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Full text of "Homer in der neuzeit von Dante bis Goethe: Italien, Frankreich, England, Deutschland"

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HOMER  IN  DER  NEUZEIT 

VON  DANTE  BIS  GOETHE 

ITALIEN   •  FRANKREICH   •  ENGLAND   •  DEUTSCHLAND 


VON.  .< 

EOEG  rmsLER 


VERLAG  VON  B.  G.TEUBNER  ]N  LEIPZIG  UND  BERLIN  1912 


PB 

673090 


COPTBIGHT  1912  BT  B.  G.  TEDBNEE  IN  LEIPZIG. 


ALLE  BEOHTE,  KIKSCHLIESSLIOa  BBS  ÜBEKSKTZUlfGSBECHTS,  TOKBEHAIiTBN 


YORWORT. 

Die  Arbeit,  die  ich  liier  vorlege,  war  ursprünglicli  als  Teil  meines 
Homet'  geplant.  Es  stellte  sich  aber  bald  heraus,  daß  sie  den  dort  ver- 
fügbaren Raum  weit  überschreiten  würde  oder  in  einer  Kürze  abgefaßt 
werden  müßte,  die  kein  richtiges  Bild  hätte  geben  können.  Ich  nahm 
daher  das  Anerbieten  der  Verlagshandlung,  den  Gegenstand  in  einem 
besondern  Buche  zu  behandeln,  sehr  gern  an. 

Das  Buch  will  bringen,  was  der  Titel  besagt,  eine  Geschichte  Homers 
in  den  neueren  Zeiten  bis  auf  Goethe;  also  keine  Geschichte  der  all- 
gemeinen oder  der  aristolelischen  Poetik,  so  oft  auch  diese  Gegenstände 
zum  Verständnis  des  Themas  herangezogen  werden  mußten.  Auch  habe 
ich  keine  Bibliographie  aller  Ausgaben  und  Übersetzungen  beabsichtigt, 
sondern  hier  nur  das  Wichtigste  hervorgehoben.  Von  Vollständigkeit 
konnte  auch  sonst  keine  Rede  sein;  es  war  im  Gegenteil  dringend  not- 
wendig, den  gewaltigen  Stoff  zu  sichten  und  ihm  das  zu  entnehmen, 
was  für  die  Entwicklung  der  Erkenntnis  Homers  Bedeutung  hat.  Es 
hat  Zeiten  gegeben,  wie  die  von  Tasso,  Boileau,  Herder,  wo  sich  jeder 
gebildete  Mensch  über  Homer  aussprach;  aber  es  pflegen  sich  in  solchen 
Fällen  die  nämlichen  Urteile  so  sehr  zu  wiederholen,  daß  deren  Vor- 
führung ermüdend  gewirkt  hätte.  Dann  gab  es  wieder  Schriftsteller, 
von  denen  ich  jedes  Wort,  das  ich  nicht  aufnehmen  konnte,  nur  höchst 
ungern  wegließ,  und  doch  durfte  das  Buch  nicht  übermäßig  anschwellen. 
In  den  Inhaltsberichten  habe  ich  nach  MögHcheit  die  Autoren  selbst  zu 
Worte  kommen  lassen  und  es  im  ganzen  vermieden,  über  ihre  Aus- 
sprüche eine  Kritik  abzugeben. 

Das  Material  zusammenzubringen  war  nicht  ohne  Schwierigkeiten. 
Von  wertvollen  Vorarbeiten  nenne  ich  in  erster  Linie  die  Angaben 
Bernhardys  in  der  Geschichte  der  griechischen  Literatur  II  S.  116 
über  die  Geschichte  der  homerischen  Poesie  in  der  neueren  Zeit,  und 
die  Sammlung  der  Aussprüche  über  Homer,  die  Cesarotti  seiner  Homer- 
ausgabe 1798  I  S.  123 ff.  voranstellt;  er  teilt  die  Autoren  in  Lobredner 
und  Tadler  ein.  Dann  hat  Dugas-Monbel  in  der  Histoire  des  poesies 
homeriques  auch  den  Zeiten  vor  1800  einige  Beachtung  geschenkt;  doch 


IV  Vorwort 

war  ihm  an  der  Darstellung  der  Homerkritik  seit  Wolf  melir  gelegen. 
Dasselbe  gilt  von  Friedländers  Aufsatz  über  Schicksale  der  homerischen 
Poesie  in  der  Deutschen  Rundschau  1886.  Für  die  Querelle  des  Anciens 
et  des  Modernes  in  Frankreich  bot  Rigault's  Darstellung  das  Material 
fast  vollständig.  Für  England  verdanke  ich  am  meisten  der  überreichen 
Sammlung  englischerDichter  von  Chalm  er  s  1810.  Für  das  Deutschland  des 
18.  Jahrhunderts  hat  Lautenbacher  in  einem  Neudruck  von  Yoß  bei 
Cotta  eine  gute  gedrängte  Darstellung  gegeben.  Zu  erwähnen  sind  femer 
Braitmaiers  Aufsatz  Über  die  Schätzung  Homers  und  Virgils  von  Scaliger 
bis  Herder  1885,  wo  einige  der  wichtigsten  Schriftsteller  aufgeführt  sind, 
und  Stemplingers  Studien  mm  Fortleben  Homers,  (Studien  zur  vgl.  Lit. 
Gesch.  1906),  die  mit  Vorsicht  benutzt  werden  müssen.  Eine  kurze  und 
treffende  Darstellung  der  Schicksale  Homers  in  den  neueren  Jahrhunderten 
gibt  U.  V.  W^i  lamowitz-Moellendorffinden  Ho  merischen  Untersuchungen 
1884  S.  388.  Was  ich  sonst  benutzt  habe,  ist  im  Literaturverzeichnis 
aufgeführt.  Die  Hauptsache  war,  die  Bücher  selbst  zu  Gesichte  zu  be- 
kommen und  durch  ihre  Angaben  weiter  geführt  zu  werden.  Was  die 
reiche  Stadtbibliothek  in  Zürich  nicht  enthielt,  deren  Schätze  mir 
bereitwilligst  nach  Bern  gesandt  wurden,  vermittelten  mir  die  Herren 
Bibliothekare  Dr.  H.  Weber  in  Zürich  und  Professor  Dr.  v.  Mülinen 
in  Bern.  Englische  Literatur,  die  auf  dem  Kontinent  nicht  leicht  auf- 
zutreiben war,  erhielt  ich  durch  Vermittlung  meines  Kollegen  Herrn 
Dr.  E.  Renfer  dank  seinen  Verbindungen  in  Edinburg.  Allen  diesen 
Herren  spreche  ich  für  ihre  vielen  und  großen  Bemühungen  den  verbind- 
lichsten Dank  aus. 

Mein  besonderer  Dank  gilt  den  Herren  Professor  Dr.  0.  Schultheß 
und  Professor  Dr.  S.  Singer  in  Bern,  die  mich  durch  treue  Hilfe  bei 
der  Korrektur  und  vielen  guten  Rat  kräftig  unterstützt  haben. 

Bern,  im  Januar  1912. 

Georg  Finsler. 


INHALTSÜBEKSIOHT, 


DAS  MITTELALTER. 


Spuren  von  Kenntnis  Homers 
unter  den  Karolingern  und  Otto- 
n  e  n.  Kloster  Reichenau :  Walahfrid  Stra- 
tus.    Gunzo.    Ekkehard  Waltharius  1. 

Spätrömis  che  Dar  Stellungen  der 
Trojasage.  Ilias  Latina  2.  Dictys  von 
Kreta:  der  trojanische  Krieg  als  histo- 
rischer Roman  3.  Dares :  die  troische  Ge- 
schichte als  Chronik  6.  Mittelalterliche 
Trojadichtung:  Benoit  de  Sainte-More;    i 


die  Troilus-Episode.  Konrad  von  Würz- 
burg. Herbort  von  Fritzlar.  Guido  delle 
Colonne.  Die  Kenntnisse  des  Mittelalters 
von  Homer  bei  Chaucer  8. 

Byzanz.  Wiedererweckung  der 
Altertumswissenschaft  9.  Tzetzes 
Interpretation  und  allegorische  Deutung 
Homers  10.  Eustathios  Homerkommentar; 
ästhetisch -poetische   Interpretation    13. 


ITALIEN. 


Dante.    Der  Tod  des  Odysseus  15. 

14.  Jahrhundert.  Petrarcaunddie 
«rste  Bekanntschaft  mit  Homer. 
Barlaamo.  Sigeros  15.  Boccaccio.  Pilato 
und  die  erste  lateinische  Überset- 
zung Homers.  Ihre  Wirkung  bei  Boc- 
cacio  Genealogia  deorum  16,  bei  Benve- 
nuto  da  Imola  und  Petrarca.  Homer  ohne 
Einfluß  auf  die  Epik  Petrarca's  und  Boc- 
«accio's  17.  Vergleichung  Homers  mit 
Virgil:  Servius.  Macrobius.  Petrarca  18. 
Geringe  Fortschritte  der  griechischen  Stu- 
dien 19. 

15.  Jahrhundert.  Die  neue  Bil- 
dung in  Florenz.  Aufblühen  der 
griechischen  Studien:  Poggio.  Bruni. 
Berufung  des  Chry soloras.  Salutato  20. 
Paradiso  degli  Alberti.  Sammlung  grie- 
chischer Bücher:  Scarparia.  Tätigkeit 
des  Chrysoloras  21.  Übersetzungen  der 
Griechen  ins  Lateinische.  Loschi.  Bruni's 
Übersetzung  in  Prosa;  Prinzipien  der 
Übersetzung  21  f. 

Griechische  Bücher  in  Italien. 
Reisen  nach  dem  Orient.  Guarino. 
Aurispa.    Ciriaco  der  erste  Hellenist  Ita- 


liens 23.  Der  Florentiner  Kreis:  Co- 
simo  de'  Medici.  Niccolö  de'  Niccoli. 
Filelfo  24.  Marsuppini  und  die  erste 
Homerübersetzung  in  Hexametern.  Be- 
geisterte Dedikation  an  Papst  Nicolaus  V. 
Einfluß  von  Plutarchs  Buch  über  Homer 
24  ff. 

Nicolaus  Y.  und  die  neue  Bil- 
dung. Übers  etzungenrOrazioRomano. 
Filelfo's  Odyssee.  Decembrio27.  Lorenz© 
Valla  Übersetzung  der  Ilias  in  Prosa  28. 
Fortsetzung  durch  Francesco  Aretino  und 
Raffaello  da  Volterra.  Niccolo  dellaValle. 
Janus  Pannonius  29. 

Mantua:VittorinodaFeltre.Ferrara: 
Guarino  29.  Theodoros  Gaza.  Basini 
und  das  nationale  Epos  Hesperis. 
Sigismondo  Malatesta  als  nationaler  Held 
30. 

Lorenzode' Medici.  Poliziano.  Pfle- 
ge der  Vulgärsprache,  Pulci.  Griechische 
Studien:  Argyropulos.  Demetrios  Chal- 
kondyles  33.  Erster  Druck  Homers  1488. 
Polizian's  Übersetzungen  Homers  34.  Ur- 
teile darüber:  Ficino,  Jacopo  von  Pavia. 
Polizian's    Praelectionen ,    Abhängigkeit 


n 


Inhaltsübersicht 


von  der  antiken  Tradition  35.  Die  Ambra 
nnd  der  Preis  Homers  36.  Die  Silvae, 
Einfluß  Piatons.  Urceo  Codro  38.  Savo- 
narola  über  Poesie,  Piaton  über  Homer  39. 
Boiardo  und  der  neue  Romanzo 
40,  Verhältnis  zu  Homer  41.  Ariost:  hat 
er  Homer  gekannt?  Parallele  zwischen 
Homer  und  Ariost  42.  Der  Zorn  des  Hel- 
den bei  Boiardo,  nicht  bei  Ariost  44. 
Homerische  Züge  bei  Ariost  45. 

16,  Jahrhundert.  Ausgedehnte 
Kenntnis  des  Griechischen.  Strö- 
mungen der  Zeit  46.  Ausgaben  Ho- 
mers: Venedig,  Florenz,  Rom.  Erster 
Druck  des  Eustathios.  Übersetzung  des 
Andreas  Divus  47. 

Poetische  Theorie,  im  15.  Jahr- 
hundert wenig  hervortretend  47.  Horaz 
Ars  Poetica;  im  Anschluß  daran  Vida'a 
Poetica,  das  erste  Lehrbuch  der  Poesie 
48.  Parallele  zwischen  Homer  und  Virgil. 
Fehler  Homers  49  über  Homers  Gleich- 
nisse 50. 

Das  christliche  Epos.  Juvencus 
Euangelia  50.  Vida  Christias.  Ersetzung 
der  antiken  Geisterwelt  durch  Himmel 
und  Hölle  51,  in  Anlehnung  an  ein  Pas- 
sionsspiel 52,  Vida  dem  Altertum  eigent- 
lich feindlich;  klerikale  Färbung  des 
Gedichtes.  Sannazaro  De  Partu  Virginis 
54, 

Die  Poetik  des  Aristoteles  wird 
bekannt.  Ausgaben  und  Kommentare. 
Zweck  und  Wirkung  des  Buches  55. 
Aristoteles  Zuchtmeister  der  Poesie  56. 
Trissino  wider  den  Romanzo.  A  u  f  b  1  ü  h  en 
der  italienischen  Kunstsprache. 
Bembo.  Trissino's  italienisches  Epos  Italia 
liberata  67.  Alamanni  L'Avarchide  60 
Der  Kampf  für  das  Recht  des 
Romanzo  wider  die  Aristoteliker 
Giraldi  Cinthio.  Homers  Vorbildlichkeit 
bestritten  60  ff.  Pigna  62.  Mintumo.  Die 
Theorie  zum  Dogma  geworden  63. 

Homer  und  Virgil.  Capriano.  Mure- 
tus.  ürsinus.  Erste  Versuche  einer 
italienischen  Übersetzung  Homers 
64. 


Tasso  und  das  neue  nationale 
Epos.  Dessen  theoretische  Begründung- 
in  den  Discorsi  65.  Die  Gerusalemm& 
Liberata.  Himmel  und  Hölle  67.  Der 
Zorn  Rinaldo's  68.  Castelvetro's  Kritik 
an  Aristoteles  70.  Der  Streit  um  die 
Gerusalemme.  Pellegrino  stellt  Tassa 
über  Ariost;  heftiger  Widerspruch  der 
Crusca;  Salviati  73.  Lombardelli  75.  un- 
günstige Wirkung  des  Streites  auf  die 
Schätzung  Homers  76.  Patrici  für  Ariost 
gegen  Aristoteles  und  Homer  76,  Tasso'» 
Antwort  77,  Die  Gerusalemme  Conqui- 
stata ;  die  Liberata  durch  Einfügung  ho- 
merischer Partien  zerstört  78 ff.  Gior- 
dano  Bruno:  Genie  und  Regeln  81, 

17.  Jahrhundert.  Paolo  Beni  für 
die  Italiener  wider  Homer  82.  Homers 
Nimbus  ganz  verblaßt.  Tassoni's  Kritik 
an  Homer  85.  Erste  Parallel©  zwischen 
Antiken  und  Modernen  87.  Die  Secchia 
rapita  88.   Fioretti  wider  Homer.  MarinO' 

I  Kenner  des  Griechischen  und  Bewunderer 
Homers.  Verwendunghomerischer  Motive 

I  89ff.  Epos  des  17.  Jahrhunderts. 
Graziani  92.    Der  Zorn  Altabruno's  93. 

i   Travestie    Homers:    Loredano.    Wissen- 

I   Schaft  und  griechische  Studien  im  1 7 .  Jahr- 

I   hundert  94. 

18.  Jahrhundert.  II  Risorgimen- 
to.  Erneutes  Studium  des  Griechi- 
schen und  Homers  94.  Martorelli.  Die 
Arcadia.  Stellung  Homers  in  den  ästhe- 
tisch-moralischen Bestrebungen.  Verhält- 
nis der  Italiener  zu  den  Kämpfen  in 
Frankreich.  Salvini's  erste  vollständige 
Übersetzung  Homers  ins  Italienische  95. 
Übersetzungen:  Maffei,  Brazolo,  Bozzoli 
in  der  Stanze  Ariosts  96.  Homerische 
Kolonie  Neapel.  Caloprese.  Gravina  und 
die  herrschende  Poetik.  La  Ragione  poe- 
tica 97.  Urteil  Gravina's  über  Homer  98. 
Homer  und  Virgil  bei  Gravina  99.  Mura- 
tori  Lehrbuch  des  guten  Geschmacks. 
Muster  Tasso.  Das  verisimile  nobile. 
Homer  und  Virgil.  Stellung  zu  Perrault 
und  Boileau  100  ff'.  Metastasio  Stellung 
zu  Aristoteles  103.    Ricci  Erklärer  und 


Inhaltsübersicht 


VII 


Apologet  Homers  104.  Conti  Homerische 
Charaktere  105.  Andres  Einteilung  der 
Literatur  nach  Perioden.  Homer  und 
Virgii  106  f. 

Vi  CO.  Homer  zuerst  als  Wiederher- 
steUer  der  primitiven  Grundgedanken  der 
Poesie  108,  dann  als  Symbol  für  die 
dichtenden  Völker  109.  Verhältnis  zu 
d'Aubignac  110. 

Cesarotti.  Übersetzung  Ossian's.  Os- 
sian  steht  über  Homer.  Opposition  gegen 
die  übertriebene  Bewunderuner  Homers 


i  111.  Übersetzung  der  Ilias  in  Prosa  und 
Versen.  Ausgabe  mit  kritischem  und  ästhe- 
tischem Kommentar,  durch  die  Franzosen 
beeinflußt  112.  Kritik  Vico's,d'Aubignac'8 

1  und  Wood's  113.  Gegen  Blackwell's  Mi- 
lieutheorie. Über  Homers  Bedeutung  114. 
Probe  aus  dem  Kommentar  115.  Her- 
vorragende Studie  über  den  Schild  des 
Achilleus  116.  UgoFoscolo  Prinzipien 
der  Übersetzung.  Probe  einer  Überset- 
zung 117.  Monti  Übersetzung  der  Ilias. 
Pindemonte  Odyssee  118. 


FRANKREICH  UND  DIE  NIEDERLANDE. 


16.  Jahrhundert.  Verhältnis  zu 
Italien.  Stellung  Homers.  Jean  Le- 
maire  de  Beiges.  Abkunft  der  Franken. 
Kritische  Sichtung  des  Stoffes.  Polemik 
gegen  Dion  von  Prusa.  Homer  nach 
Lorenzo  Valla.  Homer  als  Geschicht- 
schreiber. Paris  und  Oenone  119  tf. 
Samxon  erste  französische  Übersetzung. 
Primaticcio's  Gemälde  in  Fontainebleau. 
Rabelais  Bekämpfung  der  allegorischen 
Deutung  122.    Montaigne  123. 

Studium  des  Griechischen.  Dorat 
123.  Ausgaben  Homers:  Straßburg  und 
Basel  124.  Turnebus  und  Henri  Estienne. 
Spondanus  ästhetischer  Kommentar.  Feith 
Antiquitates  Homericae  125.  Casaubonus 
zu  Athenaeus.  Übersetzung  von  Salel  und 
Jamyn  126. 

PI e lade.  Du  Bellay  über  die  Über- 
setzungen. Forderung  eines  französischen 
Epos  127.  Pelletier  erste  französische 
Poetik.  Homer  und  Virgii.  Abhängig- 
keit von  Vida  128.  Ronsard  Franciade. 
Vorrede  Auseinandersetzung  mit  Tasso 

129.  Zweite  Preface;  Wendung  von  Ho- 
mer zu  Virgii.   Aufnahme  der  Franciade 

130.  Du  Bartas  Judith.  La  Semaine 
130  f.  Vauquelin  de  la  Fresnaye  Poetik 
181.  Aristoteles  in  Frankreich. 
Pelletier.  Ronsard.  Vauquelin  132.  Über- 
setzung von  Certon  133. 

Julius  Caesar  Scaliger  133.  Norm 
der  Poesie  Virgii  134.  Dessen  Überlegen- 


heit über  Homer  135.  Urteil  über  den 
Achilleusschild  137.  Bedeutung  des  Bu- 
ches für  die  Latinisierung  der  Bildung 
138. 

Niederlande.  Lipsius.  Meric  Casau- 
bonus über  die  Ausgabe  des  Schrevelius. 
Verhältnis  der  Niederlande  zu 
Frankreichl38.  Heinsius  Ausgabe  der 
aristotelischen  Poetik.  Über  die  verdor- 
bene Überlieferung  Homers,  Gerhard 
Vossius  Poetik  139.  Cluverius  homerische 
Geographie.  Bochart  und  die  Lehre  von 
der  Abhängigkeit  der  griechischen  Sage 
von  den  Phönikern  140. 

Verhältnis  der  alten  Mythologie 
und  Homers  zur  Bibel.  Vossius  Ur- 
sprung der  heidnischen  Religionen  im 
Orient  141.  Stillingfleet  Spuren  der  alten 
Wahrheit  in  der  heidnischen  Überliefe- 
rung 142.  Thomassin:  die  Wahrheiten 
der  christlichen  Religion  schon  bei  den 
Heiden;  Wichtigkeit  dieser  Erkenntnis 
für  den  Jugendunterricht;  die  Wahrheiten 
von  den  Hebräern  zu  den  Griechen  ge- 
langt. Entstehung  der  griechischen  Re- 
ligion 142 f.  Croese  Stoff  und  Namen 
bei  Homer  hebräischen  Ursprungs;  der 
Inhalt  der  homerischen  Gedichte  ist  die 
heilige  Geschichte  144.  Grotius  Parallelen 
zwischen  dem  alten  Testament  und  Homer. 
Bogan  Parallelstellen.  Das  Genie  von 
göttlichem  Geist  erfüllt  145.  Meric  Ca- 
saubonus Übereinstimmung  Homers  mit 


VIR 


Inhaltsübersicht 


der  christlichen  Lehre.  Duport  alttesta- 
mentliche  und  homerische  Sentenzen.  Cud- 
■worth  Monotheismus  derAlten;  Verderbnis 
■der  wahren  Anschauung  durch  die  Dichter 
146.  Picinelli  Verwendung  des  Reichtums 
der  Heiden  in  der  christlichen  Predigt, 
ügone  Homer  als  Apokalyptiker  147. 

Niederlande.  Verdrängung  der 
griechischen  Studien  durchdiela- 
teinischen.   Gronovius  Thesaurus  148. 

Gelehrte  Spezialarbeiten.  Leo 
AUatius  Über  das  Vaterland  Homers. 
Poem  über  Homers  Geburt  148.  Cuperus 
Apotheosis  Homeri.  La  Saine  und  Petit 
über  das  homerische  Nepenthe.  Dugas- 
Monbel  über   diese  Schriftstellerei  149. 

Frankreich.  Sinken  der  griechi- 
schen Studien.  Universitätsordnung 
von  1600.  Port  Royal  und  die  Jesuiten. 
Ein  jesuitisches  Lehrbuch,  Homerokentra. 
Lehrbücher  des  Griechischen  150.  Le 
€lerc  über  den  Stand  der  klassischen 
Studien  151.  Homerkenner  in  Frankreich- 
Racine  und  die  Remarques  zur  Odyssee 
152.  Tanneguy  Lefebvre  Über  Homers 
Leben.  Baillet  Jugements  des  savants. 
Übersetzungen  in  Prosa :  Du  Souhait  Ilias  ? 
Boitel  Odyssee  154.  La  Valterie.  Homer 
fast  unbekannt  155. 

Chapelain  Vorrede  zu  Marino's 
A  d  0  n i  s.  Kurze  Poetik  des  Klassizismus. 
Vida's  Ratio  für  die  Poesie  allein  maß- 
gebend 155  f. 

Christliches  und  nationales 
Epos.  Vorbilder  Marino  und  Tasso. 
Chapelain's  Pucelle  157.  Scudery's  Alaric 
159.  Desmarets  Clovis  160.  Charakter 
dieser  Epen.  Das  Wunderbare  161.  Mo-  j 
itivierung  des  Eingreifens  der  Hölle  bei  ! 
Desmarets,  Scudery,  Chapelain.  Desma- 
rets der  Homer  Frankreichs.  Marie  Mag- 
deleine.  Le  Merveilleux  Chretien  162. 
Desmarets:  der  Clovis  übertrifft  die  an- 
tiken Epen.  Angriffe  auf  Homer,  nicht 
a,us  Tassoni,  sondern  aus  Rapin  163. 
Preis  der  Franzosen.  Richtiges  Wort  über 
den  Achilleusschild  164.  Vorrede  zum 
€lovis  1673  165. 


Boileau.  Kampf  gegendie  italie- 
nische Richtung.  Beurteilung  durch 
Swift.  Longin  Genie  und  Regeln  165. 
Stellung  Boileau's  zu  Aristoteles.  Die 
Raison.  Kampf  gegen  das  moderne  Epos 
166.  Die  übernatürlichen  Gewalten  im 
Epos.  Stellung  zum  Altertum.  Homer 
168.  Der  Lutrin,  Parodien  zu  Homer. 
Zulassung  der  antiken  Fabelwesen  als 
Ornamente  der  Poesie  168.  Aufstellung 
von  Mustern.  Digression  gegen  Desmarets. 
Dessen  Defense  du  poeme  heroique  169. 
Le  Bossu.  Das  Epos  auf  einen 
Moralsatz  gegründet  169.  Gegendie 
Charaktere  des  modernen  Epos  171.  Rapin 
Vergleichung  zwischen  Homer  und  Virgil 
171.  Rapin' s  Reflexions  172.  Angriff  auf 
Tasso  und  Marino  173. 

Bossuet  Verehrer  Homers,  klare  Er- 
kenntnis über  das  Wesen  der  antiken 
Götter  173.  Verlangen  nach  einem  natio- 
nalen und  christlichen  Epos.  Charles 
Perrault  Saint-Paulin  174.  Perrault  über 
Beurteilung  der  Sitten  vergangener  Zei- 
ten 175. 

Autorität  des  Altertums.  Entdek- 
kungen  der  Neuzeit.  Bacon  und  Descartes 
175.  Die  Lehre  vom  Fortschritt  der 
Menschheit,  Tassoni  und  Scaliger  haben 
sie  nicht  176.  Desmarets  Übertragung 
der  Lehre  auf  die  Literatur.  Gueret  und 
die  literarischen  Anschauungen  der  Zeit. 
Abwesenheit  der  traditionellen  Verehrung 
für  die  Antike  177.  Boisrobert.  Die 
Perraults  178.  Claude  Perrault  Les  murs 
de  Troye.  Pierre  Perrault  Angriff  auf 
Euripides ;  Zurechtweisung  durch  Racine 
179.  Pierre  über  Vorbildlichkeit  des 
Altertums,  gegen  Boileau  180. 

Querelle  des  Anciens  et  des  Mo- 
dernes. Charles  Perrault  Le  Siecle  de 
Louis  le  Grand.  Angriff  auf  Homer;  seine 
Quellen  180.  Persönliche  Veranlassung 
für  Perrault;  Zusammenhang  mit  dem 
Saint-Paulin  181.  Die  Gegenüberstellung 
des  Altertums  und  der  Neuzeit  eine  ge- 
schickte Falschstellung  der  Frage;  von 
Boileau  durchschaut  182. 


Inhaltsübersicht 


IX 


La  Fontaine  an  Huet.  Longepierre 
Verteidigung  des  Altertums  183.  Fonte- 
nelle  über  poetische  Form;  über  allego- 
rische Erklärung  der  Götter  184;  über 
den  Fortschritt  der  Menschheit;  über  den 
Ursprung  und  die  Entwicklung  der  Poesie. 
Digression  über  Antike  und  Moderne  185. 
De  Callieres  Satire  über  die  Querelle, 
nach  dem  Muster  von  Furetiere  Nouvelle 
allegorique  187.  Perrault  Parallele  des 
Anciens  et  des  Modernes ;  der  erste  Dialog 
Ausführung  der  Ideen  Fontenelle's  190. 
Andre  Dacier's  Ausgabe  der  aristoteli- 
schen Poetik.  Polemik  gegen  Castelvetro. 
Verteidigung  des  Achilleusschildes  190. 
Perrault  vierter  Dialog.  Definition  der 
Poesie.  Keine  Notwendigkeit,  die  Dichter 
im  Original  zu  lesen.  Angriff  auf  Homer, 
nach  Übersetzungen  und  Rapin  191. 
Gleichnisse  ä  la  longue  queue.  Burleske 
Kritik  der  Odyssee  192.  Das  moderne 
französische  Epos.  Satire.  Persönlicher  An- 
griff auf  Boileau;  d er  Lutrin  eine  verkehrte 
Burleske  193  f.  Perrault's  Anhängerschaft 
194.  Boileau  Reflexions  sur  Longin, 
Beurteilung  des  wahren  Wertes  eines 
Werkes  durch  die  Zeit.  Die  Frage  durch 
Perrault  falsch  gestellt  195.  Fehler  Per- 
rault's 196.  La  Bruyere.  Huet.  Wirkung 
der  Querelle  unbedeutend  197. 

Bayle  über  das  Altertum,  Homer  und 
die  Querelle  198.  Saint  Evremond,  be- 
kämpft die  Nachahmung  Homers.  Über 
■die  Gleichnisse,  Poesie  der  Alten,  das 
Wunderbare  und  die  Querelle.  Stand- 
punkt der  Aufklärung  199  f.  Le  Giere 
über  die  Dichter  201. 

Die  Frage  nach  der  Existenz 
Homers  und  die  Sammlung  durch 
Peisistratos.  Antike  Quellen 202.  Li- 
lius  Gyraldus  und  Annius  von  Viterbo. 
Erste  Erwähnung  der  peisistratischen 
Sammlung  bei  Camerarius  und  Eoban 
Hesse.  Ablehnung  der  Nachricht  durch 
Paolo  Beni  203.  Verwendung  durch 
Scaliger.  Casaubonus  über  mündliche 
Fortpflanzung  der  homerischen  Gedichte. 
Sammlung  der  Zeugnisse  über  Peisistratos 


durch  Meursius.  Salmasius  über  die  Tä- 
tigkeit der  Rhapsoden;  über  den  Epischen 
Kyklos  204  f.  Perizonius:  die  Ereignisse 
zuerst  inLiedern  aufbewahrt  205.  Deutsch- 
land: Wetstein.  Küster.  Morhof.  Fabri- 
cius.  England:  Bentley  gegen  Collins; 
Anlehnung  an  Suidas.  Kein  Zweifel  an 
einerPerson  Homers  206.  Frankreich.  Ra- 
pin: falsche  Erklärung  Aelians.  Perrault: 
Erwähnung  d'Aubignac's  207.  Boileau: 
richtige  Interpretation  Aelians.  D'Aubig- 
nac,  die  Ilias  ein  aus  Einzelgedichten  ver- 
schiedener Sänger  zusammengeflicktes 
Ganzes,  von  Lykurg  gesammelt,  nachher 
in  Verwirrung  geraten  und  von  Peisistratos 
geordnet  208.  Wirkung  auf  Herder,  Heyne, 
Wolf,  Zoega  210.  Hardouin.  Rousseau 
und  Goguet  über  das  Alter  der  Schrift  211. 
18.  Jahrhundert.  Anne  Dacier  Über- 
setzung der  Ilias  212.  Grundsätze  der 
Übersetzung  213.  Regnier  Übersetzung. 
La  Motte  Übersetzung  zum  Zweck  der 
Vervollkommnung  des  Dichters.  Der  Dis- 
cours sur  Homere  214.  Die  Übersetzung 
ein  Unikum  218.  M™^  Dacier  Des  causes 
de  la  corruption  du  goüt  219.  La  Motte 
Reflexions  sur  la  Critique  220.  Fenelon 
Telemaque.  Lettre  ä  l'Academie.  Urteil 
über  die  Querelle  221  f.  Terrassen.  Gänz- 
liche Verurteilung  Homers.  Ähnlichkeit 
mit  der  modernen  Homerkritik.  Wider- 
legung der  allegorischen  Erklärung.  Über 
den  Achilleusschild  223  ff.  Gacon  gegen 
La  Motte  und  Terrasson  227.  Boivin: 
ruhige  Erwägung  der  Streitfrage.  Zeich- 
nung des  Achilleusschildes  227 f.  Bur- 
leske Literatur.  Marivaux  Homere  tra- 
vesti.  Saint  Hyacinthe  Chef  -  d'Oeuvre 
d'un  inconnu.  Der  Streit  versandet.  Le 
Buffier.  Friede  zwischen  M'"^  Dacier  und 
La  Motte  229.  M«^«  Dacier  Odyssee.  De 
Pons.  Fourmont.  Die  Entdeckungen  des 
Pere  Hardouin  über  den  Plan  der  Ilias 
und  die  Theomythologie  230.  M°^«  Dacier 
wider  Hardouin  231.  Urteile  über  den 
Streit:  Conti.  Cartaud  de  la  Vilate  232. 
Dubos  über  Poesie  und  Malerei. 
Richter  über  die  Querelle  233.   Bestrei- 


X 


Inhaltsübersicht 


tung  der  Lehren  von  der  Raison  und  dem 
ewigen  Fortschritt  234,  Theorie  des 
Milieu.  Wider  die  Kritiker  der  Alten 
235.  Einwirkung  von  Locke,  Wotton, 
Dryden. 

Voltaire  Henriade.  Die  zwei  Redak- 
tionen des  Essai  sur  la  poesie  epique  237. 
Urteil  über  die  Querelle.  Spätere  Urteile 
über  Homer  239.   Die  Pucelle  240. 

Besseres  Verständnis  Homers  in 
der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahr- 
hunderts. Rousseau.  Batteux  241.  Der 
Aufbau  der  Ilias.  Über  die  Fehler  Homers 

242.  Diderot  über  die  Übersetzungen; 
Großartigkeit   und  Einfachheit  Homers 

243.  Marmontel  Poetik.  Ringen  nach 
Befreiung  vom  Klassizismus  245.  La 
Harpe  trägt  das  klassizistische  System 
nochmals  vor  246. 

Übersetzungen.  Bitaube.  Rochefort. 
Discours  sur  Homere  247.  Über  home- 
rische Psychologie  und  die  Irrfahrten  des 
Odysseus  248.  Le  Brun.  Angebliches 
Manuskript  über  Homer.  Gin.  Homer- 
verse bei  andern  Dichtem  verwendet  249. 
Mercier  gegen  die  Übersetzungen.  Schich- 
tentheorie 250. 

Steigendes  Interesse  für  Homer. 
Grimm.  Die  Academie  fran9aise :  Arnault. 
M'"«  Roland  251.  Gelehrte  Arbeit:  Boivin. 


Massieu.  Chabanon.  Archäologische 
und  kunsthistorische  Studien  251. 
Guys'  Reisen.  D'Hancarville  Homer  und 
die  Kunst  252.  Goguet  die  homerische 
Welt;  die  Kunst  des  Achilleusschildes. 
Caylus  Forderung  der  historischen  Form 
in  der  Malerei  254.  Barthelemy  Reise 
des  jungen  Anacharsis  255. 

Reisen  in  der  Troas.  Belon  findet 
Troja  in  Alexandria  Troas.  Belurger. 
Sandys :  die  Ebene  vor  Sigeion  die  Stätte 
des  alten  Troja.  Della  Valle  für  Alexan- 
dria Troas  256.  Spon  und  Wheler.  Lady 
Montague:  die  Lage  Trojas  in  der  Ebene 
gesucht.  Pococke  besucht  Hissarlik  257. 
Wood  über  die  troische  Ebene.  Chandler. 
Choiseul-Gouffier :  erste  wissenschaftliche 
Erforschung  der  Troas;  findet  Troja  auf 
der  Höhe  hinter  ßunarbaschi  258  f.  Le- 
chevalier  veröffentlicht  die  Resultate 
Choiseul's  als  seine  eigenen  260.  Bryant 
gegen  Lechevalier.  Der  troische  Krieg, 
der  eigentlich  nach  Ägypten  gehört,  von 
Homer  in  der  Troas  lokalisiert.  Heyne. 
Lenz  Zusammenfassung  der  gewonnenen 
Resultate  261. 

Villoison  Ausgabe  nach  dem  Mar- 
cianus  A  mit  den  Schollen  262.  Andre 
Chenier  263. 


ENGLAND. 


16.  Jahrhundert.  Morus  Homer  bei 
den  Utopiern.  Griechische  Studien 
in  England  265. 

Literarische  Kritik  zunächst  über 
englische  Sprache  und  Versifikation.  Wat- 
son.  Daniel.  Kenntnis  des  Aristote- 
les und  der  Italiener.  Harington  über 
Ariost  266.  Ben  Jonson  267.  Bacon  über 
Poesie;  über  die  Weisheit  der  Alten;  Be- 
deutung der  Mythen  267  f.  Kenntnis 
Homers :  Wilson.  Ascham  269.  Gosson's 
Angriff  auf  die  Poesie  270.  Sidney's 
Verteidigung.  Benutzung  Scaligers  271. 
Webbe.  Puttenham.  Einfluß  Castelvetro's 
273. 


Übersetzungen.  Watson.  Hall  274. 
Chapman;  Homer  in  die  englische  Lite- 
ratur eingeführt  275. 

Shakespeare:  hat  er  Homer  gekannt? 
Die  Entwicklung  der  Troilus- Episode: 
Chaucer,  Lydgate,  Caxton,  Lefevres  276. 

17.  Jahrhundert.  Epische  Dich- 
ter. Spenser:  freie  Nachbildung  Ariosts. 
276.  Allegorien.  Kenntnis  Homers  278. 
Götterwelt.  Spenser  über  Imagination 
279.  Historisch-nationale  Stoffe 
des  Epos.  Warner.  Daniel  280.  Drayton 
281.  Wendung  der  Poesie  zu  ro- 
mantischen Stoffen.  Chalkhill  281. 
Hannay.      Kynaston.     Chamberlayne 


Inhaltsübersicht 


XI 


282.  Freiheit  dieser  Dichter  von 
der  poetischenTheorie.  Änderung 
um  die  Mitte  des  Jahrhunderts. 
Cowle  j.  Dessen  Davideis  nach  dem  Muster 
von  Marino's  Adone  284.  Davenant  for- 
dert Freiheit  des  Dichters  von  Mustern 
285.  Der  Gondibert;  dessen  moralisch- 
politischer Zweck  286.  Hobbes  Begren- 
zung der  poetischen  Freiheit  durch  die 
Wahrscheinlichkeit.  Milderung  dieser 
Forderung  in  der  Vorrede  zur  Überset- 
zung 28  7.  Hobbes' Übersetzung.  Ogilby's 
Übersetzung  288. 

Milton  288.  Der  Blankvers.  Die 
übernatürlichen  Gewalten:  Milton  und 
Boileau.  Der  Satan.  Milton  über  seinen 
Stoff  289.  Milton  und  Homer  290.  Milton 
und  die  antike  Poesie.  Dryden  über 
Milton  291. 

Zeit  Karls  IL  Eindringen  des 
französischen  Klassizismus.  Mora- 
lische Allegorie  Spenser's  bei  Bunyan 
291.  Phillips  Theatrum  poetarum.  Ver- 
kündigung des  poetischen  Genies.  Rymer 
und  die  Reflexions  Rapin's  292.  Ros- 
common.  Buckingham  erste  englische 
Poetik;  Preis  Homers  und  Le  Bossu's  293. 

Dryden.  Annus  Mirabilis.  Charakter 
Dryden's  294.  Heroic  Play.  Der  Zorn 
Almanzors.  Über  Freiheit  des  Dichters 
und  Kritik  295.  Später  stärkere  Beein- 
flussung durch  Aristoteles  296.  Vorreden 
zu  den  Übersetzungen.  Vergleichung 
Homers  mit  Virgil,  wechselndes  Urteil 
297.  Widersprüche  bei  Dryden.  Dryden 
der  erste  laute  Verkünder  des  Genies  299. 

Blackmore  Prince  Arthur.  Abhängig- 
t  von  der  Kritik  und  von  Virgil  299  f. 
irkungen  derQuerelle  desAn- 
ciens  et  des  Modernes.  Temple's 
Essay  300.  Der  Aufsatz  Of  Poetry. 
Schiefe  Urteile  über  die  Dichter  und 
wirkliches  Verständnis  für  Poesie  301. 
Wotton.  Sachliche  und  richtige  Erörte- 
rung der  Streitfrage.  Theorie  des  Milieu. 
Auseinandersetzung  mit  Perrault  302  f. 
Blackwall  303.  Bentley's  Dissertation 
über    die  Briefe    des  Phalaris    und  die 


^^^W 


Fabeln  Aesops.  Aufruhr  im  gebildeten 
Publikum:  wahrscheinliche  Ursache  das 
Auftreten  der  historischen  Kritik.  Swift 
A  Tale  of  a  Tub  304.  Battle  of  Books 
805.  Scriblerus  Peri  Bathous.  Poetik  der 
Modernen  308. 

18.  Jahrhundert.  Aufschwung 
der  griechischen  Studien.  Ausgaben 
Homers.  Barnes  309.  Bentley.  Entdek- 
kung  des  Digamma.  Clarke.  Potter's 
Archäologie.  Geddes  Homer  Vorbild  der 
griechischen  Schriftsteller  310. 

Kampf  gegen  die  herrschende 
Unmoral.  Shaftesbury's  ethisch-ästhe- 
tischer Standpunkt.  Forderung  der  Selbst- 
erkenntnis für  den  Dichter  311  f.  Dennis 
313.  Addison  315.  Über  Milton  316. 
Genie  und  Regeln  317.  Natur-  und  Kunst- 
poesie 318.  Kleine  epische  Dichtungen 
der  Zeit  319.  Addison  über  das  Ver- 
!  gnügen  der  Alten  und  Neuen  an  den  an- 
tiken Dichtungen  320. 

Pope  und  der  Regelzwang.   Essay 
on  Criticism  320.    Parnell  Essay  on  the 
different  styles  322.    Homer  in  Pope's  Ge- 
dichten.   Temple  of  Fame  322.    Locken- 
raub   323.     Übersetzungsversuche    323. 
Pope's  Homerübersetzung.  Parnell's  Essay 
über  Leben  und  Schriften  Homers  324. 
Pope's  Vorrede  zur  Übersetzung  325.  Die 
Übersetzung    326.     Aufnahme   bei   den 
j   Zeitgenossen  327.    Essay  Über  Homers 
I   Schlachten    328.     Homer    archaisierend 
I   329.    Spence  über  Pope  und  Homer  330. 
I       Blackwell's  Enquiry  332.     Theorie 
i   des  Milieu  333.    Naturpoesie  und  Im- 
j   provisation  334. 

I       Entwicklung    des    18.   Jahrhun- 
I   derts  335.    Epische  Poesie.    Glover 
!   Leonidas  336.    Wilkie  Epigoniad  337. 
!   Theorie   der  Sage  und  der  Entstehung 
des  Epos  338.    Der  Zorn  des  Diomedes 
339.  WiderdieRegeln340.  Wel8ted341. 
Erschütterung  des  Klassizismus. 
'    Samuel  Johnson  341.   Warton  344.  Ver- 
suche der  Ausgleichung.  Blair  344.  Beat- 
tie  345.    Die  neue  Ästhetik.    Hume 
und   die  Empfindung  des  Schönen  346. 


I 


XII 


Inhaltsübersicht 


Burke  vom  Erhabenen  und  Schönen  347. 
Home  Elements  of  Criticism  348.  Hurd 
Horaz  Ars  Poetica  kein  Lehrbuch  350. 
Über  Nachahmung  351.  Für  den  goti- 
schen Romanzo  353.  Brown  und  die 
Regeln  des  Aristoteles  355.  Young  über 
Originalkomposition  355  Gray  Lydgate 
und  Homer  356. 

Kenntnis  wenig  beachteter  Li- 
teraturgattungen. Lowth  Hebräische 
Poesie  und  Homer  356.  Balladenpoesie. 
Philips  359.  Ramsay.  Warton.  Gray, 
Percy  Reliques  360.    Ossian  361.   Ossian 


ein  verbesserter  Homer  362.  Blair  über 
Ossian  363.    Beattie's  Minstrel  364. 

Brown  Entstehung  des  Epos  nach 
ethnologischen  Gesichtspunkten. 
Vergleichung  mit  Piaton  365.  Wood 
das  Originalgenie  Homers  nach 
eigener  Anschauung  des  Orients  368. 
Pinkerton  Original  und  Nachahmer  372. 
Walpole  373.  Knight  374.  Verhältnis 
zum  Altertum  in  England  374. 

T  w  i  n  i  n  g  Aristoteles  wider  den  Klassi- 
zismus 374.  Cowper  Übersetzung  Ho- 
mers 375. 


DEUTSCHLAND  UND  DIE  SCHWEIZ. 


IG.  Jahrhundert.  Erasmus.  Homer 
im  Jugendunterricht  377.  Hütten  379. 
Studium  des  Griechischen.  Schwie- 
rigkeiten. Melanchthon  379.  Homer  als 
Vorbild  der  Lebensführung.  Melanchthon 
380.  Luther  381.  Camerarius  Homer  als 
Lehrer  der  Weisheit  381.  Reformierte 
Schweiz.  Zwingli.  Collinus.  BuUinger 
und  die  zürcherische  Schulordnung  382. 

Übersetzungen.  Eobau  Hesse  latei- 
nische Übersetzung  der  Ilias  in  Hexa- 
metern 383.  Lemnius  Odyssee  384.  Schai- 
denreißer  erste  deutsche  Übersetzung  der 
Odyssee  384.  Hans  Sachs  Dramen  aus 
der  Trojasage  385. 

17.  Jahrhundert.  Studium  des 
Griechischen  386.  Seber  Wortindex. 
Sinken  der  griechischen  Kenntnisse  387. 
Spreng  deutche  Übersetzung  der  Ilias 
388.  Opitz  kennt  Homer  nicht.  Caspar 
Barth  wider  Scaliger  388.  Leibniz,  Tho- 
masius,  Kant  über  Homer  389.  j 

Epos  in  Deutschland.    Postel  der 
große  Wittekind  389.    Die  listige  Juno   j 
390.    Weichmann  391.  i 

Ayrer  Übersetzer  von  Blackwall;  über  i 
die  Querelle  391.  Haller  über  Antike  j 
und  Moderne  392.    Holberg  393. 

18.  Jahrhundert.  Französischer 
Klassizismus  in  Deutschland. 
Gottsched  Critische  Dichtkunst  393. 
Kritik  des  Ottobert.  Bemühungen  für  eine 


Übersetzung  Homers  394.  Probe  in  Hexa- 
metern 395. 

Bodmer  und  Breitinger  395.  Vor- 
würfe gegen  Breitingers  Übersetzungen 
Homers  396.  Vorwurf  des  Plagiats. 
Bodmer  über  das  Wunderbare  397.  Brei- 
tinger über  die  Gleichnisse.  Anordnung 
des  Buches  nach  La  Motte  398.  Brei- 
tingers Lehre  vom  Gleichnis  verglichen 
mit  den  Auffassungen  der  französischen 
und  englischen  Kritik  399  ff.  Homer  ein 
Originalgeist  403.  Breitinger  Critische 
Dichtkunst.  Natur  und  Kunstpoesie. 
Äsopische  Fabel  404.  Bodmer  Poetische 
Gemälde.  Beschreibungen  im  Epos  405. 
Dichter  und  Sittenlehrer.  Bodmer  und 
Spence407.  Patroclus.  Telemach.  Sulzer 
über  Entstehung  des  Epos  409. 

Erneuertes  Studium  des  Griechi- 
schen. Niederlande.  Hemsterhuys. 
Valckenaers  Antrittsrede  411.  Ausgabe 
von  nias  22  412.  Deutschland.  Neu- 
humanismus. Gesner412.  Breitinger  An- 
trittsrede 413.  Zürcherische  Schulord- 
nung 1772.    Schaufelberger.    Wyß  414. 

Klopstock.  Verhältnis  zu  Vida  414. 
Der  Hexameter  nach  Vida's  Muster  415. 
Pforta.  Klopstocks  Gleichnis  416.  Bodmer 
Noachide.  Wieland  Hermann  41 7.  Oberon 
418. 

Winckelmann  Die  Griechenschön- 
heit und  Homer  418.    Lessing  Homer- 


Inhaltsübersicht 


xiir 


Studien  420.  Laokoon,  Homers  Praxis 
in  der  Schilderung  421.  Schild  des 
Achilleus  422.  Schönheit  und  Häßlich- 
keit, Helene  und  Thersites  423.  Wirkliche 
Praxis  Homers  424.  Die  Einholung  der 
Toten  425. 

Eifriges  Studium  des  Griechi- 
schen. G.  F.  Meier.  Homerausgaben 
Ernesti,  Niemeyer,  Wetstein.  Goethe  an 
Sophie  La  Roche  42G.  M«"«  Dacier  und 
Pope  in  Deutschland.  Von  Loen  Reise- 
geschichten. Einfluß  von  Guys,  Young, 
Wood  427. 

Die  neue  Erkenntnis  Homers. 
Hamann  428.  Herder  über  Erforschung 
des  Griechentums  429.  Kritik  des  Lao- 
koon 430.  Klotz  Epistolae  Homericae. 
Kritik  Lessings  und  Herders  432.  Herdei 
über  Verständnis  Homers;  historische 
Auffassung.  Lebendiger  Vortrag.  Im- 
promptus 433.  Sage.  Volksdichter  434. 
Homers  Weisheit  und  Humanität.  Ossian 
und  Homer  435  f.  Gerstenberg  436. 
Goethe437.  Stolberg.  Hainbund.  Lavater 
438.  Merian  Wissenschaft  und  Poesie 
439. 

Übersetzungen  440.  Form  der  Über- 
setzung. Gottsched.  Breitinger.  Damm. 
Bodmer.    Mendelssohn.    Lessing.    Klotz. 


Herder  441.  Goethe  von  der  Prosa-Über- 
setzung. Klopstock.  Bürger 442.  Stolberg- 
443.  Bodmer.  Voß  444.  Schlegel  über 
Voß  446.    urteil  Goethes  447. 

Goethe  und  Schiller.  Nausikaa,. 
Epistel,  Dias  und  Odyssee  447.  Hermann 
und  Dorothea.  Schlegel  über  bürgerliches- 
Epos  448.  Briefwechsel  Goethes  mit 
Schiller.  Studien  über  das  Epos.  Ver- 
hältnis zu  Aristoteles  449.  Achilleis  450. 
Schiller  452.  Naive  und  sentimentalische 
Dichtung  453.  W.  v.  Humboldt  über 
Hermann  und  Dorothea,  Homer  und 
Ariost;  heroisches  und  bürgerliches  Epos- 
454. 

Homer  frage  458.  Heyne.  Allegorie 
und  Symbolik.  Achilleusschild.  Schätzung 
Homers  458  ff.  De  Pauw  und  Merian 
über  das  Alter  der  Schrift  462.  F.  A.  Wolf 
463.  Herder  Homer  ein  Günstling  der 
Zeit  464.  Cesarottiüber  Wolf  465.  Stel- 
lung der  Dichter  zu  Wolf.  Goethe.  Schiller 
466.  Wieland.  Wechselnde  Haltung^ 
Goethes  467.  F.Schlegel  über  homerische- 
Poesie  468.  Goethe  470.  Schubarth. 
Lange.  Homer  wieder  Homer  471.  Die- 
Romantik.    Platen  472. 

Ausblick  473. 


LITERATUR. 

Die  hier  aufgeführten  Werke  sind  in  den  Einzelnachweisen  nur  mit  dem 
Namen  des  Verfassers  zitiert. 

J.  Baechtold  Geschichte  der  deutschen  Literatur  in  der  Schweiz  Frauenfeld  1892. 
L.  Bertrand   La  fin  du  classicisme  et  le  retour  ä  Fantiquite    Paris  1897. 
K.  Borinski  Die  Poetik  der  Renaissance    Berlin  1886. 
F.  Braitmaier    Geschichte  der  poetischen  Theorie  und  Kritik  von  den  Diskursen 

der  Maler  bis  auf  Lessing    Frauenfeld  1888. 

B.  tenBrink   Geschichte  der  englischen  Literatur.   2.  Aufl.  von  A.Brandl.    Straß- 

burg 1899. 

F.  Brunetiere  Manuel  de  l'histoire  de  la  litterature  fran9aise  Paris  1898.   L'ävo- 

lution  des  genres    Paris  1898. 

C.  Bursian   Geschichte  der  klassischen  Philologie  in  Deutschland   München  1883. 
M.  Cesarotti  Llliade  di  Omero  Padua  1786. 

A.  Chalmers  The  works  of  the  English  Poets  from  Chaucer  to  Cowper   London 

1810. 
A.  Darmestetter  und  A.  Hatzfeld  Le  16™*  siecle  en  France    Paris  1878. 

E.  Egger  L'Hellenisme  en  France    Paris  1869.  Memoires  de  litterature  ancienne 

Paris  1862.    S.  164:  Les  traductions  d'Homere. 
A.  Gaspary  Geschichte  der  italienischen  Literatur   Berlin  1885. 
P. Hamelius  Die  Kritik  in  der  englischen  Literatur  des  17.  und  18.  Jahrhunderts 

Leipzig  1897. 
H.  Hettner  Geschichte  der  französischen  Literatur  des  18.  Jahrhunderts.    5.  Aufl. 

von    H.  Morf    Braunschweig    1895.     Geschichte    der    englischen    Literatur 

1660  —  1770    Braunschweig  1856. 

G.  Lanson   Histoire  de  la  litterature  fran9aise  7.  ed.    Paris  1902. 

H.  Morf  Geschichte  der  neufranzösischen  Literatur  I    Straßburg  1898. 
H.  Morley  A  first  sketch  of  English  literature    London  1892. 

F.  Pauls  en    Geschichte    des    gelehrten  Unterrichts   auf  den  deutschen  Schulen 

und  Universitäten.    2.  Aufl.    Leipzig  1896. 
H.  ßigault   Histoire  de  la  Querelle  des  Anciens   et  des  Modernes    Paris  1859. 
G.Saintsbury  A  history  of  criticism  and  literary  taste  in  Europe  Edinbnrg  1902. 
J.  E.  Sandys  A  history  of  classical  scholarship    Cambridge  1908. 
A.  Schroeter  Geschichte  der  deutschen  Homer-Übersetzung  im  18.  Jahrhundert 

Jena  1882. 
J.E. Spingarn  A  history  of  literary  criticism  in  the  Renaissance  New- York  1899. 
Storia  d eil a  litter atura  italiana.  Mailand  Rossi  II  Quattrocento.  Flamini  II 

Cinquecento.    Belloni  II  Seicento. 
G.Voigt  Die  Wiedererweckung  des  klassischen  Altertums.   3.  Aufl.  von  M.Lehnert. 

Berlin  1893. 
R.  Volkmann  Geschichte  und  Kritik  der  Wolf  sehen  Prolegomena  Leipzig  1874. 


m. 


DAS  MITTELALTER. 


>ie  abendländische  Kultur  hatte  im  7.  und  8.  Jahrhundert  ihren 
tiefsten  Stand  erreicht.  Als  sie  sich  langsam  wieder  hob,  bildeten 
griechische  Sprache  und  Literatur  kein  treibendes  Element  mehr.  Sie 
waren  im  Abendland  so  gut  wie  vergessen.  In  den  Renaissancebe- 
ßtrebungen  der  karolingischen  Epoche  und  der  Ottonenzeit  spielen  sie 
keine  irgendwie  nennenswerte  Rolle.  Der  Aufschwung,  den  die  byzan- 
tinische Wissenschaft  nach  dem  8.  Jahrhundert  nahm,  vermochte  den 
Occident  nicht  zu  befruchten.  Es  fehlte  dafür  am  rechten  Nährboden, 
und  noch,  hinderlicher  war  der  Gegensatz  der  römischen  zur  griechischen 
Kirche. 

Immerhin  muß  im  9.  Jahrhundert  in  einzelnen  Klosterschulen  Grie- 
chisch getrieben  worden  sein.  Der  Abt  Walahfrid  Strabus  von 
Reichenau  erzählt,  wie  er  in  diesem  Kloster  durch  mühevolle  Studien 
bis  zur  Lektüre  Homers  vorgedrungen  ist.  Grimald,  der  den  Dichter 
besonders  liebte  und  sogar  dessen  Namen  angenommen  hatte,  schenkte 
Walahfrid  823  eine  Handschrift  Homers,  die  er  in  Aachen  einem  Griechen 
aus  Konstantinopel  abgekauft  hatte,  und  mit  der  nun  Walahfrid  unter 
Leitung  von  Wetin  die  langen  Winterabende  hinbrachte.  Er  fügt  hinzu, 
an  Exemplaren  Homers  wäre  auch  sonst  kein  Mangel  gewesen,  da  Abt 
Hatto  und  Erlebald  mehrere  gekauft  hätten,  als  sie  als  Gesandte  Kaiser 
Karls  beim  griechischen  Kaiser  in  Konstantinopel  weilten.  Daß  Gunzo, 
der  im  10.  Jahrhundert  den  Homer  nach  Deutschland  gebracht  haben 
soll,  ihn  gar  nicht  gekannt  hat,  ist  von  Deutsch  erwiesen  worden. 

Fraglich  ist,  ob  sich  inEkkehards  prächtigem  Gedicht  Waltharius 
Spuren  von  Homerkenntnis  finden.  Die  einzelnen  anklingenden  Wen- 
dungen sind  ja  sicher  auf  dem  Umweg  über  Yirgils  Aeneis  zu  ihm  ge- 
langt, und  Anklänge  in  Gleichnissen  beweisen  nicht  viel.  Dagegen  will 
der  zürnende  Hagen  etwas  näher  angesehen  sein.  Von  einem  Traume 
erschreckt,  widerrät  Hagen  dem  König  Günther  den  Kampf  mit  Waltharius. 
Günther  höhnt  ihn,  daß  er  gleich  seinem  Vater  feige  sei,  der  ebenfalls 
mit  viel  Gerede  den  Kampf  verschmäht  habe,  worauf  sich  Hagen  erzürnt 
auf  einen  Hügel  setzt,  um  dem  Kampfe  zuzusehen.  Nachdem  alle  Kämpen 
Günthers  gefallen  sind,  fleht  dieser  Hagen  an,  in  den  Kampf  einzutreten; 
der  Weigerung  Hagens  setzt  er  das  Versprechen  reicher  Geschenke  ent- 

Finsler:  Homer  in  der  Neuzeit.  1 


2  Das  Mittelalter 

gegen  und  gewinnt  ihn  schließlich  durch  den  Hinweis  auf  die  Schande, 
die  es  für  die  Franken  bedeuten  würde,  wenn  ihr  ganzes  Heer  einen 
Einzigen  nicht  hätte  überwinden  können.  Hagen  betont  ausdrücklich, 
daß  er  nur  für  den  König  gegen  den  alten  Waffengefährten  kämpfen 
wolle,  und  daß  ihn  dazu  auch  die  Rache  für  seinen  erschlagenen  Neffen 
Patavrid  nicht  bewegen  würde.  Am  folgenden  Tage  aber  begründet 
Hagen  Waltharius  gegenüber  seine  Teilnahme  am  Kampf  mit  dem  Tode 
so  vieler  Gefährten  und  gerade  des  blühenden  Neffen  und  weist  seine 
Anerbietungen  schroff  zurück.  Man  ist  versucht  in  der  ziemlich  großen 
Zahl  gemeinsamer  Züge  eine  direkte  Einwirkung  Homers  zu  sehen. 
Die  letzten  Worte  Hagens  erinnern  stark  an  Stellen  von  Hektors  Tod. 
Merkwürdig  ist  auch  eine  andere  Stelle.  Der  dritte  Burgunderheld  Werin- 
hard  stammt  von  dem  berühmten  Schützen  Pandaros,  dessen  Schuß  einst 
den  beschworenen  Vertrag  verletzte.  Die  Verse,  in  denen  Pandaros 
direkt  angeredet  wird,  sind  zwar  aus  Virgil  entlehnt;  aber  konnte  die 
gelegentliche  Erwähnung  des  Schützen  bei  dem  römischen  Dichter  für 
Ekkehard  Veranlassung  genug  sein,  Werinhard  in  langer  Reihe  von  Pan- 
daros abstammen  zu  lassen,  wenn  er  die  homerische  Erzählung  nicht 
kannte? 

Ich  gebe  zu,  daß  die  beiden  Stellen  für  die  Beantwortung  der  Frage, 
ob  Ekkehard  den  Homer  gekannt  habe,  nicht  ausreichen.  Außer  Walah- 
frid  und  Ekkehard  ist  mir  kein  mittelalterlicher  Dichter  oder  Schrift 
steller  bekannt,  bei  dem  man  an  Kenntnis  Homers  denken  könnte.  Der 
Name  des  Dichters  war  aus  den  Römern  bekannt  und  wurde  gern  mit 
Virgil  zusammengestellt.  Am  Hofe  Karls  des  Großen  führte  Angilbert 
den  Namen  Homer.  Aber  dem  König  war  augenscheinlich  das  Original 
Homers  nicht  bekannt,  sondern  nur  die  Ilias  Latina,  die  wenigstens 
eine  Ahnung  vom  Inhalt  des  homerischen  Gedichtes  gab. 

Die  Ilias  Latina  ist  ein  Poem  von  1070  guten  Hexametern,  dessen 
Entstehung  man  in  das  1.  nachchristliche  Jahrhundert  setzt.  Die  Anfangs- 
buchstaben der  ersten  und  der  letzten  acht  Verse  ergeben  das  Akrostichon: 
Italiens   scripsit.     Mehr  ist   über   den  Verfasser  nicht  zu  ermitteln. 

Man  kann  das  Gedicht  einen  Auszug  nennen,  obwohl  die  Bezeich- 
nung nicht  ganz  zutreffend  ist.  Denn  es  hält  zwar  den  Gang  der  Ilias 
im  ganzen  inne,  bewegt  sich  aber  im  einzelnen  sehr  frei.  Vor  allem 
ist  die  Behandlung  der  verschiedenen  Partien  sehr  ungleichmäßig.  In 
den  einen  ist  sie  mehr  als  knapp,  andere  werden  breiter  ausgeführt, 
zuweilen  selbst  über  Homer  hinaus.  Die  erste  Hälfte  lehnt  sich  enger 
an  das  Original  an,  ohne  deshalb  ein  übersetzender  Auszug  zu  sein. 
Sehr  wichtige  Partien  sind  ganz  übergangen,  andere  zur  Unkenntlich- 


Ekkehard    llias  Latina    Dictys  3 

keit  verkürzt  oder  sehr  willkürlich  verändert.  So  hat,  um  nur  eines 
hervorzuheben,  der  Verfasser  den  Achilleusschild  ganz  neu  gestaltet. 
Zuweilen  zeigt  sich  die  Darstellung  stark  römisch  gefärbt.  Aeneas  spielt 
eine  hervorragende  Rolle,  Odysseus  ist  wie  bei  Yirgil  der  Typus  des 
tückischen  Betrügers.  Den  gefangenen  Adrastos  fesselt  Menelaos,  um 
ihn  beim  Triumph  aufzuführen.  Gegen  die  Mauer  der  Troer  rücken  die 
Griechen  unter  einem  Sturmdach,  einer  Testudo,  an. 

Auf  welche  Leser  dieses  Gedicht  berechnet  war,  wird  schwer  zu 
sagen  sein.  Man  hat  an  ein  Kompendium  zu  Zwecken  des  Unterrichts 
gedacht.  Möglich  ist  auch,  daß.  es  nur  einen  kurzen  Überblick  über 
die  llias  geben  sollte.  Im  Mittelalter  ist  das  Opus  ziemlich  bekannt 
gewesen.  Man  führte  es  unter  dem  Namen  Homers  auf;  doch  erhob 
sich  die  Frage,  wie  es  denn,  da  doch  Homer  bei  den  Griechen  lebte, 
in  lateinischer  Sprache  habe  geschrieben  werden  können.  Deshalb  war 
man  geneigt,  darin  eine  Übersetzung  der  echten  llias  zu  erkennen.  Als 
Übersetzer  wußte  man  einen  Pindarus  Thebanus  zu  nennen;  aber  es 
ist  noch  nicht  erklärt,  wie  man  auf  diesen  Namen  verfallen  ist. 

Weit  größeren  Einfluß  gewannen  im  späteren  Mittelalter  zwei  in 
lateinischer  Prosa  verfaßte  Darstellungen  des  troischen  Krieges. 

Die  eine  ist  des  Dictys  von  Kreta  Tagebuch  des  troischen  Krieges, 
Epliemeris  hellt  Troiani,  deren  uns  vorliegende  Fassung  dem  4.  Jahr- 
hundert n.  Chr.  angehört.  Der  Prolog  des  in  sechs  Bücher  eingeteilten 
Werkes  erzählt,  daß  Dictys  mit  Idomeneus,  dem  aus  Homer  bekannten 
Führer  der  Kreter,  vor  Troja  zog  und  den  Auftrag  bekam  Annalen 
des  Krieges  zu  schreiben.  Sein  in  phönikischen  Buchstaben  geschriebenes 
Werk  wurde  ihm  ins  Grab  mitgegeben  und  im  13.  Regierungsjahr  des 
Kaisers  Nero  entdeckt  und  auf  dessen  Anordnung  in  griechische  Schrift 
übertragen.  Als  Übersetzer  ins  Lateinische  meldet  sich  ein  L.  Septimius. 
Wenn  wir  von  dem  fabelhaften  Beiwerk  der  Fundgeschichte  absehen, 
so  lernen  wir  aus  dem  Prolog,  daß  das  Buch  unter  Nero  in  griechischer 
Sprache  verfasst  wurde,  eine  Angabe,  die  kürzlich  bestätigt  worden  ist. 
Ein  in  Ägypten  gefundenes  Papyrusfragment  enthält  eine  längere  Stelle 
des  griechischen  Textes,  aus  deren  Vergleichung  mit  dem  lateinischen 
Dictys  hervorgeht,  daß  letzterer  nicht  sowohl  die  Übersetzung,  als  eine 
ziemlich  freie  Bearbeitung  des  griechischen  Originals  ist.  Das  viel  er- 
örterte Verhältnis  zu  ähnlichen  byzantinischen  Darstellungen  interessiert 
uns  hier  nicht. 

Man  ist  gewohnt  die  Schriftstellerei  des  Dictys  und  des  gleich  zu 
erwähnenden  Dares  als  Schwindelliteratur  zu  bezeichnen.  Aber  sie  ist 
von  unserem  historischen  Roman  nicht  stark  verschieden.    Die  Fabeleien 

1* 


4  Das  Mittelalter 

mit  uralten  Yerfassemamen  und  wunderbaren  Schicksalen  der  Originale 
hatten  nur  den  Zweck  die  Aufmerksamkeit  zu  erregen,  mochten  sie 
auch  viele  Leute  täuschen  wie  die  von  Marc  Twain  aufgefundenen  Me- 
moiren des  Sekretärs  der  Jungfrau  von  Orleans.  Sie  kamen  den  Wün- 
schen und  Bedürfnissen  ihrer  Zeit  entgegen,  die  für  das  Epos  kein  Ver- 
ständnis mehr  hatte,  sich  aber  die  alten  Geschichten  gern  in  modemer 
Behandlung  erzählen  ließ. 

Des  Dictys  Ephemeris  ist  ein  kleines  Kunstwerk,  das  sich  die  Auf- 
gabe stellt,  aus  dem  heroischen  Epos  eine  wirkliche,  etwas  romanhaft 
ausgeschmückte  historische  Erzählung  zu  machen.  Die  großen  Ver- 
änderungen, die  der  Schriftsteller  an  der  Ilias  vornahm,  sollten  diesem 
Zwecke  dienen  und  sind  daher  beabsichtigt.  Dictys  gibt  eine  wider- 
spruchslose, vollständige  Geschichte,  die  mit  dem  Raube  der  Helena 
beginnt  und  mit  der  Eroberung  der  Stadt  schließt.  Weissagungen, 
Orakel,  Träume,  Verletzung  des  Heiligen  spielen  eine  Rolle,  die  Götter 
selbst  aber  nicht.  Es  wird  alles  ganz  natürlich  und  sorgfältig  motiviert. 
Aus  vereinzelten  Andeutungen  Homers  über  einen  Gegensatz  zwischen 
dem  Priamidenhause  und  dem  übrigen  Adel  macht  Dictys  zwei  Parteien 
in  Troja,  auf  der  einen  Seite  die  gewalttätige  Sippe  des  Priamus,  auf 
der  andern  die  Vornehmen,  an  ihrer  Spitze  Antenor,  dessen  schließlicher 
Verrat  an  seiner  Stadt  beinahe  gerechtfertigt  erscheint. 

Haupthelden,  auf  die  sich  das  Interesse  vornehmlich  konzentrieren 
würde,  kann  die  rein  historische  Erzählung  nicht  brauchen.  Ganz 
besonders  hat  es  sich  Dictys  angelegen  sein  lassen  den  Achilles  von 
der  dominierenden  Stelle  zu  verdrängen,  die  er  in  der  Ilias  einnimmt. 
Der  Pelide  wird  auf  das  Maß  der  übrigen  Helden  her  abgedrückt  und 
sein  Zorn  als  eine  beinahe  nebensächliche  Episode  behandelt.  Achilles 
widersetzt  sich  aus  Liebe  zum  Heere  dem  Raube  der  Briseis  nicht,  ist 
aber  nachträglich  über  die  andern  Griechen  sehr  ärgerlich,  weil  sie 
zu  der  Gewalttat  geschwiegen  haben.  Auch  darüber  grollt  er,  daß 
Agamemnon  ihn  allein  nicht  zum  Mahle  geladen  hat.  In  seinem  Zorn 
macht  er  einen  Mordanschlag  auf  die  Fürsten,  den  aber  Ulysses  ver- 
eitelt. Die  Zurückhaltung  Achills  verhindert  zunächst  die  Erfolge  der 
Achäer  nicht.  Erst  nach  mehreren  Siegen  der  Griechen  macht  Hector 
einen  plötzlichen  Angriff  und  dringt  siegreich  bis  zu  den  Schiffen  vor. 
Die  Griechen  flehen  den  Achilles  vergeblich  um  Hilfe  an.  Aber  in  der 
höchsten  Not  erscheint  Aiax,  der  von  einem  Beutezuge  zurückkommt, 
vertreibt  den  Hector  und  besiegt  die  Troer  gänzlich.  Nach  weiteren 
Erfolgen  der  Griechen  stellt  Aiax  den  Antrag  zu  Achilles  eine  Ge- 
sandtschaft zu  senden,  die  ihn  jetzt,  wo  die  Griechen  im  Vorteil  seien, 


m 


I 


Dictys  5 

ders  ehren  müsse.  In  der  Erzählung  der  Gesandtschaft  sind  die 
Motive  des  9.  und  19.  Buches  der  Ilias  verbunden.  Sie  verläuft  im 
ganzen  wie  dort,  nur  daß  Achilles  zum  Schlüsse  der  Mahnung  des 
Diomedes  nachgibt,  das  Vergangene  vergangen  sein  zu  lassen.  Damit 
t  Dictys  schon  am  Ende  seines  zweiten  Buches  mit  dem  Zorn  des 
hilles  fertig  geworden.  Von  nun  an  ist  der  Pelide  ein  Held  wie 
alle  andern.  Nach  seinem  Tode  empfinden  sehr  viele  Krieger  keinen 
großen  Schmerz,  weil  sie  die  verräterischen  Verhandlungen  nicht  ver- 
gessen können,  die  Achilles  mit  den  Feinden  gepflogen  hat. 

Hier  verknüpft  sich  die  Handlung  der  Ilias  mit  der  von  Dictys 
ar  nicht  erfundenen,  wohl  aber  romanhaft  ausgesponnenen  Geschichte 
n  der  Liebe  Achills  zu  Priamus  Tochter  Polyxena.  Er  hat  sie  sorg- 
fältig eingeleitet.  In  deift  V^inter  nach  der  Gesandtschaft  herrscht 
Wafi*enruhe,  und  Griechen  und  Troer  verkehren  ungestört  im  Haine 
des  thymbräischen  Apollo.  Dort  opfert  einst  Hecuba  mit  großem  Ge- 
folge, zu  dem  auch  ihre  Tochter  Polyxena  gehört.  Achill  kommt  dazu 
und  wird  von  Begierde  nach  ihrer  Schönheit  ergrifi*en.  Da  er  es  nach 
etlichen  Tagen  gar  nicht  mehr  aushalten  kann,  schickt  er  Automedon 
zu  Hector,  um  Polyxena  zu  werben.  Dieser  aber  verlangt  als  Preis 
für  die  Schwester  entweder  den  Verrat  am  Griechenheere  oder  die  Er- 
mordung der  Atriden  und  des  Aiax.  Diese  Zumutung  wird  für  Achill 
die  Ursache  des  Hasses  gegen  Hector.  Er  hatte  für  Polyxena  Bei- 
legung des  Krieges  versprochen.  Achills  Liebes  Sehnsucht  ist  breit  aus- 
geführt. Die  Atriden,  die  von  der  Sache  Kunde  bekommen,  beschwich- 
tigen ihn  mit  der  Aussicht  auf  den  nahen  Sieg,  der  ihm  die  Ersehnte 
bringen  werde. 

Nach  Hectors  Fall  macht  sich  Priamus  mit  Andromache,  deren 
Söhnen  und  Polyxena  am  hellen  Tage  ins  Griechenlager  auf,  den 
Leichnam  auszulösen.  Polyxena  bietet  sich  als  Preis  für  Hectors  Leib 
an,  und  auch  Priamus  bittet  Achill  sie  zu  behalten,  aber  Achill  sendet 
sie  zurück,  da  er  die  Lösung  in  andrer  Weise  sucht.  In  den  folgenden 
Kämpfen  fallen  auf  troischer  Seite  Penthesilea,  Memnon,  Polydamas, 
Troilus.  Die  folgende  Waffenruhe  gibt  Priamus  Gelegenheit,  aufs  neue 
durch  den  Herold  Idaeus  mit  Achilles  wegen  Polyxena  Verhandlungen 
anzuknüpfen.  Die  Führer  der  Griechen  fürchten  Verrat  und  beabsichtigen 
ihn  von  geheimen  Unterhandlungen  mit  den  Feinden  abzuhalten.  Aber 
schon  haben  Paris  und  Deiphobus  den  Wehrlosen  im  Heiligtum 
ApoUons  heimtückisch  überfallen  und  ermordet,  der  Polyxena  wegen,, 
wie  er  selbst  sterbend  sagt.  Nach  der  Eroberung  der  Stadt  wird  sie 
an  seinem  Grabe  als  Totenopfer  geschlachtet. 


Q  Das  Mittelalter 

Wer  des  Dictys  Erzählung  aufmerksam  liest,  erkennt  leicht,  wie 
er  die  Angaben  Homers  auf  Schritt  und  Tritt  seinen  Zwecken  dienstbar 
gemacht  hat.  Er  hat  die  kurze  Schlachtenreihe  der  Ilias  durch  Waffen- 
stillstände und  Verhandlungen  zu  einem  langen  Kriege  ausgesponnen 
und  dadurch  aus  dem  Epos  eine  Historie  geschaffen,  ein  gar  nicht ; 
verächtlicher  Versuch  einer  Neugestaltung. 

Weit   weniger    anmutig   ist   die   Lektüre   eines   ähnlichen  Buches, 
des  Phrygers   Dar  es  Geschichte  vom   Untergang  Trojas,   De  excidio 
Troiae  historia.    Sie  ist  durch  einen  Brief  eingeleitet,  in  dem  Cornelius  ; 
Nepos  dem  Sallustius  Crispus  mitteilt,  er  habe  das  Buch  in  Athen  ge- 
funden und  ins  Lateinische  übersetzt.     Auch  hier  wird  also  auf  ein  in 
der  Zeit  Caesars  verfaßtes  griechisches  Original  verwiesen,  das  zwar  noch 
nicht  gefunden,  aber  durch  Schisseis  Untersuchung  festgestellt  ist.    Nepos  ; 
schreibt,  das  Original  sei  viel  älter  als  Homer  und  auch  historisch  ge-  '. 
treuer,   da   es   keine  Einmischung  der  Götter  in  die  Kämpfe   enthalte. 
Die  uns  vorliegende  lateinische  Fassung,  die  dem  6.  Jahrhundert  n.  Chr. 
angehört,  weist  auch  durch  ihren  Stil  in  die  Zeit,  da  die  römische  Ge- 
schichtschreibung schon  lange  in  die  trockene  Form  der  Chronik  über- 
gegangen war. 

Der  Verfasser  kennt  Homer  und  Dictys,  auch  andere  Darstellungei 
ähnlicher  Art.  Auf  den  Namen  Dares  kam  er  wahrscheinlich  durch 
die  da  und  dort  bei  Schriftstellern  der  Kaiserzeit  auftauchende  Notiz, 
daß  ein  Phryger  Dares  vor  Homer  eine  Ilias  gedichtet  habe.  Das  paßte 
ihm  vortrefflich,  denn  er  erzählt  die  Geschichte  vom  troischen  Stand- 
punkt aus  und  gibt  vor,  während  des  Krieges  in  Troja  gelebt  zu 
haben.  Darum  muß  die  Schuld  am  Kriege  aufseiten  der  Griechen, 
nicht  der  Troer  zu  suchen  sein.  Der  Verfasser  bekundet  sich  dadurch 
als  echten  Römer.  Denn  die  Römer  betrachteten  sich  als  Nachkommen 
der  Troer  und  haben  seit  Virgil  immer  für  diese  Partei  genommen. 
Um  den  Griechen  die  erste  Verschuldung  zuzuschieben,  nimmt  Dares 
die  Geschichte  der  Argonauten  zuhilfe.  Auf  dem  Zug  nach  Colchis 
sind  diese  in  der  Troas  gelandet,  aber  von  dem  König  Laomedon,  der 
für  seine  Sicherheit  fürchtete,  fortgewiesen  worden.  Das  nimmt  be- 
sonders Hercules  gewaltig  übel,  der  nach  der  Argonautenfahrt  einen 
großen  Kriegszug  gegen  Troja  veranstaltet.  Laomedon  wird  im  Kampf 
getötet,  Teucer  dringt  als  erster  in  die  Stadt  ein  und  erhält  zum  Lohn 
Hesiona,  die  Tochter  des  Königs.  Alle  Versuche  des  Priamus  die 
Rückgabe  der  Schwester  zu  erwirken  schlagen  fehl.  Sein  Abgesandter 
Antenor  wird  übel  abgewiesen.  Eine  neue  Fahrt,  die  Paris  und 
Deiphobus  unternehmen,  endet  mit  dem  Raube  der  Helena,  und  diese 


ir. 


Dares  7 

betrachtet  nun  Priamus  als  Pfand  für  die  Rückg-abe  der  Hesiona.  Die 
Orieclien  sammeln  sich  zum  Heerzuge.  Nach  der  Landung  in  Troja 
wechseln  endlose  Kämpfe  mit  noch  längeren  Waffenstillständen.  Es 
ist  hier  so  wenig  wie  bei  Dictys  möglich  auf  die  Einzelheiten  ein- 
zugehen, ohne  die  ganze  Erzählung  zu  wiederholen.  Der  Charakter  der 
historischen  Chronik  wird  durch  möglichst  reichhaltige  und  dabei  trocken 
knappe  Aufzählung  der  einzelnen  Heldentaten  gewahrt.  Interessant  ist 
der  Versuch  den  Zorn  des  Achilles  mit  der  Liebe  zu  Polyxena  in  Verbin- 
dung zu  bringen.  Es  ist  dabei  bemerkenswert,  daß  Dares  Hectors  Tod 
durch  Achilles  vor  diese  Ereignisse  setzt,  um  für  Troilus  Raum  zu  schaffen. 

Nach  Hectors  Tode  intrigiert  Palamedes  gegen  Agamemnon  und 
bringt  es  dazu,  daß  dieser  zurücktritt  und  er  selbst  zum  Feldherrn 
gewählt  wird.  Nur  Achilles  ist  nicht  einverstanden.  Nach  einem 
Jahre  erblickt  dieser  bei  Hectors  Grabmal  Polyxena,  verliebt  sich 
heftig  in  sie  und  läßt  bei  Hecuba  um  die  Hand  der  Tochter  bitten.  Er 
würde  dafür  mit  den  Myrmidonen  nach  Hause  zurückkehren,  was  den 
Abzug  aller  zur  Folge  haben  müßte.  Priamus  fordert  aber  einen  feier- 
lichen Friedensschluß.  Nun  verlangt  Achilles,  der  längst  mit  dem 
Oberbefehl  des  Palamedes  unzufrieden  war,  daß  nicht  länger  um  der 
einen  Helena  willen  Leben  und  Freiheit  aller  aufs  Spiel  gesetzt  werde, 
und  fordert  den  Frieden.  Wie  dieser  nicht  bewilligt  wird,  bleibt  er 
erzürnt  im  Lager  zurück.  In  der  nächsten  Schlacht  fällt  Palamedes, 
und  Agamemnon  wird  wieder  eingesetzt.  Nach  großen  Erfolgen  der 
Troer  schicken  die  Griechen  zu  Achilles,  ohne  Erfolg.  Die  brennenden 
Schiffe  rettet  Aiax,  die  Nacht  macht  dem  Kampf  ein  Ende. 

Während  des  folgenden  Waffenstillstandes  geht  eine  feierliche  Ge- 
sandtschaft zu  Achilles,  aber  vergeblich.  Er  hatte  beschlossen  nicht 
mehr  in  den  Kampf  zu  gehen  oder  doch  weniger  heftig  zu  kämpfen. 
Aber  wie  Troilus  die  Griechen  stark  bedrängt,  läßt  er  auf  Agamemnons 
Bitten  wenigstens  die  Myrmidonen  ausrücken.  Troilus  schlägt  diese, 
und  da  entschließt  sich  Achilles  zum  Kampf.  Er  tötet  den  Troilus, 
nachdem  er  von  diesem  selbst  verwundet  worden  ist,  erregt  aber  dadurch 
den  Zorn  der  Hecuba.  Sie  läßt  Achilles  in  den  Hain  des  thymbräischen 
Apollo  locken,  wo  er  von  Paris  überfallen  und  trotz  tapferer  Gegen- 
wehr umgebracht  wird. 

Das  Ende  des  Krieges  erzählt  Dares  ähnlich  wie  Dictys,  nur  daß 
Priamus  zu  Antenors  Verrat  direkt  Veranlassung  gibt.  Das  hölzerne 
Pferd  ist  weggelassen.  An  dieses  erinnert  nur  ein  am  skäischen  Tor 
ausgehauener  Pferdekopf,  der  den  Griechen  die  Stelle  zeigt,  wo  sie  ein- 
gelassen werden  sollen. 


8  Das  Mittelalter 

Auch  des  Dares  Darstellung  liegt  ein  Plan  zugrunde.  Vor  dem 
künstleriscli  weit  überlegenen  Dictys  hat  er  den  einen  Vorteil,  daß  er 
den  Tod  Achills  besser  motiviert.  Von  Homer  entfernt  er  sich  noch 
weiter  als  sein  Vorgänger,  und  mit  den  Motiven  der  Ilias  geht  er  noch 
unbekümmerter  um.  Hervorzuheben  ist  die  hervorragende  Stellung  des 
Troilus,  der  nach  Hectors  Tode  ganz  an  dessen  Stelle  tritt  und  weit 
kräftiger  in  die  Handlung  eingreift  als  bei  Dictys. 

Das  war  die  Form,  in  der  das  Abendland  im  Mittelalter  die  troische 
Sage  zugesicht  bekam.  Um  1165  verwendete  den  Dares  ein  franzö- 
sischer Dichter,  Benoit  de  Sainte-More,  zu  einem  ritterlich-höfischen 
Gedicht,  dem  Eoman  de  Troie.  Außer  Dares  hat  er  Dictys  und  andere  ■ 
Quellen  benutzt,  daneben  auch  die  eigene  Erfindung  walten  lassen.  Er 
ist  der  Schöpfer  der  mittelalterlichen  Liebesgeschichte  von  Troilus  und 
Briseida.  Diese  ist  die  schöne  Tochter  des  Calchas,  der  nach  Dares 
ein  phrygischer  Seher  war  und  bei  einem  Besuch  in  Delphi  die  Weisung 
erhalten  hatte  mit  den  Griechen  gegen  Troja  auszufahren  und  sie  mit 
seinem  Rate  zu  unterstützen.  Briseida,  so  schreibt  den  Namen  schon 
Dares,  ist  in  Troja  geblieben  und  wird  nun  bei  Benoit  die  Geliebte 
des  Troilus.  Nachdem  die  Griechen  den  Antenor  gefangen  haben,  soll 
eine  Auswechslung  der  Gefangenen  stattfinden,  und  bei  dieser  Gelegen- 
heit fordert  Calchas  seine  Tochter  zurück.  Die  Troer  bewilligen  seinen 
Wunsch.  In  heftigem  Schmerz  trennen  sich  die  Liebenden;  aber  Briseida 
vergißt  bald  das  Gelübde  ewiger  Treue,  das  sie  dem  Troilus  gegeben^ 
und  schenkt  im  Griechenlager  der  Bewerbung  des  Diomedes  Gehör.  Der 
verratene  Troilus  wird  von  Achill  erschlagen. 

Der  Roman  de  Troie  eroberte  das  ganze  Abendland  und  wurde 
selbst  in  Byzanz  übersetzt  und  bearbeitet.  In  Deutschland  legten  ihn 
Herbort  von  Fritzlar  zu  Anfang  des  13.  Jahrhunderts,  und  Konrad 
von  Würzburg,  gest.  1287,  ihren  Gedichten  zugrunde.  Die  für  die 
Folgezeit  wichtigste  Bearbeitung  war  die  in  lateinischer  Prosa  geschriebene 
Historia  Troiana  des  Guido  delle  Colonne  aus  Messina,  ein  durch 
Reden  und  Dialoge  sowie  einen  Schwulst  von  Gelehrsamkeit  konfuses, 
1287  vollendetes  Werk. 

Was  das  ausgehende  Mittelalter  von  Homer  gewußt  hat,  steht  alles 
beisammen  in  Chaucer's  schönem  Gedicht  The  House  of  Farne  1384. 
Der  Dichter  schildert  da,  wie  metallene  Säulen  berühmte  Dichter  und 
Historiker  tragen,  die  in  ihren  Werken  große  Taten  unsterblich  gemacht 
haben.  Auf  einem  Eisenpfeiler,  der  mit  Tigerblut  bemalt  ist,  steht  der 
erhabene  Statins,  ein  Epiker  des  ausgehenden  1.  Jahrhunderts  n.  Chr. 
und  trägt  als  Verfasser  der  Thebais  und  Achilleis  auf  seinen  Schultern 


Benoit  de  Sainte-More     Chaucer    Byzanz  9 

den  Namen  von  Theben  und  den  Rulim  des  grausamen  Achilleus.  Neben 
ihm,  auf  einem  Eisenpfeiler  in  wunderbarer  Höhe  er,  der  große  Ho- 
mer, neben  ihm  Dares,  Dictys,  Boccaccio,  den  Chaucer  Lollius  nennt,. 
Guido  delle  Colonne  und  Galfrid  von  Monmouth,  der  Verfasser  der 
phantastischen  Historia  Britonum,  der  die  alten  Britenkönige  an  Troja 
anknüpfte.  Alle  diese,  sagt  Chaucer,  waren  bestrebt,  den  Ruhm  Trojas 
zu  erhöhen,  der  so  wuchtig  war,  daß  ihn  zu  tragen  kein  Spiel  gewesen 

<*  jt.  Aber,  fügt  der  Dichter  hinzu,  er  habe  wohl  erkennen  können,  daß 
|n  wenig  Eifersucht  zwischen  ihnen  herrschte.  Einer  sagte  nämlich, 
tomer  dichte  Lügen,  indem  er  in  seinen  Gedichten  Erfindungen  vor- 
ringe, und  sei  den  Griechen  günstig  gewesen,  weshalb  er  seine  Er- 
zählung nur  für  Fabel  halte.  Die  Stelle  enthält  so  ziemlich  alle  Schrift- 
steller, aus  denen  noch  das  14.  Jahrhundert  seine  Kenntnis  der  troischen 
Dinge  schöpfte.  Der  Vorwurf,  daß  Homer  lüge,  stammt  aus  Dares, 
der  ja  auf  troischer  Seite  mitgekämpft  haben  will.  Außerdem  nahm 
das  ganze  Mittelalter  schon  um  Virgils  willen  für  die  Troer  Partei. 
Diesen  Dichter  hat  Chaucer  sehr  eingehend  studiert;  im  Glastempel 
sieht  er  die  Szenen  der  Aeneis  gemalt,  die  er  schön  beschreibt. 

Die  Kenntnis  des  Griechischen  und  damit  auch  die  Homers  kam 
dem  Abendland,  zunächst  den  Italienern,  von  Byzanz.  Wenn  Petrarca, 
einem  jungen  Freund  und  Schüler  abriet  dorthin  zu  gehen,  weil  dort 
wenig  Gelehrsamkeit  zu  finden  und  die  hellenische  Literatur  aus- 
gestorben sei,  so  verriet  er  damit  nur  die  nämliche  Unwissenheit,  die- 
über  byzantinisches  Wesen  fast  bis  in  die  neueste  Zeit  geherrscht 
hat.  In  Wahrheit  liegt  in  der  wissenschaftlichen  Tätigkeit  der  By- 
zantiner der  Grund  für  die  Wiedererweckung  des  Hellenismus  im 
Abendland.  Sie  haben  nach  der  trostlosen  Ode,  die  im  7.  und  8.  Jahr- 
hundert auch  über  sie  hereingebrochen  war,  die  Reste  der  antiken 
Literatur  neu  gesammelt,  in  den  Schulen  erklärt,  Grammatiken  und 
Wörterbücher  verfaßt  und,  was  für  uns  das  Wichtigste  geworden  ist,. 
die  Werke  der  Hellenen  durch  zahlreiche  Abschriften  vor  dem  Unter- 
gang geschützt.  Ihnen  allein  ist  es  zu  verdanken,  daß  wir  überhaupt 
noch  etwas  davon  besitzen.  Die  wichtigste  Zeit  der  byzantinischen 
Altertumskunde  ist  die  Regierungszeit  der  Paläologen  1261 — 1453,. 
eine  Periode,  die  sich  der  abendländischen  Renaissance  vergleichen  läßt. 
Aber  der  Aufschwung  des  geistigen  Lebens  geht  bis  ins  9.  Jahrhundert 
zurück,  und  gerade  die  beiden  Gelehrten,  deren  Arbeiten  über  Homer 
auch  auf  den  Occident  gewirkt  haben,  fallen  in  die  Zeit  der  Komnenen. 
Der  erste  von  ihnen,  Johannes  Tzetzes,  geb.  um  1110,  ist  in 
mancher  Beziehung  höchst  interessant.    Das  Urteil  über  seine  Schrift- 


10  Bas  Mittelalter 

stellerei  lautet  heute  allgemein  sehr  ungünstig,  aber  nur  zum  Teil  mit 
Recht.  Es  ist  wahr,  daß  man  aus  ihm  für  die  Kenntnis  Homers 
nichts  mehr  lernen  kann;  aber  für  seine  Zeit  traf  das  nicht  zu.  So 
viel  wir  sehen,  ist  er  nach  langer  Zeit  überhaupt  der  erste,  der  eine 
eingehende  Erklärung  Homers  unternommen  hat,  und  zwar  aufgrund 
sehr  umfassender  Studien  in  den  Werken  des  Altertums.  Er  muß 
deshalb  so  beurteilt  werden  wie  die  Humanisten  des  Abendlandes,  die 
sich  zuerst  wieder  mit  Homer  befaßten.  Allerdings  war  er  insofern 
in  einer  glücklicheren  Lage,  als  Homer  in  Byzanz  nie  ganz  in  Ver- 
gessenheit geraten  war.  Schulbuch  war  er  immer  geblieben.  Aber 
wenn  man  bedenkt,  daß  auch  in  Byzanz  die  Darstellungen  des  Dictys 
und  Dares  vom  troischen  Kriege  lebendiger  waren  als  die  Homers, 
und  daß  das  byzantinische  Epos  sogar  von  Benoit  de  Sainte-More  ab- 
hängig war,  so  erscheint  des  Tzetzes  Auftreten  als  eine  nicht  geringe 
Tat.  Es  scheint  auch,  daß  das  Verständnis  Homers  bei  den  Gebildeten 
der  Zeit  zu  wünschen  übrig  ließ.  Wenigstens  sagt  Tzetzes  in  der 
Widmung  seiner  Homerischen  Allegorien  an  die  Kaiserin  Irene,  sie  ge- 
biete ihm,  den  tiefen  Okeanos  Homer,  der  die  ganze  Welt  umschließe, 
für  alle  gangbar  und  wegsam  zu  machen,  wie  Moses  für  die  Juden 
mit  dem  roten  Meer  getan  habe.  Wenn  sich  das  auch  mehr  auf  die 
Deutung  beziehen  mag,  so  geht  es  doch  wohl  auch  auf  die  Kenntnis 
Homers  überhaupt;  denn  nur  so  ist  das  Buch  ganz  zu  verstehen. 
Hierher  gehört  auch  das  einleitende  Wort  der  ExegesiSj  daß  Tzetzes 
der  erste  sei,  der  eine  Erklärung  Homers  in  einem  einzigen  Buche 
unternommen  habe.  Aus  dem  Altertum  fehle  ein  solcher  Versuch. 
Auch  seine  ScJiolienj  d.  i.  Erklärungen  zu  den  ersten  zwei  Büchern 
der  Ilias,  sowie  viele  Stellen  der  Exegese  und  einige  der  Allegorien 
beweisen,  wie  sehr  die  homerische  Sprache  in  Byzanz  der  Interpretation 
bedurfte. 

Tzetzes  ist  erst  nach  und  nach  zur  Interpretation  Homers  ge- 
langt. Vorher  schrieb  er  in  „etwas  bedenklichen  Hexametern"  ein 
Gedicht,  das  gewöhnlich  als  Antehomerica,  Homerica,  Fosthomerica 
bezeichnet  wird.  Er  macht  darin  den  Versuch  ein  historisches  Bild 
der  troischen  Geschichte  herzustellen.  Denn  Homer  gilt  ihm  durch- 
aus  als  historisches  Dokument. 

Seine  Kenntnisse  schöpft  er  zum  Teil  aus  Dictys  und  der  Welt- 
chronik des  Johannes  Malalas,  einem  geschichtlichen  Volksbuch  aus 
dem  6.  Jahrhundert,  das  sich  in  der  Darstellung  der  troischen  Er- 
eignisse vielfach  mit  Dictys  deckt.  Für  die  Posthomerica  verwendet 
Tzetzes    das    gleichnamige    Gedicht    des    Quintus    Smyrnaeus,    der 


Tzetzes  11 

wohl  im  4.  Jahrhundert  schrieb  und  in  der  Renaissancezeit  Quintus 
Calaber  genannt  wurde,  weil  die  einzige  Handschrift  1450  in  Kala- 
hrien  gefunden  wurde.  Dessen  Gedicht  ist  eine  stellenweise  ausgeschmückte 
Yersifikation  der  Abschnitte  der  Heldensage,  die  in  den  Schulen  gelesen 
wurden.  Ferner  liegt  den  Posthomerica  das  aus  dem  5.  Jahrhundert 
stammende  Poem  Tryphiodors  über  Trojas  Eroberung  zugrunde.  Das 
Mittelstück  ruht  im  wesentlichen  auf  der  Ilias,  aber  deren  Angaben  sucht 
Tzetzes  mit  seinen  übrigen  Vorlagen  in  Einklang  zu  bringen.  Das  gilt 
besonders  von  der  Motivierung  des  Zornes  des  Achilleus,  die  nach 
Tzetzes  eine  Erfindung  Homers  zugunsten  des  Achilleus  ist.  In  Wahr- 
heit war  die  Geschichte  ganz  anders  gewesen.  Wider  den  Eid,  alle 
Beute  abzuliefern,  hatte  Achilleus  Briseis  für  sich  behalten,  worüber 
die  Griechen  sehr  erzürnt  waren.  Odysseus  hatte  das  benutzt  um  Pala- 
medes  anzuschwärzen,  er  wolle  Achilleus  das  Zepter  übertragen,  und 
dafür  war  Palamedes  getötet  worden.  Jetzt  gab  Achilleus  Briseis  her- 
aus, zürnte  aber,  wesentlich  wegen  des  Todes  des  Palamedes,  und  ent- 
hielt sich  des  Kampfes.  Nun  kam  auch  die  Pest,  die  Palamedes  bisher 
fernzuhalten  gewußt  hatte.  Homer  hat  die  Sache  so  gedreht,  um  Achilleus 
nicht  meineidig  erscheinen  zu  lassen.  Das  Bezeichnendste  ist,  daß  es 
für  Tzetzes  keine  mithandelnden  Götter  gibt.  Ihre  Einmischung  wird 
entweder  übergangen  oder  allegorisch  gedeutet.  Was  dann  noch  übrig 
bleibt,  ist  Geschichte. 

Es  ist  schon  im  allgemeinen  bemerkenswert,  wie  unfrei  Tzetzes 
der  antiken  Überlieferung  gegenübersteht.  Nirgends  aber  zeigt  sich 
das  so,  wie  in  der  allegorischen  Auffassung  des  Mythus.  Man  weist 
mit  Recht  darauf  hin,  daß  diese  bei  den  Byzantinern  überhaupt 
beliebt  gewesen  ist.  Aber  das  Altertum  hatte  ihnen  eben  auch  ein 
böses  Erbe  hinterlassen.  Die  allegorische  Erklärung,  seit  Demokrit 
und  den  Kynikern  eifrig  gepflegt,  von  Piaton  abgelehnt,  hatte  durch 
Stoiker  und  Neuplatoniker  ein  festes  System  erhalten,  und  diese  Er- 
klärungen wurden  in  Byzanz  gläubig  übernommen  und  weiter  ge- 
bildet. Es  wäre  interessant  zu  untersuchen,  wie  viel  Eigenes  Tzetzes 
noch  hinzugetan  hat.  Daß  er  es  tat,  sagt  er  selbst.  In  den 
Homerica  tritt  die  Allegorie  noch  selten  auf  und  nur,  wo  die  Götter 
nicht  umgangen  werden  können.  Das  Göttergespräch  im  Anfang  des 
vierten  Buches  der  Ilias  wird  so  erklärt:  nach  dem  Zweikampf  des  Mene- 
laos  und  Alexandres  war  ein  böse  Konstellation.  Die  Planeten  Mars 
und  Saturn  standen  zugleich  am  Himmel,  im  Geviertschein.  Das  be- 
deutete den  raschen  Untergang  Trojas.  Zugleich  erschien  ein  Komet, 
oder    vielleicht    meint  Homer  mit   seiner  niederfahrenden  Athene   den 


12  Das  Mittelalter 

Planeten  Merkur.     Im   übrigen  ist  der  Auszug  aus  der  Ilias  in  vielen 
Teilen  äußerst  knapp. 

Zu  eingehender  Beschäftigung  mit  Homer  geht  Tzetzes  in  der 
Exegesis  zu  Homet's  Ilias  über,  1143.  Sie  mutet  wie  ein  Kollegienheft 
oder  wie  die  Präparation  eines  Gymnasiallehrers  an  und  war  wohl  ur- 
sprünglich auch  eine  solche.  Sie  beginnt  mit  den  Mitteilungen  über 
die  Heimat  Homers,  sein  Leben  und  seinen  Aufenthalt  in  Ägypten,  wo 
er  die  Wissenschaft  lernte.  Tzetzes  verteidigt  ihn  gegen  den  Vorwurf, 
als  habe  er  die  troische  Geschichte  von  Sisyphos  von  Kos  oder  Dictys 
erfahren,  die  man  damals  als  Zeitgenossen  des  troischen  Krieges  be- 
trachtete. Homer  hat  nicht  lange  nach  dem  Kriege  gelebt  und  die 
Geschichte  vielleicht  von  Odysseus  gehört. 

Homer  hat  nicht  an  göttliche  Personen  geglaubt.  Was  er  von 
ihnen  sagt,  ist  alles  allegorisch  zu  verstehen.  Die  Allegorie  ist  ent- 
weder rhetorisch  und  nur  zur  Bezauberung  der  Lesenden  geschrieben, 
um  die  kindlichen  Gemüter  zum  Lesen  willfähriger  zu  machen;  hier- 
her gehören  die  Schilderungen  von  Ungeheuern,  die  es  nie  gegeben  hat. 
Oder  sie  ist  physikalisch.  Der  die  Pfeile  sendende  Apollon  ist  die 
Sonne,  deren  Hitze  die  Pest  erregt.  Die  Götter  sind  Elemente  oder 
geistige  Eigenschaften.  Dazu  kommt,  was  Tzetzes  die  mathematische 
Allegorie  nennt,  die  Deutung  der  Götter  als  Planeten,  von  denen  die 
menschlichen  Geschicke  abhangen. 

Dann  hat  Homer  auch  viel  zur  Belehrung  und  Erziehung  der 
Menschen  gearbeitet.  Die  Büsser  im  Hades  sind  zu  diesem  Zweck  er- 
funden. Mit  dem  Zorn  des  Achilleus  beginnt  er,  weil  er  zeigen  will, 
was  der  Zorn  bewirke,  und  daß  man  die  Besten  nicht  kränken  dürfe. 
Mit  dem  zehnten  Jahre  des  Krieges  beginnt  Homer,  weil  der  Dichter 
mit  dem  Notwendigsten  beginnen  muß.  Da  die  Ilias  der  Verherrlichung 
des  Achilleus  gilt,  sind  dessen  Tod  und  die  Einnahme  der  Stadt  nicht 
erzählt.  Das  Gedicht  heißt  Ilias  und  nicht  Achilleis,  weil  der  Ruhm 
die  Stadt  bezwungen  zu  haben  dem  Achilleus  allein  bleiben  soll. 

Die  Erklärungen  selbst  sind  entweder  grammatisch  oder  allegorisch. 
Zu  den  letztem  kommt  die  des  Euemeros  hinzu,  nach  welcher  die  Götter 
einst  große  oder  weise  Menschen  der  Vorzeit  ^aren.  Zeus  ist  physikalisch 
genommen  die  Luft,  geschichtlich  ein  König  der  Vorzeit;  wenn  sonst 
nichts  hilft,  wird  er  auch  als  Schicksal  erklärt.  Wenn  daraus  Ver- 
wirrung entstanden  ist,  so  sind  die  Dichter  schuld,  die  nicht  unter- 
schieden, weil  sie  durch  die  Fabeln  die  Hörer  berücken  wollten.  Eine 
ästhetische  und  psychologische  Erklärung  des  Dichters  hat  Tzetzes 
nirgends  versucht.     Die  Allegorie  nimmt   seine   ganze  Seele  gefangen, 


Tzetzes    Eustathios  13 

lind  mit  steigendem  Eifer  behandelt  er  sie.  Man  ist  versucht  zu  glauben, 
er  habe  durch  diese  Erklärung  der  homerischen  Götter  das  Heidentum 
Homers  bei  seinen  orthodoxen  Lesern  zu  verwischen  gesucht. 

Die  Exegese  ist  nicht  über  die  ersten  100  Verse  des  ersten  Buches 
hinausgekommen.  Ursache  davon  ist  wohl  der  Plan  eines  neuen  Buches, 
das  Tzetzes  1145  begann,  die  Homerisclien  Allegorien,  In  den  Schlacht- 
beschreibungen ist  dieses  Gedicht  fast  eine  Paraphrase  der  Ilias.  Da- 
neben gibt  es  Stellen,  welche  die  Kenntnis  des  Originals  erfordern; 
andere,  die  nur  die  allegorische  Erklärung  enthalten.  Wir  werden 
kaum  fehl  gehen,  wenn  wir  annehmen,  Tzetzes  habe  vorausgesetzt, 
daß  seine  Leser  den  Homer  in  der  Hand  halten.  Die  Allegorien  sind 
also  ein  Hilfsbuch.  Im  Verlauf  wird  der  Vortrag  ermüdend.  Unerträgliche 
Wiederholungen,  Mangel  an  Ordnung,  geschwätziges  Breittreten  von 
Dingen,  die  längst  erledigt  sind,  treten  mehr  und  mehr  hervor.  In 
dieser  Beziehung  ist  das  18.  Buch  das  schlimmste.  Der  sinkende  Fleiß 
zeigt  sich  auch  darin,  daß  Tzetzes  die  Ilias  in  den  späteren  Büchern  öfters 
wörtlich  zitiert. 

Ungleich  bedeutender  ist  der  gewaltige  Homerkommentar  des 
Eustathios,  Bischofs  von  Thessalonike,  gest.  um  1192.  Es  ist  zu- 
nächst das  Werk  eines  riesenhaften  Fleißes.  Was  'dem  Verfasser  an 
Resten  antiker  Wissenschaft  erreichbar  war,  hat  er  verarbeitet.  Wir 
ünden  graramatische  Notizen,  Erwägungen  über  Etymologie,  Genealogie 
der  Helden,  Nachrichten  über  die  kritische  Tätigkeit  der  alexandrinischen 
Philologen,  geographische  und  historische  Erklärungen,  Auszüge  aus 
den  rhetorischen  Schriften  des  Altertums.  Der  allegorischen  Auslegung 
der  Mythen  entrichtet  auch  Eustathios  seinen  Tribut;  er  deckt  sich  hier 
vielfach  mit  Tzetzes,  weil  sie  gemeinsame  Quellen  hatten.  Daneben  aber 
^eht  die  mythische  Auslegung,  d.  h.  die  Anerkennung,  daß  die  homerischen 
Götter  wirklich  einmal  Gestalten  eines  Glaubens  waren.  Was  an  dem 
Werk  das  Erfreulichste  ist,  das  sind  die  ästhetisch -poetischen  Inter- 
pretationen, in  denen  Eustathios  mit  Liebe  und  Verständnis  der  Ver- 
knüpfung und  Motivierung  der  Handlung  nachgeht;  hier  dürfte  wohl 
viel  eigenes  Gut  sein.  Dafür  ein  Beispiel.  Nach  dem  Zweikampf  zwischen 
Alexandros  und  Menelaos  hat  Homer  die  Entscheidung  djirüber,  wie  es 
nun  weiter  gehen  solle,  in  den  Olymp  verlegt.  Das  motiviert  Eustathios 
folgendermaßen.  Durch  den  Zweikampf  ist  der  Krieg  abgebrochen,  beide 
Heere  sitzen  imgerüstet  da,  Alexandros  ist  besiegt.  Der  Sieg  gehört, 
wie  Zeus  anerkennt,  dem  Menelaos,  und  es  muß  entweder  Helene  zurück- 
gegeben werden,  weil  Paris  besiegt  ist,  oder  ein  Gericht  zusammentreten, 
da  er  nicht  auch  getötet  ist.     Nun  konnte  der  Dichter  nicht  erfinden. 


14  Das  Mittelalter 

daß  das  geschehen  sei,  um  der  Tradition  willen,  und  so  mußte  er  darauf 
sinnen,  wie  er  die  abgebrochene  Schlacht  wieder  anknüpfe.  Und  nach- 
dem Zeus,  der  als  Verstand  zu  fassen  ist,  in  dem  Dichter  vieles  er- 
wogen hatte,  fand  er  nichts  Überzeugenderes  und  leichter  Darstellbares, 
als  daß  der  Vertrag  von  einem  der  Troer  gebrochen  würde.  Da  alle 
Troer  den  Alexandros  haßten,  verfiel  er  auf  den  Lykier  Pandaros. 
Während  nun  Agamemnon  sein  Recht  fordert,  zögern  alle  andern,  da 
sie  nicht  widersprechen  können;  Pandaros  aber  schießt  heimlich  auf 
Menelaos,  und  darauf  machen  sich  die  Troer  vor  den  Hellenen  zum 
Kampfe  auf,  da  sie,  wie  es  wahrscheinlich  war,  meinen,  es  sei  ein  von 
ihrem  Könige  ausgedachter  Plan.  Das  ist  die  eigentliche  Absicht  des 
Dichters;  aber  um  sie  erhabener  und  glaubwürdiger  zu  gestalten,  führte 
er  den  Plan  auf  die  Götter  zurück,  als  wollte  er  sagen,  daß  infolge 
des  Zweikampfes  nichts  die  Beilegung  des  Kampfes  und  den  endgiltigen 
Friedensschluß  verhindert  hätte,  wenn  nicht  von  oben  auf  den  Beschluß 
der  Götter  hin,  sei  es  der  mythisch  oder  allegorisch  gedeuteten,  ein  Hinder- 
nis da  gewesen  wäre.  Die  Einleitungen  enthalten  Vergleichungen  zwischen 
den  beiden  homerischen  Epen,  Mitteilungen  über  die  Geschichte  der 
homerischen  Poesie  und  über  ihre  Wirkung  auf  die  spätere  Kultur,  wie 
denn  Eustathios  auch  im  Kommentar  die  Tragiker  und  andere  Dichter 
sehr  oft  zur  Vergleichung  heranzieht. 

Das  Werk  wird  nicht  mehr  viel  benutzt,  weil  es  durch  die  Ent- 
deckung der  Scholien,  d.  h.  der  in  den  Homerhandschriften  enthaltenen 
Erklärungen,  ersetzt  ist.  Nur  wo  diese  mangelhaft  sind,  wie  im  zweiten 
Teil  der  Odyssee,  füllt  Eustathios  in  erwünschter  Weise  die  Lücke  aus. 
Aber  in  der  Renaissancezeit,  zumal  in  Italien  und  Frankreich,  hat  es 
eine  gewaltige,  nur  zu  große  Wirkung  geübt,  die  bis  gegen  das  Ende 
des  18.  Jahrhunderts  spürbar  ist.  Eine  Einsicht  in  die  ästhetischen 
Erklärungen  ist  auch  heute  noch  von  Interesse  und  vielfach  fördernd. 


ITALIEN. 

Dante  hat  Homer  nicht  gekannt,  sondern  nur  geahnt,  wenn  er 
ihn  den  Meister  des  höchsten  Gesanges  nennt,  der  über  den  andern  wie 
ein  Adler  schwebe.  Von  den  sechs  Homerzitaten  in  Dantes  Werken 
stammen  fünf  aus  den  Schriften  des  Aristoteles,  eines  aus  der  Ars  Poetica 
des  Horaz.  Merkwürdig  ist,  daß  Dante  an  der  Trojasage  weiter  ge- 
dichtet hat:  er  erfindet  eine  neue  Version  vom  Tode  des  Odysseus. 
Dessen  Seele  erzählt  dem  Dichter,  daß  ihm  nach  seiner  Abreise  von 
Kirke  die  Sehnsucht  nach  den  Lieben  zuhause  den  heißen  Drang  nicht 
besiegen  konnte,  die  Welt,  die  Tugenden  und  Laster  der  Menschen  kennen 
zu  lernen.  So  fuhr  er  denn  mit  seinem  Schiff  durch  die  Säulen  des  Herakles 
bis  zum  Äquator;  dort  entdeckten  sie  in  der  Feme  einen  braunen  Berg 
von  nie  gesehener  Höhe.  Von  diesem  aber  erhob  sich  bald  ein  gewaltiger 
Sturm,  der  das  Schiff  in  die  Tiefe  riß. 

Die  Neuentdeckung  Homers  im  Abendlande  knüpft  sich  an  den 
Namen  Petrarca.  Der  große  Begründer  des  Humanismus  sah  beim 
Studium  seiner  alten  Römer,  wie  sehr  sie  in  den  Griechen  ihre  un- 
erreichten Vorbilder  verehrten,  und  faßte  den  Gedanken  selbst  Griechisch 
zu  lernen,  um  zu  den  Schätzen  der  hellenischen  Poesie,  Philosophie 
und  Geschichte  vordringen  zu  können.  Gelegenheit  zur  Erfüllung  seines 
Wunsches  fand  er,  als  er  1339  in  Avignon  den  Kalabresen  Barlaamo 
kennen  lernte,  der  im  Auftrage  des  Kaisers  Andronikos  HL  mit  Papst 
Benedikt  XH.  Verhandlungen  über  die  kirchliche  Union  anknüpfen 
sollte.  Von  1342  an  finden  wir  ihn  in  Verbindung  mit  Petrarca,  der 
sich  von  ihm  im  Griechischen  unterrichten  ließ,  vornehmlich  um  den 
Originaltext  Piatons  verstehen  zu  lernen.  Die  großen  Hoffnungen,  in 
denen  sich  Petrarca  gewiegt  hatte,  erfüllten  sich  indessen  nicht  und 
konnten  sich  auch  nicht  erfüllen.  Barlaamo  war  weder  ein  Philolog 
noch  ein  Lehrer,  und  an  Hilfsmitteln  des  Unterrichts  fehlte  es  gänzlich. 
Den  glücklichen  Erfolg,  auf  den  Petrarca  dennoch  hoff'te,  verhinderte 
er  selbst  dadurch,  daß  er  für  Barlaamo  den  Bischofssitz  von  Gerace  in 
Kalabrien  erwirkte. 

Im  Jahre  1353  kam  dann  ein  vornehmer  Byzantiner,  Nikolaos 
Sigeros,   wieder  in  Angelegenheiten  der  Union,  nach  Avignon.     Pe- 


16  Italien 

trarca  bat  ihn  im  Ostreich  nach  Handschriften  Ciceros  zu  forschen  und 
erhielt  bald  darauf  von  ihm  ein  Exemplar  Homers.  Außerordentlich 
ist  die  Freude,  die  sein  Dankschreiben  ausdrückt.  Er  bedauert  nur,  daß 
Barlaamo  tot  und  Sigeros  so  fern  sei,  daß  ihm  Homer  stumm  bleiben 
müsse.  So  könnte  er  nichts  tun  als  seinen  Homer  umarmen  und 
seufzend  sagen:  0  großer  Mann,  wie  begierig  würde  ich  dich  hören! 
Doch  hofft  er  gleich  Cato  noch  im  Alter  Griechisch  zu  lernen. 

In  seinen  Bestrebungen  wurde  Petrarca  von  seinem  Freund  und 
Schüler  Boccaccio  aufs  eifrigste  unterstützt.  Als  im  Jahre  1360 
Leonzio  Pilato,  wahrscheinlich  ein  Kalabrese,  von  Byzanz  nach 
Italien  kam,  verschaffte  ihm  Boccaccio  einen  Lehrstuhl  am  Studio  von 
Florenz,  nahm  ihn  in  sein  Haus  auf  und  suchte  bei  ihm  Einführung 
in  die  griechische  Sprache.  Durch  Petrarca  aufgemuntert  veranlaßte 
er  Pilato  zu  einer  lateinischen  Übersetzung  Homers.  Ein  Exemplar 
der  Gedichte  konnte  in  Padua  erstanden  werden.  Es  wird  behauptet, 
der  Unterricht  Pilato's  habe  Boccaccio  wenig  gefördert.  Aber  dessen 
großes  Werk,  die  Genealogia  deorum  gentilium,  die  erste  antike  My- 
thologie der  Neuzeit,  registriert  in  sehr  großem  Umfange  die  An- 
gaben Homers,  zum  Teil  recht  ausführlich,  was  doch  eine  bedeutende  Ver- 
trautheit mit  ihm  voraussetzt.  Auch  kann  man  Pilato  deswegen  noch 
nicht  einen  Unwissenden  nennen,  weil  er  seinem  Schüler  Erklärungen 
gab,  die  uns  heute  seltsam  berühren.  Wenn  er  den  Xamen  Achilleus  so 
erklärt,  daß  der  Held  bei  Chiron  ohne  die  gewöhnliche  Nahrung  (chilös 
Futter)  aufgewachsen  sei,  so  hat  er  diese  Etymologie  nicht  erfunden. 
Tzetzes  und  Eustathios  kennen  sie.  Sie  war  also  in  Byzanz  adoptiert 
und  geht  bis  ins  Altertum  zurück:  zuerst  erwähnt  finden  wir  sie  bei 
Euphorion  von  Chalkis,  einem  Dichter  des  3.  Jahrhunderts  v.  Chr.  Nicht 
anders  steht  es  mit  den  allegorischen  Erklärungen  Pilato's,  deren  Boccac- 
cio in  seiner  Mythologie  gedenkt.  Ein  Teil  davon  läßt  sich  auch  bei 
Eustathios  nachweisen.  Pilato  war  also  nicht  ein  Unwissender,  sondern 
im  Sinne  seiner  Zeit  ein  Gelehrter,  der  die  in  Byzanz  herrschende  alle- 
gorische und  auch  rationalistische  Erklärungsweise  gut  kannte.  Der 
Zeit  Boccaccio's  war  sie,  wie  schon  aus  seinem  Buch  hervorgeht,  ohne- 
hin sympathisch,  bildete  sie  doch  eine  gute  Verteidigungswaffe  gegen 
die  Angriffe  der  Scholastik  auf  die  Poesie.  Für  die  großen  Florentiner 
des  Trecento  besteht  die  Aufgabe  der  Poesie  geradezu  darin,  die  Wahr- 
heit der  Dinge  mit  schönen  Schleiern  zu  schmücken.  Diese  Auffassung 
ist  später  zurückgetreten,  ohne  je  gänzlich  zu  erlöschen. 

Pilato's  lateinische  Prosaübersetzung  Homers  wird  mit  Recht  ge- 
scholten und  ist  weder  zuverlässig  noch  gut  lateinisch.    Vers  für  Vers 


> 


Petrarca   Boccaccio    Pilato  17 

wörtlich  und  mit  vielen  Mißverständnissen  übertragen.  Aber  sie 
erfüllte  doch  den  ersten  Wunsch  der  Auftraggeber,  nämlich  den  zu 
erfahren,  was  eigentlich  im  Homer  stehe.  Gegen  Ende  des  Jahres  1360 
dankt  Petrarca  Boccaccio  für  die  Übersendung  eines  Teils  der  Abschrift 
der  Übersetzung  und  sagt,  er  habe  vor  allem  wissen  wollen,  wie  der 
blinde  asiatische  Dichter  die  italischen  Einöden  beschrieben  habe,  sei 
es  nim  Aeolien,  d.  i.  die  Liparischen  Inseln  oder  der  Avemussee  und 
das  Vorgebirge  Circei.    Das  Interesse  war  zunächst  ein  rein  stoffliches. 

Die  Spuren  von  Pilato's  Übersetzung  finden  wir  außer  bei  Boccaccio 
in  dem  Kommentar,  den  Benvenuto  da  Imola  1380  zur  Divina 
Coramedia  geschrieben  hat.  Der  Kommentator,  der  selbst  kein  Griechisch 
verstand,  hat  Homer  28 mal  zitiert. 

Im  Jahre  1363  kehrte  Pilato  nach  Byzanz  zurück.  Er  hatte  ge- 
leistet, was  von  ihm  erwartet  worden  war:  die  beiden  großen  Humanisten 
kannten  jetzt  den  Inhalt  der  homerischen  Gedichte.  Von  deren  Ver- 
wertung bei  Petrarca  seien  hier  einige  Beispiele  angeführt. 

In  der  Schrift  De  sui  ipsius  et  multoriim  ignorantia  1367  setzt  er 
auseinander,  er  werde  der  Unwissenheit  beschuldigt,  weil  er  nicht  auf 
die  Autorität  des  Aristoteles  schwöre,  der  in  seiner  Ethik  die  Glück- 
seligkeit ansehe  wie  die  Eule  die  Sonne,  und  weil  er  ein  guter  Christ 
sei.  Die  Gegner,  die  ihn  herunterreißen,  erstreben  die  Wissenschaft 
von  Dingen,  die  nur  Gott  vorbehalten  seien.  Nicht  nur  die  Kirche 
verbiete  das  ünerfor schliche  zu  erforschen,  auch  bei  Cicero  und  Demo- 
kritos  finde  sich  ähnliches.  Am  frühesten  und  schärfsten  äußere  sich 
Homer,  dessen  Zeus  seiner  Gemahlin,  der  höchsten  Göttin,  verbiete  nach 
seinen  innersten  Geheironissen  zu  forschen.  Lange  vor  Aristoteles  habe 
Homer  die  Einheit  der  Regierung  gefordert.  Denn,  „wie  uns  in  la- 
teinischer Sprache  übermittelt  ist",  sagt  er:  „Nichts  Gutes  ist  die  Viel- 
heit der  Gebieter  (numinum);  einer  soll  Herr  sein,  einer  König".  Zum 
Beweise,  daß  bei  Homer  der  Neid  in  Thersites  verkörpert  sei,  gibt  er 
dessen  Schilderung  wörtlich  auf  lateinisch.  Diese  Zitate  konnte  Petrarca 
nur  aus  Pilato's  Übersetzung  haben.    Er  hat  sie  offenbar  eifrig  studiert. 

Auf  seine  und  Boccaccio's  epische  Dichtung  konnte  Homer  schon 
darum  keine  Wirkung  ausüben,  weil  diese  ihre  Tätigkeit  vor  den  Besuch 
Pilato's  fällt.  Petrarcas  Äfrica,  ein  Epos,  dessen  Held  Scipio  Africanus 
ist,  hatte  den  Abschluß  schon  1343  erhalten.  Boccaccio's  Filostrato, 
ein  in  Oktaven  abgefaßtes  italienisches  Epos  über  Troilus  und  Griseida, 
und  die  in  gleicher  Form  geschriebene  Teseide  sind  wenig  später  er- 
schienen. Wenn  sie  in  Personen  und  Kunstmitteln  antiken  Einfluß 
zeigen,  so  ist  dieser  römisch,  nicht  homerisch. 

Finaler:  Homer  in  der  Neuzeit.  2 


18  Italien 

Ein  Brief  Petrarca's  an  Homer  vom  9.  Oktober  1360  faßt  alle 
HoffiauDgen  und  GefüMe  zusammen,  welche  die  zu  erwartende  Über- 
setzung erweckte.  Der  Brief  ist  die  Antwort  auf  eine  von  Bologna 
aus  im  Namen  Homers  an  Petrarca  gerichtete  Epistel,  wenn  die  Ver- 
anlassung nicht  fingiert  ist.  Im  Eingang  weist  Petrarca  auf  den  Homerus 
Latinus  hin,  der  den  Dichter  den  Abendländern  nicht  nahe  gebracht 
habe.  Jetzt  werde  sein  Werk  den  Lateinern  zugänglich  gemacht  werden. 
Eine  Probe  der  Übersetzung  lehre,  daß  Homer  auch  in  lateinischer 
Prosa  gefalle.  Von  den  vielen  Werken  des  Dichters  habe  man  in  Italien 
nicht  einmal  den  Namen  gekannt.  Petrarca  beklagt  den  Untergang  so 
vieler  Epen. 

Eine  Stelle  des  Briefes  an  Homer  behandelt  die  Frage,  ob  Homer 
oder  Virgil  der  größere  Dichter  sei.  Dem  Italiener  des  14.  Jahrhunderts 
konnte  die  Antwort  nicht  schwer  fallen.  Virgil  war  für  ihn  das  un- 
erreichte Muster  epischer  Poesie,  in  Stil  und  Sprache  das  Vorbild  für 
jeden  humanistischen  Dichter,  während  den  Homer  noch  niemand  kannte. 
Aber  da  gab  es  aus  dem  römischen  Altertum  Stimmen,  die  nachdenk- 
lich machen  konnten.  Das  Verhältnis  Virgils  zu  Homer  war  in  den 
Kreisen  der  römischen  Gelehrten  vielfach  erörtert  worden.  Von  den 
zwei  wichtigsten  Schriften,  die  davon  Zeugnis  geben,  war  des  Servius 
großer,  im  4.  Jahrhundert  n.  Chr.  geschriebener  Kommentar  zu  den 
virgilischen  Gedichten  dem  Petrarca  offenbar  noch  unbekannt.  Servius 
zieht  in  seinen  Erklärungen  beständig  die  parallelen  Stellen  Homers 
heran  und  kommt  zu  dem  Schlüsse,  Virgil  sei  dem  Homer  gefolgt^ 
wenn  auch  in  weitem  Abstände,  aber  dennoch  gefolgt.  Dagegen  kannte 
Petrarca  den  Macrobius,  einen  römischen  Schriftsteller  des  4.  und 
5.  Jahrhunderts  n.  Chr.,  auf  den  er  in  dem  Briefe  an  Homer  selbst 
verweist.  In  dessen  Saturnalia,  die  nach  beliebter  antiker  Sitte  in  Form 
von  Gesprächen  abgefaßt  sind,  wird  das  Verhältnis  der  beiden  Dichter 
eingehend  erörtert.  Im  5.  Buch  feiert  zuerst  Eusebius,  einer  der  Tisch- 
genossen, in  überschwenglichen  Worten  Virgils  rhetorische  Kunst,  deren 
Mannigfaltigkeit  sich  mit  der  der  Welt,  also  der  Dichter  mit  dem  Schöpfer, 
vergleichen  lasse.  Darauf  bemerkt  Euaagelus  höhnisch,  der  mantuanische 
Bauer  Virgil  könne  keinen  einzigen  griechischen  Rhetor  oder  überhaupt 
Schriftsteller  gekannt  haben  und  werde  deshalb  zutreffend  mit  dem 
Weltschöpfer  verglichen,  der  alles  aus  dem  Nichts  erschaffen  habe.  Da- 
gegen erhebt  sich  Eustathius  mit  der  Behauptung,  daß  selbst  kein 
Grieche  eine  solche  Fülle  griechischer  Gelehrsamkeit  in  sich  aufgenommen 
habe  wie  Virgil.  Er  zeigt  mit  Aufwand  von  gewaltigem  Material,  wie 
wunderbar    glücklich  Virgil   besonders    den  Homer  nachgeahmt  habe. 


Petrarca    Servius^  Macrobius  19 

Während  aber  die  Rede  des  Eustathius  eine  Verteidigung  des  römischen 
Dichters  gegen  den  Vorwurf  der  Unwissenheit  bedeuten  sollte,  wird 
sie  ganz  von  selbst  zu  einer  Herabsetzung  gegenüber  dem  Vorbild 
Homer. 

Petrarca  gibt  nun  unter  Hinweis  auf  Macrobius  zu,  daß  Virgil 
den  Homer  nachgeahmt  habe.  Gegen  den  Vorwurf  der  Undankbarkeit, 
daß  er  Homers  Namen  nicht  genannt  habe,  verteidigt  er  ihn  mit  seinem 
frühen  Tode.  Er  hatte  Homer  am  Schlüsse  seines  unvollendet  gebliebenen 
Werkes  einen  Ehrenplatz  bestimmt,  wie  Statins  dem  Virgil  tat. 

In  seinem  letzten  Werk,  den  Trionfi,  1357 — 1373,  läßt  Petrarca 
neben  Homer  Seite  an  Seite  Virgil  einher  schreiten,  der  gleich  rühmlich 
tumiere  wie  er.  Bei  dieser  ausgleichenden  Beurteilung  ist  es  später 
nicht  geblieben.  Der  Streit  um  die  Wertschätzung  beider  Dichter  hat 
bis  ins  18.  Jahrhundert  fortgedauert. 

Petrarca  hat  sich  nicht  in  der  Hoffnung  gewiegt  Homer  in  Ita- 
lien heimisch  zu  machen.  Wenige  kann  er  aufzählen,  die  in  seinem 
dem  Gewinn  ergebenen  Vaterlande  den  Dichter  lieben.  Zwar  lädt  er 
ihn  freundlich  ein  bei  ihm  in  Florenz  zu  verweilen,  kann  aber  nicht 
verschweigen,  daß  er  wenig  Beachtung  finden  werde.  Das  Streben  nach 
Reichtum,  das  Überwuchern  des  Handwerks,  die  unredliche  Jagd  nach 
politischer  Macht  würden  ihm  eine  Stellung  schaffen  wie  dem  Adler 
unter  Eulen,  dem  Löwen  unter  Affen,  die  ihn  verspotten.  Zu  helfen 
vermöge  er  nicht,  denn  Homers  Anhänger  gälten  als  Toren  und  würden 
aus  Haß  gegen  seinen  Namen  zerfleischt.  Aber  wenn  Pilato  mit  seiner 
IJbersetzung  fertig  sei,  werde  Homer  in  Petrarca's  Seele  wohnen. 

Es  scheint  denmach,  daß  sich  die  Abneigung  gegen  die  Griechen 
sogar  in  Angriffen  auf  die  wenigen  Männer  äußerte,  die  von  der  Be- 
fruchtung des  geistigen  Lebens  der  Heimat  durch  die  hellenische  Lite- 
ratur und  Wissenschaft  träumten.  Jene  Abneigung  hatte  ihren  Grund 
zunächst  in  der  Verschiedenheit  des  Glaubens,  welche  die  Paläologen 
vergeblich  zu  überbrücken  suchten.  Dann  sahen  die  Italiener  von  der 
Höhe  des  modernen  Humanismus  verächtlich  auf  die  Byzantiner  herab, 
welche  die  lateinische  Eloquenz  nicht  schätzten  und  nicht  lernen  wollten. 
Was  man  von  Griechen  zu  sehen  bekam,  war  zum  Teil  unlieblicher 
Natur.  So  erscheint  besonders  Pilato  als  ein  unappetitlicher,  stets 
mißvergnügter  Mensch,  ein  Vorläufer  der  griechischen  Schulmeister,, 
die  im  folgenden  Jahrhundert  massenhaft  nach  Italien  kamen  und  sich 
durch  Mangel  an  gesellschaftlichem  Takt,  Streitsucht,  Kriecherei,  Geld- 
gier ebenso  unbeliebt  machten,  als  man  auf  der  andern  Seite  ihrer 
Dienste  nicht  entraten  koim.te. 

2* 


20  'Italien 

Dennoch,  und  trotz  dem  von  Petrarca  beklagten  Überwiegen  der 
materiellen  Interessen,  bereitete  sich  gerade  in  Florenz  der  Boden  für 
die  AufQahme  der  griechischen  Literatur  und  Wissenschaft  vor.  Für 
eine  mittelalterliche  Stadt  stand  hier  die  Volksbildung  ungewöhnlich 
hoch,  und  die  großen  toscanischen  Dichter  bildeten  die  Lieblingsunter- 
haltung der  gebildeten  Kreise.    Das  Latein  war  sehr  vielen  geläufig. 

Die  entscheidende  Wendung  trat  ein,  als  im  Jahre  1382  der  reiche 
Adel  in  Florenz  zur  Herrschaft  kam.  Ein  reiches  und  heiteres  Leben, 
das  nicht  in  rohe  Genußsucht  ausartete,  schaffte  für  die  griechische 
Wissenschaft  den  Nährboden.  Zu  Beginn  des  neuen  Jahrhunderts  hätte 
Petrarca  nicht  mehr  zu  klagen  gehabt. 

In  der  ersten  Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  sehen  wir  die  neue 
humanistische  Kultur  in  der  Periode  des  Sammeins  begriffen,  und  zwar 
steht  auch  hier  noch  das  römische  Altertum  durchaus  im  Vordergrund. 
Das  eifrige  Suchen  nach  verschwundenen  Werken  der  lateinischen  Lite- 
ratur, durch  das  sich  besonders  Poggio  Bracciolini  hervortat,  ist 
dafür  der  beste  Beweis.  Kenntnis  der  römischen  Schriftsteller,  durch 
ihre  Hilfe  Überwindung  der  mittelalterlichen  Scholastik,  endlich  die 
eigene  Fähigkeit  in  den  alten  Formen  zu  sprechen  und  zu  schreiben, 
das  war,  was  man  erwartete  und  anstrebte.  Daneben  sehen  wir  das 
Griechische    nach    und   nach   dem   Lateinischen   an   die   Seite  wachsen. 

In  der  Leichenrede,  die  Lionardo  Bruni  genannt  Aretino  als 
Staatskanzler  von  Florenz  auf  Nanni  Strozzi  gehalten  hat,  verkündet 
er  nach  dem  Vorbilde  eines  antiken  Epitaphios  auch  den  Ruhm  der 
Stadt,  deren  angesehener  Bürger  der  Verstorbene  gewesen  war.  Für 
Sruni  ist  Florenz  die  Begründerin  der  literarischen  Studien,  die  seither 
in  Italien  einen  so  ungeahnten  Aufschwung  genommen  haben.  Florenz 
allein  hat  die  Kenntnis  der  griechischen  Literatur,  die  in  Italien  mehr 
als  siebenhundert  Jahre  in  Vergessenheit  geraten  war,  zurückgerufen 
und  uns  in  den  Stand  gesetzt  die  größten  Männer  des  Altertums  von 
Angesicht  zu  Angesicht  zu  schauen. 

Poggio  führte  in  der  Prunkrede,  die  er  1444  auf  Bruni's  Tod 
schrieb,  den  in  Florenz  neu  erwachten  Eifer  für  die  griechische  Lite- 
ratur auf  die  Berufung  des  Manuel  Chrysoloras  zurück.  Von 
Petrarca's  und  Boccaccio's  Bestrebungen  wird  keine  Notitz  genommen. 

Den  Übergang  zu  der  neuen  Zeit  bildet  die  Regierung  des  großen 
Staatskanzlers  von  Florenz,  Coluccio  di  Piero  de'  Salutati,  der 
sein  hohes  Amt  1375  antrat,  der  erste  humanistisch  Gebildete,  dem 
es   übertragen  wurde.    Ein  Bild  des  heiteren,   dem  fröhlichen  Verkehr 


Florenz    Chrysoloras  21 

^ne  angeregter  geistiger  Unterhaltung  gewidmeten  Lebens  gibt  die 
Schrift  11  Faradiso  degli  Alherti,  Erinnerungen  an  den  1389  in  der 
Villa  Paradiso  zusammengetretenen  Freundeskreis.  Eine  andere  Ge- 
sellschaft war  die  von  S.  Spirito,  dessen  Mittelpunkt  der  Augustiner 
Luigi  de'  Marsigli  war.  Von  diesem  wird  erzählt,  er  habe  einst 
im  Paradiso  einen  Vortrag  über  die  Verwandlung  der  Gefährten  des 
Odysseus  durch  Kirke  gehalten  und  sie  moralisch  erklärt:  Menschen 
könnten  nicht  durch  Zauberspruch  in  Tiere  verwandelt  werden,  wohl 
aber  bei  bestialischen  Handlungen  sich  selbst  und  andern  als  Tiere 
erscheinen.  Wir  erkennen  die  Herrschaft  der  allegorischen  Erklärung. 
^K  Von  neuem  erwacht  der  Trieb,  auch  die  griechische  Literatur  für 
^ie  Kultur  der  Heimat  zu  erobern.  Nicht  selten  gingen  junge  Männer 
I  nach  Konstantinopel,  um  das  Griechische  an  der  Quelle  zu  lernen. 
Einem  von  ihnen,  Giacomo  d'  Angiolo  da  Scarparia,  trug  Salutato 
auf,  so  viele  griechische  Bücher  als  möglich  von  dort  mitzubringen, 
vor  allem  ein  deutlich  auf  Pergament  geschriebenes  Exemplar  Homers. 
Die  entscheidende  Stunde  für  die  Wiedererweckung  der  griechischen 
Literatur  in  Florenz  schlug,  wie  Poggio  es  ausspricht,  mit  der  durch 
Salutato  bewirkten  Berufung  des  Manuel  Chrysoloras  an  das  Studio 
zu  Florenz.  Die  Berichte  über  seine  Lehrerfolge  veranlaßten  Salutato 
ihn  für  Florenz  zu  gewinnen.  Er  folgte  dem  Rufe  und  trat  seine  Lehr- 
tätigkeit gegen  Ende  1396  an,  unter  dem  Zudrange  der  erlesensten  Geister. 
Vor  allem  gab  er,  was  das  Wichtigste  war,  eine  griechische  Gramma- 
tik, die  Erotemata,  eine  Formenlehre  in  Fragen  und  Antworten.  Es  war 
eine  Bearbeitung  der  Grammatik  des  Dionysios  Thrax,  eines  Schülers 
Aristarchs,  ungefähr  170 — 90  v.  Chr.  Daneben  muß  Chrysoloras  eine 
hervorragende  Lehrgabe  besessen  haben.  Obwohl  er  schon  im  Jahre  1400 
Florenz  wieder  verließ,  hatte  er  doch  eine  Anzahl  bedeutender  Männer 
in  die  griechische  Sprache  und  Literatur  eingeführt  und  ihnen  auch 
das  tiefere  Verständnis  erschlossen.  Bis  in  ihr  hohes  Alter  gedachten 
sie  mit  Begeisterung  ihres  Lehrers. 

■  Die  nächstliegende  Aufgabe  der  in  den  neuen  Wissenskreis  Einge- 
dhten  schien  zu  sein,  der  gebildeten  Welt  die  Schätze  der  griechischen 
teratur  durch  Übersetzungen  zu  vermitteln.  Daß  diese  lateinisch  sein 
'  müßten,  stand  von  vornherein  außer  Frage.  Schien  doch  das  neu  er- 
weckte, durch  die  Bekanntschaft  mit  den  besten  Mustern  gereinigte 
Latein  wirklich  die  Sprache  der  modernen  Bildung  werden  zu  sollen. 
Für  die  Poesie  stand  ein  wie  es  schien  unerreichtes  Muster  zugebote, 
Virgil,  dessen  Formen  jeder  in  jedem  Lande  angewendet  hat,  der  Homer 
in  lateinischen  Versen  wiedergeben  wollte. 


^2  Italien 

Es  gehört  zu  den  Erfolgen  von  Chrysoloras,  daß  auch  über  das 
Wesen  der  Übersetzung  richtige  Anschauungen  Platz  griffen.  Noch 
kurz  vor  der  Ankunft  des  Byzantiners  1390  hatte  Salutato  gemeint, 
man  könnte  aus  Pilato's  schlechter  Prosaübersetzung  einen  ganz  schönen 
poetischen  Homer  machen;  man  müßte  nur  den  Glanz  und  die  Majestät  des 
Ausdruckes  steigern  und  alle  Kunstmittel  der  Poesie  anwenden.  Er  hatte 
den  jungen  Dichter  Antonio  Loschi  aufgemuntert  auf  diesem  Wege  das 
heroische  Epos  lateinisch  herzustellen.  Glücklicherweise  ist  nichts  daraus 
geworden,  und  seit  Chrysoloras  war  es  mit  dergleichen  Gedanken  vorbei. 

LionardoBruni  hat  sich  zuerst  an  eine  neue  Übersetzung  Homers 
gewagt,  jedoch  noch  nicht  in  Hexametern,  sondern  in  lateinischer 
Prosa.  Sie  umfaßt  nur  die  Reden  des  Odysseus,  Phoinix  und  Achilleus 
aus  dem  neunten  Buche  der  Ilias.  Nach  mehreren  Seiten  höchst  interessant 
ist  die  Vorrede.  Bruni  bewundert  an  Homer  vor  allem,  daß  der  Ruhm 
und  die  Kunst  der  Rede  schon  in  so  alter  Zeit  vorhanden  sind.  Odysseus 
und  Nestor  sind  hervorragende  Redner,  Achilleus  soll  durch  seinen  Er- 
zieher dazu  gebildet  werden.  Die  Redekunst  geht  also  in  die  ältesten 
Zeiten  hinauf,  da  ja  Homer  der  erste  griechische  Schriftsteller  ist.  Er 
ist  schon  ein  beiuahe  vollkommener  Redner.  Er  erblickt  das  Wesen 
der  Sache,  legt  es  klar  und  bringt  nicht  nur  die  Beweisgründe  bei, 
sondern  verwendet  auch  die  Affekte.  Schon  er  hat  die  drei  Arten 
der  Rede  gekannt,  die  feine  und  gedrängte,  die  gewaltige  und  erregte, 
endlich  die  mittlere,  die  wir  bald  die  maßvolle,  bald  die  mittelmäßige, 
bald  die  gemischte  nennen.  Die  erste  Art  leiht  er  dem  Odysseus,  die  E 
zweite  dem  Achilleus,  die  dritte  dem  Phoinix. 

Die  theoretische  Einteilung,  die  Bruni  hier  vorträgt,  weist  auf 
die  Kenntnis  des  Quintilian,  eines  Schriftstellers  aus  der  zweiten 
Hälfte  des  1.  Jahrhunderts  n.  Chr.,  von  dessen  Buch  IJher  die  Bildung 
zum  JRedner  Poggio  während  des  Konstanzer  Konzils  in  St.  Gallen  : 
eine  vollständige  Handschrift  gefunden  und  eigenhändig  abgeschrieben 
hatte,  zur  größten  Freude  Bruni's.  Höchst  wahrscheinlich  kannte 
dieser  auch  das  dem  Plutarch  zugeschriebene  Werk  über  Homer, 
das  die  genannte  Einteilung  ebenfalls  enthält  und  bald  eine  große 
Wirkung  ausübte.  Die  Anwendung  auf  die  Reden  des  9.  Buches  hat 
Bruni  selbst  gefunden,  da  sie  weder  bei  Quintilian  noch  bei  Plutarch 
steht.  Aber  daß  er  Homer  unter  dem  Gesichtspunkt  der  spätantiken 
rhetorischen  Theorie  betrachtet,  zeugt  von  der  auffälligen  Unfreiheit 
der  Humanisten  gegenüber  der  Tradition  des  Altertums. 

Sodann  geht  Bruni  auf  die  Prinzipien  'seiner  Übersetzung  ein. 
Er  hat   die  Reden  zu   seinem  Vergnügen  nach  rednerischer  Art  über- 


Bruni    Ciriaco  23 

setzt  und  zwar  in  Prosa.  Dabei  konnte  er,  wie  er  sagt,  die  Epitheta 
nicht  verwenden,  die  eine  Eigentümlichkeit  der  Dichter  sind,  aber  für 
den  Redner  gar  nicht  passen.  Dem  Dichter,  sagt  er,  ist  vieles  erlaubt, 
um  bei  seinem  erfundenen  Stoff  zu  ergötzen  und  Füße  und  Vers- 
glieder  leichter  auszufüllen.  Bei  dem  Redner,  der  die  Wirklichkeit 
darstellt,  würde  die  überflüssige  Worthäufung  die  Wahrscheinlichkeit 
und  das  Gewicht  der  Dinge  vermindern  und  hätte  in  einer  ernsten 
Sache  einen  gewissen  kindischen  Beigeschmack.  Wenn  man  daher 
Homer  in  Prosa  übersetzen  will,  so  muß  man  die  Epitheta  weglassen. 
Es  ist  von  Interesse  zu  sehen,  wie  schon  die  erste  Homerübersetzung, 
die  einen  festen  Stil  anstrebt,  mit  den  homerischen  Beiwörtern  zu  ringen 
hat.  Bruni  schließt  damit,  daß  ihn  die  Würde  rechtfertige,  die  aus 
seiner  Behandlung  resultiere.  In  jedem  Fall  zeigt  er  ein  gründliches 
Verständnis  des  Originals. 

Mit  Petrarca  hatte  die  Sammlung  der  erhaltenen  antiken  Literatur 
begonnen,  jetzt  wurde  sie  immer  eifriger  betrieben.  Systematisch  und 
im  großen  Stil  begann  die  Überführung  griechischer  Bücher  nach 
Italien  durch  die  Reisen,  welche  junge  Italiener  nach  Byzanz  machten, 
um  Griechisch  zu  lernen.  Unter  ihnen  ragt  Guarino  von  Verona 
hervor,  der  in  Byzanz  im  Hause  des  Chrysoloras  halb  als  Schüler, 
halb  als  Diener  weilte.  Der  Ruhm,  den  Grundstock  der  griechischen 
Literatur  nach  Italien  verpflanzt  zu  haben,  gebührt  Giovanni  Aurispa 
aus  Noto  in  Sizilien,  der  1423  mit  reichster  Ausbeute  an  griechischen 
Werken  von  Byzanz  nach  Venedig  kam  und  lebenslang  ein  eifriger 
Sammler  geblieben  ist. 

Die  Altertumskund-e  im  weitesten  Sinn  eröffnete  der  Kaufmann 
Ciriaco  de'  PizzicoUi  von  Ancona.  Mit  den  großen  italienischen 
Dichtern  vertraut,  war  er  durch  Dante  auf  Virgil  geführt,  durch 
diesen  mit  starker  Sehnsucht  nach  Homer  entzündet  worden.  Latein 
und  Griechisch  lernte  er  fast  ganz  aus  eigener  Kraft.  Auf  der  ersten 
großen  Forschungsreise,  die  er  1425  begann,  fand  er  in  einem  Kloster 
in  Leukosia  auf  Cypern  eine  alte  Handschrift  der  Ilias,  die  sein  vor- 
nehmster Lehrmeister  im  Griechischen  wurde,  wie  es  Virgil  für  das 
Lateinische  gewesen  war.  Noch  in  Leukosia  kam  eine  Odyssee  dazu. 
Auf  seiner  letzten  Reise  1447  fand  er  in  Ohios  eine  Grabschrift  des 
Homer,  die  ihm  die  Gewißheit  gab,  daß  der  Dichter  auf  dieser  Insel 
geboren  worden  sei.  Ciriaco  ist  der  erste,  dem  die  Kulturmacht  des 
griechischen  Altertums  ganz  zum  Bewußtsein  gekommen  ist.  Sein 
Enthusiasmus,   seine  Opferfreudigkeit,   die  nie   rastende  Lust  am  For- 


24  Italien 

sehen  machen  ihn  zn  einer  verehrungswürdigen  Gestalt.  Nicht  nur 
Bücher,  sondern  besonders  auch  Inschriften  und  Geräte  sammelte  er 
und  beschrieb  und  zeichnete,  was  er  sah.  So  besitzen  wir  von  ihm 
einen  Aufriß  des  damals  noch  unverwüsteten  Parthenon. 

In  seinem  Sammeln  wurde  Ciriaco  auf  großartige  Weise  durch 
Cosimo  de'  Medici  unterstützt,  der  seit  1434  die  Geschicke  von 
Florenz  leitete.  Die  Welt  erinnert  sich  bei  seinem  Namen  an  die  herr- 
liche Entfaltimg  der  Künste  in  Florenz.  Nicht  geringer  ist  sein  Ver- 
dienst als  Förderer  der  humanistischen  Bestrebungen,  in  denen  er  Salu- 
tato's  Werk  fortsetzte.  In  dem  Kreise  schöner  Geister,  der  sich  um 
ihn  scharte,  war  mancher,  der  den  großen  Kanzler  noch  gekannt  hatte^ 
neben  Bruni  vor  allem  Niccolö  de'  Niccoli,  die  eigentliche  Seele 
der  ganzen  Gesellschaft.  Er  berät  sich  mit  Guarino  über  die  Anschaffung 
griechischer  Bücher,  sucht  Aurispa's  Bücherschätze  für  Florenz  zu  ge- 
winnen und  führt  Ciriaco,  der  am  liebsten  mit  ihm  verkehrte,  in  die 
florentinische  Humanistengesellschaft  ein.  Niccoli's  großartige  Bücher- 
sammlung wurde  nach  seinem  Tode  durch  Cosimo  übernommen  und 
bildete  den  Grundstock  der  ersten  öffentlichen  Bibliothek,  die  in  dem 
Neubau  des  Klosters  S.  Marco  Aufaahme  fand.  Daneben  erwuchs  die 
reiche  mediceische  Privatbibliothek.  Das  Griechische  fand  in  Cosimo's 
Zeit  zunächst  eifrige  Pflege  durch  Francesco  Filelfo  aus  Tolentino 
in  der  Mark  Ancona,  der  1429  nach  Florenz  berufen  wurde  und  unter 
anderem  auch  die  Hias  erklärte. 

Unter  den  griechischen  Schriftstellern  ist  Homer  nicht  gerade  der, 
dem  damals  in  Florenz  das  größte  Interesse  entgegengebracht  wurde. 
Yiebnehr  konzentrierte  sich  dieses  auf  die  griechische  Philosophie,  auf 
Piaton  und  Aristoteles.  Doch  war  Homer  nicht  vergessen.  Carlo  Mar- 
suppini  aus  Arezzo,  daher  gleich  Bruni  Aretino  genannt,  dozierte  seit 
1431  am  florentiner  Studio  lateinische  Eloquenz  und  griechische  Sprache. 
Er  folgte  Bruni  als  Staatskanzler,  setzte  aber  dabei  seine  Vorlesungen 
fort.  An  ihn  richtete  Papst  Nico  laus  V.  die  Aufforderung  ihm  den 
Homer  in  lateinische  Verse  zu  übersetzen.  Denn  Marsuppini  hatte  sich 
schon  in  jungen  Jahren  durch  Übertragung  des  Froschmäusekriegs, 
eines  dem  Homer  zugeschriebenen  parodistischen  Gedichtes,  vorteilhaft 
bekannt  gemacht.  Er  übernahm  den  Auftrag  mit  jugendlichem  Feuer, 
kam  aber  nicht  über  das  erste  Buch  und  die  von  Bruni  in  Prosa  ge- 
gebenen Reden  des  9.  Buches  hinaus,  da  er  nach  deren  Vollendung  starb. 

Von  großem  Interesse  ist  Marsuppini's  poetische  Dedikation  seines 
Werkes  an  den  Papst.  Der  Versicherung,  daß  seine  Schultern  für  die 
Last  zu  schwach  seien,  folgt  die  schöne  Begründung:  Es  ist  unmöglich, 


Cosimo    Marsuppini  25 

sich  Homers  wechselvollem  Wege  anzubequemen.  Denn  er  jagt  bald 
mit  verhängten  Zügeln  dahin,  bald  zieht  er  die  Leitseile  an,  um  dann 
wieder,  sie  zugleich  nachlassend  und  anziehend,  in  richtiger  Mäßigung 
zu  laufen.  Und  wie  alle  Ströme  aus  dem  Ozean  fließen  und  aus  einem 
Ursprung  durch  die  Länder  laufen,  so  haben  alle  geheiligten  Dichter 
ihren  Ursprung  in  Homer.  Mit  ihm  tränken  sie  ihren  Mund,  und  er 
ist  ihrer  aller  Vater.  Wie  ein  Bergstrom  ist  er,  der  vom  Regen  des 
Gebirges  geschwellt  die  Brücken  zerstört  und  ungeheure  Felsen  wälzt. 
Jetzt  ist  sein  Bett  für  ihn  zu  groß,  jetzt  erreicht  er  die  Uferhöhe.  Bald 
hebt  er  sich,  einem  Sch^vane  gleich,  hoch  in  die  Lüfte,  bald  streift  er^ 
auf  seinem  Flügelpaar  von  der  Höhe  herabgeglitten,  in  tiefem  Fluge 
den  Boden,  dann  wieder  freut  er  sich  zwischen  Höhe  und  Tiefe  zu 
fliegen.  Starken  Herzens  ordnet  er  die  Reihen  zur  Schlacht,  kühn  ruft 
er  die  Himmlischen  zum  Kampf  und  trifft  der  Yenus  und  des  wilden 
Mars  geheiligte  Leiber  mit  dem  Schwert.  Nach  einer  gedrängten  In- 
haltsangabe der  Ilias  fährt  Marsuppini  fort: 

Das  singt  Homer  in  viermal  sechs  Büchern.  Er  erhebt  es  zum 
Teil  zu  größerem  Ernst  als  der  Kothurn  des  Tragikers,  zum  Teil  ver- 
bindet er  den  Becher  Vulcans  mit  dem  Soccus  der  Komödie,  und  die 
Hallen  der  Himmlischen  füllen  sich  mit  Gelächter;  bald  mäßigt  er  die 
Rede  dadurch,  daß  er  das  W^ort  durch  die  Tat  ersetzt. 

Es  folgt  die  Inhalts  angäbe  der  Odyssee  und  eine  Mitteilung  über 
die  manigfaltige  Mischung  der  Dialekte  bei  Homer;  dann  heißt  es  weiter: 

Den  Formen  der  Darstellung  schafft  er  das  Gesetz.  Mit  noch 
größerer  Weisheit  gibt  er  der  heftigen  Volksversammlung  die  Waffen 
in  die  Hand,  lehrt  die  häßlichen  Streitigkeiten  beilegen,  gibt  weise  Er- 
mahnungen und  führt  den  Rechtsstreit.  Die  Herzen  weiß  er  zu  sänftigen^ 
zu  beugen,  zu  belehren.  Bald  ein  kurzer  Redner,  bald  in  breiter  Rede, 
süß  und  herb,  verwendet  er  angemessen  die  Worte  und  wandelt  sie  in 
tausend  Formen.  Er  bessert  die  Sitten  der  Menschen  und  führt  frevel- 
hafte Seelen  zu  ihrer  Bestrafung  in  den  traurigen  Tartarus.  Auf  tausend 
Arten  quält  er  die  Elenden,  den  Froromen  aber  werden  fröhliche  Reiche 
bereitet.     Das  ganze  Gedicht  durchzieht  das  Lob  der  Tugend. 

Er  singt,  daß  es  nur  einen  Gott  gibt,  dem  die  Gestirne  gehorchen, 
das  Meer  und  die  Erde  und  die  übrigen  Urgründe  der  Dinge,  alle 
Obern  und  des  Hades  trauriges  Reich.  Daß  der  Menschen  Geschlecht 
fälschlich  seine  Schuld  auf  die  Geschicke  schiebe,  lehrt  er  durch  den 
Mund  des  Jupiter,  der  alle  Götter  zu  Zeugen  anruft  und  es  ausspricht, 
daß  sich  die  Menschen  selbst  das  Verderben  suchen.  Uns  freilich,  die 
wir  in  besseren   Zeiten  geboren   sind,   führt  der  wahre  Glaube,  führt 


26  Italien 

Paulus  zum  Himmel,  und  du,  treif liebster  Hirt.  Aber  es  ist  wunder- 
bar, daß  der  blinde  Dichter  so  viel  geseben  bat.  Damit  nicbt  zufrieden, 
■erzäblt  Homer  den  Ursprung  der  Welt,  alles  nacb  seiner  Ordnung,  die 
Sterne  und  ibre  Namen.  Was  der  Gesang,  was  gesendete  Träume  ver- 
mögen, füblt  er.  Immer  paßt  er  die  Yerbältnisse  des  Himmels  den 
ungeraden  Zablen  an  und  lebrt  das  die  Pytbagoreer,  um  es  zu  bewabren. 
Kurz,  eine  so  gelebrte  Dicbtung  ist  ein  redendes  Gemälde.  Homer  bat 
in  sein  Gedicbt  das  ganze  Wissen  seiner  Zeit  aufgenommen,  daber  sieb 
aucb  sieben  Städte  um  ibn  stritten. 

Aus  der  Widmung  seben  wir,  daß  Marsuppini  das  dem  Plutarcb 
^ugescbriebene  Bucb  Über  Homer  kennt,  in  welcbem  dieser  als  der 
Yater  aller  Diebter,  der  Urgrund  aller  Künste  und  Wissenschaften  dar- 
gestellt wird.  Ob  Marsuppini  aucb  Scbolien,  d.  b.  antike  Erklärungen 
zu  Homer,  bat  einseben  können,  ist  nicbt  deutlich.  Jedenfalls  hatte 
€iriaco  solche  gefunden  und  mitgebracht. 

Ob  die  Verknüpfung  der  Gestirne  mit  den  Geschicken  auf  byzan- 
tinischen Einfluß  zurückgebt,  muß  dahingestellt  bleiben,  da  ein  solcher 
"Gedanke  auch  zu  den  astrologischen  und  allegorischen  Neigungen  der 
Renaissance  paßt.  Aber  byzantinisch  ist  das  Bestreben,  Homer  zu  einem 
Monotheisten  zu  machen.  Wir  haben  gesehen,  mit  welcbem  Eifer  Tzetzes 
die  Meinung  verfocht,  Homer  habe  nicht  an  seine  Götter  geglaubt.  So 
frei  die  Zeit  der  Renaissance  auch  dachte,  so  war  es  doch  ratsam,  mit 
der  Kirche  nicbt  in  Konflikt  zu  kommen  und  deshalb  Homer  als  Vor- 
läufer christlicher  Off'enbarung  hinzustellen.  Diese  Auffassung  wurde 
ohne  Zweifel  von  den  byzantinischen  Lehrern  genährt.  Daß  selbst 
Marsuppini,  der  notorische  Heide,  sie  vertritt,  ist  sehr  charakteristisch. 

Davon  abgesehen  zeugt  die  ganze  Dedikation  von  einem  wahren 
Verständnis  Homers  und  einer  herzlichen  Liebe  zu  ihm.  So  auch  die 
Übersetzung,  welche  die  Fehler  aller  metrischen  Übersetzungen  bat. 
Der  Verszwang  verhindert  leicht  ein  volles  Ausschöpfen  des  Inhalts, 
zumal  in  einer  Zeit,  wo  der  Stil  durch  die  bewunderten  Vorbilder, 
Virgil  und  Ovid,  vorgeschrieben  war.  An  diese  wird  man  denn  auch 
in  Marsuppini's  Versen  beständig  erinnert.  Im  ganzen  aber  ist  dessen 
Leistung  ein  schöner  Beweis  für  die  Hingebung,  mit  der  Cosimo's  Kreis 
in  den  Homer  eingedrungen  war. 

Die  Widmung  Marsuppini's  führt  uns  an  den  Hof  des  Papstes 
Nicolaus  V.  Parentucelli.  Er  hatte  einst  dem  florentinischen  Kreise 
angehört  und  trat  nach  seiner  Wahl  in  Rom  in  glänzender  Weise  als 
Förderer  der  Künste  und  Wissenschaften  auf.  Zu  seinen  eifrigsten 
Bestrebungen  gehörte  es  die  FüUe  der  griechischen  Literatur  in  guten 


Marsuppini   Nicolaus  Y  27 

lateinisclieii  Übersetzungen  zu  besitzen.  Er  ist  in  diesem  Streben  dem 
Augustus  nicht  unähnlich.  Wie  dieser  sein  Augenmerk  darauf  richtete 
durch  die  griechische  Bildung  die  neue  römische  Kultur  zu  befruchten, 
so  stand  diesem  Papst  eine  durch  die  hellenische  Literatur  bereicherte 
imd  belebte  humanistische  Kultur  vor  Augen.  Daß  er  einem  Trugbilde 
nachjage,  konnte  ihm  in  der  Zeit  der  unbedingten  Herrschaft  der  neu- 
lateinischen Schriftsprache  nicht  zum  Bewußtsein  kommen;  wollte  er 
doch  nur  vollenden,  was  Petrarca  und  Boccaccio  angestrebt  hatten. 

Unter  den  Wünschen  des  Papstes  stand  in  erster  Linie  der  nach 
einer  Übersetzung  Homers  in  lateinischen  Hexametern.  Der  für  das 
Unternehmen  geeigneteste  Mann,  Marsuppini,  starb  ein  halbes  Jahr  nach 
den  ersten  Versuchen.  Ein  zweiter,  der  sich  an  die  Aufgabe  machte, 
war  Orazio  Romano,  von  dessen  Übersetzung  die  ersten  58  Verse 
des  ersten  Buches  der  Ilias  erhalten  sind.  Von  dem  Leben  des  Dichters 
ist  wenig  bekannt,  dagegen  zeigt  ihn  ein  erst  kürzlich  gedrucktes  Epos 
PorcariOy  in  dem  er  die  Verschwörung  des  Stefano  de'  Porcari  besingt, 
als  einen  der  Humanisten  und  Lobredner  am  Hofe  Nicolaus  V.  Das 
kleine  Bruchstück  Homers  ist  eleganter  als  der  Versuch  Marsuppini's, 
aber  der  Florentiner  übertrifft  Orazio  an  Treue  und  Verständnis.  Letzterer 
hat  auch  nach  des  Papstes  Tode  noch  an  seiner  Übersetzung  gearbeitet 
und  muß  mehrere  Bücher  übertragen  haben.  Wie  weit  er  gekommen 
ist,  wissen  wir  zur  Stunde  noch  nicht. 

Der  dritte,  dem  der  Papst  die  Aufgabe  übertragen  wollte,  war 
Francesco  Filelfo,  den  seine  Kenntnis  des  Griechischen  und  seine 
Oewandtheit  im  lateinischen  Vers  dazu  vorzüglich  geeignet  erscheinen 
ließen.  Filelfo's  Biograph  Rosmini  erwähnt  eine  von  ihm  in  der  Mai- 
länder Bibliothek  gesehene,  1516  in  Venedig  gedruckte  lateinische  Prosa- 
übersetzung der  Odyssee,  von  der  er  jedoch  bezweifelt,  ob  sie  wirklich 
von  Filelfo  herrühre.  Ob  die  Zweifel  begründet  sind,  läßt  sich  schwer- 
lich ausmachen.  Jedenfalls  existiert  das  Buch,  wie  mir  Herr  E.  Motta 
in  Mailand  freundlichst  mitteilt.  Rosmini  erwähnt,  daß  der  Übersetzung 
die  Homervita  von  Guarino  und  der  Pindarus  Thebanus  vorangehen.  Der 
Band  enthält  aber,  was  wichtiger  ist,  auch  die  nur  teilweise  vollendete 
Übersetzung  der  lUas  von  Niccolö  della  Valle.  Zur  Odyssee  fehlt 
jede  Einleitung,  und  Kommentare  sind  nicht  beigefügt. 

Außer  Beziehung  zu  den  Bestrebungen  des  Papstes  stehen  einige 
andere  Übersetzungen  Homers. 

Pier  Candido  Decembrio  aus  Pavia  war  nach  seiner  Flucht 
aus  Mailand  von  Nicolaus  V.  als  Sekretär  angestellt  und  mit  der  Über- 
setzung  des   Appian  betraut   worden.     Diejenige   des  Homer,   von   der 


28  Italien 

wir  Kunde  haben,  war  nicht  auf  des  Papstes  Anregung  verfaßt,  sondern 
bereits  1440  begonnen,  auf  Wunsch  des  Königs  Juan  von  Kastilien. 
Es  scheint  eine  genaue  Übertragung  in  lateinische  Prosa  gewesen  zu 
sein,  deren  Umfang  verschieden,  auf  fünf,  sechs  und  zwölf  Bücher  an- 
gegeben wird. 

Eine  andere  Übersetzung  ist  die  von  Lorenzo  Valla  aus  Pia- 
cenza,  des  bedeutendsten  Kritikers  unter  den  Humanisten,  der  1447 
päpstlicher  Sekretär  geworden  und  mit  der  Übersetzung  des  Herodot 
und  Thukydides  beauftragt  worden  war.  Valla  hatte  in  Rom,  wo  er 
seine  Jugendzeit  verlebte,  bei  Aurispa  und  Rinucci  da  Castiglione  Grie- 
chisch gelernt.  Er  erzählt  selbst,  wie  ihm  beim  ersten  Lesen  der  Odyssee 
oft  die  Augen  von  Tränen  überflössen  und  die  Stimme  erstickte.  Dem 
kecken  Kritiker  Ciceros  wurde  auch  ein  trotziges  Wort  gegen  die  maß- 
lose Überschätzung  Virgils  durch  die  Humanisten  zugeschrieben:  der 
unter  dem  Namen  des  Pindarus  Thebanus  gehende  Auszug  aus  der 
Ilias  sei  dem  Virgil  vorzuziehen. 

Valla's  Prosaübersetzung  Homers  mit  den  Plänen  Nicolaus  V.  zu- 
sammenzubringen verbietet  schon  die  Abfassungszeit,  denn  die  16  ersten 
Bücher  der  Ilias,  die  sie  umfaßt,  sind  schon  1442 — 1444  in  Neapel  ge- 
schrieben. Der  Vorwurf  von  Valla's  Feinden,  er  habe  Pilato's  Arbeit  aus- 
gebeutet, fällt  bei  einer  auch  nur  oberflächlichen  Vergleichung  in  sich 
zusammen.  Die  Arbeit  erweist  sich  bald  als  eine  frei  an  das  Original  an- 
gelehnte Erzählung  des  Inhalts,  bald  als  ganz  korrekte  Übertragung.  Das 
Bezeichnendste  ist  ihre  Schmucklosigkeit.  Verständlich,  schlicht  und  ein- 
fach gleitet  die  Rede  dahin.  Mit  den  schmückenden  Beiwörtern  verfährt 
Valla  ähnlich  wie  Bruni:  er  läßt  sie  meistens  weg,  ebenso  die  breiten 
Einleitungen  der  Reden,  ohne  daß  indessen  eiQ  festes  Prinzip  sichtbar 
wäre.  Er  folgt  offenbar  seinem  Stilgefühl  und  hat  die  Übersetzung 
wirklich  lesbar  gemacht.  Doch  kommt  sie  uns  bei  längerem  Lesen 
ziemlich  trocken  vor.  Episches  Griechisch  und  lateinische  Prosa  ver- 
tragen sich  eben  schwer.  Veranlassung  zu  der  Übersetzung  war  wohl 
das  Bestreben  Valla's,  sich  das  Original  völlig  zu  eigen  zu  machen. 
Dazu  eignet  sich  die  Prosa  besser  als  der  Vers,  der  wieder  seine  eigenen 
Anforderungen  stellt  und  durch  diese  leicht  Konflikte  mit  dem  Original 
hervorruft. 

Die  Übersetzung  erlangte  zunächst  keine  große  Verbreitung.  Ber- 
nardo  Giustiniano  von  Venedig,  ein  Schüler  Guarino's,  später  Prokurator 
der  Republik,  fand  1461  in  einer  französischen  Bibliothek  ein  Exemplar 
und  ließ  es  abschreiben.  Es  wurde  ihm  als  besonderes  Verdienst  an- 
gerechnet,   daß   er   ein  Exemplar  der  vollständigen  Ilias  nach   Italien 


'^t: 


Yalla    Francesco  Aretino  29 

zurückbraclite.  Ihm  ist  auch  der  wahrscheinlich  erste  Druck,  Brescia 
1474,  gewidmet. 

Die  eben  genannten  Exemplare  enthielten  bereits  auch  die  Fort- 
zung  der  Ilias,  Buch  17 — 24.  Diese  und  die  ganze  Odyssee  hatte, 
wie  Vahlen  nachweist,  Valla's  Schüler  Francesco  Aretino  im  Auftrage 
des  Papstes  Pius  IL  übersetzt,  in  den  Jahren  1458 — 1460.  Im  Stil 
hat  er  sich  ganz  an  seinen  Vorgänger  gehalten.  Aber  sein  Name  ist 
früh  verschollen,  entweder  weil  die  ganze  Übersetzung  unter  Yalla's 
Xamen  ging,  oder  weil  die  Arbeit  Francesco's  durch  eine  andere  ver- 
drängt wurde.  Sämtliche  Drucke  des  ganzen  Homer,  die  ich  zugesichte 
bekommen  habe,  und  auch  der  einzige  im  British  Museum  befindliche 
enthalten  nämlich  eine  Fortsetzung  der  Yallaschen  Ilias  und  eine 
Odyssee,  die  sie  übereinstimmend  dem  Eaffaello  da  Yolterra,  der 
1451 — ^1522  lebte,  zuschreiben. 

Von  weiteren  Versuchen  ist  die  Übersetzung  einer  Anzahl  von 
Iliasbüchern  von  Niccolö  dellaValle  zu  nennen.  Eine  recht  hübsche 
Übersetzungsprobe  der  Glaukosepisode  lieferte,  vielleicht  im  Anschluß 
an  della  Valle,  der  ungarische  Dichter  Janus  Pannonius,  der  in 
jungen  Jahren  bei  Guarino  studiert  hatte,  sein  späteres  Leben  aber  als 
Bischof  von  Fünfkirchen  in  Ungarn  zubrachte. 

Mit  dem  Auftrag  Pius  IL  an  Francesco  Aretino  schließt  die  Ge- 
schichte Homers  in  Rom  für  das  Quattrocento. 

Wenn  bis  zur  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  Florenz  das  Zentrum 
der  humanistischen  Bildung  war,  so  teilte  es  doch  seinen  Ruhm  mit 
einigen  bescheideneren  Fürstenhöfen,  an  denen  die  neuen  Studien 
ebenfalls  systematisch  gepflegt  wurden.  Da  war  vor  allem  Mantua, 
wo  unter  dem  Markgrafen  Gian  Francesco  IL  der  berühmte  Vittorino 
Rambaldoni  da  Feltre  im  Jahre  1423  seine  Erziehungsanstalt 
gründete.  Die  Anstalt  hatte  auch  das  Griechische  in  weitem  Umfang 
in  ihren  Lehrplan  aufgenommen,  und  Vittorino  las  mit  den  Fort- 
geschritteneren Homer. 

Wenig  später  fällt  die  Gründung  der  Schule  von  Ferrara  durch 
Guarino  da  Verona,  der  1429  einem  Rufe  des  Markgrafen  Mccolo 
d'Este  von  Ferrara  als  Prinzenerzieher  folgte.  Bei  der  Begründung 
der  Schule  leitete  ihn  nicht  der  weite  Blick  Vittorino's,  der  seine 
Schüler  allseitig  für  das  Leben  ausbilden  wollte.  Guarino  beschränkte 
sich  mehr  auf  die  Pflege  der  Gelehrsamkeit,  besonders  der  alten 
Sprachen,  aber  darin  hat  er  das  Höchste  geleistet.  Die  reiferen  Schüler 
hörten  ihn  auch  an  der  Universität.     An  beiden  Anstalten  strömte  aus 


30  Italien 

dem  In-  und  Ausland   eine  Menge  von  Hörern  zusammen,   bei  denen 
der  gefeierte  Lehrer  zeitlebens  in  liebevollem  Gedächtnis  geblieben  ist. 

An  der  Universität  von  Ferrara  wirkte  zuerst  als  Professor,  dann, 
nach  der  Neubegründung,  als  Rektor,  der  gelehrte  Theodoros  Gaza 
von  Thessalonike,  der  bei  Yittorino  die  lateinische  Eloquenz  studiert 
hatte  und  1445  nach  Ferrara  berufen  worden  war. 

Unter  den  zahlreichen  Schülern  Guarino's  und  Gaza's  befand  sich 
Basinio  Basini  aus  Parma,  der  zuerst  bei  Vittorino  gelernt  hatte, 
Gaza  preist  er  als  den,  der  ihn  in  die  griechische  Poesie,  vor  allem 
in  den  Homer  eingeführt  habe.  Dies  ist  in  der  gründlichsten  Weise 
geschehen.  Kein  Italiener  des  Jahrhunderts  übertriift  Basini  an  ein- 
gehender Kenntnis  des  Dichters,  bei  keinem  zeigt  sich  stärker  dessen, 
nachhaltige  Wirkung.  , 

Freilich  ist  sein  erstes  lateinisches  Epos,  die  Meleagris  1445,  nur 
eine  ausgeschmückte  Bearbeitung  des  8.  Buches  von  Ovids  Metamor- 
phosen, nicht  etwa  eine  solche  des  im  9.  Buch  der  Ilias  im  Auszug 
erhaltenen  prachtvollen  Epos  vom  Zorn  des  Meleagros.  Die  verhältnis- 
mäßig einfache  Handlung  ist  durch  nicht  sehr  geschickte  Episoden  '• 
verbreitert,  die  Sprache  und  besonders  der  Vers  erscheinen  noch  recht 
ungelenk.  Aber  die  Kenntnis  Homers  tritt  an  vielen  Orten  hervor, 
am  meisten  in  der  Göttervers ammlung  des  dritten  und  letzten  Buches, 
die  eine  ziemlich  freie  Übersetzung  der  olympischen  Szene  des  ersten 
Buches  der  Ilias  ist. 

Basini  wurde  1449  an  den  Musenhof  des  Sigismondo  Malatesta, 
Herrn  von  Rimini,  berufen.  Dort  wirkte  er  als  Hofpoet  und  Hof- 
philolog,  besang  den  Tyrannen  und  dessen  Geliebte  Isotta  und  wurde 
bald  so  bekannt,  daß  Nicolaus  V.  auch  ihn  für  eine  Übersetzung 
Homers  zu  gewinnen  suchte.  Er  lehnte  mit  der  Begründung  ab,  daß, 
selbst  wenn  er  das  Genie  und  die  Verskunst  Virgils  besäße,  er  doch 
niemals  versuchen  würdiä  das  deiLkwürdige  Gedicht  des  großen  Homer 
zu  übersetzen.  Diese  Bescheidenheit  war  affektiert.  Basini  strebte  nach 
höherem  Ruhm  als  dem  eines  Übersetzers.  Er  wollte  selbst  ein  Homer 
werden,  der  Malatesta's  und  Italiens.  So  verfaßte  er  das  lateinische  m 
Epos  Hesperis  in  13  Büchern,  das  erst  kurz  vor  seinem  Tode  fertig 
geworden  ist,  und  dessen  Held  Malatesta  war,  der  Feldhauptmann  der 
Florentiner  im  Kampf  gegen  Alfonso  von  Neapel  oder,  wie  Basini 
sich  ausdrückt,  im  Kampf  der  Tyrrhener  gegen  die  in  Italien  gelandeten 
Iberer.  Die  Hesperis  sollte  ein  nationales  Epos  sein,  das  den  ein- 
dringenden Fremden  einen  vaterländischen  Heros  entgegenstellte.  Es 
brauchte   den  ganzen  Mut   der  Jugend  dazu,   den  Wirrwarr   der   zeit- 


Basini  3.1 

genössisclieii  italienischen  Politik  in  die  epische  Sphäre  zu  erheben, 
Basini  tut  das  durch  Einführung  des  homerischen  Olymps  und  Er- 
setzung der  modernen  Namen  durch  antike,  wie  er  z.  B.  die  Stadt 
Piombino  Populonia  nennt.  Das  sind  aber  Kleinigkeiten  im  Vergleich 
zu  der  durchgreifenden  Umgestaltung  der  historischen  Wirklichkeit. 
Mit  dieser  steht  die  Hesperis  oft  auf  gespanntestem  Fuß,  bildet  aber 
eine  geschlossene  Einheit  und  ist  in  der  Darstellung  überzeugend. 
Der  Dichter  hat  mit  sicherem  Griff  das  Verwendbare  herausgehoben^ 
das  Verwirrende   abgestreift  und   seinen  Helden   zum  Mittelpunkt   der 

^■andlung  gemacht. 

^"  Diesen  Sigismondo  Malatesta  zeigt  die  politische  Geschichte  als 
tapferen  Soldaten  und  erfahrenen  Feldherm,  der  aber  nie  etwas  Großes 
erreichte,  weil  er  nie  mit  ganzer  Seele  bei  der  Sache  war,  der  er  sich 
gelobt  hatte,  sondern  immer  mit  dem  einen  Auge  nach  dem  Gegner 
schielte,  mit  dem  er  sich  nicht  ganz  verfeinden  wollte.  Francesco 
Sforza  hat  gerade  deshalb  mit  Verachtung  über  ihn  gesprochen.  Bei 
Basini  ist  er  ein  ganzer,  freudiger  Charakter,  der  Hort  Italiens  gegen 
die  Barbaren,  immer  siegreich,  von  allen  geschätzt  und  geehrt.  Das  ist 
oJßPenbar  nicht  lauter  poetische  Erfindung  oder  unwürdige  Schmeichelei,, 
sondern  es  spiegelt  das  Bild  wieder,  das  sich  die  Untertanen  in  Rimini 
von  ihrem  Herrn  machten.  An  glänzenden  Waffentaten  hat  es  diesem 
ja  nicht  gefehlt,  und  sie  noch  bei  seinen  Lebzeiten  besingen  zu  hören^. 
war,  wie  es  Basini  ihn  im  5.  Buch  aussprechen  läßt,  sein  heißester 
Wunsch.  Auch  ist  das  Grundthema,  der  Kampf  gegen  die  Barbaren,, 
keine  blosse  Fiktion.  Es  ist  überliefert,  daß  Rinaldo  Orsini,  der  helden- 
mütige Verteidiger  von  Piombino,  seinen  Leuten  zurief,  sie  sollten  sich 
erinnern,  daß  jetzt  Italiener  nicht  gegen  Italiener,  sondern  gegen  das. 
räuberische  und  grausame  Volk  der  Katalonier  kämpfen.  Um  diesen 
Gegensatz  kräftig  herauszuarbeiten,  unterdrückte  Basini  bis  auf  wenige 
Spuren  die  ewigen  Streitigkeiten  Sigismondo's  mit  den  nächsten  Nach- 
barn, den  Malatesta  von  Pesaro  und  dem  Herzog  von  Urbino. 

Aber  die  überlegene  Kunst  Basini's  hat  nicht  ausgereicht,  die  Um- 
wandlung der  historischen  Wirklichkeit  ganz  unsichtbar  zu  machen. 
Wer  die  Hesperis  liest,  wird  auch  ohne  Kenntnis  der  Geschichte 
spüren,  ob  der  Dichter  Geschehenes  erzähle,  oder  ob  er  erfinde.  Wo  das^ 
erstere  der  Fall  ist,  da  ist  der  Ton  markig,  feurig,  durch  und  durch 
packend,  so  in  der  Berennung  von  Populonia,  der  Einnahme  von 
Fogliano,  der  Eroberung  von  Vada.  W^o  es  nicht  der  Fall  ist,  klingt 
die  Erzählung  hohl,  weil  dem  Erzähler  selbst  die  Zuversicht  fehlt. 
Zweimal   wird   der  Rückzug   der   Aragonesen   durch   eine   fürchterliche 


32  Italien 

liomerische  Schlacht  eingeleitet,  die  nie  stattgefunden  hat,  und  die  der 
Dichter  dann  doch  nicht  wagt  als  unbestrittenen  Sieg  Malatesta's  zu 
preisen;  in  beiden  Fällen  bringen  die  Götter  die  neapolitanischen 
Fürsten  in  Sicherheit.  Zuweilen  ist  es  sehr  schwer  unter  der  pomp- 
haften Hülle  das  historische  Ereignis  aufzufinden,  das  ihr  zugrunde  liegt. 

Basini  ist  ein  wirklicher  Dichter.  Schon  die  Anlage  der  Hesperis 
ist  äußerst  geschickt.  Besiegung  Alfonso's  Buch  1 — 3,  Erzählung  von 
Malatesta's  bisherigen  Taten,  dem  Alfonso  von  Apollon  erzählt,  und 
Malatesta's  Odyssee,  die  Fahrt  zu  den  Inseln  der  Seligen  Buch  4 — 6; 
zweiter  Krieg  der  Florentiner  mit  Neapel  Buch  9 — 13.  Im  einzelnen 
ist  die  poetische  Gestaltungskraft  sehr  bedeutend,  die  Darstellung  an- 
schaulich und  glänzend,  so  daß  die  Lektüre  einen  wirklichen  Genuß 
gewährt. 

Die  Hesperis  ist  von  homerischen  Reminiszenzen  ganz  erfüllt.  Nicht 
nur  sind  einzelne  Verse  und  Versgruppen  ^  Menge  herübergenommen, 
sondern  auch  größere  Partien  zeigen  eine  starke  Verwendung  Homers. 
Da  sind  vor  allem  die  Gleichnisse,  an  deren  Behandlung  wir  Basini's 
Art  gut  kennen  lernen  können.  Wenige  davon  sind  wörtlich  übersetzt, 
einige  beginnen  mit  dem  homerischen  Wortlaut,  um  selbständig  fort- 
geführt und  abgeschlossen  zu  werden;  die  große  Mehrzahl  hat  Basini 
selbst  im  homerischen  Stil  gedichtet.  Ebenso  verhält  es  sich  mit  Kampf- 
szenen. Am  bezeichnendsten  ist  die  Auffassung  der  Götterwelt.  Basini 
hatte  aus  Virgil  gelernt,  daß  die  homerischen  Götter  im  neuen  Epos 
Platz  finden  sollen,  und  führte  sie  unbedenklich  ein.  Aber  nirgends 
hat  er  eine  ganze  Szene  im  Wortlaut  gebracht.  Es  sind  zwar  die 
Motive  in  Menge  übernommen,  aber  in  ganz  freier  Weise  verwendet, 
neu  gruppiert  und  ineinander  geschoben.  Der  Dichter  zeigt  volle  Herr- 
schaft über  seinen  Stoff.  Die  olympische  Maschinerie  spielt  ungefähr 
dieselbe  Rolle  wie  in  der  Aeneis,  nur  nimmt  sie  sich  in  ihrer  historischen 
Umgebung  seltsamer  aus.  Wo  Basini  rein  erfinden  kann,  wie  in  der 
Irrfahrt  des  6.  und  7.  Buches,  ist  das  Verhältnis  zwischen  Göttern  und 
Menschen  ganz  harmonisch. 

In  der  Hesperis  herrscht  das  Heidentum  unumschränkt.  Um  so 
eigenartiger  hebt  sich  die  Erscheinung  Galeotto's  im  8.  Buche  ab,  der 
dem  schlafenden  Sigismondo  von  der  Seligkeit  des  Anschauens  Gottes 
erzählt  und  ihm  die  ganze  katholische  Eschatologie  entwickelt.  Wir 
werden  kaum  fehlgehen,  wenn  wir  diese  fromme  Digression  auf  die 
Angriffe  zurückführen,  die  gegen  das  Heidentum  Malatesta's  gerichtet 
wurden.  Zwar  hat  Basini  die  wutschaubende  Bulle  Pius'  II  gegen  seinen 
Herrn  und  dessen  ganzen  elenden  Niedergang  nicht  mehr  erlebt.     Aber 


Basini    Polizian  33 

er  mochte  es  doch  rätlich  finden,  an  einer  passenden  Stelle  anzudeuten, 
daß  sein  ganzer  heidnischer  Apparat  nur  ein  poetisches  Spiel  sei.  In 
wieweit  es  ihm  damit  ernst  gewesen  ist,  bleibe  dahingestellt.  Mir  scheint, 
die  christliche  Episode  sei  nicht  vom  Glauben,  sondern  von  einer  ge- 
heimen Furcht  diktiert  gewesen. 

Das  Gedicht  blieb  in  weiteren  Kreisen  unbeachtet.  In  der  zeit- 
o-enössischen  Literatur  ist  kaum  davon  die  Rede.  Gedruckt  wurde  es 
in  Verbindung  mit  andern  Gedichten  Basini's  erst  1794.  Francesco 
(Taetano  Battaglini  hat  eine  große  historische  Studie  über  Malatesta's 
Leben  und  Kriegstaten  hinzugefügt,  leider  aber  die  Vergleichung  des 
Gedichts  mit  der  historischen  Wirklichkeit  nicht  unternommen,  sondern 
es  bei  einigen  Notizen  in  der  Vorrede  bewenden  lassen.  Im  ferneren 
enthält  die  Ausgabe  einen  schönen  Aufsatz  von  Angelo  Battaglini  über 
den  literarischen  Hof  Malatesta's  und  eine  Sammlung  der  biographischen 
Notizen  über  Basini  von       ^neo  Affo. 

An  dem  glänzenden  Hofe  Lorenzo's  de'Medici  lebte  der  Dichter 
Angelo  Poliziano.  Er  bietet  ein  anderes  Bild  als  die  Humanisten 
aus  der  Mitte  des  Jahrhunderts.  Geboren  ein  Jahr  nach  Marsuppini's, 
drei  Jahre  nach  Valla's  Tode,  repräsentiert  er  eine  neue  Zeit.  Im  Beginn 
des  Jahrhunderts  galt  die  lateinische  Bildung  fast  alles.  Sogar  auf  die 
großen  Dichter  des  Trecento  sahen  viele  unter  den  Humanisten  hoch- 
mütig herab,  ohne  indessen  verhindern  zu  können,  daß  sich  Dante's  ge- 
waltige Kraft  immer  wieder  durchsetzte.  Mit  den  vierziger  Jahren  beginnt 
nun  auch  bei  den  Gelehrten  die  Vulgärsprache  Anerkennung  zu  finden. 
Die  glücklichste  Verbindung  des  gelehrten  Humanismus  und  des  Volgare 
vollzieht  sich  am  Hofe  Lorenzo's.  Der  Mediceer  verstand  selbst  die 
Kunst  der  damals  voll  aufblühenden  italienischen  Lyrik  zu  üben. 
Luigi  Pulci  erhob  in  seinem  Morgante  Maggiore  das  volkstümliche 
Rittergedicht  mit  französischem  Stoff  zu  einer  neuen  Literaturgattung. 
Polizian  selbst  dichtete  gleich  anmutig  und  gewandt  in  italienischen, 
lateinischen  und  griechischen  Versen. 

Griechisch  hatte  er  bei  Joannes  Argyropulos  gelernt,  einem 
Byzantiner,  der  von  1456  bis  1471  in  Florenz  griechische  Sprache 
lehrte  und  den  Aristoteles  erklärte,  der  talentvollste  von  den  Griechen, 
die  nach  Italien  übergesiedelt  waren.  Polizian  ist  durch  ihn  so  gefördert 
worden,  wie  Basini  durch  Gaza.  Schon  mit  2^  Jahren  erhielt  er  die 
Professur  für  griechische  und  lateinische  Eloquenz  am  florentinischen 
Studio,  und  sein  Ruhm  überstrahlte  sogar  den  des  großen  Demetrios 
Chalkondyles,  der  um  jene  Zeit  in  Florenz  wirkte. 

Finsler:  Homer  in  der  Neuzeit.  3 


34  Italien 

Chalkondyles  war  1471  von  Lorenzo  als  Nachfolger  des  Argj- 
ropulos,  der  nacli  Rom  gegangen  war,  nach  Florenz  herufen  worden. 
Dort  war  unter  seinen  zahlreichen  Schülern  auch  Polizian.  Die  größte 
Tat  des  Demetrios  ist  die  erste  gedruckte  Ausgabe  Homers, 
im  Vorwort  datiert  9.  Dezember  1488. 

Der  florentinische  Adelige  Bernar de  de'Nerli,  durch  seinen  Bruder 
Neri  und  Giovanni  de' Acciajuoli  unterstützt,  beschloß  einen  hervorragenden 
griechischen  Schriftsteller  drucken  zu  lassen,  um  das  notwendig  gewordene 
Studium  des  Griechischen  zu  erleichtem.  Chalkondyles,  an  den  er  sich 
wandte,  riet  ihm  den  Homer  zu  wählen  und  stellte  den  Text  wesentlich 
mit  Hilfe  der  Angaben  des  Eustathios  richtig.  Beigedruckt  wurde  das 
dem  Herodot  zugeschriebene  Lehen  Homers j  das  unter  Plutarchs 
Namen  gehende  Buch  Über  Homer  und  des  Dion  von  Prusa,  der 
unter  Nerva  und  Trajan  wirkte,  Bede  über  Homer y  lauter  Bücher,  die 
den  Herausgebern  für  das  Verständnis  des  Dichters  sehr  wichtig  schienen. 
Das  Verdienst  der  jungen  Florentiner  wird  von  Chalkondyles  in  seiner 
Vorrede  in  jeder  Einzelheit  bestätigt.  Gedruckt  wurde  das  Prachtwerk 
durch  Demetrios  den  Kreter,  der  in  Mailand  lebte.  Das  Buch  ist  heute 
sehr  selten;  vor  einigen  Jahren  ist  in  Paris  ein  Exemplar  zum  Preise 
von  6000  Franken  zu  kaufen  gewesen. 

Polizian 's  Jugend  war  Homer  gewidmet.  Schon  1472,  also  im 
Alter  von  achtzehn  Jahren,  setzte  er  Marsuppini's  Übersetzung  fort.  Von 
seiner  Arbeit  sind  das  zweite  bis  fünfte  Buch  der  Ilias  erhalten. 
Das  zweite  Buch  ist  Lorenzo  dediziert,  den  Polizian  als  Meister  in 
ritterlichen  Künsten  und  in  der  Dichtung  preist.  Nicht  mit  dem  ersten 
Buch  habe  er  seine  Arbeit  begonnen,  da  dieses  schon  in  Marsuppini's 
Übersetzung  vollendet  vorliege.  Wenn  aber  das  Werk  den  Beifall  des 
Meisters  fände,  würden  die  andern  Bücher  folgen,  deren  Inhalt  Polizian  mit 
anmutiger  Sorglosigkeit  in  zufälliger  Reihenfolge  angibt.  Dabei  fehlen 
Stücke  wie  Hektors  Abschied,  dessen  Lösung  und  anderes,  was  wir  als 
Hauptmomente  der  Ilias  anzusehen  gewohnt  sind.  Auch  dem  dritten  Buch 
geht  eine  Widmung  voran,  in  Form  einer  Elegie.  Polizian  sendet  sein 
Werk  zu  Lorenzo.  Wenn  es  dessen  Beifall  gewinne,  werde  der  Dichter 
ein  Epos  über  den  Fall  vonVolterra  singen,  das  Lorenzo  1472  erobert  hat. 

Die  Übersetzung  lehnt  sich  in  der  Sprache  und  vielen  einzelnen 
Wendungen  an  Virgil  an,  dessen  Stil  als  vollendetes  Muster  galt.  Einen 
neuen  hervorzubringen  hätte  die  Kraft  des  Einzelnen  überstiegen,  selbst 
wenn  er  es  ernstlich  hätte  versuchen  wollen.  Aber  es  konnte  niemand 
der  Gedanke  daran  kommen,  da  es  ja  seit  fünfzig  Jahren  als  erstrebens- 
wertes Ziel  galt  den  Italienern  Homer  in  Virgils  Sprache  vorzutragen. 


( 


Polizian  35 


Polizian  hat  es  sich  angelegen  sein  lassen  in  den  Sinn  des  Originals 
einzudringen  und  es  möglichst  entsprechend  wiederzugeben.  Wenn  ihm 
das  nicht  durchaus  gelungen  ist,  so  liegt  die  Ursache  vor  allem  in 
den  technischen  Schwierigkeiten.  Auslassungen  und  vor  allem  kleine 
Zusätze  diktierte  mehr  die  Versnot  als  das  Bestreben  sich  Virgil  zu 
nähern.  Festgeprägte  virgilische  Wendungen  aufzunehmen  war  ver- 
lockend. Aber  die  durch  solche  Ursachen  hervorgerufenen  Abweichungen 
vom  Orginal  sind  nicht  sehr  zahlreich.  Das  Werk  ist  im  ganzen  trefflich 
gelungen,  und  wir  begreifen  die  Freude,  mit  der  sich  die  Zeitgenossen 
darüber  äußerten.  Vor  allem  sprach  sich  der  platonische  Philosoph 
Marsiglio  Ficino  in  einem  Briefe  an  Lorenzo  höchst  entzückt  aus: 
Während  sich  andere  Fürsten,  sagt  er,  nur  Diener  ihrer  Lüste  heran- 
ziehen, hältst  du  dir  Priester  der  Musen.  Unter  deiner  Führung  ist 
Homer  nach  Italien  gekommen.  Er,  bisher  eiu  schweifender  Bettler 
fand  bei  dir  das  liebliche  Gastrecht.  In  deinem  Hause  hältst  du  jenen 
homerischen  Jüngling,  Angelo  Poliziano,  damit  er  die  griechische  Maske 
Homers  in  lateinischen  Farben  darstelle.  Und  er  tut  es  so,  dlaß  jeder, 
der  nicht  weiß,  daß  Homer  ein  Grieche  war,  zweifeln  wird,  welcher 
von  beiden  der  echte,  welcher  der  gemalte  Homer  sei. 

Einen  Zweifel  äußerte  der  Kardinal  Jacopo  von  Pavia,  der  sich 
zwar  in  einem  Briefe  an  PoHzian  sehr  schmeichelhaft  über  die  Über- 
setzung aussprach,  jedoch  bemerkte,  das  Übersetzen  sei  zwar  eine  nütz- 
liche Übung,  aber  Homer  wolle  doch  Grieche  bleiben.  Der  Kardinal 
berührt  damit  den  schwierigen  Punkt  aller  poetischen  Übersetzungen 
Homers.  Entweder  tut  diese  der  Zeit  des  Übersetzers  genug,  und  dann 
geht  die  homerische  Farbe  wenigstens  teilweise  verloren.  Oder  diese 
wird  äußerlich  erhalten,  und  dann  hat  der  Leser  die  falsche  Vorstellung, 
als  sähe  er  hinter  der  Übersetzung  das  Original,  während  ihm  in  Wahr- 
heit dessen  Wesen  verborgen  bleibt. 

Als  Professor  am  Studio  schickte  Polizian  seinen  Erklärungen  der 
Dichter  Praelectionen  voran,  um  die  Zuhörer  einzuführen.  In  derjenigen 
zu  Homer  vermissen  wir  zu  unserem  Erstaunen  jede  ästhetische  und 
poetische  Würdigung  des  Dichters.  Wir  lesen  den  begeisterten  Preis 
von  Florenz,  in  welches  das  zerstörte  und  von  Barbaren  besetzte  Athen 
eingezogen  sei;  von  dem  alles  überragenden  Genius  Homers;  von  dessen 
Erhabenheit  über  den  Ehrgeiz,  so  daß  er  sich  selbst  nicht  einmal  nannte, 
wodurch  er  kundtat,  daß  er  für  das  ganze  Menschengeschlecht  arbeiten 
wollte;  von  dem  wunderbaren  Fleiße  des  Blinden;  endlich  von  seiner 
dichterischen  Begeisterung.  Daneben  aber  steht  der  Nachweis,  daß 
Homer  der  Vater  aller  Poesie  sei,  und  eine  Ausführung  über  die  ver- 

3* 


36  Italien 

schiedenen  Arten  des  Stils.  Beides  stammt  aus  Plutarchs  Buch  Über 
Homer,  in  dem  schon  Bruni  und  Marsuppini  einen  Wegweiser  zur 
Kenntnis  Homers  gesehen  hatten,  und  das  die  Praelectio  auch  sonst 
ausgiebig  benutzt.  Außerdem  finden  sich  andere  Zeugnisse  des  Alter- 
tums über  Homer.  Wir  sehen  den  Humanisten  in  einer  eigentümlichen 
Abhängigkeit  von  der  spätantiken  Tradition.  Er  wagt  gar  nicht  selb- 
ständig interpretierend  an  Homer  heranzutreten  und  ihn  aus  dem  Wust 
der  stoischen  Weisheit  herauszuheben,  was  er  doch  sehr  wohl  gekonnt 
hätte. 

Aber  bei  dem  Dichter  Polizian  wird  selbst  die  staubige  Tradition 
zum  Mittel  Homer  poetisch  zu  feiern.  Das  tut  er  in  dem  schönen 
Gedicht  Ämhra,  das  1485  in  Lorenzo's  Villa  Ambra  in  Poggio  a  Caiano 
gedichtet  ist,  wieder  eine  Art  Praelectio  zum  Homer.  Die  Ambra  ist 
ein  Teil  der  Silvae  genannten  Sammlung  poetischer  Vorreden.  Zwei 
davon  preisen  Virgil,  dem  er  hier  denn  doch  die  Palme  reicht.  » 

Die  Ambra  hat  folgenden  Inhalt.     Wenn  Winzer  und  Bauern  die  I 
Götter  mit  ihren  eigenen  Gaben  ehrten,  warum  soll  ich  nicht  mit  meinem 
Preise   den  Homer  feiern?     Haben   sich  doch  an  ihm  alle  Dichter  be- 
geistert, und  er  lebt  im  Olymp  bei  den  seligen  Göttern.     Nun  mögen 
die  Musen  vom  Ursprung  Homers  erzählen. 

Die  Götter  zogen,  Zeus  voran,  zu  den  Aethiopen;  glänzendes  Spiel 
der  Meergötter  geleitete  sie.  Unter  all  den  fröhlichen  Göttern  war 
Thetis  allein  traurig,  und  bevor  sie  sich  zum  Mahle  niederließen,  flehte 
sie  Zeus  an  und  beklagte  ihr  Los.  Ihrem  Sohn  war  als  Entgelt  für 
das  kurze  Erdendasein  großer  Ruhm  verheißen;  jetzt  ist  er  tot,  und 
die  Verheißung  hat  sich  nicht  erfüllt.  Aber  Zeus  tröstet  sie:  Unab- 
änderlich ist  das  Schicksal,  und  Apollon  ist  nicht  allein  schuld  an 
Achills  Tod.  Den  zog  Memnons  Fall  unerbittlich  nach  sich.  Jetzt 
lebt  Achill  auf  der  Insel  Leuke,  als  Gatte  bald  der  Medea  bald  der 
Helene,  wie  sich  Charis  und  Aphrodite  in  den  Hephaistos  teilen.  Und 
auch  sein  Ruhm  wird  in  hundert  Stimmen  ertönen,  sein  Preis  zum 
Himmel  reichen.  Der  Bewohner  der  heißen  Zone  wird  ihn  hören  wie 
der  der  Säulen  des  Herakles  und  der  Hyperboreer.  Kein  Geschlecht, 
kein  Tag,  keine  Nachwelt  wird  von  ihm  schweigen,  kein  Alter  ihn 
mit  neidischer  Wolke  bedecken.  Denn  es  wird  ein  Dichter  geboren 
werden,  der  seinen  gewaltigen  Taten  ewiges  Licht  bringen  wird.  Dieser 
wird  der  Könige  wilde  Kriege  erdonnem  lassen,  mit  gewaltigem  Munde 
die  wilden  Trompeten  übertönen;  über  seine  sangreiche  Brust  werden 
Sirenen  und  Musen  staunen.  Mit  Ruhm  beladen  wird  er  den  Peliden 
den  kommenden  Jahren  überliefern,  und  den  späten  Enkeln  wird  der 


m 


Polizian  37 

thessalische  Heros  als  einziges  Beispiel  gelten.  Der  große  Alexander 
wird  ihn  für  einen  solchen  Herold  glücklich  preisen,  und  Thetis  sollte 
nicht  aufhören  zu  klagen? 

Die  Geschicke  erfüllen  sich.  In  Smyrna  wird  Homer  geboren  als 
Sohn  eines  Gottes,  der  den  Musenhain  bewohnt.  Auf  sein  erstes 
Kinderschreien  hören  das  Meer  und  der  Fels  des  Sipylos,  die  Najade 
badet  ihn  im  Wasser  des  Stromes,  die  Chariten  schicken  ihm  Kränze, 
Pallas  selbst  reicht  ihm  die  jungfräuliche  Brust.  Faunen,  Tiere,  Wälder 
vernehmen  staunend  das  Spiel  des  Knaben  auf  Syrinx  und  Flöte. 

Der  zum  Jüngling  Herangewachsene  beginnt  das  apollinische  Lied 
lieben.  Die  Gewalt  der  Begeisterung  und  der  in  sein  Mark  sich, 
senkende  Achill  spornen  den  heiligen  Sänger.  Seine  Brust  drängt  das 
hohe  Werk  zu  gebären  und  rüstet  sich  kühn  zu  großer  Tat.  Rastlos 
forscht  er  nach  seinem  Helden.  Seinen  Zaubersprüchen  tut  sich  die 
Höhe  von  Sigeion  auf,  wo  Achill  begraben  liegt.  Der  Held  erscheint 
ihm  mit  der  Lanze,  mit  der  er  die  Troer  bezwang,  als  er  den  Zorn 
von  den  Danaern  abgewandt  hatte,  rächend  den  Hektor  suchte  und  die 
Armen  von  Flüssen  und  Feldern  scheuchte.  Vor  dem  Glänze  des  von 
Hephaistos  geschmiedeten  Schildes  erblindet  Homer,  ein  Zug,  den 
Polizian  einer  antiken  Tradition  entlehnt;  aber  Achill  gibt  ihm  den 
Stab  des  Teiresias.  Da  wird  der  Dichter  von  Begeisterung  erfüllt.  Von 
nun  an  ist  Achilleus  der  Lihalt  seines  Gesanges,  und  er  beginnt  das 
Lied  von  dessen  Zorne.  Darauf  folgt  eine  schwungvolle  Übersicht  über 
die  Ilias. 

Der    unbesiegliche   Jüngling   ist  besungen.     Da   sieht  Homer  im 
Traume  den  Odysseus  mit  der  Todeswunde,  die  ihm  Telegonos  geschlagen 
hat.     Dieser  [fleht  ihn,   den  Herold   aller  Tugenden  für   die  Nachwelt, 
an,  auch  seiner  zu  gedenken.    Die  Tugend  sei  zwar  sich  selbst  genug, 
aber    sie    müsse   auch   den   spätem   Geschlechtern   zum   Führer  dienen. 
Die  Griechen  haben  den  Odysseus  für  seine  Verdienste  mit  den  Wajffen 
des  Achilleus   geehrt:   wird  der  Dichter  seine  Irrfahrten  nicht  des  Ge- 
sanges würdigen,  er,  der  allein  zu  diesem  Werke  berufen  ist,  dem  aus 
voller  Brust  jene   glückliche  Fülle   der  Rede   quillt,   wie  sie  Odysseus 
eigen  war? 
^^k       Von  neuem  begeistert,  singt  Homer  das  troische  Pferd,  den  Seesturm, 
^Hen  Tod  des  Aias,  die  Irrfahrten  des  Odysseus,  die  Rettung  zu  Kalypso  und 
^^pe  Heimkehr.    Polizian  ordnet  die  Ereignisse  der  Odysee  chronologisch. 
^H       So    schwingt   sich    der  Dichter    zum  Äther    empor,    wohin  keine 
^^aißgunst  reicht.    Wie  kaim  man  den  Reichtum  seiner  Gedichte  würdig 
schildern,  der  den  der  größten  Ströme  übertrifft?    Er  ist  wie  der  regen- 


I 


38  Italien 

spendende  Zeus,  wie  die  Wasser,  die  der  Ozean  der  Erde  gewährt.  Er 
soll  allen  zum  Führer  dienen,  die  große  Taten  in  unvergänglichen  Blättern 
schildern,  durch  Rede  die  Herzen  beugen  und  bilden  wollen.  Unüber- 
troiFen  in  der  Mannigfaltigkeit  des  Ausdruckes  wie  in  der  Schilderung 
der  Dinge,  ebenso  in  der  Art,  wie  er  den  Personen  seine  Worte  leiht  und 
die  Sitten  lehrt,  ist  er  zum  Lehrer  des  ganzen  Altertums  geworden. 
Alle  weisen  Sänger,  alle  Philosophen  haben  aus  ihm  geschöpft.  In 
schwungvollen  Versen  gibt  Polizian  die  Gedanken  des  plutarchischen 
Buches  wieder  und  schließt:  „Die  ganze  antike  Welt  ertönt  vom  Ruhme 
Homers.  Wie  sollten  wir  ihn  nicht  feiern?"  Das  Gedicht  endet  mit 
der  anmutigen  Schilderung  des  Gutes  Ambra  und  dem  Preise  Lorenzo's. 

Außer  der  Heranziehung  der  antiken  Gelehrsamkeit  ist  die  Ambra! 
merkwürdig  durch  die  starke  Hervorhebung  der  dichterischen  Begeiste-j 
rung,  des  Enthusiasmus,  in  der  sich  der  damals  in  Florenz  stark  wir- 
kende Einfluß  Piatons  zeigt;  sodann  durch  die  Auffassung  der  Poesie 
als  einer  Lehrerin  der  menschlichen  Tugenden,  worin  Polizian  jnit  dem 
größten  Teil  des  Altertums  und  der  gesamten  Renaissance  zusammen- 
trifft. Stärker  tritt  dieser  Gedanke  noch  im  vierten  Stück  der  Silvae,  den 
Nutricia  1486  hervor,  wo  die  Poesie  als  erste  Erzeugerin  aller  Zivilisation 
besungen  wird.  Hier  war  höchstwahrscheinlich  der  Einfluß  der  Ars 
poetica  des  Horaz  maßgebend,  die  sonst  im  Quattrocento  wenig  gewirkt  hat. 

Ein  gleich  begeisterter  Verehrer  Homers,  aber  nicht  zugleich  ein 
Dichter,  war  Polizians  Zeitgenosse  Antonio  Urceo  genannt  Codro, 
Professor  des  Griechischen  in  Bologna.  Er  scheint  mit  seinem  Griechisch- 
unterricht Mühe  gehabt  zu  haben,  ist  aber  sehr  eifrig  bestrebt  die 
Jugend  dafür  zu  begeistern.  Wenn  wir  uns  jedoch  diesem  aufrichtigen 
Eifer  gegenüber  danach  umsehen,  wodurch  denn  die  Studenten  für  die 
Beschäftigung  mit  Homer  gewonnen  werden  sollen,  so  finden  wir  rein 
nichts  als  Berufungen  auf  antike  Urteile.  Der  dritte  Sermo  ist  ein 
mit  etwelcher  eigener  Gelehrsamkeit  verlnehrter  Auszug  aus  dem  Buche 
Plutarchs  Über  Homer,  das  den  Dichter  als  Urgrund  alles  Wissens 
preist.  Wenn  es  schon  Marsuppini  und  Polizian  das  Sehen  mit  eigenen 
Augen  erschwert  hat,  wie  viel  mehr  einem  Gelehrten,  der  nirgends  eine 
unmittelbare  Empfindung  äußert,  es  sei  denn  daß  er  sie  bei  einem  an- 
tiken Gewährsmann  gefunden  habe.  Im  siebenten  Sermo  bekräftigt  er 
die  Vortrefflichkeit  Homers  durch  das  Zeugnis  der  alten  Schriftsteller, 
im  achten  gibt  er  einige  Notizen  über  Leben  und  Zeit  des  Dichters. 
Wir  möchten  wohl  wissen,  wie  die  Interpretationen  ausgesehen  haben,  die 
Urceo  gab;  er  verheißt  am  Schluß  des  achten  Sermo,  zunächst  das  dritte 
Buch  der  Ilias  mit  dem  Zweikampf  des  Paris  und  Menelaos  zu  erklären. 


ürceo     Savonarola  39 

Im  vollen  Gegensatz  zu  Polizian's  Auffassung  steht  die  des  großen 
Gegners  der  Mediceer,  des  Dominikanerpriors  Savonarola.  Seiner 
asketischen,  auf  die  Reinigung  des  sittlichen  Lebens  hinzielenden  Rich- 
tung entsprechend  greift  er  das  Urteil  wieder  auf,  das  Piaton  im  Staat 
über  die  Poesie  gesprochen  hatte,  und  das  auch  das  der  mittelalterlichen 
Scholastik  gewesen  war.  In  dem  Traktat  De  divisione  et  utilitate  om- 
U7n  scientiarum  1492,  wo  er  nach  scholastischer  Art  die  Poesie  zur 
ogik  und  Grammatik  stellt,  findet  sich  eine  Abteilung,  die  In  poeticen 
Apologeticus  betitelt  ist.     Wie  Savonarola  dort  sagt,  bekämpft  er  nicht 

Ilie  Poesie  an  sich,  sondern  nur  deren  Mißbrauch.  Das  Wesen  der 
^oesie  besteht  in  Philosophie,  im  Gedanken,  ohne  den  es  keinen  wahren 
)ichter  gibt.  Zweck  der  Poesie  ist  es  zu  überzeugen  und  zu  erfreuen, 
pid  für  dieses  letztere  sind  die  äußeren  Zutaten,  d.  h.  die  Verse,  er- 
unden  worden,  die  aber  reine  Form  sind.  Der  Geist  der  Wahrheit 
allein  hat  die  wahre  Beredsamkeit,  die  zur  Tugend  leitet;  die  der  Poesie 
ist  wie  ein  geschmücktes  Schiff,  das  nie  in  den  Hafen  gelangt.  Die 
Dichter  unserer  Zeit  ahmen  die  Alten  nach,  wiederholen  ihre  Gedanken 
und  verherrlichen  sie,  zum  unermeßlichen  Schaden  der  Jugend.  Schon 
im  Altertum  hat  Piaton,  der  jetzt  in  den  Himmel  erhoben  wird,  die 
Dichter  aus  seinem  Staate  vertrieben,  weil  sie  unwürdige  Vorstellungen 
von  den  Göttern  pflanzen  und  die  Menschen  mit  schändlichen  Begierden 
erfüllen.  Warum  verbieten  unsere  Fürsten  die  schlechten  Bücher  der 
alten  und  neuen  Dichter  nicht?  Gewiß  haben  unter  den  antiken  Dich- 
tem manche  die  schändlichen  Gegenstände  verschmäht  und  edle  Taten 
tapferer  Männer  besungen.  Diese  haben  die  Poesie  gut  angewendet; 
aber  auch  sie  dürfen  erst  studiert  werden,  wenn  die  Jünglinge  in  den 
christlichen  Lehren  fest  geworden  sind.  Denn  edle  Sitten  gehen  der 
größten  Beredsamkeit  vor. 

Mit  seiner  glutvollen  Bekämpfung  des  modernen  Heidentums  bildet 
übrigens  Savonarola  ein  merkwürdiges  Seitenstück  zu  Piaton  selbst, 
dem  Dichter,  dem  es  so  schwer  wurde,  die  geliebte  Poesie  zu  ver- 
dammen. Der  gewaltige  Dominikaner  war  im  Grunde  des  Herzens 
ebensowenig  wie  jener  ein  beschränkter  Feind  der  Poesie  und  der 
Kunst.  Zeugnis  dafür  ist  der  Eifer,  mit  dem  er  seinen  Konvent  dazu 
brachte,  unter  schweren  finanziellen  Opfern  die  Bibliothek  der  Mediceer 
für  Florenz  zu  erhalten.  Nicht  aus  der  Vernichtung  der  alten  Schriften, 
sondern  aus  innerer  Umwandlung  der  Herzen  sollte  nach  seinen  Ge- 
danken das  neue  Leben  erblühen. 

Durch  Savonarola  werden  wir  auf  den  Namen  Piatons  geführt, 
dessen  Kenntnis  sich  im  15.  Jahrhundert  stark  ausgebreitet  hatte.     In 


40  Italien 

dessen  Beginn  übersetzte  Chry soloras  den  Staat;  das  Werk  wurde  durch 
Vater  und  Sohn  Decembrio  stilistisch  vollendet.  Lionardo  Bruni  be- 
absichtigte um  dieselbe  Zeit  den  ganzen  Piaton  zu  übersetzen,  brachte 
aber  seinen  Plan  nicht  ganz  zur  Ausführung.  Die  Begründung  des 
neuen  Piatonismus  durch  Gemistos  Plethon  vermittelte  die  Kenntnis 
Piatons  vi^eiten  Kreisen.  Aber  gerade  dadurch  erwuchs  der  Wert- 
schätzung Homers  eine  Schranke.  Man  findet  in  der  Literatur  der 
folgenden  Zeiten  wohl  vereinzelte  Verwertung  der  erhabenen  Offen- 
barungen Piatons  über  das  Wesen  der  Poesie  und  schöner  Ausspruch! 
über  Homer;  aber  den  größten  Eindruck  machte  die  Partie  des  Staates^ 
in  der  Piaton  der  Poesie  vorwirft,  daß  sie  ihrem  hohen  Lehramt  nichi 
nachkomme  und  deshalb,  so  wie  sie  sei,  in  seinem  Idealstaat  keinen] 
Raum  habe.  Die  Göttergeschichten,  so  hatte  Piaton  ausgeführt,  sin( 
dem  wahren  Wesen  Gottes  zuwider  und  geben  ein  schlechtes  Beispiel. 
Mit  ihren  Unterweltsvorstellungen  nähren  die  Dichter  eine  törichte 
Todesfurcht.  Die  Klagen  und  das  Jammern  der  homerischen  Helden 
geben  schlechte  Vorbilder,  da  dem  ausgezeichneten  Manne  nur  die 
Standhaftigkeit  ansteht;  noch  weniger  schickt  sich  das  für  Götter.  Die 
Verse  der  Dichter  lockern  bei  den  Jünglingen,  die  sie  hören,  die  Selbst- 
beherrschung, besonders  wenn  von  sinnlichem  Verlangen,  von  Bestech- 
lichkeit, von  Lug  und  Trug  der  Götter  erzählt  wird.  Ebenso  schlimm 
ist,  daß  die  Dichter  den  Bösen  glückselig,  den  Gerechten  elend  sein 
lassen.  Die  Poesie  schläfert  die  Wachsamkeit  der  Vernunft  ein  und 
befriedigt  die  durch  sie  gezügelten  Begierden  des  unvernünftigen  Seelen- 
teils. Daher  soll  der  Dichter,  der  alle  Dinge  darstellen  kann,  wenn 
er  in  unsere  Stadt  kommt,  als  heiliger,  wunderbarer  und  angenehmer 
Mann  verehrt,  aber  mit  Ehrenbezeugungen  in  eine  andere  Stadt  geleitet 
werden.  Wir  aber  wollen  den  strengern  Sänger  und  Fabelerzähler  an- 
stellen, der  nur  die  Rede  des  würdigen  Mannes  nachahmend  darstellt. 
Hier  bei  Piaton  fanden  die  späteren  Angriffe  auf  Homers  Götter  und 
Helden  einen  mächtigen  Rückhalt. 

Am  Ende  des  Quattrocento  schuf  Boiardo  in  seinem  Orlando 
Innamorato  das  neue  italienische  Rittergedicht,  den  Romanzo,  durch 
Übertragung  der  feinen  höfischen  Sitte  der  bretonischen  Tafelrunde 
auf  den  rauheren  Hof  Karls  des  Großen.  Eine  neue,  bunte  Welt  der 
glänzendsten  Phantasie  und  köstlichen  Humors  tut  sich  auf.  Wie  das 
Werk  jetzt  ist,  macht  es  einen  stark  zerfahrenen  Eindruck,  obschon 
der  Dichter  selbst  sagt,  daß  er  es  zur  Einheit  zusammenschließen  wolle. 
Daran   ist   die   Lust  am  Fabulieren   schuld,    die  ihn  verleitete  in   der 


« 


Piaton     Boiardo  41 

ganzen  ersten  Hälfte  den  Schauplatz  der  Ereignisse  um  Albracca,  das 
Schloß  Angelica's  im  fernen  Asien  zu  verlegen,  das  von  unaufhörlichen 
Kämpfen  umdröhnt  ist.  Die  Ritter  Karls,  die  zu  Hause  sehr  notwendig 
wären,  finden  vor  lauter  Abenteuern  den  Rückweg  fast  nicht  mehr, 
und  so  bildet  der  Krieg  der  gesamten  Heidenschaft  gegen  Karl  eine 
zweite  abgeschlossene  Handlung,  oder  vielmehr  eine  dritte,  da  der  mit 
Astolfo's  Sieg  beendigte  Zug  Gradasso's  vorangeht.  Ermüdend  sind  die 
sich  immer  gleich  bleibenden  Kämpfe,  ungleich  besser  und  schöner  die 
Erfindungen  anderer  Art,  wie  z.  B.  die  Entzauberung  des  Gartens  der 
Falerina  durch  Roland  ein  Meisterstück  der  Erzählungskunst  ist. 

Boiardo  verstand  recht  gut  Griechisch,  und  der  Innamorato  weist 
toche  homerische  Wendung  auf,  die  ohne  weiteres  auffällt.  Weniger 
offen  liegt  die  Menge  der  übernommenen  antiken  Motive  am  Tage^ 
da  sie  der  Dichter  mit  feinem  Takt  so  verändert  hat,  daß  sie  in  seine 
Phantasiewelt  paßten.  Er  entgeht  damit  dem  groben  Fehler,  den  später 
Trissino  und  Tasso  in  der  Conquistata  begingen,  daß  sie  ein  unerträg- 
liches Flickwerk  von  Antikem  und  Romantischem  herstellten.  Die  wich- 
tigsten Beispiele  für  Boiardo's  Art  der  Behandlung  sind  folgende.  Nach 
einer  Erzählung  des  Altertums  wurde  Achilleus  von  seiner  Mutter  bei 
Lykomedes  untergebracht  und  in  Frauenkleider  gesteckt,  um  ihn  vom 
Kriege  fernzuhalten;  aber  die  Waffen,  die  Odysseus  ihn  sehen  ließ,, 
und  der  Klang  der  Trompete  entflammten  ihn  sich  dem  Zuge  nach 
Troja  anzuschließen.  Bei  Boiardo  wird  der  junge  Ruggiero,  dem  der 
Dichter  viele  Züge  von  Achilleus  geliehen  hat,  von  seinem  Erzieher 
Atalante  auf  einem  Zauberschloß  verborgen  gehalten,  bis  ein  vor  seinen 
Augen  aufgeführtes  Turnier  und  das  Geschenk  eines  Schiachtrosses 
und  des  Zauberschwertes  ihn  verlocken  die  Heerfahrt  Agramante's  mit- 
zumachen. 

Im  Garten  einer  Zauberin,  die  der  Kirke  sehr  ähnlich  ist,  sieht 
Roland  ein  Gemälde:  Eine  mit  lebhaften  Farben  gemalte  junge  Frau 
winkt  viele  zu  ihrem  Ufer  heran,  um  sie  dann  in  Tiere  zu  verwandeln^ 
in  Wölfe,  Löwen,  Eber,  Bären,  Greife.  Dann  sieht  man  auf  einem  Schiff 
einen  Ritter  kommen,  in  den  sich  die  Dame  verliebt;  sie  gibt  ihm  den 
Schlüssel  zu  ihrem  Zaubertrank  und  trinkt  in  ihrer  Verliebtheit  selbst 
davon,  worauf  sie  sich  in  eine  weiße  Hinde  verwandelt  und  auf  einer 
Jagd  ergriffen  wird.  Zum  Schluß  sah  man,  wie  der  Ritter  floh  und 
die  Dame  sich  zurückverwandelte.     Cirfcella  hieß  sie. 

Wie  bei  Homer  geschieht,  badet  und  salbt  Angelica  eigenhändig  den 
Roland,  aber  unähnlich  den  homerischen  Helden  geniert  sich  der  Ritter 
und  sucht  seine  Erregung  zu  verbergen.    In  dem  Zaubergarten  der  Falerina 


42  Italien 

kommt  Roland  an  einen  See.  Er  hat  vorher  auf  den  Rat  seines  Zauber- 
buches Helm  und  Ohren  mit  Rosen  vollgestopft,  so  daß  er  nichts  hört. 
Am  Ufer  des  Sees  liegen  viele  Menschen  begraben.  Die  Sirene  steigt 
auf,  die  einen  schönen  weiblichen  Oberkörper  hat  und  den  häßlichen  fisch- 
artigen Unterleib  im  Wasser  verbirgt.  Sie  singt  so  schön,  daß  alle  Vögel 
einschlummern;  auch  Roland  stellt  sich  schlafend,  aber  wie  die  Sirene 
ihn  töten  will,  packt  er  sie,  zieht  sie  aus  dem  Wasser  und  haut  ihr  den 
Kopf  ab.  Darauf  entfernt  er  die  Rosen  aus  Helm  und  Ohren.  Nach 
dem  homerischen  Proteus  ist  der  zauberische  Riese  Balisardo  gezeichnet, 
aber  so  ins  Groteske  gesteigert,  daß  das  Urbild  nur  schwer  kenntlich  ist. 
Die  Lästrygonen  sind  zu  einem  Stamm  scheußlicher  Menschenfresser  ge- 
worden; der  Orco  zeigt  Züge  des  Kyklopen  und  schleudert  auch  wie 
dieser  ein  Stück  Berg  nach  dem  Schiff.  Anderes  ist  zu  unsicher,  als 
daß  ich  es  anführen  möchte. 

An  Boiardo  schließt  sich  Ariost,  dessen  Orlando  Furioso  zuerst 
1516,  in  endgiltiger  Fassung  1538  erschien.  Ariost  setzt  Boiardo's 
Werk  voraus,  dessen  „Orlando  Innamorato  die  Stelle  der  Tradition,  i 
vertritt".  Neben  den  mittelalterlichen  Rittern  und  Damen  drängt  sich 
wie  bei  Boiardo  in  tausend  Zügen  das  Altertum  ein.  Die  innige  Be- 
kanntschaft mit  der  römischen  Poesie  zeigt  sich  auf  jeder  Seite.  Da 
kommt  die  Frage  von  selbst,  ob  denn  der  große  Dichter  den  größten 
des  Altertums  gekannt  habe  oder  nicht.  Wir  müßten  uns  wundern, 
daß  sie  auch  nur  aufgeworfen  werden  dürfe,  wenn  nicht  die  Tatsache 
feststände,  daß  Ariost  nicht  dazu  gekommen  ist  Griechisch  zu  lernen. 
So  muß  denn  das  Gedicht  selbst  Antwort  geben. 

In  der  Führung  der  epischen  Handlung  ist  kein  größerer  Gegen- 
satz denkbar  als  der  zwischen  Homer  und  Ariost.  Dort  lauter  ab- 
geschlossene, runde  Erzählungen,  die  nur  selten  Verweisungen  auf 
einander  enthalten.  Die  Ilias  zeigt  einen  ganz  geradlinigen  Verlauf, 
die  Odyssee  eine  durchsichtige  Doppelhandlung.  Ariost  dagegen  führt 
eine  Reihe  von  Geschichten  nebeneinander  durch.  Mitten  in  der  Er- 
zählung läßt  er  den  Faden  fallen,  um  sich  nach  einem  andern  Helden 
umzusehen,  gewöhnlich  ohne  auch  nur  anzudeuten,  wie  sich  die  Sache 
weiter  entwickeln  werde.  Darin  ist  er  dem  Boiardo  ähnlich,  nur  daß 
er  doch  nicht  so  hin-  und  herspringt  wie  dieser.  Während  Homer 
auf  die  Spannung  auf  den  Ausgang  gänzlich  verzichtet,  indem  er  uns 
diesen  immer  von  vornherein  wissen  läßt,  hält  Ariost  den  Leser  be- 
ständig in  Atem.  Nur  einmal  macht  der  Schalk  eine  Ausnahme.  Wie 
■er  Ruggiero  und  Bradamante  glücklich  in  Atlante's  Zauberschloß  ein- 
gesperrt hat,   sagt  er:  „Nur  keine  Angst!  ich  lasse  sie  schon  wieder 


Boiardo    Ariost  43 

heraus.  Aber  wie  Änderung  in  der  Speise  den  Gaumen  reizt,  so,  meine 
ich,  hält  die  Abwechslung  in  meiner  Erzählung  die  Langeweile  fern." 
Wenn  er  vorzieht  sieh  nicht  zu  unterbrechen,  so  spaltet  er  die  Ge- 
schichte durch  einen  Bucheinschnitt  und  beginnt  den  neuen  Canto  mit 
«iner  Betrachtung,  um  dann  die  Erzählung  fortzusetzen. 

Homer  hält  sich  streng  an  das  Thema,  zu  dem  die  kleinen  Epi- 
soden nur  Schmuckstücke  sind.  Der  Dichter,  der  die  Ilias  zum  Ganzen 
verband,  läßt  es  sich  angelegen  sein  den  Zorn  des  Achilleus  auch  in 
den  Stücken  durchschimmern  zu  lassen,  denen  das  Motiv  ursprünglich 
fremd  war.  Von  der  Vorstellung  des  Krieges  entfernen  sich  unsere 
Gedanken  überhaupt  nie.  Bei  Ariost  wird  auch  Krieg  geführt,  sogar 
fürchterlich.  Aber  die  Kämpfe  zwischen  Karl  und  Agramante  bilden 
nicht  eigentlich  das  Zentrum  des  Gedichtes.  Die  andern  Geschichten 
stehen  gleichberechtigt  neben  ihnen,  und  das  Interesse  des  Lesers  gilt 
diesen  oft  ehr  mals  dem  Ausgang  des  Krieges.  Aber  auch  sie  sind 
nicht  das  dominierende  Thema,  vor  allem  nicht,  wie  der  Titel  vermuten 
ließe,  Rolands  Raserei.  Es  ist  sogar  ein  gewaltiger  Vorzug  des  Ge- 
dichtes, daß  diese  sehr  zurückhaltend  behandelt  und  mit  einem  tollen 
Humor  umkleidet  ist.  Rolands  Heilung  bringt  auch  keinen  Umschwung 
in  der  Handlung  hervor,  sondern  dient  nur  dazu,  zwei  der  ohnehin 
geschlagenen  Heidenkönige  vollends  aus  der  Welt  zu  schaffen. 

Wenn  somit  eine  Einheit  der  Handlung  im  Sinne  des  Aristoteles 
fehlt,  so  hat  die  Kunst  des  Dichters  die  Einheit  in  einem  ganz  andern 
Süme  herzustellen  vermocht.  Wenn  man  das  Gedicht  möglichst  in 
einem  Zuge  durchliest,  so  sieht  man,  wie  die  scheinbar  sorglos  zer- 
streuten Fäden  von  der  Mitte  des  Werkes  an  nach  und  nach  zusammen- 
zulaufen beginnen.  Beinahe  nichts  bleibt  achtlos  liegen,  nur  Ferraü 
verschwindet  spurlos  vom  Schauplatz.  Sonst  vergißt  Ariost  keinen 
seiner  Helden,  und  wenn  wir  am  Ende  sind,  schwebt  uns  keine  Frage 
mehr  auf  den  Lippen. 

Es  hat  immer  zu  den  Ruhmestiteln  Homers  gehört,  daß  er  auch 
dem  Gegner  gerecht  wird  und  besonders  Hektor  und  Priamos  geradezu 
liebevoll  behandelt.  Aber  wir  haben  bei  ihm  nie  das  Gefühl,  daß  der 
endliche  Sieg  den  Troern  gehören  könnte.  Schon  Virgil  hat  hierin 
geändert.  Dem  wütenden  Turnus  entgehen  die  Troer  mit  knapper  Not, 
aber  der  Dichter  läßt  sie  wenigstens  verräterisch  überfallen  werden. 
Ariost  nun  hat  von  Boiardo  ein  solches  Heer  unüberwindlicher  Heiden 
übernommen,  daß  uns  um  Karl  den  Großen  bange  werden  kann  und 
der  Dichter  sich  ihrer  zum  Teil  mit  gewaltsamen  Mitteln  entledigen 
mußte. 


44  Italien 

Die  Handlung  der  Ilias  ist  mit  Hektors  Tode  zu  Ende.  Was  noch 
folgt,  ist  ein  schönes  Ausklingen.  Ariost  hätte  mit  Ruggiero's  und 
"Rinaldo's  Rückkehr  nach  Frankreich  schließen  können.  Aber  er  wagt 
zum  Schluß  noch  eine  neue  Yerwicklung,  den  Widerstand  der  Eltern 
Bradamante's  gegen  deren  Heirat  mit  Ruggiero,  und  knüpft  daran  noch 
eine  selbständige  und  aufregende  Geschichte. 

Die  homerische  Poesie  ist  in  der  Schilderung  der  Gefühle  ihrer 
Helden  von  einer  oft  geradezu  herben  Zurückhaltung.  Ariosts  Per- 
sonen deklamieren  oft  mehr,  als  ein  modemer  Leser  verträgt.  Die 
Klagen  der  Bradamante  und  Fiordiligi,  auch  Ruggiero's,  zeigen  die 
nämliche  Zerfaserung  der  Gefühle,  die  schon  in  Boccaccio's  Filostrato 
zutage  tritt  und  ein  Erbteil  des  Mittelalters  ist.  Während  endlich 
Homer  fast  ganz  hinter  seinem  Werke  verschvrindet  und  subjektive 
Äußerungen  und  Urteile  höchst  selten  sind,  drängt  sich  Ariost  überall 
mit  seiner  Person  vor,  noch  ungleich  stärker  als  Boiardo. 

Wenn  somit  in  Anlage  und  Stil  gar  keine  Abhängigkeit  von  Homer 
sichtbar  ist,  läßt  sich  in  Einzelheiten  erwägen,  ob  eine  Bekanntschaft 
mit  dem  griechischen  Epos  vorhanden  sei.  Giambattista  Pigna  be- 
hauptete es  1554  in  dem  Buch  1  Romann;  die  Italiener  des  18.  Jahr- 
hunderts haben  es  als  erwiesen  angenommen;  neuerdings  hat  Pio  Rajna 
darüber  ebenso  gründliche  als  behutsame  Forschungen  angestellt.  Darin 
hat  gewiß  Rajna  sehr  Recht,  daß  er  den  Furioso  als  ein  abgeschlossenes 
Gedicht  mit  Boiardo's  Material,  aber  nicht  als  eine  einfache  Fortsetzung 
des  Innamorato  betrachtet.  Wenn  aber,  wie  er  nach  Pigna's  Vorgang 
annimmt,  der  Ausgangspunkt  des  neuen  Gedichtes  der  Streit  der  Helden 
um  Angelica  wäre,  wie  in  der  Ilias  der  um  Chryseis  beginnende  Zank, 
so  müßte  dieses  Motiv  ganz  anders  hervortreten  als  es  der  Fall  ist. 
Die  Sache  verdient  genauer  betrachtet  zu  werden. 

Vor  allem  steht  der  Streit  der  Helden  bei  Boiardo  und  nicht  bei 
Ariost.  Der  Kampf  Rolands  und  Ranaldo's  um  Angelica  endet  dort  mit 
dem  Dazwischentreten  des  Königs,  der  Frieden  gebietet  und  gerechte 
Entscheidung  in  Aussicht  stellt.  Genau  bis  zu  diesem  Punkte  geht  die 
Rekapitulation  der  Ereignisse  im  Furioso  1,  8.  Ariost  ignoriert  jene 
Szenen  Boiardo's,  wo  Roland  in  wilder  Freude  die  Scharen  der  Afrikaner 
von  den  Bergen  niederstürzen  sieht  und  Gott  dankt,  der  ihm  Hilfe 
schickt;  denn  nun  werde  Karl  geschlagen  werden  und  ihn,  Roland,  um 
Beistand  angehen  und  ihm  dafür  Angelica  geben  müssen.  Die  Liebe 
zu  ihr  werde  ihn  eine  Welt  in  Waffen  überwinden  lassen.  Wirklich 
kämpft  er  nicht  mehr  mit,  sondern  begibt  sich  in  einen  Wald,  wo  er 
Gott  demütig  anfleht,   dem  Lilienbanner  und  Karl  eine  Niederlage  zu 


Ariost  45 

senden.  Das  ist  der  zürnende  Achilleus,  wie  er  leibt  und  lebt.  Roland 
wird  dann  durch  die  Lobeserhebungen,  die  der  dazukommende  Ferra- 
gute  über  Ranaldo  anstimmt,  so  erbittert,  daß  er  in  die  Schlacht  zurück- 
kehrt, um  seinen  Wert  zu  beweisen. 

Wenn  Ariost  diese  ihm  von  Boiardo  so  bequem  gebotenen  Motive 
nicht  verwendete,  so  beweist  das,  daß  er  sie  verschmäht  hat.  Nicht 
der  Streit  der  Helden  ist  ihm  Ausgangspunkt,  sondern  Angelica's  Flucht. 
Nicht  aus  Zorn  verläßt  Roland  das  Christenheer,  sondern  weil  er  es 
vor  Liebe  nicht  mehr  aushalten  kann,  und  zwar  erst  lange  nach  dem 
Anfang,  und  nicht  ohne  vom  Dichter  dafür  getadelt  zu  werden,  der 
ihn  dann  freilich  mit  der  Macht  der  Liebe  entschuldigt.  Später  läuft 
Rinaldo  aus  dem  nämlichen  Grunde  fort.  Natürlich  vermissen  die  Christen 
ihre  tapfersten  Helden,  aber  sie  siegen  auch  ohne  sie.  Roland  ist 
nicht  unentbehrlich  wie  Achilleus  und  Tasso's  Rinaldo. 

An  Achills  Zorn  könnte  viel  eher  der  Rodomonte's  erinnern.  Die 
ihm  verlobte  Doralice  hat  sich  für  Mandricardo  entschieden,  der  ihm 
in  ihrer  Gunst  zuvorgekommen  ist,  und  der  König  Agramante  hat 
ihre  Wahl  gebilligt.  Daß  Rodomonte  nun  in  schreckliche  Wut  gerät 
und  nicht  mehr  mittut,  ist  sehr  verständlich.  Aber  auch  hier  ist  das 
Wesentliche,  daß  die  Entwicklung  der  Dinge  ohne  ihn  vor  sich  geht. 
Et  kehrt  gar  nicht  mehr  zum  Heer  der  Sarazenen  zurück. 

In  mehreren  anderen  Stellen,  die  für  einen  Einfluß  Homers  auf 
Ariost  sprechen  könnten,  hat  Rajna  selbst  nachgewiesen,  daß  die  Ent- 
lehnung eine  indirekte  ist,  sei  es  durch  Vermittlung  der  römischen 
Dichter  oder  Boiardo's.  Es  bleiben  nur  wenige  Stellen,  an  denen  man 
wohl  an  direkte  Entlehnung  aus  Homer  denken  muß.  Den  Kyklopen, 
der  bei  Ariost  L'Orco  heißt,  hatte  schon  Boiardo  der  Odyssee  entnommen 
und  Polifemo  genannt,  ihm  aber  an  Stelle  der  Augen  zwei  Beeren  von 
Hörn  gegeben  wie  Ariost.  Dem  Homer  entnahm  dieser  die  Rettung 
der  Gefangenen  aus  der  Höhle,  gestaltete  sie  aber  vollständig  um. 

Astolfo  bereitet  sich  vor,  durch  den  Ton  seines  Wunderhorns 
den  Aethiopenkönig  von  den  Harpyien  zu  befreien.  Damit  nun  nicht 
auch  die  eigenen  Leute  durch  das  Hom  in  fürchterlichen  Schrecken 
geraten,  wie  ihm  in  der  Amazonenstadt  geschehen  war,  verklebt  er 
ihnen  vorher  die  Ohren  mit  Wachs.  Das  kann  eine  Reminiszenz  an 
die  Odyssee  sein,  obwohl  nach  der  früheren  bösen  Erfahrung  in  der 
Amazonenstadt  eine  Vorsichtsmaßregel  ohnehin  nötig  war.  Ferner 
fängt  Astolfo  den  wilden  Südwind,  sperrt  ihn  in  einen  Schlauch  und 
nimmt  ihn  mit,  damit  er  nicht  auf  dem  Marsch  durch  die  Wüste  das 
Heer  mit  Sand  überschütte.     Rajna  nennt  das  mit  Recht  eine  glück- 


k 


46  Italien 

liehe  Parodie  der  Episode  vom  ScUauche  des  Aiolos.  Dem  Boiardo 
entnahm  Ariost  das  Netz,  mit  dem  der  Riese  Caligorante  die  Wanderer 
fängt.  Aber  er  sagt  ausdrücklich,  das  sei  das  Netz  gewesen,  mit  dem 
einst  Hephaistos  Ares  und  Aphrodite  gefangen  habe,  zitiert  also  selb- 
ständig den  Homer.  Er  nennt  ihn  auch  einmal  mit  Namen  als  den 
Sänger  des  Agamemnon  und  der  Penelopeia.  Daß  er  ihn  gekannt- 
hat,  ist  daher  nicht  wohl  zu  bezweifeln,  und  es  ist  auch  sehr  wahr- 
scheinlich, daß  an  manchen  Stellen  neben  den  direkt  benutzten  Vor- 
lagen homerische  Reminiszenzen  vorliegen.  Es  fragt  sich  nur,  wodurch 
ihm  die  Kenntnis  vermittelt  worden  sei,  da  er  das  Original  nicht 
lesen  konnte.  Rajna  denkt  an  lateinische  Übersetzungen,  und  da  kann 
nur  die  von  Lorenzo  Valla  und  Raffaello  da  Volterra  in  Frage  kommen^ 
da  alle  andern  nicht  über  Anfänge  hinausgekommen  waren.  Denken 
ließe  sich  aber  auch,  daß  Ariost  durch  seine  gelehrte  Umgebung  in 
den  Inhalt  der  homerischen  Gedichte  eingeführt  worden  wäre  und  er 
diesen  recht  gut  gekannt  hätte,  ohne  den  Homer  selbst  je  gelesen  zu 
haben. 

Ariost  ist  ein  glänzendes  Beispiel  dafür,  wie  sich  der  große  Dichter 
das  Gesetz  selbst  schreibt,  nur  von  dem  Gott  in  seiner  Brust  geleitet. 
Sein  guter  Stern  wollte,   daß   er   das   noch  unbehindert  konnte,   ohne 
von  irgend  einem  Regelzwang  gehemmt  zu  sein.    Die  Poetik  des  Ari- 
stoteles war  ihm  noch  unbekannt.    In  freiester  Weise  hat  er  mit  seinem 
Stoffe  geschaltet  und,  ein  geborener  Herrscher,  sich  zu  eigen  gemacht^] 
was  andere  ihm  boten.    Er  ist  wie  der  Lenker  eines  übermütigen  Ge 
Spanns.     Die  Rosse  rennen  scheinbar,   wie  sie  wollen,   aber  die  Fahi 
ist  sicher,   denn  es  lenkt  sie  ein  Wille,   der  allen  ihren  Launen  übei 
legen  ist. 

Mit  dem  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  hatte  der  Humanismus 
in  Italien  seine  Höhe  erreicht.  Die  lateinische  Poesie  blüht  zwar  noch 
einige  Zeit  fort,  erliegt  aber  vor  der  Mitte  des  Jahrhunderts  endgiltig 
der  italienischen,  und  ihre  Träger  sind  auch  nicht  mehr  ausschließlich  die 
Humanisten.  In  der  poetischen  Produktion  macht  sich  mehr  und  mehr 
der  Einfluß  der  Theorie  geltend,  zunächst  im  Anschluß  an  Horaz,  dann 
an  Aristoteles,  und  die  Theorie  wird  auch  zum  Gegenstand  selbständigen 
Studiums.  Von  großer  Bedeutung  wird  bald  die  gegenreformatorische 
Strömung,  die  schon  vor  dem  Tridentiner  Konzil  einsetzt,  um  nach 
diesem  dominierend  zu  werden.  Wie  sich  alle  diese  Elemente  durch- 
dringen und  bekämpfen,  läßt  sich  an  der  Geschichte  Homers  im  16.  Jahr- 
hundert wenigstens  teilweise  sehen. 


Ariost    Homerausgaben  47 

Die  Schwierigkeiten,  die  sich,  im  Beginn  des  Quattrocento  der 
Erlernung  des  Griechischen  entgegensetzten,  sind  am  Ende  des  Jahr- 
hunderts überwunden.  Eine  große  Zahl  gebildeter  Männer  und  Frauen 
versteht  es  zu  lesen,  sogar  zu  schreiben  und  zu  sprechen.  Durch  den 
Druck  wird  Homer  Gemeingut,  vor  allem  durch  die  Ausgabe  von 
Aldus  Manutius  in  Venedig  1504.  Dieser  außerordentliche  Mann 
hatte  es  sich  zur  Aufgabe  gemacht  das  Verlangen  des  Publikums  nach 

««griechischen  Drucken  in  weitestem  Umfang  zu  erfüllen.  Die  Zahl  der 
n  ihm  veröffentlichten  Werke  ist  sehr  bedeutend.  Unter  großen 
hwierigkeiten,  von  begeisterten  Freunden  unterstützt,  führte  er  sein 
Lebenswerk  durch,  das  wie  überhaupt  der  Ausbreitung  der  Keimtnis 
der  griechischen  Literatur,  so  auch  derjenigen  der  Bekanntschaft  mit 
Homer  die  unschätzbarsten  Dienste  leistete. 

Diese  erste  Aldina  gibt  im  ganzen  den  Text  der  ersten  Ausgabe 
von  Demetrios  Chalkondyles  wieder.  Die  zweite  1517  weicht  an  vielen 
Stellen  von  ihr  ab;  die  dritte,  von  Michael  Bentio  veröffentlicht,  er- 
schien 1524. 

Li  Florenz  wurde  1519  die  Juntina  gedruckt,  genannt  nach 
dem  Begründer  der  Druckerei,  Filippo  Giunta,  eine  Kopie  der  zweiten. 
Aldina.  EndUch  erschien  1542 — 1550  in  Rom  die  Romana,  gedruckt 
durch  Antonius  Bladus.  Der  Text  gibt  die  zweite  Aldina  wieder,  ist 
aber  von  Nicolaus  Majoranus  durchgesehen  und  nach  andern  Hand- 
schriften verbessert.  Das  Register  verfaßte  der  gelehrte  Grieche  Mat- 
thaeus  Devarius  von  Korfu,  welcher  der  Ausgabe  auch  den  ersten 
Druck  des  Eustathios  beifügte.  Diese  Drucke  sind  wesentlich  Re- 
produktionen der  ersten  Ausgaben. 

Von  lateinischen  Übersetzungen  ist  im  16.  Jahrhundert  in 
Italien  nur  die  von  Andreas  Divus  von  Capodistria,  genannt  Justo- 
politanus,  zu  nennen,  Venedig  1537.  Sie  ist  in  Prosa  abgefaßt,  eine 
Version  Wort  für  Wort,  und  hat  sich  lange  dadurch  erhalten,  daß  sie 
in  mehrere  später  zu  erwähnende  Ausgaben  der  Deutschen  und  Holländer 
überging.  Dazu  eignete  sie  sich  schon  durch  ihre  typographische  An- 
lage, da  nämHch  der  Text  nach  den  Versen  des  Originals  abgeteilt  ist. 

Noch  bevor  der  Rasende  Roland  seine  letzte  Fassung  erhalten  hatte^ 
trat  im  literarischen  Leben  Italiens  eine  entscheidende  Wendung  ein.  Das 
Quattrocento  hatte  sich  wohl  gelegentlich  mit  der  Frage  nach  dem  Wesen 
der  Poesie  befaßt.  Wir  haben  gesehen,  wie  verschieden  Polizian  und 
Savonarola  darüber  gedacht  haben.  Stoische  Theorien  über  den  Einfluß 
Homers  auf  die  Späteren  hatten  Eingang  gefunden,  aber  ihre  hemmende 
Einwirkung  war  neben  der  begeisterten  Bewunderung  nicht  recht  fühlbar 


48  Italien 

geworden.  Daneben  behauptete  sich  die  durch  vielerlei  Ursachen  genährte 
allegorische  Deutung.  Aber  eine  eigentliche  systematische  Theorie  war 
nicht  aufgekommen.  Des  Horaz  Ars  Poetica  war  immer  bekannt  ge- 
wesen, und  wir  begegnen  da  und  dort  ihren  Spuren,  z.  B.  in  der  Auf- 
fassung der  Poesie  als  Begründerin  der  Kultur  bei  Polizian.  Dennoch 
fiel  es  niemand  ein,  sie  als  Gesetzbuch  der  Poesie  zu  betrachten.  Sie 
ist  das  ja  auch  nur  in  sehr  uneigentlichem  Sinne.  Wohl  hat  Horaz 
seinen  Ansichten  über  Wesen  und  Aufgabe  der  Poesie  klaren  Ausdruck 
verliehen;  aber  die  oberste  Absicht  seines  Buches  ist,  in  zwangloser 
Weise  den  jüngeren  Dichtem  die  Augen  darüber  zu  öffnen,  wie  dringend 
notwendig  die  Zucht  künstlerischer  Unterweisung  und  philosophischer 
Durchbildung  auch  für  große  Talente  sei. 

Jetzt,  im  Beginn  der  16.  Jahrhunderts,  tritt  im  direkten  Anschluß 
an  Horaz  die  poetische  Theorie  auf.  Marcus  Hieronymus  Vida, 
zuletzt  Bischof  von  Alba,  veröffentlichte  1527  die  Poetica,  die  aber  schon 
1520  verfaßt  waren.  Sie  zerfallen  in  drei  Bücher,  von  denen  das  erste 
die  Erziehung  des  Knaben  zur  Poesie  zum  Gegenstande  hat,  beiläufig 
bemerkt  mit  wahren  Perlen  pädagogischer  Weisheit.  Im  zweiten  Buche 
folgen  die  einzelnen  Vorschriften  über  die  Anlage  eines  epischen  Ge- 
dichts, im  dritten  die  über  die  Sprache  und  die  technischen  Mittel. 

Vida's  Buch  soll  zur  Abfassung  eines  Epos  Anleitung  geben.  Horaz 
hatte  besonders  die  Tragödie  im  Auge  gehabt,  für  die  Belege  aber  haupt- 
sächlich Homer  herangezogen.  Unsere  landläufige  Einteilung  der  Poesie 
ist  dabei  außer  Acht  zu  lassen.  Homer  hatte  der  attischen  Tragödie 
den  episch  bearbeiteten  Sagenstoff  geliefert;  er  war  neben  den  Tragikern 
das  Muster  des  hohen  und  ernsten  Stils,  und  er  entfernte  sich  endlich 
auch  in  der  Form  vom  Drama  nicht  allzusehr,  weil  er  hinter  seinen 
Personen  verschwand.  Die  Tragödie  in  Rom  ebenso  heimisch  zu  machen, 
wie  es  durch  Virgil  mit  dem  Epos,  durch  Horaz  mit  der  Lyrik  geschah, 
gehörte  zu  den  idealen  Zielen  des  Augustus.  Der  Renaissance  dagegen 
galt  das  Epos  als  die  Krone  der  Poesie,  und  so  beschäftigte  sich  die 
beginnende  Theorie  wesentlich  mit  diesem.  Aber  Vida  beschränkt  sich 
auf  das  lateinisch  geschriebene  Epos.  Boccaccio,  Pulci,  Boiardo,  Ariost 
existieren  für  ihn  nicht.  Für  die  epischen  Gesetze  sollen  Homer  und 
Virgil  die  Norm  geben,  und  für  die  Sprache  hat  der  poetische  Anfänger 
den   Cicero  zum  Muster  zu  nehmen. 

So  wird  Vida's  Poetik  das  erste  Regelbuch  für  den  angehenden 
Epiker.  Er  kennt  zwar  die  dichterische  Begeisterung  wohl  und  hat  ihr 
eine  prächtige  Stelle  gewidmet;  aber  es  sollen  Vernunft  und  Selbstkritik 
ein  Gegengewicht  gegen  sie  bilden.    Denn  die  Vernunft  soll  den  Dichter 


SU 

i 


Yida  49 

in  allem  leiten,  nach  ihrem  Winke  sollen  die  Dinge  gehen,  nutu  rationis 
eant  res.  Sie  ist  die  richtige  Korrektur  der  Phantasie.  Darin  geht  Yida 
viel  weiter  als  Horaz,  der  eigentlich  nirgends  der  Vernunft,  sondern, 
überall  dem  durch  philosophische  Bildung  und  das  Studium  berühmter 
Muster  erzogenen  Kunstverstand  die  führende  Rolle  zuteilt.  Mit  Horaz 
stimmt  dagegen  Yida  darin  überein,  daß  Hauptgegenstand  der  Darstellung 

e  Natur  sein   soll,   worunter   die   richtige  Zeichnung   der  Charaktere 

rstanden  ist. 

Horaz  hatte  den  Homer  als  Muster  aufgestellt,  für  Yida  waren  es 
Homer  und  Yirgil.  Eine  Yergleichung  beider  Dichter  haben  wir  schon 
bei  Petrarca,  Polizian,  Yalla  gefunden.  Yittorino  da  Feltre  hatte  gesagt, 
Homer  erscheine  ihm  tief  und  voll  wie  ein  Meer,  aber  Yirgil  sei  seiner 
sorgfältigen  Arbeit  wegen  vorzuziehen.  Yida  nun  gibt  zum  ersten  Mal 
eine  abwägende  Beurteilung  beider  Dichter.  Für  ihn  bedeutet  Homer 
den  Höhepunkt  der  griechischen  Poesie,  aber  die  Römer,  die  sie  über- 
nahmen, haben  Besseres  daraus  gemacht.  Erfindung  lernt  man  bei  Homer 
besser.  Die  soll  der  jugendliche  Dichter  als  Beute  mit  nach  Latium 
führen.  Griechische  Erfindung  in  heimischer  Sprache  wiederzugeben  ist 
nicht  minder  ruhmvoll  als  selbst  etwas  zu  erfinden.  Wie  herrlich  schreitet 
Yirgil  in  der  homerischen  Waffenrüstung  einher! 

Aber  was  sich  ziemt,  was  nicht,  lehren  die  Unsem,  d.  h.  Yirgil. 
Sein  größter  Yorzug  vor  Homer  ist,  daß  er  dezenter,  würdiger  und 
ernster  ist  und  besonders,  daß  er  mehr  dem  Gebote  der  Wahrscheinlich- 
keit gehorcht.  Bei  alledem  ist  Yida  keineswegs  gehässig  gegen  Homer. 
Er  ist  ihm  durchaus  Muster  in  der  schlichten,  eine  Steigerung  ermög- 
lichenden Einleitung  und  in  der  Disposition,  zumal  in  der  der  Odyssee. 
Auch  eine  gewisse  Spannung,  wie  die  auf  die  Versöhnung  Achills  oder 
die  Rettung  vor  dem  Kyklopen,  lasse  sich  der  Leser  gerne  gefallen. 
Aber  Yida  wirft  Homer  vor,  daß  er  das  in  gewalttätiger  Weise  über- 
treibe und  den  Leser  durch  Retardationen  quäle.  So  hemme  er  die 
Spannung  auf  den  Zweikampf  des  Paris  und  Menelaos  durch  die  ein- 
gelegte Mauerschau  und  lasse  uns  unendlich  lange  warten,  bis  Penelope 
den  Bogen  schließlich  zu  den  Freiem  bringe.  Andeutungen  des  endlichen 
Ausganges  billigt  Yida,  wie  z.  B.  daß  dem  Aeneas  die  künftigen  Dinge 
verkündet  werden  oder  Patroklos  dem  Hektor  seinen  Tod  weissagt. 

Gar  sehr  mißfallen  ihm  bei  Homer  die  zahlreichen  Digressionen,  die 
den  Anschein  erwecken,  als  hätte  der  Dichter  seinen  Gegenstand  ver- 
gessen. Was  braucht  Homer  den  Wagen  der  Here  zu  beschreiben,  während 
die  Not  drängt?  was  kümmert  uns  die  eingehende  Schilderung  des 
Thersites,   die  Homer  gibt,   als  ob  sonst  nichts  zu  tun  wäre?     Vieles 

Finsler:  Homer  in  der  Neuzeit.  .  4 


50  Italien 

allerdings  erlaubt  die  griecliisclie  Sprache,  was  uns  bei  unserer  ernstem 
Richtung  verboten  ist.  Der  Wahrscheinlichkeit  widersprechen  die  Ge- 
spräche der  Helden  vor  dem  Kampfe,  wie  das  des  Glaukos  und  Diomedes. 
Unpassend  ist  die  Wiederholung  des  einmal  Erzählten,  wie  daß  Aga- 
memnons  Traum  mehrmals  mitgeteilt  wird,  Achilleus  seiner  Mutter  die 
ganze  Geschichte,  die  wir  schon  wissen,  nochmals  vorträgt,  die  Gesandten 
die  langen  Aufträge  der  Fürsten  wörtlich  wiederholen.  Dagegen  findet 
Yida  Ausweitungen  am  Schluße  des  Werkes  oder  eines  Buches  angenehm 
und  verteidigt  deshalb  auch  die  Aufzählung  von  Streitkräften  und  Fürsten. 

Das  Wichtigste  ist  wohl,  daß  Vida  zuerst  die  Frage  aufwirft, 
welche  Gegenstände  im  Gleichnis  heranzuziehen  erlaubt  sei.  Er  nimmt 
keinen  Anstoß  daran,  daß  Virgil  die  Tyrier  mit  Bienen  oder  die  ab- 
ziehenden Troer  mit  Ameisen  vergleicht.  Aber  ein  Heer  mit  Fliegen 
zu  vergleichen,  welche  die  vollen  Melkeimer  umschwärmen,  dürfte  kein 
italischer  Dichter  wagen,  noch  viel  weniger  die  Vergleichung  des  trotzig 
zurückweichenden  Aias  mit  einem  Esel,  den  die  Buben  aus  dem  Saatfeld 
zu  prügeln  suchen.  Vida  gibt  zu,  daß  die  Umstände  zutreffen  und  das 
Bild  sehr  anschaulich  sei;  aber  der  Esel  sei  ein  gemeines  Tier.  Der  Vor- 
wurf der  Niedrigkeit,  der  hier  zum  ersten  Mal  und  an  diesen  Beispielen 
gegen  die  homerischen  Gleichnisbilder  erhoben  wird,  ist  in  der  Folge 
vielfach  wiederholt  und  erst  durch  Addison  richtig  zurückgewiesen  worden.  | 

Zum  Schlüsse  sagt  Vida,  er  weise  nur  andern  den  Weg  und  könne  * 
nie   hoffen   den  Musenberg  selbst  zu   erreichen.     Dennoch   hat  er  sich 
bald  nachher  an  ein  großes  Epos  gewagt,   die  ChristiaSy   die  auf  An- 
regung Leo's  X.  begonnen,  unter  Clemens  VH.  vollendet  und  1535  zuerst 
gedruckt  wurde,  eine  der  schönsten  Leistungen  des  Jahrhunderts. 

Die  Evangeliengeschichte  war  schon  im  ausgehenden  Altertum 
Gegenstand  der  epischen  Poesie  geworden.  Unter  dem  Kaiser  Kon- 
stantin dichtete  der  spanische  Presbyter  Juvencus  seine  vier  Bücher 
Euangelia  in  den  Formen  des  römischen  Epos,  aber  ohne  jeden 
epischen  plastischen  Schmuck,  der,  wie  Jakob  Burckhardt  hervorhebt^ 
in  dogmatischer  Beziehung  gefährlich  gewesen  wäre.  Wenn  der  enge 
Anschluß  an  die  Evangelienberichte  das  Gedicht  etwas  trocken  er- 
scheinen läßt,  so  hat  es  doch  bei  aller  Einfachheit  eine  innere  Wärme. 
Man  spürt  die  Freude  an  der  Sache.  Die  Lehren  Jesu,  vor  allem  die 
Bergpredigt,  und  die  Gleichnisse  sind  mit  besonderer  Aufmerksamkeit  ' 
behandelt  und  nehmen  den  größten  Raum  ein.  In  der  Darstellung 
der  Passion  und  Auferstehung  ist  der  Mangel  an  pomphafter  Ausführung 
geradezu  zum  Vorzug  geworden,  denn  er  ermöglicht  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  die  Wiedergabe  der  schlichten  Großartigkeit  des  Originals. 


Juvencns     Vida  51 

Ob  Vida  das  Gedicht  des  Juvencns  gekannt  habe,  kann  ich  nicht 
sagen.  Jedenfalls  steht  die  Christias  in  Anlage  und  Stil  in  vollem 
Gegensatze  zu  der  Dichtung  des  späten  Römers.  Von  vornherein  im- 
poniert die  strenge  Geschlossenheit  des  Aufbaues,  an  der  wir  den 
Schüler  der  großen  Epiker  erkennen,  der  die  Prinzipien  seiner  Kunst 
gründlich  durchdacht  hat.    Die  Lehrsätze  der  Poetik  sind  streng  befolgt, 

i^uch  Vida  hat  das  ganze  Leben  und  die  Lehre  Jesu  behandelt,  aber 
sr  fängt  so  wenig  bei  der  Weihnachtsgeschichte  an,  als  die  Odyssee 
m  der  Abfahrt  von  Troja.  Gegenstand  des  Epos  sind  Passion  und 
Auferstehung.  Die  beiden  ersten  Bücher  erzählen  die  Ereignisse  von 
lem  Momente,  wo  sich  Jesus  der  Stadt  Jerusalem  nähert,  bis  zum 
arsten  Verhör  vor  Pilatus,  die  beiden  letzten  besingen  das  Leiden,  den 
fod  und  die  Auferstehung  Jesu  und  die  Ereignisse  bis  zum  Pfingstfest. 
m  dritten  Buch  dichtet  Vida,  daß  sich  Joseph,  von  trüben  Ahnungen 
erfüllt,  nach  Jerusalem  begibt.  Mit  Johannes  tritt  er  bei  Pilatus  ein, 
um  ihn  anzuflehen,  und  erzählt  ihm  die  Geschichte  von  der  Geburt  und 
Kindheit  Jesu.  Im  vierten  Buch  setzt  Johannes  die  Erzählung  fort  und 
berichtet  von  der  Lehre  und  den  Wundern  Christi.  So  ist  das  Gedicht 
zu  einer  vollkommenen  Einheit  abgerundet. 

Vida  hat  sich  ja  allerdings  an  etwas  Unmögliches  gewagt.  Die 
herbe  Schönheit  der  Evangelien  mußte  bei  der  epischen  Behandlung 
notwendig  verlieren,  und  das  zeigt  sich  nirgends  mehr,  als  wo  er  das 
Original  zu  überbieten  versucht.  So  ist  z.  B.  aus  dem  prachtvollen 
Schluß  der  Verleugnung  des  Petrus  „und  er  ging  hinaus  und  weinte 
bitterlich"  eine  langatmige  Schilderung  von  der  Verzweiflung  des 
Jüngers  geworden.  Aber  wenn  man  die  Berechtigung  des  Versuchs 
einmal  zugibt,  erscheint  die  Aufgabe  trotzdem  prächtig  gelöst.  Der 
Dichter  hat  sich  ihr  mit  der  Begeisterung  hingegeben,  die  er  aus 
eigener  Erfahrung  in  den  Poetica  so  schön  geschildert  hat.  Die  Sprache 
ist  flüssig  und  reich.  Hier  ist  Vida  seinen  eigenen  Forderungen  voll- 
ständig nachgekommen.  Virgil  ist  der  Lehrmeister  auf  Schritt  und 
Tritt,  aber  Vida  hat  ihn  sich  zu  eigen  gemacht.  Lebhaft  und  reich- 
haltig sind  die  Schilderungen  der  Natur,  für  die  der  Dichter  ein 
offenes  Auge  hat.  Einzelne  Partien,  wie  die  Beschreibung  des  Tempels, 
die  Transfiguration,  der  Kreuzestod,  sind  von  hinreißender  Schönheit. 
Die  Charakteristik  der  Personen  ist  fein  durchdacht.  Bei  Jesus  selbst 
durfte  Vida  zwar  eine  solche  nicht  versuchen,  da  er  ihm  ein  Gott  ist. 
Aber  der  Verrat  des  Judas  z.  B.  wird  sehr  glücklich  motiviert. 

Die  heidnische  Götterwelt  ist  natürlich  verschwunden  und  wird  durch 
die  christliche,  durch  Himmel  und  Hölle  ersetzt.    Schon  im  Proömium 


52  Italien 

hebt  der  Dichter  neben  der  Erlösung  der  Welt  die  der  frommen  Seelen 
der  Vorzeit  hervor  und  bittet  den  heiligen  Geist,  der  die  Stelle  der 
Musen  vertritt,  ihn  die  Pläne  des  höchsten  Vaters  und  die  Ursachen 
des  Opfertodes  Christi  offenbaren  zu  lassen.  So  wird  die  Passion  zu 
einem  Kampf  der  Hölle  gegen  den  Himmel.  Zwar  hausen  unten 
die  Erinyen,  und  die  Teufel  haben  die  Formen  der  antiken  Schreck- 
gestalten, aber  es  sind  die  Teufel  der  mittelalterlichen  Vorstellung.  Ihre 
Einwirkung  in  die  Passionsgeschichte  ist  ganz  organisch  eingewoben. 
Der  Satan  erkennt  im  Auftreten  Christi  eine  Schmälerung  seines 
Reiches  und  bietet  in  einer  furchtbaren  Versammlung  die  Hölle  da- 
gegen auf.  Die  große  Teuf elver Sammlung,  nach  der  sich  der  Satan 
auf  die  Erde  begibt,  um  das  Heilswerk  zu  verhindern,  ist  aber  ver- 
mutlich nicht  Vida's  Erfindung.  Der  Zug  kommt  ganz  ähnlich  in  einem 
von  Creizenach  nachgewiesenen  piemontesischen  Passionsspiele  vor,  wo 
die  Zweifel  Josephs  als  Eingebung  des  Satans  erscheinen. 

In  der  Nacht,  der  die  Verklärung  vorangeht,  begibt  sich  die 
höllische  Schar  nach  Jerusalem  und  besetzt  die  ganze  Stadt.  Ein 
Teil  erscheint  vielen  in  menschlicher  Gestalt  im  Traume.  Sie  setzen  die 
Hohenpriester  und  Altesten  in  Furcht  vor  Jesus,  der  den  Tempel  zer- 
stören wolle,  so  daß  jene  sich  in  der  Nacht  zum  Rate  versammeln. 
Sie  erscheinen  den  Jüngern,  der  Fürst  der  Hölle  selbst  verlockt  den 
Judas.  Sie  reizen  das  Volk  gegen  Pilatus  auf  und  schrecken  ihn  selbst 
durch  das  Grausen,  Timor,  das  ihn  in  Gestalt  eines  Nachtvogels  um- 
schwebt, so  daß  er  den  Juden  nachgibt. 

Wenn  auf  diese  Weise  der  Anteil  der  Hölle  an  der  Passion  mit 
sicherer  Hand  in  das  Gedicht  eingefügt  ist,  so  erhalten  auch  die 
Engel  ihren  Anteil  an  der  Handlung,  in  einer  Partie  besonders,  zu 
der  Homer  die  Vorlage  bildet.  In  der  Ilias  wollen  Here  und  Athene 
die  Abwesenheit  des  Zeus  benutzen,  um  den  im  Kampfe  bedrängten 
Achäem  zu  Hilfe  zu  kommen.  Aber  Zeus  sendet  Iris  zu  ihnen,  die 
ihnen  unter  Androhung  furchtbarer  Strafen  den  Rückweg  befehlen  soll. 
In  den  Olymp  kehrt  auch  Zeus  zurück,  der  auf  seine  Überlegenheit 
pocht  und  den  Göttinnen  anzeigt,  daß  die  Troer  bis  zu  Patroklos'  Tod 
und  der  Erhebung  des  Achilleus  siegreich  sein  werden. 

Vida  verwendet  diese  Erzählung  folgendermaßen.  Von  der  höchsten 
Höhe  des  Himmels  sieht  Gottvater,  von  Engeln  umgeben,  der  Kreu- 
zigung zu.  Er  ist  unbeweglich,  weil  alles  nach  seinem  Willen  geschieht. 
Aber  die  Engel  erfaßt  bei  Jesu  Verzweiflung  ein  wilder  Schmerz,  und 
sie  denken  daran  Gottes  Sohn  zu  retten.  Ein  göttlicher  Knabe  ersteigt 
den  höchsten  Gipfel  des  Himmels.    Auf  dessen  Axe  sitzend  bläst  er  zum 


Vida  53 

Kriege,  daß  der  Olymp  sich  spaltet  und  die  Gestirne  erbeben.  Den 
Ton  hören  die  auf  der  ganzen  Welt  zerstreuten  Engel,  die  mit  Aus- 
übung ihrer  Ämter  beschäftigt  sind.  Tauben  gleich,  die  bei  nahendem 
Gewitter  dem  Schlage  zustürmen,  eilen  sie  dem  Himmel  zu.  Auf  dem 
Gipfel  des  Olymps  dröhnt  es  von  Waffen.  Die  Geister  der  Gestirne 
nehmen  Gestalt  an.  Sie  reißen  von  den  dröhnenden  Pfosten  des  Äthers 
ihre  Rüstungen,  die  sie  einst  gegen  die  gefallenen  Engel  trugen.  In 
verschiedenem  Schmucke  der  Flügel  zieht  das  Heer  durch  die  luftigen 
Räume,  in  neun  Geschwadern  umkreisen  sie  den  Himmel,  voran  der 
Erzengel  Michael  vom  Monte  Gargano,  der  Sieger  in  jenem  Streit,  in 
prächtigem  Waffenschmuck  und  mit  der  Haut  des  Drachen  angetan.  An 
der  Pforte  des  Himmels  entfacht  ihren  Eifer  der  Anblick  der  erbeuteten 
Waffen  der  gefallenen  Engel  und  eines  goldenen  Bildwerks,  das  ihren 
Sieg  über  diese  darstellt.  Jetzt  hätten  sie  sich  auf  das  schuldige  Judäa 
gestürzt,  aber  Gottvater  sendet  aus  der  Schar  seiner  Dienerinnen  die 
dementia,  den  Engeln  den  Kampf  zu  verbieten.  Sie  stellt  ihnen  den 
Zorn  Gottes  in  Aussicht,  unterstützt  von  andern  Personifikationen  von 
Tugenden.  Die  Engel  legen  die  Waffen  nieder  und  sammeln  sich  vor 
Gottes  Tron.  Dreimal  wendet  er  das  Haupt,  so  daß  das  Firmament  er- 
zittert, und  setzt  ihnen  dann  seinen  Heilsplan  auseinander.  Noch  an 
vielen  Stellen  wird  der  Leser  an  Homer  erinnert,  aber  nirgends  ist  bloße 
Entlehnung  wahrnehmbar.  In  den  Gleichnissen  zeigt  Vida  eine  wunder- 
bare Kunst.  Er  hat  sie  ganz  in  homerischem  Stil  angewendet,  aber 
nur  einmal,  so  viel  ich  sehe,  ein  homerisches  Gleichnis  einfach  übersetzt; 
dagegen  knüpft  er  oft  an  Homer  an,  um  das  Bild  selbständig  fortzuführen. 
Daß  er  eine  Nachahmung  des  Schiffskatalogs  haben  muß,  ist  beinahe 
selbstverständlich;  aber  die  Aufzählung  der  zum  Feste  herbeiströmenden 
jüdischen  Stämme  ist  trotz  vorangehender  Anrufung  der  Engel  und  aller 
Gelehrsamkeit  ebenso  langweilig  wie  der  homerische  Katalog  und  die 
Heeresmusterungen  bei  Boiardo  und  Ariost. 

Die  Christias  ist  eine  Vermählung  des  christlichen  mit  dem  an- 
tiken Geiste  genannt  worden.  Gewiß  hat  der  Dichter  bei  den  Alten 
viel  gelernt,  aber  das  Altertum  liefert  ihm  doch  nur  die  Form  und 
manche  Einzelheit,  Virgil  besonders  die  Sprache.  Der  Geist  ist  ein 
neuer.  Das  katholische  Dogma  regiert,  die  Gedanken  der  Ecclesia 
militans  und  triumphans  drängen  sich  vor,  Wonnen  und  Entzückungen 
machen  sich  breit  wie  in  der  zeitgenössischen  Kunst.  Auf  dem  Tabor 
weissagt  Gottvater  seinem  Sohne  das  Weltreich  des  Papsttums  und  den 
endlichen  Sieg  über  die  Reformation,  gegen  die  Vida  auch  in  der  Prosa- 
schrift De  Dignitate  Beipuhlicae  eine  lange  Tirade  geschleudert  hat.  Dieser 


54  Italien 

Geist  ist  imgrunde  dem  Altertum  feindlich,  obwohl  dessen  Formen  noch 
nicht  entbehrt  werden  können.  Yida  ist  sich  selbst  sehr  wohl  bewußt, 
daß  er  etwas  Neues  bringt.  In  einem  Hymnus  auf  Gott  berühmt  er 
sich,  die  Musen  vom  Helikon  an  die  Wogen  des  Jordans  und  in  die 
Berge  Palästinas  geführt  zu  haben,  und  am  Ende  der  Christias  weissagt 
Gottvater,  nach  fünfzehn  Jahrhunderten  werden  wahre  Dichter,  welche 
die  Lügen  der  Griechen  vergessen  hätten,  die  Passion  besingen.  Besonders 
in  Cremona,  Yida's  Heimat,  am  Gestade  des  Po,  werden  Knaben  und 
Mädchen  gleich  weißen  Schwänen  das  keusche  Gedicht  singen  und  mit 
erster  Stimme  Jesus  preisen. 

In  dem  eben  erwähnten  Hymnus  auf  Gott  sagt  Vida,  viele  hätten 
schon  das  Werk  versucht,  die  Musen  an  den  Jordan  zu  führen.  Damit 
spielt  er  auf  Jacopo  Sannazaro  an,  ein  bedeutendes  Mitglied  der 
Akademie  von  Neapel.  Dessen  lateinisches  Gedicht  De  Partu  VirginiSy 
von  der  Jungfrauengeburt,  das  er  1526  dem  Papst  Clemens  VII.  wid- 
mete, hält  allerdings  den  Vergleich  mit  der  Christias  in  keiner  Weise 
aus.  Es  fehlt  die  Kraft  der  Erfindung  wie  die  Pracht  der  Darstellung. 
Der  Verfasser  ist  ängstlich  bemüht  der  heiligen  Geschichte  den  Cha- 
rakter des  Mysteriums  zu  wahren,  aber  er  verbrämt  sie  mit  einer  Menge 
antiker,  besonders  homerischer  Reminiszenzen.  Das  Resultat  ist  ein 
wenig  anziehendes  Mittelding  zwischen  des  Juvencus  schlichter W^iedergabe 
des  Originals  und  Vida's  farbenprächtiger  Selbständigkeit.  Über  den 
Inhalt  des  Gedichts  ist  nur  zu  sagen,  daß  es  sich  im  Stoff  den  Evangelien 
eng  anschließt  und  die  Ausschmückung  ausschließlich  rhetorischer  Art  ist. 
Dagegen  haben  für  uns  die  Entlehnungen  aus  Homer  einiges  Interesse. 

Die  Schätzung  des  Augustus  begeistert  den  Verfasser  zu  einem 
Völkerkatalog.  Bei  der  Erwähnung  der  Bewohner  der  Troas  gedenkt 
Sannazaro  des  Grabmals  des  Achilleus  und  der  Totenklage  der  Nereiden 
und  der  Thetis  um  ihn.  Nach  der  Geburt  Christi  hält  Gottvater  in 
der  nach  homerischem  Muster  gebauten  himmlischen  Stadt  eine  große 
Engelversammlung  ab.  Er  erinnert  sie  an  den  Sieg  über  die  gefallenen 
Engel,  ihre  gemeinsame  Trauer  über  den  Sündenfall  der  Menschen  und 
über  das  lange  Zögern  Gottes  die  Menschheit  zu  erlösen.  Jetzt  dürfen 
sie  sich  wieder  mit  den  Geschicken  der  Menschen  befassen.  Die  An- 
rede ist  nach  der  des  Achilleus  an  die  ausrückenden  Myrmidonen  ge- 
staltet. Die  Laetitia  wird  mit  frohem  Gefolge  zur  Erde  entsandt;  ihnen 
öffnen  die  Hören  die  Himmelstore,  deren  Hut  ihnen  anvertraut  ist,  und  die 
sich  krachend  auftun.  Die  zu  den  Hirten  herniedersteigende  Engelschar 
wird  zuerst  von  den  Hunden  und  Herdentieren  gewittert,  wie  die  Hunde 
des  Eumaios  Athene  erkennen.    Die  Töchter  des  Jordans  tragen  zum  Teil 


Sannazaro    Aristoteles  55 

die  Namen  der  Nereiden.  Bei  dem  Lobgesang  der  Engel  erinnert  sicli 
der  Stromgott  an  eine  alte  Weissagung  des  Proteus,  es  werde  einer 
kommen,  der  den  Jordan  berühmter  machen  werde  als  alle  Ströme.  Nach 
der  Prophezeihung,  welche  die  Wunder  Jesu  enthält,  umhüllt  sich  der 
Stromgott  mit  dem  Gewand,  das  ihm  die  Najaden  in  feuchten  Grotten 
gewoben  haben,   eine  Erinnerung  an  die  Nymphengrotte  der  Odyssee. 

Yida  hatte  seine  poetische  Theorie  auf  Horaz  und  die  vorzüglichsten 
alten  Muster  aufgebaut.  Nun  wurde  im  Beginn  des  16.  Jahrhunderts 
die  Poetik  des  Aristoteles  wieder  bekannt.  Es  gab  zwar  im  Mittel- 
alter lateinische  Übersetzungen  des  Büchleins  oder  vielmehr  der  ab- 
gekürzten arabischen  Übersetzung  des  Averrhoes,  aber  im  Quattrocento 
zeigt  sich  bei  den  Humanisten  keine  Spur  von  Einfluß  derselben.  Die  Poetik 
galt  dem  16.  Jahrhundert  als  neu  gefunden.  Gedruckt  wurde  sie  zuerst 
bei  Aldus  Manutius  1508  in  Venedig  in  der  Ausgabe  der  Rhetores 
Graeci.  1498  übersetzte  sie  Giorgio  Valla  ins  Lateinische;  die  Über- 
setzung wurde  ebenfalls  in  Venedig  gedruckt.  Eine  andere  Übertragung 
samt  dem  Original  gab  Alessandro  de'Pazzi  Florenz  1536.  Die  erste 
kritische  Ausgabe  mit  einem  gelehrten  Kommentar  lieferte  Francesco 
Robortelli  Florenz  1548.  Es  folgten  die  großen  lateinischen  Kommen- 
tare von  Vincenzo  Maggi,  Madius,  Venedig  1550  und  Pietro  Vettori, 
Victorius,  Florenz  1560.  Die  Poetik  mit  italienischer  Übersetzung  und 
italienischem  Kommentar  veröffentlichte  Lodovico  Castelvetro  Wien 
1570,  dann  Alessandro  Piccolomini  Venedig  1575,  nachdem  bereits 
1549  Bernardo  Segni  in  Florenz  eine  italienische  Übersetzung  hatte 
erscheinen  lassen.  Diese  Menge  von  gelehrten  Arbeiten  zeugt  von  der 
Wichtigkeit,  die  man  der  Poetik  beilegte,  und  dem  regen  Eifer  das  Buch 
zunächst  einmal  gründlich  verstehen  zu  lernen. 

Des  Aristoteles  Poetik  war  geschrieben,  um  die  Poesie  gegen  das 
Verdammungsurteil  zu  schützen,  das  Piaton  im  Staat  gegen  sie  aus- 
gesprochen hatte.  Mit  Piatons  Rüstzeug  angetan,  hatte  Aristoteles  den 
Versuch  unternommen,  und  das  Resultat  war  ein  Lehrbuch  gewesen, 
dessen  Sätze  sich,  schon  an  der  griechischen  Poesie  gemessen,  als  viel 
zu  eng  und  unzureichend  erwiesen.  Wie  viel  mehr  mußte  das  für  Werke 
anderer  Zeiten  und  Völker  zutreffen.  Dessen  war  sich  freilich  die  be- 
ginnende literarische  Kritik  der  Renaissance  zunächst  nicht  bewußt.  Er- 
schien ihr  doch  in  Aristoteles  der  berufene  Führer  in  der  Aufgabe,  die 
Poesie  aus  den  Banden  der  scholastischen  Beurteilung  zu  befreien.  Der 
scholastischen  Verurteilung  gegenüber  hatte  man  schon  im  Mittelalter 
zur  allegorischen  Erklärung  gegriffen,  wie  bereits  im  Altertum  geschehen 


56  Italien 

war.  Dadurch  war  die  Poesie  eine  populäre  Form  der  Theologie  geworden, 
Petrarca  und  Boccaccio  hatten  der  allegorischen  Erklärung  angehangen^ 
obwohl  sie  den  mittelalterlichen  Standpunkt  dadurch  modifizierten,  daß 
sie  die  Bibel  selbst  als  wesentlich  poetisch  erklärten  und  auf  die  poe- 
tischen Bilder  in  der  Sprache  Christi  hinwiesen. 

Nun  kam  den  Humanisten  Aristoteles  zuhilfe.  Bei  ihm  las  man 
jetzt,  daß  es  sich  bei  der  Poesie  nicht  um  Darstellung  des  wirklich 
Geschehenen  handle,  sondern  dessen,  was  gegebenenfalls  nach  Wahr- 
scheinlichkeit und  Notwendigkeit  geschehen  würde.  Der  Historiker  und 
der  Dichter  unterscheiden  sich  nach  ihm  nicht  durch  die  Form  der 
Rede.  Die  Poesie  ist  etwas  Philosophischeres  und  Ernsteres  als  die 
Geschichte,  denn  jene  befaßt  sich  mehr  mit  dem  Allgemeinen,  diese  mit 
dem  Einzelnen.  Damit  stellte  Aristoteles  die  Forderung  der  poetischen 
Wahrheit  auf.  Er  nennt  femer  die  Poesie  eine  Nachbildung  des  Lebens 
und  schien  damit  auch  der  Anklage,  daß  die  Poesie  unmoralisch  sei, 
die  Spitze  abzubrechen.  Besonders  Tragödie  und  Epos  stellen  nach 
ihm  bessere  Charaktere  dar,  als  sie  in  Wirklichkeit  vorkommen.  Auch 
die  Komödie  hat  nicht  das  Schlechte  zum  Gegenstand,  sondern  das 
Lächerliche,  d.  h.  eine  weder  Schmerz  noch  Schaden  erzeugende  Ver- 
fehlung oder  Entstellung.  Endlich  bog  er  das  Urteil  Piatons  dadurch 
um,  daß  er  der  Poesie,  der  Tragödie  wie  dem  Epos,  die  Aufgabe  zu- 
teilte, die  krankhaften  Affekte,  Mitleid  und  Schrecken,  stark  anzuregen  und ; 
dadurch  deren  Heilung  hervorzubringen.  Hier  hat  er  direkt  an  ethische 
Einwirkung  gedacht;  denn  die  Seele  erlangt  auf  diese  Weise  ihr  Gleich- 
gewicht, ihre  Tugend  wieder. 

Man  kann  sich  leicht  denken,  wie  groß  das  Gefühl  der  Befreiung 
war,  das  durch  die  Kenntnis  der  Poetik  hervorgerufen  wurde.  Die  Haupt- 
sache war  doch,  daß  man  einen  neuen  Boden  gewonnen  hatte,  auf  dem 
man  sich  über  das  Wesen  der  Poesie  verständigen  konnte.  In  der  Poetik 
herrschte  Aristoteles  von  nun  an  fast  unumschränkt.  Zugleich  erwies 
er  sich  durch  seine  Lehrsätze  höchst  geeignet,  den  Forderungen  einer 
enger  werdenden  Zeit  zu  genügen.  So  kam  es,  daß  er  kaum  die  Be- 
freiung von  der  Scholastik  vollzogen  hatte,  als  er  auch  schon  zum  Zucht- 
meister der  Poesie  ernannt  wurde.  Es  war  das  ein  eigentliches  Unglück. 
Bis  zum  Ende  des  Jahrhunderts  ist  die  schaffende  -Poesie  gezwungen^ 
sich  mit  ihm  auseinanderzusetzen.  Auch  seither  hat  sich  wenigstens 
die  theoretische  Poetik  selten  dazu  herbeigelassen  ihn  nur  historisch  zu 
begreifen.  Wenn  nicht  in  der  Poesie,  so  spielt  er  doch  in  der  Poetik 
und  besonders  in  der  Schule  noch  vielfach  eine  Rolle,  die  ihm  nicht 
mehr  zukommen  sollte. 


I 


« 


Aristoteles     Trissino  57 

Der  erste,  der  in  Italien  die  Lehrsätze  der  aristotelischen  Poetik 
in  die  literarische  Wissenschaft  einführte  und  praktisch  in  die  Tat  um- 
setzte, war  Giovanni  Giorgio  Trissino,  der  bei  Demetrios  Chalkondyles 
in  Mailand  Griechisch  gelernt  hatte  und  oft  in  päpstlichen  und  kaiser- 
lichen Diensten  stand.  Erst  nach  seinem  Tode,  1563,  erschien  seine 
Foetica,  die  sich  ganz  eng  an  Aristoteles  anlehnt.  Nur  zwei  Partien 
davon  verdienen  besondere  Aufmerksamkeit.  Die  eine  wendet  sich  gegen 
s  romantische  Epos.  Denn  dieses  fehle  gegen  die  Hauptforderung, 
e  Aristoteles  an  ein  Gedicht  stelle,  die  der  Einheit  und  Übersichtlich- 
eit  der  Handlung,  und  lasse  auch  die  Wahrscheinlichkeit  zu  sehr  ver- 
missen. Ferner  verstoße  es  gegen  die  Forderung  würdiger  Sitten.  Bei 
Boccaccio,  Pulci,  Ariost  fehle  es  zu  sehr  an  Ernst  und  Würde.  Sodann 
fordert  Trissino  für  das  zeitgenössische  Epos  den  reimlosen  Elfsilbler^ 
den  Yerso  sciolto. 

Die  Stelle  ist  ein  wichtiges  Dokument  für  eine  eingetretene  Wand- 
lung. Yida  hatte  die  Verfertigung  eines  lateinischen  Epos  gelehrt  und 
selbst  nur  lateinisch  gedichtet.  Jetzt  hören  wir  von  einem  nicht  roman- 
tischen, sondern  klassischen  Epos  in  italienischer  Sprache.  Der  Kreis 
Lorenzo's  hatte  beide  Sprachen  gepflegt,  ebenso  der  von  Neapel,  dem 
Sannazaro  angehörte.  Aber  Ariost,  Macchiavelli,  Guicciardini  gaben 
Italien  Werke,  welche  die  der  berühmten  Römer  überstrahlten.  Den 
entscheidenden  Schritt  tat  Pietro  Bembo,  der  in  seinen  F^'ose  die 
Grammatik  der  Vulgärsprache  gab.  Damit  trat  diese  als  Kunstsprache 
ebenbürtig  neben  das  Lateinische.  Das  lateinische  Gedicht  verlor  seine 
selbständige  Bedeutung.  Das  Italienische  nahm  sogar  von  der  Wissen- 
schaft Besitz.  Segni,  Piccolomini,  Castelvetro  erklären  und  übersetzen 
den  Aristoteles  in  der  Landessprache.  Sogar  die  Übersetzung  Homers 
ins  Italienische  wird  versucht. 

Und  nun  kommt  der  Verächter  des  Romanzo,  Trissino,  mit  einem 
klassischen  Epos  im  Volgare.  Es  ist  die  Italia  liberata  da'  Gotti,  deren 
erster  Teil  1547  in  Venedig  gedruckt  wurde.  Der  Dichter,  der  behauptet 
Aristoteles  zum  Lehrer  und  Homer  zum  Führer  gewählt  zu  haben,  wagt 
den  lateinischen  Vers  nicht  mehr.  Wenn  wir  bedenken,  daß  er  zwanzig 
Jahre  lang  an  seinem  Werk  gearbeitet  hat,  so  -erscheinen  Vida's  und 
Sannazaro's  Epen'  schon  als  verlorene  Posten. 

Gegenstand  der  Italia  liberata  ist  der  Krieg,  den  Kaiser  Justinian 
535 — 553  gegen  das  Ostgotenreich  in  Italien  führte,  und  den  der 
zeitgenössische  Historiker  Prokopios  von  Caesarea  beschrieben  hat. 
Deutschen  Lesern  ist  die  Geschichte  am  meisten  aus  Felix  Dahns 
Kampf  um  Rom   bekannt.     Trissino    hat    die  historische  Reihenfolge 


58  Italien 

der  Ereignisse  durchaus  festgehalten,  schließt  aber  sein  Gedicht  mit 
der  Einnahme  von  Ravenna  und  der  Gefangennahme  des  Vitiges  durch 
Belisar,  also  mit  dem  ersten  Teil  des  Krieges.  Hier  zeigt  er  wirklich 
künstlerisches  Empfinden,  denn  die  Kriege  des  Belisar  und  Narses  sind 
zwei  selbständige,  nur  lose  miteinander  verbundene  Unternehmungen. 
So  hat  Trissino  die  von  Aristoteles  geforderte  Einheit  der  Handlung 
völlig  gewahrt.  Er  läßt  zwar  mehrfach  Ausblicke  auf  den  zweiten 
Teil  des  Krieges,  die  Erhebung  Totila's  imd  dessen  Niederwerfung, 
zu,  aber  nur  in  dem  Sinne,  wie  Homer  durch  Thetis  und  Hektor  den 
Tod  des  Achilleus  andeuten  läßt.  Auch  entfernen  sich  die  zahlreichen 
Episoden  von  der  Haupthandlung  nicht  erheblich  stärker  als  bei  Homer. 
So  weit  wäre  theoretisch  alles  untadelhaft.  Aber  die  Elemente,  aus 
denen   das  Epos   besteht,   sind  nicht  organisch  zum  Ganzen  verwoben. 

Den  Grundstock  bildet  die  Erzählung  Prokops,  die  in  ihrer  fast 
epischen  Einfachheit  von  Trissino  nicht  erreicht  ist.  Es  hilft  nichts, 
daß  er  in  seinem  Gedicht  eine  schauderhafte  Gelehrsamkeit  unter- 
gebracht und  allerlei  Episoden  aus  dem  Altertum  eingeflickt  hat.  Über 
die  historische  Grundlage  legt  sich  fremdartig  die  homerische  Welt. 
Homer  ist  rein  ausgeplündert,  aber  in  ganz  unkünstlerischer  Weise. 
Die  Entlehnungen  aus  dem  griechischen  Epos  machen  einen  dauernd 
fremdartigen  Eindruck.  Eine  große  Reihe  von  ganzen  Szenen  und 
kleineren  Stellen  der  Italia  sind  Übersetzungen  aus  Homer,  und  wenn 
man  diesen  kennt,  weiß  man  auch  so  ziemlich,  was  man  zu  erwarten 
hat.  Zuweilen  sind  die  homerischen  Stücke  gewaltsam  in  den  Zusammen- 
hang eingesprengt.  Davon,  daß  dem  orthodoxen  Kaiser  Justinian 
die  Götter  Homers  helfen,  konnte  natürlich  keine  Rede  sein.  Aber  das 
Gedicht  wäre  doch  nicht  homerisch,  wenn  die  Götter  fehlten.  Da  kommt 
nun  Trissino  auf  eine  wundersame  Idee.  Er  setzt  die  Heidengötter  in 
Engel  um,  gibt  ihnen  aber  Namen,  durch  welche  die  der  alten  Götter 
durchschimmern.  Pallas  wird  zum  Angelo  Palladio,  Ares  zum  Angelo 
Gradivo,  der  Traum,  Oneiros,  den  Zeus  dem  Agamemnon  sendet,  zum 
Angelo  Onerio,  der  auf  Gottes  Geheiß  den  Justinian  besucht.  Diese 
christlichen  Götter  oder  heidnischen  Engel  spielen  eine  ähnliche  Rolle 
wie  die  Götter  bei  Homer,  so  weit  das  nämlich  mit  dem  Oberbefehl  Gott- 
vaters verträglich  ist. 

Das  dritte  Element  des  Gedichts  ist  das  romantische.  Zwar  redet 
Trissino  an  einer  Stelle  sehr  abschätzig  von  Ariost,  „der  dem  Pöbel 
gefällt".  Aber  nicht  nur  sind  bei  ihm  die  romantischen  Partien  die 
gelungensten,  sondern  die  meisten  davon  stammen  direkt  aus  Ariost. 
Der  Zorn  Corsamonte's  ist  freilich  eine  Nachbildung  dessen  des  Achilleus, 


Trissino  59 

aber  der  Held  selbst  mit  seiner  ganzen  Umgebung  ist  ein  Abklatsch. 
der  Cavaliere  Ariosts,  und  aus  diesem  stammt  es  auch,  daß  die  Neben- 
buhler Corsamonte  und  Aquilino  sich  verpflichten  müssen  nichts  Feind- 
seliges gegeneinander  zu  begehen. 

Die  Mischung  dieser  verschiedenen  Elemente  ist  entweder  äußerlich 
geblieben  oder  führt  zu  verworrenen  Bildern,  so  immer,  wenn  die 
ariostischen  Ritter  homerische  Schlachten  schlagen  müssen.  Wo  Trissino 
auf  sich  selbst  angewiesen  ist,  bleibt  er  frostig.  Die  Verwendung 
Homers  hat  ihn  offenbar  saure  Mühe  gekostet,  aber  er  scheint  ge- 
glaubt zu  haben,  die  Nachfolge  Homers  bestehe  in  einer  umfassenden 
Ausplünderung,  bei  der  nichts  Wesentliches  vergessen  werden  dürfe. 
Vielleicht  kann  man  geradezu  sagen,  daß  Trissino  nur  mit  schwerer 
Arbeit  und  ohne  rechte  Freude  am  Homer  diesen  kopiert  hat.  Vieles, 
wie  die  ganz  überflüssige  Betörung  Justinians  durch  Theodora,  macht 
einen  sehr  gequälten  Eindruck,  noch  mehr  der  damit  verbundene  See- 
sturm aus  der  Odyssee. 

Die  treibende  Ursache  für  Trissino  ist  der  kirchliche  Fanatismus 
gegen  die  Protestanten,  die  er  in  den  arianischen  Goten  zu  treffen 
sucht.  An  sich  wäre  der  Stoff  nicht  schlecht  gewählt  gewesen.  Liest 
sich  doch  schon  die  Erzählung  Prokops  partienweise  fast  wie  ein  Epos. 
Felix  Dahn  hat  damit  zwei  Jahrzehnte  des  modernen  Deutschlands  be- 
geistert; auch  er  war  von  einem  Fanatismus  beseelt,  dem  antirömisch- 
germanischen.  Das  macht  nichts  aus.  Ein  ehrlicher  Fanatismus  kann 
einen  rechten  Dichter  zum  Großen  begeistern.  Aber  ein  Dichter  muß 
es  sein,  der  weiß,  wie  der  Stoff  zu  behandeln  ist,  wenn  er  wirken  soll. 
Wenn  im  Beginn  von  Dahns  Roman  Teja  an  der  Zukunft  des  Goten- 
reiches zu  verzweifeln  erklärt,  so  haben  wir  das  Gefühl  von  einer 
großen  kommenden  Tragödie.  Wenn  aber  am  Anfang  der  Italia  liberata 
Gottvater  selbst  die  Vernichtung  der  Goten  beschließt,  so  ist  von  vorn- 
herein jedes  Interesse  ausgeschlossen.  Dem  '  Anfang  entspricht  der 
Verlauf.  Die  Römer  Trissino's  sind  so  überlegen,  seine  Helden  von 
einer  solchen  ariostischen  Unüberwindlichkeit,  daß  an  Erfolge  der 
Goten  gar  nicht  zu  denken  ist.  Von  der  Ritterlichkeit  Homers, 
Boiardo's  und  Ariosts  den  Gegnern  gegenüber  findet  sich  bei  Trissino 
kaum  eine  Spur;  nur  der  Gote  Torrismondo  erhebt  sich  einigermaßen 
zu  heldenhafter  Größe.  Sonst  ist  alles,  was  diese  Arianer  tun,  von 
vornherein  niederträchtig,  und  selbst  ihre  Siege  sind  verkappte  Nieder- 
lagen. Daran,  daß  sie  das  belagerte  Rom  einnehmen  könnten,  kommt 
dem  Leser  kein  Gedanke.  Von  dieser  Belagerung  an  hört  überhaupt 
jedes   Interesse   an   dem  Verlaufe   auf.     Während   der  Belagerung  von 


60  Italien 

Ravenna  sendet  Gott,  als  ob  die  Goten  nicht  schon  genug  geschlagen 
wären,  den  Engel  Satumio,  der  mit  dem  Blitz  ihre  Kornspeicher  an- 
zündet. Dem  entspricht  alles  andere.  Während  der  Schluß  des  deut- 
schen Romans  einen  feierlich  erlösenden  Eindruck  macht  wie  das  letzte 
Buch  der  Ilias,  bedeutet  der  der  Italia  liberata  das  Ausmünden  in  einen 
trostlosen  Sumpf. 

Einen  andern  Weg  schlug  der  Florentiner  Luigi  Alamanni  ein. 
Er  hinterließ  ein  Epos  L'Ävarchidej  das  sein  Sohn  Battista,  Bischof 
von  Mäcon,  1570  veröffentlichte.  König  Arturo  von  Bretagne  belagert 
die  Stadt  Avarco,  Avaricum,  Bourges,  die  Clodasso  dem  König  Ban, 
Lancilotto's  Vater,  genommen  hat.  Der  Schauplatz  ist  also  Frankreich^ 
die  Gestalten  gehören  der  bretonischen  Sage  an,  und  das  Gedicht  würde 
demnach  zu  den  Romanzi  gehören.  Aber  zu  seinem  romantischen 
Stoff'  erfand  Alamanni  eine  Handlung,  welche  einfach  die  wichtigsten 
Ereignisse  der  Ilias  wiedergibt.  Es  ist  ein  Gedicht  vom  Zorne  Lan- 
cilotto's, den  König  Arturo  beleidigt  hat,  und  der  sich  grollend  vom 
Kampfe  zurückzieht.  Das  Epos  ist  weder  klassisch  noch  romantisch. 
Zu  den  homerischen  Sitten  passen  die  bretonischen  Ritter  nicht,  und 
die  homerische  Erzählungsweise  verhindert  die  bunte  Mannigfaltigkeit 
des  Romanzo.  Wortreich  und  monoton  schleppt  sich  die  Geschichte 
durch  25  Gesänge  mit  über  3000  Stanzen,  bei  deren  Lektüre  auch  der 
Eifrigste  erlahmt.  Auf  diesem  Wege  ließ  sich  das  Romanzo  nicht  in 
klassisches  Gewand  stecken. 

Trissino's  und  noch  mehr  Alamanni's  Gedichte  wurden  vom  Publikum 
mit  Recht  abgelehnt.  Von  der  Italia  liberata  sagte  Bemardo  Tasso^ 
der  Vater  Torquato's,  sie  sei  fast  am  gleichen  Tag,  wo  sie  erschienen 
sei,  begraben  worden.  Aber  Trissino  hatte  einen  Streit  erweckt,  der 
nicht  so  bald  zur  Ruhe  kommen  sollte,  und  zwar  mit  seinem  Wort 
über  Ariost,  der  dem  Pöbel  gefalle. 

Giambattista  Giraldi  Cinthio  aus  Ferrara,  ein  sehr  gelehrter 
Mann,  verfaßte  1549  die  Schrift  Discorso  intorno  al  comporre  dei 
Romanzi,  die  1554  erschien.  Sein  Zweck  war  eigentlich,  für  ein  zu 
verfassendes  eigenes  Gedicht  JErcole  sich  zuerst  eine  Theorie  zurecht 
zu  legen.  Neben  dem  antiken  Epos  mit  der  einen  Handlung  eines 
Helden  und  dem  Romanzo  mit  den  vielen  Handlungen  vieler  sollte 
eine  Dichtungsart  Platz  finden,  welche  die  vielen  Handlungen  eines 
Helden  darstellte.  Aber  daneben  ist  der  Discorso,  der  eine  vollständige 
Poetik  des  Romanzo  darstellt,  eine  wirksame  Verteidigung  dieser 
Dichtungsart  überhaupt  und  voll  geistreicher  Polemik  gegen  die  über- 
triebene   Anmaßung    der   modernen    Aristoteliker.      Cinthio    verteidigt 


Alamanni     Giraldi  61 

das  Recht  des  Romanzo  neben  dem  den  Regeln  des  Aristoteles  und 
Horaz  entsprechenden  alten  Epos.  Er  findet  die  Kunst  Ariosts  der 
Homers  und  Virgils  in  mancher  Beziehung  überlegen.  Diese  kom- 
ponieren so,  daß  das  eine  Buch  vom  andern  abhängig  ist.  Ariosts 
Verfahren  ist  viel  wunderbarer.  Die  Verknüpfung  der  einzelnen  Ge- 
schichten, das  Abbrechen  und  Verschlingen  zeugt  von  höchster  Kunst. 
Warum  sollten  die  neuen  Dichter  nur  in  den  Fußtapfen  der  alten 
wandeln  dürfen,  zumal  der  Romanzo  im  Preise  der  Tugend  und  in  der 
Verurteilung  des  Lasters  die  alten  Epen  übertrifft?  Giraldi  hat  oft 
über  die  lachen  müssen,  welche  die  Verfasser  der  Romanzi  den  von 
Aristoteles  und  Horaz  gegebenen  Gesetzen  unterordnen  wollten,  ohne 
zu  bedenken,  daß  weder  der  eine  noch  der  andere  diese  Sprache  und 
Kompositionsweise  kannte.  Gerade  deshalb  paßt  es  nicht,  diese  Kom- 
positionen solchen  Gesetzen  und  Ordnungen  zu  unterwerfen,  sondern 
man  muß  sie  in  den  Grenzen  lassen,  in  die  sie  die  großen  Dichter 
gestellt  haben.  Wie  Griechen  und  Römer  ihre  Theorien  aus  ihren 
Dichtem  ableiteten,  so  dürfen  auch  wir  es  tun.  So  hat  es  schon  Ovid 
gehalten,  der  sich  in  den  Metamorphosen  auch  nicht  an  die  Regeln 
des  Aristoteles  kehrte,  weil  eben  sein  Stoff  dort  nicht  besprochen  war. 
Niemand  hat  mit  solcher  Klarheit  den  historischen  Wert  und  zu- 
gleich die  Schranken  der  aristotelischen  Poetik  erkannt  wie  Cinthio. 
Wenn  er  hätte  durchdringen  können,  so  wäre  der  Poesie,  ja  der  Mensch- 
heit, viel  Mühsal  erspart  geblieben.  Er  hat  gesehen  und  ausgesprochen, 
daß  eine  neue  Poesie  gänzlich  unmöglich  wäre,  wenn  man  nur  das  Vor- 
bild der  Alten  gelten  lassen  wollte.  Zwar  bestreitet  er  gar  nicht,  daß  das 
Studium  anerkannt  vorzüglicher  alter  Dichter  für  den  Späteren  nützlich 
sei.  Aber  er  will,  daß  man  sich  zugleich  vor  ihren  Fehlem  hüte  und 
nicht  auch  diese  nachahme.  So  ist  Virgil  zu  prüd,  und  Homer  hat 
den  Wein  öfter  eingeführt,  als  einem  klugen  Dichter  zukommt.  Vor 
allem  hat  man  den  Unterschied  der  Zeiten  und  Sitten  im  Auge  zu  be- 
halten. Bei  Homer  nimmt  sich  Nausikaa  selbst  ihrer  Wäsche  an;  heut- 
!zutage  wäre  das  sogar  für  die  Tochter  eines  einfachen  Handwerkers 
Tinschicklich,  geschweige  denn  für  eine  Prinzessin  oder  ein  Edelfräulein. 
Es  herrschte  eben  damals  eine  rohe  Einfachheit,  die  erst  später  der 
Majestät  Roms  gewichen  ist,  einer  Majestät,  die  sich  bis  in  unsere  Zeit 
erhalten  hat.  Homer  in  seinen  Sitten  nachahmen  wollen,  hieße  aus 
dem  Golde  seiner  Komposition  den  Wust  heraussuchen,  der  sich  nicht 
durch  die  Schuld  des  Dichters,  sondern  die  seiner  Zeit  hineindrängte. 
Was  bei  ihm  nur  durch  die  Zeit  verzeihlich  wird,  darf  nicht  nachgeahmt 
werden.     Die   Griechen   erklärten  ihn  natürlich   für  göttlich,   weil   sie 


62  Italien 

keinen  andern  hatten.  So  war  Ennius  berülinit,  bis  Virgil  kam.  Diesem 
hat  man  die  Scene  verübelt,  wo  sich  Aeneas  über  Helene  ereifert  und 
die  Urheberin  so  vielen  Unheils  vernichten  will.  Was  müßte  man  erst 
zu  den  zankenden  Göttern  und  Helden  Homers  sagen?  Mit  der  alle- 
gorischen Erklärung  kommt  man  da  nicht  durch;  sie  legt  den  Gedichten 
Dinge  unter,  an  welche  die  Dichter  gar  nicht  gedacht  haben.  Niedriges 
gehört  nun  einmal  nicht  in  die  Poesie.  Wenn  Servius  und  Macrobius 
Homer  über  Virgil  stellen,  so  muß  man  bedenken,  daß  Grammatiker 
nicht  zu  Richtern  über  dergleichen  Fragen  geeignet  sind. 

Der  Schätzung  Homers  ist,  wie  man  sieht,  die  vorbildliche  Stellung^ 
die  ihm  Aristoteles  angewiesen  hat,  nicht  zum  Heil  gediehen.  Man  be- 
ginnt nach  Fehlem  des  berühmten  Musters  zu  spähen  und  findet  sie 
wesentlich  im  Mangel  an  dem  konventionellen  Anstand,  den  man  an 
Virgil  bewundert.  Verschärft  wird  die  Polemik  durch  die  Anmaßung 
der  Aristoteliker  mit  ihrer  hochmütigen  Verachtung  des  Romanzo.  Be- 
sonders Trissino  ist  bei  Giraldi  die  Zielscheibe  bitterster  Kritik.  Er 
sei  ein  schlechter  Nachahmer  ohne  eigenes  Urteil,  der  sich  selbst  gegen 
die  Regeln  verfehle. 

In  der  Erzählung,  sagt  Giraldi,  passen  nur  kurze  Vergleichungen, 
damit  sie  nicht  aufgehalten  wird.  Dagegen  eignen  sich  längere  Gleich- 
nisse in  den  Episoden  und  im  Munde  müßiger  und  nicht  von  Schmerz  ge- 
drückter Personen.  Homer  hat  im  neunten  Buch  der  Odyssee  kein  Gleichnis, 
überhaupt  wenige  in  der  Odyssee,  dagegen  sehr  viele  in  der  Ilias,  weil 
ihm  diese  großartiger  und  prächtiger,  die  Odyssee  im  Vergleich  damit 
einfacher  erschien.  Virgil  dagegen  hat  überall  Gleichnisse,  denn  seine 
Poesie  ist  überall  majestätisch. 

Giraldi's  geistvolles  Buch  hätte  den  aristotelischen  Regelzwang  ver- 
hindern können,  ohne  indessen  dem  Dichter  seine  Freiheit  zurückzugeben.; 
Denn  auch  ihm  ist  die  Erkeimtnis  nicht  gekommen,  daß  sich  der  Dichter 
selbst  das  Gesetz  macht.  Auch  er  steht  im  Bann  der  Anschauung,  daß 
die  Theorie  für  den  Dichter  bestimmend  sei,  nur  will  er  sie  nicht  ein- 
seitig aus  den  Alten  abgeleitet  wissen.  Einen  direkten  Einfluß  übte 
sein  Buch  auf  Bernardo  Tasso,  der  sein  Gedicht  Amadigi  ähnlich  ge- 
stalten wollte,  wie  Trissino  das  seine,  sich  aber  durch  Giraldi  bewegen 
ließ  in  Ariosts  Lager  überzugehen.  Nur  den  rhetorischen  Schmuck 
behielt  er  aus  den  klassischen  Epen  bei,  um  ihn  zum  Bombast  zu  über- 
treiben. 

Zum  Teil  ähnliche  Gedanken  wie  Giraldi  äußerte  zur  gleichen  Zeit 
sein  Schüler  Giambattista  Pigna  in  dem  Buche  I  Bomanzi.  Er 
hat   sogar  behauptet,   Giraldi  habe  ihm  seine  Ideen  gestohlen.     Wenn 


Giraldi     Minturno  65 

man  beide  Bücher  vergleicht,  so  erkennt  man  den  gemeinsamen  Grund- 
gedanken, die  Rechtfertigung  des  Romanzo  als  einer  besondern  existenz- 
berechtigten Dichtungsart.  Aber  Pigna  ist  ein  weit  engerer  Geist  als 
Giraldi.  Er  sucht  vor  allem  zu  beweisen,  daß  der  Romanzo  den  aristo- 
telischen Forderungen  ebensogut  entspreche  wie  das  antike  Epos,  und 
nur  in  der  Frage  der  Mehrheit  der  Handlungen  geht  er  seinen  eigenen 
Weg,  der  auch  von  dem  Giraldi's  verschieden  ist.  Er  erklärt  sie  näm- 
lich historisch  aus  dem  Zusammenschluß  vieler  Einzellieder  zu  einem 
Ganzen  und  baut  darauf  eine  Technik  des  Romanzo  auf.  Daß  er  der 
Abhängigkeit  Ariosts  von  Homer  und  Virgil  nachgegangen  ist,  wurde 
bereits  erwähnt.  Die  allegorische  Erklärung  der  epischen  Gedichte 
überträgt  er  auf  den  Furioso,  was  sehr  wunderbar  anmutet. 

Den  von  Giraldi  hingeworfenen  Handschuh  nahm  Antonio  Min- 
turno im  ersten  Buche  seiner  Poetica  Toscana  1563  auf.  Das  dick- 
leibige Werk  ist  in  Form  eines  Gesprächs  zwischen  dem  Verfasser  und 
Vespasiano  Gonzaga  abgefaßt,  zunächst  im  engsten  Anschluß  an  die 
aristotelische  Poetik,  deren  einzelne  Sätze  oft  breit  ausgeführt  werden. 
Aber  schon  hier  geht  der  Verfasser  einen  wichtigen  Schritt  weiter» 
Aristoteles  hatte  gesagt,  das  Epos  sei  der  Zeit  nach  unbegrenzt.  Min- 
turno findet,  daß  nach  Maßgabe  der  besten  Muster  die  Handlung  des 
Epos  ein  Jahr  nicht  überschreiten  dürfe.  Die  Hauptsache  ist  ihm  aber 
die  Behandlung  des  Romanzo,  wobei  er  Ariost  mit  Homer  schulmeistert. 
Jener  fehlt  durch  die  Massenhaftigkeit  der  vorgeführt^  Dinge  gegen 
das  Gebot  der  Wahrscheinlichkeit  und  Notwendigkeit.  Geschätzt  werden 
die  Romanzi  wohl,  aber  nur  vom  Pöbel,  der  nicht  weiß,  was  Poesie 
ist,  und  worin  der  Vorzug  des  Dichters  besteht.  Sie  haben  wohl 
Handlungen,  die  des  Epos  würdig  wären,  aber  sogar  Ariost  besitzt  nicht 
die  Poesie,  die  Aristoteles  und  Horaz  uns  lehren,  so  hoch  man  auch 
sein  Genie  schätzen  mag.  Er  ordnet  die  Mannigfaltigkeit  seiner  Per- 
sonen und  Sachen  nicht  einem  Ziele  unter  wie  Homer.  Leicht  hätte 
er  die  Not  der  Christen  durch  die  Raserei  Rolands  begründen  können^ 
wie  Homer  die  der  Achäer  durch  den  Zorn  des  Achilleus.  Die  Heilung 
Rolands  hätte  dann  den  Sieg  der  Christen  herbeigeführt.  Wenn  Rug- 
giero  besonders  verherrlicht  werden  sollte,  konnte  Ariost  ein  besonderes 
Gedicht  über  ihn  machen,  wie  Homer  über  Odysseus,  der  ja  auch  in 
der  Ilias  eine  große  Rolle  spielt.  Man  kann  nur  bedauern,  daß  er  sa 
dem  Geschmack  der  Menge  nachgab.  Die  Gründe  der  Verteidiger  des 
Romanzo  läßt  Minturno  nicht  gelten.  Die  Forderung  der  Einheit  der 
Handlung  ist  unantastbar  gehalten  durch  das  Beispiel  der  besten  Muster 
und  die  Lehren  des  Aristoteles  und  Horaz,  neben  denen  die  neue  Poetik 


64  Italien 

des  Romanzo   nicht  aufkommt;   denn  es  gibt  nur  eine  Wahrheit,   die 
dem  Wechsel  der  Zeiten  nicht  unterliegt,  ganz  wie  in  der  Religion. 

Die  Theorie  ist  bereits  zum  Dogma  geworden,  das  alles  Leben  be- 
deckt, die  neue  Richtung  eine  Art  Ketzerei.  Damit  ein  Lichtblick 
nicht  fehle,  bietet  Mintumo  das  erste  Beispiel  eines  Pedanten,  der  einem 
großen  Dichter  klar  macht,  wie  er  es  hätte  anstellen  sollen,  um  korrekt 
zu  sein. 

Es  ist  im  vorgehenden  mehrfach  von  der  Vergleichung  Homers 
mit  Virgil  die  Rede  gewesen.  Die  Diskussion  darüber  hat  nie  auf- 
hören wollen.  Im  Cinquecento  neigt  sich  die  überwiegende  Mehrheit 
auf  die  Seite  des  Römers. 

Capriano  verglich  beide  Dichter  in  dem  Buche  Bella  vera  Poetica 
1555,  das  mir  nicht  erreichbar  gewesen  ist.  Nach  Spingams  Referat 
tadelte  Capriano  die  überflüssige  Fülle  und  Breite  Homers  und  den  gelegent- 
lichen Mangel  an  Anstand  und  hob  die  Überlegenheit  Yirgils  in  Würde 
und  Stil  hervor.  Das  Buch  erschien  im  selben  Jahre  wie  Pelletier's 
Art  poetique;  ob  dieser,  wie  Spingam  annimmt,  davon  beeinflußt  war, 
oder  ob  er  und  Capriano  auf  Vida  zurückgehen,  ist  nicht  leicht  zu  sagen. 

Der  in  Rom  tätige  Franzose  Marcus  Antonius  Muretus  beginnt 
seine  Vorlesung  über  Virgil  1579  mit  dem  Satz,  dieser  sei  ohne  Zweifel 
nicht  nur  der  bedeutendste  lateinische  Dichter,  sondern  bringe  auch 
den  Ruhm  der*  Griechen  in  die  größte  Gefahr;  an  anderer  Stelle  er- 
klärt er  ihn  über  jede  Vergleichung  erhaben.  Derselben  Meinung 
waren  eine  Menge  der  bedeutendsten  Geister  Italiens.  In  diesem  Zu- 
sammenhang sei  die  umfängliche  Arbeit  des  großen  Forschers  Fulvius 
Ursinus  erwähnt,  Virgilius  cum  Graecis  scriptorihus  coUatus  1567, 
wo  eine  gewaltige  Menge  Entlehnungen  Virgils  nachgewiesen  werden. 

Erwähnen  wir  noch  die  ersten  italienischen  Übersetzungen 
Homers,  die  sämtlich  im  Verso  sciolto  verfaßt  sind.  Der  Messinese 
Paolo  La  Badessa  veröffentliche  1564  die  ersten  4  Bücher  der  Ilias 
in  herzlich  schwachen  Versen,  Girolamo  Bacelli  1581/82  die  Odyssee 
und  7  Bücher  der  Ilias.  Lodovico  Dolce  liefert  1573  eine  Über- 
setzung der  Odyssee  in  Stanzen;  Cesarotti  urteilt,  es  sei  mehr  eine 
Nacherzählung  als  eine  Übersetzung.  Ähnlich  muß  sein  Ächille  eine 
Nachbildung  der  Ilias  sein.  Ich  habe  diese  beiden  Werke  nicht  zu- 
gesicht  bekommen. 

Trissino,  Giraldi,  Pigna,  Minturno  waren  nur  die  wichtigsten  Re- 
präsentanten  der   streitenden  Parteien.     In  Wahrheit   erhitzte  sich  die 


Tasso     Speroni  65 

ganze  gebildete  Welt  Italiens  über  die  Angelegenheit.  Das  lesende 
Publikum  hatte  längst  entschieden.  Ariost  lebte  in  unvergänglichem 
Ruhm,  Trissino's  Buch  hielt  sich,  wie  Tasso  berichtet,  kaum  in  den 
Bibliotheken.  Aber  in  den  gelehrten  Kreisen  herrschte  Aristoteles. 
Da  mochte  es  wohl  einem  jungen  Dichter,  der  sich  mit  großen  Ge- 
danken trug,  bang  zumute  werden.  Wie  glücklich  war  Ariost  gewesen, 
für  den  Aristoteles  noch  begraben  lag.  Jetzt  hieß  es  sich  mit  den 
die  Welt  bewegenden  Fragen  abfinden,  nicht  sowohl  vor  den  Menschen, 
als  vor  sich  selbst. 

Torquato  Tasso  hatte  schon  bei  seinem  Aufenthalt  in  Venedig 
1559  und  1560  den  Plan  zu  seinem  Gedicht  vom  Befreiten  Jerusalem 
gefaßt  und  auch  damit  begonnen.  Die  beständig  steigende  Türken- 
gefahr lenkte  die  Augen  der  Italiener,  besonders  der  Venezianer,  nach 
Osten.  Der  Gedanke  eines  neuen  Kreuzzuges,  der  schon  das  15.  Jahr- 
hundert vielfach  beschäftigt  hatte,  tauchte  wieder  auf,  und  auch  andere 
als  Tasso  dachten  daran  der  öffentlichen  Stimmung  in  einem  Epos  Aus- 
druck zu  geben.  Der  Stoff  eines  solchen  Gedichts  mußte  national  sein, 
nicht  mehr  wie  bei  Basini  im  Sinne  eines  italienischen  Vaterlandes, 
sondern  im  Hinblick  auf  den  römischen  Katholizismus.  Tasso  verlor 
den  Plan  nicht  mehr  aus  den  Augen.  Zwischen  1568  und  1570 
schrieb  er  in  Ferrara  die  drei  Discorsi  delVarte  poetica  ed  in  particolare 
sopra  ü  poema  eroico.  Er  wollte,  wie  er  später  mitteilt,  die  Wahrheit 
suchen  und  den  richtigen  Weg  der  Dichtung  finden,  von  dem  so  viele 
moderne  Dichter  abgewichen  seien.  Ganz  voraussetzungslos  ist  er  nicht 
an  seine  Erwägungen  herangetreten.  Dafür  geben  sie  die  Gedanken  der 
aristotelischen  Poetik  zu  umfassend  wieder.  Sodann  hatte  er  1560—62 
in  Padua  den  vertrauten  Umgang  des  gelehrten  Sperone  Speroni 
genossen,  der  noch  vor  Mintumo  Giraldi  gegenüber  auseinandergesetzt 
hatte,  der  Romanzo  müsse  zwar  nicht  notwendig  den  Vorschriften  der 
Alten  folgen,  dürfe  aber  den  Grundgesetzen  der  Poesie  nicht  ungehorsam 
sein.  Die  Romanzi  seien  entweder  Epen,  d.  h.  Gedichte,  oder  Geschichten 
in  Versen  und  keine  Gedichte.  Unter  den  Grundgesetzen  verstanden 
sie  alle  zuvörderst  die  Abgeschlossenheit  und  Einheit  der  Handlung, 
und  das  tritt  auch  bei  Tasso  so  stark  hervor,  daß  ihn  Speroni  nach- 
mals bezichtigte,  ihm  seine  Gedanken  entwendet  zu  haben.  Dennoch 
sagt  Tasso  die  Wahrheit,  wenn  er  die  Discorsi  das  Mittel  nennt,  das 
er  angewendet  habe,  um  den  richtigen  Weg  zu  finden.  Bei  aller  Ab- 
hängigkeit von  Aristoteles  bieten  sie  das  Bild  eines  ehrlich  Suchenden. 

Der  Stoff  des  Epos,  so  erklären  die  Discorsi,  soll  historisch  sein, 
weil   ein   solcher   der  W^ahrseheinlichkeit  besser  entspricht   als   ein  er* 

Finsler:  Homer  in  der  Neuzeit.  5 


66  Italien 

fundener.  Da  aber  das  Epos  auch  das  Wunderbare  verlangt,  so  muß 
der  Dichter  einen  christlichen  oder  hebräischen  Stoff  wählen,  weil  er 
nur  so  übernatürliche  Gewalten  verwenden  kann,  die  den  religiösen 
Vorstellungen  unserer  Zeit  entsprechen,  so  daß  das  Wunderbare  zu- 
gleich auch  wahrscheinlich  ist.  Der  Held  wird  nur  vollkommen  sein, 
wenn  er  fromm  und  religiös  ist.  Eine  zu  alte  Zeit  darf  nicht  gewählt 
werden,  weil  der  moderne  Leser  deren  Sitten  nicht  liebt.  So  göttlich 
Homers  Gedichte  sind,  so  geben  sie  doch  denen  Anstoß,  die  an  die 
Zartheit  und  den  Anstand,  decoro,  der  neuen  Zeit  gewöhnt  sind.  Alte 
Geschichten  in  modernem  Gewände  vorzutragen  geht  auch  nicht  an. 
Ganz  neue  Stoffe  hindern  die  Erfindungskraft.  Bleiben  also  die  mitt- 
leren Zeiten,  die  der  Romanzo  mit  so  großem  Erfolge  verwendet  hat. 

Die  Handlungen  müssen  edel  und  glänzend  sein.  Mit  Unrecht 
sieht  Aristoteles  den  Unterschied  zwischen  Epos  und  Tragödie  nur  in 
den  Kunstmitteln.  Die  Wirkung  des  Epos  ist  nicht  Mitleid  und 
Schrecken,  sondern  seine  Erhabenheit  geht  auf  große  und  reiche  Hand- 
lungen. Für  den  Umfang  ist  Homer  mustergiltig,  der  einen  ziemlich 
kleinen  Stoff  durch  Episoden  und  bereichernden  Schmuck  zu  einer  löb- 
lichen und  schicklichen  Größe  ausdehnte.  Virgil  hat  beide  Epen  Homers 
umfassen  wollen  und  mußte  daher  die  Ornamente  so  sparsam  und  vor- 
sichtig verwenden,  daß  er  die  blühende  und  beredte  Fülle  Homers  nicht 
erreichte.  Vor  allem  ist  innere  Abgeschlossenheit  zu  fordern,  die  bei 
Boiardo  und  Ariost  nur  gefunden  werden  kann,  wenn  man  ihre  zwei 
Gedichte  als  ein  einziges  betrachtet.  Sie  würde  auch  bei  Homer  fehlen^ 
wenn  sein  Gegenstand  der  troische  Krieg  wäre  und  er  nicht  dem  Zorn 
des  Achilleus  alles  andere  untergeordnet  hätte.  Die  in  jüngster  Zeit 
so  heftig  erörterte  Frage  ist,  trotz  der  Popularität  Ariosts  und  der 
Gelehrsamkeit  seiner  Anhänger,  gegen  den  Romanzo  zu  entscheiden. 
Zwischen  diesem  und  dem  Epos  besteht  kein  Artunterschied,  und  selbst 
wenn  dies  der  Fall  wäre,  dürfte  die  Einheit  nicht  fehlen,  da  diese  eüi 
Gesetz  aller  Poesie  ist. 

Die  Sitten  der  Zeiten  ändern  sich,  nicht  aber  die  Beurteilung  der 
moralischen  Werte.  Aber  eine  Menge  von  Dingen  werden  nur  durch 
die  herrschende  Sitte  zu  schönen  oder  häßlichen  gemacht,  so  die  Art 
der  Bewaffnung,  Gebräuche  bei  Opfer  oder  Gastmahl,  Anstand  und  Er- 
habenheit der  Personen.  Bei  der  Erhabenheit  unserer  Zeit  wäre  es  un- 
passend, daß  eine  Königstochter  mit  ihren  Mägden  die  Wäsche  selbst 
besorgte.  Darum  zeigt  Trissino  wenig  Urteil,  der  alle  diese  homerischen 
Gebräuche  nachahmt.  Was  dagegen  direkt  auf  die  Natur  gegründet 
ist,  wie  die  Charaktere,  ist  von  der  Gewohnheit  unabhängig. 


Tasso  67 

Die  unleugbaren  Vorzüge  Ariosts  berühren  das  Prinzip  der  Einheit 

nicht.    Seine  Überlegenheit  rührt  nicht  von  der  Vielheit  der  Handlungen 

her,  sondern  von  der  Anmut  und  Mannigfaltigkeit  der  Schilderungen,  die 

bei  der  Verfeinerung  der  Zeiten  notwendig  geworden  ist.     Aber  wie  bei 

aller  wunderbaren  Mannigfaltigkeit  die  Welt  ein  Ganzes  bleibt,  so  wird 

auch  der  Dichter,  den  man  göttlich  nennt,  weil  er  beim  Schajffen  an  der 

^Göttlichkeit  des  Schöpfers  teilhat,  eine  kleine  Welt  mit  reichster  Abwechs- 

iung  bieten;  diese  kleine  Welt  wird  aber,  wie  die  grosse,  eine  Einheit  sein. 

Diesem  Programm,  in  der  Einheit  dem  Homer,  in  der  Mannigfaltig- 

:eit  dem  Ariost  zu  folgen,  entspricht  die  1575  erschienene  Gerusalemme 

jiberata,   deren  Stoff  der   erste  Kreuzzug,   deren  Held  ein  christlicher 

'ürst  von  höchster  Würde  ist.    Dem  Dichter  gab  Homer  die  Handlung 

engeren  Sinne,   den  Streit   der  Helden,   der  nicht  wie  bei  Trissino 

ils   ein   zufälliger  Flicken   aufgesetzt,   sondern   von  ganz  zentraler  Be- 

leutung  ist.    Erster  Ausgangspunkt  wie  bei  Homer  ist  nun  zwar  dieser 

Jtreit  nicht.    Tasso  mußte  seine  Leser  zuerst  mit  der  Lage  des  Kreuz- 

leeres   und   dessen  vornehmsten  Helden  bekannt  machen,  während  bei 

[omer  Vorgeschichte  und  Personen  vorausgesetzt  sind.    Der  von  Gott 

lern   Goffredo   gesandte   Traum,    die   Ratsversammlung,   die  Forderung 

jines   einheitlichen   Oberbefehls   durch   den  Einsiedler  Piero   sind  nach 

lomerischem  Muster  gezeichnet,  und  unter  den  Führern  trägt  Dudone 

lie  Züge  Nestors.    Natürlich  folgt  auch  eine  Heerschau,  wie  bei  Vida, 

toiardo,  Ariost.    Während  der  ersten  Scharmützel  erklärt  Erminia  dem 

[König  Aladino  von  der  Mauer  Jerusalems  aus  die  Namen  der  Christen- 

[führer,   doch   so,   daß   sich   ihre  Erklärungen   an   die  Wechselfälle   des 

Kampfes  anschließen.    Die  Szene  hat  mit  der  homerischen  Mauerschau 

lanchen  Zug  gemein. 

Hier   tritt  nun   das  Motiv   ein,    das   dem  modernen  Epos   so  ver- 
längnisvoU   werden    sollte,    die   Beteiligung   der  Hölle   an  den  Ereig- 
lissen.     Der  Satan  sieht  durch  den  Kreuzzug  sein  Reich  bedroht  und 
[beruft  eine  Versammlung,  in  der  er  die  Dämonen  auffordert  unter  dem 
[Christenheer  Unheil  zu  stiften.     Hier  ist  ohne  allen  Zweifel  Vida  das 
[uster,  nur   daß   das   Eingreifen   des   Königs   der   Finsternisse  in   der 
Jhristias   denn   doch   ungleich  besser  motiviert  ist.     Auch  operiert  die 
[öUe    bei   Tasso   zunächst  nur   durch  ihre   Abgesandten,   Idraote   und 
irmida.     Einmal,    bei   dem   Sturm   Solimano's    auf   das   Christenlager, 
ißt  dann  Tasso  die  ganze  höllische  Rotte  zur  Unterstützung  der  Heiden 
lusziehen,   bis   sie   durch   den   Erzengel  Michael  in   die  Hölle   zurück- 
gejagt wird.     Sonst  sind  die  übernatürlichen  Mächte  maßvoll  verwendet 
id  verkümmern  den  Helden  die  erste  Rolle  nicht. 

5* 


68  Italien 

An  Armida's  Sendung  knüpft  sich  der  Streit  im  Lager.  Rinaldo 
hat  seinen  Verleumder  Gemando  niedergestochen,  und  Goffredo  erklärt 
strenge  Gerechtigkeit  walten  zu  lassen.  Von  Tancredi  benachrichtigt, 
wappnet  sich  Rinaldo,  um  sich  seiner  Gefangennahme  zu  widersetzen; 
er  findet  seine  Verdienste  durch  Goffredo  übel  belohnt.  Aber  Tancredi 
beschwört  ihn,  im  Lager  keinen  ruchlosen  Kampf  zu  beginnen,  sondern 
lieber  zu  Boemondo  nach  Antiochia  zu  gehen.  Bald  würden  die  Christen, 
wenn  das  ägyptische  Heer  sie  bedränge,  nach  seinem  starken  Arm 
Verlangen  tragen. 

Tasso  hat  den  Eingang  der  Ilias  zugleich  benutzt  und  gewandelt. 
Er  wagt  nicht,  das  homerische  Problem  in  ganzer  Strenge  durchzu- 
führen. Nach  unseren  und  seinen  Begriffen  ist  die  Haltung  des  zürnen- 
den Achilleus  die  höchste  Indisziplin,  ja  sie  grenzt  an  Hochverrat  und 
läßt  sich  allein  aus  der  schrankenlosen  Individualität  der  homerischen 
Helden  erklären.  Rinaldo  denkt  allerdings  zuerst  daran  sich  der 
Schande  der  Einkerkerung  zu  widersetzen;  aber  er  gibt  den  Bitten 
Tancredi's  nach,  der  ihn  warnt,  in  dem  ersten  Zorn  Goffredo's  sich 
dessen  Richterspruch  zu  unterziehen,  und  die  Entfernung  für  ein 
gutes  Mittel  hält  den  Sinn  des  Feldherrn  zu  beugen.  „Das  aufgebrachte 
Herz  des  mutigen  Jünglings  wandte  und  bezwang  sich",  sagt  der  Dichter. 
Seine  Enthaltung  vom  Kampf  ist  nicht  die  Wirkung  des  Zornes, 
sondern  besserer  Einsicht.  Nach  Tasso's  Meinung  ist  Goffredo  durch- 
aus im  Recht.  Deshalb  ist  auch  Rinaldo's  Rückkehr  zum  Heere  ähn- 
lich und  doch  anders  gestaltet  als  die  des  Achilleus.  Die  Christen 
haben  alle  Ursache  gehabt  ihren  tapfersten  Helden  zu  vermissen.  Da 
sendet  Gott  aus  der  Traumpforte  einen  Traum  zu  Gofiredo  in  Gestalt 
des  verstorbenen  Ugone.  Er  rät  ihm,  Rinaldo  aus  dem  fernen  Exil 
zurückzurufen;  denn  die  Vorsehung  habe  jenen  zum  Vollbringen  der 
Pläne  Goffredo's  bestimmt.  Bitten  dürfe  er  nicht,  weil  das  seiner 
Würde  Eintrag  täte,  sondern  er  solle,  wenn  er  gebeten  werde,  ein- 
willigen und  beim  ersten  Ton  der  Bitten  anderer  sich  zur  Verzeihung 
herablassen.  Am  Morgen  fleht  Rinaldo's  Oheim  Guelfo,  der  Feldherr 
möge  einwilligen,  daß  jener  zurückkehre  und  zur  Buße  für  seinen 
Fehler  sein  Blut  zum  gemeinen  Wohl  hingebe.  Den  dringenden 
Bitten  schließen  sich  die  andern  Fürsten  an.  Goffredo  willigt  ein; 
aber  Rinaldo  soll  in  Zukunft  seine  Zornausbrüche  zügeln  und  durch 
seine  Taten  den  hohen  Hoffnungen  entsprechen,  die  man  auf  ihn  ge- 
setzt hat.  Abgesandte  Ritter  erlösen  Rinaldo  aus  den  Fesseln  der  Armida 
und  bringen  ihn  zurück.  Bei  der  ersten  Begegnung  mit  Goffredo 
erklärt  er,  aus  eifersüchtigem  Ehrgefühl  Gernando  erschlagen  zu  haben; 


Tasso  69 

wenn  er  den  Feldherrn  damit  beleidigte,  so  habe  er  darüber  große 
Betrübnis  und  Reue  gefühlt,  und  er  sei  bereit  jede  Buße  zu  leisten, 
die  ihn  jenem  wieder  angenehm  mache.  Er  neigt  sich  tief,  aber  Goffredo 
umarmt  ihn  und  sagt,  es  möge  jede  traurige  Erinnerung  schweigen,  und 
seine  Buße  solle  in  dem  bestehen,  was  er  aus  Gewohnheit  tun  würde, 
in  ruhmvollen  Taten.  Noch  einmal  beweint  Rinaldo,  von  dem  Ein- 
siedler Piero  scharf  gemahnt,  den  hochfahrenden  Zorn  und  die  tolle 
Liebesleidenschaft.  Dann  hilft  er  dem  Heer  zum  Siege,  wie  der  ver- 
söhnte Achilleus.  Aber  wie  anders  ist  hier  die  Versöhnung  gewandt! 
In  der  Ilias  muß  Agamemnon  sein  Unrecht  eingestehen  und  alles  tun, 
um  eine  wirkliche  Beendigung  des  Zornes  herbeizuführen.  Hier  be- 
kommt der  Feldherr  durchaus  Recht,  und  obwohl  er  des  starken  Helden 
bedarf,  ist  er  der  Verzeihende  und,  sogar  auf  göttlichen  Rat  hin,  nicht 
der  Bittende. 

Während  der  Abwesenheit  Rinaldo's  haben  sich  Ereignisse  zuge- 
tragen, die  viele  homerische  Anklänge  zeigen:  die  Herausforderung  Ar- 
gante's  an  die  Christen,  sein  Zweikampf  mit  Tancredi  und  der  mit 
Raimondo,  der  verräterische  Schuß  des  Oradino,  der  als  Vertragsbruch 
betrachtet  wird.  Die  darauf  folgende  Schlacht  hätte  mit  dem  Siege 
der  Franken  geendigt,  wenn  nicht  Gott  der  höllischen  Schar  erlaubt 
hätte  einzugreifen,  wie  es  in  der  Ilias  Apollon  tut.  Der  Zänker  Ther- 
sites  wird  zum  Rebellen  Argillano;  den  durch  diesen  erregten  Unmut 
des  Heeres  zu  dämpfen  genügt  Goffredos  majestätische  Erscheinung.  Die 
Prozession  der  Frauen  von  Jerusalem  zu  ihrem  Lügengott  ist  dem 
Bittgang  der  Troerinnen  zu  Athene  nachgedichtet.  Hier  und  in  den 
zahlreichen  übrigen  Anlehnungen  verfährt  Tasso  ganz  selbständig  in 
der  Verwendung  des  Vorbilds,  in  das  er  sich  liebevoll  versenkt  hat. 
Der  Schluß  weicht  sogar  stark  von  Homer  ab,  da  sich  der  zurück- 
gekehrte Rinaldo  mit  Goffredo  und  Tancredi  in  den  Ruhm  des  Sieges 
teilen  muß.  Von  Homer  wie  Ariost  hat  Tasso  die  ritterliche  Behand- 
lung des  Feindes. 

Tasso  war  überzeugt,  gleich  Homer  und  Virgil  ein  nationales 
Epos  geschaffen  zu  haben.  Aber  die  Nation  erkannte  nicht  darin  den 
höchsten  Wert  des  Gedichts,  sondern  in  den  romantischen  Partien, 
Sofronia  und  OUndo,  Clorinda's  Tod,  Armida's  Garten,  der  Liebe  der 
Erminia.  Sie  sind  auch  die  schönsten  und  zeigen,  daß  der  Dichter, 
wenn  auch  mit  dem  Kopfe  zu  Homer,  doch  mit  dem  Herzen  zu  Ariost 
neigte. 

Bald  nach  ihrem  Erscheinen  wurde  die  Gerusa,lemme  der  Gegen- 
stand   eines    heftigen   Streites,    der    die    ganze    gelehrte   und  gebildete 


70  Italien 

Welt  Italiens  interessierte  und,  so  pedantisch  und  spitzfindig  aucli 
manches  darin  erscheint,  doch  für  die  Beurteilung  des  geistigen  Lebens 
der  Zeit  von  Wichtigkeit  ist.  Es  handelte  sich  um  die  in  der  Tat 
nicht  ganz  gleichgiltige  Frage,  ob  Italien  mit  Tasso's  Gedicht  ein 
klassisches  Epos  erhalten  habe.  Mit  einer  einzigen  für  sich  zu  be- 
handelnden Ausnahme  stehen  sämtliche  Streiter  auf  dem  Boden  der 
aristotelischen  Poetik,  und  es  wird  fortwährend  mit  Homer  als  dem 
von  Aristoteles  aufgestellten  Muster  operiert. 

Die  Sätze  des  Aristoteles  wurden  jedoch  nicht  mehr  von  allen 
blindlings  hingenommen.  Gerade  in  den  Punkten,  um  die  sich  der 
Streit  hauptsächlich  drehen  sollte,  hatten  sie  kurz  vorher  eine  mitunter 
scharfe  Kritik  erfahren.  Das  war  durch  den  Kommentar  geschehen, 
den  Lodovico  Castelvetro  1570  zur  Poetik  schrieb,  und  in  "dem 
er  auch  hergebrachte  Erklärungen  der  Poetik  widerlegte.  Die  wich- 
tigsten der  Ausführungen,  die  sich  zugleich  auf  Aristoteles  und  Homer 
beziehen,  sind  folgende. 

Castelvetro  bestreitet  die  Richtigkeit  der  aristotelischen  Einteilung 
der  Poesie  nach  den  Objekten,  sowie  die  Behauptung,  daß  die  Dichter, 
je  nach  ihrem  edleren  oder  gemeineren  Charakter,  sich  dieser  oder 
jener  Art  der  Poesie  zugewendet  hätten.  Aristoteles  schreibe  ja  selbst 
dem  Homer  neben  der  erhabenen  Ilias  das  burleske  Epos  Margites  zu. 
Innerhalb  eines  und  desselben  Stückes  seien  die  verschiedensten  Charaktere 
möglich,  und  die  Schöpfer  der  Poesie  waren  Beobachter  von  Natur 
und  Menschen,  die  leicht  durch  den  Gegensatz  angeregt  werden  konnten. 
Die  Hochgemuten  besangen,  preisend  oder  tadelnd,  die  hohen,  kleinere 
Geister  die  niederen  Stände.  Denn  nach  Ständen,  nicht  nach  Charak- 
teren scheidet  sich  die  Poesie.  Wie  die  ganze  Poetik  der  Renaissance 
läßt  Castelvetro  als  Helden  für  Epos  und  Tragödie  nur  Könige  und 
vornehme  Männer  zu;  diese  Auffassung  stammt  nicht  aus  Aristoteles, 
sondern  aus  Horaz. 

Sehr  verständig  ist  Castelvetro's  Bemerkung  zu  der  Forderung 
des  Aristoteles,  daß  die  Charaktere  der  Fabel  tüchtige  Menschen  sein 
müssen.  Er  will  die  Forderung  nicht  auf  alle  Personen  der  Handlung 
ausgedehnt  wissen  und  auch  unter  den  tüchtigen  nicht  absolut  gute 
Menschen  verstehen,  die  ja  Aristoteles  geradezu  ausschließe.  Hätten 
die  Nachfolger  gesehen,  wie  richtig  Castelvetro  erklärt,  so  wäre  ihnen 
viel  müßiger  Zank  erspart  geblieben. 

Die  Forderung  der  Abgeschlossenheit  und  Ganzheit  der  Handlung 
ist  nach  Castelvetro  richtig;  also  ist  der  Furioso  zu  tadeln,  weil  er 
vom  Innamorato   abhängt.     Mit   der  inneren  Notwendigkeit  des  Endes 


Castelvetro  7 1 

sieht  es  auch  bei  den  großen  Epen  eigentümlich  aus;  die  llias  wie 
die  Aeneis  haben  ihre  Fortsetzer  gefunden.  Die  Handlung  braucht 
nicht,  wie  Horaz  meint,  notwendig  in  der  Mitte  anzufangen,  weil 
Homer  und  Virgil  es  so  gemacht  haben;  einem  Dichter  deswegen  den 
Dichteniamen  abzusprechen,  weil  er  es  nicht  so  macht,  geht  viel  zu  weit. 
I^B  Homers  Gegenstand  ist  nach  Castelvetro  ausschließlich  der  Zorn 
^aes  Achilleus.  Wenn  Aristoteles  mit  der  Behauptung  Recht  hätte,  daß 
Homer  einen  Teil  des  Krieges  herausgehoben  habe,  so  hätte  dieser  die 
Mitte  einer  ganzen  Handlung  zum  Gegenstand  genommen.  Aber  das 
ist  ja  falsch.  Ein  Teil  der  troischen  Sage  ist  gewiß  die  llias  wie  die 
Odyssee,  aber  mit  einem  bestimmten  Helden  und  dessen  Handlung  im 
Mittelpunkt.  Für  die  Wahl  des  engeren  Stoffes  war  dem  Homer  nicht 
die  Übersichtlichkeit  maßgebend,  wie  Aristoteles  annimmt,  sondern  etwas 
anderes.  Hätte  er  den  ganzen  Krieg  besungen,  so  wäre  die  ganze  Wunder- 
welt und  das  aus  ihr  entspringende  Vergnügen  der  reichen  Fabel  zu- 
geschrieben worden.  Bewunderung  schuf  er  sich  dadurch,  daß  man  bei 
der  Ankündigung  des  Zornes  nicht  erwartete,  er  werde  den  ganzen  Krieg 
aufrollen.  Von  den  Episoden  gehören  freilich  einige  nicht  in  das  zehnte 
Kriegsjahr,  z.  B.  der  Schiifskatalog  und  die  Mauerschau.  Aber  dort  läßt 
sich  sagen,  daß  es  frühere  Teile  der  Geschichte  gibt,  die  der  Dichter  er- 
wähnen zu  müssen  glaubt;  hier,  daß  die  Nachlässigkeit  des  Priamos,  sich 
nicht  früher  nach  den  Achäerhelden  zu  erkundigen,  ebenso  entschuldbar 
ist,  wie  die  des  sophokleischen  Oidipus,  der  sich  um  die  Schicksale  seines 
Vorgängers  gar  nicht  gekümmert  hat.  Es  wäre  das  nur  unentschuld- 
bar, wenn  der  Oidipus  gleich  nach  Laios  Tode  spielte,  Priamos  früher 
mit  den  Griechen  zusammengetroffen  wäre,  ohne  sich  nach  ihrem  Namen 
zu  erkundigen. 

Es  ist  nicht  richtig  zu  sagen,  daß  ein  Gedicht  nicht  zu  loben  sei, 
wenn  sein  Anfang  von  einer  andern  Sache  abhänge  oder  dem  Ende 
noch  etwas  folge  oder  folgen  könne.  Wie  sollte  der  Hörer  nicht  wünschen 
zu  erfahren,  wie  Odysseus  zu  Kalypso  gekommen  ist?  Auch  der  An- 
fang der  llias  hängt  notwendig  mit  vergangenen  Dingen  zusammen. 
Und  soll  man  von  dem,  was  dem  Ende  des  Gedichtes  folgt,  nichts  mehr 
vernehmen?  Es  handelt  sich  also  beim  Aufbau  der  Fabel  nicht  um 
Anfang,  Mitte  oder  Ende  einer  Handlung,  sondern  nur  darum,  beim 
Hörer  das  Vergnügen  an  einer  neuen  und  wahrscheinlichen  Handlung 
zu  erwecken;  dieser  Gesichtspunkt  hat  auch  die  Wahl  des  Anfangs  zu 
bestimmen.  Der  Anfang  muß  freilich  klar  bezeichnet  sein,  oder,  wenn 
er  unbekannt  ist,  aus  dem  Gedicht  hervorgehen.  In  der  llias  ist  er 
von  vornherein  klar:  es  ist  die  Pest  mit  ihren  Ursachen;  in  der  Odyssee 


72  Italien 

ist  er  zuerst  unbekannt,  erhellt  aber  aus  dem  fünften  Buch  und  wird  durch 
die  Erzählung  des  Odysseus  vollkommen  klar.  Man  sieht  leicht,  daß, 
wenn  auch  Ariost  von  Castelvetro  nicht  mehr  genannt  wird,  der  Furioso 
von  den  lobenswerten  Gedichten  ausgeschlossen  ist. 

Wenn  Aristoteles  bestreitet,  daß  die  Fabel  schon  dann  einheitlich 
sei,  wenn  sie  einen  einzigen  Helden  zum  Mittelpunkt  habe,  und  wenn 
er  vor  allem  eine  einheitliche  Handlung  fordert,  so  entgegnet  Castel- 
vetro, daß  es  doch  einzelne  Handlungen  einer  Person  geben  könne, 
die  nach  Wahrscheinlichkeit  und  Notwendigkeit  voneinander  abhängen 
und  so  zur  Bildung  einer  Einheit  geeignet  sind.  Jedenfalls  gab  es 
Dichter,  die  die  Einheit  in  der  Person  erblickten  und  nicht  daran 
dachten,  daß  sie  Unzusammenhängendes  vorbrächten.  Wenn  Aristoteles 
damit  Recht  hat,  daß  Drama  und  Epos  nur  eine  Handlung  einer  Per- 
son darstellen  dürfen,  so  sind  viele  Dichter  zu  tadeln,  darunter  Vida, 
dessen  Christias  verschiedene  Handlungen  Christi  enthält,  vor  allem 
aber  auch  die  Ilias.  Denn  wenn  sie,  wie  Aristoteles  behauptet,  einen 
Teil  des  troischen  Krieges  darstellt,  so  ist  ihre  Handlung  nicht  die 
einer  einzigen  Person,  sondern  eines  Volkes. 

Nun  geht  die  Poesie  in  ihrer  Kunstübung  in  den  Spuren  der  Ge- 
schichte; sie  unterscheiden  sich  nur  dadurch,  daß  die  Geschichte  wirklich 
Geschehenes,  die  Poesie  möglicherweise  Geschehendes  darstellt.  Wenn 
nun  die  Historiker  mehrere  Handlungen  derselben  Person  historisch 
erzählen  dürfen,  so  darf  das  die  Poesie  auch,  ebenso  die  Handlung  eines 
Volkes,  ja  sogar  mehrere  Handlungen  desselben  Volkes  oder  mehrerer 
Personen.  Trotzdem  kommandiert  Aristoteles  hier  und  anderswo  hart- 
näckig, die  Handlung,  welche  die  Fabel  ausfülle,  müsse  eine  einzige' 
und  zwar  die  einer  einzigen  Person  sein. 

Hier  irrt  sich  Castelvetro  infolge  einer  falschen  Interpretation  der 
Poetik,  wie  sich  schon  Giraldi  geirrt  hatte.  Aristoteles  fordert  nur  die 
Imitation  einer  Handlung,  nicht  einer  Handlung  einer  Person.  Dieser 
Irrtum,  den  Mintumo  nicht  hat,  wurde  durch  Castelvetro  sehr  verbreitet. 
Beni  hat  dann  den  Fehler  aufgedeckt.  Auffallen  kann  dabei,  daß  Castel-  • 
vetro  für  die  Ilias  doch  nur  einen  Helden  annimmt;  doch  gibt  er  nicht 
zu,  daß  das  für  den  Satz  des  Aristoteles  spreche,  weil  sich  Homer  aus 
ästhetischen  Gründen  und  um  sein  Genie  heller  leuchten  zu  lassen,  dafür 
entschieden  habe. 

Den  größten  Kampf  führt  Castelvetro  für  die  Forderung,  daß  die 
Poesie  einen  historischen  Stoff  haben  müsse,  und  zwar  gestützt  auf  die 
Beobachtung,  daß  so  ziemlich  alle  Epen  und  Tragödien  der  alten  Zeit 
ihre  Fabel  der  Sage  oder  der  Geschichte  entnommen  haben.    Hier  stellt 


Castelvetro     Pellegrino     Salviati  75 

er  sich  in  den  denkbar  größten  Gegensatz  zu  Aristoteles,  dem  die 
Überlieferung  eher  als  ein  Hindernis  für  den  Dichter  erschien.  Wenn 
er  aber  den  historischen  oder  sagenhaften  Charakter  der  epischen  und 
tragischen  Stoffe  so  stark  betonte,  so  durfte  er  den  Unterschied  zwi- 
schen Geschichte  und  Poesie  ausschließlich  in  der  Behandlung  suchen; 
das  tat  er  nicht,  sondern  hielt  an  der  Unterscheidung  des  Aristoteles 
fest;  dadurch  geriet  er  in  Wirrnisse,  die  zu  lösen  ihm  nicht  ganz  ge- 
lungen ist. 

Castelvetro  hat  auch  eine  Vergleichung  zwischen  Homer  und  Virgil 
angestellt.  Man  kann,  sagt  er,  die  poetische  Erzählungsweise  in  die 
allgemein  gehaltene,  universaleggiata,  und  die  ins  Besondere  gehende^ 
particolareggiata,  einteilen.  Die  erste  zählt,  wenn  man  das  Bild  eines 
Körpers  nehmen  will,  nur  die  Häupter  auf,  diese  die  Glieder;  jene  die 
Gattungen,  diese  die  Einzeldinge;  jene  die  Gesamtheit  der  Dinge,  diese 
die  Teile.  Die  erste  Art  hat  Großartigkeit  und  Pracht,  und  ihre  Fehler 
entdecken  sich  nicht  leicht.  Man  kann  sie  kleinen  und  verschwommenen 
Gemälden  vergleichen,  bei  denen  die  Fehler  auch  nicht  hervorstechen. 
Dagegen  gibt  es  große  deutliche  Gemälde  nach  der  Natur,  in  denen 
man  jeden  Kunstfehler  entdeckt;  so  malte  Michelangelo  Kolossalfiguren, 
obwohl  er  wußte,  daß  jedes  Fleckchen  sichtbar  würde.  Ganz  gleich 
arbeitete  Homer,  der  in  dieser  großartigen  Manier  zeigte,  was  er  wert 
war,  und  das  Einzelne  so  ausführte,  daß  sich  jeder  Fehler  zeigt.  Davor 
hütete  sich  Virgil  nach  Kräften  und  versteckte  sich  hinter  die  allge- 
mein gehaltene  Manier,  die  weniger  Mühe  macht  und  für  sich  schon 
erhaben  und  prächtig  erscheint.  Wußte  er  doch,  daß  er  dies  durch  die 
Behandlung  ins  Einzelne  nicht  zu  erreichen  imstande  war. 

Die  von  Castelvetro  aufgestellten  Sätze  spielen  in  dem  großen 
Streit  um  die  Gerusalemme  eine  wichtige  Rolle.  Denn  es  geschah 
durchaus  im  Anschluß  an  ihn,  daß  Camillo  Pellegrino  in  seinem 
Dialog  11  Caraffa  1584  zu  beweisen  suchte,  Tasso  müsse  als  der 
größere  Dichter  betrachtet  werden  denn  Ariost,  weil  er  eine  einzige 
Handlung  mehrerer  Personen  mit  den  notwendigen  Mitteln  zu  Ende 
geführt  habe.  Dagegen  erhob  sich  die  1582  in  Florenz  gegründete 
Accademia  della  Crusca,  deren  leitender  Geist,  Lionardo  Sal- 
viati, auffallend  lang  mit  geschlossenem  Visier  kämpfte.  Ihre  erste, 
1585  erschienene  Schrift  Difesa  delV  Orlando  Furioso  zeigt  den  Stand- 
punkt, den  die  Florentiner  einzunehmen  wünschen.  Es  folgte  in  den 
nächsten  Jahren  eine  ganze  Flut  von  Schriften,  die  zum  weitaus  großem 
Teil  für  Tasso  Partei  nahmen.  Der  Dichter  hat  sich  1585  in  der  ruhig 
gehaltenen  Äpologia  auch  selbst  vernehmen  lassen. 


T4  Italien 

Der  Streit  dreht  sich  zum  großen  Teil  um  die  aus  Giraldi  und 
Minturno  bereits  bekannten  Fragen,  die  zum  L^berdruß  breit  getreten 
werden.  Nur  kämpft  Salviati  anders  als  Giraldi.  Er  erkennt  nämlich 
die  Forderung,  daß  sieh  der  Romanzo  den  Gesetzen  des  Aristoteles  zu 
fügen  habe,  unbedingt  an,  sucht  aber  zu  beweisen,  daß  Ariost  ihr  in 
allen  Punkten  nachgekommen  sei.  Dabei  kommt  es  ihm  auf  Gewalt- 
samkeiten nicht  an.  So  beugen  sich  beide  Parteien  der  Autorität  des 
Aristoteles,  den  sie  meistens  durch  die  Brille  Castelvetro's  betrachten. 
Im  übrigen  ist  ihre  Kampfweise  verschieden.  Von  Pellegrino  an  beteuern 
alle  Anhänger  Tasso's  ihre  Verehrung  für  Ariost.  Was  sie  an  ihm  aus- 
setzen, sind  theoretische  Dinge  oder,  wenn  sie  es  auch  nicht  laut  genug 
sagen,  seine  der  Zeit  allzufrei  vorkommenden  Geschichten.  Die  Wohl- 
anständigkeit Tassos  sagt  ihnen  mehr  zu.  Die  Florentiner  dagegen 
empfinden  eine  unwillkürliche  Abneigung  gegen  den  neuen  Stil  und  die 
der  toscanischen  Korrektheit  oft  nicht  genügende  Sprache.  Ihr  Auf- 
treten ist  von  maßloser  Heftigkeit  und  Gehässigkeit. 

Obwohl  nun  der  Streit  eine  rein  innere  Angelegenheit  des  italie- 
nischen Kulturlebens  war,  so  hatte  er  doch  auch  für  die  Wert- 
schätzung Homers  eine  nicht  geringe  Bedeutung.  Aristoteles  hatte 
seine  Sätze  aus  ihm  abgeleitet;  auf  sein  Beispiel  stützt  man  sich  jetzt 
für  einzelne  Aufstellungen.  Pellegrino  findet,  die  Fabel  des  Epos 
könne  freilich  erfunden  werden,  aber  löblicher  sei  es  doch,  wenn  der 
Dichter  sie  auf  einer  wahren  Geschichte  aufbaue.  So  seien  der 
troische  Krieg  und  der  Zorn  des  Achilleus  historische  Tatsachen,  die 
dann  unter  starker  Steigerung  der  Charaktere  ausgeschmückt  und 
verändert  worden  seien.  Das  lehre  eine  Vergleichung  mit  den  Zeit- 
genossen des  Krieges,  Dictys  und  Dares.  Salviati  fordert  dagegen  für 
den  Dichter  vor  allem  das  Recht  der  Erfindung.  Ist  es  denn  erwiesen, 
daß  Homer  keine  Namen  erfunden  hat?  welchen  Historiker  kann  man 
vor  ihm  nachweisen?  Etwa  Dictys  und  Dares?  Deren  Schriften  sind 
ja  an  der  Hand  der  Ilias,  Odyssee  und  der  Tragödien  gemacht,  waren 
Aristoteles  noch  nicht  bekannt  und  widersprechen  sich  gegenseitig. 

Die  gegen  Ariost  erhobenen  Vorwürfe  pariert  Salviati  mit  dem 
Hinweis  auf  Homer.  Hat  dieser  keine  Episoden,  die  sich  vertauschen 
ließen?  Die  Flucht  Angelica's  im  Anfang  des  Furioso  ist  eine  Episode, 
die  dem  Ganzen  vorangeht  wie  die  Telemachie  der  Odyssee.  Der  Schluß 
des  Furioso  ist  nicht  bunter  als  der  der  Odyssee.  Allerdings  springt 
Ariost  von  einem  Gegenstand  zum  andern,  aber  das  tut  die  Odyssee 
auch.  In  den  Episoden  hat  Aristoteles  gerade  eine  Eigentümlichkeit 
des  Epos   gesehen  und   den  größeren  Teil   der  Odyssee   für  episodisch 


Der  Streit  um  die  Gerusalemme  75 

erklärt.  Wenn  man  es  tadelt,  daß  der  Furioso  an  Boiardo  anschließt, 
setzt  etwa  die  Ilias  nichts  voraus,  und  sind  Odyssee  und  Aeneis  ohne 
die  Ilias  verständlich?  Und  nun  der  Schluß!  Die  Ilias,  das  Ideal  des 
Aristoteles,  läßt  den  Hörer  ganz  unbefriedigt,  der  auf  den  Fall  von 
Troja  gespannt  ist.  Der  Tod  Rektors  ist  kein  Schluß,  dem  nichts  mehr 
nachfolgte.  Ariosts  Episoden  hangen  mit  dem  Ganzen  so  gut  zusammen 
wie  die  Homers:  oder  was  haben  die  Gelage  der  Götter,  die  Liebesszene 
zwischen  Paris  und  Helene,  das  Lied  des  Demodokos  oder  die  Jugend- 
geschichte des  Eumaios  mit  der  Haupthandlung  zu  tun?  Die  Forderung 
eines  solchen  Zusammenhanges  mit  dem  Ganzen  ist  eben  unbillig. 

Den  Charakteren  Ariosts  vorzuwerfen,  sie  seien  zum  Teil  ver- 
brecherisch und  niedrig,  ist  ungereimt,  wenn  man  die  Haupthelden 
Homers  in  Betracht  zieht,  den  unerbittlichen  Achilleus,  den  bestialischen 
Aias,  den  Lügner  Odysseus,  die  sich  außerdem  sämtlich  Konkubinen 
halten.  Die  Ilias  ist  auf  einer  ganz  verbrecherischen  Tat,  dem  Raube 
der  Helene,  aufgebaut,  und  der  verliebte  alte  Aeneas  begeht  an  Dido 
den  schändlichsten  Verrat.  So  etwas  läßt  sich  Ariost  nie  zuschulden 
kommen.  Und  soll  es  etwa  dem  Charakter  des  Helden  Achilleus  ange- 
messen sein,  daß  er  bei  der  Mama  wie  ein  Kind  um  die  Buhle  weint  und 
sie  sich  dann,  nachdem  er  doch  den  König  auf  das  gemeinste  beschimpft 
hat,  wegnehmen  läßt,  als  wäre  er  ein  Knabe?  Die  beliebten  allego- 
rischen Erklärungen  gelten  nichts;  sie  sind  von  den  späteren  Griechen 
erfunden  worden,  um  die  Ruchlosigkeit  der  homerischen  Geschichten 
zu  bemänteln. 

Im  Eifer  des  Gefechts  hat  Salviati  den  Homer,  den  er  zur  Ver- 
teidigung Ariosts  herangezogen  hatte,  in  die  Stellung  eines  Angegriffenen 
gedrängt,  den  Ariost  weit  überragt.  Er  spricht  das  auch  einmal  positiv 
aus.  Pellegrino  hatte  beteuert,  er  erkläre  Ariost  für  den  größten  Dichter 
in  seinem  Gebiet,  dem  Romanzo.  Da  es  nun,  folgert  Salviati,  keinen 
Artunterschied  zwischen  Epos  und  Romanzo  gibt,  so  gestehe  Pellegrino, 
durch  die  Kraft  der  Wahrheit  gezwungen,  zu,  daß  das  Werk  Ariosts 
vollkommener  sei  als  die  Virgils  und  Homers.  Schon  1568  hatte  er 
übrigens  gesagt,  die  toscanische  Sprache  und  Literatur  übertreffe  jede 
andere  alter  und  neuer  Zeit. 

Ein  Parteigänger  Tassos,  Orazio  Lombardelli,  bespricht  in  seinem 
vortrefflichen  Discorso  1586  die  Entlehnungen  Tasso's  aus  Homer.  Die 
meisten  Stellen  habe  er  nach  Wahrscheinlichkeit  und  Angemessenheit 
verbessert,  so  die  Mauerschau.  Tasso  hat  sich  durch  eigenes  Genie  und 
eigene  Kraft  den  gleichen  Ruhm  erworben  wie  Homer.  Vor  diesem 
zeichnet  er  sich  dadurch  aus,  daß  er  die  Fehler  vermeidet,  die  Piaton 


76  Italien 

dem  Homer  vorwirft;  er  hat  seine  Götter  und  Helden  den  Leidenschaften 
nicht  zu  sehr  Untertan  sein  lassen. 

Ariost  überragt  Homer,  sagt  Salviati;  Tasso  überragt  Homer,  sagt 
Lombardelli.  Natürlich.  Ein  großer  Dichter  der  Gegenwart  überragt 
immer  alle  andern,  besonders  wenn  diese  eine  fremde  Sprache  sprechen. 
Und  nun  war  im  einzelnen  bewiesen  worden,  daß  dieses  angebliche 
Muster  den  anerkannten  Lehrsätzen  des  Aristoteles  gar  nicht  entspreche. 
Da  lag  die  Frage  nahe,  ob  Homer  auch  fernerhin  als  Muster  zu  gelten 
habe,  ja  ob  die  reich  erblühte  italienische  Poesie  überhaupt  eines  Musters 
bedürfe. 

Gleich  nach  dem  Erscheinen  des  Caraifa  hatte  die  Accademia  della 
Crusca  den  in  Ferrara  lebenden  Gelehrten  Francesco  Patrici  um  ein 
Gutachten  über  jenen  Dialog  ersucht.  Patrici  war  seit  dreißig  Jahren 
mit  einem  großen  Werk  Della  Poetica  beschäftigt,  das  1585/6  in  Ferrara 
erschien.  Er  fand  die  Vorschriften  der  Alten  ungenügend,  zum  großen 
Teil  unrichtig,  während  sich  die  modernen  Kommentare  um  wenige  Lehr- 
sätze im  Kreis  bewegen.  Zwar  ist  er  überzeugt,  daß  er  den  herrschenden 
Autoritätsglauben  zunächst  nicht  erschüttern  werde,  hofft  aber  auf  den 
Sieg  seiner  Anschauungen  in  der  Zukunft.  Der  erste  Band  seines  Werkes, 
La  Deca  Istoriale,  leitet  die  Normen  der  einzelnen  Dichtungsgattungen 
nicht,  wie  Aristoteles,  von  wenigen  großen  Werken,  sondern  aus  der 
gesamten  poetischen  Literaturgeschichte  ab.  Das  Buch  ist  dadurch  zu- 
gleich zu  einer  Geschichte  der  antiken  Poesie  und  einer  Darstellung 
ihrer  inneren  Entwicklung  geworden,  das  erste  derartige  Werk  der  Neu- 
zeit. Im  zweiten  Bande,  der  Deca  D  isputata,  greift  Patrici  die  Grund- 
lagen der  aristotelischen  Poetik  an,  damit  zugleich  die  Anschauungen 
der  eigenen  Zeit.  Trotz  einzelnen  Irrtümern,  besonders  über  die  Be- 
deutung der  Mimesis,  wäre  das  imposante  Werk  noch  heute  sehr  ge- 
eignet, einer  Untersuchung  über  die  Richtigkeit  der  aristotelischen  Lehr- 
sätze und  damit  über  das  Wesen  der  Poesie  zur  Grundlage  zu  dienen. 

Patrici  war  also,  wie  die  Florentiner  richtig  einsahen,  der  geeignete 
Mann,  um  über  Pellegrino's  Caraffa  ein  Gutachten  abzugeben.  Dieses 
Parere  in  difesa  di  Lodovico  Ariosto,  das  1585  geschrieben  wurde,  ent- 
hält alle  Sätze  der  Deca  Disputata,  die  im  vorliegenden  Fall  in  Frage 
kommen  konnten.  Charakteristisch  für  Patrici  ist,  daß  er  Pellegrino's 
Fundamentalsatz,  die  aristotelischen  Lehrsätze  seien  den  Prinzipien  der 
Wissenschaften  gleichzusetzen,  als  ganz  falsch  verwirft.  Er  vermißt  bei 
Aristoteles  eine  Definition  des  Epos  und  findet  die  des  Caraffa  unzu- 
länglich. Patrici's  Hauptsätze  sind  folgende.  Der  Romanzo  ist  keine 
besondere  Dichtungsart;   das  Wort  bedeutet  nur   ein  Gedicht  in  einer 


Patrici     Tasso  77 

romauischen  Sprache,  Wemi  man  Ariost  Einführung  unwürdiger  und 
niedriger  Personen  vorwirft,  so  finden  sich  deren  auch  bei  Aristoteles* 
Ideal  Homer  in  Menge.  Ob  die  Forderung  der  einheitlichen  Handlung 
bei  Aristoteles  auch  für  das  Epos  gelte,  ist  unklar;  Aristoteles  hat  den 
Begriff  der  Handlung  gar  nicht  definiert.  Jedenfalls  hat  Homer  mehrere 
Handlungen.  Es  ist  nicht  abzusehen,  warum  ein  Epos  eher  mit  fremden 
und  angeknüpften  Episoden  gefüllt  werden  dürfe,  als  mit  vielen  unter 
sich  verknüpften  Haupthandlungen. 

Welches  ist  nun  die  Handlung  der  Ilias?  Man  sagt,  der  Zorn  des 
Achilleus.  Aber  Zorn  ist  keine  Handlung,  sondern  ein  Affekt,  passione. 
Wenn  der  Held  achtzehn  lange  Bücher  hindurch  weinend  stillsitzt,  so 
tritt  daraus  keine  Handlung  hervor;  was  vorgeht,  geschieht  durch  andere 
Helden  oder  durch  Götter,  also  besteht  der  größte  Teil  des  Gedichts 
aus  Episoden.  Wenn  Achilleus  endlich  auszieht,  so  folgt  er  einem 
neuen  Affekt,  dem  Schmerz,  so  daß  er  hier  wohl  der  Handelnde  ist, 
aber  ohne  Zusammenhang  mit  der  Haupthandlung.  Aber  gesetzt,  die 
Ilias  habe  eine  Handlung,  ist  denn  der  Furioso  darin  anders?  Gewiß 
kann  man  viele  seiner  Geschichten  für  die  Haupthandlung  entbehren, 
aber  das  gilt  auch  von  Homer.  Die  Einleitungen  der  homerischen 
Gedichte  geben  den  reichen  Inhalt  nicht  an,  viel  besser  die  des  Furioso. 

Die  Vorschriften  des  Aristoteles  über  die  Charaktere  treffen  nicht 
zu,  wenn  sie  aus  Homer  abgeleitet  sein  sollen.  Wo  ist  denn  da  die 
Güte  der  Helden,  bei  dem  boshaften  Thersites,  dem  Betrüger  Diomedes, 
dem  grausamen  und  habsüchtigen  Achilleus,  dem  ungerechten  Aga- 
memnon? Wo  die  Angemessenheit  der  Zeichnung,  besonders  bei  den 
Göttern?  Wo  die  Konsequenz  bei  dem  ra"stlosen  Achilleus,  der  so  lange 
müßig  liegt,  oder  dem  tapferen  Hektor,  der  feige  davonläuft?  Wer 
solche  Dinge  bei  Ariost  tadelt,  hat  Ilias  und  Odyssee  nicht  erwogen 
und  kennt  auch  die  Wandelbarkeit  der  menschlichen  Natur  nicht. 

Gegen  Patrici  erhob  sich  Tasso  selbst  in  dem  Discorso  sopra  il 
jmrere  fatto  del  Signor  Francesco  Patrici.  Wie  überall  in  diesem  Streit 
ist  Tasso  der  würdigste  und  liebenswerteste.  Er  wäre,  sagt  er,  mit  der 
Verteidigung  Ariosts,  den  er  verehre,  sehr  einverstanden  gewesen,  aber 
den  Angriffen  Patrici's  auf  Homer,  Aristoteles  und  ihn  selbst  müsse  er 
begegnen.  Zur  Verteidigung  Homers  führt  er  an,  das  Epos  stelle  nicht 
Personen,  sondern  Handlungen  dar.  Die  Odyssee  hat  eine  heroische 
Handlung,  also  ist  sie  ein  heroisches  Gedicht,  unbeschadet  der  gewöhn- 
lichen Leute,  die  darin  vorkommen.  Über  die  Ilias  urteilt  Patrici  nicht 
richtig.  Auch  gegen  Hektor  hat  den  Achilleus  der  Zorn  getrieben, 
acht  der  Schmerz.    Wenn  er  einige  Tage  müßig  war,  so  ist  diese  Muße 


78  Italien 

gerade  die  Ursache  des  Wunderbaren;  denn  er  allein  besiegt  die  Troer, 
denen  vorher  die  Achäer  erliegen.  Im  Prooimion  verspricht  Ariost  alles, 
was  er  bringen  will,  und  kann  es  deshalb  auch  gut  halten.  Homer 
dagegen  verspricht  wenig  und  erregt  so  die  höchste  Erwartung;  er  über- 
trifft seine  Versprechungen  durch  das,  was  er  bringt.  Güte  der  Charaktere 
wird  nicht  von  allen  Personen  gefordert;  ja  Piaton  hat  gesagt,  ein  Gedicht 
wäre  nicht  schön,  aus  dem  man  das  Schlechte  wegnähme.  Die  Götter 
hat  Homer  geschildert,  wie  sie  sind,  oder  wie  man  sie  glaubte,  wie  aus 
dem  Zeugnis  vieler  Philosophen  des  Altertums  hervorgeht. 

Homer  ist  in  dem  Wettstreit  mit  Hesiod  unterlegen.  Aber  sein 
Ruhm  wuchs  nach  seinem  Tode.  Er  wurde  gelesen,  gepriesen,  ge- 
schätzt, verehrt,  nicht  nur  bei  den  Griechen,  sondern  auch  bei  den  Bar- 
baren, die  ihm  ihre  Tugend  verdankten.  Denn  seine  Poesie  ist,  wie  der 
große  Erzbischof  Basilius  von  Caesarea  sagte,  nichts  anderes  als  ein 
Preis  der  Tugend.  Dadurch  hat  er  den  Tod  und  den  Neid  überwunden, 
und  wenn  es  unter  den  Sterblichen  etwas  Unsterbliches  gibt,  so  nähert 
sich  der  Ewigkeit  nichts  so  sehr  wie  Homers  Poesie.  Er  ist  vor  un- 
gerechten Angriffen  und  vor  Verleumdung  sicherer  als  der  Gipfel  des 
Olymps  vor  Winden  und  Stürmen. 

Das  begeisterte  Dichterwort  tönt  seltsam  in  den  Pedantenstreit 
hinein,  und  Patrici  war  nicht  der  Mann  sich  zurechtweisen  zu  lassen. 
Als  Antwort  schrieb  er  in  drei  Tagen  den  danach  genannten  Trimeroney 
den  er  als  Schluß  des  zehnten  Buches  seiner  eben  erscheinenden  Deca 
Disputata  drucken  ließ.  Der  Ton  ist  erheblich  gereizter  als  im  Parere. 
Die  Beweisführung  beschäftigt  sich  zum  großen  Teile  wieder  mit  den 
allgemeinen  Fragen  der  Poetik.  Besonders  bestreitet  er,  daß  die  Bar- 
baren bei  Homer  hätten  Tugend  lernen  können,  da  die  Beispiele  der 
Laster  so  zahlreich  seien.  Der  große  Heilige  Basilius  ist  in  Fragen  der 
Poetik  nicht  Autorität.  Tasso  ist  Homer  nur  in  dem  einen  Punkte  ähn- 
lich, daß  er  nur  einen  Teil  des  Krieges  schildert.  Wenn  er  also  die 
Ähnlichkeit  mit  Homer  für  den  größten  Vorzug  eines  Dichters  hält, 
so  verurteilt  er  sich  selbst.  Zu  einem  solchen  Abgrund  führt  ihn  die 
Liebe  zu  Homer  und  der  Haß  gegen  die  Wahrheit. 

Spuren  von  Patrici's  Schriften  finden  sich  gelegentlich  in  Salviati's 
Polemik.  Wenn  ihrer  nicht  mehr  sind,  so  rührt  das  offenbar  davon  her, 
daß  Salviati   den   anti- aristotelischen  Standpunkt  Patrici's   nicht  teilte. 

Im  Jahre  1593  erschien  Tassos  Gedicht  in  ganz  veränderter  Form 
unter  dem  Titel  Gerusalemme  Gonquistata.  Die  Leidensgeschichte  der 
Entstehung    dieser  Neuausgabe    zu   erzählen  ist  nicht  unseres   Amtes. 


Tasso     La  Conquistata  79 

Selten  ist  ein  Dichter  geistig  und  seelisch  so  mißhandelt  worden.  Als 
er  1586  aus  dem  Irrenhause  von  S.  Anna  entlassen  wurde,  machte  er 
sich  an  die  Umarbeitung  der  Gerusalemme,  im  Sinne  größerer  kirch- 
licher Devotion,  stärkerer  Unterwerfung  unter  Aristoteles  und  um- 
fassendster Anlehnung  an  Homer.  Seine  zum  Teil  sehr  hübschen 
Ausführungen  in  dem  langen  Gmdlzio  sovra  la  Geriisalemme  über- 
zeugen uns  ebensowenig  wie  die  Gebildeten  der  Zeit,  die  mit  einem 
Gefühl  tiefen  Mitleids  über  das  neue  Werk  weggingen.  Tasso  mußte 
sich  mit  der  Zufriedenheit  geistlicher  Kreise  begnügen.  Der  Un- 
glückliche bildete  sich  sogar  ein,  Homer  verbessert  zu  haben.  In  Wahr- 
heit hat  er  durch  die  Vermengung  homerischer  Darstellungen  mit  den 
Voraussetzungen  der  Liberata  ein  Zerrbild  geschaffen.  Dieses  Urteil 
gilt  für  das  ganze  Gedicht,  zumal  dessen  letztes  Drittel. 

Der  Gang  der  Handlung  entfernt  sich  in  der  Conquistata  zuerst 
nicht  wesentlich  von  der  Liberata;  aber  mehr  und  mehr  machen  die 
homerischen  Entlehnungen  Änderungen  des  Plans  erforderlich.  Von 
ihnen  ist  das  letzte  Drittel  der  Conquistata  ganz  erfüllt.  Aber  wir 
vermissen  durchaus  die  überlegene  Art,  mit  der  die  Liberata  gelegent- 
lich ihren  Homer  benutzte.  Die  Abhängigkeit  ist  zur  Sklaverei  ge- 
worden, und  dabei  sind  die  schönsten  Sachen  verdorben.  Hektors 
Abschied  darf  man  nicht  kennen,  wenn  der  des  Argante  überhaupt 
lesbar  sein  soll.  Um  einen  Kampf  um  die  Mauer  und  die  Schiffe  der 
Kreuzfahrer  unterzubringen,  hat  Tasso  den  Schauplatz  zeitweilig  nach 
Joppe  verlegen  müssen.  Dadurch  wird  die  in  der  Liberata  vorhandene 
straffe  Einheit  der  Handlung  gelöst,  und  wir  erfahren  doch  nichts,  was 
wir  nicht  schon  aus  Homer  wüßten.  Natürlich  hat  das  Gedicht  nun  auch 
einen  Hektor  haben  müssen,  und  um  diesen  zu  erhalten,  hat  Tasso  die 
eigenartige  Prachtfigur  des  Argante  verwischt.  Hektors  Abschied  und 
die  Totenklage  um  ihn  sind  ganz  unmotiviert  auf  Argante  bezogen,  der 
trotzdem  nicht  gleich  Hektor  in  die  Mitte  gerückt  ist.  Hier  stand  dem 
Dichter  die  Liberata  im  W^ege,  in  welcher  Argante  durch  Tancredi  fällt^ 
und  das  wagte  Tasso  nicht  zu  ändern,  weil  sonst  Tancredi  bei  den  Heiden 
dem  Vorwurf  der  Feigheit  ausgesetzt  gewesen  wäre.  Sein  früherer  Zwei- 
kampf mit  Argante  war  nämlich  durch  die  Nacht  unterbrochen  worden. 
Die  Kämpfer  hatten  geschworen  sich  am  sechsten  Tage  wieder  zu  treffen. 
Aber  Tancredi  fiel  vor  der  Frist  in  Armida's  Gefangenschaft  und  war  am 
bezeichneten  Tage  zum  Hohn  Argante's  nicht  zur  Stelle.  Dieser  wenn 
auch  unverschuldete  Makel  durfte  auf  ihm  nicht  sitzen  bleiben,  und 
so  verteilte  der  Dichter  die  Rolle  Hektors  unter  zwei  Helden.  Dabei 
kam  Argante   zu   kurz,   da   er  nun  weder  Ruperto,   den  Patroklos  der 


80  Italien 

Conquistata,  erschlagen  noch  dem  Grimm  Riccardo's,  des  Rinaldo  der 
Liberata,  erliegen  durfte.  Er  zieht  zwar  aus,  das  bedrohte  Heer  zu 
retten,  und  erwartet  den  wütenden  Riccardo,  der  aber  gar  keine  Notiz 
von  ihm  nimmt,  weil  er  Solimano  sucht.  Denn  diesem  weist  Tasso 
•die  Aufgabe  zu,  Ruperto  zu  erschlagen,  vor  diesem  hat  Riccardo  den 
Freund  gewarnt,  und  ihm  gilt  denn  auch  die  Rache.  Dadurch  wird 
die  homerische  Patroklie  in  zwei  Stücke  gerissen.  Der  erste  Teil,  bis 
^ur  Rettung  der  Schiffe,  ist  nach  Joppe  verlegt,  wo  Argante  die  Feinde 
führt.  Für  den  zweiten,  in  dem  Ruperto-Patroklos  durch  Solimano  fallen 
sollte,  mußte  der  Dichter  das  ägyptische  Hilfsheer  vorzeitig  vor  Jerusalem 
bringen,  eine  große  Schlacht  erfinden,  die  von  dem  zurückgekehrten 
Riccardo  gewonnen  wird,  dann  die  Ägypter  nach  Askalon  zurückführen 
und  den  Sturm  auf  Jerusalem  zwischen  die  jetzt  verdoppelte  Schlacht 
^egen  die  Ägypter  schieben.  Dadurch  ist  die  Handlung  der  Liberata  eben- 
falls zerrissen  und  die  Einheit,  auf  die  sich  Tasso  so  viel  zugute  tat,  in 
«in  zufälliges  Nacheinander  aufgelöst. 

Riccardo  selbst  hat  von  dem  grollenden  Achilleus  zu  viele  Züge 
bekommen,  als  daß  der  ursprüngliche  Plan  nicht  hätte  leiden  müssen. 
Ooffredo  bietet  nicht  mehr  nur  Verzeihung  an,  sondern  läßt  durch  die 
Oesandten  Riccardo  förmlich  bitten  und  ehrt  den  Rückkehrenden  durch 
reiche  Geschenke.  Seine  Würde  ist  demnach  nicht,,  wie  Tasso  meint, 
g-ewahrt,  sondern  er  hat  sich  dem  homerischen  Agamemnon  zu  stark 
angenähert. 

Die  Einheit  des  alten  Gedichtes  hat  auch  sonst  Schaden  gelitten. 
Wohl  sind  die  prächtigen  Episoden  von  Sofronia  und  Olindo,  Erminia 
und  Tancredi  gestrichen,  aber  dafür  ist  aus  dem  schönen  Traum  Goff- 
redo's,  der  in  der  Liberata  Rinaldo's  Rückberufung  veranlaßte,  eine 
immense  und  leere  Vision  geworden,  die  mit  der  Handlung  kaum  noch 
•einen  Zusammenhang  hat.  Langatmige  historische  Exkurse  verunzieren 
die  Erzählung.  Sodann  zeigt  sich  überall  das  Bestreben  des  kranken, 
bis  zum  Tode  gehetzten  Dichters,  seine  Rechtgläubigkeit  zu  beweisen. 

So  sehr  indessen  das  Urteil  aller  Zeiten  darin  übereinstimmt,  daß 
<iie  Conquistata  ein  Mißgebilde  ist,  müssen  wir  doch  noch  fragen,  wa- 
rum sie  denn  eigentlich  ein  solches  sei.  Hier  darf  nicht  der  Kenner 
Homers  in  erster  Linie  mitsprechen,  denn  es  ist  klar,  daß  er  sich  zu 
langweilen  beginnt,  sobald  er  bemerkt,  das  eine  ihm  vertraute  home- 
rische Partie  eingesetzt  ist,  deren  innerste  Schönheiten  er  in  der  Um- 
l)ildung  vermißt.  Was  hat  die  italienische  Leserwelt  vermocht  das 
Gedicht  abzulehnen?  oder  was  dasselbe  ist:  was  hatte  denn  die  so 
jubelnd   empfangene  Liberata  vor   der  neuen  Fassung  voraus?     Kraft, 


Tasso     Giordano  Bruno  81 

Schwung,  Schönheit,  Frische,  das  alles  macht  es  nicht  aus.  Die  Libe- 
rata  ist  einheitlich  empfunden,  und  der  sie  beherrschende  Geist  ist 
trotz  dem  historischen  Stoff,  trotz  der  aristotelischen  Einheit,  trotz 
den  homerischen  Reminiszenzen  der  des  Romanzo.  Stoff  und  Form 
sind  anders,  aber  die  ritterlichen  Barone,  die  liebevollen  Damen,  die 
Zaubereien  und  wundersamen  Geschichten  weisen  das  Gedicht  an  die 
Seite  des  Tnnamorato  und  des  Furioso,  nicht  an  die  der  Ilias.  Es  ist 
ein  nationales  Epos,  weil  die  Gefühle,  die  ein  Jahrhundert  in  seiner 
epischen  Poesie  bewundert  hatte,  auch  hier  dieselben  sind,  etwas  zu- 
rückhaltender ausgedrückt,  mit  weniger  Freiheit  gegenüber  der  Religion 
und  der  äußeren  Konvenienz,  aber  doch  reich  und  warm.  In  der  Con 
quistata  drängen  sich  dagegen  fremdartige  Dinge  ein,  historische  Ge- 
lehrsamkeit, religiöse  Devotion,  vor  allem  die  helle,  sonnige  Welt 
Homers,  In  dem  romantischen  Zusammenhang  sind  die  homerischen 
Geschichten  direkt  unerträglich,  wie  Boiardo  mit  feinem  Takt  erkannt 
hatte.  Man  vergleiche  nur  den  Odysseus  bei  Kalypso  oder  Kirke  mit 
dem  Rinaldo  bei  Armida,  um  den  Unterschied  der  Stimmung  und  des 
Stils  zu  ermessen.  Das  massenhafte  Einzwängen  der  homerischen 
Situationen  reißt  uns  aus  der  Wunderwelt  in  eine  hellere,  aber  schärfere 
Luft,  die  zu  jener  nicht  paßt.  Wer  die  Liberata  kennt,  wandert  durch 
die  Conquistata  wie  durch  einen  verwüsteten  Garten.  Statt  gesunder 
Bäume  und  Schattengänge  sieht  er  verschnörkelte  Zierpflanzen  und 
Gebäude  in  einem  nicht  hergehörigen  Stil.  Wenn  das  Gebilde  nicht 
auf  die  Stufe  Trissino's  herabgesunken  erscheint,  so  kommt  das  nur 
davon  her,  daß  auch  der  kranke  Tasso  immer  noch  ein  Dichter  war 
und  auch  einzelne  neue  Schönheiten  gefunden  hat.  Aber  was  er  für 
ein  vollendetes  klassisches  Epos  hielt,  ist  nichts  als  eine  Mißhandlung 
seines  früheren  Werkes  und  Homers  zugleich. 

Castelvetro  hatte  Aristoteles  gegenüber  einen  ziemlich  freien  Stand- 
punkt eingenommen,  Patrici  die  Grundlage  der  aristotelischen  Poetik 
direkt  verneint.  Für  ihn  sind  Begeisterung  und  Talent  viel  wichtigere  Fak- 
toren der  Poesie  als  die  Kunst.  Noch  weit  schärfer  spricht  sich  darüber 
Giordano  Bruno  im  ersten  Dialog  seiner  1585  in  London  veröffent- 
lichten Eroici  Furori  aus.  Das  Gespräch  beginnt  mit  dem  Satz,  es  gebe 
nicht  nur  so  viele  Arten  von  Poesie,  als  es  Musen  gebe,  sondern  viel 
mehr,  denn  wenn  es  auch  bestimmte  Genies  gebe,  so  könnten  doch  be- 
stimmte Arten  und  Weisen  menschlicher  Ingenien  nicht  festgestellt  werden. 

Nun  gibt  es  Leute,  regolisti  di  poesia,  die  kaum  Homer  als 
Dichter  gelten  lassen  und  Virgil,  Ovid  usf.  bloß  zu  den  Versemachern 

Finsler:  Homer  in  der  Neuzeit.  6 


82  Italien 

rechnen,  weil  sie  sie  nach  den  Regeln  der  Poetik  des  Aristoteles  beurteilen. 
Aber  das  sind  wahrhafte  Bestien.  Sie  bedenken  nicht,  daß  jene  Regeln 
hauptsächlich  zur  Illustration  der  homerischen  Poesie  dienen  und  uns 
einen  heroischen  Dichter  vorführen  sollen,  wie  Homer  einer  war,  nicht 
um  anders  geartete,  vielleicht  ebenso  große  Talente  anzuleiten  geschaffen 
sind.  Homer  war  nicht  darum  ein  Dichter,  Aveil  er  von  Regeln  abhing, 
sondern  er  ist  Ursache  der  Regeln,  die  nur  denen  dienen  können,  welche 
sich  besser  zum  Nachahmen  als  zum  Erfinden  eignen.  Für  diese,  Affen 
einer  fremden  Muse,  wurden  die  Regeln  von  einem  gesammelt,  der  selbst 
in  keinem  Sinn  ein  Poet  war.  Die  Poesie  entsteht  überhaupt  nicht  aus 
den  Regeln,  höchstens  vielleicht  einmal  durch  Zufall,  sondern  die  Regeln 
fließen  aus  der  Poesie.  Deshalb  gibt  es  so  viele  Arten  wahrer  Regeln,  als 
es  Talente  und  Arten  wahrer  Dichter  gibt.  Diese  erkennt  man  am  Singen 
der  Verse,  ferner  daran,  daß  sie  durch  ihr  Singen  erfreuen  oder  nützen 
wollen  oder  beides  zugleich.  Die  Regeln  des  Aristoteles  nützen  nur 
dem,  der  nicht  wie  Homer  und  andere  ohne  diese  Regeln  dichten  kann 
und,  weil  er  keine  eigene  Muse  hat,  mit  der  Muse  Homers  kokettiert. 
Die  großen  Pedanten,  pedantacci,  unserer  Zeit  haben  also  Unrecht  aus 
der  Zahl  der  Dichter  diejenigen  auszuschließen,  die  keine  Fabeln  und 
entsprechende  Metaphern  beibringen,  deren  Gedichte  nicht  wie  die  Homers 
oder  Virgils  anfangen,  welche  die  Gewohnheit,  die  Musen  anzurufen, 
nicht  beobachten,  eine  Geschichte  oder  Fabel  mit  einer  andern  verflechten, 
die  Gesänge  mit  einem  Resume  schließen  oder  mit  einer  Angabe  des 
Inhalts  anfangen.  Es  sieht  aus,  als  ob  diese  Pedanten  glaubten,  sie 
würden  selbst  die  wahren  Dichter  sein,  sobald  sie  nur  wollten,  während 
sie  nichts  als  Würmer  sind,  geboren  den  Fleiß  und  die  Mühe  der  andern 
zu  benagen  und  zu  beschmutzen. 

Giordano  Bruno  fand  natürlich  kein  Gehör.  Schon  die  um  Ariost 
und  Tasso  streitenden  Parteien  beugten  sich  vor  Aristoteles;  sonst 
hätte  der  ganze  Streit  unterbleiben  können. 

In  Padua  lehrte  seit  1599  der  gelehrte  Paolo  Beni,  aus  Candia 
gebürtig,  die  Beredsamkeit.  Er  war  ein  sehr  fruchtbarer  Schriftsteller^ 
veröffentlichte  einen  Kommentar  zu  Aristoteles'  Poetik  und  Rhetorik, 
focht  einen  langen  Kampf  mit  der  Accademia  della  Crusca  siegreich 
durch,  wobei  auch  deren  Angriffe  gegen  Tasso  eine  scharfe  Zurück- 
weisung erfuhren,  und  schrieb  später  1616  einen  großen  Kommentar 
zur  Gerusalemme  Liberata,  die  er  der  ersten  Absicht  Tasso's  ent- 
sprechend immer  II  Goffredo  nennt.  Das  Werk,  das  uns  hier  be- 
schäftigt, ist  die  Comparajsione  di  Torquato  Tasso  con  Homero  e  Vir- 


Giordano  Bruno     Beni  83 

gilio.  Insieme  con  la  difesa  delV  Ariosto  paragonato  ad  Homer o.  Serassi 
gibt  als  Druckjahr  1607  an;  der  Druck,  der  mir  vorgelegen  hat,  trägt 
die  Jahrzahl  1612. 

Die  Gedanken  des  dicken,  in  zehn  Discorsi  zerfallenden  Buches  sind 
zum  größten  Teile  schon  im  16.  Jahrhundert  ausgesprochen  worden. 
Neu  ist  aber  doch  die  schneidende  Schärfe,  mit  der  Beni  gegen  Homer 
vorgeht:  Homer  mag  einzelne  Vorzüge  haben,  aber  er  ist  nur  Kupfer, 
Yirgil  im  Vergleich  zu  ihm  Silber,  Tasso  eitel  Gold.  Die  Tapferkeit 
des  Achilleus  und  die  Klugheit  des  Odysseus  sind  in  Aeneas  vereinigt, 
der  damit  die  Pietät  verbindet,  aber  hinter  den  christlichen  Tugenden 
Goffredo's  noch  weit  zurücksteht.  Die  Haupthelden  Homers  haben  zu 
viele  unwürdige  Züge;  was  wahre  Helden  sind,  zeigt  Tasso.  Dieser  hat 
auch  die  unnütze  Breite  Homers  zurückgedrängt,  der  sein  Gedicht 
mehr  durch  eine  Flut  von  Wiederholungen  als  durch  wunderbare  Er- 
findungen in  die  Länge  zieht.  Die  Einheit  fehlt  der  Ilias;  sie  besteht 
weder  im  troischen  Krieg  noch  in  den  Ereignissen  des  letzten  Jahres, 
auch  nicht  im  Zorn  des  Achilleus.  Die  Telemachie,  die  eigentlich  eine 
Episode  ist,  gibt  der  Odyssee  eine  doppelte  Handlung  und  hebt  die 
Einheit  auf.  Man  könnte  nun  die  kritischen  Anstöße  durch  die  An- 
nahme erklären,  daß  erst  Peisistratos,  der  Tyrann  von  Athen,  die 
homerischen  Gedichte  gesammelt  habe;  aber  dieses  Auskunftsmittel 
lehnt  Beni  ab. 

Sehr  einsichtig  weist  er  sodann  die  Behauptung  zurück,  daß  das 
Epos  einen  einzigen  Helden  erfordere:  weder  verlangt  es  Aristoteles, 
noch  kommen  Homer,  Virgil  oder  Tasso  der  Forderung  nach.  Daß 
das  Epos  einen  historischen  Stoff  haben  müsse,  behauptet  Beni  mit 
Castelvetro;  daß  es  der  Ilias  an  Geschlossenheit  und  Ganzheit  fehle, 
mit  Salviati.  Das  Epos  wird  immer  dann  die  größte  Wirkung  üben, 
wenn  die  Handlung  denen  Freude  macht,  die  den  Dichter  als  ihren 
eigenen  lesen  sollen.  Homer  und  Virgil  waren  ihrer  Zeit  angenehm, 
weil  sie  die  Taten  der  Vorfahren  besangen.  Aber  Tasso  übertrifft  Homer, 
weil  er  das  glückliche  Ende  des  Krieges  erzählt,  und  Virgil,  weil  dieser 
nur  den  Römern  angenehm  sein  konnte,  nicht  allen  Italikem,  deren 
Knechtschaft  mit  Aeneas'  Landung  anfing.  Tasso  dagegen  erfreut  ganz 
Italien  und  jeden  Freund  der  Frömmigkeit  mit  seinem  fleckenlosen  Helden. 

Die  Ilias  ist  schon  den  Alten  übermäßig  lang  vorgekommen,  und 
die  Aeneis  ist  nicht  viel  kürzer;  die  Gerusalemme  allerdings  auch  nicht, 
aber  der  italienische  Vers  ist  kürzer  als  der  Hexameter,  der  Reim 
zwingt  zu  einiger  Breite,  und  doch  ist  die  Übersichtlichkeit  wunderbar. 
Auch  zeigt  Tasso  ein  viel  besseres  Verhältnis  der  Episoden  zur  Haupt- 

6* 


84  Italien 

Handlung  als  Homer,  bei  dem  fast  alles  aus  Episoden  besteht,  ohne 
Zusammenhang  mit  dem  Thema.  Selbst  des  Achilleus  Taten  haben 
zu  seinem  Zorn  keine  Beziehung,  denn  sie  sind  die  Folge  des  Todes 
des  Patroklos.  So  hat- die  Ilias  zu  viel,  die  Odyssee  zu  wenig  Episoden. 
Virgil  vermeidet  beide  Extreme,  aber  erst  Tasso  kennt  die  richtige 
Proportion.  Beni  geht  sogar  so  weit,  die  Erzählungen  des  Odysseus 
und  Aeneas  von  ihren  Irrfahrten,  unentbehrliche  Bestandteile  der  Ge- 
dichte, als  Störungen  der  natürlichen  Ordnung  zu  tadeln,  während  er 
es  nur  als  eine  erlaubte  Episode  betrachtet  hätte,  wenn  Tasso,  wie  er 
einmal  vorhatte,  die  Versammlungen  von  Piacenza  und  Clermont  und 
die  Reise  des  Kreuzheeres  in  Goffredo's  Zelt  hätte  erzählen  lassen. 

Auch  Ariost  muß  mit  Homer  verglichen  und  ihm  vorgezogen 
werden.  Beni  verspottet  Salviati  für  den  Versuch,  im  Furioso  eine 
Einheit  zu  finden;  daß  sie  fehle,  tue  nichts,  da  auch  die  homerischen 
Gedichte  sie  nicht  hätten.  Ihn  entzückt  an  Ariost  die  Kunst  der 
Spannung,  der  Verwicklungen,  der  wunderbare  Glanz,  mit  dem  die 
UnWahrscheinlichkeiten  vorgetragen  werden,  während  Homer  in  solchen 
Fällen,  die  doch  bei  ihm  ebenso  häufig  sind,  frostig  wird  und  das 
Gefühl  verletzt.  So  bei  dem  brüllenden  Ares  oder  der  in  den  Wolken 
aufgehängten  Here.  Ariosts  lascive  Geschichten  sind  Beni  höchst  ärger- 
lich, aber  er  erklärt,  sie  seien  zur  Belehrung  verfaßt,  und  tröstet  sich 
mit  Homer,  der  in  der  Berückung  des  Zeus  und  der  Szene  zwischen 
Paris  und  Helene  noch  viel  Schamloseres  leiste.  Noch  betrübter  ist 
er  über  Ariosts  Ungeniertheiten  gegen  die  Religion;  er  sucht  sie  seuf- 
zend zu  entschuldigen  oder  zu  erklären  und  findet  sie  zum  Schluß 
viel  weniger  schlimm  als  die  Art,  wie  Homer  mit  seinen  Göttern  um- 
gehe. Gewiß  hat  Ariost  unwürdige  Stellen,  aber  Homer  noch  viel  mehr. 
Telemachos  und  Odysseus  bewegen  sich  unter  dem  gemeinen  Volk,  ja 
dieser  kämpft  mit  dem  Bettler  Iros  und  setzt  sich  bei  Alkinoos  neben 
den  Herd  in  die  Asche.  Ordinär  sind  auch  Homers  Gleichnisse,  ärgerlich 
die  Wiederholungen,  müßig  und  langweilig  die  Gespräche  der  Helden, 
frostig  die  Hauptlösungen,  wie  die  Versöhnung  der  Helden  und  der 
Freiermord.     Alles  das  ist  bei  Ariost  viel  besser. 

Es  lohnt  nicht,  auf  die  noch  folgenden  weitschweifigen  Partien  ein- 
zutreten, in  denen  Homer  der  fortwährenden  Verletzung  der  Wahrschein- 
lichkeit und  Notwendigkeit  geziehen  wird.  Einige  Beispiele  sind  neu  ge- 
funden, aber  die  Gedanken  sind  nicht  Beni's  Eigentum.  Wenn  er  so  dozierte, 
wie  er  schrieb,  so  begreifen  wir,  daß  die  Studenten  seine  Kollegien  mieden. 

Aber  das  Buch  bedeutet  einen  Abschluß  der  Bewegung,  die  das  letzte 
Viertel  des  Cinquecento  erfiillt  hatte.   Die  Autorität  des  Aristoteles  ist 


m 


Beni     Tassoni  §5 


iederhergestellt.  Beni  hat  dessen  Argumente  überall  geprüft  und  bis 
auf  geringfügige  Einzelheiten  richtig  befunden,  nur  daß  er  mit  Castelvetro 
für  das  Epos  einen  historischen  Stoff  fordert.  Sind  aber  jene  Argumente 
richtig,  so  ist,  folgert  Beni,  nicht  Homer  das  große  Muster  der  epischen 
Poesie,  sondern  Tasso.  Dieser  übertrifft  auch  den  Virgil,  der  ihm  indessen 
an  Bedeutung  näher  steht  als  Homer.  Ariost  läßt  die  antiken  Dichter 
ebenfalls  hinter  sich,  erreicht  aber  Tasso  nicht,  weil  er  erstens  mehrere 
Handlungen  mehrerer  Personen  erzählt  und  zweitens  an  Frömmigkeit 
und  Anstand  hinter  ihm  zurücksteht.  Dante  ist  aus  der  Vergleichung 
weggelassen. 

An  Kenntnis  Homers  reicht  Beni  an  jeden  Italiener  des  16.  Jahr- 
hunderts heran,  ja  er  dürfte  darin  die  meisten  übertreffen.  Die  wenigen 
Übersetzungsproben  in  Versi  sciolti,  die  er  gibt,  lassen  uns  bedauern, 
daß  wir  nicht  mehr  davon  haben.  Und  doch  diese  Ablehnung,  diese 
im  Laufe  der  Arbeit  gesteigerte  Gereiztheit  und  Schärfe  der  Verurteilung, 
diese  Verwerfung  auch  ganz  untadelhafter  Dinge!  Beni  hat  eben  Homer 
gekannt,  aber  nicht  mehr  verstanden.  Dessen  frische  und  sonnige,  natürlich 
wahre  Welt  war  ihm  ein  Buch  mit  sieben  Siegeln.  Mit  Vida  hatte  das 
Kopfschütteln  über  die  homerische  Eigenart  begonnen,  der  Streit  um 
die  Gerusalemme,  der  eigentlich  Homer  gar  nichts  anging,  damit  geendet, 
daß  die  eine  Partei  Ariost,  die  andere  Tasso  vor  Homer  den  Vorzug 
gab.  Der  Kampf  Patrici's  gegen  Aristoteles  half  mit.  Nicht  nur  die 
aristotelischen  Scheuklappen  und  der  gerechte  Eifer  für  die  nationale 
Poesie  ließen  Homer  in  der  Schätzung  zurücktreten:  er  war  ein  Fremder 
geworden,  an  dem  man  sich  nicht  mehr  erwärmte.  Noch  Castelvetro 
hatte  ihn  über  Virgil  gestellt;  jetzt  wird  das  umgekehrt.  Ein  Menschen- 
alter war  seit  Tasso's  Discorsi  vergangen,  und  in  dessen  Lauf  hatte  Homer 
seinen  ganzen  Nimbus  eingebüßt.  Der  letzte  große  Dichter  des  Cinquecento 
ist  auch  einer  der  letzten  Verehrer  Homers  gewesen. 

Gleich  wie  Beni  äußert  sich  Alessandro  Tassoni  in  den  Pensieri 
diver si  1612,  die  schon  1601  unter  dem  Titel  Quistioni  ßosofiche  er- 
schienen waren.  Es  ist  ein  unförmliches  Buch,  das  von  allen  möglichen 
Gegenständen  handelt.  Im  neunten  Buch,  Cose  poetiche,  istoriche  e  varie, 
kommt  Tassoni  auf  die  Frage  zu  sprechen,  ob  Homer  in  der  Ilias  der 
überlegene  Dichter  gewesen  sei,  für  den  ihn  zu  halten  die  Griechen  sich 
den  Anschein  gaben.  Tassoni  erkennt  Homer  Adel  der  Sprache  und 
Schönheit  der  Verse  zu,  findet  ihn  aber  in  allem  andern  nicht  ruhm- 
würdig. Daß  Aristoteles  ihn  an  die  Spitze  der  Epiker  stelle,  beweise 
nichts,  weil  die  Griechen  eben  neben  ihm  keinen  andern  gehabt  hätten. 
Ganz  töricht  sei  der  Versuch  Plutarchs,  Homer  zum  Vater  aller  Künste 


86  Italieu 

und  Wissenschaften  zu  machen.  Darauf  folgen  die  uns  zum  Teil  bereits 
bekannten  Vorwürfe  über  den  Bau  und  die  Handlung  der  Ilias. 

Der  Zorn  des  Achilleus  ist  keine  Handlung,  denn  der  Held  ist 
müßig.  Deshalb  hat  die  Ilias  kein  Fundament,  das  man  Handlung, 
geschweige  denn  heroische  Handlung  nennen  könnte.  Letztere  Bezeich- 
nung ist  auch  darum  nicht  statthaft,  weil,  des  Achilleus  Handlungsweise 
nicht  edel  ist.  Auch  kann  aus  dem  Anblick  eines  müßigen,  grollend  sich 
zurückziehenden  Helden  das  der  heroischen  Poesie  notwendige  Wunder- 
bare nicht  hervorgehen.  Homer  kündigt  übrigens  nur  den  Zorn  gegen 
Agamemnon,  nicht  den  gegen  Hektor  an.  Mangelhaft  ist  die  Ilias  auch 
in  den  Episoden,  die  nicht  Handlungen,  sondern  leeres  Gerede  der  zum 
Kampf  bereiten  Helden  enthalten.  Von  den  wenigen  Handlungen  weiß 
man  nicht,  wem  man  sie  zuschreiben  soll,  da  die  Menschen  sie  nicht 
aus  sich  begehen,  sondern  in  Gemeinschaft  mit  ihren  Göttern,  die  ihrer 
Würde  vergessend  vom  Himmel  niedersteigen,  um  Unwürdiges  zu  tun 
und  zu  erleiden. 

Auch  Tassoni  vergleicht  Homer  mit  den  neuen  italienischen  Dichtern, 
um  überall  deren  Überlegenheit  darzutun.  Zu  diesem  Zwecke  durch- 
blättert er  die  Ilias  vom  Anfang  bis  zum  Ende.  Vorher  wehrt  er  sich 
noch  gegen  das  Lob,  das  Aristoteles  Homer  dafür  erteilt,  daß  dieser 
möglichst  wenig  in  eigener  Person  spreche.  Das  Epos  sei  doch  die 
Nachahmung  heroischer  Handlungen,  nicht  heroischen  Geschwätzes.  Die 
Gespräche  während  der  Schlacht  seien  unnütz  und  langweilig.  Ariost 
und  Tasso  hüteten  sich  vor  dergleichen  Einfältigkeiten.  Dann  folgt 
Homers  Sündenregister,  das  genau  dem  Gang  der  Ilias  folgt. 

Zeus  droht  wider  alle  menschliche  und  auch  griechische  Sitte  seine 
Gemahlin  zu  schlagen,  und  Here  läßt  sich  wie  eine  Sklavin  durch 
Hephaistos  mit  einem  Becher  Weins  beruhigen.  Derselbe  Hephaistos 
erzählt  von  seiner  Mißhandlung  durch  Zeus  zum  Gelächter  der  Mutter, 
als  ob  das  eine  lächerliche  Sache  wäre  und  sie  es  nicht  längst  wüßte. 
Die  Prüfung  des  Heeres  durch  Agamemnon  ist  etwas  ganz  Unwahr- 
scheinliches, ebenso  die  Hemmung  der  Flucht  durch  den  einen  Odysseus. 
Alexandros  legt  sich  am  hellen  Tage  mit  Helene  zu  Bett,  ohne  über 
seine  Niederlage  Beschämung  zu  empfinden.  Höchst  unpassend  ist  auch 
die  Vergleichung  der  troischen  Greise  mit  den  lärmenden  und  lästigen 
Cicaden.  Ohne  allen  Zweck  schießt  Pandaros,  von  der  Göttin  der  Weis- 
heit verführt,  auf  Menelaos.  Er  hätte  es  tun  sollen,  als  Alexandros 
bedroht  war.  Aphrodite  und  Ares  werden  von  Diomedes  verwundet, 
von  Zeus'  Feldscheer  Paieon  geheilt;  man  kann  die  ganze  Geschichte 
nicht  erzählen,  ohne  sich  darüber  lustig  zu  machen.     Agamemnon  tötet 


Tassoni  87 

Adrastos,  den  Menelaos  des  Lebens  versichert  hatte,  in  wortbrüchiger 
Weise.  Hektor  geht  in  die  Stadt,  um  eine  Prozession  zu  veranlassen, 
und  läßt  sein  Heer  in  der  Gefahr  im  Stich.  Vor  Hektors  Herausforderung 
fürchten  sich  die  Helden,  die  eben  Ares  verwundet  haben.  Die  an  Zahl 
überlegenen  Achäer  lassen  sich  von  Hektor  ins  Lager  zurückschlagen, 
und  Odysseus  flieht,  ohne  sich  um  die  Gefahr  des  alten  Nestor  zu 
kümmern.  Über  die  kleine  Niederlage  weint  Agamemnon  und  muß  sich 
von  Diomedes  den  Vorwurf  der  Feigheit  gefallen  lassen.  Das  Mahl  für 
die  Gesandten  bereitet  Achilleus  mit  Patroklos  selbst,  als  ob  er  für  so 
niedere  Arbeit  keine  Diener  gehabt  hätte.  Die  auf  Kundschaft  Aus- 
gezogenen, Diomedes  und  Odysseus,  töten  wortbrüchig  den  Dolon,  geben  sich 
dem  Plündern  hin  statt  zu  kundschaften,  setzen  sich  trotz  der  allgemeinen 
Not  behaglich  ins  Bad  und  nehmen  am  frühen  Morgen  eine  Mahlzeit 
zu  sich.  Unglücklich  ist  die  Vergleichung  der  Heere  mit  Schnittern. 
Jlektor,  von  Diomedes  getroffen,  weicht  zurück  und  wird  erst  dann  ohn- 
mächtig, entgegen  aller  natürlichen  Reihenfolge.  Höchst  unwürdig  wird 
Aias  mit  einem  Esel  verglichen.  Um  Here  willig  zu  machen,  zählt  ihr 
Zeus  seine  sämtlichen  Liebschaften  auf.  In  diesem  Stil  geht  es  noch  lange 
fort.  Zuweilen  werden  Erklärungsversuche  Plutarchs  zurückgewiesen, 
immer  aber  Stellen  Ariosts  und  Tasso's  als  leuchtende  Gegenstücke  auf- 
gestellt. Manches  wird  aufgeführt,  was  andere  schon  erwähnt  hatten.  Wenn 
aber  die  Kritik  des  22.  und  24.  Buches  mit  der  Beni's  genau  zusammen- 
trifft, so  hat  dieser  sein  Rüstzeug  in  dieser  Partie  Tassoni  zu  verdanken. 

Die  Abhandlung  gipfelt  in  dem  Satz,  Homer  habe  ins  Blaue  hinein 
komponiert,  und  wenn  er  je  etwas  Gutes  gesagt  habe,  es  zufällig  getan. 
Die  Dichter,  die  auf  dem  Wege  der  Unsterblichkeit  unablässsig  im  Ruhme 
der  Welt  fortschreiten,  hätten  diese  Fehler  vermieden. 

Die  große  Bedeutung  von  Tassoni's  W^erk  beruht  nicht  auf  diesen 
Notizen,  welche  die  nämliche  Voreingenommenheit  zeigen  wie  Beni. 
Von  größter  Wirkung  wurde  vielmehr  das  zehnte  Buch  mit.  der  Frage, 
ob  in  Wissenschaften  und  Künsten  die  Alten  wirklich  die  Modernen 
übertreffen.  Tassoni  geht  sämtliche  Wissenschaften  und  Künste  durch. 
Nach  seinem  Urteil  übertreffen  die  Modernen  die  Antike  in  den  exakten 
Wissenschaften,  der  Industrie,  dem  Landbau,  unter  den  Künsten  in  der 
Beredsamkeit  und  der  Malerei.  Italien  kennt  sein  Glück  nicht.  Es  ist 
für  das  Altertum  begeistert,  ohne  zu  merken,  daß  es  jenem  gleichkommt. 
Man  ist  gewohnt  das  Vergangene  zu  bewundern  und  die  Gegenwart  zu 
verachten.    Möchte  man  doch  endlich  unparteiisch  abwägen. 

Von  darstellender  Poesie  kannte  das  Altertum  nur  Tragödie  und 
Komödie;  die  Neuzeit  hat  die  Pastorale  hinzugefügt.    Unter  den  Formen 


88  Italien 

der  erzählenden  Poesie  zeigt  Dante  im  Inferno  eine  Satire,  im  Paradiso 
eine  mit  der  Hymnenpoesie  gemischte  heroische  Erzählung,  im  Purga- 
torio  einen  Wechsel  zwischen  heroischer  und  satirischer  Art.  Tassoni 
selbst  hat  in  der  Secchia  rapita  das  komische  Epos  eingeführt.  Es  ist 
also  die  moderne  Poesie  reichhaltiger  als  die  antike.  In  der  Tragödie 
übertreffen  uns  die  Alten;  Komödien  haben  wir  außer  denen  Ariosts 
nur  in  Prosa.  In  Satire  und  Lyrik  sind  wir  voraus.  Im  Epos  hatten 
die  Griechen  die  vielen  Jahrhunderte  lang  nur  den  einen  rühm  würdigen 
Homer.  Es  läßt  sich  nicht  bestreiten,  daß  in  seinen  Gedichten  außer  der 
Anmut  und  Güte  des  Stils  und  Verses  gleicherweise  verschiedene  andere 
Schönheiten  sind,  besonders  wenn  man  das  rohe  Zeitalter  in  Betracht 
zieht,  in  dem  er  lebte.  Aber  zum  größten  Teil  sind  sie  von  Geschmack- 
losigkeiten dermaßen  voll,  daß  man  sich  gegenwärtig,  wollte  man  sie 
nachahmen,  in  den  Ruf  der  Gedankenlosigkeit  brächte,  wie  Tasso  tat,  der 
in  der  Conquistata  die  erste  Fabel  verließ,  um  Homer  nachzuahmen, 
und  dabei  strandete.  Die  Lateiner  hatten  viele  Epiker,  aber  der  Preis  der 
lateinischen  Poesie  konzentriert  sich  auf  Virgil.  Wir  aber  haben  zwei 
überragende  Leuchten  unserer  Sprache  und  unseres  Zeitalters,  Ariost 
und  Tasso.  Diese  kann  in  unserer  kühlen  Zeit  der  Neid  wohl  schütteln 
und  plagen,  aber  er  wird  nicht  verhindern,  daß  sie  in  den  kommenden 
Jahrhunderten  berühmt  sein  werden  und  herrlich  über  alle  Alten.  Aller- 
dings sind  diese,  da  sie  so  viele  Jahrhunderte  keine  Nebenbuhler  hatten, 
zu  einem  so  unerhörten  Ruf  gekommen,  daß  ihn  zu  übertreffen  ein  über- 
menschliches Genie  erforderlich  scheint. 

Bekannter  als  durch  die  Pensieri  diversi  ist  Tassoni  durch  seinen 
burlesken  Romanzo  La  Seccliia  rapita,  der  geraubte  Eimer,  ein  höchst 
eigenartiges  Werk,  in  dem  die  schmierigste  Komik  mit  dem  bittersten 
Ernste  verbunden  ist.  Die  Grundlage  bildet  die  Gefangennahme  König 
Enzio's  durch  die  Bolognesen  in  der  Schlacht  bei  Fossalta  1249;  aber 
bei  Tassoni  bricht  der  Krieg  darum  aus,  weil  die  Modanesen,  in  Zu- 
rückweisung eines  räuberischen  Überfalls  derer  von  Bologna,  in  dieser 
Stadt  einen  Brunneneimer  erbeuten,  den  sie  nicht  mehr  herausgeben 
wollen.  Nun  kündigt  der  Dichter  allerdings  an,  man  werde  in  seinem 
Gedicht  Helene  sich  in  einen  Eimer  verwandeln  sehen,  aber  es  folgt  keine 
Parodie  der  Ilias.  Der  stärkste  Ausfall  gegen  Homer  ist  die  Versamm- 
lung, zu  der  Zeus  die  homerischen  Götter  beruft.  Diese  werden  in  einer 
Weise  lächerlich  gemacht,  daß  es  Offenbach  nicht  besser  gekonnt  hätte. 
Die  Einwirkung  dieser  Götter  auf  den  Gang  der  Ereignisse  ist  jedoch 
gering,  und  auch  sonst  erinnern  nur  wenige  Züge  des  Gedichtes  an 
Homer.    Der  Leser  glaubt  vielmehr  eine  Verhöhnung  des  Romanzo,  be- 


Tassoni     Fioretti     Marino  89 

sonders  Tassos,  vor  sicli  zu  haben.  Von  den  zahlreichen  gegen  die 
päpstliche  Politik  und  gegen  Spanien  gerichteten  Spitzen  kann  ich  hier 
nicht  sprechen.  Die  gestrengen  Herren,  die  sich  bei  Homer,  Ariost  und 
Tasso  so  sehr  über  Fragen  der  Wohlanständigkeit  und  Frömmigkeit 
ereiferten,  hätten  hier  jedenfalls  ein  lohnenderes  Feld  gefunden. 

Noch  ungleich  schärfer  als  Tassoni  äußert  sich  über  Homer 
Benedetto  Fioretti,  genannt  Udeno  Nisieli  in  den  Proginnasmiy 
1620 — 1639,  einer  ungeheuren  Sammlung  von  Zitaten  aus  alten  und 
neuen  Schriftstellern,  die  er  gründlich  kennt.  Unter  einem  Haufen  un- 
nützer Notizen  stehen  sorgfältige  Erwägungen  über  die  Dichter.  Sein 
Ideal  ist  Tasso,  dagegen  ist  er  unermüdlich  im  Aufdecken  der  Fehler 
Ariosts.  Nicht  minder  haßt  er  den  Homer,  dessen  fanatische  Anbeter 
und  besonders  die  allegorischen  Ausleger.  Homer  ist  der  Mörder  des 
Anstandes,  der  Zerstörer  der  Sitte  in  jedem  Sinn,  der  langweiligste 
Schwätzer,  voll  von  Verrücktheiten  und  Albernheiten.  Er  hat  der 
wahren  Kunst  den  Tod  gebracht.  Die  llias  ist  ein  Urbild  von  poeti- 
schen Fehlern,  und  seine  Poesie  steht  im  Widerspruch  zu  aller  dich- 
terischen Kunst. 

Anders  steht  der  gefeiertste  Poet  des  Secento,  der  Cavaliere 
Giambattista  Marino,  dem  alten  Dichter  gegenüber.  Sein  Adone 
erschien  1623,  wie  die  Secchia  rapita  in  Paris,  ein  Jahr  nach  dieser^ 
neben  dem  satirischen  Epos  das  W^erk  der  schrankenlosen,  aber  geistes- 
leeren Phantasie,  der  Form  ohne  Ideengehalt,  der  gesuchten  und  falschen. 
Metaphern,  der  Flucht  aus  der  durch  Spanier  und  Jesuiten  der  Geistes- 
freiheit beraubten  Zeit  in  die  phantastische  Welt  der  Voluttä,  für  die 
allein  in  Italien  noch  Raum  geblieben  war.  Marino  ist  kein  schöpfe- 
rischer Geist,  erfindungsarm  und  ohne  Kraft  der  Darstellung.  Den 
kleinsten  Fortschritt  der  armseligen  Handlung  erkauft  der  Leser  durch 
endlose  Beschreibungen  der  Ortlichkeit  und  der  auftretenden  Personen^ 
wie  durch  ebenso  endlose  Deklamationen  des  Dichters  oder  seiner  Fi- 
guren. Statt  der  Handlungen  ein  Wühlen  in  Worten,  eine  stupende 
Ansammlung  von  Vokabeln,  eine  ermüdende  Gleichförmigkeit  in  der  Ein- 
führung der  Effekte.  Immerhin  entbehrt  vieles  der  Anmut  nicht,  und 
in  der  Darstellung  zeigt  Marino  oft  unleugbares  Geschick.  Die  Schach- 
partie im  fünfzehnten  Gesang  z.  B.  hat  zwar  nicht  den  geringsten  poe- 
tischen Schwung,  ist  aber  so  klar  durchgeführt,  daß  sie  auf  dem  Schach- 
brett gut  verfolgt  werden  kann. 

Nichts  ist  für  Marino's  Arbeitsweise  so  bezeichnend,  wie  die  Ver- 
wendung der  antiken  Stoffe.  Er  überrascht  nämlich  geradezu  durch 
seine    staunenswerte   Kenntnis   des   Altertums.     Er  kennt   alle   antiken 


•90  Italien 

Schriftsteller  und  benutzt  mit  besonderer  Vorliebe  die  ganz  späten 
Griechen.  Er  muß  gut  Griechisch  verstanden  haben,  denn  von  vielem, 
was  er  nachahmt,  gab  es  keine  Übersetzungen,  und  man  muß  oft  in 
recht  entlegene  Winkel  der  antiken  Literatur  eindringen,  wenn  man  seine 
Quellen  ausfindig  machen  will.  Seine  olympischen  Götter  sind  freilich 
nur  ein  Gegenstand  des  Spiels.  Er  flüchtet  sich  zu  dem  heiteren  Fabel- 
land, um  dem  Kirchenglauben  auszuweichen,  dem  er  nur  ein  paar  ge- 
legentliche Komplimente  widmet.  Seine  Antike  ist  eine  genußfrohe, 
schimmernde  Welt  ohne  die  geringste  Gegenständlichkeit. 

Unter  den  zahllosen  antiken  Reminiszenzen  sind  die  aus  Homer 
■ziemlich  zahlreich,  und  Marino  verfehlt  nicht,  dem  alten  Dichter  seine 
Huldigung  zu  erweisen.  Venus  fährt  an  Ithaka's  felsiger  Küste  vorbei, 
der  kleinen,  unfruchtbaren  und  steilen  Klippe,  die  aber  durch  ihren 
Odysseus  hell  leuchtet:  so  bringt  nur  die  Tugend  Ruhm  hervor.  Wenn 
Thetis  von  Achilleus  erzählt,  schweigt  sie  von  seiner  Tapferkeit  und 
seinen  Taten;  denn  in  einem  späteren  Zeitalter  würden  sie  ein  edler  Vor- 
wurf für  die  Mäonische  Posaune  werden.  Auch  nur  das  Anschauen  des 
ruhmvollen  Grabmals  der  berühmten  Gebeine  werde  später  die  Fürsten 
vor  Neid   über   solchen  Ruhm  staunen  und  die  Könige  seufzen  lassen. 

Von  den  größeren  Partien,  in  denen  sich  Marino  an  Homer  an- 
lehnt, nimmt  die  Erzählung  der  Odyssee  von  Ares  und  Aphrodite  die 
•erste  Stelle  ein.  Die  Grundzüge  des  homerischen  Schwankes  sind  bei- 
behalten, aber  mit  allerlei  Zutaten,  Gefühlen  und  Antithesen  aus- 
geschmückt, was  Marino  für  die  richtige  Art  der  Übersetzens  hielt. 
Denn  er  gedachte  auf  diese  Weise  den  alten  Stoff  dem  herrschenden 
Geschmack  anzupassen,  oder,  wie  er  sich  ausdrückt,  dem  Metall  einer 
fremden  und  außer  Kurs  gekommenen  Münze  den  gangbaren  und 
nationalen  Stempel  aufzudrücken.  Gewonnen  hat  die  Erzählung  da- 
durch nicht.  Homer  ist  viel  dezenter  und  dabei  lustiger;  besonders  hat 
die  Klagerede  des  Hephaistos  bei  Marino  einen  viel  zu  ernsthaften  Charak- 
ter erhalten,  weil  sie  durch  übermäßige  Deklamationen  ins  Unendliche 
ausgesponnen  ist,  wogegen  das  Gespräch  zwischen  Apollon  und  Hermes 
fast  ganz  verloren  geht. 

Der  um  Adone  trauernden  Venus  erzählt  Thetis  auch  die  Ge- 
schichte von  Galatea  und  Akis,  der  durch  den  eifersüchtigen  Kyklopen 
Polyphemos  erschlagen  wurde.  Daran  schließt  Thetis  die  Blendung  des 
Kyklopen  aus  der  Odyssee,  aber  ohne  alle  Ordnung,  so  daß  man  die  Trüm- 
mer des  homerischen  Berichts,  den  man  zum  Verständnis  notwendig 
Ijraucht,  mühsam  zusammensuchen  muß.  Das  Entweichen  des  Odysseus 
ist  nach  Ariost  erzählt. 


Marino  91 

Dem  Homer  verdankt  auch  die  große  Schlacht  des  vierzehnten 
Gesanges  ihre  Entstehung,  ein  Schaustück  ohne  rechten  Zusammen- 
hang mit  der  Handlung.  Eine  Menge  von  Kämpfern,  die  man  nicht 
kennt,  treten  auf  und  werden,  unter  genauer  Angabe  der  Art  ihrer 
Verwundung,  erschlagen.  Es  fehlt  auch  nicht  an  einer  Episode,  der 
von  dem  schönen  Bogenschützen  Armillo,  für  den  Marino  ein  wirkliches 
Interesse  zu  erwecken  vermag.  Aber  es  hätte  ihm  nicht  genügt,  daß 
der  schöne  Jüngling  dem  grimmen  Orgonte  erlegen  wäre;  er  fällt 
durch  einen  Pfeil  seines  Freundes  Melanto,  der  ihn  vor  dem  Gegner 
schützen  wollte,  während  ihn  Orgonte,  durch  seine  Schönheit  gerührt, 
vielleicht  verschont  hätte. 

In  die  Bestattung  des  Adone  sind  Züge  aus  der  des  Patroklos 
aufgenommen,  und  auch  die  Spiele,  mit  denen  Venus  den  Toten  ehrt, 
zeigen  einen  homerischen  Einschlag,  während  hier  sonst  Virgil  das 
Muster  gewesen  ist.  Die  Durchdringung  beider  Vorlagen  zeigt  sich 
am  besten  bei  dem  mit  Faustkampf  verbundenen  Ringen.  Bei  Homer 
siegt  der  rohe  Prahler  Epeios  im  Faustkampf  über  Euryalos;  beide 
haben  wir  uns  gleichalterig  vorzustellen.  Bei  Virgil  überwindet  der 
greise  Entellus  den  ruhmredigen  Dares.  Marino  läßt  zuerst  den  ge- 
walttätigen Riesen  Membronio  den  zierlichen,  ganz  jungen  Crindoro 
am  Haar  packen  und  zu  Boden  schmettern,  darauf  aber  den  gewandten 
Corimbo  über  den  Unhold  triumphieren.  Die  Vergleichung  der  drei 
Dichter  ist  auch  sonst  lehrreich.  Die  wohltuende,  fröhliche  Knappheit 
Homers  ist  schon  bei  Virgil  einer  beträchtlichen  Breite  gewichen; 
Marino 's  Kampfs  zenen  können  kaum  ein  Ende  finden. 

Noch  ein  Wort  über  Marino's  Gleichnisse.  Gewiß,  sie  sind  gesucht 
wie  die  ganze  Ausdrucksweise  des  Dichters;  aber  hier  hat  er,  was  er 
ja  als  den  Hauptzweck  seines  Schaffens  bezeichnet,  wirklich  neue  Wege 
gefunden.  Seine  Gleichnisse  überraschen.  Die  eifersüchtige  Wut  des 
Mars  gleicht  der  Erstarrung,  in  die  der  Arm  des  Fischers  gerät,  wenn 
der  Zitteraal  den  Köder  gepackt  hat  und  der  elektrische  Schlag  die  Angel- 
schnur hinaufläuft.  In  Falsirena  kämpfen  Stolz  und  Begierde,  wie  sich 
ein  Kranker  zwischen  den  Ratschlägen  uneiniger  Arzte  windet.  Die 
Lockungen  Falsirena's  gleiten  an  Adone  ab,  wie  die  winterlichen  Sonnen- 
strahlen an  einem  altgefrorenen  Schneefeld.  Filauro  muß  dem  Raube 
seiner  Schwester  zusehen,  wie  die  Schwalbe  der  Schlange,  die  ihr  Nest  aus- 
raubt. Die  Struktur  der  Gleichnisse  ist  die  Homers;  die  Vergleichung 
trifft  nur  für  einen  Punkt  zu,  aber  das  Bild  wird  ausgemalt  und  führt 
ein  eigenes  Leben.  Im  Gegensatz  zu  den  übrigen  im  Übermaß  ver- 
wendeten Mitteln  sind  die  Gleichnisse  mit  guter  Sparsamkeit  eingestreut. 


92  Italien 

Dem  Bestreben,  der  traurigen  Gegenwart  zu  entrinnen  und  den 
Seelen  der  Menschen  in  einer  Traum-  und  Phantasiewelt  einen  Zufluchts- 
ort vorzuführen,  verdanken  auch  die  zahllosen  epischen  Gedichte 
des  17.  Jahrhunderts  ihre  Entstehung.  Das  Epos  ist  eine  künstliche 
Schöpfung  geworden,  aber  es  spiegelt  den  Zeitgenossen  die  alten  Ideale 
wieder  vor.  Eine  sehr  große  Zahl  dieser  Dichter  schließt  sich  an  Tasso 
an;  Gegenstand  ist  gewöhnlich  die  Unternehmung  christlicher  Könige 
gegen  Ungläubige.  Die  Dichter  arbeiten,  wie  Belloni  ausführt,  mit  dem 
stereotyp  gewordenen  Rüstzeug  des  16.  Jahrhunderts.  Ich  habe  nur 
eines  dieser  Gedichte  gelesen,  das  für  das  beste  gilt  und  wirklich  auch 
selbständiges  Können  zeigt,  außerdem  von  Chapelain  als  eine  der  Vor- 
lagen der  Pucelle  namhaft  gemacht  wird.  Es  ist  das  Gedicht  II  Con- 
quisto  di  Granata  von  Girolamo  Graziani,  erschienen  1650. 

Der  Epigone  verleugnet  sich  nicht.  Die  Eroberung  Granada's  durch 
Ferdinand  und  Isabella  ist  in  der  Anlage  zu  einer  Kopie  der  Gerusalemme 
geworden,  der  das  Gedicht  in  den  wesentlichsten  Zügen  und  Erfindungen 
folgt;  der  Zug  des  Ersatzheeres  aus  Afrika  mit  der  Voraussendung  des 
Orgonte  stammt  aus  Boiardo.  In  den  zahlreichen  Episoden  der  Neben- 
handlung ist  Ariost  das  Muster.  Graziani  erzählt  eine  Menge  Aben- 
teuer einzelner  Helden  und  Heldinnen,  und  zwar  erzählt  er  gut,  lebhaft, 
rasch,  spannend,  nur  daß  die  vielen  Zweikämpfe  von  ermüdender  Ein- 
tönigkeit sind.  Der  Dichter  hat  eben  seine  Kenntnis  vom  Rittertum 
nur  aus  seinen  Vorlagen,  und  es  zeugt  bei  Marino  von  nicht  geringem 
Verstand,  daß  er  solchen  Schilderungen  möglichst  aus  dem  Wege  ge- 
gangen ist.  In  bedauerlichem  Gegensatz  zu  der  straffen  Durchführung 
der  Handlung  stehen  die  lang  ausgesponnenen  Monologe,  besonders 
die  Liebesklagen,  ein  Tribut  an  den  Secentismo,  dem  auch  die  Anti- 
thesen und  andere  Einzelheiten  zur  Last  zu  legen  sind.  Mit  künstle- 
rischem Geschick  sind  die  früheren  Schicksale  der  einzelnen  Personen 
durch  Erzählungen  mitgeteilt;  allerdings  fällt  die  längste  Erzählung, 
der  Bericht  des  Columbus  über  die  Entdeckung  Amerikas,  ganz  aus 
der  Handlung  heraus. 

Das  Wunderbare  ist  höchst  maßvoll  verwendet.  Der  Himmel  zu- 
mal greift  kaum  je  so  ein,  daß  an  dem  Gang  der  Handlung  viel  ge- 
ändert würde.  Ferdinand  ist  von  Jakob  von  Compostella  ein  Schwert 
verliehen  worden,  das  jeden  Zauber  bricht,  eine  Entlehnung  aus  Boiardo. 
Sonst  gibt  es  nicht  viele  himmlische  Wunder,  und  sie  sind  auch  nicht 
notwendig,  da  der  Dichter  zwar  den  Feinden  alle  Gerechtigkeit  wider- 
fahren, aber  die  Christen  nie  in  große  Bedrängnis  geraten  läßt.  Etwas 
stärker   ist  die  Beteiligung  der  höllischen  Mächte.    Der  Dämon  Hidra- 


Graziani  93 

gorre,  der  bei  der  Einnahme  Granada' s  durch  die  Mauren  den  Auftrag" 
erhalten  hatte  die  Stadt  dem  Islam  zu  erhalten,  ist  sich  seiner  Ver- 
antwortung dem  höllischen  Oberherrn  gegenüber  bewußt  und  wendet 
nun  gegen  die  Spanier  verschiedene  Mittel  an,  die  nicht  eben  viel  helfen. 
Nicht  viel  weiter  bringt  es  der  Zauberer  Alchindo,  der  mit  seinen  Töchtern 
Belsirena  und  Aretia  später  Desmarets  zum  Vorbild  gedient  hat.  Da- 
neben spielen  allegorische  Figuren  eine  schattenhafte  und  überflüssige 
Kolle.  Die  Götter  des  Olymps,  die  gelegentlich  in  Anspruch  genommen 
werden,  dienen  rein  zur  Dekoration. 

Ob  Graziani  Homer  gekannt  hat,  ist  nicht  sicher  auszumachen. 
Einige  Zügen  könnten  es  vermuten  lassen,  aber  dergleichen  ist  trügerisch, 
weil  die  poetische  Literatur  Italiens  von  homerischen  Reminiszenzen  voll 
war.  Die  wichtigsten  Stellen  Graziani's,  die  an  Homer  mahnen,  sind 
sicher  nicht  direkt  aus  diesem  geschöpft.  Daist  eine  Mauerschau:  Antonio 
di  Fonseca  erklärt  von  dem  hohen  Turme  einer  in  der  Ebene  stehenden 
Kirche  der  Königin  die  beim  Sturm  auf  die  Stadt  beteiligten  Helden 
und  die  Verteidiger.  Hier  ist  Tasso's  Erminia  das  direkte  Vorbild.  Das 
nämliche  ist  mit  dem  Zorn  der  Helden  der  Fall.  Altabruno  hat,  von 
rasender  Eifersucht  entflammt,  den  Lagerfrieden  gebrochen,  und  es  ist  im 
Lager  selbst  zu  einer  förmlichen  Schlacht  zwischen  seinen  Anhängern  und 
denen  seines  Gegners  Armonte  gekommen.  Der  König  hat  Frieden  ge- 
macht. Aber  in  dem  Kriegsrat,  den  er  nun  abhält,  geraten  Alva,  der 
für  Strenge,  und  Sidonia,  der  für  Milde  plädiert,  so  hart  aneinander, 
daß  ihnen  der  König  ihr  Benehmen  verweisen  muß.  Das  erbittert  sie 
dermaßen,  daß  sie  das  Lager  verlassen,  um  sich  im  Zweikampf  zu  messen. 
Auch  Altabruno  kehrt  dem  Heer  den  Rücken,  aus  den  nämlichen  Erwä- 
gungen wie  Rinaldo  bei  Tasso.  Der  Zweikampf  Alva's  mit  Sidonia  wird 
durch  einen  Einsiedler  verhindert,  der  ihnen  das  Frevelhafte  ihres  Unter- 
fangens vorhält.  Sie  kehren  zum  Heere  zurück,  mit  ihnen  Altabruno, 
der  unterdessen  verschiedene  Abenteuer  zu  bestehen  gehabt  hat,  und 
werden  von  König  und  Königin  festlich  empfangen.  Eine  Versöhnung 
oder  gar  Verzeihung  ist  nicht  notwendig.  Man  sieht,  daß  Graziani  die 
Erzählung  Tasso's  verbreitert  und  auch  verwässert  hat.  An  die  Ilias 
könnte  es  erinnern,  wenn  die  spanischen  Truppen   durch  Hunger  und 

Ij    Seuche  entmutigt  sind  und  anfangen  zu  desertieren.    Daß  das  aber  eine 
[.  übrigens  nahe  liegende  Erfindung  des  Dichters  ist,   zeigt  sich  aus  der 
Art,  wie  die  Schwierigkeit  gelöst  wird,  und  die  mit  der  dramatischen 
Szene   der  Ilias   gar   keine   Ähnlichkeit  hat.     Isabella  wendet   sich  im 
L  Gebet   zu  Gott;   ihre  Seele   wird  in  den  Himmel   entführt,   wo   sie   die 


94  Italien 

fährt,  besonders  Francesco's  von  Modena,  dem  das  Gedicht  gewidmet 
ist.  Darauf  macht  ein  Hauch  Gottes  der  Pest  ein  Ende  und  flößt  den 
Kriegern  neuen  Mut  ein.  In  den  Gleichnissen  hat  sich  Graziani  zu  den 
gewöhnlichen  und  abgedroschenen  Stoffen  zurückbegeben. 

Neben  den  Nachahmungen  Tasso's  und  Ariosts  gibt  es  im  17.  Jahr- 
hundert auch  eine  beträchtliche  Zahl  von  solchen  der  Secchia  rapita 
Tassoni's,  daneben  Travestien  antiker  Gedichte,  wie  Giambattista  Lalli's 
Eneide  travestita.  Einer  solchen  fiel  auch  Homer  anheim.  Die  Iliade 
Giocosa  des  Francesco  Loredano  1653,  die  ich  nicht  zugesicht  be- 
kommen habe,  umfaßt  die  ersten  sechs  Bücher  der  Ilias.  Belloni  spricht 
dem  Machwerk  alle  Eleganz  des  Stiles  ab  und  beklagt,  daß  sich  Lore- 
dano mit  seiner  profanierenden  Hand  selbst  an  das  Juwel  von  Rektors 
Abschied  gewagt  habe.  „In  diesem  stumpfsinnigen  Lachen  zeigt  sich  der 
Tod  jedes  Idealismus,  der  Triumph  alles  dessen,  was  armselig  und  ge- 
mein ist,  der  Wiederhall  der  moralischen  Erniedrigung,  in  die  ein  so 
großer  Teil  Italiens  versunken  war." 

Trotzdem  das  Jahrhundert  ein  trübes  Bild  gibt,  ist  doch  zu  be- 
achten, wie  wenig  einige  hervorragende  Geister  sich  dem  Druck  der 
Kirche  und  Spaniens  beugten;  Belloni  nennt  die  stolzen  Namen  Bruno, 
Campanella,  Sarpi,  Galilei.  Es  macht  einen  eigentümlichen  Eindruck 
zu  sehen,  wie  die  Fortschritte  der  von  der  Kirche  mehr  oder  weniger 
geduldeten  Wissenschaft  die  Menschen  interessierten.  Selbst  Marino  hat, 
so  wenig  es  in  sein  Gedicht  gehört,  mit  Stolz  die  astronomischen  Er- 
kenntnisse seiner  Zeit  hervorgehoben,  freilich  stark  mit  astrologischem 
Aberglauben  versetzt.  Von  den  alten  Sprachen  wurde  allerdings  nur 
das  Latein  in  den  Schulen  eifrig  betrieben,  während  sich  der  Unterricht 
im  Griechischen  auf  die  Elemente  beschränkte.  Aber  einzelne,  wie  gerade 
Marino,  haben  sich  auch  im  Griechischen  rühmliche  Kenntnisse  erworben. 

Auf  die  Periode  des  Secentesimo  folgt  in  Italien  im  18.  Jahr- 
hundert die  Zeit  des  Risorgimento,  bewundernswert  durch  ihre  ge- 
waltige wissenschaftliche  Leistung,  liebenswert  durch  das  aufrichtige 
Ringen  nach  Befreiung  aus  dem  Morast  der  Gegenwart,  aus  den  kirch- 
lichen, politischen,  literarischen  Fesseln.  Man  strebt  über  Marino  zurück 
zu  großen  und  reinen  Mustern  und  erinnert  sich  dabei  des  vergessenen 
Homer.  In  ungeahnter  Macht  dringt  das  Studium  des  Griechischen  wieder 
vor,  Italien  wiederhallt  vom  Namen  Homers.  Wie  zu  Polizians  Zeit 
drängen  sich  die  Gebildeten  herbei,  ihn  kennen  zu  lernen;  an  verschie- 
denen Orten  erklären  ihn  hervorragende  Gelehrte.  Von  den  bedeutenden 
Männern  der  Literatur  gibt  es  kaum  einen,  der  kein  Griechisch  verstanden 


^ 


Loredano     Salvini  95 

hätte,  und  es  fällt  iii  ihren  Schriften  manches  mitleidige  Wort  über 
die  Franzosen,  die  über  Homer  den  Stab  brachen,  ohne  ihn  im  Original 
gelesen  zu  haben.  Ein  drastisches  Beispiel  für  die  Homerbegeisterung 
der  Zeit  bildet  jener  Jacopo  Martorelli,  der  den  Homer  las  wie  die 
Puritaner  die  Bibel  und  durch  seine  Begeisterung  für  das  Griechentum 
Winckelmanns  Freundschaft  gewann. 

An  eine  direkte  Beeinflussung  der  Literatur  durch  Homer  war 
freilich  nicht  zu  denken.  Ein  Epos  war  nicht  mehr  möglich,  das  war 
totgehetzt.  Die  Arcadia,  die  große,  zur  Bekämpfung  des  Cattiva 
Gusto  1690  gegründete  Gesellschaft,  pflegte  praktisch  nur  die  Lyrik 
und  das  Drama.  Aber  Muster  konnten  die  alten  Epiker  durch  Stil 
und  Charakteristik  für  die  gesamte  Poesie  sein,  wie  es  Homer  dem 
Horaz  für  die  Tragödie  gewesen  war,  und  dafür  mühte  man  sich  um 
das  Verständnis  des  homerischen  Originals,  mühten  sich  die  Gelehrten 
um  die  Übermittlung  des  Dichters  an  weitere  Kreise  durch  Über- 
setzungen. Hand  in  Hand  ging  damit  die  ästhetisch -moralische  Be- 
trachtung, denn  den  moralischen  Charakter  der  Poesie  zu  heben  galt 
dem  Risorgimento  als  eine  der  wesentlichsten  Aufgaben.  Hier  nun 
glaubte  die  Zeit  ungehindert  von  vorn  anfangen  zu  können.  Die  Ita- 
liener des  18.  Jahrhunderts  rühmen  sich,  daß  sie,  darin  den  Engländern 
gleich,  nie  so  schwer  verständliche  Kämpfe  gehabt  hätten,  wie  die  zwischen 
Boileau  und  Perrault,  M™®  Dacier  und  La  Motte  in  Frankreich  ge- 
wesen waren.  Aber  da  kam  ihnen  in  den  Weg,  daß  sie  doch  von  diesen 
kaum  abgeschlossenen  Streitigkeiten  zuviel  wußten,  um  die  Angriffe 
auf  Homer  und  seine  Verteidigungen  einfach  in  die  Rumpelkammer  zu 
werfen,  wohin  sie  gehört  hätten,  und  wohin  die  praktischen  Engländer 
sie  verwiesen.  In  der  theoretischen  Erörterung  über  die  besten  Muster 
, spielen  die  alten  Streitfragen  und  die  Argumente  der  Franzosen  bis 
zum  Ende  des  Jahrhunderts  eine  ungebührlich  große  Rolle.  Im  ganzen 
[aber  bietet  das  reiche  Leben  der  Zeit,  auch  nur  vom  Gesichtspunkt 
der   Schätzung  Homers"  betrachtet,    einen   höchst   erfreulichen  Anblick. 

Unter  den  Hellenisten  dieser  Periode  steht  Anton  Maria  Salvini 
obenan,  ein  Mann,  der  auf  die  Bildung  der  Zeit  den  größten  Einfluß 
geübt  hat.  Er  unternahm  es,  der  gebildeten  Welt  die  Schätze  der  grie- 
^chischen  Literatur  durch  Übersetzungen  zu  erschließen;  1723  veröffent- 
^lichte  er  die  des  Homer.  Als  Form  wählte  er  den  schon  im  16.  Jahr- 
hundert dafür  verwendeten,  jetzt  allgemein  in  Aufschwung  gekommenen 
reimlosen  Verso  sciolto.  Nicht  mit  Unrecht  wirft  man  der  Übersetzung 
Trockenheit  und  Mangel  an  poetischem  Schwung  vor,  aber  daneben 
laben  hervorragende  Zeitgenossen  den  Reichtum  in  der  Wortwahl  und 


S6  Italien 

die  Treue  hervorgehoben.  Salvini  zog  eine  gewissenhafte  Interpretation 
einer  oberflächlichen  Umschreibung  vor.  Jedenfalls  bleibt  ihm  der  Ruhm, 
Italien  die  erste  vollständige  Übersetzung  in  der  Landessprache  gegeben 
zu  haben. 

Neben  ihm  sind  in  Florenz  Lazarini  und  der  Dichter  der  Merope, 
Scipione  Maffei,  zu  erwähnen,  von  dem  Ricci  erzählt,  daß  er  ihn 
durch  seine  begeisterten  Ausführungen  über  Homer  zum  eifrigsten 
Studium  des  Dichters  entflammt  habe.  Mafi'ei  erblickt  in  Homer  und 
Yirgil  die  unbedingten  Meister  des  Epos,  und  zwar  weil  sie  alle 
Späteren  durch  die  Natürlichkeit  und  Lebendigkeit  der  Farben  über- 
treffen. Die  Ursache  davon  findet  er  in  ihrem  Kunstmittel,  dem  Hexa- 
meter, dessen  Freiheit  und  Kraft  nicht  durch  den  Reimzwang  gehemmt 
werde.  Die  einzige  Möglichkeit,  in  einer  Übersetzung  dem  Original 
nahe  zu  kommen,  sieht  er  im  Verso  sciolto,  bei  dem  der  Gedanke  von 
einem  Vers  in  den  andern  übergreifen  könne,  so  daß  der  Inhalt  voll 
ausgeschöpft  werde.  Diese  Gedanken  hat  Maflei  in  einem  Briefe  JOelle  tra- 
duzioni  Italiane  1736  ausgeführt,  mit  dem  er  Friedrich  von  Braun- 
schweig seine  Übersetzung  des  ersten  Buches  der  Ilias  überreichte. 
Er  hat  dann  noch  die  zwei  folgenden  Bücher  übersetzt.  Bemerkens- 
wert sind  an  dem  Briefe  die  Erörterungen  über  Wortwahl  und  über 
die  Wiedergabe  der  zusammengesetzten  Beiwörter,  die  den  Engländern 
so  gut  gelinge,  und  deren  Einführung  Maffei  auch  für  das  Italienische 
fordert.  In  der  Streitfrage  über  die  homerischen  Götter  und  Heroen 
steht  Maffei  durchaus  auf  der  Seite  der  Verteidiger  Homers. 

In  Bologna  lehrte  Paolo  Brazolo,  ein  leidenschaftlicher  Verehrer 
Homers.  Er  übersetzte  zu  wiederholten  Malen  die  Ilias,  entdeckte  aber  in 
ihr  immer  wieder  so  viel  neue  Schönheiten,  daß  er  des  Anderns  und 
Verbesserns  kein  Ende  fand  und  schließlich  die  Arbeit  unwillig  dem 
Feuer  überantwortete. 

Ein  Unternehmen  eigener  Art  war  die  Übersetzung .  der  Ilias  von 
Giuseppe  Bozzoli  1769.  Er  will  das  griechische  Gedicht  in  ein 
italienisches  umwandeln  und  damit  ebensowohl  die  ungenügenden  Ver- 
suche der  Früheren  ersetzen,  als  Italien  den  größten  Dichter  schenken, 
den  es  je  gehabt  hat.  Deshalb  wählt  er  die  Stanze  des  nationalen 
Romanzo  und  nimmt  sich  für  Sprache  und  Ausdruck  Ariost  zum 
Muster,  der  von  allen  Italienern  der  am  meisten  griechische  sei.  Die 
Übersetzung  soll  sinngetreu,  aber  im  Ausdruck  frei  und  namentlich 
italienisch  sein,  weshalb  die  stehenden  Beiwörter  vermieden,  Um- 
stellungen, Auslassungen,  Zusätze  angebracht  werden.  Denn  zu  große 
Treue   sei,   wie   Salvini's  Beispiel   zeige,   die  größte  Untreue,   weil   da- 


I 


Maffei     Gravina  97 

durch  das  Gedicht  seinen  Geist  verliere  und  niedrig  werde.  Trotz  der 
Stanze  ist  leider  Bozzoli  kein  Ariost,  und  Italien  hat  durch  ihn  den 
größten  Dichter  nicht  gewonnen;  sein  Gedicht  ist  Prosa  in  Stanzen. 
Einige  andere  Übersetzungen  dieses  Jahrhunderts  übergehe  ich. 

Eine  wahre  homerische  Kolonie  war  Neapel,  von  wo  Gelehrte  auch 
in  die  übrigen  Städte  des  Königreichs  ausgingen.  So  lehrte  in  Scalea 
der  hochgebildete  Gregorio  Caloprese,  bei  dem  Gianvincenzo  Gravina 
seine  gründliche  Kenntnis  der  alten  Sprachen  empfing.  Mit  Gravina  be- 
ginnt der  Kampf  des  erwachenden  Jahrhunderts  für  eine  Poesie,  die 
eine  neue,  ebensowohl  moralische  als  ästhetische  Grundlage  erhalten  sollte. 
Seine  erste  wichtige  Schrift  in  dieser  Richtung  ist  der  1692  erschienene 
Discorso  sopra  VEndimione,  d.  h.  über  das  Endimione  betitelte  drama- 
tische Gedicht  des  Alessandro  Guidi.  Die  Veranlassung  zu  dieser 
Schrift,  wie  die  Wertschätzung  Guidi's  durch  Gravina  berühren  uns 
nicht.  Das  Wichtige  ist,  daß  der  Discorso  ein  vollständig  neues  Pro- 
gramm darstellt,  und  zwar  richtet  sich  der  Kampf  zuerst  gegen  die 
herrschende  Poetik.  Diese  Wissenschaft  ist  nach  Gravina  noch  nicht 
vollständig,  weil  entweder  die  alten  Beobachter,  gemeint  sind  Ari- 
stoteles und  Horaz,  nicht  das  ganze  Wesen  der  Poesie  umfaßten,  oder 
weil  ihre  richtigen  Resultate  in  die  Hände  von  Rhetoren,  Sophisten, 
Grammatikern,  Kritikern  gefallen  sind,  die  sie  verderbten.  Gegen  diese, 
zumal  ihren  letzten  Vertreter  Tesauro,  ihren  Wortschwall  und  Regel- 
kram, geht  wiederholt  der  Angriff.  Aber  deswegen  ist  Gravina  nicht 
gewillt,  einfach  die  Autorität  des  Aristoteles  wiederherzustellen.  Bei 
der  Frage,  inwiefern  der  Dichter  das  Recht  habe,  an  der  Fabel  zu 
ändern,  sucht  er  zwar  zuerst  die  wirkliche  Meinung  des  Aristoteles 
darüber  zu  erfassen;  aber,  fährt  er  fort,  ob  dieser  das  oder  etwas  anderes 
gemeint  habe,  darauf  komme  nichts  an;  denn  wenn  das  Gefühl  durch 
sichere  Ragione  gelenkt  werde,  so  habe  es  nicht  nötig  sich  auf  irgend 
welche  Autorität  zu  stützen. 

Was  er  hier  Ragione  nennt,  ist  nicht  einfach  die  Ratio  Vida's 
oder  die  Raison  Boileau's.  Es  ist  vielmehr,  wie  er  in  der  1708  er- 
schienenen Schrift  Bella  Bagione  j^etica  ausführt,  der  vernunftgemäße 
letzte  Grund  der  Gesetze  der  Poesie.  Wie  ein  edles  Gebäude  nach  den 
Regeln  der  Architektur  aufgeführt  ist,  diese  Regeln  aber  zum  vernimf- 
tigen  Grunde  die  Geometrie'  haben,  so  beruhen  die  Regeln  der  Poetik 
auf  dem  Wissen  von  der  Poesie.  Von  den  Dingen  der  Wirklichkeit 
imterscheiden  sich  die  Gegenstände  der  Poesie  dadurch,  daß  sie  erfunden 
sind;  wie  jene  auf  den  Urgrund  Natur,  so  gehen  diese  auf  eine  Vor- 
stellung, idea,  der  Phantasie  zurück.    Diese  Vorstellung  besteht  in  der 

Finaler:  ]{omer  in  der  Neuzeit.  7 


98  Italien 

eigentlichen,  natürlichen  und  passenden  Imitation,  der  Überführung  aus 
dem  Wirklichen  in  das  Erfundene,  und  das  ist  eben  die  oberste  Ragione 
aller  poetischen  Werke.  Die  Gestalten  der  Phantasie  bewegen  uns  wie 
die  der  Wirklichkeit,  wenn  sie  die  Züge  der  wirklichen  Dinge  tragen. 

Darum  ist  Homer  der  mächtigste  Zauberer,  weil  er  alle  Kunst 
auf  den  Ausdruck  des  Natürlichen  verwendet  hat.  Er  zeichnet  nach  der 
Natur  und  erreicht  es  dadurch,  Erkenntnisse  zu  vermitteln,  die  sich  in 
verständige  Seelen  bei  der  Lektüre  seiner  Gedichte  einprägen.  Vielen 
kommt  die  Einfachheit  und  Natürlichkeit  seiner  Darstellung  zu  gewöhnlich 
und  nackt  vor;  aber  gerade  die,  welche  sie  verschmähen,  verlieren  sich 
in  die  Darstellung  einer  andern  Welt,  die  uns  nicht  angehört,  und  ihre 
Werke  öffnen  den  Weg  zur  Kenntnis  des  Menschen  nicht.  Darin  ist  ja 
eben  Homer  so  groß,  daß  er  in  seinem  Streben  nach  Wahrheit  nie  das 
Vollkommene  gezeichnet  hat,  dessen  die  Menschheit  gar  nicht  fähig  ist. 
Nie  schildert  er  den  höchsten  Punkt  der  Tugend,  aber  auch  nie  das 
Äußerste  des  Lasters.  Seine  Personen  haben  nicht  fortdauernd  die  näm- 
liche Beschaffenheit  des  Geistes,  sondern  es  treten  Schwankungen  ein,  die 
der  Festigkeit  des  Charakters  nicht  widersprechen;  der  Dichter  erkannte 
die  Macht  auch  der  äußeren  Einflüsse  auf  unser  Gemütsleben.  Vollkommene 
Tugend  und  vollendetes  Laster  gleichen  der  Wirklichkeit  nicht  und  be- 
zaubern die  Phantasie  nicht,  weil  sie  Charaktere  vorstellen,  die  den  von  den 
Sinnen  und  der  Erimierung  uns  gebotenen  unähnlich  sind.  Der  mensch- 
liche Geist  verwirrt  sich  im  Sturm  der  Affekte,  so  daß  die  Natur  des 
Menschen  mit  verschiedenen,  oft  sogar  mit  widersprechenden  Farben 
bekleidet  erscheint.  Wenn  Homers  Helden  manchmal  unwürdige  Seiten 
zeigen,  so  kommt  das  daher,  daß  der  Dichter  die  Fürsten  seiner  Zeit  ohne 
den  Purpur  und  die  Krone  vorführen  wollte,  die  den  Augen  des  Volkes 
die  menschlichen  Schwächen  verdecken,  sondern  mit  den  wechselnden 
Einflüssen  der  Tugenden  und  Laster.  So  spricht  Gravina  in  der  Schrift 
über  die  Ragione  poetica.  Im  Discorso  hatte  er  gesagt,  die  Fehler  der 
homerischen  Helden  seien  Konsequenzen  ihrer  Vorzüge:  der  Klugheit 
Agamemnons  folge,  wie  der  Rost  dem  Eisen,  die  Selbstsucht;  des  Odysseus 
Scharfsinn   arte  in  Tücke,   des  Achilleus  Hochsinn  in  Anmaßung  aus. 

Die  ungewohnte  Freude,  einem  so  warm  und  verständnisvoll 
empfindenden,  unmittelbar  aus  dem  Original  schöpfenden  Kritiker  zu 
begegnen,  wird  einigermaßan  dadurch  getrübt,  daß  auch  bei  Gravina 
der  alte  Wust  der  didaktischen  und  allegorischen  Erklärung  nicht  über- 
wunden ist.  Es  rührt  das  von  dem  Bestreben  her,  nicht  nur  eine  ästhe- 
tische, sondern  auch  eine  moralische  Reform  durchzuführen.  Homer 
soll  als  Muster  für  alle  menschlichen  Einrichtungen  dienen,  die  Odyssee 


Gravina  99 

im  besoudern  die  Kunst  und  Norm  der  richtigen  Lebensführung  zeigen. 
Homer,  sagt  Gravina,  vermittelte  unter  der  Hülle  der  Poesie  dem  Volke 
die  Elemente  alles  Wissens  und  die  wichtigsten  moralischen  Lehren.  Man 
ist  ganz  betrübt,  wenn  man  den  feinen  und  scharfsinnigen  Gravina  schließ- 
lich noch  die  Entdeckungen  Le  Bossu's  vortragen  hört. 

Auf  die  Besprechung  Homers  folgt  die  Beurteilung  sehr  vieler 
alter  und  neuer  Dichter.  Hervorragend  ist  der  Preis  Dante's,  während 
die  Vorliebe  für  Trissino  seltsam  berührt;  die  Italia  Liberata  wird  gelobt, 
weil  sie  eine  Nachahmung  antiker  Vorbilder  sein  wolle.  Es  mag  erwähnt 
werden,  daß  Gravina  Ariost  über  Tasso  stellt.  Scaligers  Urteil  über 
Homer  erfährt  eine  scharfe  Abweisung. 

Wenn  Gravina  überall  Homer  als  den  wahrhaften  Maler  der 
Sitten  seines  Zeitalters  preist,  so  zeigt  er  in  dem  an  Maffei  gerichteten 
Brief  De  Disciplina  Poetarum  1712,  daß  ihm  dieses  Zeitalter  selbst 
keineswegs  als  Ideal  vorkommt,  das  Griechentum  überhaupt  nicht.  Er 
erblickt  in  diesem  nur  wilde  und  ungezügelte  Leidenschaften  und  trüge- 
rischen Eigennutz,  die  sich  auch  nicht  scheuen,  die  Lebensinteressen  des 
Staates  selbst  zu  gefährden,  während  er  bei  den  Römern  vor  allem  die 
von  der  Vernunft  geleiteten  republikanischen  Tugenden  herrschen  sieht. 
Daraus  leitet  er  die  Verschiedenheit  der  Wertschätzung  der  Poesie  bei 
beiden  Völkern  ab.  Die  Griechen  verehrten  ihre  Dichter  gleich  Göttern, 
da  sie  in  der  Poesie  ein  Mittel  zur  Besserung  der  Sitten  erblickten;  den 
Römern,  die  das  nicht  notwendig  hatten,  galt  die  Poesie  lange  Zeit  nur 
als  ein  privates  Vergnügen.  In  dem  Unterschied  der  Charaktere  beider 
Völker  findet  er  dann  auch  die  Ursachen  der  Verschiedenheit  zwischen 
Homer  und  Virgil.  Wenn  jener,  wie  Piaton  und  Aristoteles  bezeugen, 
die  Menschen  seiner  Zeit  und  Nation  so  wiedergab,  wie  sie  waren,  so 
mußten  die  Beispiele  der  Willkür,  Habsucht,  Wildheit  vor  den  spärlichen 
Zügen  der  Großmut  und  Tugend  den  Vorrang  behaupten.  Nur  ein  des 
Altertums  Unkundiger  kann  dem  Dichter  daraus  einen  Vorwurf  machen. 
Er  konnte  seinen  Helden  keine  Tugenden  zuschreiben,  die  damals  ganz 
unbekannt  waren,  ja  während  der  ganzen  Zeit  der  griechischen  Geschichte 
fehlten  bis  zu  ihrer  Unterwerfung  unter  die  Römer.  So  spiegeln  die 
Helden  Homers  mit  ihrer  Raubsucht,  ihrer  Leidenschaftlichkeit,  ihren 
weibischen  Klagen  und  kindischen  Tränen  die  Unbeständigkeit  und  den 
Wankelmut  der  Griechen;  die  Fürsten  Virgils  sind,  obwohl  sie  aus  Asien 
stammen,  nach  der  Majestät  römischer  ConsuLn  gebildet.  Weil  nun  hier 
die  bessern  Sitten  dargestellt  sind,  werden  gegenwärtig  Virgil  und  auch 
schwülstige  neuere  Dichter  dem  Homer  vorgezogen,  obwohl  dieser  seinen 
Helden  ihren  eigenen  Charakter,  jener  aber  einen  fremden  geliehen  hat 


100  Italien 

und  es  bei  dem  Wettstreit  der  Dichter  niclit  auf  die  Würde  der  von 
ihnen  eingeführten  Personen,  sondern  auf  die  Wahrheit  der  nachahmenden 
Darstellung  ankommt.  Die  Zeichnung  der  Schlechtem  trägt  ebensoviel 
bei,  sich  in  Acht  zu  nehmen,  als  die  der  Bessern  zur  Nacheiferung 
auffordert.  Dadurch  wird  das  mißgünstige  Urteil  Piatons  widerlegt,  der 
den  Ruhm  des  größten  Dichters,  den  er  mit  seinen  eigenen  Versen  nicht 
erreichen  konnte,  durch  geistreiches  Durchhecheln,  unter  dem  Titel  der 
Erhaltung  der  Ehrbarkeit,  zu  zerreißen  versuchte.  Die  Verschiedenheit 
der  Sitten  und  des  Publikums,  an  das  sich  die  Dichter  wandten,  verur- 
sachte auch  eine  Verschiedenheit  des  Stils.  Virgil  vereinfachte  die  Fülle 
der  homerischen  Sentenzen  und  Ornamente,  da  seine  Hörer  nicht  belehrt, 
sondern  nur  ergötzt  sein  wollten. 

Diese  Parallele  ist  wohl  die  interessanteste,  die  je  aufgestellt 
worden  ist.  Auf  der  einen  Seite  stellt  Gravina  das  römische  Wesen 
hoch  über  das  griechische,  den  griechischen  Dichter  aber  für  seine 
Wahrhaftigkeit  und  Treue  über  den  Römer,  der  ihn  auch  trotz  seinen 
erhabenen  Charakteren  an  moralischer  Nützlichkeit  nicht  übertreffe. 

Die  genannten  Schriften  sind  überreich  an  Gedanken,  die  in  so 
knapper  Form  geboten  sind,  daß  ein  Referat  eine  sehr  schwere  Sache  ist. 
Als  Werke  der  Kritik  sind  sie  ganz  ausgezeichnet,  klar,  spannend,  vor 
allem  selbständig.  Zum  ersten  Mal  nach  langer  Zeit  tritt  uns  da  statt 
der  traditionellen  Verehrung  Homers  und  Dante's  eine  auf  lebendiger  An- 
schauung und  gründlichster  Kenntnis  aufgebaute  Auffassung  entgegen. 
Gravina  hat  sich  getäuscht,  wenn  er  meint,  es  lasse  sich  durch  Nach- 
ahmung der  großen  Vorbilder  eine  neue  Poesie  schaffen.  Er  war  nicht 
selbst  Dichter  genug,  um  den  Irrtum  einzusehen.  Aber  für  die  Erneuerung 
der  Kenntnis  der  vergessenen  Großen  hat  er  mächtig  gewirkt,  nicht 
minder  für  die  Befreiung  von  wirklich  oder  angeblich  aristotelischem 
Regelzwang. 

Dem  nämlichen  Zweck,  dem  Kampf  gegen  den  schlechten  Ge- 
schmack, dient  ein  zwischen  den  beiden  Schriften  Gravina's,  1706,  er- 
schienenes Buch,  Lodovico  Antonio  Muratori's  umständliches  Werk 
Della  perfetta  Poesia  Italiana,  das  sich  in  der  Abwehr  des  Secentismo 
und  besonders  Marino's  mit  Gravina  deckt,  aber  in  der  Breite  und  Be- 
haglichkeit des  Stils  wie  in  manchem  einzelnen  Urteil  bedeutend  von 
ihm  abweicht. 

Muratori's  Werk  gibt  sich  als  Lehrbuch  des  guten  Geschmacks  für 
angehende  Dichter.  Die  Reform  der  Poesie,  die  bereits  eingesetzt  hat, 
soll  gründlich  gefördert  werden,  im  Anschluß  an  die  Autoritäten  auf  dem 
Gebiete   der   Poetik   und   an   anerkannte  Muster   alter  und  neuer   Zeit. 


I 


Gravina     Muratori  101 

Muratori  kennt  Aristoteles,  Horaz  und  Castelvetro  gut,  geht  aber  mit  großer 
Freiheit  des  Geistes  seine  eigenen  Wege.  Zwar  hebt  auch  er  neben 
der  ästhetischen  die  moralische  Aufgabe  der  Poesie  stark  hervor,  aber 
sein  Buch  beschäftigt  sich  doch  wesentlich  mit  den  Mitteln  der  Poesie, 
die  der  Hervorbringung  des  Vergnügens  dienen,  besonders  mit  denen 
der  Phantasie.  Wichtig  ist,  daß  er  den  Enthusiasmus,  den  furore  poetico, 
nicht  als  Inspiration  fassen  will,  sondern  als  eine  Erweckung  der  natür- 
lichen Anlage  der  Phantasie.  Durch  die  allseitige  Betrachtung  des  Stoffes 
erweckt  der  Dichter  in  sich  selbst  den  Affekt,  worauf  die  Seele  die 
Dinge  nicht  mehr  in  natürlicher,  sondern  in  gehobener  Rede  ausdrückt. 
Bei  den  großen  Dichtern  wird  die  Phantasie  durch  wunderbare  Urteils- 
kraft geleitet. 

Als  Muster  der  Epiker  steht  ihm  Tasso  obenan.  Von  Homer 
wird  zuweilen  mit  großer  Bewunderung  gesprochen,  aber  was  Muratori 
an  ihm  zu  tadeln  findet,  scheint  ihm  doch  das  Löbliche  zu  überwiegen. 
Das  kommt  von  Muratori's  Definition  des  Epos  her,  das  ihm  eine  Ge- 
schichte in  Versen  ist  und  deshalb  eine  größere  Zurückhaltung  erfordert 
als  die  Lyrik,  die  jedes  Aufflammen  der  Affekte  gestattet.  Das  Epos 
hat  das  Majestätische  zum  Ziel,  deshalb  müssen  auch  niedrige  Gefühle, 
Gegenstände  und  Personen  gehoben  werden. 

Der  Dichter  entdeckt  in  den  Dingen  neue  Wahrheiten  und  stellt 
sie  in  ihrer  höchsten  Vollkommenheit  oder  Unvollkommenheit  dar. 
So  haben  Homer  und  Virgil  die  einfachen  troischen  Geschichten  durch 
ihre  Phantasie  zur  Vollkommenheit  erhoben;  es  handelt  sich  hier 
nicht  um  Wirklichkeit,  sondern  um  innere  Wahrheit,  die  auch  durch 
bloß  Mögliches  und  Wahrscheinliches  ausgedrückt  werden  kann.  Für 
den  Romanzo  besteht  sie  im  Glauben  des  gemeinen  Volks  an  die 
Existenz  von  Feen  und  irrenden  Rittern  der  alten  Zeit.  Das  edle 
Wahrscheinliche  dagegen,  das  verisimile  nobile,  das  den  Gebildeten 
zusagt,  operiert  nicht  mit  dem  Eingreifen  des  Übernatürlichen.  Es  ist 
daher  unbegreiflich,  daß  die  Alten  den  Homer  bei  der  beständigen 
Einmischung  seiner  Götter  so  loben  konnten.  Für  dergleichen  kann  ja 
eine  Nötigung  vorliegen  wie  bei  Tasso,  aber  Homer  hat  es  übertrieben. 
Für  vieles  reicht  auch  die  beliebte  allegorische  Deutung  nicht  aus.  Wenn 
durch  Athene  die  Weisheit  verkörpert  sein  soll,  so  ist  es  doch  wenig 
wahrscheinlich,  daß  sie  den  Telemachos  auf  der  Suche  nach  seinem 
Vater  durch  ganz  Griechenland  führt,  nur  gerade  dorthin  nicht,  wo 
Odysseus  wirklich  ist. 

Daß  die  Kunst  der  Darstellung  bei  dem  nämlichen  Dichter  ver- 
schieden  sein   kann,   zeigt  sich  gerade  bei  Homer:   die  Erzählung  von 


102  Italien 

Polyphem  ist  neu  und  überraschend,  das  viele  Gerede  der  Freier  in 
Ithaka  nicht. 

Die  Augenfälligkeit  homerischer  Darstellung  preist  Muratori  am 
Gleichnis  von  dem  weinenden  Mädchen.  Darin  übertreffe  er  Yirgil,  der 
nicht  in  die  Einzelschilderung  eingehe.  Doch  verteidigt  er  diesen  gegen 
Castelvetro,  der  das  auf  einen  Mangel  an  Können  bei  Yirgil  zurück- 
geführt hatte.  Virgils  Stil  sei  immer  erhaben  und  fem  davon  zu  lang- 
weilen, was  Homer  zuweilen  begegne.  Die  Würde  und  Pracht  des  Epos 
sei  bei  Yirgils  Kürze  besser  gewahrt  als  bei  den  eingehenden  Beschrei- 
bungen Homers.  An  diesem  tadelt  er  im  fernem  die  breiten  Ausfüh- 
rungen an  sich  einfacher  Dinge,  wie  die  Bereitung  des  Mahles  durch 
Patroklos,  Er  will  Homer  nicht  den  Prozeß  machen,  weil  der  Dichter 
den  Achilleus  zu  einem  gewöhnlichen  Koch  gemacht  habe,  denn  viel- 
leicht sei  das  damals  nicht  so  unedel  gewesen,  wie  es  heute  wäre.  Aber 
daß  die  Stelle  jedes  Schwungs  der  Phantasie  entbehre,  stehe  fest.  Höchst 
anmutig  findet  er  dagegen  die  Szene  mit  dem  kleinen  Astyanax. 

Daß  der  Dichter  moralische  Wahrheiten  in  das  Gewand  der  Fa- 
bel hüllen  dürfe,  erkennt  Muratori  an,  wie  z.  B.  unter  dem  Bilde  der 
Kirke  und  ihrer  Verzauberungen  die  Affekte  der  entfesselten  Begierde 
nach  niederen  Lüsten  dargestellt  seien.  Aber  selbst  die  Heiden  hätten 
über  die  Ausleger  gespottet,  die  im  Homer  alles  allegorisch  erklären 
wollten.  Die  Regeln  des  poetisch  Schönen,  fährt  er  fort,  sind  nun 
nicht  nur  auf  das  Wahre  und  Wahrscheinliche  gebaut,  sondern  auch 
auf  das  Gute,  dem  Gemeinwohl  Nützliche.  Hier  hat  Homer  die  Grenzen 
des  Schönen  weit  überschritten.  Zugegeben,  er  habe  unter  dem  Schleier 
der  Allegorie  Wahrheiten  gegeben,  so  durfte  dieses  Wahre  nicht  un- 
edel, unanständig,  schmutzig  sein,  geeignet  die  guten  Sitten  und  die 
Religion  zu  verletzen.  Poetische  Darstellungen  müssen  die  dargestellten 
Personen  nach  ihrer  Natur  handeln  lassen;  aber  die  Götter  Homers 
sind  von  göttlicher  Würde  weit  entfernt. 

In  der  Erörterung  über  das  Urteil  wird  hervorgehoben,  daß  dieses 
durch  die  Lektüre  großer  Dichter  sehr  geschärft  werde.  Freilich  dürfe 
man  sie  nicht  für  fehlerlos  halten,  jedoch  auch  nur  behutsam  tadeln. 
Jahrhunderte  langer  Ruhm,  sagt  Muratori,  bietet  eine  Gewähr  für  die 
Größe  eines  Dichters;  doch  gibt  es  Ausnahmen,  wie  denn  Homer  und 
Dante  von  den  früheren  Zeiten  überschätzt  worden  sind.  Homer  über- 
trifft durch  wunderbare  Vorzüge  zuweilen  den  von  allen  als  göttlich 
anerkannten  Virgil;  aber  sie  sind  mit  zu  vielen  Schwächen  untermischt. 
Allerdings  hat  Perrault,  dem  jedes  Urteil  abging,  mit  seinen  Angriffen 
Unrecht,    aber   auch   Boileau   geht   in   der   Schätzung   der   Antike   und 


Muratori    Metastasio  103 

auch  darin  zu  weit,  daß  er  die  Berechtigung  einer  sicheren  Wert- 
schätzung vom  Urteil  einer  langen  Zeit  abhängig  macht.  Die  römischen 
Zeitgenossen  haben  doch  auch  nicht  das  Urteil  der  Jahrhunderte  abge- 
wartet, um  Yirgil  in  den  Himmel  zu  erheben.  Abschließend  hält  Mura- 
tori dafür,  daß  Homer  Vorzüge  genug  besitze,  als  notwendig  seien, 
ihn  für  einen  Dichterfürsten  zu  erklären.  Besonders  werde,  wer  ihn  im 
Original  lesen  könne  und  Kenntnis  des  Altertums  habe,  mit  Vergnügen 
die  Schilderungen  alter  Sitten  lesen,  an  denen  nur  Idioten  Anstoß 
nehmen,  weil  diese  nichts  als  die  Gegenwart  kennen.  Trotzdem  scheint 
ihm  die  Lobpreisung  Homers  bei  Boileau  maßlos  übertrieben. 

Muratori  hat  mehrere  Partien  der  Ilias  in  wohlklingende  Versi 
sciolti  übersetzt.  In  einer  spätem,  1724  in  Venedig  erschienenen  Aus- 
gabe folgen  dem  Text  gelehrte  Anmerkungen  von  Salvini,  der  unter 
anderem  Muratori's  zu  freien  Übersetzungen  seine  nüchternen,  aber  exak- 
teren Versionen  gegenüberstellt  und  Homer  gelegentlich  gegen  die  in 
dem  Werk  ausgesprochenen  Ausstellungen  verteidigt,  leider  mehrmals 
mit   dem   unbrauchbar  gewordenen  Mittel  der  allegorischen  Erklärung. 

In  die  Sphäre  Gravina's  gehört  das  tapfere  Büchlein  seines  Schü- 
lers Pietro  Metastasio,  EstraUo  delV  Arte  Poetica  d'Aristotile,  zum 
erstenmal  nach  dem  Tode  des  Verfassers  1784  gedruckt.  Das  blei- 
bende Verdienst  der  Schrift  wird  sein,  daß  sie  die  angeblich  aristote- 
lische Lehre  von  den  drei  dramatischen  Einheiten  endgiltig  zertrümmert 
hat.  Im  übrigen  gibt  sich  Metastasio  behutsam  als  Verteidiger  des 
Aristoteles  gegen  seine  pedantischen  Ausleger;  aber  es  entgeht  ihm  nicht, 
daß  die  von  Aristoteles  selbst  angerufenen  Muster  den  Lehrsätzen  seiner 
Poetik  nicht  immer  entsprechen.  Die  ausführliche  Geschichte  der  Jagd 
auf  dem  Parnaß  war  wirklich  für  die  Erzählung  der  Odyssee  eben- 
sowenig notwendig  als  die  Gespräche  der  Freier  in  der  Unterwelt  oder 
die  Genealogie  des  Glaukos.  Was  die  so  gerühmte  Einheit  der  Hand- 
lung in  der  Ilias  angeht,  so  konnte  von  der  Versöhnung  der  Helden 
an  alles  fehlen,  ohne  daß  die  Fabel  zerstört  worden  wäre.  Aber  der 
Dichter  knüpft  die  Geschichte  eines  zweiten  Zornes  an,  unbekümmert 
darum,  ob  er  die  Einheit  beeinträchtige.  Damit  soll  weder  ein  Tadel 
gegen  Homer  ausgesprochen  noch  Aristoteles  eines  Widerspruchs  ge- 
ziehen, sondern  nur  gezeigt  werden,  daß  es  überall  zutreffende  Regeln 
nicht  gibt,  denn  die  Umstände  der  Imitation  verlangen  sie  immer 
verschieden.  Sehr  oft  haben  wir  daher  keine  andern  Führer  als  die 
Erfahrung  und  vor  allem  den  gesunden  Menschenverstand,  dieses  Ge- 
schenk der  Natur^  an  dem  die  unfehlbaren  Kritiker  nicht  immer  Über- 
fluß haben. 


104  Italien 

Ein  bedeutsames  Urteil  gibt  Metastasio  zu  der  Stelle  der  Poetik 
ab,  wo  Aristoteles  die  Mittel  angibt,  einen  Dichter  gegen  Angriffe  zu 
verteidigen.  Dabei  kommt  er  auf  Dacier  zu  sprechen,  der  sein  ganzes 
gelehrtes  Rüstzeug  aufwende,  um  Homer  makellos  erscheinen  zu  lassen. 
Metastasio  weiß  nicht,  ob  alle  diese  Verteidigungen  begründet  sind; 
aber  soviel  ist  ihm  sicher:  Dacier  hat  in  seiner  gelehrten  Entzückung 
bewiesen,  daß  der  richtige  Respekt,  den  wir  alle  für  den  verehrungs- 
würdigen Vater  der  Dichter  haben  und  haben  sollen,  bei  ihm  in 
blinde  Abgötterei  ausgeartet  ist. 

Angelo  Maria  Ricci,  Salvini's  Schüler  und  Nachfolger  auf  dem 
Lehrstuhl  von  Florenz,  ließ  1740 — 41  seine  Vorlesungen  über  Homer 
unter  dem  Titel  Dissertationes  Homericae  drucken,  um  sie  weiteren 
Kreisen  zugänglich  zu  machen.  Mit  ganz  berechtigter  Befriedigung  hebt 
er  hervor,  daß  sein  Werk  das  erste  dieser  Art  sei,  denn  bisher  habe 
es  nur  in  den  Homerausgaben  lange  Kommentare  gegeben,  die  kaum 
jemand  gelesen  habe.  In  der  Tat  gab  es  nur  eine  ähnliche  Arbeit,  die 
von  Feith,  die  Ricci  zitiert  und  benutzt.  Das  Buch  soll  zum  Studium 
des  Griechischen  begeistern,  und  diesem  Zweck  dienen  auch  mehrere  der 
beigedruckten  Schulreden.  Denn  nur  im  Original  genieße  man  den 
Homer.  Die  Übersetzungen  erreichen  es  nie,  selbst  nicht  die  von  Ricci 
sehr  geschätzte  von  W^^  Dacier,  ja  sie  seien  vielfach  die  einzige  Ur- 
sache der  ungünstigen  Meinungen  über  den  Dichter.  Man  solle  sich  nur 
vorstellen,  wie  Dante  oder  Boccaccio  in  lateinischer  Übersetzung  aus- 
sehen würden.  Die  wörtliche  Übersetzung  sei  nur  für  Schüler  brauch- 
bar, die  auf  diese  Weise  in  das  Original  eindringen.  Damit  teilt  Ricci 
die  Ansicht  von  Vittorino  da  Feltre,  und  so  haben  ja  auch  Joseph  Scaliger 
und  Goethe  Griechisch  gelernt.  Leuten  jedoch,  die  das  Original  ver- 
gleichen können,  sind  nach  Ricci  wörtliche^  Übersetzungen  nicht  zu 
empfehlen,  auch  die  Salvini's  nicht. 

Die  Dissertationes  verraten  eine  sehr  ausgedehnte  und  eingehende 
Kenntnis  Homers.  Was  man  heute  homerische  Realien  nennt,  die 
Kunde  vom  ganzen  Leben  der  Heroen,  Speise  und  Trank,  Kleidung, 
Waffen,  Bestattungsgebräuche,  Opfer  usf.,  ist  in  großer  Fülle  zu- 
sammengestellt. Wenn  man  das  dicke  Buch  zum  erstenmal  durchblättert, 
so  erwartet  man  etwas  durchaus  Neues,  nämlich  den  Beginn  einer 
rein  historischen  Auffassung  Homers.  Aber  bei  eingehender  Lektüre 
ist  man  enttäuscht.  Denn  Ricci  ist  kein  schöpferischer  Geist,  der 
neue  Bahnen  zu  finden  vermöchte,  sondern  er  steckt  mit  Haut  und 
Haar  im  Bann  der  Kämpfe  um  Homer.  Der  größte  Teil  des  Buches 
ist    der   Apologie    des   Dichters    gegen    die    von   Scaliger  bis   Perrault 


Ricci     Conti  105 

gegen  ihn  gerichteten  Angriffe  gewidmet,  und  diese  Apologie  bringt 
leider  nirgends  etwas  Besonderes.  Allegorische  Erklärungen,  Berufung 
auf  die  alttestam entlichen  Patriarchen,  Vorwürfe  wegen  mangelnden 
Verständnisses  sind  die  längst  abgebrauchten  Waffen,  die  er  führt.  Es 
ist  ja  geradezu  rührend,  wenn  er  sagt,  er  verteidige  seinen  Homer  so^ 
wie  ein  Liebender  keinen  Tadel  der  Schönheit  seiner  Geliebten  dulde* 
aber  komisch  wirkt  auf  die  Länge  doch  die  Wut,  mit  der  er  bei  jeder 
Ausstellung  an  Homer  auffährt.  Geradezu  beleidigend  wird  er  gegen 
Gravina.  Dieser  hatte  nämlich  das  Verhalten  der  Penelope  den  Freiem 
gegenüber  so  aufgefaßt,  daß  sie  zwar  Odysseus  treu  bleiben,  aber  sich 
im  Falle  seines  Todes  den  Weg  zu  einer  neuen  Heirat  nicht  ganz  ab- 
schneiden wollte.  Dafür  erfährt  er  von  Ricci  eine  geharnischte  Zu- 
rechtweisung. 

Wie  in  der  Polemik,  so  ist  Ricci  auch  in  den  Erklärungen  wenig 
selbständig.  Doch  ist  beachtenswert,  daß  er  annimmt,  Homer  habe  die 
Insel  der  Kirke  und  die  Kimmerier  in  das  Schwarze  Meer  verlegt,  um 
die  Erzählung  poetischer  zu  gestalten.  Einem  Anonymus  gegenüber 
rechnet  er  aus,  daß  die  Reise  des  Odysseus  und  die  des  Telemachos  in 
der  Zahl  der  Tage  gut  übereinstimmen,  eine  Frage,  die  ja  noch  heute 
die  Kritik  beschäftigt.  Bei  der  Verteidigung  der  Gleichnisse  macht  er 
die  zutreffende  Bemerkung,  daß  nicht  Sachen,  sondern  Handlungen  ver- 
glichen werden;  aber  er  kann  es  doch  nicht  unterlassen,  den  berühmten 
Esel  mit  den  Argumenten  von  M™®  Dacier  zu  rechtfertigen,  und  bei  der 
Vergleichung  der  Kühnheit  des  Menelaos  mit  der  einer  Fliege  darauf  hin- 
zuweisen, daß  auch  Salomon  den  Verständigen  mit  der  Ameise  vergleiche. 

Umständliche  Abschweifungen  fehlen  nicht,  und  den  Studenten  wird 
im  Anschluß  an  Homer  manche  moralische  Vorlesung  gehalten.  Trotz 
allen  Mängeln  scheint  aber  das  Buch  als  nützlich  empfunden  worden 
zu  sein  und  hat  gewiß  einem  Bedürfnis  abgeholfen. 

Von  Antonio  Conti,  dem  Dichter  des  Cesare,  existiert  unter  seinen 
ungeordnet  hinterlassenen  Papieren  ein  Aufsatz  De'  Fantasmi  Foetici,  der 
mit  dem  übrigen  Nachlaß  1756  gedruckt  wurde.  Es  sollte  eine  voll- 
ständige Poetik  werden,  und  wir  können  bedauern,  daß  sie  nicht  fertig 
geworden  ist,  denn  sie  wäre  tiefer  und  lehrreicher  geworden  als  das 
Werk  Muratori's.  Erfreulich  ist  auch  hier  die  große  Selbständigkeit, 
die  mit  eignen  Augen  sieht  und  daher  immer  etwas  findet.  Der  Auf- 
satz ist  vom  Herausgeber  zum  Teil  im  Auszug,  einige  Partien  sind  im 
Wortlaut  wiedergegeben. 

In  der  Einleitung  der  Poesie  nach  Handlung  und  Charakteren 
würde  sich  die  Schrift  an  Aristoteles  angeschlossen  haben.    Daneben  hat 


106  Italien 

Conti  Eigenes  zu  sagen.  Er  zeigt,  wie  das  Wunderbare  bei  den  Dicbtern 
eine  beständige  Steigerung  erfährt.  Nach  dem  Kampf  des  Achilleus 
mit  dem  Stromgott  ist  eine  solche  in  gleicher  Art  nicht  mehr  möglich; 
da  erhöht  Homer  unser  Staunen  durch  etwas  Wunderbares  anderer  Art, 
den  Gang  des  Priamos  zu  Achilleus.  Darin  tritt  Virgil  zurück,  der 
nach  dem  zweiten  und  sechsten  Buche  nichts  ähnliches  mehr  hat, 
während  Ariost  in  solchen  Steigerungen  hervorragt.  Die  Wunder  müssen 
vorbereitet  werden;  der  Dichter  muß  sie  mit  einer  Zuversicht  vortragen, 
als  wäre  er  ein  Historiker;  so  tut  Homer.  Er  muß  sie  mit  Wahr- 
scheinlichem umgeben,  zwischen  Bekanntes  und  Wirkliches  verstecken, 
endlich  auf  höhere  Mächte  zurückführen. 

Daß  der  Dichter  durch  die  Zeichnung  seiner  Charaktere  moralisch 
wirken  müsse,  glaubt  Conti  mit  seiner  ganzen  Zeit.  Aber  wenn  er  die 
Berechtigung  des  Tadels  am  Charakter  des  Achilleus  zugibt,  so  erblickt 
er  in  dieser  Zeichnung  selbst  keinen  Fehler  Homers,  der  durch  so  schreck- 
liche Dinge  besser  verstehe  vom  Bösen  abzuschrecken,  als  es  gute  Bei- 
spiele vermöchten.  In  seiner  wilden  Zeit  mußte  er  übrigens  die  Farben 
kräftig  auftragen,  wenn  er  wirken  wollte.  Wenn  man  es  tadelt,  daß 
Achilleus  die  Freundschaft  über  das  Vaterland  stelle  und  seine  Trauer  alles 
Maß  überschreite,  so  hat  Homer  die  allen  Menschen  teure  Freundschaft  so 
schön  geschildert,  daß  auf  jenes  Übermaß  niemand  mehr  achtet.  Die  väter- 
liche Zärtlichkeit  des  Priamos,  die  Liebe  Hektors  und  Andromache's  und 
Hektors  Vaterlandsliebe  sind  Tugenden  von  nicht  geringer  Erhabenheit. 
Die  Grausamkeiten  und  Tücken  lassen  diese  Tugenden  stärker  hervor- 
treten, wie  der  Schatten  das  Gemälde.  Helene,  die  Ursache  des  ganzen 
Jammers,  hat  in  ihrer  Reue  und  ihren  Klagen  etwas,  das  den  Haß 
gegen  sie  besänftigt,  und  der  jugendliche  Leichtsinn  des  Paris  wird  ge- 
mildert durch  die  Aufstachelungen  der  Aphrodite  und  seine  guten  Ab- 
sichten. Piaton  hat,  weil  er  in  seinen  Idealstaat  verliebt  war,  Homer 
verbannt,  auf  den  er  eifersüchtig  war;  aber  er  arbeitet  gerade  wie  dieser. 
Der  Schauder,  den  seine  Schilderung  des  Tyrannen  einflößt,  ist  zehnmal 
wirksamer  als  die  Freude  an  seinem  philosophischen  Regenten. 

Als  ein  gewisser  Abschluß  aller  dieser  Erwägungen  und  Ver- 
gleichungen  können  die  Homer  und  Virgil  berührenden  Partien  des  großen 
Werkes  von  Giovanni  Andres  gelten,  DelV  origine,  progressi  e  stato 
uUuale  d'  ogni  letteratura,  1785  — 1822.  Es  ist  die  gewaltige  Arbeit 
eines  tief  gebildeten  Polyhistors  und  umfaßt  die  Literatur  aller  Zeiten 
über  alle  Gebiete  der  Wissenschaft.  Zuerst  wird  die  poetische  Literatur 
behandelt,  erst  in  historischer  Übersicht  und  dann  nach  den  einzelnen 
Dichtungsarten.     Andres  kennt  die  nationalen  Unterschiede  kaum.    Die 


Conti     Andres  107 

Literatur  des  Altertums  ist  ihm  eine  Einheit;  denn  da  er  den  unfrucht- 
baren Begriff  der  Klassizität  nicht  anerkennt,  umgibt  für  ihn  die  bis 
in  die  spätesten  Zeiten  blühende  griechische  Literatur  die  ganz  zu  ihr 
gehörige  römische  von  allen  Seiten.  In  der  Neuzeit  teilt  er  nicht  nach 
Völkern,  sondern  nach  Jahrhunderten  ab  und  sucht  aus  den  Literaturen 
aller  Nationen  den  gemeinsamen  Charakter  jeder  Periode  zu  bestimmen. 
Diese  Weite  und  Freiheit  des  Blicks  macht  den  allgemeinen  Teil  zu 
einer  höchst  anziehenden  Lektüre.  Im  speziellen  Teile  hält  Andres 
zuerst  über  die  Epiker  von  Homer  bis  Klopstock  eine  Heerschau  ab. 
Er  hatte  schon  früher  bemerkt,  daß,  so  sehr  im  ganzen  die  Griechen 
den  Römern  überlegen  seien,  doch  einige  von  diesen  ihre  Lehrmeister 
erreicht  oder  übertrofiPen  hätten,  und  dort  als  Beispiel  Yirgil  genannt. 
Den  neuen  Abschnitt  beginnt  er  mit  einem  ungeheuren  Preise  Homers, 
um  sodann  auf  die  gegen  den  Dichter  gerichteten  Angriffe  einzugehen. 
Auch  er  kann  die  Zeichnung  der  Götter  nicht  billigen.  Ihm  sind  die 
Freier  unerträglich,  die  in  Masse,  ohne  die  geringste  Rivalität,  auf  Kosten 
der  umworbenen  Frau  ausschweifend  leben  und  gar  keine  Feinheit  gegen 
sie  zeigen.  Ihm  mißfällt  Telemachos,  der  den  Odysseus  vor  den  Un- 
bilden der  Freier  zu  schützen  beabsichtigt  und  ihn  dann  doch  betteln  und 
Feindseligkeiten  erdulden  läßt.  Hier  gibt  er  zu,  daß  die  Sitten  der 
alten  Zeit  nicht  nach  den  unseren  gemessen  werden  dürfen  und  Reisende 
wie  Wood  die  homerischen  Schilderungen  in  Griechenland  bestätigt  ge- 
funden hätten.  In  diesen  habe  sich  also  Homer  nicht  vergriffen,  und  dies, 
die  Zeichnung  der  heroischen  Sitten,  sei  doch  der  interessanteste  und  be- 
deutendste Teil  bei  ihm.  Zu  große  Ausführlichkeit  im  Einzelnen  schwäche 
oft  den  Effekt,  ebenso  die  an  sich  guten,  aber  zu  oft  wiederholten  Bei- 
wörter. Auch  wären  für  das  Epos  würdigere  Gegenstände  erwünscht 
gewesen  als  der  kleinliche  Hader  des  Achilleus  oder  der  Kampf  des 
Odysseus  mit  den  Freiern  in  seinem  eigenen  Hause.  Wenn  aber  Homer 
auch  nicht  fehlerlos  sei,  so  müsse  man  doch  mit  Longin  anerkennen, 
daß  die  Fehler  nicht  den  kleinsten  Teil  der  Vorzüge  aufwiegen. 

Nach  Homer  bespricht  Andres  die  Argonautika  des  Apollonios 
von  Rhodos,  eines  Dichters  des  3.  Jahrhunderts  v.  Chr.  Er  nimmt  sich 
des  nach  seiner  Meinung  verkannten  Gedichtes  warm  an  und  findet 
darin  außer  vielen  einzelnen  Schönheiten  eine  gut  durchgeführte  Fabel, 
ohne  Sonderbarkeiten  und  Ungereimtheiten,  regelmäßig  und  mit  einer 
vielleicht  übertriebenen  Genauigkeit.  Des  Homer  und  Apollonios  Vor- 
züge vereinige  Virgil,  dessen  Aeneis  den  höchsten  Grad  epischer  Voll- 
kommenheit zeige.  Was  Andres  zu  seinem  Preise  sagt,  ist  unermeßlich, 
aber   nicht   eben   neu;   nur   zwei   Parallelen   mit   Homer   fallen   da   auf. 


108  Italien 

Diesen,  sagt  Andres,  übertrifft  Virgil  nach  der  Seite  des  Dramatischen 
und  in  den  pathetischen  Szenen.  Homer  erregt  die  Affekte  selten  mit 
Macht,  und  auch  dann  versteht  er  sie  nicht  zum  Ziele  zu  bringen,  zu 
dem  ein  poetisches  Gemüt  sie  geführt  wünscht.  Hektors  Abschied, 
Priamos  bei  Achilleus,  die  Erkennung  des  Telemachos  durch  Helene, 
Penelopeia  vor  dem  siegreichen  Odysseus:  das  sind  wirklich  Szenen, 
die  geeignet  sind,  die  lebhaftesten  Affekte  zu  erwecken  und  das  Herz 
des  Lesers  mit  dem  tiefsten  Eindruck  zu  rühren.  Sie  würden  sehr  zu 
ihrem  Rechte  kommen,  wenn  sie  von  dem  mantuanischen  Raffael  ge- 
malt wären;  während  man  jetzt  nur  sagen  kann,  daß  sie  in  den  Händen 
des  griechischen  Dichters  der  Kraft,  der  Feinheit  und  des  Ausdruckes 
entbehren.  Da  hat  Virgil  anders  belebte  Szenen!  Andres  liest  Homer  m 
mit  Bewunderung  und  Staunen  über  sein  wunderbares  Genie,  aber  er 
fühlt  dabei  weder  große  Erregung  noch  großen  Schmerz;  von  der 
Aeneis  aber  braucht  er  nur  eine  Seite  aufzuschlagen,  um  im  Innersten 
erregt  zu  werden.  Da  wundert  es  uns  nicht  mehr  zu  hören,  daß  Tasso 
in  den  Stellen,  die  er  Homer  entnommen  zu  haben  scheine,  das  Original 
übertreffe  und  ebenso  in  den  fröhlichen  und  glänzenden  Schilderungen, 
während  Homer  in  der  Fruchtbarkeit  der  Erfindung,  der  Originalität 
der  Gedanken  und  der  Fülle  und  Kraft  des  Ausdrucks  den  ersten  Rang 
behaupte.  Wemi  dagegen  Tasso  Züge  Yirgils  verwende,  so  übertreffe 
er  sich  zwar  selbst,  bleibe  aber  unter  seinem  unerreichbaren  Vorbild. 
Allerdings  gebe  es  bei  Tasso  einige  Charaktere,  die  mehr  Vergnügen 
machen  als  die  entsprechenden  Virgils. 

Auf  einen  ganz  neuen  Boden  führen  uns  Giambattista  Vico's 
Frindpi  di  Scicnza  miova,  welche  die  Frage  nach  dem  historischen 
Gesetz  des  Aufschwungs  und  Niedergangs  der  Kultur  behandeln.  Das 
großartige  und  grundlegende  Werk  bringt  eine  vollständig  neue  Auf- 
fassung Homers.  In  dem  Bestreben,  den  Kreislauf  des  geistigen  Lebens 
der  Menschheit  durch  feststehende  Gesetze  zu  erklären,  hat  Vico  zweimal 
über  Homers  Stellung  innerhalb  dieser  EntAvicklung  geurteilt.  Die 
Grundlage  seiner  Anschauung  ist  unverändert  die,  daß  die  Mythen  der  ■] 
Völker  der  ursprünglichste  und  eigenste  Ausdruck  der  ersten  religiösen 
Vorstellungen  und  der  frühesten  Geschichte  der  Nationen  seien,  vermittelt 
durch  die  Poesie,  die  erste  gemeinsame  Sprache  der  antiken  Völker. 
Mit  dem  Wandel  der  primitiven  theokratischen  Kultur  und  der  Sitten 
wurde  der  ursprüngliche  Sinn  dieser  Mythen  verdunkelt  und  verderbt. 
Nun  betrachtet  die  erste  Ausgabe  von  Vico's  Werk  1725  Homer  als 
den    großen    Wiederhersteller    der    ersten    Grundgedanken    der    Poesie. 


1 


k 


Andres     Vico  109 

Homer,  so  führt  er  aus,  ordnete  die  Ökonomie  der  Ilias  nach  der  Idee 
der  Vorsehung  und  der  von  der  Heiligkeit  des  Eides.  Da  die  Religion 
nicht  imstande  war,  die  Völker  im  Zaum  zu  halten,  stellte  er  die  Bilder 
der  Tugend  und  des  Lasters  einander  gegenüber,  dieses  in  Paris,  dessen 
Tat  Troja  das  Verderben  brachte,  jenes  in  Achilleus,  der  die  Hand  einer 
Königstochter  ausschlägt  und  nur  eine  Gemahlin  will,  mit  der  ihn  ge- 
meinsame Auspizien  verbinden.  Der  Grundgedanke  der  Odyssee  ist  der 
Sieg  der  Weisheit  und  Ausdauer  des  Odysseus  über  die  verworfenen 
Freier.  Für  seine  Zeit  gebührt  Homer  der  Ruhm  des  Begründers  der 
griechischen  Humanität,  zugleich  der  des  Wiederherstellers  der  primitiven 
Grundsätze;  eine  andere  Kunst  ist  ihm  nicht  beizulegen,  als  daß  sein  Talent 
mit  dem  Glück  verbunden  war,  in  den  Zeiten  der  heroischen  Spache  zu  leben. 

Bei  weiterem  Studium  wurde  aber  Vico  am  Charakter  Homers  als 
eines  Ordners  der  griechischen  Zivilisation  irre.  Hatte  er  schon  inmier 
die  Ansicht  von  einer  im  Homer  verborgenen  tieferen  Weisheit  ver- 
worfen und  als  Produkt  der  späteren  Philosophie  betrachtet,  so  bestreitet 
er  jetzt,  in  den  Ausgaben  von  1730  und  1744,  den  lehrhaften  Charakter 
der  homerischen  Poesie  überhaupt.  Die  homerischen  Charaktere,  heißt 
es  jetzt,  passen  nicht  zu  einer  humanen  Kultur,  weder  das  Benehmen 
der  Götter  noch  das  der  Helden.  Wohl  aber  sind  sie  der  genaue  Aus- 
druck des  homerischen  Zeitalters. 

Von  dieser  Entdeckung  aus  untersucht  Vico  die  widerspruchsvollen 
Angaben  des  Altertums  über  Heimat  und  Zeit  des  Dichters.  Er  findet, 
daß  der  Homer  der  Odyssee  in  einem  andern  Lande  gelebt  haben  müsse 
als  der  der  Ilias;  jene  weist  auf  den  Südwesten  Griechenlands,  diese 
auf  Asien.  Er  findet  die  Angaben  über  Spiele,  Metalltechnik,  Luxus 
unverträglich  mit  den  Darstellungen  rohester  Sitten,  die  uns  in  andern 
Schilderungen  entgegentreten,  und  schließt  daraus,  daß  die  Gedichte 
zu  verschiedenen  Zeiten  von  verschiedenen  Händen  verfaßt  sein  müßten. 
Die  Vorbildlichkeit  Homers  für  alle  epische  Poesie  der  Späteren,  auch 
für  die  Charaktere  der  Tragödie,  beruht  nach  Vico  darauf,  daß  seine 
Figuren  Idealgebilde  sind,  auf  welche  das  Volk  alle  Züge  der  heroischen 
Zeit  und  zahlreiche  wirkliche  Taten  einzelner  Menschen  vereinigte.  So 
lieferte  das  Epos  ebensosehr  ein  Bild  des  wirklichen  Lebens  seiner  Zeit, 
wie  später  die  Komödie  des  Menandros.  Diese  gemeinsame  Arbeit  einer 
Nation,  hervorgegangen  aus  der  höchsten  Einbildungskraft,  mußte  not- 
wendig erhaben  werden,  und  Erhabenheit  forderten  denn  auch  alle 
Späteren  von  den  Werken  ihrer  Zeit. 

Wären  nicht  die  Gedichte  vorhanden,  fährt  Vico  fort,  so  würden 
uns  die  Nachrichten  über  Homer  zu  dem  Schlüsse  nötigen,  daß  Homer 


110  Italien 

nur  ein  Dichter  der  Einbildung  und  nie  ein  wirklicher  Mensch  gewesen 
sei.  So  aber  dürfen  wir  halbwegs  behaupten,  er  sei  eine  Idee  oder  ein 
heroischer  Charakter  griechischer  Menschen  gewesen,  sofern  sie  im 
Gesang  ihre  Geschichte  erzählten.  Vico  ist  offenbar  durch  die  Kompo- 
sition der  homerischen  Gedichte  an  der  unbedingten  Verneinung  einer 
historischen  Persönlichkeit  Homer  irre  geworden.  Hier  klafft  in  der 
Tat  in  seinem  System  eine  Lücke,  die  auch  die  Nachricht  über  die 
Rezension  des  Peisistratos  nicht  ausfüllt.  Die  Epen  weisen  eben  wirklich 
auf  eine  zum  wenigsten  ordnende  Dichterhand.  Das  hat  Vico  gefühlt, 
und  es  ist  ihm  im  Wege.  Denn  im  übrigen  fallen  nach  seiner  Meinung 
durch  seine  Entdeckung  alle  Schwierigkeiten  dahin.  Die  Völker  selbst 
waren  jener  Homer,  daher  sie  sich  auch  um  seine  Heimat  stritten. 
Epischer  Gesang  blühte  vom  troischen  Kriege  bis  auf  die  Zeit  Numa's, 
daher  sich  die  Angaben  über  das  Alter  Homers  auf  einen  Zeitraum 
von  460  Jahren  verteilen.  Blindheit  und  Armut  wurden  von  den 
Rhapsoden  auf  ihn  übertragen;  diese  waren  die  Verfasser  der  Gedichte, 
insofern  sie  ein  Teil  der  Völker  waren,  die  darin  ihre  Geschichte  zu- 
sammengestellt haben.  Wenn  Longin  den  Homer  als  Jüngling  die 
Ilias,  als  Greis  die  Odyssee  dichten  läßt,  so  heißt  das,  Grieclienland 
habe  in  der  Jugendperiode  an  den  wilden  Leidenschaften  des  Achilleus, 
in  einer  greisenhaften  Periode  an  der  Weisheit  des  Odysseus  und  ver- 
feinerter Kultur  Freude  gehabt.  Die  zwei  Perioden  müssen  zeitlich 
weit  auseinander  liegen.  Die  kritischen  Angriffe  werden  so  gegen- 
standslos. Die  Schilderungen  der  Götter  z.  B.  entsprechen  dem  jeweiligen 
Stande  der  griechischen  Kultur.  Der  so  entdeckte  wahre  Homer  ist 
wirklich  der  Ordner  des  Staatswesens,  Vater  aller  andern  Dichter, 
Quelle  aller  griechischen  Philosophie,  was  alles  auf  ein  historisches 
Individuum  Homer  nicht  zutreffen  würde.  Die  Epen  werden  uns,  wenn 
man  sie  nicht  mehr  als  das  geplante  Werk  eines  Einzigen  ansieht,  zu 
höchst  wertvollen  Schatzkammern  der  Geschichte  des  Naturrechts  in 
Griechenland. 

An  einzelnen  Unklarheiten  und  Dunkelheiten  fehlt  es  bei  Vico 
nicht;  besonders  sieht  man  nicht,  wie  er  sich  das  Zustandekommen  des 
ganzen  Epos  vorstellt.  Daß  er  d'Aubignac  gekannt  habe,  wird  nach 
einer  genauen  Vergleichung  unwahrscheinlich.  Er  erklärt  den  Namen 
Homer  als  den  Zusammenfüger  von  Mythen,  nicht  als  den  Blinden, 
läßt  die  Rolle  des  Lykurgos  ganz  beiseite  und  verlegt  das  Schwer- 
gewicht nicht  auf  die  Komposition  des  Einzelstücks,  sondern  auf  das 
historische  Werden  des  Ganzen.  Für  ihn  ist  Peisistratos  der  Verfasser 
unserer  Ilias,    die    er   aus    einem  ungeordneten   Haufen  mündlich   vor- 


Vico     Cesarotti  Hl 

getragener  Gesänge  redigierte.  Der  größte  Unterschied  von  d'Aubignae 
ist  der,  daß  Vico  in  den  Gestalten  des  Achilleus  und  Odysseus  die  ideellen 
Mittelpunkte  erblickt,  an  die  sich  alles  Weitere  angliederte,  während  der 
Franzose  wenigstens  für  die  Ilias  einen  Haupthelden  leugnet. 

Eine  Zusammenfassung  und  einen  gewissen  Abschluß  aller  Homer- 
studien des  Jahrhunderts  bilden  die  Arbeiten  von  Melchior  Cesarotti, 
der  mit  der  umfassendsten  Kenntnis  Homers  die  der  Literatur  aller  Völker 
verband.  Seine  Arbeiten  beginnen  mit  der  Vorrede  zu  seiner  Über- 
Setzung  Ossians.  Gleich  nach  dem  Erscheinen  von  Macpherson's  erster 
Ausgabe  1760  erschien  Cesarotti's  erste  Übersetzung  1763;  die  zweite 
Ausgabe  1772  war  nach  der  vervollständigten  Publikation  Macpherson's 
von  1765  gemacht  und  enthielt  außer  der  Übersetzung  aller  Gedichte 
Ossians  auch  die  der  Dissertationen  Macpherson's  und  Hugh  Blair's. 
Die  Gedichte  sind  in  einem  trockenen  Verso  sciolto  wiedergegeben,  der 
sehr  viel  prosaischer  ist  als  die  gehobene  Prosa  Macpherson's.  Eine 
Probe  der  gelehrten  Gründlichkeit  Cesarotti's  ist  das  der  zweiten  Aus- 
gabe beigefügte  Verzeichnis  der  Namen  bei  Ossian,  eine  Hilfe,  die  man 
im  Original  schmerzlich  vermißt. 

Die  Vorrede  zur  ersten  Ausgabe  enthält  eine  eingehende  Vergleichung 
des  Fingal  mit  Homer,  wobei  dieser  schlecht  wegkommt.  Ossian  über- 
trifft ihn  an  Erhabenheit,  Zartgefühl,  Konsequenz  in  der  Charakter- 
zeichnung, Feinheit  der  Einbildungskraft.  Er  zeigt  nur  große  Bilder, 
während  Homer  auch  viele  niedrige  hat.  Ossian  ist  vor  allem  rührend^ 
eine  Eigenschaft,  deren  sich  Homer  kaum  rühmen  kann.  Seine  Helden 
sind  hochherzig,  dem  Feind  wie  einander  gegenüber.  Der  Hauptcharakter,. 
Fingal,  ist  ein  vollkommener  Mensch;  die  Zulässigkeit  eines  solchen  hat 
man  nur  bestritten,  um  Homers  lasterhafte  und  widersprechende  Charak- 
tere zu  retten,  wie  Gravina  und  Conti  getan  haben.  Wie  hoch  stehen 
Ossians  Barbaren  über  den  gebildeten  Griechen! 

In  der  zweiten  Ausgabe  bestreitet  Cesarotti,  daß  er  Homer  herunter- 
setzen wolle.  Er  versage  ihm  die  gebührende  Ehrfurcht  für  seine  Vor- 
züge nicht.  Aber  Homer  dürfe  nicht  als  Pontifex  der  Poesie  angesehen 
werden,  der  das  Privilegium  der  Unfehlbarkeit  besitze  und  nur  angebetet, 
nicht  beurteilt  werden  dürfe.  Der  maßlose  Ton,  den  man  ihm  Homer 
gegenüber  vorwerfe,  entspringe  einfach  der  Indignation  über  die  des- 
potisch vorgetragenen  Machtsprüche  des  Vorurteils,  den  Ton  von  Boileau 
und  M'"*'  Dacier,  besonders  die  Apotheose  Homers  durch  Gravina  und 
dessen  Herabsetzung  „unseres"  unvergleichlichen  Tasso.  Ossian  sollte 
Cesarotti  Veranlassung  geben  zu  beweisen,   daß  Homer  in  seiner  Gat- 


112  Italien 

tung  weder  der  Einzige  noch  der  Vollkommene  sei.  Ossian  hat  unter 
ungünstigen  Verhältnissen  Homer  vielfach  übertroifen;  daraus  geht  her- 
vor, daß  dieser  viel  vollkommener  hätte  sein  können,  und  daß  sein  Bei- 
spiel nicht  als  Gesetz  gelten  dürfe. 

Bei  solchen  Anschauungen  überrascht  es,  daß  sich  Cesarotti  mit 
■einem  ganz  ungeheuren  Fleiß  der  Erklärung  Homers  selbst  angenommen 
hat.  Er  übersetzt  die  Ilias  in  Prosa  und  in  Versi  sciolti.  Er  will  Homer 
sowohl  genießen  als  verstehen  lehren.  Das  ist,  sagt  er,  nicht  dasselbe,  weil 
die  Treue  der  Übersetzung  die  Anmut,  die  Freiheit  aber  die  Genauigkeit 
ausschließt.  An  einer  dieser  Klippen  scheitert  jede  Übersetzung.  Daher 
soll  eine  wörtliche  Übersetzung  in  Prosa  und  eine  freie  in  Versen  ge- 
geben werden.  Letztere  soll  den  Stil  des  Originals  wiedergeben,  zugleich 
aber  alles  vermeiden,  was  dem  italienischen  Ohr  unangenehm  sein  könnte; 
in  diesem  Fall  soll  der  griechische  Ausdruck  durch  den  entsprechenden 
italienischen  ersetzt  werden;  denn  es  handelt  sich  nicht  um  Wiedergabe 
der  Worte,  sondern  der  Natur  des  Originals.  Leider  hat  Cesarotti  die 
Freiheit,  die  er  in  Anspruch  nimmt,  zu  weit  aufgefaßt.  Seine  unpoeti- 
schen Verse  sind  nicht  viel  mehr  als  eine  Paraphrase  des  Originals 
mit  Auslassungen  und  Zusätzen  aller  Art.  Nicht  einmal  die  prosaische 
Übersetzung  ist  exakt,  sondern  auch  da  ist  stark  nachgeholfen. 

Die  erste  Ausgabe  erschien  von  1786  an,  die  zweite,  von  Pietro 
Brandolese  besorgte  und  stark  vermehrte,  1798—1802.  In  dieser  wird 
für  jedes  Buch  zuerst  der  griechische  Text  nach  Clarke  mit  gegenüber- 
stehender Prosaübersetzung,  dann  die  poetische  Version  gegeben.  Unter 
dem  Prosatext  steht  ein  gewaltiger  Kommentar,  während  die  poetische 
Übersetzung  nur  von  erklärenden  Noten  begleitet  ist.  Der  Kommentar 
bezieht  sich  auf  Lesarten  und  Worterklärungen,  auch  auf  Einzelheiten 
der  Übersetzung;  zum  weitaus  größten  Teil  aber  auf  Bemerkungen  be- 
sonders der  französischen,  sodann  auch  der  italienischen  und  englischen 
Kritiker  und  Auseinandersetzungen  mit  ihnen.  Jedem  Buch  sind  die 
wichtigsten  Lesarten  aus  Villoison  beigefügt;  ebenso  eine  Liste  durch 
ihren  Ausdruck  bemerkenswerter  Verse.  Endlich  bringt  das  Werk  eine 
große  Zahl  von  Aufsätzen  über  Homer  vom  Altertum  bis  in  die  neueste 
Zeit  und  ein  ausführliches  Verzeichnis  der  Ausgaben  und  Übersetzungen 
in  alle  Sprachen.  Der  wichtigste  Teil  sind  die  eigenen  Beiträge  Cesa- 
rotti's,  vor  allem  der  einleitende  Band.  Es  ist  unbegreiflich,  daß  dessen 
Ausführungen  in  dem.  um  diese  Zeit  in  Deutschland  ausbrechenden 
Streit  um  Homer  so  ganz  unbeachtet  bleiben  konnten. 

Die  Storia  della  persona  e  delle  opere  d'Omero  erklärt  zunächst  die 
a,ntiken  Nachrichten  über  Homer   als  Fabeln  und  geht   dann  auf  die 


¥^- 


li 


Cesarotti  113 

Hypothesen  von  Vico  und  d'Aubignac  ein,  die  genau  dargelegt  werden. 
Wenn,  wie  Vico  meint,  Ilias  und  Odyssee  nur  nationale  Geschichten 
sind,  die  vom  ganzen  Volke  gedichtet  waren,  warum  beschränkten  sich 
denn  diese  auf  einen  kleinen  Teil  der  allerletzten  Zeit?  gab  es  denn  vor 
dem  troischen  Kriege  keine  merkwürdigen  Geschichten?  wenn  die  Gedichte 
nur  Symbole  der  Sitten  sind,  warum  wurden  diese  in  so  beschränktem 
Umfang  dargestellt?  Die  Griechen  konnten  doch  die  große  Masse  inter- 
essanter Traditionen  nicht  untergehen  lassen.  Und  wie  stellt  sich  Vico 
ein  dichtendes  Volk  vor?  Hat  eine  Tagung  des  Volkes  die  Gedichte 
gesungen,  oder  wurden  die  Dichter  gewählt,  oder  beauftragte  man  eine 
Stadt  mit  der  Wahl?  Wählte  man  einen  oder  viele?  wenn  einen,  so 
haben  wir  Homer;  wenn  viele,  wie  arbeiteten  sie  zusammen?  Daraus 
entstände  doch  eher  ein  Chaos  als   ein  Gedicht. 

Wenn  nach  d'Aubignac  die  Ilias  nur^eine  zusammengeflickte  Reihe 
von  Gedichten  ist,  warum  beschränkten  sich  die  Dichter  auf  den  Zorn 
des  Achilleus,  da  es  doch  über  den  Krieg  zahllose  Gedichte  gegeben 
haben  muß?  Man  muß  blinder  sein  als  Homer,  um  nicht  zu  erkennen, 
daß  Ilias  wie  Odyssee  eine  Stufenfolge  des  Planes  und  der  Ereignisse 
zeigen  und  auch  die  weniger  bedeutenden  Episoden  irgendwie  mit  der 
Haupthandlung  verknüpft  sind.  Konnte  eine  solche  Übereinstimmung 
von  wirklichen  Tatsachen,  fabelhaften  Vorstellungen,  mythologischen 
Ideen  auf  diese  Weise  entstehfti?  Nimmt  man  an,  die  Gedichte  seien 
zu  verschiedenen  Zeiten  an  verschiedenen  Orten  entstanden,  so  wird 
die  Sache  noch  verwickelter;  ein  Dichter  will  doch  lieber  selbst  etwas 
schafi'en  als  einen  andern  fortsetzen,  und  jede  Stadt  hatte  ihre  besondem 
Überlieferungen  und  ihren  Heros.  Und  ließen  die  Dichter  ihre  Werke 
und  Namen  so  spurlos  in  der  neuen  Ilias  untergehen?  Zurückgewiesen 
wird  auch  die  Meinung,  Homer  habe  in  planlos  abgerissenen  Stücken 
gedichtet.  Die  Widersprüche  beweisen  höchstens,  daß  die  Ilias  nicht 
vollkommen  ist,  nicht,  daß  sie  von  verschiedenen  Verfassern  gedichtet 
wurde. 

Die  Behauptung  Wood's,  Homer  habe  die  Schrift  nicht  gekannt, 
ist  hinfällig,  wenn  man  Homer  300  Jahre  nach  dem  troischen  Kriege 
ansetzt.  Wood  mutet  dem  Gedächtnis  der  Rhapsoden  doch  zu  viel  zu, 
und  das  Altertum  hat  insgesamt  die  Benutzung  der  Schrift  durch  Homer 
angenommen.  Den  antiken  Nachrichten,  daß  die  Gedichte  in  einzelnen 
Stücken  vorgetragen  worden  seien,  mißt  Cesarotti  keine  Bedeutung  bei; 
es  werden  ja  noch  heute  in  Venedig  Stücke  aus  Pulci  und  Tasso  ge- 
sungen, während  doch  der  Morgante  und  die  Gerusalemme  vollständig 
vorhanden  sind. 

Finsler:  Homer  in  der  Xeuzeit.  8 


1 14  Italien 

Auch  die  scheinbare  Verschiedenheit  der  Sitten  ist  kein  Beweis 
gegen  die  Einheit  des  Dichters.  Die  Sitten  der  homerischen  Zeit  sind 
nicht  durchaus  roh,  sondern  die  eines  mittleren  Alters.  Die  Übergänge 
aus  der  Barbarei  zu  feinerer  Kultur  geben  dem  Gesamtbild  etwas  Un- 
zusammenhängendes, Wechselndes.  Die  Zustände  sind  überaus  einfach; 
was  von  höherer  Kultur  da  ist,  wie  die  Kunst  auf  dem  Achilleusschilde, 
könnte  auf  Import  zurückzuführen  sein.  Agamemnons  Reichtum  stammt 
aus  Asien,  und  dort  steht  auch  der  reiche  Palast  des  Priamos.  Yiel 
besser  als  verschiedene  Zeiten  anzunehmen,  in  denen  die  Gedichte  ent- 
standen wären,  würde  es  sein,  wenn  man  die  Bilder  des  Reichtums 
und  der  Kunst  dem  asiatischen  Dichter,  die  Zeichnung  der  gewöhnlichen 
Bräuche  dem  griechischen  Historiker  zuschriebe.  Der  Dichter  eines 
raffinierten  Zeitalters  hätte  alles  viel  einheitlicher  dargestellt.  Fort- 
schritte in  den  Künsten  widersprechen  übrigens  nie  wilden  Sitten  einer 
Zeit.  Vor  allem  teilen  sich  die  angeblichen  Unterschiede  nicht  nach 
Gesängen.  Gleich  sind  auch  alle  Vorzüge  und  Fehler  verteilt,  die  man 
an  Homer  gefunden  hat,  und  der  poetische  Stil  ist  immer  derselbe. 
Entweder  gehört  dem  Homer  alles  oder  nichts. 

Über  Homers  Leben  und  Vaterland  teilt  Cesarotti  im  ganzen  die 
Ansichten  Wood's,  bekämpft  aber  heftig  die  Theorie  Blackwell's,  daß 
Homer  seine  Überlegenheit  über  alle  Epiker  dem  Zusammentrefi'en  der 
günstigsten  Umstände  verdanke.  Denn  erstens  sei  der  Ausgangspunkt, 
eben  jene  Überlegenheit,  durchaus  nicht  erwiesen,  und  dann  hätten 
andere  Zeiten  ebenfalls  große  Epiker  hervorgebracht,  Tasso,  Voltaire, 
Ariost,  Ossian,  ohne  daß  die  gleichen  Umstände  wieder  eingetreten 
wären.  Jedes  Zeitalter  und  Klima  berge  eine  Menge  günstiger  und 
ungünstiger  Umstände;  die  Meisterschaft  bestehe  darin,  sich  jene  zunutze 
zu  machen  und  diese  zu  vermeiden. 

Der  absolute  Wert  der  Poeten  besteht  nach  Cesarotti  in  der 
Schilderung  der  Menschen,  und  diese  ist  immer  möglich,  da  es  an 
heftigen  Leidenschaften  nie  fehlt.  Den  relativen  Wert  macht  die  richtige 
Darstellung  der  eigenen  Zeit  aus,  und  diese  wird  um  so  besser  aus- 
fallen, je  höher  der  soziale  Fortschritt  die  Vernunft  entwickelt  hat.  Man 
kann  also  sagen,  daß  jedes  Zeitalter  einen  Homer  hervorbringen  konnte, 
daß  aber  Homer,  wenn  er  in  einer  bessern  Zeit  geboren  worden  wäre, 
größer  geworden  wäre,  als  er  ist. 

Mit  Humor  verbreitet  sich  Cesarotti  über  die  Anstrengungen  Alter 
und  Neuer,  im  Homer  -alles  Wissen,  den  Ursprung  aller  Künste  und 
aller  Moral  zu  finden,  ja  ihn  zu  einem  Propheten  zu  machen.  Sein 
einziger  berechtigter  Ehrentitel  sei  der  eines  originalen  Dichters,  da  er 


Cesarotti  2 15 

wirklich  der  Vater  des  Epos  sei.  Es  folgt  noch  die  Geschichte  der  Epen 
und  eine  Untersuchung  über  die  verlorenen  Gedichte  des  Epischen  Kyklos. 

Im  folgenden  Abschnitt  Storia  della  riputasione  d'Omero  sammelt 
Cesarotti  mit  ungeheurem  Fleiß  die  Urteile  des  Altertums  und  der 
Neuzeit  über  Homer.  Bei  den  Modernen  verfährt  er  nicht  chronologisch, 
sondern  teilt  sie  in  Lobredner  und  Tadler  Homers  ein.  Das  Resultat 
nach  Abhörung  aller  Zeugnisse  ist,  daß  kein  Mensch,  der  Homer  nicht 
kenne,  behaupten  dürfe,  eine  Meinung  über  ihn  zu  haben.  Wenn  man 
eine  solche  erlangen  wolle,  helfe  nichts,  als  von  allen  Meinungen  der 
Kritiker  abzusehen  und  den  Homer  selbst  ohne  jedes  Vorurteil  zu  lesen. 
Dazu  soll  Cesarotti's  Werk  helfen. 

Wenn  er  aber  wirklich  dazu  anleiten  wollte,  so  hat  er  es  verkehrt 
angefangen.  Denn  sein  Kommentar  zur  Übersetzung  ist  mit  ästhetischen 
Urteilen  der  Kritiker  über  Gebühr  belastet,  und  überdies  hat  er  seit 
dem  Ossian  seine  Meinung  über  Homer  nicht  stark  geändert.  So  oft 
auch  richtige  Erklärungen  gegeben  werden,  ist  doch  des  Tadels  mehr 
als  des  Lobes.  Dazu  kommt,  daß  sich  auch  Cesarotti  zuerst  eine  Theorie 
des  Epos  und  des  epischen  Helden  zurecht  macht,  um  dann  von  dieser 
aus  den  Dichter  zu  beurteilen.  Damit  raubt  er  sich  selbst  die  Möglich- 
keit des  richtigen  Verständnisses,  das  allein  durch  vorurteilslose  Inter- 
pretation gewonnen  wird.  So  findet  er,  um  nur  ein  Beispiel  zu  geben, 
die  Zeichnung  des  Achilleus  im  ersten  Buche  der  Ilias  mit  Terrasson 
inkonsequent  und  vermehrt  noch  das  Gewicht  des  Angriffs.  Terrasson 
hatte  die  Nachgiebigkeit  des  Achilleus  Agamemnon  gegenüber  als  eine 
Verlegenheitsauskunft  Homers  bezeichnet;  Cesarotti  findet  es  einfach 
unwürdig,  daß  Achilleus  Briseis  hergibt,  aber  für  weitere  Besitztümer, 
die  man  ihm  würde  nehmen  wollen,  zu  kämpfen  droht.  Er  meint,  es 
wäre  viel  würdiger  gewesen,  wenn  er  Agamemnon  erschlagen  hätte, 
und  sieht  nicht,  daß  Achills  Rede  der  Ausdruck  ohnmächtigen  Ingrimms 
ist;  ebenso  wenig,  daß  der  Dichter  die  Liebe  des  Helden  zu  seiner  Ge- 
fangenen absichtlich  außer  Berechnung  ließ,  weil  ihm  einzig  daran  ge- 
legen war,  den  eigentlichen  Grund  der  Kränkung  scharf  herauszuarbeiten. 
Damit  fällt  alles  weitere  Gerede  über  die  Unwürdigkeit  dahin,  die  darin 
bestehen  soll,  daß  Achilleus  die  Hilfe  des  Zeus  anruft,  er,  der  tapferste 
von  allen.  Cesarotti  hat  sich  nicht  Rechenschaft  darüber  gegeben,  daß 
Homer  den  Helden  nicht  über  die  Drohung  hinausgehen  lassen  durfte 
und  ihm  der  Übermacht  gegenüber  nur  die  Anrufung  des  Zeus  übrig 
blieb.  AVas  er  den  Rettern  Homers  vorwirft,  daß  sie  in  ihn  hinein 
interpretieren,  was  sie  gerne  in  ihm  sehen  möchten,  paßt  auf  ihn  ganz 
besonders. 


116  Italien 

Von  ganz  hervorragender  Bedeutung  ist  dagegen  die  Arbeit  über 
den  Schild  des  AcliüleuSj  abgesehen  von  dem  Zugeständnis,  daß  derselbe 
nicht  für  einen  Helden  passe.  Die  Angriffe  von  Scaliger,  Terrasson, 
La  Motte  werden  treffend  zurückgewiesen,  aber  auch  Boivin  und  Pope 
genügen  Cesarotti  nicht.  Boivin's  Einteilung  bemängelt  er,  weil  die  Bil- 
der der  beiden  Städte  einen  unverhältnismäßig  großen  Raum  einnehmen 
und  dem  Vorwurf  der  widersprechenden  Bewegungen  Recht  geben  würden. 
Die  Vorwürfe  Scaligers  darüber,  daß  Homer  seinen  Figuren  Ausdrücke 
des  Lebens  beilegt,  zeugen,  sagt  Cesarotti,  von  schlechtem  Geschmack 
und  sind  sophistisch.  Jedermann  spricht  von  einem  Bilde,  als  ob  es 
belebt  wäre;  das  ist  der  Ausdruck  der  Illusion,  die  das  Bild  hervorruft. 
Nur  darf  der  Dichter  von  dem  Bilde  nichts  aussagen,  was  es  nicht  aus- 
drücken oder  andeuten  kann,  wie  z.  B.  daß  der  Streit  vor  Gericht  um 
ein  Wergeid  ging,  oder  die  Motive  der  belagernden  Heere. 

Es  gehen  indessen  alle  Angriffe  und  Verteidigungen  von  einem 
ganz  falschen  Standpunkte  aus.  Homer  hat  nicht  ein  malerisches,  sondern 
ein  poetisches  Gemälde  geben  wollen.  Bei  jenem  erlaubt  das  Werkzeug 
des  Künstlers  nur  die  Darstellung  eines  einzigen  Punktes,  non  ha  che 
r  arbitrio  d'  un  punto.  Dieses  dagegen  ist  den  flüchtigen  und  biegsamen 
Worten  des  Dichters  anvertraut;  es  wird  entwickelt  und  erweitert,  durch 
die  Idee  des  wirklichen  Faktums,  die  jeden  Umstand  ausführlich  beschreibt, 
durch  die  interpretierende  Reflexion,  durch  die  belebende,  beseelende, 
verschönernde  Einbildungskraft.  Homer  wußte,  daß  sein  Gemälde  nicht 
betrachtet,  sondern  gehört  werden  würde,  und  überließ  sich  seinem  dar- 
stellenden Talent,  nur  bestrebt,  das  Bild  anmutig  zu  gestalten,  und  ohne 
sich  viel  darum  zu  kümmern,  ob  seine  Bilder  in  einem  wirklichen  Ge- 
mälde stehen  kömien.  Einem  irdischen  Vulkan  überließ  er  die  Sorge, 
seine  Schilderungen  nach  den  Regeln  einer  beengteren  und  strengeren 
Kunst  durch  Stutzen,  Teilen,  Zurechtrücken  in  ein  malerisches  Gemälde 
zu  bringen.  Nur  diese  Auffassung  löst  die  sonst  unlösbaren  Schwierig- 
keiten. Hephaistos  sagte  zu  Homer:  Ich  habe  als  Werkmeister  einen 
Schild  gemacht;  mache  ihn  du  als  Dichtergott,  gebrauche  deine  größte 
Freiheit,  ergänze,  zeige,  was  ich  nur  andeuten  konnte,  und  sei  ruhig: 
die  Kopie  wird  nie  dem  Original  gegenübergestellt  werden. 

Was  Cesarotti  sagt,  gehört  unstreitig  zum  Besten,  was  je  über  den 
Achilleusschild  geschrieben  worden  ist;  um  so  unbegreiflicher,  daß  es, 
wie  die  ganze  reiche  Arbeit  dieses  Gelehrten,  niemals  beachtet,  geschweige 
denn  gewürdigt  worden  ist. 

Cesarotti's  Übersetzung  konnte,  trotz  ihrem  Erfolg,  nicht  genügen. 
Zu  Beginn  des  19.  Jahrhunderts  griffen  zwei  befreundete  Dichter,  Ugo 


Cesarotti    Foscolo    Monti  117 

Foscolo  und  Yincenzo  Monti,  die  Arbeit  von  neuem  an.  Ihre  Auf- 
fassungen sind  in  einer  Publikation  Foscolo's  Esjoerimento  di  traduzione 
deJla  Iliade  di  Omero  1807  gesammelt. 

Foscolo  erklärt  in  dem  kleinen  Aufsatz  Intendimento  del  traduUore 
Cesarotti's  Arbeit  als  eine  Naclialimung,  die  vermuten  lasse,  daß  der 
Vater  der  Dicbter  nicht  in  seinen  ursprünglichen  Schönheiten  glänze. 
Er  tue  es  aber  in  andern  Sprachen,  und  die  italienische  vermöge  mehr 
als  andere  die  Vorzüge  Homers  aufzunehmen,  ohne  sie  auszuschmücken, 
und  seine  Fehler,  ohne  sich  zu  erniedrigen.  Trotzdem  ist  er  sich  der 
Ungeheuern  Schwierigkeiten  der  Aufgabe  mehr  bewußt  als  irgend  einer 
seiner  Vorgänger.  Zwar  können,  sagt  er,  die  Kommentare  die  für  richtige 
Wiedergabe  der  homerischen  Zeit  nötige  Kenntnis  vermitteln;  aber  die 
Harmonie  löst  sich  in  der  Übersetzung,  und  die  minimen  Vorstellungen, 
die  jedes  Wort  begleiten  und  dem  ursprünglichen  Sinne  erst  Farbe  und 
Leben  verleihen,  sind  für  uns  verloren;  die  Wörterbücher  zeigen  nur  die 
seelenlose  Vokabel.  Es  muß  versucht  werden,  durch  engsten  Anschluß  an 
den  Sinn  den  Ausdruck  zu  beleben  und  den  Geist  des  Originals  zu  über- 
tragen. Freilich  setzen  da  die  intellektuelle  Beschaffenheit  des  Einzelnen, 
die  verschiedene  Beurteilung  der  Wortwahl  und  die  ungleiche  Aufnahme 
bei  den  Hörenden  noch  viele  Schwierigkeiten  entgegen.  Foscolo  schmeichelt 
sich  auch  nicht  mit  der  Hoffnung  auf  ungeteilten  Beifall,  vielmehr  fürchtet 
er,  dem  Poeten  einen  zu  aufgeregten  Gang,  der  italienischen  Sprache  einen 
affektierten  Anstrich  von  Altertümlichkeit  und  griechischer  Syntax  ge- 
geben zu  haben.  Wenn  die  Wiedergabe  der  mächtigen  Leidenschaften 
ikalt  lassen  sollte,  nimmt  er  alle  Schuld  auf  sich  selbst. 

Fast  ergreifend  zeichnet  er  die  Schwierigkeiten  in  den  Considerazioni 
[über  den  Cenno  di  Giove,  die  berühmte  Stelle,  wo  Zeus  durch  Winken 
mit  den  Brauen  der  Thetis  Gewährung  verheißt.  Die  ebenso  einfachen 
wie  majestätischen  Verse,  sagt  er,  wirken  unmittelbar,  sind  aber  nie  voll- 
wertig wiedergegeben  worden  und  werden  es  nie  werden.  Foscolo  stellt 
eine  Menge  von  Versuchen  mit  seinen  eigenen  zusammen  und  schließt 
mit  der  Erkenntnis,  man  könne  an  den  großen  Originalen  wohl  Wort- 
erklärung  treiben,  Folgerungen  an  sie  knüpfen,  Himgespinnste  weben, 
nie  aber  sie  zum  Leben  erwecken. 

Die  Übersetzung  des  ersten  Buches,  der  Foscolo  später  die  des  dritten 
folgen  ließ,  stellt  er  der  Prosaversion  Cesarotti's  gegenüber,  um  das  Urteil 
der  Gelehrten  und  Gebildeten  darüber  zu  erfahren.  Die  Übersetzung  läßt 
uns  bedauern,  daß  die  Arbeit  nicht  zu  Ende  geführt  wurde,  denn  sie  ist 
nicht  nur  von  gewaltiger  Kraft  und  edlem  Wohllaut,  sondern  erweist  den 
Übersetzer  als  einen  in  der  homerischen  Gedankenwelt  heimischen  Dichter. 


118  Italien 

Vincenzo  Monti  dagegen  gelangte  ans  Ziel.  Er  hatte  sich  an  das 
Werk  gemacht,  ohne  Griechisch  zu  verstehen,  und  Foscolo  hatte  ihn 
deshalb  in  einem  berühmten  Epigramm  den  Übersetzer  der  Homerüber- 
setzer genannt.  Aber  er  verstand  es  so  sehr,  sich  in  die  homerische  Welt 
zu  versenken,  und  war  von  dieser  Poesie  so  ergriffen,  daß  er  ein  dauerndes 
Werk  zustande  brachte,  dem  gegenüber  Foscolo  das  eigene  Streben  auf- 
gab. Wie  Monti  arbeitete,  erhellt  aus  dem  Aufsatze  Sulla  difficidtä  di 
hen  tradurre  la  protasi  delV  lliade,  d.  h.  über  den  ersten  Vers  der  Ilias. 
Da  stellt  er  den  Satz  auf,  daß,  was  dem  Ohre  übel  klinge,  es  auch  dem 
Herzen  tue,  da  der  Gedanke  immer  mit  dem  Worte  harmonisch  verbunden 
sein  müsse.  Die  italienische  Sprache,  sagt  er,  ist  majestätisch.  Ihr  Gewand 
ist  von  großen  Dichtern  gearbeitet.  Es  handelt  sich  für  uns  nur  darum, 
aus  dem  Reichtum  der  Gewänder  das  richtige  zu  wählen.  Er  mustert 
alle  italienischen  Übersetzungen  des  Verses  und  zeigt  in  deren  Beur- 
teilung die  Forderungen,  die  er  an  sich  selbst  stellt.  Vor  allem  darf 
nichts  den  Gesetzen  der  italienischen  Cadenzen  widersprechen.  Nicht 
die  Vernunft  allein,  sondern  die  mit  dem  Gefühl  verbundene  Vernunft 
ist  das  Wesentliche.  Nur  unablässige  und  sorgfältige  Arbeit  führt  zum 
Ziele.  Das  sind  durchaus  keine  Kleinigkeiten,  denn  ihre  Vernachlässigung 
macht  aus  der  Sprache  des  Zeus  die  eines  Marktschreiers;  ihre  Beob- 
achtung allein  hat  Virgil  und  Racine  groß  gemacht.  Oberster  Richter 
ist  der  Geschmack,  der  schon  Cicero  zwang,  sich  tagelang  mit  dem  Auf- 
suchen eines  einzigen  Wortes  zu  plagen. 

Monti  hat  nicht  nur  gesprochen,  sondern  gehandelt.  Seine  Über- 
setzung liest  sich  prächtig  und  hat  das  ganze  Jahrhundert  überdauert. 
So  sollte  durch  einen  feinfühligen  und  sprachgewaltigen  Dichter  am 
Ende  der  ganzen  Entwicklung  der  Wunsch  Salutato's  sich  erfüllen,  daß 
die  homerische  Poesie  aus  mangelhaften  und  prosaischen  Versionen  in 
eine  poetische  umgegossen  werden  möchte. 

Ergänzend  trat  Monti's  Ilias  die  Odyssee  von  Ippolito  Pindemonte 
zur  Seite;  die  ersten  zwei  Gesänge  erschienen  1808,  das  ganze  Werk 
1822.  Dieser  Übersetzer  verstand  Homer  im  Urtext  zu  lesen.  Sein  Werk 
ist  vielleicht  nicht  so  sorgfältig  durchgearbeitet  wie  das  von  Monti,  lehnt 
sich  aber  ohne  allzu  starke  Freiheit  an  das  Original  an  und  hat  sich 
seiner  reichen  Sprache  wegen  bis  heute  behauptet. 


FRANKREICH  UND  DIE  NIEDERLANDE. 

In  die  Zeit,  da  die  italienische  Renaissance  ihre  Sonnenhöhe  er- 
reicht hatte,  fällt  der  Zug  Karls  VIII.  von  Frankreich  nach  Neapel. 
Damit  begannen  die  endlosen  Kriege,  die  für  Frankreich  politisch  mit 
dem  Verzicht  auf  Italien  endeten.  Die  Beziehungen  der  beiden  Länder 
beschränkten  sich  nicht  auf  die  kriegerischen  Verwicklungen,  aber  Italien 
überwand  seinen  Überwinder,  wie  einst  die  Griechen  die  Römer,  diese 
die  Germanen.  Wissenschaft  und  Kunst,  die  ganze  Bildung  der  Renais- 
sance drang  aus  Italien  nach  Frankreich  ein,  lenkend  und  befruchtend. 
Dennoch  sind  die  Franzosen  nie  bloße  Nachahmer  der  Italiener  gewesen. 
Ihre  Nationalität  war  bereits  so  gefestigt,  daß  sie  sich  aus  den  fremden 
Anregungen  eine  eigene  Kultur  schufen,  deren  Entwicklung  die  geistige 
Geschichte  des  16.  Jahrhunderts  bildet.  Der  Kontakt  zwischen  beiden 
Ländern  zeigt  sich  überall.  Franzosen  bereisen  Italien,  Italiener  besuchen 
Paris.  Die  Literatur  des  einen  Landes  ist  im  andern  bekannt  und  ge- 
würdigt. 

Homers  Stellung  ist  innerhalb  der  geistigen  Entwicklung  nicht 
so  mächtig  wie  in  Italien,  auch  in  der  Poesie  nicht.  Die  Ursachen 
dieser  Erscheinung  sind  sehr  mannigfaltig.  Es  möge  hier  nur  darauf 
hingewiesen  werden,  daß  in  Frankreich  nicht  wie  in  Italien  das  Epos, 
sondern  das  Drama  den  Höhepunkt  des  poetischen  Könnens  bildete. 

Den  Boden  Frankreichs  betritt  Homer  mit  dem  Werk  von  Jean 
Lemaire  de  Beiges  Illustrations  de  Gaule  et  singularites  de  Troye, 
1510 — 1513.  Das  erste  Buch  beginnt  mit  einer  langen  Genealogie  von 
Noah  bis  Priamos  und  erzählt  darauf  die  Jugendgeschichte  des  Paris, 
seine  Liebe  zu  Oenone,  die  Hochzeit  des  Peleus  und  der  Thetis  und 
das  Urteil  des  Paris  im  Wettstreit  der  Juno,  Pallas  und  Venus  um  den 
Preis  der  Schönheit.  Das  zweite  Buch  enthält  die  Geschichte  des  troi- 
schen  Krieges  unter  besonderer  Berücksichtigung  der  Schicksale  des 
Paris  und  der  Oenone.  Im  dritten  Buche  schildert  Lemaire  die  Folge 
der  nach  Europa  verpflanzten  troischen  Geschlechter  bis  auf  Pipin  den 
Kurzen.  Ein  viertes  Buch,  das  von  den  Türken  handeln  sollte,  ist  nicht 
geschrieben  worden. 

Das  große,  1500  begonnene  Werk  sollte  verschiedenen  Zwecken 
dienen.    In  der  Peterskirche  hatte  Lemaire  das  Gelübde  abgelegt,  durch 


120  Frankreich  und  die  Niederlande 

sein  Buch  die  abendländische  Christenheit,  Franzosen,  Italiener  und 
Deutsche  zu  einem  Kreuzzug  gegen  die  Türken  zu  entflammen,  die  Troja, 
das  Mutterland  der  Franken,  besetzt  hielten.  Das  Buch  sollte  die  Ab- 
stammung dieser  von  den  Troern  klarlegen  und  zugleich  die  troische 
Geschichte  in  historischer  Richtigkeit  wiederherstellen,  ferner  den  Ita- 
lienern den  Beweis  leisten,  daß  die  französische  Sprache  keineswegs  so 
barbarisch  sei,  wie  sie  in  ihrer  hochmütigen  Verachtung  meinten.  Endlich 
würde,  so  hofft  der  Verfasser,  die  Geschichte  des  jugendlichen  Paris  dem 
jungen  Karl  von  Spanien,  dem  spätem  Karl  V.,  in  den  Jugendjahren, 
wie  beim  Eintritt  ins  reifere  Alter  ein  guter  Wegweiser  sein  für  das 
Parisurteil  des  Lebens,  die  Wahl  zwischen  Klugheit,  Anmut  und  Macht. 

Der  Glaube,  daß  die  Franken  Abkömmlinge  der  Troer  seien,  hatte 
das  Mittelalter  beherrscht  und  war  sogar  von  den  Königen  sanktioniert 
worden.  Benoit  de  Sainte-More  hatte  ihm  in  seinem  Roman  de  Troie 
allgemeine  Geltung  verschafft.  Diesen  ihren  Dichter  hatten  nun  zwar 
die  Franzosen  des  16.  Jahrhunderts  gänzlich  vergessen.  Sie  nahmen 
seinen  Übersetzer,  Guido  delle  Colonne,  für  den  Verfasser  der  von 
jenem  gestalteten  Geschichte.  Neuere  Fabeleien  hatten  die  Genealogie 
der  Frankenkönige  bis  zu  Noah  hinauf  vervollständigt. 

Lemaire  stand  dem  gewaltigen  Material,  das  er  zusammengebracht 
hatte,  nicht  ganz  unkritisch  gegenüber.  Zwar  vermochte  er  den  Wust 
mythischer  Genealogien  nicht  zu  überwinden,  besonders  weil  er  in  Boc- 
caccio's  großem  Werke  De  genealogia  Deorum  vielfache  Bestätigung  da- 
für fand.  Aber  im  zweiten  Buch,  wo  er  den  troischen  Krieg  darstellt, 
nimmt  er  einen  ernstlichen  Anlauf  zu  kritischer  Sichtung  des  Stoffes. 
Er  geht  davon  aus,  daß  Dictys  und  Dares  Zeitgenossen  des  troischen 
Krieges  waren  und  deshalb  als  zuverlässige  Gewährsmänner  gelten  können, 
gibt  aber  da,  wo  sie  sich  widersprechen,  Dictys  den  Vorzug,  weil  seine 
Darstellung  ausführlicher  und  wahrscheinlicher  sei  und  die  edlen  Werke 
Homers,  Virgils  und  Ovids  mit  ihm  fast  ganz  übereinstimmten.  Auf 
diese  Weise  hofft  er  den  eingewurzelten  Irrtümern  des  Guido  delle 
Colonne  gegenüber  die  historische  Wahrheit  wiederherzustellen,  so  daß 
man  künftig  auf  Gemälden  und  Geweben  die  troischen  Geschichten  nicht 
mehr  falsch  darstellen  würde. 

Besondern  Zorn  erregt  ihm  Dion  von  Prusa,  den  er  in  der 
lateinischen  Übersetzung  Filelfo's  kennen  lernte.  Dion,  ein  griechischer 
Rhetor  und  Moralphilosoph  aus  der  Zeit  Trajans,  hatte  in  seiner  frühem, 
sophistischen  Periode  eine  Rede  geschrieben,  in  der  er  den  Nachweis 
zu  leisten  unternahm,  daß  der  troische  Krieg  ganz  anders  verlaufen  sei^ 
als  Homer   erzähle.    Der  Dichter  habe,   um  seinen  Landsleuten  zu  ge- 


Lemaire  de  Beiges  121 

fallen,  die  Wahrheit  verhüllt,  aber  doch  nicht  verhindern  können,  daß 
sie  durch  seine  Erzählung  noch  durchschimmerte.  Helene  war  nach 
Dions  Darstellung  von  Paris  nicht  geraubt,  sondern  nach  regelrechter 
Werbung  geheiratet  worden.  Der  Krieg,  den  der  als  Freier  abgewiesene 
Menelaos  und  sein  Bruder  Agamemnon  anfachten,  verlief  für  die  Griechen 
höchst  unglücklich.  Ihr  Hauptheld  Achilleus  wurde  von  Hektor  er- 
schlagen und  seiner  Rüstung  beraubt.  Diese  Tatsache  zu  verschleiern,, 
habe  Homer  die  Figur  des  Patroklos  untergeschoben.  Die  Griechen 
mußten  schließlich  froh  sein,  durch  einen  Vertrag  die  Heimkehr  zu  ge- 
winnen. Das  alles  wird  von  Dion  aus  Homer  selbst  bewiesen.  Lemaire 
weiß  nicht  recht,  was  er  mit  dem  glänzenden  Prunkstück  sophistischer 
Rhetorik  anfangen  soll.  Er  durchschaut  es  insoweit,  als  er  Dion  vor- 
wirft, er  habe  nur  seine  philosophische  Weisheit  glänzen  lassen  wollen. 
Aber  er  nimmt  ihn  doch  ernst,  wenn  er  meint,  Dion  habe  als  Asiat 
seinem  nationalen  Hasse  nachgegeben.  Sein  Urteil,  daß  die  Rede  ein 
Haufe  leerer,  unwahrscheinlicher,  nichts  beweisender  Argumentationen 
sei,  ist  allerdings  berechtigt. 

Da  und  dort  taucht  in  den  Illustrations  der  Name  Homers  auf. 
Lemaire  kennt  ihn  nicht  im  Original,  sondern  aus  der  lateinischen 
Prosaübersetzung  des  Lorenzo  Valla,  die  schon  im  15.  Jahrhundert  in. 
Frankreich  bekannt  geworden  war.  Er  zitiert  Homer  wiederholt  und 
gibt  mehrfach  seiner  Bewunderung  für  ihn  Ausdruck.  Aber  er  betrachtet 
ihn  neben  den  vermeintlichen  Historikern  Dictys  und  Dares  eben  als 
einen  Dichter,  der  hundert  Jahre  nach  dem  troischen  Kriege  gelebt 
und  die  Ereignisse  frei  gestaltet  habe.  Deshalb  setzt  er  zwar  außer 
kleineren  Partien  den  größten  Teil  des  dritten  und  vierten  Buches  der 
Ilias,  den  Zweikampf  des  Paris  und  Menelaos,  die  Mauerschau  und 
den  Schuß  des  Pandaros  in  seine  Erzählung  ein,  weil  die  Partie  schön 
und  erfreulich  sei  und  altertümlich  anmute;  er  übersetzt  sie  hübsch 
und  ziemlich  frei  aus  dem  Lateinischen.  Aber  dann  fühlt  er  sich  ver- 
anlaßt, zur  Wahrheit  zurückzukehren,  d.  h.  dem  Dictys  weiter  zu  folgen. 

Li  der  Kriegsgeschichte  des  zweiten  Buches,  wo  er  historisch  sein 
will,  läßt  er  seiner  Phantasie  wenig  Spielraum.  Das  tut  er  dagegen 
im  ersten  Buch,  in  der  Geschichte  des  Paris,  die  mit  vollendeter  An- 
mut ausgesponnen  ist.  In  tändelnder  Heiterkeit  schildert  er  den  Besuch 
der  Götter  bei  der  Hochzeit  des  Peleus  und  der  Thetis,  geradezu  präch- 
tig das  Staunen  der  Natur  beim  Anblick  der  drei  Göttinnen,  die  nackt 
in  ganzer  Schönheit  vor  Paris  stehen,  um  sich  seinem  Urteil  zu  unter- 
werfen. Alle  diese  Partien  stehen  in  starkem  Kontrast  zu  der  schwer- 
fälligen Gelehrsamkeit   des  Eingangs   und   des   dritten  Buches,  wie  zu 


122  Frankreich  und  die  Niederlande 

der  moralischen  Symbolik,  die  Lemaire  seinem  pädagogischen  Zwecke 
angemessen  hält.  Hier  ist  er  noch  ganz  der  Erbe  des  Mittelalters, 
während  seine  eigensten  Schöpfungen  die  neue  Zeit  verkünden. 

Im  Gegensatz  zu  dem  feinfühligen  Lemaire,  der  den  Dichter  Homer 
sehr  wohl  von  einem  Geschichtschreiber  zu  unterscheiden  wußte,  steht 
Jehan  Samxon,  der  Verfasser  der  ersten  französischen  Übersetzung 
der  Ilias  in  Prosa  unter  dem  Titel  Les  Iliades  d' Homere,  poete  grec  et 
grand  hystoriograplie,  gedruckt  1519 — 1530.  Das  seltsame  Werk  ist  nun 
freilich  nicht  aus  dem  griechischen  Original,  sondern  aus  der  lateinischen 
Übersetzung  von  Lorenzo  Valla  übersetzt,  nur  ganz  ohne  die  Anmut 
Lemaire' s.  Samxon  hält  Homer,  den  er  nur  so  nebenbei  einen  Dichter 
nennt,  im  wesentlichen  für  einen  Historiographen.  Da  er  aber  bei 
ihm  nicht  die  ganze  Geschichte  des  Krieges  findet,  ergänzt  er  ihn  aus 
Guido  delle  Colonne  und  aus  Dictys  und  Dares,  und  zwar  zuweilen 
im  Text  der  Übersetzung  selbst,  indem  er  die  abweichenden  Relationen 
«inander  gegenüberstellt.  So  hofft  er  die  wahre  Geschichte  darzustellen, 
zugleich  den  edlen  Fürsten  für  ruhmvolle  Kriegstaten  nützliche  Vor- 
bilder zu  bieten  und  den  Herren  und  Damen  Vergnügen,  Belustigung 
ihres  Geistes  und  Erleichterung  ihrer  Müheii  und  Arbeiten  zu  verschaffen. 

Die  Übersetzung  selbst  ist  eine  ungenaue,  oft  weitschweifige  Nach- 
erzählung, die  auch  eine  Reihe  von  Erklärungen  über  die  Personen  der 
Götter  und  Helden  enthält.  Mit  Recht  fragt  man  sich,  wem  wohl  ein 
solches  Opus  Vergnügen  bereitet  habe  mit  seinem  schleppenden,  halb 
lateinischen,  halb  barbarischen  Stil  und  dem  Mangel  an  jeglicher  Grazie. 
Das  Buch  kam  auch  zu  spät.  1519  hätte  es  vielleicht  manchem  noch 
etwas  geboten,  1530  nicht  mehr.  Denn  mittlerweile  hatte  das  Studium 
des  Griechischen  in  Frankreich  eine  große  Ausdehnung  gewonnen,  und 
besonders  Homer  zog  mehr  und  mehr  das  Interesse  auf  sich.  Es  ist  dafür 
bezeichnend,  daß  König  Franz  I.  1531  Federigo  Gonzaga  von  Mantua 
ersuchte,  ihm  einen  jungen  Künstler  zu  schicken,  der  den  Florentiner 
Rosso  bei  Ausmalung  der  Säle  des  Schlosses  Fontainebleau  unterstützen 
sollte.  Gonzaga  schickte  ihm  den  Bolognesen  Francesco  Primaticcio, 
einen  Schüler  Giulio  Romano's,  der  zuerst  mit  Rosso  zusammen,  dann 
selbständig  in  Fontainebleau  mythologische  Szenen  malte,  um  mit  dem 
Zyklus  der  Odyssee  in  der  Ulyssesgalerie  fortzufahren. 

In  abgerundeter  Vollendung  tritt  uns  in  Rabelais'  großem  Roman 
Gargantua  et  Pantagruel  die  Kenntnis  des  Altertums  entgegen.  In  dem 
prächtigen  Brief  Gargantua' s  an  seinen  in  Paris  studierenden  Sohn  Panta- 
gruel wird  dieser  darauf  hingewiesen,  wie  jetzt  alle  Disziplinen  meder 
hergestellt,  die  Sprachen  erneuert  seien,  besonders  das  Griechische,  ohne 


Samxon    Primaticcio     Rabelais     Montaigne  123 

welches  es  eine  Schande  wäre  sich  einen  Gelehrten  zu  nennen;  wie  reich 
-die  Welt  an  Gelehrten,  an  Druckwerken  und  Bibliotheken  sei,  wodurch 
das  Studium  so  sehr  erleichtert  würde,  und  wie  er  deswegen  von  ihm 
verlange,  daß  er  sich  in  ein  Meer  der  Wissenschaft  eintauche.  Homer 
ist  in  diesem  Brief  nicht  mit  Namen  erwähnt;  aber  die  zahlreichen 
Zitate  des  Romans  zeigen,  wie  gut  Rabelais  ihn  kennt,  und  wie  hoch 
er  ihn  schätzt.  Er  ist  ihm  der  Vater  aller  Philosophie  und  Weisheit 
und  dient  ihm  zur  Bekräftigung  der  vorgetragenen  Gedanken,  z.  B. 
auch  für  das  Bild  des  vollkommenen  Fürsten.  Mit  aller  Schärfe  wehrt 
er  sich  aber  gegen  die  allegorische  Auslegung  des  Epos,  an  die  Homer 
niemals  auch  nur  im  Traume  gedacht  habe.  Er  spottet  über  die  antiken 
Ausleger  und  ihren  Nachbeter  Polizian. 

Der  nämlichen  Meinung  ist  Montaigne  in  seinen  Essais.  Er  hält 
es  geradezu  für  unmöglich,  daß  Homer  alles  das  habe  sagen  wollen, 
was  man  ihn  sagen  lasse,  um  sich  seiner  Unterstützung  zu  versichern. 
Ausführlich  spricht  er  von  Homer  und  Virgil.  Er  behauptet,  nur  den 
letzteren  zu  kennen,  und  sagt,  er  glaube  nicht,  daß  die  Musen  selbst 
den  Römer  übertreffen.  Trotzdem  hält  er  Homer  für  einen  der  hervor- 
ragendsten Menschen  aller  Zeiten:  nicht  sowohl,  weil  er  Virgil  zum 
Führer  und  Lehrer  gedient  hat,  sondern  aus  anderen  Gründen.  Er  hat 
die  Welt  die  Mehrheit  der  Götter  gelehrt  und  in  einer  Zeit,  wo  es 
noch  keine  systematische  Wissenschaft  gab,  diese  so  gekannt,  daß  alle 
ihn  als  vollendetsten  Kenner  aller  Dinge  ansahen.  Wider  die  Ordnung 
der  Natur  hat  er  die  Poesie  in  ihrem  Beginn  schon  vollkommen  gemacht 
und  ist  gewissermaßen  der  erste  and  letzte  Dichter.  So  urteilte  das" 
ganze  Altertum,  und  sein  Ruhm  ist  nicht  erloschen:  nichts  ist  so  be- 
kannt als  seine  Geschichten,  die  vielleicht  nie  geschehen  sind.  Alle 
Nationen  führen  ihren  Ursprung  auf  diese  erfundenen  Geschichten  zu- 
rück. Sogar  Muhamed  H.  schrieb  an  Pius  H.,  er  wundere  sich,  daß  sich 
die  Italiener  gegen  ihn  verbündeten,  da  sie  doch  beide  von  den  Troern 
abstammten  und  Hektors  Blut  an  den  Griechen  rächen  sollten.  Mon- 
taigne schließt  aus  den  Zeugnissen  und  Erfolgen  auf  die  Größe  Homers 
und  hütet  sich,  von  seiner  Poesie  zu  sprechen,  die  er  nicht  zu  kennen 
erklärt. 

Die  wissenschaftliche  Beschäftigung  mit  Homer  beschränkte  sich 
während  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts  auf  die  Hörsäle.  Er  wird 
an  dem  von  Franz  I.  1530  gegründeten  College  de  France  interpretiert. 
Am  College  Coqueret  führt  Jean  Dorat  1549  die  späteren  Mitglieder 
der  Pleiade  in  die  griechischen  Dichter  ein.  Daß  Homer  schon  früher 
im  Original  gelesen  wurde,  zeigt  Rabelais. 


124  Frankreich  und  die  Niederlande 

Die  Ausgaben,  in  denen  er  den  Franzosen  zugänglich  war,  waren 
zunächst  die  italienischen,  denen  bald  die  von  Straßburg  und  Basel 
folgten.  Nicht  leicht  ist  in  einer  andern  Zeit  die  Wissenschaft  so  inter- 
national gewesen  wie  in  dieser.  Erasmus,  der  hervorragendste  Reprä- 
sentant des  transalpinen  Humanismus,  gehört  Frankreich,  England  und 
Deutschland  an.  Die  Homerausgaben  der  rheinischen  Städte  stehen  unter 
dem  Einfluß  Melanchthons  und  sind  in  Italien  und  Frankreich  ebenso 
sehr  begehrt  wie  in  Deutschland.  Die  Ausgaben  von  Straßburg  1525, 
1534,  1542,  1550  sind  von  Johannes  Lonicerus,  einem  Schüler  Melanch- 
thons, und  Wolf  Cephalaeus  besorgt;  der  Text  ist  der  der  zweiten 
Aldina,  verglichen  mit  der  ersten  Florentiner  Ausgabe.  Ihnen  folgten 
die  Ausgaben  von  Basel  1535  und  1541  bei  Herwag.  Der  Text  ist 
durchgesehen  von  Jakob  Molsheym  genannt  Micyllus,  einem  Schüler 
Melanchthons,  und  Joachim  Camerarius,  Melanchthons  Freund.  Die 
Ausgabe  von  1541  enthält  am  obem  und  untern  Rand  und  an  den 
Seiten  einen  griechischen  Kommentar,  die  sog.  Scholia  Vulgata,  die 
unberechtigter  Weise  dem  Didymos,  einem  sehr  fruchtbaren  Gramma- 
tiker der  Zeit  Caesars  und  Augustus',  zugeschrieben  wurden.  Gedruckt 
wurden  sie  zuerst  1528  in  Venedig.  Im  Anhang  enthält  die  Ausgabe 
die  Homerischen  Fragen  des  Neuplatonikers  Porphyrios  und  dessen 
allegorische  Erklärung  der  Nymphengrotte  der  Odyssee. 

Neues  brachte  die  Basler  Ausgabe  von  1551,  die  zum  erstenmal 
neben  dem  Text  eine  wörtliche  lateinische  Übersetzung  enthielt,  nach 
verschiedenen  Vorlagen.  Eine  solche  Arbeit,  die  man  damals  Inter- 
pretation nannte,  sollte  den  Studierenden  das  Eindringen  ins  Original 
erleichtem  oder  geradezu  ermöglichen.  Bessere  Arbeit  lieferte  die  grie- 
chisch-lateinische Ausgabe  von  Sebastian  Castalio  Basel  1561,  der  1564 
die  später  viel  benutzte  Straßburger  Ausgabe  von  Giphanius  folgte. 
Eine  neue  lateinische  Version  gab  Aemilius  Portus  Lyon  1584  und 
1609.  Die  Basler  Ausgabe  von  1551  war  der  Homer,  aus  dem  Joseph 
Scaliger  während  seines  ersten  Pariser  Aufenthaltes  1559  in  wenigen 
Wochen  Griechisch  lernte,  indem  er  sich  aus  Text  und  Übersetzung 
selbständig  eine  Grammatik  und  ein  Wörterbuch  zusammenstellte. 

Während  diese  Ausgaben  den  Homertext  ungefähr  so  wiedergaben, 
wie  sie  ihn  von  den  Byzantinern  überkommen  hatten,  legte  nunmehr 
die  französische  Philologie  den  Grund  zu  einer  wissenschaftlichen 
Gestaltung  des  Textes.  Wie  ihre  großen  Männer  Guillaume  Bude,  Denis 
Lambin,  Marcus  Muret,  besonders  aber  Henri  Estienne,  Joseph  Scaliger, 
Isaac  Casaubon,  Claude  Saumaise  in  großartiger  Weise  die  wissenschaft- 
liche Durchdringung  des   gesamten  Altertums   in  AngriflP  nahmen  und 


Ausgaben     Französische  Philologie     Spondanus  125 

zum  großen  Teil  durchführten,  so  wurde  auch  dem  Homertext  kritische 
Behandlung  zuteil.  Der  Begründer  der  Textkritik  ist  Adrien  Tourne- 
boeuf,  Turnebus,  der  seit  1547  am  College  de  France  lehrte.  Seine 
kritischen  Studien,  die  in  dem  großen  Werk  Adversaria  1564  —  65 
gesammelt  sind,  verwertete  er  für  die  von  ihm  1554  herausgegebene 
Ilias.  Sein  Werk  setzte  Henri  Estienne,  Henricus  Stephanus, 
fort,  der  Verfasser  des  Riesenwerkes  Thesaurus  Graecae  Linguae,  das 
1572  erschien  und  die  homerische  Sprache  in  weitem  Umfang  be- 
rücksichtigte. Unter  der  ungeheuren  Menge  seiner  Werke  nimmt  die 
Homerausgabe  einen  hervorragenden  Platz  ein.  Sie  bildet  den  ersten 
Band  der  Foetae  Graeci  principes  lieroici  carminis  1566.  Auf  Turnebus' 
Studien  fußend,  verglich  er  alle  damals  bekannten  antiken  Scholien  und 
die  Varianten  aller  Handschriften,  die  er  auftreiben  konnte,  und  schuf 
so  einen  kritisch  gesichteten  Text,  der  die  Grundlage  unserer  Homer- 
vulgata  geworden  ist.  Eine  neue  Auflage  1588  enthält  die  genau  revi- 
dierte Übersetzung  des  Portus. 

Noch  fehlte  ein  wissenschaftlicher  Kommentar.  Diesen  verfaßte 
Johannes  Spondanus,  Jean  de  Sponde,  der  im  Dienste  Heinrichs  IV. 
stand  und  dessen  Glaubenswechsel  mitmachte.  Fünfundzwanzigjährig 
gab  er  1583  in  Basel  einen  Homer  mit  der  lateinischen  Übersetzung 
des  Andreas  Divus  und  einem  lateinischen  Kommentar  heraus,  der  zwar 
stark  mit  antiker  Gelehrsamkeit  beschwert,  aber  doch  nicht  ein  bloßer 
Notizenkram  ist.  Nicht  nur  erklärt  Spondanus  Metaphern  und  Gleich- 
nisse, zieht  zum  Verständnis  des  einzelnen  Verses  andere  Stellen  heran 
und  geht  auf  die  Sitten  der  heroischen  Zeit  ein:  ihm  ist  der  innere 
Zusammenhang  der  Gedichte  die  Hauptsache,  und  in  diesen  dringt  er 
mit  ausgedehntester  Kenntnis  des  Dichters  ein.  Eustathios  wird  dabei  be- 
nutzt, aber  Spondanus  geht  überall  selbständig  über  ihn  hinaus.  Er  bietet 
im  Abendland  die  erste  zusammenhängende  ästhetische  Erklärung  Homers. 

Von  besonderen  Arbeiten  über  Homer  weiß  ich  aus  dieser  Zeit 
nur  des  Niederländers  Eberhard  Feith  Äntiquitates  Homericae  zu 
nennen,  ein  groß  angelegtes  Werk,  das  in  vier  Büchern  die  Götter, 
den  Staat,  das  häusliche  Leben,  den  Landbau  usf  behandelte.  Es  ist 
eine  äußerst  fleißige,  systematische  Darstellung  der  homerischen  Welt, 
deren  einzelne  Züge  zuerst  nach  Stellen  Homers  gezeichnet  sind,  worauf 
sie  jedesmal  durch  zahlreiche  Belege  aus  andern  antiken  Autoren  illu- 
striert werden.  Es  steht  in  seiner  Zeit  und  noch  lange  ganz  einzig  da 
imd  ist  seiner  Nützlichkeit  wegen  später  wieder  gedruckt  worden. 

In  den  Werken  der  französischen  Humanisten  zeigt  sich  überall 
die  eingehendste  Kenntnis  Homers.   Das  gilt  besonders  von  dem  Riesen- 


126  Frankreich  und  die  Niederlande 

werke  des  Isaac  Casaubon,  den  Animadversiones  zu  des  Atlienaeus 
DeipnosopMsten ,  eines  um  200  n.  Chr.  in  Form  von  Tischgesprächen 
geschriebenen  Buches,  das  eine  Masse  kostbarer  Auszüge  aus  der  grie- 
chischen Literatur  enthält.  In  Casaubon's  Kommentar  ist  Homer  an 
zahlreichen  Orten  zur  Erklärung  des  Textes  oder  zur  Unterstützung  der 
Ansichten  des  Verfassers  verwendet;  einzelne  Homerstellen  werden  auch 
einläßlicher  besprochen. 

Das  bessere  Verständnis  des  griechischen  Altertums  zeigt  sich 
gegen  die  Mitte  des  Jahrhunderts  auch  in  einem  neuen  Versuche,  Homer 
zu  übersetzen.  1545  veröffentlichte  Hugues  Salel  die  ersten  zwölf 
Bücher  der  Ilias.  Mit  den  Übersetzungen  antiker  Schriftsteller  gedachte 
man  den  Kampf  gegen  die  Unwissenheit  zu  unterstützen,  und  darum 
sind  die  Übersetzungsversuche  auch  so  zahlreich.  Mit  dem  angegebenen 
Zweck  hängt  es  zusammen,  daß  die  Übersetzungen  ausschließlich  franzö- 
sisch sind.  Es  fiel  den  französischen  Gelehrten  nicht  ein,  die  gehobenen 
Schätze  für  sich  zu  behalten  und  das  große  Publikum  davon  auszu- 
schließen, wie  die  italienischen  Humanisten  taten;  vielmehr  sollten  die 
antiken  Schriftsteller  die  allgemeine  Bildung  befruchten. 

Salel  eröJÖPnet  sein  Buch  mit  einer  Epitre  de  Dame  Poesie  an 
Franz  I.  Sie  empfiehlt  ihm  ihren  Liebsten  Sohn  Homer,  durch  den 
Dame  Nature  den  Menschen  zuerst  ihre  Geheimnisse  offenbarte,  durch 
den  die  Poesie  ewigen  Ruhm  erlangte,  und  von  dem  die  größten  Geister 
des  Altertums  ihre  Ideen  empfingen,  wie  an  verschiedenen  griechischen 
Philosophen  nachgewiesen  wird,  sowie  Homer  überhaupt  für  den  Vater 
der  Künste  und  Wissenschaften  gilt:  es  sind  die  Gedanken  des  Buches 
Plutarchs  Über  Homer  und  der  Ambra  Polizians.  Die  Übersetzung  soll 
keine  Wiedergabe  Vers  für  Vers  sein;  die  Beiwörter  im  Rhythmus  unter- 
zubringen, ist  zu  schwierig.  Es  genügt,  wenn  man  die  Absicht  des 
Dichters  erkennt.  Den  Übersetzer  lohnt,  wenn  nicht  voller  Erfolg,  so 
doch  Anerkennung  seines  Strebens,  vor  allem  aber  das  Wohlgefallen 
des  Königs.  Als  Versmaß  wählte  Salel  den  gereimten  Zehnsilbler,  in 
dem  die  Romans  des  Mittelalters  geschrieben  waren.  Die  Übersetzung 
hält  sich  so  getreu  an  das  Original,  als  es  in  dieser  Form  möglich  ist. 
Großen  Schwung  entfaltet  sie  nicht,  aber  sie  stellt  doch  eine  brave 
Leistung  dar,  zeugt  von  Verständnis  und  entbehrt  auch  nicht  einer 
gewissen  Kraft.  Der  Tod  hinderte  Salel  an  der  Vollendung  seines 
Werkes,  das  1574  durch  einen  wirklichen  Dichter,  Amadis  Jamyn, 
wieder  aufgenommen  und,  wenigstens  für  die  Ilias,  zu  Ende  geführt 
wurde;  von  der  Odyssee  brachte  er  nur  drei  Bücher  zustande.  Jamyn 
hat  statt  des  Zehnsilblers  den  Alexandriner  gewählt,  den  Ronsard  seiner 


Salel     Jamyn     Du  Bellay  127 

größern  Länge  wegen  gerade  den  Übersetzern  empfohlen  hatte.  Die 
Übersetzung  zeigt  Salel  gegenüber  einen  erheblichen  Fortschritt.  Die 
Sprache  ist  schwungvoll  und  kräftig  und  hat  mehr  vom  Geist  des  Ori- 
ginals. Das  AVerk  wurde  von  der  Pleiade  mit  Jubel  begrüßt.  Die  Seele 
Homers,  ruft  Ronsard  aus,  ist  in  die  von  Jamyn  übergegangen,  um  die 
Verse  wiederzugeben,  die  einst  Jupiter  dem  griechischen  Dichter  diktierte. 

Mit  dem  Namen  Ronsard  treten  wir  in  den  Kreis  der  Pleiade^ 
jenes  Bundes  begeisterter  junger  Männer,  die  von  Dorat  in  die  antiken 
Dichter  eingeführt  worden  waren  und  nun  beschlossen  hatten,  der 
französischen  Literatur  die  ihr  fehlenden  Dichtungsgattungen  zu  schenken 
und  das  Französische  zu  einer  der  hohen  Poesie  würdigen  Sprache  zu 
veredeln.  Das  Haupt  der  Schule  war  Pierre  de  Ronsard,  ihr  Herold 
Joachim  du  Bellay.  Dieser  schrieb  1549  das  berühmte  Manifest 
der  „Brigade",  die  Defense  et  ülustration  de  la  langiie  frangaise. 

Die  französische  Sprache  bedarf  nach  Du  Bellay  vorläufig  noch 
der  antiken  Muster,  um  den  vollen  Schmuck  zu  gewinneu,  aber  nicht 
auf  dem  Wege  der  Übersetzung,  in  die  der  Genius  des  Dichters  nie- 
mals mit  hinübergenommen  werden  kann,  und  die  einem  Verrate  an 
der  Poesie  gleichkommt:  traducteurs  traditeurs.  Wir  müssen,  gleich 
wie  die  Römer  taten,  die  Alten  studieren  und  sie  in  unser  eigenes 
Fleisch  und  Blut  verwandeln.  So  wird  die  französische  Sprache  selb- 
ständig werden.  In  den  folgenden  Anweisungen  an  die  Dichter  ist 
Du  Bellay  von  Vida  abhängig. 

Am  eifrigsten  wünscht  Du  Bellay  ein  französisches  Epos  oder, 
wie  er  es  nennt,  le  long  poeme  fran9ais.  Mit  feurigen  Worten  redet 
er  den  Dichter  der  Zukunft  an,  der  durch  Talent  und  Wissen,  mit 
Kenntnis  des  menschlichen  Lebens,  in  ungestörter  Muße  die  arme 
Sprache  ihr  Haupt  wird  erheben  lassen,  daß  sie  sich  stolz  mit  den 
alten  Sprachen  messen  kann.  Hat  doch,  sagt  er,  zu  unserer  Zeit  Ariost 
das  in  seiner  Landessprache  geleistet.  Wäre  nicht  die  Heiligkeit  der 
alten  Gedichte,  so  würde  es  Du  Bellay  wagen,  ihn  mit  einem  Homer 
und  Virgil  zu  vergleichen.  Wie  Ariost,  der  Stoff  und  Personen  seines 
Gedichtes  aus  dem  Französischen  entlehnt  hat,  wähle  der  Epiker  Frank- 
reichs einen  der  schönen  französischen  Romane,  wie  einen  Lancelot, 
Tristan  oder  einen  anderen,  und  lasse  daraus  eine  bewundernswerte 
Ilias  und  eine  sorgfältige  Aeneis  entstehen. 

Kurz  nach  Du  Bellay,  1555,  schreibt- Jacques  Pelletier  du  Mans 
die  theoretische  Poetik  der  Pleiade.  Er  hatte  1545  die  Ars  Poetica 
des  Horaz  ins  Französische  übersetzt  und  sich  auch  an  die  Odyssee 
gewagt,   von   der   er  drei  Bücher  fertig  stellte.    Sein  Art  poetique  will 


128  Frankreich  und  die  Niederlande 

den  französischen  Dichtern  der  Zukunft  kurz  und  klar  den  Weg  weisen, 
auf  dem  sie  zum  höchsten  Ziel  der  Poesie,  der  Verbesserung  der  Mensch- 
heit, gelangen  können.  Das  Erfreuende  an  dem  Büchlein  ist  nicht  die 
Originalität  der  Gedanken,  sondern  die  ungemeine  Frische  des  Vortrags, 
die  von  der  pedantischen  Breite  der  meisten  Italiener  rühmlich  absticht. 
Kürze  sei,  sagt  PöUetier,  bei  den  Vorschriften  geraten,  durch  die  der 
Leser  nur  ermuntert  werden  soll  die  Vorbilder  selbst  zu  studieren. 
Auch  Pelletier  ersehnt  vor  allem  ein  französisches  Epos,  das  er  gewöhn- 
lich rOeuvre  heroique  nennt,  und  als  dessen  Gegenstand  er  die  Kriege 
bezeichnet.  Sind  die  anderen  Dichtungsarten  Bäche  und  Flüsse,  so  ist 
das  Epos  ein  Meer,  die  Form  und  das  Bild  der  Welt.  Die  Vorbilder, 
die  Pelletier  gelten  läßt,  sind  ausschließlich  Homer  und  Virgil.  Ariost 
gefällt  ihm  gar  nicht,  denn  er  findet  bei  ihm  nur  einen  Haufen  von 
Fabeln  und  Spielereien,  die,  anstatt  zu  gefallen,  unangenehm  sind 
wenigstens  an  einem  solchen  Orte. 

In  bezug  auf  die  Übersetzung  ist  er  nicht  gleicher  Ansicht  wie  Du 
Bellay.  Er  hält  sie  für  die  wahrste  Art  des  Imitierens,  durch  welche 
die  Sprache  sehr  bereichert  werden  könne.  Aber  damit,  daß  der  Dichter 
französisch  schreiben  müsse,  ist  er  ganz  einverstanden.  Oberstes  Muster 
ist  Homer.  Gäbe  es  einen  Weg,  ihn  zu  übertreffen,  so  hätte  Virgil 
ihn  gewiesen,  der  kühnste  Mensch,  den  es  je  gab.  Denn  er  hat  zwei 
der  größten  Dichter,  Hesiod  und  Theokrit,  übertroffen,  Homer  aber 
eingeholt,  und  auch  diesen  hätte  er  besiegt,  wenn  er  nicht  zu  früh 
gestorben  wäre.  Er  hat  von  ihm  nur  das  Beste  nachgeahmt  und  ihn 
vielfach  verfeinert.  Er  vermeidet  das  Übermaß  der  homerischen  Bei- 
wörter, die  Wiederholung  der  Botenreden,  die  unwahrscheinlichen  Ge- 
spräche vor  den  Zweikämpfen,  Dinge  wie  die  Erzählung  des  Achilleus 
über  den  Beginn  des  Streites.  Aeneas  kommt  nicht  schlafend  nach  Kar- 
thago wie  Odysseus  nach  Ithaka.  Solcher  Tadel  bildet  aber  nicht  den 
Orundton  der  Schrift  Pelletier's. 

Alle  Vorschriften  über  das  Epos  zeigen  im  zweiten  Buch  Abhängig- 
keit von  Vida,  dessen  Urteil  über  Homer  Pelletier  im  ganzen  übernimmt; 
nur  unterdrückt  er  den  Tadel  wegen  der  Retardationen.  Bei  einer 
Besprechung  des  Macrobius  kommt  er  auf  Virgil  zurück,  der  aller- 
dings das  Beste  dem  Homer  verdanke,  ihn  aber  doch  oft  auch  bereichere 
und  das  Muster  der  Dichter  der  Zukunft  sein  müsse. 

Dem  Verlangen  der  Franzosen  nach  einem  Epos  kam  Ronsard 
nach,  der  fest  an  seinen  Beruf  glaubte,  Frankreichs  Virgil  werden  zu 
sollen.  Zwanzig  Jahre  lang  arbeitete  er  an  seinem  Epos,  ohne  etwas 
zu  veröffentlichen,  bis  ihn,  wie  es  scheint,  der  Besuch  Tasso's  in  Paris 


Pelletier    Ronsard  129 

1570 — 71  veranlaßte,  die  ersten  vier  Bücher  der  Franciade  1572  als 
Probe  drucken  zu  lassen. 

Die  Vorrede  Au  ledeur  könnte  man  am  ehesten  als  eine  Auseinander- 
setzung- mit  Tasso  auffassen,  wenn  wir  annehmen  dürfen,  daß  dieser 
seine  zwischen  1568  und  1570  in  Ferrara  vorg-elesenen  Discorsi  nach 
Paris  mitgenommen  habe.  Ronsard  legt  das  Hauptgewicht  auf  die 
Erfindung,  die  freilich  nicht  in  der  phantastischen  und  ungeheuerlichen 
Art  Ariosts  gemeint  sein  soll. 

In  der  Franciade  hat  Ronsard,  wie  er  ausführt,  mehr  die  naive 
Ungezwungenheit  Homers  als  die  sorgsame  Genauigkeit  Virgils  zum 
Muster  genommen,  immerhin  nach  Kräften  beide  nachgeahmt,  auch  im 
Stoffe.  Denn  der  troische  Krieg  ist  eine  Erfindung  Homers  für  die 
Aialdden,  wie  die  Aeneis  für  die  Kaiser  erfunden  ist,  in  Anlehnung  an 
alte  Überlieferungen.  So  knüpft  auch  Ronsard  an  die  Nachrichten  der 
Annalen  über  Francion,  Hektors  Sohn,  an,  behandelt  aber  die  Geschichte 
selbständig.  Die  Franciade  sollte  also  die  Eroberung  Galliens  durch  Fran- 
cus,  den  Astyanax  der  Ilias,  bringen,  der  in  Epirus  erzogen  wurde  und 
auf  göttlichen  Befehl  die  Fahrt  unternimmt.  Ein  Sturm  verschlägt  ihn 
aber  nach  Kreta,  wo  die  Erzählung  stecken  bleibt.  Die  beiden  ersten 
Bücher  sind  eine  Sammlung  von  Abenteuern  mit  zahllosen  homerischen 
Reminiszenzen,  Landung  und  Empfang  in  Kreta  dem  Yirgil  nachgeahmt, 
der  Kampf  mit  dem  greulichen  Riesen  Phouere  nach  dem  geschmähten 
Ariost.  Selbständiger  tritt  Ronsard  im  dritten  Buche  auf,  das  die 
erwachende  Liebe  der  zwei  Töchter  des  kretischen  Königs  zu  Francus 
zum  Gegenstand  hat.  Hier,  in  der  Schilderung  der  Liebesschmerzen 
der  Clymene,  besonders  in  dem  Brief,  den  sie  an  Francus  schreibt, 
hat  der  Lyriker  Ronsard  eine  Reihe  wirklicher,  unmittelbarer  Schön- 
heiten erreicht.  Die  verschmähte  Clymene  kommt  auf  eine  phantastische 
Weise  ums  Leben.  Ihre  Schwester  Hyanthe,  um  die  Francus  wirbt, 
offenbart  ihm  im  vierten  Buche  die  Zukunft.  Dido  und  Sibylle  zugleich, 
läßt  sie  ihn  die  Gestalten  der  fränkischen  Könige  sehen  und  erzählt 
ihm  deren  Geschichten.  Mit  Pipin  dem  Kurzen  bricht  die  Franciade 
ab.  Ronsard  sagt,  der  Tod  Karls  IX.  habe  ihm  den  Mut  geraubt  fort- 
zufahren; aber  das  klingt  wie  ein  Seufzer  der  Erleichterung.  Denn, 
wie  wir  aus  dem  Werke  vernehmen,  hatte  der  König  verlangt,  daß 
sämtliche  63  Könige  Frankreichs  vorgeführt  werden  sollten,  damit  er 
durch  ihr  Beispiel  zur  Tugend  entflammt  und  vom  Laster  abgeschreckt 
würde.  So  hatte  Ronsard  alle  Ursache,  Virgil  dafür  glücklich  zu  preisen, 
daß  er  schon  unter  dem  zweiten  Kaiser  gelebt  und  keine  Könige  zu 
besingen  gehabt  habe. 

Finaler:  Homer  in  der  Neuzeit.  9 


130  Trankreich  und  die  Niederlande 

Die  Ursachen  des  Mißerfolges  der  Franciade  liegen  klar  am  Tage. 
Ronsard  ist  ein  großes  lyrisclies  Talent,  aber  es  fehlt  ihm  an  der  Er- 
findung, der  Kunst  der  Erzählung,  der  Kraft  der  Charakteristik.  In 
den  vier  vorliegenden  Büchern  geschieht  eigentlich  nichts.  Aus  Fetzen 
anderer  Dichter,  und  seien  sie  noch  so  glänzend,  läßt  sich  kein  Epos 
machen.  Man  hat  gemeint,  der  Fehler  liege  daran,  daß  das  Gedicht 
keinen  bekannten  Helden  habe,  an  dessen  Namen  sich  eine  denkwürdige 
Erinnerung  knüpfe.  Das  hat  Ronsard  jedoch  vorgesehen  und  sucht  dem 
Mangel  zu  begegnen,  indem  er  den  Francus  dem  aus  der  Ilias  be- 
kannten Astyanax  gleichsetzt.  Notwendig  war  es  gewiß  nicht;  hat  doch 
Boiardo   mit  fast  lauter   erfundenen  Helden  zu  interessieren  vermocht. 

Nach  Ronsards  Tod  erschien  1587  eine  zweite,  1584  geschriebene 
Preface,  die  für  lange  Zeit  die  erste  ganz  verdrängte.  Sie  befaßt  sich 
mit  den  Gesetzen  der  Poetik  und  ist  eine  ziemlich  formlose  Folge  von 
allerlei  Gedanken  nach  dem  Vorgang  der  Italiener.  Es  sollte  wohl  eine 
Nachahmung  der  Ars  poetica  des  Horaz  sein.  Leider  übersah  Ronsard, 
daß  die  Zwanglosigkeit  des  römischen  Dichters  keine  Formlosigkeit 
bedeutet  und  ein  Durcheinander  noch  keine  horazische  Ars  poetica  ist. 
Homer  ist  zwar  in  der  Preface  noch  genannt,  aber  von  seiner  naiven 
Ungezwungenheit  ist  nicht  mehr  die  Rede.  Im  Gegenteil  bekennt 
Ronsard  seine  unbedingte  Vorliebe  für  Virgil,  den  er  schon  in  früher 
Jugend  auswendig  gekonnt  habe  und  nicht  vergessen  könne.  Wenn 
er  sich  häufiger  auf  ihn  berufe  als  auf  Homer,  der  doch  sein  Lehrer 
und  Muster  gewesen  sei,  so  tue  er  das  absichtlich,  da  die  Franzosen 
Virgil  besser  kennten  als  Homer  und  die  Griechen. 

Das  Maß  der  Franciade  ist  der  mittelalterliche  Zehnsilbler,  den 
Ronsard  auf  Befehl  Karls  IX.  wählte.  Das  Gedicht  wurde  mit  En- 
thusiasmus begrüßt.  Estienne  Pasquier  fand,  Ronsard  zahle  die  Ent- 
lehnungen aus  Virgil  mit  so  hohem  Zins  zurück,  daß  dieser  ihm  noch 
etwas  schuldig  zu  sein  scheine.  In  der  Poetik  von  Vauquelin  ist  Ronsard 
unter  die  epischen  Vorbilder  eingereiht.  Amadis  Jamyn  sagt  in  der 
Inhaltsübersicht  der  Franciade,  Ronsard  gleiche  der  Biene,  die  aus  allen 
Blumen  den  Honig  sauge.  Durch  seine  Dichtung  habe  er  die  franzö- 
sische Sprache  ungemein  bereichert. 

Ein  zweites  Epos  dieser  Zeit  ist  die  Jtidith  des  Gascogners  Guillaume 
Saluste,  Seigneur  du  Bartas,  des  Gesandten  und  Kampfgenossen 
Heinrichs  IV.  Sein  in  Alexandrinern  verfaßtes  Gedicht  begann  er  schon 
1560  unter  den  Anregungen  der  Königin  Jeanne  de  Navarre.  Wohl 
sagt  er  in  der  Vorrede,  er  habe  Homer  und  Virgil  nachahmen  wollen, 
und  einzelne  Züge  lassen  ja  auf  ein  Studium  dieser  Vorbilder  schließen; 


Ronsard     Du  Bartas  131 

aber  die  Erzählung  folgt  Punkt  für  Punkt  ihrem  Original,  dem  alt- 
testamentlichen  Buch  Judith,  aus  dem  auch  der  hübsch  belebte  Abriß 
der  jüdischen  Geschichte  stammt.  An  der  Disposition  ist  nur  ein  Punkt 
geändert:  der  große  Krieg,  den  Nebukadnezar  gegen  Medien  führt,  und 
mit  dem  die  biblische  Erzählung  beginnt,  ist  in  eine  Erzählung  ver- 
wandelt, durch  die  Holofernes  der  Judith  seine  Heldenhaftigkeit  klar 
zu  machen  sucht,  ein  echt  poetischer  Kunstgriff.  Ausweiterungen  der 
Geschichte  gibt  es  nicht.  Dafür  ist  die  biblische  Erzählung  in  ein 
lebendiges  und  anschauliches  Gedicht  verwandelt.  Einzelne  Schilderungen 
sind  geradezu  packend,  wie  die  der  Leiden  der  Bewohner  von  Bethulia, 
denen  die  Feinde  das  Wasser  abgegraben  haben.  Die  Erzählung  der 
großen  Schlacht,  wie  überhaupt  alles  Militärische,  entlehnt  Du  Bartas 
nicht  bei  Homer  oder  Ariost,  sondern  er  zeigt  darin  die  eigene  Erfahrung. 
Köstlich  geschildert  ist  das  Trinkgelage  bei  Holofernes  und  sein  Rausch, 
eingehend  und  wahr  seine  Liebesqualen,  schön  Judiths  Monolog  vor  der 
entscheidenden  Tat  und  der  Lobgesang  am  Schluß.  Götter  gibt  es  bei 
Du  Bartas  natürlich  nicht,  abgesehen  von  einigen  antiken  Reminis- 
zenzen,  aber  auch  keine  Engel  und  Teufel  wie  bei  Tasso. 

Nicht  in  den  Kreis  unserer  Betrachtung  fällt  Du  Bartas'  Haupt- 
werk, La  Semaine  ou  la  Creation  du  monde  1578.  Denn  neben  schönen 
epischen  Stücken  ist  es  derart  mit  Rhetorik,  Lyrik  und  Wissenschaft 
durchsetzt,  daß  es  kaum  mehr  ein  Epos  genannt  werden  kann. 

Man  weiß,  wie  großen  Erfolg  Du  Bartas  besonders  bei  den  Pro- 
testanten hatte.  Eine  besondere  Huldigung  läßt  ihm  Spondanus  in 
seinem  Homerkommentar  zuteil  werden,  bei  Gelegenheit  des  Achilleus- 
schildes.  Nach  einem  begeisterten  Preis  dieser  Poesie,  die  er  der  Schild- 
beschreibung Virgils  weit  vorzieht,  sagt  er,  er  wisse  doch  einen,  den 
er  damit  vergleichen  könne.  Du  Bartas,  der  ihm  gleich  hoch  stehe  wie 
alle  Dichter,  ja,  der  ihm,  wenn  er  nicht  selbst  Homers  Erklärer  wäre 
für  weit  hervorragender  als  Homer  gelten  müßte.  Er  hebt  besonders 
den  auch  von  Goethe  bewunderten  siebenten  Gesang  der  Semaine  hervor, 
in  dem  Gott  die  geschaffene  Welt  betrachtet. 

Eine  Zusammenfassung  der  theoretischen  Gedanken  der  Pleiade 
gibt  Jean  Vauquelin  de  la  Fresnaye  in  dem  Lehrgedicht  L'Ärt 
poetique  frangais,  das  er  1574  auf  Wunsch  Heinrichs  HL  begann,  aber 
erst  1605  drucken  ließ.  Das  Opus  ist  wortreich  und  breit,  oft  genug 
im  Ausdruck  unklar,  und  will  den  künftigen  Dichter  unterrichten.  Von 
Vorbildern  in  der  Poetik  nennt  Vauquelin  Aristoteles,  Horaz,  Vida  und 
Mintumo.  Es  ist  das  erstemal,  daß  wir  Aristoteles  in  einer  französischen 
Poetik  verwendet  finden.     Nicht  daß  seine  Poetik  ganz  unbekannt  ge- 


132  Frankreich  und  die  Niederlande 

wesen  wäre.  Erasmus  hatte  sie  1531  in  Basel  drucken  lassen,  eine 
Ausgabe  erschien  1541  in  Paris,  eine  weitere  1555,  veranstaltet  von 
Guillaume  Morel,  einem  Schüler  von  Tumebus.  Nach  und  nach  wurde 
die  Poetik  sehr  bekannt  und  angesehen;  aber  die  Theoretiker  der  Ple- 
iade  scheinen  sie  nicht  benutzt  zu  haben.  Du'Bellay  kennt  sie  offenbar 
nUr  aus  den  Italienern.  Pelletier  zeigt  an  einer  Stelle,  daß  er  das  Original 
kennt.  Aristoteles  hatte  gesagt,  es  sei  ein  geringerer  Fehler,  wenn  ein 
Dichter  nicht  wisse,  daß  eine  Hinde  keine  Homer  habe,  als  wenn  er 
sie  unkenntlich  darstelle.  Das  korrigiert  Pelletier  und  meint,  es  liege 
bei  jenem  Dichter  keine  Unkenntnis  der  Natur  und  des  Wesens  der 
Hinde,  sondern  nur  eine  Unachtsamkeit  vor.  Woher  er  gewußt  hat, 
daß  der  Dichter  Pindar  ist,  kann  ich  nicht  sagen.  Bei  Aristoteles 
fehlt  der  Name,  und  ebenso  in  den  großen  Kommentaren  der  Poetik, 
die  vor  Pelletier  erschienen,  Robortello  1548  und  Maggi  1550;  erst 
bei  Vettori  1560  ist  er  genannt. 

Ronsard  berührt  sich  zuweilen  mit  Aristoteles,  kennt  ihn  aber 
doch  nur  durch  das  Medium  Minturno's  und  Tasso's.  Bei  Vauquelin 
finden  sich  häufigere  Spuren  der  aristotelischen  Poetik,  die  aber,  wie 
Spingarn  gezeigt  hat,  sämtlich  aus  Mintumo  stammen;  dieser  ist  neben 
Virgil  sein  wesentlichster  Führer.  Von  Mustern  des  Epos  nennt  er 
außer  Homer  und  Virgil  den  Statins,  Dichter  einer  Thebais  um  45 
bis  90  n.  Chr.,  den  Apollonios  Rhodios  mit  seinen  Argonautica,  Ovids 
Metamorphosen,  dann  fast  im  selben  Range  Tasso,  der  drei  Dinge  ver- 
einigt habe,  eine  lange  Belagerung,  eine  Irrfahrt  und  manche  Liebes- 
geschichte. Ariost  findet  bei  ihm  mehr  Gnade  als  bei  Ronsard.  Dieser, 
notre  grand  Ronsard,  nimmt  bei  Vauquelin  durchaus  die  Stellung  eines 
Klassikers  ein;  nur  bedauert  er,  daß  die  Franciade  nicht  in  Alexandrinern 
verfaßt  sei,  und  macht  nun  selbst  ein  Proömium  dazu,  um  zu  zeigen, 
wie  schön  das  geklungen  hätte.  Mit  Ronsard  ist  er  auch  deswegen 
nicht  zufrieden,  weil  er  die  alten  Götter  in  das  französische  Epos  ein- 
führte. Darin  hat  er  ganz  Recht;  die  Götter  Ronsards  sind  unerträglich. 
Mit  Nachdruck  verlangt  Vauquelin  ein  Epos  und  stellt  die  Gerusalemme 
als  Muster  hin.  Du  Bartas  hat  er  nicht  genannt,  offenbar  weil  dieser 
ein  Hugenott  war. 

Die  Übersetzung  beurteilt  er  milder  als  Du  Bellay;  wenn  der 
antike  Dichter  treu  wiedergegeben  werde,  so  habe  die  Jugend  den  Vor- 
teil davon,  daß  sie  ohne  Griechisch  und  Latein  in  diese  Dichtungen  ein- 
dringen könne.  So  habe  Salel  Homer  angenehm  übersetzt,  Jamyn  ihn 
so  wiedergegeben,  daß  dem  Original  kein  Unrecht  geschehe.  Virgil 
stellt  Vauquelin  über  alle  Griechen,  auch  über  Homer.    Hätte,  sagt  er, 


Vauquelin     Aristoteles     Certon  133 

Aristoteles  ilm  gekannt,  er  würde  ihn  allen  Tragödien,  allen  heroischen 
Versen  vorgezogen  haben.  Wohl  steht  er  an  Alter  hinter  Homer  zurück, 
aber  im  Rang  ist  er  der  Erste  der  Welt. 

Den  Abschluß  der  Bestrebungen  des  16.  Jahrhunderts  bildet  die 
Homerübersetzung  von  Salomon  Certon.  Er  nahm  zuerst  die  bisher 
fast  ganz  vernachlässigte  Odyssee  in  Arbeit.  In  der  Widmung  an 
Heinrich  IV.  1604  vergleicht  er  Charakter  und  Schicksal  des  Königs 
mit  denen  des  Odysseus.  Im  Jahre  1615  war  auch  die  Ilias  vollendet, 
die  Certon,  zusammen  mit  der  Odyssee  und  den  kleinen  Gedichten 
Homers,  Ludmg  XIII.  dedizierte.  Die  Übersetzung,  in  angenehm  zu 
lesenden  Alexandrinern  geschrieben,  befleißt  sich  der  größten  Ge- 
nauigkeit. Die  homerischen  Beiwörter  werden,  wie  bei  Ronsard  und 
Du  Bartas,  durch  oft  sehr  kühne  Neubildungen  wiedergegeben.  Das 
Unternehmen  ist  nicht  durchaus  geglückt,  aber  die  treuherzige  Einfachheit 
und  die  ungekünstelte  Wahrheit,  die  Certon  erstrebt  und  erreicht,  geben 
den  homerischen  Ton,  so  viel  es  möglich  war,  wieder,  und  an  zahlreichen 
Stellen  erhebt  sich  der  Ausdruck  zu  großer  poetischer  Schönheit.  So 
haben  die  Franzosen,  was  den  Italienern  des  16.  Jahrhunderts  durchaus 
fehlte,  einen  zuverlässigen  und  schönen  Homer  in  ihrer  Sprache  erhalten. 

Certon's  Übersetzung  ist  das  letzte  Denkmal  einer  großen  Zeit. 
Sie  fällt  bereits  in  eine  Periode,  in  der  es  mit  der  Kenntnis  des  Grie- 
chischen in  Frankreich  übel  bestellt  war.  Von  vornherein  hatte  die 
Kirche  dessen  Eindringen  argwöhnisch  betrachtet.  In  der  zweiten 
Hälfte  des  Jahrhunderts  fangen  die  großen  Philologen,  meist  Pro- 
testanten, den  Universitäten  zu  fehlen  an.  Der  Sieg  des  Katholizismus 
ächtet  das  Griechische,  dessen  Pflege  rasch  sinkt.  Die  Pleiade  versteht 
es  noch  gut,  aber  sie  wendet  sich,  höfisch  wie  sie  ist,  mehr  und  mehr 
den  Lateinern  zu.  Noch  in  der  Vorrede  Au  lecteur  zieht  Ronsard 
Homer  dem  Virgil  vor,  aber  in  der  späteren  Preface  gibt  er  entschieden 
diesem  den  Vorzug,  wie  vor  ihm  Pelletier  und  nach  ihm  Vauquelin 
getan  haben.  Es  ist  wahrscheinlich,  daß  auf  diese  Veränderung  ihres 
Urteils  Scaliger  gewirkt  hat. 

Julius  Caesar  Scaliger,  der  gelehrte,  von  Franz  I.  in  Frank- 
reich naturalisierte  italienische  Kriegsmann,  schrieb  eine  Poetice j  die 
zuerst  1561  gedruckt  wurde,  ein  Werk,  das  ebensogut  zur  italienischen 
als  zur  französischen  Renaissance  gerechnet  werden  kann.  Es  gleicht 
der  Poetik  Vida's  darin,  daß  der  dichterische  Genius  zwar  anerkannt 
und  seine  Freiheit  verkündet,  von  diesen  schönen  Dingen  aber  im 
weiteren  kein  (Gebrauch  gemacht  wird.  Während  Vida  von  Horaz  aus- 
geht, kennt  Scaliger  außerdem  die  Poetik  des  Aristoteles.    Aber  sie  ist 


134  Frankreich  und  die  Niederlande 

ihm  keineswegs  maßgebendes  Gesetzbuch  der  Poesie.  Er  findet  sie  ver- 
stümmelt, um  nicht  freimütiger  zu  reden,  und  hält  es  an  verschiedenen 
Orten  für  angezeigt,  ihre  Definitionen  durch  genauere  zu  ersetzen.  Man 
ist  ganz  erstaunt,  fast  am  Ende  des  Buches  Aristoteles  unsern  Im- 
perator, den  ewigen  Diktator  aller  edlen  Künste  nennen  zu  hören,  denn 
Scaliger  ist  in  grundlegenden  Fragen  gar  nicht  mit  ihm  einverstanden. 
Nicht  die  Wiedergabe,  Mimesis,  ist  ihm  das  Charakteristische  der  Poesie, 
sondern  der  Vers.  Deshalb  ist  es  nach  ihm  auch  nicht  richtig,  wenn 
Aristoteles  einen  in  Verse  gebrachten  Herodot  nicht  als  Poesie,  sondern 
nur  als  Geschichte  gelten  lassen  will:  ein  solcher  Herodot  wäre  historische 
Poesie.  Deren  Endziel  ist  nicht  die  Wiedergabe,  sondern  die  Belehrung 
in  erfreuender  Form;  durch  sie  sollen  die  Menschen  zur  richtigen  Ver- 
nunft geführt  werden,  durch  die  der  Mensch  das  vollkommene  Handeln, 
die  Glückseligkeit,  erreicht.  Auch  soll  die  Poesie  nicht,  wie  Aristoteles 
meint,  Handlungen,  sondern  Affekte  darstellen.  An  Aristoteles'  Poetik 
tadelt  Scaliger  den  gänzlichen  Mangel  an  Ordnung.  Auch  Horaz  lehre 
ohne  alle  Kunst,  so  daß  seine  Ars  poetica  eher  eine  Satire  genannt  werden 
müsse,  und  Vida  habe  zwar  nützliche  Lehren,  vervollkommne  aber  nur 
den  Dichter,  der  es  schon  sei.  Dagegen  will  nun  Scaliger  ein  Lehr- 
buch verfassen,  nach  welchem  sich  ein  wahrer  Dichter  bilden  kann. 
Denn  die  Poesie  kann  erlernt  werden.  Poetische  W^issenschaft  ist  das 
Resultat  der  Anordnung  aller  Vorschriften,  durch  die  wir  zur  Bildung 
dessen,  was  man  Poesie  nennt,  angeleitet  werden. 

Nun  gibt  es  in  jeder  Gattung  von  Dingen  ein  Erstes  und  Richtiges, 
nach  dessen  Norm  und  Art  sich  die  übrigen  zu  richten  haben.  Diese 
Norm  wird  auf  dem  Wege  der  philosophischen  Erwägung  gefunden. 
Es  ist  ganz  falsch,  alles  auf  Homer  als  auf  die  Norm  zu  beziehen; 
vielmehr  muß  auch  Homer  an  der  Norm  gemessen  werden.  Norm  ist 
für  die  übrigen  Dichtungsgattungen  das  Epos;  für  dieses  bietet  sie 
sich  in  Virgil,  dem  Einzigen,  der  den  Namen  eines  Dichters  verdient, 
und  der  in  der  Darstellung  der  Gegenstände  der  Kunst  eine  zweite  Natur 
genannt  werden  kann  und  deshalb  zum  Vorbild  am  geeignetsten  ist.  Sein 
Aeneas  ist  ein  Ideal  im  Sinne  des  Sokrates,  dessen  Vollendung  mit 
der  Natur  selbst  in  der  ganzen  Gattung  wetteifert,  die  einzelnen  Indi- 
viduen aber  übertrifft.  Daher  operiert  Scaliger  in  den  Büchern,  die 
von  poetischer  Darstellung  handeln,  fast  ausschließlich  mit  Beispielen 
aus  Virgil.  Der  römische  Dichter  verdrängt  die  theoretische  Erörterung 
beinahe  vollständig. 

Auf  Grund  der  gewonnenen  Vorschriften  kami  der  Dichter  durch 
Nachahmung  der  Vorbilder  und  durch  Urteil  gebildet  werden,  zwei  Dinge, 


Scaliger  135 

die  insofern  verbunden  sind,  als  man  sich  das  Vorbild  nur  durch  eigene 
Prüfung  erwerben  kann.  Zwar  findet  Scaliger  die  Nachahmung  eigent- 
lich nicht  notwendig,  da  ja  die  frühesten  Dichter  auch  keine  Vorbilder 
hatten.  In  der  Gegenwart  aber,  die  der  heimischen  Sprache,  d.  h.  dem 
Lateinischen,  fremd  geworden  ist,  haben  wir  die  Vorbilder  nötig.  Ist  doch 
sogar  Horaz,  der  die  Nachahmer  verspottet,  selbst  ein  solcher  gewesen. 
Durch  Urteil  also  gelangen  wir  zur  Wahl  des  richtigen  Vorbildes  und 
wahrer  Selbstkritik.  Um  das  Urteil  fruchtbringend  zu  gestalten,  hat 
Scaliger  eine  ungeheure  Vergleichung  zwischen  den  griechischen  und 
römischen  Dichtern  und  wiederum  dieser  unter  sich  angestellt.  Daß 
dabei  den  Römern  und  von  diesen  dem  Virgil  der  Preis  zufällt,  kann 
nicht  mehr  auffallen.    Uns  beschäftigt  vor  allem  die  Parallele  mit  Homer. 

Von  diesem  war  gelegentlich  schon  früher  die  Rede  gewesen.  Er- 
wähnt mag  besonders  sein,  daß  Scaliger  die  Ansicht  bestreitet,  als  ob 
Homer  die  Komödie  und  Tragödie  erfunden  habe;  vielmehr  habe  er 
die  Fabeln,  die  er  seinen  Gedichten  einverleibte,  in  Ithaka  und  Chios 
von  Bauern  und  alten  Weibern  gehört.  Wenn  wir  von  der  gehässigen 
Wendung  absehen,  verdient  es  hervorgehoben  zu  werden,  daß  nach 
Scaligers  Ansicht  Homer  seinen  Stoff  nicht  erfunden  hat.  Diese  Meinung 
hat  er  auch  ausdrücklich  verworfen  und  behauptet,  Homers  Fabeln  hätten 
lange  vor  ihm  im  Munde  der  Menschen  gelebt.  Doch  hat  Homer,  und 
damit  beginnt  die  Parallele  mit  Virgil,  die  Kunst  der  Poesie  eher  erfunden 
als  ausgebildet,  Virgil  dagegen  die  roh  übernommene  zur  höchsten 
Vollendung  gebracht.  Jener  verschwendet,  dieser  sammelt;  jener  hat 
zerstreut,  dieser  geordnet.  Die  bürgerliche  Klugheit  und  kriegerische 
Tüchtigkeit,  die  jener  uns  in  Odyssee  und  Ilias  vorführt,  hat  dieser  in 
Aeneas  vereinigt  und  die  Pietät  hinzugefügt.  Virgil  unterscheidet  sich 
von  ihm  wie  eine  vornehme  Dame  von  einem  plebeischen  und  läp- 
pischen Weibe.  Übrigens  gab  es  vor  Homer  einen,  der  ihn  zwar  nicht 
an  Größe  des  Stoffes,  wohl  aber  an  Feinheit  und  Glätte  des  Stils  über- 
traf, Musaios,  den  Dichter  des  kleinen  Epos  Hero  und  Leander.  Seine 
Verse  findet  Scaliger  von  allen  Griechen  allein  denen  Virgils  ebenbürtig. 
ScaHger  hat  sich  die  lächerliche  Blöße  gegeben,  daß  er  den  Dichter  des 
6.  Jahrhunderts  n.  Chr.  für  identisch  hält  mit  dem  mythischen  Sänger 
Musaios  und  sogar  meint,  Homer  habe  Verse  von  ihm  übernommen 
und  verschlechtert. 

Darauf  folgt  eine  Menge  von  Vorwürfen  gegen  Homer.  Er  hat 
seinen  Göttern  die  ruchlosesten  Taten  und  Worte  angedichtet,  die  sich 
durch  allegorische  Erklärungen  nicht  retten  lassen.  Wie  will  man  z.  B. 
die  Geschichte  von  Ares  und  Aphrodite  physikalisch  erklären?    Sodami 


136  Frankreich  und  die  Niederlande 

ist  doch  die  Gescliichte  von  den  Sonnenrindern  kindisch;  wäre  der 
allschauende  Helios  nicht  von  seiner  Tochter  Lampetie  von  dem  Frevel 
unterrichtet  worden,  so  müßten  die  armen  Rinder  noch  heute  ungerächt 
im  Elysium  herumirren.  Er  hätte  doch  durch  den  Bratenduft  geweckt 
werden  müssen,  wenn  er  im  Osten  schlief.  Daß  Aphrodite  von  einem 
Menschen  verwundet  wird,  geht  noch  an,  aber  daß  es  auch  dem  Ares 
geschieht,  ist  unerträglich,  und  dessen  Klagen  und  Scheltreden  sind  ab- 
scheulich. Die  Reden  in  den  Schlachten  sind  so  lang,  daß  der  Tag  für 
die  Torheiten  nicht  ausreichen  würde.  Der  geschwätzige  Achilleus  stößt 
in  der  Versammlung  Drohungen  eines  Elenden  aus;  dann  weint  er  bei 
der  Mutter,  und  das  soll  der  Mann  sein,  dem  Hektor  erliegt.  Eine 
faule  Lüge  ist  es,  daß  alle  Götter  dem  Zeus  zürnten;  sie  waren  ja  nach 
den  Parteien  geteilt  und  konnten  nicht  alle  über  die  Begünstigung 
der  Troer  zürnen.  Nichts  ist  langweiliger,  putidius,  als  Hektors  Tod 
und  die  dummen  Klagen  um  ihn.  Priamos  fragt  erst  im  zehnten  Jahre 
des  Krieges  nach  den  Namen  der  feindlichen  Führer,  während  diese  ihre 
Feinde  beim  Namen  nennen,  als  wären  sie  einander  längst  vertraut. 
Odysseus  schießt  die  Freier  tot,  von  denen  ihn  nur  ein  kleiner  Zwischen- 
raum trennt:  warum  griffen  sie  ihn  nicht  an?  Des  Achilleus  Pferde 
sprechen:  was  kaim  man  mehr  erwarten?  Nestor  klagt,  sein  Sohn  Anti- 
lochos  sei  bei  Troja  gefallen,  während  dieser  doch  dort  im  Wagenrennen 
gesiegt  hat  und  nach  Hektors  Tod  keine  Kämpfe  mehr  stattfanden. 
Wiederum  weint  Achilleus,  nicht  ohne  große  Ursache,  bei  seiner  Mutter 
darüber,  daß  die  Fliegen  die  Wunden  des  Patroklos  anfressen;  er  konnte 
wohl  niemand  anstellen,  der  sie  mit  eiuem  Wedel  verscheucht  hätte. 
Zeus  donnert,  während  es  schneit:  das  haben  wir  nie  gesehen.  He- 
phaistos  macht  Dreifüße,  die  selbst  laufen;  warum  nicht  auch  Kessel, 
die  selbst  kochen?  Bei  der  Beschwörung  der  Schatten  fehlt  jede  Kunst, 
und  wie  lächerlich  ist  es,  daß  sie  des  Odysseus  Schwert  fürchten!  Die 
Rüstung  Agamemnons  wird  im  elften  Buche  beschrieben,  während 
das  ins  zweite  gehört  hätte.  Beim  Mahle  singt  Demodokos  schändliche 
Göttergeschichten,  Yirgils  lopas  dagegen  Dinge,  die  eines  Königs  würdig 
sind.  Die  Worte  der  Sirenen  sind  so  gewöhnlich,  daß  sie  nicht  einmal 
Scaligers  Koch  zum  Tanzen  gebracht  hätten,  geschweige  daß  sie  den 
Odysseus  in  Gefahren  locken  konnten.  Und  wissen  möchte  man  auch, 
wo  die  Ambrosia  war,  welche  die  Pferde  der  Here  fraßen. 

Zur  Diktion  übergehend,  tadelt  Scaliger  die  kindischen,  unpassend 
angebrachten  Beiwörter  Homers  und  führt  darauf  eine  Unmasse  von 
Stellen  an,  die  Virgil  von  jenem  übernommen  und  im  Sinne  einer 
echt   poetischen   Kunst  umgestaltet  habe.    Besonders   zeigt   er   das   an 


Scaliger  137 

den  Gleichnissen.  Die  Nachweise  darüber  füllen  achtzig  enggedruckte 
Seiten  der  Poetice.  Überall,  so  lautet  sein  Urteil,  zeigt  sich  die  an- 
endliche Kunst  Virgils.  Aus  homerischer  Trockenheit  und  Dürre  wird 
bei  ihm  Pracht  und  Fülle,  aus  Weitschweifigkeit  und  Geschwätzigkeit 
wohltuende  Knappheit  und  erhabener  Ernst.  Niedrige  und  abgeschmackte 
Bilder  erhebt  er  zu  poetischer  Schönheit,  Ungeheuerlichkeiten  führt 
er  auf  ein  besonnenes  Maß  zurück.  An  Anschaulichkeit  und  Frische 
übertrifft  er  Homer  weit,  dem  er  nie  eine  Stelle  entnommen  hat,  ohne 
sie  zu  verbessern.  Es  ist  falsch,  ihn  einen  Nachahmer  zu  nennen; 
vielmehr  hat  er,  was  an  Homer  groß  ist,  erst  zur  Vollendung  geführt^ 
wie  er  auch  alle  andern  alten  und  neueren  Dichter  übertrifft. 

Besonders  unzufrieden  ist  Scaliger  mit  dem  Achilleusschild,  der 
viel  Wertloses  und  Kindisches  enthalte.  Vor  allem  sieht  er  nicht  ein^ 
wie  die  Figuren  des  Schildes  eine  Bewegung  darstellen  könnten.  Heere 
können  wohl  schreitend  dargestellt  werden,  aber  wie,  daß  sie  ans  Ziel 
gelangen  und  sich  niederlassen?  Die  belebte  Schilderung  der  Szenen 
auf  dem  Schild,  besonders  die  der  Schlacht,  hatte  schon  die  antike 
Kritik  beschäftigt.  Eustathios  weist  die  Meinung,  die  Figuren  seien 
belebt  gewesen,  als  Faselei  zurück,  denn  Homer  sage  ja  deutlich,  sie 
hätten  sich  gleich  lebenden  bewegt.  Er  führt  aber  eine  Vermutung  an, 
nach  der  die  Figuren  beweglich  gewesen  und  durch  Maschinerie  in 
Bewegung  gesetzt  worden  seien.  Daß  Scaliger  die  Stelle  nicht  gekannt 
hat,  sieht  man.  Für  ihn  ist  alles  das,  auch  die  Darstellung  der  feinen 
Stimme  des  Sängers  und  des  Stiergebrülls,  nur  homerische  Torheit,  die 
sich  unter  einem  Wortschwall  versteckt. 

Nachdem  Scaliger  die  massenhaften  Vergleichungen  der  einzelnen 
Dichter  durchgeführt  hat,  sitzt  er  über  die  lateinischen  Poeten  von 
Plautus  bis  auf  seine  Zeit  zu  Gericht.  Die  großen  italienischen  Dichter 
und  die  aufblühende  französische  Poesie  existieren  für  ihn  nicht;  nur 
die  lateinischen  Produkte  werden  der  Berücksichtigung  gewürdigt.  Hier 
ist  er  genau  so  einseitig  wie  in  seinem  Urteil  über  die  Griechen,  von 
deren  Literatur  er  übrigens  nicht  allzuviel  verstand,  wie  ihm  sein  großer 
Sohn  Joseph  Scaliger  bei  Gelegenheit  des  Urteils  über  Musaios  aus- 
drücklich bezeugt  hat. 

Scaligers  Poetice  verkündet  einen  fürchterlichen  Regelzwang,  der 
geeignet  gewesen  wäre,  jedes  poetische  Leben  zu  töten.  Wenn  sie  nicht 
so  viel  Unheil  angerichtet  hat,  als  man  erwarten  könnte,  so  rührt  das 
daher,  daß  in  ihr  das  Schwergewicht  weder  auf  Aristoteles  noch  auf 
der  Vernunft,  sondern  auf  dem  aufgestellten  Muster  Virgil  oder  mit 
andern  Worten  auf  Scaligers  souveräner  Eigenmächtigkeit  und  seinem 


138  Frankreich  und  die  Niederlande 

nationalen  Hochmut  als  Nachkomme  der  Römer  ruht.  Die  spätere  fran- 
zösische Kritik,  die  sich  ihre  Grundlage  durch  die  Gleichstellung  der 
Begriffe  Raison  und  Aristoteles  schaffte,  komite  sich  Scaliger  nicht  ohne 
weiteres  anschließen.  In  Italien  finde  ich  den  Einfluß  des  Buches  da 
und  dort  schon  im  16.  Jahrhundert,  doch  nicht  allzu  oft.  Beni  hat 
sich  wider  Polizians  Homerbegeisterung  auf  Scaliger  berufen.  Stärker 
erscheint  dessen  Einfluß  bei  Sir  Philip  Sidney.  Dagegen  bildeten  die 
Angriffe  auf  Homer,  von  denen  ich  nur  Proben  geben  konnte,  für 
viele  eine  auserlesene  Rüstkammer.  Die  Bedeutung  der  Poetice  für 
Frankreich  bestand  zunächst  vornehmlich  in  der  Unterstützung  der 
Bestrebungen,  die  man  als  Latinisierung  der  Bildung  bezeichnet,  der 
unbedingten  Bevorzugung  der  lateinischen  auf  Kosten  der  griechischen 
Literatur. 

Die  griechische  Wissenschaft,  die  im  17.  Jahrhundert  aus  Frank- 
reich so  gut  wie  vertrieben  war,  fand  in  den  Niederlanden  eine  Heim- 
stätte, vor  allem  an  der  1575  gegründeten  Universität  Leyden.  Daß 
die  Homerstudien  eifrig  gepflegt  wurden,  ersieht  man  aus  zahlreichen 
Stellen  der  gelehrten  Werke  der  Niederländer  und  der  dort  wirkenden 
Franzosen,  wenngleich  solche  nicht  speziell  von  Homer  handeln.  So 
preist  Justus  Lipsius,  der  an  der  Spitze  der  glänzenden  Reihe  der 
niederländischen  Gelehrten  steht,  mehrmals  Homer  mit  fast  überschweng- 
lichen Worten  und  kann  nicht  begreifen,  wie  man  ihm  Virgil  vorziehen 
könne,  der  so  tief  unter  ihm  stehe. 

In  Holland  erschien  auch  die  im  17.  Jahrhundert  weit  verbreitete 
Homerausgabe  von  Cornelius  Schrevelius,  Amsterdam  1656,  sehr 
schön  gedruckt,  aber  unsorgfältig.  Meric  Casaubonus,  des  großen 
Isaac  Sohn,  unterzog  die  Ausgabe  einer  scharfen  Kritik,  die  sich  wesent- 
lich gegen  die  beigefügte,  fehlerhafte  lateinische  Version  des  Andreas 
Divus  richtete.  Meric  verweist  die  Studenten  auf  Portus  und  Castalio, 
rät  ihnen  aber,  sich  noch  lieber  bei  Eustathios  und  den  Schollen  Rat 
zu  holen. 

Am  Ende  des  Jahrhunderts  sehen  wir  die  Niederlande  literarisch 
im  engsten  Kontakt  mit  Frankreich,  besonders  weil  sich  zahlreiche 
Franzosen  dort  aufhalten  und  die  literarischen  Vorgänge  in  ihrem  Vater- 
lande eifrig  erörtern.  Eine  Menge  von  französischen  Werken  der  Zeit 
sind  in  den  Niederlanden  gedruckt  oder  neu  aufgelegt  worden.  Aber 
schon  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts  übt  die  niederländische 
Gelehrsamkeit  ihre  W^irkung  auf  Frankreich  aus,  vor  allem  in  den 
Werken  über  Poetik.    Der  zunehmende  Klassizismus  machte  den  Fran- 


Heinsius     Vossius  139 

50sen  eigentliche  Lehrbücher  erwünscht.  Daniel  Heinsius  veröffent- 
lichte 1611  eine  Ausgabe  der  Aristotelischen  Poetik  mit  guter  latei- 
nischer Übersetzung.  Sein  gleichzeitiges  Werk  De  tragoediae  constitu- 
tione war  von  großem  Einfluß  auf  die  Theorien  der  französischen 
Dramatiker.  Im  17.  Kapitel  trägt  Heinsius  eine  ganz  neue  Ansicht 
über  Homer  vor.  Er  weist  darauf  hin^  daß  nach  den  Nachrichten  der 
Alten  Sophokles  sich  am  meisten  an  Homer  angeschlossen  habe.  In 
Erhabenheit  der  Sprache  und  Wortwahl  unterscheide  sich  nämlich  die 
Tragödie  nicht  vom  Epos,  nur  wenig  in  der  Handlung  und  deren  Dis- 
position, die  Affekte  seien  die  nämlichen.  So  könne  Piaton  Homer  den 
ersten  der  Tragiker  nennen.  Dasselbe  lasse  sich  von  Virgil  sagen,  dessen 
Sprache  die  tragische  Würde  erreiche.  Sophokles  und  Virgil  hätten  die 
Vorzüge  Homers  nachgebildet,  aber  den  Schmutz  und  die  Torheiten 
der  Grammatiker  weggelassen,  wie  sie  sich  jetzt  in  den  Ausgaben 
in  großer  Zahl  fänden.  Heinsius  ist  überzeugt,  daß  wir  den  wahren 
Homer  nicht  haben.  Schon  die  kleine  aristotelische  Poetik  hat  Homer- 
stellen, die  in  unserem  Homer  nicht  stehen.  Die  Grammatiker,  diese 
Henkersknechte,  haben  uns  einen  Schatten,  ein  Scheinbild  Homers  ge- 
geben. Nach  ihrem  Gutdünken  haben  sie  geändert,  wiederhergestellt, 
gestrichen.  Die  sich  die  gewissenhaftesten  dünkten,  füllten  zutage  tretende 
Defekte  oder  Lücken  mit  Versen,  die  beim  Dichter  an  anderen  Stellen 
standen.  Daher  kommt  es,  daß  es  so  viele  eingeschobene  und  törichte 
Halbverse  gibt,  die  gar  keinen  Zusammenhang  haben.  So  ist  das  Ge- 
dicht Virgils  die  beste  Ausgabe  Homers  und  in  dem,  was  er  nachbildete, 
Richtschnur  der  Nachahmung.  Ebenso  nützlich  ist  Sophokles.  Wären 
alle  seine  Werke  erhalten,  so  würde  niemand  in  der  Tragödie  einen 
homerischen  Vorzug  vermissen. 

Man  muß  bedauern,  daß  Heinsius  sich  nicht  ausführlicher  ausge- 
sprochen hat.  Wemi  er  zugibt,  daß  Homer  schwere  Mängel  habe,  aber 
dafür  die  Überlieferung  verantwortlich  macht,  so  betritt  er  den  Weg 
der  Kritik,  freilich  nach  dem  sehr  gefährlichen  Grundsatz,  daß  alles 
unecht  sein  müsse,  was  der  willkürlich  gestellten  Forderung  der  Würde 
Homers  nicht  entspricht. 

Es  folgen  1647  die  Poeticae  Institutiones  von  Gerhard  Joannes 
Vossius,  ein  Werk,  das  sich  im  ganzen  an  Julius  Caesar  Scaliger  an- 
schließt, aber  viel  klarer  und  übersichtlicher  ist,  weil  alles  Technische 
in  den  Unterricht  über  die  Redekunst  verwiesen  wird.  Von  Aristoteles 
ist  so  gut  wie  gar  nicht  abgewichen;  aber  der  Stoff  ist  systematisch 
zurechtgerückt  und  in  knappe  Lehrsätze  gebracht,  denen  nur  kurze 
Erläuterungen  aus  antiken,  zuweilen  auch  modernen  Schriftstellern  folgen. 


140  Frankreich  und  die  Niederlande 

Horaz  ist  ausgiebig  benützt.  Die  Geringschätzung,  die  Scaliger  gegen 
Homer  hegte,  teilt  der  Niederländer  durchaus  nicht;  ja,  er  stellt  ihn  in 
der  poetischen  Ökonomie  über  Virgil.  Das  Werk  errang  sich  besonders 
in  Frankreich  den  Rang  eines  förmlichen  Gesetzbuches  der  Poesie.  In 
der  Schrift  über  das  Alter  der  Dicliter  stellt  Vossius  die  wichtigsten 
Zeugnisse  zusammen  und  urteilt,  die  Zeit  Homers  müsse  auf  die  erste' 
Olympiade  oder  die  Zeit  der  Gründung  Roms,  also  auf  die  Mitte  des 
8.  Jahrhunderts  angesetzt  werden. 

Über  homerische  Geographie  verbreitet  sich  der  in  Leyden 
wirkende  Danziger  Philipp  Cluverius,  der  in  seinen  majestätischen 
Werken  Sicilla  antiqua  1619  und  Italia  antiqua  1624  die  Resultate 
gründlichster  Studien  und  eigener,  durch  Reisen  gewoimener  Anschauung 
niederlegt.  Von  hohem  Interesse  sind  besonders  die  Darlegungen  über 
die  Irrfahrten  des  Odysseus,  die  er  an  der  Hand  der  antiken  Nachrichten 
zu  lokalisieren  sucht.  Odysseus  kommt  vom  Kap  Malea  zu  den  Loto- 
phagen  an  der  kleinen  Syrte,  von  dort  auf  die  Ziegeninsel  Aigussa, 
Capraria  in  der  Gruppe  der  ägatischen  Inseln.  Gegenüber  am  Berge 
Eryx  war  die  Höhle  des  Kyklopen.  Von  hier  gelangt  Odysseus  zu 
Aiolos,  der  auf  der  Insel  Lipära  wohnt;  dann  fährt  er,  mit  dem  Schlauch, 
des  Aiolos  im  Schiff,  um  Sizilien  herum,  bis  er  Ithaka's  ansichtig  wird. 
Die  Torheit  der  Gefährten  treibt  ihn  zurück,  obwohl  es  sehr  fabelhaft 
klingt,  daß  ein  und  derselbe  Sturm  ihn  von  Ithaka  um  Sizilien  herum 
wieder  nach  Lipara  getragen  haben  sollte.  Die  Laistrygonen  sind  bei 
Formiae  in  Latium  zu  suchen:  der  Hafen,  den  Homer  beschreibt,  ist 
entweder  derjenige  von  Cajeta,  oder  es  ist  hier  Dichtung  eiagemischt. 
Kirke  wohnt  auf  dem  Gebirge  Circei,  das  noch  heute  von  fem  wie  eine 
Insel  aussieht.  Die  Kimmerier,  deren  Wohnsitz  am  kimmerischen  Bos- 
porus Homer  wohl  kannte,  versetzte  er  zweckmäßig  nach  Cumae,  und 
am  Avernussee  steigt  Odysseus  in  den  Hades  nieder.  Mit  der  Erwähnung 
des  Okeanos  hat  Homer  seinen  gelehrten  Erklären!  nur  einen  Streich 
spielen  wollen,  da  an  eine  Fahrt  in  den  Atlantischen  Ozean  unmöglich 
gedacht  werden  kann.  Odysseus  gelangte  auf  einem  Flusse,  den  Homer 
Okeanos  nennt,  ins  Mittelländische  Meer  zurück.  Die  Insel  der  Sirenen 
ist  Capri,  Skylla  und  Charybdis  die  Straße  von  Messina,  die  Insel  der 
Kalypso  Melite  Malta,  Scheria  Corfu.  Cluverius  entschuldigt  sich,  daß 
er  weitschweifig  geworden  sei;  aber  es  lohne  sich  schon,  die  absurde  und 
lächerliche  Meinung  derer  zu  widerlegen,  die  Odysseus  in  den  äußersten 
Meeren  herumschweifen  lassen,  ohne  dafür  genügende  Gründe  zu  haben. 

Die  Resultate  des  Cluverius  nimmt  der  Franzose  Samuel  Bochart 
in-  der  Geopraphia   Sacra  1646  auf,  nicht  ohne  gelegentliche  Polemik. 


Cluverius     Bochart     Vossius  141 

Bochart  hat  sich  die  Aufgabe  gestellt,  die  Spuren  der  Phöniker  auf- 
zusuchen, die  bald  nach  Josua  das  ganze  Mittelmeer  besiedelten,  und 
aus  deren  Sprache  alle  geographischen  Namen  zu  erklären  sind.  Er 
wendet  eine  umfassende  Gelehrsamkeit  an,  um  seine  Phöniker  an  allen 
Ecken  der  Welt  aufzufinden,  ja,  er  entdeckt  auch  in  den  griechischen 
Fabeln  viel  Phönikisches,  sei  es  nun,  daß  die  Phöniker  durch  ihre  Ety- 
mologien den  Griechen  etwas  weismachten,  sei  es,  daß  diese  an  die  un- 
verstandenen fremden  Wörter  ihre  Fabeleien  anknüpften.  Eine  Reihe 
der  Dinge,  die  Odysseus  bei  Homer  erzählt,  sind  so  zu  erklären.  Wie 
uns  Suidas,  ein  byzantinischer  Lexikograph  des  10.  Jahrhunderts,  be- 
richtet, fischten  Phöniker  den  von  der  Charybdis  hertreibenden  Odysseus 
auf  und  brachten  ihn  nach  Kreta  zu  Idomeneus,  der  ihn  nach  einem 
Winter  nach  Korkyra  führte.  Bei  dieser  Gelegenheit,  meint  Bochart,  erfuhr 
Odysseus  allerlei,  was  er  weiter  verbreitete,  und  was  denn  auch  Homer 
zu  Ohren  kam. 

Am  Schluß  seiner  Vorrede  spricht  Bochart  die  Hoffnung  aus,  daß 
vor  dem  neuen  Lichte  die  Fabeln  der  Griechen  verschwinden  werden, 
wie  vor  der  Sonne  die  Spukgestalten,  welche  sich  Kinder  im  Dunkeln 
erfinden.  Auch  hofft  er  viele  zum  Studium  des  Hebräischen  anzuregen, 
wenn  sie  erkennen,  daß  in  ihm  die  Quelle  der  ältesten  Dinge  zu  finden 
sei.  Diese  Bemerkung  führt  uns  auf  eine  Literatur,  die  in  allen  Ländern 
auftaucht  und  deshalb  zusammen  besprochen  werden  muß.  Es  handelt 
sich  um  das  Verhältnis  der  alten  Mythologie  und  besonders 
Homers  zur  Bibel. 

Zuerst  untersuchte  Gerhard  Vossius  1641  den  Ursprung  der 
heidnischen  Religionen.  Der  Ausgangspunkt  war  gegeben,  da  der 
Forscher  die  Urgeschichte  des  Menschengeschlechts  in  der  Genesis  er- 
blickte. Da  hier,  im  Anfang  der  Dinge,  die  wahre  Religion  geherrscht 
hatte,  mußten  alle  andern  notwendig  verderbt  sein.  Von  den  Römern 
ausgehend,  wandert  Vossius  über  Sizilien  und  Griechenland  nach  Osten 
und  findet  da  den  Ursprung  fast  aller  Götterfabeln.  Er  entdeckt,  daß 
in  den  griechischen  Mythen  klare  Überreste  der  ursprünglichen  Ge- 
schichte erkennbar  sind,  derjenigen  von  Adam,  Noah,  Joseph  usf.  Der 
älteste  Neptun  ist  Japhet,  der  älteste  Bacchus  Noah,  der  die  Rebe  pflegt, 
der  älteste  Vulcan  Thubalkain.  Neben  diesen  Urbildern  entstanden  die 
Götter  der  Heiden  aus  der  Verehrung  verstorbener  Menschen,  Teilen  der 
sinnlichen  Welt  oder  Affekten.  Gestützt  werden  die  Argumente  durch 
die  unglaublichsten  Etymologien  und  Heranziehung  der  krassesten 
Fabeln.    Die  Aufgabe  des  imposant  gelehrten  Werkes  erblickt  Vossius 


142  Frankreich  und  die  Niederlande 

in  der  Herstellung  einer  richtigen  Auffassung  der  alten  Religionen 
und  Aufdeckung  der  Ursachen  ihrer  Abirrungen. 

Von  Vossius  stark  beeinflußt  war  Edward  Stillingfleet,  der 
1662  über  die  Grundlagen  des  christlichen  Glaubens  schrieb  und  sich 
auch  über  den  Ursprung  der  heidnischen  Mythologie  verbreitete.  Auch 
er  erkennt  in  der  heidnischen  Überlieferung  Spuren  der  alten  Wahr- 
heit, die  durch  stufenweisen  Verfall  des  Wissens  und  zunehmende  Bar- 
barei verdunkelt  worden  sei.  Im  einzelnen  lehnt  er  sich  stark  an 
Vossius  an,  zitiert  aber  oft  auch  Bochart  und  seine  Ableitung  der 
Griechenfabeln  von  den  Phönikern. 

Ebenfalls  auf  Vossius  geht  Louis  Thomas  sin' s  dreibändiges 
Werk  zurück  Methode  d'etudier  et  d^enseigner  solidement  ei  chretiennement 
les  lettres  humaines.  Seine  Absicht  geht  dahin  zu  zeigen,  daß  die  alten 
heidnischen  Dichter  von  christlichen  Lehrern  mit  großem  Erfolg  der 
Jugend  vorgelegt  werden  können,  wenn  sie  ihr  klar  machen,  wie  sich 
schon  bei  jenen  die  Wahrheiten  der  christlichen  Religion  vorfinden. 
Das  Werk  zeugt  von  einer  ganz  außerordentlichen  Gelehrsamkeit;  die 
griechischen  und  römischen  Dichter,  wie  auch  die  Kirchenväter  stehen 
Thomassin  im  vollen  Umfang  zu  Gebote.  Und,  was  bei  einem  Franzosen 
seiner  Zeit  nicht  häufig  ist:  er  kennt  die  Griechen  im  Original,  obwohl 
er  ihren  Text  gewöhnlich  lateinisch  zitiert,  offenbar  um  der  Leser  willen. 

Er  beginnt  mit  den  Stellen  der  Kirchenväter,  welche  die  Lektüre 
der  Dichter  für  nützlich  erklären,  und  zeigt,  wie  die  Alten  besonders 
im  Epos  Lehren  der  Religion,  Weisheit,  Tugend  und  Frömmigkeit 
fanden.  Für  Homer  ruft  er  dabei  Horaz  an.  Der  Charakter  des  Achilleus, 
sagt  er,  ist  gut  im  Sinne  der  aristotelischen  Poetik,  weil  er  dem 
Träger  dieses  Charakters  angemessen  ist.  Er  flößt  uns  Bewunderung 
für  seine  brutale  Tapferkeit  und  zugleich  Schauder  ein  und  verbindet 
mit  den  Heldentaten  die  Folgen  der  verderblichen  Leidenschaft. 

Sodann  geht  Thomassin  auf  die  Vergleichung  der  Dichter,  zunächst 
Homers,  mit  den  heiligen  Schriften  über.  Eine  sorgfältige  Darstellung 
der  Wahrheiten  der  Religion  und  eine  genaue  Inhaltsangabe  der 
homerischen  Epen  scheint  zuerst  die  größten  Gegensätze  zu  ergeben. 
Wir  finden  diese  Epen  tief  unter  der  heiligen  Schrift  stehend;  aber  ver- 
glichen mit  den  anderen  Nationen  des  blinden  Heidentums  erweist  sich 
die  Ilias  als  eine  Quelle  von  Einsichten  und  Wahrheiten,  die  zur  Hebung 
der  Menschen  geeignet  sind,  und  so  steht  sie  hoch  über  dem  übrigen 
Heidentum.  Die  Idee  des  einen  Gottes  ist  noch  nicht  da,  aber  in  der 
Machtfülle  des  Zeus  bereits  angedeutet;  menschlichen  Affekten  ist  er  unter- 
worfen, weil  sich  ihn  die  Menschen  nicht  anders  vorstellen  konnten.  Diese 


Stillingüeet     Thomassin  143 

noch  falsche  Religion  bereitete  auf  die  wahre  vor.  Der  Götterstaat  ist 
ein  Abbild  des  homerischen  Staats,  der  eine  mit  einem  Schatten  von 
Monarchie  gemischte  Aristokratie  war.  Aber  man  sah  die  Notwendigkeit 
eines  Gottes  wie  eines  Königs  ein.  Die  Ilias  glaubt  an  Einwirkungen 
untergeordneter  Götter,  wie  die  Schrift  an  solche  von  Engeln  und 
Dämonen,  die  oft  als  Zeugen  der  ewigen  Vorsehung  auftreten.  In  der 
Odyssee  brauchen  wir  nur  Gott  und  die  Engel  einzusetzen,  und  wir 
haben  die  richtigen  religiösen  Vorstellungen,  die  der  Aberglaube  nach- 
geäfft hat.  Allerdings  sind  die  Tugenden,  ja  selbst  die  Religion  der 
homerischen  Menschen,  Mittel  zu  äußerem  Wohlergehen;  aber  zu  Homers 
Zeit  war  das  auch  bei  den  Israeliten  so;  diese  sind  durch  die  nämlichen 
Stufen  geführt  worden  wie  die  Heiden. 

Die  antiken  Schriftsteller  bezeugen,  daß  die  geistige  Kultur  von 
Griechenland  nach  Italien  gekommen  ist.  Nach  Griechenland  kamen 
laut  den  Angaben  der  Alten  eine  Menge  Sagen  und  Göttergestalten  aus 
dem  Orient.  Die  hellenische  Religion  leitet  Herodot  aus  Ägypten  her, 
unter  welchem  Namen  er  wahrscheinlich  Phönikien  und  Palästina  mit 
begreift.  Aus  den  heiligen  Büchern  Israels  kamen  also  die  wahren 
Religionsvorstellungen  zu  den  Griechen,  um  dann  durch  die  Götzendiener 
entstellt  zu  werden.  Der  Ursprung  der  Religion  ist  im  Osten,  Armenien 
und  Mesopotamien,  zu  suchen,  von  wo  die  Patriarchen  sie  nach  dem 
Westen  mitnahmen,   um  sie  in  Phönikien  und  Ägypten  zu  verbreiten. 

Der  Wege,  auf  denen  die  Erkenntnisse  zu  den  Griechen  kamen, 
kann  es  verschiedene  gegeben  haben.  Thomassin  ist  einsichtig  genug 
zuzugeben,  daß  z.  B.  die  Vorstellung  von  der  Vielheit  göttlicher  Wesen 
direkt  aus  innerer  Überzeugung  stammen  kann,  welche  die  Schönheit 
der  Welt  als  geistiger  Einheit  erfaßt  hat  und  weiß,  daß  diese  Welt 
kein  Haufe  toter  Gegenstände,  sondern  eine  Vielheit  belebter  Wesen 
ist.  Für  andere  Anschauungen  nimmt  er  wie  Vossius  an,  es  hätte 
sich  von  Urzeiten  her  von  vielem  Kunde  erhalten,  die  dann  auch  zu 
den  Ohren  Homers  gedrungen  wäre.  Wieder  anderes  kam  durch  die 
Handelsfahrten  und  Kolonien  der  Phönikier,  die  nirgends  vollständige 
Erfinder  gewesen  sind,  sondern  nur  überkommenes  Gut  weitergegeben 
haben.  Nicht  am  wenigsten  Einfluß  hatten  die  Reisen  der  Griechen 
nach  Ägypten  und  dem  Orient.  Homer  ist  selbst  in  Ägypten  und 
Phönikien  gewesen  und  hat  manches  aus  den  heiligen  Schriften  schöpfen 
können.  Aber  die  Opfergebräuche  z.  B.  sind  lange  vor  ihm  nach 
Griechenland  gekommen.  Die  Übereinstimmung  Homers  mit  dem  Alten 
Testament  wird  durch  eine  Menge  Parallelen  erwiesen.  Auch  findet 
Thomassin  in  den  griechischen  Gottheiten  eine  große  Zahl  alttestament- 


144  Frankreich  und  die  Niederlande 

licher  Personen  wieder.  Ihm  sind  die  heidnischen  Religionen  eine  Ent- 
stellung der  reinen  Gotteserkenntnis  des  Anfangs.  Die  Dichter  nun 
haben  die  wahre  Erkenntnis  besessen,  waren  aber  nicht  mutig  genug 
sie  zu  verfechten  und  begnügten  sich  damit,  bald  die  reine  Wahrheit 
auszusprechen,  bald  gegen  die  Fabelgötter  des  Volksglaubens  beleidigende 
Dinge  zu  sagen.  In  den  abstoßenden  Göttergeschichten  hat  Homer  seiner 
Verachtung  gegen  die  Fabelgötter  Ausdruck  gegeben.  Dadurch  wollten 
die  Dichter  die  Menschen  den  Unterschied  zwischen  den  wahren  und 
den  falschen  Göttern  lehren.  Die  Einzelheiten  kann  ich  hier  nicht 
wiedergeben,  so  interessant  sie  wären,  und  so  viel  gesundes  Urteil  sie 
-enthalten.  Es  mag  nur  darauf  hingewiesen  werden,  daß  Thomassin  die 
Opferung  der  Jünglinge,  Pferde  und  Hunde  am  Holzstoß  des  Patroklos 
mit  den  Gebräuchen  der  nordamerikanischen  Indianer  illustriert. 

Thomassin  hat  selbständig  auf  Vossius  und  Bochart  weiter  gebaut. 
Sein  Werk  ist  bei  Bayle  und  Gacon  erwähnt.  M'"®  Dacier  scheint  es 
nicht  gekannt  zu  haben,  sonst  hätte  sie  hier  für  manche  ihrer  Er- 
klärungen Unterstützung  gefunden. 

Das  Thema  vom  Eiufluß  des  Orients  auf  Homer  wurde  später  von 
dem  Niederländer  Gerhard  Croese  in  seinem  Homeros  Hebraios  be- 
handelt 1704.  Er  ist  nicht  zufrieden,  daß  Bochart  alles  aus  dem  Phöni- 
kischen  ableitet,  noch  auch  damit,  daß  Bogan  und  Duport  eine  direkte 
Beziehung  Homers  zu  den  heiligen  Schriften  ablehnen.  Vor  Croese  hat, 
sagt  er,  niemand  den  Homer  verstanden,  und  das  ist  auch  nicht  möglich, 
solange  man  nicht  einsieht,  daß  sein  Stoff  und  sehr  viele  seiner  Namen 
hebräischen  Ursprunges  sind.  Wer  Augen  hat  zu  sehen,  kann  nicht 
bezweifeln,  daß  der  Inhalt  der  homerischen  Gedichte  die  heilige  Ge- 
schichte ist.  Die  Odyssee,  die  vor  der  Ilias  geschrieben  ist,  erzählt  die 
Geschichten  vom  Auszug  Lots  aus  Sodom  bis  zu  Moses  Tod;  die  Ge- 
stalten der  Patriarchen  sind  in  Odysseus  vereinigt.  Die  Ilias  enthält 
den  Kampf  um  Jericho  und  die  Geschichte  der  Israeliten  bis  in  die 
Zeiten  nach  Salomon.  Homer  war  ein  lonier;  aber  sein  Name  ist 
hebräisch  und  ein  Zuname,  Homer  der  Redner.  Gelebt  hat  er  nach 
Jerobeam,  der  in  der  Ilias  vorkommt. 

In  den  Besitz  der  heiligen  Geschichten  gelangten  die  Griechen  auf 
folgende  Weise.  Die  den  Hebräern  benachbarten  Heiden  hatten  keine 
Schwierigkeiten,  jene  kennen  zu  lernen.  Besonders  gilt  das  von  den 
Edomitern,  die  gewiß  von  Joab  nicht  gänzlich  ausgerottet  wurden, 
sondern  in  den  Zeiten  der  Abgötterei  Jorams  und  Ahabs  mit  den 
Hebräern  in  enge  Fühlung  traten  und  außerdem  die  Küsten  des  Meeres 
besiedelten,  besonders  Thrakien,  wo  die  Namen  der  Edonen  und  Odo- 


4 


Croese     Grotius     ßogan  145 

inanten  an  sie  erinnern.  Das  ist  das  ihnen  verheißene  Land  Scheir, 
das  homerische  Scheria.  Von  da  breitete  sich  ihr  Einfluß  über  ganz 
Griechenland  aus.  Sie  alle,  nicht  nur  die  Tyrier,  befuhren  von  Gaza 
und  Askalon  aus  das  Mittelmeer.  In  Thrakien,  Edom  und  Judäa 
wanderte  Homer  und  lernte  dort  die  hebräische  Geschichte  kennen, 
die  er,  ohne  die  Reihenfolge  zu  bewahren,  und  mit  Einmischung  profaner 
Erfindungen  beschrieb.  Bei  ihm  ist  nichts  allegorisch,  sondern  alles 
historisch.  Die  Nausikaaszene  z.B. ist  nichts  anderes  als  die  Begegnung 
Jakobs  mit  Rahel.  Er  hat  die  echten  Wahrheiten  zu  sehr  verdunkelt 
und  mit  Profanem  vermischt  und  wird  dadurch  ebenso  zum  Vater  der  Lüge 
wie  der  Wahrheit.  Man  soll  ihn  nicht  mit  Caligula  verbannen,  aber 
auch  nicht  mit  Piaton  göttlich  nennen,  noch  ihm  Bildsäulen  errichten. 
Er  diene  uns  zur  Unterstützung,  die  Göttlichkeit  und  Autorität  der 
heiligen  Geschichte  gegen  böswillige  und  streitsüchtige  Menschen  mit 
weniger  Streit  und  Gezänk  aufrecht  erhalten  zu  können.  Mit  solch 
trübseligem  Resultat  schließt  eine  Untersuchung,  die  mit  ungeheurem 
Fleiß  und  nicht  geringem  Wissen  geführt  ist,  um  etwas  Absurdes  zu  be- 
weisen. Diderot,  der  das  Buch  erwähnt  und  den  Inhalt  kurz  angibt,  kri- 
tisiert es  mit  dem  einzigen  Worte:  Quelles  visions! 

Viel  behutsamer  in  ihren  Folgerungen  waren  andere  Gelehrte  des 
17.  Jahrhunderts,  denen  Ähnlichkeiten  zwischen  Homer  und  der  Bibel 
aufgefallen  waren. 

Hugo  Grotius  begnügt  sich  in  seinen  Annotata  ad  Vetus  Testa- 
mentiim  1644  mit  einer  großen  Anzahl  treffender  Parallelstellen  aus  an- 
tiken Schriftstellern,  fügt  aber  selten  ein  erklärendes  Wort  bei.  Die 
Beispiele  aus  Homer  sind  nicht  zahlreicher  als  die  aus  andern  Autoren. 

Wohl  von  Grotius  angeregt,  verfaßte  der  Engländer  Zacharias 
Bogan  1654  den  Homerus  Jiebrdizonj  eine  große  Sammlung  von  Paral- 
lelen des  Alten  Testaments  mit  Homer.  Das  Werk  soll  die  Knaben 
für  die  Lektüre  Homers  begeistern,  der  nur  den  Unwissenden  zum 
Feind  haben  kann.  Es  soll  die  Erklärer  Homers  von  törichten  alle- 
gorischen Deutungen  abhalten,  durch  Nachweis  der  Übereinstimmung 
der  hebräischen  und  griechischen  Verse  die  Wahrheit  des  darin  Gesagten 
erkennen  lehren.  Aber  es  kommt  Bogan  kein  Gedanke  daran,  daß  Homer 
das  Alte  Testament  gekannt  hätte.  In  dem  Dichter  erkemit  er  vielmehr 
die  wunderbare  Macht  eines  verborgenen  Schicksals,  wie  er  überhaupt 
in  jedem  außerordentlichen  Genie  den  göttlichen  Geist  erblickt.  Die 
große  Sammlung  ist  interessant  und  zeugt  von  reicher  Kenntnis.  Homers 
Aussprüche  gegen  die  Götter  sind,  zum  großen  Vorteil  des  Buches, 
gesondert  zusammengestellt. 

Finsler:  Homer  in  der  Neuzeik  10 


146  Frankreich  und  die  Niederlande 

Bogan's  Freund,  Meric  Casaubonus,  der  in  England  lebte,  ver- 
faßte eine  Studie  über  eine  Stelle  der  Odyssee,  in  der  er  an  der  Hand  der 
Interpretation  des  Homertextes  die  Frage  nach  der  Macht  Gottes  über 
Herzen  und  Schicksale  der  Menschen  erörtert.  Das  Schriftchen  gehört 
in  diesen  Zusammenhang,  weil  es  Meric  auf  die  Übereinstimmung 
Homers  mit  der  christlichen  Lehre  ankommt.  Bemerkt  mag  werden, 
daß  er  die  Allegorien  ebenso  verurteilt  wie  Bogan. 

Als  eine  Ergänzung  zu  Bogan  kann  man  die  1660  erschienene 
Homeri  Gnomologia  von  James  Duport,  Professor  in  Cambridge,  an- 
sehen, nur  daß  das  Werk  keinerlei  Tendenz  hatte.  Duport  wollte  seiner 
Freude  an  Homer  durch  irgendeine  Arbeit  genug  tun  und  verfiel  auf 
die  Sammlung  der  Sentenzen.  Diese,  mit  der  lateinischen  Version,  kam 
ihm  aber  zu  kalt  vor,  und  so  bereicherte  und  illustrierte  er  sie  durch 
Parallelstellen  aus  dem  Alten  Testament  und  antiken,  auch  einigen 
modernen  Schriftstellern.  Ausgewählt  sind  nicht  nur  die  direkten 
Sentenzen,  die  der  Dichter  als  solche  gemeint  hatte,  sondern  auch  solche, 
die  als  Sinnsprüche  gedeutet  werden  können.  Duport  findet  die  Über- 
einstimmung zwischen  Homer  und  den  heiligen  Schriftstellern  über- 
raschend groß,  verwahrt  sich  aber  gegen  die  Meinung,  als  ob  er  ihn 
diesen  gleichstellen  wolle.  Zu  der  Frage,  wie  Homer  zu  den  in  seinen 
Werken  niedergelegten  Wahrheiten  gekommen  sein  könne,  spricht  er 
sich  sehr  behutsam  aus.  Man  könne  zugeben,  daß  Homer  in  Ägypten 
von  hebräischer  Theologie  gehört  oder  die  Schriften  auch  selber  gesehen 
habe;  aber  zu  seiner  Zeit  existierten  doch  nur  der  Pentateuch  und 
höchstens  das  Buch  Hiob.  Möglich  wäre  doch,  daß  er  durch  einen 
Antrieb  der  Natur  zur  Wahrheit  gekommen  wäre,  die  überall  dieselbe 
sei,  möge  sie  auch  von  einem  Heiden  ausgesprochen  werden. 

Sehr  selbständig  ist  Ralph  Cudworth  in  The  irue  intellectual 
System  of  the  Universe  1678.  Das  Werk  ist  gegen  die  Deisten  ge- 
richtet und  bekämpft  im  Beginn  ihren  Satz,  daß  der  Polytheismus 
der  alten  Völker  die  beste  Waffe  gegen  die  Lehre  von  der  durch  die 
Natur  eingegebenen  Vorstellung  des  einen  und  höchsten  Gottes  sei. 
Cudworth  führt  den  Nachweis,  daß  die  erleuchtetsten  Geister  des  Alter- 
tums monotheistisch  dachten,  und  daß  selbst  die  Dichter  niemals  die 
untergeordneten  Götter  dem  Zeus  gleichstellten,  der  immer  als  der  all- 
mächtige Schöpfer  der  Welt  angesehen  wurde.  Allerdings  sind  für  die 
Verderbnis  der  wahren  Auffassung  die  Dichter  in  erster  Linie  verantwort- 
lich zu  machen.  Sie  haben  den  Göttern  menschliche  Laster  und  Fehler 
angedichtet,  worüber  sich  die  weisen  unter  ihnen,  wie  Euripides,  selbst 
entrüsteten.     Sie    haben    Naturdinge    zu    Göttern    gemacht    und    damit 


Meric     Duport     Cudworth     Picinelli     Ugone  147 

den  philosophischen  Pantheismus  verfälscht,  indem  sie  das  durch  die 
ganze  Natur  ergossene  Walten  Gottes  in  einzelne  Personen  auflösten. 
Sodann  haben  sie  eine  Aristokratie  der  Götter  erfunden  und  dadurch 
den  Unterschied  des  höchsten  Gottes  von  den  übrigen,  die  seine  Ge- 
schöpfe sind,  verwischt.  Die  besonderen  Bezeichnungen  Gottes  machten 
sie  zu  besonderen  Göttern,  die  dann  nicht  nur  unter  sich  selbst,  sondern 
sogar  gegen  Zeus  gestritten  haben  sollen.  Dennoch  ist  es  den  Dichtem 
nie  eingefallen,  eine  wirkliche  Gleichstellung  der  anderen  Götter  mit  Zeus 
anzunehmen.  Cudworth  führt  das  zuerst  an  Orpheus  und  Homer,  dann 
an  verschiedenen  Dichtem  und  Philosophen  aus. 

Eine  reichhaltige  Vergleichung  der  heiligen  Schriften  mit  heid- 
nischen Schriftstellern  veranstaltete  Filippo  Picinelli  in  den  Lumi 
reflessi  1667.  Seine  Absicht  scheint  zu  sein,  die  Verwendung  des 
Reichtums  der  Heiden  in  der  christlichen  Predigt  zu  rechtfertigen, 
wofür  er  große  Kirchenväter  als  Beispiele  aufstellt.  Alte  Dichter  und 
Philosophen  haben  aus  den  heiligen  Schriften  geschöpft  und  ihre  Fabeln 
danach  gebildet;  umgekehrt  waren  Patriarchen  und  Propheten  in  heid- 
nischer Weisheit  unterrichtet,  die  sie  dann  veredelten;  sie  schmückten 
ihre  Schriften  mit  Lichtern  der  heidnischen  Weisheit  aus.  So  erklären 
heilige  und  profane  Schriftsteller  sich  gegenseitig,  wie  Spiegel,  die  ein- 
ander gegenübergestellt  werden,  die  Lichtstrahlen  einander  zusenden.  Wir 
dürfen  uns  beider  bedienen.  Für  uns  bilden  die  heiligen  Schriften  das 
solide  Fundament,  die  profane  Literatur  den  anmutigen  Schmuck. 
Dagegen  zu  eifern  zeugt  von  Ignoranz. 

Das  umfängliche  Werk  ist  nach  den  Büchern  der  Bibel  geordnet, 
von  der  Genesis  bis  zur  Apokalypse,  und  führt  eine  große  Menge  von 
Schriftstellern  auf.  Voran  stehen  die  Römer,  aber  es  sind  auch  viele  Grie- 
chen berücksichtigt,  daneben  einzelne  Neuere  wie  Tasso.  Die  Griechen 
sind  lateinisch  zitiert,  Homer  in  Prosa,  gelegentlich  in  Hexametern.  Die 
Parallelen  erstrecken  sich  auf  alle  erdenklichen  Gegenstände. 

Daß  es  auch  komplete  Narren  gab,  beweist  Jacopo  Ugone  in 
der  tollen  Vera  historia  Romana  1655.  Ihm  sind  Ilias,  Odyssee  und 
Aeneis  Apokalypsen  über  zukünftige  Dinge.  Der  troische  Krieg  bedeutet 
die  Zerstörung  Jerusalems,  die  Geschichte  des  Aeneas  die  Gründung 
der  Kirche  durch  Petrus.  Sehr  vieles  in  der  Ilias  deutet  auf  das  Leben 
Jesu.  Manche  von  den  Prophezeiungen  sind  noch  gar  nicht  eingetroffen; 
so  hat  die  Ermordung  der  Freier  den  Sinn,  daß  dereinst  der  wieder- 
kehrende Odysseus,  Petrus,  mit  seinem  Sohne,  dem  Papst,  Penelope, 
die  von  den  Reformatoren  bedrängte  Kirche,  erretten  wird.  Die  Namen 
der  Freier  reden  ganz  deutlich.    Antinous,  ursprünglich  Artinous,  hat 

10* 


148  Frankreich  und  die  Niederlande 

vorn  ein  M  verloren;  es  ist  Martinas  Luther;  der  letztere  Name  ist  in 
dem  des  Freiers  Leiodes  erhalten;  Melanthios  ist  natürlich  Melanchthon  usf. 
Neben  solchen  Entdeckungen  ist  es  harmlos,  wenn,  wie  Duport  berichtet, 
Ludwig  Cappellus  Agamemnon  als  Jephtha  erklärte  und  den  Namen 
Iphigeneia  aus  Jephthigeneia  ableitete. 

Das  Verhältnis  von  Bochart  zu  Cluverius,  von  Thomassin  zu 
Vossius  sind  Zeugnisse  für  die  gelehrten  Beziehungen  Frankreichs  zu 
den  Niederlanden.  Aber  selbst  in  den  Niederlanden  nimmt  das  Inter- 
esse an  den  griechischen  Studien  während  des  Jahrhunderts  ab.  Wir 
haben  da  noch  die  riesigen  Stoffsammlungen,  vor  allem  des  Jacob 
Gronovius  Thesaurus  Antiquitatum  Graecarum  1702.  Aber  mehr  und 
mehr  werden  die  griechischen  Studien  durch  die  lateinischen  verdrängt,  um 
erst  im  18.  Jahrhundert  mit  Hemsterhuys  wieder  zur  Blüte  zu  gelangen. 

Die  wenigen  gelehrten  Spezialarbeiten  des  Jahrhunderts  über  Homer 
mögen  hier  Platz  finden. 

Leo  Allatius,  ein  italianisierter  Grieche  aus  Chios,  Scrittore  der 
vatikanischen  Bibliothek,  verfaßte  1640  eine  Schrift  Über  das  Vater- 
land Homers  in  lateinischer  Sprache.  Er  will  beweisen,  daß  des  Dichters 
Heimat  Chios  gewesen  sei.  Seine  Resultate  hat  M""®  Dacier  durch  den 
Hinweis  darauf  durchgestrichen,  daß  der  Hymnus  auf  Apollon,  in  dem 
schon  das  Altertum  ein  Selbstzeugnis  Homers  finden  wollte,  gar  nicht 
von  Homer  stamme,  und  daß  die  Homeriden  von  Chios  nicht  als  Nach- 
kommen Homers  aufzufassen  seien.  Auch  leidet  des  Allatius  Beweisfüh- 
rung an  einem  bedenklichen  Mangel  an  Logik.  Was  nämlich  Smyrna  für 
seinen  Anspruch,  Homers  Vaterstadt  zu  sein,  beibringen  kann,  Tempel, 
Statue,  Münze,  Orte  der  Erinnerung,  das  wird  alles  als  nachträgliche  Er- 
findung behandelt.  Wenn  sich  dagegen  Chios  auf  derartige  Zeugnisse 
beruft,  sind  es  untrügliche  Dokumente.  Gleichwohl  ist  die  Arbeit  wertvoll, 
weil  sie  das  antike  Material  über  Homer  nahezu  vollständig  und  in  guter 
Ordnung  bringt,  auch  durch  die  Wärme  des  Tones  angenehm  anmutet. 

Der  gelehrte  Mann  hat  Homers  Geburt  auch  in  einem  in  grie- 
chischen Distichen  geschriebenen  Gedichte  besungen,  das  ohne  Zweifel 
Polizians  Ambra  überbieten  sollte  und  sich  zu  dieser  verhält  wie  der 
Barock  zur  Frührenaissance.  Das  ungefähr  1000  Verse  umfassende  Poem 
will  ein  kleines  Epos  sein,  mit  umständlicher  Einleitung  und  allerhand 
Episoden.  Zeus  hat  aus  seinem  Haupte  die  Athene  und  aus  seinem 
Schenkel  den  Dionysos  geboren;  um  ihre  Würde  zu  wahren,  will  auch 
Here  ohne  Beihilfe  ihres  Gatten  ein  Kind  zur  Welt  bringen.  Zeus 
lacht  und  erlaubt  es;  es  gelingt.    Aber  das  Kind  ist  der  mißgestaltete 


Leo  Allatins     Cuperus  149 

Hephaistos,  über  den  sich  alle  Göttinnen  stillschweigend  entsetzen.  Nur 
Athene  lacht  laut,  worüber  Here  in  solche  Wut  gerät,  daß  sie  den 
Sohn  aus  dem  Himmel  wirft  und  sich  nach  Kypros  zu  Aphrodite  be- 
gibt, um  sie  zu  bitten,  sie  möge  dem  Eros  befehlen  mit  seinem  Pfeil 
Athene  zu  verwunden.  Da  sich  aber  Eros  nichts  befehlen  läßt  und 
auch  den  Zeus  fürchtet,  muß  sich  Here  aufs  Bitten  legen.  Sie  be- 
schreibt ihm  einen  Käfig,  in  welchem  sie  einen  grünen,  sprechenden 
Papagei  hat.  Die  Schilderung  des  Käfigs  und  des  Papageis  ist  un- 
streitig die  gelungenste  Partie  des  Gedichtes.  Durch  das  Geschenk 
dieses  Papageis  läßt  sich  Eros  bestimmen,  er  trifft  Athene,  und  diese 
fällt  in  Sehnsuchtsschmerzen,  will  aber,  gleich  Zeus,  einen  Sohn  aus 
ihrem  Haupte  gebären.  Der  Ruhm  des  ehernen  Geschlechts  ist  auf  den 
Gipfel  gestiegen  und  bedarf  eines  neuen  großen  Dichters;  den  will  sie 
ihm  schenken.  Sie  begibt  sich  nach  Chios,  wo  ihr  zum  Dank  für  die 
Rettung  vor  einem  schauderhaften  Drachen  ein  Tempel  errichtet  worden 
ist.  Dort  wird  Homer  geboren,  von  allen  Göttern  mit  Gaben  über- 
häuft und  vom  Dichter  in  begeisterten  Worten  gepriesen.  Den  Schluß 
bildet  eine  heftige  Schmährede  gegen  den  Homerverächter  Scaliger.  Das 
Gedicht  kommt  uns  teilweise  mühsam  vor;  noch  mehr  die  lateinische  Über- 
setzung des  Andrea  Bajano.  Aber  es  fehlt  ihm  nicht  an  wirklichen  Schön- 
heiten; besonders  atmet  der  wiederholte  Preis  Homers  echte  Begeisterung. 

Gisbert  Cuperus,  Professor  und  Bürgermeister  zu  Deventer,  er- 
örtert in  einer  gelehrten  archäologischen  Abhandlung  das  antike,  zu 
Bovillae  gefundene,  jetzt  im  Britischen  Museum  befindliche  Relief,  das 
man  als  Apotheose  Homers  zu  bezeichnen  pflegt.  Abgesehen  von  der  sehr 
eingehenden  Interpretation  des  Bildwerks,  dessen  Einzelheiten  mit  einer 
Masse  von  Belegsteilen  erklärt  werden,  ist  das  Buch  Cuypers  selbst 
eine  Apotheose  Homers.  Denn  schwerlich  sind  in  einem  anderen  Werke 
so  viele  antike  Zeugnisse  für  die  allgemeine  Verehrung  Homers  gesammelt. 

Hier  mögen  noch  die  Schriften  von  Pierre  La  Saine  und  Pierre 
Petit  über  das  homerische  Nepenthe  Platz  finden,  jenes  Zaubermittel, 
das  Helene  in  der  Odyssee  dem  Weine  beimischt,  um  die  Trauer  zu 
verscheuchen.  Ich  habe  nur  die  zweite  gesehen,  finde  aber  das  Urteil, 
das  Dugas-Monbel  darüber  abgibt,  ganz  berechtigt:  es  sei  eine  unver- 
daute Ansammlung  von  Gelehrsamkeit  ohne  Resultat.  In  dieses  Urteil 
schließt  er  auch  Cuperus  ein,  nicht  mit  Unrecht.  Mit  diesen  Schriften 
werden  wir  wieder  auf  den  Boden  Frankreichs  geführt. 

In  Frankreich  hatte  mit  dem  Ende  des  16.  Jahrhunderts  die 
lateinische  Bildung    den   unbedingten   Sieg   erfochten.     Lateinisch   ver- 


150  Frankreich  und  die  Niederlande 

stehen  im  17.  Jahrhundert  sehr  viele  Leute,  Griechisch  sehr  wenige. 
Wohl  hatte  die  Universitäts Ordnung  von  1600  energisch  auf  dessen 
Wichtigkeit  hingewiesen  und  besonders  auch  das  Studium  Homers 
empfohlen;  aber  es  fehlte  an  den  großen  Gelehrten,  die  weiteren  Kreisen 
die  Kenntnis  des  Hellenentums  vermittelt  hätten.  In  den  Schulen,  der 
j an senis tischen  von  Port  Royal  wie  in  denen  der  Jesuiten,  war  dem 
Griechischen  ein  sehr  beschränkter  Raum  gewährt.  Vor  mir  liegt  ein 
griechisches  Lesebuch  für  die  Gymnasien  der  Jesuiten  von  1609.  Es 
enthält  neben  christlichen  Dichtern  53  Stücke  religiösen  Inhalts,  auf 
Christus,  die  Auferstehung,  die  Berufung  der  Apostel  usf.,  samt  und 
sonders  aus  homerischen  Versen  zusammengefügt,  sogenannte  Centonen 
oder  Homerokentra.  Einzelne  scheinen  aus  Byzanz  zu  stammen,  andere 
neu  zusammengestückt  worden  zu  sein.  Es  ist  freilich  erstaunlich,  daß 
man  durch  geeignete  Zusammenstellungen  homerischer  Verse  die  Einzel- 
heiten der  christlichen  Dogmatik,  sogar  die  Göttlichkeit  der  Jungfrau 
Maria,  beweisen  kann.  Aber  was  dabei  die  Schüler  von  Homer  ver- 
stehen lernten,  kann  man  sich  denken.  Übrigens  war  durch  eine  neben- 
stehende wörtliche  lateinische  Übersetzung  dafür  gesorgt,  daß  der  Text 
kein  Kopfzerbrechen  erforderte.  Immerhin  wurde  in  manchen  Schulen 
auf  das  Griechische  noch  Gewicht  gelegt.  Man  suchte  dessen  Erlernung 
durch  Lehrbücher  zu  erleichtern.  Die  Übersicht  über  das  mir  bekannt 
Gewordene  muß  wie  bei  der  über  die  Ausgaben  von  den  Landesgrenzen 
absehen,  da  die  Bücher  in  allen  Ländern  gebraucht  wurden. 

Eine  griechische  Formenlehre  hatte  Melanchthon  1518  verfaßt. 
Sein  Schüler  Posselius  gab  1565  eine  gut  geordnete  griechische  Syn- 
tax, mit  sorgfältiger  Auswahl  der  Beispiele,  leider  ohne  Inhaltsübersicht. 
Weiter  Verbreitung  erfreute  sich  des  französischen  Jesuiten  Fran9ois 
Vigier,  Vigerus,  fleißige,  aber  mit  Stoff  ganz  überladene  Schrift  De 
praecipuis  Graecae  dictionis  idiotismis  liher.  Wir  können  auf  den  Geist 
des  Unterrichts  schließen,  wenn  der  Verfasser  in  der  Vorrede  verlangt, 
die  studierende  Jugend  müsse  dieses  Buch  mehrmals  durchnehmen,  be- 
vor sie  zur  Lektüre  der  Schriftsteller  übergehe.  Von  Wörterbüchern 
ist  Scapula's  großes  Lexicon  Graeco-L^tinum  zu  nennen,  das  1579 
in  Basel  in  zweiter  Auflage  erschien.  Die  Komposita  sind  den  Grund- 
wörtern untergeordnet,  das  Buch  ist  unhandlich  und  schwerfällig.  Recht 
sorgfältig  ist  Louis  Coulon's  Lexicon  Homericutn  1643,  ein  alpha- 
betisch geordnetes  Wörterbuch  mit  Erklärung  der  Formen,  kurzer  Ein- 
führung der  Personen  und  Heranziehung  verwandter  Stellen.  Das  Beste 
taten  im  Unterricht  das  Wort  des  Lehrers  und  die  lateinischen  Inter- 
linearversionen. Mit  Vorliebe  bediente  man  sich  der  Schülerpräparationen, 


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Studium  des  Griechischen     Lehrbücher     Le  Clerc  151 

die  man  Claves  Homericae  nannte.  Die  erste  mir  bekannte  ist  1615 
üi  Rotterdam  erschienen,  die  Überarbeitung  einer  englischen  Arbeit. 
Die  Wörter  sind  nach  den  Versen  geordnet,  ins  Lateinische  übersetzt 
und  einigermaßen  erklärt.  Sehr  fleißig  ist  die  1647  in  London  er- 
schienene Clavis  von  Perkins,  nach  den  Versen  geordnet  und  mit  ganz 
ausreichender  Worterklärung.  Eine  ordinäre  Leistung  dagegen  ist  eine 
1673  in  Rotterdam  erschienene  Clavis,  ebenfalls  nach  Versen  geordnet, 
die  nur  die  nackte  lateinische  Übersetzung  der  Wörter  gibt. 

Ein  ganz  vorzügliches  Bild  des  tiefen  Standes  der  klassischen 
Studien  und  auch  von  dessen  Ursachen  gibt  am  Ende  des  Jahrhunderts 
JeanLe  Clerc  in  seinen  Farrhasiana  1699.  Er  beklagt  es,  daß  die 
Generation  der  großen  Gelehrten  ausgestorben  sei.  Die  zeitgenössischen 
Gelehrten  klagt  er  an,  daß  sie  sich  wenig  Mühe  geben,  andere  zu  unter- 
richten; und  da  sie  selbst  nur  durch  ungeheure  Lektüre  und  wunder- 
baren Fleiß  zu  ihrem  Wissen  gelangt  seien,  meinten  sie,  alle  andern 
müßten  den  gleichen  Weg  einschlagen.  Es  fehlt,  sagt  er,  an  Ausgaben 
mit  methodisch  geordneten  Noten,  statt  deren  wir  nur  kritische  An- 
merkungen über  Texte  und  Lesarten  haben;  oder  dann  bringen  die 
Kommentatoren  an  einzelnen  Stellen  eine  Fülle  von  Gelehrsamkeit  an, 
die  alles  eher  ist  als  eine  Erklärung.  Schwierige  Stellen  werden  dabei 
gewöhnlich  umgangen.  So  steht  es  bei  den  Lateinern,  viel  schlimmer 
bei  den  Griechen.  Die  wenigen  Übersetzungen  sind,  besonders  wo  der 
Text  schwer  ist,  nur  Paraphrasen  und  erleichtern  das  Verständnis 
nicht,  treffen  auch  oft  den  Sinn  des  Originals  nicht.  Die  Großen 
früherer  Zeit  hielten  Übersetzungen  unter  ihrer  Würde  und  überließen 
diese  Arbeit  untergeordneten  Geistern.  Und  doch  sind  Übersetzungen 
eine  so  wichtige  Hilfe  für  das  Verständnis  der  Originale.  Le  Clerc  ver- 
wahrt sich  gegen  den  Vorwurf,  daß  er  die  Trägheit  unterstütze;  er  will 
vielmehr  die  Schwierigkeiten,  mit  denen  die  Erlernung  des  Griechischen 
immer  verbunden  ist,  nach  Kräften  erleichtern,  um  dessen  Kenntnis 
so  viel  als  möglich  auszubreiten.  Deshalb  verlangt  er  auch  gute  Lexika 
und  Handbücher,  in  denen  man  das  Wissen  seiner  Zeit  über  griechische 
Anschauungen  und  Sitten  zusammengestellt  fände,  allermindestens  ein 
brauchbares   Reallexikon. 

Für  den  Rückgang  der  klassischen  Studien  macht  Le  Clerc  in 
erster  Linie  die  Gelehrten  selbst  verantwortlich,  die  sich  auf  ihr  Wissen 
zu  viel  einbilden  und  eine  dünkelhafte  Verachtung  der  modernen  Wissen- 
schaften zur  Schau  tragen,  während  ihre  Anmaßung,  überall  mitzureden, 
ihre  gegenseitigen  kleinlichen  Streitigkeiten  und  ihre  Pedanterien  von 
dem   so   gepriesenen  Nutzen   der   antiken  Studien   wenig  genug  ahnen 


152  Frankreich  und  die  Niederlande 

lassen.  Dagegen  haben  die  Humanisten  Recht  mit  der  Klage,  daß  ihren 
Bestrebungen  keine  Förderung  mehr  zuteil  werde.  In  den  Zeiten  Leo's  X. 
und  Franz'  I.  wurden  sie  von  den  Fürsten  begünstigt,  und  eine  Menge 
Gelehrter  betrieb  diese  Studien.  Aber  die  Behauptung,  die  Kenntnis 
des  Griechischen  erschließe  das  Verständnis  der  heiligen  Schrift  und 
der  Kirchenväter,  erweckte  den  Argwohn  der  klerikalen  Kreise,  die 
darin  eine  Gefährdung  der  katholischen  Monarchie  erblickten.  Auch 
die  weltliche  Herrschaft  der  Fürsten  schien  durch  die  antiken  Ideen 
von  der  Autorität  der  Gesetze,  von  Gerechtigkeit  und  Gleichheit  bedroht. 
So  gingen  die  griechischen  Studien  zuerst  in  Spanien  und  Italien  ein, 
dann  auch  in  den  Nachbarländern.  In  Frankreich  helfen  sie  zur  Er- 
langung kirchlicher  Würden  nichts;  wer  sie  noch  zu  pflegen  behauptet, 
wie  die  Jesuiten,  tut  es  ganz  oberflächlich.  Bei  den  Protestanten  sind 
sie  nur  ein  Hilfsmittel  für  die  Predigt,  und  gute  Lehrer  sind  auch  da 
nicht  zahlreich. 

Wo  man  nur  Gesetze  kennt,  die  auf  die  natürliche  Gleichheit  ge- 
gründet sind,  und  keine  Angst  haben  muß,  daß  das  republikanische 
Altertum  sie  gefährde,  und  wo  man  in  den  Urkunden  der  Christenheit 
keine  Gefahr  für  die  Religion  erblickt,  da  sollte  man  diese  Studien 
wieder  erwecken.  Denn  sie  lehren  uns  die  Dinge  besser  verstehen, 
zeigen  uns  die  Zusammenhänge  der  Kultur  und  vermitteln  allein  die 
Kenntnis  der  Vergangenheit.  Hier  hatte  Le  Clerc  ohne  Zweifel  die 
Niederlande  im  Auge,  wo  er  lebte. 

Es  gab  aber  doch  während  des  ganzen  Jahrhunderts  auch  in  Frank- 
reich Männer,  die,  wenn  auch  unter  großen  Schwierigkeiten,  die  helle- 
nische Literatur  beherrschen  gelernt  hatten.  Das  Wissen  eines  Bochart 
und  noch  mehr  eines  Thomassin  verdient  aufrichtige  Bewunderung. 
Unter  denen,  welche  die  griechischen  Autoren  in  der  Ursprache  lesen 
konnten,  ragt  in  der  ersten  Hälfte  des  Jahrhunderts  Jean  Chapelain 
hervor,  noch  ganz  ein  Gelehrter  im  Sinne  der  Renaissance.  Neben  ihm 
stehen,  außer  den  später  zu  nennenden,  gefeierte  Namen  der  Literatur, 
Cyrano  de  Bergerac,  Menage,  La  Fontaine,  La  Bruyere,  Boileau,  vor 
allem  Racine. 

Racine  ist  ohne  Zweifel  der,  der  im  17.  Jahrhundert  Homer  am 
besten  verstanden  hat.  Die  Bemarques  sur  V Odyssee  d' Homere,  die  er 
während  eines  Aufenthaies  in  Uzes  1662  geschrieben  hat,  erstrecken 
sich  über  die  ersten  zehn  Bücher  und  bilden  einen  fortlaufenden  Kom- 
mentar, in  der  Weise,  daß  der  Gang  der  Ereignisse  mitgeteilt  wird 
und  die  verschiedenartigsten  Notizen  eingestreut  sind.  Zahlreiche  Pa- 
rallelstellen   aus    Homer    stützen    die   Erklärungen.     Dazwischen    steht 


Le  Clerc     Racine  153^ 

eine  Reihe  feiner  Bemerkungen  über  homerische  Darstellungsweise,  wie 
über  den  Eintritt  der  Helene  in  den  Saal  des  Menelaos,  wobei  der 
Unterschied  alter  und  modemer  Sitten  ins  Licht  gesetzt  wird,  besonders 
aber  die  schöne  Erklärung  der  Nausikaaszene.  Die  Verse,  die  ihm  am 
besten  gefallen,  schreibt  Racine  aus;  es  sind  immer  die,  in  denen  die 
einfache  Schönheit  Homers  am  klarsten  hervortritt.  Er  hat  an  Homer 
das  gesehen,  wofür  die  meisten  seiner  Zeitgenossen  blind  gewesen  sind. 
Die  Remarques  sind  erst  1825  gedruckt  worden.  Man  darf  das 
bedauern,  nicht  nur  weil  sie  zu  ihrer  Zeit  vielen  die  Augen  geöffnet 
haben  würden,  sondern  weil  in  ihnen  bereits  eine  Frage  erledigt  ist, 
die  man  im  17.  Jahrhundert  mit  viel  Hitze  erörtert  hat.  Es  handelt 
sich  um  die  Niedrigkeiten,  die  bassesses,  bei  Homer,  wie  z.  B.  daß 
Kalypso  dem  Odysseus  für  den  Bau  des  Flosses  die  Werkzeuge,  darunter 
Bohrer  und  Nägel,  selbst  bringt.  Racine  urteilt,  daß  darin  das  weniger 
produktive  Latein  viel  zurückhaltender  sei,  während  sich  dergleichen 
im  Griechischen  höchst  anmutig  ausnehme.  Nach  ihm  gibt  es  im  Grie- 
chischen überhaupt  nichts  Niedriges,  und  die  gewöhnlichsten  Dinge 
werden  dort  würdevoll  ausgedrückt.  Das  Französische  dagegen  gleicht 
darin  dem  Lateinischen.  Es  vermeidet  es  bis  zum  Äußersten,  sich  zu 
Einzelheiten  herabzulassen,  denn  die  Ohren  sind  empfindlich  und  er- 
tragen die  Nennung  gewöhnlicher  Dinge  in  ernster  Rede  nicht.  Das 
Italienische  ist  darin  dem  Griechischen  gleich,  wie  man  an  dem  in 
seiner  Art  dem  Homer  ganz  verwandten  Ariost  sehen  kann.  Darin 
hat  nun  zwar  Racine  unrecht,  daß  er  auf  das  Wesen  der  französischen 
Sprache  zurückführt,  was  in  Wahrheit  die  Wirkung  der  geschraubten 
Barockkultur  war.  Zola  hat  doch  auf  Französisch  tausendmal  mehr  zu 
sagen  gewagt,  als  Homer  auf  Griechisch.  Trotzdem  wäre  es  gut  ge- 
wesen, wenn  die  Desmarets,  Perrault,  La  Motte  von  Racine  hätten 
lernen  können,  daß  die  Ausdrucksweise  fremder  Sprachen  und  Zeiten 
nicht  nach  der  Gewohnheit  des  eigenen  beschränkten  Zeitraums  be- 
urteilt werden  darf.  Racine  selbst  hat  Homer  in  der  Sprache  nicht 
nachgeahmt,  aber  gezeigt,  wie  weit  Studium  und  offener  Blick  auch 
in  eine  entlegene  und  anders  redende  Welt  einzudringen  vermögen. 
In  seinen  Dramen  aus  dem  troischen  Kreise,  der  Iphigmie  und  Ändro- 
maque,  sind  die  homerischen  Reminiszenzen  häufig,  aber  sie  drängen 
sich  nicht  vor,  sondern  sind  der  Lage  angepaßt.  Besonders  schön  ist 
in  der  herrlichen  Andromaque  der  Rückblick  auf  das  sechste  Buch  der 
Ilias.  Racine  sieht,  wie  jeder  vernünftige  Mensch,  in  dem  wundervollen 
Gedicht  einen  Abschied  Hektors,  der  auszieht,  um  zu  fallen.  Anstatt 
aber   aus  Homer  zu   wiederholen,   daß   für   Andromache  Hektor  Vater 


154  Frankreich  und  die  Niederlande 

und  Mutter  und  alles  bedeutet,  läßt  Racine  sie  sieh  daran  erinnern, 
"daß  ihr  Hektor  aufgetragen  habe,  dem  Sohne  den  Vater  zu  ersetzen 
und  dadurch  zu  beweisen,  wie  sehr  sie  diesen  geliebt  habe. 

Eine  wissenschaftliche  Studie  über  Homers  Leben  gab  Tanneguy 
Lefebvre,  Tanaquil  Faber,  der  Vater  von  M'"®  Dacier,  in  den  Vies 
des  poetes  grecs.  Lefebvre  hält  Homer  für  einen  Aolier,  der  aber  ionisch 
schrieb,  weil  das  die  schönste  und  angenehmste  Sprache  war.  Er  sieht 
in  den  homerischen  Hymnen  Nachahmungen  der  homerischen  Gedichte 
und  ist  überzeugt,  daß  Herodot  nicht  der  Verfasser  der  Biographie 
Homers  ist.  Bemerkungen  über  den  Stil  Homers,  sein  Ansehen  im 
Altertum,  seine  Erklärer  und  die  Schwierigkeiten,  ihn  ins  Französische 
^u  übersetzen,  beschließen  die  Skizze. 

Eine  Übersicht  über  die  Urteile  der  Gelehrten  über  Homer  liefert 
Adrien  Baillet,  Bibliothekar  des  Avocat-general  Lamoignon,  in  den 
vielbändigen  Jugements  des  savants  sur  les  principaux  aufeurs  1685/86. 
Seine  Beurteilung  modemer  Schriftsteller  trug  ihm  scharfe  Epigramme 
^in,  von  denen  eines  Äsiniis  in  Parnasso  betitelt  war.  Aber  die  Zusammen- 
stellungen über  die  Poetik  sind  recht  fleißig,  wenn  schon  ohne  viel 
eigenes  Urteil.  Thomassin  und  besonders  Rapin  spielen  bei  ihm  eine 
hervorragende  Rolle.  La  Motte  hat  ihn  nach  eigenem  Geständnis  stark 
benutzt. 

Diesen  wenigen  Kennern  Homers,  denen  sich  noch  einige  an- 
schließen werden,  steht  die  große  Masse  der  Gebildeten  und  Ungebildeten 
gegenüber,  welche  sich  mit  Übersetzungen  behelfen  mußten,  wenn  sie 
sich  mit  dem  Dichter  bekannt  machen  wollten.  Wer  lateinisch  verstand, 
griff  zu  Lorenzo  Valla  und  Raffaello  da  Volterra.  Die  französische 
Übersetzung  Certon's  galt  bereits  als  unlesbar  und  geriet  in  Vergessen- 
heit. Ihn  ersetzte  für  die  Ilias  die  in  jedem  Sinn  prosaische  Über- 
setzung von  Du  Souhait  1614,  die  mehrmals  gedruckt  wurde.  Bei- 
wörter und  formelhafte  Wendungen  sind  darin  gekürzt  oder  weggelassen, 
das  übrige  genau,  mit  nicht  zu  vielen  Fehlern,  wiedergegeben.  Man 
konnte  aus  dieser  Übersetzung  erfahren,  was  in  der  Ilias  stehe,  nicht 
aber,  daß  deren  Verfasser  ein  Dichter  war.  Wie  wenig  man  von  diesem 
wußte,  geht  daraus  hervor,  daß  sich  Du  Souhait  veranlaßt  sieht,  auch 
die  übrigen  troischen  Geschichten  ausführlich  zu  erzählen.  Wir  stehen 
wieder  da,  wo  Samxon  angefangen  hatte. 

Noch  schlimmer  war  es  mit  der  Odyssee  bestellt,  die  Claude 
ßoitel  1617  mehr  umschrieb  als  übersetzte,  mit  unglaublichen  Miß- 
verständnissen. Er  verziert  sein  Werk  mit  troischen  Geschichten  und 
erklärenden  Randnoten  moralischer  oder  allegorischer  Natur. 


Übersetzungen     Chapelain  155 

Eine  andere  Übersetzung  beider  Epen,  ebenfalls  in  Prosa,  war 
die  von  De  la  Valterie,  erschienen  1681,  welche  die  Sitten  der 
homerischen  Zeit  dem  Zartgefühl  des  Barocks  anzunähern  bestrebt  war 
und  mit  dem  Original  in  der  freiesten  Weise  umging.  Egger  urteilt, 
La  Valterie  habe  einen  Roman  eigener  Fa^on  an  Stelle  der  homerischen 
Erzählung  gesetzt.  Das  schön  gedruckte  Buch  liest  sich  sehr  angenehm, 
aber  mit  einem  solchen  Homer  konnte  das  Publikum  noch  weniger 
anfangen  als  mit  Du  Souhait  und  Boitel.  Es  war  für  jemand,  der 
kein  Griechisch  verstand,  tatsächlich  eine  Unmöglichkeit,  den  Dichter 
kennen  zu  lernen.  Es  kannte  ihn  auch  fast  niemand,  nicht  einmal  in 
der  Übersetzung.  Le  Bossu  sagt  1675,  man  lese  und  kenne  die  Aeneis 
viel  mehr  als  die  Ilias  und  Odyssee,  aus  denen  die  Leute  nur  den 
tapferen  Achilleus  und  den  schlauen  Odysseus  kennen.  Scudery,  der 
behauptet,  für  seinen  Alaric  den  Homer  genau  studiert  zu  haben,  läßt 
seinen  Helden  auf  der  Zauberinsel  Gemälde  von  Göttern  und  Heroen 
sehen,  die  durch  die  Liebe  geschädigt  wurden;  unter  diesen  befindet 
sich  Achilleus,  der  in  den  Banden  der  Briseis  schmachtet.  Desmarets 
teilt  im  Clovis  bei  Gelegenheit  einer  Anspielung  in  einer  Randnote 
mit,  daß  Troja  um  der  Helene  willen  verbrannt  worden  sei;  anderswo, 
Homer  lasse  Ares  und  Aphrodite  durch  Diomedes  verwundet  werden. 
Bei  diesem  Zustand  des  Wissens  über  den  Dichter  wurde  dieser  beim 
großen  Publikum  eigentlich  nur  durch  die  beginnende  literarische  Po- 
lemik vor  gänzlicher  Vergessenheit  bewahrt. 

Den  Beginn  einer  neuen  literarischen  Kritik  bezeichnet  Jean 
Chapelain's  Preface  ä  VAdonis  du  Chevalier  Marino,  im  gleichen  Jahre 
mit  dem  Gedichte  des  Italieners,  1623,  veröffentlicht.  Die  wohlwollende 
Empfehlung  desselben  ist  nicht  der  wesentliche  Inhalt  der  Preface. 
Das  Kunststück,  alle  Verstöße  Marino's  gegen  die  feststehenden  Regeln 
des  Epos  damit  zu  verteidigen,  daß  er  eine  neue  Dichtungsgattung, 
das  in  Friedenszeiten  spielende  Epos,  erfunden  habe,  dient  mehr  zur 
Blendung  als  zu  wirklichem  Verständnis.  Ganz  aufrichtig  ist  dagegen 
der  Preis  von  Marino's  Bildern  und  Gedanken  und  seiner  Sprache, 
und  in  dieser  Hinsicht  ist  der  Italiener  ja  wirklich  den  Franzosen 
lange  Zeit  vorbildlich  geworden. 

Ungleich  wichtiger  ist  die  Preface  dadurch,  daß  sie  ein  kurzes, 
aber  geschlossenes  System  der  Poetik  darstellt,  ein  System,  in  welchem 
Chapelain  bereits  die  Grundlinien  des  französischen  Klassizismus  ge- 
bogen hat.  Wenn  man  bei  den  einzelnen  Gedanken  der  Arbeit  verweilt, 
besonders   was   die  Regeln   über   das  Epos   betrifft,   so  findet  man  im 


156  Frankreich  und  die  Niederlande 

Grunde  nichts,  was  nicht  von  Aristoteles,  dessen  italienischen  Kommen- 
tatoren oder  Scaliger  bereits  ausgesprochen  gewesen  wäre.  Originell 
wird  die  Preface  dadurch,  daß  Chapelain  von  seinen  Yorgängem  nur 
übernimmt,  was  er  brauchen  will,  und  was  er  durch  eigenartige  Gruppie- 
rung neu  begründet.  Darin  ist  er  ein  treuer  Aristoteliker,  daß  bei  ihm 
Enthusiasmus  und  Phantasie  in  der  Poesie  gar  keine  Rolle  spielen;  sie 
tun  es  ja  auch  bei  Aristoteles  nur  ganz  beiläufig.  Fast  noch  stärkeren 
Nachdruck  als  Aristoteles  selbst  legt  er  auf  die  Lehre,  daß  der  Dichter 
nicht  das  Wirkliche,  sondern  das  Wahrscheinliche  darstelle.  Chapelain 
knüpft  sie  an  den  Gedanken  an,  daß  für  ein  Gedicht  von  äußerster 
Wichtigkeit  der  Glaube  sei,  den  man  dem  Gegenstande  beimesse.  Dieser 
Glaube,  sagt  er,  bedingt  die  Aufmerksamkeit  und  den  inneren  Anteil, 
affection,  und  macht  allein  die  Erregung  möglich,  allein  folglich  auch 
die  Reinigung  oder  Verbesserung  in  den  Sitten  der  Menschen,  welche 
der  Zweck  der  Poesie  ist.  Den  der  Poesie  durchaus  notwendigen 
Glauben,  d.  h.  die  Neigung  der  Einbildungskraft,  eine  Sache  als  wirk- 
lich anzunehmen,  erzeugt  aber  nicht  die  Darstellung  des  Wirklichen 
im  Sinae  des  Historikers,  sondern  die  des  Wahrscheinlichen.  Die  Ge- 
schichte stellt  Einzelheiten  dar,  ausschließlich  um  sie  darzustellen, 
woraus  eine  moralische  Wirkung  nicht  hervorgehen  kann.  Die  Poesie 
dagegen,  eine  der  erhabenen  Wissenschaften  und  mit  der  Philosophie 
nahe  verwandt,  betrachtet  das  Allgemeine;  das  Besondere  nur,  um 
daraus  zur  Belehrung  der  Menschheit  allgemein  giltige  Sätze  abzuleiten. 
Sie  läßt  durchaus  die  Gerechtigkeit  walten,  belohnt  das  Gute,  bestraft 
das  Böse.  Wenn  man  die  Geschichte  des  Caesar  und  Pompeius  liest, 
so  erfährt  man  nur  ihre  Schicksale,  ohne  daß  man  davon  moralischen 
Nutzen  hätte.  Aus  der  Geschichte  der  Kyklopen  in  der  Odyssee  dagegen 
ersieht  man,  was  vernünftigerweise  allen  denen  geschieht,  die  so  handeln. 
So  betrachten  wir  in  den  Geschichten  der  Alten  nicht  sowohl  den  frommen 
Aeneas  oder  den  zürnenden  Achill,  als  die  Pietät  mit  ihren  Folgen,  den 
Zorn  mit  seinen  Wirkungen,  um  die  Natur  dieser  Leidenschaften  voll- 
kommen kennen  zu  lernen.  Um  das  zu  erreichen,  haben  die  Dichter 
die  Wirklichkeit  mit  ihren  Zufälligkeiten  verbannt  und  sie  nur  heran- 
gezogen, wenn  sie  sich  der  Gerechtigkeit  und  der  Raison  anpassen  und 
sich  mit  der  Wahrscheinlichkeit  umkleiden  läßt,  das  einzige  Mittel  die 
Menschen  zum  Guten  zu  erziehen.  Diese  Wahrscheinlichkeit  ist  eine 
Darstellung  der  Dinge,  wie  sie  geschehen  sollen,  und  zwar  wie  das  zum 
Guten  geborene  und  erzogene  Urteil  sie  voraussieht  und  bestimmt. 

Die   äußerst  starke  Betonung  des  moralischen  Zwecks  der  Poesie, 
zu   dem   das  durch   sie   hervorgerufene  Vergnügen  nur  Mittel  ist,   läßt 


Chapelain  157 

den  Einfluß  Scaligers  erkennen.  Aus  dem  lehrhaften  Charakter  der 
Poesie  hat  Chapelain,  schärfer  als  ein  anderer  vor  ihm,  die  Lehre  von 
der  poetischen  Gerechtigkeit  abgeleitet.  Das  Wichtigste  in  dem  ganzen 
System  ist  aber  die  Herrschaft  der  Raison.  Die  Ratio  Vida's  gilt,  mit 
Ausschaltung  aller  andern  poetischen  Faktoren,  in  der  Poesie  als  allein 
maßgebend. 

Daß  man  mit  der  Raison  und  den  Regeln  noch  kein  großer  Dichter 
wird,  sollte  Chapelain  an  sich  selbst  erfahren.  Er  eröffnete  dreißig 
Jahre  später  die  Reihe  derer,  die  nach  Vauquelin's  Hoffnung  den  Fran- 
zosen ein  christliches  und  nationales  Epos  zu  geben  gedachten. 
Ohne  Zweifel  hat  Marino  in  Sprache  und  Stil  maßgebend  gewirkt,  aber 
im  Stoff  war  Tasso  das  Muster,  neben  dem  Chapelain  auch  Graziani 
nennt.  Zwischen  1651  und  1665  entstanden  nicht  weniger  als  zwölf 
solcher  Poeme,  biblischen  oder  nationalen  Inhalts,  die  von  der  modernen 
französischen  Kritik,  nicht  ganz  billig,  als  völlig  unlesbar  verworfen  werden. 

Ihren  Mißerfolg  in  der  Verkennung  des  Wesens  der  epischen  Poesie 
zu  suchen,  ist  gewiß  nicht  richtig.  Es  ist  nicht  einzusehen,  warum  in 
unseren  Tagen  eine  erzählende  hohe  Poesie  mit  historischem  Stoff 
schlechtweg  unberechtigt  sein  sollte,  selbst  wenn  der  größte  Teil  davon 
auf  Erfindung  beruht.  Ist  doch  selbst  bei  Homer  das  Beste  und  Schönste, 
was  wir  bewundern,  nicht  Überlieferung,  sondern  Erfindung.  Worauf 
es  ankommt,  ist  nur,  ob  das  epische  Gedicht  einen  wohl  vorbereiteten 
Boden  finde,  und  ob  es  wahrhaft  poetisch  sei.  Jenes  war  im  Frank- 
reich des  17.  Jahrhunderts  der  Fall,  dieses  nicht.  Die  Verfasser  dieser 
Epen  sind  insgesamt  keine  Dichter,  sondern  gewandte  Versemacher, 
wie  Boileau  mit  schneidendem  Hohn  besonders  Chapelain  vorhält. 
Sie  glaubten  ihr  Ziel  durch  möglichst  genaue  Befolgung  der  aristote- 
lischen Regeln  erreichen  zu  können,  wie  die  Italiener  und  Vossius 
diese  formuliert  hatten,  daneben  durch  Beobachtung  der  großen  Muster, 
aber  nicht  Homers  und  Virgils,  sondern  Tasso's.  Da  die  namhaftesten 
dieser  Epen  im  Mittelalter  oder  höchstens,  wie  Scudery's  Alaric,  in  der 
Völkerwanderung  spielen,  lag  der  Ton  und  Kulturkreis  des  italienischen 
Romanzo  den  unselbständigen  Verfassern  viel  zu  nah,  als  daß  sie  nicht 
dadurch  vollkommen  hätten  gebannt  werden  sollen.  Besonders  Desmarets' 
frommer  Clovis   liest   sich    wie   ein  Abklatsch  des  unfrommen  Furioso. 

Aus  den  vielen  Epen  wähle  ich  die  drei  bekanntesten,  Chapelain' s 
Pucelle,  Scudery's  Alaric  und  Desmarets'  Clovis  aus.  Von  den  anderen 
habe   ich  nur   aus  Le  Moyne's  Saint  Louis  größere  Partien  gelesen. 

Die  Priorität  gehört  der  Pucelle.  Denn  wenn  sie  auch  nicht  zuerst 
erschien,  wurde  sie  doch  zuerst  entworfen.   Chapelain  hat  zwanzig  Jahre, 


158  Frankreich  und  die  Niederlande 

also  seit  1636,  daran  gearbeitet,  bis  er  1656  die  ersten  zwölf  Gesänge 
drucken  ließ;  die  letzten  zwölf  sind  erst  1882  veröffentlicht  worden. 
Warum  Chapelain  nur  den  ersten  Teil  herausgab,  ist  mir  unbekannt, 
doch  kann  man  sagen,  daß  es  das  Richtige  gewesen  ist.  Die  ersten 
zwölf  Gesänge  stellen  eine  leidliche  Einheit  dar  und  gewinnen  mit  der 
Gefangennahme  der  Pucelle  einen  guten  Abschluß;  in  den  letzten  Teilen 
geht  die  Erzählung  ins  Breite,  und  das  erlahmende  Interesse  des  Lesers 
hat  sich  auf  verschiedene  Personen  und  Handlungen  zu  verteilen. 

Der'  Stoff  des  Epos  ist  christlich  und  vor  allem  national,  also 
nach  Chapelain's  Auffassung  zur  epischen  Darstellung  vorzüglich  ge- 
eignet. Der  Verfasser  hat  das  unleugbare  Verdienst,  die  Gestalt  der 
Pucelle  gegenüber  den  fälschenden  Darstellungen  der  französischen 
Historiographen  wiederhergestellt  zu  haben,  poetisch  und  historisch 
zugleich.  Die  Erzählung  hält  die  großen  Etappen  der  Geschichte  inne. 
In  der  Katastrophe  hat  Chapelain  mit  einem  meisterhaften  Griff  die 
Geschichte  geändert,  aber  anders  als  Schiller.  Von  ihren  Feinden 
fälschlich  angeklagt,  wird  nämlich  die  Pucelle  vom  König  verbannt. 
Sie  sieht  ihre  Sendung  beendigt,  weiht  ihre  Waffen  in  Saint-Denys  und 
zieht  sich  in  den  Wald  von  Compiegne  zurück,  das  sie  dann  auf  die 
Bitten  der  Bewohner  gegen  die  Burgunder  verteidigt;  aber  durch  Verrat 
fällt  sie  diesen  in  die  Hände.  Damit  könnte  das  Epos  fertig  sein,  wenn 
Chapelain  nicht  in  der  Liebe  des  Grafen  Dunois  zu  Marie  eine  zweite 
Handlung  angelegt  hätte,  die  erst  in  den  letzten  Gesängen  zur  Ent- 
wicklung kommt,  eine  Kopie  der  Liebe  Ruggiero's  zu  Bradamante.  Wie 
dieser  in  Angelica,  so  verliebt  sich  Dunois  in  die  Pucelle,  und  dadurch 
wird  die  sonst  straffe  Komposition  zerfahren.  Der  erste  Teil  dagegen 
wirkt,  für  sich  betrachtet,  durch  Klarheit  und  Sicherheit  des  Plans, 
besonders  aber  durch  den  lebendig  kräftigen  Charakter  der  Pucelle  und 
manche  anmutig  frische  Erzählung. 

Was  Verstand  und  guter  Sinn  erreichen  konnten,  ist  von  Chapelain 
geleistet  worden.  Trotzdem  ist  sein  Epos  ermüdend  und  Boileau's 
Vorwurf  der  Langweiligkeit  ganz  zutreffend.  Denn  vom  Ausdruck  ab- 
gesehen, der  oft  nicht  mehr  als  ein  geschicktes  Reimgefüge  ist,  sind 
die  poetischen  Mittel  nach  allzu  kühler  Überlegung  angewendet.  Das 
trifft  besonders  auf  die  Gleichnisse  zu,  die,  ganz  anders  als  bei  Homer, 
nach  jedem  größeren  oder  kleineren  Abschnitt  der  Handlung  unfehlbar 
eintreten.  Der  Leser  sieht  ihnen  schon  von  weitem  mit  unangenehmen 
Gefühlen  entgegen,  da  sie  nur  zu  einer  lästigen  Unterbrechung  werden. 
Auch  wird  das  Gleichnis  jedem  Zuge  der  Handlung  angepaßt.  Über- 
mäßige Beschreibungen,   das  Erbteil  Marino's,   hängen  ihr  Bleigewicht 


Chapelain     Scudery  159 

an  die  Erzählung.  Was  das  Schlimmste  ist,  gleichartige  Vorgänge,  wie 
Schlachten  und  Erstürmungen  von  Burgen  werden  auf  die  nämliche  Weise 
erzählt,  so  daß  wir  mehrmals  dasselbe  zu  lesen  bekommen.  Boileau  hatte 
Recht  zu  sagen,  die  Ornamente  Chapelain's  seien  nach  der  Richtschnur 
gesetzt.  Daß  dieser  den  Homer  gut  kennt,  erweist  sich  an  mehreren  gut 
entlehnten  Zügen.  Aber  nach  seiner  eigenen  Aussage  ist  sein  Muster 
Yirgil,  der  von  allen  Zeiten  einzig  anerkannte  Führer  zum  Parnaß,  der 
einzige  Dichter,  der  in  der  Begeisterung  die  Besonnenheit  beibehält,  und 
dessen  Stil  die  Natur  trefflich  nachzuahmen  fähig  ist. 

Georges  Scudery  hatte  sich  schon  durch  Dramen  und  Romane 
einen  Namen  gemacht,  als  er  1664  das  Epos  Älaric  oii  JRome  vaincue 
veröffentlichte  und  der  Königin  Christine  von  Schweden  widmete.  Über 
die  historische  Grundlage  seines  Epos  hat  er  sich  nicht  zu  tiefe  Ge- 
danken gemacht.  Er  nennt  als  Quellen  Prokop  in  der  Einleitung 
zum  Vandalenkrieg  und  den  spanischen  Priester  Orosius,  der  im  Be- 
ginn des  5.  Jahrhunderts  n.  Chr.  einen  Abriß  der  Weltgeschichte  schrieb 
und  in  der  Darstellung  der  neueren  Zeit  durchaus  für  Alarich  und  gegen 
den  großen  Stilicho  Partei  nahm.  Nicht  aber  berücksichtigt  Scudery 
die  einzige  zeitgenössische  literarische  Quelle,  den  Dichter  Claudian. 
Überhaupt  geht  er  mit  der  Historie  sehr  frei  um.  Alaric,  Stammvater 
des  schwedischen  Königshauses,  herrscht  ganz  oben  im  Norden  in  der 
Stadt  Birch  und  heißt  beliebig  Gote,  Vandale  und  Sarmate.  Alle  Völker^ 
die  da  im  Norden  wimmeln,  stehen  unter  seinem  Befehl.  Daß  Rom, 
als  Alarich  es  eroberte,  christlich  war,  ist  Scudery  nicht  ganz  klar.  Er 
weiß  zwar,  daß  Alarich  ein  Arianer  war,  und  entschuldigt  die  Wahl 
dieses  Helden  damit,  daß  ja  auch  Kyros  von  den  Propheten  Knecht 
Gottes  genannt  werde.  Das  eine  Mal  heißt  es,  Rom  solle  für  seinen 
Undank  gegen  Gott  gestraft  werden,  das  andere,  Alaric  habe  die  Tempel 
aller  falschen  Götter  umzustürzen.  Dem  entspricht  die  Führung  des 
Gedichtes,  in  dem  von  der  historischen  Grundlage  wenig  mehr  zu  er- 
kennen ist.  Merkliche  Vorzüge  bestehen  in  den  kriegerischen  Schilde- 
rungen und  den  Reden  in  den  Ratsversammlungen.  Hier  erweist  sich. 
Scudery  als  Soldat  und  Staatsmann.  Dramatisch  belebt  sind  die  Szenen 
zwischen  Alaric  und  Amalasonthe;  wir  spüren  den  Einfluß  Corneille's, 
der  indessen  einen  Liebeskonflikt  nie  auf  ein  so  gebrechliches  Motiv 
gegründet  hätte,  wie  es  der  Zorn  Amalasonthe's  über  eine  Heerfahrt  des 
Geliebten  ist.  Ungeheuer  langweilig  sind  dagegen  die  Partien,  in  denen 
Marino's  Vorbild  wirkt,  unendliche  Beschreibungen  und  breit  vorgetragenes 
Wissen.  Die  Aufzählung  der  Gebäude,  die  von  den  Goten  geschleift  werden, 
kann  beinahe  für  eine  Archäologie  der  Stadt  Rom  gelten. 


160  Frankreich  und  die  Niederlande 

Scudery  behauptet,  unter  vielen  andern  den  Homer  studiert  zu 
haben,  gibt  aber  zu,  daß  die  Episoden  der  Ilias  nicht  so  lang  seien 
wie  die  seinen.  In  Wahrheit  ist  Homer  selten  benutzt  und  auch  da 
vielleicht  nicht  direkt.  Eine  Kritik  Homers  findet  sich  bei  der  Landung 
in  Spanien,  wo  Alaric  und  Alonso,  wie  der  Dichter  hervorhebt,  nur 
mit  den  Waffen  streiten,  ohne  sich  inmitten  der  Kämpfenden  Belei- 
digungen entgegenzuschleudern.  Das  meistbenutzte  Vorbild  ist  Tasso. 
Für  seine  Entlehnungen  beruft  sich  Scudery  auf  das  Beispiel  aller  großen 
Dichter;  habe  doch  Homer  selbst  vieles  in  Ägypten  gefunden,  wo  er 
studierte.  Überhaupt  hat  Scudery  auch  theoretisch  sein  Gedicht  zu 
stützen  versucht,  ohne  viel  Neues  vorzubringen,  als  daß,  weil  die  Poesie 
in  erster  Linie  belehren  müsse,  der  Dichter  um  so  mehr  Lob  verdiene, 
je  mehr  Wissen  er  vortrage. 

Während  bei  Chapelain  und  Scudery  die  Ersetzung  des  Olymps 
durch  die  Gestalten  des  christlichen  Glaubens  nur  eine  Folge  der  un- 
bedingten Anlehnung  an  Tasso  war,  machte  Jean  Desmar  et  s,  Seigneur 
de  Saint-Sorlin,  das  Merveilleux  Chretien  zum  eigentlichen  Prinzip 
des  neuen  Epos.  Aus  einem  Freigeist  zum  fanatischen  Christen  bekehrt, 
erblickte  er  im  Christentum  den  wahren  Grund  aller  Poesie  und  be- 
schloß, seine  Erkenntnis  in  die  Tat  umzusetzen.  Er  wollte  der  Homer 
Frankreichs  werden,  seinem  Lande  ein  Epos  schaffen,  das  den  Ruhm 
der  Franzosen  und  Gottes  zugleich  verkündigte.  Sein  Held  ist  Chlodwig, 
der  eigentliche  Inhalt  die  Bekehrung  der  Franken  zum  Christentum. 
Das  Gedicht  Clovis  ou  la  France  chretienne  erschien  zuerst  1657  und 
wurde  mehrfach  aufgelegt,  1673  in  etwas  verkürzter  Gestalt. 

Desmarets'  Epos  entbehrt  nicht  eines  gewissen  Schwunges  und  ist 
auch  nicht  so  unlesbar,  wie  viele  es  schildern.  Die  Geschichte  von 
Albione  und  Yoland,  die  man  fast  die  Hauptpersonen  des  Gedichtes 
nennen  könnte,  und  die  Desmarets  aus  Graziani  hat,  wirken  beinahe 
spannend.  Die  Erfindung  zeugt  allerdings  von  wenig  Phantasie,  und 
manches  ist  lächerlich  ausgefallen,  was  erhaben  gemeint  war.  Aber 
manche  hübsche  Schilderung  und  nicht  wenige  gute  Gleichnisse  finden 
sich  doch.  Das  Mittelstück,  die  große  Germanenschlacht,  ist  nicht  un- 
geschickt angelegt  und  durchgeführt.  Das  Schlimmste  sind  auch  hier 
die  langen  und  toten  Beschreibungen.  In  seinen  historischen  Partien 
glaubt  Desmarets  wirklich  historisch  zu  sein.  Sein  Held,  der  blutige 
und  treulose  Recke  der  Wanderzeit,  war  schon  durch  die  Historiographie 
zu  einem  Urbild  des  edelsten  Fürsten,  die  rachedürstende  Clotilde  zu 
€inem  Spiegel  frommer  Keuschheit  umgeschminkt  worden.  Daneben  be- 
findet sich  Desmarets  in  der  glücklichsten  Unwissenheit  in  historischen 


Desmarets    Französisches  Epos  161 

Dingen  und  traut  auch  seinen  Lesern  nicht  das  Mindestmaß  von  Wissen 
zu.  Er  belehrt  sie  am  Rande,  daß  Euphrat  und  Tigris  Flüsse  Asiens, 
Babylon  eine  asiatische  Stadt  sei  und  Troja  um  der  Helene  willen  den 
Untergang  gefunden  habe. 

Scudery  polemisiert  gegen  Castelvetro,  der  die  Aufgabe  der  Poesie 
im  Vergnügen  erblickt,  und  setzt  sie  gleich  Scaliger  und  Chapelain  in 
die  Belehrung.  Mit  Chapelain's  Preface  verlangt  er  für  das  Epos  eine 
allegorische  Grundlage.  Chapelain  selbst  erklärt  die  ganze  Pucelle  alle- 
gorisch: so  soll  Frankreich  die  menschliche  Seele  darstellen,  im  Kampf 
mit  sich  selbst  und  von  den  heftigsten  Leidenschaften  bewegt.  Für 
Desmarets  besteht  das  Lehrhafte  in  der  Darstellung  des  wahren  Fürsten; 
sein  Clovis  soll  für  Ludwig  XIY.  ein  Musterbild  sein,  besonders  auch 
in  der  richtigen  Behandlung  der  Ketzer.  Vorbildlich  können  nach  Des- 
marets die  Helden  nur  sein,  wenn  sie  ohne  Mängel  dastehen,  wie  der 
Aeneas  Virgils  und  besonders  Goffredo,  unähnlich  den  wirklichen  Menschen 
Homers.  Es  ist  jedoch  eitel  Wortgeklingel,  wenn  Scudery  die  wahre 
Tugend  in  die  Überwindung  der  Leidenschaften  setzt,  denn  Versuchungen 
kommen  bei  ihm  nicht  einmal  auf  der  Zauberinsel  vor.  Auch  der  Clovis 
ist  ein  Muster  von  Mangel  an  Lidividualität.  Ansätze  zu  einer  Charakte- 
ristik zeigt  am  meisten  Chapelain,  aber  auch  sein  Dunois  macht  keine 
Seelenkämpfe  durch,  wenn  er  sich  von  der  treuen  Marie  zur  Pucelle 
wendet  und  dann  durch  deren  Untergang  zur  alten  Liebe  zurückgeführt 
wird.  Die  Dichter  tun  sich  zwar  viel  darauf  zugute,  die  Liebe  ins  Epos 
eingeführt  zu  haben;  aber  diese  Liebe  ist  nichts  als  Galanterie  und 
geht  auf  Stelzen,  trotz  den  sublimen  Gefühlen,  welche  die  Helden 
fühlen  und  aussprechen.  Wirkliche  Leidenschaft  gibt  es  nicht.  Selbst 
wenn  sich  bei  Desmarets  Albione,  in  Clotildens  Gestalt,  dem  Clovis 
hingibt,  ist  das  nur  gut,  um  die  historische  Tatsache  zu  bemänteln,  daß 
Clovis  einen  natürlichen  Sohn  in  den  gleichen  Rang  einsetzte  wie  Clo- 
tildens Kinder.  Chapelain's  Agnes  ist  eine  vollendete  Kokette,  die  aber 
immer  als  große  Dame  auftritt.  Die  Liebesszenen  glänzen  höchstens 
durch  rhetorische  Effekte, 

Diese  Epiker  glaubten  dem  Gebot  der  Wahrscheinlichkeit  zu  ge- 
nügen, wenn  sie  den  heidnischen  Olymp  durch  die  Gestalten  des  christ- 
lichen Glaubens  ersetzten,  wie  Tasso  getan  hatte.  Die  Aufgabe  war 
nur,  das  Eingreifen  der  überirdischen  Mächte  zu  motivieren.  Desmarets 
war  darin  am  besten  gestellt,  weil  er  die  Bekehrung  des  Clovis  als 
eine  Minderung  der  Macht  des  Satans  hinstellen  konnte.  Gleich  Tasso 
verwendet  auch  er  lieber  die  Zauberei  als  das  unmittelbare  Eingreifen 
Satans.     Aber    er  ist   in    einer    gröblichen    Selbsttäuschung   befangen, 

Finaler:  Homer  in  der  Neuzeit.  11 


162  Frankreich  und  die  Niederlande 

wenn  er  behauptet  von  den  Wundem  keinen  stärkeren  Gebrauch  ge- 
macht zu  haben  als  Tasso.  In  Wahrheit  tut  er  es  über  alles  Maß. 
Priester,  Heilige,  Engel,  Zauberer  und  Zaubermädchen  agieren  so  sehr, 
daß  für  den  Helden  fast  nichts  mehr  zu  tun  übrig  bleibt. 

Schwieriger  lag  die  Sache  für  Scudery.  Der  Zauberer  Rigilde,  den 
Amalasonthe  im  Zorn  anruft,  hat  intime  Beziehungen  zur  Hölle  und 
gewinnt  den  Satan  besonders  deswegen,  weil  dieser  fürchtet,  Alaric's  Sieg 
über  die  Römer  könnte  diese  von  ihren  gottlosen  Wegen  abbringen. 
Der  gewundenen  Motivierung  entspricht  auch  die  Verwendung  des 
Übernatürlichen.  Abgesehen  von  den  Zauberstücken,  welche  die  Aus- 
fahrt hindern  sollen,  erscheinen  alle  Taten  Rigilde's  und  der  Dämonen 
höchst  überflüssig. 

In  noch  bedenklicherer  Lage  war  Chapelain.  Zwar  war  die  himm- 
lische Sendung  der  Pucelle  historisch  beglaubigt;  aber  bei  einem  Krieg 
zvvdschen  christlichen  Völkern  den  Teufel  anzubringen  war  doch  recht 
schwierig.  Chapelain  begründet  dessen  Vorliebe  für  die  Engländer  damit, 
daß  der  Erzengel  Michael,  der  jenen  einst  besiegte,  der  Schutzpatron 
der  Franzosen  sei;  daß  femer  diese  durch  die  Kreuzzüge  und  die  Unter- 
drückung der  Albigenser  und  Hugenotten  das  höllische  Reich  arg 
geschädigt  hatten;  endlich  daß  der  Satan  vorauswußte,  nach  hundert 
Jahren  würde  Heinrich  VIII. ,  dieses  Ungeheuer,  in  England  die  Re- 
formation einführen.  Trotz  dieser  triftigen  Begründung  kämpft  Chapelain 
eiuen  vergeblichen  Kampf  mit  der  Göttermaschine,  die  ihm  höchst 
unbequem  liegt.  Das  zeigt  sich  auf  Schritt  und  Tritt,  nirgends  besser 
als  bei  dem  Sturme  auf  Paris,  sonst  einem  der  besten  Stücke  des 
Gedichts,  wo  die  ganz  natürlichen  Vorgänge  erst  hinterher  mit  dem 
Eingreifen  des  Satans  motiviert  werden.  Die  Engel  und  Teufel  sind 
überall  an  den  Haaren  herbeigezerrt.  Wie  viel  schöner  wäre  die  Pucelle 
ohne  diese  Schemen! 

Die  Epen  fanden  Leser,  wie  aus  der  raschen  Aufeinanderfolge  der 
Auflagen  hervorgeht.  Desmarets  trug  der  Clovis  in  seinen  Kreisen  sogar 
den  Titel  eines  neuen  Homers  ein.  Aber  damit  begnügte  er  sich  nicht. 
Er  wollte  sein  Prinzip,  das  Merveilleux  Chretien,  auch  gegen  die  an- 
tiken Epiker  durchgesetzt  sehen.  Schon  im  Clovis  macht  er  eine  Be- 
merkung über  die  Gesänge  des  lügnerischen  Griechenlands,  aber  streitbar 
wird  der  Ton  erst  infolge  der  neun  Satiren  Boileau's,  1660 — 1668,  in 
denen  dieser  die  christlichen  Epen  verhöhnte. 

Zunächst  versuchte  es  Desmarets  nochmals  mit  einem  Epos,  Marie 
Magdeleine  ou  le  triomphe  de  la  Grdce,  1669.  Mit  Gepränge  kündigt 
er  an,  es  komme  hier  eine  Art  Gedicht,  wofür  es  im  Altertum  weder 


Chapelain    Scudery    Desmarets  163 

Vorschrift  noch  Beispiel  gebe;  wer  es  nach  den  Regeln  des  Aristoteles 
oder  nach  dem  Muster  Homers  oder  Virgils  beurteile,  täusche  sich 
oder  suche  andere  zu  täuschen.  Ein  Epos,  dessen  Held  der  Gottmensch 
sei,  bedürfe  keiner  Erfindungen,  sondern  nur  der  Darstellung  der  Wahr- 
heit. Trotzdem  verfehlt  Desmarets  nicht  nachzuweisen,  wie  sehr  seine 
Charaktere  den  aristotelischen  Forderungen  entsprechen.  Das  Gedicht 
selbst  ist  äußerst  schwach  und  wurde  von  niemandem  als  seinem  Ver- 
fasser, von  diesem  aber  durchaus  genügend,  gepriesen. 

Im  folgenden  Jahr,  1670,  erschien  die  Comparaison  de  la  langue 
et  de  la  poesie  frmigaise  avec  la  grecque  et  la  latine.  Et  des  poetes  grecs, 
latins  et  frangais.  Veranlassung  war  scheinbar  die  wichtige  Frage,  ob 
die  Inschrift  auf  einem  Triumphbogen  für  den  verstorbenen  Ludwig  XIII. 
lateinisch  oder  französisch  abgefaßt  werden  solle,  Inhalt  der  Nachweis, 
daß  der  Clovis  die  antiken  Epen  bei  weitem  übertreffe.  Vor  allem 
wird  Homer  aufs  Korn  genommen.  Er  ist,  sagt  Desmarets,  mangelhaft  in 
seinem  Gegenstand.  Sein  Gedicht  heißt  Ilias  und  scheint  also  die  Er- 
oberung von  Troja  zum  Stoif  zu  haben,  behandelt  aber  den  Zorn  des 
Achilleus.  Der  Held  tut  während  des  ganzen  Gedichtes  nichts,  als  daß 
er  zum  Schluß  den  Hektor  tötet,  nicht  aus  Rache  für  den  Raub  der 
Helene,  sondern  aus  Privatrache.  Das  sind  keine  edlen  und  heroischen 
Handlungen.  Sodann  hört  Homer  bei  den  Spielen  auf,  als  ob  Achilleus 
durch  Hektors  Tötung  Troja  eingenommen  hätte.  Homer  häuft  Er- 
findungen auf  Erfindungen,  hat  langweilige  Episoden,  führt  ohne  Not 
die  Götter  ein.  Seine  Erzählungen  sind  von  einer  unerträglichen  Länge, 
die  Gespräche  unvernünftig  und  unzeitig;  wenn  man  das  "Überflüssige 
wegnähme,  so  würde  man  das  halbe  Gedicht  streichen.  Die  Helden  erzählen 
einander  lange  Genealogien,  die  Führer  richten  lange  Ermahnungen 
aneinander,  alles  während  der  Schlacht.  Ganz  besonders  verurteilt 
Desmarets  die  Zeichnung  der  Götter.  Während  Homer  diese  von  Menschen 
erfundenen  Wahngebilde  doch  wenigstens  hätte  erhaben  darstellen  sollen, 
bildete  er  sie  lasterhaft,  um  den  niedrigen  Trieben  der  Leute  zu 
schmeicheln. 

Als  Quelle  dieser  Angriffe  möchte  man  Tassoni  vermuten;  aber 
die  Anklänge  an  diesen  sind  doch  nicht  deutlich  genug.  Stärker 
scheint  die  Anlehnung  an  Rapin's  1668  erschienene  Vergleichung  Homers 
und  Virgils.  Das  Urteil  über  den  Achilleusschild  ist  eine  breitere  Aus- 
führung der  Angriffe  Scaligers,  dem  auch  sonst  einiges  entstammen  mag. 
Im  ganzen  aber  hat  Desmarets  sein  Material  aus  Homer  selbst  und  zwar, 
wie  man  nachweisen  kann,  aus  den  Übersetzungen  von  Du  Souhait  und 
Raffaello  da  Volterra.   Er  gesteht  in  der  Einleitung,  daß  er  die  Fehler 

11* 


164  Frankreich  und  die  Niederlande 

Homers  aus  dem  Gedächtnis  zitiere;  jedenfalls  liat  er  aus  beiden  Über- 
setzungen Fehler  übernommen  und  sie  gelegentlich  durch  eigene  Kon- 
fusion noch  vergrößert. 

Virgil  findet  noch  weniger  Gnade  als  Homer.  Er  habe  keine  Er- 
findung und  sei  in  allem  von  Homer  abhängig.  Auch  leide  er  an 
Dunkelheit,  das  heißt,  sein  Latein  ist  Desmarets  zu  schwierig.  Im 
übrigen  hat  sich  Desmarets  eine  eigene  Poetik  zurecht  gemacht,  um  den 
Clovis  herauszustreichen.  Da  heißt  es:  Die  Stoffe  des  Epos  sind  um 
so  schöner,  je  mehr  sie  die  Grundlage  großer  Dinge  behandeln.  In 
der  Ilias  ist  nur  das  phrygische  Reich  des  Aeneas,  in  der  Aeneis  das 
größere,  aber  immerhin  vergängliche  Römerreich  geweissagt;  die  Fran- 
zosen, die  von  ihren  Königen  reden,  sprechen  von  einem  ewigen  Reiche. 
Sie  haben  auch  viel  umfassenderen  Geist,  sind  Tragiker  und  Satiriker 
zugleich  und  kennen  die  schönen  Künste,  weshalb  sie  auch  viel  herr- 
lichere Beschreibungen  zu  geben  vermögen.  Wenn  der  Neid  die  Fran- 
zosen anklagt,  daß  sie  in  der  Ausführung  nachlässig  seien,  so  wirft  er 
ihnen  eine  Naturgabe  vor,  die  Leichtigkeit  und  das  Ungestüm,  mit 
denen  sie  wie  durch  Inspiration  trefflich  arbeiten.  In  der  Erfindung 
übertreffen  sie  alles  je  Dagewesene,  auch  Tasso,  der  alles  dem  Virgil 
verdankt.  Sie  leisten  nicht  den  Lastern  Vorschub  wie  die  Alten  und 
Ariost,  der  nur  der  Lüsternheit  seine  Erfolge  verdankt,  sind  nach  dem 
Beispiel  der  Bibel  erhaben  im  Gleichnis,  dazu  äußerst  anständig,  reich 
an  glänzenden  Erfindungen,  tapfern  und  zarten  Gefühlen,  majestätisch 
im  Ausdruck  und,  weil  sie  sich  auf  die  christliche  Wahrheit  gründen, 
im  Besitze  "der  Möglichkeit  vollkommen  zu  sein.  Zur  Illustration  stellt 
Desmarets  Stellen  lateinischer  und  französischer  Dichter  nebeneinander. 
Griechen  fehlen,  da  man  auf  sie  aus  den  Italienern  schließen  könne. 
Den  mitgeteilten  Stellen  der  Aeneis  sind  die  des  Clovis  gegenüberge- 
stellt. In  einem  an  den  König  gerichteten  Gedicht  L^excellence  et  les 
plaintes  du  poeme  heroiqiie  entpuppt  sich  der  fromme  Dichter  als  ein 
eitler  Tor,  dem  all  die  erhabenen  Prinzipien  nur  Mittel  sind,  um  sein 
Produkt  herauszustreichen. 

Bei  dem  Scaligers  Poetice  entlehnten  Tadel  über  die  antiken  Schild- 
beschreibungen entfährt  Desmarets  ein  sehr  richtiges  Wort.  Er  sagt, 
Homer  und  Virgil  hätten  vergessen,  daß  sie  Basreliefs  schildern,  deren 
Figuren  weder  Bewegungen,  noch  Gedanken,  Worte  und  Töne  haben 
könnten.  Sie  beschreiben  wie  Dichter,  nicht  wie  Bildhauer.  Daß  damit 
das  Richtige  getroffen  ist,  sieht  man  leicht;  nur  hat  Desmarets  das 
als  Fehler  gefaßt,  worin  er  das  eigenste  Wesen  der  epischen  Poesie  hätte 
erkennen  soUen. 


Desmarets    Boileau  165 


Noch  deutlicher  wird  Desmarets  in  der  Vorrede  zur  Ausgabe  des 
Clovis  von  1673,  die  das  Gedicht  etwas  gekürzt,  aber  mit  Beziehungen 
auf  Ludwig  XIV.  bereichert  gibt.  Zuerst  wird  der  König  um  Schutz 
der  christlichen  Poesie  angefleht  und  dann  der  Leser  um  Aufmerksam- 
keit gebeten,  um  den  Streit  der  Religion  und  des  gesunden  Menschen- 
verstandes gegen  Gottlosigkeit  und  Neid  zu  beurteilen.  Das  schänd- 
lichste Verbrechen  der  Heiden  war  die  lasterhafte  Zeichnung  der  Götter, 
wodurch  sie  nie  die  Vollkommenheit  erreichen  konnten  wie  er,  der  die 
wahre  Religion  besitzt  und  an  Clovis  und  Ludwig  unerreichbare  Helden 
hat.  Die  moderne  Zeit  erlaubt  nicht  den  geringsten  Fehler,  daher  der 
Clovis  mit  Recht  das  Gedicht  Frankreichs  heißen  wird.  Desmarets  wird 
nicht  müde,  seine  Verächter  als  Gegner  der  Religion  zu  denunzieren.  Die 
übrigen  Epiker,  die  doch  nach  den  nämlichen  Grundsätzen  arbeiteten, 
werden  keines  Wortes  gewürdigt.  Der  Seigneur  de  Saint -Sorlin  ist 
der  Einzige,  der  den  Namen  eines  selbständigen  Dichters  verdient. 

Die  ganze  zeitgenössische  Epik  fand  einen  heftigen  Feind  in 
Boileau.  Sein  späterer  Kampf  mit  Perrault  hat  sein  Bild  in  der  Er- 
innerung der  Menschen  undeutlich  gemacht  und  ihm  den  Namen  eines 
verbohrten  Anhängers  der  Antike  eingetragen.  Swift,  der  ihn  in  seinem 
Battle  of  Books  auf  die  Seite  der  Modernen  stellt,  hat  darin  klarer 
gesehen.  In  Wahrheit  ist  Boileau  einer  der  modernsten  Menschen  seiner 
Zeit.  Was  er  bekämpft,  ist  das  in  seinen  Augen  Veraltete,  das  aus  dem 
Wege  geräumt  werden  muß,  um  dem  großen  Neuen  Platz  zu  machen, 
vor  allem  die  italienische  Richtung  in  der  Literatur,  für  die  er  in  Tasso 
das  Urbild  findet.  Marino  nennt  er  nicht.  Gegen  jene  Richtung  stellt 
er  als  Muster  die  bewährten  Alten  auf;  aber  der  Freund  Moliere's  und 
La  Fontaine' s,  der  Herold  Racine' s  ist  doch  wahrlich  kein  Feind  der  mo- 
dernen Literatur.  Seine  Stellung  ergibt  sich  deutlich  aus  den  bis  1674 
erschienenen  Werken:  den  ersten  neun  Satiren,  den  ersten  neun  Episteln, 
dem  Art  poetique,  den  vier  ersten  Gesängen  des  Lutrin  und  der  Über- 
setzung der  Schrift  vom  Erhabenen. 

Man  kann  sich  darüber  wundern,  daß  gerade  er  dieses  Werk  seinen 
Zeitgenossen  zugänglich  machte,  ein  Buch,  das  um  40  n.  Chr.  geschrieben 
ist  und  zu  Boileau's  Zeit  dem  im  3.  Jahrhundert  n.  Chr.  lebenden  Rhetor 
Longinus  zugeschrieben  wurde.  Denn  die  schönste  Stelle  dieses  Buches 
preist  die  Überlegenheit  des  Genius  über  die  regelmäßige  Korrektheit 
und  betont  scharf  die  Nichtigkeit  kleiner  Fehler  gegenüber  dem  fort- 
reißenden Pathos.  Aber  das  war  auch  wirklich  Boileau's  Meinung. 
Als  erstes  Erfordernis  der  Poesie  nennt  der  Art  poetique  den  geheimen 
Einfluß   des  Himmels,   den  glücklichen  Stern,  unter  dem  der  Dichter 


166  Frankreich  und  die  Niederlande 

geboren  sein  muß,  und  im  vierten  Buch  spricht  er  von  dem  wahren 
Beurteiler,  der  dem  Dichter  zeigt,  wie  ein  kräftiger,  durch  die  Theorie 
zu  sehr  eingeengter  Geist  die  vorgeschriebenen  Regeln  übertritt  und 
von  der  Kunst  selbst  lernt,  ihre  Grenzen  zu  durchbrechen.  Wenn  er 
diesen  Gedanken  nicht  durchführte,  so  hinderte  ihn  die  Notwendigkeit, 
der  bisher  giltigen  Poetik  eine  neue  entgegenzusetzen.  Chapelain,  Scu- 
dery,  Desmarets  hatten  sich  auf  Aristoteles  gestützt  und  ihre  Epen 
nach  seinen  Vorschriften  zu  machen  gemeint.  Aber  Aristoteles  hatte 
auch  herhalten  müssen,  als  die  Akademie  auf  Richelieu's  Befehl  den 
Cid  heruntersetzte.  Das  hat  Boileau  dem  Aristoteles  nicht  verziehen. 
In  der  vierten  Satire  verspottet  er  den  mit  Griechisch  gespickten  Pe- 
danten, der  nur  an  die  Bücher  glaubt  und  meint,  ohne  Aristoteles 
sehe  die  Vernunft  nichts  und  fasele  der  gute  Menschenverstand.  Welchen 
Hohn  gießt  er  über  die  Universität  Paris  aus,  als  diese  mit  dem  Plane 
umging,  den  Unterricht  in  der  Philosophie  Descartes'  zu  verbieten  und 
Aristoteles  in  seine  mittelalterliche  Machtstellung  wieder  einzusetzen! 
Er  hält  ihr  schonungslos  die  Torheit  vor,  die  Fortschritte  in  der  natur- 
wissenschaftlichen Erkenntnis  ignorieren  und  in  allem  bei  Aristoteles 
beharren  zu  wollen.  So  ist  es  leicht  erklärlich,  daß  im  Art  poetique 
Aristoteles  eine  höchst  untergeordnete  Rolle  spielt.  Seine  Vorschriften 
kommen  nur  zur  Geltung,  wenn  sie  mit  Horaz  und  Vida  übereinstimmen, 
deren  Einfluß  sehr  fühlbar  ist.  Oberste  Richtschnur  aber  ist  die  Raison, 
von  deren  Beobachtung  das  Gelingen  eines  Gedichtes  allein  abhängt. 
Vida  hatte  gefordert,  daß  die  poetische  Begeisterung  durch  die  Vernunft 
gezügelt  werde.  Chapelain  hatte  nur  die  Raison  gelten  lassen.  Bei 
dem  Cartesianer  Boileau  tritt  die  alles  beherrschende  Raison  nicht  recht 
vermittelt  neben  die  richtige  Einsicht  von  der  Freiheit  des  poetischen 
Genius. 

Was  uns  hier  hauptsächlich  angeht,  ist  die  Stellung  zum  modernen 
Epos.  Der  Franciade  wird  mit  keinem  Worte  mehr  gedacht,  Ronsard 
überhaupt  mit  wenigen  Hieben  abgetan.  Aber  die  neuen  Dichter  er- 
fahren die  ganze  Schwere  des  Angriffs,  wie  schon  in  den  Satiren.  Vor 
allem  ist  in  diesen  'Chapelain  die  Zielscheibe  seines  Witzes.  Boileau 
hat  den  tiefsten  Grund  seines  Zornes,  für  den  man  verschiedene  Ur- 
sachen gesucht  hat,  in  der  neunten  Satire  selbst  angedeutet:  er  zürnt 
Chapelain  wegen  seiner  Kritik  an  Comeille's  Cid.  Neben  Chapelain  er- 
halten auch  die  übrigen  Epiker  in  den  Satiren  gelegentlich  ihre  Hiebe; 
aber  die  gründliche  Abrechnung  kommt  erst  im  Art  poetique,  ohne 
Zweifel  veranlaßt  durch  Desmarets'  unaufhörliche  Deklamationen  über 
das  Merveilleux  Chretien.    Boileau   ist   das  in  innerster  Seele  zuwider. 


Boileau  167 

Gleich  den  Menschen  des  18.  Jahrhunderts  wendet  er  sich  von  dem 
offiziellen  Christentum  ab,  wie  es  die  vollzogene  öde  Glaubenseinheit 
repräsentierte.  Die  unmittelbare  Liebe  zu  Gott,  wie  die  zwölfte  Satire 
und  die  zwölfte  Epistel  sie  verteidigen,  hat  in  den  Dogmen  der  Kirche 
keinen  Platz  mehr.  Das  Christentum  ist  eine  Summe  furchtbarer  Ge- 
heimnisse; es  bietet  der  Seele  nur  Buße  und  verdiente  Pein.  Wie 
können  die  Gestalten  dieser  Religion  im  Epos  Platz  finden?  Es  ent- 
steht daraus  nichts  als  ein  verwerfliches  Durcheinander.  Die  Wahrheiten 
der  Religion  erhalten  den  Anstrich  der  heidnischen  Fabeln,  und  aus 
dem  Gott  der  Wahrheit  wird  ein  Gott  der  Lüge.  Tasso,  den  man  als 
Beispiel  preist,  ist  ein  Beweis  für  diese  Auffassung.  Wenn  dessen 
verständiger  Held,  der  immer  im  Gebet  liegt,  nichts  getan  hätte  als 
den  Satan  zur  Vernunft  zu  bringen,  Tasso  würde  mit  seinem  Gedicht 
Italien  nie  berühmt  gemacht  haben.  Rinaldo,  Tancredi,  Clorinda  mußten 
die  Trübseligkeit  erheitern.  Der  ewig  gegen  den  Himmel  heulende 
Teufel,  der  den  Ruhm  des  Helden  herabwürdigen  will  und  oft  Gott 
selbst  den  Sieg  streitig  macht,  ist  kein  Gegenstand  epischer  Dichtung. 
Boileau  verwahrt  sich  jedoch  dagegen,  daß  er  bei  einem  christlichen 
Gegenstand  einen  töricht  götzendienerischen  und  heidnischen  Verfasser 
billige.  Die  Ausgabe  von  1713  bezieht  das  in  einer  Note  auf  Ariost, 
aber  die  Erklärung  scheint  nicht  zutreffend.  Eher  dürfte  man  denken, 
Boileau  wolle  sich  dagegen  verwahren,  daß  er  in  Gedichte,  die  in 
christlicher  Zeit  spielen,  den  ganzen  antiken  Olymp  handelnd  ein- 
geführt wissen  wolle.  Das  Epos  ist  ihm  überhaupt  weder  heidnisch 
noch  christlich,  sondern  ein  profanes  und  lachendes  Gemälde.  In  diesem 
sollten  aber  die  Gestalten  der  antiken  Fabelwelt  als  Schmuck  Platz 
finden  dürfen. 

Es  fehlt  bei  Boileau  gänzlich  die  unbedingte  Verehrung,  welche 
die  Renaissance  der  Antike  entgegen  gebracht  hatte.  Er  hatte  zu  den 
Alten  ganz  selbständig  Stellung  genommen,  und  zwar  nicht  zur  Antike 
als  Gesamtheit,  sondern  zu  jedem  einzelnen  ihrer  Vertreter,  die  er  nach 
seinem  Maßstab  mißt,  dem  der  Raison  und  der  Fähigkeit,  die  Natur 
zu  schauen  und  wiederzugeben.  Er  beurteilt  sie  geradeso  frei  und 
zwanglos,  wie  er  den  Modernen  gegenüber  tut;  aber  er  fühlt  sich  zu 
einigen  unter  ihnen  unwiderstehlich  hingezogen.  Tasso's  Sprache  ist  ihm 
Flittergold  gegen  das  Gold  Virgils;  am  meisten  aber  liebt  er  Homer. 
Die  Verse  der  Poetik,  die  von  diesem  handeln,  zeugen  von  warmer  Liebe 
und  großem  Verständnis.  Von  der  Natur  unterrichtet,  hat  Homer  der 
Aphrodite  ihren  Gürtel  entwendet.  Sein  Buch  ist  ein  fruchtbarer  Schatz 
der  Freuden.   Was  er  berührt  hat,  verwandelt  sich  in  Gold.    In  seinen 


168  Frankreich  und  die  Niederlande 

Händen  empfängt  alles  neue  Anmut.  Überall  ergötzt,  nirgends  ermüdet 
er.  Eine  glückliclie  Wärme  belebt  seine  Erzählungen.  Er  verirrt  sieb 
nicht  in  zu  lange  Umschweife.  Ohne  daß  in  den  Versen  eine  methodische 
Ordnung  bewahrt  wird,  ordnet  und  entwickelt  sich  sein  Stoff  von  selbst. 
Alles  bereitet  sich  behaglich  zu,  ohne  große  Zurüstung;  jeder  Vers, 
jedes  Wort  eilt  dem  Ziele  zu.  Es  weht  uns  bei  Boileau  ein  ungemein 
frischer  Hauch  entgegen;  man  möchte  sagen,  daß  seit  Polizian  Homer 
keinen  so  warmen  Lobredner  gefunden  habe,  und  es  klingt  wahr  und 
echt,  wenn  er  schließt:  Liebet  denn  seine  Schriften,  aber  mit  auf- 
richtiger Liebe!    Vergnügen  daran  zu  finden  ist  Gewinn. 

Wie  frei  Boileau  seinem  Homer  gegenübersteht,  wie  wenig  dessen 
Autorität  ihn  beengt,  hat  er  in  seinem  Lutrin  gezeigt.  Die  ungeheuer- 
liche Geschichte,  wie  ein  eifersüchtiger  Prälat  einem  unbequemen  Sänger 
ein  riesiges  Pult  vor  seine  Bank  stellen  läßt,  könnte  beinahe  als  eine 
Verhöhnung  Homers  aufgefaßt  werden.  Die  verwerteten  Homerstellen 
sind  ziemlich  zahlreich.  Der  alte  Sidrac  mit  seinen  guten  Räten  und 
den  Erinnerungen  an  die  Taten  seiner  Jugend  ist  ein  komisch  gewendeter 
Nestor.  Die  Reden  der  Perruquiere  und  ihres  Mannes  muten  wie  eine 
geradezu  freche  Parodie  von  Hektors  Abschied  an.  Aber  nirgends 
klingt  der  Ton  feindselig  wie  bei  Tassoni.  Sprache  und  Darstellung 
verlieren  nie  den  vornehmen  epischen  Ton.  Der  Lutrin  zeigt  die  Sicher- 
heit des  Verehrers,  der  sich  mit  dem  verehrten  alten  Freund  wohl 
einen  Scherz   erlauben   darf  und  sicher  ist,   gleich  diesem  zu  ergötzen. 

Während  nun  Boileau  die  Gestalten  des  christlichen  Mythus  aus 
dem  Epos  verbannt  wissen  will,  sucht  er  die  antiken  Fabelwesen 
irgendwie  zu  erhalten.  Zwar  hat  er  für  die  alten  Religionen  ebensowenig 
übrig  als  für  die  Dogmen  der  Jesuiten.  Aber  die  Götter  Homers  sind 
ihm  auch  keine  Götter,  sondern  nur  Personifikationen  von  Tugenden, 
anmutige  Ornamente  einer  ohne  sie  frostigen  und  geschmacklosen 
Geschichte,  wie  es  ohne  die  wirkenden  Götter  die  Aeneis  wäre.  Wie 
er  es  meint,  zeigt  er  im  Lutrin,  wo  keine  heidnischen  und  christlichen 
Mächte,  wohl  aber  allegorische  Gestalten  wie  die  Discorde,  die  Mollesse, 
die  Piete  usf.  walten.  Wie  gern  würden  wir  auch  diese  missen,  ebenso 
in  der  vierten  Epistel  Äu  Boy  den  Rheingott  und  die  Najaden,  Mars 
und  Bellona.  Wir  bedauern,  daß  er  nicht  mit  den  Engeln  und  Teufeln 
auch  die  antiken  Fabelwesen  weggefegt  hat. 

Noch  seltsamer  mutet  es  uns  an,  wenn  er  die  Namen  der  antiken 
Sage  als  für  das  Epos  geeigneter,  weil  dem  Ohr  angenehmer  hält,  denn 
Childebrand,  den  Helden  eines  Epos  von  Carel  de  Sainte-Garde.  Damit 
verweist   er  die   epische  Erzählung   auf  die  Bearbeitung  antiker  Stoffe, 


Boileau    Le  Bossu  169 

eine  Einschnürung  der  poetischen  Freiheit,  die  unerträglich  wirken 
mußte.  Überhaupt  wurde  der  Art  poetique,  der  durch  so  viele  Vorzüge 
befreiend  und  fördernd  hätte  wirken  können,  darum  zu  einem  neuen 
Zwang,  weil  er  für  jede  Dichtungsart  nur  ein  einziges  Muster  anerkennt, 
und  zwar  ohne  Rücksicht  auf  Zeit  und  Ort  von  dessen  Entstehung. 
Die  Einsicht,  daß  man  bei  einem  Dichter  von  der  historischen  Dar- 
stellungsweise absehen  und  ihn  rein  ästhetisch  fassen  dürfe,  ist  gewiß 
schön  und  notwendig,  und  ebenso  gewiß  ist,  daß  ein  Dichter  an  großen 
Vorbildern  lernen  kann;  aber  unfehlbare  Muster  aufzustellen,  bedeutet 
den  Tod  der  Poesie. 

Während  Boileau  die  Gedichte  Desmarets'  früher  so  ziemlich  ignoriert 
hatte,  veranlaßte  ihn  dessen  ungeheurer  Selbstruhm  in  der  Comparaison 
und  in  der  Ausgabe  von  1673  zu  einer  besonderen  Digression  im 
dritten  Buche  der  Poetik.  Es  ist  eine  regelrechte  Abstrafung:  Ein  vor- 
zügliches Gedicht  bedarf  der  Zeit  und  ernster  Arbeit,  nicht  eines  zu- 
fälligen Strohfeuers  regelloser  Phantasie  und  eines  Hochmutes,  für  den 
Virgil  der  Erfindung,  Homer  der  vornehmen  Darstellung  ermangelt,  und 
der  nur  die  Trompete  des  eigenen  Ruhmes  ist.  Desmarets  war  nicht 
gewillt,  sich  die  Zurechtweisung  gefallen  zu  lassen.  Noch  im  gleichen 
Jahre  1674  erschien  seine  Defense  du  poeme  Jierdique  in  Form  eines  Dia- 
logs, der  zwar  von  Gift  trieft,  aber  kaum  etwas  Neues  enthält.  Die 
Hauptsache  ist  zu  zeigen,  daß  Boileau  nur  von  schwarzem  Neid  erfüllt 
sei,  weil  er  selbst  nichts  zu  leisten  vermöge  und  darum  die  hohe  Poesie 
ruinieren  wolle.  Das  eigentlich  Charakteristische  an  dem  Opus  sind  die 
Verdächtigungen  Boileau' s  wegen  Verachtung  der  Religion  und  Unehr- 
erbietigkeit  gegen  den  König. 

Fast  zu  gleicher  Zeit  wie  Boileau's  Art  poetique  erschien  des  Pere  Le 
Bossu  Traite  sur  le  poeme  epique,  ein  Buch,  das  des  Aristoteles  Poetik  viel 
stärker  berücksichtigt,  als  es  Boileau  getan  hatte,  und  in  größeren  Partien 
einfach  Aristoteles  wiedergibt,  aber  in  wesentlichen  Dingen  über  ihn 
hinausgeht.  Auch  für  Le  Bossu  ist  der  oberste  Zweck  der  Poesie  die 
Belehrung.  Die  Auffassung  des  Aristoteles  von  der  universellen  Be- 
deutung der  Poesie  wird  dahin  gedeutet,  daß  die  epische  Fabel  theo- 
logisch und  moralisch  sei.  Das  Epos  ist  eine  kunstvoll  erfundene  Er- 
zählung, um  die  Sitten  durch  Lehren  zu  bilden,  die  unter  den  Allegorien 
einer  wichtigen  Darstellung  verkleidet  sind;  diese  ist  in  Versen,  in  einer 
wahrscheinlichen,  ergötzenden  und  wunderbaren  Weise  erzählt.  Die  Fabel 
ist  deshalb  nur  die  Hülle  des  moralischen  Lehrsatzes,  den  der  Dichter 
vortragen  will.  Es  ist  das  alles  nicht  neu.  Das  Verhältnis  des  beleh- 
renden  zum  erfreuenden  Moment  hatten   auch  Scaliger  uud  Chapelain 


170  Frankreich  und  die.  Niederlande 

SO  gefaßt,  und  bei  diesem  hatte  sich  auch  die  allegorische  Auffassung 
der  Poesie,  ein  böses  Erbteil  des  späten  Altertums,  geltend  gemacht.  Neu 
aber  ist  die  Ausdehnung  der  Allegorie  auf  das  Epos  als  Ganzes  und 
die  Verbindung  dieser  Lehre  mit  Aristoteles.  Dieser  hatte  in  gänzlicher 
Verkennung  des  Wesens  des  Epos  gesagt,  der  Dichter  erfinde  zuerst  eine 
kurze  Fabel,  die  er  nachher  mit  Namen  und  Episoden  umkleide.  Le 
Bossu  nun  lehrt,  jene  einfache  Geschichte  müsse  mit  Rücksicht  auf  einen 
vom  Dichter  gewählten  Moralsatz  erfunden  sein. 

Die  Entstehung  der  Dias  ist  demnach  folgendermaßen  vor  sich  ge- 
gangen. Homer  sah  die  Griechen  in  selbständige  Staaten  geteilt,  die 
sich  oft  gegen  Feinde  zusammentun  mußten.  Für  eine  solche  Vereinigung 
ist  die  Ilias  verfaßt.  Sie  lehrt,  daß  Uneinigkeit  der  Führer  die  Staaten 
zugrunde  richtet,  daß  Eintracht  aber  zum  Ziele  verhilft.  Das  ist  in  eine 
einzige  Handlung  zusammengefaßt.  Die  Entzweiung  brachte  dem  Aga- 
memnon Niederlage,  dem  Achilleus  den  Tod  seines  Freundes.  Nach  der 
Versöhnung  gewinnt  Achilleus  den  Griechen  den  Sieg,  sich  selbst  die 
Rache.  Um  die  Erfindung  wahrscheinlich  zu  machen,  wählte  Homer  be- 
kannte geschichtliche  Personen,  welche  Träger  der  Handlung  sein  konnten, 
und  knüpfte  diese  an  die  Belagerung  von  Troja.  Er  verfuhr  dabei  gleich 
wie  der  Fabeldichter  Aesop,  nur  daß  dieser  für  seine  Personen  Tiere 
statt  Menschen  wählte.  Wenn  die  Hunde  uneinig  sind,  überfällt  der 
Wolf  die  Herde,  wie  Hektor  die  Achäer.  Die  Odyssee  ist  für  die  Be- 
lehrung der  Einzelstaaten  gedichtet.  Sie  zeigt,  wie  der  wahre  Regent 
durch  den  Besuch  fremder  Höfe  seine  Bildung  gewinnt,  aber  durch 
heimische  Unordnung  bedroht  wird.  Ein  König  darf  sich  nicht  zu  lange 
außerhalb  seines  Landes  aufhalten;  um  das  deutlich  zu  machen,  läßt 
Homer  den  Odysseus  gewaltsam  an  der  Heimkehr  gehindert  werden. 
Die  Lehren  der  Odyssee  gehen  überhaupt  nicht  nur  Könige,  sondern 
auch  gewöhnliche  Bürger  an. 

Wenn  es  den  Zwecken  des  Dichters  dient,  kann  er  auch  historische 
Erzählungen  verwenden;  aber  er  hat  sie  der  zu  lehrenden  Wahrheit 
unterzuordnen.  Achilleus  hat  nach  der  Geschichte  den  Hektor  aus  Rache 
für  Patroklos  erschlagen.  Wenn  er  aber  in  der  Ilias  das  täte,  ohne 
sich  vorher  mit  Agamemnon  zu  versöhnen,  so  wäre  die  Fabel  zerstört, 
ebenso,  wenn  er  sich  vor  Patroklos'  Tod  mit  dem  König  versöhnte. 
Erst  dadurch,  daß  der  Tod  des  Freundes  die  Versöhnung  herbeiführt, 
wird  die  Handlung  einheitlich.  Geschürzt  wird  der  Knoten  durch  die 
Ablehnung  der  Gesandtschaft,  gelöst  durch  die  durch  Patroklos'  Tod 
herbeigeführte  Einigung;  dieser  Tod  leitet  zugleich  den  zweiten  Teil  ein; 
der  Zorn  des  Achilleus  ist  erst  mit  Hektors  Tode  zu  Ende. 


Le  Bossu  171 

Von  den  Italienern,  besonders  Castelvetro,  gehen  die  Betrachtungen 
Le  Bossu's  über  die  poetischen  Charaktere  aus.  Es  kommt  für  ihn  auf 
nichts  an  als  auf  die  richtige  Zeichnung.  Ein  poetischer  Held  braucht 
kein  moralisches  Ideal  zu  sein,  und  die  Güte  des  poetischen  Charakters 
ist  nicht  dessen  moralische  Güte.  Aristoteles  und  Horaz  verkennen  die 
Brutalität  des  Achilleus  nicht,  aber  sie  erblicken  in  ihm  gleichwohl  das 
Muster  eines  poetischen  Helden.  Was  seinen  Charakter  erniedrigt,  war 
durch  die  Fabel  gefordert;  aber  daneben  hat  ihm  Homer  keine  gemeinen 
Züge  geliehen  und  seine  Fehler  hinter  seiner  wunderbaren  Tapferkeit  fast 
ganz  verschwinden  lassen. 

Der  poetische  Charakter  muß  eine  hervorstechende  Eigenschaft  haben, 
mit  der  sich  alle  übrigen  zu  einem  Ganzen  verbinden.  Es  ist  deshalb 
nicht  möglich,  die  Haupttugenden  des  Achilleus,  Odysseus  und  Aeneas 
in  einem  Helden  zu  vereinigen,  ohne  das  für  die  drei  Helden  Charakte- 
ristische wegzulassen.  Es  würde  ein  Charakterbild  herauskommen,  das 
ganz  charakterlos  wäre  und  zu  keiner  Handlung  paßte.  Die  Charaktere,, 
derengleichen  man  nirgends  findet,  oder  die  man  nicht  für  möglich  hält, 
sind  falsch.  Der  Leser  glaubt  nicht  daran  und  kommt  auf  den  Gedanken, 
daß  der  Dichter  ihn  geringschätzig  behandle. 

Diese  letzte  Auseinandersetzung  ist  offenkundig  gegen  die  franzö- 
sischen Epen  der  Zeit  gerichtet.  Lessing  hat  geradezu  behauptet,  Le  Bossu's 
Traite  sei  durch  sie  veranlaßt.  Le  Bossu  hat  nun  zwar  nirgends  von 
ihnen  gesprochen,  überhaupt  von  den  Franzosen  nur  Corneille  genannt, 
der  bereits  zum  Klassiker  geworden  war;  aber  das  ganze  Buch  zeigt, 
daß  er  sie  meint  und  ihrem  schlechten  Geschmack  die  großen  Alten 
entgegenstellen  will.  Mit  einem  Wort  tritt  er  zum  Schluß  auch  auf 
die  Angriffe  gegen  Homer  und  Virgil  ein;  wenn  er  unter  den  Motiven 
dieser  Angriffe  auch  das  Übelwollen  eines  Neidischen  nennt,  so  ist  es 
klar,  daß  er  damit  Desmarets  trifft.  Das  Buch  ist  deshalb  interessant, 
weil  es  die  besondere  Veranlassung  verrät  und  selbständige  Arbeit  zeigt. 
Man  hat  sich  gewundert,  daß  Boileau  es  lobte,  der  doch  mit  so  vielem 
nicht  einverstanden  sein  konnte.  Aber  Lessing  hat  es  ja  auch  gelobt, 
aus  dem  gleichen  Grund  wie  Boileau,  als  den  Versuch,  der  Afterkunst 
der  Zeit  die  wahre  Poesie  als  Muster  entgegen  zu  halten.  Zudem  ge- 
hörte Boileau  offenbar  nicht  zu  denen,  die  sich  mit  den  im  ganzen 
Gleichgesinnten  streiten. 

Ein  anderer  Kampfgenosse  Boileau's  ist  der  Pere  Rapin.  Schon 
1668,  vor  Desmarets'  Comparaison,  verfaßte  er  Vergleichungen  zwischen 
antiken  Schriftstellern,  mit  deren  Vorlesungen  er  in  den  Salons  brilliert 
hatte.    Darunter  ist  auch  eine  Parallele  zwischen  Homer  und  Virgil, 


172  Frankreicli  und  die  Niederlande 

in  dieser  Zeit  ein  ziemlich  müßiges  Spiel  des  Witzes,  mit  beträcht- 
licher Belesenheit  des  Verfassers,  ohne  eigene  Meinung.  Scaliger,  Meric 
Casaubonus,  Beni,  Tassoni,  Longin  werden  abwechselnd  anerkannt  und 
abgelehnt.  Für  Homers  Kraft  und  originelles  Genie  ist  Rapin  nicht 
blind,  aber  Virgil  gefällt  ihm  doch  besser.  Sein  Aeneas  vereinigt  alle 
Vorzüge  der  homerischen  Helden,  in  seinem  Gedicht  steht  alles  im  vol- 
lendetsten Verhältnis.  Bei  ihm  ist  die  Einwirkung  der  Götter  durchaus 
vernunftgemäß  gestaltet,  während  sie  bei  Homer  gleich  Sklaven  zu  allem 
verwendet  werden.  Homer  läßt  weder  Vernunft,  noch  Leidenschaft  oder 
Natur  handeln;  alles  vollzieht  sich  durch  die  Göttermaschine.  Er  tritt 
beständig  aus  seinem  Gegenstand  heraus.  Es  gibt  in  der  Ilias  keinen 
Streit,  ohne  daß  Geschichten  erzählt  oder  Genealogien  vorgebracht  würden. 
Die  Helden  haben  unwürdige  Charaktere,  die  Könige  schmähen  sich, 
Agamemnon  behandelt  Chryses  respektlos,  und  dessen  Gebet  ist  sehr 
wenig  liebevoll.  Odysseus  vergißt  bei  Kalypso  seine  Gemahlin,  und  die 
Szene  zwischen  Odysseus  und  Nausikaa  ist  ganz  wider  den  Anstand. 
Die  Prinzessin  vergißt  ihre  Schamhaftigkeit,  um  ihrem  Mitleid  oder  der 
Neugier  nachzugeben,  wenn  sie  den  Anblick  eines  nackten  Mannes  er- 
trägt. Die  Wohlanständigkeit  ist  überhaupt  wenig  gewahrt,  was  mit 
der  Roheit  der  homerischen  Zeiten  zu  erklären  ist. 

Wenn  Rapin  in  diesen  Partien  die  Urteile  Tassoni's  und  Beni's 
nachspricht,  so  gibt  er  doch  für  den  Ausdruck  Homer  den  Vorrang  vor 
Virgil.  Auch  zeigt  er  für  einzelne  Schönheiten,  wie  den  Streit  der  Helden, 
Hektors  Abschied,  den  Anfang  der  Patroklie,  Eumaios,  wirkliches  Ge- 
fühl. Bei  der  Erinnerung  an  diese  Stellen  findet  er  Homer  reicher  an 
Erfindung,  großartiger,  lebhafter,  selbst  im  Ton,  während  eben  Virgil 
viel  korrekter  sei.  Das  am  schwersten  wiegende  Zeugnis  für  die  Vor- 
züge Homers  ist  ihm  die  Verehrung,  die  Virgil  ihm  zollte. 

Der  Erfolg  der  unselbständigen  und  zwecklosen  Schrift  war  wesent- 
lich der,  wissenschaftlich  wenig  gebildeten  Angreifern  Homers  wie 
Desmarets  und  Perrault  Wajffen  zu  liefern.  Als  dann  der  Kampf  ent- 
brannte und  Boileau  in  Aktion  trat,  ließ  Rapin  die  Vorwürfe  gegen 
Homer  fallen  und  wollte  nur  noch  dessen  Vorzüge  kennen.  Die  He- 
flexions  sur  la  poetique  et  sur  les  ouvrages  des  poetes  anciens  et  modernes 
sind  in  ihrem  ersten  Teil  eine  selbständige  Poetik  in  Anlehnung  an 
Aristoteles,  im  zweiten  eine  Beurteilung  alter  und  neuer  Dichter. 
Das  Wesentliche  des  allgemeinen  Teiles  besteht  darin,  daß  Rapin  gleich 
Scaliger  und  Le  Bossu  als  wirkliches  Ziel  der  Poesie  nur  die  Belehrung 
ansieht  und  das  durch  die  Kunst  erweckte  Vergnügen  durchaus  nur  als 
Mittel   zu   diesem   Zweck  gelten  läßt.    Er   erkennt   ein   Genie   an,   das 


Rapin    Bossuet  173 

eine  Naturgabe  ist,  stellt  es  aber  durchaus  unter  das  Regiment  der 
Raison,  auf  die  auch  die  Regeln  des  Aristoteles  viel  mehr  als  auf  Auto- 
rität gegründet  sind,  und  die  auch  bei  der  Vermischung  von  Wunder- 
barem und  Wahrscheinlichem  maßgebend  ist.  Auf  allerlei  feine  Be- 
merkungen über  die  Arbeit  des  Dichters  folgt  immer  wieder  die  Betonung 
der  Regel.  Für  alle  Vorschriften  sind  ihm  Homer  und  Virgil  die 
leuchtenden  Muster.  Sie  zeigen,  wie  das  Genie  richtig  Maß  hält,  wie 
man  im  Plan  historische  Wirklichkeit  und  Erfindung  verteilt,  wie  man 
die  Charaktere  den  Forderungen  des  Typischen  entsprechend  gestaltet. 
Überhaupt  sind  bei  Homer  alle  Eigenschaften,  die  Aristoteles  vom 
Dichter  verlangt,  am  vollständigsten  beisammen,  nur  daß  er  die  Götter 
nicht  mit  dem  nötigen  Respekt  behandelt.  Die  alten  Epiker  haben 
endlich  das,  was  die  wahre  Poesie  kennzeichnet:  sie  erregen  die  zu 
Herzen  gehende  Wirkung.  Mit  diesem  Wort  hebt  Rapin  tatsächlich 
die  Berechtigung  aller  Regeln  auf,  vielleicht  ohne  es  selbst  zu  merken. 

Ganz  übel  fahren,  besonders  im  speziellen  Teile,  die  modernen 
Dichter,  vor  allem  die  Italiener  Tasso  und  Marino.  Rapin  spricht  ihnen 
nicht  alle  Vorzüge  ab,  findet  aber,  daß  sie  doch  allzuviel  zu  wünschen 
übrig  lassen.  Muratori,  der  sich  sonst  oft  nur  zu  sehr  von  Rapin  leiten 
ließ,  findet  es  merkwürdig,  wie  der  in  der  Vergleichung  mit  Virgil  so 
sehr  getadelte  Homer  plötzlich  als  Muster  des  Urteils  gepriesen  werde, 
wenn  es  gelte,  Tasso  herunterzumachen.  Das  ist  nicht  so  merkwürdig. 
Mit  den  Reflexions  wollte  Rapin  nicht  sowohl  die  Italiener  treffen,  als 
die  modernen  französischen  Epiker,  denen  jene  wie  Tasso  im  Stoff,  oder 
wie  Marino  in  den  Kunstmitteln,  zum  Muster  dienten. 

Boileau  war  beinahe  siegreich  geblieben,  aber  auch  nur  beinahe. 
Er  klagt  in  der  achten  Epitre  1677  selbst,  daß  wieder  christliche  Epen 
entstanden  seien.  So  untergeordnet  diese  Produkte  auch  waren,  so  war 
doch  gegen  sie  nicht  vollständig  aufzukommen,  da  Boileau  selbst  die 
Götter  des  Altertums,  wenn  auch  nur  als  Schmuckstücke,  hatte  gelten 
lassen;  und  was  den  Heiden  recht  war,  mußte  den  Christen  billig  sein. 

Die  Verwendung  des  heidnischen  Olymps  verpönte  Bossuet  be- 
sonders in  den  Werken  der  Kleriker  mit  größter  Strenge.  Er  suchte 
und  fand  die  höchste  Poesie  in  den  heiligen  Schriften.  Aber  daneben 
war  er  ein  glühender  Bewunderer  Homers,  den  er  selbst  im  Schlafe 
rezitierte.  Bei  Homer  fand  er  die  Darstellung  einer  der  wichtigsten  Epochen 
der  Weltgeschichte,  den  höchsten  Ausdruck  des  nationalen  Empfindens. 
Der  moralische  Einfluß  Homers  beruht  ihm  auf  der  Wahrheit  seiner 
Schilderungen.  Die  Götter  sind  für  Bossuet  keine  willkürlichen  Personi- 
fikationen, sondern  der  lebendige  Ausdruck  der  Nation,  deren  Glaube  sie 


174  Frankreich  und  die  Niederlande 

dem  Dichter  aufiiötigte.  Gleich  den  altchristlichen  Apologeten  betrachtete 
er  sie  als  reale  Wesen,  als  verkleidete  Dämonen,  eine  wundervolle 
Klarheit  des  Blickes  in  einer  Zeit,  in  der  diese  Götter  von  Freund 
und  Feind  nur  als  Wahngebilde  oder  Allegorien  angesehen  wurden. 
Homers  Poesie  gehört  nach  Bossuet  zur  hellenischen  wie  Jehova  mit 
seinen  Engeln  zur  alttestamentlichen  Kultur.  In  die  moderne,  besonders 
die  christliche  Poesie  dürfen  sie  demnach  nicht  verpflanzt  werden, 
sondern  es  sollte  möglich  sein,  auch  der  neuen  Zeit  ein  nationales,  von 
den  modernen  und  christlichen  Ideen  ganz  erfülltes  Epos  zu  geben. 
Darin  sollten  die  übernatürlichen  Mächte  den  Mittelpunkt  bilden.  Mit 
dem  Auge  des  Sehers  betrachtet  Bossuet  die  himmlischen  Chöre,  den 
Höllensturz  des  Satans,  den  beständigen  Verkehr  der  Engel  mit  den 
Menschen,  besonders  die  Geschichte  und  die  stete  Gegenwart  Christi. 
Diese  Schätze  möchte  er  im  Epos  verwendet  wissen,  nicht  in  latei- 
nischen Poesien,  die  niemand  liest,  sondern  in  der  Sprache  der  Nation. 

Solch  mächtige  Anregung  veranlaß te  Charles  Perrault  zur  Ab- 
fassung seines  christlichen  Gedichtes  Saint  Paulin  1686.  Der  Stoff 
ist  den  Dialogen  Papst  Gregors  I.  entnommen,  dessen  Werke  1675  in 
Paris  neu  aufgelegt  worden  waren.  Der  in  den  Vandalenkriegen  durch 
seine  Wohltätigkeit  ganz  verarmte  Bischof  Paulinus  von  Nola  weiß 
einer  Mutter,  deren  Sohn  in  Afrika  bei  den  Vandalen  als  Sklave  lebt, 
nichts  zu  bieten  als  sich  selbst,  um  den  Sohn  aus  der  Knechtschaft 
zu  lösen.  Er  reist  wirklich  nach  Afrika,  gibt  sich  in  die  Sklaverei 
und  wird  über  die  Gärten  des  vandalischen  Prinzen  gesetzt.  Eines 
Tages  weissagt  er  seinem  Herrn,  der  sich  mit  dem  gebildeten  Sklaven 
gern  unterhält,  den  nahen  Tod  des  Königs.  Dieser,  von  dem  Prinzen 
benachrichtigt,  läßt  den  Paulinus  kommen  und  erkennt  in  ihm  einen 
von  den  Richtern,  die  in  einem  Traum  der  letzten  Nacht  über  ihn 
zu  Gericht  gesessen  haben.  Nun  dringt  der  Prinz  in  Paulinus,  sich 
zu  erkennen  zu  geben,  und  schenkt  ihm  die  Freiheit  und  alle  die  aus 
Nola  geraubten  Sklaven,  worauf  Paulinus  in  die  Heimat  zurückkehrt, 
der  Prinz  aber  nach  dem  Tode  des  Königs  den  Tron  besteigt. 

Diesen  hübschen  Stoff  hat  Perrault  nach  Kräften  verschlechtert. 
Mancher  gute  Zug  ist  weggelassen;  dafür  erzählt  ein  Freund  Paulins 
auf  der  Rückfahrt  dessen  Lebensgeschichte.  Gott,  Engel,  Sankt  Felix 
von  Nola,  Dämonen  spielen  eine  höchst  überflüssige  Rolle;  diese  letz- 
teren erregen  auch  einen  konventionellen  Seesturm.  Poesielose  Be- 
schreibungen und  Meditationen  sollen  dem  Mangel  an  Darstellung  nach- 
helfen. Es  ist  dem  langweiligen  Poem  nachgerühmt  worden,  daß  es 
von    den   Regeln    abweiche,    aber   von   welchen,    ist   schwer   zu   sagen. 


Bossuet    Perrault  175 

Perrault  setzt  doch  in  der  Dedikation  an  Bossuet  ausführlich  auseinander, 
daß  sein  Gedicht  den  Forderungen  der  Wahrheit,  Wahrscheinlichkeit 
und  Vorbildlichkeit  entspreche.  Sonst  allerdings  fehlt  so  ziemlich  alles, 
was  ein  Gedicht  zum  Gedicht  macht. 

Aus  der  Vorrede  ist  noch  etwas  sehr  Interessantes  hervorzuheben. 
Perrault  sagt,  man  habe  an  seinem  Gedichte  den  der  Überlieferung  an- 
gehörigen  Zug  auszusetzen  gefunden,  daß  er  Therasie,  die  Gemahlin 
des  Bischofs,  ihm  auch  in  dieses  Amt  folgen  und  alle  Mühen  mit 
ihm  teilen  lasse.  Die  Tadler  gäben  zwar  zu,  man  wisse,  daß  in  jener 
Zeit  die  Bischöfe  auch  nach  ihrer  Erhebung  mit  ihren  Frauen  lebten, 
aber  nur  wie  mit  Schwestern;  sie  behaupteten  aber,  es  widerspreche 
den  Sitten  unserer  Zeit,  die  forderten,  daß  sich  die  Frau  in  einem 
solchen  Fall  ins  Kloster  zurückziehe.  Perrault  findet  nun,  die  Regel, 
daß  man  sich  den  Sitten  der  eigenen  Zeit  anpassen  müsse,  sei  für  das 
Theater  höchst  geeignet,  wo  der  Dichter  den  Neigungen  des  Publikums 
zu  schmeicheln  habe.  Ganz  anders  sei  es  in  Werken,  in  denen  ver- 
ständige Menschen  es  nicht  nur  liebten,  die  Wahrheit  zu  sehen,  auch 
wenn  sie  mit  unsern  Sitten  in  Widerspruch  ständen,  sondern  wo  die 
Ereignisse,  Sitten  und  Gebräuche  um  so  mehr  Vergnügen  bereiteten, 
je  mehr  sie  von  dem  entfernt  seien,  was  wir  alle  Tage  sehen.  Warum 
haben  später  die  Verteidiger  Homers  nicht  auf  dieses  vernünftige  Wort 
zurückgegriffen?  Gerade  die  den  unsern  widersprechenden  Sitten  Homers 
bildeten  ja  einen  Hauptangriffspunkt  auf  ihn. 

Bald  nach  dem  Erscheinen  des  Saint -Paulin  erfolgte  die  Kriegs- 
erklärung Perrault's  gegen  das  Altertum,  mit  der  die  Querelle  des 
Anciens  et  des  Modernes  begann. 

Die  Autorität  des  Altertums  war  schon  während  des  ganzen 
Jahrhunderts  in  Frage  gestellt  gewesen,  vor  allem  auf  dem  philosophischen 
und  naturwissenschaftlichen  Gebiete.  Die  großen  Entdeckungen  der  Neu- 
zeit hatten  die  Kenntnisse  des  Altertums,  oder  was  man  dafür  hielt,  weit 
überholt.  Allerdings  waren  Männer  wie  Copernicus  und  Columbus  von 
der  antiken  Wissenschaft  ausgegangen..  Aber  der  freien  Entfaltung  der 
Geister  waren  dadurch  Schranken  gesetzt,  daß  die  mittelalterliche  Unter- 
werfung unter  die  Autorität  des  Aristoteles  nicht  gebrochen  war,  son- 
dern in  den  katholischen  Ländern  infolge  der  Gegenreformation  sogar 
neu  begründet  wurde.  Es  war  eine  grundsätzliche  Befreiung  von  diesen 
Fesseln  notwendig,  wenn  sich  das  moderne  Denken  frei  entwickeln 
sollte,  und  sie  vollzog  sich  durch  die  neue  Methode  des  Denkens. 
Francis  Bacon  de  Verulam   stellte  1620  sein  Novum   Organon  der 


176  Frankreich  und  die  Niederlande 

aristotelischen  Logik,  ReneDescartes  1637  den  Discours  de  la  Methode 
der  gesamten  Büclierweislieit  der  Schule  gegenüber.  Während  aber  Bacon 
das  Altertum  zum  Ausgangspunkt  und  Wegweiser  der  neuen  Entwick- 
lung nehmen  wollte,  machte  Descartes  aus  seiner  Verachtung  der  Antike 
kein  Hehl  und  wurde  darin  von  seinen  Anhängern  noch  weit  über- 
boten. Auf  das  literarische  Leben  hatte  diese  Strömung  zunächst  keinen 
großen  Einfluß.  Erst  mit  Desmarets  beginnt  der  eigentliche  Kampf  gegen 
das  Altertum  auf  diesem  Gebiete. 

In  seiner  Comparaison  1670  verficht  Desmarets  den  zuerst  von 
Bacon  in  der  Schrift  Of  the  Proficience  and  Advancement  of  Learning 
1605  aufgestellten  Satz,  daß  das  sogenannte  Altertum  eigentlich  die 
Jugend  der  Welt  gewesen  sei,  also  die  neue  Zeit  das  reife  Alter  vor- 
stelle. Wenn  unsere  Zeit,  hatte  Bacon  gesagt,  ihre  Kräfte  erkennen 
und  durch  Übung  vermehren  wollte,  würde  sie  größere  Dinge  hervor- 
bringen als  das  Altertum,  weil  sie  vor  diesem  eine  unendliche  Menge 
von  Erfahrungen  und  Beobachtungen  voraus  habe.  Derselbe  Gedanke 
findet  sich  bei  Descartes  und  dann  sehr  oft  im  Laufe  des  Jahrhunderts 
wieder.  Damit  verbindet  sich  naturgemäß  die  Lehre  vom  Fortschritt 
und  der  unendlichen  Entwicklungsfähigkeit  der  Menschheit.  Tassoni 
hatte  sie  nicht  geteilt,  weil  er  historisch  zu  sehen  vermochte.  Nach 
ihm  hat  Italien  nach  der  langen  Nacht  des  Mittelalters  direkt  an  das 
Altertum  angeknüpft,  um  es  schließlich  zu  überbieten.  Ihm  ist  die 
Menschheit  nicht  wie  den  Cartesianern  ein  seit  der  Schöpfung  sich 
fortentwickebides  Individuum. 

Scaliger  war  ebensowenig  gewillt,  einen  unaufhörlichen  Fortschritt 
anzunehmen.  Zwar  hat  sich  nach  seiner  Ansicht  die  Poesie  aus  höchst 
einfachen  Anlagen  entwickelt;  aber  die  Dichter  ahmen  die  Natur  immer 
auf  dieselbe  Weise  nach.  Nun  sehen  die  Späteren  nicht  nur  alles,  was 
die  Früheren  sahen,  sondern  auch  was  jene  nicht  gesehen  und  uns  zu 
sehen  überlassen  haben.  Darin  kann  eine  Förderung  liegen,  und  aus 
der  Vervollkommnung  des  von  den  Früheren  Gebotenen  erklärt  sich 
die  Überlegenheit  Virgils  über  Homer.  Aber  wenn  die  Früheren  die 
absolute  Höhe  erreicht  haben,  sind  die  Späteren  gedrückt  und  vermögen 
selten  dem  Guten  Besseres  hinzuzufügen.  So  hatte  Virgil  alle  Stoffe, 
alle  Gesetze  des  Ausdrucks,  alle  Schönheiten  erschöpft,  und  die  nach 
ihm  kamen,  konnten  nur  in  der  Form  neu  sein,  wenn  es  nicht  scheinen 
sollte,  als  ob  sie  nur  wiederholten.  So  ging  die  alte  Anmut  zugleich 
mit  der  Einfachheit  selbst  unter.  Für  Scaliger  ist  Virgil  ein  Gipfel,  zu 
dem  es  hinauf-,  aber  von  dem  es  auch  wieder  heruntergegangen  ist,  im 
Grundsatz  gewiß  eine  sehr  richtige  Anschauung. 


Lehre  vom  Fortschritt     Desmarets     Gueret  177 

Desmarets  nun  unterscheidet  zwischen  Werken  der  Natur,  welche, 
wie  die  antiken  Skulpturen,  die  Nachbildung  der  stets  vollendeten  Modelle 
der  Natur  sind  und  bei  denen  es  nur  auf  das  Genie  des  Einzelnen  an- 
kommt, und  den  Werken  der  Erfindung,  die  dem  Fortschritt  unterliegen, 
und  von  denen  immer  die  letzten  die  glücklichsten  sind.  Als  Nach- 
ahmer der  Natur  waren  Homer  und  Virgil  gleich  groß  wie  die  Dichter 
aller  Zeiten,  nicht  aber  in  der  Erfindung.  Hier  hat  schon  Yirgil  den 
Homer  überboten;  sollte  ein  moderner  Franzose  nicht  Ähnliches  hervor- 
bringen können?  Desmarets  hat  keinen  Eindruck  gemacht,  weil  er, 
wie  man  nur  zu  gut  sah,  bloß  beweisen  wollte,  daß  der  Clovis  die 
Krone  der  epischen  Entwicklung  sei.  Aber  er  ist,  soviel  ich  sehe,  der 
Erste,   der   die  Lehre   vom  Fortschritt   auf  die  Poesie   ausgedehnt  hat. 

Ein  wichtiges  Dokument  für  die  literarischen  Anschauungen  jener 
Zeit  bilden  zwei  Schriften  von  Gabriel  Gueret,  Sekretär  einer  von  dem 
Abbe  d' Aubignac  begründeten  kleinen  Akademie.  Es  sind  dies  Le  Farnasse 
reforme  und  die  daran  anschließende  Guerre  des  auteurs  aneiens  et 
modernes,  1671.  In  jenem  nimmt  ApoUon  eine  literarische  Reform  vor, 
die  sich  auf  verschiedene  Schäden  der  neuesten  Literatur  erstreckt. 
In  der  Guerre  erregt  Aristarch,  der  noch  gründlichere  Reformen  ver- 
langt, einen  Krieg  aller  gegen  alle.  Es  sind  nicht  zwei  streitende  Par- 
teien, und  die  Gegner  teilen  sich  nicht  nach  Weltaltem;  zu  den  Aneiens 
gehören  auch  die  Pleiade  und  Hardy.  Der  Tumult  wird  so  groß,  daß 
Apollon  verfügt,   es   solle  alles  beim  Alten  gelassen  werden. 

Das  Wichtigste  an  dem  amüsanten,  mit  geistvollster  Kritik  ge- 
schriebenen Büchlein  ist  die  vollkommene  Abwesenheit  jeder  tradi- 
tionellen Verehrung  für  die  Antike.  Es  wird  alles  nur  nach  der 
Raison  beurteilt,  genau  wie  bei  Boileau.  Gueret  zieht  im  ganzen  das 
Altertum  vor,  aber  nur  weil  die  Alten  weit  mehr  Geduld  hatten,  sich 
auf  den  Schriftstellerberuf  vorzubereiten,  während  heutzutage  jeder  gleich 
von  der  Mutterbrust  weg  zu  schreiben  anfange  und  dabei  noch  Bewunde- 
rung finde.  Sonst  müßten  wir  doch  die  Alten  ebenso  sehr  übertreffen, 
wie  sie  ihre  Vorgänger  übertrofFen  haben. 

In  Gueret's  Schrift  beklagt  sich  Homer  bei  Apollon  über  die  An- 
griffe, die  er  durch  Zoilos,  einen  witzigen  Homerkritiker  des  4  Jahr- 
hunderts V.  Chr.,  auszustehen  gehabt  habe.  Homer  rühmt  sich,  der 
Vater  des  Epos  zu  sein,  ohne  den  es  keine  aristotelische  Poetik  und 
keine  Aeneis  gäbe,  und  droht,  wenn  ihm  kein  Recht  würde,  mit  allem, 
was  ihm  gehöre,  auszuwandern;  wenn  er  den  schönen  Geistern  alles  nehme, 
was  sie  ihm  gestohlen  hätten,  um  sich  selbst  damit  zu  schmücken, 
werde    der  Parnaß    so   kahl    aussehen   wie    heute    die   troische   Ebene. 

Finaler:  Homer  in  der  Neuzeit  12 


178  Frankreich  und  die  Niederlande 

Aristophanes  sucht  ihn  zu  beruhigen,  aber  nun  tritt  Boisrobert  ein. 
Von  diesem,  einem  Günstling  Richelieu's,  wird  erzählt,  er  habe  in  der 
Academie  fran9aise  1635  eine  Rede  gegen  die  Alten,  besonders  gegen 
Homer,  gehalten.  Bei  Gueret  behauptet  er,  allen  Kommentatoren  der 
Welt  zum  Trotz,  Homer  sei  nur  durch  ihren  Mißverstand  so  berühmt 
geworden.  Er  sei  ein  Sänger  der  Schenken  gewesen,  der  den  guten 
Mahlzeiten  nachzog,  der  Patron  der  Bänkelsänger.  Sein  Heros  sei  nicht 
großartig,  weil  er  unverwundbar  und  seinen  Gegnern  weit  überlegen 
sei.  Die  langen  Reden  der  Helden  zeigten,  daß  der  blinde  Homer  von 
einer  Schlacht  ebensowenig  verstanden  habe  als  von  der  Farbe.  Auch 
sei  es  niedrig,  daß  Telemachos  über  den  Verlust  seiner  Ochsen  und 
Schafe   klage,   statt  um  die  in  ihrer  Ehre  gekränkte  Mutter. 

Ob  Gueret  diese  Vorwürfe  der  wirklichen  Rede  Boisrobert's  ent- 
nommen habe,  scheint  zweifelhaft.  Dieser  hatte  allerdings  vor  der 
Akademie  Homer  mit  einem  Winkelpoeten  verglichen  und  konnte  das 
aus  Tassoni  haben,  dessen  Pensieri  kurz  vorher  durch  Baudoin  über- 
setzt worden  waren.  Tassoni  hatte  Homer  einen  armen  Vagabunden  ge- 
nannt, der  aus  natürlichem  Ungestüm  Verse  improvisiert  habe.  Aber  in 
Boisrobert's  Rede  bei  Gueret  erinnert  sonst  nichts  an  Tassoni.  Wenn  Gueret 
ihn  sagen  läßt,  Homer  sei  ein  armer  „Rhapsodiste"  und  sein  Gedicht  aus 
Gesängen  zusammengesetzt  gewesen,  die  er  vor  der  Samaritaine  und  auf 
dem  Pont-Neuf  jener  Zeit  vorgetragen  habe,  so  klingt  das  fast  wie  eine 
Parodie  auf  die  damals  schon  geschriebenen,  nur  noch  nicht  gedruckten 
Conjectures  academiques  des  Abbed'Aubignac,  mit  dem  Gueret  in  naher 
Beziehung  stand.  Auch  folgt  bei  Gueret  eine  so  kostbare  Selbstverhöhnung 
Boisrobert's,  daß  wohl  anzunehmen  ist,  jener  habe  die  Rede  selbst  verfaßt. 

Homer  und  Virgil,  verlangt  ApoUon,  sollen  den  Dichtem  ver- 
traut sein,  und  diese  müssen  Aristoteles,  Horaz  und  Scaliger  auswendig 
können,  bevor  sie  sich  an  ihn  wenden;  dann  werde  er  ihnen  Inspiration 
verleihen,  so  daß  sie  rasch  fertig  werden  könnten.  Denn  er  sei  es  müde, 
zwanzig  Jahre  neben  dem  Verfasser  eines  Epos  zu  verbringen,  ein 
Hieb,  der  auf  Chapelain  geht. 

Von  einem  Kampf  der  Neuzeit  gegen  das  Altertum  ist  bei  Gueret 
noch  nichts  zu  spüren.  Der  große  Streit  brach  erst  später  aus,  durch 
das  Auftreten  der  Brüder  Perrault. 

Bei  allen  Perrault s  war  die  Abneigung  gegen  das  Hergebrachte  der 
hervorstechende  Charakterzug;  wenigstens  bei  Charles  gesellte  sich  da- 
zu der  katholische  Glaubenseifer,  der  ihn  mit  Desmarets  verband  und 
zum  abgesagten  Feind  der  antiken  Mythologie  machte.  Schon  in  ganz 
jungen  Jahren  verfaßte   er  mit  anderen  Studierenden  eine  Parodie  des 


Gueret     Die  Perraults  ,  179 

sechsten  Buches  der  Aeneis.  1653  veröffentlichten  Charles  und  Claude 
das  erste  Buch  des  burlesken  Gedichtes  Les  murs  de  Troye  ou  Vorigine 
du  hurlesque;  das  zweite  Buch,  von  Claude  allein  verfaßt,  ist  erst  kürz- 
lich gedruckt  worden.  Ich  habe  nur  dieses  zu  Gesichte  bekommen;  es 
ist  aber  für  die  Kenntnis  der  Gattung  genügend.  Das  Gedicht  will, 
so  sagt  die  Vorrede,  eine  Satire  gegen  die  Alten  oder  vielmehr  gegen 
die  modernen  Nachahmer  der  Alten  sein.  Denn  diese  füllen  ihre  Ge- 
dichte mit  tausend  Dingen,  die  lächerlich  sind  oder  wenigstens  dem 
Geschmack  unseres  Jahrhunderts  und  dem  gesunden  Verstand  wider- 
streben. Aber  auch  unter  den  Alten  selbst  gibt  es  Törichtes  genug.  Ist 
es,  ruft  er  aus,  nicht  lächerlich,  wenn  Hektor(!),  der  in  den  Kampf  geht, 
mit  einem  in  ein  Getreidefeld  eingedrungenen  Esel  verglichen  wird? 
nicht  lächerlich,  wenn  eine  Prinzessin  am  Bache  wäscht  und  sich  bei 
Odysseus  über  ihren  Bruder,  den  Prinzen,  beklagt,  der  jede  Nacht  auf  den 
Ball  geht  und  sein  Weißzeug  so  oft  wechselt,  daß  sie  mit  Waschen  der 
Hemden  und  Kravatten  gar  nicht  nachkommt?  Die  Kravatten  erklärt 
Perrault  allerdings  nachher  als  nicht  homerisch,  aber  auch  das  übrige  ist 
hübsch  genug.  Die  bodenlose  Liederlichkeit  in  der  Berichterstattung  läßt 
es  sehr  glaublich  erscheinen,  daß  sich,  wie  berichtet  wird,  unter  Perrault's 
Büchern  kein  einziges  griechisches  befunden  habe.  Das  Gedicht  selbst  ist 
nicht  belustigend;  der  Verfasser  muß  seine  Witze  in  der  Vorrede  selbst 
erklären. 

Es  vergingen  Jahre,  bis  ein  anderer  Bruder,  Pierre  Perrault,  die 
Alten  wieder  angriff.  Boileau  hatte  Quinault's  Dramen  in  Epigrammen 
gegeißelt,  gegen  die  Pierre  den  Dichter  in  einem  Dialog  Critique  de 
Voperay  ou  examen  de  la  tragedie  intitalee  ^^Alceste  ou  le  triomphe  d'Älcide'^ 
zu  verteidigen  suchte.  Dabei  griff  er  die  Alkestis  des  Euripides  heftig 
an.  Es  widerfuhr  ihm  aber  dasselbe  Mißgeschick  wie  seinem  Bruder 
Claude  beim  Zitieren  Homers ;  er  machte  in  den  Angaben  über  Euripides 
die  dümmsten  Fehler,  um  sich  dann  über  die  Niedrigkeit  des  griechischen 
Dichters  zu  ereifern.  Die  Antwort  übernahm  kein  Geringerer  als  Racine 
in  der  Vorrede  zur  Iphigenie.  Er  verdanke,  sagt  er,  Euripides  zu  viel, 
um  nicht  zu  seinem  Andenken  Sorge  zu  tragen.  Die  modernen  Herren, 
die  ihn  angriffen,  hätten  ihn  einfach  nicht  recht  gelesen.  Darauf  weist 
er  ihnen  die  gröbsten  Irrtümer  nach  und  gibt  ihnen  den  Rat,  nicht  mehr 
so  leichtfertig  über  die  Werke  der  Alten  zu  urteilen.  Ein  Mann  wie 
Euripides  verdiene  zum  mindesten,  daß  man  ihn  studiere,  wenn  man 
doch  Lust  habe,  ihn  zu  verdammen. 

1678  gab  Pierre  eine  Übersetzung  von  Tassoni's  Secchia  rapita 
heraus  und  erörterte  in  der  Vorrede  die  Frage  nach  de?  Vorbildlichkeit 

12* 


IgO  Frankreich  und  die  Niederlande 

■des  Altertums.  Die  Werke  der  Alten,  sagt  er,  verdanken  ihren  Ruf  nur 
dem  Umstand,  daß  sie  in  einer  Zeit  erschienen,  wo  die  Geister  un- 
geschliffen und  ungebildet  waren,  und  einer  blinden  Unterwerfung,  die 
sich  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  forterbte.  Er  schließt  mit  einem 
gereizten  Angriff  auf  seinen  Widersacher  Boileau,  den  er,  ohne  ihn  zu 
nennen,  deutlich  genug  bezeichnet.  Er  wirft  ihm  vor,  noch  in  den 
Vorurteilen  der  Schule  befangen  zu  sein. 

Der  eigentliche  Begimi  des  Kampfes,  der  großen  Querelle  des 
Anciens  et  des  Modernes,  fällt  auf  den  27.  Februar  1687,  wo 
Charles  Perrault  in  der  Akademie,  die  zur  Feier  der  Genesung  des 
Königs  versammelt  war,  sein  Gedicht  Le  Siede  de  Louis  Je  Grand 
vorlas.  Darin  setzt  er  auseinander,  daß  durch  dieses  Jahrhundert  das 
Altertum  überholt  sei,  sowohl  durch  die  Ruhmestaten  des  Königs  als 
in  allen  Wissenschaften  und  Künsten.  Es  sind,  vom  Standpunkt  der 
Zeit  aus  gesehen,  lauter  Trivialitäten.  Denn  daß  man  in  der  Natur- 
wissenschaft über  Aristoteles  hinausgekommen  sei,  wußte  jeder  und 
hatte  besonders  Boileau  längst  behauptet,  und  von  Malerei  und  Musik 
der  Alten  konnte  Perrault  noch  weniger  wissen  als  wir.  Das  ist  aber 
auch  alles  nur  Folie  für  die  Hauptsache,  den  literarischen  Teil,  be- 
sonders für  dessen  Kern,  den  Angriff  auf  Homer.  Dessen  Genie  wird 
zunächst  in  einer  hohlen  Tirade  gepriesen,  aus  der  ersichtlich  ist,  daß 
Perrault's  Wissen  von  ihm  wesentlich  in  der  Kemitnis  von  Primaticcio's 
Malereien  in  Fontainebleau  bestand.  Dann  fährt  er  damit  fort,  daß, 
wenn  Homer  heute  in  Frankreich  geboren  wäre,  er  die  hundertfachen 
Fehler,  die  man  an  ihm  beklage,  vermieden  haben  würde.  Viel  ist's 
nicht,  was  er  ihm  vorzuwerfen  weiß,  und  für  dieses  Wenige  hat  er 
sich  nicht  bemüßigt  gefunden,  sich  selbst  mit  dem  Studium  Homers 
anzustrengen.  Den  Tadel  über  die  langen  Reden  der  Krieger  während 
der  Schlacht  fand  er  bei  Desmarets,  den  über  den  brutalen  und  grau- 
samen Charakter  der  Helden  bei  Rapin.  Im  Schluß  der  Partie  über 
Homer  sind  meder  Gedanken  von  Desmarets  ausgesponnen,  und  zwar 
so,  daß  man  deutlich  spürt,  wie  wenig  der  Verfasser  weiß,  worum  es 
sich  eigentlich  handelt.  Den  größten  Raum  nimmt  die  Kritik  des 
Achilleusschildes  ein,  und  hier  ist  Desmarets  die  einzige  Vorlage.  Aber 
Perrault  beweist,  daß  er  auch  diesen  seinen  Gewährsmami  nicht  recht 
gelesen  hat  oder  nicht  imstande  gewesen  ist,  dessen  Gedanken  in  Verse 
zu  verpacken.  Wenn  man  bei  Perrault  liest,  daß  auf  dem  Schilde  das 
schöne  Gestirn  des  Tages  glänzte  und  der  Mond  inmitten  seiner  schim- 
mernden Umgebung,  so  muß  man  schon  Desmarets  aufschlagen,  um  zu 
finden,  daß  damit  ein  Vorwurf  ausgesprochen  ist.    Desmarets  hatte  ge- 


Le  Siecle  de  Louis  le  Grand  181 

sagt,  der  gelehrte  Homer  wisse  nicht  einmal,  daß  man  die  Sonne  und  den 
Vollmond  nicht  zu  gleicher  Zeit  sehen  könne.  Den  wesentlichen  Nach- 
druck legt  Perrault  wie  Desmarets  auf  die  Unmöglichkeit,  in  der  bil- 
denden Kunst  Handlungen  und  Töne  auszudrücken.  Zu  den  bei  Desmarets 
aufgeführten  Zügen  sind  noch  einige  beigefügt,  die  auf  eine  verschwom- 
mene, vage  Erinnerung  an  eigene  Lektüre  einer  Homerübersetzung 
schließen  lassen  können. 

So  sehr  Perrault  mit  seinem  Angriff  innerhalb  der  Traditionen 
seiner  Familie  blieb,  so  drängt  sich  doch  die  Frage  auf,  warum  er 
gerade  jetzt  oder,  besser  gesagt,  erst  jetzt  damit  hervortrat.  Zwölf  volle 
Jahre  waren  verflossen,  seit  ihn  Desmarets  sterbend  zur  Rettung  Frank- 
reichs vor  den  Bewunderern  der  Antike  aufgerufen  hatte,  und  in  all 
dieser  Zeit  hatte  er  sich  des  Appells  niemals  erinnert.  Wenn  er  es 
jetzt  tat,  so  muß  er  eine  dringende  Veranlassung  gehabt  haben,  muß 
eine  persönliche  Ursache  vorhanden  gewesen  sein.  Wir  finden  diese, 
wenn  wir  das  Gedicht  vom  Zeitalter  Ludwigs  des  Großen  mit  der  Vor- 
rede des  kurz  vorher  erschienenen  Saint-Paulin  zusammenhalten.  Genau 
wie  früher  für  Desmarets,  handelt  es  sich  jetzt  für  Perrault  darum,  dem 
eigenen  Werke  den  Platz  zu  erkämpfen  durch  den  Angriff  gegen  alles, 
was  dessen  Anerkennung  hinderlich  sein  konnte  oder  mußte.  Nur  ist 
Perrault  ungleich  geschickter  als  Desmarets.  Er  geht  behutsam  und 
schrittweise  vor,  so  daß  er  sich  nicht  solche  Blößen  gibt  wie  sein  vor 
Eitelkeit  toller  Vorgänger.  Li  der  Einleitung  zum  Saint-Paulin  begnügt 
er  sich  mit  der  Kritik  der  lebenden  Widersacher  seiner  Familie,  Racine 
und  Boileau.  Auf  jenen  zielt  er  mit  der  Bemerkung,  gewisse  berühmte 
Dramatiker  unserer  Tage  hätten,  weil  sie  dem  Theaterpublikum  gefallen 
mußten,  den  Charakter  der  antiken  Heroen  verändert  und  ihnen  statt 
ihres  starken  und  hochfahrenden  Stolzes,  der  sie  die  Liebe  als  leeres 
Vergnügen  verschmähen  ließ,  eine  ungemessene  Zärtlichkeit  verliehen,  die 
der  Himmel  zu  einer  heroischen  und  herrschenden  Eigenschaft  zu  machen 
die  Laune  gehabt  habe.  Gegen  Racine  und  Boileau  zugleich  wendet 
sich  der  Schluß  der  Vorrede,  wo  Perrault  für  eine  günstige  Aufnahme 
des  Saint-Paulin  plädiert.  Er  beklagt  es,  daß  die  Gegenstände  des 
Erbarmens,  pitie,  für  die  Mehrzahl  der  Menschen  nicht  die  gleiche 
Anziehungskraft  hätten  wie  die  profanen,  die  der  Spötterei  und  der 
Liebe.  Es  sei  unglaublich,  wie  sehr  die  Bosheit  der  Medisance  und 
noch  mehr  die  der  Leser  ein  Werk  zu  empfehlen  imstande  sei,  und 
welchen  Anteil  sie  an  der  Freude  an  einem  solchen  Werk  und  dem 
Beifall  habe,  den  es  erhalte.  Sodann  ereifert  er  sich  über  die  vorzüg- 
lichen Genies,  die  sich  ganz  auf  die  Zeichnung  leichter  Unvollkommen- 


182  Frankreich  und  die  Niederlande 

heiten  beschränken,  um  sie  lächerlich  zu  machen,  oder  auf  die  Erregung 
gefährlicher  Leidenschaften,  statt  die  Schönheiten  des  Weltalls  und  die 
Tugenden  großer  Seelen  zum  Gegenstand  zu  nehmen.  Himmel,  Erde, 
Hölle,  Engel,  Dämonen  und  der  Schöpfer  selbst  könnten  würdige  Vor- 
würfe für  ihre  Bemühungen  sein,  ohne  daß  daraus  Katechismen  oder 
fromme  Betrachtungen  zu  werden  brauchten.  Die  letzte  Bemerkung 
ist  natürlich  gegen  den  Art  poetique  gerichtet. 

Es  wird  nun  verständlich,  warum  Perrault  in  seinem  der  Akademie 
vorgelesenen  Gedicht  unter  den  modernen  Schriftstellern,  die  der  Nach- 
welt zur  Apotheose  empfohlen  werden,  Racine  und  Boileau  wegläßt, 
während  so  mancher  Unbedeutende  Aufnahme  fand.  Sie  waren  für 
Perrault  bereits  abgetan,  und  den  Fehler  der  unleidlichen  Wiederholung, 
den  Desmarets  so  oft  beging,  wußte  er  zu  vermeiden.  Es  handelte  sich 
auch  um  viel  Wichtigeres  als  um  persönliche  Rancune.  Die  lebenden 
Widersacher  waren  zur  Seite  geräumt.  Es  erübrigte  noch,  die  von 
ihnen  verehrten  Muster  von  ihren  Piedestalen  zu  stürzen.  Auch  hier 
vermied  es  Perrault,  sein  Gedicht  über  Homer  und  Virgil  zu  erheben, 
wie  Desmarets  mit  seinem  Clovis  getan  hatte;  der  Saint -Paulin  wird 
gar  nicht  erwähnt.  Es  war  ein  bewundernswerter  Streich  der  Polemik, 
sich  auf  einen  erhabenen  Standpunkt  zu  stellen  und  die  gesamte  Gegen- 
wart zum  gesamten  Altertum  in  Gegensatz  zu  bringen.  Dadurch,  daß 
Perrault  auf  diese  W^eise  klüglich  die  Frage  falsch  stellte,  brachte  er 
mit  dem  gefeierten  Altertum  auch  dessen  Verehrer  zu  Fall  und  entzog 
ihnen  zugleich  jede  Möglichkeit  eines  wirksamen  Widerspruchs.  War 
doch  niemand,  der  seine  Auffassung  als  Ganzes  hätte  verwerfen  mögen, 
am  wenigsten  Boileau  selbst.  Dieser  durchschaute  Perrault's  Taktik 
sehr  wohl:  in  der  zehnten  Satire  läßt  er  die  pedantischen  Verehrer  des 
Altertums,  Magistrate,  Prinzen,  Herzöge,  ohne  Erröten  Virgil  und 
Terenz  lesen,  während  sie  von  der  Existenz  eines  Saint -Paulin  gar 
keine  Ahnung  haben.  Aber  er  war  in  eine  schiefe  Position  gedrängt, 
die  ihm  zunächst  eine  nach  allen  Seiten  klare  Stellungnahme  nicht  ge- 
stattete. 

Es  wäre  berechtigter  und  verdienstlicher  gewesen,  wenn  Perrault 
den  Einfluß  des  Altertums  in  einem  andern  Punkte  bekämpft  hätte  als 
in  Homer,  den  das  große  Publikum  ebensowenig  kannte  als  Perrault 
selbst.  Weit  mehr  als  das  Ansehen  einiger  alter  Schriftsteller  lastete 
auf  der  französischen  Poesie  die  Autorität  des  Aristoteles  und  der  aus 
ihm  abgeleitete  Regelzwang.  Aber  diesen  anzugreifen  fiel  Perrault  gar 
nicht  ein,  der  sprechendste  Beweis,  daß  etwas  ganz  anderes  geplant  war 
als  eine  Befreiung  und  Erneuerung  des  geistigen  Lebens. 


Perrault     La  Fontaine     Longepierre  183 

Das  Resultat  der  Angriffe  Perraults  war  nun  zwar  kein  direkter 
Erfolg.  Weder  wurde  der  Saint-Paulin  dadurch  ein  weniger  schlechtes 
Gedicht,  noch  büßten  Racine  und  Boileau  ihren  Ruhm  als  Schrift- 
steller ein.  Wohl  aber  kam  es  über  die  Wertschätzung  der  Antike 
zu  jenem  langwierigen  Streit,  den  Macaulay  nachmals  müßig  und  ver- 
ächtlich genannt  hat. 

Die  Verteidigung  der  gescholtenen  Alten  übernahm  zuerst  La  Fon- 
taine, der  gleich  nach  der  Sitzung  der  Akademie  eine  poetische  Epistel 
an  Hu  et,  den  Bischof  von  Soissons,  verfaßte,  als  Begleitschreiben  zu 
Horatio  Toscanella's  italienischer  Übersetzung  des  Quintilian  von  1566. 
Das  zierliche  Gedicht  ist  von  den  durch  Perrault  erregten  Empfindungen 
ganz  erfüllt.  La  Fontaine  gibt  zu,  daß  es  törichte  Nachahmer  der 
Alten  gebe;  aber  die  Art,  wie  er  selbst  das  Altertum  nachahme,  könne 
durchaus  nicht  als  Sklaverei  bezeichnet  werden.  Wohl  nehme  auch 
er  Gedanken,  Wendungen,  Gesetze  auf,  welche  die  Meister  selbst  verwendet 
hätten;  aber  wenn  eine  ausgezeichnete  Stelle  ohne  Gewaltsamkeit  in 
seinen  Versen  Platz  finde,  gebe  er  ihr  Raum  und  suche  sie  sich  zu 
eigen  zu  machen.  Mit  Schmerz  sieht  er  diesen  Weg  verachtet.  Terenz 
ist  immer  in  seinen  Händen,  an  Horaz  belehrt  er  sich,  Homer  und 
Virgil  sind  seine  Götter  des  Parnaß.  Aber  er  weiß,  daß  er  tauben 
Felsen  predigt.  Heute  darf  man  nur  das  eigene  Jahrhundert  preisen. 
Gewiß  hat  es  Vorzüge,  aber  neben  den  großen  Namen  ist  unser  Ruhm 
gering. 

Ähnliche  Töne  stimmt  Longepierre  an,  einer  der  gründlichsten 
Kenner  des  Griechischen  seiner  Zeit.  In  seinem  Discours  sur  les  Auteurs 
1687  sagt  er,  daß  er  den  Alten  die  glücklichsten  Stunden  seines  Lebens 
verdanke  und  es  für  Undank  hielte,  wenn  er  jetzt  nicht  für  sie  ein- 
träte. Perrault' s  Gedicht  hält  er  für  ein  Spiel  des  Witzes  und  findet 
nur  die  Unwissenden  tadelnswert,  die  sich  jetzt  lärmend  vordrängen. 
Scharf  hebt  er  hervor,  daß  es  sich  in  dem  Streit  nur  um  die  Frage 
der  Poesie  und  Beredsamkeit  handeln  könne;  denn  auch  die  Verehrer 
des  Altertums  verkennten  die  Fortschritte  in  Physik  und  Astronomie 
keineswegs.  Homer  und  Virgil,  fährt  er  fort,  dürften  keiue  Gnade  er- 
warten, denn  der  Hauptgrund,  weshalb  sie  angeklagt  werden,  sei  ihre 
Größe.  Perrault  beginne  mit  dem  Lob  Homers,  der  gefährlichsten  Art 
der  Polemik,  um  dann  seine  Fehler  zu  übertreiben.  Wie  kann  man 
Homer  aus  erbärmlichen  Prosaübersetzungen  kennen  lernen?  selbst  die 
besten  geben  kein  Bild  von  ihm,  denn  Poesie  und  Prosa  sind  zwei 
verschiedene  Sprachen.  Man  hat  auch  Virgil  besudelt.  Warum  bewies 
man  nicht  lieber,  daß  der  Moyse  von  Saint-Amand  und  der  Jonas  von 


184  Frankreich  und  die  Niederlande 

Coras  weit  über  Homer  und  Virgil  stehen?  Longepierre  hofft  das  Ver- 
gnügen, auch  das  zu  hören,  noch  zu  erleben.  Sein  Büchlein  atmet  eine 
edle  Wärme  und  ist  in  schöner  Sprache  verfaßt.  Er  ist  keineswegs  ge- 
willt, den  Modernen  unrecht  zu  tun;  aber  die  Alten,  meint  er,  stehen 
noch  über  uns,  wir  alle  haben  uns  an  ihnen  gebildet,  auch  ihre  Ver- 
kleinerer. 

Auf  Seiten  Perrault's  erschien  als  der  wichtigste  Kämpfer  Fonte- 
nelle.  Schon  1678  hatte  er  die  Reflexions  sur  la  Poetiqiie  erscheinen 
lassen,  in  denen  er  sich  in  geistreich  freier  Weise  über  die  durch  die 
aristotelische  Poetik  aufgeworfenen  Fragen  ergeht,  unter  ungeheuren  Lob- 
sprüchen auf  Corneille  und  scharfen  Angriffen  gegen  den  von  ihm  ge- 
haßten Racine.  Höchst  eigenartig  ist  seine  Stellung  zur  poetischen  Form. 
Die  natürliche  Schönheit  der  Rede  besteht  für  ihn  ausschließlich  in  der 
Reichhaltigkeit  und  Lebhaftigkeit  der  Gedanken,  der  glücklichen  Wahl 
des  Ausdruckes  usf.  Ganz  ohne  Not  habe  die  Theorie  die  Poesie  durch 
Vers  und  Reim  eingeengt  und  den  Dichtern  den  Zwang  auferlegt,  sich 
damit  zurecht  zu  finden,  ohne  daß  sie  den  Zwang  merken  lassen  dürften. 
Nach  Fontenelle  besteht  der  Unterschied  der  Poesie  von  der  Prosa  aus- 
schließlich in  der  unnötigen  Kunst  Verse  und  Reime  zu  machen.  Auch 
bestreitet  er  am  Schlüsse,  daß  Spekulationen  über  die  Regeln  des 
Schönen  zum  Ziele  führen  können,  da  die,  welche  solche  anstellen,  der 
Herrschaft  der  Philosophie  Dinge  unterwerfen,  die  nach  der  gewöhnlichen 
Auffassung  den  Launen  des  Geschmackes  zu  überlassen  seien.  Im 
fünften  Stück  der  Bidlogues  des  morts  1683  nahm  Fontenelle  gegen 
die  allegorische  Deutung  der  homerischen  Götter  Stellung.  Aesop  preist 
in  dem  Dialog  Homer  als  Meister  darin,  die  wichtigsten  moralischen 
Vorschriften  unter  richtigen  Bildern  zu  verbergen.  Homer  belehrt  ihn 
aber,  daß  ihm  dergleichen  gar  nie  eingefallen  sei.  Es  sei  überhaupt  ein 
Irrtum  zu  glauben,  daß  der  menschliche  Geist  nur  nach  der  Wahrheit 
strebe;  Fabeln  könnten  gefallen,  ohne  irgendeine  Wahrheit  zu  enthalten. 
Das  Wahre  brauche  die  Gestalt  des  Falschen,  um  angenehm  zu  sein, 
das  Falsche  bringe  das  selbst  fertig,  denn  im  menschlichen  Geiste  sei 
seine  Geburtsstätte  und  Heimat.  Wenn  er  sich  noch  so  sehr  bemüht 
hätte,  allegorische  Fabeln  zu  ersinnen,  so  wären  den  meisten  Leuten 
die  Fabeln  selbst  nicht  allzu  unwahr  vorgekommen,  und  sie  hätten  die 
Allegorie  auf  sich  beruhen  lassen.  In  Wahrheit  habe  man  seine  Götter 
auch  ohne  Geheimnisse  gar  nicht  lächerlich  gefunden.  Aesop  brauche 
jedoch  nicht  zu  fürchten,  daß  man  seine  Tierfabeln  für  wahr  halten 
könnte;  denn  die  Menschen  w^ollten  wohl,  daß  die  Götter  ebenso  töricht, 
nicht  aber,  daß  die  Tiere  ebenso  verständig  seien  wie  sie. 


Fontenelle  185 

Fortschritt  sieht  Fontenelle  gegenüber  dem  Altertum  in  den  exakten 
Wissenschaften,  leugnet  aber,  daß  sich  die  Kräfte  der  Natur  je  ändern. 
Der  Geist  macht,  wenn  auch  immer  nur  in  Wenigen,  Fortschritte,  das 
Herz  nicht.  Also  können  sich  wohl  Ideen,  nicht  aber  Leidens chaiten 
ändern.  Der  wirkliche  Fortschritt  der  Menschen  ist  ein  Traum,  der 
uns  aber  stets  antreibt,  höheren  Zielen  zuzustreben. 

In  der  Schrift  Sur  la  poesie  en  general  erörtert  Fontenelle  den  Ur- 
sprung der  Poesie,  den  er  im  metrisch  gebundenen  Vortrag  der  Gesetze 
und  in  dem  den  Vogelstimmen  nachgeahmten  Gesang  findet.  Bald  wurden 
die  untergelegten  Verse  die  Hauptsache,  kühne  dichterische  Freiheiten 
traten  dazu.  Die  Phantasie  der  Dichter  übernahm  aus  dem  Glauben 
unwissender  Völker  die  seltsame  Menge  von  Göttern;  was  sie  diesen 
alles  zuschrieben,  vermehrte  die  Wunderbarkeit  der  poetischen  Sprache. 
Vor  der  Menge  des  übernatürlichen,  divin,  verschwand  die  einfache 
Natur  fast  ganz.  Und  doch  ist  jenes  den  Menschen  so  angemessen, 
daß  selbst  wir,  die  wir  es  durchschauen,  es  beinahe  mit  der  alten 
Macht  auf  uns  wirken  lassen  und  behaglich  in  die  Kindheit  zurück- 
sinken. Doch  sind  die  fabelhaften  Bilder  für  die  Poesie  nicht  geeig- 
neter als  die  materiellen;  ein  gut  geschilderter  Seesturm  ohne  Neptun 
ist  geradeso  schön  wie  einer  mit  diesem.  Zum  Geiste  sprechen  die 
spirituellen  Bilder,  aber  noch  höher  stehen  die  philosophischen.  Fonte- 
nelle sieht  die  Zeit  kommen,  wo  Philosophie  und  Poesie  sich  verbinden, 
ja,  wo  der  Dichter  mehr  Geist  als  poetisches  Talent  besitzen  wird. 
Daß  für  einen  solchen  Inhalt  die  Prosa  geeigneter  wäre,  spricht  er 
hier  noch  nicht  aus. 

Fontenelle  hatte  in  seiner  Dissertation  Sur  la  nature  de  VEglogue 
seine  neue  Idyllenpoesie  gegenüber  Theokrit  und  Virgil  gerechtfertigt 
und  gab  als  Anhang  dazu,  bald  nach  Perrault's  Auftreten  in  der 
Akademie,  die  Bigression  sur  les  Anciens  et  les  Modernes,  die  ihn  für 
die  Freiheit  entschuldigen  sollte,  gegen  so  berühmte  Muster  aufgetreten 
zu  sein.  Da  die  Natur,  führt  er  aus,  früher  die  nämliche  und  auch 
das  menschliche  Gehirn  nicht  feiner  organisiert  war  als  jetzt,  das  Klima 
der  Länder  des  Altertums  von  dem  Frankreichs  nicht  sehr  abweicht 
und  die  Übertragung  der  Kultur  die  Völker  einander  angleicht,  so  ist 
ein  Unterschied  zwischen  Antiken  und  Modernen  nicht  vorhanden.  Ob 
nun  darin  ein  Vorzug  liege,  in  den  Erfindungen  die  Ersten  zu  sein, 
oder  nicht,  jedenfalls  haben  wir  auf  den  Alten  weiter  gebaut.  Nicht 
überall  ist  es  möglich,  sie  zu  überbieten.  In  den  exakten  Wissen- 
schaften, deren  Entwicklung  auf  der  Vervollkommnung  des  Denkens 
beruht,  vollzieht  sich  ein  wenn  auch  langsamer  Fortschritt,  und  in  der 


186  Frankreich  und  die  Niederlande 

Philosophie  hat  Descartes  für  die  Art  des  Denkens  eine  bessere  Methode 
gebracht.  In  den  Künsten,  die  von  der  Lebhaftigkeit  der  Phantasie 
abhängen,  Beredsamkeit  und  Poesie,  konnten  die  Alten  die  Vollkommen- 
heit erreichen.  Ob  sie  sie  wirklich  erreicht  haben,  wäre  nur  durch 
eine  endlose  Untersuchung  festzustellen,  deren  Resultat  die  blinden 
Verehrer  der  Antike,  namentlich  das  abergläubische  Volk  der  Kommen- 
tatoren, doch  nicht  befriedigen  würde.  Im  Altertum  überragt  die  Be- 
redsamkeit die  Poesie,  die  eigentlich  zu  nichts  gut  ist;  in  beiden  stehen, 
abgesehen  von  der  Tragödie,  die  Römer  über  den  Griechen,  weil  jene 
eben  damals  die  Modernen  waren.  Bei  der  Beurteilung  der  Alten  hat 
man  diese  wie  Moderne  zu  behandeln;  man  muß  auch  bei  ihnen  Fehler 
entdecken  dürfen.  Wenn  sie  in  einigen  Dingen  nicht  zu  übertreffen 
sind,  zu  erreichen  sind  sie  doch. 

Es  ist  richtig,  daß  sich  erst  mit  der  Renaissance  des  Altertums  Ver- 
nunft und  Geschmack  wieder  einstellten;  aber  wir  würden  die  jetzt  aus 
dem  Altertum  übermittelten  Ideen  auch  selbst  gefunden  haben,  nur  mit 
mehr  Mühe.  Denn  für  das  Individuum  Menschheit  hat  das  Mittelalter 
doch  nur  die  Bedeutung,  die  für  den  einzelnen  Menschen  eine  gedächtnis- 
raubende Krankheit  hat;  nachher  kommt  das  Gedächtnis  wieder,  aber 
er  muß  von  vom  anfangen.  Das  Altertum  war  die  Jugend  der  Mensch- 
heit; jetzt  hat  sie  ihr  männliches  Alter,   das  nie  mehr  aufhören  wird. 

Die  Vervollkommnung  erschwert  die  Ausübung  der  Künste,  gibt 
aber  auch  neue  Mittel  an  die  Hand.  Homer,  der  in  einem  Verse  fünf 
Dialekte  verwenden  und  mit  der  Sprache  beliebig  schalten  konnte,  war 
mit  dieser  Freiheit  in  einer  günstigeren  Lage  als  wir.  Dafür  sind 
wir  durch  die  poetischen  Ideen  bereichert,  die  uns  die  Alten  geliefert 
haben,  und  werden  durch  die  Regeln  und  Erwägungen  über  die  Kunst 
gebildet.  Als  die  Römer  die  Modernen  waren,  klagten  sie  über  die 
Vorliebe  für  die  Griechen;  jetzt  gelten  uns  beide  als  Alte.  So  werden 
auch  wir  nach  langen  Jahrhunderten  zu  den  Alten  gehören  und  als 
Zeitgenossen  der  Griechen  und  Römer  gelten.  Dann  wird  man  die 
Tragödien  und  Komödien  unserer  guten  Zeit  den  ihrigen  vorziehen.  Es 
wäre  jedoch  zu  wünschen,  daß  die  Nachwelt  uns  dann  nicht  als  uner- 
reichte Muster  hinstellte;  denn  nichts  hindert  den  Fortschritt  mehr  als  die 
übermäßige  Bewunderung  der  Früheren.  Die  unbedingte  Autorität  Des- 
cartes' wäre  ebenso  gefährlich,  wie  es  die  des  Aristoteles  war.  Die  kleine 
Bigression  ist  in  ihrer  ruhigen  Sicherheit  unbedingt  eine  der  bedeutendsten 
Erscheinungen  in  dem  ganzen  Streit. 

Unter  den  Anhängern  der  Alten  verdient  vor  allem  Fran9ois  de 
Gallier  es   hervorgehoben   zu   werden,   der  in   seiner  Histoire  poetique 


Fontenelle     De  Callieres  187 

de  la  guerre  nouvellemenf  declaree  entre  les  Anciens  et  les  Modernes  1688 
den  Streit  mit  echt  gallischem  Witz  behandelte.  Seine  unmittelbare 
Vorlage  war  die  noch  viel  witzigere  Schrift  von  Antoine  Furetiere 
Nouvelle  dllegorique  ou  histoire  des  derniers  troubles  arrives  au  royaume 
de  Veloquence  1659.  Furetiere  schildert  den  Krieg,  den  der  Prinz  Gali- 
matias,  König  der  Pedanten,  gegen  die  Königin  Rhetorique  führt.  Dieser 
schickt  die  Königin  Poesie  ihre  Kavallerie  zu  Hilfe,  unter  Chapelain's 
Kommando,  der  zwar  seine  Truppen  nur  langsam  zusammenbringt, 
aber  mit  massenhaften  Beschreibungen  und  Gleichnissen  ein  viel  präch- 
tigeres Korps  stellt,  als  die  eilig  zusammengerafften  Truppen  von  Scudery 
und  Desmarets  waren.  Der  zuerst  geschlagene  Galimatias  verstärkt  sich 
durch  Aristoteles,  den  früheren  Premierminister  der  Königin  Philosophie, 
der  häßliche  Superkluge  ihre  Töchter  Logik,  Physik,  Moral  und  Meta- 
physik geraubt  hatten,  und  die  selbst  in  die  Wildnis  geflohen  war. 
Aristoteles  wird  gefangen,  alles  dessen  beraubt,  was  er  Schönes  und 
Feines  hatte,  in  erbärmliche  Gewänder  gesteckt,  die  man  Versionen 
nannte,  und  es  werden  ihm  Dinge  angedichtet,  die  er  gar  nie  gesagt 
hatte.  Er  muß  in  den  Dienst  der  Pedanten  treten,  doch  gelingt  es 
ihn  auf  die  Seite  der  Königin  Rhetorique  hinüberzuziehen,  worauf  sich 
der  Sieg  auf  ihre  Seite  neigt. 

Dieses  Werk,  das  gegen  den  mittelalterlichen  Betrieb  der  Wissen- 
schaft gerichtet  war,  nahm  sich  de  Callieres  zum  Muster.  Während 
andere,  wie  Dacier  und  Menage,  schalten  und  dadurch  ihrer  Sache  in 
den  Augen  des  Publikums  schadeten,  erhob  er  sich  in  die  Höhen  des 
Humors.  Sein  Buch  erstreckt  sich  nur  auf  die  Literatur,  behandelt 
jedoch  alle  Gattungen  derselben.  Ich  beschränke  mich  auf  die  das  Epos 
betreffenden  Partien.  Auf  dem  Parnaß,  dem  Aufenthalt  der  verstorbenen 
Schriftsteller,  wird  durch  die  Renommee  das  Gedicht  Perrault's  vorge- 
lesen, das  die  Bewohner  des  Dichterberges  sofort  in  zwei  feindliche 
Lager  scheidet.  Sie  halten  auf  den  zwei  Gipfeln  des  Parnaß  Rat,  worauf 
die  Alten  unter  Anführung  Homers  nach  dem  Helikon  marschieren,  um 
sich  der  Hippokrene  zu  versichern.  Die  Modernen  ziehen  ihnen  unter 
Corneille' s  Oberbefehl  nach,  aber  unter  ihren  Führern  herrscht  Eifer- 
sucht. Vor  der  Hippokrene  stellen  sich  die  Heere  auf.  Führer  sind 
die  Dichter,  die  Heeresabteilungen  ihre  Werke,  die  Krieger  deren  Per- 
sonen. Vor  der  Schlacht  verlangen  die  französischen  Epiker  ein  Kom- 
mando, aber  nur  Scudery  erhält  die  Artillerie,  um  die  Feinde  mit  seinen 
Hyperbeln  und  andren  übertriebenen  Wendungen  zu  beschießen.  Die 
anderen  werden  zur  Bagage  geschickt,  deren  Karren  mit  dem  in  der  neuen 
Poesie  notwendigen  Wortschwall  beladen  sind.    Desmarets  bekonmit  die 


188  Frankreich  und  die  Niederlande 

Wagen  mit  den  poetisclien  Visionen  zur  Bewachung,  Saint-Amand  die  Karren 
mit  Champagner  und  Burgunder,  da  ihn  der  Wein  stets  zu  Versen  be- 
geistert hat;  Chapelain  endlich  wird  zu  den  Eiswagen  beordert,  da  keine 
Gefahr  besteht,  daß  in  der  Nähe  seiner  frostigen  Pucelle  das  Eis  schmelzen 
werde.  Homer  nimmt  Eustathios  auf  seinen  Streitwagen;  der  gelehrte 
Erklärer  ist  mit  allen  Verteidigungsmitteln  gegen  die  Homergeißler 
bewehrt.  Homer  ist  besonders  für  seinen  Schild  bange,  aber  Eustathios 
versichert  ihn,  daß  alle  Stöße  der  Gegner  gegen  diesen  undurchdring- 
lichen Schild  nichts  vermögen  werden. 

Den  eigentlichen  Kampf  eröffnet  Luiz  de  Camoens,  der  Dichter 
des  großen  portugiesischen  Epos  Die  Lusiadetij  das  die  Entdeckungen 
des  Vasco  de  Gama  und  seine  Fahrt  nach  Indien  besang,  ein  schönes^ 
von  poetischer  und  patriotischer  Begeisterung  getragenes  Gedicht,  dem 
Virgil  und  Tasso  zugleich  Vorbilder  waren.  Den  ersten  Angriff  läßt 
de  Callieres  durch  ihn  führen,  weil  Camoens  im  Eingang  seinen  Stoff 
dem  der  Ilias,  Odyssee,  Aeneis  und  den  Taten  Alexanders  überlegen 
erklärt  hatte.  Achill,  Aias  und  Diomedes  ärgern  sich,  daß  man  ihnen 
portugiesische  Krämer  und  Abenteurer  gegenüberstellt,  und  stürzen  sich 
auf  die  Lusiaden.  Diese  widerstehen  tapfer,  aber  es  rächt  sich  die  Ver- 
mischung der  heidnischen  Fabelgötter  mit  den  christlichen  Engeln  und 
Dämonen.  Mars  und  Venus,  die  für  die  Lusiaden  kämpfen,  erkennen 
Diomedes  und  fliehen,  gefolgt  von  den  anderen  bei  Camoens  zitierten 
Göttern.  Das  führt,  in  Verbindung  mit  dem  schlechten  Aufbau  des 
Gedichtes,  eine  totale  Niederlage  der  Lusiaden  herbei.  Camoens  flieht 
dreimal  um  das  Lager  der  Griechen,  wird  aber  von  Homer  eingeholt 
und  wie  Hektor  geschleift,  auch  wie  Hektor  von  seinen  Fabelgöttern 
behütet.  Corneille  fordert  durch  einen  Gesandten  die  Herausgabe  des 
Dichters,  aber  Homer  verlangt,  Corneille  solle  selbst  kommen  wie  Pria- 
mos;  die  Geschichte  könne  er  in  der  Ilias  nachlesen.  In  der  nunmehr 
entstehenden  allgemeinen  Schlacht  wird  Tasso  von  Virgil  gänzlich  zer- 
hauen und  unter  der  Bedingung  begnadigt,  daß  er  sich  nie  mehr  mit 
ihm  vergleichen  lasse. 

In  der  Nacht  schleichen  Voiture  und  Sarrazin  in  das  Lager  der 
Ilias  und  entwenden  die  Verse,  die  den  Gürtel  der  Aphrodite  besingen. 
Um  sie  wieder  zu  bekommen,  bietet  Homer  die  Auslieferung  des 
Camoens  an.  Die  Modernen  wollen  zuerst  von  dem  Tausche  nichts 
wissen,  da  jene  Verse  mehr  wert  seien  als  der  ganze  Camoens,  gehen 
aber  schließlich  darauf  ein,  da  Boileau  ihnen  klar  macht,  daß  durch 
die  Anwesenheit  der  Verse  in  ihrem  Lager  ihre  ganze  Poesie  für  immer 
den  Duft  der  Schönheit  empfangen  habe. 


1 


De  Callieres     Perraiilfc  Parallele  189 

Darauf  beruft  ApoUon  die  Streitenden  vor  sein  Schiedsgericht. 
Er  fordert  zuerst  Homer  auf,  zu  sprechen.  Vorher  sagt  er  ihm,  er 
müsse  den  Modernen  ihre  Angriffe  verzeihen,  denn  sie  verständen  ihn 
gar  nicht,  und  die  Mehrzahl  spräche  von  ihm,  ohne  ihn  zu  kennen. 
Darauf  verteidigt  Homer  vor  allem  den  Achilleusschild.  Maler  und 
Bildhauer  stellten  doch,  sagt  er,  nicht  nur  Bewegungen,  sondern  auch 
Affekte  dar,  und  Perrault  tue  in  dem  Gedicht  von  den  Rossen  in  Ver- 
sailles dasselbe,  was  er  an  ihm  tadle.  Das  Schlußurteil  Apollons  über 
alle  Dichter  ist  nach  jeder  Seite  hin  sehr  billig.  Die  alten  und  neuen 
Dramatiker  wurden  gleichgestellt,  dagegen  der  erste  Rang  der  modernen 
Epiker  für  vakant  erklärt. 

Das  größte  Lob  ernten  in  dem  Gedicht  zwei  noch  lebende  Moderne, 
die  sich  stark  zu  den  Alten  hingezogen  fühlen.  Gemeint  sind  Racine 
und  Boileau,  die  den  Besten  der  Alten  gleichgestellt  werden.  Am 
ganzen  Gedicht  hat  Perrault  nichts  so  geärgert  wie  dieser  Ruhm  seiner 
Gegner. 

Man  hatte  in  verschiedenen  Kreisen  geglaubt,  Perrault's  Gedicht 
sei  ein  Spiel  des  Witzes,  und  es  sei  ihm  nicht  ernst  damit.  Dieser 
Auffassung  tritt  er  in  dem  weitschichtigen  Buche  Parallele  des  Änciens 
et  des  Modernes  entgegen.  Der  erste  Teil  erschien  1688,  der  letzte 
1697.  Das  Werk  ist  in  Form  eines  Dialogs  verfaßt,  den  drei  Männer 
bei  einem  Besuch  von  Versailles  führen.  Der  eine  ist  der  in  der  ganzen 
Weltliteratur  bewanderte,  aber  in  verbohrter  Parteinahme  für  das  Alter- 
tum befangene,  übrigens  in  der  Debatte  ungeschickte  President.  Ihm 
steht  der  Abbe  gegenüber,  der  zwar  auch  mancherlei  studiert,  aber  sich 
alles  zu  eigen  gemacht  hat  und  aus  dem  eigenen  reichen  Geiste  durch 
Reflexion  tausend  vernünftige  und  richtige  Gedanken  schöpft;  in  ihm 
präsentiert  sich  Perrault  selbst  dem  Publikum.  Der  dritte  ist  der 
Chevalier,  der  zum  Abbe  neigt  und  die  stärksten  Ausfälle  gegen  die 
Alten  vorzutragen  hat. 

Der  erste  Dialog  handelt  von  den  Vorurteilen  gegenüber  den  Alten. 
Perrault  sucht  darin  zu  beweisen,  daß  man  sein  Gedicht  ganz  falsch 
verstanden  habe,  da  er  gar  kein  Feind  des  Altertums  sei,  sondern  es 
aufrichtig  bewundere;  er  habe  nur  zeigen  wollen,  daß  die  Modernen 
jene  eingeholt,  ja  übertroffen  haben.  Im  übrigen  ist  der  Dialog  eine 
gesprächige  Ausführung  der  Ideen  Fontenelle's,  nur  ohne  dessen  Scharf- 
sinn und  Vorsicht.  Während  dieser  die  Überlegenheit  der  Modernen 
auf  exakte  Wissenschaften  und  Methode  des  Denkens  beschränkt  hatte, 
wirft  Perrault  alles  in  einen  Tiegel.  Er  behauptet  kurzerhand,  die 
Wissenschaften  und  Künste  seien  beide  nichts  als  eine  Anhäufung  von 


190  Frankreich  und  die  Niederlande 

Reflexionen,  Regeln  und  Vorschriften,  und  da  diese  sich  im  Laufe  der 
Zeit  notwendig  vermehrten,  so  müsse  die  spätere  Zeit  immer  die  reichere 
sein.  Darauf  kommt  es  Perrault  eben  an,  daß  seine  Theorie  vom  Fort- 
schritt auf  die  Literatur  erstreckt  werden  könne,  denn  alles  andere 
waren  doch  Kämpfe  mit  Windmühlen.  Die  Zeit,  die  er  in  so  düstern 
Farben  malt,  wo  man  sich  die  Kenntnisse  in  Physik  und  Naturgeschichte 
aus  Aristoteles  holte,  war  ja  längst  überwunden.  Bemerkenswert  für 
Perrault  ist,  daß  ihm  Fontenelle's  Satz,  die  Welt  stehe  jetzt  im 
Mannesalter  und  werde  dabei  verharren,  nicht  genügt.  Für  ihn  ist  der 
Gipfel  erreicht,  di'e  Welt  befindet  sich  in  ihrem  Greisenalter,  der  Fort- 
schritt nähert  sich  dem  Solstitium. 

Die  Erörterungen  des  zweiten  Dialogs  über  bildende  Künste  und 
der  dritte  über  Beredsamkeit  berühren  uns  hier  nicht  näher.  Wenden 
wir  uns  zum  vierten,  1692  erschienenen  Dialog,  der  die  Poesie  behandelt. 

Kurz  vorher  hatte  Andre  Dacier  eine  Übersetzung  der  Poetik 
des  Aristoteles  mit  einem  Kommentar  erscheinen  lassen.  Das  Buch  ist 
sehr  fleißig  und  gelehrt,  steht  aber  hinter  den  italienischen  Arbeiten 
des  16.  Jahrhunderts  weit  zurück.  Denn  nicht  nur  bedeutet  es  in  allen 
Punkten  eine  unbedingte  Unterwerfung  unter  die  Autorität  des  Aristo- 
teles, sondern  Dacier  wendet  sich  geradezu  mit  Heftigkeit  gegen  Castel- 
vetro,  der  nach  ihm  das  konträre  Gegenteil  eines  guten  Kritikers  ist, 
und  den  er  sogar  mit  dem  maßlosen  Thersites  vergleicht.  Offenbar  ist 
ihm  Castelvetro's  geistige  Freiheit  zuwider  und  erscheint  ihm  gefährlich. 

Dacier's  Werk  ist  von  dem  entbrannten  Streit  nicht  unberührt  ge- 
blieben. Es  enthält  an  mehreren  Stellen  Verteidigungen  Homers  gegen 
die  Angriffe  der  Modernen,  nicht  immer  in  der  glücklichsten  Art.  Ganz 
zutreffend  ist  indessen  die  Zurückweisung  der  Kritik  des  Achilleusschildes, 
wie  sie  in  Perrault's  Gedicht  zu  lesen  war.  Nachdem  Dacier  dessen 
sprachliche  Irrtümer  nachgewiesen  hat,  legt  er  dar,  daß  man  von  einem 
Gemälde  gar  nicht  anders  reden  könne,  als  Homer  es  getan  habe.  Wenn 
man  ein  Bild  von  Raffael  oder  Poussin  erklären  wollte,  so  würde  man 
nicht  umhin  können,  alle  Figuren  zu  beleben,  indem  man  sie  der  Absicht 
des  Malers  entsprechend  reden  ließe.  Nur  wie  es  der  Bildner  anstellte, 
die  kretischen  Tänze  und  das  Heer,  das  sich  in  den  Hinterhalt  legt, 
darzustellen,  ist  Dacier  nicht  klar  geworden.  Perrault  bezieht  sich  in 
der  Vorrede  zum  vierten  Dialog  auf  Dacier's  Angriff. 

In  diesem  vierten  Dialog  würden  wir  gern  eine  Anlehnung  an 
Tassoni  finden;  aber  von  den  vielen  Punkten,  in  denen  dieser  den  Homer 
tadelt,  ist  von  Perrault  kein  einziger  aufgenommen  Das  ist  sehr  auf- 
fallend,  wenn  man   bedenkt,   wie  gern  sich  Perrault  fremder  Krücken 


Perrault  Parallele     Dacier  191 

bediente,  und  wieviel  besser  die  Auswahl  bei  Tassoni  ist.   Ich  bin  sicher, 
daß  Perrault  diesen  nicht  gekannt  hat. 

Die  Einleitung  des  Dialogs  bildet  eine  Definition  der  Poesie,  die 
in  allem  der  Malerei  gleichgesetzt  wird,  nur  daß  ihr  Mittel  das  Wort 
ist.  Nun  gibt  es  zwei  Arten  von  Ornamenten  der  Poesie.  Die  eine  ge- 
hört allen  Zeiten  an:  Leben,  Gefühl,  Leidenschaften,  Wort  und  Überlegung, 
die  man  Dingen  gibt,  die  deren  entbehren.  Die  andere  ist  kunstgemäß 
und  in  verschiedenen  Ländern  konventionell  geordnet.  Dazu  gehören 
die  Götter  der  Alten,  die  Engel  und  Dämonen  der  Modernen.  Die  Poesie 
kann  ihrer  entbehren,  wie  die  Psalmen  zeigen.  Die  antiken  Götter  ge- 
hören überhaupt  nicht  ausschließlich  der  alten  Poesie  an.  Viele  fran- 
zösische Dichter  haben  sie  mit  großem  Erfolg  auf  neue  Weise  verwendet; 
man  darf  nur  nicht  sklavisch  nachahmen.  In  christlichen  Gedichten  ist 
ihre  Ersetzung  durch  Engel  und  Teufel  vollkommen  berechtigt,  da  dies 
reale  Wesen  sind  und  sich  nach  unserem  Glauben  durch  den  Willen 
Gottes  in  die  Handlungen  des  Menschen  mischen.  Es  ist  also  ihre  Ein- 
führung keine  Ungehörigkeit,  wie  Boileau  meint;  denn  die  Poesie  ist 
durchaus  nicht  immer  nur  ein  geistreiches  Spiel.  Hätte  z.  B.  Chapelain 
die  wunderbare  Rettung  Frankreichs  durch  die  höheren  Mächte  nicht 
sichtbar  machen  sollen? 

Die  Poesie  der  Alten,  heißt  es  dann  weiter,  trägt  alle  Merkmale 
der  Kindheit.  Da  das  bewiesen  werden  muß,  geht  Perrault  zum  Angriff 
auf  Homer  über.  Seit  dem  Gedicht  Le  Siecle  de  Louis  le  Grand  hatte 
er  sich  den  Homer  auch  selbst  etwas  angesehen,  allerdings  nicht  im 
Original,  das  er  nicht  lesen  konnte.  Aber  das  ist  seiner  Meinung  nach 
nicht  nur  nicht  nötig,  sondern  nicht  einmal  nützlich.  Den  guten  Über- 
setzer versteht  man  doch  besser  als  den  Schriftsteller  selbst.  Bei  ihm 
findet  man  Gefühle  und  Gedanken  ebenso  gut  ausgedrückt,  so  wie  man 
auch  die  Form  der  eigenen  Sprache  besser  beurteilt.  Die,  welche  be- 
haupten, man  müsse  das  Original  lesen  können,  brüsten  sich  nur  mit 
einem  Privilegium,  das  ihnen  möglich  machen  soll,  das  Zeugnis  geist- 
reicher Menschen  zu  widerlegen.  Perrault  hat  sich  also  lateinische  und 
französische  Homerübersetzungen  angesehen  und  ist  nun  doch  wenigstens 
der  fatalen  Lage  entronnen,  sich  ausschließlich  mit  fremden  Federn 
schmücken  zu  müssen.  Besonders  aber  hat  er  den  Pere  Rapin  studiert 
und  bei  diesem  gefunden,  daß  Homer  eines  der  umfassendsten  Genies 
sei,  die  es  jemals  gegeben  habe.  Das  braucht  er  geschickt,  um  vor  jedem 
Angriff  vor  dem  alten  Dichter  eine  Verbeugung  zu  machen;  der  jeweilen 
folgende  Angriff  sticht  dann  um  so  vorteilhafter  ab.  Die  Zeugnisse  der 
Alten   über  Homer   werden  als  nichts  beweisend  verworfen,   besonders 


192  Frankreich  und  die  Niederlande 

Platon  wird  mit  kindischen  Schmäliungen  zurückgewiesen.  Um  seine 
Gegner  in  Verwirrung  zu  bringen,  wirft  Perrault  die  Behauptung  ein, 
es  habe  nach  der  Ansicht  vieler  ausgezeichneter  Kritiker  nie  einen 
Menschen  namens  Homer  gegeben.  Aber  diese  Bemerkung  ist  bei  ihm 
nur  ein  geschickter  Fechterstreich;  es  fällt  ihm  gar  nicht  ein,  aus  ihr 
irgendweiche  Folgerungen  abzuleiten.  Die  Sache  selbst  müssen  wir 
später  im  Zusammenhang  besprechen. 

Mit  Recht  weist  Perrault  die  moralischen  Auslegungen  Le  Bossu's 
zurück.  In  der  folgenden  Partie,  über  den  Stoff  der  Ilias  und  die 
homerischen  Sitten,  ist  er  wieder  von  Rapin  abhängig.  Das  betrifft 
besonders  das  Urteil  über  Achilleus,  dessen  mißlungene  Zeichnung  er 
zu  den  sonst  sehr  schönen  und  gut  festgehaltenen  Charakteren  Homers 
in  Gegensatz  stellt.  Die  Gleichnisse  Homers  findet  Perrault  besonders 
darin  fehlerhaft,  daß  sie  einem  bewundernswerten  und  zutreffenden  An- 
fang einen  ganz  fremden,  aus  anderem  Stoff  geformten  Schweif  folgen 
lassen;  es  seien  Gleichnisse  ä  la  longue  queue.  Zur  Erläuterung  läßt 
er  den  Chevalier  einige  nach  Homer  gebildete  Gleichnisse  geben, 
z.  B.  „Die  Augen  meiner  Schäferin  sind  glänzender  als  die  Sterne, 
welche  das  Gewölbe  des  Himmels  während  der  Nacht  schmücken,  wo 
alle  Katzen  grau  sind".  Der  President  meint  wohl  richtig,  das  sei 
eine  wohlfeile  Spötterei;  aber  es  ist  nun  einmal  Perrault's  Art,  nichts 
gelten  zu  lassen,  was  nicht  im  Stil  seines  Jahrhunderts  ist. 

Hatte  er  zur  Ilias  nicht  eben  viel  und  besonders  nicht  viel  Eigenes 
zu  sagen  gehabt,  so  ist  nun  seine  Kritik  der  Odyssee  die  reine  Burleske. 
Er  beginnt  damit,  daß  die  Odyssee  im  Vergleich  zu  unseren  Sitten 
stark  komisch  sei,  und  berichtet  über  den  Inhalt  in  einer  Weise,  die 
nicht  verfehlen  konnte,  die  Lacher  auf  seine  Seite  zu  bringen.  Auch 
hier  ist  er  von  Rapin  beeinflußt.  Dieser  hatte  sich  darüber  entrüstet, 
daß  der  verständige  Odysseus  seine  edle  Frau  und  seinen  teuren  Sohn 
so  bald  vergesse,  um  sich  so  lange  bei  Kalypso  zu  belustigen,  die  eine 
Dirne  gewesen  sei,  und  der  berüchtigten  Zauberin  Kirke  nachzulaufen. 
Perrault  zieht  das  ins  Komische:  Odysseus  seufzt  alle  Abende  nach 
seiner  lieben  Penelope,  nach  dem  Reiche  Ithaka  gewandt,  wo  sie  lebte, 
und  dann  geht  er  mit  Kalypso  schlafen;  ein  schönes  Beispiel  der  Gatten- 
liebe! Die  ironische  Nacherzählung,  die  im  Anfang  dem  Verlauf  des 
Gedichtes  folgt,  wird  jedoch  Perrault  bald  langweilig,  und  er  begnügt 
sich  später  mit  Proben,  zu  denen  er  das  Material  gewöhnlich  entlehnt. 
Zwischendurch  bekämpft  er  die  Meinung,  daß  Homer  der  Vater  der 
Künste  und  Wissenschaften  sei,  nicht  ohne  sich  dabei  Blößen  zu  geben. 
Getreu  seiner  Anschauung  von  der  stetigen  Vervollkommnung  der  Poesie 


Perrault  Parallele  193 

erhebt  Perrault  Yirgil  lioch  über  Homer;  aber  auch  jenem  werden  zahl- 
reiche arge  Fehler  nachgewiesen.  Nun  kommt  aber  der  gefährliche 
Punkt.  Sollte  die  moderne  Epik  wirklich  die  der  Alten  übertreffen? 
Sicher  ist,  sagt  Perrault,  daß  bei  den  Modernen  keiner  der  Fehler 
^^  Homers  und  Virgils  zu  finden  ist.  Man  sieht  bei  ihnen  ohne  Mühe, 
^■welches  ihr  Gegenstand  ist;  so  bei  der  Gerusalemme,  im  Clovis,  im 
^^  Alaric,  in  der  Pucelle.  Die  Charaktere  sind  löblich  und  heroisch,  nicht 
tadelnswert  wie  der  ungerechte,  ruchlose,  grausame  Achilleus  oder  der 
weinerliche  und  furchtsame  Aeneas.  Die  Helden  schimpfen  nicht  wie 
Lastträger,  halten  keine  unnützen  Reden  und  machen  keine  Gleichnisse 
mit  langen  Schleppen.  Trotzdem  verwahrt  sich  der  Abbe  dagegen,  Tasso, 
Desmarets,  Chapelain  über  Homer  und  Virgil  zu  stellen.  Er  gibt  zu, 
daß  Homer  und  Virgil  allen  Verfassern  von  Epen  überlegene  Genies, 
ja  daß  die  Aeneis  das  beste  Gedicht  in  ihrer  Art  sei.  Trotzdem  stehen 
die  Modernen  nicht  zurück.  An  Genie  kann  zwar  Virgil  sie  übertreffen, 
aber  seit  seiner  Zeit  sind  die  Geheimnisse  der  Kunst  bekannt  geworden, 
und  er  hat  die  Regeln  weniger  gut  gekannt,  deren  Wirkung  eben  die 
Verhütung  der  Fehler  ist.  Schenkte  uns  der  Himmel  ein  Genie  gleich 
Virgil,  so  würde  er  heute  ein  viel  vollendeteres  Gedicht  schaffen  als  die 
Aeneis,  da  ihm  eine  viel  größere  Menge  von  Vorschriften  zu  Gebote 
ständen. 

Vor  einem  Publikum,  das  gewußt  hätte,  was  Poesie  ist,  hätte 
Perrault  mit  diesem  Geständnis  den  Prozeß  verloren.  Aber  das  stand 
für  ihn  nicht  zu  befürchten.  Wenn  man  die  Kunst  als  die  Summe 
ihrer  Regeln  definiert,  so  ist  natürlich  immer  diejenige  Kunst  die  höchste, 
die  sich  in  den  gerade  giltigen  Regeln  bewegt.  Perrault  konnte  leicht 
zugeben,  daß  es  früher  größere  Geister  gegeben  habe;  denn  da  sie  in 
ihren  Mitteln  die  moderne  Vollkommenheit  nicht  erreichten,  taugen  sie 
als  Vorbilder  doch  nicht,  zumal  wenn  es,  wie  Perrault  mit  Homer,  gelingt, 
ßie  lächerlich  zu  machen.  Dann  kann  man  getrost  von  ihrem  Genie  flunkern, 
von  dem  man  im  übrigen  keine  Ahnung  hat.  Das  Detail  der  Flecken, 
die  man  auf  sie  gespritzt  hat,  wird  eine  Anerkennung  nie  mehr  auf- 
kommen lassen. 

Vom  Epos  wendet  sich  der  Dialog  zu  den  übrigen  Gattungen 
der  Poesie,  um  dann  endlich  zum  ersehnten  Endziel  zu  gelangen,  der 
Satire  und  dem  persönlichen  Angriff  auf  Boileau,  der  die  französischen 
piker,  Chapelain  besonders  und  Saint-Amand,  aus  Neid  und  mit 
empörender  Ungerechtigkeit  vernichtet  habe.  Von  dem  Gerede  über 
die  Poetik  des  Horaz  und  des  Aristoteles  ist  nur  hervorzuheben,  daß  es 
als   des   letzteren   unwürdig  bezeichnet   wird,   wenn  er  seine  Lehrsätze 

Finaler:  Homer  in  der  Neuzeit.  13 


jfe    S{ 


194  Frankreich  und  die  Niederlande 

aus  der  dichterischen  Praxis  ableite,  statt  das  Wesen  der  Tragödie 
und  des  Epos  zu  untersuchen.  Es  sei  Aufgabe  des  Philosophen,  den 
Dichter  zu  leiten,  nicht  umgekehrt.  Daß  Perrault  mit  diesem  ungeheuer- 
lichen Satz,  der  Scaliger  noch  weit  überbietet,  die  Poesie  aufhebt,  hat 
er  wohl  selbst  nicht  bemerkt.  Er  hat  dadurch  den  Regelzwang  noch 
viel  fester  geschmiedet,  als  es  bisher  der  Fall  gewesen  war,  weil  es 
nun  keine  Vorbilder  mehr  geben  kann.  Dem  Klassizismus  hatten  doch 
die  Vorbilder  noch  auf  Augenblicke  Atem  zu  holen  erlaubt;  aber  jetzt 
tritt  ein  absoluter  Zwang  ein,  der  dadurch  nicht  erträglicher  wird,  daß 
er  ausschließlich  auf  dem  modernsten  (reschmack  basiert;  denn  mit  diesem 
ist  ja  die  Höhe  aller  Kultur  erstiegen,  und  was  noch  kommt,  hat  sich 
danach  zu  richten  oder  bedeutet  den  Zerfall. 

Als  weiteren  Vorzug  der  Modernen  preist  Perrault  die  Erfindung 
neuer  Genres,  der  Oper,  der  galanten  Poesie  und  der  Burleske,  von 
denen  die  Alten  nichts  wußten.  Die  Burleske  gibt  Veranlassung,  auf 
den  Lutrin  zu  kommen,  der  eine  verkehrte  Burleske  sei;  anstatt  großen 
Inhalt  in  ordinärer  Sprache  darzustellen,  umgebe  er  einen  gewöhnlichen 
Inhalt  mit  erhabener  Diktion,  so  daß  das  Lächerliche  inwendig,  das  Ernste 
außen  sei.  Natürlich  folgen  noch  einige  Lobsprüche  auf  die  neue  Er- 
findung. Sodann  erfahren  wir,  daß  Homer  die  Burleske  erfunden  habe, 
z.  B.  im  Streit  der  Helden  und  im  Faustkampf  des  Odysseus  mit  Iros; 
deiui  diese  Dinge  brächten  uns  zum  Lachen. 

Das  System  Perrault's  ist  abgeschlossen.  Homer,  von  Boileau  als 
bewundernswertes  Vorbild  aufgestellt,  liegt  im  Staub,  mit  dem  Fluche 
der  Roheit  und,  was  schlimmer  ist,  der  Lächerlichkeit  überschüttet.  Der 
gefürchtete  Boileau  ist  abgetan;  sein  Art  poetique  taugt  nichts,  sein 
Lutrin  ist  das  Gegenteil  einer  richtigen  Burleske.  Seine  Satiren  über- 
treffen zwar  natürlich  die  der  Alten,  aber  sie  haben  ganz  unnötigerweise 
hervorragende  Männer  verletzt.  Damit  hat  Perrault  den  geschicktesten 
Streich  geführt.  Alles,  was  über  Boileau's  scharfe  Kritik  erbittert  war, 
mußte  sich  um  den  Verteidiger  sammeln,  und  ihrer  waren  viele.  Zu- 
gleich blendete  die  Lobpreisung  der  erreichten  Kulturhöhe.  Wie  an- 
genehm war  es,  auf  die  Alten  herabzublicken,  die  man  ohnehin  nicht 
kannte,  und  die  Gelehrten  zu  verachten,  die  sich  nur  aus  gemeinem 
Dünkel  auf  ihre  Kenntnisse  etwas  zugute  taten.  Dazu  ist  Perrault  ein 
geschickter  Fechter.  Er  wird  nie  heftig,  wie  die  Gegner,  sondern  bleibt 
immer  höflich,  höchstens  daß  gelegentlich  dem  Präsidenten  Verbohrtheit 
vorgeworfen  wird.  Perrault  tritt  nicht  nur  mit  allem  Pomp  des  Jahr- 
hunderts Ludwigs  des  Großen  auf,  sondern  glänzt  auch  mit  ungemeiu 
reichen  Kenntnissen    in   jeder  Beziehung,    so    daß    er   sich  selbst  den 


Perrault  Parallele    Boileau  195 

Pedanten  darin  überlegen  zeigt.  Daß  fast  alles  zusammengebettelt  ist, 
ficht  ihn  nicht  an.    Nur  Dummköpfe  studieren,  was  sie  darstellen  wollen. 

Jetzt  konnte  Boileau  das  Schweigen,  das  er  den  ersten  Dialogen 
gegenüber  beobachtet  hatte,  nicht  länger  wahren.  1694  erschienen  seine 
Picflexions  sur  Longin,  die  in  zwangloser  Folge,  an  ausgewählte  Stellen 
der  Schrift  vom  Erhabenen  anlehnend,  den  vierten  Dialog  Perrault's  be- 
kämpften. Man  hat  der  Schrift  vorgeworfen,  sie  bewege  sich  meistens 
in  kleinlicher  Kritik,  lasse  eine  grundlegende  Absicht  vermissen,  be- 
schränke sich  darauf,  die  Angriffe  gegen  Homer  und  Pindar  abzuwehren, 
und  die  guten  Gedanken  darin  träten  nicht  recht  hervor.  Diese  Vor- 
würfe sind  unbegründet.  Es  liegt  nur  an  dem  Mangel  der  Komposition, 
w^enn  die  Reflexions  einem  flüchtigen  Leser  wenig  Eindruck  machen. 
In  Wahrheit  enthalten  sie  das  ganze  Glaubensbekenntnis  Boileau' s  über 
die  Frage.  Boileau  konnte  unmöglich  den  Hauptsatz  Perrault's  einfach 
umkehren  und  behaupten,  das  Altertum  als  Ganzes  übertreffe  sein 
eigenes  Jahrhundert.  Denn  das  war  gar  nicht  seine  Meinung.  Welches 
diese  sei,  legt  er  in  der  siebenten  Reflexion  ausführlich  dar. 

Den  wahren  Wert  eines  poetischen  Werkes,  sagt  er,  kann  nur  die 
Nachwelt  richtig  beurteilen.  Der  Beifall  der  Mitwelt  ist  noch  kein  voll- 
giltiger  Beweis.  Wie  berühmt  waren  zu  ihrer  Zeit  Naevius,  Ennius, 
Ronsard.  Sie  wurden  vergessen,  nicht  darum,  weil  sich  die  Sprache 
änderte,  sondern  weil  man  das,  was  ihre  Zeit  für  Schönheiten  hielt,  nicht 
mehr  als  solche  anerkannte.  Es  ist  aber  Torheit,  zu  verwerfen,  was  die 
lange  Reihe  der  Jahrhunderte  geschätzt  hat;  denn  es  fragt  sich  gar 
nicht  mehr,  ob  Homer,  Piaton,  Cicero,  Yirgil  wunderbare  Menschen  ge- 
wesen seien.  Daß  sie  es  waren,  ist  .durch  das  Urteil  von  zwei  Jahr- 
tausenden festgestellt.  Wir  haben  vielmehr  nur  zu  untersuchen,  worin 
dieses  Wunderbare  bestehe,  das  so  lange  bewundert  worden  ist. 

Man  soll  sich  hüten,  einen  modernen  Schriftsteller  ohne  weiteres 
den  Alten  gleichzustellen.  Wieviele  sind  nach  ganz  kurzer  Zeit  der  Ver- 
gessenheit anheim  gefallen.  Daß  die  Stücke  aus  Corneille's  Mittagshöhe 
und  die  Racine's  in  die  folgenden  Jahrhunderte  dauern  werden,  ist 
sicher;  aber  bevor  die  Nachwelt  ihnen  ihr  Siegel  aufgedrückt  hat,  soll 
man  sie  nicht  Euripides  und  Sophokles  an  die  Seite  stellen. 

Im  folgenden  wird  die  Formulierung  der  Frage,  wie  Perrault  sie 
aufgestellt  hat,  als  falsch  erwiesen.  Boileau  leugnet  nämlich  gar  nicht, 
daß  es  viele  antike  Schriftsteller  gebe,  die  von  modernen  übertroffen 
werden.  In  den  höchsten  Rang  stellt  er  von  den  Alten  nur  eine  kleine 
Zahl  bewundernswerter  Autoren,  die  schon  ihr  Name  preist,  wie  Homer, 
Piaton,  Cicero,  Virgil  usf,  und  er  richtet  seine  Hochschätzung  für  sie 

13* 


L 


196  Frankreich  und  die  Niederlande 

keineswegs  nacli  dem  Alter  ihrer  Werke,  sondern  nach  dem  ihres  Ruhmes. 
Es  ist  nämlich  nicht  wahr,  was  Perraiüt  glauben  machen  will,  daß 
man  die  Alten  nur  schätze,  weil  sie  alt,  und  die  Modernen  nur  tadle, 
weil  sie  modern  seien.  Es  gibt  viele  Alte,  die  man  tadelt,  und  viele 
Moderne,  die  jedermann  preist.  Auf  das  Gerede  von  der  stetigen  Ver- 
vollkommnung der  Poesie  infolge  der  Verbesserung  der  Regeln  geht 
Boileau  mit  Recht  gar  nicht  ein. 

Man  hat  es  kleinlich  gescholten,  daß  Boileau  auf  die  einzelnen 
Angriffe  Perrault's  eintritt  und  ihm  seine  groben  Fehler  nachweist. 
Aber  es  ist  schwer  zu  sagen,  wie  das  hatte  vermieden  werden  können; 
denn  auf  den  Einzelheiten  beruht  ja  die  ganze  Wirkung  der  Parallele. 
Daß  gelegentlich  ein  ehrlicher  Zorn  durchbricht,  ist  Boileau  wahrlich 
nicht  zu  verdenken.  Manches  in  den  Widerlegungen  ist  wert,  fest- 
gehalten zu  werden.  Die  Erklärung  der  Rede  der  Nausikaa  dürfte  ge- 
wissen modernsten  Homerkritikern  zur  Lektüre  empfohlen  werden.  Be- 
sonders gut  ist  die  Definition  der  homerischen  Gleichnisse.  Sie  sind, 
sagt  Boileau,  nicht  nur  dazu  da,  um  zu  erläutern  und  zu  schmücken, 
sondern  um  zu  erheitern  und  dem  Geiste  des  Lesers  Erholung  zu  schaffen, 
indem  sie  ihn  von  Zeit  zu  Zeit  von  dem  Hauptgegenstand  abziehen 
und  durch  andere  angenehmere  Bilder  wandeln  lassen.  Homer  ist  durch 
seine  Gleichnisse  immer  neu,  obschon  er  sich  immer  gleich  bleibt. 
Die  Vergleichungspunkte  brauchen  sich  nicht  auf  das  ganze  Gleichnis 
zu  erstrecken;  es  genügt  an  einer  Beziehung  im  ganzen. 

Niemand,  sagt  Boileau,  hat  bis  jetzt  Homer  niedriger  Ausdrücke 
geziehen  bis  auf  die  Kritiker,  die  nur  die  schlechten  lateinischen  und 
französischen  Übersetzungen  lesen,  um  deren  Niedrigkeiten  dem  Homer 
aufzubürden.  Man  weiß,  daß  die  französische  Poesie  gewisse  Ausdrücke 
nicht  duldet;  aber  gerade  diese  verwendet  Perrault,  wemi  er  Homer 
aus  schlechtem  Latein  ins  Französische  übersetzt,  um  damit  die  Niedrig- 
keit Homers  zu  erweisen. 

Die  Lobsprüche,  die  Perrault  Homer  spendet,  um  ihn  dann  um 
so  tiefer  herabzusetzen,  sind  wie  Blumen,  mit  denen  er  das  Opfertier 
bekränzt,  bevor  er  es  seinem  Mißverstand  opfert.  Übrigens  verwickelt 
er  sich  dabei  in  Widersprüche.  Er  nennt  Homer  den  umfassendsten 
und  schönsten  Geist  und  spricht  ihm  gleich  nachher  alle  Kunst  ab;  ja 
auf  einmal  erfahren  wir,  daß  dieses  Genie  gar  nie  existiert  habe,  und 
es  verwandelt  sich  plötzlich  in  einen  Haufen  blinder  Lumpen,  die  um 
Geld  zufällig  gemachte  Gedichte  vortrugen. 

Schon  das  Gedicht  Le  siecle  de  Louis  le  Grand  hatte  die  Geister 
in  Aufruhr   gebracht.     Die   Dialoge    der  Parallele    taten    es   noch  viel 


Boileau     Ende  der  Querelle  197 

mehr.  Perrault  ist  in  dem  Streit  ohne  Frage  der  Sieger  geblieben. 
Die  Gelehrten,  die  sich  getroffen  fühlten  und  gelegentlich  sehr  grob 
wurden,  trieben  das  ungelehrte  Publikum  noch  mehr  auf  seine  Seite. 
Selbst  in  der  Akademie  vermehrte  sich  die  Zahl  seiner  Anhänger  be- 
ständig, trotz  der  glänzenden  Lobrede,  die  La  Bruyere  bei  seinem 
Eintritt  in  diese  Körperschaft  1693  auf  die  Alten  und  Boileau  hielt, 
und  trotz  der  scharfen  Zurechtweisung,  die  der  Bischof  Huet  von 
Avranches  der  Parallele  erteilte.  Das  große  Publikum,  die  Opfer 
Boileau's,  die  Frauen,  die  Jesuiten,  die  Journalisten  scharten  sich  um 
Perrault.  Was  hatte  es  zu  bedeuten,  daß  er  Homer  nicht  verstand,  und 
daß  seine  Ideen  gar  nicht  ihm  gehörten? 

Persönlich  kam  zwischen  Boileau  und  Perrault  eine  Art  Friede  zu- 
stande, zuletzt  durch  einen  Brief  Boileau's,  in  welchem  dieser,  nachdem 
er  vorher  Homer  und  Piaton  als  unvergleichlich  ausgesondert  und  auf 
die  Bedeutung  der  Alten  für  die  französischen  Tragiker  hingewiesen  hatte, 
zugab,  daß  das  Zeitalter  Ludwigs  XIV.  die  früheren,  zumal  das  des 
Augustus,  in  bildenden  Künsten,  Philosophie  und  exakten  Wissenschaften 
übertreffe.  Darin  hatte  er  nie  anders  gedacht,  und  daß  Corneille  und 
Racine  die  verschollenen  augusteischen  Dramatiker  übertreffen,  konnte 
er  leicht  zugeben.  Aber  für  die  meisten  Literaturgattungen  hält  er  an 
seiner  ursprünglichen  Ansicht  unverbrüchlich  fest,  und  sein  Urteil  über 
das  Zeitalter  des  Augustus  gilt  für  die  Mehrzahl  der  großen  Schriftsteller 
nicht.  Auf  die  Grundidee  Perrault's,  die  Übertragung  der  Lehre  vom  Fort- 
schritt auf  die  Poesie,  tritt  Boileau  gar  nicht  ein,  und  dieses  Schweigen 
ist  auch  eine  Kritik.  Große  Schriftsteller,  das  ist  sein  Standpunkt,  werden 
immer  Muster  bleiben,   und  unter   den  Alten   sind   einige  ganz  große. 

Der  Sieg  Perrault's  konnte  den  französischen  Klassizismus  nicht  er- 
schüttern, weil  der  Regelzwang  nicht  nur  nicht  angegriffen,  sondern  ge- 
stärkt worden  war.  In  den  Regeln  besteht  ja  nach  Perrault  die  Kunst; 
sie  haben  die  Höhe  der  Poesie  hervorgerufen.  Es  hätte  gezeigt  werden 
müssen,  daß  die  theoretische  Poetik,  von  Aristoteles  angefangen,  dem 
poetischen  Genius  nie  gerecht  geworden  sei;  aber  was  Perrault  dem 
Aristoteles  vorwirft,  ist  nicht,  daß  er  Regeln  aufstellt,  sondern  daß  er 
sie  aus  den  Dichtern  ableitet.  Es  kann  auch  die  Erschließung  neuer 
Dichtungsgebiete,  des  Märchens  und  des  satirischen  Romans,  nicht  wohl 
auf  die  Querelle  zurückgeführt  werden;  das  Altertum  hatte  doch  auch 
vorher  die  Entstehung  der  neuen  Genres,  die  Perrault  als  einen  Vorzug 
des  Modernen  preist,  nicht  verhindert.  Wenn  die  Querelle  ein  Joch  ab- 
schüttelte, so  war  es  eines,  das  niemand  drückte,  während  an  dem 
wahrhaft  schweren  nicht  gerüttelt  wurde. 


198  Frankreich  und  die  Niederlande 

Es  sind  noch  einige  Männer  zu  nennen,  die  in  den  Kampf  zwar  nicht 
unmittelbar  eingegriffen  haben,  aber  für  die  kommende  Zeit  wichtig  ge- 
worden sind.  In  Rotterdam  hat  Pierre  Bayle  im  Jahre  1684  seine 
Nouvelles  de  la  Repuhliqiie  des  lätres  gegründet,  die  sich  die  Populari- 
sierung wissenschaftlicher  Gegenstände  zur  Aufgabe  machten.  In  einem 
der  ersten  Hefte,  März  1684,  also  noch  vor  Perrault's  Auftreten,  be- 
spricht Bayle  des  Cuperus  Apotheosis  Homeri  sehr  anerkennend  und 
sagt  zum  Schluß,  man  finde  darin  eine  Unmasse  schöner  Stellen,  in  denen 
Homer  so  ausnehmend  gepriesen  werde,  daß  man  nicht  wisse,  was  man 
zum  Geschmack  des  Jahrhunderts  sagen  solle.  Die  gebildeten  Laien  von 
gesundem  Urteil,  sagt  Bayle,  klagen  fast  alle  das  Altertum  des  Mangels 
an  gesundem  Menschenverstände  an,  auch  wenn  sie  Homer  in  einer  noch 
so  treuen  Übersetzung  lesen.  Sie  finden  in  ihm  weder  Kraft  noch  Er- 
habenheit der  Gedanken,  und  Armseligkeiten,  die  man  heute  dem  letzten 
Verseschmied  nicht  verzeihen  würde.  Kürzlich  hat  man,  gemeint  ist  La 
Valterie,  eine  Übersetzung  Homers  gegeben,  die  ihn  von  mehreren  Niedrig- 
keiten säubert;  aber  das  konnte  ihn  vor  der  Verachtung  der  Kenner 
nicht  retten.  Bayle  will  aber  nicht  entscheiden,  wer  den  verderbten  Ge- 
schmack habe,  um  nicht  dem  Verdikt  des  Meric  Casaubonus  zu  unter- 
liegen, der  gesagt  hatte,  denen,  die  den  Homer  verachten,  sei  kaum 
etwas  Schlimmeres  zu  wünschen,  als  daß  sie  die  Früchte  ihrer  Torheit 
genießen. 

Nicht  weniger  unverhohlen  spricht  Bayle  sein  Urteil  über  Homer 
in  dem  zuerst  1696  erschienenen  Dictionnaire  historique  et  critiqiie  aus. 
Seine  Aussprüche  sind  nicht  ganz  leicht  zu  finden,  da  sie  in  den  mächtigen 
Anmerkungen,  zumeist  zum  Artikel  Ächille,  versteckt  sind.  Der  Artikel 
selbst  ist  eine  Biographie  des  Achilleus,  der  ganz  als  historische  Person 
behandelt  wird,  zusammengesetzt  aus  Berichten  aller  möglichen  Schrift- 
steller, In  den  Noten  nimmt  die  Polemik  gegen  schiefe  Behauptungen 
älterer  Zeitgenossen  einen  übermäßigen  Raum  ein,  und  es  werden  da 
Dinge  erörtert,  auf  die  uns  heute  kaum  etwas  ankommt.  Dazwischen 
stehen  vortreffliche  Bemerkungen,  z.  B.  wenn  Bayle  die  vergebliche  Mühe 
derer  verspottet,  die  an  die  Sagen  den  Maßstab  der  Wahrscheinlichkeit 
anlegen.  Ergötzlich  ist  die  Klage,  daß  die  Alten  sich  gar  keine  Mühe 
gegeben  hätten,  Widersprüche  zu  vermeiden,  w^odurch  die  Geschichten 
noch  unerträglicher  geworden  seien. 

Über  Homer  urteilt  Bayle  im  ganzen  ungünstig.  Die  Rede  des 
Phoinix  im  neunten  Buch  scheint  ihm  des  Epos  unwürdig  und  der  Behaup- 
tung des  Horaz  zu  widersprechen,  daß  Homer  immer  dem  Ziele  zustrebe. 
Wird  sich  ein  mit  der  wichtigsten  Aufgabe  betrauter  Gesandter  damit 


m 


Bayle    Saint-Evremond  199 

aufhalten,  Ammenmärchen  und  alte  Abenteuer  zu  berichten?  Auch  die 
Art,  wie  Thetis  ihren  Sohn  tröstet,  entspricht  der  Majestät  des  Epos 
nicht.  Geben  wir,  sagt  Bayle,  das  schöne  Talent  Homers  zu,  aber  ge- 
stehen wir  auch,  daß  er,  wenn  er  heute  lebte,  sein  Gedicht  ganz  anders 
feilen  müßte.  Er  würde  die  Naivetäten  in  der  Klage  der  Andromache 
weglassen  müssen,  so  sehr  sie  auch  nach  der  Natur  gezeichnet  sein 
mögen.  Im  Artikel  NausiMa  wird  die  Geschichte  des  sechsten  Buches 
der  Odyssee  ausführlich  skizziert,  um  die  Naivetät  Homers  und  den 
Unterschied  zwischen  dem  Charakter  seiner  Zeit  und  dem  der  modernen 
zu  zeigen.  Auch  in  den  Urteilen  über  die  Querelle  steht  Bayle  aufseiten 
Perrault's. 

Nicht  weniger  entschieden  tut  das  Saint-Evremond,  der  von 
1662  an  fast  ausschließlich  in  England  lebte,  aber  in  seinen  litera- 
rischen Neigungen  durchaus  Franzose  geblieben  war.  Seine  zwei  kleinen 
Schriften  über  die  Frage  enthalten  zwar  auch  schon  Gesagtes;  aber  sie 
zeigen  daneben  die  Richtung  seines  Geistes  auf  die  Aufklärung  hin, 
die  mr  bei  Desmarets  und  Perrault  vermissen.  Der  Zweck  des  Auf- 
satzes Sur  les  poemes  des  Anciens  ist,  die  modernen  Dichter  vor  der 
Nachahmung  Homers  zu  warnen.  Wenn  schon  der  Unterschied  zwi- 
schen dem  Jehova  des  Alten  und  dem  neuen  Gott  des  Neuen  Testa- 
ments eine  verschiedene  Behandlung  erfordert,  wieviel  mehr  der  zwi- 
schen den  heidnischen  Göttern  und  dem  wahren  Gotte!  Man  nehme 
dem  Altertum  die  Götter,  und  man  nimmt  ihm  seine  Gedichte.  Ohne 
die  Bitte  der  Thetis  und  Agamemnons  Traum  gäbe  es  keine  Ilias,  ohne 
Athene  keine  Odyssee.  Die  Götter  beschließen  nicht  nur  alles,  sie 
führen  auch  alles  durch;  die  Menschen  sind  nur  Maschinen,  durch  die 
Eingebungen  der  Götter  wie  durch  eine  verborgene  Triebfeder  gelenkt. 
Die  Gottheit,  der  wir  dienen,  ist  der  menschlichen  Freiheit  günstiger. 
Eine  nicht  geringere  Wandlung  hat  sich  in  den  Sitten  vollzogen.  Die 
Behandlung  Lykaons  und  Hektors  durch  Achilleus  ist  so  unmensch- 
lich, daß  sie  uns  sogar  die  Tugenden  des  Helden  verleidet.  Es  ist 
außerdem  nicht  richtig,  daß  die  Mißhandlung  Hektors 'der  Freundschaft 
entspringe;  sie  ist  einfach  ein  Ausfluß  der  Unmenschlichkeit.  Homer 
hat  allerdings  nur  die  menschliche  Natur  geschildert,  in  deren  Grund 
die  Leidenschaften  ruhen,  während  in  uns  die  Tugenden  durch  ver- 
nunftsgemäße Aufklärung  geweckt  werden.  Zu  Homers  Zeit  gab  es 
noch  keine  geordnete  menschliche  Gesellschaft,  keine  Staatskunst,  die 
die  Menschen  aufeinander  gewiesen,  keine  Moral,  die  sie  für  sich  selbst 
gebildet  hätte.  Gute  und  schlechte  Eigenschaften  erschienen  zu  wenig 
gesondert. 


200  Frankreich  und  die  Niederlande 

Beim  Gleiclmis  beklagt  Saint-Evremond  vor  allem,  daß  es  uns  von 
der  Haupthandlung  abziehe.  Wir  verfolgen  zwei  Heere,  die  zusammen- 
stoßen wollen;  da  werden  wir  plötzlich  auf  ein  brandendes  Meer  ver- 
setzt, und  die  ausgedehnte,  neue  Vorstellung  löscht  die  frühere  aus ;  oder 
man  zeigt  uns  einen  Berg  in  Flammen,  hernach  das  Wüten  des  Sturmes 
in  einer  Waldscblucht,  und  so  verlieren  wir  ganz  das  Bild  des  Kampfes. 

Die  Poesie  der  Alten  ging  nicht  auf  Wahrheit  aus;  eine  nützliche 
Lüge,  eine  glücklich  vorgebrachte  Unwahrheit  war  den  Betrügern  förder- 
lich und  machte  den  Leichtgläubigen  Vergnügen.  So  regierten  die  Klugen. 
Durch  geheimnisvolle  Irrtümer  täuschten  sie  die  Leute,  welche  die  nackte 
Wahrheit  verachtet  hätten,  und  danach  richtete  sich  auch  der  poetische 
Stil,  der  ganz  in  Erfindungen,  Allegorien,  Parabeln  aufging,  durch  eine 
gleißende  Außenseite  den  Grund  aller  Dinge  verdeckte  und  durch  ge- 
häufte Gleichnisse  von  den  wirklichen  Gegenständen  abzog.  Unsere  Zeit 
dagegen  liebt  die  klaren  Wahrheiten;  der  gesunde  Menschenverstand  hat 
über  die  Illusionen  der  Phantasie  das  Übergewicht;  nichts  befriedigt  als 
Solidität  und  Vernunft,  wozu  noch  kommt,  daß  unsere  Kenntnisse  die 
der  Alten  weit  überragen. 

Lebte  Homer  heute,  so  würde  er  bewundernswerte  Gedichte  schaffen, 
die  unserem  Zeitalter  entsprächen.  Unsere  Dichter  machen  schlechte, 
weil  sie  sich  von  Regeln  leiten  lassen,  die  mit  den  Dingen  der  Ver- 
gangenheit hinfällig  geworden  sind.  Sie  können  die  alten  Götter  nicht 
aufgeben  und  formen  unsere  Engel  nach  jenen.  So  gelingen  ihnen  ihre 
Erfindungen  nicht,  und  von  unseren  Wahrheiten  können  sie  keinen  Ge- 
brauch machen.  Homers  Gedichte  werden  immer  Meisterwerke  bleiben, 
aber  nicht  in  allem  Vorbilder.  Sie  bilden  unser  Urteil,  das  uns  zu  rich- 
tiger Verwendung  der  gegenwärtigen  Dinge  in  den  Stand  setzt.  Saint- 
Evremond's  Ausführungen  treffen  das  französische  Epos  schwerer  als 
das  homerische.  Desmarets  hätte  keine  Ursache  gehabt,  sich  des  Bundes- 
genossen zu  freuen. 

In  dem  Aufsatz  Le  Merveüleux  qui  se  troiive  dans  les  poemes  des 
Änciens  setzt  Saint-Evremond  auseinander,  daß  das  Wunderbare  in  den 
ritterlichen  Romanzi  weniger  Unheil  anrichte  als  im  Epos.  Er  will 
die  Götter  nicht  aus  den  modernen  Werken  verbannen,  aber  sie  sollen 
als  wirkliche  Götter,  nicht  als  Missetäter  auftreten.  Die  alten  Dichter 
haben  in  den  Handlungen  der  Menschen  die  Wahrscheinlichkeit  gewahrt, 
in  denen  der  Götter  gar  nicht.  Ihre  Theologie  ist  das  Gegenteil  von 
jeder  Religion  und  Vernunft.  Dazu  hat  die  Poesie  nicht  das  Recht;  was 
schlecht  ist,  ist  es  unter  allen  Umständen.  Bei  allen  Schönheiten  Homers 
und  Virgils  vergißt  man  diese  Grundfehler  nicht. 


Saint -Evremond     Le  Clerc  201 

Die  etwas  schwächliche  Ode  Sur  la  dispute  touchant  les  Anciens  et 
les  Modernes  stellt  sich  entschieden  auf  den  Standpunkt  der  letzteren,  mit 
der  nicht  übel  angebrachten  witzigen  Wendung,  Boileau  habe  durch  die 
Güte  seiner  Schriften  selbst  die  Überlegenheit  der  Neuzeit  über  das  Alter- 
tum bewiesen. 

Weiter  ab  von  dem  entbrannten  Streite  steht  Jean  Le  Clerc  in 
seinen  Parrhasiana  1699.  Wir  haben  ihn  schon  früher  als  Freund  des 
Altertums  kennen  gelernt.  Den  Dichtem  ist  er  im  ganzen  nicht  günstig 
gesinnt;  sie  sind  Lügner,  die  wahrhaft  Verständigen  vielleicht  von 
einigem  Nutzen  sein,  aber  Leute  von  nicht  fester  Vernunft  leicht  ver- 
wirren können.  Die  antiken  Dichter  können  dazu  nütze  sein,  den  Geist 
mit  guten  Vorschriften  zu  erfüllen  und  die  Einbildungskraft  zu  er- 
wärmen. Das  gilt  aber  nur  von  den  wirklichen  Alten.  Sie  in  latei- 
nischen und  griechischen  Versen  nachzuahmen  taugt  gar  nichts,  über- 
haupt hat  ihre  Nachahmung  der  Vollendung  der  modernen  Poesie  nur 
geschadet. 

Das  Vergnügen  am  Epos  und  der  Tragödie  findet  Le  Clerc  in  der 
aus  Bewunderung  und  Furcht,  Mitleid  und  Unwillen  gemischten  Stim- 
mung, in  der  man  auch  Furchtbares  verzeiht.  Er  tadelt  die  Grausamkeiten 
und  Wunder  bei  Virgil,  für  welche  das  Muster  Homer  keine  Entschul- 
digung sei,  da  der  Dichter  in  einem  viel  gebildeteren  Zeitalter  gelebt 
habe  als  sein  Vorbild;  aber  die  große  Zeichnung  des  Aeneas  helfe  dar- 
über weg.  Ebenso  wüßten  uns  Homer  und  Virgil  über  ihre  Verstöße 
gegen  den  gesunden  Menschenverstand  wegzutäuschen,  z.  B.  auch  über 
die  Absurditäten  der  Schildbeschreibungen.  Die  erzieherische  Bedeutung 
der  Dichter  ist  Le  Clerc  sehr  zweifelhaft,  wenn  er  an  die  Götter  Homers 
denkt  und  sieht,  wie  dieser  auch  lasterhafte  Menschen  unter  göttlichen 
Schutz  stellt  und  die  Götter  nie  zu  Schirmern  der  Tugend  macht.  Über- 
haupt hält  er  vom  moralischen  Einfluß  der  Dichter  ebensowenig  wie 
von  ihrem  privaten  Charakter  und  kommt  zu  dem  Schlüsse,  der  epische 
Dichter  wolle  unterhalten  und  nur  insofern  belehren,  als  es  dem  Schmucke 
der  Poesie  diene.  Darum  bekämpft  er  Le  Bossu's  Entdeckungen  über  die 
Moral  der  homerischen  Gedichte  als  leere  Vermutungen,  für  die  ia  den 
Epen  selbst  gar  kein  Anhalt  bestehe,  und  die  ähnlich  aus  jedem  Gedicht 
herausgelesen  werden  könnten.  Sehr  ergötzlich  führt  er  eine  weitere  An- 
zahl von  Moralsätzen  an,  die  aus  Ilias  und  Odyssee  abzuleiten  wären. 
Es  könnte  freilich,  so  schließt  er,  ein  Dichter,  der  bessere  moralische 
Maximen  in  sich  aufgenommen  hätte  als  die  Poeten  des  Altertums,  ein 
Gedicht  in  dem  Sinne  verfassen,  den  man  ihnen  fälschlich  zuschreibe. 
Aber  es  ist  ihm  sehr  zweifelhaft,  ob  dieser  Fall  je  eintreten  werde. 


202  Frankreich  und  die  Niederlande 

Le  Clerc  ist  auf  der  einen  Seite  oft  sehr  philiströs,  auf  der  andern 
aber  \virkt  wohltuend  seine  Freude  an  der  schönen  poetischen  Form, 
über  der  er  gerne  alle  wirklichen  oder  angeblichen  Mängel  vergißt. 

Unter  den  Behauptungen,  die  Perrault  seinen  Gegnern  entgegen - 
schleuderte,  war  auch  die,  daß  viele  ausgezeichnete  Kritiker  die  Existenz 
eines  Menschen  namens  Homer  geleugnet  hätten.  Es  war  ein  ge- 
schickter Fechterstreich,  weiter  nichts;  aber  wir  sehen  daraus,  daß  man 
gewissen  Nachrichten  des  Altertums  Gewicht  beizumessen  begann,  die 
vom  Beginn  der  Renaissance  an  vor  aller  Augen  gelegen  hatten.  Die 
wichtigsten  sind  folgende: 

Cicero  preist  den  athenischen  Tyrannen  Peisistratos  für  seine 
hohe  Bildung  und  rechnet  es  ihm  zum  besondem  Verdienst  an,  daß  er 
die  vorher  verworrenen  Bücher  Homers  so  geordnet  habe,  wie  wir  sie 
jetzt  besitzen.  Aelian,  ein  Schriftsteller  des  3.  Jahrhunderts  n.  Chr., 
erzählt,  die  Alten  hätten  früher  die  Epen  Homers  getrennt  gesungen, 
und  führt  eine  Menge  von  Titeln  der  einzelnen  Gesänge  an.  Spät  habe 
Lykurgos  die  ganze  Poesie  Homers  nach  Griechenland  gebracht,  nachmals 
Peisistratos  sie  vereinigt  und  Ilias  und  Odyssee  veröffentlicht.  Daß  Ly- 
kurgos die  Gedichte  nach  Griechenland  gebracht  habe,  berichtet  auch 
Plutarch.  Der  byzantinische  Lexikograph  Suidas  sagt,  Homer  habe  die 
Gedichte  nicht  auf  einmal  und  nicht  in  fortlaufender  Reihenfolge,  wie 
wir  sie  jetzt  haben,  gedichtet,  sondern  sie  hinterlassen,  wie  er  sie  auf 
der  Reise  überall  in  den  Städten  vorgetragen  hatte.  Endlich  behauptete 
der  jüdische  Geschichtschreiber  Josephus  im  1.  Jahrhundert  n.  Chr., 
man  sage,  Homer  habe  seine  Poesie  nicht  aufgeschrieben,  sondern  sie 
sei  durch  das  Gedächtnis  überliefert  und  später  aus  den  Einzelgesängen 
zusammengestellt  worden. 

Man  kann  die  Entwicklung  der  Peisistratosfabel  heute  deutlich  ver- 
folgen. Dieuchidas  von  Megara  hatte  Peisistratos  vorgeworfen,  zugunsten 
Athens  Verse  in  die  Ilias  eingesetzt  zu  haben.  Da  nun  im  6.  Jahrhundert 
die  Rhapsoden  angehalten  wurden,  an  den  großen  athenischen  Festen  die 
Gedichte  in  geordneter  Folge  vorzutragen,  kam  Dieuchidas  auf  die  Idee 
von  der  Sammlung  durch  Peisistratos.  Diese  ist  ein  Ding  der  Unmöglich- 
keit, weil  man  im  6.  Jahrhundert  unter  Homer  noch  alle  epischen  Gedichte 
verstand,  nicht  nur  Ilias  und  Odyssee,  und  weil  die  athenische  Festord- 
nung zeigt,  daß  die  Gedichte  bereits  in  Ordnung  waren.  Daß  immer  nur 
einzelne  Stücke  vorgetragen  werden  konnten,  versteht  sich  ja  von  selbst, 
wie  auch  daß  die  Rhapsoden  diesen  Stücken  Sondertitel  gaben.  Aber 
die  Mär  von  der  Sammlung  durch  Peisistratos  erforderte  die  Annahme 


I 


I 


Homerfrage    Peisistratos  203 

der  Auflösung  eines  alten  Zusammenhangs;  denn  daß  ein  solcher  voraus- 
gesetzt worden  ist,  geht  daraus  hervor,  daß  im  Altertum  niemand  dem 
Homer  die  Autorschaft  der  Ilias  abgesprochen  hat.  Die  Arbeit  des  Pei- 
sistratos wurde  demnach  allgemein  als  Rekonstruktion  des  ursprüng- 
lichen Zustandes  gefaßt.  Nur  Suidas  läßt  den  Homer  die  Gedichte  nicht 
als  Ganzes,  sondern  nacheinander  in  einzelnen  Rhapsodien  dichten,  aber 
auch  er  hält  an  dem  einen  Verfasser  fest.  Die  Stelle  ist  darum  interessant, 
weil  sie  zeigt,  wie  man  im  späten  Altertum  die  peisistratische  Rezension 
mit  der  Persönlichkeit  Homers  in  Einklang  zu  bringen  suchte.  Daß 
Homer  die  Schrift  nicht  gekannt  habe,  steht  nur  bei  Josephus,  von  dessen 
angeblichen  Gewährsmännern  keine  Spur  aufzufinden  ist,  und  der  die 
Nachricht  selbst  erfunden  haben  dürfte. 

Bekannt  waren  ferner  der  Renaissance  die  Nachrichten  über  Leben, 
Heimat  und  Zeit  Homers,  vor  allem  das  dem  Herodot  zugeschriebene 
Leben  Homers,  aber  auch  die  übrigen  Notizen.  Gesammelt  wurden  sie 
zuerst  von  Lilius  Gyraldus  aus  Ferrara,  der  beiDemetrios  Chalkondyles 
in  Mailand  studiert  hatte.  Seine  Historia  poetarum  1545  ist  ein  äußerst 
fleißiges  Werk,  das  auch  die  Geschichte  der  Homerfrage  in  ergötzlicher 
Weise  eröffiiet.  Gyraldus  findet  es  äußerst  schwierig,  aus  der  Masse  wider- 
sprechender Nachrichten  über  Homer  ein  sicheres  Resultat  zu  gewinnen, 
und  sagt,  er  habe  einst  geglaubt,  der  Streit  der  sieben  Städte  um  Homer 
habe  den  Sinn,  daß  es  sieben,  oder  wie  er  gelesen,  acht  Homere  gegeben 
habe.  Archilochos  nämlich,  der  Zeitgenosse  Homers,  verteile  in  seinem 
Buche  De  temporihus  diese  acht  Homere  auf  die  verschiedenen  Städte. 
Gyraldus  bringt  allerdings  der  Echtheit  des  Buches  einiges  Mißtrauen 
entgegen,  und  mit  Recht;  denn  es  ist  das  Fabrikat  des  Annius  von 
Viterbo,  eines  literarischen  Schwindlers  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
15.  Jahrhunderts,  der  mit  ungeheurer  Zuversichtlichkeit  Heimat  und  Alter 
dieser  Homere  angibt  und  den  letzten,  den  Maeoniden,  fünfhundert  Jahre 
nach  Trojas  Fall  ansetzt. 

Der  erste,  bei  dem  ich  die  Peisistratosfabel  erwähnt  finde,  ist  Came- 
rarius  1538,  der  die  Nachrichten  des  Cicero  und  Suidas  ohne  Kritik 
wiedergibt.  Dann  preist  Eoban  Hessus  in  der  Dedikation  seiner  Über- 
setzung der  Ilias  1540  den  athenischen  Tyrannen  dafür,  daß  er  den  in 
verschiedene  Teile  zerteilten  und  in  der  undankbaren  Welt  zerstreuten 
Homer  aus  der  ganzen  Welt  zurückgeführt  und  gleichsam  aus  einer  Ver- 
bannung dem  gebildeten  Griechenland  zurückgegeben  habe.  Hessus  be- 
zieht sich  hier  auf  die  Stelle  Ciceros.  Von  den  Italienern  ist  zuerst  Paolo 
Beni  1607  der  Frage  näher  getreten.  Er  meint,  man  könnte  vielleicht 
den  Mangel  an  Einheit  in  den  homerischen  Gedichten  durch  die  Annahme 


204  Frankreich  und  die  Niederlande 

erklären,  daß  erst  Peisistratos  die  Gedichte  gesammelt  habe.  Aber,  sagt 
er,  es  mögen  wohl  zuerst  einzelne  Partien  der  Epen  von  lonien  nach 
Athen  gekommen  sein,  bevor  die  ganzen  Gedichte  dort  anlangten,  wie 
z.  B.  ja  auch  von  Tasso's  Gedicht  zuerst  nur  einzelne  Gesänge  bekannt 
waren.  Peisistratos  oder  sein  Sohn  Hipparchos  mögen  sie  in  die  gegen- 
wärtige Form  gebracht  haben.  Aber  daß  das  nicht  die  ursprüngliche 
Form  gewesen  sei,  in  der  Homer  sie  gedichtet  habe,  daß  sie  zuerst  in 
einzelnen  Gesängen  existiert  hätten  und  erst  nachträglich  in  die  uns 
vorliegende  Form  gebracht  worden  seien,  findet  Beni  durchaus  unwahr- 
scheinlich. Ebenso  verständig  mögen  die  übrigen  Italiener  gedacht  haben^ 
die  die  großen  Kompositionen  nicht  einer  spätem  Redaktion  zuschreiben 
mochten.  Julius  Caesar  Scaliger  teilt  die  Stelle  Aelians  mit  und  findet 
sie  im  Widerspruch  mit  einer  anderen  Nachricht  des  nämlichen  Schrift- 
stellers, der  er  größeren  Glauben  beimißt:  des  Tyrannen  Sohn  Hippar- 
chos habe  die  homerischen  Gedichte  zuerst  nach  Athen  gebracht.  Eine 
Kritik  der  Angaben  Aelians*  unternimmt  er  nicht,  sondern  befaßt  sich 
im  übrigen  mit  einer  Untersuchung  über  den  Begriff  und  das  Wesen 
der  Rhapsoden.  Doch  benutzt  er  die  Nachricht,  um  zu  beweisen,  daß 
weder  Ilias  noch  Odyssee  eine  Einheit  im  Siime  der  Tragödie  seien,  sonst 
hätten  die  Alten  nicht  einzelne  Stücke  daraus  wie  abgeschlossene  Glieder 
vortragen  können.  Isaac  Casaubonus  sprach  über  die  Angabe  des 
Josephus,  daß  Homer  seine  Gedichte  nicht  geschrieben  habe,  den  be- 
rechtigtsten Zweifel  aus.  Wenn  es  wahr  sei,  daß  sie  lange  nur  durch 
das  Gedächtnis  überliefert  und  erst  spät  aufgeschrieben  worden  seien^ 
so  sehe  er  nicht  ein,  wie  wir  sie  in  einem  genügend  fehlerfreien  Zu- 
stande besitzen  könnten,  selbst  wenn  wir  die  ältesten  Handschriften 
besitzen  sollten;  wenn  es  wenigstens  wahrscheinlich  sei,  daß  sie  nicht 
wenig  anders  geschrieben  wurden,  als  sie  von  Homer  selbst  verfaßt  worden 
waren. 

Die  Stellen  der  Alten  über  Peisistratos  wurden  vollständig  zusammen- 
gestellt von  dem  holländischen  Gelehrten  Joannes  Meursius  1623, 
in  einem  Pisistratus  überschriebenen  Aufsatz,  zugleich  mit  Aufzählung 
der  Verse,  die  von  den  Athenern  in  den  Homer  eingesetzt  sein  sollen 

Eine  besondere  Stellung  nimmt  der  letzte  der  großen  französischen 
Philologen  ein,  Salmasius,  in  dem  Riesenwerke  Plinianae  exercitationes 
in' Solini  Polyhistora  1629.  Die  Grundlage  bildet  das  geographisch-histo- 
rische Kompendium  des  spätrömischen  Schriftstellers  Solinus  aus  dem 
3.  Jahrhundert  n.  Chr.,  an  dessen  dürre  Notizen  Salmasius  eine  Unsumme 
von  Gelehifcjamkeit  anknüpft.  Auf  die  Entstehung  der  homerischen  Ge- 
dichte kommt  er  bei  Gelegenheit  der  Rhapsoden  zu  sprechen,  von  denen 


Homerfrage     Salmasius  205 

er  mit  Eifer  beweist^  daß  sie  keine  eigenen,  sondern  nur  fremde  Gedichte 
vortrugen.  Er  hält  es  für  erwiesen,  daß  die  Gedichte  Homers  ursprüng- 
lich vereinzelt  waren  und  erst  spät  in  ein  großes  Ganzes,  corpus,  ver- 
einigt wurden.  Aber  die  Tradition  über  Peisistratos  verwirft  er,  obwohl 
er  sie  gekannt  haben  muß.  Er  spricht  zwar  nie  davon,  aber  die  Be- 
merkung, daß  die  Bezeichnung  Rhapsodie  noch  heute  an  einzelnen  Ge- 
dichten Homers  hafte,  beweist,  daß  er  jedenfalls  Aelian  kennt.  Er  stellt 
sich  die  Sache  so  vor,  daß  die  Rhapsoden,  die  später  waren  als  Homer, 
beim  öffentlichen  Auftreten  von  da  und  dort  einen  Teil  seiner  Poesie  er- 
griffen, den  sie  verwoben,  zusammennähten,  in  eine  Ordnung  brachten. 
Durch  dieses  Zusammenfügen,  von  dem  die  Rhapsoden  den  Namen  haben, 
entstand  das  große  Ganze.  Salmasius  spricht  auch  die  Ansicht  aus,  es 
könnten  Partien  der  Gedichte,  die  von  zwei  Rhapsoden  wetteifernd  ge- 
sungen wurden,  zusammengefügt  worden  sein.  Seine  Anschauung  ist 
selbständig  und  überraschend.  Es  ist  zwar  zu  bedauern,  daß  er  sich 
über  den  letzten  Ursprung  der  Gedichte  nicht  ausgesprochen  hat;  da 
er  aber  von  Homer  stets  als  von  einer  historischen  Persönlichkeit  spricht, 
so  hat  er  ihm  ohne  Zweifel  die  Abfassung  aller  Einzelgedichte  zuge- 
schrieben. Deren  Verbindung  aber  stellte  er  sich  auf  dem  Wege  künstle- 
rischer Gestaltung  erfolgt  vor,  so  daß  auch  die  Komposition  noch  zu 
ihrem  Rechte  kommt. 

Erwähnt  mag  noch  werden,  daß  Salmasius  in  einer  eingehenden, 
aber  nicht  immer  sehr  durchsichtigen  Untersuchung  über  den  Epischen 
Kyklos  zu  der  Ansicht  kommt,  die  Kyprien  und  die  Kleine  Ilias  seien 
Uiaden  gewesen  wie  die  Homers,  hätten  aber  den  ganzen  Krieg  umfaßt. 
Homers  Ilias  sei  nur  ein  einziger  Akt,  während  die  anderen  Epen  deren 
mehrere  gehabt  hätten,  weshalb  auch  der  Stoff  zu  mehreren  Tragödien 
daraus  habe  genommen  werden  kömien.  Wie  freilich  dieser  einzelne 
Akt  zu  der  ursprünglichen  Vereinzelung  der  Gedichte  stimme,  dafür 
bleibt  uns  Salmasius  die  Erklärung  schuldig. 

JakobPerizonius,  Professor  in  Leyden,  zog  1684  aus  der  Nachricht 
des  Josephus  den  Schluß,  die  Erinnerung  an  geschichtliche  Ereignisse 
sei  zuerst  durch  Lieder  erhalten  worden,  wie  ja  auch  Homer  den  Achilleus 
Ruhmestaten  der  Helden  zur  Laute  singen  lasse.  Wenn  solche  Lieder 
allgemeinen  Beifall  fanden,  so  wurden  sie  auch  aufgeschrieben.  Jene 
im  Gedächtnis  aufbewahrten,  dann  aber  auch  aufgeschriebenen  Gedichte 
Homers  brachte  Lykurg  aus  lonien  nach  Griechenland,  Peisistratos  fügte 
sie  zusammen  und  stellte  Ilias  und  Odyssee  her,  wie  Aelian  bezeugt. 
Welche  Rolle  die  Persönlichkeit  Homer  bei  der  Abfassung  der  ursprünglich 
nur  gesungenen  Gedichte  gespielt  habe,  ist  nicht  ersichtlich. 


206  Frankreich  und  die  Niederlande 

Auch  in  Deutschland  befaßte  man  sich  mit  der  Frage.  In  seiner 
Basler  Antrittsrede  1684  verband  Johann  Rudolf  Wetstein  die  Berichte 
des  Suidas  und  Aelians  in  ähnlicher  Weise  wie  Perizonius,  nur  daß  er 
mit  Suidas  die  Abfassung  der  Gedichte  ausdrücklich  dem  Homer  zuschrieb 
und  den  Hipparchos  die  letzte  Hand  an  die  Sammlung  legen  ließ.  Mit 
der  Sammlung  des  Materials  brauchte  Wetstein  sich  keine  besondere 
Mühe  zu  geben,  da  es  bei  AUatius  und  Meursius  gesammelt  vorlag.  Auf 
Wetstein  und  des  Cuperus  Apotheosis  Homeri  fußend  arbeitete  Ludolph 
Küster  seine  Historia  critica  Homeri  1696  aus,  welche  die  antiken 
Zeugnisse  über  Homer  übersichtlich  zusammenstellt.  In  der  Auffassung 
der  peisistratischen  Rezension  kommt  er  nicht  viel  über  Wetstein  hinaus, 
gibt  sich  aber  große  Mühe,  die  widersprechenden  Nachrichten  über  den 
Anteil,  den  Solon,  Peisistratos,  Hipparchos  an  Homer  gehabt  haben 
sollen,  nach  Kräften  auszugleichen.  Daniel  Georg  Morhof  bezweifelt 
in  seinem  Polyhistor  1688  die  antike  Nachricht  von  einer  Kommission, 
die  Peisistatos  für  die  Redaktion  des  Homertextes  eingesetzt  haben  sollte, 
und  erblickt  darin  mit  Recht  eine  Nachbildung  der  Kommission  der 
alexandrinischen  Septuaginta;  im  übrigen  glaubt  er  die  Geschichte. 
1702  fügte  Gronovius  dem  Neudruck  des  Meursius  die  romanhafte 
Relation  des  Grammatikers  Diomedes  über  die  peisistratische  Rezension 
hinzu,  einen  Bericht,  der  schon  dem  Allatius  bekannt  gewesen  Avar.  Eine 
abschließende  Sammlung  aller  antiken  Zeugnisse  über  Homer  gab  Johann 
Albert  Fabricius  in  seiner  Bihliotheca  Graeca  1705 — 1728,  ohne  eigene 
Kritik. 

In  England  sprach  sich  der  große  Gelehrte  Richard  Bentley  über 
die  Frage  aus,  wenn  auch  leider  nur  kurz  und  an  einer  Stelle,  wo 
man  es  nicht  suchen  würde.  Der  Deist  Anthony  Collins  hatte  in  einer 
Schrift  Discourse  on  Free-TJiinking  unter  anderm  den  Homer  als  Meister 
in  allen  Künsten  und  Wissenschaften  gepriesen  und  gesagt,  er  habe  sein 
Gedicht  für  die  Ewigjceit  zum  Vergnügen  und  zur  Belehrung  der  Mensch- 
heit bestimmt.  Diese  Auffassung  mag  falsch  sein,  aber  Collins  hatte 
sie  nicht  erfunden:  war  es  doch  im  ersten  Teile  die  seit  Marsuppini  aus 
Plutarch  immer  wiederholte  Weisheit,  im  zweiten  die  fast  einhellige 
Auffassung  der  klassizistischen  Kritik.  In  der  Streitschrift  gegen  Collins 
RemarJtS  upon  a  late  discourse  on  Free-Thinking  1713  bestritt  Bentley, 
daß  der  gute  Homer  je  solche  Aspirationen  gehabt  habe.  Er  schrieb, 
sagt  Bentley,  eine  Folge,  sequel,  von  Gesängen  und  Rhapsodien,  um  sie 
für  geringen  Lohn  und  gute  Kost  an  Festen  und  anderen  lustigen  Tagen 
zu  singen,  die  Ilias  für  die  Männer,  die  Odyssee  für  das  andere  Ge- 
schlecht.   Diese  unzusammenhängenden  Gesänge  wurden  erst  zu  Peisi- 


I 


Homerfrage    Bentley     Rapin  207 

Stratos'  Zeit,  ungefähr  500  Jahre  später,  in  der  Gestalt  eines  epischen 
Gedichtes  vereinigt.  Auch  ist  kein  Wort  im  Homer,  das  für  sein  Werk 
Unsterblichkeit  ahne  oder  verspreche.  Im  letzten  Pimkt  hat  Bentley 
entschieden  unrecht;  die  homerische  Poesie  ist  sich  bewußt,  daß  sie 
ihre  Helden  und  Geschichten  unsterblich  macht.  Auch  ist  der  unge- 
bundene Ton  von  Bentley's  Widerlegung  nicht  dazu  angetan,  alle  seine 
ßehauptimgen  ernsthaft  fassen  zu  lassen.  Die  Zuteilung  der  Gedichte 
an  die  Geschlechter  ist  ein  Scherz.  In  der  Auffassung  von  der  Ent- 
stehung der  Gedichte  folgt  er  im  ganzen  dem  Suidas.  Wie  er  sich 
(üe  Folge  von  Gesängen  und  Rhapsodien  vorgestellt  hat,  ist  nicht  klar. 
War  seiner  Meinung  nach  die  späte  Sammlung,  die  er  nicht  ausdrücklich 
dem  Peisistratos  zuschreibt,  die  Wiederherstellung  einer  ursprünglichen 
Anordnung  oder  eine  Neuschöpfung,  die  Abfassung  eines  Epos  aus 
vereinzelten  Gesängen?  Daß  Bentley  mit  dem  gesamten  Altertum  an 
der  Einheit  des  Dichters  festhielt,  scheint  unwiderleglich  daraus  hervor- 
zugehen, daß  er  die  einzelnen  Gesänge  von  Homer  geschrieben  sein 
läßt,  um  von  ihm  selbst  vorgetragen  zu  werden,  to  be  sung  by  himself. 

Mehrere  der  genannten  Schriften  sind  später  als  die  Querelle,  aber 
sämtlich  ohne  Kenntnis  d'Aubignac's  abgefaßt.  Der  erste,  der  mit  Allatius' 
Material  in  Frankreich  die  Frage  neu  angriff,  war  Rapin.  Er  läßt  Aelian 
sagen,  nach  der  Meinung  der  Gelehrten  seiner  Zeit  habe  Homer  die  Ge- 
dichte nur  in  Stücken  verfaßt,  ohne  Einheit  des  Plans,  und  die  einzelnen 
Stücke  nach  ihrem  Inhalt  betitelt.  Lykurg  habe  dann  die  getrennten 
und  zusammenhangslosen  Stücke  nach  Griechenland  gebracht,  wo  Peisi- 
stratos sie  ordnete.  Rapin  kann  sich  aber  nicht  entschließen,  das  zu 
glauben,  weil  damit  dem  Homer,  den  doch  Aristoteles  als  den  wirklichen 
Verfasser  der  Gedichte  erkläre,  der  größte  Ruhm,  der  der  Komposition, 
entrissen  würde.  Die  Zeugnisse  des  Cicero,  Plutarch  und  Josephus  wiegen 
ihm  weniger  schwer,  da  sie  nicht  so  bestimmt  lauteten. 

Nun  stellte  Perraultin  der  Parallele  die  Behauptung  auf,  viele  aus- 
gezeichnete Kritiker  leugneten  die  Existenz  eines  historischen  Menschen 
namens  Homer.  Ilias  und  Odyssee  seien  ein  Haufen  kleiner  Gedichte 
von  verschiedenen  Verfassern  über  den  in  jener  Zeit  beliebtesten  Gegen- 
stand, den  troischen  Krieg.  Später  seien  die  besten  Stücke  verbunden 
und  in  die  gegenwärtige  Ordnung  gebracht  worden.  Nur  so  habe  man 
Ilias  und  Odyssee  Rhapsodien  nennen  können,  ein  Wort,  das  einen 
Haufen  zusammengenähter  Stücke  bedeute.  Der  Streit  der  Städte  um 
die  Heimat  Homers  rühre  von  der  Mehrheit  der  Verfasser  her.  Der 
Name  Homer  bedeute  den  Blinden,  und  seine  Gedichte  seien  eben  die 
des  Blinden;  es  seien  nämlich  viele  von  den  Dichtern,  die  um  ihr  Brot 


208  Frankreich  und  die  Niederlande 

singend  herumgezogen  seien,  blind  gewesen.  Diese  Ansieht  habe  unter 
andern  der  Abbe  d'Aubignac  in  einem  Aufsatz  niedergelegt.  Gestützt 
werde  sie  durch  das  Zeugnis  Aelians.  Was  Perrault  von  diesem  zu 
sagen  weiß,  ist  wörtlich  aus  Rapin  abgeschrieben.  Dagegen  hat  er 
von  den  damals  noch  ungedruckten  Conjectures  academiques  des  Abbe 
d'Aubignac  eine  ziemlich  genaue  Kunde  gehabt.  Es  fällt  ihm  indessen 
nicht  ein,  aus  der  Hypothese  mehr  zu  machen  als  einen  Beweis  für  die 
geringe  Güte  der  Fabel  der  Ilias. 

Boileau  sah,  wie  geschickt  der  Streich  geführt  war,  und  suchte 
ihn  zu  parieren.  Zunächst  stellt  er  fest,  daß  Perrault  flunkert,  wenn  er 
von  mehreren  ausgezeichneten  Kritikern  spricht,  welche  die  Existenz  Ho- 
mers geleugnet  haben  sollen.  Sie  reduzieren  sich  auf  den  Abbe  d'Aubignac, 
den  Boileau  noch  persönlich  gekannt  hat,  und  dem  er  einen  solchen 
Streich  nicht  zutrauen  kann;  er  müßte  denn  in  seinem  hohen  Alter 
etwas  kindisch  geworden  sein.  Hier  täuschte  sich  Boileau:  die  Conjec- 
tures des  1604  geborenen  und  etwa  1676  gestorbenen  Abbe  waren  schon 
seit  1664  vorhanden.  Dagegen  ist  ihm  der  Nachweis  vollkommen  ge- 
lungen, daß  die  Stelle  Aelians  für  die  Annahme  einer  Mehrheit  der 
Verfasser  der  homerischen  Gedichte  nicht  verwendbar  ist.  Aelian  sagt 
nur,  daß  diese  in  einzelnen  Stücken  vorgetragen  wurden,  daß  Ly- 
kurgos  die  ganze  Poesie  nach  Griechenland  brachte  und  Peisistratos  sie 
wieder  zusammenstellte  und  Ilias  und  Odyssee  publizierte. 

Es  dauerte  noch  lange,  bis  d'Aubignac's  Büchlein  gedruckt  wurde. 
La  Motte  und  M™®.  Dacier  sprachen  davon,  ohne  es  zu  kennen;  noch 
im  Druckjahr  1715  konnte  Gacon  darüber  spotten,  als  ob  es  gar  nicht 
existierte.  In  diesem  Jahre  erschien  es  ohne  den  Namen  des  Verfassers 
unter  dem  Titel  Conjectures  academiques  ou  Dissertation  siir  l'Iliade,  in 
nicht  druckfähigem  Zustande.  So  wie  es  vorliegt,  leidet  es  an  Wieder- 
holungen, Weitschweifigkeiten  und  Stilfehlem,  die  nur  dadurch  erklärt 
werden  können,  daß  es  nicht  ganz  fertig  geworden  ist.  D'Aubignac 
ist  dem  fertigen  Epos  gegenüber  nicht  freundlicher  gestimmt  als  die 
übrigen  Modernes;  er  findet  es  mit  Schwächen  und  Fehlern  überreich 
behaftet.  Auch  den  Ruhm,  den  ihm  die  vergangenen  Jahrhunderte  zollen, 
schlägt  er  nicht  hoch  an.  Besonders  hat  für  ihn  des  Aristoteles  Urteil 
nicht  volle  Gewähr,  weil  dieser  Homer  brauchte,  um  die  Kriegslust  Alexan- 
ders zu  nähren,  und  für  sein  Urteil  keinen  anderen  Dichter  als  Homer 
zur  Hand  hatte.  Der  Abbe  benutzt  aber  die  zahlreichen  Ausstellungen  an 
Homer  nicht  wie  die  übrigen  Kritiker  zu  einer  Verurteilung  des  Dichters. 
Seine  Absicht  ist  vielmehr  zu  beweisen,  daß,  was  in  einem  durch  einen 
einzigen  Dichter  planmäßig  angelegten  Epos  unverständlich  und  uner- 


D'Aubignac  209 

träglich  wäre,  bei  Annahme  verschiedener  Dichter  vollkommen  erklärlich 
sei,  und  daß  man  auf  diese  Weise  vieles  als  wirkliche  Schönheit  genießen 
könne,  was  in  einem  langen  Epos  zum  Fehler  würde. 

Es  hat,  sagt  d'Aubignac,  nie  einen  Menschen  namens  Homer  gegeben. 
Vor  Herodot,  der  ihn  zuerst  nennt,  herrscht  über  ihn  absolute  Finsternis. 
Die  Erklärungen  seines  Namens  als  „Geisel"  oder  „Begleiter"  sind  von 
einem  bestimmten  Ereignis  seines  Lebens  abgeleitet;  also  ist  das  Wort 
Homeros  ein  Beiname  unsichem  Ursprungs.  Dann  war  man  auch  nicht 
einig,  welche  Gedichte  man  ihm  zuschreiben  sollte.  Licht  gibt  das 
^^'ort  Rhapsodie,  das  eine  Sammlung  zusammengenähter  Gedichte,  eine 
Anhäufung  mehrerer  Stücke  bedeutet,  die  ursprünglich  selbständig 
waren  und  erst  nachträglich  zusammengefügt  wurden.  Zuerst  bestand 
die  Poesie  aus  Liedern  zum  Preise  von  Göttern  und  Heroen,  besonders 
der  Königsfamilien  von  Kreta,  Troja,  Theben  und  Argos.  Die  öffent- 
lichen Wettkämpfe  ermunterten  die  Dichter  zu  immer  neuen  Schöpfungen, 
besonders  zu  Ehren  der  Großen,  mit  denen  sie  Literesse  oder  Zuneigung 
verband.  Endlich  sammelte  einer  die  Poesien  der  verschiedenen  Dichter 
und  machte  daraus  das  Korpus,  das  wir  die  Ilias  nennen.  Er  be- 
gann mit  dem  Stück,  das  ihm  dazu  am  geeignetsten  schien,  und 
schloß  mit  dem,  das  die  Sammlung  mit  Wahrscheinlichkeit  abschließen 
konnte.  Er  fügte  Verse  ein,  um  die  Verbindungen  herzustellen,  schnitt 
weg,  was  dem  Zusammenhang  im  Wege  war,  und  änderte  vielleicht, 
wo  es  ihm  der  Anschaulichkeit  des  Ganzen  zu  nützen  schien.  Die  Samm- 
lung überschrieb  er  Rhapsodie  Homers,  d.  h.  des  Blinden,  weil  diese 
Stücke  lange  Zeit  von  Blinden  vorgetragen  wurden.  Daraus  entstand 
sowohl  der  Name  des  Dichters  als  die  Sage  von  seiner  Blindheit.  Ge- 
stützt wird  diese  Annahme  durch  die  Nachricht  des  Josephus.  Die  Un- 
möglichkeit, ein  so  großes  Gedicht  mündlich  fortzupflanzen,  beweist 
schon  genug  gegen  die  Existenz  eines  Homer. 

Im  zweiten  Teil  bringt  d'Aubignac  die  aus  der  Ilias  selbst  für 
seine  Hypothese  geschöpften  Argumente  vor.  Es  begegnen  ihm  dabei 
hie  und  da  Versehen,  wie  z.  B.  daß  Achilleus  den  Hektor  an  den  Schweif 
seines  Pferdes  gebunden  habe.  Der  alte  Herr  sagt  selbst,  er  zitiere  aus 
dem  Gedächtnis  und  habe  Mühe,  die  Bücher  zu  handhaben;  aber  er  zeigt 
im  ganzen  eine  große  Beherrschung  des  Stoffes. 

Ein  Plan  der  Ilias,  sagt  er,  ist  nicht  aufzufinden;  es  kann  weder 
der  Kampf  um  Troja  noch  der  Ruhm  des  Achilleus  sein;  denn  Troja 
wird  in  Wirklichkeit  nicht  belagert,  sondern  es  finden  nur  vor  seinen 
Mauern  unaufhörliche  Kämpfe  statt,  und  andere  Helden  werden  ebensosehr 
gepriesen  wie  Achilleus.    Der  Zorn  ist  ein  ungeeigneter  Gegenstand  für 

Finsler:  Homer  in  der  Neuzeit.  "  14 


210  Frankreicli  und  die  Niederlande 

das  Prooimion  des  ganzen  Gedichts;  dieses  gehört  auch  nur  zum  ersten 
Stück  und  wurde  mit  diesem  von  dem  Kompilator  an  den  Anfang  ge- 
setzt. In  einem  planmäßig  angelegten  Epos  wären  die  langen  Erzählungen, 
die  Gespräche  vor  der  Schlacht,  die  ewig  sich  wiederholenden  Kampf- 
szenen, die  Menge  der  Geschichten  von  den  Göttern  und  deren  beständiges 
Eingreifen  in  die  Handlung  unerträglich.  Aber  was  hier  ein  Fehler  wäre, 
wird  im  kleinen  Gedicht  zum  Vorzug.  Denn  hier  hatte  jeder  Dichter 
nur  einen  begrenzten  Gegenstand  im  Auge,  den  Ruhm  eines  bestimm- 
ten Helden,  mit  dem  er  dem  Großen,  vor  dem  er  sang,  zu  gefallen  suchte. 
Hier  nahmen  die  Dichter  keine  Rücksicht  aufeinander  und  waren  daher 
in  Stoff  und  Behandlung  frei.  Auch  die  Rolle  der  Götter  wird  dadurch 
verständlich,  da  überall  die  Schutzgottheit  des  Helden  für  ihren  Schütz- 
ling eintritt.  In  ganz  gleicher  Weise  erklären  sich  die  Wiederholungen 
der  Gleichnisse  und  Wendungen,  wie  die  schroffen  Widersprüche.  Wenn 
der  Kompilator  diese  stehen  ließ,  so  war  er  eben  mit  Recht  von  der 
Güte  der  Einzelgedichte  überzeugt  und  brauchte  nicht  das  Ganze  mit 
dem  Auge  eines  Dichters  zu  betrachten.  Ich  muß  es  mir  versagen,  auf 
das  Einzelne  einzutreten.  Hoffentlich  ermöglicht  uns  bald  ein  Neudruck 
des  beinahe  unzugänglich  gewordenen  Buches  die  Vergleichung  mit  dem 
Standpunkt  der  modernen  Kritik. 

Über  die  Schicksale  der  homerischen  Poesie  hat  sich  d'Aubignac 
ebenfalls  ausgesprochen.  Er  ist  im  Beginn  seiner  Schrift  noch  im  Zweifel, 
ob  er  die  erste  Kompilation  dem  Lykurgos  zuschreiben  oder  annehmen 
solle,  dieser  habe  nur  die  bereits  wieder  zerstreuten  Stücke  gesammelt 
und  nach  Griechenland  gebracht.  Jedenfalls  wurden  sie  durch  die  Vor- 
träge der  Rhapsoden  Avieder  verzettelt  und  erst  durch  Peisistratos  und 
seinen  Sohn  Hipparchos  von  neuem  gesammelt.  Am  Ende  des  Buches 
schreibt  der  Abbe  dem  Lykurgos  unbedenklich  die  erste  Sammlung  zu. 

D'Aubignac  ist  der  Vater  der  modernen  Homerkritik.  Zwar  wurde 
sein  Buch  bei  seinem  Erscheinen  keines  Blickes  gewürdigt;  aber  auf 
die  deutsche  Wissenschaft  hat  es  einen  weittragenden  Einfluß  ausgeübt. 
Mit  seiner  Annahme  von  Einzelgedichten  deckt  sich  die  Vorstellung 
Herders,  der  ihn  kennt,  daß  die  homerischen  Gedichte  Impromptus 
gewesen  seien.  Heyne  weicht  von  ihm  in  der  Entstehungsgeschichte 
der  Ilias  nur  darin  ab,  daß  er  dem  Kompilator  ein  viel  größeres  Maß 
von  poetischer  Betätigung  zuschrieb.  Wolf  hat  in  wissentlich  falscher 
Weise  über  ihn  berichtet  und  dadurch  verraten,  daß  er  ihm  m.ehr  ver- 
dankt, als  seine  Eitelkeit  ihm  erlaubte  zuzugestehen.  Er  hat  sich  dafür 
von  Cesarotti  sagen  lassen  müssen,  er  habe  d'Aubignac's  Ketzerei 
mit   strengerer  Beweisführung  zur   seinigen  gemacht.    Zoega  endlich, 


Hardouin    Rousseau    Goguet  211 

der  dami  auf  Welcker  gewirkt  hat,  ist  von  d'Aubignac  direkt  angeregt 
gewesen. 

Eine  ähnliclie  Hypothese  wie  d'Aubignac  scheint  auch  der  Pere 
Hardouin  aufgestellt  zu  haben,  dem  wir  später  noch  begegnen  werden. 
Er  hatte  den  Beweis  angetreten,  daß  eine  Reihe  angeblich  antiker  Werke, 
besonders  die  Oden  des  Horaz  und  die  Aeneis  späte  Fälschungen  seien, 
die  Echtheit  Homers  jedoch,  wie  Rigault  behauptet,  nicht  angetastet.  Da- 
gegen sagt  Gacon  1715,  Hardouin  habe  dieselbe  Meinung  geäußert  wie 
d'Aubignac,  aber  die  Societas  Jesu  habe  sie  als  falsch  und  verderblich 
bezeichnet.  Den  Pere  Hardouin  nennt  auch  Rousseau  bei  der  Unter- 
suchung der  Frage,  ob  Homers  Zeit  die  Schrift  gekannt  habe.  Er  be- 
dauert, daß  seine  Zweifel  darüber  durch  die  Geschichte  des  Bellerophontes 
in  der  Ilias  widerlegt  werden.  Diesen  schickte,  so  erzählt  Homer,  der 
König  Proitos,  der  ihn  nicht  zu  töten  wagte,  zu  seinem  Schwiegervater 
nach  Lykien  und  gab  ihm  „viele  böse  mörderische  Zeichen  mit,  die  er 
in  ein  gefaltetes  Täfelchen  geritzt  hatte;  sie  sollte  er  dem  lykischen 
Könige  zeigen,  damit  er  verdürbe".  Aber,  so  fährt  Rousseau  fort,  da 
er  ebensogut  als  der  Pere  Hardouin  das  Unglück  habe,  in  seinen  Para- 
doxen ziemlich  hartnäckig  zu  sein,  so  möchte  er  sich  versucht  fühlen, 
zu  behaupten,  jene  Geschichte  sei  ohne  viele  Prüfung  von  den  Zu- 
sammens topplern,  compilateurs,  Homers  interpoliert  worden.  Der  Name 
Hardouin's  ist  in  diesem  Zusammenhang  auffallend,  aber  meine  Nach- 
forschungen über  seine  These  haben  zu  keinem  Resultat  geführt. 

Rousseau  weist  dann  darauf  hin,  daß  sonst  in  der  Ilias  keine  Spur 
von  Schrift  vorkomme  und  die  Odyssee  ein  Gewebe  von  Torheiten  wäre, 
das  ein  einziger  Brief  hätte  in  Rauch  aufgehen  lassen,  wenn  man  bei 
ihren  Helden  Kenntnis  der  Schrift  voraussetzte.  Nur  die  Fortpflanzung 
durch  den  Gesang  erkläre  die  Beliebtheit  der  Rhapsoden,  auch  würden 
sich  durch  die  Schrift  die  Unterschiede  der  Dialekte  stärker  verwischt 
haben.  Es  müßten  also  die  Gedichte  erst  spät  gesammelt  und  schrift- 
lich aufgezeichnet  worden  sein. 

Anderer  Meinung  ist  der  später  noch  zu  erwähnende  Goguet  in 
dem  Werke  De  Vorigine  des  lois.  Auch  er  gibt  zu,  daß  sich  die  Helden 
Homers  der  Schrift  nicht  bedienen;  in  der  Tafel  des  Bellerophontes 
möchte  er,  des  unbestimmten  homerischen  Ausdrucks  wegen,  geneigt 
sein,  hieroglyphische  Zeichen  zu  erblicken.  Aber  dann  erklärt  er  mit 
aller  Bestimmtheit,  es  müsse  in  dem  Zeitraum  zwischen  dem  troischen 
Krieg  und  Homer  die  Anwendung  der  Schrift  allgemein  geworden  sein. 
Schon  die  Vollkommenheit  der  homerischen  Sprache  ist  ihm  eine  Ge- 
währ dafür;  sie  hatte  damals  alle  die  Eigenschaften  einer  reichen,  an- 

14* 


i 


212  Frankreich  und  die  Niederlande 

mutigen,  regelmäßigen,  mit  einem  Worte  zu  jeder  Schreibart  geeigneten    » 
Sprache,   und   diese   Reinheit  und  Anmut   setzt   eine  lange  Pflege   der  J 
Sprache  durch  die  Schrift  voraus.    Die  einsichtige  Wahrnehmung  unter- 
stützt die  Auffassung  Goguet's,  nach  der  Homer  mit  Bewußtsein  eine 
ältere  Zeit  geschildert  hat. 

Der  Streit  der  Anciens  und  Modernes  war  zu  Ende  und  vom  großen 
Publikum  vergessen,  als  eine  sehr  fleißige  und  gründliche  Arbeit  die  Welt 
wieder  an  Homer  erinnerte.  Anne  Dacier,  die  Tochter  von  Tanneguy 
Lefebvre,  seit  1783  mit  Andre  Dacier  verheiratet,  teilte  die  Ansicht  Boileau's, 
daß  an  dem  ungünstigen  Urteil  über  Homer  die  schlechten  Über- 
setzungen schuld  seien,  und  beschloß,  sein  Ansehen  durch  eine  bessere 
zu  retten.  1699  erschien  ihre  Übersetzung  der  Bias,  die  ungeahnter 
Weise  der  Ausgangspunkt  eines  neuen,  heftigen  Streites  werden  sollte. 

In  der  Vorrede  mutet  vor  allem  die  herzliche  Liebe  zu  Homer  un- 
gemein wohltuend  an.  Seine  Schönheiten  hat  M"*®  Dacier  erst  recht 
verstanden,  seit  sie  begonnen  hat,  durch  die  Übersetzung  andern  das 
Verständnis  dafür  zu  öfinen.  Es  wäre  wohl  besser  gewesen,  sie  hätte  sich 
ihr  Ziel  nicht  weiter  gesteckt  und  es  bei  der  Übersetzung  bewenden 
lassen.  Aber  in  dem  Bestreben,  den  Dichter  von  jedem  Vorwurf  zu  be- 
freien, machte  sie  ihre  Vorrede  und  oft  auch  die  Anmerkungen  zu  einer 
Apologie;  gewiß  nicht  der  richtige  Weg,  um  für  ihn  Freunde  zu  werben. 
Nicht  weniger  bedenklich  ist,  daß  ihr  theoretische  Vorurteile  häufig  den 
freien  Blick  versperren.  Sie  beklagt,  daß  mit  Homer  und  Virgil  die 
wahren  Gesetze  des  Epos  verschwunden  seien.  Dadurch  habe  sich  eine 
ganz  falsche  Theorie  entwickelt  und  seien  Werke  entstanden,  die  den 
alten  Regela  nicht  mehr  entsprechen.  Die  Liebe,  die  von  den  Alten  als 
eine  der  Leidenschaft  entsprungene  Schwäche  fern  gehalten  worden  sei, 
habe  in  der  modernen  Zeit  zuerst  die  Sitten,  dami  die  Literatur  verderbt. 
M"^®  Dacier  ist  wirklich  der  Meinung,  ein  irregeleitetes  Stilgefühl  könne 
durch  Wiederaufrichtung  der  Regeln  gebessert  werden.  Sodami  ist  sie 
ganz  von  den  Vorschriften  des  Aristoteles  und  noch  mehr  von  denen 
des  Pere  Le  Bossu  beherrscht.  Sie  erblickt  im  Epos  ein  Gewand  für 
moralische  Lehrsätze  und  verficht  auch  sonst  die  allegorische  Auslegung. 
Auch  von  Bochart  und  seiner  Vergleichung  der  homerischen  Sitten  und 
Lehren  mit  denen  des  Alten  Testaments  ist  sie  sehr  abhängig  und  ver- 
wendet die  Ähnlichkeit,  um  Homer  gegen  den  Vorwurf  der  Sittenroheit 
zu  verteidigen.  Alle  diese  Dinge  müssen  herhalten,  um  Homer  neue 
Anhänger  zu  gewinnen.  Im  Aufsuchen  moralischer  Lehren  tut  sich  die 
Verfasserin  fast  nicht  genug.   So  schließt  sie  aus  dem  Monolog  Hektors, 


M™e  Dacier  213 

der  seinem  Tode  vorangeht,  der  Held  habe  es  in  der  Hand  gehabt,  Helene 
zurückzugeben  und  dem  Krieg  ein  Ende  zu  machen;  dadurch,  daß  er 
es  unterließ,  sei  er  strafbar  geworden  und  habe  den  Tod  verdient.  In 
der  Beurteilung  des  Gleichnisses  hat  M™^  Dacier  von  Boileau  nichts 
gelernt.  Sie  weist  den  Vorwurf,  Homer  habe  gemeine  Gegenstände,  wie 
z.  B.  den  berüchtigten  Esel,  für  seine  Bilder  gewählt,  mit  dem  Hinweis 
auf  die  Achtung  zurück,  deren  sich  dieses  Tier  im  Orient  erfreue,  und  be- 
müht sich  überall,  alle  möglichen  Züge  aufzuzählen,  in  denen  die  Gleichnisse 
mit  den  zu  erläuternden  Handlungen  übereinstimmen.  Trotz  der  großen 
Gelehrsamkeit,  die  sich  überall  zeigt,  hätte  es  im  Interesse  der  Sache  ge- 
legen, wenn  die  übermegende  Mehrzahl  der  Remarques  weggefallen  wäre. 

Über  die  Schwierigkeiten  der  Übersetzung  ist  M"^®  Dacier  nicht 
im  unklaren.  Die  französische  Sprache  kommt  ihr  gegenüber  der  Fülle 
Homers  arm  vor,  und  sie  glaubt,  ihre  Übersetzung  sei  etwa  mit  einer 
Mumie  der  Helene  zu  vergleichen,  die  zwar  nicht  so  begeistern  könnte, 
wie  es  die  Lebende  tat,  deren  Schönheit  man  aber  doch  noch  zu  ahnen 
vermöchte.  Vom  Verse  will  sie  ganz  absehen,  weil  darin  eine  auch  nur 
annähernde  Treue  unmöglich  sei.  Sklavisch  dürfe  aber  die  Übersetzung 
auch  nicht  sein,  sondern  sie  habe  die  Gedanken  des  Originals  in  der 
edelsten  Form  wiederzugeben. 

Hier  berührt  die  Preface  eine  bei  der  Übersetzung,  wenigstens  der 
Homers,  einfach  unüberwindliche  Schwierigkeit,  deren  noch  niemand  Herr 
geworden  ist.  Wenn  der  Dichter  in  Verse  übersetzt  wird,  zumal  wenn, 
wie  im  Französischen,  der  Reim  erforderlich  ist,  so  leidet  die  Treue; 
denn  die  ganze  prächtige  Buntheit  der  homerischen  Sprache,  vor  allem 
die  schmückenden  Beiwörter  mit  herüberzunehmen,  ist  unmöglich.  In 
diesem  Sinne  hat  M™®  Dacier's  Paradoxon,  der  in  Verse  übersetzte  Dichter 
höre  auf  ein  Dichter  zu  sein,  eine  gewisse  Berechtigung.  Aber  wenn 
man  auf  die  poetische  Form  verzichtet,  so  ist  es  wieder  unmöglich,  die 
Schönheit  und  Kraft  des  Originals  zur  Geltung  zu  bringen.  M™®  Dacier 
hat  das  sehr  wohl  gewußt  und  darum  das  Bild  von  der  Mumie  der 
Helene  gebraucht.  Ihr  war  vor  allem  daran  gelegen,  dem  französischen 
Publikum  Inhalt  und  Geist  der  Ilias  zur  Kenntnis  zu  bringen.  Die 
Form  hat  ihr  noch  Mühe  genug  gemacht;  denn  auch  in  der  Prosa  sind 
die  Beiwörter  kaum  unterzubringen,  und  sie  hat  sie  deshalb  auch  oft 
fallen  lassen.  Wenn  ihr  vorgeworfen  wurde,  sie  habe  durch  die  Wahl 
des  Ausdrucks  Homer  veredelt,  so  ist  das  ein  törichter  Vorwurf.  Aller- 
dings hat  sie  zuweilen  Scheu  davor  gehabt,  eine  allzu  natürlich  schei- 
nende Wendung  wörtlich  wiederzugeben.  Sie  hat  den  so  berühmt  ge- 
wordenen Esel  nicht  mit  Namen  zu  nennen  gewagt,  sondern  umschrieben. 


214  Frankreich  und  die  Niederlande 

Vielfach  hat  sie  auch  zugesetzt  und  sich  dadurch  dem  Stil  des  zeit- 
genössischen Romans  genähert.  Bei  alledem  bleibt  aber  der  Grundsatz 
richtig,  daß,  was  in  der  einen  Sprache  groß  und  erhaben  gemeint  war, 
€s  auch  in  der  anderen  sein  muß,  und  daß  nicht  das  lexikalisch  ent- 
sprechende, sondern  das  sinngemäße  Wort  zu  verwenden  ist.  Uns 
mutet  die  Übersetzung  etwas  stark  prosaisch  an;  schon  Lessing  hat  ein 
scharfes  Wort  darüber  gesagt.  Dennoch  ist  sie  eine  rühmliche  Leistung 
und  hat  trotz  allen  Mängeln  zahlreiche  Auflagen  erlebt,  ist  also  viel 
gelesen  worden.  Sie  hat  nicht  wenig  dazu  beigetragen,  daß  sich  Perrault's 
Sieg  im  18.  Jahrhundert  in  eine  Niederlage  verwandelte. 

Es  dauerte  fünfzehn  Jahre,  bis  M™®  Dacier  einen  Widersacher  fand. 
Dies  war  Houdar  de  la  Motte,  der  im  Jahre  1713  eine  neue  Über- 
setzung der  Ilias  erscheinen  Ueß.  Nach  dem  Streite  zwischen  Boileau 
und  Perrault,  so  erzählte  er  nachmals  selbst,  hatte  der  Abbe  Regnier 
eine  höchst  mißlungene  Übersetzung  des  ersten  Buches  der  Ilias  ver- 
faßt, was  La  Motte  auf  den  Gedanken  brachte,  etwas  Würdigeres  zu- 
stande zu  bringen.  Wie  er  behauptete,  fand  der  mit  dem  ersten  Buch 
gemachte  Versuch  den  Beifall  Boileau's,  und  so  übersetzte  er  weitere 
drei  Bücher,  ohne,  wie  er  meint,  mehr  als  unwesentliche  Verbesserungen 
anzubringen.  Dann  aber  sah  er  ein,  daß  er  nicht  so  fortfahren  könne, 
wenn  die  Schönheiten  der  Ilias  zu  ihrem  Rechte  kommen  sollten,  und 
so  drängte  er  den  Rest  auf  einen  viel  engeren  Raum  zusammen.  Dem 
Werke  schickte  er  einen  Discours  sur  Homere  voraus. 

Bayle  und  Saint-Evremond  hatten  gesagt,  Homer  würde  bei  seinem 
Genie  heute  ein  viel  vollkommeneres  Gedicht  zustande  bringen.  Wie 
man  sich  dies  vorzustellen  habe,  unternimmt  La  Motte  zu  zeigen.  Na- 
türlich mußte  zuerst  bewiesen  werden,  worin  Homer  fehlerhaft  und  ver- 
besserungsbedürftig sei,  und  so  wurde  der  Discours  zu  einer  Anklageschrift 
gegen  Homer.  Diesen  kannte  La  Motte  freilich  nur  aus  der  Übersetzung 
von  M™^  Dacier,  so  daß  seine  Bemerkungen  über  homerischen  Stil  sehr 
wenig  Wert  haben.  Aber  die  Übersetzung  hat  er  fleißig  und  selbständig 
studiert.  Er  kennt  Perrault,  geht  aber  seine  eigenen  Wege,  und  der 
von  M""^  Dacier  später  erhobene  Vorwurf,  er  habe  Desmarets  ausge- 
schrieben, ist  unbegründet. 

Was  den  Stoff  der  Ilias  betrifft,  so  will  La  Motte  Le  Bossu's  mora- 
lische Auslegung  nicht  ganz  verwerfen,  aber  diese  Wahrheit  gehe  in 
der  Masse  der  Einzelheiten  verloren.  Ohne  das  Eingreifen  des  Zeus 
würde  Aias  den  Hektor  getötet  haben;  die  Ausführung  der  Lehre,  daß 
Unfriede  die  Staaten  verderbe,  durfte  aber  nicht  von  einem  Wunder  ab- 
hängig gemacht   werden.    Übrigens  könne  man  jeder  Erzählung  einen 


La  Motte  215 

moralischen  Lehrsatz  abgewinnen,  an  den  der  Dichter  nicht  zu  denken 
brauchte.  Das  Beste  werde  sein,  Homer  zu  glauben,  daß  der  Zorn  des 
Achilleus  der  Gegenstand  der  Ilias  sei. 

Man  leitet,  fährt  La  Motte  fort,  aus  Homer  Konsequenzen  ab,  die 
zu  Vorurteilen  werden.  Man  weigert  jedem  Gedicht,  das  nicht  der  Ilias 
oder  Odyssee  gleicht,  den  Namen  eines  Epos.  Aus  Homer  wird  eine 
Menge  von  Regeln  abgeleitet,  die  durch  nichts  gerechtfertigt  sind,  als 
daß  sie  auf  Homer  basieren  und  von  Aristoteles  und  Horaz  gutgeheißen 
wurden,  und  folgert  daraus  sehr  mit  Unrecht,  daß  alle  andern  Wege 
Irrwege  sein  müssen.  Gibt  es  denn  keine  andern  Mittel  zu  gefallen? 
Wie  La  Motte  anderwärts  seine  Stimme  gegen  die  dramatischen  drei 
Einheiten  erhoben  hat,  so  zieht  er  hier  die  Richtigkeit  der  Theorien 
vom  Epos  in  Frage.  Wesentlich  ist  nach  ihm  für  das  Epos  nur  die 
Erzählung  einer  Handlung.  Die  Art  der  Behandlung,  die  Wahl  der 
Personen,  die  wunderbaren  oder  natürlichen  Ursachen  bringen  nur  ver- 
schiedene Arten  hervor,  berühren  aber  die  Gattung  nicht.  Auch  die 
von  Aristoteles  geforderte  Beschränkung  auf  eine  einzige  Handlung  ist 
falsch;  warum  sollte  das  ganze  Leben  eines  Helden,  das  ihn  auf  jeder 
Stufe  der  Entwicklung  zeigt,  weniger  geeignet  sein?  Die  Wahl  des 
Stoffes,  ja  der  Form  liegt  im  Belieben  des  Dichters.  Gefallen  muß  er; 
wenn  er  dabei  auch  belehrt,  um  so  besser;  aber  auch  das  dürfte  nicht 
als  imverletzliche  Regel  aufgestellt  werden. 

Die  prächtige  Stelle  macht  den  Discours  sur  Homere  zu  einem 
Markstein  in  der  Geschichte  der  Poetik;  denn  sie  bedeutet  die  absolute 
Befreiung  vom  Regelzwang.  Mit  Ausnahme  von  Giordano  Bruno  und 
der  Andeutung  bei  Fontenelle  hatte  sich  niemand  mit  solcher  Freiheit 
des  Geistes  ausgesprochen. 

Darauf  untersucht  La  Motte  die  besondere  Kunst  Homers.  Er  zeigt, 
wie  der  Dichter  durch  einen  dem  Volke  schon  bekannten  Stoff  das  Inter- 
esse zu  fesseln  versteht,  wie  er  die  Affekte  nicht  schildert,  sondern  durch 
den  Mund  seiner  Personen  uns  vor  Augen  führt,  für  die  Überraschung 
Götter  und  Wunder  verwendet.  Dagegen  tadelt  er  Homer  dafür,  daß 
er  die  Ereignisse  voraussehen  läßt;  die  menschliche  Natur  erfordere  die 
Spannung  auf  den  Ausgang.  Damit  stellt  La  Motte  die  Praxis  des  zeit- 
genössischen Romans  als  Muster  auf.  Es  beginnt  hier  eine  Partie  des 
Discours,  die  eine  Reihe  richtiger  Beobachtungen  enthält,  aber  darin  ver- 
fehlt ist,  daß  die  Art,  wie  Homer  verfährt,  fast  durchweg  als  mangelhaft 
hingestellt  wird,  weil  sie  sich  nämlich  mit  La  Motte's  moderner  Emp- 
findungsweise nicht  verträgt.  Das  ist  schade,  denn  die  Beobachtungen  sind 
gründlich  und  umsichtig,  wenn  auch  einseitig.   Homers  Götter  sind  nicht, 


216  Frankreich  und  die  Niederlande 

wie  La  Motte  meint,  durchaus  erbärmlich  und  ganz  mit  menschlichen 
Leidenschaften  behaftet,  denen  sie  alles  opfern.  Wenn,  was  La  Motte 
tadelt,  die  Moira  nicht  eine  übergeordnete  Gottheit  ist  und  wir  dabei 
jede  Spur  einer  Vorsehung  vermissen,  so  ist  darum  die  homerische  Auf- 
fassung noch  nicht  schlechtweg  verwerflich,  sondern  wäre  zuerst  nach 
ihren  Ursachen  zu  untersuchen.  Hat  doch  La  Motte  selbst  bemerkt,  daß 
Homer  hier  nicht  konsequent  sei.  Mit  Recht  weist  er  dagegen  Le  Bossu's 
Verteidigung  Homers  zurück,  daß  in  der  Vielheit  der  Götter  die  Idee 
des  einen  Gottes  zu  erkennen  sei.  Die  Vergleichung  mit  der  alttesta- 
mentlichen  Gottesauffassung  erscheint  ihm  skandalös  und  falsch. 

Richtig  erkennt  er  die  hervorstechendste  gemeinsame  Eigenschaft 
der  Helden  in  Stolz  und  Eitelkeit,  aus  denen  das  Eigenlob,  die  Maß- 
losigkeit im  Zorn,  die  Schmähungen  stammen,  ebenso  der  Mangel  an 
Pietät  gegen  die  Götter.  Die  Helden  sind  grausam,  rachsüchtig,  habgierig; 
den  Überwundenen  schonen  sie  nur,  wenn  sie  ein  Lösegeld  erpressen 
können.  Das  ist  alles  ganz  richtig  und  gibt  doch  nur  ein  Zerrbild  der 
homerischen  Helden,  weil  La  Motte  die  Lichtseiten  nicht  sieht  oder  ge- 
flissentlich unterdrückt. 

Bei  Homer,  sagt  La  Motte,  steht  immer  nur  ein  Held  ganz  im  Vorder- 
grund; um  alle  vorführen  zu  können,  hält  er  den  Achilleus  so  lange  von 
den  Kämpfen  fern.  Dieser  ist  sehr  geschickt  gezeichnet.  Wenn  er  den 
Griechen  unentbehrlich  sein  sollte,  mußte  er  durch  äußere  Vorzüge  glänzen, 
die  andere  nicht  hatten.  Aber  diese  machten  ihn  noch  nicht  bewunderns- 
wert; denn  wenn  er  nichts  zu  fürchten  hatte,  war  seine  Tapferkeit  nichts 
Auffallendes.  Aber  er  ist  in  der  Ilias  nicht  unverwundbar  und  kommt 
nach  Troja  mit  der  sicheren  Aussicht  auf  einen  frühen  Tod.  Das  hebt 
Homer  immer  v^deder  hervor,  um  die  Tapferkeit  des  Helden  desto  heller 
strahlen  zu  lassen.  Andere  Charaktere  sind  weniger  sicher  gezeichnet, 
wofür  besonders  das  Verhalten  des  Helenos,  Hektor,  Diomedes  im  sechsten 
Buche  aufgeführt  werden.  Widersprüche  im  Charakter  der  Helden  mögen 
aus  der  Überlieferung  stammen;  aber  dann  hat  Homer  darin  gefehlt, 
daß   er   diese  Charaktere   historisch   und  nicht  poetisch  gezeichnet  hat. 

Wenn  man  bisher  La  Motte,  wenn  nicht  immer  mit  Zustimmung, 
so  doch  stets  mit  Interesse  folgen  konnte,  so  ist  die  Partie  über  home- 
rischen Stil  gründlich  verfehlt,  weil  La  Motte  von  vornherein  auf  dem 
Standpunkte  steht,  es  sei  alles  fehlerhaft,  was  anders  ist  als  die  Er- 
scheinungen seiner  eigenen  Zeit,  Diese  Erörterungen  bringen  auch  wenig, 
was  man  nicht  schon  bei  Frühern  hätte  lesen  können. 

Wichtig  ist  der  Abschnitt  über  die  homerischen  Gleichnisse,  be- 
sonders   weil    später    Pope   und    Breitinger    davon    ausgegangen    sind. 


La  Motte  217 

La  Motte  unterscheidet  verschiedene  Zwecke,  die  der  Dichter  bei  ihrer 
Verwendung  haben  kann;  sie  sollen  den  dargestellten  Gegenstand  er- 
läutern oder  den  Geist  durch  edle  und  angenehme  Bilder  erheben  und 
erfreuen  oder  endlich  nur  die  zu  trockene  Erzählung  beleben  und 
mannigfaltig  machen.  Von  der  ersten  Art  findet  La  Motte  bei  Homer 
kaum  Beispiele.  Anstatt  zu  erläutern  und  den  Geist  bei  dem  Gegenstand 
festzuhalten,  bringen  sie  Dunkelheit  hinein  und  lassen  den  Gegenstand 
sogar  aus  den  Augen  verschwinden,  in  einem  Haufen  von  Nebenumständen, 
die  keine  Beziehung  dazu  haben.  Es  genügt  Homer,  daß  die  Vergleichung 
aji  einem  Punkte  zutreffe,  und  er  läßt  sich  ohne  Skrupel  gehen,  um  sie 
nach  den  Seiten  zu  verfolgen,  die  mit  dem  verglichen  Gegenstande  nichts 
gemein  haben.  La  Motte  hat  den  Charakter  der  homerischen  Gleich- 
nisse richtig  erfaßt,  aber  verworfen.  In  den  erfreuenden  und  erhebenden 
Gleichnissen  findet  er  Homer  glücklich.  Den  Esel  will  er  nicht  ver- 
werfen, weil  dieser  im  Orient  kein  verachtetes  Tier  gewesen  sei,  findet 
es  aber  abstoßend,  daß  Homer  von  dem  Prügeln  durch  die  Buben  und 
der  Gefräßigkeit  des  Esels  spricht.  Er  verwirft  die  Vergleichung  großer 
Dinge  mit  kleinen,  sieht  aber  große  Kunst  darin,  wenn  Kleines  mit 
Großem  verglichen  wird.  Homer  fehlt  nach  seiner  Meinung  darin,  daß 
er  zu  oft  die  nämlichen  Bilder  wählt,  wie  Löwen  und  Horden,  und  daß 
er  die  Gleichnisse  oft  zu  sehr  häuft,  statt  sie  ordentlich  zu  verteilen. 
Es  begegnet  hier  La  Motte  das  Mißgeschick,  daß  er,  der  eben  noch  für 
die  Freiheit  des  Dichters  eingetreten  war,  nun  für  die  Verteilung  der 
Bilder  Regeln  aufstellt,  deren  Anwendung  zu  Chapelain's  hölzerner  Praxis 
führen  müßte. 

Schlimm  kommt  Homer  bezüglich  seiner  Moral  weg.  Der  Dichter, 
meint  La  Motte,  habe  Tugend  und  Laster  so  darzustellen,  wie  es  unseren 
Empfindungen  entspreche,  und  neben  der  Absicht,  zu  gefallen,  der  guten 
Moral  so  treu  zu  sein,  als  ob  er  belehren  wollte.  Nun  lege  Homer  den 
Preis  des  Bösen  auch  solchen  Personen  in  den  Mund,  die  er  als  weise 
bezeichne,  lasse  z.  B.  Thetis  dem  Sohne  die  schlechteste  Handlungsweise 
anraten  und  Zeus  für  den  Ungerechten  Partei  nehmen;  auch  scheine  er 
die  Grausamkeit  und  Ungerechtigkeit  des  Achilleus  ausdrücklich  zu  billigen. 
Die  hervorstechendste  Moral  der  Ilias  scheine  zwar  zu  sein,  daß  wir  der 
göttlichen  Hilfe  bedürfen;  aber  diese  sei  bei  Homer  auf  die  Laune  der 
Götter  gegründet,  statt  wie  nach  unserer  Religion  auf  unsere  Pflichten.  Es 
standen  eben  damals,  meint  La  Motte,  Stolz  und  Rache  in  Ehren;  sobald 
die  Moral  reiner  wurde,  trat  die  Kritik  der  Philosophen  an  Homer  ein. 

In  der  Beurteilung  Homers  glaubt  La  Motte  den  Dichter  und  sein 
Werk  unterscheiden  zu  sollen,  wie  auch  Saint-Evremond  tut.  Jener  war 


218  Frankreich  und  die  Niederlande 

ein  Genie,  das  zu  allen  Zeiten  wenigstens  die  Mehrzahl  der  zeitgenös- 
sischen Dichter  übertroffen  haben  würde,  ein  Lob,  das  für  die  Ilias  mit 
ihrer  Mischung  von  Schönheiten  und  Fehlern  nicht  gilt.    Endlich  sucht 
La  Motte   die  Bewunderung  Homers   aus  einem  durch  die  Zeiten  fort- 
geschlepptem  Vorurteil   zu   erklären.    Hier  redet   er  ins  Blaue  hinein. 
Der  Rest  des  Discours  ist  eine  Ankündigung  und  Empfehlung  der  fol- 
genden Übersetzung,  die  alle  Schönheiten  der  Ilias  ohne  deren  Fehler 
bringen  solle.    M""®  Dacier  habe  ja  eine  sehr  schätzbare  Arbeit  geleistet, 
aber  für  eine  Übersetzung  eigne  sich  doch  die  Poesie  besser  als  die  Prosa, 
da  sie  eher  Äquivalentes  zu  geben  vermöge.    La  Motte  will  teils  Über- 
setzer, teils  Nachahmer  sein  und  ein  echt  französisches  Gedicht  schaffen, 
das  lesbar,  nicht  zu  lang,  interessant  und  fehlerlos  sei.  An  der  übermäßigen 
Länge  seien  ja  der  Clovis  und  die  Pucelle  gescheitert.    Der  lliade  geht 
noch   eine  Ode  voraus,   L^Ombre  cT Homere.    La  Motte  beschwört  darin 
den  Geist  Homers,   ihm   zu  seinem  Unternehmen  den  Weg  zu  weisen. 
Homer  erscheint  ihm  und  trägt  ihm  auf,  die  Ilias  so  zu  gestalten,  wie  er 
selbst  sie  gemacht  haben  würde,  wenn  er  gegenwärtig  in  Frankreich  lebte. 
Die  Übersetzung  ist  nun  freilich  ein  Unikum,   am  ehesten  mit 
dem  Homerus  Latinus  zu  vergleichen.    Die  ersten  vier  Bücher  können 
als  Übersetzung  gelten,  obwohl  auch  da  des  Verfassers  Hand  mit  deli- 
katen Verschönerungen  nicht  gekargt  hat.    Der  Rest,  auf  acht  Bücher 
reduziert,  ist  allerdings  kurz,  aber  gerade  der  Kürze  wegen  schrecklich 
langweilig,  auf  weite  Strecken  nichts  als  ein  kahles  Referat  aus  Homer, 
aber,  wie  Fourmont  sich  ausdrückt,  mit  einem  Stich  ins  Opernhafte  und 
süßlichen  Künsteleien,  welche  den  ganzen  Ernst  verderben.   Die  Kämpfe 
des  zehnten  bis  fünfzehnten  Buches,  die  bei  Homer  4000  Verse  umfassen, 
sind  bei  La  Motte  auf  400  zusammengeschrumpft,  wobei  noch  zu  beachten 
ist,  daß  die  Betörung  des  Zeus  beinahe  den  Umfang  des  Originals  bei- 
behält.   Für  die  Art  der  Verbesserung  nur  ein  Beispiel.   La  Motte  findet  es 
abstoßend,  daß  Agamemnon  erklärt,  Chryseis  als  Sklavin  und  Bettgenossin 
nach  Argos  nehmen  zu  wollen.    Das  soll  gemildert  werden,  und  deshalb 
legt  der  König  bei  La  Motte  ein  zartes  Geständnis  seiner  Liebe  zu  seiner 
Gefangenen   ab  und  erklärt,   er  sei  gegen  Chryses  nur  darum  so  rauh 
gewesen,  um  seine  Gefühle  für  die  Tochter  zu  verbergen.  Die  psychologisch 
fein  durchgeführte  Versöhnung  des  Achilleus   und  Agamemnon  wird  zu 
zwei  pomphaften,  von  Edelmut  triefenden  Reden  der  bisher  entzweiten 
Helden.   Empörend  ist  vor  allem  die  Behandlung  von  Hektors  Abschied. 
La  Motte  fand  nämlich,  was  Andromache  von  ihren  Eltern  und  Brüdern 
mitteile,  habe  Hektor  gewiß  schon  tausendmal  gehört.   Es  sei  ganz  über- 
flüssig, daß  sie  ihm  von  der  Bestattung  des  Vaters,  den  von  Nymphen 


I 


La  Motte    M™«  Dacier  219 

gepflaiizten  Ulmen,  dem  Tod  der  Brüder  auf  der  Bergweide,  dem  Löse- 
geld der  Mutter  erzähle.  Homer  wolle  eben  um  jeden  Preis  beschreiben, 
während  doch  Andromache  nur  sagen  durfte,  was  zu  ihrem  Schmerz 
gehörte.  Wohl  ist  es  schauderhaft,  wie  La  Motte  mit  der  innigsten 
Poesie  umgeht;  aber  die  Kritik  des  19.  Jahrhunderts  hat  es  ja  zuweilen 
nicht  besser  gemacht. 

Der  Achilleusschild  wird  neu  gezeichnet,  da  derjenige  Homers  mit 
seinen  massenhaften  Bildern  gar  keine  Beziehung  auf  Achilleus  enthält. 
Der  Schild  La  Motte's  zeigt  nun  die  Hochzeit  des  Peleus,  das  Paris- 
urteil und  den  Raub  der  Helene.  Hektors  Tod  ist  in  einer  für  beide 
Helden  angemessenen  Weise  umgestaltet.  Wohl  das  Seltsamste  ist,  daß 
Odysseus  den  zu  den  Schiffen  Fliehenden  die  Rede  hält,  die  ihn  Homer 
nachher  in  der  Heergemeinde  halten  läßt,  inbegriffen  das  Wunder  in  Aulis 
und  die  Weissagung  des  Kalchas.  Das  tut  derselbe  La  Motte,  der  Homer 
des  Mangels  an  Wahrscheinlichkeit  bezichtigt.  Eine  Menge  schöner 
Stellen  und  ganze  Partien  sind  gestrichen  und  durch  nichtssagende  Verse 
ersetzt.  Statt  der  ihm  mangelhaft  vorkommenden  gehaltvollen  Sentenzen 
hat  La  Motte  Reflexionen  angebracht,  die,  wie  ihm  Gacon  nachwies, 
sämtlich  aus  den  Remarques  der  M™®  Dacier  stammen.  Bei  der  Lektüre 
des  ünglücksprodukts  hat  man  die  Empfindung,  es  gebe  nichts,  was 
den  Stil  Homers  so  berechtigt  und  glücklich  erscheinen  lasse  wie  gerade 
diese  Verbesserung.  Dort  überall  Licht,  Pracht,  Fülle,  Behaglichkeit;  hier 
ein  würgendes  Hasten  zum  Ausgang  ohne  jeden  poetischen  Schwung. 
Das  Werk  hat  sich  denn  auch  nicht  gehalten.  In  seiner  Gedächtnisrede 
auf  La  Motte  1732  hat  Fontenelle  zugeben  müssen,  daß  es  vergessen  sei. 

M™®  Dacier  war  empört.  Die  Übersetzung  wie  deren  Begründung 
erschienen  ihr  als  ein  Sacrilegium.  Schon  1714  veröffentlichte  sie  ein 
zorniges  dickes  Buch  Des  Causes  de  la  corruption  du  goüf,  dessen  In- 
halt dem  Titel  wenig  entspricht,  vielmehr  fast  ausschließlich  den  Ver- 
such einer  Widerlegung  La  Motte's  enthält.  Der  Ton  ist  gereizt,  an 
vielen  Stellen  direkt  beleidigend.  An  La  Motte  wird  kein  gutes  Haar 
gelassen,  selbst  dami  nicht,  wenn  er  mit  M"^®  Dacier  übereinstimmt. 
So  ist  sie  unzufrieden,  daß  er  Perrault's  Zweifel  an  der  Existenz  Homers 
nur  unwahrscheinlich  und  nicht  närrisch  findet.  Man  müsse  ja  alles 
Lichtes  der  Vernunft  beraubt  sein,  wenn  man  den  Gedanken  nicht  als 
wahnwitzig  betrachte. 

Der  Streit  verflacht  aus  Mangel  an  neuen  Argumenten.  M™®  Dacier 
weiß  nichts  vorzubringen  als  die  traditionelle  Bewunderung  der  Jahr- 
hunderte für  Homer,  die  Unfehlbarkeit  der  durch  Dacier  interpretierten, 
durch  Le  Bossu  verbesserten  aristotelischen  Regeln,  die  Ähnlichkeit  der 


220  Frankreich  und  die  Niederlande 

homerischen  Helden  mit  den  alten  Patriarchen.  Um  ihren  Dichter  zu 
retten,  wagt  sie  die  kühnsten  Wendungen;  so  gibt  sie  lieber  den  ganzen 
Charakter  des  Achilleus  preis,  nur  um  bestreiten  zu  können,  daß  Homer 
ihn  bewundere.  Gelungen  ist  einzig  der  Nachweis,  daß  die  Vorliebe 
für  Homer  kein  durch  die  Zeiten  fortgeschlepptes  Schulvorurteil  sei. 
Alles  andere  enttäuscht  auch  den,  der  La  Motte's  Urteile  vielfach  schief 
findet.  Deshalb  wirkt  auch  die  oft  sehr  zutreffende  Kritik  an  der  neuen 
Iliade  nicht  so,  wie  es  der  Fall  wäre,  wenn  M""®  Dacier  im  ersten 
Teile  nicht  ausschließlich  mit  Autoritäten  operiert  hätte. 

La  Motte  antwortete  noch  im  gleichen  Jahre  mit  den  umfäng- 
lichen Heflexions  sur  la  Critique.  Auch  er  weiß  nicht  viel  Neues  vor- 
zubringen. Er  verficht  das  Recht,  die  Alten  mit  dem  gleichen  Maße 
zu  messen  wie  die  Modernen,  begründet  seine  Verurteilung  der  Verglei- 
chung  Homers  mit  dem  Alten  Testament  damit,  daß  dieses  die  eine 
Wahrheit  lehre,  während  Homer  das  Organ  des  Vaters  der  Lüge  sei, 
und  rechtfertigt  sich  gegen  den  Vorwurf,  .daß  er  kein  Griechisch  ver- 
stehe. Seine  Untersuchung  gehe  nämlich  nicht  auf  die  Form,  sondern 
auf  den  Grund  der  Dinge,  worin  keine  Autorität,  sondern  nur  die  Ver- 
nunft kompetent  sei,  wie  sich  aus  der  Geschichte  der  exakten  Wissen- 
schaften ergebe.  Im  folgenden  macht  La  Motte  noch  einige  zutreffende 
Bemerkungen,  z.  B.  über  die  allegorische  Auslegung,  aber  sonst  tritt  er 
nur  das  im  Discours  bereits  Gesagte  breit.  Der  Eifer  des  Gefechts  führt 
ihn  dazu,  den  Clovis  und  Saint  Louis  über  die  Ilias  zu  stellen,  und  zwar 
in  jeder  künstlerischen  Beziehung.  Vergessen  seien  sie  nur,  weil  sie  in 
übler  Nachahmung  Homers  das  Wunderbare  unpassend  angewendet  und 
zu  viel  ablenkende  Episoden  gebracht  hätten,  und  weil  sie  allerdings  lang- 
weilig seien.  Aber  die  Ilias  sei  nicht  lesbarer,  sondern  werde  nur  mit 
anderem  Maße  gemessen.  Homer,  sagt  La  Motte,  hat  eine  Masse  Fehler,  für 
die  seine  rohe  Zeit  mehr  verantwortlich  ist  als  er.  Obwohl  er  gab,  was 
er  sah,  ist  dies  doch  abstoßend  geworden,  weil  man  jetzt  das  Wesen  der 
wahren  Menschenwürde  besser  erkennt.  Die  Nachahmung  muß  sich  über- 
haupt auf  eine  ausgewählte  Natur  beschränken,  auf  achtungswerte  Charak- 
tere und  Gegenstände,  ohne  Merkwürdiges  und  Furchtbares  auszuschließen. 
Homers  Poesie  ist  nicht  Nachahmung  einer  schönen  Natur,  xmd  er  per- 
sönlich ist  mangelhaft,  weil  es  ihm  oft  am  Plan  oder  dessen  richtiger 
Durchführung  fehlt. 

Die  Reflexions  lassen  La  Motte  in  weniger  günstigem  Lichte  er- 
scheinen als  der  Discours.  Die  grundsätzlich  richtigen  Anschauungen 
treten  hinter  dem  auffallenden  Mangel  an  Verständnis  für  die  homerische 
nicht  nur,  sondern  für  jede  Poesie  zurück.   Er,  der  vorher  für  die  Freiheit 


La  Motte    Fenelon  221 

der  Dichter  gegen  den  Regelzwang  eingetreten  war,  stellt  jetzt  selbst 
eine  Menge  von  Bestimmungen  fest,  die  doch  nur  zeigen,  daß  ihm  die 
Fähigkeit,  eine  von  der  eigenen  Zeit  verschiedene  Welt  und  Kunst  zu 
begreifen,  vollständig  abging.  Im  übrigen  gewann  ihm  der  ruhige  und 
gelassene  Ton  der  Erwiderung  die  Gunst  des  Publikums,  das  sich  von 
M™®  Dacier's  gereiztem  Ton  abgestoßen  fühlte. 

Bevor  wir  über  die  nun  anhebende  Polemik  sprechen,  müssen  wir 
eines  Mannes  gedenken,  der  nach  La  Motte's  Reflexions  zwar  nicht  eigent- 
lich in  den  Streit  eintrat,  aber  doch  sehr  nachdrücklich  Stellung  dazu 
nahm.  Fenelon,  seit  1695  Erzbischof  von  Cambrai,  hatte  schon  1699 
seinen  Roman  Les  Aventures  de  Telemaque  erscheinen  lassen,  den  Boileau 
als  einen  wichtigen  Bundesgenossen  in  seinem  Kampf  begrüßte.  In  Wahr- 
heit gibt  es  aber,  trotz  den  Anlehnungen  an  Homer,  keinen  größeren 
Gegensatz  als  den  zwischen  dem  ursprünglich  frischen  Epos  und  dem 
mit  anmutigen  Erfindungen  geschmückten  Tendenzroman,  dessen  letzter 
Zweck  die  Bekämpfung  des  Absolutismus  war.  Fenelon  setzt  beim  Leser 
die  Kenntnis  der  Odyssee  voraus,  die  er  sorgfältig  studiert  hatte.  Es 
existiert  ein  Werk  von  ihm  L' Odyssee  d' Homere,  in  welchem  der  größte 
Teil  des  Gedichtes  einläßlich  skizziert  ist;  vom  fünften  bis  zehnten  Buche 
liegt  eine  schöne  Prosaübersetzung  vor.  Den  Gegenstand  des  Telemaque 
bildet  dessen  Reise  zur  Aufsuchung  seines  Vaters  unter  Führung  Athenes, 
die  ihn  in  Mentors  Gestalt  begleitet.  Homerisch  ist  eine  Anzahl  von  Per- 
sonen; sodann  sucht  der  Verfasser  das  stehende  Epitheton  einzuführen, 
und  endlich  verwendet  er  in  großem  Umfang  das  Gleichnis.  Aber  gerade 
hier  gibt  er  den  Kritikern  Homers  stillschweigend  Recht;  seine  Gleich- 
nisse illustrieren  nicht  einen  bestimmten  Punkt  der  Handlung,  sondern 
suchen  jeden  Zug  derselben  zu  decken.  Auch  sonst  kami  von  einer 
Nachahmung  Homers  nicht  gesprochen  werden.  Die  Erfindungen  sind 
ganz  modern,  die  Anspielungen  auf  das  Regiment  Ludwigs  XIV.  zahl- 
reich und  durchsichtig.  Die  Einfachheit  homerischer  Sitten  in  Verbin- 
dung mit  christlicher  Religiosität  bildet  die  Grundforderung  des  Buches. 
Es  ist  dieses  also  alles  eher  als  ein  Epos,  wie  es  die  nächste  Zeit  auf- 
zufassen beliebte;  Terrasson  hat  im  Telemaque  geradezu  den  Gipfel  der 
epischen  Poesie  erblickt.  Man  sah  nicht  oder  wollte  nicht  sehen,  daß 
der  Telemaque  den  Homer  weder  nachahmen  noch  überwinden  wollte, 
sondern  in  die  politische  Zukunft  wies.  Gerade  deshalb  liebte  Fenelon 
die  einfachen  homerischen  Sitten,  weil  er  in  der  Rückkehr  zu  ihnen  das 
Glück  der  Zukunft  erblickte. 

Während  so  der  Telemaque  wesentlich  politischen  Charakter  hat, 
nimmt  Fenelon  in  der  berühmten  Lettre  ä  VAcademie  1714  zu  den  lite- 


222  Frankreich  und  die  Niederlande 

rarischeii  Fragen  des  Tages  Stellung.  Die  Akademie  hatte  ihre  Mitglieder 
angefragt,  worauf  sie  nach  der  Revision  des  Dietionnairs  ihre  Tätigkeit 
richten  sollte,  und  darauf  gibt  Fenelon  Antwort.  Für  uns  kommt  be- 
sonders der  Abschnitt  über  die  Poesie  in  Betracht.  Wie  Fenelon  vorher 
die  Abfassung  einer  Rhetorik  gefordert  hatte,  so  wünscht  er  eine  durch 
die  Akademie  aufgestellte  Poetik.  Denn,  sagt  er,  wie  schon  die  heiligen 
Schriften  zeigen,  ist  die  Poesie  von  äußerster  Wichtigkeit.  Sie  war  die 
Quelle  aller  Kultur  und  erzog  die  Menschen  zu  allen  Tugenden.  Für  die 
französische  Poesie  wünscht  er  im  Interesse  der  Klarheit  und  Straffheit 
des  Ausdruckes  mehr  Freiheit  im  Reim  und  in  der  Satzstellung,  ebenso 
Unterdrückung  alles  überflüssigen  Schmuckes,  der  nur  dazu  dient,  die 
Kunst  des  Dichters  zu  zeigen.  Der  Dichter  soll  sich  selbst  vergessen  und  uns 
ihn  vergessen  lassen;  das  geschieht  nur  durch  die  Pflege  des  Einfachen 
und  Liebenswerten,  nicht  durch  das  Außergewöhnliche  und  Blendende. 
So  malen  Raifael  und  Tizian,  so  dichtet  Homer.  Die  Einfachheit  seiner 
Sitten  versetzt  uns  in  das  goldene  Zeitalter  zurück,  nur  die  falschen 
Vorurteile  unserer  Zeit  achten  diese  Schönheiten  gering.  Die  Alten  ver- 
binden mit  der  Wahrheit  den  Affekt:  Homer  läßt  nie  einen  jungen  Mann 
im  Kampfe  fallen,  ohne  uns  zugleich  durch  Schilderung  seines  Schick- 
sals zu  rühren;  ebenso  verfährt  Virgil.  Was  kann  es  Rührenderes  geben  als 
den  alten  Priaraos,  der  dem  Mörder  seines  Sohnes  die  Hand  küssen  muß 
imd  ihn  anfleht,  in  der  Erinnerung  an  den  eigenen  alten  Vater  sich 
seiner  zu  erbarmen.  Der  geringste  Schmuck  der  Rede  hätte  hier  alles 
zerstört.  Das  Schöne,  das  nur  glänzt,  genügt  nicht;  es  muß  die  Affekte 
ausdrücken,  um  sie  einzuflößen;  es  muß  sich  des  Herzens  bemächtigen, 
um  es  auf  das  richtige  Ziel  des  Gedichtes  hinzuweisen. 

Am  Schluß  spricht  Fenelon  seine  Gedanken  über  den  Streit  der 
Anciens  et  des  Modernes  aus.  Er  wünscht  nichts  mehr,  als  daß  die  Neuen 
die  Alten  übertreffen  möchten;  diese  würden  an  Ruhm  nichts  einbüßen^ 
jene  der  Menschheit  eine  neue  Zierde  verleihen.  Dazu  gehört  ein  fleißiges 
Studium  des  Altertums  und  gehörige  Selbstzucht.  Gewiß  haben  die  Werke 
der  Alten  ihre  Unvollkommenheiten,  wie  jedes  Menschenwerk.  Richtig 
beurteilen  könnten  wir  sie  nur,  wenn  wir  ihre  Zeitgenossen  wären;  so 
folgen  wir  am  besten  ihrem  eigenen  Zeugnis.  Zu  ihren  größten  Nach- 
teilen gehört  ihre  Religion,  die  zur  Zeit  Homers  nichts  als  ein  ungeheuer- 
liches Gewebe  lächerlicher  Fabeln  war,  und  auch  die  alte  Philosoj^hie 
hat  ihre  Gebrechen.  Die  Helden  Homers  gleichen  nicht  ehrenhaften 
Menschen,  und  die  Götter  stehen  noch  weit  unter  ihnen.  Die  Zahl  der 
ausgezeichneten  antiken  Schriftsteller  ist  gering.  Aber  wir  verdanken 
dem   Altertum   unsere  Kultur.    Homers  Zeichnung   der  Menschen   und 


Fenelon    Terrasson  223 

Götter  ist  getreu,  und  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  darf  man  seine  Kunst 
wohl  bewundem;  auch  die  Religion  und  Sitte  erscheint  bei  ihm  gehoben. 
Die  Einfachheit  der  Menschen  seiner  Zeit  ist  liebenswert.  Die  Welt  war 
damals  noch  so  glücklich,  die  Überkultur  unserer  Zeit  nicht  zu  kennen; 
ist  Nausikaas  Beschäftigung  nicht  achtungswerter  als  das  Spiel  und  die 
Intrigen  unserer  Frauen?  Große  Maler  und  Dichter  haben  immer  die 
Einfachheit  aufgesucht. 

Vergeblich  hat  die  spätere  Philosophie  die  Götter  Homers  allegorisch 
zu  erklären  versucht.  Homer  hat  die  Religion,  die  er  vorfand,  verschönert; 
er  hat  mit  Kunst  gearbeitet,  mit  Naivetät,  Anmut,  Kraft,  Majestät  und 
Leidenschaft  gemalt.  Die  raffinierten  Mittel  unserer  Dichter  übertreffen 
die  Alten  nicht,  so  wenig  als  die  Gotik  den  antiken  Stil  oder  Seneca  den 
Sophokles  übertroffen  hat.  Fenelon  will  nicht  urteilen,  sondern  nur  vor 
Verachtung  derer  warnen,  die  von  so  vielen  Jahrhunderten  bewundert 
worden  sind,  und  schließt  mit  dem  Wunsche,  das  Studium  der  Alten 
möchte  die  Modernen  in  den  Stand  setzen,  sie  zu  übertreffen. 

Die  ruhige  Umsicht,  die  in  dem  Briefe  herrscht  und  bewirkte,  daß  sich 
beide  Parteien  auf  Fenelon  berufen  konnten,  tritt  auch  in  seinem  Brief- 
wechsel mit  La  Motte  zutage.  Bei  verdeckten  Mahnungen  und  Ablehnungen 
seiner  Iliade  machte  er  ihm  so  viele  Komplimente,  daß  La  Motte  glauben 
konnte,  ihn  gewonnen  zu  haben.  Ein  Besuch  in  Cambrai,  von  dem  er 
eine  vollständige  Zustimmung  Fenelon's  zurückzubringen  hoffte,  wurde 
durch  dessen  Tod  verhindert.  Die  anderen  Zeitgenossen  waren  nicht 
so  zurückhaltend.   Es  erhob  sich  ein  neuer  und  heftiger  Krieg  um  Homer. 

Unter  den  Parteigängern  La  Motte's  ragt  der  Abbe  Terrasson 
mit  seiner  Dissertation  sar  l' Iliade  1715  hervor.  Er  hatte  den  Ruf,  ein 
großer  Mathematiker  zu  sein,  und  in  der  Tat  zeigt  er  in  seinem  Buch 
eine  unerbittliche  mathematische  Logik,  aber  keine  Ahnung  vom  Wesen 
der  Poesie.  Alle  wirklich  interessanten  Gedanken  stammen  aus  La  Motte, 
den  aber  Terrasson  vorsichtigerweise  nirgends  zitiert;  die  ganze  Disser- 
tation kann  eine  Ausführung  des  Discours  sur  Homere  genamit  werden. 
Aber  sie  unterscheidet  sich  von  ihm  dadurch,  daß  an  Homer  kein  gutes 
Haar  mehr  gelassen  wird.  Er  ist  in  den  Augen  Terrasson's  der  er- 
bärmlichste Dichter,  den  es  je  gegeben  hat.  Einige  Stellen,  wie  die  Ge- 
sandtschaftsreden im  neunten  Buch,  werden  begnadigt,  weil  La  Motte 
sie  schön  gefunden  hatte,  aber  noch  weit  mehr  als  dieser  hebt  Terrasson 
hervor,  daß  alle  Schönheiten  durch  die  gleichzeitigen  Fehler  unwirksam 
gemacht  werden.  W^as  er  von  Homer  hält,  sagt  er  bei  Erörterung  der 
Frage  der  Literpolationen.  Man  habe  Verse  für  zugesetzt  erklärt,  weil  sie 
greulich  seien;  er  dagegen  würde  eine  Rede  von  dreißig  Versen,  die  nach 


224  Frankreich  und  die  Niederlande 

allen  Seiten  untadelhaft  wäre,  in  der  der  Redner  bei  der  Sache  bliebe, 
und  die  weder  zu  viel  noch  zu  wenig  enthielte,  als  untergeschoben  aus- 
schließen. So  weit  waren  Desmarets,  Perrault,  La  Motte  nicht  gegangen. 
Schrecklich  ist  das  Buch  vor  allem  durch  die  unaufhörliche  Polemik 
gegen  die  Remarques  der  M""®  Dacier,  sowie  durch  die  selbstgefällige 
Geschwätzigkeit,  wodurch  es  zu  zwei  gewaltigen  Bänden  ajigeschwoUen 
ist.  Trotz  diesen  Mängebi  und  trotzdem  das  Buch  auch  hundertmal  Ge- 
sagtes wiederholt,  muß  ihm  doch  Aufmerksamkeit  geschenkt  werden, 
weil  es  daneben  nicht  wenig  Eigenes  bietet. 

Um  einen  festen  Standpunkt  zu  gewinnen,  gibt  Terrasson  eine  eigene 
Theorie  des  Epos:  „Das  Epos  ist  ein  heroisches  Gedicht  in  erzählender 
Form,  in  welchem  ein  sichtbarlich  vom  Himmel  unterstützter  Held  eine 
große  und  gerechte  Absicht  durchführt,  und  das  geeignet  ist,  unsere  Be- 
wunderung zu  erregen  und  uns  die  Tugend  einzuflößen."  Die  Absicht 
des  Helden  muß  im  Anfang  von  ihm  ausgesprochen  werden.  Alle  großen 
Epen  verfahren  so,  mit  Ausnahme  der  homerischen.  Homer  hat  nicht 
begriffen,  daß  er  das  hätte  beachten  sollen. 

Von  Wichtigkeit  und  neu  ist  die  Erörterung  über  den  Gesamtplan 
der  Ilias.  Es  handelt  sich  nicht  um  die  Frage  nach  dem  Gegenstand 
des  Gedichtes,  über  die  Terrasson  nur  alte  Urteile  vorzubringen  weiß, 
sondern  um  die  poetische  Technik.  Die  Ilias  ist  auf  zwei  diametral  ent- 
gegengesetzte Gesichtspunkte  gegründet,  die  Verherrlichung  der  eigenen 
Nation  und  die  des  Achilleus.  Sie  heben  einander  auf;  nur  jener  ist 
vernünftig,  dieser  ist  absurd.  Die  Griechen  haben  die  Übermacht,  waren 
schon  vor  dem  Zorn  des  Achilleus  immer  siegreich  und  werden  auch 
während  seiner  Abwesenheit  nie  recht  besiegt,  ja  sie  sind  meistens  im 
Vorteil.  Der  fortwährend  drohende  Hektor  wird  fortwährend  überwunden, 
da  Zeus  ihm  den  versprochenen  Erfolg  nie  recht  gewährt.  Während  der 
Dichter  so  den  Griechen  schmeichelt,  erhöht  er  im  zweiten  Teil  der  Ilias 
den  Achilleus  über  alle  Maßen,  auf  Kosten  der  übrigen  Führer,  die  der 
Pelide  mit  der  äußersten  Anmaßung  behandelt.  Zuletzt  ist  er  abge- 
schmackter Weise  der  einzige  Held,  und  um  ihn  herauszustreichen,  unter- 
läßt Homer  sogar  den  Fall  Trojas  zu  erzählen,  der  doch  den  höchsten 
Ruhm  seines  Volkes  bedeutet  hätte.  Homer  ist  eben  ein  unklarer  Kopf 
ohne  richtige  Moral  und  ohne  sichere  Führung  des  Gedichts.  Schon  die 
Odyssee  ist  weit  besser,  aber  erst  in  der  Aeneis,  der  Gerusalemme 
und  dem  Telemaque  offenbart  sich  die  dem  menschlichen  Fortschritt 
entsprechende  Vervollkommnung. 

Man  sieht  leicht,  wie  sehr  die  Ausgangspunkte  Terrassons  an  die 
der  modernen  Homerkritik  streifen,  allerdings  ohne  daß  ihm  eingefallen 


Tei-rasson  225 

wäre,  die  nämlichen  Konsequenzen  zu  ziehen  wie  diese.  Auch  im  ein- 
zelnen gibt  er  in  dieser  Hinsicht  merkwürdige  Beobachtungen.  Er  ver- 
mißt in  der  Rede  Hektors  an  Paris  im  sechsten  Buche  den  Sinn,  da  der 
Zorn  des  letzteren  durch  das  dritte  Buch  nicht  begründet  sei.  Wenn 
Homer  vom  Zorn  des  Zeus  über  ungerechte  Richter  spricht,  so  hat  er 
also  die  richtige  Vorstellung  von  der  Gottheit  und  ist  für  seine  schreck- 
liche Zeichnung  der  Götter  ganz  allein  verantwortlich.  Derselbe  Dio- 
medes,  der  Götter  verwundet  hat,  will  es  vermeiden,  mit  Glaukos  zu 
kämpfen,  falls  dieser  ein  Gott  ist.  Die  Stellung  der  Moira  zu  Zeus  ist 
anklar,  das  Verhalten  der  Götter  zu  den  Menschen  widerspruchsvoll. 
Die  Götterschlacht  zeigt  einen  dem  übrigen  Gedichte  fremden  Charakter. 
In  der  Rede  des  Phoinix  bei  Achilleus  ist  die  Geschichte  des  Meleagros 
kaum  verständlich,  nicht  viel  besser  Nestors  Erzählung  von  seinen 
Kämpfen  in  Messenien. 

Als  Hauptcharaktertypus  des  Epos  läßt  Terrasson  nur  den  ganz  tugend- 
haften Helden  gelten.  Für  den  lasterhaften  Achilleus  hätte  die  Gerechtig- 
keit eine  Katastrophe  oder,  um  das  Epos  nicht  zur  Tragödie  werden  zu  lassen, 
eine  moralische  Umkehr  erfordert.  Der  Triumph  dieses  Bösen  ist  ebenso 
gräßlich,  wie  es  nach  Aristoteles  der  Untergang  des  Unschuldigen  ist. 

Wemi  Terrasson  über  Homers  Götter  nicht  viel  Neues  bringt,  so 
verdient  er  in  hohem  Grade  unsere  Aufmerksamkeit  durch  die  bündige 
und  einwandfreie  Widerlegung  der  allegorischen  Erklärung.  Auch  hier 
hatte  ihm  allerdings  La  Motte  gut  vorgearbeitet.  Die  Erklärer,  sagt 
Terrasson  mit  Bezug  auf  Le  Bossu  und  M°^®  Dacier,  unterscheiden  theo- 
logische, moralische  und  physikalische  Allegorien.  Athene  soll  die  Weis- 
heit und  Einsicht  Gottes  sein,  sie,  die  böseste  und  unvernünftigste  aller 
Gottheiten,  die  sich  von  der  Leidenschaft  beherrschen  läßt  und  in  fort- 
währendem Zwist  mit  Zeus  steht,  dessen  Weisheit  sie  doch  sein  soll. 
Oder  man  faßt  Athene  moralisch  als  menschliche  Klugheit,  was  mit  dem 
eben  Gesagten  im  Widerspruch  steht  und  auch  an  sich  unhaltbar  ist. 
Denn  sie  reizt  Pandaros  zum  Vertragsbruch  und  ist  die  stete  Beschirmerin 
des  unvernünftigsten  aller  Helden,  des  Achilleus.  Die  physikalische  Er- 
klärung ist  historisch  berechtigt,  da  die  Götter  ursprünglich  Naturgewalten 
bedeuten.  Aber  die  Anwendung  des  Prinzips  auf  Homer  ist  von  zweifel- 
hafter Richtigkeit  und  führt  zu  beständigen  Widersprüchen.  So  soll 
Here  das  eine  Mal  die  schwerere,  dem  Aether,  Zeus,  untergeordnete  Luft 
sein,  dagegen  der  Kampf  der  Here  mit  Artemis  eine  durch  die  Erde 
hervorgerufene  Mondfinsternis  bedeuten;  die  zwischen  Himmel  und  Erde 
aufgehängte  Here  ist  gar  die  in  der  Mitte  der  Lüfte  schwebende  Luft. 
Das  ist  alles  falsch.    Mögen  die  Götter  ursprünglich  bedeutet  haben,  was 

Finaler:  Homer  in  der  Neuzeit.  15 


226  Frankreich  und  die  Niederlande 

sie  wollen,  so  galt  nach  kurzer  Zeit  nur  der  wirkliche  Wortsinn.  Auch 
kann  eine  und  dieselbe  Gottheit  nicht  bald  physikalische,  bald  moralische 
Bedeutung  haben.  All  das  legt  man  willkürlich  in  den  Homer  hinein,  der 
an  dergleichen  gar  nicht  gedacht,  vielmehr  von  moralischen  und  philo- 
sophischen Dingen  noch  durchaus  unklare  Vorstellungen  gehabt  hat. 

Eine  wahre  Verheerung  richtet  Terrasson  im  letzten  Teile  seines 
Buches  unter  den  Einzelheiten  der  homerischen  Darstellung  an.  Der 
Dichter  hat  gar  nichts  recht  gemacht,  oder  wenn  es  vereinzelt  doch  ge- 
schah, die  Schönheit  durch  noch  größere  Fehler  verdunkelt.  Besonders 
erregt  der  Achilleusschild  die  Entrüstung  des  Kritikers,  denn  er  enthält 
eine  schreckliche  Menge  von  Gegenständen,  mit  denen  man  eine  ganze 
Galerie  füllen  könnte,  die  aber  für  einen  Schild  notwendig  zu  klein 
ausfallen  mußten.  Terrasson  hat  von  der  Erklärung  Boivin's  sprechen 
hören,  beschränkt  sich  aber  auf  die  nach  seiner  Behauptung  gewöhnliche 
Annahme,  daß  der  Schild  nur  ein  Gemälde  darstelle,  dessen  Gegenstände 
ganz  unzusammenhängend  seien.  Man  ist  im  unklaren,  wo  sich  Hephaistos 
den  Beschauer  denkt.  Wenn  dieser  auf  der  Erde  steht,  kann  er  nicht 
alle  die  dargestellten  Gegenstände  umfassen,  auch  wenn  man  sich  die 
Erdoberfläche  eben  denkt;  so  ist  das  Gemälde  nach  den  Regeln  der  Per- 
spektive und  der  Malerei  fehlerhaft.  Setzt  man  aber  voraus,  der  Beschauer 
sei  von  der  Erde  entfernt,  und  nimmt  man  die  sphärische  Gestalt  der 
Erde  an,  weil  ja  sonst  nicht  der  die  Erde  umfassende  Okeanos  zu  er- 
kennen wäre,  so  müßte  der  Standpunkt  über  zweitausend  Wegstunden 
von  der  Erde  abstehen;  nicht  viel  weniger,  wenn  man  die  Oberfläche 
eben  annimmt.  Dann  sind  aber  zwei  Städte  zu  wenig;  es  hätten  alle 
auf  unserer  Halbkugel  liegenden  dargestellt  sein  müssen;  auf  der  andern 
Seite  sind  auf  solche  Distanzen  Städte,  geschweige  Menschen,  nicht  sicht- 
bar oder  müßten  unverhältnismäßig  groß  dargestellt  werden.  Bei  der 
Beschreibung  der  himmlischen  Zeichen  verrät  Homer  eine  bedauerliche 
Unwissenheit  in  astronomischen  Dingen.  Eine  subtile  Erörterung  der 
wichtigsten  Bilder  des  Schildes,  die  in  so  beklagenswerter  Weise  die 
malerische  Einheit  der  Handlung  vermissen  lassen,  führt  den  Verfasser 
zu  der  Meinung  Scaligers,  daß  Homer  eine  wirkliche  Bewegung  seiner 
Figuren  vorausgesetzt  habe.  Terrasson  hatte  versprochen,  die  vor  ihm 
angestellten  Betrachtungen  über  den  Schild  durch  genauere  zu  ersetzen, 
hat  aber  in  Wirklichkeit  nur  das  törichte  Gerede  seiner  Vorgänger  durch 
noch  törichteres  überboten. 

Terrasson  fand  keine  eingehende  Widerlegung,  wahrscheinlich  weil 
niemand  die  saure  Arbeit  übernahm,  sein  Buch  zu  lesen,  vielleicht  auch, 
weil  jeder  Mensch   einsah,   daß   er  viel  zu  viel  hatte  beweisen  wollen. 


4 


Terrasson    Gacon    Boivin  ,      227 

Gegen  La  Motte  wandte  sich  Gacon  im  Homere  venge,  einer  Schrift, 
die  ihrer  groben  Schmähungen  und  nicht  immer  witzigen  Spöttereien  wegen 
allgemein  abgelehnt  wurde,  aber  manches  Richtige  enthält.  So  bestreitet 
Gacon,  daß  schon  der  christliche  Gehalt  ein  modernes  Gedicht  über  ein 
heidnisches  erhebe,  sowie  daß  die  Poesie  Tugendideale  zu  zeichnen  habe; 
es  genüge  zur  Belehrung  der  Menschen,  daß  man  ihnen  ihresgleichen 
darstelle.  Auch  die  moderne  Höflichkeit,  die  man  so  sehr  betont,  kann  zur 
Erhabenheit  eines  Gedichts  so  wenig  beitragen  wie  moderne  Kleidung 
zur  Schönheit  eines  Gemäldes.  Es  ist  nicht  richtig,  daß  Homer  die 
Grausamkeit  des  Achilleus  nicht  verurteile.  Das  Selbstbewußtsein  der 
Helden  ist  nicht  tadelnswert,  da  es  die  erste  Quelle  der  menschlichen 
Handlungen  ist.  Unehrerbietigkeit  gegen  die  Götter  kommt  bei  Homer 
vor;  aber  war  der  Connetable  von  Bourbon  deshalb  weniger  ein  Held, 
weil  er  die  heilige  Stadt  berannte?  und  ist  in  den  Religionskriegen 
Schändung  von  Leichen  nicht  vorgekommen?  Gewiß  sind  die  Charaktere 
zuweilen  inkonsequent  gezeichnet;  aber  da  dergleichen  auch  in  Wirk- 
lichkeit begegnet,  hätte  La  Motte  die  Natur  tadeln  sollen,  nicht  Homer, 
der  diese  so  trefflich  nachgeahmt  hat.  Die  ganz  gleichmäßig  erhabenen 
Romanhelden   nimmt   doch  höchstens   ein  Don  Quichotte   zum  Muster. 

Auch  sonst  gibt  es  noch  recht  viel  Zutreff'endes  in  dem  seines  Tones 
wegen  sonst  unerfreulichen  Buche.  Terrasson's  Buch  war  noch  nicht  er- 
schienen, aber  seinem  Lihalte  nach  im  wesentlichen  bekannt.  Gacon  ver- 
gleicht in  einer  Fabel  La  Motte  und  ihn  mit  zwei  Malschülern,  denen 
ihr  Lehrer  den  Raffael  kritisiert  hat.  Darauf  kopiert  der  eine  ein  im  Atelier 
hängendes  Bild  Raffaels  so,  daß  er  nur  den  dritten  Teil  davon  abmalt 
und,  um  die  Härten  zu  beseitigen,  seiner  Kopie  einen  zärtlichen  und 
galanten  Ton  gibt.  Der  andere  aber  findet,  einen  Mohren  könne  man  nicht 
weiß  waschen,  und  beweist  in  einer  Schrift,  daß  Raffael  überhaupt  nicht 
zu  malen  verstanden  habe. 

Sachlich  und  ruhig  erwägt  die  Streitfrage  Jean  Boivin  in  der 
Apologie  d' Homere  1715.  Er  ist  ein  Gelehrter,  der  für  seinen  Homer 
nichts  als  Verständnis  verlangt.  Mit  Recht  erkennt  er  bei  La  Motte 
manche  richtige  Beobachtung  an,  zeigt  aber,  wie  falsch  es  sei,  daraus 
gleich  auf  Fehler  des  Dichters  zu  schließen.  Den  Tadel  der  mangebiden 
Spannung  findet  er  ganz  verfehlt:  Homer  spannt  durch  die  Ausführung. 
Es  ist  unbillig,  von  Homer  die  moderne  französische  Vollkommenheit  zu 
verlangen,  die  halb  christlich,  halb  romanhaft  ist.  Wer  einen  Dichter 
verstehen  will,  hat  zuerst  die  Zeit  des  Dichters  zu  verstehen.  Wer  das 
nicht  kann,  wird  auch  bei  Reisen  in  fremde  Länder  verlangen,  daß  alles 
so  sei  wie  zu  Hause.  So  sucht  Boivin  überall  Homer  nicht  zu  verteidigen, 

15* 


228  Frankreich  und  die  Niederlande 

sondern  zu  erklären.  Die  angeblichen  Fehler,  die  ihm  La  Motte  vorwirft, 
lassen  ihn  kalt,  weil  er  dessen  Ansicht,  vollkommen  sei  nur  das  Fehler- 
lose, für  falsch  hält.  Es  ist  eitel,  einem  Gedicht  große  Fehler  zu  nehmen, 
wenn  man  zugleich  große  Schönheiten  wegnimmt.  Es  mag  ja  sein,  daß 
Homers  Ilias  mehr  Fehler  hat  als  die  La  Motte's;  aber  es  gibt  närrische 
Leute,  welche  die  Fehler  der  Ilias  den  Vollkommenheiten  La  Motte's  vor- 
ziehen. 

Boivin  ist  auch  der  erste,  der  es  wieder  wagt,  auf  die  Bedeutung  der 
poetischen  Form  hinzuweisen.  Ohne  die  Furcht,  von  den  Modernen  für 
einen  Pedanten  verschrieen  zu  werden,  behauptet  er  keck,  es  sei  gar  nicht 
wahr,  daß  der  Grundgedanke  eines  Gedichts  am  meisten  wirke;  was  uns 
entzücke,  sei  vielmehr  das  Versmaß,  der  Wohlklang,  die  Harmonie;  Um- 
stellung der  Worte  würde  die  schönsten  Stellen  zerstören.  Das  ist  ein 
unter  der  Alleinherrschaft  der  Raison  und  der  Regeln  lange  nicht  ge- 
hörter Ton. 

Der  bedeutsamste  Teil  der  Apologie  ist  der  über  den  Achilleus- 
schild.  Boivin  unterscheidet  zwölf  Szenen  oder  Tableaux,  während  später 
Lessing  nur  deren  zehn  annahm.  Weit  wichtiger  ist,  daß  wir  heute 
geneigt  sind  anzunehmen,  Homer  habe  an  eine  Anordnung  der  Bilder 
im  ganzen  nicht  gedacht  und  auch  nicht  denken  können.  Aber  ge- 
setzt, er  habe  sich  wenigstens  von  der  Verteilung  der  Bilder  auf  den 
ganzen  Schild  eine  Vorstellung  gemacht,  so  ist  Boivin's  Konstruktion 
weitaus  die  verständigste.  Von  den  fünf  Lagen  des  Schildes  zeigte  nach 
ihm  die  erste,  innerste  Erde  und  Meer,  die  zweite  den  Himmel  mit  Sonne, 
Mond,  Bär  und  Orion,  die  dritte  den  Tierkreis,  die  vierte  die  Szenen 
aus  dem  Menschenleben  und  die  fünfte  und  äußerste  endlich  den  Okeanos. 
Daß  bei  einem  auch  mäßig  großen  Rundschild  die  Szenen  nahe  der  Peri- 
pherie gut  Platz  haben,  hat  der  Maler  Vleughals,  der  für  Boivin  den 
Schild  zeichnete,  mit  Recht  behauptet,  und  es  wird  durch  das,  was  wir 
seither  von  mykenischer  Plattierkunst  kennen  gelernt  haben,  durchaus 
bestätigt.  Das  größte  Verdienst  Boivin's  ist,  daß  er  durch  streng  wissen- 
schaftliche Methode  der  Betrachtung  dem  Gerede  der  Scaliger,  Desmarets, 
Perrault,  Terrasson  für  immer  ein  Ende  gemacht  hat.  Lessing  hätte  das 
anerkennen  dürfen. 

Der  mit  so  viel  Eifer  geführte  Krieg  reizte  den  Spott.  Diese  Streitig- 
keiten, sagt  Dugas-Monbel,  die  während  zwei  Jahren  viel  Lärm  machten 
und  alle  Journale  beschäftigten,  endeten,  wie  damals  in  Frankreich  alles, 
mit  satirischen  Pamphleten  und  Parodien,  nachdem  sie  das  Volk  in  den 
Vaudevilles  amüsiert  hatten,  die  auf  den  Gauklerbühnen  der  Foire  Saint- 
Laurent  gespielt  wurden.   Von  der  burlesken  Literatur  der  Zeit  habe  ich 


Boivin    Marivaux    Saint  Hyacinthe    Buffier  229 

nur  Marivaux'  Homere  travesti  gesehen,  es  aber  unmöglich  gefunden, 
das  Buch  zu  Ende  zu  lesen.  Es  ist  nicht  zu  begreifen,  woher  ein  so 
geistreicher  Mensch  wie  Marivaux  die  Geduld  genommen  hat,  ein  so  lang- 
weiliges Opus  fertig  zu  bringen;  was  nicht  schmierige  Witze  sind,  ist 
einfach  platt.  Marivaux  hat  den  Homer  nicht  im  Original  gelesen,  weil 
er  das  für  verderblich  hielt;  er  habe,  sagt  er,  an  M™®  Dacier  ein  Beispiel, 
wie  durch  Homer  der  Charakter  verwildern  könne.  Deshalb  hält  er  sich 
an  La  Motte,  dessen  Grundsätzen  und  dessen  Übersetzung  er  die  höchsten 
Lobsprüche  spendet;  wobei  ihm  leider  begegnet  ist,  daß  er  nicht  den 
niedrigen  Homer,  sondern  den  erhabenen  La  Motte  travestiert  hat.  Das 
Parisurteil  z.  B.,  das  er  mit  so  viel  Behagen  im  Schmutze  schleift,  ist 
von  La  Motte  in  die  Ilias  eingesetzt. 

Weit  erheiternder  wirkt  SaintHyacinthe.  In  seinem  Chef-cT Oeuvre 
d'im  inconnii  gibt  er  einen  Gassenhauer,  den  er  zuerst  mit  allen  Künsten 
der  philologischen  Wissenschaft,  unter  Aufwand  einer  großen  Gelehr- 
samkeit, bis  ins  einzelnste  interpretiert,  um  dann  zu  beweisen,  daß  er 
allen  Regeln  des  Aristoteles  und  Horaz  über  das  Epos  besser  entspreche 
als  die  Ilias.  In  der  Dissertation  sur  Homere  et  sur  Ghapelain  behandelt 
er  den  letzteren  nicht  als  Modernen,  sondern  als  künftigen  Ancien,  da  er  für 
die  fernste  Nachwelt  gearbeitet  habe.  Er  bespricht  einige  wesentliche 
Vorwürfe,  die  man  gegen  Homer  erhoben  hatte,  und  weist  sie  so  ironisch 
zurück,  daß  die  Verteidiger  Homers  schlimmer  wegkommen  als  die  An- 
greifer. Noch  schlechter  behandelt  er  eine  sehr  schwache  Stelle  Chapelain's, 
an  der  er  die  höchsten  Schönheiten  nachweist,  um  damit  zu  schließen, 
daß  Ghapelain  unstreitig  über  Homer  zu  stellen  sei.  Saint  Hyacinthe 
steht  neben  dem  Streit  und  amüsiert  sich  darüber.  Daß  er  Homer,  den 
er  im  Original  lesen  konnte,  geschätzt  habe,  darf  man  seiner  Versiche- 
rung glauben.  Er  teilt  die  Ansicht,  daß  Achills  Charakter  sehr  mangel- 
haft sei,  hebt  aber  hervor,  wie  groß  das  Genie  des  Dichters  sein  müsse, 
der  uns  gleichwohl  für  das  Schicksal  seines  Helden  zu  interessieren 
vermöge.  Aber  die  Weisheit  der  Kommentatoren  ist  ihm  in  der  Seele 
zuwider. 

Im  übrigen  versandete  der  Streit.  Der  Pere  Le  Buffier,  der  in 
seinem  Homere  en  arhitrage  betitelten  Briefe  an  M""®  Lambert  eine 
vermittelnde  Stellung  einzunehmen  suchte,  weiß  keinen  einzigen  neuen 
Gedanken  vorzubringen,  als  daß  M™®  Dacier  und  La  Motte  in  der  An- 
erkennung Homers  als  eines  großen  Dichters  im  Grunde  einig  seien,  und 
daß  nur  über  das  Mehr  oder  Weniger  der  Fehler  Streit  herrsche.  M""®  Lam- 
bert brachte  sodann  eine  persönliche  Aussöhnung  zwischen  La  Motte  und 
M""^  Dacier  zustande.   Die  Folgen  des  Friedensschlusses  zeigten  sich  in 


230  Frankreich  und  die  Niederlande 

M™®  Daciers  Übersetzung  der  Odyssee  1716,  deren  Vorrede  von  Polemik 
fast  ganz  frei  ist.  Sie  setzt  die  Regeln  des  Epos  noch  einmal  nach  Le 
Bossu  fest,  um  dann  an  Calprenede's  Roman  Cassandre  und  an  Chapelain 
zu  beweisen,  daß  ihr  Mißerfolg  nur  der  Mißachtung  jener  Regeln  zu- 
zuschreiben sei.  Dann  widerlegt  sie  die  Angriffe  Piatons  auf  Homer,  sowie 
die  Behauptung  der  Schrift  vom  Erhabenen,  daß  die  Odyssee  an  Wert 
hinter  der  Ilias  zurückstehe,  und  erörtert  das  Verhältnis  Homers  zum 
Alten  Testament.  Den  Schluß  bilden  ein  paar  Worte  gegen  Terrasson, 
auf  dessen  dicke  Bücher  sie  indessen  nicht  eintreten  will.  Wenn  sie  ihm 
dabei  vorwirft,  er  verstehe  nichts  von  Poesie,  und  es  spreche  noch  nicht 
gegen  Homer,  wenn  er  Terrasson  nicht  gefalle,  so  hat  sie  ganz  recht. 

Die  Versöhnung  ließ  etliche  Schriftsteller  zu  spät  kommen.  Der 
Abbe  De  Pons  wiederholt  in  der  Dissertation  sur  le  poeme  epique  über- 
treibend die  Gedanken  La  Motte's.  Fourmont,  Examen  pacifique  sur 
la  Querelle  de  M"''  Dacier  et  M.  de  La  Motte  sur  Homere^  fühlt  un- 
glücklicherweise den  Beruf  in  sich,  der  Menschheit  die  Lehre  vom  Epos 
vorzutragen,  wie  sie  sich  aus  dem  nun  abgelaufenen  Kampf  ergab.  Im 
ganzen  folgt  er  Aristoteles  und  M™®  Dacier,  läßt  aber  auch  zuweilen 
La  Motte  gelten.  Neue  Gedanken  bringt  er  nicht  vor,  sondern  er  laviert 
zwischen  den  Parteien.  Das  Beste  ist  die  Bekämpfung  der  Behauptung 
La  Motte's,  daß  der  Clovis  die  Ilias  übertreffe,  in  Form  einer  hohnvollen 
Analyse  des  Gedichts,  die  recht  erheiternd  ist. 

Den  Schluß  der  denkwürdigen  Periode  bildet  ein  Streit  zwischen 
zwei  Verehrern  Homers.  Der  Pere  Hardouin  hatte  die  Entdeckung  ge- 
macht, daß  Homer  nur  darum  nicht  anerkannt  werde,  weil  man  ihn  nicht 
richtig  auffasse.  Das  setzt  er  in  seiner  Apologie  d' Homere  1716  aus- 
einander. Nachdem  er  sich  gegen  die  Parallelisierung  Homers  mit  dem 
Alten  Testament  ausgesprochen  hat,  geht  er  auf  den  Plan  der  Ilias 
ein,  den  vor  ihm  niemand  erkannt  hat.  Es  ist  nämlich  weder  die  Be- 
lagerung von  Troja,  noch  der  Preis  des  Achilleus,  sondern  die  Vernichtung 
des  verbrecherischen,  von  den  Göttern  verlassenen  Hauses  des  Priamos 
und  der  Übergang  der  Krone  auf  Aeneas,  den  Freund  der  Götter.  Der 
Fall  der  Priamiden  beginnt  mit  Hektors  Tod,  der  die  Tat  des  Paris 
mißbilligt  hatte.  Das  Wort  Ilias  bedeutet  die  Stadt  und  das  Haus  des 
Hos,  als  Titel  gesetzt  bedeutet  es  die  Gründung,  oder  da  dies  hier  nicht 
angeht,  die  Vernichtung  dieses  Hauses  oder  dieser  Stadt.  Da  Trojas 
Fall  nicht  erzählt  wird,  ist  also  das  Schicksal  des  Hauses  des  Ilos  der 
Gegenstand,  und  damit  ist  auch  der  Übergang  der  Krone  an  die  Aeneaden 
angedeutet.  Diese  Absicht  des  Dichters  ist  dann  in  der  Prophezeiung 
des  Poseidon  über  Aeneas  deutlich  ausgesprochen.   Von  dem  gewonnenen 


M"»«  Dacier    Hardouin  231 

Gesichtspunkte  aus  erscheinen  alle  Einwendungen  gegen  die  Ilias  hin- 
fällig. 

Eine  noch  viel  wesentlichere  Entdeckung  Hardouin's  bezieht  sich 
auf  Homers  Götter.  Homer  kennt  nur  einen  wirklichen  Gott,  das  Schick- 
sal oder  die  Natur.  Die  Götter  der  Ilias  sind  die  personifizierten  Tugenden 
oder  guten  Eigenschaften  der  Menschen,  die  einander  zuweilen  entgegen- 
gesetzt sind  und  daher  miteinander  streiten  können.  Im  Grunde  streiten 
die  Menschen  selbst  oder  ihre  Eigenschaften,  und  es  liegt  deshalb  keine 
Gottlosigkeit  vor,  wie  es  der  Fall  wäre,  wenn  ein  Dichter  unsere  Heiligen 
unter  sich  und  mit  Gott  streiten  ließe.  Die  Religion  der  Heiden  geht 
das  in  Wahrheit  nichts  an.  Die  Götter,  zu  denen  man  wirklich  betete, 
Erde,  Sonne,  Mond,  Fixsterne,  sind  nicht  vertreten.  Homer  hat,  wie 
jeder  Dichter,  die  Götter  geformt,  wie  er  sie  brauchte,  und  sie  haben 
mit  Recht  immer  als  notwendiger  Schmuck  der  Poesie  gegolten.  Darauf 
folgt  die  Spezialerklärung  dieser  Theomythologie,  in  einzelnen  Fällen 
grotesk  und  lächerlich.  Dafür  nur  ein  Beispiel.  Homer  erzählt  die  Ge- 
schichte des  Lykurgos,  der  die  Pflegerinnen  des  Dionysos  mit  dem  Rinder- 
stachel scheuchte  und  den  Gott  selbst  so  erschreckte,  daß  er  sich  in  die 
Welle  des  Meeres  barg,  wo  Thetis  ihn  aufnahm.  Dafür  zürnten  die  Götter 
dem  Lykurgos  und  machten  ihn  blind,  auch  lebte  er  nicht  mehr  lange. 
Das  erklärt  Hardouin  so:  Lykurgos  hatte  seinen  Untertanen  den  Wein 
verboten.  Die  Pflegerinnen  sind  die  Reben,  die  er  mit  der  Axt  abhieb. 
Da  man  fürchtete,  er  werde  auch  den  Wein  in  den  Kellern  vernichten, 
bot  man  diesen  Wein  der  Thetis  an,  welche  die  Marine  bedeutet,  also 
den  Marineoffizieren,  die  ihn  sehr  gern  entgegennahmen.  Das  Schicksal 
wollte  dann,  was  wirklich  geschah,  nämlich  daß  Lykurgos  sterbe:  beim 
Tode  verliert  man  ja  Augenlicht  und  Leben.  Diese  pläsierlichen  Ent- 
deckungen sind  weit  ausgesponnen.  Besonders  die  immer  wiederholte 
Versicherung,  daß  Zeus  das  Schicksal  bedeute,  wirkt  so  langweilig  wie 
die  Erklärungen  des  Tzetzes. 

Einen  solchen  Bundesgenossen  wollte  sich  M""®  Dacier  nicht  gefallen 
lassen,  da  sie  sich  auch  selbst  befehdet  fühlte;  denn  Hardouin  hatte  die 
üblichen  Verteidigungen  Homers  nicht  gelten  lassen.  So  griff  sie  zum 
letzten  Mal  zum  Schwert  und  schrieb  den  Homere  defendu  contre  Vapo- 
logie  du  R.  P.  Hardouin  ou  suite  des  causes  de  la  corruption  du  goüt. 
Sie  wirft  Hardouin  vor,  er  mache  Homer  verächtlich  und  entferne  sich 
von  dessen  wahren  Ideen.  Es  wäre  doch  seltsam,  wemi  der  Dichter  seine 
wahre  Absicht  erst  in  einer  Episode  des  zwanzigsten  Buches  eröffnet  hätte, 
die  ganz  ohne  Schaden  weggelassen  werden  könnte.  Dem  System  Har- 
douin's eine  Fülle  von  inneren  Widersprüchen  mid  totale  Haltlosigkeit 


232  Frankreich  und  die  Niederlande 

naclizuweisen,  fällt  M™®  Dacier  natürlich  nicht  schwer;  schade,  daß  sie 
selbst  von  den  homerischen  Göttern  eine  ebenso  schlechte,  wenn  auch 
durch  ihr  Alter  ehrwürdigere  Erklärung  gibt.  Ihr  Eifer  ist  erklärlich. 
Sie  sah  nicht  nur  durch  den  unberufenen  Bundesgenossen  ihr  Lebenswerk 
gefährdet,  sondern  zitterte  auch  für  das  schon  mehr  als  genug  erschütterte 
Ansehen  Homers;  wird  doch  berichtet,  daß  Hardouin's  Enthüllungen  wahre 
Stürme  von  Gelächter  erregten.  Deshalb  atmet  ihre  letzte  Schrift  großen 
Ernst.  Hardouin,  so  schließt  sie,  hat  Homers  Poesie  in  den  Staub  ge- 
zogen, seine  Sitten  und  Personen  entstellt  und  die  Religion  der  Heiden 
in  Atheismus  verwandelt.  Im  Interesse  der  Literatur  wünscht  sie,  er 
möchte  sich  des  Einzigen  erinnern,  das  er  in  seinem  Werk  vergessen 
zu  haben  scheine,  nämlich  des  unschätzbaren  Wertes  und  der  unendlichen 
Segnungen  des  Nachdenkens. 

Während  des  Jahres  1715  weilte  in  Paris  der  gelehrte  Italiener 
Antonio  Conti,  der  dem  Streit  zwischen  La  Motte  und  M™®  Dacier 
mit  Interesse  folgte.  Er  verglich  in  einem  französisch  geschriebenen  Brief 
an  Scipione  Maffei  die  Dispute  der  Anciens  und  Modernes  mit  den 
Kämpfen  der  Troer  und  Griechen,  die  sich  bei  der  Einnahme  Trojas  im 
Finstem  schlugen,  ohne  zu  wissen,  wohin  sie  gingen  und  was  sie  suchten. 
Sie  streiten,  sagt  er,  und  meint  natürlich  vor  allem  La  Motte,  ohne  Kennt- 
nis des  Griechischen,  ohne  festes  Gesetz  der  Poesie  und  ohne  jede  Rücksicht 
auf  die  Sitten  der  Jahrhunderte  und  die  Geschichte  der  Literatur.  Darauf 
folgt  eine  scharfe  Kritik  von  Fontenelle,  La  Motte  und  Terrasson,  die 
damit  schließt,  daß,  wenn  man  aus  den  leitenden  Ideen  der  Modernes 
ein  System  machen  wollte,  das  ein  wundersames  Monstrum  würde. 

Ein  Menschenalter  später,  1751,  gab  Gartaud  de  la  Vilate  in  dem 
Essai  historique  et  pJdlosopJiique  siir  le  goüt  eine  kurze  Übersicht  über 
den  Streit.  Das  Buch  ist,  wie  die  Vorrede  sagt,  geschrieben,  um  ober- 
flächliche Leser  zu  amüsieren,  und  im  Stil  entsprechend  gehalten.  Die 
erste,  historische  Partie  behandelt  die  Geschichte  des  Geschmacks  vom 
Urmenschen  an  mit  einer  leichtfertigen  Unwissenheit,  die  nur  von  der 
Anmaßung  des  Verfassers  noch  überboten  wird.  Nicht  besser  ist  seine 
Darstellung  der  Querelle,  von  der  er  nur  eine  sehr  vage  Vorstellung  hat. 
Boileau  und  besonders  M°^®  Dacier  werden  mit  den  ordinärsten  Sottisen 
überschüttet.  Cartaud  hat  keine  Ahnung  davon,  daß  sich  letztere  schon 
der  Zeit  nach  an  der  eigentlichen  Querelle  nicht  beteiligen  konnte,  und 
daß  es  sich  zwischen  ihr  und  La  Motte  nicht  um  dieselbe  Sache  handelte, 
wie  zwischen  Perrault  und  Boileau.  Trotz  seiner  bodenlosen  Ignoranz 
kann  er  indessen  seinen  Lesern  zur  Beruhigung  mitteilen,  daß  sich  das 
abgöttisch  angebetete  Altertum  bei  näherer  Betrachtung  als  ganz  hohl 


^' 


Conti    Cartaucl    Dubos  233 

erwiesen  habe.    Das  Ziel,  für  Oberflächliche  liederlich  zu  schreiben,  hat 
er  jedenfalls  erreicht. 

Der  Streit  der  Anciens  und  Modernes  und  auch  der  neueste  Kampf 
fum  Homer  waren  verhallt,  als  Jean  Baptiste  Dubos  seine  JReflexions 
critiques  sur  la  poesie  et  sur  la  peinture  1719  erscheinen  ließ.  Er  ist 
fast  vergessen,  obwohl  er  das  nicht  im  geringsten  verdient.  Die  Reflexions 
sind  eine  der  anziehendsten  Schriften,  besonders  wenn  man  sie  in  ihrer 
Stellung  zum  17.  Jahrhundert  betrachtet.  Was  Dubos  an  Poesie  und 
Malerei  Gemeinsames  findet,  ist  durchweg  der  Erwägung  sehr  wert.  Dabei 
ist  das  Buch  ein  Kampfbuch  von  hohem  Rang.  Dubos  ist  von  dem  eng- 
lischen Philosophen  Locke  sehr  stark  beeinflußt,  der  alle  Erkenntnis  teils 
aus  der  Sensation  oder  äußeren,  teils  aus  der  Reflexion  oder  inneren 
Wahrnehmung  herleitet.  So  geht  er  von  der  Frage  aus,  warum  und  wie 
die  Künste  auf  uns  wirken,  stellt  sich  also  von  vornherein  auf  einen 
viel  höheren  Standpunkt  als  die  bisherigen  Kämpfer.  Natürlich  kommt 
er  auf  die  brennenden  Fragen  der  Querelle  zu  sprechen;  aber  er  nimmt 
zu  ihnen  nicht  die  Stellung  eines  Mannes  ein,  der  am  Kampfe  teilnimmt, 
sondern  die  eines  Richters.  Er  ist  von  allen  bisher  festgehaltenen  Ge- 
sichtspunkten gleich  weit  entfernt.  Ich  muß  mich  auf  die  Punkte  be- 
schränken, die  unseren  Stoff  näher  angehen. 

Perrault  und  La  Motte  hatten  Homers  Darstellungen  der  Unwahr- 
scheinlichkeit  bezichtigt.  Dubos  lehrt,  daß  poetisch  wahrscheinlich  das 
ist,  was  unter  den  vorausgesetzten  Bedingungen  möglich  ist.  Die  Ver- 
einigung des  Wunderbaren  und  Wahrscheinlichen  ist  etwas,  das  man 
nicht  lehren  kann,  ein  Eigentum  derer,  die  zu  Dichtern  geboren  sind. 
Um  wahrscheinlich  zu  sein,  müssen  die  Personen  nicht  nur  die  ihnen 
nach  Alter,  Stand  und  ihrem  Anteil  an  der  Handlung  entsprechenden 
Affekte  äußern,  sondern  auch  den  Sitten  der  Völker  entsprechen,  die  sie 
vertreten;  selbst  im  Kostüm  muß  historische  Treue  sein.  Damit  sind  die 
Modernes  abgefertigt,  welche  die  homerischen  Sitten  höchstens  noch  mit 
der  Roheit  des  Zeitalters  entschuldigen  wollten.  Es  gibt  nach  Dubos 
gar  nichts  zu  entschuldigen,  wenn  die  Darstellung  historisch  korrekt  ist. 

Die  ganze  Poetik  der  Renaissance  hatte  es  dem  Aristoteles  nach- 
gesprochen, daß  die  Einheit  und  das  richtige  Verhältnis  der  Teile  zu- 
einander und  zum  Ganzen  die  oberste  Bedingung  für  das  Gedicht  seien. 
Das  ist  gar  nicht  richtig,  sagt  Dubos;  für  den  Erfolg  kommt  auf  nichts 
so  viel  an  als  auf  die  Schönheit  jedes  Teils  des  Gedichtes,  die  Art,  wie  jede 
Szene  gebaut  ist  und  die  Personen  sich  aussprechen.  Beständig  neue, 
schöne  Eindrücke  lassen  uns  sogar  die  Fehler  übersehen,  die  wir  selbst 


234  Frankreich  und  die  Niederlande 

erkennen,  wieviel  mehr  die,  auf  die  wir  erst  von  andern  aufmerksam 
gemacht  werden.  Den  Dichter  macht  die  Poesie  des  Stils,  die  darin  be- 
steht, allem  interessante  Gefühle  zu  verleihen,  durch  Figuren  und  Bilder 
auch  Dinge  rührend  zu  machen,  die  in  bloßer  Prosa  nicht  wirken  können. 
Die  unmittelbare  Sprache  des  Herzens  muß  von  Affektation  frei  sein; 
aber  Reflexionen  des  Dichters,  Erzählimgen,  Beschreibungen  müssen  unter 
Bildern  dargestellt  sein,  die  in  unserer  Phantasie  Gemälde  hervorbringen. 
Für  ihre  Wahl  bedarf  es  des  göttlichen  Feuers;  nur  der  mit  dem  Genie 
Begabte  kann  seine  Verse  mit  immer  neuen  Erfindungen  und  Bildern 
stützen,  während  auch  der  Mittelmäßige  gar  wohl  einen  regelrechten  Plan 
machen  und  wohlanständige  Sitten  darstellen  kami.  Clovis  und  Pucelle 
sind  regelrecht,  aber  es  fehlt  ihnen  die  Poesie  des  Stils.  Für  die  Be- 
urteilung ist  das  Vergnügen  der  einzige  Maßstab,  nicht  die  Belehrung 
oder  die  Regeln.  Vergnügen  aber  macht  nur  die  Poesie  des  Stils,  und 
darum  ziehen  die  Italiener  mit  Recht  den  Ariost  dem  Tasso  vor.  Mit 
ihr  kann  nur  ein  großer  Dichter  die  Mechanik  der  Poesie  verbinden, 
welche  dem  Ohre  zu  gefallen  hat. 

Hat  Dubos  schon  hier  mit  aller  Kraft  die  Überlegenheit  des  wahren 
poetischen  Schaffens  über  alle  Regeln  ausgesprochen,  so  geht  er  im 
zweiten  Teile  geradezu  von  diesem  Gedanken  aus,  um  den  ganzen  Kultus 
der  Raison  und  des  ewigen  Fortschrittes  der  Menschheit  über  den  Haufen 
zu  werfen.  Er  beginnt  mit  einer  Schilderung  und  Verherrlichung  des 
von  dem  göttlichen  Feuer  beseelten  Menschen,  des  Genius;  eine  Partie, 
in  der  er  ersichtlich  von  Dryden  abhängig  ist.  Genie  ist  die  natürliche 
Fähigkeit,  alles  gut  und  leicht  zu  machen,  was  andere  mit  großer  Mühe 
und  mangelhaft  zustande  bringen.  Regelmäßigkeit  ist  dem  Genie  nicht 
oberster  Zweck,  sondern  nur  das  Mittel  zum  Ausdruck  von  Schönheiten 
höherer  Ordnung.  Es  sproßt  von  selbst,  gleich  einer  Pflanze,  bedarf 
aber  wie  diese  der  Ernährung  und  Pflege.  Um  sich  zu  ernähren,  wird 
es  viel  lernen,  aber  bald,  ohne  Rücksicht  auf  Meister  und  Vorbilder,  seine 
eigenen  Wege  gehen. 

Nun  stehen  die  Künste  nicht  in  jedem  Zeitalter  und  in  jedem  Lande 
in  gleicher  Blüte.  Moralische  Ursachen  sind  für  ihre  Höhe  nur  bedingt 
verantwortlich  zu  machen.  Die  Künste  können  in  Verfall  geraten,  ohne 
daß  sich  die  moralischen  Bedingungen  ändern.  So  geschah  es  in  der  ruhigen 
und  friedlichen  Zeit  des  römischen  Kaiserreiches,  und  es  ist  ganz  falsch, 
die  Schuld  dafür  auf  die  Völkerwanderung  zu  schieben.  Der  Grund  der 
Schwankungen  muß  in  einer  Veränderung  der  natürlichen  Bedingungen 
liegen,  der  Luft  und  den  Ausdünstungen  des  Bodens;  wir  sehen  ja, 
vne  sich  die  verschiedenen  Länder  je  nach  dem  Klima  für  die  Künste 


l 


^^^)esser  ode 


Dubos  235 


»esser  oder  schlechter  eignen.  Die  Welt  ist  Veränderungen  und  Wechseln 
unterworfen,  deren  Perioden  uns  unbekannt  sind,  deren  Wiederkehr  aber 
abwechselnd  Kultur  und  Barbarei,  Fortschritt  und  Welken  der  Künste 
herbeiführt.  Damit  ist  die  Lehre  vom  beständigen  Fortschritt  abgetan,  und 
zwar  mit  einer  imposanten  Fülle  höchst  geistvoll  verwendeten  historischen 
Materials.  An  ihre  Stelle  tritt  das,  was  man  heute  die  Theorie  des 
Milieu  zu  nennen  pflegt,  die  kurz  vorher  in  England  durch  Wo t ton 
zum  erstenmal  aufgestellt  worden  war. 

Nicht  minder  energisch  geht  Dubos  den  Kritikern  der  Alten  zu- 
leibe.  Das  Publikum,  sagt  er,  ist  ein  viel  besserer  Richter  als  die 
Leute  vom  Fach,  das  heißt,  die  mittelmäßigen  Künstler  und  die  Kritiker. 
Denn  das  Publikum  urteilt  nach  dem  einzig  richtigen  Maßstab,  mit 
einem  sechsten  Sinn,  der  Empfindung,  sentiment.  Was  seit  seinem  Ent- 
stehen durch  die  Gunst  des  Publikums  getragen  wurde,  so  z.  B.  die 
Aeneis,  ist  gut,  die  Kritiker  mögen  sagen,  was  sie  wollen.  Mit  ihrer 
unbedingten  Herrschaft  der  Raison  zerstören  sie  unsere  Kultur.  Sie 
schließen  aus  der  Bereicherung  unserer  Kenntnisse  ganz  mit  Unrecht 
auf  eine  höhere  Entwicklung  des  Verstandes.  Die  großen  Entdeckungen 
und  Erfindungen  in  den  Naturwissenschaften  sind  sämtlich  dem  Zufall  zu 
verdanken  und  beweisen  nicht,  daß  man  heute  auch  nur  um  ein  Haar 
schärfer  denkt  als  im  Altertum.  Übrigens  zeigen  auch  hier  die  Kritiker 
ihre  Unwissenheit;  demi  sie  können  gar  nicht  wissen,  wie  weit  die  Kennt- 
nisse der  Alten  gingen,  da  so  viel  davon  verloren  gegangen  ist.  Aber 
auch  mit  der  so  gerühmten  Methode  des  Denkens,  die  Descartes  lehrte, 
hat  es  eine  eigene  Bewandtnis.  Wäre  der  Weg  zur  Erkenntnis  wirklich 
so  sicher  festgestellt,  so  dürfte  es  keinen  Streit  um  die  Wahrheit  mehr 
geben;  aber  man  hat  sich  ja  nie  so  sehr  gezankt  wie  jetzt.  Sicher  ist 
nur,  was  das  Experiment  festgestellt  hat.  Jedenfalls  aber  fallen  Ilias  und 
Aeneis  nicht  unter  das  Schicksal  der  aristotelischen  Physik  und  des  ptole- 
mäischen  Systems.  Hier  herrscht  ewig  nur  die  eigene  Empfindung,  der 
gegenüber  keine  Angriff'e  Dauer  haben  können. 

Allerdings  ist  für  das  Verständnis  Homers  die  Kenntnis  seiner  Sprache 
unumgänglich  notwendig,  wenn  man  nicht  wie  vom  Hörensagen  urteilen 
will.  Auch  die  beste  Übersetzung  verändert  die  Poesie  des  Stils  so  sehr, 
daß  diese  kaum  mehr  zu  erkennen  ist.  Bei  Ersetzung  der  bildlichen 
Ausdrücke  durch  die  der  modernen  Sprache  hören  wir  nicht  mehr  den 
Dichter,  sondern  den  Übersetzer.  Sodann  deckt  sich  das  einzelne  Wort 
selten  mit  dem  fremden,  so  daß  man  zu  Umschreibungen  gezwungen  ist. 
Gelingt  die  volle  Wiedergabe,  so  macht  sie  oft  doch  nicht  den  Eindruck, 
den   das  Original  auf  die   ersten  Leser   ausübte,  weil  auf  uns  die  Zu- 


236  Frankreich  und  die  Niederlande 

stände,  denen  das  Bild  entnommen  ist,  nicht  gleich  wirken.  Nur  das  vom 
Dichter  gewählte  Wort  vermag  zu  rühren,  weil  in  der  Poesie  die  Bedeutung 
der  Gegenstände  fast  immer  identisch  ist  mit  der  des  Ausdrucks.  Aus 
der  Übersetzung  beurteilt  man  einen  Dichter,  wie  ein  Gemälde  nach  einem 
ungenauen  Kupferstich. 

Wenn  schon  durch  diese  unbedingte  Betonung  der  Form  Perrault 
und  La  Motte  die  Berechtigung  zu  urteilen  abgesprochen  wird,  so  ge- 
schieht es  auch  für  den  Inhalt  der  Gedichte.  Die  Kritiker,  sagt  Dubos, 
urteilen  schief,  weil  sie  meinen,  es  müsse  immer  imd  überall  so  gewesen 
sein  wie  bei  uns.  So  sehen  sie  nicht,  daß  die  epischen  Gedichte  zur 
Zeit  Homers  als  historische  Dokumente  galten  und  er  deshalb  in  der 
Behandlung  des  Stoffes  nicht  frei  war;  und  doch  haben  ganz  gleiche 
Rücksichten  noch  für  Chapelain  gegolten.  W^enn  wir  Homer  lesen,  müssen 
wir  uns  in  die  verwandeln,  für  die  das  Gedicht  geschrieben  wurde. 
Wenn  man  über  die  Alten  urteilen  will,  muß  man  von  den  Dingen,  von 
denen  sie  erzählen,  auch  selbst  etwas  verstehen.  Man  wird  also  fortfahren, 
die  alten  Dichter  zu  bewundem,  es  sei  denn,  daß  neue  kommen,  die  sie 
ganz  in  Schatten  stellen.  Gewiß  steht  unsere  Zeit  in  der  exakten  Wissen- 
schaft höher  als  die  frühere;  aber  wo  es  so  wesentlich  auf  das  Genie 
ankommt  wie  in  der  Poesie,  hat  eine  spätere  Zeit  nicht  schon  darum 
einen  Vorrang,  weil  sie  später  ist. 

Vieles  von  dem,  was  Dubos  ausspricht,  hatten  die  Anciens  da  und 
dort  auch  schon  gesagt.  Neu  ist  an  ihm  die  rücksichtslose  Verwerfung 
der  Regeln  als  eines  Maßstabes  für  das  Kunstwerk.  Das  Genie  macht 
sich  die  Regeln  selbst  und  braucht  anerkannte  Grundsätze  höchstens  zur 
allgemeinen  Wegleitung.  Das  Urteil  hat  auf  nichts  zu  beruhen  als  auf 
der  unmittelbaren  Empfindung.  Was  gefällt  und  rührt,  das  ist  gut 
und  bleibt. 

Grundsätzlich  sind  die  Anciens  und  Modernes  mit  ihren  Argumenten 
zurückgewiesen.  Sie  haben  beide  unrecht,  insofern  sie  meinen,  auf  dem 
W^ege  der  verstandesmäßigen  Erörterungen  für  oder  gegen  die  Dichter 
etwas  beweisen  zu  können.  Aber  im  wichtigsten  Punkt  haben  Racine, 
La  Fontaine,  Boileau,  M™®  Dacier  recht  behalten.  Ihre  aufrichtige  Liebe 
zu  Homer  ist  als  echt  erwiesen;  denn  sie  gründet  sich  auf  ein  unmittelbares 
Empfinden,  das  ihnen  durch  das  volle  Verständnis  der  Form,  der  Poesie 
des  Stils  bei  Homer,  ermöglicht  worden  ist. 

Dubos  hatte  gleich  Vauquelin  den  Wunsch  ausgesprochen,  es  möge 
ein  französisches  historisches  Epos  entstehen,  und  deutlich  auf  Heinrich  IV. 
als  den  geeigneten  Helden  hingewiesen.    Es  steht  wohl  außer  Zweifel, 


j 


Dubos    Voltaire  237 

daß  er  von  den  epischen  Plänen  des  jungen  Voltaire  Kenntnis  hatte, 
dessen  Henriade,  1717  begonnen,  im  Jahre  1728  die  endgiltige  Fassung 
erhielt. 

Die  Henriade  soll  ein  wirkliches  Epos  sein.  Ihr  Muster  ist  Virgil. 
Die  eigentliche  Handlung  besteht  in  der  Belagerung  und  im  Falle  von 
Paris;  die  Vorgeschichte,  die  Bartholomäusnacht  und  der  Kampf  gegen 
die  Ligue  wird  der  Königin  Elisabeth  erzählt;  auch  fehlt  auf  der  Reise 
Heinrichs  nach  England  der  Seesturm  der  Aeneis  nicht.  Die  späteren 
Gesänge  folgen  der  historischen  Chronologie.  In  den  zahlreichen  Episoden 
ist  Tasso  Vorbild,  zumal  in  der  Befreiung  des  Helden  aus  den  Liebesbanden 
der  schönen  Gabrielle  D'Estree,  nur  daß  ein  Zauberschild  nicht  notwendig 
ist.  Ludwig  der  Heilige  inspiriert  seinen  Schützling  und  greift  auch 
direkt  in  die  Handlung  ein;  daneben  spielen,  nach  Boileau's  Rezept,  die 
Schemen  allegorischer  Personen  eine  große  Rolle.  Sie  dienen  dem  Dichter 
zugleich  zur  Aussprache  seiner  Überzeugungen,  wie  in  der  eindrucksvollen 
Schilderung  von  den  Wirkungen  des  Fanatismus  in  der  Weltgeschichte 
und  der  Fälschung  der  wahren  Religion  durch  die  päpstliche  Politik. 
Die  Religion  selbst  ist  nicht  angegriffen.  Schließlich  läßt  doch  die  von 
Saint-Louis  gesandte  Verite  den  Bourbon  seine  kalvinis tischen  Irrtümer 
erkennen. 

Eine  dichterische  Großtat  ist  die  Henriade  freilich  nicht;  sie  hält  aber 
durch  die  Schönheit  der  Sprache,  hübsch  ausgeführte  Gleichnisse,  manche 
packende  Schilderung  und  den  warmen  Eifer  der  vorgetragenen  Gedanken 
in  angenehmer  Spannung.  Nur  die  eigentlichen  historischen  Partien 
sind  mißlungen;  Voltaire  hat  hier  durch  zahlreiche  Episoden  nachzuhelfen 
gesucht. 

Das  Gedicht  sollte  nicht  erscheinen,  ohne  daß  der  Standpunkt  des 
Verfassers  zu  den  kurz  zuvor  noch  so  eifrig  besprochenen  Fragen  ge- 
kennzeichnet worden  wäre.  Als  Einleitung  zur  zweiten  Auflage  schrieb 
Voltaire,  1726,  während  seines  Aufenthalts  in  England  und  in  englischer 
Sprache,  den  Essai  sur  Ja  poesie  epique.  Er  wirft  darin  den  Kritikern 
vor,  daß  sie  alle  Regeln  des  Epos  aus  Homer  schöpfen,  als  wenn  die 
Anfänge  einer  Kunst  zugleich  auch  ihre  Prinzipien  wären.  Die  Ein- 
bildungskraft, welche  die  Poesie  hervorgebracht  hat,  wechselt  aber  täg- 
lich in  ihren  Erzeugnissen  und  ist  selbst  ewigem  Wandel  unterworfen. 
Deshalb  hat  man  zu  untersuchen,  worin  die  Nationen  über  das  Epos  einig 
sind,  und  worin  nicht. 

Das  Epos  muß  durch  die  Urteilskraft  geschaffen  und  durch  die 
Einbildungskraft  verschönert  werden.  Notwendig  sind  Einheit  der  Hand- 
lung, Manigfaltigkeit,  Größe;  dann  muß  die  Handlung  interessant  sein, 


238  Frankreich  und  die  Niederlande 

weil  wir  gerührt  und  bewegt  sein  wollen.  Für  alles  andere  gibt  es  keine 
festen  Regeln  und  unwandelbaren  Vorbilder.  Der  verschiedene  Charakter 
der  Nationen  hat  ihren  Geschmack  verschieden  entwickelt.  Sodann  muß 
man  die  Eigenart  jedes  Epos  aufsuchen.  Voltaire  durchgeht  darauf  die 
bedeutendsten  Epen  aller  Zeiten.    Ariost  fehlt  in  der  Reihe. 

Mit  Homer  beginnend,  preist  Voltaire  die  Übersetzung  Pope's,  in 
der  keine  Schönheit  des  Originals  verloren  ging,  wohl  aber  die  Fehler 
verbessert  oder  verkleinert  wurden.  Homers  unbedingter  Vorzug  ist  die 
Kraft  der  Schilderung.  Dennoch  langweilen  sich  die  meisten  seiner  Leser; 
denn  man  ist  mehr  von  seinem  Ruf  geblendet  als  von  dem  Werte  des 
Gedichts  ergriffen.  Wir  können  uns  nicht  genügend  zu  seinen  Zeitgenossen 
machen;  denn  wir  ertragen  zwar  die  antiken  Sitten,  können  aber  ihrer 
Darstellung  keinen  Geschmack  abgewinnen.  Wir  sind  wie  die  Greise, 
welche  die  Schönheit  der  Helene  bewundem,  ohne  etwas  für  sie  zu  emp- 
finden. Die  Ilias  ist  zu  einförmig  mit  Schlachten  erfüllt,  in  denen  man 
die  feineren  Schattierungen  leicht  übersieht;  auch  ist  sie  zu  lang.  Die 
Tadler  haben  nicht  in  allem  recht,  aber  wahr  ist,  daß  uns  Homer  für 
seine  Personen  nicht  zu  interessieren  versteht;  sogar  die  Zeichnung  Hektors 
erstickt  in  der  Masse  der  Helden.  Unsere  Phantasie  bewundert,  aber  das 
Herz  bleibt  kalt.  Endlich  fehlt  es  den  einzelnen  Teilen  an  Verbindung.  Wir 
sehen,  daß  Voltaire,  so  sehr  man  in  einzelnen  Wendungen  den  Einfluß 
von  Dubos  wahrnimmt,  doch  sonst  durchaus  im  Banne  der  Modernes  steht. 

Wesentlich  anders  tönt  es  aus  der  mveiten  Redaktion  dieses  Essais 
1732,  wo  die  Gedanken  von  Dubos  mehr  Einfluß  gewonnen  haben  und 
vielleicht  auch  die  Wirkung  des  englischen  Aufenthalts  größer  geworden 
ist.  Wenn  man,  heißt  es  da,  Homer  die  Narrheit  der  Götter  und  die 
Roheit  der  Helden  vorwirft,  so  könnte  man  mit  demselben  Recht  einen 
Maler  tadeln,  der  seine  Figuren  im  Gewände  seiner  Zeit  vorführt.  Man 
mag  die  heidnische  Theologie  absurd  finden,  aber  es  gehört  Mangel  an 
jedem  Geschmack  dazu,  gewisse  Erzählungen  Homers  nicht  zu  lieben. 
Lache  man  über  Achilleus  und  Patroklos,  die  sich  ihr  Mahl  selbst  be- 
reiten; sie  bleiben  dabei  ebenso  heroisch  wie  Karl  XH.,  der  ein  halbes 
Jahr  lang  sein  eigener  Koch  war.  Die  achtungswerte  Einfachheit  der 
Sitten  wiegt  die  Weichlichkeit  und  den  Müßiggang  unserer  hohen  Stände 
wohl  auf  Die  Helden  der  alten  Zeit  suchten  ihren  Ruhm  in  der  Kraft, 
die  auch  wirklich  die  Welt  bezwungen  hat.  Homer  hat  einen  Aias  imd 
einen  Hektor  darzustellen,  nicht  einen  Höfling  von  Versailles  oder  von 
Saint -James. 

Perrault,  fährt  Voltaire  fort,  kämpfte  mit  ungleichen  Waffen;  in 
seinen  Parallelen  sieht  man  einen  oberflächlichen  Geist,  keine  Methode 


Voltaire  239 

und  viele  Fehler.  Nur  diese  bekämpfte  der  furchtbare  Despreaux,  und 
der  Streit  endigte  mit  allgemeinem  Gelächter  über  Perrault,  ohne  daß 
der  Grimd  der  Frage  in  Angriff  genommen  worden  wäre.  La  Motte  er- 
setzte durch  Geist,  so  viel  das  möglich  ist,  die  Kenntnis  des  Griechischen; 
aber  dieser  Mangel  hinderte  ihn,  die  Schönheiten  des  Dichters  zu  sehen, 
den  er  angriff,  während  M°^®Dacier  unfähig  war,  bei  Homer  einen  Fehler 
zu  entdecken.  Allerdings  weichen  ja  die  einzelnen  Teile  der  Ilias  an 
chönheit  so  stark  voneinander  ab,  daß  man  zweifeln  könnte,  ob  sie  von 
demselben  Dichter  herrühren.  Aber  das  ist  bei  Shakespeare  nicht  anders, 
der  doch  seinen  Ruhm  vollauf  verdient.  Es  ist  die  Art  des  schöpfe- 
rischen Genies,  daß  es  einen  Weg  geht,  den  noch  niemand  gegangen 
ist,  ohne  Führer  schreitet,  ohne  Theorie,  ohne  Regeln.  Es  kann  sich  auf 
seiner  Bahn  wohl  verirren,  läßt  aber  alles,  was  nur  Raison  und  Korrektheit 
ist,  weit  hinter  sich.  So  hat  Homer  die  von  ihm  geschaffene  Kunst  wohl 
unvollendet  gelassen,  aber  das  Licht  bricht  überall  durch.  Der  Clovis 
imd  die  Pucelle,  diese  durch  ihre  Lächerlichkeit  berühmten  Gedichte,  sind^ 
zur  Schande  der  Regeln,  viel  regelmäßiger  als  die  Ilias;  aber  diese  ver- 
hält sich  zu  ihnen  wie  ein  großer  ungeschliffener  Diamant  zu  zierlichem 
FHtterkram  aus  Messing.  Das  größte  Verdienst  Homers  ist  die  Erhaben- 
heit der  Schilderung.  La  Motte  hat  ihm  manche  Fehler  entzogen,  aber 
keine  seiner  Schönheiten  behalten.  Vergeblich  haben  alle  Journale  La 
Motte  gepriesen:  seine  Partei,  sein.  Ruhm,  seine  Übersetzung,  alles  ist  ver- 
schwunden, und  Homer  ist  geblieben. 

Im  Griechischen  muß  man  Homer  lesen,  wenn  man  ihn  sehen  will, 
wie  er  ist,  voll  von  Fehlem  wie  seine  Helden,  aber  erhaben.  Wehe  dem, 
der  ihn  in  der  Ökonomie  seines  Gedichtes  nachahmen  wollte!  glücklich, 
wer  die  Einzelheiten  so  schildern  würde  wie  er!  Und  gerade  durch  die 
Einzelheiten  entzückt  uns  die  Poesie. 

Trotzdem  schätzt  Voltaire  Virgil  höher  als  Homer,  am  höchsten 
Tasso.  Aus  der  Verachtung  der  Epiker  des  17.  Jahrhunderts  hat  er  nie 
ein  Hehl  gemacht;  Chapelain  und  Le  Moyne  nennt  er  im  ersten  Essai 
die  ungereimtesten  Poeten,  die  je  Papier  beschmiert  hätten,  und  in  einer 
Note  zu  seiner  Pucelle  werden  die  Gedichte  von  Scudery,  Le  Moyne  und 
Desmarets  fürchterliche  französische  Epen  genannt. 

Diese  ausnehmend  freundliche  Beurteilung  Homers  hat  später  bei  Vol- 
taire wieder  einer  ungünstigeren  Platz  gemacht.  Schon  in  seiner  Pucelle 
1755  fehlt  es  nicht  an  Seitenhieben  auf  den  geschwätzigen  Homer,  den 
die  Gelehrten  unter  Gähnen  verehrten,  und  der  allein  das  Recht  habe, 
sich  in  ewigen  Kämpfen  zu  wiederholen.  Homer  ist  in  der  Pucelle  nicht 
oft  genannt,  dann  aber  immer  ironisch  behandelt.   Später  spricht  Voltaire 


240  Frankreich  und  die  Niederlande 

von  ihm  als  einem  Dichter,  den  man  bewundere,  aber  nicht  lese,  und 
den  man,  wie  er  im  Gandide  1768  sagt,  in  seiner  Bibliothek  haben  müsse 
wie  außer  Kurs  gesetzte  Münzen. 

Im  Bictionnaire  phüosophique  spricht  sich  Voltaire  mehrfach  über 
die  Fragen  der  Querelle  aus.  Im  Artikel  Änciens  et  Modernes  1770  urteilt 
er,  in  vielen  Dichtungsgattungen  seien  die  Modernen  überlegen,  nur  in 
wenigen  sei  das  Gegenteil  der  Fall.  Im  Artikel  Epopee  1771  tadelt  er 
La  Motte  dafür,  daß  er,  statt  die  schönen  Bilder  Homers  nachzuahmen, 
versucht  habe,  ihm  Esprit  zu  verleihen.  Der  Artikel  Scoliaste  will  nicht 
untersuchen,  ob  M"®  Dacier  mit  ihren  vielen  Zusätzen  und  Kürzungen 
wohl  getan  habe.  Sicher  aber  sei,  daß,  wenn  jemand  heute  ein  Gedicht 
wie  das  Homers  machte,  es  nicht  nur  von  einem  Ende  Europas  zum  andern 
ausgepfiffen,  sondern  gänzlich  ignoriert  würde;  und  doch  sei  die  Ilias  für 
die  Griechen  ein  ausgezeichnetes  Gedicht  gewesen,  woraus  man  die  Ver- 
schiedenheit der  Sitten  und  Gefühle  der  Völker  erkennen  könne.  Gegen 
M*"®  Dacier  hält  Voltaire  die  Möglichkeit  einer  Übersetzung  in  französische 
Verse  aufrecht,  wobei  der  Dichter  allerdings  mildern  und  besonders  kürzen 
müßte.    Er  gibt  selbst  eine  Probe,  wie  das  zu  machen  wäre. 

Ich  kann  nicht  auf  alle  Gedanken  eingehen,  die  in  diesem  Diction- 
naire  über  Epos  und  Epiker  niedergelegt  sind.  Im  ganzen  ist  Voltaire 
auf  dem  Standpunkt  des  17.  Jahrhunderts  stehen  geblieben  und  hat  sich 
nur  zeitweise  durch  Dubos  und  englische  Einflüsse  zu  einer  neuen  Be- 
trachtung hinreißen  lassen.  Seine  Bemerkungen  bedeuten  den  Abschluß 
jener  alten  Kämpfe,  die  sich  überlebt  hatten,  und  um  die  sich  sonst 
niemand  mehr  kümmerte.  Zu  den  Gedanken  des  17.  Jahrhunderts  gehört 
auch  die  Absicht,  den  Franzosen  ein  Epos  zu  geben.  Wohl  war  Vol- 
taire von  dem  Unwert  der  vorhandenen  Leistungen  überzeugt;  aber  er 
schrieb  deren  Mißlingen  nur  der  Inferiorität  der  Verfasser  zu.  Mcht 
lange  nach  der  Henriade  begann  er  ein  zweites  Epos,  die  Piicelle,  die 
er  aber  erst  1762  herausgab. 

Die  Pucelle  ist  ihrer  vielen  Obszönitäten  wegen  verrufen,  aber  den- 
noch und  trotzdem  sie  der  Tendenz  entsprungen  ist,  ein  wirkliches  Kunst- 
werk. Um  die  Ideale  der  früheren  Zeit  zu  verhöhnen,  wählte  Voltaire 
den  nämlichen  Stoff  wie  Chapelain,  den  er  im  Eingang  hart  angreift. 
Das  Gedicht  ist  der  Form  nach  ein  Romanzo,  das  Vorbild  Ariost,  der 
in  Voltaires  Wertschätzung  seit  der  zweiten  Auflage  des  Essai  beständig 
gestiegen  war.  Die  Haupthandlung,  der  Kampf  um  Orleans,  ist  ein  sehr 
dünnes  Gerüst  und  bildet  die  schwächste  Partie  des  Gedichtes;  alles 
andere  sind  zum  Teil  weit  abführende  Episoden,  die  aber  meistens  dem 
Hauptzweck  dienen,  den  König,  seine  Mätresse,  den  Hof  und  die  Geist- 


Voltaire    Rousseau    Batteux  241 

lichkeit  lächerlich  oder  verächtlich  zu  machen.  Die  Pucelle  ist  der  letzte 
Ausläufer  der  französischen  Epik  und  zugleich  ihr  Grabmal,  ein  Beweis 
auch  für  die  Sittenverwilderung  der  Zeit,  die  für  Ariosts  heitere  Laune 
keinen  Raum  mehr  hatte. 

In  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  finden  wir  eine 
neue  Beurteilung  und  ein  besseres  Verständnis  Homers.  Die  Zahl  derer, 
die  das  Original  lesen  können  und  es  wirklich  studieren,  ist  ohne  Zweifel 
größer  geworden.  Der  Einfluß  Englands,  besonders  Pope's,  macht  sich 
bemerklich.  Das  Beste  tat  die  durch  Jean  Jacques  Rousseau  geweckte 
Freude  an  der  Natur  und  am  Natürlichen.  Rousseau  hat  zwar  seine 
Ideale  nicht  bei  Homer,  sondern  bei  Plutarch  und  Tacitus  gefunden; 
aber  die  Einfachheit  Homers  erregt  seine  Bewunderung.  Erfüllt  von 
seinem  Homer  glaubt  Emile  im  Garten  seiner  Wirte  die  Gärten  des 
Alkinoos  zu  erblicken,  jene  Gärten,  die  von  den  Leuten  von  Geschmack 
als  zu  einfach  und  nicht  geputzt  genug  kritisiert  worden  sind.  Eine 
Fußnote  gibt  die  Beschreibung  des  Gartens  mit  der  Bemerkung,  daß 
es,  zur  Schande  des  alten  Träumers  Homer  und  der  Fürsten  seiner  Zeit, 
darin  weder  Laubengänge  noch  Statuen,  Kaskaden  oder  Ruheplätze  ge- 
geben habe.  Rousseau  preist  die  Natürlichkeit  der  Nausikaa,  die  von 
bevorstehender  Hochzeit  träumt  und  ihre  Wäsche  selbst  besorgt.  Aber 
weit  mehr  als  diese  gelegentlichen  Zitate  wirkte  der  Ruf  nach  der  Natur 
überhaupt,  die  man  nun  auch  in  Homer  wiederfand.  Der  alte  Dichter 
hatte  ja  an  der  mächtigen  Entwicklung  Frankreichs  in  dieser  Zeit  nur 
einen  sehr  bescheidenen  Anteil;  aber  eine  richtigere  Wertschätzung  griff 
doch  Platz. 

Die  Wendung  beginnt  mit  dem  viel  gescholtenen  Charles  Batteux, 
der  1746  die  Schrift  Les  Beaux-arts  reduits  ä  im  meme  principe  und' 
1750  als  Fortsetzung  den  Coiirs  de  helles-lettres  erscheinen  ließ;  alle  Auf- 
sätze wurden  später  unter  dem  Titel  Principes  de  Litterature  vereinigt. 
Auf  seine  Kunstlehre  haben  wir  nicht  einzutreten.  Der  Abschnitt  über 
das  Epos  bringt  außer  der  nicht  immer  durchsichtigen  Zusammenstellung 
bereits  vorhandener  Urteile  einiges  Gute  und  Neue.  Seine  Art,  Homer 
zu  betrachten,  bedeutet  einen  wirklichen  Fortschritt.  Die  Diskussion  der 
von  andern  gebrachten  Meinungen  ist  selbständig,  ohne  viel  Bemerkens- 
wertes zu  enthalten,  neu  dagegen  die  Betrachtung  des  Aufbaues  der  Ilias. 
Ihr  Inhalt  ist  nach  Batteux  der  von  Zeus  über  seine  Wünsche  gerächte, 
also  zu  sehr  gerächte  Achilleus.  Der  Held  ist  bewundenmgswürdig,  so- 
wohl wegen  seiner  Eigenschaften  als  durch  den  Schutz  der  Götter.  Er 
verdunkelt  alle,  denn  er  ist  der  Sohn  einer  Göttin,  und  Zeus  führt  seine 

Finsler:  Homer  in  der  Neuzeit.  16 


242  Frankreich  und  die  Niederlande 

Sache.  Überall  regiert  er;  alles  geschieht  durch  ihn  und  um  seinetwillen; 
er  handelt  in  der  Ilias  ebensogut,  wenn  er  nicht  erscheint,  als  wenn 
er  auftritt.  Nach  der  Beleidigung  durch  Agamemnon  beginnt  die  Wirk- 
samkeit des  Zeus  durch  den  Traum  des  Königs.  Der  Zweikampf  des 
Paris  mit  Menelaos  trägt  die  Ursache  des  Krieges  nach;  der  Friede  wird 
aber  durch  die  Götter  verhindert.  Damit  man  nun  merke,  daß  der  ganze 
Gang  der  Ereignisse  durch  den  Willen  des  Zeus  gelenkt  sei,  der  Achilleus 
rächen  will,  mußte  das  Glück  der  Waffen  zuerst  durch  die  bloße  Über- 
legenheit der  Macht  entschieden  werden.  Die  Griechen  sind  siegreich. 
Ihrem  Vordringen  wehrt  Apollon  durch  die  Anordnung  des  Zweikampfes 
zwischen  Hektor  und  Aias.  Aber  von  da  an  greift  Zeus  ein.  Achilleus  ist 
gerächt  und  würde  gern  wieder  fechten,  wenn  ihn  nicht  ein  Eid  bände.  So 
schickt  er  den  Patroklos  aus,  dessen  Tod  ihn  wieder  in  die  Schlacht  treibt. 
Von  da  an  findet  keine  Einmischung  der  Götter  mehr  statt.  Achilleus  ist 
groß  durch  sich  selbst.  Seine  Größe  wird  auch  dadurch  hervorgehoben, 
daß  alle  andern  Helden  außer  Gefecht  gesetzt  werden,  daß  Apollon  die 
Troer  durch  den  Hinweis  auf  Achilleus'  Fembleiben  anfeuert,  daß  der 
Mauerbau  erst  jetzt,  wo  der  Held  fehlt,  notwendig  wird,  und  daß  endlich 
sein  bloßes  Erscheinen  am  Graben  die  Troer  zum  Rückzug  zwingt.  Von 
dem  Moment  an,  wo  er  die  Kunde  vom  Siege  der  Troer  erfährt,  wächst 
sein  Entschluß,  den  Zorn  fahren  zu  lassen,  in  stufenweiser  Folge. 

Auch  auf  die  vielbesprochenen  Fehler  Homers  geht  Batteux  ein. 
Wenn  Nestors  Reden  lang  sind,  so  gehört  das  eben  zur  Zeichnung  der 
alten  Helden.  Bei  den  Gleichnissen  kommt  es  nicht  auf  den  zur  Ver- 
gleichung  gewählten  Gegenstand  an,  sondern  auf  die  Richtigkeit  der 
Vergleichung  imd  den  vollen  Ausdruck.  Die  stereotypen  Wiederholimgen 
haben  bei  den  Alten  keinen  Anstoß  erregt,  und  entheben  auch  in 
vorzüglicher  Weise  den  Dichter  der  Bemühung,  die  kleinsten  Umstände 
immer  neu  zu  gestalten.  Endlich  tadelt  man  die  geringe  Zurückhaltung 
der  Helden  beim  Wortwechsel.  La  Motte  verlangt  vom  feurigen  Jüngling 
Achilleus  die  Ruhe  eines  Philosophen,  und,  weil  einige  Worte  im  Fran- 
zösischen niedrig  wiedergegeben  werden  können,  bezichtigt  er  alle  Hel- 
den der  Ilias  dieses  Fehlers.  Le  Bossu's  Theorien  lehnt  Batteux  ab. 
Moralische  Lehren  kann  man  gewiß  aus  der  Ilias  ziehen,  aber  ebenso 
sicher  hat  keine  einzige  davon  dem  Homer  zur  Grundlage  seines  Ge- 
bäudes gedient.  Ohne  Zweifel,  sagt  Batteux,  ist  auch  Virgil  ein  großer 
Dichter,  in  vielem  Homer  ebenbürtig.  Aber  dieser  hat  weit  mehr  schöpfe- 
rischen Geist  und  verbindet  das  Wunderbare  besser  mit  den  natürlich 
handelnden  Wesen.  Das  Eingreifen  der  Götter  ist  bei  Virgil  frostig,  voll 
Freude  und  Leben  bei  Homer.    Bei  jenem  sind  die  Teile  rührender  als 


Batteux    Diderot  243 

das  Ganze,  so  daß  uns  der  Fortgang  nicht  interessiert,  und  für  den 
Helden  haben  wir  nur  kühle  Bewunderung.  Homer  dagegen  hat  die 
Gabe,  alle  seine  Personen  liebenswert  zu  machen.  Einzelne  kleine  Fehler 
Homers  hat  Virgil  vermieden  und  dadurch  die  großen  Fehler  seines 
Stoffes  verdeckt. 

1771  hat  dann  Batteux  unter  dem  Titel  Les  quatre  Poefiques  die 
Poetiken  des  Aristoteles,  Horaz,  Yida  und  Boileau  gesammelt  heraus- 
gegeben, die  ersten  drei  mit  nebenstehender  französischer  Übersetzung. 

Ganz  voller  Bewunderung  für  Homer  ist  Diderot,  der  den  Dichter 
im  Original  lesen  konnte.  Durchgeführte  Abhandlungen  dürfen  wir  bei 
ihm  nicht  suchen;  seine  Kimdgebungen  sind  in  die  Lettre  sur  les  sourds 
et  les  muets  1751  und  in  die  Schrift  De  la  poesie  dramatique  1758  ein- 
gestreut. Die  von  Homer  handelnden  Artikel  der  Encyclopedie  enthalten 
wenig  Eigenes;  im  Artikel  Iliade  stammt  das  bedeutendste  Stück  aus  dem 
Essai  Voltaire's. 

In  der  Schrift  über  die  Taubstummen,  in  der  Diderot  Batteux  bekämpft, 
und  die  zu  Lessings  Laokoon  die  Anregung  gegeben  hat,  wird  die  Möglich- 
keit bestritten,  daß  ein  Dichter  durch  einen  andern  übersetzt  werden 
könne.  Man  gibt,  sagt  Diderot,  den  Gedanken  wieder  und  ist  vielleicht 
auch  so  glücklich,  für  eine  Wendung  den  äquivalenten  Ausdruck  zu 
finden ;  aber  das  zarte  Gepräge,  die  feine  Geheimschrift,  die  in  einer  ganzen 
Beschreibung  herrscht,  verschwindet  notwendig  auch  in  der  besten  Über- 
setzung; denn  sie  hängen  in  den  Sprachen,  die  die  Silben  nach  der 
Quantität  scheiden,  von  der  Verteilung  der  langen  und  kurzen  Silben 
und  der  Vokale  zwischen  den  Konsonanten  ab.  Diese  Dinge,  die  dem 
gewöhnlichen  Leser  entgehen,  entmutigen  den  Nachahmer  von  Genie. 
Je  reicher  ein  Dichter  an  solchen  Hieroglyphen  ist,  desto  schwerer 
ist  er  wiederzugeben,  und  gerade  bei  Homer  wimmelt  es  davon.  Als 
Beispiel  führt  Diderot  die  majestätische  Szene  an,  wo  Zeus  durch  das 
Winken  seiner  Brauen  das  Firmament  erbeben  läßt,  und  zeigt,  wie 
der  Ton  verteilt  und  gewählt  ist,  um  die  gewünschte  Vorstellung  her- 
vorzubringen. Die  Wortformen  selber  entrollen  schon  eine  Menge  von 
Bildern. 

Im  Anschluß  daran  bespricht  Diderot  die  herrliche  Stelle  aus  dem 
Kampf  um  die  Leiche  des  Patroklos:  Tiefes  Dunkel  bedeckt  die  Kämpfen- 
den; da  richtet  Aias  an  Zeus  das  ergreifende  Gebet:  Vater  Zeus,  rette 
die  Achäer  vor  dem  Nebel,  schaffe  klare  Luft,  gib,  daß  wir  sehen  können, 
und  laß  uns  wenigstens  im  Lichte  sterben,  da  es  dir  nun  einmal  so  ge- 
fallen hat!  Die  Schrift  Vom  Erhabenen  hatte  in  dem  Gebet  den  Wunsch 
des  Aias  entdeckt,  im  Licht  seinen  Tod  zu  finden,  wie  es  seiner  Mann- 

16* 


244  Frankreich  und  die  Niederlande 

heit  gebühre,  und  nicht  durch  das  Dunkel  zur  Untätigkeit  verurteilt  zu 
sein,  selbst  wenn  Zeus  wider  ihn  streiten  sollte.  Boileau  hatte  ihn  flehen 
lassen,  Zeus  möge  wenigstens  im  Lichte  gegen  sie  kämpfen,  und  darin 
wie  die  Schrift  Vom  Erhabenen  einen  besonders  heroischen  Zug  gefunden. 
Das  ist  alles,  sagt  Diderot,  ganz  falsch.  Es  handelt  sich  nicht  um  eine 
Herausförderung  gegen  Zeus;  das  richtige  Verständnis  wird  durch  diese 
Erklärungen  verderbt.  Wir  sehen  einen  Helden  vor  uns,  der  zum  Sterben 
bereit  ist,  wenn  es  so  des  Zeus  Wille  ist,  und  der  keine  andere  Gnade 
verlangt  als  kämpfend  zu  sterben.  Man  braucht  Homer  keine  Schön- 
heiten zu  leihen;  versucht  man  es,  so  läuft  man  Gefahr,  ihm  solche  zu 
entziehen.  Man  suche  ihn  doch  zu  verstehen,  bevor  man  versucht,  ihn 
zu  überbieten.  Aber  freilich,  man  muß  ihn  zehnmal  lesen,  bevor  man 
sich  schmeicheln  kann,  alles  gesehen  zu  haben. 

In  der  Schrift  De  la  poesie  dramatique  sagt  Diderot  bei  Anlaß  der 
Verteidigung  seines  Fils  naturell  „Die  Natur  hat  mir  das  Gefühl  für 
die  Einfachheit  gegeben,  und  ich  versuche  es  durch  die  Lektüre  der  Alten 
zu  vervollkommnen.  Das  ist  mein  Geheimnis.  Wer  Homer  mit  etwas 
Geist  läse,  würde  dort  viel  sicherer  die  Quelle  entdecken,  aus  der  ich 
schöpfe":  nämlich  als  in  den  angeblichen  Mustern  des  Fils  naturel.  „0, 
mein  Freund,"  fährt  er  fort,  „wie  schön  ist  die  Einfachheit,  wie  übel 
haben  wir  getan,  uns  davon  zu  entfernen.  Will  man  verstehen,  was  der 
Schmerz  einem  Vater  einflößt,  der  eben  seinen  Sohn  verloren  hat,  nun 
so  höre  man  die  Klagen  des  Priamos.  Will  man  wissen,  welches  die 
wahren  Worte  eines  Vaters  sind,  der  zu  Füßen  des  Mörders  seines  Sohnes 
fleht,  nun  so  höre  man  denselben  Priamos  vor  Achilleus.  Darin  liegt 
kein  Esprit,  wohl  aber  Dinge  von  solcher  Wahrheit,  daß  man  sich  über- 
reden könnte,  man  hätte  sie  ebensogut  finden  können  wie  Homer.  Wir, 
die  wir  ein  wenig  die  Schwierigkeit  und  den  Wert  der  Einfachheit 
kennen,  wir  wollen  diese  Stücke  lesen,  gut  lesen,  und  dann  alle  unsere 
Entwürfe  nehmen  und  ins  Feuer  werfen.  Das  Genie  kann  man  wohl 
empfinden,  aber  niemals  nachahmen." 

An  einer  andern  Stelle  sagt  Diderot,  er  könne  den  Kontrast  nur 
in  Empfindungen  und  Bildern  vertragen,  und  zwar  im  Epos  und  andern 
erhabenen  Dichtungsgattungen,  wie  in  der  Ode.  Er  versteht  darunter  die 
Kunst,  in  der  Seele  die  außerordentlichsten  und  widersprechendsten 
Stimmungen  zu  bewirken,  sie  sozusagen  in  entgegengesetztem  Sinne  zu 
erschüttern  und  in  ihr  ein  aus  Leid  und  Freude,  Bitterkeit  und  Wonne, 
Wonne  und  Schrecken  gemischtes  Zittern  zu  erregen.  Diese  Kunst  hat 
Homer.  Am  Fuße  des  Ida  morden  sich  die  Heere  in  der  Nacht,  die  Zeus 
über  sie  gebreitet  hat,  die  Blicke  des  Gottes  aber  sind,  unaufmerksam  und 


Diderot    Marmontel  245 

heiter,  auf  die  unschuldigen  Triften  der  rossemelkenden  Aethiopen  ge- 
richtet. So  bietet  mir  Homer  zugleich  das  Schauspiel  des  Elends  und 
des  Glückes,  des  Friedens  und  des  Wirrsals,  der  Unschuld  und  des  Ver- 
brechens, des  Schicksals  des  Menschen  und  der  Größe  der  Götter.  Am 
Fuße  des  Ida  sehe  ich  nur  einen  Ameisenhaufen. 

Von  den  Anregungen  von  Dubos,  Rousseau,  Diderot  ist  die  Poe- 
tique  francaisc  von  Jean  Fran9ois  Marmontel  1763  ausgegangen. 
Drei  Jahre  vor  dem  Laokoon  erschienen,  ist  sie  von  Lessing  nur  an 
einer  Stelle  zitiert.  Man  schilt  sie  unzureichend  und  oberflächlich  und 
hat  dem  Verfasser  schon  zu  seiner  Zeit  mangelhafte  Kenntnis  der  Lite- 
ratur vorgeworfen.  Ein  durchschlagendes  Werk  ist  diese  Poetik  ja  frei- 
lich nicht  geworden;  aber  sie  zeigt  uns  einen  selbständig  denkenden 
Menschen.  Schon  die  Unterscheidung  von  Malerei  und  Poesie  ist  be- 
merkenswert. Die  Malerei  faßt  einen  in  Handlung  begriifenen  Gegen- 
stand, stellt  ihn  aber  in  Ruhe  dar;  die  Nachahmung  durch  die  Poesie 
dagegen  ist  fortschreitend  und  gleich  rasch  wie  die  Handlung.  Die 
Poesie  ist  nicht  das  Gemälde  der  Natur,  sondern  deren  Spiegel. 

Marmontel  nimmt  Stellung  zu  den  Fragen,  welche  die  hinter  ihm 
liegende  Zeit  bewegt  hatten.  Seine  wichtigsten  Resultate  sind  folgende. 
Einseitige  Nachahmung  der  Alten  ist  unrichtig,  weil  sie  dem  herrschenden 
Geschmack  nicht  Rechnung  trägt;  ihre  Nichtbeachtung  verderblich, 
weil  dadurch  dauernde  Schönheiten  um  des  Vergänglichen  willen  ver- 
nachlässigt werden.  Die  Verwendung  des  Wunderbaren  ist  an  die  Be- 
dingung geknüpft,  daß  die  Erfindung,  wenn  sie  über  die  Natur  hinaus- 
schreitet, den  Zusammenhang  der  Teile  wahre  und  ein  Ideal  schaffe,  wie 
es  die  Natur  selbst  getan  hätte,  wenn  sie  ein  bezauberndes  Schauspiel 
hätte  geben  wollen.  Vom  Begriff  der  Schönheit  ist  der  der  Freiheit  un- 
zertrennlich; das  Gefühl  für  das  Schöne  setzt  eine  Erhebung  der  Seele 
voraus,  deren  nur  ein  freies  Naturell  fähig  ist.  Die  Mutter  des  Über- 
natürlichen ist  die  Philosophie,  die  aus  den  Wundern  der  Natur  auf  eine 
dahinter  stehende  bewegende  Kraft  schloß.  Diese  Kraft  wurde  durch  die 
Phantasie  wieder  in  Einzelwesen  zerlegt,  deren  Taten  ihrer  übernatürlichen 
Kraft  entsprachen.  Das  ist  ganz  begreiflich.  Aber  bei  den  meisten  Dich- 
tem, vor  allem  bei  Homer,  haben  diese  großen  Körper  nur  menschliche 
Seelen,  da  wir  andere  uns  nicht  vorstellen  können  und  auch  Gottes  Denken 
und  Fühlen  nur  mit  menschlichen  Mitteln  darzustellen  vermögen;  diese 
können  auch  alleiu  für  die  Götter  interessieren.  Die  Gestalten  des  christ- 
lichen Glaubens  dürfen  nicht  in  leidenschaftlicher  Handlung  vorgeführt 
werden;  die  alten  Götter,  die  ihrer  Zeit  reale  Existenzen,  keine  Allegorien 
waren,  darf  man  nur  in  Gedichten  verwenden,  die  in  fabelhaften  Zeiten 


246  Frankreich  und  die  Niederlande 

spielen.  Bei  Homer  steht  Wunderbares  und  Natürliches  in  ganz  har- 
monischer Verbindung. 

Beim  Gleichnis,  dessen  gewöhnliche  Absicht  ist,  den  Gegenstand 
sinnenfälliger  zu  machen,  entscheidet  der  Dichter  über  die  Wahl  der 
Bilder;  ob  sie  niedrig  seien  oder  nicht,  hat  er  nur  mit  seiner  Zeit  aus- 
zumachen. Das  vielbesprochene  Gleichnis  vom  Esel  hat  übrigens  nicht 
den  Fehler,  daß  es  niedrig  ist,  sondern  den,  daß  die  Störrigkeit  eines 
Esels  die  feurige  Zähigkeit  des  Helden  nur  ungenügend  wiedergibt.  Mar- 
montel  ist  dann  auch  der  Meinung,  daß  die  Ausmalung  der  Gleichnisse 
überflüssig  und  aus  der  zu  lebhaften  Phantasie  Homers  zu  erklären  sei. 
Das  Gleichnis  eignet  sich  für  jdie  ruhig  fortschreitende  Erzähhmg,  während 
es  in  pathetischen  Stellen  nur  angedeutet,  im  Sturm  der  Leidenschaft 
höchstens  durch  ein  Wort  ausgedrückt  werden  darf. 

Mit  Aristoteles  nimmt  Marmontel  an,  das  Epos  habe  gleich  der 
Tragödie  Mitleid  und  Schrecken  zu  erregen,  nicht  Bewunderung,  wie 
Tasso  meint;  denn  gerade  Homer  biete  viele  rührende  Züge.  Sein  Epos 
gilt  nicht  für  ein  Volk,  sondern  für  die  Menschheit;  darin  hat  die  Odyssee 
den  Vorrang  vor  der  Aeneis.  Sein  Wesen  ist  allerdings  eine  moralische 
Wahrheit,  aber  nicht,  wie  Le  Bossu  meint,  eine  allegorisch  verhüllte. 
Sie  zeigt  sich  im  Verlauf  des  Gedichtes  von  selbst:  in  der  Ilias  ist  es 
die  den  Griechen  und  Achilleus  selbst  verderbliche  Leidenschaft,  in  der 
Odyssee  die  standhafte  und  sich  selbst  treue  Tugend,  tm  Epos  sollte, 
wie  in  der  Tragödie,  alles  auf  Verknüpfung  und  Lösung  hinzielen.  An 
dieser  Forderung  gemessen  erscheint  der  Plan  der  Ilias  und  der  Odyssee 
höchst  mangelhaft,  weshalb  man  Homer  bei  aller  Hochschätzung  seines 
Genies  nicht  zum  unbedingten  Muster  machen  darf. 

Marmontel  bietet  ein  treues  Bild  der  ganzen  Zeit,  die  nach  Be- 
freiung von  den  klassizistischen  Fesseln  strebt,  auch  ganz  schöne  Anläufe 
dazu  nimmt  und  doch  dem  Banne  der  Regeln  nicht  zu  entrinnen  ver- 
mag. Das  ganze  Jahrhundert  hindurch  hat  die  Mumie  gedauert  und 
an  dessen  Ende,  am  Vorabend  der  Revolution,  noch  einen  Sprecher  ge- 
funden. 

Jean  Fran9ois  de  la  Harpe  hielt  von  1785  an  in  dem  kürzlich 
gegründeten  Lycee  Vorlesungen  über  Literatur,  die  er  von  1798  an  unter 
dem  Titel  Lycee  ou  cours  de  Litte'rature  im  Druck  erscheinen  ließ.  Die 
16  Bände  behandeln,  abgesehen  von  Essais  über  Ossian,  Milton,  Pope, 
Nicolo  Franco  und  den  Werther,  nur  antike  und  französische  Literatur  und 
sind  Erörterungen  über  die  Schriftsteller  ohne  den  geringsten  Versuch 
einer  literarhistorischen  Erklärung,  im  engsten  Anschluß  an  Aristoteles 
und  Boileau.  Noch  einmal  wird  die  klassizistische  Theorie  in  aller  Strenge 


Marmontel    La  Harpe    Bitaube    Rochefort  247 

vorgeführt.  Was  La  Harpe  über  das  Epos  zu  sagen  weiß,  ist  unbedeutend. 
Er  definiert  es  als  die  versifizierte  Erzählung  einer  wahrscheinlichen, 
heroischen  und  interessanten  Handlung.  Im  übrigen  sagt  er  nichts,  was 
nicht  schon  gesagt  wäre.  Wenn  man  ihn  liest,  glaubt  man  sich  noch 
im  Jahre  1715  zu  befinden,  so  sehr  ereifert  er  sich  über  die  Irrlehren 
von  Le  Bossu  und  La  Motte  und  die  Grobheit  der  M""®  Dacier. 

Daß  auch  das  gebildete  PubHkum  sich  Homer  zuwandte,  erhellt 
aus  der  nicht  unbeträchtlichen  Zahl  von  ühersetmmgen,  die  in  der  zweiten 
Hälfte  des  Jahrhunderts  erschienen,  von  denen  ich  aber  nicht  alle  zu 
Gesicht  bekommen  habe.  Die  Reihe  eröffnet  Paul-Jeremie  Bitaube 
1764  mit  seiner  Friedrich  dem  Großen  gewidmeten  Übersetzung  in  Prosa. 
Der  Odyssee  gehen  lange  Reflexions  sur  la  traduction  des  poetes  voran,  in 
denen  auch  Pope  berücksichtigt  ist.  Bitaube  verlangt  von  der  Übersetzung 
Treue  und  Eleganz  und  wirft  M""®  Dacier  vor,  daß  sie  Homer  nicht,  wie 
Terrasson  behaupte,  verschönert,  sondern  abgeschwächt  und  die  Größe 
der  Gedanken  nicht  beizubehalten  vermocht  habe.  Wirklich  hat  Bitaube 
die  Übersetzung  der  M°^®  Dacier  verdrängt;  seine  Arbeit  erlebte  bis  tief 
ins  19.  Jahrhundert  hinein  mehrere  Auflagen,  und  er  rühmt  sich,  sogar 
Friedrich  den  Großen  für  die  Odyssee  gewonnen  zu  haben.  Die  Über- 
setzung ist  aber,  wenn  auch  ganz  lesbar,  doch  nicht  sehr  getreu,  da  sie 
auf  Schritt  und  Tritt  zu  verschönem  sucht;  der  einfache  homerische  Aus- 
druck ist  Bitaube  fast  nie  schön  genug,  obwohl  seine  eigene  Prosa  nichts 
weniger  als  erhaben  ist. 

Andere  Wege  beschreitet  Guillaume  Dubois  de  Rochefort, 
dessen  einleitender  Discours  sur  Homere  stark  unter  dem  Einfluß  Black- 
w  eil 's  steht.  Homer  wird  aus  seiner  Zeit  erklärt,  so  denn  auch  die  un- 
würdigen Züge  der  Götter.  Homer,  so  heißt  es,  erkannte,  daß  das  Ge- 
misch von  Absurdem  und  Erhabenem,  das  er  in  der  griechischen  Religion 
fand,  von  den  ägyptischen  Allegorien  herstamme,  die  den  Griechen  von 
seinen  Vorgängern  undeutlich  übermittelt  worden  waren.  Das  lernte  er 
in  Ägypten,  und  er  übernahm  den  allegorischen  Ausdruck  der  Ägypter, 
deren  hieroglyphische  Symbole  gewöhnlich  eine  philosophische  Idee  unter 
einem  materiellen  Bilde  verbargen.  Aber  er  verschönerte  und  belebte  die 
düsteren   ägyptischen  Vorstellungen  und  schuf  daraus  liebliche  Bilder. 

Besonders  interessant  ist  Rochefort's  Erörterung  über  das  Verhältnis 
zwischen  Homer  und  Virgil  in  betreä'  der  Götter.  Der  alte  Streit  über 
die  beiden  Dichter  war  noch  nicht  beendet.  Voltaire  hatte  sich  zwar 
für  den  Vorzug  Virgils  ausgesprochen;  aber  schon  1707  hatte  Boivin 
in  der  Academie  des  Inscriptions  sein  Urteil  dahin  abgegeben,  daß  sich 
zwar  bei  Virgil  mehr  Kunst  und  Pomp  zeige;  aber  dies  könne  die  wahre 


248  Frankreich  und  die  Niederlande 

Vornehmheit  Homers  nicht  überwiegen,  die  mit  einem  selbst  in  den 
Nachlässigkeiten  gefälligen  Zuge  von  Einfachheit  verbunden  sei.  Julius 
Caesar  Scaliger  und  Rapin  waren  von  Boivin  scharf  zurückgewiesen 
worden.  Noch  viel  energischer  hatte  Diderot  die  Überlegenheit  Homers 
hervorgehoben  und  ebenso  Montesquieu  sich  so  ausgesprochen.  Nun 
setzt  Rochefort  den  Unterschied  historisch  auseinander.  Alle  ganz  alten 
Dichter,  sagt  er,  trugen  tiefsinnige  Lehren  in  poetischer  Form  vor,  so 
auch  Homer.  Virgil  dagegen  verwendete  das  Wunderbare  nur,  weil  es  durch 
Tradition  geheiligt  war,  und  weil  er  es  zur  Verschönerung  des  Epos  für 
notwendig  hielt.  Zu  seiner  Zeit  waren  die  Dichter  nicht  mehr  die  Geschicht- 
schreiber, Gesetzgeber  und  Weisen  des  Menschengeschlechtes.  Er  lebte 
an  einem  verfeinerten  Hofe  unter  einem  Herrn,  Homer  in  einer  freien,  noch 
unverfeinerten  Nation.  Bei  jenem  atmet  alles,  auch  die  Götter,  den  Hauch 
der  Urbanität,  bei  diesem  alles  Freimut  und  echt  republikanischen  Cha- 
rakter, der  dem  ganzen  Volke  durch  Erzählung  der  Taten  seiner  Ahnen 
gefallen  will. 

Sitten,  Gebräuche,  Meinungen  Homers  sind  von  uns  durch  drei  Jahr- 
tausende getrennt.  Aber  wenn  der  Zorn  des  Achilleus,  Agamemnons 
Stolz,  die  Zärtlichkeit  der  Andromache  uns  das  Herz  des  Menschen 
kennen  lehren,  so  gehört  Homer  unserer  Zeit  an,  und  die  dreitausend 
Jahre  verschwinden.  Glücklich  die  Wenigen,  für  die  dieser  Zwischen- 
raum in  nichts  zerfällt! 

Die  einzig  würdige  Form  der  Übersetzung  ist  für  Rochefort  die 
poetische.  Wiederzugeben  sind  nur  die  Hauptgedanken,  dagegen  soll, 
was  nur  die  alte  Zeit  interessierte,  weggelassen  werden.  Von  den  Regeln 
über  das  Epos  nimmt  Rochefort  keine  Notiz,  denn  er  findet  es,  trotz 
Aristoteles  und  Le  Bossu,  lächerlich,  ein  Werk  nach  Regeln  zu  beur- 
teilen, die  aus  eben  diesem  Werk  abgeleitet  sind.  Die  Gesetze  der  Ein- 
fachheit und  Einheit  haben  ihre  Quelle  im  Genie  Homers  und  in  der 
Notwendigkeit. 

Eine  1768  entworfene,  der  Übersetzung  einverleibte  Schrift,  Examen 
de  la  Philosophie  d'Homere,  enthält  viel  gute  Ansätze  zur  Kenntnis  der 
homerischen  Psychologie,  z.  B.  über  das  Verhältnis  des  göttlichen  Welt- 
regiments zur  menschlichen  Freiheit  und  zum  Schicksal.  Aber  Rochefort 
ist  leider  nirgends  recht  in  die  Tiefe  der  Fragen  eingedrungen.  Immer- 
hin war  es  schon  verdienstlich,  sie  aufgeworfen  zu  haben.  Am  Schlüsse 
der  Odyssee  bringt  Rochefort  eine  DisseHation  sur  les  voyages  d^TJlysse, 
in  der  er  es  zwar  ablehnt,  eine  eigene  Meinung  auszusprechen,  aber  mit 
großer  Gelehrsamkeit  und  guter  Kritik  die  Feststellungen  von  Strabon 
und  Gluverius  über  den  Schauplatz  der  Irrfahrten  bekämpft.   Die  Meinung^ 


Rochefort    Le  Bnin    Gin  249 

daß  Odysseus  in  Sizilien  und  Italien  gelandet  sei  und  die  Irrfahrten  in 
jenen  Gewässern  spielen,  ist  von  ihm  endgiltig  widerlegt. 

Nach  den  eigenen  Ausführungen  des  Übersetzers  kann  man  Treue 
nicht  von  ihm  verlangen;  doch  weicht  er  wenigstens  vom  Original  nicht 
allzu  stark  ab  und  gibt  den  homerischen  Gedanken  gut  wieder,  soweit 
es  der  gereimte  Alexandriner  zuläßt.  Auf  Stellen,  die  er  besonders  be- 
wundert, weist  er  in  Anmerkungen  hin. 

In  gehobener  Prosa  gab  Charles  Fran^ois  Le  Brun  1776  eine 
Übersetzung  der  Ilias,  mit  Weglassung  der  Beiwörter  und  zahlreichen 
Verschönerungen.  Der  Verfasser  schickt  ein  merkwürdiges  Stück  voraus, 
ein  angeblich  von  einem  englischen  Gelehrten  1761  im  Schutt  Athens 
gefundenes  Manuskript,  das,  wie  Le  Brun  andeutet,  demnächst  in  Ox- 
ford eine  wissenschaftliche  Publikation  erleben  werde.  In  Wahrheit  ist 
es  ein  harmloser  Schwindel.  Das  angeblich  antike  Schriftstück  ist  die 
mit  saurem  Fleiß  verfertigte  griechische  Übersetzung  eines  französischen 
Aufsatzes,  der  unter  dem  Titel  einer  Übersetzung  mit  abgedruckt  ist. 
Die  Sprache  ist  aus  Attischem,  Homerischem  und  Neugriechischem  gut 
zusammengestoppelt;  zuweilen  ist  man  dem  Verfasser  dankbar,  daß  er 
durch  Beifügung  des  Französischen  erkennen  läßt,  was  er  sagen  will. 
Der  angebliche  Verfasser  und  seine  Freunde  treifen  Homer  unter  einer 
Platane,  nach  dem  Muster  des  platonischen  Phaidros,  und  lassen  sich 
durch  ihn  über  die  Prinzipien  seiner  Kunst  aufklären.  Homer  verteidigt 
seine  Gedichte  mit  den  Argumenten  von  Le  Bossu  und  M™®  Dacier  und 
erklärt,  er  habe  die  Griechen  einigen  und  ihnen  die  Vorzüge  der  Monarchie 
vor  Augen  führen  wollen. 

1786  erschien  die  Übersetzung  von  Pierre  Gin  in  prachtvoller  Aus- 
stattung. An  der  Spitze  der  Subskribenten  steht  der  König.  Der  kurze 
Discours  preliminaire  vergleicht  die  Ilias  mit  einer  Galerie,  in  der  sich 
der  durch  Schlachtengemälde  ermüdete  Beschauer  beständig  an  Lieblichen 
Bildern,  den  der  Natur  entnommenen  Gleichnissen  und  rührenden  Szenen 
ausruhen  könne.  Für  die  Übersetzung  wählte  Gin  die  heroische  Prosa,  die 
Fenelon  in  die  Literatur  eingeführt  habe.  Dies  ist  ihm  gelungen.  Die 
Übersetzung  liest  sich  gut.  Freiheiten  gestattet  sich  Gin  nur,  wenn  die 
wörtliche  Wiedergabe  des  Originals  nicht  oder  nur  schwer  verständlich 
wäre.  Es  ist  für  ihn  bezeichnend,  daß  er  zuerst  es  gewagt  hat,  in  dem 
(xleichnis  von  Aias  den  Esel  wieder  in  seine  Rechte  einzusetzen,  den 
mit  seinem  Namen  zu  nennen  M"®  Dacier  und  alle  Übersetzer,  selbst 
Pope,  ängstlich  vermieden  hatten.  Dem  Werke  sind  sorgfältige  historische 
und  geographische  Notizen  beigegeben.  Was  es  aber  noch  besonders 
interessant  macht,  ist  eine  nach  den  Büchern  Homers  geordnete  mäch- 


250  Frankreich  und  die  Niederlande 

tige  Sammlung  der  von  anderen  Dichtern  nachgeahmten  homerischen 
Stelle.  Besonders  berücksichtigt  sind  Yirgil^  Tasso,  Milton,  Racine  und 
Voltaire. 

Wider  die  Übersetzungen  erhob  sich  Louis-SebastienMercier  in 
dem  Aufsatz  Contre  Homere  traduit  en  francaiSj  der  in  der  Sammlung 
Mon  honnet  de  nuii  1784  zu  finden  ist.  Er  hat  den  Homer  in  vielen 
Übersetzungen  gelesen  und  sich  bei  allen  schauderhaft  gelangweilt.  Die 
Schuld  liegt,  sagt  er,  an  den  Übersetzern;  denn  daß  die  Gedichte  im 
Griechischen  schön  sind,  bezeugt  das  Altertum.  Also  sollen  die  Alten 
vriederkommen  und  sie  bewundern,  samt  allen  denen,  die  sich  als  Griechen 
naturalisieren.  Wer  das  Original  nicht  lesen  kann,  lasse  die  Hand  davon 
und  greife  zu  den  viel  besseren  Werken  der  Modernen.  Mercier  läßt  es 
aber  nicht  dabei  bewenden.  Seine  Kritik  Homers  richtet  sich  keineswegs 
ausschließlich  oder  nur  vorzugsweise  gegen  die  Übersetzer,  sondern  gegen 
den  Dichter  selbst,  dem  er  die  längst  bekannten  Vorwürfe  macht. 

Interessant  ist  aber,  daß  Mercier  behauptet,  es  sei  ihm  bei  der  Lektüre 
der  Zweifel  gekommen,  ob  die  Gedichte  wirklich  einem  einzigen  Ver- 
fasser gehören.  Schon  Cesarotti  ist  es  schwer  gefallen,  zu  glauben,  daß 
Mercier  ganz  von  selbst  zu  seinen  Zweifeln  an  der  Einheit  der  Ilias  ge- 
kommen sein  sollte.  Deckt  sich  doch  seine  Erörterung  über  die  Ver- 
schiedenheit der  Kulturzustände  innerhalb  des  Gedichtes  so  ziemlich  mit 
manchem,  was  bei  Vico  zu  lesen  ist.  Aber  Mercier  hat  wirklich  nicht 
nur  eine  Reihe  eigener  Beobachtungen,  sondern  seine  Endresultate  sind 
andere  als  die  von  Vico  und  d'Aubignac.  Er  nimmt  nämlich  ein  altes  Ge- 
dicht an,  das  er,  wie  es  scheint,  denn  er  ist  nicht  immer  klar,  aus  der 
Vereinigung  mehrerer  Rhapsodien  entstanden  sein  läßt.  Einer  der  ältesten 
Sänger  oder  Rhapsoden  möge  Homer  geheißen  haben,  dem  dann  alles  zu- 
geschrieben wurde.  Dieses  alte  Gedicht  unterlag  im  Laufe  der  Zeit  mannig- 
fachen Änderungen.  Eine  neue  Zeit  der  Kultur  brachte  ihre  Interpolationen 
an.  So  ist  der  Schild  des  Achilleus  doch  wohl  nicht  als  Zielscheibe  für 
feindliche  Geschosse  gemeint  gewesen,  sondern  er  bildet  einfach  den 
Rahmen,  in  dem  die  neuen  Entdeckungen  untergebracht  werden  sollten. 
Die  Ilias  zeigt  eine  Vermischung  späterer  Kulturbilder  mit  den  alten. 
Der  Grund  ist  aber  nicht  unkenntlich  geworden.  Man  erkennt  das  Ge- 
präge der  ursprünglichen  Eigentümlichkeit  und  der  alten  Sitten  unter 
den  sozusagen  fremden  Schichten,  welche  die  Spuren  einer  früheren  Gene- 
ration nicht  verwischen  konnten.  Die  Flut  von  Schmähungen,  welche 
Mercier  über  die  Sitten  dieser  älteren  Generation  ausgießt,  hebt  sein  Ver- 
dienst nicht  auf,  der  erste  Vertreter  der  neuerdings  wieder  so  beliebten 
Schichtentheorie  gewesen  zu  sein. 


Mercier    Gelehrte  Studien  .  251 

Diderot's  Freund  Melchior  Grimm  hatte  nach  der  Mitte  des  Jahr- 
hunderts g-esagt,  es  sei  nur  eine  kleine  Herde,  die  Homer,  Aischylos 
und  Sophokles  als  Gesetz  und  Propheten  betrachten  und  sich  an  den 
Geschenken  des  Genius  überall  berauschen,  wo  sie  sich  finden,  ohne  An- 
sehen der  Sprache  und  der  Nationen.  Das  wurde  mit  der  Zeit  erheblich 
anders,  wie  schon  die  vielen  Auflagen  der  zahlreichen  Übersetzungen 
beweisen.  Ein  voller  Umschwung  gegenüber  dem  Beginn  des  Jahrhunderts 
vollzog  sich  auch  in  der  Academie  fran^aise.  Zweimal,  1776  und 
1778,  eröffiiete  sie  Preisbewerbungen  für  die  Übersetzung  eines  homerischen 
Stückes.  Bei  der  ersten  Preisverteilung  hielt  der  Abbe  Arnault  eine 
wahrhaft  dithyrambische  Lobrede  auf  Homer,  als  wollte  er,  wie  Grimm 
sagte,  Homer  für  die  Unbill  seiner  Übersetzer  trösten.  Keine  Rede  wurde 
je  aufmerksamer  angehört,  keine  mit  größerem  Beifall  aufgenommen.  Ob- 
wohl sich  die  immer  stärker  werdende  antikisierende  Strömung  vornehm- 
lich auf  die  Römer  und  unter  den  Griechen  auf  die  Späteren  richtete, 
wurde  doch  Homer  und  was  mit  ihm  zusammenhing  eifriger  gelesen  als 
früher.  1775  wird  Wood  übersetzt,  1798  Blackwell.  In  einem  Brief  an 
Lavater  schreibt  M*"®  Roland  1792,  seine  Briefe  kämen  ihr  in  ihrem 
durch  die  Jakobiner  so  furchtbar  bedrohten  Leben  vor  wie  die  präch- 
tigen kleinen  Bilder,  die  Homer  zwischen  seine  Kämpfe  streue. 

An  der  Belebung  des  Interesses  für  den  Dichter  hatte  auch  die  ge- 
lehrte Arbeit  einen  Anteil.  Die  philologische  Beschäftigung  mit  ihm 
fehlte  zwar  so  gut  wie  gänzlich  und  damit  der  sichere  Untergrund  des 
Verständnisses,  wie  es  zu  dieser  Zeit  in  England  aus  der  soliden  Sprach- 
kenntnis erblühte.  Die  Arbeiten,  die  in  der  Academie  des  Inscriptions 
et  des  Beiles -Lettres  vorgelesen  wurden,  verließen  die  gewohnten  Ge- 
leise wenig.  Das  zeigt  sich  in  den  Aufsätzen  von  Boivin,  von  denen 
oben  einer  genannt  wurde,  oder  in  des  Abbe  Massieu  Parallele  d' Homere 
et  de  Piaton.  Mit  großer  Wärme  geschrieben  ist  der  Aufsatz  von  M.  de 
Chabanon  Dissertation  sur  Homere  eonsidere  comme  poete  tragique,  wo, 
vielleicht  im  Anschluß  an  Shaftesbury,  nachgewiesen  wird,  daß  die  Ilias 
eine  vollendete  Tragödie,  Achilleus  ein  tragischer  Held  sei,  und  Homer 
sich  dadurch  als  Meister  der  Tragödie  und  größten  Kenner  des  mensch- 
lichen Herzens  kundgebe. 

Vollkommen  neu  ist  dagegen  das  rege  Interesse  an  archäologischen 
und  kulturhistorischen  Studien,  die  mit  viel  Eifer  und  Gründlich- 
keit gepflegt  werden.  Gemeinsam  ist  ihnen  allen  die  energische  Abkehr 
von  dem  literarischen  Gerede  der  jüngsten  Vergangenheit  und  eine  rechte 
Entdeckerfreude.  Von  dem  neu  erwachenden  Leben  gibt  nichts  eine  bessere 


252  Frankreicli  und  die  Niederlande 

Vorstellung  als  das  Buch  eines  begeisterten  Dilettanten,  des  Marseiller 
Kaufmanns  Guys  Voyage  litteraire  de  Grece.  Seine  nicht  von  ihm  selbst 
herausgegebenen  Briefe  reichen  von  1750  bis  1768.  Er  bereist  in  Ge- 
schäften den  Orient  und  studiert  dabei  mit  offenen  Augen  die  Völker  des 
Ostens,  Türken,  Armenier;  vor  allem  fesseln  ihn  die  Griechen.  Er  findet 
in  ihren  Sitten,  Kunstfertigkeiten,  religiösen  Vorstellungen,  besonders 
in  ihrem  Nationalcharakter  das  echte  Erbe  des  Altertums.  Ihre  feurige, 
erfindungsreiche  Phantasie,  ihre  Leichtigkeit  im  Ausdruck,  ihre  Zähig- 
keit im  Disputieren,  ihre  mächtige  Liebe  zum  Vaterland  und  zur  Freiheit, 
die  auch  Choiseul  überraschend  gefunden  hat,  all  das  läßt  ihn  in  den 
modernen  Griechen  die  Enkel  der  alten  erkennen.  Guys  verfügt  über 
eine  große  Kenntnis  der  antiken  Schriftsteller,  zu  deren  Original  er  auf 
dem  Wege  über  das  Neugriechische  gelangt  war.  Seine  Beobachtungen 
sind  reicher  als  die  von  Wood,  der,  um  Homers  Sitten  zu  erklären,  die 
der  Beduinen  Syriens  glaubte  heranziehen  zu  müssen. 

Von  den  Personen  der  alten  Kämpfe  wird  nur  M™®  Dacier  erwähnt, 
nach  deren  Übersetzung  Guys  den  Homer  zitiert,  und  auf  deren  An- 
merkungen er  gelegentlich  zurückgreift.  Perrault  und  La  Motte  existieren 
für  ihn  nicht  mehr.  Dafür  treten  bedeutende  Namen  neuerer  Zeit  ein: 
Addison  mit  dem  Spectator,  Winckelmann  und  die  Monumenti  antichi, 
Pope,  Diderot,  Caylus,  Rochefort.  Daß  Homer  die  Sitten  seiner  Zeit 
geschildert  hat,  ist  in  Guys'  Augen  sein  höchstes  Verdienst,  und  er 
benutzt  das  so  wenig  wie  Dubos  dazu,  den  Dichter  zu  verteidigen.  Auf 
Kap  Sigeion,  auf  Tenedos,  in  Smyrna  muß  man  ihn  lesen,  wie  man 
alle  Schriftsteller,  die  uns  gleich  ihm  in  ihr  Zeitalter  versetzen,  in  ihrem 
Lande  lesen  muß.  Bemerkt  mag  noch  werden,  daß  Guys  seine  Kinder 
anweist,  in  Paris  Griechisch  zu  lernen,  die  richtige  Aussprache  aber  bei 
den  Neugriechen  zu  suchen. 

Zur  gleichen  Zeit,  1756,  finden  wir  in  D'Hancarville's  pracht- 
voller Publikation  der  Antikensammlung  Lord  Hamilton' s,  des  englischen 
Gesandten  in  Neapel,  den  sehr  achtungswerten  Versuch,  an  der  Hand 
der  Monumente  eine  antike  Kunstgeschichte  zu  entwerfen.  Dabei  Averden 
die  Stellen  Homers  herangezogen,  in  denen  von  Kunstübung  die  Rede 
ist.  Als  eines  der  ältesten  Kunstwerke,  von  denen  wir  Kunde  haben, 
betrachtet  D'Hancarville  den  kretischen  Tanz  auf  dem  Achilleusschilde, 
der  in  seinen  Augen  die  poetisch  ausgeführte  Beschreibung  eines  von 
Daidalos  herrührenden,  von  Homer  gesehenen  Kunstwerkes  ist,  ein  authen- 
tischer Beweis  für  die  hohe  Stufe,  welche  die  Skulptur  mindestens  hundert 
Jahre  vor  dem  troischen  Kriege  erreicht  hatte.  Von  der  Bedeutung  des 
Daidalos  legt  überhaupt  die  Bewunderung,  die  Homer  für  ihn  hegt,  das 


Guys    D'Hancarville  253 

beste  Zeugnis  ab.  Bald  nach  jenem  muß  sich  die  Fähigkeit  entwickelt 
haben,  den  Ausdruck  durch  die  Haltung  der  Körper  darzustellen,  wie 
auf  der  Mantelspange  des  Odysseus  durch  den  Hund  und  das  Reh  geschieht. 

Sorgfältig  untersucht  D'Hancarville  die  Angaben  Homers  über  die 
Künste,  wobei  er  vortreffliche  Bemerkungen  macht.  Er  weist  darauf  hin, 
daß  Homer  nicht  von  Architektur  als  einer  Kunst  spricht,  sondern  die 
Einzelheiten  der  Häuser  nur  insoweit  berührt,  als  sie  für  seine  poetischen 
Zwecke  notwendig  sind.  Nie  erwähnt  er  den  dorischen  oder  ionischen 
Stil,  die  doch  zu  seiner  Zeit  existierten;  denn  er  wußte,  daß  die  Gegen- 
stände der  Kunst  da  sind,  um  gesehen,  nicht  um  beschrieben  zu  werden. 
Die  Poesie  kann  sie  nicht  darstellen,  ohne  ihnen  den  größten  Teil  ihrer 
Reize  zu  rauben  und  ihre  eigenen  einzubüßen.  Daher  spricht  Homer  auch 
nie  von  Statuen;  denn  die  Hunde  und  goldenen  Jünglinge  bei  Alkinoos 
zählen  nicht  mit,  da  sie  Fiktionen  sind. 

Der  Achilleusschild  setzt  die  Malerei  voraus,  die  der  Farbengebung 
durch  Metalle  vorangegangen  sein  muß.  Ebenso  erfordert  die  Komposition 
der  Einzelbilder  die  Annahme  einer  bereits  vorhandenen  Skulptur  und 
der  Kenntnis  der  Künste  des  Gravierens  und  Ziselierens.  Von  den  Bildern, 
die  *es  damals  gab,  unterscheiden  sich  die  des  Schildes  wie  Arbeiten 
eines  Gottes  von  Menschenwerken.  Sie  zeigen  nicht  den  damaligen  Stand 
der  Kunst,  sondern  stellen  eine  Forderung  an  deren  Weiterentwicklung 
dar  und  sind  gleichsam  eine  Prophezeiung  ihrer  späteren  Höhe.  Die 
Skulptur  jener  Zeit  kannte  die  Zeichnung,  die  Bewegung,  den  Aus- 
druck durch  die  Körperhaltung  und  strebte  darnach,  die  Proportionen 
auszudrücken.  Idealschönheit  ahnte  sie  kaum,  aber  bei  Homer  ist  die 
Vorstellung  davon  bereits  vorhanden. 

Ohne  die  Torheiten  Scaliger s  und  Terrasson's  über  das  Leben  der 
Figuren  auf  dem  Schilde  auch  nur  der  Erwähnung  zu  würdigen,  führt 
D'Hancarville  aus,  daß  Homer  sagt:  „sie  bewegen  sich,  man  sieht,  man 
hört  sie,  sie  stoßen  artikulierte  Töne  aus,"  um  die  Vorstellung  von  dem 
Ausdruck,  den  die  Skulptur  geben  kann,  fühlbarer  zu  machen,  und  um 
zu  zeigen,  daß  sie  sehen  und  hören  lassen  müsse,  was  die  dargestellten 
belebten  Wesen  sagen,  als  wenn  sie  gegenwärtig  wären  und  wirklich 
handelten  und  sprächen.  Homer  gibt  die  höchste  Vorstellung  von  der 
Kraft,  welche  die  Kunst  dem  Ausdruck  verleihen  kann.  Den  Schild  zeichnet 
D'Hancarville  so,  daß  die  Gestirne  den  Mittelpunkt  einnehmen  und  die 
Szenen  des  Lebens  in  drei  Kreisen  folgen.  Wenn  ich  richtig  gezählt 
habe,  nimmt  er  im  ganzen  siebzehn  Bilder  an. 

Eine  sehr  eingehende  Darstellung  der  homerischen  Welt  gab  Antoine 
Yves  Goguet  in  dem  Buch  De  Vorigine  des  lois,  des  arts  et  des  sciences 


254  Frankreich  und  die  Niederlande 

et  de  leurs  p'ogrcs  chez  les  anclens  peuples  1758.  Das  Werk  ist  in 
den  Partien,  welche  die  assyrischen,  babylonischen  und  ägyptischen 
Altertümer  behandeln,  natürlich  vollkommen  veraltet  und  die  Einteilung 
nach  Perioden  der  hebräischen  Geschichte  nicht  sehr  glücklich.  Leider 
sind  daher  auch  die  Untersuchungen  über  die  homerischen  Zeiten  in 
Vergessenheit  geraten,  die  auf  dem  genauesten  Studium  des  Dichters 
beruhen,  sich  auf  alle  Seiten  des  homerischen  Lebens  erstrecken  und 
in  ihren  Resultaten  vielfach  mit  dem  neuesten  Stande  der  Forschung 
übereinstimmen.  Was  er  über  den  Staat,  die  Brotbereitung,  die  kriege- 
rische Technik  sagt,  ist  geradezu  überraschend.  Von  der  methodischen 
Art  seines  Vorgehens  nur  ein  Beispiel.  Goguet  legt  überall  die  zuerst 
von  Pope  vorgebrachte  Anschauung  zugrunde,  daß  Homer  mit  Bewußt- 
sein eine  ältere  Zeit  geschildert  habe,  als  die  seine  war.  Homer  legte 
also  den  Völkern,  von  denen  er  erzählte,  keine  größeren  Kenntnisse  bei^ 
als  sie  in  den  Zeiten  hatten,  in  die  er  sie  versetzte.  Was  darüber  hinaus- 
geht, muß  er  anderswo  kennen  gelernt  haben,  so  die  Kenntnis  der  Me- 
tallurgie, die  den  Griechen  der  troischen  Zeit  unbekannt  war.  Das  Muster 
des  Achilleusschildes  hat  er  in  Asien  gefunden,  und  asiatischen  Völkern 
ist  diese  Kunst  zuzuschreiben.  Der  Schild  ist  daher  ein  Beweis  für  die 
Blüte  der  Goldschmiedekunst  in  vortroischer  Zeit.  Goguet  untersucht 
auch  die  Kunstübung  selbst  und  findet,  man  habe  es  damals  verstanden^ 
durch  die  Wirkung  des  Feuers  auf  die  Metalle  vmd  ihre  Vermischung 
die  Farbe  der  verschiedenen  Gegenstände  hervorzubringen,  wozu  dann 
das  Gravieren  und  Stechen  getreten  sei.  Von  Malerei  auf  dem  Schilde 
zu  sprechen  lehnt  Goguet  ab,  auch  nur  von  deren  Nachahmung  will 
er  nichts  wissen,  da  dieser  Kunst  kein  hohes  Alter  zuzuschreiben  sei. 
Man  ist  erstaunt,  schon  bei  ihm  im  wesentlichen  die  Auffassung  Milch- 
höfers  zu  finden. 

In  anderer  Weise  hochbedeutend  sind  des  Grafen  Caylus  1757 
erschienene  Tdbleaux  tires  d' Homere  et  de  Virgile.  Caylus  will  die  Malerei 
durch  Vorführung  der  trefflichen  Muster  bereichem  und  findet  zu  diesem 
Zwecke  Homer  und  Virgil  weit  verwendbarer  als  selbst  die  bedeutendsten 
Modernen.  Ihm  schwebte  eine  Bilderreihe  vor,  wie  sie  Raffael  nach  Apu- 
leius  in  der  Farnesina  gemalt  hat,  eine  Reihe,  in  welcher  der  Maler  das 
Gedicht  mehr  oder  weniger  nacherzählt.  Dabei  ist  es  ihm  dann  freilich 
begegnet,  daß  er,  wie  Lessing  sich  ausdrückt,  die  Brauchbarkeit  für  den 
Maler  zum  Probierstein  der  Dichter  macht  und  deren  Rangordnung  nach 
der  Zahl  der  Gemälde  bestimmen  will,  die  sie  dem  Künstler  bieten.  Aber 
dieser  Mangel  ist  für  die  Beurteilung  von  Caylus'  Werk  vollständig  Neben- 
sache.   Sein  Buch  ist  eine  der  wirksamsten  Anregungen  zu  jener  Bewegung 


Goguet    Caylus  Barthelemy  255 

gewesen,  die  zuerst  in  der  bildenden  Kunst  und  dann  auch  in  der  Literatur 
von  den  Bahnen  des  Klassizismus  ablenkte  und  das  Altertum  wieder  zum 
unmittelbaren  Muster  nahm.  Der  gründliche  Archäologe  stellte  für  die 
Künstler  die  Forderung  des  historischen  Kostüms  auf,  die  auch  das  zeit- 
genössische Theater  zu  beherrschen  begann.  Er  hat  dafür  den  Homer 
ebenso  genau  studiert  wie  die  antiken  Denkmäler  Italiens  und  des  Orients. 
In  einigen  Punkten  hat  er  sich  noch  getäuscht,  wie  z.  B.  wenn  er  meint 
die  homerischen  Helden  hätten  ganz  kurze  Hosen  getragen;  in  anderen 
sind  seine  Entdeckungen  sehr  zutreffend,  wie  der  Nachweis  der  für  Gäste 
eingerichteten  Fremdenzimmer  in  der  Vorhalle  und  der  Herolde  als  Ge- 
meindebeamter. Seinen  Einfluß  zeigten  am  besten  die  schönen  Kupfer- 
stiche in  Gin's  Homer. 

Nicht  mehr  Ovid,  Homer  soll  zur  Kunst  führen;  dieser  leitet  zum 
Empyraeum,  dem  gemeinsamen  Mittelpunkt,  dem  Wohnort  des  Genius; 
hier  erzeugt  die  Flamme  des  Genies  stetig  neue  Gedanken;  deren  Einzel- 
heiten werden  dann  durch  die  Nachahmung  der  Natur  geleitet  und  ver- 
vollkommnet, denn  die  Natur  ist  immer  bereit,  dem  Künstler  zu  sitzen. 
Es  ist  bezeichnend,  daß  Caylus  der  Angriffe  von  La  Motte  und  selbst 
Voltaire  auf  Homer  nicht  mit  einem  Worte  gedenkt. 

Die  neu  erwachte  Wissenschaft  feierte  den  größten  Triumph,  als 
1788  der  Abbe  Barthelemy  Le  Voyage  du  jeune  Anacharsis  en  Grecce 
veröffentlichte.  Hier  erschien  das  griechische  Altertum,  von  dem  man 
zuvor  so  viel  geredet  und  so  wenig  gewußt  hatte,  in  einer  zugleich 
gründlichen,  lebensvollen  und  unmittelbaren  Schilderung  aller  Seiten 
des  antiken  Lebens.  Das  Buch  hat  wesentlich  die  historische  Zeit  und 
besonders  Athen  zum  Gegenstand;  aber  die  Einleitung  befaßt  sich  auch 
mit  Homer.  Nach  der  Erzählung  der  Hauptereignisse  der  historischen 
Zeiten  und  der  Schilderung  der  allmählichen  Entwicklung  der  hellenischen 
Kultur  spricht  der  Skythe  Anacharsis  von  dem  Dichter,  der  ihn  mit  dem 
größten  Enthusiasmus  erfüllt.  Homer  hat,  gleich  der  Natur,  die  Schwäche 
neben  die  Kraft,  die  größten  Höhen  neben  die  größten  Tiefen  gestellt, 
so  in  Priamos  und  Achilleus.  Man  tadelt  die  Gespräche  vor  dem  Kampf; 
aber  bei  allen  Menschen,  die  der  Natur  näher  stehen  als  wir,  bei  Kindern, 
Leuten  des  Volkes,  Wilden,  gehen  Prahlereien  und  Beleidigungen  den 
Tätlichkeiten  voraus.  Ich  habe,  sagt  er,  Homer  tadeln  hören,  weil  er  die 
Sitten  der  früheren  Zeit  in  ihrer  Einfachheit  gemalt  hat;  ich  habe  über  die 
Kritik  gelacht  imd  geschwiegen.  Wer  den  Schönheiten  Homers  zu  wider- 
stehen vermag,  kann  ja  über  seine  Fehler  viele  Worte  machen.  Wenn  man 
Homer  nicht  nach  Erörterungen,  sondern  nach  dem  Gefühl,  nicht  nach 
den  oft  willkürlichen  Regeln,  sondern  nach  den  unwandelbaren  Gesetzen 


256  Frankreich  und  die  Niederlande 

der  Natur  beurteilt,  so  wird  man  sich  überzeugen,  daß  er  den  Rang  ver- 
dient, den  ihm  die  Griechen  angewiesen  haben  Für  die  allegorische 
Auslegung  hat  Anacharsis  nur  Spott. 

Schon  das  17.,  noch  mehr  das  18.  Jahrhundert  weist  eine  steigende 
Zahl  wissenschaftlicher  Reisen  nach  den  Ländern  des  Altertums  auf. 
Von  diesen  galten  einige  auch  dem  Schauplatz  der  Ilias. 

Reisen  in  die  Troas  waren  seit  dem  16.  Jahrhundert  unternommen 
worden,  nicht  von  vornherein  mit  dem  Zweck,  die  Lage  des  alten  Troja 
zu  finden.  Diese  schien  übrigens  zu  einer  Zeit,  die  ihre  Kenntnis  von 
den  troischen  Dingen  wesentlich  aus  Virgil  holte,  festzustehen.  Der 
römische  Dichter  sagt,  Troja  habe  der  Lisel  Tenedos  gegenüber  gelegen, 
und  dieser  Angabe  entsprach  Alexandria  Troas,  die  am  Ende  des  4.  Jahr- 
hunderts von  Antigonos  am  Fuße  des  westlichen  Ida  erbaute,  später  von 
den  Römern  sehr  gepflegte  Stadt,  von  der  noch  viele  Ruinen  sichtbar 
waren.  Diese  nahm  denn  auch  der  erste  Besucher  der  Gegend  für  das 
alte  Troja.  Es  ist  Pierre  Belon,  der  auf  einer  zu  naturwissenschaft- 
lichen Zwecken  1546  begonnenen  Orientreise  Tenedos  gegenüber  an  Land 
ging  und  sich  freute,  die  berühmte  Stadt  zu  sehen. 

Einer  Erwähnung  ist  auch  Claude  Belurger  wert,  der  am  Ende 
des  16.  Jahrhunderts  in  Paris  Griechisch  lehrte  und  Kommentare  zu  Homer 
verfaßte.  Der  Dichter  war  ihm  so  ans  Herz  gewachsen,  daß  er  ihn  statt 
des  Gebetbuches  mit  in  die  Kirche  nahm  und  von  unbezwinglicher  Sehn- 
sucht erfaßt  wurde,  den  Schauplatz  seiner  Gesänge  selbst  zu  sehen.  Er 
schiffte  sich  1608  in  Venedig  ein,  starb  aber  in  Alexandrette  am  Fieber. 

Vom  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  an  wird  der  Anspruch  von  Alexan- 
dria Troas  in  Zweifel  gezogen.  Auf  einer  Orientreise  ersteigt  der  Engländer 
Georges  Sandys  1610  das  hohe  Vorgebirge  Sigeion,  das  dem  ganzen 
Altertum  als  Stätte  des  Grabmals  des  Achilleus  galt,  und  sah  auf  der 
Ebene  vor  sich,  denn  weiter  ins  Land  wagte  er  nicht  zu  streifen,  das  alte 
Ilium,  das  er  deutlich  als  in  der  großen  Ebene  gelegen  bezeichnet;  da 
er  Belon's  Ansetzung  ablehnt,  muß  er  wohl  das  sogenannte  Neu-Ilion 
gemeint  haben,  die  von  Alexander  gegründete,  von  Lysimachos  erweiterte 
Stadt,  die  während  des  ganzen  Altertums  den  Anspruch  erhoben  hatte, 
die  Stätte  des  alten  Troja  zu  sein,  und  wo  seither  Schliemann  Troja  ge- 
funden hat.  Daß  hier  die  homerische  Stadt  gesucht  werden  müsse,  schloß 
er  aus  den  Schilderungen  der  Ilias. 

Pietro  della  Valle,  der  die  Gegend  1614  besuchte,  ist  dagegen 
von  der  Identität  von  Alexandria  mit  dem  alten  Troja  überzeugt.  Voll 
Ungeduld  mietet  er  in  Tenedos  ein  Boot,  läßt  sich  übersetzen  und  dringt. 


Reisen  in  der  Troas  257 

der  Warnungen  vor  Räubern  ungeachtet,  zwei  Meilen  weit  in  das  Land 
vor.  Was  er  von  Ruinen  sieht,  registriert  er  sorgfältig,  ohne  indessen 
alles  für  troisch  zu  halten,  wie  er  denn  zweifelt,  ob  die  Trümmer  des 
großen  Palastes,  den  er  sieht,  der  von  Ilios  oder  jünger  sei.  Aus  einer 
Zisterne  läßt  er  sich  Wasser  heraufholen,  um  troisches  Wasser  zu  trinken; 
aber  die  Verödung  der  einst  so  glänzenden  Stadt  erfüllt  ihn  mit  Trauer, 
und  sein  Unwille,  daß  die  alte  Heroenburg  von  Kräutern  und  Gestrüpp 
bedeckt  sei,  veranlaßt  ihn,  mit  Wut  eine  Menge  dieser  Pflanzen  auszu- 
reißen, welche  die  mit  dem  edelsten  Blut  getränkten  Mauern  bedeckten. 
Wenige  Tage  darauf  findet  er  die  Mündung  des  mit  dem  Simoeis  ver- 
einigten Skamandros  nahe  bei  Sigeion,  weit  von  dem  Orte,  den  er  für 
das  alte  Troja  hielt. 

Die  berühmten  Reisenden  Jacob  Spon  und  George  Wheler 
scheinen  1675  nach  Hissarlik  gekommen  zu  sein.  Wenigstens  stiegen 
sie  von  Jenisseri,  am  Fuß  von  Sigeion,  zu  einem  von  Griechen  bewohnten 
Dorfe  empor,  das  diese  Troias  nannten,  von  dem  aber  die  Reisenden 
außer  der  erfreulichen  Billigkeit  der  Hühner  und  Eier  wenig  zu  be- 
richten wissen.  Offenbar  waren  sie  für  Alexandria  eingenommen,  das  sie 
nachher  besuchten.  Aber  es  verdient  bemerkt  zu  werden,  daß  sie  hier  alle 
Ruiuen,  die  sie  bestimmen  konnten,  mit  Sicherheit  als  römisch  erkannten. 

Ein  halbes  Jahrhundert  später,  1718,  stand  Lady  Wo  rtleyMontague 
auf  Kap  Sigeion  und  bewunderte  die  Genauigkeit  der  Angaben  Homers, 
den  sie  in  der  Hand  hatte.  Mit  Sicherheit  erkeimt  sie  die  Flüsse  Simoeis 
und  den  damals  verschlammten  Skamandros  und  sucht  die  alte  Stadt 
in  dieser  Ebene.  Genauer  drückt  sie  sich  nicht  aus,  sondern  sagt  nur, 
von  Troja  sei  nur  der  Boden  übrig,  darauf  es  gestanden  habe;  was  man 
dort  an  Altertümern  finde,  sei  neueren  Datums.  Ihrer  Entdeckung  war 
sie  aber  so  sicher,  daß  sie  die  Gleichsetzung  von  Alexandria,  das  sie 
folgenden  Tags  besuchte,  mit  dem  homerischen  Troja  kurzerhand  verwarf. 

Deutlicher  ist  Richard  Pococke  1737,  dessen  Berichte  die  Nach- 
folgenden Unklarheit  vorgeworfen  haben.  Diese  rührt  indessen  wohl  nur 
von  der  Schwierigkeit  her,  ohne  Karte  eine  anschauliche  Beschreibung  zu 
liefern,  denn  im  großen  ist  seine  Meinung  ganz  klar.  Von  Jenisseri  aufwärts 
gehend  gelangte  er  zu  dem  für  mich  unauffindbaren  Dorfe  Buiek  und 
fand  drei  Viertelstunden  davon  eine  große  Menge  antiker  Trümmer,  in 
denen  er  die  Ruinen  von  Neu-Ilion  erkannte.  Man  sagte  ihm,  daß  unter- 
halb dieses  Ortes  der  Skamandros  und  der  Simoeis  zusammengeflossen 
seien,  und  daß  Alt-Troja  bei  Ilion  auf  der  Höhe,  die  der  Zusammenkunft 
der  Flüsse  gerade  gegenüberliegt,  gestanden  habe.  Mit  aller  nur  wün- 
schenswerten Deutlichkeit  ist  damit  der  Hügel  von  Hissarlik  bezeichnet, 

Finaler:  Homer  in  der  Neuzeit.  17 


258  Frankreich  und  die  Niederlande 

auf  dem  jedoch  Pococke  nur  Gestrüpp,  aber  keine  Trümmer  fand.  Später 
besuchte  er  auch  Alexandria,  dessen  späteren  Ursprung  er  kennt,  und 
dessen  Ruinen  er  beschreibt. 

Choiseul  hat  sein  Bedauern  darüber  ausgesprochen,  daß  Pococke 
von  Robert  Wood  nicht  stärker  benutzt  worden  ist.  Dieser,  der  durch 
seine  Schrift  über  Homers  Originalgenie  so  berühmt  gewordene  Rei- 
sende, besuchte  die  Troas  1750.  Von  diesem  Besuch  ist  nach  seinem 
Tode  eine  Skizze  erschienen  und  der  zweiten  Auflage  seines  Buches  bei- 
gedruckt worden.  Sie  ist  sehr  hübsch  und  klar,  so  lange  sie  sich  mit  der 
Schilderung  der  Landschaft  befaßt;  aber  die  Absicht  die  Lage  des  alten 
Troja  zu  erkunden  ist  darin  nicht  zur  Ausführung  gelangt,  und  zwar 
aus  zwei  Gründen.  Einmal  verwarf  Wood,  nach  dem  Vorgang  des  antiken 
Geographen  Strabon,  den  Anspruch  von  Neu-Ilion  das  alte  Troja  zu 
sein,  so  daß  ihm  Pococke  nichts  nützen  konnte.  Nach  Wood's  Karte 
und  seiner  Angabe,  Troja  liege  heute  an  der  See,  muß  man  sogar  schließen, 
daß  er  Alexandria  für  Neu-Ilion  gehalten  hat.  Sodann  las  er  in  seinem 
Homer,  den  er  immer  mit  sich  führte,  Troja  habe  bei  den  Quellen  des 
Skamandros  gelegen,  von  denen  die  eine  heiß  gewesen  sei.  Nun  fand 
er  irgendwo  eine  warme  Quelle,  die  aber  mit  dem  Fluß  in  gar  keiner 
Verbindung  stand,  in  felsigem  Terrain,  auf  dem  keine  Stadt  gestanden 
haben  konnte,  während  er  die  wahre  Quelle  des  Skamandros  viel  weiter 
oben  im  Berge  entdeckte.  Von  den  vielen  Quellen  bei  Bunarbaschi  sagt 
er  ausdrücklich,  daß  ihr  Wasser  fast  ganz  in  der  sumpfigen  Ebene  stehen 
bleibe.  So  bescheidet  er  sich  mit  der  Annahme  Strabons,  daß  seit  Homers 
Zeiten  der  Boden  und  besonders  die  Flußläufe  große  Veränderungen  er- 
fahren haben  müßten,  und  erklärt  es  schließlich  als  überaus  schwer  die 
Lage  des  alten  Troja  zu  bestimmen,  weil  auch  nicht  die  geringsten  Ruinen 
übrig  seien,  die  uns  leiten  könnten. 

Unbedeutend  ist,  was  Richard  Chandler  1764  gesehen  hat.  Er 
bestimmte  mit  großer  Sicherheit  bei  Sigeion  die  Grabmäler  des  Achilleus, 
Antilochos  und  anderer  Helden,  entfernte  sich  aber  kaum  von  der  Küste. 

Der  Mann,  der  zum  ersten  Mal  mit  wissenschaftlicher  Methode  und 
unter  Aufwendung  gewaltiger  Geldmittel  die  Erforschung  der  Troas  unter- 
nahm, ist  der  Graf  Choiseul-Gouffier.  Ein  Schüler  Barthelemy's  und 
begeisterter  Verehrer  der  Alten,  unternahm  er  1776,  mit  vierundzwanzig 
Jahren,  seine  erste  Reise  in  den  Orient.  Damals  durchwanderte  er  die 
Troas  zu  Fuß,  wagte  aber  keinen  Widerspruch  gegen  Wood.  Das  Resultat 
dieser  Reise  war  der  erste,  1782  erschienene  Band  des  in  jeder  Beziehung 
prachtvollen  Werkes  Voyage  pittoresque  de  la  Grece,  dessen  Kupferstiche 
noch  heute  unsere  Bewunderung  hervorrufen.    Gleich  Guys   wurde   er 


Wood     Choiseul-Gouffier  259 

auf  seiner  Reise  zu  einem  warmen  Freunde  des  neugriechisclien  Volkes; 
die  Einleitung  zu  seinem  Werke  läßt  in  ihm  den  ersten  Philliellenen 
erkennen.  Im  Jahre  1784  als  französischer  Gesandter  nach  Konstantinopel 
geschickt,  begann  er  die  troische  Ebene  zu  durchforschen.  Umfassende 
historische  Studien  gingen  voraus.  Er  ließ  die  herrlichen  Bilder  zeichnen, 
welche  die  folgenden  Bände  schmücken,  und  durch  Kauffer  die  Troas  trigono- 
metrisch vermessen.  Die  danach  von  Cazas  gestochene  Karte  ist  für 
jene  Zeit  eine  imposante  Leistung.  Choiseul  stellte  den  Platz  des  achä- 
ischen  Lagers,  die  seit  der  alten  Zeit  eingetretene  Änderung  in  den 
Flußläufen  imd  eine  Menge  von  Einzelheiten  fest.  Auch  er  lehnt  die 
Ansprüche  von  Neu-Ilion  ab,  das  er  von  Aeoliem  gegründet  sein  läßt. 
Sein  Hauptargument  lag  darin,  daß  er  eine  neue  und,  wie  er  glaubte, 
untrügliche  Ansicht  über  das  alte  Troja  vorzubringen  hatte. 

Er  ging  davon  aus,  daß  die  Stadt  in  nächster  Nähe  der  zwei  Quellen 
gelegen  haben  müsse,  von  denen  Homer  erzählt:  die  eine  war  warm  und 
immer  von  Dampf  umgeben,  die  andere  auch  im  Sommer  eiskalt,  und  es 
standen  an  ihnen  die  Waschtröge  der  Troerinnen.  Bei  dem  Dorfe  Bunar- 
baschi  fand  er  die  Trümmer  dieser  Bassins,  nicht  aber  die  heiße  Quelle, 
und  war  geneigt,  deren  Verschwinden  mit  Veränderungen  des  Bodens 
in  Zusammenhang  zu  bringen.  Da  sagte  ihm  der  Aga  von  Bunarbaschi, 
bei  dem  er  wohnte,  von  sich  aus,  de  lui-meme,  er  hätte  im  Winter 
kommen  sollen,  dann  wäre  er  Zeuge  eines  besondern  Naturschauspiels 
geworden.  Die  eine  Quelle  werde  im  Winter  sehr  heiß  und  stoße  einen 
merklichen  Dampf  aus,  während  die  andere  im  Sommer  sehr  kalt  werde. 
Obwohl  nun  Choiseul  noch  genauere  Untersuchungen  anzustellen  be- 
schloß, schien  ihm  doch  der  Weg  gewiesen  zu  sein.  Auf  der  Höhe 
hinter  Bunarbaschi  entdeckte  er  die  Trümmer  von  Troja  und  konnte 
nun  an  seinem  Glück  nicht  mehr  zweifeln,  da  sich  jede  Einzelheit  mit 
Homers  Angaben  deckte.  Nur  konnte  er,  da  die  Höhe  auf  der  Ostseite 
steil  in  die  Schlucht  des  Simoeis  abfiel,  nicht  mehr  annehmen,  daß  Hektor 
dreimal  vor  Achilleus  um  die  Stadt  geflohen  sei,  sondern  mußte  erklären, 
dieser  habe  ihn  vor  der  Stadt  dreimal  im  Kreise  herumgejagt. 

Choiseul  hat  wirklich  seine  Forschungen  fortgesetzt.  Am  10.  Februar 
1786  zeigte  die  warme  Quelle  22^  R,  die  kalte  8^  R  bei  einer  Luft- 
temperatur von  10°.  Spätere  Messungen  der  Engländer  Clarke  und  Gripps 
ergaben  für  beide  Quellen  den  nämlichen  Wärmegrad.  Dubois,  den  Choiseul 
später  nochmals  nach  der  Troas  sandte,  fand  vom  12.  bis  16.  Januar  1815 
für  die  eine  Quelle  2  bis  5°  über,  für  die  andere  Vg  bis  1°  unter  der  Luft- 
temperatur. Seither  vorgenommene  Messungen  haben,  wie  Brückner  mit- 
teilt, für  alle  die  zahlreichen  Quellen  der  Gegend  die  gleiche  Temperatur  er- 

17* 


260  Frankreicli  und  die  Niederlande 

geben.  Daß,  wie  Lechevalier  und  Dubois  versichern,  an  kälteren  Tagen  über 
der  warmen  Quelle  ein  Dampf  gelegen  babe,  ist  wobl  zu  glauben,  bedeutet 
aber  kein  besonderes  Phänomen.  Choiseul  sah  sich  denn  auch  nachträg- 
lich genötigt,  sich  mit  der  Erklärung  zu  behelfen,  daß  die  Umwohner 
und  also  auch  Homer  durch  die  im  Verhältnis  zur  Luftwärme  in  den 
verschiedenen  Jahreszeiten  verschiedene  Temperatur  zu  ihren  Angaben  ver- 
leitet worden  seien,  womit  das  Ganze  in  sich  zusammenfällt;  denn  Homer 
redet  von  einem  Naturwunder  und  sagt  auch  nicht,  daß  die  eine  Quelle 
nur  im  Winter  warm  sei.  Es  macht  durchaus  den  Eindruck,  der  Aga  von 
Bunarbaschi,  der  die  Reisenden  nach  der  Quelle  forschen  sah,  habe  ge- 
flunkert. Er  ist  dadurch  unstreitig  in  der  Geschichte  der  Trojaforschung 
zu  einer  wichtigen  Person  geworden. 

Choiseul  wurde  durch  die  Revolution  verbannt.  Als  er  1802  nach 
Frankreich  zurückkehrte,  hatte  er  Mühe  sein  Material  wieder  zusammen 
zu  bekommen  und  konnte  erst  1809  mit  der  Drucklegung  des  zweiten 
Bandes  beginnen,  über  der  er  1817  verstarb.  Er  hat  nie  aufgehört, 
seine  Angaben  nachzuprüfen  und  neue  Beobachtungen  vornehmen  zu 
lassen.  Der  Rest  des  Werkes  ist  nach  seinen  Papieren  sorgfältig  redigiert. 

Inzwischen  waren  seine  Resultate  durch  Jean-Baptiste  Leche- 
valier veröffentlicht  worden,  der  im  Gefolge  des  Grafen  dessen  erste 
Reisen  mitgemacht  hatte.  Er  legte  sie  der  königlichen  Societät  in  Edin- 
burg  vor,  Professor  Dalzel  gab  sie  dort  1791  in  englischer  Sprache  mit 
eigenen  Anmerkungen  heraus,  und  Heyne  ließ  sie  1792  ins  Deutsche 
übersetzen  und  versah  sie  mit  einer  Vorrede  und  Zusätzen.  Choiseul 
sagt  in  seiner  vornehmen  Art,  die  nach  Barthelemy's  Rat  beobachtete 
Umsicht  habe  ihn  der  Genugtuung  beraubt,  seine  Resultate  als  erster 
zu  veröffentlichen,  ihn  aber  zugleich  vor  vielen  Irrtümern  bewahrt;  er 
sei  glücklich,  daß  ein  anderer  sich  damit  belastet  habe.  Damit  ist  Leche- 
valier nicht  entschuldigt.  Er  hat  nicht  nur  alles  irgendwie  Wesentliche 
aus  Choiseul,  die  genauen  Angaben,  die  Resultate,  die  Übersicht  über 
die  Vorgänger,  die  Kauffersche  Karte;  das  Schmähliche  ist,  daß  er  den 
Grafen  niemals  nennt  und  sich  den  Anschein  gibt,  als  hätte  er  alles 
seiner  eigenen  Umsicht  und  Tatkraft  zu  verdanken.  Daneben  macht  es 
wenig  aus,  daß  er  gelegentlich  eine  genauere  Angabe  hat  als  Choiseul. 
Den  Ruhm,  Troja  ob  Bunarbaschi  entdeckt  zu  haben,  hat  er  einfach  ge- 
stohlen. Abstoßend  wirkt  bei  ihm  der  hochfahrende  Ton,  den  er  gegen 
Strabon  und  Wood  anschlägt,  besonders  wenn  man  ihn  mit  der  vollendeten 
Courtoisie  vergleicht,  mit  der  Choiseul  alle  seine  Vorgänger  behandelt. 

Gegen  Lechevalier  erhob  sich  Jacob  Bryant  in  zwei  rasch  auf- 
einanderfolgenden Arbeiten.    In  der  ersten,   1795,  weist  er  die  Annahme 


Choiseul    Leche  valier    Bryant  261 

zurück,  als  ob  Troja  auf  der  Höhe  hinter  Bunarbaschi  gestanden  haben 
könne,  weil  sie  mit  den  Angaben  Homers  durchaus  im  Widerspruch 
stehe,  und  rügt  den  hochmütigen  und  keineswegs  gerechtfertigten  Ton, 
den  Lechevalier  und  Dalzel  gegen  Strabon,  Wood  und  andere  angeschlagen 
hatten.  In  der  zweiten,  1796,  rückt  er  mit  seiner  eigenen  Auffassung  heraus. 
Die  Geschichte  des  troischen  Krieges,  so  führt  er  aus,  bietet  ein  solches 
Gewirr  von  Unmöglichkeiten  und  Widersprüchen  unter  sich  und  mit  den 
Angaben  Homers,  daß  man  zu  dem  Schluß  kommen  muß,  ein  solcher 
Krieg  habe  nie  stattgefunden,  und  auch  die  unauffindbare  Stadt  Troja 
habe  es  in  dieser  Gegend  nie  gegeben.  Erzählung  und  Stadt  sind  im- 
portiert und  zwar  aus  Ägypten.  Homer  stammte  von  einer  griechischen, 
aus  lonien  in  Ägypten  eingewanderten  Familie,  die  lange  dort  lebte  und 
dann  nach  Ithaka  zog.  Hier  wuchs  Homer  auf  und  lernte  die  Geschichte 
des  Odysseus  kennen,  dem  er  viele  Züge  seiner  eigenen  Person  geliehen 
hat.  Seine  Familie  hatte  eine  große  Menge  von  Traditionen  mitgebracht, 
auch  die  von  einem  Krieg  um  Troja,  einer  Stadt  am  Nil,  die  den  Schlüssel 
zu  Ägypten  bildete,  und  um  die  einst  ein  großer  Krieg  geführt  worden 
sein  muß;  hierher  paßt  der  Äthiopenkönig  Memnon,  der  in  Phrygien 
ganz  unverständlich  ist.  Auf  seinen  Reisen  erfuhr  Homer  das  Genauere 
über  diese  Geschichte,  die  er  durch  Einführung  griechischer  Namen  und 
Sitten  zu  einem  Epos  für  sein  Volk  umschuf,  und  die  er  am  Helle spont 
lokalisierte.  Warum  gerade  hier,  hat  Bryant  vergessen  anzugeben.  Erst 
Homer  hat  den  Namen  Troja  in  diese  Gegenden  gebracht.  Wenn  es  aber 
auch  hier  eine  solche  Stadt  nicht  gegeben  hat,  so  mußte  sich  Homer 
doch  eine  Vorstellung  von  der  Szene  machen,  in  die  er  seine  Geschichte 
verlegen  woUte.  Notwendig  mußte  er  Troja  an  einer  Stelle  denken,  auf 
die  seine  Götter  vom  Ida  herabsehen  konnten,  also  am  Fuße  dieses  Berges, 
nicht  weit  von  Alexandria  Troas.  Bryant  hat  sein  ganzes  System  mit 
größter  Sorgfalt  gesponnen.  Von  bleibendem  Wert  ist  der  Hinweis  auf 
eine  Stelle  Homers,  nach  der  Troja  in  der  Ebene  gebaut  war,  also  nicht 
auf  der  Höhe  hinter  Bunarbaschi  gestanden  haben  kann. 

Die  Frage  nach  dem  alten  Troja  wurde  am  Ende  des  Jahrhunderts 
so  eifrig  besprochen  wie  zu  Schliemanns  Zeiten.  In  Deutschland  nahm 
sich  besonders  Heyne  der  Sache  an.  Während  er  in  den  siebziger  Jahren 
für  Wood  geschwärmt  hatte,  schwenkte  er  zwanzig  Jahre  später  zu  Leche- 
valier ab  und  verkündete  die  Fixierung  der  Stadt  bei  Bunarbaschi  als 
unumstößliche  Gewißheit. 

Einen  gewissen  Abschluß  der  Forschungen  bildet  das  Buch  von  Carl 
Gotthold  Lenz  Die  Ebene  von  Troja  1798.  Die  wertvollste  Partie  darin 
ist   ein  authentischer  Bericht  des  Grafen  Choiseul,   dem  Herausgeber 


262  Frankreich  und  die  Niederlande 

durch  den  Schullehrer  Binder  in  Hermannstadt  übermittelt,  der  ihn 
1793  von  dem  Grafen  auf  dessen  Durchreise  von  Konstantinopel  nach 
Moskau  empfangen  hatte.  Der  Bericht  enthält  das  Wichtigste  von  dem, 
was  wir  in  dem  großen  Werke  des  Grafen  finden.  Dann  gibt  Lenz  die 
letzte  Partie  der  Schrift  Bryant's,  Berichte  von  Reisenden,  die  seit  dem 
Erscheinen  von  Lechevalier's  Schrift  die  Troas  bereist  hatten,  und  zum 
Schluß  einen  eigenen  Aufsatz  über  die  troische  Ebene  nach  Homer.  Be- 
merkenswert ist  dabei,  daß  Lenz  bei  seinem  Versuche  mit  der  Möglichkeit 
rechnet,  daß  sich  Homer  nur  im  großen  und  ganzen  ein  Bild  von  Troja 
gemacht  habe,  ja  daß  die  Einheitlichkeit  seiner  Bilder  durch  fremde  Zu- 
sätze der  Rhapsoden  und  Diaskeuasten  habe  gestört  werden  können.  Er 
steht  bereits  unter  dem  Einfluß  der  Homerkritik. 

Zu  all  diesen  Anfängen  eines  tieferen  Verständnisses  Homers  trat 
gegen  Ende  des  Jahrhunderts  ein  philologisches  Werk.  Seit  den  Tagen 
von  Henri  d'Estienne  und  Casaubonus  hatte  Frankreich  die  eigentlich 
wissenschaftliche  Arbeit  am  Homer  den  Engländern  und  Holländern 
überlassen.  Da  erstand  in  Ansse  de  Villoison  auch  den  Franzosen 
ein  Vertreter  der  Philologie.  Ursprünglich  von  der  holländischen  und 
deutschen  Wissenschaft  ausgehend,  hatte  er  sich  durch  viele  Publikationen 
bereits  berühmt  gemacht,  als  er  1781  in  Venedig  die  jetzt  mitMarcianus 
A  bezeichnete,  aus  dem  10.  Jahrhundert  stammende  Handschrift  der  IHas 
fand.  Diese  enthält  die  für  die  Geschichte  des  Homertextes  im  Altertum 
wichtigen  Schollen,  d.h. in  den  Erklärungen,  die  am  Rand  des  Blattes 
geschrieben  sind,  die  Reste  der  wissenschaftlichen  Arbeit  des  Altertums 
am  Homer.  Text  und  Schollen  gab  Villoison  1788  heraus.  Jetzt  konnte 
die  byzantinische  Vulgata  durch  die  wissenschaftliche  Textgestaltung 
der  alexandrinischen  Gelehrten  ersetzt  werden.  Der  mächtige  Foliant, 
der  am  Vorabend  der  Revolution  erschien,  bedeutet  einen  wichtigen  Mark- 
stein in  der  Geschichte  Homers;  denn  er  bildet  den  Ausgangspunkt  für 
die  rege  Betätigung  der  französischen  und  besonders  auch  der  deutschen 
Wissenschaft  im  19.  Jahrhundert. 

Die  wiedererwachte  Vorliebe  für  das  Altertum  fand  ihren  beredtesten 
Ausdruck  in  dem  einzigen  wirklichen  Dichter,  den  das  Jahrhundert  hervor- 
gebracht hat,  Andre  Chenier.  In  Konstantinopel  von  einer  griechischen 
Mutter  geboren,  liebte  er  die  hellenischen  Dichter  von  Jugend  auf  und 
las  sie  mit  vollem  Verständnis.  Von  ihrer  Weisheit  genährt,  fem  von 
der  Torheit  der  großen  Gesellschaft,  in  beglückter,  von  Freundschaft  und 
Liebe  verschönter  Einsamkeit  zu  leben,  preist  er  als  das  höchste  Glück. 


Villoison     Chenier  263 

Er  ist  in  seinem  ganzen  Denken  und  Fühlen  ein  Mann  des  18.  Jahr- 
hunderts; aber  die  französische  Poesie  wünscht  er  durch  die  großen  Alten 
zu  höheren  Zielen  geführt.  In  dem  Gedicht  L'Invention  stellt  er  sein 
Programm  auf.  Nicht  sklavische  Nachahmung,  sondern  freie  Nacheiferung 
sollen  die  Alten  in  uns  erwecken.  Denn  der  wahre  Dichter  ist  nur  der 
Erfinder,  d.  i.  der,  welcher  sucht,  was  jeder  empfinden  konnte  wie  er, 
das  Widersprechende  verbindet,  der  Natur  zeigt,  was  sie  nicht  gemacht 
hat,  aber  hätte  machen  können;  der  aus  den  Zügen  zwanzig  schöner 
Frauen  das  Ideal  der  Schönheit  schafft.  Nicht  in  der  Vergangenheit  mit 
ihren  ganz  anderen  Bedingungen  sollen  wir  leben;  die  moderne  Wissen- 
schaft hat  unseren  Dichtern  unermeßliche  Gebiete  aufgetan.  Lebten  Homer 
und  Yirgil  heute,  sie  würden  sich  sogleich  dieser  Reichtümer  bemächtigen 
und  Gedichte  schaffen,  die  später  wieder  als  unverbrüchliche  Muster  hin- 
gestellt würden. 

Aber  die  Alten  haben  es  wie  niemand  verstanden,  in  verführerischen 
Versen  in  dem  wahr  gezeichneten  Rahmen  den  Sinnen  den  Geist  vor- 
zuführen. Nie  schmeichelte  eine  Stimme  mehr  dem  Ohre,  nie  drang  eine 
mit  reinerem  Feuer  in  die  Seele.  Eilen  wir  denn  zu  ihnen,  um  unsere 
Muster  zu  finden.  Aufgabe  unserer  Dichter  ist  es,  durch  die  neuent- 
deckten Wahrheiten  auch  die  Poesie  neu  zu  schaffen.  Das  sollen  sie  tun, 
indem  sie  so  schaffen,  wie  Homer  und  Virgil  es  täten,  wenn  sie  heute 
lebten.  Man  verschanze  sich  nicht  hinter  die  angeblichen  Schwierigkeiten 
der  französischen  Sprache.  Diese  hat  noch  jedem  Meister  gehorcht,  den 
ein  Dämon  drängte,  den  die  Inspiration  des  Genius  entflammte.  Sie  ist 
für  Chenier  das  eigentliche  Moment;  die  Raison  fehlt  nicht  ganz,  ist  aber 
zurückgedrängt. 

Stärker  als  bei  irgend  einem  Franzosen  der  Zeit  offenbart  sich 
bei  Chenier  der  Einfluß  Winckelmanns.  Die  Griechenschönheit  in  der 
Kunst  wie  in  der  Poesie  ist  das,  was  Chenier  am  Altertum  sieht.  Wir 
vermissen  in  seinem  Gedicht  mit  Vergnügen  jeden  Hinweis  auf  irgend 
eine  Regel. 

Chenier  hat  in  unausgeführten  Entwürfen  die  Verwirklichung  seiner 
Ideen  begonnen.  Im  Hermes  will  er,  gleich  dem  Lucrez,  ein  Bild  vom 
Werden  der  Welt  und  der  menschlichen  Gesellschaft  geben,  in  dem  Ge- 
dicht UAmerique  die  ganze  Geographie  und  Geschichte  der  Welt.  Dieses 
Werk  hätte,  nach  den  erhaltenen  Notizen  zu  schließen,  das  gesamte  Glau- 
bensbekenntnis der  Aufklärung  umfaßt.  Wir  können  bedauern,  daß  wir 
nicht  besser  sehen,  wie  es  sich  in  seiner  Ausführung  gestaltet  hätte; 
denn  obwohl  die  projektierte  Unmasse  von  Stoff  den  Erfolg  gefährden 
mußte,  so  waren  doch   schöne  Partien  zu  erwarten. 


264  Frankreich  und  die  Niederlande 

Besser  lernen  wir  Chenier  in  den  kleinen  Gedichten  kennen,  vor 
allem  in  den  Eklogen.  Da  ist  gleich  das  schöne  Gedicht  L'Aveugle. 
Kinder  finden  im  Walde  den  blind  herumirrenden  Homer;  sie  speisen 
und  tränken  ihn  und  führen  ihn  ihrem  Dorfe  zu.  Unterwegs  singt  er 
ihnen;  aber  sein  Gesang  amfaßt  nicht  nur  die  wichtigsten,  von  Chenier 
schön  charakterisierten  Ereignisse  der  Ilias  und  Odyssee,  sondern  be- 
handelt im  Anfang  die  Entstehung  der  Welt,  am  Ende  die  Kentauren- 
schlacbt  nach  der  Darstellung  in  Ovids  Metamarphosen.  Hier  offenbart 
sich  der  ganze  Chenier.  Er  verlangt  vom  Dichter  das  Wissen  seiner 
Zeit;  er  spickt  sein  Gedicht  förmlich  mit  homerischen  Reminiszenzen, 
die  übrigens  immer  sehr  gut  angebracht  sind;  aber  am  sorgfältigsten 
ist  er  in  der  Nachbildung  Ovids,  des  römischen  Nachahmers  der  alexan- 
drinischen  Dichter.  Denn  diese  standen  ihm  noch  erheblich  näher  als 
Homer,  weil  sie  dem  Charakter  des  18.  Jahrhunderts  mehr  entsprachen. 
Gleich  dem  Aveugle  entlehnt  auch  die  Ekloge  Le  Mendiant  zahlreiche 
Stellen  aus  Homer,  ja,  das  Gedicht  ist  eine  übertreibende  und  senti- 
mentale Bearbeitung  der  Phäakengeschichte.  Der  durch  seine  Irrfahrten 
in  einen  fürchterlichen  Zustand  geratene,  von  der  Königstochter  zum 
Palast  ihres  Vaters  gewiesene  Fremdling  erweist  sich  als  früherer  Wohl- 
täter des  Königs,  der  ihm  nun  seine  Wohltaten  im  reichsten  Maße  ver- 
gelten kaim. 

Chenier  hat  zu  seinen  Lebzeiten  keinen  Einfluß  geübt,  weil  außer 
lyrischen  Gedichten  nichts  von  ihm  bekannt,  vieles  auch  noch  unfertig 
war.  Seiner  vielversprechenden  Entwicklung  machte  1794  die  Guillotine 
ein  vorzeitiges  Ende.  Als  seine  Werke  1819  zum  ersten  Male  gedruckt 
wurden,  war  schon  die  Zeit  der  Romantik  angebrochen,  in  deren  Strömung 
Chenier' s  Eigenart  unterging. 


ENGLAND. 

Die  griechischen  Studien  eroberten  ihren  Platz  in  England  ungefähr 
um  dieselbe  Zeit  wie  in  Frankreich.  Als  einer  ihrer  ersten  Vertreter 
tritt  uns  Thomas  Morus  entgegen,  dessen  ütopia  zuerst  1518  erschien. 
Der  Held,  der  große  Reisende  Raphael,  zieht  die  Sprache  Athens  der- 
jenigen Roms  vor,  veranlaßt  durch  das  Studium  der  Philosophie,  der 
er  sich  ausschließlich  gewidmet  hat.  Während  seines  Aufenthalts  auf  der 
Insel  Utopia  mußte  Raphael  den  Eingebomen  die  griechischen  Autoren 
erklären;  von  den  lateinischen  hatte  er  nicht  mit  ihnen  gesprochen,  da 
er  glaubte,  sie  würden  unter  diesen  nur  die  Historiker  und  die  Dichter 
schätzen.  Wunderbar  war  es,  wie  leicht  und  begierig  die  Utopier  Griechisch 
lernten.  Auf  seiner  vierten  Reise  brachte  ihnen  Raphael  eine  Sammlung 
griechischer  Bücher  mit,  darunter  auch  Homer.  Das  Studium  des  Grie- 
chischen wurde  später  durch  ein  Dekret  des  Senats  von  Utopien  für  die 
Ausgezeichnetsten  aus  der  Klasse  der  Gelehrten,  Männer  von  reiferem 
Alter,  obligatorisch  gemacht. 

Diese  unbedingte  Vorliebe  für  das  Griechische  wurde  in  England 
nicht  allgemein  geteilt.  Zwar  fand  es  mehr  und  mehr  sorgsame  Pflege. 
1540  schuf  Heinrich  VIH.  die  erste  griechische  Professur  in  Cambridge, 
wo  Erasmus  in  mehrjähriger  Tätigkeit  den  Boden  vorbereitet  hatte.  Aber 
auch  in  der  englischen  Renaissance  standen  die  lateinischen  Schriftsteller 
im  Vordergrund,  und  ihr  Übergewicht  ist  bis  ans  Ende  des  17.  Jahr- 
hunderts, bis  auf  Dryden  und  Bentley,  unbestritten.  Hemmend  war  für 
das  Studium  des  Griechischen  der  Mangel  an  Büchern,  die  mit  schwerem 
Geld  vom  Kontinent  beschafft  werden  mußten.  Dennoch  sehen  wir  das 
Wissen  im  Griechischen  sehr  bedeutend  gefördert;  hohe  und  höchste 
Personen  widmen  sich  mit  Eifer  der  hellenischen  Literatur.  Edward  VI. 
studiert  die  Ethik  des  Aristoteles  im  Original,  Jane  Gray  tröstet  sich 
bei  Piatons  Phaidon  über  die  grausame  Engherzigkeit  ihrer  Eltern,  und 
Elisabeth  liest  mit  Roger  Ascham  das  Neue  Testament,  die  attischen 
Redner  und  Sophokles.  Bei  vielen  nehmen  die  Kirchenväter  einen  hervor- 
ragenden Rang  ein.  Gegen  das  Ende  des  Jahrhunderts  beginnt  auch  in 
England  der  Druck  griechischer  Bücher.  Homer  wird  zum  ersten  Mal 
1591  in  London  gedruckt.  Schon  um  1580  ist  das  Griechische  Unterrichts- 
fach in  den  Schulen,  und  um  1600  wird  es  von  vielen  Gebildeten  ver- 


266  England 

standen.  Die  griechisclien  Studien,  die  von  dieser  Zeit  an  in  Frankreich 
ein  so  kümmerliches  Dasein  führten,  blühten  in  England  immer  mehr  auf. 
Im  Beginn  des  18.  Jahrhunderts  konnte  es  Voltaire  unnütz  nennen  sich 
über  Homer  und  Virgil  zu  verbreiten,  zumal  in  England,  wo  man  kaum 
einen  Gentilhomme  finde,  der  nicht  Latein  und  Griechisch  verstehe. 

Die  literarische  Kritik  war  im  16.  Jahrhundert  ganz  durch  die 
eminent  wichtige  Frage  der  Vervollkommnung  der  englischen  Sprache 
und  Versifikation  in  Anspruch  genommen.  Die-  antike  Literatur,  die  so 
mächtig  hereindrang,  legte  den  Gedanken  nahe,  die  Alten  im  Stil,  be- 
sonders in  den  Metren  nachzuahmen  und  statt  des  Reimes  antike  Vers- 
maße einzuführen.  Zwei  Verse  aus  einer  von  Thomas  Watson  um 
1540  in  Hexametern  verfaßten  Übersetzung  der  Odyssee  zitiert  Ascham, 
der  auch  selbst  den  Reim  verwarf  und  eine  quantitierende  Poesie  forderte. 
Der  Streit  darum,  der  die  ganze  zweite  Hälfte  des  Jahrhunderts  ausfüllt, 
wurde  durch  Samuel  Daniel  in  der  Defence  of  Rhyme  1603  beendigt. 
Er  appellierte  für  die  Beibehaltung  des  Reims  an  den  Gebrauch,  der 
älter  sei  als  alle  Regeln,  und  an  die  Natur,  die  über  aller  Kunst  stehe. 
Er  erkennt  die  Autorität  der  Alten  nicht  an,  sondern  fordert  für  die 
Modernen  das  Recht,  sich  auf  nationaler  Grundlage  frei  zu  entwickeln. 
Soviel  ich  sehe,  hat  übrigens  dieser  Streit  auf  die  poetische  Literatur 
Englands  kaum  irgendwelchen  Einfluß  geübt.  Die  epischen  Dichter  ver- 
wenden entweder  die  ariostische  Stanze,  die  sie  nach  Gutdünken  variieren, 
oder  die  Reimpaare,  mit  oder  ohne  Übergreifen  des  Satzes  über  deren 
Schluß  hinaus.  Auch  die  Prosa  entwickelt  sich  ganz  eigenartig.  Ascham 
selbst,  den  man  als  den  ersten  Klassizisten  Englands  bezeichnet,  löst  die 
Sprache  aus  den  Fesseln  des  Lateinischen  und  gibt  in  seinen  Schriften 
das  Beispiel  einer  ebenso  korrekten  als  flüssigen  englischen  Prosa. 

Die  bedeutendsten  kritischen  Schriftsteller  der  Renaissance  waren 
zwar  bekannt,  besonders  Castelvetro  und  Scaliger,  aber  zu  einer  Einführung 
ihrer  Theorien  im  Sinne  einer  ästhetischen  Gesetzgebung  kam  es  nicht. 
Auffallend  ist  vor  allem,  vrie  gering  der  Einfluß  der  aristotelischen  Poetik 
war,  die  doch  schon  Ascham  kannte  und  mit  Horaz  und  den  antiken 
Dichtern  vergUch.  Auch  Sidney  zitiert  sie  mehrmals.  Aber  was  die 
Kritiker  der  Zeit  über  das  Epos  aussagen,  und  dessen  ist  wenig,  lehnt 
sich  an  Horaz  an.  Nur  in  einer  Schrift  tritt  Aristoteles  kräftiger  hervor. 
1591  gab  Harington  eine  Übersetzung  des  Furioso  heraus.  In  der 
Vorrede  setzte  er  auseinander,  daß  Ariost  ganz  in  den  Fußtapfen  Virgils 
schreite,  des  vollendetsten  Musters  epischer  Poesie,  den  er  aber  darin 
übertreffe,  daß  er  ein  Christ  sei.  Nun  gebe  es  aber  Kritiker,  die  alle 
epischen  Gedichte  nach  der  Methode  Homers  und  einigen  Vorschriften 


Daniel    Harington     Bacon  267 

des  Aristoteles  messen  und  deshalb  Ariost  Mangel  an  Kunst  vorwerfen. 
Harington  sucht  nun  zu  beweisen,  daß  Ariost  durch  das  Beispiel  Homers 
selbst  verteidigt  werden  könne  und  den  aristotelischen  Regeln  genau  ent- 
spreche. Wie  die  aristotelische  Poetik  verlange,  wähle  Ariost  einen  histo- 
rischen Stoff,  von  dem  er  einen  Teil,  die  Ereignisse  eines  Jahres,  be- 
handle; ferner  befolge  er  das  Gebot,  die  Grenzen  des  möglicherweise 
Glaublichen  nicht  zu  überschreiten;  und  endlich  sei  er  voll  von  un- 
vermuteten Peripetien,  passenden  Gleichnissen  und  gut  gezeichneten 
Affekten.  Harington's  Schrift  ist  ohne  Zweifel  ein  Nachklang  des  Streites 
der  Crusca  mit  Tasso  und,  wie  aus  der  Begrenzung  der  Handlung  des 
Epos  auf  ein  Jahr  geschlossen  werden  kann,  von  Mintumo  beeinflußt. 

Ben  Jonson,  der  im  Drama  den  Klassizismus  zum  Durchbruch 
brachte,  hat  sich  nur  am  Schlüsse  seiner  skizzenhaft  gehaltenen  Discoveries 
über  das  Epos  kurz  ausgesprochen  und  die  Ansicht  des  Aristoteles  über 
das  Verhältnis  des  Ganzen  und  der  Teile  wiederholt.  Er  hatte  1605  den 
Horaz  und  wahrscheinlich  auch  die  aristotelische  Poetik  übersetzt  und 
kommentiert,  und  so  war  von  ihm  auch  eine  ausgedehnte  Theorie  des 
Epos  zu  erwarten;  aber  diese  Schriften  gingen  mit  vielen  andern  durch 
eine  Feuersbrunst  zugrunde. 

Sir  Francis  Bacon  teilte  in  der  berühmten  Schrift  Ädvancement 
of  Learning  1605  die  Wissenschaften  nach  den  menschlichen  Fähigkeiten 
des  Gedächtnisses,  der  Einbildungskraft  und  der  Vernunft  in  Geschichte, 
Poesie  und  Philosophie  ein.  Die  Phantasie  ist  ihm  nicht  an  die  Gesetze 
der  Materie  gebunden;  sie  verbindet,  wo  die  Natur  getrennt  hat,  und 
trennt,  wo  jene  verbindet.  Deshalb  ist  die  Poesie,  abgesehen  von  der 
Einschränkung  in  der  Wortmessung,  durchaus  unbeschränkt.  Dem  Stoffe 
nach  ist  sie  erdichtete  Geschichte,  die  ebensogut  im  Vers  als  in  Prosa 
dargestellt  sein  kann.  Diese  erfundene  Geschichte  gibt  dem  Geiste  größere 
Genugtuung  in  den  Dingen,  in  denen  die  Natur  sie  versagt.  Sie  hat  aus- 
gedehntere Größe,  Güte,  eine  absolutere  Mannigfaltigkeit,  als  diese  sich 
in  der  Natur  finden.  Ihre  Erfindungen  sind  heroischer  als  die  geschicht- 
lichen Ereignisse;  sie  vergilt  Tugend  und  Laster  gerechter  und  mehr  der 
offenbarten  Vorsehung  entsprechend  und  ist  abwechslungsreicher  als  die 
Geschichte.  Daher  führt  sie  zur  Hochherzigkeit,  Sittlichkeit  und  Er- 
götzung. Immer  dachte  man  sie  der  Göttlichkeit  teilhaftig;  denn  sie 
unterwirft  das  Schauspiel  der  Dinge  den  Wünschen  des  Gemüts,  wodurch 
sie  dieses  aufrichtet  und  erhebt,  während  die  Vernunft  es  unter  die  Natur 
der  Dinge  beugt. 

Die  Poesie  ist  entweder  erzählend,  vorführend  oder  anspielend.  Er- 
zählende Poesie  ist  eine  reine  Nachahmung  der  Geschichte,  kann  aber, 


268  England 

wie  gesagt,  darüber  hinausgehen  und  wählt  zum  Gegenstand  gewöhnlich 
Krieg  oder  Liebe,  selten  Politik,  hie  und  da  Vergnügen  und  Freude. 
Darstellende  Poesie  gibt  Handlungen  so,  als  ob  sie  gegenwärtig  wären. 
Die  anspielende  oder  parabolische  Poesie  versinnbildlicht  entweder  Ge- 
danken und  Lehren  wie  die  äsopische  Fabel,  oder  sie  verdeckt  unter  der 
Fabel  einen  geheimen  Sinn.  So  bedeutet  z.  B.  die  Verschwörung  der  Götter 
gegen  Zeus  und  dessen  Rettung  durch  den  Briareos,  daß  die  Monarchie 
sich  in  ihrer  Unbeschränktheit  nicht  vor  mächtigen  Vasallen  zu  beugen 
braucht,  solange  sie  sich  durch  ihre  Weisheit  die  Herzen  des  Volkes  zu 
sichern  weiß,  das  stets  zu  ihrer  Hilfe  bereit  sein  wird.  Trotzdem  viele 
Stellen  der  alten  Dichter  so  zu  erklären  sind,  war  doch  wohl  die  Fabel 
das  Erste  und  die  Auslegung  abgeleitet,  nicht  die  Fabel  nachträglich 
auf  die  Moral  gebaut.  Homers  Gedichte  wurden  von  den  späteren  Philo- 
sophenschulen zu  einer  Art  heiliger  Schrift  gestempelt;  aber  es  ist 
sicher,  daß  nach  seiner  eigenen  Meinung  seine  Fabeln  den  ihnen  unter- 
gelegten Sinn  nicht  hatten;  was  sie  nach  der  ursprünglichen  Überliefe- 
rung gewesen  sein  mögen,  ist  nicht  leicht  zu  sagen,  jedenfalls  hat  er 
viele  von  ihnen  nicht  selbst  erfunden.  Wie  Bacon  das  meint,  setzt  er 
in  der  Schrift  De  sapientia  veterum  genauer  auseinander.  Er  findet 
nämlich  in  vielen  Fabeln  ein  von  Ursprung  an  darin  liegendes  Mysterium 
und  eine  Allegorie.  Oft  enthalten  sie  eine  historische  oder  politische 
Lehre.  Ein  Zeichen  verborgenen  Sinnes  ist  es,  wenn  die  Fabel,- wörtlich 
genommen,  absurd  ist.  Übereinstimmung  der  Zeitgenossen,  wie  z.  B. 
Homers  und  Hesiods,  weisen  auf  gemeinsamen  älteren  Ursprung  der  Fabeln, 
Unterschiede  auf  eigene  Ausschmückung.  Die  Fabeln  und  Parabeln  sind 
heilige  Überbleibsel,  der  zarte  Hauch  besserer  Zeiten,  aus  den  Überliefe- 
rungen älterer  Nationen  in  die  Trompeten  und  Pfeifen  der  Griechen  über- 
gegangen. Sie  waren,  wenn  auch  vielleicht  nicht  als  Hülle  und  Vorhang, 
so  gewiß  zur  Erleuchtung  und  Belehrung  erfunden,  in  einer  Zeit,  wo  die 
Weisheit  möglichst  sinnenfällig  auf  die  rohen  Gemüter  wirken  sollte. 
Die  Mythen  sind  also,  wie  die  folgenden  31  Beispiele  beweisen,  lehrreiche 
Geschichten  zu  irgend  einem,  oft  ziemlich  komplizierten  Satz  der  Weisheit. 

Bacon  ist  sich  bewußt  etwas  Neues  zu  bringen.  Was  man  gemeinhin 
allegorische  Auslegung  nennt,  d.  h.  die  Anwendung  der  poetischen  Er- 
findungen auf  die  eigenen  Lehrmeinungen,  wie  sie  die  Stoiker  betrieben, 
verwirft  er,  nicht  minder  den  Glauben,  als  hätten  die  Dichter,  etwa  Homer, 
die  tiefere  Bedeutung  ihrer  Fabeln  lehren  wollen.  Nach  seiner  Meinung 
haben  sie  davon  selbst  nichts  gewußt. 

Mit  Bacon  sind  wir  schon  in  das  17.  Jahrhundert  eingetreten  und 
haben  aus  dem  16.  noch  die  Männer  zu  erwähnen,  deren  Schriften  Kennt- 


Bacon    Asch  am  269 

nis  Homers  beweisen.  Bei  dem  ersten,  der  nach  Morus  den  Dichter  nennt, 
Thomas  Wilson,  finden  wir  gleich  schon  die  von  Bacon  bekämpfte 
Auffassung.  In  dem  anziehenden  Buche  Art  of  Wietorique  1560  läßt 
Wilson  den  Homer,  ganz  nach  der  Auffassung  der  früheren  Renaissance, 
als  Yerkünder  weiser  Lehren  auftreten.  Denn  nach  ihm  ist  unter  den 
Erzählungen  der  alten  Dichter  keine,  die  nicht  einen  tieferen  Sinn  bärge, 
sei  es  um  die  Sitten  der  Menschen  zu  bessern  oder  eine  Wahrheit  zu 
verkünden.  So  ist  die  von  Homer  beschriebene  mühevolle  Reise  des 
Odysseus  doch  nichts  anderes  als  das  lebendige  Gemälde  des  Elends  des 
Menschen  in  diesem  Leben. 

Ähnliche  Gedanken  bringt  Roger  Aschams  Schrift  The  Schole- 
mastey'j  geschrieben  zwischen  1563  und  1568,  gedruckt  1570.  Das  Büchlein 
erörtert  im  ersten  Teil  in  lebendigster  und  anziehendster  Weise  allgemeine 
Fragen  der  Erziehung  und  gibt  im  zweiten  eine  leicht  faßliche  Methode, 
Latein  zu  lernen.  Im  ersten  Teile  kommt  Ascham  auf  die  Frage  zu  sprechen, 
ob  es  zweckmäßig  sei  junge  Leute  nach  Italien  zu  schicken,  und  rät  davon 
ab,  da  sich  Italien  sehr  zu  seinem  Nachteil  verändert  habe.  Wer  aber 
hingehen  wolle,  werde  gut  tun,  das  Leben  des  weisesten  Reisenden  an- 
zusehen, der  je  dorthin  reiste,  dargestellt  von  dem  weisesten  Schriftsteller, 
der  je  mit  der  Zunge  sprach,  Gottes  Lehre  allein  ausgenommen,  nämlich 
das  des  Odysseus  bei  Homer.  Der  Reisende,  führt  Ascham  aus,  findet 
da  die  Gefahren  der  Reise  wie  die  Lebensweisheit,  mit  der  man  sie  über- 
windet, und  die  doch  ohne  den  Schutz  Athenes,  d.  h.  der  Gnade  Gottes, 
dem  Odysseus  nichts  genützt  hätte.  Denn  er  wird  nicht  immer  einen 
Alkinoos  finden,  sondern  manchmal  in  die  Hände  eines  grausamen 
Kyklopen  oder  einer  wollüstigen  Kalypso  fallen;  manche  Sirene  wird 
ihm  zu  seinem  Verderben  singen;  wenn  Skylla  ihn  nicht  ertränkt,  ver- 
schlingt ihn  Charybdis,  und  manche  Kirke  kann  ihn  aus  einem  schlichten 
Engländer  zu  einem  richtigen  Italiener  machen.  Deshalb  werden  weise 
Männer  für  die  Reise  ihren  Sohn  unter  die  Aufsicht  eines  trefflichen 
Mannes  stellen,  damit  sich  jener  nicht  in  Lebensgefahren  stürze,  wie  es 
Odysseus  oft  begegnet  wäre,  wenn  er  nicht  von  Pallas  geleitet  worden 
wäre  und  sich  die  Ohren  nicht  mit  Wachs  verstopft  und  von  Hermes 
das  Kraut  Moly  empfangen  hätte.  Dieses  Kraut  mit  der  schwarzen 
Wurzel  und  der  weißen  Blüte  bedeutet  die  Liebe  zum  Guten  und  den 
Haß  gegen  das  Böse.  Im  zweiten  Teil  wendet  sich  Ascham  gegen  die 
Paraphrase  als  eine  recht  ungeeignete  Übung  für  die  Erwerbung  eines 
guten  Stils.  Man  verwandle  dadurch  nur  das  Beste  in  etwas  Schlechtes. 
Die  alten  und  besten  Schriftsteller  hätten  doch,  wenn  sie  zweimal  die 
gleiche   Sache   ausdrücken  wollten,   sich  Wort   für  Wort  der  gleichen 


270  England 

Wendung-en  bedient,  wie  z.  B.  Homer  in  der  Ilias  ganze  Seiten  lang- 
tue.  Für  die  Erörterung  über  Metaphrase,  Umsetzung  von  Poesie  in  Prosa, 
wählt  Ascham  als  Beispiel  die  Stelle  des  dritten  Buches  des  platonischen 
Staates,  wo  Sokrates  den  Anfang  der  Ilias  in  Prosa  wiedergibt.  Diese 
Art  der  Umsetzung  findet  er  musterhaft,  und  für  einen  Mann  von  reifem 
Urteil  hält  er  es  für  sehr  angenehm  und  nützlich,  gerade  an  diesem 
Beispiel  Homer  und  Piaton,  zwei  Wunder  der  Natur  und  Kunst  an 
Geist  und  Beredsamkeit,  miteinander  zu  vergleichen.  So  wird  Homers 
noch  da  und  dort  Erwähnung  getan,  gelegentlich,  wie  es  der  Charakter 
des  Buches  mit  sich  bringt,  aber  immer  so,  daß  sich  die  genaue  Kenntnis 
des  Dichters  offenbart. 

Eine  nicht  unbedeutende  Rolle  spielt  Homer  auch  in  Stephen 
Gosson's  Schoole  of  Ähuse,  einem  1579  erschienenen,  sehr  temperament- 
vollen Buch,  das  sich  gegen  die  Verweichlichung  des  modernen  England 
wendet  und  für  diese  allerlei  Künste,  besonders  das  Theater,  verantwortlich 
macht.  Gosson  hatte  früher  selbst  Dramen  geschrieben,  schloß  sich  aber 
später  der  Opposition  der  Puritaner  gegen  das  Theater  an.  Sein  früheres 
Beginnen  erscheint  ihm  jetzt  als  Sünde.  Er  kommt  sich  vor  wie  Odysseus, 
der  Schiffbruch  erlitten  und  vor  Nässe  triefend  das  nackte  Leben  kletternd 
ans  Land  gerettet  hat.  Nun  soll  Nausikaa  mit  all  ihrem  Gefolge  fern 
von  ihm  stehen  bleiben,  bis  er  den  Schmutz  von  der  Stime  gewischt 
und  mit  süßem  Wasser  den  Salzschlamm  abgewaschen  hat,  der  seiner 
Seele  anklebt. 

Gosson  hat  in  einer  späteren  Apologie  seiner  Schoole  of  Abuse  er- 
klärt, daß  er  nicht  die  Poesie  selbst,  sondern  nur  ihren  Mißbrauch  ver- 
folge. Li  der  Tat  läßt  er  namentlich  die  Dichter  älterer  Zeiten  mehr  oder 
weniger  gelten.  Er  erblickt  den  Nutzen  der  alten  Poesie  in  dem  Preis 
berühmter  Taten  und  in  ihrer  Vorbildlichkeit,  den  der  alten  Musik  in 
der  Anfeuerung  zur  Tapferkeit  und  anderen  trefflichen  Zwecken.  Wenn 
er  aber  dafür  den  Homer  zitiert,  so  begegnen  ihm  starke  Fehler,  weil 
er  sich  zu  sehr  auf  das  Gedächtnis  verläßt  oder  einfach  phantasiert. 
Plutarch  hat  in  der  Schrift  über  die  Musik^  der  Gosson  alle  Angaben 
über  die  Macht  der  Musik  entnommen  hat,  gesagt,  daß  die  Hellenen  durch 
ihre  Lobgesänge  in  Chryse  der  Pest  ein  Ende  gemacht  hätten;  daraus 
macht  Gosson,  Homers  Musik  habe  die  Pest  aus  dem  Griechenlager  ver- 
trieben. Des  Achilleus  Erzieher  Phoinix  verwechselt  er  mit  dem  Kentauren 
Chiron,  dem  er  nicht  nur  die  Erzählung  des  Phoinix  im  neunten  Buch 
der  Ilias,  sondern  auch  eine  Stelle  aus  der  Rede  des  Odysseus  in  den 
Mund  legt.  Und  den  Menelaos  macht  er  in  einer  längeren  Schilderung 
zu  einem  weichlichen  und  unkriegerischen  Helden. 


Gosson     Sidney  271 

Wenn  Gosson  nun  auch  Homer  verscliiedentlich  zitiert,  so  ist  er  ihm 
doch  nicht  günstig  gestimmt.  Er  verspottet  Maximus  von  Tyros,  einen 
philosophischen  Rhetor  des  2.  Jahrhunderts  n.  Chr.,  weil  dieser  die  Lehre 
der  Homerinterpreten  zu  verteidigen  übernimmt,  welche  die  Tollkühnheit 
des  Aias  in  Tapferkeit,  die  Feigheit  des  Odysseus  in  Klugheit,  das  Ge- 
fasel Nestors  in  Altersweisheit,  die  Schlacht  vor  Troja  in  den  wunder- 
baren Kampf  der  Elemente  umdeuten.  Es  sei  geradezu  zum  Lachen,  wenn 
man  sehe,  wie  dieser  Philosoph  sich  anstrenge,  Aesops  Esel  die  Löwen- 
haut überzuziehen  und  Kindern  die  Schuhe  des  Hercules  anzupassen, 
indem  er  prächtig  darstelle,  was,  je  mehr  man  es  aufrühre,  desto  mehr 
stinke,  und  um  so  besser  gefalle,  je  weniger  man  davon  rede. 

Den  größten  Zorn  Gosson's  haben  die  alten  Dichter,  wie  er  in  der 
Apologie  sagt,  dadurch  verschuldet,  daß  sie  ihre  Götter  so  unwürdig  dar- 
stellen und  dadurch  Gottes  Ehre  schänden. 

Die  Antwort  auf  Gosson's  Angriff  gab  Sir  Philip  Sidney  in  seiner 
Apologie  for  Poetrie,  auch  als  Defense  of  Poesie  zitiert,  geschrieben  un- 
gefähr 1580,  zum  ersten  Mal  gedruckt  1595,  aber  ohne  Zweifel  schon 
vorher  handschriftlich  in  Umlauf  gesetzt.  Das  Buch  gibt  sich  nicht  als 
Widerlegung  Gosson's,  kann  aber  doch  nur  eine  Antwort  auf  die  purita- 
nischen Vorwürfe  gegen  die  Poesie  sein.  Gegründet  ist  es  auf  die  ita- 
lienische Kritik,  besonders  auf  Minturno  und  Scaliger,  von  denen  Sidney 
den  letzteren  nennt.  Aus  ihm  stammen  viele  der  grundlegenden  Ge- 
danken von  Sidney's  Schrift.  Dennoch  ist  diese  keine  bloße  Übertra- 
gung der  italienischen  Kritik  auf  englischen  Boden,  sondern  ein  selb- 
ständiges Werk,  das  denn  auch  auf  Jahrzehnte  hinaus  herrschend  geblieben 
ist.  Der  Leser  des  prächtigen  Büchleins  wird  überall  von  dem  Eindruck 
beherrscht,  daß  hier  ein  Poet  über  Poesie  spricht. 

Die  Angriffe  auf  die  Poesie,  sagt  Sidney,  sind  zunächst  eine  Un- 
dankbarkeit gegen  die  Erleuchterin  aller  Nationen.  Die  Römer  nannten 
den  Dichter  Vates,  den  Seher,  und  gibt  es  erhabenere  Poesie  als  die  Psal- 
men? Die  Griechen  nennen  ihn  Poietes,  den  Schöpfer;  ihn  erhebt  die 
Kraft  seiner  Erfindung  über  jede  Fessel;  sie  läßt  eine  zweite  Natur 
entstehen,  Idealfiguren,  wie  die  Natur  sie  nie  hervorbringt.  Diese  Kraft 
hat  Gott,  der  Schöpfer  aller  Dinge,  dem  Dichter,  dem  Schöpfer,  verliehen. 
Seine  Kunst  ist  Nachahmung,  d.  h.  Darstellung,  Nachbildung,  Vorführung 
nach  außen.  Der  Vers  ist  nur  das  Gewand,  nicht  das  Wesen  der  Poesie. 
Diese  ist  für  die  Menschen  ein  viel  sichererer  Wegweiser  als  Philosophie 
und  Geschichte,  von  denen  jene  durch  allgemeine,  oft  schwer  verständ- 
liche Lehrsätze,  diese  nur  durch  einzelne  Beispiele  wirkt.  Der  Dichter 
^bt  statt  der  Vorschriften  der  Philosophie  das  Bild  eines  Menschen,  der 


272  England 

sie  erfüllt  hat;  mit  dem  einzelnen  Beispiel  verbindet  er  den  allgemeinen 
Begriff.  Er  macht  es  lebendig,  gerade  wie  der  Anblick  eines  Gemäldes  an 
Wirkung  jede  Beschreibung  übertrifft.  Cicero  sucht  uns  die  Kraft  der 
Heimatliebe  klar  zu  machen;  aber  hören  wir  dagegen  einmal  den  alten 
Anchises  inmitten  von  Trojas  Flammen  reden,  oder  den  Odysseus  in 
der  Fülle  von  Kalypso's  Wonnen  seine  Entfernung  aus  dem  rauhen  und 
armen  Ithaka  beklagen!  In  welchen  Definitionen  der  Stoiker  sehen  wir 
Weisheit  und  Mäßigung  besser  als  in  Diomedes  und  Odysseus,  Tapferkeit 
besser  als  in  Achilleus?  Daneben  gibt  Sidney  noch  zahlreiche  Beispiele 
aus  den  Tragikern.  Die  Lehre  des  Aristoteles  über  das  Verhältnis  von 
Geschichte  und  Poesie  führt  er  weiter  aus.  Die  Belehrung  ist  der  Poesie 
eigentümlich,  denn  sie  stellt  die  Tugend  so  sehr  in  den  schönsten  Farben 
dar,  daß  jeder  sie  lieben  muß.  Wohl  können  wir  Odysseus  in  einem 
Sturm  und  anderen  schweren  Lagen  sehen,  aber  es  sind  nur  Übungen  der 
Geduld  und  Seelengröße,  um  diese  in  dem  folgenden  Glück  noch  stärker 
hervortreten  zu  lassen.  Die  Poesie  ermuntert  zum  Guten  und  schreckt 
vom  Bösen  ab;  der  Historiker  dagegen,  gefangen  in  der  Wirklichkeit 
einer  törichten  Welt,  hält  oft  vom  richtigen  Handeln  ab  und  ermuntert 
zu  ungezügelter  Schlechtigkeit.  Auch  den  Philosophen  übertrifft  der 
Dichter  als  Lehrer  der  Tugend.  Denn  er  scheint  nur  Vergnügen  zu 
versprechen  und  gibt  unvermerkt  unter  der  schönen  Form  die  nützliche 
Lehre. 

Sodann  geht  Sidney  auf  die  einzelnen  Dichtungsgattungen  über,  um 
zu  beweisen,  daß  keine  von  ihnen  Verachtung  verdiene,  am  wenigsten 
das  heroische  Gedicht,  dessen  bloßer  Name  schon  Verleumder  erschrecken 
sollte.  Es  führt  die  größten  Helden  vor,  lehrt  die  höchste  Wahrheit  und 
treibt  dazu  an;  es  läßt  durch  all  die  trübe  Furchtbarkeit  und  unlautern 
Begierden  Großherzigkeit  und  Gerechtigkeit  glänzen.  Es  zeigt  die  Tugend 
in  ihrem  Feierkleide.  In  ihm  vereinigen  sich  alle  Vorzüge  der  übrigen 
Gattungen.  Beispiel  ist  hier  für  Sidney  wesentlich  die  Aeneis.  Die  An- 
griffe auf  die  Poesie  sind  kleinlich.  Wer  sie  für  nutzlos  hält,  verkennt 
ihr  hohes  Lehramt.  Die  Dichter  sind  keine  Lügner,  denn  sie  geben, 
was  sie  erzählen,  nicht  für  Wirklichkeit  aus.  Nicht  die  Poesie  verführt 
den  menschlichen  Geist,  sondern  dieser  mißbraucht  jene  zuweilen  zur 
Erfüllung  sinnlicher  Begierden.  Es  ist  auch  nicht  richtig,  daß  vor  der 
Erfindung  der  Poesie  das  Volk  tatkräftiger  gewesen  sei;  denn  es  hat 
nie  eine  Zeit  ohne  Poesie  gegeben.  Wenn  sich  deren  Feinde  auf  Piaton 
berufen,  so  wirft  Sidney  den  Philosophen  zunächst  vor,  daß  sie  den 
Dichtem  ihre  Gedanken  entlehnen  und  ein  eigenes  Gebäude  daraus 
machen,  um  darauf  ihre  Meister  herabzusetzen.    Dann  findet  er,  wenn 


Sidney  273 

man  den  Inhalt  des  Phaidros  und  des  Symposion  und  die  Lehre  von 
der  Weibergemeinschaft  in  Betracht  ziehe,  so  habe  Piaton  Homer  nichts 
vorzuwerfen.  Die  falschen  Vorstellungen  von  den  Göttern,  um  deren 
willen  Piaton  die  Dichter  verbanne,  hätten  diese  doch  nicht  erfunden, 
und  es  sei  doch  besser  gewesen,  wenn  die  Dichter  diese  Vorstellungen 
verbesserten,  als  wenn  die  Philosophen  sie  abschüttelten,  um  dann  den 
Atheismus  einzuführen.  Übrigens  meint  Piaton  eigentlich,  so  sagt  Sidney 
mit  Scaliger,  nur  die  Vertreibung  der  falschen  Auffassung  der  Götter. 
Hat  er  doch  im  Ion  der  Poesie  alle  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen 
und  die  göttliche  Inspiration  der  Dichter  stärker  betont,  als  Sidney 
selbst  tun  möchte.  Piaton  steht  also,  so  schließt  Sidney,  auf  unserer 
Seite.  Man  hat  sich  seine  Löwenhaut  umgehängt,  um  darunter  ein  Esels- 
geschrei gegen  die  Poesie  anzustimmen. 

Sidney  sieht  nicht  ein,  warum  gerade  England  die  Dichter  stief- 
mütterlich behandeln  soll.  Allerdings  haben  diese,  wenn  sie  etwas 
leisten  wollen,  sich  zu  prüfen.  Führen  müssen  den  Dichter  Kunst,  Imi- 
tation und  Übung,  womit  aber  Sidney  nicht  künstliche  Regeln  und 
aufgestellte  Muster  empfohlen  haben  will. 

Ein  enthusiastischer  Verehrer  der  englischen  Poesie,  zumal  Spenser's, 
aber  ein  herzlich  unwissender  Herr  ist  William  Webbe,  der  1586  emen 
Discourse  of  English  Poetrie  erscheinen  ließ.  Er  ist  der  eifrigste  Ver- 
fechter der  Einführung  klassischer  Metren,  hat  aber  weder  in  der  Auf- 
fassung der  Poesie  etwas  Originales  —  sie  ist  ihm  eine  unter  gefälligen 
Fabeln  verborgene  Wahrheit  —  noch  weiß  er  vom  Epos  mehr  zu  sagen, 
als  was  er  bei  Horaz  gefunden  hat.  Seine  Deklamation  über  den  lehr- 
haften Inhalt  der  Ilias  und  Odyssee  läßt  es  sehr  fraglich  erscheinen,  ob 
er  die  Epen  jemals  gelesen  habe. 

Nicht  viel  mehr  ergibt  für  Homer  die  George  Puttenham  zuge- 
schriebene, 1589  erschienene  Schrift  Art  of  English  Poetrie.  Die  beiden 
letzten  Teile  des  Buches  behandehi  ausführlich  formale  Fragen  und  suchen, 
nach  Scaligers  Vorgang,  den  ganzen  Wust  der  antiken  rhetorischen  Figu- 
ren in  die  englische  Poesie  einzuführen.  Die  Erörterungen  des  ersten 
Teils,  Of  Poets  and  Poesie,  gehen  in  ihren  Grundzügen  ebenfalls  auf 
ScaHger  zurück,  zeigen  aber  ein  bedeutendes  eigenes  Wissen  in  antiker 
und  modemer  Literatur  und  gutes  Urteil.  Sidney 's  Einfluß  ist,  wie 
auch  bei  Webbe,  unverkennbar. 

Das  Epos  ist  nach  Puttenham  eine  lange  Geschichte  edler  Taten 
von  Königen  und  Fürsten,  verbunden  mit  dem  Auftreten  von  Göttern 
und  Halbgöttern,  und  eine  Darstellung  der  schwerwiegenden  Folgen 
des  Krieges  und  des  Friedens.    Wie  Scaliger,  betrachtet  Puttenham  das 

Finsler:  Homer  In  der  Neuzeit.  18 


274  England 

Epos  als  historische  Poesie,  die  wichtigste  aller  Dichtungsgattungen, 
weil  Gedächtnis  und  Beispiel  auf  Urteil  und  Weisheit  der  Menschen 
den  größten  Einfluß  haben.  Daneben  erfreut  das  Epos  durch  das  ge- 
treue Bild  der  Taten  unserer  teuren  Vorfahren.  Die  alten  Erzähler  ver- 
langten indessen  nicht  für  jede  Einzelheit  unbedingten  Glauben,  weil 
das  für  den  Zweck  der  Poesie,  zu  nützen  und  zu  erfreuen,  weder  not- 
wendig noch  zweckmäßig  war.  Ersonnene  und  fabelhafte  Dinge  tragen 
zu  jenem  Zweck  oft  ebensoviel,  ja  infolge  der  dem  Dichter  hier  ge- 
währten Freiheit  zuweilen  noch  mehr  bei  als  rein  historische  Stoffe. 
Homer  schrieb  einen  fabelhaften  oder  aus  Dichtung  und  Wahrheit  ge- 
mischten Bericht  über  die  Belagerung  Trojas  und  die  Irrfahrten  des 
Odysseus,  Musaios  behandelte  die  wahre  Geschichte  von  Hero  und  Leander. 
Beides  ist  heroisch  und  lehrreich.  Den  historischen  Darstellungen  unter- 
liegen nur  große  und  hervorragende  Personen  und  ebensolche  Stoffe, 
weshalb  für  sie  auch  ein  erhabener  Stil  gewählt  wurde.  Hier  schließt 
sich  Puttenham  an  Horaz  und  Castelvetro  an,  und  diesem  folgt  er  auch 
in  der  Einteilung  der  Gattungen  der  Poesie  nach  Ständen.  Zwar  ist, 
sagt  er,  die  Tugend  in  jedem  Stande  löblich,  aber  sie  ist  nicht  überall 
gleich  viel  wert.  Selbstbeherrschung  ist  bei  einem  Fürsten  ein  größeres 
Verdienst,  Geiz  ein  ärgeres  Laster  als  bei  einem  Geringen,  Stolz  und 
Verschwendung  bei  dem  letztem  tadelhafter.  Außerdem  geben  Gut  und 
Böse  bei  Fürsten  ein  stärkeres  Beispiel  und  sind  deshalb  von  größerer 
Bedeutung.  Untergeordnete  Personen  mit  ihren  untergeordneten  Tu- 
genden stehen  deshalb  in  geringem  Preis  und  können  nicht  den  Gegen- 
stand der  Historie  bilden.  Allerdings  spielen  solche  auch  in  Historien 
eine  Rolle,  wie  der  Bettler  Iros  und  der  gloriose  Dummkopf  Thersites 
bei  Homer.  Aber  geringe  Leute  haben  dort  ihre  Berechtigung  nur  durch 
ihre  Beziehungen  zu  größeren  Personen  und  zu  Dingen,  die  lange  vor- 
bei sind,  und  ihre  Verwendung  darf  deshalb  nicht  auf  jede  andere  gute 
und  tugendhafte  Person  geringen  Standes  ausgedehnt  werden.  Für  diese 
und  ihre  Taten  passen  kurze  Grabschriften  und  Epigramme  in  einfacher 
Form,  nicht  der  hohe  Stil  der  Historie. 

Eine  Übersetzung  Homers  in  englischen  Hexametern  versuchte, 
wie  bereits  erwähnt,  1540  Thomas  Watson;  es  sind  aber  davon,  so- 
viel ich  sehe,  nur  die  zwei  Anfangsverse  der  Odyssee  erhalten,  die  Ascham 
zitiert.  1581  erschienen  die  ersten  zehn  Bücher  der  Ilias  in  der  Über- 
setzung von  Arthur  Hall,  der  die  von  Hugues  Salel  zugrunde  lag. 
Ermutigt  hatte  den  Übersetzer  Ascham  selbst,  der  sonst  in  der  Über- 
setzung nur  ein  nützliches  Mittel  des  Unterrichts  erblickte,  sie  aber  für 
durchaus  unfähig  erachtete,  das  Original  literarisch  zu  ersetzen. 


Puttenham     Chapman  275 

Ein  Ereignis  von  höchster  Bedeutung  war  nun  die  Übersetzung  von 
George  Chapman,  der  1598  „Sieben  Bücher  der  Bias  Homers,  des 
Fürsten  der  Dichter"  nämlich  1.  2.  7. — 11.  erscheinen  ließ.  1610  folgte 
die  ganze  erste,  1611  die  zw^eite  Hälfte  der  Ilias,  1614  und  1615  die 
Odyssee,  1616   die  übrigen  dem  Homer  zugeschriebenen  Gedichte. 

Chapman  hat  Homer  in  der  Ausgabe  des  Spondanus  studiert,  den 
er  in  der  Vorrede  mehrfach  nennt.  Wenn  ihm  Pope  Ungenauigkeit  der 
Ubersetzimg  vorwirft,  so  hat  er  freilich  Recht.  Chapman  selbst  sagt  aller- 
dings, wenn  man  ihm  Umschreibungen  imd  Breite  vorwerfe,  so  möge 
man  doch  die  Übersetzungen  von  Lorenzo  Valla  und  Eoban  Hesse  lesen, 
die  entweder  eine  Kürze  anwendeten,  die  für  Homer  nicht  zutreffend  sei, 
oder,  wenn  sie  diesen  Fehler  vermieden,  zehnmal  mehr  umschrieben  als 
er.  Aber  er  findet  doch  eine  Übersetzung  Wort  für  Wort  eine  pedan- 
tische und  absurde  Ziererei.  Jeder  Interpret  von  Kenntnis  und  Urteil 
habe  nicht  der  Zahl  und  Reihenfolge  der  Worte,  sondern  den  Dingen 
nachzugehen,  die  Sätze  sorgfältig  zu  erwägen  und  sie  mit  solchen  Worten, 
einem  solchen  Stil,  einer  solchen  Form  der  Rede  zu  umkleiden  und  zu 
schmücken,  wie  sie  für  die  Sprache  passen,  in  die  sie  übersetzt  werden. 
Wenn  er  nicht  falsch  übersetzt  habe,  wie  alle  andern  Übersetzer  in  vielen 
und  wichtigen  Stellen  es  getan,  wenn  er  keine  von  Homers  Sentenzen, 
Schönheiten  und  Erfindungen  übergangen  habe,  so  wäre  es  höchst  unrecht, 
in  dem  armseligen  Fehler  einiger  Ausweitungen  sein  ganzes  Werk  zu 
ertränken.  Nun  hat  sich  Chapman  freilich  in  der  Wiedergabe  des  home- 
rischen Sinnes  gar  sehr  gehen  lassen  und  die  Gedanken  des  Dichters 
kräftig  ausgeweitet;  aber  das  ist  hier  nicht  die  Hauptsache.  Chapman's 
Übersetzung  wirkt  wie  ein  mächtiges,  selbständiges  Gedicht.  Schon  das 
schwungvolle  Versmaß,  das  er  für  die  Ilias  wählte,  die  vierzehnsilbigen, 
zu  Reimpaaren  geordneten  Zeilen,  sind  hinreißend,  viel  mehr  noch  der  ge- 
waltige, nie  erlahmende  Schwung  der  Sprache  und  die  herrliche  Begeister- 
ung. Chapman  hat  den  Homer  erfaßt  wie  kaum  ein  anderer  Übersetzer 
der  Welt;  der  Dichter  schenkte  den  Homer  seiner  eigenen  großen  Zeit,  die 
ihn  mit  Leidenschaft  ergriff  und  der  eigenen  Literatur  einreihte.  So  hat 
er  Doppeltes  erreicht,  in  jedem  Sinne  Großes:  er  hat  Homer  in  England 
heimisch  gemacht  und  zugleich,  da  er  den  Stil  seiner  Zeit  schrieb  und 
nicht  den  Homers  nachahmen  wollte,  sich  selbst  den  EHzabethan  Poets 
beigesellt.  Gerade  das  Bodenständige  seiner  Poesie  macht  die  Lektüre 
auch  heute  noch  zu  einem  wahren  Genuß.  Einen  feinen  Takt  hat  Chapman 
dadurch  bewiesen,  daß  er  für  die  Odyssee  einen  kürzeren  Vers  wählte, 
das  zehnsilbige  gereimte  Couplet,  das  der  weniger  schwungvollen  Sprache 
des  Gedichts  viel  besser  entsprach. 

18* 


276  England 

Die  erste  Veröffentlichung  Cliapmans  von  1598  kann  Shakespeare 
gekannt  haben,  und  es  ist  neuerdings  mit  Sicherheit  behauptet  worden, 
daß  das  rätselhafte  Drama  Troilus  und  Cressida  homerische  Züge  enthalte, 
die  nur  Chapman  entnommen  sein  könnten.  Der  Stoff  ist  ja  nicht  home- 
risch; die  letzte  Bearbeitung  haben  wir  in  Boccaccio's  Filostrato  gefunden. 
Von  Boccaccio  übernahm  Chaucer  den  Stoff  und  im  wesentlichen  den 
Gang  der  Handlung  für  sein  Epos  Troylus  and  Creseide,  wahrschein- 
lich um  1375,  eine  vertiefte  und  bereicherte  Bearbeitung  der  Geschichte. 
Von  ihm  angeregt  ist  John  Lydgate's  Troye  Book,  eine  poetische 
Bearbeitung  des  Guido  delle  Colonne.  Shakespeare  hat  sie  nicht  ge- 
kannt, wohl  aber  kannte  er  William  Caxton's  Recuyell  of  the  Hi- 
storyes  of  Troye,  das  erste  in  englischer  Sprache  gedruckte  Buch,  das 
1474  zu  Brügge  erschien;  es  ist  eine  Übersetzung  des  Receuil  des  Hi- 
stoires  de  Troyes  von  Paul  Lefevres,  dem  Sekretär  Philipps  des 
Guten  von  Burgund,  eines  Buches,  das  1464  erschienen  war.  Ob  neben 
diesen  mittelalterlichen  Quellen  Shakespeare  jene  von  Chapman  übersetz- 
ten Iliasbücher  benutzt  habe,  ist  eine  vielumstrittene  Frage.  Für  einzelne 
Züge,  wie  den  Zweikampf  des  Aias  und  Hektor,  hat  es  Small  wenigstens 
wahrscheinlich  gemacht.  Aber  erstaunlich  bleibt  es  dann,  daß  die  großen 
homerischen  Bilder,  der  Zorn  des  Achilleus  und  die  Gesandtschaft,  auf 
Shakespeare  gar  keinen  Einfluß  gehabt  haben.  Denn  Trojas  Geschick 
hat  sonst  den  Dichter  mächtig  ergriffen,  wie  aus  Heinrich  IV.  und  dem 
Gespräch  Hamlets  mit  den  Schauspielern,  sowie  aus  vereinzelten  Hin- 
weisen in  andern  Dramen  deutlich  zu  erkennen  ist. 

Wenden  wir  uns  nunmehr  zu  den  epischen  Dichtern  der  Zeit 
der  Elisabeth,  so  sehen  wir,  daß  die  neu  erwachte  Kenntnis  des  Alter- 
tums nicht  auf  die  Gelehrten  beschränkt  geblieben  war,  sondern  teils 
auf  dem  Wege  der  Übersetzung,  teils  durch  eigenes  Studium  der  Ori- 
ginale die  ganze  gebildete  Welt  durchdrang.  Schon  für  jene  Zeit  gilt,, 
was  England  als  den  Erfolg  seiner  Universitätsbildung  rühmt:  sie  habe 
die  großen  griechischen  Klassiker  zu  integrierenden  Elementen  der  na- 
tionalen englischen  Kultur  gemacht  und  sie  in  dieser  Geltung  erhalten. 
Daneben  dringt  in  mächtigem  Strom  die  Poesie  der  Renaissance  ein,  vor 
allem  die  großen  Italiener,  ohne  daß  dadurch  die  neu  erweckte  Freude 
an  der  altenglischen  Poesie  Schaden  gelitten  hätte.  In  das  gewaltige 
Leben  mischen  sich  die  mit  den  Kriegen  gegen  Spanien  und  Frankreich 
verknüpften  innern  Kämpfe,  vor  allem  die  Bestrebungen  der  Puritaner 
nach  einer  sittlichen  Hebung  des  Lebens.  Und  über  allem  schwebt  die 
Freude  an  der  eigenen  großen  Zeit,  an  der  machtvollen  Entwicklung  des 
Vaterlandes,  an  der  majestätischen  Erscheinung  der  hehren  Königin. 


Shakespeare    Spenser  277 

Alle  diese  Elemente  finden  vereinigt  ihren  Ausdruck  in  Edmund 
Spenser's  großem,  nur  zur  Hälfte  vollendeten  Gedicht  Faerie  Queene, 
dessen  erste  drei  Bücher  1590  erschienen,  während  die  drei  folgenden 
1596  ans  Licht  traten.  Der  Form  nach  lehnt  sich  das  Gedicht  an  Ariost 
an;  die  Damen  und  Cavaliere  sind  die  des  italienischen  Romanzo.  Aber 
den  Dichter  leitet  ein  ethischer  Gedanke,  der  durch  das  Werk  hin  alle- 
gorischen Ausdruck  findet.  Im  Auftrage  Gloriana' s,  der  strahlenden  Köni- 
gin des  Feenlandes,  d.  h.  des  geistigen  Reiches,  ziehen  zwölf  Ritter,  Ver- 
körperungen der  Kardinaltugenden,  aus,  um  gegen  alles  Unrecht  in  der 
Welt  zu  streiten  und  den  Weg  zum  Himmel  zu  finden.  In  Prinz  Arthur, 
der  alle  Tugenden  in  sich  vereinigt  und  der  sein  ganzes  Leben  lang  nach 
Gloriana,  dem  Ruhme  Gottes,  strebt,  finden  die  in  Not  geratenden  Ritter 
immer  einen  Helfer.  Den  ethischen  geht  eine  Reihe  zeitgenössischer  Alle- 
gorien zur  Seite.  Vor  allem  ist  Elisabeth  in  Gloriana  selbst,  dann  in 
der  jungfräulichen  Jägerin  Belphoebe,  endlich  in  der  gerechten  und  milden 
Königin  Mercilla  verkörpert,  und  die  wichtigsten  Zeitereignisse  kommen 
sämtlich  zur  Behandlung.  Dieser  allegorische  Untergrund  beeinträchtigt 
den  Genuß  des  Werkes  nicht,  denn  er  ist  nicht  aufdringlich  und  mit 
reichem  Leben  erfüllt.  Es  gibt  gerade  allegorische  Partien  in  großer 
Zahl,  die  von  überwältigender  Wirkung  sind.  Daneben  herrscht  eine  er- 
staunliche Kraft  der  Erfindung  und  eine  wunderbare  Zeichnung  von  Natur 
imd  Menschen,  nur  daß  der  herbe  Ernst  des  Dichters  über  alles  einen 
abtönenden  Schatten  legt  und  nur  selten  einen  fröhlichen  Humor  zu 
Worte  kommen  läßt. 

Mit  Ariost  teilt  Spenser  die  Vorliebe,  seine  eigene  Persönlichkeit, 
seine  Meinungen  und  Gedanken  stark  hervortreten  zu  lassen.  Diese  Nei- 
gimg ist  für  die  ganze  englische  Epik  charakteristisch;  sie  ist  von  den 
Anhängern  des  Aristoteles  besonders  auch  an  Milton  getadelt  worden. 
Aber  die  Freude,  die  uns  die  Einblicke  in  die  Seelen  dieser  Dichter  ge- 
währen, beweist,  wie  wenig  allgemeine  Verbindlichkeit  eine  Regel  bean- 
spruchen darf,  selbst  wenn  sie  aus  Homers"  Praxis  abgeleitet  ist. 

Sein  Vorbild  Ariost  hat  Spenser  frei  nachgebildet.  Nicht  eine  ein- 
zige Szene  ist  einfach  kopiert,  sondern  alles  wird  den  neuen  Bedürfnis- 
sen angepaßt.  So  verfährt  er  auch  mit  den  andern  Dichtern,  denen  er 
Aufnahme  gewährt,  Hesiod  und  Apollonios  von  Rhodos,  Virgil  und  Ovid, 
Chaucer  und  Boiardo.  Er  hat  wohl  auch  Pulci  gekannt:  der  eiserne 
Flegel  des  Riesen  Talus  ist  doch  wohl  ein  Ableger  von  Morgante's 
Glockenschwengel.  Nur  einmal  hat  sich  Spenser  in  völlige  Abhängigkeit 
begeben  und  im  Schlüsse  des  zweiten  Buches  Tasso's  Garten  der  Ar- 
mida und  die  ganze  damit  zusammenhängende  Geschichte  kopiert. 


278  England 

Umfassend  ist  seine  Kenntnis  Homers.  Die  ziemlich  zahlreichen 
Anklänge  an  einzelne  Wendungen  sind  mit  leichter  Hand  eingestreut, 
und  zwar  geht  Spenser  mit  ]dem  homerischen  Wortlaut  mit  der  Frei- 
heit des  Kenners  um,  dem  es  nicht  darauf  ankommt,  gelegentlich  auch 
aus  dem  Gedächtnis  falsch  zu  zitieren.  Auch  größere  Entlehnungen 
kommen  vor.  Zur  Höhle  des  Morpheus  führen  zwei  Tore,  eines  aus  ge- 
glättetem Elfenbein,  das  andere  nicht  wie  bei  Homer  von  Hörn,  sondern 
mit  Silber  überzogen.  Auf  das  Begehren  des  Abgesandten  des  Zauberers 
Archemago  schickt  Morpheus  dem  Ritter  St.  George  einen  falschen  Traum, 
ihn  zu  berücken.  Der  von  St.  George  überwundene  Sansioy  wird  den 
Augen  des  Siegers  durch  eine  dunkle  Wolke  verborgen,  wie  Aineias 
denen  des  Achilleus;  und  er  liegt  dann  lange  Zeit  unter  dieser  Wolke 
gleich  Hektor,  dem  Blicke  des  Tages  und  den  Augen  der  Menschen  ent- 
zogen. Die  goldene  Kette,  die  Zeus  bei  Homer  die  Götter  am  Himmel 
anbinden  heißt,  um  seine  Macht  zu  erproben,  wird  bei  Spenser  'zur 
Kette  der  Notwendigkeit,  der  fest  an  den  Sitz  des  Zeus  geknüpften 
Schicksalskette.  Die  Seelen  der  homerischen  Büßer  finden  sich  auch  in 
Spenser's  Hölle,  zu  deren  Schilderung  Virgil,  vielleicht  auch  Dante,  bei- 
getragen hat.  Tantalos  kommt  noch  ein  zweites  Mal  vor,  genau  nach 
Homer.  Seine  Bitte  um  Speise  und  Trank  wird  von  Guyon  mit  wahr- 
haft dantesker  Härte  abgewiesen:  Tantalos  soll  fortfahren,  als  Beispiel 
der  bestraften  Uberhebung  zu  dienen.  Der  Fahrt  Guyons  nach  dem  Eiland 
der  Acrasia  liegen  die  Irrfahrten  der  Odyssee  zugrunde.  Die  homerischen 
Motive  sind  gewaltsam  gesteigert  und  stark  vermehrt,  alles  natürlich 
auch  allegorisch  gedeutet.  Am  Schlüsse  verwandelt  sich  Kirkes  Park  in 
den  Garten  der  Armida. 

Des  Achilleus  Geschick  dient  zur  Exposition  der  Geschichte  des 
unüberwindlichen  Ritters  Marineil,  des  Sohnes  der  Nereustochter  Cymoent 
und  des  sterblichen  Helden  Dumarin.  Cymoent  hat  von  Proteus,  der 
später  nach  der  Odyssee,  im  übrigen  als  grausamer  Tyrann  gezeichnet  ist, 
die  Weissagung  erhalten,  sie  solle  den  Sohn  von  Frauen  fernhalten,  da 
ihm  von  einer  Frau  Unheil  drohe.  Nun  wird  er  aber  nicht  durch  die 
Liebe,  vor  der  ihn  Cymoent  ängstlich  hütet,  sondern  durch  den  Zwei- 
kampf mit  der  kriegerischen  Britomart  geschädigt  und  schwer  ver- 
wundet. Das  vernimmt  Cymoent  bei  ihren  Wasserschwestern,  mit  denen 
sie  spielt;  sie  steigt  herauf,  beklagt  gleich  Thetis  den  Sohn,  dem  der 
verheißene  Ruhm  nun  nicht  zuteil  werden  würde,  und  ihre  eigene  Un- 
sterblichkeit, und  gießt  ihm  Balsam  und  Nektar  in  die  Wunden.  Mari- 
nells  weitere  Schicksale  haben  mit  denen  des  Achilleus  nichts  mehr 
gemein. 


Spenser  279 

Der  Ilias  sind  die  „Bitten"  Litae,  entlehnt,  eine  Schar  schöner 
weißgekleideter  Jungfrauen,  die  den  Thron  der  Königin  Mercilla  umge- 
ben. Die  lieblichen  Töchter  des  Zeus  und  der  Themis  sind  anders  ge- 
staltet als  bei  Homer.  Tag  und  Nacht  warten  sie  am  Richterstuhl  des 
Zeus  und,  wenn  er  im  Zorn  der  Welt  den  Untergang  droht,  so  beruhigen 
sie  seinen  Grimm.  Mit  göttlicher  Erlaubnis  wachen  sie  auch  am  Throne 
sterblicher  Fürsten  und  bitten  für  Flehende,  die  aus  Schwachheit  ge- 
sündigt haben,  um  Vergebung. 

Lieb  sind  Spenser  die  Helden  und  Frauen  Homers,  auf  deren  Cha- 
rakter er  da  und  dort  eingeht.  Selbstverständlich  fehlt  bei  dem  Schüler 
der  Italiener  auch  eine  Nachbildung  des  Schiffskatalogs  nicht,  dessen 
Eingang  für  die  Aufzählung  der  zur  Hochzeit  von  Themse  und  Medway 
versammelten  Wassergötter  wörtlich  wiedergegeben  ist.  Der  Katalog 
der  englischen  Flüsse  gehört  zum  Langweiligsten,  was  die  Renaissance 
in  dieser  Beziehung  hervorgebracht  hat. 

Die  waltenden  Gottheiten  sind  christlich  iind  heidnisch,  antik  und 
romantisch,  mystisch  und  allegorisch,  alles  bunt  durcheinandar,  ohne 
daß  dadurch  der  Glaube  des  Dichters  an  ein  gerechtes  Weltregiment 
verdunkelt  würde.  Wie  unbefangen  er  verfährt,  zeigt  am  besten  eine 
Stelle:  der  Berg,  von  dem  aus  der  Eremit  dem  Ritter  St.  George  das 
himmlische  Jerusalem  zeigt,  wird  nacheinander  mit  dem  Sinai,  dem  01- 
berg  und  dem  Olymp  verglichen,  und  dabei  werden  Moses,  Christus 
und  die  Musen  mit  dem  nämlichen  Schwung  gepriesen.  Spensers  Gleichnis 
ist  fast  immer  original,  bald  wie  bei  Homer,  bald  wie  bei  Shakespeare 
gestaltet.  Bemerken  will  ich,  daß  eine  Kritik,  die  nach  Widersprüchen 
fahndet,  bei  Spenser  reichlichen  Ertrag  fände. 

Einmal  hat  sich  der  Dichter,  wenn  nicht  über  Poesie,  so  doch  über 
Imagination  ausgesprochen,  aber  nicht  in  der  freudigen  Art  Sidney's. 
Im  Palast  der  Alma,  des  Sinnbilds  des  menschlichen  Körpers,  gehört 
das  oberste  Stockwerk,  also  das  Gehirn,  drei  W^eisen,  die  man  als  Ein- 
bildungskraft, Urteil  und  Gedächtnis  deuten  muß.  Der  erste,  der  uns  hier 
allein  angeht,  ein  rüstiger,  aber  finsterer  Mann,  bewohnt  ein  mit  allen 
möglichen  Figuren  bemaltes  Zimmer,  Bildern  von  Dingen,  die  es  nie  gab, 
und  die  kein  Menschenwitz  ersinnen  kann,  neben  tatsächlich  geschehenen 
wohlbekannten  Dingen  solche,  die  nur  in  müßiger  Phantasie  herumschwir- 
ren. Phantastes  heißt  der  Bewohner,  der  einem  Wahnsinnigen  oder  Toren 
gleicht.  Auch  er  schafft  sich,  wie  Sidney's  Dichter,  eine  neue  Welt 
neben  der  bestehenden,  aber  nicht  zu  seiner  Freude.  Im  Urteil  über  sein 
Werk  überwiegt  nicht  der  schaffende  Dichter,  sondern  der  eifrige  Pro- 
phet, der  trüb  auf  sein  Wirken  schaut.   Ein  Glück,  daß  bei  Spenser  selbst 


280  England 

der  Dichter  den  Propheten  zu  oft  überwunden  hat,  als  daß  sein  Werk 
die  lautere  Höhe  der  Poesie  nicht  hätte  halten  können. 

Neben  und  nach  Spenser  blüht  in  England  eine  ziemlich  reiche  epische 
Poesie,  die  einen  kurzen  Überblick  erfordert,  obwohl  Anklänge  an  Homer 
darin  nicht  häufig  sind.  Die  Dichter  bis  zur  Mitte  des  17.  Jahrhunderts 
haben  miteinander  das  gemein,  daß  sie  sich  um  Regeln  und  um  Vor- 
bilder gleich  wenig  kümmern.  Es  weht  uns  daher  aus  ihnen,  so  oft  sie 
auch  fehlgegriffen  und  sich  vergeblich  gemüht  haben  mögen,  ein  er- 
quickender Hauch  von  originaler  Frische  .entgegen.  Gemeinsam  ist  ihnen 
auch  eine  herzliche  Freude  an  der  Natur,  ein  großer  Gerechtigkeits-  und 
Freiheitssinn  und  die  liebevolle  Vertiefung  in  menschliche  Stimmungen. 

Die  große  Zeit  der  Elisabeth  weckte  in  einigen  dieser  Dichter  die 
Lust,  ihr  Land,  dessen  Eigenart  und  Geschichte  zu  verherrlichen,  so  daß 
ihre  Werke  zu  Shakespeare' s  Königs dramen  eine  Parallele  bilden  können. 
Zuerst  sei  William  Warner's  großes  Gedicht  Älbion's  England  1586 
genannt,  eine  versifizierte  Geschichte  Englands  von  der  Sintflut  bis  auf 
Elisabeth.  Das  Poem  geht  uns  nur  insofern  an,  als  die  krause  antike 
Vorgeschichte  eine  Relation  über  den  troischen  Krieg  enthält,  die  ganz 
auf  mittelalterlicher  Darstellung  beruht  und  in  letzter  Linie  auf  Dares 
zurückgeht. 

Einen  weniger  weit  schichtigen  Stoff  wählte  Samuel  Daniel  in  der 
History  of  the  Civil  Wars  1595.  Der  Dichter  will  keine  Geschichte  in 
Versen,  sondern  ein  Gedicht  geben,  und  würde  das  auch  erreicht  haben, 
wenn  ihn  sein  Stoff,  die  Ereignisse  von  Richard  IL  bis  Heinrich  VII., 
nicht  erdrückt  hätte.  Denn  so  sehr  er  sich  streng  an  sein  Thema,  die 
Vergeltung  der  Missetat  der  Lancaster  an  König  Richard  IL,  hält,  und 
so  sehr  er  lockendere  Nebenpfade,  wie  die  Verherrlichung  der  Ruhmes- 
taten Heinrichs  V.  meidet,  so  hat  er  sich  im  Gewirr  der  Tatsachen  doch 
nicht  zurechtgefunden.  Vor  allem  ist  ihm  die  Darstellung  des  Empor- 
kommens Yorks  völlig  mißlungen,  weil  er  nicht  mit  Shakespeare's  siche- 
rem Takt  aus  dem  Material  das  poetisch  Verwendbare  herauszufinden 
verstand.  Wo  er  des  Stoffes  Herr  geworden  ist,  hat  er  sehr  Schönes 
geschaffen,  vor  allem  die  Geschichte  Richards  IL  und  am  Schlüsse  des 
unvollendeten  Werkes  den  Abfall  Warwicks  von  Edward  IV.  In  beiden 
Partien  hat  er  außer  Reden  und  Monologen  auch  gute  Gleichnisse  ein- 
gestreut, wozu  ihn  die  ängstigende  Hast,  zu  der  ihn  die  fast  unent- 
wirrbare Materie  trieb,  in  der  Mittelpartie  nicht  kommen  ließ.  Alle- 
gorische Personen  fehlen,  bis  auf  die  Liebe,  die  Edwards  Werbung  in 
Frankreich  hemmend  entgegentritt,  weil  sie  nicht  ins  Vertrauen  gezogen 
worden  ist.    Von  Episoden  ist  nur  das   übel  eingefügte  Ende  Talbots 


Daniel     Drayton     Chalkhill  281 

zu  erwähnen,  dessen  Darstellung  durch  das  patriotische  Interesse  dik- 
tiert war. 

Anders  faßte  Michael  Drayton  in  seinem  Gedichte  The  Barons' 
War  1596  den  historischen  Stoff  an,  den  Kampf  Edwards  IL  mit  seinem 
Adel.  Es  wirkt  von  vornherein  ungünstig,  daß  Drayton  die  Kenntnis 
der  Geschichte  voraussetzt  und  sein  Gedicht  mit  Anspielungen  darauf 
einleitet.  Ferner  ist  es  ihm  nicht  gelungen,  den  eigentlichen  Punkt  des 
Streites  zwischen  der  Krone  und  den  Baronen  klar  herauszuarbeiten. 
Offenbar  scheute  er  davor  zurück,  die  politische  Seite  der  Frage  zu  berühren. 
Er  wollte  vielmehr,  wie  er  im  dritten  Buch  unter  Anrufung  der  Muse 
ankündigt,  Mortimer,  den  Buhlen  der  Königin,  nach  Art  der  alten  Heroen 
zum  Helden  des  Epos  machen.  Aber  dazu  sind  bis  zum  Schluß,  der  in 
lyrischer  Weise  das  Ende  des  Helden  besingt,  kaum  Ansätze  vorhanden,, 
da  der  Dichter  von  der  historischen  Wirklichkeit  nicht  loskommt  und 
unser  Interesse  viel  mehr  dem  bedrängten  König  als  seinen  Wider- 
sachern gilt.  Die  Vorzüge  des  Gedichtes  liegen  in  wenigen  schönen 
Partien,  besonders  auch  einigen  Naturschilderungen.  Mehrfach  ist  Shakes- 
peare's  Einfluß  erkennbar,  daneben  der  Ovids.  Auf  Homer  ist  ein  paarmal 
angespielt. 

Kleinere  Gedichte  behandeln  andere  historische  Stoffe,  aber  diese  ver- 
schwinden nach  und  nach.  Aus  der  trüber  werdenden  Zeit  zieht  sich  die 
Poesie  ins  Land  der  Romantik  zurück  und  lehnt  sich  an  Spenser  an^ 
nicht  an  den  Patrioten,  sondern  an  den  Nachfolger  Ariosts. 

Spenser  nahe,  durch  eine  unsichere  Tradition  auch  persönlich  mit  ihm 
in  Berührung  gebracht,  steht  der  fast  unbekannte  John  Chalkhill,  dessen 
unvollendetes,  erst  1678  gedrucktes  Gedicht  Thealma  and  Clearchus  von 
Saintsbury  um  1600  angesetzt  wird.  Chalkhill  gedenkt  uns  schrittweise 
in  die  Vorgeschichte  der  Hirtin  Thealma,  die  eigentlich  eine  Prinzessin 
ist,  einzuführen,  bringt  es  aber  nur  zu  einer  hoffuungslosen  Verwicklung^ 
von  der  niemand  vermuten  kann,  wie  sie  der  Dichter  zu  lösen  gedachte. 
Dagegen  ist  vieles,  besonders  die  Schilderung  des  Hirtenlebens,  sehr  an- 
mutig. Obwohl  Chalkhill  kein  großer  Erfinder  ist,  hat  er  doch  seine 
Quellen  nicht  sklavisch  benutzt,  sondern  Übernommenes  im  Sinne  Spen- 
sers  umgewandelt.  Wie  Hermes  dem  Odysseus,  gibt  der  weise  Sylvanus 
dem  Anaxus,  bevor  dieser  die  Behausung  der  Hexe  besucht,  ein  Kraut^ 
das  ihn  befähigen  soll  ihre  Verführungskünste  zu  durchschauen.  Während 
aber  in  der  Odyssee  die  Wirkung  des  Krautes  Moly  beim  ersten  Mal  den 
Zauber  endgiltig  bricht,  muß  Anaxus  fortwährend  an  seinem  Mittel 
riechen  und  sich  die  Augen  wischen,  ja  er  wird,  da  er  das  vergißt, 
mehrmals  nur  zufällig  durch  den  Geruch  des  Krautes  gerettet. 


282  England 

Ein  eigentümliches  Werk  ist  Patrick  Hannay's  Sheretine  and  Ma- 
riana, unter  den  Werken  des  Verfassers  1622  gedruckt.  Es  ist  eine  ein- 
fache Liebesgeschichte,  aber  mit  dem  historischen  Hintergrunde  der  Er- 
eignisse in  Ungarn  nach  der  Schlacht  bei  Mohacs,  die  uns  in  einer 
Vorrede  und  dann  nochmals,  oft  unklar  genug,  im  Gedicht  selbst  vor- 
geführt werden.  Mit  diesen  großen  Ereignissen  steht  die  unbedeutende 
Geschichte  in  starkem  Mißverhältnis.  Außerdem  hat  Hannay  das  Un- 
mögliche gewagt,  sich  von  dem  ihm  erscheinenden  Geiste  Mariana's  alles, 
die  hohe  Politik  wie  die  Monologe  ihres  Verlobten,  erzählen  zu  lassen. 
An  Spenser  erinnert,  außer  der  Diktion,  der  Hain  der  Melancholie  mit 
einem  von  düstem  Bäumen  überschatteten  Grab,  wo  fluchbeladener 
Kummer  in  grauser  Verzweiflung  sich  selbst  bestattet  hatte. 

Zu  Spenser  kehrt  im  Stoff  und  vielfach  im  Ausdruck  Sir  Francis 
Kynaston  zurück,  dessen  Gedichte  in  seinem  Todesjahr  1642  erschienen. 
Leoline  and  Sydanis  ist  ein  anmutig  erzählter,  nicht  eben  verwickelter 
Romanzo,  der  vor  dem  Einbruch  der  Römer  in  Britannien  spielt.  Die 
Götter  sind  die  römischen  und  versammeln  sich  einmal,  um  von  oben 
einem  Maskenfest  am  irischen  Hofe  zuzusehen,  greifen  aber  nur  selten  in 
die  Handlung  ein.  Bestimmend  für  die  Geschicke  sind  die  Gestirne,  und 
es  wird  ein  bedeutendes  astrologisches  Wissen  ausgekramt;  daneben  spielt 
die  Zauberei,  zumal  ein  darin  bewanderter  Druide,  eine  Rolle.  Doch  geht 
es  meistens  mit  natürlichen  Dingen  zu,  bis  auf  den  sehr  phantastischen 
Schluß.  Aus  Shakespeare  und  Spenser  stammen  etliche  Motive,  daneben 
wimmelt  es  von  klassischen  Reminiszenzen,  besonders  an  Virgil,  obwohl 
die  Erfindung  nirgends  an  die  antike  Poesie  anlehnt.  Für  die  Trojasage 
verweist  Kynaston  ausdrücklich  auf  Dares.  An  Homers  Schlauch  des 
Aiolos  könnten  die  Zauberknoten  des  Tuches  erinnern,  deren  Lösung  die 
Winde  beeinflußt.  Wenn  der  recht  lebendig  gestaltete  Katalog  der  irischen 
Streitkräfte  durch  einen  Hinweis  auf  die  Flotte  des  Menelaos  eingeleitet 
wird,  so  dürfte  auch  hier  Dares,  nicht  Homer,  das  Vorbild  sein. 

Der  bedeutendste  Dichter  seit  Spenser  ist  William  Chamberlayne, 
ein  Parteigänger  Karls  I,  der  1644  sein  Gedicht  unterbrach,  um  bei  News- 
bury  gegen  die  Puritaner  mitzufechten,  und  dessen  königstreuer  katho- 
lischer Standpunkt  in  dem  Gedicht  ^mehrfach  hervortritt.  Dieses,  die 
Pharonnida,  die  1644  halb  fertig  war,  aber  erst  1659  erschien,  zerfäUt 
in  fünf  Bücher  zu  je  fünf  Gesängen  und  erinnert  dadurch  sowohl  an 
die  Faerie  Queene  als  an  Davenant's  ungefähr  gleichzeitigen  Gondibert, 

Die  Handlung  ist  imgrunde  recht  einfach,  die  Geschichte  von  Pharon- 
nida, Prinzessin  von  Morea,  und  ihres  Geliebten  Argalia,  der,  was  er 
selbst  nicht  weiß,  ein  Königssohn  ist.    Die  Liebe  und  Treue  des  Paares 


Hannay     Kynaston     Chamberlayne  283 

wird  auf  die  härtesten  Proben  gestellt,  bis  endlich  alle  Hemmnisse  ihrer 
Vereinigung  glücklich  weggeräumt  sind.  Die  Erfindung  ist  abwechslungs- 
reich und  spannend,  viele  Partien  sind  von  großer  Schönheit,  sowohl  in 
der  Schilderung  der  Menschen  als  der  äußern  Natur.  Der  Friede  des  Land- 
lebens erhält  gegenüber  dem  Lärm  der  Städte  und  des  Hofes  mehrfach 
seinen  Preis.  Unerschöpflich  ist  Chamberlayne  in  der  Zeichnung  des  auf- 
gehenden Tages  und  der  hereinbrechenden  Nacht,  anziehend  auch  durch 
den  Ausdruck  der  Gefühle,  obwohl  von  Charakteristik  der  Menschen 
nicht  viel  zu  bemerken  ist.  Diese  großen  Vorzüge  werden  durch  die 
Sorglosigkeit  des  Dichters  beeinträchtigt,  der  seine  eigenen  Personen 
durcheinander  wirft  und  in  geographischer  Hinsicht  eine  greuliche  Kon- 
fusion walten  läßt,  besonders  aber  durch  den  Stil,  dessen  Undurchsich- 
tigkeit  den  Leser  oft  in  äußerste  Bedrängnis  versetzt. 

Vorbild  ist  ihm  weder  Ariost  noch  Spenser  gewesen,  überhaupt  wird 
sich  ein  solches  kaum  entdecken  lassen.  Saintsbury  denkt  an  die  Aethio- 
pika^  einen  griechischen  Roman  des  Heliodoros,  wahrscheinlich  aus  der 
zweiten  Hälfte  des  3.  Jahrhunderts  n.  Chr.  Der  Gegenstand  ist  in  der  Tat 
sehr  ähnlich,  aber  der  griechische  Roman  ist  viel  kunstvoller  aufgebaut 
und  läßt,  worin  er  sich  am  meisten  von  der  Pharonnida  unterscheidet, 
die  Ereignisse  durch  göttliche  Fügung  verkündet  und  geleitet  werden. 
Bei  Chamberlayne  gibt  es  einige  Gebetserhörungen,  sodann  versammeln 
sich  vor  Pharonnida's  letzter  Gefahr  die  guten  Engel,  die  von  unverstän- 
digen Menschen  Verstand  genannt  werden,  zum  Rat  und  geben  Argalia  s 
Gedanken  die  geeignete  Richtung,  und  endlich  kann  die  wundersame  Höhle 
erwähnt  werden,  in  der  Argalia  das  Orakel  über  sein  Schicksal  erhält. 
Sonst  ist  von  Wunderbarem  nicht  viel  zu  spüren.  In  der  nicht  seltenen, 
schönen  Zeichnung  der  Personifikation  abstrakter  Begriffe,  wie  der  Tugend, 
des  Schweigens  usf.  geht  Chamberlayne  nicht  einmal  so  weit  wie  Homer; 
diese  Wesen  greifen  nie  handelnd  ein. 

Für  seine  Kenntnis  Homers  sprechen  nicht  sowohl  einzelne  Reminis- 
zenzen, die  indirekt  vermittelt  sein  können,  als  vielmehr  eine  bestimmte 
Szene.  Nach  langer  Gefangenschaft  kehrt  Ismander  in  Gesellschaft  anderer 
Geretteter  in  sein  Schloß  zurück,  wo  Dienerschaft  und  Gemahlin  ihn  als 
einen  Verlornen  betrauern.  Zeit  und  Haft  haben  ihn  so  verändert,  daß 
auch  die  anhänglichen  Diener  ihn  nicht  erkennen.  Nur  ein  Hühnerhund, 
einst  sein  Liebling,  gibt  lebhafte  Freude  zu  erkennen.  Das  sieht  ein  alter 
Knecht,  der  sein  ganzes  Leben  in  der  Familie  zugebracht  hat;  er  ahnt 
die  Wahrheit  mehr,  als  er  sie  wirklich  entdeckt,  und  eilt  zu  seiner  Herrin 
Amida,  die  sogleich,  im  Widerstreit  von  Furcht  und  Hoffnung,  dem  Gast 
entgegeneilt.    Der  erste  Blick  enthüllt  ihr  Ismander  trotz  seiner  rauhen 


284  England 

Tracht,  und  die  Gatten  feiern  eine  Wiedervereinigung,  die  ihnen  höhere 
Freude  bringt  als  die  erste  Hochzeit  selbst.  Bei  frohem  Mahl  erzählt 
Ismander  seine  Geschichte.  Es  ist  unmöglich,  hier  den  Einfluß  der  Odyssee 
zu  verkennen. 

Wenn  wir  bei  keinem  der  erwähnten  Dichter  Wirkungen  der  wissen- 
schaftlichen Poetik  finden,  so  läßt  sich  für  Chamberlayne  positiv  nach- 
weisen, daß  er  Aristoteles  nicht  gekannt  hat.  Zweck  des  epischen  Gedichtes 
ist  ihm  die  Aufmunterung  der  Leser  zu  großen  Taten,  die  allein  den  Nach- 
ruhm verbürgen.  Auf  Pharonnida's  schöner  Insel  lassen  sich  die  Liebenden 
Dramen  vorspielen.  Sie  sehen  eine  muntere  Komödie  die  Sünden  verderbter 
Zeiten  entfalten,  oder  es  erhebt  eine  erhabene  Tragödie  ihre  Gedanken 
und  lenkt  zu  verschiedenen  Leidenschaften,  Trauer  und  Entzücken,  sorrow 
and  delight;  also  nicht  zu  Mitleid  und  Schrecken. 

Diese  glückliche  Unbefangenheit  nimmt  um  die  Mitte  des  17.  Jahr- 
hunderts ein  Ende.  Ab  rahamCowley's  Gedicht  Davideis,  begonnen  1 636^ 
gedruckt  1656,  zeigt  enge  Bekamitschaft  mit  der  antiken  und  modernen 
Kritik.  Rymer  schreibt  dem  Dichter  ein  glückliches  Talent  zu,  weil  er 
die  Tugenden  Homers  und  Virgils  gekannt  und  angewendet  habe,  beklagt 
aber  die  Wahl  des  Stoffes,  da  sich  ein  biblischer  Gegenstand  für  ein  Epos 
überhaupt  nicht  eigne,  und  nach  andern  aus  Aristoteles  und  Rapin  her- 
geholten Gesichtspunkten.  Hier  steckt  aber  der  Fehler  des  Gedichtes  nicht. 
König  David  würde  sich  ganz  gut  zum  epischen  Helden  eignen.  Auch 
ging  die  Kunst  der  Erzählung  Cowley  nicht  ab,  wie  die  Schlacht  Jonathans 
mit  den  Philistern  beweist;  aber  er  hat  nicht  erzählen  wollen. 

So  bekannt  es  seit  Johnson's  prächtiger  Biographie  Cowley's  ist, 
daß  dieser  der  Richtung  angehörte,  die  man  in  Italien  Marinismus  nannte, 
so  hat  doch  meines  Wissens  noch  niemand  gesehen,  daß  die  Davideis  eine 
Nachbildung  des  Adone  ist,  seltsam  genug  freilich  für  ein  Sacred  Poem. 
Das  verrät  sich  gleich  im  Anfang.  Die  Versöhnung  Sauls  mit  David 
hat  den  Satan  zornig  gemacht,  der  nach  seinem  Fall  nur  noch  den  Trost 
hat,  die  Menschen  zu  verderben.  Die  Rede,  die  der  Satan  an  die  Höllen- 
geister hält,  lehnt  wahrscheinlich  an  Yida  an.  Aber  nach  derselben  erbietet 
sich  die  Eifersucht,  Envy,  Saul  aufs  neue  gegen  David  zu  reizen.  Sie 
erscheint  jenem  im  Traum,  und  nachdem  sie  ihn  aufgestachelt  hat,  setzt 
sie  ihm  eine  Schlange  in  den  Busen,  wie  im  Adone  die  Gelosia  dem 
Mars.  Dem  Beginn  entspricht  der  Fortgang.  Der  ganze  Aufbau  des 
Gedichtes  ist  nach  Marino  gestaltet.  Eine  mehr  als  dürftige  Haupt- 
handlung, der  Inhalt  weniger  Kapitel  des  ersten  Samuelsbuches,  wird 
durch  eine  Menge  von  Beschreibungen,  eingestreuten  Erzählungen,  aus- 
gekramter Gelehrsamkeit  und  Reflexionen  aller  Art  auf  vier  Bücher  mit 


Cowley     Davenant  285 

über  4000  Versen  ausgedehnt.  Es  ist  wohl  zu  begreifen,  daß  Cowley 
den  Plan,  das  Gedicht  gleich  der  Aeneis  auf  zwölf  Bücher  zu  bringen, 
fallen  lassen  mußte;  denn  schon  für  die  Füllung  des  Vorhandenen  hatte 
er  das  Alte  Testament  fast  ganz  ausgeplündert,  und  wenn  er  stilge- 
recht fortfahren  wollte,  mangelte  ihm  das  Material.  An  Schönheiten 
im  Einzelnen  fehlt  es  dem  Gedichte  nicht;  anziehend  ist  vor  allem 
die  Liebesgeschichte  Davids,  und  Michals,  gut  gelungen  auch  manches 
Gleichnis. 

Die  Kenntnis  Homers  zeigt  sich  überall,  allerdings  nur  in  einzelnen 
übernommenen  Versen  und  in  gelehrten  Anmerkungen,  in  denen  der 
Dichter  Einzelheiten  seiner  Technik  rechtfertigt  und  sich  gelegentlich 
mit  Scaliger  auseinandersetzt.  Die  Rücksicht  auf  die  literarische  Kritik 
des  Auslandes  tritt  nicht  stark  hervor,  weil  Cowley's  V^erk  durch  das 
Vorbild  Marino's  beherrscht  ist.  Aber  sie  hält  hier  doch  ihren  Einzug 
in  die  englische  Poesie,  und  das  bedeutet  eine  entscheidende  Wendung, 
gewiß  nicht  eine  zum  Guten. 

Volle  Vertrautheit  mit  den  früheren  Epikern  wie  mit  der  Kritik 
zeigt  William  Davenant  in  seinem  1651  zur  Hälfte  vollendet  er- 
schienenen Epos  Gondibert  und  der  Thomas  Hobbes  gewidmeten  Vor- 
rede dazu.  Der  königstreue  Cavalier  und  der  Philosoph  lebten  damals 
in  Paris,  und  es  kann  als  sicher  gelten,  daß  Frankreich,  wo  seit  Ronsard 
und  Vauquelin  die  Schöpfung  des  neuen  epischen  Gedichtes  lebhaft  er- 
wogen wurde,  dem  Dichter  viele  Anregung  gegeben  hat.  Um  so  auf- 
fallender und  erfreulicher  ist  die  große  Selbständigkeit  Davenant's.  Nicht 
nur  ist  der  Gondibert  früher  als  irgend  ein  französisches  Epos  dieser 
Zeit,  sondern  der  Dichter  hält  sich  von  Vorbildern  und  Vorschriften  so 
frei  als  möglich.  Er  sieht  in  der  Imitation,  d.  h.  in  der  Nachahmung 
fremder  Muster,  den  vornehmlichen  Grund  dafür,  daß  die  Dichter  nicht 
weiter  gekommen  sind.  Homer  steht  ja  auf  dem  Dichterhügel  wie  eine 
ragende  Seemarke,  nach  der  die  Leute  in  alter  Zeit  steuQften,  und  er 
sollte  von  dieser  Höhe  nicht  entfernt  werden,  damit  die  Nachwelt  nicht 
vermessen  einen  falschen  Kurs  einschlage.  Gleichwohl  finden  manche, 
die  beobachtet  haben,  daß  seine  Nachfolger  es  nur  zu  einer  vollendeten 
Nachahmung  brachten,  eine  solche  Seemarke  helfe  denen  nichts,  die 
in  weite  Meere  auf  Entdeckungen  ausfahren,  und  er  sei  kein  Führer 
für  Leute,  welche  die  Abhängigkeit  von  der  Autorität  eines  Musters 
für  unwürdig  halten.  Der  größte  Vorwurf,  den  man  nach  Davenant's 
Meinung  Homer  machen  kann,  ist  die  Einmischung  der  Fabeln  in  die 
Wahrscheinlichkeiten  seiner  Gedichte,  und  gerade  diesen  Fehler  haben 
die  meisten  seiner  Nachahmer  wiederholt.   Die  Nachahmung  hat  sie  ver- 


286  England 

hindert  weiter  zu  kommen,  obwohl  anerkannt  werden  muß,  daß  der  Trieb 
zur  Nachahmung  uns  von  der  Natur  eingepflanzt  scheint.  Wenn  also 
ein  Dichter  wie  Davenant  mit  eigenen  Mitteln  an  einem  neuen  Plan  ge- 
arbeitet hat,  so  ist  er  für  Nichtbeachtung  seiner  Vorgänger  nicht  mehr 
verantwortlich,  als  es  Gesetzgeber  gegenüber  alten  Gesetzen  sind,  die  sie 
selbst  abgeschafft  haben. 

Was  Davenant  von  den  Franzosen  am  meisten  unterscheidet,  ist 
die  Ablehnung  aller  übernatürlichen  Faktoren.  Von  diesem  Gesichts- 
punkte hauptsächlich  geht  seine  Kritik  der  früheren  Dichter  aus,  die  zu- 
erst vorsichtig  in  die  Form  fremder  Anklagen  gehüllt  ist  und  erst  in 
den  Urteilen  über  Tasso  und  Spenser  als  Davenant's  eigene  Meinung 
auftritt.  Die  alten  Dichter  mag  die  Absicht  entschuldigen,  dem  Volke 
die  Religion  vorzutragen,  obwohl  durch  die  übersinnlichen  Personen  der 
Nutzen  für  die  Belehrung  abgeschwächt  wird.  Aber  für  christliche  Dichter 
gibt  es  keine  Entschuldigung.  Tasso  hat  den  Himmel  zum  Abbild  eines 
irdischen  Fürstenhofes  erniedrigt  und  durch  Beschreibung  der  Hölle  wei- 
bischen Aberglauben  verpflanzt  und  vermehrt;  und  Spenser's  moralische 
Visionen  sind  eine  Reihe  von  Fieberträumen,  wie  sie  überarbeitete  Maler 
und  Dichter  befallen,  ohne  bedeutenden  Wert  für  die  Nutzanwendung 
auf  die  Menschen. 

Selbständig  wie  den  Mustern  steht  Davenant  der  Kritik  gegenüber. 
Mancher  Gedanke  der  Preface  erinnert  an  Aristoteles,  aber  alles  ist  neu 
motiviert.  Dasselbe  gilt  von  den  Anlehnungen  an  die  Discorsi  Tasso's, 
mit  dem  er  darin  übereinstimmt,  daß  der  Stoff  christlich,  und  zeitlich 
und  räumlich  von  uns  entfernt  sein  müsse.  Dagegen  verwirft  er  die  histo- 
rischen Gegenstände.  In  der  Form  soll  das  englische  Drama  Vorbild  sein, 
weil  dieses  die  Geschichten  am  angenehmsten  und  belehrendsten  dargestellt 
hat.  Wie  das  Drama  in  Akte  und  Szenen,  so  soll  der  Gondibert  in  fünf 
Bücher,  diese  wieder  in  Gesänge  zerfallen.  Die  äußere  Form  ist  eine 
vierzeilige  Stanze,  die  sich  von  da  an  eine  Zeitlang  großer  Beliebtheit  er- 
freute. Davenant  schmeichelte  sich  mit  der  Hoffnung,  es  könnten  die 
Gesänge  einzeln  vorgetragen  werden,  wie  es  mit  denen  Homers  geschehen 
sei,  bevor  Peisistratos  sie  in  das  große  Ganze  zusammenfaßte. 

Wohl  hat  Davenant  als  die  Triebfeder  seines  Schaffens  das  Verlangen 
nach  Ruhm  genannt;  aber  es  lag  ihm  offenbar  etwas  anderes  noch  näher 
am  Herzen.  Die  breiten  Ausführungen  über  die  Wichtigkeit  der  Poesie 
für  die  Belehrung  des  Menschen  sind  gewiß  nicht  eine  einfache  Wieder- 
holung herrschender  Anschauungen,  sondern  enthüllen  das  innerste  Motiv 
des  Dichters.  Der  in  der  Fremde  lebende  Cavalier  sinnt  erbittert  darüber 
nach,  woher  es  kommen  möge,  daß  die  Geistlichkeit  so  wenig  als  die 


Davenant    Hobbes  287 

hohen  militärischen,  politischen  und  juristischen  Würdenträger  es  ver- 
standen haben,  im  Volke  den  Geist  des  Gehorsams  aufrecht  zu  erhalten^ 
Außer  vielen  Fehlem,  die  sie  begehen,  erblickt  er  die  Hauptursache  ihrer 
Mißerfolge  in  der  Verachtung  der  Poesie.  Jenen  Männern,  die  durch  Ge- 
burt und  Geist  hervorragen,  will  er  ein  Vorbild  zeichnen,  von  dem  sie 
lernen  mögen.  Darum  nimmt  er  den  Stoff  aus  Hof  und  Feldlager  und 
wählt  von  den  Leidenschaften  die  ritterlichen  aus,  Ehrgeiz  und  Liebe. 
An  das  gewöhnliche  Volk  wendet  er  sich  nicht;  für  dieses  passen  Gesetze- 
besser als  Poesie;  aber  es  kann  doch  am  Vorbild  der  durch  den  Dichter 
belehrten  Großen  auch  selbst  etwas  lernen. 

Der  Beginn  des  Gedichtes  ist  ungelenk,  weil  Davenant  die  Haupt- 
personen breit  beschreibt,  statt  sie  handelnd  einzuführen;  aber  gleich  vom 
Beginn  des  zweiten  Gesanges  an  wird  die  Darstellung  lebhaft,  manchmal 
spannend.  Mit  Geschick  wechselt  der  Dichter  den  Schauplatz  zwischen 
dem  Langobardenhof  des  Aribert  in  Verona  und  den  Feldlagern  in  Brescia 
und  Bergamo.  Nach  und  nach  treten  inunermehr  Personen  ein;  die  Fäden 
der  Handlung  verwickeln  sich.  Wo  die  Lösung  beginnen  sollte,  genau 
in  der  jVütte  des  Gedichtes,  bricht  dieses  ab.  Das  ist  schade,  denn  man 
ist  im  Interesse  des  Dichters  darauf  gespannt,  ob  der  Held  Gondibert 
schließlich  von  der  schönen  Königstochter  Rhodalind  erobert  werden  oder 
seiner  schlichten  Birtha  treu  bleiben  wird,  und  ob  sich  die  Pläne  der  ehr- 
geizigen Gertha  verwirklichen  werden.  Der  unvollendete  Zustand  des  Ge- 
dichtes trägt  wohl  die  meiste  Schuld  daran,  daß  es  nicht  stärker  wirkte;, 
denn  an  belebten  Szenen  und  psychologisch  interessanten  Situationen  ist 
es  nicht  arm,  leidet  dagegen  an  zu  vielen  Reflexionen,  obwohl  diese  in 
Beden  untergebracht  sind. 

Aus  der  Antwort j  die  Hobbes  auf  die  Preface  gab,  und  die  in  kur- 
zen Zügen  ein  System  der  Poesie  enthält,  ist  für  uns  besonders  die  Be- 
grenzung der  poetischen  Freiheit  durch  die  Forderung  der  strengsten 
Wahrscheinlichkeit  hervorzuheben.  Bei  Homer  und  Virgil,  sagt  Hobbes,. 
entfernten  sich  die  Erfindungen  nicht  zu  sehr  von  ihrem  Glauben.  Heute 
darf  ein  Dichter  wohl  über  das  hinausgehen,  was  in  der  Natur  wirklich 
vorkommt,  nie  aber  über  das,  was  in  ihr  als  möglich  gedacht  werden 
kann.  Die  Antwort  ist  im  übrigen  voll  von  Komplimenten  für  den  Gon- 
dibert, der  ebenso  lange  dauern  würde  wie  Ilias  und  Aeneis,  wenn  nur 
die  modernen  Sprachen  so  unveränderlich  wären  wie  die  alten. 

1673  ließ  Hobbes  eine  Probe  seiner  Ühersetzung  der  Ilias  erscheinen,, 
mit  einer  Vorrede  The  virtue  of  an  heroic  poem.  Der  Phantasie  ist  hier 
ein  größerer  Spielraum  zugewiesen  als  in  dem  starr  rationalistischen  System 
der  Antwort,  und  neben  der  moralischen  Aufgabe  der  Poesie  kommt 


2SS  England 

auch  die  erfreuende  zu  ihrem  Recht.  Den  Erörterungen  über  die  Vorzüge 
eines  Epos  liegen  die  Vorschriften  des  Horaz  zugrunde.  Hobbes  faßt  sie 
in  dem  Wort  Discretion  zusammen,  d.  h.  es  hat  jeder  Teil  des  Gedichtes, 
in  richtige  Ordnung  gestellt,  zu  der  Absicht  und  dem  Plan  des  Dichters 
beizutragen.  Vom  Gleichnis  verlangt  Hobbes  die  eingehendste  Überein- 
stinmiung  mit  dem  verglichenen  Gegenstand,  wodurch  dieser  allein  richtig 
ins  Licht  gesetzt  werde.  Die  aufgestellten  Grundsätze  kommen  sodann 
bei  der  Vergleichung  von  Homer,  Virgil  und  Lucan  zur  Anwendung. 
In  der  Erfindung  ragt  Homer  über  alle  empor,  denn  die  Einführung  der 
Götter  ausgenommen  sind  seine  Gedichte  nur  ebenso  viele  Geschichten  in 
Versen.  Sie  enthalten  das  ganze  Wissen  seiner  Zeit  und  haben  der  an- 
tiken Bühne  alle  ihre  Stoffe  geliefert.  Homers  Überlegenheit  im  Gleich- 
nis hat  Virgil  selbst  dadurch  anerkannt,  daß  er  die  homerischen  Gleich- 
nisse übernahm.  Wenn  er  da  und  dort  ausschmückte  oder  selbst  einzelne 
bessere  Bilder  fand,  so  ist  das  noch  kein  Beweis  für  seine  Überlegenheit. 
Auch  ist  es  ganz  falsch,  zwei  ähnliche  Gleichnisse  der  beiden  Dichter 
nach  ihrer  Schönheit  gegeneinander  abzuwägen;  man  muß  vielmehr  fragen, 
ob  sie  den  nämlichen  Gegenstand  illustrieren  wollten,  und  wenn  dies 
nicht  der  Fall  ist,  hört  jede  Vergleichung  auf.  Auch  in  der  Fülle  und 
Mannigfaltigkeit  der  Schilderungen  haben  schon  die  Alten  dem  Homer 
mit  Recht  den  Vorzug  gegeben,  und  es  ist  seltsam,  daß  ein  paar  Neuere, 
die  doch  das  Griechische  erst  lernen  mußten,  dem  Urteil  so  vieler  kom- 
petenter Richter  zu  widersprechen  wagten.  Hier  ist  Scaliger  gemeint, 
der  kurz  vorher  zitiert  worden  ist.  Die  Übersetzung,  fügt  Hobbes  hinzu, 
habe  er  gemacht,  weil  er  nichts  anderes  zu  tun  hatte,  und  publiziert, 
um  den  Witz  der  Gegner  von  seinen  ernstem  Werken  abzulenken  und 
auf  seine  Verse  zu  hetzen,  wo  sie  ihre  Weisheit  zeigen  könnten.  Dryden 
hat  die  Übersetzung,  die  beide  Epen  umfaßt,  mit  Grund  kahl  genannt 
und  gesagt,  Hobbes  habe  eben  die  Poesie  wie  die  Mathematik  zu  spät 
studiert.  Es  ist  wirklich  kaum  eine  Spur  von  poetischem  Schwung 
darin.  Gleichwohl  hat  sie  mehrere  Auflagen  erlebt.  Gefaßt  ist  sie  in 
die  Stanze  Davenant's. 

Der  Übersetzung  von  Hobbes  war  1660  eine  von  Ogilby  voraus- 
gegangen, die  ich  nicht  gesehen  habe.  Dryden  nennt  seine  Übersetzungen 
eine  direkte  Beschimpfung  der  Originale  und  glaubt  gern,  daß  Leute,  die 
kein  Griechisch  verstehen,  nicht  begreifen  können,  daß  das  nun  die  ge- 
feierten Muster  sein  sollen. 

Gepanzert  und  gewappnet,  gleich  Athene  aus  "dem  Haupte  des  Zeus, 
irat  Miltons  unsterbliches  Gedicht  The  Paradise  Lost  auf  den  Plan. 
JEs  fehlen  Einführung  und  Vorrede,  jede  Auseinandersetzung  mit  Vor- 


Hobbes     Milton  289 

gängern  oder  Zeitgenossen.  Miiton  hatte  früher  da  und  dort  eine  Be- 
merkung kritischer  Art  gemacht,  den  Studierenden  Aristoteles,  Horaz  und 
deren  italienischen  Kommentatoren  empfohlen,  um  ihren  Geschmack  zu 
reinigen  und  zu  heben,  und  vor  Beginn  seines  Werkes  hatte  er  Tasso 
studiert.  Im  übrigen  zeichnet  das  Gedicht  Milton's  formalen  Standpunkt 
deutlich  genug;  Reim  und  Stanze  sind  verworfen,  es  herrscht  der  Blank- 
vers in  unvergleichlicher  Vollendung. 

Davenant  hatte  Tasso's  übersinnliche  Gewalten  abgelehnt,  und  nicht 
lange  nach  dem  Erscheinen  des  Paradise  hatte  sich  Boileau  gleich  ver- 
werfend ausgesprochen.  Mit  Unrecht  hat  man  Milton's  Gedicht  eine  Wider- 
legung Boileau's  genannt.  Gegenüber  den  Dichtern  von  Tasso  bis  Davenant 
behält  dieser  vollkommen  Recht.  Aber  bei  Milton  tritt  etwas  Neues,  Un- 
erhörtes ein.  Mit  der  echten  Freiheit  des  Christenmenschen  macht  er  die 
Gestalten  seines  Glaubens  zu  den  eigentlich  handebiden  Personen  seines 
Gedichtes.  Der  Satan  ist  nicht  ein  imgrunde  ohnmächtiger  Widersacher 
Gottes,  sondern  eine  so  eigenartige,  bis  ins  einzelnste  charakterisierte 
Kraftgestalt,  daß  ihn  Dryden  geradezu  für  den  Helden  des  Epos  erklären 
konnte.  Richtiger  hat  Addison  gesehen,  wenn  er  Dryden  entgegenhält, 
Milton  habe  überhaupt  keinen  Helden  gewollt;  es  wäre  denn,  fügt  er  nicht 
eben  glücklich  hinzu,  der  Messias. 

Das  eigentliche  Thema  ist,  wie  Titel  und  Einleitung  besagen,  der 
Fall  des  Menschen.  Über  sein  Werk  spricht  sich  der  Dichter  vor  der 
Erzählung  der  Versuchung  aus.  Sein  Stoff  erscheint  ihm  heroischer  als 
die  Wut  des  grimmen  Achilleus,  der  seinen  Feind  dreimal  um  die 
Mauern  Trojas  jagte,  größer  als  der  Grimm  des  Turnus,  als  der  Zorn 
des  Poseidon  und  der  Juno,  der  den  Odysseus  und  Aeneas  so  lange  in 
die  Irre  trieb.  Nicht  Kriege  sollen  dargestellt  werden,  die  bisher  als  ein- 
ziger Stoff  des  Epos  galten,  und  wo  die  Dichter  ihre  Meisterschaft  darin 
zeigten,  mit  langem  und  langweiligem  Gemetzel  in  erfundenen  Schlachten 
erdichtete  Ritter  zu  zerhauen,  .während  die  edleren  Tugenden  und  das 
heroische  Martyrium  unbesungen  blieben.  Auch  ritterliche  Spiele  und 
Feste  zu  schildern  sei  nicht  seine  Gabe.  Solche  künstliche  Geschick- 
lichkeit vermöchten  weder  dem  Helden  noch  dem  Gedicht  den  Charakter 
des  Heldentums  zu  verleihen.  Sein  Stoff  dagegen  erhebt  sein  Gedicht 
von  selbst  zur  heroischen  Würde.  Den  der  hohen  Aufgabe  würdigen 
Stil  gibt  ihm  seine  himmlische  Muse  ein,  die  ihn  ungerufen  nächtlich 
besucht  und  seine  Verse  inspiriert. 

Ob  die  Anlage  des  Paradise  durch  Odyssee  und  Aeneis,  oder  auch  durch 
die  Vorschriften  des  Horaz  beeinflußt  sei,  möge  dahingestellt  bleiben. 
Jedenfalls  verdankt  es  seine  Geschlossenheit  dem  echt  künstlerischen  Ge- 

Finsler:  Homer  in  der  Neuzeit,  19 


290  England 

danken,  den  Abfall  der  Engel  und  die  Schöpfung  als  Erzählungen  Gabriels 
und  Adams  in  die  Mitte  zu  rücken.  Dagegen  ist  der  Einfluß  Homers 
in  wesentlichen  Punkten  deutlich  erkennbar,  so  gleich  im  Eingang  mit 
der  Anrufung  der  Muse,  der  Angabe  des  Themas,  der  Frage  nach  der 
bewegenden  Ursache  und  dem  Übergang  zur  Erzählung.  Die  Aufzählung 
und  Schilderung  der  bedeutendsten  Teufel  ist  durch  den  Schiffskatalog 
veranlaßt  und  für  den  Fortgang  der  Handlung  nicht  von  Belang,  außer- 
dem stark  mit  alttestamentlicher  Gelehrsamkeit  beschwert.  Für  die  große 
Vision  der  letzten  Bücher  dagegen,  welche  die  Geschichte  des  Menschen- 
geschlechts darstellt,  und  an  deren  massigem  Stoff  selbst  Milton's  Kraft 
erlahmte,  ist  Homer  nicht  verantwortlich;  hier  herrscht  der  Einfluß  der 
Italiener. 

Aus  Homer  stammt  das  Bild  von  der  Schicksalswage,  in  der  Gott 
alle  Ereignisse  wägt,  und  die  er  aushängt,  um  zu  entscheiden,  ob  zwischen 
Gabriel  und  Satan  Kampf  ausbrechen  solle  oder  nicht.  Die  Wage  ist 
nicht  so  verwendet  wie  in  der  Ilias  vor  Hektors  Fall,  wo  Zeus  das  Schick- 
sal befragt,  sondern  so  wie  vor  der  Schlacht  des  achten  Buches.  Hier 
weiß  Zeus  den  Ausgang  ebensogut  voraus  wie  Gott  bei  Milton  und 
braucht  die  Wage  nur,  um  die  Unabänderlichkeit  seines  mit  dem  Schick- 
sal identischen  Willens  zu  verkünden. 

Der  Kampf  gegen  die  abtrünnigen  Engel  verläuft  in  drei  Stufen  und 
drei  Tagen.  Der  erste  Tag  bringt  eine  im  ganzen  wie  im  einzelnen 
vollkommen  homerisch  aufgebaute  Schlacht.  Deren  Schluß  bildet  der 
durch  Rede  und  Gegenrede  eingeleitete  Kampf  zwischen  Michael  und  dem 
Satan,  dessen  Verwundung  und  Heilung  der  des  Ares  nachgebildet  sind. 
In  den  Kämpfen  der  folgenden  Tage  ist  Homer  nicht  mehr  Vorbild,  weil 
der  Dichter  für  die  Entscheidung  gewaltigerer  Mittel  bedurfte.  Die  schwüle 
Liebesszene  nach  dem  Sündenfall  gestaltet  Milton  nach  der  Berückung 
des  Zeus.  Homerische  Gedanken  sind  es,  daß  den  Geknechteten  mit  der 
Freiheit  auch  die  Tugend  verloren  gehe,  und  daß  Gott  unter  den  Menschen 
wandle,  um  ihre  Taten  zu  betrachten.  Vor  allem  aber  hat  Milton  manches 
aufgenommen,  was  Homer  von  den  Kritikern  zum  Fehler  angerechnet 
worden  ist.  Wie  viele  hatten  sich  in  alter  und  neuer  Zeit  über  die  Götter 
aufgehalten,  die  gleich  Menschen  schlafen,  schmausen  und  Feste  feiern. 
Nun  läßt  Milton,  dem  wohl  niemand  Mangel  an  Ehrfurcht  vorwirft, 
Gabriel  dem  Adam  von  dem  großen  Feste  erzählen,  das  der  Empörung 
Satans  voranging.  „Auch  wir",  sagt  Gabriel,  „haben  unseren  Abend 
und  Morgen,  nicht  weil  wir  das  nötig  hätten,  sondern  weil  der  Wechsel 
Vergnügen  macht."  In  der  prächtigen  Schilderung  des  Festes  und  der 
nachfolgenden  Nachtwache,  ist  der  homerische  Olymp  ganz  unbefangen 


Milton     Bunyan  291 

ins  Christliche  übersetzt,  lebenswahr  und  doch  so,  daß  wir  das  Bewußt- 
sein, Poesie,  nicht  Glauben  vor  uns  zu  haben,  nie  verlieren. 

Am  nächsten  steht  Milton  dem  Homer  in  der  Gestaltung  des  Gleich- 
nisses. „Nie  verläßt  er",  sagt  Addison,  „sein  Gleichnis,  bevor  er  sich  zu 
einem  großen  Gedanken  erhebt,  der  oft  der  Gelegenheit,  die  es  veranlaßte, 
fremd  ist.  Die  Ähnlichkeit  bleibt  vielleicht  eine  oder  zwei  Zeilen  lang, 
aber  der  Dichter  fährt  im  Gleichnis  fort,  bis  er  ein  glorreiches  Bild  oder 
Gefühl  daraus  hat  emporsteigen  lassen,  das  den  Geist  des  Lesers  ent- 
flammt und  ihm  die  erhabene  Art  von  Unterhaltung  gewährt,  die  dem 
Epos  angemessen  ist."  Wer  Homer  und  Virgil  kenne,  werde  sich  an 
Milton's  Gleichnissen  erfreuen;  unwissende  Leser  dagegen,  die  ihren  Ge- 
schmack an  den  affektierten  Gleichnissen  und  Wendungen  des  Witzes, 
terms  of  wit,  der  modernen  Poesie  gebildet  haben,  könnten  an  diesen 
Schönheiten  keinen  Gefallen  finden.  Verdorbener  Geschmack  sei  auch 
der  Grund  gewesen,  warum  Perrault  die  homerischen  Gleichnisse  ins 
Lächerliche  gezogen  habe. 

Aus  dem  Paradise  Begained  ist  für  uns  die  Partie  wichtig,  wo  der 
Versucher  Jesus  auffordert,  sich  die  Kunst  und  die  Weisheit  der  Heiden 
zu  eigen  zu  machen.  Hier  leiht  der  Dichter  dem  Satan  seine  eigenen 
Gedanken.  Wärmer  ist  nie  über  das  Altertum,  prachtvoller  nie  über  die 
Tragödie  gesprochen  worden.  Die  Ablehnung  Jesu  mit  dem  Preise  der 
hebräischen  Poesie  als  der  einzig  wahren  und  der  herben  Kritik  der  an- 
tiken Dichter  offenbart  in  Milton's  Seele  den  nämlichen  schweren  Kon- 
flikt, den  Piaton  durchzukämpfen  hatte.  Beiden  schien  das  Gottesreich 
den  Verzicht  auf  die  geliebte  Poesie  zu  fordern. 

Das  Verlorene  Paradies  ist  zuerst  von  Dryden  mit  Jubel  begrüßt 
worden.  In  einem  berühmten  Epigramm  erklärt  er,  Homer  rage  durch 
Erhabenheit,  Virgil  durch  würdige  Anmut  hervor,  die  Kraft  der  Natur 
aber,   die  nicht   weiter   gehen  konnte,   habe  in  Milton  beide  vereinigt. 

Mit  der  Nennung  Dryden's  treten  wir  in  eine  Zeit  ein,  da  in  den 
Kreisen  des  Hofes  Karls  H.  die  kritischen  Anschauungen  der  Franzosen 
Raum  zu  gewinnen  begannen.  Dem  großen  Publikum  wurden  sie  wesent- 
lich durch  das  Theater  vermittelt,  das  sich  langsam  dem  Klassizismus 
erschloß.  Doch  hielten  weite  Kreise  die  altenglischen  Ideale  aufrecht. 
Nicht  nur  blieb  Dryden  sein  Leben  lang  der  Verehrung  für  Shakespeare 
treu:  die  moralische  Allegorie  Spenser's  feierte  einen  vollen  Triumph  in 
John  Bunyan's  TJw  Filgrim's  Progress,  zuerst  1678  erschienen,  einem 
Buche,  das  zu  den  moralischen  Bestrebungen  des  folgenden  Jahrhunderts 
die  Brücke  bildet.  Aber  in  den  Hofkreisen  drangen  die  Poetiken  des 
Aristoteles  und  Horaz  ein,  zugleich  Boileau,  Le  Bossu,  Rapin  und  Dacier's 

19* 


292  England 

Kommentar  zu  Horaz.  Doch  fehlte  der  Widerspruch  nicht.  Als  ein 
solcher  darf  Edward  Phillips'  1675  erschienenes  Theatrum  poetarum 
Anglicorum  angesehen  werden,  das  den  Engländern  ihre  poetische  Ver- 
gangenheit ins  Gedächtnis  rufen  will.  Denn,  so  denkt  PhilUps,  was  in 
Kunst  und  Wissenschaft  einst  schön  und  gut  war,  fährt  immer  fort  es 
zu  sein.  Er  findet  eine  belustigende  Laune  darin,  daß  die  Engländer 
nicht  nur  französischer  Mode,  sondern  auch  französischer  Musik  und 
Poesie  willfahrig  sein  sollen.  Neben  den  Dichtem  der  eigenen  Nation 
stellt  er  als  Muster  die  Alten  auf,  daneben,  besonders  der  Form  wegen, 
die  Italiener. 

Da  Phillips  Milton's  Neife  war,  haben  viele  geglaubt,  in  den  Er- 
örterungen über  Poesie  die  Hand  des  Dichters  wahrnehmen  zu  können. 
Saintsbury  bezweifelt  das  und  nimmt  nur  an,  daß  der  Umgang  mit  Milton 
auf  die  Anschauungen  des  Neffen  von  Einfluß  gewesen  sei.  In  Phillips' 
Preface  ist  nur  ein  einziger  neuer  Gedanke  ausgeführt,  aber  einer  von 
höchster  Bedeutung,  die  Verkündigung  des  poetischen  Genies.  Geist, 
Scharfsinn,  Gewandtheit  im  Verse,  selbst  Schönheit  der  Sprache  machen 
das  wahre  Wesen  der  Poesie  nicht  aus.  Dieses  besteht  in  einem  Duft, 
einem  Hauch,  den  kein  Studium,  kein  Fleiß  geben  kann,  und  den  die 
genaueste  Befolgung  der  Regeln  nicht  ersetzt.  Diese  poetische  Energie, 
die  allem  andern  Leben  gibt,  kann  aus  rauher  und  ungefeilter  Hülle 
leuchten  wie  bei  Spenser  und  Shakespeare  und  bei  den  verfeinertsten 
Erzeugnissen  fehlen.  Daß  Milton  so  dachte,  ist  nicht  zu  bezweifeln:  aber 
auch  Dryden  verficht  diese  Anschauung,  und  zwanzig  Jahre  früher  hatte 
Bogan  von  dem  in  jedem  außerordentlichen  Genie  wirksamen  göttlichen 
Geiste  gesprochen. 

Phillips'  Erörterung  über  das  Epos  lehnt  an  Aristoteles,  Horaz  und 
Tasso  an  und  bietet  nichts  Besonderes.  Den  Hauptinhalt  des  Buches 
bildet  die  Vorführung  einer  stattlichen  Menge  von  Dichtern  und  ihrer 
Werke,  zuweilen  mit  kritischen  Bemerkungen. 

Ein  Jahr  früher,  1674,  hatte  Thomas  Rymer  Rapin's  im  Original 
bereits  bekannten  Reflexions  sur  la  poetique  ins  Englische  übersetzt, 
in  der  ausgesprochenen  Absicht,  den  aristotelischen  Grundsätzen  in 
England  Geltung  zu  verschaffen.  Wie  er  in  der  Vorrede  ausführt,  haben 
nämlich  die  Engländer  nicht  geringere  poetische  Fähigkeiten  als  andere 
Völker;  so  übertreffen  ihre  Dichter  in  der  Schilderung  der  Nacht  alles 
Dagewesene.  Was  ihnen  bisher  abging,  ist  die  Kenntnis  der  Regeln.  Von 
diesem  Gesichtspunkte  aus  werden  nun  die  englischen  Epiker  der  Reihe 
nach  abgekanzelt.  Die  Fehler,  die  ihnen  vorgehalten  werden,  bestehen 
im  Wesentlichen  in  Abweichungen  von  den  aristotelischen  Regeln:  bei 


Phillips     Rymer     Roscommon     Buckingham  293 

Spenser  und  Davenant  in  dem  Mangel  an  Wahrscheinlichkeit,  bei  Cowley 
in  der  Wahl  eines  historischen  Stoffes  und  dem  geringen  Hervortreten 
des  Haupthelden,  der  eigentlich  gar  nicht  handelt.  Das  steht,  sagt  Rymer, 
ganz  im  Gegensatz  zu  Homers  Kunst.  Homer  beginnt  nur  mit  einem 
einzigen  Zuge  seines  Helden,  dem  Zorn;  aber  da  dieser  Himmel  und  Erde 
in  Mitleidenschaft  zieht,  läßt  uns  Homer  in  ihm  die  ganze  Größe  des 
Achilleus  ahnen.  Da  er  so  wenig  verheißt,  wird  die  Ausführung  bewun- 
dernswerter und  überraschender.  Bei  Cowley  haben  wir  gleich  zu  Anfang 
den  ganzen  Helden,  und  der  Dichter  kann  nichts  tun  als  unsere  Vor- 
stellung von  diesem  aufrecht  erhalten.  Hier  verrät  sich  der  Einfluß 
Castelvetro's. 

Mit  Rymer  war  das  Programm  des  modernen  Klassizismus  auch 
für  England  aufgestellt:  Unterwerfung  unter  die  Regeln  und  Nachahmung 
der  Alten,  für  die  Epiker  Homers.  Für  das  Drama  ist  später  Rymer's 
Wirksamkeit  noch  viel  verhängnisvoller  geworden. 

Des  Horaz  Ars  Poetica  übersetzte  der  Earl  of  Roscommon,  der 
1680  auch  den  Essay  on  translated  verse  veröiffentlichte.  Er  will  die 
englische  Literatur  durch  Übersetzungen  der  Alten  bereichert  wissen;  vor 
allem  sieht  man  deutlich,  daß  er  einen  englischen  Virgil  wünscht.  Denn 
Homer  ist  ihm  um  der  zankenden  Helden  und  unwürdigen  Götter  willen 
nicht  sympathisch,  aber  er  will  darüber  schweigen,  um  seine  Meister 
Virgil  und  Horaz,  die  Homer  geliebt  haben,  nicht  zu  erzürnen.  Der  in 
hübschen  Versen  geschriebene  Essay  ist  darum  beachtenswert,  weil  Ros- 
common vom  Übersetzer  dieselbe  Vertiefung,  Hingabe  und  Begeisterung 
verlangt  wie  vom  Dichter  selbst. 

Die  erste  kleine  englische  Poetik  schrieb  John  Sheffield,  Duke 
of  Buckingham,  1682.  Der  Essay  on  Poetry  lehnt  an  Boileau  an  und 
ist  mit  allerlei  Kritik  der  englischen  Schriftsteller  erfüllt.  Im  Epos,  mit 
dem  das  Büchlein  schließt,  findet  der  Verfasser  nur -zwei  untadelhafte 
Muster,  Homer  und  Virgil.  Beim  Preise  Homers  verläßt  ihn  alle  kritische 
Schärfe:  „Einmal  Homer  zu  lesen  läßt  alle  andern  Bücher  ärmlich  und 
gering,  ihre  Verse  als  Prosa  erscheinen;  man  fahre  fort  zu  lesen,  und 
Homer  wird  das  einzige  Buch  sein,  dessen  man  bedarf."  Nun  würde  aber, 
so  heißt  es  dann  leider,  die  Welt  auf  dieses  Wunderwerk  der  Kunst  mit 
der  verständnislosen  Bewunderung  von  Indianern  geblickt  und  nicht  ge- 
hofft haben,  unterwiesen,  sondern  nur  begeistert  zu  werden,  wären  uns 
nicht  durch  Le  Bossu  die  Geheimnisse  Homers  nach  Inhalt  und  Form 
erschlossen  worden.  Ihm  müsse  ein  Engel  den  Faden  durch  dieses  Laby- 
rinth gegeben  haben.  Wer  aber  werde  mit  dem  richtigen  Urteil,  gleich 
Virgil,  den  vorgezeichneten  Weg  gehen?   Er  müßte  Tasso's  hohen  Flug 


294  England 

überbieten  und  Erfolge  haben^  wo  Spenser  und  selbst  Milton  fehlgegangen 
seien. 

Als  1706  Rapin's  sämtliche  Werke,  Yon  verschiedenen  übersetzt,  her- 
ausgegeben wurden,  konnte  in  der  Vorrede  auf  den  großen  Einfluß  hin- 
gewiesen werden,  den  diese  Schriften  in  den  letzten  dreißig  Jahren  aus- 
geübt hatten.  Le  Bossu's  Ansehen  hat  sich  weit  ins  18.  Jahrhundert 
hinein  behauptet.  Wenn  die  literarische  Kritik  Englands  nicht  in  Regel- 
zwang unterging,  so  ist  das  vor  allem  das  Verdienst  Dryden's. 

Während  Davenant  und  Hobbes  die  Richtschnur  der  Poesie  nur  in 
in  der  Vernunft,  und  zwar  in  ihrer  eigenen,  gesucht  hatten,  sj^ürt  man 
in  der  Vorrede  zu  Dryden's  erstem  größeren  Gedichte,  dem  1667  erschie- 
nenen Ännus  Mirabilis,  eine  gewisse  Wirkung  der  ausländischen  Theorie. 
Dryden  will  nämlich  sein  Gedicht  historisch,  nicht  episch  nennen,  ob- 
wohl Handlung  und  Handelnde  so  heroisch  seien  wie  nur  in  irgend- 
einem andern.  Aber  die  Handlung  sei  nicht  vollkommen  einheitlich  und 
nicht  in  den  letzten  Erfolgen  durchgeführt.  Das  ist  aber  auch  die  einzige 
Konzession  Drydens  an  die  Regeln.  Für  das  heroische  oder  historische 
Gedicht  lehnt  er  das  lehrhafte  Moment  fast  ganz  ab.  Anmut,  Anschau- 
lichkeit, glückliches  Auffassen  des  Gedankens,  dessen  Verwertung  durch 
die  Phantasie  und  Anpassung  an  den  Gegenstand  in  richtigem  Ausdruck, 
das  ist  es,  was  das  Epos  leisten  soll.  Hier  zeigt  sich  schon  der  ganze* 
Dryden,  wie  er  bis  an  sein  Ende  war.  Er  läßt  sich  von  gut  geformten 
Definitionen  und  Regeln  imponieren,  wie  in  dieser  Vorrede  von  der  Auf- 
fassung der  Poesie  bei  Davenant  und  Hobbes.  Den  Franzosen  und  ihren 
englischen  Verehrern  ist  er  später  oft  mehr  als  billig  entgegengekommen. 
Aber  wo  er  selbst  zu  Worte  kommt,  da  erweist  er  sich  als  selbständigen, 
klaren,  überlegenen  Geist,  der  für  den  Dichter  Freiheit  fordert,  dem  die 
oberste  Aufgabe  der  Poesie  die  Erweckung  des  Vergnügens  ist,  uud  dem 
auf  das  poetische  Genie  unendlich  mehr  ankommt  als  auf  alle  Theorien. 

Der  Ännus  Mirabilis,  der  in  der  Stanze  Davenant's  gedichtet  ist, 
und  in  welchem  Dryden  dem  Virgil  gefolgt  zu  sein  angibt,  behandelt  die 
Ereignisse  des  Jahres  1666,  den  Seesieg  über  die  Holländer  und  den 
großen  Brand  von  London.  Verbunden  sind  die  zwei  Teile  höchstens 
durch  die  Rettung  der  Schiffs magazine  durch  einen  Engel,  die  an  die 
Seesiege  des  ersten  Teiles  erinnert.  Hier  stören  die  vielen  maritimen 
Ausdrücke,  auf  die  sich  Dryden  nicht  wenig  zugute  tat,  im  zweiten 
Teil  die  Schmeicheleien  gegen  den  König.  Die  historische  Wirklichkeit 
ist  ungefähr  so  behandelt  wie  bei  Basini.  Aber  das  Gedicht  ist  pracht- 
voll, in  der  gesamten  Führung  wie  in  der  Einzelschilderung,  großartig 
vor   allem   das   Feuer  von   London,   das   sein   eigenes  Leben   bekommt 


Dryden  295 

und  wie  ein  Feindesheer  daherstürmt.  An  Homer,  der  in  der  Vorrede 
nicht  genannt  wird,  erinnern  einige  Verse.  Die  Gleichnisse  dagegen  sind 
wie  bei  Shakespeare  mit  möglichst  weitgehender  Parallelisierung  durch- 
geführt. 

Bald  nach  dem  Annus  Mirabilis  trat  Dryden  an  den  Versuch  heran, 
ein  Drama  nach  dem  Muster  des  Epos  zu  schaffen,  ein  Heroic  Play,  im 
Gegensatz  zu  Davenant,  der  das  Epos  zum  Abbild  des  Dramas  gemacht 
hatte.  Die  herrschenden  Affekte  sollten  die  nämlichen  sein  wie  dort, 
Tapferkeit  und  Liebe.  Dann  sollte  das  Drama  den  schönsten  Schmuck 
des  Epos,  die  Götter  und  Geister,  übernehmen,  wobei  nichts  darauf  an- 
komme, ob  man  sie  glaube,  sondern  nur  darauf,  daß  sie  möglich  und 
daher  nicht  naturwidrig  seien.  Das  erste  und  für  uns  wichtigste  dieser 
Dramen  ist  der  Conquest  of  Granada  1672,  dessen  Helden  Almanzor 
Dryden  nach  Achilleus,  Rinaldo  und  Calprenede's  Roman  Artaban  zeichnen 
will.  An  den  Gestalten  Homers  und  Tasso's  schätzt  er  es  besonders, 
daß  sie  neben  dem  von  den  Franzosen  übertrieben  hervorgehobenen  Ehren- 
punkt auch  menschlicher  Leidenschaften  und  Schwächen  fähig  sind.  Der 
Held  sollte  indessen  gegenüber  dem  König,  der  ihn  beleidigt,  keinerlei 
Vasallenpflichten  haben,  sondern  sich  den  Verteidigern  Granada's  ganz 
frei  anschließen,  damit  auf  ihn  nicht  ein  Tadel  falle  wie  auf  Achilleus 
und  Rinaldo,  wenn  er  infolge  der  Kränkung  dem  König  den  Rücken 
wendet.  Von  dieser  Freiheit  macht  Almanzor  denn  auch  ausgiebig  Ge- 
brauch und  tritt  bald  dieser,  bald  jener  Partei  bei,  immer  mit  ausschließ- 
licher Rücksicht  auf  seine  Ehre  und  seine  Liebe. 

Der  große  Stoff  mußte  in  zwei  fünfaktige  Dramen  zerlegt  werden, 
die  mehrere  Handlungen  verknüpfen.  Die  Darstellung  ist  spannend,  die 
Charaktere,  vor  allem  Almanzor  und  die  Königin  Almahide,  vorzüglich 
durchgeführt.  Die  Geister  spielen  eine  wesentlich  bescheidenere  Rolle  als 
in  den  späteren  Stücken. 

In  der  Folge  hat  Dryden  homerische  Gestalten  nicht  mehr  in  freier 
poetischer  Tätigkeit  verwendet,  wohl  aber  sich  noch  mehrfach  über  Homer 
ausgesprochen.  Zuerst  geschieht  das  in  der  Apology  for  heroic  poetry  and 
poetic  licence  1674,  der  Einleitung  zu  dem  Versuch,  Milton's  Paradies  in 
ein  Musikdrama  umzuwandeln.  Nirgends  hat  Dryden  so  kräftig  die  Freiheit 
des  Dichters  verteidigt,  nirgends  der  Kritik  so  feste  Schranken  gezogen. 
Nicht  Fehler  hat  sie  aufzusuchen;  Aristoteles  hat  sie  eingesetzt  als  Richt- 
maß für  gutes  Urteil,  dessen  wesentlicher  Teil  in  der  Beobachtung  der 
Vorzüge  besteht,  die  einen  verständigen  Leser  erfreuen  können.  Diesen 
Gedanken  finden  wir  später  bei  Swift,  Addison,  Spence  und  andern  wieder. 
Wenn,  fährt  Dryden  fort,  Plan,  Ausführung  und  Darstellung  von  wahrem 


296  England 

poetiscliein  Genius  zeugen,  so  kommt  es  auf  Kleinigkeiten  nicht  an,  wie 
ja  schon  die  Schrift  vom  Erhabenen  das  Genie  bei  allen  Fehlem  der 
korrekten  Mittelmäßigkeit  vorgezogen  hat.  Homer  und  Virgil,  die  an- 
erkannten Meister  in  der  obersten  poetischen  Gattung,  dem  Epos,  haben 
die  herbsten  Methaphem,  die  stärksten  Hyperbeln.  Die  beste  Autorität 
ist  hier  das  beste  Argument:  die  Billigung  so  vieler  Zeitalter  hat  die 
Kraft  einer  Tradition.  Eine  Berufung  von  dieser  auf  die  Vernunft  vermag 
erst  etwas,  wenn  wir  zeigen  können,  daß  wir  das  Menschenherz  und 
dessen  Affekte  besser  verstehen,  als  die  großen  Dichter  sie  verstanden 
haben.  Ihr  Urgesetz  war  die  Kenntnis  der  Natur,  und  diese  sollten  die 
Dichter  ebenso  studieren,  wie  sie  es  mit  Aristoteles  und  Horaz,  ihren 
Interpreten,  tun.  Aus  den  Werken,  welche  Nachahmungen  der  Natur 
waren,  wurden  die  Regeln  abgeleitet,  weil  man  beobachtete,  was  wirksam 
war.  Nach  einer  lebhaften  Verteidigung  der  poetischen  Freiheit  in  den  Fi- 
guren spricht  Dryden  den  Dichtem  auch  das  Recht  zu,  übernatürliche 
Wesen  vorzuführen,  wenn  sich  der  Glaube  an  diese  auf  den  Volksglauben 
gründe,  und  beruft  sich  auf  die  Bibel  und  Homer,  die  solche  Wesen  mit 
menschlichen  Zügen  ausstatteten.  In  allen  Zeiten,  sagt  Dryden  ferner, 
war  es  den  Dichtern  erlaubt,  Dinge  zu  sagen,  die  über  den  Ernst  der 
Prosa  hinausgingen.  Dies  ist  das  Geburtsrecht  des  Dichters  seit  unsern 
Vorvätern  von  Homer  bis  auf  Ben  Jonson.  Die  Grenzen  dieser  Frei- 
heiten wechseln  je  nach  Völkern  und  Ländern. 

Auf  die  nämlichen  Fragen  kommt  Dryden  viel  später,  im  Essay  on 
Satire  1693,  noch  einmal  zu  sprechen,  aber  nicht  mit  derselben  Ent- 
schiedenheit. Zwar  stellt  er  Homer  und  Shakespeare  als  Muster  des 
universalen  Genies  auf,  das  alle  Künste  und  Wissenschaften,  alle  Moral- 
und  Naturphilosophie  besitzen  müsse.  Aber  stärker  als  in  der  Apology 
verlangt  er  das  Studium  der  Kritiker  und  zeigt  sich  in  der  Beurteilung 
des  Epos,  besonders  des  modernen,  von  Aristoteles  zu  sehr  beeinflußt. 
Daher  werden  Ariost  und  Spenser  vornehmlich  für  ihren  Mangel  an 
Einheit  getadelt;  wogegen  das  Urteil  über  Tasso  ganz  vortrefflich  ist. 
An  Milton  hat  Dryden  auszusetzen,  daß  der  Stoff  nicht  eigentlich  he- 
roisch, der  Ausgang  nicht  wie  der  aller  andern  Epen  glücklich  sei,  und 
daß  den  vielen  übersinnlichen  Wesen  nur  zwei  Menschen  gegenüber- 
stehen. Doch  habe  niemand  Homers  Art  so  glücklich  kopiert  wie  Milton, 
niemand  seine  Gräzismen  wie  die  lateinische  Eleganz  Virgils  so  reich 
übertragen.  Auch  hier  hält  Dryden  das  Recht  zur  Einführung  über- 
sinnlicher Gestalten  aufrecht,  im  Gegensatz  zu  dem  verwerfenden  Urteil 
Boileau's.  Die  geeigneten  Figuren,  meint  er  hier,  könnten  die  Dichter 
im  Alten  Testament  finden,  vor  allem  bei  Daniel  die  Schutzengel  der 


Drydcn  297 

einzelnen  Völker,  die,  erhaben  und  doch  nicht  vollkommen,  leicht  im 
Gegensatz  zueinander  und  im  Kampfe  mit  den  höllischen  Mächten  dar- 
gestellt  werden  könnten. 

Wichtig  sind  für  uns  besonders  die  Vorreden  zu  den  zahlreichen 
Übersetzungen.  Da  ist  zuerst  die  Preface  on  Translation  zu  der  Samm- 
lung Second  Miscellany  1685,  wo  sich  Dryden  mit  Roscommon  ausein- 
andersetzt. Er  erklärt  offen,  er  habe  bei  seinen  Übersetzungen  zusetzen 
und  auslassen,  ja  zuweilen  Erklärungen  geben  müssen,  die  ihm  kein  hol- 
ländischer Kommentator  verzeihen  werde.  Er  habe  dabei  Schönheiten 
entdeckt,  die  nur  ein  Dichter  finden  könne.  Der  Übersetzer  habe  das 
Original,  unter  Wahrung  von  dessen  Charakter,  angenehm  zu  machen. 
Eiu  guter  Übersetzer  müsse  selbst  ein  guter  Dichter  sein,  der  die  Mutter- 
sprache vollkommen  beherrsche,  zugleich  aber  auch  und  vor  allem  in 
den  Stil  seines  Autors  einzudringen  vermöge.  Doch  gesteht  Dryden,. 
dabei  manchmal  unübersteiglichen  Schwierigkeiten  begegnet  zu  sein. 

Auf  eine  Vergleichung  Homers  mit  Virgil  ist  Dryden  zum  ersten- 
mal ganz  gelegentlich  im  Essay  ofDramatic  Poesy  zu  sprechen  gekommen, 
jenem  meisterhaften  Werke,  das  die  dramatischen  Theorien  der  Franzosen, 
zumal  die  Lehre  von  den  drei  Einheiten,  so  energisch  bekämpft.  Hier 
nennt  er  Ben  Jonson  den  korrekteren  Dichter,  Shakespeare  das  größere 
Genie.  Shakespeare  war  der  Homer  oder  Vater  unserer  Dramatiker;  Jonson 
war  der  Virgil,  das  Vorbild  sorgsam  ausgearbeiteter  Schriftstellerei.  „Ich 
bewundere  ihn,  aber  Shakespeare  liebe  ich." 

Fast  zwanzig  Jahre  später,  in  der  Dedikation  zur  Vhersetzimg  der 
Aeneis  1687,  kommt  Dryden  auf  die  Vergleichung  der  beiden  Dichter 
zurück.  Der  Einfluß  der  klassizistischen  Theorie  macht  sich  in  der  Schrift 
sehr  geltend,  so  daß  über  das  Wesen  des  Epos  und  seines  Helden  wenig 
Neues  zu  gewinnen  ist.  Den  größten  Teil  des  Aufsatzes  nimmt  die  Rück- 
weisung von  Angriffen  auf  Virgil  ein,  meistens  in  Anlehnung  an  Segrais' 
Vorrede  zu  dessen  Übersetzung  des  Dichters.  Dabei  kommt  Homer  in 
steigendem  Maße  zu  kurz.  Dryden  ist  nämlich  eifrig  bemüht,  von  Virgil 
den  Vorwurf  abzuwälzen,  daß  er  kein  Erfinder  sei,  weil  er  so  manches  aus 
Homer  entlehnt  habe.  Dieser,  sagt  Dryden,  hat  doch  seinen  Stoff  auch 
nicht  erfunden,  und  unter  Erfindung  darf  man  überhaupt  nicht  die  eines 
ganz  neuen  Gegenstandes  verstehen.  Nur  im  Argument,  d.h.  in  der  Haupt- 
handlung, und  deren  Ökonomie  und  Disposition  muß  der  Dichter  selb- 
ständig sein.  Wohl  hat  Virgil  manches  entlehnt,  bietet  aber  auch  viel 
Eigenes.  Der  Grieche  hatte  nur  den  Vorteil,  früher  zu  sein.  Wo  Ähn- 
lichkeit besteht,  hat  Virgil  ihn  übertroften.  Bei  der  Lektüre  Homers  lernte 
Virgil  seine  Erfindung  nachzuahmen,  d.  h.  nachzuahmen  gleich  ihm.   Da& 


298  England 

ist  nicht  mehr,  als  wenn  ein  Maler  Raffael  studiert,  um  nach  seiner  Art 
entwerfen  zu  lernen. 

Seine  Abhängigkeit  von  Segrais  gibt  Dryden  unumwunden  mit  der 
Begründung  zu,  daß  die  Franzosen  als  Kritiker  die  Engländer  eben- 
sosehr überragten,  wie  sie  als  Dichter  hinter  ihnen  zurückständen;  genau 
so  wie  sie  diese  an  theoretischer  Kriegskunst  überträfen,  während 
ihnen  die  Engländer  am  Tage  der  Schlacht  doch  überlegen  seien.  Auch 
der  Auffassung  Le  Bossu's  hat  sich  Dryden  unterworfen;  er  übernimmt 
dessen  Lehre  von  dem  moralischen  Zweck  der  Ilias  und  sucht  auch  für 
die  Aeneis  einen  solchen  festzustellen,  die  Beglückung  des  Volkes  durch 
dessen  Gewinnung  für  die  neue  Staatsform.  Diese  Abhängigkeit  von  der 
Kritik  könnte  bei  einem  Manne  auffallen,  der  einst  triumphierend  die 
Frage  gestellt  hatte,  wer  nicht  lieber  Homer  als  Scaliger  sein  möchte. 
Aber  außer  der  oft  zu  großen  Unterwürfigkeit  unter  die  Regeln  und 
dem  Schwanken,  mit  dem  er  z.  B.  bald  dem  Epos,  bald  der  Tragödie 
den  ersten  Rang  in  der  Poesie  zuteilt,  hat  hier  ohne  Zweifel  die  Freude 
an  dem  Dichter  mitgewirkt,  durch  dessen  Übersetzung  Dryden  eine 
wirklich  künstlerische  Tat  vollbracht  hat. 

Nicht  wesentlich  anders  lautet  das  Urteil  in  der  Dedication  to  the 
Third  Miscellany  1693,  einer  Sammlung,  die  neben  Übersetzungen  aus 
Ovids  Metamorphosen  auch  eine  solche  von  Hektors  Abschied  enthält. 
Dryden  findet  hier  den  Homer  geeigneter  die  männlichen  Leidenschaften 
zu  erregen  als  die  der  Klage  und  des  Mitleids.  Bewunderung  flößt  er 
ihm  mehr  ein  als  Virgil,  aber  er  tadelt  an  ihm,  daß  er  oft  geschwätzig 
sei  und  sehr  abschweife.  So  lasse  er  Andromache  Dinge  erzählen,  die 
Hektor  ebensogut  wisse  wie  sie  selbst.  Virgil  würde  etwas  so  Über- 
flüssiges vermieden  haben.  Er  stehe  zwar  dem  Homer  an  Erfindung  nach, 
übertrefi'e  ihn  aber  durch  sein  bewundernswertes  Urteil.  Wenn  Dryden 
an  dieser  Stelle  über  den  Standpunkt  von  Rapin's  Comparaison  kaum 
hinauskommt,  so  ist  die  Ursache  davon  wohl  wiederum  die,  daß  ihn  die 
eifrige  Beschäftigung  mit  den  Römern  der  homerischen  Poesie  stark  ent- 
fremdet hatte. 

Er  urteilte  über  Homer  wieder  anders,  als  ihm  der  Gedanke  nahe 
trat,  auch  jenen  ganz  zu  übersetzen.  In  der  Preface  of  the  Fahles  1700 
berichtet  er,  wie  er  bei  der  Arbeit  fand,  die  Übertragung  Homers  sei 
doch  eine  erfreulichere  Aufgabe  als  die  Virgils;  nicht  eine  weniger  mühe- 
volle, aber  der  Grieche  sei  seinem  eigenen  Genius  vertrauter.  Ohne  Homer 
würde  Virgil  nie  die  epische  Poesie  geschaffen  haben,  und  wenn  Er- 
findung die  erste  Tugend  des  Epikers  sei,  so  nehme  Virgil  doch  nur  die 
zweite   Stelle    ein.     Dryden   freut   sich   bei  Homer  vor   allem   an   dem 


m 


Dryden  299 

rastlos  stürmischen  Charakter  der  Erzählung,  die  den  Leser  nie  erkalten 
läßt  und  seinem  eigenen  Temperament  besser  zusagt  als  Virgil.  Doch 
sei,  gesteht  er,  die  Übersetzung  keine  Freude  ohne  Mühe  gewesen.  Die 
beständige  geistige  Aufregung  habe  ihn  ermüdet,  und  er  habe  zwischen 
den  hitzigen  Geschichten,  heats,  mancher  Erholungspause  bedurft.  Voll- 
endet wurde  nur  das  erste  Buch  der  Ilias,  ganz  nach  Dryden's  Über- 
setzungsgrundsätzen, so  daß  wir  oft  genug  mehr  eine  Umschreibung 
und  Ausführung  als  eine  wörtliche  Wiedergabe  vor  uns  haben.  Aber 
das  Buch  liest  sich  schön  und  gibt  Zeugnis  von  dem  Feuer,  das  Dryden 
bei  Homer  gefunden  hat. 

Wir  finden  bei  Dryden  Widersprüche,  die  nicht  ausgeglichen  sind. 
Wie  er  nie  dazu  gekommen  ist,  an  der  Überlegenheit  des  Genies  über 
die  Regeln  rückhaltlos  festzuhalten,  so  hat  auch  im  kleinen  sein  Urteil 
gewechselt,  wie  wir  es  bei  seinen  iiußerungen  über  Homer  und  Virgil 
sehen.  Ein  Beispiel  ist  dafür  besonders  bezeichnend.  In  der  Dedikation 
der  Aeneis  führt  er  für  die  Verbesserungen  homerischer  Anregungen  durch 
Virgil  Dido  an:  „Was  sind  die  Tränen  der  Kalypso  darüber,  daß  Odysseus 
sie  verläßt,  gegen  Didos  Worte  und  Tod?  Wo  findet  man  in  der  schmach- 
tenden Episode  der  Odyssee  die  ganze  Entwicklung  der  Leidenschaft  und 
deren  gewaltsame  Wirkungen?  Wenn  das  kopieren  heißt,  so  mögen  uns 
die  Kritiker  die  nämlichen  Anlagen  und  Züge,  die  nämliche  Farbengebung 
im  Original  nachweisen."  In  der  Preface  zu  den  Fabeln  dagegen  sagt 
er,  es  könne,  ohne  Virgil  zu  nahe  zu  treten,  ausgesprochen  werden,  daß 
er  seinen  Plan  bei  Homer  gelernt  habe;  man  werde  nicht  leugnen  können, 
daß  Dido  die  poetische  Tochter  der  Kalypso  sei.  Dryden  ist  bei  dem 
Stoff,  mit  dem  er  sich  gerade  beschäftigte,  warm  geworden,  wie  ein  Dichter 
zu  tun  pflegt,  und  zeigt  deshalb,  wie  durch  eine  zu  große  Nachgiebigkeit 
gegen  fremde  Einflüsse,  oftmals  Widersprüche.  Das  schmälert  aber  sein 
großartigstes  Verdienst  nicht,  daß  er  der  erste  laute  Verkünder  des  Genies 
gewesen  ist.  Dadurch  hat  er  auf  Dubos  und  Diderot,  noch  mehr  auf  seine 
eigenen  Landsleute  gewirkt.  Wenn  England  den  Klassizismus  ohne  zu  große 
Mühe  überwunden  hat,  so  gebührt  Dryden  dafür  der  vornehmste  Ruhm. 

Wie  sehr  am  Ende  des  Jahrhunderts  die  französischen  Auffassungen 
Boden  gefunden  hatten,  dafür  zeugt  am  besten  Richard  Blackmore's 
episches  Gedicht  Prince  Arthur  1695  samt  der  Vorrede.  Es  behandelt 
die  Wiedergewinnung  des  von  den  Sachsen  eroberten  England  durch  den 
britischen  Fürsten  Arthur.  Absicht  des  Gedichtes  ist  es,  der  entarteten 
englischen  Poesie,  zumal  der  Komödie,  etwas  Erhabenes  und  moralisch 
Gutes  entgegenzusetzen. 


300  England 

Blackmore's  Theorien  sind  die  Le  Bossu's.  Er  verlangt  vom  Epos 
einen  w^örtlichen  und  einen  typischen  Sinn;  beides  findet  er  bei  Virgil 
glücklich  durchgeführt,  während,  w^ie  er  behauptet,  Homer  oft  nur  alle- 
gorisch, nicht  auch  buchstäblich  zu  'fassen  sei,  Spenser  aber  und  Ariost 
sich  in  wilde  Allegorien  verlieren.  Auch  sonst  ist  er  ein  gläubiger  An- 
hänger der  Franzosen;  von  den  Engländern  preist  er  deshalb  besonders 
Rymer.  Ihre  Regeln  sind  ihm  für  die  Beurteilung  des  Epos  maßgebend. 
Gegen  Boileau  polemisiert  er,  ohne  ihn  zu  nennen,  da  er  nämlich  dessen 
Behauptung,  die  Gestalten  der  christlichen  Religion  seien  für  epische 
Poesie  weniger  geeignet  als  die  der  heidnischen,  ganz  unrichtig  findet. 
Wesentlich  oder  notwendig  seien  sie  für  das  Epos  nicht,  aber  Himmel 
und  Hölle  für  die  Sache  zu  interessieren  hebe  den  Gegenstand  mächtig 
und  lasse  die  Handlung  wunderbarer  erscheinen.  Wirklich  tut  er  alles, 
was  Boileau  tadelt.  Sein  Lucifer  mischt  sich  jeden  Augenblick  ein, 
ohne  je  etwas  Rechtes  ausrichten  zu  können.  Diese  Versuche  des  Teufels 
entsprechen  wohl  zuweilen  den  Stellen,  wo  Virgil  die  dem  Aeneas  feind- 
lichen Götter  verwendet,  aber  die  direkten  Vorbilder  zu  Blackmore's 
Dämonen  stehen  bei  Chapelain  und  Desmarets. 

Blackmore's  Angabe,  daß  Virgil  das  Muster  seines  Gedichtes  sei, 
ist  buchstäblich  zu  verstehen.  Der  Prince  Arthur  ist  eine  sehr  unfreie 
Nachbildung  der  Aeneis,  von  der  Ausfahrt  Arthurs  zur  Wiedergewinnung 
Britanniens  bis  zum  Zweikampf  mit  dem  feindlichen  Helden  Tolle. 
Daneben  ist  mancherlei  benutzt:  Milton,  Cowley,  die  Bekehrung  des 
Paulus,  die  Geschichte  Bileams,  in  der  großen  Schlacht  und  der  Be- 
stattung Macors  auch  Homer.  Die  Erzählung  des  Aeneas  bei  Dido  wird 
durch  einen  theologischen  Vortrag  ersetzt,  den  Arthur  dem  König  Hoel 
über  Schöpfung,  Menschwerdung  und  jüngstes  Gericht  hält,  um  ihn 
zum  Christentum  zu  bekehren.  Die  frühere  Geschichte  von  England 
erfahren  wir  durch  eine  Erzählung,  die  künftige  in  einem  Traum  Arthurs, 
alles  nach  bewährten  Rezepten,  natürlich  auch  einen  Katalog  der  Führer 
aller  Streitkräfte.  Erzählung  ist  nicht  Blackmore's  starke  Seite,  dagegen 
entwickelt  er  zuweilen  eine  beträchtliche  Rhetorik. 

Um  dieselbe  Zeit  schlugen  auch  einige  Wogen  der  Querelle  des 
Anciens  et  des  Modernes  von  Frankreich  nach  England  hinüber.  Ge- 
ärgert durch  die  Urteile  Fontenelle's  und  Perrault's,  veröffentlichte  Sir 
William  Tfemple  1692  den  schön  geschriebenen  Essay  upon  the 
ancient  and  modern  learning.  Ohne  viel  Kenntnis  der  Sache  und  von 
der  Voraussetzung  ausgehend,  daß  sich  die  Menschheit  beständig  ver- 
schlechtere und  daher  die  ältesten  Bücher  notwendig  die  besten  gewesen 
sein  müßten,  bewies  er,  daß  die  Alten  den  Modernen  in  jedem  Wissen 


Blackmore     Temple  301 

überlegen  waren  und  die  Fortschritte  der  letzteren  nicht  viel  zu  bedeuten 
hätten.  So  absurd  und  phantastisch  die  ganze  Geschichte  ist,  so  muß 
Temple  doch  gegen  den  Vorwurf  Macaulay's,  daß  er  die  größten  mo- 
dernen Dichter  ignoriert  habe,  in  Schutz  genommen  werden.  Temple 
unterscheidet  nämlich  scharf  zwischen  Wissen  und  Poesie  und  hat  daher 
die  Besprechung  der  Dichter  für  den  Aufsatz  Of  Poetry  aufgespart,  wo 
er  mit  viel  größerer  Sachkenntnis  redet.  Er  beschränkt  sich  hier  vor- 
nehmlich auf  das  Epos,  weil  ihm  dieses  die  Krone  der  Poesie  ist,  und 
weil  nach  seinem  Urteil  im  Drama  die  Engländer  von  vornherein 
alle  Alten  und  Neuen  übertreffen.  Im  Epos  erreicht  niemand  Homer 
und  Yirgil,  von  denen  schließlich  jenem  der  erste  Preis  zuerteilt  wird. 
Temple's  Urteile  über  diese  Dichter  sind  zwar  nicht  sein  eigen,  sondern 
meistens  aus  Dryden  geborgt,  aber  der  historische  Abriß  über  die  Ent- 
wicklung der  Poesie  ist  nicht  ohne  Interesse.  Einige  Urteile  über  Epiker 
mögen  hier  Platz  finden.  Natürlich  bedeutet  die  Entwicklung  gegen- 
über den  großen  Alten  einen  Verfall,  woran  vor  allem  dem  eindringenden 
Reim  schuld  gegeben  wird.  Eine  Wiederbelebung  der  Poesie  brachte 
die  Wiederentdeckung  des  Altertums,  freilich  in  den  neuen  Formen. 
Ariost  und  Tasso,  dem  hohen  Fluge  des  Epos  nicht  gewachsen,  studierten 
die  Alten  und  verfielen  in  die  Nachahmung  Virgils,  soweit  es  ihnen 
die  Kraft  ihres  Genies  und  die  Nachteile  der  modernen  Sprachen  ge- 
statteten. Die  antike  Mythologie,  die  in  die  alten  Epen  so  angenehm 
verwoben  war,  ersetzten  sie  durch  die  christliche  Religion,  die  sie  da- 
durch herabwürdigten.  Spenser  suchte  den  Mangel  durch  Moral  zu  er- 
setzen; sein  Gedicht  ist  ausgezeichnet  durchgeführt  und  hat  hohen  Flug 
der  Phantasie;  aber  seine  Absicht,  statt  einer  Geschichte  die  Belehrung 
zum  Gegenstand  des  Epos  zu  machen,  war  armselig,  und  die  Moral  lag 
zu  offen  da,  um  wirken  zu  können.  Damit  sind  die  nennenswerten  Epiker 
der  Neuzeit  erschöpft.  Gegenüber  diesen  doch  ziemlich  schiefen  Urteilen 
erfreut  bei  Temple  ein  wirkliches  Verständnis  für  Poesie. 

Regeln  über  diese  zu  geben  lehnt  er  nämlich  ab,  vornehmlich  im 
Hinblick  auf  die  französischen  Kritiker,  die  es  bei  aller  Einbildung 
doch  nicht  weiter  gebracht  haben  als  zu  Kommentaren  zu  Aristoteles 
und  Horaz.  Der  Genius  der  Poesie  ist  zu  frei,  als  daß  er  sich  in  Regeln 
einschließen  ließe;  wer  ihn  diesen  unterwerfen  will,  zerstört  seinen 
Geist  wie  seine  Anmut.  Das  entscheidende  Merkmal  des  großen  Dich- 
ters besteht  darin,  daß  er  die  Leidenschaften,  die  er  fühlt,  auch  in  den 
Hörern  erweckt  und  diese  in  seinen  Zauberkreis  entrückt.  Kritiker 
haben  noch  nie  einen  großen  Dichter  gebildet,  selbst  Aristoteles  und 
Horaz  nicht. 


302  England 

Auf  die  erste  Sclirift  Temple's  antwortete  William  Wotton  in 
geinen  Refledions  lipon  ancient  and  modern  Jearning  1694.  Mit  gründ- 
lichstem Wissen  untersuclit  der  Verfasser  jeden  Zweig  des  geistigen 
Lebens  und  weist  die  in  den  exakten  Wissenschaften  und  der  Philosophie 
dem  Altertum  gegenüber  gemachten  Fortschritte  nach,  die  er  ganz  ein- 
fach auf  die  längere  Erfahrung  und  Entwicklung  zurückführt.  Anders 
urteilt  er  über  die  Prosa,  eloquence,  und  die  Poesie.  Den  Franzosen, 
so  führt  er  aus,  war  es  vorbehalten,  diese  Künste  mit  den  übrigen  zu- 
sammenzuwerfen. Auch  Temple  wirft  zwei  Fragen  durcheinander,  näm- 
lich die,  ob  die  Alten  oder  die  Modernen  die  größeren  Menschen  gewesen 
seien,  und  die  andere,  welche  von  beiden  die  Entwicklung  mehr  gefördert 
haben.  Das  ist  nicht  dasselbe.  Die  erste  Frage  ist  schwer  zu  entscheiden, 
weil  es  an  einem  Durchschnitt  fehlt,  auf  den  man  den  Beweis  gründen 
könnte.  Man  kann  wohl  die  Werke  gegeneinander  abwägen,  aber  der 
Frühere  hat  immer  den  Vorteil  vor  dem  Spätem.  So  kann  man  z.  B. 
Paradise  Lost  und  Faerie  Queene  für  vollkommener  halten  als  die  Ilias 
und  doch  Homer  größeres  Genie  zuerkennen  als  Milton  und  Spenser. 
Um  sich  im  Urteil  vor  Irrtümern  zu  bewahren,  muß  man  die  Wege 
kennen,  auf  denen  die  Genies  zu  ihren  Erfindungen  gekommen  sind 
und  diese  vervollkommneten. 

Wotton  geht  von  dem  Satze  aus,  daß  die  Verehrung  für  die  Poesie 
und  Prosa  der  Alten  mehr  sei  als  ein  bloßes  Vorurteil.  Nicht  nur  ge- 
währt ihre  Lektüre  wirklichen  Genuß,  sondern  es  sind  auch  die  Werke 
der  Modernen  um  so  besser,  je  mehr  diese  die  Alten  studiert  haben. 
Diese  Überlegenheit  kann  nicht  damit  erklärt  werden,  daß  die  Alten 
früher  waren.  Auch  kann  die  Blüte  dieser  Künste  nicht  auf  eine  Natur- 
anlage oder  auf  Fleiß  zurückgeführt  werden,  sonst  müßte  sie  bei  allen 
Völkern  dieselbe  sein.  Es  hängt  vielmehr  alles  von  den  fördernden 
oder  hindernden  Faktoren  ab.  Damit  hat  Wotton  etwas  Neues  und 
Entscheidendes  getan:  er  hat  die  Theorie  des  Milieu  aufgestellt,  die 
dann  in  Frankreich  zuerst  von  Dubos  übernommen  wurde.  Für  die 
griechische  Poesie,  setzt  Wotton  auseinander,  war  die  erste  glückliche 
Vorbedingung  die  prachtvolle  Modulationsfähigkeit  der  Sprache;  dann 
wurde  sie  getragen  durch  die  Achtung  der  Menschen  vor  der  Schönheit 
ihrer  Verse  und  ihrem  sittigenden  Gehalt.  Diese  allgemeine  Achtung 
brachte  einen  regen  Wettbewerb  in  Formen  und  Stoffen  hervor,  bis 
endlich  das  Hervorragendste  als  Muster  aufgestellt  wurde.  Die  Prosa 
verdankte  ihre  Entwicklung  der  Freiheit  und  Mannigfaltigkeit  der  grie- 
chischen Verhältnisse,  wie  ja  auch  in  Rom  die  Kunst  der  Rede  mit 
der  politischen  Freiheit   stand  und  fiel.    Unter  gleichen  Bedingungen 


Wotton    Blackwall  303 

könnte  unsere  Zeit  gleich  große  Dichter  und  Prosaiker  hervorbringen; 
ist  doch  unsere  Geschichtschreibung  der  antiken  zum  Teil  bereits  eben« 
bürtig.  Dabei  leugnet  Wotton  die  Wichtigkeit  des  Genies  und  des 
Urteils  für  die  Poesie  nicht,  stellt  sie  aber  in  zweite  Linie. 

Ebenso  bedeutsam  ist  die  Auseinandersetzung  mit  Perrault.  Die 
Lehre,  daß  die  Frühern  die  Spätem  übertreffen  müßten,  ist,  sagt  Wotton, 
nicht  aufrecht  zu  erhalten,  da  das  Literesse  der  Menschen  nicht  immer 
an  denselben  Gegenständen  haftet  und  Niedergänge  historisch  nach- 
gewiesen sind.  Vor  allem  hat  Perrault  Unrecht,  wenn  er  auch  in  der 
Poesie  den  Fortschritt  auf  die  beständige  Vermehrung  von  Beobachtungen 
und  Regeln  zurückführt.  Die  Poesie  befaßt  sich  mit  den  Affekten  des 
Gemüts,  und  hier  genügte  die  Erfahrung  weniger  Zeitalter,  unterstützt 
durch  Bücher,  welche  die  einzelnen  Fälle  aufbewahrten,  um  die  volle 
und  überhaupt  mögliche  Höhe  zu  erreichen.  Zeigen  doch  die  Werke 
des  Aristoteles  und  der  Stoiker  die  Kenntnis  des  Menschen  in  nicht 
zu  übertreffender  Klarheit.  Die  Einfachheit  des  Altertums  hinsichtlich 
der  Gefühle  ist  durchaus  kein  Zeichen  von  Roheit,  sondern  von  Ge- 
sundheit im  Gegensatz  zu  der  von  Perrault  gepriesenen  Überfeinerung. 
Wenn  die  Alten  fehlen,  so  geschieht  es  durch  allzu  große  Natürlichkeit. 
Ohne  Perrault  seine  Unkenntnis  des  Griechischen  direkt  vorzuwerfen^ 
führt  Wotton  femer  aus,  daß  die  französischen  Kritiker  bei  ihren  Urteilen 
nur  auf  Sinn,  Verknüpfung  und  Methode  sähen,  ohne  zu  beachten,  wie 
wichtig  für  das  Kunstwerk  die  sprachliche  Form  ist.  Sie  beurteilen 
die  alten  Dichter  nach  den  französischen  Übersetzungen  in  Prosa,  bei 
denen  das  Beste  verloren  gegangen  ist.  Wer  jene  in  ihrer  Sprache 
nicht  lesen  kann,  hat  nur  einie  halbe  Vorstellung  von  ihrer  Kunst,  und 
auch  diese  Hälfte  ist  nicht  zuverlässig. 

Temple's  Schrift  hatte,  wie  er  mitteilt  und  Wotton  bestätigt,  großen 
Anklang  gefunden,  da  der  Respekt  vor  dem  Altertum  allgemein  und 
groß  war.  Diesen  hat  Wotton  nicht  vermindert,  sondern  ihm  nur  seinen 
richtigen  Platz  angewiesen.  Mit  seinem  Buch  ist  der  Kampf  für  Eng- 
land tatsächlich  schon  zu  Ende,  da  er  hier  ohnehin  keinen  Boden  hatte. 
Es  wird  gelegentlich  noch  da  und  dort  darauf  Rücksicht  genommen. 
Eine  besondere  Schrift  An  Introduction  to  the  Classics  widmete  Anthony 
Blackwall  1718  den  Vorzügen  der  alten  Klassiker,  ohne  indessen  viel 
Neues  vorzubringen.  Er  zitiert  eine  Reihe  ihrer  Widersacher,  preist 
(He  durchsichtige  und  klare  Schreibart  der  Alten,  bekämpft  die  Meinung, 
als  ob  man  sie  durch  Übersetzungen  kennen  lernen  könne,  und  hebt 
ihren  Nutzen  für  die  Betätigung  im  Staat  und  für  die  Moral  hervor. 
Für  ihn  steht  es,   wie  für  Stillingfleet  und  Pincinelli,  fest,  daß  vieles 


304  England 

in  der  heidnichen  Theologie  aus  dem  Ritus  der  jüdischen  Religion  ab- 
geleitet ist.  Ob  Blackwall,  der  nach  Addison  und  Pope  geschrieben  hat, 
stark  gewirkt  habe,  ist  zu  bezweifeln,  denn  er  hat  doch  im  damaligen 
England  nur  offene  Türen  eingestoßen.  Die  Frage  nach  den  Vorzügen 
der  Alten  und  Modernen  wird  gelegentlich  noch  berührt,  aber  im  18.  Jahr- 
hundert denken  die  Engländer  über  die  Querelle  ziemlich  einhellig  so, 
wie  später  Macaulay  getan  hat,  der  sie  kurzerhand  müßig  und  ver- 
ächtlich nennt. 

Die  Kontroverse  zwischen  Temple  und  Wotton  hatte  jedoch  ein 
Nachspiel,  das  folgenreicher  wurde  als  die  Streitfrage  selbst.  In  seinem 
Bestreben,  die  menschliche  Entwicklung  als  fortdauernden  Verfall  dar- 
zustellen und  daher  den  ältesten  Büchern  den  ersten  Rang  einzuräumen, 
hatte  Temple  die  ältesten  griechischen  Prosawerke  als  die  vorzüglichsten 
ihrer  Art  bezeichnet.  Es  waren  die  Briefe  des  Phalaris,  des  Tyrannen 
von  Akragas  im  6.  Jahrhundert  v.  Chr.,  und  die  Fabeln  Aesops.  Wotton's 
zweiter  Auflage  1697  gab  nun  der  große  Gelehrte  Richard  Bentley  eine 
Dissertation  bei,  die  den  Nachweis  leistete,  daß  die  Briefe  des  Phalaris 
«ine  späte  Fälschung  und  die  für  äsopisch  gehaltenen  Fabeln  die  von 
dem  byzantinischen  Gelehrten  Maximus  Planudes  im  14.  Jahrhundert 
verfaßte  Prosaparaphrase  der  Fabeln  des  Babrios  seien. 

Bentley  hatte,  ganz  unbekümmert  um  Anciens  und  Modernes,  nur 
der  Wahrheit  die  Ehre  gegeben.  Aber  der  Aufruhr,  der  sich  gegen  ihn 
erhob,  und  die  Parteinahme  des  großen  Publikums  gegen  ihn  müssen 
doch  noch  andere  als  nur  persönliche  Gründe  gehabt  haben.  Es  sei 
mir  gestattet,  darüber  eine  Vermutung  zu  äußern.  Uns  ist  es  heute 
selbstverständlich,  daß  seine  Methode,  sein  Wissen,  seine  Art  der  Po- 
lemik über  die  Gegner  triumphieren  mußte.  Aber  damals  lagen  die 
Dinge  noch  anders.  Die  große  Menge  der  literarisch  und  philosophisch 
Gebildeten  war  gewohnt,  die  philologische  Arbeit  geringschätzig  zu  be- 
trachten. Dryden,  Temple,  Saint-Evremond,  selbst  noch  Shaftesbury  haben 
nur  Verachtung  für  die  Pedants.  Jetzt  kommt  aus  diesen  moderigen 
Schreibstuben  plötzlich  einer  mit  etwas  ganz  Neuem,  das  den  Gebildeten 
das  größte  Unbehagen  verursacht,  mit  der  historischen  Kritik.  In- 
stinktiv fühlt  die  Welt,  daß  ihr  bis  jetzt  so  sicherer  Besitzstand  bedroht 
ist.  Wenn  die  berufensten  Hüter  der  Antike  so  gegen  die  Alten  vor- 
gingen, wohin  konnte  das  führen.  Diese  Stimmung  hat  sich  nirgends  so 
sichtbar  niedergeschlagen  wie  in  Swift' s  1696  geschriebener,  1704  ver- 
öffentlichter Schrift  Ä  Tale  of  a  Tub,  in  die  er  nachträglich  zugunsten 
Temple' s  und  gegen  Bentley  zwei  Digressionen  einlegte.  Die  erste  handelt 
von  der  Kritik  und  stellt  in  Anlehnung  an  Dryden  fest,  daß  die  alten 


I 


Bentley     Swift  305 

Formen  der  Kritik,  die  zur  richtigen  Beurteilung-  und  zum  wahren  Genuß 
der  Schriftsteller  anleiteten  oder  alte  Gelehrsamkeit  vor  Vernichtung 
schützten,  ausgestorben  seien,  und  daß  nur  derjenige  Kritiker  übrig- 
geblieben sei,  der,  von  Momus  und  Hybris  abstammend,  seine  Aufgabe 
in  Entdeckung  und  Sammlung  von  Fehlem  erblicke.  In  diese  Kate- 
gorie gehörten  neben  dem  antiken  Homerfeind  Zoilos  in  der  Neuzeit 
Bentley,  Wotton,  Perrault,  Dennis,  eine  sehr  gemischte  Gesellschaft. 
Die  Fülle  von  boshaften  Bemerkungen  zeigt,  wie  tief  Bentley's  Kritik 
in  Temple's  Kreis  eingegriffen  hatte. 

Mit  Bentley  beginnt  auch  die  zweite  Digression,  die  dann  auf  den 
eigentlichen  Streitpunkt  eingeht.  Swift  meint,  die  Modernen  hätten  das 
schwach  glimmende  Licht  der  Alten  so  verdunkelt,  daß  man  sich  darüber 
streite,  ob  es  überhaupt  Alte  gegeben  habe;  man  könne  sich  darüber  bei 
Bentley  Belehrung  holen.  Es  sei  zu  bedauern,  daß  kein  Moderner  einen 
Extrakt  des  gesamten  Wissens  undMeinens  zusammengestellt  habe;  Swift 
gibt  dafür  ein  höhnisches  Rezept.  Homer,  fährt  er  fort,  hat  allerdings 
etwas  derart  versucht;  aber  obwohl  er  für  einen  Alten  ein  erträgliches 
Genie  war,  zeigt  er  doch  unverzeihliche  Vernachlässigungen.  Man  nennt 
ihn  einen  Kabbalisten,  aber  sein  Bericht  über  das  Opus  magnum  ist 
armselig  und  mangelhaft,  und  die  Anthroposophia  theomagica  hat  er  nur 
unvollkommen  gelesen.  Auch  seine  Kenntnis  der  Mechanik  ist  mangel- 
haft. Mit  der  größten  Aufmerksamkeit  kann  man  nicht  entdecken,  daß 
er  die  Konstruktion  des  Kerzenhalters,  save-all,  gekannt  habe,  ohne  den  wir 
im  Finstem  tappen  müßten.  Mit  Recht  tadelt  ihn  Wotton,  daß  er  von 
der  englischen  Monarchie  und  Hochkirche  keine  Ahnung  gehabt  habe. 
Für  andere  Fehler  ist  Homer  weniger  verantwortlich.  Er  konnte  die 
Errungenschaften  der  letzten  drei  Jahre  oder  so  herum  wirklich  nicht 
kennen  und  steht  denn  auch  hierin  weiter  zurück,  als  seine  Verehrer 
Wort  haben  wollen.  Man  kann  ja  anerkennen,  daß  er  den  Kompaß,  das 
Schießpulver  und  den  Kreislauf  des  Blutes  erfunden  habe;  aber  man 
zeige  mir  einen  Bericht  über  den  Spleen  oder  über  politische  Wetten. 
Seine  Erörterung  über  den  Tee  ist  ganz  ungenügend,  und  auf  seine 
Methode,  den  Speichelfluß  ohne  Quecksilber  zu  heilen,  ist  kein  Verlaß. 
So  geißelt  Swift  mit  glänzendem  Witz  ebenso  sehr  die  blinden  Verehrer, 
die  alles  in  Homer  finden  wollten,  als  die  oberflächlichen  Tadler,  die 
hochmütig  von  ihrer  Kulturhöhe  auf  ihn  heruntersahen. 

Gegen  Bentley  ist  auch  die  geistvolle  Satire  The  Battle  of  the  Books 
gerichtet,  die  1697  begonnen  wurde,  aber  frühestens  1698  vollendet 
worden  sein  kann.  Die  letzte  Partie  nämlich,  The  episod  of  Bentley 
and  Wotton,  läßt  Charles  Boyle   als  Kämpen   auftreten  und  nimmt 

Finaler:  Homer  in  der  Neuzeit.  20 


306  England 

damit  Bezug  auf  den  an  Bentley's  Dissertation  sich  knüpfenden  Streit. 
Boyle  hatte,  offenbar  durch  Temple's  Schrift  angeregt,  1695  die  Briefe 
des  Phalaris  herausgegeben.  Nach  Bentley's  Auftreten  erschien  unter 
Boyle's  Namen  1698  ein  heftiger  Angriff  auf  seine  Arbeit  und  seine 
Person,  und  diese  Schrift  muß  Swift  bei  der  Vollendung  seiner  Satire 
bereits  vorgelegen  haben. 

Dem  Battle  of  Books  hat  wahrscheinlich  De  Callieres  zum  Muster 
gedient,  aber  nur  ganz  im  allgemeinen.  Der  Inhalt  ist  kurz  folgender. 
Seit  langer  Zeit  hatten  die  Alten  und  die  Modernen  die  beiden  Gipfel 
des  Parnaß  inne,  und  die  Modernen  hatten  sich  längst  darüber  beklagt, 
daß  ihnen  die  Alten  die  Aussicht  versperrten,  zumal  nach  Osten,  wo 
nämlich  Temple  den  Ursprung  aller  Künste  und  Wissenschaften  ent- 
deckt hatte.  Sie  verlangten,  die  Alten  sollten  ihnen  den  Platz  räumen 
oder  ihnen  erlauben,  den  hemmenden  Gipfel  abzutragen,  worauf  diese, 
mit  Berufung  auf  ihr  angestammtes  Besitzrecht,  antworteten,  die  Mo- 
dernen könnten  ja  ihren  eigenen  Gipfel  erhöhen.  In  dem  darob  aus- 
brechenden, mit  Tinte  und  Feder  geführten  Kriege  errichteten  beide 
Parteien  eine  Menge  von  Siegeszeichen  in  Gestalt  der  massenhaft  er- 
scheinenden Streitschriften.  Die  wichtigsten  davon  wurden  in  Biblio- 
theken aufgestapelt,  wo  die  Geister  der  Verfasser  über  ihnen  schwebten, 
bis  Staub  und  Würmer  die  Schriften  verzehrten.  Man  hatte  bisher  die 
Bücher,  um  in  den  Bibliotheken  die  Ruhe  aufrecht  zu  erhalten,  mit 
eisernen  Ketten  angebunden.  Wie  nun  die  Streitschriften  über  den 
Parnaß  erschienen,  hatte  Swift  geraten  die  Kämpfer  paarweise  zusammen 
zuketten,  damit  sie  ihr  Gift  nur  gegeneinander  verspritzen  könnten. 
Die  Nichtbeachtung  dieses  klugen  Rates  sollte  sich  rächen.  Eine  Neu- 
ordnung der  Bücher,  die  Bentley,  der  BibHothekar  von  Saint -James, 
zugunsten  der  von  ihm  patronisierten  Modernen  vornahm,  veranlaß te 
große  Aufregung  und  eine  kriegerische  Rüstung  beider  Parteien.  Ein 
Zufall  brachte  den  Kampf  zum  Ausbruch.  In  einer  Ecke  der  Bibliothek, 
an  einem  Fenster,  hatte  eine  große  Spinne  ihr  Netz  gesponnen,  in 
dessen  Fäden  zahlreiche  Fliegen  hängen  geblieben  waren.  Da  geriet 
eine  Biene  in  das  Netz,  machte  sich  aber  gewaltsam  frei  und  zerriß 
dabei  einen  großen  Teil  desselben.  In  höchstem  Zorn  ereiferte  sich  die 
Spinne  über  den  unnützen  Vagabunden,  der  ihr  Gebäude  zerstört  hatte, 
das  sie  doch  ganz  aus  eigener  Kraft,  ohne  fremde  Muster,  verfertigt, 
und  zu  dem  sie  das  Material  ganz  ausschließlich  aus  den  eigenen  Ein- 
geweiden genommen  habe.  Die  Biene  erwiderte,  das  Werk  der  Spinne 
entbehre  trotz  der  Künste  der  Mathematik  und  Architektur,  mit  denen 
es   aufgebaut  sei,   der  Solidität,   und  wenn  man  aus  den  Erfolgen  der 


Swift  307 

Spinne  schließen  wolle,  sei  das  Material,  das  jene  dem  eigenen  Leibe 
entnommen  habe,  lauter  Gift.  Sie  dagegen,  die  Biene,  lebe  niemand  zu 
Leide  und  bilde  nur  Honig  und  Wachs  aus  den  Blumen,  die  sie  be- 
suche. Das  Gespräch  verstand  Aesop,  der  eben  durch  Bentley  aus  den 
Reihen  der  Alten  gestrichen  worden  war.  Er  erhob  sich  und  hielt 
eine  Rede,  in  der  er  das  Gespräch  auslegte.  Die  Spinne,  führte  er  aus, 
ist  den  Modernen  zu  vergleichen,  die  keinem  Vorgänger  etwas  schuldig 
sein  wollen,  alles  sich  selbst  zu  verdanken  meinen  und  sich  mit  ihren 
Kenntnissen  in  den  exakten  Wissenschaften  brüsten,  deren  Gebäude 
aber  durchaus  unsolid  sind.  Wie  die  giftige  Spinne  mit  den  armen 
Fliegen  tut,  so  spritzen  sie  ihr  Gift  auf  die  wehrlosen  Lisekten  der 
Literatur.  Die  Alten  dagegen  haben,  wie  die  Biene  nur  Flügel  und 
Stimme,  nur  ihre  Laspiration  und  ihre  Sprache;  aber  mit  unermüdlichem 
Feuer  formen  sie,  wie  jene  Honig  und  Wachs,  die  für  die  Menschheit 
wertvollsten  Dinge,  die  Feinheit  der  Sitten  und  die  Erleuchtung  des 
Geistes. 

Aesops  Rede  entflammt  die  Gemüter.  Die  Bücher  ordnen  sich  zur 
Schlacht.  Momus,  der  oberste  Gönner  der  Modernen,  eilt  nach  Novaja 
Semlia,  wo  die  Kritik  mit  ihren  Eltern  Unwissenheit  und  Hochmut 
und  einer  ganzen  Sippe  dieser  Art  in  einer  Höhle  haust,  umgeben  von 
den  Resten  halb  aufgezehrter  Bücher.  Von  Momus  aufgestachelt,  fährt 
die  Kritik  nach  der  Bücherei  von  Saint -James,  um  vor  allem  ihrem 
geliebtesten  Sohne  Wotton  im  Kampfe  beizustehen. 

Von  den  uns  zuweilen  schwer  verständlich  gewordenen  Einzel- 
heiten des  beginnenden  Kampfes  erwähne  ich  nur  das  Auftreten  Homers. 
Er  reitet  ein  wütendes  Pferd,  das  er  selbst  kaum  bändigen  kann,  und 
dem  sonst  niemand  nahe  kommen  darf.  Alles  wirft  er  vor  sich  nieder, 
zuerst  Gondibert,  der  gelobt  hatte,  die  Wahlstatt  nicht  zu  verlassen, 
bevor  er  Homers  Rüstung  erbeutet  haben  würde;  der  Tor  hatte  eben 
den  Träger  der  Rüstung  noch  nie  gesehen.  Perrault  hebt  er  mit  mäch- 
tiger Kraft  aus  dem  Sattel,  schleudert  ihn  auf  Fontenelle  und  schlägt 
beiden  mit  einem  einzigen  Hiebe  das  Hirn  aus. 

Den  Schluß  der  Satire  bildet  das  jämmerliche  Ende  Wotton's  und 
Bentley's,  von  denen  besonders  der  letztere  mit  grenzenlosem  Haß,  nach 
dem  homerischen  Thersites,  gezeichnet  ist.  Dieser  Haß  begeistert  Swift 
zu  einer  wahrhaft  epischen,  mit  Gleichnissen  in  der  Art  Homers  aus- 
geschmückten Schilderung.  Bentley  gelingt  es  zwar,  den  schlafenden 
Feinden  Phalaris  und  Aesop  ihre  an  einem  Baume  hängenden  Rüstungen 
zu  stehlen,  während  Wotton  von  hinten  den  Speer  auf  Temple  wirft, 
ohne    daß    es    dieser   auch   nur   bemerkte.     Schließlich   sendet   ApoUon 

20* 


308  England 

den  in  eine  ihm  von  den  Göttern  geschenkte  Rüstung  gehüllten  Boyle 
gegen  die  Verhaßten.  Ein  Stoß  seiner  Lanze  heftet  beide  zusammen, 
wie  eine  geschickte  Köchin  ein  Paar  Schnepfen  spießt.  So  eng  waren 
sie  noch  im  Tode  vereint,  daß  Charon  sie  für  eine  einzige  Person  hielt 
und  sie  für  das  halbe  Fahrgeld  über  die  Styx  setzte. 

Es  fällt  uns  heute  schwer  zu  begreifen,  wie  Bentley  zum  Führer 
der  Modernen  gegen  die  Alten  gemacht  werden  konnte.  Aber  in  der 
Schätzung  des  gebildeten  Publikums  errang  er  den  Sieg  selbst  dann 
noch  nicht,  als  er  in  seiner  scharfsinnigen  und  unanfechtbaren  Disser- 
tation 1699  die  Angriffe  Boyle's  widerlegte  und  die  Unechtheit  der 
Briefe  des  Phalaris  schlagend  nachwies.  Hätte  er  damals  schon  in  den 
Augen  der  Welt  so  als  Sieger  gegolten,  wie  das  heute  der  Fall  ist, 
so  hätte  Swift's  Battle  of  Books  1704  nicht  mehr  erscheinen  köimen; 
erst  in  diesem  Jahre  nämlich  wurde  die  Satire  zugleich  mit  dem  Tale 
of  a  Tub  gedruckt.  Erst  um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  wurde 
allgemein  anerkannt,  daß  Bentley  der  Sieger  war. 

Einen  heftigen  Angriff  Swift's  auf  moderne  Kritik  und  Literatur 
zugleich  enthält  die  viel  spätere  Schrift  Martinus  Scribleriis  Pert  Bathous, 
or  of  the  Art  of  sinking  in  poetry  1727.  Der  Titel  „Vom  Niedrigen" 
ist  dem  der  Schrift  Vom  Erhabenen  entgegengesetzt  und  verspricht  eine 
Poetik  der  Modernen,  die  den  Weg  zum  Niedrigen  weisen  soll,  dem 
Mittelpunkt  der  modernen  Poesie.  Unter  den  Modernen  versteht  Swift 
fast  nur  seine  Zeitgenossen,  von  denen  Blackmore  mit  seinem  Prince 
Arthur  und  anderen  Gedichten  die  Hauptzielscheibe  seines  Spottes  bil- 
det. Den  Gipfel  der  Bosheit  erreicht  die  Schrift  in  dem  Rezept  für  ein 
episches  Gedicht.  Da  heißt  es  im  Anfang,  die  Kritiker  hätten  viele 
mechanische  Regeln  niedergelegt,  aber  zugleich  fast  jeden  von  der  Mög- 
lichkeit, ein  Epos  zu  machen,  ausgeschlossen,  weil  sie  von  ihm  ver- 
langten, daß  er  ein  Genie  sein  müsse.  Das  sei  indessen  gar  nicht  not- 
wendig, und  der  Dichter  brauche  weder  etwas  zu  wissen  noch  viel  zu 
lesen.  Mit  Genie  ein  Epos  zu  machen  sei  keine  Kunst;  die  Geschick- 
lichkeit bestehe  darin,  es  ohne  Genie  zu  können. 

Das  Rezept  lautet  kurz  folgendermaßen.  Man  nimmt  aus  einem 
alten  Buch,  sei  es  Geschichte,  Gedicht  oder  Roman,  die  Partien  heraus, 
die  sich  für  lange  Beschreibungen  eignen,  fügt  sie  zusammen  und  bringt 
alle  Abenteuer,  an  denen  man  Gefallen  findet,  in  eine  einzige  Erzählung. 
Dann  wählt  man  einen  Helden,  der  einen  gut  klingenden  Namen  hat, 
setzt  ihn  in  die  Mitte  dieser  Abenteuer  und  läßt  ihn  zwölf  Bücher  lang 
wirken,  bis  er  zum  Sieg  oder  zum  Heiraten  gut  präpariert  ist;  denn  der 
Schluß  des  Epos  muß  glücklich  sein.   Zu  Episoden  verwendet  man  Stücke 


i 


Swift    Barnes    Bentley  309 

der  frühem  Sammlung,  die  man  nicht  gern  wegwirft,  und  gibt  sie  einer 
anderen  Person,  die  man  im  Verlaufe  wieder  verschwinden  läßt.  Moral 
und  Allegorie  kann  man  nachträglich  aus  der  Fabel  ziehen;  sie  werden 
sich  zur  Genüge  herauspressen  lassen.  Auf  den  Helden  häufe  man  sämt- 
liche Tugenden  des  Altertums,  doch  ist  es  besser,  das  Verzeichnis  nicht 
ganz  vollständig  zu  machen,  da  die  Kritik  noch  nicht  einig  ist,  ob  der 
Held  notwendig  ein  Ehrenmann  sein  müsse.  Untergeordnete  Charaktere 
nimmt  man  aus  Homer  und  Virgil,  natürlich  unter  andern  Namen.  Für 
die  Göttermaschine  empfiehlt  es  sich,  Virgil  zum  Muster  zu  nehmen,  für 
die  Engel  Milton,  für  die  Geister  Tasso:  doch  greife  man  zu  diesem  Mittel 
nur,  wenn  der  Held  oder  der  Dichter  sonst  nicht  weiter  können.  Be- 
schreibungen, wie  von  Stürmen  und  besonders  Schlachten,  sind  durch 
eine  Sammlung  von  Bildern  aus  Homer  und  Virgil  leicht  herzustellen, 
Schlachten  temperiere  man  brav  durch  Gleichhisse. 

Mit  dem  18.  Jahrhundert  nimmt  in  England  die  Kenntnis  des 
Griechischen  den  machtvollsten  Aufschwung.  Ganz  darnieder  gelegen 
hatten  ja  diese  Studien  nie,  wie  uns  Cowley,  Milton,  Dryden,  Duport, 
Bogan,  Stillingfleet,  Cudworth  lehren.  Aber  während  der  Bürgerkriege 
und  der  Restauration  hatten  sie  sich  doch  gegen  die  Ungunst  der  Zeit 
und  die  Vorliebe  für  die  lateinische  Literatur  nur  mühsam  behauptet. 
Erst  mit  der  Wiedergeburt  des  englischen  Volkes  nach  der  Revolution 
vollzog  sich  auch  hier  eine  Änderung,  an  der  Bentley  den  hervor- 
ragendsten Anteil  hatte,  und  die  vor  allem  Homer  zugute  kam. 

1711  veröffentlichte  Jos ua  Barnes  seine  Ausgabe  Homers,  die  alle 
frühem  übertraf,  weil  sie,  obwohl  noch  immer  auf  der  byzantinischen 
Vulgata  fußend,  doch  eine  mit  großem  Fleiß  und  Berücksichtigung  alles 
vorhandenen  Materials  bearbeitete  Textgestaltung  gab.  Barnes  zog  die 
ihm  zugänglichen  Handschriften  heran  und  suchte  durch  Beobachtung 
der  metrischen  Gesetze  Fehler  zu  verbessern.  Die  lateinische  Überset- 
zung ist  die  durchgesehene  des  Henricus  Stephanus.  Die  Ausgabe  ist 
für  lange  Zeit  grundlegend  geworden.  Aus  ihrer  Geschichte  ist  bemerkens- 
wert, daß  Barnes,  der  für  die  Kosten  selbst  aufkommen  mußte,  seine  Frau 
zur  Herausgabe  eines  Erbes  durch  die  Vorspiegelung  gewann,  die  Gedichte 
seien  von  König  Salomo  verfaßt.  Nach  Bogan's  Homerus  hebraizon  und 
Duport's  Parallelen  war  ja  die  Angabe  ganz  plausibel. 

Auch  Bentley,  seit  1700  Master  des  Trinity  College  in  Cambridge, 
arbeitete  wiederholt  und  lange  an  einer  Ausgabe  Homers,  ohne  indessen 
zu  einem  Abschluß  zu  gelangen.  Die  Vorarbeiten,  die  wesentlich  in  die 
Jahre   1732 — 1734   fallen,  bestanden  in   der  Vergleichung  von  Hand- 


310  England 

sclirifteii,  Scholien  und  Zitaten  bei  alten  Autoren,  besonders  aber  in  der 
Wiedereinführung  des  seit  dem  frühen  Altertum  aus  der  Homerüberliefer- 
ung verschwundenen  Buchstabens  Y,  den  man  nach  seiner  inschriftlich 
erhaltenen  Gestalt  j^  das  Digamma  nennt.  Schon  1713  hatte  Bentley 
aus  metrischen  Beobachtungen  geschlossen,  daß  zur  Zeit  der  Entstehung 
der  Gedichte  dieser  Laut  noch  gesprochen  worden  sein  müsse,  und  ge- 
dachte ihm  sein  Recht  wieder  werden  zu  lassen.  Sein  handschriftlicher 
Nachlaß  gibt  darüber  wie  überhaupt  über  seine  grammatischen  Studien 
zu  Homer  hinreichende  Auskunft. 

Die  für  lange  Zeit  herrschende  Ausgabe  Homers  wurde  die  von  Samuel 
Clarke,  1729 — 1740.  Sie  fußt  auf  der  von  Barnes  und  zeichnet  sich 
durch  umfassende  Berücksichtigung  sprachlicher  und  metrischer  Fragen 
aus.  Die  zahlreichen  Anmerkungen  erstrecken  sich  auf  die  Kunst  des 
Dichters,  den  poetischen  Schmuck  und  die  Erklärung  einzelner  Verse, 
nehmen  auch  Rücksicht  auf  die  Angriffe  der  Kritiker  seit  Scaliger, 
sind  aber,  wie  die  vielen  griechischen  Zitate  beweisen,  vornehmlich  für 
Gelehrte  bestimmt.  Zu  Nutz  und  Frommen  der  Studierenden  ist  die 
lateinische  Übersetzung  beigefügt,  die  Clarke  bei  Barnes  vorfand,  zum 
Teil  sorgfältig  verbessert,  zum  Teil  durch  eine  eigene  ersetzt.  Die  Aus- 
gabe wurde,  da  Clarke  darüber  verstarb,  von  seinem  Sohn  zu  Ende 
geführt.  Sie  hat  weit  über  die  Grenzen  Englands  hinaus  Geltung  ge- 
wonnen. 

Ein  Werk  von  großer  Gelehrsamkeit  war  JohnPotter's  Archaeo- 
logia  Graeca,  1702  englisch  erschienen  und  noch  im  selben  Jahre  in 
Leyden  ins  Lateinische  übersetzt.  Das  erste  Buch  handelt  von  Athen, 
dessen  wichtigste  Gesetze  im  Original  mit  lateinischer  Übersetzung  mit- 
geteilt werden;  die  drei  folgenden  Bücher  betreffen  die  staatlichen  und 
sozialen  Zustände  des  übrigen  Griechenlands.  Überall  steht  Homer  an 
der  Spitze  der  Darstellung.  Die  Angaben  des  Dichters  sind  sorgfältig 
untersucht  und  in  guter  Ordnung  zusammengestellt.  Homer  wird  grie- 
chisch zitiert,  doch  ist  die  lateinische  Interlinearversion  beigefügt.  Eu- 
stathios  ist  ausgiebig  berücksichtigt. 

Eine  schöne  wissenschaftliche  Leistung  ist  auch  James  Geddes' 
Essay  on  the  composition  oftJie  Äncients  1748.  Obwohl  sich  die  Unter- 
suchung weiter  erstreckt,  bleibt  es  doch  ein  Hauptaugenmerk  des  Ver- 
fassers, zu  zeigen,  wie  sehr  auch  die  großen  Prosaiker  Xenophon,  Herodot, 
Piaton  dem  Homer  verpflichtet  sind  und  sich  vielfach  an  ihn  anlehnen. 
Homer  ist  ihm  die  Quelle,  aus  der  die  griechischen  Schriftsteller  ihre 
größten  Vorzüge  ableiteten.  Aus  seinen  Urteilen  über  Homer  spricht  eine 
ehrliche  und  auf  guter  Kenntnis  gegründete  Begeisterung. 


Clarke    Potter     Goddes     Shaftesbury  311 

Die  große  Tätigkeit  der  Universitäten  übte  nach  und  nach  auf  alle 
gebildeten  Kreise  einen  nachhaltigen  Einfluß.  Ein  besonderes  Verdienst 
ist  dabei  Barnes  und  Clarke  zuzuschreiben,  deren  Ausgaben  das  Ein- 
dringen in  den  griechischen  Homer  erleichterten.  Um  diese  Zeit  sprach 
Voltaire  es  aus,  daß  in  England  jeder  Gentilhomme  Latein  und  Griechisch 
verstehe,  und  Geddes  kann  geradezu  sagen,  es  gebe  wenige,  die  mit  Homer 
nicht  bekannt  seien;  wer  nicht  in  früher  Jugend  das  Glück  gehabt  habe, 
an  der  Quelle  zu  trinken,  von  dem  setze  man  doch  voraus,  daß  er  den 
reinen  Strom  in  Pope's  Übersetzung  gekostet  habe. 

Der  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  war  für  England  eine  Periode 
regsten  literarischen  Lebens.  Es  galt  etwas  ganz  Großes,  die  Besserung 
der  verlotterten  Zustände  im  Leben  und  in  der  Poesie,  zumal  der  Bühne, 
durchzusetzen.  Nach  diesem  Ziel  streben  alle,  mögen  sie  nun  die  Besse- 
rung mehr  von  der  Anlehnung  an  antike  Muster  oder  an  die  großen 
Dichter  Englands  erwarten.  Sehr  wirksam  zeigen  sich  überall  die  Ge- 
danken Dryden's,  die  verhinderten,  daß  der  klassizistische  Regelzwang 
allmächtig  wurde.  Auf  Homer  beziehen  sich  fast  alle,  die  in  diesen 
Dingen  mitreden;  aber  er  bildet  kein  Kampfobjekt  wie  in  Frankreich. 
Wohl  wird  der  eine  oder  der  andere  englische  Dichter  ihm  gleichgestellt 
oder  vorgezogen,  aber  der  Respekt  vor  ihm  bleibt  unangetastet.  Ein 
Dichter  kann  nicht  größer,  sondern  nur  noch  größer  sein  als  er.  Von 
direkter  Nachahmung  will  niemand  wissen;  schon  Dryden  und  Temple 
hatten  mit  Recht  davon  abgeraten.  Der  allgemeine  Zug  geht  mehr  und 
mehr  auf  engen  Anschluß  an  die  Größen  der  eigenen  Vergangenheit, 
Spenser,  Shakespeare,  Milton.  Selbst  Pope  stellt  den  Regelzwang  nur 
gegen  die  Verderbnisse  der  Literatur,  nicht  für  die  direkte  Nachahmung 
der  Alten  auf.  Während  man  diese  verehrt,  ist  man  sich  des  eigenen 
Reichtums  bewußt,  und  so  wird  das  Altertum  zu  einem  Ferment  der 
Kultur,  sogar  in  steigendem  Maße,  je  mehr  der  fremde  Regelzwang  er- 
schüttert wird  und  abbröckelt.  Von  Bedeutung  ist  besonders,  daß  auf 
die  antiken  Muster  je  länger,  je  entschiedener  mit  Übergebung  der 
Kritik  aufmerksam  gemacht  wird. 

.Wie  das  gemeint  ist,  zeigt  sich  zuerst  in  den  tiefgründigen  Aus- 
führungen Shaftesbury's,  denen  gegenüber  Vida's  und  Boileau's  For- 
derungen nach  Disziplinierung  des  Genies  ganz  oberflächlich  anmuten.  Das 
Große  und  mächtig  Ergreifende  in  Shaftesbury  ist  die  unauflösliche  Ver- 
bindung des  ethischen  und  des  ästhetischen  Moments.  Das  Wichtigste  für 
unser  Leben,  so  führt  er  in  der  Schrift  Solüoquy  or  advice  to  an  author 
1710  aus,  ist  die  Erkenntnis  unser  selbst,  die  wir  dadurch  gewinnen. 


312  England 

daß  wir  unsere  Seele  in  zwei  Personen  teilen  und  diese  einander  Rede 
stehen  lassen.  Selbsterkenntnis  ist  vor  allem  für  den  Schriftsteller  er- 
forderlich, denn  nur  sie  befähigt  ihn  Charaktere  darzustellen.  Wie  nun 
im  gesellschaftlichen  Leben  der  gut  Erzogene  vor  dem,  der  die  guten 
Sitten  nur  nachahmt,  sogleich  kenntlich  ist,  so  geschieht  es  auch  in  der 
Literatur.  Das  Pferd  macht  noch  nicht  den  Reiter,  die  Glieder  nicht  den 
Ringer,  das  Genie  nicht  den  Dichter.  Dieser  muß  durch  die  besten  Kunst- 
regeln gebildet  sein,  und  die  stellt  nur  die  Philosophie  fest. 

Die  vollkommensten  Darstellungen  menschlicher  Sitten  und  Charak- 
tere geben  uns  Piaton  und  Homer,  der  bei  aller  Bewegtheit  der  Handlung 
doch  nur  eine  kunstvolle  Reihe  von  Dialogen  zeigt.  Nie  hören  wir  ihn 
selbst  schildern;  seine  Personen  stellen  sich  immer  selbst  dar.  Die  Tragödie 
hatte  nach  ihm  nichts  zu  tun  als  seine  Dialoge  auf  einer  Bühne  in  Szenen 
vorzuführen.  Im  Dialog  konnten  die  Alten  ihr  eigenes  Gesicht  sehen. 
Nur  in  solcher  Darstellung  von  Menschen  und  Sitten  erweist  sich  der 
wahre  Dichter. 

Homer  habe,  glaubt  Shaftesbury,  den  vor  ihm  herrschenden  erhabenen, 
nur  Staunen  hervorrufenden  Stil  durch  den  natürlichen  und  einfachen 
ersetzt  und  nur  beibehalten,  was  dem  bildlichen  und  metaphorischen  Stil 
anstand.  Sein  Ziel  war  die  wirkliche  Schönheit  der  Komposition,  die 
Einheit  des  Plans,  die  Wahrheit  der  Charaktere  und  die  richtige  Nach- 
ahmung der  Natur  in  jeder  Einzelheit. 

Über  homerische  Charaktere  verbreitet  sich  Shaftesbury  eingehend 
in  den  Miscellaneous  Reflections  1714.  Er  beantwortet  da  die  vielerörterte 
Frage,  warum  Homer  keinen  moralisch  vollkommenen  Charakter  geschaffen, 
damit,  daß  Homer  nicht  das  Mögliche,  sondern  das  Wahrscheinliche  dar- 
stelle; ein  vollkommener  Mensch  wäre  ein  künstliches  Gebilde,  unpoetisch 
und  falsch.  Homers  Charaktere  sind  aus  der  Natur  geschöpft;  ihre  Fehler 
sind  die  Übertreibungen  ihrer  Tugenden.  Die  Richtigkeit  der  Zeichnung 
bewirkt,  daß  wir  Homer  auch  alle  möglichen  Hyperbeln  zugeben.  Die 
Ausschreitungen  jedes  Charakters  werden  durch  den  Dichter  wieder  zu- 
rechtgerückt. Durch  richtige  Verwendung  der  Unfälle,  die  jenen  folgen, 
werden  unsere  in  heftigster  Weise  erregten  Leidenschaften  in  der  heil- 
samsten und  wirksamsten  Weise  gebessert  und  gereinigt.  Die  Originalität 
des  Dichters  beruht  auf  der  Mannigfaltigkeit  seiner  Modelle,  und  diese 
ist  allein  natürlich,  während  die  übertriebene  Regelmäßigkeit  der  Häß- 
lichkeit nahekommt.  Deshalb  wäre  ein  vollkommener  Charakter  das 
größte  Monstrum,  weder  einladend  noch  bessernd. 

Der  Dichter,  so  lautet  Shaftesbury's  Gesamtforderung,  muß  sich 
selbst  kennen,  beim  Philosophen  die  moralischen  Lehren  suchen,  selbst 


i 


Shaftesbury  313 

ein  guter  und  weiser  Mann  sein,  Verständnis  für  moralisclie  und  poetische 
Wahrheit  haben  und  sich  an  den  besten  Mustern  bilden.  Wenn  Shaftes- 
bury als  solche  Piaton  und  Homer  den  berühmten  Engländern,  Shake- 
speare und  Milton,  vorzieht,  so  sind  seine  Gründe  stilistischer  Natur.  Auch 
bei  Shakespeare  erkennt  er  die  Richtigkeit  der  Moral,  die  zutreffende 
Schilderung  und  natürliche  Charakterzeichnung  an,  bei  Miltön  die  edle 
Leidenschaft  und  den  ununterbrochenen  Faden  moralischer  Belehrung; 
aber  er  vermißt  bei  ihnen  das  Ebenmaß  und  die  weise  Selbstbeschränkung, 
die  er  an  den  Alten  bewundert. 

In  den  Angriffen  auf  die  Alten  sieht  Shaftesbury  nur  ein  Mittel  der 
Modernen,  sich  selbst  herauszustreichen.  Um  einen  modernen  Poeten 
zu  erheben,  müsse  immer  gleich  ein  Homer  oder  Pindar  heruntergerissen 
werden.  Man  könne  die  Alten  in  Ruhe  lassen;  wenn  man  sie  aber  zitiere, 
um  sie  herabzusetzen,  so  könnten  sie  im  Ernst  beunruhigend  werden. 
Sie  würden  unter  den  Weisen  und  Gelehrten  jedes  Zeitalters  eine  starke 
Partei  haben,  und  Beleidigungen  gegen  sie  würden  immer  ihren  Rächer 
finden. 

Die  Verwendung  biblischer  Stoffe  im  profanen  Gedicht  verwirft 
Shaftesbury,  ebenso  die  der  überirdischen  Gewalten.  In  der  Begründung 
deckt  er  sich  zum  Teil  mit  Boileau,  will  aber  dessen  Urteil  nicht  auf 
Milton  angewendet  wissen.  Denn  der  Kampf  im  Himmel  und  der  Fall 
des  Menschen  seien  in  der  Bibel  so  dunkel  geoffenbart,  daß  sie  die 
dichterische  Behandlung  wohl  vertrugen;  bei  Behandlung  späterer  Pa- 
triarchengeschichten würde  sich  Milton  selbst  von  der  Schwäche  seiner 
orthodoxen  Muse  überzeugt  haben. 

Nur  durch  seine  Überzeugung  von  der  Notwendigkeit  der  moralischen 
Selbstzucht  des  Genies  ist  Shaftesbury  verhindert  worden,  den  Gedanken 
Wotton's  über  das,  was  wir  MiHeu  nennen,  weiteren  Raum  zu  geben. 
Denn  er  hat  ihn  wohl  erkannt.  Mit  Eifer  führt  er  aus,  daß  nur  die 
Freiheit  der  wahre  Nährboden  der  Künste  sei,  während  despotische  Ge- 
walt nur  mißgestaltete  und  barbarische  Erzeugnisse  zeitige. 

Shaftesbury  hat  sich  an  Aristoteles  mehrfach  angelehnt,  aber  nie, 
ohne  die  Sätze  der  Poetik  neu  zu  begründen  und  gewöhnlich  zu  ver- 
tiefen. Über  die  klassizistische  Theorie  hinaus  greift  er  nach  den  alten 
Mustern,  in  denen  er  mehr  entdeckt,  als  jene  gefunden  hatte.  Sein  Haupt- 
ziel ist  nicht  ästhetisch,  sondern  moralisch;  er  will  die  Unmoral  der 
neuesten  Literatur  durch  Hinweis  auf  die  besten  Vorbilder  bekämpfen. 

Eine  gleiche  Absicht  äußert  ein  ungleich  weniger  freier  Geist,  John 
Dennis.  Seine  Schriften  sind  äußerst  schwer  zu  erreichen,  doch  habe 
ich  die  beiden  für  meinen  Zweck  wichtigsten  einsehen  können.    La  dem 


314  England 

Aufsatz  The  advancement  and  reformation  of  modern  poetry  1701  er- 
klärt sich  Dennis  zunächst,  in  der  Dedikation  an  Lord  Buckingham, 
als  unbedingten  Anhänger  der  Regeln,  die  in  der  Poesie  so  notwendig 
seien  als  in  der  Natur,  und  die  schon  Homer  und  Virgil  erkannten  und 
verwendeten;  denn  sie  schrieben  für  ihre  Mitbürger  in  der  ganzen  Welt, 
für  alle  Länder  und  Zeitalter,  und  wußten,  daß  nur  das,  was  der  Ordnung 
der  Welt  ähnlich  war,  sie  unsterblich  machen  würde.  Auch  in  Frank- 
reich habe  die  Kritik  die  Poesie  auf  die  höchste  Höhe  geführt,  während 
England  noch  durchaus  der  Förderung  durch  die  Theorie  bedürfe,  um 
den  Mangel  an  Ebenmaß  ablegen  zu  können. 

Der  Aufsatz  selbst  geht  von  dem  Streit  der  Alten  und  Modernen 
aus,  der  etwas  oberflächlich  dargestellt  ist,  über  den  aber  Dennis  die 
gute  Bemerkung  macht,  daß  er  nur  gegenseitige  Verbitterung  zur  Folge 
gehabt  habe.  Er  ist  von  der  Überlegenheit  der  Alten  im  ganzen  über- 
zeugt, lehnt  aber  jede  Erklärung  aus  dem  Milieu  entschieden  ab.  Die 
äußern  Verhältnisse  waren  den  Alten  nicht  günstiger  als  uns,  ebenso 
wenig  waren  diese  durch  Anlagen  und  Geist  überlegen.  Ihr  Vorzug  in 
hoher  Poesie  beruht  auf  den  Gegenständen,  die  sie  behandelten.  Denn 
das  religiöse  Gedicht  erweckt  den  Enthusiasmus,  einen  durch  Urteil 
gebildeten  Affekt,  stärker  als  das  profane,  weil  es  die  größten  Gegen- 
stände behandelt.  Wo  die  Religion  aus  dem  Spiele  bleibt,  wie  in  der 
Komödie,  haben  die  Modernen  den  Vorsprung,  während  die  alte  Tragödie 
überlegen  ist,  weil  die  Handlung  beständig  von  Göttern  geleitet  wird. 
So  wird  auch  im  Epos  die  Bewunderung  für  die  Taten  der  Helden 
durch  die  Mitwirkung  der  Götter  gesteigert.  Der  Mensch  wird  in  unsern 
Augen  erhöht,  wenn  wir  ihn  vom  Himmel  beschützt  sehen.  Die  hohe 
Poesie  der  Griechen  blühte  so  lange  wie  der  Oflenbarungsglaube  und 
hörte  mit  diesem  auf,  da  der  antiken  Religion  die  Moral  fehlte  und  sie 
ohne  jenen  Glauben  nicht  fortbestehen  konnte.  Boileau  hat  mit  seiner 
Behauptung,  Poesie  und  Christentum  seien  unvereinbar,  nur  insofern 
Recht,  als  die  Mysterien  des  Christentums  nicht  mit  heidnischen  Fiktionen 
vermischt  werden  dürfen.  Sonst  aber  stimmt  die  Poesie,  je  näher  sie 
der  Vollkommenheit  kommt,  mit  der  Absicht  der  Religion  überein,  das 
Elend  des  Menschen  durch  Aufhebung  des  Konflikts  in  seinem  Ltmeren 
auszugleichen.  Die  hohe  Poesie  stellt  eine  Vereinigung  von  Vernunft 
und  Leidenschaft  her  und  versetzt  daher  den  Menschen  in  den  glücklich- 
sten Urzustand. 

Virgil  modelte  die  griechische  Offenbarung  nach  der  platonischen 
Philosophie,  die  dem  Christentum  näher  stand,  und  überwand  dadurch 
den  Homer.    Denn  er  steht  ihm  in  Darstellung  der  Affekte  nicht  nach. 


Dennis  315 

befriedigt  aber  die  Vernunft  besser,  die  durch  die  Extravaganzen  der 
homerischen  Theologie  beleidigt  wird.  So  steht  wenigstens  für  uns,  sagt 
Dennis,  Yirgil  höher,  und  noch  mehr  müßte  das  bei  den  modernen 
Poeten  der  Fall  sein,  wenn  sie  ihre  Poesie  mit  der  wahren  Religion 
vereinigen  wollten. 

Man  sollte  glauben,  Dennis  würde  die  Krone  der  Entwicklung  in 
Milton  erblicken,  und  in  der  Tat  behauptet  er,  daß  dieser  wie  andere 
religiöse  Dichter  stärkere  Affekte  erwecke  und  darum  größeres  Vergnügen 
gewähre  als  Virgil.  Dennoch  sei  dieser  durch  die  fortwährende  Harmonie 
des  Versbaues,  die  beständige  Schönheit  des  Ausdrucks  und  die  immer 
gleiche  Erhebung  vorzuziehen.  Die  Schuld  gibt  Dennis  der  englischen 
Sprache  und  dem  Mangel  an  kunstvoller  Behandlung.  Es  sei  eben  leicht 
zu  beweisen,  daß  kein  Modemer  die  Kunst  der  epischen  Poesie  verstanden 
habe,  der  schrieb,  bevor  Le  Bossu  ihre  Mysterien  enthüllte. 

Wenig  mehr  bietet  die  spätere  Schrift  The  grounds  of  criticism  in 
poetry  1704.  Die  Gedanken  des  Advancement  sind  breiter  entwickelt, 
aber  kaum  vertieft.  Das  Ganze  läuft  in  eine  ziemlich  unfruchtbare  Theorie 
des  religiösen  Epos  aus.  Bemerkenswert  ist  nur,  daß  hier  Milton  eine 
Stellung  angewiesen  wird,  die  bei  einem  so  eifrigen  Verehrer  der  Regeln 
überrascht.  Milton,  so  sagt  nämlich  Dennis,  durchbricht  die  ihm  wohl- 
bekannten Regeln  des  Aristoteles,  um  nicht  dem  Geschick  aller  Epiker 
nach  Homer  zu  verfallen,  ein  Kopist  statt  eines  Originals  zu  sein.  In 
der  Erfindung  waren  diese  Dichter  ja  selbständig,  nicht  aber  in  der  Aus- 
führung. Milton  ist  der  erste  originale  unter  ihnen.  Sein  Gedicht  ist 
nicht  wider  die  Regeln,  sondern  steht  über  ihnen.  Denn  er  beobachtete, 
daß  sie  aus  Homer  abgeleitet  waren,  bei  dem  die  Götter  erst  in  zweiter 
Linie  kommen,  wogegen  die  Menschen  die  erste  Rolle  spielen.  Bei  Milton 
aber  sind  der  Satan  und  der  Mensch  die  Hauptpersonen,  und  jener  ist, 
da  er  die  Oberhand  gewinnt,  der  Hauptheld.  Hier  macht  sich,  wie  noch 
oft  bei  Dennis,  Dryden's  Einfluß  bemerkbar;  aber  er  unterscheidet  sich 
von  ihm  grundsätzlich  dadurch,  daß  er  im  Vergnügen  nur  das  unter- 
geordnete, in  der  Belehrung  das  entscheidende  Moment  der  Poesie  erblickt. 

Unter  Dryden's  Einwirkung  steht  auch  Addison,  bei  dem  die 
Widersprüche,  die  jener  bietet,  bis  zu  einen  gewissen  Grade  fortdauern 
und  eine  einheitlich  geschlossene  Anschauung  ebenso  wenig  vorhanden  ist. 
Seine  Ansichten  lassen  sich  an  seinen  Urteilen  über  Homer  gut  ver- 
folgen; sämtliche  Äußerungen  über  diesen  fallen  in  den  Zeitraum  von 
1710  bis  1714. 

Die  erste  davon  hat  mit  den  theoretischen  Fragen  nichts  zu  tun. 
Addison  will  im  Tatler  an  der  Unterweltsfahrt  des  Odysseus  die  ältesten 


316  England 

Vorstellungen  von  Leben  und  Tod  erörtern,  kommt  aber  nicht  recht 
dazu,  weil  er  sich  zu  sehr  in  Bemerkungen  über  die  schöne  und  lehr- 
reiche Charakteristik  und  die  in  dieser  Erzählung  enthaltenen  moralischen 
Vorschriften  ergeht.  Dabei  ist  ihm  begegnet,  daß  er  die  wichtige  Be- 
lehrung der  Antikleia  über  die  Seelen  im  Hades  ohne  Kommentar  über- 
setzt und  die  bittem  Worte  des  Achilleus  über  den  Tod  nicht  einmal 
berücksichtigt. 

Die  Stellung  Addison's  zur  theoretischen  Poetik  der  Zeit  erhellt  am 
besten  aus  dem  Spedator.  Er  hat  die  Regeln  der  Kritiker  besonders 
gern  da  verwendet,  wo  es  ihm  darauf  ankam,  Erzeugnisse  der  englischen 
Literatur  als  gleichwertig  mit  den  antiken  Poesien  zu  erweisen.  Das 
erste  Beispiel  ist  die  warme  und  schöne  Empfehlung  der  altenglischen 
Ballade  The  Song  of  Chevy-Chase.  Nachdem  Addison  die  allgemeine  Be- 
liebtheit solcher  Balladen  auf  den  großen  Eindruck  zurückgeführt  hat, 
den  diese  Gemälde  der  Natur  auf  jeden  Unverbildeten  machen  müssen, 
findet  er  in  diesem  Song  zuerst  die  Hauptregel  erfüllt,  daß  das  Epos  auf 
einen  moralischen  Lehrsatz  gegründet  sein  müsse.  Hier  wie  anderswo 
zeigt  sich,  daß  ihm  die  Weisheit  Le  Bossu's  sehr  imponiert  hat,  da  dessen 
moralische  Erklärung  des  Epos  zu  sehr  mit  seinen  eigenen  Ideen  über- 
einstimmte, als  daß  er  sich  dagegen  hätte  auflehnen  mögen.  Wichtig 
ist  ihm  dann  besonders  der  Nachweis,  daß  die  Ballade  an  Größe  der 
Gefühle  nicht  hinter  Virgil  zurückstehe,  der  beständig  zur  Vergleichung 
herangezogen  wird. 

Umfassender  prüfte  Addison  das  Verhältnis  Milton's  zu  den  Ge- 
setzen der  Kritiker  und  den  antiken  Mustern.  Sein  Vorgehen  erinnert 
an  Paolo  Beni,  nur  daß  er  von  vornherein  jede  polemische  Tendenz  ab- 
lehnt. Da  sich  allgemeine  Erörterungen  nur  um  Worte  zu  drehen  pflegen, 
will  er  nicht  untersuchen,  ob  das  Verlorene  Paradies  ein  Epos  sei;  es 
genügt,  wenn  es  alle  Vorzüge  dieser  höchsten  Dichtungsgattung  hat. 
Daß  dies  der  Fall  sei,  weist  er  zuerst  im  allgemeinen  an  der  Hand  der 
Regeln  nach,  wobei  er  vorwiegend  Rapin,  Le  Bossu  und  Dacier  zu- 
grunde legt.  Er  ist  aber  nicht  gesonnen,  die  Kritiker  unbedingt  zur 
Richtschnur  zu  nehmen.  So  bekämpft  er  die  allgemeine  Giltigkeit  der 
Lehre,  daß  der  Fall  des  vollkommen  Tugendhaften  nicht  dargestellt 
werden  dürfe,  gerade  mit  dem  Beispiel  des  ersten  Paares  und  fügt  hinzu, 
die  Regeln  des  Aristoteles  passten  nicht  durchaus  für  die  späteren  Epen; 
seine  Lehrsätze  wären  noch  vollkommener  geworden,  wenn  er  die  Aeneis 
erlebt  hätte.  Er  denkt  darin  wie  Giraldi  Cinthio.  Sogar  gegen  Le  Bossu 
erklärt  er  sich  insofern,  als  er  nicht  glaubt,  daß  der  Dichter  zuerst  einen 
moralischen  Lehrsatz  wähle,  um  nachträglich  eine  Geschichte  dazu  zu 


Addison  317 

machen;  er  gibt  nur  zu,  daß  aus  jedem  Epos  eine  große  Moral  müsse 
abgeleitet  werden  können,  und  die  des  Paradise  sei,  daß  Gehorsam  gegen 
Gott  glücklich,  Ungehorsam  unglücklich  mache. 

So  ist  Addison  auch  nicht  um  jeden  Preis  bestrebt,  Milton  über  die 
Vorbilder  zu  erhöhen.  Er  gibt  dem  Paradise  den  Vorzug  in  der  Ein- 
heit, Ganzheit  und  Geschlossenheit  der  Handlung.  In  den  Charakteren 
preist  er  die  Mannigfaltigkeit  und  Eigenart  Homers,  hinter  dem  Virgils 
Einförmigkeit  stark  zurückstehe,  erkennt  aber  etwas  Neues  und  Pracht- 
volles in  der  Zeichnung  des  Standes  der  Unschuld.  Den  listenreichen 
Odysseus  überbiete  der  Satan.  Wenn  es  der  Vorzug  der  Alten  war, 
ihre  Nation  zu  interessieren,  so  sei  Miltons  Gedicht  eine  Angelegenheit 
der  Menschheit.  An  Erhabenheit  der  Gedanken  übertrifft  für  ihn  Milton 
alle  Alten  und  Modernen,  Homer  ausgenommen,  an  dessen  Größe  Virgil 
nur  heranreiche,  wenn  er  ihn  kopiere.  Affektiertheit  und  Unnatur  sehen 
wir  bei  den  Alten  nie,  dagegen  habe  Milton  darin  gelegentlich  seiner 
Zeit  einen  Tribut  entrichtet.  An  ihm  tadelt  Addison  auch  die  vielen 
allegorischen  Einzelheiten  und  Symbole,  die  mehr  den  Geist  Spenser's 
und  Ariosts  als  den  Homers  und  Virgils  atmeten.  Besonders  stören  ihn 
in  Milton's  Gedicht  die  Gestalten  der  Sünde  und  des  Todes,  so  groß- 
artig sie  gezeichnet  seien,  und  er  merkt  an,  daß  das  weit  über  die  Ver- 
wendung allegorischer  Figuren  hinausgehe,  wie  wir  sie  bei  den  alten 
Dichtem  finden. 

Richtschnur  der  Besprechung  im  einzelnen  ist  Dryden's  Wort,  die 
wahre  Kritik  habe  vor  allem  auf  die  Schönheiten  hinzuweisen.  Obwohl 
er  es  z.  B.  grundsätzlich  nicht  für  angebracht  hält,  wenn  Milton  über 
seine  Blindheit,  die  Ehe,  die  Nacktheit  der  ersten  Menschen  und  vieles 
andere  längere  Reflexionen  anstellt,  so  findet  er  doch  gerade  in  diesen 
Digressionen  eine  solche  Schönheit,  daß  er  sie  nicht  aus  dem  Gedichte 
wegdenken  möchte.  Die  nämliche  schöne  Wärme  beseelt  den  Hauptteil 
der  Arbeit  Addison's,  die  fortlaufende  Erklärung  des  Verlorenen  Para- 
dieses. Hier  hat  Addison  zwar  bei  weitem  nicht  alle,  aber  doch  die  wich- 
tigsten Parallelstellen  aus  Homer  herangezogen,  meistens  ohne  gegen- 
seitige Abwägung  der  Schönheiten.  Wir  stimmen  ihm  bei,  wenn  er 
sagt,  er  habe  die  großem  Übereinstimmungen  nicht  nur  unparteiisch 
hervorgehoben,  sondern  sie  dadurch  auch  vor  den  Spitzfindigkeiten  der 
Geschmacklosen  und  Ignoranten  gesichert. 

Wenn  Addison  in  seiner  Kritik  des  Paradise  den  Regeln  mehrfach  die 
freie  Schönheit  gegenüberstellt,  so  geht  er  anderwärts  noch  weiter.  In  einer 
Ausführung  über  das  Genie  sagt  er,  die  am  meisten  bewunderten  Genies 
seien  die,  welche  ihre  Werke  ohne  Unterstützung  von  Kunst  und  Gelehr- 


318  England 

samkeit  schufen,  und  in  denen  eine  wilde  Schönheit  walte,  die  weit  schöner 
sei  als  das,  was  die  Franzosen  bei  esprit  nennen.  Viele  dieser  ursprüng- 
lichen Genies  finden  sich  im  Orient:  Homer,  dessen  Flug  Virgil  niemals 
erreichte,  die  Dichter  des  Alten  Testaments,  die  Homer  noch  übertreffen. 
An  Korrektheit  und  Zierlichkeit,  nicety,  stehen  sie  hinter  den  Modernen 
zurück.  Ihre  Gleichnisse  entbehren  oft  der  Schicklichkeit,  wie  der  bekannte 
Esel  Homers  und  andere.  Aber  solche  Einzelheiten  können  nur  Witz- 
linge  belachen,  die  sie  nicht  zu  genießen  verstehen.  Zu  diesen  Genies 
gehört  auch  Shakespeare.  Andere  unterwerfen  ihre  Talente  den  Ein- 
schränkungen der  Theorie.  Jene  erinnern  an  den  reichen  Boden  in  einem 
glücklichen  Klima,  wo  eine  ganze  Wildnis  edelster  Pflanzen  ohne  be- 
stimmte Ordnung  aufwächst;  diese  haben  den  nämlichen  reichen  Boden, 
der  aber  durch  die  Kunst  des  Gärtners  Form  und  Schönheit  erlangt  hat. 
Diese  sind  in  Gefahr,  sich  zu  sehr  nach  Mustern  zu  bilden  und  so  der 
Nachahmung  zu  verfallen,  die  nie  an  die  Originale  heranreicht.  Später 
wiederholt  Addison  das  nämliche  Bild  in  der  Artikelserie  über  Pleasures 
of  Imagination.  Die  Dichter,  heißt  es  da,  sollen  sich  an  der  Natur  und 
am  Landleben  bilden,  mit  der  Pracht  der  Höfe  und  den  bildenden  Künsten 
vertraut  machen  und  dadurch  die  angeborne  Fähigkeit  ausbilden,  lebendige 
Vorstellungen  in  sich  aufzunehmen  und  die  Phantasie  der  Leser  zu  beleben. 
Von  den  alten  Dichtem,  die  durch  diese  Fähigkeit  hervorragen,  wirkt 
Homer  durch  Größe,  Virgil  durch  Schönheit,  Ovid  durch  Seltsamkeit. 
Das  ist  alles  nicht  gerade  neu,  wohl  aber  das  darauf  folgende  Stück, 
die  Parallele  zwischen  Homer  und  Virgil.  Wenn  wir  die  Ilias  lesen, 
sagt  Addison,  wandern  wir  durch  unbewohntes  Land,  wo  die  Phantasie 
durch  tausend  wilde  Bilder  unterhalten  wird;  durch  weite  Einöden, 
große  Moräste,  ungeheure  Wälder,  formlose  Felsen  und  Abgründe.  Die 
Aeneis  dagegen  ist  ein  wohlgeordneter  Garten,  wo  jede  Ecke  geschmückt 
ist  und  das  Auge  überall  schöne  Pflanzen  und  Blumen  erblickt.  Mit 
den  vorhin  erwähnten  Ausführungen  zusammen  ergeben  diese  Gedanken 
die  Gegenüberstellung  nicht  von  zwei  Dichtem,  sondern  von  zwei  grund- 
sätzlich verschiedenen  Arten  der  Poesie.  Es  liegt  allerdings  nicht  nur 
am  Fehlen  der  Kunstausdrücke,  wenn  nicht  ausdrücklich  zwischen  Na- 
tur- und  Kunstpoesie  unterschieden  wird.  Addison  hat  gleich  nachher 
Homer  majestätisch,  Virgil  angenehm  genannt,  hat  Ovid  nachhinken 
lassen,  der  gar  nicht  hergehört,  und  am  Schlüsse  noch  seinen  Milton 
eingeführt,  was  alles  die  Schärfe  des  Gegensatzes  verwischt.  Dennoch 
ist  dieser  nicht  besser  zu  bezeichnen,  als  durch  die  Unterscheidung  der 
beiden  Arten  von  Genie  und  die  Vergleichung  von  Ilias  und  Aeneis 
geschehen  ist.    Die  Werke   der  Natur   stellt  Addison   auch  sonst  über 


Addison     Kleine  epische  Gedichte  319 

die  der  Kunst  und  gibt  nur  zu,  daß  beide  um  so  besser  gefallen,  je 
mehr  sie  sich  einander  nähern.  Shakespeare  nennt  er  einmal  einen  Stein 
des  Anstoßes  für  die  minderen  Kritiker,  stellt  seine  Werke  bocb  über 
die  nach  den  Regeln  gebauten  und  vergleicht  ihn  mit  dem  Stein  in 
Pyrrhos'  Ring,  der  Apollon  und  die  Musen  zeigte,  ein  Spiel  der  Natur, 
dem  keine  Kunst  nachgeholfen  hatte. 

Mit  Heftigkeit  wendet  sieb  Addison  gegen  die  Verwendung  der  antiken 
Mythologie  im  modernen  Gedichte.  Er  hatte  wohl  dabei  vornehmlich  die 
Oden  im  Auge,  welche  die  Siege  des  spanischen  Erbfolgekrieges  verherr- 
lichten. Es  gab  aber  daneben  eine  kleine  Zahl  epischer  Stücke,  welche 
sich  an  die  antiken  Epiker  in  manchen  Punkten  anlehnten. 

John  Hughes  bietet  in  seinem  Gedichte  The  Court  of  Neptune 
1699  Neptun  mit  seinem  ganzen  Gefolge  von  Tritonen  und  Nereiden  auf, 
um  den  von  einer  Reise  aus  Holland  nach  England  zurückkehrenden 
Wilhelm  III  zu  geleiten.  John  Philips  läßt  in  seinem  Gedicht  Blenheim 
1705  Marlborough  wie  einen  homerischen  Helden  kämpfen,  der  die  ganze 
Arbeit  allein  vollbringt.  Ein  solcher  Held  ist  Marlborough  auch  in 
Nicolas  Rowe's  Poem  on  tJie  lote  glorious  successes,  in  dem  zahlreiche 
Personifikationen  und  die  Genien  Englands  mitwirken.  Rowe  hat  auch 
ein  homerisches  Gleichnis  übernommen  und  es  verbessern  zu  müssen 
geglaubt.  Leonard  Welsted  schrieb  1709  ein  Gedicht  über  den  Sieg 
von  Audenarde,  das  sehr  reich  mit  homerischen  Reminiszenzen  gespickt 
ist,  aber  fast  nur  aus  Deklamationen  besteht.  Die  Poeme  sind  sämt- 
lich frostig,  und  wenn  noch  eine  gute  Szene  vorkommt,  wie  bei  Philips 
die  Schilderung  der  in  die  Donau  gedrängten  Franzosen,  so  ist  sie 
durch  gelehrte  Reminiszenzen  verunstaltet. 

Von  solchen  Versuchen  hob  sich  Addisons  Gedicht  The  Campaign 
1704  sehr  vorteilhaft  ab.  Marlborough  ist  hier  ein  wirklicher  moderner 
General,  kein  Aias  oder  Achilleus.  Auch  die  Anlage  ist  vortrefflich. 
Einige  homerische  Reminiszenzen  fehlen  nicht.  Am  Schluß  bemerkt  der 
Dichter,  daß  zwar  für  Handlungen,  die  ohne  Schmuck  kraftlos  wären, 
Götter  vom  Himmel  und  Flüsse  aus  ihrem  Bett  herbeigerufen  werden 
mögea;  da  könne  die  Erfindung  die  Wirklichkeit  schmücken;  wo  jedoch 
die  Taten  der  Helden  schon  hell  genug  glänzten,  sei  die  wahrste  Schilde- 
rung der  höchste  Preis.  Wenn  hier  Addison  die  übermenschlichen  Mächte 
für  seinen  Zweck  wenigstens  für  überflüssig  erklärt  hatte,  ging  er  im 
Spectator  1 7 1 2  der  Göttermaschine  überhaupt  zu  Leibe.  Er  preist  Thomas 
Tickell's  Gedicht  On  the  Prosped  of  Peace,  das  freilich  abgesehen  von 
der  Weglassung  der  Götter  wenig  Lob  verdient.  Addison  verspottet  die 
Heranziehung  der  Mythologie  als  Schülerexerzitien.  Kein  Gedanke  könne 


320  England 

schön  sein,  er  sei  denn  auf  Wahrheit  oder  allgemeinen  Glauben  ge- 
gründet. Nur  im  komischen  Epos  will  er  die  Götter  noch  gelten  lassen, 
ohne  Zweifel  eine  Konzession  an  den  Lutrin  und  Pope's  Lockenraub.  Mit 
humoristischem  Ernst  erläßt  er  ein  förmliches  Edikt  gegen  die  Verwendung 
der  Mythologie  im  ernsten  Gedicht,  wo  sie  nur  lächerlich  wirke.  Anders 
stellt  er  sich  zu  den  Fabelwesen  des  englischen  Aberglaubens,  Feen, 
Hexen,  Geistern,  Kobolden,  wie  sie  schon  in  englischen  Dichtem,  be- 
sonders bei  Shakespeare,  meisterhaft  behandelt  seien.  Sie  mögen  unwahr- 
scheinlich sein,  aber  da  wir  doch  an  intellektuelle  Wesen  außerhalb  der 
Menschen  glauben,  geben  wir  uns  der  Täuschung  willig  hin. 

Nicht  vergessen  möchte  ich  endlich  den  erst  1739,  zwanzig  Jahre 
nach  Addisons  Tod,  gedruckten  Discourse  on  ancient  and  modern  learning. 
Der  Titel  ist  irreführend.  Es  handelt  sich  nicht  um  den  abgestandenen 
Kohl.  Addison  stellt  vielmehr  die  sehr  berechtigte  Frage,  ob  wir  die 
alten  Dichter  mit  dem  nämlichen  Vergnügen  zu  betrachten  vermögen, 
wie  es  die  Zeitgenossen  an  ihnen  fanden.  Diese  waren,  so  lautet  die  Ant- 
wort, dadurch  weit  günstiger  gestellt  als  wir,  daß  sie  die  Personen  kannten, 
deren  Porträts  Homer,  die  Komiker  und  Satiriker  gaben,  ebenso  die 
Zusammenhänge  der  Poesie  mit  der  bildenden  Kunst,  wie  z.  B.  den 
Virgils  mit  dem  Laokoon.  Dann  lebten  sie  im  Lande  ihrer  Dichter,  an 
die  jeder  Ort  sie  erinnerte;  Homers  und  Virgils  Helden  waren  die  ihrer 
Nation.  Und  endlich  genossen  sie  bewußt  den  Klang  und  die  Harmonie 
ihrer  Sprache,  von  der  wir  nicht  einmal  recht  wissen,  wie  sie  geklungen 
hat.  Alle  diese  Dinge  fallen  für  uns  weg.  Dafür  sehen  wir  an  den  Alten 
nur  die  unvergänglichen,  von  allem  Beiwerk  befreiten  Schönheiten.  Ihre 
Namen,  ihre  Helden,  selbst  ihre  geographischen  Bezeichnungen  wirken  er- 
haben, nicht  wie  aus  einer  gewöhnlichen,  sondern  gleichsam  einer  roman- 
haften Welt.  So  finden  wir  vielleicht  manches  selbstverständlich  und 
schön,  woran  die  Zeitgenossen  Anstoß  genommen  haben. 

Die  Regeln,  deren  Herrschaft  Addison  in  vielen  Punkten  aufgehoben 
hatte,  wurden  durch  Pope  zu  uneingeschränkter  Geltung  erhoben.  Sein 
Essay  on  Criticism,  geschrieben  1709,  gedruckt  1711,  wurde  das  Glaubens- 
bekenntnis des  Regelzwangs.  Es  ist  gewiß  zuzugeben,  daß  sich  Pope 
eigentlich  nur  die  Aufgabe  gestellt  hatte,  gegenüber  der  Affektiertheit 
und  Unnatur  eines  großen  Teils  der  Literatur  des  17.  Jahrhunderts  eine 
feste  Richtschnur  des  literarischen  Urteils  zu  spannen,  und  daß  er  da- 
mit in  stilistischer  Hinsicht  Gutes  gewirkt  hat.  Mehrere  seiner  Bemerkungen 
über  Kritiker  und  Dichter  der  Zeit  sind  ganz  vorzüglich.  Bedenklicher 
ist  schon,  daß  er  als  Muster  nur  die  Alten  zuläßt,  und  die  Art,  in  der 
dies  geschieht,    ist   es   noch  viel  mehr.     Pope   rät   den  Kritikern  und 


Pope  321 

Dichtern,  an  die  er  sich  abwechselnd  und  in  verwirrender  Weise  wendet, 
vor  allem  Homer  zu  studieren,  an  ihm  ihr  Urteil  zu  bilden,  ihn  mit 
sich  selbst  zu  vergleichen  und  sich  ihn  dann  durch  Yirgil  erläutern  zu 
lassen.  Dann  folgt  die  berühmte  Stelle:  Virgil  beabsichtigte  zuerst  in 
schrankenlosem  Sinn  durch  ein  Gedicht  Rom  zu  überdauern;  vielleicht 
dünkte  er  sich  über  die  kritischen  Gesetze  erhaben  und  verschmähte 
es,  nur  aus  dem  Born  der  Natur  zu  schöpfen.  Als  er  aber  jede  Einzel- 
heit prüfte,  da  fand  er,  daß  Homer  und  Natur  dasselbe  sei.  Überführt 
und  bestürzt  hielt  er  in  seinem  kühnen  Unternehmen  inne,  und  die 
Regeln  beschränkten  nun  sein  mühevolles  Werk  so  enggeschlossen,  als 
ob  Aristoteles  jede  Zeile  überwachte.  Daraus  soll  man  richtige  Achtung 
vor  den  alten  Regeln  lernen;  die  Natur  zu  kopieren  besteht  darin,  jene  zu 
kopieren. 

Pope's  ganze  Ausführung  ist  ein  keckes  Wirtschaften  mit  fremdem 
Gut.  Dryden  hatte  in  der  Dedikation  zur  Aeneis  den  Virgil  gegen  den 
Vorwurf,  ein  Kopist  zu  sein,  in  Schutz  genommen:  Virgil  habe  beim 
Lesen  Homers  gelernt,  dessen  Erfindung  nachzuahmen,  d.  h.  gleich  ihm 
nachzuahmen.  Raffael  habe  die  Natur  nachgeahmt;  wenn  ein  Maler 
ihn  studiere,  so  heiße  das  nichts  anderes,  als  daß  er  wünsche,  nach  seiner 
Art  entwerfen  zu  lernen.  Das  war  einfach  und  verständlich,  ebenso  wenn 
Dryden  in  der  Vorrede  zu  Troilus  und  Cressida  gesagt  hatte,  die  Regeln 
seien  gemacht,  um  die  Natur  in  methodische  Ordnung  zu  bringen.  Auch 
das  wiederholt  Pope,  benutzt  nun  aber  alles  zu  einem  ungehörigen 
Schlüsse.  Wenn  er  Homer  und  Natur  gleichsetzt,  so  kann  man  das  noch 
gelten  lassen  und  als  einen  Fortschritt  gegenüber  den  französischen  Auf- 
fassungen ansehen.  Der  Schluß  aber,  daß  Virgil  durch  das  Studium  Ho- 
mers zur  Beobachtung  der  aristotelischen  Regeln  geführt  worden  sei,  und 
daß  demnach  die  Natur  am  besten  nach  den  antiken  Regeln  kopiert  werde, 
ist  eine  Gewalttat.  Die  antike  Poesie  ist  als  Muster  ausgeschaltet.  An 
ihre  Stelle  tritt  die  antike  Poetik,  erläutert  durch  Boileau  und  den  über- 
schwänglich  gepriesenen  Vida,  der  seit  kurzem  den  Engländern  durch  die 
Übersetzung  von  Basil  Bennet  nahe  gebracht  worden  war. 

Dem  gegenüber  verschlägt  es  nichts,  daß  der  Essay  keine  Weisungen 
über  die  einzelnen  Dichtungsgattungen  enthält;  es  macht  im  Gegenteil 
die  Sache  nur  schlimmer.  Boileau's  Art  poetique  hatte  doch  wirkliche 
Vorbilder  aufgestellt;  Pope  leitet  die  Rückständigkeit  der  englischen 
Literatur  davon  ab,  daß  sich  die  tapfem  Briten,  im  Stolz  auf  ihre 
Geistesfreiheit,  nicht  wie  die  der  Knechtschaft  gewohnten  Franzosen 
den  Regeln  unterwerfen  wollten.  Der  Spott,  der  zunächst  auf  Dryden's 
mannhafte  Selbständigkeit  geht,  schließt  die  großen  englischen  Dichter, 

Finaler:  Homer  in  der  Neuzeit.  21 


322  England 

Shakespeare  und  Milton,  in  den  Vorwurf  der  Unzivilisiertheit  ein.  Die 
kümmerlichen  Leistungen  eines  Roscommon,  Buckingham,  Walsh  werden 
als  Beginn  der  Ära  gepriesen,  in  der  die  gesamte  antike  Kritik  in 
England  ihren  Einzug  halten  werde. 

Dieser  entsetzlichen  Enge  gegenüber  will  es  nicht  viel  sagen,  wenn 
auch  einmal  ein  freierer  Gedanke  zum  Ausdruck  kommt.  Pope  vergleicht 
die  Leute,  die  ausschließlich  nur  eigene  oder  fremde,  antike  oder  mo- 
derne Schriftsteller  gelten  lassen,  den  intoleranten  Menschen,  die  nur 
einer  einzigen  Sekte  den  wahren  Glauben  zugestehen.  Die  Sonne  scheine 
überall  hin  und  habe  es  immer  getan,  und  doch  wechseln  überall 
Wachstum  und  Zerfall,  helle  und  dunkle  Tage.  Das  ist  aber  das  ein- 
zige Zugeständnis,  das  er  für  die  Modernen  übrig  hat.  Die  Forderung, 
daß  man  bei  Beurteilung  jedes  Dichters  seinen  besondern  Charakter, 
wie  den  seiner  Zeit  studieren  müsse,  kommt  nur  den  Alten  zugute, 
und  wenn  mit  Rapin  verborgene  Schönheiten  außer  jeder  Regel  an- 
genommen werden  und  dem  Genie  eine  glückliche  Freiheit  zugebilligt 
wird,  so  müssen  sich  die  Modernen  die  Weisung  gefallen  lassen,  daß 
sie  darin  nicht  über  das  Beispiel  der  Alten  hinaus  gehen  sollen.  Was 
sonst  an  dem  Essay  unsympathisch  anmutet,  ist  die  Unsicherheit  der  Be- 
griffe, die  großenteils  daher  rührt,  daß  die  meisten  Gedanken  entlehnt 
sind.  Ganz  unerträglich  ist  vor  allem,  daß  man  nie  recht  weiß,  was  Pope 
mit  dem  Wort  Natur  sagen  will.  Es  sind  darüber  die  verschiedensten 
Erklärungen  aufgestellt  worden,  wie  denn  überhaupt  über  den  Wert  des 
Essay   noch   heute   in  England  keineswegs  Übereinstimmung  herrscht. 

Die  Gedanken  Pope's  gibt  im  ganzen,  aber  ohne  Rücksicht  auf 
das  Altertum,  sein  Anhänger  Thomas  Parnell  in  dem  Gedicht  Essay 
on  the  different  styles  of  poetry  wieder.  Er  läßt  einen  Sänger  erzählen, 
wie  ein  anderer  Dichter  auf  dem  Musenpferd  einen  Flug  über  verschie- 
dene Länder  ausführt,  in  denen  er  Wohnung  sucht.  In  den  ersten,  zu 
denen  er  gelangt,  kann  er  nicht  bleiben,  weil  da  poetische  Mißstände  herr- 
schen; es  sind  die  nämlichen,  die  Pope  angegriffen  hat.  Endlich  kommt 
er  in  das  Land  des  Schönen,  wo  Phantasie  und  Urteil  regieren,  wo  die 
Dichter  zwar  mehr  ihrem  Genie  als  der  Kunst  vertrauen,  wo  aber  die 
Kunst  ihre  Bestrebungen  als  richtig  anerkennt.  Der  Schluß  ist  moralisch 
gewendet:  das  Beispiel  der  großen  Dichter  möge  zur  Nacheiferung  im 
Leben  anfeuern,  wie  das  des  homerischen  Hektor  zu  ruhmvollen  Taten 
begeistert. 

Li  Pope's  Gedichten,  die  mit  dem  Essay  ungefähr  gleichzeitig  sind, 
spielt  Homer  eine  bedeutende  Rolle.  Zuerst  in  dem  1711  verfaßten, 
1715  gedruckten   Temple  of  Farne,  einem  nach  Chaucer's  Vorbild  ent- 


Pope     Übersetzungen  323 

worfenen  allegorischen  Gedicht  mit  stark  satirischem  Einschlag.  Im 
Tempel  der  Fama  thront  auf  einer  der  Säulen,  die  den  Altar  umgeben, 
der  mächtige  Homer,  blind  und  doch  kühnen  Blicks,  vom  Alter  un- 
gebeugt. Am  Pfeiler  sieht  man  die  troischen  Kämpfe  abgebildet,  die 
Verwundung  der  Aphrodite  durch  Diomedes,  den  Triumph  Hektors 
über  Patroklos  und  seine  Schleifung  um  die  Mauern  Trojas.  Bewegung 
und  Leben  herrschen  überall;  das  kühne  Werk  zeugt  vom  Feuer  des  Meisters, 
der  vor  allem  starken  Ausdruck  zu  erstreben  schien  und  auch  da  und 
dort  eine  tapfere  Nachlässigkeit  offenbarte.  Daneben,  das  Auge  unver- 
wandt auf  Homer  gerichtet,  sitzt  Yirgil  in  bescheidener  stolzer  Anmut; 
auf  seinem  Schrein  sind  seine  wohldurchdachten  Werke  dargestellt. 

Auf  einer  wirklichen  Begebenheit  fußt  der  Lochenrauh,  ein  an- 
mutiges Nichts  von  vollendeter  Grazie.  Pope  war  aufgefordert  worden 
die  Geschichte  zu  'besingen,  wie  ein  junger  Edelmann  einer  Dame  eine 
Locke  abschnitt,  und  wie  daraus  ein  großer  Haß  zwischen  den  beiden 
Familien  entstand.  Die  erste  Fassung  des  Gedichts  von  1712  enthielt  nur 
die  einfache  Erzählung;  in  die  zweite,  1714,  flocht  Pope  gegen  Addispn's 
Rat  helfende  Geister  ein,  Ariel,  Sylphen,  Gnomen,  in  Anlehnung  an 
Spenser  und  an  den  Sommernachtstraum.  Diese  zarten  Wesen  sind 
ohne  Zweifel  anmutiger  als  die  kalten  Abstraktionen  des  Lutrin,  den 
sonst  der  Lockenraub  an  komischer  Kraft  bei  weitem  nicht  erreicht. 
Von  großer  Wirkung  sind  die  Entlehnungen  aus  Homer,  die  natürlich 
beim  Leser  Kenntnis  des  Dichters  voraussetzen.  Wenn  der  Locken- 
räuber mit  den  nämlichen  Worten  bei  der  geraubten  Locke  schwört, 
wie  Achilleus  bei  dem  Zepter;  wenn  um  die  Locke  ein  Kampf  tobt, 
der  der  Götterschlacht  der  Ilias  nachgebildet  ist,  oder  Belinda's  Haar 
nadel  eine  ebenso  glorreiche  Geschichte  hat  wie  Agamemnons  Zepter, 
so  wirkt  in  der  Tat  die  Einführung  des  majestätisch  Epischen  in  das 
ganz  Winzige  überwältigend  komisch. 

Durch  nichts  haftet  Pope's  Name  mehr  im  Gedächtnis  der  Menschen 
als  durch  seine  Übersetzung  Homers.  Seit  Hobbes  waren  mehrere  kleine 
Anläufe  zu  Übersetzungen  gemacht  worden.  Congreve  gab  Stücke  von 
Ilias  24  mit  überflüssiger  Rhetorik.  Thomas  Yalden  übersetzte  den 
Anfang  von  Ilias  16  so  ungenau  als  möglich  mit  gänzlicher  Zerstörung 
des  einleitenden  Gleichnisses.  Christopher  Pitt  gab  eine  Probe  von 
Odyssee  23.  Thomas  Tickeil  beabsichtigte  die  Übersetzung  der  ganzen 
Ilias,  ließ  es  aber  nach  dem  Erscheinen  von  Pope's  Werk  beim  ersten 
Buche  bewenden  und  erklärte,  er  veröff'entliche  diese  nur,  um  das  Pub- 
likum für  seine  Übersetzung  der  Odyssee  zu  gewinnen.  Von  Dryden's 
Übersetzungen  ist  bereits  gesprochen.    Diese  Versuche  sind  alle  in  ge- 

21* 


324  England 

reimten  Couplets  gehalten;  nur  William  Broome  versuchte  für  Ilias  10 
Milton's  Blankvers. 

Von  Pope's  Biad  erschien  der  erste  Band  1715,  der  letzte  1720, 
1723  bis  1725  die  Odyssey,  die  nicht  Pope  allein  gehört.  ElijahFenton 
übersetzte  davon  vier,  William  Broorae  acht  Bücher,  unter  Wahrung 
des  Stils  der  Iliad  und  unter  Pope's  Oberaufsicht.  Die  Zitate  aus  Eusta- 
thios,  die  einen  großen  Teil  der  Anmerkungen  ausmachen,  übersetzten 
ihm  Broome  und  Jortin.  Der  Essay  on  the  life,  writings  and  learning 
of  Homer,  der  dem  ersten  Bande  vorgedruckt  ist,  war  ein  Geschenk  von 
Thomas  Parnell,  der  Pope's  Sammlungen  benutzte. 

Dieser  Essay  ist  ein  wichtiges  Dokument  für  den  damaligen  Stand 
der  gelehrten  Homer studien,  denn  er  zeigt  eine  interessante  Mischung 
von  kritischer  Schärfe  mit  noch  ziemlich  weitgehendem  Befangensein 
in  hergebrachten  Anschauungen.  Parnell  befaßt  sich  nicht  mit  den 
Kämpfen  der  Modernen,  sondern  nimmt  nur  die  Alten  als  Gewährs- 
männer. Er  untersucht  die  Angaben  des  Altertums  über  Homer  nach 
ihrem  Ursprung  und  findet  diesen  entweder  in  abergläubischer  Verehrung 
oder  in  neidischer  Verkleinerungssucht,  endlich  in  dem  unkritischen 
Bestreben,  durch  Sammlung  aller  möglichen  Notizen  ein  Lebensbild 
des  Dichters  zu  gewinnen.  Was  Parnell  selbst  als  feststehend  betrachtet, 
ist  nur,  daß  Homer  wahrscheinlich  kurze  Zeit  vor  Einführung  der 
Olympiadenrechnung  lebte,  in  Smyrna  oder  Chios  zu  Hause  war  und 
sein  Wissen  auf  weiten  Reisen  gewann.  Aus  den  Werken  sucht  er  die 
Züge  für  ein  Charakterbild  Homers  zu  gewinnen,  das  er  aber  nur  als 
seine  eigene  Anschauung  gibt.  Inbezug  auf  die  Echtheit  der  verlorenen, 
dem  Homer  zugeschriebenen  Gedichte  beruft  er  sich  auf  die  antiken  Zeug- 
nisse. Aus  seiner  Übersicht  der  Geschichte  der  homerischen  Poesie  im 
Altertum  ist  hervorzuheben,  daß  er  zwar  Peisistratos  die  zerstreuten  Ge- 
dichte in  ein  Ganzes  redigieren  läßt,  diese  Sammlung  aber  nur  als  die 
Wiederherstellung  des  ursprünglichen  Planes  ansieht.  Die  allegorischen 
Erklärungen  der  Neuplatoniker  betrachtet  er  als  Waffe  gegen  die  Angriffe 
der  Christen.  An  der  Hand  der  Werke  prüft  er  Homers  Wissen.  Er  er- 
kennt in  ihm  den,  der  in  Wahrheit  zuerst  den  Namen  eines  Dichters 
verdiente.  Seine  Religion  ist  die  seiner  Zeit,  ein  aus  der  wahren  Gottes- 
vorstellung verderbter  Polytheismus;  aber  dazwischen  schimmern  Lichter 
wahrer  Erkenntnis,  die  nur  leicht  durch  Allegorien  verhüllt  sind.  In 
Zeus  erkennen  wir  den  wahren  Gott,  dem  aber  infolge  des  Mangels  an 
reiner  Vorstellung  menschliche  Züge  beigelegt  wurden.  Die  andern  Götter 
sind  Personifikationen  der  menschlichen  Tugenden  und  Talente;  aber 
Parnell  warnt  davor,  jeden  Zug  allegorisch  erklären  zu  wollen,  da  die 


Üv- 


ParneU    Pope  325 

Absicht  des  Dichters,  durch  Erstaunen  Vergnügen  zu  bewirken,  den 
moralischen  Gehalt  oft  unterdrückte.  Doch  wiegt  nach  Pamell  der  lehr- 
hafte Charakter  der  Gedichte  vor;  darin  ist  er  noch  ganz  von  Le  Bossu 
abhängig,  dessen  Moral  der  Ilias  er  übernimmt.  Die  vielbesprochene  Ge- 
lehrsamkeit Homers  bestimmt  er  dahin,  daß  der  Dichter  nicht  nur  im 
vollen  Besitz  des  Wissens  seiner  Zeit  war,  sondern  in  seinen  Werken 
der  Nachwelt  die  Quellen  neuen  Wissens  erschloß. 

In  Pope's  Iliad  ist  vor  allem  die  Vorrede  wichtig,  der  man  anmerkt, 
daß  zwischen  ihr  und  dem  Essay  on  Criticism  die  Aufsätze  des  Spectators 
liegen.  Die  Bedeutung  der  Erfindung  wird  gegenüber  der  des  Urteils 
viel  kräftiger  hervorgehoben,  Addison's  Unterscheidung  des  wilden  Para- 
dieses Homers  von  dem  wohlgepflegten  Garten  Virgils  in  mehreren  bilder- 
reichen Vergleichungen  weitergeführt. 

An  der  Fabel  unterscheidet  Pope  das  Wahrscheinliche,  das  Allego- 
rische und  das  Wunderbare.  Die  wahrscheinliche  Fabel  ist  die  Erzählung 
von  Handlungen,  die,  wenn  nicht  geschehen,  doch  möglich,  oder,  weim 
geschehen,  durch  Episoden  und  Zusätze  Fabeln  geworden  sind,  wie  die 
Rückkehr  des  Odysseus  oder  die  Ansiedelung  der  Troer  in  Italien.  Die 
der  Ilias  ist  der  Zorn  des  Achilleus,  der  kürzeste  Gegenstand,  den  je 
ein  Dichter  gewählt  hat,  der  aber  durch  Geschichten  aller  Art  bereichert  ist. 
Virgil,  der  diese  Wärme  des  Genies  nicht  besaß,  half  sich  durch  aus- 
gedehnteren Stoif  und  Zusammenfassung  beider  Gedichte  Homers  in  einen 
einzigen  Plan.  Spätere  haben  durch  eine  Mehrheit  der  Fabeln  die  Einheit 
der  Handlung  zerstört  und  die  Zeitgrenze  zu  sehr  ausgedehnt;  aber  die 
wichtigsten  Züge  haben  sie  alle  bei  Homer  geborgt.  Der  allegorische 
Reichtum  Homers  ist  wunderbar,  wenn  man  bedenkt,  welche  Summe  von 
Kenntnissen  der  Natur  und  physikalischer  Philosophie  er  nach  allgemeiner 
Annahme  in  seine  Allegorien  gehüllt  hat.  Darin  haben  ihn  andere  nicht 
erreicht;  ja  sie  sind  zu  loben,  wenn  sie  sich  beschränkten.  Da  nämlich 
in  späterer  Zeit  das  Wissen  unverhüllt  dargeboten  wurde,  war  es  für  die 
Modernen  ebenso  vernünftig  es  bei  Seite  lassen,  als  es  von  Homer  war 
es  heranzuziehen.  Vielleicht  ist  es  für  Virgil  kein  Unglück  gewesen,  daß 
seine  Zeit  den  Reichtum  dieser  allegorischen  Erfindungen  nicht  verlangte. 
Das  Wunderbare  hat  Homer  zuerst  in  ein  System  gebracht.  Seine  Götter- 
maschine mag  vom  religiösen  und  philosophischen  Standpunkt  aus  an- 
fechtbar sein,  nicht  aber  vom  poetischen.  Seine  Götter  sind  die  der 
Poesie  geblieben. 

Die  Bemerkungen  Pope's  über  Charaktere,  Reden,  Ausdruck,  Gleich- 
nisse usf.  sind  großenteils  Ausführungen  von  Gedanken  Addison's  und 
zeigen  eine  starke  Herabsetzung  des  bessern  Künstlers  Virgil  gegenüber 


326  England 

dem  großem  Genie  Homer.  Eigentum  Pope's  ist  dagegen  die  Übersicht 
über  die  Verkleinerer  Homers,  deren  Vorwürfe  ihm  übrigens  kaum  der 
Rede  wert  scheinen.  Entweder  suchen  sie,  wie  Rapin,  auf  die  parteilichste 
Weise  Virgil  über  Homer  zu  erhöhen;  oder  sie  wählen,  wie  Scaliger, 
Stellen  Homers  aus,  um  zu  zeigen,  daß  Virgil,  was  er  entlehnte,  besser 
ausgearbeitet  habe.  Andere,  wie  Perrault,  keifen  gegen  angeblich  ge- 
meine und  niedrige  Ausdrücke,  zuweilen  aus  falscher  Delikatesse  und 
Spitzfindigkeit,  öfters  aus  Unkenntnis  der  Schönheiten  des  Originals,  und 
triumphieren  dann  über  die  Albernheit  ihrer  eigenen  Übersetzungen. 
Noch  andere,  wie  La  Motte,  unterscheiden  zwischen  dem  Dichter  und 
seinem  Werk  und  gelangen  dazu,  den  Ruhm  des  Dichters  aus  der  Ignoranz 
und  dem  Vorurteil  der  Zeiten  abzuleiten.  Alle  diese  Einwendungen 
rauben  Homer  den  Ruhm  des  größten  Erfinders  nicht. 

Die  Grundsätze  der  Übersetzung  stellt  Pope  dahin  fest,  daß  weder 
sklavische  Übertragung  noch  ungenaue  Umschreibung  dem  Dichter  ge- 
recht werden  könne.  Man  dürfe  ihn  nicht  verbessern,  nicht  da  erhaben 
machen,  wo  er  selbst  es  nicht  sein  wolle.  Die  Abwechslung  von  Ein- 
fachem und  Erhabenem  lerne  man  am  besten  bei  ihm  selbst.  Die  Bei- 
wörter, dieses  Kreuz  aller  Homerübersetzer,  gedenkt  Pope  nur  da  bei- 
zubehalten, wo  sich  aus  ihnen  eine  besondere  Schönheit  der  Situation 
ergibt.  Von  seinen  Vorgängern  tadelt  Pope  an  Chapman  Schwulst  und 
Nachlässigkeit,  muß  aber  gestehen,  daß  sich  ein  feuriger  Geist  darin  zeige, 
wie  etwa  Homer  selbst  vor  den  Jahren  der  Besonnenheit  geschrieben  haben 
könnte.  Hobbes  ist  ihm  zu  knapp  und  läßt  daher  viele  Schönheiten  des 
Originals  vermissen.  Nur  Dryden  erhält  eine  erträgliche  Zensur.  Dann 
spricht  Pope  Verständiges  über  die  Pflichten  eines  Übersetzers,  und 
zum  Schluß  Seltsames.  Er  rät  nämlich  dem  Übersetzer  zwar  an,  den 
Homer  im  Text,  nicht  an  Kommentaren  oder  anderweitigen  Urteilen  zu 
studieren,  ihn  aber  beständig  mit  Milton  und  Virgil  zu  vergleichen. 
Fenelons  Telemaque  soll  ihm  den  wahrsten  Begriff  von  Geist  und  Denkart 
Homers  geben,  Le  Bossu's  bewundernswerte  Abhandlung  die  richtigste 
Kenntnis  seiner  Absicht  und  Führung.  Die  Rücksicht  auf  alle  diese  Muster 
mußte  doch  die  Übersetzung  mehr  beeinträchtigen,  als  alle  Kommentare 
gekonnt  hätten.  Für  seine  Übersetzung  benutzte  Pope  neben  den  eng- 
lischen Vorgängern  M™^  Dacier,  La  Valterie  und  Eoban  Hesse.  Er 
verfuhr  so,  daß  er  im  ersten  Schwung  ein  Stück  übersetzte,  es  dann 
nach  dem  Original  korrigierte,  mit  anderen  Übersetzungen  verglich  und 
zuletzt  die  Verse  feilte. 

Keine  Homerübersetzung  der  Welt  hat  so  viel  Aufsehen  gemacht, 
keine  ist  auch  verschiedener  beurteilt  worden.   Das  Härteste  hat  darüber 


Pope     Johnson     Spence  327 

Macaulay  gesagt:  Weder  bei  Tickell,  noch  bei  Pope  könne  Homer  in 
einem  anderen  Sinn  übersetzt,  translated,  heißen,  als  in  dem  des  Peter 
Quince,  der  im  Sommernachtstraum  dem  mit  einem  Eselskopf  zurück- 
kehrenden Bottom  zurufe:  „Bless  thee,  Bottom,  thou  art  translated." 
Höflicher,  wenn  auch  in  der  Sache  nicht  weniger  scharf,  hatte  sich  gleich 
nach  dem  Erscheinen  des  Werkes  Bentley  geäußert,  der  zu  Pope  sagte, 
die  Übersetzung  sei  ein  recht  nettes  Gedicht,  aber  Homer  dürfe  er  es 
nicht  nennen.  Er  hatte  freilich  nicht  Unrecht.  Pope  hatte  wenig  Ur- 
sache seinen  Vorgängern  Ungenauigkeiten  vorzuwerfen;  seine  Arbeit 
strotzt  davon.  Einfache  Gedanken  scheinen  im  Ausdruck  unnötig  ge- 
steigert, sehr  vieles  ist  breit  umschrieben,  die  Zahl  der  zugesetzten  Worte 
ist  Legion,  die  homerische  Art  zu  denken  wird  beständig  durch  die 
moderne  ersetzt.  Scheu  vor  angeblichen  Niedrigkeiten  hat  ihn  nicht 
selten  beherrscht:  den  berühmten  Esel  hat  auch  er  nicht  beim  Namen 
zu  nennen  gewagt. 

Aber  das  alles  schadete  dem  Werk  in  den  Augen  der  Mitwelt  nicht. 
Samuel  Johnson,  der  diese  Zeit  verstand,  hat  uns  über  die  Gründe 
der  guten  Aufnahme  aufgeklärt.  In  Verfolgung  der  Prinzipien  Dryden's, 
sagt  er,  hat  Pope's  Iliad  die  englische  Sprache  ungemein  gehoben  und 
bereichert.  Eine  einfache  Wiedergabe  Homers  war  nicht  nur  des  Vers- 
maßes wegen  unmöglich;  schon  Virgil  fand  die  bloße  Natur  für  die 
verfeinerten  Ohren  seiner  Zeit  unerträglich.  Einfacher  Ausdruck  paßt 
für  die  Zeiten,  in  denen  die  Menschheit  aus  der  Barbarei  erwacht;  aber 
später,  mit  der  Entwicklung  des  Wissens,  verlangt  man  eine  verfeinerte 
Form.  War  das  schon  für  Virgil  richtig,  wieviel  mehr  für  Pope.  Man 
wird  viele  schöne  Stellen  der  Übersetzung  im  Original  vergeblich  suchen, 
und  Homer  verdankt  ihr  gewiß  manche  ovidische  Grazie.  Aber  hinzuzu- 
fügen ist  kein  Verbrechen,  wenn  nur  nichts  weggelassen  ist.  Der  Dichter 
will  gelesen  sein.  Pope  schrieb  für  seine  Zeit  und  machte  daher  Homer  an- 
mutig, mochte  er  ihm  dafür  auch  etwas  von  seiner  Erhabenheit  nehmen. 

So  dachte  die  ganze  gebildete  Welt.  Addison  sagte,  Pope  habe  für 
Homer  das  getan,  was  Dryden  für  Virgil  tat.  Geddes,  der  Homer  sehr 
gut  kennt,  meint,  von  denen,  die  das  Original  nicht  verstehen,  könne 
man  wenigstens  voraussetzen,  daß  sie  dessen  reinste  Ströme  gekostet 
haben,  wie  sie  in  dieser  englischen  Übersetzung  fließen.  Der  Gelehrte 
Joseph  Spence  schrieb  1727  in  Form  eines  Dialogs  den  in  jener  Zeit  viel- 
gelesenen Essay  on  Mr.  Popes  Odyssey,  in  dessen  Anfang  zugegeben 
wird,  daß  Pope  über  die  Einfachheit  Homers  sehr  oft  unnötig  hinausgehe 
und  sich  noch  andere  Übertreibungen  zuschulden  kommen  lasse.  Im 
Verlauf  aber  wird  nachgewiesen,  daß  diesen  Fehlern  viel  größere  Schön- 


328  England 

heiten  gegenübertreten  und  Pope  sein  Original  vielfach  verschönert  habe. 
Seine  Fehler  seien  menschlich,  seine  Schönheiten  die  eines  Engels,  jedenfalls 
eines  ungewöhnlichen  Genies.  Den  Abschluß  der  Übersetzung  feierte  John 
Gay  in  dem  schönen,  einer  Stelle  Ariosts  nachgebildeten  Gedicht  3Ir. 
Pope's  Welcome  from  Greece.  Lang  ist  der  Dichter  in  homerischen 
Landen  und  auf  wilder  See  der  Heimat  fern  geblieben,  nun  kehrt  er,  wie 
ein  König  empfangen,  auf  reich  geschmücktem  Schiffe  heim.  Aber  die 
Huldigung  seiner  Freunde  macht  ihn  nicht  eitel;  all  seinen  Ruhm  ver- 
dankt er  doch  dem  erhabenen  Homer,  dem  zu  seinen  Lebzeiten  der  Lohn 
ausgeblieben  ist. 

Wir  können  das  Entzücken  der  Zeitgenossen  begreifen.  Aus  jeder 
Zeile  der  Übersetzung  spricht  ein  wirklicher  Dichter,  der  in  den  Stoff 
eingedrungen  ist  und  ihn  mit  Kraft  und  Anschaulichkeit  wiederzugeben 
vermag.  Schlachtenschilderungen  und  Reden  sind  sehr  wirksam  gestaltet 
und  die  Charaktere  kräftig  herausgearbeitet.  Welche  Fehler  immer  der 
Übersetzung  anhaften  mögen,  sie  hat  den  Homer  zu  einem  englischen 
Dichter  gemacht  und  ihm  in  der  heimischen  Literatur  für  immer  einen 
Platz  erobert. 

Die  Anmerkungen  zur  Übersetzung  wollen,  im  Gegensatz  zu  den  ge- 
lehrten und  den  grammatischen  Kommentaren,  auf  die  Schönheiten  der 
Dichtung  aufmerksam  machen.  Es  ist  Wertvolles  darunter,  wie  die  Be- 
merkungen über  den  Charakter  der  Helden,  aber  nötig  waren  die  vielen 
Stücke  antiker  Gelehrsamkeit  aus  Eustathios  und  Plutarch  nicht,  ebenso- 
wenig die  gelegentlichen  Auseinandersetzungen  mit  den  Franzosen.  Viel 
bedeutender  sind  die  beigegebenen  Essays,  vor  allem  der  Über  Homers 
Schlachten.  Pope  bewundert  Homer,  daß  er  bei  so  vielen  Schlachten- 
schilderungen nicht  einförmig  geworden  sei,  und  forscht  nach  den  Ur- 
sachen der  Abwechslung.  Homer,  so  führt  er  aus,  charakterisiert  die 
Fallenden  auf  verschiedene  Weise,  wechselt  in  der  Stellung  der  Fechtenden 
und  Getroffenen  ab  und  zeichnet  die  verschiedenen  Arten  der  Verwun- 
dungen mit  genauester  Kenntnis  des  menschlichen  Körpers.  Die  stereo- 
typen Wiederholungen,  mit  denen  er  den  Tod  eintreten  läßt,  lagen  im 
Stil  der  alten  Zeit.  Sodann  legt  Homer  zwischen  die  Kämpfe  Pausen  ein, 
um  den  Geist  mit  andern  Szenen  zu  erfreuen;  besonders  gern  füllt  er 
sie  mit  Gleichnissen  aus,  die  zugleich  dem  Gegenstand  entsprechen  und 
von  ihm  verschieden  sind.  Hier  wendet  sich  Pope  energisch  gegen  die 
Vorwürfe  von  Saint-Evremond  und  La  Motte,  daß  Homers  Gleichnisse  die 
Aufmerksamkeit  vom  Gegenstand  ablenken,  und  daß  sie  zu  gleichartig 
und  zu  oft  vom  gleichen  Tiere,  vde  dem  Löwen,  hergenommen  seien. 
Die  Sonne,  sagt  er,  sehen  wir  bequemer  in  ihrem  Spiegelbild  im  Wasser^ 


Pope  329 

und  das  Auge  der  Einbildungskraft  muß,  gleich  dem  körperlichen,  zu- 
weilen vom  Gegenstand  abgewendet  werden,  um  ihn  desto  besser  zu  sehen. 
Die  Wiederholung  des  nämlichen  Bildes  müßte  doch  nach  den  gleichen 
Kritikern  vernünftiger  sein  als  ein  Wechsel.  Und  dann  wird  unsere  Auf- 
merksamkeit nicht  sowohl  auf  das  Tier  gelenkt,  als  auf  dessen  Handlung 
und  Stellung,  die  bei  Homer  immer  verschieden  sind.  Zwei  verschiedene 
lebende  Wesen  in  der  nämlichen  Tätigkeit  sind  einander  mehr  gleich,  als  ein 
und  dasselbe  Wesen  sich  selbst  in  verschiedener  Tätigkeit  gleicht. 

Homer  belebt  femer  die  Kämpfe  durch  die  Teilnahme  und  das  Mit- 
leid, mit  denen  er  uns  für  die  Getroffenen  erfüllt,  jeden  kleinen  Umstand 
hervorhebt,  die  Gefühle  der  Kämpfenden  vorführt,  auch  durch  das  mannig- 
fache Eingreifen  der  Götter.  Um  einen  Helden  wie  Diomedes  auszuzeichnen, 
stellt  er  ihn  in  stufenmäßiger  Steigerung  andern  gegenüber,  erst  den 
Feinden,  dann  den  Göttern,  bis  er  sich  schließlich  Zeus  selbst  widersetzt. 
Dies  geschieht  aber  nur,  um  Hektor  zu  erheben,  der  dann  seine  sieg- 
reiche Rolle  fortführt,  bis  Achilleus  auftritt  und  ihn  in  die  Flucht 
schlägt.  So  läßt  Homer  immer  einen  Helden  hervortreten,  neben  dem 
die  andern  zurückstehen,  um  durch  reiche  Mannigfaltigkeit  das  Gedicht 
seinem  Ziele  zuzuführen. 

In  der  sorgfältigen  Studie  über  homerische  Waffen  möchte  Pope 
gern  annehmen,  daß  die  Panzer  von  Bronze,  Schwert  und  Speerspitze 
aber  von  Eisen  gewesen  seien,  weil  er  sich  sonst  die  Durchbohrung 
der  gerüsteten  Krieger  nicht  erklären  kann;  da  er  aber  zugeben  muß, 
daß  auch  die  Angriffswaffen  ehern  heißen,  so  behilft  er  sich  mit  der 
Annahme  einer  außerordentlichen  Kraft  der  Werfenden. 

Die  bedeutendste  Entdeckung  Pope's  ist  die,  daß  Homer  nicht  die 
Zustände  der  eigenen,  sondern  die  einer  früheren  Zeit  geschildert 
habe.  Er  war  darauf  durch  eine  Bemerkung  von  M™®  Dacier  geführt 
worden,  die  in  der  Preface  zu  ihrer  Iliade  ihre  Yerwanderung  darüber 
ausspricht,  daß  sich  die  Griechen  so  lange  mit  den  unbequemen  Streit- 
wagen behalfen,  ohne  zur  wirklichen  Reiterei  überzugehen.  Streitwagen 
seien  ja  auch  im  Orient  lange  Zeit  ausschließlich  im  Gebrauche  gewesen, 
aber  in  den  Zeiten  Samuels  und  Sauls,  60  Jahre  nach  dem  troischen 
Krieg  und  etwa  130  Jahre  vor  Homer,  finde  man  dort  eine  von  den 
Streitwagen  verschiedene  Reiterei.  M""®  Dacier  wünscht,  es  möchte  ein- 
mal untersucht  werden,  wann  diese  neben  den  Streitwagen  aufgekommen, 
und  wann  letztere  verdrängt  worden  seien.  Die  Frage  beantwortet  Pope 
dahin,  daß  zu  Homers  Zeiten  die  Reitkunst  zwar  bekannt  gewesen  sei, 
Homer  sich  aber  verpflichtet  gefühlt  habe,  die  Sitten  des  Zeitalters  zu 
berücksichtigen,  das  er  besang.    Dagegen  schließt  er  ebenso  richtig  aus 


330  England 

der  Erwähnung  der  Trompete  in  einem  Gleichnis,  daß  der  Dichter  sein 
Gleichnis  aus  den  Dingen  der  Gegenwart  nehme,  die  vor  seiner  Zeit 
nicht  im  Gebrauch  waren. 

Der  zweite  wichtige  Essay  behandelt  den  Ächilleusschild.  In  der 
Abwehr  der  törichten  Angriffe  Scaligers  und  anderer  läßt  Pope  Dacier 
reden,  in  der  Zeichnung  des  Schildes  schließt  er  sich  Boivin  an.  Dann 
geht  er  aber  weiter  und  studiert  die  Bilder  vom  malerischen  Gesichts- 
punkt aus.  Er  findet  auch  hier  die  Meinung  bestätigt,  daß  Homer  nicht 
nur  das  ganze  Wissen  seiner  Zeit  umspanne,  sondern  in  seinen  Ge- 
danken noch  weit  darüber  hinausgegangen  sein  müsse.  Es  habe  jedoch 
nicht  nur  die  Malerei  zu  Homers  Zeiten  höher  gestanden,  als  man  gewöhn- 
lich annehme,  sondern  sie  müsse  schon  in  der  Zeit,  die  Homer  schildert, 
sehr  geachtet  gewesen  sein.  Bei  den  Bildern  waren  die  Umrisse  ein- 
graviert, das  übrige  emailliert  oder  auf  Metall  gemalt,  worauf  die  Farben 
durch  Feuer  fixiert  wurden.  In  den  Szenen  des  Schildes  erkennt  Pope 
Erfindung,  Komposition,  Ausdruck,  Kontrastwirkung,  ja  er  entdeckt  so- 
gar Perspektive.    Mit   guten  Gründen   lehnt   er  Terrasson's   Kritik   ab. 

Nach  all  den  einsichtigen,  von  gründlichem  Eindringen  in  den  Dichter 
zeugenden  Urteil  ist  man  unangenehm  überrascht,  der  Übersetzung  der 
Odyssee  einen  Auszug  aus  Le  Bossu  vorgedruckt  zu  finden. 

Es  ist  bereits  Joseph  Spence  mit  seinem  Essay  on  Mr.  Fope's 
Odyssey  erwähnt  worden,  der  es  sich  zur  Aufgabe  machte,  das  Verhältnis 
der  Übersetzung  zum  Original  festzustellen.  Dieser  Essay  enthält  zwischen 
den  Erörterungen  über  Pope  allerlei  bemerkenswerte  Beobachtungen  über 
epische  Kunst,  in  freier  Folge,  und  für  die  Beispiele  aus  Homer  nicht 
immer  zuverlässig,  weil  die  Übersetzung  und  nicht  der  homerische  Text 
zugrunde  gelegt  ist.  Das  Wichtigste  sei  hier  aufgeführt.  Spence  unter- 
scheidet Malerei  und  Poesie  nur  nach  ihren  Ausdrucksmitteln.  Jene  kann 
ein  Gesicht  nur  in  einer  Stimmung  darstellen,  diese  vermag  entgegen- 
gesetzte Affekte  auf  einem  und  demselben  Antlitz  vorzuführen.  Letzteres 
hat  auch  die  Malerei  versucht:  das  Gesicht  der  Maria  von  Medici  auf 
dem  Gemälde  im  Luxembourg  vereinigt  mit  dem  Grundzug  des  Kummers 
einen  wohlgefälligen  Blick  auf  ihren  Sohn.  Vergleichen  wir  damit  Hek- 
tors  Abschied  bei  Homer,  so  sehen  wir  größere  Mannigfaltigkeit,  und 
dabei  jede  Einzelheit  vollkommen  richtig  und  vollendet.  Auf  Hektors 
Antlitz  vereinigen  sich  die  Kampflust  und  die  Zärtlichkeit,  die  ihn 
für  ein  letztes  Gespräch  verweilen  läßt,  auf  dem  des  Astyanax  Liebe 
und  Schrecken  vor  dem  Vater,  Andromaches  Gesicht  ist  durch  ein  zärt- 
liches Lächeln  weich  und  zugleich  von  Tränen  naß,  die  für  ihren  Hektor 
fließen. 


Pope     Spence  331 

Bei  den  früheren  Kritikern  vermißt  Spence  ein  Eingehen  auf  die 
poetische  Weissagung,  durch  die  der  Leser  mit  kommenden  Ereignissen 
bekannt  gemacht  wird.  Er  unterscheidet  die  Weissagung  durch  den 
Dichter  selbst,  der  durch  den  Mund  eines  höheren  Wesens,  eines  Prie- 
sters oder  eines  Sterbenden  spricht.  Diese  hat  vielleicht  größere  Weihe; 
poetischer  aber  ist  die  Figur  der  Vorwegnähme,  prevention,  die  uns 
entfernte  Ereignisse  vor  Augen  stellt,  als  ob  sie  schon  gegenwärtig 
wären.  Das  packendste  Beispiel  dafür  ist  die  Weissagung  des  Theo- 
klymenos  vom  Untergang  der  Freier,  in  der  Spence  das  wahre  Erhabene, 
jene  orientalische  Ausdrucksweise  erblickt,  die  sich  auch  bei  den  Pro- 
pheten findet.  Theoklymenos  sieht  die  Leiber  der  Freier  im  Blute  schwim- 
men und  ihre  Seelen  ins  Totenreich  sinken.  Wenn  dagegen  der  Dichter 
selbst  weissagt,  so  hat  er  keine  Vision,  sondern  ist  durch  die  Muse  ge- 
lehrt, weshalb  seine  Prophezeiung  nicht  den  Schwung  annimmt  wie  die 
des  Sehers. 

Die  nachdrücklichen  Partien  Homers,  sagt  Spence  weiter,  sind  nicht 
allein  so  gedrängt,  daß  sie  ebenso  viel  Gedanken  als  Worte  enthalten, 
sondern  sie  haben  die  Kraft,  gewisse  Vorstellungen  mehr  anzudeuten,  in- 
timate,  als  auszudrücken.  Homer  sagt  nicht  ausdrücklich,  daß  ein  Held 
den  Feinden  schrecklich  gewesen  sei;  er  erwähnt  die  Wirkungen  und  über- 
läßt es  dem  Leser  zu  schließen,  wie  furchtbar  der  Held  gewesen  sein  müsse. 
Die  bloße  Stimme  des  Achilleus  bringt  die  Troer  in  Verwirrung;  sie  be- 
raten, ob  sie  das  Feld  halten  wollen,  nur  weil  sie  ihn  gesehen  haben. 
Lessing  hat  diese  Beobachtung,  wohl  ohne  Spence's  Buch  zu  kennen,  auf 
die  Schilderung  der  Schönheit  angewendet. 

Phantasiereiche  Schriftsteller  häufen  Beschreibung  auf  Beschreibung. 
Das  hat  Homer  mit  gutem  Urteil  vermieden,  und  zwar  in  der  Odyssee 
noch  mehr  als  in  der  lUas.  Jene  ist  ein  moralisches  Gedicht,  das  als 
solches  alle  antiken  Schriften,  auch  die  der  Philosophen,  übertrifft  und 
alle  Pflichten  des  Lebens  hervorhebt.  Daher  läßt  sie  keine  Verschwendung 
von  Farben  zu.  Der  ganze  letzte  Teil  spielt  im  Hause  des  Odysseus,  in 
der  Hütte  des  Eumaios  und  dem  Garten  des  Laertes  und  bietet  wenig 
Raum  für  Schilderungen;  die  Rückreise  des  Telemachos,  die  Gelegen- 
heit dazu  gegeben  hätte,  wird  als  eine  Episode  mit  Eile  behandelt.  Den- 
noch sind  die  Plätze,  auf  denen  die  Handlung  vorgeht,  ganz  bestimmt 
gezeichnet.  Über  die  Gleichnisse  merkt  Spence  an,  daß  Bilder  des  ruhigen 
Lebens  um  so  mehr  wirken,  wenn  sie  in  eine  verworrene  Lage  ein- 
gefügt sind  oder  Bilder  des  Schreckens  veranschaulichen.  Dann  findet 
er  sie  besonders  passend,  wenn  sie  zur  Handlung  eine  nähere  Beziehung 
haben.    So   sind   die  Gleichnisse  zum  Kampf  am  Skamandros  sämtlich 


332  England 

vom  Wasser  genommen  und  der  Szenerie  angepaßt.  Von  diesem  Gesichts- 
punkte aus  erscheint  das  Bild  vom  Angler  viel  weniger  zutreffend,  wenn 
es  in  eine  Sdilachtbeschreibung  eingestreut  ist,  als  wenn  es  zur  Illustration 
der  die  Gefährten  ergreifenden  Skylla,  des  Meerungeheuers,  dienen  muß. 
Glücklich  ist  auch  die  gegenseitige  Anpassung  der  Personen  der  Hand- 
lung an  die  des  Gleichnisses.  Wenn  Penelopes  Schönheit  und  Keusch- 
heit gezeichnet  werden  soll,  wird  sie  mit  Artemis  verglichen,  wenn  nur 
ihre  Schönheit,  mit  Aphrodite.  Die  Ausweitung  des  Gleichnisses  über  den 
Vergleichungspunkt  hinaus  verteidigt  Spence  mit  der  Freiheit  der  Muse; 
dagegen  weiß  er  nicht  recht,  was  er  mit  den  vielen  Gleichnissen  anfangen 
soll,  in  denen  keine  Ähnlichkeit  der  Personen  und  Gestalten,  sondern 
nur  der  Umstände  und  Handlungen  zu  finden  ist.  Hier  hätte  er  bei 
Pope  lernen  können.  In  der  Beschreibung  des  Schildes  zeigen  Homer 
und  Virgil  ihre  hohe  Vorstellung,  notion,  von  der  Kunst.  Sie  sagen 
nicht,  daß  die  Figuren  eine  Handlung  zu  vollbringen  scheinen,  sondern 
sprechen  von  ihnen  als  von  wirklich  lebenden;  sie  sagen  geradezu,  daß 
jene  sich  bewegen,  handeln,  sprechen.  Die  Kritiker,  die  das  als  zu  große 
Kühnheit  tadeln,  zeigen  nur  ihre  eigene  Frostigkeit  und  ihren  Mangel 
an  Geschmack.  Diese  Art  sich  auszudrücken  ist  ebenso  richtig  als  kühn; 
sie  belebt  die  Schilderung,  und  wo  ein  Dichter  vorsichtiger  ist,  da  ist 
er  gerade  deswegen  weniger  lebendig. 

Wichtig  besonders  für  die  Entwicklung  in  Deutschland  wurde 
Thomas  Blackwell's  Enquiry  into  tJie  life  and  writings  of  Homer 
1735.  Blackwell  stellt  die  Frage,  woher  es  komme,  daß  Homer  im  Epos 
nach  so  langer  Zeit  immer  noch  unerreicht  dastehe.  Es  ist  ihm  von 
vornherein  erwiesen,  daß,  wie  Horaz  lehrt,  das  größte  Genie  ohne  Aus- 
bildung ebensowenig  Hervorragendes  leisten  könne,  als  die  feinste  Bildung 
ohne  natürliche  Anlage.  Da  er  nun  an  Homers  Genie  nicht  zweifelt, 
sollen  die  Verhältnisse  untersucht  werden,  die  dieses  so  ausnehmend  be- 
günstigten, und  zwar  an  der  Hand  der  homerischen  Gedichte  und  der  ge- 
samten antiken  Tradition.  So  führt  er  denn  aus,  daß  für  Homer  alle 
Bedingungen  außerordentlich  günstig  lagen.  Er  lebte  in  dem  glücklichen 
Klima  Kleinasiens,  in  einer  Zeit,  die  sich  noch  keiner  geordneten  staat- 
lichen und  militärischen  Verhältnisse  erfreute,  sondern  wo  sich  der  Mensch 
noch  zeigen  konnte,-  wie  er  ist.  Er  fand  eine  kraftvolle,  bilderreiche 
Sprache  vor,  die  bereits  die  erhabensten  Gefühle  auszudrücken  vermochte; 
eine  aus  Ägypten  eingeführte,  in  Allegorien  gekleidete  Religion,  die  mit 
dem  griechischen  Wesen  bereits  verwachsen  war;  eine  ungeschminkte 
Einfachheit  der  Sitten  und  endlich  die  Überlieferung  der  großen  Dichter 


Spence    Blackwell  333 

der  Vorzeit,  Orpheus,  Linos  usf.  Zu  diesen  allgemeinen  günstigen  Be- 
dingungen traten  persönliche.  In  Phemios'  Hause  lernte  Homer  die  Poesie 
kennen,  und  da  er  arm  geboren  war,  wählte  er  den  in  hohem  Ansehen 
stehenden  Beruf  eines  wandernden  Aöden  oder  Barden.  Seine  Reisen  er- 
schlossen ihm  die  Kunde  von  allen  Teilen  seines  Landes  und  machten  ihn 
zum  Weltbürger.  Er  hatte  Zutritt  zu  den  Häusern  der  Vornehmen,  deren 
Leben  er  so  genau  zu  schildern  versteht.  Im  sorglosen  Wanderleben  lag 
■der  wichtigste  Teil  der  Erziehung  Homers ;  es  brachte  ihm  mit  der  Fülle 
der  Anschauungen  zugleich  die  Vertiefung  der  Gedanken.  Er  wanderte 
auch  nach  Ägypten,  wo  er  die  allegorische  Darstellung  der  Religion  aus 
•eigener  Anschauung  kennen  lernte.  Den  Abschluß  seiner  Bildung  erlangte 
«r  in  Delphi,  einer  Kolonie  der  Kreter,  deren  Wissen  auch  wieder  auf 
Ägypten  zurückging.  Die  Kenntnis  der  außergriechischen  Welt  ver- 
mittelten ihm  seine  Beziehungen  zu  den  Phönikern,  mit  denen  er  zur 
Zeit  ihrer  regsten  Kolonisationstätigkeit  bekannt  wurde.  Endlich,  und 
das  war  die  Hauptsache,  fand  er  den  glücklichsten  Stoff.  Die  troische 
Jjbene  kannte  er  aus  eigener  Anschauung,  die  Verhältnisse  der  Troer  von 
Überbliebenen  des  Volkes.  Die  Beschränkung  des  Stoffes  gab  ihm  die 
Geschichte  selbst,  da  mit  dem  Zorn  des  Achilleus  eine  Wendung  in  der 
Führung  des  Krieges  eingetreten  war.  Seine  Charaktere  brauchte  er  nicht 
zu  erfinden;  die  Geschichte  lieferte  sie  ihm  in  aller  Mannigfaltigkeit,  und 
•er  selbst  kannte  noch  Menschen  genug,  die  jenen  alten  Helden  glichen. 
Homers  größtes  Glück  war,  daß  er  so  nach  der  Natur  zeichnen  konnte 
nnd  sich  keinen  Zwang  aufzulegen  brauchte  wie  Virgil,  der  seinem  Volke 
die  verschwundenen,  aber  um  so  mehr  zur  Schau  getragenen  Römertugen- 
den vorführen  mußte.  Zu  Homers  Zeiten  machte  niemand  ein  Hehl  aus 
seinen  Gefühlen.  Sein  Verdienst  ist  die  Treue  und  Wahrheit,  mit  der 
•er  uns  die  Natur  vorführt. 

So  groß  Blackwell's  Gelehrsamkeit  ist,  mit  der  er  die  Züge  zur  grie- 
chischen Vorgeschichte  zusammenträgt  und  manchen  Punkt  der  homeri- 
schen Gedichte  erläutert,  so  fehlt  ihm  doch  die  ruhige  Kritik  in  der 
Sichtung  der  Quellen,  wie  wir  sie  bei  Pamell  gefunden  haben.  Was  die 
Alten  über  Homer  berichten,  glaubt  Blackwell  aufs  Wort,  außer  wo  es 
ihm  nicht  gerade  in  sein  System  paßt.  Dieses  aber  ist,  so  sehr  er  ver- 
sichert, damit  der  erste  zu  sein,  nichts  anderes  als  die  Milieutheorie 
Wotton's,  mit  dessen  Argumenten  die  seinigen  im  Anfang  zusammen- 
fallen. Nur  treibt  er  das  System  zur  äußersten  Konsequenz.  Von  Homers 
Genie  bleibt  imgrunde  nichts  übrig  als  die  allerdings  hohe  Kunst,  das 
Leben  seiner  Zeit  zu  zeichnen,  wie  es  war;  sind  doch  selbst  die  Anordnung 
des  Stoffes  und  die  Charaktere  nicht  sein  Eigentum.   Damit  glaubt  aber 


334  England 

Blackwell  den  Dicliter  nicht  herunterzusetzen,  sondern  erkennt  eben  in 
dieser  getreuen  Wiedergabe  der  Wahrheit  dessen  unerreichte  Größe.  So 
wird  ihm  Homer  zum  Natur  dichter.  Dieser  Begriff  ist  jedoch  bei  ihm 
etwas  anders  gefaßt  als  bei  Addison.  Denn  der  Gegensatz,  den  er  zwischen 
Homer  und  Virgil  feststellt,  ist  nicht  sowohl  der  zwischen  Natur  und 
Kunst,  als  vielmehr  dessen,  was  Schiller  nachmals  naiv,  und  dem,  was  er 
sentimentalisch  genannt  hat. 

Bentley  hatte  Homer  seine  Lieder  zum  Vortrag  an  Festen  dichten 
lassen.  Blackwell  trägt  eine  ganz  neue  Ansicht  vor,  in  einer  Weise,  die 
deutlich  zeigt,  wie  er  im  Verlauf  seiner  Zeichnung  des  Lebens  der  Barden 
nach  und  nach  darauf  geführt  worden  ist.  Auch  sein  wandernder  Sänger 
bringt  in  die  Häuser  der  Vornehmen  seine  Lieder  mit;  aber  während 
des  Vortrags,  wenn  seine  Phantasie  sich  erhitzt  und  die  Worte  fließen, 
dann  füllt  er  die  hohlen  Stellen  seines  Werkes  aus;  dann  strömen  ihm 
die  kühnen  Metaphern  und  feurigen  Bilder  einem  Waldstrome  gleich  zu 
und  tragen  in  sein  Werk  ein  Feuer  und  eine  Anmut,  die  keine  Theorie 
zu  geben  vermag.  Die  Rücksicht  auf  seine  Zuhörer  legt  ihm  das  richtige 
Maß  im  Wunderbaren  und  Wahrscheinlichen  auf.  Die  Abenteuer  müssen 
derart  sein,  daß  das  Volk  sie  versteht,  und  die  Art,  in  der  sie  vorge- 
tragen werden,  muß  die  Einbildungskraft  überraschen,  die  Aufmerksamkeit 
anziehen  und  die  Herzen  gewinnen.  Aus  der  Vereinigung  von  diesem 
allem  begreifen  wir,  warum  die  an  sich  unwahrscheinlichen  Geschichten 
Homers  eine  solche  Ähnlichkeit  mit  Natur  und  Wahrheit  an  sich  tragen. 
Er  sagt  ja  selbst,  daß  die  Hörer  den  neuesten  Gesang  immer  am  meisten 
preisen.  Seine  Gedichte  waren  eben  für  den  mündlichen  Vortrag,  nicht 
zum  Lesen  bestimmt,  und  wer  sie  nicht  von  diesem  Gesichtspunkt  aus  liest, 
verliert  einen  großen  Teil  des  Vergnügens  daran.  Nur  wenn  man  sich  den 
Rhapsoden  vergegenwärtigt,  wie  er  vor  seinen  Hörern  steht,  begreift  man 
die  Geschichten,  die  er  oder  seine  Helden,  zuweilen  selbst  in  der  Hitze  der 
Schlachten,  erzählen.  Homer  sang  vor  dem  kriegerischen  Geschlecht  eines 
freien  Landes,  das  gern  von  den  Taten  seiner  Ahnen  singen  hörte.  Dieser 
Gedankengang  führt  Blackwell  zu  dem  Ausspruch,  die  Sänger  hätten  sich 
die  Gewohnheit  aneignen  müssen  aus  dem  Stegreif  zu  singen,  eine  Ge- 
wohnheit, zu  der  sie  die  Neigung  bereits  mitbrachten,  und  die  durch 
Übung  zur  Meisterschaft  wurde.  Sodann  bereicherte  der  einsam  wan- 
dernde Barde  seine  Phantasie  mit  Bildern,  durch  die  er  seine  Zuhörer 
wieder  erfreute;  denn  da  er  im  Moment  des  Vortrages  die  Affekte  seiner 
Hörer,  den  Ausdruck  ihrer  Augen  und  ihre  Gedankengänge  studierte, 
mußte  er,  wenn  er  allein  war,  einen  Schatz  von  solchen  Bildern  sammeln, 
die   erfahrungsgemäß   am  meisten   wirkten.    Er  sammelte  die  Wunder- 


BlackweU  335 

geschichten  jeder  einzelnen  Gegend,  die  ihren  Grund  in  der  Landesnatur 
oder  der  Überlieferung  von  mächtigen  Ahnen  hatten  und,  von  Hand  zu 
Hand  weitergegeben,  zu  einer  Allegorie  oder  mystischen  Erzählung 
wurden.  Die  Kenntnisse  und  Tugenden  seiner  Helden  entspringen  aus- 
schließlich ihrem  Genius  und  ihrem  Verkehr  mit  den  Menschen,  nicht 
einer  besondem  Schulgelehrsamkeit.  So  ist  auch  Homers  Wissen  durch- 
aus natürlich  und  nicht  gelehrt.  Seine  Sänger  singen  unter  einem  Impuls, 
der  auf  Götter  zurückgeführt  wird,  einer  Inspiration.  Keine  Poesie  ist 
ohne  Genie  denkbar,  und  dieses  Genie  selbst  hat  seine  Anfälle  und  glück- 
lichen Stunden,  die  durch  das  sorglose  Wanderleben  des  Barden  am 
glücklichsten  hervorgerufen  und  gefördert  wurden. 

So  ist  Blackwell  ohne  jede  Rücksicht  auf  die  theoretische  Poetik 
und  die  Regeln  dem  Wesen  und  Werden  des  epischen  Gedichts  nach- 
gegangen. Daß  auf  die  Art,  wie  er  sich  das  vorstellt,  nur  kleine  Stücke 
auf  einmal  zur  Ausarbeitung  kommen  konnten,  ist  klar;  aber  auf  die  Frage 
nach  der  Entstehung  des  Ganzen  brauchte  er  sich  nicht  einzulassen,  da 
ja  nach  seiner  Meinung  Homer  den  ganzen  Stoff  bereits  disponiert  vor- 
fand. Innerhalb  dieses  Rahmens  hat  er  zuerst  die  Lehre  von  der  Improvi- 
sation vorgetragen.  Bedeutend  ist  auch  seine  eingehende  Charakteristik 
der  homerischen  Personen,  besonders  der  Frauen.  Die  stoische  Anschauung 
von  Homer  als  dem  Inbegriff  alles  Wissens  hat  er  gleich  Bentley  bekämpft. 
Daß  er  noch  in  der  allegorischen  Erklärung  der  Götterwelt  befangen  ist, 
muß  ihm  als  Tribut  an  die  noch  herrschenden  Anschauungen  zugute  ge- 
halten werden.  Das  Schlimmste  an  seinem  Buch  ist  eine  ungemessene 
Weitschweifigkeit  und  zu  wenig  gesichtete  Gelehrsamkeit,  Fehler,  welche 
die  freien  und  wohltuenden  Partien  des  Werkes  zu  verdunkeln  geeig- 
,net  sind. 

Die  nun  folgende  Zeit  bis  gegen  Ende  des  Jahrhunderts  ist  eine 
Periode  herrlichster  Entwicklung,  die  um  1800  mit  dem  vollständigen 
Sturz  des  klassizistischen  Systems  abschließt.  Wir  sehen  die  verschie- 
densten Strömungen  auftreten,  sich  bekämpfen,  sich  gegenseitig  befruchten, 
vor  allem  aber  bei  jedem  einzelnen  Schriftsteller  eine  sehr  bedeutende 
Selbständigkeit  des  Denkens.  Pope's  den  Franzosen  entlehnte  Auffassung, 
daß  die  Alten,  und  zwar  die  mit  den  Augen  der  Kritiker  gesehenen  Alten, 
unverrückbares  Vorbild  bleiben  müßten,  wurde  schon  durch  die  immer 
wachsende  Verehrung  für  die  großen  englischen  Dichter,  Shakespeare, 
Milton  und  Spenser  erschüttert.  Die  Vertreter  seines  Systems  hielten  an 
der  Unfehlbarkeit  der  Regeln  selbst  nicht  fest,  wenn  sie  auch  die  antike 
Literatur  als  Vorbild  zu  halten  suchten.    Immer  stärker  wirkte  Dryden's 


336  England 

Lehre  vom  Genie,  dessen  Überlegenheit  über  die  Regeln  immer  allge- 
meiner verkündet  wurde.  Daneben  gehen  die  Versuche  her,  die  Ästhetik, 
mit  Übergehung  der  gesamten  Kritik  von  Aristoteles  bis  Boileau,  auf 
neuer  Grundlage  aufzubauen.  Höchst  wirksam  wurde  endlich  die  Wieder- 
belebung der  alten  nationalen  Balladenpoesie. 

In  diesem  Reichtum  geistigen  Lebens  spielte  der  alte  Homer  eine 
sehr  bedeutende  Rolle.  Er  war  nie,  wie  in  Frankreich,  selbst  Gegenstand 
des  Streites,  aber  immer  tritt  er  wieder  hervor,  und  zwar  wird  er  fast 
nie  anders  als  mit  Verehrung  behandelt.  Das  erklärt  sich  ganz  einfach 
daraus,  daß  kaum  einer  über  ihn  sprach,  -der  ihn  nicht  im  Original  hätte 
lesen  können;  schon  1727  hatte  Spence  sagen  können,  es  werde  deren 
nur  wenige  geben.  Der  Aufschwung  der  griechischen  Studien  auf  den 
Universitäten  gab  allen  Urteilen  über  das  Altertum  die  solide  Grundlage, 
die  man  in  Frankreich  so  oft  vermißt.  Dabei  mußte,  so  selten  Homer 
eigentlicher  Gegenstand  der  Erörterung  war,  sein  Verständnis  mächtig 
gefördert  werden.  Seine  Erscheinung  in  ihrer  Gesamtheit  zu  begreifen, 
wurde  wiederholt  versucht:  Blackwell,  Brown  und  Wood  bedeuten  ver- 
schiedene Auffassungen  des  Problems. 

Für  die  Darstellung  dieser  Zeit  muß  die  rein  chronologische  Reihen- 
folge aufgegeben  werden,  auch  auf  die  Gefahr  gelegentlicher  Wiederholung 
hin.  Es  muß  versucht  werden,  das  Gleichartige  zusammenzustellen,  und 
das  ist  um  so  eher  berechtigt,  als  sich  mit  wenigen  Ausnahmen  alle  in 
Betracht  kommenden  Erscheinungen  in  den  Raum  eines  Menschenalters 
zusammendrängen. 

Beginnen  wir  mit  der  epischen  Poesie.  Es  wäre  zu  verwundern 
gewesen,  wenn  es  nicht  Dichter  gegeben  hätte,  die  im  Anschluß  an  Pope 
epische  Gedichte  versucht  hätten.  Zwar  scheint  nach  Swift's  fürchterlicher 
Satire  niemand  mehr  Lust  gehabt  zu  haben,  im  Stil  Chapelain's  und  Black- 
more's  zu  dichten;  wohl  aber  entstanden  einige  Epen  mit  stärkerer  Nach- 
ahmung Homers  selbst.  Richard  Glover  veröffentlichte  1737  seinen 
Leonidas,  der  bis  1770,  wo  er  in  erweiterter  Fassung  erschien,  sechs 
Auflagen  erlebte.  Das  Gedicht  zeigt  in  interessanter  Weise  die  Schwierig- 
keiten, die  der  epischen  Behandlung  eines  historischen  Stoffes  entgegen- 
stehen. Herodots  Bericht  über  die  Schlacht  von  Thermopylä,  der  uns 
an  sich  schon  wie  ein  mächtiges  Heldengedicht  anmutet,  war  in  seiner 
schlichten  Großartigkeit  nicht  zu  überbieten;  und  statt  des  adeligen  Spar- 
tanerheeres den  Leonidas  zum  Helden  zu  machen,  bedeutete  ein  Her- 
absteigen von  der  Erhabenheit  der  historischen  Erzählung.  Dami  konnte 
der  notwendige  Umfang  eines  Epos  nur  erreicht  werden,  wenn  noch  andere 
Helden  hervortraten,  und  so  entsprechen  den  homerischen  Achäerfürsten 


Glover    Wilkie  337 

bei  Glover  die  Führer  der  verbündeten  Kontingente.  Ihre  Zweikämpfe 
mit  vorangehenden  Wechselreden  laufen  der  historischen  Wirklichkeit 
ganz  zuwider.  Da  dem  Dichter  Herodots  großartige  Einfalt  nicht  genügte, 
griff  er  zu  der  Ausschmückung  Diodors,  daß  Leonidas  in  der  Nacht  vor 
dem  letzten  Kampfe  das  Lager  der  Perser  überfallen  und  sich  erst  nach 
einem  fürchterlichen  Blutbad  in  den  Paß  zurückgezogen  habe.  Es  fehlt 
nicht  an  sentimentalen,  ebenso  unhomerischen  als  unhistorischen  Episoden; 
dahin  gehört  auch  der  Abschied  des  Leonidas,  der  dem  Hektors  nachge- 
bildet ist.  Zuweilen  beschwert  überflüssige  Gelehrsamkeit  die  Darstellung. 
Daneben  machen  sich  Reflexionen  über  Freiheit  und  Tugend  breit,  wie 
denn  der  große  Erfolg  des  Gedichtes  mehr  seiner  freiheitlichen  Tendenz 
als  seinen  poetischen  Schönheiten  zugeschrieben  worden  ist.  Doch  fehlt 
es  nicht  an  Vorzügen.  Manches  ist  wirklich  schön,  die  Schilderung  des 
letzten  Kampfes  geradezu  packend.  Li  den  angewandten  Kunstmitteln 
spürt  man  das  Studium  Homers  zu  stark,  zumal  in  den  vielfach  aus- 
geklügelten und  darum  unwirksamen  Gleichnissen.  Dagegen  zeugt  es  von 
poetischem  Takt,  daß  Glover  keine  Götter  eingeführt  hat. 

Das  Gedicht  wurde  enthusiastisch  gepriesen.  Lord  Lyttelton  stellte 
es  gleich  hoch  wie  Milton  und  Pope.  Dieser  habe  England  zwar  den 
Homer,  aber  kein  eigenes  Epos  gegeben  und  dadurch  für  Glover  den  Weg 
offen  gelassen.  Doch  habe  er,  der  große  Verbesserer  des  englischen  Verses, 
ihm  diesen  Weg  zugleich  geebnet,  so  daß  die  Diktion  des  Leonidas  weicher 
und  der  Fluß  der  Verse  harmonischer  geworden  sei  als  selbst  die  des  Ver- 
lorenen Paradieses.  In  Wahrheit  liefert  gerade  Glover  den  Beweis,  daß 
für  erhabene  Poesie  der  Blankvers  nicht  in  jedermanns  Hand  paßt. 

Im  Jahre  nach  Glovers  Tode,  1787,  erschien  seinGediicht  The Ätheniady 
eine  unermeßliche  und  undurchdringliche  Chronik  der  Perserkriege,  die 
als  Fortsetzung  des  Leonidas  gedacht  war. 

Andere  Wege  schlug  William  Wilkie  mit  dem  großen  Epos  The 
Epigoniad  ein,  das  zuerst  1753  in  gereimten  Couplets  erschien.  Anders 
als  Tasso  preist  er  die  Vorzüge  eines  ganz  alten  Stoffes,  der  jedoch 
nicht  historisch  sein  soll;  darin  stimmt  er  mit  Davenant  überein.  Seine 
Verteidigung  der  Einführung  homerischer  Götter  und  der  Nachweis,  daß 
durch  sie  der  Wert  der  Helden  nicht  herabgesetzt  werde,  enthalten  zwar 
manches  Bemerkenswerte,  passen  aber  zum  Gedicht  selbst  nicht  recht,  weil 
in  diesem  die  Götter  keine  organische  Rolle  spielen  und  ihre  Einwirkungen 
nur  aufgeflickte  Ornamente  und  Halbheiten  sind.  Von  hohem  Interesse  ist 
dagegen  die  Stellung,  die  Wilkie  zu  seinem  Stoff  einnimmt.  Er  verwirft 
für  das  Epos  die  ganz  freie  Erfindung  und  zieht  die  Anlehnung  an  eine 
Tradition  vor,  wie  ja  auch  Homer  getan  habe.  Denn,  sagt  er,  die  Erzählungen 

Finaler:  Homer  in  der  Neuzeit  22 


338  England 

der  Überlieferung  sind  darum  beliebter  als  andere,  weil  sie  den  Affekten 
und  Neigungen  der  Masse  der  Menschheit  angepaßt  sind,  genau  wie  die 
nationalen  Sprichwörter  ihrem  Verständnis.  Das  rührt  in  beiden  Fällen 
daher,  daß  wir  es  nicht  mit  dem  Werk  eines  Menschen  oder  Zeitalters, 
sondern  vieler  zu  tun  haben.  Traditionen  werden  durch  ihre  ersten  Er- 
finder nicht  vollkommen  gemacht,  sondern  in  den  Händen  derer,  die  sie 
einander  durch  die  Zeitalter  hin  übermitteln,  stufenweise  verbessert  und 
vervollkommnet.  Im  Anfang  ist  die  Tradition  von  beschränktem  Umfang, 
dann  dehnt  sie  sich  aus,  und,  unterstützt  durch  Zeit  und  wiederholte  Ver- 
suche, paßt  sie  sich  den  natürlichen  Affekten,  Neigungen  und  Vorurteilen 
der  Menschheit  so  genau  an,  daß  sie  zuletzt  mit  den  Gefühlen  jedes  Herzens 
vollkommen  übereinstimmt.  Keine  Erfindung  reicht  an  das  Vergnügen 
heran,  das  die  Überlieferung  gewährt.  Indessen  bleibt  sie  in  den  Händen  des 
Volkes  in  Form  und  Inhalt  roh  und  erreicht  die  Vollendung,  deren  sie 
fähig  ist,  erst  durch  die  Hand  der  Dichter.  Homers  Erfolg  rührt  eben 
daher,  daß  er  die  Traditionen  seines  Volkes  gesammelt  und  geordnet  hat. 
Seine  vielen  unabhängigen  Geschichten  mit  ihrem  oft  überflüssigen  Detail 
zeugen  dafür,  daß  sie  bereits  im  Umlauf  waren.  Das  konnte  kein  einzelner 
Mensch  erfinden,  und  so  waren  die  Dichter  auf  etwas  angewiesen,  das 
stärker  war  als  ihre  eigene  Erfindung,  nämlich  auf  die  vereinigten  Be- 
mühungen vieler,  geordnet  und  geleitet  durch  das  Urteil  von  Zeitaltem. 
Was  Wilkie  hier  gibt,  ist  eine  vollständige  und  richtige  Theorie  der 
Sage  und  der  Entstehung  des  Epos,  zu  der  er  durch  Blackwell  ange- 
regt war.  Denn  auch  dieser  hatte  die  Geschichten  der  einzelnen  Gegenden 
von  Hand  zu  Hand  gehen  und  beständig  umgeformt  werden  lassen.  Jeden- 
falls teilt  Wilkie  mit  Blackwell  die  Auffassung,  daß  Homer  seinen  Stoff 
bereits  vorgefunden  habe.    ' 

Die  Praxis  des  Dichters  entspricht  seiner  Theorie  nicht  recht.  Zu- 
grunde liegen  seinem  Gedicht  nur  die  dürftigen  Andeutungen  der  Ilias 
über  die  Eroberung  Thebens  durch  die  Epigonen,  die  Söhne  jener  Sieben, 
die  einst  vor  Theben  gefallen  waren.  So  mußte  doch  die  Erfindung  das 
meiste  tun.  Den  Rahmen  zu  füllen,  entlehnt  Wilkie  der  Ilias  Aga- 
memnon, Menelaos,  Nestor,  Odysseus,  die  vor  Theben  gar  nichts  zu  tun 
haben;  er  legt  lange  Episoden  ein,  von  denen  die  vom  Tode  des  Herakles 
ein  ganzes  Buch  füllt.  Der  eigentliche  Gegenstand  ist,  wie  bei  Homer, 
der  Zorn  des  Haupthelden,  hier  des  Diomedes.  Wie  dieser  von  Venus 
verlockt  wurde,  um  der  Reize  eines  Weibes  willen  seinen  Feldherm, 
sein  Heer,  sich  selbst  zu  verraten,  das  hat  einst  Homer  gesungen.  Aber 
der  Sang  ist  im  Meere  der  Vergessenheit  untergegangen,  und  nun  will 
der  Dichter  die  Spur  wieder  aufnehmen;   allerdings  nicht  in  der  Hoff- 


Wilkie.  339 

nung  Homer  zu  erreichen,  zu  dem  er  sicli  verhält  wie  das  kurzlebige 
Unkraut  zu  der  die  Zeiten  überdauernden  Eiche.  Die  Durchführung  der 
Liebesgeschichte  des  Diomedes  rückt  das  Gedicht  von  der  Ilias  ab  und 
stellt  es  an  die  Seite  der  Epen  im  Sinne  Tasso's.  Besonders  hat  Venus 
bei  Wilkie  starke  Ähnlichkeit  mit  dem  von  Boileau  getadelten,  immer 
und  ohne  Erfolg  gegen  den  Eümmel  heulenden  Teufel. 

Die  Epigoniad  beginnt  wie  die  Ilias  in  einem  Zeitpunkt,  wo  der 
Krieg  bereits  in  vollem  Gange  ist.  Venus,  die  für  ihr  geliebtes  Theben 
zittert,  geht  nach  Paphos  und  versammelt  dort  ihre  Nymphen  zur  Rats- 
versammlung, wie  es  bei  Cowley  der  Satan  mit  den  Teufeln  tut,  um 
ihre  Hilfe  zu  erbitten.  Es  handelt  sich  darum,  Diomedes,  dem  allein 
Theben  erliegen  kann,  dem  Heere  der  Argiver  abwendig  zu  machen. 
Diomedes  hat  sich  in  seiner  Heimat  Aetolien  mit  der  schönen  Cassandra 
verlobt,  die  mit  ihrem  Vater  Alcander  vor  dem  Tyrannen  Echetus  aus 
Italien  dorthin  geflohen  ist.  Aber  er  hat  vor  der  Hochzeit  in  den  Krieg 
ziehen  müssen;  Eifersucht  und  Furcht  für  das  Schicksal  der  verlassenen 
Geliebten  quälen  ihn.  Er  weiß  nicht,  daß  sie  ihm  unerkannt  in  Waffen 
gefolgt  ist  und  alle  Mühen  des  Krieges  mit  ihm  teilt.  Durch  den  Ge- 
danken an  sie  hofft  Venus  den  Diomedes  zum  Abfall  vom  Heere  zu 
bewegen.  Die  Nymphe  Zelotype,  ein  Abbild  von  Cowley's  Envy,  über- 
nimmt es  das  durchzuführen.  Im  Traume  spiegelt  sie  Diomedes  vor, 
Echetus  plane  die  Verfolgung  der  Cassandra,  und  trifft  ihn  mit  einem 
vergifteten  Pfeil  in  die  Brust.  Sogleich  läßt  er  die  Heergemeinde  auf- 
bieten und  stellt  den  Antrag  den  Krieg  einzustellen  und  nach  Hause 
zu  ziehen.  Aber  er  dringt  nicht  durch;  die  Fürsten  beschließen  Fort- 
setzung des  Krieges,  und  Diomedes  fügt  sich.  Nach  einer  wütenden 
Schlacht,  in  der  er,  von  Pallas  mit  ihren  eigenen  Waffen  angetan,  Wunder- 
dinge verrichtet  hat,  bietet  Creon,  der  König  von  Theben,  einen  Waffen- 
stillstand an.  Diomedes  widersetzt  sich,  weil  er  rasch  zum  Ziele  kommen 
und  nicht  den  Erfolg  durch  die  Verzögerung  aufs  Spiel  setzen  möchte. 
Er  wird  überstimmt,  erklärt  aber,  bei  dem  Abschluß  des  Vertrags  nicht 
zugegen  sein  zu  wollen,  um  nicht  an  dessen  schlimmen  Folgen  mit- 
schuldig zu  werden,  und  zieht  sich  grollend  in  sein  Zelt  zurück.  Um 
den  Schmerzen  der  Sehnsucht,  die  ihn  plagen,  ein  Ende  zu  machen, 
beschließt  er  mit  seinen  Truppen  Theben  allein  anzugreifen,  da  er  sich 
nicht  an  den  Vertrag  gebunden  erachtet.  Diesem  Beginnen  sucht  sein 
alter  treuer  Erzieher  Deiphobus  zu  wehren,  aber  dessen  Tadel  versetzt 
Diomedes  in  solche  Wut,  daß  er  ihn  erschlägt.  Der  raschen  Tat  folgt 
die  tiefste  Verzweiflung  des  Helden.  In  dieser  Stimmung  sieht  er,  den 
jetzt  die  Seinen  sonst  meiden,  mit  Verwunderung  einen  jungen  Krieger 

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340  England 

kommen,  der  ihm  einen  Zaubertrank  anbietet,  den  Kummer  zu  verscheuchen. 
Bald  erkennt  er  in  diesem  Cassandra;  aber  er  vermag  jetzt  in  ihr  nur 
die  Ursache  seines  Elends  zu  sehen  und  weist  sie  mit  harten  Worten 
von  sich.  In  ihrem  Jammer  flüchtet  sie  sich  in  einen  Hain  zu  einem 
Tempel  der  Ceres,  die  sie  um  Hilfe  anfleht.  Nachdem  ihr  dort,  sehr 
zwecklos,  Zelotype  in  der  Gestalt  ihrer  verstorbenen  Mutter  erschienen 
ist  und  sie  aufgefordert  hat  zu  ihrem  verlassenen  Vater  zurückzukehren, 
fällt  sie  einem  Trupp  von  Thebanem  in  die  Hände,  die  sie  zu  Creon 
bringen.  Da  sie  die  Rüstung  eines  gefallenen  Thebaners  trägt,  die  ihr 
Diomedes  geschenkt  hat,  soll  sie  am  Scheiterhaufen  der  Toten  als  Opfer 
geschlachtet  werden.  Dabei  wird  sie  erkannt,  und  die  Thebaner  be- 
schließen sie  als  Pfand  zu  behalten.  Sie  senden  einen  Herold  zu  Dio- 
medes und  bieten  ihm  Rückgabe  der  Gefangenen  an,  unter  der  Be- 
dingung, daß  er  das  Argiverheer  verlasse.  Der  Tydide,  der  seine  Heftigkeit 
längst  bereut  hat,  verspricht  nach  langer  Verhandlung  für  sich  und 
sein  Heer  eine  Waff'enruhe  von  zwanzig  Tagen,  wofür  Cassandra  un- 
gekränkt zurückgegeben  werden  soll.  Eine  auf  Thebens  Mauer  auf- 
gesteckte Fackel  verkündet  ihm,  daß  Creon  einwilligt.  Aber  es  kommt 
nicht  zu  Cassandra's  Rückgabe.  Verräterisch  brechen  die  Thebaner  den 
geschworenen  Vertrag,  überfallen  die  ungerüsteten  Argiver  und  bringen 
sie  in  solche  Not,  daß  Ulysses  auf  Pallas'  Rat  Diomedes  um  Beistand 
angeht.  Nach  heftigem  Widerstreben  läßt  sich  dieser  erbitten  und  rettet 
das  Heer.  Aber  jetzt  ist  Cassandra  verloren.  Creon  läßt  sie  durch  einen 
rohen  Soldaten  ermorden.  Dem  Streit  im  Argiverheer,  ob  die  Stadt 
durch  Sturm  oder  durch  Einschließung  bezwungen  werden  solle,  macht 
Creon  ein  Ende,  der,  mit  Cassandra's  Haupt  auf  einer  Lanze,  auf  der 
Mauer  erscheint.  Jetzt  stürmt  Diomedes,  wird  aber  zurückgeworfen.  In 
bitterstem  Unmut  wendet  er  sich  gegen  Ulysses,  der  ihn  in  solches 
Elend  gebracht  hat.  Einen  drohenden  Zweikampf  der  Helden  verhindert 
Pallas,  die  dem  Diomedes  das  Frevelhafte  seiner  ganzen  Handlungs- 
weise vorhält  und  ihn  mit  neuer  Kampflust  erfüllt.  An  der  Spitze  des 
Heeres  erobert  er  die  Stadt. 

In  einem  besondern  Gedicht  Ä  Dream  sagt  Homer  zu  dem  Dichter, 
er  verdanke  doch  alles  ihm,  worauf  Wilkie  antwortet,  von  Virgil  und 
Tasso  würde  auch  nicht  viel  übrig  bleiben,  wenn  Homer  sein  Eigentum 
geltend  machen  wollte.  In  der  Epigoniad  ist  Homer  wohl  stark  aus- 
gebeutet, aber  es  sind  ihm  nirgends  ganze  Szenen  und  Charaktere  ent- 
lehnt. Wilkie's  Verhältnis  zu  ihm  ist  am  ehesten  dem  Ariost's  zu  Boiardo 
zu  vergleichen,  nur  daß  Wilkie,  obschon  seine  Verse  sich  angenehm  lesen, 
denn  doch  kein  Ariost  war. 


Wilkie     Welsted  341 

In  jenem  Traum  hält  Homer  dem  Dichter  auch  das  Unnütze  der 
kritischen  Regeln  vor.  Lerne  doch  auch  der  Adler  ohne  Regeln  fliegen. 
Freilich  hätten  auch  die  Musen  Regeln,  strengere  noch  als  die  der  Pedanten, 
die  an  die  Erhabenheit  der  Natur  niemals  heranreichten.  Aber  die  Offen- 
barungen des  Schönen  seien  so  mannigfaltig,  daß  niemand  diese  oder  jene 
die  allein  richtige  zu  nennen  berechtigt  sei.  Daher  dürfe  der  Dichter  nicht 
die  Natur  ihrer  Magd,  der  Kunstfertigkeit,  unterwerfen. 

Schon  viel  früher,  1724,  hatte  der  Dichter  Leonard  Welsted  die 
Regeln  angegriffen,  in  der  Dissertation  concerning  the  perfection  ofEnglish 
language.  Er  nennt  alles,  was  die  Alten  und  ihre  modernen  Kopisten 
über  die  Regeln  geschrieben  haben,  eine  Reihe  von  Selbstverständlich- 
keiten, die  jeder  vernünftige  Mensch  kenne,  ohne  sie  gelernt  zu  haben,  und 
nach  denen  sich  noch  nie  ein  großer  Dichter  gebildet  habe.  Die  nach  der 
Ars  Poetica  verfaßten  Essays,  sagt  Welsted,  wirtschaften  immer  mit  den- 
selben Gedanken  und  befassen  sich  ausschließlich  mit  der  Form,  ohne 
die  Hauptschönheiten  der  Poesie  erfassen  zu  können,  die  nur  von  dem 
verstanden  werden,  der  die  Empfänglichkeit  dafür  mitbringt.  Groß  wird 
der  Dichter  nur  durch  das  Studium  der  Welt  und  beständige  Arbeit  an 
sich  selbst.  Nur  das  originale  Werk  hat  einen  W^ert;  die  Nachahmung 
anderer  ist  Gift  für  die  Poesie. 

Von  Welsted's  unabhängigem  Standpunkt  gibt  auch  die  Vorrede  zu 
seiner  Übersetzung  der  Schrift  vom  Erhabenen  Zeugnis.  Deren  Verfasser, 
für  den  man  damals  allgemein  Longinus  hielt,  hatte  gesagt,  die  Odyssee 
erweise  sich  als  ein  Produkt  des  Alters,  denn  sie  zeige  gleich  der  sinkenden 
Sonne  nicht  mehr  die  ebenmäßige  Erhabenheit  und  den  unaufhörlichen 
Schwung  der  lebendigen  Darstellung  wie  die  Ilias;  der  alternde  Dichter 
sei  auf  Fabeln  und  Märchen  verfallen.  Dem  gegenüber  hält  es  Welsted 
für  ganz  unmöglich,  daß  der  menschliche  Geist,  der  in  solchen  W^erken 
seine  äußerste  Spannung  erreiche,  durch  das  Ganze  hindurch  sich  in  gleicher 
Majestät  behaupten  könne.  Die  Natur  verlange  auch  aufzuatmen.  Wer 
Homers  Höhe  erreichen  will,  soll  auch  gleich  Homer  tändeln  können. 
Wenn  die  großen  Dichter  zuweilen  sind  wie  der  erregte  Ozean  oder  die 
Sonne  in  ihrer  Mittagshöhe,  so  muß  ihnen  erlaubt  sein,  ihr  auch  zu- 
weilen in  ihrem  Niedergang  zu  gleichen.  Li  allen  Werken  der  großen 
Genies  zeigt  sich  diese  Unbeständigkeit. 

Welsted  gehört  noch  in  die  Zeit  Pope's,  Wilkie  bereits  in  die  fünf- 
ziger Jahre,  in  denen  sich  diese  freien  Gedanken  machtvoll  entfalteten. 
In  der  literarischen  Kritik  blieb  das  klassizistische  System  zunächst  noch 
aufrecht,  aber  nicht  ohne  die  größten  Zugeständnisse  an  die  freiheitlichen 
Ideen.  Sein  berühmtester  Vertreter,  Samuel  Johns  on,  war  gleich  seinem 


342  England 

Vorbild  Pope  von  der  unbedingten  Vorbildlichkeit  der  Alten  überzeugt. 
In  der  Zeitsebrift  The  Idler  findet  er  es,  allerdings  etwas  ironisch,  gar 
nicht  so  schlimm,  daß  ein  Teil  der  antiken  Literatur  untergegangen  sei. 
Das  Beste  sei  ja  doch  gerettet,  und  wenn  alles  erhalten  wäre,  würden 
die  Modernen  gar  keinen  Platz  mehr  haben,  denn  es  hätte  dann  jeder  mo- 
derne Schriftsteller  seinen  von  vornherein  anerkannten  Nebenbuhler.  Wie 
wenig,  sagt  Johnson,  vermochte  die  vereinigte  Erfahrung  der  Menschheit 
den  heroischen  Charakteren,  wie  Homer  sie  darstellt,  beizufügen;  wie  wenige 
Vorfälle  hat  die  fruchtbare  Einbildungskraft  des  modernen  Italien  noch 
hervorgebracht,  die  nicht  in  Ilias  und  Odyssee  zu  finden  wären.  Dennoch 
will  er  von  direkten  Nachahmungen  der  Alten  so  wenig  wissen  als  Dryden 
und  Temple.  Er  stellt  im  JRamhler  den  Virgil  geradezu  als  warnendes 
Beispiel  dafür  hin,  wie  zu  eifrige  Nachahmung  das  Urteil  des  Dichters 
unterdrücke.  Das  Beste,  was  die  wärmsten  Verehrer  Virgils  rühmen  könnten, 
sei  das  Geschick,  mit  dem  er  die  Schönheiten  beider  Gedichte  Homers 
vereinigt  habe.  Auch  Bearbeitungen  antiker  Stoffe  haben  nicht  Johnson's 
Beifall.  In  der  Biographie  des  Dichters  Nicholas  Rowe  sagt  er  von  dessen 
Drama  Ulysses,  es  sei,  nach  dem  gewöhnlichen  Schicksal  mythologischer 
Geschichten,  gänzlich  vergessen.  Wir  sind,  sagt  Jolpison,  mit  den  poetischen 
Helden  zu  früh  bekannt  geworden,  um  von  ihrer  Wiederbelebung  be- 
sonderes Vergnügen  zu  erwarten.  Führt  man  sie  uns  in  der  uns  geläufigen 
Gestalt  vor,  so  ärgert  uns  die  Wiederholung;  gibt  man  ihnen  neue  Eigen- 
schaften oder  neue  Abenteuer,  so  beleidigt  man  uns  durch  Verletzung 
angenommener  Vorstellungen. 

Pope's  Essay  on  Criticism  hat  Johnson  zwar  in  alle  Himmel  er- 
hoben, aber  er  ist  weit  davon  entfernt  die  ganze  Masse  der  Kritiker 
so  gleichmäßig  gelten  zu  lassen,  wie  Pope  getan  hatte.  Vielmehr  unter- 
scheidet er  zwischen  den  Regeln:  die  einen  müssen  als  fundamental  und  un- 
erläßlich, andere  nur  als  nützlich  und  willkommen  angesehen  werden;  einige 
sind  durch  Vernunft  und  Notwendigkeit  diktiert,  andere  durch  ein  despo- 
tisches Altertum  verordnet;  die  einen  durch  ihre  Übereinstimmung  mit 
der  Natur  und  der  Tätigkeit  des  Intellekts  unangreifbar  gestützt,  andere 
zufällig  gebildet,  nur  nach  Beispielen  gemacht  und  daher  der  Erörterung 
und  Änderung  ausgesetzt.  Jeder  Schriftsteller  sollte  die  Natur  von  der 
Gewohnheit  unterscheiden,  oder  das,  was  festgesetzt  ist,  weil  es  richtig 
ist,  von  dem,  was  nur  richtig  ist,  weil  es  festgesetzt  ist.  So  würde  er 
weder  durch  Streben  nach  Neuheit  wesentliche  Prinzipien  verletzen  noch 
sich  den  Weg  zu  Schönheiten  versperren,  die  in  seinem  Gesichtskreise 
liegen,  bloß  durch  die  unnötige  Furcht,  Regeln  zu  brechen,  die  kein 
literarischer  Diktator  aufzustellen  berechtigt  ist.   Diese  Weite  des  Blickes 


Johnson  343 

hätte  Pope's  ganzes  System  zunichte  gemacht,  wenn  sie  festgehalten 
worden  wäre.  Aber  Johnson's  Äußerungen  sind  noch  widerspruchsvoller 
als  die  Dryden's,  und  er  hat,  während  er  seine  kritischen  Vorgänger 
verachtete,  selbst  neue  und  manchmal  recht  enge  Regeln  aufgestellt. 
Ein  Beispiel  bietet  die  Stelle  im  Leben  Pope's,  wo  er  sich  über  das 
poetische  Gleichnis  verbreitet.  Er  steht  im  ganzen  auf  dem  Standpunkt 
Addison's,  daß  nämlich  das  Gleichnis  der  alten  Dichter  sowohl  erkläre 
als  die  Phantasie  erfülle,  also  ein  Sonderdasein  führen  dürfe.  Aber  dann 
kommt  gleich  die  Schulmeisterei.  Die  Wettfahrt  zu  Schiff  dürfe  nicht, 
wie  Homer  und  Virgil  tun,  mit  einem  Wagenrennen  verglichen  werden, 
denn  dieses  Bild  könne  weder  illustrieren  noch  erweitem,  da  der  Unter- 
schied nur  in  dem  von  Land  und  Wasser  bestehe.  Ovid  habe  die  ganze 
Verfolgung  der  Daphne  durch  Apollo  mit  dem  Gleichnis  vom  Hasen  und 
Hund  nicht  klarer  gemacht,  und  die  Wahl  des  Bildes  sei  für  die  handelnden 
Personen  unvorteilhaft.  Johnson  verrät  dadurch,  daß  er  die  Natur  des 
homerischen  Gleichnisses  doch  nicht  so  klar  erkannt  hat  wie  Addison. 

In  der  Schrift  The  history  of  Basselas  prince  of  Ahessinia,  1759, 
kommt  Johnson  auf  die  Frage  zu  sprechen,  warum  in  allen  Ländern 
die  ältesten  Dichter  als  die  besten  angesehen  werden.  Unter  vielen 
anderen  Ursachen  hebt  er  zum  Schluß  besonders  hervor,  daß  die  früheren 
im  Besitz  der  Natur,  die  späteren  in  dem  der  Kunst  gewesen  seien; 
jene  ragten  in  Kraft  und  Erfindung,  diese  in  Eleganz  und  Verfeinerung 
hervor.  Das  kann  nur  auf  den  Unterschied  zwischen  Homer  und  Virgil 
gehen,  und  Johnson's  Biograph  Boswell  erzählt  dorm  auch,  er  habe 
Homer  für  den  größeren  Dichter,  die  Aeneis  aber  für  das  schönste  Ge- 
dicht erklärt.  In  einem  Gespräch  mit  Burke  läßt  ihn  Boswell  den  Satz 
verfechten,  Homers  Charaktere  seien  vorzuziehen,  weil  sie  nicht  geschildert 
würden,  sondern  sich  selbst  enthüllten.  Dennoch  ist  er  in  der  Abschätzung 
der  beiden  Dichter  schwankend.  Zwar  zitiert  er  im  Rambler  Scaliger 
als  Beispiel  für  die  nationale  Voreingenommenheit  der  Kritiker;  aber 
im  Leben  Pope's  sagt  er,  zu  Virgils  Zeiten  würde,  infolge  der  größeren 
Feinheit  der  Sitten,  die  reine  Natur  nicht  mehr  vertragen  worden  sein, 
und  vielleicht  habe  Virgil  wirklich  die  Mehrzahl  der  aus  Homer  ent- 
lehnten Stellen  verschönert.  Da  die  Annahme  der  Verfeinerung  für  Pope's 
Zeit  noch  mehr  zutreffen  muß,  so  ist  der  Schluß  Macaulay's  berechtigt,  daß 
Johnson  die  Übersetzung  Pope's  wahrscheinlich  dem  Original  vorge- 
zogen habe. 

So  frei  sich  Johnson  im  einzelnen  über  die  Lehrsätze  der  Kritik 
äußert,  so  wenig  Wert  er  auf  die  früheren  Kritiker  legt,  so  daß  er  ein- 
mal selbst  Horaz  der  Oberflächlichkeit  bezichtigt;  ja  so  sehr  er  einmal 


344  England 

betont,  daß  jedes  neue  Genie  die  festgestellten  Regeln  wieder  aufhebe: 
von  der  Notwendigkeit  der  Regeln  kommt  er  doch  nicht,  los.  Der  ein- 
zige, recht  zweifelhafte  Fortschritt  besteht  darin,  daß  man  nun  nicht  mehr 
weiß,  welches  denn  die  richtigen  Regeln  sind,  und  daß  man  auch  Johnson's 
Lehrsätzen  skeptisch  gegenüber  steht,  wenn  man  bei  ihm  selbst  lesen 
kann,  wie  viele  Faktoren  dazu  beitragen  das  klare  Urteil  der  Kritiker 
zu  verwirren. 

Enge  Anlehnung  an  Johnson  zeigt  Joseph  Warton.  Freilich  war 
jener  mit  seines  Freundes  Nachweis,  daß  Pope  kein  Dichter  im  eigentlichen 
Sinne  des  Wortes,  sondern  ein  didaktischer  und  moralischer  Philosoph 
sei,  nicht  einverstanden.  Aber  wenn  man  erwartet,  bei  Warton  einen  An- 
griff auf  die  kritische  Diktatur  Pope's  zu  finden,  so  ist  man  ganz  ent- 
täuscht. Allerdings  verwirft  er  die  französischen  Kritiker,  aber  auch  nicht 
alle.  Le  Bossu  nennt  er  den  besten  Kommentator  des  Aristoteles  und 
preist  die  große  Regelmäßigkeit  seines  Plans  und  die  Exaktheit  seiner 
Methode.  Von  Le  Bossu  übernimmt  er  die  Lehre  vom  moralischen  Grund- 
gedanken des  Epos  in  den  drei  Aufsätzen  des  Ädveniurer,  in  denen  er 
die  Bevorzugung  der  Odyssee  vor  der  Ilias  im  Jugendunterricht  fordert, 
ohne  daß  die  Yergleichung  der  beiden  Epen  viel  Neues  zutage  förderte. 
Boileau's  Art  poetique  zollt  er  in  dem  Essay  on  Pope  ungeheure  An- 
erkennung. Doch  ist  er  mit  Johnson  der  Meinung,  daß  durchaus  nicht 
alle  Regeln  gleichwertig  seien.  Wie  im  Adventurer,  so  gibt  er  auch  in 
dem  Essay  zu,  daß  die  Franzosen  einige  ausgezeichnete  Kritiker  hätten, 
Le  Bossu,  Boileau,  Brumoy,  Fenelon.  Aber  er  hält  ihre  Systeme  für  durchaus 
ungenügend  zur  Bildung  eines  richtigen  Geschmacks.  Dazu  gehöre  das 
Zurückgreifen  auf  die  ursprünglichen  Quellen  aller  gesitteten  Literatur,  die 
griechischen  Schriftsteller.  Nur  bei  ihnen  lerne  man,  um  mit  Milton  zu 
reden,  welches  die  Gesetze  der  wahren  epischen,  dramatischen,  lyrischen 
Poesie  seien;  bei  ihnen  finde  man  die  Zweckmäßigkeit  und  die  wahren 
Meisterwerke,  die  man  zu  beobachten  habe. 

Noch  ist  der  Standpunkt  unsicher,  die  Fessel  der  Kritik  nicht  ganz 
zerbrochen.  Die  Forderung,  über  sie  hinweg  zu  den  großen  Mustern  zu- 
rückzukehren, wurde  1765  von  Hurd  deutlicher  erhoben,  und  Warton  ist 
ja  auch  nicht  ihr  erster  Verfechter;  aber  seine  Äußerungen  sind  ein 
Zeichen,  wie  wenig  das  klassizistische  System  noch  zusammenhielt. 

Ein  anderes  Bild  aus  diesem  Werdeprozeß  bietet  Hu gh  Blair,  dessen 
Lectures  on  Bhetoric  and  Beiles  Lettres,  seit  1759  in  Edinburg  gehaltene 
Vorlesungen,  1783  zum  erstenmal  gedruckt  wurden.  Viel  neue  Gedanken 
sind,  was  unsern  Gegenstand  betrifft,  in  diesen  fast  ängstlichen  Versuchen, 
die  klassizistische  Tradition  mit  den  neuen  Gedanken  zu  vereinigen,  nicht 


Warton     Blair     Beattie  345 

zu  entdecken.  Es  kommt  Blair  vor  allem  darauf  an,  das  Ansehen  der 
Regeln  festzuhalten  und  womöglich  neu  zu  begründen,  und  dabei  arbeitet 
er  mit  fast  lauter  fremdem  Gut.  Eigen  ist  ihm  die  entschiedene  Ablehnung 
der  Theorien  Le  Bossu's.  Etwas  Frostigeres  und  Absurderes  läßt  sich  nach 
Blair  nicht  denken.  Mit  Recht  erkennt  er  in  dem  Helden,  den  der  Dichter 
besingen  will,  und  der  Geschichte,  welche  die  Grundlage  des  Epos  bilden 
soll,  die  ersten  Objekte,  die  den  Dichter  bewegen.  Dieser  ist  kein  Philosoph, 
der  einen  moralischen  Plan  macht.  Die  allgemeine  Lehre  geht  aus  der 
Geschichte  hervor,  und  aus  dieser  lassen  sich  noch  ganz  andere  Dinge 
ableiten,  als  Le  Bossu  will.  Moralisch  ist  der  Einfluß  des  Epos,  weil  es 
unsere  Ideen  von  menschlicher  Vollkommenheit  erweitert,  also  Bewun- 
derung erregt.  Blair  findet  es  auch  absurd  Definitionen  aufzustellen,  durch 
die  einer  ganzen  Reihe  von  Gedichten  der  Charakter  des  Epos  abge- 
sprochen wird.  Dieses  ist  nichts  als  die  Erzählung  eines  hervorragenden 
Unternehmens  in  poetischer  Form.  Milton,  Ossian,  Voltaire,  Glover  ge- 
hören genau  zu  derselben  Gattung  wie  Homer  und  Virgil.  Gut  ist  auch 
das  Urteil  über  Pope.  Blair  gibt  zu,  daß  dieser  den  Homer  zuweilen 
sogar  verbessert  habe,  aber  eine  Modernisierung  sei  seine  Übersetzung 
doch,  und  sie  lasse  von  der  Einfachheit  des  Originals  nichts  mehr  sehen. 
Freilich  werde  bei  keinem  Dichter  eine  Übersetzung  so  schwer  gemacht 
als  bei  Homer. 

Gleich  Blair  steht  unter  dem  Einfluß  der  philosophischen  Ästhetiker, 
Burke  und  Home,  James  Beattie  in  dem  Essay  on  poetry  and  picture 
1776,  wohl  einer  der  letzten,  der  die  aufgetretenen  Gegensätze  auszu- 
gleichen sucht.  Er  will  nachweisen,  daß  ein  großer  Teil  der  aus  den 
Alten  abgeleiteten  Regeln  auf  die  Natur  gegründet  und  daher  allgemein 
verbindlich  sei.  Die  Schrift  ist  wenig  selbständig  und  läuft  im  Wesent- 
lichen auf  den  Versuch  hinaus,  Bacon's  Sätze  über  den  Vorzug  der  Poesie 
vor  der  Geschichte  mit  der  aristotelischen  Poetik  in  vollen  Einklang  zu 
bringen.  Viele  seiner  Ausführungen  sind  denn  auch  nicht  viel  mehr  als 
Paraphrasierungen  der  aristotelischen  Gedanken. 

Selbständigen  Wert  hat  die  liebevolle  Studie  über  homerische  Charak- 
tere, im  Anschluß  an  die  Frage  nach  der  Vollkommenheit  des  epischen 
Helden.  Beattie  erblickt  Homers  größtes  Meisterwerk  in  dem  nicht  un- 
verwundbaren Achilleus,  der  mit  seinem  Edelmut  und  seiner  Gewalt- 
tätigkeit zugleich  Achtung,  Bewunderung  und  Mitleid  errege.  Nichts  kenn- 
zeichne ihn  besser,  als  daß  er  den  nahen  Tod  wähle,  nur  um  den  Freund 
rächen  zu  können.  Die  Weissagung  seines  Pferdes  sei  daher  ganz  am 
richtigen  Orte  eingesetzt,  um  den  unbeugsamen  Mut  des  Helden  ins  rechte 
Licht  zu  setzen.    Gleich  eingehende  Behandlung  erfahren  noch  mehrere 


346  England 

Gestalten  Homers,  vor  allem  Hektor,  den  der  Dichter  zum  Liebling  der 
ganzen  Menschheit  gemacht  habe.  Die  reinste  Moral,  überlegener  Geist 
und  Menschlichkeit  glänzen  in  diesem  wunderbaren  Dichter,  betrachte 
man  nun  seine  Werke  als  Schilderung  des  frühesten  Zeitalters,  als  einen 
Schatz  der  Weisheit  und  Moral,  als  ein  Monument  der  Macht  des  Genius 
oder  als  eine  interessante  und  belehrende  Geschichte.  Mit  besonderem 
Nachdruck  weist  Beattie  auf  die  unmittelbare  Freude  Homers  an  den 
Schönheiten  der  Natur  hin.  Der  Enthusiasmus  für  sie  und  ihr  wich- 
tigstes Objekt,  den  Menschen,  eine  Eigenschaft  aller  jungen  und  unver- 
bildeten Leute,  sei  gerade  für  Dichter  und  Maler  ein  ganz  notwendiges  Er- 
fordernis. Von  Beattie's  Gedicht  The  Minstrel  werden  wir  später  sprechen, 
da  es  die  ganze  Entwicklung  der  sechziger  Jahre  voraussetzt. 

Während  die  Klassizisten  ihr  System  selbst  nicht  mehr  recht  aufrecht 
erhielten,  erlitt  es  von  anderer  Seite  einen  tödlichen  Stoß.  Hervorragende 
Schriftsteller  hielten  zwar  an  der  Notwendigkeit  bestimmter  Gesetze  für 
die  Poesie  fest,  wollten  aber  diese  nicht  mehr  auf  die  überlieferten 
Regeln  gegründet  wissen,  sondern  suchten  die  Grundlage  in  der  Er- 
kenntnis der  psychischen  Empfindungen,  denen  die  Kunst  entspringe,  und 
der  wiederum  durch  sie  erweckten  Empfindungen.  Obwohl  die  Würdigung 
dieser  Entwicklung  der  Ästhetik  außerhalb  unserer  Aufgabe  liegt,  sind 
doch  die  aus  ihr  abgeleiteten  Urteile  gerade  über  Homer  wichtig. 

Die  Regeln,  sagt  David  Hume  in  der  Abhandlung  Ofthe  Standard 
of  Taste  1742,  sind  auf  die  Beobachtung  dessen  gegründet,  was  in  allen 
Zeiten  und  Ländern  allgemein  gefallen  hat.  Aber  viele  Schönheiten  der 
Poesie  beruhen  auf  Unwahrheit  und  Fiktion,  Hyperbeln,  Metaphern,  Miß- 
brauch der  Wortbedeutung,  und  es  kann  nicht  Aufgabe  der  Kritik  sein, 
dies  alles  durch  die  Wahrheit  zu  korrigieren.  Gleichwohl  muß  die  Poesie 
durch  Kunstgesetze  eingeschränkt  werden,  die  der  Dichter  durch  Genie 
und  Beobachtung  findet.  Er  wird  nie  durch  etwas  anderes  gefallen  als 
durch  diejenigen  Eigenschaften,  die  der  richtigen  Kritik  entsprechen;  so 
übersieht  man  Ariosts  Bizarrerien  um  seiner  wirklichen  Vorzüge  willen. 

Die  Wahrnehmung  des  Schönen  ist  nicht  rein  subjektiv;  die  Er- 
fahrung widerstreitet  einer  solchen  Meinung.  Daß  den  Menschen  eine 
Grundlage  des  Geschmackes  gemeinsam  ist,  beweist  die  allgemeine  Be- 
wunderung Homers,  dessen  Ruhm  kein  Wechsel  des  Klimas,  der  Re- 
gierungsform, der  Religion  und  Sprache  zu  verdunkeln  imstande  war. 
So  ist  es  mit  allen  Werken  des  Genius.  Übereinstimmendes  Urteil  von 
Nationen  und  Zeitaltern  ist  maßgebend.  Die  Einheit  des  Geschmacks 
wird  naturgemäß  beschränkt  durch  die  Neigungen  des  Gemüts  oder 
durch   den  Vorzug,   den    wir  zeitgenössischen  Darstellungen  vor  denen 


Beattie    Hume    Burke  347 

fremder  Zeitalter  geben.  Man  darf  jedoch  einen  Dichter  nicht  nach  der  Ver- 
schiedenheit der  Sitten  beurteilen,  wie  es  die  Modernen  mit  Homer  getan 
haben.  Von  wirklichen  Fehlem  eines  Dichters  kann  nur  gesprochen 
werden,  wenn  er  das  Laster  nicht  mit  unzweideutigem  Tadel  belegt.  Nicht 
daß  eine  Prinzessin  Wasser  holt  oder  ein  Held  selbst  kocht,  ist  anstößig, 
wohl  aber,  wenn  die  Grenzen  von  Tugend  und  Laster  verwischt  sind, 
wie  bei  Homer  und  den  Tragikern  zuweilen  geschieht.  Denn  die  wahren 
moralischen  Anschauungen  erlauben  keine  Abweichungen. 

Li  dem  Aufsatz  Of  the  rise  and  progress  of  the  arts  and  sciences 
setzt  sich  Hume  mit  der  Theorie  des  Milieu  auseinander,  zuerst  in  enger 
Anlehnung  an  Shaftesbury,  dann  mit  eigenem  Material.  Er  ist  durchaus 
der  Ansicht,  daß  das  Aufblühen  und  Sinken  der  Künste  und  Wissen- 
schaften von  allgemeinen  Ursachen  abhänge,  unter  denen  er  besonders 
die  Unberührtheit  des  Nährbodens  hervorhebt.  Für  den  Einzelnen  gibt 
er  zwar  zu,  daß  der  in  der  Nation  lebendige  Geist  von  Jugend  auf  Ge- 
schmack und  Urteil  der  großen  Schriftsteller  erziehe,  und  darin  sieht 
er  auch  die  Ursache  jener  Erscheinung,  welche  die  Alten  Lispiration 
nannten.  Dieses  Feuer  brennt  in  der  ganzen  Nation  und  teilt  sich  jedem 
mit;  nur  leuchtet  es  da  am  hellsten,  wo  die  Materialien  am  besten  vor- 
bereitet sind.  Aber  weiter  will  Hume  nicht  gehen.  Ein  Mann,  der  unter- 
suchen wollte,  warum  ein  bestimmter  Dichter  wie  z.  B.  Homer  gerade 
an  diesem  Ort,  in  dieser  Zeit  existierte,  würde  sich  kopfüber  in  ein  hoff- 
nungsloses Wagnis  stürzen  und  könnte  einen  solchen  Stoff  nicht  ohne  eine 
Menge  falscher  Subtilitäten  und  Spitzfindigkeiten  behandeln.  Hier  paßt 
nur  das  Wort  des  Horaz  von  dem  Genius  des  Einzelnen.  Es  unterliegt  wohl 
keinem  Zweifel,   daß   diese  Ausführung  gegen  Blackwell  gerichtet  ist. 

An  Hume  schließt  sich  Edmund  Burke's  PMlosophical  Enquiry 
into  tJie  origin  of  the  Sublime  and  Beautifid  1757.  Auch  Burke  verficht 
die  Einheit  des  Geschmacks,  hebt  die  Notwendigkeit  des  Urteils  für 
die  Poesie  hervor  und  sucht  dafür  die  Basis  sicherer  Erfahrung.  Auch 
er  findet  die  Kritik  nicht  geeignet  unser  Führer  zu  sein.  Sie  hat  die 
Regeln  der  Kunst  am  falschen  Orte  gesucht,  nämlich  in  den  Werken 
der  Kunst  selbst,  während  doch  die  Kunst  niemals  die  Gesetze  geben 
kann,  die  eine  Kunst  hervorbringen.  Das  ist  der  Grund,  warum  Künstler, 
besonders  Dichter,  in  einen  so  engen  Kreis  gebannt  sind:  sie  ahmten 
mehr  einander  als  die  Natur  nach.  Die  Kritiker  folgten  ihnen  und  konnten 
darum  nicht  zu  Führern  werden,  weil  man  kein  Ding  beurteilen  kann, 
wenn  man  das  Ding  selbst  zum  Maßstab  nimmt.  Einsicht  gibt  nur  das 
sorgfältige  Eindringen  in  die  Natur.  Aus  den  Erscheinungen  dieser  sollen 
die  Gesetze  der  künstlerischen  Empfindung  abgeleitet  werden. 


348  England 

In  Burke's  scharfsinnigen  Eröterungen  über  das  Erhabene  und  das 
Schöne  wird  Homer  oft  herangezogen,  am  umfassendsten  bei  der  Beweis- 
führung, daß  das  Große  und  Gewaltige  wohl  mit  dem  Erhabenen,  nicht 
aber  mit  dem  Schönen  vereinbar  sei  und  daher  auch  die  durch  das  Schöne 
hervorgerufenen  Gefühle,  Mitleid  und  Liebe,  nicht  erregen  könne.  Li 
der  ganzen  Ilias,  sagt  Burke,  erregt  kein  durch  Größe  und  Stärke  aus- 
gezeichneter Mann  durch  seinen  Fall  unser  Mitleid,  und  er  soll  es  nach 
der  Meinung  des  Dichters,  dieses  Kenners  der  menschlichen  Natur,  auch 
nicht  tun.  Wohl  aber  rührt  uns  der  in  holder  Jugendblüte  den  Eltern 
entrissene  Simoeisios,  rührt  uns  Iphidamas,  der  fem  von  der  jung  ver- 
mählten Gattin  fallen  muß.  xichilleus  gewinnt  bei  allen  äußern  Vor- 
zügen und  mannigfachen  trefflichen  Eigenschaften  unsere  Liebe  nicht. 
Den  Troern  dagegen,  deren  Geschick  unser  Mitgefühl  erregen  soll,  leiht 
der  Dichter  die  liebenswürdigsten  Züge;  denn  Mitleid  beruht  auf  Liebe, 
und  diese  wird  durch  die  kleineren,  sozusagen  häuslichen  Tugenden  der 
Troer  geweckt.  Li  staatlichen  und  kriegerischen  Tugenden  sind  ihnen 
die  Griechen  weit  überlegen.  Die  Ratschläge  des  Priamos  sind  ohn- 
mächtig, Hektors  Arme  verhältnismäßig  schwach,  seine  Tapferkeit  weit 
unter  der  des  Achilleus.  Aber  wir  lieben  die  Troer  mehr  als  ihre  Über- 
winder, für  die  Homer  Bewunderung  erwecken  wollte,  und  denen  er 
daher  diejenigen  Tugenden  verlieh,  die  mit  Liebe  nur  wenig  zu  tun 
haben. 

Umfassender  als  Burke  stellt  Henry  Home,  Lord  Kames,  in  den 
Elements  of  Criticism  1761 — 1765  die  Ästhetik  und  Kritik  auf  eine  neue 
Grundlage,  die  er  in  der  Erforschung  des  menschlichen  Seelenlebens  findet. 
Auf  die  Ästhetik,  besonders  Deutschlands,  hat  das  weit  schichtige  Buch 
großen  Einfluß  ausgeübt. 

Der  herrschenden  Kritik  wirft  Home  vor,  daß  sie,  ungleich  den 
übrigen  Wissenschaften,  in  denen  die  Menschen  ihr  Recht  auf  eigenes 
Denken  behaupten,  der  Autorität  gegenüber  immer  gleich  sklavisch  sei. 
Le  Bossu  könne  sich  für  seine  Regeln  immer  nur  auf  die  Praxis  Homers 
und  Yirgils  berufen,  die  durch  die  Autorität  des  Aristoteles  gestützt 
werde.  Seltsamerweise  habe  dieser  nie  darüber  nachgedacht,  ob  und  in- 
wiefern diese  Regeln  mit  der  menschlichen  Natur  übereinstimmten.  Er 
konnte  doch  diese  Dichter,  so  eminent  ihr  Genie  war,  nicht  für  berechtigt 
halten,  der  Menschheit  ein  unverbrüchliches  Gesetz  zu  geben  und  blinden 
Gehorsam  gegen  ihre  Willkür  zu  verlangen.  Wenn  sie  selbst  keine 
Regeln  befolgten,  warum  sollten  sie  nachgeahmt  werden?  Wenn  sie  die 
Natur  studierten  und  sich  vernünftigen  Prinzipien  unterwarfen,  warum 
sollten  diese  vor  uns  verborgen  werden? 


I 


Burke     Home  349 

Damit  sind  die  alten  Dichter  als  Muster  abgeschaflPt  und  die  Kritik 
mit  ihnen.  Es  ist  nur  schade,  daß  Home  nicht  die  innere  Freiheit  gehabt 
liat,  es  dabei  bewenden  zu  lassen,  anstatt  aus  seinen  ästhetischen  und 
psychologischen  Entdeckungen  gleich  wieder  einen  neuen  Regelkodex  zu 
machen.  Die  Dichter,  selbst  sein  über  alles  verehrter  Shakespeare,  werden 
an  den  gewonnenen  Resultaten  gemessen  und  danach  beurteilt.  Homer 
ergeht  es  dabei  nicht  sonderlich  gut. 

Home  stellt  das  Gesetz  auf,  daß  alle  Teile  eines  Werkes  ihrer  Be- 
stimmung entsprechend  mit  dem  Ganzen  verbunden  sein  müssen,  weil 
jedes  Werk  dann  angenehm  sei,  wenn  es  mit  dem  natürlichen  Lauf 
unserer  Begriffe  vereinbar  ist.  Nur  dann  haben  wir  den  Eindruck  einer 
richtigen  Komposition.  Homer  ist  in  Ordnung  und  Verbindung  mangel- 
haft. Regelmäßigkeit,  Ordnung  und  Verbindung  sind  eben  lästige  Ein- 
schränkungen der  kühnen  und  freien  Einbildungskraft,  und  man  unter- 
wirft sich  ihnen  erst  nach  langer  Kultur  und  Disziplin.  Sie  sind  aber 
notwendig,  wenn  nicht  alles,  die  Führung  des  ganzen  Lebens,  ein  bloßes 
Spiel  des  Zufalls  sein  soll. 

Es  war  ein  großer  Fortschritt,  daß  Home  dem  alten  und  etwas 
törichten  Streii^  ob  die  Poesie  Erfundenes  oder  Historisches  darzustellen 
habe,  ein  Ende  machte.  Nach  seiner  Meinung  kommt  darauf  gar  nichts 
an;  denn  in  der  Darstellung  handelt  es  sich  nur  um  ideale  Gegenwart, 
die  im  Gegensatz  zur  realen  ein  wacher  Traum  genannt  werden  kann, 
im  Gegensatz  zu  reflektierender  Erinnerung  intuitiv  ist.  Wir  werden 
durch  sie  zu  Zuschauem,  und  der  vollbeschäftigte  Geist  fragt  nicht  nach 
der  Wirklichkeit  des  Geschehenden.  Hektors  Abschied  und  die  Szenen 
des  Lear  geben  den  Eindruck  der  Realität  vollkommen,  und  ganz  gleich 
können  geschichtliche  Darstellungen  wirken.  Göttliche  Wesen  dagegen 
können  den  Eindruck  der  Realität  nie  hervorbringen  und  geben  dem 
ganzen  Werk,  wie  z.  B.  der  Gerusalemme  und  der  Henriade,  den  Cha- 
rakter des  Erfundenen. 

Der  Eindruck  der  Erhabenheit  vnrd  besonders  durch  Weglassung 
der  geringfügigen  Züge  erreicht.  Homer  entspricht  dieser  Forderung  ge- 
wöhnlich, nur  in  den  Schlachtenschilderungen  nicht  immer.  Einzelkämpfe 
sind  bei  ihm  selten.  Das  fünfte  Buch,  der  längste  Schlachtenbericht  der 
Ilias,  enthält  nichts  als  einen  langen  Katalog  von  Führern,  die  einander 
töten,  nicht  im  Zweikampf,  sondern  aus  der  Feme,  und  von  denen  man 
nachher  nichts  mehr  hört.  Die  detaillierte  Beschreibung  der  Wunden 
würde  in  ihrer  Genauigkeit  einem  Anatomen  Ehre  machen,  wirkt  aber 
im  Epos  langweilig  und  ermüdend.  Die  gräßliche  Ermattung  erleichtern 
da  nur  die  schöne  griechische  Sprache  und  die  Melodie  des  Verses.   Auch 


350  England 

die  Schilderung  der  Penelope,  die  den  Bogen  des  Gemahls  holt,  weicht 
stark  von  der  gegebenen  Regel  ab. 

Der  Forderung  der  Übereinstimmung,  congruity,  zwischen  Gegen- 
stand und  Ornamenten  entspricht  der  Achilleusschild  nicht.  Wie  im  Ball- 
saal alle  Dekorationen  heiter,  in  Kirchen  alle  Gemälde  religiös  sein  müssen, 
so  sollte  auf  einem  Schild  jedes  Ornament  eine  Beziehung  auf  den  Krieg 
haben,  wie  es  bei  Virgil  geschehen  ist,  und  nicht  friedliche  oder  fröhliche 
Szenen  darstellen  wie  bei  Homer. 

Besondere  Sorgfalt  verwendet  Home  auf  die  Theorie  des  Gleich- 
nisses, nachdem  er  schon  früher  die  zu  häufige  Wiederholung  des  näm- 
lichen Bildes  Homer  zum  Vorwurf  gemacht  hatte.  Die  sehr  ins  einzelne 
gehenden  Unterscheidungen  bieten  nicht  viel  Neues,  zumal  Home  zu 
sehr  in  der  Betrachtung  über  gewählte  oder  zu  wählende  Gegenstände 
befangen  ist.  Mit  Johnson  verwirft  er  die  Wahl  der  mit  der  Handlung 
zu  ähnlichen  Bilder,  mit  Addison  verteidigt  er  das  Gleichnis  Milton's 
und  damit  Homers.  Die  Zulässigkeit  der  Setzung  eines  Gleichnisses  mißt 
er  an  den  Stimmungen,  die  im  gewöhnlichen  Leben  bildlichen  Schmuck 
erlauben  oder  erfordern.  Hier  weist  ihm  Homer  den  Weg,  der  in  wörtlich 
angeführten  Reden  fast  keine  Gleichnisse  hat.  Gegen  d^n  Vorwurf  der 
Niedrigkeit  verteidigt  er  zwar  Homer,  wenn  dieser  durch  die  Gleichnisse 
von  Bienen  und  Fliegen  die  Vorstellung  von  großen  Massen  hervorbringt, 
findet  aber  selbst,  es  dürfe  kein  Gleichnis  auf  einem  so  niedrigen  Bild 
aufgebaut  sein  wie  dem  von  den  Wespen  oder  der  Mücke,  die  Pope 
mit  Recht  durch  die  Hornisse  ersetzt  habe. 

Wer  die  französische  Kritik  kennt,  wird  bei  diesen  Urteilen  Home's 
nicht  selten  von  der  Ähnlichkeit  mit  jener  überrascht  sein.  Sie  ist  ohne 
Zweifel  zufällig,  beweist  aber  nur,  daß  die  Beurteilung  der  Poesie  durch 
den  neuen  Maßstab  nicht  gewonnen  hat.  Es  ist  ein  enges  System  durch 
ein  anderes  ersetzt,  und  dieses  wird  mit  gleicher  Intoleranz  durchgeführt. 
Den  Dichtern  kann  es  wirklich  gleichgiltig  sein,  ob  sie  im  Namen  Homers 
oder  dem  der  Beobachtung  des  Lebens  eingeschnürt  werden;  die  Freiheit 
des  Genius  wird  hier  und  dort  gleich  wenig  respektiert.  Von  der  stark 
moralischen  Tendenz  des  Werkes  soll  hier  nicht  gesprochen  werden,  da 
dieser  Zug  fast  dem  ganzen  Jahrhundert  eigen  ist.  Es  wäre  noch  von 
dem  reichlichen  Tadel  zu  sprechen,  der  gegen  Homers  Stil  erhoben  wird; 
aber  mit  einer  einzigen  unbegründeten  Ausnahme  gehen  sämtliche  Rügen 
auf  die  Übersetzung  Pope's,  nicht  auf  das  Original. 

Mit  dem  Kampf  gegen  die  Kritik  beginnt  auch  der  Bischof  Richard 
Hurd  seine  literarische  Laufbahn.  Schon  sein  erstes  Werk  über  Horaz' 
Ars  Poctica  1749  ist  eine  Tat;  er  setzt  das  Gedicht  von  dem  lange  be- 


Home     Hurd  351 

haupteten  Rang  eines  Lehrbuches  der  Poesie  ab,  indem  er  nachweist,  daß 
es  das  gar  nicht  sei,  sondern  eine  in  der  zwanglosen  Form  der  Epistel 
gehaltene  Kritik  des  römischen  Dramas.  Aus  jenem  Grundirrtum  ergaben 
sich  die  Schwierigkeiten,  die  sich  erhoben.  Man  suchte  nach  griechischen 
Quellen  des  Buches,  die  gar  nicht  da  waren,  und  anstatt  dem  Gedankengang 
des  Gedichtes  nachzugehen,  ekelte  man  die  Welt  mit  insipiden  Vorlesungen 
über  Aristoteles  und  andere  Kritiker  an;  deren  gediegener  Sinn  wurde 
durch  die  delikate  französische  Kritik  so  verdünnt,  daß  diese  beinahe  die 
Kunst  selbst  in  Verruf  gebracht  hätte.  Hurd  erläutert  den  Zusammen- 
hang der  Ars  Poetica,  wobei  es  überrascht,  wie  sehr  er,  obwohl  sie  ihm 
kein  Gesetzbuch  mehr  ist,  doch  ihren  einzelnen  Aufstellungen  Beifall 
zollt,  während  er  der  übrigen  Kritik  gegenüber  einen  sehr  freien  Stand- 
punkt einnimmt. 

In  der  Ausgabe  von  Horaz'  Epistola  ad  Augustum  1751  verlangt 
Hurd  von  der  wahren  Kritik,  als  der  gerechten  Beurteilerin  der  Verdienste 
großer  Schriftsteller,  philosophischen  Geist  und  starke  Einbildungskraft. 
Die  ersten  Kritiker  waren  die  Rhapsoden,  die  für  die  Werke  ihrer  Lieb- 
lingsschriftsteller zwar  Bewunderung  erregten,  aber  keine  Rechenschaft 
darüber  ablegen  konnten.  Dann  bemächtigte  sich  der  Kritik  die  wissen- 
schaftliche oder  spekulative  Philosophie.  Dem  verstandesmäßigen  Aufbau 
des  Aristoteles  fehlt  Phantasie  und  lebhafte  Darstellung,  während  es  Lon- 
gin, der  die  eigentliche  Seele  der  Poesie  zu  durchdringen  die  natürliche 
Gabe  hatte,  wieder  an  der  Präzision  und  Gedankentiefe  des  Aristoteles 
fehlen  läßt.  Longin  ist  von  der  neuesten  Kritik  besonders  nachgeahmt 
worden,  und  er  wurde  ihr  einzig  maßgebendes  Vorbild  in  der  Manier, 
welche  die  Dichter  nur  preist,  ohne  sie  zu  erklären;  aber  da  nur  ein  über- 
legener Genius  diese  Art  der  Betrachtung  erträglich  machen  kann,  ist  sie 
oberflächlich  und  abgeschmackt  geworden.  Hurd  preist  seinen  Freund 
Warburton  dafür,  daß  er  zwischen  beiden  Extremen  die  richtige  Mitte 
getroffen  habe. 

Finden  wir  hier  eine  noch  nicht  recht  abgeklärte  Auffassung,  so 
setzt  uns  der  Verlauf  der  Dissertation  on  poetical  Imitation  1757  noch 
mehr  in  Verwunderung.  Denn  im  ersten  Teile  bestreitet  Hurd  aufs  eifrigste 
die  Meinung,  als  ob  Übereinstimmung  zwischen  zwei  Dichtem  notwendig 
auf  Kopierung  des  einen  durch  den  andern  schließen  lasse.  Gleiche  Gegen- 
stände und  Affekte  bringen,  richtig  beobachtet,  gleiche  Darstellungen 
hervor.  Erfindung  ist  ja  überhaupt  nichts  als  richtige  Beobachtung.  Nicht 
in  der  Entdeckung  neuer  Gefühle  und  Bilder,  sondern  in  der  mächtigen 
Vorführung  und  Einprägung  der  bekannten  liegt  Homers  und  Shake- 
speare's  Überlegenheit;  den  Genius  erweist  die  richtige  Behandlung.  Dabei 


352  England 

läßt  es  sich  Hurd  besonders  angelegen  sein,  den  Yirgil  gegen  den  Vorwurf, 
daß  er  ein  Imitator  sei,  zu  verteidigen. 

Nach  solchen  in  mancher  Hinsicht  so  berechtigten  Ausführungen 
sind  wir  ganz  erstaunt,  im  zweiten  Teil  zu  erfahren,  daß  es  Nachahmer 
doch  gebe.  Wir  sind,  führt  Hurd  aus,  von  Jugend  auf  gewohnt,  die  Welt 
mit  den  Augen  der  großen  Dichter  zu  sehen;  ihre  Verehrung  ist  durch 
die  Jahrhunderte  festgestellt,  und  die  Kritik  hat  sie  immer  als  Muster 
betrachtet.  Deshalb  wagte  man  im  Altertum  und  noch  in  der  Neuzeit 
keine  andern  Wege  einzuschlagen,  als  Homer  gegangen  war,  undmankonnte 
es  vielfach  auch  nicht.  Nun  kann  aber  wirklich  der  Nachahmer  durch 
trefflichere  Behandlung  das  Original  überbieten;  er  kann  die  Mittel,  die 
er  in  der  Schatzkammer  der  Früheren  findet,  neu  gestalten  und  ergänzen, 
wofür  das  sechste  Buch  der  Aeneis  ein  unsterbliches  Beispiel  ist.  Pope 
hat  gesagt,  es  bleibe  uns  nichts  übrig,  als  unsere  Werke  durch  die  Nach- 
ahmung der  Alten  zu  empfehlen,  und  sicher  ist,  daß  ein  Schriftsteller, 
der  durch  alle  die  genannten  mächtigen  Beweggründe  auf  die  Nachahmung 
angewiesen  ist,  notwendig  verunglücken  muß,  wenn  er  gegen  sie  revoltiert 
und  um  jeden  Preis  original  sein  will.  Ein  betrübendes  Beispiel  dafür 
ist  der  Gondibert.  Durch  die  Absicht,  den  Plan  des  Epos  nach  der  Tragödie 
zu  gestalten,  begab  sich  Davenant  der  wichtigsten  Vorteile  und  verzichtete 
durch  Weglassung  der  überirdischen  Mächte  auf  das,  was  dem  Epos  die 
größte  Pracht  verleiht.  Mit  der  Sucht  nach  Originalität  hängt  bei  Davenant 
die  Affektiertheit  der  Darstellung  und  des  Ausdruckes  zusammen.  Wahrer 
Ruhm  erwächst  eben  nur  aus  der  anspruchslosen  Einfachheit  der  Natur, 
ob  man  sie  nun  in  ihrer  eigenen  und  eigentümlichen  Gestalt  oder  durch 
Reflexion  in  dem  treuen  Spiegel  der  wahren  Muster  betrachte.  Die  Furcht, 
als  Nachahmer  zu  gelten,  ist  die  Hauptursache  der  Verderbnis  des  Ge- 
schmackes. 

Auf  die  kritischen  Regeln  nimmt  Hurd  keine  Rücksicht.  Das  Ziel 
des  Epos  ist  ihm  Bewunderung,  hervorgebracht  durch  die  Großartigkeit 
des  Planes  und  die  Fülle  bedeutender  Ereignisse  und  gestützt  durch 
eingehende  Umständlichkeit  der  Darstellung.  Mit  Aristoteles  trifft  er  in 
einzelnen  Punkten  zusammen,  doch  hat  er  in  der  Dissertation  on  the 
provinces  of  the  drama  die  Giltigkeit  der  aristotelischen  Vorschriften  für 
die  moderne  dramatische  Poesie  direkt  abgelehnt,  weil  bei  den  alten 
Dichtem  keine  Beispiele  für  die  Zwischengattungen  zu  finden  seien. 
Saintsbury  weist  darauf  hin,  daß  dieser  Ausspruch  dem  Aufsatz  On  the 
idea  of  universal  poetry  1765  widerspricht,  wo  Hurd  verbietet,  die  durch 
Natur  und  Vernunft  festgesetzten  Dichtungsgattungen  zu  vermehren  oder 
zu  verändern. 


Hurd  353 

Der  Regelzwang  ist  überwunden,  aber  neben  der  Natur  bleiben  die 
alten  Muster  in  ihrem  Rechte.  Daß  auch  sie  nicht  durchaus  verbindlich 
sind,  erörtert  Hurd  in  seinem  bedeutendsten  Werke,  den  Letters  on  Cliivdlry 
and  Homance  1762,  dem  Heroldsruf  für  das  neuerwachte  Interesse  an 
der  mittelalterlichen  Poesie,  vor  allem  an  Spenser.  Das  Werk  eröffnet 
eine  mehr  romantische  als  historische  Studie  über  das  Rittertum,  für  welche 
die  Züge  zum  größten  Teil  aus  Spenser  selbst  genommen  sind.  Das  tut 
aber  nichts  zur  Sache. 

Hurd  findet,  infolge  der  gleichen  Vorbedingungen,  zwischen  den 
„gotischen"  und  den  homerischen  Zuständen  die  überraschendsten  Paral- 
lelen. Jene  überragen  diese  durch  die  ritterliche  Hochherzigkeit,  den 
Frauendienst  und  die  erhabene  Feierlichkeit  der  Superstitionen,  Das 
Unglück  ist  nur,  daß  die  gotischen  Zeiten  keinen  großen  Dichter  hervor- 
brachten und  die  späteren,  Tasso  und  Spenser,  die  Zustände,  die  sie  be- 
sangen, schon  selbst  nicht  mehr  kannten;  wenn  Homer  in  gotischer  Zeit 
gelebt  hätte,  würde  er  aus  einem  gotischen  Stoffe  noch  etwas  weit  Er- 
habeneres gemacht  haben  als  die  Ilias. 

Für  den  Stil  des  gotischen  Gedichtes  ist  der  klassische  nicht  maß- 
gebend, ebensowenig  als  man  einen  gotischen  Bau  nach  den  Regeln  der 
griechischen  Architektur  beurteilen  darf;  sie  haben  ihre  eigenen  Gesetze. 
Spenser  hat  keine  Einheit  der  Handlung  im  klassischen  Sinn,  aber  seine 
Einheit  ist  die  des  Plans,  design.  Sie  besteht  in  der  Beziehung  aller 
Abenteuer   auf  den  Ausgangspunkt,   den  Befehl  der  Königin  Gloriana. 

So  weit  wäre  alles  recht,  und  Giraldo  Cinthio  hätte  an  seinem  späten 
Rächer  seine  Freude  haben  können.  Aber  Hurd  ist  unzufrieden,  daß  die 
von  ihm  entdeckte  Regel  des  gotischen  Epos  von  Spenser  nicht  in  voller 
Reinheit  durchgeführt  worden  ist.  Er  findet  nämlich,  die  Abenteuer  der 
einzelnen  Ritter  hätten,  jedes  einzelne  in  sich,  streng  abgeschlossen  sein 
müssen.  Statt  dessen  habe  Spenser  die  Abenteuer  mehr  verknüpft,  als 
die  Einheit  des  Plans  erforderte,  indem  er  die  eigentliche  Geschichte  jedes 
Buches  in  verschiedene  Bücher  zerstreute  und  in  allen  Prinz  Arthur  auf- 
treten ließ.  Es  sei  das  eine  ungehörige  und  tadelnswerte  Konzession 
Spenser's  an  die  klassische  Lehre  von  der  Einheit  der  Handlung.  Man 
sieht,  wie  dringend  sich  bei  Hurd  das  Bedürfnis  nach  neuen  Scheuklappen 
geltend  macht,  kaum  daß  die  alten  weggeworfen  sind.  Denn  er  tut  Spenser 
Unrecht.  Die  bunte  Verwicklung  bei  diesem  ist  die  Ariosts,  dessen  Ähn- 
lichkeit mit  Spenser  Hurd  allerdings  höchst  unbequem  liegt.  Für  Prinz 
Arthur  muß  er  selbst  zugeben,  daß  dieser,  wenn  er  im  allegorischen  Sinne 
des  Gedichtes  eine  Vereinigung  aller  Einzeltugenden  darzustellen  habe, 
auch  überall  mitwirken  müsse.    Das  ist  aber  nicht  nur  vom  allegorischen, 

Finsler:  Homer  in  der  Neuzeit.  23 


354  England 

sondern  auch  vom  poetischen  Standpunkt  aus  notwendig;  denn  wenn 
Arthur  schließlich  die  Hand  der  Faerie  Queene  erlangen  sollte,  durfte  ihm 
nicht  nur  ein  einzelnes  Abenteuer  zugeteilt  werden  wie  jedem  anderenRitter. 

Neben  der  erkämpften  Berechtigung  des  gotischen  Epos  ist  die  Be- 
handlung der  Wunder,  die  darin  vorkommen,  bemerkenswert.  Mit  Feuer 
preist  Hurd  die  goldenen  Träume  Ariosts  und  die  himmlischen  Visionen 
Tasso's.  Ganz  entsprechend  seiner  etwas  schwankenden  Haltung  macht  er 
zwar  den  schüchternen  Versuch,  das  eine  oder  andere  Wunder  in  ihnen 
natürlich  zu  erklären,  wie  z.  B.  die  magischen  Flammen  als  griechisches 
Feuer  zu  deuten.  Aber  er  besinnt  sich,  verwirft  diese  Sorte  von  Verteidi- 
gung und  heißt  alle  die  Wunderbarkeiten  in  ihrer  eigenen  Gestalt  will- 
kommen. Er  findet  zwar  die  oft  gestellte  Forderung,  daß  der  Dichter  der 
Natur  folgen  müsse,  durchaus  berechtigt;  aber  die  Welt  der  hohen  Poesie 
ist  nicht  die  des  gemeinen  Weltlaufes,  sondern  die  der  Imagination.  Hurd 
glaubt  allerdings,  daß  solche  Fiktionen  nur  so  lange  wirken  können,  als  sie 
im  Volksglauben  wurzeln;  aber  das  beweist  ihm  nur,  daß  nicht  jedes  Zeit- 
alter für  das  Epos  gleich  geeignet  ist.  Die  Dichter  tragen  mit  größerem 
Erfolge  vor,  was  sie  selbst  glauben,  als  was  sie  der  Überlieferung  ent- 
nehmen, und  darum  ist  eine  Erneuerung  der  Feengeschichten  nicht 
anzuraten.  Milton  hat  Götter  und  Feen  durch  Engel  und  Teufel  ersetzt. 
Wenn  man  auch  diese  nicht  mehr  glaubt,  so  hat  das  epische  Gedicht 
die  wirksamsten  Mittel  verloren,  da  Bewunderung  nur  durch  die  Ein- 
führung höherer  Wesen  bewirkt  werden  kann. 

Hurd  stellt  weiter  die  Frage,  warum  man  die  klassischen  Sitten 
immer  noch  bewundere  und  nachahme,  während  die  gotischen  gar  nicht 
mehr  beachtet  werden,  und  findet  dafür  verschiedene  Ursachen.  Die  klassi- 
schen Sitten  fanden  in  der  Zeit  ihrer  Blüte  die  hervorragendsten  Darsteller; 
die  gotischen  waren  schon  verschwunden,  als  große  Dichter  sich  ihrer  an- 
nahmen. Gegen  das  Rittergedicht  richteten  Chaucer  und  Cervantes  ihren 
Spott.  Das  Mittelalter  wurde  nicht  mehr  verstanden;  romantisch  und  un- 
natürlich galten  als  gleichbedeutend.  Die  Sitten  Homers  dagegen,  die  aus 
dem  bekannten  und  gewöhnlichen  Zustand  der  menschlichen  Natur  hervor- 
gegangen waren,  hatten  viele  Urbilder  und  erscheinen  auch  denen  natürlich, 
die  nichts  Ahnliches  mehr  vor  Augen  sehen.  Obwohl  uns  die  Sitten 
Homers  so  fremd  sind  wie  die  des  Rittertums,  freuen  wir  uns  ihrer  stets, 
weil  sie  uns  natürlich  vorkommen.  Das  Mittelalter  aber  kennt  niemand, 
und  niemand  kann  glauben,  daß  die  romantischen  Zustände  einmal  natür- 
lich gewesen  seien.  Der  Wertschätzung  der  romantischen  Poesie  hat  die 
Aufklärung  ein  Ende  gemacht.  Wir  mögen  dabei  um  ein  Stück  Vernunft 
reicher  geworden  sein,  haben  aber  eine  schöne  Fabelwelt  verloren,  deren 


Hurd     Young  355 

Illusion  dem  entzückten  Geiste  so  willkommen  ist,  daß  Fairy  Spenser, 
aller  Philosophie  und  Mode  zum  Trotz,  noch  immer  im  höchsten  Rang 
der  Dichter  steht,  wenigstens  für  die,  welche  selbst  zu  dieser  Sippe 
gehören.  Dieser  Schluß  ist  zu  melancholisch.  Hurd  hat  sein  Ziel  er- 
reicht imd  Spenser  wieder  zu  Ehren  gebracht,  zum  Ärger  Johnson's,  der 
besonders  von  Nachahmungen  des  Dichters  nichts  hören  wollte. 

Mit  der  Herrschaft  der  Regeln  war  es  aus.  Als  Brown  1764  den 
Nachweis  antrat,  daß  Aischylos  kein  Nachahmer  Homers  gewesen  sei, 
sagte  er,  es  könnte  vermessen  erscheinen,  einen  Punkt  in  Frage  zu  ziehen, 
den  Aristoteles,  der  große  Meister  der  griechischen  Kritik,  selbst  ent- 
schieden habe.  Aber,  entgegnet  er,  laßt  uns  daran  denken,  daß  die  Tage 
jetzt  vorüber  sind,  da  man  es  als  eine  Ehrensache  ansah  auf  die  Meinungen 
eines  Meisters  zu  schwören.  Aristoteles  ist  oft  bewunderungswürdig,  ge- 
wöhnlich scharfsinnig,  vielleicht  aber  oft  im  Irrtum,  sogar  über  Dinge 
und  Menschen  seines  eigenen  Landes.  Aber  auch  mit  der  Mustergiltigkeit 
der  antiken  Poesie  war  es  vorbei,  und  daran  hatte  Hurd,  obwohl  er  an 
ihr  noch  festhielt,  unwissentlich  großen  Anteil.  Denn  wenn  er  zwischen 
der  direkten  Nachahmung  der  Natur  und  der  indirekten  Homers  unter- 
schied, und  wenn  er  dem  klassischen  Muster  das  gotische  gleichberechtigt 
zur  Seite  stellte,  so  war  Homer  auf  einen  recht  kleinen  Raum  eingeschränkt. 

Den  von  Hurd  festgestellten  Unterschied  der  Nachahmungen  griff 
Edward  Young  in  der  Schrift  On  Original  Composition  1759  wieder 
auf  und  bewies  in  feuriger  Begeisterung,  daß  nur  Nachahmungen  der 
Natur  Anspruch  auf  den  Namen  von  Originalwerken  erheben  können. 
Das  Büchlein  atmet  das  Gefühl  des  vollen  Sieges  der  neuen  Ideen.  Daß 
die  Neuzeit  so  wenige  Originale  habe,  komme  nur  daher,  daß  berühmte 
Beispiele  die  Freiheit  hemmen,  mit  Vorurteilen  erfüllen  und  zaghaft  machen. 
Wir  könnten  es  ihnen  aber  leicht  gleichtun.  Es  fällt  Young  nicht  ein 
die  Alten  herabzusetzen:  wer  die  nicht  bewundert,  verrät  ein  Geheimnis, 
das  er  gern  verbergen  möchte;  er  sagt  der  Welt,  daß  er  sie  nicht  ver- 
steht. Aber  nachahmen  sollen  wir  sie  nicht.  Homer  darf  uns  nicht  vor 
der  Sonne  unseres  eigenen  Genius  stehen.  Oder  doch,  ahmen  wir  sie 
nach,  aber  so,  wie  es  richtig  ist.  Nicht  der  ahmt  den  Homer  nach,  der 
die  göttliche  Ilias  nachahmt,  sondern  nur,  wer  Homers  Methode  erwählt, 
durch  die  er  zur  Vollkommenheit  gelangt  ist.  Je  weniger  wir  die  Alten 
kopieren,  desto  mehr  werden  wir  ihnen  ähnlich  sein.  Man  gehe  zu  der 
Quelle,  an  der  sie  tranken,  zur  Brust  der  Natur. 

Genie  und  guter  Verstand  unterscheiden  sich  wie  ein  Zauberer  und 
ein  Baumeister;  jener  schafft  durch  unsichtbare  Mittel,  dieser  durch  den 
kunstmäßigen  Gebrauch  der  gewöhnlichen  Werkzeuge.  Gelehrsamkeit  und 

23* 


356  England 

Regeln  braucht  das  Genie  nicht;  sie  sind  wie  Krücken,  eine  notwendige 
Hilfe  für  den  Lahmen,  ein  Hindernis  für  den  Gesunden.  Ein  Homer 
wirft  sie  weg  und  erkennt  über  sich  kein  Gesetz  an.  Wie  die  Verachtung 
des  Geldes  oft  der  größte  Gewinn  für  die  Tugend  ist,  so  erlangt  das  Genie 
seinen  größten  Ruhm  durch  die  Verachtung  der  Gelehrsamkeit;  denn  diese 
ist  eine  erborgte  Wissenschaft,  das  Genie  aber  die  uns  angeborne,  eigen- 
tümliche. Ein  großer  Teil  der  Schrift  gilt  überhaupt  dem  Preise  des 
Genies,  dessen  Verehrung  in  dieser  Zeit  immer  allgemeiner  zutage  trat 
und  selbst  von  den  Klassizisten  nicht  umgangen  werden  konnte. 

Auf  Übersetzungen  Homers  ist  Young  natürlich  nicht  gut  zu  sprechen. 
Sie  sind,  wie  die  Nachahmungen,  ein  Piedestal  und  erhöhen  den  Ruhm 
des  Originals,  indem  sie  zeigen,  wie  wenig  sie  dieses  erreichen  konnten. 
Sie  geben  nicht  den  Achilleus  Homers,  sondern  etwas,  das  gleich  dem 
Patroklos  seinen  Namen  annimmt  und  mit  eigener  Gefahr  an  seiner  Statt 
erscheint.  So  groß  ist  der  unnachahmliche  Vater  der  Dichtkunst  und  das 
Orakel  aller  Weisen.  Die  vielen  Übersetzungen  seiner  Gedichte  sind,  so 
steht  zu  befürchten,  nur  ebensoviele  Zeugnisse,  daß  dieser  göttliche  Dich- 
ter noch  immer  unübersetzt  ist.  An  Pope's  Übersetzung  erbittert  Young 
vor  allem  der  Reim.  Milton,  in  dem  Homers  Genie  wieder  erstanden  ist, 
hatte  doch  den  Briten  durch  sein  eigenes  Beispiel  verboten  Homer  diese 
Beleidigung  anzutun,  und  so  kann  man  es  kaum  verzeihen,  daß  Achilleus 
durch  diesen  weibischen  Aufputz  zum  zweitenmal  in  Weiberkleidem  er- 
scheint. Aber  gesetzt  auch,  Pope's  Leistung  wäre  vollkommen,  so  ist  doch 
jede  Übersetzung  vom  Original  so  verschieden  wie  der  Mond  von  der  Sonne. 

Die  Veränderung  in  den  Anschauungen  der  Zeit  erkennt  man  auch 
an  kleinen  Zeichen.  Li  dem  Essay  über  Lydgate's  Gedichte  verteidigt 
Thom  as  Gray  die  Umständlichkeit,  circumstance,  bei  dem  alten  englischen 
Dichter.  Sie  werde  von  dem  gewöhnlichen  Publikum  verlangt,  sei  aber 
überhaupt  das  Wesen  und  Leben  der  Beredsamkeit  und  der  Poesie,  und 
sie  zugunsten  der  Raschheit  und  empfindlichen  Ungeduld  unserer  Zeiten 
aufzugeben,  könnte  leicht  den  Verfall  der  schönen,  von  der  Einbildungs- 
kraft abhängigen  Künste  bedeuten.  Jedenfalls  bedürfe  Homer,  der  Vater 
der  Umständlichkeit,  der  nämlichen  Verteidigung  wie  Lydgate  und  seine 
Vorgänger.  Es  fällt  Gray,  dem  gründlichen  Kenner  des  Altertums,  gar 
nicht  ein,  Lydgate  durch  Homers  Autorität  zu  verteidigen;  er  erklärt 
vielmehr  die  gemeinsame  Erscheinung  durch  die  nämliche  Ursache,  will 
aber  die  Vergleichung  beider  Dichter  nicht  weiter  ausdehnen. 

Zu  der  reichen  Ideenentwicklung  der  Zeit  tritt  belebend  die  neue 
Erkenntnis  bisher  wenig  beachteter  Literaturgattungen.    Es  war  schein- 


Young     Gray     Lowth  357 

bar  eine  der  klassischen  wie  der  modernen  Literatur  recht  ferne  Welt, 
in  die  des  Bischofs  Richard  Lowth  Buch  De  Sacra  poesi  Hebraeonim 
praelectiones  1753  führte.  Auf  den  poetischen  Gehalt  der  Bücher  des 
Alten  Testaments  hatten  freilich  schon  Milton,  Addison,  Steele  aufmerksam 
gemacht,  aber  noch  nie  war  es  mit  einer  so  begeisterten  Wärme  und  so 
umfassender  Gelehrsamkeit  geschehen. 

Im  ersten  Bande  erörtert  Lowth  die  poetischen  Mittel  der  hebräischen 
Poesie  und  nimmt  dabei  selbständig  Stellung  zu  den  kritischen  Fragen; 
im  zweiten  bespricht  er  die  einzelnen  Dichtungsgattungen  des  Alten 
Testaments.  Gleich  im  Beginn  erweist  er  sich  als  begeisterten  Interpreten 
Homers.  Denn  dessen  unsterbliches  Genie  ist  ihm  der  beste  Beweis  dafür, 
daß  das  durch  die  Poesie  gewährte  Vergnügen  der  Weg  zu  ihrer  eigent- 
lichen Aufgabe  ist,  die  Menschen  zum  Guten  zu  führen.  Fühlen  wir 
uns  nicht,  wenn  wir  ihn  lesen,  von  unerhörter  Freude  durchdrungen,  und 
bemerken  wir  nicht,  wie  uns  die  schönsten  Lebenslehren  gleichsam  in 
die  Seele  eingebrannt  werden?  Hören  wir  doch  bei  ihm  die  lebenden  Stimmen 
der  Tugend,  schauen  ihr  lebendes  Bild.  Dasselbe  gilt  von  der  Tragödie, 
die  man  eine  auf  die  Bühne  gebrachte  Philosophie  nennen  könnte,  wofür 
Shakespeare  das  glänzendste  Beispiel  ist. 

Inbezug  auf  den  Unterschied  zwischen  Geschichte  und  Poesie  schließt 
sich  Lowth  an  Aristoteles,  näher  aber  an  Bacon  an  und  dehnt  dessen 
Lehre,  daß  das  Epos  den  Geist  zum  Erhabenen  emporreiße  und  die  Bilder 
den  Wünschen  des  Herzens  anpasse,  auch  auf  die  Ode  aus.  Nur  stellt 
er  zwischen  dem  Verfahren  der  beiden  Gattungen  einen  Unterschied  fest. 
Das  Epos  verfolgt  sein  Ziel  langsam,  mit  mehr  Vorsicht  und  Umsicht, 
deshalb  vielleicht  sicherer.  Kaum  merklich  schleichen  sich  die  Rührung 
und  Freude,  die  es  bewirkt,  in  die  Seele  ein.  Es  übt  seine  Gewalt  bald 
im  Ansturm,  bald  im  Zurückweichen.  Dagegen  ist  die  Wirkung  der 
Ode  eine  plötzliche.  Das  Epos  gleicht  dem  Feuer,  das,  vom  Winde  angefacht, 
langsam   das   ganze  Haus   ergreift,   die  Ode   dem  einschlagenden  Blitz. 

Neben  der  hohen  Bedeutung  der  Poesie  für  das  ganze  Seelenleben 
haben  die  poetischen  Ornamente  auch  für  die  wissenschaftliche  Arbeit 
hohen  Wert.  Das  zeigt  sich  nirgends  besser  als  bei  Piaton,  der  nicht 
nur  über  die  Sache  selbst  falsch  geurteilt  hat,  sondern  dem  für  seine 
feindselige  Haltung  gegenüber  der  Poesie,  der  er  so  viel  verdankte,  der 
Vorwurf  der  Undankbarkeit  nicht  erspart  werden  kann. 

So  erhaben  und  vorbildlich  nun  die  Poesie  überall  ist,  so  zeigt  sie 
sich  doch  nirgends  großartiger,  als  wo  sie  sich  mit  den  heiligen  Gegen- 
ständen, ihrem  eigensten  Gebiete  befaßt,  und  das  ist  nirgends  so  sehr 
der  Fall  wie  bei  den  Hebräern.   Obwohl  jedoch  diese  Poesie  alles  Mensch- 


358  England 

liehe  übertrifft,  muß  man  auch  bei  der  Erklärung  ihrer  Wirkung  die  Art 
ins  Auge  fassen,  wie  sie  die  Affekte  erregt.  So  kommt  Lowth  dazu,  sich 
auch  mit  den  kritischen  Theorien  auseinanderzusetzen,  und  obwohl  er  darin 
nicht  so  weit  geht  wie  andere,  erweist  er  sich  doch  als  ein  echtes  Kind 
seiner  Zeit.  Die  Theorie,  sagt  er,  ist  überall  aus  der  Beobachtung  hervor- 
gegangen, und  die  vielen  Einzelbeobachtungen  wurden  dann  methodisch 
geordnet  und  in  bestimmte  Gesetze  zusammengefaßt.  Sie  hat  also  ihren 
Ursprung  in  den  Werken  der  Genies,  und  diese  verdanken  ihren  Ruhm 
keineswegs  der  Unterstützung  durch  die  Theorie.  Man  wird  richtig  daran 
tun,  deren  Vorschriften  auch  dann  zu  Rate  zu  ziehen,  wenn  man  die 
Schriften  derer  erklärt,  die  nichts  davon  wußten  odernicht  darauf  achteten. 
Und  wenn  man  die  Mittel  betrachtet,  mit  denen  die  heilige  Poesie  den 
Menschen  zu  heben  sucht,  wird  man  daraus  der  Theorie  eine  bedeutende 
Unterstützung  zuführen.  Es  lohnt  sich,  diese  Auffassung  mit  Addisons 
Milton  zu  vergleichen.  Nicht  soll  das  Neue,  bisher  Unbekannte  an  der 
Theorie  gemessen,  sondern  diese  soll  von  den  neuen  Werken  aus  wo- 
möglich gestützt  und  erweitert  werden. 

In  den  heiligen  Gesängen,  sagt  Lowth,  kann  man  den  göttlichen 
Ursprung  der  Poesie  erkennen.  Sie  bestätigt  daher  den  Glauben  der 
Griechen  an  die  Inspiration;  er  war  bei  diesen  ein  Stück  ursprünglicher 
Einsicht,  das  auch  blieb,  als  die  Sache  selbst  verloren  gegangen  war. 

Die  Abhandlung  über  die  poetischen  Mittel  der  hebräischen  Poesie, 
die  den  größten  Teil  des  ersten  Bandes  umfaßt,  ist  äußerst  interessant. 
Ich  kann  aus  dem  reichen  Inhalt  nur  herausheben,  was  für  Homer  von 
Wichtigkeit  ist.  In  der  Untersuchung  über  Metapher  und  Gleichnis  schärft 
Lowth  vor  allem  ein,  daß  zum  richtigen  Verständnis  des  alttestament- 
lichen  Bilders chmuckes  eine  genaue  Kenntnis  von  Sprache,  Sitten  und 
Denkart  der  Hebräer  gehören.  Er  zeigt,  wie  die  Hebräer  ihre  Metaphern 
den  gewöhnlichsten  Dingen  entnahmen,  am  liebsten  dem  Ackerbau  und 
der  Viehzucht.  Wer  das  unangenehm  finde,. möge  nicht  den  alten  Dichtem, 
sondern  seiner  eigenen  Unwissenheit  die  Schuld  beimessen.  Er  weist 
darauf  hin,  wie  auch  Homer  die  Bilder  des  ländlichen  Lebens  liebt.  So 
führe  dieser  mehrfach  die  Dreschtenne  ein,  zweimal  zur  Vergleichung 
für  geringfügige  Dinge,  dann  in  großartigster  Weise  für  den  über  die 
Leichen  und  Schilde  hinjagenden  Achilleus;  und  doch  erreiche  die  Stelle 
an  Erhabenheit  und  Kühnheit  die  Verwendung  der  Dreschtenne  bei  Jesaia 
bei  weitem  nicht.  Überhaupt  gibt  Lowth,  was  Schwung  und  Erhabenheit 
betrifft,  in  sorgfältiger  Erwägung  der  zahlreichen  Parallelstellen  den 
Propheten  den  Vorzug  vor  Homer.  Darin  ist  er  nicht  weiter  gekoramen 
als  manche  seiner  Zeitgenossen,  daß  erin  den  Gleichnissen  die  Vergleichungs- 


Lowth    Balladen  359 

punkte  immer  noch  in  den  Gegenständen  findet  und  daher,  wie  Johnson, 
die  Wahl  zu  ähnlicher  oder  zu  unähnlicher  Bilder  tadelt.  Die  Scheidung 
zwischen  erläuternden,  erhöhenden  und  rein  ausschmückenden  Gleichnissen 
stammt  sogar  direkt  aus  La  Motte. 

Gott  mit  menschlichen  Zügen  und  Affekten  auszustatten,  hält  Lowth  in 
der  Poesie  mit  Recht  für  unumgänglich,  da  wir  sein  wahres  Wesen  nicht  dar- 
stellen können.  Doch  gewinne  das,  was,  wörtlich  genommen,  Gottes  Eigen- 
schaften am  unähnlichsten  scheine,  als  Metapher  oder  Gleichnis  gefaßt,  die 
höchste  Erhabenheit,  da  der  Geist  aus  dem  Bild  immer  auf  die  Wahrheit 
schließe.  Diese  Erklärung  läßt  jedoch  Lowth  nicht  auch  für  Homer  gelten, 
den  Longin  mit  Recht  dafür  tadle,  daß  er  seine  Götter  noch  unter  die  Menschen 
herabdrücke.  Homer  habe,  von  seinen  falschen  Meinungen  verführt,  von 
den  Göttern  Dinge  berichtet,  die,  so  absurd  und  gottlos  sie  seien,  wenn 
man  sie  wörtlich  nehme,  doch  kaum,  ja  nicht  einmal  kaum,  allegorisch 
verstanden  werden  können.  Lowth  lehnt  also  für  Homer  die  allegorische 
Erklärung  ab.  Daraus  erklärt  sich  das  auf  den  ersten  Anblick  Befremd- 
liche, daß  er  seine  Allegoria  mystica  rein  nur  für  die  Hebräer  in  An- 
spruch nimmt  und  von  der  allegorischen  Auslegung  Homers,  die  so  sehr 
gewuchert  hatte,  ganz  schweigt.  Darin  hat  er  vollkommen  Recht.  Er 
hätte  nur  unterscheiden  sollen.  Homer  konnte  die  Götter  nicht  anders 
darstellen,  als  die  Hebräer  taten,  mit  menschlichen  Zügen  und  Affekten; 
aber  an  den  Göttergeschichten,  die  so  viel  Ärgernis  gegeben  haben,  war 
nicht  sein  blindes  Heidentum  schuld,  sondern  Überlieferung  und  philoso- 
phischer Pessimismus. 

War  durch  Lowth  die  alttestamentliche  Literatur  für  die  poetische 
Betrachtung  gewonnen  worden,  so  gab  die  Wiedererweckung  der  alten 
englischen  Balladenpoesie  den  neuen  Ideen  einen  noch  mächtigern 
Anstoß.  Die  ersten  Anregungen  zu  ihrer  Wiederbelebung  liegen  weit 
zurück.  Ben  Jonson  erklärte,  wie  Addison  mitteilt,  er  würde  lieber  der 
Verfasser  des  Song  of  Chevy-Chase  sein  als  der  seiner  eigenen  Werke. 
Sir  Philip  Sidney  war  bei  jedem  Anhören  desselben  Gedichts  mehr  als 
durch  Trompetenstoß  bewegt,  obwohl  es  nur  von  gewöhnlichen  blinden 
Leuten  mit  rauher  Stimme  und  in  rauhem  Stil  vorgetragen  wurde.  Jetzt 
sei  das  Gedicht  so  übel  in  Staub  und  Spinnweb  jenes  unzivilisierten  Zeit- 
alters gekleidet:  wie  würde  es  im  Schmuck  der  prächtigen  Sprache  Pindars 
wirken.  Addison  selbst  hatte,  wie  wir  sahen,  das  Gedicht  mit  Virgil  in 
Parallele  gesetzt. 

Eine  erste,  gewöhnlich  Ambrose  Philips  zugeschriebene  Collection 
of  old  Ballads  erschien  1723.  Die  Vorrede  zum  ersten  Buch  ist  darum 
merkwürdig,   weil  sie  diese  Balladen  ohne  alle  Umstände  mit  den  Ge- 


360  England 

sängen  Homers  auf  gleiclie  Stufe  stellt,  unverkennbar  unter  dem  Ein- 
fluß Bentley's.  Auch  Homer,  sagt  die  Vorrede,  war  ein  Balladensänger, 
der  von  Tür  zu  Tür  zog.  Nach  seinem  Tode  fand  es  jemand  passend 
seine  Balladen  zu  sammeln  und  gab  uns,  indem  er  sie  etwas  verband, 
die  Ilias  und  Odyssee,  die  seither  so  sehr  bewundert  worden  sind.  In 
jenen  alten  Zeiten  hielt  man  keine  Unterhaltung  für  vollkommen,  wenn 
nicht  beim  Gelage  ein  Sänger  alte  oder  doch  über  alte  Stoffe  geschriebene 
Weisen  sang.  Im  zweiten  Bande  wird  gegen  Addison  behauptet,  die  englischen 
Balladendichter  müßten  mit  dem  Altertum  bekannt  gewesen  sein.  Borgen 
sie  doch  von  den  Alten  nicht  nur  Gedanken  und  sogar  Wendungen,  sondern 
weichen  auch  nach  antikem  Vorbild  aus  Gründen  der  Schönheit  oder  Moral 
von  der  historischen  Wirklichkeit  ab.  Es  trafen  in  ihnen  natürliches 
Genie  und  Bildung  zusammen. 

Ohne  so  weitgehende  Behauptungen  empfahl  Allan  Ramsay  1724 
seine  Sammlung  Ever-Green  dem  heimischen  Publikum  als  eine  Probe 
wahrhaft  bodenständiger  Kunst. 

In  seiner  Besprechung  von  Pope's  Temple  of  Fame  wundert  sich 
Joseph  Warton,  daß  die  modernen  Dichter  die  Druidenzeiten  und  die 
Überlieferungen  der  alten  Barden  so  wenig  benützten,  die  doch  in  Bilder- 
reichtum und  Empfindung  fruchtbare  Stofi'e  liefern  würden.  Doch  fügt 
er  hinzu,  Thomas  Gray  habe  den  Fehler  bereits  gut  gemacht.  Gray 's 
schwungvolles  Gedicht  The  Bard,  gedruckt  1757,  knüpft  an  die  Ermor- 
dung der  wallisischen  Barden  durch  Edward  I.  an.  Der  letzte  über- 
lebende Barde  erblickt  in  den  furchtbaren  Geschicken  von  Edwards  Ge- 
schlecht die  Rache  für  die  Freveltat;  aber  nach  den  dunklen  Zeiten  sieht 
er  die  Sonne  der  Poesie,  die  Edward  nicht  hat  auslöschen  können,  in 
Spenser,  Shakespeare,  Milton,  Dryden  wieder  aufsteigen.  Gray  hat  in  den 
Fatal  Sisters  und  dem  Bescent  of  Odin  isländische  Gedichte  para- 
phrasiert  und  dadurch  das  Interesse  auch  für  die  nordische  Poesie  ge- 
weckt, ferner  in  den  Welch  Fragments  einige  Proben  aus  Evan's  Spe- 
cimens  of  Welch  Poetry  englisch  wiedergegeben. 

Von  durchschlagendster  Wirkung  waren  aber  die  1765  von  dem  Bischof 
Thomas  Percy  herausgegebenen  Eeliques  of  ancient  English  poetry j  die 
auf  einen  allseitig  vorbereiteten  Boden  fielen.  Percy  führt  seine  alten 
Dichter  sehr  bescheiden  ein.  Viele  von  den  Überresten  der  alten  Zeit, 
meint  er,  verlangen  wohl  in  unserem  gebildeten  Zeitalter  viel  Nachsicht. 
Aber  sie  haben  eine  anmutige  Einfachheit  und  manche  kunstlose  Reize, 
die,  wie  schon  Addison  und  Dryden  gesagt  haben,  den  Mangel  an  hö- 
heren Schönheiten  aufwiegen  und,  wenn  sie  auch  nicht  die  Einbildungs- 
kraft blenden,  gar  oft  die  Teilnahme  des  Herzens  erregen.    Ja  es  dürften 


Gray     Percy     Ossian.  361 

viele  dieser  ungelelirteii  fahrenden  Sänger,  die  nur  augenblicklichen  Bei- 
fall und  Unterhalt  begehrten,  modernen  Dichtem  vorzuziehen  sein,  welche 
alle  Vorteile  der  Wissenschaften  ihrer  Zeit  besaßen  und  für  Ruhm  und  Nach- 
welt schrieben.  Die  Träger  dieser  Poesie  sind  die  Minstrels,  deren  Ge- 
schichte Percy  in  einem  besondern  Essay  schildert. 

Wenn  man  ins  Auge  faßt,  daß  der  Klassizismus  es  höchstens  zu 
einer  Epigoniad  gebracht  hatte,  daß  der  Regelzwang  gebrochen,  die 
Vorbildlichkeit  der  alten  Muster  geleugnet,  neben  dem  antiken  das  go- 
tische Epos  als  gleichberechtigt  erklärt  worden  war,  daß  man  in  der  Poesie 
nur  das  Genie  und  nur  die  unmittelbar  aus  der  Natur  geschöpften  Ori- 
ginalwerke gelten  lassen  wollte,  so  begreift  man  den  ungeheuren  Erfolg 
der  Reliques.  Obwohl,  so  viel  ich  sehe,  Percy  nirgends  eine  Vergleichung 
der  Minstrels  mit  Homer  angestellt  hat,  so  spricht  er  es  doch  am  Ende 
des  Aufsatzes  On  the  old  metrical  Bomances  klar  genug  aus,  daß  diese 
Gedichte  Bewunderung  erregen  und  Tugend  einflößen,  indem  sie  die  Tat 
eines  einzelnen  vom  Himmel  begünstigten  Helden  besingen,  daß  sie 
also  den  Namen  der  epischen  Poesie  reichlich  verdienen.  Aber  nicht 
diese  theoretische  Erörterung  gewann  den  Balladen  die  Herzen  der  Men- 
schen. Die  Parallele  mit  Homer  zogen  diese  schon  selbst:  hier  waren 
Blackwell's  wandernde  Barden  mit  ihren  Stegreifdichtungen  und  ihrer 
Naturpoesie,  hier  die  ältesten  Träger  der  historischen  Überlieferung,  hier 
die  von  allem  Wissensqualm  freien  unmittelbaren  Dichter. 

Es  fehlte  unter  den  vielen  Barden  und  Minstrels  nur  eine  berühmte 
Person,  ein  uralter  Dichter,  der  bereits  größere  Komplexe  verfaßt  hatte, 
kurz  ein  wirklicher  Homer.  Diesen  gab  Macpherson.  Nachdem  er 
schon  1760  die  Fragments  of  ancient  poetry  herausgegeben  hatte,  die 
er  aus  dem  Gälischen  übersetzt  zu  haben  behauptete  und  Ossian,  dem 
Sohne  Fingais,  zuschrieb,  ließ  er  1765  The  tvorJcs  of  Ossian  in  erwei- 
terter Fassung  erscheinen.  Die  Gedichte  wurden  damals  allerdings  über- 
schätzt, trafen  aber  in  ihrem  sentimental-heroischen  Charakter,  in  der  Zeich- 
nung der  Hochlandsnatur,  in  dem  Schwelgen  in  den  ritterlichen  Sitten 
einer  grauen  Vorzeit  und  in  der  Schönheit  der  Sprache  so  sehr  mit  den 
Bedürfnissen  der  Zeit  zusammen,  daß  man  diese  Überschätzung  sehr  wohl 
begreifen  kann.  Ihr  Charakter  ist  nicht  episch,  sondern  lyrisch,  ihr  Inhalt 
nicht  Handlung,  sondern  Stimmung.  Einen  größeren  Unterschied  als 
zwischen  dem  Fingal  und  dem  Song  of  Chevy-Chase  kann  man  sich  gar 
nicht  vorstellen.  Einzelne  Partien  und  auch  ganze  Stücke,  wie  The  Songs 
of  Selma  und  Berrathon,  gerade  die  von  Goethe  im  Werther  übersetzten, 
sind  von  großer  Schönheit,  und  die  düsteren  Naturbilder  üben  ihre 
Wirkung  noch  heute. 


362  England 

Gleich  beim  ersten  Erscheinen  des  Fingal  erklärte  Samuel  John- 
son, diese  Produkte  hätten  nie  in  einer  andern  Form  existiert  als  in 
der  vorliegenden,  und  so  weit  hatte  er  unzweifelhaft  Recht,  als  die  Ge- 
dichte keine  Übersetzungen  sein  können.  Sie  verraten  in  ihrem  Stil 
auf  Schritt  und  Tritt  den  Nachahmer;  alttestamentliche  Redeweise,  vir- 
gilische  Wendungen,  Cowley'scher  Marinismus  haben  durcheinander  als 
Muster  gedient.  Die  Mädchen,  die  dem  Geliebten  unerkannt  in  Waffen 
folgen,  stammen  aus  Wilkie.  Den  zahllosen  Entlehnungen  aus  Homer 
nachzugehen  ist  noch  viel  weniger  notwendig.  Für  den  ersten  Band 
der  Ausgabe  von  1765  hat  uns  Macpherson  selbst  der  Mühe  überhoben, 
da  er  in  Fußnoten  beständig  auf  die  wichtigsten  Parallelstellen  auf- 
merksam macht;  ein  geeignetes  Mittel,  um  über  die  Entlehnungen  hin- 
wegzutäuschen. Zum  achten  Buch  von  Temora  bespricht  er  die  auf- 
fallende Übereinstimmung  beider  Dichter  inbezug  auf  die  natürlichen 
Gesetze  des  Epos.  Da  der  Gedanke  an  Nachahmung  Homers  durch 
Ossian  ausgeschlossen  sei,  so  sei  jene  Übereinstimmung  in  den  großen 
wesentlichen  Eigenschaften  des  Epos  weit  entscheidender  als  alle  Vor- 
schriften des  Aristoteles.  Die  Nachahmung  erhellt  nicht  nur  aus  den 
vielen  entlehnten  Stellen,  sondern  namentlich  auch  aus  der  meist  un- 
geschickten Fassung  der  stehenden  Beiwörter. 

Während  so  die  Form  ausschließliches  Eigentum  Macpherson's  ist, 
scheint  er  den  Stoff,  wenigstens  die  Hauptpersonen,  nicht  erfunden,  son- 
dern in  schottischen  Überlieferungen  wirklich  vorgefunden  zu  haben, 
da  sie,  worauf  mich  Singer  aufmerksam  macht,  der  keltischen  und  nor- 
dischen Sage  angehören.  Wie  weit  dieser  Einfluß  geht,  wird  schwer 
festzustellen  sein.  Eine  andere  Einwirkung  liegt  dagegen  offener  am 
Tage.  Macpherson  hat  sich  sorgfältig  der  herrschenden  literarischen 
Kritik  angepaßt.  Über  die  Frage,  ob  vom  epischen  Helden  moralische 
Vortrefflichkeit  gefordert  werden  müsse,  war  seit  zwei  Jahrhunderten 
gestritten  worden.  Macpherson  entschied  sich,  dem  herrschenden  mora- 
lischen Zuge  entsprechend,  um  so  lieber  für  den  vollkommen  tugend- 
haften Helden,  als  er  Charaktere  überhaupt  nicht  zeichnen  konnte.  So 
sind  denn  seine  Helden  über  alle  Gedanken  großherzig  und  edelmütig. 
Der  Einzige,  der  diese  Harmonie  stört,  der  Bösewicht  Cairbar  in  Te- 
mora, wird  beförderlichst  entfernt,  und  an  seine  Stelle  tritt  Cathmor 
als  ritterlicher  Feind.  Sodann  hatten  sich  zahlreiche  Kritiker,  zuletzt 
noch  Home,  über  die  Mannigfaltigkeit  der  Wunden  und  Todesarten  bei 
Homer  aufgehalten:  Macpherson  vermeidet  lange  und  detaillierte  Schlachten- 
schilderungen, und  auch  das  kommt  ihm  zustatten,  weil  er  weder  er- 
zählen noch  einen  großen  Aufbau  zu  schaffen  vermag.     Addison  hatte 


Ossian  363 

die  Struktur  des  Gleichnisses  bei  Homer  und  Milton  verteidigt;  Ossian 
haut  sein  Gleichnis  homerisch.  Dagegen  hatten  Hurd  und  Blair  ein  Zeichen 
von  Nachahmung  darin  gesehen,  wenn  ein  englischer  Dichter  Züge  einer 
fremden  Natur  aufnehme,  z.  B.  wenn  er  den  englischen  Frühling  mit 
den  Farben  des  italienischen  male  oder  fremde  Tiere  wie  Löwen  und 
Tiger  ins  Gleichnis  einführe:  um  nicht  als  Kopist  zu  gelten,  hält  sich 
Ossian  streng  an  die  schottische  Hochlandsnatur  mit  ihrer  sturmdurch- 
brausten Heide,  den  ewigen  Nebeln  und  dem  trüben  Schein  des  Mondes, 
neben  dem  heller  Sonnenschein  nur  selten  auftritt. 

Es  fragt  sich,  ob  hierher  auch  das  Fehlen  der  Götter  bei  Ossian 
zu  ziehen  ist.  Macpherson  teilt  uns  in  der  einleitenden  Dissertation 
mit,  die  gälischen  Götter  seien  beim  Sturz  der  Druiden,  der  Hüter  der 
alten  Religion,  in  Mißkredit  geraten  und  ihre  Verwendung  deshalb  von 
den  Barden  vermieden  worden.  Aber  das  ist  ja  die  reine  Fabelei.  Wenn 
€s  in  Liedern,  die  Macpherson  vorlagen,  keine  Götter  gab,  so  rührte 
das  einfach  daher,  daß  jene  Lieder  nicht,  wie  Macpherson  will,  in  heid- 
nischer, sondern  erst  in  christlicher  Zeit  entstanden  waren.  Aber  es 
fehlten  doch  wohl  dort  auch  Ossian's  Geister,  diese  wunderlich  aufge- 
stutzten Fratzen  der  homerischen  Seelen,  deren  Züge  auch  durch  den 
nordischen  Nebel  noch  überall  durchscheinen.  Nicht  weil  die  alten  Lieder 
keine  Götter  kannten,  fehlen  sie  bei  Ossian,  sondern  weil  Addison  sie 
dem  modernen  Epos  verboten  hatte,  während  er  die  Geister  als  nationale 
Eigentümlichkeit  erlaubte.  Da  nun  Macpherson  diesen  wichtigen  Teil  der 
homerischen  Welt  nicht  einführen  zu  dürfen  glaubte,  so  erklärte  er  das 
mit  einer  erfundenen  Geschichte  vom  Sturz  der  alten  Religion  und  hielt 
sich  dafür  an  den  Geistern  schadlos.  Macpherson  bietet  uns  also  einen 
nach  allen  Regeln  der  Kunst  verbesserten  Homer.  Nur  in  der  Haupt- 
sache, dem  eigentlich  Epischen,  gleicht  sein  blinder  Sänger  dem  Vorbild 
auch  gar  zu  wenig.  Oft  werden  die  Voraussetzungen  der  Handlung 
eines  Stückes  breit  und  ermüdend  dem  Gedichte  vorangeschickt.  Die 
Episoden  sind  oft  schwer  verständlich.  Die  zahllosen  unbekannten  Namen 
müssen  fortwährend  in  Anmerkungen  erklärt  werden,  ohne  daß  sie  des- 
halb leichter  im  Sinne  zu  behalten  wären.  Endlich  ist  keine  seiner  Ge- 
schichten spannend,  weil  der  unüberwindliche  Fingal  ja  doch  immer  den 
Sieg  behalten  wird.  Von  allen  Stücken  ist  das,  welches  den  Namen  dieses 
Helden  trägt,  am  klarsten  durchgeführt,  aber  auch  dieses  mit  einer  mehr 
als  einfachen  Handlung. 

Für  die  Homerfrage  wurde  es  von  Bedeutung,  daß  Macpherson  die 
Gesänge  der  Barden  und  so  auch  Ossian's  lange  Generationen  hindurch 
nur  mündlich,  ohne  Hilfe  der  Schrift,  überliefert  sein  ließ.    Bei  der  An- 


364  England 

läge  der  Lieder,  die  der  Musik  angepaßt  waren,  habe  der  Text  nicht 
verloren  gehen  können.  Die  Schrift  sei  erst  lange  nach  dem  Aufkommen 
der  Barden  bekannt  geworden.  Da  diese  einen  erblichen  Stand  bildeten^ 
sei  die  Festigkeit  der  Tradition  leicht  zu  begreifen.  Nur  sagt  Macpherson 
leider  nicht,  wie  es  dann  kam,  daß  Fingais  Sohn,  der  Kriegsmann  Ossian^ 
selbst  ein  solcher  Barde  wurde.  Hugh  Blair  ist  ihm  beigesprungen  und 
hat  erklärt,  Ossian  sei  eben  in  der  Bardenwissenschaft  erzogen  worden. 
Aber  damit  ist  gar  nichts  gewonnen.  Denn  mit  der  Annahme  eines  dich- 
tenden, das  Heldenideal  immer  weiter  ausgestaltenden  Standes  harmoniert 
eine  Person  Ossian  so  wenig  als  die  Homers  mit  der  Lachmann'schen 
Liedertheorie. 

Die  erwähnte  Stelle  steht  in  Hugh  Blair' s  Critical  dissertation  of 
the  poems  of  Ossian,  die  der  Ausgabe  von  1765  beigedruckt  ist.  Blair 
wiederholt  zunächst  die  Angaben  Macpherson's  über  Druiden  und  Barden 
und  zeichnet  dann,  in  Nachahmung  Blackwell' s,  ein  Bild  der  günstigen 
Voraussetzungen,  unter  denen  der  nordische  Homer  entstehen  konnte. 
An  der  Hand  der  Gedichte  entwirft  er  ein  Bild  der  altschottischen  Welt, 
verteidigt  das  hohe  Altertum  der  Gedichte  gerade  mit  dem  Fehlen  der 
Götter  und  der  Ähnlichkeit  mit  dem  Alten  Testament  und  zieht  dann 
eine  Parallele  mit  Homer,  durch  die  er  wenig  mehr  beweist,  als  daß 
Ossian  rein  lyrisch  und  kein  Erzähler  ist.  Ossian  stimmt  nach  Blair 
nicht  in  allem  mit  Homer  und  Virgil  überein,  aber  durchaus  mit  den 
Regeln  des  Aristoteles,  der  die  Natur  an  Homer  studiert  hatte.  Das  wird 
für  die  Gedichte  Fingal  und  Temora  im  einzelnen  ausgesponnen,  darauf  die 
Yergleichung  Ossian's  mit  Homer  fortgesetzt.  Es  ist  ergötzlich,  mit  welcher 
Gläubigkeit  Blair,  darin  Cesarotti  gleich,  den  alten  Barden  behandelt. 
Vieles  in  dem  Aufsatz  stimmt  mit  seinen  LectureSj  die  erst  später  gedruckt 
wurden,  fast  wörtlich  überein. 

Das  ganze  Gewoge  des  reichen  Jahrzehnts  spiegelt  sich  inBeattie's 
schönem  Gedicht  The  Minstrel  or  the  Progress  of  Genius  1771.  Wir 
haben  gesehen,  wie  sehr  Beattie  den  Dichtem  das  Studium  der  Natur 
ans  Herz  legt,  und  mit  der  Natur  beginnt  auch  die  Entwicklung  seines 
Dichters,  des  Schäferburschen  Edwin.  Die  Bezeichnung  als  Minstrel  ist 
eine  Reverenz  gegen  Percy,  denn  bis  auf  diesen  hatte  man  fast  nur  von 
Barden  gesprochen.  Die  Freude  an  der  freien  Natur  und  dem  Landleben, 
bereits  auch  im  Gegensatz  zur  Verderbnis  des  Hofes  und  der  Stadt,  war 
der  englischen  Poesie  seit  Spenser's  Tagen  eigen,  hatte  sich  aber  im 
18.  Jahrhundert  gesteigert  und  war  vielfach  zur  Schwärmerei  geworden. 
Jedenfalls  konnte  man  sich  keinen  Dichter  vorstellen,  der  nicht  die  Natur 
studiert  hätte.    Selbst  Johnson  läßt  im  Rasselas  den  Dichter  Lnlac  die 


Blair     Beattie     Brown  365 

ganze  Natur  durchstreifen,  und  von  ihm  ist  Beattie  vielleicht  angeregt 
worden.  Der  Unterschied  ist  nur  der,  daß  es  Imlac  tut,  um  sich  die 
dem  Dichter  notwendigen  Kenntnisse  zu  sammeln,  während  Beattie's 
Edwin  durch  die  großen  Eindrücke  der  Natur  von  selbst  zum  Dichter 
wird.  Die  reichen  Naturschilderungen  erinnern  zuweilen  lebhaft  an  Ossian, 
nur  ohne  dessen  Düsterkeit.  Edwin's  Phantasie  entzündet  sich  noch 
mehr  an  den  Erzählungen  und  Liedern,  die  ihm  seine  Großmutter  in  Winter- 
nächten singt.  Zwei  der  dabei  namhaft  gemachten  Lieder,  das  Nußbraune 
Mädchen  und  die  Kinder  im  Walde,  stehen  bei  Percy.  Die  mannig- 
faltige, seltsame  und  langgewundene  Erzählung  von  Helden,  Rittern  und 
Waffentaten  weist  auf  die  Faerie  Queene,  die  Hexengeschichten  auf  Shake- 
speare. Das  alles,  mit  erneuter  Wirkung  der  Natur,  macht  Edwin  zum 
Dichter  von  Schönem,  Neuem  und  Erhabenem,  und  nicht  weniger  stark 
wirken  die  durch  die  alten  Geschichten  erweckten  Kenntnisse. 

Aber  im  zweiten  Teil  lenkt  Beattie  ein.  Ein  Eremit  belehrt  den 
Sänger  über  die  Notwendigkeit  die  Phantasie  zu  lenken,  zuerst  durch 
die  Vorbilder  des  Lebens  in  der  Geschichte,  dann  durch  die  Philosophie, 
deren  Macht  die  gesetzlose  Wut  der  Einbildungskraft  zügelt.  Dadurch 
bekommt,  obwohl  die  Lispiration  der  Muse  den  ersten  Platz  behält,  die 
Phantasie  des  Dichters  ein  festes  Ziel,  und  endlich  begeistert  er  sich 
an  Yirgil  und  Homer.  So  wird  seine  Poesie  kunstvoll  und  zum  Aus- 
druck jedes  Affekts  geschickt. 

Deutlicher  kann  der  Sieg  der  neuen  Ideen  nicht  demonstriert  werden 
als  an  diesem  Klassizisten,  der  kein  Wort  von  Regeln  mehr  wagt,  und 
dem  Virgil  und  Homer  nicht  mehr  Muster  sind,  sondern  nur  noch  Yer- 
anlasser  des  höchsten  Entzückens.  Daß  man  sich  an  ihnen  bilden  könne, 
hatten  auch  die  Gegner  des  Regelzwangs  nicht  bestritten.  Aber  die 
Bewunderung  für  das  Genie  Homers  war  eine  unmittelbare  geworden, 
seitdem  man  nicht  mehr  gezwungen  war,  ihn  durch  die  Brille  der  Theorie 
zu  sehen. 

Li  die  wichtige  Zeit  der  sechziger  Jahre  fallen  zwei  wissenschaftliche 
Werke,  in  denen  das  Werden  und  Wesen  der  homerischen  Poesie  von 
verschiedenem  Standpunkt  aus  erklärt  wird.  Das  erste,  weitaus  be- 
deutendere, ist  John  Brown's  History  of  the  rise  and progress  of  poetry 
1764.  Brown  ist  ein  Entdecker.  Nicht  mit  willkürlicher  Spekulation, 
sondern  auf  dem  sehr  realen  Grund  ethnologischer  Forschung  zeichnet 
er  die  Entwicklung  der  Poesie.  Diese  Betrachtungsweise  scheint  ihm 
die  allein  zulässige,  und  auf  ihre  Nichtbeachtung  oder  Unkenntnis  führt 
er  die  vielen  begangenen  Irrtümer,  auch  die  des  Aristoteles,  zurück.  Es  ist 


366  England 

erstaunlicli,  wie  nahe  er  sich  mit  dem  berührt,  was  Platon  in  den  Gesetzen 
vorgetragen  hat.  Gleich  diesem  läßt  er  die  Ordnung  der  natürlichen  Äuße- 
rungen der  Affekte  in  Geberde,  Stimme  und  Sprache  durch  das  natürliche 
Bedürfnis  des  Menschen  nach  dem  hervorgerufen  werden,  was  Platon 
Harmonie  und  Rhythmus,  Brown  measured  melody  nennt.  Gemeinsam  ist 
beiden,  nur  bei  Platon  noch  schärfer  und  bestimmter  akzentuiert,  die 
Lehre  von  der  ursprünglichen  und  innigen  Wechselwirkung  der  In- 
strumentalmusik, des  Tanzes  und  des  in  Worte  gefaßten  Gedichts. 

Seinen  Ausführungen  legt  Brown  die  ausführliche  Beschreibung  zu- 
grunde, die  Lafitau  von  einer  großen  Feierlichkeit  der  Irokesen  gegeben 
hat.  Die  Schlüsse,  die  er  daraus  zieht,  wendet  er  auf  die  Griechen  an,  um 
zu  zeigen,  daß  auch  bei  ihnen  die  Entwicklung  nicht  anders  verlaufen 
ist,  als  bei  andern  Völkern.  Auch  bei  den  Griechen  waren  Musik,  Tanz 
und  Gesang  unzertrennlich.  Wie  bei  den  Indianern,  sangen  die  Häuptlinge 
ihre  eigenen  Taten  und  die  ihres  Volkes;  die  Häuptlinge  und  Gesetz- 
geber waren  zugleich  die  Barden.  Nach  ihrem  Tode  wurden  sie  göttlich 
verehrt,  und  den  Göttern  verblieben  deshalb  die  Attribute  von  Musik 
und  Gesang.  Ganz  natürlich  nahm  die  Sprache  die  abgemessene  Periode^ 
den  rhythmischen  Vers  an,  in  dem  zuerst  alles  abgefaßt  war,  die  Gesetze 
wie  die  ältesten  Geschichten,  und  der  deshalb  auch  die  älteste  Form 
aller  frühesten  schriftlichen  Abfassung  bildete. 

Die  poetischen  Gesänge  feierten  die  Taten  der  Vorfahren  und  wurden 
deshalb  zu  einem  religiösen  Akt.  Die  eingeflochtenen  Maximen  und  Er- 
mahnungen, gegründet  auf  das  Beispiel  der  zu  Göttern  erhobenen  Ahnen, 
wurden  zur  Grundlage  der  privaten  Sitte  und  des  öffentlichen  Rechts, 
und  so  entstand  aus  den  Festen  das  ganze  Gebäude  der  Religion,  der 
Moral  und  des  Staates.  Von  alten  Barden  sind  uns  Nachrichten  erhalten, 
von  Linos,  Orpheus  usf.  Am  Ende  der  Entwicklung  steht  Homer.  Seine 
unvergleichlichen  Gesänge  stellen  uns  die  Religion,  den  Staat  und  die 
Sitten  des  alten  Griechenlands  mit  der  ganzen  Kraft  der  Wahrheit  dar.  Die 
gesetzgeberische  Kunst  ist  noch  unvollkommen,  die  moralischen  Begriffe 
beschränkt,  kriegerische  Tugenden  herrschen  vor.  So  zeichnet  er  Menschen 
und  Götter.  Aber  gerade  weil  er  der  hervorragendste  Maler  natürlicher 
Sitten  ist,  muß  die  Meinung,  als  sei  er  ein  Lehrer  der  Moral,  beseitigt 
werden.  Seine  Götter  und  Helden  werden  weder  durch  moralische  Begriffe 
von  innen  noch  durch  eine  geläuterte  Gesetzgebung  von  außen  einge- 
schränkt. Von  dem  angeblichen  Preise  der  Tugend  ist  bei  Homer  nichts  zu 
entdecken.  Er  ist  dafür  nicht  zu  tadeln.  Der  Fehler  liegt  an  dem  Mangel 
der  Gesetzgebung  in  seiner  unzivilisierten  Zeit.  Wenn  Pope  moralische 
Gedanken   einflocht,   so   hat   er   den  Dichter  unsem  Anschauungen  ge- 


Brown  367 

nähert,  aber  die  ursprüngliche  Einfachheit  vernichtet.  Brown  entwickelt 
sodann  die  Fortschritte  der  Poesie  in  Griechenland  selbst. 

Gesetzgeber  und  Barden  trennten  sich  nach  einer  gewissen  Zeit. 
Blackwell's  Auffassung  von  den  Barden  ist  für  die  frühere  Periode  un- 
richtig. Nach  der  Trennung  waren  sie,  wie  in  Sparta  noch  lange,  Gehilfen 
der  Regierenden,  so  überhaupt  in  freien  Gemeinwesen,  während  sie  in  despo- 
tischen Staaten  in  Abhängigkeit  gerieten,  wie  das  Beispiel  des  Demodokos 
am  Hofe  des  Alkinoos  zeigt.  Nach  der  Trennung  kam  es  auch  langsam 
zu  einer  Scheidung  der  verschiedenen  Dichtungsgattungen.  Dabei  kommt 
Brown  auf  die  Frage,  ob  es  möglich  sei,  daß  Homer  wirklich  im  An- 
fang des  epischen  Gesanges  stehe.  Er  beginnt  mit  einer  Polemik  gegen 
Herodot,  der  gesagt  hatte,  Homer  und  Hesiod  seien  älter  als  die  an- 
geblichen früheren  Dichter.  Damit  meint  Herodot  Orpheus,  Linos  u.  a.; 
er  hat  aber  nicht,  wie  Brown  meint,  Vorgänger  Homers  überhaupt  be- 
stritten, sondern  selbst  zugegeben,  daß  solche  existiert  haben  können. 
Aber  von  diesem  Mißverständnis  abgesehen  hat  Brown  durchaus  Recht, 
wenn  er  ausführt,  die  bloße  Struktur  der  homerischen  Gedichte  verbiete, 
sie  an  den  Anfang  der  Entwicklung  zu  stellen.  Die  Kräfte  der  Natur, 
sagt  er,  können  wohl  ein  außerordentliches  Genie  erzeugen,  wofür  Shake- 
speare ein  Beweis  ist.  Aber  daß  ein  so  verwickelter,  ausgedehnter  und 
doch  so  vollkommener  Plan  wie  der  der  Ilias,  den  schon  zu  erfassen 
ein  ungewöhnliches  Eindringen  erfordert,  den  selbst  der  gedankenreiche 
Virgil  nicht  erreichte,  und  dem  nur  Milton  gleichgekommen  ist:  daß  ein 
solcher  Plan  aus  rohen  Fabeln  plötzlich  und  unvermittelt  aufgetaucht 
sein  soll,  das  widerstreitet  allen  unsern  Begrijffen  von  dem  Fortschritt 
der  menschlichen  Geisteskräfte.  Ebensogut  möchten  wir  annehmen,  die 
Paulskirche  sei  das  früheste  Gebäude  oder  Raffaels  Transfiguration  das 
älteste  Gemälde  der  Welt,  als  daß  die  staunenswerte  Ilias,  die  von  allen 
Zeitaltern  nach  ihr  bewundert  wurde,  der  erste  Versuch  in  epischer  Poesie 
gewesen  sei.   Es  muß  eine  stufenweise  Entwicklung  vorangegangen  sein. 

Daß  die  epischen  Gesänge  öffentlich  vorgetragen  worden  seien,  ist 
ohne  weiters  klar,  für  die  älteren  Dichter,  fügt  Brown  hinzu.  Ob  sie 
aufgeschrieben  wurden  oder  durch  einen  plötzlichen  Enthusiasmus  aus 
dem  Stegreif  entstanden,  läßt  er  unentschieden.  Blackwell's  Nachweis, 
daß  Homer  dem  Stand  der  Barden  angehört  habe,  nimmt  er  an,  doch 
liegt  ihm  offenbar  für  Homer  die  Behauptung,  daß  manche  seiner  Lieder 
Impromptus  seien,  nicht  recht.  Sie  paßt  doch  so  gar  nicht  zu  seiner 
klaren  Erkenntnis  von  dem  tief  durchdachten  Plan  der  Ilias,  von  dem 
Unterschied  des  großen  Epos  und  des  kleinen  Einzelvortrags.  Aber 
Brown  hat  nicht  gewagt,  auch  hier  den  Knoten  zu  lösen  oder  zu  durch- 


368  England 

hauen  und  rundweg*  zu  erklären,  daß  eine  Ilias  ohne  Annahme  der  Schrift 
ein  Ding  der  Unmöglichkeit  sei. 

Brown's  Buch  scheint  wenig  Beachtung  gefunden  zu  haben.  Seine 
naturwissenschaftliche  Methode  konnte  weder  den  Klassizisten  noch  den 
Originalgenies  passen.  Um  so  größer  war  der  Erfolg  von  Roh  er  t  Wo  od's 
Essay  on  the  original  genius  of  Homer,  der  zuerst  1769  für  Freunde  gedruckt 
und  nach  dem  Tode  des  Verfassers  mit  seinen  Zusätzen  erweitert  her- 
ausgegeben wurde.  Hier  herrscht  keine  Entwicklungslehre,  auch  nicht  die 
Milieutheorie  Blackwell's,  sondern  die  Gedanken  Young's  sind  rein  und 
unverwischt  auf  Homer  angewendet.  Daß  Homer  ein  Genie  gewesen  sei, 
bezweifelte  ja  niemand;  aber  daß  sein  Werk  im  Sinne  Young's  darum 
eine  Originalkomposition  sei,  weil  er  das  Buch  der  Natur  und  des  Menschen 
studierte,  das  zu  beweisen  ist  die  Aufgabe,  die  Wood  sich  stellt.  Gleich 
Blackwell  sind  ihm  die  Gedichte  die  vornehmste  Quelle  des  Verständnisses 
Homers,  aber  an  Stelle  der  antiken  Gelehrsamkeit,  die  jener  daneben  ins  Feld 
geführt  hatte,  tritt  bei  Wood  die  eigen  e  Anschauung.  Er  kannte  durch  Reisen 
den  Orient,  Ägypten,  Griechenland  und  Kleinasien  und  gibt  oft  geradezu 
prächtige  Schilderungen  von  seinen  Eindrücken.  Mit  ein  Beweggrund 
zu  seinen  Reisen  war,  die  Ilias  und  Odyssee  in  eben  den  Gegenden  zu 
lesen,  wo  Achilleus  stritt,  Odysseus  reiste  und  Homer  sang.  Was  er  sah, 
stimmte  mit  den  Angaben  Homers  überein;  folglich  mußte  Homer  das 
alles  auch  gesehen  haben  und  ist  sein  W^erk  die  getreue  Darstellung  der 
griechischen  Natur  und  seines  Zeitalters.  Das  war  in  der  Tat  etwas  Neues 
und  Großes,  und  man  begreift  leicht,  wie  mächtig  es  wirken  mußte,  als 
man  nun  die  homerische  Welt  greifbar  vor  sich  sah,  gereinigt  von  all 
dem  Staub,  den  die  Jahrhunderte  darüber  gelegt  hatten.  Nicht  aus  den 
Büchern,  sondern  leibhaft  trat  der  alte  Sänger  in  die  neue  Zeit.  Die  aus 
eigener  Anschauung  geschöpfte  Erkenntnis  würde,  so  glaubt  Wood,  be- 
sonders der  Odyssee  zugute  kommen,  deren  häuslicher  und  privater 
Charakter  weniger  unmittelbare  Wirkung  hervorbringe,  als  der  Ilias, 
deren  belebte  Gemälde  des  menschlichen  Herzens  den  Empfindungen  aller 
Zeiten  entsprächen.  Einen  moralischen  Plan  bei  Homer  finden  zu  wollen 
lehnt  Wood  ab;  das  Verdienst  des  Dichters  ist  es,  den  Menschen,  wie 
er  ist,  ohne  Parteilichkeit  und  dem  Zustande  seiner  Zeit  gemäß  dargestellt 
zu  haben;  womit  nicht  bestritten  werden  soll,  daß  sich  aus  dieser  schönen 
Nachahmung  der  Natur  vortreffliche  Lehren  ziehen  lassen. 

Als  Homers  Vaterland,  so  beginnt  die  Ausführung,  muß  nach  allen 
Angaben  des  Dichters  das  griechische  Kleinasien  angesehen  werden,  als 
seine  Heimat  vielleicht  Chios,  wahrscheinlicher  Smyrna.  Manches,  was 
bisher  schwer  zu  verstehen  schien,  erklärt  sich  leicht  durch  die  Entdeckung, 


Wood  369 

daß  er  in  lonien  gedichtet  hat.  So  wird  die  schwere  Stelle  der  Odyssee, 
welche  Syrie,  die  Heimat  des  Eumaios,  an  den  Ort  der  Sonnenwende 
setzt,  einfach  und  richtig-  dahin  erklärt,  daß  für  einen  Teil  loniens  die 
Sonne  zur  Zeit  der  Sonnenwende  hinter  Syros  untergeht.  Aus  lebendigster 
Anschauung  erklärt  Wood  die  für  lonien  so  zutreffendenden  Meerbilder 
Homers.  Er  untersucht  die  Ausdehnung  der  geographischen  Kenntnisse 
des  Dichters,  der  sie  zum  Teil  schon  in  seinem  Vaterlande  verbreitet  fand, 
größtenteils  aber  durch  eigene  Reisen  erweiterte.  Diese  Kenntnisse  auf 
Homers  Verkehr  mit  den  Phönikem  zurückzuführen,  hält  Wood  für  un- 
nötig, da  zu  Homers  Zeit  auch  Griechen  schon  große  Seereisen  gemacht 
hatten;  besonders  mißtraut  er  der  zweideutigen  und  verdächtigen  Hilfe 
der  Etymologie,  durch  die  man  fast  allenthalben  phönikische  Kolonien 
herausgebracht  habe,  eine  Bemerkung,  die  gegen  Bochart  gerichtet  ist. 

In  der  Religion  Homers  unterscheidet  Wood,  darin  den  Ansichten 
von  W^^.  Dacier  ähnlich,  eine  reine  und  der  Vernunft  entsprechende  Gottes- 
anschauung Homers  von  den  mythologischen  Geschichten.  Daß  seine 
religiösen  Vorstellungen  aus  Ägypten  gekommen  und  allegorisch  zu  deuten 
seien,  glaubt  er  ganz  und  gar  nicht,  besonders  da  er  von  der  Höhe  der 
ägyptischen  Wissenschaft  keine  hohe  Vorstellung  hat.  Um  so  mehr  über- 
rascht es,  wenn  er  Blackwell  plötzlich  zugibt,  die  Personen  und  vielleicht 
ein  Teil  der  mythologischen  Erdichtungen  Homers  könnten  aus  Ägypten 
und  dem  Orient  gekommen  sein.  Im  übrigen  behandelt  er  sie  als  alte 
Sagen  des  gemeinen  Mannes  und  hergebrachte  Vorurteile,  denen  jeder 
gute  Dichter  von  Homer  bis  auf  Shakespeare  entgegenkommen  zu  müssen 
geglaubt  habe.  Daß  nach  seinem  Gefühl  Homer  dieses  Entgegenkommen 
zu  weit  getrieben  habe,  gibt  er  unumwunden  zu.  Aber  er  macht  geltend, 
daß  auch  hier  der  Dichter  von  der  Treue  der  Imitation  nicht  abging, 
da  er  nämlich  die  Szenerie,  in  die  er  seine  Göttergeschichten  verlegte, 
genau  festhielt;  wie  denn  die  Erzählung  des  dreizehnten  und  vierzehnten 
Buches  der  Ilias  auf  der  Karte  verfolgt  werden  könne.  Hier  in  Griechen- 
land allein  war  der  Ort,  wo  der  phantastische  ägyptische  Aberglaube 
glücklich  angebracht  und  von  der  Phantasie  des  Dichters  in  ein  System 
der  Mythologie  gebracht  werden  konnte,  das  Homer  so  wirksam  auf  die 
ganze  dichterische  Nachwelt  fortgepflanzt:  hat.  Virgil  dagegen  mußte  den 
ganzen  mythologischen  Apparat  in  eine  Gegend  und  Zeit  übertragen,  wo 
er  nicht  mehr  passte.  Hatte  Homer  die  größten  Wunder  in  den  fabel- 
haften Westen  versetzt,  so  war  für  die  Leser  der  Aeneis  das  für  Homer 
so  günstige  Dunkel,  das  über  diesen  Gegenden  lag,  nicht  mehr  vorhanden. 

Homers  Sittenschilderungen  fand  Wood  auf  seinen  Reisen  durch 
seine  an  den  Stämmen  des  Innern  Arabiens  gemachten  Wahrnehmimgen 

Finaler:  Homer  in  der  Neuzeit.  24 


370  England 

bestätigt,  die  ihn  wiederum  an  die  Patriarchen  des  Alten  Testamentes 
erinnerten.  Er  leitet  die  Übereinstimmungen  aus  der  allen  eigenen  Unvoll- 
kommenheit  der  ersten  gesellschaftlichen  Verfassung  ab.  Hervorstechende 
Eigentümlichkeiten  der  Orientalen  sind  Verstellung  und  Treulosigkeit  im 
öffentlichen,  zärtliche  Freundschaft  im  privaten  Leben;  dann  Grausam- 
keit, Gewalttätigkeit,  Ungerechtigkeit,  deren  Härte  durch  die  Gastfreund- 
schaft gemildert  wird.  Orientalisch  ist  die  Ausschließung  des  weiblichen 
Geschlechtes  von  den  Vergnügungen  und  Beschäftigungen  des  Lebens; 
doch  gibt  Wood  zu,  daß  die  Frauen  Homers  bei  aller  Unterwürfigkeit 
doch  mehr  ein  Teil  der  Gesellschaft  zu  sein  scheinen,  als  es  bei  den  alten 
Hebräern  und  heute  im  Orient  der  Fall  sei.  Trotzdem  behauptet  er,  Homer 
habe  nicht  ein  einziges  Beispiel  von  der  Macht  und  den  Wirkungen  der 
edleren,  über  das  bloß  sinnliche  Vergnügen  erhabenen  Liebe  gegeben, 
um  dann  doch  wieder  zu  sagen,  der  Dichter  habe  die  Sitten  seines  Vater- 
landes an  Anstand  und  Delikatesse  ebenso  sehr  übertroffen,  als  kultiviertere 
Zeiten  an  Genie.  Als  Beispiel  bringt  er  Hektors  Abschied,  wo  der  Dichter 
unsere  feinsten  Empfindungen  in  der  Gewalt  habe,  aber  in  der  Herbheit 
der  letzten  Worte  Hektors  der  Roheit  der  Sitten  seiner  Zeit  nachgebe. 
Hier  sei  Virgil  durch  die  verfeinerte  Zeit  in  glücklicherer  Lage  gewesen; 
seine  Dido  übertreffe  Kalypso  an  Zärtlichkeit  und  Feinheit  der  Empfindung. 
Femer  findet  Wood,  nur  aus  den  Sitten  der  Orientalen  lasse  sich  der 
unser  Gefühl  beleidigende  Umstand  verstehen,  daß  sich  Könige  mit  ihren 
Herden  beschäftigen  oder  ihre  Mahlzeit  selbst  bereiten. 

In  dieser  Partie  hat  Wood  vielleicht  die  Beduinen  Arabiens  richtig 
geschildert,  ist  aber  mit  Homer  recht  frei  umgegangen,  um  die  Parallele 
möglichst  genau  durchzuführen.  Die  homerischen  Helden  sind  wirklich 
keine  arabischen  Scheikhs  und  keine  alttestamentlichen  Patriarchen.  Auch 
Wood's  Vergleichung  des  naiv  rohen  und  des  kultiviert  verfeinerten  Witzes 
ist  unzutreffend;  hier  entscheidet,  wie  man  noch  heute  sehen  kann,  der 
Volkscharakter;  die  Kulturstufe  kommt  höchstens  für  die  Frage  in  Betracht, 
was  in  der  Gesellschaft  zu  sagen  erlaubt  oder  verboten  sei.  Daß  seine 
Vergleichung  im  ganzen  schief  ist,  hat  Wood  wohl  selbst  gefühlt;  wenig- 
stens beeilt  er  sich  beizufügen,  Homer  habe  aus  der  größten  Einförmigkeit 
der  einfachsten  Sitten,  die  je  einem  Dichter  als  Vorwurf  zuteil  wurde, 
die  größte  Mannigfaltigkeit  der  Charaktere  zu  bilden  verstanden,  die  je 
ein  Genie  geschaffen  habe.  So  ist  der  Hauptteil  der  Abhandlung  nicht 
recht  gelungen,  wie  schon  Goethe  eingesehen  hat.  Dieser  bemerkt  aber, 
die  Auffassung  Wood's  habe  mit  dem  herrschenden  Naturbekenntnis 
übereingestimmt,  und  kennzeichnet  damit  sehr  zutreffend  die  Ursache 
des  Erfolgs,  den  das  Werk  hatte.    Naturgetreu  sind  aber  Homers  Schil- 


Wood  371 

deningen  auch  dann,  wenn  man  ikre  Muster  nicht  bei  den  Wüstenvöl- 
kem  sucht. 

Um  Homer  auch  als  wirklichen  Historiker  zu  erweisen,  untersucht 
Wood  dessen  Nachricht  über  die  Regierung  des  Geschlechtes  des  Aeneas 
nach  dem  troischen  Kriege  und  verweist  die  Fahrt  des  Aeneas  nach  Italien 
in  das  Reich  der  Erfindung.  Mit  Blackwell  glaubt  er,  Homer  müsse  die 
troischen  Geschichten  von  überlebenden  Augenzeugen  erfahren  haben.  Bei 
Gelegenheit  der  Chronologie  Homers  kommt  er  wieder  auf  den  Unterschied 
von  Virgil  zu  sprechen,  dessen  Zeitrechnung  er  unbestimmt  und  wider- 
spruchsvoll findet,  und  dem  er  noch  andere  Nachlässigkeiten  vorwirft,  von 
denen  Homer  frei  sei.  Aber  er  will  die  Unterschiede  zwischen  beiden 
mehr  in  den  Verhältnissen  als  in  ihrem  Genie  sehen;  denn  hätte  Virgil 
zuerst  gelebt,  so  würde  Homer  ihn  kopiert  haben.  Der  Vorteil,  zuerst 
im  Besitze  des  allgemeinen  Beifalls  zu  sein,  sei  eben  nicht  zu  unterschätzen. 
Dabei  begegnet  Wood  der  merkwürdige  Satz,  Homer  verdanke  vielleicht 
den  Ruhm  seiner  Schriften  mehr  einem  gewissen  besonders  glücklichen 
Zufall  als  ihrem  inneren  Werte,  so  groß  er  auch  sei,  dem  nämlich,  daß 
seine  Gedichte  dem  goldenen  Zeitalter  der  Literatur  von  dem  feinsten 
und  scharfsinnigsten  Genie  jedes  Zeitalters  übergeben  wurde,  das  dann 
zweitausend  Jahre  lang  Richter  in  Sachen  des  Geschmacks  und  der  Philo- 
sophie gewesen  sei.  Wollte  man  Wood  beim  Wort  nehmen,  so  käme  man 
auf  die  Behauptung  der  Modernes  hinaus,  Homers  Ruhm  beruhe  auf 
zweitausendjährigem  Vorurteil.  Aber  das  kann  Wood  nicht  gemeint  haben. 
Es  war  ihm  offenbar  darum  zu  tun,  Virgil  nicht  zurücktreten  zu  lassen. 
Er  findet  bei  diesem  mehr  Plan  und  Absicht  als  selbst  bei  Homer.  Unter 
wiederholter  Ablehnung  der  Lehre  Le  Bossu's  und  der  allegorischen  Er- 
klärung vermutet  er  sogar,  Homer  habe  einen  großen  Teil  seiner  Moral 
schon  in  seiner  Fabel  vorgefimden,  und  die  der  Geschichte  abgeborgten 
Begebenheiten  hätten  in  der  Ordnung  und  mit  dem  Urteil,  das  bereits 
über  sie  gefällt  war,  stehen  bleiben  müssen.  Virgil  dagegen,  der  seinem 
Kaiser  und  seinem  Lande  schmeicheln  wollte,  habe  die  ganze  Fabel  der 
Moral  wegen  erdichtet.  Eine  solche  Auffassung  führt  auf  den  Standpunkt 
Blackwell's  zurück  und  läßt  für  den  Genius  Homers  nur  das  Lob  der 
Naturtreue  übrig;  jedenfalls  wird  dadurch  die  Einheitlichkeit  von  Wood's 
Äußerungen  stark  beeinträchtigt. 

Ganz  im  Vorbeigehen  redet  W^ood  von  der  breiten  Ausführlichkeit 
des  epischen  Stils,  die  ihm  wieder  ein  Beweis  von  Naturtreue  ist,  obschon 
er  sie  imgrunde  nicht  billigt.  Die  Liebe  zur  Wahrheit,  sagt  er,  mache 
Homer  oft  zu  sehr  zum  Maler,  zu  dessen  Freiheiten  es  gehöre,  in  Kleinig- 
keiten genau  und  umständlich  sein  zu  dürfen,   ohne  unangenehm  und 

24* 


372  England 

ermüdend  zu  werden.  Addison's  Lehre  vom  epischen  Gleichnis  hat  Wood 
nicht  hegriffen.  Schön  sind  seine  Ausführungen  über  den  Adel  und  die 
Natürlichkeit  der  homerischen  Sprache.  An  sie  schließt  er  den  Beweis, 
daß  Homer  die  Buchstabenschrift  nicht  gekannt  habe.  Sein  vornehm- 
stes Argument  dafür  ist  die  ganz  richtige  Wahrnehmung,  daß  sich  in 
den  Gedichten  keine  Spur  von  Schrift  findet;  ebenso  richtig  erklärt  er, 
der  Brief  des  Proitos  müsse  aus  Malereien  bestanden  haben,  welche  die 
Stelle  des  Alphabets  vertraten.  Noch  lange  nach  Homers  Zeiten,  sagt  er 
weiter,  wurde  alles,  was  man  den  Menschen  einprägen  wollte,  auch  die  Ge- 
setze, in  Verse  gebracht  und  gesungen.  Der  allgemeine  Gebrauch  der  von 
den  Phönikern  übernommenen  Buchstabenschrift  fällt  mit  dem  Beginn 
der  griechischen  Prosa  zusammen  und  gehört  in  die  Mitte  des  6.  Jahr- 
hunderts. Homers  Gedichte  wurden  nur  mündlich  überliefert;  bei  natür- 
lichen Völkern  ist  das  Gedächtnis  von  ausnehmender  Stärke.  Daß  Homer 
die  Schrift  nicht  gekannt  haben  könne,  macht  Wood  auch  durch  den  Nach- 
weis wahrscheinlich,  wie  wenig  es  überhaupt  mit  den  vielgerühmten  Kennt- 
nissen Homers  in  Wissenschaften  und  Künsten  auf  sich  habe.  Er  zitiert 
den  Josephus,  der  bezeuge,  daß  Homer  seine  Gedichte  nicht  schriftlich 
hinterlassen  habe,  und  findet  im  Charakter  der  homerischen  Sprache  die 
Belege  für  seine  Ansicht. 

Rousseau's  kleiner  Aufsatz,  der  dieselbe  Ansicht  verfocht,  war  Wood 
vermutlich  nicht  bekannt.  Trotzdem  ist  Wood  ohne  Zweifel  nicht  selb- 
ständig zu  seiner  Meinung  gelangt,  sondern  durch  Ossian  darauf  geführt 
worden.  Wußte  doch  Macphersoi;  auch  von  diesem  zu  berichten,  daß 
seine  Gedichte  unendlich  lange  Zeit  nur  mündlich  fortgepflanzt  und  erst 
spät  aufgeschrieben  worden  seien.  So  gut  nun  aber  Ossian,  Fingais  Sohn, 
eine  historische  Persönlichkeit  war,  so  ist  es  Wood  nicht  eingefallen 
die  Geschichtlichkeit  Homers  zu  bezweifeln.  Solon  und  Peisistratos  haben 
dessen  zerfahrene  Lieder  genau  so  gesammelt  wie  Macpherson  diejenigen 
Ossian's. 

Die  Frage  nach  dem  Alter  der  Schrift  behandelte  später  noch  John 
Pinkerton  in  den  Select  Scotish  Ballads,  1783,  aber  in  ganz  unklarer 
Weise,  so  daß  es  nicht  lohnt  darauf  einzugehen.  Interessanter  sind  die 
Letters  of  Literaturen  die  Pinkerton  1785  unter  dem  Namen  Robert 
Heron  veröffentlichte.  Die  in  den  57  Briefen  abgehandelten  Gegenstände 
sind  mannigfaltig,  doch  geht  durch  die  meisten  ein  gemeinsamer  Zug,  der 
ins  Extrem  gesteigerte  Preis  des  Originalgenies  und  die  gründliche  Ver- 
achtung der  Kritik  und  der  Nachahmung.  Pinkerton  selbst  ist  jedoch 
nicht  original,  obwohl  ja  manche  gute  Bemerkung  ihm  zu  eigen  gehört. 
Der  Nachweis  z.  B.,  daß  die  Ilias  eine  Stufe  in  der  menschlichen  Ent- 


Wood     Pinkerton  373 

Wicklung  darstelle,  auf  der  die  Mensclien  vom  Hirtenleben  zur  Gründung 
der  Gesellschaft  übergegangen  seien,  ist  doch,  nur  eine  Ausführung  der 
Gedanken  Wood's.  Die  gänzliche  Verwerfung  Yirgils,  der  alles  gestohlen, 
und  den  nur  sein  Stil  vor  dem  Untergange  bewahrt  habe,  muß  als  äußerste 
Konsequenz  der  Gedanken  Young's  angesehen  werden.  Für  Boileau  und 
Addison  hat  Pinkerton  sehr  harte  Worte;  etwas  milder  beurteilt  erDubos, 
der  einer  der  geistreichsten  Kritiker  Frankreichs  gewesen  sei,  wenn  das 
überhaupt  ein  Ruhm  genannt  werden  könne. 

Dubos'  Milieutheorie  schränkt  Pinkerton  in  die  engsten  Grenzen  ein. 
Jenem  wird  Gray  entgegengesetzt,  der  den  Einfluß  des  Klimas  zwar  für 
die  Veranlagungen  zugab,  aber  die  Vervollkommnung,  d.  h.  die  Korrektur 
der  aus  Luft  und  Boden  stammenden  Fehler,  der  vereinigten  Wirkung 
von  richtiger  Erziehung  und  Regierung  zuschrieb.  Dieser  Ansicht  ist 
auch  Pinkerton.  Er  weist  darauf  hin,  daß  Asiens  günstiges  Klima  keine 
Genies  hervorgebracht  habe,  und  wendet  sich  heftig  gegen  die,  welche 
aus  der  hebräischen  Poesie  Beispiele  des  Erhabenen  und  Schönen  her- 
leiteten, denn  sie  sei  absurd.  Dabei  passiert  ihm,  daß  er  ein  Bild  des 
Hiob  besonders  sinnlos  findet,  das  gerade  sein  verehrter  Gray  wieder 
verwendet  hat.  Der  Zorn  gegen  die  Hebräer  kommt  bei  ihm  nur  daher, 
daß   er   als  Originalgenies  und  Muster  allein  die  Griechen  gelten  läßt. 

Von  dem  letzten  Brief  On  tJie  nature  of  Criticism  ist  der  Leser, 
der  eine  begeisterte  Auseinandersetzung  erwartet  hat,  gänzlich  enttäuscht. 
Das  gute  Bild  von  dem  Genie,  dem  kühnen  Entdecker,  der  nach  Schätzen 
in  unbekannte  Meere  fährt,  und  dem  furchtsamen  Lotsen,  der  Kritik,  der 
sich  nicht  hinaus  getraut,  aber  hinterher  weise  ist,  hat  Pinkerton  nach 
Davenant  gestaltet.  Was  er  sonst  über  das  Wesen  der  Kritik  sagt, 
ist  auch  nicht  neu,  der  Angriff  auf  Aristoteles  nichts  als  eine  hohle 
Schimpferei.  Pinkerton  versteht  es  temperamentvoll  mit  fremdem  Gut  zu 
operieren,  seine  Behauptungen  hinzuwerfen,  ohne  sich  um  Begründung 
sonderlich  Sorge  zu  machen,  und  sich  den  Anschein  eines  Bahnbrechers 
zu  geben  in  einer  Zeit,  wo  die  Bahn  schon  vollkommen  glatt  und  die 
Arbeit  getan  war. 

Seinen  Freunden  ging  Pinkerton  zu  weit.  So  schrieb  ihm  Horace 
Walpole,  der  Grund,  warum  Schriftsteller,  die  man  als  Nachahmer  ver- 
werfe, gleichwohl  so  große  Berühmtheit  erlangten,  sei  nicht  nur  in  ihrem 
Stil,  sondern  vor  allem  in  ihrer  Grazie  zu  suchen.  Dahin  gehöre  Virgil. 
Gewiß,  sagt  Walpole,  es  herrscht  in  ihm  Dürre  der  Erfindung,  und  wenn 
er  erfindet,  ist  es  oft  töricht,  und  seine  Erfindungen  zeigen  wenig  gesunden 
Verstand,  wenig  Abwechslung  und  wenig  Gewalt  über  die  Leidenschaften. 
Die  Verachtung  für  Virgils  Gegenstand  und  der  Reiz  seiner  Harmonie 


374  England 

haben  Walpole  auf  den  Gedanken  gebracht,  er  würde  mehr  Freude  an  dem 
Gedicht  haben,  wenn  er  es  deklamieren  hörte,  ohne  Lateinisch  zu  verstehen. 
Doch  sei  bei  Virgil  mehr  als  Harmonie:  was  er  äußere,  sei  graziös,  und 
er  veredle  seine  Bilder,  besonders  in  den  Georgica.  Ein  anderer  Freund, 
Knight,  schreibt  an  Pinkerton,  die  Verehrer  Virgils  unter  seinen  Be- 
kannten seien  beleidigt  und  verwürfen  deshalb  die  ganzen  Heronsbriefe, 
offenbar  weil  der  Besitzstand  ihrer  alten  Vorurteile  in  Frage  gestellt  sei. 
Das  ist  leicht  zu  verstehen.  Die  große  Mehrzahl  der  gebildeten  Engländer 
war  von  der  Überlegenheit  Homers  über  Virgil  überzeugt,  aber,  wie 
Wood's  Beispiel  zeigt,  keineswegs  geneigt,  den  römischen  Dichter  nun  so 
tief  unter  jenen  zu  stellen,  wie  die  Stürmer  und  Dränger  wollten.  Diese 
Besonnenheit  des  Urteils  ist  denn  auch  hauptsächlich  die  Ursache  ge- 
wesen, daß  die  mit  Wordsworth  beginnende  neue  Zeit  zwar  mit  den 
Resten  des  Klassizismus  gründlich  aufräumte,  daß  aber  die  Wertschätzung 
des  Altertums  dabei  nicht  den  geringsten  Schaden  nahm. 

Es  war  auch  ein  Zeichen  der  neuen  Zeit,  als  Thomas  Twining 
1789  es  unternahm,  die  PoetiJc  des  Aristoteles  den  Gelehrten  und  Ge- 
bildeten in  englischer  Übersetzung  vorzuführen,  und  zwar  den  echten 
Aristoteles,  nicht  den  von  der  klassizistischen  Kritik  erklärten.  In  der 
Vorrede  begründet  Twining  seinen  Standpunkt.  Erste  Aufgabe  ist  ihm, 
den  Aristoteles  zu  erklären,  wie  er  da  ist,  aus  sich  selbst  und  aus  Piaton, 
dessen  hervorragenden  Anteil  an  der  aristotelischen  Poetik  Twining  in 
weitem  Umfang  erkannt  hat.  Aber  wenn  Aristoteles  erklärt  werden 
soll,  so  darf  das  nicht  heißen,  daß  man  in  ihm  nur  Vollendung  zu  er- 
blicken habe.  Die  Zeit  ist  gekommen,  sagt  Twining,  wo  wir  die  Alten 
nicht  mehr  mit  einem  von  fortgesetzter  Bewunderung  gefesselten  Urteil 
lesen.  Er  will  auch  von  den  Fehlem  des  Werkes  frei  reden,  selbst  wenn 
dies  Fehler  des  Aristoteles  selbst  sind.  Mit  Respekt  erwähnt  er  die 
Arbeiten  der  gelehrten  Italiener,  vor  allen  Castelvetro  und  Paolo  Beni. 
Er  gibt  zu,  daß  sie  weitschweifig  und  durch  logische  Analyse  lästig  sind 
und  sich  oft  bemühen,  nicht  vorhandene  und  selbstgeschaffene  Schwierig- 
keiten hinwegzuräumen;  aber  er  schätzt  an  ihnen  nicht  nur  zahlreiche 
richtige  Erklärungen  im  einzelnen,  sondern  namentlich  auch  ihre  Freiheit 
im  Urteil,  die  sich  in  seinen  Augen  von  der  sklavischen  und  unbedingten 
Bewunderung  eines  Dacier  vorteilhaft  abhebt.  Am  höchsten  stellt  er  die 
Übersetzung  und  den  Kommentar  von  Piccolomini.  An  Aristoteles  selbst 
hebt  er  rühmend  hervor,  daß  seine  Philosophie  sein  Gefühl  für  Poesie 
nicht  beeinträchtigte.  Eine  Kritik,  sagt  er,  die  vom  Dichter  die  feste  Raison 
verlangt,  findet  bei  Aristoteles  keine  Unterstützung;  immer  hat  er  das 


Twining    Cowper  375 

Ideal  im  Auge.  Er  hat  erkannt,  wie  sehr  populäre  Meinung  und  Glaube 
für  die  Glaubwürdigkeit  bestimmend  sind,  und  hält  am  Vergnügen  als 
am  letzten  Ziel  der  Poesie  fest.  Er  erlaubt  ihr  alles,  wenn  sie  dieses 
Ziel  erreicht. 

Dieser  weite  und  freie  Blick  zeigt  sich  in  dem  mächtigen  Kommentar, 
der  die  spätere  Kritik  in  großem  Umfang  heranzieht  und  auch  der 
modernen  Literatur  Beachtung  schenkt.  Das  Buch  bedeutet  die  Be- 
kämpfung der  Theorien  des  Klassizismus  durch  Aristoteles  selbst  und 
ist  damit  ein  Gegenstück  zur  Hamburgischen  Dramaturgie,  die  Twining 
sehr  bewunderte.  Daß  Le  Bossu  jetzt  endgiltig  weggefegt  wurde,  ist  selbst- 
verständlich. 

Twining  spricht  sich  auch  über  die  Grundsätze  seiner  Übersetzung 
aus.  Vor  allem  will  er  ein  lesbares  englisches  Buch  bieten.  Eine  Über- 
setzung muß  sich  wie  ein  Original  lesen,  und  man  darf  ihr  nicht  ansehen, 
daß  sie  eine  Übersetzung  ist.  Auf  der  andern  Seite  hat  Pope  mit  Recht 
gesagt,  wenn  der  übersetzte  Autor  nicht  sein  eigenes  Gesicht  zeige,  sein  Ge- 
wand und  seine  Art,  so  sei  die  Übersetzung  eine  Verkleidung.  Damit,  findet 
Twining,  hat  Pope  den  größten  Fehler  seiner  Übersetzung  selbst  an- 
gegeben; Homer  trägt  bei  ihm  nicht  die  eigenen  Züge.  Nun  hat  die 
Übersetzung  eines  Dichters  größere  Schwierigkeiten  und  verlangt  größere 
Nachsicht  als  die  eines  Prosaikers.  Aber  auch  hier  erweist  sich  die  Be- 
folgung der  von  Johnson  aufgestellten  Regel,  die  Übersetzung  müsse  so 
sein,  wie  der  Autor  sie  gegeben  hätte,  wenn  er  Englisch  geschrieben 
hätte,  beinahe  als  ein  Ding  der  Unmöglichkeit.  Twining  glaubt  nicht, 
daß  man  in  der  Praxis  mehr  verlangen  könne,  als  daß  sich  der  Über- 
setzer vom  Ausdruck  des  Originals  nicht  weiter  entferne,  als  es  der  ver- 
schiedene Genius  der  Sprachen  offenkundig  erfordere.  Denn  Johnson's 
Regel  gebe  der  Phantasie  des  Übersetzers  zu  weiten  Spielraum.  Es  würde 
sich  da  jeder  einbilden,  sein  eigener  oder  der  von  ihm  am  meisten  geschätzte 
Stil  sei  genau  der,  den  der  Autor  vorgezogen  haben  würde,  wenn  er 
Englisch  geschrieben  hätte. 

Der  feinsinnige  Gelehrte  berührt  sich  hier  mit  dem  letzten  großen 
Dichter  des  Jahrhunderts,  William  Cowper,  der  1791  seine  Homer- 
ühersetzung  herausgab.  Cowper  hat  als  Versmaß  Milton's  Blankvers  gewählt. 
Denn,  so  führt  er  in  der  Vorrede  aus,  eine  annähernd  treue  Wiedergabe  Homers 
in  Reimen  ist  durchaus  unmöglich.  Alle  Fehler  Pope's,  der  leistete,  was 
sich  in  Reimen  erreichen  ließ,  stammen  von  dieser  selbstgewählten  Fessel. 
Falsch  ist  auch  die  Meinung,  der  Übersetzer  müsse  suchen  den  Ton  zu 
treffen,  den  Homer  vermutlich  gewählt  haben  würde,  wenn  er  ein  Eng- 
länder gewesen  wäre;  von  sechs  Übersetzern  würde  jeder  einen  andern 


376  England 

Ton  und  keiner  den  richtigen  finden.  Die  Übersetzung  soll  eng  an- 
schließend, aber  nicht  sklavisch  sein,  frei,  aber  nicht  bis  zur  Zügellosigkeit. 
Erhabenheit  ist  nicht  unter  allen  Umständen  anzustreben,  denn  auch 
Homer  ist  nicht  immer  erhaben;  es  gehört  zu  seinen  größten  Vorzügen, 
daß  er  es  am  richtigen  Orte  ist.  Auch  unvollkommene  Verse  sind  kein 
Fehler,  wie  das  Beispiel  Milton's  zeigt;  sie  heben  die  Gleichförmigkeit 
auf  und  lassen  die  Vollkommenheiten  besser  hervortreten.  Eine  Ver- 
gleichung  Homers  mit  Milton  weist  den  Übersetzer  von  selbst  auf  den 
Blankvers,  der  übrigens  schwerer  ist  als  der  Reim,  weil  er  sich  von  der 
gewöhnlichen  Sprache  weiter  entfernen  muß  und  größeres  Können  er- 
fordert. Die  Einleitung  der  Reden  durch  ganze  Verse  ist  beizubehalten, 
weil  Homer  sie  für  notwendig  gehalten  haben  muß.  Sie  sind  wie  Herolde 
in  einem  feierlichen  Aufzug,  wichtige  Personen,  da  sie  noch  wichtigere 
einführen  als  sie  selbst  sind.  Die  meisten  Schwierigkeiten  fand  Cowper 
in  der  Wiedergabe  der  detaillierten  Beschreibungen,  wie  der  Bereitung 
eines  Mahls  oder  Bespannung  eines  Wagens.  Hier,  sagt  er,  hat  Homer, 
der  immer  für  das  Auge  schreibt,  bei  all  seiner  Erhabenheit  und  Groß- 
artigkeit die  Genauigkeit  eines  flämischen  Malers.  Cowper  scheidet  von 
seinem  vollendeten  Werk  mit  dem  Ausdruck  des  Bedauerns,  weil  es  ihm 
auf  Schritt  und  Tritt  ein  treuer  Gefährte  gewesen  war. 

In  der  Vorrede  für  eine  zweite  Auflage,  die  er  nicht  mehr  erlebte, 
erklärt  er,  warum  die  Ilias,  obschon  in  der  neuen  Bearbeitung  stark  ver- 
ändert, doch  viel  weniger  Änderungen  erfahren  habe  als  die  Odyssee. 
Die  Ilias  erforderte  von  vornherein  das  Einsetzen  aller  Kraft,  gleich  der 
Besteigung  eines  fast  senkrechten  Berges.  Die  Odyssee  dagegen  war  ihm 
zuerst  wie  eine  offene  und  ebene  Gegend  erschienen,  in  der  sich  behaglich 
wandern  ließ.  Das  hatte  ihn  zu  Nachlässigkeiten  verführt,  die  ihm,  im 
Moment  wenig  beachtet,  bei  genauerer  Prüfung  unangenehm  auffielen. 

Cowper  hat  Homer  in  wirkliche  Milton'sche  Verse  übersetzt.  Man 
spürt  die  Hand  des  echten  Poeten,  der  sein  Rüstzeug  beherrscht.  Auch 
bei  ihm  fehlt  es  nicht  an  Abweichungen  und  kleinen  Zusätzen,  aber  der 
Eindruck  des  Ganzen  ist  wohltuend  und  erhebend.  Hier  hat  in  Wahrheit 
Homer  einen  Dichter  als  Übersetzer  gefunden. 

Ein  Preis  Homers,  schließt  Cowper,  ist  überflüssig,  da  ja  Jahrhunderte 
ihn  verehrten,  vergötterten.  Damit  haben  sie  recht  getan.  Wenn  es  mög- 
lich wäre,  daß  sich  ein  bloßer  Mensch  durch  einen  Vorrang  irgend  welcher 
Art  zu  göttlicher  Ehre  berechtigt  glauben  könnte,  so  gebührt  ein  solcher 
Anspruch  am  besten  den  wunderbaren  Kräften  Homers. 


DEUTSCHLAND  UND  DIE  SCHWEIZ. 

In  der  deutschen  Renaissance  ist  von  vornlierein  die  Beschäftig-ung 
mit  Homer  sehr  lebhaft  und  seine  Kenntnis  sehr  ausgebreitet.  An  die 
Spitze  dürfen  wir  Erasmus  stellen,  der,  obwohl  er  kein  Deutscher  war 
und  seine  Wirksamkeit  auch  für  Frankreich  und  England  hochbedeutend 
ist,  dennoch  auf  die  deutsche  Entwicklung  den  größten  Einfluß  geübt 
hat.  Wie  umfassend  seine  Homerkenntnis  war,  zeigt  sich  nirgends  schöner 
als  in  dem  köstlichen  Lob  der  Narrheit,  das  er  1508  auf  der  Reise  von 
Italien  nach  England  verfaßte.  Nicht  nur  sind  die  Zitate  sehr  zahlreich, 
sondern  die  homerischen  Stellen  werden  auf  die  witzigste  und  geistreichste 
Weise  für  die  paradoxen  Beweisführungen  des  Verfassers  verwendet.  In 
den  Adagia  sammelt  Erasmus  hundert  homerische  Verse,  die  sprichwörtlich 
verwendet  werden  können.  Dem  griechischen  Text  sind  Übersetzungen 
in  eleganten  lateinischen  Hexametern  beigegeben.  Auch  in  den  Briefen 
und  anderen  Schriften  sind  homerische  Reminiszenzen  häufig. 

Cesarotti  hat  Erasmus  unter  die  Tadler  Homers  eingereiht,  und  in 
der  Tat  ist,  was  dieser  über  den  alten  Dichter  zu  sagen  hat,  nicht  lauter 
Lob.  Er  habe  zwar  durch  die  wunderbare  Mannigfaltigkeit  der  Fabeln 
der  Langeweile  zu  entrinnen  gewußt,  wenn  schon  nicht  überall,  wie  z.  B. 
in  der  wörtlichen  Wiederholung  von  Aufträgen;  darin  habe  ihn  Virgil 
richtig  gekürzt.  In  der  Einleitung  zum  Lehen  des  Hieronymus  1516 
spricht  Erasmus  von  dem  Schmuck  der  Fabeln,  durch  den  die  Alten  ihre 
Weisheit  einhüllten,  um  moralische  Belehrungen  zu  geben,  der  aber  nicht 
von  gutem  moralischem  Einfluß  sein  konnte.  Homer,  den  man  einen 
Ozean  von  Fabeln  nennen  könnte,  zeichne  die  Götter  so,  wie  kein  wohl- 
geordneter Staat  seine  Beamten  haben  möchte;  die  Frauen  der  Götter 
so,  wie  kein  rechtschaffener  Bürger  seine  Gemahlin  wünschte  oder  er- 
trüge. Kein  verständiger  Familienvater  möchte  Kinder  haben,  wie  die 
homerischen  Götter,  und  Alexander  hätte  den  Achilleus  nicht  um  den 
Herold  seines  Ruhmes  beneidet,  wenn  er  die  Pflichten  eines  wahren  Fürsten 
richtig  verstanden  hätte. 

Daß  Erasmus  trotzdem  kein  Feind  Homers  ist,  erhellt  nicht  nur  aus 
vielen  anderen  Stellen,  besonders  aus  dem  warmen  „noster  Homerus"  im 
Lob  der  Narrheit,  sondern  vornehmlich  aus  der  Stellung,  die  er  dem  Dichter 
im  Jugendunterricht  anweisen  will.    Um  in  den  Kindern  die  Lust  zur 


378  Deutschland  und  die  Schweiz 

Erlernung  der  Sprachen  zu  wecken,  empfiehlt  er  in  der  Schrift  De  ratione 
studii  vor  allem  die  Lektüre  der  Fabeln  der  Dichter,  die  einem  doppelten 
Zwecke  dienen  könnten.  Einmal  nämlich  mache  es  Spaß,  wenn  z.  B.  die 
Gefährten  des  Odysseus  in  Tiere  verwandelt  werden,  zugleich  aber  lerne 
der  Knabe  dabei  die  Hauptlehre  der  moralischen  Philosophie,  daß  nämlich 
die,  welche  sich  von  den  Leidenschaften  hinreißen  lassen,  keine  Menschen, 
sondern  Tiere  seien.  Kein  Stoiker  lehre  das  besser  als  die  lächerliche 
Fabel.  Dieses  philosophische  Moment  sei  bei  der  Erklärung  vor  allem 
zu  betonen;  dadurch  können  auch  Stellen,  die  schädlich  wirken  könnten, 
unschädlich  gemacht  werden,  weil  der  Geist  der  Lernenden  teils  durch 
die  Anmerkung  in  Anspruch  genommen,  teils  auf  höhere  Gedanken  ge- 
richtet werde. 

Die  fein  durchdachten  Aufsätze  über  Jugenderziehung  erregten  den 
Widerspruch  des  Jacobus  Latomus,  der  in  einem  Dialog  heftig  da- 
gegen zu  Felde  zog.  In  seiner  Erwiderung  wendete  Erasmus  die  Sache 
so,  daß  er  bewies,  wie  wenig  die  AngrilSe  ihm  gelten  könnten;  in  Wahr- 
heit ist  seine  Apologia  eine  warme  Verteidigung  der  früher  geäußerten 
Ansichten,  besonders  auch  der  zur  Lektüre  empfohlenen  Schriftsteller. 
Der  Gegner,  so  führt  er  hier  aus,  verpönt  die  Fabeln  Homers  und  Lukians 
als  gottlos,  unsauber  und  abergläubisch.  Weim  sie  von  den  Göttern  Un- 
würdiges berichten,  so  müssen  sie  ja  gerade  dem  Christen  um  so  teurer 
sein,  da  die  Jugend  um  so  weniger  Gefahr  läuft,  in  heidnische  Superstition 
zu  verfallen.  Da  müßte  man  mit  besserem  Rechte  vor  Aristoteles  und 
Piaton  warnen.  Etwas  Unreines  ist  bei  Homer  nicht  zu  bemerken,  bei 
Lukian  wenigstens  nicht  in  den  Dialogen,  die  wir  übersetzen.  Da  gibt 
es  unter  den  Lateinern  viel  gefährlichere  Leute,  die  man  doch  unbedenklich 
liest.  Gefahr  für  die  Religion  der  Jugend  kann  bei  Homer  und  Lukian 
nur  finden,  wer  auch  meint,  die  Kinder  würden  durch  die  äsopischen 
Fabeln  zum  Glauben  verführt,  daß  Füchse  und  Löwen  wirklich  geredet 
hätten.  Anstößige  Stellen  gibt  es  auch  in  den  heiligen  Schriften;  aber 
ein  verständiger  Lehrer  wird  sie  übergehen  oder  so  behandeln,  daß  die 
Jugend  keinen  Schaden  nimmt.  Weit  gefährlicher  sind  Poggio's  Facezien 
oder  Pontans  Dialoge,  und  wenn  man  für  die  Schamhaftigkeit  der  Jugend 
so  sehr  fürchtet,  so  wird  diese  durch  gewisse  Anleitungen  zur  Beichte 
mehr  gefährdet  als  durch  die  Fabeln  Homers,  und  man  täte  besser,  sich 
über  die  jährlich  erscheinenden  und  rasch  populär  werdenden  lasziven 
Lieder  aufzuregen,  als  über  den  alten  Dichter. 

Die  Auffassung  des  Erasmus  wurde  von  dem  ganzen  humanistischen 
Deutschland  geteilt.  Es  war  freilich  schwer  ein  Exemplar  Homers  zu 
erlangen.   Reuchlin,  der  erste  Deutsche,  der  nach  Jahrhunderten  wieder 


Erasmus    Reuchlin    Melanchthon  379 

Griechisch  verstand,  bemühte  sich  lange,  auch  nur  eine  lateinische  Über- 
setzung zu  erhalten;  doch  ist  ihm  später  auch  das  Original  bekannt  ge- 
worden. Es  wird  berichtet,  er  habe  den  Zweikampf  des  Paris  und  Menelaos 
ins  Deutsche  übertragen.  Von  lateinischen  Übersetzungen  findet  sich  die 
des  Homer  zugeschriebenen  Gedichtes  vom  Kampf  der  Frösche  und  Mäuse 
in  einer  nicht  von  Reuchlin  besorgten  Wiener  Ausgabe. 

Während  sich  Erasmus  bei  Homer  hauptsächlich  an  der  Buntheit 
der  Fabeln  freute  und  ihn  einmal  sogar  den  Vater  der  Tändeleien,  nugarum 
pater,  nennt,  findet  Reuchlin  mit  Plutarch  und  den  Italienern,  es  sei  in 
ihm  alle  Philosophie  enthalten  und  aus  ihm  entsprungen;  doch  führt  Geiger 
von  Reuchlin  auch  den  Ausspruch  an,  Homer  habe  mit  seinen  Lügen 
weder  Gott  noch  die  W^elt  geschont. 

Gute  Kenntnisse  Homers  verrät  Huttens  satirisches  Gedicht  NemOj 
1512,  das  durch  die  Kyklopengeschichte  der  Odyssee  angeregt  war,  wo 
Odysseus  sich  dem  Polyphem  gegenüber  den  Niemand  nennt;  aus  Homer 
wird  eine  Stelle  griechisch  zitiert.  In  einem  Brief  an  Erasmus  1517 
vergleicht  Hütten  die  freundliche  Annahme,  die  er  in  Venedig  findet, 
mit  der  des  Odysseus  durch  Alkinoos. 

Während  im  15.  Jahrhundert  die  Deutschen  ihr  Griechisch  noch 
in  Italien  oder  bei  den  wenigen  Griechen  lernen  mußten,  die  über  die 
Alpen  kamen,  wurde  es  mit  dem  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  auf  den 
deutsehen  Universitäten  überall  heimisch,  und  überall  wurde  auch  Homer 
gelesen.  Die  Begeisterung  der  studierenden  Jugend  für  die  neue  Wissen- 
schaft hielt  freilich  zunächst  nicht  an,  weil  sich  das  ganze  öffentliche 
Interesse  dem  großen  Glaubensstreit  zuwandte,  zum  guten  Teil  auch  der 
großen  Schwierigkeiten  wegen,  die  mit  dem  Studium  der  griechischen 
Schriftsteller  verbunden  waren;  denn  die  Vorbildung  für  die  Lektüre 
der  Griechen  war  sehr  mangelhaft.  Das  ist  es  aber  alles  nicht,  worüber 
Melanchthon  in  seiner  Intimatio  de  Homero  praelegendo  1531  klagt, 
sondern  der  materielle  Sinn  der  Zeit.  Homer,  sagt  er  dort,  ist  noch  im 
Tode  ein  Bettler,  wie  er  im  Leben  gewesen  sein  soll;  er  irrt  umher  und 
bettelt  um  solche,  die  ihn  hören  wollen.  Geld  versprechen  kann  er  nicht, 
aber  er  verspricht  die  Lehre  von  großen  und  ehrenvollen  Dingen.  Darum 
bettelt  er  nicht  um  die  Banausen,  die  es  nur  auf  gewinnbringende  Künste 
abgesehen  haben  und  von  keiner  edlen  Wissenschaft  gebildet  sind,  sondern 
sogar  den  Ruf  der  Weisheit  gerade  darin  suchen,  daß  sie  die  ehrenvollen 
Wissenschaften  großartig  verachten.  Vielmehr  ruft  Homer  die  zu  sich, 
die  aus  Liebe  zur  Tugend  die  Wissenschaften  pflegen. 

Doch  verstummten  die  Klagen  über  mangelhaftes  Interesse  nach 
und  nach.    Durch  die  von  Melanchthon  entworfene  kursächsische  Schul- 


380  Deutschland  und  die  Schweiz 

Ordnung  1528  wurden  auch  die  griechischen  Studien  auf  einen  festen 
Boden  gestellt.  Er  selbst  verfaßte  eine  griechische  Grammatik,  der  er 
aus  Homers  Ilias  die  Stelle  über  Thersites  und  einen  Abschnitt  aus 
den  Hymnen  beigab.  Die  Verse  über  Thersites  erklärt  er  des  ethischen 
Nutzens  wegen  ausgewählt  zu  haben;  nach  seiner  Art  habe  er  nicht 
sowohl  ein  Beispiel  der  grammatischen  Übung,  sondern  der  Sitten  ge- 
wählt, damit  man  den  eigentlichen  Nutzen  der  Poesie  erkenne.  Denn 
er  sei  mit  denen  gar  nicht  einverstanden,  die  bei  den  Dichtern  vor  dem 
Ausdruck  nichts  zu  sehen  pflegen.  In  der  Kenntnis  der  Sprache  und  der 
moralischen  Belehrung  erblickt  Melanchthon  den  Hauptwert  der  klassischen 
Lektüre,  dann  auch  in  der  durch  sie  gewonnenen  Redegewandtheit,  elo- 
quentia,  der  die  Urteilsfähigkeit  folge,  wie  der  Schatten  dem  Körper. 
Habe  doch  schon  Homer  seinem  Odysseus  beide  Eigenschaften  in  gleich 
hohem  Maße  zuerteilt. 

Am  umfassendsten  spricht  sich  Melanchthon  über  Homer  in  der  Ein- 
leitung zu  seinem  Honierkolleg  1538  aus,  die  von  Vitus  Vinshemius  vor- 
gelesen wurde.  Vergnügen,  heißt  es  da,  kann  man  bei  Homer  wohl 
finden,  aber  die  Hauptsache  ist  der  Nutzen,  den  er  stiftet.  Er  fördert 
die  Einrichtung  des  menschlichen  Lebens ;  über  alle  menschlichen  Dinge 
finden  sich  bei  ihm  Gedanken.  Seine  Sentenzen  sind  gleich  Gesetzen, 
die  ewig  im  Gedächtnis  bleiben  sollten.  In  der  Ilias  lehrt  er  die  kriege- 
rischen, in  der  Odyssee  die  Tugenden  des  bürgerlichen  Staatslebens;  an 
den  verschiedenen  Seiten,  in  denen  er  uns  den  Odysseus  zeigt,  erweist 
er  sich  als  Lehrer  für  jeden  Staatsmann.  Er  hat  allen  Dichtem  die  Palme 
vorwegenommen,  in  ihm  sind  die  Keime  aller  Philosophie  enthalten. 
Piaton  hat  ihn  aus  dem  Staat  verbannt,  aber  was  hat  er  selbst  Besseres 
über  die  Götter  geäußert?  Darauf  werden  Piatons  Vorwürfe  widerlegt: 
Homer  hat  sehr  viel  Wahres  von  der  Gottheit  gesagt  und  in  den  Allegorien 
auf  die  Sitten  der  Menschheit  und  die  Natur  angespielt.  Die  Tränen  der 
Helden  sind  löblich,  da  sie  uns  wirkliche  Menschen  sehen  lassen,  die 
den  menschlichen  Geschicken  unterworfen  sind.  Seine  Unterweltsbilder 
schrecken  nicht,  sondern  lehren  nach  den  Anschauungen  seiner  Zeit  die 
Unsterblichkeit  der  Seele.  Wohin  auch  Piaton  den  Homer  verbannt  hat, 
überall,  wohin  er  kam,  hat  er  Bildung  und  Gesittung  verbreitet.  Bergen 
wir  ihn  im  Schrein  unserer  Herzen  wie  Alexander  in  der  kostbaren  Lade. 
Allerdings,  Schätze  hat  er  nicht  zu  bieten;  seine  Verehrer  bleiben  arm 
wie  er;  aber  das  ist  das  Los  der  besten  Dinge  in  diesem  von  Irrtümern 
und  Blindheit  erfüllten  Leben.  Und  dennoch  sind  die  Güter  des  Geistes 
und  der  Tugend,  die  Homer  vermittelt,  sicherer  und  wertvoller  als  die 
äußeren  Glücksgüter. 


Melanchthon     Luther     Camerarius  381 

Durch  Melanchthon  angeregt,  hat  sich  auch  Luther  in  den  Homer 
Tertieft  und  ähnlicli  wie  Erasmus  in  seinen  Schriften  oft  homerische 
Wendungen  angebracht.  Auch  ihm  ist  er,  wie  dem  Melanchthon,  der 
Vater  der  Dichter,  die  Quelle,  ja  der  Ozean  aller  Gelehrsamkeit.  Die 
homerischen  Helden  sind  ihm  vertraute  Gestalten.  Merkwürdig  ist  Luthers 
Ausspruch,  erst  die  wunderbare  Poesie  Homers  habe  die  an  sich  gering- 
fügigen Ereignisse  vor  Troja  zu  Ehren  gebracht.  Es  ist  das  ein  Beweis 
von  tiefem  Verständnis,  das  in  seiner  Zeit  angenehm  berührt;  denn  diese 
würdigt  sonst,  ihren  Zielen  ganz  getreu,  nicht  sowohl  den  Dichter  als 
den  Weisen  Homer. 

Das  zeigt  sich  besonders  schön  in  der  Einleitung  zu  Joachim 
Camerarius'  Kommentar  zum  ersten  Buch  der  Ilias,  1538,  die  auch 
sonst  höchst  interessant  ist.  Sie  zeigt  vor  allem,  mit  wie  viel  Vorurteilen 
das  Studium  des  Griechischen  damals  noch  zu  ringen  hatte,  daß  es  aber 
bereits  einen  tüchtigen  Stamm  eifriger  Studenten  gab.  Denen,  die  ihm 
vorhielten,  alle  diese  Dinge  seien  ja  längst  in  den  Schulen  behandelt 
worden,  antwortet  Camerarius,  es  handle  sich  jetzt  nicht  mehr  um  die  un- 
fruchtbaren Disputationen  der  Scholastik,  sondern  am  den  Aufbau  des 
neuen  Wissens  auf  der  Grundlage  solider  sprachlicher  und  sachlicher  Kennt- 
nis der  Alten.  Besonders  warnt  er  die  Studenten  davor,  in  der  Poesie  nur 
das  Spiel  eines  müßigen  Vergnügens  zu  erblicken,  da  die  Dichter  viel- 
mehr unter  schöner  Form  die  tiefste  Weisheit  böten.  Darin  steht  ihm 
Homer  obenan,  der  für  alle  Spätem  die  Quelle  der  Weisheit  und  des 
besten  Ausdrucks  geworden  sei.  Die  Beispiele,  die  Camerarius  beibringt, 
hat  er  selbst  gesammelt.  Homer  soll  den  Schülern  der  Wegweiser  für 
richtige  Lebensanschauung  sein,  wie  er  es  den  Alten  war;  das  predigt 
Camerarius  mit  wahrer  Begeisterung.  Aus  den  mit  der  umfassendsten 
Gelehrsamkeit  gearbeiteten  Kapiteln  über  die  Person  und  das  Werk  des 
Dichters  ist  hervorzuheben,  daß  er  des  Aristoteles  Poetik  nicht  kennt, 
sondern  die  Einteilung  der  Poesie  nach  Piaton  gibt,  der  das  homerische 
Epos  zu  der  aus  Erzählung  und  Handlung  gemischten  Gattung  zählte. 
Auf  Piaton  weist  auch  die  starke  Betonung  des  poetischen  Enthusias- 
mus. Die  Geschichte  von  der  Sammlung  des  Peisistratos  kennt  Came- 
rarius, ohne  eben  viel  daraus  zu  machen.  Dagegen  erwähnt  er  einige 
Nachrichten  des  Altertums  über  Homer  mit  der  Bemerkung,  es  habe  ein 
unendlicher  Schwärm  von  Grammatikern  an  Homer  die  eigene  Weisheit 
zu  zeigen  versucht.  An  astrologische  Bedeutung  der  Fabeln,  z.  B.  der 
Reise  des  Zeus  zu  den  Äthiopen,  glaubt  er,  kann  aber  nicht  umhin  zu 
finden,  die  bisher  vorgebrachten  Erklärungen  seien  in  den  Dichter  hinein- 
gelegt und  gingen  nicht  aus  ihm  hervor.    Dem  Kommentar,  der  auch  auf 


382  Deutschland  und  die  Schweiz 

den  Zusammenhang  der  Ereignisse  aufmerksam  macht,  folgt  der  grie- 
chische Text  und  eine  flüssige,  wenn  auch  ziemlich  freie  Übersetzung 
in  lateinischen  Hexametern. 

In  der  reformierten  Schweiz  trat  zwischen  den  theologischen 
und  humanistischen  Interessen  gleich  vom  Beginn  der  Reformation  an 
ein  festes  Verhältnis  ein.  Zwingli,  ein  begeisterter  Verehrer  des  Alter- 
tums und  Homers,  zu  dessen  Ilias  er  leider  verlorene  Schollen  geschrieben 
hat,  erkannte  im  Studium  der  antiken  Sprachen  und  Literaturen,  vor- 
nehmlich der  griechischen,  die  richtige  und  notwendige  Grundlage  zur 
Erforschung  der  Schrift,  aber  auch  für  die  verständige  Einrichtung  des 
Lebens.  Die  Neuordnung  der  Schule,  1525,  an  der  Zwingli  selbst  lehrte,, 
zeigt  ein  lebhaftes  Studium  der  Antike,  besonders  auch  Homers,  und 
neben  der  sprachlichen  eingehende  sachliche  Erklärung.  Unter  den  Leh- 
rern ragte  Rudolf  CoUinus  hervor,  auf  dessen  Ho  m  er  erklär  ung  sein 
Schüler  Konrad  Gessner  die  Worte  des  Allegorikers  Herakleitos  anwendete,. 
Homer  stehe  neben  jedem  beim  Lebensbeginn,  erreiche  mit  ihm  die  Blüte 
des  Mannesalters,  und  bis  zum  Alter  werde  niemand  seiner  überdrüssig. 

Eine  für  lange  Zeit  giltige  Ordnung  gab  Bullinge r  der  zürcherischen 
Schule.  Schon  1527  hatte  er  sich  in  der  Schrift  Studiorum  ratio  über 
die  neue  Erziehung  geäußert,  in  Übereinstimmung  mit  den  Grundsätzen 
Zwingli's,  der  eben  damals  sein  Werk  an  der  Schule  begann.  BuUinger 
wendet  sich  gegen  die  Verächter  der  antiken  Profanschriftsteller  mit  dem 
Hinweis  auf  die  christlichen  Schriftsteller  der  ersten  Jahrhunderte,  welche 
die  hohe  Bedeutung  der  Heiden  wohl  eingesehen  hätten.  In  den  Epikern,, 
vornehmlich  Homer  und  Virgil,  findet  er  Allegorien  verborgen;  als  Bei- 
spiel bringt  er  die  auch  von  Erasmus  verwendete,  aus  Plutarch  entlehnte 
Erklärung  von  der  Verwandlung  der  Gefährten  des  Odysseus  durch  Kirke. 
Das  Erfreuliche  an  den  Dichtern  sind  ihm  die  Fabeln,  in  welche  die  Dichter 
ihre  Wahrheiten  einhüllen,  wie  die  Arzte  ihre  bittem  Medizinen  in  süssen 
Tränken  geben.  Bullinger  sieht  aber  in  den  Epen  auch  manche  historische 
Überlieferung  und  naturwissenschaftliche  Belehrung,  sei  es  im  Gewände 
der  Fabel  oder  ohne  diese  Hülle.  Das  belehrende,  erzieherische,  praktisch 
wichtige  Moment  der  Poesie  steht  bei  allen,  Humanisten  wie  Refor- 
matoren, im  Vordergrund,  gibt  aber  nicht  den  einzigen  Gesichtspunkt 
ab.  Da  und  dort  bricht  auch  wirkliches  Verständnis  für  die  Poesie  als 
solche  durch,  vrie  denn  Zwingli  in  seiner  begeisterten  Vorrede  zu  Pin- 
dar  neben  der  religiösen  auch  der  poetischen  Bedeutung  des  Dichters 
alle  Gerechtigkeit  widerfahren  läßt.  Und  ob  nun  auch  in  Melanchthons 
und  Bullinger s  Schule  die  Heiden  und  damit  auch  Homer  dem  höheren 
Zweck,    dem   Verständnis   des   Neuen   Testaments,   dienen  mußten,   sie 


Zwingli     Bullinger    Hesse  383 

wurden  doch  gelesen  und  erklärt  und  stellten  einen  wesentlichen  Teil 
der  Bildung  dar. 

Zu  der  gleichen  Zeit,  da  die  protestantischen  Gelehrtenschulen  ent- 
standen, wagte  sich  der  deutsche  Humanismus  an  eine  Aufgabe,  die  der 
italienische  kaum  angegriffen  hatte,  an  die  Übersetzung  Homers  in  latei- 
nischen Hexametern.  Eine  Probe  hatte  schon  Camerarius  gegeben.  Von 
Oporinus  angeregt,  übersetzte  nun  Eoban  Hesse  die  ganze  Ilias,  von 
der  er  schon  früher  einzelne  Stücke  veröffentlicht  hatte.  Das  Werk  er- 
schien 1540  in  Basel  in  schönem  Druck.  Die  an  den  Antwerpener  Kauf- 
mann Kaspar  Schetus  gerichtete  Epistola  nuncupatoria  enthält  neben  den 
unvermeidlichen  Schmeicheleien  an  seinen  Gönner  manches  Bemerkens- 
werte. Mit  berechtigtem  Stolze  stellt  sich  Hesse  neben  Peisistratos.  Wie 
dieser  einst  die  zerstreuten  Teile  Homers  gesammelt  und  den  Dichter 
für  Griechenland  gerettet  hat,  so  macht  ihn  nun  Hesse  in  italischen 
Landen  heimisch.  Der  verächtliche  Seitenblick,  den  er  auf  die  bisherigen 
fragmentarischen  Versuche  wirft,  ist  allerdings  nicht  ganz  am  Platz, 
denn  in  den  ersten  Büchern  ist  der  Einfluß  Polizians  unverkennbar;  wo 
dieser  aufhört,  wandelt  Eobans  elegante  Muse  ihre  eigenen  Wege. 

Er  preist  die  Muse,  welche  Unsterblichkeit  verleiht;  ohne  Homer 
bliebe  Troja  ewig  begraben,  wüßte  niemand  etwas  von  Achilleus  und 
Odysseus.  So  sehr  erjedoch  in  der  lateinischen  Übersetzung  eine  Bereicherung 
auch  für  den  des  Griechischen  Kundigen  erblickt,  so  verkennt  er  doch 
nicht,  daß  das  Griechische  auf  Geist  und  Gemüt  größeren  Einfluß  übt. 
Doch  betrachtet  er  die  Übersetzung  als  ein  treffliches  Mittel,  die  Jugend 
zum  Studium  des  Originals  anzuregen,  und  hofft  auch  auf  den  Beifall 
der  Gebildeten.  Wichtig  ist,  daß  er  die  Unmöglichkeit  hervorhebt,  die 
Verszahl  des  Originals  beizubehalten. 

Energisch  wendet  er  sich  gegen  die,  welche  die  Sorge  um  die  lateinische 
Sprache  und  die  ausschließliche  Freude  an  der  eigenen  Literatur  verführen, 
den  Virgil  über  Homer  zu  stellen.  Gemeint  ist  Vida.  Gewiß,  sagt  Hesse, 
ist  Virgil  unvergleichlich,  aber  Homer  ist  eben  so  groß.  Da  tadeln  sie 
die  Länge  der  Glaukosepisode,  die  Vergleichung  des  Aias  mit  einem  Esel, 
der  Troer  mit  Fliegenschwärmen,  die  unnötigen  Wiederholungen.  Mag 
es  wahr  sein,  daß  Virgil  hierin  geschickter  ist,  dem  Homer  entreißt  er 
den  Ruhm  doch  nicht.  Wie  in  den  alten  Tempeln  die  Bilder  das  Auge 
des  Beschauenden  fesseln,  so  ist,  was  Homer  in  Einfachheit  wiederholt, 
mehr  zu  bewundem  als  abzuschlachten.  Diese  reinste  Form  stand  der 
alten  Zeit  gut  an,  während  die  Nachwelt  kunstreicher  wurde.  Und  doch 
war  für  die  Talente  Homer  die  erste  Quelle,  und  Virgil  ist  nicht  der 
Einzige,  der  sich  in  ihr  das  Antlitz  gewaschen  hat.  Li  allem  andern,  welche 


384  DeutscMand  und  die  Schweiz 

Gewandtheit,  welche  Macht,  die  Gemüter  nach  seinem  Willen  zu  zwingen! 
Kein  Meer,  kein  Weltstrom,  kein  vom  Himmel  stürzender  Regen  könnte 
gewaltiger  sein. 

Ebenfalls  bei  Oporinus  und  in  gleicher  Ausstattung  erschien  1549 
des  Simon  Lemnius  lateinische  Übersetzung  der  Odyssee,  die  an  Eleganz 
der  Verse  und  sorgfältiger  Durcharbeitung  mit  Eobans  Werk  wetteifert. 
Gewidmet  ist  sie  Heinrich  H.  von  Frankreich;  die  eigentliche  Praefatio 
ist  an  den  Connetable  de  Montmorency  gerichtet,  der  dem  König  das 
Buch  überbringen  soll.  An  ungeheuren  Schmeicheleien  überbietet  erEoban. 
Daß  Montmorency  die  vortrefflichen  Eigenschaften  aller  homerischen  Helden 
übertrifft,  darf  uns  nicht  wundem,  ebenso  wenig  die  Behauptung,  daß, 
wenn  Homer  heute  die  Taten  der  Franzosen  besänge,  dieses  Gedicht  die 
Ilias  übertreffen  würde.  Das  Hochgefühl  des  Verfassers,  daß  er,  ein  Sohn 
Rhätiens,  die  Odyssee  zuerst  übersetzt  habe,  ist  sehr  begreiflich.  Von 
dem  wahrhaft  poetischen  Verständnis  Eobans  ist  er  jedoch  ziemlich  weit 
entfernt.  Ihm  ist  Homer  wesentlich  ein  Lehrer  der  Weisheit,  und  wenn 
er  den  Inhalt  der  Odyssee  erzählt,  streut  er  lauter  moralische  Betrach- 
tungen ein.  Die  Geschichte  bei  den  Lotophagen  zeigt,  so  führt  er  aus, 
daß  keine  Wollust  die  Tugend  besiegt;  die  des  Polyphemos,  daß  Trunken- 
heit schädlich  ist  und  die  Tugend  im  Maßhalten  besteht.  Der  Schlauch 
des  Aiolos  lehrt,  wie  das  Laster  immer  die  Tugend  bestürmt  und  die  Be- 
gierde das  Herz  schädigt.  Das  Kraut  Moly  ist  die  Weisheit,  die,  mit  kriege- 
rischer Tapferkeit  verbunden,  die  harten  Schicksale  besiegt.  So  ist  nach 
Lemnias  die  ganze  Geschichte  des  Odysseus  ein  Beispiel  für  alle  Tugenden. 

Ganz  gleich  wurde  die  Bedeutung  der  Odyssee  von  dem  ersten  deut- 
schen Übersetzer  gefaßt.  Simon  Schaidenreißer,  genannt  Miner- 
vius,  veröffentlichte  sein  Werk  zuerst  1537  in  Augsburg;  nach  seinem 
Tode  erschien  1570  in  Frankfurt  eine  zweite  Ausgabe,  in  der  die  Vor- 
rede der  ersten  wiederholt  ist.  Die  Übersetzung  wird  demnächst  von 
F.  Weidling  neu  herausgegeben  werden.  Der  Herausgeber  hat,  wie 
ich  einer  freundlichen  Mitteilung  von  ihm  entnehme,  ermittelt,  daß 
Schaidenreißer  nicht  nach  dem  griechischen  Original,  sondern  nach 
lateinischen  Übersetzungen  gearbeitet  hat,  und  zwar  lag  ihm  neben  der- 
jenigen des  Raffaello  da  Volterra  eine  mir  bisher  unbekannte  von  Gregor 
Maxillus  al. Uebilin,  Straßburg  1510,  vor.  Letztere  ist  geeignet  unser 
Interesse  zu  erwecken,  da  sie,  wenn  nicht  alles  täuscht,  ein  Abdruck 
der  Übersetzung  des  Francesco  Aretino  ist.  Weidüngs  Ausgabe  wird 
darüber  Klarheit  bringen. 

Die  Vorrede  Schaidenreißers  ist  in  mancher  Hinsicht  bemerkens- 
wert.   Er  findet  bei  Homer  die  Forderung  des  Horaz,  daß  die  Dichter 


Leinnius     Schaidenreißer  385 

nützen  oder  ergötzen  wollen,  am  besten  erfüllt.  Nach  dem  Urteil  aller 
Weisen  ist  die  Odyssee  ein  Lob  der  Tugend,  ein  klarer,  rechter  Spiegel 
des  menschlichen  Lebens.  Odysseus  zeigt  uns  einen  Mann,  der  den  Ge- 
horsam gegen  die  Obrigkeit  dem  eigenen  Wohle  überordnet,  allen  Ge- 
fahren und  Lockungen  zum  Trotz  die  Heimat  nicht  vergißt  und  mit 
dem  Kraut  Moly,  der  ihm  von  dem  Planeten  Mercurius  eingepflanzten 
Weisheit,  alle  Hindemisse  überwindet;  wie  er  denn  auch,  unter  dem  Schutze 
der  Minerva,  den  Phäaken  liebenswert  erscheint,  so  daß  ihn  Nausikaa 
zum  Gespons,  Alkinoos  zum  Eidam  begehrt.  Daraus  zeigt  sich,  wie  auch 
bei  barbarischen  Völkern  die  Tugend  als  eines  der  höchsten  Güter  ge- 
achtet wird.  Penelope  ist  ein  Vorbild  aller  Frauen.  Auch  Lehren  für 
Obrigkeit  und  Untertanen  finden  wir  in  der  Odyssee.  Das  Wunderbarste 
an  Homer  ist,  daß  seine  Lehren  und  Sprüche  nach  so  viel  tausend 
Jahren  noch  auf  jede  Zeit  und  jedes  Alter  passen,  als  wäre  in  so  langer 
Zeit  gar  keine  Änderung  eingetreten.  Schon  im  Altertum  haben  ihn 
deshalb  Heiden  wie  Christen  in  höchsten  Ehren  gehalten. 

Wenn  in  diesen  Sätzen  wenig  eigenes  Urteil,  sondern  fast  nur  Einfluß 
antiker  Zeugnisse  zu  finden  ist,  so  hat  der  Verfasser  doch  auch  eine 
herzliche  und  unmittelbare  Freude  an  seinem  Homer  gehabt.  Der  Titel 
erklärt  die  Odyssee  als  die  allerzierlichsten  und  lustigsten  24  Bücher 
des  ältesten,  kunstreichsten  Vaters  aller  Poeten,  Homers,  und  der  Ver- 
fasser hofft,  sie  werde  denen,  so  Kurzweil  aus  deutschen  Büchern  und 
Historien  suchen,  zu  Nutz  und  Lust  gereichen.  Die  Veranlassung  zu 
dem  Werke  war  der  patriotische  Stolz  zu  beweisen,  daß  kunstreiche  Sprache 
nicht  mehr  nur  Griechen  und  Römern  eigen  seien,  sondern  daß  auch 
Deutschland,  das  sich  gegenwärtig  durch  so  viel  eigene  Erfindung  und 
durch  Verdolmetschung  der  Alten  auszeichne,  nicht  nur  in  Waffen,  son- 
dern auch  in  Weisheit  und  Bildung  glänze.  Die  Übersetzung  riskiert  nur 
im  Anfang  einige  Knittelverse  und  geht  dann  in  einer  Prosa  weiter, 
die  zwar  oft  recht  unbeholfen  anmutet,  aber  ein  gutes  Verständnis  des 
Textes  zeigt.  Ausdrücklich  hebt  Minervius  hervor,  daß  er  nicht  von 
Wort  zu  Wort,  sondern  „sinns weise"  übersetzt  habe.  Beigegeben  ist 
ein  Leben  Homers,  wesentlich  nach  Herodot  und  Plutarch.  Von  der  in 
Aussicht  gestellten,  bereits  begonnenen  Übersetzung  der  Dias  scheint 
sich  nichts  erhalten  zu  haben. 

Die  Übersetzung  Schaidenreißers  hat  Hans  Sachs  bald  nach  ihrem 
Erscheinen  kennen  gelernt  und  zuerst  in  Gedichten,  dann  auch  in  einem 
Drama  verwertet.  Daß  die  Übersetzung  die  einzige  Quelle  seiner  Homer- 
kenntnis war,  erweist  sich,  abgesehen  von  den  bei  Abele  zusammen- 
gestellten Übereinstimmungen  mit  Schaidenreißer,  vor  allem  aus  folgen- 

Finsler:  Homer  in  der  Neuzeit.  25 


386  Deutschland  und  die  Schweiz 

dem.  Zu  dem  am  2.  Januar  1554  aufgeführten  Stück  Die  mörderisch 
Clitemestra  ist  Homer  als  Gewährsmann  genannt,  obwohl  in  dem  merk- 
würdigen Drama  keine  Spur  von  ihm  zu  finden  ist.  Dagegen  nennt 
Sachs  für  die  am  28.  April  1554  gespielte  Tragödie  Die  Zerstörung  der 
Stadt  Troja  von  den  Griechen  nur  Dictjs  und  Dares,  die  recht  frei  be- 
handelt sind;  an  die  Ilias  erinnert  kein  einziger  Zug.  Es  hat  also  Sachs 
mit  der  Nennung  Homers  in  der  Clitemestra  die  Odyssee  gemeint,  in 
der  die  Königin  vielfach  erwähnt  wird. 

Die  Comedi  Die  Irrfahrt  ülissi  mit  den  werhern  und  seiner  gemahel 
Penelope,  am  20.  Februar  1555  aufgeführt,  zeigt  eine  in  ihrer  Schlicht- 
heit meisterhafte  dramatische  Bewältigung  des  großen  epischen  Stoifes. 
Ohne  die  homerische  Darstellung  irgendwie  auszuschmücken,  hat  Sachs 
aus  allen  Ecken  der  Odyssee  das  dramatisch  Geeignete  zusammengeholt. 
Ein  guter  Griff  war  es  schon,  daß  er  die  Zahl  der  Freier  auf  vier  redu- 
zierte: Antinoos,  Eurymachos,  Agelaos,  Amphinomos.  Der  erste  Akt  zeigt 
bereits  das  ganze  Personal  von  Ithaka.  Doch  hat  man  gelegentlich  das 
Gefühl,  Sachs  sei  im  Bestreben  den  Stoff  zu  konzentrieren  fast  zu  weit 
gegangen,  wenn  er  sich  z.  B.  die  Erkennungen  bei  Menelaos,  bei  der 
Fußwaschung  und  bei  Penelope  entgehen  läßt.  Durch  Kürzung  und 
veränderte  Stellung  der  Motive  erreicht  er  starke  Wirkung.  Wenn  am 
Schlüsse  der  Ehrenholdt  auf  die  Vorbildlichkeit  der  homerischen  Per- 
sonen hinweist,  so  ist  das  ebensowohl  auf  die  ganze  Zeitrichtung  wie 
auf  Schaidenreissers  Einfluß  zurückzuführen. 

Des  Hessus  und  Lemnius  elegante  lateinische  Versionen  waren  ein 
Nachklang  zur  echten  Renaissance,  nicht  der  Beginn  neuen  Lebens. 
Schaidenreißers  Werk  erlebte  wenigsten  eine  zweite  Auflage,  aber  von 
weiterer  Wirkung  ist  nichts  zu  spüren.  Die  Wissenschaft  tat  für  die 
Erklärung  Homers  und  die  Ausbreitung  seines  Verständnisses  sehr 
wenig.  Der  Einfluß  der  großen  Franzosen  erhielt  das  Interesse  noch 
eine  Zeit  lang  rege,  zumal  Salmasius  im  Beginn  des  neuen  Jahrhunderts 
in  Heidelberg  tätig  war.  Eine  Wirkung  Homers  auf  die  Literatur  fand 
aber,  so  viel  ich  sehe,  nicht  statt.  Die  Schuld  am  Zurücktreten  des 
Griechischen  und  damit  auch  Homers  lag  zum  Teil  an  der  Schule,  die 
in  steigendem  Maße  das  Lateinische  vorzog.  Nicht  daß,  wie  in  Frank- 
reich, ein  prinzipieller  Kampf  zwischen  griechischer  und  lateinischer 
Bildung  stattgefunden  hätte,  in  dem,  wie  dort,  die  letztere  durch  die 
Kirche  unterstützt  worden  wäre.  Das  protestantische  Deutschland  hielt 
im  Gegenteil  am  griechischen  Unterricht  gerade  darum  fest,  weil  er 
der   einzige  Weg  zur  Erforschung  der  heiligen  Schrift  war.    Aber  die 


Hans  Sachs     17.  Jahrhundert  387 

Anforderungen,  die  der  rein  formale  lateinische  Unterricht  an  Zeit  und 
Kraft  der  Schüler  stellte,  waren  dem  griechischen  hinderlich,  zumal  man 
auch  hier  fast  nur  die  Erlernung  und  den  Gebrauch  der  Sprache  im 
Auge  hatte,  ein  Ziel,  das  gar  nicht  zu  erreichen  war,  mochte  man  auch 
sogar  die  Lektüre  der  Autoren  in  den  alleinigen  Dienst  der  Grammatik 
stellen.  Und  dann  wurde  gerade  die  starke  Betonung  des  neutestament- 
lichen  Studiums  zu  einer  Gefahr.  Schon  Zwingli,  Bullinger,  Melanchthon 
hatten  sich  theologischem  Übereifer  gegenüber  für  die  Profanschriftsteller 
wehren  müssen.  In  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts,  klagt  Breitinger, 
wurde,  mit  Verachtung  der  Einrichtungen  der  großen  Vorfahren,  der 
griechische  Schulbetrieb  auf  das  Neue  Testament  und  ein  paar  Kirchen- 
väter beschränkt,  wobei  man  es  bei  der  einen  und  anderen  Rede  des 
Chrysostomos  oder  einigen  aus  diesem  oder  Gregor  von  Nazianz  unordent- 
lich herausgegriffenen  Blümchen  und  Näschereien  bewenden  ließ.  Das 
habe  zur  Folge  gehabt,  daß  nicht  nur  die  alten  Griechen,  sondern  auch 
diese  Kirchenschriftsteller  vernachlässigt  wurden.  An  einem  anderen  Orte 
behauptet  er,  auch  das  Neue  Testament  werde  von  wenigen  verstanden, 
von  den  Profanschriftstellem  lieber  zu  schweigen.  Das  war  in  der  Schweiz 
so,  die  sich  friedlicher  Zustände  erfreute.  Rechnen  wir  für  Deutschland 
das  unsägliche  Elend  des  dreißigjährigen  und  der  folgenden  Kriege  dazu, 
so  begreifen  wir  leicht,  wie  tief  die  Studien  sinken  mußten. 

Von  den  Leistungen  inbezug  auf  Schulgrammatiken  ist  bereits 
die  Rede  gewesen.  Es  waren  alles  unhandliche  und  schwerfällige  Werke, 
von  denen  aber  einige  bei  den  Schülern  ein  nicht  geringes  Maß  von 
Vorbildung  voraussetzten,  wie  Scapula's  griechisch-lateinisches  Lexikon 
und  besonders  Wolfgang  Sehers  homerischer  Wortindex  1604,  zu 
dem  die  Schüler  durch  Anlegen  kleinerer  Sammlungen  das  Material  be- 
schaffen mußten.  Es  sind  da  zu  jeder  homerischen  Form  alle  Belegstellen 
gegeben,  ein  weitschichtiges  Werk,  das  in  einer  Zeit  lebhaft  betriebener 
Studien  sehr  nützlich  hätte  sein  können  und  offenbar  auch  im  Anfang 
des  Jahrhunderts  noch  benutzt  wurde;  wenigstens  erschien  1649  in  Amster- 
dam ein  Neudruck.  Aber  es  ging  mit  der  Kenntnis  des  Griechischen 
abwärts.  Des  Listrius  Ausgabe  von  Erasmus'  Lob  der  Narrheit  1676 
verrät  mehrfach  eine  große  Unsicherheit  in  homerischen  Dingen.  Noch 
1740  behauptete  Gottsched,  es  gebe  auch  unter  den  Gelehrten  wenige, 
die  den  Homer  und  Virgil  ohne  Anstoß  in  ihrer  Muttersprache  lesen 
könnten,  und  wenn  sie  es  ja  könnten,  so  täten  sie  es  anderer  Arbeiten 
und  Ergötzungen  wegen  nicht.  Tatsache  ist,  daß  Bodmer  und  Breitinger, 
Winckelmann,  Herder,  ja  noch  Goethe  und  Voß  ihren  Homer  nicht  in  der 
Schule  kennen  lernten,   sondern  in   schwerer  privater  Arbeit   erobern 

26* 


388  Deutschland  und  die  Schweiz 

mußten.  Nur  in  Pforta  und  St.  Afra  in  Meißen  war  die  Tradition  ge- 
blieben und  hatte  der  Unterrieht  gegen  Ende  des  17.  Jahrhunderts  leben- 
digere Gestalt  angenommen,  so  daß  Klopstock  und  Lessing  wohl  vor- 
bereitet aus  ihren  Schulen  ins  Leben  traten.  Sonst  lagen  damals  die 
griechischen  Studien  so  sehr  danieder,  daß  sie  nicht  einmal  auf  allen 
Universitäten,  geschweige  denn  auf  den  unteren  Schulen  getrieben  wurden. 

Mit  der  Wissenschaft  stand  es  nicht  besser.  Die  Frage  der  peisi- 
stratischen  Sammlung  interessierte  die  Leute,  und  Wetstein  und  Küster 
legten  sich  die  Sache  nach  ihrem  Ermessen  zurecht.  Große  Mühe  brauchten 
sie  sieb  damit  nicht  zu  geben,  da  ja  das  Material  gesammelt  vorlag. 
Im  übrigen  hat  Wetstein  eine  fleißige  Übersicht  über  die  Homerwissen- 
schaft des  Altertums  und  der  neueren  Zeiten  gegeben,  aus  der  namentlich 
hervorgeht,  daß  das  17.  Jahrhundert  so  gut  wie  nichts  geleistet  hat. 
Es  ist  denn  auch  Homer  in  Deutschland  von  1606  bis  1759  nur  ein 
einziges  Mal  gedruckt  worden,  1651  in  Basel.  Wenn  in  dieser  Hinsicht 
fast  nichts  geschah,  so  hat  doch  die  Zeit  durch  Sammlung  von  Mate- 
rialien ein  Verdienst  erworben.  Morhofs  ungeheure  Gelehrsamkeit  ver- 
dient unsere  Bewunderung,  und  des  Fabricius  Bibliotheca  ist  ein  noch 
heute  sehr  verwendbares  Repertorium. 

Im  Beginn  des  17.  Jahrhunderts  fand  die  Ilias  den  ersten  deutschen 
Übersetzer  in  dem  Augsburger  Johann  Spreng,  der  sie  in  „artliche 
deutsche  Reime",  d.  h.  in  Knittelverse  brachte.  Gedruckt  wurde  sie  erst 
nach  dem  1601  erfolgten  Tode  des  Verfassers,  1610.  Form  und  Ausdruck 
nötigen  heute  dem  Leser  nicht  selten  ein  Lächeln  ab,  aber  der  Übersetzer 
hat  seinen  Text  verstanden  und  ist  in  dessen  Wiedergabe  oft  ganz  glücklich. 
Die  Wahl  des  deutschen  Metrums  ist  im  Prinzip  gewiß  richtig;  so  haben 
sämtliche  Italiener,  dann  Salel  und  Certon,  Dryden  und  Pope  für  die 
Übersetzung  Homers  die  nationale  Form  gesucht.  Den  Hexameter  wählten 
nur  die  Humanisten  für  die  lateinische  Wiedergabe. 

Die  literarische  Kritik  Deutschlands  im  17.  Jahrhundert  weiß  so- 
zusagen nichts  von  Homer.  Opitz  in  der  Deutschen  Poeterey  1624  nennt 
ihn  einige  Male,  hat  ihn  aber  offenbar  nicht  selbst  gesehen.  Die  Zitate 
sind  aus  antiken  Schriftstellern  übernommen,  die  Urteile  über  epische 
Poesie  wesentlich  aus  Scaliger's  Poetice  und  Ronsard  abgeschrieben,  den 
Hauptquellen  der  Poeterey.  Opitz  folgt  jedoch  Scaliger,  dem  er  sich  sonst 
unbedingt  anschließt,  in  den  heftigen  Angriffen  auf  Homer  nicht,  wie 
Borinski  annimmt,  infolge  seiner  Freundschaft  mit  Caspar  Barth. 
Dieser  hat  sich  in  den  Adversaria,  einer  unermeßlichen  Sammlung  von 
Verbesserungs vorschlagen  zu  Schriftstellern  und  Notizen  aller  Art,  1624, 
energisch  gegen   Scaliger   ausgesprochen.     Er  weist   die   Herabsetzung 


Spreng     Opitz     Leibniz     Thomasius     Kant  389 

Homers  g-egenüber  Virgil  sehr  scharf  zurück,  ja  er  wirft  Scaliger  geradezu 
vor,  mit  seinem  fortgesetzten  Irrtum  seine  im  übrigen  göttliche  Poetik 
herabgewürdigt  zu  haben.  Scaliger  sehe  nicht  ein,  daß  es  dem  Lobredner 
Yirgils  gar  nicht  förderlich  sei  Homer  herunterzureißen  und  die  Vollendung 
erst  in  jenem,  nicht  in  seiner  Quelle  erkennen  zu  wollen;  und  durch  die 
Verachtung  der  im  ganzen  wie  im  einzelnen  so  herrlichen  Werke  Homers 
gewinne  Virgil  nicht. 

Homer  hat  lange  warten  müssen,  bis  er  wieder  einen  so  beredten  Ver- 
teidiger fand.  Die  großen  Philosophen  um  die  Wende  des  18.  Jahrhunderts 
verhielten  sich  ablehnend  gegen  ihn.  Leibniz  hält  dafür,  Homerus  habe 
die  Götter  und  Helden  lächerlich  vorgestellt,  weil  er  nicht  wie  Virgilius 
für  einen  Augustus  etwas  Majestätisches,  sondern  für  den  griechischen 
Pöbel,  dem  er  seine  Aufsätze  vorgelesen,  was  Lustiges  habe  macheu  wollen. 
Inzwischen  zeige  er  an  vielen  Orten  einen  großen  Geist  und  schwinge 
sich  hoch,  wenn  er  wolle.  Thomasius  ist  versichert,  daß,  wer  Hans 
Sachsen  und  Homerum  ohne  Vorurteil  lese,  mehr  Artigkeit  und  ludicium 
in  Hans  Sachsen  als  in  Homero  antreffen  werde.  Von  Hans  Sachsen 
hätten  wir  doch  noch  das  geistreiche  Lied  in  der  Kirche  „Warum  betrübst 
du  dich,  mein  Herz?"  Aber  Homerus  habe  solche  Schnitzer  begangen, 
daß  auch  Heraclitus  schon  zu  seiner  Zeit  sich  nicht  habe  enthalten 
können  zu  sagen,  Homerus  wäre  wert,  daß  man  ihm  Maulschellen  gäbe. 
Noch  sehr  viel  später  sagte  Kant,  die  Gedichte  Virgils  und  Klopstocks 
fielen  ins  Edle,  die  Homers  und  Milton's  ins  Abenteuerliche,  und  die 
alten  Gesänge  von  Homer  bis  Ossian,  von  Orpheus  bis  zu  den  Propheten 
verdankten  das  Glänzende  ihres  Vortrags  bloß  dem  Mangel  an  Mitteln 
ihre  Begriffe  auszudrücken. 

Vom  dreißigjährigen  Kriege  ab  gerät  Deutschland  mehr  und  mehr 
in  die  vollständige  geistige  Abhängigkeit  von  Frankreich,  die  sich  auch 
schon  in  den  Urteilen  von  Leibniz  und  Thomasius  fühlbar  macht.  Opitz 
hatte  sich  an  Scaliger  und  Ronsard  angelehnt.  Am  Ende  des  Jahrhunderts 
begegnen  wir  einem  Versuch,  das  moderne  französische  Poeme  hero'ique 
in  Deutschland  einzubürgern  und  damit  den  Deutschen  das  ihnen  fehlende 
Epos  zu  schenken. 

Christian  Heinrich  Postel  ist  nun  freilich  kein  bloßer  Nachahmer. 
Er  war  nach  Angabe  seines  Biographen  Weichmann  im  Besitz  ausgedehnter 
Sprachkenntnisse,  aber  ein  Feind  der  abgeschmackten  Poeterei,  die  den 
schönen  deutschen  Purpurrock  mit  übel  angebrachten  fremden  Lappen 
schände.  Sein  Epos  Der  große  Wittekind  sollte  ein  echtes  deutsches  Werk 
sein.   Der  Mangel  war  nur,  daß  sich  der  Dichter  aus  Armut  an  Erfindung 


390  Deutschland  und  die  Schweiz 

gezwungen  sah,  sich  an  alle  möglichen  Vorbilder  anzulehnen.  Im  Grund- 
riß ist  das  Gedicht  nach  Scudery's  Alaric  gearbeitet,  dem  besonders  der 
Gedanke  entnommen  ist,  den  geschlagenen  Wittekind  nach  Spanien  fahren 
zu  lassen,  um  von  dort  aus  Karl  bekämpfen  zu  helfen.  Daneben  finden 
sich  Nachbildungen  von  Ariost,  Tasso,  Graziani,  Milton,  Camoens  und 
anderen,  die  oft  mit  großer  Kunst  verbunden  sind.  So  erlebt  ein  Teil 
der  Schiffsmannschaft  das  Abenteuer  der  Lusiaden  auf  der  Nympheninsel, 
um  dann  gleich  Rinaldo  bei  Tasso  zur  Pflicht  zurückgerufen  zu  werden. 
Über  allem  aber  schwebt  der  Geist  Marino's,  in  Schilderungen  von  Turnieren 
und  Tempeln,  in  Deklamationen  über  die  verschiedensten  Gegenstände 
und  breit  ausgekramter  Gelehrsamkeit.  Dennoch  hat  Weichmann  ganz 
Recht  zu  sagen,  Postel  sei  natürlich  genug  und,  wie  emsig  er  auch  den 
Italienern  und  Spaniern,  besonders  Tasso  und  Marino  nebst  Lohenstein 
folge,  gehe  er  dennoch  von  deren  hochtrabender  schwülstiger  Schreibart 
gar  merklich  ab.  Nach  unserem  Gefühl  ist  genug  davon  übrig  geblieben, 
aber  für  seine  Zeit  ist  das  Gedicht  von  löblicher  Natürlichkeit.  Die  Ent- 
lehnungen bemüht  sich  Postel  durchaus  nicht  zu  verbergen,  im  Gegenteil 
führt  er  in  Fußnoten  alle  seine  Quellen  gewissenhaft  an.  Er  betrachtete 
es  als  einen  Ruhm,  seine  Belesenheit  zu  beweisen. 

Besonders  zahlreich  sind  die  Anklänge  an  Homer,  den  Postel  ungefähr 
so  gut  im  Kopf  hat  wie  Spenser.  Bezeichnend  für  seine  Art  ist  z.  B.  die 
Verwendung  der  Geschichte  der  Nausikaa.  Obwohl  teilweise  wörtlich 
aus  Homer  übersetzt,  ist  die  Episode  doch  ganz  in  die  Sphäre  modernster 
Dezenz  gerückt.  Feme  davon,  daß  die  Prinzessin  Fatima  ihre  Wäsche 
selbst  besorgte;  sie  lustwandelt  am  Ufer,  findet  den  nicht  ganz  nackten 
Schiffbrüchigen  und  läßt  ihn  in  ihrem  Schlößchen  am  Meer  speisen,  kleiden 
und  schlafen,  um  ihn  dann  am  folgenden  Morgen  nach  Granada  mit- 
zunehmen. 

Begonnen  wurde  das  Gedicht  1698.  Als  1701  die  vorhandenen  zehn 
Bücher  vollendet  waren,  gab  Postel  das  Dichten  auf,  vielleicht  weil  das 
Werk  zu  weitläufig  angelegt  war.  Gedruckt  wurde  es  1724,  lange  nach 
dem  1705  erfolgten  Tode  des  Verfassers.  Weichmanns  Einleitung  beklagt, 
daß  das  Epos  nicht  fertig  geworden  sei;  wäre  es  der  Fall  gewesen,  so 
hätte,  meint  er,  Deutschland  mehr  Ruhm  davon  als  Italien  von  Tasso 
und  Marino  zugleich. 

Im  nämlichen  Jahre  1698  begann  Postel  auch  die  Übersetzung  der 
Berückung  des  Zeus,  1700  unter  dem  Titel  Die  listige  Juno  gedruckt. 
Die  Vorrede  ist  für  die  Zeit  von  Bedeutung.  Postel  bestreitet  die  oft 
geäußerte  Meinung,  als  ob  Homer  in  keine  andere  Sprache  übersetzt  werden 
könne;  es  entspringe  das  Vorurteil  einmal  einem  heidnischen  Aberglauben, 


Postel     Weichmann     Ayrer  391 

der  eine  Übersetzung  als  eine  Entweihung  des  für  heilig  und  göttlich 
gehaltenen  Dichters  betrachte,  sodann  aber  auch  dem  Arger  über  die 
wörtlichen  lateinischen  Übersetzungen,  oder  die  deutschen  in  Knittelreimen, 
womit  er  auf  Spreng  zielt,  oder  die  französischen  und  holländischen  in 
Prosa;  mit  jenen  meint  er  wohl  Du  Souhait  und  La  Valterie.  Diese  hätten 
Homer  in  allgemeine  Verachtung  gebracht,  so  daß  er  kaum  noch  bei 
einigen  Schulleuten  im  Werte  stehe.  Bei  diesen  fange  er  aber  auch  an 
so  selten  zu  werden,  daß,  wenn  Alkibiades  zu  ihnen  kommen  und  eine 
Ilias  begehren  sollte,  mancher  von  ihnen  Maulschellen  kriegen  würde, 
w^eil  er  keine  besitze.  In  den  Augen  des  Kenners  der  griechischen  Sprache 
habe  allerdings  Homer  nicht  gelitten,  auch  nicht  bei  denen,  die  gute  Über- 
setzungen oder  seine  köstlichen  Nachfolger,  Virgil,  Tasso,  Milton  ins 
Auge  fassten.  Denn  wäre  Homer  nicht  eine  Schatzgrube  aller  Köstlich- 
keiten gewesen,  so  würden  diese  großen  Männer  ihre  unschätzbaren  Ge- 
dichte nicht  nach  ihm  eingerichtet  haben.  Das  werde  jeder  einsehen,  der 
ihre  Entlehnungen  mit  dem  Original  vergleiche.  Unter  den  Übersetzern 
preist  Postel  besonders  Eoban  Hesse,  auch  Chapman  und  mit  etwas  weniger 
Wärme  Hobbes;  Dryden's  Versuche  findet  er  unübertrefflich.  Was  von 
des  Herrn  Dacier  französischer  Übersetzung  zu  hoffen  sei,  werde  ver- 
mutlich die  Zeit  in  kurzem  lehren.  Nun  will  aber  Postel  beweisen,  daß 
sich  auch  das  Deutsche  zur  Übersetzung  eignet,  und  andere  dazu  er- 
mutigen. Er  will  sich  nicht  sklavisch  an  die  Worte,  sondern  an  den  Sinn 
binden,  auch  nicht  die  Verszahl  beizubehalten  suchen,  da  dies  nicht  ohne 
Zwang  geschehen  könne.  Die  Übersetzung  ist  in  Alexandrinern  verfaßt 
und  dem  griechischen  Text  gegenüber  gestellt.  Dem  Stück  folgt  ein 
schwerer  Kommentar  mit  des  Eustathios  und  eigenen  Erklärungen.  Es 
ist  da  eine  große  Gelehrsamkeit  aufgewendet,  die  aber  kein  Maß  hält. 
Zahlreiche  Proben  von  anderen  Übersetzungen  und  von  Nachbildungen 
sind  beigebracht. 

Posteis  Ausleger  Weichmann  hat  sich  in  seiner  Vorrede  zu  Brockes 
Irdischem  Vergnügen  in  Gott  1721  über  Homer  in  einer  Weise  ausge- 
sprochen, die  wohl  Posteis  Beifall  kaum  gefunden  hätte.  Er  preist  an 
Brockes  die  glückliche  Wahl  der  Worte,  die  stets  durchaus  auf  die  Sache 
paßten,  im  Gegensatz  zu  Homer,  der  seine  Personen  stets  mit  denselben 
Beiwörtern  belege,  obgleich  die  veränderten  Umstände  manchmal  notwendig 
eine  Abwechslung  erfordert  hätten.  Der  Vorwurf  ist  der  zeitgenössischen 
französischen  Kritik  entlehnt,  die  in  der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhun- 
derts allmächtig  wurde. 

Einige  Aufmerksamkeit  erregte  auch  die  Quer  eile  des  Anciens  et  des 
Modernes.    1735  übersetzte  Georg  Heinrich  Ayrer  die  früher  erwähnte 


392  Deutschland  und  die  Schweiz 

Schrift  von  Anton  Blackwall  ins  Lateinische  und  fügte  im  nämlichen 
Bande  eine  Dissertatio  de  comparatione  eruditionis  antiquae  et  recentioris 
hinzu.  Seine  Gedanken  sind  nicht  neu;  gegen  die  Überschätzung  des 
Altertums  wie  der  Modernen  verwendet  er  die  in  der  Querelle  gebrauchten 
Argumente.  Er  selbst  ist  ein  Feind  beider  Extreme  und  verficht  den 
Standpunkt  Bacon's,  der  zwischen  Altertum  und  Neuzeit  ein  Bündnis 
haben  wollte.  Ayrer  zitiert  viele  Freunde  und  Gegner  des  Altertums.  Be- 
sonders wichtig  ist  seine  Darstellung  der  Querelle  selbst,  sowohl  des 
Kampfes  zwischen  Perrault  und  Boileau,  als  desjenigen  La  Motte's  mit 
M""®  Dacier,  eine  sehr  gründliche  und  sorgfältige  Studie,  in  der  auch  die 
unbedeutendste  Schrift  notiert  ist.  Richtigerweise  stellt  er  zu  Perrault's 
Gegnern  auch  Wotton,  dessen  Standpunkt  er  im  ganzen  teilt. 

Selbständiger  war  ein  Jahr  vorher,  1734,  Albrecht  Haller  in  die 
Frage  eingedrungen,  und  zwar  in  einer  in  Bern  gehaltenen  akademischen 
Rede.  Im  Beginne  finden  wir  auch  hier  im  ganzen  die  gleichen  Gedanken 
wie  bei  Wotton,  aber  dann  folgt  Eigenes.  Li  allen  Künsten,  die  dem  In- 
genium selbst  entspringen,  führt  Haller  aus,  können  uns  die  Alten  er- 
reichen, da  diese  Künste  allen  Zeiten  angehören  und  zur  Vollendung  nur 
eines  kurzen  Zeitalters  der  Ausbildung  bedürfen.  Dahin  gehören  Poesie, 
Beredsamkeit,  Logik,  Politik,  Mathematik.  Anders  steht  es  mit  den  exakten 
Wissenschaften,  in  denen  die  Neuzeit  voraus  ist.  Wenn  die  Alten  uns  in 
jenen  ersten  Künsten  übertroffen  haben,  so  liegen  dafür  besondere  Ur- 
sachen vor.  Die  Alten  erfreuten  sich  öffentlicher  Förderung  der  Künste 
durch  Ehren  und  Anerkennung;  Beschäftigung  mit  den  Künsten  schloß 
bürgerliche  Betätigung  nicht  aus.  Dann  waren  sie  fleißiger  als  wir  und 
brauchten  nicht  so  viele  Sprachen  zu  lernen,  um  von  den  Büchern  etwas 
zu  haben.  Vor  allem  aber  schädigt  uns  die  Vielwisserei.  Die  Modernen 
schweifen  durch  alle  Wissenschaften  und  zersplittern  sich;  so  wird  der 
Geist  zuerst  überladen,  dann  entnervt.  Zur  Bewältigung  des  gesamten 
Wissens  reicht  das  ganze  Leben  nicht  aus,  und  der  Gedächtniskram  tötet 
das  Urteil.  Die  Alten  konnten  sich  mehr  auf  das  einzelne  konzentrieren. 
Sodann  sind  bei  uns  Einbildungskraft  und  Urteil  seltener  verbunden,  auch 
fehlen  uns  die  Vorzüge  des  Stils.  Man  vergleiche  Virgil  mit  den  modernen 
Epikern:  bei  ihm  Großartigkeit,  verbunden  mit  Festigkeit  und  Anmut, 
bei  Milton  Kraft  ohne  Gleichmäßigkeit  und  plötzliche  Flammen  durch 
Finsternisse,  bei  Tasso  Talent  ohne  Urteil,  bei  Voltaire  nichts  Eigenes. 

Von  dem  Gang  durch  die  übrigen  Künste  können  wir  absehen.  Es 
fällt  auf,  daß  in  der  ganzen  Rede  Homers  Name  fehlt;  denn  Haller  hat 
ihn  sehr  gut  gekannt.  Homer  sei  sein  Roman  im  zwölften  Jahre  gewesen, 
schrieb  er  1772  an  Gemmingen.    Aber  von  früh  an  fesselte  ihn  Virgils 


Ilaller    Gottsched  393 

sich  gleich  bleibende  rhetorische  Erhabenheit  stärker.  An  Homer  ver- 
misste  er  die  Sittenlehre.  Jn  der  Ilias,  schrieb  er  1753  an  Bodmer,  fand 
er  fast  nur  den  Abschied  der  Andromache  und  die  Reden  des  in  den 
Tod  gehenden  Hektors  seiner  Bewunderung  würdig;  der  Charakter  des  ver- 
schlagenen, lügnerischen  und  grausamen  Odysseus  dagegen  wurde  ihm 
immer  mehr  zuwider.  Was  ihm  an  Homer  gefiel,  war  die  Abbildung  der 
uralten  Sitten  der  Menschen.  Er  vermisste  aber  an  ihm  einen  Geschmack 
für  das  Edle  und  sittlich  Gute,  ohne  den  ibm  nichts  Vergnügen  erwecken 
könne.  In  der  Ilias  sah  er  den  Sieg  der  Gewalttat,  in  der  Odyssee  den 
Triumph  der  List.  Daher  stellte  er,  als  Ossian  erschien,  diesen  im  ganzen 
über  Homer.  Ossians  Helden  seien  freigebiger,  bescheidener  und  gütiger 
als  Homers  nur  durch  ihre  Stärke  bervorragende  Räuber;  die  Seele  Os- 
sians unendlich  mehr  fühlend,  in  der  Liebe  unendlich  zärtlicher.  Trotz 
dieser  einseitigen  Bevorzugung  dessen,  was  ihm  für  moralisch  galt,  hat 
Haller  in  Göttingen  an  Heyne's  Homerstudien  lebhaftes  Interesse  ge- 
nommen, wie  aus  den  Arbeiten  des  letztem  mehrfach  hervorgeht. 

Hallers  Urteil  ist  subjektiv  und  selbständig.  Bei  seinem  Zeitgenossen 
Holberg  finden  wir  dagegen  den  Einfluß  des  Streites  der  Franzosen  um 
Homer,  wobei  er  keine  Partei  nimmt.  Schreibart  und  Geist  des  Dichters 
erregen  seine  Bewunderung,  aber  die  Vorteile,  die  Redner,  Staatsmänner 
und  Kriegsleute  bei  ihm  finden  sollen,  kann  er  nicht  herausfinden.  Er 
möchte  keinem  General  raten,  gleich  Hektor  mitten  in  der  Schlacht  das 
Heer  zu  verlassen  und  sich  nach  Hause  zu  begeben,  um  sein  Hauswesen 
zu  besorgen.  Ebenso  hat  Holberg  bei  Homer  niemals  die  ihm  zugeschrie- 
bene Kenntnis  aller  Künste  und  Wissenschaften  entdecken  können. 

Schon  vor  den  letztgenannten  Urteilen  hatte  die  französische  Kritik 
in  Deutschland  ihren  Einzug  gehalten.  In  Gottsched's  Critischer  Dicht- 
kunst 1730  herrscht  sie  ausschließlich.  Dem  Werke  ist  dasjenige  Buch 
vorangeschickt,  auf  dem  auch  die  französische  Kritik  im  Wesentlichen 
fußte,  des  Horaz  Ars  Poetica,  in  deutscher  Übersetzung  und  mit  Anmer- 
kungen versehen.  Daß  Gottsched's  Dichtkunst  ein  großes  und  eminent 
wichtiges  Werk  war,  der  Ausgangspunkt  für  die  ästhetischen  Studien 
in  Deutschland,  wird  niemand  bestreiten.  Gottsched  hat  sich  nicht  den 
Anschein  gegeben,  als  ob  er  Eigenes  und  Neues  brächte;  er  nennt  viel- 
mehr alle  Gewährsmänner,  denen  er  verpflichtet  ist. 

Über  den  Kampf,  der  kurz  vorher  in  Frankreich  zu  Ende  gegangen 
war,  ist  Gottsched  vollständig  unterrichtet,  und  er  weist  auch  auf  diesen 
Federkrieg  hin.  Aber  es  fällt  ihm  gar  nicht  ein,  entschieden  Partei  zu 
nehmen.   Im  ganzen  veranlasst  ihn  die  Autorität  des  Aristoteles,  für  das 


394  Deutschland  und  die  Schweiz 

Heldengedicht  als  unerreichtes  Muster  den  Homer  anzuerkennen.  Darüber, 
ob  Gottsched  Homer  griechisch  habe  lesen  können,  finde  ich  keine  direkte 
Angabe.  Braitmaier  sagt,  er  habe  so  wenig  Griechisch  verstanden,  daß  er 
Homer  französisch  habe  zitieren  müssen;  aber  indirekt  läßt  sich  Be- 
kanntschaft vielleicht  aus  seinen  Übersetzungsproben  und  besonders  auch 
aus  einem  dabei  begangenen  Fehler  schließen,  den  er  in  keiner  andern 
Übersetzung  vorgefunden  haben  kann;  es  müßte  denn  sein,  daß  er  sich  hier 
von  einem  andern  habe  helfen  lassen;  aber  in  der  ganzen  Critischen 
Dichtkunst  findet  sich  nicht  ein  einziger  selbständiger  Gedanke  über  den 
Dichter.  Die  ganze  Partie  über  das  Heldengedicht  ist  durch  die  moralische 
Auslegung  Le  Bossu's  beherrscht,  die  mehrmals  mit  mehr  oder  weniger 
Umständlichkeit  vorgetragen  wird.  Daneben  kommt  auch  Boileau  ge- 
legentlich zum  Wort.  Aber  mit  gleicher  Selbstverständlichkeit  wird  mit 
La  Motte  die  verächtliche  Zeichnung  der  Götter  und  Helden  getadelt;  hier 
hat  Gottsched  gar  nicht  gemerkt,  daß  La  Motte's  Auffassung  mit  der  von 
Le  Bossu  in  direktem  Widerspruch  steht.  Auf  die  Kritik  des  Achilleus- 
schildes  scheint  Terrasson  gewirkt  zu  haben.  Der  dogmatische  Teil  der 
Lehre  vom  Epos  schließt  sich  im  ganzen  an  Aristoteles  an,  den  Gott- 
sched in  der  Übersetzung  Dacier's  benutzte,  und  an  dessen  Auslegung 
durch  Le  Bossu. 

Wie  sehr  Gottscheds  Anschauungen  die  des  französischen  Klassizismus 
waren,  zeigt  sich  am  besten  an  der  Kritik,  die  er  in  den  Beyträgen  zur 
critischen  Historie  1734  dem  Heldengedicht  des  Wolf  Helmhart  von  Hoch- 
berg Der  hdbsburgisclie  Ottöbert  angedeihen  ließ.  Das  ungeheure  Opus, 
das  1664  erschienen  war,  verdiente  die  eingehende  und  fleißige  Arbeit 
Gottscheds  zwar  nicht;  aber  es  ist  immerhin  interessant,  wie  dieser  den 
klasszistischen  Maßstab  daran  anlegt.  Natürlich  konnte  der  Roman  in 
Versen,  wie  Gottsched  das  Gedicht  nennt,  den  aristotelischen  Ansprüchen 
nirgends  genügen;  dennoch  hat  ihm  Gottsched  etwas  Poetisches  nicht  ab- 
gesprochen. Hier  zeigte  sich  der  Kritiker  in  eigenster  Gestalt.  Er  gab  zu, 
daß  der  Poet  nicht  mit  Kenntnis  der  Regeln  geboren  werde,  meinte  aber, 
eine  Ahnung  davon  müsse  ihn  antreiben  sie  zu  erlernen;  sonst  werde  er 
es  zu  nichts  Ordentlichem  bringen,  wie  denn  die  poetischen  Einfälle 
Shakespeare's  seine  Unwissenheit  und  Übertretung  der  theatralischen 
Regeln  nicht  gut  machen  könnten. 

■  Von  Wichtigkeit  waren  Gottscheds  Bemühungen  für  eine  Überset- 
zung Homers.  Er  hatte  schon  1734  auf  Schaidenreißer  und  Spreng  auf- 
merksam gemacht  und  bei  diesem  zwar  die  Reime  nach  Hans  Sachsens 
Art  nicht  gebilligt,  die  Arbeit  aber,  „sonsten,  was  den  Verstand  anbe- 
triflPt,  noch  ziemlich"  gefunden.    1737  bespricht  er  eine  ihm  zugesandte 


Gottsched  395 

Übersetzung  des  ersten  Buches  der  Aeneis  in  reimlosen  achtfüßigen  Jam- 
ben. Der  Verfasser,  meint  Gottsched,  habe  geglaubt,  durch  das  lange 
Silbenmaß  den  Sinn  der  virgilischen  Verse  desto  leichter  von  Zeile  zu 
Zeile  ausdrücken  zu  können.  Aber  er  hält  es  nicht  für  die  größte  Tugend 
einer  guten  Übersetzung,  daß  sie  mit  dem  Original  gleich  viel  Zeilen  habe. 
Gegen  den  Versuch,  reimlose  Verse  zu  verwenden,  hat  er  nichts  vorzu- 
bringen, erinnert  aber  daran,  daß  dann  der  Vers  an  Reinheit,  Nachdruck 
und  Wohlklang  ersetzen  müsse,  was  ihm  an  den  Reimen  abgehe,  und 
dazu  gehöre  eine  große  Sprachfertigkeit,  ein  feiner  Geschmack  und  ein 
gutes  Ohr.  Die  Richtigkeit  der  Beobachtung  hätten  ihm  zahlreiche  Ita- 
liener und  Engländer  bezeugen  können.  Er  will  aber  selbst  zeigen,  daß 
es  auch  ohne  Reime  angehe  einen  angenehmen  Wohlklang  hervorzubringen 
und  gibt  die  Übersetzung  der  ersten  58  Verse  der  Ilias  in  erträglichen 
achtfüßigen  Trochäen. 

Im  nämlichen  Jahre  kommt  er  in  der  zweiten  Auflage  der  Critischen 
Dichtkunst  auf  die  Sache  zurück,  und  hier  gibt  er  nun  der  reimlosen 
Übersetzung  unbedingt  den  Vorzug,  da  das  Joch  der  Reime  die  Schwierig- 
keiten fast  unüberwindlich  mache.  Wenn  er  zwar  fortfährt,  die  Engländer 
köimten,  weil  sie  den  Reim  vermieden,  alle  alten  Schriftsteller  in  Versen 
ihrer  Sprache  lesen,  während  die  Franzosen  auf  die  Prosa  angewiesen 
seien,  so  täuscht  er  sich;  denn  die  meisten  englischen  Übersetzungen  zeigen 
den  Reim.  Die  Prosa,  sagt  Gottched,  raube  dem  Original  die  Hälfte 
seiner  Schönheit,  da  sie  nie  so  viel  Feuer,  Geist  und  Nachdruck  haben 
könne  wie  die  harmonische  Schreibart  der  Poeten.  Nun  sei  es  aber 
nützlich,  daß  auch  Unstudierten  und  Frauen  die  Alten  zugänglich  ge- 
macht würden,  und  deshalb  schlägt  er  vor,  die  Ilias  in  „alexandrinischen" 
reimlosen  Versen  zu  übersetzen.  Was  er  so  nennt,  ist  der  Hexameter, 
den  er  in  der  folgenden  Probe  von  zehn  Versen  gut  handhabt.  Dieses 
Maß  tritt  hier  zum  ersten  Mal  für  eine  deutsche  Homerübersetzung  auf. 

Wenn  von  Gottsched  für  eine  Neubelebung  des  Interesses  für  Homer 
wenig  geschah,  so  war  eine  solche  umsomehr  das  unbestrittene  Verdienst 
der  Zürcher  Bodmer  und  Breitinge r.  Der  große  Streit  zwischen  Leipzig 
und  Zürich,  der  die  neuere  Literaturgeschichte  einleitet,  ging  freilich  nicht 
um  Homer,  wie  die  Kämpfe  in  Frankreich.  Dafür  fehlte  es  zu  sehr  an 
einem  klaren  Gegensatz  in  der  Auffassung  des  alten  Dichters.  Gingen 
doch  die  Schweizer  ebensogut  wie  Gottsched  von  der  französischen  Kritik 
aus ;  und  wenn  sie  sich  gegen  Homers  Widersacher  energischer  auflehnten, 
als  er  mit  seiner  gleichzeitigen  Anerkennung  Le  Bossu's  und  La  Motte's 
überhaupt  gekonnt  hätte,  so  bildeten  diese  Fragen  doch  kein  Kampfobjekt. 
Wohl  aber  wurden  die  Schweizer  durch  den  stets  wachsenden  Einfluß  der 


396  Deutschland  und  die  Schweiz 

Engländer  zu  einer  immer  intensiveren  Beschäftigung  mit  Homer  geführt. 
Addison  und  Pope  eröffneten  ihnen  ein  Verständnis,  das  sie  aus  den  Fran- 
zosen niclit  gewinnen  konnten;  und  wenn  sie  in  der  poetischen  Theorie 
mehr  oder  weniger  in  den  französischen  Anschauungen  stecken  blieben,  so 
eröffneten  sie  dagegen  für  das  Verständnis  Homers,  Milton's,  Shakespeare's,, 
neue  Bahnen  und  wirkten  dadurch  kraftvoll  auf  die  kommenden  Zeiten 
ein.  Die  wichtigsten  ihrer  Werke  sind  Breitingers  Buch  Über  die  Gleich- 
nisse, Bodmers  Schrift  Vom  Wunderbaren  in  der  Poesie,  Breitingers 
Critische  Diclitlcunst,  alle  drei  1740  erschienen;  ilmen  reihte  sich  1741 
Bodmers  Schrift  IJber  die  poetischen  Gemälde  der  Dichter  an.  Überall 
sind  zahlreiche  Beispiele  für  die  ausgesprochenen  Gedanken  dem  Homer 
entnommen. 

Nun  hat  gerade  diese  Seite  von  Breitingers  Tätigkeit  während  der 
literarischen  Fehde  einen  sehr  heftigen  Angriff  erfahren.  In  den  Gottsched- 
schen  Beyträgen  1744  warf  ihm  ein  als  Kleon  unterzeichnender  Mitarbeiter 
vor,  er  habe  nicht  nur  Stellen  Homers  aus  M^'^Dacier  und  der  lateinischen 
Interpretation  des  Giphanius  statt  aus  dem  Original  übersetzt,  sondern 
auch  Anmerkungen  von  M'^^Dacier  in  schlechtem  Deutsch  als  die  seinigen 
gegeben.  Dafür  werden  Belege  beigebracht;  nicht  so  für  die  weitere  Be- 
hauptung, die  Schweizer  hätten  auch  an  Pope  und  Muratori  Plagiate  be- 
gangen. Das  zu  beweisen,  verhinderte  den  Verfasser  seine  Unkenntnis  des 
Englischen  und  Italienischen.  Diese  Vorwürfe,  die  von  den  neueren  Dar- 
stellern nicht  beachtet  zu  sein  scheinen,  wiegen  zu  schwer,  als  daß  sie  ein- 
fach registriert  werden  dürften.  Eine  Vergleichung  aller  von  Breitinger  in 
deutscher  Prosa  gegebenen  Homerstellen  ergab  mir,  daß  die  Behauptung,, 
er  habe  sich  an  das  Französische  der  M™®  Dacier  angelehnt,  in  weitem 
Umfang  richtig  ist.  Mit  der  Annahme  der  Benutzung  lateinischer  Über- 
setzungen scheint  mir  jedoch  Kleon  im  Unrecht  zu  sein.  Doch  urteilt 
auch  Bernays  von  Bodmers  viel  späterer  Homerübersetzung,  sie  verrate 
dem  Kundigen  vielfach  ihren  Ursprung  aus  dem  Lateinischen.  Es  muß 
aber  hervorgehoben  werden,  daß  diese  Wahrnehmungen  weder  bei  Bodmer 
noch  bei  Breitinger  überall  zutreffen.  Auch  letzterer  hat  eine  Reihe  von 
Stellen,  deren  Formung  sein  Eigentum  sind,  und  Bodmer  hat  die  lateinische 
Übersetzung  zwar  zu  Rate  gezogen,  aber  nicht  zugrunde  gelegt.  Die 
Sache  beleuchtet  in  vorzüglicher  Weise  den  schwierigen  Weg,  den  die 
Zürcher  zu  gehen  hatten,  um  sich  in  den  Besitz  des  originalen  Homers 
zu  setzen.  Die  Schulen  ihrer  Vaterstadt  waren  genau  so  schlecht  wie  die 
meisten  in  Deutschland.  Hilfsmittel  zum  privaten  Studium  gab  es  so  gut 
wie  keine;  so  mußten  sie  ihr  homerisches  Griechisch  mühsam  aus  den 
Übersetzungen  lernen.  Daß  dabei  ein  Mann  von  sprachlichem  Gefühl  wie 


Bodmer     Breitinger  397 

Breitinger  lieber  zu  dem  immerhin  anmutigen  Französisch  der  M™*  Dacier 
als  zu  den  stillosen  lateinischen  Versionen  griff,  ist  leicht  zu  verstehen, 
und  nicht  minder,  daß  er  bei  den  eigenen  Übersetzungsversuchen  von 
seiner  Lehrmeisterin  nicht  mehr  loskam. 

Der  andere  Vorwurf,  der  des  Plagiats,  ist  insofern  nicht  unbegründet, 
als  sowohl  Bodmer  als  Breitinger  sehr  oft  fremde  Schriftsteller  benutzen, 
ohne  sie  zu  nennen;  der  Umfang,  in  dem  dies  geschah,  ist  weder  Bächtold 
noch  Braitmaier  genügend  bekannt  gewesen.  Trotzdem  scheint  eine  Täu- 
schung nicht  beabsichtigt  gewesen  zu  sein.  Bodmer  hat  seiner  Schrift 
vom  Wunderbaren  die  Übersetzung  von  Addison's  Aufsätzen  über  Milton 
beigefügt  und  dadurch  seine  Quelle  sattsam  bezeichnet.  Breitinger  zitiert 
seine  Gewährsmänner  nicht  selten,  nur  nicht  konsequent,  so  daß  man  eher 
von  Nachlässigkeit  als  von  Plagiat  sprechen  darf.  Wir  werden  nur  ein 
Beispiel  finden,  wo  diese  harte  Bezeichnung  am  Platz  ist.  Sodann  haben 
sich  die  Schweizer  selten  damit  begnügt  das  fremde  Gut  zu  geben,  sondern 
das  übernommene  selbständig,  wenn  auch  nicht  immer  glücklich,  ausgebaut. 
Vor  allem  haben  sie  alles  das,  wovon  sie  sprachen,  selbst  und  gründlich 
angesehen,  auch  wo  sie  ihr  Urteil  fremdem  unterordneten.  Nicht  selten 
sind  sie  in  dem  Bestreben,  verschiedene  Auffassungen  zu  vereinigen,  in 
Wirmisse  geraten.  Aber  immer  sehen  wir  sie  bestrebt,  dem,  was  sie  als 
gut  erkennen,  den  Weg  zu  bahnen  und  neue  Ziele  zu  verfolgen. 

Daß  Bodmer  von  denen,  die  er  sonst  in  höchster  Verehrung  hielt, 
nicht  sklavisch  abhängig  war,  beweist  er  in  der  Abhandlung  Von  dem 
Wunderbaren  in  der  Poesie  und  dessen  Verbindung  mit  dem  Wahr- 
scheinlichen. Es  handelt  sich  um  die  Verteidigung  Milton' s,  den  er  1732 
zuerst  übersetzt  hatte,  gegen  die  Vorwürfe  Voltaire's  und  Magny's.  Er, 
für  den  sonst  Boileau's  Art  poetique  „kanonische  Geltung  hatte",  nimmt 
in  der  Frage,  ob  Engel  und  Teufel  in  das  Epos  eingeführt  werden 
dürfen,  entschieden  Stellung  gegen  seinen  Meister.  Diese  Gestalten,  sagt 
er,  sind  Gegenstände  des  christlichen  Glaubens  und  werden  uns  durch 
Milton  noch  vertrauter.  Aus  demselben  Grunde  hatte  Homer  seine  Helden 
so  eingehend  geschildert.  Will  man  sagen,  daß  Milton  darin  Homer  nach- 
geahmt habe,  so  ist  das  ein  Lob,  da  sich  Homer  nach  den  menschlichen 
Affekten  gerichtet  hat;  deshalb  erscheint  es  aber  zweifelhaft,  ob  der  eng- 
lische Poet  die  Natur  selbst  oder  das  Muster  derselben  in  dem  griechischen 
Poeten,  der  ihr  gefolgt,  nachgeahmt  habe.  Nachdrücklicher  wendet  sich 
Bodmer  gegen  die  Meinung,  als  habe  Milton  in  der  Verwendung  der 
Engel  Homer  nachgeahmt;  die  Engel  ständen  eben  doch  hoch  über  den 
grobirdischen  Göttern  der  Alten.  Die  griechischen  Dichter,  sagt  er,  sind 
freilich  zu  entschuldigen,  da  sie  nur  den  Aberglauben  der  Menge  wieder- 


398  Deutschland  und  die  Schweiz 

gegeben  haben.  Die  Aufnahme  der  heidnischen  Götter  in  ein  christliches 
Gedicht  kann  niemand  schaden;  ihre  Verdrängung  würde  die  ganze  Kennt- 
nis des  Altertums  auslöschen.  Sie  dürfen  aufgenommen  werden  als  ein 
Hirngespinst,  als  die  Geschichte  einer  der  Welten,  welche  die  Poeten  er- 
funden oder  doch  für  sich  in  Besitz  genommen  haben.  Fenelon  redet  doch 
im  ganzen  Telemaque  nach  den  Grundsätzen  der  heidnischen  Theologie. 
Nicht  nur  Boileau  tritt  hier  Bodmer  entgegen,  sondern  auch  Addison, 
der  bei  aller  Hochschätzung  Milton's  die  Benutzung  Homers  durch  ihn 
ruhig  zugegeben  hatte. 

Die  folgenden  drei  Werke  gehen  von  der  Yergleichung  der  Poesie 
mit  der  Malerei  aus,  wie  sie  Dubos  1719  neu  gefaßt  hatte.  Allerdings 
sind  die  Schweizer  auch  von  ihm  nicht  durchaus  abhängig.  Die  Haupt- 
sache ist  ihnen  in  der  Poesie  das  malerische  Moment,  nicht  die  Technik 
der  Erzählung;  das  Einzelbild,  nicht  die  Gesamtkomposition. 

Schon  vor  Bodmers  zuletzt  erwähntem  Buche  war  Breitingers 
Cri tische  Abhandlung  von  der  Natur,  den  Absichten  und  dem  Gebrauch 
der  Gleichnisse  erschienen,  für  die  Erläuterung  Homers  das  wichtigste 
deutsche  Buch  vor  Herder.  Breitinger  hatte  sich  ein  vollständiges  Ver- 
zeichnis der  homerischen  Gleichnisse  angelegt  und  die  Kommentare  von 
M™®  Dacier  und  Pope  sehr  eingehend  studiert.  Wie  diese  dem  Eustathios, 
Pope  hinwiederum  vielfach  M™®  Dacier  gefolgt  war,  so  schließt  sich 
Breitinger  oft  seinen  Vorgängern  an,  strebt  aber  kräftig  nach  einem 
eigenen  Standpunkt  und  geht  vielfach  weit  über  jene  hinaus. 

Das  Buch  ist  nicht  von  vornherein  leicht  zu  überblicken.  Zwar  ist 
es  in  ganz  klar  geschiedene  Kapitel  eingeteilt;  aber  das  Hauptinteresse 
des  Verfassers  wie  des  Lesers  ruht  auf  der  Besprechung  der  sehr  zahl- 
reichen Beispiele,  die  zu  einem  sehr  großen  Teile  Homer  entnommen  sind. 
Da  nun  bei  diesen  Beispielen  Bemerkungen  aller  Art  angebracht  werden 
konnten,  die  sich  nicht  notwendig  auf  das  Thema  des  einzelnen  Kapitels 
beschränkten,  so  erhält  das  Ganze  den  Charakter  des  Unübersichtlichen, 
der  dadurch  verstärkt  wird,  daß  wichtige  Fragen  durch  das  ganze 
Buch  hin  verstreut  und  nicht  im  Zusammenhange  behandelt  sind.  Dieser 
Grundcharakter  des  Werkes  erklärt  sich  sogleich,  sobald  man  entdeckt, 
daß  Breitinger  seinen  Plan  nach  La  Motte's  Discours  sur  Homere,  spe- 
ziell nach  dem  Kapitel  Des  Comparaisons  gestaltet  hat,  und  daß  alles 
in  diesen  Rahmen  hineingearbeitet  ist. 

La  Motte  hatte  damit  begonnen,  die  Verwendung  der  Gleichnisse  zu 
unterscheiden.  Sie  werden,  sagt  er,  gebraucht,  um  eine  lebhaftere  und  ge- 
nauere Idee  der  dargestellten  Gegenstände  zu  geben;  oder  um  deii  Geist 
durch  edle  und  angenehme  Bilder  zu  erheben  oder  zu  erfreuen;  oder  end- 


Breitinger  Gleichnisse  399 

Hell,  um  eine  zu  trockene  und  einförmige  Erzählung  zu  beleben  und  mannig- 
faltig zu  machen.  Diese  Einteilung  legt  Breitinger  zugrunde,  läßt  jedoch 
die  zweite  Art  der  Verwendung  fort  und  teilt  in  erleuchtende  und  aus- 
zierende Gleichnisse.  Dazu  fügt  er  die  nachdrücklichen,  auf  die  er  durch 
Pope  aufmerksam  geworden  ist.  Dieser  findet  nämlich,  Homer  habe  das 
Gleichnis  der  Odyssee  von  dem  ermüdeten,  nach  dem  Abendbrot  begierigen 
Landmann  so  eingehend  gestaltet,  um  es  nachdrücklicher  in  unserm  Ge- 
dächtnis haften  zu  lassen.  Endlich  bilden  für  Breitinger  auch  die  lehr- 
reichen Gleichnisse  eine  besondere  Art;  er  weist  sie  der  didaktischen 
Poesie  zu,  obwohl  jedes  Gleichnis,  wenn  auch  nur  zufällig,  Belehrung 
in  sich  habe. 

Wenn  sich  Breitinger  inbezug  auf  die  erleuchtenden  Gleichnisse  an 
La  Motte  anschließt,  so  ist  er  mit  dem  Vorwurf  gar  nicht  einverstanden, 
den  dieser  gegen  Homer  erhebt,  daß  er  deren  wenige  habe.  Er  gibt  eine 
ziemlich  große  Menge  Beispiele,  in  denen  er  allerdings,  wie  in  dem  Gleich- 
nis von  den  gefangenen  Fischen,  zahlreiche  erläuternde  Beziehungen  zur 
verglichenen  Handlung  findet,  an  die  der  Dichter  nicht  gedacht  haben 
kann. 

Breitinger  hatte  aber  das  richtige  Gefühl,  daß  sich  die  Gleichnisse 
nicht  so  nach  der  Schablone  scheiden  lassen,  und  spricht  daher  im  fünften 
Kapitel  von  der  Vereinigung  der  Absichten  in  einem  Gleichnis.  Man 
findet,  sagt  er,  bei  Homer  und  Virgil  nicht  wenige  ausführlich  ausein- 
andergesetzte Gleichnisse,  die  neben  dem,  was  notwendig  zu  der  Ver- 
gleichung  gehört,  und  worin  die  Dinge  einander  ähnlich  sind,  sich  über 
verschiedene  Punkte  weiter  ausbreiten.  Darauf  folgt  die  Übersetzung  der 
Stelle  aus  Addison's  Spectator,  nach  welcher  diese  Dichter  das  Gleichnis 
niemals  aufgeben,  bis  es  zu  einem  wichtigen  Gedanken  fortgestiegen  sei, 
der  oft  die  Sache,  die  dazu  Anlaß  gab,  nichts  angehe.  Die  Ähnlichkeit 
währe  oft  nur  eine  oder  zwei  Zeilen,  aber  der  Dichter  treibe  den  Einfall 
weiter,  bis  er  daraus  einen  herrlichen  Gedanken  abgeleitet  habe,  der  das 
Gemüt  des  Lesers  entzünde  und  das  der  heroischen  Poesie  gemäße  Ergötzen 
hervorrufe. 

Demselben  Addison  entnimmt  Breitinger  die  Stelle  Boileau's,  in  der 
dieser  gegen  Perrault  die  Gleichnisse  ä  la  longue  queue  verteidigt.  Schon 
Addison  hatte  sich  nicht  genügend  klar  gemacht,  daß  Boileau  nicht  das- 
selbe sagt  wie  er,  sondern  den  Ursprung  des  ausgeführten  Gleichnisses  in 
der  Absicht  sucht,  den  Leser  auf  anmutigen  Gegenständen  ausruhen  zu 
lassen,  besonders  auf  denen  der  ihm  bekannten  Natur.  Allerdings  hatte 
auch  Boileau  bestritten,  daß  das  Gleichnis  im  einzelnen  der  Handlung 
genau   entsprechen  müsse,   und  gesagt,   es  genüge  eine  allgemeine  Be- 


400  Deutschland  und  die  Schweiz 

Ziehung.  Aber  zu  Addison's  aus  Milton  gewonnener  Erkenntnis  vom 
selbständigen  Leben  des  Gleichnisses  war  er  nicht  fortgeschritten.  La 
Motte  hatte  gesagt,  es  sei  nicht  notwendig,  daß  die  Gleichnisse  den  dar- 
gestellten Gegenständen  vollständig  entsprechen.  Die  Phantasie  vermehre 
gern  selbst  die  unvollkommenen  Beziehungen,  nur  dürfe  man  sie  nicht 
zu  fühlbar  verwirren.  Homer  nehme  auf  die  Phantasie  nicht  die  ge- 
bührende Rücksicht.  Er  vermenge  die  Dinge,  die  er  vergleiche,  zu  sehr  mit 
widersprechenden  Umständen.  Es  genüge  ihm,  daß  sein  Gleichnis  in  einem 
Punkte  gleiche,  und  er  lasse  sich  ohne  Skrupel  gehen,  um  es  nach  den  Seiten 
zu  verfolgen,  die  zu  der  Handlung  keine  Beziehung  hätten.  La  Motte 
hatte  die  Natur  des  homerischen  Gleichnisses  richtig  erkannt,  aber  ge- 
tadelt. Diesen  Vorwurf  konnte  Breitinger  auf  seinem  Homer  nicht  sitzen 
lassen;  aber  er  vermochte  sich  zu  Addison's  Auffassung  nicht  zu  erheben, 
obwohl  er  sich  ihr  schon  in  den  früheren  und  wieder  in  späteren  Teilen 
des  Buches  mehrfach  genähert  hat. 

Dies  ist  zunächst  im  dritten  Kapitel  der  Fall,  wo  er  von  den  nach- 
drücklichen Gleichnissen  handelt.  Hier  betont  Breitinger  wiederholt,  daß 
im  heroischen  Gleichnis  nicht  Dinge  oder  Personen,  sondern  Handlungen 
und  Affekte  verglichen  werden.  Wenn  Virgil  die  Zerstörung  Trojas  mit 
dem  Fällen  einer  mächtigen  Eiche  vergleiche,  so  liege  die  Übereinstimmung 
in  der  ähnlichen  Handlung.  In  einer  Reihe  von  Gleichnissen  wolle  der 
Dichter  die  Stärke  eines  Affekts  bestimmen;  so  wenn  die  Freude  des 
Odysseus  über  die  nahe  Rettung  mit  der  von  Kindern  über  die  Genesung 
des  Vaters  verglichen  wird,  oder  die  Freude  der  Penelope  über  die  Heim- 
kehr des  Gatten  mit  dem  Gemütszustand  geretteter  Schiffer,  oder  die 
Tränen  des  Odysseus  mit  denen  der  Frau,  die  um  den  erschlagenen  Gatten 
klagt.  Hier  werde  nicht  etwa  Odysseus  mit  der  Frau,  sondern  seine  Emp- 
findung mit  der  ihrigen  nach  ihrer  wahren  Größe  verglichen  und  ab- 
gemessen. Das  ist  alles  gut  und  richtig.  Aber  Breitinger  fand  bei  Pope 
und  M™®  Dacier  Erklärungen  der  einzelnen  Züge  der  Gleichnisse,  die  ihm 
richtig  schienen.  Deshalb  nahm  er  sie  auf  und  ging  noch  darüber  hinaus. 
Die  geschilderten  Affekte  sollen  durch  alle  Einzelheiten  des  Gleichnisses 
erst  ins  rechte  Licht  gesetzt  worden  sein,  so  daß  es  oft  genug  auf  eine 
Vergleichung  aller  Partien  hinausläuft.  Breitinger  kann  sich  auch  nicht 
enthalten,  in  manchem  Gleichnis  eine  Lehre  versteckt  zu  finden.  Dann 
hatten  schon  Pope  nach  Eustathios  und  besonders  Spence  herausgefunden, 
die  Gleichnisse  seien  um  so  zutreffender  und  anmutiger,  je  mehr  Be- 
ziehungen sie  zur  dargestellten  Szene  hätten,  wie  z.  B.  im  Kampf  des 
Achilleus  mit  dem  Fluß  alle  Gleichnisse  dem  Wasser  entnommen  seien; 
so  fand  nun  Breitinger,  der  jede  ihm  gewordene  Anregung  weiter  führte, 


Breitinger  Gleichnisse  401 

auch  die  Verg-leichung  der  Freude  der  Penelope  mit  der  von  get-etteten 
Schiffern  um  so  richtiger,  als  das  Bild  vom  Meere  hergenommen  sei, 
das  dem  Odysseus  auf  seinen  Reisen  am  verhängnisvollsten  gewesen  war. 

Wir  werden  uns  deshalb  nicht  wundern,  wenn  in  der  Ausführung 
über  die  Vereinigung  der  Absichten  im  Gleichnis  auf  Addison  gar  keine 
Rücksicht  genommen  ist;  freilich  hätte  man  nicht  erwartet,  daß  Breitinger, 
gleich  nachdem  er  die  Stelle  aus  ihm  angeführt  hat,  genau  das  Gegen- 
teil davon  lehren  würde.  Das  schlimmste  Beispiel  ist  die  Vergleichung 
des  Falles  des  Simoeisios  mit  dem  einer  Pappel.  Pope  zitiert  zu  der 
Stelle  Hobbes,  der  in  dem  Gleichnis  nur  die  Absicht  sah  zu  zeigen,  wie 
schön  der  Tote  da  lag,  nicht  die  Art  des  Falles.  M™®  Dacier  fand,  die  Ver- 
gleichung mit  der  am  Wasser  wachsenden  Pappel  sei  gewählt,  weil  Simoeisios 
an  einem  Flusse  geboren  sei,  und  weil  die  Orientalen  die  Fürsten  gerne 
mit  Bäumen  verglichen.  Breitinger  aber  entdeckt  in  jedem  Zug,  in  jedem 
W^ort  des  Gleichnisses  eine  Beziehung  auf  die  Geschichte  des  Simoeisios, 
läßt  jenem  also  gar  nicht  das  selbständige  Leben,  das  Addison  gesehen 
hatte.  Im  zehnten  Kapitel  sagt  er  ausdrücklich,  der  Grundstein,  die  Seele 
und  das  Wesen  des  Gleichnisses  beruhe  unfehlbar  auf  dem  Tertium 
Comparationis,  auf  der  Eigenschaft  oder  Handlung,  nach  welcher  zwei 
Dinge  einander  ähnlich  seien,  zumal  sie  oft  nicht  das  geringste  mit  ein- 
ander gemein  hätten  als  diesen  Punkt  der  Vergleichung.  Wenn  er  diese 
allein  richtige  Auffassung  nirgends  festgehalten  hat,  so  lag  dies  vielleicht 
vornehmlich  daran,  daß  er  die  Frage  nicht  im  Zusammenhang  behandelt 
und  gründlich  durchdacht  hat.  So  verfiel  er  zu  sehr  dem  Einfluß  der 
ihm  vorliegenden  Kommentare,  zu  deren  Auffassung  ihn  wohl  auch  seine 
persönliche  Neigung  zog.  Denn  ohne  diese  wäre  er  nicht  so  oft  selb- 
ständig weiter  gegangen  als  M™®  Dacier  und  Pope,  und  hätte  nicht  dem 
Dichter  Gedanken  und  Absichten  unterlegt,  die  diesem  nie  eingefallen 
waren.  Bei  alledem  erfreut  die  herzliche  Wärme,  die  Breitinger  beseelt. 
Er  liebt  seinen  Dichter,  preist  den  glücklichen  Maler,  hebt  seine  Schön- 
heiten lebhaft  hervor  und  kanzelt  La  Motte  für  seine  Ausstellungen  ge- 
hörig ab.  Pope  hatte  ihn  sehen  gelehrt.  Er  freut  sich  des  neuen  Lichts 
und  ist  eifrig  bestrebt,  es  auch  andern  leuchten  zu  lassen. 

Zum  sechsten  Kapitel,  Von  dem  rechten  Ort  und  Sitz  der  Gleich- 
nisse, war  Breitinger  durch  einen  Tadel  La  Motte's  angeregt,  der  be- 
hauptet hatte,  das  Gleichnis  von  dem  Vogel,  der  sich  für  seine  Jungen 
aufopfert,  passe  nicht  in  den  Mund  des  erzürnten  Achilleus.  Überhaupt 
unterscheide  Homer  zu  wenig  zwischen  dem  Stil  seiner  eigenen  Erzählung 
und  dem  seiner  Personen;  jener  dürfe  eine  besondere  Sprache  haben, 
die  Personen   aber  müßten  ihrem  Charakter  und  der  Situation  gemäß 

Finaler:  Homer  in  der  Neuzeit.  26 


402  Deutschland  und  die  Schweiz 

sprechen.  Dasselbe  hatte  Gottsched  in  seiner  Kritik  des  Ottobert  ge- 
sagt; weitläufige  und  wohlausgeführte  Gleichnisse  paßten  nicht  in  den 
Mund  der  handelnden  Personen.  Pope  hatte  Homer  verteidigt,  besonders 
geschickt  mit  der  Bemerkung,  daß  an  dieser  Stelle  die  Leidenschaft  des 
Achilleus  noch  nicht  auf  ihrer  Höhe  angelangt  sei.  Spence  hatte  ge- 
sagt, im  Gespräch  sei  für  Metaphern  wenig  Raum,  jedenfalls  müßten  sie 
einfach  und  von  dem  Gegenstand  nicht  weit  entfernt  sein.  Breitinger 
stellt  nun  sämtliche  Stellen  zusammen,  wo  bei  Homer  Gleichnisse  in 
Reden  vorkommen.  Hier  geht  er,  wie  er  selbst  ausdrücklich  bemerkt, 
ohne  Vorbild  seinen  eigenen  Weg.  Er  findet,  die  bildliche  Rede  gehöre 
nicbt  zur  Sprache  der  Gemütsbewegung,  das  ausgeführte  Gleichnis  nämlich ; 
kurze  Vergleichungen  seien  überall  am  Platz.  In  Homers  Reden,  sagt 
er,  findet  sich  kaum  ein  Dutzend  Gleichnisse,  und  diese  sind  überall  richtig 
gesetzt,  nie  im  Momente  des  höchsten  Affekts,  sondern  entweder  im  Munde 
von  Personen,  die  in  ruhiger  Stimmung  sind,  oder  deren  Leidenschaft 
die  höchste  Höhe  noch  nicht  erreicht  oder  bereits  überschritten  hat.  Die 
Beobachtung  ist  vollkommen  richtig  und  hätte,  wenn  Breitinger  die  home- 
rische Technik  im  großen  hätte  überschauen  wollen,  leicht  auf  die  Stellung 
der  Gleichnisse  überhaupt  ausgedehnt  werden  können.  Von  dem  Maße 
und  der  Zahl  der  Gleichnisse  handelt  das  achte  Kapitel.  Das  Übermaß 
tadelt  Breitinger  bei  Hoffmannswaldau  und  Lohenstein.  An  Homer  hatte 
La  Motte  z.  B.  am  Ende  des  zweiten  Buches  der  Ilias  eine  zu  große  Häufung 
der  Gleichnisse  entdeckt,  die  nach  seiner  Meinung  durch  ihre  Länge  an- 
widere und  die  Handlung  unangenehm  unterbreche.  Die  Anklage  wider- 
legt Breitinger,  in  vielfacher  Anlehnung  an  M™®  Dacier  und  Pope,  durch 
den  sorgfältigen  Nachweis,  wie  passend,  ja  notwendig  in  jedem  einzelnen 
Fall  die  Häufung  von  Gleichnissen  sei.  Die  Einwendung  von  Saint- 
Evremond,  daß  uns  die  Gleichnisse  von  der  Haupthandlung  abzögen, 
sind  mit  den  Argumenten  bekämpft,  die  Pope  in  dem  Essay  über  Homers 
Schlachten  vorgebracht  hatte.  Aus  dem  nämlichen  Aufsatze  stammt, 
fast  wörtlich  übersetzt,  im  zehnten  Kapitel  die  Abwehr  gegen  die  Be- 
hauptung von  La  Motte  und  Saint-Evremond,  Homer  verwende  zu  oft 
die  nämlichen  Gegenstände.  Neu  ist  bei  Breitinger  nur  die  Einführung 
des  Begriffs  des  Tertium  Comparationis ,  auf  das  alles  ankomme.  Den 
Hauptgedanken,  daß,  auch  wenn  dieselben  Gegenstände  gewählt  sind, 
das  Gleichnis  sich  ändert,  sobald  die  Handlung  eine  andere  ist,  hat  er 
Pope  entlehnt. 

Weniger  Interesse  bieten  die  Erörterungen  über  die  Vergleichung 
großer  Dinge  mit  kleinen  und  umgekehrt,  und  Über  den  Wohlstand  der 
Gleichnisbilder,  d.  h.  die  dem  Homer  vorgeworfene  Niedrigkeit.    Es  ver- 


Breitinger  Gleichnisse  403 

dient  hervorgehoben  zu  werden,  daß  Breitinger  aer  erste  war,  der  in 
dem  Gleichnis  von  der  Mutter,  die  dem  Kinde  die  Fliege  abwehrt,  die 
Absicht  erkannte  zu  zeigen,  mit  welcher  Leichtigkeit  Athene  die  Gefahr 
von  Menelaos  abwendete. 

Überblickt  man  Breitingers  gesamte  Leistung,  so  wird  man  un- 
bedenklich sagen  dürfen,  daß  sie  etwas  Großartiges  an  sich  hat.  Die 
kritischen  Gedanken  der  Zeit,  wie  sie  sich  bei  La  Motte,  Saint-Evremond, 
Boileau,  M™®  Dacier,  Addison,  Pope,  Spence  finden,  sind  gesammelt  und, 
so  gut  es  möglich  war,  gesichtet.  Wenn  man,  was  bei  Breitingers  Art 
zu  zitieren  nicht  immer  ganz  leicht  war,  zu  jedem  Satz  die  Vorlage  ge- 
funden hat,  so  ergibt  sich  ein  klares  Bild  dessen,  was  ihm  die  Vor- 
gänger boten,  und  des  nicht  geringen  Fortschritts,  den  er  über  sie  hinaus 
getan  hat.  Breitinger  hat  sich  nicht  von  ihnen  losmachen  können;  aber 
er  hat  das  ganze  Material  vorgelegt  und  zum  Teil  richtig  beurteilt.  Be- 
sonders aber  hat  er  für  Deutschland  geleistet,  was  Addison  und  Pope 
für  England  taten:  er  hat  die  Angriffe  der  französischen  Kritik  auf  Ho- 
mer siegreich  zurückgewiesen  und  damit  dem  Verständnis  des  Dichters 
den  Weg  gebahnt. 

Noch  ein  sehr  wichtiger  Punkt  ist  hervorzuheben.  Im  neunten 
Kapitel,  Über  Neuheit  der  Gleichnisbilder,  erklärt  Breitinger,  er  betrachte 
Homer  als  einen  Originalgeist,  der  seine  Werke,  die  Muster  aller 
vergangenen  und  künftigen,  ohne  einen  Vorgänger  hervorgebracht  habe, 
und  schreibt  ihm  deshalb  die  Erfindung  aller  Gleichnisse  als  dem  ersten 
Urheber  zu.  Er  erkennt  zwar  nachher  die  Möglichkeit  von  Vorgängern 
Homers  an,  glaubt  aber  nicht  ernstlich  an  sie.  Die  wissenschaftliche 
Begründung  seiner  Ansicht  fand  er  in  dem  Essay  on  Homer,  den  Parnell 
zu  Pope's  Biad  beigesteuert  hatte,  wo  jedoch  der  Schluß  auf  das  Original- 
genie nicht  gezogen  ist.  Breitinger  ist  meines  W^issens  der  erste,  der 
in  Deutschland  dieses  Wort  ausgesprochen  hat.  Es  bedeutet  höchst  wahr- 
scheinlich eine  Polemik  gegen  Blackwell,  den  er  kannte,  wenn  er  so  stark 
betont,  daß  Homer  alles  sich  selbst  und  seiner  ungeheuren  Wißbegierde 
zu  verdanken  gehabt  habe.  Nicht  minder  offenkundig  ist  in  diesem 
Punkte  die  Abkehr  von  Dubos.  Von  dessen  Theorie  hat  der  Teil,  der 
vom  Genie  und  seinem  Wesen  handelt,  auf  Breitinger  stark  gewirkt, 
während  er  dessen  Lehre  vom  Milieu  abgelehnt  hat. 

Hatte  im  Buche  von  den  Gleichnissen  Homer  den  Mittelpunkt  ge- 
bildet, so  tritt  er  in  der  Critischen  Dichtkunst  1740  etwas  zurück,  immer- 
hin so,  daß  er  an  wichtigen  Punkten  stark  herangezogen  wird.  Brei- 
tinger entwickelt  zuerst  das  Wesen  und  den  Begriff  der  Poesie  in  engem 
Anschluß  an  Dubos.    Als  die  eigentliche  Aufgabe  der  Poesie  betrachtet 

26* 


404  Deutschland  und  die  Schweiz 

er  die  poetische  Malerei,  die  lebhafte,  herzbewegende  Schilderung.  Hier 
ist  ihm  Homer  ein  vorzüglicher  poetischer  Maler,  ein  Urteil,  für  das  er 
Cicero  und  besonders  die  Vorrede  Pope's  zur  Iliad  anführt.  Beiläufig  be- 
streitet er  das  Urteil  Longin's,  daß  in  der  Odyssee  ein.  Erkalten  des  ho- 
merischen Geistes  spürbar  sei,  mit  dem  Hinweis  auf  den  Unterschied  im 
Ton  der  Gedichte,  der  von  deren  verschiedenem  Stoff  herrühre.  An  einigen 
Beispielen,  einem  Gleichnis  vom  Löwen,  Hektors  Abschied,  dem  Beginn 
des  Wettrennens  zeigt  er,  welchen  Eindruck  Homers  anschauliche  Schil- 
derungen in  unserm  Gemüt  hervorzubringen  vermögen.  Das  letzte  Bei- 
spiel bringt  ihn  auf  die  Vergleichung  mit  Virgil:  Homer  ist  viel  aus- 
führlicher und  genauer  in  Ansetzung  derjenigen  Umstände,  welche  dazu 
dienen,  die  Sachen  sichtbar  vor  Augen  zu  führen  und  seinen  Gemälden 
viel  Bewegung,  Handlung  und  Leben  zu  verleihen.  Virgil  dagegen  ist  viel 
kürzer  und  sucht  seinen  Vorteil  in  Beiwörtern,  welche  die  Gestalten  und 
Beschaffenheiten  der  Dinge  erklären.  Auf  diese  Parallele  ist  Breitinger 
selbständig  gekommen.  Dagegen  entnimmt  er  gleich  nachher  der  Vor- 
rede Pope's  jene  denkwürdige  Vergleichung  beider  Dichter,  die  in  An 
lehnung  an  Addison  den  Unterschied  des  Naturdichters  vom  Kunstdichter 
feststellt  und  in  dem  Satze  gipfelt,  Homer  sei  der  größere  Genius,  Virgil 
der  bessere  Künstler.  Daß  auch  hier,  über  Pope  hinaus,  der  Originalcha- 
rakter der  homerischen  Poesie  hervorgehoben  wird,  ist  beachtenswert.  Ist 
nun  auch  solche  Erkenntnis  nur  zum  kleinen  Teil  Breitingers  Eigentum, 
so  war  es  doch  von  höchstem  Wert,  daß  sie  in  Deutschland  einmal  aus- 
gesprochen wurde.  Dreißig  Jahre  später  beherrschte  sie  alle  Gemüter. 
Bei  einem  so  weiten  Gesichtskreis,  wie  ihn  Breitinger  aus  Pope  ge- 
wonnen hatte,  setzt  es  einigermaßen  in  Verwunderung,  daß  er  noch  die 
epische  Fabel  mit  der  äsopischen  in  Parallele  setzen  konnte.  Es  geschieht 
dies  im  Zusammenhang  der  Erörterung  vom  Wunderbaren  und  Wahr- 
scheinlichen. Die  äsopische  Fabel  ist  ein  lehrreiches  Wunderbares  und 
will  auf  eine  verdeckte  und  angenehme  Weise  moralische  Wahrheiten 
vermitteln.  Den  Unterschied  zur  epischen  Fabel  sieht  Breitinger  nur  im 
Umfang.  Diese  ist  in  ihrem  Grundriß  und  ersten  Entwurf  von  einer  äso- 
pischen Fabel,  in  welcher  Menschen  handelnd  auftreten,  nicht  wesentlich 
verschieden.  Nur  hat  die  epische  Fabel  zur  Hauptabsicht  eine  große 
und  wichtige,  meistens  politische  Wahrheit,  an  deren  Beobachtung  nicht 
nur  die  Wohlfahrt  einzelner  Menschen,  sondern  das  Heil  ganzer  Völker 
hängt.  Daher  müssen  die  Hauptpersonen  berühmte  Helden  von  hohem 
Gemüt  und  Charakter  und  muß  die  Handlung,  der  symbolischen  Ab- 
sicht gemäß,  groß  imd  wichtig  sein.  Sie  muß  sich  durch  mancherlei 
unvermutete  Zufälle  und  Verwirrungen  nach  und  nach  entwickeln,  und. 


Breitinger     Bodmer  405 

es  wird  in  ihr  durch  die  Dazwischenkunft  und  den  Beistand  der  Götter 
die  Würde  der  menschlichen  Personen  nicht  wenig  gehoben. 

Das  ist  die  Auffassung  des  Epos,  die  sich  von  Aristoteles  und  Horaz 
her  bei  den  Franzosen  ausgebildet  hatte.  Bei  der  Heranziehung  der  äso- 
pischen Fabel  denken  wir  natürlich  an  Le  Bossu.  Aber  dieser  ist  nicht 
genannt,  die  von  ihm  entdeckte  Moral  der  Ilias  und  Odyssee  nicht  vor- 
geführt, und  Breitinger  sagt  überhaupt  nicht,  worin  die  Lehre  dieser 
Epen  bestehen  soll.  Bei  Gottsched  hätte  er  das  finden  können,  und  auch 
die  Engländer  hielten  ja  an  Le  Bossu's  Weisheit  fest.  Statt  dessen 
zitiert  er  nur  La  Motte,  der  in  seinem  Discours  Sur  la  Fahle  die  Fabel 
ein  kleines  episches  Gedicht  genannt  hatte,  das  sich  vom  großen  nur 
durch  den  Umfang  unterscheide. 

Wo  in  der  Cri tischen  Dichtkunst  sonst  noch  von  Homer  die  Rede 
ist,  sind  es  wesentlich  Verteidigungen  gegen  die  Angriffe  von  Perrault 
und  La  Motte,  die  mit  den  Argumenten  von  Boileau,  der  beiden  Dacier 
und  Pope  widerlegt  werden.  Es  ist  in  diesen  Stellen  ein  steigender  Wider- 
wille gegen  jene  Kritiker  wahrzunehmen.  La  Motte  scheint  ihm  durch 
seine  Homerübersetzung  die  stärkste  Probe  von  der  Unrichtigkeit  seiner 
Vorwürfe  gegen  Homer  gegeben  zu  haben,  denn  in  ihr  sei  die  Ilias 
zu  einem  Schattenbild  geworden,  das  nicht  mehr  Anmut  habe,  als  ein 
neben  den  Leib  gestellter  Schatten. 

Das  letzte  Hauptwerk  der  Schweizer  sind  Bodmers  Critische  Be- 
trachtungen über  die  poetischen  Gemälde  der  Dichter  1741,  eine  erweiterte 
Umarbeitung  der  1727  erschienenen  Schrift  Von  dem  Einfluß  und  Ge- 
hrauche der  Einhildungshraft.  An  der  Arbeit  war  Breitinger  stark  be- 
teiligt. Das  poetische  Gemälde  wird  als  eine  kunstvolle  Nachahmung  der 
Natur  definiert,  durch  welche  der  Phantasie  eben  so  lebhafte  Bilder  vor- 
geführt werden,  als  die  Natur  sie  bietet.  Einen  besonderen  Wert  legt 
die  Schrift  auf  die  Gemälde  des  menschlichen  Gemüts,  d.  h.  die  Schilde- 
rung der  Affekte.  Homer  ist  hier  nur  gelegentlich  herangezogen,  aber 
einige  Stellen  haben  für  die  Auffassung  von  ihm  Wichtigkeit.  Zu  be- 
merken ist  vor  allem,  daß  er  als  Meister  in  der  Kunst  gilt,  die  Phantasie 
zu  bereichem;  denn  er  habe  alle  Geheimnisse  der  Natur  und  der  Kunst 
in  so  hohem  Grade  besessen,  daß  er  allen  Späteren  Muster  wurde;  man 
habe  aber  zugleich  angemerkt,  daß  er  diese  große  Wissenschaft  auf  weit- 
läufigen Reisen  gesammelt  habe.  Darin  ist  wohl  eine  Anerkennung 
Blackwell's  zu  erblicken. 

Sehr  wichtig  ist  die  Forderung,  daß  die  Beschreibung  nicht  Selbst- 
zweck sein  dürfe.  Bodmer  knüpft  an  die  der  Nausikaa-Episode  nach- 
geahmte Szene  in  Posteis  Wittekind  an.    Fatima's  Zimmer  ist  dort  mit 


406  Deutschland  und  die  Schweiz 

Teppichen  von  gewirkten  historischen  Bildern  umhangen,  deren  Inhalt 
der  Poet  weitläufig  erzählt.  Diese  Erzählung,  sagt  Bodmer,  ist  an  dem 
Orte,  wo  sie  steht,  ganz  überflüssig,  da  sie  mit  der  Handlung  in  keiner 
Verbindung  steht.  Homer  hat  sich  wohl  gehütet,  in  der  Geschichte  der 
Nausikaa  die  Aufmerksamkeit  des  Lesers  durch  eine  solche  Abschweifung 
von  der  Materie  abzuziehen.  Die  Stelle  ist  Bodmer  zwar  erwünscht,  um 
an  einem  deutschen  Gedicht  die  sinnliche  Kraft  der  Malerei  mit  der  ebenso 
lebhaften  Stärke  der  schildernden  Phantasie  zu  vergleichen;  aber  es  ist 
wichtig  sich  klar  zu  machen,  wie  energisch  Bodmer  gegen  die  Schilderungs- 
sucht des  Marinismus  Stellung  nimmt.  Doch  geht  er  nicht  so  weit  wie 
Lessings  Laokoon.  Die  Schilderung  gilt  ihm  für  erlaubt,  wenn  sie  mit 
der  Handlung  in  Verbindung  steht,  und  damit  deckt  er  sich  durchaus 
mit  Homers  Praxis. 

In  der  Partie  über  das  Angemessene  verlangt  Bodmer,  der  Dichter 
müsse  sich  mit  den  Zeiten,  aus  denen  er  seine  Personen  nimmt,  bekannt 
machen.  Homer  könne  man  also  für  seine  Charaktere  und  Sitten  nicht 
tadeln,  höchstens  seine  Zeit.  Auch  hier  finden  wir  einen  wesentlichen 
Fortschritt  über  die  Apologetik  von  M""®  Dacier  hinaus.  Nicht  eine  Ent- 
schuldigung sollen  die  rohen  Zeiten  füT  Homer  bilden;  ihre  Darstellung 
wird  vielmehr  gefordert.  Übrigens  findet  Bodmer  Homers  Zeit  nicht 
bäurisch,  sondern  eher  unschuldig  und  einfältig.  Man  solle  an  diesen 
Helden  nur  die  Klugheit,  die  Billigkeit,  die  Gastfreiheit  beachten.  Es 
sei  mit  der  Beurteilung  Dante's  dieselbe  Sache.  Später  kommt  er,  in 
der  Besprechung  der  Modernes,  auf  die  Sache  zurück.  Vernunft,  Ver- 
stand und  Billigkeit,  sagt  er,  erfordern,  daß  man  von  einem  Dichter  keine 
anderen  Gemälde  erwarte  als  die  seiner  Zeit  und  seines  Landes,  und 
daß  sich  der  Leser  in  diese  Zeiten  versenke.  Die  alten  Dichter  hätten 
eben  die  prophetische  Gabe  nicht  gehabt,  die  Gemütsart  und  die  Ge 
danken  der  folgenden  Zeiten  vorauszusehen. 

An  eine  berühmte  Stelle  des  Laokoon  erinnern  zwei  Wahrnehmungen 
Bodmers.  Er  sagt,  in  dem  materialischen  Reiche  habe  der  Gesang  für 
die  Ohren  ebensoviel  Annehmlichkeit,  als  die  Farbe  für  die  Augen.  Ein 
Beispiel  biete  Demodokos,  der  wohl  eher  für  einen  trefflichen  Poeten  als 
für  einen  Virtuosen  zu  halten  sei.  Beide  Male,  wo  er  auftrete,  beschreibe 
Homer  neben  einem  allgemeinen  Lobe  seine  Geschicklichkeit  nach  der 
Wirkung,  die  sie  auf  die  Zuhörenden,  vornehmlich  auf  Odysseus,  gehabt 
habe.  Ebenso  habe  Homer  den  Tanz  der  Phäaken  nicht  eingehend  ge- 
schildert, sondern  ihre  Geschicklichkeit  darin  nach  der  Wirkung  auf 
Odysseus  gezeichnet,  dem  zu  Ehren  der  Ball  angestellt  worden  war.  Es 
ist  mir  wahrscheinlich,  daß  Bodmer  hier  von  Spence  angeregt  war. 


Bodmer  407 

Die  Frage  nacli  dem  Verhältnis  Virgils  zu  Homer  erörtert  Bodmer 
an  der  Vergleicliimg  der  Seestürme  des  fünften  Buches  der  Odyssee  und 
des  ersten  der  Aeneis.  Er  findet  beide  Schilderungen,  den  Voraus- 
setzungen gemäß,  vortrefflich.  Virgil  hat  die  meisten  Umstände  aus 
Homer  entlehnt,  aber  anders  verbunden,  und  das  gereicht  ihm  zum  Lobe; 
dagegen  scheinen  Bodmer  seine  Zusätze  überflüssig  oder  gesucht.  In  der 
Vergleichung  der  Stürme  des  zwölften  Buches  der  Odyssee  und  des 
dritten  der  Aeneis  nennt  er  Virgil  einen  sehr  geschickten  Übersetzer; 
er  rechtfertige  das  Urteil  des  Macrobius,  nach  welchem  Virgil  Homers 
Verse  so  in  sein  eigenes  Werk  übertragen  habe,  daß  man  sie  für  die 
seinigen  halten  müsse. 

Die  Vergleichung  des  Zorns  des  Agamenmon  und  des  Mezentius 
führt  Bodmer  auf  den  Unterschied  der  Sittenlehrer  von  den  Dichtem,  über 
den  er  sich  in  einer  merkwürdig  freien  Weise  ausspricht.  Jene,  sagt  er, 
schildern  die  schlimmen  Affekte,  um  uns  einen  Abscheu  vor  dem  Laster 
beizubringen;  diese  wollen  sie  uns  nur  lebhaft  vor  Augen  führen.  Und 
wie  uns  der  wahre  Anblick  eines  Menschen  im  Affekt  in  einen  gleichen 
Affekt  setzt  und  uns  seine  Partei  ergreifen  läßt,  so  tut  das  auch  die  geschickte 
Schilderung  nach  dem  Leben  und  der  Natur.  Mithin  gilt  es  dem  poeti- 
schen Maler  als  solchem  gleich  viel,  ob  die  Geberden  und  Gesichter,  die 
er  abmalt,  von  der  Tugend  oder  dem  Laster  herrühren,  ob  sie  anmutig 
oder  häßlich  seien.  Nur  gibt  Bodmer  zu,  die  Dichter  könnten,  bei  eigenen 
moralischen  Absichten,  ihre  Gemälde  zu  vortrefflichen  Sittenlehren  machen. 

Es  könnte  nach  dieser  Äußerung  befremden,  daß  Bodmer  zehn  Jahre 
später  sehr  entschieden  von  dem  moralischen  und  politischen  Charakter 
der  Odyssee  spricht.  Dies  geschieht  in  dem  Brief  über  Homers  lustige 
Stücke  1750,  der  im  Archiv  der  schweizerischen  Kritik  abgedruckt  ist. 
Bodmer  verteidigt  Homer  gegen  allerlei  nicht  neue  Angriffe  junger  Leute 
mit  Argumenten,  die  ebensowenig  neu  sind.  Nach  den  Darlegungen  in 
den  Poetischen  Gemälden  könnte  der  kleine  Aufsatz  mit  der  Verteidigung 
homerischer  Charaktere  und  Sitten  höchst  zwecklos  erscheinen,  wenn 
eben  nicht  die  Hervorhebung  der  Odyssee  als  eines  moralischen  Werkes 
da  wäre.  Den  Gedanken  und  den  daraus  gezogenen  Schluß,  die  Odyssee 
könne  nicht  so  farbenprächtig  sein  wie  die  Ilias,  fand  Bodmer  in  Spence's 
Essay  on  Fopes  Odyssey,  der  1737  in  zweiter  Auflage  erschienen  war^ 
und  den  schon  Breitinger  gelegentlich  benutzt  hatte.  Er  hat  offenbar 
auf  Bodmer  stark  gewirkt,  denn  er  beherrscht  fast  sämtliche  Aufsätze  des 
Archivs.  Genannt  wird  er  aber  nirgends.  Das  ist  wohl  der  Grund,  warum 
der  folgende  Aufsatz  des  Archivs  Mastigophel  über  Homers  Sprache 
1751  ganz  falsch  aufgefaßt  worden  ist. 


408  Deutschland  und  die  Schweiz 

Homer,  sagt  Mastigophel,  ist  ein  großer  Meister  im  Erdichten,  steht 
aber  in  poetischen  Redensarten  weit  hinter  unsern  guten  Poeten  zurück. 
Was  man  bei  ihm  Poetisches  findet,  sind  Vorzüge  der  Sprache  viel  mehr 
als  des  Dichters,  der,  wenn  man  von  den  sprachlichen  Hilfsmitteln  ab- 
sieht, insgemein  gute  Prosa  schreibt.  Das  wird  sofort  klar,  wenn  man 
z.B.  den  Anfang  der  Odyssee  in  Prosa  übersetzt;  diese  prosaische  Sprache 
würde  auch  im  Hexameter  nicht  poetischer  werden.  Pope,  der  Homers 
Schreibart  über  die  Prosa  zu  erheben  trachtete,  ist  darin  meist  sehr 
glücklich  gewesen,  hat  aber  nicht  verhüten  können,  daß  sich  aus  Homers 
Schreibart  einige  hundert  prosaische  Verse  in  seine  Übersetzung  ein- 
geschlichen haben.  Zum  Beweise  gibt  Mastigophel  die  Probe  einer  pro- 
saischen Übersetzung  der  Pope'schen  Odyssee.  Er  macht  dann  einen  Vor- 
schlag, wie  man  über  Pope  hinaus  zu  einem  wirklich  poetischen  Homer 
gelangen  könnte.  Er  ist  von  der  Aussicht  ganz  begeistert,  in  wahrhaft 
poetischer  Sprache  die  prosaische  Odyssee  des  blinden  Griechen  wieder- 
zugeben. Wenn  man  sieht,  daß  jene  Probe  im  Stile  des  von  Bodmer 
zeitlebens  bekämpften  Marinismus  gehalten  ist,  so  versteht  man  nicht, 
wie  jemand  die  ironische  Absicht  verkennen  konnte.  Der  ganze  Aufsatz 
geht  gegen  Spence  und  seine  Überschätzung  Pope's.  Spence  hatte  durch 
seine  Nachweise,  wie  oft  Pope  den  Homer  verschönert  und  erhoben 
habe,  selbst  der  Kritik  die  Waffen  geliefert.  Ganz  gleich  ironisch  ist 
es,  wenn  Mastigophel  hofft,  man  werde  nichts  gegen  das  Lob  der  Verehrer 
Pope's  einzuwenden  haben,  daß  er  zu  Homer  etliche  kurze  Züge  hinzu- 
getan habe. 

Nicht  unter  der  Maske  der  Ironie,  sondern  direkt  bekämpft  Bodmer 
die  Behauptung  von  Spence,  daß  die  Worte  des  Zeus,  Here  würde  ihren 
Zorn  gegen  Troja  erst  besänftigen,  wenn  sie  Priamos  und  deren  Söhne 
roh  verschlingen  könnte,  erst  durch  Pope  in  einer  des  Zeus  würdigen 
Weise  wiedergegeben  seien.  Spence  hatte  zwar  nicht  direkt  den  Homer 
der  Plattheit  beschuldigt,  sondern  nur  seine  früheren  Übersetzer.  Da 
aber  diese  Homers  Worte  genau  wiedergaben,  so  fällt  der  Tadel  auf  den 
Dichter  zurück.  Sehr  fein  gibt  Bodmer  den  Kritikern  zu  bedenken,  daß 
unsern  Nachkommen  auch  der  artige  Pope  die  nämlichen  Angriffspunkte 
bieten  und  man  alsdann  auch  seine  Plattheiten  zu  erheben  gezwungen 
sein  werde;  denn  man  könne  nicht  wissen,  zu  welchem  Gipfel  der  Delikatesse 
die  Menschheit  sich  noch  aufschwingen  werde.  Er  hält  es  für  das  allein 
Richtige,  daß  sich  der  Übersetzer  ganz  in  Homers  Denkart,  seine  Charaktere, 
Sitten  und  Personen  versenke,  da  noch  genug  Schönes  und  Erhabenes 
übrig  bleibe,  das  den  Ekel  gegen  Roheiten  seines  Zeitalters  nicht  über- 
hand nehmen  lasse. 


Bodmer     Sulzer  409 

Es  wäre  besser  gewesen,  Bodmer  hätte  sicli  seinen  Gegner  mit  dessen 
Namen  gehörig  vorgenommen,  in  der  Weise  Lessings,  statt  gegen  einen 
Schatten  zu  polemisieren.  Er  hätte  ihm  dann  auch  da,  wo  er  ihm  An- 
regungen verdankt,  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen  können.  Denn  das 
war  reichlich  der  Fall.  Die  ganze  Schrift  An  Chaereas  von  vermischten 
Schönheiten  1751  ist  eine  Zusammenstellung  der  vielen  feinen  Beobach- 
tungen Spence's  über  Homer,  zu  denen  Bodmer  auch  nicht  einen  einzigen 
Gedanken  beigesteuert  hat.  Er  beginnt  mit  dem  Satz:  „Jener  hat  recht 
gesagt,  der  schöngte  Weg,  einen  Scribenten  zu  loben,  sei  der,  daß  man 
hie  und  da  einige  Fehler  an  ihm  aussetze."  „Jener"  ist  Spence,  der  dann 
vollständig  ausgeplündert  wird.  Der  von  Kleon  erhobene  Vorwurf  des 
Plagiats  trifft  hier  in  vollem  Umfang  zu. 

Auch  zu  dichterischen  Versuchen  wurde  Bodmer  später  durch  Homer 
begeistert.  Sein  Trauerspiel  Patroclus  1772  ist  eine  Dialogisierung  der 
Ereignisse  der  Patroklie  mit  strenger  Beobachtung  der  drei  Einheiten. 
Der  dichterische  Wert  ist  nicht  groß,  doch  sieht  man,  wie  sehr  dem 
Verfasser  jede  Einzelheit  der  Ilias  zugebote  steht.  Ganz  anmutig  ist  der 
Hymnus,  den  Diomede  und  Iphis  auf  Achilleus  und  Patroklos  singen,  und 
che  Anordnung  des  Stoffes  ist  geschickt. 

Das  Gedicht  Telemach  1774  ist  die  in  eine  Rahmenerzählung 
eingelegte  Rekapitulation  der  Phäakenepisode  in  Hexametern.  Nausikaa 
wandelt,  in  Erinnerung  an  Odysseus  versenkt,  an  den  Ort,  wo  sie  ihm 
begegnet  ist,  und  findet  da  den  Telemachos,  der  auf  der  Suche  nach 
dem  Vater  auch  nach  Scheria  gelangt  war.  Er  erzählt  ihr  seine  Fahrt 
zu  Menelaos,  sie  antwortet  mit  dem  Bericht  über  den  Besuch  des  Odysseus. 

An  die  Zürcher  schließe  ich  Johann  Georg  Sulzer  an,  der  sich 
in  seiner  Allgemeinen  Theorie  der  Schönen  Künste  1771  auch  über  das 
Epos  ausspricht.  Im  Artikel  Held  polemisiert  er  wesentlich  gegen  Shaftes- 
bury,  der  einen  vollkommen  tugendhaften  epischen  oder  tragischen  Helden 
nicht  anerkennen  wollte.  Sulzer  findet  nur,  es  sei  unendlich  schwerer 
einen  solchen  interessant  zu  machen  als  einen  durch  heftige  Leidenschaften 
aufgebrachten.  Das  Epos  sucht  er  aus  seiner  Entstehung  zu  erklären. 
Er  macht  es  Aristoteles  und  überhaupt  der  Kritik  zum  Vorwurf,  daß  sie 
Homers  Gedichte  zu  Mustern  einsetzten,  ohne  zu  bedenken,  was  darin 
notwendig  und  natürlich,  und  was  zufällig  sei,  so  daß  dieser  Teil  der 
Poetik  mit  willkürlichen  oder  falschen  Regeln  und  Vorschriften  überhäuft 
wurde.  Er  unterscheidet  also  zwischen  den  natürlichen  Grundlagen  des 
Epos  und  dessen  künstlerischer  Ausbildung  und  findet  jene  in  dem  Trieb, 
große  Begebenheiten  darzustellen.  Solche  wurden  bei  rohen  Völkern  durch 
alljährliche  Feste  gefeiert,  bei  denen  die  heimischen  Heldentaten  zuerst 


410  Deutschland  und  die  Schweiz 

durch  die  Helden  selbst  oder  Augenzeugen,  später  durch  Leute  von  leb- 
hafter Phantasie  erzählt  wurden.  Aus  diesen  bildete  sich  der  Stand  der 
Barden.  Die  Erzählung  war  durch  Musik  begleitet,  wodurch  das  metrische 
Element  hinzutrat.  Der  Barde  sang  nur  eine  einzige  Begebenheit,  die 
kurz,  einheitlich  und  unter  starker  Hervorhebung  des  Helden  vorgetragen 
wurde.  Dieser  Versuch,  für  die  Entstehung  des  Epos  die  Sitten  wilder 
Völker  heranzuziehen,  ist  etwas  ganz  Neues.  Man  könnte  an  Benützung 
von  Brown  denken,  aber  dann  wäre  nicht  recht  verständlich,  warum  Sulzer 
dessen  schöne  Überleitung  von  einem  solchen  Festvortrag  zum  großen 
Gedicht  unbeachtet  gelassen  hätte.  Bei  ihm  geraten  wir  durch  einen  Sprung 
in  das  vollkommene  Epos  hinein.  Die  Einheit  der  Handlung  wird,  nach- 
dem sie  historisch  motiviert  ist,  auch  theoretisch  als  dringend  notwendig 
erwiesen.  Einfach  müsse  ferner  die  Handlung  sein,  weil  dadurch  der  Dichter 
für  eine  breite  Darstellung  des  Wesentlichen  Raum  gewinne.  Daher  setzt 
Sulzer  die  Ilias  über  die  Aeneis,  mit  einer  überraschenden  Begründung. 
Die  Aeneis,  sagt  er,  beschäftigt  nämlich  die  Einbildungskraft  weit  mehr 
als  den  Verstand  und  das  Herz,  und  der  Dichter  hatte  so  viel  weniger 
Zeit  und  Kraft  Menschen  zu  schildern,  je  mehr  Arbeit  er  auf  solche 
Schilderungen  anwenden  mußte,  die  bloß  die  Phantasie  erregen.  Nach 
Sulzer  besteht  nämlich  die  Absicht  des  Epos  darin,  den  Gemütern  große 
Empfindungen  einzuflößen  und  die  Hörer  zu  großen  Menschen  zu  machen, 
und  diese  Absicht  wird  durch  zu  lebhafte  Erregung  der  Phantasie  ge- 
fährdet. Er  merkt  aber,  daß  man  darin  einen  Tadel  der  Odyssee  finden 
könnte,  und  verteidigt  deren  Mannigfaltigkeit  an  sinnlich  wirksamen 
Szenen  damit,  daß  der  Dichter  nur  einen  Menschen  zu  schildern  hatte, 
den  er,  um  dessen  Charakter  ganz  zu  entfalten,  durch  mancherlei  Abenteuer 
hin  durchführen  mußte. 

Von  Bedeutung  ist,  daß  Sulzer  die  Theorie  Le  Bossu's  ablehnt.  Das 
epische  Gedicht  müsse  nicht  durch  die  Begebenheiten  und  den  Erfolg 
der  Dinge  lehrreich  sein;  diese  Art  des  Lehrreichen  biete  die  Geschichte. 
Wenn  man  die  Ilias  in  eine  bloße  Erzählung  verwandle,  so  könnte  sie 
wohl  einige  kalte  Lehren  enthalten.  Die  wahre  sittliche  Kraft  der  Ilias 
liege  in  den  Handlungen  und  der  Sinnesart  der  Personen,  deren  Grund- 
sätze dadurch  erkannt  würden,  und  an  denen  man  sich  im  Guten  und 
Schlimmen  ein  Beispiel  nehmen  könne.  Auf  den  Stoff  des  Epos  kommt 
Sulzer  wenig  an.  Wenn  es  einst  kriegerisch  war,  so  ging  schon  die  Odyssee 
davon  ab,  so  daß  also  dem  epischen  Dichter  mannigfache  Stoffe  zur 
Verfügung  stehen.  Auch  auf  kleinere  Gegenstände  kann  der  epische  Stil 
angewendet  werden,  wie  des  Musaios  Gedicht  Hero  und  Leander  oder  aus 
der  neueren  Zeit  Bodmers  Jakob  beweisen.    Von  schöner  freier  Denkart 


Sulzer     Studium  des  Griecliischen  411 

zeugt  es,  daß  Sulzer  neben  Homer  und  Yirgil  zu  den  seltenen  großen 
Epikern  Milton  und  Klopstock,  Tasso,  Dante  und  Ariost,  auch  Bodmer 
zählt.  Vieles  andere  geht  nicht  über  die  landläufigen  Theorien  hinaus. 
Wir  sehen  einen  Mann  vor  uns,  der  sich  von  ihnen  noch  nicht  frei  ge- 
macht hat,  aber  über  sie  hinausstrebt  und  selbständig  zu  werden  sucht. 
Gottsched  wie  den  Zürchern  gegenüber  bedeutet  Sulzers  Auffassung  des 
Epos   einen  unleugbaren  Fortschritt. 

Den  großen  Aufschwung,  den  die  Kenntnis  des  Altertums  und  be- 
sonders Homers  in  der  nächsten  Zeit  nahm,  bereiteten  die  energischen 
Bemühungen  um  eine  Verbesserung  des  Unterrichts  imGriechischen 
vor.  Die  Wendung  ist  auch  in  Frankreich  und  Italien  zu  verspüren; 
England  steht  bereits  seit  Anfang  des  Jahrhunderts  auf  der  Höhe.  Für 
Deutschland  wurde  es  von  besonderer  Bedeutung,  daß  die  griechischen 
Studien  in  den  Niederlanden  neu  aufblühten.  Hier  war  zwar  die 
philologische  Wissenschaft  nie  erloschen,  aber  sie  hatte  sich  während 
des  17.  Jahrhunderts  fast  ausschließlich  dem  römischen  Altertum  zuge- 
wandt. Diese  Zeit  brachte  noch  die  großen  Sammlungen  eines  Gronovius 
und  Graevius  hervor,  hatte  aber  keine  iimere  Verbindung  mit  dem  Hel- 
lenentum.  Da  war  es  Hemsterhuys,  seit  1704  Professor  in  Amsterdam, 
der,  ein  neuer  Joseph  Scaliger,  „die  fliehenden  griechischen  Musen  zurück- 
hielt". Unter  seinen  Schülern  Valckenaer  und  Ruhnken,  an  die  sich 
Wyttenbach  anschließt,  entwickelt  sich  die  griechische  Wissenschaft 
mächtig  und  wirkt  namentlich  auf  Deutschland  belebend. 

Als  Valckenaer  1741  mit  sechsundzwanzig  Jahren  den  Lehrstuhl 
in  Franeker  bestieg,  untersuchte  er  in  seiner  Antrittsrede  die  Ursachen 
der  auffallenden  Erscheinung,  daß  die  griechischen  Studien  je  länger  je 
mehr  zurückgetreten  seien,  während  der  allgemeine  Wissensdrang  die 
übrigen  Wissenschaften  aufblühen  ließ  und  sich  auch  die  lateinische 
Philologie  reicher  Pflege  erfreute.  Zunächst  macht  er  die  Theologen  ver- 
antwortlich, welche  die  Kenntnis  der  griechischen  Profanschriftsteller 
für  unnütz  ansahen,  sodaim  die  törichte  Meinung,  als  ob  frühere  Genera- 
tionen das  Wissenswerte  aus  den  Werken  der  Griechen  längst  ausgeschöpft 
hätten;  die  Verwerfung  des  freien  Urteils,  durch  das  sich  die  Engländer 
so  sehr  über  alle  Nationen  erheben;  die  Spöttereien  über  das  Altertum; 
den  wohlfeilen  Spott  über  die  philologische  Kritik,  als  ob  nicht  diese, 
in  ihrem  wahren  Sinne  genommen,  durch  die  Erklärung  der  historischen 
Erscheinungen  den  Geist  erst  urteilsfähig  machte;  sodann  die  ganz  un- 
berechtigte Präponderanz  des  Lateüiischen.  Einen  besonderen  Anteil  am 
Rückgang  des  Griechischen  schreibt  Valckenaer  den  lateinischen  Über- 


412  Deutschland  und  die  Schweiz 

Setzungen  zu,  in  deren  trübem  Gewässer  die  Leute  ihren  Wissensdurst 
löschten  statt  an  den  Quellen;  aus  denen  Halbwisser  die  Mittel  nehmen, 
um  die  Originale  zu  besudeln;  und  deren  Dürre  vom  Studium  der  grie- 
chischen Literatur  abschrecken  muß.  Was  kann  es,  ruft  er  aus,  Unklareres, 
Nüchterneres,  Abgeschmackteres,  Ekelhafteres  geben  als  einen  lateinischen 
oder  französischen  Homer?  Reicht  doch  das  Lateinische  nicht  einmal 
für  eine  Übersetzung  Piatons  aus,  geschweige  für  die  Schönheiten  der 
Dichter.  Bei  den  Historikern  ist  es  nicht  anders.  Nicht  nur  geben  die 
Übersetzungen  kein  Bild  von  der  Eigenart  ihres  Stils,  sie  verbreiten  auch 
durch  ihre  Fehler  bedauerliche  Irrtümer.  Endlich  beklagt  es  Valckenaer, 
daß  der  griechischen  Wissenschaft  die  Gunst  der  Mächtigen  fehle,  die  in 
der  Zeit  der  Renaissance  ihr  Aufblühen  so  mächtig  gefördert  hatte. 

Was  Valckenaer  aufführt,  deckt  sich  zum  Teil  mit  Le  Clerc,  der  aber  die 
Übersetzung  noch  für  ein  gutes  Mittel  ansah  in  das  Original  einzudringen. 
Die  Übersetzungen  hatte  am  Ende  des  17.  Jahrhunderts  auch  Rollin 
für  den  Mangel  an  Literesse  an  den  Griechen  verantwortlich  gemacht. 
Schwerlich  ganz  mit  Recht.  Die  Übersetzungen  von  Pope  und  Voß  fallen  doch 
gerade  in  Zeiten  des  lebhaftesten  Aufschwungs  der  griechischen  Studien 
und  haben  diese  nicht  beeinträchtigt.  Richtig  ist  dagegen  Valckenaers 
Beobachtung,  daß  Dilettanten  wie  Perrault  und  Desmarets  aus  schlechten 
Übersetzungen  Angriffe  gegen  die  Originale  zusammengezimmert  haben. 
Was  Le  Clerc  als  Ursache  für  den  Rückgang  des  Griechischen  besonders 
hervorhebt,  die  kirchliche  und  politische  Reaktion,  hat  Valckenaer  nicht 
berücksichtigt;  man  möchte  gerne  wissen,  warum  nicht. 

Seine  Rede  ist  ein  Programm  für  die  energische  Aufnahme  der  durch 
Hemsterhuys  begründeten  Studien.  Es  klingt  wie  ein  Kriegsgesetz,  wenn 
er  den  Studenten,  die  wirklich  etwas  lernen  wollen,  alle  Förderung  ver- 
heißt, den  andern  aber  bedeutet,  daß  sie  hier  nichts  zu  suchen  hätten. 
Von  seiner  imposanten  wissenschaftlichen  Tätigkeit  zu  sprechen,  ist  über- 
flüssig. Es  möge  nur  erwähnt  sein,  daß  er  zuerst  eine  im  modernen  Sinn 
wissenschaftliche  Ausgabe  eines  homerischen  Stückes  unternahm,  des 
22.  Buches  der  IHas,  1747.  Auf  der  Grundlage  von  Clarke  gestaltet  er  den 
Text  durch  Vergleichung  der  besten  Ausgaben  und  berichtigt  eine  größere 
Reihe  von  Fehlem  bei  Barnes  und  andern.  Hauptsache  ist  ihm  eine 
kritische  Ausgabe  der  in  einer  Leydener  Handschrift  enthaltenen  Schollen, 
als  Probe  einer  wissenschaftlichen  Gesamtausgabe  dieser  antiken  Er- 
klärungen. 

Die  nämlichen  Bestrebungen  wurden  damals  auch  in  Deutschland 
immer  lebhafter.  Sie  knüpfen  sich  vor  allem  an  den  Namen  Matthias 
Gesner,   der   entgegen  dem  hergebrachten  Schulbetrieb  die  Forderung 


Valckenaer     Gesner     Breitinger  413 

aufstellte,  man  müsse  die  antike  Literatur  nicht  studieren,  um  sie  nach- 
zuahmen, sondern  um  sie  zu  genießen  und  Urteil  und  Geschmack  an  ihr 
zu  bilden.  Die  Alten  sollen  wirklich  gelesen,  nicht  als  Grundlage  gram- 
matischer und  rhetorischer  Übungen  behandelt  werden.  Die  Griechen 
stellt  er  weit  über  die  Römer;  aber  Griechisch  soll  man  nicht  lernen 
um  es  zu  schreiben,  sondern  nur  um  es  zu  verstehen.  Daher  soll  nach 
den  Elementen  der  Formenlehre  gleich  mit  der  Lektüre  begonnen  werden. 
Am  liebsten  würde  er  mit  Homer  beginnen;  aber  er  sieht  den  Wider- 
stand der  Theologen  voraus,  die,  ein  Zeichen  für  ihre  Kenntnis  des  Grie- 
chischen, den  Stil  des  Neuen  Testaments  für  den  reinsten  und  schönsten 
halten.  So  will  er  also  auch  weiterhin  mit  dem  Neuen  Testament  beginnen, 
dann  aber  auch  profane  Schriftsteller  lesen  und  zwar  in  ganzen  Stücken. 
Zu  diesem  Zwecke  hat  er  seine  GJirestomathia  Graeca  1731  zusammen- 
gestellt, die  nur  Prosaiker  umfaßt.  Schriftsteller,  von  denen  zugängliche 
Ausgaben  vorhanden  waren,  unter  ihnen  auch  Homer,  sind  nicht  auf- 
genommen. 

Zu  der  weitem  Entwicklung  dieser  Dinge  in  Deutschland  weiß  ich 
der  auf  ein  gewaltiges  Material  gegründeten  Darstellung  Paulsens  nichts 
beizufügen.  Ich  möchte  nur  kurz  von  den  dort  nicht  berücksichtigten 
Verdiensten  Breitingers  um  den  griechischen  Unterricht  sprechen,  da 
dies  mein  Thema  näher  angeht.  Mit  dem  ganzen  Feuer  seines  Wesens 
hat  Breitinger  die  Anregungen  Gesners  und  Valckenaers  übernommen 
und,  wie  er  zu  tun  pflegte,  selbständig  weiter  entwickelt.  In  seiner  Antritts- 
rede als  Professor  des  Griechischen  1745  untersucht  er,  nach  gebührender 
Würdigung  der  griechischen  Sprache,  die  Ursachen,  warum  ihr  Studium 
so  sehr  vernachlässigt  worden  sei,  und  findet  sie  einmal  in  dem  ge- 
meinen Nützlichkeitsstandpunkt,  den  er  herzhaft  verspottet,  sodann  darin, 
daß  die  Leute  glauben,  sich  mit  den  lateinischen  Übersetzungen  begnügen 
zu  können,  was  doch  nur  eine  Ausrede  der  Faulheit  sei.  Wenn  sie  diese 
Machwerke  wirklich  kennten,  würden  sie  weniger  günstig  darüber  urteilen. 
Es  sind  mehr  Metamorphosen  als  Übersetzungen.  Was  würde  man  sagen, 
wenn  man  Opitz  oder  Haller  in  einer  derartigen  Übersetzung  lesen  müßte, 
wie  der  unglückselige  Homer  übersetzt  ist.  Es  gibt  gewiß  vorzügliche 
Übersetzungen  Homers,  die  von  M"'®  Dacier,  Pope,  Salvini;  aber  diese 
Übersetzer  haben  selbst  bekannt,  daß  sie  die  Schönheiten  des  Originals 
nicht  erreichten.  Das  Studium  des  Originals  wird  dadurch  nicht  überflüssig. 
Gleich  Gesner  wendet  sich  Breitinger  heftig  gegen  die  dem  Text  gegen- 
über gedruckten  lateinischen  Interpretationen.  Es  tut  sich  da  ein  starker 
Wandel  der  Anschauungen  kund.  Was  in  den  Zeiten  des  Humanismus 
als  wertvolle  Unterstützung  des  privaten  Fleißes  geschätzt  worden  war, 


414  Deutschland  und  die  Schweiz 

wird  jetzt  als  schnöde  Eselsbrücke  verworfen.  Breitinger  verurteilt  wie 
Gesner  den  öden  und  fruchtlosen  Schulbetrieb;  seine  lebhafte  Schilderung- 
verdankt  ihre  Schärfe  ohne  Zweifel  der  eigenen  Erfahrung.  Er  hat  für 
die  Schüler  ebenfalls  eine  Chrestomathie,  Eclogae  betitelt,  1749  drucken 
lassen. 

Breitinger  hat  die  Erfüllung  seiner  Wünsche  noch  erlebt.  Die  zürche- 
rische Schulordnung  von  1772,  über  die  wir  den  schönen  Bericht  von 
Leonhard  Usteri  haben,  sollte  „die  einseitig  philologische  Schulbildung 
zu  einer  mehr  allgemein  humanen  ausweiten  und  auch  jene  selbst  aus 
der  grammatikalisch-formalen  Beschränkung  zu  einem  humanen  Bildungs- 
mittel umgestalten."  In  drei  Schulreden  hat  Breitinger  die  Ziele  der  neuen 
Schule  beredt  auseinandergesetzt.  Für  das  Griechische  und  zumal  Homer 
war  Raum  geschaffen.  Breitinger  suchte  auf  alle  Weise  den  neuen  Unter- 
richt zu  fördern,  indem  er  auf  geeignete  Lehrmittel  hinwies.  Schon  1761 
hatte  auf  seine  Anregung  hin  Johannes  Schaufelb erger  eine  Nova 
Clavis  Hotneriea  verfaßt,  einen  vollständigen  grammatischen  und  sach- 
lichen Kommentar,  der  freilich  mit  seinen  acht  Bänden  weit  über  das 
Bedürfnis  der  Jugend  hinausging.  Als  eine  Frucht  aller  Bestrebungen 
der  Zürcher  läßt  sich  der  Aufsatz  von  H.  Wyß  über  die  Ilias  ansehen,, 
der  in  seinem  ersten  Teile  zwar  mehr  nur  in  einer  Übersicht  über  schon 
vorhandene  Urteile  besteht,  im  zweiten  aber  die  Szenen  der  Freundschaft 
zwischen  Achilleus  und  Patroklos  und  die  Klage  der  Andromache  schön 
und  einsichtig  erklärt. 

Noch  war  die  Fehde  zwischen  Leipzig  und  Zürich  in  vollem  Gange,, 
als  das  von  den  Schweizern  so  eifrig  gewünschte  deutsche  Epos  in  Klo p- 
stocks  Messias  erschien.  Die  ersten  drei  Gesänge  traten  1748  an  die 
Öffentlichkeit;  1751  wurden  zehn  Gesänge,  die  bis  zum  Kreuzestod  reichen,, 
in  einem  Bande  vereinigt  herausgegeben. 

Klopstock  war  wesentlich  von  Milton  inspiriert,  aber  Eingang  und 
Anlage  erinnern  viel  mehr  an  Yida's  Christias  als  an  das  Verlorene  Para- 
dies. Klopstocks  Biograph  Muncker  hält  es  für  möglich,  daß  jener  Vida 
gekannt  habe,  gibt  aber  zu,  in  dem,  was  beide  gemeinsam  haben,  könnte 
am  Ende  auch  nur  ein  Spiel  des  Zufalls  vorliegen.  Das  wäre  indessen 
ein  sehr  eigentümlicher  Zufall.  Denn  die  Übereinstimmung  beschränkt 
sich  keineswegs  auf  einzelne  Züge,  sondern  auf  die  Grundlagen  der  Ge- 
dichte. Es  versteht  sich  doch  nicht  ohne  weiters  von  selbst,  daß  sich  ein 
Gedicht  vom  Messias  auf  die  Passion  beschränkt.  Hier  kann  man  erklären, 
Klopstock  habe  gleich  Vida  die  Lehre  des  Aristoleles  und  Horaz  befolgt, 
daß  die  Handlung  streng  einheitlich  sein  müsse  und  nicht  etwa  das  ganze 


Schaufelberger    Wyß     Klopstock  415 

Leben  des  Helden  umfassen  dürfe.  Aber  wie  will  man  es  deuten,  daß 
sich  bei  beiden  Dichtern  die  Hölle  erst  mit  dem  Beginn  der  Passion  zum 
Streite  rüstet  und  die  Passionstage  zu  einem  Kampf  zwischen  Gott  und 
dem  Satan  werden?  Das  war  weder  durch  die  Evangelien  noch  durch 
Milton  gegeben,  sondern  es  ist  Vida's  kühne  Darstellung,  durch  die  denn 
auch  Klopstock  bestimmt  worden  ist.  Der  Beginn  des  Kampfes  ist  in 
beiden  Epen  ganz  derselbe.  Wie  bei  Vida,  versammelt  der  Satan  die 
Teufel  zur  Versammlung;  wie  bei  ihm,  steigen  sie  auf  die  Oberwelt  und 
schrecken  in  Träumen  die  Hohenpriester;  Satan  selbst  verführt  im  Traum, 
in  Gestalt  seines  Vaters,  den  Judas  zum  Verrat.  Bei  beiden  hält  in  der 
Versammlung  der  Priester  Nicodemus  eine  Verteidigungsrede  für  Jesus, 
ein  Zug,  der  den  Evangelien  fremd  ist.  Klopstock  beginnt  mit  der  Aus- 
rufung „Schöpfer  Geist!"  wie  Vida  mit  „Spiritus  alme!",  und  bekennt  wie 
dieser  vor  der  Schilderung  der  Verurteilung  Jesu  seine  Ohnmacht  dem 
heiligen  Stoff  gegenüber.  Auf  weitere  Ähnlichkeiten  im  einzelnen  möchte 
ich  weniger  Gewicht  legen.  Aber  auf  Wirkung  Vida's  ist  es  gewiß  zu- 
rückzuführen, wenn  Klopstock  so  lange  nicht  fertig  werden  konnte.  Vida 
hatte  im  letzten  Buch,  kurz  und  geschlossen,  die  Ereignisse  zwischen 
Ostern  und  Pfingsten  erzählt.  Dringend  notwendig  war  das  auch  bei 
ihm  nicht  gewesen.  Klopstock  hat  nach  der  Auferstehung  noch  sechs 
Bücher  gedichtet,  mit  erlahmender  Kraft,  offenbar  in  der  Überzeugung, 
das  dem  Stoffe  schuldig  zu  sein.  Wenn  sich  die  Übereinstimmung  nicht 
weiter  erstreckt,  so  liegt  das  an  der  fundamentalen  Verschiedenheit  der 
beiden  Dichter.  Bei  Vida  ist  alles  Kraft,  Leben,  Gegenständlichkeit;  bei 
Klopstock  alles  Gefühl,  Rede,  Gebet;  er  scheut  sich  ordentlich  vor  der 
Erzählung  von  Tatsachen  und  flüchtet  sich  beständig  in  die  Sphären  der 
Reflexion.  Durch  die  Reden  und  Gefühle  der  Zuschauenden  nehmen  wir, 
gleich  wie  durch  etuen  Nebel,  die  Ereignisse  wahr.  Da  konnte  Vida 
nicht  Führer  bleiben. 

Mit  dem  Gesagten  steht  die  Frage  nach  der  Wahl  des  Versmaßes 
ohne  Zweifel  im  Zusammenhang.  Der  Messias  ist  das  erste  deutsche  Ge- 
dicht im  Hexameter,  dem  Verse  Homers.  Aber  Klopstock  nahm  den  Vers 
nicht  unmittelbar  aus  dem  griechischen  Dichter.  Er  hatte  die  seruem 
erhabenen  Stoff  entsprechende  Form  lange  zu  suchen  und  war  nach  mannig- 
facher Überlegung  zuerst  entschlossen,  sein  Epos  gleich  Fenelon's  Tele- 
maque  in  Prosa  abzufassen.  Endlich  entschied  er  sich  1746  für  den  Hexa- 
meter. Es  ist  schwer  glaublich,  daß  für  seine  Wahl  die  zehn  Verse,  die 
Gottsched  in  diesem  Metrum  aus  der  IHas  übersetzt  hatte,  bestimmend 
gewesen  seien.  Denn  Gottsched  hatte  den  Vers  nicht  für  die  freie  Dich- 
tung,  sondern  für  die  Übersetzung  Homers  vorgeschlagen.    Breitinger 


416  Deutschland  und  'die  Schweiz 

zitiert  in  der  Critischen  Dichtkunst  wohl  Maffei,  der  den  antiken  Hexa- 
meter für  den  neuen  Maßen  überlegen  erklärt  hatte,  war  aber  selbst  weit 
davon  entfernt,  ihn  den  Deutschen  zu  empfehlen.  Bei  Vida  nun  fand  Klop- 
stock  wie  den  Plan,  so  die  passende  Form  für  sein  großes  Werk.  Für 
die  Gestaltung  des  Verses  ging  er  jedoch  über  Vida  und  dessen  Muster 
Virgil  auf  Homer  selbst  zurück. 

Er  hatte  in  Pforta  ein  Glück  genossen,  das  wenige  Zeitgenossen  mit 
ihm  teilten;  er  war  nicht  nur  in  die  Sprache,  sondern  auch  in  den  künst- 
lerischen Gehalt  der  Alten  eingeführt  worden  und  hatte  früh  die  Über- 
legenheit der  Griechen,  als  der  erfinderischen  Schöpfer  des  Schönen,  über 
die  Römer  erkannt.  Seine  in  Pforta  gehaltene  Abschiedsrede  preist  Homer, 
den  Bruder  der  Natur,  dem  Virgil  ebenbürtig  folgen  würde,  wenn  er  nicht 
sein  Nachahmer  wäre.  Beklagenswert  sind  ihm  beide  ihres  heidnischen 
Irrglaubens  wegen,  da  sie  des  Christentums  so  würdig  gewesen  wären. 

So  sehr  ihm  Homer  in  der  Form  vorleuchtete,  wie  er  denn  auch 
oft  dessen  Beiwörter  übernahm  —  er  zuerst  hat  im  Deutschen  von  „ge- 
flügelten Worten"  gesprochen  —  so  hat  er  doch  dem  griechischen  Dichter 
stofflich  weit  weniger  entlehnt,  als  es  Vida  tat.  Außer  der  von  Muncker 
namhaft  gemachten  Stelle  von  dem  toten  Elisama,  dem  sein  Hund  noch 
die  Hand  leckt,  um  darauf  ebenfalls  zu  sterben,  einer  Stelle,  die  an  den 
treuen  Hund  Argos  der  Odyssee  erinnert,  finde  ich  nur  zweimal  größere 
Anklänge.  Der  Seraph  Selia  läßt  sich  von  dem  Seraph  Orion  die  Jünger 
erklären,  wie  Priamos  von  Helene  die  Achäerhelden;  und  Philo's  Anrufung 
von  Moses  Geist  ist  nach  dem  Gebet  des  Glaukos  an  Apollon  gestaltet. 

Die  Gleichnisse  sind  der  Form  nach  homerisch,  haben  aber  meistens 
nicht  die  Vorgänge  in  Natur  und  Menschenleben,  sondern  die  Gefühls- 
welt zum  Inhalt.  Muncker  hat  Klopstock  dafür  Verkennung  des  Charakters 
des  Gleichnisses  vorgeworfen  und  zu  ergründen  versucht,  auf  welchem  Wege 
er  zu  dieser  vollständig  neuen  Behandlung  gekommen  sei.  Das  ist  wohl 
nicht  berechtigt.  Wenn  irgendwo,  so  zeigt  sich  in  den  Gleichnissen  Klop- 
stocks  allem  Gegenständlichen  abgewandte,  rein  lyrische  Art.  Und  dann 
ist  es  eine  Verkennung  des  Gleichnisses,  wenn  man  es  vorwiegend  als 
Erläuterung  eines  erzählenden  Momentes  auffaßt.  Diese  ist  wohl  nirgends 
wirklich  notwendig,  und  Breitingers  Irrgänge  beweisen,  wohin  man  mit 
dieser  Auffassung  gelangt.  Das  Gleichnis  ist  ein  Ausfiuß  des  überquellen- 
den poetischen  Enthusiasmus.  Es  strömt  der  Phantasie  des  Dichters  aus 
der  Fülle  der  von  ihm  geschauten  Bilder  zu,  als  Schmuck  und  Ausführung 
des  in  der  Handlung  enthaltenen  Gedankens.  Wenn  nun  die  Welt  eines 
Dichters  das  Gemütsleben  ist,  so  wird  er  von  selbst,  ohne  Plan  und 
Absicht,  seine  Bilder  diesem  entnehmen,  und  wie  uns  Homer  aus  dem 


Klopatock    Bodmer  417 

Wirrwarr  der  Schlachten  in  die  sonnige  Natur  und  das  rege  Getriebe  der 
Menschen  entführt,  so  Klopstock  in  die  Welt  seiner  Gefühle  und  über- 
sinnlichen Gedanken.  Dazu  hat  er  das  Recht,  ein  Recht,  das  nachmals 
auch  Lenau  mit  höchster  Wirkung  für  sich  in  Anspruch  genommen  hat. 

Den  ersten  begeisterten  Propheten  und  zugleich  den  ersten  Nach- 
ahmer fand  der  Messias  in  Bodmer.  Ihm  hatte  das  Verlorene  Paradies 
früh  den  Gedanken  an  ein  biblisches  Epos  nahe  gelegt,  und  er  hatte 
schon  1742  an  eine  Darstellung  der  Geschichte  Noahs  gedacht.  Die 
Form  fand  er,  nachdem  der  Messias  erschienen  war.  Die  erste  vollständige 
Ausgabe  der  Noächide  erschien  1752,  eine  umgearbeitete,  verbesserte  1765. 
Das  Urteil  über  das  Gedicht  geht  übereinstimmend  dahin,  es  sei  eine 
venmglückte  Nachahmung,  und  sein  Verfasser  habe  sich  gröblich  ge- 
täuscht, wenn  er  sich  für  einen  Dichter  hielt.  Sicherlich  ist  vieles  daran 
zu  schelten,  neben  zahlreichen  Geschmacklosigkeiten  im  einzelnen  die 
aufdringliche  Gelehrsamkeit  und  die  satirische  Zeichnung  der  Gegenwart 
unter  dem  Bilde  grauer  Vorzeit,  oft  auch  Trockenheit  und  Einförmigkeit. 
Dennoch  liest  es  sich  nach  meiner  eigenen  Erfahrung  in  weiten  Partien 
durchaus  angenehm.  Der  Stoff  ließ  eine  große  einheitliche  Handlung 
nicht  zu,  so  daß  der  Dichter,  nachdem  er  ihn  einmal  gewählt  hatte,  von 
selbst  auf  episodische  Behandlung  angewiesen  war.  Darin  liegt  nun  gerade 
die  Begabung  Bodmers.  Die  idyllischen  Szenen  sind  oft  von  wirklicher 
Schönheit.  Muster  waren  ihm  für  das  Ganze  Klopstock  und  Milton,  für 
die  Schilderung  der  Sitten  einer  patriarchalischen  Vorzeit  Homer.  Die 
Anregungen,  die  er  diesem  verdankt,  hat  er  selbst  in  dem  ironischen 
Brief  des  Zoilus  Teiito  an  Colon  zusammengestellt.  Es  sind  ihrer  nicht 
viele,  und  die  Liste  ist,  abgesehen  von  Anklängen  im  einzelnen,  ziemlich 
vollständig.  Der  homerische  Schmuck  ist  nicht  ausgeplündert,  wie  bei 
Trissino  oder  Postel,  sondern  maßvoll  verwendet.  Auch  für  die  patriar- 
chalischen Sitten  ist  zwar  die  Odyssee  im  allgemeinen  das  Vorbild,  aber 
die  Einzelzüge  sind  selbständig  durchgeführt.  Dem  Streben  nach  home- 
rischer Einfachheit  und  Natürlichkeit  entspricht  die  Wahl  der  Stoffe  für 
das  Gleichnis;  sie  sind  der  realen  Welt  und  der  Geschichte  entnommen, 
zuweilen  recht  glücklich  behandelt  und  geben  dem  Gedicht  einen  von 
Klopstock  verschiedenen,  verständlicheren  Charakter. 

Der  Noachide  folgte  eine  Sintflut  von  biblischen  Epen.  Zu  ihnen 
gehört  Wielands  Prüfung  Abrahams  1753.  Wieland  hatte  schon  1751 
das  Fragment  seines  Epos  Hermann  an  Bodmer  geschickt.  Angeregt 
war  auch  er  durch  Klopstock,  dessen  Messias  er  über  die  Ilias  stellte. 
Doch  hat  er  nach  seinem  eigenen  Geständnis  1751  den  Homer  noch 
nicht  im  Original  lesen  können.    Seine  Vorlage  für  den  Hermann  war 

Finsler:  Homer  in  der  Neuzeit.  27 


418  Deutschland  und  die  Schweiz 

die  Aeneis.  An  Homer  klingen  vielleiclit,  wie  Doell  auseinandersetzt, 
einige  Stellen  an,  docli  scheint  ilim  der  griecliisclie  Dichter  mehr  nur 
für  das  Kolorit  der  Schilderung  in  Betracht  zu  kommen.  Ich  finde  im 
Hermann  herzlich  wenig  von  homerischem  Kolorit,  und  wenn  Doell  ver- 
mutet, Wieland  möchte  die  Jugendgeschichte  des  Achilleus,  die  derjenigen 
Hermanns  zugrunde  liegt,  in  der  Schule  gehört  oder  in  Schulbüchern 
gelesen  haben,  so  dürfte  sich  das  mit  dem  ganzen  Inhalt  der  homerischen 
Epen  nicht  anders  verhalten.  Auf  den  weiteren  Entwicklungsgang  Wie- 
lands hat  Homer,  so  viel  ich  sehe,  nicht  gewirkt.  Seine  griechischen 
Romane  zeigen  ein  Altertum,  das  alles,  nur  nicht  griechisch  und  nament- 
lich nicht  homerisch  ist.  In  späteren  Jahren  hat  sich  seine  Poesie  dem 
Romanzo  zugewendet,  der  sonst  in  allen  Ländern  abgestorben  war,  und 
den  auch  Hurd's  Beredsamkeit  nicht  wieder  zum  Leben  erweckt  hatte. 
Die  bedeutendste  und  schönste  Frucht  seiner  romantischen  Poesie,  der 
Oberon,  1780,  mißt  sich  zwar  an  poetischer  Kraft  nicht  mit  Ariost  oder 
Spenser,  gewann  sich  aber  mitten  im  klassischen  Deutschland  einen  ehren- 
voll behaupteten  Platz. 

In  denselben  Jahren,  da  die  Zürcher  mit  den  Leipzigern  in  bitterer 
Fehde  lagen,  eroberte  sich  in  der  stillen  Schule  zu  Seehausen  Winckel- 
mann  seine  Kenntnis  Homers  und  seine  Anschauung  von  der  Griechen- 
schönheit. Er  war  1735  nach  Berlin  gegangen,  weil  er  gehört  hatte, 
daß  dort  Griechisch  gelehrt  werde,  hatte  bei  dem  Rektor  Damm  die 
Anfangsgründe  der  Sprache  und  den  Homer  kennen  lernen  und  bildete 
in  Seehausen  seine  Kenntnisse  aus.  Es  wurde  ihm  verargt,  daß  er  in 
der  Predigt  den  Homer  las;  während  der  niederen  Schulstunden  betete 
er  homerische  Gleichnisse.  „In  norddeutscher  Nacht  und  Nebel  fühlte 
er  die  Glut  des  ionischen  Himmels  in  den  Versen  des  Dichters,  der  mit 
der  höchsten  Grazie  begabt  war."  Homer  blieb  durch  sein  ganzes  Leben 
sein  Führer.  In  der  Auffassung  des  Dichters  ist  er  nicht  durchaus  ein  Ver- 
künder von  etwas  Neuem;  huldigte  er  doch  in  der  allegorischen  Erklärung 
der  Götter,  wie  sie  Damm  ihm  vorgetragen  hatte  und  er  sie  durch  Gravina 
bestätigt  fand,  noch  älterer  Anschauung.  Aber  wenn  er  den  Homer  als 
den  unübertroffenen  Maler  preist,  so  geht  er,  so  sehr  das  an  Bodmer  und 
Breitinger  erinnert,  weit  über  diese  und  Dubos  hinaus.  Im  homerischen 
Bilde  zeigte  sich  ihm  die  griechische  Schönheit,  zu  deren  Propheten  er 
berufen  war.  Ihn  entzückte  vor  allem  der  sinnliche  Eindruck,  den  er 
durch  die  Schilderung  und  mehr  noch  durch  die  Sprache  Homers  empfing. 
Aus  deren  Wohllaut,  der  Wahl  und  Zusammensetzung  der  Vokale  und 
Konsonanten,  ging  für  ihn  untrüglich  hervor,  wie  schön  der  ionische  Körper 


Wieland     Winckelmann  419 

gewesen  sein  müsse.  Klang  und  Wortfolge  mit  ihrem  Ubergewiclit  der 
Vokale  drückten  ihm  von  selbst  Gestalt  und  Wesen  der  Sache  aus.  Die 
Schönheit  wurde  er,  wie  Goethe  sagte,  zuerst  in  den  Schriften  der  Alten 
gewahr,  dann  kam  sie  ihm  in  den  Werken  der  Kunst  persönlich  entgegen. 
Was  man  in  dem  alten  Dichter  das  Malerische  nannte,  mußte  ihm  freilich 
das  Wichtigste  sein,  aber  er  blieb  nicht  bei  dem  engen  Begriffe  stehen, 
in  dem  man  das  Wort  bisher  genommen  hatte.  Das  Schönheitsideal,  das 
ihn  Homer  und  Piaton  gelehrt  hatten,  fand  er  nicht  erst  in  den  Statuen 
Roms,  sondern  schon  in  den  Abgüssen  der  Dresdener  Sammlung.  Gleich 
Young,  dessen  Schrift  über  die  Originalkomposition  vier  Jahre  später 
erschien,  erblickte  Winckelmann  in  den  Gedanken  über  die  Nachahmung 
der  Alten  1755  für  den  modernen  Künstler  den  einzigen  Weg  groß,  ja 
unnachahmlich  zu  werden  in  der  Beobachtung  der  Art,  wie  die  griechischen 
Künstler  vorgegangen  waren.  Die  griechische  Regel,  sagt  er,  führt  den 
Künstler  schneller  zur  Nachahmung  der  Natur,  als  wenn  er  diese  direkt 
zum  Vorbild  nimmt.  Verbindet  er  die  in  der  Natur  entdeckten  Schönheiten 
mit  dem  vollkommenen  Schönen,  so  wird  er  auch  die  Natur  nachahmen 
und  sich  selbst  zur  Regel  werden. 

Dem  Wunderwerk  der  Kunstgeschichte  1764  gegenüber  erscheinen 
alle  früheren  Versuche,  die  Kunst  in  ihrem  Werden  zu  begreifen,  unzuläng- 
lich. Bei  Winckelmann  erhebt  sich  die  Vereinigung  der  Einflüsse  des 
Himmels  und  des  Bodens,  der  Volksart  und  Erziehung,  der  Staatsform 
und  Religion  zu  einem  organischen  Ganzen,  aus  dem  sich  die  Hoheit 
der  griechischen  Kunst  wie  von  selbst  erklärt.  Wie  das  Volk  war,  so 
mußte  die  Kunst  sein.  Vieles,  was  wir  uns  als  idealisch  vorstellen  möchten, 
war  bei  den  Griechen  Natur.  Nirgends  war  die  Schönheit  so  hoch  ge- 
achtet, und  dieser  Grundstimmung  des  griechischen  Wesens  entsprach 
auch  eine  schöne  Heiterkeit  des  Gemüts.  Vor  allem  wirkte  die  persönliche 
Freiheit  veredelnd  und  erzeugte  große  und  vornehme  Gedanken. 

Die  Schönheit  der  griechischen  Kunst  ist  idealisch.  Aus  dem  Zu- 
sammenzug der  schönsten  Einzelformen  entstand,  wie  durch  eine  neue 
geistige  Zeugung,  eine  edlere  Geburt,  deren  höchster  Begriff  immer- 
währende Jugend  war.  Zu  den  ewig  jugendlichen  Göttergestalten  gaben 
die  ersten  Stifter  der  Religion,  die  Dichter,  die  hohen  Begriffe,  und  diese 
verliehen  der  Einbildung  Flügel,  ihr  Werk  über  sich  selbst  und  das  Sinn- 
liche zu  erheben. 

Wie  Winckelmann  hier  auf  Homer  zurückkommt,  so  begleitet  ihn 
der  Dichter  überall.  Die  Einzelheiten  der  homerischen  Darstellung  er- 
läutern seine  Untersuchungen  über  Gestalt,  Körperformen  und  Bekleidung, 
wie  über  das  Wesen  der  Götter  und  Helden.   So  erinnert  ihn  der  Ausdruck 

27* 


420  Deutschland  und  die  Schweiz 

in  Bildwerken  aus  der  Heldenzeit  mit  ihren  der  Fassung  des  weisen  Mannes 
gemäßen  Leidenschaften  an  den  homerischen  Achilleus,  dessen  Seele  mitten 
in  Jähzorn  und  Unerbittliclikeit  offenherzig  und  ohne  Verstellung  und 
Falsch  ist.  Dem  Künstler  ist  jedoch  in  der  Darstellung  der  Helden 
weniger  erlaubt  als  dem  Dichter,  weil  jener  das  Schönste  in  der  schönen 
Bildung  suchen  muß  und  daher  auf  einen  gewissen  Grad  der  Leiden- 
schaften eingeschränkt  ist. 

Winckelmanns  Einfluß  hat  sich  für  Homer  nur  langsam  durchgesetzt. 
Der  Kunstgeschichte  folgten  erst  die  Untersuchungen  über  homerische 
Erzählung,  die  Lehre  vom  Volksdichter,  die  Begeisterung  für  das  Original- 
genie. Erst  auf  den  konnte  Winckelmann  ganz  wirken,  der  von  ihm 
die  homerische  Poesie  mit  dem  Auge  des  Künstlers  erfassen  lernte,  auf 
Goethe. 

Bald  nach  der  Kunstgeschichte,  1766,  erschien  Lessings  Laokoon. 
Lessing  hatte  in  der  Fürstenschule  zu  St.  Afra  in  Meißen  gut  Griechisch 
gelernt,  den  Homer  aber  allerdings  privatim  studieren  müssen.  Denn 
die  mit  1713  einsetzende  höchst  wohltätige  Reform  der  Schule  war  den 
griechischen  Dichtern  nicht  hold  gewesen.  Das  der  Reform  vorhergehende 
Gutachten  der  adeligen  Schulinspektoren  hatte  sich  für  die  Prosaiker 
ausgesprochen.  Der  Konrektor  Sillig  verlangte  allerdings  eine  Wieder- 
aufnahme des  gänzlich  einge schlaf enen  Unterrichts  in  griechischer  Poesie, 
aber  einen  griechischen  Moralpoeten  wie  Hesiod  und  Theognis  oder  eine 
Sammlung  von  Poemata  sacra  „statt  des  weitläuftigen  vormals  einge- 
führten Homeri."  Danach  scheint  man  sich  gerichtet  zu  haben.  Aber 
St.  Afra  förderte  die  Privattätigkeit  ihrer  Schüler,  so  daß  diese  keines- 
wegs zur  Nebenbeschäftigung  herabsank.  Aus  dem  Laokoon  sehen  wir, 
daß  Lessing  seinen  Homer  gut  studiert  hat.  Der  Dichter  hat  ihm  zu 
seinen  Untersuchungen  über  die  Grenzen  der  Malerei  und  Poesie  manche 
Waffe  geliehen.  Aus  ihm  erklärt  er  die  Hauptsätze  seiner  Arbeit  ab- 
geleitet zu  haben. 

Die  von  Lessing  ermittelte  Praxis  Homers  in  der  Schilderung  ist 
das  Wichtigste,  was  uns  hier  angeht.  Er  bleibt  damit  durchaus  in  dem 
Rahmen  von  Dubos,  der  Zürcher,  Winckelmanns.  Seiner  Aufgabe  ent- 
sprechend kümmert  er  sich  weder  um  die  Gesamtkomposition  der  Epen 
noch  um  die  Kunst  der  Erzählung.  Er  beschränkt  sich  ganz  auf  das, 
was  Bodmer  die  poetischen  Gemälde  der  Dichter  genannt  hat.  Auch  geht 
er  selten  über  das  Epos  und  Homer  hinaus. 

Daß  Homer  für  ein  Ding  gewöhnlich  nur  einen  beschreibenden  Zug 
habe,  bald  das  schwarze,  bald  das  hohle  Schiff  usf.  sage,  hat  Lessing 
selbst  korrigieren  müssen.    Er  gibt  zu,  daß  die  Beiwörter  zuweilen  auch 


Winckelmann     Lessing  42 1 

gehäuft  sind,  erklärt  aber,  in  solclien  Fällen  folgten  die  mehreren  Züge 
für  die  verschiedenen  Teile  und  Eigenschaften  in  gedrängter  Kürze  so 
schnell  aufeinander,  daß  wir  sie  alle  auf  einmal  zu  hören  glauben.  Hierin 
komme  dem  Homer  seine  vortreffliche  Sprache  zustatten,  die  ihm  alle 
mögliche  Freiheit  in  Häufung  und  Zusammensetzung  der  Beiwörter  ge- 
statte und  für  die  gehäuften  Beiwörter  eine  so  glückliche  Ordnung 
habe,  daß  der  nachteiligen  Suspension  ihrer  Beziehung  dadurch  abge- 
holfen werde.  Für  die  poetische  Praxis  Homers  hat  diese  Frage  wenig 
Bedeutung,  da  die  Beiwörter  fest  und  nicht  erst  von  Homer  geprägt  sind. 

Nun  aber  die  Hauptsache:  „Zwingen  den  Homer  ja  besondere  Um- 
stände, unsern  Blick  auf  einen  einzelnen  körperlichen  Gegenstand  länger 
zu  heften,  so  wird  dem  ohngeachtet  kein  Gemälde  daraus,  dem  der 
Maler  mit  dem  Pinsel  folgen  könnte;  sondern  er  weiß  durch  unzählige 
Kunstgrifle  diesen  einzelnen  Gegenstand  in  eine  Folge  von  Augenblicken 
zu  setzen,  in  deren  jedem  er  anders  erscheint,  und  in  deren  letztem  ihn 
der  Maler  erwarten  muß,  um  uns  entstanden  zu  zeigen,  was  wir  bei  dem 
Dichter  entstehen  sehen."  Im  weiteren  Verlauf  definiert  Lessing  diesen 
Kunstgriff  dahin,  daß  Homer  das  Koexistierende  seines  Vorwurfs  in  ein 
Konsekutives  verwandle  und  dadurch  aus  der  langweiligen  Malerei  eines 
Körpers  das  lebendige  Gemälde  einer  Handlung  mache.  „Will  uns  z.  B. 
der  Dichter  den  Wagen  der  Juno  sehen  lassen,  so  muß  ihn  Hebe  vor 
unsern  Augen  Stück  für  Stück  zusammensetzen.  Wir  sehen  die  Teile  des 
Wagens,  nicht  sowohl  wie  er  beisammen  ist,  sondern  wie  er  unter  den 
Händen  der  Hebe  zusammenkommt."  Das  Beispiel  ist  unzutreffend.  Hebe 
setzt  nichts  an  als  die  Räder,  die  wohl  zum  Schmieren  der  Achse  ab- 
genommen waren,  wie  an  anderer  Stelle  der  Wagenkorb  aufgebunden 
werden  muß,  und  das  Joch,  das  immer  weggenommen  wurde.  Alle  andern 
Teile  sind  schon  beisammen  und  werden  deshalb  koexistent  geschildert; 
den  Rädern  ist  eine  besondere  Beschreibung  gewidmet. 

„Will  Homer  zeigen,  wie  Agamemnon  bekleidet  gewesen,  so  muß 
sich  der  König  seine  Kleidung  vor  unsern  Augen  Stück  für  Stück  umtun". 
Nur  daß  Homer  das  gar  nicht  zeigen,  sondern  durch  die  umständliche  Er- 
zählung des  Aufstehens  auf  das  große  kommende  Ereignis  vorbereiten 
will.  Wie  er  verfährt,  wenn  er  Agamemnons  Kleidung  schildern  will, 
ist  vor  der  großen  Schlacht  des  elften  Buches  zu  lesen.  Der  König 
zieht  sich  hier  Stück  für  Stück  die  Rüstung  an;  aber  jedes  dieser  Stücke 
ist  beschrieben,  koexistent,  der  Panzer  in  fünf,  der  Schild  in  fünf,  der 
Schildriemen  in  drei  Versen. 

Damit  ist  es  mit  den  eigentlichen  Beispielen  schon  zu  Ende.  Denn 
was  in  diesem  Stück  des  Laokoon  noch  folgt,  trifft  das  Wesen  der  Frage 


422  Deutschland  und  die  Schweiz 

Qicht.  Lessing  sagt,  statt  einer  Abbildung  von  Agamemnons  Zepter  gebe 
Homer  die  Geschichte  des  Zepters^  und  so  kenne  er,  Lessing,  dieses  Zepter 
besser,  als  es  ihm  der  Maler  vor  Augen  legen  oder  ein  zweiter  Vulcan 
in  die  Hände  liefern  könnte.  Wirklich?  Lessing  mag  uns,  wie  schon 
Breitinger  tat,  darauf  aufmerksam  machen,  daß  die  Geschichte  des  Zepters 
einen  Begriff  von  der  Macht  des  Königs  gibt,  und  finden,  die  Verse  über 
das  Zepter  Achills  zeigen  diesen  in  einer  geringeren  Machtfülle;  aber  wenn 
er  sagt,  es  sei  dem  Homer  nicht  sowohl  daran  gelegen  gewesen,  zwei 
Stäbe  von  verschiedener  Materie  und  Figur  zu  schildern,  als  uns  von 
der  Verschiedenheit  der  Macht,  deren  Zeichen  diese  Stäbe  waren,  ein  sinn- 
liches Bild  zu  machen:  was  hat  denn  das  mit  den  Grenzen  der  Malerei 
und  Poesie  zu  schaffen?  Die  Sache  ist:  Lessing  hat  selbst  gesehen,  daß 
die  Verse  uns  das  Zepter,  wie  es  war,  nicht  kennen  lehren,  wie  denn 
zur  Stunde  noch  niemand  weiß,  wie  es  ausgesehen  hat.  Es  ist  irreführend, 
wenn  er  von  weiteren  Absichten  spricht,  die  Homer  hier  mit  seiner  Be- 
schreibung verbinde.  Was  er  weitere  Absicht  nennt,  ist  beim  Zepter 
Agamemnons  die  einzige  Absicht,  und  für  die  Frage  des  Laokoon  ist 
deshalb  das  Beispiel  wertlos. 

Nicht  besser  steht  es  mit  dem  nächsten  Beispiel,  dem  Bogen  des 
Pandaros.  Es  sei  hier,  sagt  Lessing,  dem  Homer  um  das  bloße  Bild 
zu  tun,  aber  er  verstreue  dieses  Bild  in  eine  Art  von  Geschichte  des 
Gegenstandes,  um  die  Teile  desselben,  die  wir  in  der  Natur  nebenein- 
ander sehen,  in  seinem  Gemälde  ebenso  natürlich  aufeinander  folgen  zu 
lassen.  So  sehen  wir  beim  Dichter  entstehen,  was  wir  beim  Maler  nicht 
anders  als  entstanden  sehen  können.  Gut,  aber  warum  haben  wir  denn 
auf  Wolfgang  Reichel  warten  müssen,  um  zu  erfahren,  wie  dieser  Bogen 
wirklich  ausgesehen  habe?  Weil  das  Beispiel  wieder  einen  fremden  Ge- 
sichtspunkt in  die  Erörterung  hineinträgt.  Gewiß,  Homer  gibt  die  Ge- 
schichte des  Bogens,  aber  nicht  um  das  Bild  in  Erzählung  aufzulösen; 
daran  hat  er  gar  nicht  gedacht,  denn  die  Kenntnis,  wie  ein  Bogen  aus- 
sehe, konnte  er  bei  seinen  Hörern  voraussetzen ;  sondern  wieder,  um  auf 
die  bevorstehende  Katastrophe  wirksam  vorzubereiten. 

Ebensowenig  sind  wir  imstande  uns  aus  der  bloßen  Lektüre  Ho- 
mers ein  Bild  des  Achilleus Schildes  zu  machen,  und  Homer  hat  sich 
wahrscheinlich  auch  selbst  keines  gemacht.  Die  Einführung  der  einzelnen 
Szenen  des  Schildes  mit  den  Worten  „er  setzte  hin"  oder  „er  machte 
darauf"  beleben  ja  sicherlich  weit  mehr  als  die  Beschreibung  bei  Virgil; 
aber  von  einer  runden  Anschauung  des  Ganzen  ist  gar  keine  Rede.  Virgil 
wollte  den  Schild  als  fertigen  zeigen  und  ist  deshalb  absichtlich  von 
Homer  abgewichen.   Dieser  hat  eine  bunte  Reihe  von  Bildern  vorgeführt, 


Lessing  423 

ohne  im  einzelnen  um  die  Anordnung  zu  sorgen.  Das  Wesentliche  für 
uns  sind  die  einzelnen  Bilder  in  ihrem  Verhältnis  zur  Möglichkeit  ihrer 
malerischen  Darstellung.  Hier  wäre  ein  Kardinalpunkt  für  die  Grenzen 
der  Künste  zu  finden  gewesen,  wie  Cesarotti  ihn  zu  finden  versucht 
hat.  Aber  in  seinem  Eifer,  Boivin  zu  bekämpfen,  hat  sich  Lessing  nur 
einmal  über  diese  Seite  der  Sache  ausgesprochen.  Er  spricht  dem  Dichter 
die  Freiheit  zu,  „sich  sowohl  über  das  Vergangene  als  über  das  Folgende 
des  einzigen  Augenblicks  in  dem  Kunstwerk  auszubreiten,  und  das  Ver- 
mögen, sonach  uns  nicht  allein  das  zu  zeigen,  was  uns  der  Künstler  zeigt, 
sondern  auch  das,  was  dieser  nur  erraten  lassen  kann".  Damit  ist  die 
Sache  deshalb  nicht  erledigt,  weil  die  Bilder  Homers  noch  viel  mehr 
enthalten,  als  uns  der  Künstler  erraten  lassen  könnte. 

In  der  Polemik  gegen  Boivin  kommt  Lessing,  um  für  die  Bilder 
mehr  Raum  zu  gewinnen,  auf  den  Einfall,  Homer  könnte  auch  die  konkave 
Fläche  des  Schildes  benutzt  haben.  Ob  er  in  der  Festsetzung  von  zehn 
Bildern  Recht  habe,  lasse  ich  dahingestellt.  Er  betont  gegen  Boivin 
stark,  daß  jedes  Bild  ausdrücklich  eingeleitet  sei,  muß  aber  selbst  zu- 
geben, daß  das  bei  dem  der  belagerten  Stadt  nicht  der  Fall  ist;  und  ob- 
wohl er  Recht  hat,  wenn  er  in  der  Gerichtsszene  nur  ein  einziges  Bild 
erblickt,  so  hat  er  doch  unterlassen  zu  sagen,  wie  diese  und  der  Hoch- 
zeitszug auf  einem  Gemälde  vereinigt  sein  konnten. 

Eine  andere  Art  der  Schilderung,  die  Homer,  das  Muster  aller 
Muster,  angewendet  hat,  fand  Lessing  in  der  berühmten,  auch  durch  ihn 
berühmt  gewordenen  Szene,  wo  Helene  vor  die  troischen  Greise  tritt. 
„Was  Homer  nicht  nach  seinen  Bestandteilen  beschreiben  konnte,  läßt 
er  uns  in  seiner  Wirkung  erkennen."  Der  Gedanke  ist  schon  bei  Spence, 
dessen  Essay  on  Pope's  Odyssey  Lessing  offenbar  nicht  kannte,  und  nach 
jenem  bei  Bodmer  zu  finden,  doch  von  keinem  von  ihnen  auf  die  Schilde- 
rung der  Schönheit  angewendet  worden.  Einleuchtend  ist  er,  nur  fragt 
es  sich,  ob  Homer  wirklich  diese  Absicht  gehabt  habe.  Lessing  hat  gleich 
nachher  selbst  zugeben  müssen,  daß  Homer  im  Thersites  die  Teile  der  voll- 
kommenen Häßlichheit  koexistent  schildert.  Hier  hilft  er  sich  mit  den 
kühnsten  Sprüngen  aus  der  Verlegenheit.  Erstens  soll  durch  die  Auf- 
zählung der  Elemente  die  Wirkung  der  Häßlichkeit  aufgehoben  werden ; 
in  der  Schilderung  des  Dichters  werde  die  Häßlichkeit  zu  einer  minder 
widerwärtigen  Erscheinung,  und  darin  liege  die  Rechtfertigung  Homers. 
Daß  die  Wahrnehmung  falsch  ist,  empfindet  jeder  ohne  weiters;  das 
Häßliche  wird  um  so  häßlicher,  je  weiter  es  ausgemalt  wird;  man  kann 
sich  bei  Spenser  davon  überzeugen.  Unbezahlbar  ist  aber  das  Wort  von 
der  Rechtfertigung  Homers.   Also  der  Dichter  muß  gerechtfertigt  werden, 


424  Deutschland  und  die  Schweiz 

wenn  er  der  von  Lessing  aus  ihm  abgezogenen  Regel  nicM  entspricht. 
Wir  kommen  zu  einem  andern  Schluß.  Entweder  ist  die  Regel  richtig; 
dann  kann  sie  nicht  aus  Homer  abgeleitet  werden.  Oder  Homer  ist  auch 
hier  Muster,  und  dann  ist  die  Regel  falsch. 

Zweitens  aber  habe  Homer  die  Häßlichkeit  nicht  für  sich  selbst,  wohl 
aber  als  ein  Ingrediens  nützen  können,  um  gewisse  vermischte  Empfin- 
dungen, nämlich  die  des  Lächerlichen  und  des  Schrecklichen,  hervorzurufen. 
Daß  das  Gemälde  des  Thersites  koexistent  gebildet  ist,  kann  niemand  be- 
streiten. Wenn  dies  damit  verteidigt  wird,  die  Schilderung  sei  nicht  Selbst- 
zweck, sondern  diene  einer  weiteren  Absicht  des  Dichters,  so  wird  die  Frage 
wieder  verschoben.  Es  dürfte  dann  also  der  Epiker  nach  Herzenslust 
koexistent  schildern,  sobald  die  Schilderung  nicht  Selbstzweck,  sondern 
organisch  mit  dem  Zusammenhang  verbunden  ist.  So  kann  man  allerdings 
die  schönen  Gemälde  der  Odyssee  mit  dem  Laokoon  vereinigen:  die  Grotte 
der  Kalypso,  die  Gärten  des  Alkinoos,  die  Ziegeninsel,  den  Phorkyshafen 
und  noch  manches  andere.  Aber  man  kann  damit  auch  den  halbenMarino 
retten.  Die  Auskunft,  daß  sich  in  mancher  dieser  Schilderungen  auch 
Leben  zeige,  hilft  zu  nichts;  denn  das  ist  der  Fall,  sobald  der  Dichter  statt 
des  Adjektivs  das  Verbum  verwendet. 

Lessing  war  nicht  ausgezogen,  um  zu  beweisen,  was  auch  Bodmer 
schon  gewußt  hatte,  daß  im  Epos  die  Schilderung  nicht  Selbstzweck  sein 
dürfe.  Er  hatte  festgestellt,  daß  die  Poesie  Handlungen  darstelle,  und 
aus  der  Praxis  Homers  geschlossen,  daß  der  wahre  Epiker  das  Koexistente 
in  Sukzessives  auflöse.  Für  diese  letzte  Wahrnehmung  lassen  sich  aus 
vielen  Dichtem  gute  Beispiele  sammeln,  nur  aus  Homer  nicht;  denn  bei 
diesem  verhält  sich  die  Sache  ganz  anders. 

Was  seinen  Zuhörern  bekannt  war,  schildert  Homer  nie,  außer  durch 
kurze  Beiwörter.  Es  fällt  ihm  nicht  ein,  das  Bild  eines  Zepters,  eines 
Bogens  zu  geben,  die  seine  Hörer  alle  Tage  vor  Augen  hatten.  Was  sie 
aber  nicht  kennen  konnten,  schildert  er,  und  zwar  koexistent,  den  Götter- 
wagen, die  Aigis,  die  Rüstung  Agamemnons,  den  Palast  des  Priamos,  die 
neu  eingeführten  Landschaften  der  Odyssee.  Daß  Homers  Fürsten,  Männer 
wie  Frauen,  schön  sind,  versteht  sich  von  selbst;  er  braucht  sie  also  nicht 
zu  beschreiben;  aber  ein  häßlicher  Kerl  wie  Thersites  ist  seiner  Welt 
fremd,  und  der  Haß  des  Dichters  zeichnet  ihn  mit  abstoßenden  Zügen. 
Wir  sehen,  daß  die  epische  Poesie  einen  Einschlag  koexistenter  Schilderung 
ganz  gut  verträgt,  wie  auch  die  bildende  Kunst  die  Bewegung  in  weit 
größerem  Umfang  zuläßt,  als  der  Laokoon  zugeben  will.  Die  Künste  sind 
nicht  durch  so  scharfe  Grenzen  geschieden,  obwohl  ihnen  ihre  Mittel  ver- 
schiedene Gebiete  anweisen.   Der  Nachdruck  liegt  nicht  hierauf,  sondern 


Lessing  425 

auf  dem,  was  damals  die  Engländer  judgment  nannten,  auf  dem  weisen 
Gebrauch  auch  derjenigen  Mittel,  die  ihrer  Kunst  nicht  eigentlich  an- 
gehören. 

Von  den  vielen  einzelnen  Stellen  des  Laokoon,  in  denen  Homer  sonst 
noch  erwähnt  ist,  sei  nur  eine  hervorgehoben,  weil  ihre  Erklärung  eine 
kleine  Geschichte  hat.  Bei  der  Einholung  der  Toten  verbietet  Priamos 
zu  weinen;  'so  vollziehen  die  Troer  schweigend,  traurigen  Herzens,  die 
Verbrennung.  Schon  Eustathios  hatte,  auf  die  alten  Schollen  gestützt, 
in  dieser  Schilderung  einen  Gegensatz  zwischen  Achäem  und  Troern  zu 
sehen  geglaubt.  Die  Troer  dürften  nicht  weinen,  damit  sie  nicht  weich- 
lich schienen  und  nicht  aus  Rührung  das  Werk  vernachlässigten;  bei 
den  Achäem  heiße  es  aber  nur,  sie  hätten  betrübten  Herzens  ihre  Toten 
verbrannt.  M™^  Dacier  übersah  die  Erklärung,  daß  die  Troer  den  Feinden 
nicht  weichlich  scheinen  sollten,  und  verstand  „das  Werk"  von  der  Kampf- 
arbeit des  folgenden  Tages,  möglicherweise  mit  Recht.  Lessing  nun 
findet,  Homer  wolle  uns  lehren,  daß  nur  der  gesittete  Grieche  zugleich 
weinen  und  tapfer  sein  könne,  indeß  der  ungesittete  Trojaner,  um  tapfer 
zu  bleiben,  alle  Menschlichkeit  zuvor  ersticken  müsse.  Herder  bezweifelt 
die  Richtigkeit  dieser  Auffassung  und  gibt  zu  bedenken,  ob  das  Verbot 
des  Priamos  nicht  die  Absicht  gehabt  habe,  die  Troer  vor  gänzlicher 
Verzweiflung  zu  bewahren,  da  sie  doch  für  mehr  zu  fürchten  hatten  als 
die  Griechen.  Blümner  sieht  den  Gegensatz  in  der  Disziplin  der  Achäer 
und  der  mangelnden  Ordnung  bei  den  Troern.  Nun  klagen  und  weinen 
aber  in  der  Stadt  die  Troer  nach  Herzenslust;  sie  sollen  es  also  nur  auf 
dem  Felde  nicht  tun.  Die  ganze  Stelle  sagt  folgendes.  Beide  Partien 
waschen  ihre  Toten  unter  heißen  Tränen.  Dann  verbietet  Priamos  das 
W^einen,  die  Troer  bestatten  ihre  Toten  in  Schweigen  mit  betrübtem 
Herzen;  ebenso  bestatten  die  Achäer  ihre  Toten  mit  betrübtem  Herzen. 
Beide  Heere  verfahren  ganz  gleich.  Das  Gewicht  ruht  auf  dem  Schweigen. 
Priamos  hat  die  laute  Totenklage  verboten,  vrie  Aias  vor  dem  Zweikampf 
mit  Hektor  das  laute  Gebet,  damit  nicht  von  den  Feinden  ein  störender 
Ruf  hinein  seh  alle.  Danach  richten  sich  auch  die  Achäer,  denn  auch  von 
ihnen  wird  nicht  berichtet,  daß  sie  die  Totenklage  erhoben. 

Außer  im  Laokoon  hat  sich  Lessing  wenig  mehr  mit  Homer  be- 
schäftigt. Sehr  schön  ist  die  in  der  Dramaturgie  ausgesprochene  Ver- 
mutung, daß  es  die  Vortrefflichkeit  der  Epen  verursacht  habe,  wenn  wir 
von  der  Person  des  Dichters  so  wenig  v^dssen.  Über  dem  Werk  hat  man 
des  Künstlers  ganz  vergessen.  Bemerkenswert  ist  auch,  daß  Lessing  aus 
dem  Eingang  der  Odyssee  schließt,  es  seien  die  Abenteuer  des  Odysseus 
vor  oder  neben  Homer  von  anderen  Dichtem  besungen  worden,  und  daß 


426  Deutschland  und  die  Schweiz 

er  die  Odyssee  zu  den  Nosten  rechnet,  den  Epen  von  der  Rückkehr  der 
Helden  von  Troja. 

Nicht  viel  jünger  als  Lessing  ist  das  Geschlecht,  dem  Homer  in 
seiner  vollen  Pracht,  mit  seinem  wahren  Gesicht  aufgegangen  ist.  Die 
siebziger  Jahre  sind  die  Blütezeit  der  neuen  Erkenntnis,  die  Zeit  einer 
wahren  und  echten  Begeisterung,  zugleich  eines  tieferen  und  volleren 
Verständnisses.  Der  Drang  danach  kam  von  innen  heraus,  die  fruchtbaren 
Anregungen  von  England.  Unter  den  Ursachen  des  verdorbenen  Ge- 
schmackes der  Deutschen  in  der  Literatur  nannte  der  Hallenser  Professor 
Georg  Friedrich  Meier  die  Vernachlässigung  des  Griechischen  in  den 
Schulen.  Man  sollte  doch  an  dieser  Quelle  nicht  vorbeigehen,  da  ja  auch 
die  Römer  von  den  Griechen  denken  gelernt  hätten.  Wie  sehr  sich  Gesner 
und  Breitinger  dafür  bemühten,  ist  bereits  mitgeteilt.  Ihnen  reihte  sich 
Heyne  an,  der  seit  1763  Gesners  Nachfolger  in  Göttingen  war.  Eine 
wesentliche  Erleichterung  des  Homerstudiums  trat  ein,  als  Ernesti  von 
1759  an  Clarke's  Ausgabe  mit  vermehrtem  Apparat  herausgab,  „nach- 
lässig genug"  sagt  Herder.  Clarke's  Text  mit  kritischem  Apparat  und 
kurzen  Noten,  aber  ohne  die  lateinische  Übersetzung  und  den  eigentlichen 
Kommentar,  zum  Gebrauch  beim  Unterricht,  gab  August  Hermann 
Niemeyer  1778  heraus.  Daneben  nennt  Goethe  den  Meinen  Wetstein, 
eine  nach  dem  Verleger  Wetstein  in  Amsterdam  benannte,  von  Johann 
Heinrich  Lederlin  und  Stephan  Bergler  nach  Chalkondyles  und 
Stephanus  gearbeitete  Ausgabe  mit  durchgesehener  oder  neuer  lateini- 
scher Version  ohne  irgendwelche  Noten.  Es  ist  ein  richtiger  Augenmörder, 
aber  für  einen  Werther  bequem  in  der  Tasche  herumzutragen  und  daran 
den  Verdruß  zu  verbeißen. 

Wie  beschwerlich  es  immer  noch  blieb,  sich  des  Originaltextes  zu 
bemächtigen,  lehrt  Goethe's  humorvoller  Brief  an  Sophie  La  Roche  vom 
20.  November  1774,  in  dem  er  die  Methode  zu  lernen  vorschreibt.  Zu- 
nächst soll  der  Studierende  den  Vers  auf  sich  wirken  lassen;  versteht  er 
den  Lihalt  nicht,  so  lese  er  wechselseitig  das  Original  und  die  Glarke'sche 
Übersetzung,  bis  ihm  ein  Licht  aufgeht  über  die  Konstruktion,  die  im 
Homer  reinste  Bilderstellung  ist.  Dann  studiere  er  die  Wortformen  in 
Schaufelb ergers  Clavis,  notiere  sie  sich  auf  Karten,  die  er  immer  bei  sich 
tragen  soll,  und  lerne  sie  auswendig,  immer  dreißig  oder  vierzig  Verse 
auf  einmal.  Nachdem  er  so  zwei  bis  drei  Bücher  durchgearbeitet  habe, 
werde  er  den  Homer  fließend  lesen. 

Von  den  ausländischen  Übersetzungen  waren  fast  nur  die  von  M"^® 
Dacier  und  Pope  bekannt.   Jene  erklärte  Breitinger  1745  als  das  Höchste, 


Die  siebziger  Jahre  427 

Avas  in  einer  durchgearbeiteten  Übersetzung  erreichbar  sei,  von  dieser 
sagte  er,  daß  sie,  unter  Wahrung  der  Anmut  der  englischen  Sprache,  den 
homerischen  Charakter  zu  allgemeiner  Bewunderung  wiedergebe.  Aber 
diese  Urteile  blieben  nicht  zu  Recht  bestehen.  Lessing  hat  gesagt,  unter 
der  Feder  der  gewissenhaften  Frau  Dacier  habe  den  guten  Homer  oft  das 
Schicksal  betroffen  zum  langweiligsten  Schwätzer  zu  werden,  und  ihr 
Werk  ist  dann  auch  in  Deutschland  vergessen  worden.  Gegen  die  Über- 
schätzung Pope's  hatte  sich  schon  Bodmer  aufgelehnt,  und  als  dann 
Young's  Schrift  über  die  Originalkomposition  durch  die  deutsche  Über- 
setzung bekannt  wurde,  war  es  mit  dem  Ansehen  Pope's  vorbei. 

Auf  Deutsch  konnte  man  Homer  nur  in  der  durch  Herrn  von  Loen 
besorgten  Neuen  Sammlung  der  merkwürdigsten  Reisegeschichten  lesen, 
1754,  durch  die  Goethe  zum  ersten  Mal  mit  Homer  Bekanntschaft  ge- 
macht hat.  Der  sechste  Band  des  Werkes  enthält  die  Erklärung  der  Götter, 
der  siebente  eine  Geschichte  der  Argonauten,  dann  die  aus  allen  möglichen 
Schriftstellern  zusamm  engestellte  Vorgeschichte  des  troischen  Krieges, 
endlich  die  Übersetzung  der  Ilias  in  Prosa;  der  achte  die  der  Odyssee. 
Zugrunde  liegt  der  Übersetzung  nicht  das  griechische  Original,  sondern 
die  Arbeit  von  M™®  Dacier;  der  notwendigen  Originalität  halber  ist  sie 
sehr  oft  in  plumpen  und  derben  Ausdrücken  gehalten,  ist  aber  sonst  recht 
lesbar.  Die  beigegebenen  Kupfer,  Illustrationen  des  Textes  ohne  Kunst- 
wert, in  französischem  Theatergeschmack,  verderbten  Goethe  dermaßen 
die  Einbildungskraft,  daß  er  sich  lange  Zeit  die  homerischen  Helden  nur 
unter  diesen  Gestalten  vergegenwärtigen  konnte.  Sie  meint  er,  wenn  er 
später  von  einem  angespannten  und  aufgedunsenen  Heldenwesen  spricht. 

Addison's  Aufsätze  im  Spectator  und  Pope's  Untersuchungen  in  seinem 
Homer  hatten  schon  auf  die  Zürcher  großen  Einfluß  geübt,  der  sich  bei 
Herder  noch  in  erhöhtem  Maße  fühlbar  machte.  Nun  trat  Blackwell  mit 
seinem  Versuch,  Homer  historisch  zu  begreifen,  hinzu.  Über  der  neuen 
Erkenntnis  versanken  die  literarischen  Streitigkeiten  der  Franzosen  über 
die  Alten  und  Neuen,  ganz  wie  in  England.  Herder  hat  noch  1794  den 
Streit  sehr  leer  genannt  und  gesagt,  man  habe  sich  nichts  Bestimmtes 
dabei  gedacht,  genau  wie  Conti  über  den  Kampf  von  1715  urteilte.  Von 
der  durchschlagendsten  Wirkung  war  in  der  Zeit  der  Originalgenies,  nach 
dem  Büchlein  von  Young,  Wood's  Schrift  über  das  Originalgenie  Homers. 
Hatte  man  bei  Guys  vom  Fortleben  altgriechischer  Sitten  bei  den  modernen 
Hellenen  gelesen,  so  fand  man,  mit  Goethe  zu  reden,  in  Wood's  1773 
übersetztem  Werk  die  abgespiegelte  Wahrheit  einer  uralten  Gegenwart, 
durch  die  man  die  Werke  der  Alten  von  der  Seite  der  Natur  betrachten 
lernte.    Goethe  war  freilich  damals  schon  selbst  weit  genug  in  den  Ho- 


428  Deutschland  und  die  Scliweiz 

mer  eingedrungen,  um  zu  erkennen,  daß  eine  Yergleichung  seiner  Heroen 
mit  wilden  Völkern  und  Sitten  nicht  recht  zutreffend  sei;  denn  der  von 
Homer  gezeichnete  Kulturzustand  stehe  höher  als  diese,  vielleicht  höher 
als  der,  den  die  Zeiten  des  trojanischen  Krieges  mochten  genossen  haben. 

Der  erste,  bei  dem  wir  die  neue  Anschauung  von  Homer  finden, 
ist  Hamann,  der  in  seinen  Schriften  von  1759  bis  1763  mehrfach  auf 
den  Dichter  zu  sprechen  kommt.  Er  hat  in  jenem  Jahre  die  Odyssee 
zu  lesen  begonnen,  und  dadurch  geht  ihm  ein  ganz  neues  Licht  über 
die  Poesie  auf.  Er  erkennt  die  ganze  Enge  der  bisher  herrschenden 
Auffassung:  Bodmer  und  Klopstock  haben  den  Homer  gewiß  studiert^ 
sie  haben  ihn  aber  nicht  anders  als  im  Kleinen,  im  Detail  nachzuahmen 
verstanden.  Für  die  Werke  der  Alten  ist  ihm  die  Natur  der  einzige 
Erklärer.  Jene  verhalten  sich  zu  dieser  wie  die  Erklärer  zu  ihrem  Autor; 
wer  die  Alten,  ohne  die  Natur  zu  kennen,  studiert,  liest  Erklärungen  ohne 
Text.  Wer  kein  Fell  über  den  Augen  hat,  für  den  hat  Homer  keine 
Decke;  wer  den  hellen  Tag  noch  nie  gesehen,  an  dem  werden  weder 
Didymos  noch  Eustathios  Wunder  tun.  Die  Meinungen  der  Weltweisen^ 
heißt  es  anderswo,  sind  Lesarten  der  Natur,  und  die  Satzungen  der  Gottes- 
gelehrten Lesarten  der  Schrift.  Der  Autor  ist  der  beste  Ausleger  seiner 
Worte,  mag  er  durch  Geschöpfe,  durch  Begebenheiten  oder  durch  Blut 
und  Feuer  und  Rauchdampf  reden,  worin  die  Sprache  des  Heiligtums 
besteht.  Hier  spricht  allerdings  Hamann  vom  Weltschöpfer,  aber  er  hat 
vom  schöpferischen  Genie  dieselbe  Meinung.  Ein  Liebhaber  des  Homer,, 
sagt  er,  läuft  gleiche  Gefahr,  durch  einen  französischen  Paraphrasten  wie 
La  Motte  und  einen  tiefsinnigen  Dogmatiker  wie  Samuel  Clarke  die  Einheit 
des  Verstandes  zu  verlieren.  Diese  Verachtung  der  Gelehrsamkeit  gegen- 
über dem  Original  diktierte  Hamann  auch  in  der  Anzeige  von  Herder» 
Zweitem  kritischen  Wäldchen  1769  die  Worte:  Wir  haben  zu  unserer 
Zeit  nicht  eine  Stunde  an  der  Theopneustie  eines  Homer  gezweifelt,  ohne 
uns  deswegen  an  der  Blindheit  weder  seiner  Scholiasten  noch  Zöllen  zu 
ärgern,  die  ihn  wechselweise  vergöttert  oder  gegeißelt  haben,  und  wünschen 
deshalb,  daß  die  Herren  Lessing  und  Herder,  anstatt  den  Herrn  Geheimen- 
rat  Klotz  in  dem  so  kurzen  Genuß  seines  Lustri  zu  betrüben,  ihre  Muße 
und  Talente  vielmehr  zu  vollendeten  Werken  sammeln  und  erhalten 
möchten.  Hamann  fordert  sie  auf,  Winckelmanns  Verdienste  um  Reinheit 
der  Sprache  und  Wiederherstellung  des  griechischen  Geschmacks  zu  über- 
treffen. 

Einige  der  erwähnten  Stellen  stehen  in  der  Schrift  Äesthetica  in  nuce^ 
eine  Wiapsodie  der  kahhalistischen  Prosa,  die  mit  dem  berühmten  Satze 
beginnt,  daß  Poesie  die  Muttersprache  des  menschlichen  Geschlechtes  sei. 


Hamann     Herder  429 

Dem  Titel  entsprechend  ist  die  Schrift  dunkel  und  schwer,  so  daß  mir 
ein  Referat  darüber  zu  gewagt  erscheint.  Dasselbe  gilt  von  solchen  Äuße- 
rungen über  Homer,  die  in  einem  abstrusen  Zusammenhang  stehen.  Be- 
merkenswert sind  noch  folgende  Stellen.  Hamann  erwägt  die  Frage  der 
Erstgeburt  zwischen  Homer  und  Hesiod.  Er  findet  bei  diesem  eine  Ein- 
falt und  Unschuld,  die  ihn  antiker  macht  als  Homer,  sieht  aber  in  dieser 
Einfalt  eine  Kultur  schimmern,  die  ihn  um  ein  Jahrhundert  zu  verjüngen 
scheint.  Gegen  Diderot,  der  aus  der  Poesie  das  Burleske  und  Wunder- 
bare als  Schlacken  verbannt,  wendet  Hamann  ein,  daß  damit  göttliche  wie 
menschliche  Dinge  ihren  wesentlichsten  Charakter  verlieren,  Brüste  und 
Lenden  der  Dichtkunst  verdorren.  Gerade  im  Törichten  der  homerischen 
Götter  besteht  das  Wunderbare  seiner  Poesie,  das  Salz  ihrer  Unsterb- 
lichkeit. Das  Burleske  verhält  sich  zum  Wunderbaren,  das  Gemeine  zum 
Heiligen,  wie  oben  nnd  unten,  hinten  und  vom,  die  hohle  zur  gewölb- 
ten Hand. 

Hamann  hat  stark  auf  Herder  gewirkt,  den  Mann,  in  dem  sich 
die  neuen  Anschauungen  recht  eigentlich  verkörpern.  Seine  erste  wie 
seine  letzte  Schrift  befassen  sich  mit  Homer.  Seine  Auffassung  des  Dichters 
ist  nicht  von  Anfang  an  vollkommen  abgerundet,  sondern  hat  sich  er- 
weitert und  vertieft;  aber  wenn  wir  fast  dreißig  Jahre  nach  seinem 
erstem  Auftreten,  1795,  zurückblicken,  so  finden  wir  kaum  ein  Schwanken 
der  Auffassung.  Das  Werden  der  Erkenntnis  bei  ihm  zu  verfolgen  ist 
sehr  erfreulich.  Gleich  seine  erste  Schrift,  die  Fragmente  über  die  neuere 
deutsche  Literatur,  enthält  ein  vollständiges  Programm  für  das  Studium 
der  Griechen  durch  die  Deutschen.  Es  müsse  zuerst  der  Wortverstand 
erforscht  werden,  dann  aber  solle  man  suchen,  mit  dem  Auge  der  Philo- 
sophie in  den  Geist  der  Griechen  zu  blicken,  mit  dem  der  Ästhetik  ihre 
feinen  Schönheiten  zu  zergliedern,  mit  dem  der  Geschichte  Zeit  gegen 
Zeit,  Land  gegen  Land  und  Genie  gegen  Genie  zu  halten.  Es  ist  die 
Forderung  einer  universalen  Erforschung  der  Griechen,  wie  sie,  so  sehr 
sich  auch  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  in  Frankreich 
und  besonders  in  England  die  historische  Betrachtung  Bahn  brach,  doch 
in  diesem  Umfang  noch  nicht  erhoben  worden  war.  Eine  höhere  Stufe 
wäre,  so  meint  Herder,  eine  Übersetzung,  die  nicht  nur  den  Sinn,  sondern 
den  unterscheidenden  Ton  des  Originals  träfe,  uns  Homer  zeigte,  wie 
er  war,  und  was  er  für  uns  sein  kann.  Dafür  bedeutet  ihm  Blackwell's 
Buch  eine  wichtige  Vorarbeit;  Anmerkungen  und  Erläuterungen  würden 
sehr  notwendig  sein,  nur  müsse  uns  der  Übersetzer  nach  Griechenland 
führen  und  uns  anleiten,  das  „große  Staatsgeheimnis  der  griechischen 
Literatur"  kennen  zu  lernen.    Was  Herder  verlangt,  ist  historische  Auf- 


430  Deutschland  und  die  Schweiz 

fassuüg  im  weitesten  Sinn.  An  die  Bemerkung,  daß  weder  Bodmer  noch 
Klopstock  mit  Homer  verglichen  werden  können,  knüpft  sich  die  lehr- 
reiche Untersuchung  über  das  Verständnis  Homers  bei  den  Alten  selbst. 

Die  universale  Auffassung,  die  Herder  verlangt,  zeigt  schon  der  Fünf- 
undzwanzigjährige in  seinem  Ersten  Kritischen  Wäldchen^  der  Kritik  des 
Laokoon.  Gleich  in  der  Polemik  gegen  Lessings  Behauptung,  daß  Homers 
Krieger  nicht  selten  mit  Geschrei  zu  Boden  fallen,  zeigt  sich  ein  viel  tiefe- 
res Eindringen  in  die  Gefühlswelt  Homers.  Herder  hat  gesehen,  daß  die 
Helden  fast  ausschließlich  über  Leiden  der  Seele  weinen,  edle  Tränen,  neben 
denen  das  Geschrei  und  das  Weinen  über  eine  Wunde  kaum  in  Betracht 
kommt.  Wenn  Lessing  den  transitorischen  Moment  aus  der  bildenden  Kunst 
verbannt,  so  schränkt  Herder  diese  Regel  in  die  engsten  Grenzen  ein,  indem 
er  hervorhebt,  daß  nur  die  tote  Natur  nichts  Vorübergehendes  hat.  Ganz 
selbständig  ist  er  in  der  Auffassung  der  homerischen  Götter.  Er  stimmt 
mit  Lessing  darin  überein,  daß  eine  Gottheit  beim  Dichter  nicht  durch  das 
kenntlich  ist,  was  sie  ist,  sondern  durch  das,  was  sie  tut.  Aber  er  ist  nicht 
damit  einverstanden,  daß  die  Handlungen  einer  Gottheit  ihrem  Charakter  in 
keinem  Zuge  widersprechen  dürfen.  Die  Dichter,  sagt  er,  haben  die  Mytho- 
logie erfunden  und  bestimmt,  aber  nicht  als  eine  Galerie  abstrakter  Ideen, 
sondern  als  himmlische  Individuen,  die  freilich  ihren  Charakter  durch  Hand- 
lungen festsetzen,  aber  nicht  dazu  da  sind,  diese  und  jene  Idee  in  Figur 
zu  zeigen.  Von  größter  Bedeutung  ist  es,  daß  Herder  in  der  homerischen 
Götterwelt  eine  Realwelt  erkennt,  im  Gegensatz  zu  den  frostigen  und 
überflüssigen  Maschinerien  späterer  Poeme.  Er  hat  gesehen,  daß  der  die 
Helden  umhüllende  Nebel  keine  poetische  Redensart  für  unsichtbar  machen, 
sondern  eine  wirkliche  verhüllende  Wolke  ist,  die  zum  Wunderbaren 
der  Fiktion,  zum  epischen  Mythos  notwendig  gehört.  Er  wirft  Lessing 
vor,  seine  Erklärung  laufe  aller  schönen  Sichtbarkeit  homerischer  Er- 
scheinungen zuwider,  und  zeigt  das  in  der  ausgezeichneten  Widerlegung 
des  Lessing'schen  Satzes,  daß  Unsichtbarkeit  der  natürliche  Zustand  der 
Götter  Homers  sei. 

In  der  für  die  Auffassung  der  Praxis  Homers  entscheidenden  Partie 
bestreitet  Herder  vor  allem,  daß  Sukzession  das  Wesen  der  Poesie  sei, 
da  diese  jeder  Rede  zukomme.  Das  erste  Wesentliche  in  der  Poesie  ist 
wirklich  eine  Art  von  Malerei,  sinnliche  Vorstellung;  dazu  tritt  als  zweites 
die  Kraft,  die  im  Räume  dadurch  wirkt,  daß  sie  die  ganze  Rede  sinnlich 
macht.  Wenn  darauf  Herder  auf  das  Einzelne  eingeht,  so  macht  er  nur 
den  einzigen  Fehler,  daß  er  nicht  die  ganze  Lehre  Lessings  von  der 
Praxis  Homers  verwirft,  sondern  sie  gelten  läßt  und  nur  bestreitet,  daß 
der  Dichter  durch  die  Sukzession  die  Vorstellung  des  Koexistenten  hervor- 


Herder  431 

bringen  wolle.  Homer,  sagt  er,  schreitet  durcli  die  Teile,  weil  ihm  an  dem 
Bilde  des  Ganzen  durchaus  nichts  lag;  er  schreitet  in  Handlungen  fort,  weil 
alle  diese  Teilhandlungen  Stücke  seiner  ganzen  Handlung  sind,  weil  er  ein 
epischer  Dichter  ist.  Man  soll  nicht  wissen,  wie  der  Wagen,  das  Zepter,  der 
Bogen  ausgesehen  haben,  sondern  diese  Dinge  sind  nur  eingeflochten,  um 
auf  unsere  Seele  mit  einzuwirken.  Kunstgriffe,  um  eine  körperliche 
Beschreibung  zu  vermeiden,  sind  das  nicht.  Das  ist  alles  sehr  richtig. 
Es  hätte  für  Herder  nur  noch  eines  kleinen  Schrittes  bedurft,  um  die 
volle  Wahrheit  zu  finden.  Ist  er  ihr  doch  nahe  genug  gekommen,  wenn 
er  ausführt,  daß,  was  für  Homer  gelte,  nicht  für  die  ganze  Poesie  giltig 
sei;  daß  auch  er  lange  tote  Schilderungen  hasse,  aber  nicht  mit  dem 
tödlichen  Hasse,  um  jedes  einzelne  ausgeführte  Gemälde,  wenn  es  auch 
koexistent  geschildert  wäre,  zu  verurteilen,  und  nur  aus  dem  Grunde, 
weil  die  Poesie  in  sukzesiven  Tönen  schildert,  oder  weil  Homer  dies  und 
jenes  macht  oder  nicht  macht.  Zwar  ist  damit  der  starre  Schematismus 
des  Laokoon  bereits  gesprengt,  aber  der  Sieg  wäre  vollkommener  gewesen, 
wenn  Herder  nicht  nur  Ossian,  Milton,  Klopstock,  Virgil,  sondern  Homer 
selbst  als  Eideshelfer  aufgeführt  hätte. 

Vollständig  gelungen  ist  die  Ausführung  über  Thersites.  Wenn  der 
Dichter  die  Schönheit  nicht  schildern  darf,  dann  auch  die  Häßlichkeit  nicht; 
und  wenn  ihm  diese  zu  schildern  erlaubt  ist,  wenn  er  sie  nutzen  kann,  wie 
viel  mehr  die  Schönheit!  Er  darf  also  körperliche  Gegenstände  schildern. 
„Was  wollen  wir  mehr?  Die  Schärfe  des  Bogens  hat  nachgelassen,  erschlafft 
liegt  er  da!  Mit  einer  solchen  Zugabe  hat  Herr  Lessing  den  größten 
Teil  seines  Buches  widerlegt."  Der  Triumph  ist  vollauf  berechtigt,  so 
wenig  er  auch  in  der  Folge  anerkannt  worden  ist.  Die  Mittel  der  Streitenden 
waren  ungleich.  Lessings  klare  und  scharfe  Deduktionen  eroberten  sich, 
das  Feld  gegenüber  Herders  nicht  immer  klaren  Ausführungen.  Und 
doch  hatte  dieser  Recht,  jenem  vorzuwerfen,  er  operiere  nur  mit  den  äußeren 
Mitteln  der  Poesie;  und  doch  stritten  auf  Herders  Seite  weit  größeres 
und  wärmeres  Gefühl  für  Poesie  und  vor  allem  viel  mehr  Verständnis 
und  Kenntnis  Homers.  Dieses  Erste  Kritische  Wäldchen  ist  denn  auch 
viel  mehr  geworden  als  eine  bloße  Polemik,  nämlich  eine  wahre  Ver- 
kündigung Homers,  deren  Einzelheiten  oft  von  hinreißender  Schönheit 
sind.  Nicht  vergessen  wollen  wir,  daß  sich  Herder  auch  über  das  home- 
rische Gleichnis  ausgesprochen  hat.  Er  definiert  es  als  „ein  Kreisbild, 
wo  ein  Zug  in  den  andern  fällt,  wo  das  Vorige  zurückkehrt,  um  das 
Folgende  zu  entwickeln."  Herder  hatte  vorher  an  einem  Beispiel  aus- 
geführt, wie  Homer  das  gewählte  Bild  nach  und  nach  ganz  zeichnet,  um 
es  zum  Schluß  wieder  an  die  Erzählung  anzuknüpfen.    Damit  geht  er 


432  Deutschland  und  die  Schweiz 

über  Breitinger  auf  Addison  zurück,  nur  daß  dieser  bedeutend  klarer  ge- 
wesen war. 

Das  Zweite  Kritische  Wäldchen  befaßt  sieb  mit  des  Geheimrat  Klotz 
Epistolae  Homericae,  die  1764  erschienen  waren.  Klotz  batte  nach  einem 
überladenen  Lob  Homers  von  dessen  Fehlem  gesprochen;  besonders 
reebnet  er  dazu  die  Art  Homers,  an  unpassendem  Orte  das  Gelächter  der 
Leser  zu  erregen,  wie  in  den  Szenen  des  Iros,  Hepbaistos  und  Thersites. 
Solche  Dinge,  behauptet  er,  seien  im  ernsten  Gedichte  unstatthaft  und 
störten  die  Harmonie  des  Epos.  Er  würde  am  liebsten  die  Verse  über 
Thersites  als  dem  Homer  untergeschoben  streichen.  Dagegen  hob  Lessing 
in  den  Briefen  antiquarischen  Inhalts  hervor,  daß  die  feierliche  Harmonie 
des  Epos  eine  Grille  sei:  schon  Eustathios  rechne  das  Lächerliche  aus- 
drücklich unter  die  Mittel  Homers,  wieder  einzulenken,  wenn  das  Feuer 
und  der  Tumult  der  Handlung  zu  stürmisch  geworden  sei.  Ahnlich 
Herder:  Die  Harmonie  des  Epos  ist  Bewunderung;  aber  es  darf  in  Neben- 
personen alle  Gefühle  erregen,  wenn  sich  diese  nur  ineinander  verlieren, 
so  daß  in  der  Seele  doch  zuletzt  nur  die  Bewunderung  bleibt.  Über 
Thersites  hatte  Herder  schon  im  Ersten  Wäldchen  die  ausgezeichnete  Be- 
merkung gemacht,  er  sei  der  Mund  des  griechischen  Pöbels,  der  sich  jetzt 
erklären  soll  oder  gar  nicht,  und  daher  sei  er  nicht  lächerlich,  sondern 
häßlich,  und  Homer  habe  die  Schlechtigkeit  dieser  Seele  durch  ihre  Lächer- 
lichkeit etwas  gemildert. 

Wir  könnten  mit  Hamann  finden,  der  ganze  Zorn  und  Hohn  Herders 
sei  auf  einen  unwürdigen  Gegenstand  verschwendet,  zumal  Klotz  un- 
verblümt vorgeworfen  wird,  seine  Argumente  stützten  sich  nur  auf  die 
lateinische  Übersetzung  Homers.  Aber  die  heftige  Polemik  förderte 
manches  zutage,  was  von  Herders  Verständnis  Homers  zeugt  und  an  sich 
von  hohem  Werte  ist. 

Klotz  hatte  behauptet,  die  Vermischung  von  Ernstem  und  Lächer- 
lichem lasse  sich  nicht  mit  der  Einfalt  der  homerischen  Sitten  entschul- 
digen. Darauf  antwortet  Herder  zunächst,  es  sei  sehr  schielend,  Homer 
nach  den  Begriffen  unserer  Zeit  zu  beurteilen,  und  legt  dann  seine  eigene 
Auffassung  dar.  Homer  schildert  die  Zeit  vor  ihm  und  mußte  sich  nach 
ihr  bequemen;  aber  er  hatte  die  Vorstellungen  verflossener  Jahrhunderte 
in  der  Sprache  und  Gedankenwelt  seines  Zeitalters  wiederzugeben.  Er 
ist  ein  Barde  voriger  Zeiten  für  seine  Zeit,  oder  wie  Herder  sich  später 
ausdrückt,  ein  Bote  der  Vorwelt,  aber  weise  für  seine  Zeit.  Wer  sich 
in  diese  zurückversetzen  kann,  für  den  singt  Homer,  für  keinen  andern. 
Die  Entdeckung,  daß  Homer  eine  ältere  Zeit  besinge  als  seine  eigene, 
hatte  Pope  gemacht;  von  da  geht  Herder  weiter  und  fordert  für  das  Ver- 


Klotz    Herder  433 

ständnis  des  Dichters  die  Kenntnis  seiner  Zeit.  Hier  handelt  es  sich  nicht 
mehr  um  Apologie  des  Dichters,  sondern  es  wird  jedem  verboten  mit- 
zureden, der  das  historische  Verständnis  nicht  besitzt.  Auch  Blackwell's 
Anregungen  werden  in  diesem  Sinne  vertieft;  nicht  nur  aus  dem  Zu- 
sammenfluß günstiger  Umstände,  sondern  aus  seinem  Zeitalter  soll  der 
Dichter  erklärt  werden.  Je  besser  man  dieses  kennen  lernt,  desto  mehr 
lernt  man  Homer  erklären,  und  desto  mehr  schwindet  der  Gedanke,  ihn 
als  einen  „Dichter  aller  Zeiten"  nach  dem  Bürgerrechte  unserer  Zeit 
und  Nation  zu  beurteilen.  Am  Genie  Homers  zweifelt  Herder  natürlich 
nicht,  aber  er  denkt  es  sich  im  engsten  Zusammenhang  mit  dem  Zeit- 
alter des  Dichters.  Aus  der  Milieutheorie  Blackwell's  erwächst  bei  Herder 
die  historische  Auffassung.  Sie  war  schon  im  Ersten  Kritischen  Wäldchen 
hervorgetreten,  wo  Herder  Ariost's  Schilderung  von  der  Schönheit  der 
Alcina  auf  den  damals  in  Italien  herrschenden  Geschmack  zurückge- 
führt hat. 

Ganz  prächtig  zeigt  sie  sich  in  den  Erörterungen  über  die  Mytho- 
logie im  modernen  Gedicht.  Scharf  tadelt  es  Herder  an  Klotz,  daß  er 
Dichter  verschiedener  Zeiten  und  Länder  nach  einerlei  Machtspruch  be- 
urteile und,  anstatt  Zeiten  und  Völker  zu  studieren,  blindlings  in  den 
Lostopf  der  Jahrhunderte  greife,  um  nichts  als  ein  mageres  Regelchen 
herauszulangen.  Herder  zeigt,  wie  nahe  der  Poesie  der  Renaissance  die 
heidnische  Mythologie  lag,  da  die  Poeten  lateinisch  dichteten  und  die 
Grenze  zwischen  römischer  Sprache  und  Denkart  nicht  festzuhalten  war. 
So  entstand  bei  Vida,  noch  mehr  bei  Sannazaro  das  seltsame  Gemisch 
orientalischer  Religion  und  altrömischer  Poesie.  Ausgezeichnet  ist  dabei 
die  Schilderung  der  Renaissance  mit  dem  Zusammenstoß  des  Heidentums 
und  Christentums  und  die  kurze  Charakteristik  der  Dichter  von  Dante 
bis  Marino.  Die  Verwendung  der  alten  Mythologie  durch  Milton  be- 
gründet Herder  sehr  fein  damit,  daß  der  Dichter  diese  nicht  in  die  Zeit 
setzt,  die  er  besingt,  sondern  daß  er  sie  für  die  klassisch  gebildete  Gegen- 
wart anbringt.  Sein  Schluß  ist,  die  Vermengung  christlicher  und  heid- 
nischer Religion  sei  nicht  darum  unzulässig,  weil  jene  wahr,  diese  un- 
wahr sei,  sondern  weil  sie  einander  aufheben. 

Schon  in  diesem  Aufsatz  hat  Herder  es  ausgesprochen,  daß  es  zu 
Homers  Zeit  noch  keine  Bücher  gegeben  habe.  Bestärkt  wurde  er  in 
dieser  Meinung  durch  Ossian,  dessen  1771  erschienene  Übersetzung  durch 
Denis  ihn  1773  zu  dem  Aufsatz  Über  Ossian  U7id  die  Lieder  alter  Völker 
veranlaßte.  Was  Macpherson  nicht  zu  sagen  gewagt  hatte,  sagt  Herder: 
Homers  Rhapsodien  und  Ossian's  Lieder  waren  gleichsam  Impromptus, 
weil  man   damals   nichts   als  Impromptus  der  Rede  kannte.    Die  erste 

Finaler:  Homer  in  der  Neuzeit.  28 


434  Deutschland  und  die  Schweiz 

Fassung  des  Gedankens  gehört  freilich  nicht  Herder,  sondern  Blackwell, 
der  zögernd  und  wie  zufällig  darauf  gekommen  war  und  neben  den  Im- 
promptus auch  zum  Vortrag  vorbereitete  Lieder  angenommen  hatte.  Aber 
wieder  verwertet  Herder  die  überkommene  Anregung  zu  einem  weit- 
tragenden Gedanken.  Er  verbindet  sie  mit  der  Auffassung  vom  Volkslied. 
Percy's  Balladen  wiesen  dem  ohnehin  auf  das  Volkslied  gerichteten  Geist 
den  Weg.  In  dem  Aufsatz  Von  Ähnlichkeit  der  mittleren  englischen  und 
deutschen  Dichtkunst  1777  weist  er  auf  den  ungehobenen  Schatz  der 
deutschen  Volkspoesie.  Mit  flammender  Begeisterung  spricht  er  von 
England,  dessen  Poesie  durch  die  Berücksichtigung  der  alten  Ballade 
national  geworden  sei  und  Chaucer,  Spenser,  Shakespeare  hervorgebracht 
habe.  Und  dabei  entdeckt  er  das  Wesen  der  Sage,  ganz  aus  sich  selbst, 
denn  Wilkie  hat  er  nicht  gekannt,  auch  geht  er  von  ganz  andern  Gesichts- 
punkten aus.  Volkssagen,  Märchen,  Mythologie  sind  gewissermaßen 
Resultat  des  Volksglaubens,  seiner  sinnlichen  Anschauung,  Kräfte  und 
Triebe,  wo  man  träumt,  wo  man  nicht  weiß,  glaubt,  wo  man  nicht  sieht, 
und  mit  der  ganzen  unzerteilten  und  ungebildeten  Seele  wirkt.  Bei  Homer 
findet  er  es  nicht  anders.  Wood  lehrt  ihn,  daß  auch  die  Griechen  einst,  wenn 
wir  so  wollen,  Wilde  waren,  und  daß  selbst  in  den  Blüten  ihrer  schönsten 
Zeit  mehr  Natur  ist,  als  das  blinzelnde  Auge  der  Scholiasten  und  Kritiker 
findet.  Homer  sang  nach  alten  Sagen,  und  sein  Hexameter  war  nichts 
als   Sangweise  der  griechischen  Romanze. 

Aus  dieser  Erkenntnis  erwächst  ihm  das  Bild  Homers  als  eines 
Volksdichters,  eine  Auffassung,  durch  welche  diejenige  Addis on's  und 
Pope's  vom  Naturdichter  ersetzt  wird.  Homers  herrliches  Ganzes  ist  nicht 
Epopöe,  sondern  Epos:  Märchen,  Sage,  lebendige  Volksgeschichte.  Er 
machte  nicht  ein  Heldengedicht  in  24  Gesängen  nach  Aristoteles  Regel 
oder  auch,  so  die  Muse  wollte,  über  die  Regel  hinaus,  sondern  sang,  was 
er  gesehen  und  lebendig  erfaßt  hatte.  Seine  Rhapsodien  blieben  nicht 
in  Buchläden  und  auf  den  Lumpen  unseres  Papiers,  sondern  im  Ohr  und 
im  Herzen  lebendiger  Sänger  und  Hörer,  aus  denen  sie  spät  gesammelt 
wurden  und  zuletzt,  überhäuft  mit  Glossen  und  Vorurteilen,  zu  uns  ge- 
langten. Diese  Worte  samt  dem  Preise  des  ewig  wechselnden,  ewig  neuen 
Maßes  des  Hexameters  stehen  in  der  Vorrede  zu  der  herrlichen  Sammlung 
der  Volkslieder,  den  Stimmen  der  Völker,  1778 — 79. 

Ganz  gleich  spricht  sich  Herder  im  selben  Jahre  1778  in  dem  Auf- 
satz über  Wirkung  der  Dichtkunst  auf  die  Sitten  der  Volker  aus.  Die 
größten  Wirkungen  geschahen,  als  die  Poesie  noch  lebendige  Sage  war, 
da  noch  keine  Buchstaben,  viel  weniger  geschriebene  RegeLa  da  waren. 
Der  Dichter  sah,  was  er  sang,  hatte  es  lebendig  vernommen  und  trug 


Herder  435 

es   mit   sich   im  Herzen  als  ein  Schoßkind  umher;   nun  öflEnete  er  den 
Mund  und  sprach  Wunder  und  Wahrheit. 

In  den  Ideen  zur  Philosophie  der  Geschichte  der  Menschheit  1784 
kommt  Herder  auf  Homer  zurück.   Die  Richtung  des  Buches  hat  bewirkt, 
daß  er  sich  mit  seinen  früheren  Äußerungen  in  Widerspruch  setzt.    Er 
sagt,  mit  ausdrücklicher  Beziehung  auf  Blackwell  und  Wood,  man  habe 
sich  Mühe  gegeben  das  Werden  Homers  zu  erklären,  der  doch  nichts  als 
ein  Kind  der  Natur  war,   ein  glücklicher  Sänger  der  ionischen  Küste. 
Hier  fehlt  uns   die   historische  Erkenntnis.    Um   so   lieber  ist  uns  die 
Schilderung  des  Dichters  selbst.  Die  Gegenstände,  sagt  Herder,  die  Homer 
bringt,  sind  Kleinigkeitennach  unserer  Auffassung;  seine  Kenntnisse  von  den 
Göttern,  der  Natur,  der  Erde,  der  Moral  sind  auf  seine  Zeit  und  ihre  Sage 
eingeschränkt.  Aber  die  Wahrheit  und  Weisheit,  mit  der  er  ein  lebendiges 
Ganzes  webt,  der  feste  Umriß  seiner  Charaktere,  die  unangestrengte,  sanfte 
Art  seiner  Erzählung,  die  unablässig  von  seinen  Lippen  strömende  Musik 
machen  ihn  in  der  Geschichte  der  Menschheit  zum  einzigen  seiner  Art. 
Noch  tiefer  geht  er  auf  den  ethischen  Gehalt  Homers  in  den  Briefen 
zur  Beförderung  der  Humanität  1794  ein,  wobei  er  an  Gedanken  von 
Addison  und  Pope  anknüpft.  Er  verwahrt  sich  dagegen,  daß  man,  wie  vor- 
mals  in  Frankreich,  nun  in  Deutschland   wieder   anfange,   bei  Homer 
Mangel  an  Bildung  und  moralischem  Geschmack  zu  finden.   Es  sei  keine 
Kunst,  Parallelen  mit  wilden  Völkern  aufzufinden  und  zu  übertreiben, 
dagegen  das  Auge  vor  der  Kunst  und  Weisheit  zuzuschließen,  die  Homer 
auf  die  Komposition  der  Ilias  gewandt  habe.   Homer  besingt  nicht  die  Ge- 
schichte des  troischen  Krieges,   auch  nicht  die  des  Achilleus,   sondern 
dessen  Zorn;  diesen  preist  er  nicht  unbedingt,  sondern  er  ist  ihm  eine 
verderbliche  Plage  der  Götter,  um  so  bedauernswerter,  als  sie  bloß  aus 
einem  unseligen  Zwist  entstand,  an  dem  Agamemnon  schuld  war.   Herder 
rechtfertigt   das  Tun   des  Achilleus   durchaus  und  spricht  ihn  von  der 
Schuld  am  Unglück  der  Griechen  frei.    Sehr  fein  und  richtig  sind  die 
folgenden  Ausführungen.    Homer  kennt  keinen  Groll  gegen  ein  mensch- 
liches Geschöpf,  geschweige  gegen  den  König  selbst.  Der  Spiegel  Homers, 
in  dem  sich  alle  Dinge  der  Welt  gleich  klar  und  rein  darstellen,  zeigt 
alle  Gestalten  gleich  menschlich  und  milde.    Bei  völligen  Gegensätzen 
scheint  eine  Vergleichung  kaum  möglich,  und  doch  wirft  Homer  auf  alle, 
wo  er  irgend  kann,  den  milden  Strahl  der  Menschheit,  selbst  auf  Paris 
und  Helene.   Wem  Homers  Muse  den  Nebel  vom  Auge  nimmt,  der  gewinnt 
über  die  Dinge  der  Welt  eine  große,  weise  und  am  Ende  fröhliche  Aussicht. 
Selbst  im   Heldengedichte   denkt  Homer   über  Krieg  und  Frieden 
menschlich.    Er  nimmt  unser  Mitgefühl  für  die  Fallenden  in  Anspruch, 

28* 


436  Deutschland  und  die  Schweiz 

Mitgefühl  spendet  er  besonders  den  Troern.  Alles  Kriegsunglück  entsteht 
durch  Fehler  und  Leidenschaften  der  Götter  und  Menschen;  so  wird 
Troja  von  Zeus  dem  Eigensinn" eines  unversöhnlichen  Weibes  aufgeopfert. 
Was  Diderot  über  die  Einfalt  im  Homer  sagt,  läßt  sich  auch  von  seiner 
Humanität  sagen:  „Welche  Schule  der  Humanität  ist  in  ihm!" 

Aus  dem  folgenden  Jahre,  1795,  stammt  der  Aufsatz  Über  Homer 
und  Ossian.  Gewiß,  meint  Herder,  haben  beide  Dichter  manches  gemein- 
sam, vor  allem  die  Art  der  Entstehung  der  Gedichte,  den  auf  Hörer 
berechneten  Gesang.  Aber  wie  mag  man  sie  sonst  vergleichen?  Homers 
Gestalten  schreiten  wie  unter  freiem  Himmel  in  hellem  Licht,  leibhaft, 
in  völliger  Wahrheit.  Bei  ihm  sieht  man  die  Handlung,  die  man  bei 
Ossian's  Nebelgestalten  nur  ahnt.  Wer  Götter  und  Helden  bilden  will, 
lerne  bei  Homer;  denn  bei  Ossian  gleicht  eine  Figur  der  andern.  Ossian 
ist  ebenso  rein  subjektiv,  wie  Homer  objektiv  ist.  Hier  erzählt  sich 
alles  selbst,  dort  ist  es  schwer,  den  dunkel  zusammengereihten  Episoden 
sinnlich  zu  folgen.  Was  die  Exposition  der  Gedichte  betrifft,  so  hätten 
Macpherson  und  Blair  sich  hüten  sollen,  sie  auch  nur  miteinander  zu 
vergleichen. 

Mit  den  letzten  Schriften  sind  wir  schon  in  eine  spätere  Periode 
gelangt;  sie  sind  aber  notwendig,  um  das  Bild  staunenswerter  Fülle 
abzurunden,  das  uns  aus  Herders  Offenbarungen  entgegenleuchtet.  Nicht 
alles  ist  klar  genug  ausgedrückt;  Widersprüche  fehlen  nicht.  Aber  der 
göttliche  Sänger  hebt  sich  bei  ihm,  losgelöst  von  dem  Staub  der  Kommen- 
tare, vom  Wust  der  Regeln,  von  den  wenig  fruchtbaren  literarischen 
Erörterungen,  in  das  volle  Licht  der  Geschichte  der  Menschheit.  „So 
dichtet  mein  Homer!"  ruft  er  mit  berechtigtestem  Selbstgefühl  aus. 
Seiner  Entdeckungen  dürfen  wir  uns  noch  heute  freuen;  sie  verdienen, 
von  jedem,  der  über  Homer  spricht,  berücksichtigt  zu  werden. 

Herder  war  der  eifrigste  Verkünder  Homers,  aber  die  ganze  literarische 
Welt  war  von  dem  nämlichen  Zuge  ergriffen.  In  den  Briefen  über  Merlt- 
würdiglieiten  der  Literatur j  1766,  bemächtigt  sich  Gerstenberg  der  Frage 
nach  dem  Wesen  des  Genies.  Er  wirft  Thomas  Warton  vor,  daß  er  Spenser 
mit  dem  Virgil  in  der  einen  und  dem  Maßstab  der  französischen  Kritik 
in  der  andern  Hand  beurteile.  Er  hält  es  des  menschlichen  Geistes  für 
würdiger,  die  hohen  Talente  der  kunstlosen  Natur  zu  bewundern,  als  die 
Spielwerke  der  Kunst.  Er  erkennt  Homer  nicht  deutlicher  in  der  Einheit 
und  den  Verhältnissen  seines  Plans,  als  in  dem  großen  Umriß,  der  un- 
verfeinerten  Simplizität,  dem  kühnen  Ideal  seiner  Helden,  der  Fruchtbarkeit 
seiner  Einbildungskraft  und  dem  Reichtum  seiner  Erfindung.  Heftig 
weist  er  Warton's  Tadel  gegen  Ariost  zurück,  daß  sich  dieser  nach  Boiardo 


Herder     Gerstenberg  437 

statt  nach  den  Regeln  der  griechischen  und  römischen  Muster  gerichtet 
habe.  Die  Maschinerien  Homers  seien  nicht  mehr  und  nicht  weniger  Ge- 
schöpfe der  Einbildungskraft  als  die  Zaubereien  Ariosts*  denn  auch  diese 
waren  national  und  boten  einem  Genie  wie  Ariost  ein  weites  Feld  für  die 
malerische  Phantasie.  Ariost  konnte  sehr  wohl  Homer  als  Modell  ge- 
brauchen, ohne  sich  an  die  ängstliche  Nachahmungsart  Virgils  zu  binden. 

Es  ist  die  reine  Kriegserklärung  gegen  alles  Hergebrachte.  Nicht 
die  Korrektheit  ist  maßgebend,  sondern  Fülle  und  Reichtum,  nicht  die 
Regel,  sondern  das  Genie.  Dieses  scheidet  Gerstenberg  scharf  von  dem 
schönen  Geist,  dem  bei  esprit.  Poesie  ist  nur  das,  was  das  Werk  des 
poetischen  Genies  ist,  alles  andere  verdient  den  Namen  nicht.  Ben  Jonson, 
Corneille,  Yirgil  waren  große  Köpfe,  machten  Meisterstücke  und  hatten 
kein  Genie.  Shakespeare,  ein  Genie,  machte  selten  Meisterstücke  und  war 
kein  schöner  Geist. 

Fenelon's  Telemaque  hat  den  gleichen  Grundstoff  der  Handlung  wie 
die  Odyssee;  er  hat  Erfindung,  Maschinen  und  eine  glänzende  Sprache. 
Es  fehlt  ihm  nichts  als  der  Geist  Homers,  die  Kraft,  die  man  Trug  oder 
Illusion  nennen  mag,  die  Kraft,  die  Natur  wie  gegenwärtig  in  der  Seele 
abzubilden.  Homer  läßt  uns  die  Gegenstände  sehen.  Alle  seine  Charaktere 
haben  ihr  besonderes  Gepräge;  das  Genie  drückt  sein  Siegel  darauf.  Seine 
Gefühle  sind  Funken  aus  der  glühenden  Hitze  des  Genies,  reine  geistige 
und  subKme  Funken  ohne  den  Rauch  des  Schwätzers.  Seine  Bilder,  seine 
Gleichnisse  sind  uns  Original,  weil  unser  Auge  nur  auf  der  Oberfläche 
blieb,  durch  welche  das  Auge  des  Genies  weit  hindurchgedrungen  war; 
der  ganze  Anstrich  wird  uns  neu,  weil  er  seine  Farben  von  dem  wieder- 
strahlenden Feuer  des  Dichtergeistes  herübemimmt.  Virgil,  Tasso,  Voltaire 
haben  neue  Erfindungen,  neue  Seiten;  sie  haben  alles,  was  Homer  hat, 
mit  Ausnahme  des  einzigen,  wodurch  er  uns  Homer  ist. 

Meinen  wir  nicht  Piaton  zu  hören,  der  das  ganze  Rüstzeug  der 
Poeten  gegenüber  der  dichterischen  Inspiration  verwirft?  Es  wiederholt 
sich  die  uralte  Scheidung:  ohne  es  zu  wissen,  führen  die  Stürmer  und 
Dränger  Piatons  Gedanken  gegen  die  ganze  Heerschar  der  Aristoteliker 
ins  Feld. 

Derselbe  Geist  weht  in  Goethe's  kleinen  Schriften  aus  dem  Jahre 
1772.  Goethe  hatte  mit  Herder  in  Straßburg  und  dann  in  Wetzlar  eifrig 
Homer  studiert.  Er  hatte  das  Aufgehen  des  homerischen  Lichtes  will- 
kommen geheißen  und  es  begrüßt,  daß  das  beständige  Hinweisen  auf 
Natur  auch  die  Alten  von  dieser  Seite  betrachten  lehrte.  Selbst  die  Bedenken 
gegen  Wood  überwand  er,  weil  dessen  Vergleichung  der  homerischen 
Helden  und  der  arabischen  Wüstenhäuptlinge  mit  dem  herrschenden 


438  Deutschland  und  die  Schweiz 

Naturbekenn tnis  übereinstimmte.  Darum  zieht  auch  er  mit  grimmem 
Hohn  gegen  die  Schulweisheit  los,  die  sich  erkühnt,  mit  Regeln  den  Dichter 
erklären  zu  wollen.  Er  zerzaust  Professor  Seyholds  Schreiben  über  den 
Homer  und  macht  auch  vor  der  geheiligten  Autorität  des  Horaz  nicht 
halt.  Wenn  der  Stoff  der  Ilias  der  Zorn  des  Achilleus  ist,  so  reißt  uns 
Homer  nicht,  wie  Horaz  behauptet,  mitten  in  die  Ereignisse,  sondern 
fängt  ab  ovo  an,  ja  noch  bevor  das  Ei  empfangen  war.  Nach  der  Rezension 
scheint  Seybold,  dessen  Schrift  ich  nicht  selbst  gesehen  habe,  im  ganzen 
die  Gedanken  Le  Bossu's  reproduziert  zu  haben.  Bemerkenswert  ist  der 
Schluß.  Seybold  hatte  gesagt,  ein  junges  Genie  lerne  von  Homer  Dichter 
seiner  Nation  werden  wie  Yirgil.  Darauf  ruft  Goethe  aus:  „Wann  war 
Virgil  Dichter  seiner  Nation?  den  Römern  das,  was  Homer  den  Griechen 
war?  Wann  konnte  er  es  sein?  Wenn  sie  sonst  nichts  aus  ihm  lernen, 
als  was  Virgil,  was  mehrere  aus  ihm  gelernt  haben,  mit  Hyazinthen, 
Lotos,  Violetten  ihre  Gedichte  auszuputzen,  braucht's  all  den  Aufwand 
nicht."  Seit  Breitinger  war  der  römische  Nachahmer  allmählich  hinter 
seinem  Original  zurückgetreten,  aber  noch  nie  so  unbarmherzig  degradiert 
worden.  Goethe  ist  freilich  zu  weit  gegangen,  denn  im  ersten  Jahrhundert 
war  Virgil  wirklich  der  Dichter  seiner  Nation.  Aber  wenn  man  mit  dem 
ganzen  Wust  der  hergebrachten  Anschauungen  aufräumte,  konnte  er 
keine  Gnade  finden.  Nicht  minder  herb  behandelt  Goethe  in  dem  kleinen 
Aufsatz  Franken  zur  griechischen  Literatur  einen  Auszug  Herwigs  aus 
der  Ilias.  Homer,  sagt  Goethe,  bleibe  ihm  trotz  allen  Unbilden  der 
Kommentatoren  unverletzt  wie  Hektors  Leichnam. 

Natur,  Genie,  Homer  erschienen  manchem  Bürger  der  Zeit  identische 
Begriffe,  bestimmt,  die  Welt  vom  Zwange  der  Konvention  zu  befreien. 
In  seiner  Ode  An  das  Meer  gibt  Leopold  Stolberg  in  prachtvollen 
Versen  das  Glaubensbekenntnis  seiner  Zeit.  Den  Dichter  zeugt  der  Geist 
des  Herrn,  mütterlich  säugt  ihn  die  Erde,  seine  Phantasie  wiegt  sich 
groß  auf  dem  blauen  Wellenschoß  des  Meeres.  Umrauscht  von  den 
Wogen  und  den  Riesentaten  goldner  Zeit,  stand  der  blinde  Sänger  am 
Meer;  ihn  überkam  die  Begeisterung  des  Gesangs,  und  der  See  ent- 
stiegen Ilias  und  Odyssee.  Dem  Sehenden  wären  Himmel,  Erde  und 
Meer  vor  dem  Anblicke  entschwunden,  dem  Blicke  des  Blinden  sangen 
sie  alles  das  zurück.  Von  der  lästigen  Gesellschaft  geärgert,  Üüchtet 
Werther  zu  seinem  Homer,  und  es  ist  ein  Anzeichen  der  beginnenden 
Verdüsterung,  wenn  Ossian  in  seinem  Herzen  den  Homer  verdrängt.  Die 
begeisterten  Jünglinge  des  Hainbundes  sehen  in  dem  Dichter  einen  der 
ihren,  einen  ionischen  Barden,  der  seinem  Volke  Aufklärung  predigt. 
Lavater,  dessen  kleiner  Aufsatz  über  Genie  auch  ein  wahres  Glaubens- 


Goethe     Stolberg    Merian  439 

bekenntnis  dieser  Zeit  ist,  sagt  vor  einer  Büste  Homers :  Der  Mann  sieht 
nicht,  hört  nicht,  fragt  nicht,  strebt  nicht,  wirkt  nicht.  Der  Mittelpunkt 
aller  Sinne  dieses  Hauptes  ist  in  der  obem,  flach  gewölbten  Höhlung 
der  Stirn,  dem  Sitze  des  Gedächtnisses.  In  ihr  ist  alles  Bild  geblieben, 
und  alle  ihre  Muskeln  ziehen  sich  hinauf,  um  die  lebendigen  Gestalten 
zur  sprechenden  Wange  herabzuleiten.  Niemals  haben  sich  diese  Augen- 
brauen niedergedrängt,  um  Verhältnisse  zu  durchforschen,  sie  von  ihren 
Gestalten  abgesondert  zu  fassen;  hier  wohnt  alles  Leben  mit-  und  neben- 
einander. Es  ist  Homer.  Dies  ist  der  Schädel,  in  dem  die  ungeheuren 
Götter  und  Helden  so  viel  Raum  haben,  als  im  weiten  Himmel  und  auf 
der  grenzenlosen  Erde. 

Es  stimmt  mit  dem  Zuge  der  Zeit  überein,  wenn  die  Lehre  von  dem 
Einfluß  der  Wissenschaften  auf  die  Poesie  geleugnet  wird.  In  dieser  Hin- 
sicht ist  ein  Aufsatz  lehrreich,  den  Johann  Bernhard  Merian  in  den 
Jahren  1773/74  der  Berliner  Akademie  vorlegte.  Merian  geht  davon  aus, 
daß  die  göttliche  Inspiration  ein  berechtigter  Glaube  der  Dichter  sei, 
der  Rausch  des  Genies;  wer  der  Poesie,  führt  er  aus,  einen  menschlichen 
Ursprung  gibt,  sucht  ihn  im  Herzen  des  Menschen.  Das  Wunderbare 
erzeugte  sich  in  den  ältesten  Zeiten  von  selbst,  aus  dem  Anschauen  der 
ganzen  Natur.  Der  Gesang  entstand  aus  den  menschlichen  Affekten,  Form 
gab  ihm  die  Verknüpfung  zum  Rhythmus.  Die  ersten  Gesänge  erschollen 
in  der  Ernte  und  Weinlese,  bei  Opfern  und  Erntefesten.  Nirgends  ist  dabei 
ein  Einfluß  der  Wissenschaften  zu  spüren,  die  es  auch  in  den  Zeiten  der 
ältesten  Dichter  gar  nicht  gab.  Bei  den  Griechen  wurden  die  frühesten 
Gedichte  spät  aufgeschrieben  oder  sind  verloren,  oder  die,  von  denen 
berichtet  wird,  haben  gar  nicht  existiert,  und  die  Tradition  von  ihnen 
ist  Fabel.  In  der  hebräischen  Poesie  erzeugte  der  Gegenstand  den  Ausdruck 
unmittelbar.  Kelten  und  Germanen  waren  unwissende,  aber  durchaus  poe- 
tische Völker.  Ossian  ist  ein  Beispiel,  wie  hoch  sich  ein  Genie  ohne  Hilfe 
der  Wissenschaften  erheben  kann.  Was  über  griechische  Dichter  und  Ge- 
dichte vor  Homer  berichtet  wird,  ist  alles  von  sehr  zweifelhafter  Echtheit. 

Homer  selbst  kannte  wahrscheinlich  die  Schrift  nicht  und  lebte  in 
einem  halbrohen  Zeitalter,  von  dem  Merian,  ohne  Zweifel  durch  Wood 
verleitet,  eine  abschreckende  Beschreibung  macht.  Bei  Homer  ist  alles 
von  der  schönsten  Einfachheit,  aber  von  Kenntnis  der  Wissenschaften 
findet  sich  keine  Spur;  er  war  einfach  ein  trefflicher  Beobachter.  Der 
Versuch  Plutarchs,  Homer  zum  Vater  der  Wissenschaften  zu  machen,  ist 
ganz  verfehlt;  übrigens  hat  der  Verfasser,  der  nicht  Plutarch  ist,  seinen 
Einbildungen  selbst  nicht  recht  getraut.  Besonders  eifrig  setzt  Merian 
der  allegorischen  Auslegung  Homers  und  der  Mythen  zu,  die  Winckel- 


440  Deutschland  und  die  Schweiz 

maim  noch  angenommen,  Lessing  und  Herder  abgelehnt  hatten.  Er  weist 
eingehend  nach,  daß  sie  im  Altertum  gar  nicht  allgemein  anerkannt  war, 
und  daß  vor  allem  in  der  heroischen  Poesie  davon  keine  Rede  sein  könne. 
Sind  doch  selbst  Personifikationen  von  Abstraktionen  bei  Homer  wesen- 
hafte, untergeordnete  Gottheiten.  Der  Irrtum  kam  daher,  daß  man  diese 
Wesen  später  nicht  mehr  mit  den  Augen  der  homerischen  Welt  ansah. 
Zuerst  haben  die  Philosophen  durch  die  allegorisehe  Deutung  die  Poesie 
entstellt,  nach  ihnen  die  Kommentatoren,  die  den  ganzen  Olymp  ver- 
flüchtigten und  sich  dabei  auf  Homer  beriefen.  Am  schlimmsten  wurde 
die  Sache,  als  im  Kampf  gegen  das  Christentum  die  Neuplatoniker  das 
Heidentum  hinter  der  Allegorie  verstecken  mußten.  Diese  Art  der  Er- 
klärung war  zugleich  immer  ein  Freibrief  des  Unglaubens.  Wenn  sie 
sich  bis  heute  fortgesetzt  hat,  so  ist  es  wie  eine  erbliche  Krankheit 
und  eine  falsch  verstandene  Liebe  zu  Homer;  die  Verblendeten  zerstören 
dach  ihr  Werk  selbst,  wenn  sie  in  Homer  bald  die  tiefsten  Erkenntnisse 
in  Religion  und  Moral  finden,  bald  anstößige  Götterszenen  dadurch  zu 
retten  suchen,  daß  sie  die  Götter  zu  Elementen  machen.  Von  den  modernen 
Allegoristen  zitiert  Merian  Bacon,  Cudworth,  Duport;  von  Le  Bossu's 
Rezept  für  das  Epos  sagt  er,  nie  habe  man  methodischer  gefaselt.  Er 
urteilt,  M™®  Dacier  habe  sich  nur  durch  die  allegorische  Auslegung  La 
Motte  gegenüber  eine  Blöße  gegeben,  der  sonst  bei  völliger  Unkenntnis 
des  Altertums  und  Homers  nicht  würdig  gewesen  sei,  mit  ihr  in  die 
Schranken  zu  treten.  Von  Pope,  einem  Übersetzer  ersten  Ranges,  bedauert 
Merian,  daß  er  dieser  Art  von  Erklärung  nachgegeben  habe.  Will  man,^ 
sagt  Merian  ferner,  behaupten,  Homer  habe  sein  Wissen  unter  der  Alle- 
gorie versteckt,  um  die  Hörer  nicht  abzuschrecken,  so  gibt  man  zu,  daß 
Wissen  und  Poesie  nicht  zusammenpassen.  Man  versuche  nur  dem  buch- 
stäblichen überall  den  mystischen  Sinn  unterzulegen,  und  man  wird 
sehen,  welch  ein  Wechselbalg  herauskommt;  die  Poesie  verderbt  die 
Wissenschaft,  und  diese  erdrückt  die  Poesie.  Li  den  folgenden  Aus- 
führungen herrschen  die  Ansichten  von  Blackwell  und  Wood.  Merian 
erörtert  die  günstigen  Bedingungen,  die  Homer  vorfand,  und  preist  ihn 
als  das  Originalgenie,  den  Schöpfer  des  Epos  und  aller  spätem  Dichtungs- 
gattungen. Er  schließt  damit,  daß  eine  gleichzeitige  Höhe  der  Poesie 
und  Wissenschaft  noch  kein  Beweis  für  die  Beeinflussung  jener  durch  diese 
sei;  wohl  aber  erwecke  die  Poesie,  die  bei  allen  Nationen  das  frühere 
sei,  das  Verständnis  für  die  Wissenschaft. 

Der  neuen  Begeisterung  für  Homer  entsprang  das  Bestreben,  ihn 
zu    übersetzen.    Als   Form    der  Übersetzung   hatte   Gottsched   zuerst 


Merian     Übersetzung  441 

Trochäen,  dann  den  Hexameter  vorgeschlagen,  und  sein  Schüler  Venzky 
erörterte  in  den  Beyträgen  die  für  den  Übersetzer  notwendigen  Eigen- 
schaften. Eifrig  erwog  Breitinger  in  der  Critischen  Dichtkunst  die  Gesetze 
der  richtigen  Übersetzung,  gab  aber  die  Homerstellen,  die  er  zitierte,  in 
Prosa.  Bei  dieser  Form  blieb  auch  die  von  gründlichem  Wissen  zeugende, 
aber  herzlich  unbeholfene  Übersetzung  von  Winckelmanns  Lehrer  D  amm, 
1769,  der  auch  ein  etymologisches  Wörterbuch  zu  Homer  verfaßte. 
Für  Bodmer  galt  von  vornherein  Klopstocks  Hexameter  als  die  für  die 
Homerübersetzung  gegebene  Form;  daß  sich  die  übrigen  modernen  Völker, 
sofern  sie  nicht,  wie  die  Franzosen,  die  Prosa  wählten,  an  ihre  nationalen 
Maße  hielten,  störte  ihn  nicht.  Gegenüber  der  angeblichen  Verschönerung 
durch  Pope  bestand  er  auf  dem  engsten  Anschluß  an  den  Wortlaut  des 
Originals.  Von  1755  an  gab  er  mehrmals  Proben  eigener  Übersetzungen 
heraus.  Die  Möglichkeit  und  Notwendigkeit  einer  guten  Übersetzung 
wurde  immer  lebhafter  besprochen.  Moses  Mendelssohn  sprach  den  Wunsch 
aus,  es  möchten  sich  vierundzwanzig  Männer  zusammenfinden,  die  mit 
Gemächlichkeit  die  Ilias  in  irgendwelcher  Form  übersetzten.  Lessing  griff 
in  die  Frage  wenig  ein.  Er  geht  in  Diderot's  Spuren,  wenn  er  von  dem 
grimmig  herabschreitenden  ApoUon  sagt,  es  sei  unmöglich,  die  musika- 
lische Malerei,  welche  die  Worte  des  Dichters  mit  hören  lassen,  in  eine 
andere  Sprache  zu  übersetzen.  Auch  weist  er  im  Laokoon  auf  die  Schwierig- 
keit hin,  die  Freiheit  Homers  in  Häufung  und  Zusammensetzung  der 
Beiwörter  nachzubilden.  Über  die  Schwierigkeiten  jeder  Übersetzung  eines 
Dichterwerkes  in  Prosa  hat  er  sich  in  der  Dramaturgie  ausgesprochen. 
Klotz  und  seine  Sippe  wollten  von  einer  Übersetzung  überhaupt  nichts 
wissen.  Sie  schlössen  an  eine  Kritik  Damms  die  Urteile  der  Franzosen, 
das  von  M™®  Dacier  gegen  die  poetische,  das  Voltaire's  gegen  die  prosaische 
Übersetzung.  Klotz  selbst  gefiel  sich  darin,  homerische  Stellen  in  zier- 
lichen lateinischen  Hexametern  wiederzugeben,  eine  seiner  Zeit  gegenüber 
törichte  Gelehrteneitelkeit. 

Auch  hier  eröfinete  Herder  tiefe  Einblicke.  Von  einem  Literaturbrief 
Abbt's  ausgehend,  untersucht  er  die  Möglichkeit,  durch  das  Mittel  der  alten 
Sprachen  die  eigene  zu  bereichern,  und  warnt  dabei  so  eindringlich  als 
möglich  vor  Anwendung  der  antiken  Silbenmaße,  besonders  des  Hexa- 
meters; eine  in  diesem  Verse  abgefaßte  Übersetzung  wäre  etwas  ganz 
anderes  als  Homer.  Mit  dem  feinsten  Verständnis  zeigt  er,  wie  wenig 
der  ganz  auf  das  Ohr  berechnete  Vers  Homers  unserer  Art  des  Ausdrucks 
entspreche.  Ein  wirklicher  Übersetzer  müsse  ein  schöpferisches  Genie  sein^ 
wenn  er  in  Übertragung  der  in  Worte  gekleideten  Gedanken,  der  in  Bil- 
der verwandelten  Empfindungen  seinem  Original  Genüge  tun  wolle;  denn 


442  Deutschland  und  die  Schweiz 

er  müsse  die  Schönheiten  einer  Sprache,  die  noch  keine  ausgebildete 
Prosa  hatte,  in  eine  andere  verpflanzen,  die  auch  im  Silbenmaß  noch  Prosa 
bleibe.  Wenn  dann  Herder  im  ersten  Aufsatz  Von  der  griechischen  Litera- 
tur in  Deutschland  das  Ideal  einer  Homerübersetzung  entwirft,  so  fügt 
er  hinzu,  er  würde  darin  Poesie  und  Hexameter  nicht  gerne  vermissen, 
aber  beides  in  griechischem  Geschmacke  wünschen.  Selbst  dann  würden 
die  Schönheiten  kaum  einigermaßen  ersetzt,  die  im  Homer  unübersetzbar 
bleiben.  In  den  Kritischen  Wäldern  sagt  er,  man  lese  Homer  nur  dann 
wirklich,  wenn  man  ihn  insgeheim  in  die  eigenen  Gedanken,  in  die  Mutter- 
sprache übersetze.  Nicht  aus  Bedürfnis,  sondern  aus  Patriotismus  wünscht 
er  einen  deutschen  Homer,  und  er  verzweifelt  nicht  an  der  Möglichkeit 
der  Übersetzung  Homers  durch  einen  Originalgeist.  Hier  wird  nicht  von 
der  Form  gesprochen. 

Im  Anschluß  an  Wielands  und  Eschenburgs  Prosa-Übersetzungen 
Shakespeare' s,  die  er  in  Straßburg  kennen  lernte,  redete  Goethe,  wenig- 
stens für  den  Anfang  jugendlicher  Bildung,  der  Prosa  das  Wort.  Ich 
ehre,  sagt  er,  den  Rhythmus  wie  den  Reim,  wodurch  Poesie  erst  zur 
Poesie  wird,  aber  das  eigentlich  tief  und  gründlich  Wirksame,  das  wahr- 
haft Ausbildende  und  Fördernde  ist  dasjenige,  was  vom  Dichter  übrig 
bleibt,  wenn  er  in  Prosa  übersetzt  wird.  Dann  bleibt  der  reine  voll- 
kommene Gehalt,  den  uns,  wenn  er  fehlt,  ein  blendendes  Äußere  oft 
vorzuspiegeln  weiß,  und  verdeckt,  wenn  er  gegenwärtig  ist.  Seinen  Vor- 
schlag, eine  der  Stufe  der  deutschen  Literatur  würdige  Übersetzung  Ho- 
mers in  Prosa  zu  unternehmen,  stützt  er  mit  dem  Hinweis  auf  Luther, 
dessen  einheitliche  deutsche  Übersetzung  die  Religion  mehr  gefördert  habe, 
als  wenn  er  die  Eigentümlichkeiten  des  Originals  im  einzelnen  hätte  nach- 
bilden wollen.  Für  die  Menge,  auf  die  gewirkt  werden  soll,  bleibe  eine 
schlichte  Übertragung  immer  die  beste.  Jene  kritischen  Übersetzungen, 
die  mit  dem  Original  wetteifern,  dienten  eigentlich  nur  zur  Unterhaltung 
der  Gelehrten  untereinander. 

Wenig  später,  1776,  übersetzte  Klopstock  das  zweiundzwanzigste 
und  einen  Teil  des  zwanzigsten  Buches  der  Ilias  in  Prosa.  Die  damals 
erschienenen  Proben  der  Übersetzung  Bürgers  im  Blankvers  hatten  nicht 
seinen  Beifall  gefunden;  aber  bemerkenswert  bleibt,  daß  er,  der  Schöpfer 
des  deutschen  Hexameters,  diesen  Vers  für  eine  Homerübersetzung  nicht 
für  geeignet  erachtete. 

Der  Originalgeist,  der  Homer  den  Deutschen  so  übertragen  hätte, 
wie  Herder  es  wünschte,  ist  nicht  erschienen.  Doch  zeitigten  die  siebziger 
Jahre  mehrere  wichtige  Leistungen.  1771  trat  Bürger  mit  der  Probe 
einer  Übersetzung  im  Blankvers  auf.   Die  Vorrede  zeigt  den  Dichter  von 


Übersetzung     Bürger     Stollberg  443 

Herders  Fragmenten  stark  beeinflußt,  weicht  aber  darin  von  ihm  ab,  daß 
er  Homer  darstellen  will,  wie  ihn  Piatons  Zeitalter  gesehen  hat,  als  einen 
ehrwürdigen  Mann  von  altem  Schrot  und  Korn.  Der  Deutsche  solle  einen 
Homer  erhalten,  der  nach  Altertum  schmecke,  weshalb  altertümliche  Worte 
zu  wählen  seien,  wie  sie  sich  bei  Luther,  den  Minnesängern,  unter  den 
Neueren  bei  Klopstock,  Ramler,  Ringulph  demBarden  finden  lassen.  Homer 
muß  mit  allen  scheinbaren  Flecken  übersetzt  werden,  denn  wir  wollen 
nicht  irgend  eine  Ilias,  sondern  Homers  Ilias.  Treue  bedeutet  aber  nicht 
sklavische  Abhängigkeit;  vielmehr  hat  der  Übersetzer  Wendungen,  die 
im  Deutschen  niedrig  wären,  zu  adeln.  Den  Hexameter  verwirft  Bürger. 
Wenn  Herder,  sagt  er,  auch  nicht  beweise,  daß  man  keine  Hexameter 
machen  müsse,  so  beweise  er  doch,  daß  man  Hexameter  nicht  in  Hexametern 
übersetzen  solle.  Bürger  wählte  daher  das  iambische  Maß,  das  dem  nor- 
dischen Ohre  eindrucksvoller  sei  und  genügend  Abwechslung  erlaube, 
während  er  auch  in  der  Einleitung  zu  den  weiteren  Proben  1776  den 
deutschen  Hexameter  als  zu  monoton  erklärt. 

Dem  Versuch,  für  Homer  ein  heimisches  Gewand  zu  finden,  gebührt 
volle  Anerkennung.  Das  haben  beim  Erscheinen  von  Bürgers  Proben 
Goethe  und  Wieland  anerkannt.  Sie  behaupteten  einem  enthusiastischen 
Verehrer  Homers  gegenüber,  Homers  Versifikation  verliere  in  jeder  Über- 
setzung notwendig,  würde  aber  im  deutschen  Hexameter  weit  mehr  ver- 
lieren als  im  iambischen  Vers,  der  ihrer  Meinung  nach  das  echte,  alte, 
natürliche  Maß  unserer  Sprache  sei.  Die  vielen  Härten  der  Verse,  eine 
notwendige  Folge  des  gewählten  Maßes,  und  der  Mangel  an  der  musi- 
kalischen Pracht,  die  das  Original  auszeichnet,  wogen  die  erste  Freude 
an  der  männlich  kraftvollen  Sprache  Bürgers  nicht  auf.  Im  Verlauf 
wurde  die  Arbeit  manierierter,  die  Willkür  dem  Original  gegenüber 
größer.  Als  dann  Stolberg  mit  seiner  Übersetzungsprobe  auftrat,  blieb 
Bürger  verstimmt  stecken;  und  wie  in  rascher  Folge  Stolbergs  Ilias, 
Bodmers  Homer  und  Vossens  Odyssee  erschienen  und  damit  der  Sieg  des 
Hexameters  entschieden  war,  kapitulierte  Bürger  selbst  vor  dem  Sieger. 
Er  widerrief  1784  die  Irrtümer  seiner  Jugend  und  veröffentlichte  die 
Übersetzung  einiger  Bücher  der  Ilias  in  Hexametern. 

Von  Klopstock  angeregt,  trat  Leopold  Stolberg  zuerst  1776  mit 
dem  zwanzigsten  Buch,  dann  1778  mit  der  ganzen  Ilias  hervor.  Von 
ihm  hat  Lavater  gesagt,  im  Bogen  der  Augenlider  und  im  Glänze  der 
Augen  sitze  nicht  Homer,  aber  der  tiefste,  innigste,  schnellste  Empfinder, 
Ergreifer  Homers,  nicht  der  epische,  aber  der  Odendichter;  Genie,  das 
quillt,  umschafft,  veredelt,  bildet,  schwebt,  alles  in  Heldengestalt  zaubert, 
alles  vergöttlicht.   So  ist  wirklich  das  Werk,  dessen  Lektüre  noch  heute 


444  Deutschland  und  die  Schweiz 

Genuß  gewährt,  obwohl  es  einen  zwiespältigen  Eindruck  macht.  Sicher 
übertrifft  Stolberg  an  poetischem  Verständnis,  an  kongenialem  Erfassen 
Homers  alle  seine  Nebenbuhler.  In  gewaltigem  Schwünge  strömt  die 
Sprache  dahin;  die  homerische  Schilderung  wirkt  in  voller  Lebensfülle 
und  Anschaulichkeit.  Aber  die  Form  ist  zu  nachlässig  behandelt;  dieses 
Genie  verachtete  die  Feile.  Nicht  daß  Stolberg  den  deutschen  Hexameter 
dem  griechischen  nicht  enger  angenähert  hat,  ist  das  Verfehlte,  sondern 
daß  wir  gar  zu  viele  Verse  nicht  rhythmisch  lesen  können,  ohne  zu  skan- 
dieren. Wir  wollen  nicht  alle  Augenblicke  an  einen  Prellstein  anrennen. 
Mag  sich  der  deutsche  Hexameter  zum  griechischen  verhalten  wie  er 
will,  jedenfalls  verlangt  der  deutsche  Leser  zum  ruhigen  Genuß  eine 
klare  Form,  und  das  ist  Stolbergs  Vers  vielfach  nicht.  Seine  Ilias  gibt 
Herders  Bedenken  gar  zu  oft  Recht.  Dennoch  sind  ihm  unübertroffene 
Partien  gelungen.  Er  zuerst  hat  jene  Beiwörter  geprägt,  die  seither  im 
Deutschen  als  die  richtige  Wiedergabe  der  homerischen  gelten.  Er  ist 
auch  der  erste,  der  Jupiter  Juno  Minerva  absetzt  und  Zeus  Here  Athene 
wieder  zu  ihrem  Rechte  verhilft. 

Im  gleichen  Jahre  1778  gab  Bodmer  seine  Übersetzung  des  ganzen 
Homer.  Er,  der  noch  in  hohem  Alter  beim  Nennen  Homers  zum  Jüng- 
ling wurde,  hatte  seit  seinen  ersten  Versuchen  die  Arbeit  nicht  mehr 
ruhen  lassen,  bis  sie  nun  in  seinem  achtzigsten  Jahre  vollendet  war.  Wenn 
besonders  der  weimarische  Kreis  die  Gabe  sehr  freundlich  aufnahm,  so 
geschah  das  wohl  nicht  aus  Pietät,  sondern  infolge  der  großen  Vertraut- 
heit mit  dem  Original,  die  der  Übersetzer  zeigte.  Herder  sagte  mit  Recht, 
man  werde  den  Mann  gewahr,  der  mit  dem  Altvater  lange  Jahre  unter 
einem  Dache  gewohnt  und  ihm  redlich  gedient  habe,  und  Goethe  nahm 
die  Übersetzung  1779  mit  auf  die  Schweizerreise. 

Daß  Bodmer  den  Hexameter  wählte,  war  für  ihn  selbstverständlich. 
Aber  es  ist  auffallend,  wie  viel  ungefüger,  schwerer,  massiger  der  Hexameter 
dieser  Übersetzung  daherstolpert  als  der  der  Noachide;  ein  sprechender 
Beweis,  wie  viel  schwerer  die  Form  zu  lenken  ist,  wenn  sie  nicht  der 
dichterischen  Erfindung,  sondern  einem  fremden  Original  zu  dienen  hat. 
Von  Stolbergs  genialem  Zug  ist  Bodmers  Werk  durchaus  verschieden. 
Oft  verunzieren  triviale  und  moderne  Ausdrücke  den  Vers,  und  das  Ganze 
spricht  wohl  von  strenger,  tüchtiger  Arbeit,  aber  nicht  von  der  Fähigkeit^ 
die  Erhabenheit  und  Schönheit  des  Originals  wiederzugeben.  Die  Bei- 
wörter und  Eingangsformeln  hat  Bodmer  nach  Bedarf  verschieden  über- 
setzt, oft  gekürzt;  viel  seltener  zeigen  sich  Erweiterungen. 

Während  man  noch  die  Verdienste  Stolbergs  und  Bodmers  gegen 
einander  abwog,  erschien  1781  Johann  Heinrich  Voß  mit  seiner  Über- 


Übersetzungen    Bodmer    Yoß  445 

Setzung"  der  Odyssee.  Von  allen  Übersetzern  der  Zeit  verfügte  er  über 
die  reichste  Kenntnis  des  Griechischen  und  in  sprachlicher  und  sach- 
licher Hinsicht  über  das  größte  Verständnis  Homers.  Seele  des  Hain- 
bundes, hatte  er  Klopstock  über  alles  erhoben,  vorübergehend  auch  Ossian 
über  Homer  gestellt.  Als  er  1776  Blackwell  ins  Deutsche  übersetzte,  gab 
er  die  Homerzitate  in  Hexametern;  denn  daß  dies  die  einzig  denkbare 
Form  der  Übersetzung  sei,  stand  ihm  fest;  Bürgers  Versuch  verachtete 
er  als  modische  Ziererei.  Zur  Übersetzung  der  ganzen  Odyssee  war  er,  wie 
Stolberg,  durch  Klopstock  angeregt  worden.  1777  erschien  eine  erste 
Probe,  1781  das  ganze  Gedicht.  Diese  erste  Fassung  zeigt  unstreitig  das 
vielfach  geglückte  Bestreben,  bei  aller  Treue  gegenüber  dem  Original 
Homer  wirklich  deutsch  zu  geben.  Sie  bewahrt  dem  griechischen  Vers 
gegenüber  noch  eine  freiere  Haltung,  obwohl  sie  Klopstocks  Hexameter 
bereits  nach  dem  Muster  des  homerischen  weiter  bildet.  Als  Voß  1793 
die  Odyssee  zum  zweitenmal  und  zugleich  die  Ilias  herausgab,  zeigte  sich 
eine  bedeutend  größere  Glätte  der  Form,  aber  eine  beträchtliche  Einbuße 
an  Frische  des  Tons. 

Der  größte  Vorzug  der  Übersetzung  ist  die  Treue  im  einzelnen.  Was 
eiserner  Fleiß  und  philologische  Gewissenhaftigkeit  vermögen,  ist  hier  so 
ziemlich  geleistet.  Dennoch  fehlt  es  an  Zusätzen  und  Weglassungen  durch- 
aus nicht,  und  die  deutsche  Wendung  weicht  von  dem  homerischen  Sinn 
nicht  selten  ab.  Daran  ist  vielfach  der  verderbliche  Eigensinn  schuld,  mit 
dem  Voß  es  durchsetzen  wollte,  die  Verszahl  des  Originals  in  der  Über- 
setzung beizubehalten.  Schon  der  alte  Gottsched  hatte  mit  richtiger  Ein- 
sicht davor  gewarnt.  Kein  Gedicht  einer  fremden  Sprache  kann  auf  diese 
Weise  auch  nur  annähernd  ausgeschöpft  werden.  In  der  Mehrzahl  der 
Fälle,  in  denen  sich  die  Übersetzung  dem  Original  nicht  anpassen  kann, 
wird  sie  dieses  beschneiden  müssen.  So  hat  Voß  gleich  im  zweiten  Vers 
der  Ilias  die  bedeutsame  Charakteristik  des  Zornes  als  eines  fluchwürdigen 
einfach  unterdrücken  müssen.  Gleich  verderblich  hat  das  genannte  Prinzip 
in  Schlegels  Shakespeare  gewirkt.  In  weniger  häufigen  Fällen  war  ein 
leerer  Raum  auszufüllen,  und  dies  geschah  durch  Auszierungen,  die  den 
schlichten  homerischen  Charakter  fälschten,  und  die  man  nicht  damit 
hätte  verteidigen  dürfen,  daß  Homer  durch  sie  unserer  Empfindung  näher 
gebracht  werde.  Was  bei  M""®  Dacier  und  Pope  ein  Fehler  war,  kann 
bei  Voß  keine  Tugend  sein. 

Der  homerische  Stil  verlangt  die  Einführung  jeder  Rede  durch  einen 
besonderen  Vers.  Was  dem  Hörer  des  rhapsodischen  Vortrags  eine  Er- 
leichterung war,  macht  den  deutschen  Vers  schwerfällig  und  beleidigt 
das  deutsche  Stilgefühl.   Schon  die  Nibelungen  führen  die  redende  Person 


446  Deutschland  und  die  Schweiz 

ganz  kurz,  oft  parenthetisch  ein,  und  als  Goethe  für  sein  herrliches 
Idyll  die  homerische  Form  wählte,  vermied  er  diese  Schablone.  Das 
Beiwort  hatte  schon  bei  Homer  nicht  mehr  durchaus  die  feste  Beziehung- 
zum  Sinn  des  Satzes,  die  ihm  bei  seiner  Prägung  eigen  gewesen  war.  Es 
war  an  seinem  Beziehungswort  haften  geblieben  und  steht  nun  bei  Homer 
vielfach  auch  da,  wo  es  unnötig,  ja  unstatthaft  erscheint.  Hier  wurde 
die  Treue  der  Übersetzung  zum  Fehler.  Das  Beiwort  mußte  gewogen 
werden  und  durfte  nur  da  Platz  finden,  wo  es  zum  Sinn  in  Beziehung  ge- 
setzt werden  kann.  Dazu  kommt,  daß  die  Beiwörter,  auf  die  Voß  so  namen- 
lose Mühe  verwendet  hat,  vielfach  einen  viel  größeren  Raum  einnehmen 
als  im  Original,  weil  er  oft  gezwungen  war  zum  Partizip  zu  greifen,  wo- 
durch er  zugleich  die  Schilderung  in  Handlung  umsetzte.  Daß  er  bei  der 
Prägung  solcher  Wörter  arge  Absurditäten  beging,  darf  nicht  verschwiegen 
werden;  eine  der  schlimmsten  dürfte  sein,  daß  aus  den  vornehmen  Troer- 
innen mit  den  langen  Schleppen  „die  saumnachschleppenden  Weiber" 
geworden  sind. 

Wenn  die  Bekanntschaft  mit  dem  niederdeutschen  Bauemieben  Voß 
manche  Einzelheit  Homers  verstehen  lehrte,  so  war  gerade  die  idyllische 
Betrachtung  das  größte  Hindernis,  den  Dichter  richtig  zu  erfassen.  Zu- 
gleich mit  der  Arbeit  an  der  Odyssee  dichtete  Voß  den  Siebzigsten  Ge- 
burtstag und  begann  die  Luise,  und  da  ihn  an  der  Odyssee  vor  allem 
das  idyllische  Moment  anzog,  beherrschte  der  Ton  des  Idylls,  den  er  für 
homerisch  hielt,  auch  die  Übersetzung. 

Worttreue  und  immer  stärkere  Ummodelung  des  Hexameters  nach 
dem  griechischem  Vorbild  sind  die  charakteristischen  Eigenschaften  des 
Homer  von  1793.  Klopstock  hat  gesagt,  wenn  das  Original  verloren  ginge, 
könnte  es  nach  Voß  wieder  hergestellt  werden;  aber  das  ist  ein  zweifel- 
haftes Lob,  denn  man  könnte  das  nach  den  lateinischen  Interpretationen 
wohl  auch.  Was  im  Homer  steht,  erfahren  wir  aus  Voß  genauer  als  aus 
irgend  einem  seiner  Vorgänger;  aber  es  fehlt  die  Seele  des  Dichters,  das 
stürmische  Feuer,  es  fehlt  vor  allem  die  Schönheit.  Herder  hatte  Recht 
behalten:  der  deutsche  Hexameter  ist  nicht  der  griechische,  und  um  Homer 
zu  übersetzen,  hätte  es  eines  Originalgeistes  bedurft. 

Trotz  alledem  war  das  bisher  Geleistete  wenigstens  in  der  Form  über- 
boten, und  Stolberg  wie  Bürger  erkannten  das  rückhaltlos  an.  Wieland 
besprach  die  Arbeit  verständig,  aber  mit  hohem  Lobe.  August  Wilhelm 
Schlegel  schrieb  1796  eine  von  tiefstem  Verständnis  zeugende,  sehr  ein- 
schneidende Kritik.  Er  zog  zwar  später  gelindere  Saiten  auf,  als  er  durch 
die  eigenen  Versuche  die  Schwierigkeit  der  Übersetzungskunst  kennen 
gelernt  hatte,  sprach  aber  über  die  späteren  Ausgaben  doch  das  harte 


Voß    Goethe  447 

Urteil  aus,  Voß  habe  die  Deutschen  mit  einem  steinernen  Homer  beglückt. 
Schiller  ließ  nur  die  Odyssee  von  1781  gelten,  die  spätere  Fassung  und 
die  Ilias  nicht.  Goethe  war  für  die  vossische  Übersetzung  nur  langsam 
gewonnen  worden,  übersah  dann  aber  in  seiner  großen  Art  die  Fehler 
neben  der  Tüchtigkeit  der  Leistung.  Doch  gibt  es  noch  aus  seinen  letzten 
Jahren  eine  Äußerung  von  ihm,  das  beste  Urteil,  das  je  über  Voß  aus- 
gesprochen worden  ist.  Er  besitze,  sagte  er  zu  Eckermann,  Zeichnungen 
nach  Raffael  und  Domenichino,  die  nach  dem  Urteil  Meyers  etwas  Unge- 
übtes haben,  aber  zeigen,  daß  der  Zeichner  ein  zartes  und  richtiges  Gefühl 
von  den  Bildern  hatte,  so  daß  sie  uns  das  Original  treu  vor  die  Seele 
rufen.  Ein  jetziger  Künstler  würde  richtiger  zeichnen,  uns  aber  von  den 
alten  Meistern  bei  weitem  keinen  so  reinen  und  vollkommenen  Begriff 
geben.  So  sei  es  auch  mit  Übersetzungen.  Voß  habe  von  Homer  eine 
treffliche  gemacht,  aber  es  ließe  sich  denken,  daß  jemand  eine  naivere^ 
wahrere  Empfindung  des  Originals  hätte  besitzen  und  auch  wiedergeben 
können,  ohne  im  ganzen  ein  so  meisterhafter  Übersetzer  zu  sein  wie  Voß. 

Goethe  hat  Homer  sein  ganzes  Leben  lang  begleitet.  Mit  der  be- 
ginnenden Klärung  am  Ende  der  siebziger  Jahre  begann  ihn  Winckel- 
manns  Betrachtungsweise,  die  ihm  zuerst  in  Leipzig  durch  Oeser  vermittelt 
worden  war,  ganz  zu  erfüllen.  Das  griechische  Schönheitsideal  stieg  sieg- 
reich vor  seinem  innern  Auge  auf;  wie  er  es  faßte,  zeigt  die  Iphigenie. 
Als  er  dann  den  Boden  des  klassischen  Landes  betrat,  wurde  ihm  die 
Antike  lebendig,  traten  ihm  Himmel  und  Meer,  Gestade  und  Liseln,  wie 
die  einfachen  Verhältnisse  der  homerischen  Zeit  greifbar  deutlich  ent- 
gegen, wurde  ihm  die  Odyssee  ein  lebendiges  Wort.  Darüber  hinaus  reifte 
in  ihm  der  Entschluß  zu  vollbringen,  was  Winckelmann  und  Young  den 
Künstlern  als  Ziel  vorgezeichnet  hatten:  mit  den  Augen  der  Griechen 
die  Natur  zu  betrachten,  in  ihrer  Weise  sie  nachzuahmen  und  ihnen  sa 
ebenbürtig  zu  werden.  La  Sizilien  zuerst  dachte  er  an  eine  Tragödie  mit 
homerischem  Stoff,  NausiJiaa,  und  griff  damit  in  „Hellas'  urväterlicher 
Sagen  göttlich  heldenhaften  Reichtum".  Hier  in  der  Sage  lagen,  so  hatte 
schon  Herder  gelehrt,  die  Wurzeln  der  Kraft  der  alten  Dichter;  hier  ge- 
dachte Goethe  mit  ihnen  zn  wetteifern.  Die  Liebe  der  Nausikaa  zu  Odysseus, 
die  uns  Homer  nur  in  unvergleichlich  zarten  Strichen  andeutet,  sollte 
den  Inhalt  des  Dramas  bilden.  Nausikaa  sollte  zur  Hauptperson  werden 
und  an  der  Unmöglichkeit  ihrer  Liebe  untergehen. 

In  den  Jahren  nach  Goethes  Rückkehr  tritt  Homer  etwas  zurück^ 
ist  aber  nicht  vergessen.  In  der  ersten  Epistel  erfreut  die  feine  Be- 
gründung der  allgemeinen  Popularität  des  Dichters.    Er  wird  von  allen 


448  Deutschland  und  die  Schweiz 

gehört,  von  allen  gelesen,  weil  er  sich  in  den  Geist  jedes  Hörers  einzu- 
schmeicheln versteht.  Den  Helden  im  hohen  Palaste  klingt  die  Ilias 
immer  herrlich;  auf  dem  Markte,  wo  sich  der  Bürger  versammelt,  hört 
sich  besser  Ulyssens  wandernde  Klugheit  an.  Dort  sieht  sich  jeder  Held 
im  Helm  und  Harnisch,  hier  sieht  sich  sogar  der  Bettler  veredelt.  Von 
Interesse  ist  an  dieser  Stelle  die  Unterscheidung  des  heroischen  Cha- 
rakters der  Ilias  von  dem  bürgerlichen  der  Odyssee;  wir  haben  den  Ge- 
danken ähnlich  schon  bei  Gravina,  Le  Bossu,  Spence  und  Wood  gefunden. 
Der  Freundschaftsbund  mit  Schiller  führte  Goethe,  wie  zur  Poesie 
überhaupt,  so  auch  wieder  zum  Epos  zurück.  Als  er  1795  an  Hermann 
und  Dorothea  dachte,  sprach  er  zwar  zuerst  nur  von  einer  bürgerlichen 
Idylle  und  kleinen  Stoffen,  an  die  er  sich  fortan  halten  werde.  Aber  das 
Gedicht  wurde  ihm  zur,,  großen  Idylle",  die  er  schließlich  selbst  ein  Epos 
nannte,  zu  einer  Parallele  zu  den  Werken  des  epischen  Altvaters,  den 
er  wieder  eifrig  studierte.  Es  ist  nicht  schwer,  in  dem  herrlichen  Gedichte 
die  homerischen  Reminiszenzen  zu  bemerken;  daß  es  trotzdem  gar  nicht 
antikisierend  ausfiel,  war  der  Beweis,  wie  vollständig  die  Nachahmung 
der  Alten  im  Sinne  Winckelmanns  erreicht  war.  Das  hat  keiner  besser 
gesehen,  als  August  Wilhelm  Schlegel  in  seiner  ausgezeichneten  Rezension 
des  Gedichtes.  In  der  Einfachheit  des  Epos,  führt  er  aus,  nicht  als  der 
höchsten  und  vorzüglichsten,  wohl  aber  einer  reinen,  vollendeten  Gattung, 
stimmt  Hermann  und  Dorothea  erstaunenswürdig  mit  den  großen  Vor- 
bildern überein.  Der  Stoff  des  Epos  verlangt  den  festen  Boden  der  Wirk- 
lichkeit, entweder  die  Sage  als  Darstellung  früherer  Sitte  oder  die  Sitte 
des  Zeitalters,  in  dem  der  Dichter  lebt.  Für  diese  epische  Darstellimg 
des  Privatlebens  eignet  sich  unsere  Zeit  besser  als  für  öffentliche  Taten 
und  Verhältnisse,  und  zwar  für  das  gesunde  Leben  mittlerer  Stände.  Die 
Einfachheit  der  von  Goethe  geschilderten  Sitten  erfüllt  uns  mit  ähnlicher 
Ehrerbietung,  wie  die  Griechen  zu  Homers  Zeit  die  heroische  Kraft  seiner 
großen  Gestalten.  Doch  erfordert  die  epische  Darstellung  nicht  nur  einen 
stillen  Kreis  häuslichen  Lebens,  sondern  ein  Zusammentreffen  außerordent- 
licher Umstände.  Daher  knüpfen  bei  Goethe  die  individuellen  Vorgänge  an 
das  Allgemeine  und  Wichtigste  an  und  tragen  das  Gepräge  des  ewig  denk- 
würdigen Jahrhunderts.  Das  ist  das  Wunderbare,  wie  es  in  einem  Epos 
aus  unserer  Zeit  einzig  stattfinden  darf.  Der  Stil  ist  dem  Werke  nicht 
von  außen  mit  schmückender  Hand  angelegt,  sondern  als  notwendige 
Hülle  des  Gedankens  von  innen  heraus  gebildet.  Es  scheint,  als  hätte 
Goethe,  nachdem  er  das  Wesen  des  homerischen  Epos,  abgesehen  von 
aUen  Zufälligkeiten,  erforscht,  den  göttlichen  Alten  gänzlich  von  sich  ent- 
fernt und  gewissermaßen  vergessen.   Sehr  fein  ist  zum  Schlüsse  die  Art, 


Goethe     Schiller  449 

wie  Schlegel  der  Verwendung  der  poetisclien  Mittel,  Beiwörter,  Gleich- 
nisse, Wiederholungen,  nachgeht  und  klarlegt,  wie  sich,  da  sie  für  den  ver- 
änderten Stoff  modifiziert  sind,  gerade  in  den  Abweichungen  die  wahre 
Übereinstimmung  zeigt. 

Schon  in  Hermann  und  Dorothea  sehen  wir  die  Früchte  der  theo- 
retischen Studien  am  Epos,  wie  sie  uns  im  Briefwechsel  mit  Schiller  offen 
vor  Augen  liegen.  Als  wesentlich  für  das  Epos  erkannte  Goethe  die 
retardierenden  Momente,  von  denen  denn  auch  in  Hermann  und  Dorothea 
«in  ausgiebiger  Gebrauch  gemacht  ist.  Daneben  betont  Schiller  die  Selb- 
ständigkeit der  Teile,  die  aus  dem  Zweck  des  Epikers  stammt,  der  bloßen, 
aus  dem  Innersten  herausgeholten  Wahrheit.  Dieser  Zweck  des  Dichters 
liegt  schon  in  jedem  Punkte  der  Bewegung,  weshalb  wir  nicht  unge- 
duldig zu  einem  Ziele  eilen,  sondern  mit  Liebe  bei  jedem  Schritte  ver- 
weilen. Diese  Erkenntnisse  waren  neu.  Die  Retardationen  Homers  hatte 
einst  Vida  hervorgehoben,  den  jedoch  Goethe  vermutlich  nicht  kannte; 
übrigens  hatte  Vida  sie  lästig  gefunden.  Die  starke  Hervorhebung  des 
■einzelnen  Teils  ist  so  ziemlich  das  Gegenteil  von  des  Aristoteles  Lehre 
von  den  Episoden  und  ihrem  Verhältnis  zum  Ganzen.  Den  Aristoteles 
nahmen  die  Dichter  während  ihrer  Studien  wieder  zur  Hand,  vermutlich 
in  der  1753  erschienenen  Übersetzung  von  Michael  Conrad  Curtius. 
Sie  lesen  ihn  mit  Vergnügen  und  weitem,  freiem  Geiste,  lassen  ihm  auch 
sein  historisches  Recht  unverkürzt,  sind  aber  gar  nicht  gewillt,  die  selbst- 
erworbene Erkenntnis  ihm  gegenüber  aufzugeben.  Schiller  sagt,  wenn 
man  die  Sache,  die  Aristoteles  abhandle,  nicht  schon  vorher  gut  kenne,  so 
müsse  es  gefährlich  sein  bei  ihm  Rat  zu  holen,  und  Goethe  erklärt  mit 
dürren  Worten,  über  das  Epos  finde  man  bei  ihm  gar  keinen  Aufschluß 
in  dem  Sinne,  wie  „wir  ihn  wünschen".  In  der  Tat  enthält  denn  auch 
Goethes  kleiner,  die  gemeinsamen  Studien  zusammenfassender  Aufsatz 
Über  epische  und  dramatische  Dichtung  keine  Anklänge  an  Aristoteles, 
sondern  gründet  sich  auf  die  Auffassung  Herders.  Der  Unterschied  beider 
Gattungen  wird  ihm  am  besten  durch  die  Gegenüberstellung  des  Rhapsoden 
und  des  Mimen  charakterisiert.  Jener  vergegenwärtigt  vollkommen  Ver- 
gangenes und  zwar  so,  daß  er  in  ruhiger  Besonnenheit  das  Geschehene 
übersieht,  die  Zuhörer  beruhigt,  das  Interesse  gleichmäßig  verteilt  und 
nach  Belieben  vor-  und  rückwärts  greift.  Er  hat  es  mit  der  Einbildungs- 
kraft zu  tun,  die  sich  ihre  Bilder  selbst  hervorbringt,  und  der  es  bis  zu 
«inem  gewissen  Grade  gleichgiltig  ist,  wofür  man  sie  aufruft.  Der  Mime 
dagegen  verlangt,  daß  man  alles  über  seiner  sinnlichen  Gegenwart  vergesse. 

Der  tiefe  Ernst,  mit  dem  die  Dichter  die  Grundsätze  des  Epos  suchten, 
hatte  einen   sehr  praktischen  Hintergrund.    Goethe   machte  sich  immer 

Finslor:  Homer  in  der  Neuzeit.  29 


450  Deutschland  und  die  Schweiz 

mehr  mit  dem  Gedanken  vertraut,  ein  Epos  mit  homerischem  Stoff  zu 
dichten.  Er  machte  aus  der  Ilias  einen  eingehenden,  erst  1821  gedruckten 
Auszug  und  studierte  die  homerische  Geographie,  besonders  an  der  Hand 
von  Wood.  Aus  dieser  Zeit  stammen  auch  die  schönen  kleinen  Proben 
von  Übersetzungen  homerischer  Stücke,  die  erst  vor  kurzer  Zeit  gefunden 
worden  sind.  Es  müsse,  schien  ihm,  zwischen  ILias  und  Odyssee  noch  ein 
Epos  liegen.  In  der  Überlieferung  fand  er  zuerst  nur  tragische  Stoffe^ 
glaubte  jedoch,  der  Tod  des  Achilleus  lasse  sich  vielleicht  doch  episch 
behandeln.  Gewaltig  war  sein  Ringen  mit  dem  Stoff.  Zuzeiten  schien  ihm 
die  Aufgabe  unmöglich;  dann  tröstete  er  sich  damit,  daß  schon  die  klare 
Einsicht  von  der  Unerreichbarkeit  eines  solchen  Vorbildes  einen  unaus- 
sprechlichen Genuß  gewähre.  Sehr  einsichtig  warnt  Schiller  vor  zu  großer 
Abhängigkeit  vom  Original  und  der  Absicht,  die  Achilleis  antik  werden 
zu  lassen.  Er  legt  Goethe  ans  Herz,  bei  Homer  bloß  Stimmung  zu  suchen, 
ohne  sein  Geschäft  mit  Homer  eigentlich  zu  vergleichen.  Wenn  der  Stoff 
tragisch  und  sentimental  sei,  so  werde  Goethe  das  durch  seinen  subjektiven 
Dichtercharakter  unfehlbar  balancieren,  und  sicher  sei  es  mehr  eine  Tugend 
als  ein  Fehler  des  Stoffes,  wenn  er  den  Forderungen  unserer  Zeit  entgegen- 
komme. „Ihr  schöner  Beruf  ist,  ein  Zeitgenosse  und  Bürger  beider  Welten 
zu  sein,  und  gerade  um  dieses  höheren  Vorzuges  willen  werden  Sie  keiner 
ausschließend  angehören." 

Den  Hauptinhalt  der  Achilleis  sollte  der  Tod  des  Achilleus  und 
dessen  Liebe  zu  Polyxena  bilden.  Wie  das  Epos  durchgeführt  worden 
wäre,  läßt  sich  nicht  genau  sagen.  Denn  es  ist  sicher,  daß  Goethe  den 
massenhaften,  der  epischen  Behandlung  widerstrebenden  Stoff,  den  er  aus 
Dictys  zusammengetragen  hatte,  gründlich  gesichtet  und  zum  größten 
Teile  über  Bord  geworfen  haben  würde. 

In  formeller  Beziehung  steht  das  Gedicht  zu  Homer  im  nämlichen 
Verhältnis  wie  Hermann  und  Dorothea.  Man  spürt  vom  ersten  Vers  an, 
daß  der  Fortsetzer  Homers  ein  modemer  Dichter  ist,  der  sich  bei  dem 
Original,  wie  Schiller  es  geraten,  Anregung  holt,  aber  von  sklavischer 
Nachahmung  ganz  frei  ist.  Von  höchstem  Interesse  ist  die  Art,  wie  Goethe 
an  die  Ilias  anknüpft,  um  die  neue  Entwicklung  zu  ermöglichen.  Das 
letzte  Buch  der  Ilias  hatte  die  Versöhnung  im  Himmel  und  auf  Erden 
gebracht.  Achilleus  hatte  Hektors  Leib  herausgegeben  und  den  Vater 
des  Todfeindes  bewirtet,  Here  der  in  den  Olymp  eintretenden  Thetis 
den  Willkommensgruß  entboten.  Damit  war  die  Geschichte  an  ihrem 
Ende  angelangt  und  duldete  psychologisch  keine  Fortsetzung.  Daher 
hat  Goethe  die  Versöhnung  ignoriert.  In  Achilleus  lebt  der  Haß  gegen 
Hektor  fort,  und  Here  lehnt  es  unwillig  ab,  Thetis  freundlich  zu  emp- 


Goethe  ^  451 

fangen.  Sie  ist  unversöhnlich,  weil  die  Bitte  der  Thetis  so  vielen  Achäern 
den  Tod  gebracht  hat  und  Zeus  immer  noch  freundlich  der  Zeit  gedenkt, 
da  er  sich  mit  Thetis  vermählen  wollte.  Die  um  das  unabwendbare  Geschick 
ihres  Sohnes  klagende  Thetis  wird  von  Zeus  damit  getröstet,  daß  das  Schick- 
sal nicht  unabänderlich  sei  und  überall  die  Hoffnung,  die  liebliche  Göttin, 
Raum  habe.  So  könne  auch  kein  Gott  wissen,  wem  die  Rückkehr  von 
Ilios  bestimmt  sei.  Dem  gegenüber  verweist  ihn  Here  auf  seinen  Schwur, 
daß  Ilios  fallen  werde,  und  damit  steht  im  engsten  Zusammenhang,  daß 
auch  Achilleus  fallen  muß;  denn  er  steht  dem  Schicksal  Trojas  im  Wege, 
weil  ihm  nicht  bestimmt  ist,  die  Stadt  zu  erobern;  er  muß  also  vorher 
sterben,  wenn  die  Stadt  fallen  soll.  Darum  fordert  Zeus  die  Troja  freund- 
lichen Götter  auf,  den  Achilleus  zu  schirmen,  um  damit  die  Stadt  zu 
schützen.  Den  Feinden  Trojas  liegt  das  traurige  Werk  ob,  den  herrlichsten 
Helden  der  Danaer  zu  töten,  wenn  sie  den  Untergang  der  Stadt  herbei- 
führen wollen. 

Diese  Exposition  ist  durchaus  neu  und  eigenartig.  Von  Homer  ent- 
lehnt ist  nur,  was  der  Dichter  dazu  brauchen  konnte,  vor  allem  die  Gestalt 
der  Thetis,  die  schon  Homer  vollendet  geschaffen  hatte.  Erweitert  ist 
ihr  Bild  dadurch,  daß  sie,  um  für  Achilleus  Erbarmen  zu  finden,  an 
das  Mitleid  appelliert,  das  Here  für  ihren  Sohn  Hephaistos  fühlt,  auch 
dies  ein  neuer  Zug.  Ganz  neu  aber  ist,  daß  das  Schicksal  Achills  von 
demjenigen  Trojas  abhängig  gemacht  und  darum  in  die  Hände  der  Götter- 
parteien gelegt  wird.  Auch  in  dem  Streit  zwischen  Here  und  Zeus  geht 
Goethe  weit  über  Homer  hinaus.  Bei  diesem  regiert  Zeus  nach  Willkür 
und  läßt  sich  nur  durch  die  Rücksicht  auf  den  olympischen  Frieden 
bestimmen,  Here  nachzugeben.  Bei  Goethe  beruft  sich  Here  auf  das 
Recht,  auf  Themis,  die  ewigste  der  Götter,  während  Zeus  ihre  Auflehnung 
verwerflich  schilt. 

Athene  jedoch  weiß,  daß  Achilleus  dem  Schicksal  nicht  entrinnen 
wird.  Wenn  sie  beklagt,  daß  der  wilde  Jüngling  nicht,  der  Welt  zum 
Segen,  ein  wohltätiger  Fürst  werden  könne,  so  erinnert  der  Gedanke 
an  die  Bmenau;  und  wenn  sie  nun  hinabsteigt,  um  dem  Todgeweihten 
heute  das  Glück  im  Gedanken  an  den  künftigen  Ruhm  zu  bringen,  damit 
ihm  der  Stunde  Hand  die  Fülle  des  Ewigen  reiche,  so  mahnt  das  an  den 
Faust.  So  bildet  der  einzige  vollendete  erste  Gesang  den  verheißungsvollen 
Eingang  eines  ganz  eigenartigen  Werkes,  eines  Epos  mit  homerischem 
Stoff  in  ganz  modemer  Behandlung.  Wenn  Riemer  von  dem  Urteil 
eines  ungenannten  Philologen  berichtet,  es  hätte  nach  Goethes  Absicht 
in  der  Achilleis  kein  Vers  stehen  sollen,  den  Homer  nicht  geschrieben 
haben  könnte,  während  in  Wahrheit  keiner  darin  stehe,  den  dieser  ge- 

29* 


452  Deutschland  und  die  Schweiz 

schrieben  haben  könnte,  so  ist  der  erste  Satz  nicht  wahr,  und  der  zweite 
enthält  ein  unfreiwilliges,  aber  hohes  Lob.  Goethe  gedachte  im  Sinne 
Winckelmanns  mit  Homer  zu  wetteifern.  Seine  Götter  und  Menschen 
sind  nicht  griechisch,  sondern  tragen  die  Züge  der  Gegenwart.  Man 
braucht  nur  einen  Blick  auf  Trissino  oder  Wilkie  zu  werfen,  um  den 
fundamentalen  Unterschied  des  Nachahmers  von  dem  ebenbürtigen  Rivalen 
zu  begreifen.  Der  letzte  Teil  des  Gesanges  ist,  bei  hoher  Schönheit  im 
einzelnen,  zu  breit  angelegt.  Wir  sehen  nicht  recht,  wie  der  Dichter 
das  Kommende  einleiten  wollte. 

Von  weiterer  poetischer  Einwirkung  Homers  auf  Goethe  zeigt  nur 
die  Helena  noch  einzelne  und  nur  äußerliche  Spuren. 

An  den  Studien  über  das  Epos  hatte  Schiller  hervorragenden  Anteil 
genommen.  Für  das  Verständnis  des  Originals  war  er  in  weniger  glück- 
licher Lage  als  Goethe.  Das  Griechisch,  das  er  in  Stuttgart  bei  Nast 
gelernt  hatte,  wo  er  Homer  im  Original  so  ziemlich  lesen  konnte,  ging 
in  der  Folge  fast  ganz  verloren  und  konnte  nicht  wieder  gewonnen  werden. 
Er  war  daher  auf  Übersetzungen  angewiesen.  Aber  wie  er  die  Alpennatur 
der  Schweiz  oder  die  sonnenhelle  Landschaft  Siziliens  herzerquickend  und 
wahr  schilderte,  ohne  sie  gesehen  zu  haben,  und  wie  er  sich  aus  den 
Übersetzungen  des  Euripides  den  Geist  des  Originals  neu  erschuf,  so 
erkannte  er  mit  divinatorischem  Blick  die  Schönheit  des  Altertums  durch 
die  oft  nur  zu  sehr  verdunkelnde  Vermittlung.  Auch  für  ihn  bedeutet 
der  Freundschaftsbund  mit  Goethe  den  Beginn  einer  erneuten,  regen  Be- 
schäftigung mit  Homer.  Wir  sehen  in  den  Briefen  an  Goethe  und  Hum- 
boldt, mit  welcher  Freude  und  welchem  Eifer  er  sich  in  den  Dichter 
versenkt.  Hatte  schon  sein  frühestes  Gedicht  Hektors  Abschied  zum  Gegen- 
stand gehabt,  so  sind  die  Anklänge  an  Homer  in  dieser  späteren  Pe- 
riode zahllos.  Wir  gedenken  der  schönen  Charakteristik  der  homerischen 
Helden  im  Siegesfest,  der  Erkennung  im  Grafen  von  Hdbshurg,  der  Be- 
stattung des  Achilleus  in  der  Nänie,  der  Verwendung  der  Lykaonepisode 
in  der  Szene  zwischen  der  Jungfrau  von  Orleans  und  Montgomery,  vor 
allem  auch  der  geistreichen  Parodien  von  Odysseus  Hadesfahrt  in  den 
Xenien.  Zum  Bilde  des  Sängers  in  den  Vier  Weltaltern  hat  Homer  die 
Züge  geliefert,  Homer,  wie  ihn  die  Zeit  Herders  schaute:  der  Dichter, 
in  dessen  Gemüt  Gegenwart  und  Zukunft  sich  spiegeln,  der  das  Leben 
vor  uns  entfaltet,  das  irdische  Haus  zum  Tempel  schmückt,  in  die  kleinste 
Hütte  den  Himmel  voll  Götter  einführt,  gleich  Hephaistos  auf  dem  ein- 
fachen Runde  des  Schildes  in  den  flüchtig  verrauschenden  Schall  des 
Augenblicks  das  Bild  des  unendlichen  Alls  prägt  und  sich,  ein  Sohn 
des  kindlichen  Alters  der  Welt,  allen  Geschlechtem  und  Zeiten  gesellt. 


Schiller  453 

In  den  Sängern  der  Vorzeit  preist  er  Homer  besonders  dafür  glücklich, 
daß  sich  die  Gefühle  des  Hörers  und  des  Sängers  zu  wechelseitiger  Glut 
entzündeten,  und  in  den  Künstlern  läßt  er  eine  Ilias  die  Rätselfragen 
des  Schicksals  der  jugendlichen  Yorwelt  auflösen,  lang  ehe  die  Weisen 
darüber  ihren  Ausspruch  wagten.  Auch  wo  Homer  nicht  benutzt  ist, 
waltet  sein  Geist,  in  den  Epigrammen,  wie  im  ersten  Teile  des  Spazier- 
gangs. 

Den  bedeutendsten  Einfluß  hatten  Schillers  Studien  über  Homer  auf 
den  tiefen  Aufsatz  Über  naive  und  sentimentalische  Dichtung.  Wenn  der 
Grieche  nicht  mit  Innigkeit,  Empfindsamkeit,  süßer  Wehmut  an  der  Natur 
hängt,  so  erklärt  das  Schiller  daraus,  daß  er  die  Natur  in  der  Menschheit 
nicht  verloren  hatte,  daher  außerhalb  dieser  auch  nicht  von  ihr  überrascht 
werden  und  so  kein  dringendes  Bedürfnis  nach  Gegenständen  haben 
konnte,  in  denen  er  sie  wiederfand.  Die  Dichter  sind  die  Bewahrer  der 
Natur,  und,  je  nachdem  sie  das  noch  ganz  sein  können  oder  nicht,  werden 
sie  entweder  Natur  sein  oder  die  verlorene  suchen,  werden  sie  naiv  oder 
sentimentalisch  sein.  Der  naive  Dichter  ist  streng  und  spröde.  Ohne 
alle  Vertraulichkeit  entflieht  er  dem  Herzen,  das  ihn  sucht,  dem  Verlangen^ 
das  ihn  umfassen  will.  Das  Objekt  beherrscht  ihn  gänzlich,  so  daß  er 
mit  seinem  Werke  eins  ist.  Ein  solcher  Dichter  ist  unter  den  Alten 
Homer.  Er  zeichnet  eine  Welt,  in  der  die  Einheit  zwischen  Denken 
und  Empfinden  wirklich  noch  existiert,  deren  Wirklichkeit  zu  schildern 
seine  einzige  Aufgabe  ist.  Seine  Größe  liegt  in  der  Begrenzung,  die 
auch  den  hohen  Vorzug  der  bildenden  Kunst  des  Altertums  ausmacht. 
Dadurch  siegt  er  über  die  Neueren  in  der  Einfalt  der  Formen  und  dem, 
was  sinnlich  darstellbar  und  körperlich  ist,  und  es  wirkt  lächerlich,  wenn 
man  Milton  oder  Klopstock  den  Namen  eines  modernen  Homers  beilegt. 
Auf  der  andern  Seite  kann  der  neuere  Dichter  ihn  in  dem  hinter  sich 
lassen,  was  man  in  Kunstwerken  Geist  nennt.  Die  naiven  Dichter  können 
aber,  da  sie  nur  die  wirkliche  Natur  darstellen  und  nicht  nach  der  wahren 
streben,  nur  so  lange  schön  sein,  als  die  wirkliche  Natur  selbst  schön 
ist.  Da  diese  auch  niedrig  sein  kann,  ist  die  Gefahr  vorhanden,  daß 
aus  dem  poetischen  Gefühl  ein  gemeines  werde.  Denn  der  Dichter  ist 
von  seinem  Objekt  abhängig,  und  dieses  wird  für  ihn  oft  nur  zu  sehr 
bestimmend. 

Der  Unterschied  zwischen  Natur-  und  Kunstpoesie  ist  bei  Schiller 
aufgehoben.  Ein  Künstler  ist  jeder  wahre  Dichter.  Auch  die  Unter- 
scheidung nach  Zeitaltern  fällt  insofern  fort,  als  Shakespeare  und  Goethe 
zu  den  naiven  Dichtem  gerechnet  werden.  Der  Umfang  und  die  Tiefe 
der  Schrift  gehen  ja  nun  weit  über  die  angeführten  Sätze  hinaus.    Die 


454  Deutschland  und  die  Schweiz 

Charakteristik  Homers  ist  Schiller  nicht  Selbstzweck  gewesen.  Aber  er 
zeigt  ihn  uns  in  einer  neuen  Beleuchtung,  die  das  Resultat  ernsten Forschens 
und  tiefen  Verständnisses  ist.  Mögen  wir  nicht  mit  jeder  Einzelheit  ein- 
verstanden sein,  jedenfalls  hat  die  Schrift  das  wahre  Verständnis  Homers 
mächtig  gefördert. 

Eine  der  bedeutendsten  Erscheinungen  des  ausgehenden  Jahrhunderts 
ist  Wilhelms  von  Humboldt  etwas  weitschweifiges  Buch  Über  Hermann 
und  Dorothea  1799,  das,  wie  kaum  eine  zweite  Publikation  der  Zeit,  von 
der  freien  Überlegenheit  ihrer  Bürger  Zeugnis  ablegt.  Veranlassung  des 
Werkes  ist  der  Wunsch,  die  Stellung  von  Goethes  Gedicht  innerhalb  der 
Weltliteratur  näher  zu  bestimmen,  und  das  geht  auch  bei  Humboldt 
nicht  ohne  Aufstellung  von  Definitiotien  und  Regeln  ab.  In  dieser  Be- 
ziehung erinnert  er  an  Le  Bossu  und  Terrasson;  aber  der  große  Unterschied 
ist,  daß  er  die  neu  gewonnenen  Gesetze  nicht  wie  jene  verwendet,  um  Poesie 
und  Dichter  zu  schulmeistern,  sondern  um  beide  von  der  Herrschaft  der 
hergebrachten  Regeln  zu  befreien  und  für  alle  Licht  und  Raum  zu  schaffen. 
Er  verwirft  die  seit  Aristoteles  übliche  Methode,  die  Regeln  aus  vorhandenen 
Mustern  abzuleiten.  Damit  verwickelt  er  sich  allerdings  in  einen  gewissen 
Widerspruch,  da  er  doch  auch  selbst  nicht  umhin  kann,  seine  Anschauungen 
aus  dem  Vorhandenen  zu  schöpfen.  Berechtigt  ist  die  Ablehnung  jener 
Methode  insofern,  als  man  aus  den  aus  Homer  und  Virgil  abstrahierten 
Regeln  nicht  das  Recht  ableiten  darf,  alle  späteren  Erscheinungen  danach 
zu  beurteilen,  wie  ja  hundertfach  geschehen  war.  Was  Humboldt  zu  ver- 
meiden trachtet,  ist  eine  zu  enge  Begrenzung  jener  Definitionen,  wodurch 
der  Poesie  der  Lebensnerv  unterbunden  wird. 

In  der  Poesie  läßt  er  als  wirksame  Kraft  nur  die  Phantasie  gelten. 
Kunst  ist  ihm  die  Fertigkeit,  die  Einbildungskraft  nach  Gesetzen  produktiv 
zu  machen.  Sie  ist  deshalb  auch  nicht  schlechthin  eine  Nachahmung 
der  Natur,  sondern  eine  Darstellung  der  Natur  durch  die  Einbildungs- 
kraft, die  eine  Einheit  der  Phantasie  erschafft.  Notwendige  Folgen  davon 
sind  Schönheit  und  Totalität,  letztere  in  dem  Sinne,  daß  der  Künstler 
nicht  die  Aufgabe  hat  uns  alles  zu  zeigen,  sondern  uns  in  die  Lage 
versetzt  alles  zu  sehen.  Weiter  fließt  aus  dem  Wesen  der  Kunst  der 
Charakter  der  Idealität  und  der  Objektivität.  Humboldt  verlegt  das  We- 
sentliche in  der  Poesie  in  die  Seele  des  Dichters  und  der  Zuschauer, 
auf  die  das  Gedicht  wirken  soll.  Er  findet  einen  Unterschied  innerhalb 
der  beschreibenden  Dichtung;  gemeint  ist  die  epische,  die  er  aber  im 
allgemeinen  Teil  nicht  so  nennt,  weil  er  noch  speziell  auf  sie  eintreten 
will.  Es  handelt  sich  darum,  ob  diese  Poesie  mehr  durch  Mannigfal- 
tigkeit und  Verschiedenheit  der  Figuren,  oder  durch  Gestaltung  der  ein- 


Humboldt  455 

zelnen  und  Verbindung  aller  zu  einem  Ganzen  zu  wirken  bestimmt  sei; 
ob  der  Dichter  seine  Gruppen  mehr  als  Massen  oder  als  Ganze  behan- 
delt habe,  mehr  durch  Farbe  und  Kolorit  oder  durch  Form  erreichen 
wolle,  kurz  ob  er  mehr  bildend  oder  mehr  stimmend,  musikalisch  wirke. 
Zu  beidem  hat  der  Dichter  das  nämliche  Recht,  beide  Arten  der  Dar- 
stellung" stehen  gleichberechtigt  nebeneinander,  und  so  auch  ihre  glän- 
zendsten Vertreter,  Homer  und  Ariost.  Humboldt  führt  das  in  einer 
prächtigen  Parallele  aus,  die  zum  schönsten  gehört,  was  über  beide  Dichter 
geschrieben  worden  ist.  Im  Reichtum  stehen  sie  einander  gleich;  auch 
sind  ihre  Personen  gleich  gegenwärtig.  Aber  bei  Homer  verschwindet 
der  Dichter,  bei  Ariost  behält  man  ihn  stets  im  Auge.  Bei  Homer  sehen 
wir  ein  festes  Gewebe  der  Begebenheiten,  Ariost  läßt  immer  die  Herr- 
schaft seiner  Willkür  blicken,  ordnet  aber  den  Stoff  imgrunde  nach  den 
inneren  Gesetzen  der  Sympathie  und  des  Kontrastes  der  Empfindungen, 
die  er  in  seinem  Zuhörer  weckt.  Homer  beschreibt  nie,  Ariost  immer; 
bei  jenem  ist  bloß  die  Natur  und  die  Sache  maßgebend,  bei  diesem  auch 
der  Dichter  und  der  Leser,  der  immer  an  ihn  erinnert  wird,  so  daß  er 
sich  nicht  selbst  vergessen  kann.  Ariost  gefällt  mehr  durch  Glanz  und 
Reichtum  seiner  Farben,  Homer  durch  die  Reinheit  der  Formen  und  die 
Schönheit  der  Komposition.  Beide  haben  Einheit  und  Mannigfaltigkeit, 
aber  bei  Homer  steht  jene  voran,  dem  Ariost  ist  diese  vor  allem  wichtig. 
Man  kann  Homer  den  naiveren,  Ariost  den  sentimentaleren  nennen,  aber 
der  Unterschied  liegt  doch  wesentlich  in  der  höheren  Objektivität  Homers. 
Dessen  Gesetzmäßigkeit,  die  der  Einbildungskraft  ursprünglich  einverleibt 
sein  muß,  wirkt  tiefer  und  wohltätiger  auf  Gemüt  und  Gesinnung,  Ariosts 
heitere  und  anmutige  Leichtigkeit  auf  die  Stimmung  und  das  Temperament. 
Der  Unterschied  zwischen  beiden  drückt  sich  auch  in  ihrem  Verse  aus. 
Hermann  und  Dorothea  stellt  Humboldt  zur  homerischen  Art.  Nicht 
Sinne  und  Leidenschaften  des  Lesers  sind  rege,  aber  sein  Sinn  ist  be- 
schäftigt, sein  Gemüt  still  bewegt.  Es  ist  der  Kreis,  in  dem  wir  zu 
leben  gewohnt  sind,  aber  die  Wirklichkeit  hat  eine  Veränderung  erfahren; 
sie  ist  nicht  mehr  Wirklichkeit,  sondern  nur  reines  Erzeugnis  der  dichte- 
rischen Einbildungskraft.  Die  vollendete  Darstellung  der  Menschheit  durch 
die  Einbildungskraft  gelingt  nicht  ohne  einen  ruhig  bildenden  Sinn  und 
eine  gewisse  Anhänglichkeit  an  die  einfache  Wahrheit  der  Natur.  Dieser 
echte  Kunstsinn  pflanzt  sich  auch  auf  andere  fort.  Li  dem  Leser  schmelzen, 
wenn  er  Homer  liest,  in  diesen  Augenblicken  die  Einheit  seines  Wesens 
und  die  seiner  Werke  in  eins  zusammen  und  wachsen,  indem  sie  sich 
über  die  ganze  Natur  verbreiten,  so  wie  wir  diese  alsdann  ansehen,  zu 
«twas  Unendlichem  an.  Bei  den  Alten  beruht  das  Geheimnis  dieser  Kunst 


456  Deutschland  und  die  Schweiz 

in  der  natürlichen  Zusammenfügung  aller  Teile,  in  der,  wie  in  der 
organischen  Schöpfung  selbst,  jeder  aus  dem  anderen  frei  und  doch  not- 
wendig hervorgeht;  auf  der  Größe  und  Reinheit  der  Elemente,  aus  der 
sie  ihre  Formen  zusammensetzen;  endlich  auf  einer  gewissen  kühnen 
Manier,  mit  der  sie  nicht  ängstlich  für  das  Auge  malten,  sondern  vielmehr 
nur  die  Phantasie  mit  Begeisterung  und  Kraft  ausrüsteten,  den  bloß 
angelegten  Umriß  selbst  zu  vollenden.  Ihre  Einbildungskraft  war  mit 
allen  den  Eigenschaften  verschwistert,  die  den  Menschen  ruhig  und  weise 
durchs  Leben  führen,  mit  dem  streng  organisierenden  Verstände,  dem 
ruhig  aufnehmenden  Blick  und  dem  schönen  Gleichgewicht  aller  Neigungen 
und  Seelenkräfte.  Alle  diese  Vorzüge  vereinigen  sich  bei  Goethe  über- 
raschend schön  mit  den  Fortschritten  und  Verfeinerungen  neuerer  Zeiten. 
Bei  keinem  der  alten  Dichter  trifft,  man  diese  hohe,  feine  und  idealische 
Sentimentalität,  bei  keinem  neueren,  verbunden  mit  diesen  Vorzügen^ 
diese  schlichte  Natur,  diese  eiafache  Wahrheit,  diese  herzliche  Innigkeit. 

Es  kann  überflüssig  erscheinen,  daß  Humboldt  noch  speziell  auf 
das  Epos  eingetreten  ist,  aber  es  war  ihm  darum  zu  tun,  sich  noch  mii 
den  geltenden  Definitionen  auseinanderzusetzen  und  sie  von  der  neu- 
gewonnenen Erkenntnis  aus  zu  beleuchten.  So  sieht  er  den  Einteilungs- 
grund  aller  wesentlich  verschiedenen  Dichtungs arten  weder  im  Stoff  noch 
in  der  Form,  sondern  ausschließlich  in  der  Natur  der  dichterischen  Ein- 
bildungskraft und  des  allgemeinen  Zustandes  der  Seele  des  Dichters  wie 
des  Lesers.  Die  Untersuchung  dieser  beiden  Stücke  für  sich  und  in 
ihrer  Verbindung  ergibt  den  Charakter  jeder  einzelnen  Dichtungsart,  die 
subjektive  Stimmung,  aus  der  sie  hervorgeht  und  die  sie  wiederum  hervor- 
bringt, und  aus  diesen  läßt  sich  die  objektive  Definition  ableiten.  Die 
gewöhnlich  gestellte  Forderung  einer  wichtigen  und  merkwürdigen  Hand- 
lung heroischer  Personen  und  eines  gewissen  Umfanges  des  Plans  trifft 
mit  derjenigen  Stimmung  zusammen,  in  der  sich  unser  Gemüt  in  dem 
Zustande  ruhiger,  aber  lebendiger  Beschauung  befindet;  dieser  Zustand 
sucht  im  epischen  Gedicht  seine  Befriedigung.  Der  Epiker  darf  die  Ruhe 
des  Betrachters  nicht  zerstören,  muß  sie  aber  im  einzelnen  in  Gefahr 
bringen.  Das  epische  Gedicht  ist  also  eine  solche  dichterische  Darstellung 
einer  Handlung  durch  Erzählung,  welche,  nicht  bestimmt,  einseitig  eine 
gewisse  Empfindung  zu  erregen,  unser  Gemüt  in  den  Zustand  der  leben- 
digsten und  allgemeinsten  sinnlichen  Betrachtung  versetzt. 

Die  seit  Jahrhunderten  an  das  Epos  gestellten  Forderungen  erklärt 
Humboldt  als  zu  unbestimmt,  schon  die  des  historischen  Stoffes;  denn 
wenn  dieser  wenig  bekannt  ist,  so  nähert  er  sich  der  poetischen  Er- 
findung.   Was  sonst  verlangt  wird,  Wichtigkeit,  Umfang,  sinnliche  Be- 


Humboldt  457 

wegung  der  Handlung,  sind  relative  Dinge,  und  die  Wirkung  des  Wunder- 
baren, das  erforderlich  sein  soll,  hängt  von  der  Zeit  ab,  in  welcher,  und 
von  den  Menschen,  zu  denen  man  redet.  Dennoch  ist  die  Wichtigkeit 
der  Gesamtheit  dieser  Faktoren  nicht  zu  leugnen.  Gewiß  ist  die  Wahl 
des  Stoffes  nicht  gleichgiltig,  aber  das  Entscheidende  sind  die  Empfin- 
dungen, die  er  hervorbringen  soll.  Die  Sänger  der  Ilias  und  Odyssee 
glaubten  von  den  wichtigsten  Ereignissen  ihrer  Zeit  erfüllt  zu  sein  und 
darum  auf  die  allgemeine  Teilnahme  rechnen  und  mit  dem  größten  Stolz 
auftreten  zu  dürfen. 

Goethe,  sagt  Humboldt,  entspricht  der  allgemeinen  Definition  des 
Epos.  Er  leistet  den  Beweis,  daß  der  Stoff  erdichtet  imd  bürgerlich  sein,, 
und  daß  die  Ereignisse  wenige  Personen  statt  ganzer  Nationen  betreffen 
können.  Er  hat  die  epische  Wirkung  erreicht.  Mengt  man  Nebenbegriffe 
ein,  wie  Umfang  des  Gedichts,  Größe  der  Handlung,  Wunderbares,  so  ist 
das  ein  Fehler  der  Kritik,  da  jene  Forderungen  nicht  aus  dem  Wesen  des 
epischen  Gedichtes  fließen.  Für  das  heroische  Epos  treffen  sie  allerdings 
zu.  Dieses  malt  ins  sinnlich  Reiche,  Glänzende  und  versetzt  die  Ein- 
bildungskraft in  eine  Stimmung,  wo  sie  sich  der  lebhaftesten  Mitwirkung 
der  äußeren  Sinne  erfreut.  Das  bürgerliche  Epos  setzt  die  Einbildungs- 
kraft in  nähere  Verbindung  mit  dem  bloß  bildenden  Sinn,  mit  dem  Geist 
und  dem  Gefühl.  Während  jenes  den  Gestalten  eine  raschere,  mehr  mit 
sich  fortreißende,  vielfachere  Bewegung  leiht,  so  gibt  ihnen  dieses  eine 
reichere,  tiefer  eindringende  und  seelenvollere  Sprache.  Ein  heroisches 
Epos  wäre  übrigens  heute  beinahe  eine  Unmöglichkeit.  Einem  antiken 
Stoffe  würde  es  an  Natur  und  pragmatischer  Wahrheit  fehlen,  und  in 
der  neueren  Geschichte  findet  sich  keine  Handlung,  in  der  der  Mensch 
allein  und  unmittelbar  handelt  und  zugleich  als  Held  auftritt.  Und  selbst 
wenn  sich  eine  solche  fände,  dürfte  der  Dichter  dem  Helden  keine  bloß 
körperliche  Beschäftigung,  nichts,  was  zum  gewöhnlichen  Leben  gehört^ 
zuschreiben,  da  dies  nach  unsern  Begriffen  unanständig  und  des  ge- 
bildeten Mannes  unwürdig  ist.  Es  bleibt  daher  nichts  übrig,  als  die 
epischen  Stoffe  aus  dem  Privatleben  zu  nehmen,  das  freilich  des  höchsten 
Schwunges  der  Phantasie  entbehrt. 

Wie  für  die  Gleichberechtigung  Ariosts  mit  Homer,  so  plädiert 
Humboldt  für  die  des  bürgerlichen  mit  dem  heroischen  Epos.  Wir  werden 
unwillkürlich  an  Giraldi  erinnert,  vor  dem  Humboldt  wesentlich  die  Gunst 
der  Zeit  voraus  hat.  Der  Grundgedanke  ist  bei  beiden  derselbe.  Da  steht 
ein  Gedicht,  vollendet  in  seiner  Art,  das  den  alten  Theorien  nicht  ent- 
spricht. Diese  gangbaren  Definitionen  sind  nicht  falsch,  passen  aber  nur 
für  das  heroische  Epos.    Gut,  lassen  wir  sie  für  Homer  gelten,  aber  für 


458  Deutschland  und  die  Schweiz 

das  Epos  schlechthin  sind  sie  nicht  verbindlich.   Dessen  eigenstem  Wesen 
entspricht  Hermann  und  Dorothea  so  gut  wie  Ariost. 

Im  nämlichen  Jahre,  wie  Schillers  grundlegender  Aufsatz,  1795,  er- 
schienen Friedrich  August  Wolfs  Prolegomena  ad  HomeruMj  in  denen 
die  Existenz  einer  historischen  Persönlichkeit  Homer  bestritten  war. 
Wolf  war  der  Schüler  von  Christian  Gottlob  Heyne  gewesen,  der  seit 
1763  in  Göttingen  Gesners  Werk  fortsetzte. 

'  Heyne  wirkte  in  erster  Linie  als  akademischer  Lehrer.  Eine  große 
Zahl  später  berühmt  gewordener  Philologen  ist  durch  seine  Schule  ge- 
gangen. In  ihm  verkörperte  sich  das  Bestreben,  die  Kenntnis  des  Alter- 
tums nicht  nur  sprachlich,  sondern  auch  sachlich  seinen  Schülern  zu 
vermitteln.  Die  Resultate  seiner  rastlosen  Forschungen  über  Homer 
verö£Fentlichte  er  in  zahlreichen  Aufsätzen,  besonders  auch  im  Kommen- 
tar zu  seiner  Ausgabe  Virgils  1787;  das  Wesentlichste  von  seinen  Homer- 
studien ist  in  den  Exkursen  zu  seiner  großen  Homerausgabe  gesammelt, 
die  er  früh  in  Angriff  nahm,  aber,  zu  spät  für  seinen  Ruhm,  erst  1802 
erscheinen  ließ.  Diese  Exkurse  enthalten  großenteils  sprachliche  und 
grammatische  Untersuchungen,  daneben  aber  auch  wichtige  andere. 

Schon  der  erste  größere  Aufsatz  Über  das  Eingreifen  der  Götter  ent- 
hält fast  das  ganze  Programm  der  Forschungen  Heynes.  Dieses  Ein- 
greifen entsprang  nach  ihm  dem  Volksglauben  einer  rohen  Zeit.  Es  bildet 
bald  einen  Teil  der  Handlung  der  Ilias  selbst,  bald  steht  es  außerhalb  der 
Handlung  in  Episoden.  Zu  altertümlicher  Erzählungsart  gehört  es,  wenn 
auf  das  Eingreifen  der  Götter  zurückgeführt  wird,  was  sich  nach  dem  natür- 
lichen Verlauf  der  Dinge  ereignet.  Erfunden  hat  Homer  diese  Dinge  nicht, 
sondern  er  muß  sie  schon  in  früheren  Gedichten  vorgefunden  haben.  Nur 
sind  wir  über  den  Umfang  des  von  ihm  Übernommenen  und  dessen,  was 
ihm  gehört,  so  sehr  im  Unklaren,  daß  es  besser  ist  vom  Werk  als  vom 
Dichter  zu  sprechen.  Bei  dieser  Resignation  beruhigt  sich  indessen  Heyne 
nicht  lange.  Da  es  ihm  ausgemacht  ist,  daß  manches  im  Homer  auf  histo- 
rischer Überlieferung  beruht,  so  hält  er  es  auch  für  sehr  wahrscheinlich, 
daß  schon  in  dieser  die  Rollen  der  Götter  verteilt  waren,  in  kleineren 
Gedichten,  so  daß  es  keines  großen  Scharfsinnes  bedurfte,  den  Eiafluß 
der  Götter  auch  auf  das  Ganze  der  Ilias  auszudehnen.  Da  nämlich,  wenn 
ein  Gott  seine  Aufgabe  durchgeführt  hat,  von  ihm  nicht  weiter  die  Rede 
ist,  und  da  unsere  Aufmerksamkeit  immer  nur  auf  einen  Helden  gelenkt 
wird,  so  zerfällt  die  Ilias  in  lose  Teile,  von  denen  man  sich  leicht  vor- 
stellen kann,  daß  sie  einst  einzeln  existierten  und  erst  später  in  ein  Ganzes 
zusammengewachsen  seien.   Ethische  Vorschriften  sind  in  diesen  Götterge- 


Heyne  459 

schichten  nicht  enthalten.  Mit  den  Gestalten  der  Religion  haben  die  poetischen 
Götter  nur  den  Namen  gemein.  Die  Geschichten  sind  von  den  roheren  Ge- 
fühlen früherer  Menschen  entworfen  und  zeigen  deshalb  bald  unwürdige,  bald 
erhabene  Vorstellungen  von  den  Göttern.  Daran  stießen  sich  Menschen  mit 
reineren  Gottesbegriffen,  und  daher  stammen  die  allegorischen  Erklärungen. 

Schon  vor  Homer  waren  historische  Ereignisse,  sowie  Naturvorgänge 
in  mythische  Erzählungen  umgesetzt  worden;  Homer  hat  sie  nur  ins 
Wunderbare  erhoben.  Damit  will  aber  Heyne  die  allegorische  Erklärung 
nicht  gebilligt  wissen.  In  dem  Exkurs  Vher  ho7nerische  Allegorie  stellt 
er  zwischen  allegorischer  und  symbolischer  Rede  einen  Unterschied  fest. 
Unter  dieser  versteht  er  die  den  Menschen  einer  roheren  Zeit  notwendige 
Umsetzung  von  Naturvorgängen  und  Gedanken  in  Geschichten  und  Per- 
sonen von  Göttern,  unter  jener,  daß  man  dem  Homer  die  Absicht  beilegt, 
physische,  ethische  und  anderweitige  Vorstellungen  im  Gewände  der  Er- 
zählung absichtlich  verhüllt  zu  haben.  Diese  Unterscheidung,  die  sich 
schon  bei  Bacon  findet,  ist  gewiß  richtig,  und  wir  werden  Bacon  und 
Heyne  ohne  weiters  zustimmen,  wenn  sie  sagen,  Homer  habe  von  dem 
symbolischen  Charakter  seiner  Geschichten  gar  keine  Ahnung  gehabt. 
Nur  ist  damit  die  Frage  nach  dem  Ursprung  dieser  Geschichten  bloß  um 
eine  Stufe  zurückgeschoben.  Homer  als  naiver  Erzähler  ist  gerettet,  aber 
der  allegorischen  Erklärung  die  Hintertür  aufgemacht. 

Davon  abgesehen  hat  Heyne  auf  d'Aubignac  weiter  gebaut,  denn 
von  diesem  stammt  der  Gedanke  an  die  Existenz  früherer  Gedichte  ver- 
schiedener Dichter.  Mit  großem  Scharfsinn  hat  Heyne  die  Analyse  der 
Ilias  durchgeführt  und  die  einzelnen  Gedichte  ausgesondert.  Es  mag  be- 
sonders hervorgehoben  werden,  daß  er  der  Ilias  vorangegangene  Epen 
über  Herakles  erkannte  und  die  diesen  entlehnten  Züge  im  Homer  ganz 
richtig  bezeichnete.  Aber  er  erblickte  in  der  Ilias  nicht  wie  d'Aubignac 
eine  einfache  Zusammenreihung,  sondern  eine  durch  Dichterhand  voll- 
zogene, kunstvolle  Verknüpfung.  Das  poetische  Genie,  das  sie  vollzog, 
hat  dem  Ganzen  den  Zorn  des  Achilleus  zugrunde  gelegt;  durch  die  Eini- 
gung wurde  bewirkt,  daß  diese  Grundlage  nie  mehr  aus  den  Augen  ver- 
loren wurde.  Einigend  wirkte  es,  daß  die  ganze  Geschichte  unter  den  Ein- 
fluß der  Götter  gestellt  wurde;  das  Bestreben,  die  einzelnen  Teile  zu 
verknüpfen,  zeigt  sich  gerade  in  den  Eingriffen  der  Götter,  durch  die 
manchmal  die  Erzählung  unterbrochen  v^drd.  Es  ist  eine  Auffassung,  die 
der  kritischen  Forschung  und  den  Forderungen  der  Poesie  gleich  sehr 
gerecht  zu  werden  sucht.  Was  bei  Heyne  unangenehm  wirkt,  ist  der 
nachträgliche  Versuch,  seine  schönen  und  klaren  Resultate  mit  Wolfs 
Prolegomena  in  Einklang  zu  bringen,  wodurch  bei  Heyne  Konfusion  ein- 


460  Deutschland  und  die  Schweiz 

getreten  ist.   Sehen  wir  davon  ab,  so  ist  er  unter  den  Neueren  der  erste, 
der  den  Namen  eines  Homerkritikers  in  Wahrheit  verdient. 

Wie  selbständig  er  in  den  Stoff  einzudringen  wußte,  zeigen  seine 
Erörterungen  über  den  Schild  des  Achilleus.  Wenn  man,  sagt  er,  die 
bei  dem  Schild  vorauszusetzende  Kunst  den  ältesten  Zeiten  zuweist,  so 
entsteht  ein  großer  Abstand  zwischen  ihr  und  der  sonst  bekannten  Ent- 
wicklung der  Künste  in  Griechenland.  Nun  vernehmen  wir  von  der 
Technik  gar  nichts,  die  zu  erklären  zwar  nicht  Sache  des  Dichters  war, 
die  aber  sehr  groß  gewesen  sein  muß,  auch  wenn  die  Bilder  auf  dem 
Schild  nicht  ein  Relief,  sondern  getriebene  Arbeit  waren.  Kunstgegen- 
stände dieser  Art  hat  der  Dichter  nicht  vor  dem  6.  Jahrhundert  sehen 
können;  denn  wenn  sie  auf  ein  asiatisches  Vorbild  zurückgingen,  müßten 
die  Figuren  anders  ausgesehen  haben.  Nun  gehören  aber  solche  Bilder 
mit  so  vielen  Figuren  gar  nicht  auf  einen  kriegerischen  Schild.  Gesetzt 
aber  auch,  ein  Künstler  hätte  einen  solchen  Schild  machen  wollen,  so 
wären,  abgesehen  von  der  ungeheuren  und  langwierigen  Arbeit,  die  Figuren 
ihrer  Kleinheit  und  Zahl  wegen  kaum  zu  unterscheiden  gewesen. 

Der  Schild  ist  ein  rein  poetisches  Werk  und  geht  gar  nicht  auf  eine 
künstlerische  Vorlage  zurück.  Zugrunde  lag  viel  eher  ein  Gedicht,  das 
viele  Teile  und  Szenen  des  menschlichen  Lebens  schilderte  und  zwar  solche 
der  schon  verfeinerten  ionischen  Kultur;  da  der  Dichter  die  ganze  Welt 
darstellen  wollte,  wurde  er  leicht  auf  die  Kreisform  geführt.  Wie  in 
der  kosmogonischen  und  theogonischen  Poesie  die  Darstellung  der  Welt 
mit  einem  Gewand,  Peplos,  verglichen  wurde,  so  mochte  sich  ein  Dichter 
seine  Szenen  auf  einer  Erztafel  vorgestellt  denken,  und  zwar,  da  Himmel 
und  Erde  darauf  vorkamen,  auf  einer  runden.  Erst  als  dann  in  der  Zeit 
des  Solon  und  Peisistratos  die  Künste  aufblühten,  konnte  sich  ein  Rhapsode 
oder  einer  der  Redaktoren  der  Ilias  versucht  fühlen,  jenes  alte  Gedicht 
zur  Beschreibung  eines  Schildes  zu  machen,  die  zu  dem  Gange  des  Epos 
ursprünglich  gar  nicht  gehörte.  Es  ist  deshalb  vergeblich,  über  die  Kunst 
des  Schildes  zu  disputieren,  der  nie  ein  Kunstwerk  gewesen  ist.  Für  die 
Studien  der  Neueren  über  die  Anordnung  der  Bilder  und  Figuren  gibt 
das  Gedicht  gar  keinen  Anhaltspunkt.  Wenn  Heyne  zuletzt  selbst  einen 
Versuch  in  dieser  Richtung  macht,  so  bleibt  er  sich  bewußt,  daß  er  ein 
poetisches  Spiel  zu  rekonstruieren  unternimmt, 

Heyne  war  sich  gar  wohl  bewußt,  daß  nach  seiner  Arbeit  von  Homer 
nicht  länger  als  von  dem  schöpferischen  Genius,  dem  erfindungsreichen 
Schöpfer  des  Epos  gesprochen  werden  dürfe.  Am  Schlüsse  seiner  Aus- 
gabe erklärt  er  sich  mit  der  Herabsetzung  des  Dichters  allerdings  nicht 
einverstanden,   wendet   sich   aber  zugleich  gegen  dessen  törichte  über- 


w 


Heyne  461 


Itzung,  deren  Ursachen  er  aufdecken  will.  Die  Gedichte,  so  führt 
er  aus,  stammen  erstens  aus  einem  natürlichen,  noch  von  keiner  Kunst 
geschminkten  Zeitalter,  und  das  gewährleistet  ihnen  die  freudige  Be- 
wunderung der  ganzen  Nachwelt.  Dazu  kamen  zu  allen  Zeiten  und  bei 
allen  Völkern  noch  besondere  Ursachen.  Die  lonier  waren  stolz  auf 
die  Erhaltung  der  Gedichte  ihrer  Sänger  und  den  Preis  ihrer  Vor- 
fahren; die  Athener  sahen  sich  in  den  Gedichten  als  Stammväter  der 
lonier  verherrlicht.  Spätere  Geschlechter  verehrten  in  ihnen  die  gesamte 
Überlieferung  ihrer  frühesten  Vergangenheit,  und  so  konnte  Homer  die 
Quelle  alles  Wissens,  der  Vater  jeder  Poesie  genannt  werden.  Da  so 
viele  in  Stoff  und  Stil  so  ähnliche  Gedichte  in  ein  Ganzes  verschmolzen 
waren,  konnte  alles  auf  einen  und  denselben  Dichter  bezogen  und  er 
dafür  verherrlicht  werden,  mochte  er  auch  nicht  einmal  dem  Namen 
nach  genügend  bekannt  sein.  Was  die  bewunders werte  Schar  der  io- 
nischen Sänger  vorgetragen  hatte,  und  was  durch  den  Einzelvortrag  ver- 
loren gegangen  wäre,  das  wurde  durch  den  Anschluß  an  den  einen  Namen 
Homer  gerettet.  So  wurde  durch  ein  geheimnisvolles  Band  die  ganze 
folgende  Literatur  mit  seinem  Namen  verknüpft. 

An  Homer  entzückt  vor  allem  die  wahre  und  unmittelbare  Zeich- 
nung der  Zustände  ältester  Zeit,  die  zur  Erweckung  der  Affekte  ge- 
stalteten Mythen,  die  durch  das  Eingreifen  der  Götter  wahrscheinlich 
gemachten  übernatürlichen  Dinge;  dann  auch  die  einfache,  flüssige, 
wechselvolle  Sprache  und  die  dramatisch  wirksame  Erzählung.  Wir 
schöpfen  aus  Homer  Vergnügen  und  Bewunderung,  lernen  aber  auch 
zugleich  die  Urzustände  der  Menschheit  kennen  und  vergleichen  sie  mit 
den  alten  Schriften  der  Hebräer  und  den  Nachrichten  über  wilde  Völker 
der  Gegenwart.  Wir  verfolgen  den  Ursprung  der  Sprache  und  gelangen 
dadurch  zur  Kenntnis  der  Völker  und  der  Natur  des  Menschen.  Aus 
alledem  erwächst  uns  ein  besonderer  Nutzen  des  Studiums  Homers. 
Verdienst  des  Dichters  ist  dabei  die  wahrheitsgetreue  Zeichnung  der 
alten  Zeiten;  aber  die  Sache  interessiert  auch  an  sich  und  hat  wieder 
zu  einem  sachlichen  Studium  Homers  geführt. 

Besonderer  Ruhm  erwuchs  Homer  aus  seinem  Stoff;  aber  dieser  ist 
nicht  von  ihm  zuerst  behandelt  worden,  wie  schon  die  Odyssee  zeigt; 
er  hatte  darin  Vorgänger.  Auch  die  naturwahre  Schilderung  der  Affekte 
ist  nicht  ein  Resultat  besonderer  Kunst.  Durch  lebhafte  Kraft  des  Geistes 
gab  er  wieder,  was  er  gesehen  und  gefühlt  hatte.  Die  dramatische 
Lebendigkeit  der  Erzählung  ist  eine  Eigentümlichkeit  der  Zeit  des 
Dichters.  An  Homers  Sprache  gefällt  der  Altertümlichkeit  wegen 
manches,  was  in  prosaischer  Rede  abstoßend  wirken  würde. 


462  Deutschland  und  die  Schweiz 

Heyne  hat  alles  zusammengetragen,  was  sein  Jahrhundert  an  Homer 
zu  preisen  gefunden  hatte,  aber  er  hat  es  dem  Dichter  zum  größten 
Teile  genommen  und  als  Eigentum  der  alten  Zeit  erklärt.  Das  aus  Homer 
zu  gewinnende  Wissen  gilt  ihm  mehr  als  der  unmittelbare  Genuß  der 
Dichtung,  wenn  er  diesem  auch  sein  Recht  zu  lassen  sucht.  Seine  Resul- 
tate bedeuten  keinen  zwingenden  Schluß.  Wenn  Homer  für  sein  Werk 
bereits  vorhandene  Gedichte  verwertet  hat,  so  ist  über  die  Art  solcher 
Verwertung  noch  nichts  gesagt.  Heyne  ist  mit  Recht  über  d'Aubignac's 
Annahme  einer  einfachen  Zusammenfügung  hinausgeschritten,  aber  bei 
einer  Gesamtredaktion  unter  einheitlichen  Gesichtspunkten  stehen  ge- 
blieben. Daß  der  Dichter,  wie  Shakespeare  getan  hat,  seine  Vorlagen 
auch  im  einzelnen  seinem  Zweck  dienstbar  gemacht,  besonders  aber  in 
die  einheitliche  Form  gegossen  und  allem  den  Stempel  seines  Genies 
aufgedrückt  haben  könnte,  ist  ihm  nicht  in  den  Sinn  gekommen. 

Auf  die  Frage,  ob  zu  Homers  Zeiten  die  Schrift  bekannt  gewesen  sei, 
hat  Heyne  nicht  das  geringste  Gewicht  gelegt.  Faktisch  war  ja  für  seine 
Zeit  die  Sache  längst  entschieden.  Rousseau  hatte  bereits  sehr  früh  be- 
hauptet, die  Odyssee  sei  unter  Annahme  der  Bekanntschaft  mit  der  Schrift 
undenkbar.  Was  Macpherson  für  Ossian  ermittelt  hatte,  daß  dessen  Gedichte 
Jahrhunderte  lang  mündlich  überliefert  worden  seien,  mußte  auch  für 
Homer  gelten,  und  so  geht  denn  Herders  ganze  Auffassung  vom  münd- 
lichen Vortrag  der  homerischen  Gedichte  aus.  Percy's  Balladen  legten 
ihm  sogar  den  Gedanken  nahe,  von  den  einzelnen  Liedern  seien  drei-  und 
vierfache  Traditionen  entstanden,  und  die  erhaltenen  Rhapsodien  seien 
später  dem  besten  Kritikus  in  die  Hände  gefallen.  Dieser  Gedanke,  den 
er  1795  dahin  formuliert,  daß  Bücher  das  Grab  des  Epos  seien,  durch- 
zieht alle  seine  früheren  Schriften.  Entschieden  hatte  Wood  Kenntnis 
der  Schrift  bei  Homer  geleugnet  und  die  Einführung  der  Buchstaben- 
schrift in  die  Mitte  des  6.  Jahrhunderts,  zugleich  mit  dem  Beginn  der 
Prosa  gesetzt.  1788  behauptete  De  Pauw,  selbst  Lykurgos  habe  weder 
lesen  noch  schreiben  können.  In  der  Berliner  Akademie  erörterte  Merian 
1789  im  Anschluß  an  Wood  die  Frage  nach  dem  Alter  der  Schrift.  Auch 
er  geht  von  primitiven  Völkern  aus,  auch  von  Ossian.  Macpherson  ist 
ihm  der  Peisistratos  Ossian's,  wenn  er  nicht  etwa  selbst  der  Homer  dieser 
Gedichte  ist.  Jedenfalls  beweist  die  Sammlung  der  homerischen  Gedichte 
durch  Peisistratos,  daß  sie  nicht  geschrieben  waren,  sonst  hätte  die  Nach- 
richt keinen  Sinn;  möglich  ist  ja,  daß  einiges  vorher  schon  aufgeschrieben 
war.  Homer  kann  die  Schrift  nicht  gekannt  haben,  denn  er  spricht  nicht 
davon;  würde  er,  der  sonst  überall  sein  Wissen  zeigt,  diese  Kenntnis 
verschwiegen  haben?    Der  Brief  des  Proitos  war  nicht  in  einer  Schrift 


Heyne     Merian     Wolf  463 

sondern  in  verabredeten  Zeichen  abgefaßt.  Homer  sang  die  Taten  des 
Acbilleus  genau  so,  wie  dieser  die  Ruhmestaten  der  Helden.  Was  von 
Schriftlichem  vor  Homer  bestanden  haben  soll,  ist  alles  spät,  wie  die 
Gedichte  des  Orpheus.  Von  den  Phönikem  konnte  Homer  die  Kenntnis 
der  Schrift  nicht  haben;  denn  diese  haben  keine  Kultur  verbreitet,  sondern 
trieben  nur  Handel  und  Seeraub  und  konnten  wohl  selbst  ebensowenig 
schreiben,  wie  noch  heute  oder  im  Mittelalter  das  niedere  Volk.  Die  Ge- 
schichten von  der  Einführung  der  Buchstabenschrift  durch  Kadmos  und 
Palamedes  sind  Fabeln.  Ebensowenig  konnte  Homer  seine  Kenntnis  aus 
Ägypten  haben,  denn  daß  er  dort  gewesen  sei,  ist  eine  haltlose  Annahme, 
und  in  alter  Zeit  hatten  die  Ägypter  keine  Buchstabenschrift.  Der  Ein- 
wurf, man  hätte  so  große  Gedichte  nicht  im  Gedächtnis  behalten  können, 
ist  nicht  stichhaltig;  zu  Sokrates  Zeiten  konnte  man  es  doch  auch,  und 
noch  Tasso  hat  die  Gerusalemme  im  Kopf  komponiert.  Gesetzt  aber  auch, 
es  wären  zu  Homers  Zeiten  Anfänge  der  Schreibkunst  vorhanden  gewesen, 
so  fehlte  es  doch  gänzlich  an  geeignetem  Schreibmaterial.  Es  stand  ihm 
weder  Pergament  oder  Papyrus,  noch  Tinte  zur  Verfügung,  und  auf  Stein 
hat  er  doch  wohl  seine  Gedichte  nicht  eingekratzt.  Wenn  er  blind  war, 
so  mußte  er  sich  ganz  auf  sein  Gedächtnis  verlassen,  wie  sein  Abbild 
Demodokos;  für  Milton  war  die  Blindheit  geradezu  eine  Förderung.  End- 
lich beweist  die  Existenz  alter  Inschriften  für  Homer  und  seine  Heroen 
ebensowenig  als  das  Vorkommen  einzelner  Buchstaben  für  die  Aufzeich- 
nung großer  Gedichte.  Übrigens  sind  manche  von  diesen  Inschriften  un- 
echt oder  unsicheren  Datums. 

Außer  den  nämlichen  Argumenten  hatte  Wolf  in  den  Prolegomena 
nichts  vorzubringen  als  solche  von  zweifelhaftem  Wert.  Nach  dem  Vor- 
bild von  Macpherson's  Bardenschulen  erfand  er  die  Rhapsodenschulen, 
in  denen  die  Kunst  des  Vortrags  gelehrt  worden  sei.  D'Aubignac  ent- 
nimmt er  den  Gedanken,  daß  die  ganzen  Gedichte  nicht  von  einem  Einzel- 
nen entworfen  und  ausgearbeitet  sein  könnten,  und  daß  sie,  da  sie  für 
Hörer  bestimmt  waren,  auch  keine  Daseinsberechtigung  gehabt  hätten. 
Ebenfalls  aus  d'Aubignac  stammt  die  Behauptung,  Plan  und  Einheit 
der  Gedichte  seien  schon  durch  die  Sage  gegeben  gewesen.  Endlich 
behauptet  er,  das  ganze  Altertum  bezeuge  einstimmig,  daß  Peisistratos 
zuerst  die  Gedichte  Homers  aufgeschrieben  und  in  die  gegenwärtige 
Form  gebracht  habe.  Das  ist,  ob  wissentlich  oder  nicht,  eine  Ver- 
drehung des  Tatbestandes,  wie  Boileau  längst  dargelegt  hatte.  Das  Alter- 
tum hat  an  Homer  als  dem  Dichter  der  lUas  und  Odyssee  nicht  ge- 
zweifelt, sondern  es  gab  nur  eine  Überlieferung,  die  Gedichte  seien  durch 
den  Vortrag  der  Rhapsoden  oder  sonst  wie  zerstreut  worden  und  in  Un- 


464  Deutschland  und  die  Schweiz 

Ordnung  geraten,  und  Peisistratos  habe  die  ursprüngliche  Fassung  wieder 
hergestellt. 

Wolf  wagte  den  letzten  Schluß  nicht  zu  ziehen.  Wenn  alle  seine  Ar- 
gumente richtig  waren,  so  hat  es  einen  Homer  nicht  geben  können.  Aber 
ei  nahm  für  die  Mehrzahl  der  Gedichte  und  ihre  Reihenfolge  doch  wieder 
einen  einzigen  Dichter  an,  den  er  Homer  nennt.  Es  bleiben  dann  nur 
die  letzten  sechs  Bücher  der  Ilias  Eigentum  eines  andern  oder  anderer. 
Diese  Inkonsequenz  war  durch  das  Studium  der  von  Villoison  heraus- 
gegebenen Schollen  bestimmt,  denen  Wolf  auch  die  wenigen  Beispiele 
für  Widersprüche  innerhalb  der  homerischen  Gesänge  entnahm.  In  der 
Zeit  Wolfs  hat  auf  diese  nachträgliche  halbe  Zurücknahme  der  ersten 
Resultate  niemand  geachtet. 

Das  Aufsehen,  das  die  Prolegomena  machten,  war  ungeheuer.  Es 
waren  da  so  sehr  die  vielen  während  der  letzteu  Jahrzehnte  laut  ge- 
wordenen Gedanken  über  die  Entstehung  des  Epos  in  einer  scheinbar 
«treng  wissenschaftlichen  Form  zusammengefaßt,  daß  die  Absetzung 
Homers  als  eines  dichterischen  Individuums  als  ein  fast  unausweichlicher 
Schluß  erschien.  Herder  nahm  sofort  Stellung  dazu.  Denn  wenn  auch 
der  Aufsatz  Homer  ein  Günstling  der  Zeit  schon  früher  entworfen  sein 
mag,  so  nimmt  doch  der  Schluß  entschieden  Bezug  auf  die  Prolegomena. 
Was  Herder  sonst  bringt,  sind  Wiederholungen  seiner  früheren  Ansichten 
und  ist  deshalb  nicht  von  großer  Bedeutung,  wohl  aber,  was  er  über 
Solon  und  Peisistratos  sagt.  Denn  mögen  auch  seine  Ausführungen  über 
die  rhapsodische  Verknüpfung  der  Gesänge  im  Homer  unklar  sein,  so 
ist  doch  das  sehr  klar,  daß  der  Abschnitt  über  diese  Männer  eine  Polemik 
gegen  Wolf  ist.  Lykurgos  und  Solon,  sagt  Herder,  haben  uns  den  Homer 
i^.rhalten,  Peisistratos  und  Hipparchos  sind  auf  Solons  Wegen  fortge- 
schritten. Man  lasse  aber  ihr  Verdienst  bestehen  in  seinen  Grenzen.  Wenn 
Solon  befehlen  konnte,  die  Rhapsoden  sollten  die  Gedichte  singen,  indem 
sie  sich  ablösten,  so  muß  der  Zusammenhang  schon  vorhanden  gewesen 
sein;  Solon  hat  die  Epen  nicht  geschaffen.  Ebensowenig  haben  Peisi- 
stratos und  Hipparchos  ein  Dichterverdienst  am  Homer;  weder  sie  noch 
ihre  Helfer  konnten  hervorbringen,  was  nicht  da  war;  aber  was  da  war, 
konnten  sie  redigieren,  ordnen.  Ihr  unsterbliches  Verdienst  ist,  daß  sie 
die  Gedichte  Homers,  wie  sie  sich  ihnen  gaben,  auf  ewig  vom  Unter- 
gang gerettet  und  in  der  Pallas  Schleier  gleichsam  geborgen  haben.  Die 
Ausführung  trifft  den  Nagel  auf  den  Kopf.  Herder  konnte  ja  zwar  den 
einen  Homer  nicht  unbedingt,  sondern  nur  als  den  festhalten,  der  einen 
Keim,  ein  episches  Kunstgebilde  gepflanzt  habe,  während  die  Homeriden 
den  Baum  zur  letzten  Entwicklung  brachten.    Das  war  die  notwendige 


Herder    Cesarotti  465 

Konsequenz  aus  der  Annahme  der  Impromptus  und  des  Balladendicliters  Ho- 
mer. Aber  daß  die  Einheit  der  Gedichte  vor  Peisistratos  da  war,  daß  dieser 
nicht  der  Dichter  der  Ilias  ist,  hat  Herder  mit  aller  Schärfe  erkannt,  ebenso, 
daß  es  das  unsterbliche  Verdienst  Athens  ist,  Homer  der  Nachwelt  gerettet 
zu  haben.  Auf  die  häßlichen  Angriffe,  die  Wolf  für  diesen  Aufsatz  auf 
Herder  und  in  der  Folge  auch  auf  Heyne  gemacht  hat,  gehe  ich  nicht  ein. 

Eine  einschneidende  Kritik,  wenn  auch  in  die  schönsten  lateinischen 
Komplimente  eingewickelt,  enthielt  ein  Brief  Cesarotti's  an  Wolf.  Wäh- 
rend dieser  behauptet  hatte,  d'Aubignac's  Conjectures  hätten  ihm  beinahe 
die  Fortsetzung  seiner  Homerstudien  verleidet,  fängt  Cesarotti  mit  dem 
Satz  an,  Wolf  habe  d'Aubignac's  Ketzerei  mit  strengerer  Beweisführung 
zur  seinigen  gemacht.  Wolf  wisse,  was  er  davon  halte.  Die  Prolegomena 
hätten  ihn  nun  zwar  etwas  bedenklich  gemacht,  aber  nicht  bekehrt.  Man 
könnte  aus  den  Widersprüchen  des  homerischen  Stils  und  der  Vereinigung 
von  Vorzügen  und  Fehlem  vielleicht  auf  eine  Mehrheit  der  Verfasser 
schließen.  Da.  aber  Wolf  nicht  an  der  Vortrefflichkeit  der  Ilias,  sondern 
an  der  Existenz  des  einen  Verfassers  zweifle,  so  fürchte  er,  jener  habe 
etwas  zu  Blendendes  gefunden,  um  seine  Meinung  zu  stützen;  denn  jedem 
seiner  Argumente  lasse  sich  ein  anderes  entgegensetzen,  das  es  zum 
mindesten  schwäche.  Vor  dem  zweiten  Teil  der  Prolegomena,  der  die 
Beweise  bringen  solle,  könne  er,  Cesarotti,  nichts  Sicheres  sagen;  vor 
allem  wünsche  er,  daß  Wolf  die  Rhapsodien  bezeichne,  die  er  Homer 
wegnehme,  und  die  Gründe  dafür  anführe.  Damit  ist  alles  gesagt.  Wolfs 
Argumente  sind  rein  äußerlicher  Natur. 

In  einer  besondern  Rezension  hat  Cesarotti  femer  gesagt,  die  Be- 
hauptung, daß  die  Einheit  im  Stoffe  liege,  enthalte  einen  Widerspruch 
gegen  Wolfs  Hypothesen;  denn  wenn  die  Einheit  schon  da  war,  konnte 
sie  doch  der  Dichter  um  so  leichter  beibehalten.  Homer  konnte  doch 
so  gut  wie  Ariost  und  Tasso  den  einfachen  Rahmen  nach  und  nach  durch 
Episoden  erweitem;  man  brauche  dafür  keine  Rhapsoden  zu  bemühen. 
Wenn  man  femer  zweifle,  ob  die  Kraft  des  Gedächtnisses  für  ein  so  großes 
Gedicht  ausgereicht  habe,  wäre  es  dann  nicht  natürlicher,  sich  dieses 
Arguments  zu  bedienen,  um  von  der  Existenz  Homers  aus  die  Notwendig- 
keit der  Existenz  der  Schrift  abzuleiten,  statt  aus  dem  Fehlen  der  Schrift 
die  Nichtexistenz  Homers  zu  beweisen?  Und  endlich  seien  gerade  die 
letzten  Bücher  der  Ilias,  die  Wolf  dem  Homer  abspreche,  in  den  Augen 
vieler  die  schätzenswertesten. 

Wenn  wir  von  Herder,  Stolberg,  Goethe,  Schiller,  Humboldt  zu  Wolf 
kommen,  so  fühlen  wir  uns  wie  mit  kaltem  Wasser  übergössen,  ein  Ge- 

Finsler:  Homer  in  der  Neuzeit.  30 


466  Deutschland  und  die  Schweiz 

fülil,  dessen  wir  uns  schon  bei  Heyne  nicht  immer  erwehren  können,  und 
das  auch  durchaus  das  der  Zeitgenossen  war.  Ein  Menschenalter  später 
hat  Goethe  daran  erinnert,  welch  schmerzliches  Gefühl  über  die  Freunde 
der  Dichtkunst  und  des  Genusses  daran  sich  verbreitete,  als  die  Persön- 
lichkeit Homers,  die  Einheit  des  Urhebers  jener  weltberühmten  Gedichte 
auf  eine  so  kühne  und  tüchtige  Weise  bestritten  Avurde.  Die  gebildete 
Menschheit,  sagt  er,  war  im  Tiefsten  aufgeregt,  und  wenn  sie  schon  die 
Gründe  des  höchst  bedeutenden  Gegners  nicht  zu  entkräften  vermochte, 
so  konnte  sie  doch  den  alten  Sinn  und  Trieb,  sich  hier  nur  eine  Quelle 
zu  denken,  woher  so  viel  Köstliches  entsprungen,  nicht  ganz  bei  sich 
auslöschen.  Diese  Stimmung  beherrscht  schon  Goethe's  erste  Äußerung 
über  die  Prolegomena.  Er  schreibt  an  Schiller,  die  Bemühung  sei  respek- 
tabel, wenn  nur  nicht  diese  Herren,  um  ihre  schwachen  Flanken  zu  decken, 
gelegentlich  die  fruchtbarsten  Gärten  des  ästhetischen  Reiches  verwüsten 
und  in  leidige  Verschanzungen  verwandeln  müßten;  und  am  Ende  sei 
mehr  Subjektives,  als  man  denke,  in  dem  ganzen  Kram.  In  der  Folge 
streitet  in  ihm  der  Respekt  vor  der  Wissenschaft  und  Wolfs  Methode 
mit  dem  Bewußtsein  des  Dichters.  Dieser,  dessen  Beruf  es  ist,  zusammen- 
zufügen und  ungleichartige  Teile  in  ein  Ganzes  zu  vereinigen,  hat  in 
seinen  Augen  ein  ganz  anderes  Interesse  als  der  trennende  und  zerlegende 
Kritiker,  und  so  zieht  er  als  Dichter  eine  unübersteigliche  Scheidewand 
zwischen  sich  und  dem  heillosen  Beginnen  der  Kritiker.  Gleichwohl  glaubt 
er  diese  wieder  nicht  entbehren  zu  können,  da  er  ihnen  Dank  weiß,  wenn 
sie  homerische  Stellen,  an  denen  er  Anstoß  nimmt,  für  unecht  erklären. 
Er  fand,  die  scheinbarsten  Widersprüche  ließen  sich  durch  die  Annahme 
erklären,  daß  sich  Homer  der  Errungenschaft  und  des  Eigentums  vieler 
Sänger  vor  ihm  bemächtigt  und  auf  dieser  Basis  die  Epopöen,  die  wir 
besitzen,  aufgebaut  habe,  wodurch  die  psychologische  Unmöglichkeit  weg- 
fiele. Es  ist  im  ganzen  die  Auffassung  Heynes,  aber  tiefer  gefaßt,  da 
Goethe  eine  poetische  Durcharbeitung  des  übernommenen  StoflPes  annimmt. 
Zur  Erklärung  der  Widersprüche  glaubt  er  auch  eine  Verzettelung  der 
bereits  geordneten  Rhapsodien  durch  Ungeschicklichkeit  der  Rhapsoden 
und  eine  Wiedervereinigung  durch  Solon  annehmen  zu  sollen.  Es  ist  bei 
tunlichster  Anerkennung  der  Resultate  Wolfs  der  sehr  berechtigte  Ver- 
such, den  wichtigsten  Faktor,  den  dieser  ganz  bei  Seite  gelassen  hatte^ 
wieder  in  seine  Rechte  einzusetzen,  nämlich  die  Poesie. 

Im  nämlichen  Sinne,  nur  dem  Wortlaute  nach  viel  schärfer,  spricht 
sich  einige  Jahre  später  Schiller  aus.  Er  hat  den  Homer  wieder  zur 
Hand  genommen  und  schwimmt  ordentlich  in  einem  poetischen  Meer. 
Wenn  man  sich,  sagt  er,  in  einige  Gesänge  hineingelesen  habe,  müsse 


Goethe     Schiller    Wieland  467 

einem  der  Gedanke  an  eine  rhapsodische  Aneinanderreihung"  und  an 
einen  verschiedenen  Ursprung  notwendig  barbarisch  vorkommen,  denn  die 
herrliche  Kontinuität  und  Reziprozität  des  Ganzen  und  seiner  Teile  sei 
eine  seiner  wirksamsten  Schönheiten.  Auch  einige  beißende  Epigramme 
und  Xenien  bekunden  Schillers  Abneigung  gegen  Wolfs  Hypothese:  die 
Väter  des  vollendeten  Werkes  kann  man  ja  zählen,  aber  es  zeigt  die  un- 
sterblichen Züge  der  einen  Mutter,  der  Natur.  Da  der  Wolf  Homer  zer- 
riß, mögen  sich  die  Städte,  die  sich  seiner  rühmten,  in  die  Stücke  teilen. 
Heyne  schickt  dem  Sänger  der  Ilias  ein  Pack  Göttinger  Würste;  aber 
sie  reichen,  da  sie  nur  für  einen  bestimmt  sind,  für  die  vielen  Sänger 
nicht  aus.  Dieses  Epigramm  ist  mir  nicht  recht  verständlich,  da  sich 
loch  Heyne  nie  als  starren  Unitarier  gezeigt  hat. 

Wieland  urteilte  nach  eigener  Erfahrung,  es  sei  ihm  sehr  gut 
denkbar,  daß  Ilias  und  Odyssee  nach  und  nach,  dem  vorhandenen  Plane 
ungefähr  gemäß,  zusammengesetzt  worden  seien.  Er  habe  zum  Oberon 
nie  einen  eigentlichen  Plan  entworfen,  wie  sich  etwa  ein  Maler  zu  einem 
historischen  Gemälde  eine  Skizze  vorzeichne.  Ein  dunkles  Gefühl  habe 
ihn  von  einem  zum  andern  geleitet,  und  die  genetische  Dichterkraft 
habe  so  lange  fortgewirkt,  bis  alles  ineinander  griff  und  zu  einem  Ganzen 
verschmolz.  Warum  sollte  es  mit  dem  homerischen  Erzeugnis  nicht 
ebenso  gegangen  sein? 

Einmal  hat  sich  Goethe  ganz  auf  Wolfs  Seite  gestellt,  in  der  Elegie 
Hermami  und  Dorothea.  Er  bringt  die  Gesundheit  des  Mannes  aus,  der 
uns  vom  Namen  Homeros  befreite  und  die  Bahn  erschloß,  auf  der  auch 
wir  Homeriden  sein  können,  da  ja  mit  dem  Einen  der  Kampf  nicht  zu 
wagen  ist.  Hier  zieht  Goethe  aus  den  Prolegomena  den  Schluß,  den  Wolf 
zu  ziehen  nicht  gewagt  hatte:  während  dieser  hinterher  doch  noch  eine 
Person  Homer  als  möglich  angenommen  hatte,  löst  sich  für  Goethe  das 
Epos  in  Werke  der  Homeriden  auf.  Aber  schon  bei  der  poetischen  Arbeit 
an  der  Achilleis  fühlt  er  sich  durch  die  Rücksicht  auf  die  Prolegomena 
gehemmt.  Er  muß  alle  Chorizonten  mit  dem  Fluche  des  Bischofs  Emulphus 
verfluchen  und,  wie  die  Franzosen,  auf  Leben  und  Tod  die  Einheit  und 
Unteilbarkeit  des  poetischen  Werkes  in  einem  feinen  Herzen  festhalten 
und  verteidigen.  Im  Widerspruch  dazu  steht  eine  andere  Äußerung. 
Schiller  hatte  Goethe  gefragt,  ob  nicht  das  Lied  vom  Streite  des  Achilleus 
und  Odysseus,  das  Demodokos  bei  den  Phäaken  singt,  auf  ein  verloren 
gegangenes  Gedicht  schließen  lasse,  dessen  Thema  der  Ilias  vorangehe. 
Goethe  antwortete,  das  Stück  scheine  sich  allerdings  auf  eine  der  un- 
zähligen Rhapsodien  zu  beziehen,  aus  denen  dann  die  ganzen  Gedichte  so 
glücklich  zusammengestellt  worden  seien.    Er  fügt  hinzu,  es  hätten  die 

30* 


468  Deutschland  und  die  Schweiz 

Gedichte  aus  dem  ungeheuren  Vorrat  der  rhapsodischen  Genieprodukte 
mit  subordiniertem  Talent,  ja  bloß  mit  Verstand  zusammengestellt  werden 
können;  die  Kontinuität  sei  vielleicht  schon  durch  die  Forderung  des 
Geistes  an  den  Rhapsoden  im  allerhöchsten  Grade  vorbereitet  gewesen; 
ja  man  habe  vielleicht  nicht  einmal  alles,  was  hineingepaßt  hätte,  in  die 
Ilias  und  Odyssee  aufgenommen.  Endlich  sagt  er  sogar,  diese  Vorstellungs- 
art sei  der  Arbeit  an  der  Achilleis  günstig.  Vierzehn  Tage  nachher  ist 
er  mehr  als  jemals  von  der  Einheit  und  Unteilbarkeit  der  Ilias  über- 
zeugt; sie  erscheint  ihm  so  rund  und  fertig,  man  mag  sagen,  was  man 
will,  daß  nichts  davongetan  werden  kann.  Dabei  gibt  er  zu,  daß  er  sich 
jeden  Augenblick  auf  einem  subjektiven  Standpunkte  befinde. 

Bedeutsam  ist  eine  schon  aus  dem  Jahre  1797  stammende  Äußerung, 
die  sich  an  eine  Kundgebung  Friedrich  Schlegels  knüpft.  Dieser  hatte 
1796  einen  Aufsatz  Uher  die  homerische  Poesie  mit  Rüclcsicht  auf  die 
Wölfischen  Untersuchungen  erscheinen  lassen  und  sich  gleich  von  vorn- 
herein feurig  für  Wolf  erklärt.  Der  genannte  Aufsatz  sollte  als  Probe 
eines  Grundrisses  der  Geschichte  der  Massischen  Poesie  der  Griechen  und 
Römer  dienen,  deren  erstes  Stück  1798  erschien,  und  in  der  die  Gedanken 
des  Aufsatzes  überarbeitet  und  ausgeführt  sind.  Die  Arbeit  fußt  gleich- 
mäßig auf  Winckelmann,  Herder  und  Wolf  und  zeigt  ein  ebenso  großes 
Verständnis  für  Poesie  wie  historischen  Sinn  und  eine  für  den  Vierund- 
zwanzigj ährigen  erstaunliche  Gelehrsamkeit. 

Schlegel  kann  sich  die  homerische  Poesie  nur  auf  dem  Boden  einer 
bereits  hochentwickelten  Kultur  vorstellen,  wo  der  Sänger  der  natürliche 
Begleiter  der  Heroen  ist.  Mit  dem  Heldentum  entstand,  wuchs  und  blühte 
das  Epos,  dessen  Inhalt  der  Ruhm  der  Ahnen  war,  zunächst  in  Liedern. 
Daß  epischer  Gesang  schon  vor  Homer  blühte,  zeigen  die  teilweise  schwer 
verständlichen  Anspielungen  Homers  auf  alte  Lieder  und  Sagen.  Die 
Kunstübung  wurde  vielseitig  durch  die  unschätzbare  Freiheit  der  Ent- 
wicklung; das  Epos  umfaßt  das  ganze  Leben  mit  gleicher  Teilnahme. 
Dadurch  bekommt  die  Naturpoesie  den  Charakter  des  Allgemeinen  und 
Menschlichen.  Es  ist  Naturpoesie,  d.  h.  die  Kunst  war  ein  freies  Natur- 
gewächs; das  zeigt  sich  darin,  daß  sie  sich  den  ihr  eigentümlichen  Charakter 
'der  Heldensage  rein  gewahrt  hat.  Die  von  echter  Bildung  zeugende  Gestalt 
und  Ordnung  ist  von  Berechnung  und  tief  angelegtem  Entwurf  weit  ent- 
fernt. Einheit  offenbart  sich  mehr  in  der  einzelnen  Rhapsodie  als  im 
Ganzen  der  beiden  Epen,  wo  die  üngleichartigkeit  der  Massen  nicht  immer 
sanft  genug  verschmolzen  ist. 

Natürliche,  historische  und  logische  Ordnung  ist  der  künstlerischen 
ebensosehr  untergeordnet  als  im  lyrischen  Gedicht.  Das  Epos  hat  keinen 


K 


Friedricli  Schlegel  469 


'■endigen  Anfang  noch  ein  notwendiges  Ende;  die  einzelne  Rhapsodie 
schließt  sich  nur  so  forterzählend  und  weiterdichtend  an  das  Vorige  an, 
ohne  bestimmt  und  schlechthin  anzuheben.  Knüpfung  und  Lösung  der 
Fäden  zeigen  sich  in  einzelnen  Gruppen  von  Rhapsodien,  aber  es  fehlt 
die  Herleitung  aller  Fäden  des  Werkes  aus  einem  Anfangspunkt,  die  Hin- 
leitung auf  einen  Endpunkt.  Alle  Handlung  ist  zufällige  Begebenheit, 
deren  jede  das  Glied  einer  endlosen  Reihe  ist,  die  Folge  früherer  und 
der  Keim  späterer  Begebenheiten.  Darum  steht  auch  der  epische  Held 
nicht  so  im  Mittelpunkt  wie  der  tragische,  weil  er  nicht  Zweck  des  Ganzen 
ist.  Vom  Epos  darf  man  nicht  die  Geschlossenheit  verlangen  wie  vom 
Drama.  Sein  ruhig  gleitender  Strom  enthält  in  jedem  Punkte  seines  Laufes 
Anspannung  und  Befriedigung  zugleich. 

Wenn  man  Homers  Poesie  Naturdichtung  nennt,  so  muß  man  genau 
wissen,  was  man  sich  dabei  denken  will.  „Wenn  man  alle  Poesie  Kunst 
nennen  will,  die  sich  durch  Allgemeinheit  des  Geistes,  der  Gattung  und 
Gestaltung  bis  zur  zweckmäßigen,  wenn  gleich  absichtslosen  und  nur 
durch  Natur  entstandenen  Übereinstimmung  mit  den  Forderungen  der 
Schönheit  und  bis  zur  Urbildlichkeit  erhebt,  so  ist  Homer  ein  Künstler." 
Setzt  man  aber  das  Wesen  der  Kunst  in  die  abgesonderte  Ausbildung 
oder  gar  in  die  selbsttätige  Nachahmung  anerkannter  Vorbilder,  so  beginnt 
sie  später  als  Homer.  Schlegel  ist  geneigt,  die  ganze  alte  Poesie  in  dem 
Sinne  Naturpoesie  zu  nennen,  als  sie  sich  den  Gesetzen  aller  lebendigen 
Kräfte  gemäß  gestaltete,  blühte  ün^  endlich  auflöste. 

Wenn  von  Homer  die  Rede  ist,  so  will  Schlegel  darunter  nicht  eüie 
historische  Persönlichkeit,  sondern  die  Gesamtheit  der  epischen  Poesie 
verstanden  wissen.  Er  macht  sich  W^olfs  Resultate  zu  eigen,  legt  aber 
allen  Nachdruck  darauf,  daß  man  nun  nicht  mehr  fragen  dürfe,  was  in 
den  Epen  homerisch  sei  und  was  nicht,  sondern  nur,  wie  sie  entstanden 
seien,  und  welche  Arbeit  die  späteren  Überarbeiter  daran  getan  haben. 
Es  gilt,  in  die  Werke  einzudringen.  Die  letzten  zehn  Bücher  der  Ilias 
zeigen  höheren  Schwung  und  rascheres  Leben  als  die  früheren,  die  mittleren 
der  Odyssee  mehr  homerische  Vorzüge  als  die  letzten.  Daraus  zu  schließen, 
daß  die  Überarbeiter,  Diaskeuasten,  die  eigentlichen  Dichter  seien,  wäre 
voreilig.  Sie  haben  nur  die  unverbundenen  Gedichte  in  die  Ordnung 
gebracht,  die  den  Dichtern  selbst  bei  deren  Abfassung  vorschwebte.  Die 
Idee  der  IHas  als  einer  Aristie,  die  der  Odyssee  als  eines  Nostos,  also 
eine  innere  poetische  Einheit,  würde  bei  der  Auflösung  der  Gedichte  in 
einheitliche  Partieen  noch  stärker  hervortreten.  Es  haben  alle  Teile  den 
nämlichen  Charakter,  und  der  epische  Bau  ist  im  ganzen  und  einzelnen, 
der  gleiche.  Die  Diaskeuasten  hatten  also  nur  die  bereits  in  den  Gedichten 


470  Deutschland  und  die  Schweiz 

vorhandene  Ordnung  wiederherzustellen;  ihre  Fugen  und  Klammern  ge- 
stalteten die  Poesie  nicht  um;  die  einzelnen  Stücke,  die  sie  verbanden, 
sind  die  echten.  Man  darf  also  fortfahren,  diese  ganze  Poesie  homerisch 
zu  nennen,  ohne  die  Möglichkeit  zu  leugnen,  daß  unter  den  Sängern  der 
Uias  und  Odyssee  einer  der  hervorragendste  gevresen  sein  möchte,  das 
Haupt  der  Schule,  wahrscheinlich  der  älteste  der  beinahe  gleich  Vortreff- 
lichen. Nur  dürfe  man  sich  diesen  nicht  wie  einen  großen  Kunsterfinder 
ohne  Vorgänger  denken,  der  die  Grundlage  des  Göttergewebes  eigentlich 
gemacht  habe  mit  einem  Male,  sondern  auch  nur  als  den  uralten,  doch 
letzten  Vollender  der  vom  ersten  Keim  an  stetigen  Ausbildung  einer 
langen  Reihe  die  epische  Kunst  immer  mehr  verfeinernder  Sänger. 

Diese  letzte  Erwägung,  die  im  Grunde  die  ganze  Argumentation 
wieder  umwirft  und  die  Diaskeuasten  höchst  entbehrlich  macht,  stand 
noch  nicht  in  dem  Aufsatz  von  1796;  vielmehr  war  dort  viel  Gewicht 
auf  den  Unterschied  zwischen  dem  Drama  und  dem  Epos  hinsichtlich  der 
Einheit  gelegt,  und  dagegen  hat  Goethe  protestiert.  Weil  man  im  Epos 
die  dramatische  Einheit  nicht  nachweisen  könne,  solle  es  keine  Einheit 
haben  noch  fordern,  das  heißt  aufhören,  ein  Gedicht  zu  sein.  Denn,  sagt 
er,  die  Ilias  und  Odyssee,  und  wenn  sie  durch  die  Hände  von  tausend 
Dichtern  und  Redakteurs  gegangen  wären,  zeigen  die  gewaltsame  Ten- 
denz der  poetischen  und  kritischen  Natur  nach  Einheit.  Schlegels  Aus- 
führung sei  doch  nur  zugunsten  der  Wolfschen  Meinung,  die  eines  sol- 
chen Beistandes  gar  nicht  einmal  bedürfe.  „Denn  daraus,  daß  jene  großen 
Gedichte  erst  nach  und  nach  entstanden  sind  und  zu  keiner  vollstän- 
digen und  vollkommenen  Einheit  haben  gebracht  werden  können,  ob- 
wohl beide  vielleicht  weit  vollkommener  organisiert  sind,  als  man  denkt, 
folgt  noch  nicht,  daß  ein  solches  Gedicht  auf  keine  Weise  vollkommen, 
vollständig  und  Eins  werden  könne  noch  solle." 

Der  Stand  der  Homerfrage  um  1800  stellt  sich  so  dar,  daß  die  alte, 
biß  auf  Lessing  herrschende  Meinung  aufgegeben  war,  als  habe  Homer 
die  Ilias  etwa  so  verfaßt,  wie  Milton  das  Verlorene  Paradies.  Darauf 
hatte  Herder  mehr,  als  ihm  wohl  bewußt  war,  vorbereitet.  Eine  positive 
Hypothese  über  die  Entstehung  der  Ilias  lieferte  Heyne  1802,  der  eine 
starke  Mitwirkung  poetischer  Tätigkeit  bei  der  Gestaltung  des  Ganzen 
annahm.  Das  hatte  Wolf  nicht  getan;  bei  ihm  war  aus  dem  homerischen 
Himmel  der  Gott  verbannt  worden.  Den  suchen  die  Großen  der  Zeit,  während 
sie  Wolfs  Voraussetzungen  zugeben,  in  seine  Rechte  wieder  einzusetzen. 
Es  ist  bezeichnend,  wie  wenig  Goethe  und  Schlegel  auf  das  Märchen  von 
Peisistratos  eingehen.  Die  nächste  Folgezeit  meinte  Wolfs  Argumentationen 
vom  Alter  der  Schrift  entkräften  zu  müssen,  während  sie  darüber  genau 


Friedrich  Schlegel     Goethe  471 

so  wenig"  wußte  wie  er.  Ihn  durch  den  Nachweis  von  der  Hohlheit 
seiner  Argumentationen  zu  widerlegen,  fiel  niemand  ein  als  Cesarotti, 
dessen  Kritik  in  Deutschland  unbekannt  blieb. 

Goethe  hatte  in  den  neunziger  Jahren  den  Resultaten  der  Prolegomena 
zögernd  und  meist  ablehnend  gegenübergestanden  und  in  einem  Brief 
an  Eichstädt  gesagt,  es  komme  viel  darauf  an,  wie  der  Beschauer  eines 
poetischen  Werkes  gestimmt  sei.  Sei  er  zur  Trennung  geneigt,  so  zer- 
störe er  mehr  oder  weniger  die  Einheit,  die  der  Künstler  zu  erringen 
strebe;  möge  er  lieber  verbinden,  so  helfe  er  dem  Künstler  nach  und  vollende 
gleichsam  dessen  Absicht.  Die  Homerkritiker  des  19.  Jahrhunderts  haben 
größtenteils  zur  ersten  Gruppe  gehört. 

Bei  Gelegenheit  des  Plans  einer  gemeinschaftlichen  Lektüre  von  Wil- 
helm Meister  mit  Riemer  erledigt  Goethe  in  völlig  zutreffender  Weise  die 
Frage  des  Einzelvortrages  der  Rhapsodien.  Er  weist  darauf  hin,  daß  die 
Poesie  nicht  so  leicht  zu  übersehen  sei  wie  die  bildende  Kunst,  und  daß 
daher  Werke  von  größerem  Umfang  rhapsodienweise  vorgetragen  werden 
müssen,  so  daß,  wenn  ein  Ganzes  auch  vorhanden  wäre  wie  z.B.  in  Homer, 
es  notwendig  in  Rhapsodien  zerlegt  werden  würde,  um  es  zu  genießen. 

Zum  letzten  Mal  zeigt  sich  eine  stärkere  Annäherung  an  die  Kritik 
in  einem  Gespräch  mit  Gräfin  Egloffstein,  wo  es  Goethe  als  wahrscheinlich 
bezeichnet,  daß  Homer  gar  nicht  gelebt  und  also  auch  nicht  geschrieben 
habe.  Die  Welt  sei  geneigt,  in  allem  die  Persönlichkeit  zu  lieben,  und 
schreibe  darum  einem  Einzigen  so  große  Gabe  zu;  wahrscheiuLich  hätten 
aber  mehrere  aufeinanderfolgende  Dichter  jene  Gesänge  zustande  gebracht 
und  durch  mündliche  Überlieferung  weiter  gefördert,  bis  dann  einer 
auf  den  gescheiten  Gedanken  gekommen  sei,  sie  aneinanderzureihen  und 
zu  redigieren,  dem  davon  auch  der  größte  Ruhm  gebühre.  Das  ist  aber 
nicht  Goethe's  letztes  Wort.  Er  erzählt  in  den  Annalen  1821,  wie  die 
Mehrheit  der  klassisch  Gebildeten  „sich  wiederherzustellen",  aus  der  Kritik 
wieder  zum  Ganzen  zu  gelangen  wünschte,  und  wie  durch  eine  kräftige 
Jugend  der  frühere  Geist  der  Versöhnung  wieder  waltete.  Er  begrüßte 
darum  K.  E.  Schubarths  herzlich  schwaches  Buch  Ideen  über  Homer 
und  sein  Zeitalter  aufs  wärmste.  Schubarth  machte  darin  Homer  zu 
einem  Troer  und  Sänger  am  Hofe  des  Aeneas  und  versuchte  den  Nach- 
weis, daß  die  Gedichte  als  Einheiten  aufzufassen  seien,  jedoch  mit  einer 
ganz  wertlosen,  auf  oberflächliche  Analyse  und  subjektive  Feststellung 
des  Plans  der  Ilias  gegründeten  Beweisführung.  Immerhin  stimmte  das 
Resultat  mit  Goethe's  innersten  Wünschen  überein.  Zeugnis  davon  gibt 
das  kleine  Gedicht  Romer  ivieder  Homer y  der  Absagebrief  an  die  zer- 
setzende Kritik,   der  gegenüber  Goethe  Homer  als  Ganzes  denken,  als 


472  Deutschland  und  die  Schweiz 

Ganzes  freudig  empfinden  will.  Noch  mehr  mußte  ihn  darin  das  mit 
echter  Homerbegeisterung  geschriebene  Büchlein  von  G.  Lange  bestärken 
Versuch  die  poetische  Einheit  der  llias  zu  bestimmen,  ein  Sendschreiben 
an  Goethe  1826.  Lange  erklärte  die  Widersprüche  und  Ungleichheiten 
aus  dem  Wesen  des  schaffenden  Naturgenies.  Die  ganze  frische  Art, 
mit  der  er  das  Verhältnis  der  Haupt-  und  Xebenpartien  der  llias  auf  einen 
poetischen  Plan  zurückzuführen  sucht,  mußte  Goethe  sehr  sympathisch 
sein,  da  sie  noch  mehr  als  Schubarths  Buch  geeignet  schien  „die  Wunden 
zu  heilen,  die  uns  von  dem  Raubtier  geschlagen  wurden". 

Friedrich  Schlegels  Gedanken  wurden  durch  seinen  Bruder  August 
Wilhelm  in  der  Rezension  von  Hermann  und  Dorothea  wiedergegeben 
und  liegen  auch  dessen  Berliner  Vorlesungen  über  schöne  Literatur  und 
Kunst  1801/3  zugrunde,  die  außerdem  über  die  Geschichte  der  Homer- 
auffassung und  die  epische  Technik  Homers  vorzügliche  Ausführungen 
enthalten.  Aber  bei  allem  Sinn  für  Poesie  war  eben  doch  das  Literesse 
der  Brüder  Schlegel  ein  rein  wissenschaftliches.  Sie  haben  zum  Verständnis 
Homers  viel  beigetragen,  aber  nicht  erwärmt  und  belebt  wie  Herder.  Mit 
Goethe  schließt  die  Periode  des  lebendigen  Einflusses  Homers  auf  die 
geistige  Entwicklung  Deutschlands.  Mochten  die  Führer  der  Romantik, 
die  in  den  klassischen  Traditionen  aufgewachsen  waren,  ihre  Unter- 
suchungen noch  der  Homerfrage  zuwenden:  die  Romantik  selbst  wandte 
sich  von  dem  alten  Sänger  ab  und  beschritt  neue  Wege.  Li  der  roman- 
tischen Literatur  ist  er  so  gut  wie  vergessen.  Wenn  Heinrich  von  Kleist 
einen  heroischen  Stoff  wie  die  Penthesilea  behandelt,  so  geschieht  das 
im  geraden  Gegensatz  zur  homerischen  Naivetät. 

In  der  Zeit,  da  die  Romantik  das  Geistesleben  der  Völker  des  Kon- 
tinents beherrschte,  wandert  ihr  großer  Gegner,  Graf  Platen,  durch 
die  Gassen  Neapels.  Da  sieht  er  am  Molo  den  Erzähler,  wie  er  vor  einer 
ihn  dicht  umgebenden,  aufmerksam  lauschenden  Menge  den  Furioso  und 
die  Gerusalemme  vorträgt,  oft  von  dem  mutigen  Rufe  der  Hörer  unter- 
brochen. Da  ruft  er  Homer  zu,  er  möge  auferstehen.  Hier  fände  er, 
der  vielleicht  im  Norden  kalt  von  Tür  zu  Tür  gewiesen  würde,  ein  halb- 
griechisches Volk  und  ein  griechisches  Firmament. 

Die  Worte  klingen  wie  ein  wehmütiger  Nachklang  der  Tage,  da 
auch  im  Norden  die  Herzen  dem  alten  Erzähler  entgegen  flogen,  an 
die  Tage  Herders  und  Goethes.  Indessen  war  Homer  nicht  in  gänzliche 
Vergessenheit  gesunken.  Davor  bewahrte  ihn  schon  die  Schule,  das  neu- 
humanistische Gynmasium,  in  dessen  Lehrplan  er  eine  hervorragende 
Stellung  einnahm.    Nicht  überall  freilich  war  die  Wechselwirkung  zwi- 


Schlußwort  473 

sehen  dem  klassischen  Unterricht  und  dem  geistigen  Leben  der  Nation 
so  lebendig  und  fruchtbringend  wie  in  England,  wo  der  alte  Dichter 
alle  Veränderungen  der  literarischen  Strömungen  sieghaft  überdauerte. 
Gleich  beim  Beginn  der  neuen  Zeit  tritt  die  Verehrung  für  ihn  warm 
und  erfreuend  zutage,  bei  Keats,  in  Shelley 's  herrlicher  Defence  of 
Poetry,  am  machtvollsten  bei  Lord  Byron.  Die  Darstellung,  die  ich  für 
die  vergangenen  Zeiten  gewählt  habe,  könnte  für  England  in  der  gleichen 
Art  bis  zum  heutigen  Tage  festgehalten  werden.  Nicht  gleich  steht  es 
mit  den  übrigen  Völkern.  Es  gibt  zwar  bei  ihren  Schriftstellern,  vor 
allem  in  dem  Deutschland  der  sechziger  Jahre,  eine  große  Zahl  von  Be- 
ziehungen zu  Homer,  und  es  ließe  sich  vielleicht  auch  da,  wie  für  Italien 
und  Frankreich,  sein  Verhältnis  zu  den  literarischen  Perioden  zusammen- 
hängend darstellen.  Nur  ist  mir  das  Material  noch  allzu  lückenhaft  be- 
kannt, als  daß  ich  wagen  möchte  es  vorzulegen.  Mit  wahllos  zusammen- 
gerafften Zitaten  würde  niemand  gedient  sein. 

Von  größter  Bedeutung  wurde  das  19.  Jahrhundert  für  die  wissen- 
schaftliche Erklärung  Homers,  wie  sie  Heyne  als  die  vrichtigste  Frucht 
der  Homerstudien  gepriesen  hatte.  Einen  gewaltigen  Aufschwung  ver- 
dankten diese  Bestrebungen  der  Aufdeckung  so  vieler  Stätten  des  Alter- 
tums, vor  allem  Tiryns,  Mykene,  Troja,  zuletzt  Kreta.  Zunächst  schien 
es,  als  ob  sich  die  Resultate  der  Ausgrabungen  mit  den  Angaben  Homers 
bis  ins  einzelste  deckten,  und  sicher  ist  ja,  daß  er  durch  sie,  wie  hin- 
wiederum sie  durch  ihn,  in  der  überraschendsten  Weise  erklärendes 
Licht  erhalten  haben.  Es  konnte  jedoch  nicht  ausbleiben,  daß  in  der 
Folge  auch  die  Unterschiede  der  ionischen  Kultur  Homers  von  der  der 
ausgegrabenen  Stätten  beachtet  wurden,  und  daraus  ergab  sich  die  neue 
Aufgabe,  die  Kulturentwicklung  der  ältesten  griechischen  Zeiten  als 
solche  zu  betrachten  und  Homers  Stellung  innerhalb  dieser  Entwicklung 
zu  bestimmen. 

Das  größte  Interesse  brachte  das  19.  Jahrhundert,  zumal  in  Deutsch- 
land, der  durch  d'Aubignac  und  Heyne  angeregten,  durch  V^olf  populär 
gemachten  Homerfrage  entgegen.  Die  Phasen  der  Kämpfe  um  die  Ent- 
stehung der  Gedichte  habe  ich  in  meinem  Homer  1908  dargestellt.  Eine 
Einigung  der  Wissenschaft  ist  auf  diesem  Gebiete  bis  heute  nicht  er- 
zielt, ja  die  neuesten  Erscheinungen  führen  davon  so  weit  als  möglich  ab. 

Scheffel  hat  die  Homerkritik  zerstörungsfroh  genannt,  und  es  läßt 
sich  nicht  bestreiten,  daß  sie  im  Aufspüren  von  Widersprüchen  in  der 
Gesamtkomposition  wie  in  den  Einzelheiten  der  Gedichte  das  Maß  des 
Zulässigen  weit  überschritten  hat.  Was  das  Schlimmste  ist:  bei  gar  zu 
vielen  der  Gelehrten  findet  sich  zu  wenig  Gefühl  dafür,  daß  wir  es  mit 


474  Schlußwort 

Poesie  zu  tun  haben,  und  daß  Poesie  ohne  einen  Dichter  undeiikbar  ist. 
Und  nun  ist  dieser  Dichter  nicht  nur  der  älteste  unter  den  erhaltenen, 
sondern  der  leben dig-ste,  frischeste,  unverwüstlichste.  Ihn  von  der  Seite 
der  Poesie  zu  betrachten,  ist  denn  auch  die  Aufgabe,  die  sich  in  neuester 
Zeit  viele  gestellt  haben. 

Mir  ist  es  bei  meiner  Wanderung  durch  die  Jahrhunderte  klar  ge- 
worden, daß  sich  so  viele  geistvolle  Menschen  unmöglich  im  Irrtum  be- 
funden haben  können,  wenn  sie  sich  um  die  Erfassung  des  Charakter- 
bildes Homers  bemühten.  An  der  Frage  der  Entstehung  der  Gedichte 
dürfen  wir  nicht  achtlos  vorübergehen;  so  viel  geben  wir  der  Kritik 
zu,  und  ihre  Zweifel  sollen  wir  erwägen.  Aber  es  darf  der  Irrtum  nicht 
bleiben,  als  ob  die  Ilias  etwas  qualitativ  anderes  wäre  als  irgendeine 
andere  große  poetische  Schöpfung  der  Welt.  Wir  müssen  anerkennen, 
daß,  so  viele  Vorgänger  und  Vorlagen  Homer  auch  gehabt  haben  möge, 
in  erster  Linie  die  Frage  gestellt  werden  muß,  was  er  aus  dem  über- 
kommenen Gute  gemacht  habe,  inwiefern  in  der  Gesamtheit  der  Epen 
der  Stempel  seines  Genies  zu  spüren  sei.  Anleitung  zu  solcher  Er- 
kenntnis finden  wir  bei  vielen  großen  Dichtern  und  Denkern  der  ver- 
gangenen Jahrhunderte.  Vor  allem  wird  für  die  richtige  Auffassung 
Homers  maßgebend  sein,  was  Goethe  unter  dem  Eindruck  der  Prole- 
gomena  Wolfs  geäußert  hat.  Bekennen  wir  uns  vor  allem  zu  einer  poe- 
tischen Persönlichkeit  Homer;  dann  wird  uns  die  Kritik  und  Erklärung 
der  Werke  weiter  fördern,  als  wenn  ihr  Resultat  nur  die  Zertrümme- 
rung ist,  wie  es  vielfach  der  Fall  war.  Dann  wird  auch  die  Freude  an 
dieser  unvergänglichen  Poesie  die  weitesten  Kreise  der  gebildeten  Welt 
wieder   ebenso  stark  durchdringen  wie  in  Herders  unvergeßlicher  Zeit. 


EINZELNACHWEISE. 

Die  Werke  sind  in  den  Ausgaben  angegeben,  in  denen  ich  sie  gelesen  habe. 
"Wo  meine  Angaben  ans  zweiter  Hand  stammen,  ist  es  angemerkt.  Die  Homer- 
ausgabeu  sind  hier  nicht  sämtlich  aufgeführt. 

DAS  MITTELALTER. 

S.  1.  Walahfrid  Strabus  bei  P. M.Mart j :  Wie  man  vor  tausend  Jahren  lebte  und 
lernte,  Jahresbericht  der  Erziehungsanstalt  von  Maria  Einsiedeln  1857  S.14. 
Eine  Nachprüfung  der  Angaben  ist  mir  nicht  möglich  gewesen.  E.v.Leutsch 
Homer  im  Mittelalter  Philologus  XII  1857  S.  366.  Waltharius,  latei- 
nisches Gedicht  des  10.  Jahrhunderts,  von  J.  V.  Scheffel  und  A.  Holder 
Stuttgart  1874,  Hagens  Zorn  627.  1061.  1112.  1266.  Hagen  1277.  1279. 
Jl.  22,  268.  305.  Pandaros  727  Aen.  5,495.  Walth.  730:  hie  spernens  hastam 
pharetram  gestavit  et  arcum  Jl.  5,  201  vom  Wagen. 

S.    2.  IliasLatina  bei  A.  Baehrens  Poetae  Latini  minores  III  Leipzig  1881  S.l. 

S.  3.  Dictys  Cretensis  Ephemeris  belli  Troiani  rec.  F.  Meister  Leipzig  1872. 
M.  Ihm    Der  griechische  und  lateinische  Dictjs,  Hermes  44.    1909    S.  1. 

S.  6.  Dares  Phrygius  De  excidio  Troiae  historia  rec.  F.Meister  Leipzig  1873. 
0.  Schissel  von  Fieschenberg  Dares  -  Studien    Halle  1908. 

S.  8.  Benoit  de  Sainte-More,  ten  Brink  I  S.  197.  II  S.  89.  Guido  delle 
Colonne,  ten  Brink  II  S.  90.  Gaspary  I  S.  60.  Konrad  von  Würzburg, 
Goedeke  Grundriß  I  S.  218.  Chaucer  Works  Globe  Edition  London 
1898.  House  of  Fame  3,  365  S.  575.  Aeneis  1, 140  S.  500.  Galfried  von 
Monmouth,  ten  Brink  I  S.  158. 

S.    9.  Petrarca  Epistolae  XI  9. 

S.  10.  Tzetzes  Antehomerica  etc.  ed.  J.  Bekker  Berlin  1816.  Allegorien, 
Matranga  Anecdota  Graeca  Rom  1850  S.  364.  Exegesis  in  Homeri 
Iliadem  bei  G.  Hermann  Draco  Stratonicensis  Leipzig  1812.  Quintus 
Smyrnaeus  Posthomerica  ed.  Köchly   Leipzig  1853. 

S.  13.  Eustathios  Commentarii  ad  Homerum  Leipzig  1825/30.  Göttergespräch 
Jl.  4,  1. 

ITALIEN. 

S.  15.  Dante  Inferno  4,  88.  Tod  des  Odysseus  Inferno  26,  90.  Petrarca  Opera 
Basel  1581  II  S.  1036  De  sui  ipsius  et  multorum  ignorantia.  Epistolae 
Venedig  1501  III  6.  Vi.  VI  2.  IX  9.    Voigt  I  S.  20 ff. 

S.  16.  Boccaccio  De  genealogia  Deorum  gentilium,  cum  annotationibus  Jacobi 
Micylli  Basel  1532.  Leonzio  Pilato.  Probe  der  Übersetzung  bei  J.  Ber- 
nays :  Pentas  versionum  Homericarum  Bonn  1850.  Etymologie  von  Achilleus 
Meineke    Analecta  Alexandrina    Berlin  1843    S.  98. 

S.  17.  Paget  Toynbee,  Benvenuto  da  Imola  and  the  lliad  and  Odyssee,  Ro- 
mania  29  S.  403.    Darin  auch  die  Homerzitate  bei  Dante. 

S.  18.  Servii  Grammatici  in  Vergilii  carmina  Commentarii  ed.  Thilo  und  Hagen 
Leipzig  1881/1902.  Homer  und  Virgil  IUI  S.  128.  Macrobius  Saturnalia 
ed.  Eyssenhardt    Leipzig  1893.    Petrarca  Trionfo  della  Fama  3,  1. 


476  Einzelnachweise 

S.  20.  Die  neue  Bildung  in  Florenz  Voigt  I  S.  183.  Bruni  Leichenrede  auf 
Strozzi,  bei  Baluzius  Miscellanea  Paris  1678  III  S.  226.  Poggio  Rede 
auf  Bruni    Baluzius  III  S.  248. 

S.  21.  Chrysoloras  Gaza  Chalkondyles  bei  Legrand  Bibliographie  hellenique  1 
Paris  1885. 

S.  22.  Bruni  Übersetzung  bei  Baluzius  Miscellanea  ed.  Mansi  Lucca  1761/64 
III  S.  158.  Quintilian  Institutiones  oratoriae  ed.  Bonnell  Leipzig  1869. 
Plutarch  Über  Homer,  Moralia  ed.  Bemadakis   Leipzig  1896   VII  S.  329. 

S.  24.  Marsuppini  Übersetzung  und  Dedikation:  Bandini  Bibliotheca  Leopol- 
dina Laurentiana  Florenz  1791  II  S.  439. 

S.  27.  Horatius  Romanus  Porcaria  ed.  Lehnert  Leipzig  1907.  Darin  auch 
die  Übersetzung  Marsuppini's  S.  40.  Rosmini  Vita  di  Francesco  Filelfo 
Mailand  1808    11  S.  95. 

S.  28.  Homeri  poetarum  principis  cum  Iliados  tum  Odysseae  libri  48,  Laurentio 
Valien.  etRaphaelo  Volaterranointerpr.  Antwerpen?  apud  J.  Grapheum 
1528.    Vahlen  Laurentii  Vallae  opuscula  tria   Wien  1869. 

S.  29.  Jani  Pannonii  poemata  Trajecti  1784. 

S.  30.  Basinii  Parmensis  poetae  opera  praestantiora  nunc  primum  edita  et  op- 
portunis  commentariis  illustrata    Rimini  1794.    Meleagros  Jl.  9,  529. 

S.  33.  Angelus  Politianus  Opera  Basel  1553.  Übersetzung  und  Widmung  bei 
A.  Mai  Spicilegium  Romanum  Rom  1839  II  S.  1.  Mencken  Historia  vitae 
et  in  literas  meritorum  Politiani  Leipzig  1736.  Erblindung  Homers  Scholion 
zu  Piatons  Phaidros  243  a. 

S.  38.  Codrus  Urceus  Orationes    Bologna  1502. 

S.  39.  Villari  La  Storia  di  Girolamo  Savonarola   Florenz  1887    I  S.  500. 

S.  40.  Boiardo  Orlando  Innamorato  Bologna  1906.  Ruggiero  11 16.  Circella  I  6,  50. 
Angelica  badet  Roland  I  25,  38.  Sirene  II  4,  33.  Balisardo  Proteus  H  10,  22 
Od.  4,  457.    Lästrygonen  II  18,  34  Od.  10,  81.    Orco  Polyphemos  III  3  Od.  9. 

S.  42.  Hinweis  auf  den  Ausgang  Furioso  13,  80. 

S.  44.  Pigna  I  Romanzi  Venedig  1554  S.  71.  P.  Rajna  Le  fonti  delP  Orlando 
Furioso  Florenz  1900.  Zorn  Rolands  Boiardo  II  29,  37.  30,  61  Jl.  16, 
85.    Furioso  8,  71.  9,  1.    Rinaldo  27,  8.    Rodomonte  27,  105. 

S.  45.  Orco  Boiardo  EI  28.  Furioso  17,  29.  Verkleben  der  Ohren  Od.  12,  173 
Furioso  33,  124.  20,  87.  Schlauch  des  Aiolos  Od.  10,  19.  Für.  38,  30.  Netz 
des  Caligorante  Boiardo  I  5,  81  Für.  15,  56  Od.  8,  266.    Homer  Für.  35,  27. 

S.  47.  Firmin-Didot  Aide  Manuce  et  l'Hellenisme  ä  Venise  Paris  1875. 
H omer ausgaben  bei  Heyne  Homeri  Ilias  Leipzig  1802  III  S.  7.  Cesarotti 
I  S.  337.  Terret  Homere  Paris  1899  S.  542.  Andreas  Divus  lustopo- 
litanus  Homeri  Ilias  ad  verbum  translata    Salingiaci  1540. 

S.  48.  Vi  da  Poemata  omnia    Padua  1730.    Poetica    Oxford  1722. 

S.  49.  Mauerschau  Jl.  3,  121.  Bogen  des  Odysseus  Od.  21,  1.  Weissagungen 
Aen.  6,  83.  756  Jl.  16,  851.  Wagen  der  Here  Jl.  5,  730.  Thersites  Jl.  2,  212. 
Glaukos  Jl.  6, 119.  Wiederholungen  JL  2,  23.  66.  1,  366.  4, 194.  204.  9, 120. 
262.    12,344.353. 

S.  50.  Gleichnisse.  Bienen  Aen.  1,  434.  Ameisen  Aen.  4,  402.  Fliegen  Jl.  16,  641 
Der  Esel  Jl.  11,557.  C.  Vettii  Aquilini  Juvenci  Euangelia  ed.  Huemer 
Leipzig  1891.  Burckhardt  Die  Zeit  Constantins  des  Großen  2.  Aufl. 
Leipzig  1880    S.  277.    Christias:   Tempel  1,551.    Transfiguration   1,931. 


')  Einzelnach  weise  477 

Kreuzestod  6, 992.   Judas  2, 73.    Creizenacli  Geschichte  des  neueren  Dramas  I 
Halle  1893    S.  336:    La  Passione  di  Gesü  Cristo,  rappresentazione  sacra  in 
Piemonte  nel  secolo  XV  ed.  Promis  Turin  1888. 
S.  52.  Christias  5,  508  Jl.  8,  350. 

S.  54.  Sannazaro  de  Partu  Yirginis    Paris  1547.    Totenklage  Od.  24,  47.    Anrede 
I  an   die   Myrmidonen  Jl.  16,  200.    Himmelstor  Jl.  8,  393.     Hunde  Od.  16, 162. 

I  Nereiden  Jl.  18,  39.    Proteus  Od.  4,  365.    Nymphengrotte  Od.  13, 103. 

156.  Aristoteles:  Finsler  Piaton  und   die  aristotelische  Poetik    Leipzig  1900. 
Ausgaben  der  Poetik  bei  Butcher  Aristotle's  Theory  of  Poetry  and  Fine  Art 
London  1898    S.  XXIX. 
57.  Trissino  Opere    Verona  1729.    Procopius  Opera  ed.  Haury  Leipzig  1905 
II  S.  1. 
60.  Alamanni    L'Avarchide     Bergamo    1761.    Gaspary    II    S.  540.     Giraldi 
Cinthio  Discorso  intorno  al  comporre  dei  Romanzi   Venedig  1554  S.  113. 
Bernardo    Tasso    Amadigi   bei   Gaspary  II  S.  153.     Pigna  I  Romanzi 
Venedig  1554. 
S.  63.  Minturno  Poetica  Toscana    Neapel  1725 

S.  64.  Muretus  ed.  Frey  Leipzig  1871  Oratio  14  S.  135.  Capriano  Della  vera 
poetica  1555;  die  Stelle  bei  Spingarn  S.  211.  Fulvius  Ursinus  Virgilius 
coUatione  scriptorum  Graecorum  illustratus  Leovardiae  1747.  La  Badessa 
L'Iliade  d'Omero  Padua  1564.  Über  Bacelli  und  Dolce  Cesarotti  I 
S.  248.  251. 
S.  65.  Torquato  Tasso  Opere  Venedig  1722/42.  P.  A.  Serrassi  Vita  di 
Tasso  Bergamo  1790.  Solerti  Vita  di  Tasso  Turin  1895.  Discorsi  ed. 
Solerti  Turin  1901. 
S.  67.  Traum  Goffredo's  Gerusalemme  1,  12  Jl.  2,  1.  24,  347.  Ratsversammlung 
Ger.  1,  19.  Jl.  2,  53.  alg  Koigavog  Uta  Ger.  1,  30  Jl.  2, 204.  Heerschau 
Ger,  1,  36.  Mauerschau  Ger.  3,  17  Jl.  3,  162.  Sturm  auf  das  Christenlager 
Ger.  9.  Zorn  Rinaldo's  Ger.  5, 10.  16, 18.  Zweikampf  Argante's  mit  Tan- 
credi  Ger.  6,  1  Jl.  7,  66.  Vertragsbruch  Ger.  7,  99  Jl.  4,  85.  Eingreifen  der 
Hölle  Ger.  7, 114  JL  17,  319.  Argillano  Thersites  Ger.  8,  57  Jl.  2,212.  Bitt- 
gang Ger.  11,29  Jl.  6,  305. 
S.  70.  Castelvetro  La  poetica  d'Aristotile  vulgarizzata  e  sposta  Basel  1576. 
Einteilung  der  Poesie  Aristoteles  c.  4  Castelvetro  S.  33.  Charaktere  Arist. 
c.  15  Cast.  S.  319.  Abgeschlossenheit  Arist.  c.  7.  23  Gast.  S.  153.  211.  Ein- 
heit Arist  c.  8  Cast.  S.  173.  Irrtum  Castelvetro's  Arist.  c.  8.  1451  a  29. 
17  pilfiriaig  svog  iativ,  evog  ist  Neutrum,  nicht  Maskulinum.  Historischer 
Stoff  Cast.  S.  182.  Homer  und  Virgil  Cast.  S.  55. 
S.  73.  Streit  um  die  Gerusalemme:  Tasso  Opere  II  S.  65  L'Infarinato 
secondo:  enthält  eine  Zusammenstellung  der  ersten  Streitschriften.  H  S.  285 
Apologia  di  Torquato  Tasso.  II  S.  143  Dialogo  di  Niccolb  degli 
Otti.  II  S.  446  Risposta  di  Giulio  Guastavino  all'Infarinato.  III  S.  197 
Discorso  di  Orazio  Lombardelli. 
S.  76.  Patrici  Della  Poetica:  la  Deca  istoriale  Ferrara  1585,  la  Deca  disputata 
1586.  Parere  di  Patrici  in  difesa  di  Ariosto:  Tasso  Opere  III  S.  147. 
Tasso  Discorso  sopra  il  Parere  Opere  III  S.  161.  Patrici  II  Trimerone: 
Tasso  Opere  IH  S.  173. 
S.  78.  La  Gerusalemme  Conquistata  Tasso  Opere  IV. 


478  Einzelnachweise 

S.  81.     Giordano  Bruno  Opere  ed.  Wagner   Leipzig  1830  II  S.  313. 

S.  83.    Beni   Comparazione  di  Torquato  Tasso  con  Homero   e  Virgilio.    Insieme 

con  la  difesa  dell'  Ariosto  paragonato  ad  Homero  Padua  1612  Länge  der 

Ilias  Arist.  Poetik  24.   Der  brüllende  Ares  Jl.  5,  859.  Die  aufgehängte  Here 

Jl.  15,  18.    Berückung  des  Zeus  Jl.  14,  153.    Paris  und  Helene  Jl.  3,  437. 
S.  85.     Tassoni  Dei  pensieri  diversi  libri  dieci  Venedig  1665.    Olympische  Szene 

Jl.  1,  565.    Prüfung  des  Heeres  Jl.  2,  134.  183.    Paris  und  Helene  J].  3,  437. 

Cicaden  Jl.  3,  153.    Pandaros  Jl.  4,  104.    Götter  verwundet  J].  5,  330.  900. 

Adrastos  Jl.  6,  55.    Hektors  Herausforderung  Jl.  7,  92.    Flucht  des  Odysseus 

Jl.  8,  92.  Tränen  Agamemnons  Jl.  9, 14.  Mahl  bei  Achilleus  Jl.  9,  206.  Kund- 
schaft des  Diomedes  Jl.lO.   Gleichnis  von  den  Schnittern  Jl.  11,67.    Hektors 

Ohnmacht  Jl.  11,  349.  Der  Esel  Jl.  11,  559.  Liebschaften  des  Zeus  Jl.  14,  315. 
S.  88.    La  Secchia  rapita    Venedig  1788. 
S.  89.     Udeno  Nisieli  bei  Cesarotti  IS.  167.    Marino  L'Adone    Venedig  1626. 

Ithaka  Adone  17, 166.    Thetis  Ad.  19,  313.    Ares  und  Aphrodite  Ad.  7,  191. 

Od.  8,  266.  Cyklop  Ad.  19, 127.  Faustkampf  Jl.  23, 664  Aen.5,368  Ad.20,142. 

Gleichnisse  Ad.  12,  61.  238.  273.  14,53. 
S.  92.    Epik,    Belloni  II  Seicento   S.  130.     Graziani    II   Conquisto    di   Granata 

Modena  1650.    Heerschau  Canto  10.    Zorn  der  Helden  Canto  15.  16.  23. 
S.  94.    Loredano  bei  Belloni  Seicento  S.  205. 
S.  95.     Martorelli,    fifO-vffrtxcbraros  di    Omero,    Justi   Winckelmann    H  S.  195. 

Salvini  Omero  trad.  in  versi  sciolti   Florenz  1723. 
S.  96.     MaffeiIliade,ilprimolibroLondonl736.  Itreprimilibri  Verona  1736.  Brazo- 

lo  Cesarotti  IS.  158.  BozzoliLTliada  d'Omero  trad.  in  ottava  rima Rom  1769. 
S.  97.     Gravina  Prose  ed.  Emiliani-Giudici    Florenz  1857.    S.  1   Della  Ragione 

poetica.  S.  247  Discorso  sopra  l'Endimione.  S.  288  De  disciplina  poetarum. 
S.  100.  Muratori  Della  perfetta  poesia  italiana  Mailand  1821.  Gleichnis  J1.16,  7. 
S.  102.  Metastasio  Estratto  delF  Arte  poetica  d'  Aristo tile  Venedig  1784.    Jagd 

auf  dem  Parnass  Od  19,  394.    Freier  in  der  Unterwelt  Od.  24, 15.   Glaukos 

Jl.  6,  152.    Arist.  Poetik  c.  25. 
S.  104.  Ricci  Dissertationes  Homericae    Florenz  1740.    Fliege  Jl.  17,  570. 
S.  105.  Conti  Prose  e  poesie    Venedig  1739/56.    IIS.  126    De'  fantasmi  poetici. 
S.  106.  Andres  Dell'  origine,  progressi  e  stato  attuale  d'  ogni  letteratura    Parma 

1785 — 1822.    Apollonii  Argonautica  ed.  Merkel   Leipzig  1854. 
S.  108.  Vi  CO  Principi   di  una   scienza  nuova    1.  Aufl.    1725    Neudruck    Sonzogno 

S.  171.    Opere  ed.  Ferrari   Mailand  1836    V  S.  456. 
S.  111.  Cesarotti  Le  poesie   d'Ossian  trasportate  dalla  prosa  inglese  in  verso 

italiano  Padua  1772.  L'Iliade  di  Omero   l.Aufl.  Padua  1786  94.   2.  Aufl. 

1798/1802.    Schild  des  Achilleus    VII  1.  Aufl.  S.  435. 
S.  117.  Foscolo  und  Monti  Esperimento  di  traduzione  della  Iliade  di  Omero 

Brescia  1807.    Nicken  des  Zeus  Jl.  1,  528. 
S.  118.  Monti  L'Iliade  Turin  1905.  Pindemonte  L'Odissea  Neudruck  Sonzogno. 

FRANKREICH  UND  DIE  NIEDERLANDE. 
S.  119.  Jean  Lemaire  de  Beiges  Les  Illustrations  de  Gaule  et  singularitez  de 
Troye    Lyon  1528.    I.  Stecher,  Jean  Lemaire  de  Beiges,  sa  vie,  ses  oeuvres 
Louvain   1891.     Dion  von  Prusa    ed.   Dindorf    Leipzig   1857.    Rede   11 
Troiana  I  S.  166.    H.V.Arnim,  Dion  von  Prusa    Berlin  1898    S.  166. 


Einzelnachweise  479 

S.  122.  Jehan  Samxon  Leslliades  d'Homere,  poete  grec  et  grand  hystoriographe. 
Avec  les  premisses   et  commencemens   de  Guyon   de  Coulöne,    souverain 

■  hystoriographe.  Additions  et  sequences  de  Dare  Phrygius  et  de  Dictys  de 
Crete.  Translatees  en  partie  de  latin  en  langage  vulgaire  Paris  1530.  Eine 
längere  Partie  der  Übersetzung  hat  Hr.  Weng  in  Paris  für  mich  kopiert.  Rabe- 
lais Oeuvres  Amsterdam  1741.    Verteutscbt  von  G.  Regis    Leipzig  1832/11. 

S.  123.  Montaigne  Essais    London  1754   II  12.   YIII  36. 

S.  124.  Ausgaben  s.  Heyne  Homer  HI  S.  10.  Cesarotti  I  S.  241.  Terret  Homere 
S.  542.  Über  Lonicerus  Bursian  S.197.  Micyllus  S.192.  Camerarius  S.185. 
Portus  S.  232.    J.  Bernays,  Joseph  Justus  Scaliger    Berlin  1855. 

S.  125.  Feith  Antiquitates  Homericae  Straßburg  1743,  auch  in  Gronovius  The- 
saurus VI  S.  370. 

S.  126.  Isaac  Casaabonus  Animadversionum  in  Athenaei  Deipnosophistas  Leip- 
zig 1796. 

Les  24  livres  de  l'Iliade  d'Homere  prince  des  poetes  grecs,  tradiüts  de 
grec  en  vers  fran9ais,  les  11  premiers  par  Hugues  Salel,  et  les  13  derniers 
par  Amadis  Jamyn,  avec  les  trois  premiers  livres  de  l'Odysseö  Rouen  1605. 

S.  127.  Du  Bellay  Defense  et  Illustration  de  la  langue  fran9aise  Paris  1553. 
Pelletier  du  Maus  Art  poetique    Lyon  1555. 

S.  128.  Ronsard  Oeuvres  par  Marty-Lavaux   Paris  1890.    III  Franciade. 

S.  130.  Saluste,  Seigneur  du  Bartas,  La  Judith  Paris  1580.  La  Sepmaine  ou 
la  creation  du  monde  Paris  1580.  Goethes  V»^erke  Heinemann  XXVIII  S.  199. 

S.  131.  Vauquelin  L'art  poetique,  par  G.  Pellissier   Paris  1885. 

S.  132.  Die  Hirschkuh  mit  Hörnern    Arist.  Poetik  c.  25.    1460  b  32. 

S.  133.  Certon  L'Odyssee  Paris  1604.  L'Iliade  Paris  1605.  Julius  Caesar 
Scaliger  Poetice  3.  Ausg.,  apud  Petrum  Santandreanum  1586.  Über  Vor- 
gänger: Vorrede.  Genie  1  S.  10.  Norm  1  S.  25.  3  S.  364.  Virgil  3  S.  208. 
Homer  und  Virgil  5  S.  537.  Joseph  Scaliger:  Scaligerana  Haag  1666 
8.  V.  Musaeus.    Scaliger  Epistolae    Leyden  1627    S.  531. 

S.  138.  Lipsius  bei  Cesarotti  I  S.  130.  Meric  Casaubonus  De  nupera  Homeri 
editione  Lugduno-Batavica  dissertatio:  in  Isaaci  Casauboni  Epistolae  Rotter- 
dam 1709. 

S.  139.  Daniel  Heinsius  de  tragoediae  constitutione  liber,  ed.  auctior.  Cui  et 
Aristotelis  de  Poetice  libellus  accedit  Leyden  1643.  Gerardus  Joannes 
Vossius  Opera  Amsterdam  1697.  III  Institutiones  oratoriae.  III  S.  315  De 
Rhetoricae  natura  et  constitutione.  Neu  paginiert:  S.  1  De  Artis  Poeticae 
natura  et  constitutione.  S.  43  Poeticae  institutiones.  S.  169  De  imitatione. 
S.  193  De  veterum  poetarum  temporibus. 

S.  140.  Cluverius  Italia  antiqua  Leyden  1624.  II  2  Sicilia  antiqua,  zuerst  1619. 
Bochart  Geographia  sacra    Frankfurt  a. M.  1674. 

S.  141.  G.  J.  Vossius  Opera  V  De  theologia  gentili  et  physiologia  christiana» 
sive  de  origine  ac  progressu  idololatriae,  deque  naturae  mirandis  quibua 
homo  adducitur  ad  deum. 

S.  142.  Stillingfleet  Origines  sacrae,  or  a  rational  account  of  the  grounds  of 
Christian  Faith,  as  to  the  truth  and  divine  authority  of  the  scriptures 
4.  Aufl.  London  1675.  Thomassin  La  methode  d'etudier  et  d'enseigner 
solidement  et  chretiennement  les  lettres  humaines  par  rapport  aux  lettre» 
divines  et  aux  ecritures    Paris  1681.    1.  Teil  L'etude  des  poetes. 


480  Einzelnachweise 

S.  144.  Croesius  "'OiiriQog'EßQcctog  sive  Mstoria  Hebraeorum  ab  Homero  Hebraicis 
nominibus  ac  sententiis  conscripta  in  Odvssea  et  Iliade  Dordrecbt  1704. 
Diderot  Dict.  encycl.  Grecs  XV  S.  160. 

S.  145.  Grotius  Oi^era  theologica  omnia  Amsterdam  1679.  I  Annotationes  ad 
Vetus  Testamentum  1653.  Bogan  '''O^tiqos  eßgccitav  sive  comparatio 
Homeri  cum  scriptoribus  sacris  quoad  normam  loquendi    Oxford  1658. 

S.  146.  Meric  Casaubonus  Super  loco  Homerico  dubiae  apud  antiquos  inter- 
pretationis,  quo  Dei  in  hominis  tarn  mentes  quam  fortunas  imperium 
asseritur,  dissertatiuncula.  Od.  18,129 — 136.  In :  Isaaci  Casauboni  Epistolae 
Amsterdam  1709.  Duportus  Homeri  poetarum  omnium  facile  principis 
Gnomologia  duplici  paralleliamo  illustrata,  uno  ex  locis  S.  Scripturae,  altero 
ex  gentium  scriptoribus  Cambridge  1660.  Radulphi  Cudworthii  Systema 
intellectuale  huius  Universi  seu  de  veris  naturae  rerum  originibus  Commen- 
tarii:  Lateinische  Übersetzung  von  Moshemius    Jena  1733. 

S.  147.  Picinelli  Lumi  reflessi,  o  dir  vogliamo  Concetti  della  Sacra  Bibbia  osservati 
nei  volumi  non  sacri  Mailand  1667.  Hugo  Vera  historia  Romana  seu 
origo  Latii  vel  Italiae  ac  Romanae  nrbis  Rom  1655.  Cappellus  bei 
Duport,  Einleitung. 

S.  148.  Leo  AUatius  De  patria  Homeri.  Gedicht 'O ^-^qov  yovai,  mit  lateinischer 
Übersetzung  von  Andrea  Bajano:  Gronovius  Thes.  Ant.  Graec.  X  S.  1625. 
M«"«  Dacier  Iliade  I  S.  23. 

S.  149.  Cuperus  Apotheosis  vel  consecratio  Homeri  Amsterdam  1683.  La  Saine 
Homeri  Nepenthes  bei  Dugas-Monbel  S.  130.  Petiti  Homeri  Nepenthes 
sive  de  Helenae  medicamento    Utrecht  1698.    Od.  4,  219. 

S.  150.  Poetae  Graeci  Christiani,  Una  cum  Homericis  centonibus  ex  sanctorum 
patrum  operibus  collecti  et  utraque  lingua  seorsim  editi  Paris  1609. 
Schulbücher.  Posselius  Syntaxis  Graeca  Frankfurt  1594.  Vigerus 
De  praecipuis  Graecae  dictionis  idiotismis  ed.  Lederlin  Straßburg  1708. 
Scapula  Lexicon  Graeco -Latinum  Paris  1643.  Clavis  Homerica  sive 
Lexicon,  opus  primum  in  Anglia  concinnatum,  deinde  auctum  et  saepius 
editum  Rotterdam  1615.  Perkins  Clavis  Homerica  London  1647.  Clavis 
Homerica    Rotterdam  1673. 

S.  151.  L(e)  C(lerc)  Parrhasiana  ou  pensees  diverses  Amsterdam  1699.  1713.  I 
S.  212. 

S.  152.  Racine  Oeuvres   Paris  1888  VI  S.  56.   Andromaque- II  S.  95:   3,  8  V.  1014. 

S.  154.  Lefebvre  Les  vies  des  poetes  grecs  en  abrege  Amsterdam  1700.  Baillet 
Jugemens  des  savants  sur  les  principaux  ouvrages  des  auteurs,  nouv.  ed. 
Amsterdam  1725  III  S.  215  Des  poetes  Grecs.  Du  Souhait  L'Iliade 
d'Homere  prince  des  poetes  Grecs,  avec  la  suite  d'icelle.  Ensemble  le 
ravissement  d'Helene,  sujet  de  l'histoire  de  Troie,  derniere  edition  Paris 
1634.  Boitel  L'Odyssee  d'Homere,  traduict  de  grec  en  fran9ais  Paris  1617. 
Eine  Partie  hat  Hr.  Weng  für  mich  kopiert.    Egger  Traductions    S.  191. 

S.  155.  De  la  Valterie  Traduction  de  Tlliade  Paris  1681.  Egger  S.  193.  E.  Bovet 
La  Preface  de  Chapelain  ä  l'Adone    Festschrift  Morf   Halle  1905. 

S.  157.  J.  Duchesne  Histoire  des  poemes  epiques  fran9ais  du  17™®  siecle  Paris 
1870.  Chapelain  La  Pucelle  ou  la  France  delivree,  derniere  edition 
Paris  1656.  Pucelle,  les  12  derniers  chants,  publies  pour  la  premiere  fois 
par  M.  Hardouin    Orleans  1888. 


piter 


Einzelnachweise  481 

158.  Scudery  Alaric  ou  Rome  vaincue  Haag  1685.  Orosius  Historiae  ad- 
versus  paganos  ed.  Zangemeister  Wien  1882.  Stilicho  8,  38.  Claudian 
ed.  Koch  Leipzig  1893;  Gedicht  27  de  hello  Grothico.  Prokop  de  hello 
Vandalico  1,  2. 

S.  159.  Desmarets   Clovis  ou  la  France  chretienne    Paris  1666. 

S.  162.  Marie  Magdeleine  ou  le  triomphe  de  la  Gräce   Paris  1669. 

S.  163.  Desmarets  La  comparaison  de  la  langue  et  de  la  poesie  fran9aise  avec 
la  grecque  et  la  latine.  Et  des  poetes  grecs,  latins  et  fran9ai8  Paris  1670. 

164.  Od.  12,  441,  Odysseus  springt  auf  das  aus  der  Charybdis  auftauchende  Ge- 
bälk. Desmarets:  Ce  qu'il  fit  alors,  dit  Homere,  aussi  promptement,  et 
avec  autant  de  joie,  qu'un  juge  sort  de  son  siege  ä  Theure  du  diner,  apres 
avoir  ete  fatigue  toute  la  matinee  par  plusieurs  causes.  Quel  rapport 
d'ülysse  pendu  a  ces  hranches,  avec  ce  juge  assis  sur  son  siege!  Raffaello 
da  Volterra:  Aegre  autem  adhaerebam  quod  illa  rursus  malum  et  carinam 
voraverat;  cupienti  tandem  mihi  serius  reversa  sunt,  üt  quando  vir  a  foro 
ad  prandium  redire  solet,  qui  multas  litigantium  iuvenum  contentiones 
iudicat  et  cognovit,  sie  tunc  demum  ligna  haec  ex  Charybdidis  ore  reiecta 
apparuerunt. 

165.  Clovis  1673  Vorrede:  Discours  pour  prouver  que  les  sujets  chretiens  sont 
les  seuls  propres  äla  poesie  heroique.  Beigegeben:  Traitepourjuger  des  poetes 
Grecs,  Latins  et  Fran9ais,  eine  Umarbeitung  der  Comparaison  ohne  neue 
Gesichtspunkte.  Boileau  Oeuvres  Paris  1713.  S.7  Satires.  S.  111  Epitres. 
S.  189  Traite  du  Sublime.  S.  349  Arret  donne  en  la  Grand'Chambre  du 
Parnasse  etc.  pour  le  maintien  de  la  doctrine  d'Aristote.  Epos  Art  poetique 
Chant.  ni.    Vom  Erhabenen,  JJeqI  vipovg  ed.  Vahlen    Bonn  1887. 

S.  168.  Lutrin  Oeuvres  S.  233.    Die  Perruquiere  Chant  H. 

S.  169.  Desmarets    La  defense   du    poeme  heroique,    avec  quelques  remarques 

sur   les    Oeuvres    satyriques   du   Sieur  D.*  Dialogues  en  vers  et  en  prose 

Paris   1674.     Le  Bossu    Traite   du  poeme  epique    Paris  1675.     Lessings 

Vt^erke  Hempel  XVHI  S.  265. 
S.  171.  Rapin  Oeuvres   dern.  ed.  Haag   1725.    I  S.  97   Comparaison  d'Homere  et 

de  Virgile.    H  S.  109  Reflexions  sur  la  poetique. 
[S.  173.  ßossuet,  die  Stellen  bei  Duchesne  S.  305. 
[S.  174.  Charles  Perrault  Saint  -  Paulin  Eveque  de  Nole  Paris  1686.   S.  Gregorii 

Papae  primi  cognomento  Magni  Opera    Paris   1675.     H  Dialogi.    3,  1  De 

Paulino  episcopo  Nolanae  urbis. 
J.  175.  Bacon  Works  London  1824.    I  S.  3   Of  the  Proficience  and  Advancement 

of  Learning  divine  and  human.    Scaliger   S.  764. 
J.  177.  Gueret  Le  Parnasse  reforme  et  la  guerre  des  auteurs    Haag  1716. 
179.  Claude  Perrault  Un  poeme  inedit:  Revue  d'histoire  litteraire  de  la  France 

VII  1900  S.  449.   Pierre  Perrault,  bei  Rigault  S.  138.   Racine  Oeuvres  IH 

S.  143. 
S.  180.  Charles  Perrault  Le  Siecle  de  Louis  le  Grand,  abgedruckt  bei  De  Callieres. 
S.  183.  La  Fontaine    Oeuvres     Paris    1883.      Longepierre    Discours    sur  les 

Anciens    Paris  1687,  anonym. 
S.  1^4.  Fontenelle  Oeuvres  Paris  1767.    I  S.  24  Dialogues  des  Morts.    HI  S.  127 

Reflexions    sur    la  Poetique.    IV  S.  170  Digression  sur  les  Anciens  et  les 

Modernes.    VIH  S.  279  Sur  la  Poesie  en  general. 

Finsler:  Homer  in  der  Neuzeit.  31 


482  Einzelnachweise 

S.  187.  De  Callieres  Histoire  poetique  de  la  guerre  nouvellement  declaree  entre 
les  Anciens  et  les  Modernes  Paris  1688,  anonym.  Furetiere  Nouvelle 
all^gorique  ou  histoire  des  derniers  troubles  arrives  au  royaume  de  l'elo- 
quence   Heidelberg  1659. 

S.  189.  Perrault  Parallele  des  Anciens  et  des  Modernes,  nouv.  ed.  Paris   1693. 

S.  190.  A.  Dacier  La  Poetique  d'Aristote,  traduite  en  Fran9ais  avec  des  remar- 
ques   Paris  1692. 

S.  195.  Boileau  Reflexions  sur  Longin  Oeuvres  S.  491. 

S,  198.  Bayle  Nouvelle  de  la  republique  des  Lettres  Amsterdam  I  1684  S.  72. 
Dictionnaire  historique  et  philosophique  4.  Aufl.  Amsterdam  und  Ley den  1730. 

S.  199.  Saint-Evremond  Oeuvres  par  Maizeaux  Amsterdam  1753.  V  S.  10& 
Sur  les  poemes  des  Anciens.  S.  120,  Du  merveilleux  qui  se  trouve  dans 
les  poemes  des  Anciens,  VI  S.  19  Sur  le  disput  touchant  les  Anciens  et 
les  Modernes,  Stances  irregulieres. 

S.  201.  (L)e  C(lerc)  Parrhasiana  Amsterdam  1699  I  S.  1   Des  poetes  et  de  la  poesie. 

S.  202.  Homerfrage:  Cicero  de  Oratore  3,34.  Aelian  Varia  Historia  13,14. 
Plutarch  Lykurgos  4.    Suidas  s.  y.'V^riQos.    Josephus  contra  Apionem  1,  2. 

S.  203.  Lilius  Gyraldus  Opera  Basel  1580  Dialogus  H  S.  66.  Annius  von 
Viterbo  habe  ich  nicht  selbst  gesehen.  Camerarius  Kommentar  zu 
JL  I    Straßburg  1538    S.  30.    Paolo  Beni  Comparazione  I  S.  52. 

S.  204.  Scaliger  Poetice  S.  26. 112.  Aelian  8,2.  Casaubonus  zu  Diog.  Laert. 
9,12,  die  Stelle  bei  Volkmann  S.  5.  Meursius  Pisistratus:  Gronovius 
Thes.  Graec.  antiq.  V  S.  1434.  Salmasius  Plinianae  exercitationes  in 
C.  Julii  Solini  Polyhistora  Utrecht  1689  S.  590.  Solinus  ed.  Mommsen 
Berlin  1864    S.  186f. 

S.  205.  Perizonius  Animadversiones  historicae  1684,  bei  Volkmann  S.  6. 

S.  206.  Wetstein  De  fato  scriptorum  Homeri  per  omnia  saecula  Basel  1684, 
Küster  Historia  critica  Homeri,  in  Wolfs  Ausgabe  der  Ilias  Halle  1785. 
Morhof  Polyhistor  litterarius,  philosophicus  et  poeticus    4.  Aufl.    Lübeck 

1707  I  S.  1025.  Die  erste,  allein  vom  Verfasser  selbst  publizierte  Abteilung 
Lübeck  1688.  Bursian  I  S.304.  Gronovius  Thesaurus  V  Vorrede.  Diome- 
des  Scholia  in  Dionysii  Thracis  Artem  grammaticam  ed.  Hilgard  Leipzig 
1901    S.  29.    Jo.  Alberti  Fabricii  Bibliotheca  Graeca   2.  Aufl.    Hamburg 

1708  IIl  S.  269.  Bentley's  Briefwechsel  von  J.  Bernays  Rhein.  Mus. 
VIII  S.  1.    R.  Jebb  Bentley    London  1909    S.  146. 

S.  207.  Rapin  Oeuvres  I  S.  153.  Perrault  Parallele  II  S.  25.  Boileau  Reflexions  sur 
Longin  Cap.  3. 

S.  208.  D'Aubignac  Conjectures  academiques  ou  dissertation  sur  l'Iliade  Paris 
1715,  anonym.  Finsler  Neue  Jahrbücher  VIII  1905  S.  495. 

S.  210.  Zoega's  Betrachtungen  über  Homer  ed.  Michaelis  Straßburger  Festschrift 
1901  S.  1. 

S.  211.  Harduinus  Opera  varia  Amsterdam  1733  S.  282  Pseudo-Virgilius.  S.  320 
Pseudo-Horatius.  Rigault  S.  433.  Gacon  Homere  venge  Paris  1715^ 
Lettre  5.  Rousseau  Essai  sur  l'origine  des  langues,  Oeuvres  Genf  1782 
XVI  S.  240.  Bellerophon  Ji.  6, 168.  Goguet  Untersuchungen  über  den  Ur- 
sprung der  Gesetze  usf.  Übersetzung  von  Hamberger   Lemgo  1760  II  S.  207. 

S.  212.  M™^  Dacier  L'Iliade  d'Homere  traduite  en  fran9ais  Paris  1711.  L'Odyssee 
Paris  1717. 


Einzelnachweise  483 

S.  214.  Regnier  bei  Rigault  S.  379,  Houdar  de  la  Motte  Oeuvres  Paris 
1754  II  S.  1  Discours  sur  Homere.  S.  141  L'ombre  d'Homere,  Ode. 
S.  147    L'Iliade. 

S.  219.  M™ö  Dacier  Des  Causes  de  la  corruption  du  goüt  Paris  1714.  La  Motte 
Reflexions  sur  la  Critique    Oeuvres  III  S.  1. 

S.  221.  Fenelon  Oeuvres  Paris  1826  X  S.  308  Lettre  ecrite  ä  FAcad^mie. 
S.  433  Correspondance  litteraire  avec  La  Motte  1713/14.  XII  L'Odyss^e 
d'Homere. 

S.  223.  Terrasson  Dissertation  critique  sur  l'Iliade  d'Homere  Paris  1715. 
Hektors  Rede  an  Paris  Jl.  6,  325.  Ungerechte  Richter  Jl.  16,  384.  Rede  des 
Phoinix  Jl.  9,  529.  Nestor  Jl.  11,  670.  Über  Allegorien  II  S.  83.  Schild  des 
Achilleus  II  S.  249  Jl.  18,  478. 

S.  227.  Gacon  Homere  venge  par  L.  P.  S.  F.  (le  poete  sans  fard)  Paris  1715, 
anonym.    Boivin  Apologie  d'Homere  et  le  bouclier  d'Achille  Paris  1715. 

S.  228.  Marivaux  Oeuvres  Paris  1781.  X  Homere  travesti  ou  l'Iliade  en  vers 
burlesques. 

S.  229.  Saint-Hyacinthe  Chef  d'oeuvre  d'un  inconnu.  Poeme  heureusement 
decouvert  et  mis  au  jour,  avec  des  remarques  savantes  par  le  docteur 
Chrisost.  Matanasius  1716,  anonym.  Im  selben  Bande:  Dissertation  sur 
Homere  et  sur  Chapelain.  Buffier  Homere  en  arbitrage;  in:  Nouvelles 
litteraires  contenant  ce  qui  se  passe  de  plus  considerable  dans  la  republique 
des  lettres  I    Haag  1715    S.  353,  anonym. 

S.  230.  De  Pons  Dissertation  sur  le  poeme  epique,  contre  la  doctrine  de  M™® 
Dacier  Oeuvres  Paris  1738.  Fourmont  Examen  pacifique  sur  la  que- 
relle  de  M™«  Dacier  et  M.  de  la  Motte  sur  Homere.  Avec  un  traite  sur  le 
poeme  epique  et  la  critique  des  deux  Iliades  et  de  plusieurs  autres  poemes 
Paris  1716.  Hardouin  Apologie  d'Homere.  Oü  Ton  explique  le  veri- 
table  dessein  de  son  Iliade  et  sa  Theomythologie  Paris  1716.  Lykurg 
Jl.  6, 130.   Prophezeiung  über  die  Aeneaden  Jl.  20,  307. 

S.  231.  M"^«  Dacier  Homere  defendu  contre  l'Apologie  du  R.  P.  Hardouin,  ou 
Suite  des  Causes  de  la  corruption  du  goüt    Paris  1716. 

jS.  232.  Conti  Prose  et  Poesie  II  Venedig  1756  S.  108  Brief  an  Maffei.  Cartaud 
de  la  Vilate  Essai  historique  et  philosophique  sur  le  goüt  London  1751. 
J.  233.  Dubos  Reflexions  critiques  sur  la  Poesie  et  sur  la  Peinture,  6.  ed. 
Paris  1755.  A.Lombard  La  Querelle  des  Anciens  et  des  Modernes;  l'abbe 
Dubos  Neuchätel  1908. 
1.237.  Voltaire  Oeuvres  Amsterdam  1725.  Oeuvres  complets  Paris  1877/83. 
VIII  S.  304  Essai  sur  la  poesie  epique.  IX  Pucelle.  XII  S.  247  Essai 
sur  les  moeurs  et  l'esprit  des  nations.  XIV  S.  115  Ecrivains  fran9ai8  du 
siecle  de  Louis  XIV.  XVIII — XX  Dictionnaire  philosophique. 
1.241.  Batteux  Principes  de  Litterature,  nouv.  ed.  Paris  1777.  II  S.  138  Traite. 
du  poeme  epique.  Achilleus  am  Graben  Jl.  18,  217.  Les  Quatre  Poetiques. 
Paris  1771. 

[8.243.  Diderot  Oeuvres  Paris  1875.  I  S.  376  Lettre  sur  les  sourds  et  lea 
muets.  Gebet  des  Aias  Jl.  17,  645.  Vom  Erhabenen  Kap.  9.  Boileau  Traitfe 
du  Sublime  Kap.  7.  VII  S.  319  De  la  poesie  dramatique.  S.  312  Kontrast 
Jl.  13,  1.  Xni— XVI  Dictionnaire  encyclopedique ,  Artikel  Bibliotheque. 
Grecs.  Jliade.    Odyssäe. 

31* 


484  Einzelnachweise 

S.  245,  Marmontel  Poetique  Fran9aise    Paris  1763. 

S.  246.  La  Harpe  Lycee  ou  cours  de  litterature  Paris  1798/1802.  I  S.  187 
Epos. 

S.  247.  Übersetzungen:  Bitaube  Oeuvres  d'Homere,  traduites  en  fran9ais 
nouv.  ed.  Paris  1835.  De  Rocbefort  L'Iliade  d'Homere  traduite  en  vers, 
nouv.  ed.  Paris  1772.    L'Odyssee   Paris  1777. 

S.  249.  Le  Brun  L'Iliade  d'Homere,  traduction  nouvelle  Paris  1776,  anonym. 
Gin  Oeuvres  completes  d'Homere,  traduetions  nouvelles    Paris  1786. 

S.  250.  Mercier  Mon  bonnet  de  nuit  Neuchätel  1784  I  S.  266  Cesarotti  I 
S.  203. 

S.  251.  Memoires  de  litterature  tires  des  registres  de  l'Aeademie  royale  des 
Inscriptions  et  helles  Lettres  1736  1  S.  176  Boivin  Sur  la  que- 
relle  des  partisans  d'Homere  et  ceux  de  Virgile.  ES.  1  Massieu  Pa- 
rallele d'Homere  et  de  Piaton.  1764  Bd.  30  S.  539  Chahanon  Disser- 
tation sur  Homere  considere  comme  poete  tragique. 

S.  252.  Guys  Voyage  litteraire  de  Grece,  ou  lettres  sur  les  Grecs  anciens  et  mo- 
dernes, avec  un  parallele  de  leurs  moeurs  Paris  1771.  D'Hancarville 
Antiquites  Etrusques,  Grecques  et  Romaines  du  cabinet  de  M.  Hamilton 
Neapel  1766.  HI  S.  163  kretischer  Tanz  Jl.  18,  590.  HI  S.177  Mantelspange 
des  Odysseus  Od.  19, 226.  IV  S.  114  Homer  über  die  Künste.  Achilleusschild, 

S.  253.  Goguet  Untersuchungen  von  dem  Ursprung  der  Gesetze,  Künste  und 
Wissenschaften,  übersetzt  von  G.  Ch.  Hamberger  Lemgo  1760.  II  S.  142 
Metallurgie. 

S.  254.  Caylus  Tableaux  tires  de  Tlliade,  de  l'Odyssee  d'Homere  et  de  l'Eneide 
de  Virgile,  avec  des  observations  generales  sur  le  costume  Paris  1757, 
anonym. 

S.  255.  Barthelemy  Voyage  du  jeune  Anacharsis  en  Grece    Paris  1817. 

S.  256.  Reisen  in  der  Troas.  Belon  Les  observations  de  plusieurs  singularites 
et  choses  memorables  trouvees  en  Grece,  Asie,  Indie,  Egypte,  Arabie  et 
autres  pays  etrangers  Paris  1588,  1.  Aufl.  1553.  II  S.  178  Troye.  Be- 
lurger  bei  Cesarotti  IS.  131.  Sandys  A  relation  of  a  journey  begun 
1610  London  1627,  bei  Dalzel  Anm.  zu  Lechevalier  S.  74.  Pietro  della 
Valle  Viaggi    Brighton  1843    I  S.  9. 

S.  257.  Spon  et  Wheler  Voyage  d'Italie,  de  Dalmatie,  de  Grece  et  du  Levant, 
fait  aux  annees  1675  et  1676  Amsterdam  1679  I.  S.  150.  Lady  Mon- 
tague  Letters  written  during  her  travels  in  Europe,  Asia  and  Africa 
Paris  1784  Letter  44.  Pococke  Beschreibung  des  Morgenlandes,  über- 
setzt von  Windheim    Erlangen  1754/55    III  S.  155  Troja. 

S.  258.  Wood  Versuch  über  das  Originalgenie  Homers  Frankfurt  1773,  An- 
hang S.  83  Vergleichung  des  alten  und  gegenwärtigen  Zustandes  der 
Landschaft  von  Troja.  Chandler  Reisen  in  Kleinasien,  unternommen 
auf  Kosten  der  Gesellschaft  der  Dilettanti  Leipzig  1776.  Choiseul- 
Gouffier  Voyage  pittoresque  de  la  Grece  I  Paris  1782  II  1  1809  II  2 
1822.    Die  Quellen  II 1  S.  229.  269.    Jl.  22, 147. 

S.  260,  Lechevalier  Beschreibung  der  Ebene  von  Troja.  Mit  Anmerkungen  von 
Dfilzel.  Aus  dem  Englischen  übersetzt  und  mit  Vorrede,  Anmerkungen 
und  Zusätzen  von  Heyne  begleitet  Leipzig  1792.  Bryant  Observations 
upon  a  treatise  entitled  A  description  of  the  piain  of  Troy  by  M.  le  Che- 


Einzelnachweise  485 


valier    Eton  1795.    A  Dissertation  conceming  the  war  of  Troy  etc.    Ohne 

Druckjahr.    Troja  in  Ägypten    Strabon  17,  809    Steph.  Byz.  Tgoicc   Diodor 

I  56,  4.    Troja  in  der  Ebene  Jl.  20,  217. 
S.  261.  Lenz  Die  Ebene  von  Troja  nach  dem  Grafen  Choiseul-Gouffier  und  andern 

neueren  Reisenden    Neu-Strelitz  1798. 
S.  262.  Ansse    de  Villoison  'Opi'^QOv  'IXidg.     Homeri  Ilias    ad    veteris    codicis 

Veneti    fidem    recensita.      Scholia    in    eam    antiquissima     Venedig    1788. 

Andre  Chenier  Oeuvres  poetiques  ed.  G.  de  Chenier    Paris  1874. 

ENGLAND. 
S.  265.  Morus  Utopia,  mit  der  ersten  englischen  Übersetzung  von  Ralph  Ro- 

bynson  1561    Oxford  1895. 
S.  266.  Daniel  Defence  of  Rhyme,  bei  Spingarn  S,  297.    Harington,  bei  Spin- 
garn S.  293    Hamelius  S.  15. 
S.  267.  Ben  Jonson  Works   ed.  Gifford    London  1816    VII  Discoveries.    Bacon 

Works  London  1824  I  S.  3  Advancement  of  Learning.    X  S.  155   De  sapi- 

entia  veterum.    Briareos  Jl.  1,  397. 
S.  269.  Wilson    Arte  of  lihetorique   ed.  Mair     London   1909    S.  195.    Ascham 

The  Scholemaster  ed.  Arber    Westminster   1903.    Piatons  Staat  III  393  a. 
S.  270.  Gössen  The  Schoole  of  Abuse,  and  A  short  apology  of  the  Schoole  of  Abuse 

ed.  Arber    London  1906.    Plutarch  de  Musica  cap.  42   Bernadakis  VI  S.  528. 
S.  271.  Sidney  Apology  for  Poetrie  ed.  Arber   London  1908. 
S.  273.  Webbe  Discourse  of  English  poets  ed.  Arber   Westminster  1895.   Putten- 

ham  Art  of  English  Poetrie  ed.  Arber   London  1869. 
S.  274.  Watson,  bei  Ascham  Scholemaster    S.  73.    Hall,  bei  Sandys  II  S.  241. 
S.  275.  Chapman   Works    ed.  Shepherd    London   1875.    I    The  whole  works  of 

Homer,  Prince  of  Poets. 
S.  276.  Shakespeare.    R.  A.  Small,  The  Stage-Quarrel ,  Kölbing  Forschungen  I 

1899  S.  164.  Anders  Shakespeare's  Books  Berlin  1904  S.  42.  Geschichte 
der  Troilus  -  Episode  bei  ten  Brink  I  S.  197  II  S.  89.  Lydgate,  bei  ten 
Brink  II  S.  233.    Heinrich  IV  2.  Teil  1, 1. 

S.  277.  Spenser  The  poetical  Works  Boston  1855.  Traum  des  St.  George  Faery 
Queene  1 1  Od.  19,  562.  Jl.  2,  1.  Sansioy  F.  Q.  I  5, 13.  29  Jl.  20,  320.  23, 188. 
Kette  F.  Q.  I  5,  25  JL  8,  29.  Büßer  F.  Q.  I  5,  35  II  7,  58  Od.  11,  576.  Gu- 
yons  Fahrt  F.  Q.  II 12  Od.  10.  12.  Marinell  F.  Q.  IE  4.  Bitten  F.  Q.  V  9,  31 
Jl.  9,  502.  Katalog  der  Flüsse  IV  11,  9.  Der  Berg  F.  Q.  1 10,  53.  Phantastes 
F.  Q.  II  9,  52. 

S.  280.  Warner  Albion's  England  bei  Chalmers  IV  S.  509.  Daniel  The  history 
of  the  Civil  Wars,  Chalmers  III  S.  455. 

S.  281.  Drayton  The  Barons'  War,  Chalmers  IV  S.  25.  Chalkhill  Thealma 
and  Clearchus,  bei  Saintsbury  Minor  Poets  of  the  Caroline  Period  Oxford 
1905    n  S.  367.    Das  Kraut  Moly  V.  1848  Od.  10,  277. 

S  282.  Hannay  Sheretine  and  Mariana,  Saintsbury  Minor  Poets  I  S.  643. 
Kynaston  Leoline  and  Sydanis,  Saintsbury  Minor  Poets  IIS.  61.  Knoten 
des  Tuches V. 962  Od.  10, 19.  Katalog V. 2906.  ChamberlaynePharonnida, 
Saintsbury  Minor  Poets  I  S.  17.  Ismanders  Heimkehr  IV  2,  496.  Tragödie 
114,435.     Heliodor:   E.  Rohde  Der  griechische  Roman  2.  Aufl.    Leipzig 

1900  S.  453. 


486  Einzelnachweise 

S.  284.  Cowley  Davideis,  a  sacred  poem  of  the  troubles  of  David.  Works  London 
1688.    Jonathans  Schlacht  Dav.  17.    Envy  Dav.  I  Adone  12,  60. 

S.  285.  Davenant  Works  London  1673,  Chalmers  VI  S.  349. 

S.  287.  Hobbes  The  Iliad  and  Odyssey  of  Homer,  translated  out  of  Greek  into 
English  3.  Aufl.    London  1686. 

S.  288.  Milton  Parad.Lost.  9,1  Über  Homer.  Schicksals  wage  P.L.  4,996  Jl.22,209. 
8,  69.  Kampf  der  Engel  P.  L.  6.  Liebesszene  P.  L.  9, 1039  Jl.  14,  346. 
Fest  im  Himmel  P.  L.  5,  616.  Gleichnis  Addison  Spectator  No.  303.  Parad. 
Regained  4,  236.    Drydens  Epigramm  Works   ed.  Saintsbury  XI  S.  162. 

S.  292.  Phillips  Theatrum  Poetarum  Anglicorum,  containing  brief  characters 
of  the  English  poets,  ed.  Brydger  Genf  1824.  The  whole  critical  Works 
of  Monsieur  Rapin,  newly  translated  in  English  by  several  hands  London 
1706.  II  S.  109  Monsieur  Rapin's  Reflections  on  Aristotle's  Treatise  of 
Poesie,  made  English  by  Mr.  Rymer;  by  whom  is  added  some  reflections 
on  English  poets. 

S.  293.  Roscommon  Works  Glasgow  1753.  Sheffield,  Earl  ofBuckingham 
Works  3.  Aufl.    London  1740.    I  S.  127   Essay  on  Poetry. 

S.  294.  Dryden  Works  ed.  Saintsbury  Edinburg  1882.  IX  S.  290  Annus  Mira- 
bilis.  IV  S.  1  Conquest  of  Granada.  V  S.  111  Apology  for  heroic  poetry. 
XIII  S.  1  Essay  on  Satire.  XIV  S.  129  Aeneis.  XV  S.  273  Essay  of  dramatic 
Poesy.  S.  347  Homer  und  Virgil.  XII  S.  281  Second  Miscellany.  XII  S.  53 
Third  Miscellany.  XI  S.  208  Preface  to  the  Fables.  Kalypso  und  Dido  XIV 
S.  188.  XI  S.  215. 

S.  299.  Blackmore  Prince  Arthur,  an  heroic  poem    London  1695. 

S.  300.  Temple  Works  London  1750.  I  S.151  Essay  upon  the  ancient  and  modern 
Learning.    S.  233  Of  Poetry. 

S.  302.  Wotton  Reflections  upon  ancient  and  modern  Learning   London  1694. 

S.  303.  Blackwallius  De  praestantia  classicorum  auctorum  commentatio,  latine 
vertit  G.  H.  Ayrer    Leipzig  1735. 

S.  304.  C.  Boyle  Phalaridis  Agrigentinorum  tyranni  epistolae  Oxford  1695. 
Bentley  A  dissertation  upon  the  epistles  of  Phalaris,  Themistocles,  Eu- 
ripides  and  others;  and  the  fables  of  Aesop  London  1697.  Boyle  Bent- 
ley's  Dissertation  examined  2.  Aufl.  London  1698.  Swift  Works  Edin- 
burg 1824.  X  S.  217  A  füll  and  true  account  of  the  battle  fought  last 
Friday,  between  the  ancient  and  the  modern  books  in  Saint  James'  library. 
S.  64  A  tale  of  a  tub  Sect.  3.  XIII  S.  25  Martinus  Scriblerus  Ttsgl  ßdd-ovg, 
of  sinking  in  poetry.    Über  Swifts  Anteil  an  dieser  Schrift  Saintsbury  II  S. 452. 

S  309.  Barnes  Homeri  Ilias  et  Odyssea,  et  in  easdem  Scholia  etc.  Opera  studio 
et  impensis  Josuae  Barnes  Cambridge  1711.  J.  Bernays  Bentley's  Brief- 
wechsel Rhein.  Mus.  VEI  1855  S.  1. 

S.  310.  Clark e  Homeri  Carmina  Graece  et  Latine  cum  notis  London  1832. 
Pott  er  i  Archaeologia  Graeca  sive  veterum  Graecorum,  praecipue  vero 
Atheniensium  ritus  civiles,  religiosi,  militares,  domestici  Leyden  1702. 
Geddes  An  essay  on  the  composition  and  manner  of  writing  of  the 
ancients,  particularly  Plato    Glasgow  1748. 

S.  311.  Shaftesbury  Charakteristicks  of  Men,  Manners,  Opinions,  Times  etc.  Lon- 
don 1733.  I  S.  151  Soliloquy  or  advice  to  an  author.  III  Miscellaneous 
reflections  5, 1  S.  260. 


Einzelnachweise  487 

S.  313.  Dennis  The  advancement  and  reformation  of  modern  Poetry  London  1701. 
The  grounds  of  Criticism  in  poetry    London  1704. 

S.  315.  Addison  Tatler,  :Nr.  152  Od.  11,  217.  488.  Spectator  Nr.  70.  74  the 
song  of  Chevy-Chase.  Nr.  262  ff.  über  Milton,  Neudruck  Arber  Westminster 
1903.  Nr.  Gl.  160  Genies.  Nr.  414.  417  Natur  and  Kunst.  Nr.  592  Shake- 
speare.   Pyrrhos  Ring  Plinius  Nat.  Hist.  37,  5.    Nr.  523  Mythologie. 

S.  319.  Hughes  Court  of  Neptune,  Chalmers  X  S.  12.    Philips   Blenheim,   Chal- 

tmers  VIII  S.  380.    Rowe  A  poem  of  the  late  glorious  successes,  Chalmers 
IX  S.  464,    Das  Gleichnis  Jl.  4,  452.    Welsted  A  Poem  occasioned  by  the 
late  famous  victory  of  Audenarde    London  1787.    Addison  The  Campaign, 
Poems    Paris   1780    S.  51.    Tickell  On  the  prospect  of  Peace,   Chalmers 
XI  S.  102.     Addison    über    Göttermaschine   Spect.   Nr.  523.     Fabelwesen 
Nr.  419. 
.320.  Addison  A  discourse  on  ancient  and  modern  Leaming,  now  first  pub- 
lished  from  an  original  manuscript  London  1739.    Pope  Works  ed  Elwin 
London  1871.    II  S.  1  Essay  on  Criticism.    I  S.  185  The  temple  of  Fame. 
n  S.  145    The  Rape  of  the  Lock.     Schwur  bei  der  Locke  4,  133  Jl.  1,  234. 
Belinda's  Haarnadel  5,  89  Jl.  2, 101.    Götterschlacht  5,  45  Jl.  20,  1. 
S.  322.  Parnell  Essay  on  the  different  styles  of  poetry,  Chalmers  IX  S.  412. 
S.  323.  Übersetzungen,  bei  Chalmers.    Congreye  XS.  275.   Yalden  XI  S.  73. 

Pitt  XII  S.  390.    Tickell  XI  S.  302.    Broome  XII  S.  24. 
S.  324.  Pope  The  Iliad  of  Homer    London  1771.    Odyssey    London   1745.    Über 

Parnell  Courtehope,  Pope's  life,  Works  Y  S.  154.   VIII  S.  44. 
S.  327.  Spence  An  Essay  on  Mr.  Pope's  Odyssey.    2.  Aufl.    London  1737. 
S.  328.  Gay    Mr.  Pope's  Welcome    from  Greece,    Pope  Works  V  S.  170.    Ariost 
Für.  Canto  46.    Pope  Iliad  H  S.  47   An  Essay  on  Homer's  Battles.    Reit- 
kunst Jl.  15,  679    Od.  5,  371    Pope  zu  Iliad  4,  336.    Trompete  Jl.  18,  219 
Pope  zu  Iliad  18,  259.  Iliad  IV  237  Oberservations  on  the  shield  of  Achilles. 
S.  330.  Spence  S.  212  Poetische  Weissagung  Od.  20,  251.   S.  275  Intimation  Jl.  18, 

222.  246.    Der  Angler  Jl.  16,  406    Od.  12,  251. 
S.  332.  Blackwell   An  enquiry  into   the. life    and   writings  of  Homer    2.  Aufl. 
London    1736.     Deutsch    von    J.  H.  Voß    Leipzig    1776.     Französisch    von 
Quatremere-Roissy  Paris  An  VII.    S.  119  Improvisation. 
S.  336.  Glover    Leonidas    4.  Aufl.     London   1739.     Diodor   11,9.    10.     Lyttelton 

Chalmers  XVII,  S.  4.  Athenaid  Chalmers  XVII  S.  80. 
S.  337.  Wilkie  The  Epigoniad    2.  Aufl.    London  1759.    Chalmers  XVI  S.  133. 
S.  341.  Welsted  Works    in    verse  and  prose    ed.  Nichols    London   1787   S.  127. 
Remarks  of  Longinus   S.  398.    Samuel  Johnson  Works    London   1820. 
VII  S.  267  Idler  Nr.  66,  1759.   V  320  Rambler  Nr.  121,  1751.  X  S.  63  Leben 
Rowe's.    VI  S.  95  Rambler  Nr.  156,   1751   über  Regeln.    XI  S.  175   Leben 
Pope's  Gleichnis  Od.  13, 81  Aen.5,144  Ovid  Metam.  1,533.   IIIS.327  Rasselas 
Prince  of  Abissinia.    Homer  und  Virgil  bei  Boswell  Life  of  Samuel  Johnson 
ed.  Napier  London  1884  II  S.  61.  453.    Johnson  V  S.  138  Rambler  Nr.  93 
über  Scaliger.    VII  S.  306  Idler  Nr.  77  über  Horaz. 
S.  344.  Joseph  Warton  An  Essay  on  the  genius  and  writings  of  Mr.  Pope  5.  Aufl. 
London  1806.    Adventurer  new.  ed.  London  1788/97  Nr.  49,  1759  über  Le 
Bossu.  Nr.  75.  80.  83  Ilias  und  Odyssee.    Blair  Lectures  on  Rhethoric  and 
belies  Lettres    Basel  1788. 


488  Einzelnachweise 

S.  345.  Beattie  Essai  sur  la  poesie  et  sur  la  peinture,  Übersetzung  Paris 
An.  VI. 

S.  346.  Hume  The  philosophical  Works  Edinburg  1826.  III  S.  256  Of  the  Stan- 
dard of  Taste.  III  S.  124  Of  the  rise  and  progress  of  the  Arts  and  Sciences. 
Horaz  Epist.  II  2,  187. 

S.  347.  Burke  The  Works  Paris  1834.  I  S.  22  A  philosophical  enquiry  into  the 
origin  of  our  ideas  of  the  Sublime  and  Beautiful.  Simoeisios  Jl.  4,  474. 
Iphidamas  Jl.  11,  221. 

S.  348.  Home  Elements  of  Criticism  Basel  1795.  Wespen  Jl.  16,259.  Fliege 
Jl.  17,  570. 

S.  350.  Hurd  The  Works  London  1811.  I  Horatii  Epistolae  ad  Pisones  et  Au- 
gustum.  II  Diss.  1  Oii  the  idea  of  universal  Poetry.  Diss.  2  On  the 
provinces  of  the  Drama.  Diss.  3  On  poetical  Imitation.  Diss.  4  On  the 
Marks  of  Imitation,     IV  S.  231  Lettres  on  Chivalry  and  Romance. 

S.  355.  Young  Gedanken  über  die  Originalwerke,  deutsch  Leipzig  1761. 

S.  356.  Gray  Works  ed.  Gosse     London  1902.     I  S.  393  Lydgate  und  Homer. 

S,  357.  Lowth  De  sacra  poesi  Hebraeorum  praelectiones  Oxonii  habitae,  ed. 
Michaelis  Göttingen  1758.  Dreschtenne  Jl.  5,  499.  13,  588.  20,  495.  Jesaia 
41,15. 

S.  359.  Philips  A  CoUection  of  old  Ballads.  Corrected  from  the  best  and  most 
ancient  copies  extant    London  1723. 

S.  360.  Ramsay  The  Ever-Green,  a  CoUection  of  Scots  poems  wrote  by  the 
ingenious  before  1600  Edinburg  1874.  Warton  Essay  on  Pope  I  S.  355. 
Gray 's  Gedichte,  Works  I  S.  27.  Percy  Eeliques  of  ancient  English 
poetry,  consisting  of  Old  Heroic  Ballads,  Songs  and  other  Pieces  of  our 
earlier  Poets.    Together  with  some  few  of  a  later  date    London  1765. 

S.  361.  The  Works  of  Ossian  the  son  of  Fingal,  translated  from  the  Galic  lan- 
guage  by  James  Macpherson  London  1765.  I  S.  1  Macpherson  A  Disser- 
tation, dann:  A  Dissertation  concerning  the  antiquity  of  the  poems.  II 
S.  311  Hugh  Blair  A  critical  Dissertation  on  the  poems  of  Ossian. 

S.  364.  Beattie  The  Minstrel,  or  the  progress  of  Genius,  and  other  poems 
London  1817. 

S.  365,  Brown  The  history  of  the  rise  and  progress  of  poetry  Newcastle  1764. 
Herodot  2,  53.  23. 

S,  368.  Wood  Versuch  über  das  Originalgenie  Homers,  deutsch  von  Michaelis 
Frankfurt  1773.    Syrie  Od.  15,  443. 

Ä.  372.  Pinkerton  Select  Scotisch  Ballads  London  1783.  Diss.  I  On  the  oral, 
tradition  of  poetry.  Robert  Heron  Letters  of  Literature  London  17&5 
Brief  1.  9.  14.  Virgil  16.  23.  Klima  27.  Gray  I  S.  113  the  Alliance  of 
Education  and  Government.  Hiob  39, 19,  alte  englische  Übersetzung:  hast 
thou  clothed  his  neck  with  thunder?  Gray  X  S.  36  Progress  of  poetry: 
with  necks  in  thunder  cloth'd. 

S  373.  The  literary  correspondence  of  John  Pink ertön  London  1830.  Walpole 
IS.  71.    KnightlS.  100. 

S.  374.  Twining  Aristotle's  Treatise  on  Poetry,  translated  with  notes  on  the 
translation  and  on  the  original    London  1789. 

S.  375.  Co  wp er  The  Iliad  of  Homer  translated  2.  Aufl.  ed.  J.  Johnson  London 
1802.    The  Odyssey    2.  Aufl.    London  1802. 


Einzelnachweise  489 


DEUTSCHLAND. 


S.  377.  Erasmus  Mcogiag  iyxtaiiiov,  Stultitiae  Laus,  ed.  Listrius  Basel  1676, 
Cesarotti  IS.  159.  Hieronymus  Opera  omnia  cum  scholiis  Erasmianis 
Basel  1516/20.  Erasmus  Opera  omnia  Leyden  1703/6.  I  S.490  Pueros  ad 
virtutem  ac  literas  liberaliter  instituendos.  S.  520  De  ratione  studii. 
II  Adagiorum  chiliades  3,7.  W  S.  671  Homer  und  Virgil.  IX  S.  90  Apologia 
rejiciens  quorundam  suspiciones  ac  rumores,  natos  ex  dialogo  figurato  qui 
Jacopo  Latomo  sacrae  theologiae  licentiato  inscribitur  Dialogus  de  tribus 
Unguis  et  ratione  studii. 

S.  378.  Geiger  Johannes  Reuchlin    Leipzig  1871. 

S.  379.  Hütten  Opera  omnia  ed.  Münch  Berlin  1821.  IS. 147  Nemo  Od.9,366. 
369.  408.  II  S.  342  Brief  an  Erasmus.  Melanchthon  Opera  omnia  ed. 
Bretschneider  Braunschweig  1834/60.  YII  S.  397  Praefatio  in  Homerum 
Viti  Winshemii.  K.  Hartfelder,  Philipp  Melanchthon  als  PräceptorGermaniae 
Berlin  1889.  S.  83  Intimatio  de  Homero  praelegendo.  S.  220  Grammatik. 
Thersites  Jl.  2,  212. 

S.  381.  O.G.Schmidt,  Luthers  Bekanntschaft  mit  den  alten  Klassikern  Leipzig 
1883  S.  48.  Camerarius  Commentarius  explicationis  primi  libri  Iliados 
Straßburg  1538.  Zu  Buch  2  Straßburg  1540.  Piaton  Einteilung  der  Poesie, 
Staat.  3,  392d. 

S.  382.  Zwingli  Werke  ed.  Egli  und  Finsler  Berlin  VII  1911  S.  303.  590.  Vor- 
rede zu  Ceporinus  Ausgabe  Pindars  Basel  1526.  E.  Stäheli,  Huldreich 
Zwingli  Basel  1895  I  S.  151  II  S.  123.  U.  Ernst  Geschichte  des  zürche- 
rischen Schulwesens  bis  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  Winterthur  1879 
S.  9.  Breitinger  Vorrede  zu  Seh  auf elb  ergers  Clavis  1761.  Bullinger 
Studiorum  ratio  sive  hominis  addicti  studiis  institutio,  Capellae  Tigurinorum 
1594.    Plutarch  Bernadakis  VI  S.  82. 

S.  383.  Helius  Eobanus  Hessus  Homeri  Iliadis  de  rebus  ad  Troiam  gestis  libri 
XXIV,  nuper  Latino  carmine  elegantissime  reddidit    Basel  1540. 

S.  384.  Simon  Lemnius,  Rhetus  Curiensis,  Odyssee  libri  XXIV,  Heroico Latino  car- 
mine facti  et  amendis  quibusdam  priorum  translationum  repurgati  Basel  1549. 
Odyssea  durch  Meister  Simon  Schaidenreißer  genannt  Minervium 
mit  Fleiß  zu  Teutsch  transferiert  Augsburg  1537.  2.  Aufl.  Frankfurt 
1570.    Neue  Ausgabe  von  F.  Weidling    Teutonia  13   Leipzig  1911. 

S.  385.  Hans  Sachs,  Bibliothek  des  Lit.  Vereins  in  Stuttgart  XII  1879:  Die  Irr- 
fahrt Ulissi  mit  den  werbern  und  seiner  gemahel  Penelope.  Die  Zerstörung 
der  Stadt  Troja,  Die  mörderisch  Clitemestra.  hg.  von  Adalbert  Keller. 
Abele,  die  antiken  Quellen  des  Hans  Sachs    Cannstatt  1897. 

S,  387.  Breitinger  Vorrede  zu  Schaufelbergers  Clavis  Homerica  Zürich  1761 
S.  11.    Museum  Helveticum  Zürich  III  1746    Antrittsrede  Breitingers. 

S.  388.  Schulbücher  oben  S.  150.  Th.  Flathe  St.  Afra,  Geschichte  der  Fürsten- 
schule zu  Meißen  Leipzig  1879.  Seber  Index  vocabulorum  in  Homeri 
poematis  Heidelberg  1604,  neue  Titelaufl.  Amsterdam  1649.  Gottsched 
Beyträge  zur  critischen  Historie  der  deutschen  Sprache  Leipzig  1740 
24  Stück.  Wetstein,  Küster,  Morhof,  Fabricius  oben  S.  206. 
Ilias  Homeri,  das  ist  des  alten  fürtrefflichen  Poeten  24  Bücher  usf.  in  artliche 
teutsche  Reimen  gebracht  von  Johann  Spreng    Augsburg  1610.    Opitz, 


490  Einzelnachweise 

Aristarchus  und  Buch  von  der  deutschen  Poeterey  ed.  Witkowski  Leipzig 
1888.  Poeterey  ed.  Berghoeffer  Frankfurt  a.  M.  1888.  Barth  Adversa- 
riorum  commentariorum  libri  60  Frankfurt  1624.  22  S.  1479.  47  S.  2230. 
S.  389.  Leibniz,  die  Stelle  bei  Bernays  Rhein.  Mus.  VIII  1853.  Thomasius. 
Kant,  die  Stellen  bei  Friedländer  Deutsche  Rundschau  XII  1886  S.  214. 
Herakleitos  bei  Diels  Vorsokratiker  Berlin  1903  S.  73.  Postel  Der  große 
Wittekind  in  einem  Heldengedicht  Hamburg  1724.  Nympheninsel  Ges.  7. 
Camoens  9,  69.  Tasso  16,  56.  Fatima  Nausikaa  5, 86.  Die  listige  Juno 
Hamburg  1700.    Jl.  14, 153—222. 

■8.391.  Weichmann  Vorrede  zu  Brockes  Irdischem  Vergnügen  in  Gott  Ham- 
burg 1732;  die  Vorrede  schon  zur  Ausgabe  von  1721.  Blackwall  oben 
S.  303.    Übersetzung  Ayrers  mit  der  Dissertation    Leipzig  1735. 

S.  392.  Haller  Sermo  academicus  ostendens  quantum  antiqui  eruditione  et  in- 
dustria  antecellant  modernos,  dictus  31.  Mai  1736  bei  Hirzel  Albrecht  von 
Hallera  Gedichte  Frauenfeld  1882  S.  381.  Brief  an  Gemmingen  S.  397. 
Brief  an  Bodmer  S.361. 

S.  393.  Ludwig  Freiherrn  von  Holbergs  eigene  Lebensbeschreibung  in  Briefen, 
aus  dem  Lat.  übersetzt  2.  Aufl.  Leipzig  1754  S.  335.  Das  Original  1737 
und  1745  geschrieben.  Gottsched  Versuch  einer  critischen  Dichtkunst 
vor  die  Deutschen  Leipzig  1730  2.  Aufl.  1737.  J.  Schöberl,  Gottsched  und 
die  Franzosen    München  1866 

S.  394.  Der  Fehler  in  der  Übersetzung:  Beyträge  1737    Stück  37. 
11.1,22:  ndvTBg  i7tr]vcpr]^ri6av  'A%ccloI 

alÖEiöd'ai  -9^  hgficc  xccl  äy^ccä  di^Q'cii  änoivcc. 
„aber  die  Achäer  schwiegen, 

teils  aus  Hoff'nung  des  Gewinns,  teils  aus  Ehrfurcht  für  den  Priester." 
Gottsched  Beyträge  zur  critischen  Historie  der  deutschen  Sprache,  Poesie 
und  Beredsamkeit,  hg.  von  einigen  Liebhabern  der  deutschen  Literatur. 
Leipzig  1734.  Stück 8:  Der  habsburgische  Ottobert.  Ottobert,  der  habs- 
purgische,  durch  ein  Mitglied  der  Fruchtbringenden  Gesellschaft  Erffurt 
1664.  Beyträge  Stück  10:  Von  deutschen  Übersetzungen  alter  griechischer 
Scribenten.  Übersetzung  Beyträge  1717  Stück  17  Critische  Dichtkunst. 
2.  Aufl.  1737    S.  359. 

S.  395.  Breitinger  Critische  Abhandlung  von  der  Natur,  den  Absichten  und  dem 
Gebrauch  der  Gleichnisse  Zürich  1740.  Bodmer  Critische  Abhandlung 
vom  Wunderbaren  in  der  Poesie,  nebst  Addison's  Abhandlung  von  den 
Schönheiten  in  Milton's  Verlohrenem  Paradies  Zürich  1740.  Breitinger 
Critische  Dichtkunst  Zürich  1740.  Bodmer  Critische  Betrachtungen  über 
die  poetischen  Gemähide  der  Dichter    Zürich  1741. 

S.  396.  Beyträge  1744  Stück  32:  Briefwechsel  von  den  breitingerischen  Über- 
setzungen einiger  Gleichnisse  aus  dem  Homer. 

S.  399.  Gleichnisse:  Der  ermüdete  Landmann  Od.13,21.  Gefangene  Fische  Od.  22, 384. 
Addison  Spect.  1712  Nr.  303.     Boileau  Reflexions  sur  Longin  Kap.  6. 

S.  400.  Gleichnisse:  Der  gefüllte  Baum  Aen.2,624.  Genesung  des  Vaters  Od. 5, 394. 
Gerettete  Schiffer  Od.  23,  233.  Tränen  des  Odysseus  Od.  8,  523,  Spence 
S.  328.    Simoeisios  JL  4,  481. 

S.  401.  Gleichnis  vom  Vogel  Jl.  9,  324.  La  Motte  hat  irrtümlich  vom  fünften  statt 
vom  zweiten  Buch  der  Ilias  gesprochen.  Die  Mutter  und  die  Fliege  Jl.  4, 130. 


Einzelnachweise  49 1 

S.  402.  Der  poetische  Maler  Cicero  Tuscul.  5, 114.    Gleichnis  vom  Löwen  J1.20, 164. 

Wettrennen  Jl.  23,  362. 
S.  405.  Aesopische  Fabel,   Critische  Dichtkunst  I  S.  164.     La  Motte  Discours  sur 

la  fable.    Oeuvres  IXS.  11.     Bodmer    Poetische   Gemälde     S.  17  Homer. 

BS.  50  Postel.  S.  179.  202  Demodokos  Od.  8,  62.  487.  Tanz  der  Phäaken 
Od.  8,  264.  S.  240  Homer  undVirgil.  Seestürme  Od.  5,  291  Aen.  1,  81. 
Od.  12,  403  Aen.  3,  192.  Zorn  des  Agamemnon  und  Mezentius  Jl.  1, 104 
Aen.  10,  767. 

S.  407.  Bodmer  Archiv  der  schweitzerischen  Kritik  Zürich  1768.  S.  52  Über 
Homers  lustige  Stücke.  S.  80  Mastigophel  über  Homers  Sprache.  Schroeter 
hat  S.  49  die  Ironie  für  bare  Münze  genommen.  Spence  Essay  S.246:  the 
translator  is  sometimes  as  artful  in  addiug  of  himself  some  short  strokes 
to  what  Homer  had  said. 

S.  408.  Rede  des  Zeus  Jl.  4,  30  Spence  S.  113.  Bodmer  Archiv  S.  215  Brief 
an  Philetas.  Bodmer  Archiv  S.  137  An  Chaereas  von  vermischten  Schön- 
heiten. Patroclus,  ein  Trauerspiel  nach  dem  Griechischen  Homers  Augs- 
burg 1778.  Telemach,  beigedruckt  dem  Wilhelm  von  Oranse,  Frankfurt 
'1774.  Sulzer  Allgemeine  Theorie  der  schönen  Künste  Leipzig  1771 
S.  525.  526. 

S.  411.  D.  Ruhnken  Elogium  Tiberii  Hemsterhusii  Leyden  1768.  Valckenaer 
Oratio  inauguralis  De  causis  neglectae  literarum  Graecarum  culturae 
9.  Oktober  1741    Franeker  1741.    Rollin  bei  Rigault  S.  60. 

S.  412.  Valckenaer  Opuscula  philologica  critica  oratoria  Leipzig  1808.  II 
Hectoris  interitus  Carmen  Homeri  sive  Iliados  liber  22  cum  scholiis  ve- 
tustis  Porphysii  et  aliorum,  nunc  primum  e  codice  Leidensis  Bibliothecae 
evulgavit  Valckenaer.    Matthias  Gesner  bei  Paulsen  II  S.  15. 

S.  413.  Museum  Helveticum  Zürich  III  1746:  Breitingeri  Oratio  qua  adiit 
Litteraturae  Graecae  professionem  publicam  1745.  Eclogae  ex  optimis 
Graecis  scriptoribus  Zürich  1749. 

S.  414.  Leonhard  Usteri  Nachricht  von  den  neuen  Schulanstalten  in  Zürich, 
Zürich  1773.  G.  Finsler  Zürich  in  der  zweiten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts 
Zürich  1884.  J.  Schaufelberger  Nova  Clavis  Homerica  Zürich  1761/68. 
Wyss  Über  die  Ilias  des  Homers  Schweizerisches  Museum  Zürich  1784 
S.  629.  1785  S.  618.  1786  S.  436.  Klopstock:  F.  Muncker  F.  G.  Klop- 
stock  Berlin  1893  S.  111.  Judas  Messias  3, 535  Vida  2, 89.  Nicodemus 
Messias  4,  233  Vida  2, 163.  Geflügelte  Worte  Messias  7, 632  Bodmer 
Noachide  1  S.  8.  Elisama  Messias  16,  270  Od.  17,  291.  Selia  Mess.  3,  105 
Jl.  3,  166.    Philo  Mess.  4,  162    Jl.  16,  514. 

S.  417.  Bodmer  Die  Noachide  Berlin  1765,  anonym.  Archiv  S.  201  Brief  an 
Colon.  W.Doell  Wieland  und  die  Antike  München  1896.  Die  Einflüsse 
der  Antike  auf  Wielands  Hermann    München  1897. 

S.  418.  Winckelmann  Geschichte  der  Kunst  des  Altertums  ed.  J.  Lessing 
Leipzig  1882.  S.  301  Gedanken  über  die  Nachahmung  der  griechischen 
Werke  in  der  Malerei  und  Bildhauerkunst.  C.  Justi,  Winckelmann  und 
seine  Zeitgenossen    2.  Aufl.    Leipzig  1898. 

S.  420.  E.  Schmidt  Lessing  2.  Aufl.  Berlin  1899.  H.  Blümner  Lessings  Laokoon 
2.  Aufl.  Berlin  1880.  Laokoon  Stück  16  Wagen  der  Juno  Jl.  5,  722.  Wagen- 
korb Jl.  24,  267.    Agamemnons  Rüstung  Jl.  2,  42.  11, 16.    Zepter  Jl.  2,  101. 


492  Einzelnachweise 

1,  234.  Bogen  des  Pandaros  Jl.  4, 105.  Laokoon  Stück  18.  19  Schild  des 
Achilleus  Jl.  18,  478.  Stück  21  Schilderung  der  Schönheit  Jl.  3, 155  Spence 
S.  275  Bodmer  Archiv  S.  142.  Stück  23  Thersites  Jl.  2, 217.  Stück  l 
Einholung  der  Toten  Jl.  7,  427   Aias  Jl.  7,  195. 

S.  425.  Lessing  Hamb.  Dramat.  Stück  36,  Philologischer  Nachlaß  Hempel  XIII 1 
S.  284. 

S.  426.  Meier,  die  Stelle  bei  Schaufelberger  Vorrede.  Ernesti  Homeri  Opera 
cura  Clarkii  2.  Aufl.  Leipzig  1824.  Niemeyer  Homeri  Ilias  ex  recen- 
sione  S.  Clarkii  in  usum  scholarum  et  academiarum  Halle  1778.  Lederlin 
und  Bergler  Homeri  Opera  Amsterdam  bei  Wetstein  1707.  Goethe 
an  Sophie  Laroche,  Briefe  Weimarer  Ausg.  11  S.  295. 

S.  427.  V.  Loen  Neue  Sammlung  der  merkwürdigsten  Reisegeschichten.  VII.  Teil 
Frankfurt  1754.  VIII.  Teil  1755.  Goethe  Dichtung  und  Wahrheit  1, 1. 
3,12. 

S.  428.  Hamanns  Schriften  ed.  F.  Roth  Berlin  1824/43.  I  S.  514.  II  S.  220. 
II  S.  257  Aesthetica  in  nuce.  S.  440  Diderot.  III  S.  6.  22.  III  S.  431  An- 
zeige der  Kritischen  Wälder. 

S.  429.  Herder  Werke  ed.  Düntzer  Berlin  Hempel.  XIX  S.  1  Fragmente  über 
die  neuere  deutsche  Literatur.  S.  128  Von  der  griechischen  Literatur  in 
Deutschland.  XX  Kritische  Wälder.  S.  1  Erstes  Wäldchen,  Herrn  Lessings 
Laokoon  gewidmet.  S.  151  Zweites  Wäldchen,  über  einige  Klotzische 
Schriften. 

S.  432.  Klotz  Epistolae  Homericae  Altenburg  1764.  Lessing  Briefe  antiquarischen 
Inhalts  Nr.  51  Werke  XIII  2  S.  193. 

S.  433.  Herder  V  S.  345  Über  Ossian  und  die  Lieder  alter  Völker.  S.  373  Von 
Ähnlichkeit  der  mittleren  englischen  und  deutschen  Dichtkunst.  S.  1 
Stimmen  der  Völker.  XVII  S.  3  Wirkung  der  Dichtkunst  auf  die  Sitten 
der  Völker.  XI  S.  77  Ideen  zur  Philosophie  der  Geschichte  der  Mensch- 
heit. XIII  S.  145  Briefe  zur  Beförderung  der  Humanität.  XVH  S.  405 
Über  Homer  und  Ossian. 

S.  436.  Gerstenberg  Briefe  über  die  Merkwürdigkeiten  der  Literatur  Stutt- 
gart 1890.    1,  2.  19.  3,  20. 

S.  438.  Goethe  Werke  ed.  Heinemann,  Leipzig.  XXI  S.  13  Schreiben  über  den 
Homer  von  Seybold,  Professor  in  Jena.  S.  16  Franken  zur  griechischen 
Literatur. 

Lavater  Ausgewählte  Schriften  ed.  J.  C.  Orelli  Zürich  1842.  III  S.  148 
Homer.    S.  304  Genie. 

S.  439.  Merian  Comment  les  sciences  influent  dans  la  poesie.  Memoires  de 
l'Academie  royale  16  Dezembre  1773.  24  Novembre  1774  Berlin  1776 
S.  455. 

S.  441.  Übersetzungen.  Damm,  bei  Schroeter  S.  88.  Damm  Novum  Lexicon 
Graecum  ctymologicum  et  reale,  Neuausgabe  Glasgow  1824.  Herder 
Werke  XEK  S.  38. 130.  XX  S.  100. 

S.  442.  Goethe  Dichtung  und  Wahrheit  3,11.  G.A.Bürgers  sämtliche  Schriften 
hg.  von  K.  Reinhard   Göttingen  1797.    III  Übersetzungen. 

S.  443.  Goethes  Gespräche  hg.  von  W.  v.  Biedermann  Leipzig  1889/96.  Über 
Bürger  April  1776  I  S.  40.  Stolberg  Homers  Ilias  übersetzt  Leipzig  1879. 
Lavater  über  Stolberg  bei  Goethe  Dichtung  und  Wahrheit  4, 19. 


Einzelnachweise  493 

'  S.  444.  Bodmer  Homers  Werke,  übersetzt  vom  Verfasser  der  Noachide  Zürich 
1778.  Voss  Odyssee,  Abdruck  der  ersten  Ausgabe  von  1781  durch 
M.  Bernays  Stuttgart  1881.  Jl.  1,  2  öXofiBvriv.  A.  W.  Schlegel  Werke  ed. 
E.  Böcking    Leipzig  1846    X  S.  115.  181.     Goethe    Gespräche  VII   S.  71 

»8.  April  1829. 
47.  H.  G.  Graf  Goethe    über  seine  Dichtungen     Frankfurt  a/M.   II  3,   1906 
S  562  Nausikaa.    I  1,   1901  S.  79  Hermann  und  Dorothea.    S.  1  Achilleis. 
A.  W.  Schlegel  Werke  XI  S.  183. 
S.  448.  Aristoteles  Dichtkunst  ins  Deutsche  übersetzt  von  M.  C.  Curtius  Hannover 

1753. 
S.  449.  Goethes  Auszug  aus  der  Jlias  Werke  Heinemann  XXVI  S.  9.  Übersetzungen 

Weimarer  Ausgabe  V  2  S.  382. 
:!>.  452.  L.  Hirzel  Über  Schillers  Beziehungen  zum  Altertum    Aarau   1872.    Ly- 

kaon  Jl.  21,  34   Jungfrau  von  Orleans  2,  7. 
S.  454.  W.  V.  Humboldt  Ästhetische  Versuche  I    Braunschweig  1799. 
S.  458.  Heyne  Homeri  Carmina    Leipzig  1802.    IV  S.  168  De  interventu  deorum. 

VIU  S.  563  De  Allegoria  Homerica.    V  S.  519  Herakleen.    VIH  S.  770  De 

Iliade  universa  et  de  eins  partibus  rhapsodiarumque  compage.    VII  S.  581 

De  clipeo  Achillis. 
S.  462.  De  Pauw  Recherches  philosophiques  sur  les  Grecs   Berlin  1788  H  S.  378. 

Merlan  Examen  de  la  question  si  Homere  a  ecrit  ses  poemes.   Sitzung  vom 

19.  Februar  und   19.  März   1789    Memoires  de  l'Academie   royale    Berlin 

1793.    S.  513. 
S.  463.  Wolf  Prolegomena  ad  Homerum    Halle  1884. 

5.464.  Herder  Werke  VH  S.  251. 

5. 465.  Cesarotti  Prose  edite  e  inedite  ed.  6.  Mazzoni  Bologna  1882  S.  395 
Brief  an  Wolf.    S.  183  Digressione  sopra  i  Prolegomeni  di  F.  A.  Wolf. 

S.  466.  Goethe  Annalen,  Werke  Heinemann  XVI  S.  348.  Brief  an  Schiller 
17.  Mai  1795  Briefe  Weimarer  Ausg.  X  S.  265.  S.  163  Schiller  27.  April 
1798.  S.  164  Goethe  28.  April  2.  16.  Mai  1798.  Briefe  XIII  S.  126.  134.  148. 
Od.  8,  72. 

S.  468.  Friedrich  Schlegel  Prosaische  Jugendschriften  ed.  J.  Minor  Wien  1882 
I  S.  215  Über  die  homerische  Poesie.  F.  v.  Schlegels  sämtliche  Werke 
Wien  1846  III  S.  1  Geschichte  der  epischen  Dichtkunst  der  Griechen. 
Goethe  über  Schlegel  28.  April  1797    Briefe  XTI  S.  105. 

S.471.  Goethe  an  Eichstädt  15.  September  1804  Briefe  XVII  S.  196.  Riemer 
26.  März  1814  Gespräche  III  S.  124.  Gräfin  Egloffstein  16.  März  1819 
Gespräche  IV  S.  4.  K.  E.  Schubarth  Ideen  über  Homer  und  sein  Zeit- 
alter  Breslau  1821. 

S.  472.  G.  Lange  Versuch,  die  poetische  Einheit  der  Ilias  zu  bestimmen  Darm- 
stadt 1826.  A.W.  Schlegel  Vorlesungen  über  schöne  Literatur  und  Kunst 
Heilbronn  1884    II  S.  110  Homerisches  Epos. 


NAMEMEGISTEB. 


Abbt  441 

Acciajuoli  34 

Addison  50.  252.  315  ff.  334.  357.  359.  360. 
396.  427  Pope  320.  325  Johnson  343 
Home  350  Loicth  358  Philips  360  Ossian 
362.  363  Wood  372  Pinkerton  373  Bod- 
mer  397.  398  Breitinger  399.  400.  401. 
403  Herder  432.  435 

Aelian  202.  203.  204.  205.  206  Bapin  207 
Boileau  208 

Aesop  170. 184  Breitinger  404  Bentley  304 
Swift  307  Erasmus  378 

AfiFb  33 

Aga  von  Bunarbaschi  259.  260 

Aischylos  251.  355 

Alamanni  60 

Aldus  Manutius  47.  55 

Alexander  der  Große  37.  208..256.  377.  380 

Alfonso  von  Neapel  30 

Alkibiades  391 

Allatius  Leo  148 f.  206.  207. 

Andreas  Divus  lustopolitanus  47.  125 
Meric  Casauhonus  138 

Andres  106  ff 

Andronikos  IE  15 

Angilb  ert  2 

Annius  von  Viterbo  203 

Antigonos  256 

Apollonius  von  Rhodos  107.  132  Spenser 
277 

Apuleius  254 

Archilochos  203 

Aretino  Francesco  29.  384 

Argyropulos  33.  34. 

Ariost  42ff.  48.  65.  89.  114.  167.  317.  340. 
418.  457.  465  Trissino  57.  58.  60  Gi- 
raldi  61  Pigna  63  Minturno  63  Tasso 
66.  67.  77  Castelvetro  70.  72  Marino  90 
Graziani  92  Bozzoli  96  Du  Bellay  127 
Pelletier  128  Bonsard  129  Vauquelin 
132  Besmarets  157.  164  Chapelain  158 
Voltaire  239.  240  Harington  266  Spen- 


ser 277.  353  Bryden  296  Blackmore  300 
Temple  301  Gay  328  Hume  346  Hurd 
353.  354  Postel  390  Sulzer  411  Äerr^er 

433  Warton  436  Gerstenberg  436 
und  Homer  42  SSalviati  74. 75  Patrici 

77  J5ent  84.  85  Tassoni  86.  88  Dm 
Bellay  127  Humboldt  455 

und  Tasso  Pellegrino  73  Sdlviati  73 
Gravina  99  2>m6o5  234 
Aristarch  21.  177 

Aristoteles  24.  65. 175.  180. 182.  186.  265. 
277.  285.  289.  292.  405  Petrarca  17 
Argyropulos  17  Furetiere  187 

Poetik :  Ausgaben  Italien  55  Frank- 
reich 132  Heinsius  139  Bacier  190 
Baiteux  243  Curtiue  449 

Italien  46  Trissino  57  Giraldi  61 
Pi^rwa  63  Minturno  63  Tasso  65.  66. 
77.  79  Castelvetro  70.  71  Salviati  74 
Petrici  76  Giordano  Bruno  82  5ene 
83.  84.  85  Gravina  97  Metastasio  103 

Frankreich  131.  132  Pelletier  132 
Vauquelin  1S2  Scaliger  1S3.1S4:  Vossius 
139  Chapelain  156  Besmarets  163  5oi- 
ieaii  166  ie  J5ossm  169  J^apm  173.  207 
G^werei  178  Perrault  193  d'Aubignac  208 
Jtf"**  Z)ac^■er  212.  219  Xa  Jtforte  215 
Saint- Hyacinthe  229  Fourmont  230 
Dubos  233  Marmontel  246  ia  Harpe 
246  Bochefon  248 

England  266.  291.  303.  336  Ascham 
266  /Sidne?/  266.  272  Harington  266 
^en  Jonson  267  Chamberlayne  284 
Darmant  286  Bryden  295.296  Shaftes- 
bury  313  Addison  316  Pope  321  Beattie 
345  i^ome  348  Swrd  351.  352  £row»^ 
355  ioM;*/i  357  5?a?>  364  TFoof?  371 
Pinkerton  373  Twining  376 

Deutschland  Erasmus  378  Camerarius 
381    Gottsched  393  5wZ^er  409  Herder 

434  Gerstenberg  4:31  Goethe  Schiller  4:iQ 
Humboldt  454. 


Namenregister 


495- 


Arnault  l'ol 

Ascham  265.  266.  269  f.  274 

Athenaeus  126 

d'Aubignac  208 ff.  Vico  HO  CesarottillS. 
465  Gueret  178  PerruuH  207  Boileau 
208  Gacon  208  Zoega  210  La  Motte 
219  M"""  Dacier  219  Mercier  250  Äeyne 
210.  459    TToZ/*  210.  463.  465 

Augustus  27.  48.  197 

Aurispa  22.  24.  28 

Averrhoe8  55 

Ajrer  391 

Babrios  304 

ßacelli  64 

Bacon  175 f.  267  f.  459  Beattie  345  Lowth 
357  Ayrer  392  Merlan  440 

Bajano  149 

ßaillet  154 

Barlaamo  15.  16 

Barnes  309.  310.  412 

Bartas  du  130f.  132.  133  Spondanus  131 
Goethe  131 

Barth  388  ; 

Barthelemy  255  Clioiseul  258.  260  | 

Basilius  von  Caesarea  78 

Basini  30  ff.  65.  294 

Battaglini  Francesco  und  Angelo  33 

Batteux  241  ff. 

Baudoin  178 

Bayle  144.  198  f.  214 

Beattie  345  f.  364  f. 

Bellay  du  127.  128.  132 

Belon  256 

Belurger  256 

Bembo  57 

Benedikt  XII  15 

Beni  72.  82  ff.  138.  172.  203  Tassoni  87 
Addison  316  Twining  374 

Bennet  321 

Benoit  de  Sainte-More  8.  10.  120 

Bentio  47 

Bentley  206  f.  265.  304 ff.  309  f.  334  Black- 
well 335  Philips  360 

Benvenuto  da  Imola  17 

Bergler  426 

Binder  262 

Bitaube  247 


Blackmore  299  f.  336  Swift  308 
Blackwall  303  Ayrer  392 

I  Blackwell  251.  382 ff.  336.  361.  427  Cesa- 

j      rotti   114    Bochefort  247     Wilkie  338 

j      Hume  347  Blair  364  Broten  367  Wood 
368.  369   Breitinger  403   Bodmer  405 

I      Herder  429.  433.  434.  435  Merian  440« 

i       Voß  445 

I  Bladus  47 

I  Blair  111. 344 f.  364  Ossian  363  Herder  4r^(^^ 

i  Boccaccio   9.    16 ff.   20.   27.  56.  104.  276 
Chaucer  9  Lemaire  120  Trissino  57 

I  Bochart  140f.  148.  152    Thomassin  142 
Croese  144  M""  Dacier  212  Wood  36» 

i  Bodmer  387.  393.  395ff.  405ff.  417.  444 
Sulzer  410.  411  WincJcelmann  418  Les- 
sing 420.  424  Hamann  428  Herder  430.. 
444  Goethe  444 
Bogan  145.  309  Croese  144 

Boiardo  40  ff.  48.  81.  130.  340. 

Ariost  44. 45. 436  Tasso  66  Graziani  92- 
Spenser  277 

Boileau  95.  97.  152.  157.  158.  165  ff.  171. 
172.  179.  195 ff.  214.  221.  289.  291.  312. 
392.  463  Muratori  102.  103  Cesarotti 
111  Swift  165  Besmarets  169  Pierre 
Perrault  180  Charles  Perrault  181.  182. 
191.  193  f.  de  Callieres  188.  189  Saint- 
Evremond  201  M"^^  Dacier  212.  21  a 
Cartaud  232  Dubos  236  Voltaire  23» 
Diderot  244  La  Harpe  246  Buching- 
ham  293  Dryden  296  Blackmore  300 
Shaftesbury  313  Dennis  314  Pope  321 
Wilkie  339  Warton  344  Pinkerton  373" 
Gottsched  394  Bodmer  397.  398  Addison 
399  Breitinger  399.  403.  405 

Boisrobert  178 

Boitel  154.  155 

Boivin  226.  227  f.  247.  251  Cesarotti  11& 
Lessing  228.  423  Pope  330 

Bossu  le  155.  169  ff.  291.  448.  454  Gra- 
vina  99  Lessing  171  Boileau  171  Bapin 
172  Perrault  192  ie  CZerc  201  M'"^ 
Dacier  212.  219.  230  La  Motte  214. 
216  Terrasson  225  Batteux  242  Ifar- 
montel  246  ia  Harpe  247  Rochefort 
248  Xe  ^rjm  249  Buckingham  293 
Dryden  298  Blackmore  300  Dennis  315 


496 


Namenregister 


Addison  316    Farneil  325   Pope  326.  1 
330   Warton  344  Blair  345  Home  348  ' 
Wood  371  Twining  375  Gottsched  394. 
395.  405  Breitinger  405  Sulzer  410  5ei/- 
6oZ(i  438  Merian  440 

Bossuet  173  f.  175 

Boswell  343 

Bourbon  Connetable  de  227 

Boyle  305.  308 

Bozzoli  96 

Brandolese  112 

Brazolo  96 

Breitinger  2l6.  387.  395 ff.  413 f.  415.  42G 
Winckelmann  418  Lessing  422  Herder 
432 

Brockes  391 

Broome  324 

Brown  336.  355.  365  ff.  Sulzer  410 

Brumoy  344 

Bruni  Lionardo  20.  22.  24.  36.  40 

Bruno  Giordano  81  f.  94.  215 

Bryant  260  f.  Lenz  262 

Buckingham  293.  314.  322 

Bude  124 

Bürger  442  f.  Klopstock  442  Goethe  Wie- 
land 443   Voß  445 

Buffier  le  229 

Bullinger  382.  387 

Bunyan  291 

Burckhardt  50 

Burke  343.  347  f.  Blair  345  Beattie  345 

Caligula  145 

Callieres  de  186  ff.  Swift  306 
Caloprese  97 
Calprenede  230.  295 
Camerarius  124.  203.  381.  383 
Camoens  188  Postel  390 
Campanella  94 
Cappellus  148 
Capriano  64 

Carel  de  Sainte-Garde  168 
Cartaud  de  la  Yilate  232 
Casaubonus  Isaac  124.  126.  204.  262 
Casaubonus  Meric  138. 146. 172  Bayle  198 
Castalio  124.  138 

Castelvetro  55.  57.  70  ff.  81.  266  Pellegrino 
74  Salviati  74  Beni  83  Scudery  161 


Le  Bossu  171   Dacier  190  Puttenham 

274  Bymer  293  Twining  374 
Cato  16 
Caxton  276 

Caylu8  254f.  Guys  262  Lessing  264:  Gm 255 
Gazas  259 
Cephalaeus  124 
Certon  133.  154.  388 
Cervantes  227.  354 
Cesarotti   111  ff.  210.  250.  423.  465.  471 

Foscolo  117 
Chabanon  251 
Chalkhill  281 

Chalkondyles  33  f.  47.  57.  203.  426 
Chamberlayne  282  ff. 
Chandler  258 
Chapelain    92.    152.    155  ff.   157  ff.    160  ff. 

169.  217.  336  Schiller  158  Boileau  157. 

158.  166   Gueret  178  de   Callieres  188 

Perrault  191.  193  La  Motte  218  Saint- 

Hyacinthe  229  M'"^  Dacier  230  Duhos 

234.  236    Voltaire  239   Blackmore  300 
Chapman  275  Pope  275.  326  Shakespeare 

276  Postel  391 
Chaucer  8.  276    Spenser  277    Pope  322 

Hurd  354  Herder  434 
Chenier  262  ff. 
Choiseul-Gouffier  252.  258  ff.  Lechevalier 

260  Lenz  261 
Christine  von  Schweden  159 
Chrysoloras  20.  21.  22.  23.  40 
Chrysostomos  Johannes  387 
Cicero  16.  17.  28.  48.  118.  195.  202.  203. 

207.  272.  404 
Ciriaco  d'Ancona  23.  24.  26 
Clarke  Reisender  259 
Clarke  Herausgeber  Homers  112.  310. 311. 

412.  426.  428 
Claudian  159 
Clemens  YII  50.  54 
Cluverius  140. 148  Bochart  140  Bochefort 

248 
Collins  206 
Collinus  382 
Columbus  92.  175 
Congreve  323 

Conti  105  f.  232  Cesarotti  111 
Copernicus  175 


!N  amenregister 


497 


Coras  184 

Corneille   159.  166.  171.  184.  187  f.  195. 

197.  437 
Cornelius  Nepos  6 
Cosimo  de'  Medici  24.  26 
Coulon  150 
Cowley  284  f.  309  Bymer  284.  293  Wilkie 

339  Ossian  362 
Cowper  375  f. 
Cripps  259 

Croese  144  f.  Diderot  145 
Cudworth  146.  309.  440 
Cuperus    149.    206    Bugas-Monbel    149 

Bayle  198 
Curtius  Michael  Conrad  449 
Cyrano  de  Bergerac  152 

Dacier  Andre  187.  190.  212.  291  Meta- 
stasio  104  Addison  316  Pope  330  Twi- 
ning  374  Gottsched  394 

Dacier  M«"«  95.  144.  148.  208.  212  ff.  219  ff. 
230.  231.  236.  392.  425.  445  Bicci  104. 
105  Cesarotti  111  Lessing  214.  427  ia 
il^o^e  214.218.220  Terrassen  2 24  f.  Ma- 
rivaux  229  Cartaud  232  Voltaire  240 
La  Harpe  247  Bitauhe  247  Le  Brun 
249  Guys  252  Pope  326.  329  Wood  369 
Postel  391  Bodmer  406  Breitinger  396. 
898.  400.  401.  402.  403.  413.  426  von 
Loen  427  Merian  440  Klotz  441 

Dahn  57.  58.  59.  60 

Daidalos  252 

Dalzel  260.  261 

Damm  418.  441  Winckelmann  418  Klotz 
441 

Daniel  Samuel  266.  280 

Dante  15.  23.  33.  85.  88.  99.  100. 102. 104. 
433  Spenser  278  Bodmer  406  Sulzer  411 

Dares  6  ff.  10  Chaucer  9  Benoit  10  Pelle- 
grino  74  Salviati  74  Lemaire  120.  121 
Samxon  122  Warner  280  Kynaston  282 
»Sac/?s  386 

Davenant  285  ff.  289.  294  Chamberlayne 
282  Ä)&&es  287  %mer  293  Bryden  295 
Äüi/i^  307  TFVZÄie  337  Hurd  352  Pinker- 
ton 373 

Decembrio  27.  40 

Demetrios  der  Kreter  34 

Finaler:  Homer  in  der  Neazeit. 


Demodokos  367.  406.  463 

Demokritos  11.  17 

Denis  433 

Dennis  313  ff.  Swift  305 

De  Pons  230 

Descartes  166.  176.  186  Dulos  235 

Desmarets   93.  153.  155.  157.  160 ff.  169. 

176  f.  178.  199.  224.  228   Boileau   166. 

169   Le  Bossu  171  Perrault  180.  181. 

193  de  Gallier  es  187  Saint- Evremond 

200  La  Motte  214.  218.  220  Fourmont 

230  Dubos  234  Voltaire  239  Blackmore 

300   Valckenaer  412 
Devarius  47 
Dictys  3  ff.  7.  10   Chaucer  9    Tzetzes  12 

Pellegrino  74  Salviati  74  Lemaire  120. 

121  Samxon  122  /Sac/iS  386  ^oetÄe  450 
Diderot  145.  243f.  245.  248.  429.  436.  441 

Guys  252  Hamann  429  Lessing  243. 441 
Didymos  124.  428 
Dieuchidas  202 
Diodor  337 

Diomedes  Grammatiker  206 
Dion  von  Prusa  34  Lemaire  120 
Dionysios  Thrax  21 
Dolce  64 
Domenichino  447 
Don  Quichote  227 
Dorat  123.  127 
Drayton  281 
Dryden  265.  288.  291.  294  ff.  304.  309.  311. 

323.  335.  342.  343.  360.  388  Buhos  234. 

299   Addison  295.  315.  317  Swift  295. 

304  Spence  295  Biderot  299  Temple  301 

Bennis  315  Pope321.326.327  PosteWdl 
Dubois  259.  260 

Dubos  233 ff.  418  Voltaire  237.238  Pinker- 
ton 373   Bodmer  398   Breitinger  398. 

403  Lessing  420 
Dugas-Monbel  149.  228 
Duport  146.  148.  309.  440  Croese  144 
Du  Soubait  154.155  Besmarets  163  Postel 

391 

Eckermann  447 
Edward  VI  265 
Eicbstädt  471 
Egloffstein  Gräfin  471 

32 


498 


Namenregister 


Ekkehard  1 

Elisabeth  265.  276.  277 

Ennins  62.  195 

Erasmus  124. 132.  265.377f.  Cesarotti  377 

BuUinger  382  Ltstritis  387 
Erlebald  1 

Emesti  426  Herder  426 
Emulphus  467 
Eschenburg  442 
Estienne  Henri,  Henricns  Stephanus  124. 

125.  262.  309.  426 
Euemeros  12 

Euphorien  von  Chalkis  16 
Euripides  146.  179.  195.  452 
Eustathios  13 f.  16.  34.  47.  125.  137.  138. 

188.  310.  328.391.398.400.425.428.432. 
Evans  360 

Fabricius  206.  388 

Feith  104.  125 

Fenelon  221  ff.  Terrasson  221.  224  Gin 
249  Pope  326  Wartori  344  Bodmer  398 
Klopstock  415  Gerstenberg  437 

Fenton  324 

Ficino  35 

Filelfo  24.  27.  120 

Fioretti  89 

Fontenelle  184 ff.  215.  219  PerrauU  189 
Conti  232  Temple  300  Swift  307 

Foscolo  117  f. 

Fourmont  218.  230 

Francesco  von  Modena  94 

Franco  Niccolö  246 

Franz  I  122.  123.  126.  133.  152 

Friedrich  der  Große  247 

Friedrich  von  Braunschweig  96 

Furetiere  187 

Gacon  144.  208.  211.  219.  227 

Galfried  von  Monmouth  9 

Galilei  94 

Gay  328 

Gaza  Theodoros  30 

Geddes  310.  327 

Gemmingen  392 

Gerstenberg  436  f. 

Gesner  412.  426  Breitinger  413.  414         i 

Geßner  Konrad  382 


Gian  Francesco  II  von  Mantua  29 

Gin  249.  255 

Giphanius  124.  396 

Giraldi  Cinthio  60  ff.  64.  74.  457  Addison 
316  Hurd  353  Humboldt  4:67 

Giulio  Romano  122 

Giunta  47 

Giustiniano  28 

Glover  336  f.  Lyttelton  337  Blair  345 

Goethe  104.  131.  246.  361.  387.  426.  427. 
437  f.  442.  446.  447  ff.  450  ff.  465  ff.  A. 
W.  Schlegel  448  Schiller  450. 453  Hum- 
boldt 454  ff. 

und  Homer  450  A.  W.  Schlegel  448 
und  das  Altertum  Schiller  450  Hum- 
boldt 456 

Goguet  211  f.  253  f. 

Gonzaga  Federigo  122 

Gonzaga  Vespariano  63 

Gosson  270 f.  Sidney  271 

Gottsched  387.  393  ff.  402.  405  Sulzer  411 
Klopstock  415 

Graevius  411 

Gravina  97  ff.  103.  448  Bicci  105  Cesarotti 
111   Winckelmann  418 

Gray  Jane  265 

Gray  Thomas  356.  360  Pinkerton  373 

Graziani  92 f.  Chapelain  92.  157  Desma- 
rets  93.  160  Postel  390 

Gregor  von  Nazianz  387 

Grimald  1 

Grimm  Melchior  251 

Gronovius  148.  206.  411 

Grotius  145 

Guarino  de  Verona  23.  24.  27.  29 

Gueret  177  f. 

Guicciardini  57 

Guidi  97 

Guido  delle  Colonne  8.  9  Lemaire  120 
Samxon  122  Lydgate  276 

Gunzo  1 

Guys  252.  258.  427 

Gyraldus  203 

HaU  274 

Haller  392  f.  413 

Hamann  428  f.  432  Herder  429 

Hamilton  252 


Namenregister 


499 


I 


d'Hancarville  252  f. 

Hannay  282 

Hardouin  211.  230  f. 

Hardy  177 

Harington  266 

Hatto  1 

Heinrich  II  von  Frankreich  384 

Heinrich  lU  131 

Heinrich  lY  130.  133.  236 

Heinrich  YIII  von  England  162.  265 

Heinsius  Daniel  139 

Heliodoros  283 

Hemsterhuys  148.  411 

Herakleitos  Philosoph  389 

Herakleitos  AUegoriker  382 

Herbort  von  Fritzlar  8 

Herder  210.  387.  425.  428.  429  ff.  441  ff. 
444.  446.  447.  464.  465  Goethe  437.  447. 
449  Schüler  ^62  Wolf  4.6b  F.  SchlegeUGS 

Herodot  34.  143.  203.  209.  310.  336.  385 
Valla  28  Lefebvre  154  Brown  367 

Herwag  124 

Herwig  438 

Hesiod  78. 128.  420  Spenser  277  Hamann 
428 

Hesse  Eoban  203.  383  f.  386  Chapman  275 
Pope  326  Postel  391 

Heyne  210.  260.  261.  393.  426.  458  ff.  465 
Wolf  465  Goethe  466  Schiller  467 

Hipparcbos  204.  206.  210.  464 

Hobbes  285.  287 f.  294.  323.  401  Dryden 
288  Pope  326  Postel  Z^l  Breitinger  4:01 

Hochberg,  Helmhart  von  394 

Hoffmannswaldau  402 

Holberg  393 

Home,  Lord  Kames  348 ff.  Blair  345 
Beattie  345 

Homerus  Latinus  2  f.  218  Petrarca  18  Valla 
28 

Horaz  46.  63.  95.  193.  256.  289.  291.  292. 
293.  405.  414  Polizian  38  Vida  48.  133 
Castelvetro  70.  71  Gravina  97  Pelletier 
127  Ronsard  130  Vauquelin  131  Sca- 
liger  134.  135  Vossius  140  Thomassin 
142  Boileau  166  Le  Bossu  171  La  Fon- 
taine 183  Bayle  198  Hardouin  211  La 
Motte  215  Saint- Eyacinthe 229  Batteux 
243  Aschum  266  Wehhe  273  Puttenham 


274  Hohhes  288  Bader  292  Eoscommon 
293  Blackwell  332  Welsted  341  Johnson 
343  Hume  347  Hurd  350  f.  Schaiden- 
reißer  384  Gottsched  393  Goet?ie  438 

Huet  183.  197 

Hughes  John  319 

Humboldt  452.  454  ff.  465 

Hume  346  f. 

Hurd  344.350ff.  418  Johnson  355  Ossian  363 

Hütten  379 

Jacopo  von  Pavia  35 

Jamyn  126  f.  130   Vauquelin  132 

Janus  Pannonius  29 

Jeanne  de  Navarre  130 

Johnson  Samuel  284.  341  ff.  362.  375  Ma- 

caulay  343  Home  350  LowthZ69  Beattie 

364  Twining  375 
Jonson  Ben  267.  296.  297.  359  Gerstenberg 

437 
Jortin  324 

Josephus  202.  203.  204.  207.  209.  372 
Irene  10 
Isotta  30 
Italiens  2 

j  Juan  von  Kastilien  28 
Juvencus  50.  54 

I  Kadmos  463 
I  Kant  389 

I  Karl  der  Große  1.  2.  40 
I  Karl  V.  von  Deutschland  120 
Karl  Vin.  von  Frankreich  119 
Karl  IX.  von  Frankreich  129.  130 
Karl  XH.  von  Schweden  238 
Karl  I.  von  England  282 
Karl  n.  von  England  291 
Kauffer  259.  260 
Kleist  Heinrich  von  472 
Kleon  396.  409 

Klopstock  107.  388.  414  ff.  417.  442.  446 
Kant  389  Sulzer  4:11  Bodmer  4:11  Wie- 
land 417  Hamann  428  Herder  430.  431 
Bürger  443  Stolberg  ^4.^  VoßUb  Schiller 
453 
Klotz  428.432  Lessing  432  Serder  432. 433 
Knight  374 

Konrad  von  Würzburg  8 
32* 


500 


Namenregister 


Küster  206.  388 
Kynaston  282 

La  Badessa  64 

La  Bruyere  152.  197 

Lachmann  364 

Lafitau  366 

La  Fontaine  152.  165.  183.  236 

La  Harpe  246  f. 

Lalli  94 

Lambert  M""«  229 

Lambin  124 

Lamoignon  154 

La  Motte  95. 153.  154.  208.214ff.220.392. 
405  Cesarotti  116  Fontenelle  219  Fenelon 
223  Terrasson  223.  224.  225  Gacon  227 
Boivin  228  Marivaux  229  Conti  232 
Cartaud 232  I)uhos2Se  Voltaire 232. 24:0 
Batteux  242  La  Harpe  247  Guys  252 
Caylus  255  Pope  326.  328  Lowth  359 
Gottsched  394.  395  Breitinger  398.  401. 
403.  405  Hamann  428  Merlan  440 

Lange  472 

La  Roche  Sophie  426 

La  Saine  149 

Latomus  Jacobus  378 

La  Valterie  155  Bayle  198  Pope  326 
Postel  391 

Lavater  251.  438  f.  443 

Lazarini  96 

Le  Bron  249 

Lechevalier  260  Dalzel  260  Bryant  260 
Heyne  260.  261 

Le  Clerc  151  f.  201  f.  412 

Lederlin  426 

Lefebvre  154 

Lefevres  276 

Leibniz  389 

Lemaire  de  Beiges  119  ff. 

Lemnius  384.  386 

Le  Moyne  157.  220.  239 

Lenau  417 

Lenz  261 

Leo  X.  50.  152 

Lessing  171.  214.  228.  243.  245.  254.  331. 
388.  406.  409.  420 ff.  470  Twining  375 
Hamann  428  Herder  430 f. 

Linos  366.  367 


Lipsius  138 

Listrius  387 

Locke  233 

von  Loen  427 

Lohenstein  390.  402 

Lollius  9 

Lombardelli  75.  76 

Longepierre  183 

Longinus  Vom  Erhabenen  107. 165  Vico 
110  Boileau  165.  195  Bapin  172  AT"* 
Dacier  230  Diderot  243  Welsted  341 
Hurd  351   Lowth  359   Breitinger  404 

Lonicerus  124 

Loredano  94 

Lorenzo  de'  Medici  33.  34.  35.  38.  57 

Loschi  22 

Lowth  357  ff. 

Lucanus  288 

Lucrez  263 

Ludwig  Xm.  133.  163 

Ludwig  XIV.  161.  164.  165.  180.  197. 
221 

Lukian  378 

Luther  147.  381  Goethe  442  Bürger  443 

Lydgate  276.  356 

Lykurgos  202.  205.  207.  210.  462.  464 

Lysimachos  256 

Lyttelton  337 

Macaulay  183.  301.  304.  326.  343 

Macchiavelli  57 

Macpherson  111. 361  ff.  372  Servier  433. 436 
Merian  462    Wolf  463 

Macrobius  18  Giraldi  62  Pelletier  128 
Bodmer  407 

Maffei  96.  99.  232  Breitinger  416 

Maggi,  Madius  55.  132 

Magny  397 

Majoranus  47 

Malalas  10 

Malatesta  Sigismondo  30.  31.  32 

Marc  Twain  4 

Maria  von  Medici  330 

Marino  89  ff.  92.  157.  424  Arcadia  94 
Muratori  100  Chapelain  155. 158  Scu- 
dery  159  Boileau  165  Bapin  173  Cow- 
ley  284  Postel  390  Herder  433 

Marivaux  229 


Namenregister 


501 


Marmontel  245  f. 

Marsigli  21 

Marsuppini  24  ff.  33. 36. 38. 206  PoUzian  34 

Martorelli  95 

Massieu  251 

Maxillus  384 

Maximus  von  Tyros  271 

Meier  Georg  Friedrich  426 

Melanchthon  124.  148.  150.  379 f.  382.  387 

Menage  152.  187 

Menandros  109 

Mendelssohn  441 

Mercier  250 

Merian  439  f.  462  f. 

Metastasio  103 

Menrsius  204.  206 

Meyer  447 

Michelangelo  73 

Micyllus  124 

Milchhöfer  254 

Milton  246.  250.  277.  288 ff.  309.  311.  335. 
357.  360.  363.  396.  400.  470.  Dryden 
289.  291.  295.  296  Addison  289.  291. 
316  Phillips  292  Boileau  289  Bucking- 
ham  294  Wotton  302  Shaftesburg  313 
Dennis  315  Pope  322.  326  Glover  337 
Warton  344  Blair  345  Home  350  Hurd 
354  Young  356  Cowper  375  Kant  389 
Postel  390.  391  Halle)-  392  Bodmer  397. 
417  Sulz  er  411  KlopstocJc  414  Herder 
431.  433  Schiller  453  Merian  463 
und  Homer  Broum  367  Bodmer  397 
und  Virgil  Dennis  315 

Minturno  63 f.  65.  72.  74   Vauquelin  131. 
132  Harington  267  Sidney  271 

Moliere  165 

Montague  Lady  257 

Montaigne  123 

Montesquieu  248 

Mouti  117  f. 

Montmorency  384 

Morel  132 

Morhof  206.  388 

Morus  265 

Muhamed  ü.  123 

Muratori  100  ff.  105.  173.  396 

Muretus  64.  124 

Musaios  135.  137.  274.  410 


Naevius  195 

Nast  452 

Nerli  34 

Niccoli  24 

Niccolb  d'Este  29 

Nicolaus  V.  24.  26.  27.  30 

Niemeyer  426 

Oeser  447 

Offenbach  88 

Ogilby  288 

Opitz  388.  413 

Oporinus  383.  384 

Orazio  Romano  27 

Orosius  159 

Orpheus  366.  367.  389.  463 

Orsini  Rinaldo  31 

Ossian  111.  114.  361ff.  Ccsarotti  111.364 
La  Harpe  246  Blair  345. 364  Goethe361 
Johnson362  BeattieS66  Wood 372  Kant 
389  Herder  431.  433  Merian  439.  462 
und  Homer  363  Cesarottilllf.  Mac- 
pherson  362  Blair  364  Haller  393  Her- 
der 436  Goethe  438   Voß  445 
und  Chevy-Chase  361 
und  die  literarische  Kritik  362 

Ovid  81.  327  Marsuppini  26  Barini  30 
Giraldi  61  Lemaire  120  Bonsard  132 
Caylus  255  Chcnier  264  Spenser  277 
Drayton  281  Addison  318  Johnson  348 

Palamedes  463 

Pamell  322.  324.  333  Breitinger  403 

Pasquier  130 

Patrici  76  ff.  78.  81.  85 

Pauw  de  462 

Pazzi  55 

Peisistratos  83.  110.  202  ff.  210.  286.  388. 

460  Wood  372  Camerarius  381  Hesse 

383  Merian  462   Wolf  463  Herder  464 

Goethe  470  F.  SchUgel  470 
Pellegrino  7  3  ff. 
Pelletier  64.  127  f.  132.  133 
Percy  360  Beattie364t  365  Herder  4:34: A62. 
Perizonius  205.  206 
Perrault  Charles  95.  153.  165.  172.  174f. 

178f.  180ff.  184.  185.  187.  189ff.  197. 

199.  202.  207.214.219.224.228.300.392. 

399.  405  Muratori  102  Bicci  104  Bot- 


502 


Namenregister 


leau  182.  195 f.  Cartaud  232  Dubos  233. 
236  Voltaire  238  Guys  252  Addison 
291  Wotton  303  /Sm/it  305.  307  Pope 
326   Valckenaer  412 

Perrault  Claude  178  f. 

Perrault  Pierre  179 

Perkins  151 

Petit  149 

Petrarca  9.  15 ff.  27.  56  Poggio  20 

Phalaris  304.  306.  307 

Philips  Ambrose  359 

Philips  John  319 

Phillips  292 

Piccolomini  55.  57.  374 

Picinelli  147.  303 

Pigna  44.  62     * 

Pilato  Leonzio  16  f.  19.  22 

Pindar  132.  195.  313.  382 

Pindarus  Thebanus  3 

Pindemonte  118 

Pinkerton  372  f.  Walpole  373  Knight  374 

Pitt  323 

Pins  II.  29.  32.  123 

Planudes  304 

Platen  472 

Piaton  11.  15.  24.  39 f.  56.  265.  310.  433. 
437  Polizian  38  Savonarola  39  Lornbar- 
delli  75  Tasso  78  JBotVeau  195.197  Äscham 
270  Sidney  272  Milton  291  Shaftesbury 
312. 313  Brown  366  Erasmus  378  Came- 
rariits  381   Winckelmann  419 

nnd  Homer  39  f.  Gravina  100  Conti 
106  Heinsius  139  Croese  145  Perrault 
192  M^'^Daci€r2dO  3Iassieu261  Äscham 
270  Lowth  357  Melanchthon  380 
imd  Aristoteles  Twining  374 

Plautus  137 

Plethon  40 

Plutarch  Über  Homer  34.  241.  385  Bruni 
22.  36  Marsuppini  26.  36  Polizian  36 
Urceo  38   Tassoni  85  Salel  126  Pope 
328  Beuchlin  379  Merian  439 
Lyknrgos  202.  207 
Über  Musik  Gasson  270 

Pococke  257.  258 

Poggio  20.  21.  22.  378 

Polizian  33  ff.  47.  48.  94. 168  Babelais  123 
Salel  1 26  BenilSS  AUatius  148  Hesse  383 


Pontano  378 

Pope  216.  241.  249.  311.  320  ff.  325  ff.  335. 
336.  388.  396.  412.  427.  441.  445  Cesa- 
rotti  116  Voltaire  238  Bitaube  247 
Guys  252  Geddes  327  Addison  273  Ma- 
caulay  327  Bentley  327  Johnson  327. 
342.  343  5;29ence  327.  330.  332  GZovcr 
337  Warton  344  5Zair  345  Home  360 
Äwrd  352  Toww^r  356  Brown  366  Tm- 
mw^  375  Cowper  375  Bodmer  408.  427 
Breitinger  398.  399.  400.  401.  402.  403. 
404.  405.  413.  427  Hej'der  432.  435 
Merian  440 

Porphyrios  124 

Portus  124.  125.  138 

Posselius  150 

Postel  389  ff.  417  Weichmann  389  Bodmer 
405 

Potter  310 

Poussin  190 

Primaticcio  122.  180 

Prokopios  57.  59.  159 

Pulci  33.  113  Vida  48  Trissino  57  Spen- 
ser  277 

Puttenham  2  73  f. 

Quinault  179 
Quintilian  22.  183 
Quintus  Smymaeus  10 

Rabelais  122  f. 

Eacine  152 f.  165.  179.  184.  236.250  Monti 
118  Perrault  181  f.  de  Callieres  189 
Boileau  195 

Raffael  190.  222.  227.  254.298.321.367.447 

Raffaello  de  Volterra  29.  46.  154  Des- 
marets  163  Schaidenreißer  384 

Ramler  443 

Ramsay  360 

Rapin  171  ff.  207 .  208. 248.  291.  294  Baillet 
154  Besmarets  163  Muratori  173  Per- 
rault 180.  191.  192.  207  f.  Bymer  292 
Dryden  298  Addison  316  Pope  322,  326 

Regnier  214 

Reichel  422 

Reuchlin  378  f. 

Ricci  96.  104  f. 

Richelieu  166.  178 

Riemer  451.  471 


Namenregister 


503 


Hingulph  443 

Rinucci  de  Castiglione  28 

Robortello  55.  132 

Bochefort  247  f.  252 

Roland  M«««  251 

Rollin  412 

Ronsard  126.  127  ff.  132.  133.  285    Vau- 

quelin  132  Boüeau  166. 195  Opitz  388.389 
Roscommon  293  Dryden  297   Fope  322 
Rosso  122 
Rousseau  211    241.  462    Marmontel  245 

Wood  372 
Rowe  319.  342  Johnson  342 
Ruhnken  411 
Rymer  285.  292  f. 

Sachs  Hans  385  f.  394 

und  Homer  Thomasius  389 

Saint-Amand  183.  188.  193 

Saint-Evremond  199 f.  214.  217.  304  Pope 
328.  402  Breitinger  402.  403 

Saint-Hyacinthe  229 

Salel  126,  388  Vauquelin  132   Hall  274 

Sallustius  6 

Salmasius  Saumaise  124.  204  f.  386 

Salomon,  König  309 

Salutato  20.  21.  22.  24.  118 

Salviati  73  ff.  Beni  84 

Salvini  95. 103  Bozzoli  96  Bicci  104  Brei- 
tinger 413 

Samxon  122.  154 

Sandys  256 

Sannazaro  54 f.  57  Herder  433. 

Sarpi  94 

Sarrazin  188 

Savonarola  39.  47 

Scaliger  Julius  Caesar  133  ff.  161. 169. 172. 
176.  204.  266  Gravina  99  Bicci  104 
CesaroUi  116  Beni  138  Vossius  139 
Allatius  149  Chapelain  157  Desmarets 
163.164  Gueret  178  Terrasson  226  Boivin 
228.  248  B'Hancarville  253  Sidney  138. 
271  f.  273  Puttenham  273  Hohhes  288 
Dryden  298  Pope  330  Johnson34:3  Opitz 
388.  389  Barth  388 

Scaliger  Joseph  104.  124.  137.  411 

Scapula  150.  387 

Scarparia  21 


Schaidenreißer  384  f.  386  Sachs  385  Gott- 
sched 394 

Schaufelberger  414.  426 

Schetus  383 

Schiller  158.  334.  447  ff.  452  ff.  465.  466. 

Schlegel  August  Wilhelm  445. 446. 448. 472 

Schlegel  Friedrich  468  ff.  472  Goethe  4:10. 

Schliemann  256.  261 

Schrevelius  138 

Schubarth  471 

Scudery  155.  157.  159  ff.  166  de  Callieres 
187  Postel  390 

Seber  387 

Segni  55.  57 

Segrais  297.  298 

Seneca  223 

Septimius  3 

Servius  18.  62 

Seybold  438 

Sforza  Francesco  31 

Shaftesbury  304.  311  ff.  Chdbanon  251. 
Hume  347    Sulzer  409 

Shakespeare  239.  276.  279.  280.  291.  296. 
297.  3 11. 318. 320. 335. 360. 396  Brayton 

281  Kynaston  282  Phillips  292  Shaftes- 
bury 313  Addison  319  Pope  322  Home 
349  Hurd  351  Lowth  357  Beattie  365 
Brown  367  Wood  369  Gottsched  394 
Herder  434  Wieland  442  Eschenburg 
442  Ä.  W.  Schlegel  445  SchilUr  453 

und  Homer  462 
Sidney  138.   271  ff.  279.  359   Puttenham 

273   Webbe  273 
Sigeros  15.  16 
Sillig  420 

Sisyphos  von  Kos  12 
Sokrates  134.  463 
Solinus  204 

Solon  206.  372.  460  Herder  464  Goethe  466 
Sophokles  71.  139.  195.  223.  251.  265 
Spence  3^7.  330  ff.  336.  448  Breitinger 4,00. 

403.  407  Bodmer  406. 407  ff.  423  Lessing 

331.  423. 
Spen8er277ff.  281.  311.  317.  335.  353.  360. 

390.  418.  423    Chalkhill  281    Hannay 

282  Kynaston  282  Chamberlayne  282 
Davenant  286  Bunyan  291  Phillips  292 
Bymer  293  Buckingham  294  Dryden 


504 


Namenregister 


296  BlacJcmore  300  lemple  301  Wotton 
302  Hurd  353 ff.  Johnson  355  Beattie 
365  Herder  434  Warton  436 

Speroni  65 

Spon  257 

Spondanus  125.  131  Chapman  275 

Spreng  388  Fostel  391  Gottsched  394 

Statins  8.  19.  132 

Steele  357 

Stillingfleet  142.  303.  309 

Stolberg  438.  443  f.  446.  465  Lavater  443 
Bürger  443  Bodmer  444 

Strabon  248.  258.  260.  261 

Strozzi  20 

Suidas  141.  202.  203.  206.  207 

Sulzer  409  ff. 

Swift  165.  304  ff.  336 

Tacitus  241 

Tasso  Bernardo  60.  62 

Tasso  Torquato  41.  45.  65  ff.  73.  75.  77  f. 
79  ff.  89.  113.  114.  309.  353.  465  Beni 
82  f.  85  Tassoni^B,  Graziani  92  f.  Mura- 
tori  101. 173  Cesarotti  111  Bonsard  128. 
129.  132  Du  Bartas  131  Picinelli  147 
Chapelain  157.  160  Scudery  161  Des- 
marets  161. 164  Boileau  165. 167  Bapin 
m  de  Cdllieres  188  Voltaire  237.  239 
Marmontel  246  Spenser  277.  278  Dave- 
nant  286  Milton  289  Phillips  292  Buk- 
Jcingham  293  Bnjden  295.  296  Temple 
301  WilUe  337.339  jEZowe349  Hurd'dU 
Fostel  390.  391  Haller  392  Merian  463 
und  Homer  Lombardelli  75  f.  Patrici 
78  5em  82  f.  Tassoni  86.  88  ^wtZres  108 
Perrault  193  Terrasson  224  TfiZÄ:»«  340 
Gerstenberg  437 

Tassoni  86  ff.  88.  176.  178  Besmarets  163 
Boileau  168  Bapin  172  Pierre  Perrault 
179  Charles  Perrault  190 

Temple  300  f.  304.  342  TFbi^on  302  ilfa- 
caulay  301 

Terenz  182.  183 

Terrasson  221. 223  ff.  454  Cesaro««  115.116 
(7acow  227  Boivin  228  M'^'Bacier  230 
Coni*  232  Bitaube  247  d'Hancarville 
253  Pope  330  Gottsched  394 

Tesauro  97 


Theognis  420 

Theokrit  128.  185 

Thomasius  389 

Thomassin    142  ff.    148.    152    ^ai/Ze    144 

G^acon  144  31""  Dacier  144  Baillet  154 
Thukjdides  28 
Tickeil  319.  323.  327 
Tizian  222 
Toscanella  183 
Trissino  41.  57  ff.  67.81.417.452  Bernardo 

Tasso  60   Giraldi  62   Torquato   Tasso 

65.  66.  67.  Gravina  99 
Trypbiodor  11 

Tumebus  Tourneboeuf  125.  132. 
Twining  374  f. 
Tzetzes  9  ff.  16.  26.  231 

Ugone  147 
ürceo  Codro  38 
Ursinus  Fulvius  64 
Usteri  Leonhard  414 

Valckenaer  411  f.    Breitinger  413 

Valla  Giorgio  55 

Valla  Lorenzo  28. 154  Ariost  46  Lemaire 
121  Samxon  122  Chapman  275 

Yalle  Niccolo  della  27.  29 

Yalle  Pietro  della  256 

Vauquelin  130.  131  f.  133.  157.  236.  285 

Yenzky  441 

Vettori,  Victorius  55.  132 

Vico  108  ff.  Cesarotti  113  Mercier  250. 

Yida  48  ff.  57.  85. 133.  312.  449  Sannazaro 
54  Capriano  64  Tasso  67  Gravina  97 
Bu  Bellay  127  Pelletier  64.  128  Vau- 
quelin 131  Scaliger  134  Chapelain  157 
Boileau  166  Batteux  243  Pope  321 
Hesse  383  Klopstock  414  f.  Herder  43a 
Goethe  449 

Yigerus  150 

Yilloison  262  Cesarotti  112  TFo?/"  464 

Yinshemius  380 

Yirgil  6.  9.  21.  26.  34.  43.  48.  81.  88.  96. 
256.  293.  294.  297.  301.  309.  318.  320. 
345.365.400.436  Ekkehard ll  Chaucer 
9  Ciriaco  23  Basini  32  Polizian  35 
Vida  49  ff.  51.  53  Marino  91  Foscolo 
118  Lemaire  120  Bonsard  129.  130 
Vauquelin  132  Scaliger  134  ff.  Heinsius 


Namenregister 


505 


I 


139  Desmarets  164.  177  Boileau  167. 
169.  195  Perrault  182.  193  de  Callüres 
188  M"''Dacier  212  Fenelon  222  Vol- 
taire 237  Caylus  254  Harington  266 
Spenser  277.  278  Kynaston  282  i^os- 
common  293  Buckingham  293  Black- 
more  300  Dennis  314  Addison  316  Pojse 
326  Johnson  327.  343  -ffotne  348  Ossiayi 
362  Pinkerton  373  Walpole  373  KnigJit 
374  PosieZ  391  HaZZer  392  IZerc/er  431 
Gerstenberg  437  G^oe</je  438 

und  Homer  43. 91. 374  Petrarca  18.19. 
49  Servius  18  MacroMus  18  FaZ?a  28. 
49  Polizian  36.  49  Vittorino  49  Ftda 
49  Giraldi  62  Capriano  64  Muretus  64 
Ursinus  64  Tasso  66  Castelvetro  73  Peni 
83.  85  Gravina  99  Muratori  102  Coni* 
106  J.»idres  107 

Montaigne  123  Pelletier  64. 128  Pow- 
«arcZ  129. 130. 133  Spondanus  131  Fait- 
gweZtn  132  Scaliger  135 fF.  176  Lipsius 
138  Heinsius  139  Vossius  140  Chapelain 
159  Desmarets  164. 177  i^apm  171.172 
Gmret  178  Xa  Fontaine  183  Longe- 
pierre 183  Perrault  193  ie  CZerc  201 
Terrasson  224  Voltaire  239.  247  Pa<- 
iewaj  242  Boivin  247  Diderot  248  ilfow- 
tesquieu  248  Bochefort  248  (jin  250 

fibö&es  288   Dryden  291.  297.  298. 
299  Blachnore  300  Temple  301  Dennis 
314  Addison  317.  318   Pope  321.  323. 
326. 404  Blackwell  333  T^^7Ä:^e340  Jo/in- 
S0W342.343  Ifowe  350  JTwrd  352  Brown 
367  TFbod  369.  370.  371  Pinkerton  373 
Erasmus  377   ifesse  383  Par^Ä  389 
Leihniz  389  Zawt  389  XfaZZer  392  Pret- 
tm^er  404.  438  Bodmer  407  /SMZ^er  410 
Klopstock  416  Lessing  422  6^odÄe  438 
Yittorino  da  Feltre  29.  30.  49.  104 
Yleughals  228 
Yoiture  188 

Voltaire  237 ff.  266.  311  Cesarotti  114 
Diderot  243  Ca^/Zws  255  P?air  345  fibwie 
349  JTaWer  392  Bodmer  397  Gerstenherg 
437  XZo<2;  441 
Voß  387. 412. 444 ff.  Klopstock  446  Stolberg 
446  Bürger 446  Wieland 446  ^.  TT.  /S^c/iZe- 
^eZ  446  5cÄi/?er  447  GoeiAe  447 


Vossius  139  f.  141  f.  148.  157  Stillingfleet 
142  Thomassin  142  f. 


Walahfrid  Strabus  1 

Walpole  373 

Wakh  322 

Warburton  351 

Warner  280 

Warton  Joseph  344.  360 

Warton  Thomas  436 

Watson  266.  274 

Webbe  273 

Weichmann  390.  391 

Welsted  319.  341 

Wetin  1 

Wetstein  206.  388 

Wetstein,  Verleger  426 

Wheler  257 

Wieland  417 f.  442.  446.  467 

Wilkie  337  ff.  361.  452  Ossmn  362  Herder 

434 
Wilson  269 

Winckelmann  95.  387.  41 8  ff.  Gw^/s  252, 

Chenier  263  öoef/ie  419.  420.  447.  452 

Lessing  420  Hamann4.28 F. Schlegel 468 

Wolf  F.  A.  210.  458.  463  f.  465   Heyne  45» 

Herder  464   Cesarotti  465.  471    (roe^/ie 

466.  467.  472  Schiller  466  Wieland  46T 

2''.  Äc/i?e^eZ  468.  469 

Wood  251. 258.  336.  368 ff.  427.448  Andres 

107  Cesarotti  in.  lU  Guys262  ChoiseuJ 

258    Lechevalier  260.  261    j5ei/ne  261 

Goähe  370.  427.  437.  450  Pinkerton  373 

PTer^Zer  434.  435  Merian  439.  440.  462 

Wordsworth  374 

Wotton  302  ff.  Dubos  235.  302  Swift  305. 
306.307  Blackwell  833  ^i/rer  392  ITaZZer 
392 
Wyß  414 
Wyttenbach  411 
Xenophon  310 

Yalden  323 
Young   355 f.   419. 
Pinkerton  373 


427.  447    Wood   368 


Zoega  210 

Zoilos  177  Swift  305  Hamann  428 

Zola  153 

Zwingli  382.  387. 


SACHREGISTER. 


Academie  des  Inacriptions  247.  251 

Academie  fran9aise  166.  178.  180.  182. 
185.  197.  222.  251. 

Accademia  della  Crusca  73.  82 

Achilleis  450 

Achüleus  Dictys  4  Salviati  75  Patrici  77 
Tasso  77  Gravina  98  Conti  106  Cesa- 
rotti  115  Scaliger  136  Thomassin  142 
Le  Bossu  171  Boisrobert  178  Perrault 
193  Bayle  198  Saint- Evremond  199  Xa 
ilfo«e  216  J[f""'  Daczer  220  Terrasson 
224  Gacow  227  Saint- Hyacinthe  229 
Batteux  241  Sidnei/  272  jR^/mer  293 
Beattie  345  Young  356  TrmcZ:eZwaww 
420  Herder  435 

Ruggiero  Boiardo  41  Marinell  /Spcw- 
ser  278  Name  PiZato  16 

-4(ione  89 

Ägypten  12.  143.  146.  160.  247.  261.  332. 
369.  463. 

Africa  17 

Agamemnon  Patrici  77  Tassoni  77  6rra- 
vina  98  Bochefort  248 

Aias  Salviati  75  Gosson  271 

Akademie  von  Berlin  439.  462 

^Zanc  159 

Alexandria  Troas  256.  257.  258.  261 

Alexandriner,  Vers  126.  130.  132.  249.  391 

Alexandrinische  Dichter  264 

Alexandrinische  Gelehrsamkeit  262 

Allegoria  mystica  Lowth  359. 

Allegorie  Renaissance  16.  48  Chapelain 
161  Scudery  161  Spenser  277  Bunyan 
291  Milton  317 

Allegorische  Erklärung  Homers  Altertum 
11.  440  Byzanz  Tzetzes  11  ff.  Eusta- 
thios  13  Pilato  16  Marsigli  21  Petrarca 
Boccaccio  56  Giraldi  62  Pigna  63  /SaZ- 
«tai*  75  Fioretti  89  Gravina  98  J/m- 
ratori  101.  102  5aZmm  103  i^icc*  105 
F«co  109 

Babelais  123  Montaigne  123  Scaliger 
135  Croese  145  Bogan  145  iüfe/ic  (7a- 


saubonus  146  Duport  146  ie  Bossu 
169.  170  FontenelU  184  i^f"*"  Dacier 
212  ia  Motte  220  Fenelon  223  Ter- 
rasson  225  Marmontel  246  Barthelemy 
256 

5acon  268  TFi7son  269  Ascham  269 
(7ossow  271  5m;»/<  309  Parnell  324  Po^je 
335  Blackwell  333.  335  ioiü^Ä  359 
TTood  369 

Erasmus  377  Camer arius  381  PwZ- 
Zm^rer  382  Lemnius  384  Damm  418 
Tr»ncZ;eZwann  418.  440  Lessing  440 
Herder  440  Merian  440  Heyne  459 

Allegorische  Figuren  F«6?o  53  Graziani 
93  Boileau  168  Voltaire  237  Spenser 
277  Daniel  580  Chamberlayne  283  J/e- 
nan  440 

Altertum,  Verhältnis  zum  Tzetzes  10  Bruni   t 
22  Polizian  36  Savonarola  39  Boiardo 
41  J.nos*  42  Fida  54  Giraldi  61  ilfa- 
nwo  89  Gravina  98 

Z)w  Bellay  127  Scaliger  134  Boileau 
167  G^werei  177  J5acow  175.  176  Des- 
carfes  176  Desmarets  176  Boisrobert 
178  CZawt^e  Perrault  179  Pierre  Per- 
rawZ^  179  Bacine  179  Charles  Perrault 
180  ff.  Xa  Fontaine  183  Pat/Ze  198  ie 
CZerc  201  Fenelon  222  Cartaud  233 
Marmontel  245  Caylus  255  Barthelemy 
255  Chenier  263 

England  311.  335.  374  Daniel  266 
ilfiZton  291  TFottow  302.  303  Shaftes- 
bury  313  J.<Z<Zison320  Pope  322  Johnson 
342   Warton  344   Fown^r  355 

Melanchthon  380  Zwingli  382  Goethe 
450.  456. 

Altertum  und  Natur  Hamann  428 

Altertum,  Kenntnisse  des  175  Perrault  ^ 
180  Fontenelle  185  Saint  -  Evremond  i 
200  Dw&os  235 

Altertumskunde  Ciriaco  23  Frankreich 
251  D'Hancarville  252  (ro^rwe^  253 
Caylus  254  Barthelemy  255  Potter  310 


Sachregister 


507 


Alttestamentliche  Redeweise  Ossian  362 

Ambra  36 

Andeutung  der  Größe  durch  ihre  Wir- 
kung Spense  331  Bodmer  406 

Andeutung  der  Schönheit  Lessing  423 

Andromache  Rochefort  248  Spence  330 

Annus  MirdbiUs  294 

Anschauung  eigene   Wood  368 

Anstand  62.  66.  370 

Antike  und  Moderne  Tassoni  87  Desma- 
rets  164  Bacon  175.  176  Gueret  177 
PerrauU  180.  189  fiF.  Longepierre  183 
Fontenelle  185  Boileau  167.  182.  195 
JBay?e  198.  199  Saint -Evremond  200. 
201  Fenelon  223  Dwfeos  235  Chenier 
263  TempZe  300  TTo^ow  303  5m;«/*  305. 
306  Shaftesbury  313  J.c7fiesow  320  Pope 
322  ^yrer  392  Haller  392  Croe^Äe  447 
Schiller  453 

Aöden  333 

Apotheosis  Homeri  149 

Arcadia  95 

Athens  Verdienst  um  Homer  Herder  464 

Athene  Muraiori  101   Terrasson  225 

Auffassung  historische  Herder  433 

Aufklärung  438  Saint -Evremond  199 
Chenier  263  ^wr^Z  354  deutsche  389 

Ausdruck  vereinigter  Stimmungen  Spence 
330 

in  der  Skulptur  durch  Körperhaltung 
ä'Hancarville  253 

Ausgaben  Homers  Chalkondyles  34  J.Z- 
dmae  Juntinae  Bomana  47  Cesarotti 
112  JBaseZ  Mwd  Straßburg  124  Turnebus 
125  Stephanus  125  Schrevelius  138 
Villoison  262  ^rsie  London  265  Barnes 
309  Bmtley  310  CZar^'e  310  Basell651 
388  FaZc^"ewaer  412  Ernesti  426  iWe- 
we^/er  4t26LederUnBergler  4:26  Heyne  458 

Autor  bester  Erklärer  seiner  Werke  Ha- 
mann 428 

Avarchide  60 

Balladen  356.  359  ff.  Addison  316 
Barden  333.  360.  364  Warton  360  Kenner 
des    Altertums    Philips  360    erblicher 
Stand  5Za/r  364  /SwZ^er  410  Schulen  364 
TFoZ/"  463 


Beduinen  370 

Beiwörter  Bm>u"  23  FaZZa  28  iJfa/fe*  96 
Andres  107  6'aZeZ  126  Pelletier  128 
Certon  133  Scaliger  136  i)u  Souhait 
154  ilf"^  Dacter  213  Pope  326  TTeicÄ- 
mawn  391  Lessing  420.  441  Stolberg 
444  Bodmer  444   FoyÖ  446 

Fenelon  221  Ossian  362  Klopstock 
416  Goe^Äe  449 

bei  esprit  318.  437. 

Beschreibung  von  Kunstwerken  d'Han- 
carville  253 

Beschreibungen  390  ilfan'wo  89  Chapelain 
158  Scudery  159  Desmarets  160  Per- 
rawZ*  174  Spence  331 

Betrachtung  der  Poesie  ästhetisch-mora- 
lisch J-rcacZia  95  Gravina  97.  98  iltfM- 
rafon"  100 

Betrachtung  Homers  idyllisch   Foy8  446 

Bewunderung  und  Liebe  Burke  348 

Bibel  poetisch  erklärt  Petrarca  56  Dry- 
<Zen  296  Milton  Addison  Steele  Lowth 
357 

Bibliotheken  in  Florenz  24.  39 

Blankvers  289.  337.  375.  442.  443 

Bronze  und  Eisen  329 

Bücher  das  Grab  des  Epos  Herder  462 

Büste  Homers  Lavater  439 

Buiek  257 

Bunarbaschi  258.  259.  260.  261 

Burleske  179.  184  Diderot  Hamann  429 

Byzanz  9f.  19.  21.  23.  150 

Cambridge  265.  309 

Campaign  the  319 

Cattivo  Gusto  95.  100 

Centonen  150 

Charaktere  des  Epos  Aristoteles  56  Tasso 
66.78  Castelvetro  70  Cesarotti  111  Sca- 
liger 134  Desmarets  161  Le  Bossu  171. 
172.  173  Terrasson  225  Gacon  227 

Homers  Salviati  75  Patrici  77  Gra- 
vina 98  Vico  109  G^acon  227  BaUeux 
243  Shaftesbury  312  ^tZdtson  3 17  Pojpe 
325  Blackwell  333.  335  Johnson  343 
Beattie  345  TFoo^Z  370 

Christias  50 

Chroniken,  römische  6.  7 


508 


Sachregister 


Chorizonten  467 

Claves  Homericae  151.  414 

Clovis  160 

College  Coqueret  123 

College  de  France  123.  125 

congruity  Home  350 

Conquest  of  Granada  295 

Conquisto  di  Granata  92 

Couplet  266.  275.  337 

Daniel  Buch  296 
Deisten  146.  206 
Diaskeuasten  362.  469 
Dichter,  der  wahre  Chenier  263 

als  Schöpfer  Macrobkis  18  Tasso  67 
Sid7iey  271 

göttlich  Tasso  67  Chenier  263 
Bewahrer  der  Natur  Schiller  453 
absoluter  und  relativer  Wert  Cesa- 
rotti  114 

Charakteristikum  Teniple  301 
Darsteller  der  Menschen  und  Sitten 
Shafteshury  312 
Dichtererziehung  Beattie  364 
Forderungen  an  den  Dichter  Shaftes- 
hury 312 

und  Bildhauer  Desmarets  164 
und  Kritiker  Goethe  466 
und     Künstler     Winckelmann    420 
Schiller  453 

und  Regeln  Giraldi  62 
und  Sittenlehrer  Le  Clerc  201  JBod- 
mer  407 

und  Werk  unterschieden  Saint-Evre- 
motid  La  Motte  218  Pope  326  Hum- 
boldt 455  Heyne  458 
Digamma  310 
Diomedes  Patrici  77  Tassoni  87  Sidney 

272  Pope  329 
discretion  Hobbes  288 
Drama  englisches  Davenant  286  Temple 

301 
Druiden  360.  363 

Edomiter  144 

Eindruck  sinnlicher  Winckelmann  418 
Einfachheit  des  Epos  Sulzer  410  A.  W. 
Schlegel  448 


Homers    Gravina  98    Fenelon  221. 
222  Voltaire  238  Bousseau  241  Diderot 
244  J5omn  248  jffcsse  383  Bodmer  417 
Merian  439 
Einheit  des  Gedichtes  JDulos  233 
der  Handlung  Xa  üfo^fe  215 
des  Epos  65  Trissino  57  Giraldi  61 
Minturno   64.  65    Tosso  66.  67.  79.  80 
Casielvetro  72  Patrici  77  5m?"  83  i>ii- 
6os  233   Voltaire  237  Bryden  294  .4(i- 
d/son  317    ^SwZ^er  410   Humboldt  455 
(xoeiÄe  470 

der  Ilias  5eni  83  Metast asio  103  ie 
Bossu  170  Scaliger  204 

des  Plans  bei  Spenser,  Hurd  353 
der  Phanthasie  Humboldt  454 
bei  Boiardo  40  J.nosf  43. 74.  84.  453 
Trissino  58  Tasso  79.  80  Klopstock  414 
Einheiten    dramatische    Metastasio   103 
ia  ikfo^e  215  Bryden  297  Bodmer  409 
I  Einzelheiten    das    Wesentliche    in    der 
j      Poesie  Dt«&os  233   Voltaire  239 
,  England  396.  411.  426.  434 
Enthusiasmus  Piaton  Polizian  35.  37.  38 
Fida  48.  52  Patrici  81  Giordano  Bruno 
81  Muratori  101  Scaliger  133  Chape- 
lain  156  Dennis  314   Camerarius  381 
Ephemeris  belli  Troiani  3 
Epigoniad  337 

Episoden  43  Castelvetro  71  Salviati  74 
.Ben*  84  Tassoni  86  Desmarets  163 
Äiüi/"*  308 

bei  Basini  30  Trissino  58  Tasso  83 
Graziani  92  Scudery  160  Voltaire  237. 
240  Z)amd280  TT^*7Z:ie  338  bodmer  417 
bei  Homer  43  Tassoni  86  Xa  Jfoi^e 
220 
Epos  bürgerliches  J..  TT.  Schlegel  448 
bürgerliches  und  heroisches  Hum- 
boldt 457 

byzantinisches  10 
deutsches  EJopstock  414 
englisches  Zet^  der  Elisabeth  276  ff. 
CoiüZej/  284  Davenant  285  il/»7ton  288 
Dryden  296  mit  antikem  Stoff  Glover 
336  TFi7^-ie  337 

französisches  in  England  BJackmore 
299 


Sachregister 


509 


Epos  französisches  in  Deutschland  Postel 
389 

französisches  nationales  Du  Bellay 
1*27  Felletier  128  Ronsard  129  Vau- 
quelin  132  Diibos  236   Voltaire  239 

französisches  nationales  christliches 
Chapelain  157  Scudery  159  JDesmarets 
160  Boileau  162.  165.  166  ie  5osst* 
171  Mapin  173  Bossuet  173  PerrauU 
174.  181.  193  <Ze  Callieres  189  Ä'am^ 
Evremond  200. 

in  Friedenszeiten  spielendes  Chape- 
lain 155 

gotisches  ^wr^?  253 

heroisches  in  der  Neuzeit  66.  157 
Humboldt  457. 

italienisches  klassisches  70  Trissino 
57  Tas50  65  ff.  81  ff.  17. 18.  Jahrhundert 
92.  95  Graziani  92 

komisches  88.  168.  320.  323 

lateinisches  48  Petrarca  Boccaccioll 
Basini  30  F»<:Za  49  ff.  Sannazaro  54 
Scaliger  137  jffer^ier  433 

modernes    mit    homerischem    Stoff , 
Goethe  450  f.  j 

nationales  in  Italien  Basini  30  Tasso  \ 
65  j 

religiöses  Dennis  315 

bei  rohen  Völkern  Brown  366  Sulzer  \ 
409  I 

vorhomerisches  2^.  Schlegel  468  i 

Definition  (fehlt  bei  Aristoteles  Pa-  \ 
trici  76  Goethe  449)  Tassoni  86  Mura-  \ 
tori  101  Desmarets  164  Boileau  167  i 
Xe  -Bossw  169  ilf"»«  Dacier  212  La  Motte  \ 
215  Terrasson  224  Fourmont  230  FoZ-  | 
<a*Ve  237  Xa  JTarpe  247  Puttenham  273  ! 
£?««>  345  Goethe  Schiller  449  Humboldt 
456  f. 

Anfang,  Mitte  und  Ende  Castelvetro 
71  F.  Schlegel  469 

Angemessenheit  Lombardelli  75 

Aufgabe  und  Zweck  Aristoteles  56 
Castelvetro  71  Muratori  101  Marmontel 
246  Ä^■dne2/  272  ^wrt^  352  Breitinger 
404  ßft^Z^er  410 

Bild  der  Welt  Tasso  67  Pelletier  128 

Bild  der  Zeit  Fico  109 


Epos  Enstehung  Blackwell  334  Wilkie  337 
jBrowJn  366  5^i(7^er  409 

Gegenstände  Sbra^;  49  Vida^9  Tasso 
77  Pelletier  128  5acow  268  /St«?£;er  410 
^.  TF.  Schlegel  448  Humboldt  457 

Grundgesetze  65 

Grundlage  allegorisch  Chapelain  Scu- 
dery 161 

Handlung  Abgeschlossenheit  und 
Ganzheit  Speroni  65  Tasso  66  Castel- 
vetro 70  BeniSS  Milton28^  ÄddisonSll 

Handlung  Dauer  Minturno  63  ^a- 
rington  267 

Handlung  einzige  einer  oder  mehre- 
rer Personen  Castelvetro  72  Pellegrino  73 

Handlung  Größe  und  Wichtigkeit 
Breitinger  404 

Handlung  Übersichtlichkeit  Trissino 
57  Castelvetro  71 

Handlung  Umfang  Tasso  66  J5ene  83 

Handlung  Verknüpfung  und  Lösung 
Marmontel  246 

Harmonie  ^Zof^  Lessing  Herder  432 

Krone  der  Poesie  48. 119.  301  Sidney 
212 Dryden296. 29S Äddison31&  Temple 
301 

Majestät  Muratori  101  Bayle  199 

Mannigfaltigkeit  Voltaire  237 

natürliche  Grundlage  und  künstle- 
rische Ausbildung  Sulzer  409 

Naturpoesie  T'.  Schlegel  468 

Norm  der  übrigen  Dichtungsgattun- 
gen Scaliger  134 

Ordnung  F.  Schlegel  468 

Selbständigkeit  der  Teile  Schüler  4.^:9 

Sitten  würdige  Trissino  57 

Stoff,  historisch  oder  erfunden?  5a- 
stm  31  Tasso  65  Castelvetro  72  PeZZe- 
^rn'wo  74  Salviati  74  5en*  83  Ronsard 
129  ie  Bossu  170  Puttenham  274  Dave- 
nant  286  Dryden  294  Pojpe  325  TFi7Ä:/e 
337  Sowie  349  5?^Z2:er  410  ^.  TF.  Schlegel 
448  Humboldt  456 

Stoff,  zufällige  Begebenheit  P.  Ä'c/iZe- 
(/eZ  469 

Stoffe  biblische  Rymer  284  Shaftes- 
bury  313 

Umfang  Voltaire  237 


510 


Sachregister 


Epos  Unterschiede  Humboldt  456 

Verbindlichkeit  der  gangbaren  Re- 
geln Humboldt  456  f. 

Vergnügen  am  Epos  Le  Clerc  201 
Bryden  294 

Vollkommenes  und  Unvollkommenes 
Muratori  101 


Esprit  240.  244 

De  Excidio  Troiae  historia  7 


i 


Fabel  des  Epos  Einteilung  Pope  325 
Fabel  äsopische  FonteneUe  184  Bacon  268 
äsopische  und  epische  Le  Bossu  170 
La  Motte  404  Breitinger  404 


Vorbildlichkeit  Sidney  272  Putten-  \  Fabelwesen  antike  Boileau  167.  168 


harn  274 

Wirkung  Aristoteles  56  Tasso  66  Beni 
83  i?ap«n  173  Marmontel  246 

Wohlanständigkeit  Tasso  74  Bapin 
172 

Würde  Trissino  57  Muratori  102 

Zeit  der  Handlung  Tasso  66 

Zweck  Schiller  449 
Epos  und  Balladen  Percy  361 

und  Drama  Day^nant  286  Goethe  4:i9. 
470  F.  ÄcÄZe^eZ  469 

und  Einzel  Vortrag  Brown  367  Sulzer 
410  Ö'oet/ie  471 

und  Geschichte  Bacon  267  Sulzer  410 

und  historische  Wirklichkeit  Basini 
30  Bryden  294 

und  Ode  Lowth  357 

und  Tragödie  Aristoteles  56  Tasso  66 
Heinsius  137  Marmontel  246 
Erfindung  Definition  Chenier  263  Bryden 
297  iJwrrf  351  Recht  d.  E.  Salviati  74 
Gravina  97 

und  Urteil  Po^e  325 

bei  Basini  31  Ronsard  129 
Erforschung  des  Griechentums  jSer6?er  429 
Erhabenes  und  Schönes  Burke  348 
Erhabenheit  Tasso  66   Fico  109  Voltaire 
249  Pope  326   /Spewce  331   ifome  349 
Cowper  376 
Erkenntnis  der  psychologischen  Empfin- 
dungen 346 
Erklärung  Homers  mythische  Eu^tathios 
13 

sprachlich -sachliche   Tzetzes  10.  12 
Eustathios  13 

ästhetisch-poetische  Polizian  35  jRicez 
104  Cesarotti  112.  115  Spondanus  125 
ikf"»«  Docker  212  Pope  328 
Erzählungsweise ,    universaleggiata   und 
particolareggiata  Castelvetro  73 


Faerie  Queene  277 

Fanatismus  59 

Ferrara  29 

Filostrato  17.  44 

Florenz  19.  20.  21.  24.  29.  35.  38 

Form  poetische  FonteneUe  184  Le  Clerc 
202  Boivin  228  Bubos  236  Biderot  243 
sprachliche   Wotton  302 

Forschung  ethnologische  Brown  365 

Fortschreiten  zum  Unendlichen  Hum- 
boldt 455 

Fortschritt,  Lehre  vom,  Bescartes  176 
Tassoni  176  Scaliger  11  &  Besmarets  17 6. 
177  FontenelU  185  Perrault  190.  192 
Boileau  196. 197  Terrasson  224  Bubos 
236  Temp/e  300  Wotton  303 

Franciade  129 

Frankreich  und  Niederlande  129 

Französische  Sprache  Lemaire  120  /SaZe? 
126  Dm  J5eZZa?/ 127  Pelletier  128  JSacme 
153  ilf"»«  Bacier  212  Chenier  263 

Franzosen  Besmarets  164 

Franzosen  und  Italiener  119 

Frauen  Homers   TFoocZ  370 

Freier  Andres  107 

Freiheit  poetische  FonteneUe  185  Hobbes 
287  Bryden  294.  295 

Freiheit  des  Genies  Scaliger  133  Boileau 
166 

Froschmäusekrieg  Marsuppini  24  Meuch- 
lin  379 

Ganzes  und  Teile  Cesarotti  113  Bubos  233 

Sbwe  349  Schiller  449 
Ganzes  und  Episoden  Salviati  75 
Geburtsrecht  der  Dichter  Bryden  296 
Gedächtnismäßige  Überlieferung  d'Aubi- 
5fnac209  Cesarofit  113. 465  i^owsseaw 211 
Ossiaw  363   TToo^Z  372  Merian  463 
Gedichte  früheste  Merian  439 


Sachregister 


511 


Geflügelte  Worte  KlopstocJc  416 

Gegenreformation  46.  53.  152.  175.  412 

Gegenwart  ideale  Home  349 

Geist  Schüler  453 

Geister  Dryden  295  Addison  320  Pope 

323  Ossian  363 
Gemälde  poetische  Bodmer  405 
Genealogien  mythische  120 
Genie  Tassoni  88  Desmarets  177  Dubos 
234  Diderot  244  Dryden  292.  296.  299 
Addison  317   Pope  322  Blackwell  335 
Äw?we    346    ifwr<^    351    England  361 
Breitinger  403  Gerstenberg  436  Lavater 
438  Merian  439  Herder  441  Genius  /Sca- 
%er  133  ^o^ran  145.  292 

und  Ausbildung  Blackwell  332 
und  bei  esprit  Gerstenberg  437 
und  Bildung  Philips  360 
und  Entwicklung  Brown  367 
und  Gelehrsamkeit  Yown^  356 
und  Kunst  Parnell  322 
und    Milieu    Wotton  303    Blackwell 
332 

und  moralische  Selbstzucht  Shaftes- 
bury  311  ff. 
und  Ordnung  Home  349 
und  Raison  Bapin  173 
und  Regeln  Giordano  Bruno  81.  82 
Longin  165  Boileau  165.  166   Bapin 
173  PerrauU  193  Dw&os  234.  236  FoZ- 
iatre  239   Bochefort  248  Dryden  294. 
296.  299.  355    TmpZe   301    >Sm/t  308 
Shaftesbury  312  Addison  317  Parnell 
322   Tri7Ä;te  341   Welstedt  341  Johnson 
344  Young  356  Lowth  358  Gerstenberg 
437  Goei/je  438 

und  Theorie  Addison  318 
und  Verstand  Young  355 
Unbeständigkeit   Welsted  341 
Genie  Ariosts  Minturno  63 

Homers  Polizian  35  Bogan  145  ilfa- 
nwo  90  Andres  103  Bapin  172  Perrault 
180. 191  J5a2/Ze  199  Saint- Evremond  200 
Marmontel  246   Caylus  255   Bochefort 
248  Howe  348  Gerstenherg  437 
und  Zeitalter  Herder  433 
Tasso's  Lombardelli  Ib 
Geographie  homerische  JRicd  105   CZw-  j 


«;enws  140  Bochart  140  Boche  fort  248 
TTood  368  f.  (roe^Äe  450 

Gerechtigkeit  poetische  Chapelain  15Z 
Terrasson  225  5acow  267 

Germanen  Merian  439 
j  Gerusalemme  Ltberata  67  Conquistata  78- 

Gesang  Entstehung  Merian  439 

Geschichte  der  antiken  Poesie  Patrici 
76  F.  Äc/iZe^eZ  468 

Geschmack  352.  433  Monii  118  Fontenelle 
184  Perrault  194  Bousseau  241  Ifeier  426- 
einheitlich  Hume  346  Burke  347 
der  Nationen  verschieden  Voltaire  238 

Gesetze  der  künstlerischen  Empfindung^ 
J5wrÄ;e  347 

Gewalten  übernatürliche  im  modernen, 
Epos  Tasso  66.  67  Boileau  167.  16a 
Bossuet  174  Perrault  182.  191  /Sam^ 
Evremond  200  Marmontel  245  Dryden 
295  Blackmore  300  /S'^ü^■/^  309  Shaftes- 
bury 313  ^owe  349  Äwr<^  352  Bodmer 

397  Himmel  und  Hölle  bei  F»(^a  52 
Trissino  59  Tasso  67  Graziani  92  Di« 
Bartas  131  Chapelain  160. 162  Scudery 
160.  162  Desmarets  160.  161  Perrault 
174  Chamberlayne  283  CotüZe^/  284  Da- 
vewan^  286  iWiZ^on  289  Dryden  294 
Blackmore  300  Klopstock  415 

Glaube,  der  Poesie  notwendiger  (^a^jeZaiV* 

156 
Gleichnis    416    Theorie    Marmontel  246- 

jffo&&es  288  fib?«e  350  Breitinger  398  ff. 
Einteilung  ioz</'</i  359  Xa  ilfo^ie  217. 

398  Breitinger  398 

in  Reden  Breitinger  402 

Gleichnis  homerisches  F«(Za  50  Giraldi 
62  5em  84  i?*ca  105  Scaliger  137 
Perrault  192  Boileau  196.  399  >S'am^ 
Evremond  200  d'Aubignac  210  M"'^ 
Daaer  213  ia  Jfotte  210.  217.  398  ff. 
Batteux  242  Marmontel  246  (rin  24» 
Jf"'*  i^oZawfi  351  Addison  291.  399- 
Pojpe  328.  330.  402  Spenser  331.  400.402 
Johnson  343  jffome  350  LoivthSbS  Wood 
372  Breitinger  398 ff.  403  JSTercZer  431 

Gleichnisse  bei  Ekkehard  1  Basini  32 
FicZa  53  Marino  91  Graziani  94  Chape- 
lain 158  Desmarets  160   Fenelon  221 


512 


Sachregister 


Voltaire  237  Shakespeare  279.  295  Spen- 
ser  279  Daniel  280  Cowley  285  Milton 
291  Dryden  295  /S'^tv//'«  307  Glover  337 
Ossmn  363  KJopstock  416  ienaw  417 
Bodmer  417  Goethe  449 

Gott  Darstellung  Loivth  359 

Götter  Homers  Dictys  4  Bares  6  Tzetzes 
11.  13  EustatJiios  13.  14  Marsuppini-26 
Savonarola  39  Piaton  40  Giraldi  62 
Patrici  77  Tosso  78  ^ene  84  Tassoni 
86  3IaffeidS  Muratori  101.  102  Andres 
107  F«co  110  Scaliger  135  Thomassin 
142.  144  Cudiüorth  146  Desmarets  163. 
165  Boileau  168.  173  i^o^jm  172.  173 
Bossuet  173  Fontenelle  185  Saint-Evre- 
mond  199.  200  ie  CZerc  201  d'Auhignac 
210  Xa  iJfo^e  215  Fenelon  222.  223 
Terrasson  225  G^acon  227  Hardouin  231 
Voltaire  238  Marmontel  245  Bochefort 
247  Gosson  271  Milton  290  Boscommon 
293  TmpZe  301  Dewms  315  Pope  325. 
329  TFVZ^te  337  iow^/i  359  .Broiüw  366 
TFbof?  369  Erasmus  377  Leibniz  389 
Bodmer  397  Breitinger  405  WincJcel- 
mann  419  Hamann  429  Lessing  Herder 
430  Gerstenberg  437  Heyne  458 

Götter,  antike  im  modernen  Epos  Basini 
31.  32  Tassoni  88  Marino  90  Graziani 
93  Lemaire  121  Dm  Bartas  131  J?on- 
sard  132  Boileau  168  Bossuet  173  Oa- 
wioe>i5  188  Saint-Evremond  200  Spenser 
279  Kynaston  282  illft7<ow  290  /Sm;?/!^  309 
Dennis  314.  315  Addison  319  Glover 
337  Tr«7Ä;ie  338  Ossmn  363  Bodmer  398 
üer^ier  433  G^oe«/je  452  ! 

Göttemamen  griechisch  Stolberg  444 

Gotik  223.  353 

Griechen  Tr»>?c^-eZ»waM*i  419 

Schöpfer  des  Schönen  Klopstoch  416 

und  Natur  Schiller  453  j 

und  Römer  Petrarca  15  F«^a  49  G^*-  | 

raZiZi  61    Gravina  99  Andres  106   Dm  ' 

5eZZa2/  127  Scaliger  135  Fontenelle  186  j 

Gesner  413  Klopstock  416 

und  Troer  Burke  348  Lessing  Herder 
425 

Griechen  in  Italien  16f.  19.  20 f.  30.  33. 
34 


Griechenschönheit  Chenier  263  TFtnc^•e^ 

mann  418  Goethe  447 
Großes  und  Gewaltiges  5wrÄ:e  348 

Hainbund  438.  445 

Handlung  Definition  fehlt  bei  Aristoteles 
Patrici  77 

Hektor  Patrici  77  Tasso  86  Cowiz  106 
Terrasson  224  Beattie  346  Ifowie  348 

Held  des  Epos  s.  auch  Charaktere.  Tosso 
66  Castelvetro  70  Cesarotti  111  Des- 
marets 161  Terrasson  225  ^Stüi/i^  309 
Shaftesbury  312.  409  Beattie  345  Ossian 
362  Breitinger  404  >S'wZ<2rer409  Humboldt 
456  F.  ÄcÄZe^reZ  469 

einziger    Giraldi  61    Castelvetro   72 
Minturno  72  J5em  83 

der  Ilias  und  Odyssee   F«co  111 

Helden  Homers  Piaton  40  Lombardelli  76 
.Be^u■  83  Gravina  98.  99  Oowi*  106  Oesa- 
ro^^i  111  Desmarets  161  Bapin  172  Per- 
rawZ^  180  Da  Mo^^e  216  Fenelon  222 
Gacon  227  Voltaire  238  Boscommon  293 
Shaftesbury  312  Brown  366  Leibniz  Z^^ 
Bodmer  406  Schiller  452 

Helden  durch  Damen  gebadet  Boiardo 
41 

Helene  Conii  106  Herder  435 

Henriade  237 

Heraklesepen  Heyne  459 

Hermann  417 

Hermann  und  Dorothea  446.  448 

Heroic  Play  Dryden  295 

Heronsbriefe  372.  374 

Hervortreten  des  Dichters  Ariost  44.  445 
Tassoni  86  Spenser  217  Englisches  Epos 
277  Jf/Zton  277.  317  Shaftesbury  312 
Lessing  425  Humboldt  455 

Hesperis  30 

Hexameter  388  ikfa^e*  96  TTaisow  266. 
274  Gottsched  395  Breitinger  415  JS^/op- 
s^ocÄ;  415  Bodmer  417.  441.  444  Herder 
434.  441.  443.  446  G^oe^Äe  443  ^ür^er 
S'toZftergf  443   FoyS  445. 

Hieroglyphen  der  Dichtung  Diderot  243 

Hiob  146.  373 

Hipparchos  204.  206.  210  iTerder  464 

Hissarlik  257 


Sachregister 


513 


Homer  Abbildung  uralter  Sitten  Haller 
392 

Absicht  Castelvetro  71  Shaftesbury 
312  Leibniz  389 

Abwechslung  Pope  328 
apokalyptisch  ügone  147 
archaisierend  Goguet  212.  254  Pope 
^54.  329  Herder  432 

durch  Athen  gerettet  Herder  464 
Auffassung  bei   den  Alten  Addison 
320  Herder  430 

Augenfälligkeitil/wrafon  102  schreibt 
für  das  Auge  Coivper  376 

Ausdruck  seines  Zeitalters  Vico  109 
Ausdruck  des  nationalen  Empfindens 
Bossuet  173 

Begründer  der  Humanität  Vico  108 
Schule  der  Humanität  Herder  436 
Beobachter  vortrefflicher  MerianA39 
im  Besitz  aller  Geheimnisse  der  Natur 
und  Kunst  Bodmer  405 

Bewunderung  Ursachen  Giraldi  61 
Tassoni  85  Heyne  461 

Bewunderung  ein  Vorurteil  Bois- 
robert  178  P.  PerrauU  180  ia  Motte  218 
M^^Dacier  220  Voltaire  238  Pope  326 
TT^ooc?  371 

Bild  des  vollkommenen  Fürsten  Babe- 
lais 123 

Blindheit  35.  37.  178.  209.  438.  463 
Breite  Capriano  48  Beni  83  Mura- 
tori  102  Batteux  242   TFbod  371 
Bruder  der  Natur  Klopstoch  416 
erster  und  letzter  Dichter  Montaigne 
123 

Digressionen  FiVZa  49  Bapin  172 
Einfalt  der  Formen  Schiller  453 
Einheit  zwischen  Denken  und  Emp- 
finden Schiller  453 

Einheit  der  Person  und  des  Werkes 
g    Humboldt  455 
^B    Erfinder  größter  Pope  326 
^™    Erfinder  der  Kunst  der  Poesie  Sca- 
liger 135 

Erfinder  der  Burleske  Perrault  194 
Erfindung  Fruchtbarkeit  der  Andres 
108  Hobbes  288 
Erfindung  Muster  der   Vida  49 

Finsler:  Homer  in  der  Neuzeit. 


Homer  Erfindungen,  gehäufte  Desmarets 

163 
Erhabenheit  Voltaire  249 
Erhaben  über  den  Ehrgeiz  Polizian  35 
Erregung  der  Affekte  Andres  108 
Feuer  der  Erzählung  Dryden  299 
Form  Diderot  243 
Freude  an  der  Natur  Beattie  346 
Führung  der  Handlung  42 
Fülle  Marsuppini  25  Polizian  37.  38 

Andres  108 

Gedichte   die    Arbeit   einer  Nation 

Vico  109 

Gegenstände,  Kleinigkeiten  nach  un- 
serer Auffassung  Herder  435 
Gehalt  ethischer  Herder  435 
Gelächter  unpassendes  Klotz  432 
Gerechtigkeit  gegen  den  Feind  J.no5^ 

43  Trissino  60  Tasso  69  Graziani  92 
Gesamtheit  der  epischen  Poesie  JFL 

Schlegel  469 

Geschichte  des  Naturrechts  F*co  110 
Geschmacklosigkeiten  Tassoni  88 
Geschwätzigkeit  Fioretti  89  Voltaire 

239 

Größe  in  der  Begrenzung  Schiller  453 
Hauptlösungen  frostig  5enz  83 
Herbheit  44 

Herold  aller  Tugenden  für  die  Nach- 
welt Polizian  37 

im    Jugendunterricht    Warton    344 

Erasmus  377  f. 

Hilfsmittel  für  die  Autorität  der  Bibel 

Croese  145 
Historiker  TFbo6^  371 
Kenner    des    menschlichen  Herzens 

Boche  fort  248  Chabanon  251  ^MrÄ:e  248 
Kenntnisse    Wood  372    Herder  435 

Merian  439 
Kind  der  Natur  Herder  435 
komponiert  ins  Blaue  Tassoni  87 
Komposition  Herder  435 
Konstruktion     reine    Bilderstellung 

G^oei^e  426 
Kontrastwirkung  Diderot  244 
Kraft  der  Schilderung  FoZtoire  238 
Kulturstufe  F.  Schlegel  468 
Künstler  F.  Schlegel  469 
33 


514 


Sachregister 


Homer  Kunst,  geschaffen  aber  unvollendet 
gelassen  Scaliger  135  Voltaire  239 

Kunst  der  Darstellung  verschieden 
Muratori  101    Voltaire  239 

kunstvolle  Reihe  von  Dialogen  Shaf- 
tesbury  312 

Lebendigkeit  Maffei  96 

Lehrer  des  Altertums  PoUzian  38 

Lehrer  der  Barbaren  Tasse  78  Pa- 
trici  78 

Lehrer  der  Menschheit  Tzetzes  12 
Marsuppini  25  Polizian  35  Montaigne 
123  Collins  206  Marmontel  246  JBocfce- 
/br*  248  Dewn««  314 

Lehrer  der  Pythagoreer  Marsuppini 
26 

Lehrer  einer  Zeit  Vico  109 

Lehrer  der  Weisheit  Wilson  269 
Lemnius  384  Schaidenreißer  385 

löst  die  Rätselfragen  des  Schicksals 
Schiller  453 

Lügen  Eeuchlin  379 

Maler  TFoocZ  371  glücklicher  J5m- 
tinger  404  poetischer  JBretYm^er  404 

Maler  der  Sitten  Gravina  99  seiner 
Zeit  Brown  366 

Malerei  musikalische  Diderot  Lessing 
441 

Mangel  an  konventionellem  Anstand 
Giraldi  62  Capriano  64  Ta550  66  2^«o- 
rettt  89 

Mangel  an  Mitteln  des  Ausdrucks 
Kant  389 

Mangel  an  moralischem  Geschmack 
Herder  435 

Maugel  an  Ordnung  Home  349 

Mannigfaltigkeit  Pojpe  329  Wood  BIO 
Era^smus  377 

Meister  in  allen  Künsten  Colli)is  206 

Meister  in  der  Kunst,  die  Phantasie 
zu  bereichern  Bodmer  405 

Menschlichkeit  Beattie  346  Herder 
435 

Mitgefühl  für  die  Fallenden  Pope  329 
Burle  348  Herder  435 

Mörder  des  Anstandes  Fioretti  89 

Monument  der  Macht  des  Genies 
Beattie  346 


Homer  Monotheist  Marsuppini  26.  30 
Muster  aller  Muster  Lessing  423 
Muster  aller  Spätem  Breitinger  iO'S 
Bodmer  405 

Muster  deiBichteiCesarottilllSaint- 
Evremond  199  La  Motte  215  G^m  250 
Nachahmer  der  Natur  Gacon  227  nicht 
einer  schönen  Natur  La  Motte  220 
Naivetät  Bonsard  129  Bayle  199 
Natürlichkeit  iHa/fe*  96  Gravina  9a 
/SaZeZ  126  BoiJeau  167  Bousseau  241 
Barthelemy  255  Bodmer  417 

Naturtreue  Blackwell  333  TFboc/  STO- 
Niedrigkeiten  F*äfa  50  Giraldi  62 
^ewe  83.  84  Fioretti  89  Muratori  102 
Cesarotti  111  Scaliger  136.  137  Racine 
153  Rapin  172  Boisrobert  178  Boileau 
196  ^ai/Ze  198  iJf"»«  Bacier  213  Batteux 
242  Marmontel  246  Pope  327  i/ome  350 
Breitinger  402 

Nutzen  für  die  christliche  Predigt. 
Picinelli  147 

Nutzen  für  das  Leben  MelancMhon 
380 

Nutzen  für  den  Unterricht  Thomassin^ 
142 

Objektivität  TassoniSQ Humboldt 455 
Orakel  aller  Weisen  Young  356 
Organ  des  Vaters  der  Lüge  ia  Moite- 
220 

Original  Gerstenberg  437 
Originalität  Andres  108  Cesarotti  114 
Shaftesbury  312  Gerstenberg  437 
Originalgeist  Breitinger  403 
Originalgenie  TToo^Z  368  Merian  440 
Ozean  von  Fabeln  Era^mus  3T7 
Poesie  im  Widerspruch  zu  aller  dich- 
terischen Kunst  Fioretti  89 
Preis  der  Tugend  Tosso  78 
Quelle,  erste,  der  Talente  JETi^sse  38a 
Quelle  der  Weisheit  Camerarius  381 
redendes   Gemälde  Marsuppini  126' 
Redner  vollkommener  PrMWz23  il/ar- 
suppini  25 

Reichtum  Polizian  37 
Sänger  fahrender  Boisrobert  IIS  Tas- 
soni  178  Gwerc^  178  Bentley  206  Philips 
360 


Sachregister 


515 


$ 


Homer  Schatzgrube  aller  Köstlichkeiten 

Postel  391 

Schilderer  der  Affekte  Fenelon  222 
Schilderer  des  frühesten  Zeitalters 

Beattie  345 

Schilderer  der  Wirklichkeit  Schiller 

453 

Schulbuch  in  Byzanz  10 
Streben  nach  "Wahrheit  Gravina  98 
Theopneustie  Hamann  428 
Tragiker  und  Komiker  Marsuppini 

25  Chabanon  251 

Treue  der  Darstellung  Wood  368 
Überschätzung  Heyne  460 
Übersichtlichkeit  Castelvetro  71 
Übertreibungen  Vida  49  Shaftesbury 

312 

Ungezwungenheit,  naive  Bofisard  129 
UnWahrscheinlichkeit  Vida  49  Beni 

84    Tassoni  86   Bayle  199  Dtt&os  233 
Unwürdiges  Beni  84  Tassoni  86  öra- 

wwa  94  Andres  107  JBayZe  198  ^roÄ- 

wms  378 

Urbild  des  Dichters  Schiller  452 
Ursachen  seiner  Popularität  Goethe 

448 

Urteile  über  ihn  Cesarotti  115 
Yater    der  Dichter    Marsuppini  25 

Plutarch  26  Polizian  35.  36  Melanch- 

thon  Luther  381 
Vater  des  Epos  Gueretm  Brown  367 
Vater  aller  Künste  Tassoni  85  Cesa- 

ro<<t  114  Perrault  192  Holberg  393 
Vater  der  Lüge  wie   der  Wahrheit 

Croese  145 

Vater  aller  Philosophie  Babelais  123 

Montaigne  123  /SaZeZ  126  Beuchlin  379 

Melanchthon  380 

Vater  der  Poesie  Young  356 
Vater  der  Tändeleien  Erasnius  379 
Vater  der  Umständlichkeit  (rray  356 
Vater    alles    Wissens    Plutarch    26 

Polizian  38   C/rceo  38  Co^Z^■us  206  Par- 

W€ZZ  325 

Verbesserer    der    Religion    Fenelon 

223  Bochefort  247 

Verbot  das  Unerforschliche  zu  er- 
forschen Petrarca  17 


Homer  Verbreiter  der  Gesittung  Melanch- 
thon 380 

verhüllt  die  Wahrheit  der  Geschichte 
Dion  121 

verletzt  das  Gefühl  Beni  84 

Verständnis  für  ihn  Boivin  227 
Diderot  244 

Volks  dichter  Herder  434 

Vollender  der  epischen  Kunst  Brown 
367  J?'.  Schlegel  470 

Vorbild  der  antiken  Schriftsteller 
Geddes  310 

Vorbildlichkeit  Polizian  38  T7co  109 
Gosson  270  ^SacÄs  386 

Vorwürfe  gegen  ihn,  gesammelte, 
Tassoni  86  Scaliger  136  Desmarets  163 
JJopm  172  Perrault  180.  191 

Vorzüge  gehören  seiner  Zeit  Heyne 
462 

Wahrheit  der  Zeichnung  Gravina 
99  Bossuet  173  Fenelon  223  (?acon  227 
FoZia^re  239  Diderot  244  Boche  fort  248 
Shaftesbury  312  Hei/we  461 

Wahrheit  und  Weisheit  Herder  435 

wechselseitige  Glut  des  Sängers  und 
Hörers  Schiller  453 

Wegweiser  richtiger  Lebensanschau- 
ung Camer arius  381 

Weltanschauung,  fröhliche  Herder 
435 

weisester  Schriftsteller  Ascham  269 

Weisheit  Beattie  346 

Wiederhersteller  der  Grundgedanken 
der  Poesie  Fico  108 

Wirkung,  dauernde  Bochefort  248 

Wissen  Marsuppini  26  Hobhes  288 
iSw;*/*  305  Poi9e  325.  330  Blackwell  355 
TToocZ  372  Merian  439  J^ei/tze  462 

wissenschaftliche  Anregung  Heyne 
461 

mächtigster  Zauberer  Gravina  98 

Zeichnung  der  Affekte  Andres  108 

des  Vollkommenen  Gravüm  99  3Iura- 
tori  101 
Homer,  der  wahre  Fico  110 

und  Aristoteles  Metastasio  103 

und  Natur  Barthelemy  255  Pope  321 

und  das  Alte  Testament  JRicce  105 
33* 


516 


Sachregister 


Thomassin  142  Croese  144  Grotius  145 
Duport  146  Cudworth  146  Picinelli  147 
Bossuet  174  3f""  Dader  212.  220.  230 
La  Motte  216  Hardouin  230  Bryden 
296  Addison  318  Xomj^ä  358  TTood  370 
Heyne  461 
Homer  und  die  geoffenbarte  Religion  3far- 
suppini  25.  26  Thomassin  142  Bogan 
145  Jtfenc  Casaubonus  146  Duport  146 
Cudworth  146  Saint- Evremond  199  ia 
iJfo«e  216  ParneZZ  324 

und  die  Künste  D'Hancarville  252 
Goguet  254  CayZws  254  ITet/ne  460 

und    die  Tragödie    Horaz  48    F«co 
109   Scaliger  135.  204  Salmasius  205 
,    Hobhes  288  Shafteslury  312 

Heimat  und  Leben  Tzetzes  12  Ciriaco 
23  Polizian  37  Ftco  109  Croese  144 
Ällatius  148  Lefebvre  154  ParneJl  324 
JBZacÄ:«re?Z  332  TfoofZ  368  Schubarth  4:11 

Name  Croese  144 

Zeit  Fossms  140  Parnell  324 

Zeitalter  Herder  433  Merlan  439 

Ausbildung  Blackwell  332 
Homerfrage  Fico  109  Cesarotti  113.  210. 
465  Heinsius  139  Gyraldus  203  J.nnms 

203  Camerarius  203  J?esse  203  Scaliger 

204  Casaubonus  204  Meursius  204  ÄaZ- 
masius  204  f.  Perizonius  205  Wetstein 
206.  388  JTwsier  206.  388  Morhof  206. 
388  Gronovius  206  Fabricius  206  ^en<- 
%  206  iJopm  207  PerrauU  192.  207. 
219  Boileau  208.  463  d'Äubignac  110. 
112.  209  f.  ia  ikfofie  219  M"*«  Daaer 
219  G^acow  208.  211  Hardouin  211 
Bousseau  211  Voltaire  238  Mercier  250 
ITercZer  210.  434.  464  Se^/^e  210.  458  ff. 
TFo?/"  210.  458.  463  f.  Zoe^a  210  Ter- 
rosson  224.  225  iew0  262  Parnell  324 
Philips  360  Merian  462  f.  (roef/ie 
465  ff.  470  ff.  ÄcMZer  467  Wieland  467 
F.  Schlegel  468  f.  Ätowc?  (?er  i^ra^re  t^m 
iSÖÖ;  470 

Homeriden  Herder  464   Goethe  467  von 

Chios  M"»«  Dacier  148 
Hou^e  of  Farne  8 
Humanismus  und  Kirche  26.  32 
Hymnen  homerische  148.  154 


Ideal  Marmontel  245 
Idealfiguren  F?co  109  Scaliger  134  G^acow 
227  Chenier  263  /Se^Zwe^/  271    TFmcÄ;eZ- 
wiann  419 
Idealität  Humboldt  454 
Idealschönheit  D'Hancarville  253  TFtw- 

ckelmann  419 
Idyll  G^oefÄe  448 
Idyllenpoesie  Fontenelle  185 
Jeniaseri  257 
Jesuiten  150.  152.  197 
Ilias  Abschluß  versöhnend  60.  450 

Analyse  Heyne  459 

ein  einzelner  Akt  Salmasius  205 

Anfang  Castelvetro  71  Salviati  75 

Aufbau  Batteux  241 

Auszug  GoetJie  450 

Bildergalerie  G'«n  249 

Entstehung  Heyne  458 

setzt  eine  Entwicklung  des  Epos 
voraus  Brown  367 

Gegenstand  und  Handlung  Tzetzes  12 
Tosso  66.  67  Castelvetro  71.  72  Patrici 
11  Beni  83  Tassoni  86  Cesarotti  113 
Croese  144  Desmarets  163  ie  ^ossu  170 
D'Äubignac  209  Xa  ilfot^e  214  Sar- 
<?OMm  230  iüf""  Dacier  231  Batteux 
241  Marmontel  246  TFe&&e  273  Po^^e 
325  Herder  435  (roe^/«e  438  Heyne 
459 

Gegenstand  nicht  würdig  Andres  107 

Grundgedanke   Ffco  109 

Länge  Pem  83 

lehrt  kriegerische  Tugenden  Scaliger 
135  Melanchthon  380 

Plan  Terrasson  224  Lange  472 

Sieg  der  Gewalttat  ifaZZer  393 

Stoff,  überliefert  oder  erfunden?  157 
Tzetzes  10  f  Eustathios  14  Pellegrino 
74  Salviati  74  Muratori  101  Lemaire 
121.  122  Samxon  122  Bonsard  129 
Scaliger  135  Croese  145  Bapin  HS  La 
Motte  215.  216  Dtt&os  236  Dryden  297 
Blackwell  333  TFtZHe  338  TFoorf  371 
He2/ne  458.  461   TFoZ/*  463  öoe^/ie  466 

und  Odyssee  Giraldi  62  Longin  110 
Feco  109.  110  ifef"»«  Dacier  230  Äpewce 
331    Welsted  341    War  ton  344    TFooc? 


Sachregister 


517 


^Tm; 


368  Cowper  376  Melanchthon  380  Brei-  I 

tinger  404  Goethe  448. 470  F.  Schlegel  469  | 
Ilias  Schluß  44.  60.  450  Salviati  75  Des-  ' 

marets  163 

Titel  Tzetzes  12  Hardouin  230  | 

Urbild  der  Fehler  Fioretti  89 

ustration  de  Gaule  119 

aginatioD,  Welt  der  Hurd  354 
Impromptus  Herder  433.  465 

provisation  Blackwell  334  Brown  367 

dianer  Gebräuche  Thomassin  144 
Inspiration  des  Genies  Chenier  263  üfeY- 

ion  289  BlackweU  335  ^wwe  347  Lowth 

358  Gerstenberg  437  Merian  439 
Interesse  an  Homer  stofflich  Petrarca  17 
intimation  331 
Isländische  Gedichte  360 
JtoZia  Über  ata  da'  Gotti  57 
judgment  425 
Judith  Buch  131 

Kalypso  und  Dido  Bryden  299  TTood  370 
Katalog  Vida  50.  54  Sannazaro  54  5oi- 

ardo  Ariost  54  Tasso  67  Bonsard  129 

Spenser  278  Kynaston  282  Jft7ton  209 

Blackmore  300 
Katharsis  Aristoteles  56  Chapelain  156 

Shaftesbury  312 
Kelten  Merian  439 
Kirchenväter  142.  147.  265.  387 
Kirke  Boiardo  41 

Elassizismus  Frankreich  153.  196.  246 
England  267.  291.  299.  313.  321.  325. 

341.  344.  346.  361.  374.  375 
Deutschland  389.  391.  393.  394 
Klassizität  Andres  107 
Kleine  Ilias  205 
Knittelvers  385.  388.  391.  394 
Koexistentes  und  Konsekutives  Lessing 

421  Herder  430 
Kommentar  wissenschaftlicher  <Spon<:?«nMS 

125 
Kommentatoren  Gravina  97  Heinsius  139 

Boisrobert  178  Fontenelle  186  Saint- 

Hyacinthe  239  Croe^/te  436 
Komnenen  9 

Komödie  56.  87.  284.  299.  304 
Kompilatoren  der  Ilias  d'Aubignac  209. 

210  Bousseau  211 


Kontrast  der  Empfindungen  Diderot  244 

Humboldt  255 
Kostüm  historisches  Caylus  255 
Kritik  ÄwJi/lt  305  Burke  347  fiowe  348 
Hurd  351  Pinkerton  373  >S'M?;?er  409 

Aufgabe  Dryden  295  Swift  30b  Addi- 
son 317 

Notwendigkeit  Hume  346 
und  Dichter  Teniple  301 
deutsche  im  17.  Jahrhundert  388 
französische  155  ff.  Temple  dOl  War- 
ton 344  SMrtZ  351  Pinkerton  373 
französische  in  England  291 
französische  und  englische  Dryden 
298  Dennis  314 

französische  in  Deutschland  393. 395 
403  ff. 

historische  304 

literarische    in    Frankreich    155    in 
England  266 

philologische  Valckenaer  411 
philosophische  217 
Kunst  Definition  Humboldt 4:64:  F.Schlegel 
469 

Summe  der  Regeln  Perrault  189. 193 
Wotton  303 
Werden  der  Kunst  Winckelmann  419 
Künste  Grenzen  424 
Grundlagen  346 

in  Griechenland   d'Hancarville  254 
Heyne  460 
Kunstsinn  echter  Humboldt  455 
Kyklos  epischer  205 
Kyniker  11 
Kyprien  205 

Lächerliche,  das  Lessing  432 

Lancelot  127 

Landleben  Chalkhill  281  Chamberlayne  283 

Laokoon  Statue  320 

Lateinisch  und  Griechisch  165.  411 

und  Italienisch  33.  46.  48.  57.  137 
Lateinische  Bildung  Italien  20.  21.  26 f. 
Nachahmung  der  Alten  Bossuet  174 

Le  Clerc  201 
Latinisierung    der    Bildung   Frankreich 

138.  158 
Lear  349 


518 


Sachregister 


Lehrbücher  21.  150.  161.  387 

Leonidas  336 

Leukosia  23 

Liebe  161.  182.  212 

Lieder  Pigna  63  Perizonius  205  d'Auhi- 
gnac  209  F.  Schlegel  468 

Literatur  Einteilung  nach  Perioden  An- 
dres 106 

Lockenrauh  323 

Lutrin  168 

Lycee  246 

Lyrik  88 

Maler  poetischer  Bodmer  407 

Malerei  d' Hancarvüle  253  Goguet  254 
Pope  330 

Mannigfaltigkeit  Humboldt  455 

Mantua  29 

Marcianus  A  262 

Margites  70 

Marie  Magdeleine  162 

Marinismus  Bodmer  406.  408 

Maßstab    der  Beurteilung    alter  Werke 
Tasso    60    Tassoni   88    Muratori   102 
Bacine  153  PerrauU  Claude  179  Per-  \ 
rault  Charles  175.  194  Fontenelle  186 
Boileau  195.  196   ia   Mo«e  215.  216. 
218.  220.  221  Fenelon  222  Ö^acon  227 
Boivin  227    i)w6o5  234.  235    Voltaire 
237.238.240  Marmontel 24:6  Bar thelemy  ' 
256  Addison  291  Bryden  296  Pope  322  | 
JTwwe  346  Bodmer  404  ^oi^  432  J3"er-  i 
der  432.  433  Gerstenherg  436  ! 

Mauerschau  Castelvetro  71 

Meleagris  30 

Menelaos  Gosson  270 

Merveilleux  Chretien  160.  162.  166 

Messias  414 

Metaphrase  Ascham  270 

Metalltechnik  Goguet  254  Pope  330  Heyne 
460 

Metra  klassische   Webhe  273 

Milieu  Blackwell  114.  333  Cesarotti  114 
Wotton  235.  302  Di^feos  235  Shaftesbury 
313  i)enM?s  314  ifwme  347  TToo^i  368 
Pinkerton  373  Crray  373  Breitinger  403 
Winckelmann  419  Herder  433  Merian 
440 


Minnesänger  433 

Minstrels  361.  364 

Mitleid  und  Liebe  PwrA-e  348 

Mitleid  und  Schrecken  Aristoteles  56  Tasso 
66   Marmontel  246    Chamherlayne  284 

Mittelalter  Tassoni  176  Fontenelle  186 

Moira  Xa  Mof^e  216  Terrasson  225 

Moly  Ascham  269  Schaidenreißer  385 

Moment      ethisches      und     ästhetisches 
Shaftesbury  311 

transitorischer  Lessing  Herder  430 

Monotheismus  im  Altertum  146.  216 

Moral  des  Epos  ie  Bossu  170  Perrault 
192  Xe  CZerc  201  M'"' Bader  212  Xa 
ilfoWe  214  Batteux  242  Marmontel  246 
Xe  :Brt*n  249  /Sm^i/*  309  Addison  316 
J?ZaiV  345  TFbot^  368.  371  Sei/we  485 
des  Mythos  Bacon  268 
Homers  Xa  iHfoWe  217  M^^'Dacier  220 
Terrasson  224  (xacon  227  Xe  jBrwn  249 
Beattie  346 

der  Ilias  Tzetzes  12  Le  Bossu  170 
Xa  ilfo«e  217  ÄwZ^er  410 

Moralischer  Einfluß  der  Poesie  Bacon  267 
Einfluß  der  Dichter  gering  Xe  C/erc 
201 
Nutzen  der  Poesie  Chapelain  156 

Moralische  Grundsätze  unwandelbar 
lasso  66  ^Mwe  347 

Wirkung  durch  Abschreckung  Conti 
106 

Moralische  Tendenz  Home  350 

Mumie  der  Helene  213 

Musik  antike  Gosson  270 

Muster  76  Horaz  48.  49  Vide  48.  49.  51. 
Minturno  63  Ä'treii  um  die  Gerusalemme 
76  Tasso  85  Bisorgimento  94.  95  Maffei 
96  Gravina  98. 100  Muratori  101  Cesa- 
ro«^■  112  Pelletier  128  Bonsard  129 
X)w  Bartas  130  Vauquelin  132  Scaliger 
134.  135.  176  Chapelain  157.  159  <Sat- 
deri/  160  Boileau  169.  197  Xe  J5ossw 
171  Bapin  173  Desmarets  177  Perrault 
182.  194  Fontenelle  186  G^acon  227 
Voltaire  237.  240  ilf armo wieZ  246  Caylus 
255  Chenier  263  Englisches  Epos  280 
CoMJZey  284  Bavenant  285  Phillips  292 
Buckingham  293  Bryden  296  Blackmore 


Sachregister 


519 


500  Wotton  302  Swift  309  Shaftesbury  \ 
312.  313  Addison  316.  318  Pope  321 
Johnson  342  Hume  348  Hurd  352.  355 
Beattie  365  Pinkerton  373  Gottsched 
394  Bodmer  397  Breitinger  403  >SwZ^rer 
409  Lessing  423  Humboldt  464 
Mythus   Fico  108  ^acon  268  i 

I 
Nachahmer  Scaliger  137  Homers  Dennis  \ 

315  und  Rivale  452 

Nachahmung  Definition  Sidney  271 

Nachahmung  Scaliger  135  Xa  Motte  220 

Addison  318  Pinkerton  372 

richtige  Bryden  297.  311.  321  Pope 

321     Young    356     Wiyickelmann   419 

Goß^Äc  447.  448.  450 

des  Altertums  Boiardo  41  Xe  CZerc 

201  Marmontel  245  Chenier  263  Bryden 

511   Temp/e  311  Pope  320  | 

antiker  Metra   TFe&Z^e  272  i 

gegenseitige,  der  Dichter  Burke  347  ^ 

des  Genies  Diderot  244 

Gift  für  die  Poesie   TFe/sietZ  341 

Homers  Giraldi  61  Tassoni  88  Saint- 

Evremond  199  GZot'er  336  "W'VZ^ie  337 

Merkmal  der,  JBZmr  J3m-(Z  363 

fremder  Muster  Davenant  285 

Unterschiede    if^rti    351.   352.   355 

Young  355  j 

Naiv  und  sentimentalisch  Blackwell  334  j 

Schiller  453  Humboldt  455 

Natur  Sbra^f  49   "R^^e  49.  51.  52  CasieZ-  j 

^;eiro  70.  73  Gravina  97  Muratori  102 

Scaliger  134  Duport  146  Boileau  167 

Fontenelle  185    Pai/Ze   199  Xa  Jfotte 

220.   221    G^acon    227    Rousseau    241 

3Iarmontel  245  Caylus  285  Barthelemy 

255  Daniel  266  Pacow  267  Hobbes  287 

Dryden   296    Addison  316    Poi9e   321 

Johnson  327.  342.  364  Blackwell  333 

5ea«^e  346.  364  ^wrile  347  XToJwe  348 

XZt^rd!  352.  354   Toim^r  355   TFooeZ  370 

Bodmer  405  TF'mcZ:eZmann419  Hamann 

428  -ffercZer  434  G^oe^/ie  437.  438  Merian 

439  iSc/tiZZer  453 

Natur  wirkliche  und  wahre  Schiller  453 

und  Altertum  Goethe  437 

und  Gewohnheit  Johnson  342 


Natur  und  Kunst  Daniel  266  Adisson  319 
Johnson  343  Gerstenberg  436  Humboldt 
465  F.  Schlegel  469 
und  Kunstfertigkeit  TF^7^'^e  341 

t^nd  Regeln  Pojpe  321   Beattie  345 
Sbme  348 

Naturbekenntnis  herrschendes  GoetheSlO. 
438 

Naturdichter  Blackwell  334 

Naturdichtung  JP.  Schlegel  469 

Natur-  und  Kunstpoesie  Addison  318 
Pope  325.404  Breitinger  4^04:  Schiller  4:6B 

Naturschilderung  F^cZa  51  Englische  Poesie 
266.  280.  364  Drayton  381  Chamber- 
layne  283  Ossian  361  Beattie  365 

Nausikaa  Giraldi  62  Tasso  66  Croese 
145  Bacine  153  Rapin  172  Claude 
Perrault  179  Boileau  196  Pai/Ze  199 
Fetielon  223  Rousseau  241  Chenier  264 
G^osson  270  ITuwe  347  Pos^eZ  390 
Bodmer  409  6roei/ie  447 

Nebel  Lessing  Herder  430 

Nepenthe  149 

Nestor  Gosson  271 

Neubearbeitung  antiker  Stoffe  Tasso  66 
Boileau  168  Johnson  342 

Neues  Testament  382.  387.  413 

Neugriechen  (rwys  252  Choiseul  252.  269 

Neuhumanismus  Gesner  413  Zürich  414 

Neu-Ilion  256.  257.  258 

Neuplatoniker  11.  124.  324.  440 

Nibelungen  445 

nicety  318 

Noachide  417 

Notwendigkeit  Aristoteles  55  Minturno 
63  Castelvetro  71 

Nützlichkeitsprinzip  Breitinger  413 

1  Numa  110 

I  O&eron  418 

I  Objekte,  erste,  des  Dichters  PZaiV  345 
Objektivität  Humboldt  454 
Odyssee  Anfang  Castelvetro  72 

Beispiel  für  alle  Tugenden  Lemnius 
384 

Belehrung     auch    für    gewöhnliche 
Bürger  Xe  Bossu  170 

bürgerlicher    Charakter    Goethe  448 


520 


Sachregister 


I 


Odyssee  bürgerliche  Klugheit  ScaligerlSb 
Gemälde  des  Elends  der  Menschen 
Wilson  269 
gewöhnliche  Leute  Tasso  77 
Grundgedanke   Vico  109 
häuslicher  Charakter  Wood  368 
Kunst  und  Norm  der  Lebensführung 
Gravina  98  Spence  331 

Kontinuität  und  Reziprozität  Schiller 
467 

stark  komisch  Perrault  192 
lebendiges  Wort  Goethe  447 
Lehren    für    Obrigkeit    und    Unter- 
tanen Schaidenreißer  385 
moralisches  Gedicht  Spence  331 
moralischer  und  politischerCharakter 
Bodmer  407 

ein  Nostos  Lessing  425 
Schilderung  eines  Menschen  Sulzer 
410 

Spiegel    des    menschlichen   Lebens 
Schaidenreißer  385 

Spiegel  für  Reisende  Äscham  269 
Stoff  Croese  144 
Triumph  der  List  Haller  393 
Tugenden  des  bürgerlichen  Staats- 
lebens Melanchthon  380 
Zahl  der  Tage  Bicd  105 
Odysseus  Homerus  Latinus  3  Salviati  Ib 
Gravina  98  Äscham  269  Sidney  272 
Melanchthon    380    Schaidenreißer  385 
Haller  393 
Odysseus  Tod  Dante  15 
Oenone  119 
Oper  194 

Original  und  Gelehrsamkeit  Hamann  428 
Originalgenies  427 
Originalwerke  361    Welsted  341    Young 

355 
Orlando  Innamorato  40 
Orlando  Furioso  42 
Ottobert  der  habsburgische  394.  403 

Paläologen  9.  19 
Pantheismus  philosophischer  147 
Paradise  Lost  288  JRegained  291 
Paradiso  degli  Alberti  21 
Paraphrase  Äscham  269 


Paris  Conti  106  Lemaire  119. 121  Herder 

435 
Parisurteil  Lemaire  121   ia  J/otte  219 
I      Marioaux  229 

Parodie  Tassoni  88  Loredano  94  Boileau 
168  Claude  Perrault  119  Dugas-Monhel 
228  Marivaux  229 
Parthenon  24 
(Ze  Partu  Virginis  54 
i  Passionsspiel  52 
I  Pastorale  87 
Paulskirche  367 
Pedanten  82.  166.  304.  341 
Penelope  Gravina  Bicd  105  Spence  332 

Schaidenreißer  385 
Pentateueh  146 

{  Personifikationen  Chamberlayne  283  Bowe 
I      319  Boileau  287  Merian  440 
I  Pforta  388.  416 

Phantasie  Marino  89  Muratori  101 
Chapelain  156  Fontenelle  185.  186 
Dubos  234  Marmontel  245  Bacon  267 
Hobbes2Sl  Addison  31S  Blackwell  334^ 
La  Motte  400  Bodmer  406  Äw/^^er  410 
Humboldt  454 

der  Alten  Humboldt  456 
Phantasie    und    gesunder  Menschenver- 
stand Saint-Evremond  200 
und  Herz   Voltaire  238 
und  Regeln  Voltaire  238 
und  Philosophie  Beattie  365 
und  Vernunft  F^rfa  48 
und  Urteil   Muratori  101    Voltaire 
237  Poi^e  322  Parnell  322 
und  Wirklichkeit  Gravina  97.  98 
Phemios  333 
Philhellenen  259 
Philologie  französische  124.  262 
Phöniker    Bochart    141    Thomassin    143 
Croese  144   Blackwell  333    TFbod  369. 
372  Marino  463 
Pleiade  123.  127.  133.  177 
Poesie  Aufgabe  und  Zweck  Trecento  16 
Polizian    38.   47     Savonarola    39.   47 
P?a^on   40    Muratori    101    Conti    lOe 
Lemaire  120  Samxon  122  Pelletier  128 
Scaliger  134  Thomassin  144  Croese  145 
Chapelain  156  Scudery  159  Desmarets 


Sachregister 


521 


161  LeBossulGd.llO Bapinll2 LeClerc  \ 
201  La  Motte  215  Fenelon  222  Gacon 
227  Diibos  234  Bacon  267  Sidney  272 
TTeöfte  273  PuttenJiam  274  Bavenant 
286  £ro?)6es  288  Brydeyi  294  Dennis 
314.315  ParneUS26  Loivth'Sbl  Twining 
375  Melanchthon  380  Camerarius  381 
BulUnger  382  Breitinger  403 
Poesie  Angemessenes  Bodmer  406 

Arten  Giordano  Bruno  81 

Charakteristikum  Bruno  82  Scaliger 
134 

Definition  Marmontel  245  Gersten- 
her g  437  Humboldt  455 

antike  Poesie,  Nutzen,  Gosson  270 

antike  Poesie,  bewußte  Täuschung 
Saint- Evremond  200 

und  bildende  Kunst  d' Hancarville  253 

eigentlich  zu  nichts  gut  Fontenelle 
186 

Einteilung  Bacon  268  Camerarius 
381  Schiller  453  Humboldt  459 

Einteilung  nach  Ständen  Castelvetro 
70  Puttenham  274 

Entwicklung  Scaliger  176 

entzückt  durch  die  Einzelheiten 
Dm&os  233   Voltaire  239 

Erleuchteiin  aller  Nationen  Sidney 
271 

Erzeugerin  der  Zivilisation  Horaz 
38.  48  Polizian  38.  48  Fenelon  222 

erste  gemeinsame  Sprache  Fico  108 

ethisches  und  ästhetisches  Moment 
Shaftesbury  312 

Form  der  Theologie  56 

galante  194 

Gebiet  heilige  Gegenstände  Lowth 
357 

und  Geschichte  Aristoteles  56  Castel- 
vetro 72.  73  Chapelain  156  Bacon  267 
Sidney  271  ioiü^Ä  357 

göttlichen  Ursprungs  Lowth  358 

Grundgesetze  65 

hebräische  Lowth  357  Pinkerton  373 
Merian  439 

Imitation  Gravina  98 

Imitation  des  Lebens  Aristoteles  56 
Metastasio  103  Sidney  271 


Poesie  kosmogonische  360 
und  Kunst  Caylus  255 
lebendige  Sage  Herder  434 
malerische  419 
malerisches  Moment  398 
und  Malerei  Cesarotti  116  Besmarets^ 

164  Perrault  191  Dm&os  233  ilfar- 
wowieZ  245  /Spewce  330  Bodmer  398. 
407  Lessing  420  Herder  430 

Mechanik  der  Poesie  Dubos  234 
Muttersprache  des  menschlichen  Ge- 
schlechts Hamann  428 
Norm  Scaliger  134 
und  Philosophie  Chapelain  156  i^'on- 
teweZZe  185  Perrault  194  ^StcZwer/  271 
Regelmäßigkeit  notwendig  iZome  349 
und  Religion  Dennis  314 
und  Rhythmus  Brown  366 
Schilderung  der  Affekte  Bodmer  405 
des  Stils  Dw&os  234.  236 
Ursprung  Fontenelle  185 
Welt  der  Bodmer  398 
Wesen  Savonarola  39  Quattrocento  4=7 
Breitinger  403 

das  Wesentliche  in  die  Seele  des 
Dichters  und  Hörers  verlegt  Humboldt 
454 

Wirkung  auf  das  Herz   Bapin  173 

Wirkung  auf  die  Phantasie  Dm&os234 

Wirkung  auf  die  Sitten  Herder  434 

und  Wissenschaft  Loivth  357  Merian 

439 

Poetik  47  Horaz  47  F^■c?a  48  Aristoteles 

65  Trissino  57  Minturno  63  Tasso  65^ 

Patrici  76   Gravina  97   Muratori  lOO 

Ccm<i  105 

Pelletier  127  Eonsard  129. 130  Fate- 
quelin  131  Scaliger  133  Vossius  139- 
Chapelain  155  Desmarets  164  Boileau 

165  Xe  Sosstt  169  iJa;p*Vi  172  ilf "»« Da- 
cier  212  Xa  ilHo«e  215  Fenelon  22^ 
Voltaire  237.  238  Batteux  243  ilfar- 
montel  245  Xe  Harpe  246 

J5acon  267  Äi^wey  271  Puttenham21S' 
Hobbes  288  Englisches  Epos  286  Bymer 
292  Buckingham  293 
Notwendigkeit  der  Fenelon  222 
der  Modernen  ^^i^i/f  308  Welsted  341 


522 


Sachregister 


Polyxena  5.  7.  460 

Porcaria  27 

Port  Royal  150 

prevention  331 

Priamos    Conti  106    Diderot  244   Burke 

348 
Profanschriftsteller  Bullinger  382  JBrei- 

tinger  387   Valckenaer  411  Gesner  413 
Prooimion  der  Ilias  Patrici  78  Tasso  78 

Tassoni  86  d'Auhignac  210 
Propheten  Z^aw«  389 
Propheten  und  Homer  Spence  331  Lowth 

358 
Prosa  englische  266 
Protestanten  54.  58.  133.  152.  386 
Psychologie  homerische  Boche  fort  248 
Pucelle  Chapelain  157   Voltaire  240 
Puritaner  270.  271.  276 
Pyrrhos  Ring  319 
Pythagoreer  26 

Quellen  des  Skamandros  258.  259 
-Querelle  des  Anciens  et  des  Modernes 
175.  180  ff.  Macaulay  183.  304  Bayle 
198  Saint- Evremond  201  Fenelon  222 
Conti  232.427  Cartand2'S2  Dubos2SSS. 
Voltaire  239.  240  Temple  300  WoUon 
302  Dennis  314  Ayrer  391  Holberg 
393  Gottsched  393  Herder  427 

Ratio   jffora^  49    F«Via   48.  97.  157.  166 

Scaliger  137 
Ragione     Gravina  97.  98 
Raison   Cliapelain  157.  166   Boileaii  97. 
166.  167    i^opm  173.  285    G^weVet  177 
Saint -E er emond  200    ia    Mo^ie  220 
£omn  228  J5m6o5  234.  235  Chenier  263 
Dryden  296  Twining  374 
Raison  und  Aristoteles  identisch  138 
Realien  homerische  i^ei^/i  104.  125  Bicci 

104  G^o^rwei  253  Potter  310 

Jlecht  an  der  Fabel  zu  ändern  Gravina  97 

Redekunst  Einteilung  Bruni  22 

Reden  der  homerischen  Helden  Vida  49 

Capriano  64  J5ewi  84  Tassoni  86  PeZ- 

Zeieer  128  Scudery  160  Desmarets  163 

iJopm  172  Boisrobert  178  Perrault  180 

Batteux  242  Barthelemy  255  Hesse  383 


Regeln,  s.  auch  Genie  Giraldi  62  Gra- 
vma  97.  100  Scaliger  135  Chapelain 
156  f.  Boileau  169  Eapm  173  Perrault 
174.  182.  183.  194.  197  Fontenelle  184. 
186  J5oiym  228  Englische  Epiker  280 
Bymer  292  Dennis  314  Addison  316. 
320  Pope  320 f.  Blachwell  335  BZaiV 
345  i/wrd  352  England  355  £ea«ie 
365  Gottsched  394  Lessing  424  Herder 
433  TTarion  437  GoeiÄe  438  Humboldt 
454 
Regeln  des  Aristoteles  und  der  Alten 
unvollständig  Gravina  97 

nicht  für  das  Epos  aller  Zeiten  ver- 
bindlich Giraldi  Ql  AddisonZlQ  Hurd 
353  Humboldt  458 

für  uns  hinfällig  Saint- Evremond 
200 

überall  zutreffende  gibt  es  nicht  277 
Metastasio  103 
Regeln  der  Kritik  unzureichend  ia  ilf ofie 
215 

Ursprung  296  Bruno  82  Scaliger  134 
Voltaire  237  Dryden  296  i?t*we  346 
PMr^•e  347  Home  348  ioi^i/i  358 

Vervrerfung  als  Maßstab  der  Beur- 
teilung J)m&os  236  Bochefort  248  6^er- 
stenberg  436 

willkürlich  Barthelemy  355  und 
falsch  *Si<?^er  409 

zerstören  Geist  und  Anmut  der  Poesie 
TempZe  301 
Regeln  vernünftiger  Grund  Gravina  97 

und  gesunder  Menschenverstand 
Metastasio  103 

und  Gebrauch  Daniel  266 

und  Homer  Lessing  424 

und  Milton  Dennis  315 

der  Musen  und  der  Pedanten  TFt7- 
Ä;*e  341 

Unterschiede  Johnson  342 

des  poetisch  Schönen  auf  das  Gute 
gegründet  Muratori  102 
Regelkodex  neuer  Home  349 
Regolisti  di  poesia  Bruno  81 
Reim  Daniel  266  TempU  301  Town^  356 
Coicper  375.  376  Gottsched  395  G^oei/<e 
442 


Sachregister 


523 


Reiterei  bei  Homer  329 
Beliques  360 

Renaissance  Le  Clerc  152    Tassoni  176 
Fontenelle  186  Temple  301  Valckenaer 
412  Herder  433 
in  Byzanz  9 

deutsche  377.  386  und  Reformation 
Schweiz  382 
Rhapsoden  202.  465    Vico  110   CesaroUi 
113   Scaliger  204  Salmasius  204.  205 
PerraiiU  207  d'Auhignac  209  Rousseau 
211   Mercier  250   iew<s  262  Blackwell 
334  Jfwr^i  351  (roefÄe  466 
Rhapsode  und  Mime  Goethe  449 
Rhapsodenschulen   Tro?/"  463 
Rhythmus  Brown  364  ilfman  439  Goethe 

442 
Rimini  30 
Risorgimento  94 
Rom  26  ff. 
JRoman  de  Troie  6 
Roman  altfranzösischer  127 

französischer  126.  127.  214.  215.  295 
historischer  3 
satirischer  197 
Romantik  264.  472 
Romanzo  40.  157    Wieland  418 

und  Epos  Trissino  57  Giraldi  61 
Pigna  62  Minturno  63  Speroni  65  Tasso 
66  Salviata  74.  75  Patrici  76  Muratori 
101  Saint- Evremond  200 
Rührung  Cesarotti  111  Fenelon  222  Dubos 
234.  236  Marmontel  246  ^wrÄe  348 

SängerBegleiter  der  Heroen  F.  Schlegel  468 
Sage  Bayle  19S  Blackwell  3d6  Wilkie 'dSS 

Herder  434.  447  Goet/^e  447  ^.  TT.  /ScMc- 

^d  448  F.  ÄcMe^reZ  468 
Äamt  Paulin  174 
Salomon  105.  309 

Sammlung  der  antiken  Literatur  16.  23 
Samuelbuch  erstes  284 
S.  Spirito  21 
St.  Afra  388.  420 
Satan  Milton's  289 
Satire  88,  193 
Scheria  140.  141.  144 
Schichtentheorie  Mercier  250 


Schiffskatalog  Castelvetro  71 
Schild  des  Achilleus  Ilias  18.  478ff.  Ho- 
merus  Latinus  3  Polizian  37  Cesarotti 
116  Spondanus  131  Eustathios  137  Sca- 
liger 137  Desmarets  160.  164.  180  Per- 
rault  180  de  Callieres  188.  189  Dacier 
190  Le  Clerc  201  Xa  ikfo^^e  219  Ttr- 
rasson  226  Lessing  228.422  Mercier  250 
d'Hancarville  252.  253  Gogiiet  254  Po^Je 
330  iSpmce  332   Home  350   Gottsched 
394  Schiller  452  i?eyne  460 
Schilderung  epische  Spence  331  Bodmer 
405.  406.  424.  431  Lessing  420 ff.  Jffer- 
der  430  f. 
Schlachten  Homers  Pope  328  f. 
Schöne  das  Hume  346  Burke  347 
das  poetische  Muratori  102 
Aufgabe  Fenelon  222 
Schönheit  Humboldt  454 
der  Teile  Dw&os  233 
und  Freiheit  Marmontel  245  Winckel- 
mann  419 

bei  den  Griechen  geehrt    Winckd- 
mann  419 
I  und  Häßlichkeit,  Darstellung  X/Cssm^r 

;      423  f.  ifer(^er  431 

und  Regeln  Addison  317 
Schönheitsideal  Winckelmann  419 
;  Scholastik  16.  20.  39.  56.  381 
Scholiasten  Hamann  428  Herder  434 
;  Schollen   14.  26.  124.  125.  138.  262.  425 

Valckenaer  412 
I  zur  Ilias  Zwingli  382 

I  Schreibmaterial  Merian  463 
I  Schrift,  Kenntnis  der  470  Wood  113.  372. 
462  Cesarotti  113.  465  Josephus  202. 
204  Casaubonus  204  Perizonius  205 
Bousseau  211  Goguet  211  Ossian  363. 
462  Brown  368  Pinkerton  372  Herder 
439.  462  Merian  439.  462  fZe  Paww;  462 
Se?/ne  462  TTo?/"  463 
Schulordnung  kursächsische  379 

zürcherische  382.  383.  414 
Schwindelliteratur  3 
Scriblerus  Vom  Niedrigen  308 
Secentismo  89.  92.  100 
Seelenleben,  Erforschung  als  Grundlage 
der  Ästhetik  Home  348 


524 


Sachregister 


Selbsterkenntnis  Shaftesbury  312 

Selbstkiitik   Vida  48 

Sentenzen  Homers  Duport  146 

sentiment  234 

Septuaginta  206 

Siede  de  Louis  le  Grand  180 

Sigeion  37.  54.  256.  257.  258 

Sitten  Homers  Girdldi  61  Tasso  66  Tas- 
soni 8S  Gravina99  3Iuratoril03  Andres 
107  Cesarotti  114  Bapin  172  Perrault 
192  Bayle  199  Saint- Evremond  199  M"*' 
Dacier  212  La  Motte  220  Fenelon  221. 
222  Conti  232  Dm&os  233.  236  Voltaire 
238  G^tiys  252  Barthelemy  255  Shaftes- 
bury 312  Hume  347  Ifwrd  354  Brown 
366  IFoofZ  370  Bodmer  406.  407 

der  kochende  Achilleus  Tassoni  87 
Muratori  102  FoZiatVe  238  Sime  347 
TFood  370  Bodmer  417  Ztoi^;  432  Ser- 
ver 432 

Könige  als  Hirten  irood  370 

Sitten  homerische  und  gotische  Hurd  353 

Sitte  herrschende  Tasso  66 

Skulptur  Ausdruck  d' Hancarville  253 

Song  of  Chevj-Chase  316.  359.  361 

Spannung  Homer  und  Äriost  42  Vida  49 
Trissino  59.60  La  Motte  215  Boivin227 

Sprache  Homers  lontenelle  186  Diderot 
243  BlackweU  332  TFboci  372  jBodw2er 
408  TF^>^c^•eZmanw  418  Lessing  421 
Heyne  461 

Staat  Homers  Thomassin  143 

Stanze  96.  266  Davenanfs  286.  288.  294 

Steigerung  der  Effekte  Pojpe  329 

Stil  Homers  Marsuppini  25  Shaftesbury 
312 

des  Dichters  und  seiner  Personen  Pope 
Gottsched  La  Motte  Breitinger  402. 404 

Stimmungen,  verschiedene  vereinigt 
Spence  330 

Stoiker  11.  36.  47.  268.  272.  303.  335.  378 

Streit  um  die  Gerusalemme  69  ff.  267 
um  die  englische  Versifikation  266 

Streitfragen  329 

Studium  des  Griechischen  Mittelalter  1 
Byzanz  9  f. 

Italien  Petrarca  15  f  Boccaccio  16 
Florenz  19.  21.  24.  29.  38  Mantua  Fer- 


rara  29.  30  16.  Jahrhundert  47  17.  Jahr- 
hundert 94  Marino  89.  94  18.  Jahr- 
hundert 94  f.  Neapel  97 

Frankreich  16.  Jahrhundert  122.  VIS. 
133  Babelais  122  17.  Jahrhundert  138. 
150.  151  f.  Thomassin  142  Ursachen  des 
Rückgangs  151.  387.  411  ff.  Kenntnis 
Homers  155  18.  Jahrhundert  214. 
251 

Niederlande  16.  17.  Jahrhundert  138. 
148.  152  18.  Jahrhundert  Hemsterhuys 
Valckenaer  411 

England  ütopier  265  16.  Jahrhundert 
265  17.  Jahrhundert  266.  276  18.  Jahr- 
hundert 309.  336    Voltaire  266   311 

Deutschland  16.  Jahrhundert  379. 381 
Schweiz  382  17.  Jahrhundert  386 f. 
18.  Jahrhundert  Gesner  412  Breitinger 
396.  413.  420  Goethe  426  Herder  42^ 
Schiller  452 

Symbolik  moralische  Lemaire  132 

Symbolische  Erzählungen  Homers  Bacon 
286  Heyne  459 

Sympathie,  Gesetze  der  Humboldt  454 

Syrie  369 

Tafelrunde  bretonische  40 

Talent  Patrici  81  Bruno  81 

und  Zucht  Horaz  48   Vida  49 

Telemachie  Salviati  74  Beni  83 

Telemachos  Andres  107 

Temple  of  Farne  322 

Tenedos  256 

Tertium  Comparationis  401.  402 

Teseide  17 

Textkritik  französische  124 

Theomythologie  231 

Theorie  poetische  in  Italien  48  f. 
I  Thersites  Ilias  2,  212  Petrarca  17  Vida 
49  Tasso  69  Patrici  11  Dacier  190 
Puttenham  274  Swift  307  Melanchthon 
380  Lessing  423  Klotz  432  Herder  431. 
432 

Thetis  Goethe  450 

Totalität  Humboldt  454 

Traditionen,  verschiedene,  von  Liedern 
Herder  462 

traducteurs  —  traditeurs  127 


Sachregister 


525 


Tragödie   56.  87.  186.  284.  291.  314.  357 

Treue  historische  Bubos  233 

Tristan  127 

Trochäen  achtfüßige  395 

Troer  bei  Homer  Burke  348  Herder  438 

Troer  Vorfahren  der  Römer  6  der  Briten 
9  der  Franken  119.120.130  der  Türken 
und  Italiener  123 

Troja  in  Ägypten  261 

Trojas  Andenken  nur  durch  Homer  er- 
halten Luther  381  Hesse  383 

Troilus  Dictys  5  Dares  7.  8  Benoit  8 
Boccaccio  17  Chaucer  Canton  Lefevres 
Lydgate  Shakespeare  276 

Trompete  330 

Übersetzung  Theorie  21  Salutato  22  Qiry- 
soloras  22  Bruni  22  Jacopo  von  Pavia 
35  Marino  90  Salvini  95  Maifei  96 
Bozzoli  96  Bicci  104  Cesarotti  112.117 
Foscolo  117  Monti  118 

Salel  126  Bu  Bellaij  127  Pelletier  128 
VauquelinlB2  Leßbvre  154  Longepierre 
183  PerrauU  191  ^o^Zeaw  196  M'^'Bacier 
212.  213.  441  Xa  Motte  218  Dt*&os  225 
Voltaire  240.  441  Biderot  243.  441 
Bitaube  247  Bochefort  247  Mercier  250 

C/i op man 27 ö  Boscommo w  2 9 3  Bryden 
297  Wotton  303  Blackwall  303  Pope  326 
6[pencc  330  J5Za*>  345  Town^  356  Tm;!- 
mwgf  375  Cowper  375 

JTesse  383  Schaidenrel ßer  385  PosieZ 
390  G^o^tec/je^Z  395.440  Ft;n^%  441  JBo(i- 
wer  396.  408. 441  Breitinger  441  Herder 
429.441.442.444  Lessing  ^il  Klotz  Ul 
Mendelssohn  441  Goethe  442  Luther  442 
Bürger  443   Fo/8  445 

Zweck  Samxon  122  5aZeZ  126  Faw- 
quelin  132 

als  Lehrmittel  Vittorino  Joseph  Sca- 
liger Goethe  Bicci  104.  124  ie  CZerc 
151.  412  Ascham  27 i  Bollin  412  FaZcÄe- 
naer  412  Gesner  Breitinger  413 

Mittel  die  Jugend  zu  begeistern  ITesse 
383 

Einleitung  durch  ganze  Verse  Coivper 
376   FoyS  445  öoe^Äe  446 

Beibehaltung  der  Verszahl  Hesse  383 


PosfcZ  391  Gottsched  395.  445  FoyS  445 
A.  W.  Schlegel  445 

t5l3ersetzung  in  Frankreich  ausschließlich 
französisch  126 

in  Prosa  28  Goethe  442 

Übersetzungen  Homers.  Lateinisch  Pi- 
lato  16  Bruni  22  Marsuppini  26  Orazio 
Bomano  27  Filelfo  27  Becembrio  27 
FaWa 28  Francesco  Aretino29  Baffaello 
da  Volterra  29  Manillus  384  Niccolö 
della  Volle  27.  28  Janus  Pannonius  29 
Basini  30  Polizian  34  Andreas  Bivus 
47.  125.  138 

Basel  1551:  124  Castalio  124  G'ipÄe- 
nms  124    Portus  124.  125    Stephanus 

125.  309  Barnes  309  C/arZ:e  310  ^ras- 
wws  377  Beuchlin  379  Camer arius  382 
Sesse  383  Lemnius  384  Ä"/©^^  441 

Italienisch  ia  Badena  64  Bacelli  64 
Do/ce  64  5em  85  Salvini  95.  96.  103 
Maffei  96  Brazolo  96  Bozzoli  96  Jfwra- 
^on  103  Cesaro^t  112  Foscololl7  Monti 
118  Pindemonte  118 

Französisch  Samxon  122  5a?eZ  Jamyn 

126.  132  Pelletier  127  Cer^on  133  Z)m 
Souhait  154  Boitel  154  ia  Valterie  155 
J^f"'«  Dacier  212  ff.  230  Begnier  214  ia 
i)ifoi^6  214.  218  Fenelon  221  Voltaire 
240  Bitaube  247  Bochefort  247  Xe  5rww 
249  (ri'n  249 

Englisch  Watson  266.  274  SaZZ  274 
Chapman  275  Hobbes  288  0^176?/  288 
Bryden  298  Congreve  323  TaZt^cn  323 
Pi'^f  323  r«cMZ  323  Broome  324  Poi)e 
324  Cowper  375 

Deutsch  Beuchlin  379  Schaidenreißer 
384  ^Spren^f  388  Pos^eZ  390  Gottsched 
395  Breitinger  396.441  Bam^nAAl  Bod- 
mer  441,  443.  444  Klopstock  442  Bürger 
442  Stolberg  UZ  Foy8  443  ff.  Goethe  4:60 

Universität  Paris  166 

Universitäten  englische  311 

Universitätsordnung  Paris  150 

Ursprung  der  heidnischen  Religionen 
Fossils  141  Stillingfleet  142  Thomassin 
143  Terrasson  225 

Urteil  Muratori  102  Scaliger  135  Bubos 
236 


526 


Sachregister 


Vaudevilles  230 

Verisimile  nobile  Muratori  102 

Verkleinerer  Homers  Pope  326 

Verletzung  des  Gefühls  Beni  84 

Verso  sciolto  57.  64.  85.  95.  96.  103 

Vierzelinsilbler  275 

Völker,  wilde  255.  428.  435 

Völkerwanderung  234 

Volksdichter  434 

Volkslied  434 

Vollkommenes  Shaftesbury  312 

Vollkommenheit  Coivper  376 

Volterra  34 

Voluttä  89 

Vorbilder  gegen  die  Unmoral  314 

Vorbildlichkeit  der  Trojageschichte  Le- 

maire  120 
Vorgänger  Bomers  Brown  367  Breitinger 

403  Merian  439  F.  Schlegel  470  Goethe 

471 
Vorschriften  der  Alten  ungenügend  Pa- 

trici  76  Gravina  97 
Vortrag  mündlicher  Blackwell  334  Broten 

367  Herder  434 
Vorzug  der  ältesten  Dichter  Johnson  343 

Waffen  homerische  329 

Wahrheit  poetische  Aristoteles  56 

Wahrscheinlichkeit  Definition  Duhos  233 
Bruni  23  Vida  49  Aristoteles  56  Irissino 
hl  Minturno  63  Tasso  65  Castelvetro  71 
Lombardelli  Ib  Beni  84  Muratori  101 
Cliapelain  156.  161  Bapin  173  Saint- 
Evremond  200  Hohhes  287  JBymer  293 
und  poetische  Freiheit  Hobhes  287 
und  Wirklichkeit  Aristoteles  56  CAa- 
pelain  156 

Wahrcheinliches  und  Wunderbares  Tgwso 
66  Dubos  233  Davenant  285  Blackwell 
334  Breitinger  404 

im  antiken  Epos  Saint- Evremond  200 

Wallisische  Gedichte  360 

Walthariics  1 

Weinen  der  Helden  Lessing  Herder  430 

Weissagung  poetische  Spence  331 

Wertschätzung  der  Poesie  bei  Griechen 
und  Römern  Gravina  99 

Widersprüche  bei  Homer  Cesarotti  113 


d'AuUgnac  210  ia  ilfo^e  216  Terras- 
son  225   TroZ/"  464  6^oei/?^  466 

Widersprüche  bei  Spenser  279 

Wiederholungen  bei  Homer  Vida  49  J5en* 
83. 84  Pelletier  128  d'Aubignac  210  FoZ- 
*at>e  239  Batteux  242  Ascham  269  Po^^e 
328  ErasmusZll  Sesse  383  Goethe  ^4.^ 

Wirklichkeit  ^.  TT.  Schlegel  448  Ä*m- 
feo7c?i  455 

und  innere  Wahrheit  Muratori  101 
und  Poesie  Gravina  97  Spenser  279 
Dryden  294   Philips  360 

Wirkung,  zu  Herzen  gehende  Bapin  175 

Wissen,  neues,  der  Renaissance  Came- 
rarius  381 

Wissenschaft  poetische  Scaliger  134 

Wissenschaften,  Einteilung  Bacon  267 

TFiYieÄ:mc?,  <?er  ^rroySe  389 

Wohlanständigkeit  74.  89  Pa^^m  172 

Würste,  Göttinger  467 

Wunden  Pope  328  Home  349  Oss^■an  362 

Wunderbares  und  Übernatürliches  Tasso 
66 f.  Tasso w* 86  MuratorilOl  Besmaret» 
161  Scudery  162  CJiapelainlQ2  Bapinnd^ 
Fontenelle  185  Saint-Evremond  200  ia 
iHfo^e  220  Batteux  242  Marmontel  245 
Swrd!  354  BodmerSQl  Diderot  Hamann 
429  Merian  439  Humboldt  456 

und   Natürliches   bei   Homer  3/ar- 
montel  246 

Steigerung  des  Wunderbaren  Cowi* 
206 

Wunderbare,  das,  der  Poesie  Tasso  78 
Tassoni  86  ^.  TF.  Schlegel  448 

durch  Homer  in  ein  System  gebracht 
Pope  328 

Zehnsilbler  126.  128 

ZepterAgamemnons5reih'w^erXesstw^422 

Zerfaserung  der  Gefühle  Boccaccio  Ariost 
44 

Zeus  und  Here  Goethe  451 

Zorn  der  Helden  Ekke\ard  1  Dictya  4 
Bares  7  Tzetzes  11.  12  Boiardo  44 
J.Wost  44  Trissino  58.  67  J.Zama>mt  60 
Tasso  67.  68.  80  Graziani  93  Dryden 
295   mZifcze  338 

Zwischengattungen  der  Poesie  Hurd  352 


I 


Ilias 

1, 
1, 
1, 
1, 
1, 
1, 


HOMEKISCHE  STELLEN 


1  streit  der  Helden  JRapin  172 

1  Prooimion  Patrici  77  Monti  118 

2  6Xo(i£vriv   Voß  445 

26.  37  Chryses  Eapin  172 

44  der  zürnende  Apollon  Lessing  441 

103  Zorn  Agamemnons  Bodmer  407 

112  Agamemnon  über  Chryseis  La 

Motte  218 

234    Zepter    Achills     Lessing     422 

Schwur  bei  dem  Zepter  Pope  323 

366  Erzählung  Achills  Vida  50  Tas- 

soni  67  Felletier  128 

396  Briareos  Bacon  268 

423   Zeus   zu   den  Äthiopen    Came- 

rarius  381 

503  Bitte  der  Thetis  Saint- Evremond 

199 

528  Winken  des  Zeus  Foscolo  117 

Diderot  243 

545  Götterszene  Tassoni  86 

561  Zeus  und  Here  Petrarca  17 

571  Hephaistos  Klotz  432 

601  Gelage  der  Götter  Salviati  75 

Agamemnons  Traum  Vida  50  Tasso 

67  Saint- Evremond  199  Spenser  278 

Prüfung  des  Heeres  Tassoni  86  Gra- 

ziani  93 

42  Kleidung  Agamemnonsiessm^r  421 

87  Gleichnis  von  den  Bienen  Home 

350 

101  Zepter  Agamemnons  Pope  323 

Breitinger  Lessing  422   Herder  431 

204  Vielherrschaft  Petrarca  17  Tasso 

67 

255    HäufuDg    der    Gleichnisse    La 

Motte  Breitinger  402 

469  Gleichnis  Fliegen  Vida  50  Home 

350  S'fsse  386 


nias  3  Zweikampf  des  Paris  und  Menelao» 
Lemaire  121 

3, 151  Gleichnis  von  den  Zikaden  Tas- 
soni 86 

3, 155  Helene  vor  den  Greisen  Voltaire 
238  Lessing  423 

3, 161  Priamos  Scaliger  136 

3,  166  Mauerschau  Vida  50  Tasso  67 
Castelvestro  71  Lombardelli  75  (?ra- 
;2ian»  93  Lemaire  121  Klopstock  416 

3, 421  Paris    und   Helene  Salviati  75- 

JBem  84  Tassoni  86 
4, 1  Göttergespräch  Tzetzes  11  Eusta- 

thios  11 

4,  30  Worte  des  Zeus  Bodmer  408 

4. 104  Pandaros  Ekkehart  2  Tas.so  6» 
Tassoni  86  Lemaire  121  Terrusson 
225 

4. 105  Bogen  des  Pandaros  Lessing  422 
Herder  431 

4, 130  Die  Mutter  und  die  Fliege  £m- 

tivger  403 
4, 194.  204  Wiederholung  des  Auftrag» 

FiVZa  50 

4,  474  Simoeisios  Burke  348  Breitinger 
401 

5,  330  Verwundung  der  Aphrodite  Tas- 
soni 86  Scaliger  136  Pope  323 

5,  499  Gleichnis  von  der  Dreschtenne 

Lotvth  358 
5,  722  Wagen  der  Here  Vida  49  Lessing 

421  £[er<ier  431 
5,  738  Aigis  424 
5,  749  Die  Hören  am  Himmelstor  San- 

nazaro  54 
5,  777  Ambrosia  Scaliger  136 
5, 855  Verwundung  des  Ares    Tassoni 

86  Scaliger  136  Milton  290  Pope  325 


528 


Homerische  Stellen 


lias  5,  859  der  brüllende  Ares  Beni  84 
6,  86  Hektors  Gang  in  die  Stadt  Hol- 
berg 393 
6, 119  Diomedes  und  Glaukos  Vida  49 
Metastasio  103   Terrasson  225  Hesse 
583 
6, 130  Lykurgos  Hardouin  231 
6, 168  Brief  des  Vxoiio^  Bousseau  211 

Wood  372  Merian  462 
6,242  Palast  des  Priamos  424 
6, 287  Bittgang  der  Frauen   Tasso  69 
6, 325    Rede  Hektors    an    Paris    Ter- 
rasson 225 

6,  392  ff.  Hektors  Abschied  Tasso  79 
Andres  108  Bacine  153  Boileau  168 
Bapin  172  La  Motte  218  Äpence  330 
(rZover  337  Sow^e  349  Wood  370 
jBTaZ/er  393  Breitinger  406  Schiller  452 

6,466  Astyanax  Muratori  102 
7,60  Hektors  Herausforderung  Tassoni 
87 

7,  67  ff.  Zweikampf  des  Hektor  und  Aias 
Tasso  69 

7, 194  Gebet  des  Aias  vor  dem  Zwei- 
kampf 425 

7,  424  Einholung  der  Toten  Eustathios 
M'^'Dacier  Lessing  Herder  Blüinner  \ 
425  I 

S,  19  Kette  des  Zeus  Spenser  278  j 

«,  69  Schicksalswage  Milton  290  j 

8,  78  Niederlage  der  Achäer  Tassoni  87  ; 
8,350  Fahrt  der  Göttinnen   Vida  52 
^,  122.  270  Wiederholungen  Vida  50 

9,  225  ff.  Gesandtschaftsreden  Bruni  22 
Terrasson  223 

9,  323  Gleichnis  vom  Vogel  La  Motte 

401  Breitinger  401  Pope  402 
9,  502  Bitten  Spenser  279  | 

9,  529  Meleagros  Basini  30  Terrasson  ^ 
225 

10,  5  Donner  bei  Schneefall  Scaliger  ISQ 
11, 16  Rüstung  Agamemnons  421  Sca- 
liger 136 

11,67  Gleichnis  von  den  Schnittern 
Tassoni  87 

11,  78  Die  Götter  und  Zeus  Scaliger  136 
11,241  Iphidamas  Burke  348 

11,  349  Hektor  getroffen  Tassoni  87 


Ilias  11,  558  Gleichnis  vom  Esel  Vida  50 
Tassoni  87  Bicci  105  Claude  Per- 
rault  179  M"""  Bacier  213  Xa  3Io*«e 
217  3Iarmontel  2t6  (?m  249  Pope 
249.  327  Addison  318  i^esse  383 

11,670  Nestors  Erzählung  Terrasson 
225 

13  Eingang  Diderot  244 

13,  588  Dreschtenne  Lowth  358 
14,214  Gürtel  der  Aphrodite  de  Cal- 

lieres  188 

14,  312  Berückung  des  Zeus  Trissino 
58  Beni  84  Milton  290 

15,  18  Die  in  den  Wolken  aufgehängte 
Here  Beni  84  Terrasson  225 

16  Anfang  Bapin  172 
16, 7  Gleichnis  vom  weinenden  Mädchen 
Muratori  102 

16,  200  Achills  Rede  an  die  Myrmidonen 
Sannazaro  54 

16,  259  Gleichnis  von'den  Wespen  jffome 

350 
16,  384  Ungerechte  Richter  Terrasson 

225 
16,  407  Gleichnis  vom  Angler    Spence 

332 
16,  514  Gebet  des  Glskukos  Klopstock  416 
16,  830  Tod  des  Patroklos  Pope  323 
16,  851  Weissagung  Hektors  Vida  49 
17,570  Gleichnis  von  der  Mücke  Bicci 

105  Home  350 
17,645   Gebet    des    Aias  Diderot  243 
18,  39  Nereiden  Sannazaro  54 
18, 217    Achilleus   am  Graben  Spence 

330 
18^  219  Gleichnis    von    der    Trompete 

Pope  330 

18,  373  Die  Dreifüße  Scaliger  136 

19  Versöhnung  Vida  49  Beni  84  La 
Motte  218 

19,  24  Wunden  des  Patroklos  Scaliger 
136 

19,  407  Das  redende  Pferd  Scaliger  136 

Beattie  344 
20, 164  Gleichnis  vom  Löwen  Breitinger 

404 
20, 306  Reich    des  Aineias  Hardouin 

230  M"*"  Bader  231 


Homerische  Stellen 


529 


Ilias  20,  321  Aineias  in  der  Wolke  Spenser 
278 
20,  495  Gleichnis  von  der  Dreschtenne 

Loivth  358 
21  Kampf  am  Fluß,  Gleichnisse  V.  12. 
22.  257  Spence  332   Breitinger  400 
21, 34    Lykaon     Saint- Evremond    199 

Schiller  452 
21,385  Götterschlacht    Terrasson  225 

Pope  323 
22, 165  Hektors  Flucht  Choiseul  259 
^2,209  Schicksalswage  Milton  290 
-22,  247  Hektors  Tod  Ekkehard  1  Sca- 
liger 136 
^2,395  Schleifung  Hektors   Fope  323 
23, 188  Hektor  in  der  Wolke  Spenser  27 8 
■23,  362  Wettrennen  Breitinger  404 

23,  664  Faustkampf  Marino  91 

24, 1  Behandlung  Hektors  Saint-Evre- 

mond  199 
24, 101  Here  bewillkommnet  Thetis450 

24,  485  Priamos  bei  Achilleus  Conti  106 
Andres  108  Fenelon  222  Diderot  244 

Odyssee  1, 1  Prooimion  Pntrici  77 
1,  32  Worte  des  Zeus  Marsuppini  25 
1,  351  Der  neueste  Gesang  Black  well  334 

3. 111  Antilochos  Scaliger  136 
4, 121  Helene  Macine  153 

4, 138  Erkennung      des      Telemachos 

Andres  108 
4,252  Baden  der  Helden  durch  Frauen 

Boiardo  41 
4,384.450  Proteus  Boiardo  4.2  Sanna- 

zero  54  Spenser  278 
o,  63  Grotte  der  Kalypso  424 
5,  234  Kalypso  Bacine  153  Bapin  172 

Perrault  192   Ascham  269  Kalypso 

und  Dido  JDryden  299   Wood  370 
5, 291   Seesturm    Trissino  58    Bodmer 

407 
5,  394  Gleichnis  vom  genesenden  Vater 

Breitinger  400 
7,91.100  Bildwerke  bei  Alkinoos  d'Han- 

carville  253 

7. 112  Gärten  des  Alkinoos  424  Bous- 
seau  241 

7, 153  Odysseus  bei  Alkinoos  Beni  84 
Ascham  269  Hütten  379 

Finsler:  Homer  in  der  Neuzeit. 


Odyssee  8,  75   Streit  des  Achilleus  and 
Odysseus  Goethe  467 
8,  83.  521  Wirkung  des  Gesanges  Bod- 
mer 406 
8,  264  Tanz  der  Phäaken  Bodmer  406 
8,  266  Ares  und  Aphrodite  Ariost  46 
Salviati  75  Marino  90  Scaliger  136 

8,  521  Erkennung  Schiller  452 

8, 523    Gleichnis    von    der  weinenden 

Frau  Breitinger  400 
9 — 12  Erzählung  des  Odysseus  Beni  84 
9  der  Kyklop  Boiardo  4.2  Ariost  45  Vida 
49  Marino  90  Muratori  102  Chape- 
lain  156  Ascham  269  Lemnius  384 

9,  83  Lotophageu  Lemnius  384 
9, 116  Ziegeninsel  424 

9,366  Niemand  Hütten  379 
10, 19  Schlauch  des  Aiolos  Ariost  65 
Kynaston  382  Lemnius  384 

10,  81  Lästrygonen  Boiardo  42 
10,  210  ff.  Kirke   Marsigli  21   Boiardo 

41  Muratori  102  Ascham  269  Spenser 
278  Erasmus  378  Bullinger  382 

10,  305  Moly  Ascham  269  Chelkhill  281 
Lemnius  384  Schaidenreißer  385 

11  Hadesfahrt  Addison  316  ÄcÄiVZer  452 

11,  23  Beschwörung  der  Schatten  /S^ca- 
Zi^er  136 

11,  576  Büßer  im  Hades  Spenser  278 

12  Irrfahrten  Spenser  278 
12,165  Sirenen  Boiardo  42  Scaliger  136 

Ascham  269 
12, 173  Verstopfen    der  Ohren  Ariost 
45  Ascham  269 

12,  251  Gleichnis  vom  Angler  >Spence  332 

12,  374  Sonnenrinder  Scaliger  136 
12,403  Seesturm  Bodmer  407 

13,  31  Gleichnis  vom  ermüdeten  Land- 
mann Po^e  399 

13,  79  der  schlafende  Odysseus  Pelletier 

128 
13, 81    Gleichnis    vom    Wagenrennen 

Johnson  343 
13,  96  Phorkyshafen  424 
13, 103  Nymphengrotte  Sannazaro  55 
14  Eumaios  Bapin  172 
15,  403  Jugendgeschichte  des  Eumaios 

Salviati  75 

34 


530 


Homerische  Stellen 


Odyssee  15,  403  Syrie  Wood  369 

16, 162   Die  Hunde  und   die  Gottheit 

Sannazaro  54 
17,  37  Penelope  im  Gleichnis  Äpence  332  i 
17,  291  Der  Hund  Argos  283  Chamber- 

layne  283  Klopstock  416 
17, 322  Sklaverei  und  Tugend  ilft7ion290 
17,485    Götter    unter    den    Menschen 

wandelnd  Milton  290 
18, 1  Iros  Beni  84  Klots  432 
18,193  Penelope  im  Gleichnis  Spence  332 
18, 129  Menschens chicksal  Meric  Ca- 

saubontis  146 
19,  54  Penelope  im  Gleichnis  Spence  332 
19,  394  Jagd  auf  dem  Parnaß  Metastasio 

103 


Odyssee  19,  562  Schlaf tore  Spenser  278- 

20,  350  Theoklymenos  Spence  331 

21,  42  Penelope  holt  den  Bogen  Vida 
49  Home  350 

22  Freiermord  Beni  84  Scaliger  136 

22,  384  Gleichnis  von  den  Fischen  Brei- 
tinger  399 

23  Erkennung  Andres  108  Chamler- 
layne  283  Sachs  386 

23, 233  Gleichnis  von  den  geretteten 
Schiffern  Breitinger  400.  401 

24, 19  Gespräche  in  der  Unterwelt  Me- 
tastasio 103 

24,  47  Totenklage  um  Achilleus  Sanna- 
zaro 54  Schiller  452 


Druck  von  B.  G.  Teubner  in  Leipzig. 


Verlag  von  ß»  6.  Ccubncr  in  Leipzig  und  Berlin 


Dom  gleid)en  Derfgffer  ift  frül}er  erfd)ienen: 


^omer 


[XVIII  u.  618  $.]    gr.  8.    1908.    (5e^.  ITT.  6.-,  in  £cinroan6  geb.  ttt.  7.- 

„Das  Bud}  bietet  unenölid)  Diel  tnefjr,  als  öcr  Q^itcl  ocrmutcn  läfet.  (Es  finöet  Uif}  öarin  tin 
foldjcr  Rctd)tum  oon  (Beöanfcn,  bie  aus  öcr  Qitefe  öcs  fdjier  unerfdjöpflidjen  f)omcrifd}en  Brunnens 
gef^öpft  finö,  öafe  öer  Berid)tcrftatter  in  Dcricgcnljett  ift,  roic  er  in  einer  fur3en  Befpredjung  öarübcr 
flusfunft  geben  |oII.  Denn  es  toeröen  fo  3iemli(b  alle  fragen  beljanöclt,  öie  ]id\  auf  Fjonier  besieljen, 
mit  Ausnahme  6er  rein  teftfritifdjen  unb  fpradjiidien  Untcrfudjung cn.  Aber  aud|  öie  (Ergebniffe  öiejer 
legieren  finö  überall  mit  in  öie  (Befamtöarftellung  Dcrrooben.  Der  ungef)eurc  Reid}tum  öer  'Ijomerifdien 
IDcIt'  roirö  geaeigt  in  ben  flbfdjnitten  über  Ilatur  unö  Ceben,  ben  ijomerifdjen  lTlenf<i)en,  (5ejeIIfd)aft 
unö  Staat,  Religion,  rtidjts  ift  Dcrgeffcn;  mit  erftaunlid)er  Bel)errjd)ung  öes  Stoffes  ift  ftjftcmatifd} 
alles  3ufammengcfa6t,  toas  fidj  aus  J}omer  t)crausljoIe  i  läfet."  (Dcutfcbe  t-itcraturzcitung.) 

„Das  fcbönc  t)omcrbud}  faffc  idj  3Unä*ft  fo  auf,  toie  roenn  öcm  RTufitliebljaber  ein  öurdj  unö 
öurd)  mufitalifdjer  5reunö  auf  öcm  Klaotcr  öicfe  unö  jene  uertrauten  Klänge  aus  einem  öcr  ti)m  be= 
fonöers  lieben  großen  Sontoerfe  anfdjlügc.  Balö  öiefc,  balö  i^nt  fd)immernöen  ©öttcr^  unö  f}eroen= 
geftaltcn  treten  cor  unfere  pijantafie  unö,  toie  man  öurdj  eine  längft  tjcrtrautc  Bilöcrgalertc  roanöclt, 
ftef}en  toir  freuöig  beroegt  balö  bti  öcr  einen,  balö  bei  öer  anöern  öicfcr  ©cftaltcn  ftillc  unö  fül)len 
uns,  obtDoI)!  öie  Sdjrift  5inslcrs  ein  Budj  öcr  fficlc^rfamfcit  ift,  t)om  ganjcn  3aubcr  öcr  £)omcrifd)en 
tDcIt  umfangen."  (Der  „Bund".) 


DIE  KULTUR  DER  GEGENWART 

HERAUSGEGEBEN  VON  PROF.   PAUL  HINNEBERG 
Teil  I,    Abt.  8    


Die  griechische  und  lateinische  Literatur  und  Sprache 

3.  Auflage.   [VIII  u.  582  S.j  Lex.-8.   1912.  Geh.  c/^  12.— ,  in  Leinwand  geb.  .^  14.— 

Inhalt:  I.  Die  griechische  Literatur  und  Sprache.  Die  griechische  Literatur  des  Altertums: 
U.V.  Wilamowitz-M cell endorff.  —  Die  griechische  Literatur  des  Mittelalters:  K.  Krumbacher. 
—  Die  griechische  Sprache:  J.  Wack ernage  1.  —  11.  Die  lateinische  Literatur  und  Sprache.  Die 
römische  Literatur  des  Altertums:  Fr.  Leo.  —  Die  lateinische  Literatur  im  Obergang  vom  Altertum 
zum  Mittelalter:  E.Norden.  —  Die  lateinische  Sprache:  F.  S  kutsch. 

„Das  sei  zum  Schluß  allen  sechs  Beiträgen  gleichmäßig  nachgerühmt,  daß  sie  sich  dem 
Zwecke  des  Gesamtwerkes,  die  Kultur  der  Gegenwart  verstehen  zu  lehren,  in  geradezu  bewunderns- 
werter Weise  angepaßt  haben :  so  entlegen  manche  der  behandelten  Stoffe  dem  modernen  Menschen 
von  allgemeiner  Bildung,  aber  ohne  fachmännische  Kenntnisse  sein  mögen:  immer  wieder  wird 
des  Lesers  Blick  auf  die  großen  Zusammenhänge  hingelenkt,  die  zwischen  der  klassischen  Literatur 
und  Sprache  und  unserer  Kultur  bestehen.  Möge  das  Werk  an  seinem  Teil  mit  dazu  beitragen, 
die  neuerdings  so  oft  verkannte  Bedeutung  dieser  Grundlage  unserer  Kultur  wieder  in  weitesten 
Kreisen  zur  Geltung  zu  bringen."  (Byzantinische  Zeitschrift.) 

Teil  II,  Abt.  4,  1  


Staat  und  Gesellschaft  der  Griechen  und  Römer 

IVI  u.  280  S.j    Lex.-8.    1910.    Geh.  Jl  8.—,  in  Leinwand  geb.  J6  10.— 

Inhalt:  I.  Staat  und  Gesellschaft  der  Griechen:  U.  v.  Wilamowitz-MoeUendorff.  — 
II.  Staat  und  Gesellschaft  der  Römer:  B.  Niese. 

,,v.  Wilamowitz  hat  mit  wahrhaft  souveräner  Beherrschung  des  Stoffes  von  dem  staatlichen 
und  gesellschaftlichen  Leben  der  Griechen  ein  großartiges  Gesamtbild  gegeben,  während  Niese  die 
gleiche  Aufgabe,  jedoch  kürzer,  hinsichtlich  des  Römertums  verfolgt.  Von  der  hohen  Auffassung, 
dem  Wert,  dem  Gedankenreichtum  des  Buches  kann  nur  der  Lesende  einen  Begriff  gewinnen ;  die 
Sprache  ist  des  Gegenstandes  würdig:  gewählt,  aber  nirgends  gesucht,  die  Darstellung  ansprechend 
und  fesselnd,  reich  an  feinen  und  scharfen  Beobachtungen,  von  großer  Anschaulichkeif,  der  Stoff 
künstlerisch  gestaltet  und  abgerundet,  die  Urteile  sind  maßvoll  und  wohl  überlegt.  .  .  .'• 

(Zeitschrift  für  lateinlose  Schulen.) 

VERLAG  VON  B.  G.  TEUBNER  IN  LEIPZIG  UND  BERLIN 

Finster,  Homer  in  der  Neuzeit. 


Yerlag  von  B.  G,  Teubner  in  Leipzig  und  Berlin 

Die  hellenische  Kultur.  Dargestellt  von  Fritz  Baumgarten,  Franz  Polaiid 
und  Richard  Wagner.  2.,  stark  vermehrte  Auflage.  Mit  7  farbigen  Tafeln, 
2  Karten  und  gegen  400  Abbildungen  im  Text  und  auf  2  Doppeltafeln. 
[XI  u.  530  S.]     gr.  8.      1908.      Geh.    JC  10.—,    in    Leinwand   geb.    JC  12.— 

„Eine  wohlgelungene  Leistung,  die  mit  großer  Gewissenhaftigkeit  gemacht  und  von  reiner  Be- 
geisterung für  die  Sache  getragen  ist.  Die  Sorgfalt  und  die  Kenntnis  der  Verfasser  verdienen 
aufrichtige  Anerkennung;  das  Ergebnis  ist  ein  Buch,  das  ein  glückliches  Muster  populärer  Be- 
handlung eines  manchmal  recht  spröden  Stoffes  darstellt.  Man  möchte  ihm  recht  weite  Verbreitung 
in  den  Kreisen  derjenigen  wünschen,  die  sich  nicht  bloß  mit  dem  konventionellen  Namen  des 
»Gebildeten'  zufrieden  geben,  sondern  in  Wahrheit  zu  dem  geschichtlichen  Verständnis  unserer 
heutigen  geistigen  und  politischen  Lage  vorzudringen  trachten;  und  den  Schülern  der  oberen 
Klassen  unserer  Gymnasien  sowohl  als  auch  den  Studierenden  unserer  Hochschulen,  besonders 
den  Anfängern,  wird  das  "Werk  Ausgangspunkt  und  eine  solide  Grundlage  für  weitere  quellen- 
mäßige Studien  sein."  (Historische  Vierteljabrschrilt.) 

Charakterköpfe  aus  der  antiken  Literatur.  Von  Eduard  Schwartz.  I.  Reihe: 
1.  Hesiod  und  Pindar;  2.  Tbukydides  und  Euripides;  3.  Sokrates  und  Plato; 
4.  Polybios  und  Poseidonios;  5  Cicero.  4.  Auflage.  8.  1912  Geh.  J{  2.20, 
in  Leinwand  geb.  JC  2.80. 

IL  Reihe:  1.  Diogenes  der  Hund  und  Krates  der  Kyniker;  2.  Epikur;  3.  Theokrit; 
4.  Eratosthenes;  5.  Paulus.  2.  Auflage.  8.  1911.  Geh.  M  2.20,  in  Leinwand 
geb.  JC  2.80. 

„Schwartz  beherrscht  den  Stoff  in  ganz  ungewöhnlicher  Weise:  das  Reinstoffliche  aber  tritt  all- 
mählich ganz  in  den  Hintergrund,  dafür  erglänzt  jede  einzelne  der  Erscheinungen  um  so  klarer 
und  mächtiger  im  Lichte  ihrer  Zeit.  Der  Verfasser  ist  in  den  Jahrhunderten  der  griechischen 
Poesie  —  sowohl  in  denen,  wo  sie  sich  entwickelte,  al.^  aiich  in  denen,  da  sie  ihre  Blüte  erlebte  — 
mit  gleicher,  sozusagen  hellseherischer  Sicherheit  zu  Hause;  wir  lernen  jeden  einzelnen  der  geistigen 
Heroen  als  ein  mit  innerer  Notwendigkeit  aus  seiner  Epoche  hervorgehendes  Phänomen  betrachten 
und  einschätzen,  und  Schwartz  schildert  ihn  uns  so  lebendig,  daß  wir  ihn  wie  mit  Fleisch  und 
Blut  begabt  vor  uns  zu  sehen  glauben.  Dabei  is^  jedes  der  Charakterbilder  einheitlich  aus  einem 
einzigen  Gusse,  nirgends  hören  wir  ein  Wort  gelehrter  Polemik  oder  selbstbewußter  Besser- 
wisserei." (Literarisches  Echo.) 

Greschichte  der  Autobiographie.    Von  Georg  Misch.     In  drei  Bänden. 

L  Band:  Das  Altertum,  gr.  8.  1907.  Geh.  JC  8.—,  in  Halbfranz  geb.  J{  10.— 
(II.  und  III.  Band  in  Vorbereitung.) 

„Der  Verfasser  hat  seine  Aufgabe  so  weit  und  tief  begriffen,  daß  ihre  Lösung  den  größten  Inhalt 
bekommen  hat,  dessen  sie  fähig  war,  und  über  ihre  monographische  Anlage  hinaus  eine  Geschichte 
des  Selbstbewußtseins  im  Altertum  geworden  ist.  So  sicher  füllt  er  auch  die  weitesten  Umrisse, 
mit  so  feinem  Takt  greift  er  nach  allen  Seiten  aus  und  zieht  zusammen,  sichtet  und  reiht  ein, 
immer  den  konkreten  Gegenstand  im  Auge  und  doch  fällig,  den  schwanken  Dunstkreis  und  die 
unfaßbaren  Lebenskräfte  nachzufühlen,  woraus  jede  Einzelgestalt  sich  wirkt.  In  Mischs  Werk 
durchdringen  sich  historische  und  philosophische  Stärken,  wie  wir  es  kaum  mehr  unter  unserem 
wissenschaftlichen  Nachwuchs  zu  hoffen  gewagt  hätten.  Sein  Buch  ruht  auf  einem  festen  Grund 
von  Persönlichkeit  und  gesättigter  Bildung,  so  daß  wir  uns  seiner  freuen  als  eines  kräftigen  Gliedes 
in  der  ehrwürdigen  Überlieferung,  die  von  den  Tagen  Kants  und  Herders,  Hegels  und  Eankes 
herunterführt  in  unsere  zerfahrenen  Suchen  und  Empfängnisse."  (Preilßiscke  Jahrbüclier.) 

Die  antike  Kunstprosa  vom  yi.  Jahrhundert  v.  Chr.  bis  In  die  Zelt  der 
Renaissance.  Von  Eduard  Norden.  2.  Abdruck.  2  Bände,  gr.  8.  1909. 
Geh.  je  JC  14. — ,  in  Halbfranz  geb.  je  JC  16. — 

„E.Norden  hat  die  Aufgabe,  die  er  sich  gestellt,  mit  einer  Energie  und  Gelehrsamkeit  angefaßt, 
die  ihm  viele  Ehre  macht.  Man  mag  über  einzelne  Abschnitte  des  sehr  dicken  Buches  denken, 
wie  man  will,  als  Gesamtleistung  verdient  es  die  höchste  Anerkennung.  ...  So  ist  es  denn  auch 
gar  kein  Wunder,  wenn  das  Beste  und  wirklich  Neue,  was  das  Buch  bringt,  im  2.  Bande  steht. 
Namentlich  was  über  die  altkirchliche  Literatur,  die  Geschichte  der  Predigt,  über  den  Stil  des 
Humanistenlateins  und  seinen  Einfluß  auf  die  Pro^a  der  lebenden  Sprachen  vorgetragen  wird, 
verdient,  nicht  bloß  von  Philologen  gelesen  zu  werden.  Aber  auch  der  1.  Band,  der  die  Entwick- 
lung der  griechischen  und  lateinischen  Kunstprosa  bis  in  die  römische  Kaiserzeit  behandelt,  erfreut 
durch  eine  Fülle  treffender  Einzelbeobachtuugen  und  gelehrter  Sammlungen.  Die  Charakteristiken 
der  einzelnen  Persönlichkeiten  sind  geschickt  ditrchgeführt ;  sie  zeugen  von  erfrevilich  gesundem 
und  besonnenem  Urteil  und  sind  mit  einer  Wärme  geschrieben,  die  aus  der  Begeisterung  für  eine 
gute  Sache  stammt  und  doch  von  Überschwenglichkeit  sich  frei  erhält.  Es  ist  hier  nicht  der  Ort, 
sich  in  Einzelheiten  zu  verlieren.  Aber  der  Inhalt  des  bedeixtenden  Buches  ist  so  mannigfach 
und  reich,  daß  es  unmöglich  wird,  ihm  mit  ein  paar  zusammenfassenden  Worten  gerecht  zu 
werden."  (Deutsche  Literaturzeitung.) 


y erlag  von  B.  G.  Teiibner  in  Leipzig  und  Berlin 

Die  griechische  Tragödie.  Von  Johannes  Oeffcken,  2.  Aufl.  Mit  einem  Plan  des 
Theaters  des  Dionysos  zu  Athen,  gr.  8.  1911.  Geh.  JC  2. — ,  in  Leinw.  geb.  Jt  2.60. 

Das  Buch  bietet  ein  lebendiges  Bild  des  dramatischen  Lebens  in  Athen.  Verfasser  behandelt  die 
einzelnen  hervorragenden  Werke  nach  geschichtlicher  Folge  und  Beziehung  zueinander.  Die 
Kunstmittel  der  alten  Tragödie  in  ihrer  Entwicklung  und  Fortwirkung  werden  in  das  rechte 
Licht  gesetzt  und  die  Persönlichkeiten  der  Dichter  klar  herausgearbeitet.  Historische  Kritik  und 
ästhetische  Behandlung  sind  zu  einem  harmonischen  Ganzen  vereint.  Das  Buch  wird  bei  allen 
Freunden  der  Antike,  Laien  und  Fachleuten,  lebhaftes  Interesse  finden. 

Vergils  epische  Technili.    Von  Kichard  Heinze.     2.  Auflage,    gr.  8.     1908. 
Geh.  M   12.—,  in  Leinwand  geb.  M  14. — 

.,  .  .  .  Wenn  das  Urteil  über  eine  der  literarischen  Weltgrößen  wieder  einmal  schwankend  geworden 
ist,  so  beweisen  zwar  diese  Größen  immer,  daß  sie  erstaunlich  fest  auf  ihren  Füßen  stehen,  aber 
damit  das  Urteil  nicht  umfalle,  müssen  die  Bedingungen,  aus  denen  das  Werk  selbst  hervor- 
gegangen ist,  die  persönlichen,  nationalen,  die  im  Zusammenhang  der  geistigen  Bewegung  Liegenden, 
neu  untersucht  werden;  dann  werden  die  reichi-ren  Mittel  der  Zeit  das  Verständnis  des  Werkes 
gegenüber  der  Bewunderuug  früherer  Zeiten  fester  begründen.  Nicht  immer  erzeugt  die  wissen- 
schaftliche Bewegung  das  Buch,  auf  das  sie  hindrängt;  in  diesem  Falle  ist  es  geschehen.  .  .  .  Das 
Buch  ist,  soweit  ich  die  Literatur  kenne,  das  Beste,  was  bisher  über  Vergil  geschrieben  worden 
ist.  Es  hat  aber  auch  allgemeine  Bedeutung  als  durchgeführtes  Beispiel  der  Analyse  und  wissen- 
schaftlichen Würdigung  eines  der  großen  literarischen  Kunstwerke." 

(F.  Leo  in  der  Deutschen  Literaturzeitung.) 

Cicero  im  Wandel  der  Jahrhunderte.    Von  Thaddäus  Zielinski.    3.,  vermebrte 
Auflage.    Geh.  ca.  JC  7. — ,  in  Leinwand  geb.  ca.  Ji  8. — 

„Eine  Fülle  von  Gelehrsamkeit  uud  —  was  mehr  ist  —  echter  historischer  und  philosophischer  Bild- 
dung auf  einen  engen  Kaum  zusammengedrängt !  Es  ist  eine  wahre  Lust,  dem  beredten  Anwalt  Ciceros 
zu  lauschen,  der  den  so  viel  verunglimpften  Mann  keineswegs  durch  eine  eitle  laudatio  seinen 
Zuhörern  nahezubringen  sucht,  sondern  seine  kulturgeschichtliche  Bedeutung  uns  lediglich  an  seinen 
Wirkungen  ermessen  läßt.  Diese  Übersicht  dürfte  gezeigt  haben,  von  welch  großen  Gesichtspunkten 
der  Verfasser  ausgeht  und  welche  Fülle  von  Gedanken  und  Wissen  ihm  zu  Gebote  steht." 

(Korrespondeiizblatt  für  die  höh.  Schulen  Württembergs.) 
„Das  Schriftchen  ist  mit  Geist,  mit  reichem  Wissen  und  freiem  Blick  für  Geschichte,  Menschentum 
und  Kulttir  geschrieben  und  kann  und  soll  nicht  nur"  dem  Ciceroliebhaber  bestens  empfohlen  sein, 
sondern  jedem,  dem  die  Kenntnis  von  den  Einflüssen  des  Altertums  auf  den  Wandel  der  Jahr- 
hunderte am  Herzen  liegt.  Durch  die  Lagerungen  der  Geschichte  wird  uns  hier  gleichsam  ein 
, Vertikaldurchschnitt'  gegeben,  indem  die  dreifachen  starken  Einflüsse  der  Ciceroschriften  auf  die 
Weltentwicklung,  zunächst  auf  die  Begründung  des  Katholizismus,  hernach  auf  die  Kenaissance, 
zuletzt  auf  die  französische  Revolution  und  die  geistige  Bewegung,  die  sie  vorbereitet,  dargetan 
werden."  (Historische  Yierteljahrschrift.) 

Die  Anschauungen  vom  Wesen  des  Oriechentums.    Von  Crustav  Billeter. 

gr.  8.     1911.     Geh.  Ji  12.—,  in  Leinwand  geb.  Jt   13  — 

„  .  .  .  Durch  Straße  Disposition  und  eingehende  erklärende  Bemerkungen  ist  erreicht,  daß  nicht 
ein  unklares  mosaikartiges  Bild  zustande  kommt.  In  erster  Linie  wurden  naturgemäß  die 
führenden  Persönlichkeiten  berücksichtigt:  Beloch,  Bergk,  Böckh,  Curtius,  W.  v.  Humboldt,  Jacobs, 
E.  Meyer,  Pöhlmann,  Rohde,  Wilamowitz  kommen  am  häufigsten  zu  Wort;  andererseits  mußten, 
um  die  Verbreitung  der  einzelnen  Auffassungen  zu  kennzeichnen,  Urteile  von  Männern,  die  außer- 
halb des  Faches,  manchmal  überhaupt  außerhalb  der  Wissenschaft  standen,  angeführt  werden: 
Chamberlain,  Herder,  Nietzsche,  F.  Schlegel  werden  hier  am  meisten  genannt.  .  .  .  Die  Auswahl 
der  Belege  ist  mit  großer  Umsicht  getrofien.  .  .  .  Fast  alle  Anschauungen  vom  Wesen  des  Griechen- 
tums bedürfen,  das  zeigt  sich  in  diesem  Werke  immer  von  neuem,  einer  Einschränkung,  um  den 
richtigen  Kern,  den  sie  enthalten,  erkennen  zu  lassen.  Der  Verfasser  versucht  in  ganz  vorsichtiger 
Weise,  die  Linie  der  Entwicklung  über  die  Gegenwart  hinauszuziehen.  Da  die  Grundlagen  des 
Werkes  so  massiv  gelegt  sind,  kann  es  ohne  Bedenken  geschehen.  Man  wird  seinen  besonnenen 
Ausführungen  gern  folgen.  Das  sehr  fleißige  Buch  verdient  nicht  nur  das  Interesse  des  Philologen 
und  Geschichtsphilosophen,  sondern  aller,  die  eine  nicht  eben  leichte  Erörterung  dieser  Kultur- 
probleme zu  würdigen  verstehen.  Ein  Autoren-  und  zwei  Sachregister  erleichtern  die  Benutzung 
des  Buches."  (Literarisches  Zentralblatt.) 

Das  Fortleben  der  Horazischen  Lyrik  seit  der  Renaissance.    Von  Eduard 
Steniplinger.    Mit  9  Abbild,    gr.  8.    1906.    Geh.  M  8.—,  in  Leinw.  geb.  oiC  9.— 

„Der  Verfasser  hat  jetzt  seinem  Liebling  ein  umfangreiches,  gelehrtes  und  lebensvolles  Buch 
gewidmet,  das  ein  sehr  willkommener  und  sehr  wertvoller  Beitrag  zur  europäischen  Literatur- 
geschichte ist.  Wer  es  noch  nicht  gewußt  hat,  wie  weit-  und  feinverzweigt  und  wie  mannigfach 
die  Einwirkungen  sind,  die  Dichten  und  Denken  der  letzten  vier  Jahrhunderte  von  Horaz  erfahren 
hat,  kann  es  nun  gründlich  und  bequem  bei  Stemplinger  lernen.  Aber  auch  wem  die  Horaz- 
haltigkeit  der  europäischen  Lyrik  von  der  Renaissance  bis  zur  Gegenwart  wohlbekannt  war,  wird 
doch  staunen  ob  diisser  Fülle  der  Gesichte,  und  die  Belesenheit  und  den  Sammeleifer  bewundern, 
die  eine  solche  Masse  von  Beweisstücken  aus  vier  Literaturen  zusammengebracht  haben.  Es  ist 
kein  geringer  Genuß,  und  es  ist  von  nicht  geringem  Erkenntniswert,  ein  so  erstaunliches,  ja  man 
möchte  beinahe  sagen,  einzigartiges,  Phänomen  wie  dieses  unablässige  Fortwirken  und  Fortzeugen 
der  Gedanken  und  der  Phantasie  des  Venusinors  über  Völker  und  Zeiten  so  unmittelbar  vor 
Augen  zu  haben.  Man  legt  Stemplingers  überaus  verdienstliche  Arbeit  mit  lebhaften  Dankgefühlen 
aus  der  Hand."  (Berliner  Philologische  Wochenschrift.) 


Verlag  von  B.  G.  Teubiier  in  Leipzig  und  Berlin 

Staat  und  Gesellschaft  der  neuereu  Zeit  (bis  zur  französischen  Revoluti^    ) 
Yon  Fr.  Y.  Bezold,  E.  CrOthein,  R.  Koser.   (Die  Kultur  der  Gegenwart.   Herab 
gegeben  von  Prof.   Paul   Hinneberg.     Teil  II,   Abt.  V,  1.)     Lex.-8.     190 
Geh.  JC  9. — ,  in  Leinwand  geb    JC  11. — 

„Es  ist  ein  bedeutsames  Werk,  das  uns  vorliegt,  das  Werk  dreier  Männer,  die,  jeder  auf  seinem 
Gebiete,  anerkannt  Hervorragendes  geleistet  haben  und  nun  die  gesicherten  Ergebnisse  lang- 
jähriger eigener  und  fremder  Forschungen  in  abgeklärter,  gediegener  Form  zusammenfassen  und 
einem  geschichtlich  interessierten  Publikum  darbieten.  Die  drei  Teile  des  Werkes  stellen  wohl- 
gesonderte, in  sich  abgegrenzte  Gebiete  dar,  die  allemal  wenigstens  ein  Jahrhundert  umfassen  und 
»ich  über  alle  wesentlichen  Betätigungen  des  geschichtlich  bedingten  Menschen  erstrecken.  Aber 
die  Bearbeiter  halten  sich  keineswegs  an  äußerliche  und  willkürlich  gesetzte  Grenzen,  sondern  indem 
sie  ausgeprägte  Bichtungen  und  welthistorisch  wichtige  Abwandlungen  darlegen,  spinnen  sie  die 
Fäden  dieses  reichen  Gewebes  nach  vorwärts  und  rückwärts,  und  es  erwächst  ein,  soweit  es  unter 
solchen  Umständen  möglich  ist,  einheitliches  Werk."     (Mitteiluujren  aus  der  Iiistüriüchen  Litcratiii'.) 

Die  romanischen  Literaturen  und  Sprachen  mit  Einschluß  des  Keltischen. 

Inhalt:  I.  Die  keltischen  Literaturen.  1.  Sprache  und  Literatur  der  Kelten 
im  allgemeinen:  H,  Zimmer.  2.  Die  einzelnen  keltischen  Literaturen,  a)  Die 
irisch- gälische  Literatur:  K.  Meyer,  b)  Die  schottisch-gälische  und  die  Manx- 
Literatur.  c)  Die  kymrische  (walisische)  Literatur,  d)  Die  kornische  und 
die  bretonische  Literatur:  L.  Chr.  Stern.  II.  Die  romanischen  Literaturen. 
1.  Frankreich  bis  zum  Ende  des  15.  Jahrhunderts.  2.  Italien  bis  zum  Ende 
des  17  Jahrhunderts.  3.  Die  kastilische  und  portugiesische  Literatur  bis  zum 
Ende  des  17.  Jahrhunderts.  4.  Frankreich  bis  zur  Romantik.  5.  Das  19.  Jahr- 
hundert: H.  Morf.  III.  Die  romanischen  Sprachen :  W.  Meyer-Lübke.  (Die 
Kultur  der  Gegenwart.  Herausgegeben  von  Prof.  Paul  Hinneberg.  Teil  I, 
Abt.  11,  1.)     Lex.-8.     1909.     Geh.  JC  12.—,  in  Leinwand  geb.  Ji  14.— 

„Auch  ein  kühler  Beurte^er  wird  diese  Arbeit  als  ein  Ereignis  bezeichnen.  Die  Geschichte  mehrerer 
romanischer  Literaturen  zu  schreiben  ist  ja  wiederholt  versucht  worden,  doch  ist  keiner  dieser 
Versuche  bisher  völlig  geglückt.  Dem  Verfasser  der  neuesten  Gesamtdarstellung  blieb  es  vor- 
behalten, das  katalanische  wie  das  portugiesische,  das  rumänische  wie  das  provenzalische  Schrifttum 
ebenso  gewissenhaft  zu  behandeln  wie  die  große  Geschichte  der  Weltliteraturen,  und  man  merkt 
fast  überall,  daß  Ergebnisse  teils  eigener  wissenschaftlicher  Forschung,  teils  der  Prüfung  der  besten 
von  anderen  geleisteten  Arbeit  zu  lebensvoller  Einheit  abgerundet  vorgelegt  werden.  Die  Dar- 
stellung, obwohl  für  das  große  gebildete  Publikum  geschrieben,  ist  derart  durchgearbeitet  und 
vertieft,  daß  sie  in  vielen  Fällen  auch  der  wlisenschaftlichen  Forschung  als  Grundlage  dienen 
kann."  (Jahrboclt  für  Zeit-  und  KiUturgescliichte.) 

Pie  Renaissance  in  Florenz  und  Rom.     Acht  Vorträge  von  Karl  Brandi. 

3.  Auflage.     1909.     Geh.  Ji  5. — ,  in  Leinwand  geb.  ,yfi  6. — 

„  ...  Im  engsten  Eaume  stellt  sich  die  gewaltigste  Zeit  dar,  mit  einer  Kraft  und  Gedrungenheit, 
Schönheit  und  Kürze  des  Ausdrucks,  die  klassisch  ist.  Gerade  was  das  größere  Publikum  erlangen 
will  und  soll,  kann  es  daraus  gewinnen,  ohne  doch  mit  oberflächlichem  Halbkennen  überladen  zu 
werden.  Den  tiefer  Dringenden  gibt  das  schöne  Werk  den  Genuß  einer  nochmaligen,  kurzen, 
knappen  Zusammenfassung;  als  habe  man  lange  in  einer  fi-men,  großartigen  Welt  gelebt,  ganz 
von  ihrem  Sein  und  Wesen  erfüllt,  müsse  nun  Abschied  nehmen  und  sehe  sie  noch  einmal  mit 
einem  Schlage  vor  sich,  groß,  kühn,  farbenreich  und  nahe  und  ins  Gedächtnis  unwandelbar  ein- 
gegraben, indes  man  sich  wieder  der  eigenen  Zeit  zuwendet  und  weiterwandert."         (Die  Nation.) 

J>as  Erlebnis  und  die  Dichtung.    Lessing,   Goethe,   Novalis,   Hölderlin. 

yier  Aufsätze  von  Wilhelm  Dilthey.     3.,  erweiterte  Auflage,     gr.  8.     1910. 
Geh.  JC  6.20,  in  Leinwand  geb.  JC  6.20. 

„  .  .  .  Dieses  tiefe  und  schöne  Buch  gewährt  einen  starken  Keiz,  Diltheys  feinfühlig  wägende  und 
Leitende  Han<J.  das  künstlerische  Fazit  so  außergewöhnlicher  Phänomene  im  unmittelbaren  An- 
schluß an  die  k^appe,  großlinige  Darstellung  ihres  Wesens  und  Lebens  ziehen  zu  sehen.  Hier, 
das  fühlt  man  auf  Schritt  und  Tritt,  liegt  auch  wahrhaft  inneres  Erlebnis  eines  Mannes  zugrunde, 
dessen  eigene  ßeistesbeschaffenheit  ihn  zum  nachschöpferischen  Eindringen  in  die  Welt  unserer 
Dichter  und  Denker  geradezu  bestimmen  mußte.  .  .  .  Was  diesen  auf  einen  Lebenszeitraum  von 
40  Jahren  verteilten  —  man  wendet  hier  das  Wort  fast  instinktiv  an  —  klassischen  Aufsätzen  ein 
ganz  besonders  edles  Gepräge  gibt,  das  ist  der  goldene  Schimmer  geistiger  Jugendfrische,  der  sie 
verklärt,  die  lautere  Verehrung  unserer  höchsten  literarisch-künstlerischen  Kulturwerke,  die  den 
Ausdruck  überall  durchzittert.  Hier  schreibt  Ehrfurcht,  und  zwar  lebendige  Ehrfurcht,  die  sich 
den  Geistern  und  ihrem  Werk  in  liebendem  Erkenntnisdrange  hingibt  und  weiß,  warum  sie 
es  tut."  (Das  literarische  Echo.) 


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