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Full text of "Hundert Jahre : Bilder aus der Geschichte der Stadt Zürich in der Zeit von 1814-1914"

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HUNDERT  JAHRE 

BILDER  AUS  DER  GESCHICHTE  DER 

STADT  ZÜRICH 

IN  DER  ZEIT  VON 
1814-1914 


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I.  BAND 


ZÜRICH   1914 
DRUCK  UND  VERLAG  DER  BUCHDRUCKEREI  BERICHTHAUS 

(VORMALS   ULRICH  &   Co.) 


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GELEITWORT 

Die  Firma  Buchdruckerei  Berichthaus,  vormals  Ulrich  &Co., 
blickt  am  i.Juli  19 14  auf  ein  hundertjähriges  Bestehen 
zurück.  Dieses  im  Leben  eines  Geschäftes  seltene  Ereignis 
fällt  mit  zwei  Veranstaltungen  zusammen,  die  für  das  graphi- 
sche Gewerbe  von  besonderer  Bedeutung  sind,  nämlich  mit 
der  Landesausstellung  in  Bern  und  der  Internationalen  Aus- 
stellung für  Buchgewerbe  und  Graphik  in  Leipzig.  So  haben 
wir  uns  entschlossen,  unsern  Freunden  und  Gönnern  aus 
alter  und  neuer  Zeit  dieses  Buch  als  Erinnerungsschrift  zu 
widmen,  zugleich  als  Zeugnis  derzeitig  zürcherischer  Buch- 
druckerkunst. Eingedenk  dessen,  dass  seit  Erscheinen  des 
Tagblattes  (früher  Donnstags-Nachrichten)  Freud  und  Leid, 
Handel  und  Wandel,  Leben  und  Sterben,  Jubel  und  Ivlage, 
Friede  und  Streit  der  Einwohnerschaft  Zürichs  in  den  im 
Berichthaus  erschienenen  Blättern  getreuen  Ausdruck  ge- 
funden haben  und  dass  das  Tagblatt  seit  fünfzig  Jahren 
zugleich  städtisches  Amtsblatt  ist,  erscheint  das  Buch  statt 
als  Geschichte  des  Berichthauses  als  eine  solche  der  Stadt 
Zürich  in  den  letzten  hundert  Jahren.  Es  hat  sich  nun 
glücklich  getroffen,  dass  in  der  Person  des  Redaktors  der 
bei  uns  gedruckten  „Zürcherischen  Freitagszeitung",  Herrn 
S.  Zurlinden,  sich  ein  Mann  fand,  der  ganz  besonders  ge- 
eignet war,  diese  Aufgabe  zu  erfüllen.  Der  Verlag  dankt 
Herrn  Zurlinden  für  dieses  Werk  seiner  Feder,  umsomehr, 
als  ihm  für  die  grosse  und  mühevolle  Arbeit  nur  eine  knapp 
bemessene  Zeit  zur  Verfügung  stand. 


Der  Satz  in  Mediaevalschrift  ist  auf  unseren  Monotype- 
Setz-  und  Giessmaschinen  erstellt  worden.  Den  ein-  und 
mehrfarbigen  Illustrationsdruck  haben  wir  mit  Klischees  vom 
Artistischen  Institut  Orell  Füssli  nach  Originalen,  welche 
uns  die  Stadtbibliothek  Zürich,  das  Stadtarchiv  und  andere 
Gönner  freundlichst  zur  Verfügung  gestellt  haben,  ausgeführt. 
500  Exemplare  wurden  auf  von  der  Zürcher  Papierfabrik 
an  der  Sihl  zu  diesem  Zwecke  besonders  hergestelltes  Bütten- 
papier gedruckt.  Der  Bucheinband  nach  unsern  Angaben 
stammt  von  der  Firma  Günther,  Baumann  &  Co.  in  Erlen- 
bach. 

So  hoffen  wir  denn,  dass  die  vaterländische  Veröffent- 
lichung Freude  bereiten  werde  und  uns  zu  den  alten  Freunden 
und  Gönnern  noch  viele  neue  gewinnen  möge. 

BUCHDRUCKEREI  BERICHTHAUS 
Paul  Römer  Rudolf  Ulrich 


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Bei  den  vorliegenden  Aufzeichnungen  hat  der  Verlag  dem 
Verfasser  mit  Bezug  auf  Anordnung  und  Gestaltung  des  Stoffes 
völlig  freie  Hand  gelassen.  Es  konnte  sich  von  vornherein  nicht 
darum  handehi,  eine  lückenlose  Gescliichte  der  Stadt  Zürich 
in  den  letzten  hundert  Jahren  zu  schreiben;  nur  ein  möghchst 
anschauhches  Bild  von  den  pohtischen  Ereignissen,  den  geistigen 
Strömungen,  den  führenden  Männern,  insbesondere  aber  von  der 
baulichen  Entwicklung  Zürichs  seit  1814  sollte  gegeben  werden. 
Da  somit  das  Buch  bei  aller  historischen  Treue  im  Ganzen  und 
Einzelnen  nicht  im  Gewände  der  gelehrten  Geschichtsschreibung 
erscheinen  will,  durfte  auch  im  Interesse  der  Handhchlceit  und 
leichteren  Lesbarkeit  auf  Anmerkungen  und  Fussnoten  verzichtet 
und  ein  summarisches  Quellenverzeiclitüs  als  genügend  erachtet 
werden.  Trotz  aller  Beschränkung  gestattete  das  reiche  Material 
rücht,  den  Stoff  in  einem  einzigen  Bande  zur  Darstellung  zu  bringen. 
Der  vorhegende  Band  schhesst  mit  den  ersten  fünfzig  Jahren  ab. 
Der  zweite  Band  wird  diesem  ersten  möghchst  bald  folgen. 

* 

Der  Verfasser  dankt  allen  denjenigen,  die  ihn  mit  Mitteilungen 
aus  dem  reichen  Schatz  ihres  Wissens  unterstützt  haben,  insbe- 
sondere den  Herren  Professoren  G.  Meyer  von  Knonau  und 
W.  OechsU  und  Bibhothekar  Dr.  H.  Escher;  auch  Herrn  Dr.  C. 
Keller-Escher  verdankt  er  manche  wertvolle  Anregung.  Die 
Gesellschaft  für  Herausgabe  der  Freitagszeitung  ist  dem  Unter- 
zeichneten in  verdankenswerter  Weise  dadurch  entgegengekommen, 
dass  sie  ihm  gestattete,  sich  für  einige  Zeit  in  der  Hauptarbeit 
der  Redaktion  vertreten  zu  lassen. 


Zürich,  den  4.  April  1914. 

S.  ZUREINDEN. 


INHALT  DES  ERSTEN  BANDES 

Geleitwort Seite  III 

Inhaltsübersicht VII 

Verzeichnis  der  Illustrationen XV 

Benutzte  Quellen 349 

Alphabetisches  Namen-  und  Sachregister 353 

I.  TEIL:   HINTER  WALL  UND  GRABEN 

1.  Kapitel:  Neujahr  1814 

Die  Gesandten  v.  Lebzeltem  und  Capo  d'Istria  in  Zürich,  Seite  i ;  der 
Durchmarsch  der  Alliierten  2;  der  Bundesverein  (vom  29.  Dez.  18 13)  6; 
Zürcher  Abordnung  zum  Monarchenbesuch  in  Basel  6;  kantonale  Ver- 
fassungsrevisionen 7. 

2.  Kapitel:   Im  neuen  Schweizerbund. 

Die  „lange  Tagsatzung"  in  Zürich  8;  Alliiertenfeier  in  Zürich  (12.  April 
1814)  9;  der  erste  Pariser  Friede  9;  Verfassung  des  Kantons  Zürich  (vom 
II.  Juni  18 14)  10;  der  Wiener  Kougress  10;  eidg.  Aufgebot  gegen  Na- 
poleon 12;  die  Zürcher  vor  Hüningen  12;  Bundesschwiu:  im  Grossmünster 
(/.Aug.  1815)  12;  Teuerungsjahre  (i8i6und  1817)  13;  verfehlte  Zollpohtik  14; 
I<inthkorrektion   14;  Hans  Konrad  Escher  von  der  Linth   15. 

3.  Kapitel:    Stadt  und  Festung  Zürich 

Die  Festimgswerke  16;  Stadelhoferporte,  Holzschanze,  Grendel  17;  Wellen- 
berg, Helmhaus  etc.  18;  Chorherrenstift,  Kirchgasse,  Zwingiiplatz  19; 
Münstergasse,  Post  20;  Berichthaus  21;  Elsasser,  „N.  Z.  Z.",  Fisch- 
markt 22;  Hauptwache,  Metzg  23;  Rathausbrücke,  Oberer  und  Unterer 
Mühlesteg,  Langer  Steg,  Neumühle  24;  Niederdorftor,  Seiler-  und  Hir- 
schengraben, Ketzerturm  25;  Spital,  Kronentor,  Rechberg  26;  Kasino 
Theater,  Rämi-Bollwerk  27;  Bauschänzchen,  Fröschen-  und  Schanzen- 
graben, WolhshoferpörtH  28;  Sekiau,  Kratzturm,  Baugarten,  Kappeler- 
hof, Alumnat  29;  Fraumünsteramt,  Kornhaus  30;  Zeughäuser  In  Gassen, 
Cafe  Htteraire,  „Schwert",  Schipfe  (Bürkhs  ,, Freitagszeitung"),  Augu- 
stinerkirche, Hinteramt,  Rennweg  31;  Ötenbach,  Waisenhaus,  Sihl- 
kanal  32;  Schützenhaus,  Platzpromenade,  Kräuel,  St.  Jakob  33;  Bota- 
nischer Garten,  St.  Anna,  Felsenhof  34 ;  Seidenhöfe,  Talacker  35 ;  Neu- 
markt (Paradeplatz),  Tiefenhoflinde  36;  Bevölkerung  Zürichs  (18 14)  36; 
erste  öffentliche  Beleuchtung  37. 


VIII 

4.  Kapitel:   Der  erste  Stadtpräsident 

Die  provisorische  Munizipalität  (179S)  3S;  die  Franzosen  in  Zürich  39; 
Ausscheidung  des  Stadtvermögens  40;  erste  und  zweite  Schlacht  bei 
Zürich  (1799)  41;  konstituierte  Munizipalität  41;  Bombardement  durch 
General  Andermatt  42;  Gemeinderat,  Stadtrat  und  Stadtpräsident  43; 
der  erste  Stadtschreiber  Haus  Heinrich  Hofmeister  43;  der  erste  Stadt- 
präsident Hans  Konrad  Escher  44 ;  Stadtpräsident  Werdmüller  44 ;  Stadt- 
präsident Hans  Heinrich  Landolt  45;  Stadtpräsident  Hans  Georg  Finsler  45; 
Stadtpräsident  Hans  Konrad  Vogel  46;  Stadtpräsident  Georg  Konrad 
Bürkli  4-. 

5.  Kapitel:   Fürstenbesuche 

Kaiserin  Marie  Luise  (1814)  48;  Grossfürsteu  Nicolaus  und  Michael  48; 
König  Friedrich  Willielm  III.  48;  Zar  Alexander  I.  49;  Kaiser  Franz  von 
Österreich  50;  Kronprinz  Ferdinand  von  Österreich  51;  die  „Heilige  Al- 
lianz" 51;  Frau  Juliane  v.  Krüdener  51;  die  „Heilige  Gret"  von  Wildis- 
puch  53;  fremde  Orden  und  Auszeichnungen  53;  Mihtär-Kapitulationen  54; 
das  I/öwendenkmal  in  Luzern  55. 

6.  Kapitel:   Vater  Pestalozzi 

Pestalozzis  Armut  56;  seine  Bedeutimg  57;  Erziehimg  58;  im  Neuhof  58; 
Lienhard  und  Gertrud  59;  Stans  59;  Burgdorf,  Yverdon  60;  das  Ende  61. 

7.  Kapitel:    Stadt  und  Land 

Wiederherstellung  der  Stadtaristokratie  62 ;  Hans  v.  Reinhard  63 ;  die 
Schule  zur  Restaurationszeit  63;  Justiz  64;  das  „Stadtzürchersystem" 
in  der  Verwaltung  65;  Opposition  in  der  Stadt  65;  die  Stadtliberalen  66; 
Fall  Finsler  und  Fall  Hirzel  (1829)  66;  J uhre volution  in  Paris  67;  die  Be- 
wegung auf  der  Landschaft  68;  das  Küsnachtermemorial  69;  der  Tag 
von  Uster  (22.  Nov.  1S30)  69;  das  Memorial  von  Uster  72;  konservative 
Schützenhausversammlung  {23.  Nov.  1830)  72;  die  Verfassungsrevision 
und  Volksabstimraimg  (20.  März  1831)  73;  Reinhards  Abschied  74. 

II.  TEIL:   AUS  DER  REGEXERATIONSZEIT 

8.  Kapitel:   Das  Alte  stürzt 

Die  grollende  Stadt  79;  Dr.  Ludwig  Keller  80;  Staatsanwalt  Da\nd  Ulrich  81 ; 
Oberrichter  Wilhelm  Füssh  82;  Stadt-  und  Landliberale  82;  die  Partei 
der  Gemässigten,  BluntschU  etc.  83;  die  Altkonservativen,  David  Nüscheler 
etc.  83;  die  Regierung  von  1831  84;  Bürgermeister  Dr.  Paul  Usteri  85; 
der  Bassersdorfer  Verein  86;  der  Rücktritt  der  8  konservativen  Regie- 
rungsräte 87 ;  Aufhebung  des  Kasernendienstes  88 ;  Aufhebung  des  Chor- 
herrenstifts 88;  Schleifung  der  Festungswerke  89;  Aufhebung  des  Direk- 
torialfonds 91. 


IX 

9-  Kapitel:   Neues  Leben 

Unterrichtsgesetz  93 ;  Gründung  der  Hochschule  93 ;  Eröffnungsfeier 
(29.  April  1833)  95;  Gründung  der  Kantonsschule  95;  Einweihimg  des  Kan- 
tonsschulgebäudes {15.  Aug.  1842)  96;  Gründung  des  Kantonsspitals  98; 
Tierarzneischule  und  Botanischer  Garten  99;  Schulreform,  Ignaz  Thomas 
Scherr  99;  Strafgesetzbuch  von  Dr.  J.  C.  Ulrich  (Berichthaus)  100;  Gesetz- 
gebimg der  Regenerationszeit  loi ;  Museumsgesellschaft  (1834)  102;  Anti- 
quarische Gesellschaft  102;  Hans  Georg  Nägeü  102;  stürmischer  Fort- 
schritt 103;  der  Aufruhr  in  Bauma  104;  der  Brand  von  Uster  {1832);  die 
Unruhen  von  Stadel  und  Raat  {1834)  105;  Berufung  von  Prof.  Elwert 
(gegen  Bavid  Friedrich  Strauss  1836)   105. 

10.  Kapitel:   Eidgenössische  Fragen 

Basler  imd  Schwyzer  Wirren  106;  Sarnerbund  (14.  Nov.  1832)  106;  ver- 
gebliche Bemühungen  für  eine  Verfassungsrevision  107;  Flüchtlinge  107; 
Griechen  108;  Asylfrage  108;  Polen  und  Deutsche  109;  Student  I^essing 
ermordet  (4.  Nov.  1835)  109;  Fremdengesetz  iio;  Volksversammlung 
auf  der  Ägerten  (21.  Aug.  1836)  iio;  der  Spitzel  Conseil  iio;  Prinz  Louis 
Napoleon  iio;  Spaltimgen  in  der  liberal-radikalen  Partei  in;  die  Brutal- 
Radikalen   112;  Dr.   Kellers  Rücktritt   113. 

11.  Kapitel:   Eidgenössisches  Schützenfest  1834 

Eidgenössische  Feste  114;  erstes  eidgenössisches  Schützenfest  Aarau 
(12.  Juni  1824)  115;  Ehr-  imd  Freischiessen  in  Zürich  1821  116;  eidge- 
nössisches Schützenfest  in  Zürich  (12.  Juli  1834)  116;  Eröffnimg  118;  offi- 
zieller Tag  iig;  poHtische  Toaste  120;  Volksversammlimg  im  „Kräuel"  121. 

12.  Kapitel:   Das  Dampfschiff 

Beginn  der  Dampfschiffahrt  122;  „Guillaume  TeU"  auf  dem  Genfersee 
(1823)  122;  Gesellschaft  für  die  Dampfschiffahrt  auf  dem  Zürich-  und 
Wallensee  (1834)  123;  StapeUauf  der  „Minerva"  und  erste  Fahrt  (ig.  Juli 
1835)  123;  Dampfschiffbau  124;  Untergang  des  „Delphin"  im  Wallensee 
(17.  Dez.  1850)  125;  Schiffsunglück  bei  Meilen  (29.  Aug.  1872)  126;  Über- 
gang der  Dampfschiffahrt  an  die  Nordostbahn   127. 

13.  Kapitel:    Stadtpräsident  J.   J.  Escher  (1831 — 1837) 

Biographie  128;  bauliche  Entwicklung  der  Stadt  129;  Einweihimg  der 
Münsterbrücke  (20.  Aug.  1838)  130;  die  neuen  Quais  131;  Komhaus  und 
Hafen  131;  Poststrasse  (1838)  131;  Hotel  Baur,  Postgebäude,  Bleicherweg- 
brücke 132;  Kirche  Neumilnster  (11.  Aug.  1839)  133;  Gemeindeordnung 
vom  14.   Sept.    1831    133;  engerer  und  grösserer  Stadtrat  134. 


14-  Kapitel:  Stadtpräsident  Ziegler  (1837 — 1840) 

Biographie  139;  politische  Bewegung  1837,  Verfassimgsrevision  139;  Volks- 
abstimmung (4.  Febr.  1838)  140;  neue  Stadtverfassong  (1839)  141;  Gross- 
ratswahlen (4.  März  1838)  141;  die  „Stampfsynode"  (29.  Okt.  1833) 
141;  Scherrianer  und  Hirzelianer   142;  poUtische  Lage   1838   143. 


III.  TEIL:  DER  ZÜRICH-PUTSCH  1839 

15.  Kapitel:    „vStrauss  kommt!" 

David  Friedrich  Strauss  147;  die  Berufung  148;  die  Motion  von  Antistes 
Füssli  (31.  Jan.)  149;  „Strauss  kommt"  150;  „der  lange  Mitmensch"  151; 
die  Gründung  des  Glaubenskomi tees  151;  die  Konferenz  von  Wädenswil 
(13.  Febr.)  und  das  erste  Sendschreiben  152;  die  Komiteewahlen  153; 
der  radikale  Schutzverein  155;  Kundmachung  der  Regierung  vom  20.  Febr. 
156;  Verschiebung  der  Berufimg  von  Strauss  156;  Konstituierung  des 
Zentralkomitees  157;  erste  Adresse  157;  Sendschreiben  an  die  Kirch- 
gemeinden und  Petition   158. 

16.  Kapitel:    Strauss  kommt  nicht 

Zurückweismig  der  Adresse  und  Kundmachung  vom  5.  März  161 ;  Abstim- 
mung in  den  Kirchgemeinden  162;  Pensionierung  von  Strauss  163;  der 
Uterarische  Kampf  164;  Grosser  Rat  vom  18.  März  167;  Rücktritt  des 
Zentralkomitees   171. 

17.  Kapitel:  Revolution 

Jakob  Hürhmaim-I,andis  173;  die  Männer  der  Glaubensbewegung  174; 
Rahn  imd  Spöudlin  175;  Überweisung  der  Petitionen  176;  Wülielm  Meyer- 
Ott  176;  Rekoustituierung  des  Zentralkomitees  177;  Gemeindewahleu  177; 
Ablehnung  der  Petitionen  178;  das  Sendschreiben  vom  8.  August  179; 
Besprechung  der  Radikalen  am  20.  August  181;  Regierungsratsprokla- 
mation 23.  August  183;  Antwort  des  Zentralkomitees  184;  das  Zentral- 
komitee in  Klotcn  185;  Proklamation  vom  31.  August  186;  Truppen- 
aufgebot  187;  Meuterei  in  der  Kaserne   188. 

18.  Kapitel:   Der  Tag  von  Kloten,  Montag  den  2.  September 

Der  Aufmarsch  189;  Eröffnung  191;  die  Adresse  von  Kloten  193;  Schluss- 
anspracheu  195;  falsche  Gerüchte  196;  Empfang  der  Deputation  durch 
die  Regierung  197;  Entlassung  der  Truppen  198;  die  Aufregung  in  der 
Stadt  199;  die  Pläne  des  Komitees  200;  wilde  Gerüchte  201;  das  Bulletin 
von  Dr.  Rahn  204;  Regierxmgsratssitzung  vom  5.  September  206;  die 
Berichte  vom  Aufbruch  des  Landsturms  206. 


XI 

ig.  Kapitel:   Der  sechste  September 

Pfarrer  Dr.  Hirzel  von  Pfäffikou  209;  der  Aufbruch  des  Landsturms  210; 
Abmahnung  Rahns  210;  die  lUnauer  kommen  211;  Alarm  in  der  Kaserne 
211;  militärische  Massregeln  212;  die  Studenten  213;  das  Aufgebot  der 
Bürgerwache  213;  der  Zug  nach  Hirslanden  214;  Erklärungen  von  Stadt- 
präsident Ziegler  215;  der  Landsturm  ist  da!  216;  die  Deputation  der 
Regierung  217;  die  Sitzung  des  Zeutralkomitees  218;  das  Aufgebot  der 
Landgemeinden  219;  das  Aufgebot  der  Seegemeinden  220;  letzte  Truppen- 
aufsteUmig  221 ;  die  Regiervmg  auf  dem  Posthaus  222;  „sie  kommen  I"  223; 
der  Einmarsch  des  Landsturms  224;  die  Kolonne  Hirzel  auf  dem  Münster- 
hof 225;  der  Kampf  bei  der  „Waag"  227;  die  Kolonne  Rahn  228;  Hegetsch- 
weüers  Tod  229;  Sturmläuten  der  Stadt  22g;  Stadtpräsident  Oberst  Zieg- 
ler 230;  das  Ende  des  Kampfes  231 ;  Stadtpräsident  imd  Bürgermeister  232; 
Übergabe  der  Zeughäuser  232;  die  Kolonne  Spöndlin  233;  das  Einrücken 
des  Landsturms  234;  Dr.  Hegetschweiler  234;  die  Auflösung  der  Regie- 
rung 235;  die  provisorische  Regierung  236;  Proklamationen  237;  die  Opfer 
des  6.  September  238;  Streik  der  Offiziere  240;  der  Landsturm  in  den 
Kirchen  241;  Sulzberger  242;  Agnes  Schebest  wird  Frau  Dr.  Strauss  242; 
die  Landsgemeinde  auf  dem  Paradeplatz  242;  Einrücken  des  Militärs  243. 

20.  Kapitel:  Reaktion 

Dank  an  Stadtpräsident  Ziegler  244;  Wirkungen  des  6.  September  245; 
Auflösung  des  Grossen  Rates  (9.  Sept.)  246;  Auflösung  der  kantonalen 
Behörden  247;  die  Verchristhchung  von  Hochschule  imd  Volksschule  249; 
das  Seminar  250;  die  „Friedensvereine"  250;  Friedrich  und  Theodor 
Rohmer  251;  die  Radikalen  252;  Schulsynode  in  Winterthur  (31.  Aug. 
1840),  der  TJstertag  in  Bassersdorf  (22.  Nov.  1840)  253;  Zürichputsch 
und  Sonderbundskrieg  254;  Volksversammlung  von  Schwamendingen 
(29.  Aug.  1841)  255;  f  Ludwig  Meyer  v.  Knonau  (21.  Sept.  1841)  256;  Gross- 
ratswahlen 1842  257;  Dr.  Kellers  Wahlablehnimg  imd  Auswanderung  257; 
Jesuiten-  und  Klosterfrage  258;  Volksversammlung  in  Unterstrass  (26.  Jan. 
1845)  260;  BluntschUs  Rücktritt  und  Auswanderung  262;  die  Wahlen 
von   1846  und  das  Ende  der  Septemberregierung  263. 


IV.  TElIv:   DIE  LIBERALE  AERA 


21.  Kapitel:   Die  Eisenbahn 

Erste  Eisenbahngesellschaft  in  Zürich  (1838)  268;  Martin  Escher-Hess  268; 
Schweiz.  Xordbahngesellschaft  269;  der  Bahnbau  270;  Einweihung  der 
Eisenbahn  Zürich-Baden  am  7.  August  1847  271;  Schweiz.  Nordostbahn 
vmd  Alfred  Escher  272;  der  Ausbau  des  Eisenbahnnetzes  273. 


XII 

22.  Kapitel;    Kriegsbilder  (Sonderbundskrieg) 

Wirt  Gross  vom  Cafe  litteraire  275;  die  Befreiung  von  Dr.  Steiger  in 
Luzern  {20.  Juni  1845)  276;  Mobilisation  in  Zürich  277;  die  Konservativen 
und  der  Sonderbund  278;  erste  Feindseligkeiten  27g.  —  Lunnern  279; 
das  Gefecht  283;  Panik  bei  Rickenbach  286;  Gislikon  287;  Anmarsch 
der  Division  Ziegler  2S9;  Kampf  der  Di\-isiou  Gmür  290;  Operation  gegen 
Honau  imd  GisUkou  291;  der  Kampf  am  Rooterberg  292;  der  Kampf 
der  Brigade  Egloff  294;  der  Sieg  von  Gislikon  296;  Maler  MüUer-Weg- 
manu  von  Zürich  297.  —  Der  Einzug  in  Luzem  297;  Ziegler  Platzkommau- 
dant  298;  Rückgabe  der  Waffen  Zwingiis  299;  Empfang  und  Ehrung 
Zieglers  in  Zürich  299. 

23.  Kapitel:    Das  Polytechnikum 

Eidgenössische  Hochschiilbestrebungen  301;  erster  Bundesbeschluss  (1848) 
302 ;  Verhaudlimgeu  der  Bundesversammlung  304 ;  Gründungsgesetz 
für  das  Polytechnikum  (7.  Febr.  1854)  304;  die  Verpflichtungen  Zürichs 
305;  Wahl  des  Schulrats  und  der  Professoren  305;  Eröffnimgsfeier  {15.  Okt. 
1855)  307;  der  Bau  des  Polytechnikumsgebäudes  308;  Bezug  desselben 
(1864)  309;  aus  der  Gratulationsadresse  der  Universität  zum  sojährigen 
Jubiläum  des  Polytechnikums  30g. 

24.  Kapitel:   Alfred  Escher 

Jugend  und  Erziehung  31:;  Studien,  erstes  politisches  Auftreten  312; 
rasche  Carriere  312;  das  „System"  313;  Sozialismus  xmd  Kommunis- 
mus 314;  Treichler  imd  Schneider  Weithug  314;  Karl  Bürkli  316;  Treichler 
Regierungsrat  317;  Gottfried  Keller  Staatsschreiber  318;  Eschers  Grüu- 
dmigen  319;  Gotthardbahn  319;  Krankheit  imd  Tod  (6.  Dez.  1882)  320; 
Denkmaleinweihung   (22.    Juni    1889)    321;   Belvoirpark   322. 

25.  Kapitel:    vStadtpräsident  Hess  (1840 — 1863) 

Biographie  323;  Vogelschaubild  der  Stadt  Zürich  um  1850  (Beschreibimg) 
325;  bemerkenswerte  Begebenheiten  und  bauliche  Veränderungen  1840 
bis  1863  328.  —  1840:  Ütüberggasthaus,  grosses  Zeughaus  beim  Bahn- 
hof 328.  —  1841:  Packhof  328.  —  1842:  Pfrundanstalt,  Friedhof  St.  Jakob 
329.  —  1843:  „Tagblatt  der  Stadt  Zürich"  (erster  Vertrag  mit  der  Stadt 
1863)  330;  eidgenössisches  Sängerfest;  erste  Briefpostmarken  330.  — 
1844:  Ausscheidung  des  Nutzungsgutes  330;  Wipkingerfähre,  Schiffahrts- 
schleuse 331.  —  1S45:  Hinrichtungen  331.  —  1846:  Pestalozzifeier,  Industrie- 
ausstellung 331.  • —  1847:  Wilhebn  Meyer-Ott  Stadtrat  331.  —  1848:  Friedhof 
Hohe  Promenade,  Nägeli-Denkmal  332.  —  1849:  Neues  Schützenhaus  Sihl- 
hölzh,  badische  Flüchtlinge,  General  Dufour  in  Zürich  333.  —  1851 :  Bundes- 
feier am  I.  Mai  334.  —  1852:  Richard  Wagner  in  Zürich,  Villa  Wesendonk, 
Telegraph  336.  —  1853:  Grossmünsterschulliaus  (7.  April)  337;  Leichen- 
wagen, Droschken,  Abfuhrwagen,  Dieustmänner  337. —  1855:  elektrisches 


XIII 

Licht  am  Sechseläuten,  Cholera,  Friedhof  Riedtli,  Limmatquai,  Gas- 
beleuchtung 33S.  —  1856:  Einweihung  des  Tunnels  Örlikon,  Brand  des 
Limmathofs  339;  Kadettenfest,  die  Stadtschreiber  Hofmeister,  Niischeler, 
Gysi  und  Eugen  Escher  340.  —  1S57:  Neuenburger  Frage,  Dufour  in 
Zürich,  Offiziersfest,  Revision  der  Stadtverfassung,  Tiefenhoflinde  341.  — 
1858:  Hochschuljubiläum,  eidgenössisches  Sängerfest,  Krankenasyl  Neu- 
münster 342.  —  1859:  Österreichisch-italienischer  Krieg,  Friede  von  Zürich 
(10.  Nov.  1859),  eidgenössisches  Schützenfest  342;  Bezirksgebäude,  Kom- 
haus  beim  Bahnhof  343;  städtisches  Baukollegiimi,  Bauprogramm  344.  — 
1860:  GrossmünsterkapeUe  {15.  Nov.),  Frage  der  Vereinigung  mit  Ausser- 
sihl  344. —  1861 :  Brand  von  Glarus,  Freie  Strasse,  Drahtschmiedlifähre  345.  — 
1862:  Zehnrappen porto,  Ablenkung  des  Schanzengrabens,  Vereinigimgsfrage, 
Stadelhofer Anlagen,  Marktgasse,  Metzgpassage  345 ;  SchlachthausWalche  und 
Fleischverkaufshalle  346.  —  1863:  städtisches  Baugesetz,  Schulhaus  Lang- 
strasse,  Projekt  der  Bahnhof  Strasse,  Kasemenvertrag  mit  dem  Staat  346. 
—  1863:  Seiler-  imd  Hirschengraben,  Bau  der  Bahnhofbrücke  347.  — 
Das  alte  imd  das  neue  Zürich  347;  Konrad  Ferdinand  Meyers  Huldigung 
an  das  neue  Zürich   348. 


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ILLUSTRATIONEN 


1.  Blick   von   der   Rathausbrücke  limmat-aufwärts   .    .    .        Titelbild 

links  die  Ecke  des  Rathauses,  dann  das  niedrige  Gebäude 
der  Ankenwage  und  der  Rüden,  zwischen  Grossmünster  und 
Helmhaus  der  Hottiugerturm,  hinter  der  Slitte  der  obem 
Brücke  der  Wellenberg,  rechts  das  Kornhaus  (Kaufhaus). 

2.  Hans   von   Reinhard,   Bürgermeister    und    Landammann 

der  Schweiz vor  Seite  i 

3.  Einzug  der  Tagsatzung  ins   Grossmünster    ....        Seite  8/9 

das  Bild  stammt  aus  dem  Jahr  1807,  ist  aber  typisch  für 
das  Zeremoniell  auch  der  spätem  Jahrzehnte.  Am  Gross- 
münster sieht  man  noch  die  hölzernen  Treppen  über  dem 
Hauptportal. 

4.  Johann  Conrad   Escher   von   der   Linth Seite  14/15 

5.  Die   alten   Porten  und   Tore   Zürichs Seite  18/19 

Reproduktion  des  Aquatintablattes  „Erinnerung  an  das 
alte  Zürich". 

6.  Plan   der   Stadt  Zürich    1 8 1 4,  von    D.    Breitinger,    In- 

genieur         Seite  22/23 

7.  Eingang  zum  Aktien-Theater  (1834)  in  der  ehemaligen 

Barfüsserkirche Seite  26/27 

links  die  Häuser  ,, Untere  Zäune"  und  der  Brunnen, 
■welcher  1 873  auf  die  Predigerhofstatt  kam ;  der  Grimmen- 
turm  in  der  Mitte  des  Hintergrundes  verlor  1865  bei 
einem  Umbau  Helm  und  Türmchen. 

8.  Der  Münsterhof   1833,   getuscht  imd  koloriert  von  Anna 

Zwingli Seite  30/31 

die  Krambuden  vor  dem  Fraimiünster  wurden  1836  ent- 
fernt, diejenigen  am  Chor  erst  Ende  der  neunziger  Jahre, 
in  der  Mitte  des  Hintergrvindes  rechts  die  ,,Waag". 

9.  Hans  Conrad  Escher,  der  erste  Stadtpräsident  von  Zürich       Seite  32/33 

10.  Hans  Heinrich  I,andolt,  Stadtpräsident Seite  36/37 

11.  Bombardement  von  Zürich  diu'ch  den  helvetischen  Gene- 

ral Andermatt  am  12./13.  September  1802     ....        Seite  40/41 

12.  Hans  Georg  Finsler,  Stadtpräsident Seite  44/45 

13.  Georg  Conrad  Bürkli,  Stadtpräsident Seite  46/47 

14.  Auf  der  Rathausbrücke,  vor  dem  Hotel  „zum  Schwert"        Seite  50/51 

das  hohe  Giebelhaus  ist  der  ,,rote  Turm",  später  Cafe 
litteraire",  am  Weinplatz,  ihm  schräg  gegenüber  der 
„Weggen". 


XVI 

15-    Heinrich  Pestalozzi Seite  56/57 

16.  Das  alte  Schlachthaus   und  die   „Metzg-Passage"     .        Seite  62/63 

links,  dem  Schlachthaus  gegenüber,  das  ehemalige  „Ehe- 
gerichtshaus"  mit  der  alten  Fleisclivcrkaufshalle  im 
Erdgeschoss. 

17.  Kasino   am  obern  Hirschengrabeu Seite  66/67 

später  umgebaut  zum  Obergerichtsgebäude ;  in  der  Mitte 
das  Künstlergütli,  unten  die  „Krone"  (Rechberg),  das 
einzelne  hohe  Haus  rechts  ist  das  von  Jakob  Bodmer 
und  Ludwig  Vogel  bewohnte  Haus  ,,zum  obern  Schönen- 
berg", wo  Klopstock,  Goethe  usw.  einkehrten- 

18.  Bauschänzli-Anlagen Seite  76/77 

ünks  Kernhaus  (Kaufhaus),  rechts  Wellenberg  und  Was- 
serkirche, in  der  Mitte  die  obere  Brücke. 

19.  Paul  Usteri,   Staatsrat  und  Bürgermeister Seite  84/85 

20.  Schanzengraben  und   Bleicherweg Seite  90/91 

von  der  ,,Katz"  aus  gesehen,  in  der  Mitte  die  Tücher- 
bleiche. 

21.  Zürcherisches    Kantonal-Militär  I  (um  1820)  ....        Seite  loo/ioi 

der  Schauplatz  ist  der  „Neue  Markt"  oder  Parade- 
platz; das  Bild  ist  aufgenommen  vor  dem  Bau  der  Post- 
strasse, des  Posthauses,  des  Hotel  Baur  usw. ;  links  das 
Artillerie-Zeughaus  ,, Feldhof",  dann  das  , .grosse  gelbe 
Zeughaus"  mit  Treppengiebeldach  und  Bhck  in  die  Zeug- 
haus-(Waag-)ga.sse,  rechts  neben  der  Tiefenhoflinde  der 
Werkhofturm ;  den  Abschluss  des  Paradeplatzes  bildet 
der  Tiefenhof  in  seiner  altern  Gestalt;  das  Häuschen  vor 
der  Tiefeuhofhnde  kann  beim  Bau  der  Poststrasse  weg. 

22.  J.  C.  Ulrich,  Oberrichter,  Chef  der  Buchdruckerei  Bericht- 

haus bis  1882 Seite   11 2/1 13 

23.  Eidgenössisches  Schützenfest  1834 Seite   116/117 

Beschreibimg  des  Festplatzes  (Aegerten)  im  Text. 

24.  Dampfschiffläude  in  Zürich  1845 Seite   122/123 

das  ,, Hotel  du  Lac"  ist  jetzt  Privat-  und  Geschäftshaus 
( Gysier- Wunderli  usw.),  s.  Text  Seite   18. 

25.  J.   J.  Escher,  Stadtpräsident Seite  128/129 

26.  Plan  der  Stadt  Zürich   1838,  von  Heinrich  Keller    .    .  Seite  132/133 

27.  Paul  Karl  Eduard  Ziegler,  Oberst  und   Stadtpräsident  Seite  134/135 

28.  David  Friedrich  Strauss Seite  146/147 

29.  Dr.  Ludwig  Keller,  Obergerichtspräsident Seite  168/169 

30.  Zürcherisches    Kantonal-Militär  II   (um  1830)    .    .    .  Seite  188/189 

das  Gegenstück  zu  dem  Bilde  Seite  loo/ioi,  etwa  zehn 
Jahre  später;  au  der  Ostseite  des  Paradeplatzes  steht 
jetzt  das  Hotel  Baur  en  ville,  gegenüber  das  (später  um 
zwei  Stockwerke   erhöhte   imd  ,,ZentraUio£"    genannte) 


XVII 

Posthaus;  die  Tiefenhofliude  ist  freigelegt  und  in  den 
Bürklischen  Garten  mit  eingefriedet,  gehört  aber  der 
Stadt. 

31.  Flucht  über  die  Münsterbrücke  am  6.  September  1839       Seite  208/209 

Rückzug  der  Kolonne  Ralin,  s.  Test  Seite  228. 

32.  Ludwig  Meyer  v.  Knonau,  Regierungsrat Seite  256/257 

33.  Dr.  J.  C.  Bluntschli,  Professor  imd  Regierimgsrat   .    .    .        Seite  262/263 

34.  Martin  Escher- Hess,  Gründer  und  Direktor  der  ersten 

schweizerischen  Eisenbahn  Zürich-Baden Seite  268/269 

35.  Der     Bahnhof      der      Nordostbahngesellschaft      in 

Zürich   1S47 Seite  272/273 

links  Brücke  über  die  Schanzengrabenmündung,  da- 
hinter ein  TeU  des  alten  Schützenplatzes,  rechts  „Langer 
Steg"  und  Eingang  in  die  Platzpromenade. 

36.  Schlussgefecht     von     Gislikon    am     23.     November 

1847 Seite  274/275 

Text  Seite  293.  Das  Bild  enthält  die  Porträts  von 
Oberst  Ziegler,  Hauptleute  Steinemann  und  Pfister,  Ober- 
leutnants Rieder  und  Jakob  Vogel  (i.  G.),  Leutnants 
Geilinger,  Tobler  imd  Konrad  Bürkli. 

37.  Polytechnikum   1865 Seite  300/301 

38.  Dr.  Alfred  Escher,  Regierungspräsident  und  Nationalrat       Seite  310/31: 

39.  Hans  Ludwig  Hess,  Stadtpräsident Seite  322/323 

40.  Zürich  aus  der  Vogelschau  ums  Jahr  1850,  von  H.  Sieg- 

fried              Seite  326/327 

Erläuterimgen  im  Text  an  gleicher  Stelle. 

41.  Eidg.    Sängerfest    in    Zürich    1843 Seite  330/331 

Festhalle  auf  dem  Exerzierplatz  an  der  Talgasse  beim 
Botanischen  Garten,  links  im  Hintergrund  der  Kratzturm. 

42.  Sechseläuten  1854,  Umzug  der  Gewerke Seite  336/337 

auf  dem  Stadthausplatz  Unks  Kratzturm,  rechts  bei  der 
Münsterbrücke  Kaufhaus  (Zeiclmimg  perspektivisch 
mangelhaft) 

43.  Tiefenhofliude  beim  Paradeplatz Seite  340/341 

innerhalb  des  Biirkhschen  Gartens  zum  „Tiefenhof", 
links  „Windegg"  (mit  Turmanbau)  imd  gelbes  Zeug- 
haus, in  der  Mitte  Posthaus. 

44.  Baugarten  mit  Kratzturm,  Schlussbild Seite  349 

im  Vordergrund  Brücke  der  äussern  Talgasse  über  den 
Fröschengraben. 


ERSTER  TEIL 


HINTER 
WALL  UND  GRABEN 


(j"-iii.iU  \\>u  J.Ui.ii  in  r.ai;,  i:'  i 


Qfans   von   ^^inhard 

ßandammann 


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ERSTES  KAPITEL 


NEUJAHR  1814 

Am  21.  November  1813  trafen  zwei  fremde  Kaufleute  in  Zürich 
^  ein.  Der  diensttuende  Offizier  bei  der  Sihlporte  hatte  in 
den  vorge\^^esenen  Pässen  die  Namen  Leipold  und  Conti  ge- 
lesen und  gleichmütig  den  Reisewagen  passieren  lassen.  In  einem 
bescheidenen  Gasthof  der  Innern  Stadt  stiegen  die  Herren  ab.  vSie 
hatten  es  aber  offenbar  eihg,  mit  ihren  Geschäften  zu  beginnen ; 
denn  sie  verUessen  alsbald  nach  ihrer  Ankunft  wieder  den  Gast- 
hof, als  gelte  es,  einem  gefährhchen  Konkurrenten  womöglich  noch 
zuvorzukommen.  Leipold  und  Conti,  die  nach  ihrem  vornehmen 
Äussern  wohl  als  Vertreter  einer  Weltfirma  gelten  konnten,  lenkten 
ihre  Schritte  geradewegs  nach  der  ,, Krone",  dem  heutigen  Rech- 
berg, damals  Residenz  des  zürcherischen  Bürgermeisters  und 
Landammanns  der  Schweiz,  Hans  von  Reinhard.  Mit  der  ihm 
eigenen  Würde  trat  ihnen  im  Audienzsaal  der  statthche  Mann 
entgegen,  den  sie  vor  allen  für  ihre  Interessen  zu  gewinnen  trach- 
teten. Vor  ihm  durften  sie  auch  ohne  weitere  Umstände  ihr  Inko- 
gnito ablegen:  der  österreichische  und  der  russische  Bevollmäch- 
tigte, Ritter  v.  Lebzeltern  und  Graf  Capo  d'Istria,  hatten 
sich  ja  schon  am  11.  November  von  vSchaffhausen  aus  als  Be- 
auftragte in  geheimer  Mission  beim  Landammann  der  Schweiz 
angemeldet  und  nur  zuvor  noch  auf  einem  allerdings  etwas  weiten 
Umweg  über  Bern  bei  dem  dort  krank  hegenden  österreichischen 
Gesandten  v.  Schraut  einige  Informationen  über  Personen  und 
Verhältiüsse  in  der  Schweiz  eingeholt. 

Der  Landammann  nahm  mit  verbindhchen  Worten  das  Ac- 
creditiv  der  beiden  Gesandten  der  AUiierten  entgegen  und  lud  die 
Herren  zu  einer  am  gleichen  Abend  im  Kasino  stattfindenden 
Reunion  ein.  Dort  stellte  er  sie  alsdann  mit  gut  gespielter  Unbe- 
fangenheit ihrem  ,, Konkurrenten",  dem  französischen  Gesandten 
Talleyrand  vor.  Für  die  glänzende  Gesellschaft  im  Kasino  (jetzt 
Obergerichtsgebäude)   war  die  Sendung    Lebzelterns    und    Capo 


2  ERSTES  KAPITEL:    NEUJAHR   1814  o 

d'Istrias  somit  kein  Geheimnis  mehr,  und  es  schien  dem  Ritter 
V.  Lebzeltern  Vergnügen  zu  machen,  sich  mehrmals  ostentativ 
dem  Spieltisch  Talleyrands  zu  nähern  und  dabei  ein  paar  hundert 
neugierige  Augen  auf  sich  gerichtet  zu  sehen.  Übrigens  hatte  es 
die  Firma  Leipold  &  Conti  bald  gemerkt,  dass  sie  zu  spät  auf  dem 
Platze  erscliienen  war.  Was  sie  zunächst  hatte  verhindern  wollen, 
die  Neutralitätserklärung  der  Schweiz  im  Entscheidungs- 
kampf gegen  Napoleon,  das  war  von  der  Tagsatzung  in  Zürich 
drei  Tage  vor  ihrer  Ankunft,  am  18.  November,  feierUch  beschlos- 
sen worden.  Nun  konnte  man  höchstens  der  Schweiz  Bedingun- 
gen stellen  für  die  Anerkennung  ihrer  NeutraHtät  durch  die 
AlHierten.  Wenn  beispielsweise  verlangt  wurde,  dass  die  Schweiz 
den  Titel  Napoleons  und  seine  Rechte  als ,, Vermittler  der  Schweiz" 
nicht  mehr  anerkenne,  die  Regimenter  im  Solde  Frankreichs  ab- 
berufe und  die  darauf  bezüghchen  Kapitulationen  annulliere,  so 
waren  das  nur  die  Konsequenzen  einer  wirklichen  Neutrahtät. 

Allein  Reinliard  war  für  nichts  zu  haben,  oder  wenigstens 
getraute  er  sich  nicht,  irgend  ein  Zugeständnis  zu  machen  ohne 
die  EinwilUgung  Talleyrands,  der  natürhch  in  gar  nichts  einwil- 
hgte.  Was  sollte  auch  aus  den  schönen  französischen  Offiziers- 
stellen und  Pensionen  werden,  wenn  man  die  Schweizerregimenter 
plötzlich  heimberief!  So  etwas  durfte  Reinhard  diesen  Offizieren 
und  ihren  Famihen  nicht  antun.  Er  verhinderte  nicht  einmal  die 
französischen  Werbungen,  mahnte  vielmehr  noch  am  8.  Dezem- 
ber die  Kantone  zu  pünktHcher  EinUeferung  der  Rekruten  in  die 
französischen  Depots!  War  es  ein  Wunder,  wenn  die  Schweizer 
Gesandten  v.  Reding  und  vStaatsrat  Escher,  die  im  Haupt- 
quartier der  AlHierten  in  Frankfurt  a.  M.  die  Anerkennung  der 
Neutrahtät  erwirken  sollten,  vielen  ,, Bedenken"  begegneten  und 
die  Meinung  hören  mussten,  eine  solche  Neutralität  sei  die  reine 
Spiegelfechterei. 

Freihch  hatte  der  Kriegsrat  der  AlHierten  schon  am  8.  No- 
vember den  Durch  niarsch  der  Hauptarmee  unter  Fürst 
Schwarzenberg  durch  die  Schweiz  beschlossen,  und  wenn  der 
österreichische  Kanzler  Fürst  Metternich  am  11.  Dezember 
Herrn  v.  Reding,  wie  schon  vorher  dem  Zaren  Alexander,  einem 
warmen  Freund  der  Schweiz,  sein  Ehrenwort  verpfändete,  dass 
die  Truppen  der  AlHierten  die  Schweiz  nicht  betreten  würden,  so 


o  ERSTES  KAPITEL:    NEUJAHR   1814  3 

geschah  das  in  der  festen  Absicht,  dieses  Wort  zu  brechen  und 
den  Zaren,  ,,das  gute  Kind",  zu  düpieren.  Einen  kostbaren  Vor- 
wand, um  wenigstens  seinem  eigenen  Herrn,  dem  Kaiser  Franz, 
die  Einwilhgung  zum  Einmarsch  in  die  Schweiz  abzunötigen, 
gaben  dem  Fürsten  Metternich  die  Patrizier,  welche  die  Ge- 
schichte —  nach  einer  zufälhgen  Zusammenkunft  in  Waldshut  — 
unter  dem  Namen  ,,Waldshuter  Komitee"  kennt.  Es  waren  Ari- 
stokraten, die  den  Sturz  ihrer  Herrschaft  durch  die  Franzosen 
im  Jahre  1798  nicht  verwinden  konnten  und  nun  im  Gegensatz 
zur  Landesregierung  alle  Anstrengungen  machten,  um  das  Heer 
der  AHiierten  herbeizurufen.  Sie  boten  sich  ihm  als  Führer  an 
und  stellten  ihm  jede  Unterstützung  in  Aussicht,  —  unter  einer 
Bedingung :  dass  die  Alliierten  die  Wiederherstellung  der  Zustände 
vor  1798  versprechen  sollten.  Mit  solchen  Plänen  erschienen  Ende 
November  in  Zürich  bei  Lebzeltern  und  Capo  d'Istria  die  Bemer 
Patrizier  Oberst  Gatschet  und  Hauptmann  Steiger  von  Riggis- 
berg  und  wünschten  Pässe  ins  Hauptquartier.  Auch  der  Zürcher 
Gerichtsherr  Escher  von  Berg  reichte  den  Gesandten  eine 
Denkschrift  im  Sinne  der  Herstellung  des  Alten  ein.  Der  ,, kind- 
lich gewordene  General  Bachmann,  welcher  mit  seinen  auslän- 
dischen Orden  geziert,  majestätisch  herumwandelte"  (H.  Escher), 
und  andere  ,, Leute  von  Distinktion"  (Bericht  Lebzeltems)  anti- 
chambrierten mit  ähnhchen  Absichten  bei  Lebzeltern  und  Capo 
d'Istria. 

Die  Gesandten  antworteten  zunächst  ausweichend,  da  sie 
noch  nicht  wussten,  wie  Mettemich  eine  Empfehlung  dieser  Ver- 
schwörer aufnehmen  würde.  Gatschet  reiste  ,, tränenden  Auges" 
nach  Bern  zurück,  um  auch  seinerseits  eine  Denkschrift  auszu- 
arbeiten ;  Steiger  jedoch  organisierte  in  Zürich  einen  mihtärischen 
Spionendienst  für  die  Gesandten.  Nachdem  diese  erfahren,  dass 
Mettemich  inzwischen  selbst  Beziehungen  zum  Waldshuter 
Komitee  angeknüpft  hatte,  und  zwar  durch  Vermittlung  des  in 
österreichischen  Diensten  stehenden  Bündners  Joh.  v.  Salis- 
Soglio,  trugen  sie  kein  Bedenken  mehr,  die  gewünschten  Pässe 
auszustellen.  Die  Nachrichten  für  Mettemich  sollten  aber  noch 
günstiger  werden.  Mit  16  gegen  5  Stimmen  hatte  die  Berner 
Regierung  ihre  Tagsatzungsgesandten  desavouiert  und  das  An- 
schlagen der  Neutrahtäts-Proklamation   vom   20.   November  im 


4  ERSTES  KAPITEL:    NEUJAHR  1814  o 

ganzen  Kanton  verboten.  Am  7.  Dezember  sodann  kam  der 
schweizerische  Obergeneral  Niki  aus  Rudolf  von  Wattenwil, 
gewesener  Schultheiss  von  Bern,  von  Dragonern  eskortiert  in  Zürich 
an  und  wurde  wie  ein  grosser  »Sieger  mit  freigebig  gespendetem 
Kanonendonner  begrüsst.  Er  selbst  dachte  nicht,  dass  er  dazu 
kommen  würde,  dem  Ritter  v.  Lebzeltern  seine  Kapitulation 
anzubieten.  Der  Schultheiss  v.  Watten'wnl  war  ein  strenger  Herr; 
die  Bauern  am  Zürichsee  hatten  es  mit  Schaudern  erfahren,  als 
er  nach  dem  Bockenkrieg  Reinhard  zu  härtester  Bestrafung  der 
Rebellenführer  antrieb.  Dem  Österreicher  gegenüber  zeigte  er 
sich  von  seiner  weichem  Seite.  General  v.  Wattenwil  hätte  den 
Neutralitätsbeschluss  der  Tagsatzung  durchführen  und  die  Grenzen 
gegen  jeden  Einbruch  schützen  sollen.  Er  war  dazu  nicht  imstande, 
schon  wegen  des  lächerlich  geringen  Truppenaufgebots,  das  ihm 
die  Tagsatzung  zur  \'erfügung  stellte,  — •  und  nicht  einmal  dieses 
Kontingent  hatte  Reinliard  in  seinem  Sparsinn  vollzählig  einbe- 
rufen! Aber  Wattenwil  machte  keinen  Versuch,  auch  nur  die 
schweizerische  Waffenehre  zu  retten,  sondern  erklärte  sich  schon 
am  13.  Dezember  in  Zürich,  bevor  überhaupt  der  Befehl  zum  Ein- 
marsch ergangen  war,  zur  Auflösung  der  schweizerischen  Grenz- 
besetzungstruppen  bereit,  indem  er  nur  um  die  nötigen  Formen 
bat,  um  seine  Verantwortlichkeit  zu  decken  und  beiderseits  Un- 
annehmhchkeiten  zu  ersparen.  Diese  Verhandlungen  bheben 
selbstverständlich  geheim.  Ihr  Resultat  offenbarte  sich  in  der 
am  19.  und  20.  Dezember  zu  Basel  und  Lörrach  zwischen  dem 
österreichischen  Kommandanten  Bub  na  und  dem  Berner  v.  Her- 
renschwand  abgeschlossenen  Kapitulation  der  eidgenössischen 
Armee.  Dass  die  Soldaten  in  ihrer  \\'ut  die  Gewehre  zerbrachen, 
wendete  die  vSchmach  nicht  mehr  ab. 

Das  Hauptquartier  der  \'erbündeten  war  am  12.  Dezember 
nach  Freiburg  i.  B.  verlegt  worden.  Hier  erlangte  Mettemich  von 
Kaiser  Franz  die  Erlaubnis,  ,,dem  Kanton  Bern  zu  Hilfe  zu  kom- 
men". Am  20.  Dezember  erhielten  Reding  und  Escher  die  IMit- 
teilung,  dass  die  schweizerische  Neutrahtät  mcht  anerkannt  wer- 
den könne  und  der  Durchmarsch  bevorstehe.  Umsonst  hatte  sich 
Reding  anerboten,  selber  die  Orte  unterhalb  Hüningen  zu  bezeich- 
nen, wo  der  Übergang  mit  Leichtigkeit  bewerkstelligt  werden 
könnte.    Dienstags  den  21.   Dezember,   morgens  6  Uhr,   setzten 


o  ERSTES  KAPITEL:    NEUJAHR   1814  5 

sich  die  verschiedenen  Korps  gegen  den  Rhein  hin  in  Bewe- 
gung. In  wenigen  Tagen  war  die  ganze  100,000  Mann  starke 
österreichische  Armee  samt  den  30,000  Bayern  zu  Basel,  Rhein- 
felden,  Laufenburg  und  Eglisau  auf  Schweizerboden  über- 
getreten. Regiment  auf  Regiment,  endlose  Artillerietrains  und 
Wagenkolonnen  zogen  Tag  und  Nacht  über  die  alte  Basler  Holz- 
brücke. Die  Schweizertruppen  —  10,000  Mann  von  Basel  bis 
zum  Bodensee  ■ —  wurden  zurückgezogen  imd  am  24.  Dezember 
entlassen.  Schon  Tags  zuvor  war  Bubna  in  Bern  eingetroffen. 
Die  Patrizier  illuminierten.  Am  nächsten  Morgen  verkündete 
die  alte  Regierimg  in  einer  Proklamation  den  erstaunten  ,, Unter- 
tanen" die  Wiederübemahme  der  Gewalt  und  geruhte  zu  ver- 
sichern, dass  sie  ,,nach  der  Weise  Unserer  in  Gott  ruhenden  Regi- 
mentsvorfahren bisherige  Verirrungen  väterlich  übersehen  und  zu 
keiner  persönlichen  Ahndung  ziehen  werde"  . . . 

In  Zürich  langte  am  23.  Dezember,  von  EgUsau  kommend, 
die  österreichische  Division  Trautenberg  an.  Mit  fliegenden 
Fahnen  und  kUngendem  Spiel  defilierte  .sie,  dem  Landammann 
zu  Ehren,  vor  dem  Rechberg.  Auch  Fürst  Moritz  Liechtenstein 
war  schon  an  diesem  Tage  mit  seiner  leichten  Di\äsion  in  Zürich. 
Was  für  herrhche  Zeiten  gab  es  da  für  die  Zürcher  Schuljugend! 
,,Der  eine  oder  andere  von  uns,"  erzählt  Prof.  Mousson  in  seinen 
Lebenserinnerungen,  ,, schwänzte  den  Unterricht,  um  an  dem 
Kronen-  oder  Niederdorftor  den  Trompetenstössen  der  ankom- 
menden Kriegsscharen  zu  lauschen.  Wie  er  dann  die  freudige 
Nachricht  brachte,  war  von  Lernen  keine  Rede  mehr;  die  Schule 
wurde  entlassen,  und  alles  stürzte  sich  auf  die  Strasse  oder  auf 
den  Graben,  die  aufgestellten  Kürassierregimenter  oder  die  langen 
W^agenzüge  mit  Kriegsgerät  und  Vorräten  aller  Art  anzugaffen." 

Nun  aber,  wie  soll  es  werden  mit  unserer  Verfassung? 
Das  war  jetzt  die  dringendste  Frage.  So  wie  die  gnädigen  Herren 
von  Bern  —  das  erkannten  Reinhard  und  die  Zürcher  wohl  — 
konnte  man  nicht  dreinfahren,  oder  man  setzte  die  halbe  Schweiz 
in  Brand.  Die  Kantone  W^aadt,  Aargau,  Thurgau,  St.  Gallen, 
Tessin,  die  der  Mediationsakte  von  1803  ihr  Dasein  verdankten, 
würden  nicht  wieder  ins  Nichts  versinken,  freie  Bürger  nicht 
neuerdings  Untertanen  werden  wollen.  Der  Vorort  lud  rasch 
eine  eidgenössische  Versammlung  nach  Zürich  ein.    Bei  Reinhard 


6  ERSTES  KAPITEL:    NEUJAHR  1814  o 

im  Rechberg  berieten  am  27.  Dezember  die  Abgeordneten  von 
zwölf  Kantonen  über  die  Lage.  Man  war  darüber  einig,  dass  die 
Mediationsverfassung  fallen  müsse,  sofort  aber  der  Grund  zu 
einem  neuen  Bunde  zu  legen  sei,  wobei  keine  mit  den  Rechten 
eines  freien  Volkes  unverträglichen  Untertanen\-erhältnisse  wieder- 
hergestellt werden  sollten.  Das  war  der  wesentliche  Inhalt  einer 
vom  ,, Bundesverein"  in  Zürich  am  29.  Dezember  getroffenen 
„Übereinkunft".  Berns  Gesandtschaft,  die  folgenden  Tages 
eintraf,  reiste  unter  Protest  sogleich  wieder  ab.  Zürich  bUeb  einst- 
weilen Vorort  und  Reinhard  Landammann. 

Neujahr  1814!  Lebzeltern  und  Capo  d'Istria  stellten  sich 
gratulierend  im  Rechberg  ein  und  überreichten  dem  Landammann 
eine  gemeinsame  Note,  worin  gesagt  war,  der  Augenblick  sei  für 
die  Schweiz  gekommen,  wieder  ihren  Rang  unter  den  freien,  un- 
abhängigen Nationen  Europas  einzunehmen  und  sich  als  solche 
eine  \'erfassung  zu  geben,  welche  die  Garantie  der  Dauer  in  sich 
trage.  Die  verbündeten  Mächte  versprächen  ihr,  die  \\'affen  nicht 
niederzulegen,  bis  ihre  ,, absolute"  Unabhängigkeit  und  die  von  ihr 
frei  entworfene  und  angenommene  Verfassung  unter  die  Garantie 
Europas  gestellt  und  ihr  die  von  Frankreich  entrissenen  Gebiete 
zurückerstattet  seien.  —  Als  am  13.  Januar  1814  die  drei  ver- 
bündeten Monarchen,  Zar  Alexander  I.  von  Russland,  Kaiser 
Franz  I.  von  Österreich  und  König  Friedrich  Wilhelm  III. 
von  Preussen  ihren  feierUchen  Einzug  in  Basel  gelialten  hatten, 
fand  es  der  Vorort  für  schickhch,  die  Souveräne  durch  eine  Ab- 
ordnung mit  Reinliard  an  der  Spitze  zu  begrüssen.  Die  Berner 
mit  Schultheiss  v.  Mülinen  waren  aber  auch  schon  da,  um  den 
Wiederanschluss  des  Aargau  zu  betreiben;  aargauische  Gesandte 
wirkten  in  entgegengesetztem  Sinne.  Genfer  Deputierte  hatten 
allerlei  Wünsche  für  ihre  Stadt  vorzubringen,  und  dazwischen 
wühlte  und  intriguierte  das  Waldshuter  Komitee.  So  gab  der 
Monarchenaufenthalt  in  Basel  den  Eidgenossen  Gelegenheit,  ,,ihre 
tausend  kleinen  Erbitterungen  vor  den  Souveränen  und  Staats- 
männern Europas  zur  vSchau  zu  stellen".  Reinhard  und  seine 
Begleiter  fanden  überall  die  Uebenswürdigste  Aufnahme.  Von 
Kaiser  Franz  zur  Tafel  gezogen,  sass  er  zwischen  diesem  und  Met- 
ternich.  Der  Kaiser  war  sehr  gemütUch  und  fragte  Reinhard  u.  a., 
was  er  für  einen  Eindruck  von  seinem  Schwiegersohn  Napoleon 


o  ERSTES  KAPITEL:    NEUJAHR   1814  7 

erhalten  habe.  Reinhard,  der  ja  bei  Abschluss  der  Mediations- 
akte in  Paris  viel  mit  Napoleon  verkehrt  hatte,  erwiderte:  ,,Je 
nach  Umständen  traf  ich  ihn  in  sehr  ungleicher  Stimmung,  stets 
von  hohem  Geiste,  dabei  zuweilen  ebenso  strenge  als  anderemal 
wohlwollend."  Gerade  so,  meinte  der  Kaiser,  habe  er  ihn  auch 
kennen  gelernt  und  beurteilt  . . . 

Also  mit  dem  mediateur  in  Paris  wären  wir  jetzt  fertig.  Das 
französische  Protektorat  über  die  Schweiz  ist  durch  die  öster- 
reichischen Bajonette  sauber  hinweggefegt.  Aber  haben  wir 
nicht  nur  eine  Fremdherrschaft  gegen  die  andere  getauscht? 
Zwar  der  Bundesverein  vom  29.  Dezember  1813  war  ein  höchst 
löblicher  Anlauf  zur  Selbständigkeit,  die  erste  spontane  Tat  der 
Schweiz  seit  1798.  Doch  Capo  d'Istria  und  Lebzeltern  bleiben 
in  Zürich  als  unsere  Berater  und  Erzieher.  Sie  verlangen  den 
Entwurf  der  Verfassungskommission  und  machen  ihre  kritischen 
Bemerkungen  und  Vorsdiläge  dazu.  Sie  mahnen  und  drängen 
fortwährend,  mit  den  Verfassungsrevisionen  in  den  Kantonen 
vorwärts  zu  machen,  geben  an,  in  welcher  Richtung  sich  diese 
Revisionen  zu  bewegen  haben,  kümmern  sich  um  alles,  und  wenn 
man  seinem  Winke  nicht  gleich  nachkommt,  kann  Capo  d'Istria 
auch  ruppig  werden.  ,,Wenn  Sie  Ihres  Amtes  nicht  fähig  sind," 
sagt  er  zu  dem  Tessiner  Rusca,  ,,dann  werden  wir  Ihre  Regierung 
auffordern,  Sie  abzuberufen  und  Leute  herzusenden,  die  mich 
besser  verstehen."  Capo  d'Istria,  der  von  Corfu  stammte,  war 
als  ,, Republikaner"  von  Alexander  I.  speziell  für  den  Posten  in 
der  Schweiz  ausgewählt  worden ;  so  schrieb  der  Zar  seinem  schwär- 
merisch verehrten  ehemaligen  Erzieher  Cäsar  Laharpe,  dem 
Führer  der  Waadtländer  Revolutionäre.  ,,Ich  bitte  Sie  inständig, 
ihn  zu  leiten,  und  ich  versichere,  dass  er  eine  tiefe  \^erehrung 
für  Sie  empfindet,  da  er  in  St.  Petersburg  Gelegenheit  hatte,  die 
Hefte  durchzulesen,  welche  Sie  uns  als  unser  Erzieher  diktiert 
hatten."  Indessen  bedurfte  Capo  d'Istria  der  Leitung  Laharpes 
nicht;  wohl  aber  leitete  er  selbst  mit  grossem  Geschick  —  den 
Landammann  der  »Schweiz. 


♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦«♦♦♦♦♦»♦ 


ZWEITES  KAPITEL 


IM  NEUEN  SCHWEIZERBUND 

Unser  „Buiidesverein"  vom  29.  Dezember  1813,  eine  Art  eidge- 
nössischer \"erfassungsrat,  ist  ein  gar  zartes  und  schwächliches 
Geschöpf,  nicht  imstande  zu  stehen  und  zu  gehen  ohne  einen 
fremden  Gesandten  hnks  und  rechts,  der  es  stützt  und  vorwärts 
schiebt.  Die  Waldstätte  wollen  nichts  von  dem  ,, Zürcher  Bund" 
wissen.  Der  Bemer  Mutz  muss  von  Alexander  I.  tüchtig  am  Ohr 
genommen  werden;  erst  eine  scharfe  Drohung  des  Zaren  kann 
Bern  bestimmen,  die  Tagsatzung  in  Zürich  zu  beschicken.  Am 
21.  März  1814  erschienen  in  Zürich  zur  Beratung  des  \"erfassungs- 
entwurfes  nur  die  Gesandten  von  elf  Kantonen:  die  acht  andern 
Kantone  hielten  seit  dem  17.  März  eine  vSondertagsatzung  in 
Luzern.  Druck  und  Zwang  des  Auslandes  brachten  schhesshch 
am  6.  April  1814  die  Eröffnung  einer  vollzähhgen  Tagsatzung  in 
Zürich  zuwege.  Die  »Session  dauerte  bis  zum  31.  August  1815! 
Unter  unbeschreiblichen  Mühen  und  beständiger  Nachhilfe  durch 
die  fremden  Diplomaten  errang  der  neue  Bundesvertrag  am  8.  Sep- 
tember 1814  in  der  ,, langen  Tagsatzung"  endhch  eine  Mehrheit 
(13^/2  vStände).  Aber  auch  nach  seiner  Proklamation  am  g.  Sep- 
tember drohte  er  noch  zehnmal  wieder  auseinander  zu  fallen. 
Erst  als  am  7.  August  1815  der  neue  Bund  im  Grossmünster  zu 
Zürich  von  allen  Ständen  mit  Ausnahme  Xidwaldens  beschworen 
worden  war,  durfte  die  Gefahr  des  Bürgerkrieges  und  damit  des 
Unterganges  der  Eidgenossenschaft  für  beseitigt  gelten.  Das 
protestantische  Bern  hatte  an  der  Spitze  der  katholischen  Kan- 
tone für  die  möglichste  \\'iederherstellung  des  Alten  gekämpft 
und  auch  die  eidgenössische  Klostergarantie  in  die  \'erfassung 
hineingebracht.  Zürich  —  mit  Basel,  Schaffhausen  und  nament- 
lich den  neuen  Kantonen  —  hielt  energisch  an  der  Abschaffung 
aller  Untertanenverhältnisse  fest,  so  sehr  es  sich  im  übrigen  be- 
mühte, im  Bundes\"ertrag  und  besonders  in  den  kantonalen  \'er- 
fassungen  den  \'ertretem  des  Alten  das  Übergewicht  zu  verschaffen. 


F.  lies 


Ginzug  der  eidg.  Qesandten  in  die  Qrossmünsierlai-cße 
bei  Gröffnung  der  'Vagsai^ung 


o  ZWEITES  KAPITEL:    IM  NEUEN  SCHWEIZERBUND  9 

So  kam  eine  Bundesverfassung  zustande,  die  zwar  die  wesentlich- 
sten freiheitlichen  Errungenschaften  der  Helvetik  und  der  Media- 
tionsverfassung nicht  wieder  austilgte,  aber  doch  vom  demo- 
kratischen   Standpunkt  aus  einen  Rückschritt  bedeutete. 

Zunächst  jedoch  schien  man  sich  unter  der  treuen  Obhut  der 
Diplomaten  in  Zürich  überglücklich  zu  fühlen.  Zur  Feier  des 
Einzugs  der  AlHierten  in  Paris  (31.  März  1814)  veranstalteten 
am  12.  April  Lebzeltem,  Capo  d'Istria  und  die  übrigen  Gesandten 
ein  Fest,  das  nach  der  Schilderung  der  ,, Freitagszeitung"  zu  einem 
Freudentage  für  die  ganze  Bevölkerung  wurde.  Beim  Bankett 
im  Hotel  zum  , .Schwert",  das  in  seinem  geschmückten  Lustschiff 
auf  der  Limmat  eine  flotte  Tafelmusik  instalhert  hatte,  begleitete 
die  Toaste  auf  die  hohen  Verbündeten,  diese  ,, Organe  der  Gott- 
heit", Kanonendonner  vom  Lindenhof  herab.  Abends  war  Ball 
im  Kasino  und  Illumination  der  ganzen  Stadt.  Das  Beglückendste 
aber  in  all  dieser  nie  gesehenen  Pracht  war  für  die  Bevölkerung 
,,das  von  den  Herren  Ministem  abgelegte  Zeugnis  von  Dero  Zu- 
friedenheit und  ihre  Versicherung,  dass  sie  ihren  hohen  Souveräns 
von  der  guten  Gesinnung  der  Zürcher  rühmlich  Meldung  tun 
würden". 

Viel  weniger  rühmlich  war  dagegen  die  Rolle  der  Sendlinge 
der  Schweiz  beim  Abschluss  des  ersten  Pariser  Friedens  am 
30.  Mai  1814.  Über  dem  Streit,  wo  zwischen  Bern  und  Aargau 
die  Grenzpfähle  zu  setzen  seien,  verpassten  die  hadernden  Eid- 
genossen die  unwiederbringliche  Gelegenlaeit,  die  Landesgrenze 
zu  verbessern.  ,, Bitter  wird  man  es  bereuen,  den  grossen  Moment 
so  heillos  unbenutzt  gelassen  zu  haben.  Wäre  seit  zwei  Monaten 
ein  von  der  Tagsatzung  abgesandter  Bevollmächtigter  hier  ge- 
wesen, der  kein  Lokalinteresse  im  Auge,  sondern  nur  die  eidge- 
nössischen Angelegenheiten  besorgt  und  im  Herzen  gehabt  hätte, 
wären  wir  jetzt  im  Besitz  wahrer  Grenzen  im  Westen  und  hätten 
Konstanz  im  Osten.  Man  darf  an  all  dieses  nicht  denken,  ohne 
Bluttränen  weinen  zu  mögen."    (Stapfer  an  Usteri). 

Die  um  vmsere  Bimdesverfassung  so  vielverdienten  fremden 
Gesandten  in  Zürich  liessen  es  sich  auch  angelegen  sein,  den  kanto- 
nalen \'erfassungsräten  und  Regierungen  ihre  Hefte  zu  korri- 
gieren. Talleyrand  schildert  einmal,  wie  die  Deputierten  aller 
Kantone  vor  den  Türen  der  Minister  sich  drängten  mit  Bitten, 


lo  ZWEITES  KAPITEL:    IM  NEUEN  SCH^VEIZERBrND  o 

diesen  oder  jenen  Verfassungsartikel  noch  ändern  zu  dürfen. 
Zürichs  neue  kantonale  Verfassung  ist  zur  Zufriedenheit  Cape 
d'Istrias  ausgefallen.  Sie  bringt  einige  bescheidene  demokratische 
Neuerungen  bezügUch  des  Wahlrechts,  die  aber  bei  weitem  auf- 
gewogen werden  durch  den  bedeutenden  Vorrang  der  Stadt, 
der  sich  überdies  noch  durch  ein  sinnreiches  Wahl-  und  Auslosungs- 
system für  die  Grossratswahlen  \-on  Jahr  zu  Jahr  automatisch 
verstärken  muss.  Die  neue  Verfassung  wird  am  ii.  Juni  1814 
vom  Grossen  Rat  mit  105  gegen  62  Stimmen  angenommen  und 
am  25.  Juni  beschworen.  Eine  Volksabstimmung  findet  mcht  statt. 
An  demselben  12.  September  1814,  da  die  „lange  Tagsatzung" 
Walhs,  Neuenburg  und  Genf  in  den  Bund  der  Eidgenossen  auf- 
nahm, ernannte  sie  ihre  Gesandten  für  den  Wiener  Kongress 
der  Mächte:  Reinhard,  den  Bürgermeister  Wieland  von  Basel 
und  den  Freiburger  Aristokraten  v.  Montenach.  Kurz  vor  der 
Abreise  am  19.  September  hatte  Reinhard  noch  eine  Eingabe  der 
Bündner  Regierung  in  Sachen  des  Velthns  erhalten,  die  ihm  aber 
nicht  in  den  Kram  passte,  weshalb  er  sie  der  Tagsatzung  einfach 
nicht  mitteilte  und  Heber  ohne  Instruktion  über  diesen  Punkt 
nach  \\'ien  ging.  Auf  dem  Kongresse  war  die  offizielle  Schweizer 
Gesandtschaft  eine  absolute  Null.  Montenach  trieb  PoUtik  auf 
eigene  Faust  und  sagte  selbst:  ,,]\Iein  erstes  war,  die  beiden  andern 
(Reinhard  und  Wieland)  zu  trennen,  was  leicht  war,  da  keiner 
den  andern  leiden  mochte.  Ohne  meine  Grundsätze  aufzuopfern, 
tat  ich  dergleichen,  als  ob  ich  bald  die  Meinung  des  einen,  bald 
die  des  andern  biUige;  so  wurde  ich  der  Vertraute  von  beiden, 
und  es  gelang  mir,  ihre  Tätigkeit  zu  lähmen,  soweit  sie  der  meinigen 
entgegen  war."  Reinliard  machte  auf  die  Minister  ,,den  Eindruck 
der  Borniertheit  und  Trägheit"  zugleich ;  Wieland,  den  sie  für 
den  klügern  hielten,  litt  an  Schüchternheit.  Die  Schweizer  Ge- 
sandten waren  auch  nicht  etwa  Mitgheder  des  Kongresses,  sondern 
erschienen  nur  ab  und  zu  vor  einer  Kommission  desselben,  dem 
sogenannten  »Schweizer  Ausschuss,  der  als  Gerichtshof  über  ihr 
Schicksal  zu  entscheiden  hatte.  Und  nicht  einmal  bei  ihrem  ersten 
Erscheinen  vor  dem  Ausschuss,  am  15.  November  1814,  waren  die 
drei  Gesandten  einig.  Hätten  sie  aber  auch  eine  Meinung  gehabt, 
sie  wäre  immer  wieder  durchkreuzt  worden  von  dem  Schwärm 
von  Sondergesandten  aus  der  Schweiz,   der  sich  in  Wien  lästig 


o  ZWEITES  KAPITEL:    IM  NEUEN  SCHWEIZERBUND  n 

machte.  Umsonst  warnte  der  Zar,  der  die  Schweizer  Gesandt- 
schaft am  23.  Oktober  in  seinem  Schlafzimmer  empfing,  mit  der 
Miene  des  bekümmerten  väterlichen  Freundes  vor  Uneinigkeit  und 
Spaltung.  Die  Schweizer  hatten  es  noch  immer  nicht  begriffen, 
was  er  ihnen  schon  am  2.  Juni  in  Paris  ans  Herz  gelegt  hatte:  sie 
seien  eine  Nation!  Unter  dem  28.  September  1814  schrieb  der 
preussische  General  v.  Knesebeck  an  den  Minister  v.  Stein:  ,,Wie 
eingeengt,  wie  erbärmUch  ist  der  Sinn  der  neuen  Helvetier!  Sind 
das  die  Sieger  bei  Murten  und  Sempach  ?  Ist  das  der  Sinn  der 
Stauffacher  und  Melchtale,  der  aus  den  Verhandlungen  der  Tag- 
satzung spricht  ?  Wo  ist  hier  noch  Vaterlandshebe  und  Gemein- 
sinn ?  Jeder  sieht  nur  seine  sieben  Kartoffeln,  seinen  Distrikt, 
seinen  Herd,  seine  Famiheninteressen  allein  und  zankt  sich  darum 
mit  den  andern.  Ist  das  nicht  das  wahre  Krähwinkel  unter  den 
Staaten?"  Und  Knesebeck  war  dafür,  dieses  Krähwinkel  mit 
Deutschland  zu  vereinigen. 

Dazu  kam  es  nun  zwar  lücht,  aber  sonst  haben  wir  in  Wien 
fast  nur  schlechte  Geschäfte  gemacht.  Nordsavoyen  ging  uns  ver- 
loren; Reinhard  meinte,  wir  hätten  jetzt  schon  zu  viel  Kantone, 
und  ihn  erschreckte  die  Masse  KathoUken,  die  wir  dort  wieder  be- 
kommen würden.  \'elthn,  Bormio  und  Chiavenna  verdanken  dem 
Starrsinn  der  Bündner  Abgeordneten  und  der  Kurzsichtigkeit 
Reinhards  ihren  Anschluss  an  Italien.  Manchmal  bheben  die 
Schweizer  Angelegenheiten  auch  wieder  wochenlang  unberührt 
hegen.  Der  Kongress  hatte  mit  der  ,, Rekonstruktion  Europas"  zu 
viel  zu  tun,  oder  —  was  häufiger  der  Fall  war  —  er  kam  vor  lauter 
Vergnügungen  überhaupt  lücht  zum  Arbeiten.  ,,L,e  congres  danse, 
mais  ne  marche  pas",  sagte  der  Fürst  von  Ligne.  An  einem  der 
unzähhgen  Bälle  mischte  sich  auch  Freund  Hein  unter  die  Tanzen- 
den. Ein  dänischer  Kavaher  ward  vom  Schlage  gerührt,  bekam 
im  Todeskrampf  Reinhards  Domino  zu  fassen  und  riss  ihm  seine 
Blonden- Spitzen  von  oben  bis  unten  entzwei.  Die  Nachricht  von 
Napoleons  Flucht  von  der  Insel  Elba  bereitete  den  Wiener  Lust- 
barkeiten ein  jähes  Ende.  Mit  den  Schweizern  wurde  schnell  fertig 
gemacht.  Die  Deklaration  vom  20.  März  1815  eröffnete  ihnen  die 
definitiven  Beschlüsse  des  Kongresses.  Ein  schüchterner  Protest 
wegen  der  verlorenen  Gebietsteile  erweckte  Mettemichs  ,, Erstau- 
nen" und  der  Kongress  ging  darüber  zur  Tagesordnung. 


12  ZWEITES  KAPITEL:    IM  NEUEN  SCKTWEIZERBUND  o 

Wie  ihre  Herren  in  Wien,  waren  die  in  Zürich  akkreditierten 
Gesandten  beim  muntern  Schäferspiel  vereinigt,  als  eine  Depesche, 
welche  Schraut  erhielt  (,, Montblanc"  nannten  die  Jüngern  Diplo- 
maten den  weisshaarigen  hagern  Österreicher)  der  Gesellschaft  die 
Landung  Napoleons  in  Cannes  kundgab.  Beim  Anitsbürgermeister 
und  Tagsatzungspräsidenten  David  v.  Wyss  (dem  jungem)  traf 
am  IG.  März,,  abends  neun  Uhr,  ein  Kurier  des  Staatsrates  von 
Genf  ein  mit  der  Meldung,  dass  Napoleon  schon  in  Grenoble  ein- 
gezogen sei.  Um  7  Uhr  morgens,  den  11.  März,  war  die  Tagsatz- 
ung versammelt;  sie  beschloss  schleunige  Einberufung  der  ab- 
wesenden Mitgheder,  Aufbietung  des  halben  eidgenössischen  Kon- 
tingents und  Entsendung  des  Oberst- Quartiermeisters  Finsler  als 
Kommissär  nach  Genf.  Von  Neutrahtät  war  diesmal  keine  Rede; 
die  Schweiz  musste  sich  wohl  oder  übel  dem  ,, System"  der  Yer- 
bündeten  anschliessen,  und  der  österreichische  General  v.  vStei- 
gentescli  wurde  hergesandt,  um  das  militärische  Einvernehmen 
mit  der  Schweiz  herzustellen,  musste  aber  bald  erfahren,  dass  ,,in 
diesem  Lande,  wo  alle  Entschlüsse  auf  dem  langen  Wege  der  Über- 
legung und  des  Herkommens  reifen,  den  fünf  Jahrhunderte  mit 
breiten  Förmhchkeiten  ausgetreten  haben",  Geduld  das  erste  Er- 
fordernis war.  Doch  brachte  die  »Schweiz  bis  Alitte  Juh  ein  für 
ihre  Verhältnisse  imponierendes  Bundesheer  von  40,669  Mann, 
2871  Pferden  und  118  Geschützen  auf.  In  einem  kurzen  Grenz- 
feldzug im  Jura  führte  General  Bachmann  (später  von  Finsler  ab- 
gelöst) den  Oberbefehl;  vor  der  Festung  Hüningen  bei  Basel 
spielten  \aer  Zürcher  Mörser,  darunter  der  ,, Apollo",  dem  fran- 
zösischen Kommandanten  Barbanegre  zum  Tanze  auf  und  die 
Zürcher  Scharfschützen  nahmen  aus  ihren  ,, Fuchslöchern"  die 
Verteidiger  einzeln  aufs  Koni. 

Während  der  Belagerung  Hüningens,  das  am  28.  August  1815 
fiel,  war  der  Erzherzog  Johann  von  Basel  nach  Zürich  geeilt, 
um  am  7.  August  im  Grossmünster  dem  Bundesschwur  beizu- 
wohnen. Seine  Anwesenheit  wurde  als  hohe  Ehre  empfunden,  aber 
des  Guten  zu  \äel  tat  die  ,, Freitagszeitung",  wenn  sie  schrieb, 
sein  holder  Blick  habe  dem  neuen  Schweizerbund  das  kösthchste 
Siegel  aufgedrückt.  Die  Feier  verlief  würdig  und  ernst.  Morgens 
um  9  Uhr  begaben  sich  die  sämtUchen  Gesandtschaften  der  Kan- 
tone auf  ihr  gewöhnhches  Sitzungszimmer  in  der  ,, Aleisen",  unter- 


o  ZWEITES  KAPITEL:    IM  NEUEN  SCHWEIZERBUND  13 

schrieben  und  besiegelten  dort  die  Bundesurkunde.  Dann  schritten 
sie  in  feierUchem  Zuge  zwischen  Spaüeren  von  Soldaten  unter 
Glockengeläute  und  Artilleriesalven  zum  Grossmünster,  voran  die 
Weibel  in  ihren  Mänteln  in  den  Standesfarben  nach  der  Rangord- 
nung der  Kantone,  dann  der  Grossweibel  der  Tagsatzung  mit  der 
Bundesurkunde,  die  eidgenössische  Kanzlei,  der  Präsident  der 
Tagsatzung  und  die  Gesandtschaft  der  Vorortes,  hierauf  die  Ge- 
sandtschaften der  übrigen  Stände  und  am  Schluss  die  in  Zürich 
anwesenden  Stabsoffiziere.  Gesang  und  Instrumentalmusik  emp- 
fingen die  ins  Gotteshaus  Einziehenden;  auf  besonderer  Tribüne 
hatte  bereits  der  Erzherzog  Johann,  umgeben  von  den  fremden 
Diplomaten,  Platz  genommen.  Der  Grosse  Rat,  die  Geisthchkeit 
und  zahlreiche  Zuschauer  füllten  die  weiten  Hallen  des  ehrwürdigen 
Domes.  Bürgermeister  David  v.  Wyss  hielt  eine  eindrucksvolle 
Rede.  Hernach  verlas  der  eidgenössische  Kanzler  Mousson  die 
Bundesurkunde  und  die  Eidesformel.  Sämtliche  Gesandte  standen 
auf  und  sprachen,  die  Rechte  erhoben,  dem  Präsidenten  den  Eid 
Wort  für  Wort  nach.  In  diesem  Augenbhck  fiel  der  Kanonendonner 
wieder  ein,  Musik  ertönte,  und  beim  Verlassen  der  Kirche  beglei- 
teten die  Gesandtschaften  ihren  Präsidenten  zu  seiner  an  der 
alten  Ringmauer  der  Stadt  in  der  Torgasse  gelegenen  Wohnung, 
wo  das  Mihtär  defiUerte.  Mittags  folgte  ein  Bankett  im  Kasino 
mit  zahlreichen  Tafelreden  auf  den  neuen  Bund,  die  Alliierten 
und  ihre  Feldherren.  Erzherzog  Johann  toastete  auf  die  Frei- 
heit, Unabhängigkeit  und  das  Wohlergehen  der  »Schweiz.  Beim 
Ball  am  Abend  überreichte  ihm  ein  zwölfjähriges  Mägdlein  mit 
einer  artigen  Deklamation  einen  Blumenstrauss.  Der  Erzherzog 
blieb  bis  Mitternacht;  beherzigenswert  war  sein  guter  Rat,  den 
er  wiederholt  schweizerischen  Würdenträgern  gegenüber  äusserte: 
,, Bleiben  Sie  bei  der  Einfachheit.  Diese  wird  Ihnen  die 
Achtung  des  Auslandes  am  meisten  verschaffen." 

Der  schweizerische  Brudersinn  und  das  Nationalgefühl  der 
Eidgenossen  war  mit  dem  neuen  Bunde  noch  nicht  ohne  weiteres 
Gemeingut  geworden,  wie  sehr  auch  zahlreiche  edle  Eidgenossen, 
gemeinnützige  und  patriotische  Gesellschaften  und  Vereine  sich 
mühten,  ihn  zu  wecken  und  zu  pflegen.  Das  offenbarte  sich  be- 
sonders in  den  furchtbaren  Teuerungsjahren  1816  und  1817. 
Im   Kanton  Zürich   herrschte   eine   förmUche   Hungersnot.     Das 


14  ZWEITES  KAPITEL:    IM  NEUEN  SCHWEIZERBUND  o 

Land  wimmelte  von  Bettlern;  man  fand  vSterbende  an  der  Strasse, 
in  Feld  und  Wald.  Die  Tagsatzung  traf  einige  halbe  Massregeln, 
die  Kantone  aber  sperrten  gegeneinander  die  Grenzen,  um  alle 
Lebensmittelausfuhr  zu  verhindern.  ,, Nirgends  brüderhches  Ent- 
gegenkommen, treues  ^Mitteilen,  gemeinsames  Ausharren",  sah  der 
preussische  Gesandte  Justus  Grüner;  ,, überall  selbstische  Sorge 
und  einseitige  verderbliche  Massregeln ;  in  schauderhafter  Gestalt 
hat  sich  die  innere  Zerrissenheit  dieses  Bundes.staates  offenbart". 
Kaiser  Alexander  spendete  100,000  Fr.  Zürich  verwendete 
700,000  Fr.  für  den  Ankauf  von  fremdem  Getreide  und  Reis,  ord- 
nete Liebesgabensammlungen  an  und  beschäftigte  die  Arbeitslosen 
mit  der  \'erbesserung  der  Strasse  durchs  Tösstal.  Eine  ähnliche 
Erscheinung  wie  bei  der  Teuerung  zeigte  sich  wieder  in  den  für 
die  Schweiz  so  drückenden  Jahren  1818  und  1819  des  französischen 
Prohibitivsystems.  Jeder  Kanton  trieb  Zollpolitik  auf  eigene 
Faust,  als  ob  die  übrigen  Kantone  Ausland  wären.  Die  vSchweiz 
envies  sich  im  x^irtschaftlichen  Kampfe  vollständig  wehrlos.  Noch 
im  Jahre  1823  durfte  der  französische  Gesandte  I\Iarquis  de  Mous- 
tier  wegwerfend  schreiben:  ,,Ich  werde  diese  Leute  mit  dem  Takt- 
stock regieren;  die  »Schweizer  haben  mehr  schwache  Seiten  als 
andere  Leute;  ihre  Eitelkeit,  ihre  Personen-  und  Familieninter- 
essen bieten  ebenso  vdele  Mittel  der  Verführung  dar,  aus  denen 
man  grossen  Nutzen  ziehen  kann." 

Und  wie  ging  es  mit  der  Linthkorrektion,  die  man  von 
der  Mediationszeit  als  Erbe  übernommen  hatte!  ,,In  Monarchien", 
meinte  Grüner,  ,, würde  ein  ähnhches  Unternehmen  gar  kein  Auf- 
sehen erregen;  hier  hat  man  ihm  aber  grossen  Nationalrulim  bei- 
legen müssen,  um  die  Fonds  zusammenzubringen."  Öchsli  be- 
tont: ,,Dass  Schweizer  aus  allen  Kantonen  freiwiUig  nahezu  eine 
Million  zusammenlegten,  um  einen  Landesteil  vor  dem  Untergang 
zu  retten,  war  zwar  ein  erhebendes  Zeichen  des  erwachenden  Ge- 
meinsinnes, aber  ebensosehr  auch  ein  betrübendes  Zeichen  der 
Schwäche  des  Staates,  der  solche  Unternehmungen  ganz  auf  frei- 
wilUge  Beisteuern  gründen  musste.  Das  Werk  hatte  daher  fast 
bis  zur  \'ollendung  mit  finanziellen  Schwierigkeiten  zu  kämpfen, 
weil  die  Tagsatzung  vor  dem  kleinsten  Geldopfer  als  vor  einer  \'er- 
fassungswidrigkeit  zurückscheute.  181S  wurde  ein  neues  Gesuch 
um  10,000  Fr.  mit  13  gegen  9  Stimmen  abgewiesen,  so  dass  Escher 


^oßann  Conrad  Gscßer  von  der  ßinifi 


o  ZWEITES   KAPITEL:    IM  NEUEN  SCHWEIZERBUND  15 

in  die  eigene  Tasche  greifen  musste,  um  seinen  Arbeitern  den  Lohn 
auszuzahlen.  1823  war  das  Werk  soweit  vollendet,  dass  die  Tag- 
satzung am  14.  August  die  Übergabe  an  die  drei  beteiligten  Kan- 
tone Glarus,  Schwj-z  und  St.  Gallen  beschliessen  konnte.  Der 
Mann  aber,  dem  die  allgemeine  Stimme  das  Hauptverdienst  an 
dem  wohlgelungenen  \^'erke  beimass,  erlebte  die  Übergabe  nicht 
mehr.  Hans  Konrad  Escher  starb  am  9.  März  1823,  allge- 
mein betrauert  als  einer  der  selbstlosesten,  hochsinnigsten  Charak- 
tere, welche  die  Schweiz  je  her\-orgebracht.  Am  12.  Juni  beschloss 
der  Kleine  Rat  von  Zürich,  nach  einem  Sprachgebrauch,  der  sich 
bereits  eingebürgert  hatte,  den  Verewigten  und  seine  Nachkom- 
men als  ,, Escher  von  der  Linth"  zu  bezeichnen,  und  die  Tag- 
satzung fügte  am  14.  August  den  Beschluss  hinzu,  ihm  in  der  durch 
ihn  geretteten  Landesgegend  ein  einfaches  Denkmal  zu  setzen, 
sowie  der  Familie  eine  goldene  Denkmünze  und  pergamentene 
Urkunde  zu  überreichen." 


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DRITTES  KAPITEL 


STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH 

Wilhelm  Füssli  meinte:  „Die  Stadt  Zürich  ist  mehr  eine  plan- 
lose Kollekte  von  Häusern,  denn  eine  regelmässig  gebaute 
Anlage  von  Quartieren,  und  bietet  mit  ihren  zum  Teil  engen  Ga.ssen 
keinen  schönen  Anblick  dar."  Gerold  Meyer  v.  Knonau  wurde 
durch  sie  an  deutsche  Reichsstädte  erinnert;  ,,in  einzelnen  Gassen 
mödite  man  sich  noch  jetzt  in  die  oberitahenischen  Städte  und 
selbst  nach  Genua  versetzt  glauben".  Für  den  modernen  Menschen 
wäre  das  Zürich  des  Jahres  1814  mit  seinen  Türmen  und  Zinnen 
entzückend  zum  Anschauen,  — weniger  vielleicht  zum  Drinwohnen. 
Und  doch  ward  es  damals  von  seinen  Bürgern  über  alles  geliebt. 
Sie  fühlten  sich  so  sicher  und  wohlgeborgen  in  ihren  Mauern! 
Den  Kern  der  Altstadt  umschloss  auf  lange  Strecken  immer  noch 
die  alte  Ringmauer  mit  Toren  und  Wachttürmen,  und  in  weiterem 
Umfang,  ungefähr  das  Gebiet  des  heutigen  ersten  Kreises  um- 
ziehend, bildete  ein  zusammenliängendes  vSystem  von  Bastionen, 
Gräben  und  Ravelins  den  mächtigen  Schutzwall  der  Stadt.  Je 
zwei  Durchgänge  —  eine  äussere  ,, Porte"  und  ein  inneres  ,,Tor"  — 
hatte  man  zu  passieren,  um  von  irgend  einer  Seite  her  ins  Herz 
der  Stadt  zu  gelangen,  und  diese  Porten  und  Tore  waren  keine 
blossen  Dekorationsstücke,  sondern  sie  wurden  nachts  10  Uhr, 
Sommers  um  1 1  Uhr  geschlossen  und  der  Schlüssel  auf  die  Haupt- 
wache gebracht  (die  Kästchen  mit  den  Stadtschlüsseln  sind  heute 
im  Stadtarchiv).  Das  mochte  zu  Zeiten  unbequem  sein,  gab  aber 
den  Bürgern  das  Gefühl  der  Sicherheit,  und  viele  von  ilmen  hörten 
es  sehr  ungern,  als  man  davon  zu  reden  anfing,  dass  die  Festungs- 
werke geschleift  werden  sollten.  Es  kam  ihnen  vor,  als  wollte  man 
die  Haustüre  aushängen  und  jedem  Landstreicher  freien  Einlass 
gewähren.  Als  im  Sommer  1832  die  Regierungsräte  Hüni  und 
Brändli  die  schadhaft  gewordene  Brücke  über  den  Graben  bei  der 
Kronenporte  besichtigten  und  dabei  äusserten,  es  sei  gut,  dass 
diese  Brücke  bald  durch  festen  Boden  ersetzt  werde,  riefen  ihnen 


o  DRITTES  KAPITEL:    STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  ly 

zwei    vorübergehende,    „nicht    unangesehene"    Männer   zu:    ,,Me 
wird  I!"  (Ludwig  Meyer  v.  Knonau). 

Aber  schon  vor  1814  hatte  das  Wegräumen  begonnen,  wenn- 
gleich erst  bei  den  innem  Befestigungen.  Der  Oberdorfturm  und 
das  Augustinertor,  um  nur  diese  zu  erwähnen,  wurden  1812  nieder- 
gerissen, das  Linden-  oder  Junkerntor  fiel  1S13.  Noch  lange  stan- 
den indessen  die  äussern  Porten  unberülirt.  Zur  Stadelhofer- 
porte führte  eine  lange,  fahrbare  Brücke.  Der  Mauer  entlang,  zu 
Füssen  des  Geissbergbollwerks,  dehnte  sich  ein  Friedhof  der  Gross- 
münstergemeinde, das  ,, Fuchsloch"  genannt.  Als  der  Friedhof 
imis  Grossmünster  aufgehoben  wurde,  hatten  sich  die  Toten  teils 
in  den  Krautgarten,  teils  ins  Fuchsloch  vor  die  Stadt  hinaus  flüch- 
ten müssen.  Von  dort  verzogen  sie  sich  später  nach  der  ,, Hohen 
Promenade"  auf  dem  Geissbergbollwerk,  aber  auch  da  wird  ihres 
Bleibens  nicht  sein.  Die  Stadelhoferporte  stand  ungefähr  an  der 
Stelle  des  heutigen  ,, Olivenbaum".  Auf  der  ,, Holzschanze" 
am  See,  die  man  durch  Auffüllungen  verbreiterte  und  mit  dem 
festen  Land  verband,  wurde  1839  das  neue  Komhaus  erstellt, 
das  der  lebenden  Generation  noch  als  ,,alte  Tonhalle"  in  Erinne- 
rung ist.  Die  untere  Rämistrasse,  damals  ,,Schmidgasse"  genannt, 
ging  bis  zum  See,  wo  das  ,,KohlenpörtU"  nach  der  kleinen  Kohlen- 
schanze sich  öffnete.  Das  unterste  Haus  beim  Kohlenpörtli  war 
das  ,, Salzmagazin";  bis  an  dieses  heran  trat  das  Häuserviereck 
zwischen  Torgasse  und  Schmidgasse,  das  den  Weg  limmatabwärts 
vollständig  sperrte.  Man  muss  sich  gewaltsam  losreissen  von  der 
Gegenwart,  um  ein  klares  Bild  der  ,,  Schiff  lande"  von  1814  und 
üirer  Umgebung  zu  erhalten.  Enorme  Auffüllungen  haben  die 
UferHnien  gänzlich  verändert.  Der  See  reichte  damals  bis  zu  der 
doppelten  Palisadenreihe,  die  vom  Bauschänzli  quer  durch  die 
Limmat  bis  zum  Wassertor  des  Grendel  lief.  ,, Grendel"  hiess 
der  mit  Eisenspitzen  beschlagene,  auf  dem  Wasser  liegende  und 
mit  einer  Kette  bewegUche  Sperrbalken,  durch  welchen  den  Schiffen 
die  Ein-  oder  Ausfahrt  geöffnet  und  verschlossen  werden  konnte. 
,, Hatte  man  Oberwind  gehabt",  erzählt  Hardmej-er-Jennj'  noch 
aus  eigenem  Erleben,  ,,so  hiess  es  warten,  bis  Schlag  sechs  Uhr 
der  Grendelwart  den  Balken  aufgehoben  hatte  und  der  freie  Ein- 
tritt in  die  Kapitale  geöffnet  war.  Anderswo  ans  Land  zu  gelangen, 
war  nicht  möglich,    die  Palisaden    sperrten  vom  Kohlenschänzli 


i8  DRITTES  KAPITEL:   STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  o 

beim  Salzmagazin  bis  in  die  Enge  hinüber  die  Ufer.  Hier  am  Hafen 
der  Stadt  war  bis  in  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  das  Zentrum 
des  Verkehrs."  Mitten  aus  dem  Fluss  ragte  noch  der  düstere 
Wellenberg,  das  Kriminalgefängnis,  von  dem  aus  Waldmann 
und  noch  mancher  nach  ihm  seine  letzte  Fahrt  angetreten.  Hart 
am  Wasser  standen  die  Häuser  zur  ,, Sonne"  (jetzt  Albert  Müller), 
zum  ,, Stern"  (später  Hotel  du  Lac,  jetzt  Gysier- Wunderli)  und 
der  stark  frequentierte  Gasthof  zum  ,,Raben"  mit  seiner  aus- 
sichtsreichen Terrasse,  der  kurze  Zeit  einmal  auch  ,,Bellevue" 
hiess  und  jetzt  von  Geschäftsleuten  bevölkert  ist  (Hechtplatz 
Nr.  i).  Sehr  besucht  waren  auch  die  Wirtschaften  zum  ,,Rössli", 
zum  ,,Bilgerischiff"  und  andere  an  den  zur  Schiff  lande  herab- 
steigenden Gassen. 

Weiter  abwärts  gelangte  man  nur  hinter 'dem  ,, Raben" 
und  der  ,,vSonne"  hindurch  auf  den  Sounenplatz  und  zur  Wasser- 
kirclie,  die  schon  seit  1634  die  Stadtblibhothek  beherbergt.  Das 
Magazin  zwischen  Wasserkirche  und  Strasse,  ,, Wasserhaus"  ge- 
nannt, ist  1858  durch  einen  steinernen,  mit  der  Stadtbibliothek 
verbundenen  Neubau  ersetzt  worden.  Wahrscheinlich,  weil  au 
dieser  Ecke  seinerzeit  eine  der  ersten  öffentlichen  Laternen  Zürichs 
brannte,  hiess  das  schräg  gegenüber  liegende  Wirtshaus  ,,zur  La- 
terne", dessen  Namen  im  Lateruengässchen  heute  noch  fortlebt. 
An  das  Lateruengässchen  schloss  sich  der  Hottingerturm  (bis 
1856),  dessen  unterer  Teil  vor  Jahrhunderten  schon  als  Kaufhaus 
eingerichtet  worden  war  (jetzt  Musikalienliandlung  Hug  &  Co.), 
daneben  das  Salzhaus  (städtisches  Salzverkaufslokal,  jetzt 
Eisenhandlung  Kisling).  Durch  die  Bogen  und  die  Halle  des 
Helmhauses  aber  gelangte  man  auf  die  hölzerne  obere  Brücke. 
Kirchenratssekretär  Dr.  F.  Meyer  (t  30.  März  1910)  sagt  von  ihr 
in  seinen  ,,Jugenderinnerungeu" :  ,, Diese  war  ein  Steg  für  Fuss- 
gänger;  man  gelangte  zu  ihm  durch  die  breite  Toröffnung  an  der 
Westseite  des  Helmhaus.  (Nach  Vollendung  der  ■ —  einige  Meter 
weiter  unten  erbauten  —  Münsterbrücke  wurde  sie  zugemauert 
und  dafür  das  mittlere  Fenster  an  der  Nordseite  zum  Durchgang 
erweitert,  wie  es  jetzt  noch  besteht.  Auf  dem  Plane  von  1838  sieht 
man  noch  beide  Brücken  nebeneinander.)  Das  Geklapper  der 
hölzernen  Bretter  des  Brückenbelages,  wenn  wir  Schüler  darüber 
trampelten,  ist  mir  jetzt  noch  in  Erinnerung,  und  es  war  etwas 


CS 


§ 

.C; 


o  DRITTES  KAPITEL:  STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  19 

Unerhörtes,  dass  einmal  einige  Dragoner  es  wagten,  zu  Pferde 
über  die  Treppenstufen  des  Zugangs  hinaufzusetzen  und  durch 
das  Helmhaus  über  die  Brücke  zu  reiten." 

Eine  grosse  Merkwürdigkeit  für  Fremde  war  immer  das  auf 
der  obern  Brücke  stehende  Brunnenhäuschen  mit  dem  Wasser- 
rad und  den  dazu  führenden  Fang%vuhren  in  der  L,immat,  eine 
Einrichtung,  die  bis  1835  bestand  und  Trinkwasser  aus  der  Limmat 
in  einen  Brunnen  mit  sieben  Röhren  schöpfte.  Solche  Wasser- 
räder waren  errichtet  worden,  nachdem  der  Aberglaube  aufgekom- 
men, dass  die  Juden  die  Brunnen  vergiften. 

Über  die  Salzhaustreppe  kommen  wir  zum  Grossmünster 
und  in  die  Kirchgasse.  Viel  weiter  als  das  jetzige  Grossmünster- 
schulhaus  ragte  das  alte,  unansehnlich  gewordene  Chorherren- 
stift (CaroHnmn,  höhere  Schule,  besonders  für  Theologen)  in 
die  Kirchgasse  hinein.  Die  ganze  Kirchgasse  hinauf  aber  reihte  sich 
fast  ein  (dem  Stift  gehörender)  ,,ChorherrerLlaof"  an  den  andern; 
wir  nennen  bloss  das  Diakonat  zum  Silberschild,  heute  alkohol- 
freies Restaurant  ,,Karl  der  Grosse";  die  ,,Provisorei"  (Ecke 
Kirchgasse-Neustadtgasse),  daneben  den  (1858  verschwundenen) 
Brunnen  mit  der  schönsten  Brunnensäule  Zürichs,  schräg  gegen- 
über, am  Chorherrenplatz,  die  Schulei,  Zwingiis  letzte  Amts- 
wohnung, und  —  nach  einem  Zwischenraum  —  die  Stifts  ver- 
walterei. Zu  oberst  an  der  Kirchgasse  war  1814  im  vSteinhaus 
die  Staatskanzlei  untergebracht;  Martin  Usteris  ,, Erggel  im  Stein- 
huus"  ist  1831  bei  einem  Umbau  verschwunden.  Das  Haus  zum 
,, roten  Adler",  schräg  abwärts  dem  Steinliaus  gegenüber,  hat 
1830   Dr.  Ludwig  Keller  sehr  schön  um.gebaut. 

Der  Zwingiiplatz  hatte  1814  schon  ungefähr  die  heutige 
Form,  und  den  benachbarten  Häusern  sind  ihre  Namen  bis  jetzt 
geblieben,  die  Häuser  selbst  aber  teilweise  bis  zur  Unkennthchkeit 
umgebaut.  Der  Flügel  des  Chorherrenstifts  gegen  den  Zwingliplatz 
diente  damals  der  Französischen  Kirche.  Einen  befremdlichen 
Eindruck  machte  die  am  Grossmün.ster  klebende  hölzerne  gedeckte 
Doppeltreppe,  die  (bis  zum  Jahr  1844)  vom  ehemaligen  Friedhof 
auf  die  Emporen  hinauf  führte  und  das  prächtige  Hauptportal 
mit  ihrem  Überbau  verunstaltete.  Das  Antistitium  (,, Oberst- 
pfarrhaus"), Sitz  des  Antistes,  ist  (wie  die  ,, Schulei")  erst  1856 
als  Pfarrhaus  in  den  Besitz  der  Kirchgemeinde  übergegangen. 


20  DRITTES  KAPITEL:    STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  o 

Das  „grüne  Schloss"  (heute  Berichthaus)  wurde  1835  Privat- 
besitz. Im  Haus  zum  „Loch"  wohnte  der  gelehrte  Chorherr 
J.  H.  Bremi  mit  seiner  vSchule;  der  letzte  Chorherr,  welcher  die 
„Weinleiter"  bewohnte,  war  der  liberale  Theologe  Joh.  vSchult- 
hess.  Auch  die  ,, Blaue  Fahne"  existierte  schon,  aber  nicht  als 
Bierhaus;  weiter  kommen  wir  in  der  Münstergasse,  am  Meyers- 
hof vorbei,  der  vier  Jahrhunderte  lang  im  Besitz  der  Famihe 
Meyer  v.  Knonau  war,  zum  alten  Turm  der  M anesse  (zu  unterst 
an  der  Napfgasse)  und  —  ihm  gegenüber  —  zur  Post!  Es  ist 
nämhch  zu  beachten,  dass  wir  uns  hier  in  der  Hauptstrasse 
des  alten  Zürich  befinden;  die  wichtigste  ^'erkehrsader  ging  von 
der  Stadelliofer|Dorte  durclis  Oberdorf,  die  mittlere  Kirchgasse, 
Müustergasse  und  das  Niederdorf. 

Das  zürcherische  Postwesen  verdankt  seinen  Ursprung  den 
Kaufleuten  Hess,  welche  (zwei  Häuser  weiter,  links,  an  der 
Münstergasse)  im  Haus  zum  ,, roten  Gatter"  wohnten.  Sie  richteten 
1630  einen  Fussbotendienst  nach  Lyon  ein,  wo  sie  eine  Nieder- 
lassung hatten,  und  auch  mit  Italien  knüpften  sie  Postverbindungen 
an.  Im  Jahre  1632  übergab  die  Regierung  das  Post-  und  Boten- 
wesen dem  neugebildeten  Kaufmännischen  Direktorium,  das 
die  Post  in  die  Häuser  zum  ,,Schäppeli"  und  ,, Grauen  Mann"  an 
der  Münstergasse  verlegte.  Als  tmmittelbare  Nachbarin  erhielt  die 
Post  später  das  Berichthaus.  Mit  der  Ausdehnung  des  Post- 
verkehrs und  der  Einfülining  immer  neuer  Eilwagenkurse  staute 
sich  der  Verkehr  auf  dem  kleinen  Platz  bei  der  Post,  die  keinen 
Hof  und  keine  Remise  hatte,  oft  zu  beängstigendem  Gedränge; 
zur  Winterszeit  war  der  Platz  für  die  Fulirwerke  fast  unzugänghch. 
Dazu  kamen  dann  noch  die  ^Menschenansammlungen  %-or  den 
Schaltern  des  Berichthauses.  Auf  seinem  Weg  zur  Schule  (im 
Haus  zum  ,, schwarzen  Garten"  an  der  Stüssihofstatt)  hatte  einst 
auch  Dr.  F.  Meyer  diese  Stelle  zu  passieren;  er  erzählt:  ,,Das 
dortige  Plätzchen  war  kleiner  als  jetzt;  um  acht  Uhr  standen  die 
vierspännigen  Eilwagen  nach  den  verschiedenen  Richtungen  zur 
Abfahrt  bereit,  dicht  aneinaudergedrängt,  so  dass  es  für  den  kleinen 
Schüler  keine  Kleinigkeit  war,  längs  des  Hauses  über  Treppen- 
stufen, an  Pferdebeinen  und  Wagenrädern  \'orl3ei  die  »Strecke  bis 
gegen  die  ]\Iarktgasse  hin  ungeschoren  zurückzulegen.  Noch 
schwieriger  hatten  es  die  kleinen  Mädchen,  die  von  der  Münster- 


o  DRITTES  KAPITEL:  STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  21 

gasse  her  ins  Schulhaus  zum  Napf  (zweitoberstes  Haus  an  der 
Napfgasse,  später  auch  Lokal  der  Musikschule)  gingen  und  darum 
das  Plätzchen  durchkreuzen  mussten.  Da  geschah  es  denn,  dass 
sie  nicht  selten  sich  unter  den  Pferdebäuchen  hindurchwanden,  um 
ans  Ziel  zu  kommen.  Auch  das  Abfahren  der  Posten  den  steilen 
Abhang  bei  der  jetzigen  ^Vleyerei  und  durch  die  enge  Marktgasse 
hinunter  war  für  Pferde,  Wagen  und  das  die  Gasse  passierende 
Pubhkum  keineswegs  angenehm,  sondern  geradezu  gefährhch.  Die 
Posten  nach  Winterthur  fuhren  durch  die  obere  Kirchgasse  hinauf 
über  den  Hirschengraben  bis  zum  Rechberg  oder  durch  Rinder- 
und Neumarkt  ebendahin  und  dann  durch  das  Halseisen  (Künstler- 
gasse) hinauf  zur  Kronenporte;  nach  Baden  und  ebenso  nach 
Horgen  durch  Marktgasse,  Strehlgasse  und  Renuweg  durch  die 
Sihlporte;  nach  Rapperswil  durch  das  Oberdorf  und  die  Stadel- 
hoferstrasse." 

Das  ,, Berichthaus"  neben  der  Post  ist  eine  Gründung  des 
Hauptmanns  Hans  Jakob  Lindinner  in  Zürich,  welcher  am 
23.  Februar  1730  die  erste  Nummer  der  ,,Donnstags-Nachrich- 
ten"  herausgab,  ein  Inseraten-  oder  Reklameblatt,  das  sich  fast 
ausschliesslich  in  den  Dienst  des  wirtschaftlichen  Verkehrs  stellte. 
Indem  es,  das  häusliche  Leben,  sowie  Handel  und  Wandel  berück- 
sichtigend, vSuchende  und  Anbietende  einander  näher  brachte  und 
den  Austausch  \'on  Sachgüteni  und  Diensten  vermittelte,  ver- 
drängte es  mehr  imd  mehr  das  mittelalterliche  Amt  des  öffentlichen 
Ausrufers.  In  seinem  Haus  zur  ,,Provisorei"  an  der  Kirchgasse 
eröffnete  Lindinner  zugleich  ein  sogenanntes  , , Adress-Comptoir" 
zur  Auskunfterteilung,  und  dieses  ,, Adress-Comptoir"  wird  in 
Nr.  III  der  ,,Donnstags-Nachrichten"  vom  g.  Merz  1730  zum 
erstenmal  ,, Bericht-Haus"  genannt.  Im  Volksmund  hiess  es 
meist  ,,Blätth-Huus".  Hauptmann  Lindinner  trat  das  Geschäft 
nach  wenigen  Jahren  seinen  Brüdern  ab,  die  sich  mit  einem  Prä- 
zeptor  Ziegler  assoziierten.  Später  führte  der  Sohn  des  letztern, 
Buchdrucker  Caspar  Ziegler,  das  Geschäft  allein.  Seit  dem 
21.  März  1768  befand  sich  das  Berichthaus  in  den  von  Ziegler  an- 
gekauften Häusern  zum  ,, Goldstein"  und  ,,vSchlegel",  Münster- 
gasse-Ankengasse, neben  der  Post,  zu  denen  bei  weiterer  Aus- 
dehnung des  Geschäftes  noch  das  Haus  zum  ,, roten  Gatter" 
kam,  die  \^'iege  des  zürcherischen  Postwesens.    Ziegler  nahm  in 


22  DRITTES  KAPITEL:   STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  o 

der  Folge  seinen  Schwiegersohn  Joh.  Casp.  Ulrich  ins  Geschäft  auf, 
und  seit  1794  lautete  die  Firma  , .Ziegler  &  Ulrich".  Die  ,,Donn- 
stags-Xachrichten"  liiessen  vom  4.  Januar  1781  an  „Donnstags- 
Blatt",  imd  mit  dem  Jahre  1801  erschienen  sie  als  „Zürche- 
risches Wochenblatt"  wöchenthch  zweimal,  ^Montags  und 
Donnerstags.  Xach  dem  Tode  seines  Sch\vieger\-aters  verkaufte 
Joh.  Casp.  Ulrich,  ein  Sohn  des  letzten  Landvogts  von  Kyburg, 
das  Berichthaus  samt  Druckerei  seinem  Bruder,  dem  Landschreiber 
J.   J.  Ulrich  in  Andelfingen.    Das  war  am  i.   Juli  1814. 

Wenige  Schritte  weiter  führen  uns  zum  ..Elsasser",  oben 
an  der  ]\Iarktgasse,  dem  Sitz  der  grössten  Buchdruckerei  Zürichs 
im  18.  Jahrhundert.  Es  hatten  sich  im  Jahre  1766  die  Herren 
Konrad  Orell,  Buchdrucker,  Salomon  Gessner,  der  bekannte 
Dichter,  und  der  Historiker  Heinrich  FüssU  zu  einer  Buchhand- 
lungsgesellschaft unter  der  Firma  Orell,  Gessner,  Füssli  & 
Companie  vereinigt.  In  ihrer  Offizin,  die  sich  nach  dem  Aus- 
scheiden Gessners  auf  die  Namen  Orell,  Füssli  &  Co.  beschränkte, 
erschien  am  12.  Januar  1780  die  erste  Nummer  der  ,, Zürcher 
Zeitung",  nach  ihrem  Erscheinungsort  im  Volksmund  auch  etwa 
,, Elsasser-Zeitung"  genannt.  Jalirzehntelang  kam  das  Blatt  nur 
zweimal  wöchenthch  heraus,  Mittwochs  imd  Samstags,  und  es  haben 
in  den  bewegten  neunziger  Jaliren  die  Stäfner  jeden  ^littwoch  und 
Samstag  ein  eigenes  Schiff  nach  Zürich  gesandt,  um  im  ,, El- 
sasser" die  Zeitmig  zu  holen.  \'om  i.  Juli  1821  an  hiess  das  Blatt 
,,Neue  Zürcher  Zeitung"  und  wurde  in  den  folgenden  Jalir- 
zehnten  bald  dreimal,  bald  zweimal  wöchentlich  ausgegeben;  seit 
dem  I.  Januar  1843  erscheint  es  täglich.  Der  ,, Elsasser"  aber  hat 
inzwischen  mehrmals  den  Besitzer  gewechselt — ■ 

\'om  Helm  haus  ging  die  ,,alte  Wühre"  zwischen  einer  dop- 
pelten Reihe  von  Buden  (Läden),  die  eine  hart  am  Wasser,  die 
andere  vor  der  jetzigen  Münsterterrasse,  zum  Wettingerhaus  und 
dem  Zunfthaus  Zimmerleuten.  Die  Limmat  bespülte  die  Grund- 
mauern des  ,,  Rüden",  Fussgänger-  und  Wagen  verkehr  ging  hinten 
durch,  unter  den  Bögen,  über  den  Rüdenplatz  mid  durch  die 
,,Tihnen",  mit  wagrechten  Dielen  bedeckte  Durchgänge  unter  den 
Häusern  zur  Kerze,  Käshütte,  Büchsenstein,  Haue  und  Safran. 
Der  Brunnen  auf  dem  Fischmarkt  (Simson  mit  dem  Löwen) 
stand  damals  am  Wasser,  gleich  oberhalb  dem  Rathaus,  und  wurde 


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o  DRITTES  KAPITEL:   STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  23 

erst  bei  der  Quaibaute  verlegt.  Planchen  traurigen  Aufzug  hat 
der  Fisclimarkt  gesehen.  Dehnquenten,  die  zum  Tod,  zu  Pranger 
oder  Prügelstrafe  verurteilt  worden  waren,  wurden  vor  der  Exe- 
kution unter  Glockengeläute  zum  Rathaus  geführt.  Auf  den  Stufen 
der  Rathaustreppe  knieend,  die  ziemlich  weit  in  die  Strasse 
hinein  reichte,  hatten  sie  das  Urteil  anzuhören,  welches  aus  einem 
Fenster  des  Rathauses  laut  verlesen  wurde.  Hier  gleich  in  der 
Nähe  muss  auch  der  Pranger  gestanden  haben,  denn  als  im  Juni 
1831  der  Grosse  Rat  Pranger  und  Peinhchkeit  abschaffte,  haben 
noch  in  der  gleichen  Nacht  Sträflinge  in  aller  vStille  den  Pranger 
beim  Rathaus  weggeschafft  (vgl.  Vogel,  Memorabilia  Tigurina 
1841,  p.  234).  Das  dem  Rathaus  gegenüber  liegende  Gebäude  an 
der  lyimmat  hiess  früher  das  Richthaus,  weil  dort  zu  Zeiten 
Gericht  gehalten  worden  war.  Aber  schon  zu  Anfang  des  ig.  Jahr- 
hunderts diente  dasselbe  als  Haupt  wache,  und  bei  ungünstiger 
Witterung  spazierte  die  Schildwache  hinter  den  hölzernen  Säulen 
des  Vordaches  hin  und  her.  An  das  Richthaus  war  die  Metzg 
angebaut,  und  unmittelbar  neben  der  Hauptwache  befand  sich 
das  ,,Speckkämmerh",  wo  gelegenthch  Betrunkene  eingesperrt 
wurden.  Die  frühem  Gerichtsräume  über  der  Hauptwache  hatte 
ein  gewisser  Cordes  gepachtet,  der  im  untern  Lokal  ein  Cafe  hielt. 
Metzg  und  Hauptwache  wurden  1823  bis  1826  neu  gebaut,  das 
neue  Schlachthaus  am  19.  Mai  1825  von  den  Metzgern  durch  einen 
Umzug  eingeweiht;  vor  der  Hauptwaehe  zog  am  2.  Oktober  1825 
eine  Kompagnie  Soldaten  mit  Fahnen  und  Fanfaren  auf.  (Nach 
Abschaffung  des  Garnisonsdienstes  wurde  die  Hauptwache  am 
IG.  Oktober  1832  von  den  Landjägern  bezogen.)  Zwischen  der 
Metzg  und  der  ,, Metzgerlaube"  (Fleischverkaufshalle,  an  der 
Stelle  des  jetzigen  Museumsgebäudes)  ging  nur  ein  schmaler  Weg 
hindurch.  Auch  nach  dem  Neubau  des  Schlachthauses  war  diese 
Passage  nicht  überflüssig  breit.  ,,Wer  am  Vormittag  dort  hin- 
durchging, musste  vSorge  tragen,  von  den  blutigen  Fleischstücken, 
die  aus  dem  einen  Gebäude  über  die  Strasse  ins  andere  getragen 
wurden,  oder  von  den  Hunden,  die  im  Schlachthause  Blut  leckten, 
kein  Andenken  zu  bekommen.  Von  da  reichte  die  fahrbare  vStrecke 
noch  bis  zur  Rosengasse;  dort  bildete  das  Haus  zur  Gerwe  den 
Abschluss,  und  nur  ein  Fussweg  führte  längs  der  Limmat  weiter. 
Die  Wagen   mussten   noch   bis  zur  Erbauung  des   Uimmatquais 


24  DRITTES  KAPITEL:    STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  o 

(1855  bis  1S59)  durch  Rosengasse  und  Niederdorf  den  weitem  Weg 
suchen."  (Dr.  F.  Meyer.)  —  Die  Rathausbrücke  (Gemüse- 
brücke) war  ursprünglich  eine  hölzerne  Brücke,  auf  fünf  Reihen 
von  Pfählen  ruhend,  und  lange  Zeit  der  einzige  Limmatübergang 
in  Zürich.  Auch  hier  sah  man  bis  1821  ein  Brunnenhäuschen  mit 
Wasserrad  und  etliche  Jahrzehnte  länger  noch  ein  sogenanntes 
,  .Budengebäude" . 

Auf  dem  ,, Obern  Mühlesteg"  befanden  sich  1814  fünf 
Mühlen  und  eine  ,, Schleife"  (letztere  wurde  1840  in  ein  Pumpwerk 
umgebaut).  Der  Obere  Mühlesteg  hatte  noch  keine  Verbindung 
mit  dem  linken  Ufer.  Erst  nach  einem  furchtbaren  Brand  auf  dem 
Obern  Mühlesteg  im  Jahre  1842  wurde  ein  hölzerner  V^erbindungs- 
steg  und  ein  Fussweg  bis  zum  Waisenhausgarten  erstellt.  Der 
Fussweg  ist  1875/76  in  eine  Fahrstrasse  bis  zum  Wollenhof,  der 
Obere  Mühlesteg  1880  in  eine  fahrbare  Brücke  verwandelt  worden. 
Auf  dem  ,,Werd",  das  heisst  der  Insel  am  ,, Untern  Mühlesteg", 
befand  sich  schon  seit  Jahrhunderten  eine  Papiermühle,  welche 
1842  in  den  Besitz  der  I\Iechanischen  Papierfabrik  an  der  Sihl 
überging.  Das  ,, gedeckte  Brücklein"  stammt  etwa  aus  dem 
Jahre  i68g. 

Wo  die  heutige  Bahnhofbrücke  am  linken  Ufer  aufliegt, 
mündete  der  Schanzengraben  in  die  Limmat.  Gleich  unterhalb 
dieser  Stelle  traversierte  in  schräger  Richtung  nach  der  ,,Xeu- 
mühle"  der  ,, Lange  Steg"  den  Fluss  (zwischen  der  Walchebrücke 
und  Bahnliof brücke).  Die  Bahnhofbrücke,  1864  vollendet,  hat 
nicht  dieselbe  Richtung  wie  der  ,, Lange  Steg";  sie  wurde  von  der 
zur  ,, Neumühle"  gehörenden  Limmatburg  her  (heute  Hotel 
Zentral)  über  den  Papierwerd  zur  vSchanzengrabenniündung  ge- 
legt und  alsdann  der  ,, Lange  Steg"  abgebrochen.  Auf  dem  rechten 
Ufer  führte  der  ,, Lange  Steg"  mitten  in  die  Etablissemente  der 
Neumühle  hinein.  Die  hier  gelegene,  von  der  Bastion  zwischen 
Limmat  und  Niederdorfporte  umschlossene  alte  Neumühle 
war  ehedem  ein  obrigkeitliches  Lehen  und  wurde  1805  an  einige 
Kaufleute  verkauft,  die  unter  der  Firma  Escher  Wyss  &  Cie. 
hier  zuerst  eine  weitläufige  Maschinen-Garnspinnerei  errichteten; 
diese  wurde  bald  auf  Metallbearbeitung  ausgedehnt  und  hat  später 
sogar  Dampfschiffe  und  Lokomotiven  erstellt.  Der  eigentUche 
Gründer  der  Finna  war  Hans  Kaspar  Escher-v.  Muralt  in: 


o  DRITTES  KAPITEL:  STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  25 

„Felsenhof"  (f  22.  August  1859),  ^^  dessen  Namen  heute  noch 
das  „Kaspar  Escher-Haus"  erinnert.  Die  Häuser  und  Werkstätten 
der  Neumühle  erstreckten  sich  bis  herwärts  der  heutigen  Bahiüaof- 
brücke  in  die  Stadt  hinein.  Das  letzte  Haus  auf  dieser  Seite,  die 
alte  Landmühle,  dann  ,,Spitalermühle"  genannt,  ging  1834 
an  Escher  Wyss  &  Cie.  über.  In  diesem  Haus  allein  glühten  und 
sprühten  elf  Essen,  und  es  kostete  Mühe  und  ziemlich  viel  Geld, 
als  die  den  Zugang  zur  Bahnhofbrücke  sperrende  Spitalermühle 
von  der  Stadt  erworben  werden  musste  (in  der  Bürgergemeinde 
vom  14.  April  1862  wurde  starke  Opposition  gemacht). 

Dicht  an  die  Spitalermühle  stiess  das  Niederdorf-Tor,  ein 
schmaler  Durchgang  für  Fussgänger  und  daneben  ein  breiterer 
unter  dem  Turm  hindurch  für  Fuhrwerke.  Die  Schlaguhr  auf 
dem  Tunn  wandte  ihr  Zifferblatt  dem  Niederdorf  zu,  das  schon 
1256  in  den  Akten  als  ,,villa  inferior"  figuriert.  Als  1824  der 
Niederdorfturm  abgetragen  wurde,  kam  die  Schlaguhr  auf  die 
Sihlporte,  und  als  1834  auch  diese  fiel,  aufs  Rennwegtor.  Das 
Niederdorttor  war  der  Ausgangspunkt  der  Strassen  nach  Eglisau, 
Schaffhausen,  dem  Neuamt  und  der  Herrschaft  Regensberg.  Der 
Zoll  wurde  bei  der  im  äussern  Bollwerk  (bei  der  Neumühle)  er- 
richteten Niederdorfporte  eingezogen.  Ziemlich  schmal  war  die 
Passage  vom  Niederdorftor  zur  Niederdorfporte,  zwischen  den 
Häusern  der  ,, Neumühle"  hindurch.  Erst  mit  Vertrag  vom  April 
1869  wurden  Escher  Wj^ss  &  Cie.  veranlasst,  durch  Abtragung 
einiger  Häuser  auf  der  Ostseite  die  Strasse  auf  13%  Meter  Breite 
zu  enveitern. 

Längs  dem  Seilergraben,  dem  schon  seit  1780  die  Hirschen- 
graben-Promenade  zur  Seite  ging,  zog  sich  im  Jahre  1814 
vom  Niederdorftor  zum  Kronen-  oder  Neumarkttor  noch  ein 
wohlerhaltenes  Stück  der  alten  städtischen  Ringmauer  hin,  und 
auch  ein  stattlicher  Turm  (auf  Breitingers  Plan  nur  mit  X  be- 
zeichnet) ragte  noch  aus  der  Ringmauer  auf:  der  Ketzerturm; 
er  fiel  erst  im  Jahre  1878  und  ist  in  Gottfried  Kellers  Zürcher 
Novelle  ,, Ursula"  verewigt.  Noch  heute  ist  —  oben  an  der  Gräbli- 
gasse rechts  —  ein  Überrest  der  Ringmauer  zu  sehen;  nur  ein 
paar  Schritte  weiter  in  der  Fortsetzung  dieser  ]\Iauer  gegen  die 
Heringsgasse  zu  stand  der  Ketzerturm  mit  Uhr.  Innerhalb  der 
Ringmauer,  ungefähr  von  der  Häringsgasse  bis  zum  Predigerplatz, 


26  DRITTES  KAPITEL:  STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  o 

lag  der  Prediger-Friedhof.  Die  weitläufigen  Gebäulichkeiteii 
des  ehemaligen  Dominikanerklosters  bei  der  Predigerkirche  dienten 
schon  seit  der  Reformation  dem  vSpital  und  seineu  Dependenzen. 
Von  1S14  bis  1816  wurde  das  Irrenhaus  gebaut  (das  allein- 
stehende Gebäude  auf  dem  Platz  am  Nordende  des  Friedhofs). 
Von  den  andern  Gebäuden  hiess  das  eine  „Neuhaus",  das  andere 
„Krankenliaus" ;  die  Gebäulichkeiten  erstreckten  sich  bis  zum 
Niederdorf.  Zwischen  Älushafenplatz  und  Xiederdorf,  in  der  alten 
Spitalkapelle,  befand  sich  seit  1810  die  Kantonsapotheke,  auf  der 
andern  Seite  des  Mushafenplatzes  die  Anatomie  (,,Theatrum 
Anatomicum"  heisst  sie  noch  bei  Werdmüller,  ]\Iem.  Tig.) ;  es  muss 
da  gelegentlich  etwas  sorglos  mit  den  armen  \'erschnetzelten  \'er- 
brechern  und  Spitalinsassen  umgegangen  worden  sein,  denn  im 
September  1835  trieb  ein  Menschenkopf,  welcher  bei  der  Anatomie 
in  den  Wolfbach  gefallen  und  von  ihm  beim  Obern  Mühlesteg  in 
die  Ivimmat  geschwemmt  worden  war,  zum  Grausen  der  An- 
wohner flussabwärts.  Im  Häuserviereck  beim  Prediger  war  nach 
dem  Neubau  des  Kantonsspitals  in  Fluntern  die  Versorgungs- 
Anstalt  untergebracht,  welche  1867  nach  Rheinau  verlegt  wurde. 
1873  ging  das  ganze  Spitalareal  in  den  Besitz  der  Stadt  über, 
welclie  die  ehemalige  \"ersorgungsanstalt  einstweilen  für  alle 
möghchen  Zwecke  \-enTiietete.  Am  Samstag  abend,  den  25.  Juni 
1887,  ist  diese  ganze  ^Mietskaserne  radikal  abgebrannt.  Kirche 
imd  Kantonsbibliothek  (seit  1872  im  Chor  der  Predigerkirche) 
standen  in  höchster  Gefahr;  ^lanuskripte  und  Bücher  wurden 
von  Bibliothekaren  und  .Studenten  mit  Bravour  ,,geflöchnet". 

Das  Kronentor  —  am  Ausgang  des  Neumarkts  nach  dem 
Hirschengraben  —  stand  bis  1827.  An  Stelle  des  angrenzenden 
Hauses  wurde  1833  von  Martin  Escher-Hess  vom  Wolleiüiof, 
dem  Zürich  seine  erste  Eisenbahn  \-erdankt,  der  prächtige  Neubau 
zum  ,, Kronentor"  aufgeführt.  Das  gegenüber  liegende  Haus 
,,zur  Krone",  von  Zunftmeister  Hans  Kaspar  Werdmüller  1766 
bis  1776  erbaut,  das  vornehmste  Privathaus  des  altern  Zürich, 
beherbergte  nacheinander  die  Generale  Schauenburg,  Massena, 
Hotze,  Korsakow  und  ^lacdonald,  dann  Jahrzehnte  hindurch  den 
L,andammann  Reinhard;  von  1807  bis  1830  war  es  der  ^Mittelpunkt 
des  diplomatischen  Lebens  in  Zürich.  183g  ging  es  in  den  Besitz 
der  Familie  v.  Schulthess  Rechberg  über  und  hiess  seitdem  ,,Rech- 


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o  DRITTES  KAPITEL:  STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  27 

berg".  Oben  am  „Halseisen"  (Künstlergasse,  zwischen  Poly- 
technikum und  neuer  Hochschule),  „auf  der  erhabendsten  und 
lustigsten  Anhöhe  an  der  Strasse  nach  Winterthur",  stand  die 
Kronenporte,  ein  stattlicher,  in  Quadern  aufgefülirter  Bau. 

Das  Obmannamt,  früher  die  Amtswohnung  des  , .Obmanns 
gemeiner  Klöster",  ist  ein  Bestandteil  des  alten  Barfüsser- 
klosters.  Der  Teil  des  ausgedehnten  Gebäudekomplexes,  in  dem 
sich  die  Weintrotten  des  Klosters  befanden,  wurde  1806  von  der 
,,Assemblee-Gesellschaft"  erworben,  welche  unter  der  Leitung  von 
Kaspar  Escher  zum  Felsenhof  und  andern  an  dieser  vStelle  das 
Kasino  erbauen  Hess,  die  Tonhalle  des  alten  Zürich.  1874  kaufte 
die  Regierung  das  Kasino  zurück  und  baute  es  zum  Obergerichts- 
gebäude um.  Vorher  (seit  1838)  war  das  Ober-,  Kriminal-  und 
Schwurgericht  in  dem  Flügel  des  Obmannamts  hinter  dem  Kasino 
untergebracht,  den  1876  das  Staatsarchiv  bezog.  Das  ,, Konvent- 
haus", der  Hauptflügel  gegen  den  Hirschengraben,  der  ganz  zum 
Zwecke  der  kantonalen  Verwaltung  eingerichtet  wurde,  erhielt 
1839  und  1840  ein  drittes  Stockwerk,  der  Mittelbau  1880  noch 
einen  weitem  Aufbau.  Die  Barfüsserkirche  (im  Flügel  gegen  die 
Untere  Zäune)  ist  1833  zum  Theater  umgebaut  und  am  10.  No- 
vember 1834  mit  der  ,, Zauberflöte"  eröffnet  worden,  am  i.  Januar 
1890  aber  —  kurz  nach  Beginn  des  vierten  Aktes  des  Birch- 
Pfeifferschen  ,,Der  Leiermann  und  sein  Kind"  —  abgebrannt. 

Längs  dem  Wolfbach  (das  dortige  Schulhaus  wurde  1866  ein- 
geweiht) führte  ein  Ausgang  aus  der  Stadt  durch  das  Hottinger- 
pörtli.  Vom  Rämi-Bollwerk  umschlossen,  erhob  sich  das 
hübsche  Haus  des  Sängervaters  Nägeli,  das  später  der  Kantons- 
schule weichen  musste,  und  wenn  man  den  Stadtplan  Breitingers 
ansieht,  begreift  man  allerdings  einigermassen  die  Klage  der 
,, Freitagszeitung"  von  1838,  dass  die  Kantonsschule  in  den 
,,äussersten  Winkel  der  vStadt"  gestellt  werden  solle.  Seit  dem 
grossen  ,,Sterbent"  im  Pestjahr  1611  bestand  im  Krautgarten 
ein  Friedhof  der  Grossmünstergemeinde  (bis  1848!).  Ein  weiteres 
Stück  der  Stadtmauer  umzog  1814  noch  die  Winkel  wiese;  sie 
reichte  früher  längs  der  Torgasse  bis  zum  vSee  hinab,  und  die 
heutigen  Anlagen  bei  der  Freien  Schule  an  der  Waldmannstrasse 
waren  seit  1775  Viehmarkt,  vorher  Rossmarkt;  der  Aufgang  zur 
Hohen  Promenade  hiess  ,, Kühgasse". 


28  DRITTES  KAPITEL:   STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  o 

Wir  sind  damit  wieder  an  den  See  gelaugt.  Was  wir  bisher 
durchwanderten,  war  die  „grosse  Stadt"  (früher  „mehrere 
vStadt")  im  Gegensatz  zur  „kleinen  Stadt"  („mindere  Stadt") 
links  der  Limmat. 

Die  „kleine  Stadt"  betreten  wir  beim  Bauschänzchen;  es 
gehört  seit  1841  der  Stadt,  die  es  im  folgenden  Jahre  durch  einen 
gewölbten  vSteg,  die  ,, Seufzerbrücke",  mit  dem  Festland  verband. 
Die  flache  Brücke  datiert  von  1856.  Dicht  bei  der  ..»Seufzer- 
brücke"  stand  noch  bis  1841  das  Steinrad  in  rundem  Gehäuse, 
auf  dessen  Dach  der  Kran  oder  ,,Kraiüch"  funktionierte.  Süd- 
lich vom  sogenannten  ,, Bauplatz"  ist  jetzt  alles  aufgefüllt  bis  auf 
die  Höhe  des  kleinen  Inselchens,  auf  dem  ein  ,, Schiffshaus"  stand. 
Auf  der  nur  über  einen  schmalen  Damm  zugänglichen  Halbinsel 
zwischen  den  Einmündungen  von  Fröschengraben  und  Schanzen- 
graben stand  1814  noch  der  Schiffsschopf,  der  Kriegshafen  des 
alten  Zürich!  Von  hier  fuhr  —  z.  B.  noch  im  Bockenkrieg  1804  — 
die  zürcherische  Armada  aus,  das  ,,MeeqDferd"  und  der  , .Neptun", 
jedes  mit  sechs  Kanonen  bewehrt  und  jedes  mit  eigenem  Schiffs- 
hauptmann, Sclüffsprediger  und  Scliiffsschreiber.  Noch  im  Jahre 
1791  war  ein  neues  ,, Kriegs-  und  I^ustschiff",  die  ,, Stadt  Zürich", 
erbaut  worden.  Die  Ringmauer  der  ,, kleinen  Stadt"  zeigte 
schon  1814 — 1817  allerlei  Lücken  und  Einbrüche,  wodurch,  wie 
Erni  (Mem.  Tig.)  sagt,  ,, Gassen  und  Gebäude  mehr  Heiterkeit 
erhalten".  Der  Fröschengraben  vor  der  Ringmauer  —  vom 
See  bis  zum  Rennwegtor  und  von  dort  nach  der  Werdmiüile  und 
bis  in  die  Limmat  —  erhielt  erst  am  13.  Mai  1817  eine  richtige 
Zufahrt  vom  See  her,  so  dass  die  Weidlinge  vom  See  bis  zum 
Rennwegtor  fahren  konnten.  An  verschiedenen  Stellen  wurden 
steinerne  Treppen  an  den  Ufern  des  Kanals  angebradit.  Eigent- 
lich aber  waren  es  zwei  Fröschengräben,  der  grosse  und  der  kleine 
nebeneinander,  dazwischen  ein  mit  W^eiden,  Nussbäumen  und 
Linden  bepflanzter  Wall.  Die  schönste  dieser  Linden  stand  beim 
Tiefeiiliof  am  Paradeplatz.  Der  Schanzengraben,  dessen  Be- 
stimmung sein  Name  andeutet,  war  für  die  ausserhalb  liegenden, 
früher  schon  teilweise  zur  Stadt  gehörenden  Gebiete  ein  schweres 
Verkehrshindernis.  Zwischen  vSihlporte  und  See  bildete  das  W  o  1 1  i  s- 
hoferpörtchen  mit  hölzernem  Steg  den  einzigen  und  nur  für 
Fussgänger  passierbaren  Durchlass;  die  Strasse  von  Luzern,  Zug 


o  DRITTES  KAPITEL:    STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  29 

und  Schwyz  musste  im  Bleicherweg  nach  dem  Selnau  abbiegen 
und  in  grossem  Bogen  die  Sihlporte  erreichen.  Das  Selnau  wurde 
durch  die  Befestigung  gänzlich  von  der  Stadt  getrennt  und  erhielt 
erst  nach  zwei  Jahrhunderten  v^ieder  eine  direkte  Verbindung  mit 
ihr  durch  die  1854  erbaute  Schanzengrabenbrücke.  „Im  Spitz" 
hiess  die  Gegend  beim  obersten  Teil  des  Fröschengrabenwalles ; 
die  ,, Spitzschöpfe"  standen  ungefähr  an  der  Stelle  der  heutigen 
Börse. 

Beim  Eingang  aufs  Bauschänzli  stand  das  Stadthaus  (ehe- 
mals „Bauhaus"),  das  bald  nach  der  Vermögensaussonderung  zwi- 
schen vStaat  und  Stadt  vom  Jahre  1803  Sitz  der  Stadtver- 
waltung und  des  vStadtpräsidenten  ward.  (Mit  seinem  Abbruch 
wurde  im  Oktober  1886  begonnen.)  Der  „Bauplatz"  hinter  dem 
Stadthaus  war  den  Zimmerleuten  und  Steinmetzen  angewiesen.  Auf 
dem  grossen  freien  Platz  „im  Kratz"  vor  dem  Stadthaus  wurde 
Jahrzehnte  hindurch  Markt  gehalten.  Der  Baugarten  mit  seiner 
einzigartig  schönen  Aussicht  war  als  Gartenwirtschaft  —  auch  der 
\'ater  von  Ernst  Zahn  aus  Göschenen  hat  einmal  da  gewirtet  — 
auf  dem  alten  Bollwerk  beim  Kratzturm  (x)  errichtet;  er  fiel 
1879  samt  dem  Kratzturm  dem  Fanatismus  der  geraden  Linie 
zum  Opfer,  als  man  die  Bahnhofstrasse  bis  zum  See  fortsetzte. 
Umsonst  hatten  Rud.  Alex.  Pestalozzi-Wiser  und  andere  Freunde 
des  Heimatschutzes  alle  Anstrengungen  gemacht,  um  zu  erlangen, 
dass  durch  eine  kleine  Abdrehung  der  Achse  der  Strasse  nach 
Westen  wenigstens  der  Baugarten  erhalten  bleibe.  Der  Kappeler- 
hof —  nicht  der  1886  entstandene  pompöse  Häuserblock  dieses 
Namens,  sondern  sein  anspruchsloserer  Vorgänger  an  der  Ring- 
mauer beim  Fröschengraben  —  war  1814  österreichisches  Mihtär- 
lazarett,  seit  1833  Bezirksverwaltungs-  und  Stadtgerichtsgebäude 
(bis  1859),  sowie  Parlamentspalast  für  den  Grossen  Stadtrat  und 
enthielt  eine  Zeitlang  auch  Schullokale;  er  verschwand  1878  mit 
dem  übrigen  Kratzquartier.  Das  zweite  Haus  limmatwärts,  am 
Eingang  in  den  ,, Kratz",  gegenüber  dem  ,,Seminarium"  (Plan  D), 
war  die  Helferei,  seit  1835  Pfarrhaus  der  Fraumünstergemeinde. 

Das  eben  genannte  ,,Seminarium"  diente  dem  Alumnat 
(,, Zuchthof"),  d.  h.  dem  Konvikt  der  Zöglinge  oder  ,, Alumnen", 
die  auf  obrigkeitliche  Kosten  zu  Geistlichen  ausgebildet  wurden 
(1832  aufgehoben  und  in  ein  Stipendiat  ver^A'andelt).    Das  leitet 


30  DRITTES  KAPITEL:    STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  o 

uns  hinüber  zur  Fraumünsterabtei,  deren  Gebäulichkeiten 
zum  grossen  Teil  ebenfalls  für  Schulzwecke  eingerichtet  waren, 
und  zwar  umschlossen  die  Schulräume  den  innern  Kirchhof; 
im  östlichen  Flügel  dieses  Vierecks  war  bis  1876  das  »Staats- 
archiv untergebracht.  Die  Abteigebäude  zunächst  der  Limmat 
sind  auf  dem  Plan  mit  b  b  „Fraumünsteramt"  bezeichnet;  der 
eine  Teil  davon,  nächst  dem  Alumnat,  war  der  frühere  Hof  der 
Äbtissin  und  des  Fraumünsteramtmanns  (später  Verwaltungs- 
gebäude) ;  der  andere  Teil,  an  die  Kirche  angebaut,  hiess  ehedem 
,, Haberhaus"  und  enthielt  im  obern  vStock  den  Musiksaal. 
Gegenüber  stand  an  der  Limmat  das  Kornhaus  (von  1835  an 
Kaufhaus).  ,,Am  Freitag  war  Alarkt,  da  kamen  die  Schwaben- 
fuhrleute von  Winterthur  her  durchs  Halseisen,  die  ^Marktgasse 
hinunter  über  die  untere  Brücke  und  durch  die  Storchengasse  an- 
gefahren. Der  Platz  zwischen  Koriüiaus  und  Fraumünsteramt 
war  mit  Pferden,  Wagen,  Säcken  und  offenen  ,, Standen",  in  denen 
das  Getreide  zur  Besichtigung  der  Käufer  unter  freiem  Himmel 
ausgestellt  war,  so  ausgefüllt,  dass  wir  uns  kaum  zur  .Schule  durch- 
drängen konnten  .  .  .  Der  Zugang  zum  .Schulhaus  war  auch  hier 
etwas  kompUziert.  Er  führte  durch  den  schmalen  Hausgang  des 
Fraumünsteramtes  über  einen  kleinen  Platz,  an  den  der  Kirchhof 
Fraumünster  stiess,  durch  das  Gebäude  des  Staatsarchivs  und 
einen  Teil  des  ehemaligen  Kreuzgangs  eine  enge  winklige  Treppe 
hinauf  in  die  1834  neu  erstellten  .Schulräume.  In  den  Pausen 
stürmte  alles  in  den  Kreuzgang  und  ins  anstossende  Höfli  hinunter, 
wo  man  in  wildem  Geschrei  sich  herumtrieb."  (Dr.  F.  Meyer.)  — 
Der  übrige  Teil  des  Gebietes  der  einstigen  Abtei  ward  1814  noch 
hauptsächlich  vom  Werkhof,  der  Arbeitsstätte  staatlicher  Bau- 
arbeiter, eingenommen.  Gegen  den  Fröschengraben  begrenzte  ihn 
die  25  Fuss  hohe  Ringmauer,  die  samt  dem  53  Fuss  hohen 
Werkhofturm  1829  abgetragen  wurde.  Durch  den  Werkliof 
legte  man  1838  die  Poststrasse.  —  Ums  Fraumünster  drängten 
sich  allerhand  Krambuden,  teils  dicht  am  Chor  anklebend,  teils 
in  den  Münsterhof  vorstehend;  die  letztem  wurden  erst  1836 
entfernt,  die  andern  nodi  viel  später. 

,,In  Gassen"  befanden  sich  1814  nicht  weniger  als  drei 
Zeughäuser;  ganz  vorne,  zwischen,,  Waaggasse"  imd  ,, In  Gassen", 
das  grosse  (gelbe)  Zeughaus,  auch  ,, Büchsenhaus"  oder  ,, altes 


o  DRITTES  KAPITEL:    STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  31 

Zeughaus"  genannt  (jetzt  Eisenmagazin  Bär  im  hintern  Teil) ; 
dann  das  „Venezianische  Zeughaus",  jetzt  Privathaus  ,,zum 
alten  Zeughaus"  am  Zeugwartgässchen,  mid  endlich  der  „Leuen- 
hof" (jetzt  französische  Warenhalle),  in  dessen  Hof  eine  Ecke 
der  Peterskirche  hineinragt.  —  Am  alten  Kommarkt,  jetzt  \\'ein- 
platz,  bewachte  den  Eingang  in  die  Storchengasse  der  Rote 
Turm,  der  in  den  dreissiger  und  \-ierziger  Jahren  als  radikales 
,,Cafe  litteraire"  zu  einer  gewissen  Berühmtheit  gelangte  (jetzt 
Pelzwarenhandlung  Heintze).  Das  Hotel  ,,vSchwert"  auf  der 
,,niedem  Brücke"  stand  um  1814  in  seiner  Blütezeit.  Hier  hat 
gelegentlich  auch  Joh.  Heinrich  Bürkli  von  der  ,, Freitagszeitung" 
mit  fremden  Kriegsobersten  getafelt.  Er  war  kein  unbedeutender 
Mann;  Lavater  zählte  zu  seinen  Freunden  und  Goethe  hat  ihn 
gekannt  und  besucht.  Die  Bürklische  Druckerei  befand  sich  in 
der  Schipfe.  Dort  holten  jeden  Freitag  die  Boten  vom  Land 
und  die  Leser  in  der  Stadt  ihre  ,,Bürkli-Zeitung"  ab.  Die  ,, Zürche- 
rische Freitagszeitung"  ist  die  älteste  der  noch  bestehenden  Zei- 
tungen Zürichs  und  der  Schweiz  und  eine  der  ältesten  deutschen 
Zeitungen  überhaupt.  Ihr  erstes  Erscheinen  fällt  ins  Jahr  1674. 
Der  Gründer  der  Bürklischen  Offizin,  Joh.  Kaspar  Bürkli,  kaufte 
1724  mit  der  Hardmej-erschen  Druckerei  auch  das  Verlagsrecht 
der  ,, Freitagszeitung",  das  dann  bis  1890  im  Besitz  der  Familie 
Bürkli  blieb.  David  Bürkli,  welcher  der  Firma  seinen  Namen 
gab,  führte  das  Geschäft  von  1756  bis  1791,  sein  Sohn  Joh.  Hein- 
rich David  BürkH  bis  1821.  —  Die  Augustinerkirche  war  seit 
Aufhebung  des  Klosters  nur  Holz-  und  Fruchtmagazin.  Erst  1843 
bis  1844  wurde  sie  samt  der  anstossenden  Münze  umgebaut 
und  den  Katholiken  wieder  überlassen.  Im  südlichen  Flügel  des 
Klosters  war  das  Almosenamt  installiert,  im  westlichen  Flügel 
(dem  sogenannten  Hinteramt  oder  Rütiamt)  befanden  sich  seit 
1805  verschiedene  Regierungskanzleien.  Im  Jahre  1834  wurden 
beide  Flügel  der  neugegründeten  Hochschule  eingeräumt.  Über 
den  ,, Fröschengraben"  führte  seit  1813  beim  alten  Augustinertörli 
die  steinerne  Augustinerbrücke.  —  Den  Rennweg  schloss  noch 
bis  1866  ein  Tor  mit  imposanter  Bastei  ab  (ein  nach  aussen 
halbrundes,  daher  auch  Rondell  genanntes,  nach  innen  vier- 
eckiges Festungswerk).  Die  Barmherzigkeit  des  Mittelalters  hatte 
neben  dem  Tore  ein  Kruzifix  angebracht  zur  Tröstung  für  die 


32  DRITTES  KAPITEL:   STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  o 

armen  Schacher,  die  man  aus  der  Stadt  zur  Richtstätte  führte. 
Das  letzte  Haus  Unks  am  Rennweg,  gleich  innerhalb  dem  Renmveg- 
tor,  hiess  ,,Der  Feuermörser",  in  welchem  seinerzeit  Bürgermeister 
Melchior  Hirzel  wohnte.  Der  Lindenhof,  dieser  ,, majestätische 
Hügel"  (Erni,  Mem.  Tig.)  gehört  der  ältesten  Geschichte  Zürichs 
an.  Das  Kloster  Ötenbach,  welches  seinen  Namen  von  seinem 
früheren  Domizil  am  Ötenbach  (Hornbach)  am  Zürichhom  mit 
in  die  Stadt  genommen  hatte,  erhielt  schon  lange  vor  1814  seine 
Bestimmung  als  Zuchthaus  (R)  und  war  anfangs  auch  zugleich 
Waisenhaus,  bis  dann  die  Waisenkinder  1771  ihren  schönen 
Neubau  (Plan  g)  bekamen.  Im  südöstlichen  Flügel  des  alten 
Klosters  (Plan  Oet.)  befand  sich  die  Waisenhauskirche,  in 
welcher  bis  1868  Gottesdienst  gehalten  wurde;  den  Ostflügel  (Q) 
bewohnte  das  Kornamt.  Unten  an  der  Limmat  lag  der  Wollen- 
hof, von  1702  bis  1867  Sitz  der  Firma  Salomon  Escher,  welcher 
auch  Martin  Escher-Hess  angehörte.  Und  ganz  unten  im  ,, Spitz" 
beim  gedeckten  Brückh  trutzte  der  Zeit  eine  Bastei,  die  spätere 
Gärtnerwohnung  und  Wäscherei  des  Waisenhauses.  Dicht  dabei 
stand  das  ,, grüne  Hüsli";  es  wurde  darin  einmal  ein  ,,CafeNord- 
balm"  geführt;  1867  kam  das  ,, grüne  Hüsli"  an  die  Stadt,  wurde 
Sitz  der  ,, Freiwilligen-  und  Einwohnerarmenpflege"  mid  ist  1900 
verschwunden. 

In  dieser  Gegend  mündeten  nebeneinander  in  die  Limmat: 
der  Fröschengraben  und  der  Sihlkanal,  die  , .zahme  Sihl" 
genannt  im  Gegensatz  zur  ,, wilden  Sihl",  dem  Sihl-Fluss.  Das 
Dreieck  zwischen  Limmat  und  Ringmauer,  auf  dem  das  Waisen- 
haus steht,  hiess  der  vSihlbühl  und  sein  nördlicher  Abhang, 
zwischen  der  Ringmauer  am  Ötenbach  und  dem  Fröschengraben, 
der  Beatenrain.  Der  Sihlkanal,  welcher  bei  der  Schortanne 
oberhalb  dem  Sihlhölzli  aus  der  ,, wilden  Sihl"  abgeleitet  worden 
war  und  beim  Bau  des  vSchanzengrabens  zunächst  der  Sihlporte 
über  diesen  hinweg  geführt  werden  musste,  diente  schon  seit  dem 
13.  Jahrhundert  zum  Betrieb  von  sechs  Mühlen  und  zur  Flösserei. 
Noch  bis  1868  wurde  den  Bürgern  ihr  Bürgemutzungsholz  aus  dem 
Sihlwald  auf  der  zahmen  vSihl  in  die  Stadt  hinein  geschwemmt. 
Von  den  sechs  Mülilen  seien  die  folgenden  genannt:  i.  die  Stein- 
mühle (unterhalb  der  Sihlporte,  rechts  vom  Löwenbollwerk, 
auf  einer  kleinen  Kanalinsel);  2.  der  Sihlhof,  1866  für  den  Bau 


^ans  Conrad  Cscßer 

der  erste  Sladipräsident 


DRITTES  KAPITEL:   STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  33 

der  Bahnhofstrasse  abgetragen.  Man  findet  den  Sihlhof  im  „Sihl- 
wiesH",  jener  dreieckigen  Insel  zwischen  den  beiden  Armen  des 
untern  Sihlkanals;  das  länghche  Gebäude  bei  den  Bäumen  in  der 
südhchen  Spitze  des  vSihlwiesH  ist  das  „vSihlwiesli-Magazin"  (Salz- 
magazin), das  Haus  daneben  der  „Sihlhof".  3.  Die  obere  Werd- 
mühle, bei  dem  kleinen  Inselchen  gleich  unterhalb  dem  Sihlhof, 
zwischen  Sihlkanal  und  Fröschengraben;  unterhalb  dem  dortigen 
Zusammenfluss  von  drei  oder  vier  Kanalarmen  befand  sich  eine 
Säge.  4.  Die  untere  Werdmühle,  später  Ölmühle  oder  vSchleife, 
sowie  auch  Säge,  zu  Füssen  des  Ötenbach  am  Beatenrain,  die 
untersten  Gebäulichkeiten  zwischen  Fröschengraben  und  Sihl 
kanal.  Im  März  1860  ist  die  ehemalige  untere  Werdmülile,  Öle, 
Säge  und  Rosshaarfabrik  des  Herrn  Koller  mit  hundert  Stühlen 
und  massenhaft  zur  Versendung  bereit  liegender  Ware  abgebrannt. 

HeTO"ärts  der  Schanzengrabenmündung  stand  das  alte 
Schützenhaus  ,,am  Platz",  das  1849  verlassen  wurde.  Der 
Schützen  platz,  zwischen  Limmat  und  Sihl,  hatte  durch  die 
Festungsbauten  seinen  ganzen  obern  Teil  verloren,  diente  aber 
noch  Jahrhunderte  zu  Schützenfesten,  Exerzitien,  Musterungen 
und  später  auch  Kadettenmanövern.  An  den  Schützeupiatz, 
zwischen  den  Alleen  der  spätem  Platzpromenade,  stiessen  die 
Bürgergärten,  Pflanzland,  welches  an  die  Bürger  verlost  wurde. 
Der  ,, Platzspitz"  bestand  bereits  1814  als  ,, Lusthain",  Gessner- 
promenade  genannt  nach  dem  dort  nach  Salomon  Gessuers  Tod 
(1788)  errichteten  Gtssner-Denkmal  (in  dem  Rondell,  süd- 
lich davon  der  Pavillon) .  Zum  Drahtschmidli  hinüber  konnte  man 
mittelst  Fähre  gelangen,  ebenso  ans  linke  Sihlufer  in  die  Gegend 
des  Kräuel,  das  spätere  ,, Industriequartier".  Hier  hatte  der 
unternehmende  Rittmeister  und  Hotelier  Ott  vom  ,, Schwert"  für 
sich  und  seine  vornehmen  Gäste  ein  reizendes  Landhaus  errichtet, 
das  ,,OttengütU",  leicht  kennthch  an  den  beiden  Alleen  (beim 
gedruckten  Namen  ,,Sihl-Fluss"). 

Den  Weg  an  der  Reitbahn  vorbei  weiter  südwärts  verfolgend 
kommen  wir  in  die  Gegend  von  St.  Jakob  ausser  der  Stadt. 
An  die  Kapelle  war  das  länghche  ,, Siechenhaus"  angebaut,  das 
bis  zur  Erbauung  der  Pfrundanstalt  vSt.  Leonhard  (1839)  benutzt 
wurde.  Der  kleine  Friedhof  vor  dem  Chor  der  St.  Jakobskapelle 
war  die  Ruhestätte  der  in  der  nahen  ,, Hauptgrube"  hingerichteten 

3 


34  DRITTES  KAPITEL:   STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  o 

Verbrecher  (die  Hauptgrube  lag  an  der  Badenerstrasse,  auf  dem 
Plan  gleich  ausserhalb  am  Rande  links) ;  der  andere,  dreieckige 
Friedhof  auf  der  vSüdwestseite  des  Siechenhauses  diente  einem  Teil 
der  St.  Peter- Gemeinde  (für  die  Hintersassen  und  Dienstboten,  die 
Herrschaften  und  Bürger  kamen  nach  St.  Anna).  1807  erwarben 
auch  die  Katholiken  einen  eigenen  Friedhof  beim  Siechenhaus ;  vor- 
her mussten  sie  ins  Kloster  Fahr.  Nachdem  wir  die  gedeckte  Sihl- 
brücke  (1866  abgebrochen)  und  die  Sihlporte  passiert,  in  deren 
Nähe  auf  dem  Katz-Bollwerk  1836  der  Botanische  Garten 
errichtet  wurde,  teilt  sich  der  Verkehr  stadtwärts  durch  die  Sihl- 
strasse  zum  Rennwegtor  und  den  Talacker  zum  Neumarkt  (Parade- 
platz). Die  Sihlstrasse  fülirt  uns  am  St.  Anna-Friedhof  vorbei, 
der  von  der  alten  St.  Anna-Kapelle  den  Namen  hat.  Sie  war  seit 
1807  dem  katholischen,  seit  1844  dem  englischen  und  zuletzt  dem 
lutherischen  Gottesdienst  eingeräumt.  Nachdem  schon  1840  die 
Beerdigungen  zu  St.  Anna  aufgehört,  ist  1912  auch  die  Kapelle 
verschwunden.  Sie  hat  samt  dem  ganzen  umliegenden  Gebäude- 
komplex dem  St.  Annahof  des  Lebensmittelvereins  Platz  gemacht. 
Die  Häuser  gegenüber  der  Kapelle,  an  der  St.  Annagasse,  hiessen 
zum  ,, goldenen  Winkel";  eines  von  ihnen  enthielt  noch  Spuren 
der  ehemaligen  »St.  .Stephanskirche.  Dem  Friedhof  gegenüber  lag 
die  Füsslische  Giesserei,  an  deren  Stelle  1864  die  ,,neue 
St.  Annakapelle"  von  Mathilde  Escher  errichtet  wurde,  und 
hinter  dieser  Liegenschaft,  an  der  Sihlstrasse,  gegenüber  der  Stein- 
mühle, das  alte  Glockenhaus.  Das  Glockenhaus,  die  neue 
St.  Annakapelle  und  die  Häuser  im  Goldenen  Winkel  sind  1910 
wegrasiert  worden,  und  es  erheben  sich  nun  dort  in  mächtigem 
Häuserblock  die  Bauten  des  Christlichen  \'ereins  junger  ^länner, 
das  Famihenhotel  Glockenliof,  die  neue  St.  Anna- Kapelle  und 
das  Freie  Gymnasium.  Das  letztere  ist  unmittelbar  benachbart 
dem  ,, Felsenhof"  an  der  Pelikanstrasse,  der  Wohnung  Hans 
Kaspar  Eschers  von  der  Neumühle. 

Auf  der  Sihlstrasse  weiter  schreitend,  kommen  wir  in  den  Be- 
reich der  Seidenhöfe,  die  uns  mit  einer  ganzen  Kolonie  zürche- 
risclier  Zelebritäten  aufwarten  können.  Da  ist  zunächst  der  Alte 
Seidenhof,  an  der  Gabelmig  von  Sihlstrasse  imd  Seideugasse; 
hier  wohnte  unter  andern  Generalfeldzeugmeister  Hans  Georg 
Werdmüller,  der  die  Fortifikation  der  grossen  Stadt  durchführte; 


o  DRITTES  KAPITEL:   STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  35 

dann  Pfarrer  und  Kirchenrat  Salomon  Vögelin,  Verfasser  des ,, Alten 
Zürich",  femer  sein  Sohn,  der  Professor  für  alte  Sprachen  am 
GjTnnasium,  Anton  Salomon  Vögelin;  auch  der  Aquarellist  und 
Dialektdichter  Leonhard  Steiner  stammt  aus  dem  Alten  Seidenhof ; 
in  den  letzten  Jahrzehnten  hatte  der  Kaufmännische  Verein  sein 
Heim  im  alten  Seidenhof.  —  Ihm  gegenüber,  auf  der  andern  Seite 
des  Eingangs  in  der  Seidengasse,  steht  der  Neue  Seidenhof, 
heute  Sihlstrasse  Nr.  16,  mit  zwei  Hintergebäuden  (Nr.  8  und  10). 
Hier  wurden  geboren  und  wohnten :  Hans  Konrad  Escher  von  der 
Linth,  Erbauer  des  Linthkanals;  sein  vSohn,  der  Naturforscher 
Professor  Arnold  Escher  von  der  Linth;  Rittmeister  und  Stadt- 
präsident Georg  Bürkli,  Seidenindustrieller,  und  dessen  drei  Söhne : 
Adolf  Bürkli,  Oberfeuerkommandant;  Konrad  BürkH,  Präsident 
der  Kaufmännischen  Gesellschaft;  Stadtingenieur  Dr.  Arnold 
Bürkli,  Schöpfer  der  Quaianlagen.  —  Das  Eckhaus  vis-ä-vis, 
Sihlstrasse  Nr.  7,  jetzt  City-Hotel,  war  der  Gelbe  Seidenhof, 
Geburtshaus  des  eidgenössischen  Münzdirektors  Escher-Platel. 
Im  ,,Schmidtenhaus"  nebenan,  Sihlstrasse  Nr.  5,  wurde  geboren 
der  Afrikareisende  und  Direktor  des  Botanischen  Gartens  Professor 
Dr.  Hans  Schinz,  im  ,,Usterihaus",  Sihlstrasse  Nr.  3,  Ständerat 
Dr.  Paul  Usteri.  Das  äusserste  Haus  in  der  Reihe  gegen  den 
Fröschengraben  hiess  ,,zum  Brünneli",  nach  dem  auf  dem  Plan 
verzeichneten  Brunnen.  EndHch  ist  noch  zu  nennen  der  Grüne 
Seidenhof,  dem  Brünneli  gegenüber  (heute  Warenhaus  Jelmoli). 
Er  war  das  väterliche  Haus  von  Ingenieur  Albert  Vögeli,  aus  dessen 
,,  Jugenderinnerungen"  wir  hier  schöpfen.  In  diesem  Haus  wohnte 
als  Älieter  Erziehungsrat  Ferdinand  Meyer,  der  Vater  des  Dichters 
Conrad  Ferdinand  Meyer,  und  Albert  Vögeli  wusste  allerlei  zu 
erzählen  von  dem  menschenscheuen  Jüngling  und  seiner  lebens- 
lustigen Schwester  Betsy.  Zwischen  dem  Grünen  Seidenhof  und 
dem  Rennwegtor  stand  die  Trülle,  das  stattliche  und  heimelige 
Wohnliaus  von  Stadtpräsident  Dr.  Melchior  Römer.  In  der ,, Trülle" 
wohnte  auch,  von  1876  bis  1883,  Professor  Oswald  Heer,  der 
berühmte  Naturforscher,  und  verbrachte  Nationalrat  Vögelin  seine 
letzten  Lebensjahre. 

Nun  noch  von  der  Sihlporte  durch  den  Talacker  nach  der 
Stadt!  Wir  grüssen  im  Vorbeigehen  das  Talegg,  wo  der  liebens- 
würdige Martin  Usteri  wohnte  und  dichtete    (am  Pelikanplätzli 


36  DRITTES  KAPITEL:   STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  o 

links,  Nr.  34).  Rechts  kommt  die  Kaserne,  ehemals  das  ,, grosse 
Magazin";  es  musste  1798  in  aller  Geschwindigkeit  zur  Kaserne 
mngevvandelt  werden,  als  die  Franzosen  kamen.  An  ihrer  Stelle 
stehen  jetzt  die  Häuser  Talacker  Nr.  21  und  23.  Am  innem  Ende 
des  Talacker  lag  das  grosse  Viereck  des  Feldhofs,  das  Kriegs- 
Munitionshaus  zur  Aufbewahrung  der  Geschütze  samt  Zubehör. 
Das  Haus  in  der  Glitte  des  Hofes  war  die  Wohnung  des  Zeugherrn. 
Das  Haupttor  öffnete  sich  nach  dem  Neumarkt,  der  bis  1819 
,, Säumarkt"  hiess,  seit  1865  aber  den  stolzen  Namen  ,, Parade- 
platz" führt.  An  den  Neumarkt  grenzte  südhch  die  Liegenschaft 
zum  , .Tiefenhof"  mit  ihren  ausgedehnten  Gärten.  Das  Bürklische 
Haus  an  der  Ecke  gegen  den  Fröschengraben  wurde  Ende  der 
dreissiger  Jahre  entfernt  und  die  Tiefen  hoflinde  frei  gelegt;  es 
war  ihr  noch  zwei  Jahrzehnte  zu  leben  \-ergünnt. 

Viele  der  Namen,  die  auf  dem  Rundgang  durch  das  alte  Zürich 
uns  vor  Augen  kamen,  werden  auf  den  folgenden  Blättern  ims 
wieder  begegnen.  Eingeschnürt  von  seinem  Festungsgürtel,  bot 
das  alte  Zürich  nur  einer  massigen  Bevölkerungszahl  Raum  und 
Existenz.  Am  i.  Dezember  1812  zählte  mau  nach  dem  Bürgeretat 
7828  Bürger  und  2647  Ansässen,  zusammen  10,475  Einwohner. 
Von  den  Ansässen  waren  2194  Kantonsbürger,  277  Schweizer- 
bürger, 80  französische  Bürger  (die  im  alten  Zürich  immer  eine 
besondere  Stellung  einnahmen  und  nicht  zu  den  übrigen  Aus- 
ländem gezählt  wurden),  und  endhch  96  ,, Bürger  fremder  Staaten". 
Am  I.  Dezember  1814  waren  es  7669  Bürger;  die  Ansässen  wurden 
damals  nicht  gezählt.  —  Es  war  aber  um  jene  Zeit  auch  schon 
niclit  mehr  das  ganz  alte  Zürich,  das  nächthcherweile  ,, pechschwarz 
verblieb,  wenn  der  Mond  nicht  gerade  dabei  war,  und  jeder  Bürger 
mit  einer  eigenen  Blendlateriie  über  die  Strasse  sicli  forthalf  wie 
ein  Leuchtkäfer:  da  stralilte  auf  der  ,, untern  Brugk"  schon  die 
erste  Laterne,  die  im  Jahre  1778  öffentlich  ausgehängt  wurde. 
Sie  war  zur  Bedienmig  der  Hauptwache  und  des  Rathauses  \-om 
Beginne  der  Nacht  bis  zum  Torschlüsse  aller  Stadtporten  hellauf, 
so  schlecht  und  so  recht  es  ihr  immer  gelang."  (Olga  Amberger.) 
Eine  zweite  Laterne  —  beide  von  Privaten  gestiftet  —  brannte 
oben  an  der  ]\Iarktgasse,  und  bald  kamen  noch  einige  andere  in 
den  Hauptstrassen  dazu.  Nach  und  nach  erschien  der  Bürger- 
schaft der  Nutzen  dieser  Strassenlaternen  so  ,, einleuchtend",  dass 


^ans  Jfeinridi  JLoandolt 

StadIpräsiJeni 


o  DRITTES  KAPITEL:  STADT  UND  FESTUNG  ZÜRICH  37 

die  Bürgen-ersanimlung  vom  31.  Juli  1S06  im  Grossmiinster  den 
Beschluss  fasste,  die  Stadt  solle  inskünftig  von  160  Laternen 
beleuchtet  werden,  woran  jede  Haushaltung  ein  Gewisses  beizu- 
tragen habe.  Zürich  im  Glanz  seiner  hundertsechzig  Laternen, 
den  eine  sparsame  Stadtverwaltung  auf  wenige  Abendstunden 
zubilHgte,  erfüllte  doch  seine  Bürger  mit  nicht  geringerem  Stolz 
als  uns  die  heutige  Grosstadt  in  ihrer  permanenten  Illumination. 


♦»♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦« 


VIERTES  KAPITEL 


DER  ERSTE  STADTPRÄSIDENT 

Die  Wiege  der  zürcherischen  Stadtverwaltung  bewachten  fran- 
zösische Bajonette.  Unsere  gute  Landesmutter,  die  „Stadt 
und  Republik  Zürich",  war  am  13.  März  1798  gestorben, 
und  auf  den  Zunftstuben  Zürichs  flössen  herbe  Männerzähren 
um  ihren  Tod.  Sagt  was  ihr  wollt  von  ihrem  Regiment,  das  Urteil 
der  Geschichte  ist  ihm  längst  gerecht  geworden.  Es  war  ein  er- 
schütternder Augenbhck,  als  an  jenem  13.  März  die  alte  Zürcher 
Regierung  durch  den  ehrwürdigen  Amtsbürgermeister  Kilch- 
sperger  ihre  Gewalt  in  die  Hände  der  Landeskommission  nieder- 
legte. Nun  gab  es  auf  Jahre  hinaus  keinen  Kanton  Zürich  melir, 
nur  noch  eine  ,,Präfektur"  der  einen  und  unteilbaren  helvetischen 
Republik.  Die  Stadt  Zürich  aber,  ihrer  Herrscherkrone  beraubt, 
sah  sich  zur  gewöhnlichen  ,, Commune"  degradiert.  So  betäubend 
wirkte  der  .Schlag  auf  ihre  Bürger,  dass  man  wochenlang  nicht 
daran  dachte,  der  selbständig  gewordenen  Gemeinde  nun  auch 
eine  eigene  Verwaltung  zu  geben.  Erst  als  es  zur  Gewissheit 
wurde,  dass  trotz  aller  gegenteiUgen  Versprechungen  die  Fran- 
zosen am  26.  April  doch  kommen  würden,  stellten  in  der  Nacht 
vorher  einige  jüngere  Leute  die  Liste  für  eine  ,, provisorische 
Munizipalität"  zusammen  und  liessen  sie  am  Morgen  durch 
eine  grössere  Bürgerversammlung  wählen.  Präsident  dieser  ersten 
Stadtbehörde  wurde  der  ,, Bürger"  Hans  Conrad  Escher,  alt 
Seckelmeister  (geb.  8.  Oktober  1743,  t  12.  Dezember  1814  kurz 
nach  seiner  Wahl  zum  Bürgermeister).  Auch  ,, Bürger"  Hans 
Reinhard  befand  sich  unter  den  20  En^-ählten. 

Einstweilen  hatte  die  IMunizipalität  freilich  mehr  für  die 
Franzosen  als  für  die  eigenen  Bürger  zu  sorgen.  Sie  war  ihnen 
das  Mädchen  für  alles.  Das  erste  Geschäft  in  der  ersten  Sitzung 
am  26.  April  I7q8  betraf  die  Einrichtung  des  grossen  ]\Iagazins 
im  Talacker  zur  Kaserne,  und  die  ]\Iitgheder  Bürger  Ott  und 
Tobler  wurden  auf  die  Umschau  bei  den  Glasermeistern  ,,nach 


o  VIERTES  KAPITEL:   DER  ERSTE  STADTPRÄSIDENT  39 

etwan  vorräthigen  alten  Fenstern"  ausgesandt.  Und  als  die 
Franzosen  dann  wirküdi  da  waren,  fingen  die  Zumutungen  erst 
recht  an,  für  deren  Erfüllung  sich  die  Munizipalität  von  der  Ver- 
waltungskammer und  dem  fränkischen  Commissariat  die  Kompe- 
tenzen erst  erbitten,  die  allernötigsten  ersten  Betriebsmittel  aber 
als  Beitrag  aus  dem  „sequestrierten  Aerario"  förmhch  erbetteln 
musste.  Daneben  hatte  die  jMunizipaHtät  auch  noch  für  die  gut 
patriotische,  d.  h.  helvetische  Gesinnung  zu  sorgen.  Wiederholt 
wurde  ihr  der  ausschliessliche  Gebrauch  des  ,,Tituls  Bürger"  in 
allen  Dikasterien  eingeschärft.  Zürcher  Schilde,  I^öwen  und 
andere  Insignien  des  Adels  oder  der  alten  Regierung  waren  auch 
an  den  Privathäusem  zu  entfernen.  Den  ,, Patriotismus"  hatte 
man,  wie  heute  das  rote  Bändeli  an  der  Maifeier,  ,, sichtbar  zu 
tragen".  Die  Mitglieder  der  Munizipalität  dekorierten  sich  mit 
der  dreifarbigen  »Schärpe,  für  die  Bürger  war  das  Tragen  der 
helvetischen  Cocarde  (grün-gelb-rot)  obligatorisch  —  die  Zürcher 
Farben  Weiss-Blau  waren  verpönt  und  abgetan  — ;  auch  L,and- 
leute,  die  in  die  Stadt  kamen,  hatten  sich  mit  der  Cocarde  zu  ver- 
sehen, wollten  sie  nicht  Gefahr  laufen,  ,, wegen  Ungehorsams" 
vom  fränkischen  Militär  angehalten  zu  werden  (Schreiben  des 
Platzkommandanten  Gore  vom  17.  Juli  1798).  Es  gab  nun  einmal 
nichts  anderes  als  mit  den  fränkischen  Wölfen  zu  heulen.  Das 
begriff  auch  ohne  weiteres  das  Tagblatt,  damals  ,, Hochobrig- 
keitlich bewilligtes  Donnstagsblatt " ,  das  den  jungen  Morgen 
des  22.  März  1798  mit  dem  jauchzenden  Aufschrei  ,,Freyheit! 
—  Gleichheit!"  begrüsste  (am  Tag  zuvor  hatte  die  Kantonal- 
versammlung die  helvetische  \^erfassung  angenommen).  ,,Frey- 
heit"  und  ,, Gleichheit"  blieben  fortan,  statt  der  bisher  vorge- 
druckten hochobrigkeitUchen  Bewilligung,  als  Zierde  am  Kopf 
des  Blattes,  verschwanden  während  des  österreichisch-russischen 
Interregnums  und  kehrten  hernach  in  etwas  kleinerer  Schrift 
wieder  zurück.  Dieselbe  anmutige  Abwechslung  zeigt  das  Proto- 
koll der  Munizipahtät  im  Gebrauch  der  Titel  ,, Bürger"  oder  dann 
wieder  ,, Junker"  und  ,,Herr".  Hie  und  da  mochte  die  fränkische 
fraternite  der  Munizipahtät  etwas  allzu  aufdringhch  vorkommen, 
so  z.  B.  am  21.  Januar  1799,  als  sie  am  Festmahl  Massenas  auf 
der  ,, Meisen"  zur  Erinnerung  an  die  Enthauptung  Ludwigs  XVI. 
teilzunehmen  hatte  und  abends  vor  dem  illuminierten  Rechberg 


40  VIERTES  KAPITEL:    DER  ERSTE  STADTPRÄSIDENT  o 

der  Präsident  alt  Seckelmeister  Escher  mit  dem  jedenfalls  nicht 
mehr  nüchternen  General  die  Carmaguole  tanzen  musste. 

Die  Franzosen  hessen  sich  die  Freiheit  und  Gleichheit,  mit 
der  sie  uns  beglückten,  schwer  bezahlen  (was  sie  uns  sonst  noch 
alles  brachten,  kriegte  man  freihch  gratis).  Kommissär  Lecarlier 
präsentierte  schon  am  8.  April  1798  den  Mitgliedern  der  alten 
Zürcher  Regierung  eine  Rechnung  von  3  Millionen,  und  die  Kom- 
missäre Rapinat,  Rouhiere  und  Pommier  erbrachen  und  plünderten 
am  5.  Juni  das  Schatzgewölbe  im  Grossmünster.  Den  Protesten 
des  helvetischen  Statthalters  Pfenninger  antwortete  nur  ein 
höhnisches  Grinsen:  ,,Voilä  les  baj^onettes!"  Man  durfte  nicht 
mucksen.  Die  Redaktoren  der  ,, Freitagszeitung"  und  der  ,, Zürcher 
Zeitung",  die  den  Vorgang  beim  Grossmünster  einfach  berichtet 
hatten,  ohne  Bemerkungen  daran  zu  knüpfen,  wTirden  vor  den 
General  Schauenburg  zitiert,  der  sie  wutschnaubend  anfuhr  und 
mit  ,, hundert  Arsprügeln"  bedrohte,  wenn  sie  weiter  derartiges 
berichteten.  Die  grösste  Mühe  musste  die  Munizipalität  auf- 
wenden, damit  nicht  alles,  was  unzweifeUiaft  der  Stadt  und  nur 
der  vStadt  gehörte  —  wie  der  Chorherrenstiftsfond,  Direktorial- 
fond, Pf  rund  Verbesserungsfond  usw.  — ,  in  dem  unersätthchen 
Schlund  des  ,, hei  vetischen  Nationalguts"  verschwinde.  Staats- 
und Stadtvermögen,  bisher  eins  und  dasselbe,  waren  ja  noch  gar 
nicht  ausgeschieden,  und  es  bedurfte  eines  langen,  zähen  Ringens 
von  Seiten  der  Munizipalität,  um  für  die  Stadt  das  ihrige  sicher- 
zustellen. Hier  hat  sich  besonders  Reinhard  verdient  gemacht.  Das 
helvetische  Gesetz  \-om  3.  April  1799  ermöglichte  die  vorläufige 
Ausscheidung,  kam  aber  in  Zürich  nie  zur  Ausführung.  Erst  die 
Mediation  brachte  am  i.  September  1803  die  richtige  Aussteue- 
rungsurkunde für  die  Stadt  Zürich,  der  am  22.  Juli  1805  noch 
ein  sog.  ,,Abchurungsinstrument"  für  die  Ausführung  folgte. 
Es  wurde  —  abgesehen  von  den  der  Bürgergemeinde  zustehenden 
Fonds  und  Stiftungen  —  ganz  detailHert  zusammengerechnet, 
was  die  Stadt  für  Bewachung  der  Tore,  Pohzeidienst  und  alle 
ihre  sonstigen  öffentUchen  Aufgaben  aufwenden  müsse;  man  war 
so  auf  eine  Summe  von  70,500  Fr.  gekommen  und  hatte  der  Stadt 
Einkünfte  im  gleichen  Betrage  zugeschieden.  Noch  nach  hundert 
Jahren,  1905,  kamen  die  Abmachungen  von  1803  zur  Anwendung 
beim  Auskauf  der  städtischen  Freiplätze  in  der  Spannweid. 


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o  VIERTES  KAPITEL:    DER  ERSTE  STADTPRÄSIDENT  41 

1799  war  für  die  I\Iunizipalität  ein  besonders  bewegtes  Jahr. 
Mitten  im  Schlachtenungewitter  hielt  sie  getreulich  ihre  „durch 
Abwechslung  permanenten"  Sitzungen.  Am  3.  Juni  notiert  der 
wackere  Sekretär  Hofmeister,  dass  keine  förmliche  Session  ge- 
halten werden  könne,  „indem  das  von  der  Höhe  bei  Wytikon 
bis  an  den  See  den  ganzen  Tag  über  dauernde  Gefecht  nur  augen- 
blickhche  Dispositionen  zuliess".  Desgleichen  am  4.  Juni,  da  die 
Schlacht  auch  bei  den  Redouten  begann  und  bis  in  die  Nacht 
um  die  grosse  Stadt  her  tobte.  Massena  retirierte  am  6.  Juni, 
aber  nur  bis  an  den  Ütliberg,  und  warf  sich  dann  am  25.  September 
mit  neuer  Wucht  auf  die  Russen  unter  Korsakow,  die  am  28.  Au- 
gust die  inzwischen  abberufenen  Österreicher  ersetzt  hatten.  Das 
Protokoll  gibt  in  wenigen  Sätzen  ein  anschauliches  Bild  der  zweiten 
Schlacht  bei  Zürich  und  der  furchtbaren  Verwirrung,  die  in  der 
Stadt  beim  Abzug  Korsakows  durch  die  ihm  einzig  noch  offen 
stehende  Oberdorfpforte  entstand.  Dann  wird  kaltblütig  beige- 
fügt: „Diesen  vorgehenden  Unordnungen  zu  steuern  nicht  im- 
stande, war  man  wenigstens  bemüht,  die  von  allen  Seiten  eingehen- 
den Klagen  (der  geschädigten  Bürger)  zu  derjenigen  Gelassenheit 
herabzustimmen,  welche  zu  möglichster  Beibehaltung  der  öffent- 
hchen  Ruhe  und  Sicherheit  erforderlich  schien."  In  der  Munizipah- 
tät  sollten  nun  einige  Lücken  wieder  ausgefüllt  werden.  Den  mit 
andern  Notabihtäten  im  April  verhafteten  und  nach  Basel  depor- 
tierten Bürgern  Reinhard  und  Pestalutz  wurden  ihre  Plätze  aus- 
drückUch  offen  behalten ;  zu  ersetzen  waren  dagegen  \'ier  MitgUeder, 
darunter  der  Präsident  alt  Seckelmeister  Hans  Konrad  Escher,  die 
am  20.  Juni  in  die  kurzlebige  kantonale  Interimsregierung  berufen 
worden  waren.  Diese  hatte  sich  gebildet  in  der  verfrühten  Hoff- 
nung, der  österreichische  Sieg  werde  nun  auch  dem  helvetischen 
Elend  in  Zürich  ein  Ende  machen.  Aber  nicht  eher  als  am  25.  No- 
vember 1799  konnte  die  im  Oktober  neugewählte  Munizipali- 
tät sich  konstituieren.  Reinhard  führte  das  Präsidium,  bis  er  am 
IG.  November  1801  das  Amt  des  Regierungsstatthalters   antrat. 

Die  heftigen  pohtischen  Kämpfe  zwischen  den  helvetischen 
Unitariern  und  den  Föderalisten  verraten  sich  vielfach  auch  im 
Protokoll  der  ,, konstituierten  Munizipahtät"  von  Zürich.  Auf 
ganz  Schlimmes  deutete  im  September  1802  der  Wiederbeginn 
dieser  verwünschten  Dauersitzungen  Tag  und  Nacht.  —  Hannibal 


42  VIERTES  KAPITEL:    DER  ERSTE   STADTPRÄSIDENT  o 

ante  portas!  —  Der  helvetische  General  Andermatt  war  vor 
den  Porten  der  kleinen  Stadt  erschienen  und  hatte  die  „fast  un- 
glaubhche"  Forderung  gestellt,  ihm  binnen  einer  halben  Stunde 
den  Durchmarsch  zu  gestatten,  und  als  dem  nicht  entsprochen 
wurde,  fing  ein  ,, unerhörtes  Bombardement  mit  Haubitzgranaten 
an,  welches  über  zwei  Stunden  fortwütete"  (Prot.  v.  lo.  Sept.). 
Am  II.  erfolgte  die  ,, Überfahrt  der  Helvetier"  über  den  See  nach 
Erlenbach  und  Küsnacht,  in  der  Nacht  vom  12./13.  ein  zweites 
Bombardement  aus  drei  Batterien,  diesmal  auch  mit  glühenden 
Kugeln.  In  den  Spital  allein  fielen  28  Granaten  und  4  glühende 
Kugeln,  und  es  war  ein  unbegreifUches  Wunder,  dass  nur  eine 
Person,  Diakon  Schulthess,  tötlich  verletzt  wurde.  Die  Ankunft 
des  helvetischen  Kommissärs  v.  May  von  Bern  machte  der  tollen 
Belagerung  Zürichs  ein  Ende,  und  am  16.  September  zogen  die 
„Helvekler"  unter  Spott  und  Hohn  der  Zürcher  ab.  Die  Franzosen 
waren  um  jene  Zeit  lücht  mehr  da.  Napoleon  hatte  sie  abberufen, 
w'ohl  wissend,  dass  dann  seine  lieben  Helvetier  so  hintereinander 
kommen  würden,  wie  er  es  wünschte,  um  im  gegebenen  ^Moment 
als  Retter  und  Vermittler  sich  anbieten  zu  können.  Der  Abzug 
der  Franzosen  von  Zürich  begann  am  .Samstag  den  31.  Juli  1802. 
Am  Sonntag  brachte  ihre  Musik  dem  vStatthalter  im  Steinhaus 
und  der  Munizipalität  ein  vStändchen  und  spielte  zum  Abschied 
eine  Weile  auf  der  obern  und  untern  Brücke.  Aber  wie  lange 
dauerte  es,  und  die  Zeitungen  verkündeten :  Die  Franzosen  kommen 
wieder!  Der  ,, Junker  Regierungsstatthalter"  Reinhard  war  schon 
im  April  1802  wieder  abgesetzt  worden,  sein  Nachfolger  Ulrich 
demissionierte  am  3.  September  und  dessen  Stellvertreter  Hof- 
meister verweigerte  nach  der  Behandlung  Zürichs  durch  den 
,, feigen  Mordbrenner"  Andermatt,  wie  er  sich  ausdrückte,  den 
weitern  Dienst.  vSo  musste  denn  am  28.  Oktober  der  französische 
General  Dombowsky  den  neuen  helvetischen  Statthalter  Koller 
in  Zürich  einfüliren.  Reinhard  wurde  (als  Präsident  der  zweiten, 
am  25.  September  gebildeten  Interimsregierung)  am  11.  November 
auf  dem  Zunfthaus  Zimmerleuten  verhaftet,  als  er  sich  eben  zur 
Abreise  an  die  von  Napoleon  nach  Paris  einberufene  helvetische 
Consulta  anschickte.  Die  Bemühungen  der  Munizipalität  und  die 
Fürsprache  des  Generals  Seras  ermöglichten  es  ihm,  mit  einigen 
Tagen  Verspätung  doch  nach  Paris  zu  gehen. 


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o  VIERTES  KAPITEL:   DER  ERSTE  STADTPRÄSIDENT  43 

Die  Mediationsakte  Napoleons  vom  19.  Februar  1803 
machte  aus  der  Schweiz  wieder  einen  Föderativstaat  von  19  sou- 
veränen Kantonen.  Sie  gab  dem  Kanton  Zürich  seine  erste  Ver- 
fassung, der  Stadt  Zürich  ihren  „Gemeinderat"  an  Stelle 
der  helvetisch-französischen  „Munizipalität".  Der  Gemeinderat 
wurde  erstmals  am  19.  Juni  1803  und  den  folgenden  Tagen  von 
der  „Generalversammlung"  der  Bürgerschaft  gewählt.  Er  bestand 
aus  15  Mitgliedern,  von  denen  alljährlich  ein  Drittel  der  Erneue- 
rungswahl unterlag.  Auch  der  Präsident  des  Gemeinde- 
rats wurde  von  der  Generalversammlung  gewählt.  Für  ihn  scheint 
sich  zuerst  in  der  Umgangssprache  der  Titel  ,, Stadtpräsident" 
eingebürgert  zu  haben,  bevor  derselbe  offizielle  Bezeichnung 
wurde;  immerhin  sagt  doch  schon  das  Protokoll  des  Gemeinde- 
rates vom  30.  Juni  1803,  wenn  auch  mehr  beiläufig,  dass  ,,der 
Herr  Stadtpräsident"  Escher  mit  dem  Quästor  Bürkli  den 
General  Barbou  zu  begrüssen  habe,  und  am  2.  Mai  1804  wird 
beschlossen,  dass  ,,der  Herr  Stadtpräsident"  ohne  weiteres  das 
Präsidium  an  der  Generalversammlung  zu  führen  habe.  (Zum 
Sitz  des  Stadtrats  wurde  am  16.  Februar  1804  das  bisherige  Bau- 
haus bestimmt;  bisher  war  man  bei  den  Konstaffeln  zu  Gast.) 
Das  Protokoll  der  Behörde  geht  vom  5.  auf  den  11.  JuU  1804 
ganz  unvermittelt  zur  Bezeichnung  ,, Stadtrat"  für  den  Ge- 
meinderat über;  aus  der  Munizipalität  war  auch  der  Sekretär 
Hans  Heinrich  Hofmeister  in  den  Gemeinderat  herüber- 
genommen und  alsdann  zum  ersten  Stadtschreiber  befördert 
worden,  welches  Amt  er  noch  bis  1830  mit  Auszeichnung  versah. 
„Stadtschreiber"  gab  es  allerdings  auch  schon  vor  1798,  aber  mit 
anderm  Pflichtenkreis;  z.  B.  war  der  Bürgermeister  Hans  Konrad 
von  Escher,  der  Jüngere,  gewählt  1803,  im  Jahr  1794  ,, Stadt- 
schreiber". Um  es  hier  gleich  anzuführen:  wir  haben  nämUch 
seit  1803  auch  wieder  einen  ordentlichen  Bürgermeister  (d.  h. 
Regierungspräsidenten!)  im  Kanton  Zürich,  oder  vielmehr, 
wie  früher ,  deren  zwei,  die  sich  j  ährlich  im  Präsidium  ab- 
lösen, mit  dem  Unterschied  aber,  dass  sie  mit  der  Stadtver- 
waltung nichts  mehr  zu  tun  haben  und  nicht  etwa  mit  den 
gleichzeitigen  Stadtpräsidenten  zu  verwechseln  sind.  Die 
ersten  zwei  Bürgermeister,  welche  nach  dem  helvetischen  Tohu- 
wabohu gewählt  wurden,  waren  Hans  v.  Reinhard  und  der  eben 


44  VIERTES  KAPITEL:    DER  ERSTE  STADTPRÄSIDENT  o 

genannte  Hans  Konrad  v.  Escher.  In  den  Kleinen  Rat,  dessen 
engerer  Ausschuss  „diplomatische  Kommission",  später  ,,  Staats- 
rat" hiess,  wählte  der  neue  Grosse  Rat  am  gleichen  i8.  April  1803 
neben  20  Aristokraten  nur  5  Demokraten!  Die  ,,gute  alte  Zeit" 
kündigte  ihre  Rückkehr  an. 

Der  erste  Stadtpräsident  von  Zürich,  von  der 
,,  General  Versammlung"  gewählt  am  19.  Juni  1803,  war  Hans 
Konrad  Escher  vom  Pfauen  in  der  Froschau,  geb.  den  7.  April 
1743,  t  8.  Januar  1814.  Nach  dem  Werk  von  Dr.  C.  Keller-Escher 
über  die  Familie  Escher  vom  Glas  besuchte  Hans  Konrad  Escher 
die  gelehrten  Schulen  seiner  Vaterstadt,  trat  1763  eine  längere 
Auslandreise  an  und  beteihgte  sich  hierauf  im  väterlichen  Fabri- 
kation-sgeschäft.  Im  Jahre  1778  wurde  er  ,, Zwölfer  zu  Schuh- 
machern" (d.  h.  einer  der  zwölf  Grossräte,  welche  die  Zmift  zu 
Schuhmachern  zu  wählen  hatte),  am  31.  Januar  1794  Zunftmeister 
und  Mitghed  des  Kleineu  Rats  (,, Ratsherr").  Noch  im  gleichen 
Jahre  wurde  ihm  die  Ober\'Ogtei  Erlenbach  übertragen,  und  im 
Jahre  1796  entsandte  ihn  die  Regierung  als  Obervogt  auf  den 
schwierigen  Posten  von  Stäfa.  Beim  Ausbruch  der  Revolution 
und  der  kriegerischen  Unternehmungen  Frankreichs  gegen  die 
Republik  Benr  befand  sich  Escher  als  Mitghed  des  eidgenössischen 
Kriegsrates  in  Bern.  Nach  seiner  Rückkehr  wählten  ihn  seine  Mit- 
bürger zum  Mitghed  der  Landesversammlung,  und  diese  übertrug 
ihm  das  verantwortungsvolle  Amt  des  Kantonskriegskommissärs, 
das  er  in  allen  Stürmen  bis  zur  Einführung  der  Mediationsakte 
mit  Treue  und  Gewissenhaftigkeit  bekleidete.  1803  kam  Escher 
wieder  in  den  Grossen  Rat;  bald  darauf  wurde  er  vStadtpräsident 
und  gleichzeitig  ernannte  ihn  die  Regierung  zum  Bezirksstatt- 
halter.  Am  31.  Dezember  1803  erhielt  er  die  Stelle  eines  \'er- 
walters  des  Obmannamtes,  als  welcher  er  die  Einkünfte  der  zur 
Reformationszeit  säkularisierten  Klöster  zu  beziehen  und  zu  be- 
sorgen hatte  wie  früher  der  ,, Obmann  gemeiner  Klöster";  er 
resignierte  daher  nach  einigen  Monaten  als  Stadtpräsident.  Sein 
Urenkel,  Dr.  Conrad  Escher-Ziegler,  hat  ihm  in  einer  pietätvollen 
Biographie  ein  ehrendes  Denkmal  gestiftet. 

Hans  Rudolf  Werdmüller,  der  zweite  Stadtpräsident 
(geb.  12.  Juni  1756,  f  9-  Juni  1825  im  Pfarrhaus  zu  Elgg),  war 
Kaufmann  im  Alten  Seidenhof.    Er  wurde  am  4.  September  1798 


^ans  Qeorg  ^msfer 

Siadfpräsident 


o  VIERTES  KAPITEL:    DER  ERSTE  STADTPRÄSIDENT  45 

zum  ^litglied  der  provisorischen  Munizipalität  gewählt  und  be- 
sorgte meist  das  Quästorat.  Dem  Grossen  Rat  hatte  er  als  „Acht- 
zehner zu  Konstaffel"  von  1791  bis  1798  angehört.  Im  Juni  1803 
trat  er  in  den  Gemeinderat,  und  nachdem  Hans  Conrad  Escher 
am  2.  Mai  1804  zurückgetreten  war,  wurde  Werdmüller  am  darauf- 
folgenden 7.  Mai  von  der  Generalversammlung  zum  Stadtpräsi- 
denten gewählt.  Haushohes  und  geschäftliches  Unglück  veran- 
lasste ihn,  am  23.  Dezember  1809  seinen  Rücktritt  zu  erklären. 
Der  Fall  war  schwierig  und  es  bedurfte  für  den  erfahrenen  Stadt- 
schreiber einer  kunstvoll  aufgebauten  Satzperiode  von  neimund- 
zwanzig  Zeilen  und  zweihundertsiebenunddreissig  Worten,  um 
Dank,  Anerkennung,  Bedauern  und  ]VIitgefühl  in  geziemender 
Form  zum  Ausdruck  zu  bringen.  Werdmüller  verwaltete  nach 
seinem  Rücktritt  noch  eine  Zeitlang  das  Schlossgut  von  Elgg 
(Familienfideikommiss),  bis  er  schhesshch  noch  erbhndete. 

Zum  dritten  Stadtpräsidenten  erhielt  Zürich  Hans  Hein- 
rich Landolt  ,,auf  dem  Graben"  (geb.  13.  August  1763,  f  10.  Ja- 
nuar 1850).  Er  war  Mitghed  des  Stadtgerichtes  (für  Zi\ilstreitig- 
keiten),  1794  des  Grossen  Rats  als  ,, Zwölfer"  von  der  »Schneidern, 
1795  Assessor  Synodi,  1797  ,,Schultheiss",  wie  der  Präsident  des 
Stadtgerichts  tituhert  wurde.  Einige  Jahre  zuvor  hatte  Landolt 
das  väterhche  Haus  (des  Bürgermeisters  Heinrich  Landolt  im  Burg- 
hof) verlassen,  nachdem  er  sich  den  prächtigen  Sitz  zum  Linden- 
thal erbaut  hatte,  der  dann  später  durch  die  Munifizenz  seines 
Enkels,  Stadtrat  Heinrich  Landolt-Mousson,  in  das  Eigentum  der 
Stadt  überging.  Hans  Heinrich  Landolt  wurde  am  3.  Januar  1805 
Mitghed  des  Stadtrates  und  Stadtseckelmeister,  am  8.  ]Mai  1810 
Stadtpräsident.  Zum  Mitglied  des  Kleinen  Rates  gewählt,  trat  er 
im  Dezember  1814  als  Stadtpräsident  zurück,  und  der  Stadtrat 
entsandte  eine  Gratulationsdeputation  zu  seiner  Beförderung  an 
ihn.  Gleichzeitig  war  auch  der  neugewählte  Bürgermeister  Junker 
DaN-id  Wj'ss  zu  beglückwünschen,  und  es  gab  da  feine  Unter- 
schiede des  Zeremoniells :  zum  Junker  Bürgermeister  ging  der  Stadt- 
rat in  corpore  in  schwarzer  Kleidung,  mit  Degen  und  in  Begleitung 
des  Stadtschreibers,  sowie  eines  Weibels  in  den  Stadtfarben ;  zum 
Ratsherrn  Landolt  ohne  Degen  und  vStadtfarben. 

Hans  Georg  Finsler,  der  vierte  Stadtpräsident  (geb. 
23.  Mai  1748,  t  29.  März  1821)  wohnte  im  Haus  zu  ,, allen  Winden" 


46  VIERTES  KAPITEL:    DER  ERSTE  STADTPRÄSIDENT  o 

im  Kratz.  Er  war  vSeidenfabrikant,  1775  Zunftsclireiber,  1787 
Zwölfer  von  der  Meisen,  Oberst  der  Artillerie,  1803  Stadtrat  und 
Bauherr,  vStadtpräsident  vom  24.  Mai  1815  bis  zu  seinem  Tod. 
Ausdrücklich  wird  im  Protokoll  vom  30.  Mai  1815  die  Übergabe 
der  vStadtschlüssel  von  seinem  Vorgänger  an  Finsler  erwähnt. 
In  die  Amtszeit  Finslers  fällt  eine  wichtige  Änderung  der  Stadt- 
verfassung, und  zwar,  vom  demokratischen  Standpunkt  aus  ge- 
sehen, wieder  in  rückschritthchem  Sinne.  Das  vom  Grossen  Rat 
am  14.  Juni  1816  angenommene  Gesetz  betr.  die  Organisation 
der  Stadträte  von  Zürich  und  Winterthur  schaffte  die  bisherigen 
General-  und  vSektionsversammlungen  der  Bürgerschaft  ab.  Bisher 
w'ar  die  Stadt  für  gewisse  Wahlen  und  \^erwaltungszwecke  in  drei 
vSektionen  eingeteilt:  i.  »Sektion  grosse  vStadt,  oberer  Teil  (bis  zu 
den  Strassen  von  der  Kronenporte  zur  Marktgasse) ;  2.  Sektion 
grosse  Stadt,  unterer  Teil;  3.  Sektion  kleine  vStadt.  Die  General- 
versammlung hatte  u.  a.  den  Stadtrat  und  Stadtpräsidenten  zu 
wählen.  Jetzt  wurden  alle  diese  Kompetenzen  der  Sektionen  und 
Generalversammlung  einer  neuen  Körperschaft,  dem  grössern 
Stadtrat,  übertragen,  in  den  die  Zünfte  52  Mitglieder  zu  wählen 
hatten  (jede  der  13  Zünfte  4  Mitglieder)  und  dem  der  engere 
Stadtrat  mit  Stimmrecht  ex  officio  angehörte  (total  also  67  ;\Iit- 
gheder).  Als  Sitzungslokal  wurde  vorerst  der  ]\Iusiksaal  bestimmt. 
Den  Mitgliedern  des  grossem  Stadtrates  war  für  die  Sitzungen 
schwarze  Kleidung  vorgeschrieben.  Als  Anrede  in  den  Sitzungen 
setzte  der  Stadtrat  nach  reiflicher  Erdauerung  am  2.  Juli  fest: 
,,Herr  Präsident!  Hochzuverehrende,  hochgeschätzte  Herren!" 

Fünfter  Stadtpräsident:  Hans  Konrad  Vogel  von  der 
,, Sonnenblume"  an  derötenbachergasse  (geb.  den  11.  Oktober  1750 
in  Knonau  als  vSohn  des  dortigen  Landvogte,  f  den  28.  Februar 
1835).  Er  wurde  1773  Zunftschreiber  zu  Zimmerleuten,  1777 
Proselytenschreiber,  1781  Zwölfer,'  1782  Assessor  und  Almosen- 
pfleger, 1785  Obmann  im  Almosenamt,  1793  Examinator  (kirch- 
liche Aufsichts-  und  Verwaltungsbehörde  mit  Vorschlagsrecht  für 
die  Pfarrstellen ;  eine  Kommission  dieser  Behörde  hatte  mit  Zuzug 
der  Chorherren  die  Theologiekandidaten  zu  prüfen.  An  die  Stelle 
des  Examinatorenkonvents  trat  später  der  Kirchenrat,  dem  Vogel 
ebenfalls  angehörte).  Er  war  am  25.  ]\Iai  1799  in  die  provisorische 
Munizipalität  gewählt  worden,  aber  sein  Name  verschwindet  — 


FJü 


Qeorg  Conrad  Q}ürkli 

Sfadfp  ras  Ide  n  i 


o  VIERTES  KAPITEL:    DER  ERSTE  STADTPRÄSIDENT  47 

wie  der  anderer  Mitglieder  —  bald  wieder  aus  dem  Protokoll.  Im 
Jahre  1803  kam  \'ogel  in  den  Stadtrat,  am  14.  Januar  1805  in 
das  französische  Konsistorium.  Zum  Stadtpräsidenten  wurde  er 
vom  grossem  Stadtrat  am  12.  April  1821  gewählt.  Er  demis- 
sionierte am  30.  November  1830  aus  Altersrücksichten.  In  sein 
letztes  Amtsjahr  fällt  eine  neue  Änderung  der  Stadtverfassung. 
Der  Stadtrat  wurde  auf  13  Mitgheder  reduziert,  die  auch  dem 
grossem  Stadtrat  angehörten;  die  andern  60  Mitglieder  dieser 
Behörde  wählten  die  Zünfte,  und  zwar  jede  so  viele  als  sie  Mit- 
glieder des  Grossen  Rates  zu  wählen  hatte. 

Der  sechste  Stadtpräsident:  Georg  Conrad  Bürkli,  Kauf- 
marm  im  Tiefenhof  und  Talhof,  später  im  Neuen  Seidenhof  (geb. 
den  2.  Juni  1787,  f  den  5.  März  1873),  hatte  eine  Tochter 
(Dorothea)  Eschers  von  der  lyinth  zur  Frau.  Er  war  Rittmeister, 
oberster  Feuerwehrkommandant,  kam  am  12.  April  1821  in  den 
Stadtrat  und  wurde  am  18.  Januar  1831  zum  Stadtpräsidenten 
gewählt.  Er  verabschiedete  sich  aber  schon  am  14.  September 
gleichen  Jahres  wieder  von  seinen  Kollegen,  da  er  für  die  am 
gleichen  Nachmittag  noch  stattfindenden  Neuwahlen  nicht  mehr 
zu  kandidieren  gedachte. 


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FÜNFTES  KAPITEL 


FURSTENBESUCHE 

Um  den  „hinreissenden  Anblick  des  Züriclisees"  zu  geniessen 
machte  die  Kaiserin  Marie  Luise  am  6.  Maii8i4  von  Schaff- 
hausen aus  einen  Abstecher  nach  Zürich.  Doch  nur  wenigen  Be- 
wohnern der  Stadt  war  es  vergönnt,  die  Gemahhn  Napoleons  und 
Tochter  des  Kaisers  Franz  von  Angesicht  zu  sehen.  Sie  reiste 
im  strengsten  Inkognito  und  empfing  nicht  einmal  den  Gesandten 
V.  vSchraut;  vor  den  neugierigen  Blicken  des  Pubhkums  schützte 
sie  ein  grosser  Hut.  Der  Wirt  zum  „Schwert"  musste  der  Kaiserin 
auf  dem  WerdmüUerschen  Landgut  zu  Wolhshofen  ein  Diner 
servieren;  dann  machte  sie  eine  Seepartie  und  stieg  zum  Nidelbad 
hinan,  von  wo  aus  sich  ihr  bei  dem  prächtigen  Wetter  der  Zürich- 
see in  seiner  ganzen  Schönheit  zeigte.  Abends  kehrte  die  Kaiserin 
nach  Schaffhausen  zurück,  und  folgenden  Tages  verreiste  sie  mit 
ihrem  Gefolge  von  62  Personen  nach  Konstanz.  119  Pferde  standen 
auf  jeder  »Station  zum  Auswechseln  bereit. 

Marie  Luise  von  Frankreich  war  nur  die  Vorläuferin  einer 
ganzen  Reihe  von  fürstlichen  Personen,  welche  anno  181 4  und 
die  folgenden  Jahre  Zürich  mit  ihrem  Besuch  beehrten.  Anfangs 
JuU  1814  waren  die  russischen  Grossfürsten  Nicolaus  und 
Michael  schon  zum  zweitenmal  in  Zürich.  Am  22.  Juli  folgte 
ihnen  der  König  von  Preussen,  Friedrich  Willaelm  III.,  auch 
er  nur  inkognito;  einzig  der  Bürgermeister  Reinhard  konnte  ihn 
sprechen.  ,,Der  Anblick  unseres  vSees,  auf  dem  sich  gerade  bei 
höchstderselben  Ankunft  viele  Schiffe  befanden,  schien  einen 
angenehmen  Eindruck  auf  Ihro  Majestät  zu  machen.  Eine  See- 
fahrt, die  man  allerhöchstdemselben  am  23.  geben  wollte,  unter- 
blieb wegen  ungünstiger  Witterung,  und  Sie  verreisten  schon 
morgens  %io  Uhr."  (,,Monatl.  Nachr.").  Nach  den  Zürchern 
hatten  die  Schaf fhauser  am  Rheinfall  Gelegenheit,  die  ,,edle 
Simplizität"   des  Königs  zu  bewundern. 

Eine  gewisse  Aufregung  verursachte  es  in  Zürich,  als  auf  den 
9.  Oktober  181 5,  einen  Montag,  ziemlich  unerwartet  die  Ankunft 


o  FÜNFTES  KAPITEL:    FÜRSTENEESUCHE  49 

des  Kaisers  Alexander  I.  von  Russland  angekündigt 
wurde.  Der  in  Eile  zusammenberufene  Stadtrat  traf  die  nötigen 
Anordnungen,  namentlich  Räumung  und  Reinigung  der  Strassen 
von  der  Sihlporte  zum  Rennwegtor  und  zum  „Schwert",  wo  der 
Kaiser  logieren  wollte  —  ein  Privatlogis  für  ihn  hatte  sein  Ge- 
schäftsträger Baron  v.  Krüdeuer  abgelehnt  —  und  ebenso  waren 
instand  zu  stellen  ilarktgasse,  Rindermarkt,  Neumarkt,  oberer 
Hirschengraben  für  die  Fahrt  zum  Rechberg  und  Kasino.  Dem 
Löbl.  PubHco  wurde  durch  Trommelschlag  die  Ankunft  des  Kaisers 
bekannt  gemacht  mit  der  Einladung,  für  eine  Illumination  der 
Häuser  auf  den  Abend  zu  sorgen.  Dem  hohen  Gaste  wurden 
vom  Staatsrat  Oberst  Füssh  und  Oberstleutnant  v.  Muralt  mit 
einer  Eskadron  zürcherischer  ,,Chevauxlegers"  unter  Anführung 
des  Rittmeisters  Melchior  Meyer  an  die  Grenze  nach  Dietikon 
entgegengeschickt.  Als  die  Ka\-alkade  der  Sihlporte  nahte,  er- 
dröhnten von  allen  Wällen  die  Kanonen  und  che  Kirchenglocken 
läuteten,  bis  der  Kaiser  beim  ,, Schwert"  abgestiegen  war.  Hier 
empfing  er  sogleich  die  Delegation  des  Staatsrates  mit  Bürger- 
meister David  V.  Wyss  an  der  Spitze,  der  ihn  in  wohlgesetzter, 
kluger  Rede  begrüsste.  Der  Zar  war  von  grösster  L,iebenswürdig- 
keit.  ,,Ich  bin  so  weit  von  Ihnen  entfernt,"  sagte  er,  ,,dass  ich 
Ihnen  nur  Gutes  tun  kann."  Und  dann  überraschte  er  die  Zürcher 
mit  zwei  grossen  Neuigkeiten ;  dass  die  Mächte  beschlossen  hätten, 
die  Festimg  Hüningen,  die  stets  bedrohliche  Nachbarin  der  Schweiz, 
zu  schleifen,  und  dass  zwischen  allen  Staaten  Europas  mit  Einschluss 
der  Schweiz,  ein  Bund  geschlossen  werden  soll,  der  es  keinem 
Machthaber  mehr  mögUch  machen  würde,  etwa  die  Rolle  Napo- 
leons zu  spielen.  Drei  Kompagnien  des  Bataillons  Eandolt  hatten 
von  der  Sihlporte  bis  zum ,, Schwert"  Späher  gebildet,  die  Grenadier- 
kompagnie dieses  Bataillons  hatte  die  Ehrenwache  beim  ,, .Schwert", 
die  Scharfschützen  von  der  ,, Legion"  standen  bei  der  Haupt- 
wache. Abends  zündete  eine  allgemeine  Illumination  in  alle  die 
, .malerischen  Winkel"  von  Zürich  hinein,  nur  schade,  dass  der 
starke  Wind  so  manches  Lichtlein  immer  wieder  ausblies.  Von 
9  bis  II  Uhr  war  der  Kaiser  auf  dem  Ball  im  Kasino  ,,und  setzte 
die  zürcherischen  Schönen  durch  seine  Anreden  in  Verlegenheit". 
Frühmorgens  am  10.  Oktober  besuchte  der  Kaiser  zu  Fuss 
in  Begleit  des  Barons  v.  Krüdener,  Eschers  von  der  Linth  und 


50  FÜNFTES  KAPITEL:    FÜRSTENBESUCHE  o 

anderer  Herren  den  vSchützenplatz,  die  Katze  und  den  hohen 
Wall  ob  Stadelhofen  und  Hess  sich  die  Stellungen  der  Russen 
und  Franzosen  im  Jahre  1799  zeigen;  schhesshch  besuchte  er 
noch  die  StadtbibUothek,  wo  ihn  besonders  J.  Müllers  Relief  der 
Kantone  Glarus,  St.  Gallen  und  Graubünden  interessierte.  Dann 
setzte  er  sich  in  seinen  Wagen,  der  beinahe  noch  in  der  Metzg- 
Passage  stecken  blieb.  Schützenwachtmeister  Heinrich  Escher 
(vom  WoUenhof)  und  noch  ein  anderer  Schütze  von  der  Haupt- 
wache eilten  herbei  und  hoben  den  kaiserhchen  Wagen  von  der 
fatalen  Hausecke  weg  (Dr.  Conrad  Escher  in  der  „Zürcher  Wochen- 
chronik"). Im  Rechberg  verabschiedete  sich  der  Kaiser  von  den 
beiden  Bürgermeistern  Wyss  und  Reinhard,  inspizierte  nochmals 
die  dort  aufgestellte  leichte  Kavallerie  und  fuhr  dann  das  Hals- 
eisen hinauf  Konstanz  zu. 

Zwei  Tage  später,  Donnerstag  den  12.  Oktober  1815,  kam 
Kaiser  Franz  von  Österreich  nach  Zürich,  mit  denselben 
Ehren  und  Feierhchkeiten  empfangen  ^^"ie  der  Zar.  Er  hatte 
aber  von  Baden  her  den  W^eg  rechts  der  L,immat  über  Ober-Eng- 
stringen, Weiningen  und  Höngg  genommen.  Ludwig  Mej'er 
v.  Knonau  befand  sich  auf  seinem  Gut  ,,Ankenliof"  bei  Ober- 
Engstringen  und  schrieb  hernach  an  seinen  Freund  Hegner  in 
Winterthur:  ,,Ich  liess  dem  Kaiser  Franz  die  Strasse  zurecht 
machen  und  sah  ihn,  vom  Steg  unter  unserm  Gute,  dicht  neben 
mir  vorbeifahren.  Er  grüsste  den  Lehenmannsjungen  und  mich 
nüt  gleicher  Aufmerksamkeit."  Der  Weg  von  der  Xiederdorfporte 
zum  Rechberg,  dem  Absteigequartier  des  Kaisers,  war  schon  seit 
dem  Montag  von  Marktbuden  und  dergleichen  gesäubert.  Der 
Empfang  gestaltete  sich  wieder  sehr  herzhch.  Kaiser  Franz  pries 
in  seiner  Antwort  auf  die  Anrede  des  Bürgermeisters  Wyss  die 
Schweiz  als  die  wichtige  Vormauer  seiner  Staaten.  Reinhard  und 
Escher  \^ou  der  Linth  begleiteten  liierauf  den  Kaiser  in  die  Escher- 
sche  Spinnerei  in  der  ,, Neumühle"  und  auf  die  vStadtbibHothek, 
wo  man  auch  eine  kleine  Ausstellung  der  vorzüghchsten  Produkte 
der  zürcherischen  Fabriken  und  [Manufakturen,  von  Arbeiten  des 
Bhndeninstituts  und  Gemälden  von  Salomon  Gessner  und  Ludwig 
Hess  veranstaltet  hatte.  Nach  Tisch  begleitete  David  ^^  Wyss 
den  Kaiser  nach  dem  seinem  Bruder  gehörenden  Werdmüllerschen 
Landgut  in  \^'ollishofen.    Bei  diesem  gemütUchen  Beisammensein 


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o  FÜNFTES  KAPITEL:   FÜRSTENBESUCHE  51 

fand  Wyss  Gelegenheit,  auch  vom  \'eltHn  anzufangen,  aber  Kaiser 
Franz  meinte  freundUch  ablenkend,  der  Wiener  Kongress  habe 
ihm  dieses  Land  gegeben,  und  man  werde  begreifen,  dass  er  nun 
nicht  wohl  darauf  verzichten  könne;  dagegen  wolle  er  gerne  be- 
hilflich sein,  den  ungerechtenveise  zu  Schaden  gekommenen 
Bündner  FamiUen  ein  Entgelt  zu  bieten  durch  ein  unparteiisches 
Schiedsgericht.  Abends  wurde  im  Rechberg  das  diplomatische 
Korps  empfangen  und  dem  Kaiser  zu  Ehren  ein  kleines  Konzert 
gegeben.  Xatiirhch  brannten  die  Strassenlaternen  wieder  die  ganze 
Nacht,  und  der  Kaiser  machte  mit  dem  Bürgermeister  eine  Fahrt 
durch  die  Stadt,  um  sich  die  Illumination  zu  besehen  oder  \nel- 
mehr,  wie  Wj'ss  an  Mühnen  schrieb,  ,,um  dem  PubUkum  Ver- 
gnügen zu  machen".  Morgens  6  Uhr  fuhr  auch  er  das  Halseisen 
hinauf  und  durch  die  Kronenporte,  um  über  Winterthur  und  Wil 
St.  Gallen  zu  erreichen.  Der  österreichische  Kronprinz  und 
nachmalige  Kaiser  Ferdinand  wurde  am  6.  November  1815  in 
Zürich  mit  50  Kanonenschüssen  bewillkommt  und  mit  einer  See 
fahrt  regaUert. 

Was  der  Zar  Alexander  bei  seinem  Besuch  am  9.  Oktober  an- 
gekündigt hatte,  war  die  sogenannte  ,,H eilige  Allianz",  welche 
die  Grundsätze  des  Christentums  zum  obersten  Gesetz  in  der 
innem  Verwaltung  der  Staaten  wie  in  ihren  Beziehungen  unter- 
einander erklären  sollte.  Alexander  hatte  eigenhändig  die  seltsame 
Urkunde  entworfen,  und  der  Köiüg  von  Preussen,  sowie  der  Kaiser 
Franz  taten  ihm  den  Gefallen,  am  26.  September  1815  das  Doku- 
ment zu  unterzeichnen,  ,, nachdem  Metternich  die  Bedenken 
seines  Herrn  mit  der  Bemerkung  beruhigt  hatte,  es  sei  blosser 
Wortschwall".  Auch  der  Schweiz  ward  also  ,,ein  Plätzchen  auf 
der  untersten  Treppenstufe  der  Heihgen  AUianz"  eingeräumt. 
Am  23.  Juli  1816  lud  der  russische  Gesandte  in  Bern,  Baron 
Paul  von  Krüdener,  die  Tagsatzung  zum  Beitritt  ein.  In 
allen  Grossen  Räten  und  Landsgemeinden,  die  damals  noch  — 
zum  Zweck  der  Instruktion  der  Tagsatzungsgesandten  —  viel 
in  auswärtiger  Pohtik  zu  machen  hatten,  wurde  über  den  Bei- 
tritt beraten.  Den  Grossen  Rat  von  Zürich  veranlasste  eine  glän- 
zende Rede  Dr.  Paul  L^steris  zur  Zustimmung.  Am  27.  Januar 
181 7  hatte  Baron  Krüdener  die  Beitrittserklärung  der  Schweiz 
in  Händen.  Es  hiess,  dass  seine  Mutter,  Juliane  von  Krüdener, 


52  FÜNFTES  KAPITEL:   FÜRSTENBESUCHE  o 

nicht  ohne  Einfluss  auf  die  EntschUessung  des  Zaren  Alexander 
gewesen  sei,  mit  dem  sie  in  Paris  religiöse  Gespräche  geführt 
hatte.  Frau  v.  Krüdener  war  eine  Dame  der  grossen  Welt,  Vex- 
fasserin  eines  ziemlich  schlüpfrigen  Romans  , .Valerie",  bekehrte 
sich  dann  und  reiste  seitdem  als  Busspredigerin  durch  die  Welt. 
Im  Hungerjahr  1817  kam  sie  nach  der  Schweiz  und  bereitete  den 
Behörden  viele  Verlegenheiten.  Man  hatte  der  Mutter  des  rus- 
sischen Gesandten  gewisse  Rücksichten  zu  tragen,  und  doch 
konnte  man  das  Geläuf,  zu  dem  sie  Anlass  gab,  nirgends  lauge 
dulden.  Hungerndes  \'olk,  aber  auch  viel  Lumpengesindel,  von 
ihren  wahllos  gespendeten  Gaben  angelockt,  strömte  ihr  massen- 
haft zu.  So  wurde  sie  immer  wieder  ausgewiesen  und  pohzeilich 
von  Kanton  zu  Kanton  abgeschoben.  Am  3.  Juh  1817,  abends 
IG  Uhr,  brachte  der  Oberamtmann  von  Knonau  die  interessante 
Frau  nach  Zürich.  Bei  der  Durchfahrt  ihres  Wagens  unter  den 
,, Bögen"  wurde  ein  Koffer  vom  \'erdeck  heruntergerissen  und 
krachend  ging  das  schöne  Porzellangeschirr,  mit  dem  der  Koffer 
vollgepackt  war,  in  Stücke.  Auf  der  ,, Platte"  hielt  dann  am  fol- 
genden Tage  die  ,,Frau  Prinzessin"  oder  ,,Frau  Herrgöttin",  wie 
das  Volk  spottete,  eine  flammende  Busspredigt.  ,,Wehe  über  die 
Schweiz!  \"\^ehe  über  Zürich,  wo  die  Kinder  schon  Holofernes- 
Gesichter  haben!"  »Sie  hatte  die  unempfänglichen  Schweizer  um- 
sonst zur  Busse  gerufen,  umsonst  sogar  Wunder  getan.  ,,In  Luzern 
speiste  ich  neunhundert  Menschen  urit  neunzehn  Broten  und  ein 
wenig  Butter  .  . .  Schon  öfters  lag  ich  mit  dem  russischen  Kaiser, 
mich  Gott  innigst  hingebend  und  ihn  um  seinen  heiligen  Geist 
bittend,  vor  ihm  auf  die  Knie  geworfen.  Der  Kaiser  selbst,  der 
doch  einen  grossen  Schaden  am  Knie  hatte  (es  fuhr  ihm  nämlich 
ein  Rad  über  dasselbe),  lag  tief  gebückt  vor  dem  Höchsten  im 
Staube.  Dies  ist  die  walire  Andacht  ...",  aber  ,,wehe  denen, 
die  mich  aus  ihren  Ländern  Verstössen,  Gott  wird  mich  an  ihnen 
rächen!"  Von  Zürich  ausgewiesen,  verlegte  Frau  v.  Krüdener 
ihre  Wirksamkeit  in  das  badische  Grenzdorf  Lotstetten.  Dort 
befand  sich  unter  ihren  Zuhörern  die  damals  23jährige  Älarga- 
retlia  Peter  von  \Mldispuch  bei  Benken.  Die  beiden  Frauen 
zogen  einander  an  und  Frau  v.  Krüdener  suchte  die  Margret 
dauernd  an  sich  zu  fesseln.  Sie  aber  fühlte  sich  selber  zu  noch 
höherem   berufen.     Wir   wollen   sie   nicht   erzählen,    die   traurige 


o  FÜNFTES  KAPITEL:   FÜRSTENBESUCHE  53 

Geschichte  von  der  ,, heiligen  Gret"  von  Wildispuch,  die  mit  dem 
Blutbad  in  der  Famihe  Peter  am  15.  März  1823,  der  schauerlichen 
Kreuzigung  und  Nicht -Auferstehung  am  dritten  Tage  ihren  Ab- 
schluss  fand.  Zürich  bekam  davon  noch  das  gerichtUche  Nach- 
spiel zu  sehen.  Da  man  zu  jener  Zeit  auch  die  Verkündigung 
und  Vollstreckung  von  Strafurteilen  mit  einem  gewissen  Pomp 
zu  umgeben  für  nötig  hielt,  fanden  die  elf  Verurteilten  von  Wildis- 
puch auf  ihrem  bittern  Bussgang  am  Donnerstag  den  4.  Dezember 
1823  ein  grosses  Geleite.  Kaum  aus  dem  Wellenberg  beim  Korn- 
haus ans  Land  gebracht,  ward  die  Margret  Jäggli  von  mehreren 
Ohnmächten  befallen,  weshalb  der  Jammerzug  zum  Rathaus  nur 
langsam  vorwärts  kam.  Dort  mussten  die  vier  Schuldigsten 
während  der  Urteilsverlesung  auf  der  obersten  Treppenstufe 
knien,  die  andern  sieben  auf  der  untersten.  Dann  gings  durch 
die  Marktgasse  und  die  Hauptstrasse  zum  Grossmünster.  Glocken- 
geläute, massenhaftes  Volk  in  den  Strassen,  alle  Landjäger  in 
grosser  Gala  mit  der  schwarzen  Feder  auf  dem  Tschakko  — ,  man 
konnte  glauben,  die  Tagsatzung  komme,  es  fehlte  nur  der  Ka- 
nonendonner und  das  Militärspalier.  Für  die  obrigkeitlich  ver- 
ordnete Predigt  des  Chorherm  Kramer  hatten  die  Delinquenten 
Sperrsitze  um  den  Taufstein  her.  Das  endliche  Verschwinden 
hinter  den  Zuchthausmauern  war  für  sie  eine  Erlösung. 

Der  häufige  Umgang  mit  den  fremden  Fürsthchkeiten  hatte 
für  ,, Unsere  Herren  und  Obern"  —  ganz  allmählich  bürgerten  sich 
die  alten  Titel  recht  solide  wieder  ein  —  allerhand  Annehmlich- 
keiten, Orden,  Schnupftabaksdosen  und  andere  Andenken  zur 
Folge.  Überhaupt  deutete  alles  darauf  hin,  dass  die  Schweiz 
wirklich  als  vollwertiges  MitgUed  der  , .Heiligen  AlUanz"  betrachtet 
wurde.  Die  eidgenössische  Kanzlei  im  Obmannamt  hatte  genug 
zu  tun,  um  nur  alle  die  erlauchten  Zivilstandsnachrichten,  die  ihr 
von  den  hohen  Dynastien  Europas  zugingen,  pfhchtgemäss  an 
sämtliche  22  Stände  weiter  zu  leiten  und  zum  Ableben  eines  Gross- 
onkels, der  glückhchen  Entbindung  einer  Cousine,  der  Heirat 
von  Prinzen  und  Prinzessinnen  bald  des  einen,  bald  des  andern 
Hauses  entsprechend  zu  kondolieren  oder  zu  gratulieren.  Mit 
den  Orden  war  es  eine  eigene  Sache.  1817  machte  die  Tagsatzung 
in  Bern,  wo  der  präsidierende  Amtsschultheiss  v.  Wattenwyl  und 
der  Kanzler  Mousson  mit  dem  roten,   der  zweite  bernische  Ge- 


54  FÜNFTES  KAPITEL:    FÜRSTENBESUCHE  o 

sandte  Elirchsperger  mit  dem  schwarzen  preussischen  Adlerorden, 
der  erste  Gesandte  Zürichs  mit  dem  österreichischen  St.  Stephans- 
orden prangten,  auf  Talleyrand  den  Eindruck  einer  Versammlung, 
die  von  einem  preussischen  Prinzen  präsidiert  werde,  und  sar- 
kastisch schrieb  er  am  17.  JuU  1817:  , .Einst  erhielt  man  die  Mehr- 
heit auf  der  Tagsatzung  durch  Geld,  und  heute,  wo  das  Geld  rar 
ist,  kann  man  sie  erlangen,  wenn  man  der  EigenHebe  der  Regie- 
rungen durch  Verleihung  von  Titeln  und  Orden  schmeichelt." 
Über  die  Wirkung  der  preussischen  Dekorationen  schrieb  der  Ge- 
sandte Justus  Grüner  am  25.  Mai  1817;  ,,Der  König  kann  jetzt 
ganz  auf  Bern  zählen  und  ich  verspreche  mir  grossen  Erfolg  von 
den  Geschäften  der  nächsten  Tagsatzung  durch  meinen  Einfluss 
auf  den  Präsidenten  und  den  Rat  des  Vororts."  David  v.  Wyss 
hatte  den  vStephansorden  nicht  ohne  schwere  Bedenken  und  nur 
mit  Erlaubnis  des  Kleinen  Rats,  Mousson  den  roten  Adlerorden 
nach  Befragung  der  22  Stände  angenommen ;  General  Finsler,  der 
dem  Kaiser  Franz  nicht  die  persönlichen  Rücksichten  schuldete 
wie  Wyss,  lehnte  die  österreichische  Auszeichnung  ab,  und  der 
Kleine  Rat  von  Zürich  beeilte  sich,  ein  Gesetz  auszuarbeiten,  das 
seine  MitgUeder  durch  ein  striktes  Verbot  vor  künftigen  ähnUchen 
Verlegenheiten  schützte. 

Jeder  Kanton  schloss  auf  eigene  Faust  mit  fremden  ]\Iächten 
sogenannte  ,, Kapitulationen"  ab  für  die  Lieferung  von  Söld- 
nerregimentern, und  beim  Abschluss  solcher  Kapitulationen 
gab  es  wieder  Geschenke  und  Auszeichnungen  für  die  regierenden 
Häupter,  z.  B.  für  den  Zürcher  Bürgermeister  einmal  eine  Mar- 
morbüste Ludwigs  XVIII.  Erst  im  Jahr  1831  verbot  Zürich  diese 
Kapitulationen,  die  schon  Stapfer  eine  ,, Versündigung  an  der 
Nationalehre  und  Volkswohlfahrt"  genaimt  hatte.  Denn  tat- 
sächUch  hatten  Land  und  Volk  von  diesem  Kriegsdienst  im  Solde 
fremder  Mächte  nicht  den  geringsten  Nutzen,  nicht  einmal  irgend- 
welche handelspoUtische  Vorteile.  Es  war  dabei  einzig  und  allein 
auf  die  Offiziersstellen  als  eine  ehrenvolle  und  lukrative  Car- 
riere  für  die  Angehörigen  der  hohem  Stände  abgesehen.  In  Frank- 
reich allein  standen  546  solcher  Stellen  zur  Verfügung.  Die  Tag- 
satzuug  aber  trieb  einen  förmhchen  Kultus  mit  der  bezahlten  und 
selbstverständlichen  Treue  der  angeworbenen  Söldner  für  ihre 
fremden  Herren.    Sie  verlieh  am  7.  August  1817  den  Überleben- 


o  FÜNFTES  KAPITEL:   FÜRSTENBESUCHE  55 

den  der  Schweizergarde  in  Paris  „in  tiefer,  ewiger  Dankbarkeit 
und  Bewunderung"  eine  eiserne  Denkmünze  an  rotweissem  Band 
mit  dem  eidgenössischen  Kreuz  imd  der  Aufschrift:  „Treue  und 
Ehre."  Demselben  Geiste  entsprang  die  Errichtung  des  Löwen- 
denkmals in  Luzern  zu  Ehren  der  beim  Tuileriensturm  am 
10.  August  1792  gefallenen  Schweizer.  Das  prachtvolle  Werk 
Thorwaldsens  wurde  am  10.  August  1821  in  Gegenwart  zahl- 
reicher hoher  Persönhchkeiten  und  der  ganzen  Söldneraristokratie 
feierhch  enthüllt.  Der  Luzemer  Studentenverein  „Zofingia" 
aber,  eingedenk  dessen,  dass  die  Helden  von  Sempach,  St.  Jakob 
und  Neuenegg  noch  kein  Denkmal  hatten,  beteiligte  sich  nicht  an 
dieser  Feier,  sondern  fuhr  an  diesem  Tage  demonstrativ  in  die 
Hohle  Gasse  bei  Küssnacht  und  feierte  dort  das  Andenken  von 
Wilhelm   Teil. 


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SECHSTES  KAPITEL 


VATER  PESTALOZZI 

Als  Johann  Heinrich  Pestalozzi  am  17.  Februar  1827  zu 
•  Brugg  die  müden  Augen  schloss,  war  sein  Weltruhm  schon  un- 
austilgbar begründet.  Auch  die  Heimat  hat  „ihrem  Propheten"  bei 
seinem  Tode  die  Anerkennung  nicht  versagt.  Die  „Monatschronik" 
vom  Februar  1827  spricht  von  dem  „welthistorischen  Impuls,  den 
er  durch  seinen  Enthusiasmus,  geniale  Ideen,  hingebende  Liebe 
der  ganzen  gebildeten  Welt  gab,  die  erste  Erziehung,  die  \'olks- 
schulen,  die  untern  Volksklassen  überhaupt  mehr  zu  berücksich- 
tigen, als  es  bisher  geschehen  war".  Dennoch  kam  die  Vater- 
stadt erst  spät  dazu,  ihrem  grossen  Sohne  ein  Denkmal  zu  errich- 
ten: am  26.  Oktober  1899  wurde  das  Werk  des  Bildliauers  Hugo 
Siegwart  in  den  Anlagen  vor  dem  Linth-Escher-Schulhaus,  etwas 
abseits  von  der  »Strasse,  enthüllt.  Pestalozzi  war  ein  Freund  und 
Helfer  der  Armen  und  Elenden  und  selber  einer  der  Ärmsten  unter 
ihnen!  Der  ärmste  Mann  in  Zürich,  der  am  Pestalozzi-Denkmal 
vorübergeht  und  seine  Augen  zu  dem  Standbild  erhebt,  wird  kaum 
von  solcher  Not  bedrückt,  wie  Pestalozzi  sie  in  einem  Brief  an 
Zschokke  sclülderte:  ,, Freund,  wusstest  du  es  nicht?  Dreissig 
Jalire  war  mein  Leben  eine  unaufhörHche  ökonomische  Verwirrung 
und  ein  Kampf  gegen  eine  zur  W^ut  treibende  äusserste  Armut. 
Wusstest  du  es  nicht,  dass  mir  gegen  dreissig  Jahre  die  Notdurft 
des  Lebens  mangelte  ?  Nicht,  dass  ich  bis  auf  heute  weder  Gesell- 
schaften noch  Kirchen  besuchen  kann,  weil  ich  nicht  gekleidet 
bin  und  nüch  nicht  zu  kleiden  vermag?  Zschokke,  wusstest  du 
es  nicht,  dass  ich  auf  der  Strasse  das  Gespött  des  \'olkes  bin,  weil 
ich  wie  ein  Bettler  unüierlaufe  ?  Wusstest  du  es  nicht,  dass  ich 
tausendmal  kein  Mittagessen  vermochte  und  in  der  Stunde,  da 
fast  alle  Armen  an  ihrem  Tische  sassen,  ich  ein  Stück  Brot  mit 
Wut  auf  den  »Strassen  verzehrte?  Ja,  Zschokke,  noch  kämpf  ich 
den  entsetzHchen  Kampf  zwischen  drückender  Armut  und  fürchter- 
lichen Ausgaben  und  habe  das  einzige  Ziel,  durch  Standliaftigkeit 


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o  SECHSTES  KAPITEL:    VATER  PESTALOZZI  57 

in  meinem  Plan  noch  vor  meinem  Tode  die  elendeste  unter  allen 
Haushaltungen,  meine  eigene  Haushaltung,  aufrichten  zu  können." 
Und  die  Armut  blieb  dem  Vater  Pestalozzi  treu  sein  lieben  lang. 
Nicht  viel  anders  als  ein  alter  Landstreicher  mag  er  ausgesehen 
haben,  als  er  im  Oktober  1814  zu  Fuss  von  einem  Besuch  auf  dem 
Neuhof  bei  seiner  Frau  nach  Iferten  zurückkehrte,  in  den  Schuhen 
der  treuen  Lisabeth,  seiner  frühern  Magd  und  nunmehrigen  Ver- 
waltersfrau im  Neuhof.  Er  schickte  dann  die  vSchuhe  zurück  und 
schrieb  dazu  seiner  Frau:  ,,Sie  haben  mir  auf  der  Reise  so  weh 
getan,  dass  ich  sie  von  Lenzburg  aus  heruntertreten  und  so  durch 
Bern  bis  liieher  reisen  musste." 

Bei  Pestalozzi  kam  zur  Armut  noch  die  natürhche  Hässlich- 
keit  und  ein  angeborner  Mangel  an  Ordnungssinn  und  Reinlich- 
keit, um  sein  Äusseres  so  unvorteilhaft  als  mögHch  zu  gestalten. 
,, Stellt  euch,"  sagt  Vulliemin  in  seinen  «Souvenirs  racontes  ä  ses 
petits-enfants  >^ ,  ,  ,einen  sehr  hässUchen  Mann  vor  mit  aufstehenden 
Haaren,  mit  einem  blatternarbigen  und  mit  roten  Flecken  be- 
deckten Gesicht,  stechendem,  ungepflegtem  Bart,  ohne  Halsbinde, 
mit  schlecht  zugeknöpften  Hosen,  die  auf  Strümpfe  herabfallen, 
die  ihrerseits  über  grobe  Schuhe  hinabgehen,  mit  schwankendem, 
stossweisem  Gang,  mit  Augen,  die  sich  bald  erweitern  und  Feuer- 
bhcke  ausstrahlen,  bald  sich  halb  schhessen,  der  innem  Betrach- 
tung zugewandt,  mit  Gesichtszügen,  die  bald  eine  tiefe  Traurig- 
keit, bald  eine  SeUgkeit  voll  Sanftmut  ausdrücken,  mit  einer 
Sprache,  die  bald  langsam,  bald  schnell,  bald  weich  und  melodisch 
erkUngt,  bald  wie  der  Donner  erschallt,  dann  habt  ihr  ein  Bild 
von  demjenigen,  den  wir  Vater  Pestalozzi  nannten."  Nichts 
war  weniger  geeignet,  Pestalozzi  zu  einer  weltgeschichtlichen  Auf- 
gabe vorzubereiten,  als  seine  Erziehung  und  Veranlagung.  ,,Es  ist 
eigentlich  ein  wundersames  Phänomen:  der  Mann,  der  zeitlebens 
nicht  orthographisch  schreiben  konnte,  wird  der  Prophet  für  die 
Methode  des  Unterrichtens;  der  Mann,  der  in  seiner  Naivetät 
den  Freunden  gestand,  er  verderbe  (durch  seine  bhnde  Gutmütig- 
keit) alle  die,  mit  welchen  er  zu  tun  habe,  der  Prophet  der  Er- 
ziehung; der  Mann,  der  nur  in  der  Gegenwart  lebte  und  dessen 
geistiges  Leben  nach  Niederers  treffendem  Ausdruck  eigenthch 
keine  Geschichte  hatte,  eine  Persönhchkeit  von  zentraler  kultur- 
geschichtUcher  Wirksamkeit;  der  Älann,  der  sozusagen  nie  über 


58  SECHSTES  KAPITEL:    VATER  PESTALOZZI  o 

die  Grenzen  seines  kleinen  Vaterlandes  hinausgekommen,  zieht  die 
Bewunderer  aus  aller  Welt  zu  sich  heran ;  der  Mann,  der  sich  selbst 
der  absoluten  Regierungsunfähigkeit  anklagt,  war  der  herrschende 
Mittelpunkt  und  der  Gegenstand  einer  Hingebung,  die  das  Unmög- 
Uche  um  seinetwillen  möglich  zu  machen  suchte."  (Hunziker.) 
Die  wahrhaft  schöpferische  Idee  Pestalozzis,  dem  eine  Königin 
Luise  ,,in  der  Menschheit  Namen"  dankte,  erbUckte  vSeyffarth 
darin,  ,,dass  er  den  Menschengeist  selbst  zum  Gegenstande  der 
Behandlung  machte,  während  man  früher  den  Geist  nur  als  ein 
Gefäss  betrachtet  hatte,  in  welches  ein  gewisser  Unterrichtsstoff 
hineingefüllt  werden  musste.  Das  war  ein  ganz  neues  Prinzip,  das 
den  ganzen  Unterrichtsbetrieb  umgestalten  musste."  G.  v.  Zezsch- 
witz  bezeugt:  ,, Pestalozzi  ist  mehr  als  nur  Reformator;  er  ist  der 
Schöpfer  des  Anschauungsunterrichts  nach  seinem  organischen 
Zusammenhange  mit  der  Ausbildung    aller  Geisteskräfte." 

Als  Geburtsstätte  Pestalozzis  gilt  nach  der  Tradition  (dokumen- 
tarisch bezeugt  ist  es  nicht)  das  Haus  zum  ,, schwarzen  Hom"  am 
Rüdenplatz,  dem  ehemahgen  ,,Stücklimärt" ;  nebenan  ist  das 
Geburtshaus  seiner  Frau  (zum  ,, Pflug").  Geboren  am  12.  Januar 
1746,  verlor  Heinrich  Pestalozzi  schon  mit  fünf  Jahren  seinen 
Vater,  einen  unbemittelten  Chirurgen,  und  wuchs  nun  ,,als  Weiber- 
und  Mutterkind  auf,  wie  nicht  bald  ein  grösseres  sein  kann".  Die 
Dienstmagd  Babeli  sperrte  den  Buben  soviel  als  mögUch  ein, 
damit  er  der  Mutter  nicht  unnütz  Kleider  brauche.  In  der  Schule 
hiess  er  ,,der  Heiri  Wunderli  von  Toriikon";  aber  als  es  ,,erd- 
bebnete"  (1755),  konnte  man  nur  ihn  in  das  in  toller  Flucht  ver- 
lassene Schulhaus  zurückschicken,  die  Kappen  und  Bücher  zu  holen. 
Als  vStudent  kam  Pestalozzi  in  den  Verdacht,  dem  Verfasser  einer 
politischen  Flugschrift  zur  Flucht  verholfen  zu  haben,  und  ward 
deshalb  vier  Tage  eingesteckt,  das  Pamphlet  vor  dem  Rathaus 
öffenthch  verbrannt.  Pestalozzi  gab  das  Studium  bald  wieder 
auf,  widmete  sich  der  Landwirtschaft  und  kaufte  mit  entlehntem 
Geld  den  Neuliof  bei  Birr  im  Aargau,  der  nun  im  Jahr  1913  als 
,, Pestalozzistiftung"  (Erziehungsanstalt)  eröffnet  worden  ist.  Er 
wollte  dort  vor  allem  seiner  jungen  Frau,  Anna  Schulthess,  ein 
gemütliches  Heim  bereiten  und  daneben  einen  ^'e^such  mit  der 
Krappkultur  (Wurzel  der  Färberröte)  im  grossen  machen.  Doch 
die    Sache    rentierte    nicht,    ebensowenig    die   hierauf   begonnene 


o  SECHSTBS  KAPITEt:   VATER  PESTALOZZI  59 

Sennerei.  Da  kam  ihm  der  Gedanke,  eine  Armenerziehungsanstalt 
zu  errichten  (1774).  Es  war  eine  ökonomisch-pädagogische  Speku- 
lation: das  verwilderte  Land  sollte  durch  ebenso  verwilderte  und 
ungebrauchte  menschliche  Kräfte  angebaut  werden,  der  Mensch 
die  Natur  und  die  Natur  den  Menschen  kultivieren,  die  Kinder 
aber  mit  der  Zeit  so  viel  verdienen,  dass  die  Unkosten  früherer 
Jahre  gedeckt  wurden.  Die  Spekulation  schlug  gänzhch  fehl.  Die 
Bettelkinder  wollten  sich  nicht  an  die  Arbeit  gewöhnen,  liefen  in 
den  geschenkten  Sonntagskleidern  wieder  weg,  und  jeden  Sonn- 
tag hatte  Pestalozzi  das  Haus  voll  Leute,  welche  schimpften  und 
den  Zustand  ihrer  Kinder  ungenügend  fanden.  Nach  sechs  Jahren 
ging  die  Anstalt  ein.  Jetzt  versuchte  es  Pestalozzi  mit  der  Feder. 
Es  erschien  seine  ,, Abendstunde  eines  Einsiedlers"  und  dann 
(1781)  das  Volksbuch  ,,Lienhard  und  Gertrud",  das  ihm  mit 
einem  Schlage  zu  europäischer  Berühmtheit  verhalf,  ihn  aber 
nicht  aus  seiner  Schuldennot  errettete. 

1798  schickte  ihn  die  helvetische  Regierung  nach  St  ans  zur 
Pflege  und  Erziehung  der  Kinder,  die  durch  den  Kampf  gegen  die 
Franzosen  am  9.  September  Waisen  geworden  waren.  Er  kam 
am  7.  Dezember  dort  an,  leistete  in  fünf  Monaten  an  Liebe,  Hin- 
gabe, Fürsorge  und  Treue,  was  nur  ein  Pestalozzi  leisten  konnte. 
Mehr  als  das  aber  hob  seinen  Kredit,  dass  er  von  6000  Franken, 
die  ihm  bewilhgt  waren,  3000  zurückgeben  konnte!  Die  nächste 
Etappe  war  eine  Schulmeisterstelle  in  Burgdorf,  1800  die  Er- 
öffnung der  Erziehungsanstalt  im  dortigen  Schloss  mit  Unter- 
stützung der  helvetischen  Regierung,  1801  die  Veröffentlichung 
der  pädagogischen  Schrift  ,,Wie  Gertrud  ihre  Kinder  lehrt", 
die  den  Einfluss  Pestalozzis  auf  das  Schulwesen  des  19.  Jahr- 
hunderts begründete.  Seltsamerweise  befand  sich  der  unprak- 
tische Pädagoge  1802  unter  den  Abgeordneten  zur  helvetischen 
Consulta  in  Paris,  wo  er  sein  Zimmer  neben  Paul  Usteri  hatte. 
Nach  Nej's  Bericht  an  Talleyrand  wäre  dort  eine  nette  Gesell- 
schaft exaltierter  Köpfe  beisammen  gewesen:  ,, Usteri,  on  le 
nomme  exalte  et  intolerant,  Pestalozzi  homme  celebre  par  les 
Sciences,  mais  exalte  dans  les  opinions  pohtiques.  Pfenninger 
patriote  exalte,  vSchweizer  aristocrate  exalte,  Reinhard  aristo- 
crate  exalte,  Soulzer  modere."  Pestalozzis  Denkschrift  an  Na- 
poleon über  eine  rechte  Verfassung  zur  Emporbildung  des  Volkes 


6o  SECHSTES  KAPITEL:    VATER  PESTALOZZI  o 

fand  ungnädige  Aufnahme.    „Ach  was,  ich  kann  mich  um  Eure 
Abc-Lehren  nicht  kümmern,"  lautete  der  barsche  Bescheid. 

Da  die  wiederhergestellte  Bemer  Regierung  das  Schloss  Burg- 
dorf für  sich  reklamierte,  musste  Pestalozzi  1804  ins  alte  Johan- 
niterhaus  Müncheubuchsee  umziehen.  Im  nahen  Hofwyl  führte 
Philipp  Emanuel  v.  Fellenberg  seine  Erziehungsanstalt.  Pestalozzi 
schloss  sich  ihm  an,  stellte  seine  Anstalt  unter  Fellenbergs  Yer- 
waltung  und  zog  selbst  nach  Yverdon,  um  dort  ein  neues  In- 
stitut zu  gründen.  1805  folgten  ihm  Lehrer  und  Schüler  von 
Münchenbuchsee  nach.  Yverdon  (Iferten)  war  die  äusserlich 
glänzendste  Periode  von  Pestalozzis  Wirksamkeit,  allein  schon 
nach  wenigen  Jahren  zeigten  sich  die  Keime  des  Zerfalls.  Pesta- 
lozzis Kraft  war  dem  stark  erweiterten  Institutionsorganismus 
nicht  mehr  gewachsen.  vSchwere  Krisen  brachen  herein,  verschärft 
durch  Streitigkeiten  unter  der  Lehrerschaft,  die  selbst  zu  häss- 
lichen  Prozessen  führten.  Auch  Pestalozzi  wurde  in  der  öffent- 
lichen Polemik  nicht  geschont  und  überdies  von  der  Vaterstadt 
aus,  durch  den  Chorherm  Bremi  in  der  ,, Freitagszeitung",  aufs 
.Schärfste  kritisiert.  Schhesslich  Hessen  ihn  die  Lehrer  gänzhch 
im  Stich.  ,, Jeden  Hess  er  besonders  kommen.  Die  Worte,  die  er 
in  diesen  Momenten  der  rührendsten  Niedergeschlagenheit  und  in 
unbegreifhcher  Herzensbewegung  sprach,  sind  nicht  zu  wieder- 
holen. Wohl  zehnmal  wollte  er  zu  ihren  Knien  fallen,  bat,  weinte, 
stellte  vor,  wie  sie  das  ganze  Institut  stürzten,  einen  armen  un- 
glücklichen Mann  zugrunde  richteten,  wie  sie  es  rummer  vor  der 
Welt  würden  verteidigen  können."  Schmid,  um  dessen  willen  die 
andern  Lehrer  gehen  wollten,  rettete  zwar  das  Institut  als  finan- 
zielles Unternehmen,  stellte  aber  zugleich  Pestalozzi  unter  seine 
Vormundschaft.  Der  Verfall  war  trotzdem  nicht  auf  die  Dauer 
aufzuhalten.  1825  löste  sich  die  Anstalt  auf,  Vater  Pestalozzi  zog 
zu  seinem  Enkel  auf  den  Neuhof.  In  ergreifenden  Selbstanklagen 
strömte  Pestalozzi  sein  Leid  aus  in  den  letzten  seiner  Schriften, 
„Lebensschicksale"  und  ,, Schwanengesang",  und  als  am  21.  Juli 
1826  der  Achtzigjährige  die  Armenerziehungsanstalt  Zellers  in 
Beuggen  durchwanderte,  rief  er  aus:  ,,Das  ist's!  Das  habe  ich 
gewollt!"  Zu  Tränen  rührte  ihn  das  Lied  der  Kinder  ,,Der  du  von 
dem  Himmel  bist",  das  er  in  ,,Lienhard  und  Gertrud"  aufgenommen 
hatte. 


o  SECHSTES  KAPITEL:   VATER  PESTALOZZI  6i 

Die  letzten  Lebenswochen  verbitterte  die  leidenschaftliche 
Schmähschrift  Bibers.  Noch  kurz  vor  seinem  Tode  schrieb  Pesta- 
lozzi: ,,0,  ich  leide  unaussprechUch !  Kein  Mensch  vermöchte  zu 
fassen  den  Schmerz  meiner  Seele.  Man  verschmäht  und  beschimpft 
den  alten,  schwachen,  gebrechHchen  Mann  und  sieht  ihn  jetzt 
nur  noch  als  ein  unbrauchbares  Werkzeug  an.  Das  tut  mir  nicht 
um  meinetwillen  weh,  aber  es  tut  mir  weh,  dass  man  auch  meine 
Idee  verschmäht  und  verachtet  und  unter  die  Füsse  tritt,  was  mir 
heilig  war  und  wonach  ich  während  meines  langen  kummervollen 
Lebens  gerungen  habe.  Sterben  ist  nichts;  ich  sterbe  gern,  denn 
ich  bin  müde  und  möchte  endHch  Ruhe  haben ;  aber  gelebt  zu  haben, 
alles  geopfert  zu  haben  und  nichts  erreicht  zu  haben  und  alles 
zertrümmert  zu  sehen  und  so  mit  seinem  Werk  ins  Grab  zu  sinken, 
—  o  das  ist  schreckUch,  und  ich  kann  es  nicht  aussprechen."  Die 
Erschütterung  warf  ihn  aufs  Krankenlager.  Ein  qualvolles  Leiden 
führte  die  Grösse  und  die  tiefe  Tragik  dieses  Lebens  einem  raschen 
Ende  entgegen.  Am  15.  Februar  1827  wurde  der  schwer  Leidende, 
in  einem  Schlitten  wohl  verpackt,  nach  Brugg  gebracht,  damit  er 
der  ärzthchen  Hilfe  näher  sei;  aber  zwei  Tage  später  hauchte  er 
seine  Seele  aus.  Am  19.  Februar  begrub  man  ihn  in  aller  Stille 
beim  Schulhaus  in  Birr.  Als  man  ihn  einst  gefragt  hatte,  was  er 
sich  für  ein  Grabdenkmal  wünsche,  soll  Vater  Pestalozzi  geant- 
wortet haben:  ,,Ein  ganz  roher  Feldstein  tut's;  denn  ich  selbst 
bin  nichts  anderes  gewesen." 


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SIEBTES  KAPITEL 


STADT  UND  LAND 

Es  war  einmal  eine  konservative  Stadt  Zürich,  welcher  eine 
radikale  und  fortschritthche  Landschaft  gegenüberstand.  Das 
hatte  seinen  natürUchen  Grund  darin,  dass  die  Stadt  Zürich  die 
ihr  im  Jahre  1798  entrissenen  Vorrechte,  soweit  es  irgend  möglich 
war,  zurückzuerobern  und  zu  behaupten  trachtete,  während  die 
Landschaft  an  der  Proklamation  ihrer  Freiheit  und  Ebenbürtig- 
keit mit  der  Stadt  (5.  Februar  1798)  festhielt  und  darauf  ihre  nur 
vorübergehend  zum  Schweigen  gebrachten  Forderungen  stützte. 
Formell  war  jene  Proklamation  ja  nie  widerrufen  worden;  der 
Grundsatz  der  Rechtsgleichheit  hatte  vielmehr  in  den  Verfassungen 
von  1803  und  1814  seinen  Ausdruck  gefunden.  Aber  die  Wirk- 
lichkeit zeigte  ein  ganz  anderes  Bild.  Es  war,  als  hätte  die  natür- 
lidie  Entwicklung  der  Dinge,  welche  keine  Sprünge  liebt,  eine 
nochmahge  fast  vollständige  Wiederherstellung  der  Herrschaft 
der  vStadtaristokratie  verlangt,  weil  diese  Herrschaft,  als  sie 
1798  stürzte,  bei  allen  ihren  Fehlern  keineswegs  eine  schlechte  und 
verrottete  gewesen  war,  sondern  nur  ihre  Zeit  nicht  begriffen  hatte. 
Die  Geschichte  gab  ihr  nun  nochmals  auf  die  Dauer  eines  Menschen- 
alters Gelegenheit,  den  veränderten  Verhältnissen  sich  anzupassen, 
das  in  der  Not  verpfändete  Wort  lo3'al  einzulösen  und  beim  Volk 
statt  nur  des  untertänigen  Gehorsams  Verständnis,  Sympathie 
und  freiwiUige  Unterordnung  unter  die  Interessen  des  Ganzen  zu 
suchen.  Das  aber  wurde  versclimäht.  Darum  schliesshch  die  un- 
vermeidliche und  unwiderrufhche  Entthronung  durch  das  eigene 
Volk  im  Jahr  1830.  ]\Ian  darf  freilich  nicht  vergessen,  dass  der 
Rückkehr  des  Patriziats  in  der  Zeit  der  ,, Restauration"  (Wieder- 
herstellung des  Alten)  das  allgemeine  Ruhebedürfnis  in  Europa 
nach  den  Xapoleonischen  Stürmen  und  bei  uns  noch  insbesondere 
die  herbe  Enttäuschung  nach  der  durch  die  Franzosen  gründlichst 
kompromittierten  ,, Freiheit  und  Gleiclilieit"  ausserordenthch  zu- 
statten kam.  Dieses  Ruhe-  und  Friedensbedürfnis  der  \'ölker  wurde 


Wilh.lm  Sch.'iicliz.r 


(iTcßfacßfßaus  in  ZüricH  1820 


o  SIEBTES  KAPITEL:    STADT  UND  LAND  63 

von  den  Aristokraten  allerwärts,  in  manchen  Kantonen  der  vSclivveiz 
und  in  monarchischen  Staaten  noch  ganz  anders  als  in  Zürich, 
für  die  eigenen  Standes-  und  Familieninteressen  ausgenützt.  Sie 
haben  es  also  bei  uns  nicht  etwa  ganz  besonders  schUmm  getrieben; 
sie  machten  hier  nur  leider  keine  Ausnahme. 

Der  typische  und  von  seinen  Standesgenossen  allverehrte 
Repräsentant  der  regierenden  Zürcher  Aristokratie  der  Restau- 
rationszeit war  Bürgermeister  Hans  von  Reinhard,  ein  Mann 
von  mittelmässiger  Begabung  und  engem  Horizont,  aber  heihg  und 
aufrichtig  davon  überzeugt,  dass  nur  seinem  Stande  durch  die  Vor- 
sehung die  Weisheit  des  Regierens  verUehen,  dem  Volke  aber  das 
Dienen  und  Gehorchen  in  alle  Ewigkeit  verordnet  sei.  Dabei 
waren  ihm  Hochmut  und  persönUche  Selbstüberhebung  fremd; 
er  spricht  von  sich  in  seinen  Memoiren  mit  rührender  Bescheiden- 
heit und  hat  namentlich  vor  der  Wissenschaft  eine  scheue  Ehr- 
furcht. Nicht  Bosheit  oder  bewusste  Pfhchtvergessenheit  ver- 
schuldeten die  grobe  \'ernachlässigung  des  ihm  lange  Jahre  unter- 
stellten Volksschulwesens,  vielmehr  das  instinktive  Gefühl, 
dass  für  das  zum  Gehorchen  bestimmte  Volk  eine  bessere  Schul- 
bildung eigentlich  gar  nicht  nötig  sei,  wie  dies  ein  Zeit-  und  Standes- 
genosse Reinliards  ausdrückte:  ,,Was  braucht  der  gemeine  Mann 
mehr,  als  dass  er  ein  bisschen  lesen,  schreiben  und  rechnen  könne, 
um  seinen  Katechismus  zu  lernen,  seine  Obligationen  zu  unter- 
zeichnen und  sich  vor  den  Prellereien  der  Juden  zu  schützen  ? 
Ist  in  einer  Gemeinde  auch  nur  ein  geschickter  Mann,  so  ist's 
genug."  Dafür  genügte  dann  allerdings  eine  Lehrerbildung, 
wie  sie  die  Restaurationszeit  noch  kannte  und  über  deren  Stand 
eine  anfangs  der  dreissiger  Jalire  vorgenommene  Musterung  den 
traurigsten  Aufschluss  gab.  Wenn  einer  von  den  geprüften  Schul- 
meistern meinte,  der  Riese  GoHath  sei  in  der  Schlacht  bei  vSempach 
gefallen,  ein  anderer  Basel  ans  Schwarze  Meer  verlegte,  der  dritte 
als  die  ersten  Eidgenossen  Kaspar,  Melcher  und  Balthasar  auf- 
führte, so  waren  das  noch  nicht  die  schHmmsten  Elemente  unter 
der  zürcherischen  Lehrerschaft.  Auf  die  ,,Religion"  aber  ver- 
standen sich  die  Schulmeister  ausnahmslos  vortrefflich,  ,, Re- 
ligion" —  wenn  auch  nichts  anderes  —  wurde  den  Kindern  des 
Volkes  in  den  Schulen  in  reichlichen  Quantitäten  beigebracht.  Die 
gesetzlichen    Schulbücher    waren    ausschliesslich    religiöse:    das 


64  SIEBTES  KAPITEL:    STADT  UND  LAND  o 

Namenbüchlein  (zum  Buchstabieren),  der  Lehrmeister  (Fragen 
über  Gott,  die  zehn  Gebote  etc.),  das  Waserbüchlein  (Gebete, 
geisthche  Lieder,  Bibelsprüche),  Katechismus  und  Neues  Testa- 
ment. Scherr  beschreibt  ein  Examen,  an  dem  der  vSpruch  zu  be- 
handeln war:  ,,Der  Herr  ist  nicht  ferne  von  unser  einem  Jeden". 
Der  Lehrer  fragt:  ,,Wer  oder  was  ist  nicht?"  Schüler:  ,,Der  Herr 
ist  nicht."  Lehrer:  ,,Gut!  Wo  ist  der  Herr  nicht?"  Schüler: 
,, Ferne."  Lehrer:  ,, Von  wem  ist  er  nicht  ?"  Schüler:  .."^'on  unser." 
Lehrer:  ,,Von  wem  unser?"  Schüler:  , .Einem  Jeden."  Lehrer: 
,,Ganz  gut." 

Ein  Hauptmittel  in  der  Hand  der  herrschenden  Klasse  zur 
Bändigung  des  Volkes  lag  in  der  Justiz.  Es  gab  keine  unabhän- 
gigen Gerichte,  keine  Trennung  der  Gewalten,  keine  Appellation. 
Umsonst  drangen  Dr.  Paul  Usteri,  Ludwig  ]\Ieyer  von  Knonau, 
Esclier  von  der  Linth  und  andere  auf  einen  Kriminalkodex;  die- 
jenigen, welche  das  sogenannte  ,,richterhche  Ermessen",  das  heisst 
die  Willkür  vorzogen,  fanden  immer  wieder  Mittel,  selbst  vor- 
handene Entwürfe  zu  beseitigen  und  viele  Jahre  hindurch  ,,das 
vS tillschweigen  und  die  Kraft  der  Trägheit"  den  Neuerem  entgegen- 
zusetzen. Körperstrafen  wurden  nicht  nur  durch  Urteil  verhängt, 
sondern  es  konnte  jeder  Untersuchungsbeamte  zur  Erpressung 
eines  Geständnisses,  wenn  sein  cholerisches  Temperament  durch 
das  Leugnen  des  Verhafteten  gereizt  wurde,  Rutenstreiche  auf- 
messen lassen  so\äel  ihm  gut  dünkte.  Im  Wellenberg  wurde  schwer 
geprügelt,  ebenso  im  Zuchthaus,  wo  in  der  Regel  der  Samstag 
,, Zahltag"  war.  Ein  Untersuchmigsgefangener,  der  zu  seinem  Un- 
heil gerade  an  einem  Samstag  eingeUefert  worden  war,  hörte  vor 
seiner  Zelleutür  den  Ruf:  ,,Chum  usse,  du!";  er  gehorchte  und 
empfing  eine  furchtbare  Tracht  Prügel,  die  einem  ganz  andern 
zugedacht  gewesen  war.  Zu  den  eifrigsten  Vorkämpfern  für  die 
Abschaffung  der  Prügelstrafe  gehörte  der  Knonauer  Oberamtmann 
und  spätere  Bürgermeister  Melchior  Hirzel.  Das  Landvolk 
seufzte  unter  Zehnten  und  Grundzinsen ;  die  Hauptlast  der  Steuern 
(fast  ausschliessUch  indirekte)  lag  auf  den  untern  Klassen,  die 
innern  Zölle  drückten  auf  die  Gewerbetreibenden;  man  konnte 
keine  neue  ,, Gelte"  nach  Zürich  tragen,  ohne  sie  an  der  Porte  zu 
verzollen.  Korn  für  die  Mühlen  durfte  im  ganzen  Kanton  nur 
via  Kernhaus  Zürich  eingeführt  werden;  der  Müller  Heinrich 


o  SIEBTES  KAPITEL:    STADT  UND  LAND  65 

Gujer  in  Bauma,  der  „kluge  Müller"  oder  ,,Müller-Heiri"  ge- 
nannt, der  wegen  Umgehung  dieser  Vorschrift  vom  Oberamtmann 
von  Kyburg  aufs  gröbste  angefahren  worden  war,  verHess  das 
Schloss  mit  dem  innerlichen  Entschluss,  diesen  Bann  brechen  zu 
helfen.  Nicht  nur  besass  die  zwanzigmal  kleinere  Stadtbevölkerung 
im  Grossen  Rat  fast  die  doppelte  Vertretung  wie  das  Land, 
im  Kleinen  Rat  (25  Mitglieder)  verfügte  sie  über  vier  Fünftel  der 
Stimmen;  in  den  Staatsrat  (engerer  Ausschuss  des  Kleinen  Rats) 
oder  gar  zum  Bürgermeisteramt  kam  ein  Landbürger  überhaupt 
nie.  Die  vom  Kleinen  Rat  gewählten  11  Oberamtmänner, 
welche  mehr  Gewalt  besassen  als  heute  Statthalter,  Bezirksrat 
und  Bezirksgerichtspräsident  zusammen,  waren  sozusagen  nichts 
anderes  als  die  wiedererstandenen  Landvögte,  in  deren  Schlössern 
sie  auch  meist  residierten.  Von  ihnen  wurden  die  Gemeinde- 
anmiänner  gewählt.  Von  den  Oberamtmänneru  waren  8,  von  den 
160  Pfarrern  140  Stadtzürcher ;  die  letztem  hatten  die  Schule  unter 
sich,  nahmen  im  öffentlichen  Leben  eine  tonangebende  Stellimg 
ein  und  fühlten  sich  auch  als  poUtische  Beamte.  Das  Selbstgefühl 
der  reichen  Familien  auf  dem  Lande  wurde  verletzt  dadurch, 
dass  man  ihren  Söhnen  die  Epauletten  der  Stabsoffiziere  und  der 
,, brillanten  Dragoneroffiziere"  niclit  gönnte.  Auf  die  ganze  Staats- 
verwaltung erstreckte  sich  das  , .Stadtzürchersystem",  das 
seinerseits  ganz  vomehmUch  der  Partei  Reinhard  zur  Versorgung 
ihrer  Anhänger  und  Trabanten  dienen  musste,  und  nicht  immer 
waren  es  die  Würdigsten,  die  auf  diese  Weise  zu  Amt  und  Würden 
kamen. 

Harmloser,  wenn  auch  oft  lästig  empfunden  war  die  Titel- 
sucht der  Regierenden,  ihr  Vomehmtun,  das  hochfahrende  Wesen 
den  Audienz  nachsuchenden  Bürgern  gegenüber.  Auch  höhere 
Beamte,  die  vom  Junker  Amtsbürgermeister  Reinhard  aufs 
Kanapee  eingeladen  zu  werden  die  Ehre  hatten,  durften  nur 
dessen  Meinung  anhören;  eine  Gegenrede,  Einwendung  oder  der- 
gleichen wurde  nicht  erwartet;  der  Bürgermeister  stand  auf,  wenn 
er  gesprochen  hatte,  und  geleitete  den  Gast  höflich  zur  Tür.  Alle 
ihre  Verhandlungen  und  Beschlüsse  umgab  die  Regierung  mit 
der  grösstmöghchen  HeimHchkeit;  die  böse  Presse  ward  mittelst 
der  Zensur  im  Zaum  gehalten.  Doch  allmählich  entstand  diesem 
Regiment  auch  in  der  Stadt  eine  immer  schärfere  Opposition. 

5 


66  SIEBTES  KAPITEL:    STADT  UND   LAND  o 

Um  eine  Gruppe  hochachtbarer  Männer  scharte  sich  das  streit- 
bare Fähnlein  der  Stadtliberalen.  Unter  den  edelsten  Trägern 
der  neuen  Ideen  befand  sich  Staatsrat  Ludwig  Meyer  von 
Knonau,  der  die  Republik  auf  Tugend  und  Rechtlichkeit,  auf 
Öffentlichkeit  und  Walirheit  gründen  wollte;  dann  Staatsrat 
Paul  Usteri,  dem  der  Kanton  Zürich  nebst  anderm  die  Press- 
freiheit verdankt;  selber  hervorragend  in  der  Presse  tätig  (an 
der  „Augsb.  Allg.  Zeitung"  und  der  „Neuen  Zürcher  Zeitung"), 
ruhte  Usteri  nicht,  bis  am  15.  Juni  1829  vom  Grossen  Rat  das  neue 
Pressgesetz  endhch  angenommen,  die  Zensur  gänzlich  aufgehoben 
war;  Melchior  Hirzel,  ein  Riese  an  Gestalt,  mit  dem  Gemüt 
und  der  Stimme  eines  Kindes,  achtungswürdig  allein  schon  durch 
seine  warmherzigen  ,, Wünsche  zur  \'erbesserung  der  zürcherischen 
Landschulen"  (1829).  In  die  Justiz  brachte  der  hochbegabte 
Amtsrichter  Dr.  Friedrich  Ludwig  Keller,  ein  Schüler  Sa- 
vignys  in  Berhn,  neues  Leben  und  neue  Prinzipien;  sein  Freund 
und  Gesinnungsgenosse  David  Ulrich,  Staatsanwalt  seit  1824, 
teilte  mit  ihm  die  grossen  pohtischen  Erfolge  seiner  Glanzzeit.  In 
seinem  ,,vSchweizerischen  Beobachter"  machte  der  junge,  sehr 
selbstbewusste  Theologe  Heinrich  Nüsclieler  mit  seinem  leb- 
haftem Temperament  beinahe  Usteri  von  der  ,, Neuen  Zürcher 
Zeitung"  den  Rang  streitig.  Diese  entschlossene  Phalanx  stadt- 
zürcherischer  Fortschrittsmänner  gewann  der  Aristokratenpartei 
Schritt  für  Schritt  Terrain  ab.  Einen  wuchtigen  Vorstoss  führte  sie 
besonders  mit  dem  neuen  Grossratsreglement  vom  14.  Dezember 
1829,  das  dem  Gros.sen  Rat  die  Gesetzesinitiative  verschaffte.  Fatal 
waren  andrerseits  für  die  konservative  Regierung  zwei  ^'orkomm- 
nisse  des  Jahres  1829:  der  Konkurs  des  Handlungshauses  Ge- 
brüder Finsler,  an  dem  der  Staatsrat  imd  General  Finsler  als 
Associe  beteihgt  war.  Infolge  Kreditgewährung  durch  den  General 
hatte  der  Staat  an  das  Geschäftshaus  eine  Forderung  von  114,000 
Franken  an  Wechselschulden,  die  aber  in  wenigen  Tagen  gedeckt 
war.  Trotzdem  musste  Finsler  von  allen  seinen  Ämtern  zurück- 
treten. Am  9.  No\'ember  verschwand  der  wackere  Staatsrat 
Jakob  Hirzel.  Als  am  folgenden  Morgen  die  Grossräte  den 
Ratssaal  betraten,  sahen  sie  die  beiden  Bürgermeister  und  den 
Polizeipräsidenten  in  eifrigem  Gespräch.  Unter  der  Hand  ver- 
breitete sich  die  Kunde  \-on  dem  Geschehenen  und  machte  einen 


CM 

SS 


o  SIEBTES  KAPITEL:    STADT  UND  LAND  67 

ausserordentlichen  Eindruck.  Erst  am  22.  November  fand  man 
Hirzel  tot  im  Hochwachthäuschen  auf  dem  Ütliberg.  L,.  Mej'er 
V.  Knonau  kam  es  damals  vor,  als  ob,  wenn  ein  Ratsherr  spazieren 
gehe,  die  Menge  starr  auf  ihn  hinbUcke  und  denke:  Da  geht 
auch  wieder  ein  Ratsherr  zum  Tore  hinaus.  Es  hiess,  mit  Finsler 
habe  die  konser\-ative  Regierung  den  rechten,  mit  Hirzel  den 
linken  Arm  verloren.  Hirzel,  der  an  Erschöpfung  gestorben 
war,  hinterliess  Amt  und  Haus  in  vollständiger  Ordnung.  Als 
charakteristisches  Anzeichen  für  einen  politischen  Witterungs- 
umschlag betrachtete  man  das  Unterbleiben  des  bisher  üblichen 
,,Scharinggelhofs"  am  i.  Januar  1830:  zum  erstenmal  fehlten 
bei  der  Neujahrs- Auf  Wartung  in  den  Salons  der  Herren  Bürger- 
meister die  glänzenden  Uniformen  der  Offiziere. 

Doch  wer  weiss,  wie  lange  sich  in  Zürich  das  alte  Regime 
noch  hätte  halten  können,  wäre  nicht  auch  diesmal  der  elektrische 
Funke  aus  Paris  auf  den  lange  angesammelten  Zündstoff  über- 
gesprungen. Die  Pariser  hatten  in  ihrer  Julirevolution  den 
König  Karl  X.  verjagt  und  den  ,, Bürgerkönig"  Louis  Philipp 
an  seine  Stelle  gesetzt,  der  eine  Zeitlang  als  Flüchtling  im  Bündner- 
land geschulmeistert  hatte.  Die  vSchweizer  Söldner  wurden  nach 
Hause  geschickt.  Ein  Teil  von  ihnen  kam  am  i.  September  gänz- 
lich abgerissen  rmd  zerlumpt  in  Zürich  an.  Dem  ,, Tagblatt" 
(,, Zürcher  Wochenblatt")  vom  6.  September  war  ein  Aufruf  des 
Spitalschreibers  Fäsi  zur  Spendung  von  Hemden,  Schuhen  usw. 
für  die  entlassene  und  verlassene  Söldnerschar  beigelegt.  Die 
radikale  Presse  aber  jubelte.  ,,Hast  du  ihn  vernommen,  den 
rauschenden  Flügelschlag  des  sich  wieder  erhebenden  Geistes 
deiner  uralten  Freiheit?"  vSo  fragte  am  4.  September  1830  die 
auch  im  Kanton  Zürich  stark  verbreitete  ,, Appenzeller  Zeitung", 
und  bedeutsam  fügte  sie  hinzu:  ,, Vernommen  hast  du  ihn  wohl, 
aber  ob  auch  verstanden?"  Die  Antwort  Hess  nicht  lange  auf 
sich  warten.  Zuerst  regte  es  sich  wieder  am  See.  Die  vSöhne  der 
Stäfner  Patrioten  von  1795  hatten  schon  vor  1830  in  einem  Turm- 
stübchen  der  Ringmauer  von  Rapperswil  heimliche  Zusammen- 
künfte gehalten  und  der  Aristokratie  den  Untergang  geschworen. 
Jetzt  Hessen  sie  ein  Flugblatt  in  6000  Exemplaren  ins  Land 
flattern  und  riefen  die  ^Mitbürger  zur  Freiheit  auf.  In  der  Stadt 
erschrak  man  ob  diesem  Ungestüm.  Auch  die  Liberalen  wandelte 


68  SIEBTES  KAPITEL:    STADT  UND  LAND  o 

die  blasse  Furcht  an,  und  selbst  der  charakterfeste  Usteri  wurde 
bedenkhch.  „Nur  kein  Bauernregiment",  lautete  das  Schlag- 
wort; in  einem  ,, Bauernregiment"  erbückten  konser\'ative  und 
liberale  Stadtzürcher  das  Grab  aller  Bildung  und  Kultur.  Es 
musste  ein  Deutscher  kommen,  Dr.  Ludwig  Snell  aus  Nassau, 
um  den  freisinnigen  Stadtzürchern  Vertrauen  auf  das  Volk 
zu  predigen.  Dr.  Snell,  ein  begeisterter  Volks-  und  Freiheits- 
freund, weilte  seit  1827  in  der  Schweiz.  Im  Sommer  1830  traf 
er  auf  dem  Rigi  mit  Staatsanwalt  Ulrich  zusammen,  der  ihm  seine 
Besorgnisse  wegen  einer  kommenden  bildungsfeindlichen  Demo- 
kratie, rohen  Massenherrschaft  usw.  anvertraute.  Aber  Snell  er- 
widerte: ,,Ihr  niüsst  im  allgemeinen  aufs  \''olk  vertrauen,  das, 
mag  es  jetzt  noch  so  roh  und  ungebildet  sein,  doch  unverdorben 
genug  ist,  um  das  Gute  zu  wollen.  In  der  Freiheit  wird  das  Volk 
für  die  Freiheit  reif  werden,  und  während  die  alte  Generation  die 
Schule  der  politischen  Bildung  durchmacht,  wächst  in  den  umge- 
stalteten vSchulen  ein  neues,  aufgeklärtes  und  strebsames  Geschlecht 
heran.  Welch  herrlicher  Wirkungskreis  dann  für  tatkräftige 
Männer!"  Ulrich  war  ergriffen.  ,,Die  Bildung  der  Masse,  das  ist 
ein  grosser  Gedanke."  Mit  neu  entfachter  Begeisterung  reiste  er 
nach  Zürich.  Ganz  anders  der  , .Beobachter"  Heinrich  Nü- 
scheler,  der  sich  bisher  ungemein  radikal  geberdet  hatte.  Ihm 
hatte,  auch  während  eines  Ferienaufenthaltes  in  Hütten,  Dr. 
Schmid  von  Richterswil  etwas  vom  ,, Brechen  der  vSklavenketten" 
vordeklamiert  und  dabei  gehofft,  den  Gesinnungsgenossen  aus 
der  vStadt  für  die  Bewegung  der  Landschaft  zu  gewinnen.  Tötlich 
erschrocken,  ging  Nüscheler  von  »Stund  an  hinter  sich;  er  hatte 
sich  eingebildet,  die  ganze  Fortschrittssache  in  seiner  Hand  zu 
halten,  und  musste  nun  erkennen,  dass  die  Landschaft  auch  ohne 
die  Führung  der  vStadtliberalen  vorzugehen  imstande  wäre. 

Nach  seiner  Rückkehr  vom  Rigi  besuchte  Dr.  Snell  seinen 
Freund  Dr.  Streuli  in  Küsnacht,  einen  Schwager  der  Gebrüder 
Gessner,  die  Nüschelers  ,, Beobachter"  druckten.  Auf  dem  Weg 
nach  Küsnacht  begegnete  Dr.  Snell  am  Mühlebach  dem  ihm 
ebenfalls  befreundeten  Nüscheler,  der  ihn  aber  sehr  kühl  und 
befangen  grüsste.  Abends  erzählte  Nüscheler  sehr  erregt  auf  der 
,,Saffran",  dass  die  radikalen  Landleute  nun  doch  ihren  Organi- 
sationsmann  gefunden   hätten:    Dr.    Snell!     Er   habe   ihn   heute 


o  SIEBTES  KAPITEL:    STADT  UND  LAND  69 

nach  Küsnacht  gehen  sehen.  Wirkhch  wurde  Dr.  Snell  in  Küs- 
nacht,  wenn  auch  mit  vieler  Mühe,  von  Dr.  StreuH  überredet, 
den  Seeleuten  eine  Denkschrift  über  die  Volkswünsche  aufzu- 
setzen, die  dann  unter  dem  Namen  ,,Küsnachter  Memorial" 
bekannt  wurde.  Ihre  in  der  Folge  auch  durchgedrungene  Haupt- 
forderung bestand  in  der  Änderung  der  Vertretung  im  Grossen 
Rat:  von  212  Grossräten  sollten  zwei  Drittel  dem  l,and,  ein  Drittel 
der  Stadt  angehören.  Das  Memorial  sollte  in  Abschriften  beim 
\'olk  als  Petition  an  den  Grossen  Rat  zirkuheren  und  unterzeichnet 
werden.  Der  cholerische  Nüscheler  aber  erliess  am  26.  Oktober 
eine  öffenthche  Erklärung,  dass  er  seine  Beziehungen  zu  den  Ge- 
brüdern Gessner  im  Schwänli,  ,,die  dem  von  einem  Fremden 
verfassten  Memorial  nicht  fremd  gebheben"  seien,  abbreche  und 
mit  dem  ,, Beobachter"  zu  Orell  Füssh  &  Co.  im  Elsasser  über- 
siedle. Daraufhin  wurde  das  Küsnachter  Memorial  gedruckt,  was 
man  zuerst  nicht  beabsichtigt  hatte. 

Während  die  Stadthberalen,  die  so  viel  von  Rechtsgleichheit 
und  voller  Freiheit  zu  schreiben  gewusst,  jetzt  —  da  die  Sturm- 
zeichen am  Himmel  standen  —  die  Segel  einzogen  und  ängstHch 
dem  heimischen  Hafen  zuruderten,  griff  die  Bewegung  auf  dem 
Lande  immer  weiter  um  sich.  Im  Lauf  des  September  fanden 
auf  Bocken,  in  der  ,, Krone"  zu  vStäfa,  in  Richterswil  und  Meilen 
Versammlungen  statt,  wo  man  einig  wurde,  etwas  zu  tun  zur 
Herbeiführung  des  demokratischen  Fortschritts.  Wahrscheinhch 
auf  Veranlassung  der  Stadthberalen  setzte  auf  dem  Lande  zugleich 
eine  Gegenaktion  ein  mit  dem  Zweck,  dem  radikalen  \''olksbegehren 
durch  einen  weise  temperierten  Fortschritt  zuvorzukommen.  Am 
13.  Oktober  1830  versammelten  sich  im  ,, Kreuz"  zu  Uster  31 
stadtfreundUche  Landgrossräte  und  verfassten  ein  Memorial  mit 
dem  Begehren  der  schleunigen  Einberufung  des  Grossen  Rates 
zur  Behandlung  einiger  der  wichtigsten  (im  Memorial  aufgezählten) 
Volkswünsche.  Das  Memorial  wurde  am  14.  Oktober  von  Stadt- 
präsident KünzH  von  Winterthur,  Quartierhauptmann  HürU- 
mann  von  Richterswil  und  einigen  andern  Grossräten  den  beiden 
Bürgermeistern  übergeben.  Eine  neue  Flugschrift  der  Seeleute, 
,, Gespräch  zwischen  Jakob  und  Konrad",  erschien  gegen  Ende 
Oktober;  sie  verlangte,  dass  die  Verfassung  sich  auf  den  \'olks- 
willen  gründe.    Der  am  i.  November  versammelte  Grosse    Rat 


70  SIEBTES  KAPITEL:    STADT  UND  LAND  o 

beschloss,  den  gemässigten  Wünschen  der  Landgrossräte  in  Uster 
entgegenzukommen;  er  war  geneigt,  dem  Land  io6  Grossräte 
einzuräumen,  io6  den  Städten  Zürich  (92)  und  Winterthur  (14) 
zusammen,  welches  letztere  man  damit  vom  Lande  zu  trennen 
hoffte.  Es  wurde  eine  Re\isionskommission  aus  fast  lauter  Stadt- 
bürgem  mit  Usteri  an  der  vSpitze  eingesetzt,  die  am  25.  November 
ihre  Anträge  einbringen  sollte.  Das  Memorial  von  Küsnacht, 
von  vSnell  verfasst,  fand  im  Grossen  Rat  keinerlei  Beachtung; 
Snell  selbst,  von  der  Polizei  in  Zürich  als  ,, gefährlicher  Mensch" 
übenvacht,  entzog  sich  einer  drohenden  Ausweisung  durch  die 
Flucht  nach  Basel. 

Die  Totalrevision  der  Verfassung  war  also  abgelehnt;  nur 
eine  Partialrevision  sollte  vorgenommen  werden.  Damit  konnte 
sich  die  Landschaft  nicht  zufrieden  geben.  Am  Tage  nach  dem 
Stäfner  Wochenmarkt.  Freitag  den  19.  November,  kamen  in 
Stäfa  über  hundert  ]\Iänner  aus  verschiedenen  Teilen  des  Kantons 
zusammen.  Die  Beratung  dauerte  bis  Mitternacht  und  endete 
mit  dem  Beschluss,  auf  Montag  den  22.  November  eine  grosse 
Landsgemeinde  nach  Uster  einzuberufen.  Schnell  wurde  eine 
Einladung  geschrieben  und  gedruckt,  —  nur  eine  kurze  Aufforde- 
rung (ohne  Unterschrift)  an  ,,alle  Kantonsbürger,  denen  das  Glück 
des  \"aterlandes  am  Herzen  liegt  und  die  den  Drang  des  Augen- 
blickes fühlen",  nach  Laster  zu  kommen.  Reiter  und  Schnell- 
läufer verbreiteten  den  Aufruf  im  ganzen  Kanton.  Die  Komit- 
tierten  begaben  sich  am  Sonntag  Abend  nach  Uster,  nicht  alle 
in  freudig  gehobener  Stimmung,  auch  nicht  einig  unter  sich. 
Dr.  Hegetsch Weiler  von  Stäfa,  ein  Freimd  von  Dr.  Paul  Usteri 
mid  von  diesem  beeinflusst,  hatte  im  Sinn,  gegen  ein  radikales 
\"orgehen  zu  sprechen  und  Anschluss  an  die  \^orschläge  der  Stadt- 
liberalen zu  empfehlen.  ]\Ian  konnte  nicht  wissen,  wie  es  gehen 
werde  und  welche  Stellung  die  Regierung  zu  der  Landsgemeinde 
zu  nehmen  beabsichtige.  Noch  lebte  und  regierte  der  nämliche 
Bürgermeister  Hans  v.  Reinhard,  der  die  Führer  des  Bockenauf- 
standes  hatte  hinrichten  lassen,  und  es  war  kein  blosser  Scherz, 
als  der  \'ater  Gujer  in  Bauma  dem  nach  Uster  abreisenden  Sohn 
nachrief:  ,,Heiri,  wenn's  fehlt,  kann's  dich  den  Kopf  kosten."  Der 
Heiri  hatte  auch  vorsorglich  den  Reisepass  zu  sich  gesteckt,  um 
im  Fall  der  Not  ins  Badische  zu  entkommen.   Aber  es  war  seit  1804 


o  SIEBTES  KAPITEL:    STADT  UND  LAND  71 

denn  doch  manches  anders  geworden,  und  die  Regierung  wagte 
nichts  gegen  die  Landsgemeinde  zu  unternehmen. 

Den  Kommittierten  ward  es  leichter  ums  Herz,  als  am  Montag 
morgen  der  Wachtposten  im  Kirchturm  von  Uster  meldete,  man 
sehe  von  allen  Seiten  ganze  Massen  von  Volk  herankommen.  End- 
lose Züge  \-on  Landleuten  sali  der  Oberamtmann  Ott  von  Grü- 
ningen  an  seinem  Schloss  vorüberziehen,  und  die  ernste,  feierliche 
Stimmung  der  Leute  machte  ihm  Eindruck.  Acht-  bis  zehntausend 
Mann  kamen  in  Uster  zusammen,  auch  die  Winterthurer  stellten 
sich  ein,  mit  Freuden  begrüsst.  Im  ,, Kreuz"  führte  man  Dr. 
Hegetschweiler  ans  Fenster  und  liess  ihn  die  ruhig  wartenden 
Massen  überbhcken.  Ergriffen  wandte  er  sich  um  und  sagte:  ,,Es 
weiss  das  Volk,  was  es  will,  vmd  ist  des  Rechtes  würdig.  Ich  stehe 
ab  \"on  meiner  Absicht  und  will  als  Redner  für  eure  Ansicht  auf- 
treten." Die  Versammlung  war  zu  gross  für  die  Kirche  und  musste 
auf  die  kleine  Anhöhe  des  ,,Zimiker"  verlegt  werden.  Dort  spra- 
chen nacheinander  Heinrich  Gujer  von  Bauma,  Dr.  Heget- 
schweiler, Arzt  und  Naturforscher,  der  mit  den  Dichterworten 
begann:  ,,Frei  ist  der  Mensch,  ist  frei,  und  war'  er  in  Ketten  ge- 
boren"; endhch  J.  J.  Steffan  von  Wädenswil,  Direktor  einer 
der  Kunzischen  Fabriken  in  Uster,  ein  gutmütiger,  etwas  über- 
schwengHcher  Mensch,  bei  dem  (nach  Scherr)  die  Gemütswogen 
zuweilen  den  Verstand  bedeckten.  Mit  lauter  Stimme  verlas  er 
den  Entwurf  des  Komitee  für  die  Petition  und  eröffnete  dann  die 
allgemeine  Umfrage  nach  allfälhg  weiteren  Wünschen.  Da  kam 
denn  alles  ]\Iöghche;  bereitwilhg  ging  der  hitzige  Steffan,  von  sei- 
nen Mitkommittierten  immer  ängsthcher  am  Rockärmel  gezupft, 
auf  alles  ein,  und  als  die  Zürcher  Oberländer,  welche  durch  die 
neuen  Webmaschinen  brotlos  geworden  waren,  riefen:  ,, Web- 
maschinen weg!",  da  tröstete  der  gute  Steffan  wieder:  ,,Au  da 
muess  ghulfe  sü",  nicht  ahnend,  dass  dieses  törichte  Wort  zwei 
Jahre  später  die  Fabrik  seines  Kollegen  Corrodi  in  Uster  in  Flam- 
men setzen  werde. 

Abgesehen  von  diesen  paar  Entgleisungen  nahm  der  Tag  von 
Uster,  das  wichtigste  pohtische  Ereignis  in  der  Geschichte  von 
Stadt  und  Kanton  Zürich  in  den  letzten  hundert  Jahren,  den  er- 
hebendsten und  würdigsten  Verlauf.  Kleinere  Versammlungen 
fanden  an  demselben  Tage  statt  auf  Schloss  Mörsburg,  zu  Wiesen- 


72  SIEBTES  KAPITEL:    STADT  UND  LAND  o 

dangen,  Hettlingen,  Wülflingen  und  andern  Orten.  Im  Auftrag 
des  Komitee  schrieb  Fürsprech  Furrer  von  Bubikon  (f  1837) 
die  Petition  in  endgültiger  Redaktion  nieder.  Es  ist  dies  das  be- 
rühmte Memorial   von   Uster,  dessen  Anrede  lautete: 

„Hochwohlgebomer,  Hochgeachteter  Junker  Amtsbürger- 
meister ! 
„Hochgeachtete,  Hochzuverehrende  Herren  und  Obere!" 

Es  sei  allgemein  bekannt,  fängt  das  Schriftstück  an,  dass 
durch  die  Vorfälle  des  Juli  in  Frankreich  auch  in  unserem  Kanton 
verschiedene  Begehren  und  Wünsche  wieder  aufgeweckt  wurden, 
die  seit  dem  Jahre  1814  in  Schlummer  eingewiegt  worden  waren. 
Dann  folgt  eine  ruhige  und  leidenschaftslose  Auseinandersetzung 
der  Sachlage.  Das  ganze  Schriftstück  ist  im  Tone  der  Ehrerbietung 
und  bewunderungswürdiger  Mässigung  abgefasst.  Es  enthält  kein 
unziemhches  Wort  und  lässt  nur  ganz  am  Schluss  in  einem  einzigen 
Satz  durchblicken,  dass  eine  starke  männliche  Entschlossenheit 
hinter  den  höfhchen  Worten  steht:  ,,Aber  so  wie  sich  das  Volk 
früher  und  an  jenem  Tage  gezeigt  hat,  ist  bestimmt  anzunehmen, 
dass  bei  Nichtentsprechung  seines  \'erlangens  es  mit  dem  näm- 
lichen Mute,  aber  vielleicht  nicht  mit  der  näniHchen  Ruhe  seine 
Wünsche  wiederholen  werde." 

In  Zürich  war  man  auch  ohne  Telephon  ra.sch  unterrichtet 
von  den  Vorgängen  in  Uster.  Reinhard  hatte  bei  den  ersten 
Berichten  über  die  Menschenansammlung  die  ]Mitgheder  des  Staats- 
rates, den  PoHzeipräsidenten  u.  a.  in  seine  Wohnung  berufen. 
Man  vernahm  dann,  dass  alles  ruhig  verlaufe,  wer  gesprochen  habe, 
was  beschlossen  wurde  und  dass  die  \''ersammlung  schhesslich 
sich  auflöste  und  nicht  nach  Zürich  marschierte,  wie  einige  befürch- 
tet hatten.  Dienstag  den  23.  November  fand  im  Schützenhaus 
eine  Versammlung  von  Stadtbürgern  statt,  welche  von  dem 
liberalen  Professor  der  Geschichte  Heinricli  Escher  geleitet  wurde. 
Sie  bestand  in  der  grossen  Mehrheit  aus  Anliängern  des  Alten. 
Eine  Kundgebung,  die  sie  an  die  Bevölkerung  erliess,  nannte  als 
Zweck  der  Versammlung  die  Aufrechthaltung  von  Rulie  und 
Ordnung  in  der  Stadt;  es  wurde  auch  eine  Kommission  ernannt, 
in  welche  man  fünf  höhere  konservative  Offiziere  delegierte.  Der 
Regierung,  welche  an  diesem  Tage  ebenfalls  eine  zur  Ruhe  mah- 


o  SIEBTES  KAPITEL:    STADT  UND  LAND  73 

nende  Proklamation  erlassen  hatte,  scheint, man  nicht  mehr  die 
nötige  Kraft  zur  Wahrung  der  öffentlichen  Ordnung  zugetraut  zu 
haben.  Mittwoch  den  24.  November  meldeten  sich  beim  Amts- 
bürgermeister Reinhard  im  Rechberg  neun  Abgeordnete  der 
Versammlung  in  Uster,  an  ihrer  Spitze  Rektor  Troll  von  Winter- 
thur,  zur  Übergabe  des  Memorials.  Der  Weibel  wies  den 
Herren  das  Zimmer  an,  in  welchem  1813  die  Mediationsverfassung 
von  den  XIII  alten  Orten  als  aufgehoben  erklärt  worden  war, 
und  sagte,  „S.  Exzellenz  der  Junker  Landammann"  werde  so- 
gleich kommen.  Als  er  eingetreten  war,  richtete  Troll  eine  An- 
sprache an  ihn,  die  allen  Anwesenden  mit  Ausnahme  Reinhards 
Tränen  entlockte.  Der  Bürgermeister  lud  die  Abgeordneten  zum 
Sitzen  ein  und  Hess  sich  dann  in  väterhch  mahnendem  Tone  über 
die  ,,Bittschrift"  vernehmen  —  ,, Denkschrift"  oder  ,, Memorial" 
zu  sagen,  vermied  er  stets  gefUssenthch  —  von  der  er  meinte,  es 
werde  nun  viel  darauf  ankommen,  wie  der  Grosse  Rat  diese  Äusse- 
rungen aufnehmen  werde.  Auch  an  die  einzelnen  Abgeordneten 
richtete  Reinhard  seine  \'orstellimgen  und  sanften  Zurechtwei- 
sungen, bis  das  allseitige  Aufstehen  und  Rücken  der  Stühle  den 
Bürgermeister  belehrte,  dass  die  Mäimer  des  Volks  diese  nutzlose 
Unterredung  zu  beendigen  wünschten.  ,, Freudig  lächelnd"  zogen 
sie  von  dannen.  Folgenden  Tages  trat  der  Grosse  Rat  zusam- 
men. In  zehnstündiger  Sitzung  Hessen  sich  über  neunzig  Redner 
vernehmen.  Einstimmig  wurde  das  Repräsentationsverhältnis  von 
zwei  Drittel  Land  und  ein  Drittel  Stadt  gutgeheissen  und  am 
27.  November  beschlossen,  dass  schon  am  6.  Dezember  ein 
neuer  Grosser  Rat  nach  diesem  Verhältnis  zu  wählen  sei,  der  dann 
sogleich  eine  neue  Verfassung  auszuarbeiten  habe.  Der  wesentlich 
verjüngte  Grosse  Rat  konnte  schon  am  14.  Dezember  von  Rein- 
hard wieder  eröffnet  werden.  Der  Greis  hielt  eine  Ansprache, 
die  seine  absolute  Verständnislosigkeit  für  die  treibenden  Kräfte 
der  \^olksseele  verriet  und  in  elegischen  Tönen  über  die  herrliche 
Verfassung  von  1814  und  den  aües  Begreifen  übersteigenden  Wan- 
del der  Zeit  sich  erging.  Am  20.  März  1831  fand  die  Volksab- 
stimmung über  die  neue  Verfassung  statt.  Sie  wurde  mit  40,503 
Ja  gegen  1721  Nein  angenommen;  in  der  Stadt  Zürich  standen 
1791  Ja  nur  138  Nein  gegenüber.  Damit  hatte  sich  das  Zürcher 
Volk    zum     erstenmal    durch    Urabstimmung    kraft    seines 


74  SIEBTES  KAPITEL:    STADT  UND^LAXD  o 

Selbstbestimmungsrechtes  und  ohne  fremden  Einfluss  eine  Ver- 
fassung  gegeben. 

Nun  war  für  den  75jährigen  Hans  v.  Reinhard  die  Zeit 
gekommen,  da  er  sich  zurückziehen  durfte.  Zwei  Tage  nach  der 
Volksabstimmung  schrieb  er  sein  Entlassungsgesuch  nieder,  ver- 
bheb aber  im  Grossen  Rat,  um  in  den  folgenden  Jahren  gelegent- 
lich noch  für  die  Interessen  der  Stadt  das  Wort  zu  ergreifen  oder 
sich  für  seine  geliebte  Jagd  (d.  h.  die  Beibehaltung  des  Jagd- 
bannes) zu  wehren,  der  er  bis  in  sein  hohes  Alter  eifrig  oblag.  Der 
Zufall  der  Geburt  hatte  ihn  auf  die  Höhen  des  gesellschaftHchen 
Lebens  gestellt  und  mit  Heroen  der  \^'eltgesclüchte  in  persönliche 
Berührmig  gebracht.  ]Mit  Napoleon  I.  hatte  er  bei  verschiedenen 
Gelegenheiten  verkehrt  und  auch  seine  wechselnden  Launen  mit 
Würde  zu  ertragen  gewusst.  Am  interessantesten  war  wohl  die 
Begegnung  im  Kriegslager  zu  Regensburg  (kurz  vor  der  zweiten 
Eroberung  Wiens  1809).  Als  eine  action  d'eclat  im  Leben  Rein- 
hards darf  sein  tadelloses  Benehmen  am  Bankett  nach  der  Über- 
reichung der  ]\Iediationsakte  in  Paris  im  Jahre  1803  angeführt 
werden.  Dort  war,  als  die  Gäste  dem  \\'ein  bereits  gehörig  zuge- 
sprochen hatten  und  das  Mahl  sich  seinem  Ende  näherte,  vom 
französischen  Kommissär  Roederer  nur  so  ganz  beiläufig  mitgeteilt 
worden,  es  habe  in  der  Mediationsakte  noch  eine  kleine  redak- 
tionelle Änderung  angebracht  und  deshalb  das  letzte  Blatt  mit 
den  Unterschriften  abgetrennt  werden  müssen;  man  möchte  so 
gut  sein  und  die  unbedeutende  FörmHchkeit  durch  das  Anbringen 
der  neuen  Unterschriften  gleich  erledigen.  D'Affr^-  und  Glutz 
unterzeichneten  arglos  ohne  weiteres;  Reinhard  aber  erklärte,  er 
sei  jetzt  nicht  in  der  Verfassung,  um  Redaktionen  zu  prüfen;  nach 
einem  solchen  Mahle  gezieme  es  sich  nicht,  etwas  Ernsthaftes 
vorzunehmen.  Je  stärker  man  ihm  zusetzte,  um  so  misstrauischer 
wurde  Reinhard  und  bheb  dabei,  heute  unterzeichne  er  nicht  mehr. 
Dadurch  aufmerksam  geworden,  verweigerten  auch  Jauch  und 
andere  ihre  Unterschrift.  Der  Streich  Roederers  war  an  Rein- 
hards Standhaftigkeit  gescheitert.  Mit  der  angebUchen  kleinen 
,, redaktionellen  Änderung"  hätte  der  Kanton  Zürich  sein  Eigen- 
tumsrecht auf  die  Domänen  Weinfelden,  Wellenberg,  Neunforn, 
Pf3"n,  Steinegg,  Sengen,  Amt  Stein  und  Sax  im  Wert  von  über 
einer  Milhon  Gulden  eingebüsst. 


o  SIEBTES  KAPITEL:    STADT  UND  LAND  75 

In  der  Schweiz  und  im  Kanton  Zürich  wurde  Reinhard  beinahe 
wie  ein  Fürst  verehrt.  Dem  Volke  gegenüber,  dem  er  auf  seinen 
Jagden  öfters  nahe  kam,  zeigte  er  sich  gerne  leutseHg,  wo  man  dies 
als  Herablassung  empfand.  Dass  er  zeitlebens  nie  über  die  Vor- 
urteile seines  Standes  hinwegkam,  wird  ihm  kein  Verständiger  zum 
Vorwurf  machen.  Hans  von  Reinhard  starb  am  23.  Dezember  1835 
und  wurde  am  27.  Dezember  begraben.  Die  ,, Freitagszeitung"  gibt 
von  der  Trauerfeier  die  folgende,  etwas  trockene  Beschreibung: 
,,Das  ausgezeichnet  grosse  Begleit,  das  letzten  Sonntag  der  Leiche 
des  sei.  Junker  Landammann  Reinhard  folgte,  war  ein  Zeuge, 
welcher  Achtung  dieser  Mann  unter  allen  Klassen  des  Volkes  genoss. 
Dass  bei  demselben  zum  erstenmal  die  Leidtragenden  die  Hüte 
auf  dem  Kopf  behielten  und  auch  das  andere  Pubhkum  dieses 
Beispiel  nachahmte,  ist  eine  Sitte,  die  schon  längst  wünschens- 
wert gewesen  wäre  und  die  hoffentlich  fortgesetzt  wird.  Gewiss 
ist's,  dass  schon  manche  Kranklieit  bei  dem  frühern  Gebrauche 
bei  einem  Leichenbegängnis  geholt  wurde." 


ZWEITER  TEIL 


AUS  DER 
REGENERATIONSZEIT 


ACHTES  KAPITEL 


DAS  ALTE  STÜRZT 

Die  Stadt  Zürich  grollte.  Sie  sah  sich  durch  den  Ustertag  zum 
zweitenmal  entthront.  Nicht  weniger  als  der  Verlust  des 
poHtischen  Übergewichts  schmerzte  die  Einbusse  an  zahlreichen 
materiellen  Interessen.  Hatten  auch  die  vornehmern  FamiUen 
das  eigentUche  Regiment  für  sich  reserviert,  so  waren  doch  neben 
ihnen  viele  andere  Stadtbürger  zu  Stellen  und  Einfluss  ge- 
kommen und  überzeugt,  dass  auch  sie  eine  Art  Aristokraten  seien. 
Die  Handwerker,  namenthch  die  Besitzer  von  sogenannten  Ehe- 
haften, Wirte,  Müller,  Fleischer,  usw.,  glaubten  ihre  Privatvorteile 
und  Vorrechte  in  Gefahr.  Die  konservative  Schützenhausver- 
sammlung hatte  dieser  städtischen  Opposition  schon  am  ersten 
Tage  nach  der  Landsgemeiude  \-on  Uster  eine  feste  Organisation 
gegeben,  und  es  sah  ganz  danach  aus,  als  ob  die  Gewalt  in  der 
Stadt  nun  zunächst  bei  diesem  konservativen  Stadtverein  Hege, 
waren  doch  selbst  die  Wächter  auf  den  Türmen  angewiesen,  bei 
einer  'V'olksbewegung  auf  keinen  Befehl  zu  achten  als  auf  den- 
jenigen des  Generals  Ziegler  und  seiner  vier  Mitvorsteher  vom 
zürcherischen  Stadtverein.  Die  Bildung  einer  Bürgergarde,  die 
der  mit  dem  Stadtverein  harmonierende  Stadtrat  am  31.  Ok- 
tober 1831  beschlossen  hatte,  untersagte  der  Regierungsrat.  Die 
bitterböse  Stimmung  der  Stadtbürger  bekamen  die  Parteigänger 
der  Umwälzung  auf  allerlei  Weise  zu  spüren.  Der  gesellschaft- 
liche Verkehr  zwischen  früher  befreundeten  FamiUen  wurde 
unmöghch,  man  versagte  den  Freunden  der  I^andpartei  den  Gruss 
auf  der  Strasse,  indem  man  ,,mit  martiahschem  Blick"  an  ihnen 
vorüberging.  Das  Haus  von  Dr.  Ludwig  Keller  an  der  obern 
Kirchgasse  (zum  ,, roten  Adler")  wurde  mehrmals  beschädigt. 
Als  Ludwig  Meyer  v.  Knonau  mit  einem  seiner  Mieter  den  Miet- 
vertrag erneuerte,  verlangte  der  Mann  Schadloshaltung  für  alle 
eingeschlagenen  Fensterscheiben,  da  er  nicht  die  Folgen  der 
Unpopularität   des   Hausherrn   tragen   wollte ;    bei    seinem   Hut- 


8o  ACHTES  KAPITEL:    DAS  ALTE  STÜRZT  o 

macher  Morf  entschuldigte  sich  Meyer  v.  Knonau,  weil  er  jetzt 
—  wegen  viel  geringerer  Abnützung  durch  Grüssen  —  weniger 
Hüte  brauche  als  früher.  Im  Grossen  Rat  erhoben  die  Radi- 
kalen des  öftern  bittere  Klagen  über  Belästigungen  und  Ver- 
folgungen, denen  sie  in  der  vStadt  ausgesetzt  seien.  Regierungsrat 
Pfenninger  erklärte,  er  fühle  sich  in  Zürich  nicht  mehr  sicher 
und  werde  nachts  aufs  Land  gehen.  Friedensrichter  Fierz  aus 
Küsnacht,  ein  70jähriger  Greis,  war  tätlich  misshandelt  worden, 
und  zwar  bei  einem  Krawall  vor  der  Gessnerschen  Druckerei,  wo 
seit  dem  26.  November  1830  das  neue  radikale  Blatt,  der  ,, Schwei- 
zerische Republikaner"  erschien.  Auch  Offiziere  in  Epauletten  be- 
teiUgten  sich  an  dem  Auflauf,  bei  dem  der  Inhaber  der  Druckerei, 
seine  Frau  und  sein  Bruder  mit  Schlägen  traktiert  wurden. 
Leidenschaftliche  Debatten,  während  denen  u.  a.  Stadtpräsident 
J.  J.  Escher  und  Dr.  Ludwig  Keller  wiederholt  ,, aneinander  auf- 
standen",  füllten  manche  Grossratssitzung  aus. 

Für  die  Stadtliberalen  war  der  Ustertag  zum  trennenden 
Keil  geworden.  Dr.  Ludwig  Keller,  der  noch  an  der  Schützen- 
hausversammlung teilgenommen,  hatte  rasch  die  Nutzlosigkeit 
eines  Widerstandes  gegen  die  demokratische  Strömung  einge- 
sehen und  kurzerhand  beschlossen,  sich  ihrer  zu  bemächtigen, 
um  sie  zur  Verwirklichung  seiner  Staatsideale  zu  benützen.  Das 
ist  ihm  denn  auch  in  hohem  Mass  gelungen.  Er  wurde  das  Haupt 
der  hberal-radikalen  Mehrheitspartei,  der  in  allen  Fragen  und 
Entscheidungen  tonangebende  Führer  der  Landgrossräte  und 
damit  der  eigentliche  Beherrscher  Zürichs,  ohne  dessen  Rat  und 
Zustimmung  nichts  geschehen  konnte.  ,,Peisistratos  von  Limmat- 
Athen",  ,, Tyrann  von  Zürich"  nannten  ihn  seine  Gegner,  wenn 
sie  höfUch  sein  wollten ;  sonst  hatten  sie  für  ihn  auch  noch  andere 
Namen.  Friedrich  Ludwig  Keller,  geboren  den  17.  Oktober  1799, 
einziger  Sohn  des  ,, reichen  Keller  von  Goldbacli",  stammte  aus 
alt  angesehenem  Stadtzürcher  Geschlecht.  In  ihm  verehren  die 
zürcherischen  und  schweizerischen  Juristen  den  ersten  Begründer 
und  Bildner  einer  wissenschaftlichen  schweizerischen  Jurispru- 
denz. An  der  Schaffung  einer  wohlorganisierten  zürcherischen 
Rechtspflege  hatte  Keller  das  Hauptverdienst.  Niemand  hat  das 
mit  grösserm  Freiniut  anerkannt  und  ausgesprochen  als  sein 
schärfster    poUtischer    Gegner    Johann     Caspar     Bluntschli, 


o  ACHTES  KAPITEL:    DAS  ALTE  STÜRZT  8i 

selber  ein  Jurist  von  phänomenaler  Begabung  und  eine  Autorität 
von  erstem  Range  für  sein  Fach.  So  verschieden  Keller  und 
Bluntschli  politisch  dachten  und  handelten,  in  der  Rechtswissen- 
schaft stehen  sie  nebeneinander  als  leuchtendes  Doppelgestirn. 
Kellers  Schwäche  lag  in  seiner  „allzugrossen  Verehrung  für  das 
weibliche  Geschlecht",  die  dem  von  ihm  und  seinen  Freunden 
frequentierten  Restaurant  am  Wolfbach  den  Namen  ,,Cafe  Ober- 
richter" eintrug.  Keller  betrachtete  diese  Neigung  als  Privat- 
sache, die  niemand  etwas  angehe;  aber  wenn  selbst  BluntschU 
deswegen  gegen  die  ,,zur  Schau  getragene  Unsittlichkeit"  der 
Radikalen  protestierte  und  Keller  die  Stimme  versagte,  wie 
konnte  dann  ein  im  Brennpunkt  des  pohtischen  Kampfes  stehender 
Parteiführer  envarten,  dass  das  übrige  Pubhkum  sich  um  seine 
,, Privatangelegenheiten"  nicht  kümmern  werde?  Man  muss  dies 
erwähnen,  weil  die  Revolution  von  1839  von  daher  zum  guten 
Teil  ihre  Berechtigung  herleitete.  Aber  derselbe  Bluntschli  hat 
Dr.  Keller  in  seinem  Nachruf  auch  folgende  Worte  gewidmet: 
,, Überhaupt  habe  ich  die  reinigende  und  veredelnde  Macht  der 
\^lssenschaft  selten  deutlicher  erkannt  als  in  dem  Leben  Kellers. 
Er  stürzte  sich  in  die  wissenschaftUchen  Studien  wie  in  ein  frisches, 
stärkendes  Bad,  welches  allen  Schmutz  des  täghchen  Lebens  und 
alle  Flecken  der  Leidenschaft  abwascht.  Da  war  er  immer  unbe- 
fangen, heiter,  frei  nach  Wahrheit  ringend.  Ich  habe  nie  einen 
Zug  des  Neides,  keine  Spur  von  Gelehrten-  oder  Autoreneitelkeit 
an  ihm  bemerkt.  Jeder  Fortschritt,  den  andere  in  seinem  Umkreis 
machten,  war  für  ihn  eine  Freude;  er  war  ebenso  bereit,  denselben 
zu  fördern,  wie  für  sich  nutzbar  zu  machen.  Von  ganzer  Seele 
liebte  er  die  Wahrheit." 

Mit  Keller  trat  an  die  Spitze  der  liberal-radikalen  Partei 
Staatsanwalt  David  Ulrich,  geb.  1797,  Enkel  (mütterhcher- 
seits)  und  Pathenkind  des  Bürgermeisters  David  von  Wyss 
(Vater).  ,,Wenn  an  dem  Juristen  und  Staatsanwälte  das  unbe- 
stechliche Gerechtigkeitsgefühl,  an  dem  Politiker  der  unabhängige 
Charakter,  das  gesunde  Urteil,  wodurch  er  den  meisten  überlegen 
war,  allgemein  anerkannt  wurden,  so  mussten  die  Schroffheit 
des  pohtischen  Auftretens,  die  dem  ausgesproclienen  Parteimann 
und  Parteiführer  trotz  seiner  angeborenen  Gutmütigkeit  eigen 
war,    und   noch   mehr   die   offenkundigen    Blossen   seines    Jung- 

6 


82  ACHTES  KAPITEL:    DAS  ALTE  STÜRZT  o 

geselleiilebens,  von  dem  die  chronique  scandaleuse  allerlei  pikante 
Abenteuer  zu  erzählen  wusste,  ihm  bald  Anfechtungen  und  Feinde 
zuziehen."  (Wettstein,  Regeneration).  Der  dritte  im  Bunde  war 
der  1803  geborene  Wilhelm  Füssli,  „radikaler  Parteimann 
schärfster  Tonart,  schneidiger  journahstischer  Vorkämpfer  dieser 
Tendenzen,  launig-derber  Redner  im  Grossen  Rat,  voll  Liebe  für 
Wissenschaft  und  Kunst  und  alle  edleren  Richtungen  der  Men- 
schen." Mit  Vehemenz  wehrte  sich  Füssh  gegen  ungerechte,  seine 
Partei  herabsetzende  \'erallgemeinerungen.  ,,Man  hat  den  Radi- 
kalen vorzüglich  Unsittlichkeit  vorwerfen  wollen:  was  mich  be- 
trifft, so  greife  jemand  meine  Sittlichkeit  an,  wenn  er  kann.  Ich 
kann  jedem  Rede  stehen.  Man  darf  durch  meine  Fenster  sehen, 
wie  es  in  meinem  Hause  zugeht."  Keller,  Ulrich  und  Füssli  bildeten 
nach  der  N.  Z.  Z.  (Juni  1834)  ^i^i  ,, Triumvirat,  dem  es  eine 
Zeitlang  so  ziemlich  gelungen  war,  vor  ihrer  Allgewalt  einen 
gewissen  Schrecken  zu  verbreiten."  Als  abhängig  von  diesem 
Triumvirat  nannte  die  N.  Z.  Z.  in  erster  Linie  den  Oberrichter 
Schulthess,  den  die  Zunft  zu  ,, Zimmerleuten"  wegen  seiner 
Gesinnimg  aus  dem  Grossen  Rat  entfernte  und  deshalb  vom 
,,Repubhkaner"  als  eine  Gesellschaft  von  Kakerlaken  tituhert 
wurde;  und  sodann  den  Bürgermeister  Hess,  den  das  Trium\-irat 
durch  Schmeicheleien  zu  führen  glaube.  Zur  Partei  gehörten 
ferner  der  Winterthurer  Jurist  Dr.  Jonas  Furrer  (späterer 
Bundespräsident),  Conrad  Melchior  Hirzel,  mit  Keller  zwar 
oft  auf  gespanntem  Fusse  stehend,  Professor  Eduard  vSulzer, 
der  aber  bald  zu  den  Konservati \'en  überging  und  das  konservati\"e 
Parteiblatt  ,,Der  schweizerische  Konstitutionelle"  gründete  und 
redigierte.  Auch  der  edle  Ludwig  Mej'er  von  Knonau,  ein 
Staatsmann  der  alten  Schule  (geb.  176g),  stand  auf  dem  Boden 
der  hberal-radikalen  Partei,  ,, rüstig  und  freudig  bejahend  trat 
er  in  den  Umschwung  der  Dinge  ein  und  arbeitete  mit  der  lebendig- 
sten Teilnahme  für  alle  neuen  Aufgaben,  welche  dem  Staatsleben 
gestellt  wurden."  Von  den  radikalen  Landvertretern  seien  nur 
genannt  Dr.  Hegetschweiler,  der  sehr  tüchtige  und  brauchbare 
Amtsrichter  und  nachherige  Regierungsrat  Weiss,  alt  Statthalter 
Pfenninger,  Heinrich  Gujer  von  Bauma  (erster  Grossratspräsident 
vom  Lande!).  vSie  alle  aber  fügten  sich  —  wenigstens  im  Anfang  — 
willig  der  geistigen  Überlegenheit  der  stadtzürcherischen  Fülirer. 


o  ACHTES  KAPITEL:    DAS  ALTE  STÜRZT  83 

Der  rechte  Flügel  der  Stadtliberalen  war  seit  dem  Ustertag 
zur  städtischen  Opposition  abgeschwenkt  und  bildete  innerhalb 
derselben  die  „Partei  der  Gemässigten",  des  „juste-milieu", 
die  ihr  geistiges  Haupt  in  Joh.  Caspar  Bluntschli  besass. 
Bluntschii  (geb.  1808),  damals  Gerichtsschreiber  beim  Bezirks- 
gericht Zürich  und  städtischer  Notar,  nahm  energisch  Stellung 
gegen  den  ,, Souveränitätsschwindel  der  Menge"  und  wurde  des- 
halb von  der  radikalen  Landpartei  samt  seinem  ,,iuste-miUeu"- 
Gefolge  mit  den  Aristokraten  in  denselben  Topf  geworfen.  \'on 
den  gemässigt  Konservativen,  die  der  Richtung  BltintschHs  nahe- 
standen, sind  besonders  zu  nennen  Bürgermeister  Conrad  von 
Muralt,  die  Regierungsräte  Ferdinand  Meyer  —  Vater  des 
Dichters  C.  F.  Mej-er  —  und  J.  J.  Hottinger,  Dr.  jur.  Joh. 
G.  Finsler,  Oberrichter  Joh.  Caspar  Ulrich,  Chef  der  Buch- 
druckerei Berichthaus;  der  Philologe  Joh.  Caspar  v.  Orelli  ge- 
hörte anfänglich  ebenfalls  zum  rechten  Flügel  der  Liberalen,  aber 
doch  nur  kurze  Zeit.  Organ  der  Gemässigten  war  —  nach  dem 
Eingehen  des  ,, Beobachter"  (Heinrich  Xüscheler  starb  am  15.  Juli 
1831)  —  der  ebenfalls  nur  kurzlebige  ,, Vaterlandsfreund",  den  der 
radikale  ,,Repubhkaner"  als  ,, Hofhund  der  Aristokratie"  verbrüllte. 
Die  ,, Freitagszeitung"  war  konservativ  und  aristokratisch  und 
zählte  zu  ihren  Mitarbeitern  hauptsächUch  GeistHche.  Die  ,,Neue 
Zürcher  Zeitung",  eine  Zeitlang  redigiert  von  dem  gewesenen 
Oberlehrer  an  der  Blindenanstalt,  dem  Württemberger  Ignaz 
Thomas  Scherr  (geb.  1801)  und  dann  von  dem  Kriminal- 
gerichtspräsidenten und  nachherigen  Regierungsrat  Heinrich 
Escher  und  dessen  poU tische  Schwankungen  getreuUch  wider- 
spiegelnd, wurde  gelegentlich  mit  gleicher  Heftigkeit  von  rechts 
und  hnks  angegriffen.  Das  Gros  der  städtischen  Bürgerschaft 
hörte  aber  viel  weniger  auf  die  Stimme  der  Gemässigten,  als  auf 
den  Vertreter  der  Stockkonservativen,  der  Opposition  ä  tout  prix, 
Oberstleutnant  und  Stadtrat  David  Nuschele r.  Das  war  ihr 
Mann,  ,,der  sagte  es  ihnen",  der  bekämpfte  , .unerschrocken" 
alles  und  jedes,  was  die  Regierung  bringen  mochte.  Das  lauwarme 
Getränk  der  ,, Gemässigten"  mundete  den  Stadtbürgern  nicht 
und  den  verbindUchen,  freundUchen  Bürgermeister  v.  Muralt 
verspotteten  sie  als  ,, Seidenhändler  Muralt".  Ob  mehr  gemässigt 
oder  extrem-konservativ,  hat  man  sich  in  jedem  Fall  die  Stadt 


84  ACHTES  KAPITEL:    DAS  ALTE  STÜRZT  o 

Zürich  schon  vom  Ustertage  an  als  feindüches  Lager  gegei:über 
der  Regierung  und  herrschenden  Partei  im  Kanton  zu  denken, 
und  die  Anhänger  der  letztern  bildeten  in  der  .Stadt  eine  kleine 
und  scheel  angesehene  Minderheit. 

Die  Verfassung  von  1831  stellt  einen  Markstein  dar  in  der 
Geschichte  des  Kantons  Zürich.  Indem  sie,  wie  Dr.  L.  Keller 
sagte,  als  wesenthchste  Errungenschaft  die  Wegschaffung  des  alten 
väterlichen,  aus  Gnade  und  Ungnade  regierten  Staates  und  die 
Konstituierung  der  Herrschaft  des  Grundsatzes,  des  Gesetzes 
und  der  Wissenschaft  brachte,  trennte  sie  zwei  Zeitalter  von- 
einander. Die  überraschend  glänzende  Annahme  der  Verfassung 
am  20.  März  1831  täuschte  indessen  eiuigermassen  über  den  Grad 
der  Reife  des  Volks  für  die  neuen  Grundsätze.  Es  kam  so,  wie 
Keller  einmal  an  Bluntschli  schrieb:  ,,Bekannthch  beissen  die 
allgemeinen  Grundsätze,  die  in  einer  Verfassung  stehen,  niemanden ; 
aber  die  Spezialisierung  und  Durchführung  derselben,  die  freihch 
derjenige,  welcher  mit  Grundsätzen  und  der  Entwicklung  zu  ver- 
kehren gewohnt,  als  blosse  Folge,  der  Alltagsmensch  aber  als 
etwas  Neues  betrachtet,  die  beissen  so,  dass  viele  zucken  und 
schreien,  die  an  dem  allgemeinen  Grundsatz  keinen  Anstoss  ge- 
nommen haben."  Einstweilen  herrschte  freilich  die  Freude  vor, 
und  in  dieser  Freude  hatte  die  siegreiche  radikale  Partei  die  Gut- 
mütigkeit, von  19  Sitzen  des  Regierungsrats,  wie  der  ,, Kleine 
Rat"  jetzt  hiess,  zehn,  also  die  Mehrheit,  den  Stadtzürchern 
zu  überlassen  (23. — 25.  März  1831).  Unter  den  MitgUedern  des 
Regierungsrats,  innerhalb  dessen  sich  wieder  ein  ,, Staatsrat"  für 
auswärtige  Angelegenheiten  und  andere  Subkommissionen  kon- 
stituierten, nennen  wir  von  konservativer  Seite  David  v.  \^'yss, 
Conrad  v.  Muralt,  Ferdinand  ;\Ieyer,  von  radikaler:  Dr.  Paul 
Usteri,  Dr.  Hegetschweiler,  Pfenninger,  C.  ;\I.  Hirzel,  Prof.  Ed. 
vSulzer,  L.  Meyer  v.  Knonau,  die  Amtsrichter  Melchior  Sulzer 
und  Heinrich  Weiss  von  Fehraltorf.  Das  Bürgermeisteramt 
in  doppelter  Bestellung  mit  jährlichem  Wechsel  in  der  Amts- 
führung wurde  beibehalten.  Die  Walil  des  von  der  Landschaft 
unbegrenzt  verehrten  radikalen  vStadtzürchers  Dr.  Paul  Usteri 
zum  ersten  Bürgermeister  war  gegeben;  zweiter  Bürgermeister 
wurde  David  v.  Wyss.  Ebenso  selbstverständHch  wie  die  Wahl 
Usteris   zum   Bürgermeister   war   diejenige   von   Amtsrichter   Dr. 


Ocry  luicli  ik-iii  Li-Ihmi  auf  SU-iij  {;L-zficliiR-t 


Qlauf  Oisferi 


o  ACHTES  KAPITEL:    DAS  ALTE  STÜRZT  85 

Fr.  Ludwig  Keller  zum  IVIitglied  und  Präsidenten  des  Ober- 
gerichts (26.  März  1831).  Dass  er  das  Obergericht  als  koordi- 
nierte Behörde  neben  dem  Regierungsrat  auffasse,  zeigte  Dr. 
Keller  ostentativ  an  dem  gemeinsamen  Bankett  nach  der  Kon- 
stituierung der  sämtUchen  Behörden,  bei  dem  er  ohne  weiteres 
mit  grösster  Unbefangenheit  —  ,, Frechheit"  sagten  die  Konser- 
vativen —  den  Platz  gegenüber  dem  Bürgermeister  David  v.  Wyss 
für  sich  belegte. 

Am  28.  März  1831  war  Bürgermeister  Dr.  Paul  Usteri 
auch  zum  Grossratspräsidenten  gewählt  worden.  Er  hatte 
am  30.  März  kaum  die  Sitzung  eröffnet,  als  ihn  ein  Unwohlsein 
befiel.  Er  musste  den  Saal  verlassen  und  wurde  in  einer  Sänfte 
heimgebracht.  Am  9.  April  starb  der  vortreffhche  Bürger  und 
Staatsmann,  der  wie  kein  anderer  berufen  schien,  die  Gegensätze 
zwischen  Stadt  und  Land  auszugleichen  und  das  Staatsschiff 
sicher  durch  die  Wogen  der  Parteileidenschaften  zu  steuern. 
Gleich  ausgezeichnet  als  Staatsmann  wie  als  Rechtsgelehrter, 
Arzt,  Naturforscher  und  Journahst  und  infolge  seiner  glänzenden 
Geistesgaben  und  weisen  Ausnützung  der  Zeit  von  ungewöhnhcher 
Leistungsfähigkeit,  war  Usteri  in  der  ganzen  Eidgenossenschaft 
hochangesehen,  und  seine  Grösse  wurde  auch  von  dem  erzreaktio- 
nären  Karl  Ludwig  v.  Haller  widerwillig  anerkannt,  indem  er  ihn 
als  ,, unverbesserlichen  Revolutionär"  und  ,, Haupt  der  Jakobiner- 
partei der  ganzen  Schweiz"  bezeichnete.  Auf  der  zürcherischen 
Landschaft  wurde  Usteri  beweint  und  betrauert  wie  ein  Landes- 
vater. Die  Beschwörung  der  neuen  Verfassung,  Sonntag  den 
10.  April  nach  dem  Gottesdienst,  die  besonders  am  See  als  gross- 
artige Festlichkeit  geplant  war,  gestaltete  sich  zur  Trauerfeier. 
Zum  Begräbnis  am  12.  April  strömten  die  Landleute  in  Scharen 
zur  Stadt.  Die  Sängervereine  vom  See  kamen  in  schwarz  bewim- 
pelten Schiffen,  auf  denen  die  eidgenössische  Fahne  Usteris  vater- 
ländische Bedeutung  kennzeichnete,  und  der  kleine  St.  Anna- 
Friedhof  sah  nie  ein  imposanteres  Trauergeleite  als  an  diesem  Tag. 

Paul  Usteri  wurde  am  13.  April  1831  im  Grossen  Rat  ersetzt 
als  Regierungsrat  durch  den  liberal-konservativen  Historiker 
J.  J.  Hottinger,  als  Bürgermeister  durch  Conrad  v.  Muralt  und 
als  Grossratspräsident  durch  Melchior  Hirzel.  Es  standen  somit 
nun  an  der  Spitze  der  Regierung  zwei  konservative  Bürgermeister 


86  ACHTES  KAPITEL:    DAS  ALTE  STÜRZT  o 

und  im  Kollegium  des  Regierungsrats  bestimmten  die  acht  konser- 
vativen Stadtzürclier  im  \'erein  mit  einigen  ihnen  innerhch  nahe- 
stehenden radikalen  Kollegen  die  pohtische  Richtung.  Die  Un- 
natüriichkeit  des  Verhältnisses  zu  dem  mehrheithch  radikalen 
Grossen  Rate  musste  sich  bald  fühlbar  machen.  Dr.  Ludwig  Keller 
beherrschte  den  Grossen  Rat  unumschränkt.  Eine  ganze  Reihe 
konservativer  Regierungsräte  und  Grossräte  konnte  die  treffUchsten 
überzeugendsten  Argumente  mit  grösstem  Fleiss  für  eine  Ansicht 
zusammentragen:  wenn  Dr.  Keller  zuletzt  aufstand  und  dagegen 
redete,  so  war  alles  wie  weggewischt.  Er  brauchte  auch  nicht 
einmal  zu  reden,  sondern  nur  gegen  den  konservativen  Antrag 
in  der  Abstimmung  aufzustehen,  und  totsicher  stand  die  Mehrheit 
des  Rats  mit  ihm  auf.  Es  war  oft  für  die  Konservativen  zum 
Wütendwerden.  Nun  begab  es  sich,  dass  am  26.  Februar  1832 
zu  Bassersdorf  ein  radikaler  kantonaler  Verein  gegründet  wurde, 
der  \-ielberufene  ,,  Bassers  dorfer  Verein".  Wilhelm  Füssli 
präsidierte  und  ein  Hauptredner  war  der  damals  noch  extrem- 
radikale Dr.  Schmid  von  Richterswil.  Vorausgegangen  war 
diesem  Ereignis  die  Gründung  eines  schweizerischen  frei- 
sinnigen vSchutz Vereins  in  Langental  am  25.  September  1831, 
dessen  Zweck  darin  bestand,  den  freisinnigen  Regierungen  der 
regenerierten  Kantone  als  Stütze  zu  dienen,  ihren  Schutz  gegen 
aristokratische  Wiederherstellungsversuche  zu  bilden,  sie  zur 
Durchführung  der  Reformen  anzuspornen,  sowie  auch  eine  Re- 
vision der  unter  dem  Segen  der  alliierten  Mächte  entstandenen 
und  lücht  mehr  zeitgemässen  Bundesverfassung  von  1815 
anzustreben.  Der  ,,  Bassersdorf  er  Verein"  war  lüchts  anderes  als 
der  Zürcher  Kantonalverband  des  radikalen  Langentaler  Vereins. 
Ausserdem  schlössen  —  am  17.  März  1832  während  der  Tag- 
satzung in  L,uzern  —  die  radikalen  Regierungen  der  Kantone 
Euzern,  Zürich,  Bern,  Solothum,  St.  Gallen,  Aargau  und  Thurgau 
das  sogenannte  ,,  Siebner-Konkordat"  zu  gegenseitigem  Schutz 
und  Beistand  gegen  aristokratische  Umwälzungsversuche.  Der 
Beitritt  Zürichs  zu  diesem  Konkordat,  einem  radikalen  Sonder- 
bund, wurde  am  11.  April  1832  nach  hitziger  Debatte  mit  127 
gegen  61  Stimmen  vom  Grossen  Rat  beschlossen  und  mit  118 
gegen  65  Stimmen  der  Dank  an  die  Tagsatzungsgesandten  votiert, 
worauf    C.  V.  Muralt,    gefolgt   von   33   weitem   Mitgliedern,    den 


o  ACHTES  KAPITEL:  DAS  ALTE  STÜRZT  87 

Saal  verliess.   Die  endgültige  Ratifikation  erfolgte  mit  128  gegen 
21  Stimmen. 

Die  Erwähnung  des  Siebner  Konkordats  musste  hier  etwas 
vorausgenommen  werden,  um  die  —  in  Zürich  sofort  begriffene 
—  Bedeutung  des  „Bassersdorfer  Vereins"  in  die  richtige  Beleuch- 
tung zu  rücken.  Man  war  in  der  Stadt  um  so  mehr  erschreckt 
und  erbittert,  als  in  Bassersdorf  auch  von  der  Schleifung  der 
Festungswerke  und  Verteilung  der  Kanonen  aufs  L,and 
gesprochen  wurde.  Die  Regierung  hielt  den  Bassersdorfer  Verein 
für  verfassungswidrig  und  legte  dem  Grossen  Rat  einen  Gesetzes- 
entwurf vor,  der  die  Konstituierung  von  Vereinen  an  gewisse 
Bedingungen  knüpfte.  Die  Grossratsdebatte  über  diesen  Entwurf 
erfolgte  unter  dem  Vorsitz  von  Dr.  L.  Keller  am  8.  und  9.  März. 
Sie  endete  mit  der  Verwerfung  des  Gesetzes  mit  94  gegen 
85  Stimmen.  Daraufhin  legten  sämtliche  acht  konser\'ative  stadt- 
zürcherische  Regierungsräte  ihr  Amt  nieder.  Die  Ersatzwahlen 
am  19.  März  bereiteten  erhebliche  Schwierigkeiten.  Einer  um  den 
andern  ^-on  den  Vorgeschlagenen  lehnte  ab.  Die  Konservativen 
frohlockten  und  schlugen  ,,zum  Schund"  die  unmöghchsten 
Namen  vor,  um  den  \Vahlakt  lächerHch  zu  machen.  ,,Es  war 
ein  verfluchter  Nachmittag",  schrieb  Keller  seinem  Freund 
J.  J.  Hess  nach  Luzern.  ,,Der  Missmut  und  der  Ärger  auf  unsrer 
Seite,  der  Triumph  der  Gegner  stieg  mit  jedem  Augenbhck,  die 
Unsrigen  waren  grösstenteils  niedergeschlagen,  manche  verloren 
den  Kopf.  Die  Feinde  jubiherten  und  hohnlachten  ganz  laut, 
unverhohlen  und  einmütig.  Es  sah  ordenthch  aus,  als  ob  wir  zu 
Kreuz  kriechen  und  den  alten  Herren  gestehen  müssten,  dass, 
wenn  sie  nicht  regieren,  bei  uns  nicht  regiert  werden  könne." 
Vorzeitig  brach  der  Präsident  die  Sitzung  ab,  dann  gings  zum 
,,  Seh  wert",  wo  Keller  seinen  Leuten  den  Standpunkt  klarmachte 
und  ihnen  sagte,  ,,es  frage  sich  jetzt,  ob  die  Versammlung  von 
Uster  eine  Dummheit  gewesen  sei  und  ob  wir  wieder  an  die  Gnade 
unserer  alten  Herren  kommen  müssten."  Am  nächsten  Morgen 
gingen  die  noch  ausstehenden  fünf  Ersatzwahlen  ganz  glatt  von- 
statten. Bürgermeister  wurden  Melchior  Hirzel  und  J.  J.  Hess. 
Alle  diese  Vorgänge  spielten  sich  noch  unter  Ausschluss  der 
Öffenthchkeit  ab.  Erst  Ende  des  Jahres  1832  erhielt  der  Rats- 
saal gemäss  der  von  der  Verfassung  vorgeschriebenen  Öffentlich- 


88  ACHTES   KAPITEL:    DAS  ALTE    STÜRZT 

keit  der  Verhandlungen  seine  Tribüne,  für  welche  man  auf  die 
Weise  Platz  schaffte,  dass  man  die  Decke  des  Ratssaales  um  ein 
Stockwerk  hob  und  sie  nach  dem  klugen  Rat  Eschers  von  der 
Neumühle  an  den  Dachstulil  hängte. 

Am  27.  Januar  1832  hatte  der  Grosse  Rat  nach  einer  Debatte, 
die  von  5  bis  11  Uhr  abends  dauerte,  mit  83  gegen  79  Stimmen 
die  Aufhebung  des  Kasernendienstes  beschlossen.  Die 
Frage,  um  welche  man  stritt,  lautete:  ,, sollen  die  Rekruten  auf 
ländlichen  Trüllplätzen,  wie  dies  zahlreiche  eingereichte  ,,\"olks- 
wünsche"  verlangten,  oder  aber  wie  bisher  21  Tage  in  der  Kaserne 
der  Hauptstadt  eingeübt  werden?"  Die  städtischen  Offiziere 
sprachen  mit  grösster  Lebhaftigkeit  gegen  die  Trüllplätze,  und 
als  der  Rat  im  gegenteihgen  Sinne  entschied,  legten  zehn  höhere 
konser\'ative  Offiziere  ihre  Kommandos  nieder.  Noch  bedeutend 
grössere  Aufregung  verursachte  in  der  Stadt  die  Aufhebung 
des  Chorherrenstifts,  welche  Keller  bereits  in  einer  ]\Iotion 
vom  21.  Dezember  1831  beantragt  hatte.  Als  ein  Anachronismus 
ragte  das  Chorherrenstift  noch  in  die  Regenerationszeit  hinein. 
Ein  ,,Cliorherrenstift"  und  protestantische  ,, Chorherren",  das 
musste  Nichtzürchern  immer  erst  erklärt  werden,  ,, wieso".  Den 
Zürchern  selbst  war  ,,die  Stift",  wie  sie  zu  sagen  pflegten,  wohl- 
vertraut; mit  dem  Gemeinwesen  aufs  engste  verwachsen  und 
durch  Erinnerungen,  die  in  die  Zeit  Karls  des  Grossen  hinauf- 
reichten, beinahe  geheihgt,  hatte  das  Chorherrenstift  auch  die 
Stürme  der  helvetischen  Revolution  überdauert.  Hand  an  ,,die 
Stift"  zu  legen,  das  erschien  vielen  Zürchern  als  frevles  Attentat, 
als  Sakrilegium.  Das  Kollegium  das  Chorherrenstifts  zum  Gross- 
münster bestand  seit  der  Reformation  nur  aus  einem  engen  Kreise 
von  etwa  12  Personen:  dem  Antistes,  zwei  Archidiakonen,  dem 
Pfarrer  zu  Predigern,  sechs  Chorherren,  welche  zu  Schuldiensten 
am  Gymnasium  verpflichtet  waren,  und  drei  weitern  Würdenträgern. 
Die  jMitgheder  des  Stifts  gehörten  von  Amtes  wegen  der  Synode 
an;  sie  waren  Inhaber  der  Kollatur  verschiedener  Pfarrstellen 
und  Verwalter  eines  sehr  bedeutenden  Stiftsvermögens,  aus  dem 
u.  a.  47  Prediger  besoldet,  16  Stipendien  an  Theologiestudenten 
verabfolgt  und  eine  Anzahl  Predigenvitwen  unterstützt  wurden. 
Das  Chorherrenstift  hatte  seine  grosse  Zeit;  allein  nun  stand  es 
einer  gründhchen  Reform   und  \'erbesserung   des  höhern  Unter- 


o  ACHTES  KAPITEL:    DAS  ALTE  STÜRZT  89 

lichts  im  Wege.  Unter  der  Aegide  des  Stifts  hatten  und  behielten 
die  Unterrrichtsanstalten  Zürichs  einen  einseitig  theologischen 
Zuschnitt.  Wo  man  die  Frage  des  höhern  Unterrichts  auch  an- 
packen mochte,  es  war  um  das  Stift  nicht  herumzukommen.  Die 
Chorherren  wehrten  sich  verzweifelt  gegen  die  Aufhebung,  ganz 
besonders  der  freisinnige  Dr.  Johannes  Schulthess,  welcher 
Urkunden  auf  Urkunden,  Streitschrift  auf  Streitschrift  häufte, 
um  die  Unverletzlichkeit  des  Rechts  darzutun,  das  dem  Chor- 
herrenstift die  Fortdauer  garantierte.  Aber  wie  steht  es  mit 
solchem  ,, sonnenklaren"  urkundHchen  Recht?  War  nicht  der 
Stadt  Zürich  schon  durch  die  Urkunde  Kaiser  Karls  IV.  1362 
der  Zürichsee  ,,so  weit  die  Wellen  schlagen"  als  Eigentum  zuge- 
sichert ?  Ist  nicht  noch  1799  urkundlich  und  unwidersprechHch 
das  götthche  und  menschUche  Recht  der  Herrschaft  der  Stadt 
Zürich  über  die  Landschaft  nachgewiesen  worden?  ,, Recht"  kann 
nicht  ewig  Recht  bleiben.  Durch  die  Veränderung  der  Verhält- 
nisse wird  es  zum  Unrecht  und  muss  durch  neues  Recht  ersetzt 
werden.  Dr.  Keller  gab  seiner  Motion  die  mildeste  Form;  die 
gegenwärtigen  Mitgüeder  des  Stifts  sollten  im  lebenslängHchen 
Genuss  Uirer  ökonomischen  Vorteile  verbleiben.  Mit  133  gegen 
34  Stimmen  wurde  die  Motion  erhebhch  erklärt,  am  10.  April  1832 
mit  131  gegen  52  Stimmen  auf  den  regierungsräthchen  Gesetzes- 
entwurf eingetreten.  Das  Stiftsgut  sollte  auch  in  Zukunft  als 
abgesondertes  Kantonalgut  verwaltet  und  unter  Beachtung  der 
auf  demselben  haftenden  besondern  Verpfhchtungen  für  die 
Zwecke  der  Kirche  und  des  höhern  Unterrichts  ungeschmälert 
verwendet  werden.  Die  Aufsicht  über  die  Verwaltung  und  Ver- 
wendung des  Stiftsguts  hatte  eine  dem  Regierungsrat  unter- 
geordnete Stiftspflege  zu  übernehmen.  Die  Aufhebung  des  Chor- 
herrenstifts machte  die  Bahn  frei  für  die  Gründung  und  Finan- 
zierung der  höhern  kantonalen  Lehranstalten. 

Schlag  auf  Schlag  folgten  die  für  das  altzürcherische  Bürger- 
tum niederschmetternden  Ereignisse.  Das  nächste,  was  nun  kam, 
war  die  Schleifung  der  Festungswerke,  die  im  Jahre  1832 
ein  Petitionssturm  vom  Lande  nach  dem  andern  verlangte,  da 
man  auf  der  Landschaft  in  der  Festung  ,,das  Bollwerk  der  reaktio- 
nären Stadtpartei"  erblickte.  Man  sprach  es  sogar  offen  aus,  dass 
die  feindselige  Stadt  einmal  den  Regierungsrat  und  Grossen  Rat 


90  ACHTES  KAPITEL:  DAS  ALTE  STÜRZT  o 

einfach  gefangen  nehmen  könnte.  Für  viele  Stadtbürger  hinwieder 
erhielten  die  Festungswerke,  die  ihnen  vielleicht  gleichgültig 
geworden  waren,  einen  erneuten  Wert,  als  vom  Lande  her  Angriff 
auf  Angriff  gegen  sie  erfolgte  und  der  eminent  pohtische  Charakter 
dieser  Frage  mehr  und  mehr  zutage  trat.  Unter  der  Führung 
David  Nüschelers  entspann  sich  in  Zeitungen  und  Broschüren 
ein  hitziger  Kampf  zur  Erhaltung  der  Festung,  ohne  welche 
Zürich  zum  Dorf  herabsinken  und  allen  räuberischen  Überfällen 
preisgegeben  sein  würde.  In  einer  städtischen  Gemeindever- 
sammlung vom  15.  Oktober  1S32  verwies  Dr.  Rahn-Escher 
warnend  auf  das  Beispiel  von  Aarau,  das  als  offene  Stadt  leicht 
von  den  Freischaren  Fischers  von  Merischwanden  überrumpelt 
werden  konnte.  In  der  entscheidenden  Grossratssitzung  vom 
30.  Januar  1833,  welche  10  vStunden  dauerte,  sagte  es  Dr.  Schmid 
von  Richterswil  rund  heraus,  es  sei  der  politische  Gesichtspunkt, 
aus  welchem  die  Schleifung  der  Festungswerke  verlangt  werde. 
Ebenso  offen  fügte  Regierungsrat  Weiss  bei:  ,,Die  Wünsche  der 
Landschaft  beruhen  auf  politischen  Rücksichten,  wenn  ich  sagen 
darf,  auf  Misstrauen;  und  wenn  man  gestanden  hätte,  dass  die 
Bürgerschaft  der  Stadt  auch  aus  Misstrauen  die  Beibehaltung 
wünsche,  so  hätten  beide  Teile  die  Walirheit  gesagt.  Wenn  man 
sagt:  Misstrauen  gebiert  Misstrauen,  so  ist  das  richtig;  man  schaffe 
aber  nur  die  Schanzen  weg,  so  wird  der  Gegenstand  und  der  Grund 
des  Msstrauens  beseitigt."  Mit  131  gegen  53  Stimmen  wurde  die 
Demolierung  der  Schanzen  beschlossen.  Ludwig  Me3'er  v.  Knonau 
sah  mit  Zuversiclit  dem  nahen  Zeitpunkte  entgegen,  wo  nicht 
nur  die  ausserhalb  der  Stadt  verhasste  Scheidewand  fallen,  sondern 
auch  der  beständige  Reiz  schwinden  werde,  ,, hinter  Wällen  und 
Gräben  der  Landschaft  Trotz  zu  bieten."  Noch  im  Frühjalir  1833 
begann  die  Abtragung  der  Fortifikationen  mit  der  Wegnahme  der 
Porten,  Barrieren  und  Fallbrücken  und  Verebnung  des  flachen 
Bollwerks  beim  Hottinger  Pörth  durch  Straf Unge.  Mit  Verdruss 
sahen  manche  Bürger  diesen  Arbeiten  zu,  und  ]\Ieyer  v.  Knonau 
hörte  etwa  an  den  Stadtausgängen  sich  Begegnende  fragen: 
, .Wollen  Sie  auch  ausser  dem  Dorf  gehen  ?"  Oberstleutnant  David 
Nüscheler,  der  im  Talacker  wohnte,  benutzte  Jahre  lang  nicht 
die  naheliegenden  bequemen  Ausgänge,  sondern  machte  konse- 
quent den  grossen  Umweg  durch  die  Werdmühle  und  die  Brücke 


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o  ACHTES  KAPITEL:  DAS  ALTE  STÜRZT  91 

beim  Schützenhaus.  Den  Bemühungen  von  Regierungsrat  L.  Meyer 
V.  Knonau  war  es  zu  danken,  dass  die  „Katze"  im  Botanischen 
Garten,  das  Bauschänzh  und  die  Hohe  Promenade  erhalten  bUeben. 
Dass  die  Stadt  es  infolge  der  pohtischen  Misstimmung  versäumte, 
sich  das  kostbare  Schanzengebiet  zu  sichern,  wurde  in  spätem 
Jaliren  ausserordentlich  bedauert.  ,,Unsre  Sibyllinen",  so  schrieb 
die  ,, Freitagszeitung"  1862,  ,,das  war  das  Schanzengebiet.  Zwei- 
mal kam  die  radikale  Regierung  zu  der  konservativen  Stadt  und 
zweimal  bot  sie  ihr  das  Schanzengebiet  an.  Immer  weniger  waren 
der  Blätter  und  immer  teurerer  Preis  wurde  gefordert.  Das  dritte 
Mal  musste  die  Stadt  froh  sein,  dass  sie  den  kleinen  Rest  zu  aller- 
höchstem Preis  nur  noch  angeboten  erhielt,  und  sie  nahm  schnell 
an."  Das  Blatt  meinte,  die  Verwerfung  der  Angebote  sei  weniger 
erfolgt  aus  mangelnder  Einsicht  in  die  Interessen  der  Stadt  ,,als 
um  der  verhassten  radikalen  Regierung  durch  Opposition  Ver- 
legenheiten zu  bereiten". 

Das  vierte  der  grossen  Probleme,  welche  anfangs  der  dreissiger 
Jahre  die  Gemüter  erhitzte,  war  die  Aufhebung  des  Direk- 
torialfonds. Im  Jahre  1662  gründeten  die  zürcherischen  Kauf- 
leute das  ,,  Kauf  männische  Direktorium",  welches  das  Postwesen 
übernahm  und  von  der  Regierung  das  Recht  erlüelt,  zur  Deckung 
der  Betriebskosten  auf  jedem  in  Zürich  ein-  und  ausgehenden 
Stück  Gut  eine  Abgabe  zu  erheben.  Als  im  Jahre  1803  die  Post 
Staatsregal  wurde,  bildete  sich  die  Ansicht,  dass  der  aus  den 
Rechnungsüberschüssen  entstandene  ,, Direktorialfond"  vom  Staat 
beansprucht  und  für  die  Öffentlichkeit  fruchtbar  gemacht  werden 
sollte.  Es  gelang  indessen  dem  Direktorium,  das  Eigentumsrecht 
an  den  Fond  zu  behaupten.  Erst  am  30.  September  1830  kam 
die  Regierung  dazu,  vom  Direktorium  Rechenschaftsablegung 
über  die  \'en\-altung  des  Fonds  zu  verlangen,  wogegen  sich  das 
Direktorium  feierlich  verwahrte.  Drei  Jahre  lang  wurde  nun  um 
den  Direktorialfond  hin-  und  hergestritten.  Die  Position  des 
Direktoriums  verschlechterte  sich  aber  sehr  erheblich,  als  der 
,, Republikaner"  am  29.  November  1833  ein  von  der  Regierung 
von  1804  geheim  gehaltenes  und  selbst  den  Grossräten  bisher 
unbekannt  gebhebenes  Dokument  an  erster  Stelle  veröffentlichte: 
den  Beschluss  der  helvetischen  Liquidationskommission  vom 
15.  Juni  1804,  welcher  den  kaufmäniüschen  oder  Direktorialfond 


92  ACHTES  KAPITEL:  DAS  ALTE  STÜRZT  o 

„als  wahres  und  unmittelbares  Kantonaleigentum"  erklärte.  Man 
sah  nun  ein,  dass  man  sich  mit  dem  Staat  vergleichen  müsse, 
wollte  man  nicht  riskieren,  dass  sich  der  Grosse  Rat  durch  einen 
,, Gewaltstreich"  des  ganzen  Direktorialfonds  bemächtige.  Es 
kam  ein  Vertrag  zustande,  der  am  17.  Dezember  1833  in  einer 
Sitzung,  die  von  8  Uhr  morgens  bis  8  Uhr  abends  dauerte,  mit 
HO  gegen  72  Stimmen  im  Prinzip  gutgeheissen  wurde.  Nach 
diesem  Vertrag  fiel  dem  Staat  ein  Betrag  von  1,100,000  Fr.  zu, 
aus  dem  dann  der  sogenannte  ,, Industriefond"  (für  Strassen-  und 
Brückenbau)  gebildet  wurde.  Das  ,,  Kauf  männische  Direktorium" 
behielt  700,000  Fr.  mit  der  Verpflichtung  der  Ausführung  einer 
Reihe  von  Bauten  in  der  Stadt  Zürich.  Gemäss  diesen  Ver- 
pflichtungen wurden  bis  1840  u.  a.  ausgeführt:  ^Nlünsterbrücke, 
Rathausquai,  Sonnenquai,  Hafenbau,  Kornhaus  (,,alte  Tonhalle"), 
Poststrasse,  Abtragung  des  Wellenbergs,  mehrere  vStrassendurch- 
brüche   usw. 

Aufhebung  des  Kasernendienstes,  Aufhebung  des  Chorherren- 
stifts, Aufhebung  der  Festung,  Aufhebung  des  Direktorialfonds, 
das  waren  die  letzten  wuchtigen  Axthiebe,  die  den  stattlichen, 
uralten  Baum  stadtbürgerhcher  Herrschaft,  Privilegien  und 
vSonderrechte  endgültig  zum  Falle  brachten,  nachdem  er  schon  im 
Jahre  1798  vermittelst  einer  fränkischen  Säge  unheilbar  ange- 
schnitten war.  Wehmut  und  Trauer  in  bangen,  verzagten  Herzen 
begleiteten  seinen  dröhnenden  Sturz.  Doch  im  Geiste  seilen  wir 
schon  einen  ganzen  Wald  von  jungkräf tigern  Nachwuchs  empor- 
spriessen,  der  heute  noch  seinen  Schatten  spendet :  Hochschule  — 
Kantonsschule  —  Seminar  —  Kantonsspital  —  Gewerbefreiheit 
—  \'olksschulreform,  ein  Treiben  und  Sprossen  und  Blühen  auf 
allen  Gebieten,  wie  es  kein  Zeitalter  vor  und  nach  der  ,, Re- 
generation" der  dreissiger  Jahre  jemals  erlebt. 


********* ****************************** 


NEUNTES  KAPITEL 


NEUES  LEBEN 

Als  einen  der  dringendsten  \^olkswünsche  hatte  das  Memorial 
von  Uster  „eine  durchgreifende  Verbesserung  des  Schul- 
wesens" bezeichnet.  Der  Grosse  Rat  beeilte  sich,  diesem  Begehren 
zu  entsprechen.  Schon  am  20.  Juni  1831  wurde  durch  ein  Gesetz 
der  seit  dem  4.  Juni  1803  bestehende  Erziehungsrat  umgestaltet 
und  mit  der  Aufsicht  über  das  Schulwesen  des  ganzen  Kantons 
betraut.  Er  bestand  —  inklusive  drei  Regierungsvertretem  — 
aus  fünfzehn  Mitgliedern  und  teilte  sich  in  zwei  Sektionen:  für 
die  höhereu  Lehranstalten  und  für  das  Bezirks-  und  Gemeinde- 
schulwesen. Präsident  der  Gesamtbehörde  und  zugleich  der  zwei- 
ten Sektion  wurde  Bürgermeister  Melchior  Hirzel;  der  ersten 
Sektion  gehörten  u.  a.  an  J.  J.  Hottinger,  C.  v.  Orelh,  Dr.  L.  Keller, 
Hof  rat  J.  C.  Homer,  Ferdinand  Meyer,  der  zweiten:  Hans  Georg 
Nägeli,  Ignaz  Thomas  Scherr.  Aus  den  Vorarbeiten  beider  Sek- 
tionen ging  das  Unterrichtsgesetz  hervor,  das  vom  Grossen 
Rat  in  acht  langdauernden  Sitzungen  vom  25.  bis  28.  September 
1832  durchberaten  und  angenommen  wurde.  Es  war  ein  Werk 
der  Verständigung  und  ,, stellte  in  wohlgelungenem  Grundriss  das 
Gebäude  dar,  zu  welchem  zum  erstenmal  die  öffentlichen  Unter- 
richtsanstalten von  der  Elementarschule  bis  zur  höchsten  Stufe 
als  ein  einheitliches  Ganzes  vereinigt  werden  sollten".  Der  Ab- 
schnitt über  die  zu  gründende  Hochschule  wurde  entgegen 
den  ,, Bedenken"  David  Nüschelers  mit  148  gegen  9  Stimmen 
(von  neun  stadtzürcherischen  Militärs)  gutgeheissen.  Es  trug  zu 
diesem  günstigen  Ergebnis  nicht  wenig  bei,  dass  gerade  damals 
viel  von  einer  eidgenössischen  Hochschule  gesprochen  wurde 
und  Zürich  hoffte,  Sitz  derselben  zu  werden.  Durch  Regierungs- 
beschluss  vom  29.  Dezember  1832  wurde  der  Hochschule  das 
Hinteramt  (s.  Seite  31)  als  Wohnstätte  angewiesen,  allein  der 
Umbau  und  Ausbau  dieser  Gebäulichkeiten  zog  sich  noch  bis  ins 
Jahr  1838  hinein.    Vorerst  musste  das  am  23.  Januar  1832  auf- 


94  NEUNTES  KAPITEL:    NEUES  LEBEN  o 

gehobene  Alumnat  (»Seite  29),  das  nach  der  ,,N.  Z.  Z."  seit  langem 
nur  „eine  Pflanzschule  der  Bequemlichkeit  und  gesicherten  Schlaff- 
heit" gewesen  war,  für  die  Vorlesungen  benutzt  werden,  und  ein 
chemisches  Laboratorium  wurde  ,,in  der  Chorherren"  eingerichtet. 
Im  März  1833  erschien  das  erste  Lektionsverzeichnis:  46  Dozenten 
der  theologischen,  staatswissenschaftlichen,  medizinischen  und 
philosophischen  Fakultät  kündigten  105  Vorlesungen  an;  161 
Studenten  hatten  sich  immatrikulieren  lassen  (61  Zürcher,  67 
andere  Schweizer,  33  Ausländer).  Auf  der  Dozentenliste  figu- 
rierten eine  Anzahl  glänzender  Namen.  Von  den  Theologen  seien 
nur  erwähnt  H.  C.  M.  Rettig  aus  Giessen  und  der  Badenser 
Ferdinand  Hitzig.  An  der  staatswissenschaftlichen  Fakultät 
wirkten  Dr.  Wilhelm  Snell,  Bruder  des  uns  schon  bekannten 
Dr.  Ludwig  Snell,  Freiherr  Dr.  Ludwig  v.  Low,  der  späterhin 
mit  seinem  Büchlein  , .Zürich  im  Jahre  1837"  die  Zürcher  nicht 
wenig  ärgerte,  aber  bei  der  von  ihm  selbst  konstatierten  grossen 
Gutmütigkeit  derselben  bald  wieder  Absolution  fand;  dann  Dr. 
L.  Keller,  Kriminalgerichtspräsident  H.  Escher  und  Kellers 
ehemaliger  Schüler  am  politischen  Institut  J.  C.  Bluntschli. 
An  der  vSpitze  der  medizinischen  Fakultät  stand  Dr.  Lukas 
Schön  lein  aus  Würzburg,  der  sich  in  Deutschland  schon  eines 
bedeutenden  Rufes  erfreute.  Schönlein  war  ein  geistreiclier,  ori- 
gineller Mensch  und  zeichnete  sich  durch  ,, göttliche"  Grobheit 
aus.  Wie  er  den  an  einem  Knödielchen  beim  Essen  beinalie  er- 
stickenden Regierungsrat  Ed.  Sulzer  behandelte,  erzählt  Dr. 
Conrad  Escher  in  einer  gelungenen  Anekdote  (Aus  Zürichs  \"er- 
gangenheit,  I,  23).  Öfters  hörte  man  ihn  etwa  ingrimmig  knurren: 
,,So  was  kann  auch  nur  in  Zürich  vorkommen."  Er  mag  sich 
diese  Redensart  angewöhnt  haben,  seitdem  ihm,  dem  Katho- 
liken, die  Bürgergemeinde  Zürich  die  Aufnahme  ins  Bürgerrecht 
verweigert  hatte.  vSchon  im  Jahr  1834  wollte  ihm  der  Stadtrat 
das  Bürgerrecht  schenken;  die  deswegen  anberaumte  Bürger- 
versammlung vom  II.  September  musste  jedoch  wegen  formeller 
Einsprachen  wieder  aufgelöst  werden.  In  der  \'ersammlung  vom 
9. Juni  1836  wurde  die  Einbürgerung  eines  Katholiken  abermals 
grundsätzlich  scharf  bekämpft  und  die  Aufnahme  Schönleins  mit 
205  gegen  191  Stimmen  abgelehnt.  Damit  fiel  auch  die  Aufnahme 
eines  zweiten  Katholiken  dahin:  Junker  Jakob  Dürler  von  Luzem 


o  NEUNTES  KAPITEL:   NEUES  LEBEN  95 

(Über  den  nicht  abgestimmt  wurde).  Stäfa  hatte  inzwischen,  schon 
aus  alter  Vorhebe  für  die  vStadt,  den  berühmten  Universitäts- 
professoren (am  26.  Oktober  1834)  mit  seinem  Ehrenbürgerrecht 
beschenkt.  Der  1839er  Sturm  verleidete  Schönlein  (und  andern 
Dozenten)  den  Aufenthalt  in  Zürich  und  er  liess  sich  nach  BerUn 
berufen.  Zur  philosophischen  Fakultät  gehörte  der  am  20.  April 
1833  gewählte  erste  Rektor  der  Hochschule  Zürich,  Lau- 
renz Oken  von  München,  an  den  heute  noch  die  ,,Okenhöhe" 
auf  dem  Pfanuenstil  erinnert.  Eine  Zierde  der  Fakultät  war 
J.  C.  V.  Orelli.  Der  vom  dankbaren  Küsnacht  mit  dem  Bürger- 
recht und  einem  Grossratsmandat  betraute  Dr.  Ludwig  vSnell, 
Redaktor  des  ,,Repubhkaner",  dozierte  Geschichte  und  Philo- 
sophie. Unter  den  Privatdozenten  befanden  sich  besonders  viele 
Kantonsschullehrer.  Zu  poUtischer  Berühmtheit  gelangte  der 
Dozent  für  Sanskrit  und  OrientaHa,  Dr.  Bernhard  Hirzel, 
nachmals  Pfarrer  in  Pfäffikon. 

Die  Eröffnungsfeier  der  Hochschule  erfolgte  am  29.  April 

1833  in  Gegenwart  der  in  Zürich  versammelten  Tagsatzung  im 
Grossmünster.  Ansprachen  hielten  Bürgermeister  Melchior  Hirzel 
und  Rektor  Oken.  Den  Schluss  bildeten  ein  Bankett  im  Kasino 
und  der  erste  Kommers,  den  Zürich  sah.  Die  Hochschule  hatte 
von  Anfang  an  mit  allerlei  Widerwärtigem  zu  kämpfen.  Sie  war 
kaum  eröffnet,  als  ihr  Besuch  durch  die  deutschen  Regierungen 
verboten  wurde,  und  zwar  infolge  des  Frankfurter  Attentats  vom 
3.  April  1833,  wo  eine  Anzahl  Studenten  einen  sinnlosen  Putsch 
zur  Sprengung  des  deutschen  Bundestages  unternommen  hatte; 
wer  dabei  nicht  erwischt  wurde,  floh  in  die  Schweiz.   Am  14.  März 

1834  beschloss  Bern  die  Gründung  einer  eigenen  Universität 
und  vereitelte  dadurch  Zürichs  Hoffnungen  auf  den  Sitz  der  eid- 
genössischen Hochschule.  Gegen  Zürich  eröffnete  Bern  sofort 
einen  unlautern  Wettbewerb,  indem  es  ihm  Professoren  und  Stu- 
denten abzujagen  suchte  (z.  B.  durch  Verzicht  auf  jeden  Maturi- 
tätsausweis!).  Von  den  Professoren  Hessen  sich  allerdings  nur 
die  Mediziner  Dr.  Demme  und  die  Brüder  Snell  für  Bern  gewinnen. 
Letztere  wurden  dann  dort  die  Führer  der  ,, nationalen  Partei" 
gegen  die  ,,Burgdorfer  Partei"  der  Brüder  Schnell. 

Gleichzeitig  mit  der  Hochschule  ward  die  Kantonsschule 
geschaffen.   Sie  trat  an  die  Stelle  der  bisherigen  Schulen  für  höhere 


96  NEUNTES  KAPITEL:    NEUES  LEBEN  o 

Berufsarten:  Bürgerschule  (für  das  9.  bis  11.  Altersjahr)  und 
Gj^mnasium  am  Chorherrenstift.  Das  letztere  hatte  sich  in 
folgende  Abteilungen  gegliedert:  die  Gelehrtenschule  mit  erster 
Einführung  ins  Altertum  (der  Vorsteher  hiess  „Ludimoderator"); 
das  untere  Kollegium  (Collegium  humanitatis  im  Fraumünster- 
stift) ;  das  obere  Kollegium  (Carohnum,  Gymnasium  im  engern 
Sinne,  im  Chorherrenstift).  Dann  bestand  noch  die  1773  gegrün- 
dete „Kunstschule"  (im  Anschluss  an  die  Bürgerschule)  als 
Vorbereitung  zum  Eintritt  in  handvverkhche  oder  Handels-Lehre 
oder  zu  höheren  mathematischen,  technischen  und  kaufmännischen 
vStudien.  Den  Mangel  einer  Universität  ersetzten  bis  1833  einiger- 
massen  das  medizinisch-chirurgische  Institut  (gegründet 
1782,  seit  1804  Kantonal- Anstalt) ,  das  politische  Institut 
für  künftige  Verwaltungsbeamte  und  Juristen  (gegründet  1807 
auf  Anregung  von  Escher  von  der  Linth,  L.  Meyer  v.  Knonau  und 
Konrad  v.  Meiss) ;  das  technische  Institut  (seit  1826)  zur 
Weiterbildung  in  mathematischen,  naturwissenschaftlichen  und 
sprachHchen  Fächern,  unterhalten  von  einem  Privatverein,  der 
sich  nach  Gründung  der  Industrieschule  auf  Ostern  1833  auflöste. 
Die  neu  gegründete  Kantonsschule  gliederte  sich  ebenfalls  in 
zwei  Abteilungen:  Gj'mnasium  (unteres  und  oberes)  und  Indu- 
strieschule (untere  und  obere).  Beide  wurden  am  22.  April  1833 
feierhch  eröffnet.  Ihre  Lokahtäten  befanden  sich  im  Chorherren- 
gebäude und  im  Haus  zum  ,,Loch".  1835  beschloss  der  Regie- 
rungsrat, an  vStelle  des  erstem  einen  Neubau  in  byzantinischem 
Stil  zu  errichten,  allein  man  kam  von  dem  Plane  wieder  ab,  und 
am  7.  Dezember  1837  entschied  sich  der  Regierungsrat  für  den 
Bauplatz  auf  dem  ,,Rämi-Bollwerk".  Am  15.  August  1842  konnte 
der  von  Architekt  Wegmann  erstellte  Bau  bezogen  werden.  Dr. 
F.  Meyer  erzählt  davon  in  seinen  ,, Erinnerungen":  ,,Auch  die 
dortige  Gegend  hatte  infolge  der  Schanzenschleifung  eine  neue 
Gestalt  erhalten.  Die  Krautgartengasse,  die  vorher  zum  Hot- 
tingerpörth  geführt  hatte,  war  nun  durch  eine  gerade  Strasse 
mit  dem  Zeltweg  verbunden  und  dieser  selbst  verbreitert  worden. 
Damit  begann  dort  auch  der  Bau  neuer  Häuser;  besonders  gross- 
artig für  damahge  Begriffe  waren  die  Escherhäuser,  für  meine 
Erinnerung  die  erste  Privatbaute,  die  von  dem  Erbauer  nicht 
nur  als  Wohnung  für  ihn  selbst,  sondern  als  Kapitalanlage  errichtet 


NEUNTES  KAPITEL:    NEUES  LEBEN  97 

wurde.  Für  den  Wolfbach  wurde  zur  Ablagerung  des  Geschiebes 
ein  Bassin  erbaut,  das  im  Winter  als  Eisbahn  sehr  frequentiert 
war.  Zwischen  diesem  und  dem  Schulgebäude  war  der  neue  Turn- 
platz angelegt,  in  der  Mitte  ein  gewaltig  hohes  Klettergerüste 
mit  Leiter,  Stange  und  Seil  . .  .  Schon  lange  Zeit  vor  der  Ein- 
weihung hatte  der  Gesanglehrer  mit  uns  den  Chor  aus  Rombergs 
Komposition  von  Schillers  Glocke:  .Holder  Friede,  süsse  Ein- 
tracht' eingeübt.  Als  dann  bei  den  letzten  Proben  alle  Klassen 
zusammengezogen  wurden  und  zu  unsern  Knabenstimmen  nun 
auch  die  Bässe  der  .Grossen'  erschollen,  so  machte  mir  dieser  erste 
,gemischte  Chor',  an  dem  ich  teilnahm,  einen  gewaltigen  Eindruck. 
Und  die  Feier  selbst  war  vollends  ein  wichtiges  Ereignis.  Behör- 
den und  Schüler  versammelten  sich  in  dem  Singsaal,  der  schon 
durch  seine  Grösse  und  Höhe,  sowie  durch  die  nach  damaligen 
Begriffen  sehr  schöne  Bemalung  der  Wände  uns  imponierte  und 
nun  noch  durch  Topfpflanzen  dekoriert  war.  Die  Reden  des 
Präsidenten  des  Erziehungsrates  und  des  Rektors  Uessen  wir  ohne 
zu  grosse  Aufmerksamkeit  über  uns  ergehen,  unser  Gesang  aber 
war  prächtig.  Am  Abend  wurden  auf  dem  Schützenplatz  an  der 
Limmat,  der  ausser  dem  jetzigen  Platzspitz  auch  den  ganzen 
Bahnhofplatz  und  die  Gessnerallee  in  sich  fasste.  Spiele  gemacht, 
und  im  Schützenhaus  (ungefähr  an  der  Stelle  des  jetzigen  Schützen- 
gartens) hatten  wir  Schüler  ein  Abendessen." 

Auch  der  Kantonsschule  blieben  in  ihrer  Jugend  gefährhche 
Stürme  nicht  erspart.  Die  schlimmste  Krisis  hatte  sie  1836  zu 
bestehen,  als  Winterthur,  von  der  Stimmung  der  Landschaft 
sehr  begünstigt,  ernsthafte  Anstrengungen  machte,  Sitz  der 
Kantonsschule  zu  werden.  Die  Stadt  Zürich  hatte  bisher  wenig 
Lust  gezeigt,  an  die  Baukosten  und  den  Unterhalt  der  höhern 
kantonalen  Lehranstalten  einen  erheblichen  Beitrag  zu  leisten. 
Sie  ging  von  der  Ansicht  aus,  dass  ihr  bei  der  Ausscheidung 
zwischen  Stadt  und  Land  ihr  früheres  Eigentum  genommen  und 
nur  das  zum  Leben  Notwendige  gelassen  wurde.  Nun  wäre  es 
unbillig,  wenn  sie  ihr  Privatvermögen  noch  einmal  für  die  Kantonal- 
anstalten hergeben  sollte.  Die  Winterthurer  Gemeindeversamm- 
lung vom  2.  Februar  1836  dagegen  stellte  ein  Baukapital  von 
400,000  Fr.  und  einen  Jahresbeitrag  von  16,000  Fr.  zur  Verfügung, 
wenn  die   Kantonsschule  Winterthur  zugesprochen  werde.     Der 

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98  NEUNTES  KAPITEL:    NEUES  LEBEN  o 

radikale  ,,  Republikaner"  bezeichnete  diesen  \'orstoss  als  eine  sehr 
nützliche  „Demonstration  gegen  Zürichs  PlüHsterei  und  Geiz", 
und  der  am  i.  März  1836  zum  erstenmal  erschienene  Winterthurer 
„Ivandbote"  bemühte  sich  vor  allem,  der  Landschaft  und  den 
Landgrossräten  die  von  Winterthur  vorgeschlagene  Lösung  plau- 
sibel zu  machen.  Die  stadtzürcherische  Gemeindeversammlung 
vom  3.  März  1836  beschloss  daraufhin  fast  einstimmig,  einen  Jahres- 
beitrag von  20,000  Fr.  zu  übernehmen,  solange  die  höhern  Lehr- 
anstalten in  Zürich  verbleiben  würden  (alt  Bürgermeister  C.  v.  Mu- 
ralt und  Bürgermeister  J.  J.  Hess  hatten  überdies  je  16,000  Fr. 
geschenkt,  um  der  Stadt  die  zu  übernehmende  \'erpfHchtung  zu 
erleichtern).  Am  22.  März  wurde  darüber  im  Grossen  Rate  de- 
battiert. Mit  nobler  Selbstverleugnung  trat  Regierungsrat  Ed. 
Sulzer  von  Winterthur  im  Interesse  der  Schule  und  Wissenschaft 
dafür  ein,  dass  die  höhern  Lehranstalten  nicht  auseinandergerissen 
werden  sollten,  und  seinem  Beispiel  folgte  der  Sprecher  der  Winter- 
thurer, Reinhart-Hess,  indem  er  seine  Anträge  zurückzog. 

Am  27.  Dezember  1836  beschloss  der  Grosse  Rat  den  Bau 
des  Kantonsspitals  in  dem  ,, Schönhaus"  genannten  Spitalgut. 
Die  Spannweid  sollte  alsdann  als  Kranken-  und  Versorgungsanstalt 
aufgehoben,  die  Pfründer  und  Hauskinder  derselben  in  den  alten 
Spital  bei  der  Predigerkirche,  die  Krauken  des  Spitals  und  der 
Spannweid  aber  in  das  neue  Krankenhaus  versetzt  werden,  .so 
dass  der  alte  Spital  neben  der  Irren-  und  Gebäranstalt  dann  aus- 
schliessHch  als  Versorgungsanstalt  für  alte,  gebrechliche,  elende 
und  unheilbare  Personen  benützt  werden  konnte.  ,,Am  20.  Juni 
1842  wurde  das  neue  Krankenliaus  eröffnet  und  109  Patienten 
aus  dem  vSpital  und  q  aus  der  vSpannweid  in  verschiedenen  Arten 
von  Wagen  schnell  dalün  versetzt  und  eine  Einweihungspredigt 
gehalten"  (Vogel).  Schönleins  Nachfolger,  Prof.  Dr.  Carl  Pfeufer, 
schrieb  nach  Eröffnung  der  Khniken  an  seinen  Vater:  ,,Wenn  ich 
in  mein  herrhches  Spital  gehe  und  bedenke,  wie  die  Losreissung 
von  einer  peniblen  und  verhältnismässig  unfruchtbaren  Praxis 
mich  in  die  glückUchste  Lage  zu  wissenschafthcher  Ausbildung 
gesetzt  hat,  so  möchte  ich  Herrn  v.  Abel  die  Hand  küssen,  der 
mir  den  Weg  aus  Bayern  so  leicht  machte."  Aus  privaten  ^Mitteln 
wurde  der  Neubau  der  (1809  gegründeten)  Blindenanstalt  an 
der  Stelle  der  ehemaligen  Kronenporte  erstellt.   Die  Anstalt  nahm 


o  NEUNTES  KAPITEL:   NEUES  LEBEN  99 

seit  1827  auch  Taubstumme  auf.  Ihr  neues  Heim  wurde  am 
2.  Oktober  1838  festlich  eingeweiht.  Bis  dahin  hatte  sie  im  Haus 
zum  Brunnenturm  Unterkunft  gefunden.  Die  1820  gestiftete, 
1823  verbesserte  Tierarzneischule  wurde  durch  Gesetz  vom 
13.  Januar  1834  nach  den  Forderungen  der  Wissenschaft  und  den 
Bedürfnissen  des  Kantons  Zürich  erweitert  und  eingerichtet.  Ihr 
erstes  Lokal  war  das  sogenannte  Enderlinsche  Anwesen  zunächst 
der  ,, Hauptgrub".  Nach  Aufhebung  der  vScharf  richterstelle, 
13.  Januar  1834,  wurde  ihr  das  Wohnhaus  des  vScharfrichters 
am  Sihlkanal  angewiesen;  der  ohne  Entschädigung  entlassene 
Scharfrichter  (Vollmer)  starb  an  gebrochenem  Herzen.  Durch 
Regierungsbeschluss  vom  30.  Dezember  1834  war  die  Verlegung 
des  Botanischen  Gartens  der  physikalischen  Gesellschaft  vom 
„Schimmelgut"  in  Aussersihl  nach  dem  stehen  gebUebenen  Boll- 
werk „zur  Katze"  gutgeheissen  worden.  Die  »Stadt  spendete 
(13.  Juni  1837)  mit  Anrechnung  privater  Gaben  für  diese  Neu- 
anlage 50,000  Fr.  Seine  abschliessende  Vollendung  erhielt  er  erst 
1839.  Obergärtner  („Universitätsgärtner")  wurde  der  Deutsche 
L.  Th.  A.  Fröbel.  Älit  den  Besitzern  des  benachbarten  Wasser- 
turms wurde  ein  Vertrag  abgeschlossen  für  Zuleitung  von  Wasser 
zu  einem  Springbrunnen  und  Sumpfpflanzenteich. 

Den  Glanzpunkt  der  Umgestaltungen  der  dreissiger  Jahre 
bildet  die  Schulreform.  ,, Neben  den  guten  Strassen,"  sagte 
Eduard  Sulzer,  ,,ist  die  neugeschaffene  Schule  die  Krone  unter 
den  Leistungen  dieser  denkwürdigen  Zeit."  Seit  Erlass  des 
Unterrichtsgesetzes  bis  Ende  1843  entstanden  141  neue,  zum  Teil 
recht  schöne  Schulhäuser  im  ganzen  Kanton  herum,  deren  Ein- 
weihung jedesmal  für  alt  und  jung  ein  frohes  Fest  war.  Vor  allen 
Dingen  aber  wurde  für  eine  tüchtige  Lehrerbildung  gesorgt.  Vom 
30.  September  1831  datiert  das  ,, Gesetz  betreffend  die  Errichtung 
einer  Bildungsanstalt  für  Schullehrer".  Zu  seinem  Sitz  erkor  am 
25.  Januar  1832  der  Erziehungsrat  unter  sieben  Gemeinden 
Küsnacht,  welches  seiner  Eingabe  den  Satz  beigefügt  hatte: 
,,Die  Schullehrer  sollen  auch  die  freisinnigen  Ideen  im  ganzen 
Kanton  verbreiten  und  befestigen,  und  dies  wird  geschehen,  wenn 
sie  in  möghchst  freisinnigen  Umgebungen  gebildet  wurden,  wie 
das  in  Küsnacht  der  Fall  ist".  Zum  Seminardirektor  wurde  am 
29.  Februar  1832    Ignaz  Thomas   Scherr  gewählt,  der  Mann, 


100  NEUNTES  KAPITEL:    NEUES  LEBEN  o 

aus  dessen  Hand  Plan  und  Methode  der  Volksschule  hervor- 
gegangen waren  und  der  sich  in  rastloser,  aufreibender  Tätigkeit 
die  grössten  Verdienste  um  die  zürcherische  \'olksschule  erwarb. 
Am  7.  Mai  1832  wurde  das  Seminar  im  NägeHschen  Privatgut 
„Zum  Seehof"  in  Küsnacht  eröffnet;  dank  den  Bemüliungen 
Scherrs  konnte  es  1834  in  das  sogenannte  Amthaus,  das  frühere 
Kloster  oder  die  Johanniter-Komthurei  übersiedeln.  Gleichzeitig 
wurde  ihm  auch  die  Heranbildung  von  Sekundarlehrern  über- 
tragen. Mehrmals  sprach  sich  noch  1835  der  konser\-ative  ,, Kon- 
stitutionelle" mit  begeisterter  Anerkennung  über  die  Leistungen  des 
Seminars  und  der  neugeschaffenen  \'olksschule  aus.  Intensiven  An- 
teil hatte  Scherr  auch  an  der  Schaffung  der  neuen  Lehrmittel 
für  die  Volksschule.  Das  Gesetz  vom  24.  September  1833,  um- 
gearbeitet 1837,  brachte  die  Organisation  der  Sekundärschule. 
Das  Straf-  und  Gerichtswesen  wurde  gründlichst  umgestaltet, 
mit  den  Resten  mittelalterlicher  Justiz  abgefahren  und  statt  des 
Richtschwertes  das  Fallbeil  eingeführt.  Verfasser  des  am  24.  Sep- 
tember 1835  erlassenen  »Strafgesetzbuch es  war  Oberrichter 
Johann  Caspar  Ulrich  (geboren  den  6.  »September  1796,  ge- 
storben 14.  Oktober  1883).  Ihm  sprach  im  Namen  des  Grossen 
Rates  sein  politischer  Gegner,  Dr.  L.  Keller,  Dank  und  Anerken- 
nung aus,  und  die  Universität  Zürich  belohnte  seine  \'erdienste 
mit  der  Verleihung  des  Ehrendoktortitels  (1838).  Oberrichter 
Ulrich,  .Sohn  des  gewesenen  Landschreibers  \-on  Andelfingen  (siehe 
Seite  22)  besuchte  die  Universitäten  von  BerUn  und  Paris.  Wäh- 
rend der  Vater  das  in  Zürich  übernommene  Notariat  besorgte, 
stand  die  kluge,  hochbegabte  Frau  Landschreiber  der  Buch- 
druckerei Berichthaus  vor  und  ermögHchte  danüt  dem  Sohn  nach 
seiner  Heimkehr  eine  höchst  ehrenvolle  und  einflussreiche  öffent- 
Uche  Tätigkeit.  Seit  1820  wirkte  er  als  Lehrer  am  poUtischen 
Institut,  wurde  1823  Amtsrichter,  1831  Oberrichter.  Dem  Grossen 
Rat  gehörte  er  von  1830  bis  1853  an,  war  dreimal  Präsident  des- 
selben, und  es  gibt  Bände  des  Protokolls,  in  denen  sozusagen 
auf  jedem  Blatt  sein  Name  zu  finden  ist.  Von  gemässigt  kon- 
servativer Richtung,  scharfer  Logik  und  klarer  Diktion,  führte 
LHrich  öfters  in  wichtigen  Fragen  die  Entscheidung  herbei.  Auch 
im  Grossen  Stadtrat  und  in  der  Gemeindeversammlung  war  ein 
Votum  Dr.  Ulrichs  in  der  Regel  von  durchschlagender  Wirkung. 


.1^ 

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o  NEUNTES  KAPITEt:    NEUES  LEBEN  loi 

Nur  flüchtig  streifen  können  wir  die  ausserordentliche  Frucht- 
barkeit der  Regenerationszeit  auf  andern  gesetzgeberischen  Ge- 
bieten :  die  Landwirtschaft  beglückte  sie  mit  der  Herabsetzung  des 
Salzpreises,  dem  Loskauf  der  Zehnten  und  Grundzinse.  Die  volle 
Gewerbefreiheit  erschien  selbst  jener  radikalen  Zeit  noch  als  ein 
so  ungeheuerhcher  Umsturz,  dass  man  sie  nicht  einzuführen  wagte. 
,,Es  geht  die  Sage,"  hiess  es  im  ,, Vaterlandsfreund",  ,,die  Hand- 
werke sollen  aufgehoben,  gänzUch  freigegeben  werden!  Jeder 
könne  treiben,  was  er  wolle,  zu  was  er  Lust,  Talent,  Vermögen,  Ge- 
legenheit habe!  So  vielerlei,  als  ihm  einfalle"  usw.  Das  erschien 
der  tausendköpfigen  Handwerkerversammlung  von  Bassersdorf 
am  8.  April  1832  als  Vernichtung  des  Gewerbes,  als  ,,Grab  des 
Bürgertums".  Man  begnügte  sich  daher  zunächst  mit  einer  halben 
Gewerbefreiheit,  und  erst  am  26.  September  1837  wurde  mit  dem 
bisherigen  Zunftsystem  gänzlich  gebrochen  und  alle  Handwerke 
freigegeben.  Im  Jahr  1838  wurden  alle  Weggelder  im  Innern  ab- 
geschafft und  an  die  Grenzen  verlegt,  womit  die  Zölle  an  der 
Stadtgrenze  von  Zürich  und  Winterthur  aufhörten  (ein  Bankett 
im  neuen  Hotel  Baur  im  Dezember  1838  feierte  diesen  Sieg).  Von 
besonderer  Bedeutung  auch  für  die  Stadt  Zürich  waren  die  Ge- 
setze vom  30.  Mai  1831  über  die  Gemeindeverwaltung  und  Ge- 
meindeversammlung. Das  erste  Staatssteuergesetz  erschien  am 
29.  Juni  1832.  Fünf  Gesetze  ordneten  die  Bezirk-sverwaltung. 
Die  Militärorganisation  des  Kantons  Zürich  datierte  vom  8.  August 
1832;  die  drei  Waffengattungen  besassen  treffHche  Instruktoren 
in  den  hochgebildeten  Offizieren  Oberst  Salomon  Hirzel  (Ar- 
tillerie), Major  Bruno  Uebel,  einem  in  Herrliberg  eingebürgerten 
Deutschen  (Kavallerie),  und  Oberstl.  Johannes  Sulzberger 
von  Frauenfeld  (Infanterie).  Viel  glimpflicher  als  man  es  bei  dem 
Radikalismus  der  Machthaber  hätte  erwarten  sollen,  kam  in  der 
pohtischen  Umgestaltung  des  Kantons  die  Kirche  weg.  Zwar 
stärkte  das  Kirchengesetz  vom  25.  Oktober  1831  trotz  Protesten 
der  Geistlichkeit  die  Stellung  des  Staates  ihr  gegenüber;  auch 
gegen  die  wissenschaftHch-theologische  Lehrfreiheit  an  der 
Universität,  welche  ,,den  Irrlehren  Tür  und  Tor  öffnen  werde", 
vermochte  die  Opposition  nichts  auszurichten.  Das  Recht  der 
Pfarrwahl  hatte  den  Gemeinden  schon  die  neue  Verfassung  ge- 
währt. Den  Pfarrern  wurde  aber  auch  das  Präsidium  der  Gemeinde- 


I02  NEUNTES  KAPITEI<:    NEUES  LIEBEN  o 

scliulpflegeu  übertragen,  und  alle  Angriffe  der  Lehrerschaft  gegen 
dieses  Privilegium  nützten  nichts;  es  bheb  dabei  noch  bis  über 
1869  hinaus! 

Hand  in  Hand  mit  der  poHtischen  Erneuerung  ging  ein  un- 
gemein reges  geistiges  und  geselüges  Leben  in  der  vStadt  Zürich, 
an  dem  es  ihr  übrigens  auch  unter  der  alten  Regierung  nie  gefehlt 
hat.  Aber  nun  bildeten  die  neuen  Lehranstalten  und  die  Anwesen- 
heit der  zahlreichen  deutschen  Professoren  ein  neues  anregendes 
Element.  ,,Es  galt,  sowohl  an  der  Kantons-  und  Hochschule,  als 
im  Leben  überhaupt  ein  einträgliches  und  ausgleichendes  Zu- 
sammenwirken aller,  des  schweizerischen  und  des  deutschen  Wesens, 
anzubahnen  und  festzuhalten".  Ludwig  v.  Low  rühmt  in  dem 
erwähnten  Büchlein  die  Eintracht  und  Harmonie,  die  unter  dem 
akademischen  Lehrerkollegium  herrschte.  ,,\^on  den  sonst  unter 
Umversitätslehrern  leider  so  häufigen  Zänkereien,  Spaltungen  und 
Intriguen  findet  sich  fast  keine  Spur.  In  einer  wöchentHchen 
Abendvereinigung  findet  man  fast  alle  ohne  Unterschied  des  Alters, 
der  poHtischen  oder  wissenschafthchen  Ansichten  einträchtig  ver- 
sammelt." Als  Bindeghed  zwischen  den  Professoren  und  den  Ge- 
bildeten unter  der  städtischen  Bevölkerung  konnten  die  \-er- 
schiedenen  Gesellschaften  gelten,  denen  die  erstem  beitraten. 
Im  Frühjahr  1834  gründeten  Hans  Konrad  Ott-Usteri  und 
Direktor  Hans  Konrad  Pestalozzi-Hirzel  die  ,, Museums- 
oder Lesegesellschaft",  die  anfänglich  auf  dem  ,,  Rüden"  (später 
im  Neubau  Marktgasse)  Lesesaal  und  Bibhothek  besass.  Sie  war 
entstanden  durch  Verschmelzung  der  1808  gegründeten  Lese- 
gesellschaft  der  Gelehrten  auf  der  Chorherrenstube  mit  der  1828 
gegründeten  kaufmännischen  Lesegesellschaft.  Am  i.  Juni  1832 
gründete  Ferdinand  Keller  V.D.M.  (f  21.  JuH  1881)  die 
Antiquarische  Gesellschaft,  wozu  ihm  die  Aufdeckung  eines 
keltischen  Grabhügels  beim  Burghölzli  die  Anregung  gegeben  hatte. 
Durch  Hans  Georg  Nägeli  von  Wetzikon,  den  begeisterten 
Pestalozzianer  und  streitbaren  Politiker,  erhielt  das  Gesangsleben 
einen  ausserordentlichen  Aufschwung.  Er  ist  der  Schöpfer  der 
Männerchöre,  denen  er  seine  weihevollen  Lieder  auf  den  Weg  mit- 
gab. Überall  im  Kanton  entstanden  Sängervereine.  'Slan  las  mit 
Rührung,  wie  der  Sängerverein  von  Wald  dem  am  27.  Juh  1827 
im  ,, Pfauen"  zu  Rapperswil  auf  dem  Sterbebette  Hegenden  Dichter 


o  NEUNTES  KAPITEL:  [NEUES  LEBEN  103 

Martin  Usteri  die  letzten  Lebensstunden  versüsste.  L.  v.  l,öw 
bemerkt  über  Nägeli:  ..Ein  gewisses  Selbstgefühl,  ja  eine  Art 
Übermut,  wie  man  ihn  gerne  bei  genialen  Menschen  mag,  trat 
überall  hervor  und  kleidete  ihn  wohl.  Man  erzählt  sich  unter 
anderm,  dass,  als  im  Erziehungsrat,  dessen  Mitghed  er  war,  die 
\'eTbesserung  des  Unterrichts  im  Gesang  beschlossen  worden,  er 
den  Antrag  gestellt,  für  Angabe  der  zweckmässigsten  Mittel  eine 
Kommission  zu  ernennen,  bestehend  aus  den  drei  Männern,  die 
einzig  der  Sache  kundig  seien,  nämüch  dem  Haus,  dem  Georg 
und  dem  Nägeli."  Wie  Geizer  meinte,  gUch  Nägeli  im  Charakter 
auffallend  seinem  vertrauten  Freunde  Pestalozzi  und  besass  ,, die- 
selbe Glut  für  heihge  Menschheitsinteressen,  dieselbe  kindliche 
Unkenntnis  aller  Bedingungen  des  äusserhchen,  bürgerhchen  Be- 
stehens und  Fortkommens".  Sängervater  Nägeh  starb  tief  be- 
trauert am  26.  Dezember  1836  und  wurde  am  letzten  Tag  des 
Jahres  beerdigt.  Eine  erhebende  Totenfeier  fand  am  i.  Juni  1837 
im  Fraumünster  statt. 

Staunen  und  Bewunderung  wird  die  Schaffensfreudigkeit  der 
dreissiger  Jahre  immer  erregen,  allein  das  Bild  hatte  auch  seine 
Kehrseite.  Dieser  Fortschritt  in  Siebenmeilenstiefeln  eilte  dem 
Verständnis  des  Volkes  weit,  weit  voraus.  Führer  und  Volk  rede- 
ten bald  nicht  mehr  die  gleiche  Sprache,  hatten  sich  vielleicht 
von  Anfang  an  mehr  oder  weniger  missverstauden.  Das  ver- 
heissene  goldene  Zeitalter  hatte  sich  das  Volk  hauptsächUch  als 
Erleichterung  seiner  ökonomischen  Lasten  gedacht,  und  nun  trat 
ja  gerade  das  Gegenteil  ein:  ein  ganz  unerhörtes  Anziehen  der 
Steuerschraube,  besonders  für  das  Schulwesen.  Da  wurden  auf 
einmal  die  alten  Herren  mit  ihrer  ,, weisen  Sparsamkeit"  wieder 
wert,  und  was  es  kostete,  das  von  ihnen  Versäumte  nachzuholen, 
schrieb  man  der  ,, leichtfertigen  radikalen  Verschwendungssucht" 
aufs  Konto.  Selbst  im  Grossen  Rate  zeigte  es  sich,  dass  die  Hoch- 
schule und  ähnliche  Schöpfungen  von  einigen  Landvertretern 
für  nicht  viel  mehr  als  kostspielige  Liebhabereien  angesehen  wur- 
den. Über  alle  Bedenken  und  Einwände  stürmten  aber  die  radi- 
kalen Juristen  der  Hauptstadt  rücksichtslos  hinweg,  und  ob  das 
Volk  nachzukommen  vermöge  oder  nicht,  danach  fragten  sie  zu- 
letzt. Hatten  die  gnädigen  Herren  von  ehemals  mit  ihrer  väter- 
lichen Pedanterie  doch  immerhin  viel  Güte  und  aufrichtiges  Wohl- 


104  NEUNTES  KAPITEL:    NEUES  LEBEN  o 

wollen  für  das  Volk  verbunden,  so  waren  diese  Demokraten  von 
solchen  Schwächen  völhg  frei  und  sie  spreizten  sich  gelegentlich 
mit  einer  förmlichen  Volksverachtung,  die  sich  auch  schon  in  ihrer 
völhgen  Wurstigkeit  gegenüber  der  ihre  Person  beurteilenden 
öffentHchen  Meinung  ausdrückte.  Sie  schufen  Grosses,  das  die 
konservative  Bedenklichkeit  und  Knauserigkeit  der  alten  Zeit 
nie  zu  schaffen  imstande  gewesen  wäre,  sich  selber  bereiteten  sie 
mit  ihrem  Übermut  den  Untergang. 

Nicht  ungewarnt !  Es  wetterleuchtete  am  Horizont  schon 
bedenklich,  als  die  Regeneration  kaum  begonnen  hatte,  und  lehr- 
reiche Vorkommnisse  zeigten,  in  welcher  Geistesverfassung  die 
Masse  des  Volkes  sich  noch  befand.  Zum  Beispiel  der  Aufruhr 
von  Baunia  im  Juli  1832,  wo  sich  ein  74Jähriger  lediger  ]\Iann 
erhängt  hatte  und  auf  Anordnung  des  Statthalters  im  Kirchhof 
beerdigt  wurde.  Das  wollte  das  christliche  Volk  von  Bauma  nicht 
dulden  und  grub  den  Mann  wieder  aus.  Eine  Abordnung  von  drei 
Regierungsräten  und  ein  Aufgebot  von  24  Landjägern  vermochten 
nicht,  dem  Selbstmörder  im  Friedhof  der  braven  Leute  ein  Grab 
zu  sichern.  Er  musste  in  einem  extra  angekauften  abgelegenen 
Stück  Land  verscharrt  werden.  Oder  der  Brand  von  Uster 
an  der  Feier  des  Ustertages,  den  22.  November  1832 !  Hatte  man 
dem  Volk  nicht  am  Ustertag  versprochen,  die  Webmaschinen 
abzuschaffen  ?  Man  hatte  es  angelogen,  und  nun  schritt  es  zur 
Selbsthilfe.  Die  Spinnerei  Corrodi  wurde  angezündet.  ,,Ich  weiss, 
was  ich  tue,"  sagte  der  Anführer  der  Brandstifter,  Felix  EgU 
von  Bäretswil,  ,,denn  ich  bin  jetzt  51  Jahre  alt,  aber  wir  sind  es 
uns  und  unsern  Kindern  schuldig,  die  Maschinen  zu  zerstören, 
weil  sie  uns  um  unsern  Verdienst  bringen.  Diese  muss  verbrannt 
sein;  bis  dahin  haben  wir  keine  Ruhe  und  kein  Glück."  Bald 
loderten  die  Flammen  aus  den  Fenstern.  Die  Regierungsräte 
Fierz  uiid  Bürgi,  Delegierte  des  Bassersdorf er- Vereins  zur  Uster- 
tagfeier,  wehrtet!  mit  aller  Macht ;  Fierz,  für  den  Eigentümer  Corrodi 
gehalten,  wurde  beinahe  niedergeschlagen.  Wilhelm  Füssli  rief  der 
Volksmenge  zu:  ,,Mir  nach,  wer  \'aterland,  Ordnung  und  Eigentum 
heilig  hält!"  Die  IMehrzalil  der  Anwesenden  folgte  ihm  zum  Fest- 
platz, die  Brandstifter  wurden  überwältigt.  In  seiner  Ansprache 
an  die  \'ersammlung  sagte  FüssH:  ,,An  diesem  Tag  hat  vor  zwei 
Jahren  das   \'olk  den  schweren   Kampf  gegen  die  Aristokratie, 


NEUNTES  KAPITEL:    NEUES  LEBEN  105 

heute  den  schwereren  gegen  die  Anarchie  siegreich  bestanden!" 
In  Zürich  war  man  womöghch  noch  bestürzter  als  vor  zwei  Jahren 
am  Ustertag.  Die  wehrfähige  Mannschaft  sammelte  sich  „zu  den 
Pannern"  und  bewachte  die  Tore  bis  zum  Morgen.  Aber  schon 
um  \-ier  Uhr  nachmittags  kam  ein  Leiterwagen  mit  56  gefesselten 
\'erhafteten,  und  alles  atmete  auf.  Vieljährige  Kerkerstrafe  traf 
die  Unglücklichen.  In  dieses  Kapitel  gehört  auch  das  „Revo- 
lutiönchen"  von  Stadel  im  Jahr  1834.  Die  Wehntaler  wollten 
von  der  religionsgefährhchen  „neuen  Lehre",  die  aus  dem  Seminar 
Küsnacht  kam,  nichts  wissen  und  verbaten  sich  insbesondere  die 
verdächtigen  neuen  Lehrmittel.  Als  der  Grosse  Rat  über  ihre 
Petition  zur  Tagesordnung  schritt,  drang  das  Volk  am  14.  Mai 
zu  Stadel  und  Raat  in  die  Schulhäuser  ein  und  warf  die  Beherr- 
schen Sprachtabellen  zum  Fenster  hinaus.  Zwanzig  Landjäger 
stellten  die  Ordnung  wieder  her.  War  es  nicht,  nach  rückwärts 
projiziert,  genau  der  ,,Züriputsch"  von  1839?  Wer  Ohren  hatte, 
konnte  das  dumpfe  Grollen  des  heraufziehenden  Gewitters  jetzt 
schon  vernehmen;  unheimUch  pfiff  der  Wind  vom  Oberland  her, 
und  über  den  sich  kräuselnden  Wellen  flatterte  als  Sturmvogel, 
jähen  Fluges  und  bald  wieder  entschwindend,  der  Name  Strauss! 
Es  war  im  Jahr  1836,  als  das  Zürcher  Volk  zum  erstenmal  von 
diesem  IManne  hörte.  Im  Erziehungsrat  war  beantragt  worden, 
den  Tübinger  Theologieprofessor  zum  Nachfolger  des  verstorbenen 
Rettig  zu  berufen.  Hans  Georg  Nägeli  war  Feuer  und  Flamme 
gegen  einen  solchen  Antrag  und  schrieb  seine  letzte  Streitschrift: 
,, Laienworte  über  Dr.  Strauss  Leben  Jesu  und  Ansichten  gegen 
dessen  Berufung  an  die  Universität  Zürich".  Auch  der  Präsident, 
Bürgermeister  Melchior  Hirzel,  bekämpfte  mit  Lebhaftigkeit 
den  Antrag,  und  es  wurde  Elwert  berufen.  ,,Die  Sache  ist,  denke 
ich,  beseitigt",  schrieb  Hirzel  an  einen  Bekannten  .  . . 


ZEHNTES  KAPITEL 


EIDGENÖSSISCHE  FRAGEN 

Waren  es  nicht  Probleme  der  iunem  Verwaltung,  an  denen 
der  Parteikampf  in  der  Stadt  Zürich  sich  entzündete,  dann 
boten  dazu  um  so  reichlichere  Veranlassung  die  eidgenössischen 
Angelegenheiten.  vSo  Hessen  insbesondere  die  Bas  1er  und  die 
Schwyzer  Wirren  die  Leidenschaften  emporlodern.  In  Schwyz 
verhielt  sich  der  alte  Landesteil,  Inner-Schvvyz,  ablehnend  gegen 
Gleichberechtigungsforderungen  der  äussern  Bezirke  (March, 
Wäggital,  Höfe  etc.),  die  sich  deshalb  im  April  1832  als  eigener 
Stand  ,,Ausserschwyz"  konstituierten  und  Aufnahme  in  den  Bund 
begehrten.  Basel  machte  seiner  Landschaft  nur  so  geringe  Zu- 
geständnisse, dass  diese  die  völlige  Trennung  anstrebte.  Drei- 
mal suchten  im  Jahre  1831  mihtärische  baslerische  Expeditionen 
die  Landschaft  heim,  eine  vierte  erUtt  am  7.  April  1832  bei  Gelter- 
kinden  eine  Niederlage.  vSelbstverständlich  sjtnpathisierte  die 
Stadt  Zürich  mit  Basel  und  Innerschwyz,  die  Landschaft  und 
die  radikale  Partei  mit  Basellaud  und  Ausserschwyz,  und  von  die- 
sen Positionen  aus  wurden  in  der  Presse,  in  \'ersanimlungen  und 
im  Grossen  Rat  die  hitzigsten  Gefechte  geliefert.  Zur  Abmahnung 
von  geplanten  Freischarenzügen  nach  Basel  hatte  die  Regierung 
schon  im  August  1831  eine  Proklamation  erlassen.  Die  Tagsatzung 
sprach  sich  am  14.  September  1832  für  die  Trennung  von  Basel, 
Stadt  und  Landscliaft,  aus.  Gegen  diesen  Beschluss  erhoben 
Basel,  Uri,  Schwyz,  Unterwaiden,  WalHs  und  Neuenburg  Protest. 
Diese  Stände  (ohne  WalHs)  schlössen  am  14.  November  1832  in 
Samen  einen  neuen  vSonderbund,  den  ,, Sarnerbund",  mJt  dem 
Zweck,  die  Zulassung  von  Baselland  und  Ausserschwyz  zur  Tag- 
satzung zu  verweigern  und  keine  Re\ision  der  Bundesurkunde 
von  1815  zuzulassen.  Nachdem  am  22.  April  1833  die  Tagsatzung 
auch  eine  Vertretung  \-on  Ausserschwj'z  aufzunehmen  beschlossen 
hatte,  schlug  der  Samerbund  los.  Am  31.  Juli  1833  besetzte 
Oberst  Theodor  Abj'berg  mit  600  I\Iann  und  4  Kanonen  Küsnacht, 


o  ZEHNTES  KAPITEL:   EIDGENÖSSISCHE  FRAGEN  107 

das  zu  Ausserschwyz  hielt.  Die  Baselstädter  unter  Oberst  Vischer 
aber  holten  sich  am  3.  August  bei  Pratteln  eine  neue  Nieder- 
lage. Nun  schritt  die  Tagsatzung  mit  grösster  Energie  ein.  Der 
Vorsitzende,  Bürgermeister  J.  J.  Hess,  sonst  eher  ein  schwanken- 
der Charakter,  zeigte  sich  der  Situation  vollkommen  gewachsen, 
und  das  zürcherische  Kontingent  zur  Besetzung  von  Basel  und 
Schwyz  war  besonders  stattlich.  Wenn  eine  anonyme  Broschüre 
unter  dem  Titel:  ,,Das  entlarvte  Standeshaupt  oder  Trembleur 
Hess  von  Zürich"  den  Bürgermeister  als  ,,kour agierten  National- 
grobian" bezeichnete,  so  war  das  für  ihn  ein  Komphment.  In 
Basel  bUeb  es  bei  der  Trennung,  in  Schwyz,  wo  kein  Blut  geflossen 
war,  versöhnte  man  sich  unter  der  Garantie  einer  neuen  Verfassung. 
Den  Sarnerbund  hatte  die  Tagsatzung  schon  am  12.  August  als 
aufgelöst  erklärt.  Die  kraftvolle  Entschiedenheit,  mit  welcher 
die  Eidgenossenschaft  diesen  Zwist  aus  der  Welt  schaffte,  machte 
den  günstigsten  Eindruck.  ,,In  wenigen  Tagen  haben  wir  ein  Jahr- 
hundert zurückgelegt",  sagte  die  ,,N.  Z.  Z.". 

Einen  weniger  rühmhchen  Verlauf  nahmen  die  Anstreng- 
ungen für  eine  Revision  der  Bundesverfassung  von  1815. 
Hier  kämpften  die  Stadtkonservativen  teils  gegen  jede  Revision, 
teils  für  eine  Revision  in  mehr  föderalistischem  Sinne.  Auch  die 
Radikalen  spalteten  sich.  Die  einen  waren  für  Vermittlung,  die 
andern  für  einen  zentraUstischen  Vorstoss.  Es  kam  vor,  dass  von 
den  beiden  Bürgermeistern  Hirzel  die  eine,  Hess  die  andere  An- 
sicht im  Grossen  Rat  vertrat.  Der  Ende  1832  von  der  Tagsatzung 
zustande  gebrachte  Entwurf  der  neuen  Bundesverfassung  war  ein 
Werk  des  ,,juste-miUeu";  als  erster  hat  ihn  am  10.  Juni  1833  der 
Grosse  Rat  des  Kantons  Zürich  mit  124  gegen  54  (konservative) 
Stimmen  angenommen.  Aber  in  den  meisten  andern  Kantonen 
war  die  Aufnahme  so  frostig,  dass  die  Revision  am  10.  Oktober 
1833  von  der  Tagsatzung  aufgegeben  wurde. 

Grossartig  war  zu  allen  Zeiten  die  Hilfsbereitschaft  Zürichs 
für  das  Unglück  im  eigenen  Vaterland  oder  in  der  Fremde.  Als 
die  Stadt  noch  wenig  über  10,000  Einwohner  zählte,  hat  sie  wieder- 
holt an  einem  einzigen  Januarsonntag  Eiebessteuern  im  Betrag 
von  14,000  bis  18,000  Gulden  zusammengebracht,  Summen,  die 
von  der  Stadt  der  200,000  an  einem  Bettag  oder  Reformations- 
sonntag  nicht   mehr  erreicht   werden.     Flüchtlinge    aller   Na- 


io8  ZEHNTES  KAPITEL:   EIDGENÖSSISCHE  FRAGEN  o 

tionen  fanden  in  ihren  Mauern  die  gastlichste  Aufnahme.  Das 
erfuhren  1821  schon  die  Griechen  in  ihrem  unglückhchen  Auf- 
stand gegen  die  Türken.  Für  die  im  Jahr  1823  besonders  zahl- 
reich in  Zürich  eingetroffenen  Griechen  wurde  in  jeder  Hinsicht 
gesorgt.  Major  Fäsi  exerzierte  mit  ihnen  und  Hess  sie  an  einem 
Manöver  bei  Wipkingen  teilnehmen.  Der  Theologiestudent  C.  H. 
Schweizer  hielt  für  sie  Bibelstunden  in  neugriechischer  Sprache. 
Der  Griechenenthusiasmus  in  Zürich  war  ausserordentlich  und  der 
vom  Chorherrn  Joh.  Heinr.  Bremi  am  11.  November  1821  gegrün- 
dete Griechenhilfsverein  leistete  Bewunderungswürdiges.  Er 
rüstete  sogar  Freischaren  nach  Griechenland  aus,  wurde  allerdings 
auch  gelegentUch  schwer  hereingelegt,  so  von  dem  SendUng  des 
,, osthellenischen  Areopags,  Kephallas  vom  Olymp".  Der  bay- 
rische Philhellene  Oberst  Heidegger,  welcher  in  Nauplia  Gaben 
verteilte,  war  ein  geborner  Zürcher.  Beim  Sturm  auf  Athen  er- 
stieg ein  Zürcher  als  erster  die  Ringmauer  der  Stadt.  Der  Medizin- 
student J.  J.  Meyer  von  Schöffiisdorf,  in  dessen  Armen  Lord 
Byron  gestorben  sein  soll,  richtete  in  Missolunghi  ein  Spital  von 
80  Betten  ein  und  starb  am  28.  April  1824  den  Heldentod  beim 
Untergang  der  Stadt.  Den  fremden  Gesandten  in  der  Schweiz 
war  diese  Unterstützung  der  ,, modernen  Argonauten",  in  denen 
sie  nur  Aufrührer  salien,  ein  Greuel.  Capo  d'Istria  allerdings 
machte  nun  keine  Schwierigkeiten  mehr.  Nachdem  er  1816  rus- 
sischer Minister  des  Äussern  geworden  und  1822  gestürzt  war, 
privatisierte  er  in  Genf  und  förderte  nach  Kräften  die  Sache  seiner 
Landsleute.  Sie  wählten  um  im  Mai  1827  zum  Präsidenten  der 
griechischen  Republik,  allein  schon  am  31.  Oktober  1831  wurde 
er  von  den  beiden  Mauromichalis  unter  dem  Portal  der  Kirche 
St.  Spiridion  zu  NaupUa  erdolcht. 

Nicht  mit  den  Griechen  erst  hatten  die  Reklamationen  der 
fremden  Mächte  bei  der  Schweiz  begonnen.  Schon  von  1814  an 
und  sozusagen  das  ganze  19.  Jahrhundert  hindurch  bildete  die 
Asylfrage  immer  wieder  den  Anlass  fremder  Einmischung. 
Wegen  der  Flüchtlinge  wurde  die  Gesinnung  des  Zaren  Alexander 
gegen  die  Schweiz  sehr  unfreundlich,  und  auch  Franz  I.  machte 
den  vScliweizern  harte  \"orwürfe.  Die  Tagsatzung  suchte  sich 
umsonst  mit  dem  ,, Press-  und  Fremdenkonklusum"  vom  14.  Juli 
1823,  das  die  Presse  und  die  Flüchtlinge  unter  strenge  Kontrolle 


o  ZEHNTES  KAPITEL:    EIDGENÖSSISCHE  FRAGEN  109 

stellte,  Rulie  zu  schaffen.  Erst  als  die  Macht  der  Reaktion  in  Eu- 
ropa etwas  nachzulassen  begann,  konnte  (am  8.  Juli  1829)  dieses 
Konklusum  aufgehoben  werden.  Doch  der  Zustrom  von  Flücht- 
Hugen  erneuerte  sich  immer  wieder  und  damit  der  Notensturm 
der  Mächte.  1832  reisten  243  Polen  durch  Zürich.  Auch  zu  ihrer 
Unterstützung  bildeten  sich  \'ereine  und  kamen  grosse  Summen 
zusammen.  Ein  starker  Trupp  Polen  traf  am  9.  April  1833  in 
Saignelegier  im  Berner  Jura  ein.  Es  waren  zum  Teil  grobe,  brutale 
AdeUge,  die  sich  frech  in  die  innern  Angelegenheiten  unseres  Lan- 
des einmischten  und  der  Schweiz  Verlegenheiten  bereiteten.  Auch 
italienische  Revolutionäre,  unter  ihnen  Mazzini,  flüchteten 
scharenweise  in  die  Schweiz.  Polen  und  Italiener  unternahmen 
am  I.  Februar  1834  einen  tollen  Einfall  nach  Savoyen,  welcher 
gänzHch  misslang,  aber  die  Schweiz  nötigte,  IVIitte  Juni  eine  Ent- 
schuldigungsdeputation an  König  Karl  Albert  auf  Schloss  Cham- 
bery  in  Savoj^en  zu  senden.  Einige  Studenten  der  Universität 
Zürich,  die  an  dem  Zug  teilgenommen  hatten,  wurden  relegiert. 
Besonders  zahlreich  waren  in  den  zwanziger  und  dreissiger  Jahren 
die  deutschen  Flüchtlinge.  Manche  von  ihnen  bewährten 
sich  als  tüchtige  Leute  und  erlangten  in  der  Schweiz  als  Lehrer 
oder  Politiker  —  oder  auch  beides  —  einflussreiche  Stellungen. 
Die  Flüchtlinge  Dr.  Fein  und  Dr.  Kom_bst  waren  Redaktoren 
der  ,,N.  Z.  Z.",  Dr.  Schauberg  Redaktor  des  ,, Konstitutionellen". 
Nach  einer  von  den  deutschen  Revolutionären  am  lo./ii.  August 

1834  in  Zürich  abgehaltenen  Versammlung  fanden  einige  Ver- 
haftungen und  Ausweisungen  statt.  Am  Morgen  des  4.  November 

1835  fand  man  auf  dem  Fussweg  an  der  Sihl,  zwischen  SihlhölzU 
und  Wollishofer  Ahmend,  den  deutschen  Studenten  Ludwig 
Lessing  von  zahlreichen  Dolchstichen  durchbohrt.  Er  galt  als 
Polizeispitzel  und  seine  Mörder  wurden  nie  entdeckt.  Man  \'er- 
mutete  sie  unter  den  ^Mitarbeitern  des  ungefähr  in  der  Sx^rache 
der  heutigen  extremen  »Sozialistenpresse  geschriebenen  revolu- 
tionären Blattes  ,,Das  NordÜcht".  1836,  am  23.724.  Mai,  hielten 
die  Jungdeutschen  im  Lavatergüth  in  der  Enge  ihr  ,, Nachtparla- 
ment". Sie  wurden  von  der  Tochter  des  Hauswirts  belauscht 
und  denunziert.  Die  Folge  war  das  Gesetz  vom  29.  September 
1836,  das  den  FlüchtHngen  und  übrigen  Landesfremden  die  Bei- 
bringung von  Schriften  auferlegte  und  ihren  Aufenthalt  an  eine 


HO  ZEHNTES  KAPITEL:   EIDGENÖSSISCHE  FRAGEN  o 

Bewilligung  des  Regierungsrates  knüpfte.  Die  Tagsatzung  hatte 
es  nicht  leicht,  auf  die  Noten  der  fremden  Mächte  immer  die  rich- 
tige Antwort  zu  finden.  Die  Radikalen  fanden  sie  den  fortwäh- 
renden Zumutungen  gegenüber  zu  nachgiebig,  und  eine  am 
21.  August  1836  auf  der  Ägerten  in  Wiedikon  abgehaltene 
schweizerische  Volksversammlung  sollte  ihr  den  Rücken  stärken. 
Es  sprachen  die  Regierungsräte  Zehnder  und  Eduard  Sulzer, 
vStatthalter  Gujer,  Hans  Georg  Nägeli  und  besonders  hitzig  in 
seinem  breiten  Schwäbisch  Semiuardirektor  Scherr,  dem 
dieses  Auftreten  sehr  verübelt  wurde. 

Zu  den  schwierigsten  Auseinandersetzungen  kam  es  mit 
Frankreich  wegen  des  Pohzeispitzels  Conseil.  Der  französische 
Gesandte  Montebello,  der  nicht  wusste,  dass  Conseil  bezahlter 
PoHzeispion  sei,  hatte  brüsk  dessen  Ausweisung  aus  der  Schweiz 
verlangt,  da  er  am  Attentat  Fieschis  auf  Ludwig  Philipp  am 
28.  Juli  1835  beteihgt  gewesen  sei.  Da  stellte  sich  ihm  der  Ehren- 
mann in  seinem  wahren  Charakter  vor  und  erhielt  einen  vor- 
datierten Pass  auf  den  Namen  Fran9ois  Hermann.  Graf  IMonte- 
bello  beharrte  aber  der  vSchweiz  gegenüber  auf  der  Forderung  der 
Ausweisung  von  Fieschis  angeblichen  Mitschuldigen.  Dr.  Lud- 
wig Keller  von  Zürich,  damals  Tagsatzungsgesandter,  Hess 
ohne  Befragung  der  Regierung  seinen  Bericht  über  die  Affäre 
drucken  und  erregte  mit  der  öffentlichen  Aufdeckung  des  ganzen 
frechen  Conseil-Schwindels  die  grösste  vSensation.  Frankreich 
sah  sich  blossgestellt  und  verhängte  nun  zur  Strafe  den  Blocus 
hermetique  über  die  Schweiz,  d.  h.  es  Hess  keine  Schweizer  und 
schweizerischen  Waren  mehr  über  die  Grenze  und  zahlte  auch 
die  MiUtär-Pensionen  nicht  mehr  aus.  Die  Tagsatzung  musste 
Abbitte  tun. 

Zwei  Jahre  später  sollte  es  mit  Frankreich  wegen  dem 
Prinzenhandel  beinahe  zum  Kriege  kommen.  Unter  den  Flücht- 
lingen befand  sich  auch  Prinz  Louis  Napoleon.  Seine  ]\Iutter 
Hortense  Beauharnais,  Napoleons  I.  vStieftochter  und  Gattin  des 
Königs  Ludwig  (Bonaparte)  von  Holland,  hatte  das  Schloss 
Arenenberg  in  der  thurgauischen  Gemeinde  Salensteiu  gekauft. 
Salenstein  und  der  Kanton  Thurgau  schenkten  Louis  Napoleon 
das  Bürgerrecht.  Er  absolvierte  seinen  Militärdienst  in  Thun 
unter  Dufour  und  brachte  es  bis  zum  Artilleriehauptmann.    1834 


o  ZEHNTES  KAPITEL:    EIDGENÖSSISCHE  FRAGEN  in 

beim  eidgenössischen  Schützenfest  in  Zürich  sah  man  ihn  in  Ge- 
sellschaft des  Regierungsrates  Bürgi,  der  ihm  auch  das  Bürger- 
recht von  Oberstrass  verschaffte  (das  aber  von  den  Oberbehörden 
nicht  anerkannt  wurde).  Der  Prinz  besuchte  in  Zürich  gelegentlich 
auch  die  Gartenwirtschaft  im  Seefeld  („Seefeldgarten"),  das 
Rendez-vous  der  fremden  FlüchtUnge,  wo  ihn  einmal  Prof.  Oken 
dem  Deutschen  JuHus  Fröbel  vorstellte.  Der  schmächtige  kleine 
Leutnant  soll  dem  Deutschen  nicht  sonderhch  imponiert  haben. 
1838  beim  Schützenfest  in  St.  Gallen  war  L,ouis  Napoleon  der 
Sprecher  der  Thurgauer  Schützen.  Noch  als  Kaiser  mischte  er 
gerne  schweizerdeutsche  Brocken  in  seine  Unterhaltung  mit 
Schweizern.  Da  indessen  Louis  Napoleon  durch  das  Komplott 
von  Strassburg  1836  klar  bewiesen  hatte,  dass  er  nach  dem  Throne 
seines  Oheims  strebe,  verlangte  Frankreich  immer  dringender 
seine  Ausweisung.  Die  Schweiz  zögerte  und  das  Volk  nahm  in 
zahlreichen  Versammlungen  für  den  Prinzen  Partei.  In  Herisau 
verkündete  der  Standesweibel  einer  aufgeregten  Volksmenge  als 
Beschluss  des  im  Rathaus  tagenden  Regierungsrates:  ,,Frankriich 
isch  ab-  und  zur  Ruch  g'wise!"  Aber  Frankreich  bedrohte  trotz- 
dem die  Schweizergrenze  mit  einem  Beobachtungsheer  von  27,000 
Mann.  Um  seinem  Adopti\^'aterland  weitere  Schwierigkeiten 
zu  ersparen,  verHess  im  September  1838  Napoleon  freiwillig  die 
Schweiz  und  ging  nach  England. 

Auf  die  liberal-radikale  Partei  in  Stadt  und  Kanton 
Zürich  wirkten  die  Auseinandersetzungen  über  die  Flüchtlings- 
und Fremdenfragen  wie  Sprengpulver.  Liberale  und  Radikale 
überschütteten  sich  mit  Grobheiten;  die  konservative  Partei 
stand  als  tertius  gaudens  still  und  hoffnungsfroh  auf  der  Seite. 
Dass  Bluntschli  und  Keller  sich  ausgesöhnt  hatten  und  wieder 
persönlich  verkehrten,  trug  zu  der  konservativen  Zurückhaltung 
wohl  auch  etwas  bei.  Überdies  war  Keller  in  eidgenössischen 
Fragen  bei  weitem  nicht  so  radikal  wie  seine  Freunde  Füssh, 
David  Ulrich  u.  a.  Mit  den  Konservativen  stimmte  der  liberale 
Flügel  der  Radikalen  darin  überein,  dass  man  im  Lande  Ruhe 
wünschte  und  der  Flüchthnge  wegen  nicht  diese  ewigen  und  ge- 
fährlichen Streitigkeiten  mit  dem  Ausland  haben  wollte.  Das 
war  ganz  besonders  die  auf  dem  Lande  vorherrschende  Meinung, 
und  es  vollzog  sich  über  den  Erörterungen  des  Fremden  wesens 


112  ZEHNTES  KAPITEL:    EIDGENÖSSISCHE  FRAGEN  o 

allmählich  eine  sehr  bemerkenswerte  Abkehr  der  Landlibe- 
ralen von  den  Radikalen.  Sie  waren  aufs  tiefste  augewidert 
von  der  rohen  Sprache  der  radikalen  Presse,  die  z.  B.  einem  Bürger- 
meister Hirzel  gegenüber  vor  keiner  Gemeinheit  zurückschreckte. 
Eine  „Hundesprache"  nannte  der  Redner  von  Uster,  Steffan, 
die  Sprache  des  „Republikaner"  und  erklärte,  er  wolle  nun  auch 
einmal  mit  Lavater  unter  die  Schweine  fahren  und  den  betreffen- 
den Artikelschreiber  einen  Sauhund  nennen.  Aus  dem  Kantonal- 
verein (von  Bassersdorf)  zogen  sich  die  besonnenen  Elemente  mehr 
und  mehr  zurück  und  überUessen  das  Feld  den  , .Brutal-Radi- 
kalen", den  ,, Radmännern",  von  denen  sich  ,, jeder  ein  kleiner 
Napoleon"  zu  sein  dünkte.  Wenn  es  (1835)  sogar  dem  »Staatsan- 
walt Ulrich  passieren  konnte,  im  Kantonalverein  zu  Bassersdorf 
ausgepfiffen  zu  werden,  bis  er  zu  reden  aufhörte,  dann  musste 
die  Entfremdung  zwischen  Stadt-  und  Landliberalen  schon  sehr 
weit  gediehen  sein.  Dass  trotz  alledem  die  Radikalen  bei  den 
Grossratswahlen  vom  3.  November  1834  wieder  auf  der  ganzen 
Linie  siegten  und  nicht  ein  einziger  der  bisherigen  vStadtvertreter 
gewählt  wurde,  war  für  die  Konservativen  eine  bittere  Enttäusch- 
ung, und  sie  mussten  es  als  neuen  Schlag  empfinden,  als  der  Grosse 
Rat  am  17.  Dezember  1834  den  radikalen  Dr.  med.  Hans  Ulrich 
Zehn  der  von  Ober-Engstriugen  in  den  Regierungsrat  wälilte 
(Zehnder  wurde  nach  einigen  Jahren  der  erste  nichtstädtische 
Bürgermeister).  Dennoch  hatte  Kellers  Stern  den  Zenith  bereits 
überschritten  und  begann  zu  sinken.  Die  Angriffe  auf  den  ,, dünkel- 
haften Despoten"  mehrten  sich  von  Jahr  zu  Jahr.  Auch  sein 
grosses  Werk,  die  Justizreform,  wurde  immer  schärfer  kritisiert. 
Man  fand  die  neue  Justiz  fremd,  kalt,  rücksichtslos.  Der  gemeine 
Mann  begriff  nicht,  dass  er  wegen  eines  Formfehlers  hangen  bleiben 
konnte,  wenn  er  in  der  Sache  selbst  recht  hatte,  und  doch  bestand 
der  Unterschied  gegen  früher  hauptsächUch  darin,  dass  die  alten 
Richter  die  Formen  bald  beachteten,  bald  aber  nicht,  wie  es  ihnen 
gerade  behebte,  während  Keller  sie  nun  konsequent  durchgeführt 
wissen  wollte.  Er  selbst  nahm  es  besonders  seinen  Schuldnern 
gegenüber  peinhch  genau  und  duldete  den  gemütlichen  Schlen- 
drian nicht  mehr,  dass  man  jeweilen  den  Zins  fürs  \^orjahr  zahlte, 
den  laufenden  aber  wieder  schuldig  blieb.  Das  trug  ihm  im  ganzen 
Kanton  den  Ruf  eines  heillosen  ,,\A'ucherers"  ein,  und  die  Sj'm- 


Or.  g.  C.  Üifricß,    Oberridiier 


o  ZEHNTES  KAPITEt:   EIDGENÖSSISCHE  FRAGEN  113 

pathien  für  ihn  mehrte  es  auch  nicht,  wenn  er  mit  einem  gewissen 
wissenschaftlichen  Genuss  Prozessgegner  an  einer  ihnen  nagel- 
neuen Form  des  römischen  Rechts  aufspiesste  und  zappeln  Hess. 
Kein  Geringerer  als  Hans  Georg  Nägeh,  einst  ein  schwärmerischer 
Verehrer  Kellers,  machte  sich  im  Grossen  Rat  als  erster  zum  Spre- 
cher der  populären  Antipathien  gegen  das  neue  Recht.  Die  Wahl 
eines  Laienrichters  vom  Lande,  Hanliart  von  Pfäffikon,  ins  Ober- 
gericht am  17.  Dezember  1835  kennzeichnete  die  zunehmende 
Strömung  gegen  die  Fachjuristen.  Am  11.  März  1837  trat  J.  C. 
Ulrich  aus  dem  Obergericht  zurück,  um  die  Leitung  der  Buch- 
druckerei Berichthaus  ganz  zu  übernehmen.  Zu  seinem  Nach- 
folger schlug  Dr.  Keller  J.  C.  BluntschH  vor.  Der  Grosse  Rat 
wählte  jedoch  den  Kriminalrichter  Dürr,  worauf  Keller  als  Mit- 
glied und  Präsident  des  Obergerichts  seine  Demission  einreichte. 
BluntschU,  durch  die  Zurücksetzung  ebenfalls  verletzt,  wurde  in 
seinen  poUtischen  Anschauungen  noch  schroffer  als  vorher,  und 
auch  der  alte  Hass  zwischen  ihm  und  Keller  flammte  bald  wieder 
auf.  BluntschH  sagte  sich  vor  den  Wahlen  öffentlich  von  ihm  los, 
und  Keller  quittierte  damit,  dass  er  ihn  als  ,,den  schmutzgebore- 
nen Sohn  des  \'aters  der  Lichter"  betitelte  (Bluntschlis  Vater 
war  Kerzenfabrikant).  Die  aus  den  Hberalen  Kreisen  hervor- 
gegangenen Angriffe  auf  die  Justiz  und  die  Juristen  mussten 
die  Zersetzung  des  Uberal-radikalen  Regiments  mächtig  beför- 
dern. ,,Der  Gegensatz  zwischen  den  Liberalen  und  den  Radi- 
kalen lag  jetzt  neuerdings  vor  aller  Augen,  und  ebenso  offenbar 
war  die  stets  abnehmende  Bedeutung  der  Radikalen.  Dafür  zeigte 
es  sich  immer  deutHcher,  dass  die  eigentUch  reaktionären  Ele- 
mente sich  zum  vollständigen  Sturze  des  Hberal-radikalen  Regi- 
ments je  länger  je  mehr  mit  den  ochlokratisch-antiwissenschaft- 
Hchen  Tendenzen  verbanden,  die  aus  den  Tiefen  der  Volksmassen 
heraufstiegen  und  die  bei  den  Hberalen  Fülirern  der  Landschaft 
stets  weniger  festen  Widerstand  fanden."    (Wettstein.) 


ELFTES  KAPITEL 


EIDGENÖSS.  SCHÜTZENFEST  1834 

Wenn  aus  der  Geschichte  der  Mediations-  und  Restaurations- 
zeit uns  so  oft  ein  wahrhaft  herzbeklemmender  Älangel  an 
Schweizersinn,  an  eidgenössischem  Patriotismus,  an  Ge- 
fühl der  Zusammengehörigkeit  der  Kantone  entgegentritt,  dann 
weiss  man  es  den  eidgenössischen  vSchützenfesteu  und  den  \'eran- 
staltungen  anderer  schweizerischer  Gesellschaften  doppelt  Dank, 
dass  sie  durch  alle  trüben  Zeiten  kleinlichen  Haders  unter  den 
Kantonen  das  heilige  Feuer  des  eidgenössischen  Brudersinnes, 
der  Liebe  zum  gemeinsamen  Vaterland  immerfort  unterhalten 
und  genährt  haben.  Den  Schützenfesten  \-or  allen  gebührt  dieser 
Ruhm.  Sie  wurden  die  eigenthche  Pflanzstätte  des  schweize- 
rischen Nationalgefülils  und  gestalteten  sich  mehr  und  mehr  zu 
einer  wirklichen  \'erbrüderung  der  Kantone.  Bonstetten  schrieb 
1823:  ,, Diese  helvetischen  Versammlmigen  haben  eine  elektrische 
Wirkung  auf  den  Patriotismus  der  vSchweizer,  alles  ist  darauf  be- 
rechnet, die  Schweizer  in  eine  Nation  zusammenzuzaubern."  Und 
einige  Jahre  später  noch  einmal:  ,, Nichts  hat  der  Schweiz  mehr 
Nutzen  gebracht,  als  die  helvetischen  \'ersammlungen  jeder  Art; 
das  waren  die  Sammler  der  freien  Gedanken,  die  sich  da  zusammen- 
paarten." —  ,,Mit  unbeschreibhchem  Eifer  üben  alle  Schweizer 
sich  im  Scheibensclüessen ;  überall  findet  man  ein  Ziel  aufgestellt," 
schrieb  ein  preussischer  Spion  1822.  Der  französische  Legations- 
sekretär Vicomte  de  la  Passe  machte  1824  dieselbe  Beobachtung 
mit  erheblichem  Missfallen.  Er  fand,  die  schweizerische  Schützen- 
gesellschaft sei  nur  darauf  berechnet,  der  Gebirgsbevölkerung, 
die  wenig  Geschmack  an  Künsten  und  Wissenschaften  habe,  da- 
gegen die  Schützenkunst  leidenschaftlich  hebe,  das  revolutionäre 
Gift  einzuimpfen,  indem  man  den  einfältigen,  aber  mutigen  Leuten 
die  Vaterlandsliebe  als  Lockspeise  vorhalte.  Was  dem  französi- 
schen Legitimisten  als  ,, revolutionäres  Gift"  erscheint,  ist  uns 
der  männliche  Unabhängigkeitssinn,  die  nationale  schweizerische 


o     ELFTES  KAPITEL:   EIDGENÖSSISCHES  SCHÜTZENFEST  1834      115 

Demokratie.  Ihr  dienten,  bewusst  oder  unbewusst,  alle  jene  87 
grössern  und  kleinern  Ehr-  und  Freischiessen,  die  allein  in  den 
Jahren  i8iq  bis  1823  in  den  Kantonen  Zürich,  Bern,  Luzern, 
Schwyz,  Untenvalden,  Zug,  Solothurn,  Aargau,  St.  Gallen  und 
Waadt  abgehalten  wurden.  Die  Idee,  die  vSchweizer  Schützen 
zu  einem  dauernden  eidgenössischen  Verein  mit  wechselndem 
Vorort  zu  verbinden  und  regelmässige  eidgenössische  Wett- 
kämpfe zu  veranstalten,  wurde  im  August  1822  auf  einem  kanto- 
nalen Schützenfest  in  Aarau  geboren.  Die  Aarauer  Schützen- 
gesellschaft nahm  die  Verwirklichung  an  die  Hand,  und  vom  7.  bis 
12.  Juni  1824  fand  das  erste  eidgenössische  Schützenfest 
auf  dem  Schach en,  einer  waldbekränzten  Ebene  bei  Aarau,  statt. 
,,Die  Reinheit  des  Himmels,  die  Anmut  der  FrühUngslandschaft, 
das  bunte  frohe  Gewirre  der  Menschen,  dazwischen  das  ununter- 
brochene Feuer  der  Schützen,  die  fröhlichen  Gesänge  längs  den 
Tischen,  der  Donner  des  Willkomms-  oder  Abschiedsgrusses  der 
Kanonen,  der  Schall  der  Musik,  das  Jauchzen  der  Sieger  unter 
den  wettkämpfenden  Schützen,  das  unverhoffte  Zusammentreffen 
von  Bekannten  aus  weitgetrennten  \^aterlandsgegenden,  die  ersten 
Freundschaftsversicherungen  sich  vorher  unbekannter  Personen, 
die  Nationaltrachten  und  Nationalphj-siognomien,  die  Ausgleich- 
ung jedes  Standes  und  Ranges  unter  der  Macht  der  Freude  und 
des  Gefühls,  Eidgenoss  zu  sein,  —  das  alles  machte  auf  das  Gemüt 
wohl  jedes  Zuschauers,  der  zugleich  in  dem  grossen  beweghchen 
Bilde  Mitspieler  war,  ungewöhnhchen  Eindruck."  Dasselbe  vScliau- 
spiel  wiederholte  sich  am  eidgenössischen  Schützenfest  1827 
in  Basel,  1828  in  Genf,  1829  in  Freiburg,  1830  in  Bern.  Ausser 
manchen  reformierten  gehörten  auch  mehrere  hberal-katholische 
Geistliclie  zu  den  Besuchern  und  Rednern  der  eidgenössischen 
Schützenfeste,  so  Christopher  Fuchs,  am  Schützenfest  in  Euzern 
1832  als  ,, zweiter  Rösselmann  beim  neuen  Rütlibund"  bewill- 
kommt,  oder  Pfarrer  Kahn  von  Zürich.  An  den  eidgenössischen 
Schützenfesten  sah  und  hörte  das  Volk  die  bekanntesten  Männer 
der  Eidgenossenschaft:  Casimir  Pfyffer,  Baumgartner,  Mun- 
zinger,  Oberst  Dufour,  Druey,  Luvini  u.  a.  Von  stürmischem 
Jubel  wurde  stets  Landammann  Sidler  von  Zug  begrüsst,  den 
man  ,,den  edelsten  und  reinsten  Republikaner,  den  Augapfel  und 
das  Herz  des  Schweizervolkes"  nannte.    Beredt  wie  er  war  Land- 


ii6     ELFTES  KAPITEL,:   EIDGENÖSSISCHES  SCHÜTZENPEST  1834      o 

ammann  Waller  von  Aarau;  „wie  vom  Himmel  tausend  Sterne 
sind  seine  Worte  auf  die  Zuhörer  herabgefallen". 

Für  Zürich  war  das  Ehr-  und  Freischiessen  vom  Juli  1821 
eine  wohlgelungene  Vorprobe  auf  das  grosse  eidgenössische  Schüt- 
zenfest 1834.  Das  erstere  wurde  auf  dem  Schützenplatz  bei  der 
Platzpromenade  abgehalten.  Als  das  Fest  am  Dienstag  morgen 
6  Uhr,  den  3.  Juli,  durch  Kanonendonner  eröffnet  wurde,  rückten 
die  Schützen  trotz  des  trüben  Regenwetters  in  Scharen  ein, 
nach  altem  Brauch  herzUch  und  freundschaftlich  begrüsst  und 
zu  dem  mit  den  alten  Ehrenpokalen  prangenden  ,, Willkomms- 
tisch" geführt.  Am  Mittwoch  morgen  trafen  die  Schützengesell- 
schaften von  Baden  ein,  abends  diejenigen  von  Bern  und  Lenzburg 
unter  Vorantragung  ihrer  Banner.  Auf  dem  Kutschbock  des 
Bemer  Wagens  sass  zum  grossen  Gaudium  der  Jugend  der  Mutz. 
Von  den  Zürcher  Schützen  stellten  neben  der  vStadt  die  Winter- 
thurer  und  die  beiden  Seeufer  das  Hauptkontingent.  Die  Falmen 
wurden  alle  vor  dem  Schützenhaus  aufgepflanzt.  An  den  Schöpfer 
des  zürcherischen  Scharfschützenkorps,  Oberst  Landolt,  erinnerte 
sein  bekränztes  Bild.  Am  7.  JuH,  mittags  punkt  i  Uhr,  verkün- 
dete ein  Kanonenschuss  das  Ende  des  Schiessens.  Es  folgte  das 
„Absenden"  und  dann  die  feierliche  Verabschiedung  jeder  ein- 
zelnen Gesellschaft.  Besonders  herzUch  gestaltete  sich  der  Ab- 
scliied  von  den  Bernern,  die  erst  am  Sonntag  morgen  verreisten. 
Ihrem  Wagen  voraus  fuhr  auf  besonderem  Gefährt  die  Zürcher 
Knabenmusik.  Der  Berner  Mutz  schwenkte  in  seiner  Pranke  ein 
Zürcher  Fähnlein,  und  neben  ihm  sass  ein  in  die  Zürcher. Farben 
gekleideter  Knabe  mit  der  Berner  Fahne.  Im  Talacker  huldigten 
die  Berner  noch  in  einer  kleinen  Ovation  dem  Dichter  Martin 
Usteri,  welcher   freundhch   dankend   an  ihren  Wagen   herantrat. 

Einen  bedeutend  grössern  Umfang  erhielt  nun  allerdings  das 
eidgenössische  Schützenfest  von  1834,  zu  dem  der  Re- 
gierungsrat 6000  Fr.  spendete.  vSchöne  Gaben  stifteten  auch  die 
Stadträte  von  Zürich  und  Winterthur.  Fest  platz  war  die  so- 
genannte ,,Ägerten"  bei  Wiedikon,  eine  ausgedehnte  Matte  an 
der  Sihl,  gegenüber  dem  Sihlhölzli.  Die  ganze,  grossartige  und 
geschmackvolle  Anordnung  der  Festbauten,  welche  die  ungeteilte 
Bewunderung  aller  Festbesucher  erregte,  war  entworfen  worden 
von  Scharfschützen-Leutnant  Wild,  damals  noch  Schneidermeister, 


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o     ELFTES  KAPITEL:    EIDGENÖSSISCHES  SCHÜTZENFEST  1834      117 

später  Ingenieur  der  Strassburger  Eisenbahn.  Die  auf  allen  Seiten 
offene  Festhütte  bot  einen  prächtigen  Überblick  über  den  gan- 
zen Festplatz  und  den  hinter  ihm  aufragenden,  dicht  bewaldeten 
Üthberg.  An  2  X  74  Tischen  konnten  3000  Gäste  auf  einmal 
bewirtet  werden.  Eine  erhöhte  Estrade  war  für  die  Musik  errichtet 
worden.  In  der  IVIitte  der  Hütte  stand  die  rot  und  weiss  ausge- 
schlagene Rednertribüne.  Die  ganze  Festhütte  umzogen  an  der 
Aussenseite  grüne  Kränze  mid  Guirlanden  aus  roten  und  weissen 
Tüchern.  An  einem  ^'orsprung  des  Daches  gegen  den  Festplatz 
prangte  ein  Kolossalgemälde  der  drei  Eidgenossen  im  RütU,  und 
unter  demselben  las  man  der  ganzen  Stirnseite  der  Festhütte  ent- 
lang in  mächtigen  Schriftzügen  die  Worte:  „Willkommen,  ihr 
Männer  zu  Berg  und  Tal!  Hier  gebt  Euch  die  Hände  beim  fröh- 
lichen Mahl.  Euch  eine  das  traute  Gespräch  und  der  Wein:  Ge- 
selHge  Freunde  und  Brüder  zu  sein!" 

Vor  der  Festhütte  erhob  sich  auf  vier  Pfeilern  die  Fahnen- 
burg mit  den  Namen  und  Jalireszahlen  von  28  Schweizerschlach- 
ten. Sie  überwölbte  wie  ein  Baldaclün  die  Riesenstatue  eines 
alten  Schweizer  Kriegers.  Mancherlei  Inschriften  priesen  an  den 
Pfeilern  die  Eintracht,  den  Mut  usw. 

Rechts  und  hnks  vom  Festplatz  lockten  zwei  reich  deko- 
rierte Festwirtschaften  zur  ,, Eintracht"  und  zur  , .Treue", 
jede  mit  einem  obeni  Boden,  der  auf  bequemen  Treppen  zugäng- 
lich war.  Vor  jeder  dieser  Wirtschaften  hielt  ein  steinerner  Banner- 
träger die  Ehrenwache.  Die  Mitte  des  Festplatzes  bezeichnete 
der  150  Fuss  hohe,  weithin  sichtbare  Freiheitsbaum,  mit  der 
ungeheuren  eidgenössischen  Fahne  auf  dem  Wipfel.  ,,Es  weht 
die  Fahn'  in  weiter  Fem;  sie  leite  euch  als  guter  vStern",  las  man 
auf  einem  der  zahlreichen  Zugänge  zum  Festplatz.  Am  Fuss  ent- 
quoll dem  Freiheitsbaum  in  zwei  Röhren  frisches  Wasser.  Klein 
und  niedhch  war  das  Gabentempelchen,  auf  drei  mit  Moos 
und  Blumen  bedeckten  Stufen  erbaut  und  mit  den  Fähnchen  in 
den  22  Kantonsfarben  geziert.  Seine  vier  Seiten  bildeten  ebenso- 
\-iele  Glaskasten,  in  denen  die  Gaben  zu  sehen  waren.  Die  grösse- 
ren Becher  standen  in  besondern,  an  den  vier  Ecken  vorspringen- 
den Glaskästchen,  und  das  Ganze  krönte  eine  Glasglocke,  unter 
welcher  der  erste  Preis,  ein  silberner  Pokal  von  ansehnlichen  Di- 
mensionen, in  der  Sonne  bhtzte. 


Ii8      ELFTES  KAPITEL:  EIDGENÖSSISCHES  SCHÜTZENFEST  1834       o 

Nach  der  Seite  gegen  den  Ütliberg  war  der  Festplatz  abge- 
schlossen durch  den  langgestreckten  Schützenstand,  über 
dessen  Haupteingang  ein  Gemälde  den  Tellenschuss  darstellte 
und  eine  Inschrift  mahnte:  „Brüder!  Herz  ui:d  Auge,  Arm  und 
Hand  Weiht,  wie  Wilhelm  Teil,  dem  Vaterland."  Es  konnte  nach 
41  Scheiben,  darunter  acht  Stichscheiben,  geschossen  werden. 
Für  die  Scheibe  Grüth  waren  vier  Gaben,  für  jede  andere,  auch 
die  ,,vScheibe  der  Heimatlosen",  zwei  Gaben  bestimmt.  Aus  jeder 
Öffnung  des  Schützenstandes  konnte  nur  die  dazu  gehörende 
Scheibe  gesehen  werden,  weil  lange  Reihen  von  Tännchen  die 
Richtung  nach  jeder  andern  Scheibe  verschlossen.  Kleine  Däch- 
lein, etwa  50  Schritte  vor  dem  Stand,  erleichterten  das  Zielen 
noch  mehr.  NatürUch  bedurfte  der  Fest-  und  Schiessbetrieb 
noch  einer  Reihe  von  Nebengebäuden,  so  nameutUch  einer  Kugel- 
giesserei,  eines  Sekretariats,  einer  Wachtstube  etc. 

Das  Fest  eröffneten  am  Samstag  abend  den  12.  Juh,  um 
8  Uhr,  22  Kanonenschüsse,  und  auf  dem  Festplatz  weihten  Musik- 
vorträge die  Festhütte  ein.  Am  Sonntag  den  13.  war  schon 
vom  frühen  Morgen  an  grosse  Bewegung  in  den  Strassen.  Von 
allen  Seiten  strömten  die  Schützen  und  Festbesucher  herbei, 
in  geschmückten  und  bewimpelten  Schiffen,  auf  Leiterwagen, 
in  ganzen  Karawanen  von  Kutschen  und  Cabriolets.  Ein  grosser 
Wagen  brachte  das  Zentralkomitee  von  Luzern  mit  der 
eidgenössischen  Schützenfahne.  Als  sinniges  Symbol  des  Frie- 
dens und  der  Eintracht  hatte  das  Zentralkomitee  auf  seinem 
Wagen  einen  Ohvenbaum  mitgebracht  —  ein  Ölzweig  allein  hätte, 
wie  es  zu  fürchten  schien,  bei  der  mit  so  viel  Elektrizität  gelade- 
nen poütischen  Atmosphäre  nicht  genügend  Eindruck  gemacht. 
Um  den  Ölbaum  her  standen  22  Stutzer,  verbunden  durch  die 
kantonalen  Wappen.  Die  Schützen  sammelten  sich  auf  dem  Lin- 
denhof, und  von  dort  aus  setzte  sich  um  halb  11  Ulir  der  Fest- 
zug in  Bewegung,  der  über  den  Paradeplatz,  den  Talacker  und  die 
Sihlbrücke  den  Festplatz  erreichte:  voran  40  gehamischte  Reiter, 
dann  eine  Abteilung  Scharfschützen,  die  neu  organisierte  Zürcher 
Militärmusik,  50  Zeiger  in  roten  Hemden  und  weissen  Hosen, 
ihre  Zeigerfähnchen  in  der  Hand,  auf  den  Köpfen  weiße  und  rote 
Mützen  in  50  versclüedenen  phantastischen  Formen.  Hierauf 
kam  die  vortreffliche  Luzerner  Blechmusik,  das  abtretende  und 


o     ELFTES  KAPITEL:    EIDGENÖSSISCHES  SCHÜTZENFEST  1834      119 

das  neue  Zentralkomitee,  das  eidgenössische  und  das  kantonale 
Schützenbanner.  Eines  von  beiden  — ■  die  Quellen  widersprechen 
sich  in  diesem  Punkt  —  wurde  von  einem  Wilhelm  Teil  getragen, 
dem  der  Knabe  mit  Pfeil  und  Apfel  zur  Seite  ging.  Ein  langer 
Zug  von  Schützen  und  Schützengesellschaften  schloss  sich  an; 
die  Winterthurer  und  die  Richterswiler  hatten  ihre  eigene  Musik 
mitgebracht.  Zuletzt  wieder  eine  Abteilung  Scharfschützen  und 
dann  eine  ungeheure  Menge  Volks.  Kanonendonner  von  der 
,, Katze"  und  dem  Festplatz  her  und  vielstimmiges  Glocken- 
geläute begleitete  den  Zug. 

Auf  dem  Festplatz  bildete  er  ein  Carre  um  die  Fahnenburg. 
Oberst  Schumacher  von  Luzern  übergab  die  Schützenfahue ;  der 
neue  Zentralpräsident,  Regierungsrat  Dr.  Hegetschweiler,  nahm 
sie  in  Empfang.  Der  Trunk  wurde  geboten  und  dann  pflanzte 
man  die  Fahnen  auf:  als  erste  erschien  auf  der  Zinne  die  Fahne 
von  Schwj'z.  In  der  Festhütte  folgte  das  Eröffnungsbankett 
mit  den  ersten  feurigen  Toasten.  Tag  für  Tag  kamen  und  gingen 
nun  die  Schützengesellschaften,  in  der  noch  heute  üblichen  Weise 
begrüsst  und  entlassen.  Schmuck  nahmen  sich  besonders  die 
Bündner  aus  in  ihren  grauen  Hüten  und  grünen  Jagdwämsem, 
mit  der  \A'eidniannstasche  angetan.  Sie  hatten  ihre  Zelte  mitge- 
bracht und  kampierten  auf  dem  Festplatz. 

Der  Donnerstag,  17.  JuU,  war  offizieller  Tag,  an  welchem 
auch  die  in  Zürich  versammelte  Tagsatzung,  das  diplomatische 
Korps  und  die  akademische  Lehrerschaft  sich  beteiligten.  Die 
Zahl  der  auf  dem  Festplatz  anwesenden  Menschenmenge  wurde 
auf  30,000  geschätzt.  Um  12  Uhr  war  die  Festhütte  schon  so  voll, 
dass  man  sie  räumen  musste,  um  für  die  .Schützen  Platz  zu  machen. 
Um  2  Uhr  fand  das  zweite  Bankett  statt,  an  dem  die  offiziellen 
Toaste  ausgebracht  wurden.  Man  musste  auf  Verschiedenes  ge- 
fasst  sein.  Es  war  eine  Zeit  der  grössten  politischen  Spannung 
wegen  der  FlüchtHngsangelegenheiten  und  der  fremden  Noten. 
Die  abenteuerlichsten  Gerüchte  gingen  vor  dem  Feste  um  über 
einen  angeblich  geplanten  Handstreich  der  Radikalen,  und  über 
die  Festtage  selbst  verstummte  nicht  für  einen  Moment  das  Pol- 
tern und  Schmählen  der  radikalen  Presse.  Einem  der  steinernen 
Fahnenträger  auf  dem  Festplatz  hatte  der  Wind  das  Fahnentuch 
ums  Haupt  gewunden.    ,,Uns  schien  es,"  schrieb  der  ,,Republi- 


120     ELFTES  KAPITEL:    EIDGENÖSSISCHES  SCHÜTZENFEST   1834      ° 

kaner',  „als  schäme  er  sich,  auf  die  Enkel  herabzublicken,  die  in 
sorgloser  Munterkeit,  ohne  das  zermalmende  Gefühl  der  Schmach, 
um  ihn  her  wogten."  War  auch  der  radikale  Putsch  nur  leeres 
Gerede,  so  stand  doch  die  Absicht  mancher  radikaler  Redner 
fest,  den  Tagsatzuugsherren  und  fremden  Gesandten  jetzt,  da 
man  sie  vor  sich  habe,  die  ,, Meinung  zu  sagen".  Den  ersten  Trink- 
spruch hatte  ,, Bundespräsident"  Melchior  Hirzel  auszubringen. 
(,, Bundespräsident"  nannte  man  schon  damals  häufig  den  je- 
weiligen Amtsbürgermeister  des  Vororts  mid  Tagsatzvmgs\or- 
sitzenden.)  Hirzel  schlug  sogleich  kräftige  Töne  an.  , .Friedsam 
soll  er  (der  Fremde),  wie  es  einem  Gaste  geziemt,  in  unserm  Hause 
sich  aufführen  oder  dahin  gehen,  wo  ungeahndet  das  Gastrecht 
verletzt  werden  kann.  Es  kann  nicht  unsere  Aufgabe  sein,  in  der 
einen  Hand  die  Kai.ser,  in  der  andern  die  Könige  zu  erdrücken. 
Weisen  wir  solche  Renommistereien  in  die  Spielkammer  der  Kin- 
der ..."  ,,Abe,  abe,"  hiess  es  an  einigen  Tischen,  und  der  Bundes- 
präsident musste  zeitweise  die  Rede  unterbrechen.  Nach  ihm  sprach 
Dr.  L.  Keller,  dann  Pfarrer  Bonihauser,  Casimir  Pfyffer,  Bürger- 
meister J.  J.  Hess,  Oberst  Dufour,  Baumgartner  von  St.  Gallen, 
Curti  von  Rapperswil,  eine  nicht  enden  wollende  Reihe  von  Red- 
nern. Nach  einer  Pause  trat  Obergerichtspräsident  Dr.  Emil  Frey 
von  Ifiestal  auf,  der  es  nun  unternahm,  der  Tagsatzung  ins  Ge- 
wissen zu  reden,  aber  seine  Worte  gingen  bald  in  den  allgemeinen 
Protesten  an  den  offiziellen  Tischen  und  den  Beifallsrufen  seiner 
Freunde  unter.  Die  Regierungsräte  Hess  und  Hegetschweiler  eilten 
auf  die  Tribüne  und  versuchten  nach  rechts  und  links  die  Gäste 
zu  beruhigen,  aber  Dr.  Frey  kam  nicht  mehr  zum  Wort.  Nach 
den  folgenden  Reden  —  es  sprachen  noch  Dr.  Henne,  Dr.  Hans 
Schnell  von  Bern,  dem  General  Guiger  ,,A  bas!"  zurief,  und 
Oberst  Fetzer  von  Aarau  —  liess  Hegetschweiler  allemal  rasch  den 
Sängerchor  einfallen,  worüber  sich  der  ,, Republikaner"  schwer 
beklagte  als  ,, Missbrauch  des  Männerchors  zur  Festpolizei". 

Folgenden  Tages  tadelten  Pfarrer  Zschokke  und  Dr.  Wil- 
helm vSnell  auf  der  Tribüne  die  Behandlung,  welche  Emil  Frey 
erfahren  hatte.  Am  Samstag  bekam  man  noch  den  festberühmten 
Landammann  vSidler  von  Zug  zu  hören,  dann  schloss  das  eidge- 
nössische Schützenfest  mit  einem  die  eroberten  Ge\^'inne  zu  froher 
Schau  tragenden  Zuge  nach  dem  L,indenhof,  wo  sich  die  Festver- 


o       ELFTES  KAPITEL:   EIDGENÖSSISCHES  SCHÜTZENFEST  1834     121 

Sammlung  auflöste.  Man  kann  ja  nun  nicht  gerade  sagen,  dass 
das  eidgenössische  Schützenfest  von  1834  in  Zürich  ohne  jeden 
Misston  verlaufen  sei;  dazu  waren  die  Zeitumstände  auch  gar 
nicht  angetan  und  in  der  den  Rednern  wie  den  Hörern  notwen- 
digen Disziplin  und  Selbstbeherrschung  besass  man  noch  zu  wenig 
Übung.  Auch  die  Hörer  befanden  sich  in  einem  Zust9,nd  der  Ner- 
vosität, der  sie  oft  kaum  recht  verstehen  Uess,  was  der  Redner 
meinte,  dessen  Worte  sie  sofort  mit  Beifall  oder  Missfallen  quit- 
tierten. Dem  radikalen  Redaktor  Leuthy  flog  schon  am  zweiten 
Tage  während  einer  Rede  ein  Weinglas  an  den  Kopf.  In  der  Fest- 
wirtschaft zur  ,,Treu"  wurde  der  General  Guiger  wegen  seinem 
„A  bas!"  ausgepfiffen,  und  drüben  in  der  Hütte  ,, Eintracht" 
passierte  es  einem  Neuenburger,  dass  er  von  einem  Berner  Ober- 
länder am  Kragen  gepackt  und  die  Treppe  hinabbefördert  wurde, 
weil  er  behauptet  hatte,  noch  nicht  zu  wissen,  ob  er  ein  Schweizer 
oder  ein  Preusse  sei.  Nicht  den  von  ihren  radikalen  Veranstal- 
tern erhofften  Effekt  machte  jedoch  die  Volksversammlung  vom 
20.  Juli  im  ,,Kräuel"  (gegenüber  der  Platzpromenade),  auf  der 
noch  alles  das  nachgeholt  werden  sollte,  was  man  in  der  Fest- 
hütte nicht  hatte  sagen  können.  Die  in  der  Nähe  befindliche 
Mauer,  vor  welcher  der  Bauemführer  HäberUng  1804  standrecht- 
lich erschossen  wurde,  war  mit  schwarzen  Tüchern  behangen. 
Von  der  Platzpromenade  aus  schauten  eine  Anzahl  Leute,  u.  a. 
Bürgerineister  Hirzel  und  sein  Freund  Oken,  der  Versammlung 
von  ferne  zu.  Aber  keiner  der  Festberichte,  nach  welcher  Partei- 
richtung er  auch  gefärbt  sein  mochte,  berechtigt  zu  der  Annahme, 
dass  nach  dem  allgemeinen  Gefühl  das  Fest  nun  etwa  in  einer 
Dissonanz  ausgeklungen  sei.  Sie  stimmen  vielmehr  darin  über- 
ein, dass  nur  das  Grosse  und  Schöne  in  der  Erinnerung  haften, 
die  Missklänge  aber  bald  vergessen  sein  werden.  Die  Missklänge 
waren  unvermeidlich,  können  aber  gar  nicht  in  Betracht  fallen 
gegenüber  der  Tatsache,  dass  auch  die  Radikalen  bei  allem  ihrem 
Ungestüm,  ihrer  Phrasenhaftigkeit  und  Zügellosigkeit  nichts 
anderes  meinten  und  wollten  als  die  Ehre  und  die  Unabhängig- 
keit des  Vaterlandes.  So  durften  denn  die  Bewohner  Zürichs 
mit  vollem  Recht  sich  noch  lange  der  glanzvollen  Tage  des  eid- 
genössischen Schützenfestes  freuen. 


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ZWÖLFTES  KAPITEL 


DAS  DAMPFSCHIFF 

Die  Dampfschiffahrt  hat  im  Jahre  1835  auf  dem  Zürichsee 
ihren  Einzug  gehalten,  ^'ielleicht  wäre  er  schon  hundert 
Jahre  früher  damit  beglückt  worden,  wenn  nicht  wütende  Fluss- 
schiffer Papins  Dampfschiff,  mit  dem  er  1707  auf  der  Fulda  ge- 
fahren sein  soll,  zerstört  hätten.  Auch  die  Schiffsleute  am  Zürich- 
see sahen  das  Dampfschiff  nur  ungern  und  mit  grossen  Sorgen 
kommen.  Die  ,, Freitagszeitung"  lieh  ihren  Kümmernissen  Aus- 
druck, als  sie  im  Januar  1825  sdirieb,  es  sei  schon  genug,  dass 
man  sich  der  fremden  Maschinen  bediene,  wo  es  nun  einmal  ,, nicht 
änderst"  sein  könne,  imd  man  würde  klug  tun,  diejenigen  zu  ver- 
mindern, die  nicht  Bedürfnis  seien  und  dennoch  den  Verdienst 
und  Lebensunterhalt  vieler  Familien  schmälern;  ,,denn  am  Ende 
muss  der  Mensch  vom  Menschen  leben."  Doch  mit  solchen  Be- 
denken und  Befürchtungen  hat  sich  noch  niemals  eine  Erfindung, 
wenn  sie  einmal  praktisch  erprobt  war,  fernhalten  lassen.  Den 
durchschlagenden  Beweis  der  Brauchbarkeit  des  Dampfschiffes 
leistete  Robert  Fulton,  als  er  1807  mit  seinem  ,,Claremont"  auf 
dem  Hudson  die  regelmässige  Flussdampferfahrt  einrichtete  und 
sodann  1819  mit  dem  Dampfer  ,,Savannah"  zum  erstenmal  den 
Ozean  durchkreuzte.  Der  erste  Zürcher,  welcher  ein  Dampfschiff 
konstruierte,  war  der  in  Konstanz  niedergelassene  Mechaniker 
J.  C.  Bodnier.  Unter  den  Wenigen,  die  ihm  Aktien  abnahmen, 
befanden  sich  der  Vizekönig  Eugen  und  die  Königin  Hortense 
auf  ,, Arenenberg".  Der  vStapellauf  sollte  am  30.  September  1817 
stattfinden;  da  aber  die  englische  Fabrik  die  Maschine  nur  gegen 
Barzahlung  liefern  wollte  und  Bodmer  kein  Geld  hatte,  musste 
das  Schiff  auf  Abbruch  verkauft  werden.  Es  hiess  ,, Stephanie"; 
der  Volkswitz  machte  daraus  ,,Steh  fahr  nie". 

Früher  als  der  Zürichsee  kam  der  Genfersee  zu  seinem 
Dampfer,  dem  ,,Guillaume  Teil",  der  am  28.  Mai  1823  seine  erste 
Fahrt  unternahm.    Das  Erstaunen  der  Uferbewohner  beim  An- 


mX 


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'S 


o  ZWÖLFTES  KAPITEL:    DAS  DAMPFSCHIFF  123 

blick  dieser  neuen  Schiffahrt  ohne  Segel  und  Ruder  war  grenzenlos. 
Alles  eilte  herbei  und  bezeugte  durch  Geschrei  und  tausend  De- 
monstrationen seine  Überraschung.  Man  sah  manche  sich  be- 
kreuzen, den  Gottesdienst  verlassen  und  auch  den  allein  gebHebenen 
Priester  ans  Ufer  eilen.  Man  sah  Schiffer,  wie  sie  dem  ,,Guillaume 
Teil"  mit  Rudern  folgen  wollten;  aber  schon  in  zwei  Minuten  liess 
er  sie  weit  hinter  sich.  Da  Hessen  sie  die  Ruder  sinken  und  folgten 
bewundernd  seinem  Laufe  mit  den  Bhcken.  Wie  die  ,, Freitags- 
zeitung" berichtet,  nahm  im  September  der  ,,Guillaimie  Teil" 
zum  erstenmal  am  Schiffahrtsfest  auf  dem  Genfersee  teil.  ,,Er 
umkreiste  auf  der  Heimfahrt  dreimal  die  Flotte,  und  zwar  mit  einer 
Schnelhgkeit,  wie  kamn  ein  berittener  General  seine  Bataillone 
hätte  mustern  können,  welche  Bewegungen  den  Zuschauem  be- 
sonderes Vergnügen  machten." 

Im  Jahre  1834  entstand  in  Zürich  eine  Gesellschaft  für  die 
„Dampfschiffahrt  auf  dem  Zürich-  und  Wallensee". 
An  der  Spitze  standen  die  Unternehmer  Caspar  von  Rorschach 
und  Ivämmlin,  Mechaniker,  von  Schaffhausen;  einer  der  Haupt- 
aktionäre war  Kaspar  Escher  von  der  Neumühle.  Die  Gesell- 
schaft bestellte  einen  eisernen  Dampfer  samt  Maschinen  in  England. 
Von  Selby  aus  fuhr  dieses  Dampfschiff  unter  dem  Namen  ,, Vulkan" 
mit  beträchtHcher  Ladung  über  Rotterdam  und  den  Rhein  hinauf 
nach  Mannheim,  Basel  und  Kaiseraugst,  indem  es  die  lange  disku- 
tierte Frage,  ob  der  Rhein  zwischen  Strassburg  und  Basel  mit 
Dampfschiffen  befahren  werden  könne,  praktisch  löste.  In  Kaiser- 
augst wurde  der  ,, Vulkan"  von  Lämmlin  demontiert,  nach  Zürich 
gebracht  und  hier  wieder  zusammengesetzt.  Am  20.  Juni  1835 
konnte  er  bei  der  ,, Holzschanze"  in  Stadelhof en  von  Stapel  gehen 
(die  Pallisaden  im  See  und  beim  Grendeltor  in  der  Limmat  waren 
bereits  weggeschafft;  das  Grendel tor  wurde  allerdings  erst  1836 
abgetragen) ;  dann  wurde  noch  die  innere  Einrichtung  vollendet 
und  das  Schiff  auf  den  Namen  ,,Minerva"  umgetauft.  Die  erste 
Lustfahrt  nach  Rapperswil,  zu  welcher  Caspar,  LämmUn  &  Cie. 
in  den  öffentHchen  Blättern  geziemend  eingeladen  hatten,  ging 
am  19.  Juh  1835  glücklich  von  statten.  Die  Mitfahrenden  sammel- 
ten sich  unter  obügatem  Kanonendonner  und  Glockengeläute 
auf  dem  Bauschänzli.  Punkt  11  Uhr  wurde  abgefahren.  ,,Die 
weiss  und  grüne  Fahne  (St.  Galler  Standeszeichen)  schwellte  sich. 


124  ZWÖLFTES  KAPITEL:    DAS  DAMPFSCHIFF  o 

der  Dampf  fing  an  mit  einem  eigentümlichen,  rauschenden  Getöse 
gleich  der  Stimme  eines  Ungeheuers  zu  arbeiten;  ein  Kommando- 
wort, das  Schiff  machte  eine  Schwenkung  und  fuhr  dann  pfeil- 
schnell mitten  durch  die  Seefläche  hin,  bis  man  es  allmählich  aus 
den  Augen  verlor.  Mittags  i  Uhr  landete  das  Dampfboot  in 
Rapperswil,  wo  ein  glänzendes  Mittagessen  mit  Musik  und  Tanz 
stattfand.  Abends  6  Uhr  fuhr  dasselbe  wieder  von  Rapperswil 
ab,  landete  zirka  8  Uhr  glücklich  bei  der  Bauschanze  und  wurde 
mit  allgemeinem  Jubel  begrüsst."  Gleich  am  folgenden  Tage 
nahm  die  ,, Minerva"  ihre  regelmässigen  Fahrten  auf.  Die  Passa- 
giere wurden  anfangs  in  kleinen  Booten  an  den  Dampfer  heran- 
gebracht. Die  ,, Minerva",  später  ,,vSplügen"  getauft,  hatte  eine 
I,änge  von  33,6  m,  eine  Breite  von  4,8  m  und  zwei  Hochdruck- 
maschinen von  je  25  HP.  Die  Leute  gewöhnten  sich  rasch  an  das 
neue  Verkehrsmittel.  Man  muss  in  dem  Büchlein  ,,Aus  Zürichs 
Vergangenheit",  I.  Bändchen,  J.  Hardmej-er- Jennys  prächtige 
,, Bilder  vom  Zürichsee"  nachlesen,  um  den  stimmungsvollen 
Übergang  vom  alten  Marktschiff  zum  Dampfschiff  recht  zu  ge- 
niessen.  Drei  Tage  nach  der  Eröffnung  gab  es  auch  schon  die  erste 
Panik  auf  der  ,, Minerva".  Einige  zu  nah  am  Kessel  Hegende  Holz- 
stücke gerieten  in  Brand  (es  wurde  bis  1855  ausschliessUch,  bis  1868 
teilweise  mit  Holz  gefeuert).  Obwohl  keine  Gefahr  bestand,  fuhr 
der  Steuermann  zur  Beruhigung  der  Passagiere  sofort  ans  Land. 
1836  Hess  eine  am  Unken  Seeufer  entstandene  Konkurrenzgesell- 
schaft den  Dampfer  ,,Linth-Escher"  bei  Escher  Wj-ss  &  Cie. 
erbauen.  Schon  nach  zwei  Jahren  vereinigten  sich  beide  Gesell- 
schaften, sahen  aber  alsbald  einen  dritten  Konkurrenten  auf- 
tauchen, eine  Aktiengesellschaft,  die  1839  den  ,, Republikaner" 
auf  den  Zürichsee  setzte.  Er  war  ebenfalls  bei  Escher  \V5-ss  &  Cie. 
erbaut  und  ging  am  i.  Januar  1842  um  einen  sehr  hohen  Preis 
in  den  Besitz  der  alten  Gesellschaft  über.  Dem  PubHkum  hatte 
diese  Konkurrenz  den  "\'orteil  einer  bedeutenden  Fahrpreisermässi- 
gung gebracht.  Der  ,,Linth-Escher",  welcher  zuerst  den  Wallen- 
see  befahren  hatte,  kam  1839  ^uf  den  Zürichsee  und  dafür  die 
,, Minerva"  auf  den  Wallensee.  ,, Republikaner"  und  ,,Linth- 
Escher"  wurden  sehr  stark  benutzt.  ,,Das  eine  Schiff  landete  am 
Bauschänzli,  das  andere  an  der  Hafenmauer  (ungefähr  beim  jetzigen 
Hotel  Bellevue).    Ihre  An-  und  Abfahrt  geschah  im  Anfang,  bis 


o  ZWÖLFTES  KAPITEL:    DAS  DAMPFSCHIFF  125 

Maschinen  und  Steuer  recht  eingeübt  waren,  mit  grosser  Langsam- 
keit und  UmständUchkeit,  und  noch  \-iele  Jahre  war  stets  eine 
Anzahl  Zuschauer  da,  um  dieses  Schauspiel  mitanzusehen.  Es 
war  auch  wirklich  hübsch,  wie  die  »Schiffe  bei  der  Abfahrt  vom 
Hafen  rückwärts  bis  gegen  die  Münsterbrücke  hinunterfuhren, 
dann  den  Kurs  vorwärts  nahmen  oder  zur  Landung  am  Bau- 
schänzli  vor  demselben  sidi  drehten,  um  dann  rückwärts  zum 
Landungssteg  zu  gelangen.  Ein  Stück  der  wachsenden  Frequenz 
bildeten  die  Pilgerzüge,  die  im  Herbst  nach  Einsiedeln  gingen. 
Hatten  sie  vorher  den  Weg  aus  dem  Elsass  oder  Schwabenland 
ganz  zu  Fuss  gemacht,  so  benützten  sie  nun  gerne  für  die  Strecke 
Zürich  bis  Wädenswil  oder  Richterswil  die  neue  Verbindung.  , , Auf 
dem  Schulweg  sahen  wir  die  Scharen,  ihre  Lieder  singend  oder 
Gebete  murmelnd,  zum  Bauschänzh  ziehen,  und  da  kam  es  vor, 
dass  ein  mutwilhger  Ruf  ,'s  pressiert!  's  Schiff  god  ab!'  oder  sogar 
,'s  Schiff  isch  scho  im  Wasser!'  die  ganze  Menge  der  Weiber  in 
ihren  bunten  Trachten  in  Galopp  setzte."    (Dr.  F.  Mej-er.) 

1845  kaufte  die  Dampfschiffgesellschaft  den  kleinen,  von 
Mechaniker  Lämmhn  erstellten  Raddampfer  ,,Delphin",  1846 
liess  sie  den  ,, Gustav  Albert"  bei  Escher  Wyss  &  Cie.  erbauen. 
Der  ,, Delphin"  kam  1850  zur  Bestellung  des  Postkurses  Zürich- 
Chur  auf  den  Wallensee,  ging  aber  schon  nach  fünf  Monaten  mit 
Mann  und  Maus  unter.  Es  war  eine  furchtbar  stürmische  Winter- 
nacht (16. /17.  Dezember  1850).  Von  Weesen  aus  hatte  man 
(zwischen  12  und  i  Uhr)  die  Lichter  des  von  Wallenstadt  kom- 
menden ,, Delphin"  noch  gesehen,  dann  aber  verschwand  er  spur- 
los in  einem  wirbelnden  Schneegestöber.  17  Personen  fanden  den 
Tod.  Das  einzige  lebende  Wesen,  welches  schwimmend  das  Ufer 
erreichte,  war  der  Hund  des  Postkondukteurs  Rosenstock.  Die 
Passagiere  Morandi  von  Mailand  und  Mondelh  von  Como  hatten 
in  Wallenstadt  Oberst  v.  Muralt  von  Zürich  getroffen,  der  ihnen 
dringend,  aber  vergeblich  abriet,  die  Nachtfahrt  zu  machen. 
Frau  Veragut  von  Stäfa  war  in  Thusis  gewesen,  um  ihr  Vermögen 
zu  holen.  Ihr  Koffer  mit  den  Wertschriften  trieb  ans  Land,  sie 
selbst  war  versunken.  Schiffskassier  Franz  Schlegel  von  Wallen- 
stadt hinterhess  neun  Kinder.  Als  am  Dienstag  der  ,,Splügen" 
von  Wallenstadt  wegfahren  sollte,  kam  ein  Knabe  Schlegels, 
um  dem  Vater  das  Mittagessen  in  einem  Körbchen  nach  Weesen 


126  ZWÖLFTES  KAPITEL:    DAS  DAMPFSCHIFF  o 

ZU  schicken.  Die  Schiffsleute  nahmen  das  Körbchen  und  wandten 
sich  wortlos  ab,  um  die  verräterischen  Tränen  zu  verbergen. 

Als  Ersatz  für  den  „Delphin"  erschien  am  14.  Mai  1851  auf 
dem  Wallensee  der  „Schwan".  Mit  Eröffnung  der  Wallensee- 
linie  1860  wurde  indessen  die  Schiffahrt  auf  diesem  See  gänzlich 
eingestellt.  Zum  Schiffspark  des  Zürichsees  gesellten  sich  noch 
1856  die  „vStadt  Zürich",  1858  die  „Stadt  Rapperswil",  1862  ein 
zweiter  ,,Linth-Escher",  nachdem  der  erste  abgetakelt  war.  Die 
hübschen  Dividenden,  welche  die  Gesellschaft  1856  bis  1862  aus- 
richten konnte,  führten  zur  Gründung  der  „Dampfschiffgesellschaft 
vom  linken  Seeufer",  mit  Sitz  in  Horgen,  welche  1863  das  Güter- 
schiff ,,Biene",  1864  die  ersten  Schraubendampfer  ,,Schwalbe" 
und  ,, Taube",  1866  die  ,, Lerche"  in  Betrieb  setzte,  worauf  die 
alte  Gesellschaft  1864  mit  dem  Stapellauf  der  ,, Konkordia", 
1865  des  ,,Gotthard"  und  des  ,, Lukmanier"  antwortete.  Im 
Dezember  1868  kam  die  Fusion  der  beiden  Gesellschaften  zustande. 
Am  29.  August  1872,  abends  7I/2  Uhr,  ereignete  sich  in  der 
Nähe  von  Obermeilen  eine  Katastrophe,  bei  welcher  der  Dampfer 
,,Gotthard"  von  der  ,, Konkordia"  angerannt  und  zum  Sinken  ge- 
bracht wurde.  Auf  der  ,, Konkordia"  befanden  sich  450  Schul- 
kinder und  60  Erwachsene  von  Meilen,  die  von  einem  Ausflug 
zurückkehrten.  Die  »Situation  war  fürchterhch:  Vom  ,,Gottliard", 
dessen  Untergang  jeden  Augenblick  erfolgen  konnte,  flüchteten 
die  Passagiere  auf  die  ,, Konkordia"  hinüber.  Sehr  schwierig  war 
die  Rettung  der  Leute  in  der  Kajüte  des  ,,Gotthard",  da  der 
eingedrungene  Vorderteil  der  ,, Konkordia"  den  Ausgang  sperrte. 
Schiffskassier  Brändli,  ein  Bruder  von  Regierungsrat  Brändli,  tat 
Übermenschliches  bei  diesem  Rettungswerk.  Zuletzt  versuchte  er 
noch  die  Kajütendecke  mit  der  Axt  zu  öffnen,  die  aber  bald  seiner 
ermatteten  Hand  entsank.  Doch  waren  in  diesem  Moment  schon 
alle  gerettet  bis  auf  eine  Jgfr.  Gysin,  Arbeitslehrerin  von  Basel, 
die  im  Schreck  den  Ausweg  nicht  finden  konnte.  Mit  einem  furcht- 
baren Schrei  sank  sie  samt  dem  Schiffe,  das  sich  nun  von  der 
„Konkordia"  löste,  in  die  Tiefe;  aber  auch  der  brave  Brändli  ver- 
schwand lautlos  im  Strudel ;  Taucher  Hess  fand  ihn  am  18.  Sep- 
tember am   Hinterteil  des  Schiffes  angeklammert. 

Die  nächsten  Jahre  zeigten  eine  grosse  Zunahme  des  Verkehrs. 
1873  beschloss  die  Gesellschaft  den  Bau  des  Salondampfers  ,,Hel- 


o  ZWÖLFTES  KAPITEL:    DAS  DAMPFSCHIFF  127 

vetia"  bei  Escher  Wyss  &  Cie. ;  er  sollte  64  m  lang,  6,7  m  breit 
werden  und  für  1200  Personen  Platz  bieten.  Noch  bevor  aber  der 
Bau  vollendet  war  —  die  „Helvetia"  lief  1875  vom  Stapel  — 
ging  der  ganze  Schiffspark  samt  Mobiliar  und  Immobihen  der 
Gesellschaft  durch  Vertrag  vom  30.  Oktober  1874  an  die  Nordost- 
bahn über,  womit  eine  erste  Phase  der  Dampfschiffahrt  auf  dem 
Zürichsee  abgeschlossen  war. 


»♦♦♦♦♦♦♦»♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦«♦♦«♦♦♦♦ ♦«♦♦♦♦♦♦♦ 


DREIZEHNTES  KAPITEL 


STADTPRASIDENT  J.  J.  ESCHER 

Der  siebente  in  der  Reihe  der  zürcherischen  Stadtpräsidenten  ist 
Johann  Jakob  Escher  aus  dem  Wollenhof  (geboren  den 
15.  April  1783,  gestorben  am  7.  Juni  1854).  Er  war  ursprünglich 
wie  seine  jüngeren  Brüder  Martin  Escher-Hess  und  Hans  Heinrich 
Escher  Seidenfabrikant,  sodann  Amtsrichter  und  von  1823  bis 
1831  Oberrichter.  Am  14.  September  1831  wählte  ihn  der  Grosse 
Stadtrat  an  Stelle  des  zurücktretenden  Georg  Konrad  Bürkli  zum 
Stadtpräsidenten.  Er  war  auch  Mitglied  des  Grossen  Rates 
(bis  1850)  und  von  1832  au  Präsident  der  Zunft  zur  Meisen.  vSeinen 
Rücktritt  als  Stadtpräsident  erklärte  er  im  Stadtrat  am  14.  No- 
vember 1837;  durch  eine  Abordnung  dieser  Behörde  wurde  ihm 
eine  Dankesurkunde  überreicht.  Dem  Grossen  Stadtrat  gehörte 
J.  J.  Escher  bis  zu  seinem  Tode  an.  Der  politische  Umschwung 
zu  Anfang  der  \ierziger  Jahre  liess  ihn  wie  andere  konser\-ative 
Pohtiker  mehr  und  mehr  in  den  Hintergrund  treten.  Die  „Freitags- 
zeitung" meinte  bei  seinem  Hinschied,  seine  beiden  Brüder  hätten 
sich  als  Industrielle  ein  dankbareres  Gebiet  gewählt.  ,,Es  wäre 
unschicklich,  am  frischen  Grabe  unnütze  Vorwürfe  zu  machen; 
aber  die  Andeutung  darf  zu  Ehren  des  Verstorbenen  gewagt 
werden,  dass  Zürich  Dienste,  die  es  einst  zu  seinem  Vorteil  an- 
genommen und  anerkannt,  auf  unverantworthche  Weise  ihm 
gegenüber  wieder  vergass  und  zwiefach  sich  verfehlte,  indem  es  die 
Achtung  und  Dankbarkeit  gegen  ein  mit  Ehren  und  in  seinen 
Diensten  ergrautes  Haupt  bei  vSeite  setzte."  Die  konser\'ative 
,, Eidgenössische  Zeitung"  hob  die  bleibenden  Verdienste  her\^or, 
die  sich  J.  J.  Escher  um  die  Admimstration  der  Stadt  Zürich  er- 
worben hat.  ,,Er  besass  ein  ungewöhnUches  Organisationstalent, 
war  in  Rechnungssachen  ein  Muster  von  Genauigkeit  und  Schärfe 
und  zeichnete  sich  durch  einen  unbeugsamen  Rechtssinn  aus." 

In  die  Amtsjahre  des  Stadtpräsidenten  J.  J.  Escher  fällt  eine 
bauliche    Entwicklung    der    Stadt    Zürich    von    beispielloser 


0.  Ü.  (Sscßer 

SfadfpräsiJeni 


o         DREIZEHNTES  KAPITEL:    STADTPRÄSIDENT  J.  J.  ESCHER      129 

Grossartigkeit.  „Wenn  die  Stadt  sich  jetzt  mit  einem  Schlage 
ihres  mittelalterlichen  Charakters  zu  entkleiden  und  eine  moderne 
Physiognomie  zu  erhalten  begann,  so  waren  eben  jetzt  die  beiden 
Bedingungen  erfüllt,  welche  diese  Entwicklung  mögHch  machten: 
die  Aufliebung  des  kaufmännischen  Direktorialfonds  gab  die  ^Vlittel 
zu  \^elen  der  grossartigen  Neubauten  der  Stadt  und  des  Staates, 
und  den  nötigen  Raum  schaffte  man  sich  durch  die  Schleifung  der 
Schanzen,  welche  bis  anhin  gleichsam  wie  ein  Panzer  die  Stadt 
eingeschnürt  und  jede  bauliche  Entwicklung  grösseren  Mass- 
stabes unmöglich  gemacht  hatten.  Als  schon  im  Jahre  1833  die 
Abtragung  der  Schanzen  begann  und  von  da  an  Jahr  für  Jahr 
unter  der  Leitung  der  Schanzenkommission  grössere  oder  kleinere 
Teile  der  Befestigungen  beseitigt  wurden,  erstanden  gleichzeitig 
auf  dem  Schanzenterrain  zahlreiche  neue  Haupt-  und  Verbindungs- 
strassen oder  wurden  schon  bestehende  Kommunikationen  er- 
weitert und  verschönert.  Auf  den  Teilen  des  Schanzengebiets, 
die  der  Staat  verkaufte,  erhoben  sich  viele  neue  Gebäude  von 
Privatleuten,  welche  die  Stadt  bedeutend  vergrösserten  und  in 
einem  Masse  verschönerten,  dass  sie  nach  dem  Bericht  eines  Zeit- 
genossen bald  einen  reizenden  Anblick  darbot.  Namentlich  in  der 
Richtung  gegen  den  vSee  dehnte  sich  die  Stadt  aus,  z.  B.  an  der 
Seefeld-  und  oberhalb  derselben  an  der  Zeltwegstrasse,  und  die 
in  blühenden  Gärten  liegende  Kirchgemeinde  Neumünster  bildete 
mit  ihrer  Kirche  und  ihren  vielen  prachtvollen  Gebäuden  bald  ein 
eigenes  Stadtquartier.  Rings  um  die  Stadt  herum,  in  und  ausser 
dem  Schanzengebiet,  erhoben  sich  bald  ganze  Strassen  neuer  Ge- 
bäude, welche  die  neue  Betriebsamkeit  im  Bauwesen  an  die  Stelle 
der  abgetragenen  Mauern,  Schanzen  und  Wälle  hinstellte.  Man 
erhält  einen  Begriff  von  dieser  Bauleidenschaft,  wenn  man  hört, 
dass  im  Sommer  1836  in  der  Stadt  und  den  Vorstädten  gleich- 
zeitig an  die  500  neu  begonnene  Bauten  gezählt  wurden,  die  Tau- 
senden von  fremden  Arbeitern  Beschäftigung  und  den  Städtern 
hinwieder  Verdienst  gaben  .  . .  Hätte  die  zürcherische  Regene- 
rationsperiode nichts  anderes  geleistet  als  diesen  erstaunUchen 
Aufschwung  der  Stadt  Zürich,  so  würde  sie  schon  ruhmreich  genug 
in  der  Geschichte  dastehen."    (Wettstein,  Regeneration.) 

Den  Mittelpunkt  der  grossen  Umwandlung  der  innem  Stadt 
bildete  der  Bau  der  Münsterbrücke  (1835 — 1838).    Sie  öffnete 

9 


I30      DREIZEHNTES  KAPITEL:    STADTPRÄSIDENT  J.  J.  ESCHER  o 

nun  den  freien  Verkehr  zwischen  der  grossen  und  der  kleinen 
Stadt,  zwischen  dem  rechten  und  dem  linken  Seeufer,  und  blieb 
neben  der  Rathausbrücke,  die  in  der  kleinen  Stadt  nur  an  enge 
Gassen  anschloss,  noch  für  lange  Jahre  die  einzige  wirklich  fahr- 
bare Verbindung  über  die  Limmat  zwischen  dem  vSee  und  Baden 
im  Aargau.  Die  Ausführung  der  Brücke,  wie  der  andern  in  den 
Verträgen  von  1834  und  1835  mit  dem  Staat  genannten  Bauten, 
hatte  das  Kaufmännische  Direktorium  zu  übernehmen,  an 
dessen  Spitze  Martin  Escher-Hess  in  rein  ehrenamtlicher 
Tätigkeit  unserer  vStadt  die  grössten  Dienste  leistete.  Die  Plan- 
ausarbeitung und  Bauleitung  wurde  dem  Ingenieur  Ludwig 
Negrelli,  bisher  vStrassen-  und  Wasserbauinspektor  des  Kantons 
St.  Gallen,  übertragen.  Die  Grundsteinlegung  feierte  man  am 
22.  Februar  1836,  die  Einweihung  am  20.  August  1838,  und 
zwar  gründlich:  Man  ging  hinüber,  herüber  und  unten  durch,  um 
das  Bauwerk  auch  wirklich  von  allen  Seiten  zu  besichtigen.  Die 
Ehrengäste  hatten  sich  im  Rathaussaal  versammelt  und  um 
II  Uhr  in  feierlichem  Zuge  zum  Helmhaus  begeben,  wo  die  ersten 
offiziellen  Ansprachen  gewechselt  wurden.  Dem  Ingenieur  NegrelU 
überreichte  Stadtpräsident  Ziegler  eine  goldene  Medaille.  Dann 
ging  man  zuerst  zu  Fuss  über  die  Brücke  und  bestieg  in  der  Nähe 
des  alten  Rathauses  vier  bekränzte  Schiffe,  die  unter  den  schlanken 
Gewölben  hindurchfuhren.  An  den  Treppen  der  neuen  Quais  ge- 
landet, bestiegen  die  Ehrengäste  22  bereitstehende  Equipagen,  die 
sich  über  die  Brücke,  den  Münsterhof  und  die  enge  Waaggasse 
bewegten,  um  alsdann  im  Triumph  durch  die  neue  Poststrasse 
zurückzukehren  und  die  Brücke  zum  zweitenmal  zu  befahren. 
Während  die  Eingeladenen  sich  zum  offiziellen  Bankett  ins  Kasino 
begaben,  stürmte  das  Publikum  jubelnd  über  die  freigegebene 
Brücke.  Abends  um  8  Uhr  erstrahlten  Brücke  und  Stadt  in  feen- 
hafter Beleuchtung,  und  auf  den  Trümmern  des  dem  Abbruch 
verfallenen  Wellenberg  prasselte  ein  Brillantfeuerwerk.  Ganz  be- 
sonders flott  hatte  sich  auf  dieses  Fest  die  am  5.  Juni  1837  ^^ 
Zunfthaus  zur  , .Meisen"  an  der  Münsterbrücke  eröffnete  ,,Bank 
in   Zürich"  herausgeputzt. 

Die  Einweihungsfeier  hatte  aber  nicht  nur  der  Brücke,  sondern 
auch  den  angrenzenden  Quais  gegolten,  die  ungefälir  gleichzeitig 
mit  ihr  entstanden  waren.    vSchon  1823— 1825  hatte  man  ein  Stück 


o         DREIZEHNTES  KAPITEL:    STADTPRÄSIDENT  J.J.  ESCHER      131 

des  Limmatquai  (von  der  Roseiigasse  bis  zum  Schlachthaus, 
der  jetzigen  Fleischhalle)  gebaut.  Zehn  Jahre  später  folgte  der 
Rathausquai;  daran  schloss  sich  der  Sonnenquai,  wobei  der 
Einfluss  des  Kanals  unter  dem  Helmhaus  zugedeckt  wurde,  und 
am  gegenüberliegenden  Ufer  der  Stadthausquai  (zwischen 
dem  alten  Stadthaus  und  Kaufhaus).  Die  Quais  mit  ihren  hohen 
Mauern  und  Geländern  haben  die  Zürcher  etwas  von  ihrem  Flusse 
abgesperrt,  dem  dadurch  viel  Leben  und  Bewegung  entzogen 
wurde.  Nach  den  Schilderungen  Lud.  v.  Löws  hatte  sich  z.  B. 
auch  das  Sechseläuten,  das  seit  1819  in  grösserem  Umfang  ge- 
feiert wird,  zum  guten  Teil  auf  dem  Flusse  abgespielt.  Diese  Zunft- 
begrüssungen  auf  den  reichgeschmückten  Schiffen  und  das  bunte 
Gewimmel  der  ,, Gondeln"  zwischen  den  Ufern  hin  und  her  fielen 
wie  so  mancher  Reiz  des  alten  Zürich  der  modernen  Zeit  zum  Opfer. 
Mit  einem  Durchbruch  an  der  untern  Torgasse  wurde  von  der 
Rämistrasse  und  dem  Seefeld  her  der  Zugang  zum  Sonnenquai 
gewonnen.  ,,Das  erste  neue  Haus,  das  an  den  Sonnenquai  gebaut 
wurde,  war  der  Gasthof  zur  ,, Goldenen  Krone",  jetzt  ,,Zürcherhof", 
der  durch  seine  für  damahge  Begriffe  ungeheure  Höhe  mich  in 
Erstaunen  setzte.  Daneben  entstand  die  ,, Budenhalle",  in  ihrer 
Art  auch  eine  sehr  merkwürdige  Neuigkeit,  so  viel  Läden  ,,alle 
beieinander!"  (Dr.  F.  Mej'er).  Dafür  verschwanden  die  Buden- 
reihen unterhalb  dem  Helmhaus,  an  der  ,, alten  Wühre",  und  es 
wurde  auch  dort,  am  Fusse  der  Grossmünsterterrasse,  eine  aus 
Quadersteinen  massiv  gebaute  neue  ,, Budenreihe"  errichtet.  So- 
wohl das  ,,neue  Kornhaus"  (,,alte  Tonhalle")  auf  der  Holz- 
schanze, wie  der  neue  Hafen  wurden  nach  Plänen  Negrellis 
ausgeführt.  Der  lange  steinerne  Hafendamm  reichte  herab  bis  auf 
die  Höhe  der  heutigen  kleinen  Anlage  beim  Cafe  de  la  Terrasse, 
und  dort  Uefen  die  Dampfschiffe  zur  Landung  ein.  Der  obere  Teil 
des  Hafendammes  (beim  Kornhaus)  war  vom  Lande  aus  zugäng- 
lich und  fahrbar.  Ganz  bedeutende  Auffüllungen  haben  am  hnken 
Limmatufer,  hinter  dem  alten  Stadthaus,  stattgefunden  vmd  in 
der  Gegend  der  Fröschengraben-  und  Schanzengrabeneinmündung 
grosse  Veränderungen  herbeigeführt. 

Die  neue  Poststrasse  (Paradeplatz — Münsterhof),  zu  welcher 
Architekt  Conrad  Stadler  die  Idee  gab,  war  im  Oktober  1838 
vollendet.   An  ihrem  Eingang,  auf  der  Nordseite,  erstand  das  erste 


132       DREIZEHNTES  KAPITEL:    STADTPRÄSIDENT  J.  J.  ESCHER         o 

eigentliche  Hotel  der  Stadt,  das  „Hotel  Baur",  das  die  bisherigen 
Gasthöfe,  auch  ,, Schwert"  und  ,, Krone",  an  Eleganz  und  Grösse 
überstralilte.  Das  erste  Bankett  im  ,, Hotel  Baur"  hat  am  31.  Ok- 
tober 1838  stattgefunden  zur  Feier  der  Eröffnung  des  gegenüber- 
Uegenden  Postgebäudes.  Ein  malerischer  Umzug,  in  dem  die 
verscliiedenartigsten  Postveliikel  paradierten,  war  der  Feier  vor- 
ausgegangen, und  mit  Trommelwirbel,  Trompetengeschmetter  und 
dem  Jauchzen  der  Menge  wurde  der  erste  Post-Kurswagen  be- 
grüsst,  der  durch  den  Eingang  in  den  Posthof  sprengte.  Dass 
dieser  denkbar  günstig  gelegene  Prachtbau  1872  von  der  eid- 
genössischen Postverwaltung  aufgegeben  und  der  Privatspekulation 
überlassen  wurde,  um  dafür  (am  i.  Dezember  1873)  einen  nüch- 
ternen Neubau  auf  dem  Areal  des  alten  Feldhofs  an  der  Bahn- 
hofstrasse zu  beziehen,  verstellt  heute  kein  Mensch  mehr.  Hatte 
früher  zum  Paradeplatz  nur  die  Verbindung  der  Katzentor- 
brücke  (am  Ausgang  der  Waaggasse)  bestanden,  so  wurde  nun 
der  Fröschengraben  auf  eine  weitere  Strecke  überwölbt  und  da- 
durch der  Neue  Markt  (Paradeplatz)  vergrössert;  hier  stand 
eine  einsame  Linde  (s.  vSeite  36)  noch  bis  zum  25.  März  1857. 
Seit  1835  war  durch  die  Bleie  her  wegbrücke  über  den  Schanzen- 
graben die  neue  Fahrstrassenverbindung  mit  der  Enge  hergestellt. 
Von  noch  grösserer  Bedeutung  war  für  die  .Stadt  der  Durchbruch 
der  Rämistrasse  zwischen  der  Hohen  Promenade  und  dem 
Landoltschen  Besitztum  (Kunsthausareal) ;  er  hiess  lange  Jahre 
,,der  Durchbruch"  schlechthin  und  war  Hauptmotiv  des  Sechse- 
läutenumzugs  vom  3.  April  1837,  von  der  löbUchen  Weggenzunft 
mit  fremden  Architekten  in  Equipagen,  schaufei-  und  pickel- 
bewehrten Lazzaronis  etc.  dargestellt.  ,, Poetische"  Inschriften 
lauteten:  ,,E  ganz  neus  Züri  gids,  e  bsunders  Späcktackel",  oder 
,,Fahr  hin,  du  altes  Nest,  das  uns  geboren,  die  neue  Zürich  reisst 
mächtig  mich  dahin".  Die  vom  Staat  erbaute  Rämi-Tannenstrasse 
fand  ihre  Fortsetzung  in  der  1837/38  entstandenen  Neuen  Winter- 
thurer  Landstrasse.  Der  bedeutend  verbreiterte  und  mit  Trottoirs 
versehene  Zeltweg  wurde  1837  bis  zur  alten  Kreuzkirche  am 
Kreuzplatz  verlängert  und  dort  die  Kirchhofmauer  durchbrochen. 
Bald  ging  es  auch  dem  Kirchlein  selbst  ans  Leben.  Es  war  ur- 
sprünglich nur  als  Abdankungskapelle  für  einen  1611  neu  an- 
gelegten Friedhof  erbaut,  wurde  aber  dann  in  immer  steigendem 


-L 


o  DREIZEHNTES  KAPITEL:    STADTPIIÄSIDENT  J.  J.  ESCHER        133 

Masse  als  Filialkirche  des  Grossmünsters  für  die  Gemeinden  Hot- 
tingen, Riesbach  und  Hirslanden  benutzt  und  ausgebaut.  Am 
19.  Januar  1834  beschlossen  diese  drei  Gemeinden  die  Ablösung 
von  der  Kirchgemeinde  Grossmünster  und  Bildung  einer  selb- 
ständigen, neuen  Kirchgemeinde,  für  welche  am  29.  Juni  gleichen 
Jahres  unter  elf  Vorschlägen  der  Name  Neumünster  gewählt 
wurde.  Da  aber  die  drei  Gemeinden  über  den  Bau  einer  neuen 
Kirche  nicht  einig  werden  konnten,  bildete  sich  zu  diesem  Zweck 
eine  Aktiengesellschaft.  Auch  über  die  Wahl  des  Bauplatzes, 
den  Baustil  usw.  herrschte  viel  ^Meinungsverschiedenheit.  Die  Ge- 
meinde entschied  sich  am  27.  April  1834  für  den  sogenannten  Zelgli- 
hügel  als  Baustelle.  Am  23.  Juh  1836  wurde  der  Grundstein  der 
Neumünsterkirche  gelegt,  am  11.  Augu.st  1839  die  Kirche 
eingeweiht. 

Durch  die  kantonale  \'erfassung  vom  10.  März  (Volksabstim- 
mung 20.  März)  1831  war  auch  die  Gemeindeverwaltung  im 
Kanton  Zürich  neu  geordnet  worden.  Erst  jetzt  erhielten  die 
Gemeinden  ihren  Charakter  als  öffentlich-rechtHche  Korporationen, 
und  es  knüpfte  sich  nun  an  die  Verfassungsbestimmungen  über  die 
Gemeindeverwaltung  eine  reiche  Gesetzgebung,  wobei  das  soge- 
nannte ,, junge  Zürich"  mit  Dr.  Bluntschli  au  der  »Spitze  für  mög- 
Hchst  ausgedehnte  vSelbständigkeit  und  Freiheit  der  Gemeinden 
eintrat.  Die  Organisation  der  Gemeinden  bUeb  sich  im  allgemeinen 
gleich,  nur  waren  jetzt  die  Bürger  wieder  im  vollen  Besitz  ihrer 
politischen  Rechte.  Den  auf  Grundeigentum  Niedergelassenen 
wurde  durch  das  Gesetz  vom  20.  September  1833  in  Angelegen- 
heiten der  Schule  und  Kirche  das  Stimmrecht  eingeräumt  (erst 
das  Gesetz  betreffend  das  Gemeindewesen  vom  Jahre  1855  ver- 
liess  den  Boden  der  reinen  Bürgergemeinde  und  schuf  die  Ein- 
wohnergemeinde). Das  Gesetz  vom  30.  Mai  1831  führte  auch  für 
Zürich,  wie  für  die  andern  Gemeinden  die  Gemeindeversamm- 
lungen ein,  womit  der  Aktivbürgerschaft  die  Rechte  und  Kom- 
petenzen zurückgegeben  wurden,  die  sie  1816  an  den  Grossen 
Stadtrat  hatte  abgeben  müssen.  Auf  Grund  der  neuen  Verfassungs- 
artikel gab  sich  Zürich  nun  auch  seine  neue  ,, Stadtverfassung", 
die  Gemeindeordnung  vom  14.  September  1831.  Nach 
dieser  besteht  die  Gemeindeversammlung  aus  den  stimmberech- 
tigten,   ins    Bürgerbuch   eingetragenen    vStadtbürgern.     Zu    ihren 


134      DREIZEHNTES  KAPITEL:    STADTPRÄSIDENT  J.  J.  ESCHER  o 

Kompetenzen  gehört  unter  anderm  die  Wahl  des  engern  Stadt- 
rats und  des  vStadtpräsidenten.  Der  engere  Stadtrat  besteht 
aus  13  MitgHedern;  er  unterhegt  alle  zwei  Jahre  der  hälftigen  Er- 
neuerungswahl. Der  grössere  Stadtrat  besteht  aus  dem  engern 
Stadtrat  und  60  weitem  Mitgliedern,  die  \-on  den  Zünften  gewählt 
werden,  und  zwar  von  jeder  Zunft  so  viel  als  sie  Grossräte  zu  wählen 
hat.  —  Das  Jahr  1837,  das  letzte  der  Amtsperiode  von  Stadt- 
präsident J.  J.  Escher,  war  ausgefüllt  mit  Kämpfen  für  eine  aber- 
maüge  Verfassungsrevision,  die  auch  für  die  Stadt  Zürich  wichtige 
organisatorische  Änderungen  mit  sich  brachte. 


eidgenössificJicr   Ohersi 


»«»♦♦♦«♦♦♦« 


VIERZEHNTES  KAPITEL 


STADTPRÄSIDENT  ZIEGLER 

Kurz,  aber  bedeutungsvoll  war  die  Zeit,  da  Oberst  Paul  Karl 
Eduard  Ziegler  an  der  Spitze  von  Zürichs  Stadtverwaltung 
stand.  Als  scharfkantiger  Charakter,  als  willensstarke  Persönlich- 
keit tritt  er  uns  aus  der  in  ihrer  soldatischen  Schlichtheit  und 
Geradheit  so  sympathischen  Biographie  Adolf  BürkUs  entgegen. 
Ziegler  (geboren  den  ii.  Dezember  1800,  gestorben  am  21.  August 
1882)  gehört  zu  den  hervorragendsten  historischen  Gestalten 
Zürichs  im  19.  Jahrhundert,  und  seinen  Namen  umgab  schon  zu 
seinen  Lebzeiten  ein  Glorienschein.  Er  hat  ihn  sich  erworben  durch 
seine  eines  antiken  Helden  würdige  Haltung  in  schicksalsschwerer 
Stunde.  Am  6.  September  1839,  ^^^  ^^^t  jedermann  in  Zürich  auf 
die  eine  oder  andere  Weise  sich  blamierte,  als  niemand  mehr 
wusste  wo  aus  imd  an,  hat  er  allein  von  allen  den  massgebenden 
Persönlichkeiten  den  Kopf  lücht  verloren,  er  allein  gewusst,  was 
er  wollte  —  und  damit  die  Stadt  vor  namenlosem  Unglück  bewahrt. 
Und  \\ieder  trat  das  Schicksal  mit  einer  entscheidenden  Frage  an 
ihn  heran;  zur  Sonderbundszeit,  als  Oberst  Ziegler  mit  allen 
seinen  Sympathien  auf  der  vSeite  der  KathoUkeu  stand.  Er  wählte 
als  Mann  und  Soldat  den  Weg  der  Pflicht,  und  er  hat  sie  erfüllt 
als  ein  Held  auf  blutiger  Wahlstatt.  An  Popularität  im  Schweizer- 
land stand  Oberst  Ziegler  wenig  liinter  einem  General  Dufour 
zurück,  und  überdies  gehörte  ihm  auch  die  verehrungsvolle  Be- 
wunderung der  Besiegten.  Was  verschlug's,  dass  daneben  Oberst 
Ziegler  in  seinen  politischen  Ansichten  zeitlebens  einer  einseitigen 
und  oft  genug  in  schroffer  Form  auftretenden  konservativen 
Richtung  huldigte !  Das  begriff  sogar  der  RadikaUsmus  seiner  Zeit, 
dass  es  einen  Oberst  Ziegler  nicht  nach  den  für  andere  gelegent- 
lich fast  imgeniessbaren  parteipolitischen  Anschauungen  beurteilen 
durfte,  und  Ziegler  selbst  hat  sich  durch  die  strenge  Unparteilich- 
keit imd  geistige  Überlegenheit,  mit  der  er  als  Stadtpräsident 
und  \4elbewunderter  Leiter  der  Gemeindeversammlungen  seines 


136  VIERZEHNTES  KAPITEL:    STADTPRÄSIDENT  ZIEGLER  o 

Amtes  waltete,  den  Respekt  seiner  politischen  Gegner  erzwungen, 
den  sie  in  solchem  Grade  nicht  leicht  einem  andern  Konservativen 
dargebracht  hätten. 

Eduard  Ziegler  war  ein  Soldatenkind.  Sein  \'ater,  der  spätere 
niederländische  Generalmajor  Jakob  Christoph  Ziegler,  stand  im 
Dezember  1800  als  ,, Oberstwachtmeister"  (Bataillonskommandant) 
im  Regiment  Bachmann  im  Engadin  den  Franzosen  gegenüber; 
seine  Frau  Johanna  Margareta,  geb.  v.  Meiss  von  Teufen,  hatte 
er  nach  Sterzing  in  Tirol  in  Sicherheit  gebracht.  Dort  wurde 
Eduard  Ziegler  geboren  und  am  18.  Dezember  1800  vom  Pater 
Guardian  des  Kapuzinerklosters  zu  Sterzing  getauft.  \'om 
20.  August  1801  an  wohnte  die  Familie  wieder  in  Zürich,  und  hier 
verbrachte  Eduard  Ziegler  mit  seinem  altem  Bruder  Hans  (Stadt- 
rat 1840 — 1842)  glückliche  Kinderjahre.  Schon  1815  konnte  der 
körperlich  stark  entwickelte  Eduard  in  das  neugebildete  hol- 
ländische Regiment  seines  Vaters  eintreten.  Er  wurde  181 7  Ober- 
leutnant, 1821  Bataillonsadjutant,  1826  Regimentsadjutant  mit 
Hauptmannsrang.  Im  Dezember  1828  kündete  Holland  die  Militär- 
kapitulation, und  zu  Anfang  1830  bezog  die  FamiHe  Ziegler  wieder 
ihre  frülrere  Wohnung  im  ,, vordem  Pehkan"  (am  PeHkanplätzli, 
Seite  35).  Im  Juni  1830  wurde  Eduard  Ziegler  vom  Kleinen  Rat 
des  Kantons  Züricli  zum  Oberstleutnant  und  Kommandanten  des 
4.  Auszüger-Bataillons  ernannt.  Freiwillig  \\-idmete  er  sich  neben 
seinem  Kommando  der  Instruktion  des  Knaben-Kadettenkorps. 
Der  Ustertag  1830  brachte  seine  militärische  Karriere  für  einst- 
weilen zum  vStillstand.  Im  Februar  1832,  nach  der  Aufhebung 
des  Kasernendienstes,  verzichtete  Ziegler  auf  sein  zürcherisches 
Offiziersbrevet.  Es  war  die  Zeit,  da  die  miwirschen  Konservativen 
es  hebten,  der  Regierung  ,,den  Bündel  vor  die  Füsse  zu  werfen", 
zu  demissionieren,  demonstrativ  aus  der  Grossratssitzung  weg- 
zulaufen usw.  Ziegler  schnallte  den  ,, Habersack"  an  den  Rücken 
und  liess  sich  mit  seinem  Freund  Hauptmann  Meyer-Biedermann 
als  gemeiner  Infanterist  bei  der  Eandwehr  des  Stadtquartiers 
einreihen.  Inzwischen  wählte  ihn  die  Schiffleutenzunft  (1832)  in 
den  Grossen  Rat,  dem  er  bis  1868  miunterbrochen  angehörte.  In 
den  Stadtrat  war  er  schon  am  14.  September  1831  gewählt 
worden;  im  Etat  des  Stadtrats  figuriert  Ed.  Ziegler  in  den  ersten 
Jahren  als  ,,Ofengschauer";  später  wurden  ihm  wichtige  Zweige  zu- 


o  VIERZEHNTES  KAPITEL:    STADTPRÄSIDENT  ZIEGLER  1 37 

geteilt.  Am  20.  November  1837  wählte  ihn  die  Gemeindeversamm- 
lung an  Stelle  J.  J.  Eschers  zum  Stadtpräsidenten.  Die 
Stadtgemeinde  sprach  ihm  am  10.  Oktober  1839  für  seine  Haltung 
am  6.  September  ihre  Dankbarkeit  aus,  die  der  Stadtrat  noch 
durch  Überreichung  einer  pergamentenen  Urkunde  besiegelte. 
Eine  Versammlung  im  Kasino  am  19.  Januar  1840  dedizierte  ihm 
aus  gleichem  Anlass  einen  Ehrendegen  mit  goldenem  Griff  und 
passender  Inschrift.  Gerne  nahm  Ziegler  nun  aus  den  Händen 
der  konserv-ativen  Regierung  die  Erneuerung  seines  Offiziers- 
brevets  entgegen;  mit  einem  Sprung  avancierte  er  nun  wieder 
(April  1840)  vom  gemeinen  Landwehrsoldaten  zum  Obersten 
der  Infanterie  und  gleichzeitig  zum  Waffenkommandanten 
der  Infanterie  des  Kantons  Zürich.  Am  26.  Mai  1840  erfolgte 
seine  Wahl  zum  Regierungsrat,  die  seinen  Rücktritt  als  Mit- 
glied und  Präsident  des  Stadtrates  nach  sich  zog.  Er  verabschie- 
dete sich  am  4.  Juni  1840  mit  bewegten  Worten  von  seinen  Stadt- 
ratskollegen; ,,eine  Männerträne  im  Auge,  verliess  jedes  Mitglied 
die  Sitzmig",  sagt  das  Protokoll. 

Im  Regierungsrat  sass  Ziegler  bis  Ende  1866  und  war  häufig 
dessen  Präsident  (als  einziger  der  bisherigen  konservativen  Re- 
gierungsräte blieb  er  aucli  nach  1845  unangefochten  in  der  Regierung) . 
Eine  fruchtbare  Tätigkeit  entfaltete  Ziegler  besonders  als  ;\IiHtär- 
direktor,  stiess  dabei  allerdings  auch  auf  Widerstand  in  den  Reihen 
der  Offiziere  selbst,  so  1841,  als  eine  Anzahl  Kavalleristen  wegen 
einiger  Äusserungen  Zieglers  im  Grossen  Rat  im  ,, Landboten" 
eine  Aufsehen  erregende  Fehde  gegen  ihn  führten.  1844,  nach 
dem  Tode  von  Oberst  und  Zeugherr  Salomon  Hirzel  im  Feldhof, 
wurde  Oberst  Ziegler  Präsident  des  Kantonskriegsrates.  Im  August 
des  gleichen  Jahres  wählte  ihn  die  Tagsatzung  in  Luzern  zum 
eidgenössischen  Obersten.  1845,  beim  Aufgebot  wegen  des  Frei- 
scharenzugs, erhielt  er  das  Kommando  der  2.  Brigade  der  Di- 
vision Gmür,  am  22.  August  1845  die  Ernennung  zum  Mitglied 
und  Vizepräsidenten  des  eidgenössischen  Kriegsrates.  In  brüskem 
Tone  quittierte  Ziegler  im  August  1847  diese  Stellung,  weil 
Ochsenbein  von  Bern,  den  die  Tagsatzung  wegen  seiner  Be- 
teiligung am  Freischarenzug  aus  dem  eidgenössischen  Stabe  ge- 
strichen hatte,  nun  trotzdem  beim  Übergang  des  Vororts  an  Bern 
als  dessen  Regierungspräsident  die  Tagsatzung  präsidieren  sollte. 


138  VIERZEHNTES  KAPITEL:    STADTPRÄSIDENT  ZIEGLER  o 

Im  Sonderbundskrieg  führte  Oberst  Ziegler  die  4.  Division.  Am 
13.  Januar  1848  wurde  ihm  vom  zürcherischen  Regienmgsrat  ein 
Dankschreiben  überreicht;  im  Grossratssaal  übergab  er  in  feier- 
Uchem  Akte  die  aus  Luzern  mitgebrachten  Waffen  Zwingiis, 
die  sich  nun  im  Landesmuseum  befinden.  Dem  Nationalrat 
gehörte  Eduard  Ziegler  von  1848  bis  1855  und  dann  wieder  von 
1860  bis  1866  an.  Als  er  1856  anlässlich  des  Xeuenburger  Handels 
und  wieder  185t)  beim  oberitalienischen  Krieg  ein  wichtiges  Kom- 
mando erhalten  sollte,  bereiste  er  zuvor  als  Zi\'ilist  die  in  Be- 
tracht fallenden,  der  Schweiz  benachbarten  Grenzgebiete.  1860 
war  Oberst  Ziegler  Divisionär  und  Platzkommandant  in  dem  von 
Unruhen  heimgesuchten  Genf  und  erwarb  sich  auch  dort  trotz 
seiner  unbeugsamen  Strenge  im  Dienst  eine  ausserordenthche 
Popularität;  er  wurde  mit  Ehren-  und  Dankesbezeugungen  über- 
häuft. Xach  Xiederlegung  seiner  öffentlichen  Ämter,  Ende  1866, 
gehörte  er  noch  bis  1869  der  Stadtarmenpflege  an  und  ärgerte 
sich  dabei  etwa,  wenn  Arme  für  sich  mehr  verlangten,  als  er  selbst, 
der  Bedürfnislose,  zu  seinem  Unterhalt  bedurfte.  Die  Schiffleuten- 
zunft  verehrte  in  ihm  ihren  vieljährigen  Präsidenten.  Sein  Bio- 
graph sagt  von  Eduard  Ziegler:  ,,\Vir  haben  ihn  als  von  Hause 
aus  konservativ  kennen  gelernt;  so  bekämpfte  er  denn  auch  im 
Rate  energisch  alle  Bestrebungen,  die  ihm  begründete  Zustände 
und  Ordnungen  in  vStaat  und  Kirche  zu  bedrohen  schienen,  und 
machte  mitunter  in  schroffer  Weise  seinem  Unmute  über  solche 
Bestrebungen  L,uft.  Zur  Abhilfe  von  wirkUchen  Übelständen  und 
zu  dem,  was  er  als  Fortschritt  erkannte,  bot  er  nichtsdestoweniger 
die  Hand.  Er  war  überhaupt  nicht  ein  Parteimann,  der  die  eigene 
Überzeugung  hätte  verleugnen  oder  welcher  sich  in  wichtigen 
Fragen  der  von  seinen  politischen  Frevmden  ausgegebenen  Parole 
ohne  selbständige  Prüfung  hätte  unterziehen  können.  Im  Gegen- 
teil erwies  er  sich,  wie  wir  aus  der  Schilderung  der  Septembertage 
von  1839  ersehen  haben,  diesen  Freunden  mitunter  sehr  un\\-ill- 
fälirig  und  durchkreuzte  ihre  Pläne.  Rücksichtslos  im  Vorgehen, 
wo  sein  Pflichtgefühl  in  Frage  kam,  tnig  er  den  äusseren  Formen 
nicht  immer  volle  Rechnung;  im  Ratssaal  hielt  man  aber  dem 
Manne,  der  sich  auf  dem  Felde  der  Ehre  als  Ritter  ohne  Furcht 
und  ohne  Tadel  em-iesen  hatte,  hie  und  da  ein  herbes  Wort  zu 
gut,  das  an  andern  scharf  gerügt  worden  wäre." 


o  VIERZEHNTES  KAPITEL:    STADTPRÄSIDENT  ZIEGLER  139 

Als  Eduard  Ziegler  sein  Amt  als  Stadtpräsident  antrat,  be- 
fand sich  das  politische  Leben  des  Kantons  in  starker  Bewegung. 
Die  ersten  sechs  Jahre,  nach  welchen  gemäss  einer  Verfassungs- 
bestimmung frühestens  eine  Verfassmigsre\'ision  vorgenommen 
werden  durfte,  waren  abgelaufen,  und  nun  meldeten  sich  aufs 
neue  die  ,,  Volks  wünsche"  nach  einem  Ausbau  der  Verfassung. 
Zu  ihrem  \'ertreter  machte  sich  insbesondere  der  einflussreiche 
Winterthurer  ,, Landbote".  Im  Vordergrund  dieser  Volksbegehren 
stand  wiederum  eine  Änderung  der  Vertretung  im  Grossen  Rat 
zugunsten  des  Landes  und  sodann  das  ,,Veto"  oder  Referendum 
(Volksabstimmung  über  die  wichtigsten  Gesetze).  Da  war  es  denn 
höchst  interessant  und  lehrreich  zu  sehen,  dass  gerade  die  mit 
der  Demokratie  emporgekommenen  Radikalen  sich  mit  aller  Macht 
gegen  eine  weitere  Demokratisierung  der  Verfassung  stemmten, 
während  beispielsweise  das  ,,Veto"  in  konservativen  Kreisen,  in 
der  ,,Freitagszeitung"  und  anderwärts,  sehr  warme  Verfechter 
fand.  Man  konnte  nicht  \'erächtUcher,  nicht  wegwerfender  von 
der  ,, Masse",  vom  ,, Pöbel"  sprechen  als  es  Dr.  Ludwig  Keller  im 
Grossen  Rate  tat  (vgl.  Verhandlungen  vom  28.  März  1837),  ^^- 
dem  er  die  Gebildeten  zum  Zusammenhalten  im  Kampf  gegen 
,, Roheit  und  Pöbelherrschaft"  aufrief.  Nicht  minder  charak- 
teristisch war  andererseits  die  Äusserung  eines  bekannten  Rats- 
mitgliedes vom  Unken  vSeeufer,  welches  die  so  geheissene  Mittel- 
klasse und  die  Angesehenen  der  Landschaft  als  ,,den  eigentlichen 
Souverän"  bezeichnete.  Gegen  das  Begehren  einer  abermahgen 
Beschränkung  ihrer  Vertretung  im  Grossen  Rate  erhob  sich  in 
der  Stadt  auffallend  wenig  Widerstand.  Es  war  ja  nicht  zu  leugnen, 
dass  die  Männer  von  Uster  mit  ihrer  Zustimmung  zu  einer  Ver- 
tretung von  ein  Drittel  Stadt  und  zwei  Drittel  Landschaft  der 
Stadt  immer  noch  ein  grosses  Vorrecht  gelassen  hatten.  Jetzt 
aber  verlangte  man  die  verhältnismässige  Vertretung  nach  der 
Kopfzahl,  nach  ,, Proporz",  wie  man  damals  gesagt  hätte,  wenn 
das  Wortungetüm  schon  bekannt  gewesen  wäre.  Die  bisherige 
Zunfteinteilung  der  Wählerschaft  fiel  weg,  und  der  ganze  Kanton 
wurde  in  51  Wahlkreise  eingeteilt,  welche  insgesamt  192  Mit- 
glieder direkt  zu  wählen  hatten;  indirekt  konnte  der  Grosse  Rat 
selbst  noch  12  weitere  Mitgheder  wählen.  Die  Stadt  Zürich 
bildete  fortan  nur  einen  einzigen  Grossratswahlkreis  mit  13  Ver- 


140  VIERZEHNTES  KAPITEL:    STADTPR.4SIDENT  ZIEGLER  o 

tretern  (statt  66!).  Das  „Veto"  und  die  Grossratstaggelder 
wurden  abgelehnt.  Der  ganze  Verfassungsentwurf  wurde  vom 
Grossen  Rat  am  19.  Dezember  1837  "^t  131  gegen  iq  Stimmen 
angenommen.  Unter  den  Verwerfenden  befanden  sich  (als  einziger 
bedeutender  Landvertreter)  der  ganz  in  einen  ängstlichen  Kon- 
servativen umgewandelte  Regierungsrat  Dr.  Hegetschweiler,  Ge- 
neral Ziegler,  alt  Bürgermeister  v.  Muralt,  vStadtpräsident  Oberst 
Ziegler,  alt  vStadtpräsident  J.  J.  Escher  u.  a.  Mit  der  neuen  Ver- 
fassung, die  vom  Volk  am  4.  Februar  1838  bei  sehr  schwacher 
Beteiligung  mit  15,307  gegen  3379  Stimmen  angenommen  wurde, 
begann  für  den  Kanton  Zürich  die  grundsätzhche,  wenn  auch  vor- 
erst bloss  repräsentative  Demokratie.  Die  Zahl  der  vom  Grossen 
Rat  zu  wählenden  Regierungsräte  blieb  zunächst  19;  erst  das 
Verfassungsgesetz  vom  26.  Mai  1840  brachte  die  Reduktion  auf 
13  Mitglieder.  Das  letzte  ihrer  seit  der  Revolution  immer  noch 
innegehabten  Vorrechte  verlor  die  Stadt  mit  dem  Verfassungs- 
gesetz vom  27.  September  1838,  welches  ihre  ausnahmsweise 
Vertretung  in  den  Bezirksbehörden  aufhob  und  sie  darin  den 
übrigen  Gemeinden  gleichstellte.  Dass  die  Stadt  nach  dem  Gesetz 
vom  30.  April  1832  nicht  wie  die  andern  Gemeinden  eine  Schul- 
gemeinde bildete  und  für  die  Beaufsichtigung  ihres  Schulwesens 
einen  eigenen  vSchulrat  besass,  dass  im  fernem  das  Gesetz  vom 
27.  März  1833  für  die  Kirchgemeinden  der  Stadt  und  der  dahin 
kirchgenössigen  Landgemeinden  besondere  Bestimmungen  auf- 
stellte, war  nicht  sowohl  als  Vorrecht,  denn  als  bilHge  Berück- 
sichtigung ihrer  besondem  Verhältnisse  zu  betrachten. 

Mit  der  neuen  kantonalen  \'erfassung  erhielt  die  Stadt  Zürich 
auch  eine  neue  Gemeindeordnung  oder  Stadtverfassung.  Da- 
bei wurde  u.a.  der  Wahlmodus  für  den  Grossen  Stadtrat  ge- 
ändert. Zwar  blieb  es  für  diesen  bei  der  bisherigen  Zunfteinteilung ; 
es  wurde  der  Personalbestand  der  Zünfte  sogar  noch  gestärkt, 
indem  jeder  Bürger  gezwungen  wurde,  einer  Zunft  beizutreten. 
Auf  30  Zünfter  war  je  ein  Vertreter  in  den  Grossen  Stadtrat  zu 
wählen,  und  es  sollte  jede  Zunft  mindestens  einen  Vertreter 
haben ;  die  bisherige  Liniite  von  60  ^litgliedern  des  Grossen  vStadt- 
rates  wurde  also  fallen  gelassen,  ebenso  die  hälftige  Erneuerungs- 
wahl alle  zwei  Jahre;  die  Gesamterneuerungswahlen  sollten  je  am 
Schluss  der  vierjährigen  Amtsperiode  stattfinden.    Der   engere 


o  VIERZEHNTES  KAPITEL:    STADTPRÄSIDENT  ZIEGLER  141 

Stadtrat  wurde  auf  9  Mitglieder  reduziert,  die  wie  bisher  es 
officio  auch  dem  Grossen  Stadtrat  als  stimmberechtigte  Mit- 
glieder angehörten.  Die  neue  Stadtverfassung  trägt  das  Datum 
der  Gemeindeversammlungen  vom  10.  Oktober  und  23.  Dezember 
1S39  und  die  Unterschrift  des  Stadtpräsidenten  Ziegler. 

Schon  bei  den  erstmals  nach  den  neuen  \'erfassungsbestim- 
mungen  vorgenommenen  Grossratswahlen  vom  4.  März  1838 
war  offenbar  geworden,  wie  sehr  die  Radikalen  die  Fühlung  mit 
dem  Volk  verloren  hatten.  Dr.  Ludwig  Keller,  Wilhelm  FüssH, 
Eduard  Sulzer  u.  a.  wurden  nirgends  mehr  gewählt  und  konnten 
nur  auf  den  Krücken  der  indirekten  Wahlen  wieder  in  den  Rats- 
saal gelangen.  Staatsanwalt  David  Ulrich  verdankte  sein  Mandat 
dem  Wahlkreis  Bülach.  Zu  der  unheildrohenden  Verschärfung 
und  Zuspitzung  der  politischen  Lage  im  Jahr  1838  hatte  der 
Kampf  um  die  Schule  und  der  wachsende  Gegensatz  zwischen 
Schule  und  Kirche  nicht  wenig  beigetragen.  Während  in  der 
Schule  ein  frisches,  reiches  Leben  pulsierte,  herrschte  in  der  Kirche 
Stillstand  und  Unfruchtbarkeit.  Sie  entfremdete  sich  dadurch 
die  InteUigenz;  die  Presse  der  ,, Brutal-Radikalen"  aber  behandelte 
Kirche  und  Pfarrer  fortwährend  mit  dem  giftigsten  Hohn  und 
Spott.  Pohtische,  religiöse  und  persönliche  Motive  machten  die 
üben\-iegende  ^Mehrheit  der  GeistUchen  zu  unversöhnHchen  Gegnern 
der  herrschenden  radikalen  Partei  und  namentUch  der  durch  die 
regenerierte  Volksschule  repräsentierten  sogenannten  ,, neuen 
Lehre".  Die  ostentative  LiederUchkeit  der  Lebensführung  ein- 
zelner radikaler  Führer  erleichterte  es  den  Pfarrern,  Texte  zu 
lehrreichen  Predigten  gegen  die  ,,neue  Lehre"  zu  finden.  ,,An 
ihren  Früchten  sollt  ihr  sie  erkennen".  Gehörte  auf  dem  Lande 
anfangs  da  und  dort  noch  einiger  IVIut  dazu,  gegen  die  neue  Ord- 
nung zu  predigen,  so  waren  dagegen  Sticheleien  gegen  die  Re- 
genten für  die  Kanzeln  der  Stadt  immer  ein  dankbares  Thema. 
In  der  Kirchensynode  kam  es  zu  heftigen  Zusammenstössen 
zwischen  Pfarrern  und  weltlichen  radikalen  Mitghedern  der  Sy- 
node. Radikale  Redner  wurden  auf  der  Synode  vom  29.  Oktober 
1833  von  den  geistUchen  Herren  mit  Stampfen,  Scharren  und 
Brummen  unterbrochen,  was  dieser  hohen  \'ersammlung  deu 
Namen  der  ,, Stampf sj-node"  und  zudem  einen  regierungsräthchen 
Rüffel  wegen  unziemUchen  Betragens  eintrug.    Wenig  Eindruck 


142  VIERZEHNTES  KAPITEL:    STADTPRÄSIDENT  ZIEGLER  o 

machte  es  hinwieder,  wenn  Dr.  Keller  im  Grossen  Rat  (1837)  die 
Geistlichkeit  einen  »Stand  nannte,  der  in  einer  Periode  allgemeiner 
Tätigkeit  nur  Trägheit,  Dummheit  imd  Lahmlieit  zeige  und  einen 
Scheelblick  auf  alles  werfe,  wo  sich  edleres  Leben  rege.  Als  Stadt- 
zürcher  (mit  wenigen  Ausnalimen)  waren  die  Geistlichen  fast  durch- 
weg konservativ.  Sie  erblickten  in  der  neuen  Ordnung  der  Dinge, 
wie  Li.  Meyer  von  Knonau  ausfülart,  ,,eine  vStorung  mancher  bis- 
her genossener  und  von  vielen  jetzt  noch  als  ein  Recht  angesehener 
Vorzüge.  Das  Neue,  das  den  noch  übrig  gebhebenen  Nimbus, 
der  die  weltHchen  Beamten  umgab,  zerstörte,  hatte  auch  den  der 
Geistlichkeit  nicht  unangetastet  gelassen  und  ihn  auf  diejenige 
Würde  beschränkt,  mit  welcher  Pflichttreue  und  moraHscher 
Wert  den  Beamten  immer  umgibt.  Ihre  Macht  und  ihr  Ein- 
fluss  waren  in  mehreren  Beziehungen  vermindert  worden,  und 
wenn  das  Gesetz  mit  Recht  den  Schullehrer  höher  stellte  als 
früher,  so  sah  gleichwohl  mancher  Pfarrer  bald  mit  mehr,  bald 
mit  weniger  Grund  durch  die  Ansprüche  des  jungen  Mannes  sich 
verletzt,  der  die  Herrschaft  über  die  intellektuelle  Sphäre  mit  ihm 
teilen  wollte."  Gegen  Scherrs  Schulreformpläne  hatte  die  Geist- 
lichkeit schon  anfangs  1832  entschieden  und  nicht  immer  in  ge- 
wählten Worten  Stellung  genommen.  Sie  bezichtigte  ihn  (1836) 
auch  als  Urheber  des  Antrags,  Strauss  zu  berufen.  Der  Bildner 
der  jungen,  mit  Korpsgeist  erfüllten,  seinen  Freisinn  und  Ra- 
tionalismus zur  Schau  tragenden  Lehrer  war  den  Geisthchen 
immer  ein  Gegenstand  besonders  kräftiger  Antipathie. 

vScherr  machte  sich  aber  auch  im  eigenen  radikalen  Lager 
mit  seiner  reizbaren,  selbstgefälligen  und  eigensinnigen  Art,  die 
ihm  den  Vorwurf  der  Unfehlbarkeit  und  Dünkelhaftigkeit  ein- 
trug, viele  Feinde.  ,, Schulpapst"  und  ,,Schult3-rann"  nannten  ihn 
nicht  nur  die  Konservativen.  Mit  Bürgermeister  ]\Ielchior 
Hirzel,  dem  Prä.sidenten  des  Erziehungsrats,  kam  er  ganz  aus- 
einander. Hirzel  fürchtete  nicht  ohne  Grund,  Scherr  könnte  ihm 
den  heiss  ersehnten  Ruhmespreis,  in  der  Gesclüchte  als  Haupt- 
urheber des  regenerierten  Volksschulwesens  bezeichnet  zu  werden, 
streitig  machen.  Scherr  dachte  skeptisch  von  der  Schulsynode, 
einer  Schöpfung  Hirzels  (Gesetz  vom  26.  Oktober  1831) ;  auch 
über  andere  wichtige  Punkte  bestanden  zwischen  den  beiden 
Männern  Differenzen.    Da  Hirzel  die  Mehrheit  des  Erziehungsrats 


o  VIERZEHNTES  KAPITEL:    STADTPRÄSIDENT  ZIEGLER  143 

fast  immer  auf  seiner  Seite  hatte,  erklärte  Sclierr  im  Herbst  1835 
seinen  Rücktritt  aus  dieser  Behörde.  Der  Grosse  Rat  nalim  je- 
doch die  Demission  nicht  an.  Der  Streit  dauerte  fort  und  drang 
in  die  Öffentlichkeit,  die  sich  alsbald  in  ,,Hirzehaner"  und  ,,Scherri- 
aner"  spaltete.  Nun  demissionierte  Scherr  am  26.  Februar  1836 
als  Seminardirektor.  Es  wurde  aus  der  Sache  eine  hoch- 
politische Affäre.  Während  der  Entscheid  über  das  Rücktritts- 
gesuch noch  in  der  Schwebe  bheb,  erhess  der  Grosse  Rat  am  28.  Sep- 
tember 1836  ein  neues  Seminargesetz  nach  den  Wimschen  Scherrs ; 
allein  den  Bemühungen  Hirzels  gelang  es,  ein  Ausführungsregle- 
ment dazu  durchzusetzen,  das  Scherrs  Sieg  illusorisch  machte 
und  den  Seminardirektor  unter  eine  besondere  Aufsichtsbehörde 
stellte.  Ein  neuer  heftiger  Feind  erstand  Scherr  in  Dr.  J.  C. 
Bluntschh,  dessen  Durchfall  bei  der  Oberrichterwahl  Scherr  in 
einer  Korrespondenz  der  ,,Augsb.  Allg.  Zeitg."  besprochen  hatte. 
Bluntschh  schrieb  eine  leidenschafthche  Streitschrift  gegen  Scherr, 
welcher  daraufhin  am  24.  Juli  1837  sein  Entlassungsgesuch  er- 
neuerte. Der  IMeinungskampf  um  diese  Angelegenheit  im  Grossen 
Rat  und  in  der  Presse  dauerte  noch  weit  ins  Jahr  1838  hinein 
und  endete  damit,  dass  Hirzel  und  Scherr  sich  wieder  versöhnten 
und  letzterer  seine  Demission  am  i.  November  1838  zurücknahm. 
Der  Hader  im  radikalen  Lager  war  nun  endhch  beigelegt, 
aber  seine  Spuren  Hessen  sich  nicht  mehr  verwischen.  Er  hatte 
mitgeholfen,  die  Lage  kritisch  zu  gestalten.  Ludwig  Meyer  von 
Knonau  äussert  sich  über  dieselbe:  ,,Im  Kanton  Zürich  stand 
gegen  Ende  des  Jahres  1838  das  poUtische  Barometer  nicht  tiefer 
als  in  den  meisten  andern  Schweizerkantonen  und  europäischen 
Staaten.  Man  war  mit  einem  Teil  der  Gesetzgebung,  der  Ver- 
waltung und  Rechtspflege,  im  ganzen  genommen,  nicht  befriedigt. 
Warme  Anhänghchkeit  an  das  Bestehende  war  nicht  vorhanden; 
doch  sann  man  nicht  auf  dessen  Umsturz."  Die  Regierung  — 
sagt  Me3-er  von  Knonau,  selber  Mitglied  des  Regierungsrates  — 
,,genoss  als  solche  keiner  wahren  Achtung,  und  wenn  etwas 
davon  gegen  einzelne  Mitgheder  geäussert  wurde,  so  geschah  dies 
in  persönlicher  Weise.  Es  konnte  auch  schon  wegen  der  beständigen 
Ausfälle  der  meisten  öffentlichen  Blätter  nicht  anders  sein." 
Im  Schosse  des  Regierungsrats  herrschten  oft  herbe  Differenzen, 
es  fehlte  der  Zusammenhalt,  die  einheithche  Leitung.    Von  den 


144  VIERZEHNTES  KAPITEL:    STADTPRÄSIDENT  ZIEGLER  o 

beiden  Bürgermeistern  konnte  weder  Hirzel  noch  Hess  als  Staats- 
mann im  wahren  Sinne  des  Wortes  gelten.  Melchior  Hirzel, 
gutmütig  und  treuherzig  von  Natur  und  von  Leidenschaften  un- 
befleckt, richtete  mit  seiner  rastlosen  Vielgeschäftigkeit  und  seinem 
unklaren  Enthusiasmus  \'iel  Verwirrung  an.  Es  fehlte  ihm  auch 
gelegentlich  an  Gefühl  für  die  Würde  seiner  ,, konsularischen 
Stellung".  Wenn  er  als  Bundespräsident  selber  im  Hotel ,, Schwert" 
vorsprach,  um  die  Korrespondenzen  in  Empfang  zu  nehmen  und 
damit  dem  fremden  Kurier  ,, einen  Gang  zu  ersparen",  oder  wenn 
er  im  Kasino  einer  internationalen  Flüchtlingsgesellschaft,  mitten 
im  Saale  stehend,  mit  seiner  hohen  Teuorstimme  ein  paar  Schweizer 
Älplerweisen  vorjodelte,  so  fand  auch  das  Volk  das  unpassend. 
An  J.  J.  Hess,  dem  Sohn  eines  der  privilegierten  Metzger  der 
Stadt,  vermisste  L.  Meyer  von  Knonau  ungern  ,,das  Gefülil  der 
Unabhängigkeit,  zu  welchem  er  durch  seine  A'erhältnisse  berufen 
schien".  Er  war  bildsames  Wachs  in  den  Händen  Eudwig 
Kellers.  An  der  Spitze  des  Grossen  Rates  stand  seit  dem  19.  März 
1838  der  ,, kluge  Müller  von  Bauma",  Statthalter  Heinrich 
Gujer,  der  erste  Grossratspräsident  vom  Lande,  neben  ihm  als 
Vizepräsident  Jonas  Furrer  von  Winterthur.  Gujer  entliess  am 
20.  Dezember  1838  den  Grossen  Rat  mit  den  Worten:  ,,Der  eine 
trägt  sich  mit  der  Verwirklichung  grossartiger  edler  Pläne,  während 
andere  tausend  näher  liegende  Bedürfnisse  zu  befriedigen  suchen, 
ohne  sich  tiefer  mit  der  Frage  zu  befassen,  welches  der  Erfolg  der 
Gewährung  derselben  für  das  Ganze  wäre.  Auch  unsere  Revolution 
hat  diese  Erscheinungen  dargeboten.  Eine  grosse  Zahl  von 
Wünschen  und  Hoffnungen  hat  nicht  befriedigt  werden  können, 
weil  sie  nicht  gut  waren.  Viele  glaubten  sich  dadurch  zurück- 
gesetzt und  getäuscht.  Ein  gewisser  Missmut  und  L'nzufriedenheit 
bHeben  als  Folge  davon  zurück.  Die  Stimmung  dauert  fort. 
Auch  den  neuen  Grossen  Rat  trifft  der  \'orwurf,  dass  er  den 
Wünschen  und  dem  Interesse  des  Volks  zu  wenig  Rechnung  trage." 
Die  Präsidialrede  klang  wie  eine  letzte  Mahnung  und  Warnung. 
.Sie  blieb  fruchtlos  wie  alle  frühern. 


DRITTER  TEIL 


DER 
ZÜRICH-PUTSCH 


;i^ 


(Diivid  Friedrich  (bfrauss 

von   ßiidwigsburg 


FÜNFZEHNTES  KAPITEL 


„STRAUSS  KOMMT!" 

Alles  hatte  der  Radikalismus  in  seine  Gewalt  gebracht:  Ge- 
■  setzgebung,  Verwaltung,  Justiz,  höheres  Unterrichtswesen 
und  Volksschule.  Als  er  sich  auch  hinter  die  Kirche  hermachte, 
brach  er  zwar  nicht  den  Hals,  aber  beide  Beine  und  musste  eine 
Zeitlang  das  Bett  hüten.  Es  war  für  ihn  eine  heilsame  Lehre, 
die  bis  heute  noch  nachwirkt.  Insofern  mag  es  eine  offene  Frage 
bleiben,  ob  der  6.  September  1839  ,,das  schwärzeste  Blatt  in  der 
Geschichte  Zürichs"  genannt  werden  darf,  wie  L,udwig  Meyer  von 
Knonau  meinte.    Sicher  aber  war  es  eines  der  lehrreichsten. 

Professor  Eduard  Elwert  aus  Cannstatt  (Seite  105)  war  im 
Herbst  1838  in  den  Kirchendienst  seiner  schwäbischen  Heimat 
zurückgekehrt.  Dr.  David  Friedrich  Strauss  von  Ludwigs- 
burg, welcher  1836  bei  der  Berufungswahl  Elwert  gegenüber  unter- 
legen war,  hoffte  nun  sein  Nachfolger  zu  werden.  Jedenfalls  hatte 
er  den  lebhaften  Wunsch,  nach  Zürich  zu  kommen,  und  er  bat 
Hitzig,  dafür  zu  wirken.  Günstig  war  für  ihn  der  Umstand,  dass 
der  Präsident  des  Erziehvmgsrats,  Bürgermeister  Melchior  Hirzel, 
jetzt  ganz  und  gar  für  ihn  gewonnen  war.  Hirzel  hatte  Strauss 
1837  in  Stuttgart  besucht  und  schwärmte  seitdem  förmhch  für 
ihn.  Doch  wiederum  erhoben  sich  gegen  diese  Nomination  im 
Erziehungsrat  die  schwersten  Bedenken.  Der  damals  27jährige 
Theologe  war  1836  wegen  seines  Buches  ,,Das  Leben  Jesu,  kritisch 
beleuchtet"  aus  dem  württembergischen  Kirchendienst  ausge- 
schlossen worden.  Das  Buch,  welches  überall  grösstes  Aufsehen 
erregte,  zeichnete  sich  aus  durch  unerhörte  Kühnheit,  weniger 
durch  Klarheit  und  Folgerichtigkeit.  Strauss  zweifelte  an  allem 
und  zweifelte  zuletzt  an  seinen  eigenen  Zweifeln.  Dass  seine  Lehre 
für  die  christUche  Gemeinde  nicht  taugte,  davon  war  er  selber 
überzeugt.  Nur  ein  fanatisch  gewordener  Aufklärungstrieb,  schrieb 
er,  könnte  versuchen  wollen,  die  Gemeinde  auf  diesen  Standpunkt 
zu  erheben;  ein  Prediger  von  seiner  Gesinnung  aber,  der  sich  auf 


148  FÜNFZEHNTES  KAPITEL:    „STRAUSS  KOMMT!"  o 

den  Standpunkt  der  Gemeinde  herablassen  wollte,  müsste  der- 
selben und  am  Ende  auch  sich  selber  als  Lügner  erscheinen.  Theo- 
logische Kritik  hatte  es  zwar  vor  Strauss  schon  gegeben,  auch  au 
der  Hochschule  Zürich  und  sogar  schon  am  Chorherrenstift. 
Dr.  Johannes  Schulthess,  J.  J.  Hottinger  u.  a.  wären  da  zu  nennen. 
Auch  1838/39  war  in  der  theologischen  Fakultät  nicht  etwa  aus- 
schUesshch  die  orthodoxe  Richtung  vertreten.  Trotzdem  kam  die 
Fakultät  in  ihrem  am  23.  Dezember  1838  erstatteten  Gutachten 
dazu,  mit  allen  Stimmen  gegen  diejenige  Ferdinand  Hitzigs  zu 
erklären:  dem  Hauptwerke  extrem-negativer  Kritik  von  Strauss 
gegenüber,  welches  dem  Bewusstsein  und  Glauben  der  Kirche, 
namentUch  der  protestantischen,  als  Kriegserklärung  erscheinen 
müsse,  hege  keine  genügende  positive  Leistung  des  Verfassers  vor, 
um  die  Besetzung  der  einzigen  Professur  für  Dogmatik  durch 
seine  Berufung  zu  rechtfertigen.  Die  erste  Sektion  des  Erzie- 
hungsrates sprach  sich  mit  Stichentscheid  ihres  Präsidenten 
Ferdinand  Mej-er  gegen  diese  Berufung  aus;  der  gesamte  Erzie- 
hungsrat aber  beschloss  (26.  Januar  1839)  mit  7  gegen  7  Stimmen 
und  Stichentscheid  des  Präsidenten  Hirzel  die  Berufung.  Die 
Radikalen  handelten  in  ihrer  Stellungnahme  für  Strauss  aus  ver- 
schiedenen Motiven.  J.  C.  von  Orelli  hatte  ausschliessHch  ein 
ernstes  wissenschaftliches  Interesse  im  Auge  mid  hielt  es  für 
falsch,  wegen  ,, äusserer  BedenkUchkeiten"  einer  neuen  Richtung 
den  Weg  zu  verrammeln.  Melchior  Hirzel  war  \-on  eben  jenem 
,, fanatischen  Aufklärmigstrieb"  besessen,  den  Strauss  für  mi- 
angebracht  hielt.  Dr.  Keller  und  seine  Freunde  aber  mochten 
hoffen,  mit  Hülfe  der  Straussischen  Theologie  die  Kirche  beim 
Volk  zu  entwurzeln,  wobei  sie  sich  indessen  ,, überlupften".  Es 
sollte  sich  bald  zeigen,  dass  die  Kirche  und  ihre  führenden  ;\Iänner 
mit  dem  Volk  in  \-iel  engerer  Fühlung  standen,  seine  Gefühle 
und  Stimmungen  besser  kannten  und  die  Lage  richtiger  be- 
urteilten als  die  Radikalen.  Sogleich  nach  dem  Beschluss  des 
Erziehungsrates  hatte  die  ,, Freitagszeitung"  geschrieben,  dass  die 
Folgen  dieser  Berufung  ,,sehr  ernster  Natur"  werden  könnten. 
Zwei  Tage  nach  diesem  Beschluss  (28.  Januar)  lag  vor  dem 
Regierungsrat  eine  Eingabe  des  Kirchenrats,  welche  in  ernstem 
und  würdigem  Tone  vor  einer  Bestätigmig  der  Berufung  warnte. 
Prophetisch    klang   das    \\'ort:    ,, Glaubt    man    endlich,    nachdem 


o  FÜNFZEHNTES  KAPITEL:    „STRAUSS  KOMMT!"  149 

kaum  die  politischen  Kämpfe  bei  uns  sich  gelegt  haben,  nun  die 
religiösen  hen^orrufeu  zu  müssen  ?  Wohl !  Sie  werden  auf  diesem 
Wege  nicht  ausbleiben,  diese  wichtigsten  und  gefährlichsten  aller 
Kämpfe.  Aber  sie  werden  auch  in  ihren  nächsten  und  entferntesten 
Folgen  Resultate  herbeiführen,  welche  ihre  Urheber  weder  er- 
warten noch  anstreben  und  welche  durch  Gefährdung  der  innem 
und  äussern  Ruhe,  sowie  der  fortschreitenden  geistigen  und  sitt- 
Hchen  Bildung  des  Volkes  eine  schwere  Verantwortung  über  die- 
selben bringen  dürften." 

Im  Grossen  Rat,  welcher  am  31.  Januar  zusammentrat, 
brachte  Antistes  Füssli,  Pfarrer  der  Neumünstergemeinde, 
die  Angelegenheit  zur  Sprache  in  Form  einer  Motion,  welche 
ein  Vorschlags-  oder  Mitwirkungsrecht  des  Kirchenrats  bei  der 
Wahl  von  Theologieprofessoren  verlangte.  In  seiner  Begründung 
warnte  Füssh  vor  den  ,,gefährhchen  Träumen"  von  einer  neuen 
Reformation,  indem  er  mit  deutUcher  Anspielung  auf  Strauss 
und  Hirzel  dartat,  dass  Zwingli  mit  dem  trefflichen  Bürger- 
meister Röust  an  der  Seite  die  Grundlagen  des  Glaubens  her- 
stellen, nicht  zerstören  wollte.  Melchior  Hirzel  zeigte,  dass 
er  in  der  Tat  gerade  diese  neue  Reformation  erhoffe  und 
erstrebe ;  der  Grosse  Rat  möge  wie  der  Rat  vom  29.  Januar 
1523  beschhessen:  ,, Meister  Ulrich  soll  fürfahren,  das  EvangeUum 
nach  dem  Geiste  Gottes  zu  verkünden."  Professor  Alexander 
Schweizer  (später  Pfarrer  am  Grossmünster),  ein  feiner  und 
kluger  Kirchenmann,  bestritt  dem  Erziehungsrat  das  Recht,  von 
sich  aus  eine  neue  Reformation  einzuführen.  ,,Ich  bin  ein  Feind 
von  Unternehmungen,  die  mit  mehr  als  Mut  begonnen,  dann  aber 
nicht  durchgeführt  werden  können.  Wir  hier  sind  die  einzigen, 
welche  den  Mut  haben,  Herrn  Dr.  Strauss  zu  berufen,  während 
wir  noch  nicht  wissen,  ob  wir  dann  mit  Schande  wieder  umkehren 
und,  wenn  allerlei  Reaktionen  uns  nötigen,  künstliche  Mttel, 
Vorwände  suchen  müssen,  um  irgendwie  wieder  zu  entfernen, 
was  wir  so  leichtfertig  gerufen  haben."  Dr.  Keller  bekämpfte 
die  Motion  als  formwidrig,  verwerflich  und  unnütz.  Er  verstieg 
sich  auch  zu  einer  Definition  des  Glaubens,  der  nach  ihm  besteht 
„in  dem  zutrauensvollen  Anschhessen  an  die  religiöse  Begeiste- 
rung, welche  ein  bevorzugter  Mann  empfinden  und  andern  mit- 
teilen   kann".     Als    ,, Demagogenkniff"    bezeichnete    Staats- 


I50  FÜNFZEHNTES  KAPITEL:   „STRAUSS  KOMMT!"  o 

anvvalt  Ulrich  die  ganze  Sache.  „Man  will  eine  Frage,  die  in  den 
Kreis  der  gesetzlichen,  hiezu  kompetenten  Behörden  gehört,  auf 
ein  Feld  ziehen,  wo  man  hofft,  vermittelst  Erregung  von  mancherlei 
Vorurteilen  und  Missverständnissen  einen  Sieg  zu  erringen.  Man 
hat  uns  ja  prophezeit,  das  sei  eine  Frage,  über  welcher  die  Radi- 
kalen endlich  einmal  den  Hals  brechen  werden."  Nach  neun- 
stündiger Debatte,  welche  den  eigentHchen  Beratungsgegenstand 
kaum  berührte  und  fast  nur  um  Strauss  sich  drehte,  wurde  die 
Motion  mit  c)8  gegen  49  Stimmen  bei  65  Abwesenden  als  un- 
erheblich erklärt.  Der  Beschluss  musste  notwendigerweise  auf- 
gefasst  werden  als  eine  Billigung  der  Berufung  von  »Strauss 
durch  die  verfassungsmässige  Vertretung  des  Volkes. 

Der  Regierungsrat  handelte  demgemäss.  Obschon  ihm  be- 
reits elf  abmahnende  Petitionen  vorlagen,  bestätigte  er  am 
2.  Februar  mit  15  gegen  3  Stimmen  die  Berufung.  Mit  Blitzes- 
schnelle verbreitete  sich  die  Kunde  davon  im  ganzen  Lande. 
,, Strauss  kommt!"  Ein  Schrei  des  Erstaunens,  der  Entrüstung 
allüberall.  ,,In  den  Hütten  des  Landmannes  wie  im  Famihen- 
kreise  der  Gebildeten  wurde  dieselbe  Frage  laut:  Sollen  wir  es 
dulden,  dass  das  Höchste,  was  wir  besitzen,  dass  unser  Glaube 
uns  und  unsem  Kindern  planmässig  geraubt,  dass  unser  Land  in 
einen  Abgrund  sittlicher  \'ersunkenheit  und  geistiger  \'erüdung 
gestürzt  wird?"  Diese  Besorgnis,  diese  Empörung  waren  unver- 
fälscht und  walir.  Nur  der  bornierte  Hochmut  einer  so  \-olks- 
fremdeu  und  volksfeindlichen  herrschenden  Partei  wie  der  radi- 
kalen von  1839  konnte  darüber  im  Zweifel  sein.  Die  Berufung  von 
David  Friedrich  Strauss  war  die  grösste  politische  Dummheit,  die 
je  im  Kanton  Zürich  begangen  worden  ist.  Es  kam,  was  kommen 
musste.  Im  Handumdrehen  hatte  der  ,, Stillstand  Neumünster" 
am  4.  Februar  668  Protestunterschriften  beisammen,  und  in  Zei- 
tungsartikeln, Inseraten,  Broschüren,  Flugblättern  erhob  sich  ein 
Sturm  des  Unwillens,  der  seinesgleichen  nicht  hatte.  Mit  fassungs- 
losem Erstaunen  bückte  Melchior  Hirzel  in  dieses  Toben  der 
Elemente.  Das  hatte  er  nie  erwartet,  und  er  setzte  sich  hin  und 
schrieb  (am  10.  Februar)  einen  offenen  Brief  ,,An  meine  Mit- 
menschen im  Kanton  Zürich".  Liebreich  und  freundhch  setzte 
er  ihnen  die  Sache  auseinander,  versicherte,  dass  niemand  daran 
denke,  ihnen  den   Glauben  zu  nehmen,   und  er  bat  und  flehte: 


o  FÜNFZEHNTES   KAPITEL:    „STRAUSS  KOMMT!"  151 

„Zünit  uns  nicht  länger,  dass  wir  es  dem  Dr.  Strauss  möglich  ge- 
macht, die  ihm  von  Gott  verliehene  Gabe  unter  uns  leuchten  zu 
lassen.  Seid  nicht  mehr  böse,  seid  wieder  gut!"  Eine  Flut  von 
Gift  und  Hohn  war  die  Antwort.  Was  ..^Mitmenschen"  ?  Also 
nicht  einmal  mehr  Mitchristen  ?  Jeder  Satz,  jedes  Wort  ward  ihm 
aufgerupft,  verdreht  und  mit  der  höhnenden  Anrede  ,, teurer  Mit- 
mensch" ins  Gesicht  geworfen.  Jeder  anonyme  Wicht  kühlte  sein 
Mütchen  an  dem  ..langen  Mitmenschen",  der  zur  ständigen  Figur 
in  den  Blättern  wurde.  In  einem  anonymen  ,, Sendschreiben" 
von  16  Druckseiten  unternahm  es  ,,ein  GeistUcher  der  östHchen 
Schweiz",  den  unglücklichen  Bürgermeister  recht  eigentlich 
herunterzuhudeln,  seine  L,eibeslänge,  sein  ,, erhabenes  Antlitz"  zu 
verspotten,  seinen  ,, schlecht  versteckten  Christushass"  ans  Licht 
zu  ziehen.  ,,vSchmach  und  Schande  hegt  auf  Ihrem  Namen,  vSie 
sind  in  der  Sittengeschichte  Zürichs  gestempelt.  Sie  stehen  so  in 
der  \A'ahrheit,  wie  der  Arge  von  Anfang  an."  Und  der  fromme 
Mann  schüesst:  ..Weil  Sie  Jesum,  den  Gottessohn,  verachten,  kann 
ich  mit  der  Achtungsbezeugung,  die  Ihnen  sonst  wohl  gebühren 
mag,  nicht  schhessen.  aber  mit  dem  tiefsten  und  wärmsten  Be- 
dauern Ihrer  argen  Verirrung." 

Das  war  so  ein  kleiner  Vorgeschmack  von  der  Kampfesweise 
der  Gegner,  mit  denen  es  die  Regierung  nun  zu  tun  bekam.  Als- 
bald erhob  sich  aber  auch  eine  hochemste  politische  Gefahr. 
und  zwar  wieder  vom  See  her!  Am  7.  und  8.  Februar  begannen 
Zusammenkünfte  von  Männern  aus  Hombrechtikon,  Stäfa,  ^Meilen, 
Bubikon  usw.;  am  10.  Februar  tagte  in  Richterswil  bereits  eine 
Versammlung  von  80  Gemeinde  Vertretern.  Es  waren  meistens 
Liberale,  ehemahge  Freunde  und  Verbündete  der  Radikalen  und 
Parteigänger  des  Ustertages.  Die  Versammlung  bestellte  ein 
Komitee  mit  Fabrikant  H.  J.  J.  Hürlimann-Landis  in  Rich- 
terswil als  Präsidenten  und  Dr.  S  c  h  m  i  d  in  Richterswil  als 
Aktuar.  Beide  gehörten  der  liberalen  Richtung  an;  Dr.  Schmid 
galt  sogar  bisher  als  extrem-radikal  und  hatte  als  leidenschaft- 
licher Redner  auf  der  Bassersdorfer  Tagung  vom  26.  Februar  1832 
starke  Entrüstung  in  der  Stadt  erregt.  Nach  einer  öffenthchen 
Erklärung  Dr.  Schmids  vom  27.  Februar  1839  war  die  einstimmige 
Meinung  der  Richterswiler  Versammlung  dahin  gegangen,  die 
Aufhebung   der   Hochschule  wäre  das  radikalste  und  für  die 


152  FÜNFZEHNTES  KAPITEL:    „STRAUSS  KOJUIT!"  o 

Regierung  schonendste  Mittel,  die  Berufung  des  Dr.  Strauss  zu 
verhindern.  Das  Komitee  hielt  seine  erste  ordentliche  Sitzung 
am  II.  Februar  in  der  „Sonne"  zu  Stäfa.  Entscheidend  war  die 
\'^ersammlung  der  Abgeordneten  von  29  Gemeinden  am  13.  Februar 
in  Wädenswil.  Hier  ist,  unter  der  Assistenz  von  Geistlichen, 
ein  niedliches  kleines  Revolutiönchen  zur  Welt  gekommen, 
echte  Rasse  vom  Zürichsee,  etwas  dunkel  in  der  Farbe  zwar,  aber 
von  guter  Stimme  und  kräftigem  Gebiss.  Es  wird  schon  recht 
bald  seine  Zäline  zeigen.  Über  seine  wahre  Natur  befand  sich  in- 
dessen die  Versammlung  von  Wädenswil  in  einer  seltsamen  Täusch- 
ung, nur  der  Abgeordnete  von  Thalwil,  der  Sängerfreund  Pfarrer 
Sprüngli,  bezeichnete  es  gewissermassen  als  ein  garstiges  Vieh, 
vor  dem  man  sich  werde  in  acht  nehmen  müssen.  Da  fielen  aber 
die  andern  dermassen  über  ihn  her,  dass  er  es  \-orzog,  die  \"er- 
sammlung  zu  verlassen.  Einmütig  fasste  diese  darauf  eine  Reihe 
von  Beschlüssen,  von  denen  die  wichtigsten  folgende  sind: 

1.  Die  Einberufung  von  Dr.  Strauss  sei  auf  verfassungsge- 
mässem,  gesetzlichem  Wege  zu  behindern  durch  Konstituie- 
rung von  Kirch-,  Bezirks-  und  Zentralvereinen  und  durch 
das  Mittel  des  Petitionsrechts. 

2.  Zu  diesem  Behuf e  soll  in  jeder  Kirchgemeinde  ein  Verein 
von  12  ]\Iitghedern  gebildet  werden. 

3.  Die  Vereine  haben  aus  ihrer  ^Mitte  je  zwei  Mitglieder  in  den 
Bezirksverein  zu  wählen. 

4.  Hinwieder  liegt  es  den  Bezirksvereineu  ob,  die  Wahl  von  je 
zwei  Mitgliedern  in  das  Zentralkomitee  zu  veranstalten. 

Dieses  Zentralkomitee,  von  den  Gegnern  alsbald  ,, Glau- 
benskomitee" getauft,  sollte  somit  aus  22  Mitghedern  bestehen 
(den  sogenannten  ,,XXIIern"). 

Ein  Sendschreiben  vom  13.  Februar  1839,  unterzeichnet 
von  Hürlimann-Landis  und  Dr.  Schmid,  teilte  sämtlichen 
Kirchgemeinden  die  Beschlüsse  der  Wädenswiler  Versammlung 
mit  und  forderte  sie  auf,  die  Abgeordneten  für  die  zu  konstituieren- 
den Vereine  zu  wählen.  Das  Sendschreiben  zeichnete  auch  in  Um- 
rissen Veranlassung  und  Ziel  der  eingeleiteten  Bewegung:  ,,Frei 
geboren  und  gewohnt,  ihre  Gefühle  ohne  Scheu  auszudrücken, 
fühlt  sich  die  Bevölkerung  beleidigt,  gekränkt  in  den  heiUgsten 
Rechten  der  Menschheit,  durch  eine,  ohne  den  Volkswillen  zu  be- 


o  FÜNFZEHNTES  KAPITEL:    „STRAUSS  KOMMT!"  153 

fragen,  in  den  Annalen  der  Geschichte  beispiellose  Verfügung  über 
ihre  religiöse  Zukunft  —  und  wie  Ein  Mann,  Eine  Seele  steht  sie 
auf,  die  ganze  Bevölkerung  des  Kantons  Zürich,  und  spricht  als 
Freyin  des  Vaterlandes  zu  ihrer  Regierung:  ich  will  in  meinem 
evangehsch-reformierten  Glaubensbekenntnis  fernerhin  unwandel- 
bar beharren,  und  fordere  von  Euch,  gestützt  auf  unsem  Pakt, 
dass  Ihr  den  Doktor  Strauss  von  Ludwigsburg  entlasset,  an  den 
theologischen  Lehrstuhl  der  Dogmatik  einen  rechtgläubigen  Theo- 
logen berufet.  — ■  Der  Zentralverein  wird  die  Mittel  und  Wege 
beraten,  welche  einzuschlagen  sind,  um  die  Entfernung  des  Dr. 
Strauss  vom  theologischen  Lehrstuhle  der  Dogmatik  zu  erwirken. 
Er  wird  auf  Garantien  denken,  welche  die  Wiederholung  ähn- 
licher \'ersuche  vereiteln,  und  zugleich,  in  bezug  auf  die  Schule, 
die  sich  nach  vielfach  geflossenen  Äusserungen  auf  dem  Wege  der 
IrreHgiosität  befinden  soll,  die  nötig  erachteten  Forderungen 
stellen.  Er  wird  in  Untersuchung  ziehen,  wie  Verbesserungen 
in  imsem  kirchlichen  Verhältnissen,  auf  die  imantastbare 
Grundlage  unseres  christhch  evangelisch-reformierten  Glaubens 
hin,  vorgenommen  werden  können."  Beiläufig  wird  in  dem  Send- 
schreiben auch  betont,  das  Mittel  der  Vereinsorganisation  sei  ge- 
wählt worden,  um  auf  ,, gesetzlichem  Wege"  die  Entfernung 
von  Dr.  Strauss  zu  erlangen  und  ,,die  Angelegenlieit,  als  rein 
religiös,  in  keinerlei  Beziehung  zur  Politik  zu  halten". 
Dieser  Satz  offenbart  bereits  den  fundamentalen  Irrtum, 
in  dem  sich  die  IMänner  der  Glaubensbewegung  von  allem  Anfang 
an  befanden.  Sie  glaubten  ehrhch  und  aufrichtig,  eine  ,,rein  reü- 
giöse"  Bewegung  zu  inszenieren,  stellten  aber  dabei  Forderungen, 
die  sich  ohne  Verfassungs-  und  Gesetzesänderungen,  ohne  Mit- 
wirkung der  politischen  Instanzen,  folghch  auch  ohne  politischen 
Kampf  gar  nicht  erfüllen  Hessen.  Es  war  eine  Illusion,  eine  solche 
Angelegenheit  ,,in  keinerlei  Beziehung  zur  Politik"  halten  zu  kön- 
nen. So  absurd  die  Beschuldigung  seitens  der  Radikalen  war,  man 
habe  die  ReHgion  nur  zum  Deckmantel  einer  pohtischen  Aktion 
gemacht,  mit  Hilfe  einer  fingierten  und  ungeheuerlich  aufgebausch- 
ten ,, Religionsgefahr"  die  Regierung  zu  stürzen  gesucht,  darin 
hatten  die  Gegner  recht,  dass  sie  den  pohtischen  Charakter  des 
Glaubenskampfes  immer  und  immer  wieder  betonten.  ,,Rein  reli- 
giös" wäre  die  Bewegung  nur  dann  gebUeben,  wenn  sie  sich  auf 


154  FÜNFZEHNTES  KAPITEL:    „STRAUSS  KOMMT!"  o 

das  nach  dem  damaligen  Stand  der  Verfassung  und  Gesetzgebung 
allein  zulässige  Mittel  der  Petition  beschränkt  hätte.  Allerdings 
waren  auch  die  Vereine  nach  der  Verfassung  gestattet;  dafür 
hatten  ja  die  Radikalen  mit  Hülfe  des  Bassersdorfer  Vereins  (1832) 
gesorgt,  ohne  freilich  zu  ahnen,  dass  sich  dieses  zweischneicUge 
Schwert  so  bald  schon  gegen  sie  selber  kehren  werde.  Aber  selbst 
diesen  Vereinen  bUeb  verfassungsmässig  gar  nichts  anderes  übrig, 
als  in  corpore  gegen  die  Berufung  von  Strauss  zu  petitionieren. 
Die  reine  Demokratie  mit  direkter  Ausübung  der  Volksherrschaft 
existierte  damals  im  Kanton  Zürich  noch  nicht,  Referendum  und 
Initiative  hatte  man  noch  nicht,  das  Gesetz  stellte  klar  und  un- 
zweideutig die  Wahl  der  Professoren  in  die  ausschliesshche  Kom- 
petenz von  Erziehungsrat  und  Regierungsrat.  Es  war  ganz  mid 
gar  ungehörig,  d.  h.  revolutionär,  an  diese  allein  kompetenten 
Behörden  die  mit  Drohungen  verbundene  Forderung  zu  stellen, 
eine  ergangene  Berufung  zurückzunehmen.  In  seinen  spätem  Kund- 
gebungen hat  das  Zentralkomitee  dann  die  Anklage  erhoben,  dass 
die  Regierung  ihrerseits  die  Verfassung  verletzt  habe  und  des- 
halb zur  Rechenschaft  gezogen  werden  müsse.  Eine  echt  revo- 
lutionäre Argumentation,  mit  der  noch  fast  jede  Revolution  ein- 
geleitet wurde.  Im  vorliegenden  Falle  sollte  §  4  der  Staatsver- 
fassung verletzt  worden  sein,  welcher  sagt:  ,,Die  christUche  Reh- 
gion  nach  dem  evangelisch-reformierten  Lehrbegriffe  ist  die  \-om 
Staate  anerkannte  Landesreligion."  Es  gehörte  die  ganze  \-er- 
fahrene  pohtische  Lage  von  1839,  der  gesteigerte  Hass  der  Par- 
teien, der  begreifhche  und  nicht  miverdiente  Mangel  an  \^ertrauen 
und  Achtung  vor  den  Behörden  dazu,  aus  der  Berufung  eines  ex- 
trem-freisinnigen Dogmatikers  an  die  Hochschule  eine  Verfas- 
sungsverletzung zu  konstruieren.  Die  ,,neue  Reformation", 
welche  Strauss  inaugurieren  sollte,  war  nichts  weiter  als  eines  der 
vielen  Himgespinnste  des  ja  sattsam  bekannten,  phantasiereichen 
Konfusionärs  Melchior  Hirzel.  Um  eine  neue  Reformation  im 
Kanton  Zürich  zu  machen,  genügten  »Strauss  und  Hirzel  nicht. 
Da  mussten  erst  die  pohtischen  Behörden,  der  Kirchenrat,  die 
Synode,  die  Geisthchkeit  mitmachen  wollen,  und  wenn  diese  alle 
dafür  gewesen  wären,  so  war  als  ausschlaggebender  Faktor  immer 
noch  das  Volk  selber  da,  welches  mit  seinem  passiven  Wider- 
stand eine  von  oben  herab  oktrovierte  neue  Reformation  verun- 


o  FÜNFZEHNTES  KAPITEL:    „STRAUSS  KOMMT!"  155 

möglicht  hätte.  Soweit  es  sich  um  die  politische  Seite  der 
Glaubensbewegung  handelt,  fehlte  ihr  formell  und  materiell  die 
verfassungs-  und  gesetzmässige  Grundlage.  Dass  die  Urheber  der 
Bewegung  den  aufrichtigen  Willen  hatten,  selber  in  den  Schran- 
ken von  Verfassung  und  Gesetz  zu  bleiben,  ist  unbestreitbar,  be- 
weist aber  nichts  für  den  Charakter  der  Bewegung,  die  sie  weder 
zu  übersehen,  noch  auf  die  Dauer  zu  beherrschen  vermochten. 
Bald  genug  sollte  in  ihr  infolge  des  Anschlusses  aller  möglichen 
unzufriedenen  Elemente  eine  ausgesprochen  revolutionäre 
Unterströmung  hervortreten,  die  in  Verbindung  mit  dem  ent- 
fesselten religiösen  Fanatismus  schlimme  Tage  über  den  Kan- 
ton Zürich  brachte. 

Das  Wädenswiler  Komitee  hatte  mit  seinem  Aufruf  einen 
fabelhaften  Erfolg.  Mit  verschwindenden  Ausnahmen  antworteten 
alle  Kirchgemeinden  des  Kantons  zustimmend  und  bestellten  ihre 
Komitees.  In  Zürich  und  Winterthur  erfolgten  diese  Wahlen 
am  21.  Februar  (Winterthur  widerrief  allerdings  am  4.  März  mit 
215  gegen  193  Stimmen  seinen  Anschluss  an  das  Komitee  wegen 
„Überschreitung  der  Kompetenzen"  durch  das  letztere).  Neu- 
münster erlebte  am  24.  Februar  in  seinem  alten  Kreuzkirchlein 
bei  den  Abgeordnetenwahlen  den  ersten  Ausbruch  des  frommen 
Terrors.  Als  Kriminalrichter  Boller  in  offener  Aussprache  vor  der 
„revolutionären"  Bewegung  warnte,  brach  ein  wilder  Tumult 
los.  Mit  Scharren,  Schreien  und  Drohungen  wurde  der  Redner 
zum  Schweigen  gebracht.  Nicht  besser  erging  es  Kantonsrat 
Streuh,  worauf  etwa  80  Mann  der  Opposition  die  Kirche  verUessen. 
Der  pastor  loci,  Antistes  FüssU,  sah  dem  Skandal  zu  und  wagte 
nicht,  sich  zu  rühren.  37  Bürger  von  Bülach  protestierten  öffent- 
üch  gegen  die  dortige,  ,, gegen  alle  Ordnung"  abgehaltene  Kirch- 
gemeindeversammlung und  hofften,  dass  viele  nach  und  nach  ein- 
sehen werden,  ,, welch  miserables  Spiel  mit  ihnen  zu  treiben  beab- 
sichtigt wurde".  Das  bheben  indessen  vereinzelte  Erscheinungen 
einer  Opposition  in  den  Kirchgemeindeversammlungen.  In  Zürich 
entstand  am  21.  Februar  ein  radikaler  Schutzverein  ,,zur  Aufrecht- 
haltung  gesetzhcher  und  verfassungsmässiger  Ordnung"  mit  Kan- 
tonskriegskommissär Orell,  Regierungsrat  Zehnder  und  Ober- 
richter Füssli  an  der  Spitze.  Man  konnte  sich  in  der  Kaserne  und 
im  Cafe  litteraire  zum  ,, Roten  Turm"  am  Weinplatz  als  Mitglied 


156  FÜNFZEHNTES  KAPITEL:    „STRAUSS  KOMMT!"  o 

einschreiben,  aber  der  Erfolg  blieb  mager.  Es  war  das  genaue 
Gegenstück  zum  konservativen  Schützenhausverein  vom  23.  No- 
vember 1830!  Die  »Stimmung  auf  der  Landschaft  zeigte  sich  so 
ziemlich  einlieUig  „antistraussisch"  und  regierungsunfreundhch. 
Zwar  hatte  Regierungsrat  H.  Escher  auf  einer  SchUttenfahrt  nach 
Bubikon  nichts  BedrohUches  bemerkt  und  bei  einer  Tanzpartie  in 
der  „Brach"  sogar  ganz  straussenfreundUche  Äusservmgen  gehört. 
Aber  Regierungsrat  Hüui,  mit  dem  er  nachher  darüber  sprach, 
hatte  andern  Bericht  und  erwiderte:  nicht  diejenigen,  welche  sich 
auf  den  Tanzplätzen  belustigen,  werden  entscheiden;  es  sind  die 
,, Stillen  im  Lande",  die  in  ihren  warmen  Stuben  beisammen  sitzen, 
unter  welchen  sich  der  Umsturz  vorbereitet.  Und  Hüni  Hess  sich 
für  eiiüge  Monate  zu  einer  Studienreise  nach  England  beurlauben. 

Die  Regierung  wurde  besorgt  und  suchte  abzuwiegeln.  Sie 
erHess  am  20.  Februar  eine  Kundmachung,  in  der  sie  erklärte, 
die  Bewegung  zu  ehren,  in  welcher  sich  ein  rehgiöser  Sinn  kund- 
gebe, und  weit  davon  entfernt  zu  sein,  den  Art.  4  der  Verfassung 
verletzen  zu  wollen ;  sie  warnte  aber  vor  Unordnung  und  mahnte 
zur  Rulie,  zur  Achtung  vor  dem  Gesetz  und  vor  den  Beschlüssen 
verfassungsmässiger  Behörden.  Die  Kundmachung  sollte  am 
24.  Februar  von  allen  Kanzeln  verlesen  werden;  an  vielen  Orten 
lief  aber  das  Volk  weg,  ohne  sie  anhören  zu  wollen,  x^ucli  im  Er- 
ziehungsrat regten  sich  bängliche  Gefühle.  Er  beschloss  am 
23.  Februar,  unter  gegenwärtigen  Umständen  die  Einberufung  von 
Dr.  Strauss  zu  verschieben  und  demselben  die  Veranlassung 
des  Aufschubs  mitzuteilen.  vStrauss  sprach  in  seiner  Antwort  die 
Hoffnung  aus,  der  ,,hochpreisUche  Erziehungsrat"  werde  ihn  in 
den  Rechten  und  Ansprüchen  zu  schützen  wissen,  die  ihm  als  wirk- 
lichem und  ohne  eigene  Schuld  au  der  Akti\dtät  verhinderten 
Professor  zustehen. 

Mit  wunderbarer  SchnelHgkeit  hatte  sich  die  Organisation 
der  Glaubenskomi tees  durch  das  ganze  Land  vollzogen.  Schon 
auf  den  28.  Februar  konnte  das  Zentralkomitee  zu  seiner  Kon- 
stituierung nach  Zürich  einberufen  werden.  Die  Besorgnis  der 
Regierung  stieg.  Einige  ]VIitgheder  begannen  von  Abdankung  zu 
sprechen.  Wilde  Gerüchte  regten  das  Land  auf.  Es  hiess,  die  Re- 
gierung wolle  das  Zentralkomitee  verhaften  und  seine  MitgHeder 
werden  darum  unter  bewaffneter  Bedeckung  nach  Zürich  gehen. 


o  FÜNFZEHNTES  KAPITEL:    „STRAUSS  KOMMT!"  157 

\'om  obem  rechten  Seeufer  wälze  sich  ein  drohender  \'olkshaufe 
heran,  der  unten\'egs  das  Seminar  in  Küsnacht  erstürmen,  das 
Haus  von  Regierungsrat  Fierz  daselbst  anzünden  wolle.  Man  be- 
schwor den  Seminardirektor,  dem  Haufen  seine  Abdankungs- 
urkunde entgegenzuschicken.  Scherr  weigerte  sich  und  erklärte, 
auf  seinem  Posten  zu  bleiben,  komme  was  da  wolle.  Es  zeigte 
sich,  dass  die  Gerüchte  keinen  Untergrund  hatten  und  die  von 
der  Regierung  gesandten  Landjäger  wieder  abziehen  konnten. 
Das  Zentralkomitee  hielt  seine  Beratungen  im  Sitzungssaal  des 
Stadtschulrates  beim  Fraumünster.  Es  war  eine  poUtisch  recht 
gemischte  Gesellschaft.  Als  Vertreter  der  städtischen  Kreise 
beteihgte  sich  Dr.  med.  Conrad  Rahn-Escher,  der  zum  Vize- 
präsidenten des  Zentralkomitees  gewählt  wurde  (neben  Hürlimann- 
Landis  als  Präsidenten).  Von  den  Land-Liberalen  ist  besonders 
nennenswert  Rektor  Troll  von  Winterthur,  Führer  der  Depu- 
tation von  Uster  bei  Bürgermeister  Reinhard  am  24.  November 
1830 !  So  ändern  sich  die  Zeiten.  Unter  den  22  MitgUedem  waren 
sechs  Pfarrer.  Der  eine  und  andere  von  ihnen  zog  sich  in  der 
Folge  still  zurück,  als  er  gemerkt  hatte,  dass  er  als  Pfarrer 
nicht  in  einem  Revolutionstribunal  sitzen  dürfe.  Das  Zentral- 
komitee fasste  den  Beschluss,  der  Regierung  eine  iVdresse 
(rucht  Petition)  zu  überreichen.  Die  Übergabe  an  den  Amts- 
bürgermeister J.  J.  Hess  erfolgte  am  i.  März,  abends  5  Uhr, 
durch  drei  Abgeordnete  des  Zentralkomitees.  Die  Adresse  ver- 
weist auf  den  gewaltigen  Erfolg  der  Wädenswiler  Tagung  und 
nennt  als  übereinstimmende  Forderung  der  Bezirke: 

,,Strauss  darf  und  soll  nicht  kommen!" 
Das  Volk,  sagt  die  Adresse  weiter,  befinde  sich  im  höchsten 
Grade  der  Spannung  wie  im  höchsten  Grade  der  Kraft!  ,,Der 
Wille  des  Einzelnen  ist  der  Wille  des  Ganzen  geworden,  und  jeder 
Widerstand  unserer  Regierung,  dem  Volkswillen  in  dieser  Hin- 
sicht seine  Rechte  zu  versagen,  ist  gefährlich!"  Die  Regierung 
werde  zu  der  Überzeugung  gelangen:  Wir  müssen  nachgeben 
und  wir  wären  für  die  Folgen  verantwortlich,  die  aus  einem 
langem  Widerstand  hervorgehen  würden.  ,, Jetzt  ist's  noch  Zeit, 
den  üblen  Eindrücken  zu  begegnen,  das  lockere  Band  zwischen 
Regierung  und  Volk  neu  zu  befestigen."  Das  einfache  Mittel  hiezu 
sei  die  Berufung  eines  rechtgläubigen  Dogmatikers  an  Stelle  des 


158  FÜNFZEHNTES  KAPITEL:    „STRAUSS  KOMMT!"  o 

Dr.  Strauss.  Der  Hochschule  solle  nichts  geschehen.  Dagegen 
wird  eine  Petition  angekündigt,  welche  die  Rückkehr  der  echt 
christlich-evangelischen  Richtung  in  Kirche  und  Schule,  Hebung 
des  kirchlichen  Lebens  und  Läuterung  der  Sitten  bezwecke.  Diese 
Petition  werde,  je  nach  den  Beschlüssen  des  Regierungsrates,  im 
Geschäftsbereich  des  Grossen  Rates  bleiben  oder  daraus  weg- 
fallen (eine  vielsagende  Andeutung).  Zum  Schlüsse  gibt  das  Zen- 
tralkomitee der  Regierung  nochmals  die  Folgen  zu  bedenken, 
die  für  sie  und  für  das  ganze  Land  aus  der  Ablehnung  seiner 
Forderungen  hervorgehen  müssten. 

Folgenden  Tages  (2.  März)  erliess  das  Zentralkomitee  ein 
Sendschreiben  an  alle  Kirchgemeinden  mit  der  Mittei- 
lung von  der  Erfolglosigkeit  der  bisherigen  konfidentiellen  Ver- 
handlungen mit  der  Regierung  und  der  Bitte,  die  beigelegte  Pe- 
tition an  den  Grossen  Rat  bis  spätestens  den  10.  März  durch 
die  Kirchgemeindeversammlung  beschliessen  zu  lassen.  Es  soll 
der  Regierung  gezeigt  werden,  dass  die  ihr  vorgetragenen  Wünsche 
wirkHch  allgemeiner  und  entschiedener  Volkswille  sind.  Dann 
wird  die  Petition  einlässlich  erläutert,  von  den  vielfach  vorge- 
schlagenen weitern  Forderungen,  auch  Scherr  sei  zu  entlassen  und 
die  Hochschule  aufzuheben,  abgeraten  und  die  Erwartung  ausge- 
sprochen, die  Gemeinden  werden  an  den  bevorstehenden  vSitzungs- 
tagen  des  Grossen  Rates  nicht  nach  Zürich  gehen,  sondern 
den  Entscheid  ruhig  in  der  Heimat  abwarten. 

War  das  würdig  gehaltene  Memorial  von  Uster  (1830)  ein 
ernst  erhobener  Drohfinger,  so  gUch  nun  die  ,, Petition"  der 
Kirchgemeinden  der  geballten  Faust,  die  der  Regierung  brutal 
unter  die  Nase  gehalten  wurde.  Als  schlechtes  Plagiat  jenes  ^le- 
morials  begann  auch  sie  mit  der  Pariser  Julirevolution,  nur 
in  anderem  Tone:  ,,Es  gibt  im  Leben  der  »Staaten  Momente,  wo 
die  gesetzmässigen  Gewalten  ihre  Befugnisse  überschreiten,  die 
Völker  sich  erheben  und  diese  Missbräuche  bestrafen!  —  Die  Ge- 
schichte gibt  dazu  Belege,  und  einer  der  neuesten  ist  die  anno  1830 
stattgehabte  Schilderhebung  des  französischen  Volkes  gegen  sei- 
nen König,  der  die  getanen  Übergriffe  mit  dem  Verlust  seines 
Thrones  büssen  mu-sste!"  Die  Petition  rühmt  nun  die  letzten 
sieben  , .gottgesegneten  Jahre",  in  denen  ,,alle  die  Wunder  de? 
jungen  Staatslebens"  entstehen  konnten,  bilhgt  u.  a.  die  Aufheb- 


o  FÜNFZEHNTES  KAPITEL:   „STRAUSS  KOMMT!"  159 

ung  des  Chorherrenstifts,  dessen  Fond  „seiner  früliern  fehlerhaften 
Bestimmung"  entzogen  worden  sei,  und  spricht  von  ,, allen  diesen 
glücklichen  Entwicklungen"  im  poUtischen  Staatsleben  (von  denen 
jede  einzelne  bis  zum  Äussersten  bekämpft  worden  war!),  beklagt 
dann  aber  die  zutage  getretene  sittUche  Entartung,  die  rehgiöse 
Leere,  die  Polemik  einer  zügellosen  Presse.  ,,Die  Anmassungen 
des  Direktors  am  Seminar  zu  Küsnacht,  seine  mibegrenzte  Macht- 
vollkommenheit, die  Zweifel  an  seinem  evangehschen  Glauben 
und  die  aus  seiner  Streitsucht  her\'orgegangene,  dünkelhafte  Un- 
bescheidenheit  \aeler  der  daselbst  erzogenen  Schullehrer"  weckten 
die  Frage,  ob  nicht  die  sittliche  und  rehgiöse  Gemütsbildung  an 
einem  verhängnisvollen  Irrwege  stehe  ?  Die  Berufung  von  Dr. 
Strauss  habe  nun  vollends  den  Plan  enthüllt,  auf  das  irrehgiöse 
Element  der  Schule  auch  eine  irreligiöse  Kirche  zu  gründen.  Darin 
liege  eine  klare  Verletzung  von  Art.  4  der  Staatsverfassung.  Eine 
„unsäghche  Aufregung",  habe  das  zürcherische  Volk  erfasst  und 
einstimmig  sei  der  Ruf  durchs  Eand  erschallt:,, Doktor  Strauss 
soll  und  muss  entlassen  werden!"  Wenn  aber  der  Regie- 
rungsrat dabei  beharre,  die  Volksgefühle  unbeachtet  zu  lassen, 
daim  bleibe  kein  anderer  Weg,  als  den  Grossen  Rat  zu  ersuchen, 
denselben  wegen  Verfassungsverletzung  im  Namen  des  Volkes 
zur  Rechenschaft  zu  ziehen.  Dem  Volk  genüge  es  zu  er- 
klären, ,,dass  es  den  Doktor  Strauss  weder  auf  dem  Lehrstuhl 
der  Kirchengeschichte  und  der  Dogmatik,  noch  an  irgend  einer 
andern  wissenschafthchen  vS teile  seiner  Lehranstalten  haben  will!" 
Die  Petition  trägt  daher  ,, ehrerbietig"  an,  die  Berufung  von  Dr. 
Strauss  aufzuheben,  ihm  auch  keine  andere  Anstellung  zu  geben 
und  statt  seiner  einen  Mann  von  entschiedenem,  evangelisch- 
christlichen Glauben  zu  berufen.  Es  folgen  noch  eine  Reihe 
anderer  Wünsche:  gemischte  Kirchensynode,  Prüfungsrecht  des 
Kirchenrats  für  alle  Wahlen  von  theologischen  Professoren,  Wahl 
eines  Drittels  des  Erziehungsrates  durch  die  Kirchensynode,  Wahl 
des  Rehgionslehrers  am  Seminar  auf  Vorschlag  des  Kirchenrates, 
mehr  ReHgionsstunden  auf  allen  Schulstufen,  neues  religiöses 
Lehrmittel,  Genehmigung  aller  rehgiösen  Lehrmittel  durch  den 
Kirchenrat,  Totalrevision  des  vSeminargesetzes  im  Sinne  der  ReH- 
gion  als  Grundlage  des  Unterrichts:  alle  Seminarlehrer  hätten  im 
evangehsch-reformierten  vSinne  zusammenzuwirken,   weshalb  nur 


i6o  FÜNFZEHNTES  KAPITEL:    „STRAUSS  KOMMT!"  o 

bekenntnistreue  Lehrer  zu  wählen  seien;  der  Direktor  soll  seine 
Tätigkeit  rein  dem  Seminar  zuwenden  und  dürfe  nicht  ^litglied 
des  Erziehungsrates  sein. 

Was    hätte   wohl    der   selige    Reinhard    zu    einer    derartigen 
„Petition"  gesagt? 


♦«♦»♦««♦♦♦♦♦♦♦«♦♦♦« 


SECHZEHNTES  KAPITEL 


STRAUSS  KOMMT  NICHT 

Der  Regierungsrat  hatte  noch  so  viel  Charakter,  die  Adresse 
des  Zentralkomitees  vom  i.  März  zurückzuweisen.  Gleich- 
zeitig beschloss  er  jedoch  (4.  März)  mit  10  gegen  8  Stimmen,  ,,in 
Betrachtung  der  allgemeinen  Bewegung  im  Kanton  den  Erziehungs- 
rat einzuladen,  er  möge  untersuchen,  ob  Strauss  seiner  Ver- 
pflichtungen in  Anwendung  von  §  185  des  Schulgesetzes  (über 
Pensionierung)  nicht  entlassen  und  die  Stelle  anderweitig  besetzt 
werden  könnte,  da  die  Umstände  ihm  eine  nützhche  Wirksamkeit 
für  einmal  unmöghch  machten".  In  einer  öffentlichen  Kund- 
gebung des  Regierungsrates  vom  5.  März  heisst  es:  ,,Wir 
haben  die  vom  i .  März  datierte  Adresse  eines  sogenannten  Zentral- 
komitee zurückgewiesen,  weil  es  im  Namen  des  zürcherischen 
Volkes  gesprochen,  wozu  nur  dessen  Stellvertreter,  der  Grosse 
Rat,  befugt  ist,  weil  es  nicht  Wünsche  und  Petitionen,  sondern 
Forderungen  und  Drohungen  an  uns  gerichtet,  weil  es  endhch 
einer  Sprache  sich  gegen  uns  bedient,  wie  sie  sich  gegen  keine 
Regierung,  geschweige  gegen  eine  aus  dem  Volke  nach  dem  Grund- 
satze der  Rechtsgleichheit  herv^orgegangene  Regierung  geziemt. 
Missversteht  diese  Zurückweisung  nicht;  sie  gilt  der  bekannten 
unschicklichen  Adresse,  nicht  aber  Euren  Wünschen!  Richtet 
Euere  Wünsche  zutrauensvoll  unmittelbar  an  uns,  oder  an  Euem 
Stellvertreter,  den  Grossen  Rat.  I,asst  Euch  aber  diese  Wünsche 
nicht  durch  Dritte  vorschreiben;  heisst  keine  derselben  gut,  die 
Ihr  nicht  geprüft  und  einzeln  beraten  habt!  Wir  wiederholen  die 
Zusicherung,  dass  wir  bilhge  Wünsche  mögüchst  berücksichtigen 
werden;  unbilhge,  ungerechte  Wünsche  müssen  wir  hingegen  um 
Euerer  Ehre  willen  von  uns  abweisen.  Was  den  gesetzHch  gewählten 
Herrn  Professor  Strauss  anbelangt,  so  haben  wir  dem  Erziehungs- 
rat den  Auftrag  erteilt,  uns  ein  Gutachten  zu  hinterbringen,  ob 
derselbe  in  Ruhestand  zu  versetzen  sei.  Es  ist  eine  Kommission 
zur  Prüfung  der  eingekommenen  Petitionen  eingesetzt  worden." 


i62  SECHZEHNTES  KAPITEL:    STRAUSS  KOMMT  NICHT  o 

Der  engere  Ausschuss  des  Zentralkomitees  suchte  in 
seiner  Erwiderung  die  Vorwürfe  des  Regierungsrates  zu  entkräf- 
ten, sah  sich  aber  doch  veranlasst,  an  dem  den  Kirchgemeinden 
zugestellten  Petitions-Entwurf  einige  Streichimgen  und  Milde- 
rungen vorzunehmen;  namentlich  wurde  der  Eingang  (von  der 
Julirevolution)  weggelassen.  Der  Erziehungsrat  hatte  am 
9.  März  das  vom  Regierungsrat  gewünschte  Gutachten  zu  er- 
statten. Es  lagen  zwei  Anträge  vor:  Eduard  Sulzer  proponierte, 
dem  Regierungsrat  die  Pensionierung  von  Dr.  Strauss  zu  emp- 
fehlen. Regierungsrat  Zehnder  schlug  vor,  Strauss  einstweilen 
nicht  einzuberufen,  aber  auch  nicht  in  den  Ruliestand  zu  ver- 
setzen, sondern  an  der  Hochschule  noch  eine  zweite  Professur 
für  Dogmatik  zu  errichten,  die  dann  der  strenggläubigen  Richtung 
zu  überlassen  wäre.  Die  Stimmen  standen  wieder  ein:  7  gegen  7, 
und  der  Präsident  Melchior  Hirzel  gab  den  Stichentscheid  für  den 
Antrag  Zehnder. 

Unterdessen  hatte  die  Abstimmung  in  den  Kirchge- 
meinden über  die  Petition  stattgefunden.  Die  vier  städti- 
schen Kirchgemeinden  Grossmünster,  Fraumünster,  Predigern 
und  St.  Peter  hatten  am  7.  März  die  Petition  mit  1191  gegen  27 
Stimmen  angenommen.  Nur  im  Grossmünster,  das  mit  300  gegen 
24  Stimmen  annahm,  war  von  David  Ulrich,  Dr.  Keller  u.  a.  eine 
Diskussion  gefülirt  worden.  Das  Gesamt-Resultat  des  Kan^ 
tons  ergab  nach  der  Zählung  des  Zentralkomitees  39,225  Ja  und 
1048  Nein;  nach  einer  gegnerischen  Statistik  waren  es  2976  Nein. 
34  Gemeinden  mit  10,336  zustimmenden  Votanten  hatten  die 
erste,  schärfere  Redaktion  angenommen,  die  übrigen  die  zweite. 
In  einigen  Gemeinden  hatte  wegen  drohender  Störungen  die  Ab- 
stimmung nicht  vorgenommen  werden  können.  Einzelne  Gemein- 
den verwahrten  sich  gegen  alle  ungesetzhchen  Schritte  und  even- 
tuelle Kosten,  andere  verlangten  ausdrücklich  die  Aufhebung  der 
Hochschule.  Nach  diesem  Abstimmungsergebnis  war  dem  Zentral- 
komitee der  Anspruch,  im  Namen  des  Volkes  gesprochen  zu 
haben,  nicht  mehr  zu  bestreiten.  Das  Schauspiel  dieses  Massen- 
aufmarsches für  eine  im  Kern  und  Wesen  religiöse  Forderung  hat 
weit  über  Zürichs  Grenzen  hinaus  den  tiefsten  Eindruck  gemaclit. 
Machtvoll  und  imponierend  ist  hier  einmal  die  Kirche  als  Ge- 
samtheit  des   Volkes  in   die  Erscheinung  getreten.     Dass  die 


o  SECHZEHNTES  KAPITEL:    STRAUSS  KOMMT  NICHT  163 

Kirche  nicht  nur  aus  den  paar  Dutzend  Pfarrern  bestand  und  dass 
es  Wahnwitz  wäre,  ihr  ans  Leben  zu  wollen,  das  musste  jetzt  auch 
der  kirchenfeindhchste  Radikale  sehen  und  begreifen.  Wäre  es  bei 
dieser  wahrhaft  erhebenden  Demonstration  gebheben,  man  würde 
von  Herzen  gerne  all  das  ungereimte  Zeug  mit  in  Kauf  nehmen, 
das  bei  der  ihr  vorangegangenen  Bewegung  mit  unterlaufen  war. 

Das  nahezu  einstimmige  Begehren  der  Kirchgemeinden,  die 
man  als  sozusagen  identisch  mit  der  Aktivbürgerschaft  betrachten 
durfte,  schuf  für  den  Regierungsrat  eine  neue  Situation.  Seine 
früliere  Mehrheit  wurde  zur  Minderheit.  Mit  13  gegen  4  Stimmen 
beschloss  er  am  14.  März,  entgegen  dem  Gutachten  des  Erziehungs- 
rates Pensionierung  von  Dr.  Strauss  und  anderweitige  Be- 
setztmg  seiner  Stelle  ohne  Errichtung  einer  zweiten  Professur. 
Unter  freiwilhgem  Verzicht  auf  die  eigene  Kompetenz  beschloss 
er  gleichzeitig,  die  ganze  Angelegenheit  dem  Grossen  Rat  ,, ehr- 
erbietigst zu  unterbreiten".  Man  war  also  genau  da  angelangt, 
wo  nach  der  Prophezeiung  Alexander  Schweizers  am  31.  Januar 
der  Karren  stecken  bleiben  sollte:  in  einer  hülf losen  und  beschä- 
menden Blamage. 

Hinter  der  in  ihrer  Kraft  und  Grösse  Respekt  einflössenden 
reUgiösen  Bewegung  einher  schritt  die  Furie  Fanatismus,  die  Be- 
gleiterin aller  Religionskämpfe,  und  nicht  ungebildetes  Volk  allein 
machte  sich  zu  ihren  Helfern  und  Schergen,  auch  Gebildete  heben 
ihr  die  Feder,  imd  selbst  zu  Kanzeln  erhielt  sie  Zutritt.  Ein 
„Strauss"  zu  heissen,  war  fast  so  schhmm  wie  Räuber  und  Mörder 
genannt  zu  werden.  Wer  es  noch  wagte,  für  Strauss  Partei  zu  er- 
greifen, bekam  es  auf  alle  Weise  zu  fühlen,  gesellschaftUch  und 
geschäftUch.  Ganze  Gemeinden  schlössen  sich  der  Bewegung  nur 
deshalb  an,  um  nicht  als  ..straussisch"  von  den  Nachbarn  ver- 
fehmt  zu  werden.  Bis  auf  die  Schuljugend  herab  erstreckte  sich 
die  Parteiung  nach  ,,Straussen"  und  ,,Antistraussen".  Als  zehn- 
jähriger Junge  vernahm  Dr.  F.  Mej^er  mit  Grauen,  dass  ein  naher 
Verwandter  und  Mitschüler  sich  als  ,, Strauss"  bekannte.  An  der 
Fastnacht  wurden  grosse  Puppen  herumgetragen,  ,,Scherr", 
„Hirzel"  und  ,, Strauss",  die  man  verhöhnte,  verbrannte  oder 
durchs  Wasser  schleifte.  Karrikaturen  machten  den  Bürgermeister 
Hirzel  lächerhch  und  nahmen  auf  der  andern  Seite  die  ,,  Pf  äffen" 
aufs   Korn.     Krämer,  Metzgerknechte,  Hausierer  trugen  die  ab- 


164  SECHZEHNTES  KAPITEL:    STRAUSS  KOMMT  NICHT  o 

surdesten  Geschichten  von  Dorf  zu  Dorf :  Keller  und  Ulrich  wollten 
die  Hauptstadt  zu  einem  Sodom  und  Gomorrha  machen;  Strauss 
sei  in  Deutschland  gebrandmarkt  worden  und  trage  Galgen  und 
Rad  auf  dem  Buckel.  Auch  die  sancta  simphcitas  des  Weibleins 
bei  Hussens  Scheiterhaufen  fand  ihr  Ebenbild  in  einer  Aargauerin, 
die  in  der  „Freitagszeitung"  gegen  die  „Beleidigung  der  weib- 
hchen  Würde"  protestierte,  weil  Bürgermeister  Hirzel  Straussens 
„Liebenswürdigkeit"  gepriesen  hatte.  Was  haben,  fragt  sie,  edle 
Frauen  und  Mütter  mit  Straussens  PersönHchkeit  für  Gemein- 
schaft? Die  ,, Freitagszeitung",  das  verbreitetste,  volkstümlichste 
Blatt  jener  Zeit,  hatten  einige  jüngere  Geisthche  als  Mitarbeiter 
ganz  unter  ihren  Einfluss  gebracht;  sie  wurde  die  eigenthche 
Bannerträgerin  der  Bewegung.  Gegnerische  Äusserungen  wurden, 
soweit  sie  Aufnahme  fanden,  in  den  Inseratenteil  verwiesen,  so 
auch  alle  die  Ehrenerklärungen  der  Schulkapitel  für  den  hart 
angefochtenen  Seminardirektor  Scherr.  Neben  Strauss  war 
vScherr  das  Hauptobjekt  des  Hasses  und  Abscheues  der  Bewegungs- 
mäuner.  Wilhelm  Wackernagel  in  Basel  schrieb  am  i8.  Februar 
an  seinen  Schwager  Bluntschh :  ,  ,Ihr  müsstet  dem  \^olke  die  Augen 
noch  besser  gegen  Scherr  hin  öffnen;  denn  selbst  wenn  Strauss 
auf  guten  Rat  hin  oder  aus  Furcht  wieder  ablehnt,  so  bleibt  doch 
in  Küsnacht  immer  noch  das  Narrennest:  das  muss  fort,  oder  Ihr 
habt  doch  in  jeder  niedem  Schule  ein  Sträusslein."  Dieses  Rates 
bedurfte  es  in  Zürich  nicht  erst.  Scherr  selbst,  dem  man  immer 
wieder  den  gewesenen  Kathohken  aufrupfte,  schlug  sich  in  mehre- 
ren ,, Sendschreiben"  mit  den  XXIIem  herum.  Grossratspräsident 
Jonas  Für r er  von  Winterthur  sagte  von  der  Petition:  ,,so 
spricht  ein  Bettler  mit  geladener  Pistole".  Eine  radikale  Streit- 
schrift rief  den  XXIIem  zu:  ,, Anathema  eurer  Gleisnerei,  von 
der  die  ganze  Petition  stinkt.  So  werden  von  euch  unsere  neuen 
poUtischen  Schöpfungen  gelobhudelt,  die  \'er\-ollkommnung  des 
Landbaues  gerühmt,  die  schöne  Blüte  des  Volksschulwesens  be- 
sungen, die  Juhrevolution  gepriesen.  Ihr  Pharisäer!  Wisset  ihr 
nicht,  dass  Karl  X.  als  Freund  der  Pfaffen  und  Aristokraten  aus 
dem  Lande  gejagt  wurde?  Geht,  Heuchler,  aus  dem  Gewand  der 
ReUgion  lasst  ihr  den  Dolch  des  Terrorismus  her\-orbhnken.  Ihr 
habt  in  der  Tat  gegen  unsre  Gesetze  ein  Veto  geübt,  wie  jemals 
der  römische  und  Pariser  Pöbel.    Warum  kommt  nicht  noch  eine 


o  SECHZEHNTES  KAPITEL:    STRAUSS  KOMMT  NICHT  165 

Petition  etwa  des  Inhalts :  ...  so  wünschen  wir  nochmal  ehrer- 
bietigst und  wünschen  in  aUer  Untertänigkeit  (mit  uns  40,000 
geballte  Fäuste),  die  Wahl  eines  Professors  der  Dogmatik  unserer 
höchsten  und  letzten  Sanktion  zu  unterbreiten."  Strauss  mischte 
sich  auf  Veranlassung  seiner  Freunde  ebenfalls  mit  einem  ,, Send- 
schreiben", dem  V.  OrelU  ein  Vorwort  beigab,  direkt  in  den  lite- 
rarischen Kampf.  Er  erblickte  in  der  ganzen  Aufregung  nur  den 
Konkurrenzneid  der  Geisthchen,  die  Abneigung  der  Zunftgenossen 
gegen  eine  neue  Erfindung,  und  sagte:  ,,Die  meisten  Geistlichen 
sind  nur  darauf  eingeübt,  mittelst  des  Klebens  am  Buchstaben 
der  biblischen  Erzählungen  und  Vorstellungen  fromme  Gefühle 
in  ihren  Zuliörem  zu  erwecken;  dass  wir  uns  anheischig  machen, 
auch  bei  freierer  Ansicht  von  der  Bibel  uns  und  andere  zu  er- 
bauen, setzt  sie  in  Verlegenheit  und  erregt  ihren  Unwillen,  weil 
sie  darauf  nicht  eingerichtet  sind."  Für  unbelehrbar  hält  Strauss 
,,jene  aufgeregte  Masse,  die  von  einem  gewiss  nicht  christhchen 
Ketzerhasse  gliilit  und  unter  dem  Deckmantel  der  Frömmigkeit 
jetzt  alle  möglichen  andern,  weltlichen  Interessen  verfechten 
will;  mit  dieser  habe  ich  nichts  zu  reden,  des  Spruches  Christi 
eingedenk,  der  solcherlei  Menschen  das  Kleinod  religiöser  Über- 
zeugung vorzulegen  ausdrücklich  verbietet". 

Die  Flut  der  Pamphlete,  Sendschreiben,  Broschüren,  Predig- 
ten, Lieder,  Gedichte  und  Dramen,  eine  ganze  Literatur,  stieg  zu 
unheimlicher  Höhe  an  und  die  Heftigkeit  des  Tones  steigerte  sich 
auf  beiden  Seiten  von  Woche  zu  Woche.  Würdig  gehalten  war 
die  von  Pfarrer  J.  C.  Grob  in  Rorbas  geschriebene,  von  der  Evan- 
gelischen Gesellschaft  herausgegebene  Broschüre.  Aus  dem  Lager 
der  Brutal-Radikalen  kam  dann  etwa  wieder  ein  ,,AntistraussischeT 
Gruss",  dessen  Verfasser,  offenbar  Publizist  J.  H.  Meyer,  in  när- 
rischer Selbstironie  sich  als  ,,Struthio  Camelus",  die  Herausgeberin 
als  ,, Gesellschaft  für  \'eredlung  des  Abtrittpapiers"  bezeichnete, 
und  der  im  Paroxismus  des  Hasses  stammelte  ,,von  den  ortho- 
doxen Ochsen,  vSchauer-Auer-Ochsen,  welche  grochsend  bochsen, 
und  von  manchem  Licht,  das  der  Bluntschli  nicht  gezogen,  man- 
cher schweren  Irrlichts-Lehre  und  des  »Schicksals  Donnerhagels 
schwaben-lichtputz-scheere  ..." 

Wenn  die  Presserzeugnisse  der  ,, Glaubensstreiter"  an  schlag- 
fertigem  \Mtz   und   Sarkasmus   manchmal  hinter  den   radikalen 


166  SECHZEHNTES  KAPITEL:    STRAUSS  KOMMT  NICHT  o 

Pasquillen  zurückstanden,  an  Bosheit  waren  sie  ihnen  häufig  noch 
„über".  Die  radikalen  vSkribenten- wollten  aber  wenigstens  nicht 
noch  fromm  sein  dazu,  sondern  gaben  sich  wie  sie  waren,  wäh- 
rend es  Schmähschriften,  Zeitungsartikel  und  Inserate  gibt,  die 
von  Frömmigkeit  triefen  und  dabei  doch  nur  Hass  und  Hohn 
verraten.  Die  Fechtweise  der  Frommen  machte  deswegen  nicht 
etwa  einen  minder  rohen  Eindruck  als  die  der  Radikalen, 
weil  sie  ihre  Boxliandschuhe  mit  Bibelsprüchen  wattiert,  ihre 
oft  vergifteten  Lanzen  und  Pfeile  mit  frommen  Redensarten  be- 
wimpelt hatten.  Der  Vorwurf  kann  verschiedenen  Wortführern 
der  Glaubensbewegung  nicht  erspart  werden,  dass  sie  zur  Ver- 
mehrung der  Aufregung,  zur  Aufstachelung  des  Fanatismus,  zur 
Aufhetzung  gegen  die  Obrigkeit  beitrugen.  \^'ie  soll  man  es  nennen, 
wenn  die  ,,Neue  Kirchenzeitung"  am  13.  März  ein  Bulletin 
im  Lande  verbreitete,  worin  es  heisst:  ,,Aus  dem  Aargau  hören 
und  lesen  wir:  Wünscht  Zürich  Truppen  aus  unserm  Kanton? 
Etwa  700  Juden  ständen  zu  Gebote!  Christenbrüder  aber 
werden  nie  gegen  Christen,  die  für  ihren  Glauben  stehen,  zu  Felde 
ziehen!  Nein,  gewiss  nicht!"  Und  diese  plumpe  Mache,  die  nur 
auf  die  Verhetzung  der  Massen  berechnet  sein  konnte,  wird  ver- 
brämt mit  dem  Bibelspruch;  ,, Befiehl  dem  Herrn  deine  Wege" 
usw.  Vor  mis  hegt  eine  antistraussische  vSchmähschrift,  die  unter 
dem  Titel  einer  ,, Bettagspredigt  für  die  eidgenössischen 
Regenten"  dem  Volk  seine  Obrigkeit  in  infernahsch-benga- 
lischer  Beleuchtung  zeigt:  ,,Um  diese  Altäre  herum  hegen  nun 
eidgenössische  Regenten  Tag  und  Nacht,  pflegend  den  schmutzigen 
Dienst.  \^on  dort  weg  muss  man  sie  holen,  wenn  sie  mitreden 
sollen  zu  des  Landes  Wohl.  Dort  werden  die  heihgsten  Ange- 
legenlieiten  lachend  in  den  Kot  getreten  und  aus  diesem  Kot 
hervor  in  die  Ratsäle  gezogen.  Von  dort  wanken  eidgenössische 
Regenten  besudelt  heim  erst  mit  anbrechendem  Tage,  \'erfassen 
in  trunkenem  Zustande  Gesetze  für  das  Land,  Richtersprüche 
gegen  Witwen  und  \^^aisen  . . .  Geld,  Geld,  tönt  es  ihnen  im 
Traume,  schwebt  ihnen  vor  auf  den  grünen  Bänken,  liinterm 
grünen  Glase,  im  vSchos.se  der  Buhlerin,  Geld  ist  das  Losungs- 
geschrei bei  der  Stellenjagd,  Geld  der  goldene  Hintergrund  der 
Gesetzgebung,  der  goldene  Himmel  aller  Staats-  und  namenthch 
Finanzreformen.    Mit  wohlbezahlten  Stellen  paart  man  die  Tag- 


o  SECHZEHNTES  KAPITEL:    STRAUSS  KOMMT  NICHT  167 

gelder,  krönt  beide  mit  unverschämten  Kostensnoten,  um  alles 
windet  man  dunkle  Spekulationen,  und,  wie  Vampyre  an  den 
Schlafenden,  klammert  mau  sich  mit  teufhschem  Wucher  an  die 
Unmündigen  im  Volk  und  lacht  mit  teufhschem  Hohn  den  Todes- 
seufzem  der  Ausgesogenen."  Man  begreift  es  vollständig,  wenn 
feinere  Naturen  wie  Kirchenrat  Salomon  Vögelin,  der  die 
vortreffhche  Eingabe  des  Kirchenrats  vom  28.  Januar  an  die  Re- 
gierung geschrieben  hatte,  an  diesem  literarischen  Hexensabbat 
von  radikalem  Cj^nismus  und  frommer  Raserei  in  keiner  Weise 
sich  beteihgten  und  auch  sonst  gänzhches  Schweigen  beobach- 
teten, da  in  dem  wilden  Kampfe  jede  Stimme  der  Vernunft  und 
Mässigung  wirkungslos  verhallen  musste.  Was  Vögehn  dachte, 
erfuhr  dann  erst  ein  späteres  Geschlecht  (aus  dem  Neujahrsblatt 
der  Stadtbibliothek  von  1885) :  ,, Seinem  streng  gesetzUchen  Sinn 
war  die  Erhebung  einer  Volksgewalt  neben  derjenigen  der  Re- 
gierung ein  Unding,  die  dadurch  herbeigeführte  Anarchie  und 
Revolution  ein  Gräuel."  — ■ 

Der  18.  März  kam  heran,  an  welchem  Tage  der  Grosse  Rat 
sich  schlüssig  machen  musste,  ob  er  dem  peccavi  der  Regierung 
sich  anschliessen  wolle  oder  nicht.  Als  eine  Art  Nebenregierung 
etabherte  sich  zugleich  das  Zentralkomitee  in  der  Schmid- 
stube,  um  den  Gang  der  Verhandlungen  zu  überwachen  und  durch 
seine  Anwesenheit  in  der  Hauptstadt  der  eingereichten  Petition 
den  nötigen  Nachdruck  zu  verleihen.  Grossratspräsident  Dr. 
Jonas  Furrer  nahm  denn  auch  in  seiner  Eröffnungsansprache 
Bezug  auf  die  ,, gleichzeitige  Sitzung  eines  Kantonal-Komitees, 
das  sich  als  zweiten  Repräsentanten  des  Volkes  aufgestellt  hat." 
Eduard  Sulzer  begründete  den  Mehrheitsantrag  der  Regie- 
rung: Pensionierung  von  Dr.  Strauss,  Melchior  Hirzel  den 
Minderheitsantrag.  Regierungsrat  Bürgi  stellte  eine  Motion  auf 
Aufhebung  der  Hochschule,  ein  ganz  perfides  radikales 
Manöver.  (Die  Motion,  deren  Beratung  Dr.  Keller  und  seine  Tra- 
banten mäuschenstille  beiwohnten,  wurde  am  19.  an  eine  Kom- 
mission gewiesen  und  dann  später  abgelehnt.)  Erziehungsrat 
Ferdinand  Meyer  brachte  eine  Motion  ein,  mit  welcher  den 
Wünschen  der  Petenten  bezüghch  der  Kirchensynode  und  Schul- 
gesetze einigermassen  entgegengekommen  werden  sollte  (ging  am 
20.  an  eine  Kommission).   Zur  Frage  Strauss  äusserte  Dr.  Keller: 


168  SECHZEHNTES  KAPITEL:    STRAUSS  KOMMT  NICHT  o 

In  einem  Staat  mit  Repräsentativgewalt  ist  die  Meinung  des 
Volkes  ausgedrückt  in  der  Meinung  seiner  Vertreter,  und  wenn 
daneben  noch  700  gültige  oder  ungültige  Gemeindeversammlungen 
abgehalten  werden.  Es  soll  sich  nun  zeigen,  ob  eine  Republik 
eine  Unmöglichkeit  oder  eine  Narrheit  sei.  Gott  hat  die  Menge 
nidit  geschaffen,  dass  sie  über  einen  theologischen  Professor  ur- 
teilen kann.  Die  Bewegung  ist  in  ihrer  Quelle  unrein,  in  ihrer 
Entwicklung  unrein,  in  ihren  Resultaten  staatsgefährhch.  Unsere 
GeistUchen  sollten  auch  einmal  hinstehen  und  sagen  müssen,  was 
sie  eigentUch  glauben;  es  nähme  mich  dann  wunder,  wie  viele 
den  Unterschied  von  ihrem  Glauben  und  dem  von  vStrauss  be- 
greifen würden.  Es  nehmen  an  der  Bewegung,  die  in  unordent- 
Uch  zusammengetrommelten  \'ersammlungen  vor  sich  ging,  Per- 
sonen teil,  die  das  Verderbliche  kennen,  wenn  die  morahsche  Kraft 
einer  aus  dem  \'olk  herv^orgegangenen  Regierung  gebrochen  wird. 
Gegen  wirkhche  oder  vermeintliche  Verfassungsverletzung  kann 
man  beim  Richter  klagen.  Man  rufe  die  Miteidgenossen  des  Siebner- 
konkordats an;  geben  sie  uns  recht,  dann  belange  man  die  Be- 
wegungsmänner entschlossen  als  Aufrührer.  Kein  Rückzug !  Keine 
Konzession!  Aber  der  feste  Vorsatz,  dann  jede  physische  und 
morahsche  Gewalt  gegen  die  DemoraUsation  aufzubieten,  damit 
diesem  anarchischen  Zustande  ein  Ende  gemacht  werde. 

Eduard  Sulzer  replizierte:  für  eine  ,, unreine  Bewegung" 
hätten  nicht  40,000  Bürger  sich  erhoben.  Oberrichter  Füssli: 
In  den  Kircligemeindeversammlmigen  wurden  die  Opponenten 
teils  hinausgeworfen,  teils  niedergebrüllt.  Muss  man  erst  noch 
mit  den  Flinten  in  die  Kirche  kommen  und  die  Opponenten  nieder- 
schiessen,  bevor  die  Bewegung  eine  ,, unreine"  genannt  werden 
darf  ?  Es  ist  eine  Prüfungsstunde  für  den  Grossen  Rat.  Ich  frage 
Sie,  ob  Sie  nicht  den  Mut  haben,  einem  ungeheuren  Haufen  ent- 
gegenzutreten ?  Schmählich  ist  es,  davonzulaufen,  bevor  die  Ge- 
fahr vor  die  Nase  tritt.  Amtsbürgermeister  J.  J.  Hess  war  jetzt 
auch  für  Pensionierung.  ,,Bei  den  Juristen  heisst  es:  fiat  justitia, 
pereat  mundus ;  der  Staatsmann  aber  muss  trachten,  einem  Bürger- 
krieg auszuweichen,  wenn  noch  irgend  ein  gangbarer  \^'eg  dafür 
ist."  Statthalter  Heinrich  Gujer  von  Bauma  gab  zu,  dass 
sich  der  Bewegung  auch  unedle,  selbst  strafwürdige  Tendenzen 
beigemischt  haben,  aber  bei  welcher  grossen  Bewegung  wäre  das 


•.^.liX. 


Or.  ßudicig  (Keffer 


o  SECHZEHNTES  KAPITEL:    STRAUSS  KOMMT  NICHT  169 

nicht  der  Fall  ?  Man  sei  billig  und  bedenke,  wie  viel  Bande  sich 
seit  1830  gelöst  haben  und  welche  Opfer  und  Anstrengungen  das 
Volk  auf  sich  nehmen  musste,  um  früher  Versäumtes  nachzu- 
holen! Wie  leicht  können  rehgiöse  Impulse  den  Fanatismus  her- 
vorruien,  und  diese  furchtbare  Gefahr  bedroht  uns  auch  jetzt, 
wenn  nicht  bald  das  erlösende  Wort  gesprochen  wird.  Die  Be- 
wegung hat  einen  moraUschen  Haltpunkt,  der  sie  unüberwindlich 
macht.  Die  Stillen  im  Lande,  die  rechtlichen,  ruhigen  Bürger 
können  des  Gewissens  halber  nicht  ruhen,  Straussens  Wirksam- 
keit zu  verhindern,  so  lange  es  ihnen  möghch  ist.  Prof.  Alexander 
Schweizer  erwiderte  Dr.  Keller,  man  könne  die  Sache  nicht 
nur  wie  einen  Rechtshandel  betrachten.  ,,Dass  Regierungen  ihrem 
Volke  sagen:  seid  sittUcher,  besser,  religiöser,  kirchhcher,  das  ist 
oft  vorgekommen.  Dass  ein  Volk  sich  erhebt  und  seinen  Füh- 
rern, Erziehungsräten  und  Regenten  sagt:  wir  beschwören  Euch, 
seid  sitthcher,  reUgiöser  als  bisher,  sorget  besser  für  die  Erhaltung 
dieser  tiefsten  Fundamente  der  öffenthchen  und  häushchen  Wohl- 
fahrt, —  solche  Sprache  eines  Volkes  zu  seiner  Regierung  ist  mir 
noch  nie  vorgekommen."  Melchior  Hirzel  sah  seine  Sache 
verloren  und  gestand  mit  aufrichtiger  Bekümmernis:  ,, Bergen 
kann  ich  es  nicht,  dass  diese  Bewegung  mich  mit  Trauer  erfüllt, 
weil  ich  sehe,  dass  die  rehgiöse  Bildung  tiefer  steht,  als  ich  gedacht 
hatte."  Mit  149  gegen  38  Stimmen  beschloss  der  Grosse  Rat, 
Strauss  zu  pensionieren.  In  Vollziehung  dieses  Beschlusses 
setzte  am  19.  März  der  Erziehungsrat  die  Pension  auf  1000  Fr. 
fest.  Bitter  klagte  J.  C.  v.  Orelh:  ,,So  habt  Ihr  denn  abermals 
einen  Ketzer  abgeschlachtet.  Nehmet  Euer  Opfer  hin!  Bratet 
ihn,  zehret  ihn  auf!" 

Für  die  Regierung  wäre  nun  wohl  der  psychologische  ^lo- 
ment  gewesen,  abzudanken.  Regierungsrat  H.  Escher  erzählt 
auch  von  einem  Ratschlag,  bei  welchem  Oberst  Fierz  von  Küs- 
nacht  den  \'orschlag  machte,  es  sollte  der  gesamte  Regierungs- 
rat, wenn  er  den  Willen  des  souveränen  Volks  entschieden  gegen 
sich  habe,  freiwilhg  abtreten;  dadurch  könne  man  schhmme  Auf- 
tritte vermeiden  und  werde  die  Mehrzahl  am  ehesten  wieder  zur 
Besinnung  kommen.  Darauf  rephzierte  Melchior  Hirzel:  ,,Das 
wäre  tmsem  Feinden  eine  gemähte  Wiese;  eben  dieses  wünschen 
sie ;  aber  das  wollen  wir  nicht  tun.   Im  Gegenteil,  wir  wollen  ihnen 


I/o  SECHZEHNTES  KAPITEL:    STRAUSS  KOMMT  NICHT  o 

die  Stühle  nicht  abtreten,  sondern  uns  daran  festbinden."  Mit 
diesen  Worten  zog  er  sein  weisses  Nastuch  aus  der  Tasche  und 
befestigte  damit  eines  seiner  langen  Beine  am  Stuhl.  Es  war 
aus  seiner  Miene  zu  schhessen,  dass  er  selbst  das  Lächerliche  dieser 
Gestikulation  einsah;  aber  mit  ernster  Stimme  fügte  er  bei:  „Herr 
Fierz  hat  gut  sagen,  er  kann  als  begüterter  Mann  sich  wieder  in 
seiner  Heimatsgemeinde  Küsnacht  der  Landwirtschaft  widmen; 
aber  was  soll  ich  dann  anfangen,  da  ich  weder  einen  Gütergewerb 
noch  eine  Fabrik  besitze  . . .  ?"  H.  Escher  berichtet  ferner  von 
einer  Zusammenkunft  bei  Regierungsrat  Eduard  vSulzer,  wo 
er  auch  vStatthalter  Gujer  traf.  Dieser  habe  ihn  und  die  andern 
Eingeladenen  zu  bestimmen  gesucht,  sich  für  diese  ,, schöne  Be- 
wegmig"  zu  entscheiden.  ,,Ich  wollte  meinerseits  den  Herrn  Gujer 
belehren,  dass  hinter  der  Bewegung  sich  eine  revolutionäre,  ari- 
stokratische Tendenz  verstecke,  welche  den  Endzweck  habe, 
die  Demokratie  um  die  1831  errmigene  Freiheit  zu  betrügen  und 
die  Gewalt  in  die  Hände  der  Yorrechtler  zu  spielen.  Herr  Gujer 
beharrte  auf  seinem  Ansinnen,  indem  er  sagte,  wenn  der  Zweck, 
den  Strauss,  Scherr  und  ihre  Verbündeten  zu  beseitigen,  erreicht 
sei,  so  werde  man  die  Mittel  schon  finden,  allfälUge  Zwecke,  die 
zum  Nachteil  der  Rechtsgleichheit  gereichen  könnten,  zu  ver- 
eiteln. Nach  diesen  Erörterungen  wurde  das  bei  Sulzer  versam- 
melte Komitee  ohne  Resultat  entlassen." 

Triumphieren  konnte  nun  das  Zentralkomitee;  es  hatte 
einen  ersten  bedeutmigsvollen  Sieg  errungen.  Und  doch  fand  es 
noch  ein  Haar  in  der  Suppe:  die  tausendf ränkige  Pension  für 
den  vertriebenen  Strauss !  In  seinem  Sendschreiben  vom  20.  März 
sagt  das  Komitee,  dass  Herr  Strauss,  ,,wenn  er  dieses  Geld  an- 
nimmt, sich  dadurch  vor  aller  Welt  als  einen  unehrenliaften  und 
habsüchtigen  Mann  darstellt,  von  dessen  Sittlichkeit  usw.  dann 
wohl  niemand  mehr  viel  zu  rühmen  wagen  wird,  dem  dafür  dann 
vielmehr  die  Verachtung  jedes  Biedermannes  zuteil  werden  und 
um  so  sicherer  jedes  Wirken  als  Lehrer  abgeschnitten  sein  wird." 
(Es  sei  hier  gleich  beigefügt,  dass  vStrauss  auf  diese  Anrempelung 
nicht  reagierte,  sondern  sich  kaltblütig  die  Pension  Jalir  für  Jalir 
ausbezahlen  Hess  bis  zu  seinem  Tod,  1874;  er  übermachte  das 
Geld  der  Armenkasse  Ludwigsburg  zum  Andenken  an  seine 
Mutter;  unter  der  Hand  schickte  er  auch  Beträge  nach  Zürich 


o  SECHZEHNTES  KAPITEL:    STRAUSS  KOMMT  NICHT  171 

ZU  gemeinnützigen  Zwecken  durch  seinen  Freund  Hitzig.)  Nicht 
ganz  befriedigt  war  das  Zentralkomitee  auch  deshalb,  weil  der 
Regierungsrat  nicht  in  Anklagezustand  wegen  Verfassungsver- 
letzung versetzt  worden  war;  aber  der  Grosse  Rat  habe  das  Land 
nicht  Stürmen  preisgeben  wollen  (hingegen  das  Komitee  wollte 
also  das!),  welche  möghcherweise  durch  eine  solche  Anklage 
heraufgerufen  worden  wären.  Zum  Schluss  erklärte  das  Zentral- 
komitee seinen  Rücktritt  wegen  vollständiger  Erfüllung 
seiner  Aufgabe.  VertrauUch  ging  indessen  die  Mitteilung  an  die 
Bezirkskomi tees,  dass  die  ganze  Organisation  der  Bezirks-  und 
Gemeindekomitees  aufrecht  erhalten  bleiben  solle,  um  nötigen- 
falls jeden  Augenbhck  zum  Eingreifen  bereit  zu  sein.  Als  Vor- 
ort der  Bezirkskomitees  wurde  Horgen  bezeichnet. 


SIEBZEHNTES  KAPITEL 


REVOLUTION 


Ist  es  nicht  sonderbar,  dass  die  Men- 
schen so  gerne  für  die  Religion  fechten 
und  so  ungern  nach  ihren  Vorschriften 
leben  ?  Lichtenberg. 

Um  die  Osterzeit  des  Jahres  1839  erhielt  die  Denktafel  christ- 
licher Wohltäter  und  Jugendfreunde  in  der  Schulstube  Zol- 
likerberg  eine  neue  Eintragung:  zehn  Gulden  „zum  Andenken  an 
den  grossen  Triumph  Jesu  über  Tod  und  Grab,  sowie  über  den 
straussischen  Unglauben".  Die  Widmung  war  wohl  etwas  ver- 
frülit;  denn  eben  weil  der  .Straussische  Unglaube  ja  nicht  erst 
mit  Strauss  gekommen  wäre,  sondern  schon  längst  vom  Seminar, 
der  Volksschule  usw.  Besitz  ergriffen  hatte,  musste  nach  der  Über- 
zeugung der  Gläubigen,  auch  nachdem  Strauss  verjagt  war,  der 
Kampf  erst  recht  aufgenommen  werden.  Der  christliche  Wohltäter 
im  Zollikerberg  ging  auch  darin  zu  weit,  dass  er  die  Sache  seiner 
Partei  zur  ,, Sache  Jesu"  schlechtweg  machte.  Wäre  es  wirklich 
die  Sache  Gottes  und  Jesu  gewesen  und  nicht  bloss  eine  mensch- 
liche Parteisache,  die  durch  das  Glaubenskomi tee  vertreten  wurde, 
dann  hätte  nicht  nach  ihrem  zum  Teil  mit  höchst  frag\\-ürdigen 
Mitteln  errungenen  Augenbhckserfolg  der  sogenannte  Straussische 
Unglaube  wieder  auf  der  ganzen  Linie  obgesiegt  und  dann  hätten 
auch  nicht  die  damahgen  Sieger  sich  hernach  nur  mit  einem 
steigenden  Unbehagen  an  das  fatale  Jahr  1839  erinnern  lassen. 
Ohne  deswegen  den  radikalen  Vorwurf  der  Heuchelei  zu  ver- 
dienen, berauschten  sich  die  ,,Antistraussen"  förmlich  in  frommen 
Illusionen.  Weil  die  ,, Sprache  Kanaans"  nun  einmal  zu  der  im 
Lande  herrschenden  geworden  war  und  fast  widerstandslos  von 
Freund  und  Feind  ertragen  werden  musste,  glaubte  man  nicht 
nur  eine  tiefgewurzelte  Landesreligion,  sondern  auch  eine  all- 
gemeine Landesfrömmigkeit  pietistischer  Fasson  voraussetzen  zu 
dürfen,  deren  rapides  Dahinschwinden  nach  dem  Jahre  1839 
dann  allerdings  die  Haltlosigkeit  dieser  Annahme  deutlich  erwies. 
So  konnte  der  Ausspruch  von  Hürlimann-T<andis,   ,,das  Zürcher- 


o  SIEBZEHNTES  KAPITEL:    REVOLUTION  173 

volk  ist  ein  hehres,  christliches  Volk",  zum  geflügelten  Worte 
werden.  Er  behauptete  mit  Überzeugung,  das  Verhältnis  von 
Gläubigen  und  Ungläubigen  im  Kanton  Zürich  sei  wie  50:1. 

Jakob  Hürlimann-Landis,  der  Präsident  des  Glaubens- 
komitees (geb.  1796),  schätzte  die  Rehgion  hauptsächhch  von  prak- 
tischen Gesichtspunkten  aus:  als  Trost  der  Armen  und  Elenden, 
Schutz  \  or  Verbrechen  und  Unmoral  und  Unterpfand  ewiger  SeHg- 
keit.  Hie  und  da  kann  man  sich  des  Eindrucks  einer  gewissen 
geistigen  Beschränktheit  bei  Hürhmann-Landis  (welcher  schwer- 
hörig war)  nicht  ganz  erwehren,  doch  mag  der  Eindruck  täuschen. 
Der  englische  Gesandte  David  Richard  Morier,  selber  ein  sehr 
rehgiöser  Mann,  der  mehrere  Unterredungen  mit  Hürhmann  hatte, 
spricht  von  ihm  in  seinen  Berichten  an  Palmerston  (herausgegeben 
von  W.  Oechsli  im  Z.  Taschenbuch  1909)  mit  grosser  Achtung  und 
Sj-mpathie.  Solcher  achtungswerten  Männer  wie  Hürlimann- 
Landis,  denen  die  Rehgion  ein  höchst  wertvolles  Gut  war,  gab 
es  Hunderte  und  Tausende.  In  den  überheferten  vSatzungen  und 
Lehren  der  Kirche  erbhckten  sie  sozusagen  die  vertraglichen 
Garantien  für  dieses  hohe  Gut.  Wer  an  diesen  Vertragsklauseln 
etwas  änderte  oder  umstellte,  konnte  nach  ihrer  Meinung  mög- 
licherweise bewirken,  dass  der  ganze  Vertrag  hinfälhg  wurde,  wes- 
halb man  sich  für  die  vermeinthch  bedrohten  Vertragsklauseln 
bis  zum  Äussersten  wehrte,  so  ungefähr,  wie  man  einen  Zivil- 
prözess  mit  allen  Mitteln  bis  zur  höchsten  Instanz  hindurch  ver- 
ficht. Daher  dieses  unaufhörHche  Rumoren  im  Lande  herum, 
worüber  in  den  ,, Briefen  eines  Zürchers  an  einen  Basler"  geklagt 
wird.  ,, Diese  hierarchisch  geghederten  Komitees,  von  den  Gemeinen 
bis  zur  Spitze,  dieses  unablässige  Hetzen,  das  dem  Volke  keine 
Ruhe  und  keine  Besonnenheit  Hess,  dieses  Verdächtigen  in  öffent- 
lichen Blättern  —  wahrlich,  auf  diese  Weise  musste  der  Ruhigste 
fanatisch  und  gereizt  werden.  Diese  ZentraUtät,  dieses  Auf- 
treten und  Vorschreiben  von  oben  für  alle  nach  einem  Formular, 
hat  der  rehgiösen  Bewegung  ihre  Freiheit  genommen.  Alles  ging 
nach  einer  Form  und  einem  Schnitt,  und  der  ganze  Zweck  war 
der  äussere  Erfolg!  Als  ob  kein  Gott  im  Himmel  wäre,  als  ob 
von  ihnen  alles  abhänge,  als  ob  sie  es  durchsetzen  müssten 
wohl  oder  übel,  so  war  ihr  Auftreten  in  der  Sache.  Es  war  ein 
Stürmen,  nichts  anderes."  Dieses  zwängerische  und  über  alle  Be- 


174  SIEBZEHNTES  KAPITEL:    REVOLUTION  o 

denken  sich  hinwegsetzende  Hinarbeiten  auf  den  äussern  Erfolg 
erklärt  es  denn  auch,  warum  man  bei  aller  gehässigen  Befehdung 
der  „Straussen"  andererseits  dann  doch  wieder  die  Mitarbeit  von 
Männern  sich  gefallen  Hess,  selbst  in  der  Leitung  der  Bewegung, 
von  denen  man  wissen  konnte,  dass  sie  innerlich  den  sogenannten 
,,Gottesläugneni"  Strauss  und  Scherr  ziemlich  nahe  standen. 
Für  den  Sanskritforscher  Pfarrer  Dr.  Bernhard  Hirzel  in 
Pfäffikon,  der  als  Folge  der  Berufung  von  Strauss  für  Zürich 
einen  , ,  Rückfall  in  die  Orthodoxie ' '  befürchtet  hatte ,  galt  es : 
Jetzt  oder  nie  ist  der  Zeitpunkt,  den  Radikalismus  zu  stürzen, 
und  dafür  will  ich  arbeiten!  Es  %var  bei  ihm,  sagt  der  Ver- 
fasser der  erwähnten  ,, Briefe",  nicht  beschränkte  Kirchhchkeit, 
es  war  ihm  alles  viel  weiter  und  grossartiger,  aber  auch  \-iel  welt- 
licher und  unreiner.  Der  Freimaurer  J.  C.  Bluntschli,  das  geistige 
Haupt  der  Konservativen,  kennzeichnete  nach  der  Bewegung 
seinen  Standpunkt  mit  den  Worten:  ,,Die  alte  dogmatische  Vor- 
stellung, dass  Christus  ein  Gott  sei,  war  von  allen  als  veraltet 
und  undenkbar  aufgegeben;  aber  wilhg  verehrten  wir  in  Christus 
den  gottbegeisterten  Menschen  und  achteten  in  dem  Christen- 
tum die  Rehgion  der  Gottes-  und  Menschenliebe."  Melchior 
vSulzer,  ein  eigentlicher  \'ertrauensmann  des  Glaubenskomitees 
im  Regierungsrat,  war  aus  nichts  weniger  als  kirchenfreundHchen 
Motiven  gegen  die  Berufung  von  Strauss  und  sagte  oft  zu  seinen 
Regierungskollegen:  ,,Ihr  werdet  sehen,  ihr  arbeitet  mit  eurem 
Plan  bloss  den  Geistlichen  in  die  Hand,  die  werden  euch  bei  dieser 
Gelegenlieit  über  den  Kopf  wachsen;  und  am  Ende  ist  dieser 
Strauss  selbst  so  ein  Gelehrter,  ein  Pfaff  wie  diese,  und  stellt  euch 
ums  Geld  übers  Jahr  wieder  ein  neues  System  auf." 

Unerklärlich  bleibt,  neben  andern  Rätseln  dieser  Episode,  der 
fast  bedingungslose  Anschluss  der  Konservativen  an  die  Be- 
wegung, auch  dann  noch,  als  über  ihr  revolutionäres  Ziel  niemand 
mehr  im  Zweifel  sein  konnte.  ,,Die  konser\'ative  Partei  des  Kan- 
tons Zürich  hatte  bisher  die  \^'urzeln  ihrer  Kraft  in  dem  Einstehen 
für  die  verfassungsmässige  Ordnung  und  in  der  Verwerfung  jeder 
Revolution  besessen.  I\Iit  dem  Zürich-Putsch  gab  sie  diese  Grund- 
sätze preis  und  zerstörte  mit  eigener  Hand  den  sichern  Boden, 
darauf  sie  stund"  (Prof.  Fritz  Fleiner,  Herausgeber  des  Brief- 
wechsels Bluntschh-W'ackernagel) .    Es  fehlte  nicht  an  warnenden 


o  SIEBZEHNTES  KAPITEL:    REVOLUTION  175 

Stimmen.  Ganze  Gemeinden  und  Bezirke  der  Glaubensorgani- 
sation selbst,  die  sich  nicht  täuschen  üessen  durch  die  fort- 
währende Betonung  des  „streng  gesetzlichen",  unpolitischen  Vor- 
gehens, waren  für  das  Zuwarten  bis  zu  den  nächsten  ordenthchen 
Erneuerungswahlen,  d.  h.  also  für  den  einzig  möglichen,  wirk- 
lich gesetzUchen  Weg,  den  auch  ein  Christ  beschreiten  darf,  wenn 
er  eine  Umwälzung  des  Regierungssystems  für  nötig  hält.  Die 
Mehrheit  wollte  es  anders,  und  nur  zu  leicht  redete  das  Glaubens- 
komitee sich  ein,  dass  auch  in  diesem  Falle  ,, Volksstimme  Gottes- 
stimme" sei.  Wenn  der  konser\-ative  ,, Beobachter  aus  der  öst- 
lichen Schweiz"  schon  Monate  vor  der  Katastrophe  drohte:  ,,Wir 
jagen  euch  alle  ins  Weite",  wenn  selbst  ein  ,, angesehener  Geist- 
Ucher"  erklären  konnte:  ,,Wir  ruhen  nicht  und  werden  nicht 
ruhen,  bis  Hirzel,  Keller,  Scherr  und  Ulrich  vertrieben  sind", 
diese  Herren  aber  rücht  freiwilhg  gehen  wollten,  so  musste  es 
eben  zur  Revolution  kommen.  Ob  dann  in  den  dramatischen 
Hauptmomenten  die  ]Marseillaise  oder  Psalmen  gesungen  werden, 
macht  keinen  wesentlichen  Unterschied.  Als  Menschen  dürfen 
die  herv'orragendsten  städtischen  Führer  der  Bewegung,  ein 
Dr.  Rahn,  der  herzensgute,  in  tätiger  Nächstenliebe  unermüd- 
liche Arzt  und  -Menschenfreund,  und  der  charaktervolle  Proku- 
rator (Fürsprech)  Spöndlin,  unsere  ungeminderte  Hochachtung 
beanspruchen.  Hat  doch  selbst  H.  Escher,  der  in  seinen  ,, Er- 
innerungen" keinen  schont  und  weder  bei  Bluntschh,  noch  bei 
Gujer  und  andern  irgendwelche  religiöse  Motive  anerkennen  will, 
die  absolute  Lauterkeit  von  Spöndlins  religiöser  Überzeugung 
her\-orgehoben.  Dass  Rahn  und  Spöndhn,  Vizepräsident  und 
Aktuar  des  rekonstituierten  Zentralkomitees,  in  der  kritischen 
Stunde  das  Volk  nicht  im  Stiche  Hessen,  sondern  selber  vorne 
hinstanden,  wo  es  am  gefährhchsten  war,  kann  die  S^-mpathien 
für  sie  nur  vermehren.  Diese  Männer  fühlten  sich  getragen  und 
vorwärtsgedrängt  von  einer  übermächtigen  Strömung,  die  — 
weil  sie  nun  einmal  gegen  die  Radikalen  ging  —  selbst  einem  so 
guten  Demokraten  wie  Jonas  Furrer  das  Geständnis  abpresste,  er 
könne  und  möge  gar  nicht  sagen,  was  in  ihm  vorgehe,  wenn  er 
nur  vom  ,, Volkswillen"  höre   . . . 

Liberale  IMittelsmänner  hatten  den  Führern  der  Bewegung 
unter  der  Hand  zugesagt,   bei  der  nächsten  Teilerneuerung  des 


176  SIEBZEHNTES  KAPITEL:    REVOLUTION  o 

Regierungsrates  ein  paar  von  den  im  Austritt  befindlichen  radi- 
kalen Mitgliedern  beseitigen  zu  helfen.  Am  3.  April  bot  sich  dazu 
Gelegenheit,  aber  der  Grosse  Rat  bestätigte  sämthche  sechs 
Regierungsräte,  die  sich  der  Wiederwahl  zu  unterziehen  hatten. 
Folgenden  Tages  kamen  die  158  Petitionen  der  Kirchge- 
meinden zur  Behandlung.  Referent  Surber  beantragte,  die  114 
Petitionen  der  milderen  Fassung  (zweite  Redaktion)  an  die  am 
19.  und  20.  März  bestellten  Kommissionen  zu  weisen,  über  die 
andern  (schärfere,  erste  Redaktion)  zur  Tagesordnung  zu  schreiten. 
Dr.  Keller  wollte  sämtliche  durch  Vermittlung  des  XXIIer  Ko- 
mitees eingegangene  Petitionen  abweisen  und  charakterisierte  die 
Bewegung  neuerdings  als  ,, etwas  Schlechtes  in  jeder  Beziehung" 
und  einen  schlecht  bemäntelten  Aufruhr  weniger  \"erfiihrer  und 
vieler  Verführten.  Das  Resultat  der  Beratung  war  die  Über- 
weisung sämtlicher  Petitionen  an  die  Kommissionen  ohne  jede 
Rüge  oder  Missbilligung.  Hieher  gehört  nun  ein  kleines  vStimmungs- 
bildchen  aus  den  Aufzeichnungen  von  \^'ilhelm  Meyer-Ott, 
der  sich  selbst  als  ,, nicht  eigentlich  ruhigen,  aber  ehrbaren  Bürger 
in  Stadelhofen"  bezeichnet.  Ja,  das  war  er,  durch  und  durch 
ehrenhaft  und  von  einer  kostbaren  Geradheit  und  Aufrichtigkeit. 
Tausende  dachten  wie  er,  und  die  Berichte  von  Meyer-Ott,  die  sein 
Sohn,  der  ebenfalls  schon  oft  zitierte  Kirchenratssekretär  Dr. 
F.  Meyer  im  Zürcher  Taschenbuch  1910  mitgeteilt  hat,  dürfen 
wohl  zu  den  wertvollsten  Quellen  der  Geschichte  des  6.  September 
1839  gezählt  werden.  Anknüpfend  an  die  Berufung  von  Strauss 
schreibt  Meyer-Ott,  damals  Kassier  der  „Bank  in  Zürich"  auf  der 
,, Meisen":  ,,Das  Zentralkomitee  wurde  von  entschlossenen  Freun- 
den gleichsam  auf  den  Knieen  gebeten,  Gewalt  zu  brauchen. 
Aber  es  blieb  standhaft.  Die  von  den  Radikalen  so  oft  verhöhnten 
Häupter  desselben,  Hürlimann-Landis,  Dr.  Ralin,  Pfarrer  Meyer 
und  andere,  erklärten:  Ihr  Freunde,  wir  wollen  keine  Revolution, 
wir  werden  auf  gesetzlichem  \^'ege  verharren  und  Gott  wird  uns 
helfen.  —  Das  ist  ganz  gut,  sagten  wir  andern,  aber  Ihr  habt  es 
mit  schlechten  Kerls  zu  tun,  die  Euch  nur  auslachen.  Lasst  doch 
nur  während  des  Grossen  Rates  ein  wenig  unbewaffnetes  Volk  in 
die  Stadt  kommen,  wir  bitten  Euch!  —  Da  schrieb  das  Zentral- 
komitee an  alle  Gemeinden:  Wir  erwarten  von  Euch,  dass  Ihr 
während  des  Grossen  Rates  ruhig  zu  Hause  bleibt  und  nicht  nach 


o  SIEBZEHNTES  KAPITEL:    REVOLUTION  177 

Zürich  kommt.  — •  Man  gehorchte,  aber  viele  weinten  vor  Zorn. 
Der  Grosse  Rat  trat  zusammen  und  beschloss  Straussens  Ent- 
fernung; die  Petition  aber  warf  er  gleichsam  unter  den  Tisch,  und 
einige  Mitglieder  Hessen  die  empörendsten  Äusserungen  über  Re- 
ligion imd  Gottesdienst  hören.  Das  Volk  knirschte.  Einige  Männer 
des  juste  milieu  intriguierten  beim  Komitee  und  versprachen  bei 
den  gleichzeitig  eingetretenen  Emeuerungswahlen  von  einem 
Drittel  des  Regierimgsrates  ihre  Beihilfe  zur  Ausstossung  einiger 
schlechter  Subjekte.  Diese  dem  Grossen  Rate  zuständigen  Wahlen 
wurden  vorgenommen  und  jene  schlechten  Menschen  alle  mit 
grossem  Mehr  wieder  gewählt.  Das  war  nach  Ostern.  Das  Volk 
tobte;  aber,  hiess  es,  jetzt  kommt  die  Feldarbeit.  Nach  dem 
Herbst  wollen  wir  mit  der  Regiertmg  abrechnen,  nach  dem  Herbst !" 
Von  vielen  Seiten  war  das  Zentralkomitee  dringend  ge- 
beten worden,  seine  Tätigkeit  wieder  aufzunehmen.  Kaum  ab- 
gesessen, schwang  es  sich  denn,  mit  ,, freudigem  Ernst"  dem  er- 
haltenen Rufe  Folge  leistend,  wohlgemut  wieder  in  den  Sattel 
und  ergriff  mit  fester  Hand  die  Zügel.  Die  vSitzung  vom  22.  April 
in  Zürich  zeitigte  ein  Sendschreiben  an  das  Volk,  mit  welchem 
das  Zentralkomitee  seine  politische  Tätigkeit  offiziell  er- 
öffnete. Dieses  Sendschreiben  ,,an  die  Bürger  der  vereinigt  pe- 
titionierenden Gemeinden"  enthielt  nämlich  die  energische  Auf- 
forderung zu  lebhafter  BeteiUgung  an  den  bevorstehenden  Ge- 
meindewahlen, bei  denen  dafür  gesorgt  werden  müsse,  dass 
rechtschaffene  und  gottesfürchtige  Männer  in  die  Gemeinde- 
behörden kommen.  Gleichwohl  ist  das  Zentralkomitee  natürhch 
auch  hier  ,,fem  davon,  das  Politische  mit  imserer  heihgen  Sache 
vermengen  zu  wollen,  wie  gerne  und  gefhssen  auch  unsere  Gegner 
uns  dieses  andichten".  Die  Eröffnung  des  Wahlkampfes  durch 
das  Zentralkomitee  nötigte  an  verschiedenen  Orten  Bürger  und 
Gemeinden  zu  öffentHchen  Verwahrungen  gegen  allfällige  ,, Ver- 
dächtigungen", straussisch  gesinnt  zu  sein.  Mit  ihren  Namens- 
unterschriften bezeugten  Kantonsräte  in  gemeinsamen  öffent- 
lichen Erklärungen,  im  Grossen  Rat  gegen  Strauss  gestimmt  zu 
haben.  Die  Gemeindewahlen  standen  ersichtlich  im  Zeichen  der 
Glaubens bewegung.  Die  Kirchgemeinde  Neumünster  zum  Bei- 
spiel entfernte  am  28.  April  vier  ,,Straussen"  aus  der  Schulpflege. 
Der  Regierungsrat,  noch  nicht  gewitzigt,  kassierte  die  von  Radi- 


I7S  SIEBZEHNTES  KAPITEL:    REVOLUTION  o 

kalen  aus  formellen  Gründen  angefochtenen  Wahlen  der  Gemeinden 
Wald  und  Wetzikon,  deren  Mannschaft  nunmehr  samt  und  son- 
ders zum  Zentralkomitee  überging.  In  der  Grossratssession 
vom  24.  bis  27.  Juni  kamen  die  „Volksv^Tinsche"  der  Kirch- 
gemeindepetitionen zur  materiellen  Erledigung.  Die  wichtigsten 
derselben  wurden  abgelehnt,  so  namentlich  die  gemischte 
Kirchensynode,  die  Revision  des  Seminargesetzes,  das  Vorschlags- 
recht des  Kirchenrates  für  Professorenwahlen  usw.  Einige  Kon- 
zessionen machte  man  bezüglich  vermehrter  Religionsstunden  in 
den  Schulen.  Die  Antwort  des  Zentralkomitees  bestand  zu- 
nächst in  dem  Beschluss  (2.  Juli),  eine  neue  Petition  vor- 
zubereiten betreffend  die  im  Herbst  bevorstehende  Emeuerungs- 
wahl  des  Erziehungsrates  und  einen  Plan  zur  Errichtung  eines 
,,auf  christlichem  Grund  und  Boden  wurzelnden  Schullehrer- 
Seminars".  In  der  ,, Freitagszeitung"  wurde  gesagt:  ,, Zwischen 
dem  Volke  und  seinem  Stellvertreter  ist  bei  uns  eine  ungeheure 
Kluft,  und  die  Regierung  scheint  sich  zur  äussersten  Linken  halten 
zu  wollen.  So  geschraubt,  wie  die  Sachen  nun  stehen,  können  sie 
sich  unmöglich  auf  die  Dauer  erhalten.  Aber  kein  anderer  Aus- 
weg ist  vorhanden,  als  dass  das  Volk,  auf  seine  verfassungsmässigen 
Rechte  sich  stützend,  sich  versammle  und  a.  Abschaffung  der 
indirekten  Wahlen  verlange,  b.  das  Veto  (Referendum)  in  die 
Verfassung  einführe." 

Über  die  hochbedeutsame  Sitzung  des  Zentralkomitees 
vom  8.  August  berichtet  das  nämliche  Blatt:  ,,Das  Zentralkomitee 
hat  in  seiner  heutigen  Sitzung  infolge  langer  und  ernster  Dis- 
kussion beschlossen,  dem  Volke  eine  Beleuchtung  der  heihgen 
Sache,  wie  sie  sich  durch  die  Beschlüsse  des  Grossen  Rates  gestaltet, 
vorzulegen.  Alle  Deputierten  stimmten  darin  überein,  dass  das 
Volk,  dem  die  Sache  immer  noch  von  der  nämUchen  Bedeutung 
sei,  sich  mit  den  kleinen  Vergünstigungen  des  Grossen  Rates  umso- 
weniger  begnügen  werde,  als  einzelne  Hochgelehrte  in  ihren  Voten 
nur  zu  klar  gezeigt,  wie  fern  sie  dem  Volk,  seinen  Wünschen  und 
seinem  Glauben  stehen.  Die  Garantie  für  die  Aufrechthaltung 
der  Verfassung  und  namentUch  des  §  4  derselben  muss  geleistet 
werden,  bevor  das  Volk  sich  beruhigen  wird;  der  Erziehungsrat 
muss  in  vielen  seiner  Mitglieder  anders  komponiert  werden,  bevor 
die  Schule  als  eine  christliche  gesichert  ist.    Es  ist  das  Zentral- 


o  SIEBZEHNTES  KAPITEL:    REVOLUTION  179 

koniitee,  wie  bisher,  fest  entschlossen,  auf  gesetzlichem  Wege 
zu  bleiben;  aber  auf  diesem  Wege  wird  es  standhaft  und  aus- 
dauernd bis  zum  Ziele  gehen,  nicht  fürchtend  weder  den  gottlosen 
Spott,  noch  die  eitlen  Drohungen  seiner  Gegner.  Bessert  es  früher 
nicht,  so  wird  doch  die  Zeit  der  Emeuerungswahlen  das  treue 
Volk  dahin  bringen,  an  die  Stelle  seiner  Gegner  seine  Repräsen- 
tanten zu  setzen;  vielleicht  bringt  die  Zeit  noch  vorher  glückliche 
Änderungen." 

Das  hier  angekündigte  Sendschreiben  des  Zentral- 
komitees, ebenfalls  vom  8.  August  datiert,  knüpft  an  die  Mit- 
teilung der  Grossratsbeschlüsse  die  Bemerkung,  dass  die  Be- 
sorgnisse des  Zentralkomitees  keineswegs  gehoben  seien  und  das 
Volk  sich  bei  den  Äusserungen  seiner  Gegner  im  Grossen  Rat 
nicht  beruhigen  könne.  ,, Solange  die  Gegner  solche  Waffen  gegen 
Euch  brauchen,  solange  sie  solche  zu  den  ihrigen  zählen,  die  nicht 
nur  gegen  Euch  mit  unehrUchen  Waffen  kämpfen,  sondern  Gottes 
deutliche  Offenbarung  Unwahrheit  nennen  und  also  auch  diese 
verwerfen,  solange  kann  von  einer  Beruhigung  und  einer  auf- 
richtigen Versöhnung  keine  Rede  sein."  Das  Zentralkomitee  hält 
es  deshalb  für  seine  Aufgabe,  auch  fernerhin  noch  andere  gesetz- 
liche Mittel  und  Wege  aufzusuchen  und  anzuraten,  um  die  ge- 
wünschten Garantien  zu  erhalten.  Darüber  soll  jetzt  mit  den 
Bezirkskomitees  beraten  werden.  Das  Sendschreiben  schliesst  mit 
den  Worten:  ,,Wir  grüssen  Euch  im  Namen  des  Herrn."  Es  hätte 
ebensogut  sagen  können:  ,,Es  lebe  die  Revolution".  Die 
Kriegserklärung  war  deutUch  und  wurde  auch  verstanden.  Mit 
dürren  Worten  sagte  das  Komitee:  wir  geben  keine  Ruhe  und 
keinen  Frieden,  bis  wir  eine  christliche  Regierung  und  einen 
christUchen  Grossen  Rat  haben. 

Sogleich  nach  dem  Erscheinen  des  Sendschreibens  schlug  der 
,, Republikaner"  L,ärm  und  sagte  es  dem  Zentralkomitee  auf  den 
Kopf  zu,  dass  es  revolutionieren  wolle.  Das  wurde  bestritten 
und  noch  am  16.  August  unter  anderm  erklärt:  ,,Von  einer  Volks- 
versammlung ist  weder  geheim  noch  offen  die  Rede;  davor 
brauchen  sich  die  Herren  nicht  zu  fürchten." 

Was  gedachte  nun  eigentHch  die  Regierung  zu  tun?  Im 
Gegensatz  zu  der  kraftvollen  Energie  und  Geschlossenheit,  welche 
das  Zentralkomitee  beseelte,  bot  sie  das  Bild  jämmerlicher  Lahm- 


l8o  SIEBZEHNTES  KAPITEL:    REVOLUTION  o 

heit  und  Zerrissenheit.  Sie  hatte  es  dulden  müssen,  dass  dieses 
Zentralkomitee  einen  erheblichen  Teil  der  öffentlichen  Gewalt  an 
sich  riss,  dass  es  sich  in  seinen  Erlassen  und  Kundgebungen  über 
den  Kopf  der  Regierung  liinvveg  direkt  an  das  Volk  wandte  und 
in  Anordnungen,  die  den  Stil  amtlicher  Verfügungen  trugen,  die 
politische  Organisation  der  Aktivbürgerschaft,  als  welche  damals 
die  Kirchgemeinden  anzusehen  waren,  ungescheut  zu  seinen 
Zwecken  benützte.  Man  sehe  sich  die  verschiedenen  Sendschreiben 
an,  in  denen  die  Kirchgemeinden  „eingeladen"  werden,  an  diesem 
und  jenem  Tage  ihre  Versammlungen  zu  halten,  und  in  denen 
unter  anderm  verfügt  wird,  dass  die  Petition  nur  als  Ganzes  durch 
offenes  Stimmenmehr  anzunehmen  oder  zu  verwerfen,  vom  Präsi- 
denten und  Aktuar  namens  der  Gemeinde  zu  unterzeichnen  sei  usw. 
Was  aber  das  vSchlimmste  war:  diesen  Anordnungen  und  Ver- 
fügungen des  Zentralkomitees  wurde  überall  mit  dem  grössten 
Eifer  nachgekommen,  während  den  Befehlen  der  wirkHchen  Re- 
gierung durch  verschiedene  Statthalter  und  \'iele  Gemeinde- 
beamte nur  sehr  lässig  oder  gar  nicht  gehorcht  wurde.  Wie  konnte 
es  auch  anders  sein,  da  der  unheilvolle  Zwiespalt  in  der  Regierung 
längst  offenkundig  war  und  sie  bei  den  Bürgern  wirkUche  Achtung 
nicht  mehr  genoss  und  auch  kaum  mehr  verdiente.  Von  den 
19  Regierungsräten  waren  zum  mindesten  Eduard  mid  Melclüor 
Sulzer,  sowie  Hegetschweiler  als  ,,Antistraussen"  und  heimUche 
Freunde  und  Helfershelfer  des  Glaubenskomitees  zu  betrachten. 
Regierungsrat  H.  Escher,  der  diese  drei  Kollegen  einfach  als  Ver- 
räter bezeichnet,  berichtet  sogar  von  nächtlichen  Zusammen- 
künften Hegetschweilers  mit  dem  engem  Ausschuss  des  Glaubens- 
komitees im  Haus  eines  gewissen  Stauber  im  Seefeld.  Der  Staats- 
schreiber J.  H.  Hottinger  und  sein  Sohn  und  Gehilfe  waren  dem 
Komitee  mit  Leib  und  Seele  ergeben;  das  letztere  erfuhr  jedes 
Wort,  das  im  Regierungsrat  gesprochen  wurde,  und  hatte  Kennt- 
rus  von  amtlichen  Verfügungen  noch  vor  ihrer  Publikation. 
Einer  der  aufrechten,  achtungswerten  und  in  jeder  Hinsicht 
makellosen  Charaktere  im  Regierungsrat  war  Oberst  Heinrich 
Weiss  von  Fehraltorf,  der  Präsident  des  Kriegsrates.  Dr.  Ludwig 
Keller  hatte  dem  Regierungsrat  nie  angehört,  sondern  vor- 
gezogen, als  Präsident  des  Obergerichts  und  Drahtzieher  hinter 
den  Kulissen  des  Regierungsrates  beide  ,, Gewalten"  zu  dirigieren. 


o  SIEBZEHNTES  KAPITEL:   REVOLUTION  i8i 

Am  Abend  des  20.  August  fand  eine  vertrauliche  Be- 
sprechung zwischen  einigen  radikalen  Mitgüedern  des  Re- 
gierungsrates statt,  an  welcher  auch  Dr.  Ludwig  Keller  teilnahm. 
Man  kam  ohne  viel  Worte  zu  dem  Schlüsse,  die  Regierung  dürfe 
dem  erneuten  Treiben  des  Zentralkomitees  nicht  stillschweigend 
zusehen;  es  sei  evident,  dass  die  ganze  Tendenz  derer,  die  an  der 
Spitze  stehen,  eine  poHtische  und  nichts  weniger  als  eine  rehgiöse 
sei.  Den  Bürgern  des  Landes,  denen  Ruhe  und  Ordnung  heb 
wären  und  die  sich  aufs  neue  nach  dem  Schutze  der  Regierung 
gegen  leidenschafthche  Verfolgung  in  dem  Masse  sehnten,  dass 
sie  sich  mit  \"erachtung  von  der  schwachen,  ohnmächtigen  Re- 
gierung zu  wenden  drohten,  sei  man  schuldig,  zur  Wiederherstel- 
lung eines  geregelten  Zustandes  das  MögUche  zu  tun.  Man  kam 
überein,  dass  Oberst  W'eiss  im  Namen  des  Poüzeirates  einen  An- 
trag auf  Erlass  eines  Dekrets  oder  dergleichen  im  Regierungsrat 
stellen  solle.  Oberst  Fierz  und  Dr.  Ludwig  Keller  übernahmen  es, 
inzwischen  den  stets  unentschiedenen  Amtsbürgermeister  Hess  im 
Sinne  der  Konferenzbeschlüsse  zu  bearbeiten,  was  denn  auch 
von  Dr.  Keller  mit  vollem  Erfolg  besorgt  wurde.  In  einer  Unter- 
redung mit  Oberst  Weiss  am  22.  August  zeigte  sich  Hess  sehr  ent- 
schlossen und  übergab  Weiss  den  von  Keller  verfassten  Entwurf 
einer  Kundmachung  mit  der  Bitte,  sie  während  der  vSitzung  der 
Tagsatzung,  die  seit  dem  i.  Juli  unter  dem  Vorsitz  von  Hess 
in  Zürich  tagte,  mit  Keller  noch  vollends  zu  redigieren. 

Auf  Freitag  den  23.  August  morgens  7  Uhr  hatte  Amts- 
bürgermeister Hess  eine  ausserordentliche  Sitzung  des  Re- 
gierungsrates anberaumt.  In  seiner  Eröffnungsansprache  er- 
klärte Hess,  dass  ihm  bei  der  erneuten  Tätigkeit  des  Zentral- 
komitees notwendig  scheine,  auch  von  selten  der  Regierung  Schritte 
zu  tun,  indem  jenes  Treiben  die  Schranken  der  GesetzUchkeit 
überschreite,  immer  frecher  und  arroganter  werde  und  das  Ansehen 
der  Behörden  und  ihre  Wirksamkeit  total  untergrabe.  Dann  gab 
er  Oberst  Weiss  das  Wort  zur  Begründung  seines  Antrages, 
welcher  in  ernster  Stimmimg  auseinandersetzte,  dass  es  einem  so 
unermüdlich  tätigen  Feinde  gegenüber  Pflicht  der  Regierung  sei, 
nochmals  wenigstens  den  Versuch  zu  machen,  die  Zügel  zu 
erfassen  und  sich  einer  Existenz  zu  entwinden,  wo  sie  in  allen 
ihren   Verrichtungen   gehemmt   und   kontrakarriert   würde.     Alle 


i82  SIEBZEHNTES  KAPITEL:    REVOLUTION  o 

Mitglieder  hörten  beifällig  zu;  nur  Hegetschw eiler  schüttelte 
den  Kopf  und  sagte  dann,  der  Zeitpunkt  zum  Einschreiten  sei 
noch  nicht  da;  bis  jetzt  sei  vom  Komitee  aus  nichts  Ungesetzliches 
geschehen  und  wenn  man  nicht  reize,  werde  auch  nichts  ge- 
schehen. Solche  Massnahmen  schaden  mehr  als  sie  nützen;  sie 
verdächtigen  die  Sache  der  Regierung  und  bringen  das  \'olk  in 
Harnisch.  Überdies  sei  von  den  Radikalen,  die  jetzt  diesen  Vor- 
schlag bringen,  und  ihren  Organen  vieles  verdorben  und  auf  die 
Spitze  getrieben  worden.  Finde  die  Regierung  sich  stark  genug, 
bei  den  Vereinen  und  Gemeinden  zu  imponieren  imd  mit  Erfolg 
gegen  sie  zu  agieren,  wohl,  so  möge  sie  es  tun;  dann  aber  müsse 
sie  nicht  bloss  bei  diesem  Erlass  stehen  bleiben,  sondern  weiter 
gehen,  dem  Komitee  befehlen,  sich  aufzulösen,  und  die  \^'ider- 
spenstigen  bestrafen  lassen.  Wäre  man  des  Erfolges  sicher,  so 
würde  er  aucli  dabei  sein,  allein  er  bezweifle  dieses.  Während 
dieser  Rede  hatte  Bürgermeister  Hess  mehrere  Zeichen  des  Un- 
willens und  der  Ungeduld  gegeben;  mit  bittem  Worten  widerlegte 
er  sodann  den  Redner  und  verlangte  Entscheidung.  Nachdem 
noch  H.  Escher  in  ähnlichem  Sinne  wie  Hegetschweiler  ge- 
sprochen, wurde  der  Dekretsentwurf  angenommen.  M.  Sulzer 
war  erst  unmittelbar  vor  der  Abstimmung  eingetreten,  hatte  pro 
forma  nach  dem  Stand  der  Verhandlungen  sich  erkundigt  und 
sich  dann  der  Abstimmung  enthalten.  Eduard  Sulzer  war  in 
Baden  und  missbilHgte  nachträghch  den  Regierungserlass.  Ver- 
traulich und  ausserhalb  der  Beratung  hatte  Hegetschweiler 
noch  zu  Oberst  Weiss  geäussert:  ,,Mein  Gott,  es  wäre  um  ein 
geringes  Opfer  zu  tun,  alles  wieder  ins  Geleise  zu  bringen !  Könnten 
sich  diese  drei,  vier  Männer,  um  die  es  sich  handelt,  denn  nicht 
entschhessen,  das  Opfer  zu  bringen  ?  \^ersprechen  Sie  wenigstens, 
Scherr  fallen  zu  lassen."  Weiss  wies  dieses  Ansinnen  zurück  mit 
dem  Bemerken,  es  wäre  eine  Schande  für  alles,  was  Mann  heisst 
im  Kanton  Zürich,  wenn  man  mit  Wahrheit  sagen  könnte,  es 
wären  ihrer  dreie  oder  viere,  die  im  Kanton  Zürich  Sonnenschein 
und  Regen,  Glück  oder  Unglück  machen  könnten,  und  zu  einem 
so  schwarzen  Undank  den  \'erdiensten  Scherrs  gegenüber  würde 
er  nimmermehr  Hand  bieten.  ,,Nun,  wenn  man  nicht  will,  in 
Gottes  Namen,"  erwiderte  Hegetschweiler  achselzuckend  und 
kehrte  dem  Kollegen  den  Rücken. 


o  SIEBZEHNTES  KAPITEL:    REVOLUTION  183 

In  dem  nunmehr  beschlossenen  Erlass  des  Regierungs- 
rates vom  23.  August  wird  gesagt,  dass  in  den  vom  Komitee  an- 
gebahnten Schritten  ungeachtet  des  Anstrichs  von  Gesetzlichkeit 
nichts  anderes  liege  als  eine  Aufwiegelung  gegen  verfassungs- 
mässige Behörden  und  die  von  denselben  ausgegangenen  Amts- 
handlungen. Diese  Bestrebungen  erscheinen  umsoweniger  als  mit 
der  Ordnung  im  vStaate  verträglich,  als  der  vStaatsorganismus 
selber  dazu  missbraucht  werde,  eine  unrechtmässige  Gewalt  den 
gesetzlichen  Behörden  entgegenzustellen.  Die  Statthalter  der 
II  Bezirke  werden  deshalb  beauftragt,  an  alle  ihre  Gemeinde- 
ammänner, Gemeinderäte,  Pfarrer,  Stillstände  und  Beamte  sofort 
durch  Expresse  und  unter  Zustellung  des  gegenwärtigen  ge- 
druckten Erlasses  den  ausdrückUchen  Befehl  ergehen  zu  lassen, 
bei  Verantworthchkeit  keine  Gemeindeversammlungen  in- 
folge etwaiger  von  jenem  sogenannten  Zentral-  oder  andern  ähn- 
lichen Komitees  ausgegangenen  Aufträge  zu  veranstalten.  Gegen 
Dawiderhandelnde  soll  gehörigen  Ortes  Klage  eingeleitet  werden. 

Aus  den  tindichten  Wänden  des  Regiermigsratssaales  ver- 
breitete sich  die  Kimde  von  dem  Erlass  wie  ein  L,auffeuer  durch  die 
ganze  Stadt.  Schon  mn  11  Uhr  wurde  er  auf  einem  Cafehaus 
laut  als  Verfassungsbruch  proklamiert.  Die  Regierung  will 
die  Gemeindeversammlimgen  verbieten,  das  Petitionsrecht  ab- 
schaffen, sie  hat  die  Verfassung  gebrochen  —  das  flog  von  Mund  zu 
Mund.  Der  engere  Ausschuss  des  Zentralkomitees  bemächtigte 
sich  sofort  des  Erlasses  und  liess  ihn  samt  einem  gehörigen  Kom- 
mentar abdrucken,  lun  ihn  durch  seine  beflügelten  Boten,  der 
amthchen  vSchneckenpost  weit  vorauseilend,  in  alle  Gemeinden 
verbreiten  zu  lassen  und  für  den  Befehl  der  Regierung,  wenn  er 
dann  endlich  eintreffen  werde,  einen  angemessenen  Empfang  vor- 
zubereiten. ,, Teure  Mitbürger!  Brüder!",  sagt  das  Komitee  in 
seinem  Kommentar,  ,,wir  teilen  Euch  mit  unserer  gewohnten 
Offenheit  den  obigen  Beschluss  (des  Regierimgsrates)  mit."  Es 
ruft  die  ganze  Welt  zum  Zeugen  dafür,  dass  es  sich  immer  innert 
den  Schranken  der  Verfassung  und  der  Gesetze  bewegt  habe. 
Nie  habe  es  den  Gemeinden  Befehle  oder  Aufträge,  sondern  nur 
Ratschläge  erteilt.  Trotzig  wird  beigefügt:  ,, Solange  Ihr  ihm 
Euer  Vertrauen  schenkt,  wird  es  Euch  ferner  beistehen,  bis  die 
heihge    Sache    zu    Euerer    Befriedigung    erledigt    sein    wird,    uu- 


i84  SIEBZEHNTES  KAPITEL:    REVOLUTION  o 

bekümmert  um  alle  Kränkungen,  die  wir  für  unsere  Hingebung 
erfahren.  Die  Gemeinden  dürfen  sich  in  ihren  Angelegenheiten,  von 
wem  immer  es  sei,  raten  lassen,  und  mit  der  Verfassung  und  den 
Gesetzen  in  der  Hand  werden  sie  ihr  Recht  geltend  zu  machen 
wissen,  jeden  beUebigen  Gegenstand,  der  von  der  Vorsteherschaft 
oder  von  einzelnen  Bürgern  ihnen  vorgelegt  wird,  in  Beratung  zu 
ziehen  und  darüber  Beschlüsse  zu  fassen.  Seid  mannhaft  und 
stark.    Der  Herr  wird  Eure  gute  Sache  zum  Siege   führen." 

Die  Staatsanwaltschaft  interessierte  sich  um  den  an- 
gekündigten Kommentar  des  Zentralkomitees  und  Hess  in  der 
Buchdruckerei  Zürcher  &  Furrer  die  ganze  Auflage  von  3000  Stück 
beschlagnahmen.  Etwa  120  Stück  waren  allerdings  bereits  an 
den  Aktuar  Spöndhn  abgehefert  worden.  Der  Komiteeausschuss 
liess  nun  den  etwas  abgeschwächten  Kommentar  hthographieren 
und  zur  Versendung  bringen.  vStaatsanwalt  Ulrich  aber  erbUckte 
in  dem  vom  Komitee  gebrauchten  Bibelspruch  ,,Seid  mannhaft 
und  stark"  (i.  Kor.  16,  13)  die  direkte  Aufforderung  zum  Drein- 
schlagen  und  erhob  gegen  die  Mitgheder  des  engem  Ausschusses 
Hürhmann,  Rahn,  Spöndhn  und  Bleuler  Strafklage.  Einen  ähn- 
lichen Bibelspruch-Prozess  hatte  der  Staatsanwalt  in  diesen  Tagen 
- —  die  ja  zu  solchen  Häkeleien  geeignet  waren  wie  keine  andere 
Zeit!  —  angehoben  gegen  die  ,, Schweiz.  Evang.  Kirchenzeitung" 
wegen  des  Ausdrucks,  die  Väter  des  Landes  hätten  einen  ,, Frevel 
im  Heiligtum"  gutgeheissen.  Vom  Kriminalgericht  freige- 
sprochen, wurden  die  beiden  Redaktoren  am  2.  September  vom 
Obergericht  zu  je  64  Franken  Busse  und  den  Kosten  verurteilt. 
Die  Mitgheder  des  Komitees  wurden  am  4.  September  vom  Kri- 
minalgericht freigesprochen;  die  Berufung  des  Staatsanwalts  ans 
Obergericht  wurde  durch  die  Ereignisse  hinfälhg. 

Von  den  Radikalen  abgesehen,  welche  die  vorübergehende 
Anwandlung  von  Energie  der  Regierung  freudig  begrüssten,  fand 
der  Erlass  vom  23.  August  im  Laude  eine  recht  schlechte  Aufnahme 
und  verursachte  bedeutende  Aufregung.  Von  den  Statthaltern 
wurde  das  Dekret  sehr  verschieden  aufgefasst  und  ausgelegt; 
einzelne,  wie  Hirzel  in  Wetzikon,  gingen  scharf  ins  Zeug  mid  knüpf- 
ten von  sich  aus  noch  strengere  Weisvmgen  an  dasselbe;  andere 
nahmen  es  bedeutend  gemütHcher.  Von  den  Gemeindevorständen 
vervveigerten  eine  Reihe  rundweg  den  Gehorsam  und  wiesen  die 


o  SIEBZEHNTES  KAPITEL:    REVOLUTION  185 

Verfügungen  der  Regierung  zurück.  Der  Stadtrat  Zürich 
antwortete  am  27.  August  ganz  im  Tone  des  Komiteeschreibens. 
ÄlmUch  tönte  es  von  Erlenbach,  Pfäffikon,  Illnau,  Kyburg,  dessen 
Stillstand  (Kirchenpflege)  und  Gemeinderat  antworteten,  sie  seien 
der  Regierung  nur  dann  Gehorsam  schuldig,  wenn  ihre  Befehle 
mit  der  Verfassung  und  ihrer  Überzeugung  übereinstimmen. 
Ganz  vereinzelt  bheb  das  Vorgehen  der  Gemeinde  Uster,  welche 
sich  am  23.  August  vom  Komitee  losgesagt  hatte,  weil  dessen  Ten- 
denzen anfingen,  mehr  pohtischer  denn  rehgiöser  Natur  zu  sein. 
Die  Bezirksorganisation  Uster  bheb  jedoch  fortbestehen.  Wie 
wenn  das  Komitee  noch  nicht  genug  Beschwerdepunkte  hätte  und 
die  Regierung  ihm  weitem  Agitationsstoff  besorgen  müsste,  be- 
schlagnahmte die  Staatsanwaltschaft  wiederholt  auf  der  Post  den 
(in  Frauenfeld  gedruckten)  ,, Beobachter  aus  der  östlichen  Schweiz" 
und  gab  das  Blatt  erst  frei,  nachdem  der  Staatsanwalt  imd  der 
Bürgermeister  Hirzel  es  gelesen  hatten. 

Das  Zentralkomitee,  ,,mit  einigen  andern  einflussreichen 
Leuten",  versammelte  sich  am  Donnerstag  den  29.  August  in 
Kloten.  Der  Beschluß  der  Versammlung  ging  dahin:  Montag 
den  2.  September  vormittags  9  Uhr  versammeln  sich  sämtliche 
Bezirkskomitees  zu  einer  Generalversammlung  in  Kloten  mit 
der  Tagesordnung:  Wahlvereine  und  neue  Petition.  Das  war  die 
Anberamnimg  einer  Volksversammlung,  ,,denn  wenn  man  in 
Zeiten  von  Gärung  ein  paar  Hundert  speziell  zusammenruft,  dann 
will  man,  dass  fünfmal  so  viel  Tausende  erscheinen  sollen"  (Meyer- 
Ott).  Die  Atmosphäre  ward  schwül  wie  vor  einem  Gewitter; 
jeden  Augenbhck  konnte  der  Sturm  losbrechen.  Aus  einem  Ge- 
spräch vom  30.  August  zwischen  zwei  Männern,  von  denen  der 
eine  hernach  eine  hohe,  der  andere  eine  einflussreiche  Stellung  er- 
hielt, verzeichnet  L,.  Meyer  v.  Knonau  das  Wort:  ,,Wenn  man 
nur  trauen  dürfte!"  An  diesem  Tage  waren  im  Cafe  Utteraire 
im  ,, Roten  Turm"  etwa  60  Radikale  aus  dem  ganzen  Kanton 
versammelt.  ,, Alles  war  überzeugt,  dass  vSturm  und  Entscheid 
mit  schnellen  Schritten  herannahen,  und  alles  hoffte  auf  die 
Festigkeit  der  Regierung  als  das  einzige  Mittel,  den  Staat  aufrecht 
zu  erhalten.  Dieselbe  darin  noch  zu  bestärken,  wurde  eine  Adresse 
an  sie  beschlossen  imd  solche  durch  fünf  Abgeordnete  an  Bürger- 
meister Hess  überbracht." 


i86  SIEBZEHNTES  KAPITEL:    REVOLUTION  o 

Zu  ernster  Beratung  trat  am  31.  August  der  Regierungsrat 
zusammen.  Oberst  Weiss  rechtfertigte  den  Erlass  vom  23.  August 
und  referierte  über  die  Antworten  der  Gemeinden;  er  stellte  den 
Antrag,  durch  einen  neuen  Erlass  das  Volk  im  allgemeinen 
über  den  ersteren  aufzuklären.  Die  Andeutung,  dass  es  nötig 
werden  könnte,  Truppen  aufzubieten,  fand  zur  Verwunderung 
des  Referenten  selber  allgemeine  Zustimmung;  nur  Hegetsc h- 
weiler  stellte  die  Bedingung,  dass  gleichzeitig  der  Grosse  Rat 
einberufen  werde,  um  ihm  über  die  Massregel  Rechenschaft  zu 
geben.  Es  wurde  beschlossen,  das  bereits  auf  Pikett  gestellte 
Auszügerbataillon  i  (Brunner)  auf  Pikett  zu  belassen,  das  Ba- 
taillon 4  (Markwalder,  621  Mann)  auf  vSonntag  abend  den  i.  Sep- 
tember nach  Züricli  einzuberufen.  Man  wählte  dieses  aus  dem 
Weinland  stammende  Bataillon,  weil  jene  Gegend  noch  als  halb- 
wegs regierungsfreundhch  galt.  Der  Oberbefehl  wurde  dem  ,,Zeug- 
herm"  Oberst  Salomon  Hirzel  im  Feldhof  übertragen.  Während 
der  Regierungsrat  zur  Behandlung  anderer  Geschäfte  überging, 
redigierten  Eduard  Sulzer  und  Zehnder  im  Nebenzimmer  die  neue 
Kundmachung  vom  31.  August,  die  noch  in  der  Nacht  in  40,000 
Exemplaren  gedruckt  werden  sollte.  Sie  erklärt,  es  seien  dem 
vorausgegangenen  Erlass  (vom  23.  August)  mit  oder  ohne  Absicht 
falsche  Deutungen  gegeben  worden,  welche  Beunruliigung  her\-or- 
Tufen  mussten.  Der  Regierungsrat  habe  jedoch  nicht  die  Ab- 
sicht, die  Befugnisse  der  Gemeinden  oder  das  Petitionsrecht  der 
Bürger  zu  beeinträclitigen,  sondern  ledighch  die  Ausübung  dieser 
Rechte  von  jedem  äussern  Zwang  rein  zu  bewahren.  Die  dem 
Stande  Zürich  als  gegenwärtigem  eidgenössischem  Vorort  in  noch 
erhöhtem  Masse  obhegende  Pflicht  der  Aufrechthaltung  von 
Ordnung  und  Gesetzen  habe  zu  einem  Truppenaufgebot  genötigt, 
das  aber  keineswegs  bestimmt  sei,  ruhige  Versammlungen  zu 
stören,  die  persönUche  Sicherheit  zu  gefährden  oder  die  Ausübung 
verfassungsmässiger  Befugiüsse  zu  hemmen.  —  Obwohl  dieses 
Truppenaufgebot  dem  Regierungsrat  eine  gewisse  martialische  Pose 
geben  sollte,  entging  es  dem  scharfen  Auge  seiner  Gegner  nicht, 
dass  er  den  mit  entschlossener  Geberde  aufgehobenen  Fehde- 
handschuli  des  Komitees  heimUch  wieder  hatte  fallen  lassen.  Die 
Regierung,  welche  sich  in  solchen  Momenten  aufs  Parlamentieren, 
Erklären  und  Entschuldigen  einlässt,    hat  Angst  und  ist  bereits 


o  SIEBZEHNTES  KAPITEL:    REVOLUTION  187 

verloren.  Mej'er-Ott  fand  die  Proklamation  noch  „zweideutig 
genug,  um  daraus  zu  ersehen,  dass  von  unserer  Seite  mit  Kraft 
gehandelt  werden  müsse". 

Der  Sonntag  (i.  September)  ging  in  der  Stadt  ziemUch 
ruhig  vorüber.  Nur  das  Komitee  befand  sich  in  fieberhafter  Tätig- 
keit für  die  Volksversammlung  vom  Montag.  In  den  Strassen 
wurden  Einladungen  verteilt  an  die  ,, teuren  Freunde  und  Glaubens- 
genossen", den  Verhandlungen  des  Volkes  in  Kloten  über  seine 
heiligsten  Interessen  beizuwohnen;  man  werde  sich  um  halb  sechs 
Uhr  beim  Helmhaus  sammeln  und  mit  Fahnen  nach  Kloten  ziehen. 
Im  spätem  Nachmittag  trafen  bereits  zahlreiche  L,andleute  auf 
dem  Durchmarsch  nach  Kloten  in  der  Stadt  ein,  und  die  Strasse 
dorthin  wimmelte  die  ganze  Nacht  über  von  Fussgängem,  Reiten- 
den und  Falarenden.  HürUmann-Landis  war  ohne  Aufenthalt  durch 
die  Stadt  gefahren.  Seine  Fabrikarbeiter  hatte  er  ermahnt,  ruhig 
weiter  zu  arbeiten  und  nicht  nach  Kloten  zu  gehen.  Am  Abend 
rückte  bei  strömendem  Regen  das  aufgebotene  Militär  in  die 
Stadt  ein.  Die  Ordre  de  bataille  weist  folgenden  Bestand  vom 
I.  September  auf:  Oberkommando  Oberst  Hirzel;  I.  Adjutant 
und  Stabschef  Oberstleutnant  Brunner;  II.  Adjutant  Oberst- 
leutnant Sulzberger;  Yo  Kompagnie  Artillerie  (Rynaclier); 
y2  Kompagnie  Scharfschützen  (Meister) ;  i  Kompagnie  Kavallerie 
(Forrer) ;  4.  Auszüger-Bataillon  (Markwalder) .  Dazu  kam  noch 
die  Militärschule  (der  sog.  Kadetten),  363  Mann,  darunter 
34  Dragoner  (Offiziere  und  Mannschaften),  unter  dem  Kommando 
des  Instruktors  Major  Uebel.  Insgesamt  befanden  sich  in  der 
Kaserne  im  Talacker  am  Sonntag  abend  iioo  Mann.  Die  Stim- 
mung unter  den  Leuten  war  nicht  die  beste.  Tropf nass  und  müde 
waren  sie  eingerückt,  und  man  hatte  jedem  von  ihnen  %  Mass 
34  er  Wein  nebst  Brot  gereicht,  bevor  die  Suppe  aufgetragen 
wurde.  Ferner  fasste  jeder  »Soldat  sogleich  30  scharfe  Patronen, 
wobei  allerlei  unhebsame  Bemerkungen  fielen.  Beim  Lichter- 
löschen machte  einer,  dem  der  Wein  zu  Kopf  gestiegen,  Radau. 
Junker  Hauptmann  Escher  vom  Birchrütihof  bei  Höngg  hess 
den  Schreier  in  Arrest  setzen,  aber  sogleich  nahmen  seine  Kame- 
raden für  ihn  Partei  und  verlangten  seine  Freilassung.  Der  Tumult 
verbreitete  sich  durch  die  ganze  Kaserne,  die  Obersten  Sulzberger, 
Brunner  und  ^Markwalder  eilten  herbei,   und   Sulzberger  entHess 


i88  SIEBZEHNTES  KAPITEL:   REVOLUTION  -  o 

nach  kurzem  Verhör  den  Mann  aus  dem  Arrest.  Aber  nun  kamen 
andere  Sachen  aufs  Tapet.  Die  Soldaten  wollten  wissen,  warum  man 
sie  einberufen;  es  sei  ja  nicht  an  ihnen,  sondern  das  i.  Bataillon 
sei  auf  Pikett,  aber  sie  müssten  immer  die  Narren  sein  und  daher- 
gelaufen kommen,  auch  wenn  die  Kelirordnung  gar  nicht  an  ihnen 
sei.  Das  möge  man  aber  zum  voraus  wissen,  dass  sie  nicht  auf 
ihre  Väter  und  Brüder  schiessen  werden.  Auch  wegen  der  dunkel- 
blauen und  hellblauen  Kapötte  gab  es  ein  ,, Spitzeln"  hin  und  her, 
und  schUesslich  forderten  die  ,, Dunkelblauen"  von  ihren  Offi- 
zieren, dass  auch  sie  künftig  die  Kapötte  mit  heininehmen  dürfen. 
Die  Offiziere  waren  himmelfroh,  als  die  Leute  endUch  auf  dem 
„Schrägen"  lagen  und  schUefen.  Auf  diese  Mannschaft  war  kein 
Verlass,  das  zeigte  sich  am  ersten  Abend  schon.  Am  Montag  bUeb 
die  Truppe  konsigniert;  nur  eine  ,, Ehrenkompagnie"  für  den  durch- 
reisenden Grossherzog  von  Baden  sollte  ausrücken.  Die  Dragoner 
der  Kompagnie  Forrer  verlangten  trotzig,  sogleich  nach  der  In- 
spektion nach  Hause  entlassen  zu  werden,  mid  man  musste  ihnen 
willfahren!  Am  Dienstag  den  3.  September  entschloss  sich  die 
Regierung  schweren  Herzens,  auch  das  Bataillon  Markwalder 
wieder  zu  entlassen.  Die  konser\^ative  Presse,  alle  ihre  Tra- 
ditionen verleugnend,  bilhgte  unverkennbar  die  Meuterei,  welche 
gezeigt  habe,  ,,dass  des  Vaterlandes  Söhne  überall  Brüder  sind". 


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ACHTZEHNTES  KAPITEL 


DER  TAG  VON  KLOTEN 

OIhr  siebenmal  gescheiten  Radikalen,  was  habt  Ihr  angestellt 
mit  Eurer  Politik,  den  Konservativen  einen  solchen  Tag  zu 
verschaffen,  viel  grösser  und  schöner  als  der  Tag  von  Uster!  So 
musstet  Ihr  es  machen,  so  verächthch  und  wegwerfend  von  allem 
reden  und  schreiben,  was  den  l,euten  heiUg  ist,  um  schliesshch 
den  ganzen  Kanton  auf  die  Beine  zu  bringen  und  gegen  Euch 
marschieren  zu  lassen.  Nun  sitzt  Ihr,  auf  ein  kleines  Trüpplein 
zusammengeschmolzen,  während  des  ,,herrhchen"  Tages  von 
Kloten  im  ,, Löwen"  zu  Bassersdorf  beisammen  wie  die  betrübten 
Lohgerber,  denen  die  Felle  fortgeschwommen,  und  flucht  auf  die 
,, fromme  Demagogie",  die  der  Eurigen  den  Rang  abgelaufen. 
Nehmt  Euch  nur  selber  bei  der  Nase;  dass  es  so  gegangen,  daran 
seid  Ihr  ganz  allein  und  selber  schuld.  —  Doch  auch  über  die 
Konservativen  muss  man  sich  wundern,  nun  sie  auf  der  Bahn 
der  Auflehnung  gegen  die  Obrigkeit,  der  Agitation,  der  Versamm- 
lungen und  Volkstage  zu  sehen.  Ihrem  Herzen  mag  es  wohlgetan 
haben,  einmal  vom  Jubel  des  Volks  umrauscht,  einmal  als  die 
„lieben,  guten  Herren"  vom  Volk  gepriesen  zu  werden,  einmal  die 
Süssigkeit  zu  kosten  der  wandelbaren  Volksgunst.  Es  lauert  aber 
ein  Dämon  in  der  heissflackemden,  imsteten  Liebe  des  Demos, 
der  gern  denjenigen  tötet,  der  geblendet  und  benebelt  sich  ihm 
in  die  Arme  wirft.  Einen  Tag  von  Kloten  gab  es  niemals  wieder. 
,,Im  Land  hinten  rüsten  sie  die  Wagen  und  nehmen  die 
Fahnen  her\^or,"  erzählte  einer  am  Sonntag  miserm  braven  Meyer- 
Ott.  ,,Wer?  Die  Unsrigen  oder  die  Radikalen?"  Die  Antwort 
wusste  man  ihm  lucht  zu  geben.  Die  ganze  Nacht  hindurch  regnete 
es  in  Strömen  und  am  Montag  früh  war  der  Himmel  grau  wie  ein 
Sack.  ,,Früh  um  5  Uhr  trete  ich  ans  Fenster  und  sehe  nichts  als 
Regen.  Da  tönt  es  in  der  Strasse  leise:  tratsch,  tratsch,  tratsch, 
und  ein  Zug  von  zwölf  ehrbar  gekleideten  Männern  schreitet  unter 
Regenschirmen    einher.     Hurrah,    das   kommt   gut!     Eine    Weile 


IQO  ACHTZEHNTES  KAPITEL:    DER  TAG  VON  KI.OTEN  o 

später,  tratsch,  tratsch ;  wieder  so  .ein  Trüpplein.  Jetzt  ist  gut 
Wetter  im  Land  und  die  Regierung  wird  das  Arretieren  bleiben 
lassen.  Da  sitzen  wir  nun,  fünf  Freunde,  um  7  Uhr  im  bequemen 
Wagen  und  fahren  zur  Stadt  hinaus.  Ausserhalb  der  Stadt  sehen 
wir  viele  einzelne  Wanderer  dieselbe  Strasse  ziehen.  Eine  Viertel- 
stunde weiter,  wo  man  eine  lange  Strecke  Weges  vor  sich  sieht, 
ist  alles  bunt  von  Regenschirmen.  Da  erkenne  ich  den  alten 
Pfarrer  von  Knonau  mit  einem  Trupp.  Vortreffhch!  Wenn  die 
Freiämtler  kommen,  die  man  hier  sonst  für  die  Gleichgültigsten 
hielt,  so  ist  die  Sache  auf  guten  Wegen.  Dann  aber,  je  näher  \^•ir 
gegen  Kloten  kommen,  desto  ummterbrocliener  die  Züge  der  Wan- 
derer. Gar  niedlich  sahen  die  langen  Reihen  der  bunten  Schirme 
aus,  wo  sie  über  die  Wiesen  und  durch  die  Hölzer  zogen.  Alle 
Gesichter  heiter  und  fröhhch.  Jetzt  sind  wir  in  Kloten.  Ein 
ganzer  Park  von  Chaisen  ist  aufgefahren,  seitwärts  an  der  Strasse, 
diese  gedrängt  voll  Menschen.  Die  Wirtshäuser  gestopft  voll, 
alle  Fenster  der  Bauemliäuser  mit  Köpfen  dicht  besetzt.  Wir 
gehen  hinauf  in  den  Saal  des  Wirtshauses  zum  Löwen.  Da  sind 
unsere  wackem  Fussgänger  aus  Zürich  neben  vielen  Landleuten 
schon  beim  Frülistück  und  alles  gemischt,  Herr  und  Bauer,  Fabri- 
kant und  Handwerker,  Aristokraten  und  Liberale.  Manche,  die 
sich  seit  1830  nie  mehr  gegrüsst,  schütteln  sich  herzlich  die  Hand. 
Von  den  Feinden  sieht  man  nur  selten  einen  über  die  Strasse 
schleichen.  Aus  dem  Bezirk  Pfäffikon  sind  mehr  als  tausend 
Freunde  da,  aus  der  acht  Stunden  entfernten  Gemeinde  Wald 
himdert  Männer,  alle  in  ihren  Sonntagskleidern.  \\'ir  bezeugten  ihnen 
unsere  Teilnahme  wegen  des  schlechten  Wetters.  ,,Ihr  Herren", 
war  die  Antwort,  ,,bei  gutem  Wetter  hätten  wir  nicht  kommen 
können  wegen  der  Feldarbeit;  der  Regen  aber  macht  uns  nichts." 
Die  Szenen,  welche  Meyer-Ott  beschreibt,  Hessen  sich  ver- 
hundertfachen. Der  Aufmarsch  in  Kloten  war  schlechthin  impo- 
sant. Dem  offiziellen  Zug  der  Stadtgemeinde  Zürich  schlössen 
sich  die  Fahnen  der  drei  Neumünstergemeinden  an;  an  der  Spitze 
des  Zuges  marschierten  Oberstleutnant  Bürkü  und  Hauptmann 
Frei.  Aus  den  östUchen  Gegenden  pilgerten  während  der  ganzen 
Nacht  grosse  Scharen  nach  Kloten.  Schauerüch  tönte  ihr  Lied 
durch  die  mitternächtige  Stille,  wenn  sie  an  einem  Friedhof  vor- 
überkamen: ,, Staub  bei  Staube  ruht  ihr  nun  in  dem  friedevollen 


o  ACHTZEHNTES  KAPITEL:   DER  TAG  VON  KLOTEN  191 

Grabe;  möchten  wir  wie  ihr  auch  ruh'n  in  dem  friedevollen  Grabe." 
Etlichen  von  ihnen  sollte  der  Wunsch  bald  erfüllt  werden.  Aus 
der  Gemeinde  Fischental  allein  sollen  mehr  als  500  Mann  in  Kloten 
gewesen  sein,  darunter  einige  Greise  von  mehr  als  70  Jahren. 
In  Bauma  und  anderwärts  bestritten  die  Wohlhabenden  die  Reise- 
kosten der  Armen ;  durch  die  Rosa-Brille  eines  geistlichen  Bericht- 
erstatters gesehen  („Des  Zürcher  Volkes  Kampf  und  Sieg"), 
Hessen  diese  Armen  ,, freudig  ihre  Arbeit  und  ihren  Verdienst  für 
einen  oder  zwei  Tage  faliren,  um  ihrem  Heiland  aufrichtige  Treue 
zu  beweisen."  Regierungsrat  Weiss  sagt  in  seinem  ,, Beitrag  zur 
Geschichte  der  Revolution"  etc.:  ,,Was  mir  über  die  verschie- 
denen Mittel,  eine  grosse  Zahl  zusammenzubringen,  erzählt  worden 
ist,  gehört  nicht  zu  dieser  Darstellung.  Genug,  die  Leute  waren 
da,  und  das  ist's  eben,  was  man  wollte.  Mir  kommt  es  jetzt  vor, 
wie  wenn  ein  General  vor  der  Schlacht  über  seine  Armee  Heer- 
schau hält  und  je  nach  dem  Ergebnis  seinen  Plan  macht.  Die 
Regierung  hatte  ihr  —  Bataillon,  die  Stadt  ihre  —  Bürgerwache." 
Die  Schätzungen  der  Volksmenge  in  Kloten  schwanken  zwischen 
8000  und  25,000;  es  werden  nach  den  zuverlässigsten  Berichten 
10 — 15,000  gewesen  sein. 

Das  tausendstimmige  Summen  und  Brausen  des  Volkes  auf 
der  Strasse  ward  plötzUch  unterbrochen  durch  die  Rufe:  ,,Der 
Herr  Präsident!  Seht  ihn  dort!"  Auf  dem  Balkon  des  Wirts- 
hauses ersclüen  Hürlimann-Landis  mit  einigen  Begleitern, 
alle  in  schwarzer  Kleidung.  Er  ist  von  mittlerer  Statur,  mager, 
blassem  Gesicht,  schwarzen  glatten  Haaren,  und  um  seinen  Mund 
spielt  ein  leichtes  Lächeln.  ,,Heil'  Dir,  Du  christhches  Volk  des 
Kantons  Zürich",  so  begann  sein  Gruss.  ,,Du  hast  empfunden 
den  Ernst  des  AugenbHcks  und  bist  herbeigeeilt  aus  allen  Gauen 
Deines  Vaterlandes  zum  Schutze  Deiner  heihgen  Religion."  Er 
schilderte  nun  die  Bestrebungen  des  Zentralkomitees  und  die 
Haltung  der  Regierung,  welche  allen  Vorstellungen  gegenüber 
unzugänghch  und  verstockt  geblieben  sei  wie  das  Herz  des  Pharao. 
Jetzt  aber,  da  dem  Komitee  von  selten  der  Regierung  Verfolgung 
drohe,  trete  es  zum  erstenmal  vor  das  versammelte  Volk,  damit 
der  Regierung  über  die  Gesinnung  des  Volkes  kein  Zweifel  übrig 
bleibe.  Wenn  Ihr  also  die  Schritte  des  Komitees  gutheisset  und 
auf  der  angetretenen  Bahn  w^eiter  vorwärts  gehen  wollet,  so  sprechet 


192  ACHTZEHNTES  KAPITEL:    DER  TAG  VON  KLOTEN  o 

Ja !"  Ein  allgemeiner  Jubelruf  war  die  Antwort.  So  werde  man  nun, 
fuhr  der  Redner  fort,  zu  den  Geschäften  schreiten.  Ein  Zeichen 
der  Glocke  solle  die  Mitgheder  der  Bezirksausschüsse  nach  der 
Kirche  berufen.  Den  Zug  werde  man  erkennen  an  der  vater- 
ländischen Fahne,  die  ihm  vorangetragen  werde.  ,,Maclit  ihm 
freundlich  Platz  und  drängt  nicht  nach,  drückt  nicht,  damit 
Ordnung  bleibe."  Die  von  den  Ausschüssen  nicht  besetzten  Plätze 
seien  für  das  Volk.  Da  aber  nur  der  kleinere  Teil  in  der  Kirche 
Platz  finde,  so  müssen  sich  die  übrigen  im  Freien  gedulden.  Von 
Zeit  zu  Zeit  aber  werde  von  dieser  Stelle  (dem  Balkon)  das  Volk 
über  alle  in  der  Kirche  vorgegangenen  Verhandlungen  und  Be- 
schlüsse unterrichtet  werden.  Während  dieser  Rede  hatte  der  Regen 
auch  nicht  eine  Minute  innegehalten,  und  doch  durfte  kein  Schirm 
aufgespannt  sein;  von  der  ganzen  !Masse  wich  kein  Mann  und 
mancher  greise  Schädel  bheb  die  ganze  Zeit  über  vöUig  entblösst. 
Unter  Glockengeläute  begaben  sich  die  Bezirksdelegierten  in 
die  Kirche,  in  welcher  sich  gegen  4000  Menschen  zusammen- 
drängten. Hürlimann-Landis  begrüsste  die  Versammlung  ,,im 
Namen  des  Herrn,  der  das  Weltall  regiert,  und  im  Namen  des  gött- 
hchen  Erlösers  und  Heilandes."  Vieles,  was  er  vorbrachte,  klingt 
dunkel,  schwülstig,  phrasenhaft.  Mit  Nachdruck  hob  er  die  Haupt- 
forderungen hervor:  das  vSeminargesetz  muss  geändert  werden; 
die  Leitung  des  Seminars  muss  in  andere  Hände  kommen.  Die 
Regierung,  statt  sich  einer  so  herrhchen  Richtung  im  Volk  zu 
freuen  und  Gott  dafür  zu  danken,  blickt  finster  und  gewitter- 
drohend auf  das  Volk  herab.  Ihr  bieten  sich  heute  drei  Wege  dar: 
EinwiUigen  in  die  Volkswünsche,  freiwilhger  Rücktritt,  der  jetzt 
noch  mit  Ehren  erfolgen  kann,  oder  — •  ,,der  unheilbringendste 
von  allen"  —  Beharren  auf  der  gegenwärtigen  Bahn!  ,,Du  aber, 
gläubiges,  für  deine  Rehgion  entflammtes  Volk,  unterstütze  femer, 
wie  bisher,  auf  gesetzliche  Weise,  die  grosse  Angelegenheit,  die 
du  zum  zweitenmal  vor  den  Grossen  Rat  zu  bringen  hast.  Wir 
schwören  dir  feierlich,  unser  Leben,  unsere  Kräfte  für  die  heilige 
Sache  zu  opfern,  so  lange  du  uns  dazu  aufforderst.  Wir  werden 
die  Bahn  der  Gesetze  nicht  verlassen,  und  du  wirst  uns  auf  der- 
selben stets  begleiten.  Nur  wenn  die  Verfassung  verletzt  wird 
oder  ungerechte  Verfolgung  gegen  uns  eintritt,  ist  der 
Widerstand    geheiligt!" 


o  ACHTZEHNTES  KAPITEL:   DER  TAG  VON  KLOTEN  193 

Nach  der  Rede  Hürlimanns  übernahm  Dr.  Rahn-Escher 
das  Tagespräsidium.  Er  legte  der  Versammlung  den  Entwurf 
einer  Adresse  an  die  Regierung  vor,  die  heute  noch  über- 
reicht werden  soUte,  und  zwar  mit  dem  Ersuchen  um  sofortige 
Erledigung.  Die  Adresse  macht  aufmerksam  auf  die  von  den 
Regierungsproklamationen  verursachte  Aufregung.  Die  beab- 
sichtigte Beruliigung  sei  durch  das  ungerechtfertigte  Truppen- 
aufgebot illusorisch  gemacht.  Die  Regierung  wird  dringend 
gebeten,  das  vorhandene  Misstrauen  nicht  durch  weitere  Mass- 
nahmen zu  schärfen  und  dadurch  das  ,, biedere  Volk"  zu  kränken. 
Die  Versammlung  venvahrt  sich  gegen  die  auf  das  Zentralkomitee 
gehäuften  Vorwürfe,  erklärt  sich  mit  ihm  soUdarisch  imd  biUigt 
alle  seine  Schritte.  ,,Die  Vereinigimg  von  40,000  Bürgern  für 
gesetzliche  und  heiUge  Zwecke  ist  eine  Macht,  die  jeder  Regierung, 
jeder  Behörde  einen  Eindruck  machen  muss."  Nur  böswilUge 
Verdrehung  konnte  aus  einem  Bibelwort  eine  Anklage  gegen  das 
Komitee  schmieden,  und  die  Regienmg  Hess  auch  eine  schwere 
Verletzimg  der  Pressfreiheit  durch  die  Staatsanwaltschaft  ge- 
schehen. ,,Das  Volk  ist  fest  entschlossen,  seine  bürgerUchen  und 
kirchUchen  Rechte  unverletzt  und  unangetastet  zu  erhalten  und 
zu  schirmen.  Es  ehrt  Verfassung  imd  Gesetz  und  bleibt  ihnen 
treu,  aber  es  weiss,  dass  sie  ihm  gehören."  Zum  vSchlusse  werden 
drei  Bitten  ,, ehrerbietig"  vorgelegt;  ,,die  Folgen  ihrer  Versagung 
zu  ermessen,  überlassen  wir  der  Regierung  selbst."  Die  drei  Bitten 
bestanden  in  folgenden  Forderungen: 

1.  Zurücknahme  der  gegen  das  Zentralkomitee  erhobenen  Be- 
schuldigungen ; 

2.  Unterdrückung  der  Klage  der  Staatsanwaltschaft  gegen 
das  Komitee; 

3.  Massregelung  der  Staatsanwaltschaft  wegen  Verletzung  der 
Pressfreiheit. 

Es  folgt  noch  die  allgemeine  Bitte,  die  Bürger  ihr  Petitions- 
recht frei  imd  ungehindert  üben  zu  lassen,  die  hemmenden  Befehle 
der  Statthalterämter  zu  entkräften  und  die  Herren  vStatthalter 
zur  Rechenschaft  zu  ziehen. 

Die  Versammlung  wählte  sogleich  22  Delegierte,  aus  jedem 
Bezirk  zwei  (u.  a.  Pfarrer  Hirzel  in  Pfäffikon),  um  nach  Schluss 
der  Verhandlungen  die  Adresse  dem  Amtsbürgermeister  Hess  zu 

13 


194  ACHTZEHNTES  KAPITEL:    DER  TAG  VON  KLOTEN  o 

Überbringeil.  Namens  des  Zentralkomitees  beantragte  ferner 
J.  Bleuler-Zeller  von  Neumünster  die  Bildung  von  Gemeinds- 
vereinen zur  Fördermig  der  Religiosität  durch  Kirche  und  »Schule, 
namenthch  zu  dem  Zwecke,  um  bei  vorkommenden  Wahlen  in 
Gemeinds-,  Zmift-,  Bezirks-  und  Kantonsbehörden  gemeinsam 
dahin  zu  streben,  dass  nur  tüchtige  und  christlich  gesinnte  Männer 
an  die  vStellen  erwählt  werden.  Pfarrer  Meyer  von  Glattfelden 
erläuterte  und  begründete  die  vom  Zentralkomitee  vorgeschlagene 
neue  Petition  an  den  Grossen  Rat,  welche  dieselben  Ten- 
denzen verfolgt  wie  die  frühere  Petition  und  speziell  verlangt: 
Garantien  für  den  Art.  4  der  Verfassung;  Umwandlung  des 
Seminars  in  eine  Pflanzschule  religiöser  und  gläubiger  Jugend- 
lehrer; andere  Bestellung  des  Erziehungsrates  (aus  christlich  ge- 
sinnten Männern).  Leonhard  von  M uralt  verlangte  vom 
Grossen  Rat  eine  kategorische  Erläuterung  des  §  4  der  Verfassung. 
Es  sei  Zeit,  dass  einmal  deutlich  ausgesprochen  werde,  welches 
das  Fundament  des  evangehsch-reformierten  Lehrbegriffes  sei. 
Er  finde  dasselbe  ausschüessHch  in  den  heihgen  Schriften  des 
alten  und  neuen  Testamentes  nach  ihrem  vollständigen  und  im- 
verfälschten  Inhalt,  ohne  Mehrung  noch  Minderung.  ,,Ein  donnern- 
der Beifall  folgte  diesen  Worten  von  selten  der  sonst  die  ganze 
Zeit  hindurch  in  würdevoller  Stille  verbhebenen  Versammlung 
und  legte  zum  Erstaunen  manches  bloss  poHtischen  Parteimannes 
die  Lebendigkeit  des  kirchlichen  Motivs  in  dieser  Volksbewegung 
zutage."  Präsident  Hardme3^er  von  Zunükon  verlangte  unter 
lebhaftem  Beifall  baldige  ausserordentliche  Einberufung  des 
Grossen  Rates,  damit  die  Sache  nicht  immer  wieder  ^■on  oben 
herab  auf  die  lange  Bank  geschobeh  werde.  Die  Schlussrede  von 
Dr.  Rahn-Escher  klang  aus  in  eine  Huldigung  für  Hürlimann- 
Landis,  welcher  seinerseits  die  Ehre  Gott  und  den  Dank  dem 
Volke  weitergab. 

Stundenlang  hatte  inzwischen  die  Menge  im  Freien  dem 
Unwetter  standgehalten.  Von  Zeit  zu  Zeit  fuhren  Fremde  in 
vierspännigen  Wagen  durch.  Man  öffnete  ihnen  eine  Gasse  und 
führte  die  Pferde  am  Zügel.  Ein  Engländer  stieg  aus  und  wohnte 
der  Versammlung  bis  zum  Ende  bei.  Grosse  Freude  verursachte 
die  Nachricht  aus  Zürich,  dass  ein  Teil  des  Mihtärs  sich  geweigert 
habe,  Munition  zu  fassen  und  sich  gegen  Väter  und  Brüder  ge- 


o  ACHTZEHNTES  KAPITEL:    DER  TAG  VON  KLOTEN  195 

brauchen  zu  lassen.  Zwei  Stunden  mochten  seit  dem  Zuge  in  die 
Kirche  verflossen  sein,  als  endUch  der  Jubelruf  erschallte:  „Sie 
kommen!  Sie  kommen!"  Auf  dem  Balkon  des  Wirtshauses  stellte 
das  Komiteemitglied  Bindschädler  von  Männedorf  den  Pfarrer 
Dr.  Bernhard  Hirzel  von  Pfäffikon  als  Freund  der  guten  Sache 
dem  Volke  vor  und  übergab  ihm  dann  das  Manuskript  der  Rede 
Hürlimanns  in  der  Kirche,  das  Hirzel  verlas  und  noch  mit  einer 
eigenen  feurigen  Ansprache  begleitete.  Spöndlin  legte  die  mit 
stürmischem  Applaus  aufgenommene  Adresse  vor,  Pfarrer  Meyer 
die  Petition.  Die  22  Deputierten,  denen  man  einige  Wagen  zur 
Verfügung  gestellt  hatte,  waren  bereits  nach  Zürich  abgegangen. 
Nun  kam  auch  noch  Dr.  Rahn-Escher  auf  den  Balkon  und 
dankte  dem  Volk  für  seine  Treue  und  Ausdauer.  ,,Dich  segnen 
alle  Christen  im  engem  und  weitern  Vaterland.  Deiner  gedenken 
im  Gebet  die  Gläubigen  der  entfernten  Länder.  Auf  dich  sehen 
aus  dem  Aufenthalte  der  Seligen  herab  die  dir  vorangegangenen 
Väter,  deine  Eltern,  die  bei  der  heiligen  Taufe  das  hier  von  dir 
erneuerte  Gelübde  gegen  deinen  Gott  imd  deinen  Erlöser  in  deinem 
Xamen  abgelegt;  sie  sagen:  Herr,  dort  stehen  sie,  die  du  uns  an- 
vertraut hast.  Dich  segnen  Zwingli  und  die  Helden,  welche  für 
die  reine  evangeUsche  Lehre  ihr  Blut  freudig  geopfert  haben." 
Alle  Häupter  entblössten  sich  während  dieser  Rede,  Hunderte 
suchten  ihre  Tränen  zu  verbergen,  indem  sie  den  Hut  oder  die 
Mütze  vor  das  Gesicht  hielten.  Einzelne  Greise  hörte  man  rufen: 
„Ja,  so  ist  es,  es  ist  alles  wahr,  Gott  sei  mit  Euch,  Gott  segne 
Euch,  Ihr  heben  Herren."  Zuletzt  erschien  nochmals  Hürli- 
mann,  dankte  mit  herzUchen  Worten,  mahnte  zu  ruhigem  Be- 
nehmen während  der  Heimkehr,  verabschiedete  und  segnete  das 
Volk.  Während  drei  Viertelstunden  waren  alle  von  Kloten  aus- 
gehenden Strassen  schwarz  von  Menschen. 

Wie  sonderbar  aber,  dass  auf  einmal  alle  diese  Wanderzüge 
stockten,  wie  festgebannt  sich  nicht  weiter  bewegten.  Stafetten 
aus  Kloten  waren  den  Leuten  nachgeeilt,  hatten  befohlen,  stille 
zu  stehen  und  auf  den  Turm  zu  Kloten  zu  achten,  wo  ein  Zeichen 
gegeben  werden  solle,  wenn  man  sich  wieder  sammeln  müsste. 
Was  war  denn  geschehen  ?  War  sie  schon  da,  die  Stunde  des 
„geheihgten  Widerstandes"?  WiUielm  Meyer -Ott  soll  es  uns  er- 
zählen : 


196  ACHTZEHNTES  KAPITEL:    DER  TAG  VON  KLOTEN  o 

In  Kloten  weilten  noch  die  Mitglieder  des  Zentralkomitees, 
um  die  Rückkehr  der  Deputierten  abzuwarten.  Im  ganzen  Dorf 
waren  kaum  noch  ein  paar  hundert  Männer  beisammen.  Da 
kommt  von  Zürich  her  Oberstleutnant  Bürkli  in  gestrecktem 
Galopp  zurückgefahren,  springt  aus  dem  Wagen  und  bringt  die 
Botschaft,  unsere  22  Deputierten  seien  sämtlich  arretiert.  Sein  Ge- 
währsmann war  der  Kassier  des  Bankierhauses  Schulthess,  dessen 
einer  Chef  noch  in  Kloten  zu  Tische  sass,  der  andere  bei  der  Depu- 
tation sich  befand.  BürkU  hatte  den  Kassier  auf  dem  \^'ege  ge- 
troffen, den  atemlosen  Mann  zu  sich  in  den  Wagen  genommen 
und  rasch  umgewendet.  Nim  entstand  ein  gewaltiger  Tumult 
unter  den  noch  Anwesenden.  Einige  erblassten,  andere  jubelten: 
,, Hurrah,  jetzt  geht's  los,  jetzt  soll  sich's  zeigen,  ob  noch 
Schweizerblut  in  unsem  Adern  fliesst."  Wieder  andere  riefen: 
,,Eilt  zur  Kirche  und  zieht  die  Glocken  an!" 

Da  erschien  Hürlimann.  Seine  ersten  Worte  waren:  ,,Das 
ist  nicht  mögUch,  es  kann  nicht  Gottes  Wille  sein."  Sogleich  aber 
fragte  er  ruhig:  ,,Wo  ist  der  Mann,  der  die  Nachricht  brachte?" 
Der  arme  Kassier  trat  nun  hervor  und  erzählte,  von  schwerem 
Keuchen  unterbrochen,  —  gleich  nach  der  Ankunft  der  Depu- 
tierten, die  im  Kasino  abgestiegen  waren,  sei  eine  Anzahl  Land- 
jäger in  die  Wohnung  des  Bürgermeisters  beschieden  worden, 
und  auf  dem  Wege  dahin  habe  einer  derselben  dem  Bruder  des 
Dr.  Rahn-Escher  die  Worte  in  die  Ohren  geraunt:  ,, Jetzt  geht's 
ans  Arretieren."  Von  diesem  Bruder  Dr.  Rahns  habe  er  selbst 
diese  Nachricht.  (Man  muss  wissen,  dass  das  ganze  Landjäger- 
korps bis  zum  letzten  Mann  der  guten  Sache  schon  seit  dem  Früh- 
jahr ergeben  war.) 

,,Dass  also  unsere  Deputierten  wirklich  arretiert  sind,  wissen 
wir  noch  nicht",  sprach  Hürlimann,  ,,aber  einen  kleinen  Augen- 
blick Geduld;  wir  werden  bald  im  Klaren  sein." 

,,Aber,"  fragte  jemand,  ,, gesetzt  den  Fall,  man  habe  sie 
arretiert,  dürfen  wir  dann  läuten?" 

,,Dann,"  antwortete  er  ruhig,  ,,wird  Sturm  geläutet,  jeder 
ergreift  die  erste  beste  Waffe,  und  Jung  und  Alt  marschiert  nach 
Zürich." 

Nun  wurden  bei  offenen  Türen  aufs  ungenierteste  die  zu  er- 
greifenden Massregeln  verhandelt.    Es  wurde  laut  ausgesprochen, 


o  ACHTZEHNTES  KAPITEL:    DER  TAG  VON  KLOTEN  197 

dass  die  Regierung  auch  ohnehin  abgesetzt  sein  müsse,  auch  dass 
man  auf  die  erste  Nachricht  von  Truppenaufgeboten  aus  andern 
Kantonen  den  Sturm  wolle  ergehen  lassen  usw.  Ein  Landmann 
äusserte:  ,,;\Ieine  Herren,  ich  hege  das  Vertrauen  zu  Zürichs 
Bürgerschaft,  dass,  wenn  im  Moment  der  Abreise  dieses  Boten 
unsere  Deputierten  festgenommen  waren,  sie  in  diesem  Augen- 
blicke schon  befreit  sind."  Dieses  schöne  Zutrauen  war  nicht 
unverdient.  Auf  die  erste  Sage  hin  hatte  der  kräftige  Stadtrat 
Gysi  schon  zu  allen  Glocken  Leute  beordert,  und  es  bedurfte  nur 
eines  Winkes,  so  intonierte  das  Grosse  Münster  den  Sturm, 

Aber  siehe!  Da  kommen  unsere  Deputierten  wohlbehalten 
zurück.  (Rahn  eilte  ihnen  entgegen;  das  Volk  spendete  lauten 
Beifall  für  die  sofort  getroffenen  Anordnungen  und  bezeugte, 
dass  es  mit  Leib  und  Leben  zum  Komitee  halten  werde.)  Der 
Bürgermeister  Hess  hatte  sie  freundhch  empfangen  und  seine 
Verwendung  für  Erfüllung  der  Wünsche  zugesagt.  Unmittelbar 
darauf  liess  er  den  Regierungsrat  zusammenberufen;  denn  eben 
zu  diesem  Behufe  hatte  er  jene  Landjäger  zu  sich  bestellt.  Nun 
trennten  sich  alle  Freunde  in  Kloten  tmd  reisten  nach  Hause. 
Diejenigen  Züge,  welche  zu  Fuss  durch  Zürich  kamen,  zogen 
schön  geordnet  und  vaterländische  Lieder  singend  durch  die  Stadt. 
Ein  ansehnhcher  Trupp  von  ein  paar  hundert  Mann  verfügte  sich 
noch  zum  Kasino,  um  denjenigen  der  22  Deputierten,  welche  nicht 
mehr  nach  Kloten  zurückgekehrt  waren,  ihre  Anhänghchkeit  zu 
bezeugen,  und  viel  Volk  aus  der  Stadt  strömte  ihnen  nach.  Escher- 
Schulthess  (alt  Oberamtmann  von  Wädenswil)  dankte  ihnen  und 
beruliigte  sie,  worauf  sie  friedUch  nach  Hause  gingen.  — 

In  der  Sitzung  des  Regierungsrates  um  halb  4  Uhr, 
welche  im  Saal  auf  dem  Posthause  stattfand,  hatte  Amtsbürger- 
meister Hess  über  den  soeben  erfolgten  Empfang  der  Klotener 
Deputierten  referiert.  Es  wurde  über  eine  den  Deputierten  schrift- 
hch  zu  erteilende  Antwort  beraten,  die,  wie  Weiss  sagt,  ganz  dem 
vom  Regieningsrat  von  Anfang  an  eingeschlagenen  System  ent- 
sprach: ein  schwankendes  weder  Ja  noch  Nein!  Hess  meinte, 
die  Deputierten  werden  sich  mit  dieser  Antwort  begnügen ;  Heget- 
schweiler  bezweifelte  es  stark.  Während  der  Beratung  wurden 
die  bemischen  Tagsatzungsgesandten  Neuhaus  imd  Steinhauer 
angemeldet  und  Hegetschweiler  und  Zehnder  beauftragt,  sie  im 


igS  ACHTZEHNTES  KAPITEL:    DER  TAG  VON  KLOTEN  o 

Nebenzimmer  zu  empfangen.  Die  beiden  Herren  kamen  nach 
einiger  Zeit  zurück  und  teilten  anscheinend  ihrer  nähern  Umgebung 
etwas  von  der  Unterredung  mit ;  die  entfernteren  MitgUeder  hörten 
aber  nichts  davon  und  eine  offizielle  Mitteilung  wurde  in  der 
Sitzung  nicht  gemacht.  Die  schhesshch  genehmigte  Antwort 
des  Regierungsrats,  welche  sofort  ins  Kasino  gebracht  wurde, 
bezieht  sich  auf  den  Erlass  vom  31.  August,  welcher  hinlängliche 
Zusicherung  gebe,  dass  den  verfassungsmässigen  Rechten  der 
Bürger  keinerlei  Eintrag  geschehen  solle.  Darüber  sich  weiter 
auszusprechen,  sei  der  Regierungsrat  nicht  im  Falle,  dagegen  soll 
dem  Grossen  Rat  einlässhch  Bericht  erstattet  werden.  Bezüglich 
der  Klage  der  Staatsanwaltschaft  stehe  dem  Regierungsrat  keine 
Einwirkung  auf  die  Gerichte  zu;  über  die  Beschwerde  betreffend 
Verletzung  der  Pressfreiheit  sei  der  Staatsanwalt  zum  Bericht 
aufgefordert.  Den  Statthalterämtem  seien  die  nötigen  Beleh- 
rungen über  den  Vollzug  der  Beschlüsse  vom  23.  und  31.  August 
bereits  zugegangen. 

Selbstverständhch  genügte  dem  Ausschuss  des  Zentral- 
komitees diese  Antwort  in  keiner  Weise,  was  denn  auch  den 
,, teuren  Freunden  und  Brüdern"  sofort  durch  Sendschreiben 
kundgetan  wurde.  ,, Womit  das  Volk,  womit  dessen  Abgeordnete 
diese  neue  Kränkung  verdienen,  wissen  wir  nicht.  Aber  wie 
wir  in  Kloten  einander,  wie  wir  es  dem  Volke  feierHch  versprochen 
haben,  fest  und  ruhig  der  heihgen  Sache  treu  zu  dienen,  so  bleiben 
wir  es  auch  jetzt.  Der  engere  Ausschuss  erachtet  es  daher  in 
seiner  PfUcht,  die  sämtUchen  Bezirks-  und  Gemeindskomitees  zur 
ernsten  und  sorgfältigsten  Wachsamkeit  aufzufordern, 
damit  die  Güter,  für  welche  sich  unsere  Mitbürger  heute  feierhch 
und  freudig  erklärten  und  deren  Begehnmg  sie  uns  auftrugen, 
denselben  gesichert  seien."  Ein  Postskriptum  sagt:  ,, Soeben  ver- 
nehmen wir,  dass  die  Truppen  abgedankt  werden  sollen" 
(weiter  oben  war  über  die  Fortdauer  ihrer  Anwesenheit  und  ihre 
Vermehrung  geklagt  worden). 

In  der  vStadt  war  ein  gewaltiges  Treiben  den  ganzen  Tag. 
Es  wurde  wenig  gearbeitet  und  viel  nach  Neuigkeiten  gefragt. 
Am  Abend  wogte  es  auf  den  Strassen  und  Plätzen  von  Menschen. 
,,Hell  und  hoffnungsreich  leuchteten  die  Gesellschaftshäuser  der 
Städter,  wo  man  mit  Witzen  und  Gelächter  über  die  lyage  der 


o  ACHTZEHNTES  KAPITEL:   DER  TAG  VON  KLOTEN  199 

Regierung  und  der  Liberalen  sich  belustigte."  (Leuthy.)  Lud- 
wig Meyer  von  Knonau  suchte  das  Gesellschaftshaus  auf, 
wo  die  Tagsatzungsgesandten  zum  Abendschoppen  zusammen- 
zukommen pflegten.  „Es  wurde  in  sehr  ungleichem  Sinne  von 
dem  Ereignisse  des  Tages,  der  ganzen  Angelegenheit  und  der 
Stellung  der  Tagsatzung  gesprochen,  auch  die  Frage  berührt,  ob 
diese  Bewegung  nicht  die  Einmischung  der  andern  Kantone  er- 
forderhch  machen  könnte.  Ich  beschränkte  mich  auf  die  Ver- 
sicherung, dass  die  Tagsatzungsgheder  persönlich  von  dem  Volke 
des  Kantons  Zürich,  welcher  Partei  es  auch  angehöre,  nichts  zu 
besorgen  haben  und  dass  ich  hoffe  und  wünsche,  unser  Grosse 
Rat  werde  ohne  äusseres  Zutim  unsere  Wirren  zu  lösen  wissen. 
Jede  auswärtige  Einmischung  würde  unser  Übel  ärger  machen 
und  könnte  die  Eidgenossen  selbst  unter  sich  trennen.  Ausser  mir 
war  kein  anderes  Mitghed  (des  Regierungsrats)  zugegen  als  Heget- 
schweiler,  der,  soweit  ich  seine  Worte  vernahm,  dieselbe  Sprache 
führte."  Ob  die  ,,Konkordätler"  für  die  Regierung  marschieren 
werden  oder  nicht,  das  war  eine  der  brennendsten  Fragen  dieser 
schwülen  Tage,  und  sie  hat  ja  auch  schHesslich  die  Katastrophe 
direkt  herbeigeführt.  Das  Siebnerkonkordat  (s.  Seite  86)  ver- 
pflichtete die  in  diesem  Sonderbund  vereinigten  radikalen  Kan- 
tone, einander  gegen  konservative  Umsturzversuche  beizustehen, 
aber  die  radikale  Zürcher  Regierung  hatte  in  ihrer  Not  doch  lücht 
mehr  den  Mut,  diese  Hilfe  anzurufen.  Das  Misstrauen  des  Volks 
schrieb  ihr  trotzdem  fortwährend  diese  Absicht  und  bereits  ge- 
troffene Abmachungen  mit  den  Gesandten  zu  und  zeitigte  die 
tollsten  Gerüchte  von  dem  Anmarsch  der  ,, fremden  Truppen", 
wie  die  Eidgenossen  in  den  Bulletins  des  Glaubenskomitees  be- 
harrlich genannt  werden.  Aber  auch  die  Komiteeleute  sondierten 
emsig  bei  den  Gesandten  der  Nichtkonkordatskantone,  und  Meyer- 
Ott  weiss  zu  berichten,  dass  die  ,, treuen  alten  Eidgenossen  der 
drei  Urstände"  Uri,  Schwj'z  und  Unterwaiden  die  besten  Zu- 
sicherungen gaben.  Weiss  äussert  sich  über  die  Frage:  ,,Wer 
wollte  glauben,  dass  zwischen  den  Gesandten  der  freisinnigen 
Kantone  und  einzelnen  Mitgliedern  der  Regienmg  nie  kein  Wort 
über  unsere  Zustände  gewechselt  worden  wäre!  Allein  Haupt- 
gegenstand der  Konversation  war  ein  mitleidiges,  ich  möchte  fast 
sagen   verächtliches   Beurteilen  unseres  Musterkantons,   das   uns 


200  ACHTZEHNTES  KAPITEL:    DER  TAG  VON  KLOTEN  o 

alle  tief  beschämen  musste.  Die  gegenseitige  Stimmung  schien 
mir  in  dieser  Beziehung  lange  Zeit  so  beschaffen  zu  sein,  dass  jene 
aus  Unwillen,  wir  aus  Scham  und  Zerknirschung  uns  über  die 
Sache  nicht  einlassen  mochten.  Ich  meinerseits  wenigstens  war 
froh,  deshalb  nie  befragt,  in  keine  Unterhaltung  hineingezogen 
worden  zu  sein.  Was  demnach  über  diese  Truppenanerbietungen 
und  Forderungen  gefabelt  worden  ist,  hat  nicht  den  mindesten 
Gehalt,"  —  abgesehen  uatürUch  von  dem  noch  zu  erwähnenden 
offiziellen    Schritt  der  Konkordatsgesandten. 

Der  Dienstag  (3.  September)  ging  ruhig  vorüber,  ,,wenn 
man  das  fieberhafte  Schlmnmern  eines  Kranken  Ruhe  heissen 
kann."  Die  Regierung  beschloss  die  Entlassung  des  Bataillons  4 
und  Einberufung  des  Grossen  Rates  auf  Montag  den 
9.  vSeptember.  An  diesem  Dienstag  Abend  hielt  Hürlimann- 
Landis  eine  Besprechung  mit  seinem  Stabe  im  Kasino,  und 
es  wurde  dort  der  Plan  erörtert,  es  solle  in  der  kommenden  Gross - 
ratssitzung  ein  Mitglied  den  Antrag  stellen,  der  Grosse  Rat 
möge  sich  als  aufgelöst  erklären;  diesem  Antrag  soll  eine  gleich- 
zeitige gewaltige  Volksdemonstration  vor  dem  Rathaus 
das  nötige  Relief  geben;  etwa  16,000  Mann  würde  man  zu  diesem 
Zwecke  unbewaffnet  in  die  Stadt  kommen  lassen.  Meyer-Ott 
spricht  auch  von  ganz  einlässhchen  militärischen  Plänen, 
die  für  den  Fall  des  Aufruhrs  und  des  Kampfes  gegen  die  Konkor- 
dätler  zwischen  Komiteemitgliedern  erörtert  wurden;  u.  a.  ist 
dabei  die  Rede  von  einer  ,, Avantgarde  der  christlichen 
Landesbewaffuung",  die  sich  von  Männedorf  her  gegen  Zürich 
in  Be^^•egung  setzen  sollte  usw.  Während  man  in  den  hohem 
Regionen  der  Glaubensstreiter  die  Revolution  in  möghchst  glatten 
Formen  zu  vollziehen  gedachte,  ging  man  in  den  untern  etwas 
handgreifhcher  zu  Werk.  Auf  offener  Strasse  verhiess  man  sich, 
den  Grossen  Rat  mit  dem  Stock  auseinander  zu  jagen,  wenn  er 
diesmal  nicht  nachgebe.  Alles  war  in  gespannter  Erwartung. 
Geht's  bald  los  ?  — •  Lasst  Euch  nicht  überraschen.  —  Sclimiedet 
das  Eisen,  während  es  warm  ist,  imd  was  dergleichen  Redensarten 
mehr  waren.  Doch  war  man  allgemein  der  Meinung,  dass  die  Stadt 
nicht  die  erste  Glocke  ziehen  dürfe,  damit  es  nicht  heisse,  es  sei 
alles  nur  Aristokratenmache  zur  Herstellung  der  städtischen 
Privilegien . 


o  ACHTZEHNTES  KAPITEL:    DER  TAG  VON  KLOTEN  201 

Mittwoch  den  4.  September.  Das  Fieber  steigt.  Die  un- 
sinnigsteu  Gerüchte  jagen  durchs  Land;  Hürlimann,  Rahn, 
Spöndlin  sollen  verhaftet  sein;  15  Bataillone  Bemer  seien  unter- 
wegs; Oberrichter  Füssli  sei  extra  nach  Bern  gereist,  um  sie  in 
Bewegung  zu  setzen.  Die  Radikalen  hätten  schon  eine  Pro- 
skriptionsliste  aufgesetzt,  einen  Scharfrichter  aus  Colmar  mid 
zwei  Guillotinen  aus  Köln  bestellt,  und  diese  Guillotinen 
waren  den  Leuten  nicht  mehr  aus  den  Köpfen  zu  bringen;  sie 
überdauerten  noch  um  Monate  den  6.  September  und  wurden 
von  konservativen  Mitgüedern  des  Grossen  Rates  noch  am 
5.  November  gegen  die  Radikalen  als  Anklage  heraufbeschworen! 
Bereits  an  diesem  Mittwoch  den  4.  September  teilten  einige 
zürcherische  Einwohner,  die  nicht  zu  den  Häuptern  der  Einge- 
weihten gehörten,  dem  in  Zürich  wohnenden  Bruder  des  Regie- 
rungsrates Fierz  mit,  in  wenigen  Tagen  werde  eine  proviso- 
rische Regierung  aufgestellt  sein;  sie  nannten  ihm  auch  die 
meisten  Namen  der  Mitglieder,  die  dann  warkUch  gewählt  wurden. 
Das  Komitee  Hess  neuerdings  ein  Bulletin  ins  Land  flattern, 
das  wahrscheinlich  ,, beruhigen"  sollte,  aber  auch  nur  wieder  eine 
Kanne  Öl  zum  Feuer  goss.  ,, Warten  wir  ruliig  die  Sitzmig  des 
Grossen  Rates  ab  und  lassen  die  Feinde  des  Volkes  ihre  ohn- 
mächtigen Versuche  machen.  Das  Volk,  welches  gross  und 
ernst  in  Kloten  seinen  Willen  kundgetan,  wird  sich  nicht  durch 
schwache  Versuche  reizen  lassen,  sondern  ruhig  die  nicht  aus- 
bleibende Erfüllung  seiner  Wünsche  erwarten."  Damit  hatte  das 
Volk  aus  der  Hand  seines  angebeteten  Komitees  die  Bestätigung 
des  von  ihm  längst  felsenfest  geglaubten,  schauderhaften  radi- 
kalen Komplotts,  mit  dem  man  ihm  fortwährend  zusetzte 
und  den  Kopf  heiss  machte.  Von  einer  freisinnigen  Versamm- 
lung am  Mittwoch  Abend  auf  der  ,, Platte"  berichtet  Weiss: 
,,Ohne  die  mindeste  Verabredung,  bloss  getrieben  von  der  Sorge 
für  die  Aufrechthaltung  des  Bestehenden  und  der  Gefahr  seines 
Unterganges  fanden  sich  mehr  als  hundert  der  in  und  um  die 
Stadt  wohnenden  Freisinnigen  zusammen,  Leute,  weitaus  zum 
grössten  Teil  uns  unbekannt,  von  Unter-  und  Oberstrass,  Neu- 
münster, auch  Studenten  (wahrscheinUch  befand  sich  auch  ein 
Spion  unter  ims,  der  rapportierte).  Natürlich  frug  man  sich  auch 
hier:  was  ist  zu  tun?    Femer:  kann  man  sich  darauf  verlassen, 


202  ACHTZEHNTES  KAPITEL:    DER  TAG  VON  KLOTEN  o 

dass  die  Regierung  handeln  werde  ?  Allgemein  wurde  die  letzte 
Frage  mit  Nein  beantwortet.  (Bei  dieser  Gelegenheit  erzählte 
man,  ein  gewisses  IVIitglied  des  Regierungsrats  habe  sich  geäussert, 
es  sei  sicher,  auch  in  einer  neuen  Regierung  wieder  seinen  Platz 
zu  finden.  Ebenso  wurde  auch  laut  bemerkt,  ein  gewisses  Regie- 
rungsmitghed  habe  gestern  bis  Mittemacht  mit  HürUmann  im 
Kasino  zugebracht.)  Nach  vorhergegangenem  Austausche  gegen- 
seitiger Ansichten  wurde  man  dahin  einig,  auf  nächsten  Freitag 
die  freisinnigen  Mitgheder  des  Grossen  Rates  zu  einer  Zusammen- 
kunft einzuladen  und  jedem  derselben  zu  überlassen,  einen  oder 
mehrere  seiner  vertrauten  Freunde  mitzubringen.  Sogleich  boten 
sich  Freiwillige  an,  alsobald  in  die  Bezirke  zu  gehen  und  die  Ein- 
ladungen zu  besorgen.  Nach  diesem  gingen  neun  Zehntel  der  An- 
wesenden auseinander.  Das  Wort  Zeughaus  kam  über  memandes 
Lippen,  keine  Silbe  wurde  darüber  verloren  und  weder  vor-  noch 
nachher  war  hiezu  auch  keine  Gelegenheit,  weshalb  auch  dieses 
bloss  eines  der  tausend  Gerüchte  gewesen  sein  muss,  die  zu  dieser 
Zeit  gefhssentlich  im  Land  herum  verbreitet  wurden,  das  aber, 
wie  es  scheint,  ebenso  gefUssen  benutzt  wurde,  um  daraufhin 
einen  allgemeinen  Aufstand  zuwege  zu  bringen." 

Ihren  Höhepimkt  erreichte  die  antistraussische  Hetz-  und 
Wühlarbeit  am  Donnerstag  den  5.  September.  Der  engere 
Ausschuss  des  Zentralkomitees  verbreitete  abermals  eines 
seiner  Bulletins,  die  mit  ihren  vagen  Andeutungen,  halben 
Dementis  und  versteckten  Aufreizungen  den  brodelnden  Kessel 
schUessUch  zum  Überkochen  bringen  mussten.  Es  wurde  in 
diesem  Bulletin  erzählt,  der  Statthalter  von  Winterthur  habe 
den  versammelten  Gemeindevorständen  seines  Bezirks  erklärt,  es 
werde  der  Regienmg  wohl  nichts  anderes  übrig  bleiben  als  abzu- 
danken und  alles  der  Anarchie  zu  überlassen.  Der  Statthalter 
habe  deshalb  von  sich  aus  befohlen,  unverzüglich  in  den  Ge- 
meinden den  ersten  imd  zweiten  Bundesauszug  aufzubieten 
und  jeden  Augenbhck  marschfertig  zu  halten.  Im  Bezirk  Winter- 
thur werde  auch  verbreitet,  wenn  man  sich  nicht  vom  Komitee 
lossage,  so  werden  fremde  Truppen  kommen.  Die  Regienmg 
habe  jedoch  das  Truppenangebot  einiger  Stände  bestimmt  ab- 
gelelmt.  ,,Der  Plan  einer  radikalen  Landsgemeinde,  der 
lange  reifUch  erwogen  wurde  und  mit   dem   dann   noch    andere 


o  ACHTZEHNTES  KAPITEL:    DER  TAG  VON  KLOTEN  203 

kriegerische  Pläne  auf  den  Montag  zusammengehangen  haben 
sollen,  scheint  wieder  einstweilen  aufgegeben  worden  zu  sein, 
ob  ganz,   wissen   wir  nicht." 

Was  das  Glaubenskomitee  nur  anzudeuten,  diplomatisch  klug 
zu  umschreiben  für  gut  fand,  hatte  die  ebenfalls  am  Donnerstag 
noch  ausgegebene  ,, Freitagszeitung"  ins  Populäre,  Massive, 
Handgreifhche  zu  übertragen,  den  heraufbeschworenen  Phan- 
tomen Fleisch  und  Blut  zu  geben,  die  Radikalen,  die  man  andrer- 
seits nicht  verächtHch  genug  als  unbedeutende  Minderheit  be- 
handeln konnte,  dem  Volke  direkt  als  die  Urheber  des  kommenden 
Bürgerkriegs  zu  denunzieren.  Die  ,, Freitagszeitung"  schrieb: 
„Sonntags  wollen  die  Straussen,  so  wenig  ihrer  sind,  eine  Volks- 
versammlung in  Winterthur  abhalten  und  dann  am  Montag 
unter  Anführung  von  Statthalter  Sulzer  nach  Zürich  ziehen, 
um  die  dort  versammelten  Bürger  des  Kantons  auseinander- 
zusprengen. Das  heisst  also  nichts  anderes  als  Bürgerkrieg 
beginnen.  Dies  wird  so  leicht  nicht  gehen;  der  See,  die  Stadt, 
die  hintern  Bezirke,  die  sich  so  zahlreich  in  Kloten  einfanden, 
lachen  über  diese  Hand  voll  Leute,  die  von  Winterthur  her  kommen 
dürften.  —  Jedenfalls  ist  der  nächste  Montag,  wo  sich  der  Grosse 
Rat  besammelt,  der  wichtigste  Tag  für  unser  Volk.  Da  wird  es 
sich  entscheiden,  ob  der  unglückhche  Zustand,  wo  Volk  und 
Regenten  sich  gegenüberstehen,  noch  länger  dauern,  ob  nicht  das 
Volk  wieder  seine  Rechte  erlangen  und  endhch  einmal  in  Ruhe 
und  Frieden  seines  wieder  errungenen  Glaubens  froh  werden 
köime.  Wie  das  zu  erreichen,  ist  noch  lücht  ausgemacht;  es  gibt 
der  Wege  mehrere,  aber  nur  einen  sichern.  —  Diejenigen,  welche 
auf  Winterthur  gehen,  wird    man    kennen." 

Als  Oberheizer  im  Dienst  des  Glaubenskomitees  fungierte 
Regierungsrat  Eduard  Sulzer.  Dieser  Magistrat  hatte  schon 
am  Montag  zu  seinem  Kollegen  Weiss  wörthch  gesagt:  ,, sobald 
Sie  oder  sonst  jemand  diese  Intervention  (der  Konkordatskantone) 
in  der  Regierung  zur  Sprache  bringen  und  durchzusetzen  suchen, 
werden  wir  uns  entschieden  zur  andern  Seite  schlagen."  Obwohl 
nun  seitdem  die  Intervention  im  Regierungsrat  noch  nicht  offiziell 
zur  Sprache  gekommen  und  irgend  ein  Beschluss  rücht  gefasst  war, 
Hess  Sulzer  am  Dormerstag  Vormittag  den  Domänenkassier 
Steffan,  den  radikalen  Redner  von  Uster  (,,au  da  muess  ghulfe 


204  ACHTZEHNTES  KAPITEL:    DER  TAG  VON  KLOTEN  o 

si")  und  jetzigen  Freund  der  , .guten  Sache",  zu  sich  kommen  und 
sagte  ihm  wörtlich  folgendes:  „Sagen  Sie  Ihren  Freunden,  vor 
allem  aus  Herrn  alt  Oberamtmann  Escher  von  Wädenswil,  es 
drohe  ihrer  Sache  ein  Komplott;  in  24  Stunden  werden  30,000 
Konkordätler  gegen  Züricli  auf  dem  Marsch  sein;  FüssH  ist  nach 
Bern  verreist  und  Rordorf  wird  die  Basellandschäftler  heran- 
führen." Diese  psychologisch  absolut  unerklärHche  Mitteilung 
eines  Regierungsrates  entbehrte,  wie  sich  bald  herausstellen 
sollte,  jeder  Grundlage;  sie  war  nichts  anderes  als  die  Wieder- 
gabe umlaufender  Gerüchte,  die  nun  aber  im  Munde  eines  Regie- 
rungsrats und  mit  dem  daran  geknüpften  Auftrag  offiziellen 
Charakter  und  Glaubwürdigkeit  erhielt.  Die  Nachricht  musste 
in  der  Stadt  wie  eine  Bombe  einschlagen.  Auf  der  Strasse  hiess 
es  schon  in  kürzester  Frist:  ,,\Venn  Ihr  nicht  unverzügHch  los- 
schlaget, so  geht  es  Euch  in  sechs  Stunden  an  den  Kragen!" 
vSteffan  war  zuerst  zum  Vizepräsidenten  des  Glaubens- 
komitees, Dr.  Rahn-Escher,  gelaufen,  vmi  ihm  das  regierungs- 
räthche  Geschwätz  brühwarm  zu  hinterbringen,  hatte  ihn  aber 
nicht  angetroffen  und  war  dann  bei  andern  herumgegangen.  Als 
Dr.  Rahn  endlich  gefunden  wurde,  sandte  derselbe  unverzüglich 
an  sämtUche  Bezirkskomitees  das  folgende,  berühmt  gewordene 
Bulletin  (nach  einer  Kopie  in  den  Akten  Spöndlin) : 

Freunde,  Brüder! 
Die  Feinde  wollen  das  Land  mit  fremden  Truppen  über- 
fallen. —  Neuhaus  bietet  Bern  auf;  — ■  Baselland  rüstet  sich. 
—  Ich  ersuche  Euch,  schnell  alles  zum  Sturm  in  Bereitschaft 
zu  setzen,  und  wenn  die  Glocken  losgehen,  dass  ein  guter 
Teil  nach  der  Stadt  komme,  ein  Teil  aber  zur  Bewahrung  des 
eigenen  Herdes  gerüstet  bleibt,  —  für  Gott  und  das  Vaterland. 
Donnerstag  10  Uhr. 

Rahn-Escher. 

Jetzt  war  die  Kugel  aus  dem  Rohr  und  keine  Macht  der  Welt 
brachte  sie  mehr  zurück.  Rahn  machte  dazu  zwar  noch  einen 
ehrlichen  Versuch,  als  nach  einigen  Stunden  das  ganze  Lügen- 
gewebe offenkundig  war,  allein  der  lalune  Gaul  des  zweiten  Boten 
traf  in  Pfäffikon  erst  ein,  als  der  Landsturm  schon  aufgebrochen 
war.   In  der  Stadt  wusste  ausser  den  Eingeweihten  niemand  etwas 


o  ACHTZEHNTES  KAPITEL:    DER  TAG  VON  KLOTEN  205 

von  der  Alarm-Depesche  Rahns,  am  wenigsten  die  Regierung. 
Alles  war  nur  gespannt  auf  den  kommenden  Montag  und  mit  den 
Vorbereitungen  für  den  Empfang  und  die  Bewirtung  der  auf 
jenen  Tag  nach  der  Stadt  aufgebotenen  I^andleute  beschäftigt, 
als  Eduard  Sulzers  Tartarennachricht  in  der  freudig  erregten 
Bürgerschaft  die  Hoffnung  erweckte,  dass  der  Kampf  der  ,, Guten" 
und  ,, Schlechten"  —  nach  Meyer-Otts  einfacher  Klassifikation 
—  gleich  jetzt  ziun  Austrag  gebracht  werden  könnte.  ,, Schon 
jetzt  zeigte  sich,  wie  gut  die  Bürger  dachten,  denn  die  meisten 
waren  voll  Freude  und  harrten  mit  Sehnsucht  des  ersten  Glocken- 
schlags; auch  die  wenigen  Landleute,  die  in  der  Nähe  waren, 
entbrannten  sogleich,  und  es  wurde  von  vielen  Pulver  und  Blei 
gekauft."  Stadtpräsideut  Oberstleutnant  Ziegler  wurde  dringend 
gebeten,  sogleich  Sturm  läuten  zu  lassen.  Dieser  aber  erklärte, 
auf  eine  so  vage  Nachricht  liin  sei  es  nicht  ratsam,  von  dem  System 
abzuweichen,  das  er  sich  in  dieser  Sache  vorgesetzt  habe,  nämhch 
„Ruhe  und  Ordnung  aufrecht  zu  halten  und  nur  dann  an  einer 
Insurrektion  teilzunehmen,  wenn  es  für  die  Sicherheit  der  Stadt 
selbst  notwendig  werde.  Wenn  die  I^andschaft  Lust  hat,  die 
Regierung  fortzujagen,  so  mag  sie  es  tun,  welche  dieselbe  einge- 
setzt hat.  Unklug  wäre  es  von  uns,  die  Initiative  zu  ergreifen  und 
dadurch  denen  die  Waffe  in  die  Hände  zu  geben,  welche  sagen, 
die  Stadt  strebe  nach  Herstellung  ihrer  Herrschaft  über  das  Dand." 
Im  Kaufhause  traten  die  Knechte  vor  die  Herren  und  fragten, 
ob  sie  zuschhessen  imd  mit  den  Sparren  ausrücken  sollen.  Die 
städtische  Polizei  gab  sich  alle  Mülie,  das  Volk  zu  beruhigen. 
Hauptmann  Fehr,  Chef  der  Pohzeiwache,  eilte  von  einem  zum 
andern,  um  abziunahnen  und  zu  beschwichtigen.  Alle  jene  Nach- 
richten seien  ,,erheit  und  erlogen;  Füssh  sei  nicht  in  Bern,  sondern 
in  seinem  Hause  am  Wolfbach;  wir  sollen  doch  Geduld  haben  bis 
am  Montag;  Hess  halte  es  ja  mit  uns;  er  und  seine  Landjäger 
halten  es  ja  mit  uns;  niemand  werde  ims  etwas  Leides  zufügen, 
aber  nur  sollen  wir  um  Gottes  und  des  Heilands  willen  nicht 
stürmen."  Dieser  Vorfall,  fügt  Meyer-Ott  bei,  wird  hier  nur  des- 
halb erwähnt,  um  zu  zeigen,  dass  die  Regierung  bewacht  war 
und  dass  jeder  Versuch  zu  einer  energischen  Massnahme,  z.  B. 
Aufpflanzen  von  Geschütz,  dem  unmittelbaren  Aufstand  in  der 
Stadt  gerufen  hätte. 


2o6  ACHTZEHNTES  KAPITEL:    DER  TAG  VON  KLOTEN  o 

Nachmittags  um  5  Uhr  war  wieder  ausserordentliche  Sitzung 
des  Regierungsrats.  Es  lagen  zwei  Zuschriften  vor  von  den 
Statthaltern  von  Zürich  und  Winterthur.  Der  erstere  empfahl, 
den  umgehenden  Gerüchten  von  der  Einberufung  „fremden  Volks" 
durch  eine  Kundmachimg  entgegenzutreten,  da  sonst  bis  zum 
Montag  kaum  alles  ruhig  bleiben  dürfte.  Der  Statthalter  von 
Winterthur  meldete  vollkommene  Ruhe  in  seinem  Bezirk  und 
die  Erklärung  mehrerer  Gemeindevorsteherschaften,  treu  zur  Ver- 
fassung und  Regierung  zu  halten.  Beide  Zuschriften  wurden 
einstweilen  ad  acta  gelegt,  um  vorerst  die  Zuschrift  der  Tag- 
satzungsgesandten der  sechs  mit  Zürich  im  Konkordat  stehen- 
den Kantone  zu  behandeln.  Die  Eidgenossen  baten  um  beförder- 
lichen Aufschluss  über  den  Stand  der  Bewegung  und  vorzügUch 
über  Kraft  und  Wirksamkeit  der  Regierungsbehörden  des  Kantons 
Zürich.  Die  Zuschrift  wurde  von  versclüedenen  Seiten  als  un- 
gebührUch,  voreiUg  und  anmassend  bezeichnet,  von  Bürger- 
meister Hess  und  andern  in  Schutz  genommen.  Da  es  sich  nun 
hier  um  die  wichtige  Frage  der  Intervention  oder  Nicht- 
intervention  handelte,  die  Meinungen  darüber  aber  weit  aus- 
einandergingen, beschloss  der  Regierungsrat  einstimmig,  die  den 
Gesandten  zu  erteilende  Antwort  erst  morgen  Freitag  Mittag 
zu  beraten.     Um  7  Uhr  ging  man  auseinander. 

Abends  waren  die  Diberalen  wieder  zahlreich  auf  der  Platte 
beisammen.  ,,Kaum  hatte  ich  mich  niedergesetzt",  erzählt  Weiss, 
,,als  es  lüess,  im  Bezirk  Pfäffikon  werden  Anordnungen 
zum  Sturm  getroffen.  Ein  Augenzeuge  versicherte,  diesen 
Abend  in  Russikon  gesehen  zu  haben,  wie  ein  Bote  von  Pfäffikon 
den  Auftrag  ins  dortige  Pfarrhaus  brachte,  auch  da  Sturm  zu 
läuten,  sobald  die  Glocken  in  Pfäffikon  ertönen.  Ungefähr  um 
halb  9  Uhr  suchte  mich  ein  Expresser  von  Hin  au  auf,  mir  die 
Nachricht  zu  bringen,  dass  dort  seit  5  Uhr  abends  die  Kirche 
umstellt  und  Alles  in  Bereitschaft  sei  zum  Sturmläuten;  der 
Pfarrer  habe  den  Weibel  in  die  Häuser  geschickt,  anzuzeigen, 
dass  das  Geläute  nicht  einer  Feuersbrunst,  sondern  dem  Marsche 
nach  Zürich  gelte."  Weiss,  Kantonsrat  Studer  von  Wipkiugen 
und  noch  ein  dritter  begaben  sich  zu  Amtsbürgermeister  Hess, 
um  ihn  zu  unterrichten  und  zu  Massnahmen  zu  veranlassen; 
Studer  setzt  ihm  hart  zu,  aber  ohne  Erfolg.    Als  sie  das  Haus 


o  ACHTZEHNTES  KAPITEL:    DER  TAG  VON  KLOTEN  207 

verliessen,  ritten  eben  zwei  junge  Leute  auf  kotbespritzten  Pferden 
vorbei;  sie  hatten,  wie  sich  nachher  herausstellte,  dem  Komitee 
die  Nachricht  vom  Aufbruch  des  Landsturms  gebracht. 

Weiss  begab  sich  auf  die  Haupt  wache  und  ordnete  an, 
dass  die  Landjäger  von  Stunde  zu  Stunde  zu  rapportieren  hätten. 
Um  IG  Uhr  wurde  ihm  ein  Mann  gebracht,  den  er  kannte  und  der 
ihm  die  bestimmte  Versicherung  gab,  dass  bei  seinem  Abgang 
von  Pfäffikon  die  Glocken  in  vollem  Gange  gewesen  seien.  Nun 
verfügte  sich  Weiss  zu  Oberst  Hirzel  im  Feldhof  und  erklärte 
ihm,  dass  sie  beide  als  Mitgheder  des  Kriegsrats  nicht  zusehen 
dürften,  sondern  einige  Massregeln  treffen  müssten.  Hirzel,  damit 
einverstanden,  erhielt  von  Weiss,  dem  Präsidenten  des  Kriegsrats, 
die  schriftHche  Vollmacht,  ,,die  ihm  zweckmässig  scheinenden 
Massregeln  zu  treffen."  Das  sei  eine  weite  Vollmacht,  meinte 
Hirzel,  man  könne  sie  so  oder  anders  auslegen;  aber  Weiss  über- 
liess  ihm,  seine  Einrichtungen  nach  seinen  Kräften  zu  treffen. 
Auf  dem  Rückwege  zur  Hauptwache  begegneten  Weiss  einige 
bewaffnete  Bürger.  Er  Hess  deshalb  den  städtischen  PoUzei- 
präsidenten  Stadtrat  Gj'si  zu  sich  kommen  und  bat  ihn  um  Auf- 
schluss.  Gysi  berief  sich  darauf,  dass  er  ihm  schon  im  März  die 
Kontrolle  einer  Bürgerwache  von  zirka  65  Mann  vorgewiesen 
habe,  die  jetzt  aufs  Stadthaus  berufen  worden  sei.  Ferner  besitze 
man  eine  Liste  von  500  Mann,  die  man,  wenn  sich  die  Gerüchte 
erwahren  sollten,  ebenfalls  besammeln  werde,  aber  einzig  zur 
Handhabung  von  Ruhe,  Ordnung  und  Sicherheit  und  ohne  poU- 
tischen  Zweck.  Die  Unterredung  endete  mit  Händeschütteln  und 
gegenseitiger  Versicherung  redUcher  Absichten.  Nun  erschien  auch 
Regierungsrat  Hegetschweiler,  Vizepräsident  des  PoUzei- 
rates,  auf  der  Hauptwache,  fortwährend  behauptend,  es  seien 
alles  nur  Gerüchte.  Allein  jetzt  kamen  die  Berichte  imd  Anzeigen 
zu  Häuf.  Um  Mittemacht  meldete  sich  schweisstriefend  ein  junger 
Bauembursche  von  Schwamendingen,  mit  dem  Hegetschweiler 
ein  barsches,  inqmsitorisches  Verhör  anstellte,  das  den  jungen 
Mann,  der  auf  eine  ganz  andere  Aufnahme  gerechnet  hatte,  ver- 
blüffte und  einschüchterte.  Endhch  brachte  man  aus  ihm  heraus, 
dass  ein  Dragoner,  von  einer  Übung  nach  Hause  reitend,  auf  der 
Brücke  von  Dübendorf  in  einen  Haufen  bewaffneter  und  mit 
Stöcken  und  allerlei  Werkzeug  versehener  Landleute  geraten  und 


2o8  ACHTZEHNTES  KAPITEL:    DER  TAG  VON  KLOTEN  o 

sogleich  umgekehrt  sei,  um  in  schnellster  Carriere  die  Nachricht 
nach  Zürich  zu  bringen.  Aber  in  Schwamendingen  habe  er  das 
ermüdete  Pferd  nicht  mehr  weiter  gebracht,  weshalb  ihm,  dem 
Boten,  aufgetragen  wurde,  nach  Zürich  zu  gehen.  Hegetschweiler 
bUeb  noch  immer  verstockt.  Man  ging  hinaus,  um  auf  der  Brücke 
hin  und  her  zu  spazieren.  Nun  kam  auch  ein  Landjäger  mit 
der  Meldvmg,  dass  er  die  L,eute  in  Dübendorf  gesehen  habe,  ebenso 
ein  Mann  aus  Pfäffikon  (dem  Rahn  dann  den  abmahnenden  Brief 
an  Pfarrer  Hirzel  nach  Dübendorf  mitgab).  Unterdessen  stiess 
auch  Herr  Steffan  zu  der  Gruppe  und  wandte  sich  an  Weiss: 
,,Herr,  ich  frage  Sie,  woher  wissen  Sie,  dass  in  Pfäffikon  gestürmt 
wird?  Es  ist  an  allem  nichts!"  Weiss  erwiderte:  ,,Herr,  es  ist 
nur  zu  wahr;  hinlänghche  Berichte  sind  da,  dass  Herr  Pfarrer 
Hirzel  das  Stürmen  angeordnet  hat."  Steffan  ging  mit  der  kräf- 
tigen Verwünschung:  ,,Dann  soll  ihn  das "  usw. 


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******************************  * 


NEUNZEHNTES  KAPITEL 


DER  SECHSTE  SEPTEMBER 

Im  Pfarrhaus  Pfäffikon  weilte  Besuch  aus  der  Stadt.  Das 
trauhche  Beisammensein  wurde  unterbrochen  durch  einen  Ex- 
pressen, welcher  Rahns  Alarm-Bulletin  überbrachte.  Das  war 
Donnerstag  nachmittag  2  Uhr  (den  5.  September).  Pfarrer 
Dr.  Hirzel,  ein  ßijähriger  Mann  von  leidenschaftHchem  Tempera- 
ment, erhob  sich  alsbald  in  lodernder  Empörung.  Sein  böser 
Genius  riss  ihn  fort  zu  handeln,  wo  ihm  doch  nur  Bereitschaft 
befohlen  war.  Der  Besuch  reiste  ab  und  brachte  die  erste  Nach- 
richt vom  bevorstehenden  Sturm  nach  Zürich.  Hirzel  selbst  er- 
zählt in  seiner  Rechtfertigungsschrift  (,,Mein  Anteil"  usw.): 
,, Sogleich  berichtete  ich  die  umliegenden  Gemeinden,  dass  sie 
auf  die  Glocken  von  Pfäffikon  achten  möchten,  und  überlegte 
sodann  mehrere  Stunden  lang  allein  vor  Gott  die  Lage  der  Dinge." 
Die  ihm  von  allen  Seiten  zugetragenen  Gerüchte  von  einem  An- 
schlag der  Radikalen  und  Studenten  auf  das  Zeughaus,  der  be- 
stellten Guillotine,  dem  Marsch  der  Winterthurer  nach  Zürich, 
dem  Aufgebot  „fremder  Truppen"  Hessen  es  ihm  als  das  Richtigste 
erscheinen,  ,,den  Plänen  der  Radikalen  zuvorzukommen",  und  so 
befahl  er  denn  (um  5  Uhr)  das  Sturmläuten.  Zu  gleicher  Zeit 
gingen  Expresse  nach  Zürich  und  an  den  See,  den  Aufbruch 
mitzuteilen  ,,und  zur  Teilnahme  einzuladen".  Pfarrer  Hirzel  hat 
die  Revolution  nicht  gemacht;  er  hat  nur  im  kritischen  Augen- 
bhck  das  Oberkommando  an  sich  gerissen  und  damit  das 
Zentralkomitee  in  eine  peinhche  und  ohnmächtige  Passivität  den 
kommenden  Ereignissen  gegenüber  versetzt.  Aber  mit  dem  ersten 
Ton  der  Sturmglocke  zerriss  der  Dunst  und  Nebel  von  Gerüchten, 
durcheinander  wogenden  Meinungen  und  frommem  Selbstbetrug, 
und  es  erschien  Hellsehenden  wie  eine  Vision,  darob  sie  bis  ins 
Innerste  erschraken,  die  Fratze  der  Revolution.  Der  Pfarrer 
von  Hittnau  hatte  nichts  gesehen  und  Hess  sechs  Stunden  lang 
die   Glocken  ziehen.     Auch    Russikon,     Illnau    und    Bauma 

14 


2IO  NEUNZEHNTES   KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

stimmten  ein  in  das  Lied  der  Rache  und  Empörmig,  und  der 
jmige  Pfarrverweser  von  Bauma  segnete  beim  Fackelschein  in  der 
Kirche  Waffen  und  Mannschaft  zum  heiligen  Krieg.  Dagegen 
blieben  die  Glocken  von  WeissUngen,  Zell,  Wildberg,  Wiesen- 
dangen  stumm.  Nach  und  nach  sammelten  sich  in  Pfäffikon  an 
die  2000  Mann.  ,,Ein  kleiner  Teil  bewaffnete  sich,  um  damit  dem 
Zuge  ein  gewisses  Ansehen  zu  geben."  Ein  Gemeindeseckelmeister 
hinwieder  steckte  eine  Summe  Geld,  den  Zehnten,  zu  sich,  um  sie 
bei  dieser  guten  Gelegenheit  der  Finanzkanzlei  in  Zürich  ab- 
zuliefern. Von  Dorf  zu  Dorf  schwoll  der  Landsturm  lawinen- 
artig an.  In  Volketswil  vereinigte  man  sich  mit  dem  ,,Zug 
der  Kellenländer"  aus  Sternenberg,  dem  Tösstal,  Hinwil. 
Pfarrer  Hirzel  sagt  nichts  davon,  dass  in  Volketswil  die  Kirche 
gewaltsam  erbrochen  wurde,  um  Sturm  zu  läuten,  und  dass  Radi- 
kale sich  in  Kellern  und  hinter  Scheiterbeigen  verstecken  mussten, 
um  nicht  zum  Mitgehen  gepresst  oder  insultiert  zu  werden;  er 
weiss  nur  von  ,, tausendstimmigem  Gesang  frommer  Lieder  aus 
Herzensgrund".  In  Dübendorf  war  seine  Armee  auf  5000  Mann 
angewachsen.  Doch  hier  suchte  ihn  ein  Mann  und  übergab  ihm 
folgendes  Brief  lein: 

An  die  Männer  von  Pfäffikon. 

Zürich,  den  5.  September  1839,  Mitternacht. 

Teure  Freunde !  Ich  eile.  Euch  zu  bitten,  nüüg  zu  bleiben. 
In  der  vStadt  ist  alles  ruhig,  aber  bereit  gegen  die  Radikalen, 
die,  wie  es  sich  herausstellt,  einen  Handstreich  im  Sinne 
hatten,  der  aber  durch  Euch  glücklich  abgewendet  scheint. 
Ich  bitte  Euch  daher,  entweder  ruhig  zu  bleiben  und  nach 
Hause  zu  gehen,  oder,  wenn  Ihr  nach  der  Stadt  kommt, 
nichts  anderes  als  zu  sagen,  Ihr  kommet,  um  zu  wissen,  ob 
Spöndhn  und  ich  wohl  seien. 

Älit  Treue  und  Freundschaft  Euer 

Rahn-Escher. 

Nun  was  tun?  ,, Vorwärts  marschieren!"  riefen  die 
Männer  von  Pfäffikon,  und  ihr  Pfarrer  und  Feldherr  willigte  ein 
,,in  der  festen  Überzeugung,  dass  die  andern  Bezirke  einerseits 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEI,:   DER  SECHSTE  SEPTEMBER        211 

uns  sicherlich  nicht  stecken  lassen  wollen,  anderseits  auch  nicht 

können  werden,  da  ja  unser  aller  Interesse  nur  eines,    unsere 

Niederlage  ihre  eigene  sei." 

* 

Hürlimann-Landis  hatte  Donnerstag  nachmittag  noch 
eine  Komiteesitzung  in  Zürich  abgehalten  und  war  dann  ahnungs- 
los nach  Hause  gereist.  Ralin  und  Spöudlin  wurden  abends, 
wie  alle  Welt,  überrascht  durch  die  Berichte  aus  Pfäffikon,  denen 
auf  dem  Fuss  die  ileldung  folgte,  die  Illnauer  seien  bereits  im 
Anzug.  Unverzüglich  wurde  vom  engern  Komitee  Spöndhn  ab- 
geordnet, ihnen  entgegenzugehen  mid  sie  zur  Umkehr  zu  bewegen, 
weil  man  sie  nicht  gerufen  mid  sie  in  der  Stadt  weder  brauchen 
könne  noch  wolle.  Auf  der  Höhe  des  Zürichbergs  erfuhr  Spöndhn, 
dass  das  ganze  Hinterland  im  Aufstand  sei.  Sofort  schrieb  er  im 
Hause  eines  Bekannten  vier  Briefe,  worin  er  die  betreffenden  Ge- 
meinden beschwor,  ruhig  zu  bleiben,  da  das  Gerücht  vom  Heran- 
nahen der  Konkordatstruppeu  unrichtig  sei.  Darauf  kehrte  er 
nach  der  Stadt  zurück.  Um  9  Uhr,  als  die  Berichte  immer  be- 
stimmter lauteten,  wurden  die  Gemeinden  am  See  nochmals 
durch  driugHche  Botschaft  aufgefordert,  sich  durch  kein  Gerücht 
zum  Aufbruch  bestimmen  zu  lassen,  bis  es  im  Neumünster 
stürme. 

Im  Kasemenhof  am  Talacker  rasselte  abends  halb  10  Uhr  ein 
Trommelsignal:  ,, Feld weibel heraus".  Oberstleutnant  Sulzberger 
gab  den  Befehl,  die  Mannschaft  solle  angezogen,  mit  umgehängter 
Patroutasche  sich  bereit  halten,  die  Lichter  sollen  brennen,  die 
Fenster  geschlossen  sein  und  niemand  an  denselben  sich  blicken 
lassen.  Einige  der  jungen  Wehrmänner  taten  noch  ein  Übriges 
und  versuchten,  ihre  stumpfen  Säbel  zu  schleifen.  An  die  Ka- 
vallerie war  der  Befehl  ergangen,  in  den  Stall  an  der  Sihl  zu 
gehen,  zu  satteln,  aufzusitzen  und  in  die  Kaserne  zu  kommen. 
Sie  rückte  um  11  Uhr  in  den  Kasernenliof  ein,  und  damit  war  die 
gesamte  Truppenmacht  der  Regierung  beieinander!  Sie 
hatte  nichts  anderes  zur  Verfügimg  als  die  MiHtärschule  (Offiziers- 
Aspirantenschule),  grossenteils  Brüder  und  Söhne  der  bei  der 
Volksbewegung  beteihgten  oder  doch  mit  ihr  sympathisierenden 


212  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

Bürger.  Das  ganz  unzuverlässige  Landjägerkorps,  50  bis  60  Mann, 
war,  \'on  einzelnen  Posten  abgesehen,  zu  nichts  anderem  zu  ver- 
wenden als  zur  Bewachung  des  Zuchthauses.  Oberst  Salomon 
Hirzel,  der  Oberkommandant  der  ,, Regierungstruppen",  hatte 
auf  den  Schlachtfeldern  in  Spanien  und  Portugal  und  an  der  Bere- 
sina  gekämpft,  aber  eine  schwierigere  Stellung  und  Aufgabe  war 
ihm  nie  zuteil  geworden  als  in  dieser  Nacht.  Als  konservativer 
Stadtbürger  sollte  er  die  radikale  Regierung  stützen  und  be- 
schützen, und  er  erfüllte  diese  saure  Pfhcht  als  Soldat  und  Ehren- 
mann solange  er  konnte  und  musste.  Um  sie  unter  den  Augen 
zu  haben,  wie  es  liiess,  hatte  Oberst  Hirzel  die  radikalen  Offiziere 
Oberstleutnant  Konrad  v.  OrelU  (Artillerie),  Markwalder  und 
Brunner  in  den  Dienst  berufen  imd  sein  Augenmerk  zunächst 
auf  den  Schutz  der  drei  Zeughäuser  In  Gassen  gerichtet, 
die  nach  „konfidentiellen  Mitteilungen"  des  Bürgermeisters  Hess 
durch  einen  radikalen  Putsch  bedroht  sein  sollten,  aber  auch 
Angriffsobjekt  des  anrückenden  Landsturms  bilden  konnten.  Vom 
vStadtpräsidenten  Oberst  Ziegler,  der  zu  ihm  in  den  Feldhof  ge- 
kommen war,  erbat  sich  Hirzel  40  bis  50  Mann  der  Bürger- 
wache, die  er  bewaffnete  und  in  die  Zeughäuser  verteilte.  Damit 
behielt  er  seine  kleine  Truppe  frei  und  hoffte  auch,  der  Landsturm 
werde  von  den  Zeughäusern  abstehen,  wenn  er  sie  in  den  Händen 
der  befreundeten  Bürgerwache  sähe.  Dann  begab  er  sich  nach 
der  Hauptwache,  wo  er  noch  die  Regierungsräte  Weiss  und  He- 
getschweiler  traf,  deren  Mitteilungen  ihm  die  ganze  Schwere  seiner 
Verantwortung  klar  machten.  Die  ihm  hier  ,,sehr  zudringlich 
angebotene"  und  verdächtig  scheinende  Hilfe  der  Studenten 
verbat  er  sich  entschieden.  Nachdem  er  nochmals  in  den  Zeug- 
häusern Nachschau  gehalten,  suchte  Oberst  Hirzel  den  Stadt- 
präsidenten im  vStadthaus  auf.  Dort  wurde  ihm  gemeldet,  dass 
hundert  Studenten  bei  der  Tiefenliofhnde  am  Paradeplatz  auf- 
gestellt seien.  Sofort  dahin  eilend,  fand  er  sie  nicht  mehr;  sie 
hatten  sich  zur  Kaserne  begeben.  Die  Studenten  waren  an  diesem 
Abend  bei  ihrer  Semester-Schlusskneipe  im  ,, Widder"  am  Renn- 
weg versammelt,  als  die  Nachricht  vom  Sturmläuten  auf  dem  Land 
auch  sie  erreichte.  AugenblickUch  organisierten  sie  sich  als  mili- 
tärisches Freikorps  und  stellten  sich  dem  Amtsbürgermeister  Hess 
zur  Verfügung,  der  ihnen  den  zweideutigen  Rat  gab,  ruhig  bei- 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEL:   DER  SECHSTE  SEPTEMBER         213 

sammen  zu  bleiben  und  auf  einen  eventuellen  Ruf  sich  bereit 
zu  halten.  Ähnlich  antwortete  Weiss,  den  dreimal  Deputationen 
auf  der  Hauptwache  aufsuchten.  Auf  die  Bitte  von  Oberst  Hirzel 
ging  ihnen  Weiss  dann  auch  gegen  die  Kaserne  nach  und  traf 
sie  beim  Feldhof,  worauf  sie  sich  auf  sein  Zureden  zerstreuten. 
Auch  ein  späterer  Versuch,  sich  in  die  Bürgerwache  einreihen  zu 
lassen,  scheiterte;  man  hatte  angebUch  keine  Gewehre  mehr  für 
sie.  Im  Cafe  htteraire  sassen  die  ganze  Nacht  Radikale  bei- 
sammen, eines  Winks  der  Regierung  gewärtig;  doch  keiner  der 
regierungsrätlichen  Stammgäste  liess  sich  blicken.  Kantonsrat 
Studer  bemühte  sich,  im  Limmattal  ein  FreiwilHgenkorps  zu- 
sammenzubringen; aber  niemand  begehrte  seine  Dienste. 


Unter  den  in  aller  Stille  um  Mittemacht  Mann  für  Mann  aufs 
Stadthaus  entbotenen  Bürgern  befand  sich  auch  Meyer-Ott 
vom  St.  Urban  in  Stadelhofen.  Im  Hausflur  des  Stadthauses  war 
schon  eine  ganze  Anzahl  Bewaffneter  versammelt;  sie  wurden 
von  alten  Offizieren,  die  in  Holland  vmd  Frankreich  gedient  hatten 
und  nun  plötzHch,  ihren  funkelnden  Augen  nach  zu  urteilen,  um 
25  Jahre  jünger  geworden  waren,  in  Reih  und  Ghed  gestellt. 
Das  Kommando  über  die  gesamte  Bürgerwache  fülirte  Oberst- 
leutnant Friedrich  Schulthess  zur  ,, Weinleiter",  Sohn  des 
Uberalen  Chorherrn  Dr.  Johannes  Schiüthess  und  Gründer  der 
Buclihandkmg  Schulthess.  Ohne  an  der  Leitung  der  Volksbewegung 
irgendwie  beteiUgt  zu  sein,  sj'mpathisierte  er  mit  ihr.  Seiner 
ruhigen,  tapfern  und  taktvollen  Haltimg  am  6.  vSeptember  gebührt 
neben  Zieglers  Feldhermgenie  das  Hauptverdienst  daran,  dass  es 
für  die  Stadt  ohne  grösseres  Unglück  ablief.  Die  Bürgerwache 
des  Stadtpräsidenten  Oberst  Ziegler  bildet  neben  den  Regierungs- 
truppen den  zweiten  für  die  Revolution  des  6.  vSeptember  in  Be- 
tracht fallenden,  mihtärisch  organisierten  Machtfaktor.  Ihre  .Stel- 
lung gegenüber  der  vom  Landsturm  mit  Umsturz  bedrohten 
Landesregierung  war  die  der  nicht  wohlwollenden  NeutraUtät. 
Man  kann  eine  Landesregierung  auf  zwei  Arten  stürzen:  die  Re- 
volution in  der  Arbeiterbluse  geht  ihr  direkt  und  roh  an  den 
Kragen;  die  Revolution  im  Frack  wahrt  möglichst  die  äussern 
Formen,  vermeidet  Roheiten,  rührt  aber  für  den  Schutz  der  Re- 


214         NEUNZEHNTES  KAPITEL:   DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

gierung  nicht  den  kleinen  Finger  und  geht  bei  ihren  Verteidigern 
herum  mit  der  Erklärung:  untersteht  ihr  euch,  für  die  Regierung 
einen  Schuss  zu  tun,  so  bekommt  ihr's  mit  mir  zu  schaffen.  So 
wird,  kalt  und  klug,  der  Moment  abgewartet,  da  die  wehrlose  Re- 
gierung am  Boden  liegt  und  der  drohenden  Anarchie  gegenüber 
der  Anschluss  an  die  siegreiche  Revolution  im  höchsten  Interesse 
der  Ordnung  und  Sicherheit  des  Gemeinwesens  liegt. 

Oberstleutnant  Schulthess  verteilte  seine  Mannschaft  auf  ver- 
schiedene wichtige  Posten.  Meyer-Ott  hatte  unversehens  eine 
weisse  Binde  am  Arm  und  sah  sich  in  ein  Kontingent  von  etwa 
dreissig  Mann  eingeteilt,  dem  die  Aufgabe  zufiel,  den  Herren 
Dr.  Rahn  und  Spöndlin  als  Eskorte  zu  dienen.  Es  war  die 
(übrigens  falsche)  Meldung  eingegangen,  der  Landsturm  rücke 
über  Witikon  heran.  Die  Komiteeabordnuug  sollte  ihm  entgegen- 
gehen und  nach  seinem  Begehren  fragen.  Durch  die  schlafende 
Stadt  ging  es  hinaus  nach  Hirslanden.  Beim  Wirtshaus  zum 
,, Wilden  Mann"  wurde  Halt  gemacht.  Vom  BürgU  her  dröhnte  ein 
Schuss  der  Lärmkanone;  es  brannte  in  vSchlieren  oder  Dietikon, 
aber  mit  dem  Aufrulir  stand  das  Signal  in  keiner  Verbindung, 
denn  am  See  bheb  alles  totenstill  in  der  ruhigen,  sternhellen  Nacht. 
Die  Knechte  im  Wirtshaus  freuten  sich,  ,,dass  es  einmal  hinter 
diese  schlechte  Regierung  her  geht",  und  sagten,  hier  herum  wohnen 
alles  Gute,  ausser  dem  vSchneider  Fink  da  unten,  der  sei  der  einzige 
Strauss  in  der  Nähe.  Da  auf  einmal  Pferdegetrampel.  Zwei 
Reiter  nahen  von  Witikon  her.  Es  sind  Boten  des  wackern  Pfarrers 
und  Dekans  Werdmüller  von  Uster.  Der  Pfarrer  hatte  das 
Glaubenskomitee  von  Uster  schon  vor  einiger  Zeit  aufgelöst,  weil 
ihm  die  Sache  zu  poUtisch  geworden  war;  nun  aber  wurde  er  von 
seiner  Gemeinde  bedrängt,  welche  stürmen  wollte,  und  fragte  des- 
halb an,  was  er  tun  solle.  Dr.  Rahn  empfalil  in  seiner  Antwort 
(morgens  2  Uhr),  ruhig,  aber  wachsam  zuzusehen.  Nachdem 
es  klar  geworden,  dass  der  Landsturm  einen  andern  Weg  ein- 
geschlagen hatte,  sandte  die  Deputation  noch  eine  dringende  Ab- 
mahnung nach  Kloten  und  kehrte  zur  Stadt  zurück.  Beim 
,, Falken"  in  StadeUiofen  wurde  man  bereits  von  einem  starken 
Posten  Bürgerwache  angerufen,  und  auf  dem  Stadthaus  wimmelte 
es  von  Bewaffneten. 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER         215 

Um  dieselbe  Zeit  rückte  die  Kavallerie  aus.  Major  Bruno 
Übel  ritt  mit  seinen  34  Dragonern  auf  den  Münsterhof.  Der 
preussische  Instruktor,  ein  schöner,  ritterlicher  Mann  mit  klarem 
Verstand  und  makellosem  Ruf,  wurde  die  Zielscheibe  der  ersten 
Schüsse;  aber  nicht  hier  war  ihm  bestimmt  zu  fallen.  Übers 
Jahr  erst  sollte  ihn  eine  Araberkugel  niederstrecken  in  den  Wüsten- 
sand. Seine  FamiUe  bheb  in  der  Schweiz,  und  seine  Tochter 
wurde  die  Gattin  Alfred  Eschers.  Mit  der  spärlichen  Infanterie 
besetzte  Oberst  Hirzel  die  obere  und  die  untere  Brücke  und  einige 
exponierte  Posten.  Die  Spitze  des  üandsturms  war  bereits  aus 
Schwamendingen  gemeldet  worden.  Im  Zimmer  des  Pohzei- 
rats  auf  der  Haupt  wache  hatten  sich  einige  Mitgheder  des  Re- 
gierungsrates zusammengefunden;  die  fehlenden  wurden  noch 
einberufen.  L.  Mej-er  v.  Knonau,  im  Fraumünsteramt  wohnend, 
musste  sich  zwischen  den  Soldaten  und  dem  Geländer  der  Münster- 
brücke durchwitaden.  H.  Escher,  der  vom  Hirschengraben  kam, 
bemerkte  nichts  Auffälhges  ausser  den  Laternen  in  den  Gassen, 
die  in  unruliigen  Zeiten  von  Mietern  und  Hausbesitzern  vor  ihre 
Türen  gehängt  werden  mussten.  Auf  Veranlassung  von  Regierungs- 
rat Weiss  wurden  auch  Stadtpräsident  Oberst  Ziegler  und 
Stadtpohzeipräsident  Gysi  auf  die  Hauptwache  beschieden,  um 
über  die  immer  weiter  ausgedehnte  Bewaffnung  der  Bürger- 
schaft und  ihre  Bewegungen  nochmals  Aufschluss  zu  geben. 
Bürgermeister  Hess,  Weiss  und  Eduard  Sulzer  sollten  mit  den 
Herren  reden.  Oberst  Ziegler  berief  sich  auf  das  (von  Dr.  Keller 
stammende)  Aufruhrgesetz  von  1832,  das  die  Gemeinden  haftbar 
erklärte  für  den  bei  Unruhen  entstehenden  Schaden.  Nur  die 
Abwendung  solchen  Schadens  und  der  Schutz  der  Personen  und 
des  Eigentums  sei  zunächst  der  Zweck  der  städtischen  Bewaff- 
nung. Mit  vollkommener  Offenheit  fügte  Ziegler  jedoch  bei,  dass 
die  Bürgerwache  angewiesen  sei,  die  Dandieute  frei  passieren 
zu  lassen  und  nicht  mit  ihnen  anzubinden.  Bei  der  in  der  Stadt 
herrschenden  Stimmung  könne  er,  Stadtpräsident  Oberst  Ziegler, 
allerdings  nicht  dafür  bürgen,  dass  sich  die  Bürgerwache  nicht 
mit  dem  Landsturm  vereinigen  werde. 

Es  kann  also  niemand  behaupten,  dass  die  Stadt  Zürich  am 
6.  September  treulos  und  hinterUstig  an  der  Regierung  gehandelt 
habe.    Noch  bevor  eines  Landstürmers  Fuss  städtischen  Boden 


2i6  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

betreten  hatte,  wusste  die  Regierung  ganz  genau  aus  des  Stadt- 
präsidenten eigenem  Munde,  wessen  sie  sich  von  der  Stadt  ver- 
sehen musste.  Die  Regierungsdeputation  aber  erklärte  sich  von 
den  Eröffnungen  des  Stadtpräsidenten  ,, befriedigt",  und  sie 
gewährte  weiter  die  von  Oberst  Ziegler  kaltlächelnd  ausgespro- 
chene Bitte,  dieser  seiner  Bürgerwache,  für  deren  Regierungstreue 
er  keinen  Augenblick  einstand,  500  Gewehre  samt  Munition 
aus  den  Zeughäusern  verabfolgen  zu  lassen.  Endlich  wurde,  um 
das  Mass  des  Entgegenkommens  voll  zu  machen,  der  Ober- 
kommandant der  Regierungstruppen,  Oberst  Salomon  Hirzel, 
angewiesen,  mit  dem  Oberkommandanten  der  Stadttruppen, 
Oberst  Ziegler,  die  weiter  zu  treffenden  militärischen  Massnahmen 
zu  vereinbaren.  Die  beiden  Kommandanten  ^verständigten  sich 
dahin,  dass  gegen  die  Bauern  keinerlei  Offensive  zu  ergreifen 
sei,  Oberst  Hirzel  die  Zugänge  zu  den  Zeughäusern  zu  decken, 
Oberst  Ziegler  für  die  Ruhe  und  vSicherheit  der  Stadt  zu  sorgen 
habe.  Nun  war  bloss  noch  dieser  Preusse  Übel  als  unsicherer 
Faktor  in  Rechnung  zu  ziehen.  Oberst  Ziegler  beschloss,  ihn  auf 
die  Probe  zu  stellen.  Meyer-Ott  erhielt  den  Auftrag,  mit  einer 
Patrouille  von  vier  Mann  ein  paarmal  den  Münsterhof  zu  passieren. 
vSollte  Übel  vSchwierigkeiten  machen,  so  habe  er  nur  zu  sagen, 
man  werde  an  Hirzel  rapportieren,  imd  wenn  dies  nichts  nütze, 
zu  erklären,  dass  man  ihn  als  Feind  behandeln  werde. 
,,Aber  ganz  höfüch  und  so  ruliig,  wie  ich  jetzt  zu  dir  rede,  musst 
du  ihm  das  sagen".  Meyer-Ott  kam  ungehindert  durch  und  sah 
auch  Oberst  Hirzel  neben  Übel  stehen,  so  dass  das  Einverständnis 
allseitig  gesichert  schien. 

* 

Der  Landsturm  ist  da!  Hirt  und  Herde  lagern  bei  der 
,, Linde"  in  Oberstrass.  Es  ist  morgens  4  Uhr.  Dr.  Rahn  bittet 
auf  dem  Stadthaus  Meyer-Ott,  ihn  mit  einer  Eskorte  von  20  ]\Iann 
zu  begleiten.  Unterwegs  werden  sie  schlüssig,  das  Volk  beim 
Einmarsch  nicht  über  die  Brücken  zu  führen,  sondern  am  Rat- 
hausquai den  Zuzug  vom  See  abzuwarten  und  dann  erst  im  Ein- 
verständnis mit  der  Bürgenvachc  dem  Militär  gegenüber  Terrain 
zu  gewinnen  und  die  BesitznaJime  des  Zeughauses  zu  erwirken. 
Beim  Volk  angelangt,  tritt  Rahn  sogleich  ins  Gasthaus  zur  , .Linde", 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  217 

währendMej'ersichmit  den  Bauern  unterhält.  Da  kommt  Pfarrer 
Hirzel,  schüttelt  Mej-er  die  Hand  und  sagt:  „Mein  Volk  will 
die  Stadt  nicht  beunruhigen,  nur  den  Bescheid  der  Regierung  auf 
die  Adresse  von  Kloten  abwarten  und  dann  nach  Hause  gehen." 
Dann  geht  er  Rahn  nach  ins  Wirtshaus.  Das  Aussehen  der  Leute 
findet  Meyer  miserabel.  Die  Mehrzahl  scheint  der  armen  Fabrikler- 
klasse anzugehören.  Alle  sind  in  ihren  schlechten,  zum  Teil  zer- 
rissenen Kleidern,  auch  unordenthch  mit  ihren  mirasierten  Stoppel- 
bärten.  Ein  alter,  kleiner  Mann  tritt  vor  den  Stadtherm  hin  mit 
den  Worten;  ,,Wir  begehren  der  Regierung  nichts  Leides  zuzu- 
fügen; es  ist  uns  gleich,  wer  in  Zürich  regiert."  —  ,,Aber  was  sind 
eigenthch  eure  Forderungen?"  —  ,,Nur  das,  was  in  Kloten  ge- 
redet worden  ist.  Ich  weiss  sonst  von  nichts  anderem."  —  Neu- 
gierige aus  der  Stadt  wollen  auf  ähnUche  Fragen  die  Antwort 
erhalten  haben,  sie  wüssten  es  eigenthch  selber  nicht,  warum  sie 
gekommen,  oder  auch:  die  Regierung  müsse  weg.  Ein  Student 
schrieb  seinen  Eltern  nach  St.  Gallen  von  ,, Gesindel,  mutlos,  un- 
schlüssig, verlorenen  Schafen  gleich".  — 

Bevor  die  auf  der  Hauptwache  sitzende  Regierung  zu  einem 
Schluss  kommen  kann,  was  angesichts  des  Landstunns  zu  tun 
sei,  lässt  Oberst  Salomon  Hirzel  melden,  dass  er  das  MiUtär  von 
den  Brücken  zurückziehen  müsse  tmd  der  Regierung  nur  im  Zeug- 
haus Löwenhof  Schutz  bieten  könne.  Man  ratschlagt  nun  zunächst 
über  ein  geeignetes  Sitzungslokal  (im  Rathaus  wird  umgebaut). 
Melchior  Hirzel  will  ins  \'enezianische  Zeughaus  gehen;  die  Mehr- 
heit ist  aber  dafür,  die  nächste  Sitzung  auf  halb  8  Uhr  in  den  ge- 
wohnten Sitzungssaal  im  Posthaus  anzuberaumen.  Dann  wird 
beschlossen,  eine  Deputation,  Hegetschweiler  und  Eduard 
Sulzer  (zwei  ,, Gutgesinnte"  nennt  sie  Meyer-Ott)  in  Begleitung 
eines  Weibels  in  den  Standesfarben  nach  Oberstrass  zu  entsenden 
und  nach  dem  Zweck  und  \^orhaben  der  Leute  zu  fragen. 

Es  mochte  auf  6  Uhr  rücken,  als  die  Regierungsabordnung  die 
neue  Rämi-Taimenstrasse  heraufgestiegen  kam.  Das  Volk  hielt 
den  Weibel  in  seinem  Amtsornat  für  einen  vornehmen  Offizier. 
Hegetschweiler  schien  ob  dem  schlechten  Aussehen  imd  der 
geringen  Bewaffnung  der  Leute  sehr  —  bestürzt !  Die  Deputation 
wurde  bei  Pfarrer  Hirzel  ,, vorgelassen",  wie  Hegetschweiler  in 
seinem  Bericht  sich  ausdrückte.    Als  ,, ehrerbietige,  aber   feste" 


2i8  NEUNZEHNTBS  KAPITEL:   DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

Wünsche  des  Volkes  wurden  ihr  unterbreitet:  i.  Annalime  der 
Adresse  von  Kloten,  2.  bestimmter  Verzicht  auf  alle  fremde  Hilfe 
zur  Ordnung  innerer  Angelegenheiten,  3.  Austritt  aus  dem  Siebner 
Konkordat.  Das  wäre  also  so  eine  Art  Ultimatum.  Als  Frist 
dürfen  zwei  Stunden  angenommen  werden,  derm  für  so  lange 
gab  Pfarrer  Hirzel  nach  der  Unterredung  seinem  Volke  Urlaub, 
indem  er  beifügte,  die  Regierung  werde  jetzt  Sitzung  halten,  und 
wenn  sie  den  Wünschen  nicht  entspreche,  so  ziehe  man  in  die 
Stadt;  das  Komitee  werde  dann  sagen,  was  zu  tun  sei.  Die 
Leute  zerstreuten  sich  darauf  in  die  Wirtshäuser;  manche  gingen 
auch  in  die  Stadt  und  betrachteten  misstrauisch  die  bewaffneten 
Bürger.  Aber  überall  hiess  es,  ,,wir  tun  euch  nichts",  und  ein 
Offizier  versicherte:  ,,Ich  lasse  das  Gewehr  präsentieren,  wenn 
ihr  kommt".  Die  Stadtbürger  waren  ob  dem  friedhchen  und 
vielversprechenden  Verlauf  der  Unterredung  in  Oberstrass  nur 
halb  erbaut,  und  manche  ,, besorgten"  —  nach  Meyer-Ott  —  so- 
gar den  Fortbestand  der  Regierung.  Als  Meyer  dem  vStadtpräsi- 
denten  seine  Eindrücke  mitteilte,  meinte  Ziegler:  ,,Ja,  ja,  ich  glaube 
auch,  es  werde  alles  arrangiert  werden.  Wenn  aber  die  Regierung 
nicht  nachgibt,  so  dürfte  es  am  Nachmittag  doch  noch  zu  Auf- 
tritten kommen." 

Das  Komitee,  wo  ist  das  Komitee?  Eines  nach  dem  andern 
von  seinen  auswärtigen  Mitgliedern  ist  während  der  Nacht  in  Zürich 
eingetroffen;  auf  ,, Zimmerleuten"  findet  die  unfreiwillige  ausser- 
ordentUche  Sitzung  statt.  Wenige  hundert  Schritte  voneinander 
tagen  die  reguläre  und  die  irreguläre  Regierung,  eine  vor 
der  andern  sich  fürchtend,  miteinander  in  Ratlosigkeit  wett- 
eifernd. Auch  der  Präsident  Hürlimann  langt  an  und  bringt 
nichts  weniger  als  ermutigenden  Bericht.  Auf  Pfarrer  Hirzels 
Aufforderung  hin  hatte  er  den  Sturm  in  den  obern  Seegemeinden 
befohlen,  und  Bindschädler  von  Männedorf  war  von  einer  Ge- 
meinde zur  andern  geeilt,  aber  keine  wollte  stürmen!  ,,Denn  die 
Vornehmen  hatten  sich  vor  der  \'olksmasse  gefürchtet,  vor  der 
Regierung  gefürchtet,  vor  den  Kugeln  gefürchtet,  mit  einem 
Wort  gefürchtet!"  Das  Komitee  steht  vor  der  Entscheidung. 
Zu  ungewollter  Stunde  zwingt  sie  sich  ihm  auf.  Glaubte  das  Ko- 
mitee,   monatelang   das  Volk   gegen   eine    ,, schlechte    Regierung" 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER         219 

aufwiegeln,  alle  Masseninstinkte,  die  guten  und  die  schlimmen, 
aufpeitschen  und  dann  dem  Sturm  gebieten  zu  können,  wann  und 
wie  er  ausbrechen  soll,  so  befand  es  sich  im  Irrtum.  Jetzt  ist  der 
Pfäffiker  Landsturm  da,  ungerufen,  in  einem  Zustand,  dass  es 
kaum  der  Handvoll  Dragoner  Übels  bedarf,  um  ihn  auseinander- 
zusprengen. Und  dann  —  gibt  es  für  uns  nichts  anderes  mehr 
als  ,,in  Kriminalprozessen  unterzugehen".  Pfarrer  Hirzel 
hatte  ganz  richtig  kalkuhert:  sie  können  mich  nicht  im  Stiche 
lassen.  Also  —  das  andere.  Noch  wagt  es  keiner  auszusprechen, 
und  doch,  sie  ist's,  die  Revolution.  Sie  kommt.  Mögt  ihr  davor 
zurückschaudern,  das  Glockenseil  des  Aufruhrs  zu  ergreifen,  jetzt 
müsst  ihr   . . . 

Wenn  doch  auch  die  Stadt  anfangen  wollte!  Mit  einem 
Schlage  wäre  die  Sache  erledigt,  wir  aus  allen  Ängsten !  Mehrmals 
gehen  Deputationen  zum  Stadtpräsidenten,  bitten  und  flehen, 
Sturm  läuten  zu  lassen.  Aber  Ziegler  bleibt  hart.  Auf  all  das 
verzweifelte  Drängen  hat  er  immer  nur  sein  kurzes,  kaltes  ,,Noch 
nicht!".  So  müssen  wir  denn  andere  zu  Hilfe  rufen.  Spöndlin 
schreibt,  morgens  6  Uhr:  ,,Der  Bezirk  Uster  soll  kommen,  so 
schnell  möghch!  —  Allenthalben  soll  Sturm  geläutet  werden!" 
Hürlimann  (dasjenige  Mitghed,  das  am  wenigsten  Skrupel 
empfand  und  für  seine  ,, heilige  vSache"  mit  was  immer  für  IVIitteln 
zu  kämpfen  bereit  war)  sendet  durch  den  Amtsrichter  Merz  in 
den  Bezirk  Andelfingen  eine  Botschaft,  die  zeigt,  dass  er  schon 
seinen  fertigen  Plan  im  Kopf  hat:  ,,....  Inzwischen  besitzt  die 
volkstümhche  und  für  das  Volksinteresse  warm  schlagende  Stadt 
alle  Posten  zur  Aufrechthaltung  guter  Ordnung  des  Eigen- 
tums. Die  Bezirke  Horgen,  Meilen  und  Zürich  fangen  jetzt  an 
Sturm  zu  läuten  und  heranzukommen.  Das  Zentralkomitee  wird 
sich  beraten,  was  zu  tun  sei.  Eine  provisorische  Regierung 
wird  gebildet  werden  müssen,  da  die  alte  das  Zutrauen  nicht  mehr 
besitzt.  Die  Grundsätze  der  Verfassung,  unbedingte  Rechts- 
gleichheit, sowie  die  Volksrechte  im  allgemeinen  als  das  heiligste 
Gut  betrachtet.  Morgen  wird  eine  ungeheure  Volksversamm- 
lung die  nähern  Beschlüsse  fassen.  Dasst  Sturm  läuten, 
Brüder!  Vereinigt  euch  ztim  Schutze  der  verletzten  ReUgion, 
der  verletzten  Verfassung,  der  Grundlage  einer  besseren  Zukunft ! 
—  Gott  mit  euch  und  uns!" 


220  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

Die  Brüder  Franz  und  Fritz  Meyer  reisen  mit  Vollmachten 
ab,  um  den  See  aufzubieten,  ersterer  ans  rechte,  Fritz  ans  linke 
Ufer.  Mit  dem  Zuger  Postwagen  fährt  Fritz  IMeyer  bis  auf  die 
Höhe  von  Adliswil  und  rennt  nach  Kilchberg  zum  Pfarrer  mit 
der  Bitte,  stürmen  zu  lassen,  was  sogleich  geschieht.  Das  ,,5traus- 
sische"  Thalwil  (Pfarrer  Sprüngli,  Melchior  Hirzels  Schwager!) 
wird  links  liegen  gelassen,  in  Oberrieden  sagt  Pfarrer  Gessner, 
Lavaters  Enkel:  ,,Herr!  Wissen  Sie,  was  Sie  tun?  Das  heisst: 
Re-vo-lu-ti-on!"  —  ,,Das  ist  nicht  die  Frage,  was  es  heisst," 
erwidert  Meyer  ärgerUch,  ,, sondern  ob  Sie  den  armen  Ivcuten  aus 
dem  hintern  Land  helfen  oder  sie  im  Stich  lassen  wollen."  —  ,,Nein, 
in  Gottes  Namen,  nein!"  —  ,,So  werden  es  andere  tun."  —  Weiter 
nach  Horgen.  ,,Nein,"  heisst  es  da,  ,,wir  wollen  unsere  Freunde 
sonst  zusammenrufen  und  unbewaffnet  nach  Zürich  ziehen  wie 
zur  Landsgemeinde  nach  Kloten."  Aber  kaum  in  Wädenswil 
angekommen,  hört  Meyer  Horgen  läuten;  man  hatte  dort  die 
,,friedUchen  Herren"  sanft  zur  Seite  geschoben  und  die  Kirchentür 
gewaltsam  erbrochen.  Trotzdem  will  Wädenswil  nicht  läuten;  ,,es 
könnte  traurigen  Auftritten  rufen".  Und  auch  der  alte  Statt- 
halter Hüriimann  in  Richterswil,  der  Vater  des  Komitee- 
präsidenten, erklärt:  ,, Läuten  lasse  ich  nicht";  er  will  auch  nicht, 
dass  man  bewaffnet  nach  Zürich  geht.  Eben  erst  ist  die  Mann- 
schaft abgegangen,  da  kommt  ihr  von  Wädenswil  her  Dr.  Schmid 
entgegengelaufen  (,, diesmal  sein  demagogisches  Talent  der  guten 
Sache  widmend",  sagt  Meyer-Ott)  mid  ruft:  ,,Fremide,  jetzt  muss 
alles  an  alles  gesetzt  werden;  man  schlägt  sich  in  der  Stadt,  der 
Platz  beim  Feldhof  liegt  voller  Toten,  Hegetschweiler  ist  er- 
schossen." vSofort  eilt  alles  ins  Dorf  zurück,  bewaffnet  sich,  rückt 
nach  Wädenswil  und  mit  der  dortigen  Mannschaft  vereint  nach 
Zürich,  wo  die  Schar  bei  einbrechender  Nacht  eintrifft.  —  Ähn- 
liche Erfahrungen  wie  der  Bruder  macht  Franz  Meyer  auf 
dem  rechten  Ufer.  In  Meilen  wird  zögernd  die  Stunnglocke  an- 
gezogen, zögernd  sammeln  sich  die  Männer.  Eine  resolute  Frau 
tritt  imter  sie:  ,,Seid  ihr  Männer?  Schämt  ihr  euch  nicht? 
Beim  Sapperment,  trüge  ich  Hosen,  ich  wäre  längst  auf  dem 
Weg  nach  der  Stadt!"  In  Männedorf  lauter  Bedenkhchkeiten 
und  Ausreden.  Stäfa  bricht  auf,  sobald  es  jenseits  des  Sees 
läuten  hört. 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEL:   DER  SECHSTE  SEPTEMBER         221 

Ungewiss,  was  die  Brüder  Mej-er  am  See  ausrichten  werden, 
durchlebt  das  Zentralkomitee  auf  ,, Zimmerleuten"  peinvolle 
Stunden.  Ziegler  bleibt  mierbittUch,  vor  der  Stadt  lärmt  der 
Landsturm  und  will  nicht  mehr  warten  —  etwas  muss  gehen. 
Neumünster  soll  läuten,  soll  den  Brüdern  am  See  das  Zeichen 
geben.  Doch  Bleuler-Zeller,  KomiteemitgUed  und  Gemeinde- 
präsident von  Neumünster,  wehrt  sich  und  sperrt  sich  mit  aller 
Macht.  Die  schönen  neuen  Glocken  in  der  neuen  Kirche,  kaum 
eingeweiht  —  ,, Friede  sei  ihr  erst  Geläute"  —  sie  sollen  nun  den 
Bürgerkrieg  einläuten?    Hilft  alles  nichts;  ihr   müsst    .... 


Es  war  Freitag,  Wochenmarkt  in  Zürich,  und  es  ist  rührend 
zu  lesen,  dass  an  diesem  Revolutionstage  das  Mihtär  von  den 
Brücken  zurückgezogen  wurde,  um  den  Marktverkehr  nicht  zu 
behindern.  Die  Bauern  vom  See,  frühzeitig  auf  ihren  Schiffen 
eingetroffen,  waren  sehr  erstaunt  ob  den  Neuigkeiten,  die  sie  in 
Zürich  vernahmen.  Meyer-Ott  traf  auf  dem  Weg  zur  Bank  auf 
der  Münsterbrücke  einen  Bekannten  von  Wädenswil,  der  ihm 
sagte:  ,,Ach  Gott,  was  ist  denn  das?  Die  unsrigen  sind  noch  ganz 
imwissend  darüber."  Um  8  Uhr  öffnete  Meyer  wie  gewohnt  sein 
Gtiichet  und  stellte  Geld  auf;  es  kamen  Leute  auf  die  Kasse  und 
auch  ins  Comptoir.  Allgemein  wurden  die  Läden  geöffnet,  und 
da  nun  schon  genug  Leute  Pfarrer  Hirzels  wenig  Furcht  ein- 
flössende, eher  bemitleidenswerte  Scharen  gesehen  hatten  und  kein 
weiterer  Zuzug  kam,  hielt  man  das-  Unternehmen  für  gefehlt. 
Oberst  Salomon  Hirzel  konzentrierte  seine  Truppen  in  der 
Gegend  der  Zeughäuser.  Eine  erste  vSchul-Kompagnie  sperrte 
den  Eingang  in  die  Zeughaus-(jetzt  Waag-)gasse  vor  der  ,,Waag" 
mit  einer  Postenkette  vom  Wiserschen  Haus  (Gebrüder  Pestalozzi 
&  Cie.)  bis  zum  WilHamschen  Haus  (später  Bankhaus  Kugler). 
Die  Infanterie  wurde  durch  26  Dragoner  verstärkt.  Eine  zweite 
Schulkompagnie  unter  Oberstleutnant  Markwalder  war  am  Ein- 
gang In  Gassen  von  der  vStorchengasse  her  postiert.  Zwei  Ab- 
teilungen ,, Kadetten"  (Offiziersaspiranten),  unter  dem  Befehl  von 
Oberstleutnant  Sulzberger,  standen  vor  dem  grossen  gelben  Zeug- 
haus mit  Front  nach  dem  Paradeplatz  und  einer  starken  Posten- 
kette von  der  Ecke  des  Hotel  Baur  zum  Fröschengraben,  eine  Ab- 


222         NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

teilung  Scharfschützen  am  Ausgang  der  Zeughausgasse,  gegen  den 
Paradeplatz.  Seine  zuverlässigsten  Leute,  Exerziermeister,  Unter- 
offiziere usw.  nebst  einer  Abteilung  Kadetten  stellte  Oberst  Hirzel 
als  Reserve  In  Gassen  auf.  In  den  Feldhof  mit  dem  neuen  Zeughaus 
wurden  20  Artilleristen  unter  dem  Kommando  von  Oberstleutnant 
v.OrelH  gelegt.  Die  Bürgerwache,  nunmehr  386  Mann  zählend, 
verteilte  Oberstleutnant  Schulthess  auf  verschiedene  Punkte  der 
Stadt;  eine  Reserve  von  86  I\Iann  bUeb  beim  Stadthaus  zur  un- 
mittelbaren \'erfügung  des  Stadtpräsidenten.  ,,Wir  jungen  Leute," 
schreibt  Adolf  Bürkh,  ,,grüssten  im  Vorbeimarsch  unsere  Ver- 
wandten und  Freunde  unter  den  Militärschülern  auf  dem  ]Münster- 
hof  und  In  Gassen,  nicht  ahnend,  dass  die  MögHchkeit  nalie  lag, 
ein  paar  Stunden  später  als  Feinde  aufeinander  schiessen  zu  müs- 
sen." Oberst  Hirzel  machte  gegen  7  Uhr,  von  einigen  Dragonern 
begleitet,  noch  einen  Ritt  durch  die  Stadt,  mn  sich  dem  Landvolk 
zu  zeigen,  damit  es  bei  eintretender  Unordnung  desto  eher  auf 
seine  Stimme  achten  möge.  Wie  der  Stadtpräsident,  envartete  er 
erst  gegen  Abend  mögUche  Unrulien,  hess  es  daher  der  Mannschaft 
sich  bequem  machen  und  ging  um  8  Uhr  ebenfalls  nach  Hause  in 
den  Feldhof,  um  etwas  Rulie  zu  geniessen.  Der  vStadtrat  hatte 
schon  frühzeitig  zwei  Ochsen  schlachten  lassen  und  trug  Vorsorge, 
etwa  um  10  Uhr  oder  11  Uhr  Fleisch,  Brot  und  Wein  nach  Ober- 
strass  zu  schicken.  Man  glaubte  im  Stadthaus,  die  Leute  würden 
warten,  bis  der  See  herankäme,  und  dann  erst  einrücken. 

Inzwischen  versammelte  sich  der  Regierungsrat  zu  seiner 
letzten  Sitzung  auf  dem  Post  hause.  Eduard  Sulzer,  den  man 
mehrmals  herbescheiden  musste,  erschien  absichthch  eine  Stunde 
zu  spät.  Hegetschweiler  referierte  in  sehr  günstigem  Sinne 
über  die  Sendung  nach  Oberstrass.  Man  beriet  anderthalb  Stunden 
lang  über  eine  Antwort,  welche  die  Kanzlei  ausfertigen  sollte; 
sie  sagte  in  der  Hauptsache,  man  habe  die  Herbeiziehung  fremder 
Truppen  nie  beabsichtigt  und  werde  sie  auch  nicht  beschUessen. 
Auch  eine  Kundmachung  an  das  Volk  —  die  letzte  — 
wurde  noch  redigiert  und  erlassen,  welche  den  Anmarsch  fremder 
Truppen  bestritt  und  erklärte,  der  Regierungsrat  habe  die  ganze 
Angelegenheit  in  den  Schoss  des  Grossen  Rates  niedergelegt. 
Nun  wurde  eingetreten  auf  die  den  Konkordatsgesandten  auf  ihre 
Anfrage  vom  Donnerstag  zu  erteilende  Antwort. 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER         223 

Plötzlich  fährt  ein  Summen  und  Sausen  durch  die  Gassen 
der  Stadt,  wie  der  erste  Windstoss,  der  vor  dem  Gewitter  her  die 
Strassen  fegt,  Läden  zuschlägt,  Fenster  erklirren  lässt  und  re- 
spektlos die  Papiere  auf  dem  Tisch  der  Ratsherren  herumwirbelt. 
Bei  der  Aleisenbank  kommt's  zuerst  vorbei.  Ein  Mann  lässt 
pressiert  an  der  Kasse  fünf  Banknoten  wechseln,  streicht  das  Geld 
ein  und  sagt:  ,,Herr  Meyer,  wissen  Sie,  dass  es  im  Neumünster 
stürmt  ?"  Meyer  ruft  die  Neuigkeit  ins  Comptoir,  und  der  Direktor 
ruft  zurück:  ,,Dann  müssen  wir  schUessen!"  Im  gleichen  Augen- 
blick stürzt  der  Kassendiener  herein  mit  dem  Ruf:  ,,Sie  kommen 
alle  nach  der  Stadt,"  imd  eine  dritte  Stimme  verkündet:  ,,Da 
sind  sie  schon!".  Im  Hui  fliegen  Läden  und  Jalousien  zu.  —  Die 
Beratung  der  Regierung  unterbricht  der  Weibel  Brändli  mit  der 
Nachricht,  das  Volk  komme  über  die  obere  Brücke  daher.  Er- 
schrocken fahren  einige  Herren  von  ihren  Stülilen  auf,  Bestürzung 
und  Ratlosigkeit  malen  sich  auf  allen  Gesichtern,  doch  wird  in 
aller  Hast  noch  ein  Antrag  Melchior  Sulzers  angenommen,  die 
Klage  gegen  die  Mitglieder  des  Komitees  zurückzuziehen,  ,,aber 
jetzt,  m.eine  Herren,"  sagt  der  Staatsschreiber  Hottinger, 
,,ist  es  Zeit,  das  Sie  sich  in  Sicherheit  bringen,  denn  ich  weiss  be- 
stimmt, dass  jetzt  vom  See  her  grosse  Massen  im  Anzüge  sind, 
und  ich  besorge,  dass  Ihnen  Schhmmes  begegnen  könnte,"  und 
er  will  den  Regierungsräten  Anleitung  geben,  wie  sie  in  den 
hintern  Räumen  des  Erdgeschosses  durch  Fenster  in  die  Kappeler- 
gasse gelangen  und  von  dort  den  weitem  Ausgang  suchen  könnten. 
....  Flintenschüsse,  hell  und  scharf,  vom  Münsterhof  her, 
galoppierende  Pferde,  schreiende  Menschen  in  der  Poststrasse. 
,, Jetzt  die  Kanonen  heraus,"  ruft  angsterfüllt  Eduard 
Sulzer.  Weiss,  in  dessen  Ressort  die  Kanonen  gehören,  verlangt 
als  vorsichtiger  Mann  schriftlichen  Auftrag.  ,, Versteht  sich," 
sagt  Sulzer,  und  verschwindet.  Nun  knattert's  auch  auf  dem 
Paradeplatz.  Schnell  wirft  Amtsbürgermeister  Hess  einen  Be- 
fehl an  den  Truppenkommandanten  aufs  Papier,  das  Feuer  ein- 
zustellen. Aber  wer  soll  das  Papier  dem  Obersten  Hirzel  zustellen  ? 
Der  Weibel  Brändh  hat  dazu  nicht  die  mindeste  Lust. 


224         NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

Dem  Volk  in  Oberstrass  war  das  Warten  verleidet.  Man 
sprach  von  Heimziehen,  wenn's  jetzt  nicht  bald  vonvärts  gehe. 
Die  Leute  desertierten  haufenweise.  Die  Regierung  hess  nichts 
von  sich  hören.  Pfarrer  Hirzel  schlug  den  Ungeduldigen  vor: 
Wir  ziehen  jetzt  einmal  in  die  Stadt  liinunter,  lagern  uns  auf 
einem  Platz  und  schicken  eine  Deputation  an  die  Regierung. 
Einverstanden!  Die  Haufen  ordneten  sich.  Ein  Kellenländer, 
der  ein  Jagdhorn  umgehangen  hatte,  instruierte  seine  Leute: 
,,Wenn  i  eimol  blose,  so  ränned;  wenn  i  zweimol  blose,  so  ränned 
gege  mir."  Der  geisthche  Feldherr  haranguierte  die  Menge  wie 
ein  Bramarbas:  ,,Fremide!  Jetzt  muss  mit  Entschlossenheit  ge- 
handelt werden.  Ergreift  die  Stöcke!  Das  dicke  Ende  in  die  Höh' ! 
Also  hat  der  grosse  Napoleon  seine  Siege  erfochten.  Marsch!" 
Der  Landsturm  setzte  sich  in  Bewegung,  zu  Vieren  geordnet, 
Scharfschützen  voraus,  etwa  20  Mann,  dann  hundert  mit  In- 
fanteriegewehren, hierauf  ein  ganzer  Wald  von  Stöcken,  Prügeln, 
Gabeln,  Äxten,  die  an  lange  Stangen  gebunden  waren  und  die  zu 
„friedlichen  Unterhandlungen  mit  der  Regierung" 
nicht  unbedingt  erforderUch  gewesen  wären.  Bei  der  Blindenan- 
stalt gab's  nochmals  einen  Halt.  Hier  wurden  die  Gewehre 
geladen.  Unter  den  Zuschauern  stand  auch  der  Urner  Tag- 
satzungsgesandte, Landammann  Schmid.  Er  überlegte  sich, 
dass  geladene  Gewehre,  mit  denen  ein  aufgeregter  Volkshaufe 
daherkommt,  die  Eigentümlichkeit  haben,  loszugehen;  ob  mit 
Absicht  oder  aus  Versehen,  macht  dann  in  der  Folge  wenig  aus; 
der  besonnene  Mann  ging  deshalb  heim  auf  sein  Zimmer  im  Frau- 
münsteramt. 

Der  Landsturm,  im  ganzen  etwa  1500  Mann,  kommt  das 
Halseisen  herunter,  ihm  voran  ein  Schwärm  Buben,  der  von  Gasse 
zu  Gasse  den  Ruf  verbreitet:  ,,Sie  kommen!  Sie  kommen!" 
Durch  den  Neumarkt  und  Rindermarkt  erschallt  mächtig  das 
Lied  der  Kreuzf alirer :  ,,Dies  ist  der  Tag,  den  Gott  gemacht, 
sein  werd'  in  aller  Welt  gedacht".  Aus  den  Fenstern  grüssen 
lachende  Bürger.  Die  meisten  aber  bücken  stumm  und  ernst 
auf  das  ungewohnte  vScliauspiel  eines  ,, betenden  Aufrulirs".  Von 
einem  alten  schwäbischen  Fuhrmann  berichtet  L.  Meyer  v.  Knonau, 
der  —  die  Fäuste  in  die  Hüften  gestemmt  —  in  die  Worte  aus- 
brach: ,,Das  ist  wieder  einmal  eine  rechte  Sauerei."   An  der  Markt- 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER         225 

gasse  stutzt  der  Zug  einen  Augenblick.  Man  hat  beim  Rathaus 
\-ier  Landjäger  mit  Gewehr  und  aufgepflanztem  Bajonett  ge- 
sehen. Auch  der  Posten  auf  der  Hauptwache  steht  unter  Gewehr. 
Da  sich  aber  keiner  rührt,  geht  man  weiter.  Hier  hat  sich  aucli 
Dr.  Rahn  wieder  eingefunden.  Ein  alter  Kriegsmann  unten  an 
der  Marktgasse  findet,  es  wäre  artig,  wenn  sich  die  Kolonne  teilen 
würde,  die  einen  über  die  untere,  die  andern  über  die  obere  Brücke 
vorrückten.  Dies  wird  für  gut  befunden  und  vorläufig  abge- 
redet, auf  dem  Münsterhof  wieder  zusammenzutreffen.  Vor  der 
Trennung  noch  ein  Choral  aus  dem  Kirchengesangbuch:  ,,Gott 
ist  mein  Lied,  er  ist  der  Gott  der  Stärke".  Dann  stellt  sich  Rahn 
an  die  Spitze  von  achthundert  der  unbewaffneten,  d.  h.  nur  mit 
Stöcken  versehenen  Landstürmer,  um  sie  den  Quai  aufwärts  imd 
über  die  Münsterbrücke  zu  führen.  Sie  singen:  ,,Kein  vSperling, 
Herr,  fällt  ohne  deinen  Willen".  Nebenlier  auf  dem  Trottoir  be- 
gleiten sie  die  Neugierigen,  Volk  aller  Stände,  auch  Frauen  und 
Mädchen.    Im  Neumünster  stürmt's. 


Die  Bewaffneten  folgen  Pfarrer  Hirzel  über  die  Rathaus- 
brücke in  die  Storchengasse.  Neben  der  ersten  Rotte  von  Scharf- 
scliützen  marschiert  mit  gezogenem  Degen  ein  älterer  Offizier  in 
abgetragener  hellblauer  Uniform,  zwischen  den  Scharfschützen 
imd  den  übrigen  Gewehrtragenden  Pfarrer  Hirzel.  Eben 
sind  zwei  Ausspäher  der  Kavallerie  über  den  W'einplatz  nacli  der 
Brücke  geritten;  nun  werfen  sie  die  Pferde  herum  und  traben 
durch  die  Storchengasse  zurück.  Jubelnd  begrüsst  der  Land- 
sturm die  vor  dem  ,, Weggen"  aufgestellte  Abteilung  der  Bürger- 
wache, aber  auch  mit  der  Kompagnie  Markwalder,  die  in  der 
Schlüsselgasse  steht  und  Brot  und  Wurst  verzehrt  —  es  ist  9  Uhr 
—  werden  nicht  etwa  Kugeln  gewechselt,  sondern  nur  ein  gemüt- 
liches ,, Guten  Tag!"  Anders  Major  Übel,  den  die  Meldung 
vom  Anrücken  des  Landsturms  erreicht  hat.  Er  kommt  über 
den  Münsterhof  geritten,  rasselnd  und  khrrend  mit  ihm  die  Ka- 
vallerieschwadron ;  am  Ausgang  der  Storchengasse  in  den  Münster- 
hof stossen  die  Dragoner  auf  den  Landsturm.  ,, Zurück!  Der 
Platz  soll  frei  bleiben!"  Die  Kolonne  hält;  die  Scharf- 
schützen fassen  die  FUnten,   zum  Anschlag  bereit,   Murren,    Ge- 

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226         NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

sclirei,  Tumult  erhebt  sich,  Gewehrhähne  knacken,  in  den  liintem 
Reihen  ruft  und  drängt  man  ,, vorwärts!"  Pfarrer  Hirzel  springt 
vor  die  Scharfschützen,  beschwört  sie,  nicht  zu  schiessen,  „bis 
zwei  von  uns  tot  am  Boden  hegen" ;  die  Dragoner  drängen  und 
drücken  die  Rosse  in  die  in  der  Gasse  sich  stauende  Menge. 
,, Friede!"  ruft  man  ihnen  zu.  ,,Ja  wohl,  Friede,  aber  der  Platz 
muss  frei  bleiben;  ihr  dürft  nicht  vorrücken!"  !Man  zankt  und 
streitet  sich  herum.  Jetzt  stellt  sich  Pfarrer  Hirzel  in  Positur 
und  hält  eine  Ansprache  an  Major  Übel:  ,,Wir  kommen  bloss, 
um  unsere  friedhchen  Verhandlungen  mit  der  Regierung  fortzu- 
setzen. Ich  beschwöre  Sie,  beginnen  Sie  keinen  Bürgerkrieg!" 
Major  Übel  erwidert  kein  Wort,  hört  wohl  überhaupt  nicht, 
was  der  Pfarrer  sagt;  er  sieht  nur  vor  sich  (nach  seiner  zu  hoch 
gegriffenen  vSchätzung)  dreihundert  bis  vierhundert  feindhche 
Soldaten  in  blauen,  grünen  und  allen  mögliclien  Uniformen  und 
mit  schussfertig  gehaltenem  Gewehr,  dahinter  in  der  Luft  eine 
Menge  bedrohlich  winkender  Holzschlegel;  er  weiss  hinter  sich, 
bei  der  Waag,  eine  ganz  dünne  Postenkette  zum  Schutz  des  Zeug- 
hauses, die  im  Augenblick  über  den  Haufen  gerannt  sein  wird, 
wenn  er  den  Landsturm  auf  den  Münsterhof  herauslässt,  und  — 
,,Zurück!!"  donnert  es  noch  einmal,  zum  letztenmal  dem  Pfarrer 
von  Pfäffikon  entgegen.  ,, Zurück!"  ruft  und  winkt  mit  der  Hand 
hinter  den  Dragonern  jetzt  auch  der  Höchstkommandierende, 
Oberst  Salomon  Hirzel,  der  auf  den  Lärm  zu  Fu.ss  herbei- 
geeilt ist.  Ein  junger  Dragoner,  mit  dem  Säbel  in  der  Faust, 
rückt  dem  Pfarrer  mit  seinem  Gaul  gefährlich  nahe  auf  den  Leib. 
Ein  Schuss  kracht;  das  Pferd  dreht  sich  auf  den  Hinterfüssen 
und  stürzt  mit  dem  Reiter,  der,  nur  leicht  verletzt,  unter  ihm  sich 
her\-orarbeitet.  An  dem  Gestürzten  vorbei  stürmen  jetzt  die 
Pfäffiker  unaufhaltsam  vorwärts.  Fünf,  sechs  Schüsse  sind  dem 
ersten  gefolgt,  ein  ganzes  Rottenfeuer,  aber  alle  zu  hoch.  ,,Nun 
denn,  in  Gottes  Namen  vorwärts!"  kommandiert  Pfarrer 
Hirzel.  Der  Landsturm  debouchiert  auf  den  Münsterhof  und 
treibt  wie  ein  wilder  Bergstrom  in  seinen  Wirbeln  die  Dragoner 
vor  sich  her.  Zwei  oder  drei  kommen  zu  Fall,  werden  aber  von 
den  Kameraden  herausgeholt.  Hinter  den  Jalousien  des  Hinter- 
zimmers in  der  Meisenbank  jubeln  die  jungen  Herren:  ,,Die  Dra- 
goner fliehen!"    Sie  sehen,  wie  ein  Dragoneroffizier  von  der  Masse 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  227 

Über  den  ganzen  Platz  bis  zum  Fraumünster  gedrängt  wird.  „Das 
ist  der  verfluchte  Übel!"  ruft  der  Aufgeregteste  der  Jünglinge 
und  schlägt  sofort  das  Gewehr  auf  ihn  an;  der  Bankdirektor 
Finsler  fällt  ihm  aber  in  den  Arm.  Beim  Fraumünster  gerät  Übel 
in  die  Tete  einer  neuen  „feindlichen  Abteilung",  der  Kolonne 
Rahn,  die  über  die  Münsterbrücke  singend  herangezogen  ist. 
Jetzt  ist  die  Kavallerie  endgültig  geworfen.  FUehende  Dragoner 
galoppieren  durch  die  Poststrasse  und  über  den  Paradeplatz  bis 
zum  Eingang  des  Talackers.  Mit  den  übrigen  trabt  Major  Übel 
durch  die  Zeughausgasse  auf  die  Hauptstellung  zurück.  Die  In- 
fanterie-Postenkette hat  sich  beim  Anbhck  der  anrückenden 
Massen  aufgelöst  und  in  die  angrenzenden  Häuser  geworfen: 
in  die  „Waag",  in  das  (nunmehrige)  Cafe  Orsini,  in  den  Erker 
der  Bäckerei  Vögeli.  Die  Kolonne  Hirzel  schwenkt  rechts 
und  will  geradewegs  um  die  „Waag"  herum  auf  das  gelbe  Zeug- 
haus los.  Doch  die  „Waag"  speit  Tod  und  Verderben.  Zwischen 
Jalousien  blinken  Gewehrläufe,  Bhtz  und  Rauch  fährt  aus  ihnen 
hervor,  Blei  schlägt  in  Köpfe,  in  Leiber,  wirft  Leute  nieder,  die 
mit  ihrem  Blut  das  Pflaster  färben.  Erschüttert  steht  Pfarrer 
Hirzel;  rechts  und  hnks  fallen  die  Seinigen,  ihn  trifft  es  nicht, 
und  doch  wäre  eine  Kugel  vor  den  Kopf  ein  besseres  Los 
gewesen,  als  heute  noch  wie  ,,ein  zweiter  ZwingU"  gefeiert  zu 
werden,  Samstag  Abend  als  Held  im  illuminierten  Pfäffikon 
empfangen  zu  werden,  und  dann  —  nach  einigen  Jahren  —  sich 
zu  drücken  aus  der  Gemeinde,  auszutreten  aus  Pfarramt  und 
Kirchendienst,  unterzugehen  in  Paris  in  der  äussersten  Nacht 
der  Verzweiflung.  Unglücklicher  Pfarrer!  Was  tust  du?  Führst 
deine  Schafe  selber  zur  Schlachtbank!  Nun  fliehen  sie,  zutode  er- 
schrocken, eiiüge  ohne  sich  umzusehen  über  den  Berg  bis  nach 
Dübendorf,  verbreiten  auf  dem  Land  die  erste  Schreckenskunde, 
dass  alles  verloren  ist.  Der  uns  schon  bekannte  vStudent  will 
gehört  haben,  wie  davonspringende  Bauern  riefen:  ,,Die  Dunner- 
hagle  schüsset  jo!  Das  hämmer  bim  Eid  nüd  gmeint!"  Einige 
von  ihnen  verlaufen  sich,  stadtunkundig,  in  den  Winkelgassen 
der  Neustadt  und  kommen  an  eine  verschlossene  Türe,  die  den 
Ausgang  nach  der  Winkelwiese  sperrt.  ,, Sprengt  sie  doch  auf!" 
rufen  mitleidige  Bürger  aus  den  Fenstern.  ,,Gott  behüte  uns, 
wir  sprengen  keine  Türen."    Zum   Glück  wird  die  Tür  von  der 


228  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

andern  Seite  geöffnet.  Mit  dem  Rest  seiner  Truppen  tritt  Pfarrer 
Hirzel  einen  mehr  oder  weniger  geordneten  Rückzug  über  die 
Münsterbrücke  an,  hält  unentschlossen  nochmals  am  obern  Quai, 
wird  aber  einige  Augenblicke  später  von  den  in  rasender  Flucht 
daher  rennenden  Massen  der  Kolonne  Rahn  gegen  vStadel- 
hofen  hinaus  mitgerissen.  Diese  Kolonne  ist  —  A-on  einem  nach 
dem  Kratz  abgesprengten  mid  dort  verirrten  Haufen  abgesehen 
- —  mit  wildem  Geschrei  durch  die  Poststrasse  gestürmt,  wo 
im  Hotel  Baur  die  Tagsatzungsgesandten,  gegenüber  an  den 
Fenstern  und  auf  der  Terrasse  des  Posthauses  einige  Regierungs- 
räte, unten  am  Tor  der  Post  Weiss  und  Hegetschweiler  mit 
Postbeamten  und  andern  L,euten  zuschauten.  Beim  Feldhof  war 
wenige  Minuten  vorher  Generalmarsch  geschlagen  worden.  Oberst 
vSal.  Hirzel  hatte,  nach  dem  Münsterhof  eilend,  den  beim  Gelben 
Zeughaus  noch  ruliig  umlierstehenden  Kadetten  zugerufen:  ,,An 
die  Gewehre!"  und  kam  nun,  vom  Münsterhof  schleunigst  zu- 
rückkehrend, noch  gerade  recht,  um  die  führerlos  aus  der  Post- 
strasse herv-orbrechenden,  mit  wild  geschwungenen  Prügeln  auf 
die  Scharfschützen  und  Kadetten  losstürmenden  Bauern  zu 
empfangen.  Umsonst  ruft  Oberst  Hirzel,  rufen  Sulzberger  und  die 
andern  Offiziere:  ,,Halt,  halt!  —  Zurück!"  Die  Bauern  sind  schon 
auf  acht  Schritte  herangekommen,  da  wird  endhch  Feuer  ge- 
geben und  die  vordersten  fallen.  Gleichzeitig  bricht  die  beim 
,, Windegg"  wieder  gesammelte  Kavallerie  vor  und  reitet  auf  die 
Masse  ein.  Panik  erfasst  das  Volk,  es  stiebt  auseinander.  Die 
Stöcke  wegwerfend,  fhehen  die  Bauern  zu  Hmiderten  die  Post- 
strasse zurück,  von  wenigen  Dragonern  verfolgt.  Hegetsch- 
weiler ist  vom  Posttor  verschwunden,  hinaufgeeilt  in  den  Sit- 
zimgssaal,  hat  den  Befehl  zum  Feuereinstellen,  der  nocli  unbe- 
stellt auf  dem  Tisch  liegt,  ergriffen,  kommt  zurück  —  ,,auf  mit 
dem  Tor!"  —  und  stürzt  sich  hinaus  ins  Kampfgewülil.  Das 
Papier  hoch  in  der  Rechten  schwingend,  läuft  er  ums  Eck  des 
Hotel  Baur,  auf  die  Dragoner  los,  übergibt  es  dem  Leutnant 
Fenner  von  der  Forch,  der  laut  zu  den  Offizieren  hinüberruft: 
„Ein  Befehl  von  der  Regierung!"  und  das  Schriftstück 
an  Oberstleutnant  Brunner  weiter  gibt.  Hegetschweiler  hat 
sich  umgewendet  und  geht  zurück.  Noch  ein  Schuss,  der  letzte 
in   diesem   Bürgerkrieg.     Er  trifft   Hegetschweiler  in   den   Kopf. 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEL:   DER  SECHSTE  SEPTEMBER         229 

Der  Mann  schwankt,  schlägt  hin  auf  dem  Trottoir  vor  dem  Hotel 
Baur.  Dragoner  jagen  über  den  Platz,  kehren  von  der  Verfolgung 
zurück.  Oberst  Hirzel  sieht  seine  kleine  Schar  von  Kadetten 
mächtig  erschüttert  durch  den  Anblick  der  Toten  und  \^envunde- 
ten.  Sie  wird  einem  erneuten  Angriff  des  bewaffneten  Land- 
sturms, der  jeden  Augenblick  vom  See  her  kommen  kann,  nicht 
mehr  standhalten.  Er  bringt  einige  Mannschaft  in  den  Feldliof, 
imi  das  Gartentor  von  innen  gegen  einen  Einbruch  zu  sichern, 
und  befiehlt,  ein  Geschütz  in  Bereitschaft  zu  halten;  ein  zweites 
soll  neben  dem  Venetianischen  Zeughaus  (Pulvermagazin!)  auf- 
gefahren werden.  Dann  sieht  Oberst  Hirzel  sich  um  nach  seinen 
besten  Leuten,  den  alten  gedienten  Instruktoren  und  Unter- 
offizieren, die  er  als  Reserve  In  Gassen  postiert  hatte   —  — •  — 


Jetzt  —  läutet  das  Grossmünster.  Fraumünster,  St.  Peter 
fallen  ein.  Ein  Dragoner  auf  dem  Münsterhof  lässt  vor  Schreck 
den  Säbel  fallen  und  starrt  nach  dem  Grossmünster  hinüber, 
ob's  hervmtersteigen  wolle,  teilzimehmen  an  dem  Kampf.  Es 
hallen  und  wallen  die  ehernen  Töne  über  die  Stadt  dahin.  Das 
bedeutet  Sturm.  Das  bedeutet,  dass  die  Stadt  dem  Aufruhr  bei- 
getreten ist,  der  Stadtpräsident  sich  an  die  Spitze  der  Revolution 
gestellt  hat.  Jeder  begreift  es  ujid  erschauert  ob  den  sonoren 
Erlangen.  Sie  tragen  die  Kunde  ins  Land  hinaus.  Alle  Kirchen 
nehmen  sie  ab  imd  geben  sie  weiter.  Bis  über  die  Tliur  hinaus 
sind  die  Glocken  in  Bewegung.  Es  läutet  das  ganze  Land.  — 
Jetzt  ist  es  ganz  aus  mit  ims,  jetzt  wehe  uns!  Ein  Regierungs- 
rat springt  die  Estrichtreppen  im  Posthaus  hinauf,  verkriecht 
sich  ins  Dachgebälk,  —  zwei  andere  die  Treppe  hinunter,  suchen 
Deckimg  in  den  alten  Postkutschen  im  Hof.  —  Es  hallen  die 
Glocken.  —  Umsonst  sucht  Oberst  Hirzel  seine  treuen  Reserven 
In  Gassen.  Kein  Bein  ist  mehr  da.  In  den  hintersten  Schlupf- 
winkeln des  \"enetiamschen  Zeughauses  haben  sie  sich  versteckt. 
Urteilt  nicht  zu  hart  über  sie !  Ein  Oberstleutnant,  der  eben  noch 
tapfer  im  Feuer  gestanden,  fleht  eine  Freundin  an  um  ein  Damen- 
kleid, steckt  sich  in  Hut  und  Schleier,  vergisst  nur  in  der  Hast, 
den  buschigen  Schnurrbart  zu  rasieren  —  Herr  Gott,  wenn  das 
Grossmünster  Aufriilir  läutet  und  der  vStadtpräsident  Revolution 


230  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

macht,  wer  soll  da  nicht  verrückt  werden!  —  Der  See  bedeckt 
sich  mit  fliehenden  Marktschiffen;  sie  rudern  nach  Kräften,  aus 
dem  Bereich  der  stürmenden  Stadt  zu  kommen.  Verwirrt  und 
betäubt  von  dem  Geläute  irren  die  Dragoner  in  den  Gassen  um- 
her, verlassen  die  Stadt,  einzeln  oder  in  Gruppen,  setzen  bei  Wip- 
kingen  über  die  Limmat.  Und  dort  auf  der  Strasse  nach  Baden 
stiebt  in  einer  Wolke  Dr.  Ludwig  Keller  davon,  die  schnellsten 
Rosse  Zürichs  an  seinem  Wagen.  Ihn  jagen  die  Kirchenglocken. 
Auf  demselben  Wege  folgen  ihm  die  Fremide,  Wilhelm  Füssli, 
David  Ulrich,   Jonas  Furrer  —  — 

In  den  Glockenklang  mischt  sich  jetzt  kriegerischer  Trommel- 
schall. Mit  seinen  die  Luft  durchschneidenden  Schlägen,  mit 
dem  festen  Taktschritt  bewaffneter  Bürger  kommt  in  das  Bild 
der  Verwirrung,  der  Panik  und  kopflosen  Flucht  auf  einmal  die 
Ruhe  und  Sicherheit  eines  überlegenen  Willens  und  zielbewusster 
Kraft.  Jetzt  tritt  er  auf  den  Plan,  der  Mann,  der  allein  von  allen 
diesen  Augenbhck  klar  vorausgesehen,  der  allein  von  allen  von 
diesem  »Sturmgeläute  nicht  bewegt  und  nicht  erschüttert  wird, 
weil  sein  Befehl  die  Glocken  in  Schwingung  setzte :  Oberst  Eduard 
Ziegler,  der  »Stadtijräsident  von  Zürich.  vSeht  dort,  er  ist  es,  der 
an  der  Spitze  einer  kleinen  Schar  einherschreitet,  im  schwarzen 
Frack,  den  Mihtärhut  auf  dem  Haupt,  den  Degen  in  der  Scheide. 
Wohl  dem  Land  und  wohl  der  Stadt,  wenn  im  Augenbhck  des 
Zusammenbruchs  aller  staathchen  Autorität  ein  Mann  da  ist, 
der  weiss,  was  er  will,  dessen  Persönhchkeit  allein  schon  Autorität 
genug  ist,  den  Staat  zu  retten,  dessen  Bhck  allein  das  Gespenst 
der  Anarchie  zu  bannen  vermag.  Die  Glocken  hallen,  der  Stadt- 
präsident ist  auf  dem  W^ege,  ein  Ende  zu  machen.  Schicksal 
imd  Geschichte  des  Kantons  Zürich,  Schutz  und  Hort  der  Stadt, 
Strafgericht  unwürdiger  Regenten,  das  alles  verköqiert  sich  in 
diesem  Augenblick,  in  diesen  zwei  Stunden  in  seiner  Person.  Er 
will,  dass  diese  Regierung  nun  endhch  verschwinde,  die  mit  üirer 
charakterlosen  Schwäche  den  Staat  an  den  Rand  des  Abgrundes 
geführt,  er  will,  dass  ihretwegen  kein  Tropfen  Bürgerblut  ver- 
gossen werde;  er  ist  imstande,  das  zu  vollbringen  und  kaum  da- 
bei die  Hand  zu  regen.  Hinter  dem  Stadtpräsidenten  sdireitet, 
mit  blankem  Säbel,  der  Kommandant  der  Bürgenvaclie,  Oberst- 
leutnant Friedrich    Schul thess,   mid  dann  — ■  tambour  bat- 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER         231 

tant  —  die  Mannschaft,  meist  ältere  Herren,  erst  seit  diesem  Mor- 
gen in  Dienst,  noch  migewiss  —  als  sie  auf  des  Stadtpräsidenten 
Befehl  vor  dem  Stadthaus  die  Gewehre  luden  — ,  ob  sie  nicht 
den  eigenen  Söhnen,  die  bei  der  MiUtärschule  stehen,  entgegenzu- 
treten haben  werden.  Gleichzeitig  mit  der  Reserve  haben  sich 
auch  die  übrigen,  auf  verschiedene  Punkte  der  Stadt  verteilten 
Kontingente  der  Bürgerwache  in  Bewegung  gesetzt.  Trommel- 
schlag und  Taktschritt  marschierender  Kolonnen  von  allen  Seiten. 
Die  Salzhaustreppe  herab  kommt,  das  Gewehr  in  der  Hand,  die 
hallenden  Glocken  über  sich,  das  Kontingent  des  Oberstleutnant 
Rahn,  vom  Sonnenquai  Oberstleutnant  Weiss,  vom  Weinplatz 
Oberstleutnant  Bürkli,  von  der  Wühre  Oberstleutnant  Nüscheler 
—  es  ist  ein  Schauspiel,  dem  nur  die  grössere  Büline  fehlt,  um 
es  imposant  zu  nennen. 

Stadtpräsident  Ziegler  hat  in  einigen  Minuten  den  Weg  vom 
Stadthaus  zum  Münsterhof  zurückgelegt,  lässt  hier  seine  Mann- 
schaft halten  und  geht  allein  nach  der  Storchengasse,  wo  die 
Kompagnie  Mark  walder  der  Militärschule  noch  immer  in 
Gefechtsbereitschaft  steht.  Es  bedarf  nur  einiger  Worte  des 
Stadtpräsidenten,  um  den  Oberstleutnant  Markwalder  zu  dem 
Versprechen  absoluter  Neutralität  zu  veranlassen.  Oberst  Ziegler 
wendet  sich  nach  der  Poststrasse,  gefolgt  von  der  Bürger- 
wache. Beim  Heraustreten  auf  den  Paradeplatz  öffnet  sich  im 
gegenüber  hegenden  Feldhof  ein  Tor  und  eine  (mit  Kartätschen 
geladene)  Kanone  wird  demaskiert,  Kanoniere  mit  brennender 
Lunte  daneben.  Die  Leute  von  Oberstleutnant  Schulthess  stehen 
still,  aber  keiner  weicht  vom  Platz,  nur  etwas  windschief  gegen  die 
schützende  Ecke  des  Hotel  Baur  zu  wird  die  Linie;  aber  ,, unser 
20  hätte  es  doch  geputzt",  meint  vSchulthess  nachher.  Der  Stadt- 
präsident geht  ganz  allein  ruhigen  »Schrittes  auf  die  Kanone 
los ;  die  Kanoniere  starren  auf  ihn  wie  auf  ein  Phantom,  der  Kom- 
mandant, Oberstleutnant  v.  OreUi,  vom  Stadtpräsidenten  ange- 
redet, ,, stammelt  einige  im  verständliche  Worte",  und  dann  — 
verschwindet  die  Kanone.  Hintendrein  behaupteten  die  Kano- 
niere, sie  hätten  nicht  geschossen,  sie  hätten  ,, gemeutert".  Ihr 
prahlt  umsonst,  Ihr  konntet  keinen  Finger  rühren,  er  hielt 
Euch  alle  in  seinem  Bann,  dieser  Eine,  der  Stadtpräsident  von 
Zürich.      Die    Scharfschützen    und    Dragoner    beim    ,, Windegg" 


232  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

machen  dieselbe  Erfahrung.  Was  sonst  noch  herumsteht  an 
„Regierungstruppen",  ist  nicht  mehr  von  Bedeutung.  Das  Werk 
ist  getan ;  ein  Befehl,  die  Toten  und  \'erwundeten  wegzuschaffen, 
ist  das  letzte. 

Noch  eins,  im  Vorbeigehen.  Unter  dem  Eingang  des  Post- 
hauses steht  Bürgermeister  Melchior  Hirzel,  unschlüssig,  wo- 
hin er  sich  wenden  soll.  Da  sieht  er  den  vStadtpräsidenten  auf 
sich  zu  kommen,  streng  und  hart  wie  das  Sclücksal,  imd  er  hört 
die  Worte:  „Herr,  Sie  wissen,  dass  ich  nicht  Ihrer  Ansicht  bin; 
aber  wenn  Ihnen  Ihr  Leben  heb  ist,  so  machen  Sie,  dass  Sie  fort- 
kommen." —  , .Wollen  Sie  mich  begleiten?"  lispelt  ,,das  grosse 
Kind".  —  „Mit  Ihnen  gehe  ich  nicht!"  —  Nicht  ohne  eigene 
Schuld  wirst  du  nun  zuletzt  nur  so  fortgejagt,  du  kurzsichtiger 
Sesselkleber!  Doch  ein  Böser  warst  du  nie,  und  manche,  die 
dein  gutes  Herz  versiDotteten,  sind  nicht  der  Liebe  imd  Men- 
schenfreundlichkeit fähig,  die  dich  immer  beseelten.  —  Mitleidig 
folgt  man  seinen  Schritten  durch  die  aufgeregten  ^lenschen- 
massen,  ist  froh,  dass  er  mit  einigen  vSchimpfworten  davonkommt 
und  unbehelligt  sein  Haus  erreicht.  Wie  heimatlos  irrt  der  fort- 
geschickte Bürgermeister  in  den  nächsten  Wochen  herum,  nach 
Zug,  nach  Duzern,  über  den  Brünig  .  .  . 


Als  der  Weibel  Brändli  sah,  dass  die  Poststrasse  sich  mit 
Bürgergardisten  füllte,  lauter  rechten  Deuten,  die  er  persönhch 
kannte,  getraute  er  sich  mit  dem  zweiten  Befehl  des  Amts- 
bürgermeisters Hess  über  die  Strasse  und  steckte  ihn  dem  Oberst- 
leutnant Schulthess  zu.  Der  Befehl  lautete:  ,,Herr  Oberst  Hirzel 
wird  andurch  beauftragt,  die  Zeughäuser  der  Bürgerwache 
zu  übergeben."  Als  Hirzel  den  Befehl  erhielt,  sagte  er:  ,, Gott- 
lob! Sorgen  Sie  nur,  dass  es  bald  geschieht!"  Rasch  waren  die 
Kadetten  der  Älilitärschule  gesammelt,  die  man  sofort  heim  in 
die  Kaserne  schickte.  Im  Thalacker  begegneten  die  Truppen 
dem  von  den  Sturmglocken  herbeigerufenen  Harst  von  Ausser- 
sihl.  Oberstleutnant  Sulzberger  schwenkte  sein  Taschentuch, 
und  die  beiden  Kolonnen  marschierten  salutierend  aneinander 
vorbei.  In  der  Kaserne  erhielten  die  Soldaten  und  Offiziere  bald 
darauf  den  Befehl,  einzeln  und  womögUch  in  Bürgerkleidern  fort- 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEL:   DER  SECHSTE  SEPTEMBER         233 

zugehen.  So  wurde  eine  Regierungstruppe  verabschiedet,  die  sich 
immerliin  mutig  geschlagen  hatte.  Als  der  von  Oberst  Hirzel 
erwartete  dritte  Angriff  des  Landsturms  kam,  fand  er  keinen 
Gegner  mehr.  Nach  der  Kolonne  Hirzel  und  der  Kolonne  Rahn 
die  Kolonne  Spöndlin,  die  wildeste  von  allen!  Von  den  erstem 
hatte  sich  das  Gros  nach  Stadelhofen  geflüchtet.  Spöndlin 
imd  Hürlimann  hefen  ihm  nach.  Spöndlin,  ausser  sich  vor  Zorn, 
rief  laut:  ,, Haltet!  Haltet!  Kehrt  um  und  schlagt  die  Strahl- 
haglen  tot."  Hürlimann,  bedeutend  ruliiger,  sagte  zu  Ferdinand 
Mej'er,  der  im  Hof  seines  Bruders  zum  ,,St.  Urban"  stand,  mit 
einem  sonderbaren  Lächeln:  ,,Wir  haben  ein  kleines  Scharmützel 
gehabt,  leider  ein  paar  Tote.  Unsere  Leute  sind  ein  wenig  er- 
schrocken. Ich  werde  sie  draussen  im  Riesbach  sammeln  und  dann 
wieder  vorwärts  führen."  In  diesem  Augenblick  kam,  von  Zolli- 
kon  her,  der  erste  Trupp  des  Landsturms  vom  vSee,  vierzig 
Mann  mit  Stutzern  und  viele  Unbewaffnete.  Spöndlins  Mittei- 
lungen versetzten  sie  in  Wut.  Er  schwang  seinen  Spazierstock 
und  rief:  ,,Drum  vorwärts,  ihr  Stralilhaglen,"  und  mit  tobendem 
Lärm  ging  es  in  die  Stadt  hinein.  Auch  die  Geflüchteten  hatten 
sich  wieder  angeschlossen.  Hier  wurden  nun  keine  Psalmen  mehr 
gesungen.  Auf  der  Münsterbrücke  lief  dem  Zug  Stadtrat  Gysi 
entgegen  und  sagte  Spöndlin,  dass  der  Kampf  vorbei  und  weiteres 
Blutvergiessen  unnötig  sei.  Spöndlin  befand  sich  in  einer  solchen 
Aufregung,  dass  er  sich  schon  nach  kurzer  Zeit  dieser  Unter- 
redung kaum  mehr  erinnerte.  Auf  dem  Münsterhof  wollten  die 
Schützen  die  ,,\Vaag"  unter  Feuer  nehmen,  weil  daraus  zuerst 
geschossen  worden  sei.  vSpöndUn  stellte  sich  vor  die  Liiüe  und 
schlug  mit  dem  Stock  die  Fhntenläufe  in  die  Höhe.  Dann  legten 
sie  auf  einen  Haufen  Neugieriger  an,  der  aus  der  Poststrasse  kam. 
Da  packte  SpöndHn  den  wildesten  an  der  Gurgel  und  schüttelte 
ihn  tüchtig.  ,, Jetzt  zur  Kaserne!"  SpöndHn  und  seine  Leute 
hatten  nichts  Geringeres  im  Sinn,  als  die  Kaserne  zu  stürmen. 
In  der  Poststrasse  wurde  der  Landsturm  von  der  Bürgerwache 
mit  lautem  Beifall  begrüsst.  Bluntschh  erzählt:  ,,Als  die  Männer 
vom  See  vor  dem  Hotel  Baur  die  Blutlachen  am  Boden  gewahrten, 
da  machte  sich  der  wilde  Schmerz  und  der  grimme  Zorn  in  einem 
entsetzlichen  Gebrülle  Luft,  das  mir  die  Nerven  erschütterte." 
Als  Hotelknechte  das  Blut  wegschaffen  wollten,  wehrte  das  Volk: 


234  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

„Nei,  nei,  lönds  nu  si,  dass  me  sieht,  wieme  mit  is  umggangen 
ist."  Mit  verdoppelter  Wut  stürmte  jetzt  die  Kolonne  Spöndlin 
nach  dem  Talacker.  Da  war  es  Oberstleutnant  Friedrich  Schult- 
hess,  der  den  Rasenden  nacheilte  und  sie  mit  dem  Ruf :  „Im  Xamen 
des  Zentralkomitees  Halt!"  zum  Stehen  brachte.  Seine  Ver- 
sicherung, dass  wahrscheinlich  jetzt  schon  niemand  mehr  in  der 
Kaserne  sei  und  die  Regiermigstruppen  sich  vollständig  aufgelöst 
hätten,  beschwichtigte  die  Landstürmer.  Von  jetzt  an  trafen 
ununterbrochen  die  Landsturmhaufen  in  Zürich  ein,  viele 
iirit  Stutzern  und  Infanteriegewehren  versehen,  andere  in  der 
seltsamsten  Bewaffnung,  mit  Sensen,  Hellebarden,  Morgen- 
sternen. Bis  zum  Abend  dauerte  der  Zustrom  an;  sie  kamen  von 
den  obem  Seegegenden  sowohl  wie  vom  Wehntal  und  Rafzer- 
feld.  Das  wunderHche  Heer,  das  sich  in  Zürichs  Mauern  zusammen- 
fand, mochte  im  ganzen  4 — 5000  Köpfe  zählen. 

* 

Der  arme  Dr.  Hegetsc hw eiler!  Hätte  man  ihn  zurück- 
treten, zu  seiner  Botanik,  seinen  Herbarien  zurückkehren  lassen, 
als  er  im  Januar  seine  Entlassung  begehrte.  Im  Regiermigsrat 
fühlte  er  sich  je  länger  je  weniger  an  seinem  Platz.  Er  hatte  für 
die  Pohtik  die  Nerven  nicht  und  konnte  sich  schliesslich  nur  noch 
für  die  andern  opfern.  Das  hat  er  buchstäbHch  getan  und  ist  als 
Held  und  Märtyrer  gestorben.  Woher  der  tödUche  Schuss  ge- 
kommen, wurde  nie  mit  vSicherheit  festgestellt.  Es  konnte  eine 
Dragoner[3istole,  ebensogut  aber  auch  eine  Landsturmflinte  ge- 
wesen sein.  Hegetschweiler  hatte  sich  zwischen  beide  begeben, 
und  es  war  kein  Wunder,  dass  ihn  ein  vSchuss  traf.  Absolut  ge- 
wiss ist  jedoch,  dass  der  schmälilich  verleumdete  Leutnant  Fen- 
ner von  der  Forch  rücht  der  Schütze  war.  Hegetschweiler  war 
kaum  um  die  Ecke  des  Hotel  Baur  \-ersch\%unden,  als  auch  Re- 
gierungsrat Weiss  ihm  nacheilte,  ihn  aber  schon  am  Boden 
hegen  sah  und  sich  umsonst  bemühte,  ihn  aufzulieben,  worauf 
Weiss  nach  dem  Feldhof  weiter  lief.  Ihm  auf  dem  Fusse  war 
Regierungsrat  Kaspar  Hirzel  gefolgt,  der  stille,  brave,  un- 
beredte Mann,  dessen  Unzufriedenlieit  mit  misshebigen  Beschlüssen 
jeweilen  an  seinem  Kopfschütteln  und  dem  Blättern  in  seinen 
Papieren  zu  erkennen  war.  Kaspar  Hirzel  und  Professor  Ulrich 
Faesi,  der  sich  vorher  schon  heldenmütig  um  die  verwundeten 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEI<:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER         235 

Landleute  angenommen  hatte,  halfen  den  todwunden  Hegetsch- 
weiler  ins  Posthaus  tragen,  wo  sich  Regieruugsrat  Dr.  med.  Zehnder 
sofort  um  ihn  bemühte  und  auch  Ludwig  Meyer  v.  Knonau  zu 
assistieren  suchte,  während  im  Hintergrund  des  Zimmers  Re- 
gienmgsrat  Fierz  in  tiefen  Gedanken  mit  verschränkten  Armen 
auf  und  ab  schritt.  Hegetschweiler  starb  am  9.  September  und 
wurde  am  12.  mit  grösster  Feierlichkeit  bestattet. 

,,Was  tun  wir  jetzt  ?"  hatte  es  im  Regierungsratssaal  geheissen, 
als  Hegetschweiler  mit  dem  Befehl  des  Feuereinsteilens  fort- 
geeilt war.  ,, Beisammen  bleiben  und  den  Erfolg  abwarten," 
meinten  die  blutigeren.  Die  andern  aber  nahmen  Reissaus,  so- 
bald es  zu  läuten  begann.  Wälirend  im  Zimmer  unter  dem  Rats- 
saal Hegetschweiler  mit  dem  Tode  rang,  schrieb  Hess  seinen  letzten 
Befehl  (zur  Zeughausübergabe).  Ohne  förmhchen  Beschluss 
löste  sodann  die  Regierung  sich  auf,  fiel  wie  ein  ver- 
faulter Baumstrunk  auseinander,  indem  einfach  eines  um  das 
andere  von  ihren  MitgHedem  sich  entfernte.  Eduard  Sulzer 
(und  nach  ihm  in  gleicher  Weise  Melchior  Sulzer)  liess  sich 
von  seinem  Finanzweibel  Schenkel  mid  einem  bewaffneten  Bürger, 
Glaser  Gimpert,  nach  dem  Stadthaus  begleiten,  um  sich  unter 
den  mächtigen  Schutz  des  Stadtpräsidenten  zu  stellen.  Oberst 
Fierz  verschmähte  den  menschenfremidlichen  Rat  des  Staats- 
schreibers, durch  ein  hinteres  Fenster  hinauszuschlüpfen,  und  er- 
klärte: ,,Ich  gehe  durch  diejenige  Tür  hinaus,  durch  die  ich  ein- 
getreten bin."  Auch  H.  Escher  liess  sich  das  Hauptportal  öffnen. 
Der  letzte  auf  dem  Platz  war  der  greise  Junker  Meyer  v.  Knonau, 
der  den  Saal  vollständig  leer  fand,  als  er  von  Hegetschweilers 
Sterbelager  wieder  heraufkam.  Weiss  traf  im  Feldhof  Oberst 
Pestalutz,  der  ihm  erklärte,  er  sei  hier  im  Hause  nicht  sicher. 
Er  ging  in  die  Wohnung  des  Zeugherrn  (im  Garten  des  Feldhofs). 
Oberst  Hirzel  kam  bald  darauf,  schweisstriefend  und  ganz  ver- 
stört, sagte  bloss:  ,,Gott!  dass  dies  hat  geschehen  müssen",  stürzte 
ein  Glas  Wein  hinunter  und  wieder  fort.  Jetzt  kam  auch  Oberst 
Pestalutz  ins  Wohnhaus,  warnte  nochmals  Weiss  und  anerbot 
sich  ritterhch,  ihn  zu  begleiten,  wohin  er  wolle.  Weiss  wünschte 
in  die  Wohnung  des  Amtsbürgermeisters  Hess  im  ,, Tannen- 
berg" zu  gehen.  Hess  war  lücht  da,  kam  aber  in  einer  Viertel- 
stunde.    ,,Was  ist?"   rief  Weiss  dem  alten  Freimd  und   Partei- 


236  NEUNZEHNTBS  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

genossen  entgegen.  „Was  ist?"  gibt  Hess  grob  zurück,  „das 
Glaubenskomitee  regiert  halt  jetzt!  —  Ich  denke,  jetzt  tut  man 
gut,  bei  Weib  und  Kind  bei  Hause  zu  bleiben.  Ich  weiss  nicht, 
—  aber  wenn  Bürgi  und  solche  den  Leuten  in  die  Hände  kämen, 
es  würde  ihnen  nicht  gut  gehen."  —  ,,Sind  denn  diese  Leute  Mei- 
ster?" —  Hess  zuckt  die  Achseln.  ,,Eine  vertrauHche  Besprech- 
ung hat  vorläufig  stattgefunden;  aber  wollen  vSie  jetzt  nicht 
gehen?"  —  Um  4  Uhr  war  Weiss  in  Winterthur. 

Die  ,, vertrauliche  Besprechung",  welclre  in  der  Tat  um  10%  Uhr 
auf  dem  Stadthaus  unter  der  Ägide  des  Stadtpräsidenteu  Ziegler 
stattgefunden  hatte,  galt  der  Konstituierung  einer  provisorischen 
Regierung.  Sie  wurde  gebildet  aus  —  vier  radikalen  Mit- 
gliedern der  gestürzten  Regierung  (!):  Hess,  Eduard  und 
Melchior  vSulzer,  Meyer  v.  Knonau;  zwei  Konservativen:  alt 
Bürgenneister  C.  v.  Muralt,  alt  Oberamtmann  Escher-Schulthess, 
und  dem  Präsideuten  des  Glaubenskomitees:  Hürhmann- 
Landis.  Hess  blieb  Präsident.  Den  Vorwürfen  der  Radikalen 
gegenüber  erklärte  er  später:  ,,Ich  habe  meine  persönUche  Ehre 
dem  Vaterland  und  den  Freunden  zum  Opfer  gebracht."  Meyer 
V.  Knonau,  welcher  erst  nach  dem  Mittagessen  an  den  eigenthch 
für  Hegetschweiler  bestimmten  Platz  berufen  wurde,  schreibt: 
,,Der  Gedanke  des  \'aterlandes  Hess  mich  die  Parteien  und  die 
VerantwortUchkeit,  die  ich  auf  mich  laden  könnte,  vergessen, 
um  so  \ael  mehr,  als  der  Moment  nicht  ungefährlich  war  und  ich 
immer  glaubte,  in  Zeiten  der  Gefahr  müsse  ein  Mann,  der  an  einer 
höhern  Stelle  sich  befindet,  nie  dem  Vorwurf  der  Furchtsamkeit 
sich  biosstellen  und  Ueber  gewagt  als  verzagt  handeln,  soweit 
es  nur  seine  Person  betrifft."  Er  erzählt  folgenden  Zwischenfall: 
,, Einer  der  ersten  Lenker  der  Bewegung  trat  in  das  Zimmer, 
gerade  als  Hürlimann  abwesend  war,  und  sagte,  nachdem  einige 
Worte  waren  gewechselt  worden:  ,Es  bleibt  nichts  übrig,  als 
dass  die  provisorische  Regierung  gemeinscliaftlidi  mit  dem  Komitee 
handle  und  sich  an  dasselbe  anschUesse!'  Muralt,  an  den  er  diese 
Worte  gerichtet  hatte,  antwortete  mit  Bewegung:  ,Das  können 
wir  nicht,  wenn  wir  eine  Regierung  sein  sollen;  allein  wir  werden 
gewiss  handeln,  wie  es  die  jetzige  Lage  der  vSachen  erfordert.' 
Nun  bhckte  jener  Mann  mich  an,  und  mit  kräftiger  Stimme  ant- 
wortete ich  ihm:  .Alles  werde  ich  für  Ruhe  und  Ordnung  redlich 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER         237 

tun,  aber  an  das  Komitee  können  wir  uns  nie  anscliliessen,  ins- 
besondere nach  dessen  Treiben  in  den  letzten  Tagen.'  Gelassen 
ging  der  Sprecher  weg,  ohne  Zweifel  im  vollen  Bewusstsein,  dass 
die  Macht  bereits  in  seinen  und  seiner  Genossen  Händen  Hege." 
Die  pro\'isorische  Regiervmg  erHess  folgende  Proklamation 
an  das  Volk:  ,,Die  Unterzeichneten  haben  es  für  ihre  ernste  PfHcht 
erachtet,  unter  den  gegenwärtigen  verhängnisvollen  Umständen, 
bei  der  Auflösung  des  Regierungsrats,  die  einstweilige  Leitung 
der  öffentHchen  Geschäfte  als  ergänzter  eidgenössischer 
Staatsrat  zu  übernehmen,  bis  ein  Grosser  Rat  die  Behörde 
wieder  organisiert  haben  wird.  Mitbürger!  Verhütet  jeden  Aus- 
bruch der  Gewalt,  alle  Exzesse!  Ein  Grosser  Rat  wird  für  die 
Mittel  sorgen,  die  öffentHche  Ruhe  und  Ordnung  wieder  her- 
zustellen, die  Gesetzgebung  fortan  nach  den  Bedürfnissen  des 
Volkes  zu  ordnen."  Auch  das  Zentralkomitee  erHess  eine 
Proklamation,  worin  u.  a.  behauptet  wird:  ,,Das  Volk  rückte 
friedlich,  aber  entschlossen  ein,  Schutz  für  seine  heiUgen  Rechte 
zu  verlangen.  Da  wurde  es  plötzlich  überfallen  und  ange- 
griffen" usw.  Bei  einer  Revolution  wird  eben  alles  auf  den  Kopf 
gestellt,  auch  die  Wahrheit.  Den  eben  abfahrenden  St.  Galler 
und  Berner  Postwagen  wurden  die  beiden  Proklamationen  reich- 
Hch  mitgegeben  und  alle  Passagiere  hielten  deren  in  der  Hand. 
Der  französische  Gesandte  Graf  Mortier  machte  dem  neuen  (alten) 
Amtsbürgermeister  Hess  sofort  seinen  Besuch.  ,,Vous  avez  fait 
une  belle  revolution,"  schmeichelte  der  Franzose.  Er  hatte  auf 
dem  Balkon  des  Hotel  Baur  zugeschaut,  bis  eine  Kugel  in  un- 
gemütHcher  Nähe  aufschlug  und  gleichzeitig  aus  dem  Hotel 
gemeldet  wurde,  die  Frau  Gräfin  sei  in  Ohnmacht  gefallen. 

Neben  der  sofortigen  Einberufung  regulärer  Truppen 
(zwei  Bataillone  Infanterie,  eine  Kompagnie  Artillerie,  deren 
Oberkommando  dem  Stadtpräsidenten  Oberst  Ziegler  über- 
tragen wurde)  war  die  Hauptsorge  der  provisorischen  Regierung 
die  Abwehr  jeder  Intervention  von  selten  der  Eidge- 
nossen, denen  gegenüber  mit  Hartnäckigkeit  der  Standpunkt 
verfochten  wurde,  es  habe  eigentHch  gar  kein  Regierungs- 
wechsel stattgefunden  oder  doch  nur  ein  unbedeutender,  die 
Verfassung  sei  in  keiner  Weise  geändert,  jede  fremde  Einmischtmg 
überflüssig,   auch  stehe  der  gleiche  Amtsbürgermeister  mit  dem 


238  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

Staatsrat  an  der  Spitze  des  Vorortes  und  könne  somit  ruliig  als 
Bundespräsident  der  Tagsatzung  weiter  Vorsitzen.  Ein  Send- 
schreiben vom  6.  September  an  die  „getreuen  lieben  Eidge- 
nossen" sagt  nur  kurz,  dass  die  Regierung  infolge  eines  „laut 
ausgesprochenen  Volkswillens"  sich  aufgelöst  habe,  die  öffentUche 
Ruhe  ,,wälirend  einigen  AugenbUcken  gestört  wurde",  jetzt  aber 
die  Ordnimg  wieder  hergestellt  sei,  und  legt  sodann  dar,  dass 
eine  Intervention  nicht  nur  unnötig,  sondern  auch  bedauerUch 
und  für  che  Rulie  von  Kanton  und  Eidgenossenschaft  gefährUch 
wäre.  Trotz  anfänghchem  lebhaftem  Widerstreben  namentUch 
von  Seiten  der  Mitvororte  Bern  mid  Luzern  und  der  Gesandten 
einiger  Konkordatskantone  bequemte  sich  die  Tagsatzung  zur 
Gutheissung  des  Zürcher  Standpunktes  und  Anerkennung  seiner 

weitem  Funktionen  als  Vorort. 

* 

Die  Opfer  des  6.  September  waren  15  Tote  (Hegetsch- 
weiler  und  14  Bauern)  und  17  Verwimdete.  Auf  Seite  der 
Regierungstruppen  waren  nur  einige  leichte  Verletzungen  zu 
konstatieren.  Acht  Bauern  waren  am  6.  September  gefallen, 
einer  am  7.  September,  die  andern  fünf  etwas  später  gestorben. 
Neun  \'on  ihnen  wurden  Sonntag  Nachmittag  4  Uhr  im  Prediger- 
kirchhof bestattet.  ^lan  hatte  die  Verwundeten  und  Sterbenden 
zuerst  auf  Sesseln,  Tragbahren  und  Leitern  ins  Stadthaus  ge- 
schafft, wo  ein  Ratsdiener  in  grosser  Aufregung  sich  mitten  unter 
sie  stellte  und  laut  betete:  ,, Meine  Lebenszeit  verstreicht"  usw. 
Hierauf  wurden  sie  unter  gewaltigem  \^olksauflauf  in  den  Spital 
beim  Prediger  gebracht.  Das  Volk  ,, verlangte"  die  Ausstellung 
der  Toten  im  Chor  der  Predigerkirche;  es  defiUerte  vor  den 
grausig  aussehenden,  mit  ihren  offenen  ungewaschenen  Wunden 
dahegenden  Leichnamen,  und  man  hörte  die  Leute  sagen:  ,,Den 
hat  der  tlDel  erschossen;  dem  hat  er  den  Kopf  gespalten".  Ein 
Hilfskomitee  nahm  sich  der  Hinterbhebenen  an,  nachdem 
es  über  die  Toten  sorgfältige  Erkundigungen  eingezogen  hatte. 
Die  Leumundszeugnisse  lauteten  gottlob  mit  einer  Ausnahme 
günstig.  Exzesse  wurden  in  der  Stadt  trotz  der  massenhaften 
Ansammlung  von  Bewaffneten  keine  verübt;  immerhin  musste 
die  ,,Waag",  gegen  die  sich  der  Volkszom  hauptsächhch  richtete, 
ständig  von  starken  Posten  bewacht  werden.    Die  Landjäger 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEL:   DER  SECHSTE  SEPTEMBER         239 

beim  Rathaus  wurden  zum  Dank  für  ihre  „gute  Gesinnung"  so 
geplagt  und  gehänselt,  dass  Hürlimann  geholt  werden  musste, 
welcher  die  Ablösung  dieser  Posten  beim  Rathaus  und  der  Haupt- 
wache durch  die  Bürgerwache  befahl,  ,, womit  das  Volk  sich  jubelnd 
zufrieden  gab."  Nicht  als  Urteil,  nur  als  Stimmungsbild  aus 
radikalen  Kreisen  ist  die  Bemerkung  des  schon  erwähnten  Stu- 
denten interessant:  ,,Wäre  nicht  Verrat  im  Innern  so  gewiss  als 
etwas  vorauszusehen  gewesen,  so  würde  die  Regienmg  jetzt  sieg- 
reich dastehen;  aber  die  Spiesse  und  Aristokraten  alle  machten 
und  machen  gemeinsame  Sache  mit  dem  Pöbel,  den  sie  sonst  ver- 
achten, geben  ihm  zu  saufen  in  den  Kirchen,  quantum  satis  super- 
que,  und  stralilen  vor  Freude,  wo  man  sie  sieht  . .  .  Der  ehemahge 
aufgeklärte!  freisinnige!  geistreiche  Professor  Bernhard  Hirzel 
von  Zürich,  der  an  der  hiesigen  Hochschule  Treffüches  geleistet 
in  orientalischer  Sprache,  hielt  diesen  Nachmittag  (4  Uhr)  in  der 
Fraumünsterkirche  eine  so  fanatische  Predigt,  wie  kein  Peter 
von  Amiens  oder  sagen  wir  lieber  kein  Walter  von  Haberüchts 
je  fähig  gewesen  wäre,  eine  solche  zu  halten."  Gut  gekleideten 
Leuten,  die  um  diese  Zeit  von  der  Stadt  weggingen  und  Land- 
stürmem  begegneten,  konnte  es  passieren,  für  ,,Straussen"  ge- 
halten und  belästigt  zu  werden.  Auf  der  Forch  wurde  Kantons- 
rat Suter  von  Gossau  misshandelt ;  auf  den  alten  Kriminalrichter 
Boller  wurde  geschossen.  Das  Forchwirtshaus  erhielt  höchst 
gefährlichen  Besuch  von  Landstürmen! ,  die  das  Gerücht  in  Wut 
versetzt  hatte,  der  Sohn  des  Hauses  habe  Hegetschweiler  er- 
schossen. Man  musste  froh  sein,  wenn  die  Leute  nur  assen  und 
tranken  ohne  zu  zahlen.  Der  Vater  Fenner  hatte  sich  bereits  ge- 
flüchtet. Zwischen  Wermatschweil  und  Fehraltorf  und  dann  bei 
Pfäffikon  machten  die  Bauern  Jagd  auf  ihn,  bis  er  von  Bezirks- 
richter Zimmermarm  gerettet  werden  konnte.  Die  Hauptführer 
der  Radikalen  waren  in  Badcu  in  Sicherheit.  Dr.  Keller,  der 
sich  nach  seiner  Ankunft  ,,mit  seinem  bekannten  Hohngelächter" 
zur  Tafel  gesetzt  hatte,  führte  dort  einige  Wochen  mit  seinen 
Freunden  ein  ,, fröhlich-frivoles  Emigrantenleben". 


Das  erste,  was  der  Stadtpräsident  Oberst  Ziegler  als  neu- 
emannter  Höchstkommandierender  sämtUcher  Stadt-  und  Land- 


240         NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

truppen  erlebte,  war  —  ein  Streik  der  Offiziere!  Der  Zauber 
von  heute  morgen  war  verflogen,  man  hatte  es  wieder  mit  ganz 
gewöhnlichen  eigensinnigen  Menschen  zu  tun.  Der  in  die  Stadt 
eingerückte  Landsturm  musste  irgendwie  organisiert,  eingeteilt 
und  untergebracht  werden.  Ziegler  wollte  ihn  den  einzelnen 
Kontingenten  der  Bürgerwache  zuteilen  und  deren  Komman- 
danten unterstellen,  allein  die  Offiziere  der  Bürgerwache  weigerten 
sich  mit  Heftigkeit,  solches  Volk,  das  nicht  viel  mehr  als  Gesindel 
sei,  zu  befehligen;  man  solle  das  denen  überlassen,  die  es  her- 
gerufen haben.  Sie  anerkannten  auch  keine  Verpflichtung  gegen 
irgend  eine  Regierung  oder  Komitee,  sondern  nur  für  die  vSicher- 
heit  der  Stadt.  ,, Meine  Herren,"  sagte  Oberst  Ziegler,  ,,ich  kann 
Sie  nicht  zwingen,  Sie  sind  zudem  ältere  Offiziere  als  ich.  Die 
Massregel  ist  aber  absolut  notwendig,  und  wenn  mich  niemand 
unterstützen  will,  so  kommandiere  ich  allein."  Ungerülirt  ver- 
harrten die  Offiziere  bei  ihrer  W^eigerung.  Ziegler  musste  teil- 
weise zum  —  Zivil  greifen,  um  Bataillonskommandanten  für 
den  Landsturm  zu  bekommen.  vSo  kommandierte  in  der  Kaserne 
Herr  Professor  Bluntschli,  der  nie  eine  Uniform  getragen 
und  nun  eine  Nacht  hindurch  sich  ,,Herr  Oberst"  titulieren  lassen 
konnte.  Nachträglich  Hessen  sich  allerdings  doch  noch  einige 
höhere  Offiziere  zu  Kommandos  herbei,  und  der  treue  ^Nleyer- 
Ott,  freiUch  selber  auch  nicht  ^MiUtär,  aber  begeisterter  Mili- 
tärfreund und  Militärschriftsteller,  erklärte:  ,,Ich  gehe  auf  jeden 
Posten,  wo  man  mich  liinstellt."  Noch  während  dieser  Verhand- 
lungen ,,kam  eiti  besoffener  Kerl,  den  man  Feldweibel  nannte, 
und  sagte,  das  Volk  auf  dem  Paradeplatz  fange  an,  ungeduldig 
zu  werden,  dass  es  keine  Offiziere  und  keine  Gewehre  erhalte". 
Es  war  Zeit,  mit  diesen  Leuten,  an  welche  70  Saum  Wein  aus 
dem  Stadtkeller  verabfolgt  worden  waren,  abzumarschieren  in 
die  Nachtquartiere  (die  vier  Kirchen).  Sie  wurden  in  A-ier  Batail- 
lone eingeteilt,  zum  Zeughaus  geführt,  wo  sie  ihre  Stecken  usw. 
gegen  Gewehre  austauschten,  Patronen  in  Rock-  und  Hosen- 
taschen steckten  und  vergnügt  zur  Kirche  wanderten.  Meyer- 
Ott  kam  mit  seinem  Bataillon  in  die  Predigerkirche.  Hier 
Sassen  schon  50  bis  60  Wehntaler  Bauern  um  eine  leere  Weintanse 
herum  und  sangen  geistliche  Lieder.  Als  aus  dem  Spital  ein  Sarg 
gebracht  wurde,  um  den  andern  im  Chor  beigesellt  zu  werden, 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER         241 

stimmten  sie  an:  „Wie  sicher  lebt  der  Mensch,  der  Staub".  Es 
wurde  dem  Landsturm  in  der  Kirche  Brot  und  Fleisch  gebracht; 
die  Leute  sangen:  „Wir  danken  alle  Gott",  klagten  dann  über 
grossen  Durst,  bis  Meyer-Ott  sich  rüliren  Hess  und  noch  eine 
Tanse  Wein  bestellte.  Immer  wieder  erschallte  in  der  Kirche  der 
hehre  Männergesang,  bald  aus  dem  ,,christüchen  Gesangbuch" 
oder  auch  ,,In  des  Waldes  düstern  Gründen"  und  Ähnhches. 
Auf  einmal  ein  Schrei:  ,,Die  Straussen  kommen!"  Alles 
stürzt  aus  der  Kirche.  Es  hatte  einer  den  Sitz  eines  Männer- 
stuhls polternd  heruntergeschlagen,  um  sich  darauf  zu  setzen; 
die  Schildwache  aber,  die  den  Schrei  getan,  meinte,  ,, einen  fernen 
Schuss"  gehört  zu  haben.  Dem  Zentralkomitee  war  zu  Ohren 
gekommen,  dass  es  im  Prediger  etwas  laut  zugehe.  Es  erschien 
deshalb  eine  Deputation,  bestehend  aus  einem  Pfarrer  und  einem 
Landmann,  ,,den  ich  seitdem",  sagt  Meyer-Ott,  ,,als  Erzspitz- 
buben kennen  gelernt  habe."  Vor  der  Tür  sagte  mir  der  Pfarrer: 
„Wie  geht's  drinnen?"  — ■  ,,Sie  sind  alle  voll."  —  ,,Wie  steht's 
mit  dem  Gehorsam?"  —  ,, Nicht  übel,  die  drinnen  befehlen,  ich 
gehorche."  —  Der  Pfarrer  betrat  die  Kirche  mit  den  Worten:  ,,Gott 
grüss  euch,  christliche  Freunde."  —  Keine  Antwort.  —  „Wir 
sind  Abgeordnete  des  Zentralkomitees."  Alsbald  flogen  die 
Hüte  von  den  Köpfen,  und  andächtig  lauschten  die  Männer  einer 
längeren  Ansprache  des  Pfarrers,  der  sich  dann  auch  noch  nüt 
einzelnen  in  ein  Gespräch  einhess;  ein  grosser  alter  Kerl  trat  vor 
ihn  hin,  sah  ihm  mit  dem  stieren  Blick  des  Trunkenen  ins  Gesicht 
und  hielt  seinerseits  eine  geläufige  Ansprache  über  einen  Bibel- 
text, die  der  Pfarrer  mit  ,,So,  so,  hm,  hm"  quittierte.  Auch  der 
Höchstkommandierende  kam  auf  seiner  nächthchen  Runde  ein- 
mal in  den  Prediger  und  wurde  von  demselben  Kerl  angerempelt, 
ob  es  wahr  sei,  dass  man  Sulzberger  gefangen,  was  mit  ihm  ge- 
schehe usw.  Ziegler  fertigte  ihn  kurz  ab,  worauf  sich  der  Alte 
wieder  verkroch. 

Richtig,  Sulzberger!  Er  war  in  der  Tat  bei  der  Sihlbrücke 
erwischt  worden,  als  er  —  eine  elegante  Dame  —  in  einem  Zwei- 
spänner sich  flüchten  wollte.  Gab  das  ein  Hailoh  und  Gelächter! 
Der  englische  Geschäftsträger  fand  das  Detail  interessant  genug, 
um  es  an  Palmerston  zu  berichten.  Sulzberger  sei  in  seiner  Ver- 
kleidung in  Parade  durch  das  Volk  und  vor  das  Komitee  geführt 

16 


242  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER  o 

worden,  habe  da  eine  Art  Urfehde  schwören  müssen  und  sei  dann 
ohne  weitere  Unbill  entlassen  worden.  Der  Gegenstand  war 
dankbar  für  Karrikaturen,  Fastnacht  und  Schnitzelbänke  und 
wurde  auch  weidhch  dazu  benutzt.  Es  gab  Leute,  die  sich  noch 
in  hohem  Alter  mit  Vergnügen  an  den  Gutjalrr-Dirggel  erinnerten, 
den  sie  etwa  von  einer  Tante- Gotte  bekommen  und  auf  dem 
die  tragikomische  Geschichte  abgebildet  war.  Die  , .schönste" 
Eroberung  in  Zürich  am  6.  September  aber  machte  —  ratet  ein- 
mal! —  David  Friedrich  Strauss!  Der  Züriputsch  ver- 
schaffte ihm  zu  der  Zürcher  Pension,  die  er  schon  hatte,  auch 
noch  —  seine  Frau,  die  schöne  Opernsängerin  Agnes  Sche- 
best,  die  am  Abend  des  6.  September  in  einem  Gastspiel  des 
Aktientheaters  als  ,, Romeo"  in  Belhnis  Oper  ,,Die  Montecchi 
imd  Capuletti"  hätte  auftreten  sollen  (s.  ,, Tagblatt"  Nr.  248). 
Der  Landsturm  verdarb  ihr  das  Gastspiel,  aber  der  Mann,  nach 
dessen  Namen  sich  ein  ganzes  Volk  in  zwei  Parteien  spaltete  imd 
blutig  duellierte,  interessierte  sie  in  hohem  Grade,  imd  aus  dem 
Interesse  wurde  Liebe  und  —  Heirat.  Die  Geschichte  macht  bis- 
weilen solche  Witze. 


Die  Nacht  ging  ohne  den  von  Baden  her  befürchteten  Über- 
fall der  Radikalen  vorbei.  Auf  Samstag  vormittag  10  Uhr 
hatte  das  Zentralkomitee  grosse  Landsgemeinde  auf  dem 
Paradeplatz  angesagt.  Mit  Trommelschall  zogen  die  I^andsturm- 
Kompagnien  auf.  Präsident  Hürlimann  war  umgeben  von  der 
Ehrengarde  seiner  Richterswiler  Scharfschützen,  und  der  grosse 
Platz  füllte  sich  mit  einer  ungeheuren  Menschenmenge,  aus  welclier 
Gewehre,  Morgensterne,  Keulen,  Speere  imd  Hellebarden  her\'or- 
ragten,  —  eine  Versammlung,  wahrhaftig  würdig  der  ]\Iemora- 
biha  Tigurina,  wo  sie  sich  auch  aufgezeichnet  findet.  Nachdem 
Rahn-Escher  die  Begrüssuugsansprache  gehalten,  ward  Hür- 
limann mit  stürmischem  Beifall  empfangen,  und  hier  sprach 
er,  über  dieser  in  Waffen  starrenden  Gemeinde,  sein  grosses  Wort: 
,,Das  Zürcher  Volk  ist  ein  hehres  christliches  Volk!" 
Es  jubelte  das  Volk  und  freudig  kUrrten  Speere,  Hellebarden  und 
Morgensterne,  als  Hürlimann  ankündigte,  dass  der  Grosse  Rat  sich 
auflösen  werde,  um  einem  neuen  Platz  zu  machen,  und  dass  die 


o  NEUNZEHNTES  KAPITEL:    DER  SECHSTE  SEPTEMBER         243 

noch  im  Zuchthaus  sitzenden  Brandstifter  von  Uster  (1832) 
begnadigt  werden  sollen.  Eine  Parallelversammlung  fand  auf 
dem  Münsterhofe  statt.  Nach  dieser  Landsgemeinde  wurde 
der  unbewaffnete  Landsturm  in  die  Heimat  entlassen,  der  be- 
waffnete hatte  noch  zu  warten,  bis  das  reguläre  Militär  einge- 
rückt war,  was  zum  Teil  (Bataillon  Däniker)  noch  an  diesem 
Abend  geschah.  In  der  Nacht  gab  es  im  Neumünster,  infolge 
eines  blinden  Schusses,  einen  gewaltigen  Rumor.  Man  glaubte 
den  Antistes  mit  dem  Tode  bedroht,  und  eine  grosse  Schar  seiner 
Getreuen  stellte  sich  als  Schutzwache  um  sein  Haus.  In  Stadel- 
hofen  aber  rief  der  68jährige  Major  Mej-er-Pestalozzi :  ,,\Vas 
zum  T.  ist  das  für  ein  Lärm  ?  Da  meinen  diese  Torenbuben  gleich, 
der  Feind  komme,  wenn  einem  solchen  Lappi  das  Gewehr  los- 
geht." Spöndlin  kam  mit  blankem  Säbel  gelaufen,  den  An- 
tistes zu  verteidigen.  Der  Alte  aber  brummte:  ,, Glaubt  doch 
nicht  solche  Dummheiten;  so  verrückt  sind  die  Radikalen  nicht." 
Am  Sonntag  den  8.  September  konnte  auch  der  bewaff- 
nete Landsturm  entlassen  werden,  nachdem  das  Bataillon 
Brunner  eingerückt  war.  Mit  diesem  Bataillon,  das  auf  dem 
Münsterliof  sich  besammelte,  gab  es  noch  einen  recht  unangeneh- 
men Vorfall.  Sein  Kommandant  war  wegen  einer  nicht-dienst- 
lichen Untersuchung  zur  Zeit  nicht  dienstfähig.  Das  Bataillon 
verlangte  aber  stürmisch  diesen  imd  keinen  andern  Komman- 
danten; eine  Deputation  wurde  nach  seiner  Wohnung  geschickt, 
imi  sich  zu  erkundigen,  ob  ihm  nichts  fehle,  und  die  Mannschaft 
ruhte  nicht,  bis  Oberstleutnant  Brunner  das  Kommando  über- 
nahm. Oberst  Ziegler  war  froh,  am  12.  das  Oberkommando  wieder 
an  Sal.  Hirzel  abtreten  zu  können.  Noch  einmal  wurde  in  der 
Sonntag-Nacht  unnötig  Alarm  geschlagen  und  sogar  Geschütz 
aufgefahren.  Ein  ehrhcher  Mann  hatte  mit  eigenen  Augen  eine 
Kolonne  mit  zirka  300  Bewaffneten  gesehen  (vielleicht  vom  Mond 
beschienene  Rebstickel  ?  fragt  Meyer-Ott).  Jene  Männer  aber, 
welche  am  Montag  früh  vom  Albis  herniederstiegen  und  denen 
ein  Weib  atemlos  voraus  lief,  um  die  Stadt  auf  den  Überfall  vor- 
zubereiten, waren  friedliche  Deputierte  aus  dem  Amt  Affoltem, 
welche  kommen  wollten,  um  dem  Staatsstreich  des  Grossen 
Rates  beizuwohnen. 

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ZWANZIGSTES  KAPITEL 


REAKTION 

Weil  man  einen  Missgriff  der  Regierung  zum  „Verfassungsbruch" 
gestempelt  und  mit  einer  Revolution  beantwortet  hatte, 
war  man  nun  gezwungen,  eine  ganze  Reihe  wirklicher  Ver- 
fassungs-  und  Gesetzesverletzungen  der  krassesten  Art  selber  zu 
begehen.  Weil  die  Frommen  sich  nicht  damit  begnügt  hatten, 
der  Stimme  ihres  Gewissens  gegen  ein  vermeintUches  Attentat 
auf  Religion  und  Kirche  laut  und  deuthch  Ausdruck  zu  geben 
und  des  überraschend  grossartigen  Erfolges  eines  solchen  Pro- 
testes (40,000  Stimmen  und  Abberufung  von  Strauss)  sich  dank- 
bar zu  freuen,  weil  sie  vielmehr  geglaubt  hatten,  sie  müssten  der 
unbegreiflichen  Langmut  Gottes  gegen  die  radikalen  Regenten 
nun  ein  wenig  nachhelfen,  selber  dafür  sorgen,  dass  solche  Sachen, 
wie  die  Berufung  von  vStrauss,  nicht  mehr  passieren  können, 
mit  einem  Wort  selber  ein  wenig  Vorsehung  und  Weltgericht 
spielen,  so  hatten  sie  diese  Rolle  nun  auch  durchzuführen  und  zu 
zeigen,  wie  man  es  nach  ihrer  Meinung  machen  und  einrichten 
muss,  um  das  Reich  Gottes  ein-  für  allemal  gegen  alle  Bosheit  der 
Radikalen  ,, sicher  zu  stellen".  Ungeschickte  Kinderhände,  die 
dem  Vater  bei  der  Arbeit  helfen  wollen  und  ihm  die  Tinte  aufs 
Manuskript  leeren!  Ein  Klex  auf  der  Geschichte  der  christlichen 
Kirche,  das  ist  der  6.  September  1839. 

Wohl  hatte  dank  Zieglers  überlegener  Taktik  die  Revolution 
nur  wenig  äussern  Schaden  angerichtet,  und  die  Regiervmg 
dankte  ihm  auch  in  ihrer  Urkunde  vom  12.  Oktober  dafür, 
dass  er  die  Ordnung  und  Sicherheit  der  Hauptstadt  aufrecht 
zu  erhalten  vermochte,  als  ,, unter  der  Gewaltsbewegung  der 
Bevölkerung  (eine  hübsche  Umschreibung)  die  ganze  Organisation 
der  Staatsbehörden  versank  und  wenige  Hände,  durch  Selbst- 
bewusstsein  und  allgemeines  Zutrauen  stark,  das  Staatssteuer  er- 
griffen". Aber  auch  Spöndlin  hatte  recht,  als  er  nach  dem 
Kampfe  zu  Meyer-Ott  äusserte:  ,,Eine  Revolution  ist  und  bleibt 


o  ZWANZIGSTES  KAPITEL:    REAKTION  245 

ein  greuliches  Ding".  —  Eine  „christliche"  Revolution  voll- 
ends ist  ein  Unding,  das  Widersinnigste,  was  es  auf  der  Welt 
geben  kann;  in  ihren  demoralisierenden  Wirkungen  ist  sie 
noch  weit  schhmmer  als  eine  radikale  Revolution.  Ludwig  Meyer 
von  Knonau  schrieb:  ,,Von  dem  Volke  wich  der  letzte  Überrest 
des  Glaubens,  dass  die  Regierung  auf  einer  hohem  Stufe  stehe.  Es 
hatte  zu  klar  gesehen,  wie  es  mit  einem  Stosse  eine  solche  nieder- 
werfen und  wie  leicht  es  eine  andere  aufstellen  könne.  Die  Mittel 
und  Vorspiegelungen,  deren  man  sich  bedient  hatte,  machten 
zwar  nicht  im  ersten  AugenbHcke,  aber  in  der  Folge  imd  durch 
die  Wirkungen  des  Kampfes  der  Parteien  in  den  öffentUchen 
Blättern,  dass  bei  einem  grossen  Teile  des  Volkes  eine  Misstim- 
mung  entstand,  durch  welche  es  nicht  nur  das  Vertrauen  und  den 
Glauben  an  alle  Höherstehenden  verlor,  sondern  über  die  höchsten 
Angelegenheiten  unschlüssig  wurde  und  fragte:  Wem  können  wir 
vertrauen  ?  —  Hätte  uns  die  Septemberregierung  bis  im  Frühling 
1842  bestehen  lassen  und  ihre  Opposition  mit  Umsicht  und  Popu- 
larität fortgesetzt,  so  wären  wir  genötigt  gewesen,  entweder  nur 
zu  vegetieren  und  dadurch  lächerlich  zu  werden,  oder  aber  Miss- 
griffe zu  machen  und  anzustossen,  und  so  wäre  sie  auch,  zwar 
etwas  später,  aber  auf  eine  rechtmässige  Weise  zur  Herrschaft 
gelangt,  und  die  nachteihgen  Wirkungen,  die  der  6.  September 
nicht  nur  auf  den  Kanton  Zürich,  sondern  auf  die  ganze 
Schweiz  hatte,  wären  unterblieben."  In  den  ,, Briefen  eines 
Zürchers  an  einen  Basler"  heisst  es:  ,,Man  kennt  noch  gar  nicht, 
was  alles  im  Volke  aufgerülirt  ist.  Durch  den  Gegensatz,  dass 
man  der  Rehgion  wegen  der  Obrigkeit  untreu  werden  dürfe, 
ist  nicht  bloss  das  sittliche  Bewusstsein  untergraben  worden, 
sondern  auch  das  religiöse  hat  von  seinem  Leben  verloren  und  ist 
in  leeres  Formelwesen  bei  vielen  ausgeartet.  Die  Religion  ist  nicht 
mehr  die  Macht  über  ihr  sittUches  Verhalten,  die  sittUchen  Begriffe 
überhaupt  sind  locker  geworden.  So  hörte  ich  neulich  einen 
sonst  wackern  Gemeindebeamten  von  einer  nochmaUgen  Re- 
volution sprechen  in  einem  so  gleichgiltigen  Tone,  als  spräche  er 
von  einer  Pfeife  Tabak.  Indem  das  Volk  gegen  die  gestürzte  Re- 
gierung zur  Verachtung  gereizt  wurde  und  dieser  Kampf  als  ein 
,,heiUger  Kampf"  gepriesen  wird,  ist  es  leicht  geneigt,  gegen  Re- 
gierungen als  solche  überhaupt  mit  Geringschätzung  und  am  Ende 


246  ZWANZIGSTES  KAPITEL:   REAKTION  o 

mit  Widerstand  aufzutreten.  Endlich  ist  dem  Volk  durch  die 
letzten  Ereignisse  klar  geworden,  welche  Macht  in  den  Massen 
liegt.  Der  Unbedeutendste  dünkt  sich  Souverän  zu  sein,  und  mehr- 
mals hörte  ich  die  Äusserung:  wir  wollen  es  mit  der  neuen  Re- 
gierung probieren;  jetzt  weiss  einmal  das  Volk,  was  es  vermag; 
handelt  diese  nicht  nach  dem  Volkswillen,  so  macht  man  es  ihr 
wie  der  alten.  —  Überhaupt  nur  kein  Wort  der  Ruhe  und  Ver- 
nunft durfte  nach  dem  6.  September  gesprochen  werden.  Es 
lag  eine  furchtbare  Inquisition  auf  dem  Land,  und 
dass  so  wenig  Unheil  geschah,  kommt  daher,  dass  die  Gegen- 
partei kaum  wagte  zu  atmen.  Der  Name  ,,Strauss"  war  dem  Volk 
jetzt  mehr  als  Dieb,  Hurer  und  Mörder,  und  mit  diesem  Namen 
brandmarkte  man  bald  jeden  Ruhigen.  Von  diesem  Gefühl  mögen 
freihch  diejenigen  nichts  wissen  und  ahnen,  die  an  der  Spitze  der 
Bewegung  standen.  Von  diesem  Gefühl  wissen  aber  die  Ruhigen 
recht  viel." 

Am  Montag  den  9.  September  kam  der  Grosse  Rat 
zusammen  —  derselbe,  den  man  nötigenfalls  mit  dem  Stock  aus- 
einanderjagen wollte.  Wieder  strömte  eine  Masse  Ueute  in  die 
Stadt,  alle  sonntäghch  gekleidet,  es  war  wie  an  einem  Fest.  Im 
Fraumünster  hielt  das  Zentralkomitee  eine  kurze  Ver- 
sammlung; dann  ging's  ,,in  brausendem  Strom"  über  die  Münster- 
brücke zum  Grossmünster,  wo  unter  dem  Schutz  der  Bajonette 
und  in  Anwesenheit  der  Tagsatzungsherren  und  der  fremden  Ge- 
sandten der  Grosse  Rat  tagte.  Die  Verhandlungen  hatten  schon 
begonnen,  allein  das  Volk  erzwang  sich  mit  Tumult  und  Lärm  den 
Zutritt.  ,, Gegen  den  Grossen  Rat  wurden  keine  Schreckmittel 
angewandt;  aber  das  Gebrüll  einzelner  roher  ]\Iensclien,  Beifalls- 
äusserungen bei  einzelnen  Voten  zeugten  von  dem  Zustande  der 
pohtischen  Auflösung"  (M.  v.  K.).  Trotz  der  Abwesenheit  von 
75  radikalen  Mitgliedern  konnte  die  Beschlussfähigkeit  konstatiert 
werden.  Das  ganze  Bureau,  Präsidium  und  Kanzlei,  war  ab- 
wesend, auf  Reisen.  Bürgermeister  Hess  wurde  zum  Präsi- 
denten, Gujer  zum  Vizepräsidenten  gewählt.  Der  gewandte 
Eduard  »Sulzer  begründete  den  Antrag  auf  Bestätigung  der 
provisorischen  Regierung  und  sofortige  Auflösung  des  Grossen 
Rates.  Diesen  letztern  Antrag  bekämpften  Prokurator  Schock 
und    Kantonsrat    vStuder    von    Wipkingen    als    verfassungs- 


o  ZWANZIGSTES  KAPITEL:    REAKTION  247 

widrig  und  ungesetzlich.  Professor  Bluntschli  unterstützte 
die  Regierung  mit  einer  Rede,  die  den  stürmischen  Beifall  des 
Volkes  fand.  „So  ist's  recht;  so  wämmer's  ha!"  hiess  es.  Der 
Präsident  gebot  ,, Stille,  oder  ich  hebe  die  Sitzung  auf!",  was 
mit  noch  grösserem  Lärm  beantwortet  wurde.  Ein  alter  Bauer 
schrie  von  der  Emporkirche  herunter:  ,,Hochgiehrti  Herre,  das 
ist  euseri  Meinig;  mir  wand  nüd  wie  der  Prokrater  Schoch!" 
C.  V.  Muralt:  ,,Ich  fordere  jeden  Bürger  auf  bei  seiner  Ehre,  bei 
seiner  VaterlandsHebe  vmd  allem,  was  ihm  heilig  ist,  die  Eintracht 
imd  Ruhe  zu  wahren."  Mit  lautem  Jubel  begrüsste  das  Volk  das 
Ergebnis  der  Beratung:  Auflösung  des  Grossen  Rates  (mit  allen 
Stimmen  gegen  diejenige  Studers,  der  auch  am  6.  September 
furchtlos  'den  ganzen  Tag  in  der  Stadt  herumgeritten  war) .  Noch 
am  gleichen  Tage  erschien  die  Weisung  der  Regierung  für  die  am 
16.  und  17.  September  ,, unter  Anrufung  des  götthchen  Beistandes" 
vorzunehmenden  Neuwahlen.  Auch  das  Zentralkomitee  er- 
liess  ein  Wahlmarüfest. 

Bei  diesen  Neuwahlen  wurde  die  Partei  der  ,,Straussen"  fast 
vollständig  aufgerieben.  Im  ganzen  traten  nur  57  Mitgheder  von 
der  alten  in  die  neue  Behörde  über.  Von  jeder  Landzimft  wurden 
auch  vStadtzürcher  gewählt.  Der  Grosse  Rat  trug  einen  ,, wahr- 
haft puritanischen  Charakter".  Die  konstituierende  Sitzung 
fand  am  19.  September  statt.  Präsident  des  Grossen  Rates 
wurde  alt  Oberrichter  Dr.  Ulrich,  Vizepräsident  Melchior  Sulzer. 
Es  wurde  einstimmig  beschlossen,  es  seien  ausser  dem  Regierungs- 
rat auch  das  Obergericht,  das  Kriminalgericht,  die  Staatsanwalt- 
schaft, das  Kantonalverhöramt,  der  Kirchenrat  und  der  Erziehungs- 
rat aufzulösen  und  neu  zu  wählen,  — ■  dies  einzig  zu  dem  Zweck, 
um  die  ,,Straussen"  aus  allen  diesen  Behörden  lünauszuwerfen. 
Jeder  einzelne  dieser  Beschlüsse  bedeutete  einen  Verfassungs- 
bruch, eine  schwere  Rechtsverletzung  gegenüber  den  mitten  in 
der  Amtsperiode  ohne  Urteil  und  Recht  abgesetzten  und  entlasse- 
nen oder  doch  den  Daunen  und  Zufälligkeiten  einer  Wiederwahl 
ausgesetzten  Beamten.  Das  Dispositiv  2  erhöhte  noch  die  Ge- 
hässigkeit des  Beschlusses  mit  der  Bestimmung:  ,, Nicht  wieder 
gewählte  Mitgheder  haben  keinen  Anspruch  auf  Besoldung,  noch 
auf  Entschädigung."  L-  Mej-er  v.  Knonau  hatte  in  der  provisori- 
schen Regierung  lebhaft,  aber  vergebHch  gegen  den  Beschlusses- 


248  ZWANZIGSTES  KAPITEL:    REAKTION  o 

antrag  protestiert;  ihm  inissfiel  besonders,  dass  man  schon  die 
Namen  der  neuen  Mitglieder  aufzählen  konnte,  und  er  besuchte 
seitdem  die  Sitzungen  des  Regierungsrates  nicht  mehr.  Es  war 
einigen  der  ,,Straussen"  bedeutet  worden,  sie  möchten  doch  so 
vernünftig  sein  und  selber  zurücktreten,  damit  man  nicht  ihret- 
wegen sämthche  Behörden  umkrempeln  müsse;  aber  diese  Radi- 
kalen hatten  die  Gemeinheit,  nicht  zu  demissionieren,  sondern 
extra  den  Konservativen  diese  Verlegenheit  zu  bereiten,  sich  mit 
dem  Odium  des  Verfassungsbruches  beladen  zu  müssen.  Es  war 
rein  tüchts  zu  machen.  Der  zum  absoluten  Herrscher  proklamierte 
Volkswille  verlangte  gebieterisch  das  Opfer  der  Straussen,  und 
so  hatte  denn  Conrad  v.  Muralt,  die  Milde,  Versöhnlichkeit 
und  Loj-alität  in  Person,  die  äusserst  unangenehme  Aufgabe,  jenen 
ominösen  Antrag  vor  dem  Grossen  Rat  zu  begründen,  wobei  er 
ausführte,  es  sei  angesichts  der  \\'eigerung  der  Radikalen,  frei- 
wilhg  zurückzutreten,  die  Auflösimg  der  Behörden  ,,das  Ehren- 
festeste". Auch  von  ihm  mag  gelten,  was  Fürst  Metternich  in 
Wien  (1842)  zu  Bluntschh  über  den  ^Minister  Guizot  sagte:  ,,Er  ist 
ein  ehrlicher  Mann;  seine  Prinzipien  sind  gut,  aber  seine  Lage  ist 
schief."  Mit  Mühe  und  Not  —  ein  eindringliches  Sendschreiben 
des  Zentrallvomitees  verrät  es  —  konnte  ein  noch  weiter  gehender 
Antras;  verlündert  werden,  auch  sämthche  Gemeinde-  und  Be- 
zirksbehörden  neu  zu  wählen;  schHessUch  wollte  man  sich 
denn  doch  nicht  noch  500  abgesetzte  Beamte  zu  Todfeinden 
machen.  Am  20.  und  21.  September  wurde  der  (einstweilen  noch 
iggüedrige,  später  auf  13  reduzierte)  Regierungsrat  neu  be- 
stellt mit  den  Bürgermeistern  Hess  und  Muralt.  Von  der  alten 
Regierung  fanden  ausser  Hess  auch  Hürü,  Eduard  und  Melchior 
Sulzer  wieder  Gnade.  Her\-orragende  Mitgheder  waren  neben 
V.  Muralt  noch  Bluntschli,  Ferdinand  Mej'er  und  Bezirks- 
richter  Heinrich  Mousson  (welcher  nach  dem  Rücktritt  von 
Hess  am  22.  Juni  1840  Bürgermeister  wurde).  Der  Baron  v.  Sul- 
zer-Wart  gehörte  dem  Kollegium  ebenfalls  an.  Für  sämtliche 
Vergehen  am  6.  September  wurde  Amnestie  erteilt,  den  Brand- 
stiftern von  Uster  Begnadigung  gewährt.  Dann  konnte  alsbald 
die  ,, trockene  Guillotine"  zu  arbeiten  beginnen:  Als  Tag- 
satzungsgesandte wurden  Dr.  Keller  und  Weiss  durch  IMelchior 
Sulzer  und  Bluntschh  ersetzt,   Staatsanwalt  David  Ulrich  hatte 


o  ZWANZIGSTES  KAPITEL:    REAKTION  249 

dem  Gericlitsschreiber  Rahn,  sein  Substitut  Benz  dem  Proku- 
rator Spöndlin  Platz  zu  machen.  Am  i.  Oktober  kamen  das 
Obergejicht  und  Kriminalgericht  an  die  Reihe:  Williehn  Füssli, 
Gessner,  Boller  etc.  erhielten  den  L,aufpass;  am  2.  Oktober,  der 
auch  den  Austritt  aus  dem  Siebner  Konkordat  brachte,  konn- 
ten Baron  Sulzer,  Antistes  Füssh,  Pfarrer  Bernhard  Hirzel  ihren 
Einzug  in  den  Erziehungsrat  halten.  Es  hat  indessen  keinen  Wert, 
allen  den  Taten  der  am  6.  September  in  Zürich  aufgerichteten 
,, christlichen"  Tyrannis,  den  formlosen  Absetzungen  von  miss- 
liebigen  Beamten,  Lehrern,  Pfarrern,  der  bemühend  kleinlichen 
Behandlung  Scherrs  usw.  im  einzelnen  nachzugehen. 

Der  zwangsweisen  Wiedergeburt  des  Staates  folgte  eine  in- 
tensive, künstliche  VerchristUchimg  von  hohen  und  niedern 
Schulen.  Mit  Gesetzen,  Verordnungen  und  Reglementen  glaubte 
man  den  Straussischen  Geist  austreiben  und  wahres  Christentum 
an  seine  Stelle  pflanzen  zu  können.  Die  Hochschule  insbe- 
sondere geriet  direkt  in  Bedrängnis.  Die  Volksstimmung  war 
ihr  nicht  günstig.  ,,Wir  hätten  nichts  dagegen,"  schrieb  die  ,, Frei- 
tagszeitung", ,,wenn  die  Hochschule  —  Hochmutsschule  nannte 
sie  gleich  bei  ihrem  Beginnen  ein  geistreicher  Mann  im  Kanton 
Aargau  —  aufgehoben  würde."  Das  Verhältnis  zwischen  Bevölke- 
rung und  Studenten  bheb  andauernd  ein  gespanntes  und  entlud 
sich  u.  a.  in  einem  tragischen  Vorfall  am  25.  Mai  1842,  bei  welchem 
der  unbeteiligte  Student  Kirchmeier  von  der  PoHzei  tödhch  ver- 
wundet wurde.  Ein  Gesetzesentwurf  vom  2.  April  1840,  welcher 
im  Hinblick  auf  Strauss  die  Pensioiüerung  von  Professoren  ganz 
wesentHch  einschränken  wollte,  wurde  allerdings  wieder  zurück- 
gezogen, weil  er  mit  der  Stiftungsurkunde  der  Hochschule  in  allzu 
schroffem  Widerspruch  stand.  Aber  auch  gegen  die  neuen  Be- 
stimmungen des  Niederlassungsgesetzes  vom  10.  April  1840  muss- 
ten  die  Professoren  Einsprache  erheben.  Am  schlimmsten  war 
jedoch  für  die  Hochschule  die  Bedrohung  der  lyehrfreiheit. 
Nicht  nur  wurde  dem  Kirchenrat  das  Vorschlagsrecht  für  die 
Wahl  der  Theologieprofessoren  und  das  Recht  der  ,, Einsicht- 
nahme in  den  evangehsch-reformierten  Rehgionsunterricht  auch 
an  der  Hochschule"  eingeräumt;  der  Grosse  Rat  beschloss 
vielmehr  am  24.  Juni  1840  auf  einen  Antrag  Sulzer- Wart  geradezu: 
,,Die  der  Hochschule  gestattete  theologische  Lehrfreiheit  soll  sich 


250  ZWANZIGSTES  KAPITEL:    REAKTION  o 

nur  innerhalb  der  Grenzen  des  biblischen  Christentums  bewegen." 
(§  7  des  neuen  Unterrichtsgesetzes.)  Umsonst  machte  der  konser- 
vative alt  Oberrichter  Dr.  Ulrich,  selber  ein  bibelgläubiger 
Mann,  gegen  den  Antrag  nachdrückliche  Opposition ;  er  wurde  mit 
73  gegen  41  Stimmen  angenommen  und  folgenden  Tages  gegen- 
über einem  Wiedererwägungsantrag  von  Prof.  Alex.  Schweizer 
festgehalten.  Eine  Protesteingabe  der  theologischen  Fakultät 
wies  der  Erziehungsrat  mit  einer  Rüge  über  die  gebrauchten 
Ausdrücke  ab.  Zum  Professor  der  Dogmatik  an  die  vStelle  von 
Strauss  war  der  strenggläubige  Pastor  Lange  in  Duisburg  be- 
rufen worden. 

Das  Seminar  erhielt  durch  das  Gesetz  vom  26.  Februar  1840 
seine  neue  Gestalt  und  in  der  Person  des  Pfarrers  Dr.  Bruch 
von  Wädenswil,  damals  Vorsteher  einer  Erziehungsanstalt  in 
Lausanne,  seinen  neuen  Direktor  und  neben  diesem  als  Religions- 
lehrer Pfarrer  Burkhard.  Die  Lehrer  an  der  ^'olksschule  waren 
gleich  am  16.  Oktober  mit  einem  Rundschreiben  des  Erziehungs- 
rates bedacht  worden,  das  sie  an  die  christlich-rehgiöse  Grund- 
lage der  Volksschule  erinnerte  und  ermahnte,  Hand  in  Hand  mit 
der  Kirche  an  der  geistigen  Bildung  der  Jugend  zu  arbeiten.  Ein 
Antrag,  das  Neue  Testament  in  allen  vSchulen  obligatorisch  ein- 
zufüliren,  wurde  unter  Streichung  der  Worte  ,,in  einer  sprachlich 
bereinigten  Ausgabe"  vom  Grossen  Rat  angenommen,  den  Leh- 
rern in  §  18  des  neuen  Schulgesetzes  fleissiger  Besuch  des  Gottes- 
dienstes zur  Pflicht  gemacht.  Um  aber  auch  im  Volke  die 
religiöse  Bewegung  weiter  zu  fördern  und  zu  schützen,  entstanden 
in  einer  Reihe  von  Ortschaften  sog.  ,, Friedensvereine",  welche 
u.  a.  speziell  der  Prozessiersucht  der  Leute  entgegenwirken  sollten. 
Nach  der  Idee  Hürhmanns  wurde  das  Maximum,  um  welches 
miter  Brüdern  nicht  prozessiert  werden  durfte,  in  den  Statuten 
auf  1000  Franken  festgesetzt.  Der  ,, Friedensverein"  der  Stadt 
Zürich,  für  den  man  sich  auf  dem  Stadthaus  und  an  einigen 
andern  Orten  als  Mitghed  einschreiben  konnte,  wurde  am  18.  Juli 
1840  gegründet;  er  reduzierte  aber  in  seinen  Statuten  das  nicht 
prozessierbare  Maximum  auf  400  Franken.  Solche  ,, Friedens- 
vereine" fanden  sich  auch  in  Richterswil,  Älännedorf,  Hinwil, 
Bubikon,  aber  eine  nennenswerte  Verbreitung  und  Lebensdauer 
erhielten  diese  künsthchen  Gebilde  nicht.    \'on  einer  fatalen  W^ir- 


o  ZWANZIGSTES  KAPITEL:    REAKTION  251 

kuiig  für  die  konservative  Partei  war  ihre  enge  Verbindung  mit 
den  Brüdern  Friedrich  und  Theodor  Rohmer,  zwei  Deut- 
schen, von  denen  der  erstere  mit  einem  grenzenlosen  Toupet  als 
politischer  Messias,  der  zweite  als  sein  Prophet  und  Impresario 
auftrat.  Es  gehört  zu  den  grössten  UnbegreifUchkeiten  dieser 
sonderbaren  Zeit,  dass  ein  so  grundgescheidter  Mann  wie  Prof. 
Bluntschli  sich  von  den  Rohmern  und  ihrem  Evangelium  voll- 
ständig gefangen  nehmen  lassen  konnte,  ihnen  sein  Organ,  den 
„Beobachter  aus  der  östUchen  Schweiz"  zur  Verfügung  stellte 
und  mit  seiner  goldenen,  eines  Bessern  würdigen  Freundestreue 
und  Uneigennützigkeit  schUesslich  noch  allein  für  sie  gegen  eine 
ganze  Welt  einstand.  Den  konservativen  Parteifreunden  Bluntsch- 
lis  bereitete  diese  unglückseHge  Rohmerei  vielen  Verdruss.  Der 
damals  noch  recht  junge,  hochbegabte  Georg  v.  Wyss  (geb. 
31.  März  1816,  2.  Staatsschreiber  seit  Dezember  1842),  ein  Sohn 
des  Jüngern  David  v.  Wyss,  schrieb  1841  an  Wenck:  ,, Bluntschli 
erklärte  sich  öffentUch  als  ihren  Freund  und  Anhänger  ihrer 
Philosophie  und  zog  uns  so  in  die  fatale  Stellung  einer  einzig  und 
allein  durch  die  Rohmer  und  die  Rohmerschen  Prinzipien  reprä- 
sentierten Partei  hinein;  denn  BluntschU  ist  ohne  alle  Ausnahme 
der  erste  und  tüchtigste  Kämpfer  auf  konservativer  Seite,  unser 
Führer  und  Leiter,  und  aUes,  was  von  ihm  ausgeht,  gilt  als  von 
ims  sohdarisch  verbürgt.  Das  war  nun  sehr  schHmm;  denn  ein- 
mal wollte  uns  dieses  \^oranstellen  fremder,  unbekannter  Leute 
als  Verfechter  an  und  für  sich  nicht  gefallen,  und  zweitens  standen 
unsere  festesten  Überzeugungen,  unsere  Bestrebungen  auf  reli- 
giösem und  kirchUchem  Gebiete  im  allerdirektesten  Gegensatz 
zu  den  lächerlichen  Anmassungen  Friedrich  Rohmerscher  All- 
wissenheit; drittens  sahen  wir  unter  der  glänzenden  Hülle  der 
neuen  Apostel  bedenkliche  Erscheinungen  sich  regen.  —  Gott 
weiss,  wie  die  Sache  enden  mag.  Ich  fürchte,  BluntschH  sei  der 
Betrogene  im  Spiel;  sie  leben  auf  seine  Kosten,  und  was  noch 
viel  schhmmer  ist,  ich  fürchte,  die  Hebenswürdige  Aufrichtigkeit, 
Wahrheit  und  Treue  seines  Herzens  leide  im  Umgang  mit  diesen 
glanzschuppigen  Schlangen."  Auch  der  Schwager  Bluntschhs, 
Wackernagel  in  Basel,  schüttelte  bedenkUch  den  Kopf  zu  dieser 
Freundschaft,  und  in  der  ,, Basler  Zeitung"  schrieb  der  konser- 
vative   Ratsherr    Professor    Andreas     Heusler:    ,, Merkwürdig, 


252  ZWANZIGSTES  KAPITEL:    REAKTION  o 

in  dem  intelligeuten  Zürich,  dem  schweizerischen  Athen,  vertrauen 
beide  Teile  Ausländern  die  Führung  des  Streites.  Es  handelt 
sich  um  die  wichtigsten  Interessen  des  Volkes,  aber  Deutsche 
sind  die  Heerführer  auf  beiden  Seiten.  Es  ist  das  eine  Tatsache, 
die  dem  Volke  von  Zürich,  offen  gesagt,  wenig  Ehre  bringt,  dass 
sich  die  Parteien  auf  solche  Weise  unter  die  Vormundschaft  Frem- 
der stellen.  Der  .Republikaner',  der  ,Iyandbote',  der  .Pädagogische 
Beobachter'  werden  von  geborenen  Deutschen  redigiert,  die, 
zum  Dank  für  gastfreundliche  Aufnahme,  seit  Jahren  die  Deute 
hintereinander  zu  hetzen  suchen,  der  .Östliche  Beobachter'  hat 
in  neuerer  Zeit  auch  die  Hilfe  Fremder  angerufen,  nur  der  alte 
David  Bürkli  soll  sich  von  dieser  Manie  fremder  Intervention 
frei  erhalten.  Diese  Fremdlinge  haben  recht  gewandt  eine  schwache 
Seite  des  Zürchervolkes  herauszufinden  gewusst:  sie  schmeicheln 
ihm  mit  der  weltgeschichtlichen  Bedeutung  des  zürcherischen 
Meinimgsstreites,  während  doch  höchst  wahrscheinHch  die  Welt- 
geschichte um  diese  streitsüchtigen  vSchulmeister  sich  wenig  küm- 
mern wird."  Das  Ende  vom  Lied  war  ein  Skandal-  und  Injurien- 
prozess.  welcher  zwar  zugunsten  Fr.  Rohmers  entschieden  wurde, 
aber  ihn  doch  veranlasste,  den  vSchweizerboden  zu  verlassen.  — 
Die  Radikalen  feierten  1839  "'•i^  einen  stillen  Ustertag. 
Der  ..Repubhkaner"  erschien  am  22.  November  mit  Trauerrand. 
Aber  sich  in  den  Schmollwinkel  stellen  und  den  Kopf  hängen 
lassen,  ist  nicht  radikales  Temperament.  Pah!  Ein  Jass  ist  ab- 
geklopft, die  Karten  werden  verteilt,  das  Spiel  beginnt  von  neuem, 
nun  lasst  uns  sehen,  wer  diesmal  die  bessern  Trümpfe  in  die  Hand 
bekommt!  Jetzt  sind  wir  wieder  die  Opposition,  und  wir  werden 
Euch  das  Leben  und  Regieren  schon  sauer  machen !  In  der  Presse 
begann  ein  unablässiges  Stechen  und  Bohren:  immer  und  immer 
wieder  die  Revolution  und  das  vergossene  Blut,  tagtäglich  das 
vergossene  Blut  und  die  Revolution,  bis  zum  Ekel  und  Über- 
druss ;  kein  Frühstück  konnte  man  mehr  nehmen,  ohne  dass  einem 
der  , .sechste  September"  aufs  Brot  gestrichen  wurde.  ,,Hört 
doch  jetzt  einmal  auf  mit  diesem  6.  September,"  bat  erustHch 
die  ,, Freitagszeitung".  Ach,  da  kann  die  ,, Freitagszeitung"  noch 
siebzig  Jahre  älter  werden  als  sie  schon  ist  und  sich  den  6.  Sep- 
tember immer  noch  umsonst  ,, verbitten".  In  aufrichtigster,  ehr- 
hchster  Meinung  mahnten  konservative  Staatsmänner  im  Grossen 


o  ZWANZIGSTES  KAPITEL:    REAKTION  253 

Rate  und  in  den  Blättern  zum  Frieden,  zum  Vergessen,  und  boten 
die  Hand  zur  Versöhnung.  Ha!  Das  würde  Euch  jetzt  passen, 
Ihr  habt  uns  wahrhaftig  das  Beispiel  gegeben  von  vergessender 
Liebe  und  Versöhnüchkeit !  ,,Zu  einem  freundUchen  Handbieten," 
sagt  der  ,, Landbote",  ,,müsstet  Ihr  vorerst  laut  und  offen  vor  aller 
Welt  erklären,  das  Volk  des  Kantons  Zürich  sei  unter  dem  Titel 
,Rehgionsgefahr'  auf  eine  schändHche,  niederträchtige  Weise  miss- 
braucht, belogen  und  betrogen  worden."  Winterthur  wurde  der 
Sitz  der  heftigsten  Opposition,  und  dort  beschloss  schon  am  15.  De- 
zember 1839  eine  Versammlung  eine  Petition  an  den  Grossen 
Rat  zum  Schutz  der  Schule.  Sie  war  nur  die  erste  von  dreissig  bis 
vierzig  ähnUchen  Petitionen,  die  unter  anderm  auch  die  Beibehal- 
tung Scherrs  verlangten.  Natürlich  trat  der  Grosse  Rat  darauf 
nicht  ein.  Die  erste  bedeutsame  Protestkundgebung  gegen  das 
Septemberregiment  erhess  die  Schulsynode  von  Winterthur 
am  31.  August  1840.  Ihre  Resolution  sprach  mit  dem  innigsten 
Bedauern  von  der  Umgestaltung  des  Seminars,  bezeugte  dem  ge- 
waltsam vertriebenen  Direktor  achtungsvollen  Dank,  erklärte  die 
neuen  Anordnungen  im  Schulwesen  für  höchst  betrübende  und 
nachteihge  Rückschritte,  sprach  den  gemassregelten  Lehrern  auf- 
richtige und  herzhche  Teilnahme  aus  und  bezeichnete  den  Kirchen- 
zwang der  Lehrer  als  Herabwürdigung.  Zum  Schluss  wurde 
Schert  zum  Synodalpräsidenten  gewählt.  Diese  ,, revolutionären" 
Beschlüsse  der  Lehrerschaft  warfen  gewaltig  Staub  auf.  Die 
Regierung  erteilte  der  Synode  einen  scharfen  Verweis  und  erklärte 
ihre  Beschlüsse  für  null  und  nichtig;  der  Grosse  Rat  erHess  ein 
Gesetz,  wonach  Präsident  und  Vizepräsident  der  Synode  vom 
Erzieliungsrat  zu  wählen  seien,  und  die  nächste  Synode  tagte  dann 
imter  dem  Präsidium  eines  Herrn  Pfarrer  Hug  im  Neumünster. 

Am  Ustertag  von  1840  in  Bassersdorf,  wo  sich  etwa  5000 
Mann  aus  allen  Teilen  des  Kantons  zusammenfanden,  feierten  die 
Liberalen,  wie  Dubs  sagt,  ,,ein  Wiedersehen  voll  Trauer  und 
Freude".  Dieser  22.  November  1840  wurde  ,,der  Tag  der  Wieder- 
geburt der  Liberalen  Partei,  die  Bassersdorfer  Adresse  geradezu 
ein  historisches  Dokument".  Die  Redner  des  Tages  waren  Dr. Weid- 
mann in  Niederweningen,  Fürsprech  Dr.  Pestalutz  in  Winter- 
thur und  Dr.  med.  Koller  von  Winterthur.  Die  einhellig  an- 
genommene Adresse  spricht  ihren  Abscheu  aus  über  die  seit  dem 


254  ZWANZIGSTES  KAPITEL:    REAKTION  o 

6.  September  an  der  Verfassung  begangenen  Frevel,  ihr  tiefes 
Bedauern  über  die  Rückschritte  im  Schulwesen,  die  Verfolgung 
freisinniger  Männer,  den  fortgesetzten  Missbrauch  der  Kanzel  zu 
pohtischen  Zwecken,  und  schUesst  mit  einer  Reihe  von  ,, Volks- 
wünsche n",  die  allerdings  von  der  Septemberregierung  ignoriert 
wurden,  zum  grossen  Teil  aber  dann  in  der  demokratischen  Be- 
wegung der  sechziger  Jahre  ihre  Erfüllung  fanden.  Für  die  ,,Bas- 
sersdorfer  Wünsche"  wurde  eine  Unterschriftensamm- 
lung eingeleitet,  zu  welcher  trotz  heftigster  Bekämpfung  durch 
die  regierende  Partei  17,726  Bürger  ihre  Namen  gaben.  Eine  von 
Wädenswil  ausgegangene  Gegenaktion  für  eine  Ergebenheits- 
adresse an  die  Regierung  erzielte  etwas  über  10,100  Unterschriften. 
Der  Zürich-Putsch  wurde  der  Ausgangspunkt  einer  die  ganze 
Schweiz  erschütternden  Bewegung,  an  deren  Ende  — •  der 
Sonderbundskrieg  steht.  Nirgends  war  die  zürcherische  Glau- 
bensbewegung mit  grösserem  Interesse,  mit  freudigerem  Erstaunen 
verfolgt  worden  als  in  den  kathohschen,  von  einer  radikalen  Partei 
regierten  Kantonen:  Wenn  in  einem  reformierten  und  freisiimigen 
Kanton  eine  radikale  Regierung  wie  vom  ,, Blast"  weggefegt 
werden  konnte,  wenn  sogar  gläubige  Protestanten  zu  diesem 
Zweck  eine  Revolution  ins  Werk  setzten,  was  zögern  wir  Katho- 
Hken  denn  noch  lange,  das  Joch  einer  radikalen  Regierung  ab- 
zuschütteln ?  Zwei  Monate  nach  dem  Zürichputsch  brachte  der 
Bauer  Leu  von  Ebersol  im  Grossen  Rat  von  Luzern  eine  Motion 
ein,  welche  neben  andern  interessanten  Sachen  Rücktritt  vom 
Siebner  Konkordat  und  Berufung  der  Jesuiten  verlangte. 
,,Mit  Entrüstung"  schritten  Regierung  und  Grosser  Rat  über  diese 
Forderungen  zur  Tagesordnung.  Aber  das  konservative  Ruswiler 
Komitee,  dem  auch  der  radikale  Staatsschreiber  Siegwart- 
Müller  und  der  liberale  zweite  Staatsschreiber  Bernhard  Meyer 
beigetreten  waren,  brachte  eine  Volksbewegung  zustande,  welche 
eine  neue  konservative  Verfassung  einführte.  Auch  der  Aargau 
erfreute  sich  einer  radikalen  Regierung  und  eines  echt  straussischen 
Seminardirektors,  Augustin  Keller  in  L,enzburg.  Dort  war 
das  Bünzener  Komitee  am  Werk,  bessere  Zeiten  herbei- 
zuführen. Die  Regierung  beschloss  Verhaftung  der  Komitee- 
mitgheder,  und  Landammann  Waller,  der  bekannte  Schützen- 
festredner, ging  selber  als  Kommissär  ins  Freiamt,  um  die  Aus- 


o  ZWANZIGSTES  KAPITEL:   REAKTION  255 

führung  des  Befehls  zu  überwachen.  Aber  das  bekam  ihm  übel. 
Wütende  Volkshaufen  in  Bremgarten  und  Muri  befreiten  die  Ge- 
fangenen, misshandelten  den  Landammann  und  sperrten  ihn  ein. 
Die  katholischen  Führer  ordneten  die  Volksbewaffnung  an  und 
fülirten  den  Landsturm  nach  Villmergen,  wo  er  aber  am 
II.  Januar  1841  mit  leichter  Mühe  von  Oberst  Frei-Herose  aus- 
einandergesprengt wurde.  Daraufhin  beschloss  der  aargauische 
Grosse  Rat  am  13.  Januar,  die  (in  der  Bundesverfassung  von 
1815  ausdrückhch  garantierten)  Klöster  als  Herde  des  Aufruhrs 
imd  der  Unkultur  aufzuheben.  Zu  eidgenössischem  Aufsehen 
gemahnt,  Hess  Zürich  am  gleichen  Tage  das  Bataillon  Mark- 
wald er  ins  Freiamt  einrücken,  welches  dort  mit  den  Truppen 
von  Baselland  und  Bern  die  aufgehobenen  Klöster  besetzte.  Fort- 
an aber  bildete  die  Aargauer  Klosterfrage  den  wertvollsten 
Agitationsstoff  der  Radikalen.  Klöster,  Pfaffen  und  Jesuiten,  das 
waren  Trümpfe,  mit  denen  sie  die  Konservativen  ausstechen 
konnten.  —  Der  Zürcher  Grosse  Rat,  zur  Instruktion  seiner 
Tagsatzungsgesandten  am  9.  März  1841  versammelt,  erklärte  die 
Klosteraufhebimg  für  unvereinbar  mit  der  Bundesverfassung. 
Die  ausserordentliche  Tagsatzung  in  Bern  schloss  sich  mit 
1272  Ständen  am  2.  April  diesem  Antrag  an  und  lud  den  Aargau 
zur  Wiedererwägung  seines  Beschlusses  ein.  Am  23.  Juni 
wiederholte  der  Grosse  Rat  Zürich  seine  frühere  Instruktion  mit 
dem  Zusatz,  es  sei  der  Tätigkeit  der  wiederherzustellenden  Klöster 
eine  Richtung  auf  das  Gemeinnützige  und  Wohltätige  zu  geben. 
Der  entgegenkommende  Beschluss  des  Aargauischen  Grossen 
Rates  vom  19.  JuH,  die  drei  Frauenklöster  Gnadental,  Fahr  und 
Baden  bestehen  zu  lassen,  wurde  von  der  Tagsatzung  als  nicht 
genügend  erachtet. 

Nicht  zufrieden  mit  diesem  Gang  der  Dinge,  veranstalteten 
die  Radikalen  am  29.  August  1841  eine  gewaltige  Volksver- 
sammlung in  Schwamendingen.  Sänger-  und  Schützen- 
vereine zogen  mit  ihren  Fahnen  auf,  Gesang  und  Musik  eröffneten 
die  Verhandlungen.  Redner  waren  Fürsprech  Dr.  Pestalutz, 
Dr.  Weidmann,  alt  Regierungsrat  Dr.  Zehuder.  Das  zürcherische 
Volk,  meinte  einer  von  ihnen,  habe  die  besondere  Pfhcht,  dem 
Aargau  beizustehen,  ,,weil  diesem  das  Unglück  nicht  von  der 
Aare,  noch  von  der  Reuss  gekommen,  sondern  auf  den  Wellen 


256  ZWANZIGSTES  KAPITEL:    REAKTION  o 

der  Limmat  zugeführt  worden  sei."  Der  Grosse  Rat  des  Kan- 
tons Zürich  wurde  in  einer  Adresse  aufgefordert,  sich  nicht  weiter 
in  die  innern  Angelegenheiten  des  Kantons  Aargau  zu  mischen, 
sondern  diesen  in  seinem  Rechte  zu  unterstützen.  An  den  aar- 
gauischen Grossen  Rat  ging  eine  Sympathieadresse.  Die  Vorsichts- 
massregeln der  Regierung  (Platzkommandant:  Oberst  Ziegler, 
seit  26.  Mai  1840  Regierungsrat;  Bewachung  der  Zeughäuser: 
Oberst  Sal.  Hirzel)  erwiesen  sich  als  überflüssig;  die  Versamm- 
lung löste  sich  friedUch  auf.  Von  den  Männern  der  Glaubens- 
bewegung, HürHmann-Landis  usw.,  wurde  (am  13.  vSeptember) 
wiederum  eine  Gegen-Eingabe  an  die  Regierung  gerichtet, 
um  sie  in  ihrer  vermittelnden  Tendenz  zu  bestärken.  Am  16.  Sep- 
tember erHess  Hürlimann  auch  ein  Sendschreiben  an  seine 
Getreuen,  im  vSinne  des  konfessionellen  Friedens  und  der  Abwehr 
radikaler  Aufwiegelungen,  aber  diese  vSendschreiben  des  Glaubens- 
komitees hatten  nun  ihre  Wirkung  fast  ^•ölhg  verloren.  Über- 
dies war  durch  einen  groben  Vertrauensmissbrauch  eine  Korres- 
pondenz Hürlimanns  mit  ,Siegwart-Müller  in  Luzern  auf- 
gedeckt worden,  die  von  den  Radikalen  mit  ingrimmiger  Schaden- 
freude ausgeschlachtet  wurde.  Während  dieser  Kämpfe  starb 
am  21.  September  1841  im  Alter  von  72  Jahren  Dudwig  Mej'er 
V.  Knonau,  nachdem  er  an  seinem  Geburtstag,  den  12.  Septem- 
ber, noch  ein  ergreifendes  , , Absclüedswort"  an  seine  Mitbürger 
niedergeschrieben  hatte.  Es  verrät  die  ganze  Reinheit  und  Tiefe 
dieser  adeligen  Seele  und  bildet  das  Testament  eines  der  edelsten 
Staatsmänner  des  Kantons  Zürich.  Der  Grosse  Rat  vom 
6.  Oktober  1841  verwarf  mit  165  gegen  16  Stimmen  den  Instruk- 
tions-Antrag der  Minderheit,  die  Tagsatzung  habe  sich  mit  dem 
Anerbieten  Aargaus  zu  befriedigen,  und  beschloss  mit  138  gegen 
38  Stimmen,  auch  die  Wiederherstellung  des  Frauenklosters 
Hermatschweil  zu  verlangen,  aber  unter  gewissen  Bedingungen 
auf  die  Wiederherstellung  der  vier  Männerklöster  zu  verzichten. 
Die  Tagsatzung  in  Bern  (25.  Oktober  bis  2.  November)  ging 
resultatlos  auseinander.  Der  Ustertag  in  Zürich  am  22.  No- 
vember 1841  konnte  bereits  wieder  mit  einem  glänzenden  Fackel- 
zug gefeiert  werden,  der  dem  früheren  Bürgermeister  Melchior 
Hirzel  vor  seiner  Wohnung  eine  Huldigung  darbrachte  (Melchior 
Hirzel  hatte  mit  einem  Plädoyer  vor  Bezirksgericht  Regensberg 


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o  ZWANZIGSTES  KAPITEL:    REAKTION  257 

seine  Anwaltspraxis  wieder  aufgenommen).  Am  26.  Februar  1842 
entstand  in  Zürich  unter  dem  Vorsitz  von  alt  Regierungsrat 
Zehnder  ein  radikaler  Scliulverein,  welchem  sofort  610 
Mitglieder  beitraten.  Zum  erstenmal  hörte  man  um  diese  Zeit 
auch  von  Anstrengungen  der  Radikalen,  die  Arbeiterschaft 
für  ihre  Wahlinteressen  zu  gewinnen. 

Der  Wahlkampf  im  Frühjahr  1842  nahm  äusserst  lebhafte 
Formen  an.  Die  Konservativen  mussten  alle  Kräfte  anspannen, 
nm  nur  überhaupt  Herren  der  Situation  zu  bleiben.  Der  kon- 
servative Wahlverein  der  Stadt  Zürich,  mit  Georg  v.  Wyss 
als  Präsident,  erliess  am  13.  März  einen  geschickten  und  eindring- 
lichen Wahlaufruf.  Die  Wahlen  fanden  nicht  alle  am  gleichen 
Tage  statt;  in  sechs  ländlichen  Wahlkreisen  vollzogen  sie  sich 
unter  vStörungen  und  Unruhen,  die  teilweise  das  Einschreiten  von 
Regierungskommissären  nötig  machten.  Hauptwahltage  (Stadt 
Zürich  usw.)  waren  der  i.  und  2.  Mai.  Und  das  Resultat?  Die 
Konservativen  verloren  nahezu  die  Hälfte  ihrer  Sitze;  fast  alle 
namhaften  Führer  der  Radikalen  zogen  wieder  in  den  Rat  ein, 
Leute  wie  Melcliior  und  Eduard  Sulzer,  Baron  v.  Sulzer- Wart, 
mussten  froh  sein  über  das  Rettungsseil  der  indirekten  Wahlen, 
das  ihnen  wieder  aufs  Schiff  half.  Jonas  Furrer  wurde  in 
Wiedikon  gewählt,  und  die  ,, Freitagszeitung"  ärgerte  sich  über 
das  dort  zu  seinen  Ehren  veranstaltete  Freudenfest.  Dr.  Ludwig 
Keller  dagegen,  in  Höngg  gewählt,  lehnte  das  Mandat  beharrhch 
ab.  Von  den  Launen  der  Volksgunst  erhoben  und  gestürzt,  hatte 
er  genug  von  allen  Arten  Demokratie  und  strebte  fort  von  Zürich. 
In  seiner  Absage  an  die  Wähler  schreibt  Dr.  Keller:  ,,So  haben  sie 
(die  Konservativen),  im  krassen  Widerspruch  mit  ihrem  vorgeb- 
Hchen  Prinzip,  die  schlechtesten  Elemente  der  Volkskraft  ent- 
fesselt, die  Herrschaft  der  rohen  Gewalt  herbeigeführt  und  geübt, 
und  so  geht  es  noch  immer  fort.  So  sind  in  den  letzten  Jahren 
im  Namen  Gottes,  als  dessen  Attribute  ich  von  Jugend  auf  Wahr- 
heit, Gerechtigkeit  und  Liebe  betrachtet  habe,  viele  Werke  des 
Hasses,  der  Ungerechtigkeit  und  Lüge  verübt  worden.  Glauben 
Sie  mir,  ich  zürne  nicht  den  Knütteln  des  6.  September,  viel 
weiuger  denen,  die  sie  trugen,  wohl  aber  denen,  welche  dergleichen 
anstifteten,  begünstigten  und  dann,  um  die  Früchte  zu  geniessen, 
mit  heuchlerischem  Bedauern  —  in  den  Riss  standen."    Der  Sep- 

"7 


258  ZWANZIGSTES  KAPITEL:    REAKTION  o 

tember-Regierung  gegenüber  hatte  Keller  eine  vollkommen  in- 
differente Stellung  eingenommen,  sich  um  Pohtik  nicht  mehr  ge- 
kümmert und  nur  noch  seiner  Professur  gelebt.  Er  benützte  die 
erste  Gelegenheit,  die  sich  ihm  bot,  einen  Ruf  an  die  Umversität 
Halle  im  Jahre  1843,  um  nach  Deutschland  überzusiedeln.  Die 
Studenten  brachten  ihm  am  14.  März  1844  einen  Absclüeds- 
Fackelzug  dar,  der  nachmaUge  Stadtschreiber  Spyri  hielt  eine 
begeisterte,  dankerfüllte  Ansprache  an  ihn,  und  am  folgenden 
Tage  begleiteten  ihn  vSchüler  und  Freunde  bis  Bülach.  Schon  1847 
wurde  er  dann  an  die  Universität  Berhn  berufen.  In  Deutschland 
ging  Keller  zur  hochkouservativen,  aristokratischen,  feudalen 
Politik  über,  bequemte  sich  in  Halle  sogar  zum  regelmässigen 
Kirchenbesuch  xmd  Hess  den  1487  von  Kaiser  Maximilian  seiner 
Famihe  verhehenen  Adelsbrief  auffrischen,  d.  h.  sich  in  die  preus- 
sische  Adelsmatrikel  eintragen.  Als  Mitglied  des  preussischen 
Abgeordnetenhauses  wurde  Keller  eine  Stütze  der  konservativen 
Partei  und  nahm  an  vertrauhchen  Zirkeln  bei  König  Friedrich 
Wilhelm  IV.  teil.  1860  von  einem  Besuch  in  der  alten  Heimat 
zurückkehrend,  wurde  er  in  Halle  von  einem  Schlaganfall  be- 
troffen. Erstarb  am  11.  September  1860  in  Berlin.  Bluntschli, 
sein  alter  Gegner,  widmete  ihm  einen  Nachruf,  der  mit  den 
Worten  schloss:  ,,In  der  Schweiz  aber  wird  sein  /Andenken 
nicht  nur  bei  den  Gerichten,  sondern  auch  im  Volke  gesegnet 
bleiben"!  — 

Im  Grossen  Rat  stand  am  23.  Juni  1842  wiederum  die 
aargauische  Klosterfrage  auf  der  Tagesordnung,  und  den 
veränderten  poHtischen  Verhältnissen  entsprechend  lautete  die 
Instruktion  an  die  Gesandten  (mit  103  gegen  84  Stimmen)  nun 
dalün,  sich  mit  der  Erklärung  Aargaus  vom  19.  Juh  1841  zu  be- 
gnügen und  die  Angelegenheit  der  aargauischen  Klöster  aus  Ab- 
schied und  Traktanden  fallen  zu  lassen.  Die  Tagsatzung  (4.  Juli 
bis  27.  Aug.  1842)  kam  wiederum  zu  keinem  Beschluss.  Weitere 
Symptome  einer  veränderten  pohtischen  Windrichtung  im  Kanton 
Zürich  bildeten  der  Wiedereintritt  von  Dr.  med.  Zehnder  in  die 
Regierung  am  5.  April  1843  und  die  Wahl  von  Melchior 
Hirzel  zum  Oberrichter  am  21.  Juni  1843.  Hirzel  starb  aber 
schon  am  8.  Juli;  es  wurde  am  31.  Oktober  im  St.  Peter  eine  Ge- 
dächtnisfeier zu  seinen  Ehren  gehalten. 


o  ZWANZIGSTES  KAPITEL:    REAKTION  259 

Eidgenössischer  Vorort  für  1843  war  Luzern,  wo  die  Tag- 
satzung am  31.  August  mit  1273  Ständen  beschloss,  das  An- 
erbieten Aargaus,  auch  noch  das  vierte  Frauenkloster  wieder- 
herzustellen, als  befriedigend  zu  erklären  und  die  Augelegenlieit 
als  erledigt  zu  betrachten.  Diesen  Beschluss  erklärten  I^uzern, 
Uri,  Schwyz,  Unterwaiden,  Zug,  Freiburg,  Wallis,  Appenzell  Inner- 
rhoden  als  Verfassungsbruch  und  gaben  Protestation  und  Ver- 
wahrung zu  Protokoll.  Zürich  (Hüni  und  Dr.  Furrer),  an  der 
Spitze  von  12V2  Ständen,  veranlasste  eine  Gegenprotestation, 
welche  die  Tagsatzung  für  kompetent,  die  Protestation  der 
7  Stände  als  unzulässig  und  rechtswidrig  erklärte.  Der  Sonder- 
bund, welcher  bereits  mit  der  geheimen  Konferenz  von  Brunnen 
am  II.  Oktober  1841  ins  Leben  getreten  war,  erhielt  nunmehr  in 
der  Zusammenkunft  vom  12.  September  1843  im  Bad  Rothen 
festere  Gestalt.  In  Zürich  machte  der  Umschwung  zugunsten  der 
liberalen  Sache  tägUch  Fortschritte.  Die  ,, Zürcher  Flug-Blätter", 
der  ,, Beiwagen"  zur  Freitagszeitung,  begingen  die  dritte  Wieder- 
kehr des  Tages  von  Kloten  in  recht  gedrückter  Stimmung  mit  der 
bemühenden  Konstatierung  eines  Massenabfalls.  Da  im  Mai  1844 
die  WalHser  Liberalen  und  Jesuitengegner  am  Trientbach  eine 
blutige  Niederlage  erUtten  hatten  und  in  Luzern  die  Jesuiten- 
berufung mit  Gewalt  durchgesetzt  werden  sollte,  instruierte  der 
Grosse  Rat  von  Zürich,  dem  schon  eine  Menge  Petitionen 
gegen  die  Jesuiten  vorlagen,  seine  Gesandtschaft  am  19.  und 
20.  Juni  1844  dahin,  es  sei  einem  weitern  Umsichgreifen  des 
Jesuitenordens  entgegenzutreten,  von  einer  gewaltsamen  Aus- 
weisung der  Jesuiten  aus  der  Schweiz  aber  abzusehen.  Dem- 
gemäss  wurde  auch  von  der  Tagsatzung  am  20.  August  der  An- 
trag Augustin  Kellers,  die  Jesuiten  von  Bundes  wegen  auszuweisen, 
mit  17I/2  Ständen  verworfen.  Eine  schwere  Niederlage  erhtten 
die  Zürcher  Konservativen  am  26.  September  1844  im  Grossen 
Rat,  welcher  mit  94  gegen  90  Stimmen  die  Motion  BluntschH  auf 
Reorganisation  des  Erziehungsrates  und  Aufhebung  der  Schul- 
synode  ablehnte.  Der  Grosse  Rat  Luzern  beschloss  am  24.  Ok- 
tober 1844  definitiv  die  Berufung  der  Jesuiten;  eine  gewaltige 
Aufregung  in  der  ganzen  Schweiz  war  die  Folge.  Den  ersten 
Freischarenzug  der  Luzemer  Liberalen  am  8.  Dezember  1844 
schlug  die  Luzerner  Regierung  mühelos  nieder,  was  den  Zorn  und 


26o  ZWANZIGSTES  KAPITEL:    REAKTION  o 

Abscheu  der  Radikalen  der  übrigen  Schweiz  nur  noch  vermehrte. 
Unter  diesen  Eindrücken  erklärte  im  Zürcher  Grossen  Rat  am 
i6.  Dezember  1844  Bürgermeister  Conrad  v.  Muralt,  dessen 
innerster  Natur  wilde,  leidenschaftUche  Parteikämpfe  wider- 
strebten, seinen  Rücktritt.  Zum  Amtsbürgermeister  und  Bun- 
despräsidenten (da  Zürich  mit  1845  Vorort  wurde)  rückte  dei 
zweite  Bürgermeister  Heinrich  Em.  Mousson  vor.  Zum  zweiten 
Bürgermeister  wurde  am  17.  Dezember  im  sechsten  Wahlgang 
mit  dem  absoluten  Mehr  von  99  Stimmen  der  radikale  Dr.  Zehnder 
gewählt  (als  erster  mchtstadtzürcherischer  Bürgermeister).  Der 
konservative  Gegenkandidat  Dr.  Bluntschli  unterlag  mit 
97  Stimmen.  Dies  wurde  auf  der  Tribüne  mit  einem  tosenden, 
minutenlangen  Beifallslärm  begrüsst  und  im  ganzen  Land  mit 
SpottUedern  besungen.  Bluntschli,  ein  vornehmer  Charakter 
ohne  alle  Kleinhchkeit,  wurde  mit  der  einstimmigen  Wahl  zum 
Grossratspräsidenten  entschädigt  und  nahm  dieselbe  au.  Am 
18.  Dezember  beschloss  der  Grosse  Rat,  die  Regierungsräte  Zehnder 
und  Melchior  Sulzer  nach  L,uzern  abzuordnen  mit  dem  freund- 
eidgenössischen Ersuchen,  die  Berufung  der  Jesuiten  zurück- 
zunehmen. Georg  V.  Wyss  hatte  als  Staatsschreiber  am  26.  De- 
zember die  Abordnung  nach  Luzern  zu  begleiten  und  beim  Schult- 
heissen  Siegwart-Müller  anzumelden;  er  erhielt  von  dessen 
frostigem  und  zugeknöpft  ungeschickten  Wesen  keineswegs  einen 
günstigen  oder  gar  Sympathie  erweckenden  Eindruck.  Die  Ab- 
ordnung richtete  denn  auch  nichts  aus. 

Der  26.  Januar  1845  sah  eine  imposante  schweizerische 
Volksversammlung  auf  der  Wiese  beim  ,, Kreuz"  in  Unter- 
strass.  Zu  Ross  und  Wagen  waren  die  Zürcher  in  Massen  herbei- 
geeilt und  mit  ihnen  Aargauer,  Berner,  Luzerner,  Thurgauer,  Solo- 
thurner,  Basellandschäftler  usw.  An  einem  Winterthurer  Wagen, 
der  in  Schwamendingen  stehen  gelassen  wurde,  las  man  die  In- 
schrift: ,,  Jesuitenfreund  ist  vSchweizerfeind,  Jesuitenstift  ist 
Christengift,  Jesuitenbund  der  Höllen  Schlund,  Jesuitenlehre  des 
Teufels  Wehre.  Darum  fort  nüt  der  Jesuitenbande  aus  unserem 
Vaterlande,  's  nächstemal  Kugeln  in  Sack  fürs  Jesuitenpack." 
Auf  der  Tribüne  sah  man  die  KorA-phäen  der  radikalen  Partei, 
und  neben  ihnen  —  siehe  da,  ein  neuer  Stern  am  politischen 
Himmel   Zürichs,    eben   erst   über   dem   Horizont   sichtbar,    aber 


o  ZWANZIGSTES  KAPITEL:    REAKTION  261 

bald  alle  an  Glanz  überstrahlend:  Alfred  Escher.  Auch 
Dr.  Robert  Steiger  von  Luzern  und  Landammann  Sidler  von 
Zug  befanden  sich  auf  der  Tribüne  und  wurden  wiederholt  gerufen, 
liessen  sich  aber  entschuldigen.  Die  Reden  von  Jonas  Furrer, 
Weiss  und  Oberst  Fierz  machten  grossen  Eindruck,  wenn  auch 
Weiss  den  Mund  vielleicht  etwas  voll  nahm  mit  der  Behauptung, 
dass  die  hier  ertönende  Volksstimnie  an  den  Marmorwänden 
von  Rom  und  ^^'ien  widerhallen  werde.  Die  von  der  Versammlung 
angenommene  Adresse  sprach  die  Erwartung  aus,  dass  die  Jesu- 
iten weggewiesen  werden  und  dass  die  Bundesbehörde  ihrem 
Beschlüsse  Nachachtung  zu  verschaffen  wissen  werde.  — -  Die 
Konservativen  lancierten  eine  — •  wiederum  von  Wädenswil 
ausgehende  —  Gegenpetition,  die  sich  mit  18,251  Unter- 
schriften bedeckte  und  darauf  drang,  mit  allen  erlaubten  und 
moralischen  Mitteln  auf  die  Zurücknahme  der  Jesuitenberuf uug 
nach  Luzern  hinzuwirken,  aber  von  allen  Gewaltmassregeln  ab- 
zusehen, um  nicht  einen  Bürgerkrieg  heraufzubeschwören.  Die 
von  Dr.  Jonas  Furrer  eingereichte  Petition  von  Unterstrass 
sollte  die  Meinung  von  25,000  Einwohnern,  welche  angebhch  der 
Versammlxmg  beigewohnt  hatten,  und  9000  weiteren  Bürgern 
vertreten. 

Die  vorörtliche  zürcherische  Regierung  stand  auf  dem  Boden 
der  konservativen  Petition,  und  noch  in  seiner  Eröffnungsrede 
im  Grossen  Rat  am  4.  Februar  1845  warnte  Regierungsrat  und 
Grossratspräsident  Bluntschli  vor  gewalttätiger  Vertreibung  der 
Jesuiten.  Am  5.  und  6.  Februar  wurde  über  die  Frage  lebhaft 
debattiert.  Bei  dieser  Gelegenheit  hielt  auch  das  jüngste  Rats- 
mitglied, Dr.  Alfred  Escher,  seine  Jungfernrede  und  wies  aus 
der  neuern  Geschichte  den  verderbUchen  Einfluss  der  Jesmten 
nach.  Mit  103  gegen  95  Stimmen  verwarf  der  Grosse  Rat  die 
Anträge  der  Regierung  und  beschloss:  Luzern  sei  zur  Abberufung 
der  Jesuiten  aufzufordern  und  jede  weitere  Aufnahme  von  Jesuiten 
in  irgend  einem  Kanton  von  Bundes  wegen  zu  untersagen.  ,,Die 
vorörtUche  PoUtik  erhtt  im  vorörtHchen  Kanton  eine  Niederlage." 
Der  zweite  Freischarenzug  am  31.  März  1845  nahm  wiederum 
ein  Ende  mit  Schrecken;  es  war  gerade  Sechseläuten  in  Zürich, 
als  die  Nachricht  von  seiner  Niederlage  sich  verbreitete.  Am 
2.  April  war  im   Grossen    Rat  die  Erneuerungswahl  von  fünf 


262  ZWANZIGSTES  KAPITEL:    REAKTION  o 

Regierungsräten  vorzunehmen;  einer  von  ihnen,  Mousson, 
wurde  bestätigt,  die  andern  vier  Konservativen  durch  Radikale 
ersetzt.  Dies  veranlasste  Bluntschli,  am  3.  April  seinen  Rück- 
tritt als  Regierungsrat  zu  erklären,  und  dieser  Demission  schloss 
sich  nun  auch  Mousson  an.  An  die  Stelle  der  beiden  konserva- 
tiven Staatsmänner  traten  Jonas  Furrer  und  EssHnger,  und 
Jonas  Furrer,  das  erklärte  Haupt  der  liberalen  Partei,  wurde 
mit  120  von  165  Stimmen  in  derselben  »Sitzung  zum  Amtsbürger- 
meister und  Tagsatzungspräsidenten  gewählt.  Er  hatte 
sich  lange  geweigert,  eine  solche  Wahl  anzunehmen,  aber  der 
Grossratspräsident  Bluntschli  redete  ihm  ins  Gewissen:  ,,Herr 
Dr.  Furrer  ist  als  Führer  der  Partei,  welche  die  jüngsten  Wahlen 
in  den  Regierungsrat  vollzog,  morahsch  verpflichtet,  die  Wahl 
anzunehmen;  es  ist  nicht  möghch,  dass  er  auf  seiner  Weigerung 
bestehe.  Es  genügt  nicht,  einer  Regierung  in  den  Zügel  zu  fallen, 
sondern  man  muss  auch  die  Verantworthchkeit  der  daherigen 
Folgen  übernehmen."  In  seiner  Schlussrede  sagte  Bluntschli, 
immer  über  der  »Sache  stehend:  ,,Ohne  Revolution  ist  eine  totale 
Umänderung  in  der  Regierung  eingetreten;  hoffen  wir,  dass  dieses 
Ereignis  zum  Segen  des  Vaterlandes  werde."  Bei  den  Kon- 
servativen verursachte  dieser  Wandel  der  Dinge  tiefste  Nieder- 
geschlagenheit. Bluntschli,  auf  dessen  Dienste  das  Vaterland  ver- 
zichtete, richtete  seine  Bücke  nun  ebenfalls  auf  das  grössere 
Deutschland.  Er  Hess  sich  1848  nach  München,  1861  nach 
Heidelberg  berufen,  nahm  aber  nach  München  noch  den  Auftrag 
Jonas  Furrers  mit,  das  von  Keller  begonnene,  von  ihm  fortgesetzte 
bürgerliche  Gesetzbuch  für  den  Kanton  Zürich  zu  vollenden, 
mit  dem  er  sich  ein  bleibendes  Denkmal  in  seiner  alten  Heimat 
gesetzt  hat.  Seine  ausserordentUch  vielseitige  und  fruchtbare  Tätig- 
keit in  Deutschland  auf  politischem  und  kirchUchem  Gebiet  und 
seine  universelle  Bedeutung  als  Jurist  stellen  ihn  in  die  erste  Reihe 
der  Söhne  unseres  Vaterlandes.  Mitten  in  der  vollsten  und  schön- 
sten Wirksamkeit  starb  er  am  21.  Oktober  1881  zu  Karlsruhe.  — 
In  Zürich  nahm  die  Auflösung  der  Septemberherrschaft 
ihren  unaufhaltsamen  Fortgang.  Am  16.  Dezember  1845  wurde 
der  Amtsbürgermeister  Furrer  Grossratspräsident,  der  1839 
vertriebene  Weiss  Vizepräsident,  Zehnder  Amtsbürgermeister, 
der    Erziehungsrat    erfuhr    eine    radikale    Renaissance.     Die 


Nach  dt-r  Nuiur  ;;(.-/..  v,  Uah<  Nutz 


ÜL'i  l"r.  lUiliv  Ulli  Sti-in  "iz.  v.  Atzinger. 


^r.  Ü.  e.  Q^funfscßfi 


o  ZWANZIGSTES  KAPITEL:   REAKTION  263 

Grossrats  wählen  vom  Mai  1846  vollendeten  den  friedlichen 
Umsturz  und  boten  das  genaue  Widerspiel  zu  den  Wahlen  vom 
September  1839:  Dezimierung  der  Konservativen  bis  auf 
eine  Gruppe  von  30  bis  40  Mann.  Dass  durch  diesen  vollständigen 
Systemwechsel  auch  einem  Mann  wie  Georg  v.  Wyss  die  weitere 
politische  Karriere  für  immer  abgeschnitten  wurde,  haben  nicht 
nur  seine  engeren  Parteifreunde  bedauert.  Statt  dass  man  nach 
dem  Rücktritt  des  ersten  Staatsschreibers  Hottinger  (1847) 
Wyss  hätte  vorrücken  lassen,  wurde  Dr.  Alfred  Escher  an 
diese  Stelle  gewählt  und  zum  zweiten  Staatsschreiber  der 
Winterthurer  Jakob  Sulzer,  welcher  Wyss  schon  1846  als 
Sekretär  des  Grossen  Rates  verdrängt  hatte.  —  Mit  den  Gross- 
ratswahlen von  1846  fand  die  Geschichte  des  6.  September  1839 
ihren  Abschluss.  1832 — 183g  ,, sieben  gottgesegnete  Jahre"  (nach 
dem  Zeugnis  der  Kirchgemeindepetitionen);  1839  — 1846  sieben 
Jahre  Reaktion.  Aber  nicht  haben  diese  wie  die  sieben  mageren 
Kühe  in  Pharaos  Traum  ihre  sieben  fetten  Vorgänger  aufzu- 
zehren vermocht,  sondern  sie  sind  ihrerseits  bis  zum  letzten 
Schwanzzipfel  wieder  verschlujigen  worden.  Die  ,, Freitagszeitung" 
vom  18.  September  1846  bemerkte:  ,,Wir  sagen  nichts  Neues  und 
nichts  Unerhörtes,  wenn  wir  darauf  aufmerksam  machen,  dass 
gegenwärtig  fast  alle  Wahlen  über  den  radikalen  Ivcisten  gehen 
und  dass  man  Konservative  höchstens  etwa  noch  aus  Mitleiden 
als  Hüberlinge  zum  Flicken  braucht." 


VIERTER  TEIL 


DIE 
LIBERALE  AERA 


EINUNDZWANZIGSTES  KAPITEL 


DIE  EISENBAHN 

Napoleon  I.  hatte  sich  sehr  verächtHch  über  Eisenbahnen  aus- 
gesprochen. Von  dem  berühmten  Physiker  Arago  war  der 
„wissenschaftHche  Nachweis"  erbracht  worden,  dass  auf  einer 
Eisenbahn  niemals  würden  Lasten  befördert  werden  können. 
Nach  einem  Urteil  der  französischen  Akademie  der  Wissenschaften 
wäre  der  Techniker,  der  an  den  Bau  von  Eisenbahnen  gehen  wollte, 
,,reif  für  die  Zwangsjacke".  In  den  Archiven  der  am  7.  Dezember 
1835  eröffneten  ersten  deutschen  Eisenbahn  Nürnberg-Fürth 
liegt  ein  Gutachten  der  bayrischen  Ärzte,  welches  erklärt:  ,, Orts- 
veränderung vermittelst  irgend  einer  Art  von  Dampfmaschine 
sollte  im  Interesse  der  öffentlichen  Gesundheit  verboten  sein.  Die 
raschen  Bewegungen  können  nicht  verfehlen,  bei  den  Passagieren 
die  geistige  Unruhe,  dehrium  furiosum,  herv'orzurufen.  Selbst 
zugegeben,  dass  Reisende  sich  freiwilHg  dieser  Gefahr  aussetzen, 
muss  der  Staat  wenigstens  die  Zuschauer  beschützen;  denn  der 
Anblick  einer  Lokomotive,  die  in  voller  Schnelligkeit  dahinsaust, 
genügt,  diese  schreckliche  Kranklieit  zu  erzeugen.  Es  ist  daher 
unumgängUch  nötig,  dass  eine  Schranke,  wenigstens  sechs  Fuss 
hoch,  auf  beiden  vSeiten  der  Bahn  errichtet  werde."  Wenn  es 
also  auch  im  Kanton  Zürich  Leute  gab,  welche  dem  Projekt  einer 
Eisenbahn  mit  starkem  Zweifel  und  Kopfschütteln  gegenüber- 
standen, so  befanden  sich  dieselben  in  sehr  guter  Gesellschaft. 
Allerdings  war  man  mit  dem  Wort  ,, unmöglich"  etwas  vorsichtig 
geworden,  seitdem  das  erste  Dampfschiff  den  Zürichsee  durch- 
furchte und  die  Zweifler  sich  durch  Augenschein  an  Bord  der 
„Minerva"  von  der  Leistungsfähigkeit  einer  Dampfmaschine  über- 
zeugen konnten,  um  schUesshch  mit  dem  bewundernden  Ausruf: 
,,Was  doch  der  Tüfel  nid  alles  ersinnet"  zu  kapituheren  (vgl. 
Hardmeyer-Jermys  ,, Bilder  vom  Zürichsee").  Die  Bedenken 
gegen  ein  zürcherisches  Eisenbahnuntemehmen  hatten  ihren 
Grund   denn   auch   viel   weniger  in   techiüschen   Schwierigkeiten 


268  EINUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:   DIE  EISENBAHN  o 

als  in  der  für  immöglich  gehaltenen  RentabiUtät.  Nachdem  die 
Zürcher  Handelskammer  am  ii.  März  1836  Vorstudien  angeregt 
und  vSchritte  bei  den  Behörden  eingeleitet  hatte,  konstituierte 
sich  am  17.  Januar  1838  unter  dem  Vorsitz  von  alt  Bürgermeister 
C.  V.  Muralt  in  Zürich  die  „Eisenbahngesellschaft  Basel- 
Zürich";  aber  von  den  30,000  Aktien  wurden  nur  Q178  gezeich- 
net, und  nach  erfolglosen  Bemühungen  um  behördliche  Unter- 
stützung und  das  Vertrauen  des  Publikums  musste  am  5.  Dezem- 
ber 1841  die  Gesellschaft  ihre  I^iquidation  beschUessen.  Auf 
die  zu  öffenthcher  Versteigerung  gebrachten  Pläne  und  Akten 
der  Gesellschaft  ging  ein  einziges  Angebot  (von  3600  Fr.)  ein. 
Es  kam  von  Martin  Escher-Hess  aus  dem  Wollenhof,  später 
„Dampf -Escher"  genannt. 

Mit  Martin  Escher-Hess  (geb.  1788,  t  28.  September 
1870)  tritt  eine  der  sympathischsten  Gestalten  des  altem  Zürich 
vor  die  Augen  des  Lesers.  Seine  Vaterstadt  schuldete  —  und 
bezeugte  ihm  auch  —  ihre  tiefste  Dankbarkeit  für  seine  uneigen- 
nützige, aufopfernde  Tätigkeit  an  der  Spitze  des  Kaufmännischen 
Direktoriums  bei  der  baulichen  Umgestaltung  Zürichs.  Mit  seiner 
grossen  persönhchen  Liebenswürdigkeit  und  Generosität,  seiner 
zähen  Ausdauer,  seinem  kaufmänmschen  Talent  und  Scharf- 
blick gelang  es  ihm  schliesslich,  die  enormen  Schwierigkeiten  zu 
besiegen,  welche  dem  Anschluss  Zürichs  an  das  in  raschem  Ent- 
stehen begriffene  europäische  Eisenbahnnetz  im  Wege  standen. 
Martin  Escher  wurde  der  Gründer  und  Direktor  der  ersten 
schweizerischen  Eisenbahn  (der  bei  Basel  auf  Schweizer- 
gebiet  hereinreichende,  am  15.  Juni  1844  eröffnete  Stumpen  der 
Strecke  St.  Ludwig-Basel  kann  nicht  als  ,, schweizerische  Eisen- 
bahn" angesprochen  werden).  Mit  seinen  Freunden  Conrad  Ott- 
Imhof,  Schulthess-Landolt,  Salomon  Pestalozzi  und  G.  v.  Schult- 
hess  Rechberg  bildete  Martin  Escher  im  Sommer  1845  ein  Initia- 
tivkomitee, in  dessen  Auftrag  er  nach  Wien  reiste,  um  den  General- 
Inspektor  der  österreichischen  Bahnen,  Ingenieur  v.  Negrelli, 
den  Erbauer  der  Münsterbrücke,  für  den  Bahnbau  zu  gewinnen 
und  bei  dessen  Oberbehörden  den  nötigen  Urlaub  zu  erwirken. 
Die  Pläne  für  die  Bahnliöfe  in  Zürich  und  Baden  und  für  die 
Überbrückung  der  »Sihl  in  Zürich  hatten  die  Zürcher  Ingenieure 
Wegmann  und  Ferd.   Stadler  ausgearbeitet.    Die  zürcherische 


'TKartin  Gs(£er=9fess 

geb.    1788 


o  EINUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    DIB  EISENBAHN  269 

Konzession  datiert  vom  26.  Juni  1845,  die  aargauische 
vom  3.  Juli  1845.  Mit  Baselland,  welches  eine  gänzhche  Ver- 
ödung seiner  I^andstrassen  und  hoffnungslose  Verarmung  seiner 
Wirte  und  Fuhrleute  befürchtete,  und  mit  Baselstadt,  das 
lieber  nach  Luzern  und  dem  Gotthard  strebte,  war  nichts  zu 
machen,  so  dass  man  sich  vorerst  auf  das  Teilstück  Zürich-Baden 
beschränken  musste.  Von  den  40,000  ausgegebenen  Aktien  wur- 
den 32,939  eingezahlt;  den  Rest  musste  die  Gesellschaft  selber 
übernehmen.  Im  Kasino  Zürich  tagte  am  16.  März  1846  die  erste 
Generalversammlimg  der  Aktionäre  der  ,, Schweizerischen 
Nordbahn- Gesellschaft".  Sie  bestellte  die  Direktion 
aus  Martin  Escher-Hess  (Präsident),  Ott-Imhof,  Schulthess  Rech- 
berg, Regierungsrat  EssHnger  und  VögeH-Wieser,  sämtHch  in 
Zürich.  Zum  Präsidenten  des  Ausschusses  (Verwaltungsrates) 
wurde  gewählt  Regierungsrat  Eduard  Sulzer,  zu  MitgUedern: 
Salomon  Pestalozzi,  Schulthess-Eandolt,  Bürgermeister  Dr.  Jonas 
Furrer,  alt  Bürgermeister  C.  v.  Muralt,  Landammann  Frei-Herose 
(Aarau),  Regierungsrat  Schaufelbühl  (Laufenburg) ;  alt  Bürger- 
meister J.  J.  Hess,  alt  Oberrichter  Dr.  Ulrich,  Escher-Pestalozzi 
zum  Steinliof,  Hans  Stockar-Escher.  Die  Konstitmerung  der 
Eisenbahngesellschaft  erweckte  in  Zürich  grossen  Enthusiasmus. 
Das  Sechseläuten  am  23.  März  1846  stand  ,,im  Zeichen  des 
Verkehrs".  Ein  vielbewundertes  Gedicht  des  populären  Metzgers 
und  Poeten  Gramer  pries  die  Errungenschaften  der  fünf  Männer 
des  Initiativ-Komitees  als  herrhches  Friedenswerk  in  trüber  Zeit. 
Zum  ,, Kronentor",  dem  prächtigen  Wohnhaus  Martin  Eschers 
am  Seilergraben,  bewegte  sich  abends  ein  brillanter  Fackelzug 
sämtlicher  Zünfte.  Im  Zug  marschierten  800  Fackelträger,  13 
Zunftpräsidenten,  26  Träger  der  Ehrengeschirre,  26  Marschälle 
nebst  Stab  und  Pannerträgern.  Oberst  Bürkü-Füssh  hielt  eine 
begeisterte  Ansprache  an  Martin  Escher,  die  dieser  beantwortete. 
Sänger  trugen  zwei  speziell  für  diesen  Anlass  gedichtete  Lieder 
vor  und  ein  silberner  Becher  mit  der  Widmung  ,,Die  Stadt  Zürich 
Herrn  Martin  Escher"  und  den  Emblemen  der  Münsterbrücke 
und  des  Kornhauses  wurde  dem  Gefeierten  überreicht. 

Der  Grosse  Stadtrat  hatte  bereits  am  14.  Januar  1846 
beschlossen,  das  Terrain  für  den  Bahnhof  im  Schützenplatz 
imentgeltUch  abzutreten,  und  die  Bürgergemeinde   bestätigte 


270  EINUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    DIE  EISENBAHN  o 

diesen  Beschluss  am  5.  Februar  1846.  Die  ganze  Bahnhofanlage 
wurde  mit  einem  Holzgitter  eingefriedigt.  Die  Geleisehalle  über- 
dachte fünf  vSchienenstränge :  zwei  in  der  Abfahrtshalle  (links, 
gegen  die  Stadt  zu),  zwei  in  der  Ankunftshalle  (rechts,  gegen  die 
Platzpromenade)  und  ein  mittleres  Rangiergeleise.  Alle  fünf 
Schienenpaare  liefen  in  dem  halbkreisförmigen  Platz  vor  dem 
Bahnliof  auf  eine  Drehscheibe  zusammen.  Nach  der  Sihl  hin 
waren  die  Geleise  durch  eine  hölzerne  Barriere  abgesperrt,  die 
jedesmal  nach  Ankunft  eines  Zuges,  wenn  der  ,,Choh"  im  vStall 
war,  zugemacht  wurde  und  dafür  denFussweg  öffnete.  Im  Gebäude 
hnks  (gegen  die  Stadt)  befand  sich  die  Verwaltung,  im  Zwischen- 
bau waren  die  Wartesäle,  auf  der  rechten  Seite  (nach  der  Platz- 
promenade) Magazine  und  Dienstgebäude.  Ein  eigener  Omnibus- 
dienst der  Gesellschaft  vermittelte  den  Verkehr  des  PubHkums 
aus  dem  Zentrum  der  Stadt  nach  dem  recht  entlegenen  Bahnhof. 
Die  Wagen  fuliren  vom  Posthof  über  Paradeplatz  und  Talacker 
und  dann  über  die  hölzerne  Schanzengrabenbrücke  beim  Bahn- 
hof, wohin  man  vom  rechten  Limmatufer  her  zu  Fuss  auf  dem 
,, Dangen  Steg"  gelangte.  Die  Schwierigkeiten  des  Bahn- 
baues begannen  schon  gleich  ausserhalb  des  Bahnhofs:  bei  der 
Sihlbrücke,  die  infolge  eines  zweimaligen  schweren  Wolkenbruchs 
im  August  1846  für  grösseren  Hochwasserdurchlass  umgeändert 
werden  musste.  Sie  führte  anfänglich  zwei,  1856  nach  der  ersten 
Bahnliof erweiterung  sieben  Geleise  über  die  Sihl.  Nicht  geringe 
Kosten  verursachte  die  Korrektion  und  Überbrückung  der  Rep- 
pisch  bei  Dietikon.  Das  Terrain  von  Spreitenbach  bis  Baden 
war  sehr  ungünstig;  die  jetzt  durch  zwei  Brücken  abgeschnittene 
Halbinsel  beim  Seminar  Wettingen  wurde  mit  einer  grossen 
Schlaufe  umgangen.  Der  Bau  des  90  Meter  langen  Tunnels  durch 
den  Schlossberg  in  Baden  brachte  eine  gewaltige  Erdmasse  ins 
Rutschen;  er  musste  durch  hohe  Mauern  geschützt  werden, 
wobei  leider  wertvolle  Weinberge  zerstört  wurden.  Bei  den 
Expropriationen  längs  der  BahnUnie  machten  die  Landeigentümer 
einen  tüchtigen  Schnitt;  auf  zürcherischer  Seite  überstiegen  die 
Preise  den  Voranschlag  um  23%,  auf  aargauischer  um  129%. 
Eine  grössere  Station  erhielt  bloss  Dietikon,  einfache  Haltestellen 
Altstetten  und  vSchlieren.  Die  Eschen  für  die  Schwellen  waren 
vorsorghch  schon  im  Winter  1845/46  gefällt  worden,  die  Schienen 


0  EINUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    DIE  EISENBAHN  271 

bezog  man  durch  Escher  Wyss  &  Co.  aus  englischen  Werken. 
Vier  Lokomotiven,  „lyimmat",  „Aare",  ,, Rhein"  und  ,,Reuss" 
wurden  in  den  Werkstätten  von  Emil  Kessler  in  Karlsrulie  her- 
gestellt, und  ein  junger  Basler  Mechaniker  im  Dienst  dieser  Firma, 
Nikiaus  Riggenbach,  der  spätere  Erbauer  der  Rigibahn, 
hatte  die  Freude,  diese  vier  ersten  L,okomotiven  über  die  Schweizer- 
grenze hereinzubringen.  Er  schildert  in  seinen  ,, Erinnerungen" 
das  bedenkhche  Kopfschütteln  manches  ehrsamen  Basler  Bürgers 
beim  Passieren  der  alten  Rheinbrücke  und  den  Jubel  der  Zürcher 
Bevölkerung  bei  der  ersten  Probefahrt  Zürich- vSchlieren.  Der 
Wagenpark  der  Gesellschaft  bestand  aus  31  Personen-  und  9  Ge- 
päck-, Güter-  und  Viehwagen. 

Die  Einweihung  der  Bahn  am  Samstag  den  7.  August 
1847  lockte  viel  Volk  nach  Zürich  und  Baden  und  an  die  Zwischen- 
stationen. Ein  Extrazug  holte  am  Morgen  die  aargauischen  Be- 
hörden und  Ehrengäste  in  Baden  ab.  Im  reich  dekorierten  Warte- 
saal in  Zürich  wurden  die  ersten  Begrüssungsansprachen  zwischen 
Martin  Escher  und  Landammann  Siegfried  gewechselt,  worauf 
man    die    ganze    Bahnliofanlage    eingehend    besichtigte.     Punkt 

1  Uhr  verhess  der  Festzug  mit  140  Personen  die  Bahnhofhalle. 
Die  bekränzte  Lokomotive  ,,Aare"  war  vorgespannt;  auf  ihrem 
Vorderteil  standen  in  alter  Waffenrüstung,  mit  Pannem  in  der 
Hand,  zwei  zürcherische  Lokomotivführer;  ein  dritter  lenkte  die 
Maschine.  Sodann  folgte  ein  offener  Wagen  mit  treffUcher  Musik 
imd  nach  ihm  die  Personenwagen.  Die  Stationen  und  Wärter- 
häuschen an  der  Linie  trugen  Kränze  und  Blumenguirlanden; 
auch  der  Bahnhof  Baden  war  prächtig  geschmückt.  Ein  Triumph- 
bogen mit  Inschrift  stand  am  Weg  nach  den  Bädern.  Den  an- 
kommenden Gästen  wurden  Blumensträusse,  Herrn  Escher  ein 
Lorbeerkranz  überreicht,  den  er  aber  nicht  annahm.  Zahllose 
Toaste  würzten  das  Bankett  im  Gasthof  zum  ,,Schiff".  Die 
schönste  Rede  hielt  beim  Abschied  am  Bahnhof  Landammann 
Waller.  Am  9.  August  wurde  der  regelmässige  Betrieb  eröffnet. 
TägUch  fuhren  vier  Züge  nach  jeder  Richtung,  Sonntags  noch  je 
ein  Extrazug.  Zum  Schmerz  der  Direktion  ereignete  sich  schon 
am  dritten  Betriebstag  ein  schwerer  Unglücksfall.  Der  Ober- 
kondukteur Brunner  hatte  eben  noch  die  Passagiere  gewarnt, 
nicht  hinauszulehnen,  da  jetzt  das  Brücklein  über  die  Reppisch 


272  EINUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    DIE  EISENBAHN  o 

komme;  er  selbst  beobachtete  diese  Vorsicht  nicht,  wurde  vom 
Zug  gerissen  und  schreckHch  verstümmelt.  Die  Frequenz  war 
gleich  von  Anfang  an  eine  recht  erfreuliche;  schon  während  der 
drei  ersten  Wochen  wurden  zwischen  Zürich  und  Baden  24,836 
Personen  befördert. 

Der  Ausbau  des  zürcherischen  Bahnnetzes  verzögerte  sich 
über  Erwarten.  Die  unruhigen  politischen  Verhältnisse  beein- 
flussten  den  Geldmarkt  sehr  ungünstig,  und  sodann  musste, 
nach  Gründung  des  neuen  Bundes,  zunächst  einmal  die  Frage: 
,, Privatbau"  oder  ,, Staatsbau"  entschieden  werden.  Nach  heissem 
und  langem  Kampfe  siegte  der  Privatbau,  und  zwar  mit 
Hülfe  Zürichs  und  Alfred  Eschers.  Den  politischen  Zentra- 
listen  beherrschte  ein  starkes  föderalistisches  Bedenken:  wenn 
Bern  zum  Bundessitz  auch  noch  die  Zentralverwaltung  der 
Schweizerbahnen  erhielt,  könnte  es  Zürich  gegenüber  allzu  mächtig 
werden.  Auch  die  Broschüre  des  weitblickenden  bernischen 
Staatsmannes  Stämpfli  für  den  Rückkauf  der  Eisenbahnen 
wurde  in  Zürich  sehr  ungünstig  beurteilt.  Die  ,, Freitagszeitung" 
erklärte  (1862)  einen  Sieg  der  Stampf hschen  Ideen  für  ein  Natio- 
nalunglück, den  Untergang  der  alten  Schweiz.  ,,Mit  dem  kanto- 
nalen Deben  und  der  kantonalen  Selbständigkeit  wäre  es  aus. 
Wir  hätten  eine  Hauptstadt,  in  der  allein  die  Geschicke  der 
Schweiz  abgemacht  würden,  auf  die  sich  alles  politische  Leben 
und  Treiben  konzentrierte,  in  der  man  zu  siegen  und  dann  über 
die  Schweiz  zu  herrschen  streben  würde,  von  der  aus  Gnaden  und 
Ämter  allein  ausgingen,  —  kurz,  die  Schweiz  würde  zu  einem  De- 
partement und  aller  Patriotismus  der  Unabhängigkeit  müsste 
erlöschen.  Napoleon  könnte  zugreifen,  wann  und  wo  und  wie 
er  wollte.  Fände  die  Schweiz  ja  dann  nicht  einmal  mehr  das  Geld, 
um  zum  Kriege  zu  rüsten,  wenn  sie  ihren  Kredit  für  die  Eisen- 
bahnen erschöpft  hätte  und  schon  über  und  über  in  Schulden 
stäke."  Aus  solchen  und  ähnlichen  Erwägungen  heraus  war  in 
der  Tat  schon  1852  der  »Staatsbau  von  der  Bundesversammlung 
abgelehnt  worden. 

In  Zürich  war  1S51  ein  neues  Unternehmen  entstanden: 
die  ,, Zürich-Bodensee-Eisenbahngesellschaft",  welche  mit 
Vertrag  vom  29.  April  1853  mit  der  Nordbahn  zur  ,, Schweize- 
rischen  Nordostbahn"  (N.  O.  B.)  fusionierte,  an  deren  Spitze 


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o  EINUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:   DIE  EISENBAHN  273 

Alfred  Escher  trat.  In  St.  Gallen  entstanden  durch  Fusion 
der  ,,St.  GalHsch-AppenzelHschen  Eisenbahngesellschaft",  der 
,, Schweizerischen  Südostbahn"  (nicht  zu  verwech.seln  mit  der 
spätem  gleichnamigen  Gesellschaft  Wädenswil-Einsiedeln  etc.) 
und  der  Glattalbahn  am  10.  April  1857  die  „Vereinigten  Schwei- 
zerbahnen" (V.  S.  B.).  Von  den  1855 — 1865  neu  eröffneten 
Linien  sind  für  Zürich  folgende  von  Bedeutung: 

Winterthur-Romanshorn  N.  O.  B.  16.  Mai  1855; 

Örlikon-Winterthur  N.  O.  B.  27.  Dezember  1855; 

Zürich-Örlikon  N.  O.  B.  26.  Juni  1856; 

Wallisellen-Uster  V.  S.  B.  i.  August  1856; 

Baden-Brugg  N.  O.  B.   29.  September  1856; 

Winterthur-Schaffhausen  N.  O.  B.   16.  April  1857; 

Uster-Wetzikon  V.  S.  B.  9.  November  1857; 

Brugg-Aarau  N.  O.  B.  15.  Mai  1858; 

Wetzikon-Rüti  V.  S.  B.  15.  August  1858; 

Rüti-Rapperswil-Glarus  V.  S.  B.   15.  Februar  1859; 

Turgi-Waldshut  N.  O.  B.  16.  August  1859; 

Zürich-Altstetten-Zug-Ivuzern  i.  Juni  1864; 

Zürich-Örlikon-Bülach  mit  Oberglatt -Dielsdorf  i.  Mai 
1865. 

Die  beiden  letztern  I,inien  wurden  nur  von  der  N.  O.  B. 
geleitet  und  betrieben,  bildeten  aber  besondere  Unternehmungen. 
Die  übrigen  mit  N.  O.  B.  bezeichneten  Linien  sind  das  alte  Stamm- 
netz der  Nordostbahn. 

Wenn  im  ersten  Betriebsjahr  166,248  Personen  befördert 
worden  sind  auf  der  ,, Spanisch  Brödlibahn"  (so  genannt  nach 
einer  beliebten  Badener  Spezialität),  jetzt  aber  jährlich  über 
4^/2  Millionen  Menschen  nur  allein  vom  Hauptbahnhof  Zürich 
abreisen,  täglich  insgesamt  500  Züge  in  denselben  einlaufen 
und  aus  seiner  Halle  abfahren,  so  nimmt  sich  bei  solchem  Ver- 
gleich der  Betrieb  der  ersten  schweizerischen  Eisenbahn  ja  recht 
winzig  aus.  Sie  war  nichtsdestoweniger  eine  Glanzleistung  für 
ihre  Zeit.  Wie  oft  mag  der  ehrwürdige  Martin  Escher-Hess 
noch  von  seinem  Landsitz  im  Engenweg  in  Unterstrass  sinnend 
hinübergeschaut  haben  auf  die  Lichter  der  Bahnlinie,  von  der 
wie  ein  Gruss  aus  schöner  alter  Zeit  der  Pfiff  der  Loko- 
motiven herüberschallte.    Als  die  ,, Spanisch  BrödUbahn"  eröffnet 


274  EINUNDZWANZIGSTES  KAPITEI.:    DIE  EISENBAHN  o 

wurde,  war  das  I,and  von  Sonderbundssorgen  erfüllt;  als  Martin 
Escher  die  müden  Augen  schloss,  beschäftigte  der  deutsch- 
französische Krieg  Sinnen  und  Gedanken  der  Leute.  Beides  war 
einer  vollen  und  gerechten  Würdigung  seines  Werkes  nicht  gerade 
günstig;  den  Tribut  der  Dankbarkeit  und  Verehrung  aber  zollten 
ihm  seine  Mitbürger,  ^litarbeiter  und  frülieren  Untergebenen 
noch  über  das  Grab  hinaus. 


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ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL 


KRIEGSBILDER 

EIN  \'ORSPIEL.  Der  Wirt  Johann  Gross  zum  Cafe  litteraire 
in  Zürich  (f  1897  im  Altersasjd  Helfenstein)  war  ein  feuriger 
Radikaler  und  dabei  ein  guter  Mann.  Der  radikale  Patriotismus, 
der  an  den  Stammtischen  seiner  berühmten  Wirtschaft  dominierte, 
war  ihm  selber  Evangelium,  innerste  Überzeugung,  für  die  er  alles 
zu  opfern,  ja  sein  Blut  zu  verspritzen  bereit  war.  Das  bewies  er 
auch  mit  der  Tat:  Johann  Gross  stand  als  Leutnant  bei  Lunnern 
an  der  Reuss  tapfer  im  Kugelregen  und  half  Zürichs  Waffenehre 
glänzend  retten,  während  andere  —  davonHefen.  Im  Cafe  Htteraire 
sind  zuweilen  Verhandlungen  geführt  und  Beschlüsse  gefasst 
worden,  die  denjenigen  im  Grossen  Rat  den  Weg  vorzeichneten. 
Der  nachmaUge  Regierungsrat  Karl  Walder,  1847  Sekretär  des 
Grossen  Rates,  berichtet  von  einer  interessanten  Szene,  bei  der 
alt  Regierungsrat  Oberst  Weiss  an  den  bekannten  runden  Tisch, 
an  dem  mehrere  Regierungsräte  und  höhere  Offiziere  sassen,  heran- 
trat und  ihnen  seine  Meinung  über  den  schwächUchen  Instruktions- 
antrag der  Regierung  deutHch  aussprach,  womit  er  eine  Änderung 
der  Instruktion  bewirkte.  In  der  ganzen  Schweiz  berühmt  geworden 
ist  aber  das  Cafe  litteraire  und  sein  Inhaber  besonders  durch  die 
Befreiung  und  Entführung  von  Dr.  Robert  vSteiger  in  Luzern. 
Dr.  vSteiger,  ein  sehr  geachteter  und  beliebter  Arzt,  hatte  sich  be- 
wegen lassen,  an  dem  zweiten  unglückhchen  Freischarenzug  1845 
teilzunehmen,  war  dabei  gefangen  genommen  und  am  2.  April  in 
Luzern  eingebracht  worden  unter  einem  teuflischen  Gejohle  des 
Pöbels,  das  selbst  einem  Siegwart-Müller  durch  Mark  und  Bein 
ging.  Im  Kesselturm,  der  Bastille  der  Luzerner  Regierung,  wurde 
Steiger  eingekerkert  und  am  3.  Mai  zum  Tode  durch  Erschiessen 
verurteilt.  Das  Obergericht  verwarf  die  Appellation.  Das  Schick- 
sal des  Gefangenen  ging  dem  Wirt  Gross  und  seiner  gleichgesinnten 
Frau,  die  darob  viel  Tränen  vergoss,  tief  zu  Herzen.  Er  beschloss, 
Steiger  zu  befreien.  Mit  einem  seiner  Gäste,  dem  Luzerner  Flucht- 


276  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  o 

ling  Bühler  von  Büron,  führte  er  darüber  eifrige  Gespräche.  Bühler 
verschaffte  Gross  die  Bekanntschaft  eines  Landjäger- Korporals 
Birrer  in  L,uzern,  mit  dem  er  das  Nähere  über  den  Befreiungsplan 
besprechen  sollte.  Fünfmal  reiste  Gross  zu  diesem  Zweck  über 
den  Albis  und  wieder  zurück,  ohne  etwas  ausgerichtet  zu  haben. 
Birrer  hielt  die  Entführung  für  unmögUch.  Nun  aber  schrieb  die 
ebenfalls  ins  Vertrauen  gezogene  Frau  Dr.  Steiger,  Gross  möchte 
noch  einmal  kommen  und  6 — 8000  Fr.  mitbringen.  Gross  hatte 
nur  2000  Fr.  zur  Verfügung;  er  bat  einen  seiner  eben  anwesenden 
Gäste,  Maler,  auf  der  Waid  bei  Zürich,  um  das  Fehlende,  und 
dieser  hef  spornstreichs  nach  Hause,  um  die  6000  Fr.  zu  holen. 

Unverzüghch  ging  Gross  nun  an  die  Ausführung  seines  Planes, 
bestellte  zwei  Wagen  — •  im  einen  fuhr  seine  unternehmende 
Schwägerin  Jungfer  Bosshart  mit  —  und  reiste  nach  Luzern,  wo 
er  nachts  11  Uhr  eintraf  und  im  ,, Weissen  Kreuz",  die  Schwägerin 
im  ,, Schwanen"  einkehrte.  Dem  Korporal  Birrer  war  es  nämhch 
inzwischen  doch  gelungen,  noch  zwei  Kollegen,  Kaufmann  und 
Hofmann,  für  die  Sache  zu  gewinnen.  In  der  Nacht  (des  19. /20. 
Juni)  führte  Birrer  den  Landjäger  Hof  mann  zur  Ablösimg  eines 
andern  Postens  vor  den  Kesselturm.  Hofmann  öffnete  mit  einem 
Nachschlüssel  die  Gefängnistür  und  half  Dr.  Steiger  durch  eine 
Öffnung  im  Korridor  in  die  anstossende  Scheune  des  Kutschers 
Hofstetter  schlüpfen,  wo  Kaufmann  seiner  harrte.  Während  Hof- 
mann auf  seinen  Posten  vor  der  Tür  zurückkehrte,  schlüpfte  vSteiger 
in  eine  bereit  gehaltene  Landjägeruniform  und  spazierte  dann  mit 
Kaufmann  als  ,,PoUzeipatrouille"  ruliig  am  Kesselturm  und  an 
Siegwarts  Haus  vorbei,  dem  Kriensbach  entlang  und  über  die 
Reussbrücke  zur  Kapellgasse.  Ohne  von  irgend  einer  Wache  an- 
gehalten zu  werden,  gelangten  die  beiden  in  die  Zürcherstrasse, 
wo  Gross  voll  Angst  und  Sehnsucht  mit  dem  Fuhrwerk  harrte 
und  sie  rasch  einsteigen  Hess.  Dann  ging  es  in  hellem  Galopp  davon 
und  morgens  zwei  Uhr  war  man  auf  Zürcherboden  in  Knonau  in 
Sicherheit.  Eine  Stunde  nach  dem  Ausbruch  Steigers  führte  Birrer 
einen  andern  Landjäger  zur  Ablösung  Hofmanns  vor  den  leeren 
Kesselturm,  ging  mit  Hofmann  auf  die  Wachtstube,  Hess  sich  für 
den  Rest  der  Nacht  durch  einen  Vize-Postenchef  vertreten  und 
begleitete  endHch  Hofmann  ebenfalls  in  die  Zürcherstrasse  —  zum 
Wagen  der  Schwägerin.    Um  3  Uhr  war  auch  dieses  Fuhrwerk  in 


o  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:   KRIEGSBILDER  277 

Knonau.  In  frühester  Stimmung  wurde  die  Reise  nach  Zürich 
fortgesetzt  und  unterwegs  nur  noch  in  Bonstetten  bei  Freunden 
Halt  gemacht.  Die  ganze  Stadt  Zürich  geriet  ob  der  Neuigkeit 
in  Bewegung,  das  Cafe  htteraire  wurde  fast  erstürmt,  jedermann 
wollte  Dr.  Steiger  sehen  und  seinen  Befreiern  wurden  begeisterte 
Ovationen  dargebracht.  Dr.  Steiger  Hess  sich  hierauf  in  Winterthur 
nieder  und  schuf  sich  dort  einen  neuen  Wirkungskreis.  Die  Ge- 
meinde Höngg  schenkte  ihm  das  Bürgerrecht,  der  Regierungsrat 
das  Landrecht.  Auch  die  drei  Landjäger  wurden  —  nicht  ohne 
lebhaften  Protest  konservativer  Jlinderheiten,  welche  in  bestech- 
lichen Landjägern  keine  wünschbare  Acquisition  erbhckten  —  in 
Wiedikon,  Schheren  und  Bonstetten  eingebürgert.  Während  die 
Luzerner  Regierung  auf  der  sogenannten  Lästerbank  eine  Tafel 
anbringen  liess  mit  den  Worten:  ,, Jakob  Robert  Steiger,  dato 
landesflüchtig,  ist  wegen  Hochverrats  laut  Freischarengesetz  zum 
Tod  durch  Erschiessen  verurteilt",  feierten  die  Winterthurer 
Liberalen  den  Geretteten  in  fast  überschwengHcher  Weise.  Oberst 
Ulrich  jVIeister  erinnert  sich  noch  an  den  langen  Kutschenzug, 
mit  dem  Dr.  Steiger  durch  Benken  an  den  Rheinfall  geführt  wurde 
und  der  auf  der  Rückfahrt  dann  auch  in  Benken  zu  einer  be- 
sondem  Feier  anhielt. 


MOBILISATION.  Der  umgekehrte  Fall  vStrauss:  die  konser- 
vative Luzerner  Regierung  beruft  die  Jesuiten;  radikale  Frei- 
scharen versuchen  das  mit  Gewalt  zu  hindern,  werden  aber  blutig 
geschlagen,  und  die  Jesuiten  halten  zu  Allerheihgen,  i.  November 
1845,  ihren  triumphierenden  Einzug  in  Luzern,  herzlich  bewill- 
kommt  von  dem  jetzt  konser^'ativen  Schultheiss  Siegwart-MüUer, 
der  noch  wenige  Jahre  zuvor  die  Jesuiten  als  Filzläuse  bezeichnet 
hatte,  die  man  —  einmal  eingenistet  —  nicht  mehr  los  werde. 
Doch  mm  machte  die  eidgenössische  Tagsatzung  die  Jesuitenfrage 
zur  Bundessache,  erklärte  die  Jesuiten  als  Landesgefahr  und 
verfügte  ihre  Ausweisung  aus  dem  ganzen  Gebiet  der  Eidgenossen- 
schaft. Da  sich  die  sieben  Kantone  des  Sonderbundes  diesem 
Bundesbeschluss  widersetzten,  musste  derselbe  schliessUch  mit 
Waffengewalt  vollzogen  werden.  Die  Zürcher  Konserva- 
tiven gerieten  durch  diesen  Gang  der  Dinge  in  arge  innere  Not 


278  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  o 

und  Bedrängnis.  Zwar  die  Jesuiten  waren  auch  ihnen  durchaus 
unsympatliisch,  allein  als  überzeugte  Föderalisten  waren  sie  der 
Ansicht,  daß  ihre  Berufung  ausschUesslich  in  die  Kompetenz  der 
„souveränen"  Kantone  falle  und  auf  keinen  Fall  mit  Gewalt 
von  Bundes  wegen  gehindert  werden  dürfe.  Den  Siebner-Sonder- 
bund setzten  sie  in  Parallele  mit  dem  radikalen  Siebner-Kon- 
kordat und  meinten,  was  dem  einen  recht,  sei  dem  andern  billig, 
bedachten  aber  zu  wenig,  dass  sie  selber  das  Siebner-Konkordat 
immer  bekämpft  und  schliesslich  aufgehoben  hatten,  sobald  sie 
die  Macht  dazu  besassen.  Sie  konnten  auch  mcht  ahnen,  mit 
welchen  wahrhaft  hochverräterischen  Plänen  der  Sonder- 
bund —  zum  Untersclüed  vom  Siebner- Konkordat !  —  von  Anfang 
an  umging,  • —  Plänen,  deren  Ausführung  die  Zertrümmerung  der 
Schweiz  unfehlbar  hätte  herbeiführen  müssen.  Die  lebende  Gene- 
ration ist,  namentlich  dank  den  Forschungen  Wilhelm  Öchslis  in 
den  Wiener  Arclüven,  auch  über  die  Geheimgeschichte  des 
Sonderbundes  unterrichtet,  und  es  wird  heute  wenig  Leute  mehr 
geben,  die  es  bestreiten  würden,  dass  der  Souderbundskrieg  eine 
absolute  Notwendigkeit  im  Interesse  der  Erhaltung  der 
Schweiz  gewesen  war.  Das  konnte  man  aber  damals  noch  nicht 
so  deuthch  und  klar  erkennen,  wie  es  jetzt  der  Fall  ist.  In  den 
Augen  der  Konser\'ativen  war  es  denn  auch  nicht  die  Eidgenossen- 
schaft, nicht  das  Vaterland,  das  für  seine  Existenz  sich  wehren 
musste,  sondern  es  war  ledighch  ,,der  Radikalismus",  welcher 
zum  vernichtenden  Schlage  gegen  das  konser\'ative  und  födera- 
hstische  Prinzip  ausholte.  Das  muss  man  sich  vor  Augen  halten, 
um  zu  begreifen,  dass  zürcherische  konservative  Offiziere  zum 
Fahneneid  demonstrativ  schwarze  Handschuhe  anzogen  und  der 
treffUche  Adolf  Bürkli,  der  bei  der  Batterie  Scheller  so  tapfer 
focht,  ,,mit  wehmütigem  Gefühl,  mit  fast  gebrochenem  Herzen" 
den  Schwur  leistete.  Da  war  es  denn  nun  ^\^eder  eine  gar  nicht 
hoch  genug  zu  schätzende  Tat  Oberst  Eduard  Zieglers,  dass 
er  in  diesem  Gewissens-  und  Gefühlskonflikt  seinen  konservativen 
Gesinnungsgenossen  und  Kameraden  den  klaren  Weg  der  PfHcht 
zeigte.  Er  wäre  der  letzte  gewesen,  der  ,,für  den  Radikahs- 
mus"  das  Schwert  gezogen  hätte,  aber  an  seinem  Beispiel  und 
Vorbild  konnten  nun  die  Konserv^ativen  erkennen,  dass  es  sich 
um  anderes  und  um  weit  mehr  handelte  als  um  den  Radikahsmus. 


o  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:   KRIEGSBILDER  279 

Und  es  erhielt  diese  Treue  gewissermassen  ihre  Belohnung  dadurch, 
dass  dann  gerade  Oberst  Ziegler  mit  seiner  Division  dazu  be- 
rufen war,  den  Entscheidungskampf  in  diesem  Kriege  durch- 
zuführen und  die  Ehren  des  Sieges  zu  ernten. 

Noch  bevor  die  Tagsatzung  in  Bern  Dufour  zum  General 
ernannte,  che  Sonderbundsgesandten  am  29.  Oktober  1847  die 
Tagsatzung  verHessen  und  am  4.  November  der  entscheidende 
Kriegsbeschluss  gef asst  wurde ,  begann  in  Zürich  die  Mobilisation, 
und  zwar  auf  speziellen  Wunsch  St.  Gallens,  das  in  seinem  See- 
bezirk von  einer  aufständischen  Bewegung  bedroht  war.  Am 
22.  Oktober  wurde  das  Bataillon  Schmid  auf  dem  Platz  hinter 
dem  Stadthaus  beeidigt  und  sodann  auf  einem  Dampfer  und  sechs 
Schleppschiffen  eingeschifft.  In  schöner,  mondheller  Nacht  fuhr 
es  seeaufwärts  nach  Stäfa,  und  am  23.  Oktober  folgte  ihm  eben- 
daliin  das  Bataillon  Ginsberg.  Seitdem  genoss  nun  die  Stadt 
Zürich  das  fast  täghche  Schauspiel  des  Einzugs,  der  Beeidigung 
und  des  Abmarsches  von  Truppen,  des  Durchmarsches  eidge- 
nössischer Kontingente  von  St.  Galleu,  Schaffhausen,  Thurgau, 
Graubünden;  es  war  ein  imaufhörHches  Kommen  und  Gehen. 
Dass  der  Krieg  tatsächhch  ausgebrochen  und  auch  ihren  Grenzen 
schon  ganz  bedeiikhch  nahe  gerückt  sei,  zeigte  den  Zürchern  der 
Brand  der  gedeckten  Brücke  von  Sihlbrugg  (8.  November),  in 
welche  die  Sonderbündler  einen  Wagen  mit  brennendem  Stroh 
geschoben  hatten.  Auch  die  gedeckte  Brücke  von  Hütten  teilte 
ein  paar  Tage  darauf  dieses  Schicksal.  Bei  der  Aufstellung  der 
Ordre  de  bataille  wurden  die  Zürchertruppen  hauptsächhch 
der  4.  Division,  Ziegler,  Hauptquartier  Aarau,  und  der  5.  Di- 
vision, Gmür,  Hauptquartier  Zürich,  später  Af foltern  a.  A.,  zu- 
geteilt. 

* 

LUNNERN.  Die  Division  Ziegler  im  Freiamt  hatte  ihre 
Vorhut  bis  Dietwil  im  südlichsten  Zipfel  des  Aargau  vorge- 
schoben. Am  8.  November  war  der  Divisionär  noch  selber  da- 
gewesen und  hatte  die  Offiziere  der  Kompagnie  Forrer  zu  grösster 
Wachsamkeit  ermahnt.  Dessenungeachtet  zog  Hauptmann  Forrer 
am  10.  November  morgens  seine  Schildwachen  bis  auf  einen  ein- 
zigen Posten  ein  und  setzte  sich  mit  seinen  drei  Leutnants  im  Pfarr- 


28o  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:   KRIEGSBILDER  o 

haus  zum  Frühstück.  Da  ging  die  Tür  auf;  sonderbündlerische 
Offiziere  traten  ins  Zimmer  und  ersuchten  die  Herren  Kameraden, 
sich  zur  sofortigen  Abfahrt  nach  Luzera  bereit  zu  machen.  vSie 
hatten  sich  im  Schutz  des  Xebels  mit  einer  starken  Abteilung  dem 
Dorf  genähert,  die  einzige  Schildwache  entwaffnet  und  die  halbe 
Kompagnie  gefangen  genommen;  die  andere  Hälfte  war  zum  Teil 
mit  Zurücklassung  ihrer  Waffen  geflohen.  Am  gleichen  Vormittag 
ging  die  gedeckte  Reussbrücke  von  Sins  in  Flammen  auf.  Diese 
Vorkommrüsse  deuteten  auf  Unternehmungslust  von  sonder- 
bündlerischer  Seite  und  die  Notwendigkeit  vermehrter  Wachsam- 
keit der  eidgenössischen  Truppen.  Oberst  Rotpletz,  damals  ein 
junger  Soldat,  erzählt,  dass  er  sich  mit  zwei  andern  als  FreiwiUiger 
der  Führung  eines  Wachtmeisters  Sutermeister  anvertraute,  welcher 
die  Stellung  des  Feindes  bei  Reitnau  erkunden  sollte.  „Der  Weg 
ging  durch  einen  Streifen  niederu  Gehölzes,  durch  das  ein  ganz 
unbedeutendes,  zwei  bis  drei  Schuh  breites  Bächlein  floss.  Als 
wir  an  den  Steg  gekommen  waren,  sagte  der  eine  vSchütze:  .Ich 
bliebe  denn  do  an  der  Brücke  als  Wache'.  Sutermeister  lachte 
grinsend  und  marschierte  ohne  ein  Wort  zu  sagen  weiter.  Als  wir 
aber  den  Weidenbusch  durchschritten  hatten  und  uns  auf  freiem 
Feld  gegen  Reitnau  wandten,  meinte  der  zweite  vSchütze,  ein  ge- 
waltiger, grosser,  rothaariger  \^'achtmeister,  der  mich  tags  zuvor 
auf  der  Feldwache  kujoniert  hatte:  ,Ich  bliebe  denn  do  am  Wald 
in  Aufnahmestellung!'  Jetzt  brach  der  Führer  in  helles  Gelächter 
aus  und  wandte  sich  an  mich  mit  den  Worten;  ,Wottst  du  öppen 
au  in  Aufnahmestellung  zurückbleiben?'  —  ,Ich  gehe  mit  Euch, 
so  weit  Ihr  wollt',  war  meine  Antwort." 

Bei  Lunnern  schlugen  am  Freitag  den  12.  November  zürche- 
rische Pontoniere  eine  Schiffbrücke  über  die  breit  und  reissend 
dalünfUessende  Reuss;  nur  eine  Fähre  hatte  dort  bisher  den  \^er- 
kehr  zwischen  den  beiden  Ufern  vermittelt,  die  seit  1876  durch 
eine  sohde,  eiserne  Strassenbrücke  verbunden  sind.  Es  ist  ein 
hebUcher  Fleck  Erde,  den  der  vSonderbundskrieg  für  seine  erste 
ernsthaftere  Aktion  ausersehen  hat.  In  ihrer  ganzen  Pracht  und 
Grösse  stehen  im  Süden  Rossberg,  Rigi  und  Pilatus  nüt  dem  Kranz 
der  ewigen  Firnen.  Die  anmutige  Talschaft  weitet  sich  hier  zu 
nicht  unbeträchtlicher  Breite,  die  aber  fast  ganz  der  aargauischen 
vSeite  zugute  kommt,  während  auf  dem  rechten  zürcherischen  Ufer 


o  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  281 

das  Terrain  schon  14  J^™  vom  Fluss  entfernt  zu  der  sanft  geneigten 
Anhöhe  von  Unter-Lunnern  ansteigt.  Die  braunen  Häuser  und 
Scheunen  dieser  Ortschaft,  die  sich  ziemlich  eng  zusammengedrängt 
am  obern  Rand  der  Anhöhe  lagern,  gehören  zu  der  Gemeinde  Ob- 
felden,  welche  gerade  in  diesem  Jahr  1847  eine  selbständige  Kirch- 
gemeinde geworden  und  gerade  an  diesem  Freitag,  den  12.  No- 
vember, damit  beschäftigt  war,  den  Kirchturm  aufzurichten, 
welche  Arbeit  indessen  wegen  der  in  höchst  bedrohHcher  Nähe 
herumsausenden  sonderbündlerischen  Granaten  zeitweise  unter- 
brochen werden  musste.  Das  flache  Uferband  besteht  zmn  grössten 
Teil  aus  Ried,  das  mit  alten  Weidenstrünken  bestanden  ist  und 
auf  dem  an  dem  Tage,  von  dem  wir  berichten,  die  Streue-Ernte 
zu  IG — 12  Fuss  hohen  Schobern  aufgeschichtet  war.  Strecken- 
weise begleitet  das  Ufer,  wie  übrigens  auch  jenseits,  eine  damm- 
artige Erhöhung.  Auf  der  aargauischen  Seite  treten  die  Häuser 
des  Dörfleins  Rickenbach  ziemHch  nahe  an  den  Fluss  heran. 
Aus  einer  Entfernung  von  einer  halben  Stunde  schaut  vom  Fuss 
des  langgestreckten  Lindenberg  über  die  Bäume  und  das  Busch- 
werk der  Niederung  der  schlanke,  weisse  Käsbissen- Kirchturm  der 
freundUchen  Ortschaft  Merischwanden  herüber.  Man  sieht  auch 
von  der  Lunnern-Höhe  aus  die  Landstrasse,  die  in  der  Ebene 
längs  des  Lindenberg  von  Merischwanden  nach  dem  %  Stunden 
flussaufwärts  an  der  Reuss  gelegenen  Mühlau  führt,  wo  sich  das 
Tal  wieder  bedeutend  verengt.  Mühlau  bildet  die  vSpitze  eines 
länghchen  Dreiecks,  dessen  zwei  Ecken  Merischwanden  und 
Rickenbach  bezeichnen. 

Die  Batterie  Scheller  hatte  am  Freitag  vormittag  noch 
fleissig  in  Bonstetten  manövriert  und  exerziert,  als  gegen  12  Uhr 
ein  Befehl  des  Brigadekommandanten  Oberst  Blumer  sie  schleunig 
nach  Affoltern  a.  A.  berief.  Sofort  wurde  Alarm  geblasen  und 
das  verabredete  Signal  von  acht  Kanonenschüssen  abgefeuert.  In 
der  Stadt  verursachte  dieser  Kanonendonner  nicht  geringe  Auf- 
regung. Es  wurde  Generalmarsch  geschlagen  und  die  gerade  an- 
wesenden (kathohschen !)  St.  Gallertruppen  sammelten  sich  rücht 
sehr  eihg.  Die  wildesten  Gerüchte  flogen  durch  die  Gassen  und 
verursachten  gewaltigen  Schreck:  die  Sonderbündler  seien  in 
Rnonau  hereingebrochen,  die  Eidgenossen  zurückgeworfen,  Kappel 
und  Hausen  brennen!    Massenhaft  rannten  die  Leute   auf  den 


282  ZWBIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  o 

Albis  und  Ütliberg,  um  vSicheres  zu  vernehmen.  In  scharfem  Trabe 
war  die  Batterie  Scheller  nach  Affoltern  gefahren,  wo  sie  einige 
Kompagnien  vom  Bataillon  ^leyer  Nr.  29  und  die  Batterie  Zeller 
vorfand.  Oberstbrigadier  Blumer  erwartete  nach  den  ihm  zuge- 
gangenen Meldungen  ein  \'orrücken  des  Feindes  über  die  Reuss 
und  von  Zug  her.  Am  meisten  bedroht  erschien  indessen  zunächst 
der  Übergang  von  Rickenbach-Lunnern.  Eben  war  in  Affoltern 
der  Train-Offizier  Manch  von  der  Pontonier-Kompagnie  Huber, 
welche  die  Schiffbrücke  geschlagen  hatte,  mit  neuen  dringUchen 
Meldungen  vom  Anrücken  des  Feindes  eingetroffen.  Batterie 
Scheller  erhielt  deshalb  den  Befehl,  an  die  Reuss  vorzurücken  zur 
Sicherung  der  Schiffbrücke  von  Rickenbach.  In  schnellster  Gang- 
art, mit  Rasseln  und  Dröhnen,  wurde  der  etwa  4  km  lange  Weg 
über  Toussen,  Obfelden,  Ober-  und  Unter-L,unnern  zurückgelegt. 
Hauptmann  Scheller  fand  die  Schiffbrücke  bereits  fertig  erstellt 
und  ritt  sofort  zur  Rekognoszierung  ans  linke  Reussufer  hinüber. 
Hier  waren  um  das  Dorf  lein  Rickenbach  her  eine  Jägerkompagnie 
und  eine  vScharfschützenkompagnie  aufgestellt;  zwei  Füsilier- 
Kompagnien  hatte  der  in  lyunnern  kommandierende  Major  Brup- 
pacher  als  Reserve  auf  dem  rechten  Ufer  zurückbehalten.  Nun 
liess  Hauptmann  Scheller  den  Leutnant  Hauser  mit  zwei  Ge- 
schützen ebenfalls  über  die  Schiffbrücke  nachrücken  und  sie  am 
Ausgang  des  Dörfchens  Rickenbach,  links  neben  der  Strasse  nach 
Merischwanden,  auffahren,  von  wo  aus  sie  diese  Strasse  und  die 
ganze  Ebene,  durch  welche  sie  sich  zieht,  auf  1000 — 1200  Schritt 
Distanz  bestreichen  konnten.  Oberleutnant  Adolf  BürkH  erliielt 
den  Befehl,  mit  den  zwei  andern  Geschützen  der  Batterie  weiter 
rückwärts,  auf  der  Anhöhe  bei  Unter-Lunnern,  eine  Position  zu 
wählen,  von  welcher  aus  er  ebenfalls  die  jenseitige  Landstrasse, 
aber  im  Notfall  auch  die  Schiffbrücke  zur  Deckung  eines  Rück- 
zuges unter  Kartätschfeuer  halten  konnte. 

Kaum  waren  diese  Dispositionen  getroffen,  als  zwei  Luzerner 
Flüchtlinge  atemlos  und  schweissbedeckt  gelaufen  kamen  mit  dem 
Bericht,  ein  starkes  Kor|3s  Luzerner  Truppen  mit  vieler  Artillerie 
habe  bereits  Mühlau  passiert  und  sei  im  Anmarsch  auf  Meri- 
schwanden begriffen.  Die  Absicht  dieser  Truppen  konnte  keine 
andere  sein,  als  sich  in  Merischwanden  mit  einer  scharfen  Rechts- 
schwenkung gegen  Rickenbach  zu  wenden  und  sich  der  hier  ge- 


o  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  283 

schlagenen  Schiffbrücke  zu  bemächtigen.  Die  ^Meldung  der  Flücht- 
linge erhielt  ihre  volle  Bestätigung  durch  die  eigene  Beobachtung 
der  Kanoniere  auf  der  Höhe  von  Lunnern,  welche  ganz  deutlich 
grosse  Truppenmassen  auf  der  Strasse  von  Mühlau  nach  Meri- 
schwanden  marschieren  sahen.  Einer  solchen  Übermacht  gegen- 
über konnte  von  einem  Standhalten  auf  dem  linken  Ufer  mit  zwei 
Kompagnien  und  zwei  Geschützen  keine  Rede  sein.  Major  Brup- 
pacher  befahl  den  Rückzug  sämthcher  Truppen  auf  das  rechte 
Ufer  und  den  sofortigen  Abbruch  der  Scliiffbrücke.  Zuerst  gingen 
die  zwei  Geschütze  wieder  über  die  Brücke  zurück,  gefolgt  von 
einem  Fuhrwerk  mit  fhehenden  Landleuten,  und  dann  die  Schützen 
und  Jäger,  so  lange  der  fortschreitende  Abbruch  der  Brücke  es 
gestattete;  die  letzten  Schützen  brachte  man  noch  mit  der  Fähre 
ans  rechte  Ufer.  Auf  Wunsch  des  Pontonierhauptmanns  Huber 
Hess  Hauptmann  Scheller  seine  beiden  zurückgezogenen  Geschütze 
zunächst  rechts  imd  links  vom  Brückenzugang  aufstellen,  machte 
aber  bald  dem  Kameraden  begreifHch,  dass  er  ihn  viel  besser  aus 
einer  erhöhten  Stellung  weiter  rückwärts  werde  schützen  können. 
Er  sprengte  darum  mit  seinen  zwei  Kanonen  die  Anhöhe  nach 
Unter-L,unnem  hinan  und  protzte  vor  den  Häusern  dicht  neben 
der  Strasse  ab.  Inzwischen  ging  das  Abbrechen  der  Brücke  rasch 
vor  sich.  Die  Jäger  und  Schützen  bildeten  flussaufwärts  und 
-abwärts  eine  Schützenkette  unter  Benutzung  aller  zur  Deckung 
dienhchen  Gegenstände.  Die  zwei  Füsilierkompagnien  standen 
etwa  50 — 60  Schritte  vom  Ufer  entfernt  in  der  Ebene,  teilweise 
gedeckt  durch  die  Uferböschung  und  den  bei  der  Brücke  aufge- 
fahrenen Ponton-Train.  Kurz  vor  drei  Uhr  sah  man  aus  Meri- 
schwanden  starke  Kolonnen  auf  die  Ebene  debouchieren  und  sich 
nach  Rickenbach  zu  in  Bewegung  setzen.  Als  die  Avantgarde  um 
ein  kleines  Wäldchen,  500  Schritt  vor  Rickenbach,  herumbog, 
löste  sie  sich  in  tadelloser  Ordnung  en  tirailleurs  auf  und  stürmte 
im  Laufschritt  mit  lautem  Hurrah  auf  die  nahe  Reuss  zu,  und 
schon  sprengten  einzelne  Reiter  dem  Flussufer  entlang.  Mit  dem 
Ruf  ,,Obwalden!  Obwalden!"  eröffneten  die  Scharfschützen  hinter 
Bäumen  und  Erderhöhungen  hervor  alsbald  ein  heftiges  Kreuz- 
feuer auf  die  Pontoniere,  welche  den  Abbruch  der  Brücke  kalt- 
blütig vollendeten  und  glückhch  das  letzte  Ponton  aufs  Ufer 
brachten,    während   allerdings   drei    Birago-Böcke   zunächst   dem 


284  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  o 

rechten  Ufer    stehen    gelassen    werden    mussten.    Ein   Pontonier 
wurde  am  Fuss  verwundet. 

Der  feindhchen  Avantgarde  war  von  Merischwanden  her  eine 
starke  Kolonne  Artillerie  gefolgt,  auf  welche  Hauptmann  vScheller 
das  Feuer  seiner  sämtlichen  vier  Geschütze  eröffnete,  ohne  sie 
jedoch  am  Abprotzen  und  Auffahren  hindern  zu  können.  Ein 
Geschütz  hatte  liinter  den  Häusern  von  Rickenbach  \-erdeckte 
Stellung  genommen  und  auf  nur  250  Schritt  Distanz  das  rechte 
Ufer  mit  Kartätschen  zu  beschiessen  begonnen.  Die  FüsiUer- 
kompagnien,  die  sich  in  kleinere  Gruppen  aufgelöst  und  hinter 
den  Streueschobern  Schutz  gesucht  hatten,  wurden  schon  durch 
den  ersten  Kartätschenschuss  gänzUch  in  Verwirrung  gebracht 
und  zogen  sich  in  überstürzter  Flucht  den  Abhang  liinauf  gegen 
Lunnern  zurück,  allen  voran  ein  Instruktions-Hauptmann  aus 
neapohtanisclien  Diensten  und  ein  zweiter  Offizier.  Die  Pon- 
torüere,  die  jetzt  mit  ihrer  Arbeit  fertig  waren,  sammelten  sich 
in  einem  nahen  Wäldchen  und  schauten  dem  weitem  Verlauf  des 
Kampfes  zu.  Am  Ufer  standen  nur  noch  Scharfschützen  und 
Jäger,  aber  auch  sie  zogen  sich,  um  bessere  Deckung  zu  finden, 
immer  näher  am  Abhang  heraui.  Einer,  der  nicht  vom  Platze 
weichen  wollte  und  hinter  einer  Eiche  am  Ufer  hervor  mit  Todes- 
verachtung immer  weiter  schoss,  war  der  vScharfschütze  Jakob 
Spörri  von  Niederglatt.  Auf  ihn  richtete  sich  schliesslich  vom 
linken  Ufer  her  ein  konzentriertes  Feuer  und  er  erhielt  vier  Kugeln, 
bevor  er  niederstürzte.  Das  Ufer  war  nun  bei  der  Brückenanfahrt 
ganz  verlassen,  und  schutzlos  stand  dort  angesichts  des  jubelnden 
Feindes  der  Ponton-Train,  den  er  sich  gar  zu  gern  geholt  hätte. 
Am  schönsten  hielt  sich,  nach  dem  Zeugnis  des  auf  dem  Platze 
anwesenden  Dr.  med.  Lüning,  die  Artillerie;  ,,die  Mannschaft 
stand  und  feuerte  in  ihrer  ungedeckten  Stellung  so  ruhig  und  ge- 
lassen, als  ob  sie  einer  altgedienten  Truppe  angehört  hätte."  Das 
Gefecht  war  je  länger  je  mehr  zum  blossen  Geschützkampf  ge- 
worden. Die  feindlichen  Granaten  flogen  zuerst  hoch  über  die 
Köpfe  der  Zürcher  Artilleristen  hinweg  und  schlugen  in  die  hinter 
ihrer  Stellung  gelegenen  Scheunen  und  Wiesen  ein,  aber  zusehends 
schoss  sich  der  Feind  besser  ein  und  um  wenige  Zoll  sch\\irrten 
nun  die  Kugeln  vorbei;  eine  von  ihnen  tötete  das  Rlittelhandpferd 
eines  Gespanns. 


o  ZWEIUNDZWAKZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  285 

jVIit  grosser  Mühe  war  es  einigen  Offizieren,  darunter  dem 
Leutnant  Gross,  gelungen,  die  erschrockenen  FüsiUere  oberhalb 
Lunnerns  wdeder  zu  sammeln,  aber  die  Truppe  zeigte  auch  jetzt 
noch  keine  starke  Xeigimg,  das  Gefecht  wieder  aufzunehmen.  Die 
Lage  der  unausgesetzt  feuernden  Batterie  Scheller  hätte  kritisch 
werden  können,  wenn  es  dem  Feind  eingefallen  wäre,  den  Fluss 
bei  der  in  der  Nähe  gelegenen  Furt  zu  passieren  und  sich  auf 
Lunneru  zu  stürzen.  Glücklicherweise  kam  das  den  Sonderbündlern 
nicht  in  den  Sinn,  \aelmehr  begann  ihr  Geschützfeuer  auf  einmal 
zu  stocken  und  verstummte  endUch  ganz.  Durch  den  sich  ver- 
ziehenden Rauch  sah  man  die  Artillerie  aufprotzen  und  mit  Zurück- 
lassung eines  demontierten  Geschützes  in  aller  Eile  davonfahren. 
Ein  freudiges  Hurrah  der  Zürcher  Kanoniere  begleitete  diesen 
Abzug,  und  es  wurde  den  Davontrabenden  noch  manche  Kugel 
nachgesandt.  Zweimal  versuchte  man  drüben,  mit  sechs  Pferden 
die  stehengebhebene  Kanone  wegzuliolen,  aber  die  Batterie  Scheller 
sprach  dazu  ihr  gewichtiges  Nein.  Zur  Deckung  des  Rückzugs  Uess 
der  Feind  nochmals  eine  Scharfschützenkompagnie  bis  an  den  Fluss 
vorrücken,  deren  Feuer  jedoch  der  grossen  Entfernung  wegen 
keinen  Schaden  anrichtete.  Als  der  Kampf  vorüber  war,  erschien 
—  von  Affoltern  her  —  auch  noch  die  Batterie  Zeller  auf  dem  Platz 
und  bewies  mit  zwei  über  die  Reuss  gesandten  Granaten  wenigstens 
ihren  guten  Willen.  Auch  Infanterie  kam  nun  in  grosser  Zahl. 
Als  es  Nacht  wurde,  sah  man  bei  Rickenbach  Laternen  herum- 
schwirren ;  der  Feind  suchte  die  Stücke  seiner  zerschossenen  Kanone 
zusammen  und  schaffte  sie  weg.  Als  am  Morgen  ein  Genieoffizier 
in  einem  Ponton  über  die  Reuss  setzte,  fand  er  auf  dem  Kampf- 
platz nur  noch  ein  totes  Pferd,  ein  Gewehr  und  einen  Tornister. 
Die  leider  zu  spät  von  Affoltern  aufgebrochene  Infanterie  war 
einigen  Flüchtlingen  von  Lunnern  begegnet,  unter  denen  sich  auch 
der  erwähnte  Instruktionshauptmann  befand.  Leutnant  Karl 
Walder,  an  der  Spitze  seiner  Stadtzürcher-Kompagnie,  stellte  den 
hinkenden  Hauptmann,  der  am  Fuss  verwundet  sein  wollte,  zur 
Rede.  Der  Hauptmann  fing  eine  grosse  Jeremiade  an  von  dem 
Unglück  in  Lunnern,  die  auch  die  begierig  horchenden  Soldaten 
stutzig  zu  machen  drohte,  weshalb  Walder  seine  Pistole  zog  und 
dem  Hauptmarm  zurief:  ,,Mach  Platz,  oder  ich  behandle  dich  als 
Deserteur!"    Einen  Trompeter,  der  nicht  mehr  vorwärts  wollte. 


286  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  o 

traktierte  Walder  mit  der  flachen  Klinge,  die  Stadtzürcher  aber 
folgten  dem  Leutnant  mit  freudigem  Zuruf.  Am  folgenden  Tag 
erschien  der  fragwürdige  Hauptmann  mit  einem  Finken  an  einem 
Fuss ;  er  musste  seine  Wunde  zeigen,  man  fand  aber  nichts  als  ein 
Hühnerauge. 

Die  Zürcher  hatten  bei  Lunnern  zwei  Tote  und  i8  Ven\'undete. 
Einer  der  Toten  war  ein  Luzerner  Flüchtling,  der  sich  an  Stelle 
eines  kathohschen  Zürchers  von  Dietikon  hatte  einreihen  lassen; 
der  andere  hiess  Staub,  von  Thalwil,  und  es  fügte  sich,  dass  sein 
Bataillon  gerade  in  derselben  Viertelstunde  Thalwil  passierte  (auf 
dem  Marsch  nach  Richterswil),  als  man  bei  seinem  Haus  für  ihn 
das  Leid  abnahm.  So  konnte  er  dann  noch  mit  miUtärischen  Ehren 
bestattet  werden.  Samstag  vormittag  besichtigte  auch  der 
Di\'isionär  Oberst  Gmür  den  Kampfplatz  von  Lunnern.  Die 
Schiffbrücke  hatte  man  weiter  flussabwärts  nach  Ottenbach  ge- 
sandt und  dort  in  besser  gedeckter  Lage  neu  aufschlagen  lassen. 
Am  vSonntag  erfolgte  eine  grosse  Rekognoszierung  über  diese 
Schiffbrücke  ins  Freiamt  hinüber.  Infanterieabteilungen  bewegten 
sich  am  aargauischen  Reussufer  aufwärts  bis  Rickenbach,  stellten 
Feldwachen  aus  und  hielten  fleissig  Ausschau:  eine  halbe  Kom- 
pagnie rekognoszierte,  von  den  andern  unbemerkt,  noch  weiter,  bis 
gegen  Mühlau,  kam  dann  auf  der  Landstrasse  nach  IMerischwanden 
und  debouchierte  aus  diesem  Dorfe  auf  die  Ebene  gegen  Ricken- 
bach, genau  wie  am  Freitag  die  vSonderbündler.  Als  sie  von  den 
bei  Rickenbach  stehenden  Füsilieren  und  Offizieren  bemerkt 
wurde,  packte  diese  ein  panischer  Schrecken,  und  sie  stoben  auf 
und  davon !  In  weniger  als  fünf  Minuten  war  die  ganze  \'orposten- 
linie  mit  Ausnahme  eines  Offiziers  und  15 — 20  Mann  in  heller 
Retirade;  der  Schreck,  der  in  die  Leute  gefahren,  war  entsetzhch. 
Jeder  lief,  was  er  konnte,  Gräben  und  Hecken  überspringend,  über 
welche  nachher  kälteren  Blutes  keiner  mehr  zu  setzen  wagte, 
Tschakkos,  Gewehre  und  Tornister  von  sich  werfend.  So  ging  es 
in  rasendem  Laufe  bis  zur  rettenden  Schiffbrücke  in  Ottenbach 
und  über  dieselbe  ins  Dorf  hinauf,  wo  man  erst  wieder  Atem  zu 
schöpfen  wagte.  Die  vSappeure  und  Pontoniere  bei  der  Brücke 
hatten  höchst  verwundert  die  Infanteristen  vorüberstürmen  lassen, 
ohne  selber  mitgerissen  zu  werden,  bereiteten  sich  aber  schleunigst 
auf  die  Abwehr  des  den  Ausgerissenen  vermeinthch  auf  den  Fersen 


o  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  287 

folgenden  Feindes  vor.  Statt  dessen  kam  ganz  gelassen  der  zurück- 
gebliebene Offizier  mit  seinen  Leuten  und  brachte  die  Aufklärung. 
Oberst  Meister  fügt  der  Mitteilung  dieser  Episode  aus  Adolf  Bürklis 
Tagebuch  die  Bemerkung  bei,  dass  solche  Ausbrüche  einer  sinn- 
losen Panik  bei  jeder  Armee,  auch  der  stehenden,  zuweilen  vor- 
kommen; sie  gehören  zu  den  überraschendsten  und  gefürchtetsten 
Erscheinungen  eines  Feldzuges. 

GISIylKON.  Nachdem  am  Soimtag  den  14.  November 
Freiburg,  am  Sonntag  den  21.  November  Zug  kapituUert  hatte, 
richtete  General  Dufour  den  konzentrischen  Angriff  von  fünf 
Di\'isionen  auf  Luzern.  Drei  von  ihnen,  Ochsenbein,  Burkhard 
und  Donat,  sollten  von  Westen  und  Nordwesten  her  vorrücken, 
die  4.  und  5.  Division,  Ziegler  und  Gmür,  von  Norden  ins  luzer- 
nische Gebiet  eindringen. 

Dem  Vormarsch  dieser  letztern  zwei  Divisionen,  denen  der 
grösste  Teil  der  Zürcher  Truppen  zugeteilt  war,  stellte  das 
bis  800  m  ansteigende,  zerklüftete,  von  Bächen  und  waldigen 
Tobein  coupierte  Massiv  des  Rooterberges  zwischen  Zugersee 
und  Reuss  eine  starke  natürhche  Barriere  entgegen.  An  zwei 
Stellen  sollte  dieselbe  durch  den  Verstoss  der  eidgenössischen 
Truppen  durchbrochen  werden :  im  Osten  durch  das  Defile  Ibikon- 
Meierskappel  (zwischen  dem  Rischer  Berg  am  Zugersee  und  dem 
Rooterberg)  — ■  die  Aufgabe  der  Division  Gmür!  — ,  und  an  ihrem 
äussersten  westlichen  Rand,  bei  Gislikon  au  der  Reuss.  Das 
war  der  kritische  Punkt;  Ider  musste  sich  die  Sache  entscheiden. 
In  den  Schanzen  von  Gislikon  kommandierte  in  eigener  Person 
der  General  der  Sonderbundsarmee :  Johann  Ulrich  von 
Salis-Soglio,  ein  Protestant  von  ritterhcher  Gesinnung,  auch 
tapferer  Soldat,  aber  schlechter  Feldherr.  Seinem  Freund  und 
Waffengefährten  von  Holland  her,  Oberst  Eduard  Ziegler, 
war  es  vorbehalten,  ihn  aus  den  Schanzen  von  GisUkon  zu  werfen 
und  seinen  Feldherrnruhm  für  immer  zu  vernichten. 

Bei  Gislikon  schmiegt  sich  die  Reuss  dicht  an  den  Fuss  des 
Rooterberges  und  lässt  nur  der  Landstrasse  —  jetzt  noch  der 
Eisenbahn  — ,  sowie  einigen  Häusern  Platz.  Das  eigenthche 
Dörflein  hegt  kaum  hundert  Schritte  unterhalb  der  langen  ge- 
deckten Brücke,  zum  grössern  Teil  auf  der  Bergseite  der  Strasse. 


288  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  o 

Bedeutend  breiter  ist  die  Talsohle  jenseits  der  Reuss.  Eingebettet 
zwischen  den  letzten  Ausläufern  des  Lindenbergs  und  der  Reuss, 
lässt  sich  die  langgestreckte  Flussebene  bis  zu  den  Höhen  von 
Oberrüti  hinab  überblicken,  wo  die  Reuss  dann  wieder  zum  Linden- 
berg hinüberbiegt.  Die  Niederung  wird  doniimert  von  der  statt- 
lichen Kirche  des  uns  schon  bekannten  Dietwil,  drüben  am 
Berghang,  4  km  Luftlinie  direkt  nördlich  von  Gislikon.  In  der 
gleichen  geraden  Richtung  stehen  die  Kirchturmspitzen  von  Ober- 
rüti und   Sins. 

Die  Landstrasse  Luzern-Zug  geht  von  Gislikon  weiter  dem 
Fuss  des  Rooterberges  entlang  und  tritt  von  der  Reuss  mehr 
und  mehr  zurück,  so  dass  sich  auch  auf  dieser  Seite  des  Flusses 
eine  Niederung  öffnet;  aber  es  ist  meist  schlechtes,  unwegsames 
Terrain,  voll  Löcher,  Hecken  und  Höcker,  in  der  Nähe  des 
Wassers  auch  sumpfig.  Eine  Viertelstunde  vorwärts  Gishkon 
passieren  wir  Dorf  und  Kapelle  Honau.  Die  Landstrasse  schlägt 
dann  nordöstliche  Richtung  ein  nach  Rotkreuz  (3  km)  und 
Cham  (8  km  von  Honau). 

Bis  nach  Rotkreuz  wagten  sich  am  Tage  von  Gishkon, 
Dienstag  den  23.  November  1847,  Schlachtenbimimler  von 
Zürich,  unter  ihnen  auch  Fr.  Vogel,  Verfasser  der  MemorabiHa 
Tigurina,  und  sein  11  jähriger  Knabe  Gerold.  Der  Platz  war  nicht 
schlecht  gewählt  und  es  gab  nach  den  interessanten  Aufzeich- 
nungen Vogels  (II,  Seite  128  ff.)  in  Rotkreuz  recht  vieles  zu  sehen. 
Man  steht  hier  gerade  vor  der  Mitte  des  Nordhangs  des  Rooter- 
berges, und  mit  bange  klopfendem  Herzen  fragten  sich  die  Zu- 
schauer, wie  es  den  Kolonnen  Zieglers  beim  Ersteigen  dieser 
Schluchten  und  Tobel,  dieser  so  leicht  zu  verteidigenden,  wald- 
umsäumten steilen  Matten  ergehen  werde.  Der  ganze  Rooterberg, 
von  der  Reuss  bis  zum  Zugersee,  war  am  Frühmorgen  mit  Sonder- 
bündlern  gespickt.  Auch  auf  der  höchsten,  baumlosen  Kuppe, 
bei  der  weit  in  die  Lande  blickenden  Kapelle  St.  Michael,  ge- 
walirte  man  durchs  Perspektiv  eine  bedeutende,  in  Linie  aufge- 
stellte Masse  mit  roter  Fahne,  hinter  welcher  der  Kommandierende 
geschäftig  hin  und  her  ritt. 

Eine  klare,  mondhelle  Nacht  war  dem  23.  November  vorauf- 
gegangen. Die  Division  Ziegler  hatte  in  der  Gegend  von  Sins 
biwakiert.     Zeitig    wurde    Tagwacht    geblasen.      Am    frühesten 


o  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  289 

mussten  die  Pontoniere  aufbrechen.  Eine  aargauische  Pon- 
tonier- Kompagnie  hatte  den  Befehl,  unterhalb  der  zerstörten 
Sinserbrücke  eine  Scliiff brücke  zu  schlagen  für  den  Übergang 
der  Brigade  Egloff.  Der  Ponton-Train  der  Zürcher  Kompagnie 
Huber,  welche  bei  Lunnern  ihre  Feuertaufe  empfangen,  bewegte 
sich  in  die  Ebene  von  Dietwil  herunter,  um  bei  der  Fähre  von 
Eien,  2  km  östUch  von  Dietwil,  für  die  Brigade  König  eine 
Brücke,  meist  mit  Birago-Böcken,  zu  erstellen.  Pontons  und 
Kähne  dienten  zum  Übersetzen  der  Scharfschützen  und  Jäger, 
die  als  Tirailleure  der  Division  vorauseilen  sollten.  Auch  hier 
hatten  die  zürcherischen  Pontoniere  die  Ehre,  das  feindliche 
Artilleriefeuer  zuerst  auf  sich  zu  ziehen.  Als  sich  um  10  Uhr  der 
Nebel  zerteilte,  bemerkte  die  Luzeruer  Batterie  Mazzola,  welche 
auf  einer  Anhöhe  bei  Rotkreuz  postiert  war,  die  Truppenbewegung 
an  der  Reuss  und  begann  zu  bombardieren.  Die  Granaten  fuhren 
zum  Teil  ganz  nahe  bei  den  schon  am  rechten  Ufer  wartenden 
Scharfschützen  und  Jägern  in  den  Boden,  vermochten  aber  den 
Brückenschlag  nicht  zu  stören,  so  dass  sich  die  feindhche  Batterie 
bald  auf  Honau  zurückzog  und  um  11  Uhr  die  Brigade  König, 
bei  der  sich  auch  der  Di\dsionär  befand,  die  Brücke  ungelündert 
passieren  konnte.  —  Die  dritte  Brigade,  Müller,  sollte  auf  der 
hnken  Flusseite  bleiben  und  von  dort  aus  die  Operation  gegen 
Gishkon  unterstützen,  leistete  aber  darin  mchts  Besonderes  und 
war  nicht  \nel  mehr  als  Bedeckung  der  Artillerie-Reserve 
unter  dem  Kommando  von  Oberst  Denzler,  welche  zwischen 
10  und  II  Uhr  durch  Dietwil  rasselte  und  herwärts  dieses  Dorfes, 
bei  der  Ziegelliütte,  auffuhr,  um  sogleich  mit  dem  gegenüberhe- 
genden Honau  ein  Artillerie-Duell  zu  beginnen.  Der  erste  Tote 
auf  dieser  Seite  des  vSchlachtfeldes  war  ein  Luzerner  Flüchthng, 
welcher  der  Artillerie  von  Oberst  Denzler  als  Fülirer  gedient  hatte. 
Doch  nun  lasst  uns  rasch  von  Gishkon  nach  der  St.  Michaels- 
Kapelle  hinaufeilen,  um  —  wenigstens  für  einige  AugenbUcke  — 
den  Anmarsch  der  Division  Ziegler  zu  sehen.  Die  Lage 
der  Kapelle  ist  entzückend.  Hinter  ihr  ragt,  zum  Greifen  nahe, 
die  Pyramide  des  Rigi,  zu  Füssen  Hegt  ihr  das  Juwel  des  Zuger- 
sees,  in  der  Ebene  blinkt  in  der  Sonne  bis  weit  liinab  das  Silber- 
band der  Reuss.  Rings  um  die  Kapelle  mit  ihrer  ]VIiniatur-Be- 
stuhlung  im  Innern  ist  ein  schmales  Bänklein  angebracht,  damit 

19 


290  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  o 

man  recht  bequem  nach  allen  Seiten  Ausschau  halten  könne. 
Nahe  dabei  steht  in  der  Wiese  ein  massives  Steinkreuz,  das 
St.  Michaels-Kreuz.  Heute  tobt  der  Schlachtenlärm  um  die 
Kapelle.  Rechter  Hand  ist  die  Division  Gmür  bereits  in  voller 
Aktion,  der  Rischer  Berg  schon  in  ihrer  Gewalt,  jetzt  stürmt 
Bataillon  Brunner  gegen  Ibikon  herauf,  über  die  Stürmenden 
hinweg  feuert  die  Batterie  Scheller,  doch  allzunahe  fliegen 
die  Kugeln  über  die  Köpfe  dahin,  das  Bataillon  wird  von  Furcht 
ergriffen,  wankt,  weicht  abwärts,  nur  einige  Offiziere  bleiben 
stehen  und  ein  paar  Mutige  um  sie  her;  da  wird  Hauptmann 
Frauen felder  von  Henggart  schwer  getroffen  und  fällt;  wild 
jauchzend  stürzen  die  sSchwyzer  aus  dem  Gebüsch  den  Fhehenden 
nach,  versetzen  dem  liegengebliebenen  Hauptmann  Kolbenstösse 
auf  Brust  und  Kopf.  Ein  anderer  ver^vundeter  Offizier  findet 
einen  Helfer  und  Retter  in  einem  gutherzigen  Füsiher,  dem  Gassen- 
besetzer  (Pflasterer)  Meier  von  der  Enge.  Zwei  Kugeln  gehen 
diesem  durch  den  Tschakko,  eine  dritte  zerreisst  den  Tragriemen 
des  Habersacks,  die  \aerte  trifft  die  Säbelkuppel,  Meier  lässt 
nicht  locker  und  bringt  seinen  Offizier  in  vSicherheit.  —  Das 
ist  Krieg.  —  ,,Sieh  mich  an,"  sagt  ,,der  Artillerist"  von  Selma 
Eagerlöff  zu  seiner  Frau,  ,,ich  bin  nie  im  Krieg  gewesen.  Kann 
ich  wissen,  wie  ich  mich  benehmen  werde,  wenn  die  Kugeln  sausen  ? 
Vielleicht  werde  ich  Angst  bekommen.  Vielleicht  werde  ich  die 
Besinnung  verlieren.  Man  kann  nie  wissen."  —  ,, Gewiss  nicht, 
du  wirst  bis  zuletzt  auf  deinem  Posten  ausharren,"  hatte  sie 
geantwortet.  —  ,,Wir  wollen  es  hoffen.  Aber  das  ist  wirkUch 
etwas,  was  man  nicht  sicher  wissen  kann.  In  solchen  Augen- 
blicken ist  man  nicht  Herr  über  sich  selbst.  Da  ist  es  etwas  anderes, 
das  die  Macht  an  sich  reisst  und  einen  führt.  Dann  kommt  es 
darauf  an,  ob  das,  was  in  einem  steckt,  stark  oder  schwach  ist. 
Solange  man  die  Probe  nicht  bestanden  hat,  weiss  keiner,  wie  er 
handeln  wird,  wenn  eine  grosse  Gefahr  kommt."  —  Dieser  Artil- 
lerist hat  die  Probe  bestanden.  Am  Rooterberg  hat  sie  auch 
mancher  Zürcher  und  Eidgenosse  bestanden  und  mancher  Sonder- 
bündler,  andere  dagegen  nicht,  wie  es  immer  war  und  immer  sein 
wird.  Es  bedurfte  auf  eidgenössischer  Seite  teilweise  der  grössten 
Anstrengungen  und  des  alles  dransetzenden  Beispiels  der  Offiziere, 
um  die  Truppen  an  den  Feind  heranzubringen. 


o  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:   KRIEGSBILDER  291 

Ausschauend  nach  der  Division  Ziegler,  sehen  wir  sie  nun 
in  langer  schwarzer  Linie  von  der  Reuss  durch  die  Ebene  gegen 
den  Rooterberg  sich  heranbewegen.  Brigade  Egloff  hatte 
schon  um  acht  Uhr  die  Schiffbrücke  bei  Sins  passiert,  war  dann 
nach  der  sanft  ansteigenden  Höhe  von  Hünenberg  marschiert, 
um  sich  hierauf  wieder  mehr  der  Reuss  zu  nähern  und  über  Meisters- 
wil,  parallel  der  Reuss,  Berchtwil  zu  erreichen,  dessen  Häuser 
noch  zehn  Minuten  von  Rotkreuz  entfernt  sind.  Zur  Brigade 
Egloff  gehörten  von  Zürcher  Truppen  die  Bataillone  Gins- 
berg, Benz  und  Zuppinger,  die  Scharfschützenkompagme 
Bleuler,  die  Kavalleriekompagnie  Hanhart  und  die  Batterie 
Schweizer.  Ausserdem  waren  dieser  Brigade  noch  zugeteilt  das 
Aargauer  Bataillon  Häusler  und  die  Berner  und  vSolothurner 
Batterien  Moll  und  Rust.  Die  Bataillone  waren  der  grössern 
Beweghchkeit  wegen  sämthch  in  Halbbataillone  eingeteilt.  Hinter 
der  Infanterie  fuhren  in  langem  Zuge  die  Geschütze,  die  Caissons 
und  die  Wagen  für  Verwundete.  Berchtwil  hegt  am  rechten 
Reussufer  gerade  über  der  Fähre  von  Eien,  wo  die  Brigade 
König  die  Schiffbrücke  passiert  hatte  und  sich  nun  mit  der 
Brigade  Egloff  vereinigte.  Bei  der  Brigade  König  standen  das 
Zürcher  Bataillon  Fäsi,  das  Aargauer  Bataillon  Berner,  das 
Thurgauer  Bataillon  Ernst  und  das  Appenzeller  Bataillon  Bänziger 
nebst  zwei  Kompagnien  Thurgauer  und  St.  Galler  Schützen. 

In  Berchtwil  letzte  Dispositionen  des  Divisionärs,  und  dann: 
vorwärts  zum  Angriff!  Dem  Oberst-Brigadier  Johann  Konrad 
Egloff  von  Tägerweilen  im  Thurgau  fiel  die  ehrenvolle  Aufgabe 
zu,  den  Sturm  auf  Hon  au  und  Gislikon  zu  führen.  Ihn  betraute 
Ziegler  mit  diesem  schwersten  und  blutigsten  Teil  der  Arbeit,  weil 
er  sich  auf  ihn  verlassen  konnte  wie  auf  sich  selbst.  Nötiger  war 
die  persönhche  Begleitung  und  Führung  des  Divisionärs  bei  der 
Brigade  König,  welche  den  Rooterberg  von  Sonderbündlern 
säubern  und  dadurch  den  Vormarsch  der  Brigade  Egloff  unten 
im  Tal  sichern  sollte.  So  teilten  sich  denn  in  Berchtwil  die  Wege: 
Brigade  Egloff,  mit  dem  rechten  Flügel  an  die  Reuss  gelehnt, 
marschierte  durchs  Ufergelände  auf  Honau  los,  Bataillon  Ginsberg 
imd  Häusler  voran;  Brigade  König  überschritt  zwischen  Rot- 
kreuz und  der  Binzmühle  die  I,uzerner  Landstrasse.  Nun  Teilimg 
der  Brigade  in  zwei  Kolonnen:  Oberst  König  soll  mit  den  Aar- 


292  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  o 

gauern  und  Thurgauern  nach  der  Höhe  des  Berges  vorgehen, 
Richtung  St.  Michaelskapelle ;  Oberst  Ziegler  will  mit  dem  Appen- 
zeller Bataillon  Bänziger  und  dem  halben  Bataillon  Fäsi  an  halber 
Höhe  des  —  Honau  und  Gishkon  überhöhenden  —  Abhanges  \'or- 
rücken  (das  andere  halbe  Bataillon  Fäsi  bleibt  als  Artillerie- 
bedeckung zurück).  Jägerketten  über  die  ganze  Breite  des  Ab- 
hangs verbinden  die  Kolonne  Ziegler  mit  der  unten  kämpfenden 
Brigade  Egloff,  und  gegen  den  Schluss  der  Aktion  gehen  die  bei- 
derseitigen Truppen  immer  mehr  ineinander  über. 

Den  längsten  und  in  Bezug  auf  das  Terrain  wohl  auch  müh- 
samsten Weg  hatte  die  Kolonne  des  Oberst-Brigadier  König 
zurückzulegen.  Unter  stetem  Geplänkel  mit  den  Tirailleurs  der 
Sonderbündler  gelangte  sie  nach  und  nach  in  die  Höhe.  Ihre 
Jäger  und  Schützen  standen  schliessUch  am  Rande  des  Gehölzes, 
das  nur  noch  durch  den  baumlosen  Wiesenhang  von  der  Kapelle 
auf  dem  Gipfel  getrennt  war.  Vergebens  envartete  das  um  die 
Kapelle  gescharte  Schwyzer  Bataillon  mutig  und  entschlossen 
den  Sturmangriff  Königs;  die  Haltung  der  Sch\\yzer  imponierte 
dem  eidgenössischen  Brigadier  dermassen,  dass  er  seine  Bataillone 
wieder  —  den  Berg  hinunter  gehen  liess  und  damit  auch  die  vor- 
geschobenen Schützen  nach  sich  zog,  —  und  das  in  demselben 
Moment,  als  unten  bei  Gishkon  der  Sieg  erfochten,  der  Durch- 
bruch erfolgt  war!  Nun  aber  räumten  die  Schwyzer  freiwiUig  das 
Feld.  Nachdem  auf  ihrer  rechten  Flanke  —  bei  Meierskappel  — 
die  5.  Division  hereingedrungen  war  und  hnks  bei  Gishkon  Ziegler 
den  Durchgang  forciert  hatte,  mussten  sie  fürchten,  vom  Rückzug 
abgeschnitten  zu  werden,  und  zogen  sich  deshalb  sachte  rechts 
den  Berg  hinunter  gegen  Meierskappel  zu.  Um  5  Uhr  flatterte 
die  eidgenössische  Fahne  auf  der  Kuppe  des  Rooterberges  und  die 
Rosse  des  Brigadestabes  zerstampften  den  Rasen  beim  St.  Michaels- 
kreuz. 

Oberst  Ziegler  war  mit  dem  halben  Bataillon  Fäsi  und  dem 
Bataillon  Bänziger  über  die  ,, Fuchsberg"  genaimte  Anhöhe  am 
Rooterberg  heraufgestiegen.  Das  Reiten  wurde  bald  so  schwierig, 
dass  er  es  vorzog,  abzusteigen  und  zu  Fuss  zu  gehen,  welchem 
Beispiel  auch  seine  Adjutanten  folgten.  Es  hatte  das  noch  den 
weitern  Vorteil,  dass  der  Divisionär  den  Truppen  näher  bleiben 
konnte.    Bis  ungefähr  in  die  halbe  Höhe  des  Berges  ging  der  Vor- 


o  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:   KRIEGSBILDER  293 

marsch  glatt  vonstatten;  dann  aber  wurde  die  Sache  schwieriger. 
Die  Schussweite  zwischen  den  hinter  Felsen,  Bäumen  und  Häusern 
gut  gedeckten  sonderbündlerischen  Jägern  und  den  eidgenössischen 
Truppen  verringerte  sich  mit  jedem  Schritt,  und  unheimUch  be- 
gannen die  Kugeln  an  den  Ohren  vorbeizupfeifen.  Mit  ruliig- 
gleichmässigem  Gange  schritt  der  Di\'isionär  bergan,  gefolgt  von 
dem  halben  Bataillon  Fäsi  und  etwas  weiter  zurück  von  den 
Appenzellem.  Brav  und  unerschrocken  gingen  die  tirailUerenden 
Jägerkompagnien  immer  voraus.  Aber  auch  die  sonderbündle- 
rischen Jäger  hielten  tapfer  Stand  und  liessen  sich  eher  von  den 
sie  im  Vorrücken  überholenden  Eidgenossen  gefangennehmen,  als 
dass  sie  vom  Posten  gewichen  wären.  Man  kam  unter  immer 
lebhafter  werdendem  Kampfe  an  eine  offene  Waldwiese,  deren 
oberer  Rand,  eine  dichte  WaldUsiere,  sehr  stark  vom  Feinde 
besetzt  war.  Er  musste  unter  allen  Umständen  auch  aus  dieser 
Position  geworfen  werden,  und  der  Divisionär  schritt  seinen 
Truppen  weiter  voran,  allein  derer,  die  ihm  nachfolgten,  wurden 
immer  weniger.  Das  Appenzeller  Bataillon,  dessen  Major  Bänziger 
verwundet  worden  war  (Fr.  Vogel  sah  ihn  in  Rotkreuz  wegtranspor- 
tieren), war  ganz  zurückgebHeben,  aber  auch  das  Halbbataillon 
Fäsi  zog  sich  immer  mehr  rechts  herunter  gegen  Honau  zu. 

Inzwischen  hatte  sich  aber  auch  der  Abstand  zwischen  den 
Truppen  Zieglers  und  der  Brigade  Egloff,  welche  unten  im  Tal 
und  über  der  Strasse  auf  der  Berglehne  vorrückte,  so  verringert, 
dass  man  sich  gegenseitig  die  Hand  reichen  konnte.  Ziegler  erhielt 
Verstärkung  durch  das  halbe  Bataillon  Häusler,  allein  auch  damit 
wollte  es  nicht  recht  vorwärts  gehen,  ,,dem  Tambour  will  der 
Wirbel  nicht  unterm  Schlägel  fort",  er  starrt  mit  angstverzerrten 
Zügen  nach  der  Höhe,  von  der  die  todbringenden  Kugeln  immer 
dichter  herabsausen,  und  da  tritt  nun  der  historische  Moment 
ein,  den  der  Zeichner  unseres  Bildes,  Leutnant  J.  Sulzer  von 
Winterthur  im  Stabe  Zieglers,  festgehalten  hat:  wo  Ziegler  den 
erbleichenden  Tambour  am  Kragen  packt  und  mit  sich  nach  der 
Höhe  reisst,  ihm  nach  die  wieder  Mut  fassenden  Füsihere.  Wie 
Ziegler  haben  auch  seine  Offiziere  mit  Heldenmut  die  Soldaten 
angefeuert.  Adjutant  Siegfried,  Leutnant  Konrad  BürkH,  Major 
Schorer,  sie  alle  haben  mitgewirkt,  das  Gefecht  herzustellen  und 
die  letzte  gefährUche  Position  über  Gishkon,  die  noch  gesäubert 


294  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  o 

werden  musste,  einzunehmen.  Ziegler  wusste  wohl,  was  er  tat, 
als  er  an  der  verwundbarsten  vStelle  seiner  Vormarschhnie  sich 
selbst,  seine  Person,  sein  Leben  einsetzte  und  mit  seinem  und 
seiner  Offiziere  Beispiel  die  Situation  rettete.  Hätte  auch  diese 
Hälfte  der  Brigade  König  versagt,  so  wären  bald  die  triumphierend 
vom  Berg  herabstürzenden  Sonderbündler  im  Rücken  der  im  Tal 
vorgehenden  Eidgenossen  gestanden  imd  hätten  sie  zwischen  zwei 
Feuer  genommen. 

Die  Brigade  Egloff  war  durch  den  weglosen  ,,Schachen" 
an  der  Reuss  und  auf  der  Landstrasse  gegen  Hon  au  vorgerückt, 
voraus  die  Tirailleurkette  der  Jäger  und  Scharfschützen,  welche 
—  Gewehr  in  der  Hand,  vSack  am  Rücken  • —  über  Hecken  und 
Gräben  springend,  grössere  Hindernisse  umgehend,  kühn  und 
geradewegs  auf  die  feindliche  vStellung  bei  Honau  losmarscliierten. 
Sobald  die  Sonderbundsartillerie  in  Honau,  die  sich  bisher  aus- 
schliesslich mit  der  Reserve-Artillerie  Denzler  vor  Dietwil  unter- 
halten hatte,  auf  der  ^Strasse  grössere  Truppenmassen  heran- 
kommen sah,  richtete  sie  ihr  Feuer  gegen  diese,  und  gleich  eine 
der  ersten  Kugeln  riss  einem  .Soldaten  den  einen  Fuss  weg.  Die 
Berner  Zwölf pfünder-Batterie  Moll,  am  Rande  des  Plateaus  bei 
Berchtwil  aufgefahren,  schleuderte  ihre  Geschosse  über  die  vor- 
rückenden Truppen  hinweg  nach  Honau  hinein.  Die  andern 
Batterien,  Rust,  Müller  und  Schweizer,  folgten  auf  der 
Strasse  den  in  breiter  Front  auf-  und  unterhalb  derselben  und 
am  Abhang  oberhalb  vorgehenden  Bataillonen  und  bezogen  suk- 
zessive ebenfalls  vStellung.  Ihr  vereintes  Feuer  zwang  den  Feind, 
Honau  und  die  Stellung  oberhalb  des  Dorfes  am  Berg  aufzu- 
geben und  sich  samt  seiner  Artillerie  auf  Gislikon  zurückzu- 
ziehen. 

Unverzüghch  drängte  Oberst  Egloff  mit  seiner  ganzen 
Macht  nach.  Er  selbst  ritt  auf  dem  Feldweg  oberhalb  und  parallel 
der  Landstrasse,  hinter  sich  die  Batterie  Rust,  welche  an  ihm 
vorbei  und  geradezu  tollkühn  bis  in  die  unmittelbare  Nähe  von 
Gislikon  vorging  und  bei  der  Mühle  am  Feldweg  abprotzte.  Auf 
der  Landstrasse  unten  ging  das  Bataillon  Ginsberg  voran,  aber 
bei  der  scharfen  Biegung  derselben  gegen  Gishkon  zu  wurde  es 
von  dorther  mit  einem  heftigen  Kartätschfeuer  empfangen,  wes- 
halb es  schleunig  hinter  einer  nahen  Kiesgrube  Deckung  suchen 


o  ZWEIUNDZWANZIGSTBS  KAPITEL:   KRTEGSBILDBR  295 

musste.  Glücklicherweise  kam  nun  Verstärkung  vom  Berg  herab: 
Zieglers  Adjutant,  Oberleutnant  Siegfried,  von  ihm  beauftragt, 
das  abhanden  gekommene  Bataillon  Bänziger  aufzusuchen  und 
zweckmässig  zu  verwenden,  brachte  die  Appenzeller  heran,  die 
mit  den  andern  Truppen  vereint  das  Dorf  GisHkon  immer 
enger  umschlossen.  Aber  aus  den  Schanzen  bei  der  Gisliker 
Brücke  entlud  sich  nun  ein  so  starkes  Infanterie-  und  Artillerie- 
feuer auf  die  Tirailleure,  die  Batterie  Rust  und  die  liinter  ihr 
stellenden  Bataillone,  dass  zunächst  die  stark  mitgenommenen 
Jäger  und  Schützen  zurückgingen  und  die  Batterie  Rust  ent- 
blössten.  Bei  dieser  wurden  durch  eine  Kugel  drei  Pferde  und 
drei  Mann  getötet  oder  verwundet.  Eine  I^uzerner  Jägerkompagnie 
rückte  aus  dem  Laufgraben  der  Schanze  mit  lautem  Geschrei  bis 
auf  100 — 150  Schritte  an  die  Batterie  heran  und  begann  ihr  Feuer; 
eine  Infanteriekette  folgte.  Die  Batterie,  welche  etwa  20  Minuten 
lang  dem  Feuer  ausgesetzt  war,  musste  aufprotzen  und  unter 
Zurücklassung  eines  Geschützes  sich  im  schärfsten  Galopp  hinter 
die  Gefechtshnie  zurückziehen,  um  sich  dort  neu  zu  ordnen. 

Der  Moment  war  kritisch.  Es  bedurfte  der  vollen  Tatkraft 
und  der  heldenhaften  Entschlossenheit  von  Oberst  Egloff  und 
Adjutant  Siegfried,  um  eine  Panik  und  allgemeine  Retirade  zu 
verhüten.  Egloff  zwang  wiederholt  flüchtige  Tambouren,  umzu- 
kehren und  Sturm  zu  schlagen,  brachte  mit  Aufbietung  aller 
Energie  die  FüsiHere  zum  Stehen  und  Wiedervorrücken  und  ver- 
anlasste einen  jungen  Offizier,  der  hinter  einem  Nussbaum  Deckung 
gesucht  (,,Nussbaumer"  hiess  er  dann  sein  L,eben  lang),  sich 
mutig  dem  Feuer  auszusetzen.  Siegfried  vermochte  die  wankenden 
Appenzeller  festzuhalten  und  zur  Wiederaufnahme  des  Gefechts 
anzufeuern.  Major  Schorer  pflanzte  auf  dem  rechten  Flügel  eine 
eidgenössische  Fahne  neben  sich  in  die  Erde  und  rief  mit  weit- 
schallender Stimme-  ,, Schweizer!  Wisst  ihr,  was  diese  Fahne 
bedeutet?"  Und  in  die  zagenden  Soldatenherzen  kehrte  freudiger 
Mut  zurück.  Gleichzeitig  eilte  das  aus  seiner  Reservestellung 
herbeigerufene  Bataillon  Ginsberg  im  Laufschritt  auf  den  Kampf- 
platz, um  neben  den  Appenzellem  ins  Gefecht  einzugreifen.  Sieg- 
fried und  Aidemajor  v.  Hofstetter  drangen  mit  den  Tirailleurs 
ins  Dörflein  GisHkon  vor,  nahmen  in  und  zwischen  den  Häusern 
gute  Stellungen  und  Hessen  auf  die  letzte  Schanze  des  Feindes  bei 


296  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:   KRIEGSBILDER  o 

der  Brücke  feuern,  was  aus  den  Rohren  ging.  Im  Galopp  sprengte 
die  Batterie  Moll  eine  Anhöhe  hinan  und  richtete  ihre  Feuer- 
schlünde ebenfalls  auf  die  Schanzen  von  Gislikon,  die  Batterie 
Schweizer,  oberhalb  GisHkon  aufgefahren,  verrichtete  treffliche 
vorbereitende  Arbeit,  auch  Bataillon  Benz  rückte  nun  in  die  Linie, 
und  vom  linken  Ufer  her  kamen  —  endlich !  —  auch  die  Tirailleurs 
der  Brigade  Müller  bis  in  die  Nähe  der  Brücke,  —  3000  Gewehre 
und  20  Kanonen  schleuderten  nun  von  allen  Seiten  ihre  Projektile 
auf  diesen  einen  Fleck,  die  von  der  Batterie  Mazzola  heldenhaft 
verteidigte  Schanze  bei  der  Gisliker  Brücke.  General  von  Salis 
selbst  ward  von  einem  Kartätschenschuss  an  der  Schläfe  gestreift, 
stürzte  ohnmächtig  nieder  und  hess  sich,  zur  Besinnung  gekommen, 
im  Wirtshaus  an  der  Brücke  verbinden,  um  das  Kommando  weiter 
zu  führen.  Doch  nun  war  auch  ihm  die  Unmöghchkeit  des  längern 
Widerstandes  klar  geworden;  er  erteilte  den  Befehl  zum  Rückzug; 
Batterie  Mazzola  stellte  das  Feuer  ein  und  fuhr  ab,  die  Infanterie 
folgte,  die  Schanzen,  in  denen  eine  Vierpfünderkanone  stehen 
gebheben  war,  wurden  mit  Hurrah  von  den  Eidgenossen  in  Besitz 
genommen.  Auch  die  Brücke,  von  der  nur  einige  Bretter  fehlten, 
wurde  schnell  wieder  hergestellt  und  besetzt;  neben  dem  zer- 
schossenen Wirtshaus  und  in  seiner  Scheune  fand  man  einige  Tote 
tmd  Verwundete.  Adjutant  Siegfried  Hess  von  der  Brigade  Müller 
alle  entbehrUche  Mannschaft  über  die  Brücke  nachrücken,  und 
ohne  weitern  Kampf  marschierten  die  eidgenössischen  Truppen 
nunmehr  über  Root  hinaus,  wo  das  Biwak  rechts  und  hnks  der 
Landstrasse  bezogen  wurde  und  schon  frühzeitig  die  Lagerfeuer 
brannten.  Es  war  dem  Di\asionär  Ziegler  von  General  Dufour 
befohlen  worden,  an  diesem  Abend,  nachdem  er  Gislikon  ge- 
nommen, bei  Root  zu  biwakieren,  —  und  so  war  man  denn  jetzt 
da !  Gishkon  und  Honau  aber  hatten  an  diesem  Tage  die  Schrecken 
des  Krieges  erfahren  müssen.  Vier  Häuser  brannten  hchterloh, 
zwei  andere  waren  von  Kanonenkugeln  durchlöchert.  In  einer 
Scheune  auf  dem  Berg  verbrannten  mehrere  Stück  Vieh  und  in 
einem  Stall  unterhalb  der  Strasse  bei  Honau  wurden  vier  Kühe 
durch  eine  Kanonenkugel  getötet.  Auf  dem  Kampfplatz  lagen 
mehrere  tote  Pferde,  Gewehre,  Tschakkos,  Mützen,  Säbel,  abge- 
schossene Baumäste,  und  der  Boden  war  an  \-ielen  Orten  von  den 
Kanonenkugeln  aufgerissen. —  Aber  auch  eines  edlen  Friedens- 


o  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  297 

boten  sei  noch  gedacht:  der  Zürcher  Maler  und  Panoramen- 
zeichner Müller -Wegmann,  hatte  in  dem  von  der  Division 
Gmür  mit  Sturm  genommenen  Meierskappel  verwundete 
Sonderbündler  vor  ^lisshandlungen  geschützt  und  Plünderungen 
so\-iel  als  möghch  Einlialt  getan.  Dann  war  er  mit  einem  oder 
zwei  Begleitern  vor  den  Eidgenossen  her,  über  Udligenswil,  Adligen- 
wil  usw.,  von  Dorf  zu  Dorf  gelaufen  und  hatte  den  Leuten  ge- 
sagt: „Seht  uns  an,  wir  sind  auch  Eidgenossen,  ganz  wie  die, 
welche  jetzt  kommen  werden.  Und  nun  seid  verständig.  Stellt 
Tische  vor  die  Häuser  und  Most  und  Käs  und  Brot  darauf,  und 
wenn  die  Soldaten  kommen,  so  versteckt  Euch  nicht  in  die  Häuser, 
sondern  seid  freundhch  mit  ihnen ;  sie  werden  Euch  nichts  Böses 
tun!"  Der  hebenswürdige,  von  seinen  Freunden  als  goldiger  Cha- 
rakter geschätzte  Zürcher  Künstler  verrichtete  Engelsdienste. 


LUZERN.  Schultheiss,  Staatsschreiber  und  Regierungsräte- 
Jesuiten,  Kapuziner  und  weinende  Nonnen,  — •  alle  auf  ein  Dampf- 
schiff gepackt  und  fort  nach  Flüelen!  Staatsschreiber  Bernhard 
Meier  schrieb:  ,,Auf  dem  Schiffe  Jammer,  mitunter  Weinen, 
Konsternation  auf  allen  Gesichtern.  Auf  der  Seite,  wo  die  Ge, 
fechte  bei  Gishkon,  Meierskappel  und  derenden  stattgefunden, 
war  der  Himmel  mit  einer  grässhchen  Flammenröte  bedeckt, 
welche  das  Dunkel  bis  zu  uns  durchbrach  und  den  nächthchen 
Spiegel  des  Sees  blutigrot  färbte  — ,  dieses  furchtbare  Schauspiel, 
das  Unglück  meines  gehebten  Luzerner  Volkes,  ich  kann  noch 
heute  nicht  an  diese  Überfahrt  zurückdenken,  ohne  dass  meine 
Seele  tief  erschüttert  wird"  . . . 

Am  folgenden  Tag:  Einzug  der  eidgenössischen  Trup- 
pen in  Luzern,  von  mittags  bis  in  die  Nacht,  24,000  Mann, 
während  16,000  vor  den  Toren  bleiben.  In  den  Strassen  furcht- 
bares Gedränge,  Durcheinander,  beginnende  Exzesse,  Sturm  der 
Luzemer  Bastille  und  Befreiung  der  Gefangenen,  Verwüstung  des 
Hauses  von  Siegwart-Müller,  Bedrohung  der  Klöster  —  wer  soll 
in  diesem  Wirrwar  Ordnung  schaffen?  Wer  anders  als  Oberst 
Ziegler,  der  Mann  der  Ordnung  par  excellence;  er  wird  zum 
Platzkommandanten    von    Luzern    ernannt    und    er    schafft 


298  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  o 

Ordnung!  So  dass  die  eroberte  Stadt  dem  Kommandanten  des 
Besatzungsheeres  Blumen  des  Dankes  streut  und  sein  Wirken 
segnet  und  lobpreist.  General  Dufour  ist  ebenfalls  eingetroffen, 
und  er  umarmt  den  Sieger  vom  Rooterberge  mit  den  Worten: 
,,Je  V0U3  en  garderai  un  eternel  souvenir."  Oberst  Siegfried 
schilderte  nach  Zieglers  Tod  dessen  Tätigkeit  in  Luzern:  „Zum 
Platzkommandanten  von  Luzern  ernannt,  zeichnete  sich  nun 
Ziegler  wieder  aus  durch  seine  ausserordentliche  Anstrengung, 
Ausdauer  und  Befähigung  in  Bemeisterung  der  eingetretenen 
Verwirrung,  Unordnung  und  Rechtswidrigkeiten.  Dabei  legte  er 
eine  unerschöpfhche  Ruhe  und  Geduld,  Milde  und  Ernst,  Billig- 
keit und  Gerechtigkeit  an  den  Tag.  Als  zur  Erleichterung  für  die 
Einwohnerschaft  so  rasch  als  möglich  für  die  Truppen  Natural- 
verpf legung  eingeführt  wurde,  traf  auf  dem  Divisionsbureau  der 
Bericht  ein,  dass  die  Mannschaft  einer  Zürcher  Artilleriekompagnie 
sich  dagegen  auflehne.  Ziegler  befahl  sofort,  dass  dieselbe  auf 
den  Schwanenplatz  geführt  werde,  und  hess  die  ihm  treu  ergebene 
und  intelhgente  Zürcher  Kavalleriekompagnie  Hanhart  ebendahin 
ausrücken.  Alsbald  in  Begleit  seiner  Adjutanten  daselbst  zu  Pferd 
angelangt,  Hess  er  die  Artilleriekompagnie  zwischen  die  in  zwei 
Reihen  in  angemessener  Entfernung  voneinander  aufgestellte 
KavaUeriekompagnie  einrücken  und  rief  den  Hauptmann  der 
Batterie  zur  Berichterstattung  über  die  Entstehung  und  die  An- 
stifter der  Auflehnung  vor.  Die  paar  genannten  Anstifter  rief 
Ziegler  hervor,  Uess  sie  die  Waffen  abgeben  und  durch  ein  kleines 
Detachement  Kavallerie  sofort  zur  kriegsgerichthchen  Unter- 
suchung und  Beurteilung  abführen.  Dem  Hauptmann  der  Kom- 
pagnie warf  er  dann  laut  Mangel  an  Energie  zur  Unterdrückung 
des  Skandals  vor,  diktierte  ihm  vorläufig  scharfen  Arrest  und  die 
Kompagnie  selbst  hess  er  sofort  zu  einem  Strafmarsch  abmar- 
schieren. So  zerstörte  Ziegler  durch  rascheste  imd  klarste  Energie 
den  Keim  einer  widrigen  Bewegung;  denn  jedermann  fülilte  auf 
dem  Schwanenplatz,  dass  die  Kavalleriekompagnie  nicht  umsonst 
aufgestellt  war." 

Die  Duzerner  Regierung  liess  Ziegler  durch  ihren  Schultheiss 
Kopp  einen  Dankbesuch  für  sein  Wirken  abstatten  und  erklären, 
dass  sie  ihm  gerne  noch  irgendwelchen  Beweis  ihrer  ErkenntUch- 
keit  geben  würde.    Nach  Beratung  und  im  Einverständnis  mit 


o  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEI.:    KRIEGSBILDER  299 

seinem  Regierungskollegen  Bollier  erbat  sich  darauf  Ziegler  die 
im  Luzemer  Zeughaus  aufbewahrten  Waffen  Zwingiis.  Er 
sagte  in  seinem  Schreiben  vom  2.  Januar  1848:  „Eines  hegt  mir 
indessen  am  Herzen  und  wenn  ich  Ihre  Geneigtheit  in  diesem 
Sinne  in  Anspruch  nehmen  dürfte,  so  würde  die  Gewährung  meiner 
Bitte  mir  allerdings  grosse  Freude  machen.  Es  ist  dies  die  Aushin- 
gabe der  vor  mehr  als  300  Jahren  den  Zürchern  abgenommenen 
Streitaxt,  Schwert  und  Sturmhaube  Zwingiis.  Einer  unerlaubten, 
gewaltsamen  Hinwegnahme  dieser  gescliichtUch  wertvollen  Gegen- 
stände beim  Einzug  der  eidgenössischen  Truppen  hätte  ich  mich, 
meinen  Grundsätzen  getreu,  mit  Gewalt  widersetzt,  deren  Empfang- 
nahme auf  hochdero  Verfügung  hin  hätte  aber  einen  um  so  grossem 
Wert  für  mich  und  stolz  dürfte  ich  sein,  mit  dem  Geschenk  der 
einen  Regierung  vor  die  andere  zu  treten." 

Mit  Schreiben  vom  5.  Januar  willfahrte  die  I/Uzemer  Regie- 
nmg  diesem  Wunsche,  ,,in  der  Absicht,  der  Eidgenossenschaft, 
insbesondere  dem  Stande  Zürich,  einen  Beweis  zu  geben,  wie 
sehr  Luzem  freundeidgenössisches  Entgegenkommen  und  Be- 
seitigung jegHcher  Erinnerung  konfessionellen  Haders  wünsche." 
Am  6.  Januar  1848  kehrte  Oberst  Ziegler  mit  seiner  kostbaren 
Gabe  nach  Zürich  zurück.  Die  Regierung  beschloss,  ihm  zu 
Ehren  eine  besondere  Feier  im  Rathaus  zu  veranstalten.  Am 
festgesetzten  Tage,  den  13.  Januar,  fuhr  eine  Deputation  der 
Regierung  in  fünf  zweispännigen  Wagen  nach  der  Wohnung 
Zieglers  im  PeHkan  und  übergab  ihm  dort  ein  Dank-  und  Aner- 
kennungsschreiben der  Regierung.  Dann  fuhr  Ziegler  mit  der 
Deputation  zum  Rathaus,  wo  im  Grossratssaal  der  Regierungsrat 
imd  eine  grosse  Zahl  von  Stabsoffizieren  seiner  wartete.  Amts- 
bürgermeister Dr.  Zehnder  hielt  eine  Begrüssungsansprache  an 
den  mit  dem  Eorbeer  des  Siegers  aus  dem  Kriege  heimgekehrten 
Divisionär,  die  dieser  in  seiner  charakteristischen  Weise  beant- 
wortete: ,, Hochhebst  zu  bedauern  war  es,"  sagte  er  u.  a.,  „dass 
Eidgenossen  gegen  Eidgenossen  zu  Felde  ziehen  mussten.  Doch 
weil  es  einmal  so  beschlossen  war,  so  kaim  ich  mich  nur  freuen, 
dass  wenigstens  da,  wo  ich  und  die  meinem  Kommando  unter- 
stellt gewesenen  Truppen  waren,  ein  kräftiger  Widerstand  ge- 
leistet worden  ist  und  dass  unsere  Gegner,  welche  sich  ja  auch 
im  Rechte  glauben  mochten,  den  Platz  nicht  ganz  leichten  Kaufes 


300  ZWEIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    KRIEGSBILDER  o 

räumten.  Die  Opfer,  die  gefallen  sind,  bringen  dem  Schweizervolk 
wahrhaftig  mehr  Ehre  und  Kraft,  als  wenn  Alles  ohne  Schwert- 
streich vorübergegangen  wäre.  Wenn  aber  denjenigen,  welche  sich, 
wde  es  Schweizern  geziemt,  gehalten  haben,  Anerkennung  gebührt, 
so  bleibe  auch  die  Schande  für  diejenigen  nicht  aus,  sie  mögen 
in  unsern  oder  des  Gegners  Reihen  gestanden  haben,  denen  es 
vergönnt  war,  am  Kampfe  teilzunehmen,  die  aber  den  Kampf- 
platz aus  Feigheit  verUessen,  damit  es  auf  alle  Zeiten  für  einen  Jeden 
zur  Warnung  diene.  Glückhch  dürfen  wir  uns  schätzen,  dass  der 
Kampf,  nachdem  er  ehrenhaft  durchgefochten,  so  bald  zu  einem 
Resultate  führte.  Das  Werk  des  Siegers  werde  gekrönt  durch  ein 
gemässigtes  Verfahren  gegen  die  Besiegten,  sonst  wird  jenes  mcht 
gedeihen  ...  In  hohem  Masse  fand  auch  in  Luzern  die  einfache 
Pfhchterfüllung,  sowohl  bei  Kantonal-,  als  auch  bei  Stadtbehörden 
die  vollste  Anerkennung  und  mit  grösster  Freude  vernahm  ich, 
dass  die  h.  Regierung  meinem  und  meines  Kollegen  Bollier  ge- 
äusserten Wvmsche  entsprochen  und  die  Rückgabe  des  Helmes 
und  der  Waffen  Zwinghs  beschlossen,  die  durch  die  Standeskom- 
mission  auch  stattfand.  Ich  bin  stolz  darauf,  meiner  Regierung 
dieses  Geschenk  überreichen  zu  können,  nicht  zweifelnd,  dass  das 
Opfer,  welches  sich  die  Regierung  des  hohen  Standes  Luzern  ge- 
fallen Hess  und  welches  für  uns  von  hohem  Wert  ist,  bei  Ihnen 
alle  Anerkennung  finde." 

Unter  freudiger  Bewegung  der  ganzen  Stadt  wurden  nach 
dieser  ebenso  schHchten  als  erhebenden  Feier  die  Waffen  Zwingiis 
in  das  grosse  gelbe  Zeughaus  gebracht.  Ihrem  Überbringer  aber 
widmete  Oberst  Siegfried  in  seinem  Nachruf  1882  die  Worte: 
,,Aus  dem  Feldzug  gegen  den  Sonderbund  hinterliess  Oberst 
Ziegler,  zunächst  und  zmneist  bei  den  ihm  dauernd  nahe  Gestan- 
denen, allmähhch  dann  aber  auch  bei  jedermann,  der  mit  ihm  in 
Berührung  kam,  insbesondere  bei  seiner  zahlreichen  Di\äsion,  wie 
in  Stadt  und  Land  Luzern  den  prägnanten  Eindruck  eines  an 
militärischen  und  bürgerhchen  Tugenden  her\-orragenden  Mannes. 
Uns  gilt  und  erhebt  er  als  das  Bild  eines  vollendeten  Truppen- 
führers  und  wahren  Edelmannes,  und  wir  rufen  ihm  wie  \'iele 
dankerfüllt  und  wehmütig  mit  General  Dufour  nach:  Nous  lui 
en  garderons  un  etemel  souvenir!" 


DREIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL 


DAS  POLYTECHNIKUM 

Zum  fünfzigjährigen  Jubiläum  des  eidgenössischen  Poly- 
technikums im  Jahre  1905  erschien  als  erster  Teil  einer 
moniunentalen  Festschrift  eine  Geschichte  der  Gründung  dieser 
Anstalt  mit  einer  Übersicht  ihrer  Entwicklung  1855  bis  1905, 
verfasst  von  Wilhelm  Oechsli.  Ein  Gang  durch  dieses  Buch, 
auf  den  sich  die  nachfolgenden  knappen  Aufzeichnungen  be- 
schränken, erinnert  daran,  dass  der  stolze  Bau  der  eidgenössi- 
schen pol5-technischen  Schule  sein  Dasein  der  Idee  einer  schweize- 
rischen Hochschule  verdankt,  die  schon  in  einer  von  Philipp 
Albert  Stapfer  verfassten  Botschaft  des  helvetischen  Direk- 
toriums vom  18.  November  1798  figuriert,  aber  nicht  zur  Aus- 
führung gelangte.  Ein  junger  Tessiuer  Schulmeister,  der  nach- 
malige Bundesrat  Franscini,  griff  in  einer  1827  ersclüenenen 
Druckschrift  den  Gedanken  wieder  auf,  und  mit  noch  grösserem 
Nachdruck  tat  dies  1829  der  Luzerner  Philosoph  Troxler.  Im 
Schosse  der  helvetischen  Gesellschaft  in  vSchinznach  bezeichnete 
(Mai  1831)  Dr.  Kasimir  Pfyffer  von  Luzern  die  Schöpfung 
einer  schweizerischen  Universität  als  die  notwendige  Konsequenz 
der  angebahnten,  poUtischen  Bewegung.  Am  15.  Juni  1832  be- 
schloss  der  Grosse  Rat  des  Kantons  Waadt,  bei  den  andern 
Ständen  die  Errichtung  einer  Universität  grossen  Stiles  auf  dem 
Konkordatswege  zu  beantragen.  Diese  Anregung  kam  zwar  auf 
der  Tagsatzung  in  Luzern  nicht  offiziell  zur  Sprache,  wurde  aber 
auf  einer  freien  Konferenz  im  Tagsatzungslokal  (24.  August  1832) 
lebhaft  besprochen  und  hatte  zunächst  die  Folge,  dass  Zürich 
die  Gründung  seiner  Hochschule  beschleunigte.  Der  Entwurf 
der  Tagsatzungsgesandten  fand  in  den  Kantonen  und  auch  in 
Zürich  nur  kühle  Aufnahme;  es  scheiterten  aber  ebenso  die  Be- 
mühungen Zürichs,  mit  seinem  Kreisschreiben  vom  3.  Mai  1835 
zehn  andere  Kantone  zmn  Beitritt  in  einen  Verband  zu  veran- 
lassen,   der    die    Hochschule    Zürich    zu    einem    interkantonalen 


302      DREIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    DAS  POLYTECHNIKUM         o 

Institut  der  östlichen  Schweiz  erheben  sollte.  Für  das  technische 
Bildungswesen  in  der  vSchweiz  war  von  den  Kantonen  schon 
vieles  getan  worden;  es  fehlte  aber  noch  eine  wohlausgerüstete 
technische  Hochschule,  wie  sie  eben  kein  einzelner  Kanton,  son- 
dern nui  das  ganze  Land  schaffen  und  erhalten  konnte. 

Schon  vor  dem  Sonderbundskrieg  hatten  die  der  Basler  Diö- 
zese angehörenden  Kantone  Unterhandlungen  geführt  für  die 
gemeinsame  Errichtung  einer  theologischen  Anstalt  in  Solothurn, 
in  dem  Bestreben,  an  die  Stelle  des  in  den  in-  und  ausländischen 
Jesiütenanstalten  erzogenen  Klerus  eine  modern  gebildete,  vater- 
ländisch gesinnte  katholische  Geistlichkeit  zu  setzen.  Auf  die 
Anregung  des  Vororts  Bern  fand  daselbst  am  ii.  Februar  1848 
eine  Konferenz  statt,  welche  die  Errichtung  einer  kathoUschen 
Priesterschule  neuerchngs  besprach.  Allein  schon  am  24.  Februar 
beschloss  die  Revisionskommission  für  die  Bundesverfassung, 
die  eidgenössische  Hochschule  in  ihren  Entwurf  aufzu- 
nehmen, allerdings  nur  in  der  bescheidenen  Form  einer  vom 
Bund  zu  subventionierenden  Konkordatsanstalt.  In  der  zweiten 
Lesung  am  8.  April  kam  ein  erweiterter  Beschluss  zustande, 
wonach  die  Eidgenossenschaft  für  Errichtimg  einer  schweize- 
rischen Universität,  einer  polytechnischen  Schule  und 
für  Lehrerseminarien  sorgen  werde.  Dieser  Antrag  musste  den 
Kantonen  für  die  Instruktion  ihrer  Tagsatzungsgesandten  unter- 
breitet werden.  Im  Grossen  Rat  von  Zürich  sprachen  am  11.  Mai 
1848  Bürgermeister  Jonas  Furrer  dagegen,  x\lfred  Escher  und 
Dubs  dafür.  Der  Rat  schloss  sich  jedoch  dem  Bürgenneister 
an.  Auf  der  Tagsatzung  siegte  am  24.  Juni  die  fakultative  Form, 
welche  sodann  in  die  Bundesverfassung  vom  12.  September  1848 
überging:  ,,Der  Bund  ist  befugt,  eine  Universität  und  eine 
eidgenössische  polytechnische    Schule   zu  errichten." 

Gleich  in  der  ersten  Session  der  neugeschaffenen  Bundes- 
versammlung stellte  am  18.  November  1848  Nationalrat  Ochsen- 
bein von  Bern  die  Motion,  es  solle  eine  eidgenössische  Universität 
errichtet  werden,  deren  Sitz  nicht  in  der  Bundesstadt  sein  dürfe. 
Der  Sinn  dieser  Motion  war  der:  wenn  Bern  Bundesstadt  werde, 
so  überlasse  es  Zürich  die  eidgenössische  Urüversität.  Der  ber- 
nische Erziehungsdirektor  Imobersteg  ergänzte  die  Motion  Ochsen- 
bein dahin,   dass  auch  die  polytechnische   Schule  eiuzubeziehen 


o         DREIUNDZWAXZIGSTES  KAPITEL:    DAS  POLYTECHNIKUM      303 

sei.  In  diesem  Sinn  wurde  die  Motion  am  25.  November  erheblich 
erklärt.  Drei  Tage  später  wählte  die  Bundesversammlung  Bern 
zur  Bundesstadt.  Der  Bundesrat  veranstaltete  am  4.  Januar 
1849  eine  Umfrage  bei  den  Kantonen  nach  ihren  Wünschen  be- 
züghch  einer  eidgenössischen  Universität  und  polytechnischen 
Schule.  Am  17.  Dezember  1850  beantragte  er  im  Nationalrat 
einen  Budgetposten  von  1000  Fr.  für  die  Beiziehung  von  Sach- 
verständigen für  die  Hochscliulfrage.  Der  Nationalrat  bewilhgte 
3000  Fr.  und  lud  den  Bundesrat  ein,  bis  zur  nächsten  Session 
Bericht  über  die  Frage  zu  erstatten.  Am  26.  Mai  1851  trat  in 
Bern  eine  Expertenkommission  zusammen,  in  welcher  Alfred 
Escher  die  beste  Stütze  der  Hochschulbestrebungen  wurde. 
,,\Venn  einer,  so  war  er  imstande,  sie  zu  verwirkhchen,  w^eil  er 
durch  seine  erstaunUche  Arbeitskraft  und  gefürchtete  Redege- 
walt sich  in  kürzester  Frist  zum  ersten  Parlamentarier  der  Schweiz 
aufgeschwungen  hatte.  Im  Gegensatz  zu  Jonas  Furrer  hatte 
Escher  schon  mit  Begeisterung  die  Idee  der  eidgenössischen 
Hochschule  ergriffen,  als  seine  Vaterstadt  noch  wenig  Aussicht 
auf  die  Ehre  ihres  Sitzes  hatte;  jetzt,  wo  es  als  selbstverständHch 
galt,  dass  Zürich  dadurch  für  die  verlorene  Vorortschaft  zu  ent- 
schädigen sei,  setzte  er  das  ganze  Gewicht  seiner  imponierenden 
Persönlichkeit  für  diese  schönste  schweizerische  Kulturfrage 
ein."  Die  Expertenkommission  bejahte  beide  Hauptfragen  und 
räumte  der  Universität  die  Priorität  vor  der  polytechnischen 
Schule  ein.  In  wenigen  Tagen  redigierte  Escher  die  beiden  Gesetzes- 
entwürfe (für  Universität  und  Polji:echnikum) .  Sein  Berater 
war  dabei  für  das  Polytechnikum  der  Rektor  der  zürcherischen 
Industrieschule,  J.  W.  v.  Deschwanden.  Die  Expertenkom- 
mission (27.  Juni  bis  i.  Juli  1851)  spaltete  sich  bezüghch  der 
Universität  in  Mehrheit  und  Minderheit,  das  Polytechnikums- 
gesetz wurde  angenommen  und  die  Meinung  ausgesprochen, 
dass  die  Universität  in  die  deutsche,  das  Polytechnikum  in  die 
welsche  Schweiz  zu  verlegen  sei. 

Der  Nationalrat  bestellte  am  i.  August  1851  für  das  Trak- 
tandum  eine  Neunerkommission.  Unter  den  Motiven,  welche 
Alfred  Escher  bewogen,  seine  Haltung  gegen  den  vStaatsbau 
der  Eisenbahnen  einzunehmen,  spielte  auch  die  Besorgnis  mit, 
der  Bund  werde,  wenn  er  sein  Geld  in  den  Eisenbahnen  festlege, 


304      DREIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    DAS  POLYTECHNIKUM  o 

nichts  mehr  für  die  Hochschule  übrig  haben.  Als  der  Privatbau 
gesiegt  hatte,  ging  Escher  mit  um  so  grösserem  Eifer  hinter  die 
Hochschulfrage.  Die  Mehrheit  der  nationalrätlichen  Kommission 
beantragte  Eintreten,  die  Minderheit  Verschiebung  der  Angelegen- 
heit auf  unbestimmte  Zeit.  Unter  dem  Beifall  der  Studenten 
auf  der  Tribüne  beschloss  der  Nationalrat  am  ig.  Januar  1854 
Eintreten  mit  64  gegen  43  vStimmen,  und  abends  brachte  die 
Studentenschaft  Berns  den  zustimmenden  Volksvertretern  einen 
Fackelzug.  Aus  taktischen  Gründen  kam  Escher  dazu,  während 
der  Detailberatung  beide  Gesetze  in  einen  Entwurf  zu  verschmel- 
zen. Der  Nationalrat  stimmte  der  Verschmelzung  zu  und  nahm 
das  ganze  Gesetz  mit  59  gegen  39  Stimmen  an.  Der  Ständerat 
dagegen  lehnte  am  i.  Februar  1854  das  Eintreten  auf  die  vereinigte 
Vorlage  Urüversität-Polytechnikum  ab,  beschloss  aber  zugleich 
mit  24  gegen  17  vStimmen,  es  sei  eine  eidgenössische  poly- 
technische Schule  in  Verbindung  mit  einer  Schule  für  das 
höhere  Studium  der  exakten,  pohtischen  und  humanistischen 
Wissenschaften  in  Zürich  zu  errichten.  Kaum  war  dieser  Ent- 
scheid gefallen,  so  produzierte  der  Kommissionsreferent  Kappeier 
den  fertigen  Gesetzesentwurf  für  das  Polytechnikum,  den  er  für 
diesen  Fall  schon  zum  voraus  durch  vStreichung  alles  auf  die  Uni- 
versität Bezüghchen  aus  dem  verworfenen  Gesetz  und  durch 
die  nötigen  Abänderungen  präpariert  hatte.  Trotz  den  Protesten 
der  ,, überrumpelten"  Minderheit  beschloss  der  vStänderat  am 
3.  Februar  sofortiges  Eintreten  und  am  4.  Februar  Annahme 
dieses  Gründuugsgesetzes  für  das  Polytechnikum,  dem 
am  7.  Februar  sodann  auch  der  Nationalrat  beistimmte.  ,,Die 
gewaltige  Hochschuldebatte,  die  mit  wenig  Unterbrechungen 
vom  16.  Januar  bis  7.  Februar  1854  gedauert  hatte,  eines  der 
denkwürdigsten  Ereignisse  in  den  Annalen  des  schweizerischen 
Parlamentarismus,  war  zu  Ende  und  die  Schweiz  um  eine  hohe 
Bildungsanstalt  reicher.  Das  Hauptziel,  für  das  die  Träger  der 
Hochschulidee  mit  dem  Einsatz  ihrer  ganzen  Kraft  gestritten, 
war  zwar  nicht  erreicht,  aber  dafür  war  die  polytechnische  Schule, 
die  sie  neben  der  Universität  hatten  gründen  wollen,  weit  um- 
fassender geworden  als  es  im  ursi^rünglicheu  Plane  gelegen  hatte." 
Als  die  Seele  der  Operation  bezeichnete  der  ,,Bund"  Dr.  Alfred 
Escher,  ,,der  hier  aufs  neue  bewies,  wie  viel  eine  mit  allen  Tugen- 


o         DREIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    DAS  POLYTECHNIKUM      305 

den  eines  produktiven  und  energischen  Staatsmannes  ausge- 
rüstete Kraft  auch  unter  den  schwierigsten  Verhältnissen  zu 
leisten  vermag,  und  wie  sehr  die  Eidgenossenschaft  und  der  Kanton 
Zürich  Ursache  haben,  auf  ihn  stolz  zu  sein." 

In  Zürich  war  die  Freude  gross,  wenn  auch  nicht  ungeteilt; 
die  Studenten  brachten  den  National-  und  Ständeräten  am 
17.  Februar  einen  Fackelzug,  die  gegnerischen  Ansichten  der 
konservativen  ,, Eidgenössischen  Zeitung"  bheben  auf  einen  engen 
Kreis  beschränkt.  Nun  hatte  sich  aber  Zürich  noch  zu  erklären, 
ob  es  die  mit  der  Übernahme  des  Polytechnikums  verbundenen 
Bau-  und  andern  Pf  hellten  auf  sich  nehmen  wolle.  In  glückhcher 
Ahnuugslosigkeit  rechnete  man  mit  einer  Bauausgabe  von  etwa 
400,000  Fr.  Die  Stadt  erklärte  sich  zu  einem  fixen  Geldbeitrag 
bereit,  wenn  auch  die  ,, Ausgemeinden"  ein  Gleiches  tun  würden. 
Infolgedessen  bewilUgten  am  g.  April  1854  die  zürcherischen 
Vororte  insgesamt  eine  Aversalsumme  von  20,000  Fr.  In  Ausser- 
sihl,  welches  für  einen  Beitrag  zu  arm  war,  legten  Private  750  Fr. 
zusammen,  damit  die  Gemeinde  auch  auf  der  Liste  figuriere. 
Die  Stadt  bewiUigte  am  10.  April  sodann  mit  496  gegen  307  Stim- 
men 12,000  Fr.,  von  welchem  Betrage  die  Bürgergemeinde  allein 
4000  Fr.  übernahm,  wogegen  für  das  Übrige  Bürger  und  Nieder- 
gelassene gemeinsam  durch  Steuern  aufzukommen  hatten.  Der 
Grosse  Rat  genehmigte  am  19.  April  einstimmig  die  Anträge 
der  Regierung  über  die  Verpfhchtungen  des  Kantons  Zürich. 

In  der  Juhsession  1854  gewährten  die  eidgenössischen 
Räte  einen  Spezialkredit  von  144,000  Fr.  für  die  erste  Einrich- 
tung der  polytechnischen  Schule  und  einen  ersten  Budgetkredit 
von  127,000  Fr.  pro  1855.  Daraufhin  beschloss  der  Bundesrat 
am  31.  JuH,  die  Eröffnung  der  polytechnischen  Schule  habe 
im  Herbst  1855  stattzufinden  und  es  solle  dem  ersten  Schuljahre 
ein  halbjähriger,  im  Frühjahr  1855  beginnender  Vorbereitungs- 
kurs vorangehen.  Am  2.  August  1854  bestellte  der  Bundesrat 
den  schweizerischen  Schulrat  nüt  Dr.  Joh.  Konrad  Kern  von 
Berhngen  im  Thurgau  als  Präsidenten  und  Dr.  Alfred  Escher 
als  Vizepräsidenten.  Unverzüglich  ging  der  Schulrat  nun  an  die 
Aufsuchung  und  Berufung  von  Professoren,  wobei  sich  nament- 
Ucli  Kern  durch  seine  Umsicht  und  unermüdhche  Tätigkeit  grosse 
Verdienste   erwarb.     Eröffnet  wurde   die   Reihe   der   Berufungen 


3o6      DREIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    DAS  POLYTECHNIKUM  o 

durch  den  stolzen  Namen  Gottfried  Sempers  für  die  Bau- 
schule, auf  den  Richard  Wagner  Escher  und  Kern  aufmerksam 
gemacht  hatte.  In  Karl  Culmann  erhielt  dann  auch  die  In- 
genieurschule ihren  \'orzüglichen  Leiter.  Aus  der  grossen  Zahl  der 
übrigen  Professoren  seien  hier  nur  einige  der  allgemeiner  bekann- 
ten erwähnt:  so  der  Aarauer  Gewerbeschulrektor  und  Chemiker 
P.  A.  Bollej';  der  Professor  der  Forstwissenschaften  Ehas  Landolt; 
der  Physiker  Albert  Mousson,  Sohn  des  frühern  eidgenössischen 
Kanzlers;  R.  J.  Clausius,  der  Begründer  der  geltenden  Wärme- 
theorie; der  Botaniker  Oswald  Heer;  Arnold  Escher  von  der  Linth, 
nach  Heims  Urteil  „der  grösste  Alpenforscher,  den  es  je  gegeben 
hat  und  geben  wird"  (»Sohn  des  Erbauers  des  Linthkanals) ;  De- 
schwanden, welcher  der  erste  Direktor  des  Pol\i;echnikums  wurde; 
der  Astronom  Joh.  Rud.  Wolf;  der  streitbare  Ästhetiker  Fr.  Th. 
Vischer,  Freund  und  Verteidiger  von  D.  Fr.  Strauss;  der  Lehrer 
für  allgemeine  Gesclüchte  Willielm  Adolf  Schmidt ;  der  Kunst-  und 
Kulturhistoriker  Jakob  Burckhardt  von  Basel;  der  Staatsrechts- 
lehrer und  Regierungsrat  J.  J.  Rüttimann.  Im  Lande  herrschte  nur 
eine  Stimme  der  Anerkennung  über  die  vom  Schulrat  getroffenen 
Wahlen.  Der  Berner  Konsen^ative  v.  Gonzenbach,  ein  Gegner 
des  Polytechnikumprojektes,  schrieb  am  2.  März  1855  an  Alfred 
Escher:  ,, Erlauben  Sie,  dass  ich  diesen  Anlass  benutze,  um  Ihnen 
meine  innige  Freude  über  die  Vorschläge  der  Lehrstellen  am 
Polyteclinikum  auszusprechen.  In  der  Schweiz  war  man  an  ein 
derartiges  Absehen  von  der  pohtischen  Färbung  seit  langem 
nicht  mehr  gewohnt.  Ich  begrüsse  diese  Erscheinung  als  einen 
wirkHchen  Fortschritt  und  sage  Ihnen  in  der  Überzeugung, 
dass  Sie  dazu  wesenthch  beigetragen,  meinen  herzUchsten  Dank 
dafür." 

Die  Aufnahmeprüfungen  für  den  Vorkurs  fanden  am 
23.  und  24.  April  in  Zürich  statt;  der  Vorkurs  dauerte  vom  i.  Mai 
bis  8.  September.  Am  28.  August  wählte  der  Schulrat  Deschwan- 
den zum  Direktor.  Das  erste  Vorlesungsverzeichnis  zeigt  die 
Einteilung  des  Polytechnikums  in  folgende  Schulen:  Bauschule, 
Ingenieurschule,  mechanisch-technische  Schule,  chemisch-tech- 
lüsche  Schule,  Forstschule,  und  eine  sechste  Abteilung  nüt  Natur- 
wissenschaften, mathematischen  Wissenschaften,  literarischen  und 
staatswirtschaftlichen  Wissenschaften.    Die  Gesamtzahl  der  Stu- 


o  DRBIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    DAS  POLYTECHNIKUM      307 

dierenden  des  ersten  Semesters  betrug  183,  womit  die  Berech- 
nungen der  Kommissionen  und  Behörden  bereits  um  ein  Erkleck- 
liches übertroffen  wurden. 

Am  Montag  den  15.  Oktober  1855  erfolgte  die  Eröffnungs- 
feier des  Pol3-technikums.  Die  Ehrengäste  sammelten  sich 
beim  Rathaus.  Unter  dem  Donner  von  22  Kanonenschüssen 
und  dem  Geläute  der  Glocken  setzte  sich  der  Festzug  um  2  Uhr 
nach  dem  Fraumünster  in  Bewegung.  Weibel  in  den  eidgenös- 
sischen und  Standesfarben  schritten  den  Behörden  des  Bundes, 
des  Kantons  und  der  Stadt  voran,  Professoren  und  Studenten 
schlössen  den  Zug.  Alfred  Esclier  war  zu  allgemeinem  Bedauern 
durch  Krankheit  von  der  Feier  ferngehalten.  Im  Fraumünster, 
wo  , .Harmonie"  und  ,, Stadtsängerverein"  ihre  Lieder  vortrugen, 
sprachen  Bundesrat  Frey-Herose  und  Schulratspräsident  Kern. 
Ein  Festbankett  im  Kasino  belebten  zahlreiche  Toaste  und  die 
Studenten  brachten  mit  einem  vor  dem  Kasino  erscheinenden 
Fackelzug  eine  wohltuende  Abwechslung  in  die  Tafelfreuden.  — 
Aber  wo  war  denn  nun  eigentlich  das  Polytechnikum  der  ersten 
Zeit  ?  Es  war  auf  fünf  oder  sechs  meist  weit  auseinanderliegende 
Lokah täten  verteilt.  Den  Hauptsitz  hatte  es  im  Universitäts- 
gebäude im  Hinteramt  bei  der  Augustinerkirche  und  im  daran 
anstossenden  Münzgebäude.  Die  Bauschule  hauste  in  der  ehe- 
maligen Stiftsverwalterei  an  der  obern  Kirchgasse,  wo  jetzt  die 
Grüthbuchhandlung  sich  befindet;  auch  die  chemisch-technische 
Schule  und  die  Kunstfächer  hatte  man  hier  untergebracht.  Chemie 
und  Physik  befanden  sich  in  der  Kantonsschule,  die  Ingenieur- 
schule und  die  Sammlungen  mussten  das  Kornamt  am  Ötenbach 
beziehen,  und  bei  diesem  unbefriedigenden  Provisorium  bUeb 
es  fast  ein  ganzes  Jahrzehnt. 

Der  Grund  der  Verzögerung  des  Neubaues  lag  zum  Teil  in 
der  Krankheit  Alfred  Eschers,  die  ihn  am  30.  September  1855 
zum  Austritt  aus  dem  Staatsdienst  veranlasste,  hauptsächlich 
aber  in  der  panikartigen  Verblüffung  der  Zürcher  Regierungs- 
kreise über  den  Umfang  und  die  Kosten  des  vom  Schulrat  aus- 
gearbeiteten Bauprogramms.  Statt  auf  400,000  Fr.  musste 
man  sich  jetzt  auf  mehr  als  eine  Million  Baukosten  gefasst  machen. 
Erziehungsdirektor  Jakob  Dubs  arbeitete  zunächst  ein  Gegen- 
programm aus,  bei  dem  er  von  der  Annahme  ausging,  die  Schüler- 


3o8      DREIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    DAS  POLYTECHNIKUM         o 

zahl  am  Polytechnikum  werde  schwerlich  je  auch  nur  200  erreichen 
(beim  Jubiläum  1905  waren  es  1300  reguläre  Studenten  und  700 
Zuhörer).  Am  12.  März  1857  ^^^  ^^^  Zürcher  Regierung  so  weit, 
dass  sie  gerne  eine  MilUon  für  den  l,oskauf  von  allen  Bauver- 
pflichtungen gegeben  hätte,  aber  darauf  trat  der  Bundesrat  nicht 
ein.  Streit  herrschte  auch  darüber,  wie  die  Vertragsbestimmung 
zu  verstehen  sei,  dass  Zürich  nicht  nur  die  Lokalitäten  zu  erstellen, 
sondern  auch  ,, gehörig  einzurichten"  habe.  In  Bern  verstand 
man  darunter  auch  die  Möblierung,  Zürich  anerkannte  aber  diese 
Verpflichtung  keineswegs,  und  so  musste  Kern  jeden  Schrank, 
jeden  Ofen,  jede  Gasröhre,  welche  die  Schule  brauchte,  bei  der 
Regierung  von  Zürich  erbetteln,  indem  er  zugestand,  es  solle 
ihre  Lieferung  kein  Präjudiz  bilden  für  die  Entscheidung  der 
Frage,  wer  es  schliesshch  zu  bezahlen  habe.  Der  Bundesrat  wollte 
auch  die  Mitbenützung  der  Polytechnikumsräume  durch  die 
Universität  Zürich  lücht  zugeben  und  bloss  gestatten,  dass  die 
Universität  im  gleichen  Gebäude,  aber  in  vom  Polytechnikum 
getrennten  Räumen  untergebracht  werde.  Unter  den  zur  Ver- 
fügung stehenden  Bauplätzen  fiel  die  Wahl  des  Regierungsrates 
auf  den  ,,Schinhut",  dem  auch  der  Bundesrat  zustimmte. 

Die  überaus  fruchtbare  Tätigkeit  Dr.  Kerns  als  Schulrats- 
präsident  beendete  dessen  Wahl  zum  Gesandten  in  Paris  am 
28.  Juh  1857.  Sein  Nachfolger  wurde  wiederum  ein  Thurgauer, 
Ständerat  Karl  Kappeier,  unter  dessen  Leitung  das  Polytech- 
nikum sich  zu  ungeahnter  Blüte  entwickeln  sollte.  Ein  Nachtrags- 
gesetz vom  29.  Januar  1859  führte  den  einjährigen  Vorbereitungs- 
kurs am  Polytechnikum  ein  und  erhöhte  den  jährhchen  Bundes- 
beitrag auf  192,000  Fr.  Mit  den  kantonalen  Mittelschulen  wurden 
1860  und  in  den  folgenden  Jahren  Verträge  abgeschlossen,  die 
unter  gewissen  Bedingungen  ihren  Schülern  nach  bestandener 
Matura  die  Aufnahme  ans  Polytechnikum  ohne  Examen  zusicher- 
ten. Von  1859  ^'^  begann  die  Frequenz  des  Polytechnikums  sich 
erhebhch  zu  steigern;  im  Wintersemester  1863  64  betrug  die 
Schülerzahl  bereits  650.  Nachdem  ein  erster  Wettbewerb  für  den 
Polytechnikumsbau  keinen  befriedigenden  Erfolg  gehabt,  über- 
trug die  Zürcher  Regierung  die  Ausarbeitung  der  Pläne  Prof. 
Gottfried  vSemper,  dem  sie  den  Staatsbaumeister  Wolff 
als    gleichgeordneten    Mitarbeiter    beigab.     Bei    der    Ausführung 


o         DREIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    DAS  POLYTECHNIKUM      309 

dieses  Baues  zeigte  Zürich  sich  nun  nicht  kleinhch  und  sein  Grosser 
Rat  bewilhgte  am  28.  Dezember  1858  mit  170  gegen  2  Stimmen 
den  geforderten  Kredit  von  1,700,000  Fr.  Noch  einmal  verzögerte 
sich  aber  die  Inangriffnahme  der  Bauarbeiten,  weil  über  die 
Mobiharfrage  und  die  Sammlungen  mit  dem  Bund  noch  beson- 
dere \^erträge  abgeschlossen  werden  mussten.  Als  alle  diese  Fra- 
gen endUch  bereinigt  waren,  konnte  im  August  185g  mit  den 
Erdarbeiten  für  das  Neben-  oder  Chemiegebäude  (hinter  dem 
Polj-technikum)  begonnen  werden.  Die  immer  unerträgHcher 
werdende  Raumnot  Hess  es  nicht  zu,  dass  mit  dem  Einzug  in  den 
Neubau  bis  zu  dessen  gänzhcher  Vollendung  gewartet  worden 
wäre.  Unter  Wolffs  energischer  Leitung  ward  derselbe  stück- 
weise fertig  gestellt  und  stückweise  bezogen.  Im  April  1864  be- 
zog die  Universität  Zürich  ihre  neuen  Räume  im  Südflügel 
des  Hauptbaues  und  im  Oktober  siedelten  die  letzten  Abteilungen 
des  Poh'teclmikums  in  den  Neubau  über.  Inzwischen  war  Zürich 
noch  um  eine  weitere  Baute  Sempers,  die  schöne  Sternwarte 
reicher  geworden,  die  zu  Ostern  1864  ihrer  Bestimmung  übergeben 
wurde.  Am  24.  August  1866  fasste  der  Bundesrat  den  Beschluss, 
das  Hauptgebäude  zu  übernehmen,  und  sprach  zugleich  Zürich 
,,für  die  ausgezeichnete  Erfüllung  der  übernommenen  BaupfUcht 
seine  volle  Anerkennung  aus".  Ein  besonderer  Akt  der  Ein- 
weihung, wie  er  nach  Vollendung  eines  so  grossen  und  schönen 
Werkes  wohl  am  Platze  gewesen  wäre,  wurde  zwar  geplant,  kam 
aber  nicht  zur  Ausführung,  weil  die  Vollendung  der  Aula  sich 
so  lange  hinauszögerte  und  wohl  auch,  weil  der  Kanton  Zürich 
in  den  Jahren  1867  bis  1869  von  einer  schweren  pohtischen  Krisis 
erschüttert  wurde,  die  keine  festhche  Stimmung  aufkommen  Hess. 

Was  aber  das  Polytechnikum  der  Gegenwart  ist  und  bedeutet, 
das  kann  nicht  schöner  ausgedrückt  werden  als  mit  den  Worten 
der  Glückwunschadresse  der  Universität  Zürich,  welche 
beim  fünfzigjährigen  Jubiläum  von  Rektor  Prof.  Dr.  Haab  ver- 
lesen wurde: 

,,Ein  halbes  Jahrhundert  lang  hat  die  eidgenössische  poly- 
technische vSchule,  immer  in  vorderster  Reihe,  die  fruchtbarste 
Tätigkeit  entfaltet. 

,, Ungezählte  Adepten  sind  aus  ihr  hervorgegangen,  um  mit 
tausend  Künsten 


3IO      DREIUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    DAS  POLYTECHNIKUM  o 

,,zu  errichten  den  geistigen  und  materiellen  Bedürfnissen 
der  Menschen  zweckdienhche,  dem  Auge  wohlgefällige 
Bauten ; 

„zu  durchbrechen  gewaltiger  Felsmassen  Schranken; 

„spielend  zu  heben  den  Menschen  auf  die  höchsten  Höhen 
der  Berge; 

„tiefe  Kluften  kühn  zu  überbrücken; 

„zu  bezwingen  Raum  und  Zeit; 

„zu  erwirken,  dass  über  Ozeane  hinweg  Menschen  in  kurzer 
AugenbHcke  Frist  sich  durch  sichtbare  Zeichen  verstän- 
digen und  dass  ihre  vStimme  vernehmhch  in  ferne  Gegen- 
den  und  ferne  Zukunft  töne; 

„zu  nähern  I,änder  und  Völker; 

,,zu  bändigen  des  reissenden  Wassers  Gewalt  und  sie  zu 
verteilen  und  zu  wandeln  in  leuchtendes  L,icht,  behag- 
Uche   Wärme  und   friedliche  gewerbliche   Kraftleistung; 

„zu  zerlegen  die  Materie  und  aus  ihren  Elementen  neue 
nützliche  und  wohltätige  Verbindungen  aufzubauen; 

„einzudringen  in  die  geheimnisvollen  Werkstätten  der  leben- 
den Natur,  um  mit  ihren  eigenen  Mitteln  fördernd  oder 
umgestaltend,  hemmend  oder  ablenkend  in  ihr  Getriebe 
einzugreifen ; 

„das  Erdreich  fruchtbarer  zu  machen,  der  Wälder  wohl- 
tätige Herrhchkeit  zu  erhalten  und  zu  erneuern; 

,,als  Lehrer  zu  wirken  an  den  Bildungsstätten  der  reiferen 
Jugend,  den  empfänglichen  Boden  ihres  Geistes  zu  ebnen 
und   vorzubereiten   für   die   Saat   vertiefter   Erkenntnis, 
für  die  Keime  zu  höheren  Trieben,  zu  fördern  den  Drang 
nach  Wissen  und  Wahrheit. 
,,In  hervorragendem  Masse  hat  sich  zu  jeder  Zeit  die  eid- 
genössische technische  Hochschule  diesen  hohen  und  gewaltigen 
Aufgaben  gewidmet  und  ihr  gehört  ein  reicliHch  zu  bemessender 
Anteil   an    den  Fortschritten    der    Kultur,    welche    sich    in    der 
zunehmenden  Unterwerfung  der  Naturgewalten,  die  der  Wohlfahrt 
der  Menschheit  dienstbar  gemacht  werden,  offenbaren." 


♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦ 


f^lfred  (Sscßer 


Xii.li  Vlint.,L'ni|il.ii-  vi.ii   l:.  Caiiz 


«♦♦♦«♦♦♦»»♦♦♦♦♦♦♦♦♦ 


VIERUNDZWANZIGSTES  KAPITEL 


ALFRED  ESCHER 

Ein  Fremder,  der  zum  erstenmal  nach  Zürich  käme  mid,  beim 
Austritt  aus  dem  Bahnhof  das  Alfred  Escher-Monument  be- 
wundernd, denken  würde,  es  möchte  dies  wohl  ein  verstorbener 
,, Landesfürst"  gewesen  sein,  hätte  so  übel  nicht  geraten.  Sie 
nannten  ihn  den  ,,Princeps",  den  ungekrönten  ,, König  Alfred", 
und  sagten  damit  die  Wahrheit.  Dieser  Mann  in  Erz,  der  Gründer 
der  Gotthardbahn,  der  Gründer  des  Polytechnikums,  der  Gründer 
der  Schweizerischen  Kreditanstalt  und  der  Schweizerischen  Renten- 
anstalt, war  zu  seiner  Zeit  der  unumschränkte  Herrscher  des 
Kantons  Zürich,  kaum  wahlfähig  geworden  schon  Kantonsrat, 
als  jüngstes  Mitglied  des  Grossen  Rates  dessen  Präsident,  als  eines 
der  jüngsten  Mitgüeder  des  Nationalrates  dessen  Präsident,  eben 
erst  über  die  Schwelle  des  gesetzlichen  Alters  getreten  und  schon 
Regierungsrat  und  Bürgermeister,  der  einflussreichste  Parla- 
mentarier der  Eidgenossenschaft,  der  nur  deshalb  nicht  Bundes- 
präsident geworden,  weil  ihm  sein  Belvoir  heber  war  als  ein  Bundes- 
ratsfauteuil  in  Bern.  Alfred  Escher  (geboren  den  20.  Februar  1819) 
ist  aufgewachsen  und  erzogen  worden  wie  ein  Prinz.  Sein  Vater, 
der  in  Amerika  reich  gewordene  Kaufmann  Escher-ZoUikofer, 
Erbauer  der  ,,Escherhäuser"  am  Zeltweg,  hatte  1826  das  ver- 
sumpfte ,, Schwertgut"  in  Enge  angekauft  und  bis  1831  zu  dem 
fürsthchen  Landsitz  ,, Belvoir"  umgestaltet.  Dem  begabten  Sohne 
gab  Escher-Zolhkofer  die  besten  Hauslehrer:  Prof.  Alexander 
Schweizer,  Anton  Sal.  Vögelin,  Oswald  Heer,  der  seine  Stelle  als 
Theologe  antrat  und  nach  sieben  Jahren  das  Belvoir  als  Natur- 
forscher verhess.  Aus  diesem  MiUeu  von  Reichtum  und  Luxus,  in 
dem  die  Kunst  und  Wissenschaft  und  alles  Schöne  gepflegt  wurde, 
ging  ein  Mann  her\^or,  dessen  stärkste  Leidenschaft  die  Arbeit 
war.  In  ehrhcher  Bewimderung  schrieb  Alfred  Eschers  Alters- 
genosse Gottfried  Keller  1847  in  sein  Tagebuch:  ,,Der  Sohn  eines 
Millionärs,  unterzieht  er  sich  den  strengsten  Arbeiten  vom  Morgen 


312  VIERUNDZWANZIGSTES  KAPITEI.:    ALFRED  ESCHER  o 

bis  zum  Abend,  übernimmt  schwere,  weitläufige  Ämter  in  einem 
Alter,  wo  andere  junge  Männer  von  25  bis  28  Jahren,  wenn  sie 
seinen  Reichtum  besitzen,  vor  allem  nur  das  Leben  geniessen." 
Nicht  sein  Reichtum  und  auch  nicht  seine  Talente  haben  Alfred 
Escher  gross  gemacht,  sondern  seine  Arbeit. 

Das  erste  juristische  Doktorexamen,  welches  überhaupt  an 
der  Universität  Zürich  abgelegt  wurde,  hat  Alfred  Escher  (17.  Sep- 
tember 1842)  bestanden,  und  zwar  summa  cum  laude.  \"oraus- 
gegangen  waren  der  Promotion  Studien  in  Zürich,  Bonn  und  Berlin, 
ein  Aufenthalt  in  Paris  schloss  sich  an.  Im  Frülijahr  1844  habi- 
litierte sich  Dr.  Alfred  Escher  als  Privatdozent  für  Staatswissen- 
schaften an  der  Hochschule  Zürich.  Doch  schon  sehr  bald  zog  ihn 
die  Politik  in  ihren  Bannkreis,  um  ihn  alsdann  nicht  mehr  los- 
zulassen. Der  Wahlkreis  Elgg  entsandte  am  21.  Juli  1844  den 
jungen  Rechtsgelehrten  in  den  Grossen  Rat.  Es  war  um  die  Zeit, 
da  es  mit  der  Septemberregierung  reissend  abwärts  ging.  ,,Noch 
kein  Grosser  Rat,  wie  der  von  1839,  war  so  sehr  mitten  aus  dem 
\^olk  her\'orgegangen,  und  doch  ist  noch  keiner  dem  ^"olke  so  bald 
wieder  verleidet,  nach  kurzer  Zeit  so  wenig  mehr  von  ihm  ge- 
achtet worden.  Nicht,  dass  er  nicht  recht  gehandelt,  nicht,  dass 
er  nicht  gute  Gesetze  erlassen  hätte,  aber  das  ^'olk  merkte,  dass 
diese  Gesetze  mehr  souffliert  als  .selbst  geschaffen  waren,  und  es 
kehrte  nach  wenigen  Jahren  —  unter  schmählichem  Falle  der 
Volksvertreter  aus  dem  Volke,  die  sogar  froh  waren,  wieder  ins 
Dunkel  zurücktreten  zu  können  • — ■  zu  dem  eine  Zeit  lang  durch 
Ostrazismus  verbannten  Beamten  und  Advokaten  zurück"  (,, Frei- 
tagszeitung"). In  einer  beispiellosen  Karriere  häuften  sich  auf 
das  junge  Haupt  Alfred  Eschers  Ämter  und  Ehren;  er  ward  1845 
Tagsatzungsgesandter,  Mitglied  des  Rates  des  Innern,  des  Er- 
ziehungsrats, der  wichtigsten  Kommissionen  des  Grossen  Rates, 
1847  vStaatsschreiber  und  Grossratspräsident,  am  27.  Juni  1848 
Regierungsrat,  im  Herbst  darauf  eidgenössischer  Kommissär  im 
Tessin,  am  15.  Oktober  1848  Mitghed  des  Nationalrats  und  sofort 
dessen  Vizepräsident,  am  27.  Dezember  Amtsbürgermeister 
und  am  16.  April  1849  Präsident  des  Nationalrats.  IVIit  30  Jahren 
stand  Alfred  Escher  schon  auf  der  obersten  Sprosse  der  Staffel 
republikanischer  Ehren  und  brauchte  nur  die  Hand  auszustrecken, 
um  den  Bundesratstitel  zu  pflücken.    Er  überHess  ihn  aber,  als 


o  VIERUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    ALFRED  ESCHER  313 

Jonas  Furrer,  der  erste  Bundespräsident,  am  25.  Juli  1861  starb, 
dem  von  ihm  in  die  politische  Laufbahn  eingeführten  Jakob  Dubs, 
dem  klugen  und  sympathischen  Gastwirtssohn  von  Affoltern  a.  A. 
]\Iit  dem  Eintritt  Alfred  Eschers  in  die  Regierung  begann  für 
den  Kanton  Zürich  eine  zweite  Regeneration.  Professor  Johannes 
Scherr,  ein  Bruder  des  gewesenen  Seniinardirektors  und  Gegner 
Eschers,  bezeichnet  es  in  seiner  Biographie  desselben  als  be- 
wundernswert, was  in  dieser  Zeit  die  kleine  Repubhk  Zürich  in 
der  Gesetzgebung  und  \"er\valtung,  in  der  Schaffung  gemeinnütziger 
Anstalten  aller  Art,  in  der  Hebung  von  Industrie  und  Verkehr 
leistete.  Als  Chef  des  Erziehungsdepartements  genoss  Escher 
das  unbedingte  Vertrauen  der  Lehrerschaft;  er  gab  sich  grosse 
Mühe  für  die  Hebung  der  Volksschule  und  bereitete  auch  ein  neues 
Schulgesetz  vor.  Ausser  der  vöUigen  Beherrschung  seines  eigenen 
Departements  arbeitete  er  sich  als  Regierungspräsident  in  die 
wichtigsten  Geschäfte  der  übrigen  Departemente  ein  und  hielt  so 
die  Fäden  der  ganzen  Verwaltungsmaschine  in  seiner  kräftigen 
Hand.  Er  war  darum  auch  im  Obmannamt  ebenso  gefürchtet  als 
bewundert,  denn  keine  Nachlässigkeit,  vom  Departementschef  an 
bis  zum  Kopisten  hinunter,  entging  seinem  ScharfbHck.  Mehr- 
mals kam  es  vor,  dass  er  sich  im  Obmannamt  ein  Bett  aufschlagen 
Hess,  um  nach  einigen  Stunden  Ruhe  sofort  seine  Arbeit  wieder 
aufzunehmen.  ,,In  jener  Zeit  war  Escher  die  bewegende  Seele 
in  der  Regierung  sowohl  als  auch  im  Grossen  Rat  und  konzentrierte 
eine  solche  Fülle  von  Machtmitteln  in  seiner  Person,  dass  sich 
vor  seinem  Willen  fast  alle  Knie  beugten.  Er  bestimmte  die  Rich- 
tung der  Politik,  besetzte  die  Ämter  und  drückte  Ungefügige  an 
die  Wand;  er  übte  einen  souveränen  Einfluss  auf  seine  Umgebung 
aus."  Dieser  Einfluss  dauerte  auch  dann  noch  an,  als  Escher  am 
30.  September  1855  krankheitshalber  aus  der  Regierung  zurück- 
getreten war.  Nach  wie  vor  blieb  das  Belvoir  der  Ort,  wo  die 
Geschicke  des  Kantons  Zürich  bestimmt,  Gunst  und  Gnaden 
gewährt  oder  versagt  wurden.  Die  als  ,,vSystem"  bezeichnete 
Herrschaft  Alfred  Eschers,  die  ohne  Frage  den  Kanton  Zürich  zu 
hoher  äusserer  Blüte  brachte,  musste  von  unabhängigen  Geistern 
als  drückend  empfunden  werden.  Andersdenkende  konnte  er 
in  seiner  Umgebung  nicht  dulden,  Widerspruch  nicht  ertragen. 
Seinem  frühem  Lehrer  Anton  Salomon  Vögelin  hat  er  für  eine 


314  VIERUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    ALFRED  ESCHER  o 

Professur  am  Gj'mnasium  einen  weit  weniger  fähigen,  aber  dafür 
gefügigeren  Bewerber  vorgezogen.  Seinem  Alters-  und  Studien- 
genossen Georg  V.  Wj'ss,  dem  er  die  Staatsschreiberstelle  vonveg- 
genommen,  legte  er  Schwierigkeiten  in  den  Weg,  wo  er  konnte,  und 
Hess  ihn  weder  Nordostbahndirektor,  noch  Staatsarchivar,  noch 
ordentlicher  Professor  werden,  solange  er  es  zu  hindern  vermochte. 
Wj'ss  freihch  wusste  genau  und  schrieb  auch  dem  Bruder:  ,,Wer 
nicht  den  Hof  macht,  ist  ein  Feind.  Möchte  sein  Tross  noch  zehn- 
mal grösser  sein,  ich  werde  rüe  dazu  gehören."  Dabei  war  Escher 
aber  wieder  ein  zu  grosser  Geist,  um  eitel  zu  sein.  Den  altehr- 
würdigen Bürgermeistertitel  legte  er  nieder,  sobald  er  ihn  er- 
langt hatte.  Seiner  Initiativ^e  entsprang  das  Gesetz  vom  i8.  No- 
vember 1849,  das  den  Regierungsrat  auf  neun  Mitglieder  redu- 
zierte und  an  die  Stelle  des  ,, Bürgermeisters"  den  einfachem 
Regierungspräsidenten  setzte.  Die  Grossratswahlen  vom 
5.  Mai  1850  brachten  den  Konservativen  neue  Verluste.  ,,Auf 
der  andern  Seite  trat  eine  radikale  Opposition  in  ihren  ersten 
Anfängen  auf:  die  Doppelwahl  des  Herrn  Prokurators  Treichler 
(in  Wiedikon,  wo  er  sogar  Herrn  Bürgermeister  Escher  die  Palme 
streitig  machte,  und  in  Richterswil)  darf  als  ein  bedeutsames 
Wetterleuchten  des  Sozialismus  angesehen  werden"  (,, Frei- 
tagszeitung"). Bei  den  Regierungsratswahlen  im  Grossen 
Rat  am  24.  Mai  wurden  Hüiii,  Melchior  und  Eduard  Sulzer,  die 
seit  1831  ununterbrochen  im  Regierungsrat  sassen,  ,, gesprengt", 
dagegen  Oberst  Ziegler,  der  einzige  und  letzte  konservative  Re- 
gierungsrat, mit  der  höchsten  Stimmenzahl  bestätigt. 

Der  Name  Treichlers  ist  verknüpft  mit  den  Anfängen  des 
Sozialismus  auf  zürcherischem  Boden.  Fremde  Handwerks- 
gesellen haben  dieses  Importgewächs  bei  uns  eingeführt.  Einer 
von  ihnen,  der  Schneider  Wilhelm  Weitling  aus  Magdeburg, 
der  die  Feder  so  gewandt  wie  die  Nadel  zu  handhaben  verstand, 
liess  bei  Hess  in  Zürich  sein  ,, Evangelium  des  armen  Sün- 
ders" drucken.  Weitung  war  im  Februar  1843  nach  Zürich  ge- 
kommen trotz  Abraten  des  hier  eingebürgerten  Dr.  JuHus  Fröbel, 
Redaktors  des  ,, Republikaner"  und  Leiters  des  im  Dienst  der 
deutschen  freiheithchen  Bewegung  stehenden  ,, Literarischen  Comp- 
toirs".  Eben  war  der  Dichter  Georg  Herwegh,  dem  die  Stu- 
denten ein  Ständchen  gebracht  hatten,  ausgewiesen  worden.   Keine 


o  VIERUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    ALFRED  ESCHER  315 

Zeit  konnte  für  Weitlings  Evangelium  des  Kommunismus,  unter 
welchem  Titel  der  Sozialismus  zuerst  auftrat,  ungünstiger  sein. 
Er  aber  kündigte  sein  Buch  noch  mit  einem  grossartigen  Pro- 
spekt an  und  zog  sich  damit  den  Staatsanwalt  auf  den  Hals.  Die 
Druckbogen  wurden  beschlagnahmt.  Weitling  verhaftet,  zu  zehn 
Monaten  Gefängnis  verurteilt  und  ausgewiesen.  Prof.  Bluntschli 
aber  verfasste  seinen  berühmten  Kommissionsbericht  über  den 
Kommunismus  (Juli  1843).  Jetzt  trat  jedoch  auch  ein  Zürcher 
als  Kämpfer  auf  den  Plan  für  den  Kommunismus:  Johann 
J  akob  Treichler,  geboren  1822,  armer  Leute  Kind  vom  Berg  in 
Richterswil.  Als  Fabrikhandlanger  verdiente  er  zuerst  ein  kümmer- 
liches Brot.  Gute  Leute,  darunter  Hürlimann-Landis,  verhalfen 
ihm  mit  Vorschüssen  zum  Eintritt  ins  vSeminar  Küsnacht  (1839!). 
Krankheit  nötigte  ihn  im  Januar  1840  wieder  zum  Austritt. 
Durch  Hürhmann-Landis  erhielt  Treichler  sodann  eine  Buch- 
halterstelle bei  Junker  Escher  im  Schloss  Eigental  bei  Berg  am 
Irchel,  siedelte  1842  ins  Seminar  Lenzburg  über  und  wurde  als 
Lehrer  patentiert.  Als  Schulverweser  wirkte  Treichler  nacheinander 
in  Egg  bei  Zürich  und  Geroldswil  im  Limmattal.  Diese  letztere 
Gemeinde  geriet  mit  dem  Erziehungsrat  wegen  Treichlers  Be- 
soldung in  Konflikt,  der  mit  der  pohzeilichen  Ausschaffung 
Treichlers  und  Landjägerbegleitung  bis  zur  Grenze  von  Weiningen 
endigte.  Treichler  war  den  Behörden  bereits  als  unruhiger  Kopf 
verdächtig  geworden.  Er  hatte  in  Geroldswil  despektierliche 
Zeitungsartikel  verfasst  unter  dem  Titel  ,, Wintergedanken  des 
Schulmeisters  Chiridonius  Bittersüss".  Als  Sekretär  von  Dr.  JuHus 
Fröbel  angestellt,  kam  er  nun  mit  der  Journahstik  in  noch  engere 
Berührung.  Eben  um  jene  Zeit  hatte  auch  Gottfried  Keller 
(am  13.  August  1843)  schüchtern  mit  seinen  dichterischen  Erst-' 
hngsversuchen  an  der  Tür  des  ,, Literarischen  Comptoir"  angepocht. 
Gegen  Treichler  strengte  der  Erziehungsrat  wegen  heftigen  An- 
griffen im  ,, Republikaner"  vStrafklage  an,  und  er  wurde  im  April 
1844  zu  vier  Tagen  Gefängnis  verurteilt.  Dieser  Prozess,  bei  dem 
sich  der  junge  Bursche  glänzend  selbst  verteidigte,  gab  ihm  den 
Geschmack  an  der  Juristerei;  er  wurde  stud.  jur. !  Inzwischen 
hatten  ihn,  im  Zusammenhang  mit  BluntschUs  Kommunisten- 
bericht, die  pohzeilichen  Schnüffeleien  auch  in  die  Weithng-Affäre 
hineingezogen;  es  konnte  festgestellt  werden,  dass  Treichler  schon 


3i6  VIERUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    ALFRED  ESCHER 

in  Geroldswil  ein  früheres  Werk  Weitlings  mit  Begeisterung  ge- 
lesen hatte.  Fortan  war  auch  er  als  „Kommunist"  amtlich  ab- 
gestempelt. Als  „Chiridonius  Bittersüss"  gab  der  unternehmende 
Student  jetzt  ein  eigenes  Wochenblättchen,  den  ,,Usterboten" 
heraus,  das  er  dann  in  ein  .«Not-  und  Hilfsblatt"  umwandelte 
und  zu  einem  Organ  der  ,, sozialen  Demokratie"  gestaltete. 
In  Zürich  gründete  Treichler  einen  ,, gegenseitigen  Hülfs-  und 
Bildungsverein"  und  hielt  im  ,, Widder"  Aufsehen  erregende  Vor- 
träge über  den  Kommunismus,  die  bald  einmal  vom  Stadtrat 
verboten  wurden.  Die  Regierenden  apostrophierte  Treichler  in 
seinem  Blättchen  als  ,, Maulaffen"  und  ,, Schöpse",  sprach  vom 
Geld  als  dem  den  Arbeitern  abgezapften  Blut  und  Lebenssaft  usw. 
Liberale  und  Konservative  waren  einig,  dass  diese  Sprache  nicht 
geduldet  werden  könne,  und  schmiedeten  gegen  Treichler  und  sein 
Blatt  das  Gesetz  vom  24.  März  1846  ,, gegen  kommunistische 
Umtriebe",  das  erste  ,,Maulkrattengesetz",  gegen  welches  nur 
die  konservative  ,, Freitagszeitung"  im  Namen  der  Pressfreiheit 
lebhaften  Einspruch  erhob.  Treichler  musste  wirklich  seine  Tätig- 
keit einstellen.  Er  ging  nach  Lausanne,  dann  ins  Baselland,  kam 
184g  zurück  und  machte  sein  Prokurator-Examen  (für  die  erste 
Stufe  der  Advokatur,  der  1854  der  ,, Fürsprech"  folgte).  1850 
konnte  er  in  den  Grossen  Rat  einziehen,  wo  sich  ihm  (November 
1851)  ein  zweiter  Sozialist  zugesellte:  Karl  Bürkli  aus  dem 
Tiefenhof  am  Paradeplatz,  ein  aus  der  Art  geschlagener  Aristo- 
kratensprössling.  Sein  Vater,  Oberstleutnant  Bürkli,  stand  1839 
in  den  vordersten  Reihen  der  Antistraussen.  vSchon  der  Knabe 
Karl  fing  an  ihm  ,, fürchterlich"  zu  werden;  konnte  er  doch  nach 
einem  Tischgebet  die  entsetzten  Eltern  überraschen  mit  dem 
Seufzer:  ,,0  wänn's  nu  au  kän  Herrgott  und  kän  Heiland  gab, 
dass  mä  nüd  eso  plaget  wurd".  Karl  Bürkli  (geboren  1823)  lernte 
das  Gerberhandwerk  und  ging  nach  Paris,  wo  er  ein  Anhänger 
Fouriers,  eines  utopistischen  Vorläufers  des  Sozialismus,  wurde. 
Nach  des  Vaters  Tod  heimgekehrt,  bekannte  er  sich  auch  in  Zürich 
zum  Sozialismus  und  kandidierte  im  Wahlkreis  W^iedikon,  zu  dem 
noch  Aussersihl,  Altstetten,  Albisrieden,  Enge  und  WoUishofen 
gehörten,  für  den  Grossen  Rat.  In  der  Wahh-ersammluug  im 
alten  Kirchli  zu  Wiedikon  gaben  die  liberalen  Häupter  die  Parole 
aus,  wem  im  ersten,  wem  im  zweiten  Wahlgang  zu  stimmen  sei, 


o  VIERUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    ALFRED  ESCHER  317 

,,nu  dass  da  eh.  . . .  Sozialist  Bürkli  nüd  ine  chunnt".  Da  streckte 
ein  Arbeiter  in  der  Neumülile  den  Kopf  in  die  vordere  Reihe  der 
Matadoren  und  sagte  ganz  trocken:  ,,Jä,  meined  ihr  öppe,  mer 
müesid  zweimal  schribe  ?  Verflucht  bin  i,  im  erste  Skrutinium 
chunt  de  Bürkli  use!"  Und  so  kam  es  auch.  Treichler  und  Bürkh 
standen  im  Grossen  Rat  zusammen.  Für  die  Motion  Treichler 
(Verfassungsrevision)  standen  am  31.  März  1852  nur  Treichler  und 
Bürkli  auf.  Sie  gründeten  auch  zusammen  den  ersten  Konsum- 
verein. Im  gleichen  Jahr  1852  sass  Treichler  bereits  als  National- 
rat in  Bern. 

Aus  den  mehr  oder  weniger  bewusst  sozialistischen,  klein- 
bürgerüch-radikalen  und  „neudemokratischen"  Elementen  braute 
sich  nach  und  nach  eine  demokratische  Opposition  gegen 
das  „System"  zusammen,  die  schon  1853  in  einer  getrennten 
Ustertagfeier  in  die  Erscheinung  trat.  Die  Liberalen  waren, 
wie  gewohnt,  auf  der  , .Platte",  die  Demokraten  in  der  ,, Blume" 
Aussersihl.  Der  liberale  ,,Ustertag"  verlor  von  Jahr  zu  Jahr  an 
Glanz  und  wurde  ein  reines  ,, Beamtenfest".  Ob  man  ihn  nicht 
Heber  abschaffen  und  dafür  Treichlers  Geburtstag  feiern  wolle, 
fragte  boshaft  die  ,, Freitagszeitung".  Die  Grossratswahlen  vom 
7.  Mai  1854  brachten, der  Opposition  weitern  Zuwachs  von  Stimmen 
und  Sitzen,  und  die  neuen  Männer  schienen  auch  mit  neuen  Mit- 
teln operieren  zu  wollen:  betreten  wohnte  der  Grosse  Rat  einem 
Tränenausbruch  des  Tierarztes  Zangger  bei,  als  dieser  eine  Rede 
über  den  Wucher  hielt.  Es  war  Alfred  Eschers  Gedanke,  dass 
man  ,, wilde  SoziaHsten"  am  besten  zähme  — •  durch  ihre  Wahl  in 
die  höchsten  Behörden,  und  er  veranlasste,  zur  grenzenlosen  Ver- 
blüffung Zürichs,  am  27.  Oktober  1856  die  Wahl  Treichlers 
zum  Regierungsrat!  Das  Verfahren  ist  probat;  es  hat  nur 
den  einen  Haken,  dass  dann  noch  mancher  denkt:  in  dem  Fall 
werde  ich  auch  mal  ein  ,, wilder  SoziaHst";  das  Schlimmste,  was 
mir  dabei  passieren  kann,  ist  Regierungsrat  zu  werden.  Der 
Staatsschreiber  Gottfried  Keller  hat  einmal  eine  hübsche 
Anekdote  erzählt:  es  war  beim  Bankett  zu  Ehren  der  österreichi- 
schen und  itahenischen  Bevollmächtigten,  welche  nach  dem  lom- 
bardischen Feldzug  am  10.  November  1859  auf  dem  Rathaus 
den  ,, Frieden  von  Zürich"  geschlossen  hatten.  Einer  der  Öster- 
reicher, der  früher  in  der  Schweiz  in  diplomatischen  Diensten  ge- 


3i8  VIERUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    ALFRED  ESCHER  o 

standen,  wandte  sich  an  den  neben  ihm  sitzenden  Regierungsrat 
mit  der  Frage:  „Als  ich  noch  ein  junger  Anfänger  war,  da  trieb 
sich  gerade  im  Kanton  Zürich  ein  langer,  hagerer  Kerl  umlier, 
der  gewaltige  Brandreden  hielt  und  den  Kommunismus  predigte. 
Wir  mussten  über  diese  Hopfenstange  viel  nach  Wien  an  den 
sehgen  Staatskaiizler  berichten.  Aber  bitte,  wie  hiess  doch  gleich 
der  Kerl  ?  Leichler,  Weichler,  Meichler  oder  so  ungefähr  ?"  Worauf 
der  Gefragte  mit  bezeichnender  Handbewegung  gegen  den  der 
Tafel  Vorsitzenden  bemerkte:  ,, Exzellenz  zu  dienen,  unser  Herr 
Regierungspräsident  Dr.  Treichler!"  Nicht  \ael  geringer  war 
übrigens  das  Erstaunen  in  Zürich,  als  durch  Alfred  Eschers  Ein- 
fluss  am  14.  September  1861  der  Regierungsrat  Gottfried 
Keller,  den  ehemaligen  Mitarbeiter  an  Treichlers  ,,Not-  und  Hilfs- 
blatt" und  demokratischen  Agitator,  der  noch  das  Jahr  vorher 
Dr.  Eschers  PoHtik  in  einem  öffentlichen  Marüfest  ,,Marklosigkeit 
und  VerschHffenheit  der  Grundsätze"  vorgeworfen  hatte,  zum 
Staatsschreiber  wählte.  Jetzt  fehle  bloss  noch,  meinte  die  über 
diesen  ,,  Geniestreich  der  Regierung"  untröstliche  ,, Freitags- 
zeitung", dass  man  den  Dichter  Herwegh  zum  Erziehungsdirektor 
mache.  Aber  Gottfried  Keller  beschämte  dieses  Misstrauen  in 
seiner  I5jährigeu  Staatsschreibertätigkeit.  Der  eidgenössische 
Kanzler  Schiess  pflegte  zu  sagen,  Gottfried  Keller  sei  der  beste, 
zuverlässigste  Staatsschreiber  der  Schweiz  gewesen. 

Die  Zulassung  einzelner  Oppositionsvertreter  zu  den  staat- 
Hchen  Ämtern  und  Würden  konnte  die  Opposition  selbst  nicht  ent- 
waffnen, weil  ihre  materiellen  Forderungen:  Umwandlung  des  Re- 
präsentativsystems in  die  reine  Demokratie,  ökonomische  Erleich- 
terungen, Errichtung  einer  Kantonalbank,  soziale  Gesetzgebung  usw. 
vom  herrschenden  System  unberücksichtigt  bheben.  Die  demo- 
kratische Bewegung  kam  zum  Durchbruch,  schadete  aber  Eschers 
persönhchem  Ansehen  so  wenig,  dass  er,  1868  aus  dem  Nationalrat 
zurückgetreten,  sofort  mit  gewaltigem  Mehr  gegenüber  dem 
Pamphletär  Locher  wieder  gewählt  wurde.  Escher  gehörte  auch 
weiterhin  dem  Kantonsrate  an.  Lange  bheb  auch  sein  mass- 
gebender Einfluss  in  der  eidgenössischen  Politik  unge- 
schwächt. Zum  ersten  schweizerischen  Eisenbahngesetz  von  1852 
gab  seine  Motion  die  Grundlage;  zur  Neuenburger-  und  Savoyer- 
frage,  zur  Verfassungsre^^sion  sprach  er  sein  klares  und  bestim- 


o  VIERUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    ALFRED  ESCHER  319 

mendes  Wort.  Anfangs  mit  dem  radikalen  Berner  Stämpfli  eng 
verbunden  und  mit  ihm  vereint  die  Bundesversammlung  be- 
herrschend, trennte  er  sich,  in  den  Eisenbahnfragen  und  aus- 
wärtigen Angelegenheiten  andern  Anschauungen  huldigend,  nach 
und  nach  von  StämpfU  und  wurde  der  Führer  einer  gemässigten 
Richtung.  Vollends  nach  dem  Sturz  des  ,, Systems"  in  Zürich  und 
der  weitern  Ausdehnung  der  radikal-demokratischen  Bewegung 
in  der  Schweiz  beschränkte  sich  Eschers  Führerschaft  auf  die 
liberale  Zentrumsgruppe. 

,,Um  den  Beweis  zu  leisten,"  sagt  Eschers  Biograph  Willielm 
ÖchsH,  ,,dass  die  Schweiz  auch  mit  dem  Sj'stem  des  Privatbaues 
zu  den  notwendigen  Eisenbahnen  komme,  stellte  sich  Escher  an 
die  Spitze  einer  ,, Zürich-Bodensee-Eisenbahngesellschaf  t", 
die  sich  im  Januar  1853  konstituierte  und  im  Laufe  des  gleichen 
Jahres  sich  mit  der  ,, Nordbahn"  zur  ,, Schweizerischen  Nordost- 
Balm"  verschmolz.  Am  12.  September  1853  wählte  ihn  die  General- 
versammlung der  N.  O.  B.  zum  Präsidenten  der  Direktion.  Auch 
bei  dieser  Schöpfung  hatte  er  nur  das  Landeswohl  im  Auge;  aber 
es  kennzeichnet  doch  die  schiefe  Stellung,  in  die  er  geriet,  dass  er 
den  Vertrag  über  die  Konzession,  die  der  Gesellschaft  erteilt  wurde, 
in  seiner  doppelten  Eigenschaft  als  Regierungspräsident  des 
Kantons  Zürich  und  als  Präsident  der  N.  O.  B.  zu  unterzeichnen 
hatte."  Nach  seinem  Rücktritt  aus  der  Regierung  widmete  er 
sich  ganz  der  N.  O.  B.,  die  sich  unter  seiner  Leitung  zu  der  best- 
verwalteten Eisenbahn  der  Schweiz  aufschwang,  sowie  seiner 
zweiten  grossen  wirtschafthchen  Gründung,  der  Schweizerischen 
Kreditanstalt  (1856),  unter  deren  Auspizien  1857  auch  die 
Schweizerische  Rentenanstalt  ins  Leben  trat.  Escher  bheb 
Präsident  der  Kreditanstalt,  bis  1877  ein  Konfhkt  ihrer  Interessen 
mit  denjenigen  der  Gotthardbahn  ihn  zum  Rücktritt  zwang.  Den 
grössten  Ruhm  und  die  schärfsten  Dornen  brachte  ihm  die  Grün- 
dung der  Gotthardbahn.  Nach  seinem  Plan  konstituierte 
sich  am  8.  August  1863  unter  dem  Vorsitz  von  Regierungsrat 
Zingg  in  Luzern  die  ,,Gotthardvereinigung",  welcher  13  Kan- 
tone, sowie  die  Zentralbahn  und  Nordostbahn  beitraten.  Unter 
unendHchen  Schwierigkeiten,  in  deren  Bemeisterung  Alfred  Escher 
seine  ganze  Energie  und  GeniaUtät  entfaltete,  kam  die  Finanzie- 
rimg   mit    Hilfe   Deutschlands    und    ItaUens    zustande,    und    am 


320  VIERUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    ALFRED  ESCHER  o 

4.  Mai  1871  konnte  die  Gotthardvereinigung  in  Luzern  ihre  letzte 
Sitzung  abhalten.  Die  Stadt  schwamm  in  Jubel,  Alfred  Escher 
ward  als  der  „Escher  vom  Gotthard"  gefeiert.  Er  trat  an  die 
Spitze  der  Direktion  der  neuen  Bahn.  Aber  gar  zu  bald  sollte 
dem  Hosiannah  das  Kreuzige  folgen.  Der  Tunnelbau  erforderte 
100  Millionen  mehr  als  berechnet  worden  war;  die  Gotthardbahn- 
aktien  sanken  von  300  Franken  auf  30  Franken,  die  Obhgationen 
von  1000  auf  350  Franken,  und  an  allem  Unglück  sollte  Alfred 
Esclier  schuld  sein.  Keine  Schmähung  wurde  ihm  erspart;  drei 
seidene  Schnüre  wurden  ihm  anonym  zugesandt.  Neue  grosse 
Opfer  mussten  vom  Bund  und  von  den  Gotthardkantonen,  sowie 
von  den  Subventionsstaaten  für  das  Unternehmen  gebracht 
werden.  Alfred  Escher  erklärte  am  30.  April  1878  seinen  Rück- 
tritt aus  der  Direktion  der  Gotthardbahn,  weil,  wie  er  einem 
Freunde  schrieb,  ,,fast  alle  Berner  und  die  Grosszahl  der  Zürcher 
Demokraten  in  der  Bundesversammlung  als  Preis  für  ihre  Stimm- 
gabe zugunsten  der  Unternehmung  meinen  Austritt  verlangen." 
Unter  allen  den  Aufregungen  und  Anstrengungen  dieser 
Kämpfe  hatte  Eschers  Gesundheit  stark  gelitten.  Schonung  seiner 
selbst  kannte  er  dabei  nicht  und  arbeitete  unablässig  von  früh  bis 
spät,  auch  stets  während  der  Ei.senbahnfahrt.  Den  Winter  1881/82 
brachte  er  in  Nizza  zu,  wo  er  sich  einer  Carbunkel-Operation  unter- 
ziehen musste.  Seine  letzte  öffentliche  Kundgebung  war  wohl  die 
von  ihm  erlassene  Erklärung  der  liberalen  Fraktion  der  Bundes- 
versammlung zugunsten  des  sogenannten  ,, Schulvogtes".  Auch 
die  Eröffnung  der  Gotthardbahn  erlebte  er  noch,  ohne  aber  daran 
teilnehmen  zu  können.  Eine  erneute  Carbunkelbildimg  fülirte  am 
6.  Dezember  1882  nach  furchtbaren  Schmerzen  zum  Tode.  Kurz 
vorher  hatte  er  noch  seine  Tochter  Lydia  mit  dem  Sohne  von 
Bundesrat  Welti  verlobt.  Der  Leichenzug,  welcher  am  9.  Dezember 
Eschers  irdische  Reste  zum  Fraumünster  und  dann  zum  Famihen- 
grab  beim  Bethaus  in  Enge  brachte,  war  wohl  der  grösste,  den 
Zürich  je  gesehen.  Professor  Alexander  Schweizer,  der  schon  lange 
nicht  mehr  öffentlich  aufgetreten  war,  hielt  die  Leichenrede. 
Dann  sprachen  namens  der  Bundesversammlung  Dr.  Deucher  und 
namens  der  Stadt  Zürich  Stadtpräsident  Dr.  Römer.  Als  Leit- 
stern Eschers  bezeichnete  der  Stadtpräsident  in  dieser  Rede  ,,das 
Streben,  das  engere  und  weitere  \'aterland  nach  den  Ideen  des 


o  VIERUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    ALFRED  ESCHER  321 

modernen  Zeitalters  umzugestalten,  auf  dass  es  im  Innern  glück- 
lich sei  und  nach  aussen  als  das  Muster  eines  Staatswesens  da- 
stehe. Seine  hohe  Begabung  Hess  ihn  die  treibenden  Ideen  der  Zeit 
erkennen  und  richtig  erfassen.  Er  gewahrte,  dass  die  besten 
Staatsformen  ein  Volk  nicht  zu  beglücken  vermögen,  sofern  ihnen 
nicht  grosse  wirtschafthche  Schöpfungen  zur  Seite  stehen,  und  als 
einer  der  ersten  in  unserm  Lande  begriff  er  die  weltumgestaltende 
Bedeutung  der  Eisenbahnen  in  ihrem  vollen  Umfange.  Trat  er 
an  eine  Frage  heran,  so  suchte  er  sie  mit  unerschütterUcher  Energie 
bis  auf  den  Grund  zu  durchdringen,  und  nichts  gab  er  aus  der 
Hand,  das  nicht  inhaltlich  und  formell  gleich  vollendet  gewesen 
wäre." 

Auf  den  2.  Februar  18S3  lud  Stadtpräsident  Dr.  Römer  einen 
Kreis  von  Verehrern  und  Freunden  Alfred  Eschers  zu  einer  Be- 
sprechung der  Frage  eines  Denkmals  ein.  Ein  öffentUcher  Auf- 
ruf war  von  schönem  Erfolg  begleitet,  und  das  Denkmalkomitee 
konnte  mit  dem  Solothurner  Bildhauer  Richard  Kissling 
einen  Vertrag  abschhessen.  Am  Samstag  den  22.  Juni  1889  fand 
die  feierUche  Enthüllung  statt.  Es  war  eine  eigenartige  Doppel- 
feier: die  Einweihung  des  Denkmals  für  den  letzten  Bürgermeister 
fiel  zusammen  mit  der  Feier  des  berühmtesten  Bürgermeisters 
Zürichs,  Hans  Waldmann,  der  vor  vierhundert  Jahren  tragisch 
geendet  hatte.  Vormittags  11  Uhr  fielen  auf  dem  Bahnhofplatz 
die  Hüllen  vom  Escherdenkmal  und  zeigten  den  6000  Zuschauem 
eines  der  herrHchsten  Kunstwerke  der  Stadt.  Oberst  Karl  Pesta- 
lozzi übergab  das  Denkmal  der  Obhut  der  Stadt,  in  deren  Namen 
es  Stadtpräsident  Hans  Pestalozzi  entgegennahm.  In  der  alten 
Tonhalle  fand  das  sehr  belebte  Festbankett  statt.  Während  am 
Abend  das  Escherdenkmal  mit  seinem  wirksamen  Hintergrund  des 
Bahnhofgebäudes  in  elektrischem  und  bengaHschem  Lichte  er- 
strahlte, begann  in  der  Tonhalle  die  Vorfeier  des  Waldmanntages. 

Noch  einmal  war  Alfred  Eschers  Name  in  aller  Mund,  als 
seine  Tochter,  Frau  Welti-Escher,  ihr  Vermögen  im  Betrage  von 
2  V2  MilUonen  Franken  am  6.  September  1890  der  Eidgenossenschaft 
als  ,, Gottfried  Keller-Stiftung"  schenkte  zu  besonderer  Ver- 
waltung mit  dem  doppelten  Zweck  der  Förderung  der  Kunst  in 
Friedenszeiten  und  für  die  Pflege  verwundeter  und  kranker  Wehr- 
männer beim  Kriege.    Zur  Gottfried  Keller-Stiftvmg  gehörte  auch 


322  VIERUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:    ALFRED  ESCHER  o 

das  Belvoir,  dem  infolgedessen  die  Gefahr  der  Parzellierung  und 
Veräusserung  nahe  stand.  Als  im  September  1890  aus  der  Bundes- 
stadt gemeldet  wurde,  der  Bundesrat  gedenke  das  Grundstück 
zu  parzellieren,  schrieb  ,,ein  Freund  der  Natur  und  der  Kunst" 
in  der  ,, Freitagszeitung",  es  wäre  doch  ein  wahrhaftes  Verhäng- 
nis, weim  eine  Stiftung  zur  Förderung  der  Kunst  den  Anlass 
bieten  sollte,  ein  solch  wunderschönes  Stück  Natur  zu  ruinieren, 
und  er  warf  die  Frage  auf,  ob  es  nicht  möghch  wäre,  das  Bel- 
voir zu  einem  öffentlichen  Garten  zu  gestalten  und  so  für  alle 
Zeiten  vor  den  Brutalitäten  der  Häuserspekulanten  sicher  zu 
stellen.  Die  Anregung  fiel  auf  fruchtbaren  Boden.  Es  gelang 
einer  Anzahl  gemeinnütziger  Männer  in  Verbindung  mit  den 
Stadtbehörden,  das  Belvoir  als  öffentUche  Anlage  für  die  Stadt 
zu  retten.  Das  aus  den  Herren  Stadtingenieur  Dr.  Arnold  Bürkli, 
Karl  Fierz-L,andis  und  Eduard  Guyer-Freuler  gebildete  Initiativ- 
komitee erwarb  das  Belvoir  von  der  Eidgenossenschaft  zuhanden 
der  Gemeinde  Zürich-Enge,  verkaufte  einen  Teil  davon  und  stellte 
die  übrige  Liegenschaft  als  öffentlichen  Garten  von  37,000  m" 
Grundfiäche  (Platzpromenade  51,000  m^)  der  Stadt  zur  Verfügung, 
welche  ihren  Besitz  am  i.  Januar  1901  antrat.  Zwar  meinte 
Direktor  Georg  Stoll  einmal,  Alfred  Escher  würde  sich  im  Grabe 
umdrehen,  wenn  er  wüsste,  dass  aus  seinem  Belvoir  ein  Wirtshaus 
geworden  sei.  Die  Bevölkerung  Zürichs  aber  dankt  es  jenen 
Männern  bei  jedem  Besuch  des  Belvoir,  dass  sie  ihr  diesen  herr- 
lichen  Park  erhalten  haben. 


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FUNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL 


STADTPRÄSIDENT  HESS 

HANS  LUDWIG  HESS  ist  geboren  am  5.  JuH  1788  als  Sohn 
des  Cliirurgus  und  Sekretärs  des  medizinischen  Instituts  zum 
„Schwarzen  Garten"  H.  J.  Hess.  Er  widmete  sich  ebenfalls  der 
Medizin  und  studierte  zu  Wien  1811  und  1812,  nachdem  er  zuvor 
das  zürcherische  medizinische  Institut  besucht  hatte  und  anderthalb 
Jahre  zu  Brück  in  der  Lehre  gewesen  war.  181 3  machte  er  als 
Feldarzt  bei  der  kaiserlich  österreichischen  Ambulanz  den  Feld- 
zug mit  durch  Böhmen,  Leipzig,  Frankfurt,  Genf  und  zurück 
nach  Wien,  wo  er  sich  noch  vier  Monate  aufhielt  und  hierauf 
heimreiste.  Gleich  nach  seiner  Ankunft  aus  der  Fremde  bat  er 
sich  (Januar  1815)  ein  Examen  aus,  worin  er  Proben  besonderer 
Geschicklichkeit  ablegte  und  unverzüglich  bei  der  eidgenössischen 
Armee  als  Oberarzt  eine  Ambulanz  besorgte.  1818  wurde  Hess 
Armenarzt  der  Grossmünstergemeinde,  1819  Lehrer  am  medi- 
zinisch-chirurgischen Institut,  1822  Aktuar  desselben.  In  dem- 
selben Jahr  erhielt  Hess  das  Amt  eines  Adjunkts  des  Bezirksarztes 
für  das  Oberamt  Zürich  und  rückte  am  5.  JuH  1823  selber  in  die 
Stelle  des  Bezirksarztes  ein,  die  er  bis  1847  bekleidete.  ,,In 
seinen  Gutachten  legte  er  seine  reichen  Kenntnisse  und  seine 
klare,  oft  geniale  Beobachtungsgabe  an  den  Tag.  Seinen  sehr 
geschätzten  Vorträgen  über  gerichtliche  Arzneikunde  am  medi- 
zinischen Institut  verdankte  der  Kanton  Zürich  die  gediegene 
Bildung  seiner  Bezirksärzte.  Auch  nach  der  Niederlegung  der 
Bezirksarztstelle  nahm  Hess  grossen  Anteil  an  den  Ergebnissen 
der  medizinischen  Literatur,  wie  er  denn  auch,  so  viel  es  ihm  seine 
Zeit  erlaubte,  an  den  Versammlungen  der  ärztlichen  Vereine  teil- 
nalim."  Dem  Stadtrat  gehörte  Hans  Ludwig  Hess  seit  dem 
15.  September  1831  an,  dem  Grossen  Rat  als  Vertreter  der  Schmie- 
denzunft seit  April  1832.  In  diesem  Kollegium  zählte  Hess 
zu  den  Konserv^ativen  und  tat  sich  besonders  hervor  als  Ver- 
fechter der  Wünsche  und  AnHegen  der  Handwerker,  die  vor  der 


324     FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS        o 

Einführung  der  Gewerbefreilieit  grosse  Befürchtungen  hegten 
(vgl.  Wettstein,  Regeneration).  In  den  Diskussionen  hierüber  wies 
Hess  speziell  darauf  hin,  dass  die  alte  Regierung  im  Jahr  1830 
von  der  Bürgerschaft  Zürichs  darum  nicht  kräftiger  unterstützt 
worden  war,  weil  sie  im  Verdacht  stand,  die  Gewerbefreiheit  ein- 
führen zu  wollen;  nach  der  ,,N.  Z.  Z."  (1832,  Nr.  37)  mochten 
sich  die  neuen  Regenten  dies  gemerkt  und  eben  deswegen  die 
Rechte  der  Gewerbefreiheit  nicht  entschiedener  und  durchgreifen- 
der geltend  gemacht  haben.  Hess  gehörte  auch  zu  den  Unter- 
zeichnern der  Protestatiou  gegen  das  Siebner-Konkordat. 

Als  im  Mai  1840  Oberst  Ziegler  in  die  Regierung  übertrat, 
wählte  die  am  25.  Juni  1840  in  der  St.  Peterskirche  versammelte 
Stadtgemeinde  Stadtrat  Hess  zum  Stadtpräsidenten.  Volle 
23  Jahre  hindurch  stand  er  an  der  »Spitze  der  Stadtverwaltung  und 
erwarb  sich  durch  seine  unermüdliche  Pflichttreue  viel  Verdienste 
um  die  Stadt.  Das  Neujahrsblatt  des  Waisenliauses  1872  hebt 
noch  besonders  hervor:  ,,Als  im  Jahre  1855  die  asiatische  Cholera 
Zürich  einen  kurzen  Besuch  machte,  finden  wir  Hess  als  einen  der 
ersten  auf  dem  Kampfplatze,  und  seinen  ebenso  umsichtigen  als 
energisch  durchgeführten  Massnahmen  war  die  erfolgreiche  Be- 
kämpfung des  Übels  vorzüghch  zu  verdanken.  Eine  seltene  Ge- 
däclitniskraft,  die  ihm  den  Namen  des  lebendigen  Protokolls  zu- 
zog, unerschütterliche  Gemütsruhe  und  Pflichttreue,  erheitert 
durch  freundhche  Geselligkeit,  erleichterten  ihm  seine  Geschäfts- 
last und  erhielten  ihm  bis  an  sein  Eebensende  das  Zutrauen  seiner 
Mitbürger."  Im  Jahr  1856  durfte  Hess  sein  25iähriges  Jubiläum 
als  Mitglied  des  Stadtrates  begehen.  ,,In  bewegter  Stim- 
mung und  mit  lautloser  Stille"  erklärte  am  15.  »September  1856 
die  Bürgergemeinde  den  von  Regierungsrat  Hageubuch  befür- 
worteten Antrag  des  Vizepräsidenten  Mousson  zum  Beschluss,  es 
sei  dem  Herrn  Stadtpräsidenten  durch  eine  besondere  Abordnung 
eine  Dankesurkunde  zu  überreichen  und  dieselbe  mit  der  goldenen 
Verdienstmedaille  zu  begleiten.  , .Abends  feierte  die  Bürger- 
Mittwochgesellschaft,  deren  Mitgründer  und  beständiges,  \-on 
allen  geachtetes  und  geliebtes  Mitglied  Herr  Hess  ist,  den  Jubilar 
mit  einem  Bankett  und  einem  Ständchen.  Nach  einer  Ansprache 
bei  diesem  Fest  im  Schützenhaus  öffneten  sich  hinter  dem  Ju- 
bilar   plötzhch    zwei    Vorhänge,    und    ein    Transparent    erschien, 


o        FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS     325 

in  welchem  die  Tigurina  in  weiss  und  blauem  Kleide  dem  Ge- 
feierten den  Kranz  bot  („dem  Verdienste  seine  Krone")  und  in 
ihrem  Gedenkbuche  zwei  Blätter  aufgeschlagen  hatte,  auf  denen 
der  15.  September  1831  und  der  15.  September  1856  verzeichnet 
standen.  Herr  Hess  gab  darauf  der  Versammlung  eine  kurze  und 
gemüthche  Geschichte  seines  Eintritts  in  den  Stadtrat  imd  dessen, 
was  mit  ihm,  der  Behörde  und  der  Stadt  selbst  seither  vor- 
gegangen" (Frtgsztg.).  Alters-  und  Gesundheitsrücksichten  ver- 
anlassten Hans  Ludwig  Hess  am  30.  Mai  1863  zum  Rücktritt 
als  Stadtpräsident;  sein  Nachfolger  wurde  am  i.  Juni  1863  alt 
Bürgermeister  Heinrich  Emanuel  Mousson.  Hess  starb,  auf- 
richtig betrauert,  am  27.  November  1866. 

Die  Stadt  Zürich  zur  Zeit  des  Stadtpräsidenten  Hess  zeigt 
das  diesem  Kapitel  beigeheftete  Vogelschaubild  aus  der  Mitte 
des  letzten  Jahrhunderts.  In  der  Ecke  unten  Unks  drängen  sich 
die  Bäume  der  Platzpromenade  zusammen.  Sie  umrahmen 
die  Bürgergärten  hinter  dem  Bahnhof,  in  welche  1855/56  die 
Gasfabrik  gestellt  worden  ist,  an  deren  Stelle  sich  jetzt  das 
Landesmuseum  erhebt.  Vom  Bahnhöfchen  und  seinen  Neben- 
gebäuden leitet  die  primitive  Eisenbahnbrücke  in  den  ,,Kräuer' 
hinüber  (Ecke  rechts),  in  welchen  (um  1870)  die  Mihtärbauten, 
Kaserne  und  Zeughaus,  verlegt  worden  sind.  Die  drei  Häuser  an 
der  Sihl,  am  Ende  der  Allee,  sind  die  alten  MiUtärställe  und  die 
Reitbahn.  Die  düstere  gedeckte  Sihlbrücke,  die  erst  1866 
durch  eine  offene  Gitterbrücke  ersetzt  wurde,  ist  von  den  Ausser- 
sihlern  lange  Jahre  als  lästiges  Verkehrshindernis  empfunden 
worden,  um  dessen  Beseitigung  sie  eifrig  petitionierten.  Links 
von  ihr  sieht  man  den  einzigen  Bogen  der  Sihlportenbrücke  über 
den  Schanzengraben.  Der  Schanzengraben  umfhesst  hier  das 
stehen  gelassene  Katz-Bollwerk,  auf  welchem  der  Botanische 
Garten  angelegt  wurde  (leicht  kennthch  an  der  Baumgruppe  auf 
der  obersten  Terrasse).  Durch  den  Schanzengraben  vom  Botani- 
schen Garten  getrennt,  ragt  der  noch  jetzt  bestehende  Wasser- 
turm. Auf  der  entgegengesetzten  Seite  des  Botanischen  Gartens, 
zwischen  Talgasse  imd  Schanzengraben,  dehnt  sich  der  ehemalige 
Exerzierplatz,  auf  welchem  häufig  Festhchkeiten  stattfanden 
und  auch  etwa  Truppen  beeidigt  imd  verabschiedet  wurden  (Gegend 
des  jetzigen  Schanzengrabenschulhauses). 


326     FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:   STADTPRÄSIDENT  HESS        o 

Jenseits  des  Schanzengrabens,  dem  Botanischen  Garten  gegen- 
über, liegen  die  Häuser  des  Sein  au,  die  erst  1854  durch  eine 
steinerne  Brücke  (in  der  Fortsetzung  der  PeHkanstrasse,  an  Stelle 
des  bisherigen  Fussgängersteges)  wieder  ihre  richtige  Verbindung 
mit  der  Stadt  erliielten.  Weiter  dem  Schanzengraben  aufwärts  fol- 
gend, treffen  wir  auf  die  Bleicherwegbrücke  und  den  nach  der 
Enge  und  Wollishofen  hinaus  führenden  Bleicherweg.  Die 
Talgasse  läuft  dem  Schanzengraben  parallel  bis  zum  See.  Die 
drei  Häuser  zu  oberst,  gegenüber  dem  Kratzturm,  sind  die  De- 
pendance  des  Hotel  Baur,  später  Baur  au  lac,  erbaut  von  dem- 
selben ehemaUgen  Bäckergesellen  Baur  (gestorben  1865),  der  auch 
das  Hotel  Baur  en  ville  beim  Paradeplatz  errichtet  hat.  Der 
grosse,  von  einer  Allee  dem  Ufer  entlang  eingesäumte  Platz  hinter 
dem  Stadthaus  ist  bei  der  Sonderbundszeit  genannt  worden. 
Hier  wurden  öfters  Truppen  vereidigt  und  dann  beim  BauschänzH 
nach  den  obern  Seegegenden  eingeschifft.  Das  Häusergeviert  des 
Kratzquartiers,  dessen  südwestliche  Ecke  der  Kratzturm 
mit  dem  Baugarten  bezeichnet,  schhesst  den  Stadthausplatz 
ein,  auf  dem  der  wöchenthche  und  der  Jahrmarkt  zu  Martini  ge- 
halten wurde  (das  Stadthaus  ist  das  erste  Haus  rechts  gegenüber 
dem  BauschänzH).  An  der  Ljmmat  (bei  der  Münsterbrücke) 
steht  isoHert  das  Kaufhaus,  an  der  Poststrasse  das  Post  haus 
(jetzt  Zentralhof),  gegenüber  Hotel  Baur,  am  Paradeplatz  die 
Tiefenhoflinde  und  dahinter  der  Bürklische  Tiefenhof,  auf 
der  Nordseite  des  Paradeplatzes  der  Feldhof,  in  der  Mitte  des 
Talackers  (rechts,  das  länghche  Gebäude)  die  Kaserne,  herwärts 
derselben  am  PeHkanplätzh  der  vordere  Pelikan,  Wohnung  des 
Stadtpräsidenten  Ziegler.  An  der  Sihlstrasse  hegt  noch  der  alte 
St.  Anna-Friedhof.  DeutUch  hebt  sich  aus  dem  Bild  der 
Fröschengraben  mit  der  an  seiner  Westseite  entlang  laufenden 
Strasse  hervor  und  von  der  Bastei  des  Rennwegtors  schräg 
aufwärts  gegen  die  Peterskirche  der  Renn  weg.  Halbwegs 
zwischen  Paradeplatz  imd  Rennwegtor  führt  über  den  Fröschen- 
graben die  Augustinerbrücke;  zwischen  der  Peterskirche  und 
der  Augustinerbrücke  hegt  das  Geviert  der  Augustinerkirche  mit 
dem  ,, Hinteramt",  dem  ersten  Universitätsgebäude.  In  der 
Mitte  der  Rathausbrücke  ein  Budengebäude,  rechts  vorsprin- 
gend das  Hotel ,,  Schwert".  Der  Lindenhof,  das  alte  Zuchthaus 


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o        FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS     327 

am  Ötenbach,  das  Waisenhaus  daneben  und  das  „gedeckte 
Brückli"  sind  nicht  zu  verkennen,  ebensowenig  das  alte  Schützen- 
haus an  der  Linimat  (zwischen  dem  „gedeckten  BrückU"  und  der 
Schanzengrabenmündung) .  Das  hufeisenförmige  Gebäude  rechts 
vom  Schützenhaus  und  gegenüber  dem  Bahnhof  ist  das  sogenannte 
neue  Zeughaus;  die  Pappeln  dabei  umgeben  als  BHtzableiter 
drei  kleine  Pulverhäuser.  Auf  der  langgestreckten,  rechts  spitz 
zulaufenden  Wiese  vor  dem  Zeughaus  wurde  bei  Hinrichtungen 
das  rot  bemalte  Blutgerüst  aufgeschlagen.  Die  Strasse,  welche  als 
Fortsetzung  der  Talgasse  den  Schanzengraben  bis  zur  Limmat 
begleitet,  hiess  die   Löwenstrasse. 

Am  See  ist  die  lange  weisse  Linie  der  Seefeldstrasse 
sichtbar;  deutlich  erkennt  man  auch  das  Kornhaus  (die  ,,alte 
Tonhalle");  Hnks  von  ihr  Stadelhofeu  und  die  Kreuzbühl- 
strasse, oben  am  Kreuzplatz  zusammenlaufend  nüt  dem  Zeltweg. 
Die  Gartenanlagen  des  Gutes  zum  Linde ntal  korrespondieren 
mit  dem  gegenüberliegenden  grossen  Turnplatz  der  Kantons- 
schule. Das  turmartige,  viereckige  Gebäude  soll  die  Kantons- 
schule vorstellen.  Links  davon,  bei  dem  Rondell  an  der  Rämi- 
Tannenstrasse,  dehnt  sich  der  weitläufige  Bau  des  Kantons- 
spitals mit  der  Anatomie,  dahinter,  etwas  erhöht,  das  Absonde- 
rungshaus. \'om  Rondell  abwärts  geht  der  Weg  an  der  Blinden- 
anstalt und  dem  Künstlergütli  vorbei  das  Halseisen  liinunter 
zum  Rechberg  vmd  Hirschengraben.  Auf  die  viereckige  Wiese 
gegenüber  der  Bhndenanstalt,  den  ,,Scliienhut",  kam  dann  das 
Polytechnikum  zu  stehen.  In  erhabener  Lage  über  den  Resten  des 
alten  St.  Leonhard-Bollwerks  (links)  thront  die  Pfrundanstalt; 
unten  an  der  Limmat  verbindet  der  Lange  Steg  die  Etablisse- 
mente  von  Escher  Wyss  &  Cie.  mit  der  Platzpromenade;  der 
Limmatquai  ist  nur  bis  auf  die  Höhe  der  Rosengasse  durch- 
geführt und  dort  abgebrochen.  Im  allgemeinen  befanden  sich  die 
^^erkehrsverbindungen  im  Innern  der  Stadt  und  die  Zugänge  zu 
derselben  von  aussen  vor  50  bis  60  Jahren  noch  in  einem  recht 
imbefriedigenden  Zustande.  Strassen,  auf  denen  bequem  gefahren 
werden  konnte,  waren  nur  sehr  wenige  vorhanden:  in  der  ,, kleinen 
Stadt"  der  Talacker  und  die  Poststrasse,  in  der  ,, grossen  Stadt" 
der  Rathausquai,  der  Sonnenquai  und  allenfalls  der  Hirschen- 
graben; sodann  die  an  Stelle  der  früheren  Schanzenumwallung 


328     FÜNPUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPR,4SIDENT  HESS         o 

angelegten  Strassenzüge :  links  der  Limmat  die  Löwenstrasse  und 
Talgasse,  rechts  der  Limmat  Rämistrasse  und  Leonhardstrasse. 
Alles  andere  waren  schmale,  krumme,  meist  unebene  Gassen. 
Recht  anschauHch  beschreibt  z.  B.  Dr.  Conrad  Escher  in  der 
, .Zürcher  Wochenchronik"  den  damaUgen  komphzierten  Ver- 
kehr mit  dem  Balmhof.  Der  Fahrverkehr  aus  der  , .kleinen 
Stadt"  ging  durch  den  Talacker  und  die  Löwenstrasse;  Fussgänger 
benützten  die  Fröschengrabenstrasse  bis  zum  Rennwegtor;  von 
da  ging's  rechts  hinunter  zur  ,, Werdmühle",  wo  sich  eine  fleissige 
Sägemühle  befand.  Der  Weg  führte  unter  einem  Dach  durch  die 
Säge  hindurch  und  dann  in  mehrfachen  romantischen  Krüm- 
mungen zum  Bahnhof.  Nicht  viel  besser  und  direkter  war  der 
enge  Weg  durch  die  Schipfe.  Ganz  misshche  Verkehrsverbiudungen 
bestanden  für  die  grosse  Stadt.  Die  ..Metzgpassage"  zwischen  der 
Hauptwache  und  dem  Haus  zum  ,,Kiel"  war  so  eng,  dass  zwei 
Fuhrwerke  Mühe  hatten,  aneinander  vorbeizukommen,  und  von 
der  Rathausbrücke  abwärts  gab  es  keinen  fahrbaren  Flussübergang 
mehr;  der  ganze  Fuhrwerkverkehr  musste  den  Umweg  durch  die 
kleine  Stadt  nehmen. 

In  chronologischer  Reihenfolge  seien  nun  noch  einige  der 
bemerkenswertesten  Begebenheiten  und  baulichen  Ver- 
änderungen in  der  Stadt  Zürich  aus  der  Zeit  von  vStadtpräsident 
Hans  Ludwig  Hess  verzeichnet: 

1840.  —  Auf  dem  Ütliberg  hat  sich  ein  Gasthaus  auf- 
getan. Es  wurde  von  Friedrich  Bej-el  auf  dem  Kulm  neben  dem 
alten  Hochwachthäuschen  im  Stil  der  Appenzeller  Alphütten  er- 
baut. Beyel  ist  1866  gestorben  und  die  Famihe  weggezogen.  Das 
neue  grosse  Zeughaus  beim  Bahnhof,  dessen  erster  Flügel 
1837/38  erstellt  wurde,  befindet  sich  noch  in  vollem  Ausbau;  der 
mittlere  Verbindungsflügel  (gegen  das  vSchützenhaus)  wurde  erst 

1844  fertig. 

.  * 

1841.  —  Der  Packhof  (hinter  den  Fraumünstergebäuhch- 
keiten  an  der  Kappelergasse),  ein  mit  dem  Betrieb  des  Kaufhauses 
in  Zusammenhang  stehender  Bau,  wird  vollendet  und  der  Stadt 
übergeben. 


o       FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDBNT  HESS     329 

1842.  —  Im  Oktober  wurde  die  neue  Pfrundanstalt  be- 
zogen, deren  Bau  von  der  Gemeinde  am  4.  Juli  1839  beschlossen 
worden  war.  Bei  der  Einweihting  am  27.  Oktober  sangen  die 
Zöglinge  der  Blindenanstalt  einige  Lieder.  Das  alte  Pfrundhaus 
zu  St.  Jakob  in  Aussersihl  wurde  verkauft;  die  Kapelle  diente 
eine  Zeitlang  als  Magazin  und  schliesslich  noch  als  Schlachthaus 
des  Konsumvereins!  Die  Gottesdienste  zu  St.  Jakob  wurden  in 
das  am  6.  Oktober  1844  eingeweihte  neue  Bethaus  verlegt, 
welches  die  Gemeinden  Aussersihl  und  St.  Peter  gemeinsam  auf 
dem  neuen  Friedhof  gegenüber  dem  alten  Pfrundhaus  an  der 
Badenerstrasse  erstellt  hatten.  Mit  der  Anlage  dieses  Friedhofs, 
an  dessen  Portal  die  Inschrift  stand:  ,, Grabesnacht  —  Frühlings- 
morgen", war  schon  1820  begonnen  worden.  Nach  dem  Vertrag 
von  1843  sollte  derselbe  gemeinsam  dem  Stadtteil  der  St.  Peters- 
gemeinde und  der  Filiale  Aussersihl  dienen,  die  Beerdigungen  auf 
dem  Friedhof  St.  Anna  am  30.   Juni  1845  aufhören. 

* 

1843.  —  Das  ,, Tagblatt  der  Stadt  Zürich"  hat  seine 
Metamorphosen  beendet,  Titel  und  Gestalt  endgültig  angenommen. 
Wir  lernten  es  (Seite  21/22)  zuerst  kennen  als  ,,Donnstags-Nach- 
richten"  (seit  1730),  dann  als  ,,Donnstags-Blatt"  (1781)  vmd  end- 
lich als  ,, Zürcherisches  Wochenblatt"  (1801),  unter  welchem  Titel 
es  1814  samt  der  Buchdruckerei  Berichthaus  an  die  Famihe  Ulrich 
überging  und  fortgefülirt  wurde.  Nun  gab  aber  das  Berichthaus 
vom  I.  Januar  1837  an  neben  dem  ,, Zürcherischen  Wochenblatt" 
täglich,  auch  Sonntags  (zwischen  xo  und  12  Uhr),  das  vorerst 
nur  als  zweiseitiges  Blättchen  erscheinende  ,, Tagblatt  der 
Stadt  Zürich"  heraus,  das  ledigHch  die  FremdenHste  und 
daneben  noch  einige  pressante  amthche  und  private  Anzeigen  ent- 
hielt. Da  die  Fremdenhste  unter  Leitimg  der  Stadtpohzei  erschien 
und  an  die  Stelle  des  von  einem  eigens  angestellten  ,, Nacht- 
schreiber" angefertigten  ,, Nachtzettels"  trat,  hatte  dieses  ,, Tag- 
blatt" gewissermassen  amthchen  Charakter.  Bald  Uef  das  ,, Tag- 
blatt" dem  wöchentUch  nur  zweimal  erscheinenden  ,, Wochenblatt" 
den  Rang  ab.  Im  ersten  Halbjahr  1843  wurde  das  ,, Wochenblatt" 
wie  bisher  zweimal  wöchentlich,  aber  nur  noch  als  zweiseitiges 
Blatt  für  die  Landgemeinden  ausgegeben,  verschwand  dann  aber 
gänzHch,    um    dem    ,, Tagblatt"    das   Feld   allein    zu   überlassen. 


330     FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:   STADTPRÄSIDENT  HESS        o 

Seit  1855  lieferte  das  „Tagblatt"  auch  Börsenkurse  und  eine 
„Übersicht  der  Tagesnachrichten".  Am  31.  Dezember  1863 
wurde  sodami  der  erste  Vertrag  mit  der  Stadt  Zürich  ab- 
geschlossen, nach  welchem  das  ,, Tagblatt  der  Stadt  Zürich"  als 
offizielles  Pubhkationsmittel  für  alle  Bekanntmachungen  der 
städtischen  Behörden  gilt.  SämtUche  amtUchen  Bekanntmachungen 
waren  unentgeltUch  aufzunehmen,  sämtlichen  städtischen  Ver- 
waltungen und  Kanzleien  Freiexemplare  abzuHefern.  Der  Abonne- 
mentspreis von  6  Fr.  und  der  Insertionspreis  von  6  Rp.  pro  Zeile 
durfte  ohne  Einwilligung  des  Stadtrates  nicht  erhöht  werden, 
und  es  ist  gewiss  interessant,  dass  dieser  Abonuementspreis  von 
6  Fr.,  durch  welchen  bei  weitem  nicht  einmal  die  Kosten  des 
Papiers  gedeckt  werden,  bis  auf  den  heutigen  Tag,  fünzig  Jahre 
liindurch,  derselbe  geblieben  ist!  Auf  Verlangen  war  das  ,, Tag- 
blatt" von  1864  an  auch  durch  Austräger  ins  Haus  zu  hefern. 
Der  Stadt  hatte  das  Berichthaus  eine  jährhche  Remuneration 
von  5000  Fr.  zu  bezahlen  (nach  dem  Vertrag  vom  i.  November  1911 
beträgt  diese  Remuneration  nunmehr  90,000  Fr.,  was  mit  der 
unentgelthchen  Aufnahme  der  amtlichen  Inserate  einer  Gesamt- 
leistung von  jährlich  150,000  Fr.  an  die  Stadt  gleichkommt).  — 
Am  25.  imd  26.  Juh  1843  wurde  vom  vSängerverein  ,, Harmonie" 
das  eidgenössische  Sängerfest  durchgeführt.  Auf  dem 
Exerzierplatz  am  Schanzengraben  (beim  Botanischen  Garten) 
war  eine  Festhütte  für  3000  Gedecke  errichtet.  Die  eidgenössische 
Sängerfahne,  von  Aarau  kommend,  wurde  in  Dietikon  eingeholt 
und  hielt  in  Begleitung  von  zwölf  kostümierten  Reitern  ihren 
glänzenden  Einzug  in  die  vStadt.  Die  übhchen  Begrüssungs- 
ansprachen  wurden  zwischen  den  Regierungsräten  Häfehn  von 
Aargau  und  Zehnder  von  Zürich  gewechselt.  Die  Wettgesänge 
fanden  im  Fraumünster  statt,  wo  eine  bekränzte  Büste 
H.  G.NägeHs  aufgestellt  war;  in  den  Verhandlungen  vom  26.  Juh 
wurde  die  Errichtung  eines  Nägeli-Denkmals  beschlossen.  Die 
Schlussrede  hielt  Dr.  Zehnder. 

Im  März  1843  hatte  der  Kanton  Zürich  als  erster  Festlands- 
staat nach  engli.schem  Muster  die  Brief  postmarken  eingeführt, 
in  Werten  von  4  und  6  Rappen,  \'on  denen  erstere  zur  Zeit  mit 
300 — 400  Fr.  bezahlt  wird. 


o       FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS     331 

1844.  —  In  der  Gemeindeversammlung  vom  18.  Juli  wurde 
die  Vorlage  über  die  Ausscheidung  des  stadtbürgerlichen  Gemeinde- 
gutes vom  Nutzungsgut  angenommen.  —  An  Stelle  der  heutigen 
Wipkingerbrücke  wurde  im  Oktober  1844  eine  Wagenfähre 
zwischen  Wipkingen  mid  Aussersihl  dem  Verkehr  übergeben;  sie 
diente  bis  zum  Bau  der  Brücke  1873.  — •  In  Enge  begann  der  Bau 
der  neuen  Landstrasse,  und  zwar  mit  der  Abteilung  vom  Sternen 
bis  Wollishofen ;  1845  wurde  die  Strecke  Bleicherweg-Belvoir  korri- 
giert und  1846  die  ganze  Strasse  vollendet.  —  Bei  der  Kollerschen 
Mühle  am  Obern  Mühlesteg  wurde  1844  bis  1846  eine  Schiffahrts- 
schleuse eingebaut.  ^ 

1845.  —  Dienstag  den  15.  Juli  wurden  auf  der  Wiese  beim 
neuen  Zeughaus  die  Mörder  I^attmann  und  Sennhauser  in  An- 
wesenheit grosser  Volksmassen  hingerichtet.  Sträflinge  hatten  in 
der  Nacht  das  Blutgerüst  aufgestellt.  Die  Scharfrichter  Mengis 
von  Rheinfelden  und  Heygi  \'on  Genf  vollzogen  die  Exekution. 
Am  gleichen  Ort  wurde  am  2.  Juh  1856  wiederrun  ein  Mörder- 
paar, Bosshard  und  Reinberger,  hingerichtet.  Die  „Freitags- 
zeitung" gibt  davon  eine  grausige  Beschreibung  und  fragt,  ob  man 
tücht  endUch  die  ÖffentUchkeit  dieser  Hinrichtungen  abschaffen 
soUte,  da  sie  nur  verrohend  wirken  könne.  Der  Mörder  Kündig 
wurde  am  26.  Oktober  1859  guillotiniert. 

* 

1846.  —  Am  12.  Januar  imposante  Pestalozzifeier  im 
Grossmünster  zu  Ehren  des  100.  Geburtstages  von  Heinrich  Pesta- 
lozzi, verbunden  mit  einer  Sammlung  zugunsten  einer  Pestalozzi- 
stiftung, d.  h.  einer  Musteranstalt  im  ehemahgen  Stift  Olsberg 
im  Kanton  Aargau.  —  Vom  3.  bis  31.  August  im  Theatergebäude 
und  Kreuzgang  des  Obmannamtes  erste  Industrieausstellung 
des  Gewerbevereins,  Preisverteilung  am  7.  September  im  Kasino- 
saal, if. 

1847.  —  Am  17.  Mai  trat  der  uns  bestens  bekannte  Bank- 
kassier Wilhelm  Meyer-Ott  in  den  Stadtrat  und  widmete 
länger  als  ein  Jahrzehnt  dem  Gemeinwesen  seine  wertvollen  Dienste 
als  städtischer  Finanzminister.  Er  nahm  1863  gleichzeitig  mit  dem 
Stadtpräsidenten  Hess  seinen  Rücktritt. 


332     FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS         o 

1848.  —  Nachdem  der  im  Jahre  1841  lebhaft  ventiUerte  Plan 
der  Errichtung  eines  gemeinsamen  städtischen  Friedhofs  im  Selnau 
sich  zerschlagen  hatte,  schlössen  die  Kirchgemeinden  Gross- 
münster und  Predigern  am  28.  März  1843  einen  Vertrag  mit 
der  Regierung  über  die  Anlage  eines  Friedhofs  auf  der  Hohen 
Promenade.  Diesem  Vertrag  trat  am  10.  August  1843  auch  die 
Fraumünstergemeinde  bei.  Der  Verein  für  Errichtung  eines 
Privatkirchhofs  sicherte  sich  für  seine  Zwecke  ein  Terrain  an 
der  Südostseite  der  Hohen  Promenade  und  schloss  mit  der  Fried- 
hofkommission einen  Vertrag  (1846)  über  gemeinsame  Benutzung 
der  auf  dem  öff entheben  Kirchhof  errichteten  Abdankungs- 
kapelle (jetzt  enghsche  Kirche).  Die  Einweihung  von  Friedhof 
und  Kapelle  erfolgte  am  27.  August  1848,  wobei  vStadtpräsident 
Hess  die  Eröffnungsrede  hielt.  Damit  hörte  die  Benutzung  des 
Krautgartens  mid  des  Predigerkirchhofs  auf.  Der  letztere  ging  in 
den  Besitz  des  Staates  und  1873  mit  dem  gesamten  Spitalareal  in 
denjenigen  der  Stadt  über,  welche  ihn  1875  applanierte.  —  Ein 
prächtiges  Fest  war  die  Enthüllung  des  Nägeli-Denkmals  auf 
der  Hohen  Promenade  am  16.  Oktober  1848.  Am  Vorabend 
wurde  die  Front  des  Kasinos  ausgeschmückt  und  auf  allen  »Strassen, 
die  zur  Stadt  führten,  Ehrenpforten  errichtet.  Die  Sängervereine 
zogen  vereint  zum  Balinhof,  um  die  eidgenössische  Fahne  und 
die  ankommenden  Gäste  zu  empfangen  und  zum  Kasino  zu  ge- 
leiten. Am  Festtage  selbst  brachten  Dampfschiffe  und  Wagen 
noch  zahlreiche  Sängergruppen.  Im  Hof  des  Postgebäudes  sam- 
melten sich  800  bis  900  Sänger.  Der  Festzug  bewegte  sich  vom  Frau- 
münster aus  nach  der  Hohen  Promenade.  Die  Feier  wurde  in- 
toniert durch  NägeUs  ,,Wir  fiüilen  uns  zu  jedem  Tun  entflammet". 
Nach  der  Rede  des  Sängervereinspräsidenten  Hauk  fiel  die  Hülle, 
und  es  erschienen  zwölf  weissgekleidete  IMädchen,  welche  das 
Piedestal  des  Denkmals  bekränzten.  Den  Schluss  machte  Nägehs 
„Stehe  fest,  o  Vaterland".  Abends  war  Bankett  im  Kasino  und 
Theatersaal. 

1849.  —  Die  Post  ist  mit  diesem  Jahr  eidgenössisch  ge- 
worden. —  Durch  den  Bahnhof  waren  die  Schützen  von  ihrem 
alten  Schützen  platz  bei  der  Platzpromenade  verdrängt  worden, 
auf  dem  am  22.  September  1845  das  letzte  Schiessen  stattfand. 


o        FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS     333 

Vom  Stadtrat  wurde  der  Stadtschützengesellschaft  das  Sihlhölzli 
als  entsprechender  imd  „ganz  sicherer"  Raum  abgetreten,  und  die 
Schützengesellschaft  errichtete  dort  ein  neues  Schützenhaus, 
welches  am  14.  Mai  1849  bezogen  und  eingeweiht  wurde.  Das 
alte  Schützenhaus  ging  1860  mit  Grund  und  Boden  an  den  Kon- 
sumverein über. 

Der  badische  Aufstand  im  Sommer  1849  brachte  un- 
erwartet kriegerisches  Leben  nach  Zürich.  Die  Schweiz  musste 
ihre  Grenzen  sichern,  und  wieder  genoss  man  in  unserer  %Stadt  das 
häufige  Schauspiel  des  Durchmarsches  von  Truppen.  Am  Abend 
des  7.  Juh  traf  u.  a.  eine  Kompagnie  Schwyzer  Scharfschützen  auf 
einem  Dampfschiff  ein  —  die  ersten  TruppeBf^aiis  'den  Sonder- 
bundskantonen seit  1847!  Sie  wurden  in  Enge  einquartiert  und 
marschierten  folgenden  Tages  nach  Eghsau.  Am  Montag  den 
g.  Juli  langte  ein  Trupp  von  250  Pfälzern,  welche  bei  Basel  die 
Grenze  überschritten  hatten  und  vom  eidgenössischen  Oberst 
Kunz  einfach  nach  Zürich  instradiert  wurden,  per  Eisenbahn  hier 
an.  Es  waren  meist  blutjunge  unansehnliche  Burschen,  zum  Teil 
in  elendem  Zustand.  Am  11.  JuH  trat  das  Sigelsche  Korps 
in  die  Schweiz  über.  vSigel,  mit  Generalsepauletten  und  umgeben 
von  seinem  Stab,  an  der  Spitze  seiner  Armee,  defiherte  vor  den 
im  Rafzerfeld  aufgestellten  Zürcher  Truppen  und  wurde  dann 
entwaffnet.  Mittags  zwischen  i  und  2  Uhr  kamen  die  ersten 
Badenser  in  Zürich  an,  etwa  70  Mann  Freischaren,  mitten  zwischen 
ihnen  ein  Mädchen  in  ]Männerkleidung.  General  Sigel  und  sein 
Stab  kamen  gegen  3  Uhr  in  zwei  Kutschen.  Die  Hauptmasse  der 
entwaffneten  Armee  wurde  erst  am  Donnerstag  erwartet,  und  es 
ging  ihr  die  halbe  Stadt  nach  Unterstrass  entgegen,  um  dieses 
nie  gesehene  Schauspiel  zu  gemessen.  In  den  folgenden  Tagen 
kamen  immer  noch  mehr  Flüchthnge  nach  Zürich,  die  zum  grossen 
Teil  auf  das  Uand  verteilt  werden  mussten.  Am  2.  August  er- 
nannte der  Bundesrat  General  Dufour  zum  Kommandanten  der 
Rheinarmee,  Oberst  Ziegler  zu  seinem  Generalstabschef.  Am 
Sonntag  den  5.  August  war  auf  der  WoUishofer  Ahmend  grosse 
Revue  über  die  in  imd  um  Zürich  stehenden  Truppen.  Am 
15.  August  traf  General  Dufour  in  Zürich  ein  und  hielt  fol- 
genden Tages  auf  dem  Exerzierplatz  am  Schanzengraben  eine 
Inspektion  über  Schwyzer  und  Luzerner  Truppen,  gegen  welche 


334     FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:   STADTPRÄSIDENT  HESS        o 

er  vor  zwei  Jahren  im  Felde  gelegen.  Mit  der  im  Naclibarlande 
eingekehrten  Ruhe  konnten  auch  die  eidgenössischen  Truppen 
nach  und  nach  wieder  entlassen  werden. 

* 
1851.  ■ —  Grossartig  war  die  fünfhundert]  ährige  Jubel- 
feier von  Zürichs  Aufnahme  in  den  Bund  der  IV  Wald- 
stätte am  I.  Mai  1351.  Das  Fest  wurde  auf  zwei  Tage  verteilt: 
Donnerstag  den  i.  und  Sonntag  den  4.  Mai.  Eingeladen  waren 
dazu  selbstverständUch  in  erster  Linie  die  getreuen  lieben  Eid- 
genossen der  IV  Waldstätte:  Uri,  »Schwyz,  Unterwaiden  und 
lyUzern.  Leider  konnten  sich  die  drei  Urkantone  nicht  entschhessen, 
der  Einladung  Folge  zu  leisten;  noch  brannten  die  Wunden  des 
Sonderbundskrieges,  und  es  ist  begreifhch,  wenn  z.  B.  Uri  schreibt, 
dass  es  die  Stimmung,  welche  diese  FestHchkeit  voraussetze,  nicht 
mitbringen  könnte  und  anderseits  das  Volk  von  Uri  durch  die 
Teilnahme  seiner  Regierung  unangenehm  berührt  werden  dürfte. 
Das  nun  wieder  radikal  regierte  Luzern  war  vertreten  durch  Staats- 
rat Pfyffer.  Wiederum  stand  die  für  3000  Personen  berechnete  Fest- 
hütte auf  dem  Exerzierplatz  beim  Botanischen  Garten ;  die  Haupt- 
fassade gegen  die  Talgasse  wurde  mit  den  Wappenschilden  der 
22  Kantone  und  zwei  Gemälden  geschmückt,  von  denen  das  eine 
den  Bundesschwur  vom  i.  Mai  1351,  das  andere  die  Heimkehr  der 
Zürcher  aus  der  Schlacht  von  Tätwil  bei  Baden,  26.  Dezemberi35i, 
darstellte  (die  Bilder  befinden  sich  jetzt  im  Stadthaus).  Das  Ge- 
läute der  Glocken  im  ganzen  Kanton  eröffnete  um  6  Uhr  morgens, 
am  I.  Mai,  die  Bundesfeier,  und  in  Zürich  donnerten  dazu  die  Ka- 
nonen. Auf  der  Münsterterrasse  wurden  von  einer  Blechmusik 
Choräle  gespielt.  Um  9  Uhr  setzte  sich  vom  Rathaus  weg  der 
Festzug  in  Bewegung;  er  zählte  mehrere  Musikkorps,  eine  Menge 
Fahnen,  lange  Reihen  von  Abordnungen  eidgenössischer,  kanto- 
naler und  städtischer  Behörden,  Offiziere,  Professoren  usw.  (zwei 
deutsche  Professoren  hatten  sich  entschuldigt,  weil  sie  ein  Ereigms 
nicht  mitfeiern  könnten,  bei  dem  sich  ein  wertvoller  Teil  des 
deutschen  Reiches  losgerissen  habe).  Die  Strassen  waren  prächtig 
dekoriert.  Auf  dem  Schützenplatz  beim  Bahnhof  war  eine  Tribüne 
errichtet.  Die  Festreden  hielten  dort,  nachdem  der  erhebende 
Eröffnungsgesang  verklungen  war,  Regierungspräsident  Dr.  Zehn- 
der,  Bundesrat  Dr.  Jonas  Furrer  und  Staatsrat  Kasimir  Pfyffer. 


o       FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS     335 

Beim  Bankett  in  der  Festhütte  eröffnete  Dr.  Alfred  Escher  die 
Reihe  der  Toaste.  Der  kostümierte  Festzug  am  Nachmittag 
wurde  leider  durch  den  Regen  stark  beeinträchtigt,  Feuerwerk 
und  Uferbeleuchtung  am  Abend  mussten  verschoben  werden.  Um 
den  Glanz  des  Festes  zu  erhöhen,  hatte  der  zürcherische  Kantonal- 
Schützenverein  auf  die  Tage  der  Bimdesfeier  ein  Ehr-  und  Frei- 
schiessen veranstaltet,  welches  am  Samstag  den  3.  Mai  seinen 
Anfang  nahm.  Zu  diesem  Schiessen  kamen  nun  auch  etwa  100 
Schützen  aus  den  Urkantonen,  die  in  Zürich  mit  Jubel  begrüsst 
und  gehörig  fetiert  wurden.  Sie  hatten  ihr  Absteigequartier  in  der 
,, Krone"  (,,Zürcherhof")  und  wurden  mit  Musik  ins  Sihlhölzli 
begleitet.  Durch  alle  herzlichen  Begrüssungsreden  klang  der  eine 
Grundgedanke:  ,,Wir  müssen  zusammenhalten,  gleich  uusern 
Alten.  Wir  können  ims  wohl  zu  Zeiten  hassen,  aber  rüe  tmd  nimmer 
voneinander  lassen,  und  wenn  wir  auch  fortschreiten  mit  der 
Welt,  so  bleibt  doch,  was  uns  aufrecht  erhält,  das  weisse  Kreuz 
im  roten  Grunde,  die  alte  Treu  im  neuen  Bunde".  Es  war  zur 
Vermeidung  unangenehmer  Störungen  bestimmt  worden,  dass 
beim  Älittagessen  keine  politischen  Toaste  gehalten  werden  sollen, 
aber  der  erste,  der  das  Verbot  übertrat,  war  Herr  Stadtpräsident 
Hess,  welcher  unter  grosser  Heiterkeit  sein  Hoch  dem  alten  und 
dem  neuen  Bunde  brachte.  Der  Obmann  der  StadtschützengeseU- 
schaft,  Martin  Escher-Hess,  wixte  am  Nachmittag  den 
Schützen  einen  Extrazug  nach  Baden,  wo  sie  im  Schlossberg  von 
ihm  mit  grosser  Liberahtät  regahert  wurden.  Die  Verabschiedimg 
der  Schützen  am  11.  Mai  durch  den  berühmten  Festordner  Heinrich 
Gramer  war  so  herzHch,  dass  man  sich  innig  umarmte  imd  ge- 
rührt voneinander  schied.  Der  zweite  Tag  der  Bundesfeier, 
Sonntag  den  4.  Mai,  war  durch  Festgottesdienst  und  Jugendfeste 
bedacht  worden.  Ihre  besondere  Feier  hatte  an  diesem  Tage  die 
Kantonsschule,  die  nach  der  kirchHchen  Feier  eine  Dampferfahrt 
nach  Horgen  machte.  Abends  erwartete  sie  ein  Festmahl  in  der 
Festhütte;  dann  zogen  die  Schüler  mit  Fackeln  und  Lampions  an 
den  See,  um  die  nun  erfolgende  Illumination  der  Seeufer  anzu- 
sehen. Den  Schluss  bildete  der  Zug  zum  bengaUsch  beleuchteten 
Kantonsschulgebäude.  Das  BriUantfeuerwerk  G.  Schweizers  konnte 
erst  am  6.  Mai  abgebrannt  werden. 

* 


336     FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS        o 

1852.  —  Das  „Tagblatt"  vom  24.  April  brachte  folgende 
Theateranzeige:  Sonntag  den  25.  April  1852.  Mit  aufgehobe- 
nem Abonnement.  Unter  persönHcher  Leitung  des  Komponisten 
Herrn  Kapellmeisters  Richard  Wagner.  Mit  verstärktem  Or- 
chester- und  Chorpersonale.  Zum  ersten  Mal:  „Der  fliegende 
Holländer".  —  Richard  Wagner  lebte  schon  seit  1849  "i  Zürich. 
Er  war  als  schriftenloser  FlüchtUng  hergekommen,  nachdem  er 
bei  der  Revolution  in  Dresden  auf  einem  der  Kirchtürme  Sturm 
geläutet  hatte.  Die  Staatsschreiber  Jakob  Sulzer  und  Franz 
Hagenbuch  leisteten  Kaution  für  ihn.  Am  18.,  20.  und  22.  Mai 
1853  fanden  im  Theater  Musikaufführungen  Richard  Wagners 
statt.  Die  musikalischen  Vereine  der  Stadt  brachten  ihm  am 
13.  JuU  1853  ein  Ständchen  mit  grossem  Fackelzug.  Richard 
Wagner  erklärte  in  seiner  Dankrede,  dass  er  die  ihm  angetane  Ehre 
erst  verdienen  wolle  und  fortfahren  werde,  Zürich  zum  Zentrum 
seines  Wirkens  zu  machen.  Um  dieselbe  Zeit  hatte  der  rhein- 
ländische  Grosskaufmann  Otto  Wesendonk  in  Zürich  die 
Liegenschaften  auf  dem  ,,Wyssenbülar'  in  Enge  zusammengekauft, 
um  sie  zu  einem  prächtigen  Park  umzugestalten  und  eine  neue 
Villa  hineinzustellen  (die  jetzige  Villa  Rieter-Bodmer).  In  diesen 
Park  kamen  auch  eine  Anzahl  Bäume  aus  dem  Tiefen  hofgarten 
am  Paradeplatz,  den  ein  Konsortium  angekauft  hatte,  um  darauf 
die  jetzt  dort  stehenden  Häuser  (Konditorei  »Sprüngli  usw.)  zu 
erstellen  (1855/56).  Otto  Wesendonk  und  seine  Frau  waren  gute 
Freunde  Richard  Wagners.  Wesendonk  hatte  Wagner  bei  einer 
Einladung  im  Hause  Marschall  von  Biebersteins  kennen  gelernt, 
der  später  eine  Zeitlang  die  ,, Übersicht  der  Tagesnachrichten"  im 
,, Tagblatt"  schrieb.  Von  1857  bis  1859  bewohnte  Richard  Wagner 
ein  ihm  gastfrei  angebotenes  Haus,  das  zur  Liegenschaft  Wesen- 
donk gehörte. 

Das  Jahr  1852  brachte  Zürich  den  Anschluss  an  das  inter- 
nationale Telegraphennetz.  Zwar  führten  die  zürcherischen 
Zeitungen  schon  seit  1827  eine  besondere  Rubrik  ,, Telegraphische 
Nachrichten",  aber  das  waren  keine  Originaldepeschen,  sondern 
nur  ein  Abdruck  aus  fremden  Zeitungen.  Am  15.  Juli  1852  klopfte 
zum  erstenmal  der  Apparat  im  Telegraphenbureau  Zürich.  St.  Gal- 
len fragte  an  und  erhielt  Antwort;  das  telegraplüsche  Gespräch 
dauerte  30   Sekunden.    Am   Sechseläuten    1853  machte  sich  ein 


i.iv 


o        FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEt:  STADTPRÄSIDENT  HESS     337 

zürcherisches  jMitgHed  der  Bundesversammlung  den  Spass,  seinen 
Zimftgenossen  einen  telegrapliischen  Toast  aus  Bern  zu  übermitteki. 
UnsterbUch  ist  das  Dienstmädchen,  welches  die  Depesche,  die  es 
seiner  Herrschaft  abzugeben  hatte,  um  und  um  drehte  und  ver- 
wundert sagte,  es  könne  ,,das  L,och"  gar  nicht  finden  (jenes  Loch 
nämhch,  an  dem  die  Depesche  dem  Draht  entlang  hef). 


1853.  —  Es  war  ein  hoher  Freudentag  für  die  weibhche 
Schuljugend  Zürichs,  die  bisher  im  ,,Napf"  und  zum  Teil  auch  im 
Fraumünsteramt  in  engen  Verhältnissen  hausen  musste,  als  sie 
am  7.  April  1853  das  für  damaUge  Begriffe  imposante  Schulhaus 
beim  Grossmünster  beziehen  konnte,  welchem  das  alte  un- 
ansehnliche ,, Chorher renstift"  hatte  Platz  machen  müssen.  Die 
Feier  wurde  eingeleitet  durch  einen  kirchHchen  Akt  im  Gross- 
münster, worauf  die  Jugend  mit  Jubel  und  Freude  von  den  hellen, 
schönen  Räumen  Besitz  nahm.  Nachmittags  wurde  sie  im  Ka- 
sino bewirtet  und  unterhalten,  abends  bankettierten  daselbst  die 
Erwachsenen.  Um  das  Zustandekommen  dieses  Schulhauses  hatte 
sich  ganz  besonders  alt  Bürgermeister  J.J.Hess  verdient  gemacht, 
dem  dafür  vom  Stadtrat  die  goldene  Verdienstmedaille  zuge- 
sprochen worden  war.  Die  gleiche  Auszeichnung  erhielt  Oberst- 
leutnant Usteri-Wegmann.  —  In  diesem  Jahr  erhielt  das  Frau- 
münster seine  Orgel.  —  Im  Strickhof  wurde  die  kantonale 
landwirtschaftUche  Schule  eröffnet.  —  An  den  Strassenecken 
wurden  auf  hübschen  blau  emailherten  Täf eichen  die  Strasse n- 
namen  angebracht.  — •  Der  Begräbnisverein  beschloss  am 
27.  September  1853  die  Einführung  der  Leichenwagen;  das 
,, Klopfen"  dagegen  (die  Sitte  der  Leidabnahme  mit  Handbieten) 
sollte  beibehalten  werden.  —  Die  Einführung  der  Droschken 
wurde  erst  1855  grundsätzUch  beschlossen,  und  nicht  früher 
als  am  15.  Juni  1856  wurden  die  ersten  Droschken  auf  den 
verschiedenen  Plätzen  Zürichs  aufgestellt.  —  Viel  früher  hatten 
die  Abfuhrwagen  in  Zürich  Eingang  gefunden:  am  30.  April 
1836  erklang  zum  erstenmal  ihr  anmutiges  Geläute  in  den  Strassen. 
—  Nicht  ohne  Besorgnis  sahen  manche  Leute  im  Mai  1863  die 
Dienstmänner  kommen,  weil  man  glaubte,  ihre  Löhne  könnten 
den  Neid  der  häusHchen  Dienstboten  erregen. 


338     FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS        o 

1855.  —  Am  Sechseläuten  beleuchtete  der  Physiker  Ro- 
bert von  der  Galerie  des  Grossmünsterturms  aus  die  Stadt  durch 
elektrisches  Licht  (Scheinwerfer);  „an  den  beiden  Quais  war 
es  fast  so  hell  wie  beim  hellsten  Vollmondhcht".  —  Am  14.  Sep- 
tember versammelte  sich  zum  erstenmal  die  Zürcher  Kaufmann- 
schaft zu  einer  Börse  im  Theaterfoyer  (später  im  Baugarten, 
jeden  Freitag).  —  Ein  schlimmer  Gast  stellte  im  September  sich 
ein:  die  asiatische  Cholera;  es  starben  etwa  90  Personen.  — 
Die  Gemeinde  Unterstrass  errichtete  im  Riedth  einen  neuen 
Friedhof  und  hob  den  alten  Friedhof  zu  vSt.  Leonhard  auf.  — 
In  den  Jahren  1855  bis  1858  wurde  der  im  Dezember  1854  be- 
schlossene Limmatquai  (von  der  Rosengasse  bis  zur  Neumühle) 
ausgeführt;  leider  wurde  er  von  Anfang  an  zu  schmal  angelegt; 
es  bHeb  auch  bis  auf  weiteres  die  enge  Metzgpassage  und  der  weite 
Umweg  nach  dem  Bahnhof.  —  Bei  Escher  Wyss  &  Cie.  brannten 
schon  seit  1840  Gaslaternen.  Viel  später  kam  die  Stadt  zur 
öffentlichen  Gasbeleuchtung.  Am  30.  Juni  1855  schloss  der 
vStadtrat  mit  Herrn  Riedinger  aus  Bayreuth  einen  („für  die  Stadt 
und  die  Konsumenten  in  der  Folge  als  sehr  vorteilhaft  anerkann- 
ten") Vertrag  für  die  Einrichtung  und  Betreibung  der  Gas- 
beleuchtung der  vStadt  mit  Holzgas  ab.  Durch  Gemeindebeschluss 
wurde  ihm  ein  Teil  der  Bürgergärteu  lünter  dem  Bahnhof  als 
Bauplatz  abgetreten.  Im  November  1856  konstituierte  sich  die 
Gasaktiengesellschaft,  welche  das  ganze  Geschäft  um  800,000  Fr. 
übernahm.  Am  18.  Dezember  gleichen  Jahres  fand  die  feierUche 
Eröffnung  der  Gasbeleuchtung  statt.  Das  Pubhkum  gewöhnte 
sich  schnell  an  die  neue  Beleuchtungsart.  Der  Fall  der  Wöchnerin 
im  Spital,  welche  nach  alter  Gewohnheit  das  Licht  ausbhes,  ohne 
den  Hahnen  abzudrehen,  und  dann  erstickte,  bheb  vereinzelt. 
1866  beschloss  die  Gemeinde  die  Verlegung  der  Gasfabrik  in  die 
Markstallermatte  im  jetzigen  Industriequartier  und  die  Einführung 
der  Steinkohlengasbeleuchtung.  Die  neue  Fabrik  konnte  am 
2.  Oktober  1867  eröffnet  werden. 


1856.  —  Zwei  Tage  (25.  und  26.  Juni)  wurden  der  Eröffnung 
des  Tunnels  von  Örlikon  und  damit  der  vollendeten  Eisen- 
bahnstrecke Zürich-Romanshorn  gewidmet.    Das  ,, Tagblatt" 


o        FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS     339 

berichtet  vom  ersten  Tag:  „Der  \'ormittag  war  der  Probefahrt 
günstig.  Ein  gewaltiger  Wagenzug  fasste  kaum  die  überschwäng- 
hche  Zahl  der  Festfahrer.  Der  Bahnhof  war  hochfestHch  ge- 
schmückt; aber  die  grünen  Geschlinge,  die  weiss-roten  und  weiss- 
blauen  Gewinde  zogen  sich  bis  hinaus  zum  neuen  Damm,  wo  den 
Lokomotiven  dieser  Bahn  eine  feine  Residenz  erbaut  ist.  In  brau- 
sender Schnelle  bugsierte  das  Dampfrossgespann  die  lange  Wagen- 
reihe über  Damm  und  Limmatbrücke  in  den  Tunnel.  Dort  brachte 
ein  eigenes  Gefühl  Stille  in  die  Menschenkasten,  als  dieselben  durch 
den  dunklen  Schlund  gerissen  wurden.  Die  Minute  dehnte  sich 
lang  aus,  die  verging,  bis  das  Post  tenebras  lux  zur  Wahrheit 
wurde  und  der  erste  Bhck  des  Himmels  durch  die  Wagenfenster 
fiel.  Im  Fluge  war  Winterthur  erreicht."  Die  Rückfahrt  von 
Romanshorn-Frauenfeld  erfolgte  gegen  Abend,  dann  Festzug  durch 
die  Stadt,  Bankett  im  Kasino  und  Mihtärmusik  auf  dem  Kasino- 
platz. Donnerstag  nachmittag  den  26.  Juni  kostümierter  Um- 
zug zu  Ehren  der  Tunneleröffnung,  Abendessen  auf  dem  Linden- 
hof, Illumination  und  Feuerwerk.  Ganz  programmwidrig  dröhnte 
in  das  Nachtessen  auf  dem  Lindenhof  das  unheimüche  Feuer- 
horn;  es  brannte  das  kleine,  noch  neue  Hotel  ,,Limmathof" 
(Haus  zum  ,, gewundeneu  vSchwert",  am  Limmatquai  unterhalb  der 
Stüssihof statt) .  \'oni  Essen  weg  rannten  die  Kostümierten  wie  sie 
waren  zum  Löschen.  Photograph  und  Architekt  Keller  drang  als 
erster  in  eine  Kammer  ein,  wo  Grossmutter,  Mutter  und  Kind 
erstickt  waren.  ,,Ein  hingebender  Rettungseifer  belebte  die 
von  allen  vSeiten  herbeigeströmte  Löschmannschaft.  Man  sah 
kräftige  Gestalten  auf  rauchendem  Dache  das  Wendrohr  regieren 
und  mit  blanker  Waffe  gegen  den  feurigen  Feind  ankämpfen; 
man  sah  auch  mutige  Flöchner,  ihre  fhegenden  Leitern  in  die 
Fensterbänke  einhakend,  eichhornfünk  in  die  oberen  Stockwerke 
klettern  und  durch  den  Rettungsschlauch  angstvolle  Gäste  retten, 
denen  der  Qualm  die  Flucht  über  die  Treppe  verwehrte."  In  seinem 
Gedicht  ,,Ein  Festzug  in  Zürich"  schildert  Gottfried  Keller 
das  abenteuerHche  Schauspiel: 

Nie  sah  man  solchen  Mummenschanz  sich  tummehi  in  des  Feuers  Glanz 
Mit  raschem  Tun  imd  Schaffen.    Hier  schleppen  dunkle  Pfaffen 
Langbeinig  Bett  und  Kasten  fort,  und  starke  Nonnen  tragen  dort 
Mit  rauhem  Ruf  die  Leiter  her  und  richten  sie,  die  schwank  imd  schwer. 
Mühsam  empor;  mit  langem  Schlauch 


340     FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS        o 

Eiu   perlbesäeter   Hiudumann,   der  Maharadja,   klimmt  hinan 

Und  schwindet  hoch  in    Qualm  und   Rauch. 

Am  Ufer  schöpft  australisch  Volk  vereint  mit  dem  Kosakenpolk; 

Die  bräunliche  Zigeunerin  fährt  mit  dem  Windlicht  her  und  hin, 

Sie  schlägt  dem  dicken  Mönch  aufs  Ohr,  der  sie  zu  müss'gem  Scherz  erkor. 

Und  schickt  ihn  zu  den  Spritzen.    Tscherkessenhelme  blitzen. 

Und  mit  den  kahlen  Köpfen  und  rückenlaugen  Zöpfen 

Tun  dort  Chinesen  enggeschart  des  Pumpwerks  Arbeit  heiss  und  hart. 

So  schiesst  von  allen  Seiten  bald  das  Wasser  in  den  Flammenwald 

Und  stirbt  in  seiner  wilden  Glut  das  klare  Labsal  hold  und  gut. 

Doch  seht,  auf  höchstem  Giebel  ragt  ein  Wendrohrführer  unverzagt: 

Der  Irokes'  mit  roter  Haut,  den  graushch  mau  von  unten  schaut. 

Der  Bäcker  ist's  von  Unterstrass,  ein  lustger  Mann  voll  Schwank  und  Spass. 

Jetzt  mit  dem  Element  im  Kampf,  verbirgt  ihn  bald  der  krause  Dampf, 

Bald  steht  er  schwarz  im  hellen  Schein  auf  kräftig  ausgespreiztem  Bein; 

Umstoben  von  der  Fimkenglut  lenkt  er  des  Wassers  Silberflut 

Und  schleudert  mächtig  Strahl  auf  Strahl  in  den  empörten  Flammensaal. 

Sein   indianischer   Kriegerschmuck   erzittert   vom   gewaltgen   Druck, 

Der  Geierfittig  schräg  im  Schopf  raucht  halb  versengt  auf  seinem  Kopf. 

Das  ist  ihm  nun  die  wahre  Lust.    Ein  Jauchzer  steigt  aus  seiner  Brust 

Hoch  über  allen  Lärm  und  Drang 

Arg  verregnet  wurde  das  grossartige  Kadettenfest  in  Zürich 
anfangs  September  1856,  zu  dem  Gottfried  Keller  ebenfalls  zwei 
Gedichte  gestiftet  hatte.  Die  Memorabilia  Tigurina  verzeichnen 
mit  Rührung  die  Tatsache,  dass  auf  der  Eisenbahnfahrt  von  Winter- 
thur  zurück  Oberst  Ziegler  sich  zu  den  armen  Jungen  in  die  offenen 
Wagen  begab,  um  ihren  Mut  aufrecht  zu  halten  und  ihnen  zu  zeigen, 
wie  man  sich  einigermassen  schützen  könne.  —  Der  Stadtrat  ge- 
nehmigte am  17.  Dezember  1856  das  Rücktrittsgesuch  des  Stadt- 
schreibers  Heinrich  Gysi-Schinz  und  verHeh  ihm  die  goldene 
Verdienstmedaille.  Gysi  war  der  dritte  Stadtschreiber  seit 
dem  Bestehen  der  Stadtverwaltung;  er  amtete  von  1839  bis  1856; 
ihm  waren  vorangegangen  Hans  Heinrich  Hofmeister  1803  bis  1830 
und  Johannes  Nüscheler  1830  bis  1839.  ^'^^  seinem  Stadtschreiber- 
amt war  Gysi  Stadtrat  und  Polizeipräsident  gewesen.  Zum  Stadt- 
schreiber wählte  der  Stadtrat  nunmehr  Dr.  Eugen  Escher,  Sohn 
von  alt  Regierungsrat  und  Professor  Heinrich  Escher.  Mit  Dr.  Eu- 
gen Escher,  dem  spätem  Nordostbahndirektor,  erhielt  die  Stadtver- 
waltung eine  ungewöhnlich  tüchtige  Kraft.  Sein  Substitut  wurde 
1862  Dr.  Conrad  Escher.  —  Aus  den  Werkstätten  von  Escher 
Wyss  &  Cie.  gingen  in  diesem  Jahr  die  ersten  Lokomotiven   her- 


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o        FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS     341 

vor.  —  Im  Zuchthaus  begann  1856,  resp.  1859,  eine  grosse  Um- 
bauperiode, welche  erst  1S78  ihren  Abschluss  fand. 


1857.  —  Abermals  Kriegslärm!  Die  Neuenburgerfrage 
verwandelt  die  Schweiz  in  ein  Kriegslager.  In  der  Begeisterung 
sind  die  Zürcher  Studenten  wieder  die  ersten,  bilden  ein  Freikorps, 
lassen  sich  in  der  Kaserne  uniformieren  und  in  Kapute  stecken. 
Überall  werden  Liebesgabensammlungen  veranstaltet.  Am  13.  Ja- 
nuar ist  General  Dufour  in  Zürich  und  wird  mit  einem  Fackel- 
zug und  einer  Serenade  begrüsst.  Wieder  wimmelt  die  Stadt  von 
eidgenössischem  ÄliUtär;  viele  der  Schwyzer  gehen  ins  Theater 
und  begeistern  sich  am  , .Wilhelm  Teil".  Offiziere,  die  sich  im 
Sonderbundskrieg  gegenüber  gestanden,  fraternisieren.  Auch  in 
Eglisau  wird  Dufour  ,,nüt  22  Kanonen-  und  vielen  Champagner- 
schüssen empfangen".  Oberst  Ziegler  findet  am  Sonntag  zwei 
Feldprediger  im  Wirtshaus  zechend,  während  ihr  Bataillon  in  der 
Dorf kirche  sitzt ;  er  bnmimt  den  beiden  geistUchen  Herren  zweimal 
24  Stunden  Arrest  auf .  All  derKriegslärm  war ,  ,pour  le  roi  de  Prusse" , 
glückhcherweise  umsonst,  da  Friedrich  Wilhelm  IV.  nachgibt  und 
auf  Neuenburg  verzichtet.  —  Über  Ostern  grosse  Eierbörse  auf 
der  Rathausbrücke;  20,000  Ostereier  werden  getupft.  —  Im 
Jurü  wohlgelungenes  schweizerisches  Offiziersfest  in  Zürich. 
—  Gegen  Jahresschluss  beginnt  die  Revision  der  Stadt- 
verfassung (Gemeindeordnung)  die  Pohtiker  zu  beschäftigen; 
die  Niedergelassenen  verlangen  vermehrte  Rechte.  Die  Beratimgen 
ziehen  sich  bis  ins  Jahr  1859  hinein.  In  der  Gemeindeordnung 
vom  30.  Mai  1859,  welche  die  Unterschrift  des  Stadtpräsidenten 
Hess  und  des  Stadtschreibers  Dr.  Eugen  Escher  trägt,  wird  u.  a. 
bestimmt:  Die  Gemeindeversammlung  besteht  aus  den  in  das 
Bürgerbuch  eingetragenen,  die  Stimmfähigkeit  besitzenden  Stadt- 
bürgem.  Femer  nehmen  die  niedergelassenen  Schweizerbürger 
teil  an  den  Beratungen  über  solche  Gegenstände,  an  welche  sie 
durch  Steuern  beizutragen  haben."  —  Am  15.  März  1857  ist 
die  herrhche  Tiefenhoflinde  unter  den  Axthieben  der  Bau- 
spekulanten gefallen;  dasselbe  Konsortium  hatte  1856  auch  die 
neuen  Münsterhäuser  erstellt. 


342     FÜNPUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:   STADTPRÄSIDENT  HESS        o 

1858.  —  Die  Hochschule  Zürich  feierte  am  29.  April  ihr 
25jähriges  Jubiläum  und  zugleich  das  50jährige  Dozenten- 
jubiläum des  ehrwürdigen  Historikers  Johann  Jakob  Hot- 
tinger.  Die  Stadt  hatte  sich  in  Flaggenschmuck  geworfen;  be- 
sonders das  Kasino  war  fein  herausstaffiert.  Die  Feier  fand  im 
Grossmünster  statt;  die  Fe.strede  hielt  Professor  Hitzig,  die  Rede 
zu  Ehren  Hottingers  Georg  von  Wj'ss.  Um  2  Uhr  war  Fest- 
bankett im  Kasino,  abends  Fackelzug  zu  Ehren  Hottingers  und 
Freikommers  in  Unterstrass.  —  Die  Kantonsschule  hatte  ihr 
Jubiläum  acht  Tage  vorher  in  aller  vStille  gefeiert. 

Zum  eidgenössischen  Sängerfest  (18.  und  19.  Juü  1858) 
war  schon  frühzeitig  eine  Festmusik  in  Stuttgart  bestellt  worden. 
Die  Baugartengesellschaft  stellte  den  Sängern  zu  gemütlichen 
Anlässen  ihr  prächtiges  Lokal  zur  Verfügung.  Die  Sängerhalle 
wurde  auf  dem  Exerzierplatz,  mit  Front  gegen  die  Kaserne,  er- 
richtet. Gottfried  Keller  dichtete  den  „Festgruss",  den  Wil- 
helm Baumgartner  komponierte.  Das  Fest  verlief  aufs  präch- 
tigste. —  In  Hirslanden  hat  am  30.  Nov.  1858  das  Kranken- 
asyl Neumünster  seine  Tore  geöffnet.  —  Am  11.  August  wurde 
die  neue  Reitbahn  mit  den  Mihtärstallungen  (zwischen  Sihl  und 
Schanzengraben)   dem  Gebrauch  übergeben. 


1859.  —  Wegen  des  österreichisch-italienischen  Krie- 
ges muss  sich  ein  Teil  der  Zürcher  Truppen  abermals  in  Uni- 
form werfen  und  in  Tessiii  und  Graubünden  Grenzdienst  tun.  Am 
16.  Juni  kamen  238  Österreicher  unter  Bewachung  von  40  Urner 
»Scharfschützen  in  Zürich  an  und  wurden  in  der  Kaserne  einquartiert ; 
sie  konnten  dann  an  den  Festbauten  und  Scheibenanlagen  für  das 
eidgenössische  Schützenfest  recht  gut  beschäftigt  werden;  ein 
paar  Tage  darauf  brachten  Graubündner  Jäger  auch  österreichische 
Schiffsmannschaft  von  Laveno  samt  einer  Marketenderin.  (Der 
Friede  von  Zürich  wurde  am  10.  November  1859  auf  dem 
Rathaus  unterzeichnet.) 

Für  das  eidgenössische  Schützenfest  (3.  bis  12.  JuH 
1859)  '^3.r  als  Festort  Riesbach  auserkoren.  Ein  prächtiger 
Platz  an  der  vSeefeldstraße,  angrenzend  an  das  Bodmergut  und 
die  Fröbelschen  Baumgärten,  stand  dort  zur  Verfügung.  Die  Fest- 


o        FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS     343 

hütte,  deren  obere  Giebelseite  gegen  die  Seefeldstrasse,  die  Längs- 
front gegen  den  Festplatz  sich  wendete,  war  nachts  von  242  Gas- 
flammen erleuchtet.  Die  langen  Scheibenhäuser  standen  ganz 
nahe  am  See  und  ausserhalb  dem  Hornbach.  Zur  Verhütung  von 
Unglücksfällen  waren  starke  Blendungen  aus  Ladenwänden, 
Steinplatten  imd  Scheiterbeigen  (1651  Klafter  Holz)  errichtet. 
Die  Straßen  waren  prachtvoll  dekoriert;  über  dem  Eingang  in 
die  Seefeldstrasse  (gegen  die  Stadt)  stand  auf  einem  Triumph- 
portal eine  riesige  Statue  Willielm  Teils  (die  später  nach  Altdorf 
kam  und  dort  verfiel).  Zur  Unterhaltung  diente  ein  ganzer  Jahr- 
markt von  Buden  und  Kramladen,  der  sich  vom  Festplatz  zu 
beiden  Seiten  der  Seefeldstrasse  bis  weit  ins  Land  liinaus  erstreckte. 
Dichterische  Gaben  spendeten  Georg  Herwegh  und  Gottfried  Keller. 

Die  eidgenössische  Schützenfahne  kam  am  2.  Juü  von  Bern 
imd  wurde  am  3.  JuH  nach  dem  Festzug  von  Regierungspräsident 
Dr.  Dubs  entgegengenommen.  Zu  Ehren  der  Schützen  von 
Bremen  fand  am  5.  Juh  eine  Lustfahrt  auf  dem  See  statt.  Die 
Schützen  der  vier  Waldstätte  trafen  am  6.  Juli  in  gemeinsamem 
Zuge  ein ;  beim  Anbhck  der  Teilstatue  an  der  Seefeldstrasse  brachen 
sie  in  ein  Freudengeschrei  aus.  Am  Sonntag  Feldgottesdienst 
von  Pfarrer  Hiestand.  Montags  nahm  am  Festmahl  in  der  Hütte 
auch  die  aus  ihrem  Land  vertriebene  Herzogin  von  Parma  mit 
ihren  beiden  Knaben  und  zahlreichem  Gefolge  teil.  Einer  der 
Knaben  meinte,  wenn  er  nur  auch  ein  Schweizer  wäre !  Die  Her- 
zogin stiftete  einen  vergoldeten  Pokal.  Während  der  beiden  letzten 
Tage  des  Schützenfestes  wurde  auf  der  benachbarten  Bodmer- 
schen  Parkwiese  auch  ein  eidgenössisches  Turn-  und 
Schwingfest  abgehalten.  —  In  engem  Rahmen  hielt  sich,  am 
10.  November  1859,  die  Schillerfeier. 

Im  Jahr  1859  ist  das  Bezirksgebäude  im  Selnau  voll- 
endet worden,  und  es  wuchs  um  dasselbe  nach  und  nach  das  neue 
Selnauquartier  (erweiterte  Brandschenkestrasse,  Gerechtig- 
keitsgasse  etc.  bis  1861,  die  an  der  Stelle  des  abgetragenen  Reb- 
hügels Sihlbühl  entstanden) ;  auf  dem  Platz  des  Bezirksgebäudes 
stand  ehemals  das  Kloster  Seldenouwe.  Bezugsfertig  wurde  1859 
auch  das  schöne  Bodmerhaus  am  Schanzengraben  bei  der  Sihl- 
portenbrücke.  —  Die  Bürgergemeinde  beschloss  am  5.  Sep- 
tember den  Bau  eines  neuen  Kornhauses  beim  Bahnhof  (zwi- 


344     FÜNPUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:   STADTPRÄSIDENT  HESS        o 

sehen  diesem  und  der  Gasanstalt,  zunächst  der  Sihl,  eröffnet 
1860)  und  die  Einführung  eines  städtischen  Baukollegiums, 
das  —  zum  grössten  Teil  vom  Grossen  Stadtrat  gewählt  —  dem 
Stadtrat  in  Baufragen  zur  Seite  stehen  sollte.  Dieses  Baukollegium 
erwies  sich  als  eine  höchst  wertvolle  und  zeitgemässe  Institution. 
Auf  seinen  Vorschlag  wurde  1860  beschlossen,  neben  der  Stelle 
des  vStadtbaumeisters  auch  noch  diejenige  eines  vStadtingenieurs 
zu  schaffen.  An  diese  wichtige  Stelle  wurde  im  Dezember  1860 
Arnold  Bürkli  gewählt,  dessen  Name  mit  der  baulichen  Ent- 
wicklung der  Stadt  in  den  nächsten  drei  Dezennien  aufs  engste 
verknüpft  ist.  Als  dringendste  Bauaufgabe  der  Stadt  für 
die  nächste  Zeit  bezeichnete  das  Baukollegium:  i.  die  Erstellung 
der  Bahnhof  brücke,  2.  die  Erweiterung  der  sogenannten  Metzg- 
passage  und  Verlegung  des  Schlachthauses,  3.  Bau  der  Fröschen- 
grabenstrasse  (Bahnhof Strasse),  4.  Anlage  neuer  »Stadtquar- 
tiere.  Wie  diese  verschiedenen  Aufgaben  angefasst  und  durch- 
geführt wurden,  erzählt  in  seinem  hübschen  Büchlein  ,,Die  grosse 
Bauperiode  der  Stadt  Zürich  in  den  sechziger  Jahren"  Dr.  Con- 
rad Escher,  welcher  eine  Zeitlang  Sekretär  des  Baukollegiums 
gewesen  war  und  heute  noch  in  bewunderungswürdiger  Geistes- 
frische unter  uns  weilt.  Nicht  zuletzt  durch  seine  Mitarbeit  wurde 
die  ,, Zürcher  Wochenchronik",  in  der  er  seine  Studien  und  Er- 
innerungen gewöhnlich  zuerst  veröffentHcht,  zu  einer  so  reichlich 
fUessenden   Quelle  der  Zürcher  L,okalgeschichte. 


1860.  —  Einweihung  der  Grossmünster-Kapelle  auf  dem 
ehemahgen  Chorherrenplatz  am  15.  November  1860.  —  Es  wird 
die  Frage  einer  Vereinigung  von  Aussersihl  mit  der  Stadt 
Zürich  aufgeworfen  und  in  einigen  Blättern  besprochen.  Eine 
Siebnerkommission  mit  Dr.  med.  Hauser  an  der  Spitze  erhält 
von  einer  öffentlichen  Versammlung  in  Aussersihl  den  Auf- 
trag (Dezember  1860),  mit  der  Stadt  Zürich  in  Unterhandlung  zu 
treten.  Als  äusserste  westliche  Grenze  des  eventuell  von  der 
Stadt  zu  annektierenden  Gebietes  wird  die  Rotwandstrasse  be- 
trachtet. 

* 


o        FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS     345 

1861.  —  Freitag  den  10.  Mai,  am  Tage  nach  der  Auffahrt, 
ist  Glarus  abgebrannt.  Von  Zürich  ging  eine  Abordnung  des 
Regierungsrates  und  eine  Abteilung  der  Feuerwehr  an  die  Un- 
glücksstätte. —  Statt  des  ehemaligen  Fussweges  über  den  Hot- 
tingerboden  vom  Wolfbach  bis  zum  Klosbach  wurde  die  Freie 
Strasse  angelegt.  —  Am  7.  Juh  versank  unter  der  Last  von  vier- 
zig Personen,  von  denen  drei  ertranken,  das  Fahrscliiff  beim 
Drahtschmiedli. 


1862.  —  Auf  den  i.  Juh  wird  das  Zehnrappenporto 
eingeführt.  —  Im  Zusammenhang  mit  den  grossen  bauhchen  Ver- 
änderungen in  der  Gegend  des  Bahnhofes  steht  die  Ablenkung 
des  Schanzengrabens:  er  wird  in  der  Nähe  der  neuen  MiHtär- 
staUungen  direkt  in  die  Sihl  gefülirt  und  nahe  seiner  Mün- 
dung ein  provisorischer  Steg  erstellt,  welcher  1866  einer  steiner- 
nen Brücke  (Usteribrücke)  weicht.  Die  MiUionenprojekte  für  den 
Ausbau  der  Stadtquartiere  rufen  vielen  Bedenken;  die  ,, Freitags- 
zeitung" bemerkt  (27.  Juh  1862):  ,, Nochmals  sei  es  gesagt:  Opfer 
für  die  Grösse  Zürichs  so  viel  man  will,  nur  nicht  grössere  als  die 
Ausgemeinden  sie  für  ihre  Grösse  bringen;  denn  jeder  Rappen, 
den  wir  mehr  als  diese  steuern,  fällt  mcht  auf  Stadtboden,  son- 
dern hundertfältige  Früchte  bringend  auf  Ausgemeindeboden, 
und  die  Aussaat,  die  dort  kräftige  Wurzeln  treiben  wird,  sie  wird 
zuletzt  dem  Stadtboden  jede  Nahrung  entziehen.  Vereinige 
man  die  alte  Stadt  mit  den  Ausgemeinden  und  bringe  dann  die 
neue  Stadt  Zürich  die  grössten  Opfer  für  ein  neues,  schöneres 
Zürich." 

An  der  Seestrasse  (jetzt  Theaterstrasse),  ausserhalb  des  Korn- 
hauses, lag  der  grosse  Viehmarkt.  Von  demselben  wurde  der 
grössere  Teil  (gegen  die  Stadt  hin)  1862  zu  Bauplätzen  verkauft 
(es  steht  dort  jetzt  das  Stadelhof erquartier) ;  den  kleineren  Teil 
wandelte  man  in  die  Stadelhofer-Anlagen  um,  in  welchen  1870 
eine  Fontaine  aufgerichtet  wurde. 

Um  die  ,,Metzgpassage"  bei  der  Hauptwache  auf  die  erfor- 
derUche  Breite  zu  bringen,  bheb  nichts  übrig,  als  den  ganzen 
Häuserblock  auf  der  Nordseite  der  untern  Marktgasse  nieder- 
zureissen,  was  im  Lauf  des  Jahres  1862  geschah.  Ferner  beschloss 


346     FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS        o 

die  Gemeinde,  das  alte  Schlachthaus  hinter  der  Hauptwache 
abzutragen  und  an  ihrer  Stelle  eine  neue  schöne  Fleisch ver- 
kaufshalle  zu  errichten  (da  die  dem  alten  Schlachthaus  gegen- 
über gelegene  Fleischverkaufshalle  nun  mit  dem  ehemaligen  Ehe- 
gerichtshaus  niedergerissen  war).  Ein  neues  Schlachthaus 
sollte  in  der  Walche  (rechtes  Limmatufer  gegenüber  der  Platz- 
promenade) erbaut  werden.  Fleischverkaufshalle  und  Schlacht- 
haus  wurden  1864  in  Angriff  genommen  und  1866  vollendet. 


1863.  —  Eine  grosse  Erleichterung  für  die  bauhche  Ent- 
wicklung Zürichs  schuf  das  vom  Grossen  Rat  am  30.  Juni  1863 
erlassene  städtische  Baugesetz,  für  welches  der  Stadtrat 
auf  Veranlassung  des  Baukollegiums  schon  1861  petitioniert  hatte. 
—  Dr.  Conrad  Esc  her  trat  als  Nachfolger  von  Stadtpräsident 
Hess  in  den  Stadtrat  ein  (Stadtpräsident  wurde  Mousson).  — 
Ein  mächtiges  Zentralschulhaus  wurde  im  Juni  1863  an  der 
Langstrasse  in  Aussersihl  eingeweiht. 

Für  die  projektierte  Bahnhofstrasse  gab  der  Fröschen- 
graben in  der  Hauptsache  die  Richtung,  den  man  nun  als  Wasser- 
lauf eingehen  zu  lassen  und  zuzudecken  beschloss.  Schwierigkeiten 
bereitete  der  oberste  und  unterste  Teil  der  Bahnhofstrasse.  Der 
obere  Teil  traf  auf  den  Baugartenhügel,  dessen  Beseitigung  auf 
starken  Widerstand  stiess.  Da  die  Lösung  dieser  Frage  nicht 
dringHch  war,  solange  das  Kratzquartier  nicht  in  Angriff  ge- 
nommen wurde,  Hess  man  sie  einstweilen  offen.  Dem  untern 
Teil  der  künftigen  Bahnhofstrasse,  vom  Rennwegtor  abwärts, 
und  der  damit  verbundenen  Anlage  des  Bahnhofquartiers, 
stand  u.  a.  das  neue  Zeughaus  beim  Bahnhof  im  Wege.  Da 
der  Staat  ohnehin  beabsichtigte,  die  verschiedenen  Miütäranstalten 
an  einem  Ort  zu  vereinigen,  und  zwar  in  Aussersihl  gegenüber 
den  neuen  Militärstallungeu,  wurde  das  für  diese  Bauten,  sowie 
für  einen  Exerzierplatz  erforderliche  Eand  von  der  Stadt  ange- 
kauft und  dem  vStaat  zur  Benutzung  angeboten.  Im  übrigen 
kam  im  Juni  1863  zwischen  .Staat  und  Stadt  ein  Vertrag  zu- 
stande, in  welchem  die  gegenseitigen  Abtretungen  und  Verpflich- 
tungen genau  geregelt  wurden.  Die  Stadtgemeinde  genehmigte 
den    Vertrag   nebst   der    Strassenbaute    und    Quartieranlage    am 


o        FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS     347 

29.  Februar  1864.  Es  spielten  bei  den  Verhandlungen  im  Grossen 
Rat  über  diesen  Vertrag  auch  politische  Momente  mit,  da  Winter- 
thur  ernstliche  Anstrengungen  machte,  die  Kaserne  für  sich  zu 
erhalten. 

Der  Seiler-  und  Hirschengraben  mussten  erhebUch 
tiefer  gelegt  und  ihre  Gefällsverhältnisse  ausgeghchen  werden, 
wenn  sie  als  Zufahrten  zur  neuen  Bahnhofbrücke  dienen 
sollten;  auch  waren  die  untersten  Häuser  am  Hirschengraben 
abzutragen.  Der  Bau  der  Bahnhof  brücke  und  die  an  diesen 
sich  anschUessenden  Arbeiten  wurden  am  10.  Juni  1861  von  der 
Gemeinde  beschlossen  und  die  Ausführung  dem  frühern  Ober- 
ingenieur L.  Pestalozzi  übertragen.  ]Mit  den  Bauarbeiten  wurde 
im  September  1861  begonnen  und  dieselben  so  weit  durchgeführt, 
dass  die  Bahnhofbrücke  Ende  1863  dem  Verkehr  übergeben 
werden  konnte. 

* 

Damit  sind  wir  an  der  Schwelle  des  neuen  Zürich  an- 
gelangt. Für  die  jetzt  in  der  Lebensreife  stehende  Generation 
ist  es  tatsächlich  ein  neues  Zürich,  das  mit  den  grossen  baulichen 
Veränderungen  um  die  Mitte  der  60er  Jahre  erstand.  Aber  mit 
jeder  jungen  Generation  rückt  auch  die  Grenze  zwischen  der 
,, alten"  und  der  ,, neuen  Zeit"  weiter  vor.  Fortwährend  geht 
ein  ,, altes  Zürich"  unter,  mid  immer  schöner  sehen  wir  es  wieder 
auferstehen.  Auf  dem  Wege,  den  wir  zurückgelegt  durch  die  erste 
Hälfte  imserer  , .hundert  Jahre",  ist  uns  mehr  denn  einmal  der 
Wechsel  von  Altem  und  Neuem  vor  Augen  getreten,  bald  schroff 
und  unvermittelt,  bald  wieder  in  längern  Übergängen,  und  wir 
wurden  uns  dabei  auch  bewusst,  dass  Zürich  nicht  nur  ein  ver- 
gnügliches Stilleben  für  sich  führt,  dass  es  vielmehr  im  engsten 
Zusammenhang  und  in  unausgesetzter  Wechselwirkung  steht  mit 
dem  Leben  des  Kantons,  der  Eidgenossenschaft,  ja  der  gesamten 
Kulturwelt.  Wären  doch  manche  von  jenen  Übergängen  und 
politischen  Umwälzungen  in  der  Stadt  Zürich  gar  nicht  zu  ver- 
stehen ohne  den  Hintergrimd  des  kantonalen,  eidgenössischen  oder 
weltgeschichthchen  Geschehens,  auf  dem  sie  sich  ab.spielten.  Nur 
selten  zwar  hörte  und  verspürte  man  den  Schritt  der  Weltge- 
schichte so  unmittelbar  wie  1799,   als  sie  ihren  Weg  sozusagen 


348     FÜNFUNDZWANZIGSTES  KAPITEL:  STADTPRÄSIDENT  HESS        o 

direkt  über  Zürich  nahm,  und  nicht  jeder  Generation  ist  es 
vergönnt,  der  Weltliteratur  Männer  wie  Gottfried  Keller  und 
K.  F.  Meyer  zu  schenken,  aber  immerdar  besteht  der  innige 
Zusammenhang  mit  der  Weltkultur  und  Weltgeschichte,  und  auch 
Zürich  ist  ein  Nagel,  ein  Eflock  am  Webstuhl  der  Zeit,  an  dem 
ein  Teil  der  Fäden  des  Gewebes  hängt.  Nur  umso  lieber  ist  Zürich 
seinen  Zürchern,  nur  umso  wärmer  wird  es  von  ihnen  gehegt 
und  gepflegt,  und  es  ist  einer  seiner  Grossen,  die  der  Welt  und 
nicht  nur  Zürich  angehören  und  teuer  sind,  Konrad  Ferdinand 
Meyer,  der  die  Verse  schrieb: 

Als  ein  Kind  bin  ich  mit  frischen  Wangen 
Durch  die  Tore  Zürichs  noch  gegangen, 
Sie  zerbrach  den  Bann  und  wuchs  und  baute, 
Sich  verjüngend,  während  ich  ergraute. 

Sie  zerschlug  des  Walles  starre  Hülle 
Und  entrollte  sich  in  Lebensfülle, 
Und  auf  immer  ungestümerm  Flügel 
Krönte  sie  mit  Zinnen  rings  die  Hügel. 

Doch  aus  reicherm  Rahmen  und  Gefüge 
Sprechen  immer  noch  die  lieben  Züge  — 
FreimdUch  dämmert  fort  im  Traum  der  Dichtung, 
Was  gesunken  ist  für  Raum  und  Lichtung. 

Limmat  überbrückte  sich  aufs  neue, 
Aber  flutet  noch  in  tiefer  Bläue, 
Und  mit  ihren  sehg  reinen  Stirnen 
Strahlen  droben  dort  dieselben  Firnen. 

Menschenstunde  gleicht  dem  AugenbHcke, 
vStädte  haben  längere  Gesclücke, 
Haben  Genien,  die  mit  ihnen  leben 
Und  in  immer  weitem  Kreisen  schweben. 


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ilegi,.l.-l. 


Q^augarien 


BENUTZTE  QUELLEN 

W.  Oechsli,   Geschichte  der  Schweiz  im   19.   Jahrhundert,  II.   Band. 

W.  Oechsli,  Der  Durchzug  der  Alliierten  diirch  die  Schweiz  (Neujahrsblatt  des 
Waisenhauses  1907/08. 

W.  Oechsli,  Lebzeltern  und  Capo  d'Istria  in  Zürich. 

W.  Oechsli,  Zwei  Denkschriften  des  Restaurators  Karl  Ludwig  v.  Haller  über 
die  Schweiz  in  den  Jahren  1824  vmd  1825  (Aus  der  Festgabe  für  G.  Meyer 
V.  Knouau). 

K.  Dändliker  (und  W.  Wettstein),  Geschichte  der  Stadt  und  des  Kantons 
Zürich,   III.   Band. 

,, Monatliche  Nachrichten  schweizerischer  Neuheiten"  und  „Schweize- 
rische Monatschronik"    i8i4ff. 

„Zürcherische  Freitagszeitung"    1814 — 1914. 

J.  J.  Leuthy,  Geschichte  des  Kantons  Zürich. 

Gerold  Meyer  v.  Knonau,  Der  Kanton  Zürich. 

Memorabilia    Tigtirina  von  Emi,  Vogel  und  G.  v.  Escher. 

Sal.   Vögelin,  Das  Alte  Zürich,  I.  und  II.  Band. 

Ludwig  Meyer  v.  Knonau,  Lebenserinnerungen. 

H.  Escher,  Erinnerungen  seit  mehr  als  60  Jahren. 

Fr.  V.  Wyss,  Leben  der  beiden  Bürgermeister  David  v.  Wyss. 

A.  Kramer,  Das  Stadtrecht  von  Zürich. 

Handschriftliches  Protokoll  der  pro\nsorischen  und  der  konstituierten  Muni- 
zipaHtät  1798  ff.,  des  Gemeinderates  imd  Stadtrates  und  der  Gemeinde- 
kammer 1803  ff. 

Donnstagsblatt    von    Zürich  I798ff. 

P.  Rutsche,  Der  Kanton  Zürich  und  seine  Verfassung  ia  der  Zeit  der  Hel- 
veük. 

C.  Brunner,  Der  Kauton  Zürich  in  der  Mediationszeit. 

Th.   Curti,  Geschichte  der  Schweiz  im  19.   Jahrhundert. 

H.   Sträuli,   Verfassung  des  eidg.  Standes  Zürich. 

V.  Muralt,  Hans  v.  Reinhard. 

C.  Keller-Escher,  Geschichte  der  Familie  Escher  vom  Glas. 

Pestschrift  zur  Feier  des  500jährigen  Bestandes  der  Gesellschaft  der  Schildner 
zum  Schneggen. 

O.  Hunziker,  Heinrich  Pestalozzi,  biographische  Skizze. 

H.  Morf,  einige  Blätter  aus  Pestalozzis  Lebens-  und  Leidensgeschichte. 

W.  Wettstein,  Die  Regeneration  des  Kantons  Zürich. 

A.  Schneider,  Dr.  Ludwig  Keller  (,,N.  Z.  Z."  Dez.   1899). 

J.  C.  Bluutschli,  Dr.  L.  F.  Keller  (Allg.  deutsche  Biographie),  sowie  Nachruf 
auf  denselben. 


350  BENUTZTE  QUEL-LEN  o 

J.  C.  Bluntschli,  Denkwürdigkeiten  aus  meinem  Leben. 

G.  Meyer  v.  Knonau,   J.  C.  Bluntschli  (Allg.  deutsche  Biographie). 

G.  Meyer  v.  Knonau,  Georg  v.  Wyss  (Neujahrsblatt  des  Waisenhauses  1895/96). 

Chronik   der   Kirchgemeinde   Neumünster. 

F.  Meyer,  Erinnerungen  eines  alten  Zürchers  (Neujahrsblatt  des  Waisenhauses 

1910). 

A.  Bürkli,  Paul  Karl  Eduard  Ziegler. 

K.  Dändliker,  Der  Ustertag  und  die  politische  Bewegung  der  dreissiger  Jahre 
im  Kanton  Zürich. 

G.  V.  Wyss,  Die  Hochschule  Zürich,  Festschrift  zur  50.   Jahresfeier. 
L.  V.  Low,  Zürich  im  Jahre   1837. 

Festschrift  des  Schweiz.   Pressvereins   1908  mit  den  Beiträgen  von   J.   Jakob, 

5.  Markus  imd  M.   Uebelhör  zur  Geschichte  des  zürcherischen  Zeitungs- 
wesens. 

H.  Geizer,  Die  Straussischen  Zerwürfnisse  in  Zürich. 

Fr.  Schulthess,  Aufzeichnungen    über    die    Straussische    Bewegung    und    den 

6.  September  1839  (Z.  Taschenbuch   1906). 

W.  Meyer-Ott,  Erlebnisse  und  Beobachtungen  am  6.  September  1S39  (Z.  Taschen- 
buch 1910). 

B.  Hirzel,  Mein  Anteil  an  den  Ereignissen  des  6.  September  1839. 

H.  Weiss,  Beitrag  zur  Geschichte  der  Revolution  vom  6.  September  1839. 

Betrachtungen  über  die  Revolution  im  Kanton  Zürich  in  Briefen  eines  Zürchers 
an  einen  Basler, 

sowie  weitere   Broschüren,   Flugblätter  und  Zeitungsartikel  aus  dem 
Jahre  1839. 

F.  Fleiner,  ein  politischer  Briefwechsel  zwischen  J.  C.  Bluntschli  imd  W.  Wacker- 
nagel. 

,,Neue   Zürcher   Zeitung",  einzelne   Jahrgänge. 

,, Züricher   Kalender"   von  David  Bürkli,   i8i4ff. 

W.  Oechsli,  Alfred  Escher  (Allg.  deutsche  Biographie). 

Das  Alfred  Escher-Denkmal,  Bericht  des  Zentralkomitees. 

W.  Oechsli,  Geschichte  der  Gründung  des  eidg.  Polytechnikums,  Festschrift 
1905,  I.  Band. 

Fest  Schrift  zur  Feier  des  50jährigen  Bestehens  des  eidg.  Polytechnikums,  II.  Band, 
speziell  die  Beiträge  von  S.  Pestalozzi  (bauliche  Entwicklung  der  Stadt 
Zürich),  A.  Weiss  (Beleuchtung),  Rob.  Moser  (Haupt-  imd  Nebenbahnen, 
Dampfschiffe). 

P.  Weissenbach,  Das  Eisenbahnwesen  der  Schweiz,  I.   Band. 

C.  Escher,  Chronik  der  ehemaligen  Gemeinden  Wiedikon  imd  Aussersihl. 

C.  Escher,  Die  grosse  Bauperiode  der  Stadt  Zürich  in  den  sechziger  Jahren. 

„Zürcher  Wochenchronik". 

„Aus  Zürichs  Vergangenheit"  (Orell  Füssli  &  Co.,  Verlag),  3  Bäudchen, 
speziell  die  Beiträge  von  Dr.  C.  Escher  (Selnau  und  Bleicherweg,  Tiefenhof- 
Linde,  Vüla  Rieter),  Olga  Amberger  (Damals  auf  und  bey  der  untern  Brugk), 
J.    Hardmeyer- J enny    (Bilder    vom    Zürichsee,    mittlere    Bahnhofstrasse), 


o  BENUTZTE  QUELLEN  35: 

Fr.  Schulthess-Meyer  (ein  Gang  durch  Stadelhofen) ,  Albert  Voegeli  (in 
den  Seidenhöfen). 

A.  Tobler,  Entwicklung  der  Schweiz.  Schwachstromtechnik  (Neujahrsblatt  des 
Waisenhauses  1909). 

Programme  der  Höhern  Töchterschule,  speziell  die  Beiträge  von  C.  Weit- 
brecht, S.  Stadler  und  Th.  Vetter. 

U.  Meister,  Die  Entwicklung  der  liberalen  Partei  des  Kantons  Zürich. 

U.  Meister,  Die  Zürcher  Truppen  im  Sonderbimdsfeldzug  1847  (Neujahrsblatt 
der  FeuerwerkergeseUschaft  1896/97). 

A.  Heer  und  G.  Binder,  Der  Sonderbund. 

Th.   Usteri,  Die  goldene  Verdienstmedaille  der  Stadt  Zürich. 

P.   Keller,  Die  zürcherischen  Staatsschreiber  seit  183 1. 

A.   Streuli,  Treichler  („N.  Z.  Z."    1906,  Nr.  298ff.). 

Eugen  Escher,  Lebenslauf  in  ruhigen  imd  bewegten  Zeiten. 

R.  Seidel,  W.  Weitung  (GrütUkalender  1914)- 

,, Freie   Jugend",  Karl  Bürkli-Festnummer,  August  1913. 


NAMEN-  UND  SACHREGISTER 


Aarau,  eidgenössisches  Schützenfest:  i6. 

Aargau  s.  Klosteraufhebvmg. 

Abäudenmgen  der  Verfassung  s.  Ver- 
fassungsrevision. 

Abfuhrwagen  ^^y. 

Absonderungshaus  327. 

Adhgeuswü  297. 

Affoltem  a.  A.  279,  281,  282,  285. 

Ägerten   116. 

Alexander  I.  von  Russland  2,  3,  6,  7, 
8,   II,   14,  49,  52,   108. 

Alliiertenfeier  1S14:  9. 

Almosenamt  31. 

Altstetten  270. 

Alumnat  29,  30,  94. 

Anatomie  26,  327. 

Andermatt,  General  42. 

St.  Annahof  34. 

St.  Anna-Kapelle  34. 

Antiquarische  Gesellschaft  102. 

Antistitium   19. 

Appenzeller  Zeitung  67. 

Arenenberg  122. 

Artillerie-Reserve  Denzler   289,   294. 

Asylfrage   108. 

Augustinerbrücke  31,  326. 

Augustinerkirche  3 1 . 

Augustinertor  17,  31. 

Aussersihl  232  (Landsturm),  344  (Ver- 
einigimg) . 

B 

Bachmarm,  General  3,   12. 
Baden-Brugg  (Eisenbahn)  273. 
Badischer  Aufstand  1849:  333. 
Bahnhof  Zürich  268,  269,  270,  325,  328, 
332,  334  (s. Illustrationen  Nr.  35  u.40). 


Bahnhofbrücke  24,  344,  347. 

Bahnhofquartier  346. 

Bahnhofstrasse  29,   344,   346. 

Bank  in  Zürich  (Meisenbank)  130,  176. 

Barbou,  General  43. 

Barfüsserhofstatt  s.  Illustration  Nr.  7. 

Barfüsserkirche  27. 

Barfüsserkloster  27. 

Basler  Wirren    1832  ff.    106,    107. 

Basler  Zeitung  251. 

Bassersdorf  189,  253,  254. 

Bassersdorf er- Verein  86,  87,   104,    112, 

154- 
Bataillon  Bänziger  291   ff.;   Benz  291, 

296;  Berner  291;  Brunner  243,  290; 

Däniker  243;  Ernst  291;  Fäsi29iff. ; 

Ginsberg  279,  291,  294,  295;  Häusler 

291,  293;  Meyer  Nr.  29  282;  Schmid 

279;  Zuppinger  291. 
Batterie  Mazzola   289,   296;  Moll  291, 

294,  296;  Müller  294;  Rust  291,  294, 

295;    Scheller    278,    281    ff.,    290; 

Schweizer  291,  294,  296;  Zeller  282, 

285. 
Baugarten  29,  326,  338,  342,  346  (s.  Il- 
lustration Nr.  44). 
Baugesetz,  städtisches  346. 
Bauhaus  (Stadthaus)  43. 
Baukollegium  344,  346. 
Bauhche    Entwicklung    1833:    92,    128, 

129. 
Bauma  104,   191,  209,  210. 
Baumgartner  St.  Gallen   115,   120. 
Baumgartner,  Wilhelm,  Komponist  342. 
BauschänzU  17,  28,  gi,   123,   124,   125, 

326  (s.  Illustration  Nr.  18). 
Beatenrain  32. 
Beleuchtung  36,  $y. 


23 


354 


NAMEN-  UND  SACHREGISTER 


Belvoir  311,  313,  322. 

Benken  277. 

Benz,   Substitut  249. 

Beobachter,   s.   Schweiz.    Beobachter. 

Beobachter  aus  der  östlichen  Schweiz 
175,   185. 

Berchtwil  291,  294. 

Berichthaus  20,   21,   329. 

Bern   Bundesstadt  302,   303. 

Bevölkerung  der  Stadt  Zürich  1814:  36. 

Beyel,    Friedrich,    Wirt,    Ütliberg    328. 

Bezirksgebäude  im  Selnau  343. 

Bezirksverwaltung  loi. 

Bezirksverwaltungs-  und  Stadtgerichts- 
gebäude 29. 

z.   Bilgerischiff,  Wirtschaft   18. 

Bindschädler,  Männedorf  195,  218. 

Birrer,  Landjäger-Korporal,  Luzern  276. 

Blaue  Fahne  20. 

Bleicherweg  29,  326  (s.  Illustration 
Nr.  20). 

Bleicherwegbrücke   132,   326. 

Bleuler-Zeller,  Gemeindepräsident,  Neu- 
münster 184,   194,  221. 

Blinden-  imd  Taubstummenanstalt  98, 
99,  224,  327. 

Blocus  hermetique   iio. 

,, Blume"   Aussersüll  317. 

Blumer,  Oberstbrigadier  281,  282. 

Bluntschli,  Johann  Caspar  80,  81,  83, 
94,  I",  "3,  133,  i43>  164,  174, 
175,  233,  240,  247,  248,  251,  258, 
259,  260,  261,  262,  315  (Porträt 
262/263). 

Bödmet,   J.  C,  Mechaniker  122. 

Bodmerhaus  am  Schanzengraben   343. 

Bodnierhaus  z.  obern  Schönenberg  (s. 
Illustration  Nr.   17). 

BoUer,   Kriminalrichter   155,   239,   249. 

BoUey,  P.  A.,  Chemiker  306. 

BoUier,  Regierungsrat  299,  300. 

Bombardement  von  Zürich  1802:  42 
(s.  Illustraüon  Nr.   11). 

Bonstetten  277,  281. 

Bomhauser,  Pfarrer  120. 


Börse  29,  338. 

Botanischer  Garten  34,  91,  99,   325  (s. 

Illustration  Nr.  40). 
Brändli,  Weibel  223,  232. 
Bremer-Schützen  343. 
Bremgarten   255. 

Bremi,  J.  H.,  Chorherr  20,  60,  108. 
Briefpostmarken   330. 
Brigade  Egloff  289,  29  i  ff. ;  König  289, 

29  I  ff. ;  Müller  289,  296. 
Bruch,    Dr.,    Pfarrer,    Seminardirektor 

250. 
Brugg-Aarau  273. 
z.  Brünneli  (Wohnhaus)   35. 
Brvmnenturm  99. 
Bnmner,  Oberstleutnant  187,  212,  228, 

243- 

Brunner,  Oberkondukteur  ■\  271. 

Bruppacher,  Major  282,  283. 

Brutal-Radikale   112. 

Bubikon   156,   250. 

Bubna,  österr.  Kommandant  4,  5. 

Büchsenstein  (Wohnhaus)   22. 

Buden  (Läden)  22,  24,  30,  131  (s.  Illu- 
stration Nr.  8). 

Bühler  von  Büron  276. 

Bülach  141,   155. 

Bundesfeier  1851:  334,  335. 

Bimdesschwur  im  Grossmünster  8,   13. 

Bimdesverein   181 3:   5  ff. 

Bundesverfassung  181 5:  5,  8,  9,  86, 
107. 

Bünzener-Komitee  254. 

Burckhardt,  Jakob,  Basel  306. 

Bürgergärten  33,  325,  338  (s.  Illustra- 
tion Nr.  40). 

Bürgerliches   Gesetzbuch  262. 

B  ürgermeister  ( Regierungspräsidenten) 
43.  84,  314. 

Bürger-Mittwochgesellschaft  324. 

Bürgemutzungsholz  32. 

Bürgerschule  96. 

Bürgerwache  2i2ff.,  222,  225,  231,  233, 
240. 

Bürgi,  Regierungsrat  104,  iii,  167,  236. 


NAMEN-  UND  SACHREGISTER 


355 


Burkhard,  Pfarrer,  Religionslehrer  250. 
Bürkli,    Adolf,    Oberfeuerkommandant 

35,  278,  282,  287. 
Bürkli,  Arnold,  Dr.,  Stadtingenieur  35, 

32^,  344- 
Bürkli,  Da\'id  3 1 . 
Bürkli,   Georg  Konrad,  Stadtpräsident 

35,  47   (Porträt  46/47). 
Bürkli,    Joh.     Heinrich     (,,Freitagszei- 

tung")   31. 
Bürkli,  Joh.  Kaspar  (..Freitagszeitung") 

31- 
Bürkli,  Karl,  Landwehrhauptmann  316, 

317- 
Bürkli,  Konrad,  Leutnant  (1847):  293. 
Bürkli,  Kourad,   Präsident  der  Kaiifm. 

Gesellschaft  35. 
Bürkli,  Oberstleutnant  183g:   190,  196, 

222,  231,  316. 
Bürkli-Füssli,  Oberst  1846:  269. 


Cafe  de  la  Terrasse  131. 

Cafe  litteraire  31,   155,   185,   213,   275, 

277  (s.  Illustration  Nr.   14). 
Capo  d'Istria,  russischer   Gesandter   i, 

3,  6,  7,  9,   108. 
Carolinum,  s.  Chorherrenstift. 
Caspar,   Unternehmer,   von   Rorschach 

'23- 
Cham  288. 
Chemiegebäude   (beim   Polytechnikum) 

309- 
Christhcher  Verein  jimger  Männer  34. 
Cholera   1855:   324,   338. 
Chorherrenhof  19. 
Chorherrenplatz  344. 
Chorherrenstift   19,  40,  88,  89,  94,  96, 

148,   159,  337- 
Chorherrenstube  102. 
Clausius,  R.  J.,  Professor  306. 
Conseil,  Polizeispitzel  iio. 
Consulta,  helvetische  42,  59. 
Cramer,  Heinrich,  Metzger   1846:   269, 

335- 


Culmanu,  Karl,  Professor  306. 
Curti,    Landammann,   von   Rapperswil 
120. 

D 

Dampfschiffe  122,  267  (s.  Illustration 
Nr.  24).  Dampfschiff  „Biene"  126; 
„Delphin"  125,  126;  ,,Gotthard" 
126;  ,,GuillaumeTell"  122;  ,, Gustav 
Albert"  125;  ,,Helvetia"  126,  127; 
„Konkordia"  126;  „Lerche"  126; 
„Linth-Escher"  124,  126;  ,,Luk- 
mauier"  126;  „Minerva"  123, 
124,  267;  „Republikaner"  124; 
„Schwalbe"  126;  ,, Schwan"  126; 
„Stadt  Rapperswil"  126;  ,, Stadt 
Zürich"    126;  „Taube"   126. 

Dampfschiffahrt  12  2  ff.,   131. 

Dampfschiffgesellschaft  vom  linken  See- 
ufer 126. 

Demme,  Dr.  95. 

Demokratische  Opposition  i853ff.:  317. 

V.  Deschwanden,  J.  W.,  Rektor  303, 
306. 

Deucher,  Adolf,  Dr.    (Bundesrat)    320. 

Dienstmänner  337. 

Dieükon  270. 

DietwU  279,  288,  289,  294. 

Direktorialfond  40,  91,  92,   129. 

Dombowsky,  General  42. 

Donnstags-Blatt  22,   39,   329. 

Donnstags-Nachrichten   21,   22,   329. 

DrahtschmidU  33,  345. 

Droschken  337. 

Druey,  Bundesrat  115. 

Dübendorf  207,  208,  210. 

Dubs,  Jakob,  Bimdesrat  253,  302,  307, 

313- 
Dufour,    General    115,    120,    135,    298, 

333,  341- 
Durchbruch  (Rämistrasse)   132. 
Durchmarsch  der  Alliierten  2,  4,  5. 
Dürler,   Jakob  94. 
Dürr,  Kriminalrichter  113. 


356 


NAMEN- UND  SACHREGISTER 


Eggb.  Zürich  315. 

EgUsau  341. 

Ehegerichtshaus  346     (s.     Illustration 
Nr.   16). 

Eidgenössische  Fragen   i83  4£f. :   106. 

Eidgenössische  Hochschule,  s.  Hoch- 
schule, Schweiz. 

Eidgenössische  Zeitung  305. 

Eieu  28g,  291. 

Einwohnergemeinde  Zürich   133. 

Eisenbahn  267£f.,  272,  Einweihung  271. 

EisenbahngeseUschaft  Basel-Zürich  268, 
269. 

Eiseubahngesetz  1852:   318. 

Elektrisches  Licht  1855:   338. 

Elsasser  22,  69. 

El  wert,  Eduard,  Professor  105,   147. 

EnderHnsches  Anwesen  99. 

Enge  331. 

Erlenbach   185. 

Erziehungsrat  93,  159,  162,  163,  169, 
178,  194,  247,  249,  250,  253. 

Escher,  Alfred,  Dr.,  Regierungspräsi- 
dent 215,  26:,  263,  272,  273,  302ff., 
311  ff.,  335  (Porträt  310/31 1). 

Escher,  Conrad,  Dr.  328,  340,  344,  346. 

Escher,  Eugen,  Dr.,  Stadtschreiber  340, 

341- 

V.  Escher,  Hans  Konrad,  Bürgermeister 
(t  1814)   2,  4. 

V.  Escher,  Hans  Konrad,  d.  jüngere. 
Bürgermeister  43,  44. 

Escher,  Hans  Konrad,  alt  Seckelmeister, 
Präsident  der  provisor.  Munizipali- 
tät 38,  40,  4!. 

Escher,  Hans  Konrad,  erster  Stadtpräsi- 
dent 44  (Porträt  32/33). 

Escher,  Hauptmann,  Höngg  187. 

Escher,  Heinrich,  Professor  der  Ge- 
schichte 72. 

Escher,  Heinrich,  Regierungsrat  und 
Kriminalgerichtspräsident     83,     94, 


156,  169,  170,  175,  180,  182,  215, 
235,  340. 

Escher,  J.  J.,  Stadtpräsident  80,  128, 
i34>   ^37,   '4°  (Porträt   128/129). 

Escher,  Junker,  Schloss  Eigental  bei 
Berg  a.  Irchel  315. 

Escher,  Mathilde  34. 

Escher,  Salomon,  im  WoUenhof  32. 

Escher  v.  Berg,  Georg,  Gerichtsherr  3. 

Escher-Hess,  Martin  26,  32,  128,  130, 
26S,  269,  271,  273,  274,  335  (Por- 
trät 268/269). 

Escher  von  der  Linth,  Arnold,  Professor 

35,  3o'5- 

Escher  von  der  Linth,  Hans  Konrad 
14.  I5>  35.  49,  50,  64,  96  (Porträt 
i4/'5)- 

Escher-von  Jluralt,  Hans  Kaspar  (Neu- 
mühle) 24,  27,  34,  88,   123. 

Escher-Pestalozzi,   zum  Steinhof  269. 

Escher-Platel,  Münzdirektor  35. 

Escher- Schulthess,  alt  Oberamtmann 
von  Wädenswil  197,  204,  236. 

Escher,  Wyss  &  Cie.  24,  25,   124,   127, 

-71,  327,  338,  340- 
Escher-ZoUikofer,  Kaufmann  311. 
Escherdeukmal  321. 
Escherhäuser  96,  311. 
EssUnger,  Regierungsrat  262,  269. 
Eugen,  Vizekönig  122. 
Evang.  Gesellschaft  165. 
Exerzierplatz    (an    der    Talgasse)    325, 

330,  333,  334,  34-,  34^  (s.  lUustra- 

tion  Nr.  40). 


Falken  Stadelhofen  214. 

Faesi,  Ulrich,  Professor  234. 

Fehr,    Hauptmann,    Chef   der    PoUzei- 

wache  205. 
Fein,  Dr.  109. 
Feldhof   36,    132,    222,    228,    229,    234, 

326  (s.  Illustrationen  Nr.  21  u.  30). 
von  Fellenberg,  Philipp  Emanuel  60. 


NASIEN-  UND  SACHREGISTER 


357 


Felsenhof  25,  34. 

Fenner,  von  der  Forch,  Leutnant  228, 

234>  239- 
Ferdinand,  Kaiser  von  Österreich  51. 
Festungswerke   16,   34,   36,  87,  89,  90, 

91,   129. 
Fetzer,  Oberst,  von  Aarau  120. 
Feuermörser  (Wohnhaus)   32. 
Fierz,   Regierungsrat  und  Oberst    104, 

157,   169,   181,  235,  261. 
Fierz-Landis,  Karl  322. 
Finsler,   Direktor  der   Bank  in  Zürich 

227. 
Finsler,    Hans    Georg,    Finanzminister 

und  General  54,  66,  67. 
Finsler,    Hans    Georg,    Stadtpräsident 

45,  46  (Porträt  44/45)- 
Finsler,   Joh.  G.,  Dr.  jur.  83. 
Fischental  191. 
Fischmarkt  22,  23. 
Fleischverkaufshalle    23,    131,    346    (s. 

Illustration  Nr.   16). 
Flüchtlings-   und   Fremdenfragen    107, 

log,   III,   119  (s.  auch  Asylfrage). 
Forchwirtshaus  239. 
Porrer,  Kavallerie-Hauptmann  187, 188. 
Frankfurter  Attentat  95. 
Franscini,  Bimdesrat  301. 
Franz  I.  von  Österreich  3,  4,  6,  7,  50, 

51,   108. 
Franzosen  in  Zürich  38,   39,  40,  42. 
Französische  Kirche  19. 
Frauenfelder,   Hauptmann,   von  Heng- 

gart  290. 
Fraumünster   30,    229,    239,   246,    330, 

3i^,  337- 
Frey,  Emil,  Dr.,  von  Liestal  120. 
Frei,  Hauptmann   1839:   190. 
Frei-Herose,  Oberst  und  Landammann, 

Aarau  255,  269,  307. 
Freie  Strasse  345. 
Freies  Gymnasium  34. 
Freischarenzüge  137,  259,  261,  275,  277. 
Freitagszeitung  31,  83,   164,  203,  252, 

259,  263,  316. 


Freiwillige  und  Einwohnerarmenpflege 

32- 

Frieden  von  Zürich  317,  342. 

Friedensvereine  1839:  250. 

Friedhof  St.  Anna  34,  326,  329;  Fuchs- 
loch 17  (s.  Illustration  Nr.  5);  Hohe 
Promenade  332;  St.  Jakob  329; 
Krautgarten  17,  27,  332;  St.  Leon- 
hard  338;  Predigern  26,  332;  Riedtli 
338;  Selnau  332. 

Friedrich  Wilhelm  III.  von  Preussen 
6,  48. 

Fröbel,   Julius  III,  314,  315. 

Fröbel,  L.  Th.  A.,  Obergärtner  99. 

Fröschengraben  28,  31,  32,  131,  132, 
326,  346  (s.  Illustration  Nr.  44). 

Fuchs,  Christopher  115. 

Furrer,  Fürsprech,  Bubikon  72. 

Furrer,  Jonas,  Dr.  Bundesrat  82,  144, 
164,  167,  175,  230,  257,  259,  261, 
262,  269,  302,  303,  313,  335. 

Fürstenbesuche  48. 

Füssli,  Antistes,  Pfarrer,  Neumünster 
149,   155,  243,  249. 

Füssli,   Heinrich,  Historiker  22. 

Füssli,  Oberst  (Divisionär)  49. 

Füssli,  Wilhelm,  Oberrichter  82,  86, 
104,  III,  141,  155,  168,  201,  230, 
249. 

FüssHsche  Giesserei  34. 


St.  Gallisch-Appenzellische   Eisenbahn  - 

gesellschaft  273. 
Gasbeleuchtung  325,  338. 
In  Gassen  30,  212. 
Gatschet,  Oberst,  von  Bern  3. 
Gedecktes  Brücklein  24,  32,  327. 
GeissbergboUwerk  17. 
Gelehrtenschule  96. 
Gemässigte  Partei  (Bluntschli  etc.)  83. 
Gemeindegut  330. 
Gemeindeordnimg  1831  (s.  auch  Stadt- 

verfassung)   133,   1859:  341. 


358 


NAMEN-  UND  SACHRBGISTER 


Gemeinderat  der  Stadt  Zürich  43. 
Gemeindeversammlung   loi,   133. 
Gemeindeverwaltimg   loi,    133. 
Gemüsebrücke  s.  Rathausbrücke. 
Generalversammhmg  der  Bürgerschaft 

43,  46- 

Genf,  Unruhen  138. 

Gerolds wil  315,  316. 

Gerwe  23. 

Gespräch  zwischen  Jakob  u.  Konrad  6g. 

Gessner,  Gebrüder,  Buchdrucker  69,  80. 

Gessner,  Oberrichter  249. 

Gessner,   Ptarrer,  Oberrieden   220. 

Gessner,   Salomon  22,  Denkmal  33. 

Gewerbefreiheit   10 1,   324. 

Gislikon  28  7  ff.  (s.  Illustration  Nr.  36). 

Glarus  (Brand)   345. 

Glattalbahn  273. 

Glaubeuskomitee  152,  155,  156,  172, 
173,   I75>   180,   199,  203,  236,  256. 

Glockenhaus,  Glockenhof  34. 

Gmür,  Oberst-Divisionär  279,  286,  287, 
290. 

z.  Goldenen  Winkel  34. 

Goldstein  21. 

von  Gouzenbach,  Bern  306. 

Gore,  Platzkommandant  39. 

Gottfried  Keller-Stiftung  321. 

Gotthardbahn  311,  319,  320. 

Gotthardvereinigimg  319,   320. 

Gräbhgasse  25. 

z.    Grauen   Manu    20. 

Grendel  17,  Grendeltor  123  (s.  Illu- 
stration Nr.  5). 

Griechenhilfs  verein  108. 

Grob,   J.  C,  Pfarrer,  Rorbas  165. 

Gross,  Johann,  Wirt  z.  Cafe  Utteraire 
275,  276,  285. 

Grosse  Stadt  28. 

Grosser  Rat,  Vertretung  65,   1830:  69, 

70.  73- 
Grosser  Stadtrat  29,  46,  140;  1831:  134. 
Grossmünster   19,    133,    162,   229,   246, 

332,    342    (s.    Illustration    Nr.    3) ; 

Schatzgewölbe  40,  Kapelle  344. 


Grossmünsterschulhaus   19,  337. 

Grossmünsterterrasse  131. 

Grossratsreglement  66. 

Grossratswahlen  1830:  73;  1834:  112; 
1838:  141;  1839:  246,  247;  1842: 
257;   1846:  263;   1850:  314. 

Gnmer,  Justus,  preussischer  Gesandter 

54- 
Grünes  Hüsli  32. 
Grünes  Schloss  20. 
Gujer,  Henirich,  Bauma  65,  70,  71,  82, 

110,   144,   168,   170,   175,  246. 
Guyer-Freuler,  Eduard  322. 
Guiger,  General  120,  121. 
Gymnasium  96. 
Gysi-Schinz,    Heinrich,    Stadtrat    und 

Stadtschreiber   197,   207,   215,   233, 

34°- 

H 

Haab,  Prof.  Dr.,  Rektor  309. 

Haberhaus  30. 

Häberling,  Bauemführer  121. 

HäfeHn,  Regierungsrat,  Aargau  330. 

Hafen  iS,  92,   131. 

Hagenbuch,  Franz,  Staatsschreiber  imd 

Regierungsrat  324,  336. 
von  HaUer,  Karl  Ludwig  85. 
Halseisen   (Künstlergasse)   21,   27,   327. 
Handelskammer  268. 
Handwerkerversammlung  von  Bassers- 

dorf  loi. 
Hanhart    (Pfäffikon),   Oberrichter    113. 
Hardmeyer,  Zumikon    194. 
Hardmeyersche  Druckerei   31. 
Harmonie,  Sängerverein  330. 
z.  Haue  22. 

Hauk,  Sängervereinspräsident  332. 
,, Hauptgrub"  99. 
Hauptwache    2^,    207,    213,    215,    217, 

2^5,  345- 
Hauser,  Leutnant  1847:  282. 
Hauser,  Dr.  med.   (Aussersihl)   344. 
Hechtplatz   ]8. 


NAMEN-  UND  SACHREGISTER 


359 


Heer,  Oswald,  Professor  35,   306,   311. 

Hegetschweiler,  Dr.  70,  71,  82,  84,  119, 
120,  140,  180,  182,  186,  197,  199, 
207,   208,  212,  217,   222,   228,  229, 

234,  -35,  239. 
Heidegger,  Oberst  108. 
Heilige  Allianz  49,  51,  53. 
Heilige  Gret,  s.  Peter,  Jlargaretha. 
Helferei,  Fraumünster- Gemeinde  29. 
Helmhaus   18,   131. 

Helvetische  Gesellschaft  301. 

Henggart  290. 

Henne,  Dr.,  St.  Gallen  120. 

Heringsgasse  25. 

von  Herrenschwand,  Bern  4. 

Herwegh,  Georg,  Dichter  314,  318,  343. 

Hess,   Buchdruckerei  314. 

Hess,  J.  J.,  Bürgermeister  82,  87,  98, 
107,  120,  144,  157,  16S,  181,  182, 
185,   197,   206,  212,   215,   223,   232, 

235,  236,   237,   246,   248,   269,   337. 
Hess,     Hans    LudTrig,     Stadtpräsident 

323ff.,  328,  331,  332,  335,  341,  346 

(Porträt  322/323). 
Hess,  Kaufleute,  Gründer  der  Post  20. 
Heusler,  Andreas,  Ratsherr,  Professor, 

Basel  251. 
Hiestand,   Pfarrer,   Neumünster   343. 
Hinrichtimgen  327,  331. 
Hinteramt  (oder  Rütiamt)   31,  93,  307, 

326. 
Hinw-il   210,   250. 
Hirschengraben  21,  25,  327,  347. 
Hirslanden   214. 
Hirzel,  Bernhard,  Dr.,  Pfarrer  95,  174, 

193,  195,  208,  209,  210,  ziyti.,  221, 

224ff.,  239,  249. 
Hirzel,  C.  Melchior,   Bürgermeister  32, 

64,  66,  82,  84,  85,  87,  93,  95,   105, 

107,    112,    120,    121,    142,    143,    144, 

I47ff.,  154,  162,  163,  164,  167,  169, 

170,  175,  185,  193,  220,  232,  256,  258. 
Hirzel,  Jakob,  Staatsrat  66,  67. 
Hirzel,  Kaspar,   Regierungsrat  234. 
Hirzel,  Salomon,  Oberst  loi,  137,  186, 


187,  207,  2i2ff.,  221,  222,  226,  228, 
229,  232,  233,  235,  243,  256. 

Hirzel,  Statthalter  in  Wetzikon  184. 

Hittnau  20g. 

Hitzig,  Ferdinand,  Professor  94,  147, 
148,   171,  342- 

Hochschule,    schweizerische   93,    301  ff. 

Hochschule  Zürich  31,  93,  94,  95,  loi, 
102,  103,  148,  151,  154,  158,  162, 
167,  249,   250,   301,  309,   342. 

Hofmann,  Landjäger,  Luzeru  276. 

Hofmeister,  Hans  Heinrich,  Stadt- 
schreiber 41,  42,  43,  340. 

von  Hofstetter,  Aidemajor   1847:   295. 

Hohe  Promenade  17,  27,  91,  132,  332. 

Holzschanze    17,    123,    131. 

Honau  288 ff. 

Höngg  277. 

Horgen   171,  220. 

z.  schwarzen  Hörn  58. 

Hornbach  32. 

Homer,   J.  C,   Professor  93. 

Hortense  Beauharnais  iio,   122. 

Hotel  Baur  au  lac  326;  Baur  en  ville 
loi,  132,  228,  229,  231,  233,  234, 
237,  326  (s.  Illustration  Nr.  30) ; 
,,City"  35;  ,,Du  Lac"  18;  ,,Limmat- 
hof"  339;  „Schwert"  9,  31,  33,  49, 
87,  132,  326  (s.  Illustration  Nr.  14); 
„Raben"  (altes  ,,BeUevue")  18; 
,, Zentral"     24;     ,,Zürcherhof"     131, 

132,  335- 

Hottinger,  J.  J.,  Historiker  83,  85,  93, 
148,  342. 

Hottinger,  Joh.  Heinr.,  Staatsschreiber 
180,  223  (J.  H.,  nicht  J.  J.  Hot- 
tinger). 

Hottinger,  Jakob  Heinrich,  Staats- 
schreiber 263   (Sohn  des  obigen). 

Hottingerpörth  27  (s. Illustration  Nr.  5). 

Hottingerturm   18. 

Hug,  Pfarrer  253. 

Hülfs-  und  Bildimgsverein  (Treichler) 
316. 

Hünenberg  291. 


36o 


NAMEN-  UND  SACHREGISTER 


Hiini,  Regierungsrat   156,   248,   259. 

Hiiningen,  Festung  4,  12. 

Hürlimann,  Quartierhauptmann,  Rich- 
terswil  69. 

Hürlim£inn,  Statthalter,  Richterswil 
220. 

Hürlimann-Landis,  J.  J.,  Richterswil 
151,  152.  157,  172,  173,  176,  184, 
187,  191  ff.,  200,  201,  202,  211,  218, 
219,   233,   236,   239,   242,   250,   256, 

315- 
Hütten  27g. 

I   J 

St.  Jakob,  Aussersihl  33,  34,  329. 
Jesuiten  254ff.,  2yyii. 
Illnau   185,   206,   20g,   211. 
Imobersteg,    Erziehmigsdirektor,    Bern 

302. 
Industrieausstellung  1846:   331. 
Industriequartier  33,  338. 
Industrieschule  96. 
Johann,  Erzherzog   12,   13. 
Irrenhaus  beim  alten  Spital  26. 
,, Junges  Zürich"    1836:   133. 
JuUrevohition  Paris  67. 
Justizreform  23,  64,  gg,   112. 

K 

Kadettenfest  1S56:  340;  Kadetten- 
korps 136. 

KäUn,  kath.  Pfarrer  115. 

Kantonalverhöramt  247. 

Kautonsapotheke  26. 

Kantonsbibliothek  26. 

Kantonsschule  27,  95,  96  (Einweihung 
1842),  97,  102,  307,  327,  335, 
342   (Jubiläum). 

Kautonsspital  g8,  327  (s.  Illustration 
Nr.  40). 

Kapitulationen  (für  den  Söldnerdienst) 
2,  54,  55,  67,   136. 

Kappeier,  Karl,  Ständerat  und  Schul- 
ratspräsideut  304,  30S. 


Kappelerhof  29. 

Karl  Albert,  König  von  Sardinien   109. 

,,Karl  der  Grosse",  alkoholfreies  Re- 
staurant 19. 

Kaserne  Aussersihl  325,  347;  Talacker 
36,  38,   155,  ^ii,  326- 

Kasemendienst,  Abschaffung  23,  88, 
136. 

Käshütte  22. 

Kasino,    jetzt    Obergerichtsgebäude    i, 

9,  13,  27,  49,  197,  198,  307,  ii^,  339, 
342  (s.  Illustration  Nr.   17). 

Kaspar  Escher-Haus  25. 

Katholiken  31,  94. 

Katz-BoUwerk  34,  91,  99,  325  (s.  Illu- 
strationen Nr.  20  und  40). 

Katzentorbrücke    132. 

Kaufhaus  (altes,  jetzt  Musikalienhand- 
lung Hug  &  Co.  18;  ehemaliges 
Komhaus  beim  Fraumünster  30, 
326  (s.  Illustrationen  Nr.  i  und  18). 

Kaufmann,  Landjäger,  Luzern  276. 

Kaufmännisches  Direktorium  20,  91, 
92,   130. 

Kaufmännische    Lesegesellschaft    102. 

Kaufmännischer  Verein  35. 

Kavalleriekompagnie  Hanhart  291, 
298. 

Keller,  Architekt  und  Photograph  339. 

Keller,     Augustiu,     Seminardirektor, 
Lenzburg  254,  259. 

Keller,  Ferdinand,  Gründer  der  Anti- 
quarischeu Gesellschaft   102. 

Keller,  Friedrich  Ludwig,  Dr.,  Ober- 
gerichtspräsident 19,  66,  79,  So,  81, 
84ff.,  93,  94,  100,  II  off.,  120,  139, 
141,  142,  144,  149,  162,  167,  169, 
175,  176,  180,  181,  215,  230,  239, 
248,  257,  25S   (Porträt  168/169). 

Keller,    Gottfried   311,    315,    317,    318, 

339,  340,  342,  343,  348. 
Kern,  Jobann  Konrad,  Dr.,  Schulrats- 

präsident  305,   306,  307,  308. 
z.   Kerze   22. 
Ketzerturm  25. 


NAMEN-  UND  SACHREGISTER 


361 


Kilchberg  220. 

Kilchsperger,  Bürgermeister  38. 

Kirchengesetz  loi. 

Kirchenrat   148,   159,   178,  247,  249. 

Kirchensynode  159,   167,   178. 

Kirchgasse   19,  20,  21. 

Kirchmeier,  Student,  f.  249. 

Kirchsperger,  bernischer  Tagsatzungs- 
gesandter 54. 

Kissling,  Richard,  Bildhauer  321. 

Kleine  Stadt  28. 

Klosteraufhebung,  Aargau  255,  256, 
258. 

Kloten  185,  187,  189,  190,  191,  195,  196, 
197,   198,  214,   217,  218. 

Knonau   igo,   277. 

Kohlenpörtü  und   Kohlenschanze    17. 

Koller,  Dr.  med.,  Winterthur  253. 

KoUer,  helvet.   Statthalter  42. 

Kombst,  Dr.   109. 

Kommunismus  315,  316,  318. 

Kompagnie  Forrer  279. 

Konservative  Partei  iii,  112,  174,  189, 
257,  259,  261,  263,  277,  278. 

Konstitutionelle,  s.  Schweiz.  Konsti- 
tutionelle. 

Konsumverein  317,  333. 

Kopp,  Schultheiss,  Luzem  298. 

Komamt   32,   307. 

Komhaus  beim  Bahnhof  343;  beim 
Fraumünster,  s.  Kaufhaus;  am 
Hafen  (alte  Tonhalle)  17,  92,  131, 
327- 

Kommarkt  (Weinplatz)  31. 

Korsakow,  General  4 1 . 

Kramer,  Chorherr  53. 

Krankenasyl  Neumünster  342. 

Kratzquartier  29,  326,  346. 

Kratzturm  29,  326  (s.  lUtistration 
Nr.  40). 

Kräuel  33,  121,  325  (s.  Illustration 
Nr.40);  Volksversammlung  1834:121. 

Krautgartengasse  96. 

Kreuzbühlstrasse  327. 

Kreuzkirche,  alte   132,   155. 


Kreuzplatz  132. 

Kriegs-  und  Lustschiff  28. 

Kriminalgericht  247,  249. 

„Krone",  s.  Rechberg  imd  Hotel  ,,Zür- 
cherhof ' ' . 

Kronenporte  21,  27  (s.  Illustration 
Nr.  5). 

zum  ,, Kronentor"  (Martin  Escher)  269. 

Kronen-  oder  Neimiarkttor  25,  26. 

von  Krüdener,  JuHane  51,  52. 

von  Krüdener,  Paul,  russischer  Gesand- 
ter 49,  51. 

Kühgasse  27. 

Kimsthausareal  132,  327. 

Künstlergasse,  s.  Halseisen. 

Künstlergüth  327  (s.  Illustration  Nr.  17). 

Kunstschule  96. 

Kunz,  Oberst  333. 

Künzh,  Stadtpräsident  von  Winter- 
thur  69. 

Küsnachter  Memorial  69,  70. 

Kyburg  185. 


Laharpe,  Cäsar  7. 

Lämmlin,  Mechaniker  von  Schaffhausen 
123. 

Landbote,  Winterthur  98,  137,  139, 
252.  253. 

Landesmuseum  325. 

Landjäger  212,  238. 

Landliberale  112. 

Landmühle  25. 

Landolt,  Elias,  Professor  306. 

Landolt,  Hans  Heinrich,  Stadtpräsi- 
dent 45  (Porträt  36/37). 

Landolt,  Salomon,  Oberst,  gew.  Land- 
vogt 116. 

Landolt-Mousson,     Heinrich,     Stadtrat 

45- 

Lange,    Professor,    von    Duisburg   250. 

Langer  Steg  24,  270,  327  (s.  Illustra- 
tionen Nr.  5  und  35). 

Langstrasse,  Zentralschulhaus  346. 


362 


NAMEN-  UND  SACHREGISTER 


Laternengässchen  i8 

Lebensmittel  verein  34. 

von  Lebzeltern,  österr.  Gesandter  i,  2, 

3,  4.  6,  7,  g. 
Lecarlier,  Kommissär  40. 
Lehrer  i84off. :  250,  253;  Lehrerbildung 

1814:  63. 
Lehrfreiheit  an  der  Universität  loi,  249. 
Leichenwagen  337. 
St.  Leonhard- Bollwerk  327. 
Leonhardstrasse  328. 
Lessing,  Ludwig,  Student,  fi   i09- 
Leu,  von  Ebersol,  Ratsherr  254. 
Leuthy,  Redaktor  121. 
Liberale  Partei   1840:  253. 
Liberal-radikale    Partei    80,    iii,    113. 
Liechtenstein,  Moritz,  Fürst  5. 
Limmatburg  24. 
Limmatquai  23,   131,   327,   338. 
Linde,  Gasthaus,  Oberstrass  216. 
Lindenhof  32,   120,  326. 
Linden-  oder  Junkemtor  17. 
Lindental,  s.  Kimsthausareal. 
Lindinner,  Hans  J  akob,  Buchdrucker  2 1 . 
Linthkorrektion   14,   15. 
Literarisches  Comptoir  314. 
zum  Loch  20,  96. 

Locher,  Friedrich,  Dr.,  Pamphletär  318. 
Louis  Napoleon   iio,   iii. 
Louis  PhiHpp  67,   1 10. 
von  Low,  Ludwig,  Dr.  94,  102,  103,  131. 
Löwendenkmal,  Luzern  55. 
Löweustrasse  327,  328. 
St.  Ludwig-Basel  268. 
Lüning,  Dr.  med.  284. 
Lunnem  an  der  Reuss  275,  279,  280  ff. 
Luviui  115. 
Luzern   1847:  287,  29 7 ff. 

M 

Maler,  Waid  b.  Zeh.  276. 
Männedorf  220,  250. 
Manesse-Tiu'm  20. 
Marie-Luise,  Kaiserin  48. 


MarkstaUermatte  338. 

Marktgasse  21,  36,  345. 

Markwalder,  Oberstleutnant  187,  188, 
212,  221,  225,  231,  255. 

Marschall  von  Bieberstein  336. 

Massena,  General  39,  41. 

Manch,  Train-Offizier  282. 

Maulkrattengesetz   1846:   316. 

von  May,  Kommissär  42. 

Mediation  40,   43,   74. 

Medizinisch-chirurgisches    Institut    96. 

Meier,  Pflasterer,  Enge  290. 

Meierskappel  292,  297. 

Meilen  220. 

Meisen,  Zunft,   128,   130. 

von  Meiss,  Konrad  96. 

Meister,  Ulrich,  Oberst  277,  287. 

Merischwanden  281  ff. 

Merz,  Amtsrichter  219. 

Metternich,  Fürst,  2,  3,  11,  51,  248. 

Metzg  xmd  Metzgerlaube  s.  Schlacht- 
haus. 

Metzg-Passage  50,   328,   338,   344,   345. 

Meyer,  Bernhard,  Staatsschreiber,  Lu- 
zern 254,  297. 

Meyer,  Betsy  35. 

Meyer,  Conrad  Ferdinand  35,  83,  348. 

Meyer,  F.,  Dr.,  Kirchenratssekretär  163, 
176. 

Meyer,  Ferdinand,  Erziehxmgsrat  35, 
83,  84,  93,   148,   167,  233,  248. 

Meyer,  Franz  und  Fritz  1839:  220,  221. 

Meyer,   J.  H.,  Publizist  165. 

Meyer,  J.   J.,  von  Schöffüsdorf  108. 

Meyer,   Melchior,   Rittmeister  49. 

Meyer,  Pfarrer,  Glattfelden  176,  194,  195. 

Meyer-Biedermaun,    Hauptmann    136. 

Meyer  von  Knonau,  Ludwig  64,  66,  79, 
82,  84,  90,  91,  96,  142,  143,  144, 
199,  215,  235,  236,  245,  247,  256 
(Porträt  256/257). 

Meyer-Ott,  Wilhelm  176,  187,  189,  190, 
195,  199,  200,  205,  213,  214,  216, 
217,  218,  220,  221,  223,  240,  241, 
243.  244-  331- 


NAMEN-  UND  SACHREGISTER 


363 


Meyer-Pestalozzi,  Major  1839:  243. 

Meyershof  20. 

Michael,  Grossfürst  48. 

St.  Michaels-Kapelle,  Rooterberg  28  8  ff. 

Militäranstalten  Aussersihl  325,   346. 

Müitärbilder  (s.  Illustrationen  Nr.  21 
mid  30). 

Militärorganisation  1832:   i  o  i . 

Militärschule  183 2ff.:   187,  211,  232. 

MiHtärställe  325,  342,  346. 

Mobilisation  1847:  279. 

Monarchenaufenthalt  in  Basel  6. 

Montebello,  französischer  Gesandter  1 10. 

von  Montenach,  Freiburg  10. 

Morier,  David  Richard,  englischer  Ge- 
sandter 173. 

Mortier,  Graf,  französischer  Gesandter 

237- 
Mousson,  Albert,   Physiker  306. 
Mousson,    Heinrich   Emanuel,    Bürger- 
meister   und     Stadtpräsident     248, 

260,  262,  324,  325,  346. 
Mousson,  Kanzler  13,  53,  54. 
deMoustier,  französischer  Gesandter  14. 
Mühlau  281  ff.,  286. 
von  ilülinen,  Schultheiss,  Bern  6. 
Müller-Wegmann,  Maler  297. 
Munizipalität  38  ff. 
Münsterbrücke   18,   92,    129,    130,   225, 

227,   228,   233,    268   (s.   Illustration 

Nr.  31). 
Münstergasse  20. 
Münsterhäuser  341. 
Münsterhof  30,  215,  225,  226,  228,  243 

(s.  Illustration  Nr.  8). 
Münsterterrasse  22,  334. 
Münze  31. 

Munzinger,  Solothum  115. 
von     Muralt,     Conrad,     Bürgermeister 

8  3 ff.,  98,   140,   236,   247,   248,   260, 

268,  269. 
von  Muralt,  Leonhard   194. 
von  Muralt,  Oberstleutnant   18 15:   49. 
Muri  255. 
Museums-  oder  Lesegesellschaft  23,  102. 


Mushafenplatz  26. 
Musiksaal  30,  46. 
Musikschule  21. 


N 


Nägeli,   Hans   Georg,    Sängervater   27, 

93,  102,  103,  105,  iio,  113,  330; 
Denkmal  330,   332. 

zum  Napf  21,  337;    Napfgasse  20,  21. 

Napoleon  I.  2,  6,  7,  11,  12,  42,  43,  60,  74. 

Napoleon  III.,  s.  Louis  Napoleon. 

Negrelli,  Ludwig,  Ingenieur  130,  131, 
268. 

Neue  Kirchenzeitung   166. 

Neue  Zürcher  Zeitung  22,  83,   109. 

Neuenburgerfrage   138,   318,   341. 

Neuhaus,  bernischer  Tagsatzungsge- 
sandter  197. 

Neuhof  bei  Birr  58. 

Neumarkt,  grosse  Stadt  21,  224;  Neu- 
markt (kleine  Stadt)  s.  Paradeplatz. 

Neumühle  24,   25,   50. 

Neumünsterkirche   133,   211,  221,  225. 

Neumünster,  Kirchgemeinde  133,  150, 
155,   T-77,   190,  243. 

Neustadt  227. 

Neutralitätserklärung  der  Schweiz  1 8 1 3 : 

2,  3- 
Nicolaus,   Grossfürst  48. 
Niederdorf  20,  24,  25,  26. 
Niederdorfporte  24,  25   (s.  Illustration 

Nr.  5) ;     Niederdorf-Tor  25. 
Niedere  Brücke,  s.  Rathausbrücke. 
Niederlassungsgesetz  1840:  249. 
Nordbahn-Gesellschaft,    Schweizerische 

269,  272,  319. 
„Nordlicht",  Zeitschrift  109. 
Nordostbahn   127,  272,  273,  319. 
Not-  und  Hilfsblatt  (Treichler)  316,  318. 
Nüscheler,  David,  Stadtrat  83,  90,  93, 

231. 
Nüscheler,  Heinrich,  Redaktor  66, 68, 83. 
Nüscheler,  Johannes,  Stadtschreiber  340. 
Nutzlingsgut  331. 


364 


NAMEN-  UND  SACHREGISTER 


o 

Oberamtmänner  65. 

Oberdorf  20,  21;  Pforte  41;  Turm  17. 

Obere  Brücke  18,   19. 

Obergericht   1839:   247,   249. 

Obergerichtsgebäude  (s.  Kasino). 

Oberer  Mühlesteg  24. 

Oberrieden  220. 

Oberrüti  (Aargau)  288. 

Oberstrass  216,  217,  222,  224. 

Obfelden  281,  282. 

Obmannanit  27,  44. 

Ochsenbein,  Ulrich,  Bern  137,  302. 

Oechsli,  Wilhehn,    Prof.  Dr.  278,  301, 

3J9- 
ÖrUkon-WinterthuT  273. 
Österreichisch-italienischer    Krieg    342. 
Ötenbach,  Kloster  32. 
Offiziersfest  1857:   341. 
Oken,  Laurenz,  Professor  95,  iii,  121; 

Okenhöhe  95. 
Olivenbaum  17. 

Orell,  Konrad,  Buchdrucker  22. 
Orell  FüssH  &  Co.  22,  69. 
von  Orelli,   Job.  Caspar,   Professor  83, 

93,  95.   165,    169. 
von   Orelli,   Oberstleutnant   und    Kan- 

tonskriegskommissär  155,  212,  222, 

231- 
Ostereier  341. 
Ott,  Ho  teuer  33. 

Ott,  Mitglied  der  Munizipalität  38. 
Ott,  Oberamtmann  von  Grüuingen  71. 
Ott-Imhof,  Conrad  1846:  268,  269. 
Ott-Usteri,  Hans  Konrad  102. 
Ottenbach  286. 
Ottengütli  33. 


Packhof  328. 

Pädagogischer  Beobachter  252. 
Pallisaden  im  See  17. 
Papiermühle  „Werd"   24. 


Paradeplatz  36,  132,  242  (s.  Illustra- 
tionen Nr.  21  xmd  30). 

Pariser  Frieden,  erster  9. 

von  Parma,  Herzogin  343. 

de  la  Passe,  Vicomte,  Legationssekre- 
tär 114. 

Pelikan,  vorderer   136,  299,  326. 

PehkanplätzU  35,   136. 

Pestalozzi,   Hans,   Stadtpräsident   321. 

Pestalozzi,  Johann  Heinrich  56  ff.,  331 ; 
Denkmal  56  (Porträt  56/57). 

Pestalozzi,  Karl,  Oberst  321. 

Pestalozzi,   L-,   Oberingenieur   347. 

Pestalozzi,  Salomon  1846:  268,  269. 

Pestalozzi-Hirzel,   Hans  Konrad   102. 

Pestalozzi-Wiser,  Rud.  Alex.  29. 

Pestalozzifeier   1846:   331. 

Pestalozzistiftung  191 3:  58;   1846:  331. 

Pestalutz,   Dr.,  Fürsprech,  Winterthur 

253,  255- 
Pestalutz,  Mitglied  der  Munizipalität4 1 . 
Pestalutz,  Oberst  1839:  235. 
Peter,  Margaretha,  von  Wildispuch  52, 

53- 
St.  Peter  229. 
Petitionen  158,  162,  176,  178,  180,  185, 

194,   195,  253,  254,  261. 
Pfäffikon  185,  190,  204,  206,  208  ff. 
Pfälzer  Flüchtlinge  333. 
Pfenuinger,  helvet.  Statthalter  40,  80, 

82,  84. 
Pfeufer,   Prof.   Dr.   Carl  98. 
z.  Pflug  58. 
Pfrundanstalt    St.  Leonhard    33,    327, 

329  (s.  Illustration  Nr.  40). 
Pfrundverbesserungsfond  40. 
Pfj-ffer,  Casimir,  Dr.  115,  120,  301,  334, 

335- 

„Platte"   317. 

Platzpromenade  33,  116,  322,  325 
(s.  Illustrationen  Nr.  35  und  40). 

Polen  109. 

Politisches  Institut  96. 

Polytechnikum  3oiff.,  327  (s.  Illustra- 
tion Nr.  37). 


NAMEN-  UND  SACHREGISTER 


365 


Pomraier,  französischer  Kommissär  40. 
Pontonier-Kompagnie  Huber  282,  283, 

289. 
Porten  imd  Tore  (s.  Illustration  Nr.  5). 
Posthaus  Münstergasse  20,  21. 
Posthaus    Poststrasse    132,     197,    217, 

222,  229,  232,  326  (s.  Illustrationen 

Nr.  30  und  43). 
Poststrasse  30,  92,   131,  233,  327. 
Postwesen,  zürcherisches  20,  91,  332. 
Prediger-Kirche  26,  238,  240,  332. 
Predigerplatz  25. 

Press-  und  Fremdenkonklusum  108,109. 
Pressfreiheit  und  Pressgesetz  66. 
Prinzenhandel   iio. 
Prohibitivsystem,  französisches  14. 
Provi.sorei   19,  21. 

Q 

Quais  23,   130,   131. 

R 

Radikale  112,  213,  252,  257. 

Rahu-Escher,  Dr.  90,  157,  175,  176, 
184,  I93ff.,  201,  204,  205,  2o8ff., 
214,   216,   2:7,   225,   227,   228,   242. 

Rahn,  Gerichtsschreiber  1839:  249. 

Rahn,  Oberstleutnant  1839:  231. 

Rämi-Bollwerk  27,  96. 

Rämistrasse   17,    131,    132,   328. 

Rämi-Tannenstrasse  217. 

Rapinat,  französischer  Kommissär  40. 

Rathaus  23,   53. 

Rathausbrücke  24,  31,  225,  326,  341 
(s.  Illustrationen  Nr.  i,  14  und  16). 

Rathausquai  92,   13t,  327. 

„Rechberg",  ehemals  ,, Krone"  i,  5, 
21,   26,   39,  51,  72,,  327. 

von  Reding,  schweizerischer  Gesandter 
2,  4. 

Regeneration  92,  loi,  129. 

Regierungspräsidenten  s.  Bürgermei- 
ster. 


Regierungsratswahlen     1831:     84,    85; 

1832:  87; 1839: 176, 177; 1850:  314. 
Reinacher  (Rynacher),  Artillerie-Haupt- 

tnann    187. 
von  Reinhard,  Hans,  Bürgermeister  i  ff., 

10,    II,   38,   40  ff.,    48,  50,  63,  65, 

70  ff.,  157  (Porträt  i). 
Reinhart-Hess,  Winterthur  98. 
Rennweg  21,  31,  32. 
Rennwegtor  25,  28,  31,  326,  346. 
Repubhkaner,  s.  Schweiz.  Republikaner. 
Restauration  62,  63. 
Rettig,  H.  C.  M.,  Professor  94. 
Richterswil  151,  220,  250. 
Richthaus  23. 
Rickenbach  281  ff. 
Riedinger,  Gasfabrikant,  aus  Bayreuth 

338. 
Riesbach  233,  342. 
Rieter-Bodmer,  ViUa  336. 
Riggenbach,  Niklaus,  Mechaniker  271. 
Rindermarkt  21,   224. 
Robert,  Physiker  338. 
Rohmer,   Friedrich   und  Theodor    251, 

252. 
Römer,   Melchior,   Dr.,    Stadtpräsident 

35,  320,  321. 
Root   und   Rooterberg   287  ff. 
Rosengasse  23,  24,  131,  327,  338. 
zum  RössU,  Wirtschaft  18. 
Roter  Turm,  s.  Cafe  litteraire. 
zum  Roten  Adler  ig,  79. 
zum  Roten  Gatter  20,  21. 
Rotkreuz  288,  289,  291. 
Rotpletz,  Oberst  280. 
Rotwandstrasse  344. 
Rouhiere,  französischer  Kommissär  40. 
Rüden  und  Rüdenplatz  22,   58. 
Rusca,  Tessiner  Abgeordneter  7. 
Russikon  206,  209. 
Ruswiler  Komitee  254. 
Rüti-Rapperswil-Glarus  273. 
Rüttimann,    J.   J.,   Regienmgsrat  306. 


366 


NAMEN-  UND  SACHREGISTER 


Safran  22. 

von  Salis-Soglio,  Joh.,  österreichischer 

Unterhändler  3. 
von  Salis-Soglio,   Joh.  Ulrich,   General 

287,  296. 
Salzhaus  (jetzt  Eisenhandlung  Kisling) 

18;  Salzhaustreppe   19. 
Salzmagazin  am  See   17,   18;  im  Sihl- 

wiesli  33. 
Salzpreis  loi. 
Sängerfest,    eidgenössisches    1843:    330 

(s.  Illustration  Nr.  41);   1858:   342. 
Samerbund  106. 

Savoyerfrage  318;  Savoyerzug  log. 
Schanzengebiet,  s.  Festungswerke. 
Schanzengraben   24,   28,   32,    131,    132, 

325    (s.   Illustrationen   20  und   35); 

Ablenkung  345;  Brücke  29. 
Schanzengrabenschulhaus  325. 
zum  Schäppeh  20. 

Scharfschützenkompagnie   Bleuler  291. 
Schariuggelhof  67. 
Schauberg,  Dr.,   109. 
Schauenburg,  General  40. 
Schaufelbühl,    Regierungsrat,    Laufen- 

burg,   1846:  269. 
Scherr,  Ignaz  Thomas  83,  93,  99,  100, 

HO,    142,    143,    157,    15S,    159,    163, 

164,    170,    174,    175,    182,   249,   253. 
Scherr,   Johannes,  Professor  313. 
Schiess,  Kanzler  318. 
Schiff alirtsschleuse   331. 
Schifflände    17,   :8   (s.  Illustration  Nr. 

24). 
Schiffleutenzunft   136,    138. 
Schiffshaus,  Schiffschopf  28. 
Schiffsunglück   bei   Meilen    1872:    126. 
SchiUerfcier  1859:  343. 
Schimmelgut  99. 
,,Schinhut"   308,  327. 
Schinz,  Hans,  Dr.,  Direktor  des  Bota- 
nischen Gartens  35. 
Schipfe  31,  328. 
Schlachten  bei  Zürich  1799:  41. 


Schlachthaus  23,  344,  346  (s.  Illustra- 
tion Nr.   16). 

zum  Schlegel  21. 

SchUereu  270,  277. 

Schmid,  Dr.,  Richterswil  68,  86,  151, 
152,  220. 

Schmid,  Landammann,  Tagsatzimgs- 
gesandter,  Uri  224. 

Schmidgasse  17. 

Schmidt,  Wilhelm  Adolf,  Professor  306. 

Schnell,   Haus,   Dr.,   Bern   120. 

Schoch,   Prokuratoi    246,   247. 

Schönhaus,  Spitalgut  98. 

Schönlein,  Lukas,  Dr.,  Professor  94, 
95,  98. 

Schorer,  Major  293,  295. 

von  Schraut,  österreichischer  Gesandter 
I,   12. 

Schule  und  Kirche  (Regenerationszeit) 
141. 

Schulei   19. 

Schulgesetz   1S39:    161,    167. 

Schulrat,  schweizerischer  305. 

Schulreform  (Regenerationszeit)  93,  99. 

Schulsynode    142,   253. 

Schulthess,  Diakon,  f,  42. 

Schulthess,  Friedrich,  Oberstleutnant, 
Buchhändler   213,   214,   222,    230  ff. 

Schulthess,  Joh., Chorherr  20,  89,148,213. 

Schulthess,  Oberrichter  82. 

Schulthess-Landolt   1846:   268,   269. 

von  Schulthess  Recbberg,  G.  1846:  268, 
269. 

Schulverein,  radikaler  1842:  257. 

Schulvogt   18S2:   320. 

Schützenfest   1821:   116;    1851:   335. 

Schützenfest,  eidgenössisches,  Aarau 
1824:   115. 

Schützenfest,  eidgenössisches,  in  Zürich 
1834:  III,  114,  ii6ff.  (s.  Illustra- 
tion Nr.   23);    1859:   342,   343. 

Schützenhaus,  altes  ^^,  327;   Sihlhölzü 

iii- 
Schützenhausversammlung,     konserva- 
tive  1830:   72,  79,  80,    156. 


NAMEN-  UND  SACHREGISTER 


367 


Schützenplatz    33,   97,    116,    269,    332, 

334  (s.  Illustrationen  Nr.  35  und  40). 
Schützenverein,  kantonaler  335. 
Schutzverein  in  Langenthai  86. 
Schutzverein,   radikaler    1839:    155. 
Schwamendingen  207,  208,  215,  255. 
zum  Schwarzen  Garten  20. 
Schweizer,    Alexander,    Professor    149, 

163,   169,  250,  311,  320. 
Schweizerischer  Beobachter  66,  83. 
Schweiz.  Evang.  Kirchenzeitung  184. 
Schweiz.  Konstitutioneller  82,  109. 
Schweizerische  Kreditanstalt  311,  319. 
Schweizerische  Rentenanstalt  311,  319. 
Schweizerischer  Republikaner    80,    83, 

91,   95,    179,    252,    314. 
Schwyzer  Scharfschützen  333. 
Schwyzer- Wirren  1833:   106,   107. 
Sechseläuten    131,    132,    261,    269,    338 

(s.  Illustration  Nr.  42). 
Seefeldgarten,  Cafe   1 1 1 . 
Seefeldstrasse  327,  342,  343. 
Seestrasse   (jetzt  Theaterstrasse)    345. 
Seidenhöfe  34,  35. 
Seilergraben   25,   347. 
Sektionseinteilung  der  Stadt  46. 
Sekxmdarlehrerbüdung     (Regeneration) 

100. 
Selnau  29,  326,  343. 
Seminar  Küsnacht  99,    100,    157,    159, 

194,  250,  253,  315. 
Seminar  Leuzburg  315. 
Seminargesetz  99,   143,    159,   178,   192. 
Semin arium   (Fraumünsteramt)    29. 
Semper,  Gottfried,  Professor  306,  308. 
Septemberregierung  312. 
Seras,   General  42. 
Sidler,  Landammann  von  Zug  115,  120, 

261. 
Siebner-Konkordat    86,   87,    218,    249, 

254.  278,  324- 
Siechenhaus,  s.  St.  Jakob. 
Siegfried,    Landammann,   Aargau   271. 
Siegfried,  Oberst,  Adjutant  1847:  293ff. 
Siegwart,   Hugo,   Bildhauer  56. 


Sieg%vart-MüUer,  Staatsschreiber  imd 
Schultheiss  254  ff.,  260,  275  ff., 
297. 

Sigelschps  Korps  1849:  333. 

Sihlbrücke  34,  241,  325  (s.  Illustration 
Nr.   40). 

Sihlbrugg  279. 

Sihlbühl  32. 

Sihihof  32,  33. 

Sihlhölzh  ^}},  335. 

Sihlkanal  32,  33. 

Sihlporte  21,  25,  29,  32,  34  (s.  Illustra- 
tion Nr.  5). 

Sihlportenbrücke  325. 

Sihlwald   32. 

Sihlwiesh  33. 

Silberschild,  Diakonat  19. 

Sins  280,  288,  289,  291. 

Snell,  Ludwig,  Dr.  68,  69,  70,  94,  95. 

Snell,  Wilhelm,  Dr.  94,  95,   120. 

Sonderbundskrieg   135,    138,   254,   259, 

278,  334- 

zur   „Sonne"    (jetzt  Albert  Müller)    18. 

Sonneuquai  92,   131,   327. 

Sozialismus  3i4ff. 

„Spanisch-Brödlibahn"   273. 

Spannweid  40,  98. 

Spital  26,  42,  98,  238. 

Spitalareal  26,  332. 

Spitalermühle  25. 

Im   Spitz  (am   See)   29. 

Spöndlin,  Fürsprech  175,  184,  195,  201, 
210,  211,  214,  219,  233,  234,  243, 
244,  249. 

Spörri,   Jakob,  Niederglatt  284. 

Sprüngli,  Pfarrer,  Thalwil  152,  220. 

Spyri,  Johann  Bernhard,  Stadtschrei- 
ber 258. 

Staatsanwaltschaft  193,  247. 

Staatsarchiv  27,  30. 

Staatsrat  44,  84. 

Staatssteuergesetz  loi. 

Stadel   105. 

Stadelhofen  327,  345. 

Stadelhofer-Anlagen  345. 


368 


NAMEN-  UND  SACHREGISTER 


Stadelhoferporte  17,  20  (s.  Illustration 
Nr.  5). 

Stadelhof erstrasse  21. 

Stadler,  Conrad,  Architekt  131. 

Stadler,  Ferd.,  Ingenieur  268. 

Stadt  und  Land  62. 

Stadt  und  Republik  Zürich  38. 

Stadtaristokratie  62. 

Stadtbaumeister  344. 

Stadtbibliothek  18,  50. 

Stadthaus,  altes  29,  43,  131,  238,  326. 

Stadthausplatz  326;  Stadthausquai  131. 

Stadtingenieur  344. 

StadtHberale  66,  67,  68,  69. 

Stadtpräsidenten  29,  38,  43,  44,  46, 
12S,   134,   135,  137,   139,  323. 

Stadtrat,  engerer  134,   141. 

Stadtrat  Winterthur  46. 

Stadtrat  Zürich  43,  46,   185. 

Stadtschreiber  340. 

Stadtschulrat   157. 

Stadtschützengesellschaft  333. 

Stadtverfassung  43,    133,   140,   341. 

Stadtvermögen,  Ausscheidung  40. 

Stadtverwaltung  38. 

Stadtzürchersystem  65. 

Stäfa  220,   279. 

Stämpfli,   bern.   Staatsmann   272,   319. 

Stapfer,  Phihpp  Albert  301. 

Staub,  Thalwil  286. 

Steffan,  J.  J.,  von  Wädenswil  71,  112, 
203,  204,  208. 

von  Steigeutesch,  Österreich.  General  12. 

Steiger,  Hauptmann,  von  Riggisberg  3. 

Steiger,  Robert,  Dr.,  Luzem  261,  275  ff. 

Steiner,  I,eonhard  35. 

Steinhauer,  bernischer  Tagsatzungs- 
gesandter 197. 

Steinhaus   19,  42. 

Steinmühle  32. 

Steinrad  28. 

St.  Stephauskirche  34. 

Sternenberg  210. 

Sternwarte  309. 

Stifts  verwalterei   19,  307. 


Stockar-Escher,  Hans  1846:  269. 

Stell,   Georg,  Direktor  322. 

Storchengasse  225. 

Straf-  imd  Gerichtswesen  (Regene- 
ration),  Strafgesetzbuch    100. 

Strassennameu  337. 

Strauss,  Dr.  David  Friedrich  I47ff., 
242ff.,  277  (Porträt   146/147). 

Strehlgasse  2 1 . 

Streuh,  Dr.,  Küsnacht  68,  6g,   155. 

Strickhof  337. 

StückUmärt  s.   Rüdenplatz. 

Studenten  iS3gff.:  212,  217,  227,  239, 
249,  257. 

Studer,  Kantonsrat,  Wipkingen  1839: 
206,  213,  246,  247. 

Südostbahn  273. 

Sulzberger,  Johannes,  Oberstleutnant 
loi,    187,   211,   221,   22S,   232,  242. 

Sulzer,  Eduard,  Professor,  Regierungs- 
rat 82,  84,  98,  iio,  141,  162,  167, 
168,  170,  180,  182,  186,  203,  205, 
215,  217,  222,  223,  235,  236,  246, 
248,  257,  269. 

Siüzer,  Jakob,  Staatsschreiber,  Winter- 
thur 263,  336. 

Sulzer,  Julius,  Leutnant,  von  Winter- 
thur 293. 

Sulzer,  Melchior,  Regierungsrat  84,  174, 
180,  182,  223,  235,  236,  247,  248, 
257,  260. 

Sulzer,  Statthalter,  Winterthur  203. 

von  Sulzer-Wart,  Baron  248,  249,  257. 

Suter,  Kantonsrat,  Gossau  239. 

„System"  (Alfred  Escher)  313,  317,  319. 


Tagblatt  der  Stadt  Zürich  39,  329,  330. 
Tagsatzmig,  lange  8,  10  (s.  Illustration 

Nr.  3);   1832:  301;   1834:   119,  120; 

1839:    181,    238;    1841:    255,    256; 

1842:   258;    1843:   259;    1845:   277; 

1847:  279;  1848:  302. 
Talacker  35,  327;   Talegg  35. 


NAMBN-UND  SACHREGISTER 


369 


Talgasse  326,  328,  334. 

Talleyrand,  französischer  Gesandter  i, 

2,  9,  54- 
Technisches  Institut  96. 
Telegraph  336,  337. 
Teuening  1816  und  1817:   13,   14. 
Thalwil  220. 

Theater  27,  242  (s.  Illustration  Nr.  7). 
Theaterstrasse  345. 
Tiefenhof    36,     326    (s.    Illustrationen 

Nr.  21  und  30). 
Tiefenhofgarten  336. 
Tiefenhoflinde   36,    132,   212,   326,   341 

(s.  Illustrationen  Nr.  21,  30  und  43). 
Tierarzneischnle  99. 
Tilinen  22. 

Tobler,  MitgUed  der  Munizipalität  38. 
Tonhalle,  alte,  s.  Komhaus. 
Torgasse  17,  27,   131. 
Tösstal  14,  210. 
Toussen  282. 

Trautenberg,  österr.  Kommandant  5. 
Treichler,  J.  J.,  Professor  3i4ff. 
Tribüne  im  Ratsaal  88. 
TroU,  Rektor,  Winterthur  73,  157. 
Troxler,  Philosoph,  Luzern  301. 
TrüUe  35. 

Tunnel  von  Örlikon  338,  339. 
Turgi-Waldshut  273. 
Tum-  imd  Schwingfest,  eidgenössisches 

1859:  343- 

u 

Uebel,  Bruno,  Major  loi,  187,  215,  216, 

225,  226,  227,  238. 
Udhgens^vil  297. 
Ulrich,    David,    Staatsanwalt    66,    68, 

81,  III,  112,  141,  150,  162,  175,  184, 

230,  248. 
Ulrich,   Joh.  Caspar,  in  Firma  Ziegler 

&  Ulrich  22. 
Ulrich,   Joh.  Caspar,  Dr.,  Oberrichter, 

Chef  der  Buchdruckerei  Berichthaus 

83,  100,  113,  247,  250,  269  (Porträt 

112/113). 


Ulrich,  J.  J.,  Landschreiber  22,  329. 
Ulrich,  helvetischer  Statthalter  42. 
Unitarier  imd  Föderalisten  41. 
Universitätsgebäude  326. 
Unterer  Mühlesteg  24. 
Unterrichtsgesetz     (Regeneration)     93, 

250. 
Unterstrass,    Volksversammlung    1845: 

260. 
Uster  185,  214,  219;  Fabrikbrand  71, 

104,    105,    243,    248;   Versammlung 

der  Landgrossräte  69. 
Uster-Memorial  72,  73,  93,   158. 
Uster-Wetzikon  273. 
„Usterbote"   316. 
Ustertag  70,  71,  72,  79,  84,   104,   136, 

253.  256,  317- 

Usteri,  Martin  35,  103. 

Usteri,  Paul,  Dr.,  Staatsrat  und  Bürger- 
meister 51,  64,  66,  70,  84,  85  (Porträt 
84/85). 

Usteri,  Paul,  Dr.,  Ständerat  35. 

Usteri- Wegmann,    Oberstleutnant    337. 

Usteribrücke  345. 

Ütliberg  (Gasthaus)  328. 

V 

Vaterlandsfreimd  83. 

Vereinigte  Schweizerbahnen  273. 

Vereinigungsfrage   (Stadt   Zürich)    344, 

345- 
Verfassung     und     Verfassungsrevisiou, 

zürcherische     1814:    10;     1830:    70, 

73;   1831:  84,  133;   1837:   139,   140. 
Verfassimgsrevisionen  in  den  Kantonen 

1814:  7,  9. 
„Veto"   139,   140,   178. 
Viehmarkt  27,  345. 
Villmergen  255. 

Vischer,  Fr.  Th.,  Ästhetiker  306. 
Vogel,  Fr.  (Memorabilia)  288. 
Vogel,    Hans    Konrad,    Stadtpräsident 

46,  47- 
Vögeli,  Albert,  Ingenieur  35. 


24 


370 


NAMEN-  UND  SACHREGISTER 


Vögeli-Wieser   1846:  269. 

Vögelin,  Anton  Salomon,  Professor  35, 

3",  313- 
Vögelin,  Salomon,  Kirchenrat  35,   167. 
Vögelin,   Salomon,  Nationalrat  35. 
Volke tswil  210. 
Volksschulwesen  1814;  63. 

w 

„Waag"  221,  226,  227,  233,  238  (s.  Illu- 
stration Nr.  8). 

Waaggasse  132. 

Wackemagel,  Wilhelm,  Professor,  Basel 
164,  251. 

WädenswU    152,   220,   221,   254. 

Wagenfähre  Wipkingen  331. 

Wagner,   Richard   306,   336. 

Waisenhaus  32,  327;  Waisenhauskirche 

32- 
Walche-Schlachthaus  346. 
Wald   i;8,   190. 
Walder,    Karl,    Sekretär    des    Grossen 

Rates  275,   285. 
Waldmann,  Hans  321. 
Waldmannstrasse  27. 
Waldshuter  Komitee  3,  6. 
Waller,  Landammann  von  Aarau   1 1 6, 

254,   271. 
WaUisellen-Uster  273. 
Wasserhaus,  Wasserkirche  18. 
Wasserrad  19,  24  (s.  Illustration  Nr.  17). 
Wasserturm  99,  325. 
von  Wattenwil,  Niki.  Rud.,  Schultheiss 

von  Bern  4,  53. 
Weggelder   i  o  i . 
,, Weggen"     132,     225     (s.     Illustration 

Nr.    14). 
Wegmann,  Architekt  96. 
Wegmann,   Ingenieur  268. 
Weidmann,    Dr.,   Niederweningen   253, 

255- 
Weinleiter  20. 
Weinplatz  31. 
Weiss,  Oberstleutnant   1839:  231. 


Weiss,  Regierungsrat  82,  84,  90,  180, 
181,  182,  186,  191,  197,  199,  201, 
203,  2o6ff.,  2i2ff.,  223,  228,  234 ff., 
248,   261,  262,  275. 

WeissUngen  210. 

Weitling,  Willielm,  Schneider  3i4ff. 

Wellenberg,  Kriminalgefängnis  18,  53, 
64,  92,   130  (s.  Illustration  Nr.   18). 

Welti-Escher,  Lydia  321. 

,,Werd"  24. 

Werdmühle  28,  ^3,  328. 

Werdmüller,  Dekan,  von  Uster  214. 

Werdmüller,  Hans  Georg,  Generalfeld- 
zeugmeister 34. 

Werdmüller,  Hans  Rudolf,  Stadtpräsi- 
dent 44,  45. 

Werdmüllersches   Landgut   50. 

Werkhof  imd  Turm  30  (s.  Illustration 
Nr.  21). 

Wesendonk,  Otto,  Grosskaufmann  336. 

Wettingerhaus  22. 

Wetzikon   178;     Wetzikon-Meilen   273. 

,, Widder"   212,  316. 

Wiedikon  277,  316;  Volksversammlung 
110. 

Wieland,  Bürgermeister  von  Basel   10. 

Wieuer-Kongress   10,    11,   51. 

Wiesendangen   210. 

Wild,   Scharfschützen-Leutuaut   116. 

Wildberg  210. 

„Windegg"  228  (s.  Illustration  Nr.  43). 

Winkelwiese  27,  227. 

Wiuterthur   155,   253. 

Winterthvir-Romanshom  273. 

Win  terthur- Schaff  hausen  273. 

Winterthurer  Landstrasse  132. 

Wipkingen  230;  Wipkingerbrücke   331. 

Witikon   214. 

Wolf,  Joh.  Rud.,  Astronom  306. 

Wolfbach  27,  97. 

Wolff,  Staatsbaumeister  308,  309. 

WoUenhof  24,   32. 

Wollishofer  Allmend  333. 

WoUishoferpörtcheu  28  (s.  Illustration 
Nr.  5). 


NAIIEN-  UND  SACHREGISTER 


i7i 


Wülire,  alte  22,   131. 

von  Wyss,  David,  der  jüngere,  Bürger- 
meister 12,  13,  50,  51,  54,  84,  85,  251. 

von  Wyss,  Georg,  2.  Staatsschreiber 
251,  257,  260,  263,  314,  342. 


Zahme  Sihl  32. 

Zahn,  Ernst  29. 

Zangger,  Tierarzt  317. 

Zehnder,  Hans  Ulrich,  Dr.  med.,  Re- 
giervmgsrat  iio,  112,  155,162,  186, 
197,  235,  255,  257,  258,  260,  262, 
299,  330,  334- 

Zehnrappenporto  345. 

Zehnten  mid  Grimdzinsen  64,   loi. 

Zell  2IO. 

Zeltweg  96,   132,  327. 

Zensur  65,  66. 

Zentralbahn  319. 

Zentralhof  326. 

Zentrumsgruppe  319. 

Zeughäuser  212,  216,  221,  240,  256 
(s.  Illustrationen  Nr.  20,  30,  40  und 
43);  grosses  gelbes  30,  228,  300; 
venezianisches  31,  229;  beim  Bahn- 
hof 327,  328,  346  (s.  Illustration 
Nr.  40);  Aussersihl  325;  neues  s. 
Feldhof;  iKJwenhof  31,  217. 


Ziegler,  Caspar,  Buchdrucker  21. 

Ziegler,  Eduard,  Oberst  und  Stadtpräsi- 
dent 130,  135  ff.,  205,  212,  215,  216, 
218,  219,  229ff.,  236  ff.,  256,  278, 
279,  287,  2S8,  289,  291  ff.,  314,  324, 
326,  333,  340,  341  {Porträt  134/135)- 

Ziegler,   General  79,    136,   140. 

Ziegler,  Hans,  Stadtrat   136. 

Ziegler  &  Ulrich,   Buchdrucker  22. 

Zimmerleuten,  Zimft  22,  82,  2i8,  221. 

Zimmermann,  Bezirksrichter  239. 

Zingg,  Regierungsrat,  Luzern  319. 

ZoUikon  233;  ZolUkerberg  172. 

Zschokke,  Pfarrer  120. 

Zuchthaus  32,  64,  326,  341. 

Zimftsystem  loi. 

Zürcher  &  Ftirrer,  Buchdruckerei   184. 

Zürcher  Flug-Blätter  259. 

Zürcher  Wochenchronik  344. 

Zürcherisches  Wochenblatt  22,  329. 

Zürich-Altstetten-Zug-Luzem  273. 

Zürich-Baden  269. 

Zürich-Bodensee-Eisenbahngesellschaft 
272,  319. 

Zürich-Örlikon-Bülach  273. 

Zürich-Putsch   145. 

Zürich-Romanshom  338. 

Zwingliplatz  19. 

Zwingiis  Waffen   138,   299,   300. 


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