich ihn Kennen lernte. Daß idy zu«
rückberufen zu werben wünſche, ift eine Uebertreibung: wo ich meinem
Fürſten dienen kann, bleibe ich gerne, und mein Yürft ift bier ſehr ge⸗
ſchätzt, was ſeinem Vertreter eine gute Stellung macht. Wenn das Land
nicht angenehm iſt, und die Leute grob und boshaft ſind, deſto ſchlimmer
für ſie. Gewiß diente ich lieber in England oder in Spanien, denn die
Deutſchen waren mir ſtets widerwärtig, ſind mir widerwärtig, werden
mir widerwärtig bleiben”. Wahrlich, das Urtheil des Italieners des 17.
Zahrhunderts iſt nicht freundlich! Die Richtung der Medizeiſchen Po⸗
litik mochte freilich den Geſandten verftimmen, tem man immer empfahl,
ſich gar beſcheiden, ſanftmüthig, unterthänig zu zeigen. Die Beſcheiden⸗
beit, Sanftmuth, Unterthänigkeit Cosmus' in welcher es mit keiner Partei
verderben und neutral bleiben wollte, brachte es dahin, daß die alte po,
litiſche Bedeutung Toscana's gänzlich ſchwand, und, während beim Nym⸗
weger Congreß die Lothringiſche Verwandtſchaft dem Haufe Medici hätte
Vortheil bringen können, dies Haus nicht lange nachher ſich fremdem
Willen fügen mußte. Gallnzzi, der Hiſtoriker des Medizeiſchen Toscanas,
hat dieſe Richtungen treu geſchildert. Magalotti bezeichnete die Politik
Cosmus I. ſehr richtig, indem er ſchrieb: „Das Medizeiſche Hans hat
den Grundſatz angenommen, ein kleines und verdecktes Spiel zu ſpielen,
und lieber inmitten der Stürme der Entiheitung im großen Ruin mit
unterzugeben, als, fo lange es noch Zeit ift, duch Anſchluß an eine
Bartei die Rettung zu verjuchen“.
Es würde zu weit führen, wenn bier von den vielen Miscellen die
Rede fein follte, welche vieler Jahrgang enthält, Miscellen, die theils in
Documenten beitehen und fih auf Torquato Taſſo, Camillo Porzio,
Baccio Bandinelli, Raffael Sanzio u. a. beziehen, theils tie Gejchichte
ber Archive, die mit benjelben verbundene aufblühende Schule für Paläo—
graphie und Diplomatif u. f. w. zum Gegenſtande haben. Das Gejagte
wird binreihen, um auf bie Neichhaltigkeit des Inhalts aufmerkſam zu
machen. A. v. R.
Della vita di Dante Alighieri. Memorie di Pietro Fra-
ticelli. Florenʒ 1861. 8,
534 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur.
Dante und bie italienifhen Fragen. Ein Bortrag von Carl
Witte. Halle. 1861. 8. .
Es ift namentlich in neuerer Zeit fo viel über Dante gefchrieben
worden, daß eine neue Biographie deſſelben Manchen mindeftens über:
flüffig erſcheinen mag. Nachdem Giufeppe Pelli's tüchtiges Buch (Me-
morie per servire alla vita di Dante) zu Florenz 1823 in neuem Ab-
druck erjchienen, und Carlo Troya bie jo feharffinnige wie gelehrte hiſto⸗
riſch-kritiſche Unterſuchung herausgegeben, welche unter vem Titel Del
Veltro allegorico di Dante jo tiefe Blicke in bie Gefchichte der Zeit umd
ihrer Eroberungen werfen läßt und in verſchiedenen Richtungen frucht⸗
bare Oppofition veranlaßt bat; nachdem Ugo Foscolo und Ferdinando
Arrivabene, verſchiedene Formen wählen, jene Sommentare geliefert, welche
fo viele Titerarifche, philofophifche, hiſtoriſche Standpunkte feftftellen, gab,
von ben weitjchweifigen, weniges Eigenthümliche enthaltenden Büchern
Miſſirini's und des Franzoſen Artaud nicht zu reden, Ceſare Balko in
der Vita di Dante (1840) eine Gejchichtserzählung, welche dem Gegen⸗
ftande in allen feinen Beziehungen gerecht wurde, und, ohne immer auf
ben Grund zur gehen, burch bie geſchickte Verbindung des Biographiſchen
mit ber gleichzeitigen ©ejchichte von Florenz und Italien, durch Hervor⸗
bebung der Stellung Dante's inmitten der Parteien feiner Zeit, zur rich⸗
tigen Auffaſſung des Charakters des Dichters und feiner Werfe weſent⸗
lich beigetragen bat. Seitdem hat Troya durch feine Unterfuchungen übe
die ältefte mittelalterliche Gejchichte Italiens von feinem urjprünglichen
Borhaben, die Dante'jche Zeit ausführlich zu fchildern, zum Bedauern
aller Dantefreunde abgezogen, nicht lange vor feinem Tode jeine Jugent:
ichrift einer Umarbeitung (Del Veltro allegorico dei Ghibellini Neap. 1855)
unterworfen, deren Refultate minder Har und pofitiv find, als die ur
ſprünglichen, welche, vielfach bekämpft, doch gerade um ihrer Schlagfer
tigfeit willen geeignet waren, Diele für fih zu gewinnen. Jetzt ift $.
Fraticelli, Mitglied ver Akademie der Crusca, mit einer neuen Biogra⸗
phie in die Schranken getreten, nachdem er vor Kurzem eine verbefierte
Ausgabe feines Gommentares der Divina Comedia gegeben, welcher, wit
der mehrfach aufgelegte jehr brauchbare des Canonicus Brunone Biandi
(Florenz Lemonnier, 5. Aufl.) aus dem Cofta’jchen, urfprünglich aus dem
befannten Commentar Benturi’8 mit ©. Lami's Boftillen, für das größere
Bublitum beftimmt, entſtanden if. In dem Vorwort erflärt Fraticelli,
Stalien 1860. 535
er babe eigentli eine Umarbeitung bes jeit längerer Zeit im Handel
fehlenven Pelli'ſchen Buches geben wollen, welches vielmehr eine Sanım-
lung von Materialien und Documenten als eine wirkliche Biographie ift,
an deren Abfaflung ver verdiente Verfaſſer durch den Tod verhindert
wurde. Die neue Arbeit beabfichtigt vie vorhandenen Reſultate zu bes
nügen, unter Hinzufügung der Ergebniffe eigener vieljähriger Studien.
Das fo zujammengebradhte Material iſt ein anjehnliches und acht⸗
bares: die Form, in der ed und geboten wird, ift feine glüdliche, une
ih weiß niht, ob man, im Vergleich mit Pelli, viel dabei gewinnt.
Die Uebel, an denen-das Buch krankt, die Zrodenheit und der Mangel
an Fluß und Rundung, jchreiben fi von der Art ter Behandlung her,
welche die gelehrte Unterjuhung nit von der Erzählung getrennt und
obſchon fie eine Menge namentlich Fritiiches Detail in die fehr reichhalti-
gen Anmerkungen gewiejen, ven Text dennoch nicht davon freizuhalten ges
wußt hat. Der Verfaſſer hat ſich ausdrücklich vorgenommen, die Zeitges
ſchichte infoferne zu berüdfichtigen als zur Kenutnig der bürgerlichen Ein-
rihtungen und der Ereignifje, inmitten deren Dante's Tage dahinfloſſen,
nothwendig ift, und längere Particen ver toscaniſchen Geſchichte find in
die Darftellung verwebt. Aber nirgend wirt, wie bei Balbo, jene Ueber:
fit gewonnen, jenes Geſammtbild gezeichnet, welches, mehr noch als bei
Andern, bei Dante Noth thut, den Menjchen wie ven Autor zu verfte-
ben. Man merkt e8 bei jedem Schritt, man hat die Arbeit eines Gram⸗
matilerd und Antiquars ver fich, nicht die eines Hiltoriferd. Das Bud
ft eine genaue und gewiſſenhafte Erläuterung von Dante's Lebensfchid:
falen, eine nur im Ganzen flüßige, wenngleih nicht immer binlänglidy kri⸗
tiſche Forſchung, durch mehr denn dreißigjährige Beſchäftigung mit dem
Gegenſtande unterſtützt, ſie von dem Ungewiſſen und Legendenartigen aus-
geſchieden hat. Eine Geſchichte Dante's im wahren Sinne des Wortes
iſt es nicht. Daß die eigentlichen literariſchen Fragen bei Seite gelaſſen
find, iſt inſoferne nicht zu tadeln, als das Buch namentlich zum Beglei⸗
ter der vom Verfaſſer bejorgten Ausgaben, jo ver ſchon erwähnten ver
göttlichen Comödie wie der früher erjchienenen ver Hleineren Schriften (in
3 Bänden, 1856 ff.) beſtimmt iſt: aber vie Entwidlung des geijtigen
Ganges hätte nicht zugleich vernadyläffigt werden dürfen.
Die drei erften Abfchnitte handeln von den Urjprunge ber Familie
Dante's und deren Adel, von den Vorfahren mit Cacciaguida beginnend,
SEE IKberfihr er Sifinrifchen iteratur.
eu er Irermme ver Aigner als tolcher, ihrem Namen und ihren
Sedsumer Ter zer mo fünfte Abſchnitt zeigen Dame im der Hei⸗
mar. uert 'eme YWinnker, 'eme Stidien, jene Ingendliebe, mb
Ierinaume zz ’riegerrigen Treigmiſen bis zum Icte Beatricend. Dam
‘ee Sees, 'eme Sbeciegiiden Zune, jene ẽnſentlichen Aemter um
Mirmmer 5 zur Zerranmeng Laute um il bildet den Inhalt des
'eien aut 'weenme Beine Tas Gril mit Deifumuz der Rückllehr,
si ;ıx Jens VIE Iwe: das fpitre Grill mit ten Wanderungen
zug Zucom mt Yıccz, dem Aufenthalt m Berena unt Gavenna bi
au Ice XL. Rem des Tichters Eigenjchaften map Werfen, von be
Ahzemzucye 2e amemen Theue ver Tinmz Ucmeris m. j. w. handelt,
xr Vill. Mann, am den Rubloumen um tem Grabe ver IX. um
% iz je mr ne beiden Malampina, des Wanderers Freunde
zUnteR, Aut 2 andere, wichtigeren ıber mehl famm zu loſenden, wer
zuer x Que wrfianter et, Nub vie beiten Schlußabſchnitte gewid⸗
wei Ix ıufane Iurzibumg wet an ter Tag legen, daß es dem Bude
x une Qurmütmg mie au scpmchen Surammenbung fehlt.
Ju Is nie Term emsmgebenr, kann wicht Zweck dieſer kurzen
Inge un: ee Tame Ftgen un alle ſchen Gegenſtand ganzer Ab»
Autummgm nt Yıumer gjemeier, deren Zahl ji immer mehrt. Nur
ar zu Bimite zunee ıhb aufmertiam machen zu mäjjen. Die
Jan pm mer Tecmmente if uicht greß. Gerne begegnet man
xa mer 2. 22 7 mulltintıger meurgerheilten, über deu Beſitz ter Fa⸗
ui Yuan u m x Aiecerz, welche zu Dem Schluſſe berechtigen,
NE Ne Aüsamn uf Zuyr 2. Rartine, jeit einigen Zahren turd
a Nut us Ns ZDuners Geduttabdans bezeichnet, nur eines ber
Ayerzrung Qufer zur, Te ſich bir vereinigt fanden. Aus dem Libro
a user N Stomdarshun Sen 1300 ff. finden wir, ©. 135, be
Redxde nu Saum. dumm Dante beischnte Die Legation für
Numwadume Wxrieun um tus Abfenmuen mit dem Biſchof von Lumi
zu IS. S. 187. zur ce ven Lerd Vernon eimeln gedrudt. Aus
u Sumier Arie 08 dx utereflante Jnſtruction König Robert's von
Nut far ku sat Dt Cicmens V. nad ter Kaijerfrönung Hein⸗
wa NL SZ. 210), ame Juſtructien, welche tes Königs Furcht zu⸗
Fred wit ſeinen Im Yugemburger gemachten Vorſchlägen aujdedt und
auamcır aınır Wuuechd Iiefert, daß nur durch des Kaiſers unzeitiges Hinſcheiden
Stalien 1860. 537
die Ausführung jeiner großen Entwürfe verhindert warb und nicht durch
die Macht der Anjou's. Die Geſchichte der Macht Clemens V. (S. 164)
wird, nebenbeigejugt, wiederum dem Märchen des Villani nacherzählt,
ungeachtet der namentlich von Rabanis in feiner Yettre aM. Ch. Da-
remberg entwidelten Gegengründe und beigebrachten Beweisjtüden, welche
dem Verfaſſer wenigftens aus ven betreffenven Arbeiten in der römiſchen
Civilta cattolica und im Florentiner Archivio jtorico italiano hätten bes
fannt fein können. Interejjant it, ©. 293, ein Brief des gelehrten Hi⸗
ſtorikers der Schule von Salerno, des Neapolitaners de Kenzi, Über ven
borribilis morbus lupuli, einen Caucer, woran der gedachte Papſt geftor«
ben. Zu den Ineditis gehört noch (S. 251), ein Rundſchreiben ver Res
publik Florenz von 1315 wiver die fie hart bedrängende Uguccione della
faggiuola, „.Uguccio de Faggiuola cum Testonicis, Visauis et Lucensibus
et alij vocatij undique Gibellini.“ Auf dieſen beveutenden Mann, das
eigentliche Haupt der Ghibellinen nach Heinrich's Tore, bezieht jih Manches.
Der Berfafler, welcher jehr zu der urjprünglichen zum Mindeſten fehr
problematischen Anjicht Troya's Hinneigt, Die in Ugnecione ven Beltro
fieht, hält ven von Vielen, und X. von Witte angefochtenen Brief Dans
te8 an Fra Ilario für ächt, S. 341 ff.; er zeigt, daß das Kloſter von
Sta Eroce del Eorvo nit den Augujtiner- Einjieblern, jendern den Bes
nebictinern gehörte, in beren Orden ein Bruder tes Faggiuolaners lebte,
und daß das legtere Stammhaus wirklich, wie ſchon Troya ausgeführt
bat, im Montefeletro — tra feltro e feltro -—— lag. Auch das von Toni
gegebene, nicht als apofryph betrachtete Schreiben Dante's an Guido Da
Polenta über feine Sendung nah Venedig ift der Verfaſſer S. 258,
anzuerkennen geneigt, indem er dafjelbe dem Jahr 1321 zutheilt und mit
Filippo Billani's Beriht und einem venetianiſchen Aftenjtüd über ven
am 4. Mai 1322 zwijchen ter Republik und dem Herrn von Ravenna
abgefchlofienen Frieden zufammenhält. Aber dies Schreiben iſt wohl,
unter Benutzung ſolcher hiftoriihen Data, von Doni jelber fabrizirt
worden.
Ueber die höchſt verworrene Gejchichte ver Grafen Guidi und ber
Markgrafen Malaſpina finden wir manche, aber immer noch nicht hin⸗
längliche Aufllärungen. Ueber Gecco d'Ascoli, Dantes unglüdlihen Ne
benbuhler, hätten Balthajar Boncompagni's Forichungen benügt werten
mäfjen. Berjchievene Notizen beziehen fi auf des Dichters Söhne und
538 Ueberſicht der hiftorifchen Literatur.
Nachkommen, unter erfteren namentlich auf Pietro und Jacobo, die ver-
meintlichen Verfaſſer der Commentare der Divina Comedian, „welche Lord
Bernon durch den jegt verftorbenen Vincenzo Nannucct mit großem Auf-
wand (1845 — 1848) druden ließ. Mit vielen andern Kritikern, hält
unjer Verfaſſer dieje im Ganzen wenig beveutenven Commentare für
jpätere Arbeiten. Die Orthographie des Namens Alighieri, aus dem
urjprünglichen Alvighieri entftanden, wird gegen das von Scolari, von
dem kürzlich verftorbenen Torri und Andern angenoumene Allighieri mit
ben theilweiſe ſchon von S. Audin geltend gemadten, wie mich bünft,
teiftigen Gründen und zahlreihen Citaten aus ‘Documenten vertheidigt.
Vielleicht bringt eine eigenhändige Unterſchrift Dante's die Steitfrage zur
Entſcheidung, wenn die von dem toscanijchen Ardivbirector Bonaini
ausgeſprochene Hoffnung, in den romagnolifhen Archiven etwas von deſ—⸗
jen Hand zu finden, in Erfüllung gehen ſollte. Deutſche Leſer des Buches
aber will ih, ad vocem Yamiliennamen, auf einen Landsmann aufmert-
fam machen, welchem man S. 324 begegnet Der Mann beißt: ver
Sachſe Lorenzo Schradero Halberftapien — fo hat Herr Yra«
ticeli die Bezeichnung auf den zu Helmſtädt 1592 gebrudten Monumento-
rum Italiae t. V editi a Laurentio Schradero Halberstadien Saxone ge-
deutet, Es bat einen Beigefhmad vom Theſamius des Hofraths Bei:
reis. Genug vom Traticelliichen Buche, jeinen Borzügen und Mängeln,
und fchließlih nur noch die Notiz, daß das Blut Dante's noch in ben
Adern einer Frau rollt. Die Gräfin Maria Thereia Gozzadini zu Bo⸗
logna, in ber literariſchen Welt nicht unbefannt, ift die Letzte der Se-
rego Alighieri von Berona, ver Repräſentanten von Dante's Familie,
indem Ginevra Alighieri, des Dichters Nachkomme in fiebenter Genera⸗
tion von feinem Sohne Pietro, im Jahre 1549 den Grafen Antonio Se-
rego oder Sarego heirathete.
Der unermüdlichfte Erläuterer und, nebft dem Könige Yohann von
Sachen, gründlichfte Kenner Dante'8 in Deutichland, Prof. Witte, hat
fih in einer Heinen zeitgemäßen Schrift die Aufgabe geftellt, die Berech⸗
tigung der gegenwärtig täglich vernommenen Berufungen der Anhänger
ber heutigen italienischen Bewegung auf die Autorität des Dichterd ver
göttlichen Comödie zu unterfuhen. Er ift dabei zu Ergebniffen gelangt,
welche, wenn fie ſich zu diefen Anfprüchen, wie fie heute formulirt werben,
theilweife negativ verhalten, jehr beherzigungswerth find, obgleich fie, ge
Stafien 1860. 539
mäß vem ‚gewöhnlichen Geſchick von Anfichten, welche die Mitte zwijchen
wei Parteien haften, nad zwei Richtungen bin nicht genligen mögen.
Während ber gewaltige Einfluß Dante's auf Belebung patriotifcher ern-
ker Geſinnung in Italien und auf die Kräftigung des Bewußtſeins eines
nationalen Zujammenhanges, Jedem einleuchten muß, ber die merhvilr-
digen und charakteriftifchen Geſchicke des großen Gedichtes nicht etwa blos
vom philologijchen Standpunkte aus, fonvern in ihren engen Beziehungen
zur Geſchichte der geiftigen Entwicklung betrachtet; ift Die Berufung auf
Dichter und Gedicht als Zeugen und Ausdruck der heutigen Einheitsidee
derchaus unftatthaft, fo nach den biftorijchsthatjächlichen wie nach den po⸗
Krüch-Raatsrechtlihen Ericheinungen der ganzen Zeit, und insbeſondere
nach dem in verjchiedenen Werfen Mar und Teftimmt vargelegten Ideen⸗
gange des florentinifchen Verbannten. Während zweitens ver franzöſiſche
Einfluß, im Ganzen und Großen wie in den einzelnen Perjenen und ge=
ſchichtlichen Momenten, auf's Entſchiedenſte und theilweiſe auf's Schärfite
von Dante zurückgewieſen wird, ſchließt ſchon die ghibelliniſche Idee, vie
Mee ber, nach des Verfaſſers bezeichnenden Ausdruck, gliedſchaftlichen Un⸗
terordnung unter das römiſch deutſche Kaiſerthum, die Idee der gleich-
mãäßigen und friedlichen Anerkennung des Reiches, welches Italien im Zu—
ſammenhauge mit Deutſchland Heil und freudigen Brautſtand bringen
fol — dieſe Idee ſchließt den Deutſchenhaß aus, für ten man auch
obgleich er weſentlich ein Product unſerer Zeit iſt, aus der Divina Co⸗
media Zeugniß holen möchte. Aber ver Verfaſſer, indem er dem Irr⸗
thum und ven Mangel an Berechtigung ſolcher Berufungen in den Weg
teitt, bemerkt richtig, wie man andererſeits im Unrecht ſich befinven würde,
wollte man Dante'8 Worte im entgegengejetten Sinne als entſcheidend be=
trachten für die Verhältnifje unjerer Zeit, wellte man moderne politijche
Geftaltungen, veren Unzulänglichkeit und Mangel an wahren Yundament
wur zu deutlich geworben find, mit der in ter Ausführung verfehlten ja
vielleicht unmöglichen, in dem allumfaſſenden Princip Tod) unendlich groß⸗
artigen Conception des mittelalterlichen Kaiſerthums verwechſeln. Freilich
wird es auch wohl feinem, ter eine Ahnung hiſtoriſchen Geiſtes hat, ein⸗
fallen, den Dichter ver Monarchie, nämlich der von Gott georbneten
Nechte vieles römijch » deutſchen Kaiſerthums, für einen Verfechter der
Srembherrichaft zu erklären.
Die Erörterung des dritten Punktes, der Anſicht Dante's von ber
Pideriſqe Zeitfärift v. Band. R
540 Ueberfiht der hiſtoriſchen Literatur.
weltlichen Papſtmacht, liefert ein Reſultat anderer Art, Dante, ber
Berfechter der Kaiferivee in ihrer vom Parteiweſen befreiten Faffung,
fieht in ver Schenkung Conftantind, wie er, nad mittelalterlichem Be
griff, den Urſprung des Kirchenftants bezeichnet, ein Uebel, und zwar
ein Uebel in boppelter Beziehung: nicht nur als Hemmniß ber Einheit
wie fie ihm vorſchwebt, fondern als Anlaß zur Berweltlihung ver Kirche.
Es ift nicht nöthig, die zur Genüge befannten und oft gemißbrauchten
Stellen aus ber göttlichen Comödie nochmals anzuführen. Aber — und
dies dürfte noch fchärfer betont werben als hier geſchieht — mit der
unmöglihen Verwirklichung feiner Auffaflung vieler Einheit fällt and
fein Einwurf gegen die Berechtigung der weltlihden Macht; mit ver He
bung des geiftigen Lebens und religidfen Sirmes in der Kirche verſtummt
von felber feine vom Boden des Bonifaziſchen und mehr noch des Avig⸗
noniſchen Pontificat® aus gerichtete Anklage gegen den Anlaß biefer
Berweltlihung. Denn Dante, der für letztere die ſtärkſten Scheltworte
bat, hat zugleih ven erhabenften Begriff vom Papſtthum als göttlide
Inftitution und höchſte irdiſche Autorität; Dante denkt fi) das Papſt⸗
thum nicht ohne Rom und vergleicht die Schmach von Anagni wit
dem Opfer auf Golgatba. Dante religiös zum Häretiker machen zu
wollen, fteht auf gleicher Linie mit den lächerlichen Berfuchen, ihn po
Itiih in einen Geheimbündler, in ven Mazzini des Mittelalters zu
verwandeln und die göttlihe Komödie als Jargon des Urbanarismms
zu deuten.
Gegenwärtigen Bemerkungen über viefe zeitgemäße Abhandlung,
welche von bes Berfaffers würbiger Haltung und ruhigem Urtheil ge
genüber ver leivenfchaftlichen Aufregung der Zeit Zeugniß ablegt, möge
fi eine Notiz anſchließen über eine von demſelben bei Gelegenheit dei
Doktor- Jubiläums des Curators der Univerfität Halle gebrudte Heine
Schrift: Viro perillustri Ludovico Pernice etc. gratulatur Carolus Wile.
Inest: de Bartolo a Saxoferrato, Dantis Alligherii studioso, comments-
tiuncula (Halle 1861). Es ift der großentheil® polemiſche Commentar
des berühmten Rechtslehrers Bartolo über Dante's Canzone: Le dolce
rime d'amor che solea, weldye den Begriff des Adels — gentilesıza —
erläutert. Diefer Commentar fteht in Bartolo’8 Ausführungen De Digsi-
tatibus, ift aber in ver Ausgabe der Geſammwerke weggeblieben. Wir
finden ihn bier nad dem alten Drud Leipzig 1493. Am Schluffe be⸗
Stalien 1860. 541
ſindet ſich deſſelben Notiz über das Buch von der Monarchie, worin
er des wegen der Anſicht vom Imperium angedrohten Verdammungs⸗
urtheils erwähnt. „Post mortem suam quasi fuit damnalus de haeresi.
Nam Ecclesia tenet, quod Imperium ab Ecclesia dependet, pulcherrimis
rationibus, quas omitto“. A. v. R.
1. Allgemeines.
Balb®, comte Cénar, Histoire d'Italie depuis les origines jusqu’&
nos jours. Traduite sur le texte de la 1le édition italienne, et con-
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Italia secondo la storiz delle rivoluzioni guelfe e ghibelline. Milano, 1860.
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degli Italiani, compendiati in sei periodi. Venezia, Naratovich, 1860. vol.1I. 8.
Histoire illustrde des villes d'Italie, par une Socidte d’dcri-
vains francais et dtrangers. Naples, par A. P. Ire livraison. Paris
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Ed Magner, Dante et le moyen Age. Paris, Blériot, 1860. 8.
L’Offiecio proprio per Fra Girolamo Savonarola e suoi
eempagni; sceritto nel secolo XVI, e ora per la prima volta pubblicata
con un proemio. Prato, 1860.
Machiavel ot les patriotes italiens, par A. Mezitres. Nel
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rosque et illustrde de la guerred’Italie, contenant toutes les piè-
css officiellss, notes et documents authentiques, notices biographiques des
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Precis historique et anecdotique de la guerre @’Italie
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Vandevelde,capitaineL ‚Notice sur le theätre dela guerro
en Italie. Accompagndes de plans et de cartes. Bruxelles, Leipzig, Gand,
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Cesena, Amedde de, Campagne de Pidmont et de Lombar-
die en 1859, illustrde de gravures, de types militaires et plans de batıil-
'les, de places fortes etc. Paris, Garnier fr. 1860. XI u. 640 8. 8,
Archivio di note dipomatiche, proclami, manifesti, circolari, notifica-
zioni, discorsi ed altri documenti autentici riferibili all’ attualo guerra con-
tro l’Austria per lindipendenza italiana. Milano, Colombo 1859. 612 S. 8.
Quadro oronologico degli avvenimenti palitici d’Italis
dal 1820 al 1860. Firenze, 1860.
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Oceidj, gli ultimi, di Perugia, autenticati e precedati da
molti altri consimili, raccolti per cura di alcuni Perugiani. Torino,
Cerutti, 1859. 8.
Relasione sullaCampagna diguerra nell’Umbria e nelle
marche, settembre 1860. Torino, 1860. 24 S. con 4 gr. carte litogr. 4.
⁊
Avvenimenti, gli, d’Italia del 1860; cronache politico-militari
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Farini, L. C., Lettres sur les affairea d’Italie. Paris, Dentu,
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nata in Pinerolo nel 1352, morta in Alba nel 1464. — Disoorso recitato
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plari, in 8vo di pag. 118. Torino, 1860.
Trai tés publiques de la Maison de Savoie avec les puis-
sances etrangtres, depuis la paix de Chateau-Cambresis jusqu’ & nos
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Giscomo Giustinian Recanatd luogo tenente della Reppublica di
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tissimo Senato dal luogo tenente Pietro Sagredo nell’ anno 1621, pubbli-
cata da Pietr' Antonio Colombetti, per le nozze Beretta-Collorede.
Udine, 1860. In 8vo di pag. 15.
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uezia dal luogotenente Natale Donato nel 1712, pubblioata da Girolamo
di Codroipo e Vincenzo Joppi, per le nozze Gropplero — Di Codroipo.
Udine, 1860. In 8vo di pag. 14.
Hafien 1860. 549
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Senato veneto dal luogotenente Niccolo Contarini, pubb. da Michele
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duchesse de Parme et les dvönements de 1859. Ebd. 246 8. 18.
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Modena, per ordine del Dittatore delle provincie Modenesi. Modena,
presso Zanichelli e C. librai editori, 1860. 8.
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1860, da Giuseppe Campori. Modena, 1860. In 12mo di pag. 12.
Le lettere di Santa Caterina da Siena, ridotte a migliore
lezione e in ordins nuovo disposte, Con proemio e note di Niccolo Tom-
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Lettere inedite del senatore Carlo degli Strozzi precedute
dalla sua vita, scritta dal cınonico Salvino Salvini, con un discorso 6
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1 Manuscritti Palatini di Firenze ordinati ed epostidaFran-
cesco Palermo. Vol. Il. Firenze 1860.
Charles VIill en Toscane (novembre 1494) par Th. Paul. Nella
Bibliotk dque universelle di Genevra, quaderno d’Ottobre 1860.
Memorie oeconomico-politiche o sia de’ danni arreoati
560 Ueberficht ber Hiftorifhen Literatur.
dall’ Austria alla Toscana dal 1737 al 1859, dimostrati con docu-
menti officiali raccolti e pubblicati dal Cav. Antonio Zobi, Volumi 2.
Firenze, 1860.
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Attie Documenti editi ed inediti del Governo della Tos-
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8. M. Vittorio Emanuele II. Firenze, 1860. 386 p. 16.
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del reame di Napoli, cenno storico. Seconda ediz. Napoli, 1860.
Il Principato di Monaco, Studi storici di Girolamo Rossi. To-
rino, 1860.
Begis Ferdinandi primi instructionum liber, pubbl. da Sci-
pione Volpicella. — Nel Museo di Scienze e Letteratura da Napoli, dis-
pense dell’ Ottobre del Novembre e Dicembre 1859 e Gennaio, Marzo e
Giugno del 1860.
Opere di Vincenzo Mortilaro, marchese di Villarena. Vol. 7.
in 8vo. Palermo, 1843 — 1858,
La Varenne, Louis, Le congrts des Deoux-Siciles & Flo-
sonse. Florence, 1860. 270 8. 8,
552 Ueberficht ber hiſtoriſchen Literatur.
27. Wachträge zar Siteretur der nordamerikanifchen Geſchichte.
Life of George Washington. By W. Irving. Vol. V. Leipzig,
Tauchnitz, 1859.
Washington hat das Glüd gehabt, nicht lange nach feinem Dahin-
ſcheiden in den Präſidenten des DberbunvesgerihtE Marshall einen fehr
tüchtigen Biographen zu finden. Derjelbe beſaß einen hellen politifchen
Blick, gefundes Urtheil, Menjchentenntnig und ein reges Streben nach Uns
partbeilichkeit; er hatte ferner einen großen Theil ver Begebenheiten, bie
er darſtellen wollte, denkend miterlebt, außerdem waren ihm bie Papiere
des großen Staatsmannes von dem Neffen vefjelben zu freier Benukung
überlaffen werten. So ſchuf er aus fehr gediegenem Dlaterial ein ad
tungswerthes und lehrreihes Buch. Einige Jahrzehnte ſpäter gab Sparks
bie Papiere felber heraus, vermehrt durch höchſt ſchätzbare Mittheilungen
aus verjchiedenen Archiven. Die farbloſe Biographie, die er benfelben
vorfetste, ift von feiner Bedeutung; aber bie folgenden eilf Bänke fichern
ihm ben aufrichtigen Dank ver Foriher. Andere Beröffentlihungen aus
der Correſpondenz amerifaniiher Staatsmänner jener Zeit waren theils
vorangegangen, theils folgten fie. Wie jehr fi) unfere Kenntnig dadurch
vermehrt hatte, zeigt das achtbare Werf von Hildreth, the history of the
United States; bejonder8 im vierten Bande, welcher die Präſidentſchaft
Washington’S ausführlich behandelt, hat dieſer Schriftfteller viel geleiftet.
Wiederum wuchs der Stoff tur die Herausgabe ter Papiere von
Hamilton, Iefferfon, I. Adams und Anderer, und die Aufforderung lag
nahe, das Leben eines großen und guten Mannes auf Grund fo um-
faffender Materialien von Neuem zu fehreiben. Diejer Aufgabe unterzog
fih Wash. Irving. Er hatte längft den Plan gefaßt und Studien ge
macht; aber er ging zum Glück nicht eher an die Ausarbeitung, als bie
alle dieje Quellen gedrudt waren. Die erften vier Theile reihen bis zum
Jahre 1789; fie künnen zwar keineswegs als ein Muſterwerk gepriejen
werten, aber e8 feflelt doch die angenehme Erzählung eines liebenswürdi⸗
gen Mannes, ver von einem ehrenwerthen Streben nad Unparteilichfeit
bejeelt ift und feine Nachrichten mit großem Fleiße gejammelt umd ges
fihtet hat. Weit weniger Befriedigung gewährt der Schlußband. Während
Irving früher an einzelnen Stellen zu breit und ausführlich wurde, findet
jebt das Gegentheil ftatt; bisweilen haben wir nur eine dürre und trodene
Rachträge. 553
Anfzählımg verjchievener Einzelheiten. Anderes erinnert Allerdings noch an
das alte Talent des Verfaffers, gut zu jchilvern; fo wird z. B. das Auf-
treten Genet’s, welcher vom Convent nach ven Ber. Staaten geihidt wor⸗
ben war, um biejelben zur Theilnahme am Kriege gegen England zu über-
reden, nicht übel den Leſer vorgeführt. Freilich fehlen auch hier Ausein-
anverjegungen, bie erft das rechte Verſtändniß eröffnen. Die Darftellung
des Aufftandes in Pennſylvanien kann noch weit weniger genügen und bes
ſonders ſehen wir nicht, wie die Wogen biejer Bewegung zu einer jo ges
fahrvollen Höhe wachſen konnten. Bon dem Vertrage, welchen Washington
1794 mit England abſchloß und ver in ver Gejchichte ver Ver. Staaten
eine fo große Rolle fpielt, befommen wir nicht einmal die Örundzüge zu hören,
and während einige Waffengänge ver Amerikaner mit den Indianern ziemlich
ausführlich behaubelt werben, erhalten wir fein anjchauliches Bild von
dem Urfprunge dieſer Feindſeligkeiten, ven Abfichten, welche der Präſident
den Ureinwohnern gegenüber verfolgte, den Schwierigkeiten, vie fich ver
Herftellung des Friedens entgegenfegßten. Kurz, dieſer fünfte Band ift
höchſtens eine gut gejchriebene Chronik; kein ſtaatsmänniſcher Blick wählt
unb gruppirt die Thatjachen, die in bunter Reihe ſich folgen und ten
Lefer ermüden. Der Berfafier ftand eben am Ente feiner Laufbahn. Er
hatte feinen Landsleuten ein mit Liebe gearbeitetes Leben Washington’s
bis zum 3. 1789 gegeben, und troß der zunehinenden Körperſchwäche war
er redlich bemüht, es zum Abjchluß zu bringen; aber er verniochte nur
noch, was an dem Bilde fehlte, zu flizziren. E. R.
Histoire de Washington, et de la fondation de la répo—
blique des Etats-Unis. Par Cornedlis de Witt. Prec&dde d'une étude
historique sur Washington par M. Guizot. Nouvelle edition rerue et cor-
rig6e. Paris, Didier et Ce., 1859.
Im 3. 1855, wo Irving den erften Theil jeiner Biographie bes
endete, kam in Paris ein Werk heraus, melches in einen einzigen Bande
ven Franzoſen bie wichtigſten Creigniffe aus dem Leben Washington’ ere
zählte. So klein das Buch verhältnigmäßig ift, jo fehr empfiehlt es fich
ditrch vollfommene Beherrſchung und geſchickte Gruppirung des Stoffes,
richtiges Urtheil und edle Darftellung; e8 beruht außerdem auf fehr gründ⸗
lihen Studien. Obwohl, z. B. die Gedichte des Konventes von Phila⸗
delphia, welcher die Bundesverfaſſung fhuf, nach dem Plane des Ganzen
554 Ueberfiht ber biftorifchen Literatur.
nur einen geringen Raum einnehmen Tonnte, fo hat doch ver Berf. vie
verwidelten Verhandlungen dieſer denkwürdigen Verfammlung fleißig gele⸗
fen; im Einzelnen ließen ſich freilich gerade an biefem Abfchnitte mancherlei
Ausftellungen machen. Auch die gute Anorbnung unterliegt einer Aus
nahme. De Witt führt und bie Zeit der Präfidentichaft (1789 —1797)
in zwei Kapiteln vor, von denen das eine den inneren, das andere ben
äußeren Angelegenheiten gewidmet ift. Da nun aber beide fortwährend im
Wechſelwirkung zu einander ftehen, fo ift eine ſolche Anorbnung durchaus
fehlerhaft. Dan kann z. B. ven Aufftand in Pennſylvanien nicht ganz
begreifen, wenn man nicht vorher den Einfluß kennen gelernt hat, weldyen
ber Geſandte des Konventes und der englijch = franzöftiche Krieg auf die
Bffentliche Meinung in Amerika ausübten. Davon abgejehen, hat De Witt
die Aufgabe, ven Gebilveten eine Biographie von mäßigem Umfange zu
bieten, ganz anders gelöft, als neulich Venedey, deſſen Machwerk — denn
fo dürfen wir e8 wohl bezeichnen — im beutfchen Muſeum recht gut cha⸗
rakteriſirt worden iſt.
Von dieſem empfehlenswerthen Buch erſchien 1859 eine neue Auflage.
Gleichwohl könnte man verſucht ſein, ſie nur für eine neue Ausgabe zu
halten; denn Bogen für Bogen ſchließt mit denſelben Worten, und auf
Seite 305 findet ſich die falſche Jahreszahl 1803 ſtatt 1801 im Texte
wiederholt; aber in der Ueberſchrift ift der Irrthum allerbirigs befeitigt,
und es gibt noch andere Anzeichen dafür, daß wir eine neue Auflage vor
und haben. Verbefferungen laffen fih unter folden Umftänden ſchwer ent⸗
decken und fie können aud nicht erheblih fein. Im Anhange find bie
erften drei pieces justificalives weggeblieben, welde ven Unionsplan von
1754, die Conföberationsartifel und die Unabhängigfeitserflärung in einer
Meberfegung mittheilten. E. R.
Thomas Jefferson, etude historique sur la democratie
amedricaine. Par Cornelis de Witt. Paris, Didier et Ce., 1861.
Indeſſen hatte De Witt feine amerifanifhen Studien fortgefett und
auf Thomas Tefferfon gerichtet. Diefer merfwürbige Mann, ven bie
Amerifaner als ven Vater der Demokratie preifen und mit welchem, als
er im J. 1801 Präfident wurde, die fogenannte republifanifche Partei zur
Herrschaft gelangt ift, war während feines Lebens, befanntlich nicht ohne
eigene Schuld, der Gegenftand des bitterften Haſſes von Seiten ber Föͤ⸗
—W
- Rachträge. 555
teraliften gewejen, von ben eigenen Anhängern dagegen ebenjo übermäßig
gefeiert worven. Nach feinen Tode kam feine Autobiographie und ein
Theil feiner Correſpondenz heraus, une hauptſächlich auf Grund viefes
Material ſchrieb Tucker eine Biographie von ihm, die in ben dreißiger
Jahren in zwei Bänden erſchien und ver bemofratifchen Auffaffung folgte.
Ganz ander und, wie ich meine, weit richtiger würdigte Hiltreth in dem
oben angeführten Werke (vols. IV, V u. VI) vie öffentliche Thätigkeit Jef⸗
ferſon's. Darauf wurden aber die Writings dieſes Staatsmannes volls
ſtändiger als vorher herausgegeben; *) fie brachten aud eine Menge bis
dahin unbelannter wichtiger Privatbriefe. So lag hier gleichfalls tie Auf-
gabe ver, eine neue Biographie zu jchreiben, und ebenjo unternahmen ein
Amerilaner und ein Franzoſe die Löfung, jener, Randall, wieberun aus⸗
führlich in drei Theilen, diefer, wie e8 für Europäer ungefähr ausreicht,
m einem Bande. Das Wert des Erfteren kenne ich noch nicht, das Buch
De Witt's aber, der in der Auffaffung Jefferſon's im Ganzen mit Hild⸗
veth übereinftimmt, ift ver Empfehlung jo würdig, wie fein Leben Was⸗
Bingten’8. E. R.
®) Der vollländige Titel lautet: „The Writings of Thomas Jefferson,
being his Autobiography, Correspondence, Reports, Messages, Ad-
dresses and other writings, official and private; published by the
order of the joint committee of Congress on the library, from the
original manuscripts, deposited in the departement of State; 9 vols.
New-York, 1853— 54.“ Meines Wiſſens hefitt allein Göttingen biefe
wichtige Duelle, unb zwar aud nur den erften ober bie erften beiben
Bände. (Münden befigt gegenwärtig dba® ganze Werl. Anm. d. R.)
Das ebenſo bebrutende Bud: „The Works of Alexander Ha-
milton, compriding his Correspondence, and his political and official
Writings, civil and military. Published from the original manuscripts
deposited in the departement of State, by order of the civil Library
Committee of Congress. Edited by John C. Hamilton, 7 vols. 1851.“
befindet fi, fo viel mir befannt ift, meber bort, nod in PVerlin und
Münden, und daher wohl überhaupt nicht in Deutichland. Es wäre fehr
wünfdenswertb, daß die großen Bibliothefen unferes Gefammtvaterlanbes
diefe Läden ausfüllten. E. R.
Bruä son Dr. €. Welf & Bohn.
HBiſtoriſche Zeitfrift VI. Bann. ai
Nachrichten
von der
biforifhen Commiſſion
bei der
Reniglich Boperitchen Yhndemie der Miltenichaften.
(Beilage zur Hiftoriihen Zeitfchrift herausgegeben von H. v. Sybel.)
Dritter Jahrgang.
Zweites Htäd.
Händen, 1861.
Literariſch-artiſtiſche Anfta lt
der 3. G. Eotta’fhen Buchhandlung.
Druh von Dr. C. Wolf & Zehn.
IV.
Bericht über die Arbeiten für dad hanſiſche Urfunden= und
Neceß- Bund.
Bon
Dr. Inughaus.
Zwei Aufgaben waren e8, welche einen längeren Aufenthalt in
Kopenhagen nothwendig machten und mich bort von Ende Auguft
1860 bis Ende Juni 1861 befchäftigt haben, die Ausbeutung des
überaus reichen kgl. pänifchen Geheimarchivs, ver Bibliothe-
ten, des ftäptifhen Archivs für unfere Urkundenfammlung, und
bie Bearbeitung der hanfifchen Receſſe von 1361 — 1405 nach
der Ledraborger Hanbfchrift. Weber beides folgen bier ausführlichere
Mittheilungen. ‘Daran fchließt fich der Bericht über eine Reife nach
Schonen, deren Hauptzwed war, Nüheres über bie age der hanfifchen
Bitten feftzuftellen.
1. Arbeiten anf dem k. dänifchen Geheimarchiv, den Bibliotheken, dem
Archive der Stadt Kopeuhagen.
Das Löniglih pänifche Geheimarchin ift erft, feitvem Herr
Conferenzrath Wegener bie Leitung übernommen hat, allgemeiner
⸗ 4%
38 Bericht von Dr. Junghans
wiffenfchaftlicher Benugung eröffnet: war auch früher der Zutritt
nicht unterfagt, fo fehltee8 doch ganz an den nothwenbigften Einrichtungen,
ſelbſt an einem eigentlichen Arbeitszimmer. Mir ward ohne Weiteres die
Erlaubniß zur Benugung von bem betreffenden Minifterium ertheilt,
und nicht dankbar genug kann ich e8 anerkennen, in wie zuvorkommen⸗
ber Weife die Herren Sonferenzratd Wegener, Profeffor Beder,
Profeffor Rajmufjen, Candidat Matthieffen und vor allem
Herr Inſpektor Pleſſner, welcher ganz beſonders beauftragt war,
das Einzelne aus ven für mich wichtigen Abteilungen mir vorzu-
fegen, meine Arbeiten geförtert haben.
Was alle umfaffenden Arbeiten auf dem Geheimarchiv vor ber
Hand noch fehr erfchwert, ift das Beftehen einer großen Anzahl ge
fonberter Abtheilungen, vie vermuthlich bei allmählicher Ablieferung ver
Archivalien des alten Neichsarchives, des königlichen Hausarchives und
fpäter der verfchiedenen Miniſterien, welche bis auf bie neuefte Zeit
ältere Specialarchive bewahrten, erwachfen find. Erſt nach Vollendung
der Regiftratur auf lofen Zetteln, welche nach dem dafür aufgeftellten
Plane alle befonveren, bisher nur unvolljtindig verzeichneten Samm-
(ungen umfaffen wird, kann eine zwedinäßigere Ordnung eintreten:
ih mußte meinen Stoff in den verichievenen Sammlungen originaler
Pergament» und Papierbocumente, den Regiftranden, ven Abfchrife
tenfammlungen aufjuchen.
Bor allem waren e8 bie beiden Sammlungen Lübed und Hanfe-
ftädte, und Hanſeſtädte, welche meine Aufmerkſamkeit in Anſpruch
nahmen. Beide habe ich Stüd für Stüd durchgeſehen, aber in verfchiedener
Weife benutt. Sie find theilweife gleichzeitig, doch enthält die höher
binauf gehende Sammlung Tübed und Hanjfeftäbte faft nur Per⸗
gamente und mußte mit Ausnahme bes wenigen ber Lofalgefchichte
einzelner Städte Angehörenden — wozu ich auc bie größere Menge
bed auf die Verhältniffe Xübel’8 zur Zeit der Grafenfehde Bezäglichen
rechnen muß — für unfere Urkundenfammlung faft ganz abgefchrieben
werden, natürlich mit fteter Nücficht auf vorhantene Abprüde und
beren Berichtigung. Die zweite Sammlung Hanſeſtädte — id
unterfcheide fie al8 die neuere im Gegenfag zur älteren — beginnt
mit König Friedrich I. und gebt bis in’8 XVII. Jahrhundert, doch
finden fih auch für diefen Zeitraum einzelne befonders wichtige Dock
Aber die Sanfereceffe. 39
mente in ber älteren Sammlung; die neuere habe ich bis zum Ende
von Chriftians III. Regierung mit Ausfchluß defien, was ber befonveren
Gefchichte der einzelnen Städte und ihres Handels, welche mehr und
mehr an Bedeutung für das Allgemeine verliert, angehört, in ber-
felben Weife wie die Ältere Sammlung benugt; alles Spätere ift auf
lofen Zetteln kurz verzeichnet. Ich bemerfe noch, daß die legten Paden
diefer Sammlung in alphabetischer Yolge befondere Sammlungen für
einzelne Hanfeftäbte enthalten, welche jedoch nur wenig allgemeinere
Beveutung haben. Auh für Hamburg und Danzig beftehen
folche, von denen ich jedoch nur bie erften Paden durchſah, da ich
mich bald überzeugte, wie gering bier die Ausbeute für die Hanfe
war; beide beginnen auch erjt im XVI. Jahrhundert.
Das nächſte für mich war, bie übrigen Sammlungen für deutſche
und außerdeutfche Staaten, im deren jegigem und einftigem es
biete die ehemaligen Hanſeſtädte liegen, zu durchforſchen, Mecklen—
burg, Preußen, Rügen und Pommern, die Sammlungen für
Holland und die ([panijchen) Niederlande, für die Oſtſee—
lande Livland und Defel, wo bie von Herzog Magnus als Bi-
ſchof von Defel in ber zweiten Hälfte des XVI Jahrhunderts nach
Kopenhagen gebrachten biſchöflich dfelifchen Regiſtranden für
das XVI. Jahrhundert eine unerwartete Ausbeute gewährten; ſo—
dann die Abtheilungen für die Staaten, welche im Laufe der Zeit als
Bundeögenofjen oder Vermittler mit Dänemark zugleich mit der Hanfe
in Berührung gelommen find: England, Frankreich, Schott-
land. Auch bier beftehen überall ältere nnd neuere Sammlungen,
boch haben bie neueren meift geringere Bedeutung, Yür die Abthei«
lungen England und Schottland hatte mir Herr Dr. Lappen⸗
berg ein vor Jahren für die vom englifchen Parlament eingefegte Come
miffton zur Herausgabe von Urkunden und Quellen ver englifchen
Geſchichte (Record-commission) gemachtes Verzeichniß zur Einficht
mitgetheilt.
Auh die das eigentlide Dänemark und die nordiſchen
Reiche betreffenden Sammlungen durfte ich nicht unberüdfichtigt laffen.
Für Dänemark war Seeland und Mön beſonders wichtig; für
Schweden bie ältere Sammlung, weniger die neuere. Doch
nenne ich hier als einen befonvers werthvollen Beftandtheil bie Briefe
40 Bericht von Dr. Junghans
ber Sturen, eine überaus vollftändige Sammlung von erhaltenen
Schreiben und Eoncepten ausgegangener Briefe aus der Zeit der Kämpfe
mit König Hans, welche Chriftian II. in tie Hände fiel. Sie ift
zum Theil von Brofeffor Raſmuſſen vegiftrirt und zuerft in umfaffen-
der Weife von Profeſſor Grönblad zu Helfingfors für Finlande
ältere Gefchichte benutt: feine Nya källor till Finlands medel-
tidshistoria Kph. 1857 enthalten einzelne auch für uns wid.
tige Stüde. Norwegen fonnte ich ganz bei Seite laſſen; was
in biefer Abtheilung und angeht, ift bereit im norwegifchen Di»
plomatar!) abgebrudt, oder wird bort bald Aufnahme finden: daß fein
Erfcheinen durch den für die nordiſche Geſchichtsforſchung fo bellagens⸗
wertben Tod des norwegifchen Neichsarchivare Lange eine Unter-
brechung erleiden könnte, fteht ja nicht zu befürchten, feit Profeſſor
Mund an feine Stelle getreten ift.
$sland liegt uns eigentlich ferner: foweit ich bis jet zu be⸗
urtbeilen vermag, hatte die Hanfe fo wenig wie eine einzelne Stabt
dort Privilegien, nicht einmal das Winterlager die nothwenbige Vor⸗
bedingung fefterer Anfievlung warb zugeltanden, nur dem Kinzelnen
wird für beftimmte Zeit vom Könige der Handel auf Island ge
stattet. Doc Habe ich da8 Vorhandene durchgefehen und auf ofen
Zetteln verzeichnet. Wielleicht bringt das feit kurzem begonnene
isländifche Diplomatar ?) weiteren Auffchluß über die Stellung ber
Hanfe in Island.
Dazu kommen für Dänemark bie beiden topograpbifchen,
nach dem Material gefonterten Sammlungen — die bereit8 vom Archivar
Voß georbnete und regiftrirte und nach ihm benannte Boffifche
Pergamentfammlung, deren von Profeffor Rajmufjen fort
während ergänzte Reniftranden mir vorgelegt wurden, und die Bapier-
fammlung, über welche Profeffor Beder ven bereits eine große
Reihe von Kapfeln füllenden Katalog auf ofen, ftreng chronologiſch
georbneten Zetteln ausarbeitet. Hier bin ich jedoch nur bie 1568
gegangen, zumal da auch bis zu biefem Zeitpunkte die Ausbeute feine
große war.
!) Lange u. Unger Diplomatarium Norwegicum I. — V. 1.
?2) Diplomatarium Islandicum. Bisher 2 Hefte — 1224.
über die Sanfereceffe. 41
Für die füblichen Provinzen Schweben8, bie für ung wegen ber in
den Städten Landskrona, Malmö, Standr und Falfterbo,
Yſtad, Eimbrishamn einft befinvlichen veutfhen Eompagnien
ein befonderes Intereſſe haben, erwähne ich eine nach Land»
ihaften und Harben geordnete topographifhe Sammlung, auf welche
mich der vortreffliche im Auftrage der fchwebifchen : Regierung über
die Archivalien des Geheimarchivs für den noch längere Zeit mit Däne-
mark vereinten Süden Schwedens von Falkman ausgearbeitete Regi⸗
ftrand'), von dem das Geheimarchiv eine Copie erhalten bat, hinwies.
Ich erwähne noch zwei eigentlich ganz fpeciell für däniſche Ge⸗
ſchichte und verfchiebene tänifche Verhältniffe beftimmte Abtheilungen,
in denen jetoch gelegentlich Hanfifches vorkommt: Gefchichte der
bänifhen Könige (Danffe Kongers Hiftorie) und dän iſche Samm⸗
lungen. (Danffe Samlinger.) Die zur Gefchichte ber bänifchen
Könige gehörigen Papiere find von Profeffor N. M. Peterfen — dem
Berfaffer ver dänifchen Titeraturgefhichte — zur Zeit feiner Thätig⸗
feit am. Geheimarchiv in einem vortrefflichen Negiftranden verzeichnet.
Es find bauptjächlih Briefe an die Könige, an die Kanzlei zurückge⸗
lieferte Tönigliche Schreiben an verfchievdene Beamte oder Concepte
dazu, Inſtruktionen u. dgl. Auch was fich von vem Archive Chri—
ffians IL an Ort und Stelle erhalten hatte, ift von ihm in dieſen Re-
giftranden aufgenommen. Ich babe mich hier für die Zeit von König
Hans bis zu Ehriftians ILL. auf das Nothwendigfte beſchränken müfjen,
doch find umfafjendere, vorwiegend das däniſche Intereſſe berüdfich-
tigende Publikationen von Profeffor Allen zu erwarten. Die als
bänifhe Sammlungen bezeichnete Abtheilung mit verfchiedenen
fachlichen Unterabtheilungen fcheint erft in etwas fpäterer Zeit gemacht
zu fein und wächst noch fortwährend an, da fie einen bequemen Ver⸗
einigungspunft für manches fonft nicht Unterzubringende bildet, wel
ches vie fortfchreitende Negiftrirung an's Licht zieht. Ich habe hier
mit Hülfe des vortrefflichen Regiftranden die als Handel, Gil de—
wefen, Fiſcherei, bezeichneten Wbtheilungen mit Erfolg burchges
fehen.
1) Aber Schonen, Halland, Blefingn Gotland, Bohuslän, Jemtland 2 vol.
in Folio.
43 Bericht von Dr. Junghans
Bon ven erft in neuerer Zeit dem Geheimarchiv vereinten, vor⸗
bem gefonverte Archive bildenden Abtheilungen verbienen das gemein«
fchaftlihe Archiv ter Könige und Herzoge, bad Gottorper
Archiv und bie meift aus dem Archive der deutſchen Canzlei her»
rübrenden Ablieferungen des fchleswigjchen Minifteriums be-
fondere Berückſichtigung. Die beim gemeinfhaftliden Archive
von Sand. Matthiejfen begonnene Negijtrirung ift noch nicht weiter
als bis zum 10. Capitel vorgefchritten, fo benugte ich für die fpäte
ren Eapitel den gedruckten Regijtranden. Im Gottorper Archive,
deſſen Membranen ebenfall® Candidat Matthieffen regijtrirt hatte,
fand ich Nichts für die Hanfe; doch werden beide, das gemeinschaft.
liche und Gottorper Archiv, für die Urkundenbüher Hamburgs
und Lübecks, deren Yortfegung jo überaus wünſchenswerth erfcheint,
eine reiche Ausbeute gewähren, auf bie ich leider verzichten mußte,
Bon den neueren Ablieferungen des ſchleswigſchen Minifteriume
war mir Manches ſchon aus andern Sammlungen befannt: faft alles
auf Lübecks Verhältniſſe Bezügliche beveutungslos für uns. Ich hebe
nur ein ftarfes Convolut (Fol. 60 Nro. 73) hervor, welches als Beis
lage zu Verhandlungen ver Hanje mit Dänemark v. J. 1571 die von
mir in ber Abtheilung Hanſeſtädte vermißten Schreiben der hanfie
chen Sendboten und einzelner Städte an Friedrich IL von 1558— 1581
enthält. Sie find ber von mir befolgten Regel gemäß auf Lofen Zet-
teln in aller Kürze regiftrirt.
Don den Sammlungen originaler Documente wenbe ich mich zu
ben verhältnißmäßig fpät beginnenden, doch dann allerbings in fehr
umfafjender Weife ver Gliederung des dänifchen Reiches entfprechend
geführten Briefbüdhern und Regiftranden. Daß ältere verloren
gegangen feien, möchte ich nicht behaupten, esfcheint, daß es bier an
dem praftijchen und hiftorifchen Sinne fehlte, welcher faft überall
Ihon Jahrhunderte früher, in keinem Lande zeitiger und in umfafjen-
berem Maßftabe als in England, dazu führte, Copialbücher und Rollen
anzulegen, um das praftifch und hiftorifch Bebeutfame für die kommen»
ben Gefchlechter aufzubewahren.
Der älteſte Regiftrand befindet fich nicht auf dem Geheimarchiv —
es bewahrt nur eine Abfchrift — fondern auf ver großen königlichen
Bibliothek: es ift ver Regiftrand K. Chriſtierns L (Nr. 1160
über die Hanfereceffe. 43
in Folio ter alten kgl. Sammlung). Das Yormat ift richtiger als
4, zu bezeichnen, das Material ift fehönes, weißes Papier, doch
find einzelne Perganent- und Papierblätter von verjchiedenem For⸗
mat eingeheftet, erſt in neuerer Zeit ift die Puginirung (1 — 161),
foweit die Handſchrift befchrieben ijt, hinzugefügt. Die deutliche doch
unſchöne, durch rothe Weberfchriften ver Abtheilungen und Urkunden
gehobene Schrift bleibt fich die ganze Handfchrift hindurch, von ben
Einlagen natürlich abgefeben, fo gleich, daß ein vollfommen gleich»
zeitiged Eintragen der Schreiben und Urkunden durchaus unwahr«
ſcheinlich ift: doch wird die Handſchrift nicht lange nach Chriftierns I.
legtem Regierungsjahre gefchrieben fein. Der Regiſtrand umfaßt die
Regierung des Königs und bie ihr unntittelbar vorhergehenden Jahre
und betrifft nit Ausnahme des von mir Ausgehobenen, ausfchlieplich
bie Herzogthümer — nicht die drei Reiche — fowie die Beziehungen
berfelben zu Zübed und Hamburg, welche indes für die Hanſe
feine Bebeutung haben. Es find nach den verfchiedenen Materien
in zwedmäßiger Weife Abtheilungen gemacht, innerhalb deren eine
chronologiſche Ordnung fejtgehalten ift. Nicht von allen Urkunden
und Briefen finden fich velljtändige Abjchriften: oft genügten kurze
Negeften. Die Abfchrift des Geheimarchivs ift auf Langebeks Veran«
laffung vom Isländer Fon Viortenfen gemacht; Meichelfen erwähnt
ein zweite® übereinftimmentes oviginales Exemplar'), toch konnte ich
in Kopenhagen NichtS darüber erfahren.
Den einzigen aus der Zeit des Könige Hans erhaltenen Regi⸗
ftranden, das Briefbuh des Königs Hans — es enthält bie
Sorrefpondenz mit ver Königin von Schottland und von Frank⸗
reich in ber Zeit des Krieges mit Lübel und der Hanje und In⸗
ftruftionen für feine Geſandten — erwähne ich bier nur ber Voll
ftändigfeit wegen, ta es bereite, doch mit Weglaflung einiger auch für
und bevdeutungslofen Zugaben, mit großer Sorgfalt abgedrudt ift?).
In diefelbe Zeit fällt das Briefbuch tes Herzogs Frieprich
(im gemeinfchaftlichen Archiv Cap. 38. Acceſſion Nro. 1). Es führt bie
neuere Bezeihnung: „Herzog Friedrichs zu Gottorf Erpe
I) Nordfriesland im Mittelalter.
?) Aarsberetninger fra det k. Geheimarchir I.
44 Bericht von Dr. Junghans
bitiones 1508 — 1513“. Die Handſchrift ift in 4° auf Papier ge
fchrieben, zählt 170 Blätter. Mehrere, zum Theil flüchtige Hände
find leicht zu unterfcheiven. Viele zufammengefaltete Blätter und
Blättchen, Concepte ansgegangener Schreiben find zwifchen den Blät-
tern eingelegt, Bl. 1—28 find am äußern Rande abgegriffen oder
angefreffen, doch ift von der Schrift nicht viel zerftärt. Die Schrei«
ben felbft find mehrfach ſtark purchcorrigirt und nicht immer in ber
gehörigen Form ausgeftelft, ohne Adreſſe, über die jedoch am Schluffe
bes Schreibens eine kurze Angabe nicht fehlt. Auch die Datirung ift
manchmal nicht zugefügt, ergibt fich jedoch mit annähernder Genauig⸗
feit aus den vorbergehenven und nachfolgenden Schreiben. Die größte
Zahl der Schreiben ift hochdeutſch abgefaßt, nur wenige find nie
derdeutſch: ein eigenthümliches Verhältniß zu einer Zeit, wo doch das
Niederbeutfche in Norpbeutfchland in Sprache und Schrift noch ent-
Ichieven das Uebergewicht hatte. Bisweilen findet fich auch eine ſelt⸗
fame Wifchung des Hochdeutfchen und Nieberbeutfchen, vielleicht durch
bie geringe Kenntniß des Nieverveutfchen beim bochbeutfchen Schreiber
veranlaßt. Daß fo viele Schreiben hehteutfh ausgegangen
fein follen, ift kaum glaublich, ich bemerfe nur, daß von einem
tim Briefbuche enthaltenen hoch deutſch abgefaßten Schreiben an bie
Hanfeftänte (1512 zwiſchen März 28. und April 8.) eine nieber-
beutfche gleichzeitige Copie fich in ver Abtheilung Hanfeftäpte
Tafc. 28 findet. Cine wie wichtige Duelle für die Specialgefchichte
ber Herzogthüner, für die Beziehungen Herzog Friedrichs zu ten be-
nachbarten Neichefürften und Ständen viefes Briefbuch ift, braucht
wohl kaum hervorgehoben zu werben; auch für bie Gefchichte des
Streites Lübecks und der in Tebhafter Parteinahıne bald enger mit
thm verbundenen wenbifchen und Dftfeeftäpte wider König Hans ift,
was fich hier über bie in Gemeinfchaft mit Hamburg und Lüneburg
jo wie den Ständen ter Herzogthüümer vom Herzoge verfuchte Ver
mittlung, und fpäter tm Kriege ver Hanfe mit ven Holläntern was
fich über feine Thätigleit, die Neutralität und Unverleglichkeit feiner
Unterthanen gegen Uebergriffe ver Städte zu wehren, ergibt, für uns
von Bedeutung. Benutzt ift das Briefbuch wohl nur von Michelfen
im Dithmarfiichen Urkundenbuche, doch nicht ganz erfchöpfend.
Für bie Negierung Chriftierns II. findet fich ver exfte fufte
über die Hanfereceffe. 45
matifch angelegte däniſche Canzleiregiftrand: er ift nach Land⸗
fchaften georpnet — Seeland und vie kleinen Inſeln, Fünen, Jüt⸗
land, Schonen, Gothland — und gut in Suhms Nye Sumlinger T. 1II.
abgedruckt. Er ijt forgfältig auf Papier (groß 4. 256 BL.) gejchrie-
ben und umfaßt bie Jahre 1513 — 1522. Für uns wird er noch
auszuziehen fein.
Aus der Zeit König Friedrichs L find nur eigentliche Co
pialbücher, — wenn ich mit diefem Namen vorzugeweife die Ur-
funden und offene Briefe enthaltenen Regiftranten bezeichnen darf, —
feine Briefbücher vorhanden.
Am wichtigften ift ter in deutſcher Sprache geführte Re-
giftrand des deutſchen Kanzlers. ine gleichzeitige Hand
bezeichnet ihn auf dem erjten Blatte in folgender Weife: „Regiſter
aller und yegliher cantract band! vnd begnadung, fo in
zeit meiner Wolfen von Vtenhouen cantlers von fu'
maieſtat 2c. aus berfelben cantley aufgangen“ Das fol
gende Blatt Hat eine Ähnliche Bezeichnung. Gefchrieben ift ver Re—
giftrand, ein brauner Lederband mit Schnalle in Folio, auf Papier,
137 DI. find befchrieben, dann folgen ziemlich viel unbefchriebene, erft
bie beiden legten find wieder befchrieben. Es find mit Leichtigkeit
zwei Hände zu unterfcheiden, anfcheinend find fie ziemlich forgfältig
auch in Ausfüllung des Datums ver eingetragenen Documente, doch
zeigt fich bei näherem Eingehen, daß namentlich ber erfte Schreiber
feine Arbeit fehr nachläffig beforgt hat. Cr fehlt beim Kintragen
ber nieberbeutfchen Documente aus mangelhafter Sprachkenntniß mehr⸗
fach, fällt ins Hochdeutſche und beycht auch fonft manche Verſehen
aus Wlüchtigfeit, welche nicht zu verfennen, doch nicht immer mit
Sicherheit zu verbeflern find: dennoch mußte ich Abfchriften nehmen,
da es bei manchen Urkunden mehr als zweifelhaft ift, ob die Originalauss
fertigungen noch vorhanden fein werten. Es wirb wohl faum nöthig
fein, ausprüdlich darauf hinzumeifen, daß der Titel des Negiftranten
nicht zu der Annahme berechtigt, al8 habe Wolf von Utenhoven
felbft diefen Regiftranten geführt; dagegen würde fchen vie Berfchies
denheit der Handfchriften und mehr noch bie Sitte ber Zeit fprechen.
Doch leidet e8 keinen Zweifel, daß Utenhoven die Cintragung ber
Documente anorbnete und Üüberwachte, iſt doch einmal (Fol. 5) vom
46 Bericht von Dr. Junghans
Schreiber, als er- die Abjchrift eines Protololles über die am 14. Yuli
(1524) zu Kopenhagen unter Vermittlung 8. Friedrichs J. zwifchen
der Hanfa und den Holländern geführten Verhandlungen leider ſchon
nach den einleitenden Sägen abbricht, ausprüdlid bemerkt: "Her
Canntzler fagt: fey vnnot zu regiftern.« Der Regiftrand um⸗
faßt vie Jahre 1524— 1533, er beginnt mit den öffentlichen Verhält⸗
niffen, vor allem den Beziehungen zur Hanſe, zu einzelnen Stäbten
wie Lübeck, Hamburg, Danzig, zu Schweben.
Auffallend mußte e8 mir erfcheinen, daß aus ber entfcheidunge-
vollen Zeit ver Thronftreitigfeiten, weldye mit der burch vie entſchie⸗
bene PBarteinahme der Hanfeftäpte für den ihnen lange ſchon fo eng
verbundenen Herzog durchgefegten Erhebung vefjelben auf den Könige
thron abfchloffen, fich Fein Briefbuch, keine Sammlung von Schrei«
ben der in den Streit verwidelten Städte und Fürften finden follten.
Freilich läge die Erklärung nahe, daß Friedrich felbft bie Papiere ver-
nichten ließ. Doch ift noch zu Anfang diefes Jahrhunderts eine ſolche
Sammlung von Originalfchreiben (oder Abfchriften berfelben) ver dem
Herzog. Könige in jener Zeit verbündeten Städte und Fürften an ihn und
von Eoncepten zu feinen Schreiben vorhanden gewefen. Es ift das aus Ab-
Schriften des großen bantfchriftlihen TLangebeffhen Diplomatars
zu erfehen, auf welches ich fpäter zurüdtomme. Jetzt waren die Ori⸗
ginale nicht aufzufinden. Die Abfchriften find leider fehr unzuver⸗
läffig, doch habe ich einige ver wichtigften copiren laffen und in Ko
penhagen hinterlegt in ver Hoffnung, daß erneuerte Nachforfchung
jenes Briefbuch wieder bervorziehe und eine Berichtigung der Ab-
Schriften möglich mache. Abfchriften einiger theilweife chiffrirter
Schreiben Lübecks und Friedrichs nehmen zu laffen, ſchien bei ver
großen Unzuverläffigfeit ver Abfchriften nicht ratbfam; den Schlüffel
ber Chiffern zu entveden wäre wohl nicht unmöglich gewefen, obfchon
Wortchiffern, nicht Buchftabenchiffern angewandt find.
Aus fpäterer Zeit, den Jahren 1532, 1533, findet ſich ein vom
ſchleswigſchen Minifterium (Fol. 62 Nr. 81) abgeliefertes ziem-
lich ſtarles gleichzeitig gefchriebenes Heft mit öffentlichen und privaten
Urkunden, ein Beweis, wie man in der deutſchen Canzlei zur Zeit
Friedrichs I. wohl das Streben hatte, in umfafjenver Weife zu
regiſtriren, doch Tein feſtes Syſtem finden konnte. Enthalten war in«
deß in biefem Hefte nur mic [on Brlannter.
über bie Hanſereceſſe. 47
Die däniſchen Regiftranden unter K. Friedrich I. ſchließen
fih in Form und Anhalt dem Chriftierns II. genau an, auch wird
kaum eine größere Lücke vazwifchen liegen. Es find die mit Nr. 13
unb 14 bezeichneten Convolute der Abtheilung: „Geſchichte der däni⸗
fhen Könige. Nr. 13 ift nach Lanpfchaften georonet, von denen
ih mit Erfolg Schonen und Gothland vurchgefehen habe: es find
barin die “jahre 1524 — 1532 enthalten, doch find gegen Anfang und
Ende viele Blätter beſchädigt. Die Schrift iſt flüchtig, die Eintra-
gung unregelmäffig: fo kann man zweifeln, ob ber Band als ein eigent«
licher Canzleivegiftrand oder nur als ein zum Privatgebrauch bes Kanz⸗
lers beſtimmtes Copialbuch zu bezeichnen ift; Nr. 14, die Jahre 1531
und 1532 umfafjend, fehließt fih Nr. 13 an: für uns bat fich hier
nicht gefunden.
Zulegt erwähne ich einen däniſchen Regiftranden, wel—⸗
her freilich auch die Regierung Chriftians des III. umfaßt, doch
dem bereit erwähnten Regiſtranden der deutfchen Kanzlei von 1524
bis 1532 fo genau entfpricht, daß, was über ihm zu fagen ift, wohl
am beften bier feinen Platz findet. Der Regiftrand findet fich eben«
falls in ver Abtheilung „Geſchichte der dänischen Könige- unter Nr. 31.
Es ift ein mäfliger Papierband in groß Folio gleichzeitig von ver«
ſchieden Händen zum Theil fehr fauber gefchrieben: eine ältere unge-
naue Bezeichnung "adflillige Regiftere 1536 — 1550. führe ih nur an,
um Irrungen zu vermeiden. Es find bier die für die innere Ge⸗
fchichte des Reiches und feine Beziehungen zum Norven bedeutſamen
Aktenftücde und Urkunden in dänifcher Sprache eingetragen. Für uns
fand fi doch Einiges von Bedeutung; die Urtheile des Reichs⸗
rathes und bes Königs im Streite Lübecks und Danzigs über die Vitte
bei Falfterbo find auch in dem eben erwähnten Kanzleiregiftranden K.
Friedrichs I. 1524 32 Danffe Kongers hiftorie (Nr. 13) aufgenommen.
Ueberbliden wir die bieherige Entwidelung ter Regiftratur, fo
ift zwar feit 8. Chrijtian II. und befonters feit Friedrich I. das
Streben nach einem feften, alle Theile tes Reiches umfaffenden Sy⸗
fteme durch Sonderung des auf die innern Verhältniffe ver dänifchen,
der deutfchen Lantestheile und bes auf die auswärtigen Verhältniffe
Bezüglichen bemerkbar, doch nicht fcharf durchgeführt: erft unter Chris
ftian ILL. bilvete ſich das in der Folge feftgehaltene Syſtem aus,
48 Bericht von Dr. Junghans
Bekanntlich umfaßte der Gefchäftsfreis bes de utſchen Kanz
lers, ber deutſchen Kanzlei früher fowohl die inneren Verhält⸗
niffe der deutfchen Herzogthümer, als bie auswärtigen Beziehungen,
während für die inneren Verhältniſſe ber däniſchen Landestheile, zu
denen ja auch Norwegen, die ſchwediſchen Provinzen und Goth⸗
land gehörten, die däniſche Canzlei beftand. Beide Canzleien haben
feit Ehriftian III. ſcharf gefonberte, forgfältig geführte Regiftranden.
Auch aus diefen Negiitranden in gleicher Weife Alles abzufchreiben,
oder in ausführlichen Negeften zu behandeln, reichte meine Zeit nicht
bin; dazu fann in den meiften Fällen kein Zweifel fein, daß bie an Lü-
bed, an die Hanfe gerichteten Schreiben ver Könige im Lübecker Stabtarchive
vorhanden find. So habe ich mich darauf beſchränkt, aus dieſen Res
giftranden vorerft nur die ganz beſonders wichtigen, vielleicht am
Orte ihrer Beſtimmung nicht erhaltenen ober ſchwer zu erreichenben
Schreiben in unjere Sammlung aufzunehmen: alle Uebrige ift kurz
verzeichnet. (Anl. Nr. 2.) Ich bemerfe noch, daß bis 1561 die Gang
leiregiftranden tas Jahr um Weihnachten beginnen, 1561 dagegen
ift der 1. Januar ausprüdlich al8 Jahresanfang bezeichnet. (Fol. 267.)
Die Regijtranden ver däniſchen Canzlei unter Chriſtian IIL
erfcheinen von Anfang an in zwei gefonverten Reihen als Regiftere
paa alle Lande und Zegnelfer paa alle Lande, d. h. däni⸗
cher Zunge, ohne daß ein feftes Princip diefer Sonderung hervor»
träte. Bis zum %. 1571 umfaffen fie, wie auch ver Name andeutet,
alle Landſchaften, bem bereits mehrfach erwähnten Negiftranden R.
Shriftian’s IL. darin unähnlih, daß fie ausſchließlich die chronologi⸗
che Ordnung befolgen, ohne Sonderung der Lanbestheile unter Fried
rich IL Nah dem % 1571 ehrt man venn zu ber älteren Ort
nung zurüd: ſeitdem wurden befondere Sammlungen für die Landes
theife angelegt. Die Regiftere find für uns ohne Ausbeute: da⸗
gegen findet fih in ten Zegnelfer Manches von Intereſſe. Sie
beginnen 1535, doch konnte ich darauf verzichten, die früheren Bände
bis Nr. IV durchzuſehen, da der Aborud in dem von der dänifchen
Gejellfchaft herausgegebenen Nye danſke Magazin III. Räkke Bo. 5
und 6 IV. Rüfte Bd. I. 9. 1. bereits bis zum J. 1545 vorgefchrite
ten iſt. Die Bände IV — XI habe ih Blatt für Blatt durchge
fehen und das Nothwendige daraus copieren laffen. Ueber ven End⸗
über bie Hanfereceffe. 49
puntt der Tegnelſer paa alle Lande hinaus, die für bie einzel«
nen Landestheile fich anfchließenden durchzugehen ſchien mir nicht ere
forberlich, nur in denen für Schonen habe ich das Ende des han-
ſiſchen Verkehrs und Zifchfanges auf den Fiſcherlagern, vor allem
Stanör und Falfterbo noch bis in's XVII. Ih. verfolgt.
Außer den Originaldocumenten und Regiftranden bewahrt das
Geheimarchiv Abfchriftenfammlungen von großem Umfange und
Werthe aus älterer und jüngerer Zeit. Schon um bie Mitte des
16. 35. entftanven Sammlungen hanfifcher Privilegien in Folge
ber Verhandlungen über die Bejtätigung der Privilegien einzelner
Städte und der gefammten Hanfe in Dänemark, Schonen, Norwegen,
welche die beiden letzten Jahrzehnte von Chrijtian ILL. Regierung
ausfüllen. In älterer Zeit war e8 Gewohnheit geweſen, daß nur
im Allgemeinen die Privilegien bejtätigt wurden: jett wollte fie ver
König, "ohne ihren Buchſtaben zu fennenu, nicht wicter bes
ftätigen, war es doch in ter That unmöglich, die endlojen Streitigs
feiten zwifchen feinen Unterthanen und ven Städten ohne genaue Kennt⸗
niß der von beiden Parteien erworbenen Privilegien zu erledigen.
"Ueber Sand und Sees die fojtbaren Privilegien zu verjenden, wie
anfangs dänifcher Seite gefordert ward, waren bie Stübte nicht zu
bewegen, notariell beglaubigte Copien hatte nıan früher fchon, wenn
auch nicht ohne Bedenken, übergeben; jett verftand man fich dazu,
Königlichen Räthen die Privilegien, gemeinfame, wie einzelnen Städten
ertheilte in Lübeck vorlegen zu laſſen, was auch nach miancherlei Weis
gerungen 1551 gefchah. Bei tiefer Gelegenheit ertheilte man von
Neuem beglaubigte Copien. Aus tverfelben Zeit over etwas fpäter
finden fi auch beglaubigte Abfchriften von Privilegien ver nieder«
ländifchen, der holländifchen Städte ‘Den Streitigfeiten warb
auch jest kein Ende gemacht, doch erwarb nun zuerst das k. Archiv
Gopien der älteren Privilegien, die bis jegt fergfältig aufbewahrt find
und bereit8 im XVIII. 30. von den däniſchen Gefchichtsforfihern mit Er»
folg benugt wurven. Wenn auch für uns dieſe heutigen Anforderungen
wenig entjprechenben Copien, da vie ftädtifchen Archive Jahrhunderte lang
treu die Originale bewahrt haben und ber Forfchung fich nicht mehr
verfchließen, nur einen geringen Werth haben, jo darf ich es doch
nicht unterlaſſen, auf die verfchievenen Abtheilungen aufmerkjam zu
60 Bericht von Dr. Junghans
machen, in denen fie nunmehr niedergelegt find. Die wichtigften fin-
ben fih in ven Abtheilungen Lübeck und Hanfeftäpte, und
Hanfeftädte fo fürdremen, Danzig, Lübed, Roftod, Stral-
fund, Wismar u. f. w. Die Campener Privilegien von 1251
— 1368 (24 St.) füllen ein eigenes, freilich läßig gefchriebenes Co⸗
pialbuch: die Originale befanden fich, wie ich aus ven auf der Ham-
burger Stabtbibliothel bewahrten Papieren des Prof. Wurm erſehe,
1830 noch fänmtlih im Campener Stabtarchive. Ein ähnliches um
biefelbe Zeit ſehr ſchön mit genauer Siegelbefchreibung gefchriebenes
Copialbuch der Stralfunder Privilegien 1277 — 1491 ift in der
Sammlung Hanfeftäpdte (Faſc. 26) vorhanden. Auc die aus der ches
maligen deutfchen Canzlei herrührenden neueren Ablieferungen des ſchles⸗
wigſchen Minifteriums enthalten ähnliche Privilegienabfchriften für ver-
fhiedene Städte In der Sammlung Hanfeftädte find aud
Eopialbücher der Privilegien verfchievener Hanfeftäpte für Dänemark
und Norwegen (v. 1250—1530), von Privilegien norwegifcher Städte
(1294 — 1509 im erften Drittel des XVI. Ih. von dänifcher Hand
gefehrieben; hier find auch Ueberfegungen einzelner hanſiſcher Privile⸗
gien ins Dänifche (Normegifche) aufgenommen. Mehrere Hefte mit
überfichtlich nad) Materien georbneten, meift von Hänten des XVI.
Ih. gefchriebenen Auszügen aus ven hanfifchen Privilegien haben kein
weitere® Intereſſe. Für die niederländifchen (holländifchen)
Städte entlih, Campen ausgenommen, enthalten die Sammlungen
Spanien und Niederlande zum Theil vecht forgfältige, um bie
Mitte des XVI. Jahrhunderts gemachte Transfunpte, welche ich
copiert und ausgezogen babe, wenn fie, feweit ich e8 beurtheilen konnte,
von Entftellungen des Niederdeutſchen fich frei gehalten haben.
Im Allgemeinen habe ich mich begnügt, alle diefe Sammlungen
von Eopien hanſiſcher Privilegien genau durchzuſehen und zu verzeich«
nen, nur Weniged war mir unbelannt und ungebruct geblieben.
Bon ungleich größerer Bedeutung für die Wiffenfchaft ift das in
neuerer Zeit von dem bekannten Gefchichtsferfcher und Archivar Lan
gebek angelegte, mit Recht nad ihm benaunte Diplomatarıium
Langebekianum. Langebek bat vie ſchöne Muße, welche ihm
das damals für amtliche Arbeiten faum in Anſpruch genommene Amt
bes Geheimarchivars gewährte, zu den umfaffenzften Arbeiten für d&-
über bie Sanfereceffe. 51
niſche Geſchichte benutzt. Bekannt genug auch im Auslande ſind ſeine
Seriptores rerum Danicarum medii aevi: faum gekannt und nur
von Wenigen benutzt feine mit der größten Sorgfalt zum großen Theil
eigenhändig gemachten Abjchriften von Urkunden zur tänifchen Ger
ſchichte im weiteften Umfange, zur allgemeinen und lofalen. Er fehrieb,
ob mit dem beftimmten Plane, ein bänifches Urkundenbuch berauszue
geben, tft mir nicht befannt geworten, ab, wa® er nur von Urkunden
erreichen konnte, zunächft im Geheimarchiv, in ter deutfchen Canzlei,
im ftädtifchen, in ben Kirchlichen Archiven, vor allem in den zu Anfang
diefes Jahrhunderts untergegangenen Archiven der Frauenkirche,
ter Nicolaiktirche zu Kopenhagen, dann auf Seeland befonders in
Roeskilde und wo fich fonft im eigentlichen Dänemark ihm die Archive
öffneten. Das Lunder erzbifchöfliche Archiv, das von Malmö, bie
Archive ter Oftfeeftäpte Roftod, Greifswalde, Stettin, Danzig,
Riga, Reval bat er felbft befucht, in umfaſſender Weife benugt,
und auf biefen Reifen Berbintungen angelnüpft, welche ihm won den ver-
fhiedenften Seiten für vie Gefchichte Dänemarks wichtige Urkunden
und fonftige Documente in Abjchrift zuführten. Was er felbft nicht
thun tonnte, ließ er durch von ihm berangebiltete Gopiften bejorgen,
unter denen beſonders ver Isländer Yon Mortenfen genannt zu
werben verbient. Langebek's Nachfolger Haben bis auf dieſen Tag
feine Urbeit fortgefegt, fjo Sram, Thorkelin, dem die Sammlung
unter andern eine ziemlich bebeutente Anzahl von Abfchriften aus den
jest in der Bibliothek des britifchen Mlufeums in Yonden aufbewahr«
ten cottonfchen Manufcripten verbanft. Auch jett noch wird
das Diplomatar fortwährend bereichert, doch richtet man fein Augen⸗
mer! befontere auf ſchwer Tesbare oder ihrer Zerſtörung ent»
gegengehende Documente. Auch auswärtige Gelehrte lieferten Bei⸗
träge, vor allem bie unermütlichen Norweger, ver leider ber hi-
ftorifhen Wiffenfchaft zu früh entriffene Reichsarchivar Lange,
der Herausgeber des norwegifchen Diplomatare, der kürzlich erft
von länger Forſchungen im Archive des Vatican zurüdgelehrte
Brofeffor. Mund und andere Neuerdings ift das ganze Diplo⸗
matar chronologifch geordnet und in 54 ftarten Foliobänden, de⸗
ren jeder Hunderte von Abfchriften enthält, vertheilt, der öffent-
lichen Benutzung zugänglich gemacht. Es bilvet für die Jahre 800
5
53 Bericht von Dr. Junghans
— 1554 ein unfchäßbares Nepertorium für die Gefchichte des bäni-
fchen Reiches und ver in feine Gefchide verflochtenen benachbarten
Länder und Stäbte, vor allem ber Hanſeſtädte, und eine Grunblage
für die hoffentlich nicht mehr zu ferne Herausgabe eines bänifchen
Urkundenbuches. Ich habe das Diplomatar von Band X an (1300)
durchgefehen und zahlreiche Stüde abfchreiben laffen, beſonders Ab
ſchriften Langebel's und Lange’8 aus den nicht bänifchen Archiven,
boch auch der Zeiterfparniß wegen manche von Archivalien des Ge⸗
beimarchivs genommene Copien, vie ich dann forgfältig mit den Ori⸗
ginalien verglichen habe. Weber bie verſchiedenen Hanbfchriften des
Diplomatars, von deren Kenntniß die Beurtheilung des Werthes der
Abfchriften abhängt, hat fich auf dem Geheimarchiv eine fichere Tra⸗
bition gebildet, welche auch mir bald zur Führerin warb.
Ich fchließe hier einige allgemeinere Bemerkungen über bie von
mir bei der Durchforſchung des Geheimarchives befolgten Grund»
füge an.
Was die Auswahl des Stoffes betrifft, fo Zonnte ich für bie
ältere Zeit bi8 zum Beginn der Grafenfehde nichts ausfchliehen.
Dis dahin hat alles und jedes Werth für die Kenntniß der Zuftände,
ift Die Menge des Vorhandenen nicht fo groß, daß eine Beſchränkung
notbwenbig wäre; nur ift feit König Hans größere Aufmertfamleit bei
Ausfcheidung des Fremdartigen nothwendig gewefen. Für bie Zeit
ber Grafenfehde hingegen mußte ich mich befchränten. Gewiß if
Lübeck's Streben, feinen Einfluß in den nordifchen Reichen zu erhal⸗
ten und zu erweitern und im Sinne einer Hugen, auf Ausfchluß ver
Holländer gerichteten Handelspolitit zu verwenden, und beffen Ver⸗
eitelung von der größten Bedeutung für bie Stellung, die Gefchide
ber Hanfe gewejen: und dennoch Tann es nicht Aufgabe unferer
Sammlung fein, das Material dafür zufammenzubringen und zu ers
gänzen. Wird auch Lübeck und fein Streben für eine furze Zeit ver
Mittelpunkt, um welchen ſich bie europäifche Politit bewegt: tas
Ganze gehört doch der befonvern Geſchichte Lübeck's an; die Hanfe
ftäpte in ihrer Geſammtheit haben eher abweiſend, feinbfelig, als för
bernd ſich zur ganzen Bewegung geftellt, felbft bie wenbifchen
Städte fchloßen fich nicht rückſichtslos an: fo konnte ich mich be
Schränlen, alles, was auf das Cingreifen der Hanfe und einzeluer
über die Hanfereceffe. 53
Städte Bezug bat, hervorzuheben. Nachträge zu dem bereits in fo
nmfaffender Weife gedruckten Material zu geben, wäre nicht fchwer
gewefen. &8 ift gewiß zu bedauern, daß Palutan-Müller nicht felbft
bie Muße für gründliche Durchforſfchung des Geheimarchivs gefunden
bat, Andern das Sammeln des Stoffe auch tort, nicht im Auslande
allein, überlaffen mußte; fo find ihm mehrere Baden im gemeinfchaft«
lichen Archive, in der Abtheilung Hanfeftädte, vie eingehenden Be⸗
richte und Inſtructionen ber von Ghriftian III. an die Könige
von Frankreich, von England, ven Schottland gefchicten Geſandten
u. a. w. entgangen.
Für die fpätere Zeit in gleicher Vollſtändigkeit abzufchreiben, glaubte
ih mir die Zeit nicht nehmen zu dürfen, doch habe ich bis auf ten
Tod von Ghrijtian III. das Wichtigere abgefchrieben und ab-
ſchreiben lafjen, fiber das minder Bebeutfame erfchöpfente Regeſten aus»
gearbeitet; die zu ganzen Aktenſtößen anfchwellenden und vielfach fich
wieberholenden Verhandlungen mit ver Hanfe über vie Beftätigung
ber Privilegien, über bie wider die Unterthanen bes Königs in Dänes
mark und Norwegen und umgekehrt vorgebracdhten Beſchwerden mußte
ich vorerſt bei Seite laffen, doch habe ich das Einzelne auf lofen Blättern,
wenn auch nur fehr ſummariſch verzeichnet, Manches ift auch hier noch
beſonders berüdjichtigt. In derſelben Weife babe ich dann auch die
Zeit nad Chriftian III. behanvelt, doch habe ich mich hier noch ſtren⸗
ger auf das bloße Verzeichnen des Vorhandenen beſchränkt. Es blieb
mir fein anberer Ausweg, ta bisher Grundfäge für die Be
handlung der Zeiten des Sinkens und Verfall ver
Hanfe, in denen eigentlih nur der Kampf um bie Privi—
legien noch ein Intereſſe haben kann, nicht feftgeftellt werven
fonnten. Mit Hülfe der ca. 360 von mir gefchriebenen Zettel wird
boch immerhin eine Beurtheilung ter hanſiſchen Archive, vor allem
des Lübifchen leichter fein und eins over das Untere — wie ber end-
loſe Privilegienftreit — ſich verfolgen laſſen.
Ueber die in Kopenhagen gewonnene Ausbente liegt ein Ver⸗
zeichniß bei (Anlage Nr. 3), Es find in allem außer den in ven
hanſiſchen Archiven zu berichtigenven Abjchriften des Langebekſchen
Diplomatars 645 Nummern,
Die legten Tage meines Aufenthaltes in Kopenhagen verwandte
5%
54 Bericht von Dr. Yunghans
ich zu einer kurzen Durchficht der Urkunden des ftäbtifchen, in ven
Kellergewölben bed Rathhauſes aufgeftellten Archives, zu deſſen Ber
nugung mir bie ftäbtifchen Behörden bereitwillig bie Erlaubniß er-
theilten. Haben auch die Vereinigungen veutfcher Kaufleute, die ſogenann⸗
ten veutfhen Compagnien in den Städten Kopenhagen, Lande
trona, Malmö (Ellenbogen), Yitad für die Hanfe nie eine Bedeutung
gewonnen, wie bie aus ähnlichen Anfängen erwachjenen Sontore zu
London, Bergen, Brügge, Nowgorod, fo bieten doch auch bie engeren
Verhältniffe Manches von Interefje. Erleichtert wurde mir bie Durch
fiht der Urkunden durch ein bereits im vorigen Jahrhundert gebrud-
tes, doch ziemlich oberflächliche8 Verzeichniß') fowie burch ein 1582
vollendetes, mit gutem Sachregijter verfehenes Privilegienbuch, welches
der Neichsratd und Nentmeifter Chr. Waldenvorff 1582 zufammens
ftellen ließ und ber Stabt verehrte:
Väschrifft aff Kiöbenhaffns Stadz Priuilegier, Stadzret oc Friiheder,
som er vddragen efiter Erlig oc welbyrdig Mands CHRISTOFFER V ALCKEN-
DORFS til Glorup kon: maits: oc Danmarckis Rigis Raad oc Rentemesters
Befaling. Oc geff hand saa denne same Bog Borgemester oc Raad, sine
gode Venner, till Foraering oc meenige Kiöbenhaffns Stads Indbyggere
till nytte och gaffoın. Som schreffut er vdi Kiöbenhaffa Den Vi.
Martii Anno M. D. LXXXII. DA PACEM DOMINE IN DIEBUS NOSTRIS,
Vol. Pgm. 262 Bl. ein leverüberzogener Holzband mit Silberbejchlag,
jauber mit vielen durch feine Zeichnungen verzierten Initialen‘; er enthält bie
widhtigften Urkunden Kopenhagens bis 1581 in Kopie, die lateinifchen mit
bänifcher Ueberjegung, vie ältern bänijchen in mobernifirter Sprache.
Später find einige andere wichtige Documente nach 1581 eingetragen.
Ein gutes Regifter erleichtert den Gebrauch. Es ift außerdem noch ein
zweites, minder prächtiged Cremplar für ven täglichen Gebrauch vor
handen ?).
Leider find nicht mehr alle im Verzeichniffe aufgeführten Urkunben
vorhanden, und fo mußte ich bie ältefte, dem ftädtifchen Archive ent
nommene lateinifche und deswegen fprachlicher Entftellung minder ans
gejegte Urkunde v. 1281 aus dem Privilegienbuche abjchreiben.
’) Fortegnelfe over be udi Kiöbenhavns Raabftues Archiv bevarede gamle
og vigtigfle Documente. Kbh. 1786. Fol.
2) ©. Fortegnelſe, Böger Nr. 6.
.
über bie Hanfereceffe. 55
Bon den im gebrudten Verzeichniſſe erwähnten Büchern erregte
nur eins meine Aufmerkſamkeit:)
15. Böger. Nro. 10. Dett Dannsche Companie Broder Bog Her wdi
Kiöbennhaffn Huor wdi findis anteignitt alle Compannie Laugs Bröder
Dierris nefin, som sig vdi den Hellig Träfoldighedtzlaug Hafluer Inladitt
siden Mand schreff efiter Christi Biurd 1542, huilcken Bog er Rennueritt
Och for nyett paa Menninge Laugs bröders Bekostning Den 29. Februarii
mand schrefi Aar 1623.
Doch ift e8 nicht mehr vorhanden und fo war nicht zu entfchei«
ben, ob die bier im Gegenfag zur bänifchen Gompagnie erwähnte
heilige Dreifaltigfeitsgilde mit ber deutſchen Kaufmannsgilde,
welche in dem von mir auf dem Geheimarchiv aufgefundenen Bruch»
ſtücke einer Gildenſchra ebenfalls als heilige Dreifaltigkeitögilve bezeich-
net wird, mehr als den Namen gemein hat’).
Die kirchlichen Verhältniffe ver beutfchen Compagnie in Kopen⸗
bagen noch weiter zu erforfchen, ſchien mir nicht nothwendig, ſeitdem
ich nach langem vergeblichen Suchen in der Schra hierüber die be-
ftimmteften Angaben fand; die VBermuthung, als könne die Ueberwei⸗
fung der Petrifirche an die deutſche Gemeinte zu Kopenhagen in
älterer Verbindung der deutſchen Compagnie mit diefer Kirche ihren
Grund haben, ift nicht zu erweijen: Alles was über die Gefchichte
biefer Kirche bie zu ihrer jegigen Beſtimmung befannt ift, fpricht
entfchieden dagegen.
Auch die Hantichriftenfammlungen ver Bibliotheken Kopenhageng,
der großen königlichen und der Univerfitätöbibliothel habe ich, von ven
Bibliothelaren, vor allem Conferenzrath Werlauff und Profejjor
Thorfen in zuvorfommenpfter Weife gefördert, benugt, allerdings
bauptfächlih im Wuftrage von Profeffor Hegel für bie Ausgabe
deutfcher Städtechronifen, doch famen auf der Königlichen Bibliothel
auch einige für die Hanfe wichtige Hanpfchriften in Betracht: vor
Allem der bereits erwähnte Regiſtrand 8. Chriftians I, bann
) Ebbf. p. 139.
?) Bol. auch über die fo eben genannte Schiltzengilde N. P. Nielfen Hettig
Trefoſdighed's Bilde Kbnh. 1836.
56 Beriht von Dr. Junghans
eine dem Cataloge zufolge aus der Hamburger Dombibliothel ſtammende
Sammlung hanfifher Privilegien in England aus ber Zeit ber
Königin Maria, welche älteres Bekanntes nur in Zransfumpt ent
hält,
Sie findet fi in ver alten Fönigl. Sammlung 4° Nr. 1%1.
Die Handſchrift ift im XVI. Ih. auf Pergament (50 BL.) fauber
gejchrieben und führt die Bezeichnung:
Privilegia mercatorum annsae theutonicae in Angliae regno
de anglicana ditione fruenda.
Auf der Rüdjeite dieſes Blattes ftehen die Jahre ber hanſiſchen Privi-
fegien 1260, 1281, 1303, 1311, 1318, 1327, 1354, 1361, 1378,
1381, 1392, 1400, 1413, 1421, 1431, 1437, 1460, 1461, 1462,
1473, 1474, 1553.
F. 1—30 Beltätigung und Inſperimus der hanſiſchen Privilegien
durch Königin Maria a. r. 1°. Juni 20 Weftminfter (B,
vi. irrthümlich am Rande).
F. 31 — 35 1473. Oct. 6. Stahlhof Nro. 121.
F. 35 — 37 a. r. 13. Dec. 26. Weftminfter. Inſpeximus des den
banfiihen Kauflente durch Richard MI. a. r. 1° Nov. 6.
Weſtminſter ertheilten Privilegs durh Eduard IV.
F. 37 — 40° a. r. 4. Febr. 12. Weftminfter. Charta Edwardi tertü
exemplificata per Richardum secundum.
F. 441 —50° a. r. E. IV. 15% Mai 12. London Guildhall. Segviter
qvaedam generalis compositio inter civitatem London, et
mercatores Hanse Theutonicae, magno eiusdem ciuitalıs
sigillo authorizata.
Die berühmte Handſchrift ver Nowgoroder Schra glaubte id
bei Sartorius fo gut abgebrudt, daß ich es bis zum letzten Tage
meiner Unmwefenheit verjchob, fie näher anzufehen: doch Kat mich bie
eine Stunde, welche ich darauf verwenden konnte, belehren nrüffen, daß
Sartorius nach einer Feinesweges zuverläßigen Abfchrift abprudte.
Die Bereitwilligleit der Bibliothekare wird es möglich machen, das
Derfäumte nachzuholen. Was über einige neuere Abfchriften hanſi
ſcher Neceffe und fpftematifche Auszüge aus ihnen zu bemerken ift,
wirb beſſer unten augeführt.
über bie Hanfereceffe: 57
Bon den Hanbfchriften ver Ledraborger Bibliothel, deren
für uns wichtigfte Hanpfchriften fi) ausſchließlich auf die Receſſe be
ziehen, erwähne ich hier nur brei.
Das Copialbuch englifcher Privilegien der Hanfe (Fol. Ar. 10)'),
im XVI. Ih. gefchrieben, enthält nur Bekanntes in jchlechten Ab⸗
fchriften. Eben jo wenig Bedeutung haben die Auszüge aus den
banfifchen und Tübfchen Privilegien in Dänemark (Fol.
Nr. 12). 0
Wichtig dagegen ift eine fchöne Abfchrift ver Statuten bes
Antwerpener Eontors 1576 (Hol. Nr. 11) auf Papier in grün«
fchweinslebernem Einbande. Ich habe ven Abdruck Marquardts forg-
fältig mit dem guten Texte biefer offenbar gleichzeitigen Abfchrift ver-
glichen und von ben vielen fachlichen und fprachlichen Entftellungen
gereinigt, eine größere, bei M. ganz weggebliebene Stelle zugefügt.
Die Fehler überall in Tritifchen Noten aufzuzählen, war nicht noth-
wendig; die in mancher Beziehung eigenthümliche Orthographie behielt
ich vorerft bei, nur vie großen Buchftaben bis auf die Anfangsbuch-
ftaben von Eigennamen und jaßanfangenden Worten konnte ich unbes
denklich bejeitigen.
2. Bericht Über die beuorfichende Ausgabe der hanfifchen Becefft.
Unter den Quellen der hanfifchen Gefchichte ift feine von größerer
Bedeutung, als die hanfifchen Receſſe, wie man fie [hen im XIV. Jahr⸗-
hundert zu nennen pflegte.) Sie enthalten in ven Aufzeichmungen
über die Berhandlungen, über bie Befchlüffe ver Hanſetage, in ven Berich-
ten über die Reifen hanfifcher Abgeordneter zur Wahrung ter Inte⸗
reffen ver Hanſe eine Chronik der Hanfe, welche, was Zuverläffigfeit
und Fülle der Nachrichten betrifft, wohl auf feinem andern Gebiete
der Gefchichte ihres Gleichen findet; fie bieten einen großen Reichthum
nur bier erhaltener, in ven Archiven zu Grunde gegangener Briefe,
N) Bgl. Beders Catalog im Hiſtoriſt Mufenm 1. 1. p. 12.
N G. bie Befchreibung ber Hamb. Hofer. unten p. 64.
58 Bericht von Dr. Zunghane
Urkunden und fonftiger Altenftüde, fie gewannen mehr und mehr pral-
tische Bedeutung als Duelle des hanſiſchen Rechtes. Die Vorarbeiten
für die befchloffene Ausgabe find nunmehr fo weit vorgejchritten, daß
der Abdruck der Altern Receffe bid zum Anfange des XV. Jahrhun⸗-
derts in nicht zu ferner Zeit beginnen kann, doch liegen auch für ven
erften Theil des XV. Jahrhunderts und für das XVI. ſchon 19 zum
Theil Tehr umfangreiche Receſſe in Abfchrift vor.
Für den Herausgeber der Receſſe kann feine Sammlung von
größerer Bedeutung fein, als bie Lübecks. Kübel Hat feit der frühe-
ften Zeit der Hanfe regelmäffiger als alle andern Städte an ben
VBerfammlungen ber banfifchen Senpboten theilgenommen, feine Stabt
bat häufiger diefe Verſammlungen in feinen Mauern gefeben, zumal
feit nah Edlns Rüdtritt Lübecks Stellung ale Haupt ver Hanfe
unbeftritten war. So hatte keine Stadt mehr Anlaß und mehr Ges
legenheit, eine gute Receßſammmlung anzulegen und zu bewahren: fie
war da eine Nothwendigleit, wo durch die Berfammlungen felbft fo
häufig die Gelegenheit gegeben ward, in Recht und Gefchichte auf
bie frühere Zeit zurüdzngreifen. So reich nun auch jest noch Lübecks
Receßſammluug für das XV., XVI und XVII. Jahrhundert iſt,
für das XIV. fteht fie Hinter andern Städten, namentlih Hamburg,
Wiſmar, Roftod zurüd, da die Bergamenthandfchrift, welche die Res
ceffe von 1361 — 1405 enthielt, abhanden gefommen ijt, ohne daß bie-
her über ihr Verbleiben ein näherer Nachweis gegeben werden Tonnte.
Doch ift fie nicht untergegangen, nur ihrer urjprünglichen Heimat
entfrembet.
Schon im XVIIL Yahrhundert haben vänifche Gelehrte auf die
werthoollen Receßhandſchriften aufmerkſam gemacht, welche ſich in ver
Hanpjchriftenfammlung des däniſchen Staatsminifters Grafen oh.
Ludwig Holftein-Lebraborg befanden, feiner mehr als Langebek, wel-
her Suhm für feine Gefchichte Dänemarks Abfchriften man«
cher der wichtigften die Jahre 1361 — 1405 betreffenden Urkunven
und Briefe mittheilte, welche im Anhange ver Ietten, nach Suhms
Tode berausgelommenen Bände abgebrudt find. Doch hieß es lange
Zeit, daß nach dem Tode des Grafen bie ganze werthvolle Hand⸗
ſchriftenſammlung zum Theil durch einen gewiffenlofen Secretär ver-
fauft, zum Theil von ber Dienerfchaft als werthloſes Papier ver-
über bie Hanfereceffe. 59
braucht fei, bis fie durch Profeſſor X. U. Beder zu Kopenhagen auf
Lebraborg bei Roeſtilde felbft wierer entdeckt und burch einen über-
ſichtlichen Catalog’) wifjenfchaftlicher Benutzung zugänglid gemacht
ward. Die Receßhandſchriften find noch vorhanden; auf Dr. Lappen»
bergs Wunſch veranlaßte Profeifor Beder ven jegigen Befiger von
Ledraborg zunächſt die ältefte Handſchrift für mich auf der königlichen
Bibliothek zu. Kopenhagen zu beponiren, fpäter geftattete mir der Graf
in der zuvorkommendſten Weife, diefelbe fowie einige andere für une
wichtige Hanbfchriften jeiner Sammlung längere Zeit zu Kopenhagen
in meiner Wohnung zu benuten.
Die Sammlung banfifcher Neceife von 1361 — 1405 (Fol. Nr. 6
des Cataloges) bilvet einen ftarken, wohlerhaltenen Lederband mit Meffing-
Hammern. Sie zählt, außer einem vorgebundenen Blatte, welches ein
Doppelblatt war, 381 ven alter Hand bezeichnete Pergamentblätter
in Lagen von 5 und 6 Deppelblättern ohne weitere Signatur. Hin⸗
ter 5. 30 ift ein Blatt ausgefchnitten, F. 290* unbezeichnet geblieben,
am Schluße find einige unbefchriebene Blätter weggefchnitten. Ber»
fchievene Schreiber haben an der Handſchrift geichrieben, ohne Zweifel
gleichzeitig, um die Arbeit vafcher zu Ende zu führen. Es find mit
Beitimmtheit 5 Hände zu unterfcheiden, welde faſt alle mit einer
neuen Lage ber Hanbfchrift beginnen. Der erften, von 5. 1— 109°
find fchwarze Dinte und enge Zeilen, ver 2. von Fol. 110— 171°
brännlihe Dinte, der 3. von 5.172 — 242” weitläuftigere Zeilen und
größerer Raum zwifchen den Abjägen eigenthümlich; 3.243, 244 anı
Lagenfchluße find unbefchrieben; F. 245— 248 beginnt eine 4. Hand
mit bräunlicher Tinte; 5. 248’— 381 eine 5. anfangs mit weiten
Zwifchenräumen zwifchen ven Zeilen, von F. 371— 381 find fie wie-
der enger aneinantergerüdt, auch verändert fich der Charakter der Hands
fohrift, fo daß man faft eine 6. unterfcheiven möchte. Die Schrift
der verfchiebenen Hände ift im Allgemeinen eine forgf ältige zu nennen
wenn fie gleich nicht frei von manchen in ben Tritifchen Noten bes
mertten Verſehen ift, welche zum heil durch die DBefchaffenheit ver
1) Abgedrudt in dem von ihm herausgegebenen Hiſtoriſt Mufenm 9b. I
$. 1.p. 1— 101.
60
Bericht von Dr. Junghans
abgefchriebenen Driginalreceffe veranlaßt fein mögen. Indeß fällt ei
gröberes nur dem zweiten Schreiber zur Laft, welcher im Lübecker Mecef
1383 Oct. 4. offenbar eine Seite ober ein Blatt überfprungen ba
Miniaturen find nur beim erften Buchſtaben des bie meiften Necef
beginnenden Worte® Anno und beim Initial des der Handſchri
vorgebundenen Blatte® angewandt.
In der Handſchrift find folgende Neceffe enthalten:
1
q
3
mom
a
®
2
[2
[__ y
2222222222227
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m
2
Is Bi. Bit EB. ES BB EB. EB. 20.
de
—
4
1361 navititetis Marie virginis (Sept. 8.) Greifswald,
1362 dominica a, f. b. Martini (Nov. 6) Rostock,
1363 circumeisionis domini (Jan. 1.) Stralsund.
1363 die b. Agathe virginis (tyebr 5.) Rostock.
1363 F. VI* a, Judica (Mär; 17.) Wismar.
1363 dominica Jubilate (April 23.) Wismar.
1363 vocem jocundidatis (Mai 7.) Nicöping.
1363 Johannis baptistee (Juni 24.) Lübeck,
1363 Jacobi apostoli (Yuli 25.) Wismar.
1363 nativitatis b. Marie (Sept. 8.) Stralsund.
1363 Nov. 1. Greifswald.
1363 d. b. Elisabethae (Nov. 19.) Greifswald,
1364 epiphanise (Yan. 6.) Stralsund.
1364 vig. anuncistionis Marise virginis (März 24.) Rostock,
1364 dominica jubilate (April 14.) Rostock.
1364 sabbato infra octavas corporis Christi (Mai 27.) Lübeck,
1364 Juni (Juni 18.) Stralsund.
1364 d. Mauricii (Sept. 22.) Stralsund.
1366 Johannis (Juni 24.) Lübeck. (Der Anfang fehlt mit be
ausgeichnittenen eriten Blatte.)
1366 £. IV* p. Lucise (De. 16) Rostock.
1367 dominica d. p. sscensionem domisi (Mai 30.) Rostock.
1367 nativitate Johannis baptistae (Sept. 1.) Stralsund.
1367 f. Martini (Nov. 11.) Cöln,
1367 d. conceptionis b. virginis (Dez. 8.) Lübeck,
1368 circumeisionis domini (Jan. 1.) Rostock.
1368 purificacionis Mariae (Febr. 2.) Lübeck.
1368 Invocavit (Febr. 27.) Grevesmölen.
1368 f. IV* a.Letare (März 1%.) Rostock,
über bie Hanfereceffe. 61
46° 1368 nat. Johannis baptiste (Juni 24.) Lübeck.
49 1368 dominica p. Jacobi (Juli 30.) Rostock.
1368 Laurencii (Yuguft 10.) Wismar.
51 1368 oct Michaelis (Oct. 6.) Stralsund,
1368. f. IV* a. f. b. Martini (Wov. 8.) Rostock.
56° 1369 Letare (Mai 11.) Lübeck.
59 1369 inventione orucis (Mai 3.) Wolgast,
59 1369 Margarethae (Yuli 13.) Lübeck.
60 1369 undecim milium virginum (Oct.t21.) Stralsund,
62° 1370 Wealburgis (Febr. 25.) Stralsund,
69 1370 nativitstis Johannis baptistae (Juni 24.) Bavahus.
8 1371 Philippi et Jacobi (Mai 1.) Lübeck.
79° 1371 pentecoste (Mai 25.) Stralsund.
81 1371 vigilia Simonis et Judae (Oct. 27.) Stralsund.
84° 1372 nativitatis Marise (Sept. 8.) Tönsberg.
88 1373 Philippi et Jacobi (Mai 1.) Lübeck,
90 1374 Pentecoste (Mai 21.) Lübeck.
91 1374 Jacobi (Juli 25.) Stralsund,
93? 1375 nativitate Johannes baptistae (Juni 25.) Lübeck.
1375 divisionis apostolorum (Juli 15.) Rostock.
98 1376 Fabiani et Sebastiani (Yan. 20.) Wismar.
98° 1376 Letare (März 23.) Stralsund,
99? 1376 vocem jocunditatis (Mai 18.) Stralsund.
100 1376 nativitete johannis babtistae (Juni 24.) Stralsund,
101 1376 vigilia assumptionis b. Mariae (Aug. 14.) Kalingborch.
103° 1376 vig. assumptionis b. Mariae (Aug. 14.) Korsör.
107° 1377 nat. b. Johannis baptistae (Iuni 24.) Lübeck.
109 1378 conversionis Pauli (Yan. 25.) Stralsund.
109? 1378 dominica pr. a. f, pentecosties (Mai 30.) Stralsund.
114° 1378 Katherinae (Nov. 25.) Lübeck,
115 1379 Job. baptistae (Juni 24.) Lübeck.
119 1380 undecim milium virginum (Oct. 21.) Wismar.
123 1381 d. b. Marci (April 25.) Stralsund,
124 1381 ustivitste Johannis beptistae (Juni 24.) Läbeck.
1382 naetivitate Johannis bept, (Suni 24.) Läbeck.
1382 Michaelis (Sept. 29.) Stralsund.
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333°
338°
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F, 348°
a EEE 2*
Bericht von Dr. Janghaus
1383 misericordias domini (April 5.) Lübeck.
1383 dominica p. octavas corporis Christi (Mai 31.) Lübeck,
1383 dominica p. f. b. Michaelis (Oft. 4.) Lübeck.
1384 dominica misericordias domini (April 24.) Stralsund.
1384 Dionisii (Oct. 9.) Falsterbo.
1385 Letare (März 14.) Lübeck.
1385 nativitate b. Johannis baptistae (Juni 24.) Stralsund,
1386 Letare (April 1.) Lübeck.
1386 Margarethae virginis (Suli 19.) Lübeck,
1386 Simonis et Judae (Dct. 28.) Lübeck,
1387 Dionisii (Oct. 9.) Lübeck.
1388 Philippi et Jacobi (Mat 1.) Lübeck,
1389 ascensione Domini (Mat 27.) Lübeck.
1389 Michaelis (Sept. 29.) Lübeck.
1390 nat. Johannis baptistee (Juni 24.) Lübeck,
1391 Martini (Rov. 11.) Hamburg,
1392 Galli (Oct. 16.) Lübeck.
1392 Donnerstag vor Thomae (De. 19.) Gent,
1393 Mariae Magdalenae (Juli 22.) Lübeck.
1393 Michaelis (Sept. 29.) Skanör.
1394 .carnisprivio (März 4.) Lübeck.
1394 Freitag vor Pfingsten (Suni 5.) Utrecht.
1395 ascensione Domini (um Mai 20.) Falsterbo.
1395 a. f. Michaelis (Enve Sept.) Helsingborg.
1395 Michaelis (Sept. 29.) Lübeck.
1396 in f, assumptionis (Aug. 15.) Lübeck,
1397 nativitate Mariae (Sept. 8.) Lübeck.
(1397) Verhandlungen der Lüneburger Herzoge mit fLübeck,
Hamburg, Lüneburg, Hannover.
1397 in der pinxste wekene (um Juni 10.) Lüneburg.
1398 f. VI* in f. paschae (April 12.) Lübeck.
1398 Petri ad vincula (Yuguft 1.) Kopenhagen.
1399 Jacobi (Juli 25.) Lübeck.
1399 nat. b. Mariae virginis (Sept. 8.) Niköping.
1400 purificacionis Mariae (Febr. 2.) Lübeck,
1400 c. f. Jacobi (Yuli 25.) Calmar.
351
355»
357?
363°
366
367°
368
. 37
F. 373°
Zi ER. BES. BU
über die Hanfereceffe. | 63
1401 ‚visitatione Marise (Juli 2.) Lübeck.
1401 nat. Mariae (Sept. 8.) Lund.
1402 pentecoste (Mai 14.) Lübeck,
1403 Montag n. octava trium regum (Janr. 15.) Wismar.
1403 Quasimodogeniti (April 22.) Lübeck.
1403 Bartolomei (Auguft 24 ) Calmar,
1403 Nicolai episcopi (Dez. 6.) Lübeck.
1404 f. I11* p dominicem Quasimodogeniti (April 8.) Lübeck.
1404 Galli (Oct. 16.) Marienburg.
F. 376 — 81 1405 f. V* p. dominicam Invocavit (März 12.) Lübeck..
Ueber die Entitehung ber bier vereinten Receßſammlung im %.
1404 gibt das mit forgfältiger Frakturſchrift und kunftreihem Ini⸗
tialbuchftaben gejchriebene, der Hanbfchrift worgebuntene, vielleicht
nicht mehr ganz vollftändige Vorwort Aufſchluß. Es lautet:
Publica deposcit utilitas, ut gesta ueterum maneant in me-
moria seculorum, quoniam ex hiis prouida posteritas multi-
faria et proficua in futuris capere poterit documenta.
Quod honorabiles domini et viri prouidencie, domini pro-
consules et consules huius ciuitatis Lubicensis, con-
siderantes, suorum predecessorum tractatus et placita cum
nonnullis regibus et principibus et aliis terrarum domi-
nis aliisgue ciuitatibus pertractata, in nonnullis cadueis
libris sparsim comperta (so!) in unum opus solidiorique
materia redigi decreuerunt; vnde presens opus, registrum
recessuum nuncupatum, completum est anno domini mil-
eciam operi quidam sexterni uacui sunt alligatı '), ut de
posterioribus tractatibus et placitis addi possit tempori-
bus affuturis.. Sequitur ....
Diefe Vorreve läßt wohl keinem Zweifel Raum, baß in ber
Lebraborger Handſchrift eine durch den Lübeder Rath für fich und
die fo Häufig in Lübecks Mauern zufammentommenten banfijchen
1) Diefelben find fpäter ansgefchnitten.
64 Bericht von Dr. Junghans
Sendeboten veranftaltete Sammlung zu eriennen if. Die genaue
Uebereinftimmung bes im Lübeder Archive über den dort abhanten
gekommenen Receßband von 1361 (1261) — 1405 vorhandenen Ber-
zeichnifjes mit dem Inhalte der Ledraborger Hanpfchrift macht e8 mehr
als wahrfcheinlih, daß beide ibentijch find. Wie die Handſchrift im
bie Hände bes Staatsminifters Grafen Holftein-Lebraborg gelommen
ift, wird nicht mehr nachzuweifen fein; vermuthlich durch Ankauf in
Lübeck, woher auch die übrigen Hanfeatica, fowie pie auf lübiſches Recht
und lübiſche Specialgefchichte bezüglichen Handfchriften der Samm⸗
lung ſtammen werben.
Seit die Hanpfchrift fih in Lebraborg befindet, ift fie zweimal
vollitändig abgefchrieben: einmal durch Langebek felbft in den Jahren
1755— 1764 für pas k. däniſche Geheimarchiv, wo fie noch aufbe⸗
wahrt wird: — ich bemerfe, daß Langebek eine große Zahl für däniſche
und ſtandinaviſche Beſchichte wichtiger Urkunden und Briefe auf bes
fonveren Bogen ausgezogen hat, von denen manche ins große hand⸗
fohriftlihe Diplomatar des Geheimarchivs übergegangen find. Eine
zweite auf Veranlaffung des Canzleideputirten Luxdorph 1764 durch
den länder Thorhalleſen gemachte Abjchrift befindet ſich auf ver
föniglihen Bibliothek zu Kopenhagen (Neue königl. Sammlung Nr. 297
in Folio). Es ift gewiß fehr zw bedauern, daß Surtorius, wel.
cher für feine Gefchichte des hanſeatiſchen Bundes ') und fpäter beim
Abdrude der Receſſe bis 1370 in der urkundlichen Gefchichte viefe
Abfchrift benugte, von Langebek's trefflicher Abfchrift nicht mußte:
Thorhalleſen Hat ſich doch manche Fehler und Entjtellungen bes ihm
nicht völlig verftändlichen Nieverdeutfchen zu Schulden kommen laſſen,
und fo ift wohl ber Untergang der für Sartorius nad Thor⸗
halleſens Abjchrift gemachten Abfchrift ver Receſſe nad 1370 beim
verhängnißvollen Hamburger Brande im J. 1842 nicht zu fehr zu
bebauern.
Die dem Teuer im J. 1842 glücklich entriffene älteſte Samm-
lung des Hamburger Stabtardivs — (Cl. VI. Nr. 1° vol. 1
fasc. 1) — enthält nur originale Necejje, welche ben Hanſetagen
1 p. 737 ft.
über bie, Hanſereceſſe. 65
ſelbſt gleichzeitig find. Ste umfaßt die Sabre 1369 — 1411. Der
Bequemlichkeit des Gebrauche® wegen find die einzelnen einen over
mehrere Receſſe enthaltenden Lagen des Bandes in einen ſchweinsle⸗
dernen Umfchlag eingenäht, welcher vie gleichzeitige Aufſchrift Re-
cessus multorumnegociorum trägt; neuerdings tft Die durch»
laufende Baginirung 1* — 539 hinzugefügt. Ich gebe zunächft eine
Ueberficht des Inhaltes nach den einzelnen Lagen. (Die fetten Ziffern
beben die mehrere Receſſe vereinigenden Lagen ber Handſchrift hervor.)
p. 1°—46 eine Lage, deren beide äußerfte Blätter Bergament find, 3 Res
cefie befonvere Hefte bilvend, p. 9—36 eingelegt.
p. 1—5 1379 nat. Joh. b. (Yuni 24.) Lübeck — zu Anfang bes
Dlattes der Pentameter: Assit principio sancta maria meo mit
zwei eingelegten zum Receß gehörigen Blättchen.
». 5— 8 1380 d. pr. p. Laurentii (Aug. 12.) Lübeck,
». 9— 16 1380 vndecim milium virgiaum (Oct.21.) Wismar,
das letzte übrigens unbeichriebene Blatt trägt deutliche Spuren
des Falzes und die Aufichrift: „Dominis consulibus Hamburgensibus
presentetur,‘“ aljo eine für den Hamburger Rath beftimmte gleich-
geitige Kopie.
p. 17—28 1381 f. nat. Johannis baptiste (Juni 24.) Lübeck,
Beſonders forgfältig geichrieben, ver letzte Abſatz p. 25 von andrer
Hand, darunter: nichil defcit; dann ein Abſatz aus einem Re⸗
ceffe 1385 Johannis b. Lübeck durchſtrichen. Das legte Blatt ift
unbefchrieben.
». 29 — 36 (p. 31—34 Pgm.), von derjelben Hand beichrieben, enthalten
Auszüge aus zwei Recellen.
p. 29—31 1382 oculi (März 9.) Wismar.
p. 32, 33 1382 in octaua nat. Joh. bapt. (Juli 1.) Lü-
beck. p. 34, 35, 36 unbejchrieben.
p. 37 — 46 (43 —46 Bgm.) Die 4 legten Blätter der Hauptlage un-
befchrieben.
p. 47-62 1378 dnca prox. a. festum pentecostes (Mai 30.)
Lübeck. Gorgfältig gefchrieben, wenn glei nicht ohne Zufäge,
welche in einer Art eingefügt find, daß man in biefem Receß ein
während der Verhandlungen geführtes Originalprotololl zu erken⸗
66 Bericht von Dr. Junghans
nen bat; daß Rw. p. 126—135 (vgl. unten p. 157) bierans ab»
geſchrieben ift, leidet feinen Zweifel,
p. 63—68 1369 die vndecim mil. virginam (Oct. 21.) Stra
sund. p. 63, 64 al8 Beilage vie Pfundzollrechnung. p. 68 zeigt
Spuren eines Falzes und trägt die Aufſchrift: Anno domini mil-
lesimo cceꝰ Ix* nono in die xj” virginum. Recessus habilus is
Sundis per dominos consules ciuitatum marilimarum anno ix nono
predicto in die xj virginum, Item computacio tocius pecunie
libralis. Fac ire,
p. 69 —88 Querimonie date per ciuitates conira Flamynghos. p. 77— 860
- Einlage ein zujammengefaltetes nur auf einer Seite bejchriebenes
Dlatt mit einem Zolltarif.
p. 81 — 88 unbejchrieben.
1. 89— 132 mit p. 109 — 124 als Einlage, p. 125— 132 unbe
fchrieben.
p. 89— 108 1379 Johannis (Iuni 24. ff.) Reijeberiht ver nad
Flandern gefandten hanſiſchen Abgeordneten, p. 101 beginnt eine
zweite Band.
p”-109— 124 In Dei nomine amen. De negotio Angtie aano Domiei
m° ccc’ Ixxjx° (Nov. 11. ff); p. 123, 124 beginnt eine
zweite Hand.
p. 138—140 1383 dominica misericordia. domini (April5.)
Lübeck. Spuren des Falzes und Einfchnitte für das Siegelband;
ein ziemlich wohlerhaltenes aufgedrüdtes Siegel hat als Bild einen
Bogel mit erhobenen Flügeln, welcher eine Binde (? einen herab»
hängenden Zweig) im Echnabel hält mit der Umjchrift: s. johan-
nis-de-po-rtu; der Receß ift ohne Aufjchrift.
p. 141— 144 2 Bl. 1383 dnca p. oct. corporis Christi (Mai
31.) Lübeck. p. 144 zum großen Theile unbejchrieben mit ver
Aufjchrift: Honorabilibus et discretis viris dominis proconsulibus et
consulibus hamburgensibus detur, mit Spuren des Falzes, des
Siegeld und Einfchnitten für das Siegelband.
p. 145— 183 Eine Lage von 20 Bf. p. 158, 164, 165, 166, 184
unbeſchrieben. Sie enthält folgende Necefle von verſchiedenen
Händen:
über bie Sanfereceffe. 67
.145— 152 1383 dominica prox. p. f. Michahelis (Oct. 4.)
Lübeck.
. 152 1384 dominica Inuocavit (Febr. 28.) Lübeck, nur bier
und in Rw. p. 191, 192.
153 —157 1384 dominica mesericordia domini (April 24.)
Stralsund,
. 159—160 1387 in f. beati Dionisii (Oct. 9.) Lübeck.
. 161—163 1388 in f. Philippi et Jacobi apostolorum (Mai
1.) Lübeck.
. 168—172 1389 in f. b. Michahelis archangeli (Sept. 29.)
Lübeck.
. 172—175 1390 b. Johannis bapt. nativitatis (Juni 24.)
Lübeck.
. 176 —183 1391 supra f. b. Martini (Nov. 11.) Hamburg.
. 185—196 1387 (Mai 1.) Dordrecht. 6 Bl. p. 185, p. 191—196
unbeſchrieben. Nur hier unb in Rw. p. 265 — 280.
. 193—208 (1387) Viti (Juni 15.) Antwerpen.6 Bf. p. 197,
p. 202— 205 unbefchrieben, von 2 Händen gejchrieben.
. 209 — 212 1390 natiuitate b. Johannis baptiste (Juni 24.)
Lübeck. ?2 BI.
. 213— 224 1392 Donnerstag vor Thomä (Dec. 19. — 1393
Janr. 21.) Gent u f.w. 3 BL p. 213, 214, 223, 224
unbejchrieben.
. 225 — 236 1394 in carnispriuio (März 4.) Lübeck, 6 BL.
p. 236 unbeſchrieben, 2 Hänte.
. 237 —244 1395 in f. b. Michahelis archangeli (Sept. 29.)
Lübeck. 4 Bl. p. 237 unbejchrieben.
. 245—252 1397 in f, nat, sancte Marie (Sept. 8.) Lübeck.
4 Bl. p. 251, 252 unbejchrieben, 2 Hänte.
. 253 —264 1398 f. VI* in f. pasche (April 12.) Lübeck.
6 Bl. p. 253, 254 unbeichrieben mit der Aufihrift Hamb. Das
mittlere ‘Doppelblatt ift verbunden.
. 265 — 29% (1397) Urkunden zu ten Berhandlungen ver Braun»
Ichweig » Lüneburger Herzege mit Lübech, Hamburg, Lüneburg,
Sannover. p. 265, 266, 289— 292 unbeichrieben. p. 265 zwei⸗
mal die Wufichrift Hamburgen. Das Copialbuch Bat vielfache
&
68 Bericht von Dr. Junghans
gleichzeitige Correfturen und mehrfach vor ben einzelnen Doca-
menten die Bemerkung concordata, ift alſo vermuthlich während
der Berhanvlungen felbft geführt.
p. 293—30+ 1399 in f.b, Jakobi apostoli (Inli25.) Lübeck.
6 BL. p. 293, 294, 303, 304 unbefchrieben.
p. 305—312 1398 in f.b, Petri ad vincula (Ang. 1.) Kopen-
hagen. 4 Bl. p. 312 unbejchrieben. Ä
p. 8313— 318 1399 in f. nat, beate Mariae v. (Sept. 8.) Ny-
cöping. 3 Bl. p. 318 unbejchrieben, p. 315, 316 eingelegte
Ur. in Copie.
p. 319—330 1400 in f. purificacionis Mariae (Febr. 2.)
Lübeck. 6 BI. p. 319, 320, p. 330 unbefchrieben, 3 Hänbe.
p. 831—350 1397 in der pinxste wekene (um Juni 10.)
Lüneburg. 5 Bl. p. 342— 350 unbefchrieben.
P. 351— 360 5 BL p. 355— 358 Einlage, enhalten folgende 2 Receſſe:
p. 351—354 1397 misericordia domiui £*,,) Lüneburg.
2 Bl. 2 Hände, p. 354 unbefchrieben.
p. 355— 358 1401 (Ian. 11.) Lüneburg.
p. 361— 386 mit Einlagen p. 363, 364 und p. 377, 378 p. 365—376
Einlage in der Einlage, folgende 3 Receſſe enthaltend:
p. 363, 364 1403 dominica quasimodogeniti (April
22.) Lübeck. 2 BL
p. 365 —377 1407 in f. pentecostes (Mui 15.) Li-
beck, 7 Bl. p. 376 — 78 unbefchrieben.
p. 361— 362, p. 379—386 1405 f, V. p. dominicam
invocavit (März 12.) Lübeck. 5 BL. p. 361. 362 une
ſchrieben.
p. 387 —406 (1406)
6 Bl. gr. Folio von oben bis unten auf einer Seite beſchrieben
und in gr. 4. geheftet mit ver Aufſchrift Honorabilibus et disere-
tis virio dominis marquardo Schreye et Hilmaro Lopow. Rocesses
Mindensis,
p. 4067 — 422 mit einer Einlage p. 418 —420 enthält die Receffe:
p. 407—412 1405 in synte Johans dathe baptisten,
über die Hanſereceſſe. 69
(Juni 24.) Falsterbo 4 Bl. p. 407—408, 421— 422 °
unbejchrieben.
p. 413—420 1404 f. III. p. dominicam quasimodogeniti (April
8.) Lübeck 4 Bf. p. 413. p. 419. 420 unbejchrieben.
p 423— 426 1402 in f. penthecostes (Mai 14.) Lübeck, 2 BI.
p. 427 — 434 1401 die Galli (Dct. 16.) Marienburg 4 Bl. p. 432
bis 434 uubeſchrieben.
p. 435 —438 1409 in sunte Felicianes auende (Juni 8.) Meppen.
2 DL. p. 438 unbeſchrieben.
p. 489 — 446 1409 des dinxedages na vnser vrowen daghe concepcio-
nis (De. 10.) Meppen. 4 BL. p. 445. 446 unbeſchrieben, mit
deutlichen Spuren der am Scluße des Schiedsſpruches beige-
brudten Siegel der Schiebsherren.
p. 447 — 450 1400 uppe sunte Brixius dach (Nov. 13.) Stade 2 DI.
p. 450 unbejchrieben.
. 451 —458 c. 1400. Schieveipruh Hamburgs und Lüneburgs im
Streite der ſächſiſchen Herzoge um Bergedorf.
p- 459 — 464 1408 f. IV. infra octavas corporis Christi (Juni 20.)
Hamhurg 3 BL. p. 460— 464 unbeichrieben.
465 — 466. 1400 des achten daghes sunte Mertens (Nov. 18.) Ur-
kunde in Copie, p. 465 unbeichrieben.
467 — 463 einzelnes Blatt p. 467 1407 in sunte Tiburcii daghe
(April 14.) Urkunde in Copie p. 468 s. a. (1407) Schiebsipruch
in den inneren GStreitigleiten Mindens.
p. 469 — 480 1410 dominica quarta p. f. Pasche. (April 20.) Hamburg
6 DL. p. 476— 480 unbefchrieben; auf der legten Seite unten
Recessus cinitatum maritimarum.
p. 481— 506 1400 des wrydaghes in den paschen (April 16.) (23?)
13 BL. p. 481. 482. 503— 506 unbejchrieben. p. 481. Die
Auffchrift: Recessus Kenonis et Edonis.
p. 506* 506** 1400 die santi Marci ev. (April 25.) Hamburg. Brief
in Kopie.
p- 507—518 1409 vppe alle godes hilgen dach (Rov. 1.) Lübeck.
6 DL p. 507. 508. 516—518 wunbejchrieben; p. 507 die Auf-
ſchrift: Recessus Lubicensis ultimo per dominos Crisliasum Militis,
6*
I
*
*
70 Bericht von Dr. Innghans
Hilmeram Lopowen et Albertum Schreyen habitus, Durch Feuch⸗-
tigkeit etwas bejchäpigt.
p. 519— 522 1410 die beste Marie Magdsiene (Juli 22.) Wismar.
2 Bl. p. 522 unbeichrieben; auch in Rw. I. p. 411—416.
p. 523 — 526 1410 Lucie (Dec. 13.) Lübeck (?) 2 BL. p. 525, 526 -
unbeichrieben.
p. 527— 532 1411 in festo omnium santoram (Nov. 1.) Wismar. 3 OL
Durch Feuchtigkeit beſchädigt. Von derſelben Hand und auf dem-
felben Papier gefchrieben, — e8 hat einen Drachen als Waſſerzei⸗
hen, — wie berjelbe Receß in Rw. I. p. 425 — 432.
Bon der reichen Receßſammlung des Staptardivs zu Wismar
fommt bier zumächft der erfte Band in Betracht, ein ftarfer wohl-
erhaltener Duartant von 452 Seiten. Das Material ift Bapier, tod
find hie und ba einige Pergamentblätter eingelegt. Wie beim Ham
burger Bande, dem ber wismarifche äußerlich ganz ähnlich ift, Hält
ein fchweinsleberner Umfchlag das Ganze zufammen, auf welchem eine
neuere Hand die Auffchrift 1363— 1414 Recessus Hansae Teuto-
nıcae de 1363— 1414 Tit.X. n. 5. vol. 1 gemadt bat; doch ift
dabei die Jahreszahl eines am Schluße angebuntenen Receſſes ve
Yahres 1454 unrichtig gelefen. Es folgt hier vor allem eine genauere
Ueberſicht des Inhaltes nach den Lagen der Handfchrift.
p. 1— 28 14 BL, 1 u. 14 Pgmt.
p. 1 Anno natiuitatis domini millesimo trecentesimo septusgesimo quarto
in crastino sancti Jacobi epostoli venerandi ego Hinricus Baltze,
clericus Zwerinensis dyocesis, notarius licet insufficiens, honorabi-
lium et circumspectorum virorum dominorum meorum proconsulum
et consulum gloriose huius ciuitatis wyssemariensis presentem
librum, in et ad quem necessarium est, omnes et singulos terminos,
recessus et placita, per dominos meos ubicunque locorum seruss-
dos et seruanda, a quolibet huius ciuitatis notario pro tempore
redigi et signari in nomine omnipotentis dei et gloriose virgibis
matris eius Marie scribere incepi, colligens quosdam rotulos et
litteras terminorum et placitorum, per dominos meos serualorum,
quorum tenores verborum sub hiis formis per ordinem inferius de-
scribuntur,
* *
u
über bie Sanfereceffe. 11
Es folgen die Recefie:
1. 2. 1363 die natiuitatis beate Marie virg. (Sept. 8.)
Stralsund.
2. 3. 4. (1363) die beati Mauricii (Sept. 22.) Greifswald.
4. 5. 6. (1367) in sunte Eiseben dege (Nov. 19.) Cöln.
9. 10. 8. a, et l. Aus einem hanſiſchen Receffe (1367? Zum Cölner
gehörig?)
. 11— 13 1363 die beete Aghate virginis (Febr. 5.) Rostock.
. 14— 16 1365 dominica infra octavas sancti Michaelis (Oct. 8.)
Rostock.
.17—24 1366 f. nativitatis beati Johannis baptiste (Juni 24.)
Lübeck.
. 24— 28 1368 (um Febr. 22.).
.29— 58 15 Bl. Das erfte Blatt und die beiden innerften der Lage Pgm.
ebenfalls von Heinrich Balte’8 Hand; die drei letzten Blätter
unbejchrieben.
. 29—34 1368 in festo circumecisionis domini (Yan. 1.)
Rostock.
. 35 — 52 1368 in octava Michaelis (Oct. 6.) Stralsund.
. 59 —74 1370 f. Welburgis (Febr. 25.) Stralsund. 8 BL. p. 59. 60.
p. 74 unbefchrieben, 2 Hände.
. 75—108 p. 109150 p. 151— 190 3 Lagen, jede mit einzelnen
Pergamentblättern in denen die einzelnen Receſſe eine gejonderte
Hefte bilden, wie in Rh. wenn fie audy von verfchiedenen Händen,
zum Theil von der Heinrich Balges, eingetragen find.
. 75— 93 unbejchrieben.
. 83— 88 s. e. (1372) Klagen der Städte wider 8. Magnus und
Halon von Schweren und Norwegen.
. 91— 96 1372 in nativitate beate Marie virginis (Sept. 8.) Tönsberg.
(p. 94 von Balges Hand) mit der Ueberſchrift: Acta in Tunsberg,
data per copiam.
. 97--100 1873 in f. beatorum Philippi et Jacobi (Mai 1.) Lübeck.
. 100— 102 1374 in f. pentecostes (Mai 21.) Lübeck.
. 102 — 107 1374 in f. s. Jacobi (Juli 25.) Stralsund.
12
P.
*
Bericht von Dr. Iunghans
108— 114 1375 in f, nativitatis Johannis baptiste (Juni 24.) Lübeck,
von p. 113 an eine zweite Hand.
. 115— 118 13(7%) in sunte Micheles daghe (Spt. 29.) Falsterbo.
. 119 1376 in f. natiaitatis b. Johannis baptiste (Juni 24.) Strak-
sund.
‚ 120-121 1376 die Fabiani et Sebastiani (Jan. 26.) Wismar.
. 122 —=p. 119 1376 in f. nativitatis b. Johannis baptiste (Juni 24.)
Stralsund.
. 122° 8. a, sabbato p. f. exaltacionis crucis (Mitte Sept.) Rostock.
Brief in Concept ein eingelegtes, doch an faljcher Stelle einge
Hebtes Blatt.
. 123— 125 1377 nativitate b. Johannis baptiste (Juni 24.) Lübeck.
. 125—126 1378 in die conuersionis b. Pauli (Ian. 25.) Stralsund.
. 126 — 135 1378 dominica prox. a. f. pentecostes (Mai 30.) Stral-
sund. Vgl. oben p. 65.
. 136 —143 (1379?) OQnerimonie date per ciuitates contra Flamynghos;
von p. 139 an Hein. Baltze's Hand.
. 144— 151 1379 in f. sancti Johannis baptiste (Juni 24.) Lübeck.
Einlage eine Pfunvzollrehnung von H. Baltze's Hand.
. 151— 159 1380 die vndecim milium beataram virginum (Oct. 21.)
Wismar. 2 Hände p. 160 unbejchrieben.
. 161—166 1381 f. natiuitatis b, Johannis baptiste (Juni 24.) Lübeck
3 DL. p. 166—167 unbeſchrieben.
168—170 1383 dominica misericordia domini (April 5.) Lübeck.
. 171—172 1383 dominica infra octavas corporis Christi (Mai 31.)
Lübeck,
‚ 173—178 1383 dominica p. f. s. Michaelis archangeli. (Oct. 4.)
Lübeck, p. 179—190 unbeicrieben
. 191 —192 1384 dominica Invocavit (Febr. 28.) Lübeck 1 AL
p. 192 unbejchrieben. Nur bier ımb in Rh. p. 152,
.193—196 1385 in f. netivitatis b. Jobannis baptiste (Juni 24)
Stratend, 2 DI.
OR, 16 DL Die beiven äußern Pergm. ven dverſchiedene⸗
Muden geſchrieben.
Re NER, Vadellrechung 1376.
⁊
über bie Hanuſereceſſe. 13
& 200-201 1378 Katherine (Nov. 25) Lübeck,
p. 202 — 211 nnbejchrieben.
» 212— 218 1385 dominica Oculi mei (März 5) Lübeck.
p. 219-220 1386 dominica letare (April 1.) Lübeck.
p. 221—228 1386 d. b. Margarete virginis (Juli 19) Lübeck,
p. 220—232 1386 in d. bestorum Symonis et Jude (Oct. 28.) Lübeck,
p. 232— 240 1388 in f. beatorum Philippi et Jacobi (Mai 1.) Lübeck.
p. 241— 244 1387 in f. b. Dyonisii (Oct. 9.) Lübeck. 2 BL
p- 245 s. a. dinghesdaghes vor vnser vruwen daghe der ersten. Dorpet.
Brief über einen Hanſetag.
p. 245—254 1389 in f. b. Michahelis archangeli (Sept. 29) Lübeck.
p. 255 unbejchrieben.
p. 256. s. d. Notizen über verſchiedene Flanderfahrer.
p. 257 unbeichrieben.
p. 258 — 259 (1363 nad Michaelis) Geſuch der Städte Roſtock und
Wiemar an die Senpboten der Seeſtädte.
p. 260 — 263 unbeichrieben.
p. 264 oben: Ag mustik bi der tzarten vrolyk sin tzo aller tzyd, hun-
dert duzend enghel suld eer warten, se is, dar al min heyl en-
licht uppe mine zele.
p. 265— 220 1387 prima die mensis Meii (Mai 1.) Dordrecht. 8 Bl.,
die 3 letzten unbejchrieben. Nur hier mb in Rh. p. 185— 196.
p- 281— 292 1391 supra f. b. Mertini (Nov. 11). Hamburg. 6 BI.
p. 281, 282. p. 292 unbejchrieben.
p. 293 — 300 1382 in f. nativitatis b. Johannis b. (Inni 24). Lübeck.
4 DL
p. 301— 328 1394 f. III p. Jubilate (Mai 12. u. ff.). Bericht ber
Sendeboten von Roftod u. Wismar über ihre Sendung in Sa⸗
hen 8. Albert’8 von Schweden. 14 BL, die 4 legten unbe
fchrieben.
p. 829—340 1400 in f. purißcacionis (Febr. 2.), Lübeck, p. 329. 340.
p. 836, 340 wmbejchrieben.
p. 341— 344 1403 des mandages na dem achiedagen der hochtiit
tweifften (Ian. 15.). Wismer. 2 Bl. p. 343, 344 unbeſchrieben.
p. 345—348 1403 in f. b. Nicolai (Dec. 6.). Lübeck. 2 DL. p. 348
unbeichrieben.
714 Berit von Dr. Junghans
p. 349—362 1405 f. V p. dominicam Invocavit (März 12.). Läbeck
2 8
p. 353—360 1404 f. tercia post dominicam Quasimodogeniti (Apr. 8.).
Lübeck, 431. p. 353, 359, 360 unbeſchrieben; p. 353 die Auf-
fchrift Recessus mcccc 4'° feria 3* post dominicam qussimodoge-
niti in Lubeke,
p. 361—364 1404 die Galli (Oct. 16.). Lübeck. 2 Bl.
p. 365—376 1407 in f. penthecostes (Mai 15.). Lübeck. 6 BL. audı
in Rh. p. 365 — 377.
p. 377—380 1407 sabbato ante trinitatis (Mat 21.). 2 BI.
p. 381—400 1407 an auende Petri vnde Pauli (Juni 28.). Amsterdam.
Bericht der hanſiſchen Senveboten. 20 Bl., die beiden lebten
unbejchrieben. 2 Hände.
p. 401—408 1408 des midwekens na des hilgen lichames dege (mi
20.). Samburg. 4 BI. p. 406, 403 unbeichrieben.
p. 409—410 1410 dominica quarte p. f. pasche, que caniter cantate
(April 20.). Hamburg, 1 BL.
p. 411—416. 1410 d. b. Marise Megdalene (Juli 22.). Wismar, aud
in Rh. p. 519— 522.
p. 417—418 1411 ipso die divisionis apostolorum (Yuli 15.). Lübeck.
1 Dt.
p- 449 —424 1411 in f. o. Sanotorum (Nov. 1.). Wismar. 3 BL p.
424 unbejchrieben. Bon berfelben Hand auf Papier wit demſel⸗
ben Waſſerzeichen (einem Drachen) gefchrieben, wie derſelbe Receß
in Rh. p. 527— 32.
p. 425—432 1412 dominica, qua cantatur Quasimodogeniti (April 10.)
Lüneburg. 4 Bl.
p. 433—452 1454 vmirent corporis Christi (um Inni 20.) Lübeck.
10 Bf. p. 451, 452 unbefchrieben.
Diefe drei faft einen gleichen Zeitraum, die Fahre 1361 — 1406,
1369 — 1411, 1363— 1412 (1454) umfaffenden Sammlungen unter-
ſcheiden fi in fehr beftimmter Weife. Die Hamburger Samm⸗
lung befteht ausfchließlih aus originalen Receffen. Die äußere Be-
ſchaffenheit der foft ſämmtlich gefonverte Lagen bildenden Receſſe und
bor allem die auf einzelnen gemachten Adreſſen an den Hamburger
Aber bie Hanfereceffe. 75
Rath, — ſei es nun, daß von dem auf dem betreffenden Hanſetage
anweſenden Secretär oder Notar der Stadt, oder dem einer andern,
welche im Stande oder beauftragt war, gute Copien des Receſſes zu
verſenden, herrühren — ſowie Falz, Siegelbandeinſchnitte und Siegel
deuten auf Gleichzeitigkeit: bei einzelnen Stücken des Bandes, z. B.
dem Rübeder Receß 1378 d. 30. Mai, kann kaum ein Zweifel fein, daß
in ihnen wirflih während ver Verhandlungen, auf ber Reife durch
die Sendeboten aufgezeichnete Driginalberichte, nicht nur gleichzeitige
Copien von folchen vorliegen. Die wismariſche Sammlung befteht
nur zum Theil aus folchen originalen Receffen (von ©. 265452);
bis dahin find der vom Rathe der Statt 1374 getroffenen Berfü-
gung gemäß, welche uns der Notar der Stadt, Heinrih Baltze,
zu Eingang des Bandes mittheilt, vie Recejje durch ben jebesmaligen
Notar der Stadt in ben vorliegenden Band eingefchrieben, — wie die
große Stetigfeit der verfchiedenen Handſchriften beweift, nicht völlig
gleichzeitig. Heinrich Baltze benugte in Wismar bereits vorhan⸗
dene Rollen und Berichte über die Hanfetage (colligens quosdam
rotulos et litteras terminorum et placitorum, per dominos meos
servatarum). Die Lübeder Sammlung — wie ich jet den Les
braborger Band wohl nennen darf, — enthält gar keine originale Re⸗
ceffe. Der Wunſch, vie ihres vergänglichen Materials wegen bei
dem in Lübed, wo die Sendboten mehr und mehr faft ausnahmelos
fich zu verſammeln pflegten, unvermeivlichen häufigen Gebrauche vor
bem Untergange zu bewahren, veranlaßte tie Anfertigung biefer Ab-
ſchrift auf dauerhaftem Material: vielleicht gelingt ed noch, im Lü⸗
beder Archive einen oder ven andern ver Driginalreceije, welche doch
fchwerlich nach Vollendung des Bantes vernichtet fein werben, wieber
aufzufinden.
Auf dieſe drei Sammlungen mußte zunächft die neue Ausgabe be
gründet werben, bie Hamburger Handfchrift wurbe von Anfang an mit ber
Lebraborger (Xübeder) verglichen, und fo war es möglich, zu beftimm-
teren Grundſätzen ver Bearbeitung zu gelangen, bei deren Feſtſtellung
ich mich ber fteten Leitung und bes Nathes von Herrn Dr. Lappen⸗
berg zu erfreuen batte.
Es ift in dem früheren Berichte von Herrn Dr. Lappenberg be
reits im Allgemeinen barauf bingewiefen, unb bie brei Sammlungen
76 Bericht von Dr. Junghans
geben ven Beweis dafür daß bie Receßhandſchriften ber verfchiebenen
Städte nie genau viefelben Receffe enthalten, daß jeber einzelne eigens
thümfich find, welche fich in feiner anderen finden. Mag aud) mand-
mal der Zufall alfein gewaltet haben, jede Stabt hat troß aller Ges
meinfamkeit doch ihr befonberes Intereſſe; Rathmänner ver bebeu-
tenderen Stäpte haben im Laufe der Zeit im Auftrage der Hanie
boch einmal Reiſen nach Flandern, nach Holland, nad) England, nad
den Norden und Diten zu machen gehabt und die betreffenden Be
richte find dann im Archive ber Stabt niebergelegt, nicht immer in
Copie den andern Städten mitgetheilt. In ſolchen Fällen kann na-
türlich bei der Herausgabe fein Zweifel entſtehen.
Anders dagegen ift es, wenn biefelben Receſſe in mehreren Samm-
lungen erhalten find. Da treten auch innerhalb eines und vesfelben
Recefjes bedeutendere DVerfchievenheiten des Textes hervor, nicht im⸗
mer erwähnen bie Neceffe der verfchievenen Sammlungen alle Ge
genftände ver Beichlußnahme, ver Berathung oder mit venfelben Worten.
Es jcheint, daß man fein Gewicht darauf legte, daß die Aufzeichnun-
gen genau übereinftimmten, daß ed Notaren und Secretären ber ein-
zelnen Städte überlaffen blieb, was fie im Laufe ber Verhandlungen
für die eigne Stadt nieberfchreiben wollten, oder jpäter aus ihnen mit-
getbeilten Aufzeichnungen auszogen. Doc ſchon auf dem wifmarfchen
Hanfetage 1363 Yuli 25. bemerkte man, daß in einem wichtigen Falle
die Aufzeichnungen bes Lübecker Receſſes von denen ver übereinftim-
menden Stralfunder, wifmarjchen und Woftoder Receſſe abwichen?),
und wenn e8 auch noch bis zum XVI. Jahrhundert währte, bis man
regelmäßig am Scluffe jedes Hanfetages den Receß verlefen nnd
von den Sendeboten anerkennen ließ, fo find doch ſchon in ven 7Oger
Jahren des XIV. Jahrhunderts die Verfchiedenheiten weit unbe-
beutender. Indeß läßt noch im wifmarfchen Receſſe 1382 Oculi
(Rh. p.29) und imXübeder 1382in octava nativitatis sancti Johannis
baptistae (Rh. p.32) ver Hamburger Notar vieles weg mit den Bemerkun⸗
1) Vgl den Abdrud Urkundl. Geih II. p. 524 unb 526 unten: ot lectus
fuit recessus qui non concordabat, quia reoessus illoram de Sundis
Wismer et Rostok erat talis de domino Johanne predisto ete.
über bie Ganferecefie. 77
gen aliaque tractaverunt, dequibus nil ad nos et de quibus nobis non
curandum — und cetera nos non concernebant. Nicht felten und
zu allen Zeiten find im Receſſe ver einen oder andern Sammlung
Urkunden, eingehende oder ausgefertigte Schreiben nicht mit aufge»
nommen, welche ver Receß einer andern bewahrt hat, auch verwebt wohl
bie und da der Notar oder Secretär ber einen Stadt ein Schreiben,
eine Urkunde in den Text feines Berichtes, welche der einer andern
getrennt hält.) Einmal — im Lübeder Receife 139% Sept. 29. —
findet fih von einem offenbar in lateiniſcher Sprache ausgegangenen
Schreiben die lateinifche Faſſung in der Hamburger, der nieberbeutfche
Entwurf in der Lübecker (Xebraborger) Handfchrift.
Die Herausgabe der Receſſe bat eine ganz beſondere Rüdficht
auf diefe Verfchiedenheit ber Terte zu nehmen. Wäre es möglich, alle
vorhandenen Receßſammlungen in einer Hand zu vereinigen, fo könnte
nach genauer Vergleichung bei jevem ver in mehreren Sammlungen zu⸗
gleich enthaltenen Receſſe feftgeftellt werden, welche Sammlung beim
Abdruck zu Grunde zu legen ift. Das ift natürlich nicht zu erreichen, und
fo bleibt nur der Ausweg, die Receſſe einer Sammlung, os
fern nicht in einer andern erreichbaren beffere Redak—
tionen enthalten find, beim Aborude zu Grunde zu legen
und dann die fo gewonnenen Texte aus den übrigen
Sammlungen zu ergänzen. Für die Jahre 1361 — 1405 ift
nun im Wefentlichen die Kübeder (Lepraborger) Sammlung zu Grunde
gelegt; doch machte Die Bergleichung ver Hamburger Sammlung von 1369
— 1411 e8 möglid, für die in beiten Sammlungen enthaltenen Res
ceſſe eine Wahl treffen: daß auch bei näherer Bergleichung dann doch
in ben meiften Fällen vie Lübecker Sammlung den Vorzug verbiente,
war eine Gewähr dafür, daß die durch äußere Gründe gebotene Noth⸗
wenbigfeit, von ber Lübecker Hanpfchrift auszugehen, ven Werthe ver
verſchiedenen Sammlungen nicht wiberftrebe. Mit dem fo gewonnenen
Zerte find dann bie in andern Stätten erhaltenen Receſſe zu verglei-
hen; für die wifmarifhe Sammlung iſt das fchon zum Theile ge-
ſchehen, doch werben vielleicht die zu Noftod und Stralfund erhalte
1) S die Receſſe 1899 Sept. 8, 1400 Febr. 2., 1405 März 12.
18 Bericht von Dr. Junghans
nen Receſſe eine noch größere Bereutung haben. Ob noch eim
zweiter, ein britter Text dem zu Grunde gelegten binzuzufügen ift,
entfcheivet der biftorifche Gehalt ver bei der Vergleichung hervortre⸗
tenden Abweichungen: es ſchien ratbfam, möglichft wenig in bie Fritis
chen Anmerkungen zu verweifen, in bie ſich nur zu leicht Wichtigeres
verſteckt, zumal da im ganzen bie Zahl der Fälle feine übergroße ift,
nur bei einzelnen Abſätzen voppelter Text eintreten mußte. Zumeilen
zeigt es fich auch bei der Vergleichung, daß in dem zu Grunde geleg-
ten Texte Einzelnes, vor allem Urkunden, Briefe u. dgl. weggelaffen
ift, was dann mit Leichtigkeit aus einem vollftändigeren Receſſe er-
gänzt werben kann.
Was die Aufnahme der Varianten in Tritifchen Noten betrifft,
fo glaubte ich Hier eine Befchränfung eintreten laffen zu müſſen. Bei
ben älteren lateinifch niedergefchriebenen Receſſen, bei den Lateinifchen
Briefen und Urkunden freilich ift die Zahl ver Varianten keine fo
große; anders dagegen iſt e8 bei dem nieverbeutjchen. Das Nieder-
beutjche felbft zeigt eine große Mannigfaltigfeit, beſonders im Boca-
lismus, charakterijtiiche Unterfchieve find fehon bei fo benachbarten
Städten, wie Hamburg und Lübeck zu bemerken, bei ben nieber-
läntifchen, den füchfifchen und weftphälifchen Städten find fie beveu-
tend genug und geftalten auch die Confonanten, das fejte Gerippe bes
Wortes, um. Sollten beim Abprude alle diefe Verſchiedenheiten in
ven Varianten berücdjichtigt werben, fo würde die Zahl der Fritifchen
Noten eine unverhältnigmäßig große werten. Für die Kenntniß des
Nieterdeutfchen in feinen verſchiedenen Wandlungen würde ver Ger
winn dann allerdings fein ganz unbedeutenver fein; doch tarf bei un-
ferer Sammlung der fprachliche Gefichtspunft nicht überwiegen. Dazu
wird es ohnehin möglich fein, mit Hülfe der von ven verfchievenen
Städten der Hanfe im Often und Weſten ausgegangenen Urfunven
und Briefe die chavakterijtifchen Verſchiedenheiten des über bie weite
ZTiefebene bes mittleren Europa vertheilten Niederdeutſchen ficherer
feftzuftellen, al8 aus den Receſſen der verfchierenen Sammlungen, für
welche e8 keineswegs immer mit Gewißheit feftfteht, daß fie in der⸗
felben Stadt, deren Ardiv fie nunmehr angehören, niebergefchrieben
find, ganz abgefehen davon, daß Secretär und Notar gewiß häufiger
dugewandert, als aus der Stabt gebürtig waren und daher oft genug
über die Hanſereceſſe. 79
beim Aufzeichnen und Abfchreiben, da man bie Forderung diploma⸗
tifcber Genauigkeit noch nicht Tannte, die heimiſche Mundart über:
wiegen ließen. Ich glaubte daher von den Barianten unbedenklich
alle nur mundartlichen (phonetifchen) und orthographifchen ausſchließen
zu Können, nur bei befonveren orthographifchen Eigenthümlichleiten,
in benen eine fprachliche fich geltend macht, dann auch bei ven jo
verfchievenen Namensformen von tiefem Principe abweichen zu müffen.
Dagegen find Berfchievenheiten ver Wortformen, ver Worte, der Wort⸗
ftellung immer berüdfichtigt worden.
Bei Berichtigung der Abdrücke in der urkundl. Gejchichte bis
1370, bei ten Abfchriften ver fpäteren Receſſe aus ter Lübeder
(Lepraborger) oder Hamburger Summlung babe ich die Ortbographie
genau feitgehalten, die dort gemachten Abfüge beobachtet, Dagegen eine
dem Sinne entiprechende Interpunktion unbedenklich hinzugefügt, na⸗
türlich mit möglichiter Berüdfichtigung ter vom Schreiber felbft beob»
achteten oder angedeuteten.
Die Recepfammlungen ber verfchiebenen Stätte mit Ziffern in
deu fritifchen Noten zu bezeichnen, erfchien nicht rathſam, fie müßten
doch dem kritiſchen Werthe ver Sammlungen entiprechen, könnten nur
feftgeftellt werben, wenn alle Receßfammlungen zuvor Fritifch unterfucht
wären und hätten überhaupt nur eine Bedeutung, wenn ber Werth
der Sammlungen für alle in ihnen enthaltenen Reeceſſe fich gleich
bliebe, was nicht der Fall ift. Daher ift eine Bezeichnung der Sarmnı-
lungen durch an die Städte, benen fie angehören, erinnernde Buch⸗
ftaben vorzuziehen; fo ift mit Rbr. die Bremer, mit Rh. die Ham⸗
burger, mit RI. die Lübecker (Lebraborger), mit Rln. die Lünebur-
ger, mit Rr. die Roftoder, mit Rre. vie Revaler, mit Rs. die Strals
funder, mit Rw. bie wismarifhe Sammlung u. f. f. zu bezeichnen.
Bielleiht iſt es zu empfehlen, bei jevem Receſſe die Pagie
nirung ober Foliirung der für den Text zu Grunde gelegten Hands»
fchrift feftzubalten, ta es dann möglich fein würte, beim Ab⸗
drude auch in früheren Receſſen auf fpätere, nicht nur umgelehrt zu
verweilen.
Den eigentlichen Berbanblungeprotofollen ber Senbeboten find
zahlreiche, auf den Danfetagen nach gemeinfamer Berathung auöges
fertigte Urkunden, Schreiben der Sendeboten an andre Etädte, am
8 Bericht von Dr. Junghans
benachbarte Fürſten, Inſtruktionen für Abgeordnete ver Hanſe in ge
meinfamen Angelegenheiten, zur Berathung beftimmte_ Artikel, auch
Gchreiben an die tagenden Senbeboten in Gopie beigefügt, bei ben
Schreiben, ausgehenden und einlaufenden, ift in der Regel nur bas
Wefentliche des Schreibens aufgenommen, Eingang und Schluß, für
welche mehr und mehr beftimmte, in befondern Formelbüchern vereinte
Formen fih ausbilveten, fehlen. Meiſt bilven diefe Beilagen einen
wejentlichen Beftanptheil bes Receſſes und find zum Verftänbniß ver
Verhandlungen unumgänglich nothwendig, in einzelnen Fällen enthält
der Receß kaum etwas Anderes. Es entjteht nun bei Herausgabe
der Receſſe die Frage, ob diefe Beilagen auszufcheiven und in's Ur⸗
fundenbuch zu verweifen, oder mit ven Receſſen abzubruden find, wie
fie fich dort eingefügt finden. Im erftern alle würde in dem Re-
ceffe anftatt des Ausgefchievenen ein kurzes Regeſt mit Verweiſung
auf das Urkundenbuch aufzunehmen fein. Indes darf man nicht ver⸗
fennen, jo wünfcyenswerth e8 auch erjcheint, alle diefe Beilagen für
das Urkundenbuch zu gewinnen, fie doch im Receſſe nicht fehlen dürfen,
wenn die Berbanplungen felbft nicht unverftänplich werden follen. Be-
ftänpiges Nachfchlagen des Urkunvdenbuches würde dann unerläßlich
beim Gebrauche des Receßbuches fein und das hat doch große Unbe⸗
quemlichkeit: hat man nicht Alles beijammen, was zu den Verband»
lungen gehört und in fie. eingreift, fo ift vie Hare, vafche Ueber
ficht geftört. Dagegen bat e8 durchaus nichts Unbequemes, wenn im
Urkundenbuche anftatt ver in den Receſſen bereit abgebrudten Bei⸗
lagen Regeften aufgenommen werden. Späterer Erwägung muß e6
noch vorbehalten bleiben, ob für befonters wichtige Stüde, Vertrüge,
Beitätigungen von Privilegien, zumal wenn die Originale noch aufges
funden werben, der Abbrud im Receßbuche und Urkundenbuche wän-
ſchenswerth iſt; nicht minder, ob überhaupt bei ben Beilagen ber
Receſſe die Eopien durch Originale zu erfegen find, fo weit dies mög⸗
lich ift. Auch erjcheint e8 durchaus notwendig, beide Sammlungen
von einander möglichjt unabhängig binzuftellen auch des Abdruckes
wegen, der für Urkundenbuh und Receßbuch ſchon der VBerweifungen
wegen minbeftens ein gleichzeitiger fein müßte, wenn man bie Bei-
lagen aus den Receſſen fondern wollte, während ohne Zweifel das
Receßbuch wenigftens zum Teil eher vrudfertig fein kann, als ba$
fiber die Hanfereceffe. 81
Urkundenbuch, für welches jedes neu aufgefchloffene Archiv einer Hanfes
ſtadt wefentliche Beiträge liefern kann. Habe ich felbft mich auch im
Laufe der Arbeit mehr und mehr für den Abprud der Receſſe mit
den Beilagen entfcheiden müſſen, jo fehien e8 mir doch nicht gerathen,
von vorn berein die Möglichkeit eines Abdruckes ver Receſſe ohne vie
Beilagen abzufchneiden oder doch fehr zu erjchweren und babe daher
Alles, was nur irgend als felbftjtändiges Stüd aus den Verhand⸗
ungen auszufondern war, auf bejondern Blättern abgefchrieben. Ein
Verzeichniß über dieſe Beilagen ift beigefügt. (Anl. Nr. 4) Es
zählt 293 Nummern. Für das Urkundenbuch wird e8 eine nothwen⸗
dige Vorarbeit fein, vielleicht auch der Receßſammlung felbft beizn«
geben fein.
Auch wird es fich empfehlen, aus ven Receſſen Berzeichnifje aller
in ihnen nur erwähnten Briefe und Urkunden auszuziehen. Sie wer-
den für Nachforfchungen an Ort und Stelle von großen Nußen fein,
ba es fich mit größerer ober geringerer Sicherheit aus tem Receſſe
ſelbſt ergibt, wo bie betreffenden Schreiben und Urkunden zu fuchen
find. Ein folches Verzeichniß ift gewiß mit geringer Mühe beim
Abfchreiben oder genauerer ‘Durchficht der bereits vorhandenen Ab-
fchriften berzuftellen.
Dei den ältern Receſſen des XIV. und XV. Jahrhunderts ift
gewöhnlich nur das Datum der Eröffnung des Hanfetages angegeben,
im XVI. Jahrhunderte bezieht man mit großer Sorgfalt vie Ver⸗
hendlungen auf bie einzelnen Tage, fo daß über Dauer und Berlauf
der Verhandlungen fein Zweifel fein fann. Daß aber auch bei ten
älteren vie Verhandlungen nicht auf einen Tag beſchränkt waren, un«
terliegt feinem Zweifel, fchon die große Menge ver Gegenſtände ver
Verhandlung müßte darauf binweifen. Bei einzelnen geftatten, bie
batirten Anlagen, vor allem eingelaufene und ausgegangene Schreiben
genauere Angaben zu machen, welche in eine befonvere Note zu ver⸗
weifen fein werden. So ift im Receſſe von
1363 San. 1. Anl. 3. San. 13. datirt.
1363 Mai 7. Anl. 1. Mai ll. „
1364 April 14. Anl. J. Mi6 „
1364 Yuni 18. Anl. 4. 10. 11. Yuni 22. datirt.
& Bericht von Dr. Yungpaus
1366 Dec. 16. ul. 1. 4. Dec. 17.
”
1367 Rov. 11. Anl. 1. Rov. 19. „
1370 Febr. 5%. Anl. 1.2.3. Me. „
13:0 Juni 24 Anl. 5. Juli 2.,
1371 Mai 5. Anl. 1. Juni 24. „
1372 Eept. 8. Anl. 1. Sept 25. „
1374 Yuli 25. Anl. 1. 2. Juli 6. „
1388 Mai 1. Anl. 3. Mid „
1392 Oct. 16. Anl. 2—6. Dct. 18. m
Ant. 1. Det. 21. „
13% um Mai 20. Anl. 4. Sep.8 „
1393 Aug. 1. tie Anlagen - Aug. 12—29 „,
1399 Sept. 3. Ant. 3. Sept. 29, „
1400 Febr. 22 Anl. 2. 3. Gebr. 18. „
Anl. 1. Behr. 5. „
1400 Zuli 25. Anl. 2. Sept. 1. „
1402 Mai 14. Anl. 7. Maid. „
1405 Maärz 12. Anl. 2. März 14. „
Wie weit die Bearbeitung ber einzelnen Receſſe — es find im
Ganzen 126 — bis 1405 nach den verfchiedenen Hanbfchriften vor⸗
gefchritten ijt, wird mit Leichtigfeit aus dem von mir zuſammenge⸗
ftellten und fortzuführenden VBerzeichnijfe zu erfehen fein. Die für
ben Abprud zu Grunde gelegte Handſchrift it da immer unterftrichen,
den andern eine Demerfung hinzugefügt über tag, was für fie be-
reits gefchehen iſt.
Doch auch über den Endpunkt der Lübecker (Ledraborger) Hand⸗
ſchrift hinaus iſt ſchon Einiges für die Receſſe des XV. und XVI.
Jahrhunderts geſchehen. Die Ledraborger Handſchriftenſammlung
freilich hat hier weniger ergeben, als nach Beckers Catalog zu ver⸗
muthen war.
Fol. Wr. 7 als Recessus cinitatum Hanscaticarum annorum
1369— 1405; 1456 — 1576 bezeichnet,') Hat für uns einen fehr zwei-
') ©. den Katalog p. 9 — 11.
über bie Hanferecefie. 8
felhaften Werth, da nur Auszüge aus den Receſſen gegeben ſind,
welche natürlich, da die Receſſe ſelbſt erhalten ſind, nicht in Betracht
kommen. Doch haben ſie immerhin ein Intereſſe, als früher Verſuch,
den Inhalt ver Reeceſſe in überſichtlicher Form ber praktiſchen Be⸗
nutzung zugänglich zu machen.
Fol. Nr. 9. Häuſiſche Verbündnuß und Confoedera—
tion 1597—1629 befteht aus Ähnlichen Auszügen der zwiſchen biefe
‘Jahre fallenden Hanfetage und einzelnen Beilagen über das Nech-
bungswefen,, über das antwerpijche und bergen’sche Contor, die däni-
ſchen Privilegien, wie fie alle hanſiſchen Archive in Menge bewahren.
Dagegen war Fol. Nr. 8 von großer Bebeutung. Es ift ein
Driginalreceß, außen bezeichnet al® „Recessus communium ciuita-
tatum de Hansa Lubegk ad placita congregatarum“ (am auende
asc. domini Wai 20 — Juni 23.) auf 48 Bl. von verfchiedenen
Händen zum Theil fehr flüchtig und mit Unkenntniß des Nieberveut-
ſchen gefchrieben. Ich habe eine Copie nach ber von einem Schreiber
Langebel’8 gemachten auf dem Geheimarchiv bewahrten Copie nehmen
loffen und mit dem Original forgfältig verglichen. Auch dieſer Res
ceß ſtammt wohl aus dem Lübeder Archive.
Auf der Univerfitätsbibliothel und ver königl. fanden fi) Aus—⸗
züge aus ven Recefjen, vie ich bier anführe, obſchon fie fo wenig,
wie die weit älteren ver Lebraborger Handjchriften« Sammlung für
bie Ausgabe der Receſſe Bedeutung haben..
Auf der Univerfitätsbibliothel fand fi unter ven Handſchriften
ber Arnd-Magnäifchen Sammlung Libri Juridicı Fol. Nr. 296, eine
Papierdanpfchrift in Folio 32 Bl. saec. XVII.
F, 1 Hansici Foederis Leges et Statuta sive Compendium Recessuum,
Hochdentſch.
F. 1° Der Erbb. Hanſe Stät Geſetz vnd Ordnungen oder
Auszugk der Recess. Der Erſte Theil von gemeinen
Satzungen. 89 kurze SS. mit Verweiſungen auf bie Receſſe
felbft durch Jahresangabe bei jevem $.
F. 9 Hansici Foederis Leges et Statuta sive Compendium
Recessuum Pars Socunds.
F. 9° Der Ander Theil von Sonderbohren Sagungen ber
7
B4 Bericht von Dr. unchans
Bier Cunthoren. 1. Russica sive Novogardies 179 turze
88 mit Berweifungen auf vie Recefle.
-P. 19° Brugensia Belgica et Brabantica. 12 88.
P. 20° Anglicana 10 88.
F. 21 Bergensia, Norwegica 62 88.
F. Leiste Vnions Notul den 21. Aprilis 1604 auffgerichtet.
Auf der kpl. Bibliothek hinter einer Bremer Chronif Neue tgl.
Sammlung Fol. 679 (vgl. ebdſ. Fol. Ar. 297°.)
Ertract der Hänfifchen Receſſe. In neun Gapittel getheilett.
1. Eap. Bon der Stätte confcederation vund verbündtnäß.
2. Say. Miscellanna von allerhandt fachen, die auff den Hänfetagen
vorgelaufen.
3. Cap. Londifhe Contor vnnd Engliſche Sachen.
4. Cap. Brügtiide Contor Niederländifhe und Schoßſachen.
5. Cap. Bargyſche Contor vnnd däniihe Sachen.
6. Gap. Newgartiſche Conthor und Mojchowiterihe Sachen.
7. Cap. Bon Hänfijhen Statutis und Ordnungen, waß in Specie
wieder die Aüßerhänfifchen, Item waß wieder die Contumaces
und außpleibenne Stätte ftatuirt.
8. Gap. Bon der Contribution vnd erfolgter Aßiſtentz.
9. Cap. Bon der Sciffart vnnd liebrung der wahren.
Die bereitd von mir und unter meiner Leitung aus dem Ham-
burger, dem Lüneburger Stadtarchive, fowie unter gütiger Vermittlung
des Herrn Archivars Wehrmann aus den Lübeder Archive abgefchrie-
benen 19 meift fehr umfangreichen Recefje zähle ich Hier kurz auf.
Auch Hr. Dr. Winkelmann in Reval hat aus dem dortigen Archive
einen Beitrag gebracht.
Ri. 1412 quasimodo geniti (April 10.) Lübeck. Copie aus Yübed.
Rh. 1416 vocem Jocunditahs (Mai 24.) Yübed, von mir abgejchrieben.
Ri 1416 f. b. Andreae ap. (Nov. 30.) übel. Copie aus Lübeck.
Rh, 1417 Juni 10. Reifeberiht hanſiſcher, nad Conſtanz abgefandter
Sendeboten — von mir abgejchrieben.
Ri. 1417 Johannis baptistae. (Juni 24.) Pübed. Copie aus Lübeck.
Ri. 1418. Johannis baptistae. (Juni 24.) Lübeck. Copie aus Lübeck.
Ri. u. Rw. 1454 ummetrent corp. Christi (Juni 20.) Lubeck; von
mir aus Rw. ergänzte Copie aus Lübed
über die Hanfereceffe. 85
RI. 1506 Asc. domini (Mai 24) Lübel. Bon mir collationirt.
Rin. 1524 Quasimodogeniti (April 24) Lubeck. Bon mir abgefchrieben.
Rin. 1538. Sept. 3 — 6. Lübeck. Bon mir collationirt.
Rin. 1539. exaltationis erucis (Sept. 8). Lübed. dogl.
Rin. 1542. Dienft. n. Invocavit. (Febr. 28) Lübeck. dogl.
Rin, 1543. Montag n. Ouafimodogeniti (April 2) Yübed, dgl.
Rin 1545. Oct. 25. Yübed. dogl.
Rin. 1548. Dont. n. Petri advincula. (Aug.) Mölln tögl Auszug.)
Rin. 1549. Tag n. Dreilönige (Ian. 7). Lübed. dgl.
Rre. 1549. Motiun vnd bewach eines ersamen rades der stadt Reuell
op de thogeschickten artickell dar up de erb. Anzesteder
binnen Lubeck tho dage anno 1549 vorschreuen worden.
Abſchrift des Herrn Dr. Winkelman zu Reval.
Rin. 1554. Mont. n. visitat Marise (Juli 8). Pübed. Unvollſt. Copie.
Rin. 1559. Trinitatis (Mai 20) Lübed. bogl.
3. Jericht über eine Reife nach Melmd, fund, Shandr und Salkerhe.
1860 ©kteber 7— 11.
Bon Kopenhagen aus die banfifchen Bitten bei Standr und
Falſterbo auf ter weit in bie See vorſpringenden bammerförmigen
Süpdfpige Schonens aufzuſuchen und wo möglich nach alten, vielleicht
noch vorhandenen Merkzeichen ihre Auspehnung und Lage näher zu
beftimmen, war mir von Herrn Dr. Zappenberg zur befondern Pflicht
gemacht, auch über die Verhältniſſe ber beutfchen Gemeinde, ber
beutjchen Kirche in Malmö, fowie ihre nicht unmwahrfcheinliche Ver⸗
bindung mit ber deutſchen Kaufmannsgilde, deren Statuten vom
Jahre 1329 noch vorhanden find‘), follte ich Erkundigungen einziehen.
Ich verichob die Reife bis Anfang October, um gehörig vorbereitet
und nicht zu unbelannt mit der Sprache — das Deutfche wird jen-
feit des Sundes felbft in ven Städten nur von wenigen Gebildeten
verfianden — meine Unterfuchungen anftellen zu können. ch
fuhr am 7. October vor. 36. auf einem ber Heinen Dampfboote,
welche zwifchen Malmö und Kopenhagen eine lebhafte Verbindung
t) ©. den Eatwurf im Labecker Urkandenbuche II. Nro. 506.
7%
86 Bericht von Dr. Yunghans
unterhalten, hinüber. Der abziehente, vom heftigen Winbe verfcheuchte
Regen ließ, ale das Schiff fih Malmö näherte, formenbefchienen
Stadt und Küfte Hervortreten. Deutlich war tie eigenthümliche Lage
Malmds an der fdyarf ind Meer vorfpringenden Ede Schonens,
welcher die Stabt den alten bezeichnenden Namen Ellenbogen vers
dankte, zu erfennen; die Kunft hat erft ver in neuerer Zeit wieder
aufblühenden Statt einen ficheren Hafen burch weit ins Meer vor-
gebante, nur zu einem engen Eingange fich öffnenten Fangdämme
geichaffen. Die Hauptkirche Malmös, vie Petrikirche, vie beutjche
Carlskirche und ein Hohes alterthümliche®, doch neucrvings gejchmad-
[08 übermahltes Giebelhaus überragen bie niebrigen Häufer der Stadt
und find weithin auf der See fichtbar.
Die Unterfuhung über kirchliche Verhältniſſe ver Deutfchen in
Malmd nahm nur wenig Zeit in Anſpruch. Der deutſche Prebiger
der Carlskirche, Bager, theilte mir bereitwillig feine Kirchenbücher
zur Einſicht mit, ich nahm eine Mbjchrift des noch vorbantenen 1683
März 19 datirten Hanpfchreibens K. Karls XL, welches den Deut-
fhen die Erlaubniß zum Bau einer Kirche giebt und 500 Thaler
Silbermünze zu den Koften vejjelben anweiſt, nachdem bereit8 1628
Juni 22 nad Malmö geflüchteten Flensburgern beutfcher Gottestienit
und Ban einer Kirche geftattet worden war. Eingeweiht ward bie Kirche
bereit 1693 am 1. Octeber’). Es ift ein roher, haltbarer Steinbau,
ohne fünftlerifche Bedeutung; ein veutfcher über der nörblichen Ein-
gangsthüre eingehauener Bibelſpruch ift ncch jet ein redendes Zeugniß
ihrer urfprünglichen Beftimmung. Doch haben fich jet vie Berhältniffe
geändert. &8 foll zwar für bie ungefähr 200 in Malmö lebenden Deuts
fhen vom zweiten, deutſchen Prediger ver Kirche jeden erften Sonn-
tag im Monat deutfch geprebigt werden, doch kommt e8 felten dazu:
über 10,000 Seelen, vie ärmere Bevölferung der Stabt gehören zu
biefer Kirche, und ba find denn allerdings bie Deutfchen fehr in ber
Minderheit. Dazu ift der Prediger felbft Schwere. Daß in früs
berer Zeit die deutfche Kaufmannegilve fich zur Hanptlirche ver Stapt
ber Petrifiche, deren reicher Badfteinbau mit ftattlichen Treppen-
1) ©. Eronholm Skaanes polit. Hifterie I. 509.
.. über bie Ganfereceffe. 87
giebeln an ben Kreuzflügeln eine befonvere Aufmerkfamleit erregt, ger
halten haben, leidet feinen Zweifel: da man fich fehon 1388 (nach
Mai 9) unter anderm über Auefchluß der Deutfchen von dem Sa⸗
framente ber Kirche und Begräbniß tes Kirchhofes beflagt') und da⸗
mals außer der Betrikicche feine vorhanden war. Nachrichten über
ein Fenſter ein Geſtühl ver Stettiner in biefer Kirche erwarte
ich no von Herrn Sonnenfteins Wendt zu Malmö.
Was von älteren Urkunden und Briefen im ftäptiichen Archiv
verbanden ift, zu benugen, warb mir bereitwillig geftattet*). Ich
fand nicht viel zu thun. Einſt ift das Archiv reicher geweſen, barauf
beiten ſummariſche Angaben der Regiftratur.
Das unfichere Wetter bewog mich, den Ausflug nah Standr
und Falſterbo, für ven ich auf einen zweiräbrigen, offenen Kar⸗
ren angewiefen war, noch um einen Zag zu verfchieben, den
ich benugte, um 2 und zu befuchen, welches jebt vie Eifenbahn mit
Malmõ verbinvet. Ich befah dort die alte merkwürdige, durch Pro⸗
feifor Brunius vor dem Verfall bewahrte Domtirche, das Alterthümer⸗
muſeum, welches Heine unbedeutende Glasgemälvde aus der Kirche zu
Stanör und eine früher auf dem Grabjteine eine® in ber dortigen
Kirche begrabenen Campener Bürgers befeftigte, bronzene, fergfältig
gearbeitete, mit Wappen und Inſchrift geſchmückte Tafel bewahrt. Die
in mancher Beziehung interefjaute Inſchrift habe ich copiert, fie ift
entfchieven deutſchen Urjprungs, bie Gemälde find es ſchwerlich.
Auf der Lunder Univerfitätsbibliothet konnte ich noch in einigen
fpäten Nachmittagsftunven ein Privilegienbuch der Stadt Malmö, auf
weiches Herr Sonnenftein-Wennt mich aufmerkſam gemacht hatte,
burchjeben, das Registrum villae Malmogiensis, einen Pergament»
band in Folio, ohne Zweifel einft eine Ardhivalie des Malmöer Stadt⸗
archives. Es findet fih darin indes nur f. 46° der Kopenhagener
Abfchied 1562 Juli 15. 16. in däniſcher Faffung, welchen ich copirte,
doch fpäter in den Tegnelfer paa alle Lande IV. p. 161 vänifch und
deutfch wieder fant.
1) ©. Anl. 6 des Lübeder R. v. 1888 Mai 1.
*) Gin Berzeichniß giebt Renterdahl im der bän. Hiſtoriſt Tidſtrift
88 Bericht vom Dr. Junghaus.
Am Sonnabend den 10. October fuhr ich, vom Wetter wider
Erwarten begünftigt, früh morgens von Malmö nah Standr mit
einem Empfehlungsſchreiben des veutjchen Prediger in Malmö an
ben Bürgermeifter von Skanör verfehen. Ich hatte mir die Küſte
von Malmö bis Standr und Falfterbo mit meinem Wege nach Her«
melind Karte aufgezeichnet, um alles genauer aufzufajfen. Kurz vor
Hoällinge näherte fi) die Straße, welche bisher in ziemlicher Ent⸗
fernung von ber Küfte hingeführt hatte, derfelben bedeutend und zum erften-
mal, feit ih Malmö verlaffen hatte, erblidte ich die dunfelblaue See
mit den in ber Ferne norbwärts und ſüdwärts vorüberziehenten Se-
geln. Dann trat auch auf kurze Augenblide vie eigenthümliche Bil⸗
bung der hammerartig in die See von Oft nach Weft vorfpringenven
Halbinfel Skanör im N. und Yalfterbo im ©. hervor, warb jeboch
bald, da der Weg fich fenkte, dem Blick wieder entzogen. Scharf
fonvert fih die Halbinfel vom Feſtlande, grünbewachjene Hügel, ohne
Zweifel vor Zeiten Dünen, ſchirmen das eigentliche Land. Flach ſtreckt
fih die Landzunge hin, mit brauner, fumpfiger Haide bedeckt, hie und
ba nur angebaut, ba der aus fteiniger Anſchwemmung beftebente, ftellen-
weis mogrige Boden die Arbeit nicht lohnt. Schonen ift bekanntlich
im Ganzen gut angebaut, um fo fchroffer ift der Gegenfag. Ein
fchmaler mit Kiesgeröll bejchütteter Fahrweg führt über bie Yandzunge
nah Sfanör. Rechts bemerkte ich einen grünüberwachfenen Erbauf-
wurf — der Bürgermeifter von Sfandr bezeichnete ihn mir hernach ala
bie einzige in der Umgegend befindliche Aettahöges. Es wird ein
Grabhügel fein, wie man fie im ganzen fcandinavifchen Norben fin«
bet.') Auf der ganzen Strede bis Sfandr fand ich nur ein einzig Häuschen,
welches an der Öränze ver Feldmark von Skausr und Falfterbo fteht und
von einem Manne bewohnt wird, welcher ein hier wahrlich fehr unnüges
Gatter bewacht. Rechts öffnete fih dann bie faft halbkreisförmig ein-
fchneidenbe, in den Urkunden oft genannte hohle Bucht (Holl, Huvil,
Huell), in welcher die gewinnreiche Fiſcherei betrieben ward, ba bier
ber Häring eine geficherte Stätte fand, wie es feine zweite an Scho-
nens Küfte gibt. Sie wird noch jet Hölvilen over auch nur Höl
1) &, Geijer, Geſchichte Schwebene, Bd. I. p. 20 (ber Ueberſetzung.)
über die Hamferereffe. 89
genannt. Ich fah nur zwei Boote auf ber weiten Fläche ſchwe⸗
ben, mit dem nur lärglich lohnenden Fiſchfange befchäftigt; die männ⸗
liche Bevölkerung ber beiden Orte fucht als Seevoll Erwerb. Die
bie und da verftreuten von hoben, gefchwärzten Erbmauern, deren Fu⸗
gen fonnengebleichter Seetang füllt, umgebenen Felder und Wiejen
zeigen am beten, wie wenig dem Boden abzugewinnen if. Skandr
liegt flach und offen, es ift veinlicher und ftattlicher, als alle anderen
Ortfchaften, durch welche mein Weg führte. Fit es ein Reſt ſtädti⸗
fchen Sinnes oder die Eigenthämlichleit des Seefahrers, welche fich
bierin geltend mat? Der Bürgermeifter, an welchen ich mich na»
tärlich zuerjt mit meinen Fragen wandte, ein alter, an Ort unb
Stelle aufgewachjener Dann, wußte mir doch nur wenige ber in ziem⸗
liher Zahl aus ven Urkunden von mir ausgezogenen Lokalnamen
nachzumweifen, auch die Hoffnung, Kreuze noch vorzufinden, welche einft
bie Vitten ber einzelnen Städte von einander trennten, warb nicht
erfüllt: fie waren nur aus Holz für den Augenblid errichtet und find
verſchwunden, als die Bitten verlaffen wurven. Auf einem neu im
Anbau genommenen Felde haben ſich beim Graben in einiger Tiefe
gepflafterte Straßen gefunden, doch konnte ich nichts Näheres über
ihre Richtung und Befchaffenheit erfragen. Jetzt Liegen fie nicht mehr
zu Tage. Dagegen ift der Erdaufwurf, auf welchem einft das Schloß
Standr geftanden bat, noch vorhanden; ber fchmale feichte Schloß.
graben bot fein Hinverniß für vie Erfteigung der Heinen Anhöhe, vie
wohl fpäter einmal in eine Schanze umgeſtaltet it. Spuren von
Steinbau konnte ich nicht mehr entveden. Auch die Kirche befuchte
ih: an der eingehenden Befchreibung von Profeffor Brunius’) wüßte
ih uur das Eine auszufegen, daß fie zu große Erwartungen erregt.
Die von Brunius vorgetragenen Bermuthungen über einen teutfchen
DBaumeifter der Kirche, fo anfprechend fie find, muß ich auf fich bes
ruben laſſen. Hanſiſche Erinnerungen finden ſich nicht mehr, ſeitdem
bie oben (p. 87) erwähnte Bronzetafel nah dem Lunder Mufeum
entführt ifl. Vergebens forfchte ich ber Ettebete, welche einit lüs
bifches und Dänisches Hecht fchiet, vem Todtenhofe der Roſtocker,
1) In deffen Skaanes Konſthiſtoria p. 246.
'80 Bericht von Dr. Junghans
ver hl. Seiftestirche, ver Travenftraße nach, welche die Urkun⸗
ben nennen und bereits Herrn Dr. Lappenberg auf bie nähere Un⸗
terfuchung der Topographie geführt haben '); alle dieſe Namen find
verſchwunden.
Ich Hatte nicht weit von Standr auf meinem Wege eine quer
bie Halbinjel, gerade da, wo fie die geringfte Breite hat, in der Rich⸗
tung von N. nah S. durchfchneidende, fchmale Wafferrinne bemerkt
and vermuthete bier die Ettebele. ‘Doch wird fie Ameränna ge
nannt und foll, alter Weberlieferung zufolge, einjt ein für Barlen fchiffe
barer Kanal gewefen fein; ich darf in ihr wohl eine Anlage der im
Kanalbau erfahrenen banfifchen Seefahrer erkennen, um vie nicht bei
jedem Winde leicht mögliche Umfegelung ber Halbinfel zu vermeiden
und eine bequeme Verbindung zwifchen dem Höl und ver Süptüfte
Berzuftellen.
Der Bürgermeifter, welcher für meine Nachforſchungen ſich ficht-
lich intereffirte, gab mir bereitwillig jeinen Schreiber mit, um mid
nach dem etwa ', Meile entfernten Falſterbo zu führen und auch
bort mir zu zeigen, was irgend Intereſſe für mich haben konnte. Die
Küfte zwifchen Standr und Falfterbo ift öde, ein flacher mit fpärlichem
Grün bewachſener Meeresitrand. Niedrige Sandbänke liegen faft
vor der ganzen von SSW. nah NND. ftreichenden Küfte und geftat«
ten felbft ven kleinſten Fahrzeugen nicht unmittelbar am Ufer anzu.
legen. Falſterbo macht im Ganzen venfelben Eindrud wie Stanör,
nur erjcheint es ärmlicher, kämpfen doch die Bewohner einen merk⸗
würdigen Kampf um ihre Eriftenz mit dem feinen Flugſande, welcher
fie mit der Zeit vielleicht einmal ganz verbrängt. Er wird, wenn bei
niedrigem Wajferftande die See zurüdweicht, vom füplichen Winde
erfaßt und in's Dorf getrieben. Schon liegt er in ven Straßen am
füdöftlichen Ende des Dorfes, er überbedt die Heinen Gärten neben
ben Häufern, er fteigt an den Stämmen ver ſchlanken Ulmen empor,
weldye ber einzige Schmud des Marktplatzes find. ch bejuchte vor
allem vie der Jungfrau Marta geweihte Kirche außen vor dem Dorfe,
Schon innerhalb des Dorfes mußte ich beginnen, den Abhang des
Flugſandhügels zu erfteigen, deſſen Yortfchreiten kaum von ben bier
bicht angepflanzten Weiden gehemmt wird. Zu einer ziemlichen Höbe
) uUrtundl. Geſchichte Bp. I. 179.
über bie Hanferecefie. 91
ift vom Winde der feine weiße Sand ſchon aufgethärmt, er bat bie
äußerjten Weiden längft begraben, welche fein Fortſchreiten hindern follten.
In der Krone des begrabenen Baumes wurzelt ber ald neue Schutz⸗
wehr angepflanzte. Die Kirche hat man Durch eine Umwallung von
Rafen zu fehirmen verfucht, doch fo oft man dieſe auch erhöht bat,
der Flugſand rüdt nach, fchon hat er die Höhe bes Kirchdaches erreicht;
ih mußte binabfteigen zu ter vom Flugſande belagerten Kirche, wo
man befchäftigt war, ben Schaden, welchen bie legten Winde dem
Dache zugefügt Hatten, auszubeſſern. Auch Hier fund ich bie vom
Prof. Brunius’) gegebene Bejchreibung des Bau's und der Denkmäler
der Kirche fehr zuverläßig; wenn auch Brunius hier ebenfalls, be-
ſonders in ven Gemälden, teutfchen Einfluß erfennt, fo glaube ich
doch fchwerlich, dieſe Kirche für die einft auf der lübfchen Vitte er-
baute Heilige Geiſteskirche anfehen zu bürfen?). Die Verfchieven-
heit des Namens ber Stirche, das Fehlen deutfcher Grabfteine in ihr —
ich habe die Injchriften der Steine auf dem Boden vom Schmutz gereinigt
und genau unterfucht — läßt mich in bdiefer Kirche die „danica ec-
clesia“ erfennen?). Die Sage, daß einft bei diefer Kirche vie Sünb-
fluth ftehen geblieben fein folle und der taran fich knüpfende, bis in
neuere Zeit bewahrte fromme Brauch der Landleute, von weither um
Mittfommer, aljo bevor die hanfifhen Schiffe auf ven Fifcherlagern
erfchienen, zur Kirche zu wallfahrten und reiche Gaben zur Erhaltung
der Kirche in einen Opferſtock niederzulegen, bei welchem ein noch
vorhandenes Chriftofferbild aufgeftellt warb‘), deutet eber auf ein
altes nordifches Heiligthum, als auf eine Kirche deutſcher Kaufleute.
Yet wird nur felten noch bier Gottesdienſt gehalten, da Falſterbo
mit Skanör eine Gemeinde bilvet. Weſtlich von ber Kirche liegen
im Flugſande Trümmer von Baditeinbauten; noch weiter weftlich
fentt ſich der Flugſandhügel und der eigentlihe Strand tritt wieder
hervor. Zwei grün überwachfene Erhöhungen nahmen meine Aufmerkſam⸗
feit in Anfpruch, beide ſüdweſtlich von ver Kirche, weftlih vom Dorfe.
Die dem Dorfe näher gelegene ift ohne Zweifel ver Erdaufwurf für
) a. a. O. p. 249 ff.
2) Sartorius Uk. G. I. p. 374. 2ub. UM. Il. 648.
2) ut. G. Il. 426.
) Bgl. Brunius a. a. O.
92 Bericht von Dr. Junghans über bie Hanfereceffe.
das alte Schloß Falfterbo: er mißt oben 19 Schritt in die Breite,
M Schritt in die Länge; von doppelter Ummallung find beutliche
Spuren zu erfennen. Waffer hat die Gräben wohl nie gefüllt. Trüms-
mer des alten Bau's fand ich cben auf dem Hügel auch bier fo wenig,
wie bei Schloß Skanör. Man hat bereitd 1596 die legten Ueber⸗
bleibfel zum Kirchenbau verwandt‘). Die andre Erhöhung ift ver
Platz des alten Leuchtfeuers?), welches nunmehr durch einen prachts
vollen, noch weiter fw. auf der Landfpige errichteten Leuchtthurm er:
fett ift, welche den unbeimlichen Namen Uggle Udde (Eufenfpige)
führt. Um mir über vie ganze Landzunge einen Ueberblid zu ver-
fchaffen, beftieg ich ven Thurm. Oben auf ter freien Galerie empfand ich
exit die Macht bes Windes. Ringe Am die Weft- und Südküſte bran-
bete bie grüne See weiß auffhäumend, nur ver Hölviken lag ruhig
ba. Weithinaus in die See nah SW. erblidte ich das Feuerfchiff,
welches vor den verborgenen Untiefen warnt. In der Ferne eilten,
von dem Winde, von Dampfesfraft getrieben, die Schiffe vorüber; fie
meiden den einft jo gefuchten Strand, den Marktplatz der Oſtſeelän⸗
ber, welcher jet nur durch Schiffbrüche berüchtigt iſt. Mußte ich
auch darauf verzichten, alle in ven Urkunden genannten Dertlichkeiten
aufzufinden und die Lage ver einzelnen Bitten genau zu beitimmen,
fo habe ich doch durch Beftimmung der Lage der Schlöffer, — daß
Falfterbo noch vorhanden fei, hatten dänifche Gelehrte geläugnet?) —
wichtige tepographifche Anhaltspunkte gewonnen, um welche fich
bie Vitten gruppiren und eine klare Anfchauung der Beſchaffenheit
biefer für die Gefchichte der Hanfe und des Handels fo beveutunge-
vollen Landzunge. Die ſinkende Sonne mahnte mid zur Rückkehr:
ed war völlig Nacht geworben, als ich, nicht ohne von dem mir un»
befannten Wege abzuirren, Hyoällinge und ben Leiterwagen erreichte
welcher mich wieder nach Malmö brachte, von wo id am Sonntag
in der Frühe zu meinen Arbeiten in Kopenhagen zurückkehrte.
) Skaanſke Tegnelfer. III. 14. Dec. 11.
2) Urkundenbuch d. Et. Lübed I. Nr. 28.
3) So Hammerih Danmark i Valbemarernes Tib II. p 166 - 166.