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Full text of "Historische Zeitschrift"

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Hiſtoriſche Zeitſchrift. 


(Begründet von Heinrich v. Subel.) 


Unter Mitwirkung von 


Yaul Sailen, lounis Erhardt, Otte Hinke, Oite Arauske, Maz Sem, 
Siegmund Kieler, Mori; Ritter, Zourad Yarreniapy, Bari Fenmer 


beraußgegeben von 


Friedrich Aeinecke. 


Der ganzen Reihe 85. Band. 
Neue Folge 49. Band. 


Münden und Teipzig 1900. 
Drud und Verlag von R. Oldenbourg. 


LIBRARY OF THE 
LELAND STANFORD JR. UNIVERSITY, 


a. 56 
APR 8 1900 





v Inhalt. 


Eeite Seite 
erteic· Unga1I122 ñ. 208 Italien. . . . 1465 307. 326 ñ 
Amnm . 2.22.22... 06 Türk: AR “2... 128. 148 
Ten . 2.2.2.2... 1838. Algier mr Imis _ . . 149. 5831 
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Anguın 


3 ax von 





rithhait auch dir sn den Murtayen "vie n In Xotsyen and Nugrasen Veibredhewem 
jeibtandngen &äniten. 


Bird ſ.Wülcker. 

Voigt, Adalbert von Pra, 

Bolz u. Künpel, Preup. 
Öfterreich. Alten zur Borgefd, 
des GSiebenjähr. Krieges . 

Wahl, L’Algerie. 3. ed. 

Waliszewski, Marysienka. 
Marie de la Grange d’An- 
guien, 1641-1716 B 

Ward, Great-Britain and 
Hanover . . 

Weis, Esriftenverfolgungen . ; 


Beller, Jobenlotiſches Ur⸗ 
tundenbuh I. 1153—1810 
Rotizen 


rg —2— chte 


Kine Beit und früges Bitiefater 


Spätere Mittelalt 


Inhalt. 


Seite | 


80 


491 
149 
134 


178 
298 


113 


und Rachrichten. 


—— und Öegenfermatin 
1 1789 — 


Neuere te feit 1789 
——— 
Vermiiſchtes 


Nachtrag zur Miscelle H. Z. 88, 





Wille, Bruchſal. 2. Aufl. 

Witte ſ. Frip. 

Wittichen, Se Tan Bolitit 
Preußen? 1788—! 

v. Wrede, Geſch. d. 7 . Wehr: 
madt. I. I. 

Wolfzgruber, Grant, Aciſer 
v. Oſterreich 

Wülder u. Bıra, To iur⸗ 
gar Rathes H. v. d. Planitz 
ee aus d. Reichsregiment 


Zibrt, 


Bibliografie Goske 
historie . . 


Erflärungen von J. Loferth und W. Goep.. . 
88, 255 von W. Stern 


vo 


Seite 
376 




















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fir 10000 &* bei der Auße 
en haben, als er erwartet 





On ffen, fobald er von ihm oder 





ri —— — vı die 
Ne in die Londoner aan em 











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ME Se Han den Willen feines Königs 
2 








an umd ———— be⸗ 
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fen Dan mt 





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über den Major d. Meift zu ſagen 

1 far Tue Bet mi der den 
2 ee 
Die Londoner Alten, bie mir 
0 ae en 
m? (S. die Denfihrift des Grafen v. Walbdftein, 
9, abgebrudt in den Lebensbildern aus dem Befrei— 


fing Sınith, 8. Oft. 1810: .. . His Gnelſenau's 
in fact oceasioned by the desire not tv 

































Alten: — engliſche Über- 
ht Magg. magazines) 
































N 1 cannot, re u 
"The po of this little rock, 


vessells — the command of 























Prince Stahremberg he did the same, ! 
is country, rather under an unfavourable | 


4 Alfred Stern, Reife Gneiſenau's nad London i. J. 1809 ꝛc. 


impression that nothing would be done, after the con- 
clusion of peace, which a longer stay might have changed. 
Having been blamed by some persons, unacquainted with 
the real nature of his relations here, that he remained too 
long for the good of the King, or too short for the good 
of the cause, I think it proper just to say, that he could 
not with propriety depart, while room was left for hope, 
nor remain beyond that period, exposed to the risk of his 
return being prevented by the winter, supposing France 
might have views against Prussia, which rendered his 
presence desirable, tho’ that has not proved so.... 


















Rabinetötriegen, von der unverlegten Sol- 
Heeres zu jprechen, ehe er mörtlid) 
em wollen wir nicht machen. Ich will nicht 

das zu bedauern ift, inwiefern jemand einen | 
führen fönnte, ber feinen en Grund » 
SR. 5. Bd. XLIX. 








52 Richard Feſter 


innerungen“ den Wechfel der Gelegenheiten im Hauptquartier 
nicht von Tag zu Tag verfolgen, daß fie ftärfer, als es dem 
Hiftorifer erlaubt wäre, zufammenziehen. Someit ſich heute der 
Gang der Nifolsburger Verhandlungen überhaupt klarlegen läkt, 
hat es Mar Lenz in eingehender und jcharffinniger Unter- 
ſuchung gethan!). Die Annerionsalternative VBismard’s: Ganz 
oder Nichts Darf nicht zu jehr gepreht werden. Unter jtärferem 
und nadhaltigerem Drude Louis Napoleon’s würde er ſchließlich 
dem Nichts doch wohl ein Halbes vorgezogen haben, Im all- 
gemeinen hat es jeine Nichtigkeit, Daß er für ganze Arbeit war, 
Aber er war es, joweit der aus der Traummwelt in die Wirklich 
feit verjegte Wille in Frage kam, von allem Anfang an. Er 
bat dem Willen jeine® Herrn nur darum die zweckmäßigſte 
Nichtung geben können, weil jeine Gebanfen ſchon längjt dieſe 
Nichtung eingefchlagen hatten. Der Hiftorifer fann ohne erheb- 
liche Modififationen nur einen Satz der Darftellung des Fürjten 
unterjchreiben. Es ift wohl buchſtäblich zu verjtehen, daß Bis- 
mard „Änderungen der Staatögrenzen in Süddeutſchland für 
keinen Fortjchritt zur Einigung des Ganzen“ gehalten hat. 
Wie weit feine Abjichten auf Sachen gingen, wie weit fie ge 
gangen wären, ohne die Bejorgnis vor Frankreich, ohne die 
Hartnädigfeit Ofterreich®, wird den Leſern der „Gedanken und 
Erinnerungen“ nicht verrathen. 

Alles in allem gewiß ein bedenkliches Zeugnis für den Hifto- 
rifer. Auch der nichtzänftige Demoirenjchreiber pflegt fich durch 
eine abfichtlic gefärbte Darftellung unjere Gunft zu verjcherzen, 
Gedächtnisfehler ind verzeihlich. Im den „Gedanken und Er— 
innerungen“ aber wird die Sache durch den Sinn der Worte 
auf den Kopf geftellt. Was auch daraus gefolgert würde, die 
Wahrheit mühte gejagt werden. Wünjchen wir uns Glüd, daß 
es hier nichts zu bejchönigen gibt. Der zureichende Grund für 
die diplomatische Darftellung des Fürſten it ja mit Händen zu 
greifen. Bismarck's Verhältnis zur Hiftorie ift jo frei und große 
artig geweſen wie die Gejinnung des großen Kurfürjten. Jeder⸗ 


») Zur Kritit der ®. u. E. ©. 66 5. 





"der Neuen Baierififen Landeszeitung 
16. Auguſt 18909). Dort hat Bismard 
halten zur Zeit der Kataſtrophe, über 


Buſch zurechtwies, als diefer 1885 meinte, daß 
ch werde. Zagebuchblätter 3, 19. 

Bismard, Neue Tiihgejpräde und Juterviews. 
1 au Boichinger, Bismard und die Parlamentarier 


















ng in —— Kaiſer Wilgefm’s II. 
des Vertrauens zu dem Water dem So 


A ie I Die Art der ©. u. © zu voreilig 
Stand In einem privaten Vegleitjhreiben zu 
vom 97. Nov, 1870. By. Känmel S. 104. 
%) Tagebuchblätter 3, 2 350252, Bf. 








: jelbjt fie vertritt, dah Geffden fie aljo nicht nach⸗ 








— — 
ih einmal ein ledtes Kapitel über — 


— — —— — 
Em a Man 1 Buich 3, 514 








erungen des Furſten aus dem Jahre 1877. Buſch 2, 
160 ff. 


a 


Beim 68 1870 nigt jo weit gelommen i 
dab Bismoarck und Motte auch getrennt zu jchl 


wollen ausruhen, bis fie wieder d 
und zeitigen. „Wir werden nimmer it 
1 au angeſichts der drohenden Ba 








—— wie er die — anſah 
te. wollte. Eingebildete oder that- 
en fie Teunen, um zu wiſſen, mit 
bat. „Der Hiftorifer fann von 
I Leopold En 1877 dem 
des Buches. 

Ye nicht fejen. Von Richelieu's 
Nanke bemerft?): „Nicht um des Er— 
die Einzelheiten faßt er nur auf, um 
alles ift Nerv, männlicher Gedante, 
0“. Zur Ausführung jeines Planes iſt 
mehr gefommen. Seine Gedanfen liegen 


















o bleiben. Daß fein 


edergegeben 

find, liegt im Wefen 
oder wenigitens 
—— 
Al Verfaſſer nur das 
und die Äußerungen 





5 } ’ 











a re ‚Seite —* die Frage 
eichten jeweils die politifhen Be— 
hen? Es hätte fich hierdurch ein weiteres 


uchung würde fid) gezeigt haben, 

Volkerſchaft der legte Einheitsbegriff 

iot, daher Thiotmalli (Detmold, Motens 
b* 











— — — 
amd Einheitsbegriff dedt ſich mit dem Großvolf oh 
—— thiot Nomuköns, ——— | 


Wanderungen und 
‚gerüttelten Großvölfer als nunmehrige politii 
Vollsrecht und in ihren Sprachen innerlich —— 








je der Maffe; das einheitliche 
Heineswegs ſchon als diot der- 
er belegt hat, bedurfte es noch einer 
man auch won Deutjchen, deutjchen 


N ‚gen find, von welchen Seiten ber 
erer Nation noch hätte unterfucht werden 
ferner noch die ganze Caetenfrage mit in 
fichtlich „Brage*, denn es wird wohl niemand 

ab hier ſchon alles in erwünfchtem Maße Har 



















1$ denn man fennt feine Stitiftif fchlecht, wenn 
antiqua nomina noch von dem adfirmant 





—— die Möglichteit 

ı getrennter Buftände. Es iſt uns 

ie Sen ‚einer dieſer Anſchauungen 
enen Dualismus der mythologifcen Deuts 
dieſen Falle würde eine folhe Sube 





enter "ber tautefinnifie Duafimuß unter 
— *— zu gewinnen ſcheint, nicht 








ben fann, bie doch ehlichlih bei einer 
sch, wird die Fortſetzung des Werkes 


Beitgejchichte heute nicht mehr von einem 
and; jo hat denn der Herausgeber einen 









ft, 
BES TeH 


age Kriege heißt «8 
erlagen infolge der Unvoll- 
ich den amerifawijchen Schiffen, 
euge verwandelt, doch mit den 
waren." Glaubt denn der Bf., 
gen Wochen improviſirt werden fann? 
och in jeder Zeitung zu lefen ftand, daß 
zerſchiffe geweſen ſind, die bei Cavite und vor 
Da faun es denn freilich nicht üͤberraſchen, 
Hichaitlihien Entwictung Amerifas durd den 























erfbar zu maden, daß hier nicht er fpricht 
e ei von ihm gefammelt find, Dem 
N Deutſchlands jind Dutzende von 
2. Abfenitt, Karl's Stellung zur fränkiſchen 
ichts Anderes als ein Mojait von Excerpten l 








wäre daher om mander Stelle @ 
- 36 führe nur Einiges an. 











mäler nebjt einigen bisher ungedrudten in 
— Davon it gefhichtlih 
N als Hundert Jahre jortgeführte 
nsis moderna (S. 117 m. höchſt 

















die Weinrufer in Steahbung. Der — Sei — 
war 1335; fie hat jedoch bis 1355 Fortſehungen gefunden, die viel⸗ 
Teicht nicht alle im Petersklofter entitanden, deren feine aber auf die 
von Schmidt 3. Th. ©. 12, 166 ff. vermuthete Erfurter Rathschronik 
zurüdgeführt werben kann; von legterer wird nicht mehr zu fpreden 
fein. — Der Peterschronik folgt die im 13. Jahrhundert von einem 
Erfurter Minoriten verfaßte, bisher nur theilweiſe veröffentlichte 
Cfronica) M(inor), die ©. 521. der gleichzeitig entjtandenen, für 
das jpätere Mittelalter fo bedeutfamen Chronik des Predigermönds 
‚Martin von Troppau in intereffanter Weije gegenübergeftellt wird, 
und daran fließt ſich S. 724 ff. der aus der Peterächronif wie aus 
€. M, bejonders aber aus des Dominifanerd Heinrich von Hervord 
liber de rebus memorabilioribus jdöpfende L. C. E, Es wird 
Wend’3 Meinung, daß diefer L. C. E. ebenfalls von einem Prediger: 
‚mönde herrühre, mit gewichtigen Gründen bejtritten, aber voll ans 
annt, daß Wenck dieje Chronik zuerft richtig gewürdigt und für 
ae den Grund gelegt hat. Der L. C. E. iſt Haupts 
quelle für bie bereit3 erwähnten, in Eiſenach hergeftellten H. P. und 
H. E., auf denen Rothe'3 Chronik wie die fpätere thüringiſche Ge— 
berußt und deren Entftehung nun erjt klar geworben 

äft. Da für H. E. wie für H. P. die Erfurter Peterschronik auch 
benutzt wurde, jo werden unter den zahlreichen Ableitungen, aus 
denen der Tert diefer Chronik Herzuftellen ift, aud; H.P. und H. E. 
bejchrieben und beurtheilt (S. 145F.). Hierbei war doch wohl an— 
zuführen, daß für die Datirung der Jenaer Handfchrift von H. E. 
die auf BL. 71, 72 ftehende, bis 1476 reichende Lifte der Mainzer 
Erzbifchöfe wichtig iſt. Ob ferner die Darftellung, die die Peters: 
qronit ©. 215 von der Viſion eines Eiftercienferabt3 beim Tode 
Snnocenz’ IIT. gibt, gegenüber der ausführlicheren Erzählung der 
©. R. (©. 589) wirtlich als Quelle gelten darf? Es mühte dann der 
Reinharbsbrunner Chroniſt, der nad; H⸗Ers Urtheil (N. U. 20, 617) 
in der Verſchmelzung vorliegender Berichte jonft wenig Geſchick zeigt, 
hier mit glüdlicherer Hand die Darftellungen der Peterächronif und 
der C. M. (©. 649) ineinandergewoben haben. Daß, wie an der 
'eben erwähnten Stelle, jo auch zu 1245 eine gegenüber der ©. M. 
(©. 666) und der Peterschronit (S. 250) ausführlichere Nachricht der 
©. R. (©. 622 vgl. 502) gerade Eiftercienjer betrifft, jällt auf, zumal 


} Unterftügung 
wo es für ihm galt, den lüngſt g 
feiner ganzen Umgebung auszuführen. 
e Gregor's waren, darüber ift fein Zweifel m 











jentimentaler noch religiö 


nach Italien, wo das Papitthum in der langen Zeit feiner Abwefen- 
heit eine fremde, vielfach fogar eine feindliche Macht geworben war, 
hatte fich als | singende Nothivendigkeit Bun follte von 
dem Werte des en Wiederheritellung des Kirchenſtaates, 


überhaupt 


religiöfer, fondern rein politischer Natur. Die Rüdlehr 


nod) etwas Anderes übrig bleiben, als die Erinnerung. 
franzöfifche Papftthum den Stalienern don 
als nationaler Feind erſchien, hat M. vortrefflich erläntert. 
wie der Papit in Stalien nur noch durch Legaten und 
' vertreten ift, deren jirenge, oft drücdende Verwaltung 
als Beleg für diefe Thatjache u. a. eine Äußerung des 
3 jelber eitiren — an fid) vielleicht nicht ſchlimmer ift als fonft in 
die aber als unerträgliche Tyrannen erfcheinen, weil fie Fremde, 
ſind. Die Größe der Gefahr trat exit hervor, als die 
mit Florenz in Krieg geriet und es den Florentinern mit 
gelang, ben ganzen Slirchenftant zu revolutioniren, 
war für Öregor entjcheidend; er beſchloß das letzte 
Erfolg zeigen follte, das allein wirtfame Mittel anzu= 
e moraliihe Autorität im die Wagſchale zu werfen, 
er elf nad Italien ging. Wie heilſam diejer Schritt für 
die gefammte Kirche gewefen ift, darüber äußert ſich M. treffend 
im Schlußwort. Nichtsdeſtoweniger bleibt es richtig, daß die un— 
mittelbare Beranlafjung feine andere war als der Krieg mit Florenz. 
Un diejen ſammelt jih denn auch hauptjächlic daS Jutereſſe. Die 
Begebenheiten feines Verlaufes waren jchon früher durch Gherardi 
nad) Florentiner Akten dargejtellt worden, M. hat fich daher hier 
über mit Necht kürzer gefaßt. Dagegen hat er über die Entitehung 
des KHonflits einiges Neue beibringen fünnen. Tropdem könnte ich 
nicht finden, daß nunmehr das Problem endgültig gelöft wäre. Mir 
ſcheint ſich bier vielmehr die Einfeitigleit des vatitaniſchen Materials 
‚rächen. Bom Papfte zwar hören wir genug, aber die Motive 
iner liegen nicht jo Mar, wie man wünschen jollte. M. 
auch ein Moment nicht zur Geltung gebracht, das ſchon 
richtig berborhob: den Einfluß des Barteifanpfes in 
auf die Politif der Stadt gegenüber der Kirche. Nach 
Seite wäre aljo zu weiteren Forſchungen im den italienischen 
zumal in Florenz felber, immer noch Naum und Anlaß. 
Daß durch eine jolche Lücke der Werth des Buches nicht weſentlich 
beeinträchtigt wird, braucht nicht erſt gejagt zu werden. Ebenſo wenig 


N 


2 





ee Urban V. und Gregor 

nach Rom. Auszüge ‚Kameralregiftern des 

. ea 1ER. Dat wor 
Pagerborn, F. Schöningb. 1898. \ 


a Exemplaren find. 
des Budjes, der die Reife Urban's V. behandelt, hat Kir] 











— — 


Mittelalter. BE | 


Napiteln die Daten der Kafjenbücher zum Abdrud gebracht, welde 
{ ‚ die Reife felbft, die Ausgaben des in Avignon 

verbliebenen Thefaurars, die Uusgaben in Nom, endlich die Ausgaben r 

für Bauten in Rom insbefondere betreffen. Der zweite Theil enthält | 

in analoger Anordnung die Angaben über die Reifen Gregor’ XL; 
] pen hier, da der Papſt in Nom verblieb, jeine dortigen Aus— 
nicht weiter berüdjichtigt; das legte Kapitel iſt ausſchließlich 
den Ausgaben für die Herjtellung des Vatitaniſchen Palajtes gewidmet. 
In fünf einfeitenden Kapiteln hat K. die Ergebnifje feiner Arbeit für 
die beiden Romreiſen, die Kammerverwaltung während derjelben, die 
e des Batifans, für Münzen, Maße und Gewichte, endlich) 
für den Kaufwerth des Geldes und die Urbeitslöhne jener Jahre 

uſammenz! geſucht. Perſonen⸗, Orts- und Wortregiſter er 
leichtern die Benutzung des Buches, doch wird man ein genaueres 
Ju halisregiſter ſchmerzlich vermiſſen. 

Noturgemä erfährt die politiſche Geſchichte durch eine Publikation 
folcher Art laum irgendwelche Bereicherung, Heine Notizen über eins 
1 n ten kommen wenig in Betracht. Um fo reicher 
die Ausbeute für die Finanz: und Wirthſchaſtsgeſchichte jener 
ausfallen, und hier bieten ſich in der That die überrafchendften 
Schritt und Tritt. So wird ed gewiß interejliren, zu 
die päpftliche Kammer im Jahre 1369 das Silber im 
m Golde im der erorbitanten Melation von 11:1 bes 
1. ©. 271, XLV.) Nachrichten über die Preiſe für 
und Gebrauchsgegenftände aller Art, die Kojten einer 
he der Urbeitslöhne und Benmtengehälter erweitern 
is der damaligen focialen Verhältniſſe in dankens— 
fer) Auch die mannigjaltigen Angaben über den Vati— 
werben einem Jeden willtommen fein, der weiß, mit 
; feiten die Erforfhung der damaligen Lokalgeſchichte 


H 


a 


IM 


s 


55 
ii: 


: 


nur wenige Beilpiele: Ein Schiff mit einer Tragiähigfeit von 

und ca. 40 Tonnen foftete für die Fahrt von Germa bis 
ne Miete von 8000 Reichsmark nach heutigem Geldiverth. Die 
e8 Haujes in Rom für den Oberftallmeifter pro Jahr 4800 M. 
Koftete 1368 in Avignon 72 Pf., eine Taube 5 M., ein Rebhuhn 
Pfund Hanımelfleifc wurde 1869 in Rom mit 1,25 M. bezahlt, 
; jaurer Wein mit 480 M. Ein Paar Stiefel koftete 399 M. Tages 
r gewöhnliche Arbeiten verſchiedener Art 5-6, ausnahmsweiſe 

bezahlt. 


23 
Hr 


In 
J 
® 












| "Sicht auch in die dunkeln Triebe 
inzubringen, ein Bild der Zeit, wie wir 
hter anſehen müſſen, zu zeichnen, ift nicht 

‚Seite troß aller meuſchlichen Schwächen 
hichtlich ſihergeſtelte Recht lag, wiflen 


a ne] 





——— 


Gegenreformation. 9 


| aller alten und nenen Funde, eine enge Beſchränkung auf den nächiten 
Zwech ein ängftliches Haften am Materialet), ein Ausbreiten alles 
deſſen, was zur Vorarbeit des nah Durch dringung des Stoffes 
ftrebenden Geſchichtſchreibers gehört — das ift der Juhalt biefes 
Buches. Man wird einwenden, daß eine ſolche Arbeit werthvoll fein 
lönne, wenn fie aud ‚den höheren Anforderungen hiſtoriſcher Dar— 
stellung nicht genüge; die breite Darlegung des Materiald werde 
allen fpäteren Bearbeitern zu gute fommen. Daß diefer Einwand 
richtig fei, davon kann ich mich freilich nicht überzeugen. Wo das 
Material für eine ausführficere Darftellung erſt herbeigeichafft werden 
muß, da ijt eine Aktenausgabe folder Mijhung von Materialfamms 
— — vorzuziehen; denn wer kann ſpäterhin 


möchte, was der A Bearbeiter nur in kurzem Auszug gegeben 
hat, bei denen der Gegner weggelafien oder doch nicht genugfant 
Be ——— , was ihm gerade wertvoll fein könnte? Soll 


aber der Bf. dieſes Buches in der Vorrede das Erſcheinen einer 
umfangreichen Altenfammlung über feinen Gegenitand an — darf 
man ba nicht guten Rechtes den Einwand erheben, daß in dieſer 
‚ber rohe Stoff hätte beifeite gedrängt werden, und daß 

Stelle endlofer Atenauszüge eine wahrhafte Verarbeitung des Stofjes 
hätte treten müſſen? Wirkſam fann oftmals ein die Anſchauung des 
Geſchichtsſchreibers beweiſendes, der Erzählung ſcharfe Farbe gebendes 
Aktencitat fein; aber die mühfelige Breite fortlaufender Altenauszüge 
muß jede Wirkung abſchwächen?). Der Forjcher wird die genauere 


9 An feiner Stelle wird z. B. verfucht, die Führer der Parteien zu 
Sarakterifiren; der Abjchnitt über Hans Ungnad ift nur eine Zuſammen⸗ 
ftellung der über ihm vorhandenen Nachrichten; Hans Friedrich Hoffmann 
tritt nur auf, wo ihn die Akten gerade erwähnen. 

*) Unzählig find die Stellen, wo in ſolchen Aftenauszügen recht gut 
zu entbehrender Ballajt mitgeſchleppt wird; was z. B. ©. 253— 355 über die 
Anſchung des Bruder Landtags gegeben wird, konnte ohne Schaden und im 
Snterefie der fteten Hervorhebung nur des Wichtigen in einem Safe gejagt 
werben. Un vielen Altenjtellen mödte man aud) eine jelbjtändige, den Sinn 
beifer Härende Interpunktation wünfden, — diefes Recht jteht dem Heraus— 


Ka A E 


it es nicht Leicht, ſch zurecht zu finden. 














Mr. 9, 10): Ausfeld, Adminiftrator Johann 

om Magdeburg über den Strafiburger Kapitel: 

Mehring, Herzog Zriedrich’s vom Württemberg 
er Napitelfireit (&. 182 f.) 



















— 


9% Xiteraturbericht- 


‚bietet gerade infofern ein lehrreiches Paradigma der Freiftellung, als 


er die Geftaltung der Rechtsfragen in der Praxis zeigt. Denn bie 
are befejtigte laxe Auffaſſung der katholiſchen Majorität 
Domtapitels beftritt den Proteftanten gar nicht die Möglichkeit 

* Aufnahme, vermochte es auch nicht angeſichts zahlreicher Pra— 
cebenzfälle; man beſtand nur darauf, daß die in Kölner Streit er— 
kommunizirten Kölner Domherren, die zugleid; im Straßburger Kapitel 
faßen, mım auch aus diefem auögefchlofjen würben, und berief — 
zur Begründung dieſes Vorgehens nur auf ein angebliches Kapitels— 
fiatut, das allem Anſchein nad nicht exiftirte; felbit die Statholiten 
diejes Simultanfapitels wagten es nicht, einfach auf die geltenden 
Beitimmungen des kanoniſchen Rechts oder gar auf die Defrete bes 
Tridentinums zurüczugreifen. Die innere Schwäche der tatpolifden 
Rofition lag von vornherein auf der 

Dagegen gingen die betroffenen proteftantifchen Domberren jofort 
darauf aus, ihre Sache auf einen Principienfampf um die 
der Religion hinanszufpielen. Und zivar mit unfeugbarem 
Zunachſt gewannen fie dur die Beſehung des Straburger Bruder 
hofes, der Centraljtelle für die Verwaltung des Domkapitels, ein 
Bauftpfond zugleih und eine Grundlage ihrer materiellen { 
Auguſt 1584). Dieſe Stellung haben die Bruderhöfiſchen⸗ — 
aa lang behaupten, ja noch Schritt fir Schritt erweitern | 

es iſt außerordentlich fchrreih, am der Hand M.’S Die 
eines fo anormalen Zuftandes in dem wirthichaftlichen Pieinfeiege 
um die Einkünfte mit allen feinen verheerenden lei 
bis in das Teßte Detail erörtert zu fehen. Daß unmittelbar n 
dem Kölner Zuſammenbruch diefe herausfordernde Politik der Pe 
munizixten Domberren dauernd möglich war, lag zum Theil am ber 
ihnen hier etwas günftigeren Rechtslage, mehr noch aber an den von 
ihnen ergriffenen Vortheilen der politifhen Konftellation. Vor allem 
bot ihnen die Stadt Straßburg — bier war das Verhältnis umgelehrt 
wie im Kölner Streit — troß des geſchickt gewahrten Scheines der 
Neutralität einen feften Rückhalt. Aber auch nad) außen hin verfuhr 
die don dem energijchen Grafen Hermann Adolf v. Solms geleitete 
Politit der „Bruderhöfifchen“ erfolgreich; jie begnügte ſich nicht, * 
Mitglieder der Wetterauer Grafenkorreſpondenz, die allerdings an 
dem Streit faſt wie an einer Exiſtenzfrage betheiligt waren, und die 
ſtets zu Rath und That bereite Bundesgenoffenfchaft bes pfalziſchen 
Johann Caſimir zu gewinnen: es hatte ſich im Kölner Kriege gezeigt, 


Gegenreformation. 97 


do& deren Unterftühung allein nicht ausreichte. Man unternahm es 
vielmehr, bie großen protejtantiichen Fürjtenhäufer Norddeutichlands, 
die an der Principienfrage allefammt in ihrer eigenen Territorial⸗ 
politik intereffirt waren, auch durch einen perfönlichen Antheil mit 
dem Straßburger Fall zu verbinden, indem man bei den häufigen 
Balanzen Angehörige diejer Häufer zu Kanonifern und Kapitularen 
wählte. So z0g allmählich eine ganze Kolonie junger norddeutſcher 
Prinzen (Dänemark, Holjtein, Brandenburg, Braunſchweig-Wolfen— 
Güttel, Braumfchweig- Lüneburg, Mecklenburg, Anhalt) mit einem 


die großen Gegenfühe und Macdtverhältniffe der lonfeſſionell geteilten 
deutſchen Territorialwelt auf den lolalen Kapitelſtreit mit entjcheidender 
Wucht zurüd. Indem diefer zu einem Gradmefjer für das augen— 
blictliche Aftionsvermögen und Altionsbediirfnis beider Parteien wurde, 
zeigte es fich, daß die Proteftanten noc einen großen Vorſprung 


Natürlich, daß fie alle Bermittlungsverfuche ebenfo ficher zurück— 
wieſen wie ihr Widerpart. Huch gegen die Autorität des Kaiſers, der 
durchaus auf jeiten des Biſchofs Johann dv. Manderjcheid und des 
Katholischen Kapitels ftand, erhoben fie die beliebte Kompetenzfrage 
und verlangten, daß der Streit nicht durch ihm, ſondern durch die 
Gefammtheit der Reichsſtände entſchieden werde. So blieben die 
Taiferlichen Mandate und Citationen, Achtsdrohungen und Sequefter- 
—— nur Unläufe, die unter dem Druck der entgegenſtehenden 

Koalition regelmäßig vor dem lehten Schritt verfagten. Die Folge 

wor: Hoffnungsfofigteit bei den Katholifen mit wenigen Ausnahmen, 

dagegen bei den Proteftanten. Nachdem es ſchon 

mehrfach zu Doppelbejepungen der Kapitelsſihe und würden gefommen 

ee dieſe konſequent auch die künftige Belegung des Bisthums 

: ‚ber Prinzen in's Auge und bezeichneten in einer Eventuals 

wahl (Novbr. 1588) den Markgrafen Johann Georg von Branden= 

burg, Sohn des Magdeburger Adminijtrators, als ihren Kandidaten, 

auf ‚ber andern Seite die baierifche Politif, mit gewohnter 

bereit, ihre Hausinterefjen mit der fatholiichen Sache 

zu verknüpfen, die Kandidatur eines Wittelsbachers troß der lothrinz 

gtichen Konkurrenz in die Wege leitete. So wird bereit3 die Perſpellive 

des Biihofäfrieges eröffnet, der als nothwendige Folge des acht» 

‚jährigen Sapitelftreites mit dem Ableben —— und der 
Hiforildhe Beitichrift Vd. #5) N, ñ. Ob. XLIX, 


i 


— 


—— 


9 Literaturbericht. 


Doppelwahl von 1592 ausbridt. An diefer Stelle, wo eine Ver- 
wicklung von größerer politifcher Tragweite ſich entipinnt, bricht das | 
Bud M.’S ab. 

Man darf es M. nachrühmen, daß er den ſpröden Stoff durch 
die Gaben gewandter Dispoſition und Verarbeitung zu bewältigen 
und aud) die Fineſſen der reichd- und lirchenrechtlichen Fragen zu 
präcijer Anſchauung zu bringen veriteht. Die Darftellung me 
Max; jie würde noch gewonnen haben, wenn fie den Altenſtoff noch 
mehr kondenfirt hätte, als e8 3. B. in der manchmal ermüdenden 
Wiedergabe jeder Zufallswendung eines ergebnislojen Vergleichstages 
geichehen ift. Gerade weil der Verlauf des Streites don der gemein- 
beutjchen Parteienfonjtellation in höherem Maße abhängig ift als 
von dem Gange der rechtlichen YAuseinanderjegungen, würde es ſich 
empfohlen haben, den angeſchwollenen Aftenbergen der Klageſchriſten 
und »erwiderungen, der Intercejfionsichreiben und Nedtögutachten 
nod etwas herzhafter zu Leibe zu gehen. 

In Forſchung und Darjtellung it dem Buche M.'s die gleihe 
gewifjenhafte Arbeitsweiſe und ruhige Objektivität eigen, die das zum 
Vorbild genommene Werk Loſſen's auszeichnet. Eine Objektivität 
allerdings, die ſich mit der unparteiiichen Aufarbeitung des Stoffes | 
begnügt umd ed durchweg vermeidet, das hiſtoriſche Verftändnis der 
Vorgänge aus einem größeren Zuſammenhange zu entwideln, Wo 
ich Anläufe zu allgemeineren Geſichtspunkten finden, wird nicht immer 
mit derfelben Sicherheit geurtheilt, die in der Detailarbeit überall 
zu beobachten it. Es gehört z. B. feine befonders einbringende 
Kenntnis dazu, um das Urtheil (S. 62): „Merlwürdigerweiſe hat. 
unter all’ den proteftantiichen Vorfchlägen zur Reform der firchlichen 
Berhältniffe im 16. Jahrhundert feiner die Abſchaffung diejer adeligen 
Mißwirthſchaft (in den Domfapiteln) verlangt“, als mehr denn Dor- 
eilig zu bezeichnen. Won Anfang an, ſeit dem großen Sätularifations- 
entiwurf von 1525 (Mante 2°, 168), hat diefe Frage die Protejtanten 
beichäftigt. Um nur bei den Straßburger Männern ftehen zu bleiben: 
welche Fülle der Entwürfe, die Onadratur des Zirfeld zu löſen! So 
übergab Jakob Sturm 1538 in Eifenad ein wahrſcheinlich von Bucer 
verfahtes Memorial über die Kicchengüterfrage, in dem für die Doms 
Kapitel Trennung der geiftlicden und weltlichen Geſchäfte, zum mindejten 
aber Beſſerung im einzelnen gefordert wurde (Lenz, Bucer 1, 48F.), 
und Bucer felbjt hat dann dieſe Ideen in jeiner Schrift „von den 
Kirchengütern“ (Febr. 1540) in wahrhaft großem Stile entwidelt, 


| ” 


— — 


Nevolntiontriege. er) 


volle Rejormirung der Stifter unter Aufrechterhaltung ihrer politifchen 
Berfafjung verlangt (ebenda 1, 397 ff.); wo nur der Proteftantismus 
der Rejormirung eines Hodhjtiftes von innen heraus nahegetreten iſt, 
Hat er jich nicht geſcheut, die Frage anzufaſſen, in Köln z. ®. unter 
Hermann db. Wied, wo das Nejormationsbedenfen Bucer’s und 
Melanchthon's von 1543 auf die Durdführung einer ganzen Refor— 
mation ber Domfapitel verzichtete, umjomehr aber „eine wahre thät- 
liche Beſſerung, nicht die allein in Schriften bliebe”, als Ziel bezeichnete 
(Barrentrapp, Hermann v. Wied 193 ff.). 

Die allgemeine lirchlich-⸗politiſche Entwidlung der deutjchen Bis— 
thümer und Domfapitel während des 16. Jahrhunderts, unter den 
Einwirkungen der Reformation und Gegenreformation, in ihren großen 
BZufammenhängen darzuflellen, bleibt noc immer eine der lohnendſten 
Aufgaben der Wiffenjhaft; zur Erkenntnis des Beſonderen hat die 
gediegene Leiſtung M.'S einen guten Schritt vorwärts gethan. 

Berlin. Hermann Oncken. 


Linvasion Austro-Prussienne (1792—1794). Documents publies 
ia societE d’histoire contemporaine par L. Pingaud, Paris, 
ard. 1895. XVI u. 319 ©. 

Der erite Kleinere Theil des Buches enthält Aufzeichnungen des 
befannten Emigranten, des damaligen ruſſiſchen DOberjten Grafen 
Sangeron über bie Sriege der Jahre 1792—1794. Zunächſt zwei 
politische Gutachten von 1792 und 1794, in denen entfdiedene Ab- 
neigung gegen Ofterreich und der Rath, engen Anfchlufjes des Bourbonen⸗ 
Ahums an Preußen zum Ausdrud gelangt, und dann einen Abriß 
x die kriegerifchen Ereignifje im Lager der deutſchen Mächte am 
und Niederrhein (1793 und 1794). Lebterer ijt jpäter aus dem 
—— verfaßt, da der von der Zarin Katharina in's verbündete 
Zager entfandte Offizier feine Originalberichte nicht hatte wieder ein- 
ſehen bürfen. Auch jo wird man die ſchon handſchriftlich mehrfach 
Berichte mit Nuten Iefen. Über jeine ſonſtigen litera— 

tifchen Geiftungen und deren Schiejale orientirt die Einleitung. 

Das Gegenſtück zu dem nicht von bejonderer Neife zeugenden 
und von Parteigeiſt nicht freien Darlegungen bildet der in der 
wien. ‚Hälfte des Bandes veröfjentlichte und unmittelbar nach den 

verfaßte Bericht über den Feldzug der Verbündeten in 
der Biol; und im Elſaß im Jahre 1793. Es iſt eine eindringende 
7r 





100 Literaturbericht. 


Rechtfertigung des Grafen Wurmfer mit ſchroffen Wendumgen gegen 
die Preußen und befonders gegen den Herzog von Braumſchweig. 
Der unbelannte Verfaſſer, der eine jehr jpecielle Kenntnis der Ort- 
fidjfeiten und der wechjelnden Zuſammenſetzung der Wurmſer'ſchen 
Armee befigt, muß doch wohl Augenzeuge —— fein. Sie 
neben der jehr genauen ergliederung der tafti 

die den Mithandelnden verrathen, die intereffanten Uxtheile über die 
Haltung der öfterreichiichen Führer und die Intriguen einzelner gegem 
den Dberbefehlähaber. Mit dem Herausgeber wird man in dem 
Autor einen Emigranten vermuthen müfen, der in den vom Kriege 
beimgefuchten Gegenden zu Haufe oder durch langen Aufenthalt vers 
traut war. Beides würde zutreffen auf den emigrirten und ala 
General in öſterreichiſche Dienjte getretenen Baron v. Klinglin. Der 
hat nachweislich maßgebenden Einfluß auf Wurmſer befeffen, deſſen 
Verwandter er war, und eine feiner handjchriftlich überlieferten Dent- 
fchriften ſcheint fi mit den in unſerer Schrift von Wurmſer ver— 
tretenen jtrategijchen Gefichtspunften zu deden. Vgl. Häuffer, Deutſche 
Geſchichte 1 (3. Aufl), 464 und Vivenot-Beikberg, Quellen zur Ge⸗ 
ſchichte der deutſchen Kaiſerpolitit Oſterreichs 3, 45 und 328, ſowie 
2, 263. Vielleicht dürfte man in dieſem hervorragenden Difizier ben 
Anonymus erfennen, wofür vielleicht noch erwähnt werben kann, daß 
er an der einzigen Stelle, an der er im den Kämpfen unſeres Be— 
richts auftritt (S. 251), einfah als M. de Klinglin ohne die meiit 
übliche Rangbezeihnung eingeführt ift. 

Ih beſcheide mich mit Diefem Hinweis. Zum Schluß fei bemerkt, 
dab N. 1 aus Langeron’s militär-politiihem Nachlaß im Ardiv der 
auswärtigen Angelegenheiten zu Paris ſtammt, Nr, 2 jedoch beim 
Herausgeber aus den Kollektionen des (inzwiſchen verftorbenen) ruſſi— 
ſchen Minifter-Präfidenten Fürften Lobanow zugelommen it. 

Greifswald. H. 


Das deutſche Vaterland im 19. Jahrhundert. Eine Darſtellung der 
dulturgeſchichtlichen und polltiſchen Entwicklung für das deutſche Wolf ges 
ſchrieben von Albert Pfiſter. Mit 6 Karten. Stuttgart u. Leipzig, Dentſche 
BVerlagsanjtalt. 1900. 

Der Bf, württembergijcher Generalmajor z. D., der ſich durch 
feine Schriften: „Aus dem Lager des Nheinbundes 1812 und 1813“ 
amd „Aus dem Lager der Verbündeten 1814 und 1815* vor— 
theilhajt befannt gemacht Hat, verfucht es jet mit einem größeren 


1 


19. Jahrhundert, 101 


Verf. Er widmet dasſelbe jeinem Großvater Joh. Chr. Pititer, 
mit defjen „Geſchichte der Teutjchen“ fein Wert — man kann wohl 
fagen glacklicherweiſe — nichts weiter gemein hat, als daß es da an— 


hertſchaft und Zeitalter Metternich's 1800—1830, Zeitalter der Res 
dolution und Zeitalter Bismarch's. Diefe etwas feltfame Eintheilung 
it allerdings nicht jtreng eingehalten. So reichen beijpieläweije im 
eriten Buch die Ausführungen über Induftrie, Weinbau u. a. bis in die 
bierziger Sabre, dieüber Vollsſchule, Hochſchulen, Miffion, Sprache bis 
zum Ende des Jahrhunderts. Dagegen werden das preußiiche Zolle 
gejeß don 1818 und die mit liebevoller Sorgfalt dargejtellten An— 
fünge des Bollvereins im zweiten Buche behandelt, weil jie eine 
„Stelle in dem Beitalter der deutſchen Revolution einnehmen“. Auch 
fonft iſt die Vertheilung des Stoffes nicht immer Mar und geſchickt. 
Beim Jahre 1848 wird ein vorläufiger Überblick über die Frankfurter 
Notionalverfammlung allzufehr ausgedehnt, die bedeutenderen Mit: 
glieder werden charakterifirt, ihre fpäteren Lebensſchickſale werden 
erzählt, dann ext kommen das Vorparlament, die vorbereitenden 
Auzihüfe und endlich die eigentliche Gefchichte der Nationalverfamm- 
lung an die Neihe. Doppelt erzählt werden auch die Vorgänge in 
Vreußen, die zum Olmüper Vertrage führen (unrichtigerweife wird 
hier Manteuffel ſchon vor der Entjheidung als leitender Minijter 
genannt), ferner die Gefchichte der Heeresreform und der Konfliktszeit 
in Preußen. Undere® wird ganz übergangen. So in ber Beit 
zwifchen 1866 und 1870 der Streit um Saarbrüden, um Belgien. 
Die Urbeit hat aber and; große Vorzüge. Der Bf, will „eine wahre 
haftige Lebensgeſchichte des Volkes“ geben, fo daß „nicht nur die 
Grofen in der Geſchichte zu ihrem Nechte fommen“, „jondern auch 
der Gröfefte von allen, das Volk jelbit“. Er fagt, daß er „erſt 
nad) langwierigem Sammeln“ an die Ausarbeitung gegangen ift, und 
man erfennt überall, daß er hierbei von twarmherziger, vorurtheilsloſer 
Siebe geleitet worden iſt, die allen Theilen des Vaterlandes in 
gleicher Weiſe gerecht werben will, freilic auch manchmal überſchäumt 
amd beim Urtheil über andere Völker das Gefühl der Gerechtigkeit 
dermifjen läßt. Einige Theile der kulturgeſchichtlichen Darjtellung 
find recht anfprechend, andere möchte man ausführlicher wünſchen, 
namentlih manche Seiten der geijtigen Entwicklung. Die Dichtkunft 
wird bier und da geitreift, bie bildenden Künste, die Muſik werden 
Kaum erwähnt. 





102 Literaturbericht. 


Durch dieſe Mängel macht die Arbeit den Eindruck des Uns 
fertigen, des nicht recht Ausgeglichenen. Es iſt zu bedauern, daß ber 
Bf. ſich nicht mehr Muße gegönnt hat, daß er durch den Wunſch, feine 
Arbeit beim Beginn des Jahres 1900 der Offentlichkeit zu übergeben, 
an der rechten Durcharbeitung und Ausfeilung verhindert worden 
iſt. — Die Ausftattung ift gefällig. Sechs hübſche Kärtchen geben 
einen Überbliet über die Mheinbundgzeit, über die Entwiclung des 
Bollvereins fowie über die Gejtaltung der Grenzen 1866 und 1871. 

Berlin. P. Goldschmidt. 





Karl v. Ibell. Lebensbild eines deutjchen Stanrsmannes. 1780-1834. 
Mit zahlreichen urtundlichen und brieflichen Beilagen, einer Stammtafel und 
einem Bilbniffe in Heliograbüire. Bon Dr. C. Spielmanı. Wiesbaden, 
€. W. Kreidels Verlag. 1897. 271 ©. 

Der Bf. ift an die Biographie des verdienten Staatsmanns wie 
an ein Lebenswerk herangegangen und hat dieſe Aufgabe für den 
Hiftorifer wenigftens allzu pietätvoll aufgefaßt. Es find fait mehr 
pädagogijche, um nicht zu fagen, etbifche Principien, die er Dabei 
verfolgt und die den Maren Fluß der Darjtellung vieljad, hemmen. 
Aus diefem Grunde ift denn fhon das erite Kapitel über die Vor— 
fahren feines Helden reichlich breit gerathen. Hingegen hätte ich für 
das zweite Kapitel eine exgiebigere Ausnupung der jchönen Briefe 
Ibell's aus Göttingen gewünjcht, die der Bf. beffer in die Darjtellung 
aufgenommen hätte, als fie in den „Onellen und Belegen“ zu ver— 
graben. Das Gleiche gilt in noch höherem Grade von den Berichten 
Ibell's aus Megensburg, wo er als Legationsjetretär an der Seite 
des Freiherm v. Gagern in die diplomatiſche Welt eingeführt 
murbe. Beſſer gelungen ift die Darftellung des Verhältniſſes zwischen 
Shell und dem Freiherrn E L. Marjchall v. Bieberftein, durch 
deren Zuſammenwirken die Reformen im Herzogthum Naſſau ermögs 
licht worden find. hell erſcheint uns hier in feiner Thätigkeit fine 
Kirche und Schule als entichieden liberaler Beamter. Nicht minder 
emergifch griff er in die Steuerreform ein. Dann fehen wir ihn wie 
die gefammte nafjauifche Regierung in fteigendem Gegenfaße zu dem 
größten Sohne des Landes, zum Freiherrn v. Stein. Fit es doch 
gerade Ibell, dem es durch feine keineswegs gefahrlofe Miffion nach 
Frankfurt gelang, die verhängnispollen Abfichten des Freiheren gegen 
Naſſau abzuwenden und ein gutes Verhältnis zu den Allürten anzu— 
bahnen. Der Bf. jteht hier doch zu jehr auf jeiten feines Helden, 





19. Jahrhundert. 103 


während er anbrerjeit3 jene berüchtigte Militärtonvention mit den 
Niederlanden vertheidigt, obwohl Ibell fie keineswegs gebilligt hat. 
Er Hätte, — beſſer gethan, jene heftigen Angriffe des „Rheinie 
ſchen Merkur", die fachlid; freilich voll beredtigt waren, etwas mehr 
in Betracht zu ziehen. Diefe Ungriffe erneuerten ji bei der Ver— 
öffentlihung der landjtändijchen Verfaffung, deren Redaktion von 
Shell ſtammt, und zwar in noch ſchärferer Weiſe. 

Im übrigen folgt hier Spielmann’3 Darftellung bis zum Jahre 
1820 hauptjählich den Publikationen Sauer’s, der ihm bedeutend 
hat. Doch fehlt es nicht an nenen Mittheilungen and 

Familienarchive, bejonderd über die Nejorm des 
und die evangelifche Kirchenumion, die Ibell's eigenjtes 
Es folgen dann der Konflift mit Minifter Marſchall 
bekannte Langenſchwalbacher Kataftrophe, die in der bis— 
Beleuchtung gezeigt wird. Anders verhält es ſich mit ben 
Atlentats. Während nämlich andere feit dem Mord» 
Wechſel in Ibell's Geſinnung wahrnehmen wollen und 
Betroffenheit davon herleiten, zeigt Spielmann, daß hier- 
‚weitere Entwiclung Ibell's fein neues Moment gebracht 
Seine Stellung wäre auch ohne die leidige Epifode 
unhaltbar geworden. Hatte er fich doch durch feine Haltung in ber 
Domaniolfrage zwifchen zwei Stühle gefeßt: ein Bruch mit dem 
herrſchenden Regime war unvermeidlich. Und jo erfolgte denn fein 


I 


ichöpfend. Hingegen ift Ibell's Antheil an den Beitrebungen bes 
Bollvereins jehr kuapp behandelt, wie wir denn von feinem großen 
beutfchen PBatriotismus wenig genug erfahren. Exit auf der letzten 
Seite joriht der Bf. davon. Mit Spannung wird man Ibell's 
weitere Schidjale verfolgen: jeine Beziehungen zu Preußen, das jeine 
BVerdienjte wohl zu würdigen weiß; die jogenannte Weplarer 
Konjpiration, die der Bf. als völliges Märchen zeigt, und die Wiener 
Konferenz im Sommer 1834. Hier trat er mit lehter Kraft für die 
Mepräjentativverfajjung ein. Srankheit aber zwang ihn zur Heime 
fehr. Am 6. Oltober ift er geitorben. 

Spes Bud lieſt jih im Ganzen gut und bringt, freilich 
vielfach zeriplittert, manches Neue, das für die Erſcheinung Ibell's 
jelbjt wie für die Zeitgeſchichte von Werth ift. 

Münden. Du Moulin-Eckart. 








pP” 














— — 








— 


Der Kampf um bie Vorherrjchaft in Deutſchland 18680 1866. 
Heinrich Friedjung. 1. Band. 4. Aufl. ee 
Eotia ſche Buchhandlung Nachfolger. 1900. er ee 
4. Aufl. Mit 6 Karten. Ebenda. 1900. XIV u. 618 ©. 


In drei Jahren eine vierte Auflage erleben, das iſt ‚ein Er⸗ 
folg, wie er wenigen hiſtoriſchen Büchern in Deutſchland befchieden 
ift. So einjtimmig und rücdhaltlos ift der Beifall des Buches 
Friedjung's gewefen, daß die meuen Auflagen der erjten ziemlich 
gleich bleiben durften; ttoß der vielen Publifationen, welche in den 
legten Jahren über Die in Frage ftehenden Probleme erichienen find, 
und bie der Vf, wie er verſichert, auf's ſorgfältigſte berückjichtigt 
bat. Zumal in den politifchen Abſchnitten hat er nur hie und da 
eine Stelle aus den meuen Memoirenwerlen, wie die Gedanken 
und Erinnerungen des Fürſten VBismard oder die Memoiren des 
ſächſiſchen Staatsminifters v. riefen, eingeſchoben, eine Auffaſſung 
feife geändert, einen Ausdruck korrigirt; ſonſt hat er gerade in den 
nachträglich befannt gewordenen perſönlichen Iußerungen der von 
ihm geſchilderten StaatSmänner eine Bejtätigung feiner Darjtellung 
zu finden geglaubt. In den allgemeinen Beifall hat fich erſt jüngft 
ein Mißton gemifcht, ber allerdings von gewichtiger Seite fam: 
LettomsVorbedt, durch feine Darjtellung des Krieges von 1866 ber 
berufenfte Krititer, hat in dem Militär-Wocenblatt (Nr. 116, 1899) 
den Vorwurf erhoben, daß F. von den neuen Ergebnifien, die ex 
jelbft zu Tage gefördert, zu wenig aufgenommen babe, und daß 
barum die neue Ausgabe hinter den früheren zurückbleibe. Ich will 
als Laie nicht in diejen Streit, den F. al3bald aufgenommen hat 
(Mil.-Wochenbl. Nr. 33 u. 34, 1900), eingreifen, und fann über- 
haupt fein maßgebendes Urteil über die kriegsgeſchichtlichen Partien 
des Buches beanfpruchen. Der Eindrud, den mir ihre Leltüre Hinter- 
laffen, ift der allgemeine, einer ungewöhnlichen Kunſt jtraffer Gliede— 
rung und farbenreiher Darftellung, weitreichender Beherrfchung des 
Stoffes umd, worauf F. dad Hauptgewicht legt, pſychologiſch feiner 
Beurteilung der leitenden Männer und der Motive ihrer Handlungen. 
Zu einem eigenen Urtheil kann ich mich nur für den kleinſten Theil 
des Werfes, die politiſch-hiſtoriſchen Kapitel, kompetent erachten. 
5. war bier nicht in der günftigen Lage, die ihm auf dem militär- 
biftorifhen Felde die von den Fachleuten gelieferten Vorarbeiten, an 
der Spike die beiden Generalftabswerte, au& beiden Lagern gewährten, 
ferner die ihm Anfangs wenigftens willig geöffneten Aften des 





19. Jahrhundert. 105 


2. £ Kriegsarchives und die zahlreichen Mittheilungen hervorragender 
Theilnehmer, wie der ehemalige Generalftabschei Benedels, Feld» 
marjchalllieutenant Baumgarten, und der Seldmarfchalllieutenant Frei⸗ 


noch werthwollſie perſönliche Aufzeichnungen, darunter Briefe Benedet’3 
an feine Gattin, Inmen. Die politifchen Alten über jene Zeit werden 
in Wien nod) ängjtlich vor jedem Forfcherauge behütet, und die Aus— 
Jagen, die F. aus dem Munde der alten Staatömänner, wie Schmerling 
und Nehberg, Nigra und ſelbſt Fürft Vismard, aufgezeichnet hat, 
können doc) nicht, jo interefjant fie jein mögen, als Erſatz dienen, 
wenigitens nicht unbejehen und ohne das Gegengewicht urkundlichen 
Materials als hiſtoriſche Quellen übernommen werden. Sp hat ji 
der Bf, in dieſen Theilen im wejentlichen auf gedrudte und zum 
Theil oft angezogene Quellen beſchränken müfjen, Auch hier hat er 
mit feinem Urtheil über die Perfönlichkeiten und die Richtungen ihrer 
Politit nicht zurüdgehalten und durd die ſcharfe Vertheilung von 
Licht und Schatten, die farbige und pointirte Darftellung den Lejer 
zu ſeſſeln verftanden, nicht ohne fich zu feinen Vorgängern mehrfach 
ir Gegenjaß zu jtellen; zumal Sybel's Auffafjung, deſſen allein auf 
die Archive gegründete Darjtellung doc für ihn wie für ung andere 
‚auf — Strecken hin die Grundlage bilden muß, ſucht er zu lorri— 
given. Dos ijt fein gutes Recht; aber andrerjeit3 wird aud) der 
Sritifer, der ſich hier auf dasjelbe Material berufen fann wie der 
Bf., feine abweichenden Anſchauungen zur Geltung bringen dürfen. 
Gleich im 1. Kapitel oder „Buch“, wie F. fagt, der einleitenden 
Schilderung des Jahrzehnts von 1849 bis 1859 muß ich Widerſpruch 
‚erheben, einer Theſe gegenüber, der er jelbit hohes Gewicht, ja die 
Stellung beilegt. Als den Angelpunft in der Geſchichte 

Diterreichs und den Hebel feiner Größe bezeichnet er die Politit der 
die ex auf die innere Schwäde des Staates, die in dem 
loſen Zufammenhange feiner Theile liege, zurücjührt: in dem ſich 
verſchlingenden Spiel der politiſchen Kräfte Europas vertrete 

die Erhaltung des Beitehenden, und bazu habe es jtets 
Bundeögenofjen gefunden. Dies fei die Politik feiner großen Staats— 
männer geweſen, von Prinz Eugen bis auf Schwarzenberg bin, und zu 
ihr habe e3 nad) 1870 den Weg zurücgefunden; ja ſchon in dem erſten 
Beiten des Staates will F. dasjelbe Geſetz entdecken, denn die Politif 
ber Allianzen fei nur die Fortjepung der Politit der Heiraten gemwejen, 








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53 


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19. Jahrhundert. 107 


paiſchen Staatenſyſtems zu finden, die fid) völlig unabhängig von 
Freundſchaften und Allianzen gehalten hätte. Das Gleichgewicht 
Europas ruhte ja gerade auf den Allianziyitemen, die einander 
—— hielten; — die Türkei hatte ſchon in der Epoche, da ſie 
nod als außereuropäiſch galt, wenn nicht erklärte Bundesgenoſſen, 
jo doc Freunde genug, und ihre Konflikte mit einer hriftlihen Macht 
fielen immer mit den Kriſen der allgemeinen Politif zuſammen. 
Siolirt blieb nur, wer ſchwach war oder dafür gehalten wurde, wie 
Holland 1672 und 1797 Benedig, Polen im ganzen 18. Jahrhundert 
und 1792 das in Anarchie verfunfene Frankreich, Der Starke, der 
etwas bieten Eonnte, fand auch Sympathie. Sobald die erite 
franzöfifche Republik ihre Kraft bewiejen hatte, jtellten fic) die Freunde 
ein; und jolange fi Ludwig XIV. und Napoleon jtark zeigten, 
waren fie von hülfsbereiten Vajallen umgeben; erſt als die Feinde 
ihnen übermächtig wurden, jahen fie jich verlaffen. Erſt das Jahr— 
hundert ber Nationalitanten und der dadurch herbeigeführten größeren 
Siolirung der Interefjen hat die Vereingelung auch jtarker Neiche in dem 
kritifchen Zeitpunkte gejehen, wie Ruflands im Krimkriege und Franke 
reichs 1870; die ſchwachen, wie Spanien und die Buren, überläßt 
man auch jebt ihrem Schickſale. Oſterreich aber galt 1866 noch als 
ſtart, man glaubte viel eher an ſeinen Sieg; ed hatte ja Bundes— 
genofjen genug; und 1870 war es dod) auch wejentlid) das gute deutjche 
Schwert, das den jchon fait gefnüpften Bund Frankreichs mit Italien 
und Öfterreich zerfgpnitt. Übrigens hat Graf Buol ſeibſt eifrig nach 
Alüirten getrachtet und wollte Dfterreich keineswegs ifoliren. Er 
hätte auch ficherlich die eifrig hingehaltenen Hände Franfreihs und 
Englands ergriffen, wenn nur Preußen hätte mitmachen wollen. Der 
„Neutralitätövertrag*“, wie F. das preußifc-öfterreihiihe Bündnis 
bom 20. April 1854 mit wenig prägnantem Ausdrud nennt, das 
Höcjite, was die Wiener Diplomatie erreichen konnte, jollte doch nur 
erſte Etappe jein auf dem Wege, den Berliner Hof in die Allianz 
ben Weſtmächten zu bringen, das „Leitjeil um Preußens Hals“, 
Hand leineswegs, wie nad) 5. anzunchmen wäre, im Gegenſatz 
zu dem Bertrage, den Buol im Dezember darauf mit Frankreich und 
England abſchloß; das zeigt der Eifer, mit dem er gerade damals 
wieder Preußen zu umgarnen ſuchte. Öfterreich, meint F, hätte im 
Srimfriege zwei Wege vor fich gehabt, um Erfolge zu erreichen: es 
hätte entweber durch jirenge Neutralität Nußland ich verpflichten 
—* durch Anſchluß an die Weſtmächte ein neues Gebäude von 





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— an den Mündungen der 

halbinſel ebenſo wohl wie —— 
ſoweit fie liberal waren, ganz gegen Rußland 
— To kam es dader, — 


| pronngen bat 8 fee gang beten men. 0b 
| lich jo leicht geweſen wäre, wie es F. ſich do t, 


Rath 
Urmee in Sclefien auf der Straße nad) Mähren auf; 
‚Eventualitäten, die nicht Wirklichkeit geworden find, 
urtheilen. Jedenfalls hat der Widerſpruch Preußens, 
immer vorauägefagt, genügt, um Buol bon gewagten S n 
zuhalten und die konſervativen Elemente in ſterreich zu 
‚Einfluß zu bringen. 

Auf die Beleidigung Rußlands führt F. die Jſoli 
reichs und aljo die Kataftrophen im italieniſchen und 
— Soll damit nun gejagt ſein, daß der Bar fein. 

fterreich beigeftanden haben mürde, wenn diefer im 
‚gleich, Friedrich Wilhelm IV. ihm Fremd geblieben wäre? D 
doc auch wohl 3. jhwerlih denen. Für Rußland — 

















— — — — 
19. Jahrhundert. 109 


Franlreich, Deutichlands Zerſplitterung das Beſte; wenn es mehr zur 
Preußen als zu Ofterreich neigte, fo war daran weniger die Freund⸗ 
ſchaft der Monarchen ſchuld als die Rückſicht auf feine polniſchen 
Untertanen, gegen die Preußen unter Vismard’s Leitung ein zu— 
verläffiger Freund war, während die Wiener Politiker von jeher mit 
den Polen zu fofettiren pflegten. Diefe Liebe blieb Heiß, folange ſich 


Saß um. Ja, Gortfhafow und fein Anhang baben, wie Bismard 
wiederholt gellagt Hat, ihm ſchon in feinen Anfängen als Minifter, 
und gerade in der Polenfrage, beim Abſchluß der Februar-Konvention 
die größten Schwierigfeiten gemacht; und wenn dieſe Partei am 
Barenhofe (die polenfreundliche nennt fie Bismard) in den kritifchen 
Momenten doch and; ihrerjeits mehr zu Preußen als zu Öfterreic) 
ftand, fo lag das wieder nicht fo ſehr an perjönlichen Neigungen und 
Eimpfindfikeiten, als daran, dab fih in Warſchau ihre Polen- 
fgmpathien mit Ofterreich, dem fie dort den Rang ablaufen wollten, 
freuzten, und daß ihr auf den Orient gerichteter Ehrgeiz auf's aller 
mit der Wiener Politit Fonkurrirte. War Deutſchlands Eini— 
nicht zu hindern, fo lag es immer noch mehr im ruſſiſchen 
Intereffe, daß es durch Preußen gefchah, als wenn Äſterreichs 
Stellung im Orient und in der flavifchen Welt durd; die Herrſchaft 
über Deutfhland die gewaltigite Rückendeckung gefunden Hätte. 
F es feſt, daß ein Mann wie Rechberg im Jahre 1854 
Bund mit Preußen hätte enger knüpfen können; und ebenſo 
in dem entjcheidenden Jahren das Verhängnis Dfterreich® 
in den Fehlern und dem Schwanfen jeiner Minifter: es 
e des durch Buol's Fehler ifolirten, von Gegnern ums 
rien Meiches geweſen, daß feine PVolitit je nach dem Einfluffe 
| oder gejchmeidigen Minifters faft in jedem Halb- 
‚eine neue Bahn gelenkt und von dem Frankfurter Fürſten— 
zum Kriege alle Pendelſchwingungen von dem ſtolzen Empor— 
Herrſchaft bis zur engen Allianz und dann wieder bis 
x mit Preußen durchgemacht habe; feiner der leitenden 
babe Zeit zu dem Verſuche behalten, das Wirrfal nach einem 
einheitlichen Gebanfen zu ordnen: Nechberg, Schmerling, Biegeleben, 
Eiterhazy hätten einer den andern verdrängt, und ber legte jelbit 
dann das Feld verloren, als er es von feiner Seite ohne Neben- 
buhler beherrſchte. Aber nicht perjönliches Empfinden und Ver— 





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110 Siteraturbericht, 


ſchulden, fondern die Verſchiebung der Macht und der Irtereſſen | 
wandelt die Geſchicke der Staaten. Die ſtaatsmänniſche 
Bo daran gebunden. Der Glaube an Preußens — | 
Grund, auf dem Bismard’s Perſonlichteit fih exhob; aber | 
Macht ſelbſt mußte da fein, damit fein Glaube ſich ——— 
in Öfterreich wäre auch er ohmmächtig geblieben. Ex hat ſich über 
die Anmahungen des Grafen Vuol weiblich geärgert und feine Um | 
fähigteit reichlich verfpottet, aber er war jich von Anfang am darüber 
Har, daß Preußen die jtärkere der beiden Mächte war, und. ſah jehr 
bald und mit wachſender Schärfe ein, daf der Konflikt in dem 
Dingen lag und darum unvermeidlich war. Auch den Endpunkt der 


beftimmt als $.: er führte ihn, und zwar ſchon lange bevor der 
Krimfrieg zum Ausbrud Fam, auf das Jahr 1848 zurüd, Seitdem 
jei Ofterreich aus dem Freunde ein Nebenbuhler Preußens geworben; 
„und dies Streben,” ſchreibt er in einer Denkfchrift vom Mai 1857, 
„beruht nicht in vorlibergehenden Anſchauungen der gegenwärtigen 
öſterreichiſchen Staatsmänner, ſondern iſt eine 
dauernde Konſequenz des veränderten Syſtems ſeiner 
und beſonders feiner inneren Politik; das große — der auf 
dem deutfchen Element zu begründenden Centralifation des — 
iſt mit den 18—20 Prozent Deutſchen unter der eigenen 
nicht durchzuführen, fondern nur dermöge der Gewinnung und 
tung engerer und hegemoniſcher Beziehungen zum übrigen Deutfchland*. 
Die nationale Bewegung, mit einem Wort, war die elementare Kraft, 
welche nad) dem Zeugnis des Staatdmannes, der aus ihrem Gegner 
ihr Führer werden follte, die Allianz, die auf ihrer Niederhaltung 
aufgebaut war, auflöfte und den Kampf der beiden deutſchen Bor— 
mächte um die Hegemonie in der Nation unvermeiblich machte. Es 
war der Geiſt, dem die habsburgiſche Monarchie in Ungarn, Stalien, 
in allen ihren Provinzen und im ganzen Bereiche ihrer Macht, „mehr 
noch von Innen ald von Außen“, begegnete. Sie juchte ihn zu bän- 
digen bald durd; Neaktion und Waffengewalt bald dur tänjchende 
Diplomatie, inden fie ſich ihm ſcheinbar ergab und ihn dadurch ſich 
zu Dienjten machte; aber auf welchem Wege fie es immer verſuchte, 
überall fah jie jich dem Nivalen gegenüber, der, mochte er ſich nun 
bon dex deutſchen Bewegung ifoliren oder jie für jich aufrufen, im 
jedem Falle der Stärfere blieb. Und wenn in Wien die Minifterien 
wechjelten und das Steuer der öſterreichiſchen Politif immer heftiger 


— — 


19. Jahrhundert. 11 


vibrirte, jo geſchah das Alles unter dem Drud dieſer Konitellation, 
der die öſterreichiſchen Staatdmänner, wie fie e3 auch immer an— 
fingen, nicht Herr zu werden vermochten. 
So wenig wie mit der Auffaſſung der öſterreichiſchen Politik 
mich mit der Beurtheilung Bismard’8 überall einverftanden 
So w rn fi ın. €. 5. ſelbſt, wenn er fagt, daß 
1859 einer Politik, wie fie die liberalen Führer, auch Lafjalle 
und eine Reihe preußiſcher Diplomaten, wie Ujedom und Pourtales, 
angerathen hätten, gern Geijt und Kraft zur Verfügung geftellt und 
als Minifter damals — haben würde, Oſterreich gleichzeitig ein- 
re und durch die lodendften Angebote der Waffenhülfe eine 
neue Drdnung in Deutihland zu begründen; während er doch auf 
ber anderen Seite Briefe citirt, in denen Bismarck das Gegentheil 
äußert. Und in der That zeigen die wenigen Schreiben, die wir 
von Bismarck aus diefer Zeit befigen, ihn faum anders geftimmt 
als im Srimfeiege, nämlich als Anhänger einer jtreng preußischen 
Reutrafitätpolti, f, die ſich ebenjo jehr gegen die liberalen wie gegen 
fegitimiftifche Tendenzen richtete. Ex war allerdings dafür, daß 
Diterreich geängftigt und Frankreich eingefchüichtert würde, und rieth 
Febr bejtimmt dazu, die öfterreichtichen Verlegenheiten in Frankfurt zu 
benußen, um ein bejjeres Bundesverhältnis für Preußen berzuftellen, 
auf bie Öejahr, einen Bruch mit dev Majorität zu risfiren; aber zu einer 
Altion, die auf Unterftügung ſterreichs in feinen Nötben hinaus- 
‚gelaufen wäre, ſchien ihm der Moment deshalb nicht geeignet, weil 
fi) zugleich gegen Frankreich wenden und daher Dfterreid) 
entlaſten, alfo ſchließlich nördlich wie ſüdlich der Alpen zu deſſen 
BVortheil gereichen mußte. Er wollte den Krieg auf Italien beſchränkt 
fehen, weil Öfterreich fo am ſicherſten gejhwächt wurde, ohne daß 
ih Preußen den Nachbarn links des Rheines zum Gegner oder auch 
zum Freunde zu machen brauchte; nichts fürchtete er damald mehr, 
als daß man ſich von Öfterreich, wie er jchreißt, durch den nach— 
gemachten a befoffen machen laſſen könnte. 
das Urtheil 3.8 über den preußischen Kammerkonflitt und 
feine Urfachen ſcheint mir nicht glücklich formmirt zu jein. „Jeder— 
mann,“ jo ſchreibt er, „erfennt heute, daß König Wilhelm und er 
‚allein Necht hatte, ald er jein eigenftes Werl, die Heeresteform, trof 
unfäglicher Schwierigkeiten durchjegte. In einer Zeit, in der alle 
feine Unterthanen davon ſchwärmten, Preußen könne durch moraliſche 
Eroberungen zum Mittelpunkt der deutſchen Einheit gemacht werden, 


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Deutjche Landihaften. 113 


Sohenlohiſches Urtundenbuch. Im Auftrage des Geſammthauſes der 
Fürften zu Hohenlohe herausgegeben von Karl Weller. Bd. 1: 1153—1310. 
Stuttgart, Fohlhammer. 1899. 632 ©. 


Es gibt faum ein Gefchlecht unter dem hohen Adel Deutjchlands, 
deſſen Name einen jo guten lang hat in deutfchen Landen als das— 
jenige ber Fürſten zu Hohenlohe, und mie es in unjerer Beit das 
noblesse oblige im weitejten Sinne bethätigt, fo hat es auch in 
fängft entſchwundenen Zeiten feinen Namen mit goldenen Leitern in 
die Geſchichte umferes Volkes eingetragen. Man konnte e8 daher nur 
mit Genugthuung begrüßen, als im Jahre 1893 das Geſammthaus 
der Fürften zu Hohenlohe auf Veranlafjung des jepigen Seniors, 
des Fürften Hermann zu Hohenlohe-Langenburg, kaiſerlichen Statt- 
halters von Eljoß-Lothringen, den Entſchluß fahte, die Urkunden des 
Haufes bis zur Trennung der beiden Hauptlinien Neuenftein und 
Waldenburg um die Mitte des 16. Jahrhunderts gefammelt heraus- 

ıgeben. In dem Herausgeber Dr. Weller hat das füritlihe Haus 
dann aud; den geeigneten Gelehrten gefunden, der, um es furz zu 
fagen, in dieſem erften Bande eine Mufterleiftung nad) jeder Richtung 
bin zu ftande gebracht hat. 

Das Geſchlecht der Hohenlohe tritt 1153 zuerſt unter dem Nanıen 
der Edelherren dv. Weikersheim in Urkunden auf, ändert aber in den 
ebziger Jahren des 12. Zahrhunderts diejen Namen und benennt 

nach der bei Uffenheim gelegenen Burg Hohenloch. Es iſt be— 
nt, zu welchem Einfluß die Herren v. Hohenlohe unter Friedrich IL. 
n Söhnen emporgejtiegen find, wie ihr Name unauslöſchlich 
Geſchichte des Deutjchen Ordens verfmüpft ift. Damals theilte 
Geſchlecht in die beiden Linien Hohenlohe und Brauned, die 
ſich wieder in verjchiedene Äſte abzweigten. In 739 Num— 
552 Seiten führt nun der Herausgeber in feinem Urkunden» 
ichte des Gejammthaujes von 1153 bis 1310, und 
ſolche Urkunden, in denen die Glieder des Geſchlechts nur 
erwähnt werben, oder die überhaupt für die Geſchichte 
weniger wichtig erſchienen, nur im Auszug gegeben; das— 
‚bei den Urkunden der in dem geiſtlichen Stand getretenen 
— i 
Wittwen verjtorbener Hohenlohe und der Töchter des Haufes, 
die fi, in andere Familien verheiratet haben, der befjeren Überjicht 
halber jedesmal unter eine Gejammtnummer zufammengeftellt. Das 
Hiftorifche Heitihrift (Bd. 85) N. 3. Oo. XLIX. 8 


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Deutſche Sandicaiten. 115 


Eine genaue Unterfuhung Familienverhältwiffe des Landgrafen 
Gebhard von Leuchtenberg, a Schwiegerfohn der v. Schlüffelberg 
dann gewejen wäre, könnte dariiber Klarheit bringen. 

Das Negiiter bietet für die hiſtoriſche Geographie der fränfifchen 
Sande ein werthvolles Hilfsmittel; mit der Anordnung kann ich mid) 
jedod) nicht ganz einverftanden erflären. Bei der Beftimmung ente 
fernterer Ortö- und Perfonennamen hat Herausgeber zuweilen nicht 
das Richtige getroffen. Grafen von Falkenjtein, Kanton Solothurn, 
bat es nicht gegeben, gemeint ift wohl das in der Gegend be& 
Harzed anfäjjige Geſchlecht; bei den Herren von Geroldseck find die 
elfähfifchen gemeint von Geroldsed am Wahjichen; die Grafen von 
Harded hatten ihre Stammburg in Niederöfterreih; Huſinbere it 
nicht Hausbergen bei Straßburg, wonach überhaupt fein edelfreies 
Geſchlecht den Namen führte, jondern Üfenberg, abgeg. bei Breiſach; 
Racgoz ift nicht Röß in der Oberpfalz, ſondern Raabs in Nieder- 
öiterreich u. f. w. Ich darf in diefer Hinficht wohl auf das in- 
zwijchen erjchienene Regijter zu den Regeften der Markgrafen von 
Baden und Hachberg hinweijen. 

Der nächte Band foll bereits im kurzer Friſt erfchemen; möge 
er ji würdig dem vorhergehenden anjchließen! 

Hagenau. Heinrich Witte. 


Soanſereceſſe von 1477 bis 1530, bearbeitet von Dietrich Schäfer. 
6. Band. Zeipzig, Dunder u. Humblot. 1899. XVI u. 863 ©, 

Die Herausgabe der älteren hanfifchen Receſſe nähert fi nun— 
mehr raſch ben Ende. Bon der durch Schäfer übernommenen dritten 
WUbtheilung find bereits 39 Jahre bearbeitet, 14, alfo etwa ein Viertel, 
stehen noch aus. Der vorliegende ftattliche Band erſtreckt ſich über 


durch Bun Unmwendung des Regejts, durch Verarbeitung thats 
Materials in bdarftellender Form oder in Anmerkungen. 


Danfetag, der zu Lübet im Sommer 1511 ftattfand, füllt in dem 

Hier behandelten Beitraum ; über 200 Seiten find ihm in dem vor— 

Hiegenden Bande gewidmet. Daneben nehmen die Verhandlungen 
a0 








ee vortheitfaft Pay ‚ 





Zeutiche Landſchaſten. 17 


geführt. 1896 erichien dann der bis Anfang 1992 reichende 4. Band 
des Hanjijchen Urfundenbuches, 1897 der Schlußband von Koppmann's 
Hanferecejjen mit den Nachträgen vom Jahre 1360 an. Daenell hält 
damit „die Veröffentlichung des Material® zur hanſiſchen Geſchichte 
bis gegen den Schluß des 14. Jahrhunderts u) für abgeſchloſſen“ 
— bie Koppmann’schen Nachträge hat er noch im Korrefturabzug be= | 
nugen lfünnen — und will nun verſuchen, auf Grund des in den 
legten Jahrzehnten veröffentlichten, bisher nur zu einer Neihe von | 
Spezialunterfud benußten reichen Duellenjtoffes einen begrenzten | 
Beitraum allgemein hanſiſcher Geſchichte darzuftellen. Man mag es 

prineipiell bedenklich finden, aus einer nad) fo mannigfachen Seiten 
bin gegliederten geſchichtlichen Erſcheinung, wie die deutfche Hanſe 
gewefen ift, einen nicht mad) fachlichen, ſondern rein chronologiſchen 
Geſichtspunkten gewählten Ausfchnitt monographiic zu behandeln: | 
immerhin fann man zugeben, daß gerade die zweite Hälfte des 
14. Jahrhunderts, alſo nad) gewöhnlichem Sprachgebraucd) der Zeit 
raum efiva vom Jahre 1350 an, ſich wohl zu einem anſprechenden 
Gejammtbilde würde verarbeiten laſſen. Da jteht glei) im Anfange 
die Organifation der deutichen Kaufmannsgenoſſenſchaft zu Brügge, 
dann die Unterordnung der auswärtigen Sontore unter die Stüdtes 
tage, die erfolgreiche Handelsfperre gegen Flandern, der erjte Zu— 
ſammenſchluß der Städte unter einen größeren politiſchen Geſichts- 
punkte in den Sonföbderationen zu Greifswald und Köln, die Dänen- 
friege mit ihren in den Quellen leife anklingenden, aber noch nirgends 
unterjuchten Momenten von internationaler Tragweite, die rechtliche 
Seititellung der hanſiſchen Stellung in Skandinavien 1376, im 
folgenden Jahre auch in England: wahrlid, D. hat ganz Recht, 
wenn er diejen eriten Jahrzehnten des zur Darftellung erwählten 
——— eine grundlegende Bedeutung für die deutſche Hanſe zu— 
Um fo auffallender, daß ex fich eine eingehende Behandlung 
dieſes bei weiten reizvolleren Abjchnittes feiner Aufgabe verfagt hat. 
._. nur in der Einleitung und in einigen kurzen Rückblicken werden 
oben angebeuteten Richtungen und Momente der hanſiſchen Ge— 
ſchichte jizzirt oder geftreift; die eigentliche Darftellung iſt dagegen, 
ungeachtet des Titels, erſt den beiden letzten Jahrzehnten des Jahre 
hunderts gewibmet, einer Zeit, der ein gewiſſer epigonenbafter Zug nicht 
abzuftreiten it. Das Hauptgewicht der Erzählung innerhalb diejes enger 
begrenzten Zeitraumes entfällt auf das Verhältnis zu Skandinavien; 
dieſes wird im drei Kapiteln behandelt, während die gejammte Dar— 





— | 


—— 


Deutjche Landſchaften. 119 


diplomatiſchen Verhandlungen zwiſchen der jfandinavifchen Margarethe 
* ee — Richtete ſich der Widerjprucd des Ref. 
isher mehr gegen D.’S gllgemeine Auffaſſung der hanſiſchen Dinge, 
jo müfjen auch in dem, was er gegeben hat, zwei wejentlihe Lücken 
mfgezeigt werden: weder die deutjche Kaufmannsgemeinde zu Polozt 
nod die im die neunziger Jahre fallende neue Feſtſetzung der Hanjen in 
Meceln und namentlid, in Antwerpen wird aud; nur mit einem 
Worte berührt. Für jene bot das livländiiche Urkundenbuch eine 
— lückenhafte, aber doc verhältnismäßig reiche Überlieferung, deren 
berſehen um fo auffallender ift, al$ die Errichtung des weit weniger 
hervortretenden preußiſchen Kontors in Kowno von D. erwähnt 
wird. Die Frage des für die jpätere hanfiihe Geſchichte jo hervor— 
xagend wichtigen Verkehrs in Brabant endlich fpielt im 4. Bande 
der Hanferecejje ſchon eine derartige Rolle, daß jie von D. unbedingt 
hätte berücjichtigt werden müjjen. 

Faſſen wir unfer Urtheil zufanmen, fo müſſen wir jagen, daß 
das Buch den Anforderungen, welche man an eine Geſchichte der 
Sanſe vom heutigen wiſſenſchaftlichen Standpunkt aus jtellen muß, 
teineswegs entjpricht und feiner Anlage nad) auch nicht entipreden 
tonnte. Schade, dab D. jich nicht entjchlofjen hat, die Flagge offen 

zu bifjen, unter der er eigentlich jährt, und feine Schrift als eine 

Seide der hanſiſch⸗ſtandinaviſchen Beziehungen von 1385 bis 1400, 

alfo als eine Fortfeßung feines früheren Buches zu bezeichnen. Bier, 
—* dieſem engeren Geſichtspunkte können wir feiner Arbeit nur 
volle Anerkennung zollen. Das Quellenmaterial it mit großen 
Bleib und rühmlihem Scharfjinn verarbeitet, der Stoff nah den 
richtigen Geſichtspuntten geordnet, die damalige Politik in ihren 
Häufig recht verwidelten Gängen trefflich klargelegt. Wenn in neben- 
Fachlichen Einzelheiten gelegentlich eine andere Auffajjung Platz greifen 
Kann (vgl. B. Sirgenjohn, Die ſtandinaviſche Politit der Hanfe 
1375—95. Upfala 1898), jo wird dadurd; der Werth von Des 
wiſſenſchaftlicher Arbeit nicht gejchmälert. Störend bei der Lektüre 
wirkt eine zur Manier ausgeartete Spärlichkeit der Anterpunktion. 
In dem „Verzeichnis dev abgekürzt angeführten Werfe* hätten die 
‚bibliographiichen Angaben wohl etwas ausführlicher gehalten, nament⸗ 
lich die verjchiedenen Bearbeiter der benußten Ouellenpublifationen 
angeführt werden können. 

Greifswald. Karl Kunze. 


#8 





— ⸗ 


— 


— — 


Deutiche Landſchaften. 121 
Seldftvermaltung inaugurirt. Eine zwemähige Reorganifation ber | 
Yuftiz frönte das ganze Wert. | 


In der Hauptfache enthält der 1. Band die Verfaſſungsgeſchichte 
Der erfte Abjchnitt „Das Land und das Herricherhaus* handelt von 
den einzelnen Territorien, aus denen ber hannoveriche Staat beitand; 
bier wird u. a. feitgejtellt, dab „Die Idee der reinen Perfonalunion 
faum jemals jo zum Ansdrud gekommen ift, wie in dem Verhältnis 
zwiſchen England und Hannover“. Das hierher gehörige Kapitel 
„Die hannoverſchen Landesherren auf dem englijchen Throne” iſt 
aud) für die allgemeine Geſchichte von Wichtigkeit. Durch die Re— 














dor allem das Ernennungsrecht für die Beamtenftellen vor, und nicht 
nur ber Form nad. Mindejtens die Hälfte der Zeit, die fie über 
haupt den Megierungsgeichäften wibmeten, müſſen die englifhen 
Könige anf die Erledigung der hannoverfchen Angelegenheiten verwendet 
‚Einer der Minijter refidirte zu London; formell feinen 
Kollegen in der Heimat gleichberechtigt, erlangte er faktiich die | 
Stellung eines Oberminifterd, zumal Münfter (1805—1831), der ſich 
eine wahrhaft europätfche Stellung zu erringen wußte und der 
eigentliche Machthaber im Lande war. Der Schwerpimft der Dar- 
ftellung im 1. Bande liegt in der Schilderung der landſtändiſchen 
Verjafjung und ihrer Umbildung zur modernen fonftitutionellen Ver— 
ES 225—453). Wir müffen uns darauf bejchränfen, nur 
Einiges aus M.'S hierauf bezüglihen Ausführungen hervorzuheben, 
jo über die Berhältnifie betreffend den Erwerb von Nittergütern 
durch Nichtadelige in den einzelnen Landſchaften (S. 232 ff.), und 
über die Frage der Landtagsfähigkeit der bürgerlichen Ritterguts- 
bejißer, zu denen insbefondere die „Hoya'jchen Freien" (S. 243) ge 
— ‚Die in Hannover vorfommenden ſtändiſchen Ausſchüſſe trugen, 
zeigt, einen durchaus oligarchiſchen Charakter; „einjt zur 
und Einjchränfung der landesherrlihen Gewalt, zur Bes 
vormundung des Landesheren, ald Organe der landjtändischen Mits 
regierung geichaffen, find dieje Ausſchüſſe allmählich zu gefügigen 
Werkzeugen des landesherrlichen Regimentes geworden“ (S. 260). 
Bon ntereffe find die Mittheilungen über die Vertheilung des 

in Hannover und über die Größe der Rittergüter 
(S. 352 ff), über den Antheil Dahlmann's am Staatsgrundgeſetze 
von 1833, der geringer ift, al3 man anzunehmen pflegt, jowie über 


— 


Hin # 

















Deutfche Landicaften. 123 


deuiſchland 1896) neuerdings über dieſe Verhältnijje vorgetragen hat, 
find (vgl. S. 311, 376 und 581). Das Urtheil, 

das M. über die hannoverſche Amtsverfaſſung fällt, ift wenig günftig. 
Sie lief nach jeiner Meinung auf eine Riefregiererei hinaus. Es 
fehlte vor allem an Aufficht, und jo war es lediglich „Sache des 
Temperament3 der einzelnen Beamten, ob fie ein patriarchaliſches 
Regiment führen wollten oder eine Paſchawirthſchaft. Die Beamten 
hatten allen Grund, fie zu loben umd zu preifen, jie lebten unter ihr 
herrlich und in Freuden“. E3 war keineswegs, wie Bermigien bes 
Hauptete, „ein Zerrbild“, das Vinde nachmals von ihr im preußifchen 
Landtage entivarf, als er von ihr fagte, man führe unter ihr eine 
behagliche exiſtenz, aber eine Organifation für einen großen 
enropäifchen Staat ſei jie nicht; ſolche Leiftungen, wie jie 1866 den 
‚Seifen und Gemeinden auferlegt jeien, hätte man mit 

der hannoberſchen Ümterverfaffung nimmermehr zu Stande gebracht. 
Im dent Kapitel über das Städtewejen erfahren wir, daf es in Hans 
nover an Anſätzen zu einer der Thätigkeit Friedrich Wilhelm's I. in 
Preußen entjpredienden Reform nicht fehlte; durch den Weggang der 
Herrſcher aber kam alles in's Stoden. Einer ausführlichen Analyje 
werben die Städteordnungen von 1851 und 1858, ſowie die vorher- 
gehenden Maßregeln Hinfichtlich der Verbeſſerung der Stadtverfafjungen 
im 19. Jahrhundert unterworfen. Für das geringe Maß von Seldſt- 
betußtjein, das in den Bürgerfreijen der hannoverſchen Städte das 
mals noch hereichte, iſt bezeichnend die Begründung, unter der die 
Lineburgifchen Bürgerfchaftsdeputirten 1825 ſich gegen die Ernennung 
von Senatoren aus der Bürgerichajt ausſprachen: „Wir müfjen dafür 
halten, daß die ftädtifche Verwaltung nur durch Männer von wifjene 
Whaftlidher Bildung, nicht aber duch Bürger am beiten geführt 
werben fünne, weil dazu mehr als Rechnen umd Schreiben gehört, 
dem Bürger die Erfahrungen mangeln, welche der Gelehrte durch 
das Studium der Geſchichte jich zugeeignet hat, der Bürger nicht jo 
Har dent, nicht jo richtig ſchließt wie der Studirte, welcher feinen 
Geift durch Logit, Mathematit, durch Rechts- und andere Wiſſen— 
ſchaften gebildet und jeinen Berjtand geordnet und gejchärft bat.“ 
Im Gegenjaße zu früheren Urtheilen ſpricht fih M. (S. 568) jeht 
gegen die lebenslängliche Anjtellung der befoldeten Magiftratsmite 
glieder aus. Unten den Unlagen im 2. Bande machen wir auf Die 
Denkichrift 3 über die Reform des hannoverjchen Staats— 
weſens vom 13. Januar 1780 (2, 606 fj.; vgl. 1, 33) aufmerfjam, 


wide die ratur zu einen eigentticen ® 





Deuiſche Landſchaften 125 


dotirten umd einflußreihiten Amter waren ihm theils durch das Her— 
tommen, theils jogar durch das Gefep rejervirt; fein Einkommen und 
Reichthum beruhte auf dem Staatsdienſte. Die hohen Beamten bei 
den Eentralbehörden waren im Genufje großer Gehälter, von Sine— 
turen und Stiftspfründen. Auch die leitenden Stellungen in ber 
Sotolverwaltung waren höchſt Iufrativ. Zum Baargehafte kamen bier 
noch die dasſelbe bei weitem überjteigenden Emoluntente, Sporteln 
amd Mecidentien aller Art, ſowie der Umftand, daß bis in das 
19. Jahrhundert hinein die Domänen an die Amtleute weit unter 
dem Werthe verpachtet zu werden pflegten. Geſpart wurde lediglich 
am Militär, und jelbft im 19. Jahrhundert wurde das nicht anders. 
Als bei den Verhandlungen über das Staatsgrundgejeg Erſparniſſe 
zugefagt worden ivaren, da wurde fojort bei der Armee mit der 
Berminderung der Cadres begonnen; bie auf Erſparniſſe gerichtete 
Meorganijation des Civildienjtes wurde jedoch auf die lange Bank 
geſchoben. 


Auf umfangreichen Vorſtudien baut ſich das Werl MS auf. 
Ein umſaſſendes archivaliſches Material iſt herangezogen. Nur ſelten 
ſieht ji der Leſer zu Ausſtellungen veranlaßt, jo wenn (S. 19) 
‚gejagt wird, daß das nordweſiliche Deutfchland nach der Zertrümmerung 
des Herzogthums Sachſen „ohne jede politiiche Organifation blieb“. 
Dem Urtheile, dad M. (S. 36) über die fländifchen Inſtitutionen 
fällt, daß fie „zu Feiner Zeit ein treibendes Element in der ſtaat— 
Then Entwidlung gewejen find, jondern ſtets nur vetardivend ges 
wirlt haben“, vermag ſich der Nef. nicht anzuſchließen. Nicht ganz 
präci® und zutreffend ſcheint ed dem Ref, wenn M. (S. 37) erflärt: 
„Sp jehr übrigens die Negierung der jtändifchen Zuftimmung bes 
durjte, jo bedurfte anbrerjeits jede jtändijche Lebensäußerung ber 
Inndesherrlihen Genehmigung.” In dem Abfchnitte über den Wir- 
fungstreis der Landjtände wäre eine genauere Feftitellung des Ans 
theils des Landesherrn und der Landjtände der einzeinen Territorien 
au der Geſetzgebung umter dem Geſichtspunkte des dwalijtifchen Cha— 
rafters des damaligen Staatswejens erwünſcht gewefen. 

Die Wiſſenſchaft fhuldet dem Bf. für fein Werk aufrichtigen 
Dank. Es nimmt einen hervorragenden Nang in der Literatur zur 
deutfchen Verfafjungs- und Territorialgefchichte ein. Einen bejonderen 
Werth verleiht ihm der Umftand, daß der Bf. beftändig die Einrich- 

tungen und Buftände in den anderen deutſchen Territorien, zumal im 
ante zu Vergleichung heranzieht; dadurch gewinnt das 








Auffeingung und Ergänzung, dann als 
— F jeden Regiments die authen⸗ 
und die nachfolgenden wichtigeren 


chnungen. Der zweite ebenfalls ſchon 
im * Weiſe die aufgelöſten Fuß— 
Truppenkörper, wie Freicompagnien und 










tönnen. © _ J ja : 
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— — 


ÖfterreicheUingarn. 129 


diplomatifchen Beziehungen zwiſchen König Ferdinand, der Pforte 
und ihrem Schüßling Zäpolya, jowie die auf den Türkenkrieg bezüg- 
lichen Verhandlungen bed Königs mit den Ständen feiner Erblande 
find mitberüdfichtigt und bis 1537 fortgeführt, während der Feldzug 
des leßtgenannten Jahres nicht mehr einbezogen ift. Da der Bf. 
feinerlei neues axchivalifches Material benugt und ſich ohne ein— 
dringende Kritik auf die deutfch gejchriebene Literatur und die ge= 
drudten Quellen geſtützt hat, jo ift ber Werth feiner Arbeit nicht 
hoch anzufclagen, obwohl fie, namentlich, was die erſte Wiener 
Zürlenbelagerung betrifft, an Ausführlichkeit die jüngften Darjtellungen 
übertrifft. In der Anführung feiner Quellen ift Kupelwieſer jehr 
ungleihmäßig und nicht nad; wiſſenſchaftlichem Brauche vorgegangen. 
Dem 3. und bem an feiner Stelle des Buches citirten 4. Bande von 
Huber, Gedichte Dfterreihd, und dem 2. Bande von Dimik, Ges 
ſchichte Krains, find lange Stellen in nahezu wörtliher Entlehnung 
entnommen, ohne daß dies erjichtlich gemacht wäre. Aus der treffe 
lichen Biographie, welde Newald dem Vertheidiger Wiens, Niclas 
Graf Salm, gewidmet hat, find nicht nur umfangreiche Textitellen, 
jondern auch Belege und Fußnoten mit abgejchrieben, jo daß es den 
Anſchein gewinnt, als hätte der Bf. jelbft die Archive benugt, während 
ex in Wirklichkeit nur aus Newald jchöpft. Dabei ijt es ihm ©. 26 
— widerſahren, zwei in den Fußnoten bei Newald auf einander 

folgende Archivſignaturen zu verwechjeln. Auch auf bie bei kriegs— 
geihihtlihen Fragen jo wichtige Beſtimmung der Ortlichkeiten iit 

Sorgfalt verwandt. S. 6 jind mehrere Ortdnamen entitellt, 
&.7 ift die chteit des Treffens vom 5. Oktober 1528 unrichtig 
beitimmt, S. 10 der Weg, welden Zäpolya bei feinem Einfall in 
Ungarn nahm, ungenau wiedergegeben; S. 11 wird das Pauliner- 
lofter, in welchem Bruder Georg lebte, in Polen jtatt im Ungarn 
gefuht und ©. 90 ff. eine ganz unhaltbare Anficht über die Nüdzugs« 
Linie, welche Suleiman von Güns aus einſchlug, verfochten. W. E. 


Die Gedichte der Ungarn. Bon Dr. Eugen Gfubay, Chorberr des 

r fte8 von Eforna und Univerfitätsdocent. Biveite vermehrte 

Yuflage. lÜberfegt von Dr. RM. Darvai. 2 Bände. Berlin, Ad. Boden— 
burg. 1899. 506 u. 572 ©. 

‚Die Literatur zur ungarifchen Geſchichte iſt in dem legten Jahre 
zehnten ſehr bedeutend angeſchwollen. Duellenpublifationen unb 
Hiftorifche Beitichriften erjeinen alljährlich in —— Zahl, und 

Hiftoriie Beirfchrift (Pr. 85) N. F. Bd. XLIX. 








Oſterteich· Ungarn. 181 


find für das frühere Mittelalter zwar vielfach benupt, aber ſchon 
bie en. des Eitivens (vgl. Bd.1 S. 26, 170, 299 

und 303) verräth der Autor feine geringe Vertrautheit mit 
auch für feine Aufgabe grundlegenden Editionen. Die Jahr- 
von Altaich, unbeftritten die wichtigfte Quelle zur ungarifchen 
Geſchichte des — benut Ch nad) den Annales Boici 
Brumner’s, einem Geſchichtswerk des 17. Jahrhunderts; weder von 
der Relonjtruftion diefer Quelle durch Gieſebrecht noch von ber Aufe 
Findung der Aentin’fhen Abfchrift durch Defele ſcheint er Kenntnis 
zu baben, und ohne Rückſicht auf dem von Zeißberg geführten Nach— 
weis, daß für die Jahre 1041 bis 1046 die ungarifchen Ehronifen 
indirett auf den Altaicher Annalen beruhen, folgt er hier und im 
folgenden kritillos den halb jagenhaften Erzählungen des Simon von 
Keza und des Johann von Thuröcz, von denen der eine zu Ende des 
13., der andere im 15. Jahrhundert jchrieb. Auch von dem anonymus 
Belae regis notarius, jenem Beitgenofjen Keza's, der über die Ein— 
wanderung ber Magyaren jo genau Bejcheid weiß, vermag ſich Ef. 
nicht gauz zu trennen; mit großer Wärme vertheidigt er gegenüber 
weniger gläubigen ungarifhen Forjchern „der neueren Generation“ 
(1, 56) den durd) diefe Onelle überlieferten „Bhutvertvng", d. h. die 
angeblich bei der Exhebung Arpad's von der Nationalverfammlung 
beſchloſſene und mit Blut befiegelte erſte ungarifche Verfaſſung. Ebenfo 
haltlos wie bie „Beweife", die der Vf. hierfür vorbringt, iſt fein 
Beitreben, den heidnifchen Prieftern eine leitende Rolle bei der eriten 
Einigung der Stämme zuzuweifen; die Quellen bieten, wie er jelbjt 
gejtehen muß, feinen Beleg hierfür. Für die ſchwere Niederlage, 
mweldye die Ungarn 907 den Baiern beibrachten, find ſorglos alle 
Einzelheiten benußt, die Aventin überliefert, aber das von Rudhart 
und Dümmier aus Totenbücdern deutſcher Stifter ermittelte Tages- 
datum der Schlacht (5. Zuli) erwähnt Ef. nicht. Auch die von Büdinger 
‚gefundene Zeitbejtimmung des fog. decretum III. des hl. Ladislaus 
iſt unberüdjichtigt geblieben, und den für die Unficherheit des Eigen- 
thums jo charatteriſtiſchen Inhalt diefes Geſetzes beutet dev Autor 
teineswegs aus, jondern jucht feine Beweisfraft durch eime nichts— 
ſagende Legendenſtelle abzuſchwächen. Dafür begegnet uns das 
Märchen von der Einnahme der Ungarnburg Melk durch den erſten 
babenbergiſchen Marlgrafen (dev irrig Ludwig genannt wird ſtatt 
Siulpold) alſo eine Einwirkung des übelberüchtigten breve chronicon 
Austriae Mellicense (nicht des Diplom Otto’3 III. vom 30. Sept. 

g9* 





{ —— 
| 


Rolen. 1833 


die „böhmifchedeutfche Soldatesca” [oszuziehen. Daß die Opfers 
der öjterreichifchen Erblande und die Hilfe des Neiches es 
che Ungarn vor gänzlicher Überfluthung durch die Türken 
ben, wird ebenjo vergejjen wie die traurigen Verdienſte, 
jener Bruder Georg und feine Parteigenofjen um die 
und Behauptung der türkijchen Herrſchaft erworben haben. 
ich dat auch hier der Bf. eine ganze Literatur beifeite 
um eine fo einfeitige Auffaffung vertreten zu fünnen. 
zu weit führen, wollte ich die Lifte der von ihm nicht 
Arbeiten weiterführen, Nur eines jei zum Schluß erwähnt. 
Nirgends ijt bei — der Name Alphons Huber's genannt. Und doch 
ift es Huber, dem wir nicht nur mehrere auf archivaliſchen Forſchungen 
aufgebaute Einzelunterfuhungen zur ungarifchen Geſchichte, jondern 
weitaus die bejte Darftellung der Geſchichte Ungarns vom frühejten 
Mittelalter bis zur Mitte des 17. Zahrhundert3 verdanken. Sie ift 
freilich nicht felbftändig erfdhienen, fondern im Rahmen feiner Ges 
ſchichte Ofterreiche. War das für Ef. der Grund, fie zu überfehen 
ober zu übergehen, fo ftellt gerade der Vergleich mit Ei. den unfchäße 
baren Werth in's glänzendfte Licht, den dieſe Kapitel von Huber für 
beſihen. Denn Huber hat nicht nur bie deutſche, jondern auch 
Die ungarijche Literatur beherrſcht und kritiſch benußt, und er hat es 
im bewundernäwerther Weiſe verjtanden, die Ereignifje nach ihrem 
Serthe zu jchägen und allen Parteien gerecht zu werden. 

Bien. W. Erben. 


HL 


& 


Zur Geſchichte Polens im Mittelalter. Zwei tritiſche Unterſuchungen 
‚über bie Chronit ded Balduin Gallus von Dr. May Gumplowirz, weiland 
Zeetor an der Univerfität in Wien. Uns dem Nachlaß des Verſaſſers heraus- 
‚gegeben. Junabrud, Wagner’iche Univerfitätsbuchhandlung. 1898, V, 261 ©. 

E handelt ſich um die in die Mon. hist. Germ. XI Seript. IX 
aufgenommene und dort vernünftiger Weiſe als Chronicae Poloniae 
bezeichnete Chronik, für welche fich der inzwiſchen verftorbene Bf. 
al Autor einen Balduin Gallus konſtruirt hatte, was der Heraus— 
feines Nachlaſſes als „die endgültige Löfung eines ſchwierigen 
Problems der mittelalterlihen Geſchichte Polens, an deſſen Löfung 
der Scharffinn der hervorragendften Hiftorifer fheiterte*, zu nennen 
beliebt: Die Ablehnung der Hypotheſe war allgemein, thatjächlich 
aud bon den vom Herausgeber angeführten lobenden Mecenjenten, 
fo jehr übrigens dem Scharfjinn und der Gelehrſamteit des Wi, alle 


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Polen. 135 


vlöglicdy jtirbt, wird durch eine Scene, wie man fie in modernen 
franzöfifchen Nomanen zu lefen gewohnt ift, Sobiesfi genöthigt, die 
ichöne nn eilfertig zu heiraten. Bald darauf ſtirbt 
die Königin, der König dankt ab, und Wahlumtriebe blühen mehr 
‚je im Sande. Sie geben Maryſienka Gelegenheit, jich gleich— 
in Frankreich und Polen mit hoher Politik zu befajjen, aber 
nicht jo ausſchließlich und jedenfalls nicht jo folgenreid, wie man 
Bis jeit in Polen angenommen hat, wo fie al3 böfer Dämon gift, während 
fie doch nur nah Waliſzewski's Schilderung ein thörichtes, Heinliches, 
reizendes Menſchenlind geweſen ift. Bei einer zweiten Wahl, 1674, 
wird Sobiesfi zum König ausgerufen, und die Heine Franzöfin wird 
wirkliche Königin. W., der im Anfang feines Buches den Umtrieben 
Gonzaga, den Bewerbungen der Conde-Auguien (mie er jchreibt) 
breiten Raum eingeräumt hat, eilt jet dem Ende zu. 
fann er es ji) micht verfagen, umjtändlich die Helden— 
"3 vor Wien (1683) nad) alter Manier vorzubringen. 
—— die traurigen Schickſale Maryſienla's nach 
erwähnt, 


in ee nen Büchern über Katharina und Peter den 
ſich W. auch diesmal al3 feiner pſychologiſcher Er- 
ktere. Überaus anziehend hat er das Charakterbild 
—— doch ſehr intereſſanten Königin ausge— 
anderen handelnden Perſonen, wie Marie Louiſe, 
, gewinnen durch die meifterhafte Schilderung W.'s 
hat Sorge getragen, in feinem Vorworte darauf aufs 
machen, daß er die Abjicht habe, ganz befonders feſſelud 
‚schreiben, um der Hiftorie die Leer, die fie durch allzu große 
Bilfenfchaftliceit verloren habe, wieder zu gewinnen. W. als ger 
bürtiger Pole und Adoptivfranzoſe war wie fein Anderer berufen, 
Die Schilderung diefer Franzöjin, die Polin geworden war, zu untere 
Er hat mit Sorgfalt franzöfifche und polnische Quellen 
benußt, ja er citirt fogar deutjche Werke. Nur daß er da etwas 
\ iſt. Er kennt beiſpielsweiſe die Forſchungen Pribram's 

über Liſola und ſeine Zeit nicht, er fennt nicht die Schilderungen 
über bie Wiener Ereignifje von 1683 bei Erdmannsdörffer und 
Zwiedinec. Daraus folgen dann manchmal recht fchiefe Urtheile. 
Man kommt 3. B. nicht vecht zum Bewußtfein, dab Marie Lonije 
zuerjt auf Eaiferlicher Seite geftanden, oder man wird verſucht, zu 
glauben, der Kaifer habe mit Frankreich einen Vertrag geſchloſſen, 


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Niederlande. 187 


bis 1648, denn dieje Periode jchließt nicht mit dem Tode des Prinzen 
(1647), jondern mit dem Münfterichen Frieden. Ein letztes Kapitel 
‚enthält eine ziemlich ausführliche Beſprechung der Quellen der in dem 
3. und 4. Bande behandelten niederländifhen Geſchichte von 1559 
bis 1648, reſp. der auf dieje Periode bezüglichen hiſtoriſchen Literatur, 
einen jehr werthvollen Beitrag zur Hiftoriographie, der Jedermann 
‚zu gute fommen wird, der jene Periode ftudiren will, Ein Negifter 
und eine Rarte der Mepublif im Jahre 1648 find dem Bande beis 
‚gegeben. 

Es ſcheint am Drt, bier etiwas mehr über den Inhalt mitzus 
theilen. Die erſte Abtheilung eröffnet ein Kapitel, welches die jocialen 
Buftände der Niederlande, namentlich der Nordprovinzen (wenn aud) dem 
Süden bier noch ein, wenngleich, befcheidener Plaß gegönnt wird), nad) 
Schluß des Waffenſtillſtandes ſchildert, — namentlich den wirthichafte 
lichen Zuftand, den Handel, die Induſtrie, die Kunſt und die Literatur. 
Der Verfafjung hingegen ift ein anderes, das 3. Kapitel gewidmet, 
bem das 2., die Geſchichte der auswärtigen Beziehungen der Nieder 
lande zur Zeit des Stilljtanbes, namentlich die jülicheclevifchen Wirren 
behandelnde vorangeitellt iſt. Lehteres trägt den einigermaßen bes 
freindenden Titel: Die vereinigten Niederlande al unabhängiger 
Staat. Die beiden folgenden bieten eine breitgehaltene, aber jehr 
befriedigende, und Hare Skizze jenes inmeren lirchlich-politiſchen 
Kampfes, welder die Zeit des Stillftandes zu einer der büjterften 
Perioden der niederländijchen Gejhichte macht, des Kampfes der ver- 
bundenen calviniftiichen und unionsfreundlichen Principien gegen die 
mehr liberalen Tendenzen auf kirchlichem Gebiet, welche von den 
Borfämpfern ber provingie llen Autonomie des reinen Föderalismus 
verjochten wurden, jene zuleßt unter Führung Moritz' von Dranien, 
dieſe unter der Dldenbarnevelt’3, Es verdient Beachtung, daß B. 
ji hier durchaus nicht fo ſcharf auf Seiten der Ießteren ſtellt, mie 
das gewöhnlich bei jenen modernen Hiftorifern der Fall ift, welche 
feine religiöfe Sympathie für die Ealviniften hegen. Obgleich aud) 
B.3 Urbeit durchaus unparteliſch gehalten ift, hat er doch Ver— 
ſtandnis für die Rechtmäßigkeit der calviniſtiſchen Beftrebungen, welche 
die der großen Majje der protejtantifchen Niederländer waren. Nament« 
Hi) die fchroffe, keinen Kompromiß zulafjende Haltung Oldenbarne— 
velts wird von ihm hervorgehoben. Auch hat ex der religiöjen ober 
bejjer gejagt kirchlichen Seite des Konflilts mehr Beachtung geſchenkt, 
‚als gewöhnlich; gejchieht. Das hat ihn aber nicht veranlaßt, aus der 





Hiftorifer, — Bach Ag I g 
Deutſchland oder für Frankreich) in Anfpruch zu ne 


| 


Lothringen. 13% 


auf dem fpeciell lothringiſchen Standpunft ımd will die Ereinniffe 
überall von diejem aus beurtheilen. Hierin ſucht er die Originalität 
und den eigentlichen Werth jeines Wertes. 

Er bedauert die Auflöfung des Franfenreiches, welche nad) feiner 
Anficht nicht umvermeidlih war. Demnad; fieht er den Gedanfen 
des Reichsgeſetzes Ludwig's des Frommen vom Jahre 817, das alte 
Herfommen der Theilung bis zu einem gewifjen Grade dem Einheits« 
princip unterzuoxrbnen, als einen glücklichen und weiſen, ben Vertrag 
von Verdun als ein Unglüd an. Auch das lothringiihe Reid, das- 
Neid) Lothar's IL, welches die eigentlihe Francia, das Centrum und 
Herz bes ehemaligen Geſammtreiches enthielt, war nach feiner Mei— 
nung vollfonmen lebens und entwiclungsfähig und hätte ohne ein 
umerhörtes Zufammentreifen unheilooller Umftinde — wie bie 
Schwähen und der traurige Ehehandel Lothar's IT., der nngejtüne 
Charakter Zwentibald's u. ſ. w. — viele Sahrhunderte befiehen können. 
Das Beitreben Lothar's IL, fih von der Verbindung mit der une 
fruchtbaren Thietberga zu befreien und durch die Ehe mit Waldrada 
eine legitime Dynajtie zu gründen, verdient feine Mißbilligung; nur 
die gehäffigen Mittel find zu verwerfen, welche er anwandte, um dies 
Biel zu erreichen. Daß Arnolf feinen Bajtard Zwentibald zum König 
von Lothringen machte, würde ein fegendreicher Alt gewejen fein, 
wenn Zwentibald's PVerjönlichteit eine andere gewejen wäre. Auch 
unter Ludwig dem Kinde und Karl dem Einfältigen war Lothringen 
feine oftfräntijche oder weitfränfifche Provinz, jondern, wie vornehmlich 
aus dem Bejtehen einer eigenen Kanzlei gefolgert wird, ein jelbit« 
Händiges Königreih. Der Bf. vergleicht feine Verbindung mit 
Deutſchland bzw. Frankreich mit dem heutigen Verhältniffe Norwegens 
zu Schweden oder auch Ungarns zu Dfterreich. Ludwig der Deutfche 
und feine Nachlommen und ebenjo Karl der Einfältige hatten ein 
Necht auf Lothringen lediglich als Karolinger, nicht als Be— 
herrſcher des oft- oder weitfränkifchen Meiches. Daher war der Abfall 
Lothringer zu Karl dem Einfältigen im Jahre 911, welcher nad) 
Anficht des Bf. zweifellos erft mad) dem Tode Ludwig's des 
Kindes erfolgte, bereditigt umd der wiederholte Verſuch Konrad's 1., 
ſich Lothringens zu bemächtigen, unberechtigt. Karl der Einfältige 
war der lehte rehimäßige und nationale König von Lothringen. 
Auch jen Sohn Ludwig IV. hatte legitime Ansprüche auf das Land, 
während fie Heinrich I. ebenfo wenig zur Seite jtanden wie feinem 
Vorgänger Konrad. — Hinſichtlich der Entwicklung des Herzogthums 


— 














deffen Wert er bie größte Daufbarteit fe 
N. 1, 305.0. 2, 611 N. 1). Hart und 


Frantreid. 141 


wenn Widufind von Corvey, dem neuerdings freilich auch Haud eine 
unbillige Beurtheilung bat angedeihen laſſen, als ein berüchtigter 
Autor bezeichnet wird (S. 610). Man traut faum feinen Augen und 
glaubt ſich um mehr als ein halbes Jahrhundert zurüdverjeßt, wenn 
man Sampert al3 Lambert von Aſchaffenburg bezeichnet finder (S. 65- 
N. 1, 92 N. 3), und wundert ſich auch, wenn das Chronicon 


weshalb Sifela, die Gemahlin des Markgrafen Eberhard von Friaul, 
nur als soeur uterine Karl's des Kahlen bezeichnet wird (S.5N.5, 

138 N. 2 u. ſ. mw). Daß es eine unrichtige Auslegung der Stelle 
bei Widufind 1, 30: Iudicavitque abstinere quidem ab armis, 
yerum poliun arte superaturos Lotharios ijt, wenn fie ©. 669 
N. 4 mit den Worten wiedergegeben wird: preförant l’emploi de 
la ruse ä celui de la force contre les Lorrains, glaubt Ref. im 
„Neuen er 15, 574 gezeigt zu haben. Indeſſen dieſe Aus— 
ftellungen find ja zum Theil ohne Bedeutung. Die meiften von ihnen 
und noch einzelne andere hat aud) bereit3 ber fompetentejte Beur⸗ 
theiler, Dümmler, in feiner Beſprechung diejes Buches in der „Hiſto— 
rijchen Bierteljahrichrift” (1899, S. 396—399) gemacht, ohne darum 
der ungemein fleigigen und gründlichen Arbeit die Anerlennng vor— 
zutenthalten, auf die fie unzweifelhaft Anſpruch hat. 

Freiburg i. B. B. v. Simson. 


A. Hamy. Entrevue de Francois Premier avec Henry VIII & 
Bonlognesur-Mer en 1522. Intervention de la France dans l’affaire 
du divorce, d’aprös un grand nombre de documents inedits, Paris, 
Gougy. 1898, 212 u. COCCLVIL ©. 

Im Juni 1520 hatten bei Gelegenheit ihrer prunkvollen Zu— 
jammenkunft im „Lager von Goldftoff“ zwijchen Ardred und Guines 
Franz I. und SHeinrid; VIIL. einen SFreundfchaftsbund gefchloffen. 
Nichts deſtoweniger trat bald daranf in dem zwijchen Karl V. und 
Frantreich entbrennenden Kampfe der englifhe Herrſcher auf die 
Seite des Kaiſers. Infolge der Nichtadhtung aber, welche der lehtere 
nach den von ihm davongetragenen Erfolgen jeinem bisherigen 








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Jialien. 147 


Der Bi. zeigt, wie ſeit den erſten Jahrzehnten bis Mitte des 
13. Jahrhunderts in den Städten Oberitaliens einzelne Rarteiführer 
ſich als Herrfcher aufwarſen. Im Ferrara regierte Salinguerra 
1213—1240 als Parteihanpt, ohne felbft das Amt des Podejtä zu 
übernehmen; es genügte, daß es von ihm abhängig war. Nad) ihn 
war Azzo VII. von Eſte Rodeftä von Ferrara und feine Herrichaft 
ſchon fo befeftigt, daß er fie auf feinen Enkel Obizzo 1264 vererbte, 
der zum gubernator et rector et generalis et perpetuus dominus 
gewählt wurde. Mehrere Bodejtarien vereinigte eine Zeit lang Marke 
graf Hubert von Balavicino in Cremona, Pavia, Piacenza und Ber- 
celli; Ghibert di Gente wurde 1254 zum lebenslänglihen und erb⸗ 
lichen Wobeftä und Herrn von Parma erwählt. Den Titel Volks— 
fapitän führte der Herr von Mailand, Guido della Torre, al3 Haupt 
der Volkspartei; er wurde auf Lebenszeit zum Voltsfapitän gewählt. 
Erzbiihof Otto von Visconti gewann die Herrihaft für fein Ge— 
ſchlecht. Sein Neffe Matteo Visconti, zum kaiſerlichen Vilar Hein- 
rid’s VII. 1311 ernannt, lieh fich zum Herm der Stadt erwählen; 
er hieß nicht mehr Voltskapitän, jondern dominus generalis uud 
wurde erblicher Fürſt. Majtino della Scala hieß in Verona potestas 
mercatorum ımd war dad Staatsoberhaupt; nach jeinem Tode 
wurde Alberto, fein Bruder, zum febenslänglichen Volfsfapitän ers 
wählt. Man fieht, wie wenig es auf die Amtstitel ankam, von denen 
das Fürftenthum ausging und die die Signoren ablegten, wenn es 
ihnen gefiel, um jie mit dem, was fie wirklich waren, zu vertaufchen. 
Zulett handelt der Vf. noch von einer anderen Herrichaftsforn feu— 
daler Art, wie Markgraf Wilhelm don Montferrat in der Zeit von 
1260 bis 1292 fie durch Übertragung eines Friegscapitaneats in 
einer Reihe von Städten Biemonts bejaß. 

Erſtaunlich iſt e3, mit welcher Nefignation die ſtädtiſchen Repu— 
blifen, nachdem fie die politische Freiheit bis zum äußerften Überdruf 
ausgefoftet hatten, ſich der fchranfenlojen Gewalt eines Fürften unters 
warfen, wie dies z. B. in den Statuten von Eremona den Ausdruck 
gefunden hat, daß der Signore und jein Erbe an fein Statut ge 
bunden jein jollen, weil ihr Wille ſelbſt das lebendige Geſetz jei: 
quod eius et ipsius heredis voluntas tamquam lex animata in 
terris sit statutaria. Man erinnerte ſich bei der Wahl des Guido 

in Manta an das römiſche Hönigsgejeg, als man ihm die 

unumfchränfte gejepgebende Gewalt in der Weife fibertrug: quiequid 

decreverit, sit lex municipalis et pro lege servetur, prout et 
10* 





— 


praltiſch nützliche ing. 
wart gewifjermahen als Niederichlag der 
—— RE rſchie 


Gere If. Beabfiditigt weiter and, 
— Menfüde zu veröffentlichen, die fig au 





—— 


Türkei; Wgier. 149 ' 


unter türliſcher Oberhoheit geitandenen afrifanischen „Regentſchaften“ | 
von Algier, Tripolis und Tunis beziehen. | 
Das Bud) ijt jehr forgfältig ausgeführt und fehr überfichtlich umd | 
durchſichtig angelegt; befonders werthvoll find Die ſynchroniſtiſchen 
und ei Zuthaten. Der Herr Bf. beginnt mit einer fyn= 
chroniſtiſchen Überficht über die Lebenszeit und die Regierungen der 
Sultane von Osman I. bis auf unferen Zeitgenoſſen Abdul-Hamid— 
Khan IL; daneben ftehen die Lebens und Negierungsjahre der Be— 
herrfcher der Byzantiniſchen Reiches, des Nömifchen Neiches deutjcher 
Nation (fpäter Ofterreihs), Frankreichs, Englands, Spaniens und 
jeit 1613 auch Rußlands. Der Angabe über die benutzten osma— 
niſchen und abendländishen Schriftfteller folgt S. 4—80 ein „chrono⸗ 
logiſches Nepertorium” über alle dem Herrn Bf. befannt gewordenen, | 
für ihn bier wichtigen Altenſtücke verjchiedenfter Art von 1307 bis 
1789: man möchte jagen, eine Skizze der osmanischen Reichsgeſchichte 
aus der Bogelveripeftive. Das Kernſtück aber des Werkes bildet 
S. 83—386 die theil® chronologiſch, theil® nach dem verjchiedenen 
ändern, denen fie gelten, geordnete Sammlung der in ihrem 
vollen Umfange abgedrudten, für die Zwecke des Herm Bf. zur 
Wiedergabe veritändig ausgewählten Altenſtücke ſelbſt. Es find ihrer 
47; «8 jind Sapitulationen und Verträge verſchiedenſter Art mit 
Frankreich, Öfterreich (bzw. dem alten Deutjchen Reiche), mit Genua 
und Venedig, mit England, mit den Niederlanden, mit Rußland, mit 
mit dem Königreiche „beider Sicilien*, mit Perfien, mit 
Dänemark und mit Preußen und Spanien. Sie find alle chrono— 
logiſch genau beftimmt, und für die möglichſt geficherte, richtige Wieder 
gabe der (neben einigen lateiniichen) meiſtens franzöfijchen Texte iſt 
große Sorge getragen worden, — Auf ©. 387 ff. folgt die kurze, 
alphabetifch-hronologifche Überficht über diefe Altenſtücke, wie über 
Die auf S. 4—80 nur furz angeführten und furz citirten; auf 
S 410 ff. noch einmal das genaue Verzeichnis der in vollem Wort— 
Taut abgebrudten Texte. 
Halle a. ©. G. Fr. Hertzberg. 








Maurice Wahl, L’Algerie. 3 &d. Paris, F. Alcan. 1897, 442 ©. 
(Bibliotheque d’histoire contemporaine.) 

Ein ſehr bedeutendes Werk auf dem Gebiete der Nenntnis ber 
Hiftorifchen, wirtbichaftlichen, geographifchen, ſtatiſtiſchen und politifchen 


— 


Die Angaben über die Auädehn 
ee 





Algier. 151 


richtungen, die Aufgaben und die Art der Kolonifation gejchildert 
und dabei jehr ausführlich die nach des Herrn Vf. Urtheil richtigfte 
Weiſe erörtert, um die alten Einwohner an die franzöſiſche Herrſchaft 
almählic) zu gewöhnen. Das jechfte Buch (Les forces productives) 
behandelt in acht Kapiteln die wirthſchaftlichen Verhältnifie; 
der Stand der Landwirthfchaft, der Induftrie, des Bergbaues, des 
Handel3, der Verkehrswege, namentlich, auch der Eifenbahnen, wird 
bier mit aller wünjchenswerthen Ausführlichkeit dargelegt. 


Halle a. ©. G. Fr. Hertzberg. 











ine und allerdings mehr als hypothetiſch jheinende 





Bra ‚Notice sur la vie et ] 
.L. de Mas Latrie; vgl. ebendort — 
Netrolog des jüngft ı 





j NR {9 eiferusiag und entfpeiht‘ uud einem ie 
ausgeſprochenen Wunſche, dah die Konferenz auch bie 
Grundtarten im Maßſtabe von 1:500000 angeregt da 








nicht um eine ſolche zwiichen Syrien 


wiſſenſchaft 3, 1 (1900) notiren wir 
liches aus Kautaſien und Armenien, 













send — —— E 





u Ve gißele nvant.I-O. ba® 
‚Papyri publicirte Srogment der Olympio— 
i ‚du moulin & grains. Seymour 
en Bröfetten Üguptens (2. Luſius Wein) 
d fein — belannte Revue 






di BE Baht ans: 
wir R Eagnat: Mosaique trouvde A 
hanten darftellend); Dieulafon: Notes 

‚ du Forum; € Ehantre: Les ndero- 
phind: Leyrieux, Rives et Genas, und 





0 dem Mangel an Silber ab⸗ 
e von G. Macdonald: The amphore 
und E I. Seltman: Nummi serrati and 


14,1 notiten wir $. ®ranger: Folk- 





Nuoyi studi su alcuni — 
Ba: 8. Bein Bteischeune 


— — mifeneaftihe Theologie 
feld: Der gnoftfde und ber fanonifce 


und I. Dräjeke: Nitolaos von Methone im 








gen felen Hier vergeifinet Diejenige des 
e Rotharis; &tudes sur In nationalitd des 
Darefte in ‚ber Nouy. rey. hist. de droit 






——— HI. Adalbert von Prag 














1 Review 15 no. 57 veröffentlicht R. Gra— 











: oo. 
—— ee 





G_dife eitideift 82, Ban, | 
more Buförft vom 14 Sau 82 


‚zur Sebens- und Familiengeſchichte 
— Tettinger Pedius (geb. 1495 | 





















a De jenen Napitel, * wi der Ver⸗ 
umfangreichen Attenmaterial®, das zumeift 


„Bm Atem Zot fns Bufpee dh ie de 
"deux Mondes 187, 4 (14. ijebr. 1900) — 











— feinen politifchen, ſondern 
ler soci6t6 de 
rang. Jan. März 1900). 
jandelt der Berliner Anatom Waldeyer Fried— 
heinung; Le Du he 
R tenmaöfe de 
[2 — — 
a. Ringel veröffentlichten Atten zur Bor- 
rieges haben bie Stichhalilgteit der Schmann- 
tig befeitigen follten, — — | 













ben von Dr. gut Salitter. 
Tune 8 


121 Oliver Gromwell 


ner, Le rögent l’abb& Dubois et les Any 


u ö 






—— Friedrich Wilgeln’s u. G. R. 
3 Bild von den politiiden Verhältnifien und Bes 

im Jahre 1789 veröffentlicht Manfred Eimer 
Boltestunde von Elſaß-Lothringen 23. Heft). 
gänge und Stimmungen bis zur Deputirtenwahl, 

n befonders die Unruhen vom 18. bis 21. Juli 
ufommenhang ber Iofalen Ereigniſſe mit den 
ofen Nevolution tritt befomders im leßten 
welchem der Widerjtand Straßburgs gegen 
ıguft mäher erörtert wird, eine Proteftbewegung, 















Neuere Geſchichte jeit 1789. 185 
kft. unter. dem atten. Regine (dev Bauer, die Kirche, der Adel, der 


Revolution, die Transſylvanier), das dritte über die literarijhen, joctalen 
und politifhen Reſultate des franzöfiihen Einfluſſes. Das mit großer 
Sadj: und Literaturfenntnis gefchriebene Wert rechtfertigt den Wunſch nadı 
einer Fortjegung bis in die neuefte Zeit und nad; einer nn 
Einflufies anderer Nationen auf Rumänien. 

Die Fortfepung der Veröffentlihung aus Gerlad’s — He 
Ergänzungen zu deffen Tagebücdern, namentlich über feine Beziehungen 
zu dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm (IV.) und dem Prinzen Wilhelm 
(Deutjce Revue, Märzheft 1900; vgl. 9. 3. 4, 560). 

In einer Studie über Preußen zur Zeit Bismarcks ſchildert Matter 
in der Revue historique (1900 Märj-Aprif) die Vorgefhicte der Berufung 
des Verein. Landtags und darakterifizt furz feine wichtigften Debatten und 
Der Verfaſſer zeigt ausgebreitete Kenntnis der deutſchen 
Siteratur und ſchlleht fih in feinem Urtheit häufig an Biedermann an. 

Eine vortreffliche Stizze Ludwig Banıberger’s im Anſchluſſe an befien 
Erinnerungen veröffentlicht Hermann Onden in den Preuß. Jahrbüchern 
100, Heft 1. Die Summe der politiſchen Bejtrebungen Bamberger's 
fiebt er im der Herbeiführung ber deutichen Einheit. Da Bismard’s auf die 
Vergrößerung und Stärkung Preußens gerichtete Politit zu demfelben Ziele 
führen mußte, fo wurden fie feit 1866 Bundesgenoffen; ihre Wege gingen 
aber auseinander, als Bismard, anjtatt Bamberger's Ideal des parfamens 
tarijchcentraliftijchen Einheitsſtaates zu verwirklicen, and) dem Födera⸗ 
lismus fein Dafeinsrecht fiherte. 

Im der Deutjchen Rebue Märzheft) werden Erinnerungen des Generals 
Stephan Türr über feine Bemühungen, mit preußlſcher und italieniſcher 
Unterftügung in Ungarn im Jahre 1866 eine Inſurrektion hervorzurufen, 
veröffentlicht, Außerdem wird ein Gefpräd mit Bismarck aus dem 
Sabre 1867 mitgetheift, deſſen Inhalt freilich recht unwahrſcheinlich Hingt. 
Zürr will aus Blsmard's Worten mit Sicherheit erfannt haben, daß er 
einen Krieg gegen Frankreich, plane. 

In einer „Die engliſche Afritapolitit“ betitelten Stizze ſchildert 
%- Salomon kurz bie Geſchichte der Holländiichen Niederlafjungen in 

und erflärt dad andauernde Zerwürfnis zwiſchen Buren und 
Engländern ſowohl durch die Mafienverchiedenheit wie durch dem ſoeialen 
Gegenfag ber Bauern gegen bie moderne Kultur (Deutſche Rundſchau, 
Aprilheft 1900). 


*51 


Die Studie von M. Lenz: „Die großen Mächte. Ein Mlcdblid auf 
unser Jahrhundert“ (Deutſche Rundſchau, Januar-März 1900) ift ein Ver— 
uch, die Abhandlung Ranle's über die großen Mächte weiterzuführen und 








19 gehaltenen Bortrag von S. Br 
des Cliajes. Cr finder fit, einmal unter 


öblättern 1,6. 7 erwähnen wir 9. Witte’s 

a Dahanidorfantg in den deitfcheromanifchen 

deſtens und Gmelin’s Ausführungen über den Nupen 
er Kirchenbücher als hiſtoriſche Quelle. 








FF 


N il 





Hütfenifenfhaften 
Diplomatit, 8. Ardjive, Bibliothefen 




















in Städten, den Betrieb vieler Handwerfe 

ch ein jo unfriegerijches Kulturvolf, daß fie 
t. Bu den phönififchen Elementen, mit denen 
18° 











Der Philoſoph Seneca. 199 


von acht Monaten nad) Rom fam, der gepriefenfte Dichter der 
Neronifchen Zeit, war ein neuer Gegenftand des Stolzes für 
Eorbuba umd ganz Spanien, und fein Ruhm trug viel zum 
Anjehen des Vaters bei. Als auch ihm feine Theilnahme an 
der Piſoniſchen Verſchwörung gegen Nero im Sahre 65 (im 
Alter von 26 Jahren) den Tod gebracht Hatte, ließ Nero jeinen 
Bater durch eine falſche Anklage der Mitwiffenichaft bedrohen 
„aus Gier nad) feinem Vermögen“, damit er es opfere, um fein 
Leben zu erfanfen. Doch Mela öffnete jid) die Adern und be— 
dachte in einem SKodizill zu feinem Xeftament zwei mächtige 
Günftlinge des Kaiſers mit bedeutenden Legaten, um fo fein 
übriges Beſitzthum der Konfisfation zu entziehen und für feine 
interbliebenen zu retten. 

Annäus Novatıs wurde von einem Freunde feines Vaters, 
Iunius Gallio, adoptirt und führte fortan deffen Namen. Er 
zeichnete fi) als Redner aus, bekleidete 52 das Sonjulat und 
ſaß als Profonful von Adaja in Korinth über den MApojtel 
Paulus zu Gericht, Obwohl der Senat eine gegen ihn erhobene 
Beichuldigung der Mitwifjenichaft an der Verſchwörung Pifo’s 
zurückwies, lieh ihm Nero (bei defjen öffentlichem Auftreten als 
Eitharöde er einjt die Nolle eines Herolds übernommen hatte) 
dennoc) töten. 

Der mittlere der drei Brüder, Lucius Annäus Seneca, war 
(einige Jahre vor Chr.) zu Corduba geboren (mo noch im 
18. Sahrhumdert jein Haus und vor der Stadt jein Landgut 
gezeigt wurde) und als Kind von feiner oben erwähnten Mutter- 
jchweiter nach Rom gebracht worden, wo er unter ihrer Pflege 
von langer Krankheit genas. Doch blieb er jein ganzes Leben 
hindurch kränklich; nicht lange vor jeinem Tode jagte cr, es 
‚gäbe fein Übel, das ihm umbefannt ſei. Als junger Mann 
‚Hatte er durch häufige chronijche Katarrhe und damit verbundene 
Fieberzuftände und eine Abzehrung bis zur äußerſten Magerkeit 
jo gelitten, daß nur die Rüdficht auf feinen Vater und Die Liebe 
feiner Freunde ihm die Kraft gab, dem Drange zum Selbjtmord 
zu widerſtehen; mit Hülfe der Bhilofophie hatte er die Krankheit 
überwunden. Zu den angewandten Mitteln hatten lautes Leſen 


— 





Der. Philoſoph Seneca. 201 


ebensweife. Doch unter der Herrichaft des Tiberius war es 
gefährlich, eine Art von Weltverneinung zur Schau zu tragen, 
durch die man fich dem Verdacht einer Oppofition gegen die bes 
ſtehende Ordnung ausjegte. Auch mußte Attalus auf Betreiben 
Sejan’s Nom verlafjen, und Seneca bequemte fich wieder zum 
Anſchluß an die herrichende Sitte, doc befolgte er manche Vor- 
ichriften des Attalus bis an jein Ende, wie die Enthaltung von 

Wein, warmen Bäbern und Lederbifjen; noch in 
jeinen legten Jahren beftand feine Mahlzeit aus trodenem Brode 
und er jchlief wenig und auf einem äußerſt harten Pfühl. Die 
streng vegetarianiiche Lebensweiſe, die ihm jehr zuſagte, hatte er 
nur ein Jahr beibehalten; er gab jie auf, da man ſich dadurch 
der Theilnahme an fremden Kulten verdächtig machte, deren Anz 
hänger von Ziberins verfolgt wurden. 

In Seneca’s früheres Mannesalter füllt ein Aufenthalt in 
dem von dem Gemahl feiner Tante regierten Ägypten, vielleicht 
durch Rüdjicht auf jeine Gejundheit veranlaßt, oder der Beſchluß 
der Damals bei jungen Männern von Stand üblichen Rundreiſe | 
über Griechenland und Stleinafien, Er jammelte bier das | 
Material zu einer Schrift über die Geographie und die Kult 
gebräuche Nayptens und über die Geographie von Indien, mit 
dem Mlerandria in einem lebhaften und regelmäßigen Handels» 
verfehr jtand, Im Jahre 32 nach Nom zurücgefehrt, trat er | 
als Sachwalter auf, um durch glänzende Beredſamleit die Auf- 
merfjamfeit auf ſich zu lenken und ſich den Weg zum Eintritt 
in den Senatorenftand zu bahnen. Wohl gegen Ende von 
Ther's Regierung erlangte er das erſte jenatorifche Amt, die 
(Senatorenjöhnen ſchon im Alter von 25 Jahren zugängliche) 
Ruäftur; feine nun verwittwete mütterliche Tante hatte ihre 

überwunden, um ihren Einfluß zu gunjten feiner 

(im Senat ftattfindenden) Wahl geltend zu machen. Seine Be 
rebiamfeit fand jo großen Beifall, daß jie die Eiferfucht Cali— 
glas erregte, der jelbft ein guter Nebner und ſtolz darauf 
war, Zwar äußerte er jich geringichägig über Seneca's Reden, 
es jeien bloße Schauftücde und (wegen feiner Vorliebe für furze, 
ümmerbundene Säbe) „Sand ohne Kalk“. Doc über dem 








u \ 


1,“ jagt er, „etwas jo Kahles, jo von al 
3 dieje Kippe? Welches Land iſt um 


























Der Philofoph Seneca. 205 


es hat jo wilde Bewohner, eine jo ſchreckliche Natur, ein 
enig gemäßigtes Klima? Die Gluth, ſchon im Beginn 
Sommers jchredlich, wird im ber Hundstagszeit noch fürchter- 
Es gibt feine fruchtbringenden, noch das Auge erfreuenden 
je. Der Herbjt bringt fein Obit, der Sommer feine Saaten, 
Binter feine Dfiven; der Frühling erjreut nicht durch 
mipendendes Laub, fein Kraut gedeiht auf dem unjeligen 
". Es wird nicht von jchiffbaren Flüſſen bewäſſert, es 
t nichts hervor, was andere Völfer begehren fönnten, feine 
ge reichen faum zur Ernährung jeiner Bewohner Hin, Es 
ein Brod (in der That lebten die Eingebornen von Mil), 
y und Fleiſch), fein trinkbares Waffer, fein Holz für bie 
terhaujen der. Toten, und die Behaujungen find Hütten.“ 
dieſe Bejchreibung von der leidenjchaftlichen Abneigung des 
tes ſtets übertreibenden Schriftjtellers gegen den ihm auf- 
ingenen Aufenthaltsort dittirt it, jo zeigt fich Doch auch 
daß jene Zeit für „die entzüdende Schönheit der Landjchaft 
Forfica“ gar fein Verjtändnis hatte. Selbſt feine herrlichen 
er, an deren Duft Napoleon mit gejchloffenen Augen fein 
atland erfennen zu fünnen meinte, wenn er, durch einen 
er dorthin verjegt, aus dem Schlaf erwachte, erfreuten 
a's Auge nicht. Auch der Dichter der Tragödie „Octavia* 
ihn dort nur im Anblid des Firmaments Troft finden. 
die Korjen einem Autor, der ihr Land fo verläftert hat, 
freundlich gefinnt find, ift natürlich: era un birbone, jagte 
von ihnen zu Gregorovius. Die dortige Legende hat ſich 
eine Schmähungen durch Erdichtung einer Scene gerächt, 
t er eine nicht beneidenswerthe Nolle jpielt. Am Fuße eines 
runden (mohl genuejijchen) Thurms auf der Nordipige 
ai der für jeine Wohnung gilt, wächſt in unausrottbarer 
eine Neſſel (ortica di Seneca): mit diefer joll er, in einer 
er mit einer Hirtin überrafcht, von deren Verwandten 
jelt worben jein. In der That lebte Seneca ohne Zweifel 
her der beiden größeren römiſchen Städte (Mariana und 
I) an ber Italien zugewandten Oftfüjte, wo fein Reichtum 
* verhältnismäßig angenehme Exiſtenz verſchafſen Fonnte, 


| | 














“li: 
9 





Der Phlloſoph Senera- 205 


— — gar nicht unglüclich werben könne. Allerdings 
ſtoiſche Philoſophie ein umfehlbares Univerjalheilmittel 
—— irdifchen fein, aber bei Seneca hat fie ſich fo 
wenig bewährt, daß fie ihm nicht einmal vor tiefer Selbiterniedri« 
gung bewahren konnte. Er verfahte (43/44) eine Troftjehrift für 
den Zaiferlihen Freigelaſſenen Polybius beim Tode eines 
Bruders, in der ——— die Gunſt und Fürſprache dieſes ſehr 
mächtigen Mannes leines der Liebhaber der Kaiſerin Mefjalina) 
zu gewinnen, den er darin mit unwürdigen Schmeicheleien über- 
häufte. Er ſoll ſich fpäter diejer Schrift geichämt und verjucht 
haben, fie zu vernichten, doch iſt fie erhalten. 

Nicht weniger als acht Jahre (41—49) dauerte die Leidens— 
it Seneca’3 auf Corſica, erjt der Sturz Mefjalina’s und ihres 
machte ihr ein Ende, Agrippina, die nun ihre Ver 
mit Claudius durchjegte, obwohl die Ehe zwischen Oheim 
Fr in Rom als Blutjchande galt, und mit einer vor 

Konſequenz zurüdjchredenden Energie ihrem  elfjährigen 
Nero die Thronfolge zu fichern beftrebt war, rief Seneca 
ihn durch Verleihung der Prätur in Die zweit» 
ſenatoriſche Nangklafje und übertrug ihm die Erziehung 
Sie durfte ſich davon einen dreifachen Gewinn ver: 

. Sich ſelbſt machte fie populär, indem fie zugleich dem 
"Hufdigte und ein Opfer der Intriguen einer Camarilla 
und entihädigte; für Nero ftimmte fie die öffentliche 
günftig, die von dem Einfluß eines folchen Lehrers 
Erzieherd auf ihn das Befte erwartete; endlich gewann fie 
äffigen und ergebenen, ihr durch Dankbarkeit wie 
den Haß berjelben Gegner verbundenen Freund, deſſen 

* Beiſtand ihr zur Erreichung ihrer Ziele von größtem 
RB —* mußte. Daß in der „übel redenden, alles deutenden 
wie Tacitus Rom nennt, dies Verhältnis für ein mehr als 
ichaftliches gehalten wurde, ift nur matürlich, Auch 
es am fich feineswegs unwahrfcheinlich, dab das Gerede in 
Falle begründet war, denn ohne Zweifel trug Agrippina 
niemals Bedenken, fi; einem Manne hinzugeben, deſſen unbe- 
Ergebenheit fie ſich ſichern wollte. 


J 


I 


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—— 








Mienfäen, bee das Eyrichtwort wahe nei 





353 
Eee 

















Balls, das Ant ber faiferlichen Finanz 

mußte erfennen, daß Seneca mit Acte's | 
Sieg davongetragen und der Bruch zwifchen 

14* 





Der Philojoph Seneca. 213 


5 Sera die ihr Biel (die Erhebung zur faijerlichen 
n) nicht ‚erreichen zu fönnen glaubte, jolange Agrippina 
bei Nero der Entjchluß zum Muttermorde. Der 
bei einer nächtlichen Luftfahrt an der Küſte von 
ein kunſilich zum Auseinonderfallen eingerichtetes 
‚ertränfen, mißlang; ob Burrus und Seneca von diejem 
wußten, hält Tacitus für ungewiß. Nero, bei der Nach— 
\ ns Rettung halb tot vor Angjt, lieh beide 
ſei verloren, wenn jie ihm nicht Helfen wollten ; fie 
die Sklaven bewafjnen oder die Soldaten aufreizen 
dem Senat und Volk in die Arme werfen, Beide 
lange, jei e8, daß fie die Vergeblichfeit des Abmahnens 
ſei es, daß auch fie glaubten, Nero müſſe fallen, 
mern man Agrippina micht zuvorfomme. Hierauf zeigte fich 
Sereca inſoſern entjdjlofjener, als er Burrus anfah und fragte, 
25 zman den Garden den Mord bejehlen jolle, Jener erflärte 
 entjchieden, jie würden die Unthat gegen die Tochter des einft 
DOME ganzen Heere vergötterten Germanicus nicht wagen. So 
WineDde der Sreigelaffene, der ſchon den erjten Mordverſuch ges 
leitet hatte, abermals mit der Ausführung beauftragt; in der 
rohesien Weiſe wurde Agrippina erichlagen und ihre Leiche noch) 
in Derfelben Nacht verbrannt. 
Ohne an alle Einzelheiten diefer Erzählung des Tacitus 
zu glauben, fann man doc, nicht ziveifeln, dat Burrus und 
Sereca von dem Plan des Muttermordes wuhten umd fich ihm 
nicht mwiberjegten. Offenbar glaubte Tacitus fie nicht verurteilen 
zu Dürfen, wenn fie, vor die Alternative zweier gleich entſetzlichen 
Ausgänge geitellt, den nach ihrer Anficht für das Reich minder 
‚berberblichen wählten. Aber Seneca gab ſich auch dazu ber, 
das Schreiben Nero's an den Senat zu verfaffen, nach welchem 
un entleibt haben follte, nachdem ein von ihr 
zur ihres Sohnes abgefandter Freigelaffener mit 
ergriffen worden jei, und worin ausführlich be— 
—— daß ihr Tod als ein Glück für das Reich an— 


en müſſe. Seneca hatte auch in dieſem Schreiben 
Jeine Meijterfchaft gezeigt; in Duintifian's etwa um 


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gagsugzst 


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- 








Der Philoſoph Seneca. 219 


Safjen eine ſyſtematiſche Plünderung der Tempel in Ztalien, 
Griechenland und Kleinaſien unternahm, hieß es, Seneca habe 
gebeten, fih auf eine entfernte Befigung zurüdzichen zu biirfen, 
zum nicht für die Tempelichändung als mitverantwortlich zu ers 
Fheinen, und nach Abjchlagung dieſes Geſuchs ein rheumatiſches, 
ihn an’s Bett feſſelndes Leiden fimulirt. Zugleich verbreitete 
Ti) das Gerücht, dem Tacitus Glauben beimiht, er jei einem 

Nero's dadurch entgangen, daß er von Baum: 
Feüchten gelebt und nur Waffer getrunfen habe. 

Doch im ganzen vergingen die drei Jahre, die Seneca nad) 
jeimem NRüdtritt noch zu leben hatte (62—65), in ungeftörter 
Rue Er hatte zum zweiten Mal geheiratet, eine junge Frau 
au jehr vornehmer Familie, Pompeja Pauline, und diefe (allem 
nach Einderlofe) Ehe jcheint eine ſehr glückliche gemejen 
ZU Fein. Aus Rückſicht auf feine Gattin, jagt er, verzichte er 
au? den größten Vorzug des Alters, mit dem Leben nicht mehr 
Are filich haushalten zu müffen; indem er fein Alter jchone, 
ſch Sne er * Jugend mit. „Was fann es Erfreulicheres geben, 
IS der Gattin jo thewer zu fein, daß man jich feloft dadurch 
thezzrr wird?" Sein Umgang mit bewährten Freunden, wie 
— Maximus, dem Genoſſen feines Exils auf Corſica, 

Dazzerte fort. Beſonders gern verkehrte er mit dem Cyniker 
Dezmetriis, der die Forderungen der Bedürfnislofigkeit und Rücd- 
Eee zum Naturzuftande buchjtäblich erfüllte; er verlieh die Ger 
der in Purpur Gekleideten, um dieſen halbnadten 
Bettler auf feinem Strohlager aufzufuchen, den, wie er meinte, 
Die Vorſehung der Welt als ein Veifpiel und einen lebendigen 
Vormurf hingeſtellt hatte. Kleine Reifen, befonders in Kampanien, 
und Aufenthalt auf jeinen verfchiedenen Villen brachten Abwechs- 

Kg im die Einförnigkeit feines ganz durch Studien und jchrift- 
—— ausgefüllten Lebens. Immer wieder vertiefte 
die Werle der großen Denker der Vorzeit, deren 
ihn herabblickten, deren Geburtstage er feierte; ge— 
beſuchte er philoſophiſche Vorträge, wie die des 
in Neapel, Der bei weitem größte Theil ſeiner er— 
n Beofafrften ſtammt aus jeinen letzten Jahren. 


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tte, als er noch auf ber Höfe feine 
en ausführlichen Bericht des Tacitus über 
für — — da er ſich offen⸗ 


jen der Sterbeſcene nach allen Einzelheiten 








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— — 








Der Philoſoph Seneca. 223 


Das Schreiben Seneca's an den Senat nad) dem Morde 
Agrippina’s wurde zwar gemißbilligt, aber nicht als ein fein 
An deuten für immer brandmarlender Schandfled angejehen. Das 
ſchwer in's Gewicht fallende Urteil des Tacitus ift ihm im 
gazızen günjtig. Daß Seneca dem Muttermorde ſich nicht wider 
feßte, hat Tacitus, wie gejagt, mindeitens entſchuldbar gefunden, 
daB cr auch nad) demjelben an der Spige der Negierung blieb, 
offenbar gebilligt. Nach jeiner Anficht durfte fich fein Vater— 
larrdsfreund durch jittliche Empörung ſelbſt über die abſcheulichſten 
Brenn des Negenten bewegen laſſen, jeine Kraſt dem Staat 

zu entziehen, jo lange er ihm nüglich jein fonnte. Auch unter 

ſch Lechten Herrſchern, jagt er, fann es große Männer geben, und 
Fügjomfeit und Mäßigung, verbunden mit thätiger Theilnahme 
am Staatsleben und Energie, iſt Löblicher, al® wenn man 
auf gefahrvoller Bahn, doch ohne Nutzen für den Staat, durch 
xx hieriſches Martyrerthum fich berühmt mache. Ex nennt Seneca 
neben Thrajea als einen gleich ausgezeichneten Mann, und offen- 
bar glaubte — er, daß ihm der „Glanz ſeiner Tugenden“ 
‚auf den Thron ‚gegeben habe. Bor allem hat 

Tod die Mitwelt wie die Nachwelt geneigt gemacht, 

ii Leben machfichtig zu beurtheilen; nicht minder der Ernſt 
lirz er fittlichen Überzeugungen und jeines Strebens nad) Selbft- 
fezıntnis, nad) Länterung und Veredelung, der ich namentlich 
R den während feiner legten Lebensjahre verfaften Briefen 
Mehr oder weniger ift das Urtheil über feinen Charakter 

fee md. — durch den Eindruck ſeiner Schriften beeinflußt 
en Frankreich, wo fie zu allen Zeiten am höchſten ge- 
Et worden find, mo Männer der verſchiedenſten Richtungen, 

v Montoigne und de Maijtre, ſich in ihrem Preiſe vereinigt 

Haben, hat er auch den beredteften Anwalt und Kobredner im 
kinem - Geringeren als Diderot gefunden, der einft über ihn ab» 
geurtheilt hatte, in jeinem 60. Jahre aber ein eigenes 


| Buch zu feiner Bertheidigung und Verherrlichung jehrieb. Cr 


Seneca's Schriften das Brevier der Nechtichaffenen; hätte 
= Telbft jich feine Grundjäge früh aneignen können, jo würde 
ihm viel Kummer eripart worden fein. Nur wenn man jich in 





— ————— Be Ihe fit; da i 





EINE 


Gegeneeden, Lyric 








Der Philoſoph Seneca. 27 


hunberts. Sn beiden epigoniſchen Perioden erhielt die Proſa 
nicht blo mehr Fülle, Farbigkeit und Glanz, jondern auch mehr 
Naſchheit und Beweglichteit ımd allmählich auch eine nervöſe 
Unruhe, Seneca fam dem Zeitgeſchmack nicht bloß entgegen, 
jondern überbot ihm noch. Zwar jpricht er gelegentlich Lobend 
von der Einfachheit und Natürlichteit der klaffiſchen Ausdruds- 
weije, die nur nach Klarheit und Deutlichkeit ftrebte, das Ger 
wohnte nicht verjchmähte und nicht nach Beifall haſchte, von der 
guten alten Zeit, wo man noch Latein jprach; aber er ſelbſt hat 
nicht bloß in einem ganz entgegengejegten Stil gejchrieben und 
dieſen zum herrichenden gemacht, jondern auch die Alten unab» 
läffig angegriffen; er foll Nero von dem Leſen ber alten Nebner 
abgerathen haben, um ihn länger in der Bewunderung jeiner 
eigenen Schreibart feitzuhalten. Er war ſich der Kühnheit jemer 
Nenerungen wohl bewußt. Wer etwas Großes unternehmen 
will, jagt er, muß bis am die Grenze bes Fehlerhajten gehen; 
fein Talent erringt Beifall, das nicht auch der Nachficht bedarf; 
Fehler und Vorzüge find jo ungertrennlich verbunden, daf jene 
dieſe mit jich ziehen. Soviel als möglich hat er an die Stelle 
des Natürlichen, Normalen und Gewohnten das Neue, Über 
raſchende, Raffinirte und Pilante gejegt. Die engen Grenzen 
der klaſſiſchen Sprache hat er gefliffentlih nach allen Richtungen 
Hberjchritten. Er hat die Ausdrüde des gemeinen Lebens ebenjo 
wenig verſchmäht als die poetifchen, neue Worte gebildet, alte 
in neuer Bedeutung angewandt, ſich Licenzen aller Art gejtattet, 
mit Vorliebe gewagte Bilder, Sleichnife und Metaphern gebraucht 
und it hie und da auch über dad Maß des Erlaubten hinaus» 
gegangen. Er-jpricht z. B. von dem Glaſe, das an die Trunken— 
Heit die letzte Hand legt, von Leuten, die mit den Augen gefräßig 
find, von der Seelengröhe, die das Unglüd unter das Jod) beugt; 
er gebraucht Wendungen wie „mit dem Scidjal handgemein 
erben“, „im Alter ſich marjchjertig machen“ u. dgl. Seine 
beiden Hauptmittel find die Antitheje, deren beide Glieder oft 
im einem an die hebräijche Poejie erinnernden Barallelismus 
‚gegen einander geftellt jind, und die kurze pointirte Sentenz, in 
Der ein gewichtiger Inhalt in eine fnappe Form gepreßt ift; er 
15* 


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Der Philoſoph Seueea. 231 


‚gefommen jei. Er hat das von ihm jelbit ausgebaute 
— — ihm ſelbſt gepflanzten Platanen im Aus» 


dort überall ſein Alter entgegens 
ſich mit ‚ihm befreunden, es lieben: : für den, 


gebt Früchte 
‚am wohljämedenditen, wenn fie abfallen. Die Knaben find 
ſchönſten beim Austritt aus ber Kindheit. Für die Trinfer 
der bejte, ber fie untertaucht, der an den 
ie legte Hand anlegt. Iede Luft verſchiebt ihr Süheftes 
‚Ende. Das Leben ift am füheften, wenn es fich abwärts 
doch noch nicht bis zum Rande des Abgrunds. Aber auch 
£ es auf der legten Linie jteht, hat es meines Erachtens jeine 
E nn die Stelle der Freuden tritt, daß man feiner 
Wie jüß ift es, die Leivenjchaften müde gemacht 
en zu haben. Aber, jagt man, es ift traurig, 
Augen zu haben. Erftens muß ihm der junge 
Brot vor Augen haben wie der alte. Denn wir 
der Alteröfifte aufgerufen. Sodann ift niemand 
** er nicht das Recht hätte, noch auf einen Tag zu 
Ein Tag aber iſt eine Stufe des Lebens. Das ganze 
aus Theilen und konzentriſchen Kreiſen; einer ums 
alle übrigen; er erſtreckt jich vom Geburts 
Ein zweiter jchlieht die Jahre der Jugend 
de ganze Kindheit; damı ijt das Jahr ein 
das alle Zeiten einſchließt, aus deren vielfacher 
ß das Leben zuſammenſetzt. Wieder ein engerer 
umgibt —* Monat, der engſte den Tag. Aber auch er 
tſeinen Verlauf von Anfang bis zum Ende, vom Aufgang 
Un 9. Heraklit der Dunkle hat gejagt: Ein Tag iſt 
gleich — man num verſtehen: gleich an Stunden, oder: 
tt des Verlaufs, dem Wechſel von Licht und 
* iſt jeder Tag ſo zu ordnen, als ob er der 
das Leben vollendete und abſchlöſſe 
iner feiner Schriften hat Seneca den gegen die Philo— 
ohne Zweifel am lautejten gegen ihm ſelbſt) 


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Der Philoſoph Seneca, 
Variationen derjelben Gedanfen beftehenden Betrachtung 





DSetheilten) 
"lt: Bei dem Weiſen dient der Reichthum, bei dem Thoren 
herrſcht er. 


II. 


- Der Stoizismus, zu dem Seneca ſich befannte, hatte trotz 
‚tiefen inneren Gegenjages gegen das Chriſtenthum wichtige 
Anjhanungen mit ihm gemein. Sein theologiiches Syſtem war 
ein pantheiftiich;monotheijtiiches, das dennoch feinen Befennern 
ein gewiſſes Feſthalten an der als nüglich erkannten Volfsreligion, 
wofern fie nur richtig verftanden wurde, ermöglichte. Die zahle 
Götter des Volfsglaubens wurden als Theile und Er— 
ſcheinungsformen des —— das All erfüllenden Ur— 
— — angeſehen, die auf ſie bezüglichen Legenden 

Den Kern der ſtoiſchen Theologie aber 
ie und biejer giebt ihr, in Verbindung, 
it einer ganz teleologifchen Weltbetrachtung, ein theiftifches Ge 
Die Schöngeit und Zwedmähigfeit der Welt, die bie 
nicht müde wurden zu preijen, war ihnen der ficherjte 
für das Dajein Gottes. In der zwar nicht ausſchließlich, 
hauptjädlich auf das Wohl des Menſchen berechneten 
offenbart fich feine Weisheit und Güte; er liebt ung 
Vater und will von uns nicht gefürchtet, fondern geliebt 
In der Theodicee, die die Stoifer mit bejonderer Vorliebe 
Rechtfertigung des Übels nirgend im 


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die der Mäuje, uns zu erinnern, dab wir unjere Sachen nicht 
Herumliegen lafien. Die Kriege find eim Mittel gegen Über 
völferung u. ſ. w. 

Die Anthropologie des Stoizismus hatte im Lauf der Zeit | 
infofern eine Modifikation erlitten, als der urfprünglichen Anficht 
don der Einartigkeit der menjchlichen Natur eine dualiftiiche ent- 
gegentrat, die im Menfchen neben der ihm innewohnenden Ber- 
nunft (einem Ausfluß der Gottheit) aud ein unvernünftiges 

















Der Philoſoph Seneca. BT 


haft näher als irgend ein anderes antifes Syſtem dem Chriſten- 
thum verwandt, da er die Zufammengehörigfeit aller Menjchen und 
Die Forderung der allgemeinen Menfchenliebe am ftärfiten betont. 
Die Weltereiguifje haben mächtig dazu mitgewirkt, ihm dieſe 
ra zu achen und ihn darin feftzuhalten. ¶ Als der Stoigis- 


nivellirend wirkte die römijche Weltmonarchie, die nicht nur die 
verschiedensten Völker unter eine Herrjchaft beugte, jondern auch 
alle Unterthanen bem Alleinherricher gegenüber bis auf einen 
gewiſſen Grad als gleich ericheinen lieh. Den Gebanfen bes 
Beltbürgerthums hat die Stoa zuerſt mit Entjchiedenheit erfaßt und. 
mit voller Konſequenz durchgeführt. Ihr Idealſtaat war ein 
aus der Verbrüderung aller Völfer hervorgegangener, aljo dag 
Gegentheil eines wirklichen Staats, und es iſt Mar, daß Dies 
Ddeal ebenjo zu einer verhältnismäßigen Gleichgültigleit gegen 
den eigenen Staat führen mußte, wie ber Gottesftaat der 
Chriften. Die Stoifer der römiſchen Slaiferzeit haben es mit 
größerem Nachdruck als die früheren ausgeiprochen, dab die 
Menjchheit einem Organismus gleicht, deſſen Glieder alle aus 
gleichem Stoff für diejelbe Beitimmung gejchaffen und aus dem- 
jelben Leibe ihre Lebenskraft ziehend, durchaus aufeinander ans 
gewieſen, daß fie, wie Epiftet jagt, alle Brüber find, die alle 
im gleicher Weiſe Gott zum Vater haben. Wer jih auch nur 
von einem jeiner Ditmenjchen abtrennt, heißt es bei Marc Aurel, 
ſcheidet fid, von dem Stamme der Menjchheit jelbft ab. Die 
Stoiler der Kaiferzeit werden nicht milde, die Pflichten, die bie 
menjchliche Gemeinjchaft allen auferlegt, immer von neuem eins 
zufichärfen. Wir müffen, jagt Seneca, unabläffig zugleich für das 
gemeine Wohl thätig jein und den Einzelnen helfen, auch ben 
, Feinden; es ijt jchlimmer, Schaden zufügen als leiden; aus: 
verwirft er die Mache und die Vergeltung des Böjen 

, mit Boſem. Selbſt die, die uns mighandeln, jagt Epiftet, ſollen 
wir lieben wie ein Vater, wie ein Bruder. Mare Aurel verlangt, 


























— — 


Der Philoſoph Seneca. 239 


worben zu fein, da er nun feine bisher nicht erfannten Fehler 
Zängit hatte er es ſich zur Pflicht gemacht, an jedem 
Abend ſich über ‚den verflofjenen Tag Nechenichaft abzulegen. 
Es verfteht ſich, dah im criftlichen reifen Seneca’s viel 
ng mit chriſtlichen Lehren und Anſchauungen 
blieb. Er iſt, jagt Tertullian, häufig der Unire; 
er hätte, jagt Lactantius, ein Verehrer des wahren Gottes fein 
lnnen; hätte er einen Führer zur wahren Weisheit gefunden, 
Be“ er jeine heidnijchen Lehrer verachtet haben. Auguſtinus, 
der jeine freiheit vom Wahnglauben der Heiden ausdrüdlich 
für eine Wirkung der Philofophie erklärt, meint, er habe bie 
Chriſten niemals erwähnt, um jie nicht loben ober tadeln zu 
müfjen; das er wäre gegen bie alte römijche Sitte, das andere 
vielleicht gegen feine Überzeugung gewejen. Höchitens ber lettere 
die ee angenommen, dab Seneca’3 Anjichten 
irgendwie durch chriſtliche Einflüſſe beftimmt geweſen jeien. Doch 
fonnte es nicht ausbleiben, daß bei den Chriften fich allmählich 
dieſe Vorjtellung bejeftigte, und da die zweijährige Anmwejenheit 
des Apoftels Paulus in Rom in Seneca's legte Jahre, jedenfalls 
in die Zeit vor jeinem Tode, fiel, lag es nahe, Beziehungen 
zwiſchen beiden vorauszufegen, zumal da Seneca’s Bruder, der 
Brofonful Junius Gallio, der den von den Juden in Korinth 
vor jein Tribunal geführten Apoftel freigeiprochen hatte, ihn auf 
dieſen interefjanten Orientalen aufmerfjam gemacht haben konnte. 
Das Zujammentreffen diejer Momente war mehr als hinreichend, 
um eine jener literarischen Fälſchungen zu veranlafjen, Die auch 
die Ehriften im Jutereſſe ihres Glaubens für erlaubt hielten: 
die Erdichtung eines Briefwechjels zwijchen dem Apoſtel und 
dem Philofophen, den bereits der hl. Hieronymus kannte. Daß 
die Tradition, Seneca jei von Paulus befehrt worden, in chrift- 
lichen Sreijen bejtand und wert gehalten wurde, darf man aud) 
— 1867 in Oſtia entdedten Grabſchrift aus dem Ende 
. oder Anfang des 4. Jahrhunderts jchliegen, die ein 
ae Paulus feinem Sohne M. Annäus Paulus Petrus 
bat. Beide gehörten allem Anſchein nach einer Familie 
an, die ihren Urfprung oder doch ihren Namen auf die Annäus 


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Er 








Der Philoſoph Seneca. E51 


biftorifchen Kern, den man auch in der fagenhafteften Überliefe- 
zung vorausfeht, durch ein ganz willfürliches Verfahren aus ber 


‚hier als Grundbedingung 

dort leicht als mahloje oder gar böswillige Zweifelfucht, und 
wenn fie durch Jahrhunderte fortgepflanzte, Unzähligen theuer 
gewordene Borftellungen antaftet, als herzlos und glaubeng- 
feindlich. Ein franzöfifcher Gelehrter, der über die Beziehungen 
Seneca's zum Apojtel Paulus ein zweibändiges Werk gejchrieben 
‚hat?), U. Sleuch, jagt, zur Bezweiflung derſelben habe die Refor- 





„ein großer Feind der Traditionen“) durchaus nicht daran glauben. 
Der Bweifel an Seneca’s „Haldehriftentyum* (Quasi-christia- 


. religiöfen geborene fiterarijche Proteftantismus habe es leicht ger 
‚habt, die Umechtheit des Briefwechſels zwiſchen Seneca und 
Paulus zu erweifen. Aber die jfeptiichen und farkaftiichen Ab— 
leugnungen, deren letztes Organ in gewiffem Sinne Voltaire fei, 
haben dennoch die Tradition nicht erſchüttern können, und fie 
gewinnen wieder Glauben bei den aufgeklärten und von Partei— 
Tichkeit freien Geiftern. Fleury's Methode ift die oben beichriebene. 
Die Freundicaft Seneca's und des Apoftels wird im einer dem | 
bl. Linus (dem angeblichen Nachfolger Petri auf dem päpftlichen 
Stuhl) zugejchriebenen Pajfion des Apoftels bezeugt. Zwar ſtammt 
Dies Machwerf aus einer Zeit der tiefjten Barbarei, aber der 
‚Berfaffer werde die Originaljchrift des hi. Linus benugt und 
feine Achtung vor einem Papft, einem Heiligen, ihn von weſent⸗ 

Änderungen derjelben zurücgehalten haben, Seneca's 

, ber Eynifer Demetrius, war wahrjcheinfich ein Chrift; 

‚denn die Benennungen Cyniker und Chriſt werden nach Fleury 

von den Autoren der Saijerzeit fait als ſynonyme gebraucht. 


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Amedsés Fleury, St. Paul et Sendque. 1858, 
Hiltoriiche Beitichrift (Bd. 85) R. Mr, Bb. XLIX 16 


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Der Philoſoph Seneca. 43 


ein Wiffen ohne Tugend wie eine Tugend ohne Wiffen, und in dem- 
jelben ‚Sinne definirten die Stoifer die Tugend als Wiſſenſchaft, 


Tugend und mit ihr die Glückſeligkeit ſchon in dieſem Leben er- 
reichbar; durch fie vermochte der Menjc dem Göttlichen in feiner 
Natur deren miebere Triebe zu unterwerfen. Denn daß feine 
Natur von Grund aus böfe, daß die Sünde ihr angeboren jei, 
davon wußte das Heidenthum nichts und fannte deshalb aud) 
nicht das Bedürfnis einer Erlöfung durch übernatürliche Gnade. 


für jene Gebuld, die dem, ber die eine Backe jchlägt, die andere 


Auch die Hoffnung auf ein anderes Leben hatte für bie 
heidniſche Welt, ſoweit fie überhaupt gehegt wurde, niemals auch 
nur annähernd Diejelbe Bedeutung wie für bie chriftliche: ſchon 
darum nicht, weil ihr die Gewißheit fehlte, die allein der Offen 
barungsglaube zu geben vermag. Daß das Ehriftenthum bie tiefe 
Sehnſucht nad diefer Gewißheit befriedigte, das hat am meiften 
bazu beigetragen, jenen Sieg zu emtjcheiden. Der antike Une 
fterblichkeitsglaube jtand dem Zweifel und der Leugnung niemals 
jo ſchroff gegenüber als der chriftliche. Für die Chriften war 
der Tod, dem feine Auferjtehung folgt, das unjeligite Los: die 
heidniſche Philoſophie lehrte mit Sokrates, daß der Tod auch 
als ein ewiger Schlaf, fein Übel ſei. Sie überwand ſeine 
Schreden nicht durch die Hoffnung auf eine überirdiſche Selige 
keit, ſondern durch die richtige Erkenntnis des geringen Werths 
Des irdiſchen Daſeins. Das Ziel aller Erkenntnis, jagt Seneca, 
ift, das Leben zu verachten. 

Ebenſo wenig wie den Glauben und bie Hoffnung ber 
Chrijten bejaß das Heidenthum die Liebe, die nad) Goethe's 

16* 


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388 











Der Philoſoph Seneca. 249 


engen Wege ber Augen zu uns drang. Vergleicht man dieſen 
Schluß mit dem Anfang des Briefes, jo kann man fich der Ver: 
muthung nicht erwehren, daß. die Zuverficht, mit der er hier 
fpricht, eine Fünftlich eingerebete war. Im der That erklärt er 
es auch in feinen jpäteften Schriften oft genug als zweifelhait, 
ob es ein anderes Leben gebe, ob die Seelen fortdauern, ob der 
Tod nur ein Übergang ſei oder das Ende. Über fein Wejen 
und feine Wirkung würden wir Gewißheit nur dann erhalten, 
wenn ein Geftorbener wieder auferftanden wäre. Daß Seneca 
diefe Gewißheit immer gefehlt, daß er von feinem Auferftandenen 
gewußt hat, zeigt allein fchon, daß er vom Chriftenthum ganz 
unberührt geblieben ift. 





Dr. Laur. Hann. Fiſcher und die Auflöfung der deutſchen Flotte. 261 


von feinem der ihm angedichteten Flecken gereinigt; fie hat im 
Gegenteil jein Andenfen mur noch mehr gejchädigt, und zwar 
nicht jo jehr durch die Darjtellung der Fiſcher'ſchen Thätigfeit 
als Bundesfommiffar für die Auflöfung der Flotte ſelbſt, als 
durch einen in den Anlagen abgedrudten Brief des Bürger 
meiſters Dr. Smidt in Bremen an den Minifter v. Schele vom 
4. Mai 18531) Briefe von Zeitgenoffen werden immer ein 
werthvolles Hülfsmittel für die Charalteriſtik gejchichtlicher Per- 
fönlichfeiten bleiben. Aber als Quelle find fie doch nur zu ver- 
enden, wenn man nicht allein die Perjönlichkeit des Briefitellers, 
jondern auch die ganzen Umftände, unter denen ber Brief ge 
ſchrieben wurde, einer genauen Betrachtung umterzieht. Dr. Mar 
Bär hat nun in feinem Werk zweimal auf den „jehr intereifanten* 
Brief Smidt's verwiejen und ihm jo jtilljchweigend als einwand- 
freie Quelle hingejtellt, ohne auch nur ein Wort als Kommentar 
hinzuzufügen. Auf die große Maſſe der Leſer mußte der Brief um- 
ſomehr wie eine jenjationelle Enthüllung wirken, als Smidt jelbft 
als angejehene Perjönlichfeit befannt ift, und als jein Schreiben 
durch einige jcheinbar wohlwollende Worte über die Perjönlichteit 


NRundſchau vom Wirklichen Admiralitätsrath Koch veröffentliht worden. 
Seider iſt dieſe Abhandlung, die — obgleich der Herr Verfaſſer „nicht die 
Abficht hatte, eine poſthume Ehrenrettung Fiſcher's vorzunehmen — doch 
in biefem Sinne gewirft hat, auferhalb der Marine nur wenig gelefen 

worben. Auch Heren Dr. Bär fcheint fie unbelannt geblieben zu fein. 
1) &8 heißt im diejem Brief u. a., Fiſcher fei ein gutmüthiger, nichts 
Unrechtes wollender Mann, „ber aber höcjt leichtfinnig ift und von einer 
Auffaffung und Behandlung aller Dinge nicht ſcheiden fann, 
der ſich dabei in der Rolle eine avocat de chose perdue gejällt und 
fih in diejer Rolle durch offene Tapferkeit auszeichnen möchte”. Er wird 
weiterhin gejchildert als ein halbverrüdter Mann, ber jein Vermögen durch 
Spekulationen völlig zerrüttet habe, deſſen Phantafie bergeftalt überjpannt 
geweſen jel, „dab er allenthalben Leite zu finden glaubte, die ihm nach 
dem Leben ttadjteten”, der „wie ein Vagabond“ herumzog und „in der 
größten Mijere und den jaloppejien Umgebungen“ hauſte, mit dem ums 
zugeben gebildete Menſchen Scheu trugen, ben „bei feiner Unſauberkelt, 
en und Händeljucht“ fein Wirth in feinem Haufe dulden wollte, 
ber „fi bei Tiih mehr der Hände ald der Meſſer und Gabel“ bediente, 

als ein Sch...... in die Erjheinung trat u. j. w. 





bis zum Tode forigefepten Briefwedifel zu m 


mr 





freier 
Strafverjegung aufzujafien. 








3. Bu ein 
ot Kia) denn DE. 











m ben Träger jenes Amtes nicht etwa als mit einem 
‚ d08 erhellt wohl am beften aus dem Umftand, dafi 
erlum j. 8. einen bei der Marineabtheilung 
Soffizier als geeignete Perfönlichteit für das 
Bol. Koch a. a. O. ©. 162. 
felbft, er Habe in großer Gemütsbewegung ben 
v. Bismard um Aufſchluß gebeten, worauf biejer 
lonnten Sie denn in Ihrer naiven Taubeneinjalt in 
1 des Herrn b. . . . nur einen Augenblichk deſſen Abficht 
dem Großherzug unheilbar zu ruiniren ?" 
rift (BD. 85) 9. F. Bd. XLIX. 17 













—— 

herzo n Regier 

ohne Sie Ihre perſönl 
Folgen preiszugeben.“ Tro 
Fiſcher am 14. Mai eine — 


—— deſſen außer 
oriums Anlage 6, 








I1* 








dom 
—* een — 
flöſung t men 
u. Bill Jemand einen neuen Antrag i in der 
ng dahin ftellen, ſei es nun Hamburg oder 











Dr. Saur. Harn. Fiſcher und die Auflöfung der deutſchen Flotte, 263 


Bloßer Polizeidienft ift aber Sache der Einzelregierungen, 
id die Beftellung von zwei Wachtichiffen in Wejer und Elbe 
zd die Kräfte der betheiligten Regierungen nicht überfteigen. 

Ein unentgeltliches Überlaffen des Reſtes der Flotte an 
ſterreich und Preußen ift zwar recht patriotifch, ich zweifle aber, 

dafür eine Majorität zu erlangen wäre. Auf feinen Fall, 

wiederhole es, bevor durch den Erfolg der Anfündigung ber 
weis geliefert wäre, daß eine anſtändige Verwerthung wicht zu 
ift, und auf feinen Fall könnte eine ſolcher Antrag von 
oder dem Ausichuffe ausgehen.“ 
Trohz diejer Abweiſung des Grafen Thun glaubte Fiſcher 
auf ſeine Pläne verzichten zu ſollen. Zunächſt brachte 
chlag, betreffend Überlaffung von zwei Wachtſchiffen 
die nl und aller andern Schiffe an die beiden 
toßmächte um den zu erwartenden geringen Preis oder ſelbſt — 
h Unerfennung, daß die maritime Verftärfung dieſer 
iden Mächte im wejentlichen auch die deutſche Wehr- 
aft verjtärfe* — ganz umentgeltlich, diesmal in einem offie 
ıllen Bericht an den Militärausſchuß vom 1. Juli -1852 vor. 
ann bereifte er zur Unterjtügung feines Projefts mehrere Re 


erungen. 

| Be Bremen, weldjes zur Neichsparlamentszeit das Haupte 
Errichtung der Flotte gejtellt hatte, wurde er ſehr 
als ihm die maßgebenden Stimmen fagten, daß dieſer 
für Bremen nicht das mindeſte Anziehende habe. Denn 
K deutjche Flotte jei an ſich für das Bremer Handelsintereife 
nur ganz indifferent, ſondern ſogar gefährdend. Gerade 
& politifche Unwichtigteit der deutjchen Seejtädte und ihre hier— 
natürlich hervorgehende Neutralität ſchütze jie vor den Nach 
welchen andere jeefahrende Nationen bei jeder politiichen 
g unter den größeren Mächten ſich ausgejegt jehen. 
e ganze Idee, die Flotte an Ofterreich und Preußen 
Ken vernichte Bremens einzigftes Intereſſe, 

18 Sofalinterefje'), 


re hierzu das Urteil Bismard’3 über Smidt ©. 276 Anm. 2. 


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er Pring weite die 
enden Eiife erbige me 
em neu zu bildenden Nordfeegejfi 


nirter Stellung verblieben. Soda. 
2) Kol. — © nf 0.0. 





ke 
zu machen geſucht. „Die Idee (Überlaffung 
















Dr. Saur. Hann. Fiſcher und die Aufldjung der deutſchen Flotte. 267 


Bern — — bez. Schreiben die Äußerung des 
ein ungegründetes Armuthszeugnis, welches er jeinem 
orps ausgejtellt habe. 
Im Sranfjurt ftellte man jic bei dieſem Streit ganz auf 
Seite des populären Womirals. Graf Thun jandte an 
ugleich mit einem officiellen Schreiben am 22. Juli 1852 
Privatbrief, in weldem er ausbrüdt, wie peinlich es ihm 
n jei, Fiſcher im einem officiellen Erlaß völlig Unrecht 
zu müfjen. Weiter heißt es in diefem Brief: „Mögen 
immer ffir da fein, bie binlänglich englijch und franzbſiſch 
‚ um die Bejchreibungen in diefen Sprachen aufzujegen — 
ee da ja leider fajt lauter Ausländer das Offizier⸗ 
der Nordfeeflotte bilden —, jo war es leicht zu erraten, 
Contreadmiral Brommy andere Gründe habe, die er aus 
nem wohlverjtandenen Taftgefühl nicht angeben wollte. Wäre 
Kan nicht denkbar, daß dieje Herren der deutjchen 
prache nicht gewadfen genug find, um eine Über: 
egung aus derjelben zu machen? Wäre es aber nicht 
in größeres Armuthszeugnis für die Kapazität diejer Herren ges 
vejen, wenn der Oberlommandant der deutſchen Marine offen 
ae hätte, die Offiziere der deutihen Marine 
nicht genug deutjch, um dieje Überjegung zu machen?“ 
beduürfte zweifellos eines großen Wohlwollens, um dieſe 
9 Brommy’s für eine überzeugende zu halten, 
gibt Graf Thun dem Bundesfommifjer, wenn aud) 
sr Necht bei deſſen Behauptung, es fehle 
Brommy an dem guten Willen, ihm bei dem Auflöfungsgeichäft 
u unterjlügen. Denn in dem gleichen Briefe jagt er, man 
abe in Frankfurt vieljeitig in Anregung gebracht, wan folle 
commy das ganze Auflöjungsgejchäft übergeben; man jei aber 
ter andern Gründen deswegen darauf nicht eingegangen, weil 
han fürchtete, „er fönne gerade durch jeine Vorliebe für die 
Marine und den natürlichen Wunjch, den mit Liebe und vielen 
Mühen zu Stande gebrachten Anfang der Nordierflotte zu er- 
halten, ſich verleiten lafjen, die der Auflöjung der Flotte 
hnedies jhon im Wege jtehenden Schwierigkeiten 































































Dr, Zaur. Hann. Fiſcher und die Auflöjung der deutſchen Flotte. 269 


die baldmöglichite Auflöjung der Flotte und Verwerthung ders 
jelben erjtrect. Allerdings habe ich Sie perfönlich erſucht, 
auch das Perjonalverhältnis der Offiziere, Mann 
ichaften ıc. im Auge zu behalten, dahin zu wirfen, daß 
feine faliche Aufjafjung und Mipjtimmung darüber entjtehe, 
und mir Ihre Ansicht über die Löſung dieſer kitzlichen und 
ichwierigen Frage nad ben Nechts- und Billigkeitsgrundfägen 
mitzutheilen: das war aber mehr ein vertraulicher Auftrag, und 
ich glaube, Sie werden befjer tun, dieje Sachen, die nicht ftreng 
genommen in das Auflöfungsgeichäft gehören, in vertrauliche 
Schreiben an mich, nicht in Berichte zufammenzufaffen; denn 
dieſe gehen zur Begutachtung an die Marincabteilung und geben 
da zu Streitigkeiten Anlaß.“ Alſo nicht Wichtigthuerei war es, 
die den Bundesfommifjar veranlaßte, ſich mit den Perſonal— 
verhältuiffen zu befafjen, jondern die direfte, wenn auch nicht 
officielle Aufforderung des Präfidialgejandten. Daß aber die 
Thãtigleit Fijcher’s, insbejondere jeine Bemühungen zur Erhaltung 
der Flotte, auch ſonſt nicht ala Wichtigthuerei aufgefaßt wurde, 
das geht ſchon aus der Thatſache hervor, daß feine Br 
vielfach — bejonders in Berlin — Gegenſtand ernftejter Ere 
mwägungen waren. 

Übrigens drüct Graf Thum am Tage nad) jeinem Rücktritt 
vom Poften als Präfidialgefandter am 19. November 1852 bei 
Der diesbezüglichen Benachrichtigung Fiſcher's diefem feinen wärmſten 
Danf aus „für ben regen Eifer und die Umſicht, die Sie in 
Shrer jegigen Stellung an den Tag gelegt haben“, und Graf 
Thun's Nachſolger, Protejh-Dften, jchreibt am 12, April 1855 
in einem eigenhändigen Brief an Fiſcher: „Daß einen Augiasftall 
auszufehren, feine leichte Aufgabe jei, wußten jchon die Alten. 
Wir vertrauen ganz und gar in Ihre Geduld und umfichtige 
Tchätigfeit.* 


So groß, wie Bär behauptet, fann danach die „allgemeine 
Unzufriedenheit“ mit Fiſcher doch nicht gewejen fein. Bebentjam 
iſt in dieſer Beziehung auch ein eigenhändiger Brief Bismard’s 
an Hannibal Fiicher vom 17, November 1852, welcher nicht nur 
wegen der Perjönlichkeit des Verfafjers Intereffe erregen dürfte. 


Bw 














Dr. Laut. Hann. Fiſcher und die Auflöfung der deutfchen Flotte. 273 


ihm täglich kündigen könnte und daß jedes Zujammentreffen mit 
feinen gewöhnlichen Gäften vermieden würde). Vor ber Miß— 
handlung ſeitens betrunfener Seeleute wurde er einmal nur durch 
die Dazwiſchenkunft feines Hauswirths geſchützt. Selbft die 
Behörden juchten etwas darin, dem Repräjentanten des Bundes: 
tags die ſchuldige Achtung zu verjagen. Bei einer gerichtlichen 
Berhandlung in einer Bundesfommifjariatsangelegenheit wies 
wan Fiſcher in das Öerichtsvorzimmer als Wartezimmer, in 
welchem alle Bänfe mit einer fehr gemiſchten Geſellſchaft von 
Matrofen, Handwerksburjchen und dergl. bejegt waren ?). 

Troß aller der gejchilderten dienftlichen und außerdienitlichen 
Widrigkeiten verjchmähte es Fiicher, jein Amt vor Erledigung 
der Geſchäfte nieberzulegen. Eine vorzeitige Demijjion wäre 
ihm als Fahnenflucht erjchienen. Aber ſehnlichſt wünjchte er die 

Beendigung des Kommifforiums, das er anfangs jo freudig be— 
grüßt hatte, herbei. Immerhin zogen jich die Verhandlungen 
wegen des Verfaufs der Schiffe noch bis in den März des 
DIahres 1853 hin. Den Bemühungen Fiſcher's war es in erſter 
Linie zu danken, daß eine eigentliche Verſteigerung nur bei einem 
geringen Bruchtheil der Schiffe erforderlich wurde: Am 1. April 
en dann die Aujlöjung der Marinebehörden und die Entlafjung 

ber jämmtlichen unteren Beamten jtatt. 

Am 28. Mai 1853 erftattete Fifcher feinen Schluhbericht, 
welcher folgendermaßen endigt: „Glaube ich nach Maßgabe dieſer 
Darftellung die Nachweiſung nicht ſchuldig geblieben zu fein, 
Daß mich perfönliches Mißbehagen nicht abgehalten hat, die mir 
mit einem jo ehrenvollen Vertrauen übertragenen Gejchäjte voll- 
ftändig zu Ende geführt zu Haben, jo darf ich mich wohl der 
Hoffnung bingeben, meiner unverweilten Abbernfung in den 


2) Diefe Verhältniffe bilden den thatſächlichen Hintergrund der auf 
©. 351 Unm. 1 erwähnten Schilderung des Smidt'ſchen Briefes, 

2) Darauf bezieht fih wohl die Stelle im Smidt'ſchen Briefe: „Durch 
fein Renommiren (!) Hat er fich im allerlei Injurienhändel verftridt und 
‚allerlei Klagen bei dem Amt eingeleitet. Statt ſchriftlich oder durch einen 
Mopofaten feine Sache zu verhandeln, ijt er in der Amtsitube erjchienen, 
mitten unter anberm Krepule“ (sic), Smidt bei Bär a. a. O. ©. 827, 


Hiftoriiche Heiticheiit (Bd. 86) N. W. Bd. XLIX, 18 


— 


F dnete Dißpoftion Die 
| zu bringen, Um ſchwerſten war 
‚Senat jo ſchwer zu bewegen war, von ber’ 
fih zu überzeugen und wirtfam dagegen einzu 





Dr. Laur. Hann. friiher und die Auflöjung ber beutichen Flotte. 2756 


Der Bürgermeijter Smidt that nichts, um die ungejeliche Maß— 
nahme aufzuheben, Daraufhin berichtete Fiſcher nach Frankfurt, 
wo man natürlich auf das höchjte entrüftet war über die eigen- 
artige Selbſthülfe der Bremer. Der Präfidialgefandte, v. Brofefch- 
Dften, jandte am 27. April 1853 einen eigenhändigen Brief an 
Fiſcher, worin es heit: „Wenn die Demokraten die Abficht 
hatten, dem Bunde einen recht empfindlichen Nabelftich zu geben, 
jo haben fie ganz richtig gerechnet. Sie fpannen vor ihre 
Inſolenz das revolutionäre Princip der judieiären Allmacht und 
fönnen gewiß jein, alle Demofraten aus der weitverbreiteten 
Kaſſeler Schule und gar manche Regierung für ſich zu haben, 
Ohne Bundesbeichluß kann feine Erefution verhängt werden; zu 
einem Bunbesbejchluß gehört eine Abftimmung, und find Eier 
Hochwohlgeboren jo gewiß, daß Hannover nicht jelbjt in büreau— 
tratiſcher Anficht befangen it? Hier höre ich manche Zweifel 
darüber. Es gibt aber eine andere Seite, die bon dem Bremer 
Senat nicht ganz überſehen werden ſollte. Wenn er es nicht 
der Mühe werth findet, für den Bund die ſchuldige Nüdficht 
zu nehmen, jo wird der Bund doc) zufegt im feiner entjcheidenden 
Mehrheit die Mafregeln beantragen, die ihm dieſe Rückſicht ver- 
ſchaffen, und die djterreichiiche Stimme wird dem jchärfiten 
Untrage ebenjowenig als die preußifche fehlen. Es fönnen 
ſich da Komplikationen herausitellen, vor denen ich wohlwollend 
warnen fann, aber die ich fejt entichloffen bin, nicht zu hindern, 
Sagen Sie bad Herrn Bürgermeifter Smidt; er ift ein kluger 
Mann und fann meine wohlwollende Abficht nicht verfennen, 
Der Bund iſt ohme Gericht, aber eine Forderung durch den 
Bremijchen Gejandten beim Bunde eingebracht, läuft nicht Ge 
fahr, ohne weiteres bejeitigt zu werben. 

Schon der Gejchäftsgang, der fie an einen Ausſchuß ver- 
weilt, jteht dagegen. Wollte man die Beichlagnahme von Bundes: 
eigenthum zugeben, wohin mühte das führen? Würden nicht 
Regierungen dasjelbe Recht wie Private anſprechen können und 
für jede Liquidationsforderung jich durch irgend ein Gericht 
eines Pfandes zu verfichern bejtrebt fein können, fo daß der 
Sund zulet gar feines Eigenthums, das doc, Eigenthum aller 

18° 


4 





eiblic, wie man Blen auf ben voten EHE me 
aglih dat die Bunbesperfammlung ein 
em Falle bem Ausfprud eines Ge— 
desjtants fombromijjfarifh unters 

er ns ‚Heidelberg und Leipzig 1855). 

v. Profefch-Often’s hervor, daß 

ven dab, a nicht nur das Recht der Klage 
4 das der Beichlagnahme von Bundeseigenthum 

len — aber das Verhalten des Blrgermeifters 
— trof feiner Eigenſchaft als Bundestagegefandter — 
tellung d Bundes in Vermögensfragen nicht unter 
doch auch eim eigenartiger Fall, daß jemand (hier 











Dr. Laur. Hann. Fiſcher und die Auflbſung der deutfhen Flotte. 279 


it, Fiſcher in ein unfreundfices Licht zu jegen, in gehäffiger 
Weiſe für jeine Zwecke verwendet. Wir meinen die ungünſtigen 
Bermögensverhältniffe, in weichen ſich Fiſcher damals befand. 
Deren Urjache war folgende: 

Sifdher Hatte im Jahre 1833 ein Gut in der Nähe von 
Birkenfeld gekauft. Da jein eigenes Vermögen für den Ankauf 
nicht ausreihte, jo hatte er aus einem Oldenburger Fonds 
5000 Thlr. unter perjönlicer Nüdbürgichaft des Großherzogs 
und fpäter, behufs weiterer Ansgeftaktung, noch 10000 Guiden 
von privater Seite entlichen. Da die Negierungsgejchäfte ihm 
nicht die Zeit liegen, das Gut ſelbſt zu bewirthichaften, und 
nachdem er mehrfach Unglüd in der Wahl feiner Verwalter 
gehabt hatte, er ſich Fiiher im Jahre 1846, das Gut an 
einen Herrn v. Th..... für den, im Verhältnis zu der für das 
Gut en Summe jehr geringen Preis von 25 000 Thalern 
zu verfaujen. Bald nachher wurde der Käufer zahlungsunfähig. 
Es entitand ein acht Jahre mwährender Prozeß. Während dieſer 
Sahre ſtand das Gut unter Sequeiter, und Fiſcher erhielt feinen 
Biennig Zinfen, er felbjt aber mußte die Zinjen für das ent- 
liehene Kapital bezahlen. Schließlich blieb Fifcher nichts übrig, 
als das Gut dur) einen Vergleich einfach wieder zurüdzunehmen?). 
Dazu fam, dab das Einkommen Fiſcher's ſich im Jahre 1848 
plöglic; von 2500 Thalern mebft freier Wohnung auf 1500 Thaler 
vermindert hatte. So entitanden die von Smidt berührten finan- 
ziellen Bedrängnifje. Fischer Hat ſehr unter ihnen gelitten. „Die 
größte Sorge macht mir der Hof“ (gemeint ift das Gut, Fiſcher⸗ 
‚Hof genannt); von dem Ausgang diefer Tag und Nacht meine 
Seelenruhe zerftörenden Sache hängt mein Leben ab", klagt er 
am 15, Oftober 1854 jeinem Sohne. Am 1. Mai 1855?) ſchreibt 
er: „Wären nicht die jchweren Privatjorgen, die auf mir wie 
ein drüdender Alp lajten, jo wollte ich die öffentlichen fchon 
‚bewältigen, objchon meine Lage beijpiellos ift: Einer gegen Alle.“ 


2) Das Gut, Fiſcherhof, fand fpäter einen Käufer in der Perſon des 


Herzogs von Arenberg. 
*) Slider war inzwiſchen Kabinetsminijter in Lippe⸗Detmold 


Mi 











Dr. Sour. Hann. Fiſcher und die Auflöfung der beutfchen Flotte. 281 


Es iſt begreiflich, daß dadurch im Sande eine große Mih- 
ftimmung erzeugt wurde, obgleich man ſonſt wenig Urjache Hatte, 
mit der Regierung an jich unzufrieden zu jein. Cs erhoben fid) 
bald auch außerhalb des Landes einflukreiche Stimmen, welche 
dem Furſten vieten, einzulenken ). Um 17. Zuli 1855 ſandte der 
Teßtere aus Frankfurt a. M. ein Schreiben, welches dem Stabinets= 
minijter die Dienftentlaffung anzeigte?). 

Fiſcher verbrachte die folgenden Jahre in Halle, München, 
Freiburg und zulegt in Rödelheim, wo am 8. Auguft 1868 der 
Tod jeinem vielbewegten Leben ein Ziel ſetzte — 

Die Thatfache, daß die Smidt-Bär'iche Schilderung Fiſcher's 
und jeiner Thätigfeit jo wenig beanjtandet worden ift, läßt ſich 
mur aus ber überaus großen Unpopularität Fiſcher's erklären. 

Wir haben gejehen, wie Fijcher den erften Grund zu diefer 
Unpopularität nicht jowohl durch jein Wirken in öffentlichen 
Antern, als als vielmehr durch die publiciftifche Bethätigung feiner 


9 BIER: — Poſchinger, Preußen am Bundestag, 1. Theil, 

2 Br a — war Fiſcher gelegentlich eines in Coburg * 
Beſuches auf Befehl des Herzogs Ernſt IL. wegen Majeftäts- 
Be begangen durch feine 1851 dem Bundestag eingereichte Be— 
ſchwerdeſchrift (. ©. 356 Unm. 1), verhaftet, am nächſten Tage aber gegen 
Kaution wieder entlaffen worden. Bon der Königsberger Juriftenfakultät 
wurde diſcher fpäter wegen jenes Vergehens mit drei Monaten Gefängnis 
beftraft, von dem Appellationsgericht in Breslau indeſſen freigeiprochen. Jene 
Verhaftung Fiſcher's hatte begreifliherweije großes und allgemeines Aufs 
jehen erregt, doch ftand fie in feinem direften Zuſammenhang mit jeiner 
Berabjhiedung ald Kabinetsminifter. Fürſt Leopold hatte feinem Mintfter 
nad, deſſen Rüdlehr aus Coburg unzweidentige Beweije feines Wohlwollens 
gegeben und ihm, als er ſelbſt nach Frankfurt a. M. abreifte, ausgedehnte 
hen gegeben. In Frankfurt ſcheint man den Fürſten dann von 

ber Nothwendiglelt überzeugt zu baben, einen Wechſel in der Perfon 
feines Minifterd eintreten zu laſſen. Um 28. Juli jchreibt der Fürſt in 
jeiner Antwort auf ein die näheren Gründe feiner Entlafjung erbittendes 
Shreiben Fiſcher's: „Bon Ungnade ift durchaus feine Rede, auch liegt 
weber Berläumbung noch Beſchuldigung gegen Sie vor — «8 foll nur ein 
Bechjel der Perjon jlattfinden, der mir aus höheren Rüchſichten bei den 
‚geipannten Berhältnifjen im Lande und bei Ihrem vorgerüdten Alter nothe 
wendig erfhien.“ 


Uli 


Bi 














Dr, Saur. Hann. Fiſcher und die Auflöjung der deutiden Flotte. 283 


als ſolcher nicht ungern fehen fonnte. Fiſcher war alt geworden 
in ben Ideen Metternich's und der Nejtauration. Wie wenige 
gab es unter den Staatsmännern jener Tage, die ſich loszumachen 
verftanden von den Banden jener veralteten Vorftellungen. Der 
Geiſt eines Bismard gehörte dazu, jolche Feſſeln zu fprengen 
und ſich durchzuringen zur Erfenntnis der Bebürfniffe feiner 
Zeit?). Nur Unbeil, meinte Fiſcher, konnte aufgehen aus ber 
Saat der Revolution, und che der neue Samen ausgeſtreut 
werden fonnte, mußte folches Unkraut ausgerottet werden mit 
allen jeinen Wurzeln. Er vertrat eine finfende, ihm unerjeglic) 
—— Welt, und er vertrat fie mit unbeugſamer Energie 

und eiferner Konſequenz unbefimmert um die Gunft der Menge 
und um bie oft peinlichen Folgen für fein perjönliches Wohl- 
ergehen, die ein jolches Vorgehen mit fich brachte, — Er bejaß ein 
onerfanntes organijatorijches Talent und war von unermübdlicher 
Arbeitskraft und Arbeitsfreudigfeit. Seinem Schaffen und Wirken 
in den verjchiedenartigen Stellungen, welche er vor der Revolution 


u) Ben gehörte übrigens bis an fein Ende zu den aufrichtigften 
(berern des ſtaatsmänniſchen Genies Bismarck's. So entnehmen wir 
einem Briefe Fiſcher's vom 12. Mai 1863 am feinen Sohn folgende Stelle: 
„Die Idee, nad) Preußen überzufiedeln, provocierte bei mir grade ber 
Umftand, den Du ald Anhänger des vulgärspolitiihen Glaubens einen 
troſtloſen nennt, id) aber als die Morgenröthe des Wölferheils begrüße. 
IH als politiiher Korangläubiger bete: ‚Es iſt nur ein wahrer König, 
Bilhelm, und Bismard ift fein Prophet“... Und das fchrieb 
Diſcher zu einer Zeit, in der Bismard wohl der meiſtgehaßte Mann in 
ganz Deutſchland war, und obwohl er der Überzeugung lebte, daß Bismard 
die Veranlafjung feines Sturzes in Lippe-Detmold geweſen war. Bol. 
auch den bei Horſt-Kohl, Bismarck-Jahrbuch V, Leipzig 1898, ©. 18 f. 
" abgedrudien Brief Fiſcher's dom 17. Juni 1847 an den preußiſchen Abe 
geordneten v. Bismard. — Die Kinder Fiſcher's theilten, wie aud aus 
den angeführten Zeilen hervorgeht, vielfach nicht die politischen Anfichten 
ihres Vaters. Diefer Gegenjap hat aber auf die perfünlihen Familien 
Beziehungen feinerlei jlörenden Einfluß gehabt. In der Familie Fiſcher's 
wird feiner jiet3S mit der größten Verehrung und Danlbarfeit gedacht. 
Denn Smidt in dem erwähnten Briefe an Schele fagt, gelegentlich der 
„Berjagung“ Fiicher'8 aus Birkenfeld hätten fich die Fiſcher'ſchen Söhne 
zur Öegenpartei gehalten, jo widerſpricht auch dieje Behauptung durchaus 
— Thatſachen. 


u 

















5 Anlage 2. 

herzosl. fächfiich-hildburghanfifchen Candſchaft. 
haben wir aus Ihrem Schreiben vom 2. dieſes Monats 
entſchloſſen find, uns zu verlafien. Indem wir Ihnen 
mg von Ihren landſchaftlichen Stellen hiermit ertheilen, 
an, Ihnen zu bezeugen, daf Sie ſtets auf eine höchſt 
ausgezeichnete Weije Sich Ihrer Dienſtpflichten ent- 


‚an Ihren Fleiß und Ihren Eifer im Dienft wird ſich 
| In den Segmungen ber Heilfamen Inſtitutlonen, die 










wiſſen 
gefäßt ganz wieder hergeftellt; diefeß Unmwohlfein 


—— 


9) And) ein Zeichen ber damaligen Zeit! 





Dr. Saur. Hann Fiſcher und die Auflöfung der deutſchen Flotte, 287 


abgehalten, Ihre Zufchriften zu beantworten, denn an Arbeit fehlt es nicht 
nn unſern bewegten Zeiten, wo jo mandje vergebliche Arbeit gemacht wird, 
Habe aufrichtig bedauert, daß für den Augenblid die Verwendung 
Shrer Perjon eine Unmöglichteit geworden ift; ein Schidjal, das Sie 
aber mit vielen ehrenwertfen Männern theilen, denn in unferer Zeit der 
Melmungsdespotie und der Volksjouverainität ift mehr denn je, der augens 
bidfiche Stand der Meinung bie Autorität, bie entjcheidet, und den Regie— 
tungen, der Meinung der Menge nad, wenigftens in dem füdliden 
Teutfchland nur no connivendo da find, das Geſeß macht. Ob und wie 
fih geftalten wird, das weiß Gott allein. Ich jehe ſchwarz 


das Ganze 
Sehe ſchwarz, und vermag weder beftimmt die Entwidelung vorher zu jagen 


noch zu ahnen, und fann demnach feine Verfprehungen geben; aber id) 
ergreife gern dieſe Gelegenheit, Ihnen meine Anerkennung mit Ihren mir 


Ueberzeugung, daß Ihre Anfiht die richtige jet, gehandelt 
haben, und daß wenn Sie auch bin und wieder geirrt 
Haben mögen, jo waren Sie gewih immer burddrungen 
von der Ridtigleit der Anſicht, die Sie vertbeibdigten, 
und wenn Sie vielleiht bisweilen dieje Anſichten nicht 
mit der Vorſicht vertraten, bie die Politit rietb und 
Ihr eigenes Intereſſe rathſam machte, jo mußte dieh die 
Achtung eher vermehren, die jeder dem redtlihen Manne 
zollen muß, der jeine Meinung nit irgend einer Gunſt 
aufzuopfern verſteht. Die Neberzeugung, jeiner Pflicht 
unb jeiner Beftimmung gelebt Haben zu wollen, muß Uns 
alle in diejer bewegten Beit aufredt halten, und wenn 
uns aud dbie@egenwart die Anertennung verjagt, jo wird 
gewiß eine Zeit fommen, bie Gerechtigkeit übt, und das 
Andenken derer ſegnen wird, die das allgemeine Wohl zu 
bejörbern juhten, und denen es gelungen ift, das Wohl 
bes gemeinfamen Baterlandes zu befördern. Ich hoffe bald 
beſſere Nachrichten über Ihren Gejundheitszuftand zu erfahren und wieders 
Hole Ihnen die Berfiherung meiner bejonderen Hochachtung und Zu— 
neigung. 
(gez) Auguſt. 





Anlage 5. 


Bandfchreiben des Großherzogs. 
d. d. Maftede, den 29. Juni 1849, 


Mein lieber Geheimer Staatsrath Filher! Mit vielem Dante fende 
34 Ihnen das Mir mitgetheilte Billet des Generals von R. Hieneben 








Unlage 6. 
Kabinetsfchreiben Sr, Majeftät des 





Dr. Laur. Hann. Fiſcher und die!Auflöfung der deutſchen Flotte 289 


Ihrem Schreiben vom 28. Februar d. J. empfangenen Schrift, für deren 
Bumendung Ich Ihnen verbindlich danke, gern Veranlaſſung, Ihnen durch 
Berleifung Meines rothen Adler⸗-Ordens 2. Klaſſe, defien Infignien Ihnen 
Mein Minifter der auswärtigen Angelegenheiten überfchiden wird, ein 
Beichen des Wohlwollend zu geben, weldes Sie in Ihrer früheren 
fegensreihen Wirkſamkeit zu erringen gewußt haben. Ich verbleibe 
des Herrn Geheimen Staatsraths 


Wohlgeneigter 
(gez.) Friedrich Wilhelm. 


Oiſteriſche Zeitſchrift (Sd. 85) N. F. Vd. XLIX. 19 





Anlage 6. 
Kabinetsſchreiben Sr. Majeflät des 





Dr. Laur. Hann. Fiſcher und die? Auflöſung der deutfchen Flotte. 289 


Ihrem Schreiben vom 28. Februar d. J. empfangenen Schrift, für deren 
BZumenbung Ih Ihnen verbindlich danke, gern Beranlafjung, Ihnen dur 
Verleigung Meines rothen AdlerOrdens 2. Klaſſe, deſſen Infignien Ihnen 
Mein Minifter der auswärtigen Angelegenheiten überfchiden wird, ein 
Zeichen des Wohlwollend zu geben, welches Sie in Ihrer früheren 
fegensreihen Wirffamfeit zu erringen gewußt Gaben. Ich verbleibe 
des Herrn Geheimen Staatsraths 


Wohlgeneigter 


(gez.) Friedrich Wilhelm. 


Hiftertice Beitichrift (Bd. 85) N. F. Bd. XLIX. 19 





— 


Pater P. Laymann S. J. und die Hexenproceſſe. 201 


ne Vermuthung durch ein älteres Zeugnis zu beſtärken, das den 
erren Duhr und Riezler unbekannt zu fein ſcheint, denn feiner er 
ühnt es. Ich leſe bei Joſeph Hartzheim S. J. in feiner befannten 
ibliotheca Coloniensis 1747, ©. 182, folgendes; 

»JOANNES JORDANAEUS 1610. ı. Novembr. in 
rieoronato Gymnasio admittitur ad Examen Baccalaureatus, 
ostmodum sacrosanctae Theologiae Doctor, Collegiatarım 
eclesiarum Ss. Cassii et Florentii Bonnensis, et B. M. Res- 
ınsis ac Parochialis sancti Remigii Bonnae Canonicus et 
astor. Edidit 

Disputationem brevem et categoricam de proba stigmatica, .... 

Processus juridieus contra sagas et veneficas, das ist, ein recht- 
it gutem Fleiss und gründlicher Probation und Bewei[s durch 
\ Paulum Layman 5. J. Theol. et JC. Doctorem in Lateinischer 
prach geschrieben, jez! von Gerichtshälteren und guter Justitz 
tefreundten sum Besten verteutschet, mit bewährten Historien ver- 
\ehret, tacilo nomine a D. Doctore Jordanaeo Oanonico 
t Parocho Bonnensi, jussw serenissimi Prineipis Archi- 
!piscopi.i) in 4o gedruckt zu Cöllen bey Peter Metternich 
p. 91. 1629,« 

Damit ift vielleicht ein Fingerzeig gegeben für das Auffinden 
er etwaigen Beziehungen des Paters Laymann zu jener angeblichen 
huchhändler-Spekulation, die bei feinen Lebzeiten an zwei Orten 
Köln und Aſchaffenburg) erjchien und gegen die während der nod) 
Hgenden ſechs Jahre feines Lebens feine Korrektur und kein Protejt 
on ihm laut wurde. Seine Vertheidiger haben wenigitens nichts 
erart beigebradjt. 

Iſt die Angabe von Harkheim zutreffend, jo war ein Kirchen— 
irſt der Urheber des neuen Herenhammers und ein Canonicus und 
Seelenhixte fein Schmied. Das erinnert mid an eine Stelle bei 
Jaul Maria Baumgarten, dem päpftlihen Kammerheren, die in den 
franffurter „zeitgemäßen Broſchüren“ 1883, 5, 144 über die Hexen— 
tocejje jteht. Sie lautet: 

„Mit Beihämung müfjen wir gejtehen, daß die Hierarchie des 
uögehenben Mittelalter8 wie in anderer Beziehung, jo auch in dieſer 





2) Der Sperrbrud ift von mir, 
19° 





_®) Zu vergleidien Jofeph danſen, 3 
7m — 

















Genealogie. 295 


Ob das mit Recht aud) von der Gejchichte anderer Länder behauptet 
werden Tann, ericeint doch wohl zweifelhaft. Zufällig liegt auf 
meinem Tiſche, indem ich dies ſchreibe, Balzer's Genealogie der Piaſten, 
— bon dem ich überzeugt bin, daß der Bf. feine freude daran 
wenn e3 ihm zugänglich wäre, Ebenfo hat bie italies 
— und die engliſche Geſchichtsliteratur manche Leiſtung im Sinne 
der erhobenen Forderungen aufzuweiſen. Aber dieſe Betrachtung des 
BVerhältniffes der Genealogie zu den verwandten Wiffenfchajten mündet 
in er. Unterfuchung über den hiftorifchen Fortſchritt aus, welche eine 
der wichtigiten und interefjanteften Fragen vom Begriff und der Bes 
wegung der Menjchheit enthält, und in welcher die Stellung bes Bi. 
mohl am meiften Widerjpruch erfahren dürfte, denn fie it durch den 
ſchroffen Widerſpruch gegen die aus Bequemlichkeit, Sentimentalität, 
Optimismus, Nachahmung des religiöfen Dogmas, und jchmeichelnder 
Slufion hervorgegangene Theorie bezeichnet, die mit ihrer Prognofe 
eines dereinjtigen irdifchen Paradiejes ebenfo populär ift, als das 
religiöfe Dogma mit feinem Hinweis auf das jenfeitige. Soviel wie 
im Sinne der Uuswidelung der menſchlichen Fähigkeiten der Lehre 
vom hiſtoriſchen Fortſchritt vom Bf. zugejtanden wird, bietet nach ihm 
aber grade das Feld dar, auf welchem von der Genealogie vornehmlich 
enticheidende Aufichlüffe zu erwarten find, 

Weniger dialektifch it der Vortrag in der Abtheilung der for 
genannten Probleme, infofern hier mehr mit Thatfachen ans der durch 
das Lehrgebäude gellärten Genealogie und folchen aus den einzelnen 
Bmweigen der Biologie operirt wird, Die beinahe ftürmifchen Ge— 
Dantenläufe des Wi. find hier überaus intereffant und feſſelnd. In 
den allerwichtigiten Fragen der Biologie wird hier am Beifpielen der 
Gewinn umfchrieben, den die Forſchung aus der Mitwirkung der Genea— 
logie einziehen kann. Ob der Enthufiasmus nicht zumeilen über 
bie Grenze der denfdaren Möglichkeit hinausführt, wage ich nicht zu 
eniſcheiden, wie jehr e& mid, auch manchmal dünkt. Jedenfalls dürfte 
es als zu meitgehend anzujehen fein, daß das zur Beit ſchon vor— 
bandene Material nur der ziwecgemäßen Aufarbeitung bebürfe, um 
‚unanfechtbare Proben von der Leiftungsfähigleit der Genealogie für- 
‚die Probleme der Biologie zu liefern. Das vorliegende Material 
trägt doc noch zu jehr das Gepräge des Dienftes für dad Vorurtheil. 
Ob es ausführbar fein wird, ein breiteres, allfeitiges und unbedingteres 
Maoterial für Die bochgeftedten Ziele der Abſtammungslehre zu gewinnen, 
wird bielem nicht jo ficher erjcheinen als dem Bf. Der nächſte Wunfch 














Alte Geſchichte 299 


Dahin präcijiren, daß ber römiſche Staat die Chriftenqualität ver 
folgte und ahndete, und zwar als ſolche, nicht indirekt, infofern ledig⸗ 
lich ein dem Chrijten gebotenes Berhaften unter Strafe gejtellt war. 
Die Beitrafung erfolgte aber nicht infolge eines gejeplichen Verbots 
des nn und mittel® ordentlichen Strafverfahrens, fjons 
dern auf Grund und im Wege der Ausübung des magiftratischen 
a. Den Anlaß biezu boten theils offenkundige Thats 
* wie insbeſondere die Leugnung der heidniſchen Staatsgötter 

und die Verweigerung des Kaiſerkultes, was ſich füglich Friminalrecht- 
lich unter den Begriff des erimen laesae maiestatis bringen Tief, 
theils die Greuel (Inceft und Kindermord), deren der Vollsaberglaube 
die Chriſten verdächtigte. Doc waren alle dieje Umftände im Grunde 
mehr die Vorwände ber Verfolgung, welcher der von den Negierenden 
zugelafjene, zuweilen jelbjt gepflegte Chriftenhaß der öffentlichen Meinung 
zu Grunde lag. Dies ift der Stand der Dinge bis zu ben allgemeinen 
Ebiften: epochemadend war innerhalb diefes etwa zwei Nahrhunderte 
mwährenden Beitraums fediglich das Trajanische Edilt, indem es durch das 
Conquirendi non sunt der Verfolgung Grenzen zog und indbejondere 
dem Abfall zum Heidenthum frafausfchliegende Kraft zuerlannte, zus 
nachſt unter Wegfingiren ber chriſtlichen Vergangenheit, bis fpäter der 
Nichter von Amts wegen auf Abſchwörung des Chriftenthums bins 
arbeitete, wenn auch die Folter zu diefem Zwecke nicht vor der Mitte 
des 3. Jahrhunderts in Unmendung getommen fein mag- 

Nef. jpendet dem Bf. gem die Anerkennung genügender Kennt» 
nis des Materials, der Durhdringung des Stoffes auch nad, der 
jurifliihen Seite und des Bemühens, mit möglichſter Unbefangen- 
Heit den von ihm verfündeten methodischen Principien geredht zu werben. 
Nur möge er nicht verfennen, daß feine Gegner, zu denen nach dem 
Maße der ihm gewidmeten Polemik vor allen amdern der Ref. 
gehört, dasjelbe für fid in Anfpruch nehmen und, wenn fie zu ab- 
weichenden Ergebnifjen kommen, dies aus der Differenz; don auf 
Geburt, Erziehung und Entwicklung ruhenden Grundanfchauungen 
erklären, über welchen Gegenfag billig an dieſer Stelle nicht gerechtet 
werben darf. Vielleicht gründet fi) auf dieſe Differenz auch die ver— 
ſchiedene Werthung der Alten und Paffionen, welche der Bf. für feine 
Aufitellungen ftärfer ausbentet, als mir angängig zu jein fcheint. Mef, 
Fann indes nicht verſchweigen, daß er nicht lediglich auß diefem Grunde 
in feinem Gegenſatz gegen den Bi. beharrt. Derſelbe beſteht ins- 
bejondere darin, daß nach der von mir vertretenen Anſchauung nicht 


* Berlagsbuchhandlung. 
&benda 1895. VIEL, 356 u. VIII, 466 ©. 
wi De8 Bu wi fh on Zunfen's g of 


IE ons map Hop en ala — 





301 


fondern weit darüber hinaus der Gefchichtöliteratur gegeben hat — 
es wäre einfeitig, das nicht zugugeben — vor diefem Erfolg ift der 
Bf. ſicher, auch wenn es gelingen jollte, dem Buche eine populäre 
Verbreitung zu geben. Man hätte meinen follen, daß der Bf. mit 
ber frage über jeine Volation für eine fo gewaltige Aufgabe ſchon 
mit jich hätte im Reinen fein müfjen, nachdem er zubor ſchon ein 
Bud) unter dem Titel „Syftem und Geſchichte der Kultur“ veröffent- 
Gicht Hat, in weldem er mit fouveräner Hoheit auf das armjelige 
Streben aller derjenigen herabblidt, welche ohne Belenntnis der fathos 
lifchen Dogmatik ſich herausnehmen, Ordnung und Sinn in die Er 
ſcheinungen der Kultur zu bringen und fie durch Kaufalitäten aus ihrem 
eigenen Wejen ohne jedesmalige Hülfe transjcendenter Allgewalt zu ers 
Nach jenen Hangvollen, thatſüchlich aber inhaltsleeren Theorien, 
die alles in allem nur auf eine in die Masle der Wiſſenſchaftlichleit umge— 
Heidete Theologie hinauslaufen, hätte man vorausjegen dürfen, daf ihm 
bei dem neuen Buche, welches gleihjam das Paradigma auf jene Ge— 
ſchichtsphiloſophie jein fol, die methodijchen Bahnen feit und be— 
fimmt fein müßten. Statt defjen führt er in eigener Don Quixoterie 
einen Kampf mit den Windmühlen über bie Frage auf, wer vorzu— 
fei, der „tüchtige Detailforjcher“ oder der „univerfalhiftorifche 
Kompilator”. Die Antitheje gehört der eigenen Logik des Bf. an, Er 
erzählt jeinen geiftigen Lebensgang. Er fühlte in fich nicht „die alle 
zugroße Bejceidenheit,i beffer gejagt Schlaffheit und Feigheit, bie 
höheren Probleme über den Einzelfragen aus dem Auge zu lafjen 
und bie Darbietung abſchließender Forſchungen nicht zu wagen", Nein, 
dieſe Beſcheidenheit befaß er nicht, wohl aber „die Kühnheit, auch 
ohne den Untergrund zahllojer Einzeljtudien Zufammenfafjendes und 
zu bieten", und zwar umfomehr, als „der einzige im 

neuerer Zeit als berechtigt anerkannte Welthiftorifer, Ranke“ zwar 
den bejagten Untergrund beſaß, „allein als Empiriter (!) doch wieder 
zu wenig für allgemeine Zufammenhänge ein offenes Auge hatte”. 
Der Bf. „wenigftens fonn in ihm nicht jenen Meifter exbliden, als 
ben man ihn den Geſchichtsforſchern darftellt*. — VBedauernöwerther, 
unfterbliher Ranke, das haft du davon, ba du mit deinem für all- 
gemeine Bufanmenhänge verllebten Ange dich unter die Welthiſtoriler 
gemiſcht haft! Du hätteft dich an die Lehrfähe des Herrn Grupp 
halten follen, „daß man darauf wird verzichten müſſen, einen welt 
zeſchichtlichen Aufbau aus der Hand eines überall heimifchen Detail» 
orſchers hervorgehen zu jehen, daß man e8 wird wagen und ertragen 


Eds 


H 





Mittelalter. 803 


arabifches Heldenthum und Prophetenthum (2 Seiten) und Mohammed 
@ Seiten), die überdie® bon einem weitläufigen Auszug aus dem 
Koran find, und mit den wenigen Notizen im 2. Bande, 
wo die mohammedaniſchen Einwirlungen während der Kreuzzüge bes 
rührt werden, ift die Aufgabe nicht erfüllt. Ebenſo dürftig ift die 
des „Byzantinerthums“ und feiner Bedeutung für die 
abendländifhe Kultur. ragt man, fo jet der Vf. augeinander 
was das byzantiniſche Reich ein Jahrtaufend hindurch troß feiner 
erhalten hätte, jo müffe man imnterhin bevenfen, daß „die 
rönsifchechriftliche Grundlage auch da ihre Kroft bewährt“ hatte. „Der 
entſcheidende Grund aber für die Fortdauer dieſes Neiches war der 
Wille der göttlichen Vorſehung, welcher das Reich zu einer Zuflucht 
und Aufbewahrungsftätte aller Geifteserzeugnifje und Kulturelemente 
des Allerthums auserjah.” Und dann wird ausgeführt, wie der uns 
reife Geift der Barbaren durch den Reiz des Heidemhums leicht zur 
chriſtlichen Entwicklung hätte unfähig gemacht werden können, und daß 
die Antife daher nur tropfenmweife hätte zugeführt werden dürfen, — 
Und diefer Beruf als Minimaldofirungsgefäß ift der providentielle 
des byzantiniſchen Reiche. Was joll man dazu ſagen? 
Unzweiſelhaft beſſer iſt der 2, Band, in welchen dem Vf. ein 
reicherer Untergrund von Literatur zu Gebote fteht und in welchem 
jein berujener philofophifcher Ausgangspuntt, der ſonſt einen Kultur— 
hiftorifer nicht grade ſchüdigt, mehr zurüdtritt. Namentlich die reiche 
lichere Behandlung der Wirthſchaftsgeſchichte fällt bald in's Auge, 
und es wird zugejtanden, daß die Furcht vor ber „anſpruchs- 
vollen Detailwiffenihaft“ ein größeres Eingehen auf „Einzelheiten“, 
wir lieber auf Saclichkeit, veranlaßt habe. Der allgemeine 
bleibt überall derjelbe, und darin liegt wohl ein-befon«- - 
derer Werth des gut und intereflant gefchriebenen Buches. Man 
erſchridt ordentlich, wenn man z. B. die Upologie der Inquiſition 
lieſt, aber es ift doch nicht ohne Vortheil zu hören, wie man fich auf 
der Seite ber nicht einen und zur Dffenfive gegen die Wiſſenſchaft 
des 19. Jahrhunderts übergegangenen Partei die Vernunft aud) folder 
Erfcheinungen zurechtiegt. Das Buch follte, fo meine ich, von den 
= auf den firchlichen Univerjalismus Eingefchworenen nicht bloß 
mit Achſelzucken über wiſſenſchaſtliche Unvolllommenheit über ber 
Achſel angefehen werden. Es ift immer gut, das Geſchühweſen des 
Gegners genau zu fennen. 
Breslau. J. Caro. 








Mittelalter. 305° 


im Königegericht gefälltes Urtheil zu ſchelten md die Urtheilſchelte 
fiebenfahen Zweilampf zu verjechten. 


en — dieſe Vorrechte fiindet G. in dem 
Vericht der Nienburger Jahrbücher (erhalten im Annalista Saxo ed. 
Waitz, 88. VI, 722), demzufolge Heinrich IV. den. Sachjen zuficherte: 
Ne ipse eis infringeret, quod a tempore 
expugnatoris 5eorum Karoli honestissimumque 
habuerant. Troß der Berufung auf G. Waig, der bei diefer Angabe 
auf Sfp. I, 18 verwies, vermag ich ©. nicht zu folgen, wenn er er— 
daß die von ben — in Anſpruch genommenen Rechte 
ſein können“ als die von Eile erwähnten, die er 
ae Ba) — 
constituta bei Qampert von Hersſeld gleichjept. 


Einen dentlichen Hinweis jodann auf das erfte Vorrecht der - 


nr ©. in folgenden Werfen des Carmen de bello. 
Saxonico (ed. Holder-Egger ©. 2 und 3): 
. I 42: Pupillus et advena quivis 
0 Indigenas prohibent silvis communibus uti, 
0 Pascua praeripiunt, abigunt arımenta gregesque, 
Heredes eircumveniunt, vi predia tollunt. 
5,82 f.: Vidune, pupillus et advena quisque, 
m - _Nuper desueti, vim sunt iam denuo pasi. 
— ug von Waiſen und Stammfremden iſt nad) 
ſches Sendlabisin, aufzufaflen, in welchen pupillus 
adjeltiviſch, d. h. der Verwaiſte ald ſtammfremd, als 
ober nicht vollſachſiſch charalteriſirt wird, und. durch den. 
ſüchſiſchen Vorrechts ausreichend zu erklären, 
nicht ſachſiſchen oder nicht vollſachſiſchen Waiſen 
nge aus Ehen ſchwäbiſcher Männer mit ſächſiſchen 
und ihren ſächſiſchen Spindelmagen gegenüber exrbunfäbig: 
cher Aufiaffung waren ftatt ihrer nur die rein jächfiichen 
lommen eines jähfifchen Erblafjers zu Erben bexufen“ (&. 11). 
fieht, daß im der Ausgabe des Carmen bei jenen Verſen auf 
ie WBulgata verwiefen war, bie viduae, pupilli und advenae häufig 
ufommenfiellt. Diefer Hinweis allein genügt, um bie weitgehenden 
ingen abzulehnen. Formelhajt wiederholte der Dichter eine 
Neminiscenz, nicht aber ſchuf er jelbit eine Verbindung mit 
o mühjam zu ermittelnder Bedeutung, und um eben dieſer Remi— 
SRorilte Beine (BR. 86) N. Ob. XLIX.S 20 



















Mittelalter. 307 


ſchwören, um jeber — — etwa durch das inquiſi⸗ 
toriſche Berfahren, entgehen“ (S. 30 fſ). Bon allem iſt im 
Sachſenſpiegel mit feiner Silbe die Nede; feine Worte beziehen ſich 
ausſchließlich auf Schuldforderungen an einen Sachſen, der ihrer 
durch Eid fich entledigen konnte, nicht auf Forderungen von Dienjten 
und Geiftungen, die fein Stanbesrecht berührten. Man vermifit 
ferner den Beweis der Gültigkeit jener Rechte Schon im eliten Jahr— 
hundert. Ihre Erwähnung im Sachſenſpiegel allein ift noch fein 
Zeichen ihres Alters, mag immerhin der Spiegler fie aus der Zeit 
Karl's des Großen herleiten. Aus einer von G. richtig gefenns 
zeichneten Neigung wird der Name Karl's genannt, aber wenn er das 
Neichsoberhaupt, „welchen diefe Vorrechte abgebrungen wurden“ 
32), in Heinrich II. wiederfindet, wenn er wiſſen will, daß fie 
in ihrer antifisfalijhen Bedeutung . . . 1002 umter den fächjifchen 
Großen vereinbart und . . . (im mämlichen Jahre) von bem Reichs— 
oberhaupt gewährleiftet worden find“, jo knüpft er hier wieder an 
die verfehlte Interpretation am Eingange der Schrift wie an bie 
künftlichen Deutungen in deren Verlauf. 

Man muß eingeftehen, daß über dem Urfprung !jener echte 
feine ſicheren Nachweiſe zu erbringen find. Damit fällt aber = 


a 


BE ie bie Wichtigkeit des inquiſitoriſchen Verfahrens 
betont hat. 
— — A. Werminghoff. 


Deutfehe Studenten in Bologna (1239-156. Viogrophiſcher Inder 
zu ben Acta nationis Germanicae universitatis Bononiensis, Von 
Gufan ©. Kuod. Im Xuftrag der Kgl Breufticen Akademie der Wiſſen 
{haften bearbeitet. Berlin, R. v. Deder’s Verlag, ©. Sthend. 1899. XXV, 
1 8, 765 ©. 

‚Die ültefte Geſchichte der Univerfität Bologna ift für die Kenntnis 
ber Entwidfungsgeichichte der deutfchen Univerfitäten und des deutjchen 
alademifchen Lebens überhaupt von ganz hervorragender Bedeutung. 
As daher im Jahre 1887 die Acta nationis Germaniese universi- 
tatis Bononiensis durd; Ernſt Friedlaender nnd Carlo Malagola 
Herausgegeben worden waren, jahte die Kgl. Preußiſche Akademie der 
Biffenfchaften in vollfter Würdigung diefer bedeutungsvollen Ver— 

20* 





— 
EL — — — 


— 
a Be a er N ee — 


A a en 
et re ar he ie 








Neformationszeit. 309 
en ee re daß er bei ber oft ſtarlen Ver⸗ 


bei dem einen oder anderen Namen Teicht' audh od etwas Literatür 
anzuführen gewejen, jo z. B. bei Caspar Nidprud (Nydprud) (S. 375) 
Mofel’s Beidiichte der tk. Hojbibliothetzu Wien (1835), bei Bohusiaus 


wird fid) durch die darin enthaltenen Hinweife von einer Namens- 
forım auf die andere beim Nachjchlagen als befonders niglic) erweifen. 

den vorliegenden biographiſchen Inder ift der Werth der 
Acta erjt in's rechte Licht gefept worden. Namen wie Ulrich von 
Butten und Nicolaus Kopernikus inmitten einer großen Zahl anderer, 
die in der Geſchichte des deutichen Geiſteslebens ruhmdoll verzeichnet 
find, mögen bie Bedeutung des Werkes und ber Hochſchule, auf deren 
Akten es ſich aufbaut, andeuten. Der Inder ift ein ſchwerwiegender 
Beitrag zur Gejchichte der geiftigen Wechſelbeziehungen zwiſchen 
Deutſchland und Ztalien namentlich im Zeitalter des Humanismus. 
Noch find diefe Beziehungen in allen Einzelheiten wie auch ihrem 
Geſammicharalter nad nicht (völlig erforſcht und wiſſenſchaftlich 
niedergelegt, aber die Forjchung der Gegenwart knüpft kräftig wieder an 
an das Zeitalter der Renaiſſance. Für die Förderung deutfcher blo— 
graphiſcher Kenntnis, wie fie der Inder anf dem Boden italienijchen 
CE bietet, verdient der Verfafjer reichen Dant. 










F: Eichler. 


Des turſachiſchen Rathes Hans von der Planig Berichte aus dem Reichs⸗ 

zegiment in Nürnberg 1521—1528. Gefammelt von Eruſt Wülder, nebft 

Attenftüden bearbeitet von Hans Bird. Leipzig, ®. ©. Teubner. 

1599. OXLIX, 688 &. (Aus den Schriften der Königlich; Säcjfifchen 
SKommiion für Gejicichte) 

Hand von der Planig, auf der gleichnamigen Burg füdlich von 

Bimidan um 1474 geboren, ſtudirte die Nechte in Leipzig und Ingol⸗ 























Neformationszeit. a1ı 


. nicht als unbetheiligter Zuſchauer referirt, fondern durchaus 
als Mithandelnder in den Ereigniffen fteht, über die er feinem Kur— 
fürften zu berichten hat. Planig war die überaus bedeutungsvolle 
Aufgabe zugefallen, die Politik Friedrich's des Weifen wie im übrigen, 
fo insbefondere in der Firchlichen Frage, der Affaire Luther's, zu vers 
treten, und er that dies, wie feine Depejchen zeigen, ebenſowohl in 
hingebender Begeifterung für die neue Lehre (der er feit feiner An— 
weſenheit bei der Leipziger Disputation 1519 unverbrüchlich anbing) 
wie mit größter Umficht. Unleugbar ift, daß, jo fchwer man auch 
on die Möglichkeit einer völligen Unterdrüdung des durd Luther 
wiebergebrachten Evangeliums glauben mag, damals doch unendlich 
viel darauf anfam, ob Friedrich der Weife den fühnen Neuerer vor 
dem Anfturm feiner Feinde dauernd werde fehüpen können, und indem 
Planig den Intentionen feines Gebieters, bie mehr darauf hinaus— 
Tiefen, jede Vergewaltigung Luther's zu verhindern als dieſem pofitiv 
Vorſchub zu leijten, getreulich und mit großen Geſchick gerecht wurde, 
jeder Probocirung der Gegner aus dem Wege ging,' aber fi) eben- 
fowenig durch deren Drohen und Poltern fchreden jlich und es der— 
‚geftalt dem Kurfürjten erleichterte, Die eingenommene Haltung zu 
‚behaupten, hat der ſachſiſche Edelmann der lutherifchen Sache einen 
großen Dienft gefeiftet und darf denen Hinzugezäßlt werben, welche 
um das Auflommen und Durhdringen der neuen Lehre ſich in erſter 
Linie verdient gemacht haben. Allerdings fam den Anhängern Luther's 
Die fortgefchrittene Decentraliſation im Reiche zu Hülfe, die ein 
geſchloſſenes Vorgehen des lepteren zu Gunften der Ausführung 
des Wormier Edilis als eine Unmöglichkeit erſcheinen ließ. Es 
fonnte — das zeigen die Briefe Planip’ vom Reichsregiment zur Ges 
nüge — ſchon damals kaum noch zweifelhaft fein, dab die kirchliche 
‚Frage in Deutjchland nur territorial, nicht centraliſtiſch entſchieden 
und gelöjt werben würde. Mit plaftiicher Deutlichfeit treten ung 
aus den ausführlichen und inhaltreichen Briefen des kurſächſiſchen 
Deputirien Die Faktoren entgegen, welche damals die Geſchicke unjeres 
Raterlandes bejtimmten: der ber deutjchen Dinge völlig unfundige, 
wrähige Erzherzog Heichsjtatthalter, die der laiſerlichen Aufficht ent» 
Hobenen, in mannigfahen Parteiungen gegen einander gewandten 
Großen, die im ihrer herfömmlichen Autorität bereits er 
fcpütterten geiftlichen Zürften, bei deren Unterthanen es vernehmlich 
zu gähren beginnt, die Städte in zuwartender Haltung, ber unruhige 
Meichsadel, welcher gerade damals vor Burg Landituhl den ver— 








Reformationgzeit. 313 


und die Sächfifche Kommiſſion ſowie der Herausgeber haben ſich um 
die deutjche Reformationsgeſchichte beſtens verdient gemacht. 
Rom Friedensburg. 


Die „Wiedertäufer“ im Herzogthum Jülich. Studien zur Geſchichte 
der 9 —— beſonders am Niederrhein. Bon Dr. phil. Karl Rembert. 
— Gaertner. 1899. XI u. 637 ©. 

Der Bi. fagt in der Vorrede: „Won der vorliegenden Abhande 
lung exfdjienen bereitö 1893 die beiden mittleren Theile als Diſſer— 
——— dem Titel; Die Wiedertäufer im Herzogthum Jülich, 

2 und 3, Münfter i. @., Bredt. (Jept mit einigen Anderungen.) 

Sn —— Titel iſt aus dem Grunde gewählt, weil die ſchon 

damals als Ganzes vorliegende Arbeit mannigfach erweitert iſt und 

manche Dinge herangezogen find, welche den engen Rahmen einer 
der ‚Wiebertäufer im Herzogtum Jülich überfchreiten. 
Hinderniffe,. die Studien und dienſtliche Verhältnifje des Pf. mit ſich 

1, haben bis jeht die Veröffentlihung verzögert. Nur knapp 
beı e und häufig längere Zeit ganz unterbrochene Mufeftunden 
* zur Verfügung; daher wird mancher Mangel in der Aus— 

durch die langjame Art der Entftehung zu entſchuldigen fein,“ 
in der That dem Werfe nicht geichadet, wenn der Bf. es 
> einmal geündlid, durdhgearbeitet und mit ftrenger Selbſtzucht 
ſtraffem Aufbau alles ausgeſchieden hätte, was nicht zur 
© gehört. Die Lektüre des Buches ift feine erquwidliche. Der 

— nicht bei der Sache zu bleiben; nicht ſelten fieht ſich der 

: genöthigt, vorn im der Inpaltsübericht fi) wieder zu orien= 
tiren, Be was denn eigentlich in dem betreffenden Kapitel gehandelt 
Een Schon Guftad Voffert, auf deſſen Recenjion im Lite: 
Gentralblatt Jahrg. 1899, ©. 1314 ich bier zuftimmend 
ausprüdlich Bezug nehme, Hagt, dab den ®f. immer wieder der 
Baden teilt und der Stofj Herr über ihn geworden iſt. Die formale 
des Tertes läßt viel zu wünſchen übrig; auch an Druck— 

feblern fehlt es nicht. 

Was die Frage nach der Herkunft der Wiedertäufer anbelangt, 

oo fteht der Bf. volljtändig im Banne der Keller'ichen Anſchauungen; 
He das allmählich berühmt gewordene Kapitel Waldshut figurirt 
wiederum (©. 81) als eine „evangeliiche Bruderſchaft“, troßdem doch 
Hermann Haupt (Deutſche Literaturzeitung Jahrg. 1897, ©. 578) 





Reformationszeit. 315 


Warum joll diefes Büchlein nun gerade am Niederrhein im 16. Jahr- 
hundert die wunderbaren, Wirlungen gehabt haben, die dem Vf. vor— 
ſchweben? Heißt das den Bufammenhang der Dinge erforjchen? 
Die Wiedertäufer berufen ſich wohl auf die Bibel, aber, joweit mir 
befannt ift, nirgends auf die Imitatio. Die oben angezugenen Aus- 
führungen Rembert'2 find in ihrem Kern aus Keller's Geſchichte der 
Wiedertäufer, Münſter 1880, entnommen, aber wer die ganze Stelle 
bei Seller nachlieſt, 2— daß dieſer ſich doch weſentlich vorſichtiger 
gt hat. In feinem Werke über die Reformation und die 

ältejten Meformparteien, Leipzig 1885, ift Keller auf das Büchlein 
des Thomas von Kempen — diefer ift doch wohl mit Funk endgültig 
als ber Verjafier der Imitatio anzunehmen — nicht wieder zurüds 
gefommen. 


©. 88 jtellt der Wf. die Frage: „Sind die beiden Begriffe 
„zäujer“ und „Böhmiiche Brüder“ und deren Verwandtſchaft ver- 
ſchiedene Erjcheinungsformen ein und derjelben religiöjen 
Gemeinf Haft, ober iſt nur Familien oder Gattungsverwandtſchaft 

diefen vorhanden?“ und bemüht ſich dann nachzuweiſen, daß 
bie erftere Frage zu bejahen fei. Nun hat aber doch Luther mit 
den Wiedertäufern ſtets jede Gemeinjchaft abgewiefen und fie ſcharf 
bekämpft, während er den Böhmifchen Brüdern gegenüber ein wejent- 
lich anderes Verhalten beobachtete und ſchließlich in ein näheres Vers 
bältnis zu ihnen trat. Alfo muß Luther, dem doc aud wohl ein 
Urtheil beizumeffen ift, anderer Anficht gemwejen fein. 
In Übereinſtimmung mit obigem heißt es weiterhin S. 100 f. 
(wiederum im Anſchluß an Keller): 

„Es kann fich hier für und nur darum handeln, das Vorhanden— 
fein „criftlicher Brüdergemeinden“ in allen Gegenden Deutſchlands 
umb darüber hinaus nachzuweiſen und darzuthun, daß aus ihnen 
bie jpäteren jog. Wiedertäufer hervorgingen baw. mit 
ihnen identifch find, deren Grundlehren fie natürlich auch zu 
den ibrigen machten. 

Wie wir nun diefe alten Genteinden‘, die vor und während ber 
Reformation beftehen, nennen mögen, die Thatſache läßt ſich nicht 
bejeitigen, daß wir nur eine Partei vor uns haben bzw. 
zwei Epoden derjelben Gemeinſchaft, die verjdiedene 
Namen tragen.“ 

Das ift deutlich gejprochen und damit die Anfchauung des Bf. 
hinreichend feitgelegt. Um jo überraſchender wirfen daher Die 








Reformationszeit. 317 


©. 556: „Wie eine unwiderſtehliche, ſiets wachſende Flut übers 
ſtrömte der Anabaptismus von der Schweiz aus die 
Deutfhen Lande und begann auch bald im Norden jeine bes 
geifternde und zerftörende Macht zu beweifen.* 

Nach diefen Sägen jieht doch der Bf. offenbar das Täufertum 
für eine Neubildung an und fteht damit plößlich mitten im Lager 
derjenigen, die Keller ſchen Grundanfhanungen ablehnen. 

Daß Schon im 15. Jahrhundert viele die herrſchende Kirche 
und ihre Lehren befämpfende Elemente vorhanden waren und zwar 
nicht allein in Böhmen, das tft unbedingt zuzugeben und wird auch 
fein Einfichtiger beftreiten. Dafür ſprechen allein eine beredte Sprache 
die leperrichter, bie wir_in manchen ftädtifchen Nechnungen antteffen. 
Es ift unleugbar ein Berbienit Keller's, dieje doch etwas verdumfelte 
Thalſache wieder eindringlich vorgeführt zu haben, und daß dieſe 
Elemente vielfach die Reihen des radifafen Täufertfums verftärkten, 
ift auch anzunehmen. Aber etwas Anderes iſt es, die Entitehung 
des ri von dieſen Elementen herleiten und es damit iben- 
tifieiren wollen. 

Wie aus een angeführten Stellen — ſeht fi der Bf, 
am Schluß mit ſich ſelber in Widerjprud) 

Im übrigen ſoll nicht verfannt hen daß der Bf. ſich fleißig 
—— Ph befchäftigt hat, eine ausgedehnte Literatur 

den Partien, wo er namentlich aus ben Alten des 

horfer an und anderen neues Material beibringt, 

wirtlich belehtend wirft. Jedoch laſſen, wie ſchon im Anfang geſagt 

iſt, der Mangel einer Haren Dispofition und geglätteten Darſtellung, 
—* 







r Redeweiſe, Wiederholungen, Wiederabdruck bereits 
fer Attenſtücke, wofür gar fein Grund zu ſehen iſt, noch⸗ 
rierung bon Dingen, die längſt klargeſtellt find, feine Bes 

riedi 2 auffommen. 

Bw entrüjlet fi) der Vf. über die damaligen gegen die 

v beliebten behördlichen Maßnahmen. Sie ſollen nicht 
gerechtfertigt werden, aber hat er ſich auch wohl einmal die Frage 
vorgelegt, ob manche der Erſcheinungen, die die Wiedertäuferei zeitigte 

— ganz abgejehen von den ja mit geringen Ausnahmen allfeitig 

veruriheilten Miünfterijchen Greueln — nicht aud) heutzutage minde— 

ſtens als grober Unfug würden angejeben werden? Beſſer ald uns 
fruchtbares Schelten ift es, die früheren Zeiten verjtehen lernen. 





17. Jahrhundert] 319 


Fondern auch noch eine Reihe von Rechten umfaßt Habe, die Ofterreich 
auf Grund der Landgrafſchaft und der Landvogtei über eine Anzahl 
von ——— Reichsſtanden ausgeübt Habe (S.9 u. 59). Dieſe Inter 
pretation hat nur einen Fehler: fie jept voraus, daß auch die mit— 
abgetretene Sandgrafihaft Untereljaß öſterreichiſch geweſen ſel. Daß 
das nicht der Fall war, hat B. nicht gewußt. Wenn er,daher im Laufe 
feiner Darftellung nicht immer die vollen Konfequenzen aus feiner Inter 
pretation zieht und vielfach zu Widerſprüchen gelangt, fo liegt das 
theils an diejer feiner Unkenntnis des Umfangs der Tandgräflichen 
Rechte Öfterreichs, theils aber auch daran, daß er die Berichte der 
franzöfiichen Gefandten aus Münſter von 1645 bis 1648 nicht durch- 
gearbeitet hat, weil fie außerhalb der von ihm behandelten Epode 
lagen. Auf diejem Gebiet wird daher die künftige Forfhung eine 
Reihe feiner Ausführungen nicht nur zu vertiefen, fondern auch zu 
haben. 


Der unbefangenen Interpretation des Weſtfäliſchen Friedens, bie 

fh im ſcharfen Gegenſatz zu der darüber in Frankreich noch allgemein 
Anſchauung jet, entipricht auch das Urtheil B.’8 über 

die, Rechtsfrage in dem von ihm geſchilderten Konflikt. Er erkennt an, 
daß jede ber beiden Parteien im vollften Rechte war, jede fonnte fich 
auf den Wortlaut der Friedensbejtimmungen berufen. Das Verhängnis 
war ——— daß dieſe einen Widerſinn enthielten, Mit großem Nach— 
druck weiſt B. immer wieder von neuem auf den logiſchen Widerſpruch 

hin, der darin lag, daß man den Reichsſtädten auf der einen Seite 
ihre akt vorbehielt, auf der anderen jedod) die 
Neite, die der öfterreichifche Sandvogt Bisher über fie ausgeübt, dem 
König von Frankreich zu fonveränem VBefige abgetreten hatte, Diefe 
beiden Bejtimmungen in der Praris mit einander zu vereinigen, war 
unmöglich. Entweder mußte die Souveränität des Königs die Reichs- 


Die Schilderung desſelben iſt B. ganz ausgezeichnet gelungen. 
Bum erfim Mal wird hier auf Grund bes im volliten Umfang ver- 
werteten Pariſer ardjivalifchen Materials die franzöfifhe Politik im 
Eſſaß in ihren lehten Motiven aufgededt und gezeigt, daß diefelbe 
völlig abhängig geweſen ift von der großen Politit Frankreichs im 
Neiche. So lange Frankreich, feiner alten Tradition getreu, daran 
feithielt, in Deutichland nur ſterreich entgegenzutreten, den Reichs— 


r 














18. Jahrhundert. a2 


nichts gewefen, que de monstruenx abus de la force, zeigt deutlich, 
wie er darüber denkt. Es wäre zu wünſchen. ed dk 


en aiae won Tode Friedrich's d. Gr. bis zur Muflöjung 

‚alten Reiches. Bon R. Th. Heigel. 1. Band: Vom Tode Friedrich's 

r. biS zum Feldzug in der Champagne (1786—1792). Stuttgart, Eotta, 
Bibliothek deutſchet Geſchichte) X, 574 ©. 

es Be Befcheidenheit nennt Heigel ſelbſt jein Buch im Ver— 

zu Spbel und Häuffer eine Nachlefe, weiche bloh durch) Ber 

neuer Duellen und Veränderung des Gejichtspunftes der 

Theilnahme erwecken Fönme. 

— dem Werk neuere Ultenpublitationen, wie die⸗ 

er: Leopold's Korrefpondenz mit feiner Schweiter, 

i oder 3. Flammermont's Negociations secrötes, 

zu jtatten gefommen. Andere Archivalien hat der Vi. jelbjt entweder, 

wie Se über die Kaiferwahlen von 1790 und 1792, überhaupt 

eriten Mal herangezogen, oder doch weit ausführlicher, als bisher 

‚ mitgetheilt, fo daß ber Lejer z. B. in manden Partien 




















idſten ift aber für das Buch —— ſeines Materials die 
dſählich ſtarle Benuhung anderer als der diplomatiſchen Quellen. 
o allem hat 9. ganz ungemein reiche Excerpte aus der zeitgenöffiz 
ſchen Publiciſtik in feine Darftellung eingefügt. Auf Schritt und Tritt 
ftopen wir auf Citate aus den wichtigſten Organen ber — 
Giftorifähe geuſarit (Mb.85) N. F. Ob. XLIX. 


— 














| 


18, Jahrhundert. 323 


ſtreben erfannte eben der grenzenlofe Optimismus dieſer fo völlig 
ungeolifiien Zeit den Unterjchieb ywifchen ſehe fchwärmerijd) defi- 
arten fittfichen Idealen und politiſchen Principien an. 

Unzweifelhaft war es ein völlig berechtigter und durchaus ver⸗ 
Händlicher Gedanke 9.8, neue Reſultate vorwiegend gerade in den 
beiden Richtungen zu fuchen, welche ich eben angedeutet habe. Auf 
der anderen Seite entſchied aber aud) der Weg, melden er hiermit 
betrat, von vornherein über die Bedeutung feiner Ergebniſſe. Eine 
wejentlid veränderte Auffafjung der deutfchen Geſchichte diefer Zeit 
laßt ſich auf die Unterfuhung der Reichspolitik nicht bauen. Davon 
iſt natürlich niemand mehr durchdrungen als 9. felbjt, und es wäre 
müßig, bierüber nur ein Wort weiter zu verlieren; was unfer Bud) 
von ſolchen Fragen behandelt, kann und fol bloß die Darftellung 
der Gefamtpolitif der deutſchen Großmächte ergänzen, für welche das 
Verhältnis zu den Reichsſtänden mehr ein Uccedens war. Aber auch 
die Verwertdung pubficiftiicher und ihmen verwandter Quellen jheint 
mir nicht ganz den Werth zu haben, welden 9. diefen Materialien 
allerdings umgefehrt wohl beilegt. Gerade in dieſem Zeitraum jteht, 
um ein Wort aus Lenz’ anregender Studie über die großen Mächte 
zu wiederholen, der Staat, d. h. die politiſche Macht und Aktion, 
Dom Körper ber Nation wie abgelöft da. Meinungsäußerungen aus 
dem Schoß der legteren fallen darum für die Erkenntnis der politis 
ſchen Entwidlung ihrer Einflußlofigfeit halber zunächſt einmal uns 
mittelbar mindejtend weniger in's Gewicht, wenn auch ihre hohe 
Wichtigleit jomohl an fi, als für das Verſtündnis der über das 
ganze Syitem fpäter hereingebrochenen Stataftrophe ganz unbejtreitbar it. 
Außerdem aber feinen mir gerade dieſe Beugnifje jelbjt dann noch 
einer ganz bejonders jtrengen Kritif zu bedürfen, wenn fie von ber 
Deutenden Männern und nicht mehr oder minder objfuren Perjüns 
lichkeiten herrühren, zwiſchen welchen ja von vornherein ſchärfſtens zu 
ſcheiden wäre. Denn die Überſchwänglichteit, welche die ganze Auf— 
Hörung auszeichnet, fehlt auch ihrer politifchen Literatur nicht: diefe 
Schriſtſteller bejaßen fait alle noch fein politifches Augenmaß, da 
ihnen ein Öffentliches Leben ja eben erſt anbrechen jollte. Selbſt jo 
nüchterne, jolide Köpfe, wie 3. ©. Schloffer, jelber praftifche Gejchäfts- 
männer, haben, jobald fie die Feder in der Hand halten, einen nicht 
nur ganz leifen Zug vom Projeftenmacher an jich, und jehr häufig 
empfängt man jogar aus ihren amtlichen Schriftftüden, noch viel 
‚mehr aber aus ihren Aufſühen den Eindrud eines reinen, ſich ſelbſt 

21° 


























| 


Nicht ebenjo ſicher bin ich über H.'3 Auffaſſung der Revolutions— 
Triege. Scheinbar fteht er Sybel häufig ganz nahe. Mehr als ein« 
mal hören wir, da Frankreich von den deutſchen Mächten nicht be— 
(droht wurde, vielmehr jelbjt aggreſſiv vorging; ausdrücklich wird 
anerkannt, daß erjt von Sybel die Stellung Leopold’ IL. zur fran- 
zoſiſchen Mevolution richtig beurtheilt worden fei (S. 394). Kleinere 
Differenzen, 3. B. in der Würdigung Bifchoffwerder's, ändern hieran 
nichts Exheblicies. Aber daneben folgt H. an einigen Stellen Giagau, 
jo bejonders in dem Urtheil über die öjterreichifche Note vom 21. Des 
«ember 1791. Glagau aber ift der enticheidendite Antipode Sybel’s; er 


Zegislative, jondern des Fürjten Wounig, während er den Zuſammen— 
ftoß felbft in Rante's Sinn als unvermeidlich betrachtet. Über fein 
—— zu dieſen fundamentalen Differenzen äußert ſich H. wohl 

nirgends näher, der großartige Standpunkt Ranke's kommt bei ihm 
foft nur nebenbei zu direlter Erwähnung (S. 533). 

Bielleiht berühren twir aber damit überhaupt eine augenfällige 
Eigentümlichleit de$ Buches. H. unterläßt verfchiedentlid) eine ganz 
ſcharfe Formulirung der principiellen Fragen; jo gelangen aud) in ber 
Beurtbeilung der Aufklärung liberale, wie konjervative Gefichtspunfte 
nad) einander zur Geltung, ohne daß ein vollſtändiger Ausgleich 
ftattfände. Die ganze Darftellung trägt ein ausgejproden ver« 
mittelndes Gepräge und verfolgt ſomit das ebenfo hohe und mwohl- 
berechtigte, als ſchwer erreichbare und in der That von ihr auch nicht 
immer und überall wirklich erreichte Ziel, die Einjeitigkeit zu vers 
meiden, ohne die Beftimmtheit zu verlieren. Die Hauptjtärke des in 
vielen Einzelheiten jo geiftreihen, durch gründlichere Erforſchung 
mehrerer Stofftreiſe unzweifelhaft förderlichen Wertes liegt doch vor 
allem wieder da, wo 9. von jeher jich am glänzenditen bewährte, in 
der Gharakterijtit: die feinen und lebensvollen Bilder der Helden 
dieſer Zeit werden an den Leſern nicht nur zu momentanem Genuß 
‚borüberziehen, fondern in ihnen in mirffamer und dankbarer Erinnes 
‚rung fortleben. 

Straßburg i. E. Th. Ludwig. 


Die foriale Wirffamteit der Hohenzollern. Bon Theo Sommerlan, 
Privatdocent an ber Univerfität Halle. Leipzig, I. I. Weber, 1899. 120 ©. 
| Nur mit innerem Widerftreben berichte ich über das vorfichende 
"Bud, an dem nichts zu loben, aus dem nichts zu lernen, an dem 


u 





findet den unmittelbaren Anlaß zum Kriege in der Haltung nicht der _ 









































— 


Preußen, 327 


das „ſociale“ Element das ausjchlaggebende in der Thätigfeit der 
Zollern war, und ob nicht bis weit im das 18. Jahrhundert hinein 
finangpolitifche Beweggründe im Vordergrunde jtanden. Solche feineren 
werben am Enbe ſtets verfchiedener Beantwortung fähig 
bfeiben. Aber es jollte nicht behauptet werden, daß aus der beutfchen 
Reformation alle „focialen Großthaten“ der Zollern geflofjen jeien, 
da he derjenige Fürſt, unter dem die Mark protejtantijch wurde, 
financieller Bedrängnis dem Adel ſchwer lajtende Nechte auf politie 

—* wie ſoeialem Gebiet einräumte. Auch das iſt für einen heutigen 
Forſcher eine betrübliche Anſchauung, daß die Hohenzollern in einer 
jaſt 300jährigen Thätigkeit neben der focialen Einigung ihres Stantes 
folgerichtig „die politifche Einigung von Gefammtdeutjchland" als ihr 
Biel betrachtet hätten. Für manchen Leſer wird auch die Bemerkung 
auf S. 11 über die „altgermanijhem Empfinden jo überaus genehme 
Form der indirekten Steuer“ interefjant jein. Es heiht natürlich die 
en Ergebnifje der Regierung des erften preufifchen Königs 
maßlos übertreiben, wenn S. den Nacjfolger noch einmal „von vorn 
anfangen" läßt. Es iſt unglaublich, wenn ©. das unterjdeidende 
Merkmal der Wirthſchaftspolitit Friedrich Wilhelm's J. darin erblidt, 
daß der Merlantilismus diejes Königs von einem „hochgefpannten 
deutſchen Nationalbewuhtjein“ getragen gewefen fei, das ſich die 
Berjelbjtändigung nicht etwa nur der preußifchen Volkswirthſchaft, 
ſondern ber „beutfchen Arbeit“ ſchlechthin zum Ziele gefept habe, 
Ein bejonderes Mittel hierzu war jicherlich der langjährige erbitterte 
Bollfrieg mit Sachſen. Es ift ein ſtarkes Stüd, wenn der Bf. allen 
Ernſtes annimmt, daß Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II. die 
Leibeigenſchaft auf den preußiſchen Domänen befeitigt hätten, und 
Scheinbar keine Kenntnis von den Reformen um die Jahrhunderte 
wende hat. Auch die Schilderung der Agrarreforn in der Epoche 
Stein'8 und Hardenberg's zeigt eine bedauerliche Unkenntnis der 
napp’ichen Refultate, wenn der Bf. die Wirkungen als gerade für 
bie adligen Grundbefiger ſchädlich ſchildert, für den Vauernſtand da— 
‚gegen jejtftellt, „daß er fich voll wohlbegründeter Begeifterung den 
neuen Verhältniffen anbequemte". Die ſchädlichen Folgen, die eine 


—— — 
wer. 


m Wucjje erftarten, wo die düftere Kiefer im märtiichen Sande ihre zähe, 
Krone entjaltel,“ Nebenbei dürfte dem Bf. die Keftüre von 
Werke über die Seideninduftrie unter Friedrich dem Großen 
empfehlen ſein. 





















19. Jahrhundert. 329 


Majors und Führers des 2. Infanteriee-Negiments aus dem Feldzuge 
von 1848 gegen Dänemark find zwar jehr eingehend, behandeln aber 
Vorgänge von geringem Intereſſe. Über die Tage feines Ruhmes 
von Nachod, Skalik und Gradlig, fomie über den ganzen Feldzug 
von 1866 erhalten wir feider gar keinen neuen Aufſchluß. Der bereits 
Siebzigjährige ftand vereinfamt, Frau und drei Kinder waren heim— 
gegangen, ex hatte niemand, an den er feine vertrauten Briefe richten 
konnte, Im Jahre 1870 ſchreibt dagegen der nunmehrige Führer 
der I. Armee fajt täglich am feine jugendliche zweite Gemahlin, und 
wir erfahren mancherlei interejjante Einzelheiten, von denen die ben 
Feldmarſchall von feiner Stellung enthebende Kabinetäordre König 
Wilhelm's das ungleich; Wichtigſte iſt. Sie zeigt, wie der allezeit 
milde Herrſcher auch Worte ernjten Tadels gegenüber einem General 
zu finden wußte, defjen Verdienſte er ſtets ſehr hoch gejtellt hat. 
Unfer Buch enthält noch zwei andere ähnliche Auslafjungen des hohen 
Herrn gelegentlic; der Ablehnung der von Steinineß in den Jahren 1862 
und 1870 eingereichten Abſchiedsgeſuche. 

Dos Werthvollſte in den Aufzeichnungen des allerjeits nur als 
strengen, rückſichtsloſen Vorgejegten bekannten und geſürchteten Ges 
nerals jind die tiefen Blicke, die fie in fein inneres Seelenleben ge= 
ftatten. Die äußere rauhe Schale barg ein warm und innig fühlendes 
Herz. Wahrhaft ergreifend it der Schmerz des Vaters über den 
Berluft feines letzten Kindes, der ihn derartig ergriff, daß feine Um— 
gebung Beforgnifie über feinen Geifteszuftand hegte. Es liegt ein 
langer an einen freund gerichteter Brief vor, in dem Steinmeß feinem 
tiefen Schmerz Ausdruc gibt und über das allnächtliche Erſcheinen 
feines Kindes als Geiſt berichtet. Selbit acht Jahre jpäter, bei 
einer 1862 gemachten Reife durch die Schweiz, umjchwebte ihn ſtets 
das Bild jeiner geliebten Tochter, und der Schmerz über bie Vers 
mißte bricht wiederholt in den Briefen an die heimgebliebene Gattin 


Diefe Blide in eine ſtarle Mannesſeele find nicht nur für den 
Menjchenlenner, jondern auch für den Hiſtoriler interejfant, der das 
Zhun der handelnden Perſonen aus den inneren treibenden Kräſten 
erforſchen joll. 

Dldenburg. v. Lettow-Vorbeck. 


u 





Straßburgs zum Biſchof und über * 
Biſchoſspromotionen; die Judenpolitik der € 























Straiburg. 331 


und ber benachbarten Städte und Fürjten wird neu beleuchtet. Die 
zahlreichen Ausrüftungsordnungen geben nit mır ein Bild der 
Machtſtellung Straßbugrs, fondern auch die Statiftit über jtädtifche 
Bevölferungszahlen des 14. Jahrhunderts wird hieraus jchöpfen 
fönnen, und ebenjo dürfte die jtädtiiche Topographie durch Erwähnung 
der Thürme ımd Mauern fejtere Grundlagen gewinnen. Der Münſter— 
bau findet wiederholt urfundfihe Erwähnungen. Vor allem aber iſt 
das reiche Duellenmaterial beveutfam, das für die Entwidiung bon 
Handel und Gewerbe beigebracht wird. 

Die Art der Bearbeitung hat fich, wie das ſchon in Band 5 

geichehen iſt, dem Stoffe entjprechend weſentlich ändern müſſen. Das 

„Urkundenbuch“ enthält zum wenigſten eigentliche Urkunden im recht— 
lichen Sinne Es jind vor allem Korreipondenzen, Geſandtſchafts- 
berichte und njtrultionen, Konzepte für Rathsverhandllungen u. dgl. 
mehr, Man wird den Herausgeber durchaus zuſtimmen müfjen, daß 
er auf diejes oft recht unjcheinbare, nur in Zetteln erhaltene Material 
das Hauptgewicht gelegt hat und bei der Bejchränktheit des zur Ver— 
fügung ftehenden Raumes zu Gunſten diefer lofen Blätter auf die 
geſammten kirchlichen Urkunden verzichtete, Da dieje aber bis 1381 
im Urkunbenbuche aufgenommen wurden, jo ift freilich, eine jühe Lücke 
entitanden, und es bleibt nur zu wünfchen, daß die Kommiſſion noch 
die Mittel erhält, um bier eine Ergänzung zu jdjaffen. 

Wenn F. in feinem intereffanten Stoff eine Entſchädigung fand 
für die mühſame Ordnungsarbeit, welche das Chaos undatirter 
Bettel und Konzepte koftete, jo hat der Bearbeiter des 7. Bandes, 
Hans Witte, „feinen privatrechtlihen Urkunden und Rathsliſten von 
1332 bis 1400“ faun befondere Anregung entnehmen künnen. Hier 
bedurfte es einer außerordentlichen Arbeitszähigkeit, um das ſcheinbare 
Einerlei der 37/, Taufend Urkunden zur bewältigen. We hat fi) an 
die bewährte Methode gehalten, die Aloys Schulte für die Heraus— 
gabe Straßburger Urkunden im 3. Bande des Urlundenbuches ges 
ſchaffen hatte, und ijt nur abgewicyen, wo es die mit der Zeit ſich 
ündernde Art des Stoffes oder der Beurfundung verlangte. Auch W. 
bat fait jänmtlihe Urkunden von allem überjlüfjigen Formelbeiwerk 
entlaftet und im Negeit gegeben; weiter hat er aber auch noch eine 
‚geoße Zahl in Anmerkungen untergebracht und es auf dieſe Weije 
ermöglicht, daß der Band jo außerordentlich reich geworden it. Der 
‚Gewinn für die Wiljenfchaft liegt zunächit naturgemäß ‚auf lofalem 
‚Gebiete. Die unendliche Menge von Berfonen:, Häufer und Straßen- 








i 


der fittlihen Werturtheile und in der wirdigen, wohl aus— 
- Sprache bekundet. Die kulturgeſchichtlichen Kapitel, in 
denen die Vertrautheit des Vf.'s mit einem weitſchichtigen Material 
am glängenditen hervortrat, wurden für den näcjten Band zurüde 
geitellt, da urjprünglich das Zeitalter der Reformation und ber Gegen» 
reformation bis zum Tode Maximilian's I. in einem Bande behandelt 
werben jollte, was ſich dann freilich und jedenfalls nicht zum Schaden 
des Ganzen als unthunlic erwies. 

Auch diefem 4. Bande verleiht jo das „Vorwalten des religiöfen: 
Fattord* gegenüber dem Wirrjal der territorialen Zerfplitterung des 


I 








fchreiber zu gute, der num in den Mittelpunft der Darftellung im 
weſentlichen nur drei das Mittelmaß deutfcher Fürſten überragende 
Perfönlihteiten zu ftellen Hatte, deren erſte, Herzog Wilhelm IV., noch 


abzielende Schliche rückſichtslos aufgedeckt werben, dieſer ſelbſt für 
Die weitherzigen Politiker jener Zeit unheimliche Rabuliſt gewinnt 
doc einen großen Zug durch die zielbewußte Betonung des Staats— 
gebanfens, mit der er vor allem bei der von ihm empfohlenen Ber 
Folgung des Protejtantismus ſich doc von religidfem Fanatismus 
frei hält und feinen Fürſten nie zum willenloſen Werkzeug der außer— 
Deutjhen Mächte der Gegenreformation herabfinten läßt. Seinen 
Sohn läßt er durch den doc hinlänglich verdächtigen Aventin er— 
ziehen — bderjelbe tritt denn auch jpäter zum Luthertfum über —, 
und jein abſchahiges Urtheil über die irdiſchen Vertreter bes kirchlichen 
bat er oft mit bajuvarijcer Derbheit verfautbart. Einen 

gleichen Genuß gewähren die ſorgſam gezeichneten Porträts der Fürften, 
die und von dem urwüchſigen, exjt jugendlich leichtfertigen und gewalt- 
thätigen, dann in der Schule der Staatskunſt zu leidlicher Selbit- 
geläuterten, aber kaum ernſtlich religiös angeregten Wile 

‚helm IV. über den durch künſtleriſche Kultur verfeinerten, erſt jpäter 
in ftrengere kirchliche Bahnen einlentenden, finnlich trägen Albrecht V. 

N em Idealbild jeſuitiſcher Asleſe, dem vielgejchäftigen Wilhelm V. 







Hirn 


— 





Baiern. 335 


der alle Verhältniſſe durchdringenden fonfejjionellen Gegenjäße, der 
Perjönlichkeiten und ihrer Kampfmittel wie der einzelnen Vorgänge 
fo einſichtsvoll und gerecht, daß man nur wünſchen kann, fie möchte 
die allgemein und allein gültige werden. So wird man auch mit ihm 
der eriten Phaje in dem Auftreten der Jeſuiten in Baiern die Ans 
erfennung nicht verfagen, daß die Hebung des tiefgelunfenen baieri« 
ſchen Klerus, der noch in der 2, Hälfte des Jahrhunderts, als es doch 
ſchon faſt allerorten befjer geworden war, aller Rejormverfuche der 
Landesherren ſpottete, faum durch eine andere Inſtanz hätte bewirft 
werden fönnen; doch vergleiche man ©. 511 die ſchon tamals er— 
bobenen Sagen. Übrigens wäre die Drudlegung der Bifitationse 
alten und anderen einjchlägigen Materials ſehr erwünfcht, in Nache 
abmung etwa der vortrefflichen Arbeit J. Loſerth's über die Salzburger 
Provinzialiynode (Wien 1898), die ſchon ihres reichhaltigen Materials 
wegen auf ©. 410 hätte angeführt werden jollen. 

Dieje gegenrejormatorijche Politit der Herzöge hat nun, wie 
2. v. Ed gewiß Har erkannt hat, zur Stärkung der landesherrlichen 
Macht ganz erheblich beigetragen. Um nur eine durch das ganze 
Jahrhundert ſich Hinziehende Seite diejer Entwidlung hervorzuheben, 
jo hat die Bedeutung der Landjtände, die in der erjlem ſtürmiſch 
bewegten Zeit Wilhelm’s IV. mit ſchiedsrichterlicher Autorität in den 
Bruderzwift eingreifen, jih die Ernennung der fürſtlichen Räthe 
ſichern, den Hofhalt reformiren, ftetig abgenommen, bis fie ſchließlich 
ber ruindjen Wirthſchaft Wilhelm’3 V. gegenüber nur mehr demüthige 
Bitten und Borftellungen aufbringen, im übrigen aber auch den maß— 
loſeſten Forderungen fich fügen. Mit den proteftantijchen Wortführern 
Der Oppofition, die umter Albrecht V. mundtot gemacht und jchlieglich 
eliminirt wurde, verliert der Landtag den letzten Reſt von Selbit- 
bewußtfein, damit aber auch von Verantwortlichkeitsgefühl gegenüber 
dem Lande, und während Wilhelm IV. durch das rauhe Eingreifen 
der Stände erfichtlich zur Befinnung gebracht und für feinen Herricher- 
beruf gerettet wurde, zieht ſich Wilhelm V. auf das Drängen, nicht 
der Stände, jondern feiner eigenen Räthe im beten Mannesalter auf 
das Altenteil zurüd, Bei der Schilderung jener Krifis in der Jugend 
Wilhelm's IV, kann ſich Ref. indeſſen dem Eindrud nicht entziehen, 
als ob die Hinrichtung feines Hofmeifters, Hieronymus dv. Stauf 
(1516, ©. 27 ff.), lediglich ein Alt der Kabinetsjuftiz geweſen jei, 
Dazu bejtinemt, den bemüthigenden Charakter der Unnäherung Wilhelm's 
‚on jeinen Bruder zu maskiren. 


— 








Baiern. 337 


auf das Gehaltvolle, Zuverläffige hingewieſen. In 
diefem Sinne hätte fi etwa bei Wilhelm's V. ſteiriſcher Vormund- 
ſchaft I. Loferth'3 „Huldigumgsftreit nad) dem Tode Erzherzog 
en Graz 1898), zur den Pack ſchen Händeln (6. 220) D. Mei— 

ee (Wiesbaden 1899) anführen 
een dem Auftreten der Herzöge auf, den Nürnberger Reichs· 


Nathes Hans von der Planip“ (herausgegeben von Wülcker und Virck, 
Leipzig 1899) mit Nutzen heranziehen. Dem harten und hochmüthigen 
Erzbiſchof Mathäus Lang wird ©. 62 eine „Erkenntnis der Reform- 
bebürftigleit ber Kirche” zugefchrieben, die dem in diplomatiſchen 
Ranken ergrauten Streber jhwerlihd von Herzen kam — treffender 
wird er ©. 151 charatteriſirt — und ein Einfluß bei Karl V. auf 
deffen Haltung gegen Luther, defien es einmal nicht bedurfte und 
den er auch gar nicht beſaß: Karl V. oder vielmehr feine ſpaniſch- 
burgundiiche Umgebung hat die Mitglieder der Marimilianijchen 
Eentralvegierung, jobald es irgend anging, abgejhoben; und jo fann 
auch nidjt wohl von einem „imponirenden Eindrud der überlegenen 
Perfönlichkeit Karl's V.* bei feinem eriten Auftreten in Deutſchland 
die Rebe jein (S. 198). Der Beihluß der Mühldorfer Synode von 
1522, der S.81 als „ein gewifjes Zugejtändnis an die reformatoris 
ſche Bewegung“ aufgefaht wird, ift nur die Erneuerung einer alten 
Forderung der Ordinarien, die jie ſchon früher im ihrem eigenen 
Zutereſſe geltend zu machen nicht müde wurden; ebenfo ift das von 
den Herzögen vorgeblich zu Gunften befjerer Bejepung der theologi- 
schen Lehritühle erwirtte Bräfentationsrecht auf Domberrnitellen (S. 97) 
in erjter Zinie als ein bon dem Ingoljtäbter Profefjor Joh. Ed zu 
eigenem Vortheil gejchmiedetes Inſtrument der Pfründenjägerei aufs 
zuſaſſen, einer Kunst, in der Ed den aud in Bayern ſcheel angeſe— 
henen Eurtifanen (S. 99) ſelbſt ſcharfe Konkurrenz machte. Jenes 
Privileg der Alademiker pflegte dann aber wieder die heftigiten und 
langwierigiten Streitigkeiten mit den Stiftern hervorzurufen, wie fie 
damals 3. B. zwifhen den Löwener Profefjoren und den Lütticher 
Stollegiatkirchen ſchwebten, aljo feinesivegs zur Sanirung der firche 
lichen Berhältnifie beizutragen. — Der Balthajar Merklin, Bropft 
von Waldkirch, war nie „Hofmeiiter* (S. 208) bei Karl V., fondern 
Rath, Reichsvizelanzler und Biſchof (fo richtiger ©. * von Hildes⸗ 
Sitiorilde geitſchrut (Ob. 35) N. 5. Vd. XLIX. 








Heſſen. 


rau über die angemeſſene —— ihrer Staatslkunſt hinaus zu 
ealifiren, vorſichtig aus dem Wege gegangen; nur hätte er jchärfer 
onen follen, daß fie offenbar erjt durch die Bitterfeiten ihrer an- 





en ihrer 
iſt. Wie fie anfangs dem auch von ihr zunächſt vernach- 
fiigten Gemahl ihre tejtamentarifche Beitallung als Regentin ab- 
a ndelte fie nod) überwiegend aus niederen egoiftiichen 
ihr eriter Verſuch, die Fülle landesherrlicher Gewalt 

* an der jtändifchen Führer gegenüber zu bes 
aupten, ſchlagt denn auch gründlich fehl. Dann aber zeugt es ſchon 
(om politiihem Sinn, wie fie bie in Die Vormundſchaſt fich eine 
Wettiner durd die Eiſerſucht Georg's auf feine Vettern 
ahmzulegen weiß, wie jie die Nivalität Darimilions gegen den Kur— 
ürſten bon Sachſen ausſpielt, wie fie die Städte von dem lärmenden, 
jabgierigen und in feiner dynaſtiſchen Treue höchſt verbächtigen Adel 
m ſondern und diefen ſelbſt durch gleiche demagogiſche Künfte zu 
verjteht. Dieſer rebellifche niedere Adel iſt der eigentliche 
Träger der ftändifchen Oppofition, und feine Biele wie feine Kampfes- 
veife zeigen fi als mit dem geordneten Gang der Verwaltung, mit 
Intereſſe der übrigen Stände an der öffentlichen Sicherheit, ja 
nit den Bejtande des Territorialjtaates ſchlechthin unverträglich; nur 
jätte Bf. für die Anläufe ftändifcher Libertät nicht das moderne 
Schlagwort „liberal* gebrauchen follen, ebenjo wie für die verftärfte 
' enge Stellung im damaligen römifchen Reihe die Bes 
„abjolutiftifh* wohl noch etwas verfrüht ijt. Treffend 
Bi open hervorgehoben, welde Bedeutung Anna’3 Lebenswert 
die Durchführung dev Neformation in Hefien befaß, die bei der 
Fortdaner der anarchiſchen Gewohnheiten des jtändifchen Negiments 
Hwerlich in dieſer planvoll entſchiedenen Weiſe erfolgt wäre. Dem 
die vornehmjten Forderungen des Ritterftandes, das fr jeden Lande 
faffen beanfpruchte Necht, in eigener Sache und ohne landesherrliche 
Genehmigung Landtage zu berufen, das Recht des Widerſtandes 
den Fürſten bei unbilliger Bedrüdung (vgl. bef. S. 108 f.), 
— deuilich auf die legten Konſequenzen dieſes Treibens hin. 
Dazu kom die Zuruckdrängung ber Städte und der Prälaten und als 
allerbedenklichites Mioment das Solidaritätögefühl des niederen 
Adels der benachbarten Territorien. Es ift ein erhebliches Verdienſt 
diefer Arbeit, daß Bf. gegenüber den Verwahrungen eines Ablömmlings 

22* 


BE 


— — 




















1 — — 


Allgemeines 


Zegen Lamprecht, deſſen Kritit der Rante ſchen Geſchichtsauffaſſung er als 
aißverftändlid; und unzutreffend zurüdweiit. Dabei gibt er aber ſelbſt eine 
m. €. falihe Darftellung der Humboldt'ſchen Geſchichtsauffaſſung, die er 
ür ganz berjhieden von der Nanfe'jchen erflärt. Humboldt aber faht die 
Ideen ebenfo wenig wie Ranle als außerhalb allen Kauſalzuſammenhanges 
tebend; die mechaniſchen, phnfiologiihen und pjihchologiſchen Geſehe bilden 
zuch bei ihm einen Theil der Ideen, die nur durch diefe Geſetze noch nicht 
exſchöpft werden, und wenn fi Freytag die Mühe nehmen will, meinen 
Aufjah über Humboldi's Abhandlung zu leſen, jo wird er finden, daß die 
bort von mir erläuterte Humboldi'ſche Geſchichtsauffaſſung der von ge 
ſelbſt eruirten Rante ſchen auf's nächte verwandt ift. 
Das PVerwaltungsarhiv 8, 3/4 enthält den Anfang einer rd 
orientirenden Studie von F. Tezner: Die deutſchen Theorien ber Vers 
waltungsrehtäpflege. — Im Jahrbuch; für Nationalöfonomie und Statiftit 
74 (19) 3 fi. veröffentlicht I. Kulifher eine Axtitelreihe: Zur Ent 
wicllungsgeſchichte des Kapitalzinſes. — Ein Auffag von Fr. Schulpe 
in der Zeitichrift für Socialwiſſenſchaft 3, 5: Zur evolutioniftiihen Ethit, 
gibt eine ausführliche gute Überficht über das bedeutende Werk des 
Engländers 9. Sutherland: The origin and growth of the moral 
Änstinet (Zonbon, 1898). — Ebendort in Pr. 4 u. 5 behandelt 9. Schurg: 
Die Anfänge des Landbefiges. — Aus der Zeitfchr. fir Kulturgeſch. 7, 3/4 
notiren wir von Boris Minzes: Die kunurgeſchichtliche Bedeutung der 
zufftichen Kirche (nad Pavel Miljufon). 
Im der „Zufunft” 8, 31 veröffentlicht K. Breyfig unter dem Titel: 


‚Kulturgeichichte, eine Vorrede zu den beiden eriten Bänden eines grofen" 


entwidiungsgeihichtlihen Wertes, die demnächſt im Werlage von Bondi im 
Berlin erjcheinen ſollen. Berfafjer beftimmt den Begriff der Kulturgeſchlchte 
möglihit umfafiend und ſucht jih von Einjeitigfeiten frei zu halten. Den- 
noch meint er als eigentlihes Thema, das die Symphonie der Welt— 
geichichte beherrſcht, und damit al die eigentliche Aufgabe des Geſchicht⸗ 
ichreibers nicht ſowohl die politischen, auch nicht die geiftigen Bewegungen, 
jondern vielmehr das fociale, fittliche Verhalten der Menſchen unter einander 
binjtellen zu follen. Uns fdeint, dah man beſſer thut, das geſchichtliche 
Leben überhaupt nicht auf eine beftimmte formel bringen zu wollen. 
Sewiß hat die Geſchichte es mit den Menſchen als ſocialen Weſen zu thun, 
und gewiß tft die Erkenntnis des Verhältnifies von Perfönlichkeit und 
Beer zu einander eine der wichtigſten gejhichtsphilojophifchen Auf⸗ 

Aber „Die Aufgabe des univerſalhiſtoriſchen Schriftftelers, wie 

will, iſt es nicht. — Im übrigen aber wiederholen wir, daß bie 
Erörterungen diefer Borrede ſich don Einfeitigfeiten frei zu haften und 
den ‚verfchiedenen Seiten des gefchichtlihen Lebens möglichft gerecht zu 
en fuchen, und jo hojien wir, daß das Werk jelbft auch jenes Grund— 
Hema nicht über Gebühr in dem Vordergrund rücen wird, 





N 





| 





Allgemeines. j 345 


+5 dem Hiſtoriler dodj nur um eine Neihe präcijer Angaben zu thun tt 
und alles Übrige ziemlich; gleichgüftiges Beiwert iſt. — Wir notiren ferner 
aus ber Beilage vom 21. April einen Artifel von Ed. Heyd: Das Kelten- 
tum in der europäljchen Blutmiihung (Beiprehung des gleidhnamigen 
trauſen Buches don Driesmann); aus der Beilage vom 15. Mat die Artilel 
von H- Kleinpeter: Zur Ignorabimusfrage (Heutige Stellung der Wifjene 
ſchaft zu ber befannten Dubois-Meymond’ichen Formel) und von W. Boch: 
Monumentale Geſchichtſchreibung (Antiteitit einer in der Beilage vom 
20. December 1899 veröffentlichten Verherrlichung von Paſtor's Geſchichte 
der Päpfte, und ſcharfe Kritik der uftramontanen Geſchichtſchreibung über- 
haupt). — In der Beilage vom 30. Mai endlich vertritt ©. Seeliger 
noch einmal gegen Thudichum jeinen Standpunkt in der Frage ber hiſtoriſchen 
rundtarten (vgl. 9. 8. 85, 155). 

Ein Artitel von R. Laſch im Archiv für Religionswifienichaft 3, 2: 
Die Finfternife in der Mythologie und im religidjen Braud der Völter, 
bietet eine interejfante Zufammenftelung. Verfaſſer unterfeidet vier 
Borjtellungstypen, von denen diejenige des Berjchlingens von Sonne oder 
Mond durch ein Ungeheuer als die wichtigſte nnd verbreitetite erjheint. — 
In den Neuen Jahrbüchern für das klaſſiſcht Alterthum ac. 5/6, 2 behaudelt 
4. Bun: Die Arbeitsweife der Naturvölter, und ebendort in der 

ten Abtheilung R. Brandftätter: Die Friedensidee in geichichtlicher 
— Im 3. Heft derfelben Zeitichrift gibt S. Nieticel eine ein- 
gehende Beiprehung von Richard Schröder's Deutſcher Rechtsgeſchichte 

Im Globus 77, 26 gibt 9. Singer in einem Urtilel: Welche Erd⸗ 
gebiete find am Schluffe des 19. Jahrhunderts noch unbefannt? eine inter 
effante, durch Kartenflizzen erläuterte Überficht über die Fortſchritte 
unjerer Kenninis von der Erde jeit 100 Jahren. — Ebendort in Nr. 14 
behandelt E. Schmidt: Die Vertheilung der Kopfjormen in Europa 
Amit Starte). 

Im den Mittheilungen der Anthropolog. Gejellichaft in Wien 30, 1 
veröffentliht Bancalari eine Wortfegung jeiner Forſchungen und 
Stubien über das Haus (Boltsmähige Benennungen der Geräthe), — Die 
Geographiſche Zeitſchrift 6, 5 enthält den Schluß der Arbeit von F. Höd: 
Der gegenwärtige Stand umjerer Kenntnis don der urjprünglichen Ber 
breitung der angebauten Nußzpflanzen. Ebendort behandelt ©. Schlüter 
im Anflug an das große Werk von Meipen: Die Formen der ländlichen 
Siedelungen (mit zwei Überfichtöfarten). 

Im Gentralblatt für Bibliothetsweſen 17, 4 und 5 beiclieht 
®.®. Meier jeine Arbeit über die Fortſchritte der Paläographie mit 
za ve Photographie. 

Bene Büder: Wundt, Völferpiuchologie I. Die Sprache. (Leipzig, 
Engelmann.) — 3. Goldjtein, Unterſuchungen zum Sulturproblem der 








Alte Gejchichte. 34T 


Aus dem Recneil de travaux relatifs A Ia philologie et & 
Varchöologie ögyptiennes et assyriennes 22, 1-3 notiren wir 
®. Darejiy: Stele de lan II d’Amasis; B. Scheil: Notes d'épi- 
graphie et d’archeologie assyriennes. XLV. Stöle de vietoire du roi 
Naram-Sin; ®. Öroff: Etude sur les personnages du roman de 
Setnd-Ptah Ha-m-us; G. Legrain: Notes prises A Karnak. L. Frag- 
ments des annales des prötres d’Amon. II. Une restauration de Tibere 
au sanctuaire d’Ousertesen Ier & Karnak; W. Groff? La date du 
esnotaphe d’Osiris; @. M Müller: Zur Überlieferung über die erften 
drei Dynaftien. ®. Spiegelberg: Die Northambton-Stele. 


Aus dem Journal asiatique 14 (1900) notiren wir . Grenarb: 
La legende de Satok Boghra Khän et l'histoire (wichtig für die &es 
ſchichte Turkeftans und deſſen Übertritt zum Islam) und R. Weilt: 
Lart de la fortification dans la haute antiquit6 dgyptienne. 


D. 9. dv. Soden, Paläftina und feine Geſchichte. Leipzig, B. G. 
Teubner. 1899 (IV, 112. 0,90 M, geb. 1,15 WM) In der unter dem 
Zitel „Aus Matur und Geiſteswelt“ erſcheinenden Sammlung wifjen« 
ſchaftlich· gemeinderſtandlicher Darftelungen aus allen Gebieten des Wifjens 
bilden die ſechs volfstbümlichen Vorträge des Berliner Gelehrten über das 
heilige Land das 6. Bändchen, dem außer einem Plane Jerufalems mehrere 
zum Berftändnis der Bibel nütliche Karten beigegeben jind. Nachdem bie 
weltgeſchichtliche Bedeutung, Lage und Beſchaffenheit des Landes beſprochen 
üt, wird im 2. bis 4. Vortrag Paläjtina gezeichnet ald Heimat des Voltes 
Farael, als Wiege des Chriftentfums und als das Heilige Sand der 
Epriften und Muhammedaner, worauf die beiden legten Vorträge Jerufalem 
und andere berühmte Stätten des Landes behandeln. Am Schluß merden 
die Bibelftellen nachgewiefen, auf welche der Tert Bezug genommen hat, 
und der Berfafjer, deſſen geiſtvolle Briefe über feine im Frühjahr 1898 
ausgeführte Paläftinareife (Berlin, 1898) gleich 3. Naumann's Asia eine 
hervorragende Stelle unter den durch die Fahrt unſeres SKaiferpanres 
Hervorgerufenen Schriften einnehmen, nennt zuletzt noch einige empfehlenss 
werthe Werte über Bibel, Kreuzzüge und Islam. Als Profeſſor ber neus 
teftamentlihen Theologie und auf Gruud feiner durch umfaffende Stubien 
amterftüpten friihen Reifeeindrüde war der Verfaſſer wohl befähigt, die 
Geſchichte bes heiligen Landes von Israels Anfängen an bis zu den 
neuefien Erfolgen der in Paläſtina anſäſſig gewordenen ſchwäbiſchen 
Zempler in lebenävollen Bildern zu ſchildern, jo dab ich dem inhaltsreichen 
und dabei jo billigen Büchlein eine weite Verbreitung wilnſche. 

Adolf Kamphausen, 

Be der Revue des dtudes juives 79 (1900) ſucht Th. Neinad: 
fet juif il y a deux mille ans das Fragment einer griechtjchen 
ft zu ergänzen, auf einen Sohn des Cheltias, bes Gründers des 


























4 








Alte Geſchichte 49 


Vaſen aus Griechenland. Dann behandelt H. Lucas ausführlich die 
en worin man Darftellungen ber 

tömifhen Provinzen erfannt hat. Im dem beigegebenen Archäblogiſchen 
Anzeiger berichten Ehr. Huelſen ausführlich über die neuen Ausgrabungen 
auf dem Forum Romanum und in Sitzungen der archäologiſchen Bejell- 
haft ©. Aubenfohn über jeine Ausgrabungen auf Paros. 

Aus den Jahresheften des Oſterreichiſchen archäologiſchen Injtituts 
in Wien nebft Beiblatt 3, 1 notiten wir Th. Mommfen: Volksbeſchluß 
der Ephejier zu Ehren des Kaiſers Antoninus Pius (Stiftung eines Volls⸗ 
feſtes am Geburtstag des Kaiſers; anhangsweiſe juht Mommjen die 
oentität der beiden Amter der Lyniarchie und des Bundesprieftertfums 
nachzuweiſen); 2. v. Schroeder: Ein Erflärungsverfud; der Duenos— 
Inſchrift; E. Bormann: Neue Militärdiplome des Mufeums zu Sofia; 
M. Hoermes: Gravirte Broncen aus Hallftatt; A. Wilhelm: Nachleſe 
zu griechiſchen Inſchriften W. Kubtticek: Eine Verpehrungsiteuer im 
Kom; A. Wildelm: Zwei Inſchriften aus Baros (Kaiferbrief a. d. I. 

n. Chr, lateiniſches und griehiihes Exemplar); 5 Winter: 
Sri Borträtftatue im Louvre (a. d. 5. Jahrh. v. Ehr.); A. Wilhelm: 

Der Dichter Antiphon aus Athen; DO. Benndorf: Zur Stele Zanthia; 
B. Kubitjhet: Notizen aus dem Leithagebiete (eine Linie von römischen 
Anfiedlungen am rechten Seithaufer zwiſchen Ebenfurth und Brud und 
dann in gerader Fortfegung jenjeits der Leitha bis Carnuntum gefichert) ; 
€. Kalinfa: Inſchriften aus Syrien und Zur hiſtoriſchen Topographie 
Lytiens; K. Storpil: Neue Funde in Varna; F. v. Ealice: Zur 
Eopographie des oberen Bosporus; E. dv. Stern: Grabſtein eines 
Thrafer® aus Olbia; Th. Heberdey: Borläufiger Bericht über die Aus— 
grabungen in Epheſus. IV.; 9. Liebl: Epigraphiihes aus Slavonien 
und Südungarm; N. Bulid: Zur Chronologie der Kaifer Philippus IL, 
Decius und Bolufianus. 

Aus ben Oomptes-rendus de l’Academie des Inscriptions et Belles- 
lettres 1900, Januar« Februar notiren wir L. Heuzey: A propos des 
fouilles de M. Gauckler & Carthage (ein Beitrag zur Loſung der Frage 
nad ben Beziehungen der phöniciihen und carthagiſchen Induſtrie zu 
zn; Dant: Note sur les recherches sous-marines aux alentours 

de Carthage; Seymour de Ricci: Le millieire le plus meridional 
du monde (aufgeftellt vom Bräfekten Ägyptens Vibius Marimus 32 Millien 
bon Philae); Delattre: Lettre sur les fouilles de la ndcropole voisine 
de Sainte-Monique à Carthage; ©. Majpero: La consseration du 
nouveau temple de Phtah Thebain par Thoutmosis IH. 


Die Revue des ötudes anciennes 2,2 enthält Ph. E. Legrand: 
L’Arcadie et lidylle; M. Bonnet: Les histoires de Salluste; quels 
en devalent ötre le sujet et l’ötendue? (Die Hiftorlen des Salluft, als 





























Alte Geſchichte. 351 
u de l'instraction publique en Belgique 42 (1899) 
otiren wir P. Hoffmann: L’opinion de l'historien Edouard Gibbon 
ur les 6tudes classiques; A. de Ceuleneer: Tabernae Aprianae 
jenannt nad) dem Orte Apri an der Via Egnatia); Fr. P. Garofalo: 
Incore un mot sur la question du passage des Alpes par Hannibal 
zu dem Refultat, dafi man nicht mehr erkennen könnte, welden 
Beg * große Feldherr eingeſchlagen habe); V. Tourneur: Une 
nestion d’antiquit6s greeques. L’ixguilopogia. 
ee En 
ville antique inddite Aquae Calidae Colonia ou Hammamn R'Ihra 
—— d’Alger) (mit vielen Abbildungen) und L. De la Eroir: 
d’une villa gallo-romaine, d'un nymphee ou fontaine 
aonumentale antique transformee en chapelle chretienne, de la 
asilique de Saint-Martin, de l’'habitation de Saint-Maur et autres 
I6couvertes archeologiques de Saint-Maur, de Glanfeuil (Maine- 
). 


Mus The Annual of the British School at Athens 5 (1898/99) 
(ofiren wir Excavations in Melos 1899 D, Madenzie: The Senson's 
Work. T. D. Attinſon: The Strnetures. E. €, Edgar: The Pottery. 
Ef. D. Edmonda: Some Doubtful Points of Thessalian Topography. 
d. ®. Hogartf: Excavations at Naukratis. 


Aus The Classical Review 1900, April notiren wir €. Nidlin: 
The origin of the egyptian year und T W. Beasley: An inseription 
H# Dyme in Achaia (Neuvergleihung unb Beſprechung des befannten 
Briefes des Profonfuls O. Fabius Maximus ar die Dymäer). 


Im derfelben Beitfchrift, Mai findet ſich ein Bericht über die neueſten 

Ausgrabungen in Rom von Th. Afhby: 1. Comitium and Curia. 
}. Rostra. 8. Basilica Aemilin. 4. Atrium Vestae, 5. Porticus 
Warguritaria 6. Sacra via. 
Harvard Studies in classical philology 10 (1899) enthalten 
von 9. B Greenough: The religious condition of the 
Freeks at the time of the New Comedy und 3. ®. 9. Walden: The 
late of Libanius's Adyos Arrdgios £r' Tovluivo (wäahrſcheinlich zwiſchen 
Zuli 365 und Juli 366 n. Chr.). 

In der Revue numismatigue 4, 1 (1900) laffen M. Prou und 
M. Roftovtjew ihrem von ums angezeigtem Catalogue des Plombs 
intiques jet einen Catalogue des Plombs du moyen age et de 
"&poque moderne jolgen, wopon uns bejonders XIV. Sceaux Byzantins 
niereſſirt. E. Babelon behandelt auf Grund ber Münzen Le faux 
prophete Alexandre d’Abonotichos, und U. Dieudonne verdffentlicht 
wei Broncemebaillons aus Lydien (von Hierofaifareia und Moftene), 


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 QJuftin’® Namen gehende cohortatio' nd Graecos 
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ft (Bd. 85) N. F. SM. XLIX, 


NRettungsverſuch 
. Ansberti (vgl. 84, 540) 


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en 











Einfluß gewonnen hat. 


[tere mare 












































Souvenirs du Oomte de la Ferronuays 
par Marquis ©. de Beauregard. — 





Deutfche Landfcaften. 3 


1900; urjprünglic als Neujahrsblatt der Badiſchen Hiſtoriſchen Roms 
miffion auf 1897 erſchienen (vgl. 9. 3. 81, 187). Abgeſehen von der Ber 
richtigung und Ergänzung mandjer Einzelheiten enthält das Buch in feiner 
neuen Gejtalt mehrere, das Verſtündnis der kunſtgeſchichtlichen Abſchnitte 
erfeihternde Illuſtrationen. Th. Ludwig. 

Zuſammenſaſſend ſoll hier auf die werthvollen Studien beſonders zur 
neueren Agrargefhichte hingewieſen werden, welde der 
frühere Heilbronner, jegt Titbinger Gymnafialprofefior Theodor Knapp 
in ben lehten ſechs Jahren an verſchledenen Stellen veröffentlicht hat. 
Die Nefultate aller diefer forgfäftigen Einzelunterfuhungen deden ſich an- 
dauernd volltändig mit den aus G. F. Kuapp's Straßburger Seminar 

, zum Theil älteren Arbeiten, und beftätigen die Richtig- 
feit der von dieſen vertretenen Unfichten um jo entichiedener, als der 
ichmwäbiiche Forſcher wenigſtens jeine erfte Abhandlung ohne jede Kenntnis 
jener Tendenzen gefchrieben hat. 

Theodor Knapp theilt bejonders mit Wittich das DVerdienit, die Natur 
ber jpäteren jübweftdeutihen Leibeigenjcaft, und zwar an dem Meinen 
Zandgebiet der Stadt Heilbronn, zuerſt ſowohl bejdreibend als juriſtiſch 
tonſtruirend feftgeftellt und die Loelbſung diefer Inititution von der 
Gerichts⸗ wie Grundherrſchaft bemertt zu haben (Brogramm d. Karlsaymn. 
in Heilbr. Nr. 590, 1894; Witett. Vierteljabröbeite #. Bon diejer zwar 
ſehr ſchmalen, aber volljtändig gefiherten Bafis aus ſchritt er dann au 
einer Reihe allgemeinerer Erörterungen über die gefammte jübmeftdeutiche, 
wie die verſchiedenen Syſteme der allgemeinen deutſchen Leibeigenſchaſft vor, 
welche zwar nichts eigentlich Neues enthalten, jedoch ausmahmslos die 
arakteriftifhen Züge der Anftitution, imsbefondere den Gegenſatz des 
Oſtens und Weitens, einfach und Mar hervorheben (Württ. Vierteljahrsh. 
N. 5.5; Neues Korrejpondenzblatt 1897, Nr. 10; Zeitichr. d. Sapigny- 
Geſellſch, Germ. Abth. 19. Daneben aber fuhr er fort, dem Gebiet ber 
württembergijhen Agrarverfaffung immer neue Stihproben zu entnehmen 
und deren Struktur, nun aber nad) allen Richtungen, auf's genauefte zum 
prüfen. (Das ritterjchaftl. Dorf Haunsheim in Schwaben. Wiürtt. Viertel- 
jahrsh. N. F. 5. Über d. vormalige Verfaſſ. d. Landorte d. ehemal. Obers 
amts Heilbronn. Württ. Jahrbücher f. Statift. w. Landeskunde 1899, 1.) 
Dank diefen minutiöfen Unteriuchungen find wir jept in diefem Bezirt 
über jo jhwierige Fragen wie z. B. die Auflöfung der Hofverfaffung und 
die Verwandlung der früheren geichloffenen Biiter In lauter walzende Äder, 
womit das Verſchwinden fejter Bauernllafien eng zujammenhängt, vorzüg- 
lich orientirt. Man ſieht diefen Procch, wieder im der Umgebung von 
Heilbronn, ſchon im 14. und 15. Jahrhundert beginnen und fi dann fajt 
überall ſiegreich vollziehen, wenn nicht außnahınaweife Grund» und Gerichts: 
berrichaft über ein ganzes Dorf in einer Hand lagen, Wo dies zutraf, 
war nicht blof die Verhinderung der Theilung möglih und auch öfters ber 














— 








Deutfche Landſchaften. 39 


ann DE an 1 Snland begüterte Dietrid) v. Galen (ca. 1570 bis ca. 1649), 
eine Beit lang Reiterführer im Münfterjchen, erſcheint in der kurzen Bios 
graphie von 9: ——— — Zeitſchr. f. vaterländ, ber u. Alter 
Vorbild jeines me Ghriftoph Bernhard, des ‚belannten Biihofs von 


Der Füſſener Totentanz wird von A. Dürrwädter im Jahrb. 
db, Hiftor. Ber. ſ. Schwab. u. Neuburg, 1899 als ein unter Venutzung 
des GrofBajeler und des Holbein’ihen Vorbildes zwiſchen 1595 und 1600 
jelbftändig don Fat. Hübler geſchaffenes Wert erwieſen und fein Einfluß 
auf die Umgegend feftgejtellt. 

Kurz bingewiefen jei Bier auf die von C. v. Raab als Beilngebeft 
zu dem Mittheil. d. Altertumsver. zu Plauen i. ®., 13. Jahresſchr, auf die 
Jahre 1897/98 publicirten, inhaltsreichen Regeſten zur Orts- und Familien— 
geſchichte des Bogtlandes Bd 2, 1485— 1569. 

In den Mittheilungen des Vereins file Anhaltiſche Geſch. u. Alters 
thumstunde (8, 6) veröffentlicht Stadtarchivar Siebert aus Zerbft weitere 
Abſchnitte (vgl. 9. 3. 84, 564) des dortigen älteften Schöffenbudes bis 
Br ee! fort, und den Tert bes zweiten Schöffenbuches zunchſt 
bis 1400, 

Ganz furz ſei auf die hier zum Theil ſchon erwähnten Mittheit. d. 
Gefellih. j. Kieler Stadtgeſchichte hingewiefen, welche in Heit 9—17 
(1891— 99) ſehr viel rechtsgeſchichtliches Material — das ültefte Rentebuch, 
das Erbebuh, das Varbuch, d. bh. Aufzeichnung der Sriminalfälle von 
1465 bis 1546 —, fowie Studien von Erdardt über Kieler Topographie, 
Mobdenberg über Sieler Leben im 14. und 15. Jahrhundert und Wolff 
über die Grenzen des Lübijhen und Sächftfchen Rechts im ber Stabt jeibt 


Die Zeitihrift der Geſellſchaft für ſchleswig-holſteiniſche Geſchlchte 
3b. 29 enthält einen längeren Aufſaß von R.Hanjen über den Duhmar— 
ſchen Ehroniften Johann Ruffe aus der erſten Hälfte des 16, Jahrhunderts, 
deſſen Sammelarbeit wir die Kenntnis einer Anzahl älterer Arbeiten zu 
verdanfen haben, die Mufie benupte. Zur Ausarbeitung einer zufammens 
hängenden Darftellung iſt Muffe nicht gefommen. &, Schröder erzählt 
die Schidfale der Stadt Neuftadt in Holjtein bis 1580; Jellingbaus 
ftellt die hofiteinijhen Ortsnamen iyftematiich nad) den Endungen geordnet 
aufammen. Erwähnt fei noch eine Beiprechung der Arbeit Platen's über 
den Urſprung der Rolandsjäulen ans der Feder Rodenberg's. Nodenberg 
ſteht der Anſicht Platen's, wonad die Molandsjäulen auf Bilder des 
Gottes Donar zurüdzuführen find, nicht unſympathiſch gegenüber, wenn: 
gleich er vor allen Dingen die Frage beantwortet wiſſen möchte, wie ſich 
die Donarbilder in der chriftlihen Zeit hätten halten fünnen. 











— — ein. ur 
ftatsten u. Ergänzungen zu den allgem. Stat 




















| . 


GBreslau, Marcus. IM) — Wirte, Schlefiens Bergbau u. Hütten- 
wejen. Uefunden 1136-1528. [Cod. diplom. Silesine. 20.) Breslau, 
ee Bivier, Geſch. d. Bergregals in Schlefien b. z. Beſitze 
ergreifung durch Preußen. (Sattowip, Böhm. 12 M) — Arnold, Die 
Vertreibung der Salzburger Proteftanten. (Leipzig, Diederichs) 


Bermifdtes. 

Tom 19. bis 21. April tagte in Berlin die 26. Plenarberjammlung 
der Bentraldireftion der Monumenta Germanine historica. 
Im Laufe des Jahres 1899/1900 find erfchienen: im der Abtheilung Epi- 
stolae der Schluß des 2. Bandes (Regifter Gregor’ IL) und der 2. Theil 
des 5. Bandes (Karolingerzeit). Im den Schulausgaben bearbeitete Eber- 
bard die vita Heinriei IV, Holder-Egger die monumenta Erphes- 
furtensia saec. 12—14. Wuherdem murbe der 25. Band bed Neuen 
Archivs unter Breßlau' s Redaktion ausgegeben. Unter der Preſſe be— 
finden ſich 6 Ouartbände und 1 Oftavband. — Fr den als Abſchluß der 
Auctores antiquissimi geplanten 14, Band ber Oarınina selecta 
netatis Romanae extremae haben Vollmer und Traube bie Vor 

ven begonnen. Unter Kehr's Leitung hat Bradmann jeine 
Urbeiten für die Herausgabe des liber pontificalis, der vitae Gregorii 
und der übrigen Quellen zu Papftgeihichte fortgeſeßt. In den Serip- 
tores {ft der von Kruſch bearbeitete 4. Band ber Merowingiichen 
Heiligenleben im Drud weit vorgefchritten, die Vorarbeiten für den 5. Band 
von Leviſon find zur Hälfte erledigt. Holder-Egger bereitet für 
den 31. Band ber 8. 8. bie Herausgabe der Annales Cremonenses, ber 
Chronik Sicard's von Eremona, der Doppelchronik von Neggio und ber 
Chronit Salimbenes vor, Eine neue Handausgabe des Cosmas von Prag 
und jeiner Fortſeher bereitet Bretholz vor. In den Leges iſt ber 
Drud der von Zeumer bearbeiteten Leges Visigothorum regelmähig 
fortgejhritten. Nach Bergleihung der Handſchriſten gedentt v. Shwind 
nunmehr, ben Tert der Lex Baiuvariorum fritifch fejtzulegen. Fiir die 
Konzilienbearbeitung hat Wermingboff eine Reife nad) Frantreich und 
Belgien unternommen, über die ein befonderer Bericht erfolgen wird. 
Schwalm arbeitete gleichzeitig für den 9. und 4. Band der Constitu- 
tiones et acta publica imperii. 


Su der Abtheilung Diplomata bereitete Brehlau den 4. Band 
(Kontad U. und Heinrich IIL) durch eine längere Reife nad) Stalien vor, 
Der Drud der Urkunden Heinrich's IL. wurde vollendet, fo daß mur noch 
die des Königs Arduin und die Nachträge fehlen. Der Drud der auf 
3—4 Bände veranjchlagten Karolingerurtunden bat begonnen. Die erjte 
Hälfte des 1. Bandes (bis 814) dilrfte in Iahresfrift vorliegen. In dem 
Epistolae find die Vorarbeiten für den 6. Band im Gange, der ins— 





























ee 68 Hatte auch mit den Anfein, da 


























-- 


Griechiſche Kukturgeichichte im der Auffaſſung Jat. Burdhardt's. 389 


menjchlicher Bethätigungen einfacher oder entwidelter Art}), 
ſondern der Inbegriff derjenigen Grundthatiachen, Vorftellungen, 
Triebe und — faſt wäre zu jagen — Geſetze, die das Leben 
einer Zeit ober eines Volkes beherrſchen. Das äußere Geſchehen 
hat für eine ſolche Betrachtung nur fymptomatijche Bedeutung 
als Äußerungsweije tieferer Grundfräfte und Strömungen, bie 
zu erfennen das eigentliche Ziel der Beobachtung und des Stu- 
diums bleibt. Man würde jagen, es handle ſich hierbei um ein 
philoſophiſches Durchdringen der Geſchichte — denn in ber That 
iſt es nichts Anderes —, wenn nicht in dem bejonderen Fall 
Burchardt's die ganze Erkenntnisweiſe in der Hauptjache auf 
Intuition und künſtleriſchem Tiefblid und nicht auf verjtandes- 
mäßiger Abſtraktion berubte. Er hielt das Erfaffen der Grund- 
kräfte für das Ziel der geichichtlichen Betrachtung und infofern 
auch für ihre werthvollfte Errungenſchaft, als ihm bei diejer 
Studienrichtung gegenüber und vor anderen geichichtlichen Auf- 
gaben bie größtmögliche Sicherheit und Wahrheit der Erkenntnis 
verbürgt ſchien. Denn wenn der Aufbau einer Gejchichte der 
Ereigniffe, zumal des Alterthums, auf die große Schwierigkeit 
ſtoße, aus fümmerlichen Fragmenten über die Abgründe fehlender 
Bivifchenglieder hinweg eine Brüde des ficheren Kauſalnexus 
bauen zu müffen, jo fei dagegen die Erfenntnismöglichfeit der 
verurfachenden Kräfte eine weit höhere, ja fie fönne ben primum 
gradum certitudinis beanjpruchen. Da das nämliche Lebens- 
prineip den verfchiedenen Außerungen zu Grunde liege, jo könne 
don mehreren Seiten ber die Probe gemacht werden, und es 
müßte bei richtiger Beobachtung, ob man num Politit, Necht, 
Religion, Kunft oder Wirthichaft in's Auge faſſe, immer dieſelbe 
Grundanlage zu Tage treten, jo dab aljo die fulturgefchichtliche 
Behandlung die Wahrheit ihrer Ergebniffe anhaltend zu fontrols 
liren in der Lage je. Will man an diejer Stelle eimvenden, 
dies ſei nichts anderes als ein Zirfelgang, indem man von der 
Empirie der Thatſachen auf Grundfräfte jchließe, während bie 

9 Doch ſei jogleich bemerkt, daß Burkhardt das Wort Kultur in 
mannigfachem Sinne gebraucht, au wohl nad dem gewöhnlichen Sprach- 
gebraud). 


Griechiſche Kulturgefchichte in der Auffaſſung Jat. Vurdhardt’s. 391 \ 


zur Seite getreten wären, jo hätten bei dieſer zweiten Aufgabe 
die Betrachtung des römischen Rechts und der römischen Staatd- 
verwaltung Hauptfapitel abgeben müfjen. 

Die Hitorie, welche folchergeftalt die Erfenntnis der origir 
nalen Lebensprincipien, der Seelen- und Grundfräfte eines Volfes 
ober einer Zeitperiode ſich als Aufgabe ftellt!), hat eine Vorfrage 
zu erledigen, welche Manche, auch ernfthaft Denfende, wie eine 
Kippe betrachten, an ber fie nicht anders als fcheitern könne. | 

Jedes große und ſich auslebende Vollsthum macht eine 
Entwidlung durch, die man nad) einer beliebten, freilich jehr ans 
fechtbaren Vergleihung Kindheit, Neife u. ſ. w. zu benennen jich 
gewöhnt hat. Wo bleibt in der wechjelnden Erjcheinung der 
Metamorphofen eines Volkes die Konſtante? Iſt der A la mode- 

Deutjche des 17. Sahrhundert® oder ber Germane in römijchem 
Sold fein Deutiher? Das Griechentgum hat nicht nur durch | 
Kunſt, Wiffenichaft, Philofophie des 5. und 4. Jahrhunderts 
unermeßliche Wirkungen geübt; der Stoizismus, ber kosmo— 
politijch gewordene Hellenismus, die Myſtik des Neuplatonismus 
find nicht minder Mächte der Zukunft geworden; ſchließlich kann 
man auc das Griechenthum der chriftlichen Byzantiner nicht 
leugnen. Und ebenjo nad) rüdwärts. Seit mit der myfenijchen 
Beriode ein Alterthum bes Alterthums aufgededt worden ift, fieht 
man fich einer Kontinuität von drei Jahrtaufenden gegenüber. 
Sollte es alfo nicht abjurd fein, den Typus eines Deutjchen, 
eines Griechen erfafjen zu wollen? 

Man fann darauf zunächit jagen, daß niemand fich bedenkt, 
don einem antiken, einem mittelalterlichen und modernen Menjchen 
zu reden. Dan verbindet mit diefen Bezeichnungen ſehr be- 
jtimmte Borjtellungen, die auf der Gewißheit begrifjlich definir- 
barer Unterjchiede ruhen. Im Verhältnis zu jenen umfafjenderen 





") Ein Franzoſe Emile Gebhart hat in einer vortrefflichen Analyje 
der Sultur der Nenaifjance (Revue des deux mondes 1885, 15 novembre 
p. 842— 379) die Burdhardt’jhe Auffaſſung des Begriffs Kultur etwas zu 
eng als &tat intime de la conscience d’un peuple befinirt und bie 
Aufgabe als probleme de psychologie historique bezeichnet. 





|— I 














Griechiſche Kulturgeſchichte in der Auffaſſung Jat. Burdhardt's. 398 


nuance?); denn wenn die Dinge ber Welt und Gejchichte viele 
Seiten haben, jo ijt doc meiſt eine Seite die Frontfeite, 

Wie Burdhardt eine Löfung der Schwierigfeiten finden zu 
können glaubte und fand, erregt doch außerorbentliches Interefje. 
Um es bildlich vorwegzunehmen: er gleicht in feinem Verſuch 
einem Architekten, der, um von feinem Bau auf dem Papier 
eine Vorftellung zu geben, den Aufriß und die Querſchnitte 
zeichnet. Der Querſchnitt ift nicht einer, jondern er zeigt, ob« 
wohl Mauer auf Mauer zu ftehen pflegt und damit die Gefammt- 
anordnung ähnelt, in den verichiedenen Stockwerken Abweichungen. 
Dieje Stockwerle find die Jahrhunderte; jedes hat typifche Züge, 
aber auch VBejonderheiten. Würde ein Jahrhundert von breien 
allein oder vorzugsweiſe berüdjichtigt werden, um die Zuſtände 
zu ſchildern, jo würde eine falfche Betonung, ein zu heftiger 
Uccent, entftehen; auch geht es nicht an, etwa ein Mittleres 
zwiſchen den Extremen zu zeichnen?), Dier gilt es aljo, aus 
äugleichen, die Querſchnitte in ihrer Bejonderheit und den Aufs 
riß zur Anficht zu bringen. Wenn die Hauptaufgabe Darftellung 
don Zujtändlichem war, jo mußte fie ergänzt werben durch Stüde, 
welche die Veränderungen und das Nacheinander berbortreten 
laſſen. Ein Mufterbeifpiel derart it der Abjchnitt im 1. Band, 
worin die Abwandlungen im der Aufſaſſung des Berhältnifjes 
zwiſchen Griechen und Barbaren behandelt werden (S. 314 ff.) 
Im ganzen aber mochte der Verjafjer das Gefühl haben, daß fein 
Bemühen, den Typus „des Griechen“ zur Anſchauung zu bringen, 
der Gefahr des Normalifirens, und kurzum irgendwelchen Zwangs 
und faljcher Accentſtellung nicht entgehen könne, und besiegen hat 
er als Gejammtgegengewicht ein großes Schlubfapitel (das der 
4. Band bringen wird) gejchrieben: das griechifche Individuum 
im feiner hiſtoriſchen Entwidhung von der homeriſchen Zeit bis 
auf Alerander den Großen. Dort findet fi) nun Naum, in 


9 Das Eitat ift aus einem der Bände der Origines du christia- 
nisme, Doch mwühte id die Stelle nicht mehr zu verificiren. 

*) Sehr treffend bemerkt Ed. Meyer in jeiner Geſchichte des Alter 
tbums bei Gelegenheit: Die charalteriftiihen Züge milſſen immer den 
Ertremen näher jtehen als dem Durdicnitt. 

















Griechiſche Kultwrgejchichte in der Auffaſſung Jak Burdhardt’s. 396 


Perilles, Sophofles und Phidias vorgerebet worben, daß wir 
nicht anders fonnten, als an die jtrifte Kauſalität in diejen Ers 
ſcheinungen zu glauben, und. diejes Vorurtheil beherricht ung jo 
weit, dab es eine ber jeltjamften Enttäufchungen der öffentlichen 
Meinung war, als nach, dem beutjch-franzöfiichen Striege die nach 
allen Regeln und Gejegen der Schule fällige und jicher zu er 
wartende Blüthe von Literatur und Kunſt ausblieb. Die Kumft 
biftorifer haben mit diefem Vorurtheil längjt gebrochen; denn 
fie wiffen, daß die Kunſt-, d. h. Stilentwidlung eigene Gejege 
bat, daß fie ihe weniger von außen als von der Überlieferung 
der Technik, mit der fie arbeitet, vorgejchrieben werden. Die 
bildende Stunft hält in feiner Weife mit der politiſchen Gejchichte, 
ia auch nur mit der Literatur gleichen Schritt, die fr fich über 
eim jo viel gejchmeidigeres und nachgiebigeres Werkzeug, die Feder, 
verfügt, Burckhardt jprach gern von ber Blüthe griechiicher 

Kunft in demjelben 4. Jahrhundert, das auf politijchem Gebiet 
als eine Zeit des Verfalls angejehen wird, und nahm wohl Ans 
laß, über die „Orthodorie” der Phidiasgläubigen zu fpotten. 
Nachdrücklich ift daranf hinzuweiſen, dag er in dem Buch von 
der Kultur der Nenaiffance die Betrachtung der Kunft beijeite 
gelajjen hat (moran e8 wenig ändert, daß er davon als von einer 
Rüde ſpricht). Wo er auf den Eiceronianismus der neulateinifchen 
Literatur zu jprechen kommt und ihn mit dem Vitruvianismus 
ber Urchiteften vergleicht, bemerkt er, es erwahre fich auch hier 
das durchgehende Geſetz der Nenaiffance, daß die Bewegung in 
der Bildung durchgängig der analogen Kunſtbewegung voran 
gehe!). So hat er denn auch in der griechischen Kulturgeſchichte 
ſich des Aufipürens und Verwerthens folcher angeblichen Kauſa— 
Titäten enthalten umd die verjchiedenen Gebiete in getrennten 
Kapiteln jedes für ſich behandelt. Infolge deſſen hat er den 


4) Die Kultur der Renaifjance in Italien. Erjte Ausgabe (1860) 
©, 31. Gern erwähne ich bier dem geiftreihen Verſuch H. Thode's, die 
Blüte der Renaiffancehunft mit den Lebenswurzeln einer ihr zeitlich voran⸗ 
gehenden Periode in Zufammenhang zu bringen und fo der Furchtbarkeit 
der angeblichen Thatſache auszumweichen, als flände Blüthe der Kunſt und 
politljher Berjal in irgendwelcher faufalen Verbindung 





Griechifche Kulturgefchichte in der Auffaffung Jat. Burdhardt's. 397 


viduum aus gegebenen Zeitumftänden zu „erklären“, ob ein Milieu 
ein Indivibuum „produciren* könne, ober ob das Individuum 
Beit und Umgebung umgeftalte, wird hierbei nicht berührt. (Das 
erite große Wert Burdhardt’s, der Konſtantin, hat darin feine 
ftiliftische Schwäche, daß die verjchiedenen Tendenzen von Bio— 
graphie und Kulturgejchichte vermengt worden find.) Eine Be 
handlungsmeife, wie fie lediglich von formaleftiliftischen Nüdfichten 
biftirt wird, zeigen in bderjelben Weije bie großen Arbeiten von 
Carl Juſti. Sein Bud: Windelmann umd feine Zeitgenofjen gibt 
eine meiſterhafte Eulturgefchichtliche Milteudarftellung, wozu bie 
mehr repräjentative Bedeutung Windelmann’s, der nur Mittel- und 
nicht Hauptfigur ift, aufforderte. Einige Zeit ſpäter hat Juſti's 
Velazquez den völligen Eigenwillen und die Autochthonie des 
genialen Individuums mit voller Gleichgültigkeit gegen Zeit und 
Umgebung, ja mit jtarfer Betonung feiner ganzen geiftigen Uns 
abhängigteit in ungeminderter Meifterjchaft gezeichnet. 





Auf den folgenden Blättern foll verjucht werden, Inhalt 
und Gedanfengehalt des legten großen Werkes von Jakob Burd- 
hardt wiederzugeben; nicht aber e3 zu kritijiren. Einmal ift die 
Aufgabe, ſich die Gedanfenfolge eines Anderen klar und deutlich 
zu machen, für's erjte jchwer genug. Dann aber möge man dem 
Neferenten, der jeit Jahren kunſthiſtoriſchen Studien den Vorzug 
gegeben hat, verzeihen, wenn er, durch jeine Erfahrungen an 
Kunſtwerken vorfichtig gemacht, ſich bejcheidet, angefichts eines 
fremdartigen Werkes immer erjt nach den Meinungen, Abfichten 
und Gedanken des Urhebers zu fragen, vorausgejegt natürlich, 
daß man glaube, Werk und Schöpfer lohnten die Mühe. 

Ehe wir indeffen zu dem Buch felbft gelangen, ſei an die 
Neihe der Vorerörterungen noch eine Schlußbetrachtung über 
Burdhardt’s Verhältnis zur Tradition angefügt, 

Das 19. Jahrhundert hat aus den Händen Windelmann’s 
und unjerer Klaſſiker ein kanonijirtes Griechenthum empfangen, 
Das dieje Auffaffung feine hiſtoriſch begründete war, bedarf 
feines Beweiſes. Es handelte ſich für jene Männer nicht um 


— 





Griechiſche Kulturgeſchichte in der Auffaſſung Jak. Burdhardt's. 399 


beſitzen ). Das halbkritiſche Verfahren, das Curtius im einzelnen 
anwandte, hat ihm die ſchroffſten Angriffe zugezogen, jo daß fein 
Werk faft eine Zieljcheibe der Kritik geworden ift. Hat jich aber 
die gelehrte Forschung anderen Wegen zugemendet, jo blieb doc 
für die allgemeine Vorjtellung, wie jie aus der Schule heraus— 
wuchs, die alte, durch Curtius jo glänzend vertretene Auffaſſung 
unantaftbar. Die Schule lehrte ein Griechenthum, an dem von 
dem Giftzahn des Heidenthums nicht das Mindefte zu ſpüren 
war. Im deutfchen Schulaufjag wurde weiter das Lob des 
Ariftides nach Cornelius Nepos gejungen, und wenn ein dreijterer 
Kopf meinte, jemanden zu beivundern, weil er feine öffentlichen 
Gelber veruntrent habe, fei fein dringender Anlaß, da unjeren 
Beiten und Anfprüchen die Ehrlichkeit der öffentlichen Verwaltung 
etwas Selbftverjtändliches fei, jo wurde dieſe Unficht als höchſt 
unehrerbietig zurückgewieſen. 

Burdhardt war bei Ranfe und Kugler durch die Eritijche 
Schule hindurchgegangen, aber jo wenig wie e& dieſe feine Meifter 
waren, wurde er ein Mitglied ber fritiichen Schule. Denn das 
tritiſche Temperament war bei allen dieſen Männern nicht bie 
Hauptfache ihrer Begabung, jondern fie meinten, über der Noth- 
mendigfeit kritifcher Übung nicht vergeffen zu jollen, daß bie 
Kritik nicht3 weiter thue, als einen Bauplag freimachen für nene 
Schöpfungen. Die kritiiche Schule aber jah nicht jo weit, ſondern 
ihr wurde die Kritit Selbjtzwed und die Deftruftion eine heilige 
Aufgabe, Dejtruktion nicht im Dienjt politijcher Tendenzen wie 
in der Kritif des 18. Jahrhunderts, jondern in einem unbefangenen 
wifjenichaftlichen Eifer, unjer Wiffen von Fabeln und Irrthümern 
zu entlajten, Sollte aber aus dem gereinigten Wiffen die neue 
Erfenntnis aufgebaut werben, jo zeigte ſich eine Unfruchtbarkeit, 
die mehrere Gründe hatte. Einmal war es nicht damit gethan, 
aus dem Schutt deſſen, was der Prüfung nicht Stand gehalten, 
die paar guten Baufteine herauszulejen und zujammenzufügen. 
Was aus den fog. geficherten hiſtoriſchen Thatſachen gebaut 
erden Tann, zeigen die „Jahrbücher der deutichen Gejchichte* 

9 Man jehe übrigens das intereflante Urtheil Über Curtins bei 
v. BWilamowig, Ariftoteles und Athen 1, 377. 


9) Her HE auch auf bie funzen, af 
Ed. Meyer, Gefcicte des Altertum 2, 29 














Griechiſche Kulturgefchichte in der Auffafjung Jal. Burdhardt's. 401 


wendig für den Fortſchritt des Erfennens Detailforichung bleibe, 

ft doch mur von großen Leiftungen ausgehen, 
und daß der mächtigen Tradition der Schule, bie von der eigent- 
fichen Wiſſenſchaft nur im geringem Maß Notiz nehme, nur durch 
eine monumentale Arbeit begegnet werben könne, die ſich an den 
Kreis der Gebildeten richte. Burdhardt hatte die feltene Vorliebe 
für große Aufgaben, weil er die Kraft dazu in fich ſpürte, und 
wenn er überhaupt einen Nat gab, jo fagte er jungen Studien— 
genoſſen gern, fie jollten jich große Stoffe wählen. Mit der 
ganzen Unabhängigkeit feines Ingeniums und einer bewußten 
Bernachläffigung der gelehrten Literatur ber legten Jahrzehnte 
(wovon jpäter ein Wort zu jagen fein wird), brachte er ein 
Werk hervor, defjen Grundanfchauung man furz, wie folgt, be 
zeichnen kann. 

Der Nimbus, der, von der Kunſt und Literatur der Griechen 
ausgehend, die ganze hellenijche Welt verklärte, hatte für Burck— 
bardt feine Blendfraft. So tief ergriffen er ſich in griechifche 
Poeſie verlor, jo mitjühlend fein Berjtändnis für viele Seiten 
griechifcher Neligion war und jo hoch feine Meinung von griechiicher 
Genialität, jo jehr gewahrte ex doch die tiefen Schlagichatten, 
die der Überfülle von Licht zur Seite gingen. Denn in diejem 
Manne lebte neben dem reinen Enthufiasmus für das Schöne 
umd einer großen und echten Begeifterungsfähigkeit eine wahr- 
haft geniole Nüchternheit der Beobadhtung, die ihm eine 
Unbefangenheit jondergleichen verlieh. War ihm bei aller Vor 
ficht und Abneigung gegen vorjchnelle Kauſalkonſtruktion ſchon in 
Der Welt der Nenaifjance die hochgefteigerte Empfänglichkeit für 
die Phänomene des Schönen neben der weitgehenden Unempfinds 
lichkeit für moraliſche Werthe als ein nachbenklicher Parallelismus 
aufgejtoßen, um wie viel größer erichien ihm in der hellenifchen 
Kultur die Kluft zwifchen dem Daſein der Kunſt und der furcht— 
baren Wirklichkeit des Lebens und Gejchehens?). Dieje Kluft zu 


4) 4, WE F Die Berbrechen des Tyrannen Mlerander von Pherä 
und feine Rübrung über das Theater des Euripibes. 1,296. Der Griechen- 
morb gleichzeitig mit Phidias, Atinos, Zeuxis, Parchafios und allen 
Finefjen der choriſchen Metrif und der Konverjation. 

Hiftorliche Beiticheift (Bo. 85) M. F Bo. XLIX, 26 














— — 


Griechiſche Kulturgeichichte in der Auffaffung Jak. Burdhardt's. 403 


den Griechen eine „hiltoriiche Urkunde“ geblieben. Ein Geiftes- 
zuftand, in dem nicht anhaltend Togifches Erkennen und Willen 
das Recht der Anſchauung forrigirt, mo Wunder und Legende 
die liebſte Nahrung abgeben, wo die holde Vorjpiegelung höher 
gewerthet wird, als was wir Wahrheit nennen, Ein jo uns 


geheuerer Gegenjag gegen unfere Art und Erziehung, daß wir, 
wie Georg Grote jagt, „zu jchr an XThatjachen und pofitive 


Philoſophie gewöhnt, eine Zeit nicht begreifen fünnen, wo die 


ſchönen Phantafiegebifde buchjtäblich gedeutet und als ernite 
Wirklichkeit angenommen wurden.“ Daß eine jolche geiftige 


Atmojphäre nur in „ungebildeten” Zeiten herrichen könne, konnte 
nur der Hochmuth unferer Tage behaupten!), der feine andere 
als die wiſſenſchaftliche Grundlage unferer Bildung gelten läßt, 
der gebildet und wifjenfchaftlich gebildet identificirt, al ob 3. B. 
religtöfe oder fünftlerifche Bildung nicht vollmerthige Botenzen neben 
ber wifjenjchaftlichen Bildung bebeuteten. Auch im Verlauf der 
griechiſchen Geſchichte iſt Aufklärung, Wiſſenſchaft, Gefchicht- 
ſchreibung gegen den populären Mythus aufgetreten und hat 
einen Konflift von meltgejchichtlichem Intereffe erzeugt. rote 
bat diefem Kampf in den zwei Schlußfapiteln des eriten Bandes 
feiner Griechiichen Geſchichte eine meifterhafte Darftellung?) ges 
widmet, vor allem auch die unterjcheidenden Gründe, welche die 
Macht des Mythus bei den Griechen jo viel jtärfer und dauernder 
machen als in unſerem germanijch-romaniichen Mittelalter, feſt— 
gejtellt. Was Nanfe in der Weltgejchichte unter dem Titel: An— 
tagonismus und fyortbildung der Ideen über göttliche Dinge 
mehr in der Art einer Skizze und poimtirter gibt, ift ein ähn- 
licher Veriuch. Alle aber fommen darin überein, daß der Mythus 
dauernd die Oberhand behielt, weil er die natürliche Form 
griechischer Erkenntnis war. Eine Fähigkeit der Illuſion und 
eine Kraft, daran als an ein höchſt Wirkliches zu glauben, die 
das Griechenvolt zum größten Kunſtvolt der Welt und aller 
Beiten gemacht hat; eine himmlijche Naivetät des Lügens, wie jte 

% Er ift formulirt in Aug. Comte's „Stufen der intellettuellen Nuss 
bildung”. 

*) Deutihe Ausgabe 1, 235 fi. 

26* 

















[0 


Griechiſche Kulturgeſchichte in der Auffaſſung Jak. Burdhardt's. 405 


Demotratie. Die Form der Darſtellung iſt keine geſchichtlich er— 
zãhlende; eigentlich wird die Geſchichte als befannt vorausgeſetzt. 
Burdhardt ftellt Thatjachen zufammen, um  hiftorifch « kritiſche 
Raiſonnements daranzufnüpfen, ähnlich, aber nicht ebenſo, wie 
Macchiavell in den Discorsi von Liviud ausgeht, um nach feiner 
Art Grundjäge der praktischen PBolitif zu gewinnen. Nicht die 
griechiſche Geſchichte zu erzählen, ſondern griechiſche Politit zu 
erfennen und zu kritifiren, ift Burckhardt's Abficht. Ich verjuche, 
einige charafteriftiiche Gedanken herauszuheben. 

Gegenüber anderen Neigungen anderer Völker ijt den Griechen 
das Gejelligkeitsbedürfnis eigen; die Polis jcheint nicht erſt auf 
eine gewiſſe Neife kommerziellen und induftriellen Lebens warten 
zu müfjen; jie ſcheint eine Naturform griechiichen Lebens; ber 
Markt der Stadt, die Agora mit ihrer Konverſation und ihrem 
Gejchäft ift Mittelpunkt des Dafeins, Aber indem diefe Schöpfung 
den Anjpruch erhebt, daß das Ganze über dem Theil jtehe, daß 
der Einzelne ſich als Bürger ihr unterzuordnen habe, wird fie 
zu einer furchtbaren Macht. Unter Schmerzen wird fie geboren 
(Gewaltjamfeit bes Synöfismus), und fie ift jo ſehr eine Kategorie 
bes politijchen Denfens der Griechen, daß ohne fie Das Leben 
nicht vorjtellbar ift. Sie fann nicht jterben, und ausgejtoßene 
Bevölferungen oder Teile von ihnen bewahren mit unerhörter 
Zãhigkeit die polisförmige Gemeinichaft (1, 275 ff.) Im allen 
Abwandlungen politiicher Formen bleibt die Grundthatjache die⸗ 
jelbe; da zugleich die Götter und der Kult als ftädtischer Befig 
aufgefaßt werden, jo ericheint die Stadt des weiteren als Kirche. 
Burdhardt jagt. um etwas von der Farbe der Intoleranz eine 
zumifchen: als Orthodoxie. Den eigentlichen Normalfall der Polis 
ftellt die fpartanische Verfaſſung dar, Herrichaftswille in ums 
bedingter Form. So wenig Burdhardt geneigt it, in politischer 
Beziehung eine Neigung für Athen zu Wort fommen zu laffen: 
fo viel gibt er doch zu, die Demokratie habe dort einer höchften 
Kultur Raum gelajfen, während Sparta die Macht um der 
Macht willen erjtrebt habe und fein anderes Pathos kenne als 
das ber Herrichaft. Der militäriſche Zufchnitt des Lebens, die 


‚Hochhaltung der Discipfin und die „Aufhebung des individuellen 


— 











Griechiſche Kulturgeſchichte in der Muffafiung Jal. Burdhardt's. 407 


zu großem Theil an ihrer krankhaften, jenjationsläfternen Ner- 
vofität Schuld trage, womit dann die politiiche Streberei Hand 
in Hand gehe, als deren Typus bereits Themiftofles betrachtet 
wird. Denn für das Erſcheinen ſolcher Charaktere brauche man 
nicht auf den peloponnefiichen Krieg zu warten. Daß die Demokratie 
im ihrer freien Bürgerfchaft doch auch Vertreter der gewerblichen 
Thätigfeit in ſich ſchloß), für die man die Diäten einführte, um 
fie für den entgangenen Erwerb im Gefchäft zu entjchädigen, 
wird Hierbei nicht berüdfichtigt. Auf die Frage des Verhält- 
niſſes zwiſchen freier Arbeit und Sklaven geht das Kapitel über 
die Sklaverei nicht ein, Sondern betrachtet die Sklaverei auf der 
Grundlage des Zuftandes, ben die induftrielle Bewegung hervor: 
gebracht hat. Im der Kreuzung von Antibanaufie und Demokratie 
fieht Burdhardt recht eigentlich den Wurm des ganzen Ber- 
faflungszuftandes. Denn bei der poſtulirten Gleichheit der Rechte 
und der Abneigung gegen die Arbeit jei eine Ausgleichung zwifchen 
Beſitz und Nichtbefigenden unmöglich gewejen, und aus biejer 
Unmöglichkeit, durch Arbeit und Lohn ein Emporfteigen der Armen 
zu begünftigen, jei ein Sturmlauf gegen die Befigenden entftanden, 
der grauenhafte Ausjchreitungen gezeitigt habe. Die Liturgien 
als gejegliche Erpreffungen werden düfter gejchildert; das Sylo— 
phantenthum jo, als fei die mittelalterliche Inguifition ein Kinder⸗ 
ſpiel dagegen geweſen; fein Terrorismus wird als eine jociale 
Veit bezeichnet, Indem aljo die Polis nichts als Parteiung, 
Haß, unmenfchlihe Verhärtung erzeugt habe, jei das Gift dieſes 
Buftandes nach aufen geflofjen, und die Städtefehden, die Riva— 
lität bis zu gegenjeitigem Sichhinauffchrauben und ſchließlichem 
Bernichten jeien natürliche Folgen des Grumdcharakters der Polis 
geweſen. Diefe Einzelwrtheile zujammenfafend hat Burckhardt 
feiner Orundanficht von der Polis Ausdruck gegeben, indem er 
jenen furchtbaren Dante’jchen Vers als Motto vorangejtellt Hat, 
den erjten Vers der drei Terzinen, die über dem Thor der 


*) Ed. Meyer, Die wirthidhaftlihe Entwidlung des Alterthums ©. 86 fi. 
Die Sklaverei im Altertfum S, 31 fi, wo übrigens zugegeben fit, daß fid) 
bie freie Arbeit thatſächlich faum gegen die Konkurrenz der Stlaven- 
arbeit behaupten konnte. 





Griechiſche Kulturgeſchichte in der Auffaſſung Jat. Burdhardt's. 409 


Beurtheilung entjernter Vergangenheit den Schlagworten immer 
gern aus dem Weg gegangen. Bielleicht war jeine Meinung, 
daß man mit ben uns höchſt geläufigen Begriffen von Indivie 
dualismus und Socialismus, indem man fie auf die Kämpfe der 
griechiichen Polis anmwende, fich die Sache zu ſehr vereinfache 
umd leicht made; wenn man heute im Zufammenhang moderner 
politächewirthichaftlicher Kämpfe dem antifen „Staatsgedanten“ 
wieder eine bejondere erzieheriiche Sraft zutraut, jo lagen Burd» 
hardt jolche Färbungen und Aftwalifirungen fern, da vielmehr 
feine Anficht war, man müffe jede Zeit, die nun einmal fir ſich 
ſei umd nie ebenfo wiederfehre, aus fich ſelbſt verjtehen lernen. 
Entgegen bequemen Sormulirungen liebte er es, Thatjächlichkeiten 
bildmäßig darzujtellen, wobei es mehr dem Lejer überlaffen bleibt, 
alle Konfequenzen zu ziehen. Für diefe bildmäßige Wiedergabe 
beſaß Burdhardt Fähigkeiten, die nur ihm eigen waren, und jo 
gelangte er burch eine faſt illufionäre Belebung vergangener Zur 
fände (wovon jpäter noch zu fprechen fein wird) zu einer Art 
Vifion, die ihm die Dinge gegenwärtig und fichtbar machte, daß 
er fie förmlich roch und fchmedte. Nicht auf mühfam abftrahiren- 
dem Denfen, jondern auf der Gewalt feiner Phantafieeindrücde 
beruht die intenjive Farbe feines Urtheils. 

Wir anderen, mehr an Darftellung der gejchichtlien Ent— 
widlung als an fulturgeichichtliche Schilderung des Zuſtänd— 
lichen gewöhnt, jchreiben Gejchichte gleichmüthiger und gefallen uns 
in einem jogenannten vornehm neutralen und objektiven Stil; nur 
vergeſſen wir leicht, daf unfer Gleihmuth kaum bewahrt bliebe, 
wenn wir förperlic) uns in die Zeiten, deren Gejchichte wir 
ſchreiben, zurüdverjegen könnten. Gilt das jchon von der Zeit 
der Eifenbahnlofigfeit und der politischen Zerriffenheit, um mie 
viel mehr würden wir die Folter empfinden, in Zuftänden zu 
leben, die der perfönlichen und Rechtsficherheit, der Aufklärung 
und äußeren Civilijation entbehren und dafür Fauſtrecht und 
Herenproceffe, Denunciantentyum und Barbarei des äußeren Lebens 
bejaßen. Während mir meiftens in Mattheit der Anſchauung 
befangen die ganze Fülle und den ganzen Drud vergangener 
Buftände ohne Iebendiges Reagiren und faſt ohne Empfindung 




















Griechiſche Kulturgeſchichte in der Auffafjung Jal. Burchardt's. 411 


Geſchichte lehrt mit genügender Deutlichfeit, wie unſäglich ge 
duldig, pafjiv und finmpf ſelbſt gegenüber dem Außerſten die 
Menjchheit zu allen Zeiten gewejen. Käme es auf die Mafje 
an, jo würde das Gejeg ber Trägheit gelten. Denn in alle 
Wege find es nur die Einzelnen, die, wenn das Maß voll ift, 
binaufgreifen in den Himmel und herunterholen 
„Die ewigen Rechte, 

Die droben hangen unverüußerlich 

Und unzerbrechlich wie die Sterne ſelbſt.“ 

Solcher Einzelner hat es allerdings in Griechenland genug ge 
geben, und Burdhardt kann für feine Auffafjung alle die an- 
führen, denen die Polis als Moloch erjchien, der ihre Freiheit 
fraß, die am ber Polis verzweifelnd ich demonftrativ vom dffent- 
lichen Leben abwandten und in Philoſophie und literarifcher Muße 
Erjag für getäufchte Hoffnungen juchten. Im diejem Betracht 
aljo wird man ſich hüten, die Darjtellung, die Burdhardt vom 
Leben der Bolis gegeben bat, als eine allzu jubjektive zu be— 
zeichnen. Denn jie entipricht dem Facit, das die illuftren und 
bejten Köpfe von Hellas ſelbſt gezogen haben, indem fie die Politik 
ben Leuten überliehen, die Burdhardt einem englifch-amerifanifchen 
Sprachgebrauch folgend politicians nennt. Diejen Standpunkt 
vertritt Burdhardt mit bewußter und berechtigter Einfeitigkeit), 
wie fie von der geläufigen gegentheiligen Anficht herausgefordert 
wird. Das eine ift ein Standpunkt wie das andere, und Burd- 
bardt würde jich zur Wehre jegen, wenn jeine Gegner die ganze 
Wahrheit im der Taſche zu haben fich einbildeten. 

Wir jahren in unjerem Bericht fort. Der erſte Band ſchließt 
mit einer Anzahl kürzerer Anhänge ab. Erftlich über die politi« 
ſchen Theorien der Griechen: angefichts einer furchtbaren Praxis 


9 Erop dem glänzenden Zeugnis, das Herodot der athenijchen Demo— 
kratie ausſtellt, und troß Grote, der fo entfernt ift, in der Polis eine 
Bivangdanitalt zu jeben, daß er gerade bie individuelle Freiheit an ihr 
rühmt. Nicht daß Sokrates ſchlleßlich Hingerichtet worden, jondern daß 
man ibn fo lange gebuldet, jei der Ruhm don Athen. Seine moderne 
Regierung zeige ein ähnliches Bild großmüthiger Duldung jucialer Hetero= 
dorie und individueller Geſchmacksrichtung gegemüber. 


— 


























|—— 


Griechiſche Kulturgeſchichte in der Auffaffung Iat. Burdharbt's. 413 


vergleichen. Höchjt wirfjam hat Eurtius die Elemente der Ein. 
heit um das glänzend herausgehobene Centrum des Delphiichen 
Oralels gruppirt und gewinnt von da aus als von einer Baſis 
den Übergang zum jonijchen Aufftand und den Perjerkriegen, in 
denen wie aus ber Knoſpe jener vorbereitenden Vorausſetzungen 
die Blüte eines gefammthellenischen politischen Pathos der Unab— 
hängigfeit und Einheit entjprungen jei. Ich habe immer Die 
Fügung diejer Kapitel als ein Meifterjtüct ftiliftifchen Aufbaus 
bewundert. Den Thatjachen!) aber möchte diefe Gruppirung 
wenig entjprechen. Es wird wicht nur mir aufgefallen fein, daß 
Burdhardt von den Perjerkriegen jo wenig redet. Wenn man 
die verjchiedenen Stellen, an denen fie erwähnt werden, zujammen- 
zählt, wird faum eine Seite herausfommen. Dieje Großthaten 
zu ignoriren, ift Burdhardt nicht jo jehr durch die Beobachtung 
veranlaht worden, daß die patriotijche FZafjung und Ausbeutung, 
der Perjerlämpje wejentlich erſt der jpäteren Rhetorik verdankt 
werde, als durd; die Forderungen feiner eigenthümlichen kultur— 
geſchichtlichen Betrachtung, die von der weltgefchichtlichen grund 
ſätzlich verjchieden ift. Hätte er wie Ranfe eine Weltgejchichte 
gejchrieben, jo würde er den Verjerkriegen denjelben großen Platz 
eingeräumt haben, den fie im erften Band bei Ranke einnehmen. 
In diefer jo ungleich gearbeiteten Weltgeſchichte gehört der Über- 
blick über die griechiiche Geſchichte als Aufbau zu den imponirendſten 
Leiftungen des Meiſters. Bon jeinem hohen Standpunft aus 
kann Ranfe nicht anders als die Stellen der Geſammtgeſchichte 
ergreifen, die, jo wie die Bojen das Fahrwaſſer fenntlich machen, 
die großen Strömungen und Wendepunfte des Weltenichidjals 
bezeichnen. Die Perjerkriege der Griechen als dasjenige Ereignis, 
welches die Weltgejchichte vom Orient ablöjt und dem enticheiden« 
ben Zug nach Weiten erdffnet, verlangen in diefem Zuſammen— 
bang eine ausführliche Darftellung. Denn bier entjcheidet die 


3) Selbit Beloch, Griechiſche Geſchichte Bd. 1, Hat nod das Kapitel: 
Anfänge der Einheitsbewegung, ivo ber Inhalt freilich die Überfchrift faum 
rechtfertigt: Was Burdhardt von den neueren Auffajjungen vom griechi— 
ihen Bundesſtaat, Verſuchen zu nationaler Einheit, was er vom „attiſchen 
Reich” gehalten hätte, lonnen wir nicht erörtern, 


























— 


Griechiſche Kulturgeſchichte in der Auffaſſung Fat. Burchhardt's. 416 


ausgeſprochen habe, indem er die Autonomie jeglicher griechiſchen 


Polis verkündete und den eingeborenen Partifularismus fanktionirte. 
Macht und Einheit aber im Sinn des politiſch organifirten Volls— 
thums!) haben die Griechen ihrer innerjten Anlage nad nie zu 
Wege gebracht. Indem Burdgardt das Typiſche und Unter 
ſcheidende des Griechentyums fuchte, hat er abfichtlich die Perfer- 
tümpfe beifeite gelaffen, und er hätte wie Voltaire im essai 
sur les maurs jagen fünnen: que les compilateurs repstent 
les batailles de Marathone et de Salamine; ce sont de 
grands exploits assez connus..... je m'attacherai à d’autres 


II. 
Der zweite Band. 


Aus dem Inferno der politischen Zuftände der Griechen her» 
austretend wendet ſich Burdhardt der religiöfen Welt der Griechen 
zu, a riveder le stelle, fann man jagen. Er brachte für das 
Verjtändnis des uns fat unbegreiflichen heidniſchen Bolytheismus 
ein Gefühl und eine Anlage, vor allem eine gewiſſe fünftlerifche 
Kongenialität mit, für deren Art, um uns weitere Worte zu Sparen, 
wir vorziehen, auf Goethes Gedicht Groß ift die Diana der 
Ephejer zu verweilen. Was aber jeine Örundanfichten vom Weſen 
griechiſcher Neligiofität weiterhin anlangt, jo ift es nicht unnüg, 
darauf hinzumeifen, daß jie in einem Kreis von Männern eine 
werthvolle Reſonanz bejaßen, unter denen Burchhardt der Üftejte 
und in vielen Beziehungen der Gebende war. Es mären zu 
nennen Franz Overbed, der Bajeler Theologe (dem dieje Zeit: 
ſchrift den berühmten Auffag über die Anfänge der patrijtiichen 
Literatur verdankt, N. F. 12 [1882)); Friedrich Niehſche, der 
jugendliche Ordinarius der klaſſiſchen Philologie, der zu Burckhardt 
in’s Kolleg ging und noch viele Jahre jpäter, da er jein letztes, 
furchtbares Buch herausgab, wo nichts mehr vor dem grauen- 

ı) Ih meine „Macht“ in dem grundlegenden Sinn, den man aus 


Rante Fennt, an welde Auffafiung neuerdings jehr zutreffend Mar Lenz 
in feinen Auflähen der Deutihen Rundſchau über die groben Mächte wieder 
erinnert hat. 








Griechiſche Kulturgeicichte in der Auffaffung Jal. Burdhardt's. 41T . 


micht, ethnologiſche Forſchungen, ſelbſt über Auftralneger?), aus« 
zunugen, alles in der Meinung, daß and Analogien und Kon— | 
traſte Mittel feien, unjere Anjchauung von Griechenthum beut- | 
licher und bejtimmter zu machen und fie von der herfümmlichen 
Zransfiguration zu erlöfen. 
Auch von diefem Theil der „Griechiſchen Kulturgeichichte” 
muß es genügen, die Gefichtspunfte anzudeuten‘). Die Religion 
der Griechen erfcheint Burckhardt nicht ala das, was unfer 
Sprachgebrauch; Religion nennt; denn das jpecififch religiöfe 
, Element war ſchwach in ihr vorhanden. Sie war eine Schöpfung 
bildender Phantafie, nicht offenbart von Prieſtern, von ihnen 
| gelehrt, gepflegt und gejchiemt, jondern Laien, Dichter haben 
ihr die Form gegeben. Der Aöde war Dichter und Lehrer. 
Und num höre man folgende Stelle (2, 36): „Nichts ift für ung 
fremder ala ein Wolf, das nicht nach Tagesneuigfeiten frägt, 
ſondern dringend und eifrig nach umftändlichem Bericht verlangt 
über die von ihm jelbjt gejchaffenen, aber unfertig und ſchreck⸗ 
haft gebliebenen Götter und Heroen, welche ihm jest in jolcher 
Schönheit und Lebensjülle entgegengebracht werden. Es it 
fein eigenes Wejen, nur in erhöhtem Ausdrud. Ein dringen» 
deres Bedürfnis iſt die Poeſie auf Erden nie gemwejen. In 
biejem großen Idealbild ihres eigenen dauernden Seins genofjen 














2) Man jehe z.B. den Anhang zum 1. Band der Piyde über 
pusgelsands. Ich traf Rohde eines Tages bei der Leftüre von Gothein's 
Lonola; aud bie jeinen Studien entfernten Neligionstreife und -Vor— 
ſtellungen zogen jein Interefie lebhaft an, und er ſprach mir bei dieſem 
Anlaf von ſpaniſcher Myftit und den Memoiren der h. Thereſe. In der 
Pine Hat er, wo die Rede auf bie verſchiedenen Formen der Efftafe 
, 27 — U tommt, des ſpaniſchen recojimiento gedacht. Weiteres 

in dem Aufſatz von W. Schmid, Jahresbericht über die Fort- 
age Uaſſiſchen Alterthumswiſſenſchaft 1899, im Beiblatt Biogras 
Jahrbuch S. 87—114. 
Bon dem einleitenden Kapitel über die Metamorphoien ſehe ich 
BurdHardt trägt hier die Hypotheſe einer Urporjtellung griechiſchen 
Glaubens vor. Ach will das nicht kritifirem, glaube aber, daß kompetente 
Beurtbeiler leicht das Gegentheil, die jpäte Entftehung der Metamor« 
phofenvorftellung wilrden annehmen wollen. 

Hitorijcdhe Beitfhrift (Bb. 85) M. 5. Bd. XLIX. 27 


nt 


* 





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Griechiſche Kulturgeſchichte in der Auffaſſung Jal. Burchardt's. 419 


brachte. Fanatismus aber hat dieſe Religion nicht erzeugt. Gerade 
daß ſie nichts lehrte, daß zwiſchen den Anſprüchen einer Kirche 
und des Unterrichts kein Konflikt möglich war, daß ſie nichts 
vorſchrieb und erzwang, daß ſich Wiſſenſchaft und Philoſophie 
vor feiner Theologie zu fürchten brauchten, iſt eine der wichtigſten 
Thatjachen griechiſcher Kultur. Die Freiheit ruhte hier auf Vor- 
ausjegungen, wie fie eigentlich nie wiebergefehrt jind!), Wie 
dann auch; die Kunſt fich diejer Freiheit bedient hat, Hierüber 
möge man die paar Seiten voller Empfindung 2, 219 ff. nachleſen. 

In Kürze werden die Weihen und Myſterien beſprochen, die 
im fpäten Heidenthum und jeit der Konkurrenz des Chriſtenthums 
wiederum zu jo großer Bedeutung emporwachſen; der dionyſiſche 
Kult und jeine Efftafe. „Man wird hier dem Altertum noch 
manches als religidfe Begehung zugeftehen, was in anderen Zeiten 
nicht mehr als religiös und Faum mehr als erlaubt gegolten hat.” 
Endlich die orphiichen Sekten, „eine Nebenreligion“, worin Agfeje 
und Sorge um das Jenſeits und das Heil der Seele zuerjt ihren 
frembartigen Einzug in das Griechenthum Halten. Bei den 
Myſterien wird niemand verwundert fein, Burckhardt auf der Seite 
aller derer zu finden, die von einer fittlichen Abficht und Wirkung 
in den Eleufinien feine Spur finden (draſtiſch 2, 198). 

Bei dieſer fo wenig religiöfen Religion, wo das für unjer 
Empfinden Iunerlichite ganz und gar veräußerlicht erjcheint, bildet 
ihre enorme Macht über die Gemüther ein Problem, das erſt, 
ivenn man fich die kultiſche Seite vergegenwärtigt, feine Löſung 
findet. „Ewig wird der Gegenjat Staunen erregen zwiſchen der 
fo geringen ethijchen Meinung von den Göttern, der jo geringen 
Hoffnung auf ihre fichere Hülfe, den jo zweifelhaften Anfichten 
über ihre Macht — zumal in Sachen von Leben und Tod — 
und anbdrerjeits dem jo gewaltig ausgedehnten Götterdienft.* 


9 Diefer Gedanke ift natürlich fhon im ritcle delaird und mit 
welchem Vergnügen ausgefprocen worden. Man jehe Voltaire's essai 
sur les maurs et l'esprit des nations, introduction chap. 26: es habe 
feine Priefter gegeben, die die Weißheit „hüteten“; l'accès de la raison 
fut ouvert & tout le monde; chacun donna l’essor A ses iddes, et 
c'est ce qui rendit les Greca le peuple le plus ing&nieux de la terre. 

27* 


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Sriechtiche Kulturgeſchichte in der Auffaſſung Jal. Burdhardt's. 421 


Sphären, wo die Ausficht auf die wolfenfofen olympiſchen 
Höhen von dem Brodem qualmenden Aberglaubens umbdüftert 
wird, und dem dunklen Gebieten, wo die Haffiiche und die roman⸗ 
tische Walpurgisnacht ununterſcheidbar im einander übergehen. 
Indem er bemerkt, es gehöre zu den Wahnvorjtellungen über bie 
Glüdjeligkeit der alten Griechen, daß jich bei ihmen nichts der⸗ 
gleichen hätte erzeigen fönnen, wedt er in dem (nicht fachmänni- 
ichen) Zejer das gleiche Erftaunen, mit dem Mephijtopheles das 
Erjcheinen der Phorkyaden begleitet: 
„Bir litten fie nicht auf den Schwellen 

Der grauenvollften unfrer Höllen. 

Hier wurzelt's in der Schönheit Land, 

Das wird mit Ruhm antit genannt.“ 

Als nur theilweije mit der Neligion zufammenhängenb be- 
trachtet Burdhardt in dem Kapitel: Die Erkundung der Zukunft 
einen geionderten Kreis von Einrichtungen und Vorftellungen, 
die Mantif, merlwürdig in ihrer völligen Umabhängigfeit vom 
BPriejterftand, jodann Vorbedeutungen jeder Art, das Gebiet der 
Divination, Traumweisfagung, die Chresmologen !), jchliehlich die 
DOrafel, Hier tritt der fataliftiiche Charakter des Popularglaubens 
nochmals deutlich zu Tage: die Götter machen nicht das Schiejal; 
fie vermögen nur, e8 zu offenbaren. Aus der Fülle al’ diejer Mit 
tbeilungen wollen wir als für den Hiftorifer bejonders interejfant 
die Darlegung des Gewichtes der Traumdeutung herausheben. 
„Namentlich Hier find Alterthum und moderne Zeit völlig ver- 
ſchiedene Welten, indem ja heute jelbft im ärmften Volfe der 
Traumglaube (etwa den an Lotterienummern ausgenommen) nahezu 
erlojchen it. Bur Pflege des Traummejens gehört, jcheint es, 
eine gewiſſe Muße, welche in dem eiligen Leben ber heutigen Zeit 
weder Groß noch Klein gegönnt wird; auch Hat die Wifjenfchaft 
das Phyfiologiiche daran zu deutlich bloßgelegt. Wem aber 


9 Burdhardt jchildert diefe Sache in ihrem Berfallgzuftand, wie denn 
aud) Robbe bemerkt: „Wir kennen die mantijche und kathartiſche Bewegung 
und was ſich aus ihr entiwidelte, kaum anders als im Zuftand der Ent- 
artung." Doch muß man als Ergänzung den ganz befonders feinen Ab⸗ 
Ichnitt Rohdes @, 62—102 hinzulefen. 





2) 2, 234 fi Bu diejen „Rlugen* 
| Hören. Man jehe feine Ahnung de 
| jprächen mit Edermann (13. Nov. 1828) 
{ Ausgewanderter*, die ja von ſolchen Ding 





Griehiihe Kulturgeihichte in der Auffaſſung Jak. Burdhardt's. 423 


empfindung, wonach die griechijche Anficht vom Leben und feinem 
Werth zu berechnen, die legte Aufgabe bleibt. Diejer ſchwierigen 
Verrechnung hat Burdhardt die Überfchrift gegeben: Zur Gefammte 
Bilanz des griechijchen Lebens. 

Nirgends drückt fich entjchiedener als hier der principielle 
Standpımkt des Mannes und jeine Kampfitellung aus, „In 
Betreff der alten Griechen, heißt es, glaubte man jeit der großen 
Erhebung des beutjchen Hinnanismus im vorigen Jahrhundert 
im Klaren zu fein: im Widerjchein ihres kriegerischen Heldenthums 
umd Bürgerthums, ihrer Kunſt und Poefie, ihres jchönen Landes 
und Klimas ſchätzte man fie glücklich, und Schiller's Gedicht 
„Die Götter Grierhenlands* fahte den ganzen vorausgejegten 
Zuftand in ein Bild zufammen, deffen Zauber noch heute jene 
Kraft nicht verloren hat.” Hierin erblickt Burdhardt „eine der 
allergrößten Fälfhungen des geſchichtlichen Ur— 
theils, welche jemals vorgefommen.* Wir wollen es für felbft- 
verjtändlic, halten, daß die wirklichen Kenner des Alterthums 
und die Vertreter der Alterthumswiſſenſchaft nicht auf Burdhardt 
mit diefer Erkenntnis gewartet haben, und darum brauchen fie 
fich nicht betroffen zu fühlen. Denn nicht fie hat Burdhardt 
im Auge, jondern die allgemeine, von den Fortſchritten eines 
betaillirenden Wifjens nicht berührte Meinung. Ihr erjcheint vor 
allem das Perikleiiche Athen in dem Nimbus einer „übereinfümms 
lichen (ein guter Ausdrud für das, was wir ſonſt „Eonventionell* 
nennen) Verklärung“, und es ift das Übliche, die Blüte von 
Hellas bis zum Tod des Perilles und zur Peſt im Athen zu 
erjtreden und von da ab den Verfall zu datiren. Hierbei find 
die Motivirumgen doch wieder jehr verfchieden. Man kann für 
den Niedergang der athenischen Nepublit einzelne Perjönlichkeiten 
verantwortlich machen, den Perikles oder Kleon oder Alfibiades, 
und im bejonderen den Perilles wegen der Fehler, die er be 
gangen, was in einer Zeit des Nüdjchlags gegen ben Perikleskult 
beliebt war oder, was das Aftnellite ift, aus dem entgegengefeßten 
Grund, weil feine vorragende Genialität feine anderen als mittel: 
mäßige Köpfe um ſich geduldet und alfo feinen Erben feiner 
Volitit Hinterlafjen habe. Man kann ferner in der Peſt die 








|—— 


Griechiſche Kulturgejhichte in der Auffaſſung Jal. Burchardt's. 425 


im der griechifchen Kunſt und Poeſie lebendig finden.“ Burdhardt 
iſt nicht der Erſte, der das jagt; aber er berührt damit bem 
Mittelpunkt des Hafficiftiichen Vorurtheils. Man kann es jo 
ausbrüden: während die gewöhnliche Meinung in griechifcher 
Kunft und Poeſie den Widerfchein des Lebens erblickt und nicht 
anders glaubt, als jei eine ſolche Kunſt des Wohlbehagens und 
der Erhebung über das Kleinliche bervorzubringen, nur einem 
Volle möglich gewejen, das von Lebensfreude und ficherem Glüd- 
ſeligleitsgefühl erfüllt gewejen, würde Burdhardt urtheilen: nur 
im Traum der Poefie habe ein ſolches Glück exiftirt, und die 
Eutdeckung der hohen Schöndeit jei nur als Löfung aus dem 
Dunkel der furchtbaren Disharmonien des wirklichen Lebens zu 
begreifen. Daß dies die tiefere und treffendere Auffaffung it, 
dab jie mit eigenfter Erfahrung erlebt ift, leuchtet ein. Sie 
philoſophiſch weiter zu begründen, halte ich für unangebracht, da 
Burdhardt jelbjt es unterlaffen hat. Wen aber nach umjtände 
licher pfychologifcher Erklärung des wahren Verhältniffes von 
Kunft und Leben verlangt, wird bei Schopenhauer und insbes 
fondere im dritten Buch jeines Hauptwerfes, über bie Erlöſung 
vom Willen durch die Schönheit, hinreichende Auskunft finden !). 
Die griechischen Affelte ſchöpfen daraus ihre unterjcheidende 
Größe, daß fie auf dem Boden eines Egoismus erwuchjen, der 
Durch feinerlei religiös legitimirte Moral bejchränft war. Andere 
angebliche Zügel und Hemmungen, die Polis mit ihrem Zwang 
als „Erzieherin zur Sittlichfeit“, hat Burdbardt Furz abgejertigt. 
Gerade die Polis mit ihrer volllommenen DOffentlichkeit macht er 
für die Entjeffelung der natürlichen Triebe verantwortlich. In 
dem Gefühl, von allen gejehen zu werden und in dem Wunjch, 
9 Auch wäre bier auf Niegiche'8 erjtaunliche Jugendſchrift, die 
Geburt der Tragödie oder Oriechenthum und Peffimimus zu verweiſen, 
wo über einige Grundfragen griechiſcher Piychologie, auch über das „dem 
tünjtleriihen Talent forrelative Talent des Leidens* erleuchtende Gedanken 
zu finden jind. Indeſſen hat diejes Buch einen ausfhliehlic intuitiv⸗ 
poetiihen Charakter und lann aus biefem Grunde nicht jedermann an- 
fpredien. Dem Tadel, den Niepiche jpäter ſelbſt darliber ausſprach, daß 
ihm bie „Einmiihung modernfter Dinge“ das grandiofe griechiſche Problem 
verborben habe, kann ich mich dagegen nicht durchaus anfdliehen. 





Griechiſche ulturgeſchichte in ber Auffaſſung Ja, Burdhardt’s. 497 


loje und titanijche Gentalität der Griechen hat dann aber auch) 
die Kehrjeite des Genius zu empfinden befommen, die furchtbare 
Senfibilität für Leiden und Noth der Wirklichkeit. Und fo ergibt 
ſich als Grundthatfache ber Seelenftimmung der griechifche Peſſi— 
mismus, weniger als philofophijche Neflerion und principielle 

denn als naiver Grundzug populärer Anficht vom 
Leben. Hier nimmt Burdardt mit reifer Erwägung den Faden 
auf, den’ einft Bödh gejponnen, als er jeiner Meinung dahin 
Ausdrud gab, die Hellenen jeien im Glanz der Kunſt umd 
in der Blüte der Freiheit unglüdlicher geweſen, als bie 
meiften glauben?), Im dem thatjächlichen Genußleben findet 
Burdhardt jo wenig einen Einwand wie in der mächtigen Pro 
duftion der poetiichen Kraft, da er den Optimismus des gries 
chiſchen Temperamentes anerkennt, aber freilich mehr im 
Sinn einer Betäubung der düſteren Grundanficht und eines ge 
ſuchten (vielleicht in der Anlage vorhandenen) Gegengewichts. 
Die Darftellung des griechiichen Peſſimismus, wie fie in dem 
grandiojen Nachtgemälde der Verzweiflung und der Statiftit des 
Selbſtmords als einer alltäglich gewordenen Erjcheinung gipfelt, 
wirb von tiefftem Gefühl für den Gegenftand getragen und von 
einer überwältigenden Fülle der Gefichtspunfte beleuchtet; auch 
wird die jtiliftijche Meiſterſchaft diejes Abjchnitts von feiner anderen 
Leiſtung Burchhardt's übertroffen ; je öfter man diefe Seiten wieder 


mehr dem Ehrijlentbum als dem Germanenthum zu bdanlen. Das Ger: 
manenthum nad) dieſer Seite nicht zu überfhäpen, thue man gut, Gregor 
von Tours aufmerffam zu leſen. In dem jelbftgefertigten Drudmanuffript 
bat Burchardt diefe Bemerkung, wie es ſcheint, unterdrüdt. Ste mühte 
ſonſt 2, 352 F. zu finden fein. 

2) Die Stelle findet fich in der Staatshaushaltung der Athener 1°, 
792; 1%, 710. Über das Aiter des griechifchen Peſſimimus wäre auch zu 
erwähnen, was Belod, Griechiſche Geſchichte 1, 224 fi., von feinen Zus 
fammenbang mit dem großen wirthſchaftlichen Umſchwung vom 7. zum 
6. Jahrhundert jagt. Dann Ed. Meyer, Geſchichte des Altertfums 2,551 A. 
Bödh Hat übrigens, woran bei diefer Gelegenheit erinnert fein mag, jelbit 
daran gedacht, eine Griechiſche Kulturgefchichte, einen „Bellen“ zu ſchreiben. 
Dean jehe U. Harnad, Geſchichte der Preußiſchen Alademie 1, 855 und 
Burjian, Geſchide der Hajfiihen Philologie in Deutichland ©. 696. 








den Gegebenheiten der Birlicheit Die } 





— 


Griechiſche Kulturgefchichte in der Auffaſſung Iat. Burchardt's. 420 


„plajtiiche Wünſchbarkeit“: jeder Anatom würde ſie tadeln; aber es 
ſind Mängel im Dienſt der Schönheit. Gern verweilt Burckhardt 
bei dem Gedanlen, die Bildhauer ſeien zum großen und ewigen 
Bortheil ihrer Kunſt perjönlich als Banaujen angejehen worben?); 
fo habe man fie weniger beachtet („ein Glück, daß die Philoſophen 
weniger von bildender Kunſt geredet haben; wie wäre es, wenn 
Plato einem Sfopas oder Praxiteles zu befehlen gehabt hätte“), 
und fo jei die Kunſt auch über die Zeiten des politijchen Nieder 
gangs weg weiter gediehen, ohne den Ziczadlinien der modernen, 
nachraphaelifchen Kunſt ausgejegt zu fein, und habe jich mit 
befjerem Glück als die Tragödie die Dilettanten ferngehalten. 
Die Poeſie wird, injoweit jie nationale Kraft ift, gejchilvert und- 
nur bis zu dem Punkt, wo jie „Literatur“ zu treiben beginnt. 
Die Anordnung it die bewährte eidologijche. Nimmt man dieſes 
Kapıtel mit den zahlreichen in den erjten beiden Bänden verjtreuten. 
Urtheilen über Dichter und Dichtwerke zujammen, fo ergibt ſich 
ein Eicerone griechijcher Poeſie. Was über Homer und Pindar, 
über die Muſit als Lebensinterefje der Griechen gejagt ift, wird 
man aus Burckhardt's Mund gern vernehmen, Überall begegnen 
uns jeingeprägte Säge. Das Epigramm, „das Gefäh des griechie 
ſchen Ejprit und eines der ſtärkſten Depofita griechiicher Poejie*. 
„Ariftophanes die grotesfe Randzeichnung einer langen eruften 
Geſchichte.“ Der Sklave, „ein Individuum mit langer Gejchichte 
in der Poeſie von Eumäos bei Homer bis zu Figaro“. Dann. 
em Kapitel über Philojophie und die Wiffenichaften. Der Philos 
jopbie wird die Vieljeitigfeit ihres Strebens und ihrer Biele, nicht 
das wirklich Erreichte nachgerühmt; auch habe jie die Kernfrage 
von Freiheit und Nothwendigkeit nicht unterjucht. Die Griechen 
haben angefangen, an der Entdeckung der Wahrheit zu arbeiten, 
aber der Mythus, jeine Welt: und Denfform, jtand im Wege, 
als ſich exalte Beobachtung, methodifche Redekunſt, Gejchicht- 
jchreibung erhoben. Der umfangreiche Schlußband bezieht fich, 
wie früher ſchon angedeutet, als Ergänzung auf alles Borans 
gegangene. Es ift eine dronologijche Betrachtung des Griechen« 

2) Bölig übereinjiimmend v. Wilamowig, Ariftoteles umd Athen 
2, 100 Anm. 36. 





EEE 


Griechiſche Kulturgeſchichte in ber Auffaſſung Jal. Burdhardrs. 481 . 


worten. Aus zweiter Hand hat Burdhardt nirgends gejchöpft; 
bie Zeftüre der Reſte der gefammten griechijchen Literatur hat ihn 
unaufhörlich beichäftigt, und jo hat fich in einer Zeit, da man 
ſich gern den Formalien zumandte, die Kritik auch um ihrer ſelbſt 
willen pflegte und in der Zufriedenheit des Specialifirens zu Büchern 
über einzelne homeriſche Partikeln, über ben Gebrauch einer einzelnen 
Präpofition und über den Hiatus bei dem einzelnen Autoren ge 
langte, die Freude an den fogenannten Realien bei ihm lebendig 
und wirkſam erhalten. Er gewann ein Wifjen, das auch den Fach— 
leuten, bie fich Tebiglich mit dem Altertyum bejchäftigen, imponiren 
mag. Während ſich aber biefer vieljeitige Stoff ordnete, zus 
jammenjchloß, bildliche Anfchaulichkeit und für Burdharbt Über- 
zeugungskraft erhielt, wurde von einem geiviffen Zeitpunkt ab 
die gelehrte Forschung nicht mehr berüdfichtigt und weitere Nabe 
rung nur aus emſig wiederholter Quellenleftüre gefogen. Sept, 
da das Buch erjchienen ift, hat man den Eindrud, als werde 
biejes Verhalten als ein böswilliges Ignoriren deſſen empfunden, 
mas die Wiſſenſchaft der legten fünfzig Jahre „an Urkunden, 
Thatjachen, Methoden und Gefichtspunften“ gewonnen habe, als 
Hochmuth gegen die unermüdliche Arbeit moderner Forſchung aus— 
gelegt, und als jpräche dieſe Empfindlichkeit in der Beurtheilung 
durch die Fachkreife mit. Seine Frage ift, daß dem Buch die 
Kenntnis der fortlaufenden wiſſenſchaftlichen Arbeit an vielen 
Punkten von Nugen geweſen wäre; ebenjo ficher ift aber, daß 
für die Aufgabe, wie fie Burdhardt fich und feinem Ingenium 
geitellt hatte, der Zeitpunkt der BVeröffentlihung des Wertes 
ein gleichgältiger war. Der Eicerone und bie Kultur der Ne 
naiffance find vor faft einem halben Jahrhundert erfchienen und 
erleben fortwährend neue Auflagen, in denen mit ein paar nothe 
mwendigen (in der Ausführung freilich mehr oder minder glüd- 
fichen) Retouchen den Ergebniffen der jeitherigen Forſchung Rech— 
nung getragen wird. Nichts hindert uns, bie Griechifche Kultur⸗ 
geihichte jo zu betrachten, als wenn fie vor vierzig oder fünfzig 
Jahren erichienen wäre. So würden wir nicht nach ihrem Ver— 
hältnis zum augenblidlichen Stand der Wiffenjchaft, fondern nach 
ihren dauernden Werthen, die von Debatten und Interefjen des 


‚Br 
2323; 


nr 





— — 


Griechiſche Kulturgeſchichte in der Auffafjung Jak. Burdhardt's. 433 


eben, der eine Zeit lang ſtark in Specialitäten gearbeitet 
Hat, tritt der Maßſtab für die verhältnismäßige Bedeutung ders 
ſelben gegen den Maßſtab der aufgewendeten Arbeitsfeiftung und 
AUffektion zurück, wobei leicht die große Linie der Kompofition 
gegen das vordrängende Detail verloren geht. Das muß nicht 
fo fein; aber es ijt natürlich, daß es meiftens jo ift. Dei dem 
weiten Horizont, ben Burckhardt ſich geftect hatte, mußte er fich 
die Weitfichtigfeit zu erhalten ſuchen, und es ift begreiflich, daß 
er fid) durch die Maſſe Kritiicher Fragen und Debatten zu ver« 
wirren fürchtete. Much mochte er in jüngeren Jahren- die Er—⸗ 
fahrung gemacht haben, daß gar manche diefer Fragen, jo brennend 
fie feinen, auf die Tagesorbnung fommen und ohne große Spur 
verjchwinden. Hätte Burdhardt über attiſches Eherecht oder 
Ephebenwejen fchreiben wollen, jo würde ihm die Vernachläſſigung 
der neuen Forſchung den Hals gebrochen haben; aber feine Aufe 
gabe war eine ganz andere. Er glich einem Freskiſten, ber, ſowie 
er ein paar Pinſelſtriche gejegt hat, von feinem Werfe einige 
Schritte zurücktritt, um im gehöriger Entfernung Klarheit und 
Geſammtwirkung zu beurtheilen. Es gibt Künſtler wie Forſcher, 
die mit ber Loupe arbeiten müfjen; für Burckhardt's Aufgabe 
war aber die entgegengejegte Methode erforderlich. Und jo lann 
man man fich ohne Bejchwerung feines wiſſenſchaftlichen Ger 
wiſſens auf den Standpunkt ftellen, als wäre das Werk jo und 
jo viele Jahre früher erichienen. 

Weiter ift der Vorwurf erhoben worden, daß Die literarischen 
Ausfagen ohne gehörige Unterjcheidung ihres Zeitalters heran— 
gezogen worden jeien. Wenn man jo wie Burckhardt mit Aus» 
fagen, die Hunderte von Jahren jpäter ſeien ald die Dinge, auf 
die fie ſich beziehen, beweijen wolle und mit ſolchermaßen dis— 
paratem Stoff wahllos feine Darftellung zufammenjege, jo bes 
weile man gar nichts und entwerthe von vornherein durch Mangel 
an Stritif feine Arbeit; eine Anklage, die, wenn jie begründer 
wäre, wirklich zu ſcharfem Urtheil berechtigte, Nun ift es in 
Anſehung verichiedener Quellenausfagen jelbftverftändlich, daß die 
zeitgendffiichen dic werthvolliten find, und daß die Glaubwürdig« 
feit von Zeugniffen um jo geringer wird, je weiter fich ihr zeit 

Hlftorifche geitſchrut (9b. 85) RM. #5. Bb. XLIX. 2 


er Plutarch, U Yu 
akt, wu Allee Ba una n 
weder bie ap) 
— — 
der benutzten Ausſagen iſt er ſich 
als einmal hat er ausdrücklich b 


Krumbacher, Geſchichte der bygantin 





Sriechijche Kulturgeſchichte in der Muffafiung Jal Burdhardt’e. 485 


Zeugniffe handle, dab er fie aber dennoch aus den und den 
Gründen heranzuziehen wage!). Schliehlich ift Methode und 
Kritik nur der in Regel gebrachte gejunde Menjchenverjtand, und 
auf weiten Gebieten appellirt doch vieles an die Entſcheidung 
bes hiſtoriſchen Taltes und der Urtheilsfähigkeit. Hier gilt für 
den Schüler das eine, und das andere für den Meifter, und die 
altberühmte Sentenz muß Recht behalten: quod lieet Jovi, non 
licet bovi. 

Noch ein Wort über die Diktion Burckhardt's in dieſem 
nachgelafjenen Wert. Man fieht wohl, daß es nad langem 
Formen durch Nachdenken und Borlefungen jchliehlich in einem 
Bug niebergejchrieben worden ift; denn die Proportion ift im 
ganzen und einzelnen erjtaunlich und ber Ausdruck höchſt 
lebendig, jo daß der Herausgeber wohlgethan hat, die von Burd- 
hardt jpäter beigelegten Notizen als „Nachträge" jedem Band 
gejondert mitzugeben. Manchmal aber hat man den Eindrud, 
als überwiege das Naifonnement, und als hätte wohl Burdhardt 
bei jpäterer Durchjicht an mancher Stelle das Erzählende breiter 
geftaltet. Denn jegt vermißt man ab und zu den Körper der 
Erzählung, und es ift nur das Nejultat, das Raifonnement wieber- 
gegeben. Im einzelnen der Schreibart ſodann, in der Satz— 
bildung ift Burdhardt wahrhaft er jelbjt. Man leſe eine Stelle 
wie 2, 124: „Über die Moira des Menſchenlebens find bei An- 
laß der Tragödie von Neueren jehr Hohe Worte gemacht worden: 
diefelbe ſei eine fittlihe Macht, welche die Widerſprüche und 
Gegenjäge in den menjchlichen Dingen mit erhabener Gerechtigfeit 
ausgleiche, freiheit und Nothwendigfeit verjöhne und dem an- 
fpruchsvollen Einzelwillen gegenüber das allgemeine Geſetz geltend 
made. Bon diejem Allem haben die Griechen nichts gewußt. 
Daß jich auf der tragiichen Scene das Schidjal mit dem Thun 
des Menjchen verflicht, verſteht ſich von jelbft, aber fittlich ge— 
priefen oder verflärt hat man dies Schickſal niemals.“ Man 


2) Bejonders 1, 261 Anm. 3 zu Lutklan's attiziftifhem Klaſſtzismus. 
Ferner 2, 218. 352, Die Injchriften find nicht unbenupt geblieben (2, 202); 
doch ift darin ſchwerlich weiter gegangen, als Böch reicht. 

23° 


— 4 

















Griechiſche Hulturgefchichte in der Auffaſſung Jak. Burdhardt's. 487 


er fich auf perjönliche Eindrüde umd Erinnerungen der eigenen 
Studienzeit beſchränkt, und nicht als Willfür, wenn er von den 

en Vertretern der Hiftorie an der Berliner Univerfität 
ausgeht. Denn auf diejem Gebiete konnte Berlin als der präg- 
mante Ausdruck defjen gelten, was im übrigen Deutichland an 
Kräften und Strebungen vorhanden war. Ohne dieſe Beichrän- 
kungen wäre es zu ſchwer geworden, dem Folgenden die nöthigen 
Grenzen abzujteden, 

Wer ala Student am Ende der fiebziger Jahre nach Berlin 
fan, fand dort eine imponirende Vertretung hiſtoriſcher Wifjen- 
ſchaft und Kunſt vereinigt: I. G. Droyſen und Treitfchfe, Waik 
umd K. W. Nitzſch. Sie alle find wie Burdhardt inzwiſchen zu 
den Toten eingegangen. 


Der damals jchon bejahrte Werfaffer der Geſchichte ber 
preußijchen Politik behertichte das Doppelgebiet der antiken und 
ber neuen Gejchichte; indeſſen war ber Abſtand, der die Studien- 
welt, von ber er ausgegangen war, von ber Endarbeit, zu ber er 
gelangt war, trennte, größer, als er vielleicht zugegeben hätte. Als 
Droyjen in meinem Infkriptionsheft juriftiiche, nattonalöfono- 
mifche und hiſtoriſche Vorlejungen bemerkte, gab er mir den 
Rath, die klaſſiſche Philologie nicht zu verabjäumen; demm im 
dem Erbe des Altertyums jei uns für alle Zeiten eine Mitgift 
zu Theil geworden, die jedermann zu nutzen trachten müfje, Er 
ſprach davon wie von einer unvergeffenen Jugendliebe. In der 
That mochte der Weg von Äſchylos und Ariftophanes, von 
Alerander dem Großen und dem Hellenismus bis zur Berkün- 
bung des Dogmas von der deutſchen Miſſion Preußens nicht 
jo ganz glatt gewejen jein, obzwar jchon, Droyjen’s Mafedonier faſt 
eine preußiſche Uniform trugen. Die großen Erfahrungen feiner 
Kieler Jahre lagen dazwiſchen. ZTreitichfe hat es einmal in einer 
Gelegenheitsrede ausgeiprochen, auch Droyien jei von denen ge- 
weſen, die erft unter den Bäumen des Mendelsjohn’schen Gartens 
geihwärmt haben, bis ihnen die Erkenntnis aufgegangen fei, daß 
der Endzwed aller Gejchichte politifcher Natur jei. Hätte 

















—— — 
Griechiſche Hulturgejhichte in der Auffafjung Jal. Burckhardt's. 439 


er ji in eine fajt fanatiſche Einjeitigfeit und eine unnatürliche 
Zeidenjchaftlichkeit in der Verkündung jeines Evangeliums hinein» 
drängte. 

Wie ganz anders war die Anziehung, die von Treitſchke 
ausging! Diejer „Eentripetalnarr und Preußenenthuſiaſt“, wie 
ihn einft Gutzlow genannt hatte, war ja auch durch manche 
Metamorphoje hindurchgegangen; aber er hatte das Ingenium 
umd die Macht, ganz im Augenblick zu leben und durch ein heftig 
arbeitendes Temperament die Elemente und Schladen früherer 
Entwidlungsjtadien im feuer leidenschaftliher Empfindung zu 
einer höchſt lebendigen Kraft zujammenzufchmelzen. Das Bild 
dieſer großen Perjönlichkeit zu genießen, wird der Nachwelt nicht Mi. 
ebenfo möglich jeim wie denen, die ihn mit Augen gejehen und 
mit Ohren gehört haben. Denn auf ihn fchien das Goethe'iche 
Wort gemänzt; Rede, damit ich dich ehe! Der größte Eindrud 
ging von ihm aus, wenn er ſprach. Sein großflächiges, derb- 
gebautes Gejicht hatte dann etwas von eimer Landichaft, über 
die Sturm und Gewitter, büftere Schatten und jühe Sonnen 
blige dahinziehen. Je nachdem er in erzählender Schilderung 
ober in Reflexionen jich erging, jegt in bitterer Kritif und dann 
in liebender Bewunderung fich ausbreitete, jo wechjelte in jeinem 
Antlig der Ausdrud von Begeijterung und Zom, Hohn und 
redenhaftem Humor. Wie diejes alles in Bildern und Farbe 
ſprühend den Hörer gefangen nahm, können fich die Nachlebenden 
nicht vorſtellen. Treitſchle's Art, Berfonen und Zuftände zu 
harakterifiren, war weniger abgetönt als jcharf fonturirend, in 
der Urt des älteren Holzichnitts, und fie glich ihm manchmal 
auch darin, daß fie gern mit Schwarz und Weiß, d. h. mit 
ſcharſfen Lichtern und Schatten, arbeitete, wie jie der redne— 
ziichen Wirkung gemäß find, Da er aud) als Schriftiteller den 
Redner nicht verleugnete, jo zeigen zumal jeine früheren und 
publiziftiichen Schriften eine Neigung zum Manierismus, die 
feiner Rede fremd war, da denn das Wort eine gewifje Härte 
umd Feſtgeformtheit der Prägung erlaubt, ja fordert, Die ber 
ſchmiegſameren Feder weniger anjtehen. Wenn man die Bände 
ber deutſchen Gejchichte auf die Diktion anjicht, jo wird man 








Griechiſche Kulturgeſchichte in der Auffafiung Jat. Burdhardt's. 441 


ſchaft der Afademie zurücgezogen hatte, lediglich eine fleinere 
Anzahl älterer Studenten Freitags Abends um feinen Studir- 
oder man fann faſt fagen Secirtifch. Es handelte fich nie um 
‚anderes als um redaktionelle Vorarbeiten für Ausgaben der Monu- 
menta Germaniae, und die mittelalterlihen Annalenbücher von 
Eambray, Met u. ſ. w. wurden durch jorgfältige Bergleichung 
der verjchiebenen Faſſungen in ihren felbftändigen und ihren abhän- 
gigen, abgejchriebenen oder interpolirten Stüden herauspräparirt. 
Das Ergebnis der gemeinfamen Arbeit, durch weiche Waitz die 
eigene Meinung nochmals zu prüfen wünjchte, wurde dann im 
Neuen Archiv veröffentlicht, und jeder der Theilnehmer an diejen 
tritiſchen Übungen wurde mit einem Sonderabzug belohnt. Ach 
meine, mich zu erinnern, dab ich unter den Studenten einer von 
den ganz wenigen war, die es bei dieſer eintönigen Befchäftigung 
in dem Gefühl, man müffe fich nicht nur nad) ber Seite feiner 
Neigungen, jondern möglichjt vielfeitig wifjenjchaftlic ausbilden 
und erziehen Lajjen, durch vier Semejter aushielten. Auf all 
gemeine Dinge fam felten die Sprache; wenn fich aber Anlaß 
bot, jo zeigte fich bei Waitz eine höchſt vielfeitige Bildung, und 
er war verwundert, denjelben Umfang des Wiffens nicht auch bei 
uns zu finden, al3 wenn das etwas Selbftverjtändliches gemejen 
wäre, Man erkannte dann, daß die Enge und Beſchränkung feiner 
Testen Lebensaufgabe nicht auf der Enge feines Horizontes beruhte, 
fondern da jie eine gewollte war, ba ihn feine frühere Thätig- 
feit auf dem Gebiet der Geichichtichreibung und Politit mochte 
zu der Erfenntnis geführt haben, die Parolen und bejtimmten 
Formulirungen jeien eine faljche Sicherheit, und es jei beſſer, 
fi auf engere, aber befriedigendere Bereiche wifjenjchaftlichen 
Vermögens zurüdzuziehen, darüber hinaus aber fi) mit einem 
ſteptiſchen non liquet zu bejcheiden. Sehr bezeichnend dafür it 
3. DB. die Stelle in Waitz' Deutjcher Verfaſſungsgeſchichte, wo 
er die wechjelnden Beurtheilungen, die Karl der Große gefunden, 
und die jede für ſich beitimmt genug lauten, fich aber unter ein- 
ander jtarl widerjprechen, mit janfter Ironie zufammenftellt. Bon 
Sybel's „Entftehung des deutjchen Königthums“ ſprach er mit 
denjelben Ausdrücden des Zweifels, da er die Entjcheidung im 





— — 


Griechiſche Kulturgeichichte in der Auffafiung Jak. Burchhardt's. 443 


meffenheit aber und Würde, mit denen er jich den eng gewordenen 
Aufgaben, ohne fie zu überjchägen, hingab, jlöhte Reſpelt ein. 
Die Marmorbüfte Ranke's jtand im Arbeitszimmer und jah 
unjerer Beichäftigung zu, ja gab ihnen eine gewiſſe Weihe, da 
doch von dem quellenkritischen Anmerkungen zu Ranke's erjtem 
Werk, der Gejchichte der germanifchen und romaniſchen Völker, 
dieſe ganze Art fritifchen Betriebs eine höhere Legitimation 
empfangen hatte. Bon allen Werken jeinesMeifters bemunderte 
Waig am meiften den 1. Band der Franzöfiichen Gejchichte, 
weil hier die Enthaltjamfeit im Urtheilen am jtrengiten geübt 
ſei, und die Dinge dafür laut und deutlich von ſich jelbft redeten ; 
ein Urtheil, das man, jobald Ranke an fich ſelbſt gemeffen wird, 
wohl unterfchreiben kann. Nitzſch z. B. hatte für dieſes in präge 
manten Sinne Ranke'ſche Werk geringe Sympathien, und es 
war ihm nicht erträglich, die großen Akteure, einen Karl IX., 
Eoligny, Katharina von Medici, ohne jede moraliiche Werthe 
unterjcheidung, alle mit dem gleichen neutralen und rein fünfte 
leriſchen Wohlwollen gejchildert zu jehen. 

Bolitiich ftand Karl Wilhelm Nigich Treitichke am nächiten, 
und es waltete eine aufrichtige Freundſchaft zwiichen dieſen beiden 
Männern. Leidenjchaftlich habe ich Nigich die damals vor die 
Enticheidung gerücte Frage des Hamburger Zollanichluffes be— 
jprechen hören, und er jtand in biefer Angelegenheit unbedingt 
zur Yuffafjung des Fürjten Bismard, dem dann auch die made 
folgende Zeit Recht gegeben hat. Ein Kreis gejchloffener Über- 
zeugungen, tie fie ſich Nitzſch aus feinen hiftorifchen Studien 
und aus dem tiefen Mitfühlen der Zeitgeichichte ergaben?), ver⸗ 
lieh feinem ganzen Wejen eine wohlthuende ruhige Wärme, die 
mehr jeinem Gemüt als jeinem Temperament entiprang. Wifjen- 
ſchaftlich Dagegen ſtand Nitzſch damals allein, und in ber Iſo— 
Kirung, in Die man ihn drängte, indem von mehreren Seiten auf 
ihn gedrüdt wurde, trat die Eigenthümlichfeit jeiner Richtung 


ı Man muß, um eine Voritellung bavon zu befommen, die kurze, 
aber ausbrudsvolle Schilderung der Sonflittözeit im jeinen „Deutſchen 
Stubien” leſen, insbejondere den Abſaß ©. 121 von dem wüſten Sturm 
gebrauſe der Barteien und dem preußiihen Staatsſchiff im Jahre 1866. 


Ant 


Hall HR 





Griedifche Kukturgefhichte in der Auffafiung Jak. Burdhardt's, 45 


gebiet ſich im der Hanptiache um die nämlichen Fragen und 
Kämpfe bewegten, und dab Hier wie dort von den wirthichaft- 
lichen Zuftänden und Entwidhungen auszugehen fei, wenn man 
den Schlüffel zum Verftändnis der pofitijchen Ereigniffe ge 
iwinnen wolle Für die Deutjche Gefchichte findet ſich dieje feine 
Grundanſchauung in dem ihm zugejchriebenen braftiichen Aus— 
fpruch zujammengedrängt: bei der Schweinemajt ber deutfchen 
Eichenwälbder müſſe man anfangen, wenn man unſere Geſchichte 
im Mittelalter verjtehen wolle. Sehr Unrecht thaten aber dies 
jenigen Nitzſch, die jeinen wirtbichaftlichen Problemen eine mate- 
rialiſtiſch⸗ marxiſche Deutung gaben?), Er ſelbſt ſah in den ele— 
mentaren Mächten je nachdem Hebel oder Widerjtand für das 
Eingreifen großer Einzelperfönlichfeiten in bie Gefchichte und in 
der Arbeit des hijtorischen Lebens den Proceß zwilchen jenen 
und den wirthſchaftlich verurfachten Antrieben der Maſſe. Wie 
feine Gefammtdarjtellung aus diefer Anfchauumg hervorwuchs, macht 
es nichts aus, ob man einzelne feiner Anfichten und Hypothejen 
wird fallen laſſen müfjen: ein großer, allgemein fichtbarer Ans 
ſtoß iſt für die alte und neue Geſchichte von ihm ausgegangen. 
Der Aufwand geiftiger Energie, wie fie allemal das Einfchlagen 
neuer Bahnen fordert, prägte fich in Nitzſch's Art, Borlefungen 
zu halten, jo deutlich aus, daß feine Erjcheinung auf dem Katheder 
etwas Beſonderes war, was mir nicht wieder vorgekommen it. 
Er ſaß da wie in einem Zauberkreis, innerhalb deſſen Vifionen 
aufjtiegen und drängend ihn umgaben; er hatte dieſe Geifter 
bejchworen und wollte ihr Meifter bleiben; aber fie waren ihm 
jo nahe, daß er Mühe hatte, deutlich zu jehen und zu faſſen. 
Viele kamen zugleich, es war ein Nebeneinander und ein Nach— 
einander; auch jchienen es nicht alle wohlbefannte Geftalten zu 
fein, jondern es famen immer neue und befangende, und er war 
ganz abjorbirt, mit ihnen fertig zu werben, Seine Züge fpannten 
ſich vor innerer Erregung, ob wohl den Anderen ein Mitanfchauen 
möglich jei. Denn eigentlich jah er, wie ich glaube, fein Publi— 

3) Vielleicht darf ich hier auf frühere Darlegungen verweifen, bie ich 
im Septemberheft der Preußiſchen Jahrbücher 1890 gegeben habe, unter 
dem Titel; Dentiche Geſchichte im Mittelalter 66, 215 ff. 





— 


Griechiſche Kulturgeſchichte in der Auffaffung Jat. Burdbardts. 447 


künſtleriſchen Standpuntt im Sinne der Romantif wie Nanfe 
ein. Ranfe war die Gejchichte ein Phänomen, und er betrachtete 
fie, wie die Sphinge im zweiten Theil des Fauft jagen: 
„Sigen vor den Pyramiden | 
u der Völker Hochgericht: 
berſchwemmung, Krieg und Frieden 
Und verziehen fein Geficht. 

Burckhardt war das micht möglich. Es ift ſchwer zu jagen, 
ob er an die Entwiclung einer jittlichen Ordnung in ber Ges 
ſchichte glaubte; jedenfalls war, was vielen altmodiſch vorfommen | 
mochte, die moralijche Werthung neben dem äfthetiichen Erfaffen | 
der Dinge feiner Natur umentbehrlih. Stand ſomit nach allen | 
dieſen Seiten Burdhardt in offenbarem Gegenjab zur Berliner 
Schule, jo Hatte er auch für die rechtshiftoriichen Aufgaben, wie | 
fie Waitz vertrat, fein großes Intereſſe; verfafjungs- und rechts- | 
geichichtliche Formen und Einrichtungen behandelte er eiliger; 
auch in der Griechifchen Kulturgefchichte ift es ja auffällig genug, 
wie wenig Aufmerfjamfeit er dem Gerüft diefer äußeren Formen 
fchenkt. Die kritiſche Mikrologie aber genoß feit Jahren keine | 
Beachtung mehr vor feinem weitſichtigen Auge, und er konnte | 
mit Bedauern von den jungen Gelehrten der Monumenta Ger- 
maniae fprechen, deren Horizont von Jahr zu Jahr enger werde. 
Dagegen gewann er ben jocial- und wirthichaftsgejchichtlichen 
Erjcheinungen gelegentlich treffende Beobachtungen ab; ein domi— 
nirendes Problem find fie für ihm nicht gewejen. Was jchlieh- 
lich das äußere Gehaben und die Wirfung jeines Vortrags an 
geht. jo ſchien er wenig damit zu rechnen. Er jprach ohne 
jedes Pathos; die Worte flofjen ihm mühelos; fie waren jchlicht, 
und jein innerer Antheil an den Dingen war jo groß, daß fein 
Abfehen auf lunſtmäßige Rhetorik vorhanden zu fein fchien. 

Was blieb nun übrig, das Weſen und Vortrag dieſes 
Mannes jo überaus anziehend machte? Allzu kurz und einfach 
laßt es fich nicht jagen; im der Hauptjache aber waren es 
zweierlei Eigenjchaften. Zuerjt die illufionäre Kraft der anſchau— 
lichen Schilderung. Sie erregte nicht die Leidenjchaft des Hörers, 
fondern jchaltete feinen Willen aus, um dafür die Phantafie 














—— 


Griechiſche Kulturgeſchichte in der Auffafiung Zat. Burchardi's. 449 


Gejtaltungsfähigkeit durchbrang und belebte das Ganze, wobei 
feine fonftruktive Willfür zu jpüren war, jondern der Eindruck 
blieb, ala hätte fich dem Werderuf eines fein ausgebildeten hiftos 
rifchen Sinnes das Chaos von jelbjt geordnet, in Gruppen ge— 
theilt und in anfchaubare und verftändliche Geſtalten gekleidet. 
Es war aljo weniger Wifjen, was da ausgebreitet wurde, als 
biftorifches Leben in bildlicher Folge, und hatte man bis dahin 
Stüde in der Hand gehabt, jo glaubte man nun ein Ganzes 
zu faflen und zu begreifen. Dies war das eine: eine Fähige 
feit wie die der Scheherezade in Tauſendundeiner Nacht oder 
wie der Sang der homerifchen Aöden; aber das war nicht 
alles, und die Hörer waren nicht lediglich in der Nolle der 
genußliebenden Phäalen, die dem göttlichen Sänger Demodokos 
laufchen. Vielmehr war wohl zu bemerken, daß Burckhardt 
in ber Geſchichte nicht allein eine Sättigung der Phantafie, 
jondern eine tiefere Erkenntnis juchte, und daß er in ihr bie 
wahre, nicht aprioriftiiche, jondern empirifche Philoſophie ver 
ehrte, die Wifjenfchaft vom Menjchen und der allmählichen Ent- 
faltung feiner geiftigen und jeeliichen Sträfte. Das war die 
zweite Eigenfchaft und Kraft, die jeine Darftellung durchdrang. 
Was Burdhardt auf diefem Weg zu ergründen fuchte, waren 
gewiſſe pſychologiſche Grundthatſachen, nicht im Sinne einer in 
ber Luft jchwebenden, angeblich allgemein anwendbaren Pſycho— 
logie, ſondern im Sinne einer von Stufe zu Stufe hiſtoriſch fich 
wandelnden Stombination geijtiger Intereſſen, Bedingungen und 
Fähigkeiten, wodurch jede Zeit und Kultur ſich von einer anderen 
merklich unterscheidet, und jo trat als Untergrund der Verjuch 
und die Andentung einer Gejchichte der menschlichen Pſyche in 
ihren Abwandlungen von Volk zu Volk, von Zeit zu Zeit und 
von Kultur zu Kultur hervor. Hierbei unterjtügte ihn jeine 
große Erfahrung auf dem Gebiet der fprechenditen geiftigen 
Phänomene, dem der künſtleriſchen Hervorbringungen, da er denn 
die Kunft nie allein um ber Kunſt willen, ſondern ſtets im Zus 
ſammenhang der gefammten Kulturäußerungen betrachtete. 
Burdhardt hat bei Gelegenheit gern befannt, wie jehr er 
dem franzöfiichen Geift verpflichtet fei, und fo bie an biefer 
Hifloriiche Beitihrift (Bd. #5) W. F. Bo. XLIX. 








Griechifche Kulturgeſchichte in der Auffafjung Jak. Burdhardi's. 451 


und dem Sichaufbäumen des Yndividuums, das ohne jegliche 
Scheu in's Unbegrenzte ftrebt und jenes Koloſſalmaß erzeugt, 
dem gegenüber Modernes Hein erfcheint, mit der endlichen Löſung 
des Konfliftes durch Kunſt und Poefie, die Freiheit und Bindung 
in göttlichem Mahhalten vereinigen: überall wird neben der 
Bilderfülle und der Breite des Anjchaulichen, die den Lefer er- 
göst, ein Tieferes und Bleibendes, ein Kreis piychologiicher 
Thatſachen erjcheinen, die einen hochernjten Sinn und Grund 
bilden. Und jomit ergibt fi) als eine legte und Höchte Aufe 
gabe, die Eigenjchaften, Gebilde und Werthe menjchlicher Natur, 
die von der einzelnen Volkskultur erzeugt, mannigfach umgewandelt 
in den allgemeinen Kulturftrom übergehen, zu erfennen und feft- 
zuftellen. In ihnen zeigt fid der erworbene Beſitz der Menſch- 
heit, und jie bilden, mit Goethe zu reden, die große Fuge, in 
die die Stimmen der einzelnen Völker mach einander einfallen. 





Auch wer von Jakob Burckhardt's volllommener Ebenbürtig- 
feit mit den größten Vertretern der deutichen Gefchichtichreibung 
unter feinen Zeitgenofjen überzeugt ift, wird nicht mit Zuverjicht 
behaupten, dab jeiner Art die Stimmung des gegenwärtigen 
Augenblid3 und der nächiten Zeit bereitwillig entgegenfomme. 
Die Gegenwart umfluthet uns in mächtiger Bewegung; alle 
Segel find aufgejpannt, um der Volfsfraft und ihren inneren 
natürlichen Antrieben jede Gunst der äußeren Umftände hinzu— 
zugeiwinnen; alle Kampfmittel, um fic) zu behaupten, werben 
gerüftet; die Politik beherrſcht unjer Dafein, und als ein lebens 
diges Stüd dieſes unſeres Daſeins wird ſich auch die Gejchicht- 
fchreibung von politiſchen Kräften tragen laffen. Ich finde darin 
nichts, was einer Gefahr für die Wifjenfchaft ähnlich jühe. Was 
lebendig ſich behaupten will, braucht die Luft des Lebens und 
fleigert, fie eimathmend, die eigene Kraft. Doch ift eines dabei 
zu erwägen: Wer zu lang und zu ausſchließlich nad) außen lebt, 
dem verfümmern dic tieferen Nejerven des Gemütes. Das ſiarke 
Selbſtbewußtſein, das cine Nation trägt und flärkt, bedarf einer 
Stüte und Ernährung in der Pflege ihrer jittlichen und geiftigen 

29° 








Zliscellen, 


Ein vermeintliches Revolutionsprogramm aus den 
Anfängen der deutſchen Fürſtenverſchwörung von 1550. 
Von 
Sermann Onden, 


Eines der umfänglichiten Aktenftücde, die A. v. Druffel in feinen 
„Beiträgen zur Reichsgeſchichte von 1546—1551” veröffentlicht hat, 
it die Nr. 388 des 1. Bandes, bezeicänet:] Memorisle le conie de 
Mansfelt et le duc de Saxe, 15. Februarii, Brüssel. Das Stück 
flammt aus ber ernejtinifchen Kanzlei, ijt mit manchen anderen bei ber 
Eroberung des Grimmenjteins (1567) beichlagnahmt worden und im 
das Dresdener Archiv gelangt; aus der Perluftrirung, der Kurfürſt 
Auguſt perſönlich die werthoolle Beute unterwarf, ftammt die von 
dem Herausgeber mitgetheilte Auffchrift von der Hand jeines Sefretärs 
Deniz, die den Hauptinhalt des Memorials ſachgemäß regiſtrirt und 
das Jahr 1550 Hinzufügt. Druffel hat in feiner Vorrede S. XII 
beſonders auf die Bedeutung des Stückes aufmerffam gemacht, die 
„Treilih erſt nad der Veröffentlichung der Korrefpondenz Johann 
Friedrich des Ülteren richtig zu beurtheilen“ fein würde, und bereit 
in ausführlichen Noten mit einem ziemlichen Aufwand von Scharffinn 
diefer Beurtheilung die Wege zu weiſen verſucht. Und in der That, 
wenn bie allein aus jener Kanzleinotiz adoptirte Kahreszahl zu Recht 
befteht, muß man gejtehen, daß bier einer ber weitgreifendften und 
rabdifalften Pläne aus der Vorgeſchichte der FFürjtenrevolution vom 
1552 enthält worden if. So haben auch neuere darjtellende Werte, 
indem fie fi; mit gutem Rechte an die Datirung des Herausgebers 
hielten, da8 Memorial benugt, wie z. B. Sr. v. Bezold in feiner 





























Ein vermeintlihes Revolutionsprogranm ꝛc. 455 


v. Thüngen, je 300 unter 10 einzeln benannten Rittmeitern, und 
7 Regimenter (zu je 10 Fähnlein) Knechte unter den Oberften Safob 
dv. Osburg, Anton v. Lügelburg, Graf Chriftof v. Oldenburg, Graf 
Bolrad v. Mansfeld, Karſten Manteuffel, Hans Than ımd Bernhard 
dv. Mila; dazu ſoll die landſäſſige Ritterſchaft gerüftet zur Hälfte 
nad) Weimar, zur Hälfte nad) Gotha beftellt werden. Iſt die Stadt 
Erfurt, deren Widerjpenftigfeit genugjamen Anlaß zu landesherrlihem 
Einjchreiten bietet, überrumpelt, dann joll der größte Theil des 
Heeres auf Würzburg rüden, Schloß und Stift einnehmen, den Biſchof 
mit der Klerijei womöglich totjchlagen, danad) die Stifter Bamberg 
und Eichjtätt ebenjo heimfuchen und jchließlich die Stadt Nürnberg 
als Wurzel alles Böfen von Grund aus zerflören. Ausdrücklich wird 
betont, daß der Zug nicht gegen den (in den fränkischen Stiften 
landjähfigen) Adel gerichtet fein fol, vielmehr diefem alle alten Hers 
fommen und Privilegien zu gewährleiiten find. Nach Ausführung 
dieſes Programms wird man zur Unterftüßung der bebrängten 
Chriſten in den Niederlanden und in Frankreich, nachdem der Durch— 
marjch durch Jülich durch das Angebot Gelderns erfauft ift, den 


Angriff auf Brabant richten, alle Lande und Stifter in den Nieder— 


landen nad) dem Vorbilde Würzburgs behandeln und dem erbver- 
brüderten Fürſten jhwören laſſen. Die Neutralität von Sachſen 
und Hejlen joll durch die Stifter Merfeburg, Naumburg, Meißen 
bzw. Fulda und Hersfeld gewonnen werden. Ein Nachtrag eröffnet 
noch weitere Perjpeltiven, ob nicht eine ähnliche Bewegung gegen die 
oberdeutjchen Stifter durch Pjalz, Würtemberg und Baden zu unter 
nehmen fei, und empfiehlt eine Anfnüpfung mit dem Böhmen Cafpar 
Plug, jowie Vorſichtsmaßregeln gegen Spionage. 

Soweit dad Memorial, Das Eine ſteht außer allem Zweifel 
und darin hat Druffel natürlich Recht, daß der Fürſt, für den dieſes 
Programm berechnet it, nur Herzog Johann Friedrich der Mittlere 
jein fonn; wird er anfangs noch halb inkognito eingeführt, jo wirft 
er im weitern Verlaufe die Maske faſt völlig ab. Druffel ſucht den 
für den Herzog entworfenen Plan mun im die erjten Umtriebe pro— 
tejtantiicher Fürſten einzuxeihen, die in den Jahren 1549 und 1550 
bon verjchiedenen Seiten angezettelt und ſchließlich von der thate 
Fräftigeren Politil des Kurfürſten Morig theils befeitigt, theils aufe 
geflogen wurden; er denkt im befondern an das im Februar 1550 
zwiſchen bem Herzog Albrecht von Preußen, dem Markgrafen Johann 
non Küftrin und dem Herzog Johann Albrecht von Medienburg 











—— 


Ein vermeintlihes Revolutionsprogramm x. 457 


Berein mit den 1548 geächteten ſchmallaldiſchen Oberften, wie den 
Grafen Ehriftof von Oldenburg und Volrad von Mansfeld, Manteuffel, 
Mila uw. U.? Wohin wir aljo biicden, eröffnen fih uns nur Zus 
fammenhänge, die der politiidhen Sonftellation des Jahres 1550 
widerfpreden. Schon aus diefer allgemeinen Unfiht ber Dinge 
heraus ift man verjucht, alles, was Druffel zur Erläuterung im eins 
zelnen beibringt, als gegenjtandslofe Kombinationen auf anfechtbarer 
Baſis zu beanftanden; es find nur verzweifelte Verſuche, das einmal 
mit der Jahreszahl 1550 belaftete Stüd in einen dem Herauägeber 
bis in das Kleinſte vertrauten Zuſammenhang bineinzuprefjen; in 
Wirklichfeit predigt jomohl der Inhalt des Entwurjs als das, was 
nicht darin fieht, die Unmöglichkeit diefer Annahme, 

Sehen wir uns dagegen dieſe ganze Konzeption des Pfaffenkrieges 
mit feinem Seen, dem Sriege gegen die fränkifchen Biſchöfe und 
Nürnberg, vorausſetzungslos an, jo erſchließt ſich eben in dieſem 
Biel und den dazu aufgerufenen Mithelfern gegemiber aller Aus— 
fegungsfünftelei der wahre Sujammenhang. Druffel hat die Haupt⸗ 
fpur, die hier zu verfolgen gewejen wäre, wenigſtens von weiten 
geſehen, aber er geht doc wieder an ihr vorbei, wenn er meint: 
„Unjer Memoire ſcheint die Theilnahme des Markgrafen (Albrecht 
Alcibiades von Brandenburg⸗ Culmbach), obgleich derfelde in dem 
Verzeichnis der Truppentührer fehlt, vorauszufehen, denn die Maaß— 
regeln gegen Nürnberg und Bamberg hatten entweder defjen Mit 
wirkung zur Vorausfegung, oder man mußte mit dem Markgrafen 
als einen Gegner rechnen (!).“ Und allerdings drängt fi ber Name 
des Markgrafen unwilltixlich auf, werm man die Reihe der Truppen= 
führer muftert: da find nicht nur Albrecht's Parteigänger aus den 
Jahren 1552/83 wie der Herzog Eric) von Calenberg, die Grafen 
von Dldenburg und Mansfeld und der Landsknechtsoberſt Jatob 
dv. Osburg, im Vordergrunde fogar ſtehen feine vertrauteften Diener 
und Heljeröhelfer, Wilhelm v. Grumbach, Joachim dv. Zihewitz, Ernſt 
v. Mandelöloh, Und in dem Kern des Nevolutionsprogramms, der 
Niederwerfung von Würzburg, Bamberg und Nürnberg, jtoßen wir 
auf nichts anderes als den often Dreibund der fränkischen Pfaffen 
und Peiferjäde, die der wilde Hohenzoller in den Jahren 1552 bis 
1554 auf das Unbarmherzigite heimfuchte und noch nad) der eigenen 
Überwindung mit Rachepllinen zu verjolgen fortjuhr bis zu feinem 
Tode (1557 Jan.) und noch darüber hinaus: denn noch ein Jahre 
zehnt lang jollte der Haß, den er feinen mit ihm geächteten Genoffen 








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Ein vermeintliches Revolutionsprogramm ꝛc. 459 


Diejer Spielraum läßt ſich durch Deutung einiger verſteckter indirefter 
Beitangaben nod; weiter verengen. Wenn es heift, daß die Papiſten 
„der igigen faiferlihen Majejtät tag umd nacht in oren Ligen“, 
fo verſteht jih, daß man 1550 dem feit drei Jahrzehnten regierenden 
Karl V. nicht jo bezeichnen konnte; jo jpricht man nur von einem 
Fürften, der erjt vor furzem einen Thron eingenommen hat: in die 
erjten Jahre der Regierung Ferdinand's I. (Kaiſer feit 1558 März 14) 
it das Programm zu verlegen. Auch die Bemerkungen über die 
Beförderung einer Zuſammenkunft aller proteitantiichen Fürften werden 
nunmehr verjtändlich: jeit dem Jahre 1557 erit find folche Pläne 
aufgetaucht, um nicht wieder von der Tagesordnung zu verſchwinden; 
und erſt im Laufe des Jahres 1560 finden wir auch Johann Friebrid) 
bemüht, fie zu verwirklichen). Das gelang erſt mit dem Naume 
burger Fürftentage. Daher muß das Memorial, das die Zufammen- 
kunt noch nicht als eine in ſicherer Ausficht jtehende, vielmehr als 
eine noch zu befördernde behandelt, nicht nur vor dem Zufammentritt 
(1561 Jan.), ſondern auch noch vor der endgültigen Feitfepung 
von Termin und Malftatt des Fürftentags (1560 Nov.) angeſetzt 
werben. Es iſt nicht geboten, ſpeziell an die legten Vorverhand- 
lungen zu denken, vielmehr würden die im Memorial angefchlagenen 
Motive ebenjo gut zu den ji vom September 1559 bis zum März 
1560 binziehenden Einigungsverjuchen ftimmen; gerade von ihnen 
weiſt ein neuerer Forſcher nach”), daß barin „das fonft verbedte 
politifche Element, die Sorge vor einem bewaffneten Angriff des 
Katholizismus und der Wunſch nach Sicherung dagegen“, alfo der leitende 
Gedanke unjeres Programıms, zum Ausdrud lam; wir wijjen, daß 
dieſe Erwägung damals auch auf Johann Friedrid) Eindrud madıte®). 

Iſt nunmehr die Entjtehungszeit des Memorials näher auf den 
Beitraum zwiſchen dem 14. März 1558 und dem Herbſt 1560 
begrenzt, jo bleiben, da wir an den in der Überjchrift überlieferten 
Tages⸗ und Monatsdatum (Febr. 15) zunächſt jeithalten dürfen, 
nur noch die Jahre 1559 und 1560 übrig. Und gerade für dieſe 





2) Moriz Ritter, Deutiche Geſchichte im Beitalter der Gegenreformation 
1, 210. R. Calinih, Der Naumburger Fürftentag S. 81 ff. 108 ff. 

%) Heibenhain, Die Unionspolitit Landgraf Philipp's von Heilen 
©. 106 f. 

) 9. Mudhohn, Briefe Friedrich des Frommen von der Pfalz 
1, 104. 119 5, 


grafen vom 31. Januar (1, 201) ie { 
jeien Caſpar Pflug und Peter Elar ve 























Ein vermeintlihes Revolutionsprogramm ıc. 461 ' 


geweſen, Mandelsiohe und Graf Volrad v. Mansfeld ritten viel ab 
und zu, jo erſcheint fchon ungefähr der Kreis der im Memorial t 
genannten bornehmfien Truppenführer geſchloſſen. Und auch über 
das nächte Ziel des Angriffe find diefe Gerüchte, fo vielfach fie 
and; weitausjebende phantajtische Kriegsunternehmungen mit hinein« 
ziehen, doch nirgends im Zweifel. Schon am 2. Januar warnt der 
Landgraf den Herzog, fi mit Grumbach einzulafjen und die fränkiſchen 
Biihöfe anzugreifen (1, 196); man begann ſchon in Würzburg bejorgt 
zu werden, und am 28. Januar jchreibt Grumbach, Erfurt jei eine 
Barnung zugefonmen (1, 210); in einer Zeitung vom 9. Februar 
berichtet ein Märfer, der am 24. Januar Grumbach im Neiten von 
Berlin in Halle getroffen hatte, daß das Kriegsgewerbe dem Lande 
zu Franlen gelte, daß etliche Verborbene von Adel, darunter vor— 
nehmlih der Graf von Oldenburg und Grumbach, ſich zuſammen— 
geichlagen und einen Bund gemacht haben follten, etliche Fürften 
durch die Finger fehen wollten, eine anjehnlihe Summe Geldes vor— 
banden jei, der Krieg in Deutjchland bleiben und weder nad Frank- 
reich nod) jonjt wohin gewendet werben ſolle (1, 206). Fallen wir 
das alles zujammen, fo jheint unfer Memorial die Subftanz deſſen 
zu enthalten, was eben damals, im Januar und Februar 1560, in 
den Zeitungen jtücweife und ungenau durchjiderte. 

Wiſſen dieſe Kriegsgerüchte auch nichts von einer Unterftügung 
außerbeutjcher Protejtanten, jo laſſen ſich doch gleichzeitig auch direlte 
Anknüpfungen Grumbach's nad dieſer Seite hin nachweifen, wie über— 
haupt damal3 zuerjt die — für 1550 nod) undenkbare — Rückſicht 
auf die Glaubensverwandten in den Niederlanden und frankreich die 
politiſchen Berechnungen der deutſchen Proteſtanten zu beeinjluffen 
begann. Und eben dieſe Dinge ſpielen ſich in den erſten Monaten 
des Jahres 1560 ab, aljo zu der Zeit, in die wir nach dem bore 
ſtehenden Erörterungen den wirklichen Urfprung unſeres Brogramms 
mit immer größerer Wahrjhheinlichfeit verlegen dürfen. 

Im Februar 1560 Inüpfte Grumbach, troß feines Dienftverhält- 
mifjes zum König von Frankreich, auch mit den Hugenotten an; 
während er mit Wilhelm v. Stein und Jalob v. Osburg in Heidel- 
berg weilte, traten ex und Graf Chriſtof von Oldenburg in Unter 
Handlung mit den hugenottiichen Agenten Johann Sturm und Hotman!); 

3) Calvini Opp. XVII, 18. 21. Epp. 8165. 3136. Vgl. Darefte, 


Frangois Hotman et la conjuration d’Amboise (Bibliotheque de 
TEcole des Chartes, ser. 8, t. b, 360-375. 


2) Kludohn a. a. D. 1, Nr. 87, 88 





Ein vermeintliches Nevolutionsprogramm 1. 463 


ihm, Grumbach, nichts verloren, und der Herzog und fein Sand 
blieben in Ruhe ſitzen (1560 Febr. 17)t), Bei diefer abwartenden 
Haltung Johann Friedrich's ift es verblieben, fowohl dieſes Mal, 
al$ auch in den Entwürfen der nächften Zahre, und ſchließlich als 
Grumbad im Oktober 1563 den erften Theil des Programms durch 
den Überfall Würzburgs in Scene ſetzte: der Herzog fah durch die 
Finger, mehr nicht. So haben die raubritterlichen Pläne Grumbach's 
doch nicht zu dem großen Brande auswachfen fönnen, der in der 
Phantafie ihres Urhebers bereits Deutjchland und feine Nachbarländer 
in Flammen ſehzte. 


* * 
* 


So laſſen ſich durch unſere Zeitbeſtinmung des Memorials alle 
weſentlichen Schwierigleiten der Erklärung beheben. Zwar können 
mir nicht alle Fäden der Pläne Grumbach's völlig bloßlegen und 
aus dem Gewirr der ſich freuzenden Beitrebungen, aus allen diejen 
Babel, Gerücht und Wahrheit wahllos vermengenden Nachrichten 
einen thatjächlichen Kern herausfhäfen, der ſich mit dem Inhalt 
unferes Altenſtücles günzlich dedt. Uber es verlohnt fich ſchließlich 
wenig, dieſen Phantajien bis in die legte Verzweigung nachzugehen: 
von einem zum andern Tage mifchen jich neue Motive und Tendenzen 
ephemerer Natur ein und zulet bleibt daS Alles nur Dekoration, um 
der Privatjehde Grumbach's gegen die fränfifchen Bijhöfe ein größeres 
Anſehen in den Augen feines Herzogs zu geben. Das eine Ergebnis 
fteht jedenfalls fejt, dab wir im dem von Druffel mitgetheilten umd 
dem Jahre 1550 zugejchriebenen Aktenjtüc in Wirklichkeit einen diejer 
Pläne Grumbach's, vermuthlihh aus dem Anfang des Jahres 1560 
zu jehen haben?). Und dafür liefert auch der archivalijche Befund, auf 
ben ih zum Schluß, um ganz fiher zu gehen, zurüdgegangen bin, 
noch eine Art von Bejtätigung. Denn wie mich eine fehr gefällige 


ı) Ortloff a. a. ©. 1, 212. 

% Das Memorial jelber ſchreibe ich aljo ber Feder Grumbach's zu. 
Dagegen enthält ber durch ein »nota« eingeleitete Zettel höchſtwahrſcheinlich 
jelbftändige Bemerkungen des Herzogs zu dem Plan feines Diener; bafür 
Ipricht vornehmlich die Anregung der Megentichaftfrage („Ob dem von 
Henneberg nicht neben unjerm Bruder das Land zu befehlen“), und 
au die Angit vor ber päpftlichen Brunnenvergiftung paht zu der kon— 
fejfionellen Beſchränltheit des noch in den Erinnerungen des Schmallaldi— 
ſchen Krieges lebenden Erneftiners. 


























—— 


Alte Geſchichte. 467 


it“, mit Recht verlege und weiter: „fo lange jolde Naturen bei 
uns vorhanden jind, fo lange werden wir ſtaatlich jehr ſchwach 
gegen England und frankreich fein.“ Hierauf muß erwidert werden, 
daß ein Mann, der der Nation den Götz und den Fauft ges 
ichenkt Hat, der Wilhelm dv. Humboldt beglückwünſchte, daß er in 
Paris deutſch bleibe, gegen folche Urtheile gejhüßt fein follte. Die 
Liebe hat mehr als eine Art fid) auszudrücken, und e8 wäre unfäglich 
traurig, wenn unfer Ohr und Gefühl durch Trommel und Trompete 
jo verjtumpft würde, daß wir den Herzichlag Cordeliens nicht mehr 
vernähmen. 
Heibelberg. Carl Neumann. 


Forſchungen zur alten Geſchichte. Bd. 2. Zur Geſchichte des 5. Jahre 
hunderts v. Chr. Bon Eduard Meyer, Halle a. S, May Niemeyer, 1899, 
VIII, 554 ©. 

Der 2. Band der „Geſchichte des Alterthums“ von Eduard Meyer 
erſchien im Jahre 1893; ihm zur Seite ging eine Sammlung von 
Forſchungen zux alten Gejchichte (1892), die Streitragen und Probleme 
von bejonderer Tragweite ausführlich behandelten und fo daß dar— 
ftellende Geſchichtswerl entlajteten. Dem bier eingefchlagenen Princip 
it E, Meyer treu geblieben. Der 3. Band der „Geſchichte des Alter 
thums* wird in der Vorrede des vorliegenden Buches für das Ende 
des Jahres 1900 in Ausficht geitellt — gewiß zur großen Freude 
aller Leute, die noch Intereſſe am Alterthum haben — und das vor— 
liegende Bud; ſelbſt bringt uns eine Fortfegung der Forjchungen zur 
alten Geſchichte. Sie beziehen ſich zum weitaus überwiegenden Theil 
auf die Geſchichte des 5. vorchriſtlichen Jahrhunderts, infonderheit 
die der Griechen. Nur die chronologifchen Unterſuchungen des ſechſten 
Abſchnittes gehen über die Griechen hinaus und behandeln neben 
den Negierungszeiten der jpartanifchen Könige aud) die der perfifchen 
Großkönige, und der legte Abſchnitt iſt „zurRechtjertigung des 2. Bandes 
meiner Geſchichte des Alterthums“ überjchrieben, behandelt aljo weiter 
zurüdliegende Kapitel. 

Auseinanderjegimgen mit abweichenden Meinungen anderer Ge— 
lehrten bilden natürlich den Hauptinhalt diejer Streitfragen, die das 
vielbehandelte 5. Jahrhundert zum egenjtand haben. Nur im 
depten Abſchnitt iſt die Polemit etwas fhärfer, ohne aber irgendwie 
verleßend zu wirken; das macht das Bud; im Segenfa zu vielen 
anderen bon vornherein angenehm zu lefen. Sieben von einander 

30* 














—— 


Alte Geſchichte. 469 


daß im Zufammenhange feiner Betrachtungen mande Frage noch 
einmal ausführlich erörtert wird, die es nicht mehr verdient. 

Das omregendite Kapitel war mir dasjenige über Thufydides, 
„ben unvergleichlichen und unerreichten Lehrer der Gefhichtsfchreibung“ 
(S. 269—436). Bei diejer legten großen Prüfung durch einen durch⸗ 
aus Eompetenten Richter hat endlich das große Geſchichtswerk des 
Thutydides eine uneingefchränkt gute Note davongetragen. Wir dürfen 
wieder glauben, was wir auf der Schule beiwundernd geglaubt haben, 
daß des Thufgdides Werk ein zräre 25 ei nicht nur fein will fondern 
it, ein kaum je erreichtes Mujter kritiſcher Darftellung, eine einheit- 
liche Kompoſition, fein unfertiges, durch ungejchidte Hände heraus— 
gegebenes pojthumes Manufkript (abgefehen von dem fehlenden Schluß), 
das ein thörichter Interpolator durch Zuſätze verſchlechtert hat, feine 
martialiſch⸗didaltiſche Epopoe, fein zuſammengeſchweißtes Opus ur— 
jprünglic; jelbftändiger Theile. Den ganzen Krieg von 431—404 
barzuftellen, hat in der Abficht des Thukydides gelegen, und ein= 
heitlich Hat ex ihn dargeftellt, nachdem er zu Ende geführt war — 
jeldjtverjtändfich auf Grund umfafjiender Vorarbeiten. 

Das Refultot ift höchſt erfreulich und hoffentlich erweiſt ſich 
MS Autorität jo ftark, daß fie dieſer Anficht wieder zum Siege 
verhilft. Was am ihm lag, hat er gethan. M. E. hätte 8 
gar nicht der fangen Ausführung S. 269—283 und der jonftigen 
häufigen Hinweife bedurft, um die Einheit de Werles vor Angriffen 
zu fihern. Die Leichenrebe des Perilles allein (Thufydides 2, 35—46) 
genügt vollauf zum Beweis, die Nede, die Berifles im November 431 
als der vom Volk dazu gewählte Redner feinen Mitbürgern gehalten 
haben ſoll, und die in Wahrheit der Hijtorifer Thulydides ben 
Athenern und allen Griechen bält, nachdem des attiichen Neiches 
Herrlicfeit in den Staub gejunfen war. Dem Eindruck, daß diefe 
Nede nad) dem Jahre 404 geſchrieben ift, find denn aud) ſchon häufiger 
Worte verliehen; weniger ift wohl nad) dem Zweck gefragt, ben 
Zhufgdides mit ihr verfolgt hat, Wenn id) M. recht verjiche, fo 
tönnte über der Perikiesrede als Motto der Sprud; des attifchen 
Grabfteind ftehen: „we zurds or, EIarer“ und war jo ſchön und 
mußte doc; fterben. Das jcheint mir nicht richtig. Gewiß, ber 
Bau des Themiftokles und Periktes ift zuſammengeſtürzt. Aber nicht 
ambedingt auf immer, er fan wieder errichtet werden aus ben 
Trümmern. Bu dem Bild des athenijchen Meiches, wie es war 
ober hätte fein jollen, einem Bild, in dem die hellen Lichter der 




















Alte Bejcichte, 41 


1, 146; 2,1. Ihm find die Verwidlungen im Wejten und vor 
Potidaen nur ade xui dunpogal ned Tod mohluon nicht der 
Krieg ſelbſt. Eine amovdiv Füyyumg, jo gibt er zu, liegt vor, aber 
nod fein offener Krieg; diefer beginnt erſt mit dem Aufhören des 
internationalen Verlehrs. 

3. Die Schulden, die der athenische Staat den Zempeln 
gegenüber hat, jollen auf Antrag des Kallias getilgt werden. Zur 
Nüdzahlung follen unter anderem verwendet werden rd zoruure r& 
dx ıfg dexirng dnsder ngedg. Der Bf. jieht in der dexden einen 
‚Behnten, der nicht genauer zu bejtimmen ijt, andere haben in ihm 
einen Sundzoll am Bosporos oder einen Grundzehnten erkannt. 
Möglich ift diefe Auffajjung gewiß, aber ebenjo gut lafjen die Worte 
die Deutung auf „Erlös aus Kriegsbeute“ zu. Es iſt ja eine leidige 
Sade, daß Kauf und Pacht bei den Griechen durd) diejelben Worte 
ausgedrückt wird und da nur der Zuſammenhang lehren kann, was 
gemeint ift. Hier ſcheint mir der Verkauf der Kriegsbeute (dexarr) 
den Vorzug zu verdienen. Es hätte unbedingt fonjt einer Bejtimmung 
bedurſt, ob die Pachtjumme eines oder mehrerer Fahre zur Rück— 
zahlung verwendet werden jolle, und weiterhin, wenn es gar mehrere 
dexdran gab in jener Zeit, jo litt der Ausdrud an Unklarheit. Woher 
dieſe Kriegsbeute jtammen könne, ift nicht zu jagen. Sie braucht 
nicht erjt aus dem legten Jahre zu ſtammen. Sehr wohl fünnen 
alte Beutejtüde gemeint jein, die den einzelnen Göttern gehört haben, 
und die bei der von Kallias durchgeſetzten Inventarifirung und theil- 
weifen Verlegung ber Tempelſchätze ausgefchofjen wurden. Das war 
keine aolderu; Heine Weihgefchenke ſchmolz man ja auch ein, wenn 
genug ſich angehäuft hatten, um eim größeres Stüd daraus her— 
zuftellen. Eine Datirung der wichtigen Urkunde läßt fich aljo durch 
diefe Überſehung nicht gewinnen, wie ich zuerſt gehofft Hatte 

Die Forſchungen find die Vorläufer des 3. Bandes der Gejcichte 
des Wlterthums. Dance Überrafchung wird er ſicherlich bringen. 
Spartad Haltung im den entfcheidenden Jahren der Perfergefahr 
hatte man bis jegt ziemlich allgemein als [hwädlich und wenig groß- 
herzig heraterifirt. Bei M. zeigt Sparta fi der Aufgabe gewachſen, 
jo vollftändig gewachfen wie man nur hatte wünſchen Fönnen, und 
der König Paufaniad wird zu einem bedeutenden Felbheren, deſſen 
Operationen benen Blücher's und Gneifenau's vor der Schlacht an 
der Katzbach gleich zu achten find (S. 207 f). Auch daß der 
Peloponneſiſche Krieg tro all’ jeiner zeritörenden Wirlungen doch 














|— zn 





Alte Geſchichte. 473 


von denen bloß die Endjilben erhalten jind, ein mitleidiges Achſel— 
äuden feitens der Philologen, Ich zweifle nicht, daß der Conträr— 
inder in zahlreichen ähnlichen Behelfen, deren jeder bedarf, der es 
mit Küdenhaften Infchriftterten zu thun Hat, feine Parallelen hat, und 
es mit Freude begrüßen, wenn ein erfahrener Epigraphifer 
bewährte Hülfsmittel publici iuris machen wollte auf die 
bin, daß dann einem oder dem anderen Nichtepigraphifer 
Ergänzung gelänge, die von den Berufenen nicht gefunden 
iſt 


In dem erſten, zur Theorie der Entzifferung betitelten Abſchnitt 
geht der Bi, bei den Winken, die er gibt, von der gedruct vorliegenden 
Bublifation aus, für die er, joweit Urkunden in Betracht kommen, 
die Weglafjung von Interpunftionen, Spiritus und Accenten empfiehlt. 
Die Mehrzahl der behandelten Texte gehören der Berliner Sammlung 
an, ımd dieje find durchweg an den Originalen ſtudirt. G. war 
alfo durd) jeine Erfahrungen in der Lage, Amveifungen zu geben, 
wie man über die Publikotionen aud) ohne Kenntnis der Originale 
durch Verbeſſerung häufig vorfonmender Verlefungen u. dgl. bei der 
Feſtſtellung des Wortlautes hinausfommen kann. Wie in der Epi— 
grophit, der scienza dei eonfronti, fo find aber aud) in der Papyrus⸗ 
fimde die Parallelitellen das wichtigite Hilfsmittel nicht nur zu 
Ergänzung fondern auch zum Beritändnifje des Erhaltenen. 

Für den Hijtorifer am Ichrreichiten find der zweite und dritte, 
von Urkunden über Rechtsgeſchäſte handelnde Abſchnitt diejes Heftes, 
in denen mit Heranziehung der Haufverträge auf den fiebenbürgiichen 
Wachstafeln vorerjt die Unterſchiede des römischen und griechiſchen 
Vertrages auseinandergejegt werden. In den verſchiedenen juriftischen 
Anſchauungen, denen die Faſſung römischer und griechiſcher Verträge 
Ausdruck gibt, zeigt ſich ein tiefgehender Unterfchied. Das dingliche 
Recht, das für den Römer die Hauptſache ift, tritt bei dem Griechen 
ganz zurück, für ihn ift das urkundliche Bekenntnis, verkauft zu haben, 
den Preis zu befihen und demgemäß dem Käufer Gewähr zu bieten, 
die Hauptjache. 

Durch eine in's Einzelnjte gehende Zergliederung mehrerer Urs 
funden in ihre Bejtandtheile im eriten und eine ebenjo alle Einzel- 
heiten erſchöpfende Erklärung der Terminologie der verſchiedenſten 
Urten von Vertragsurlunden im dritten Theile hat ©. dem an— 
gehenden Forſcher auf diefem Gebiet deren jwriftifches Verſtändnis 
erſchloſſen, ſowie den dei der Abfafjung eingehaltenen Geſchäftsgang 








Alte Geſchichte. 475 


Das lag allerdings zum Theil in dem Bwede der Sammlung 
begründet, ber N's Buch angehört. Es foll ein Handbuch fein, zum 
Nachſchlagen beftimmt, nicht dazu, im Zufammenhange gelefen zu 
erden. Dafür genügt ed, wenn die Dispofition recht überſichtlich 
ift, Die Darftellung nichts wejentliches übergeht und dem nenejten 
Stande der Wiſſenſchaft entfpricht, und namentlich Quellen und Lite 
ratur recht vollftändig angegeben werden. Der 1. Band diejes Wertes 
entſprach diefen Anforderungen nur zum Theil und iſt darum für 
viele eine Enttäufhung gewefen; um fo lieber fonjtatirt Nef., daß 
ber Bf. an feiner Aufgabe gelernt, und uns in diejem 2. Bande ein 
wirklich brauchbares Handbuch gegeben hat. Das ijt um jo dankens— 
werther, als wir für die Zeit von 220 bis 188 ein Handbuch bisher 
überhaupt nicht bejaßen und auch Droyſen's Geſchichte der Epigonen, 
deren Inhalt fich zeitlich mit der erſten Hälfte des vorliegenden 
Bandes bedt, infolge der neuen epigraphiſchen Funde und bes orte 
ſchritis ber Forſchung während der lehten zwanzig Jahre viel mehr 
veraltet iſt als die beiden anderen Theile der Geſchichte des 
‚Hellenisinus. 

Nur ein Punkt iſt auch diesmal wieber zu kurz gelommen, die 
Dnellenfunde. Bf. begnügt fi damit, den einzelnen „Büchern“ eine 
napype Aufzählung der hauptjächlichiten Quellen vorauszujciden, an 
die einige dürftige Bemerkungen geknüpft werden, die ja oft treffend 
find, meijt aber ohne Beweis bingeftellt werden. Den Publikum, 
für das ein ſolches Handbuch beſtimmt ift, ift damit in feiner Weiſe 
gedient; dies Publikum erivartet, und mit vollem Necht, auch hier 
eine eingehendere Darlegung der wichtigjten Probleme und der Ergeb» 
niffe der bisherigen Forfchungen. Dabei fehlt es nicht an ſehr merf- 
würdigen Behauptungen. So erfahren wir ©. 68, jchon die Mit— 
welt Habe fein rechtes Intereſſe an der Geſchichte der Periode von 
281 bis 220 gehabt und „jelbjt ein Mann wie Polybios zeige von 
diefer Zeit gelegentlich ſehr unbejtimmte, ja fehlerhafte Begriffe”. 
Bum Beweife wird angeführt, Polybios „behaupte, daß bie fünf 
Seute (sie), die 218 v. Chr. in Ägypten mit den Nüftungen beaufs 
tragt wurden, ſich befonders dadurd) empfohlen hätten, daß jie Kampf⸗ 
genofjen des Demetrios und Antigonos geweſen feien*, und er mache 
„Nereis zu einer Tochter des Pyrrhos, was ganz unmöglich“ fei. 
Über weiß N. denn, ob das leßtere nicht auf Nechnung des Excerptors 
fommt? Und wenn nicht, jo wäre ein lapsus in genealogiſchen Dingen 
(er ift nicht der einzige, der bei Polybios vorfommt) noch lange fein 











[|| 


Alte Geſchichte. ar 


pyrus (den er auf derfelben Seite anführt) wifjen, daß unter Phila— 
deiphos die Silberwährung berrichte, und aus dem Kommentar 
Grenjell’s, daß das Eilber zum Kupfer wie 1:120 geftanden Hat. 
Und was fol der Zuſatz: „Hierzu ftimmt, daß nach Cicero noch 
Ptofemäos Auletes jährlich 12500 Talente einnahm?“ Mindeitens 
mußte doch die abweichende Angabe Diodor's angeführt werden, 
wonach Auletes nur 6000 Talente Einkünfte hatte. Daß Stratonifeia 
„bon den Ptofemäern an Rhodos übergegangen ſei (S. 122 A. 6) 
iſt nicht richtig: es ift vielmehr von den Seleufiden an Rhodos ab— 
getreten worden; die Stelle, aus der ſich das ergibt, führt der Bf. 
im derjelben Anmerkung an. Und zwar iſt Stratonikeia leineswegs, 
wie der Vi. an anderer Stelle jagt (S. 641), den Rhodiern von 
Antiohos dem Großen geihentt worden; denn bei Liv. 38, 18 fteht 
nur nee recipi nisi per Antiochum potuit, d.h. die Stadt fonnte 
nur durch Vermittelung des Antiochos zurücgervonnen werden, nadjs 
dem die Rhodier die Wiedereroberung mit gewaffneter Hand ver— 
geblich verfucht harten, Antiochos kann die Stadt nicht exobert haben, 
da er mit Philipp, der fie damals bejegt hielt, im Bunde ftand. 
Hultſch hätte bei Polyb. 31, 7, 6 Niebuhr's Konjektur Ivrıözon roü 
Aror ftatt des überlieferten A. xci 3. nicht in den Text aufnehmen 
follen; gemeint ift entweder Antiochos Soter und fein Sohn und Mit- 
regent Seleufos, oder Antiohos Hierar und fein Bruder Kallinikos. 

Schlimmer it es, daß die kritiſche Verarbeitung des Materials 
mandjes zu wünſchen läßt; der Bf. gleitet mitunter über die Schwierige 
feiten hinweg, ohne den Verfuch der Löjung zu machen oder auch 
nur den Leſer über den Stand der Kontroverfe ausreichend zu infor 
miren; ein charakteriftiiches Beiſpiel bietet die Behandlung der Galater- 
fiege des Attalos (S. 157), Auf Kronologifhe Fragen wird über- 
haupt nicht näher eingegangen, und dafür auf den 3. Band verwiefen, 
jo daß mande Nefultate des Bf.’S fich für jegt überhaupt noch der 
Beurtheilung entziehen. 

Daß der Band neben diefen Mängeln auch viel Gutes und Ans 
regendes enthält, bedarf feiner Bemerkung. Aber näher darauf eins 
zugehen, ift bier nicht der Ort; es hätte gar feinen Zwed, wenn Ref, 
einige Fragen herausgreifen und einfach feine Zuftimmung oder feinen 
Diſſens ansprechen wollte. Der 3. (Schluß-) Band foll laut der 
Vorrede noch im Laufe diejes Jahres (1900) vollendet werden. 
Möchte der Bf. im Stande fein, die Friſt einzuhalten. 

Rom, Beloch. 














| 


Alte Geichichte. 479 


der Legende aber iſt in der Gefchichte zu fegen M. Valerius, ber 
SKonful des Jahres 456. 

Für eine Kritik diefer überrafchenden Ergebniſſe der geiltvollen 
und fcarfjinnigen Studie fehlt hier der Naum, Sie wird ſich auch 
bejjer an die nähere Ausführung vorliegender Skizze anknüpfen lafjen, 
die Bf. in Ausficht ftellt, und ber wir mit Spannung entgegenjehen. 
So viel aber läßt ſich jept ſchon fagen: den Schlüfjel zum Bere 
ſtändnis der älteften republifaniichen Gefchichte kann in der That nur 
die Ugrargeihichte geben; und der Hypotheſe, die Bf. auf der Grund— 
lage einer lebendigen agrar⸗hiſtoriſchen Anfhauung aufbaut, fann man 
die Anerkennung nicht verfagen, daß fie auf einem fonfequenten Durd)= 
benfen des befannten Thatſachenmaterials und einer glücklichen Kom— 
bination der echten Beftandtheile der Überlieferung beruht, überhaupt 
allen Anforderungen entjpricht, die man an eine gute Hypotheſe 
stellen fann. Bedenken und Zweifel bleiben ja freilich Angeſichts der 
ganz unzulänglicen Tradition auch jept nod, genug, Doch dürfte es 
kaum eine andere Rekonſtrultion der altrepublifanifhen Gejchichte 
geben, die in Bezug auf die Tragkraft ihrer Fundamente der des Bf. 
gleichfäme. Und darin liegt immerhin ſchon ein Fortfcritt! 

Was die Unfchauungen des Vf. über die fpätere Agrarentwidlung 
Staliens betrifft, fo find diejelben m. E. in Bezug auf den bäuers 
lichen Kleinbetrieb zu pejlimiftiich. Der Sap, daß „die Weltherrſchaft 
Wirthſchaftsverhältniſſe geichaffen hat, bei denen der freie bäuerliche 
Kleinbetrieb in Stalien fich nicht halten fonnte*, ift in dieſer Allgemein= 
heit nicht richtig. 

Erlangen. R. Pöhlmann. 


Giuseppe Salvioli, Prof. della r. Universitä di Palermo: Sulla 
distribuzione della proprietä fondiaria in Italia al tempo dell’ impero 
Romano. Modena, Presso la direzione dell’ archivio giuridieo. 1899, 
79 S. 4 Lire. 

Wie Bf. mit Necht bemerkt, find wir unter dem Eindrud der 
rhetoriſchen Übertreibungen und tendenziöfen VBerallgemeinerungen der 
antifen Literatur leicht geneigt, die Frage nad) der Entwidlung bes 
Latifundienweſens und jeines Berhältnifjes zur Heinbäuerlichen Wirth— 
ſchaft in Italien in einer Weije zu beantworten, welde der Mannig— 
faltigfeit der Erfcheinungen nicht immer gerecht wird. Hier ſeht bie 
ſtreng indivibualifirende Betrachtungsweiſe des Vf's mit Erfolg ein. 
Er zeigt, wie bie Verſchiedenartigleit der Ugrarverjafjung bei den im 





Alte Geſchichte 481 


ivefulativen Unternehmungsgeiftes verhindert und eine hohe Grund— 
rente unmöglich gemacht, jo find die Vorausfepungen diefer Anficht 
doch z. Th. recht unfichere. Wer wollte auf der problematifchen 
Eonjecturalftatiftif, anf die wir hinfichtlih der Bevöllerungszahlen 
angemwiejen find, jo meittragende Schlüffe aufbauen! — Daß die 
hauptftädtijche Kornvertheilung und die überfeeiiche Getreidekonkurrenz, 
fowie die Latifundien in ihrer verderblichen Wirkung auf dem italifchen 
Sandbaı von Mommfen u. U. überfchäßt worden find, hat ja Bf. 
gut nachgewieſen; aber hat er nicht feinerfeit$ den von ihm zur 
Erklärung der agrariihen Mißftände berangezogenen Faktor der 
„Bodenerfchöpfung” genau ebenfo überihäpt? 

Doch follen diefe Zweifel der Werthihägung der bverbienftlichen 
Schrift feinen Eintrag thun. Sie treffen diefelbe faum in höheren 
Grade als die Vorgänger, deren Theorien Bf. befämpft, Rodbertus, 
Heifterbergl, Mommfen u. U. Und jedenfalld wird ſich mit dem 
Buche Salvioli’s, welches zum eriten Mal diejen wichtigen Ausichnitt 
aus der Agrargeſchichte Italiens auf Grund einer umfafjenden kritifchen 
Analyfe des gejanmten Quellenmaterials monographiſch behandelt, 
alle weitere Forichung auf diefem Gebiete auseinanderzuſetzen haben. 

Erlangen. R. Pöhlmann. 


Städteverwaltung im römifchen Saiferreide. Von W. Liebenam. 
Leipzig, Dunder u. Humblot. 1900. XVII u. 577 ©. 

Seit Emil Kuhn über die ſtädtiſche und bürgerliche Verfafjung 
des römijchen Reiches in einem Werke gehandelt hat, von dem 
Liebenam bemerkt, daß es mit Bienenfleik gearbeitet, aber nicht recht 
überjichtlich fei, ift mehr als ein Menſchenalter verjtrichen. In diefer 
Beit hat ſich das Quellenmaterial außerordentlich vermehrt; abgejehen 
bon der lex coloniae Juliae Genetivae durch die infchriftliche Durch⸗ 
forfchung aller Provinzen des römischen Weltreiches, von Mauretanien 
bis nad) Arabien, von Kleinaſien bis in die Wejtpropinzen Hispanien, 
Britannien, Gallien, an der Donau und am Nhein. Unter diejen 
Umftänden mußte eine neue Darftellung des römischen Municipal 
wejend als volllommen berechtigt erſcheinen. Der Bf, hat den 
gejammten Stoff mit gewohntem Fleiße zujammengejtellt und was 
beſonders hervorzuheben, neben der antiquariihen auch die juriftiiche 
Literatur eingehend verwerthet. Man kann ihm höchſtens zum Vor— 
wurſe machen, daß nicht mit derfelben Energie die vielen Probleme, 
die das römishe Municipalwefen nad wie bor der hiftorischen 

Hiftorifche eitichrift (Bb. 86) N. 5. 8b. XLIX. 31 














Römifchegermansiche Zeit. 483 


Die Germanen in den Baltanländern bis zum Auftreten der &oten. | 
Bon Dr. Erid Sehmsdorf. Leipzig, Hirfchfeld, 1899. 74 ©. 

Die Schrift, die nur der erfte Theil eines größeren Ganzen jein 
joll, umfaßt die Zeit von 190 v. bis 180 n. Ehr. und bejchäftigt ſich 
Hauptjählich mit den Baftarnern. Der Bf. hält die Baftarner aljo 
mit Müllenhoff für Germanen und bezieht auf jie die IwAara der 
Protogenes-Infchrift, ſowie die beſchopften (nodati) Geftalten auf 
dem Adamkliffi-Monument; dagegen hält er es für unwaährſcheinlich, 
jedenfalls für unſicher, daß auch auf der Marlusſäule Bajtarner 
abgebildet jind. Der Wf. hat demnad) neben den Schriftitellern, 
deren Worte in übermäßiger Ausführlicjfeit ausgejchrieben werden, 
auch die infchriftlihen und bildlihen Belege zu Nathe gezogen und 
jo die lückenhafte Überlieferung nad) Möglichkeit ergänzt. Bei der 
Benrtheilung diejes Stoffes wären Wendungen wie: „auch würden 
wir bon einen derartigen Marfche .... fiher Kunde erhalten haben“ 
(S.6) —, „die Roxolanen aljo hatten einen Einfall gemacht; die 
Baftarner jollten zu Haufe geblieben fein?" (S. 42) —, „unter den 
AUnführern Rhaus und Nhaptus: das Vorkommen der Allitteration 
iſt bezeichnend“ (5. 51) — befjer unterblieben. Den Schluß bildet 
eine überjichtlihe Zufammenjtellung, wie die römiſchen Truppen in 
Möfien und Dacien ſeit Trajan vertheilt waren. 

Nürnberg. Friedrich Vogel. 


Die Einfälle der Goten in das römifche Reich bis auf Eonftantin. 
Von Dr. Bruno Nappaport. Leipzig, Hirſchfeld. 1599. 138 ©. 

Diefe Berliner Preisichrift behandelt „auf Grund des gejammten 
Quellenmaterials, befonderd des epigraphifchen und numismatiſchen“, 
die Geſchichte der Goten von 160 bis 334. Leider fehlen uns gerade 
für die wichtigſten Ereigniſſe fichere Nachrichten, jo für die Theile 
nahme der Gothen am Markomannentrieg (S. 17); über die Frage, 
wie und wann jie am Bontus angelangten, find wir auf Vermuthungen 
angewiefen (S. 13); über die näheren Umftände, wie Dacien in den 
Beſitz der Boten fam, jehlen uns alle Nachrichten (S. 51), und 
ebenſo ungenau it uns überliefert, wann Pacien völlig von dem 
Römern geräumt wurde (S. 99). Umfichtig abwägend entjcheidet ſich 
der Bf. dafür, da die Wanderung der Goten von der Dftjee zum | 
Schwarzen Meer um 160 beginnt umd um 235 zu Ende fommt, 
dab Dacien 256 von den Goten größtentheils bejegt wird, daß 
aber bie letzten römijchen Truppen erft im Frühjahr 275 (jo ©. 99; 

31” 


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18, Jahrhundert, 485 


daß Winterfeldt „eine Natur war, die nicht weniger abſtieß als anzog*, 
und auch feine „bejchlshaberijche Energie“ beigetragen habe, ihm Neid 
un Eiferfucht zu eriveden. 

Das Verdienſt des Vf. beruht in der nüchternskritifchen Details 
forfchung. Hier erhebt er fich durch jeine gewifenhajte Quellen— 
benugung weit über Varnhagen, den er in einer Unzahl von Fällen 
theil3 ausdrücklich, theils jtilljchweigend berichtigt. In der Schilderung 
des äußeren Verlaufs von Winterfeldt's Leben, der Gefechte, an denen 
er theilnahm, der Streifzüge, die er mit nie ermattender Ausdauer 
leitete, it Barnhagen durch M. völlig veraltet, wenngleih M. bier 
und da vielleicht noch ein charakteriftifches Wort Winterfeldt's aus 
Barnhagen hätte herübernehmen können. Auch an wichtigeren Refultaten 
fehlt e8 bei M nicht. Ich möchte hierzu den Nachweis rechnen, daß 
Winterfeldt im Jahre 1732 nicht nad) Rußland gereift iſt, um eine 
Anzahl preußischer Unteroffiziere dorthin zu geleiten, daß Winterfeldt 
aber wahrjheinlih in der Zeit der Kleinſchnellendorſer Konvention 
vom Könige nad Petersburg entfandt worden iſt, daß Winterfeldt 
als Yufarenführer durchaus ebenbürtig neben Bieten jteht. Das 
meijte Neue ift wohl in dem Kapitel euthalten, in dem M, über die 
militärifche Thätigfeit Winterfeldt's zwiſchen dem 2. und 3. ſchleſiſchen 
Kriege handelt. Auch die endgültige Widerlegung der allerdings 
bereitö früher ald Legende erkannten Erzählung Toll hervorgehoben 
werden, nach der Winterjeldt iım Juni 1755 die Verhandlungen mit 
England eingeleitet oder überhaupt an dem Buftandefommen der 
Beitminfterfonvention einen irgend erheblichen Antheil gehabt habe, 
Werthvoll ift endlich auch M.'s Nachweis, daß der preußiiche Eins 
marſch in Sachſen 1756 genau nad) den Plänen erfolgt üt, die Winter 
feldt bereit3 im Jahre zuvor ausgearbeitet hatte. Das Verdienit 
dieſer Feſtſtellung kann an fid) dadurch nicht geſchmälert werden, daß 
gleichzeitig Bolz (in den Publikationen aus dem preußifchen Staats» 
ardiven Bd. 74) an diefer Stelle tiefer zu graben gewußt hat. 

Die Hoffnung, daß eine biographifche Behandlung Winterfeldt's, 
als des militärischen Vertrauten Friedrichs, für die Frage nad) der 
Entjtehung des fiebenjährigen Krieges bedeutungspoll werden würde, 
bat ſich leider nicht erfüllt. M. fußt hier auf dem längſt bekannten 
Duellenmaterial. So jehr umd gern id; aber auch den Freimuth 
hervorheben möchte, mit dem der Bf. fich von dem Standpunkt jeiner 
beiden Lehrer, Lehmann und Delbrück losgerungen hat, indem er Den 
Krieg von 1756 als einen Akt der Nothwehr für Friedrich anerkennt, 


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ee 


18. Jahrhundert, 487 


Friedens wirkte, ald es ihm mit der Ehre der preußifchen Großmacht 
vereinbar ſchien. Denn Friedrich it nun doch nicht feit 1745 ein fo 
radifal anderer Menſch geworden, daß an Stelle des jchneidigen, rüds 
fichtslos vorgehenden, fih, feinem Staate, feinem Heere das Höcfte 
zumutbenden jungen Könige ein Politiker getreten wäre, der ängſtlich 
und ſchwachherzig um Gottes Willen jeden Kampf aufzunehmen ſich 
ſcheut. Vielmehr ift in der Wahl der Mittel, durch die er allerdings 
für feinen Staat den Frieden zu erhalten ſich bemüht, durdaus der 
ungejlüme, temperamentvolle, von einem jtarfen Machtbewußtſein 
getragene Friedrich des Jahres 1740 noch zu erfennen. Der jähe 
Abſchluß der Weitminjterfonvention mit feiner unbeabfichtigten Brüs- 
lirung Frankreichs, der Aufjehen erregende Garniſonwechſel im Anfang 
Juli 1756, vor allem dann das zur ſchuellen Löſung der Kriſis bes 
ftimmte Mittel der erften Unfrage über den Zweck der öſterreichiſchen 
Nüftungen: all’ das zeigt, daß er auch jetzt noch gern lebhaft, kühn 
und fchroff in feiner Politil vorging, wenn er auch einem friedlichen 
Biele zuſteuerte. Gefürchtet hat Friedrich den Krieg nur, inſofern 
er ihm zwang, die innere Friebensarbeit unwilllommenermaßen zu 
unterbrechen, aber nicht in dem Sinne, daß er überhaupt vor dem 
Schwertziehen ſich geängftigt hätte, 

Im übrigen aber fcheint mir der Hauptfehler des Vf. darin zu 
beruhen, daß er unzuläffigerweife für 1755 und 1756 eine ganz 
gleich bleibende Einheitlichkeit in den Anfichten des Königs über die 
politifchen Verhältnifje annimmt. Und doch wird niemand, der Die 
Bände 11—13 der „Polit. Korreſpondenz“ gelefen hat, an ber That— 
ſache vorübergehen dürfen, daß Friedrich's Befürchtungen und Hoffe 
nungen in ben Jahren 1755 und 1756 ungemein ſtark geſchwantkt 
und gewechjelt haben. Bon der Gewißheit eines undermeidlichen 
europälichen Konflikte in den Frühlings und Sommermonaten 1755 
ſchwenlt der König jeit dem Abſchluß der Wejtminfterfonvention zu 
der Hoffnung ab, daß e3 ihm gelungen fei, den Frieden für Preußen 
zu erhalten. Wie ftimmt zu MS Anfchauung, daf der König 1755 
und 1756 den Srieg für unvermeidlich angefehen habe, jener oft 
eitirte Brief an den Thronfolger vom 12. Februar 1756, in bem 
ſich Friedrich freut, vorausfichtlic durch feine Politif den Frieden 
jogar für das Jahr 1757 gejichert zu haben, deſſen er dringend für 
allerhand militärische Vorkehrungen bedürfe? Dieſer auf Frieden ges 
ftimmten Epoche folgt exit feit Mitte Juni 1756 eine neue, geleun— 
zeichnet durch die lebhafte Bejorgnis dor einem feindlichen Angriff. 


— —— 











18, Jahrhundert, 489 


als fo, daß er, folange er feine Angriffsgefahr witterte, ſchlechter⸗ 
dings nichts that, was auf Krieg deutete (bis Mitte Juni 1756), und 
als ihm dann die anrüdende Gefahr immer deutlicher in's Bewußt⸗ 
fein trat, fi in feinen Gegenmaßregeln, dem Tempo feiner 
Rüftungen, ganz von den mehr oder weniger bedrohlich lautenden 
Nachrichten leiten lieh; feine Rüftungen begann, als ihm der Anmarjd) 
der Ruſſen gegen Preußen gemeldet wurde, fie ſiſtirte, als der Still- 
ftand der Rufen ihn von neuem in Zweifel über den wahren Stand 
der politifchen Lage ftürzte, fie endlich erſt zu Ende führte, als er 
die Löfung des Räthſels gefunden zu haben meinte. Und welche 
Mittel ftanden denn jonjt dem Könige zur Verfügung, um die bedroh— 
Ihe, im Werden begriffene Koalition der Gegner zu hintertreiben, 
als daß er jeine Stellung diplomatijc und militärisch fejtigte, um 
dem Grafen Kaunitz die Luft zum Kriege zu benehmen Das aber 
wäre erreicht worden, wenn England dem preußifchen Drängen nach— 
gegeben umd durch Einfegung aller Kräfte und Mittel Rußland an 
jeiner Seite fejtgehalten hätte, oder wenn es gelungen wäre, bie 
ZTürfei in das Schlepptau der preußifchen Politik zu ziehen, oder die 
eigene Macht durch Allianzen mit England und einzelnen Reichs— 
fürften zu verftärken, wie es der König beabfichtigte. 

Auf unzuläffiger Verallgemeinerung beruht endlih auch M.'s 
Anſicht, da Friedrich jeine Lage feit dem Abſchluß der Weſtminſter— 
Konvention als „recht günftig“ betrachtet Habe. Sicherlich, bis er er= 
kannte, wie die Vorausſetzungen, unter denen er ſich zu England bins 
gewandt hatte, irrig waren, bis ex bemerkte, daß die hijtorifche Tod— 
feindſchaft zwiſchen Frankreich und Dfterreich eine Vereinigung diefer 
Staaten nicht verhinderte, und dai Rußland nicht in dem ange 
nommenen Maßſtabe an das Gold Englands gebunden fei. Wenn 
M. aber feinen Umfhwung in der zuderfichtlichen Stimmung des 
Königs bemerken will, als jeit Mitte Juni wieder die exiten drohenden 
Wolken am politischen Horizont aujftiegen, fo folgt er hierbei feider 
dem unglüdlichen Vorgange Delbrüd’s, ohne die von Naude bereits 
vorgeführten Gegengründe recht zu würdigen. Hatte Friedrich geglaubt, 
durch die Wejtminjterlonvention die „formidable* Liga, England, 
Rußland, Öfterreic) zeriprengt zu haben, vor der fein Preußen ficher 
erlegen wäre (P. K. 12, 225), jo meinte er auch einer Vereinigung 
Dfterreich® und Rußlands mit Frankreich nicht widerjtehen zu können 
und forderte die englijhe Negierung am 11. März 1756 bringen 
auf, ſich ſchleunigſt des ruffischen Hofes zu verfichern. Die gegenjeitige 





nn 


18. Jahrhundert. 491 


berühmten böhmifchen Feldzugsplanes für 1757 ausjührt. Des 
Königs anfängliche Abneigung gegen Winterfeldt's geninlen Plan der 
kühnen böhmijchen Offenfive tritt bei M. m. E, zu ſtart zurück. 
Auch leugnet M. wohl mit Unrecht in feiner Polemik gegen Naude 
und Bolz („Kriegführung und Politik König Friedrichs des Großen“), 
daß auf den König, als er ſich ſchließlich doch mit Winterfeldt's 
Plane befreundete, auc ein glüdverheigender Umſchwung der Sach— 
lage in Frankreich von Einfluß geweſen ift, wenngleich Friedrich aller 
dings als Haupthinderungsgrund die technifchemilitäriichen Schwierig- 
feiten eines böhmischen Feldzuges int Auge gehabt haben wird. 
Bonn, Georg Küntzel. 


Preußiſche und öfterreihifche Alten zur Vorgeſchichte des Siebenjährigen 
Krieges. Bon G. B. Volz und G. Küngel. [Bublitationen aus den Kal. 
Preuß. Stantsargiven. Bd. 74.] Leipzig, S. Hirzel. 1899. CLXXXIV 
u. 764 ©. 

Es war die Abſicht Albert Naude'S gewejen, feinen Beiträgen 
zur Entjtehungsgejdichte des Siebenjährigen Krieges eine Publitation 
der von ihm gefammelten Alten folgen zu lafjen. In danteusiwerther 

Weiſe hat jept die preußiſche Archivverwaltung den Wunſch des Vers 
ftorbenen erfüllt und feine Kolleftaneen mit vielfachen Ergänzungen 
der Offentlichkeit übergeben. Der vorliegende Band enthält an 500 
Ultenftüde, die meiſt den Berliner und Wiener Archiven entnommen 
find. Die Bedeutung des Gegenjtandes, um den es ſich handelt, und 
das ungewöhnliche Auffehen, das die Kontroverje über den Urfprung 
des Krieges erwedte, rechtfertigen die volljtändige Wiedergabe der 
Zerte und den Neudruck der ſchon hie und da befannt gewordenen 
Stüde, Ein überaus reichhaltiges Material liegt in einer alle wiſſen— 
ſchaftlichen Anfprüche befriedigenden Form vor, und jedem ijt die 
Gelegenheit gegeben, ſich auf Grund diefes verdienftvollen Unter 
nehmens ein Urtheif zu bilden; bie Quellen reden in ihrer urjprüngs 
lichen Geftalt, ohne die Trübung, die fie in der von beftinmten 
Gefichtöpunften beherrjchten Verarbeitung durch Lehmann und Naube 
erfuhren. 

Die Alten zerfallen in zwei Gruppen, die eine von Volz bearbeitet, 
die andere von Sünpel. Die erite Gruppe behandelt die kriegeriſchen 
Vorbereitungen Friedrich's des Großen, Die zweite Die Entjtehung 
der Koalition gegen Preußen. Dem Braude der Publifotionen aus 
den Staatsarhiven gemäß haben die Bearbeiter zugleich eine Dar— 





— 


18. Jahrhundert. 493 


ftändigfeit der militärifchen Alten jteht die reiche Fülle don öfters 
reichifchen Berichten und Inſtrulktionen politifhen Inhalts. Das 
großartige Spiel der Kaunig’schen Diplomatie enthült jih uns im 
voller Marheit; der jeltenen Gejcilichteit des Staatäfanzlerd und 
feines trefflihen Gehülfen, des Grafen Starhemberg in Paris, ift in 
diefem Bande ein dauerndes, verdiente: Denkmal gejept. Es famıı 
feinem Zweifel mehr unterliegen, daß Frankreich bereits vor Friedrich's 
Schilderhebung von Oſterreich für die DOffenfive gegen Preußen 
gewonnen war. Naude irrte freilich in der Unnahme, ſchon der 
BDefenfivvertrag vom Mai habe den Forderungen des Wiener Hofes 
genügt und auch ohne die Abtretung der Niederlande fei die Offen- 
five gefichert gewejen. Das trifit nicht zu, aber jedenfall3 war man 
Ende Augujt in der Hauptjache einig, «Me voici enfin parvenu 
au point ol nous desirions depuis longtemps d’amener la cour 
oü je reside«, mit dieſen vieljagenden Worten beginnt Starhemberg 
feinen ausführlichen Bericht vom 20. Auguſt. Die Bejorgniffe, welche 
Kaunig hinfichtlih der Zuverläffigkeit Rußlands äußerte, entfprachen, 
wie $. überzeugend nachweift, nicht feiner wirklichen Anficht, jie waren 
nur fingirt, um auf die Unterhandlungen in Paris einen Druck aus: 
zuüben: Friedrich's Einmarſch in Sachſen jchuf dann eine gänzlich 
andere Situation, ans der Kaunitz jofort Gewinn zu ziehen verfuchte, 
Sept war für Frankreich bereits der casus foederis des Verfailler 
Vertrages eingetreten, Diterreich konnte auf Frankreichs Mitwirkung 
rechnen auch ohne den Vollzug des Traktates, der die Abtretung der 
Niederlande bedingte. K. macht e3 ſehr wahrjcheinlich, daß darin der 
Grund für die auffallende Zurückhaltung des Staatskanzlers gegen- 
über dem Drängen der Franzoſen im Herbit 1756 zu fuchen ift. 
Über die Bedeutung diefer Publikation für die große Streitfrage 
nad) dem Urjprung des Srieges find bereits die verſchiedenſten 
Anfichten laut geworben. Die einen fehen in ihr eine glänzende 
Bellätigung der alten Anjhauung, E. Danield aber erflärt im ben 
Preuß. Jahrbüchern (Aprit 1900), num jei die Stichhaltigkeit der 
Lehmann’schen Thefe dokumentariſch erhärtet und die Anhänger der 
alten Auffafjung, „durch die Bauberkraft des Lehmann'ſchen Genies 
verwirrt“, hätten ſich mit ihren eigenen Waffen gejchlagen. Der 
fpringende Puult in Lehmann's Bud) war belanntlich die Offenfid- 
abjicht Friedrichs. Wo dieje in der Publikation erhärtet fein ſoll, 
hat uns Daniels leider nicht verrathen; mit dem Theil des Werles, 
der dafür allein in Betracht kommen kann, gibt er jich überhaupt gar 


Sounit. gegenäbertrtt. Wenn chmas 
will, fo fült es unter den Tife, wie 
Vertrageö vom 29. Mai 1756 bei Dan 





18. und 19. Jahrhundert. 495 | 


Beichäftigung mit dem Siebenjährigen Kriege „fo Fonfus* geworden, 
daß jie fich ganz faljch ausgedrüdt hat! 

Worin bejteht num in Wahrheit der Gewinn, den wir aus dieſer 
Publikation für die berühmte Kontroverſe ziehen können? Man hat 
ihn, glaube ich, von beiden Seiten überfhägt. Un und für ſich 
widerlegen die Alten unbedingt weder die eine noch die andre Auf⸗ 
fafjung, und jie Fönnen das auch gar nicht. Die nene Methode hat 
bie Frage auf das Gebiet der Spekulation hinübergefpielt und die 
Beantwortung mit einer pſychologiſchen Analyſe des Charakters 
Friedrich's verknüpft. Dieſes Problem Tann aber unmöglich durch 
ein zeitlich und inhaltlich jo begrenztes Material, wie es hier geboten 
wird, jeine Löſung finden, nod überhaupt durch Aktenftüce der vor— 
liegenden Art. Es kann fich daher hier m. E. nur darum handeln, 
ob altenmäßig Thatſachen fejigejtellt jind, die ſich mit ber alten oder 
neuen Anficht ſchwer oder gar nicht vereinen laſſen. Das ift aller 
dings hier geichehen, und zwar find durch die vorgebradten Zeug— 
niffe, durch die Nefultate von B. und K. gemwifje wefentliche Voraus— 
ſehungen, don denen die neue Anſchauung ausging, hinfällig geworden. 
Darin bejteht nah der Anjicht des Ref. der Werth diefer Alten— 
fammlung. 

Königsberg i. P. M. Immich. 


Wilhelm dv. Humboldt als Staatsmann. Bon Bruno Gebhardt. 
2. Band: Bis zum Ausjheiden aus dem Amte. Gtuttgart, I. G. Cotta 
Nachfolger. 1899 464 S. 10M. 

Das Leben des Generalfeldmarjhall® Hermann v. Boyen. Bon Fried⸗ 
rich Meinede. 2. Band: 1814—1848, Stuttgart, I. G. Cotta Nachfolger. 
1899. 60 ©. 12 M. 

In dem Zeitraume vom Wiener Kongreß bis zur inneren Krifis 
bon 1819 hat fich die jtaatsmännifche Tätigkeit Humboldt’ und Boyens 
fo nahe berührt, daß eine Anzeige des Gebhardt'ſchen Buches aus 
meiner Feder zugleich eine Selbftanzeige meines eigenen Buches werden 
darf — umfomehr da ich den Schwerpunkt desjelben auf die Zeit von 
1814 bis 1819 legen mußte und diefelben Fragen, die in ©.’ Bud) 
vornan jtehen, auch von mir zum Theil auf Grund desjelben Alten— 
materials eingehend behandelt worden find !). 


3) Übergeen muß ich dabei in diefer Anzeige die heeresorganifatorifchen 
Abſchnitie meines Buches. Auf Thimme's beachtenswerthe Einwände gegen 
meine Darftellung der Kriegspläne Boyen's und Gneiſenau's Ende 1814 
Seuiſche Litt. Zeit. 1900 Nr. 24) Hoffe ich gelegentlich zurüdzufommen, 








e——{ — 


19. Jahrhundert. 497 


erhält dadurch leicht einen jubjektiven und unrubigen Charakter, umd 
eine künjtlerijhe Wirkung iſt, wenigjtens bei Stoffen aus der poli— 
tischen Geſchichte, fchwerer zu erreichen. Wir haben aber in erjter 
Linie der Wifjenichaft zu dienen, und das Bedürfnis der modernen 
Geſchichtswiſſenſchaft geht — in leicht erfennbarem Zuſammenhang 
mit Strömungen auf anderen Gebieten, auf intenfivfte pſychologiſche 
Motivirung des menſchlichen Handelns —, ſoweit es das lehte ver— 
borgene Geheimnis des inneren Lebens irgend erlaubt. Mögen 
glüdlichere Nachfolger diefe heute erſt noch taftende und fuchende Urt 
der Darſtellung auch zur reinen, ruhigen und Karen Harmonie des 
wirklichen Kunſtwerles führen. 

Jene ältere, aud) von G. gewählte Form der biographiiden 
Behandlung kann num aber leicht zu Disfrepanzen zwiſchen Er— 
zählung und Schlufcarakteriftit führen, weil man die Erzählung 
nicht unterbrechen mag durch Nejlerion und infolge dejjen mander 
wefentlidien Beobachtung vorläufig nicht weiter nachgeht. Schon 
Erhardt hat in feiner gehaltvollen Beiprehung des G.’ichen Buches 
Beilage zur Allg. Big. 1900 Nr. 144 u. 145) auf den „halben 
Widerſpruch“ aufmerfjam gemacht, der zwiſchen G.'3 recht reſervirt 
flingenden Schlußausführungen und feinen fonjtigen, mehr pane= 
gyriſchen Urtheilen im Verlaufe feiner Darjtellung bejteht. ©. jagt 
am Schluß (S. 438) jehr richtig, daß Humboldt „für einen Diplos 
maten zu fpitematijch war, zu feit fich an gewiſſen Grundfägen hielt 
und zu wenig beweglich ber angenblidlichen Nothwendigfeit folgte”. 
Hätte das & mur jchon bei der Darjtellung des Wiener Kongreſſes 
beberzigt. Für ihn ift bier Humboldt mit feiner Richtung auf das 
Bündnis mit Öfterreid und England der Vertreter derjenigen Politit, 
durch die Preußen wahrſcheinlich nicht nur ganz Sachſen erhalten, 
fondern auch eine viel befjere Bundesverfaffung durchgeſetzt haben 
würde. „Wären Humboldt's Vorfchläge durchgegangen, jo hatte man 
gute Ausficht zum Ziele zu fommen — das Eingreifen de3 Königs 
war für Ofterreich ein Glück, für Preufen ein Unglüd* (S. 101). 
Und doc kann man gerade hier Humboldt vorwerfen, daß er allzu 
zähe an einem beftimmten Syſtem gehangen, allzumenig, um an 
Bismard zu erinnern, auf das „zweite Eifen im Feuer“, auf ben 
„Strang nad) Rußland hinüber“ geachtet habe. G. muß, um feine 
Meinung zu ftühen, natürlich annehmen, daß Metternich ein durchaus 
bertrauenswirdiger Bundesgenofje Preußens gewefen wäre, — aber 
wie unficher iſt das Terrain, das wir hiermit betreten. Ich habe 

Hiftoriihe Beiticheift (86.85) R, W. Br. XLIX. 32 





19. Jahrhundert, 499 


dieſen individualiftiichen Kulturgedanken Humboldt's zu wenig zur 
Geltung gebracht hat. Humboldt's Liebe und Berftändnis für Volt 
und Staat, wie es fih an diefer Stelle jo jhön und warm aud« 
fpricht, beruht zum großen Theile auf feinem alten Andividualismus, 
inden eben nur das Verſtändnis für den Zuſammenhang zwiſchen 
individueller Entfaltung und ftaatlihnationalem Leben Hinzugefommen 
if. Darum. ift das bier heroorbrechende Staats und Vaterlandss 
gefühl Humboldis doch nur ſehr grob darakterifirt durch Die Bes 
merfung, daß im ihm „auch die legte Spur der weltbürgerlichen 
Gleichgültigkeit gegen Voll und Staat verfchwunden ſei“. Nebenbei 
bemerkt, ſoll dies vielleicht eine verfchämte Palinodie zu feiner im 
1. Bande geäußerten Meinung fein, daß Humboldt bereits in feiner 
politifhen Jugendichrift den Gedanfen der Gelbjtverwaltung vers 
tündet habe? 

Auf jeden Fall gebe ich zu, daß feit 1812 ein bedeutfamer Wandel 
in Humboldt’3 politijhem Denken zu beobachten ift, daß es reger und 
jtärfer wird, — meine aber, daß diefer Wandel ſich langſamer vollzieht, 
als es nad ©. ſcheint. Humboldt's charakteriftiiche Mattherzigteit in 
der Frage des ſächſiſchen Kontingentes (April 1815) übergeht er ganz. 
Auch die doc jehr rejignirte, gar zu maßoolle, biutlofe Bundespolitif 
Humboldt’3 malt er nad) meinem Gefühl zu ſchön. Dagegen bat er 
ſich die Gelegenheit entgehen lafjen, bei der Darftellung der inneren 
Kämpfe von 1817 den, wie ich glaube, ganz weſentlichen Einfluß zu 
ſchildern, den diefe auf Humboldt'S politiiches Denken geübt haben, 
Es war der Anblid des veaftionären Treibens, die Sorge um das 
Schickſal der Neformgedanten, welche die Schärfe feines Kampfes 
gegen Bülow zwar nicht ausſchließlich erklärt, aber weſentlich mit 
verftändlic; macht. In dem hochpolitifchen Schreiben Humboldt's an 
Hardenberg vom 14. Juli 1817 tritt das deutlich gemug hervor; ©, 
thut recht daran, es im Wortlaut mitzutheilen, weiß es aber nicht 
voll auszunupen. Er hängt ſich hier, wie auch font oft, zu eng an 
den unmittelbaren Gedanfengang Humboldt's. Nur pflegte biefer, 
einer ber jhärfjlen und jpigejten Denker, das einmal ergriffene Thema 
rein dialektifch fortzufpinnen, jo daß die ihm eigentlich im Innern 
bewegenden Empfindungen und Abfichten meijt nur unvolllommen 
und abgeblaßt zum Ausprud kommen, Er hat wahrlich ftärfer und 
tiefer empfunden, als feine künftlich verjchlungenen und langathmigen 
Perioden vermuthen laſſen, und es iſt deswegen jo überaus ſchwer, 
in feiner Seele zu lejen und ſchier unmöglich, alle ihre Falten zu 

82* 


Treitfchte's Auffaffung 
darin find G. und ic; einig, im allge 
———— 
ſagt er (2, 498), 





Deutſche Landſchaſten. 501 


ſeinem Talente, ſeinem Selbjtgefühle nicht genügten, fo konnte er nur 
die Abjicht hegen, im Minifterium den Kampf gegen Hardenberg fort 
zuſetzen, bis die Machtitellung des Kanzlers gebrochen war. Es follte 
fi) bald zeigen, daß er diefen Plan wirklich verfolgte.“ Treitfchte und 
G. haben übrigens daS gemein, daß fie von Hardenberg’s politischen 
Charakter bejjer denten als er verdient. Erſt wenn man die Thate 
ſache feiner inneren Haltlofigfeit und Unzuverläjfigfeit in den Vorder— 
grund jtellt und als Orientirungspunft benußt, wird, wie ich meine, 
alles verftändlic. 

Daß Hardenberg dann über Humboldt und Boyen ftegte ımd 
daß die Reaktion die Frucht diefes Sieges davon trug, habe ich, wie 
jo viele Freunde der Geſchichte und des Vaterlandes vor mir, als 
ein überaus jchweres und bis in die Gegenwart hineinwirkendes Ver— 
bängnis für Preußen beflagt; nicht nur der Freiheits-, fondern, wie 
ich noch befonders betone, auch der preußiſche Machtgedanfe wurden 
dadurch auf Jahrzehnte gelähmt, &. meint, ich übertriebe mit meiner 
pathetijchen Klage. Aber jagt er denn nicht jelbit S. 320, daß die 
Kataftrophe von 1848 und die Vereitlung bed Verſaſſungswerles in 
der Zeit von 1819 in einem urfähliden Zufammenhange ftehen? 

Es geht ihm mit folder Verlennung wie möglicherweiſe aud) 
mir ihm gegenüber. Zwei Forſcher, die neben einander biefelben 
Dinge durchjorfcht haben, find nachher für einander nicht immer bie 
gerechtejten Beurtheiler und jehen leicht mehr auf ihre Differenzen 
als auf das ihnen Gemeinfame. Aber auch unfer Temperament, 
unfere Art zu jehen, ja wohl aud; unjere GErfenntnisziele find zu 
verichieden, als daß wir ung, denjelben Fragen zugewandt, je ganz 
verjtehen könnten. Num, in unjeres Vater Haufe find viele Woh— 
nungen, und ich gebe ihm mit Freuden die Anerkennung des reinen 
wiſſenſchaftlichen Strebeng, die er mir gezollt hat, zurüd, 

Berlin. Fr. Meinecke. 


Ehroniten der miederfächfifchen Städte. Magdeburg. 2, Band, (Die 
hroniten der beutfchen Städte, 27. Bd.) Leipzig, ©. Hirzel. 1899. XX 
u. As S. 16 M. 

Als im Jahre 1869 der 1. Band der Magdeburger Chroniken 
erſchien, hat wohl faum jemand vermuthet, daß bis zur Fortſetzung 
ber begonnenen Publifation ein Menfcenalter vergehen würde. Uber 
über dem Duellenmaterial zur Geſchichte der elbishen Metropole, 
über feiner Erhaltung wie über feiner Veröffentlihung hat von jeher 


— 


2 &o auf bem inneren Titelblatt; auf Dem 
„in Iepterem Jahre ft das Buch erfehienen. 


ei 




















Deutſche Landſchaften; Öfterreicı. 


den vorausgehenden Bänden an dieſe Publikationen zu machen geneigt 
iſt. Nicht als ob die mitgetheilten Aftenjtüde und der Gegenjtand 
jelbft unſer Intereſſe unbefriedigt ließen, im Gegentheil: die Alten 
der Rigafahrer bieten ein zwar nicht für die althanjifche, wohl aber 
für die jpätere Handelsgeſchichte jehr werthvolles Material, für deſſen 
Mittheilung wir dem Bearbeiter wie dem Berein zu Dank verpflichtet 
find. Die Mängel des Buches liegen vornehmlich in der dem Abdruck 
der Alten vorausgehenden Einleitung, die 210 Seiten umfaßt. Hier 
wird Weſentliches und Unweſentliches bunt durcheinander geworfen; 
e3 fehlt an Sichtung, an anſchaulicher Gruppirung des Stoffes; auch 
leidet die Schilderung an ermüdender Breite; mande Abjchnitte jtehen 
mit der Geſchichte der Nigafahrer nur in fehr loſer Verbindung. 
Hat man fich aber durch dieje Darjtellung glüdlich durchgearbeitet, 
die Körner von der Spreu gefchieden, jo wird man freilich Belehrung 
nad vielen Richtungen erhalten; ich weiſe hin auf die Darlegung des 
fübifchen Handels in Riga ©. 165 ff., über den Waarenverkehr 173 ff., 
den Schifffahrtsverlehr 199 ff. Ref. ſtimmt allerdings nicht in jeder 
Einzelheit mit den Ausführungen gerade der letgenannten Abjchnitte 
überein; bier auf diefe Abweihungen näher einzugeben, ſehlt es an 
Raum, — Bon Interefje, wenn aud) faum in das Buch gehörend, 
find mandje Bemerkungen über die gegemvärtigen Handelöverhältnifie 
Qübed3, denen der Bf. ja durd) fein Amt nahe fleht. Wenn er aber 
©. 96 meint, Hamburg habe Anfang des 17. Jahrh. „freihändleriſche 
Anſchauung* gehabt, fo wird diefe Übertragung moderner Begriffe 
auf ganz anders geartete Zuftände feinen Beifall finden, ganz ab» 
gejehen davon, daß die Hamburger von 1600 nichts weniger als 
freihandleriſch· gejonnen waren. 

Aus den Altenſtücken hebe ich hervor diejenigen über die Turlen⸗ 
ſteuer, den Salzhandel, ſerner die umfangreiche Zolltaxe und die 
Lehrlingsordnung von 1609. 

Hamburg. Baasch. 














Franz L, Kaiſer von Öfterreih. Bon Dr. Cöleſtin Wolfsgruber. 
1. Bb.: Der Großprinz von Toscana 1768—1784. 2. 8b.: Der Erbpring 
in Ofterreich 1784—1792. Wien und Leipzig, Wild. Braumüller. 1899, 
XI u. 346 ©.; VII u. 246 ©. 

Die modernen Hiftorifer haben ſich nod) viel zu wenig mit der 
vielleicht nicht bedeutenden, aber gewiß jehr bedeutfamen Perfönlichkeit 
dieſes erſten Kaiſers von ſterreich bejaht. Es ift fein einfacher, 











Öiterreich. 505 


laſſen. Frühzeitig tritt an dem Süngling eine gewiſſe burenufratifche 
Luft an pebantifcher Schreibjeligkeit hervor, frühzeitig aber auch die 

gung, daß ein Monarch ſich um alles und jedes kümmern, 
mũſſe. Im einer Schularbeit über feinen Lieblingsfaifer Marc Aurel 
ſchreibt Erzherzog Franz: „Nichts jagte, nichts jchrieb oder that er 
oberflächlich, fondern felbjt auf geringe Dinge veriwandte er oft ganze 
Tage. Er glaubte nämlich, es gezieme fich für einen Kaifer nicht, 
irgend etwas nur obenhin zu behandeln. Denn hätte er auch nur 
in Rleinem etwas überjehen, jo würde er diefem Werbachte auch bes 
treffs der wichtigiien Angelegenheiten nicht entgehen“ (1, 218). Eiſernes 
Pflichtgefühl; aber ohne das richtige Urtheil darüber, was dem 
Wirlungskreiſe eines Herrfchers obliegt, was feinen Handlangern über 
laſſen bleiben muß! 

Ref. bekennt, daß für ihm die intereffanteften Stellen die find, 
in welden Kaiſer Zojeph II. handelnd auftritt. Von früh ab rechnet 
diefer mit der Thatfache, daß er feinen Nachfolger unter der fehr 
reichen Söhnezahl des Bruders in Florenz fuchen müſſe; daß diejer 
Nachfolger dann auch ein tüchtiger Negent werde, das joll feine Sorge 
fein. Er ſchreibt da einmal die lapibaren Sähe: „Sit das einzige 
Abjehen, daß aus dem Erzherzoge ein tüchtiger und für das wichtige 
Amt, jo Er einmal im Staate zu befleiden haben wird, tauglicher 
Mann werde Zur Erfüllung dieſer Abficht ift alles ohne Nüdjicht 
anzuwenden, weil jeine Gefundheit und Konfervation gegen dieſes 
Hauptobjeft nicht in Betrachtung fommen können, und es iſt fehr 
gleihgültig, ob Er (Franz) oder einer feiner Brüder zu dieſem wich— 
tigen Umte gelanget, wenn nur jener, der dazu lommt, die nöthigen 
Eigenſchaften der Seele und des Körpers beſitzet“ (2, 8). Zweimal 
hat Joſeph den Hof feines Bruders befucht, um fich jelbft über deffen 
Kinder zu orientiren; 1784 nimmt er Franz zu ji nad) Wien, um 
feine legte Ausbildung felbft zu leiten; er ſchickt ihm auf Reifen, 
nimmt ihn in den Krieg mit, wählt für ihn Die Lehrer, beſtimmt 
feine Lebensgefährtin: er kümmert fich bis auf's lete Detail — bis 
zur Sauberkeit feiner Zähne. Freilich das Alles in feiner haftig 
durchgreifenden, eigenfinnigen Art, die ihm oft viel zu hart und un— 
gerecht werden läßt: man wird darım auch an feinen Urteilen über 
Franz Kritit üben müfjen. Bf. verſucht manchmal, das felbft zu thun 
(2, 12. 41.), aber nur jehr oberflählih. Man fommt innmer wieder 
auf das oben Geſagte zurüd: W. bietet viele und wichtige Beiträge 
zu einer künftigen Biographie bes Kaiſers Franz, ſelbſt aber eine 


| 


und | \ pi -, = 
in Italien zu fuchen if, ohne daß ihr 




















||—— 


Öfterreich ; Frankteid)- 507 


er erörtert eingehend ihre Beziehungen zu dem Maler Theoderih und 
überhaupt zu den Hunftichöpfungen Karl's IV, auf Schloß Karlſtein 
und bietet bei der breiten Grundlage, auf der er feine Unterjuchungen 
aufbaut, uns wichtige Aufichlüffe über die Anfchauungsweije und 
Leijtungsfähigteit des karoliniſchen Zeitalters, wobei ſich auch nute 
bringende Ausblide auf andere Gebiete, 3. B. die Ilonographie, 
ergeben. Das ungemein werthuolle Werk ift geradezu glänzend aus— 
geitattet. 
Königäberg. H. Ehrenberg. 


La desolation des eglises, monasteres et höpitaux en France 
pendant la Guerre de Cent ans, Par le P, Henri Denifle, des 
Fröres Pröcheurs, Correspondant de l’Institut. Tome 2": La Guerre 
de Cent ans et la desolation des &glises ete. Tome 1": Jusqu’& la 
mort de Charles V (1380). Paris, Picard. 1899. XIV, 864 ©. 

Der ſtattliche Band bildet nad) zwei Seiten eine Überraſchung. 
Nad) dem, was im Vorwort zum 1. Bande gejagt war, hatten wir 
eine zufammenfafiende Berarbeitung der bereits publicirten Dokumente 
erwartet, die der Beit nad) etiva das zweite Viertel des 15. Jahr— 
hunderts betrafen. Statt defjen befchäftigt fich der 2. Band mit der 
Lage der franzöfischen Kirchen im 14. Fahrhundert, feit dem Ausbruch 
des Hunbdertjährigen Krieges. Der Bf. hat während der Arbeit er- 
fannt, daß eine begründete Darftellung der Berhältniffe des 15. Jahr- 
hundert nicht möglich war, ſolange eine folche für die vorhergehende 
Beit fehlte. Daß er den Muth beſaß, Die Arbeit, die vielleicht 
jeden Andern abgejchredt hätte, fogleich in Angriff zu nehmen, und 
die Kraft, jie in erſtaunlich kurzer Zeit auszuführen, müjjen wir ihm 
um jo mehr danfen, da er — und dies ift Die zweite Überrafchung — 
viel mehr gibt, al3 er verſpricht. Nach dem Titel wird hier niemand 
eine zum Theil jehr in's Einzelne gehende Schilderung der politischen 
und militärifchen Ereigniſſe de3 Hundertjährigen Krieges zu finden 
erwarten; und doch macht jie fait den größeren Theil des Buches aus, 
P. Denifle hat uns da im Vorbeigehen die erite zufammenfafjende 
Darjtellung diefer düjteren, aber bedeutungsvollen Epoche gefchentt; 
wie ſich von ihm nicht anders erwarten ließ, ſtets auf folider kri— 
tiſcher Grundlage, aber aud) in lebhafter Spradye, der man Die innere 
Antheilnahme anmerkt, und bie jich ftellenweife, wie z. B. in dem 
Abſchnitt über die Revolution von 1357/58, zu feſſelnder Anſchaulich⸗ 
feit erhebt. E3 wäre pedantiich, ihm vorzubalten, daß er damit die 




















Frantteich. 509 


die ihn im Unglüc verliehen, alfo von Nenegaten. Auch darf man 

wohl einige Zweifel hegen, wenn bon biejen Zeugen ausdrüdlich betont 
wird, jie hätten ungezwungen und ungefoltert alles enthüllt. Wenn 
endlich Matteo Billani Dinge berichtet, die mit den Behauptungen des 
Dauphins übereinfommen, jo wäre vielleicht zu bedenken, daß er nur 
wiedergibt, was alle Welt fich erzählte und doch wohl nur auf die 
Yutorität des Dauphins hin glaubte. Defjen Schreiben an den 
Grafen von Savoyen, das uns allein Zeugnis gibt, war vielleicht 
wicht das einzige feiner Art und jedenfalld nicht geheim, es könnte 
am Ende die Urquelle auch für die Erzählung des Florentiners ge= 
wefen jein. Mag aber auch die Forſchung künftig vielleicht in ein— 
zelnen Punkten zu anderen Ergebniffen gelangen, im jedem Falle wird 
fie von der Darftellung D.'s als von einer feiten Grundlage und 
BVorausjepung ausgehen müſſen. Ebenjo reich an Berichtigungen 
der bisher geltenden Literatir und an zum Theil neuen und ent» 
icheidenden Beiträgen find die Kapitel über die Compagnien ber 
Söldner, die Frankreich jeit dem Waffenitillitande ein Jahrzehnt hin— 
durch verheeren, und über das Zultandefommen und die Bedeutung 
bes Friedens von Bretigny. D. weift überzeugend nad), daß es der 
Mangel, die Unmöglicleit der Verpflegung war, die Eduard III. 
nöthigte, jeinerfeitS den Frieden zu ſuchen (S. 360 f.), und ebenjo 
überzeugend, daß der geſchloſſene Friedensvertrag niemals formell 
ausgeführt wurde, und zwar durch die Schuld Eduard's, jo daß 
Slarl V. neun Jahre jpäter formell berechtigt war, feine Lehnshoheit 
über Aquitanien wiederum geltend zu maden. Die bis auf diefen 
Tag bielumftrittene Nontroverje ſcheint mir durch D. endgültig gelöſt 
zu fein, wenn ich much nicht mit ihm Jean de Montrenil als Kron— 
zeugen anführen möchte. 

Bon den Schreden, die damals ein Krieg fiir das betroffene 
Land hatte, bejipen wir heute faum mehr eine Vorjtellung. „Der 
Brand ziert den Krieg, wie das Magnifitat die Veſper“, — dieſen 
Ausſpruch Albrecht Achill's ſtellt D. an die Spipe jeines Wertes, 
umd im immer nenen Variationen klingt er uns aus ihm entgegen. 
Daß die Kirchen dabei verjchont würden, hören wir nirgends. Ihre 
Gebäude werden niedergebrannt, um nicht als Befeftigungen zu dienen, 
ihre Schäße wandern nad) England. In dem gejchilderten Zeitraum 
ift in höherem oder geringerem Grade ganz Frankreich in allen feinen 
Zheilen vom Stiege ergriffen worden; «8 gab ſchließlich keine größere 
Kirche und fein Kloſter, die nicht von ihm zu leiden gehabt hätten, 














| 

















Frantreich. 511 


einer geographijhen Einheit, einer Megion, in einem breibändigen 
Werke zu behandeln. Es mag bezweifelt werden, ob dieſe neue Idee 
eine glückliche ift, ob es ziwedmäßig ift, fogenannte natürliche Gebiete 
an die Stelle hiſtoriſcher zu ſetzen; jeder Lefer des Buches wird aber, 
auch wenn er den Grundgedanten verwirft, zugeben, dab dasjelbe 
eine Fülle thatſächlicher Mittheilungen, Anregungen und Gedanfen 
enthält, die für die franzöſiſche Gefchichte von großem Intereſſe find. 

Unter dem Namen Maseif central begreifen die franzöfiichen 
Geographen die gebirgigen Laudſchaften, die ſich in der jüblichen 
Hälfte Frankreichs, zwijchen der Rhone und der Garonne, der Ebene 
von Berry im Norden und der Ebene von Languedoc im Süden aus— 
dehnen, ein Gebiet, das etwa die Größe von Baiern und Württemberg 
zufammengenommen hat und gegen 6 Millionen Einwohner zählt. 
Das Maſſif bat, wenn wir von der keltischen Epoche abfehen, nie 
eine politiihe Einheit gebildet. Im Mittelalter gehörten manche 
Theile der engliſchen Krone, die Landidaften öftlidh der Cevennen 
dem heiligen römiſchen Reich an; jpäter zerfiel es in eine größere 
Anzahl franzöfischer Provinzen, unter denen Limoufin und Auvergne 
als die wichtigſten genannt feien. Von einer eigenen politischen 
Geſchichte des Mafjifs fann jomit feine Rede fein; aber auch in der 
Geſchichte Frankreichs hat es nur eine geringe Rolle gejpielt. Zwar 
fonzentrirte ſich hier der legte Widerftand der Kelten gegen Cäjar, 
Das Konzil, auf dem der erfte Kreuzzug bejchloffen wurde, fand auf 
dem Boden der Auvergne ftatt, die Albigenjerkämpfe und die Re— 
ligionsfriege des 16. und 17. Jahrhunderts hatten bejonders den 
Süden des Maſſifs zum Schauplatz, aber die großen Entſcheidungen 
der franzöfiihen Geſchichte vollzogen fid) in den Provinzen an der 
Grenze, im Thale der Loire und vor allem in Paris. 

Die Folge ift, daß in unferem Buche bie politische Geſchichte, 
die großen Ereignifje, in denen 2. simples accidents erblidt, zurücs 
treten, Da der Bf. von geographifchen Erwägungen ausgeht, fo ift 
es nur natürlich, dab die Hiftorifhe Geographie einen breiten Raum 
in feinem Werke einnimmt. Ex jchildert uns die verjchiedenen Bezirke, 
in die das Maſſif jeit der Zeit der Selten zerfiel, die feudalen Ge— 
bilde bes Mittelalters, die königlihen Verwaltungsbezixfe, die neuen 
Eintheilungen der Konjtituante. Mit Vorliebe erörtert ex die Pro— 
bleme der hiftorifchen Geographie, den Einfluß der Bodenbeſchaffen— 
heit auf die Bildung von Staaten und Provinzen, bie Urjachen der 
Blüte und des Zerfall ber Städte, die firategifche Bedeutung der 























I— 


Frantreich. 513 


nie im Stantsleben Frankreichs eine bedeutende Rolle gejpielt — 
auch nicht im geijtigen oder geſellſchaftlichen. Dennoh wird man 
diefe Monographie, die der Bf. in anmuthender Faſſung aus den 
vorhandenen Quellen mit Sorgfalt gejhöpft hat, nicht ohne Intereffe 
lefen. Ein Neffe des großen Turenne, ſcheint Emanuel Theodofe 
von Bouillon eine jorgfältigere Bildung genoffen zu haben al 
mancher feines Gleichen. Er widmet fich dem Priefterftande und 
wird zur Entjhädigung dafür, daß ihn Ludwig XIV. zum Ktoadjutor 
don Rheims oder Paris nicht machen will, bereit 26 jährig Kardinal, 
gleih darauf Groß-Almojenier des Reichs, überdies mit reichen 
Pründen ausgeftattet; die Foftbarfte unter ihnen ijt die von Clunh. 
Bei den verſchiedenen Konklaven, die in feine Lebenszeit fallen, wirkt 
Bonillon eifrig mit; er legt überhaupt auf den Burpur großen Werth 
und weiß fich in Nom eine angejehene Stellung zu verſchaffen, viel 
mehr fo als in feiner Heimat jelbit. - Eine Zeit lang, 1697—99, ift 
er Charge d’Aflaires jeines Königs beim päpftlihen Stuhle, bald 
fällt er aber bei Ludwig XIV. in Ungnade. Seine Haltung in der 
Frage der Verdammung der Maximes des Saints Fenelon’s ſcheint 
den erjten Anſtoß dazu gegeben zu haben. Start verſchärft wird der 
Konflitt im Jahre 1700. Bouillon will feinen Neffen zum Koadjutor 
des Biſchofſs von Straßburg machen, unterliegt aber dem Abbe de | 
Soubije, den man als natürlichen Sohn des Königs bezeichnet; er | 
rächt fich, indem er in zwei Briefen Die fimoniftifchen Umtriebe aufs | 
det, die dieje Ernennung eingeleitet hatten. Ludwig XIV. weiß ihn 
feine Ungnade mit den ftärkjten und — kleinlichſten Mitteln fühlen zu 
fafien. Der Kardinal wird nach und nad feiner Ehrenftellen und 
RPfründen entkleidet, vom Hofe verbannt, enblid) auß dem Lande 
getrieben. Er hat voll Stolyes auf Alter und Unfehen feiner 
Familie ein großes gemealogifches Werl über diejelbe von Baluze 
verfoffen laſſen; dasfelbe wird unterdrückt, der Berfafjer beitraft; er 
will in Eluny ein großartiges Familien-Mauſoleum errichten laſſen 
— auch das wird ihm verwehrt, Tief verbittert ftirbt er im Auslande, 
in Rom, 1715, fur, vor Ludwig XIV. 

Man hat die deutliche Empfindung, da dieſer große König hier 
ein ſehr kleinlicher Menſch ift, eiferfüchtig auf die ahnenftolze Familie 
der La Tour d'Auvergne; da rächt er ſich und trifft fie in ihrem 
bedeutenditen Gliede, dem Kardinal; der Chef des Haufes, der Herzog 
don Bouillon, ift eine Null. 

Hiforilhe Beitichrift (Wo. 86) R. F. Vd. XLIX, 83 





Branfreid). 515 


nachläffigung der provinziellen Befonderheiten, im der diel zu weit 
gehenden Generalifirung ſcheint mir der Hauptfehler der Darftellung 
8.8 zu liegen. 

Damit fol aber der Werth diefed Wertes leineswegs geleugnet 
werden. Eine Fülle von Anregungen, eine große Maſſe neuen und 
interefjanten auf urlundlichen Quellen beruhenden Materials ift in 
dem Buche enthalten. Sehr beachtenswerth find die Ausführungen 
8.3 über die Bildung der ländlichen Bourgeoifie, über den Kampf 
um die Allmenden und über bie ftarfe Verbreitung de3 ländlichen 
Proletariats. Seine Ausführungen über die Bertheilung des Grund 
und Bodens bürften dagegen faum haltbar fein. — 

Während die erſten Abſchnitte der Schilderung der Buftände 
etwa um 1775 gewidmet find, geht K. in einem zweiten Theile dazu 
über, die Reformen der alten Monarchie und der Nebolution zu be 
ſprechen. Er jucht nachzumweilen, wie wenig Verftändnis die herr- 
ſchenden Geſellſchaftsklaſſen und auch die Männer der Wifjenichait, 
Die Nationalöfonomen jowohl wie die Juriſten, der gedrücten Lage 
der ländlichen Bevölferung entgegengebradyt haben. Ja, auch die 
Phyfiofraten, deren Ziel doch die Hebung der Landwirthichait war, 
hatten weniger die Verbefjerung der Stellung der Bauern als die 
Steigerung des Ertrags des Bodens im Auge. Ihr Ideal war 
nicht ein Stand von mittleren bäuerlichen Eigenthümern, ſondern 
eine Klaſſe technisch gut geichulter Fapitalkräftiger Großpächter. Das 
geringe focialpolitiiche Berjtändnis der Phyſiokraten übertrug ſich 
auch auf die Männer der Slonjtituante. Nur unter dem Drud des 
überall aufflackernden Aufruhrs, im Angeficht der brennenden Schlöfjer 
entſchloß jich die Nationalverfanmlung zur Aufhebung der alten Agrar— 
verfaſſung. Daß fie hierbei die doc) auch berechtigten Anfprüche ber 
Seigneurs zu wahren geneigt war, ſcheint mir feinen Tadel zu ver— 
dienen. K, der ſich allzufehr von feiner Sympathie für die Bauern 
feiten läßt, würdigt nicht genug den Umftand, daß die Seigneurs 
einen großen Theil ihrer Einnahmen ohne jede Entjchädigung ver— 
loren. Aber die Ereignijje gingen über die Gejepgebung der Kon— 
fituante hinweg. Der politijche Gegenſatz zwiſchen der Legislative 
und dem Konvent einerjeit3 und den Emigranten und bem Klerus 
ondrerjeits führte dann zur fchonungstofen Zerſtörung der Feudal— 
verjofjung. 

Straßbing i. E, Paul Darmstädter. 

23*+ 





Frantreich b17 


Veto gegen volfsthümliche Dekrete. Auch font haben alle revolutio— 
nören Maßregeln Lindet’3 und auch feines Biographen Beifall ges 
funden. So vertheidigt noch nad) jeinem Austritt aus dem Ausihuß 
Lindet das Geſetz des Marimums und meint, man hätte den Zwangs- 
turs der Aſſignaten aufrecht erhalten follen. Er ſelbſt hat mit rück— 
ſichtsloſer Energie während feiner Amtsthätigfeit die kommuniſtiſchen 
Grundjäße der Jakobiner durchgeführt. So werden einmal 4000 
Fuhrwerfe gebraucht. Lindet befiehlt, ſie aufzutreiben, „wenn man 
fie nit in Güte befommen könne, folle man regniriren“. Um baares 
Geld zu befommen, wird der Handel von ihm verftaatlicht, und die 
Kanflente müſſen Wedel auf das Ausland an dem Staat liefern 
u. dgl. mehr, Das Bud) MS iſt, wie ſchon hervorgehoben, von 
einem ganz einfeitigen Barteiftandpunft aus gefchrieben; aber auch 
als Biographie bejriedigt es nicht. Der Bf, hat es nicht verftanden, 
die Perfönlichfeit, die ex jhildert, aus ihrem Milieu heraus ver— 
Ttändlich zu maden. Es werden mehr äußerlich die Ereigniffe, die 
die Perſon betreffen, aneinandergereiht, al8 daß wir von dem Werder 
gang Lindet’3 etwas hören. Lindet erjcheint vielmehr als der Typus 
des Jakobiners, der, perſönlich ehrenhaft und uneigennüßig, von ber 
Gerechtigkeit feiner Sache überzeugt ift. In biefer Beziehung ift 
jedenfalls das Urtheil Taine's, der in den Jalobinern eigentlich nur 
Schurken ficht, fehr einfeitig, und dem gegenüber hat das Wert M.s 
immerbin feine Verdienite. 
Berlin Gottfried Koch. 


Napoleon I. Bon Dr. Guflan MRolofj. Berlin, G. Bondi. 1900, 
VII, 215 ©. 

In der vom großen Publikum günftig aufgenommenen Sammlung 
„Borkämpfer des Jahrhunderts" ift nach den Biographien von Friedrich 
Niebfche und Franz Liszt num auch das Leben Napoleon’3 I. — wohl 
nicht ald Dritter im Bunde! — aus der Feder Guſtav Roloff's er— 
ſchienen. Die Arbeit des Berliner Privatdozenten bringt natürlich 
zu dem ſchon mafjenhaft angehäuften Stoffe Fein neues Material für 
die gelehrte Forſchung, bietet aber gebildeten Lefern eine Hare Über- 
ficht des Lebensganges und der mwechlelvollen Schidjale des willens— 
gewaltigen Imperators, ber bie entjefjelten Kräfte der Revolution 
fi) dienſtbar zu machen wußte und als ihr mehr oder minder 
Tegitimer Vertreter das längft morfche europäifche Staalsgebäude zu 
Boden ſchmetterte. 


Em auf den eiten lid 8 
Sanieren moncher, — 
napoleoniſchen Geſchichte eine 


fhieden günftigere it a18 Dieleige 


‚bef, 





Frankreich. 519 


ſchreiber, ſoweit fie eben nicht zu den Lobhudlern der Napoleoniden 
zu rechnen find. Uber e8 wird heute dem beutjchen Hiftorifer ver 
hältnismäßig leichter, über Napoleon ein billiges Urtheil abzugeben, 
troß alles einftigen Haſſes gegen den erbarmungslofen Sieger; ift er doch, 
ob auch unfreiwillig, einer der wirlſamſten Gebuxtshelfer der erfehnten 
deutſchen Einheit gewejen, während bie Franzoſen der Gegenwart 
dem korſiſchen Imperator und feinen unebenbürtigen Epigonen nicht 
allein die ziweimalige Vernichtung ihrer inneren Freiheit und Die 
äußeren bitteren Demiüthigungen von 1815 und 1871 grollend nadj= 
tragen, jondern aud) in ber von bem nterefjenten immer wieder 
neu gewedtten napoleonifchen Upotheofe, vieleicht nicht ganz Une 
recht, eine Gefahr für die Zukunft erbliden. 


Die Kolonialpolitit Napoleon's I. Von Dr. Guflav Roloff. (Hifter. 
Bibliothek Bb. 10.) Dründen u. Leipzig, R. Oldenbourg. 1899. 257 ©. ‚ 
Die Darftellung, die der Vf, einer von der franzöſiſchen Forſchung 
bisher ganz vernachläfiigten Seite der Politik Napoleon’s I. in dem | 
vorliegenden 10. Bande der Hiftorischen Bibliothek gewidmet hat, 
bürfte wohl eine umfafjendere Bezeichnung als die mit „Noloniale | 
politif“ verdienen. Die Betrachtungen Roloff's, wenn fie auch von | 
Forſchungen über die fofoniale Lage Frankreichs in der Napoleonifchen | 
Epoche ihren Ausgang genommen haben, ziehen das ganze weite 
Gebiet der überjeeifhen Politit Napoleon’s in den Gefichtöfreis und 
beriveilen mit berechtigter Vorliebe bei den Anftrengungen, die ber 
gewaltige Erbe der Nevolution machte, um die überjeeiihe Macht— 
ſtellung Frankreichs mit feiner fontinentalen Hegemonie in Einklang 
zu bringen, kurzum fih den Weg zur Weltmachtitelung zu eröffnen. 
Ohne Zweifel ift diejer Theil der Arbeit R.’S noch unfertig und 
fliggenhaft, aber er zeigt doch fo manden neuen und richtigen Ge— 
fihtspunft, daß eine Fortiegung feiner Studien auf breiterer Grunde 
lage im Jutereſſe der hiſtoriſchen Forſchung nur wünſchenswerth fein 
fann. Eine jorgjältige Prüfung der Alten der franzöſiſchen Diplo— 
matie im Archive des Nuswärtigen Amtes in Paris, fowie die Be— 
richte der englischen Gefchäftäträger und Agenten am Pariſer Hofe 
in dem Londoner Urdive aus diefer Zeit werden für eine folche 
Arbeit über die Weltpolitit Napoleon’3 jicherlic; noch reiche Aufſchlüſſe 
bieten. Dabei wird man, vorausgejeßt, daß man die momentanen 
Ausbrüche der leidenschaftlihen Individualität des Kaifers nad) ihrem 
geringen Werthe richtig einzufchägen verfteht, wohl zu einer gerech— 





Franlreich. 521 


geſprochen — „das weſtliche Deutſchland von Frankreid auf dieſe 
Weiſe wirthſchaftlich abhängig zu machen, die politiſche Abhängigleit 
würde alsdann von ſelbſt folgen.“ Colbert, ber arme Tuchmacher— 
ſohn von ehedem, fiel in Ungnade, weil feine wirthſchaftlich-kolonialen 
Pläne nicht im Umfehen goldene Früchte trugen. Er flarb viel zu 
früh für Sranfreih, umd bei Nacht und Nebel begrub man dem ge 
fallenen Minifter, der, wie er jelbft verbittert auf dem Totenbette 
ſagte, feinem Könige treuer wie feinem Gott gedient hatte, 

Ludwig XIV. ijt nad) dem Tode Colbert's nicht im Stande ges 
wejen, deſſen große tolonialen und maritimen Pläne mit Erfolg 
weiter zu führen. Der Wechjel der englifchen Negierung und ihres 
Syftems bejiegelten die Niederlage der überſeeiſchen Politik Frank— 
reichs. Der englifche Minifter Bolingbrofe war es, ber zuerſt Die 
Parole für die neue englijche Politit ausgab: Einmifhung in die 
Streitigkeiten der fontinentalen Mächte, Ausſpielen der einen gegen 
die andere, wie es für den Augenblick gut fchien, und Benuhung der 
hervorgerufenen fontinentalen Wirren, um jo für England die beherr- 
ichende Pofition auf überjeeiichem Gebiete und im Welthandel zw 
gewinnen. Un diefem Gedanken hat England bis heute unerjchütterlich 
feitgehaften. Erſt Napoleon war es, der diefe engliſche Weltmadhtö- 
politit in ihrer ganzen Gefahr für Frankreich erfannt und es verſucht 
hat, die verlorene franzöfiihe Pofition zur See zurückzugewinnen. 
Uber was ein ganzes Kahrhundert politifcher Kurzfichtigfeit an Franf- 
eich gelümdigt hatte, konnte er in dem wenigen Jahren feines Regi— 
ments nicht wieder einholen. Auch Napoleon, der Held des Willens 
par excellence, vermochte es nicht, eine Marine, die der englischen 

fen geweſen wäre, aus der Erbe zu ftampfen. 

berblickt man an der Hand der jorgfältigen Ausführungen R.’s 
die Anftrengumgen Napoleon’s, um den franzöjiichen Kolonialbeſih 
durch umfafjende Neu⸗Organiſation lebensfähig zu machen und die 
fat zerrifjene Verbindung der franzöfifchen überfeeiichen Gebiete mit 
dem Mutterlande wieder anzufnüpfen, jo wird niemand heute mehr 
behaupten können, daß ihm der Sinn für Kolonialpolitif gefehlt habe. 
Und wer weiter verfolgt, wie in ihm von der Zeit feiner eriten über- 
feeifchen Unternehmung in Hgypten ſtets der politiihe Eudgedanke 
lebendig geblieben iſt, dab es für ihn eine abſolute Nothwendigkeit 
fein würde, feinen legten Entfcheidungsfampf mit England zu führen, 
wie er zu diefem Zwecke Verbindungen bis nad Perjien und Indien 
anfmüpfte und eine Kriegsmarine ſchuf, der wird dem Kaifer nicht 























| 


Franlreich 628 


Schon ſehr bald nach dem Frieden erkannte die engliſche Handeld- 
welt, daß die Folgen desſelben nur dem franzöſiſchen Handel zu gute 
famen. Mit Eiſerſucht und Sorge verfolgte man in England die 
überrafchende Entwicklung desjelben, das Aufblühen der Induſtrie 
und das zielbewußte Vorgehen der franzöſiſchen Negierung überall 
da, wo überjeeiiche Änterejfen in Frage famen. Immer allgemeiner 
wurde die Verbitterung der englifchen Handeläinterefjenten, und fie 
fand ihren Niederfchlag in heftigen Angriffen der Londoner Prefie 
gegen Napoleon. Die Preffehde, die jo entjtand, erhielt am Ende 
einen jo gehäffigen Charakter und nahm fo den Ausdruck der öffent- 
lichen Meinung, des Bolfswillens an, daß beide Negierungen ſich 
diefen Einflüffen nicht mehr zw entziehen vermochten. In London 
traf man offenbar das Richtige, indem die Tagesprefje die eifrigen 
maritimen Nüflungen Napoleon’3 als eine ſchwere Gefahr für die 
Bulunft denunzirte; man müſſe die franzöfifche Seemacht vernichten, 
ehe es zu jpät ſei. So mußte es zum Kampſe fommen, den Napoleon 
in jeinem Intereſſe gern noch länger binausgefchoben hätte. 

Bolingbrofe ftellt einmal in jeinen „Briefen über das Studiun 
der Seihichte" den Satz auf, daß „der höchſte Zweck des Geſchichts— 
ſtudiums die Lehre durch Beiſpiel“ fei. Aus den Vorgängen, die in 
erjter Linie den Bruch des Friedens von Amiens herbeiführten, lernt 
man zweierlei: zunächit wie es der wirthſchaftliche Wettitreit war, 
der England, wie jo ojt, den Anlaß zum Kriege gab, und wie ſchon 
damals eine umngezügelte, von Intereſſenten geſchickt infpirirte, uns 
verantwortliche Preſſe durch ihr gehäffiges Treiben jtaatsmännische 
Pläne, bevor fie zur Ausführung veif waren, durchkreuzen fonnte. 
Daraus kann man auch für die Gegenwart lernen. 

Für Napoleon — darüber ijt er jich ohne Zweifel Kar gewejen — 
mar der Krieg mit England nicht viel mehr als ein Verzweiflungsd- 
kampf gegen einen weit. überlegenen Gegner; denn jeine maritimen 
NRüjlungen waren noch in den eriten Anfängen. In der Schlacht bei 
Zrofalger wurde fajt die geſammte franzöfifchejpanifche Seemacht vers 
michtet, und im Jahre 1811 war fo ziemlich alles, was Frankreich 
an Kolonien bejaß, in englifchen Händen; mit Napoleon's umfaſſen— 
den Weltmadhtsträumen war es zu Ende, ber ficherlich waren es 
nicht, wie jo ojt geſagt iſt, feine blinde Eroberungsfucht und fein 
gänzlicher Mangel an Verftändnis für maritime Dinge, die der fran= 
zöfiichen folonialen und überjeeiihen Machtitellung dies klägliche 


— 























nn 


Franfreid) ; Niederlande. 525 


derung der Sitten, des Charakters der Inſelbewohner und der vene= 
tianifchen Verwaltung, den Schluß ein Plan der Stadt Corfu und 


ihres Hafens. 
Plauen. W. Fischer. 


Documents concernant les relations entre le due d'Anjou et les 
Pays-Bas (1576—1584). Publies par P. L. Muller et Alph. Diegerick. 
Tome IV (fävrier 1581 — mars 1583). (W. u. d. &.: Werken van het 
historisch genootschap, gevestigd te Utrecht. Nieuwe serie No. 60,) 
#’Gravenhage, Martinus Nijhoff. 1898. XIV u. 576 ©. 

Die in dem vorliegenden Bande enthaltenen Dokumente zerfallen 
im zwei Gruppen. Die der erjten beziehen ſich auf bie Exeigniffe, 
die ji von der Übertragung der Landesherrichaft in den Nieder- 
landen auf den Herzog von Anjon bis zu feinem im Februar 1582 
erfolgten Regierungsantritte abjpielten, insbejundere auf den Verſuch 
Anjows im Sommer des Jahres 1581, den Generaljtaaten bon 
Frantreich aus Hiülfe zu bringen und Cambrai zu entjegen. Die 
Altenjtüce dev zweiten Gruppe haben zum egenjtande die Unter- 
bandlungen, die nad) dem mißglüdten Staatsftreiche, den Anjou am 
17. Januar 1583 unternahm, zwifchen dem Herzoge, Oranien und 
den Generalftaaten geführt wurden, um eine neue Verfländigung ans 
zubahmen; fie reichen bis zum proviforifchen Vertrage von Dender- 
monde (März 1583). Mit Necht haben die Herausgeber auf die 
Aufnahme dasjenigen Material verzichtet, da$ aus der Zeit ftammte, 
da Unjon wenigitens dem Namen nad) die Regierung in den Nieder— 
landen führte, und ſich auf die Korreſpondenz diplomatischer Natur bes 
Ichränft. Bon den ſchon befannten Stüden find ausführliche Inhalts- 
angaben mitgetheilt, und da fie, was den Ort ihrer Veröffentlichung 
beteifft, zum Theil nicht feicht zugänglich find, fo ift dieſes Ver— 
fahren mit Dank aufzunehmen. Die bisherige Aufjafjung vom Vers 
laufe der Dinge wird durch das neu edirte Material durchaus bes 
ftätigt. Muller hat den Dokumenten in der Geſtalt von Anmerkungen 
einen ausführlichen Kommentar beigegeben, der für das Studium 
der Geſchichte des niederländiichen Aufjtandes in diefem Beitraume 
gute Dienjte leiftet. 

Eigentlich follte der vorliegende 4. Band die Publikation ab— 
ſchließen; das Material ftellte jih jedoch als fo umfangreid, heraus, 
daß feine Theilung geboten erſchien. Der 5. Band wird die Be— 
ziehungen zwiſchen Anjon und den Niederlanden bis zum Tode bes 


ku 





Italien. 527 


Nigra, die Verfuche wieder auf, mit Recht überzeugt, daß, bei 
der Hartnädigleit der Kurie, um einen Schritt weiterzulommen, der 
Abzug der Franzoſen die nothwendige Vorbedingung war, deren 
Erfüllung mit allen Mitteln anzuftreben ſei. Auch jet widerjtrebte 
der Kaiſer. Nicht zufrieden mit jener Zuſicherung der italienischen 
Negierung, verlangte er eine „praltifche Garantie” dafür, daß fie 
nicht mit Gewalt nach Nom gehen werde, und in biefem Zuſammen— 
hang kam die Verlegung der Hauptitadt nad) einem anderen Ort als 
Nom auf's Tapet. Ausgefproden wurde das Wort zuerſt von dem 
Marchefe Joachim Pepoli, und zwar in einer Unterredung mit 
Napoleon, der ſofort diefe Verlegung der Hauptitadt ala die ges 
mwinjchte praftifche Garantie anerfannte. Ameifelhaft bleibt es dabei, 
ob der Gedanke im Kopfe Pepoli's ſelbſt entiprang oder ihm vom 
Kaifer, befanntlich feinem Verwandten, eingegeben war. Damit es 
ganz freier Entſchluß der italienischen Regierung erjheine, hatte 
Pepoli zum Kaiſer gejagt, diefe habe fih aus Gründen der inneren 
Politik zur Verlegung der Hauptjtadt bereits entſchloſſen. Daran 
war nur fo viel wahr, daß die Verlegung allerdings jchon jeit einiger 
Zeit erwogen und erörtert wurde. Maſſimo d’Azeglio, der ein Neben 
einander von Papjt und König in einer Stadt für unmöglich hielt, 
hatte jhon im Jahre 1861 in einer eigenen Brojchüre Florenz als 
Hauptftadt empfohlen. Andere befürworteten dasjelbe zum Zweck ber 
„Stalienifirung“ des Königreichs, das mit der Hauptitadt Turin nur 
ein bvergrößertes Piemont fei. General Cialdini hatte in einem Guts 
achten aus militärischen Gründen die Entfernung der Hauptſtadt aus 
Zurin und ihre Verlegung hinter den Apennin verlangt. So traf bie 
vom Kaiſer Napoleon geforderte „praktifhe Garantie* zuſammen mit 
einer Mafregel, für die jedenfalls auch erhebliche Gründe der inneren 
Politit ſprachen. Minghetti befreumdete fich exit dann bamit, als das 
Projekt in Verbindung gebradit wurde mit der großen Thatſache des 
Abzugs der Franzofen aus Nom: eben diefe Verbindung, fagt er, 
ift ber eigentliche ern der Septemberfonvention. Bon nun an betrieb 
er aufs eifrigjte ein Ablommen auf dieſer Grundlage, Dem Kaiſer 
war ed immerhin moch ſchwer abzuringen. Aber auch auf ftarfen 
Widerfprud; in Italien jelbjt mußte man gefaßt fein. Von dem 
vorausſichtlichen Widerſtand der Turiner abgefehen, erichien das 
Übereintommen als ein Verzicht auf das feiertih fanktionirte Pro—⸗ 
gramm Roma capitale, es erſchien auch als eine Einmifchung Franf- 
reichs in eine Frage der inneren Politif des Königreichs. Minghetti 


22 


HER 





— — 


Jiolien. 529 


die Adrejje des Generals Della Rocca jehen, dejjen Denkwürdigkeiten 
den alten Streit wieder erneuerten, wen die Verantwortung für die 
traurigen Vorgänge in Turin treffe, die die Antwort der bisherigen 
Hauptjtadt auf die Veröffentlihung der Konvention waren. Es jteht 
bier die Behauptung Della Roeca's und diejenige Minghetti's umd 
feiner Kollegen einander ſchnurſtracks entgegen; wer Recht hat, wäre 
ſchwer zu jagen, und ficher iſt nur das eine, daß die jeindjelige 
Haltung der Turiner, die nicht umerwartet, und für die doch nichts 
vorgefehrt war, eine unglaubliche Konfufion oben wie unten Bin 
Bolge hatte. W. L 


Giuseppe Gadda, Senatore, Ricordi e Impressioni della nostra 
storia politica nel 1866 —67. Torino, Roux Frassati e Co, 1899, 
336 ©. 

Die Lebenderinnerungen, bie der Senator und ehemalige Minifter 
Gadda veröffentlicht hat, befafjen ich nicht ausfchließlih mit dem 
Zeitpuntt 1866—67, aber dies ift ihr hauptſachlichſter Beſtandtheil, 
und er ift reich an neuen und hiſtoriſch interefjanten Mittheilungen. 
Gadda ift geborener Mailänder und gehörte politiih zur Rechten, 
zur Eavour’ichen Partei. In jener Zeit war ex Präfelt in Perugia 
und erlebte als folder in verantwortungsvoller Stellung den Einfall 
Baribaldi'3 in’3 Römische, der nad; Mentana führte. Umbrien war 
die dem Kirchenjtaat nächitgelegene Provinz; hier fammelten ſich die 
zömifchen Ausgewanderten, und hier fammelten ſich aus ganz Jtalien 
die Garibaldiner, die ſich troß der Septemberfonvention, nach dem 
Abzug der Franzojen (December 1866), zum Einfall in’ Römiſche 
anjchieten. Das war an fih für den Präfelten der Provinz eine 
ſchwierige Lage, und fie wurde noch ſchwieriger gemacht durch Die 
politifche Zweideutigfeit feiner Regierung. Der unglüdliche Krieg 
von 1866 hatte eine allgemeine Verftunmung zurüdgelaffen, die ber— 
ſtärlt wurde durch die traurige Finanzlage. Die Maſſen fielen der 
Linken, der Aftiondpartei zu, Die ungeſtüm nah Nom verlangte, 
Garibaldi unternahm im Frühjahr 1867 mit dem Ruf: Roma o 
morte! einen Triumphzug durch Stalien, und als Wattazzi am 
Ricaſoli's Stelle trat und ein linls gerichtetes Minifterium bildete, 
wurde die Altionspartei dreifter und betrieb immer ungejcheuter die 
Vorbereitungen zu einer römiſchen Expedition. Bu dieſer Zeit, 
September 1867, war Nattazzi'3 Haltung, dem Vf. zufolge, durchaus 
loyal. Es ergingen an den Präjelten von Perugia die Een 

Hiftortieie Heitjchrift (Mb. 85) M.i- Bo. XLIX. 





























Tunis. 5351 


Krieg ſowohl, als über die Berathungen, die dem Entſchluß zur Bes 
fegung Roms voransgingen. Alles, was Gadda erzählt, ift fehr 
Iehrreich, wäre es aber auch dann, wenn er micht überjlüjfigerweije 
faft auf jeder Seite verjicherte, daß er zur Belehrung und Erziehung 
flenifäjen Sogenb - | 


. 


Paul Lapie, Les eivilisations Tunisiennes. Paris, F. Alcan, | 
1898. 301 S. 83,50 fr. (Bibliotheque d’histoire contemporaine,) | 
Es iſt auch für uns von erheblichem Intereſſe, zu beobachten, 
wie die Franzofen bemüht find, ihre zweite große nordafrifaniiche | 
Ermerbung, die „Negentihaft" Tunts, nicht bloß durd) die Waffen | 
feft an ihr Reich zu inüpfen und durch Anlegung von Straßenbauten | 
aller Art und Häfen nutzbar zu machen, jondern auch joviel als | 
möglich geiftig am ihre Intereſſen zu fejjeln. Ein fehr anziehendes 
Beifpiel für diefe Seite der Urbeit ift jeßt das Buch von Paul 
Lapie, agregö de philosophie, ancien professeur au lyeée de 
Tunis. Es handelt ſich nach der praftifchen Seite dabei wefentlich 
darum, die rechte und wirlſame Art zu wachſender Uusgleihung 
zwijchen den in der Regentſchaft Tunis vorhandenen Kulturelementen 
— ben alten Herren des Landes, gewöhnlich nur „Uraber* ges 
nannt, richtiger in ihrer bunten Mifhung von Arabern, Kabylen, 
berberiſchen Völlern als „Mufelmanen zu bezeichnen — den 
40000 Juden — und der Maffe eingewanderter Europäer, nament- 
lich Staliener, Malteſer, und den neuen Bebietern, den Franzofen — 
zu finden und alle anderen zu erfolgreicher Annäherung an die letz⸗ 
teren zu beſtimmen. Der mit Land und Leuten, mit der neueren 
Literatur über dieſe Negentfchaft und mit der der Araber, namentlich 
auch mit der ihrer Nechtöalterthümer, vortrefflich vertraute Bf, gibt 
uns in ſechs Kapiteln ein jehr werthuolles, jehr angenehm zu lefendes 
Bud. Er nennt es eine jocialspfychologijche Studie; namentlich weil 
er die tiefe Verjchiedenheit zwijchen den Völkern der Regeutſchaft weit 
weniger auf die Wirkungen ihrer Neligionen und ihrer Raffenunters 
ſchiede, als auf das zurüdführen zu müſſen glaubt, was man wohl 
das Seelenleben ber Völler zu nennen fich gewöhnt hat. Nach 
feiner Beobachtung ift das wejentliche Antereffe der Araber der 
Vergangenheit zugewendet; fie entbehren gar jehr des Talentes 
und ber Neigung, ihr Leben durch vorausichauende Blide in die 
Gelbſt in die nächſte) Zukunft zu geitalten, während die Juden 
B4* 


532 Literaturbericht. 


ganz überwiegend für die Zukunft arbeiten. Durch das ganze Buch 
geht alſo überall der Verſuch, die Verſchiedenheit dieſer Völker — 
die einander, und jegt auch Die auf ihr inneres und äußere Leben 
ftarf einwirkenden Franzoſen dabei nad) verfchiedenen Seiten ergäns 
zen — nad) Seiten ihrer wirthfchaftlichen Verhältniffe, ihres Familien— 
lebens, ihres Familienrechts, ihrer Theilnahme am Staat8leben, der 
praftifhen Ausprägung ihres religiöfen Lebens, endlich auch ihrer 
Runftübung — aus ber Grundverjchiebenheit ihre Seelenlebens ab» 
äuleiten. Dan wird natürlich dem geiftvollen und ſcharfſinnigen Bf. 
bei der Darlegung feiner Unfichten nicht immer zu folgen im Stande 
fein. Dagegen wirkt dad Buch fehr feffelnd durch den erſtaunlichen 
Reichthum von höchſt anfchaulich vorgetragenen und gut gruppirten 
Mittheilungen aus der Geſchichte und dem Rechtsleben von Tunis 
und aus den verfchiedenjten Gebieten des öffentlichen, wie des reli- 
giöfen und des Privatlebens der verjchiedenen, hier auf einem mäßig 
großen Gebiet zufammenmwohnenden Völker. 
Halle a. ©. G. Fr. Hertzberg. 











Allgemeines. — 


menſchen“. Das und anderes Ähnliche mehr trägt Lory in einem halb 
lomiſch, Halb ärgerlich berührenden, ſchließlich unerträglich werdenden 
Pathos vor. Er geberdet ſich wie ein Prophet, ber mit Zungen redet; 
aber das ijt ein Bungenreden, das doch eine nod viel härtere Genjur 
verdient, als ihm Paulus im erften Korintherbrief erthellt. Der Grund— 
aftord dabei iſt Selbjtbefpiegelung und Selbftvergötterung, bie bei einem 
Vertreter bes Kolleltivismus doppelt jeltfam tmirkt, ein deutlicher Beweis, 
wie in unferer Zeit troß befjerer Erkenntnis die Ichjucht ſich Telbjt über» 
ichlägt. Bon demjelben Berfafjer wird auf dem Umſchlag eine „Geſchichte 
der europäifcen Staaten im Grundriß“ angefiindigt, die in geiwiffem 
Sinne „die erſte Gedichte Europas fein wird, bie liberhaupt — 
Ja, wenn es mit großen Worten gethan wäre! 

Aus den Annales de philosophie chrötienne 43 (70), 1/2 notiren 
wir einen Aufjap von G. Cehartier: Evolution et dissolution (über 
die Theorie Lalande's, der als Fundamentalgefeg nicht Evolution, d. 6. 
Entwidlung und Differenzirung, jondern Difjolution, d. 5. Ausgleichung 
und Annäherung ber Individuen, aufitellen will), — Wir notiren aus 
bemjelben Heft noch die Artikel von U. Bounfjonie: La raison et les 
prineipes premiers (Anfang, Fortfegung in Nr. 3), von Eh. Seger: 
Determinisme et Panth6isme (nothwendiger Zufammenhang beider) und 
von R. PB. de la Barre: La morale de l’ordre (Schluß). 


In ber Revue des Deux Mondes, 15. Juli 1900 veröffentlicht 
G. Gohpau einen Aufjap: Patriotisme et Humanitarisıne, Essai d’histoire 
contemporaine, in dem ex die Befährlichleit der modernen al nn 
ibeen charalterifirt. 

In den Archives d’Anthropologie criminelle 87 veröffentlicht 
&. Tarbe eine: Legon d’ouverture d'un cours de Philosophie moderne 
au Collöge de France (Bhilofophie und Soziologie). 


Aus dem Journal of Theological Studies 1,3 notiren wir bon 
ER. Tennant: The theological significance of tendencies in Natural 
Philosophy. — Im Juniheft der Weſtminſter Review veröffentlicht 
C. Benryhn Gasquoine: The final seat of Authority, a reply to 
»the new Evangelicalisıne (gegen jede Autorität, die nicht mit Vernumft 
and Erfahrung im Einklang jteht). 

Die Leitichrift Für Philofopbie und philoſoph. Kritit 116, I enthält 
wieder zwei Arbeiten über den pſychophyſiſchen Barallelismus, einmal von 
8. Bujje: Wehjelwirtung oder Parallelismus, eine Entgegnung, sc, auf 
die von uns 9. 3. 84, 345 und 85, 153 erwähnten Urtitel von Baulfen 
und König) und zweitens von M. Wentſcher: Der pſychophyſiſche 
Barallelismus in der Gegenwart (tritiſche Überficht der verichiebenen 
Theorien und Wertbeidigung der eigenen Theorie des Verſaſſers). 


























in Beweis des Glaubens 36, 5 über Darwinismus und Materialismus ıc. 
Zugleich verweijen wir aus denn philoſophiſchen Lager auf eine Broſchüre 
von I. Baumann: Hacckel's Welträthjel nad ihren ftarfen umd ihren 
ihwachen Seiten (Leipzig, Dieterich) und auf eine äuferft jcharfe Seitit 
von F. Pauljen im Juliheft der Preußiſchen Jahrbücher; Ernft Haedel 
als Philojoph. 

In der Zeitſchrift für das Gymnaſialweſen 54, 6 Handelt E. Stuper: 
Über die Vertheilung der gejcichtlichen Lehrftoffe. Verfaſſer ſchlagt nur 
eine Änderung jür Tertia vor. Wir halten an unferer wiederholt ger 
äuferten Anſicht feit, daß für die Geſchichte vor allem Abſchaffung ber 
Abihluhpräfung in Unterſelunda und dann Einrichtung einer fünfjährigen 
ftatt der jeßigen dreijährigen Oberſtufe exwiluſcht wäre. 

Mus dem Jahrbuch des Vereins fir wiſſenſchaftliche Pädagogit, 
32. Jabrg., notiren wir von Tb. Vogt: Zur Behandlung fozialer Fragen 
Am GefchichtSunterricht, 

Die Revue internationale de l'’Enseignement 39, 5 enthält einen 
Urtifel von Eh. Seignobos: La röforme de l'enseignement secondaire 
de l'histoire aux Etats-Unis (im Anſchluß an den Bericht der American 
Historical Association; The study of History in schools, New-York 
1899, der einen vierjährigen Oberkurjus fejtftelt: 1. Alte Geſchichte bis 
800 oder 813, 2. Europäiice Geſchichte vom 9. Jahrhundert bis zur 
Begenwart, 3. Engliſche Geſchichte, 4. Geſchichte der Vereinigten Staaten). 

In den Berichten über die Verhandlungen der Kgl. Sähfiihen Ge— 
ſellſchaft der Wiſſenſchaften zu Leipzig (pbilofog.-biftoriiche Klaſſe) 52, 3 
gibt 8. Lamprecht einen Bericht über: Die Königlih Sächſiſche Kom— 
miffion fir Geſchichte, der zugleich einen Überblid über die geſammte Ente 
wiclung der iandesgeſchichtlichen Studien in Sachſen gewährt. Über die 
neueren Arbeiten der Kommiffion vgl. die Notiz 9. 3. 80, 382, 


Neue Büder: Dutoit, Die Theorie des Milten, (Bern. Sturzens 
egger, 1,50 M.) 


Alte Geſchichte. 

Über die Ergebnifje der amerilaniihen Ausgrabungen in Nippur 
orientirt 2, Henning im Globus 78, 1 (1900). 
Aus der Revue de I'histoire ‚des religions 40, 1 notiren mir 
€. Blodet: Etudes sur l'histoire religieuse de l'Iran. II. L’ascension 
au ciel du prophöte Mohammed, 

Im Journal asiatique 15,2 findet ſich der Schluß der Arbeit von 
NR. Beil, Vart de la fortification dans la haute antiquitö Egyptienne. 
Dann beipriht S. Cevi: Les missions de Wang-Hiuen-ts’e dans !’Inde, 
weiche zur Kenntnis Ajiens im 7. Jahrh jehr wichtig find. 











Alte Geſchichte. 539 





ſchen Sternbilder (ein Theil der Sternbildertypen ſtammt aus der ionijchen 
Kımjt de 6. Jahrh. v. Chr.) 

Am Hermes 35,3 ſetzt zunächſt B. Nieje feine Krritit ber beiden 
DMattabtierbücher nebjt Beiträgen zur Geſchichte der maltabälichen Erhebung 
fort, IL Zur Gharatieriftit des 1. Mallabäerbudes. Der erjte Feldzug. 
Die Kriege des Judas gegen die Nachbarn. Die Urkunden im 2. Malfas 
baerbuche und die Friedensverhandlungen. Die yriſche Königsliſte bei 
Eujebios und das Todesjahr des Antiochos IV. Die Niederlage Nilanors. 
Das Bündnis der Nömer mit Judas Maltabäos. Die ägyptiichen Feld— 
züge des Antiodos Epipfanes. Quellen und Chronologie des 1. Mattabäer« 
Buches. Der Bericht des Joſephus. Hat Fojephus das 2. Maflabiierbud) 
getannt? Dann unterzieht Th. Mommfen den bei unferen Limesforſchern 
jo beliebten Gebrauch des Wortes prätorium einer Kritit und findet, daß 
berjelbe falſch ift; derſelbe Gelehrte erörtert dann unter der — 
Aghptiſche Legiondre auf Grund eines jüngft veröffentlichten Papyros die 
Soldberechnung zweier Legionäre BP: Natorp: Platos Phädrus fept 
deflen Abſaſſung nicht fpäter ala 390 v. Ehr. an u. U. Stein: Das 
Zodesjahr des Gardepräfelten Perennis ſtiltzt das allgemein angenommene 
Jahr 185 v. Chr. mit neuen Gründen. 

Im Philologus 59, 2 weiſt O. Hoffmann: Zwei neue artadiihe Ins 
ſchriften, mac, da die Nr. 21 und 22 der von Biebarth aus dem Nationale 
muſeum in When herausgegebenen attiihen Fluchtafeln aus Arkadien 


fammen und jpäteftens dem 3, vorhriftl. Jahrh angehören; M. Öroeger. 


handelt über die Kirte-Dichtung in der Ddyfiee und E. Sterntopf über 
die „Berbefierung“ des Clodianiſchen Geſehentwurfs de exilio Cicerönis, 


In den Sißungsberichten der philoſophiſch-philologiſchen und- ber 
biftorifhen Kaffe der t. b. Akademie der Wiſſenſchaflen zu Münden 1900, 
veröffentlicht W. Chriſt eine Heptas antiguarifc-philologiiher Miscellen, 
mworunter uns bejonders erwähnenswerth erjheinen: 1. Eine römiſche 
Strafe auf einem Münchener Biegelitempel. (Die bisher ungedeuteten 
Buchſtaben des Stempeld CIL XV no. 725,16 QV, R. T. A. werden 
aufgelöſt in: QVlarta) Rlegione) T(ertio) L/apide) A(nniae sc. viae). 
U. Die Inſchrift des Vollan⸗Altars in Regensburg. III. Gewidite von 
Zarent. IV. Die Solonijde Minz- und Gewidtsreform nad; Ariftoteles. 
VIE. Pindar und das ägyptische Siegerverzeihnis. (Oxyrynchos Papyri II 
no. COXXI.) 

In der Revue de philologie, de literature et d’histoire anciennes 
‚24,2 ſtellt 2. Hapet: Domitius Marsus sur Bavius et son fröre ein 
bei den alten Ertlärern des Vergil erhaltenes Epigramm des Domitius 
Marsus her; dann handelt E. Kavaigmac über Le décret de Callias, 
Comment les Athöniens ont dteint leur dette aprös la guerre Archi- 
damique? 














Alte Geſchichte. 541 


In der Revue numismatigne 4,2 (1900) findet ſich der Schluß ber 
ſchon angezeigten Arbeit von 3. Noupier: Le monnayage alexandrin 
d’Arados; dann veröffentlichen U. Dieubonne: Monnaies grecques 
röecemment acquises par le Uabinet des Médailles (vorzüäglih Münzen 
von Stäbten und Königen des Pontos und des Bosporus), R. Momat: 
Notes d’onomastique romaine. Valerien; Rögalien (der volle Name ift 
Publius Cornelius Regalianus) und Th. Reinach: Pontica. I, La femme 
de Mithradate II, 2 Statöre et drachme de Mithradate II. 3 Taulara 
ou Talaura. 


Aus The Classical Review 14,5 u. 6 notiren wir U. W. Berralf: 
The site of primitive Athens, Thucydides II 15 and recent explo- 
rations; ®. $. Hill: Athens and Olynthos in 384—3 B. C. (die 
gewöhnlich in's Jahr 351/50 gefepte Inſchrift CIA II 105 wird in's Jahr 
334/3 batirt); 5. Haperfield: The census of Sulpieius Quirinus 
und Th. Ashby: The four great aqueducts of ancient Rome. 


Aus der Rivista di storia antica 5, 1 notiren wir € Pais: »Saxum 
Tarpeium.« Osservazioni topografiche @ giuridiche; F. v. Duhn: 
Campano-Etruschi. Un’ errata-corrige per le pagine 388—41 e 56—57 
not.16—19 di questa Rivista vol. I, fasc. 3; P. Orji: Frammenti 
epigrafici sicelioti; B. Strazzulla: Epigraphien; ®. Rizzi: Le Tavole 
finanziarie di Tauromenio. Contributi alla storia dell’elemento dorico 
in Sieilia; &. Cantarelli: Origine e governo della provincie Africane 
sotto l’Impero (da Augusto a Diocleziano); &. Tropea: La stele 
arcaica nel Foro Romano. Cronaca della discussione (Decembre 1899 
— Aprile 1900). 

Dantenswertb und jehr förderlich find drei Arbeiten öfterreichiicher Ge— 
lehrter. U. v. Premerftein und S, Rutar behandeln: Römiſche 
Straßen und Vefeftigungen in Krain (Wien 1899) und zwar: IL. Die 
Straßen und Feftungsanlagen an ber Italijch.pannoniichen Orenze. IT. Der 
krainifche Abichnitt der Straße Emona⸗Siscia. Als Anhang folgt TIL: 
Nette und revidirte Infhriften aus rain. Wichtig erſcheint uns die Feſt 
fegung der zum Schupe Italiens errichteten Befeftigungen, die ein wohl⸗ 
durchdachtes Syſtem bildeten, und die Cofalifirung der Orte Acervo (bei 
Böfendorf), Praetorium Latobieorum (Treffen), Craeium (bei Jelda) und 
de8 municipium Latobicorum (bei Malence unweit bes Einfluffes der 
Gurk in die Sau). Sorgfältig werden bie jhon vor Auguftus, aljo vor 
der Unterwerfung des Landes unter Nom, nachwelsbaren Handelsſtraßen 
(von Aquileia nad Nauportus und von Tergeſte nadı dem os Aolyeor, 
was mit dem Birkniger See tbentifizirt wird), ihr jpäterer Ausbau zu 
Kunftftraßen und ihre Weiterführung einerſeits bis Carnuntum an bie 
Donau, andrerjeits über Siscia wieder an die Donau zur Verbindung 
Jialiens mit dem Drient erörtert. Unter den neuen Imjchriften iſt 






























Alte Geſchichte. 543 


eine Frage, welche durch die jüngst erfolgte Publifation der ſyriſchen Übers 
ſebung des verlorenen griehiihen Originals an Intereſſe gewonnen hat; 
dann ftellt A. de Baal! Lex christiena die Zeugniffe zufammen fix lex 
christiana oder sancta, veneranda, sacra im Sinne bon Nonfejjion oder 
Belenntnis. 

In den Jahrbüchern der Erfurter Atademie gemeinnüpiger Wiffen- 
ſchaften N. F. 26 behandelt in großen kräftigen Zügen 8. 3. Neumann 
„Das klaſſiſche Altertum und die Entjtehung der Nationen“, d. b. die 
Bildung der helleniſchen und der Iateiniichen Nation. 


Reue Bäder: Präjet, Forſchungen zur Geſchichte des Alierthums 

IM. Zur Chronologie des Kyros. Zur Behiſtüninſchrift. I. (Leipzig, 
Pfeiffer. 3 M) — €. $. Lehmann, zwei Hauptprobleme der altorien« 
talijhen Chronologie und ihre Löfung. (Leipzig, Pfeifer. 5 M) — 
Löpr, Geſchichte d. Volles Jörael in 9 Vorträgen dargeftellt. (Straßburg, 
Trubner) — Willrich. Judaica. Forſch. z. helleniſtiſch-jud. Bei. 1. 
Literatur. (Göttingen, Vandenhoeck u. Ruprecht. 5,60 M.) — Delbrüd, 
Geſchichle der Kriegskunſt im Nahmen dev polit. Geſch. I. Das Ulterthum. 
(Berlin, Stile) — Bury, Hist, of Greece to the death of Alexander 
the Great. (London, Macmillan. 8,6 sh.) — Francotte, L'indnstrie 
dans la Grece ancienne. I. (Brüffel, Societ beige de lihrairie. 
7,50 Fres.) — Pfuhl, De Atheniensium pompis sacrie. (Berlin, 
Beidmanı. 4 M.). — Rohde, Der griediihe Roman und feine Vor— 
Täufer. 2. Aufl. (Leipzig, Breitlopf & Härte. M. 14) — Dziapto, 
Unterfuhungen über ausgewählte Kapitel des antiten Buchweſeus. (Leipzig, 
Teubner.) — Weil, Etudes sur Vantiquité greeque. (Paris, Hachette. 
3,50 Fres.) — Oberziner, Lu guerre di ‘Augusto contro i popoli 
Alpini (Rom, Loeſcher) — Harnad, Das Wejen des Chriſtenthums 
Ceipzig, Hinrichs. 8,20 M.) — Un &dit de l’empereur Justinien IL 
publ. par N. Papageorgiu. (Leipzig, Teubner) — Koch, Pſeudo— 
Dionyjins Areopagita im jeinen Beziehungen zum Neuplatonismus und 
Myfterienwejen. (Mainz, Kirchheim, 7 WM.) 


MBömifd-germanifche Zeit und frühes Mittelalter Bis 1250. 
Im Archiv für Anthropologie 36, 4 ijt der Schluß der ausgezeichneten, 
grundlegenden Abhandlung von O. Montelius erfdienen: Die Chrono 
logie der ätteften Broncezeit in Norddeutſchland und Skandinavien. Das 
Hauptrejultat ift, daß Supfer und Zinnbronze, zunächſt in ſchwächer 
Legirung, im füdweſtlichen Aſien entdedt und leptere von bort früh nad 
Ügppten, dann etiva um das Fahr 2000 v. Chr. auch nadı Europa gebracht 
wurde, — Aus demjelben Heft notiren wir von M, Braungart: lir 
geſchichtlich ethnogtaphiſche Beziehungen an alten Anſpanngeräthen (Jochend 


Unterfahungen der. 
€. Meplis im (Biähtiten) Ba 
— 


— n 
aller zur Gefechte bes röm 








Frühes Mittelalter. 546 


beſtandtheil der Mittheil d. Ber. f. naſſ. Alterthumstunde 1900 Nr. 2. 
Wir entnehmen ihnen zugleid die Nadricht von der Gründung eines Vers 
bandes weit» und ſüddeutſcher Vereine für römifch-germantiche Aitertfumss 
torihung, deſſen Ziele jreilid nur ertennen laſſen, dah jene Korporationen 
ſich feine anderen Aufgaben jepen als „bie Förderung und Zuſammen- 
fafjung der römijchegermanijchen Altertfumsforihung und der damit ver— 
bundenen prähiftoriichen und fränkiſch⸗allemanniſchen Forſchung“ 


In der Weſtdeutjchen Zeitſcht. 19, 1 verzeichnet N. Bodewig bie 


Ergebnifie von Ausgrabungen im Koblenzer Stadtwalde, die zum Theil 
anjehnliche Nefte von Villen und Gehöften wie eines Tempels zu Tage 
gefördert haben. Bodewig erblidt in ihmen Überbleibfel eines Treverer- 
dorfes, das er mit dem bei Sueton erwähnten Bieus Ambitarvius iden- 
tificiren möchte. Aus dem Korreſpondenzbl. der Weſtd. Zeitfchr. 19, 4 
felen eine Heinere Notiz über Köngen ſowie Mitteilungen von H. Lehner 
über ſpatrbmiſche Befeftigungsanlagen in Andernach und Feitungswerte 
wie broncezeitlide Funde in Urmiß vermerkt (vgl. 85, 354). 

Nachträglich fei des lihtvollen Vortrags von C. Shudharbdt über 
die römifchgermantiche Forſchung In Norbweitbentichland gedacht. Er ber 
deutet eine erfreuliche Abjage an die bislang geübte Gepflogenheit, den 
Moorbrüden wie Kaftellen und Burgen jenes Gebiets ſtets römiſcheu 
Urfprung beigulegen. Namentlich verdienen die Ausführungen über eine 
Reihe jähfiiher Burgen erwähnt zu werden, nach denen die Anlage diejer 
Befeftigungen erſt der Karolingerzeit zuzumeijen ift; Neue Jahrb. f. Haff. 
Alterthum n. ſ. w. Bd. 5 u. 6, Heft 2 (auch als Sonderabdrud erſchienen, 


Leipzig, Teubner. 30 S. mit Abb. und Karte), Inzwiſchen hat fih an. 


die Thefe Schuchhardt's ein lebhafter Meinungsaustaufc mit F. Knofe 
genüpft, der in einer bejonderen Schrift (Die römiſchen Forſchungen im 
nordweſtlichen Deutihland. Berlin, Bärtner. 11 ©.) an den von ihn früher 
vorgetragenen Anfichten über die Entitehung der Moorbrüden ebenfo fejthält 
wie an jeiner Identifizirung der Befejtigung im Habictswalde mit dem 
zweiten Baruslager aus der Schlacht im Teutoburger Walde (vgl. 83, 361. 
84, 539. 85, 355). Der bibliographiſchen Vollſtändigkeit halber notiren 
wir ſchließlich die Darlegungen in den Neuen Jabrb. u. j. w. Bd. Hd wm. 6, 
Heft 4, im Korrejpondenzbl. bes Geſammtvereins 48, 5/6 und im ber 
Deutſchen Litt. Zeit. 1900 Nr. 97. 

Antnüpfend an die Thejen von H. Witte (vgl. 84, 165) gibt 
8. Bohnenberger beachtenswerthe Winte für die Methode der Orts— 
namenforſchung, die er im gefiderte Bahnen gelenft zu jehen wünſcht; 
Korrejpondenzbl. des Gejammtvereins 48, 5/6. 

2. Schmidt jtellt in der Hiſtor. Vierteljahrſchr. 8, 3 die Nachrichten 
über die Hermunduren zujammen. Die Thitringer find nach feinen, freilich 
nicht recht durhfichtigen Ausführungen ein im Laufe des 4. Jahrhunderts 

Hfftorifche Heitichrift (Bd. Rn) N. F. Wh. XLIX. 35 





























Reformation. 


Der Muffap ©. v. Below's „Großhändler und — im 
deutfhen Mittelalter“ (Jaheb. f. Rationatät. u. Statift. Bd 76) 


überhaupt einer großen wirthſchaftlichen wie focifen Hoch 
und die Grundlage für die Bildung der Kaufmannszünſte RR bei 
gegen Ende des Mittelalterd änderte ſich dies Verhältnis allmählich. 
Neue Bäder: Wylie, The concil of Constance to the death 
of John Hus. (London, Longmans, Green & Co, 6 sh.) — Rott, 
Hist. de la repr@sentation diplomatique de la France auprös des 
eantons Suisses etc. I, 1430—1559. (Paris, Alcan.) — Kalousek, 
Archiv Öeskf XVII. GPrag, Burfit & Kohont) — Nover, Gutenberg. 
Meinz, Joh. Wirth.) — Bocken heimer, Outenbergfeier in Mainz 1900, 
Beftichrift. (Mainzer Berlagsanftalt.) ' . 


Beformation und GHegenreformation (1500—1648). 

Im der Zeitſcht f. Kirchengeſchichte 21, 2 veröffentlicht Bauer den. 
erften Theil einer Preisſchrift über die Heidelberger Disputation Luthers 
1518. Er erzählt den Auferen Verlauf, macht es wahrſcheinlich, daß der 
ganze Orden fi für Luther erflärt hat, und geht insbeſondere ausführlich 
auf die Heidelberger Thejen ein. Er zeigt, wie neben mancher Preſſung 
der Schrift Luther ſich dadurch auszeichnet, dah er in der Bibel nicht mtr 
eine Sammlung von Beweisitellen flir theologiſche Lehrſätze erblidt, ſondern 
ſich bereits zu einer „einheitlichen Bejammtbetrachtung der Schrift“ erhoben 


Hat. Deutlich weift Bauer ferner die ftarte Abhängigkeit Luthers don 


Auguftin, insbefondere deſſen antipelagianiſchen Schriften und bem Traftat 
de spiritu et littera nad, nur daf Luther jhroffer noch als Auguftin 
die Unfreiheit des menſchlichen Willens betont, und im Gegenjap zu 

Auguftin’® Anficht, nach der fein Menſch des Beſihes ber göttlichen Sn 
iger jein kann, mehr geneigt ift, den Beſit des rechten Glaubens bereits 
als Zeichen der verlichenen Gnade aufzufaffen. Mit einem kurzen Abſchnitt 
über den Einfluß des Humanismus auf die Heidelberger Thejen, wonach 
der Verſaſſer in Luther's gründlicher Ablehr von Ariftoteles und feinem 
Streben mad; Erjag für diefen Philofophen auch in der Erfenntnistheorie 


‚einen mehr als bloh formellen, einen wirklich ſachlichen Einfluß erblidt, 


ihließt diefer erfte Theil der lejenswerthen Abhandlung. 


In den Analelten berichtet daſelbſt Weder über Köthener Kirchen— 
bifitationsaften von 1567. Intereſſant ift darin insbejondere, wie ſich ber 




























Fi 


ſowohl die Anfänge der reformatorifhen Bewegung unter 
Seipziger Disputation ftehen, als aud) die ne da 
fteter Anlehnung an die ſächſiſche Reformation vollzieht. 
fheint zwar vom Humanismus aus zur Neformation gelangt 
aber dann feinem Reformationsbiichlein die Ordnungen des 
Kirchenweſens mit umwejentliden, durch Iofale Verhäliniſſe be— 
Abweichungen zu Orunde gelegt: Sicher bat zum Vorbilde gedient 
1. ſächſiſche und die Wittenberger Kirchenordnung bon 1539, 
3; von Luther'ſchen Schriften de abroganda missa privata, der 
tehismus und die Schrift „von ehefihen Sachen“, höchſt wahr: 
ich aber auch die Nürnberger Kirhenordnung von 1583, der Untere 
richt der Bifitatoren, die ſachſiſchen Vifitationsartifel von 1533 und viel- 
it Sutfer’6 formula missae. 
j In der Zeitſchrift j. Geſch. d. Oberrheins (N. F. 15, 3) läßt Haijer 
einen Brief Wimpfeling’s an den Straßburger Biſchof Wilhelm von Hontheim 
abdruden, der Wimpfeling's Intereffe für würdige Ansgeftaltung des 


wei nad, dab der Kosmograph Martin Wapenmüller, der Amerika den 

Namen gegeben hat, nicht nad) berfömmlicher Annahme in Freiburg, fondern 

wahrſcheinuch in Radolfzell zwiſchen 1470 und 1475 geboren iſt. Und 

Knod jet feine regeftenartige Zuſammenſtellung der oberrheiniihen Stu— 

denten, die im 16. umbd 17, Jahrhundert auf der Umiverfität Padug nad 
| weisbar find, fort. 

A. Boftina macht in der Zeitfhr. j. Geſch. d. Oberrh. 15, 2 (1900) 
anf einen beſſeren Text der bon Döllinger publicitten Information Dels 
fing’8 vom Jahre 1558 aufmerkfam. 

Der Berfafier einer „Hälliſchen Geſchichte“ Omelin, widmet in 
Württ. Franten N. F 7, Beil. zu d. Württ. Bierteljahröheften f. Londeb— 
geſchichte v. Hift. Ver. f. Württ. Frank, 1900, den Geſchicken der Reichs- 
‚adt im 16. Jahrhundert eine ausführlide, zunächit bis 1559 reichende 
Schilderung. Bon bejonderem Interefje find darin die Ausführungen 
über bie Entwidlung von Brenz, ber mit den Jahren entſchieden von 
verhältnismäßig ſchwärmeriſchen Ideen zu lirchlich gebundeneren Anfchaus 
ungen überging. Ebenfo lehrreich ift die genaue Prüfung der Haltung 
des Raths mit Rüdficht auf jeine jeweilige Zujammenfegung und die Dar 
‚stellung der unleidlichen Mißſtände des Interims. 


Für die Gefchichte des Fürftbiichofs Julius von Würzburg find die 

von Kerler im Archiv d. Hiftor. Ver. v. Franken und Aſchaffenburg 41 

} (1899) mit inbaltreihen Anmerkungen herausgegebenen Kalendernotizen 
des Tuchſcherers Jalob Nöder aus ben Jahren 1598—1618 von erheb« 
lichem Belang. Sehr tritiſch ift dagegen, wie ber Herausgeber, S. Merle, 
jelbit betont, die Beſchwerdeſchrift gegen den Bifchof zu betrachten, welche 


ii 





ei, 


Reformation. Ze 











556 Notizen und Nachrichten. 


©. Riezler zeigt in den Eip.-Ber. d. k. bayer. Atad. d. Billenid., 
philoi.ephilol. u. Hiftor. Klaſſe, 1900, Heft I, daß der Aufitand der baye- 
riſchen Bauern im Winter 1633 auf 1634 feineswegs ein Ausläufer der 
proteftantiihen Erhebung in Oberöfterreih, fondern eine überwiegend 
felbitändige baieriſche Erhebung war, vorbereitet durch Steuerdrud, harte 
Belaftung mit Scharwert und drafonijche Jagdgejeggebung, zum Ausbruch 
gebracht aber allein dur die Einquartirung der bayeriſch-kaiſerlichen 
Truppen im eigenen Lande nad dem Fall von Regensburg und deren 
grauendolle Exceſſe. Die Bewegung entitand zwiſchen Jar und Inu, von 
wo fie fi) gegen Oſten fortpflanzte. Marimilten verſuchte die Bauern 
zunächſt durch gütliche Verhandlungen unter Iebhafter Theilnahme von 
Geijtlihen zu beruhigen. Dies führte öftlih des Inn® zum Ziel: weſilich 
des Fluſſes dagegen wurden die Aufjtändifchen mit Waffengewalt zeriprengt. 
Im Gegenfag zu feinen Beamten, welche die Tumulte, wie die Bauern 
felbjt immer betont hatten, weſentlich als Notwehr betrachteten und 
darum milde ahnden wollten, drang der Kurfürjt ſelbſt auf harte Beſtrafung 
diefer „Hormaljedition“. 


Dene Bäder: Thurnhofer, Bernhard Adelmann von Adelmanns- 
felden, Humanijt und Quther'3 Freund. (Freiburg i. ®., Herder. 3,20 M) 
— Paquier, L'humanisme et la reforme. Jeröme Alexandre 1480 & 
1528. Paris, E. Leroux.) — Mon. Germ. paedag. XX. Cohrs, Die 
evangeliihen Katehismusverjuhe aus den Jahren 1522—1526. (Berlin, 
A. Hofmann u. Comp. 10 M) — Tihadert, Antonius Cominus 
Leben bzw. Vriefweciel. ? Bde. (Bannover, Hahn. 2,50 M. bzw. 3,60 M.) 
— A. O. Meyer, Die engliibe Diplomatie in Deutſchland zur Zeit 
Eduard's VI u. Marien's. Breslau, Marcus. 2 M) — Hildebrand, 
Johan III. och Europas Katolska makter. ‘Upsala, Almquist & 
Wiksell. 


1643— 1789. 


Kür Me Unklardeit und Verworrenbeit aller veriaſſungsrechtlichen Ber 
bältmiie im deurſchen Neih um die Mitte des 17. Jabrhundert® gibt es 
taum ein beiieres Beiſdie: als den Kaneriich-piälziihen Bifariatsitreit, mit 
deſſen Antangen 1657 59 sich eine Müncener Tiiiertation von 8. Loru 
abgedruck: i. d. Forich. z. Geſch. Baiernd 7.) Die Schrift 

be Seite Ned Streites fo gut wie unberüdiichtigt, was 
i ſich. eingebend darzulegen, wie 
vrälziihen Kurfüriten auf die 
zt Stuands einwirkte. Es iſt dem 
& :5chir unerauicklichen Materie 
medr it die Vernachläſſigung 
gerede !iinen guten Eindrud auf den 





















558 Notizen und Nachrichten. 


der Abtretung ausdrüdiih als weltlihen Befig der Bisthümer zu 
definiren, und die Franzoſen jahen in diefer Nachgiebigkeit eine Aner— 
tennung ihres Standpunftes, daß die Abtretung der Bisthümer ſich nicht 
nur auf den weltlihen Befig, fondern aud auf den geiftlihen Wirkungs— 
treiß erftrede. Der Wortlaut bes Vertrages gibt der Reunionstheorie ein 
gewiſſes Recht, was von beutjcher Seite bisher nicht beachtet worden it. 
In Nymmwegen begnügte man fid, da eine Einigung iu diejer Frage 
zwiſchen den kaiſerlichen und den franzöfiichen Vertretern nicht zu erzielen 
wer, mit der Beftätigung des Weftfäliichen Friedens, was den Franzoſen 
natürlih als eine Belräftigung ihrer Anfhauung erjdeinen mußte. In 
welder Weije dann Louvois, unterftügt von dem Parlamentsrath Ravang, 
das Prinzip der Reunionen zur Anwendung brachte, wie er, durch den 
Erfolg ermuntert, noch darüber binausging und ohne eine Spur vor 
rechtlichen Anſpruch annektirte, da8 zeigt Kaufmann an der Hand ber 
Meger Archivalien in ausführliher Weile. Der Verfafier hat fi durt 
feine fleißige Unterfuhung ein Verdienjt um die Uufhellung der vermwidelten 
Nechtsverhältnifje zwiſchen Deutſchland und Srankreih im 17. Jahrhundert 
erworben. 


Die nah Wiener Archivalien gearbeitete Schrift des Frhrn. v. Biſchoffs⸗ 
haufen, Papſt Wlerander VII. und der Wiener Hof 1689—1691 (Stutt: 
gart u. Wien 1900, 188 S. gibt im einzelnen zu feinen Bedenken Anlap. 
gelangt aber zu einem Rejultat, dem der Referent nur mit ſtarkem Bor: 
behalt zuitimmen fann. Der Berfaiier erfennt die Urſache der Zwiitigteiten 
Alexander's mit dem Wiener Hof vor allem in dem Bejtreben de? Rapites. 
den langjährigen firhenrectliben Streit mit Frankreich beizufegen, und 
er jtellt deshalb Alexander dem franzojenjeindlihen Innocenz XI. gegen: 
über. Damit jind die beiden Verſönlichkeiten indes nicht richtig gelenn: 
zeichnet. Auch Innoceny war von dem Wunſche erfült, unter Rahrung 
der Rechte des beiligen Siuhles jih mit Qudwig XIV. zu verjöhnen. In 
dieier Hinſicht beitcht kaum ein Unterihied zwiſchen beiden Räpiten, ein 
icharier Gegeniaß aber beiteht, von unbedeutenderen Momenten abgeieten, 
in ibrer auswärtigen Politik. Innocenz trat mit aller Energie für den 
Türkenkrieg ein, den Veorold erf-tgreich führte und den Ludwig zu bemmen 
ſuch:e. Alexander gab Diele Türkenpolitif auf, obwohl er zu den Br 
zründern der beiligen Alien; zerert hatte, und beichränfte ſich Darauf, nur 
ezu idn feine Stellung als Oberbaupt der 
Ne Rügñcht fort, die ſeinen Vorgänger in 
rabt und zur Unterſtüßung des Kaiſers be 
J. 
i: des Abbe Dubois jind Bliard' 
= Abihluß der Triplealian; von 





















Eee share 
Beſucher. 








Angaben über die natürlichen Grenzen (Grenzbäde \ 
Geh Yen Wang —— end van 
5 50 ng a kn me ' 

deſſen Auftheilung in ve Berögeriäte Sa 

I nd Sohle Geſch⸗ Forſch. 21, 3) vor. 
gelommen, daß auch im Steiermark 
Sandgerichtöfprengel aus der Periplitterung 





566 Notizen und Nachrichten. 


der Grafichaftögebiete herporgegangen find, und verwerthet bemnad be 
Grenzbeſchreibungen der Landgerichte für die Rekonſtruktion ber altır 
Grafihaftsgrenzen. Als Beifpiel iit gewählt der für 895 bezeugte comi- 
tatus Liupoldi an der Mur, mit Judenburg etwa als Mittelpunkt. 
Gründlih und lehrreich, leider etwas undurchſichtig, wird dann der Zer⸗ 
fplitterungsproceß, die Bildung der einzelnen Landgerichte und Burgfriede 
dargejtellt. Der Berfafier jegt bei den Fernerſtebenden zu viel lokale 
Kenntnis voraus und müßte fih für die Fortſezung feiner Arbeit vor 
allem jeinen unſchönen k. u. f. Bureauſtil abgewöhnen. Die Karten 
probe ijt ganz vorzüglih: nur vermißt man die Lage der Meineren Ort 
ſchaften. 

Neue Bäder: Eſcher und Schweizer, Urkundenbuch der Stadt 
und Landſchaft Zürich. V. 1. (Zürich, Fäſi und Beer.) — Welti, Tas 
Stadtrecht von Baden. Samml. ſchweizer. Rechtsquellen. Aarau, Sauer 
länder.) — Merz, das Stadtrecht von Brugg. (Ebenvort.; — Gariter, 
Das Strafrecht der freien Reichsſtadt Speier in Theorie und Praris. 
Breslau, Marcus. IM.) — Tille, Die Benediftinerabtei St. Martin 
b. Trier. (Zrieriiches Archiv, Heft IV.} (Trier, Ling.‘ — van Rijswijk, 
Gesch. van het Dordtsche Stapelrecht. ("sGravenhage, Nijhoff.. — 
Seelig, Tie geſchichtliche Entwidlung der Hamburgiihen Bürgericait 
und die Hamburgiihen Notabeln. (Hamburg, Gräfe und Eillem. 7 M. 
— Hänfelmann, Urfundenbud der Stadt Braunſchweig II. 3. 1316 
bis 1320.) (Braunihmweig, Schwetihte und Sobn. 16,40 M\ — Ber: 
öffentlihungen zur Geſch. d. gelehrten Schulweſens im Aibertiniihen 
Sadien. I. ‚Leipzig, Teubner.) — Schmelzle, Ter Staatshausbalt dei 
Herzogthums Bayern im 18. Jahrh. (Stuttgart, Cotta. IM. — Ilwoi, 
Der Protejlantigmus in Steiermark, Kärnten und Krain Graz, Yerlam. 
3,20 Kr. — Plehn, Geſch. des Kreiſes Strasburg in Weitpreufen. 
(Publ. des Vereins i. d. Geſch. der Provinzen Lit: und Beitpreuger 
Leipzig, Tunder und Humblot. 3,80 M. 


Bermifdtes. 


Am 5. und 6. Juni fand zu Göttingen die 2. Jahresveriammlung 
des Hanſiſchen Geſchichtsvereins, gleichzeitig mit der 25. bei 
Vereins für niederdeutihe Spradhforihung itatt. Kauimann- 
Breslau begann die Reihe der Vorträge mit einer Erörterung über die 
wecjelnde Beurtheilung, die die engliihe Verfaſſung in Teutichland ge: 
funden hat und ihren Einfluß auf die deutiche Entwidlung. R. Schröder 
Heidelberg erläuterte den lan des von der preußiihen Alademie der 
Biffenihaft vorbereiteten Wörterbuch der älteren deutihen Rechtéſprache. 
für das er cine etwa zwölijährige Arbeitzeit veranſchlägt. Außerdem ſprach 
Borchling-Göttingen über die in der dortigen Univerfität@bibliotgel auf 


= unter Bor von Prof. Bangart-Rubolfftadt 
 Vornehmlic wurde das — zu —— 


im Alter von 64 Jahren der Profeſſor 
Sein wiſſenſchaftliches Lebenswert Hat 





568 Notizen und Nachrichten. 


der Erſchliehung ber Kapitularien der fränkiſchen Könige gegolten. Ihm 
it bie Ebition ihreß 1. Bandes in den Monumenta Germaniae zu ver- 
danken, und feine barjtellendben „Beiträge zur Kapitularienkritik“ (1874) 
hatten die allgemeine Anerkennung gefunden, bis kürzlich endlich Seeliger 
eine Revifion der Boretius'ſchen Eintheilung ber Kapitularien einleuchtend 
begründete. 

Am 7. Auguft wurde der noch jugendlide Berliner Privatdozent 
Paul Voigt durd Abſturz in den Schweizer Bergen jäh bahingerafit. 
Seine Studien zur Wirthichaftsgefchichte des 19. Jahrhunderts zeigten 
ihn als ein friſch aufftrebendes Talent. 


Dem am 24. Juli im Alter von 80 Jahren gejtorbenen franzöſiſchen 
Geſchichtsſchreiber Jules Zeller widmet G. Monod in der Rev. hist 
74, 1 einen kurzen Nachruf. 

Die Berliner Akademie der Wiſſenſchaften rüftet eine auß dem Alte 
höchſten Dißpofitionsfonds unterjtügte volftändige, auch die Korrefponden; 
unfafiende Ausgabe der Werke Wilhelm von Humboldt’8. Dafür 
fteuern Humboldt's Nachkommen die handfchriftlihen Schäge von Schloß 
Tegel bei, und ber politifchen Wbtheilung wird das Berliner Staats— 
archiv dienen. Den verftreuten Briefen ift feit geraumer Zeit Herr Profefior 
Dr. Leigmann in Jena nachgegangen. An alle Beſitzer Humboldtiſcher 
Handicriften, an Privatperfonen und Anftitute ergeht von Seiten der 
Akademie die dringende Bitte, das Unternehmen durch freundliche Mit- 
theilung zu fördern. 





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