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HUNDERT JAHRE
BILDER AUS DER GESCHICHTE DER
STADT ZÜRICH
IN DER ZEIT VON
1814-1914
S- "X>-v.<rlin
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I. BAND
ZÜRICH 1914
DRUCK UND VERLAG DER BUCHDRUCKEREI BERICHTHAUS
(VORMALS ULRICH & Co.)
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GELEITWORT
Die Firma Buchdruckerei Berichthaus, vormals Ulrich &Co.,
blickt am i.Juli 19 14 auf ein hundertjähriges Bestehen
zurück. Dieses im Leben eines Geschäftes seltene Ereignis
fällt mit zwei Veranstaltungen zusammen, die für das graphi-
sche Gewerbe von besonderer Bedeutung sind, nämlich mit
der Landesausstellung in Bern und der Internationalen Aus-
stellung für Buchgewerbe und Graphik in Leipzig. So haben
wir uns entschlossen, unsern Freunden und Gönnern aus
alter und neuer Zeit dieses Buch als Erinnerungsschrift zu
widmen, zugleich als Zeugnis derzeitig zürcherischer Buch-
druckerkunst. Eingedenk dessen, dass seit Erscheinen des
Tagblattes (früher Donnstags-Nachrichten) Freud und Leid,
Handel und Wandel, Leben und Sterben, Jubel und Ivlage,
Friede und Streit der Einwohnerschaft Zürichs in den im
Berichthaus erschienenen Blättern getreuen Ausdruck ge-
funden haben und dass das Tagblatt seit fünfzig Jahren
zugleich städtisches Amtsblatt ist, erscheint das Buch statt
als Geschichte des Berichthauses als eine solche der Stadt
Zürich in den letzten hundert Jahren. Es hat sich nun
glücklich getroffen, dass in der Person des Redaktors der
bei uns gedruckten „Zürcherischen Freitagszeitung", Herrn
S. Zurlinden, sich ein Mann fand, der ganz besonders ge-
eignet war, diese Aufgabe zu erfüllen. Der Verlag dankt
Herrn Zurlinden für dieses Werk seiner Feder, umsomehr,
als ihm für die grosse und mühevolle Arbeit nur eine knapp
bemessene Zeit zur Verfügung stand.
Der Satz in Mediaevalschrift ist auf unseren Monotype-
Setz- und Giessmaschinen erstellt worden. Den ein- und
mehrfarbigen Illustrationsdruck haben wir mit Klischees vom
Artistischen Institut Orell Füssli nach Originalen, welche
uns die Stadtbibliothek Zürich, das Stadtarchiv und andere
Gönner freundlichst zur Verfügung gestellt haben, ausgeführt.
500 Exemplare wurden auf von der Zürcher Papierfabrik
an der Sihl zu diesem Zwecke besonders hergestelltes Bütten-
papier gedruckt. Der Bucheinband nach unsern Angaben
stammt von der Firma Günther, Baumann & Co. in Erlen-
bach.
So hoffen wir denn, dass die vaterländische Veröffent-
lichung Freude bereiten werde und uns zu den alten Freunden
und Gönnern noch viele neue gewinnen möge.
BUCHDRUCKEREI BERICHTHAUS
Paul Römer Rudolf Ulrich
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Bei den vorliegenden Aufzeichnungen hat der Verlag dem
Verfasser mit Bezug auf Anordnung und Gestaltung des Stoffes
völlig freie Hand gelassen. Es konnte sich von vornherein nicht
darum handehi, eine lückenlose Gescliichte der Stadt Zürich
in den letzten hundert Jahren zu schreiben; nur ein möghchst
anschauhches Bild von den pohtischen Ereignissen, den geistigen
Strömungen, den führenden Männern, insbesondere aber von der
baulichen Entwicklung Zürichs seit 1814 sollte gegeben werden.
Da somit das Buch bei aller historischen Treue im Ganzen und
Einzelnen nicht im Gewände der gelehrten Geschichtsschreibung
erscheinen will, durfte auch im Interesse der Handhchlceit und
leichteren Lesbarkeit auf Anmerkungen und Fussnoten verzichtet
und ein summarisches Quellenverzeiclitüs als genügend erachtet
werden. Trotz aller Beschränkung gestattete das reiche Material
rücht, den Stoff in einem einzigen Bande zur Darstellung zu bringen.
Der vorhegende Band schhesst mit den ersten fünfzig Jahren ab.
Der zweite Band wird diesem ersten möghchst bald folgen.
*
Der Verfasser dankt allen denjenigen, die ihn mit Mitteilungen
aus dem reichen Schatz ihres Wissens unterstützt haben, insbe-
sondere den Herren Professoren G. Meyer von Knonau und
W. OechsU und Bibhothekar Dr. H. Escher; auch Herrn Dr. C.
Keller-Escher verdankt er manche wertvolle Anregung. Die
Gesellschaft für Herausgabe der Freitagszeitung ist dem Unter-
zeichneten in verdankenswerter Weise dadurch entgegengekommen,
dass sie ihm gestattete, sich für einige Zeit in der Hauptarbeit
der Redaktion vertreten zu lassen.
Zürich, den 4. April 1914.
S. ZUREINDEN.
INHALT DES ERSTEN BANDES
Geleitwort Seite III
Inhaltsübersicht VII
Verzeichnis der Illustrationen XV
Benutzte Quellen 349
Alphabetisches Namen- und Sachregister 353
I. TEIL: HINTER WALL UND GRABEN
1. Kapitel: Neujahr 1814
Die Gesandten v. Lebzeltem und Capo d'Istria in Zürich, Seite i ; der
Durchmarsch der Alliierten 2; der Bundesverein (vom 29. Dez. 18 13) 6;
Zürcher Abordnung zum Monarchenbesuch in Basel 6; kantonale Ver-
fassungsrevisionen 7.
2. Kapitel: Im neuen Schweizerbund.
Die „lange Tagsatzung" in Zürich 8; Alliiertenfeier in Zürich (12. April
1814) 9; der erste Pariser Friede 9; Verfassung des Kantons Zürich (vom
II. Juni 18 14) 10; der Wiener Kougress 10; eidg. Aufgebot gegen Na-
poleon 12; die Zürcher vor Hüningen 12; Bundesschwiu: im Grossmünster
(/.Aug. 1815) 12; Teuerungsjahre (i8i6und 1817) 13; verfehlte Zollpohtik 14;
I<inthkorrektion 14; Hans Konrad Escher von der Linth 15.
3. Kapitel: Stadt und Festung Zürich
Die Festimgswerke 16; Stadelhoferporte, Holzschanze, Grendel 17; Wellen-
berg, Helmhaus etc. 18; Chorherrenstift, Kirchgasse, Zwingiiplatz 19;
Münstergasse, Post 20; Berichthaus 21; Elsasser, „N. Z. Z.", Fisch-
markt 22; Hauptwache, Metzg 23; Rathausbrücke, Oberer und Unterer
Mühlesteg, Langer Steg, Neumühle 24; Niederdorftor, Seiler- und Hir-
schengraben, Ketzerturm 25; Spital, Kronentor, Rechberg 26; Kasino
Theater, Rämi-Bollwerk 27; Bauschänzchen, Fröschen- und Schanzen-
graben, WolhshoferpörtH 28; Sekiau, Kratzturm, Baugarten, Kappeler-
hof, Alumnat 29; Fraumünsteramt, Kornhaus 30; Zeughäuser In Gassen,
Cafe Htteraire, „Schwert", Schipfe (Bürkhs ,, Freitagszeitung"), Augu-
stinerkirche, Hinteramt, Rennweg 31; Ötenbach, Waisenhaus, Sihl-
kanal 32; Schützenhaus, Platzpromenade, Kräuel, St. Jakob 33; Bota-
nischer Garten, St. Anna, Felsenhof 34 ; Seidenhöfe, Talacker 35 ; Neu-
markt (Paradeplatz), Tiefenhoflinde 36; Bevölkerung Zürichs (18 14) 36;
erste öffentliche Beleuchtung 37.
VIII
4. Kapitel: Der erste Stadtpräsident
Die provisorische Munizipalität (179S) 3S; die Franzosen in Zürich 39;
Ausscheidung des Stadtvermögens 40; erste und zweite Schlacht bei
Zürich (1799) 41; konstituierte Munizipalität 41; Bombardement durch
General Andermatt 42; Gemeinderat, Stadtrat und Stadtpräsident 43;
der erste Stadtschreiber Haus Heinrich Hofmeister 43; der erste Stadt-
präsident Hans Konrad Escher 44 ; Stadtpräsident Werdmüller 44 ; Stadt-
präsident Hans Heinrich Landolt 45; Stadtpräsident Hans Georg Finsler 45;
Stadtpräsident Hans Konrad Vogel 46; Stadtpräsident Georg Konrad
Bürkli 4-.
5. Kapitel: Fürstenbesuche
Kaiserin Marie Luise (1814) 48; Grossfürsteu Nicolaus und Michael 48;
König Friedrich Willielm III. 48; Zar Alexander I. 49; Kaiser Franz von
Österreich 50; Kronprinz Ferdinand von Österreich 51; die „Heilige Al-
lianz" 51; Frau Juliane v. Krüdener 51; die „Heilige Gret" von Wildis-
puch 53; fremde Orden und Auszeichnungen 53; Mihtär-Kapitulationen 54;
das I/öwendenkmal in Luzern 55.
6. Kapitel: Vater Pestalozzi
Pestalozzis Armut 56; seine Bedeutimg 57; Erziehimg 58; im Neuhof 58;
Lienhard und Gertrud 59; Stans 59; Burgdorf, Yverdon 60; das Ende 61.
7. Kapitel: Stadt und Land
Wiederherstellung der Stadtaristokratie 62 ; Hans v. Reinhard 63 ; die
Schule zur Restaurationszeit 63; Justiz 64; das „Stadtzürchersystem"
in der Verwaltung 65; Opposition in der Stadt 65; die Stadtliberalen 66;
Fall Finsler und Fall Hirzel (1829) 66; J uhre volution in Paris 67; die Be-
wegung auf der Landschaft 68; das Küsnachtermemorial 69; der Tag
von Uster (22. Nov. 1S30) 69; das Memorial von Uster 72; konservative
Schützenhausversammlung {23. Nov. 1830) 72; die Verfassungsrevision
und Volksabstimraimg (20. März 1831) 73; Reinhards Abschied 74.
II. TEIL: AUS DER REGEXERATIONSZEIT
8. Kapitel: Das Alte stürzt
Die grollende Stadt 79; Dr. Ludwig Keller 80; Staatsanwalt Da\nd Ulrich 81 ;
Oberrichter Wilhelm Füssh 82; Stadt- und Landliberale 82; die Partei
der Gemässigten, BluntschU etc. 83; die Altkonservativen, David Nüscheler
etc. 83; die Regierung von 1831 84; Bürgermeister Dr. Paul Usteri 85;
der Bassersdorfer Verein 86; der Rücktritt der 8 konservativen Regie-
rungsräte 87 ; Aufhebung des Kasernendienstes 88 ; Aufhebung des Chor-
herrenstifts 88; Schleifung der Festungswerke 89; Aufhebung des Direk-
torialfonds 91.
IX
9- Kapitel: Neues Leben
Unterrichtsgesetz 93 ; Gründung der Hochschule 93 ; Eröffnungsfeier
(29. April 1833) 95; Gründung der Kantonsschule 95; Einweihimg des Kan-
tonsschulgebäudes {15. Aug. 1842) 96; Gründung des Kantonsspitals 98;
Tierarzneischule und Botanischer Garten 99; Schulreform, Ignaz Thomas
Scherr 99; Strafgesetzbuch von Dr. J. C. Ulrich (Berichthaus) 100; Gesetz-
gebimg der Regenerationszeit loi ; Museumsgesellschaft (1834) 102; Anti-
quarische Gesellschaft 102; Hans Georg Nägeü 102; stürmischer Fort-
schritt 103; der Aufruhr in Bauma 104; der Brand von Uster {1832); die
Unruhen von Stadel und Raat {1834) 105; Berufung von Prof. Elwert
(gegen Bavid Friedrich Strauss 1836) 105.
10. Kapitel: Eidgenössische Fragen
Basler imd Schwyzer Wirren 106; Sarnerbund (14. Nov. 1832) 106; ver-
gebliche Bemühungen für eine Verfassungsrevision 107; Flüchtlinge 107;
Griechen 108; Asylfrage 108; Polen und Deutsche 109; Student I^essing
ermordet (4. Nov. 1835) 109; Fremdengesetz iio; Volksversammlung
auf der Ägerten (21. Aug. 1836) iio; der Spitzel Conseil iio; Prinz Louis
Napoleon iio; Spaltimgen in der liberal-radikalen Partei in; die Brutal-
Radikalen 112; Dr. Kellers Rücktritt 113.
11. Kapitel: Eidgenössisches Schützenfest 1834
Eidgenössische Feste 114; erstes eidgenössisches Schützenfest Aarau
(12. Juni 1824) 115; Ehr- imd Freischiessen in Zürich 1821 116; eidge-
nössisches Schützenfest in Zürich (12. Juli 1834) 116; Eröffnimg 118; offi-
zieller Tag iig; poHtische Toaste 120; Volksversammlimg im „Kräuel" 121.
12. Kapitel: Das Dampfschiff
Beginn der Dampfschiffahrt 122; „Guillaume TeU" auf dem Genfersee
(1823) 122; Gesellschaft für die Dampfschiffahrt auf dem Zürich- und
Wallensee (1834) 123; StapeUauf der „Minerva" und erste Fahrt (ig. Juli
1835) 123; Dampfschiffbau 124; Untergang des „Delphin" im Wallensee
(17. Dez. 1850) 125; Schiffsunglück bei Meilen (29. Aug. 1872) 126; Über-
gang der Dampfschiffahrt an die Nordostbahn 127.
13. Kapitel: Stadtpräsident J. J. Escher (1831 — 1837)
Biographie 128; bauliche Entwicklung der Stadt 129; Einweihimg der
Münsterbrücke (20. Aug. 1838) 130; die neuen Quais 131; Komhaus und
Hafen 131; Poststrasse (1838) 131; Hotel Baur, Postgebäude, Bleicherweg-
brücke 132; Kirche Neumilnster (11. Aug. 1839) 133; Gemeindeordnung
vom 14. Sept. 1831 133; engerer und grösserer Stadtrat 134.
14- Kapitel: Stadtpräsident Ziegler (1837 — 1840)
Biographie 139; politische Bewegung 1837, Verfassimgsrevision 139; Volks-
abstimmung (4. Febr. 1838) 140; neue Stadtverfassong (1839) 141; Gross-
ratswahlen (4. März 1838) 141; die „Stampfsynode" (29. Okt. 1833)
141; Scherrianer und Hirzelianer 142; poUtische Lage 1838 143.
III. TEIL: DER ZÜRICH-PUTSCH 1839
15. Kapitel: „vStrauss kommt!"
David Friedrich Strauss 147; die Berufung 148; die Motion von Antistes
Füssli (31. Jan.) 149; „Strauss kommt" 150; „der lange Mitmensch" 151;
die Gründung des Glaubenskomi tees 151; die Konferenz von Wädenswil
(13. Febr.) und das erste Sendschreiben 152; die Komiteewahlen 153;
der radikale Schutzverein 155; Kundmachung der Regierung vom 20. Febr.
156; Verschiebung der Berufimg von Strauss 156; Konstituierung des
Zentralkomitees 157; erste Adresse 157; Sendschreiben an die Kirch-
gemeinden und Petition 158.
16. Kapitel: Strauss kommt nicht
Zurückweismig der Adresse und Kundmachung vom 5. März 161 ; Abstim-
mung in den Kirchgemeinden 162; Pensionierung von Strauss 163; der
Uterarische Kampf 164; Grosser Rat vom 18. März 167; Rücktritt des
Zentralkomitees 171.
17. Kapitel: Revolution
Jakob Hürhmaim-I,andis 173; die Männer der Glaubensbewegung 174;
Rahn imd Spöudlin 175; Überweisung der Petitionen 176; Wülielm Meyer-
Ott 176; Rekoustituierung des Zentralkomitees 177; Gemeindewahleu 177;
Ablehnung der Petitionen 178; das Sendschreiben vom 8. August 179;
Besprechung der Radikalen am 20. August 181; Regierungsratsprokla-
mation 23. August 183; Antwort des Zentralkomitees 184; das Zentral-
komitee in Klotcn 185; Proklamation vom 31. August 186; Truppen-
aufgebot 187; Meuterei in der Kaserne 188.
18. Kapitel: Der Tag von Kloten, Montag den 2. September
Der Aufmarsch 189; Eröffnung 191; die Adresse von Kloten 193; Schluss-
anspracheu 195; falsche Gerüchte 196; Empfang der Deputation durch
die Regierung 197; Entlassung der Truppen 198; die Aufregung in der
Stadt 199; die Pläne des Komitees 200; wilde Gerüchte 201; das Bulletin
von Dr. Rahn 204; Regierxmgsratssitzung vom 5. September 206; die
Berichte vom Aufbruch des Landsturms 206.
XI
ig. Kapitel: Der sechste September
Pfarrer Dr. Hirzel von Pfäffikou 209; der Aufbruch des Landsturms 210;
Abmahnung Rahns 210; die lUnauer kommen 211; Alarm in der Kaserne
211; militärische Massregeln 212; die Studenten 213; das Aufgebot der
Bürgerwache 213; der Zug nach Hirslanden 214; Erklärungen von Stadt-
präsident Ziegler 215; der Landsturm ist da! 216; die Deputation der
Regierung 217; die Sitzung des Zeutralkomitees 218; das Aufgebot der
Landgemeinden 219; das Aufgebot der Seegemeinden 220; letzte Truppen-
aufsteUmig 221 ; die Regiervmg auf dem Posthaus 222; „sie kommen I" 223;
der Einmarsch des Landsturms 224; die Kolonne Hirzel auf dem Münster-
hof 225; der Kampf bei der „Waag" 227; die Kolonne Rahn 228; Hegetsch-
weüers Tod 229; Sturmläuten der Stadt 22g; Stadtpräsident Oberst Zieg-
ler 230; das Ende des Kampfes 231 ; Stadtpräsident imd Bürgermeister 232;
Übergabe der Zeughäuser 232; die Kolonne Spöndlin 233; das Einrücken
des Landsturms 234; Dr. Hegetschweiler 234; die Auflösung der Regie-
rung 235; die provisorische Regierung 236; Proklamationen 237; die Opfer
des 6. September 238; Streik der Offiziere 240; der Landsturm in den
Kirchen 241; Sulzberger 242; Agnes Schebest wird Frau Dr. Strauss 242;
die Landsgemeinde auf dem Paradeplatz 242; Einrücken des Militärs 243.
20. Kapitel: Reaktion
Dank an Stadtpräsident Ziegler 244; Wirkungen des 6. September 245;
Auflösung des Grossen Rates (9. Sept.) 246; Auflösung der kantonalen
Behörden 247; die Verchristhchung von Hochschule imd Volksschule 249;
das Seminar 250; die „Friedensvereine" 250; Friedrich und Theodor
Rohmer 251; die Radikalen 252; Schulsynode in Winterthur (31. Aug.
1840), der TJstertag in Bassersdorf (22. Nov. 1840) 253; Zürichputsch
und Sonderbundskrieg 254; Volksversammlung von Schwamendingen
(29. Aug. 1841) 255; f Ludwig Meyer v. Knonau (21. Sept. 1841) 256; Gross-
ratswahlen 1842 257; Dr. Kellers Wahlablehnimg imd Auswanderung 257;
Jesuiten- und Klosterfrage 258; Volksversammlung in Unterstrass (26. Jan.
1845) 260; BluntschUs Rücktritt und Auswanderung 262; die Wahlen
von 1846 und das Ende der Septemberregierung 263.
IV. TElIv: DIE LIBERALE AERA
21. Kapitel: Die Eisenbahn
Erste Eisenbahngesellschaft in Zürich (1838) 268; Martin Escher-Hess 268;
Schweiz. Xordbahngesellschaft 269; der Bahnbau 270; Einweihung der
Eisenbahn Zürich-Baden am 7. August 1847 271; Schweiz. Nordostbahn
vmd Alfred Escher 272; der Ausbau des Eisenbahnnetzes 273.
XII
22. Kapitel; Kriegsbilder (Sonderbundskrieg)
Wirt Gross vom Cafe litteraire 275; die Befreiung von Dr. Steiger in
Luzern {20. Juni 1845) 276; Mobilisation in Zürich 277; die Konservativen
und der Sonderbund 278; erste Feindseligkeiten 27g. — Lunnern 279;
das Gefecht 283; Panik bei Rickenbach 286; Gislikon 287; Anmarsch
der Division Ziegler 2S9; Kampf der Di\-isiou Gmür 290; Operation gegen
Honau imd GisUkou 291; der Kampf am Rooterberg 292; der Kampf
der Brigade Egloff 294; der Sieg von Gislikon 296; Maler MüUer-Weg-
manu von Zürich 297. — Der Einzug in Luzem 297; Ziegler Platzkommau-
dant 298; Rückgabe der Waffen Zwingiis 299; Empfang und Ehrung
Zieglers in Zürich 299.
23. Kapitel: Das Polytechnikum
Eidgenössische Hochschiilbestrebungen 301; erster Bundesbeschluss (1848)
302 ; Verhaudlimgeu der Bundesversammlung 304 ; Gründungsgesetz
für das Polytechnikum (7. Febr. 1854) 304; die Verpflichtungen Zürichs
305; Wahl des Schulrats und der Professoren 305; Eröffnimgsfeier {15. Okt.
1855) 307; der Bau des Polytechnikumsgebäudes 308; Bezug desselben
(1864) 309; aus der Gratulationsadresse der Universität zum sojährigen
Jubiläum des Polytechnikums 30g.
24. Kapitel: Alfred Escher
Jugend und Erziehung 31:; Studien, erstes politisches Auftreten 312;
rasche Carriere 312; das „System" 313; Sozialismus xmd Kommunis-
mus 314; Treichler imd Schneider Weithug 314; Karl Bürkli 316; Treichler
Regierungsrat 317; Gottfried Keller Staatsschreiber 318; Eschers Grüu-
dmigen 319; Gotthardbahn 319; Krankheit imd Tod (6. Dez. 1882) 320;
Denkmaleinweihung (22. Juni 1889) 321; Belvoirpark 322.
25. Kapitel: vStadtpräsident Hess (1840 — 1863)
Biographie 323; Vogelschaubild der Stadt Zürich um 1850 (Beschreibimg)
325; bemerkenswerte Begebenheiten und bauliche Veränderungen 1840
bis 1863 328. — 1840: Ütüberggasthaus, grosses Zeughaus beim Bahn-
hof 328. — 1841: Packhof 328. — 1842: Pfrundanstalt, Friedhof St. Jakob
329. — 1843: „Tagblatt der Stadt Zürich" (erster Vertrag mit der Stadt
1863) 330; eidgenössisches Sängerfest; erste Briefpostmarken 330. —
1844: Ausscheidung des Nutzungsgutes 330; Wipkingerfähre, Schiffahrts-
schleuse 331. — 1S45: Hinrichtungen 331. — 1846: Pestalozzifeier, Industrie-
ausstellung 331. • — 1847: Wilhebn Meyer-Ott Stadtrat 331. — 1848: Friedhof
Hohe Promenade, Nägeli-Denkmal 332. — 1849: Neues Schützenhaus Sihl-
hölzh, badische Flüchtlinge, General Dufour in Zürich 333. — 1851 : Bundes-
feier am I. Mai 334. — 1852: Richard Wagner in Zürich, Villa Wesendonk,
Telegraph 336. — 1853: Grossmünsterschulliaus (7. April) 337; Leichen-
wagen, Droschken, Abfuhrwagen, Dieustmänner 337. — 1855: elektrisches
XIII
Licht am Sechseläuten, Cholera, Friedhof Riedtli, Limmatquai, Gas-
beleuchtung 33S. — 1856: Einweihung des Tunnels Örlikon, Brand des
Limmathofs 339; Kadettenfest, die Stadtschreiber Hofmeister, Niischeler,
Gysi und Eugen Escher 340. — 1S57: Neuenburger Frage, Dufour in
Zürich, Offiziersfest, Revision der Stadtverfassung, Tiefenhoflinde 341. —
1858: Hochschuljubiläum, eidgenössisches Sängerfest, Krankenasyl Neu-
münster 342. — 1859: Österreichisch-italienischer Krieg, Friede von Zürich
(10. Nov. 1859), eidgenössisches Schützenfest 342; Bezirksgebäude, Kom-
haus beim Bahnhof 343; städtisches Baukollegiimi, Bauprogramm 344. —
1860: GrossmünsterkapeUe {15. Nov.), Frage der Vereinigung mit Ausser-
sihl 344. — 1861 : Brand von Glarus, Freie Strasse, Drahtschmiedlifähre 345. —
1862: Zehnrappen porto, Ablenkung des Schanzengrabens, Vereinigimgsfrage,
Stadelhofer Anlagen, Marktgasse, Metzgpassage 345 ; SchlachthausWalche und
Fleischverkaufshalle 346. — 1863: städtisches Baugesetz, Schulhaus Lang-
strasse, Projekt der Bahnhof Strasse, Kasemenvertrag mit dem Staat 346.
— 1863: Seiler- imd Hirschengraben, Bau der Bahnhofbrücke 347. —
Das alte imd das neue Zürich 347; Konrad Ferdinand Meyers Huldigung
an das neue Zürich 348.
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ILLUSTRATIONEN
1. Blick von der Rathausbrücke limmat-aufwärts . . . Titelbild
links die Ecke des Rathauses, dann das niedrige Gebäude
der Ankenwage und der Rüden, zwischen Grossmünster und
Helmhaus der Hottiugerturm, hinter der Slitte der obem
Brücke der Wellenberg, rechts das Kornhaus (Kaufhaus).
2. Hans von Reinhard, Bürgermeister und Landammann
der Schweiz vor Seite i
3. Einzug der Tagsatzung ins Grossmünster .... Seite 8/9
das Bild stammt aus dem Jahr 1807, ist aber typisch für
das Zeremoniell auch der spätem Jahrzehnte. Am Gross-
münster sieht man noch die hölzernen Treppen über dem
Hauptportal.
4. Johann Conrad Escher von der Linth Seite 14/15
5. Die alten Porten und Tore Zürichs Seite 18/19
Reproduktion des Aquatintablattes „Erinnerung an das
alte Zürich".
6. Plan der Stadt Zürich 1 8 1 4, von D. Breitinger, In-
genieur Seite 22/23
7. Eingang zum Aktien-Theater (1834) in der ehemaligen
Barfüsserkirche Seite 26/27
links die Häuser ,, Untere Zäune" und der Brunnen,
■welcher 1 873 auf die Predigerhofstatt kam ; der Grimmen-
turm in der Mitte des Hintergrundes verlor 1865 bei
einem Umbau Helm und Türmchen.
8. Der Münsterhof 1833, getuscht imd koloriert von Anna
Zwingli Seite 30/31
die Krambuden vor dem Fraimiünster wurden 1836 ent-
fernt, diejenigen am Chor erst Ende der neunziger Jahre,
in der Mitte des Hintergrvindes rechts die ,,Waag".
9. Hans Conrad Escher, der erste Stadtpräsident von Zürich Seite 32/33
10. Hans Heinrich I,andolt, Stadtpräsident Seite 36/37
11. Bombardement von Zürich diu'ch den helvetischen Gene-
ral Andermatt am 12./13. September 1802 .... Seite 40/41
12. Hans Georg Finsler, Stadtpräsident Seite 44/45
13. Georg Conrad Bürkli, Stadtpräsident Seite 46/47
14. Auf der Rathausbrücke, vor dem Hotel „zum Schwert" Seite 50/51
das hohe Giebelhaus ist der ,,rote Turm", später Cafe
litteraire", am Weinplatz, ihm schräg gegenüber der
„Weggen".
XVI
15- Heinrich Pestalozzi Seite 56/57
16. Das alte Schlachthaus und die „Metzg-Passage" . Seite 62/63
links, dem Schlachthaus gegenüber, das ehemalige „Ehe-
gerichtshaus" mit der alten Fleisclivcrkaufshalle im
Erdgeschoss.
17. Kasino am obern Hirschengrabeu Seite 66/67
später umgebaut zum Obergerichtsgebäude ; in der Mitte
das Künstlergütli, unten die „Krone" (Rechberg), das
einzelne hohe Haus rechts ist das von Jakob Bodmer
und Ludwig Vogel bewohnte Haus ,,zum obern Schönen-
berg", wo Klopstock, Goethe usw. einkehrten-
18. Bauschänzli-Anlagen Seite 76/77
ünks Kernhaus (Kaufhaus), rechts Wellenberg und Was-
serkirche, in der Mitte die obere Brücke.
19. Paul Usteri, Staatsrat und Bürgermeister Seite 84/85
20. Schanzengraben und Bleicherweg Seite 90/91
von der ,,Katz" aus gesehen, in der Mitte die Tücher-
bleiche.
21. Zürcherisches Kantonal-Militär I (um 1820) .... Seite loo/ioi
der Schauplatz ist der „Neue Markt" oder Parade-
platz; das Bild ist aufgenommen vor dem Bau der Post-
strasse, des Posthauses, des Hotel Baur usw. ; links das
Artillerie-Zeughaus ,, Feldhof", dann das , .grosse gelbe
Zeughaus" mit Treppengiebeldach und Bhck in die Zeug-
haus-(Waag-)ga.sse, rechts neben der Tiefenhoflinde der
Werkhofturm ; den Abschluss des Paradeplatzes bildet
der Tiefenhof in seiner altern Gestalt; das Häuschen vor
der Tiefeuhofhnde kann beim Bau der Poststrasse weg.
22. J. C. Ulrich, Oberrichter, Chef der Buchdruckerei Bericht-
haus bis 1882 Seite 11 2/1 13
23. Eidgenössisches Schützenfest 1834 Seite 116/117
Beschreibimg des Festplatzes (Aegerten) im Text.
24. Dampfschiffläude in Zürich 1845 Seite 122/123
das ,, Hotel du Lac" ist jetzt Privat- und Geschäftshaus
( Gysier- Wunderli usw.), s. Text Seite 18.
25. J. J. Escher, Stadtpräsident Seite 128/129
26. Plan der Stadt Zürich 1838, von Heinrich Keller . . Seite 132/133
27. Paul Karl Eduard Ziegler, Oberst und Stadtpräsident Seite 134/135
28. David Friedrich Strauss Seite 146/147
29. Dr. Ludwig Keller, Obergerichtspräsident Seite 168/169
30. Zürcherisches Kantonal-Militär II (um 1830) . . . Seite 188/189
das Gegenstück zu dem Bilde Seite loo/ioi, etwa zehn
Jahre später; au der Ostseite des Paradeplatzes steht
jetzt das Hotel Baur en ville, gegenüber das (später um
zwei Stockwerke erhöhte imd ,,ZentraUio£" genannte)
XVII
Posthaus; die Tiefenhofliude ist freigelegt und in den
Bürklischen Garten mit eingefriedet, gehört aber der
Stadt.
31. Flucht über die Münsterbrücke am 6. September 1839 Seite 208/209
Rückzug der Kolonne Ralin, s. Test Seite 228.
32. Ludwig Meyer v. Knonau, Regierungsrat Seite 256/257
33. Dr. J. C. Bluntschli, Professor imd Regierimgsrat . . . Seite 262/263
34. Martin Escher- Hess, Gründer und Direktor der ersten
schweizerischen Eisenbahn Zürich-Baden Seite 268/269
35. Der Bahnhof der Nordostbahngesellschaft in
Zürich 1S47 Seite 272/273
links Brücke über die Schanzengrabenmündung, da-
hinter ein TeU des alten Schützenplatzes, rechts „Langer
Steg" und Eingang in die Platzpromenade.
36. Schlussgefecht von Gislikon am 23. November
1847 Seite 274/275
Text Seite 293. Das Bild enthält die Porträts von
Oberst Ziegler, Hauptleute Steinemann und Pfister, Ober-
leutnants Rieder und Jakob Vogel (i. G.), Leutnants
Geilinger, Tobler imd Konrad Bürkli.
37. Polytechnikum 1865 Seite 300/301
38. Dr. Alfred Escher, Regierungspräsident und Nationalrat Seite 310/31:
39. Hans Ludwig Hess, Stadtpräsident Seite 322/323
40. Zürich aus der Vogelschau ums Jahr 1850, von H. Sieg-
fried Seite 326/327
Erläuterimgen im Text an gleicher Stelle.
41. Eidg. Sängerfest in Zürich 1843 Seite 330/331
Festhalle auf dem Exerzierplatz an der Talgasse beim
Botanischen Garten, links im Hintergrund der Kratzturm.
42. Sechseläuten 1854, Umzug der Gewerke Seite 336/337
auf dem Stadthausplatz Unks Kratzturm, rechts bei der
Münsterbrücke Kaufhaus (Zeiclmimg perspektivisch
mangelhaft)
43. Tiefenhofliude beim Paradeplatz Seite 340/341
innerhalb des Biirkhschen Gartens zum „Tiefenhof",
links „Windegg" (mit Turmanbau) imd gelbes Zeug-
haus, in der Mitte Posthaus.
44. Baugarten mit Kratzturm, Schlussbild Seite 349
im Vordergrund Brücke der äussern Talgasse über den
Fröschengraben.
ERSTER TEIL
HINTER
WALL UND GRABEN
(j"-iii.iU \\>u J.Ui.ii in r.ai;, i:' i
Qfans von ^^inhard
ßandammann
♦♦»♦♦♦♦«♦♦♦♦♦♦♦♦»♦♦♦♦»«♦♦♦♦♦♦♦»♦♦
ERSTES KAPITEL
NEUJAHR 1814
Am 21. November 1813 trafen zwei fremde Kaufleute in Zürich
^ ein. Der diensttuende Offizier bei der Sihlporte hatte in
den vorge\^^esenen Pässen die Namen Leipold und Conti ge-
lesen und gleichmütig den Reisewagen passieren lassen. In einem
bescheidenen Gasthof der Innern Stadt stiegen die Herren ab. vSie
hatten es aber offenbar eihg, mit ihren Geschäften zu beginnen ;
denn sie verUessen alsbald nach ihrer Ankunft wieder den Gast-
hof, als gelte es, einem gefährhchen Konkurrenten womöglich noch
zuvorzukommen. Leipold und Conti, die nach ihrem vornehmen
Äussern wohl als Vertreter einer Weltfirma gelten konnten, lenkten
ihre Schritte geradewegs nach der ,, Krone", dem heutigen Rech-
berg, damals Residenz des zürcherischen Bürgermeisters und
Landammanns der Schweiz, Hans von Reinhard. Mit der ihm
eigenen Würde trat ihnen im Audienzsaal der statthche Mann
entgegen, den sie vor allen für ihre Interessen zu gewinnen trach-
teten. Vor ihm durften sie auch ohne weitere Umstände ihr Inko-
gnito ablegen: der österreichische und der russische Bevollmäch-
tigte, Ritter v. Lebzeltern und Graf Capo d'Istria, hatten
sich ja schon am 11. November von vSchaffhausen aus als Be-
auftragte in geheimer Mission beim Landammann der Schweiz
angemeldet und nur zuvor noch auf einem allerdings etwas weiten
Umweg über Bern bei dem dort krank hegenden österreichischen
Gesandten v. Schraut einige Informationen über Personen und
Verhältiüsse in der Schweiz eingeholt.
Der Landammann nahm mit verbindhchen Worten das Ac-
creditiv der beiden Gesandten der AUiierten entgegen und lud die
Herren zu einer am gleichen Abend im Kasino stattfindenden
Reunion ein. Dort stellte er sie alsdann mit gut gespielter Unbe-
fangenheit ihrem ,, Konkurrenten", dem französischen Gesandten
Talleyrand vor. Für die glänzende Gesellschaft im Kasino (jetzt
Obergerichtsgebäude) war die Sendung Lebzelterns und Capo
2 ERSTES KAPITEL: NEUJAHR 1814 o
d'Istrias somit kein Geheimnis mehr, und es schien dem Ritter
V. Lebzeltern Vergnügen zu machen, sich mehrmals ostentativ
dem Spieltisch Talleyrands zu nähern und dabei ein paar hundert
neugierige Augen auf sich gerichtet zu sehen. Übrigens hatte es
die Firma Leipold & Conti bald gemerkt, dass sie zu spät auf dem
Platze erscliienen war. Was sie zunächst hatte verhindern wollen,
die Neutralitätserklärung der Schweiz im Entscheidungs-
kampf gegen Napoleon, das war von der Tagsatzung in Zürich
drei Tage vor ihrer Ankunft, am 18. November, feierUch beschlos-
sen worden. Nun konnte man höchstens der Schweiz Bedingun-
gen stellen für die Anerkennung ihrer NeutraHtät durch die
AlHierten. Wenn beispielsweise verlangt wurde, dass die Schweiz
den Titel Napoleons und seine Rechte als ,, Vermittler der Schweiz"
nicht mehr anerkenne, die Regimenter im Solde Frankreichs ab-
berufe und die darauf bezüghchen Kapitulationen annulliere, so
waren das nur die Konsequenzen einer wirklichen Neutrahtät.
Allein Reinliard war für nichts zu haben, oder wenigstens
getraute er sich nicht, irgend ein Zugeständnis zu machen ohne
die EinwilUgung Talleyrands, der natürhch in gar nichts einwil-
hgte. Was sollte auch aus den schönen französischen Offiziers-
stellen und Pensionen werden, wenn man die Schweizerregimenter
plötzlich heimberief! So etwas durfte Reinhard diesen Offizieren
und ihren Famihen nicht antun. Er verhinderte nicht einmal die
französischen Werbungen, mahnte vielmehr noch am 8. Dezem-
ber die Kantone zu pünktHcher EinUeferung der Rekruten in die
französischen Depots! War es ein Wunder, wenn die Schweizer
Gesandten v. Reding und vStaatsrat Escher, die im Haupt-
quartier der AlHierten in Frankfurt a. M. die Anerkennung der
Neutrahtät erwirken sollten, vielen ,, Bedenken" begegneten und
die Meinung hören mussten, eine solche Neutralität sei die reine
Spiegelfechterei.
Freihch hatte der Kriegsrat der AlHierten schon am 8. No-
vember den Durch niarsch der Hauptarmee unter Fürst
Schwarzenberg durch die Schweiz beschlossen, und wenn der
österreichische Kanzler Fürst Metternich am 11. Dezember
Herrn v. Reding, wie schon vorher dem Zaren Alexander, einem
warmen Freund der Schweiz, sein Ehrenwort verpfändete, dass
die Truppen der AlHierten die Schweiz nicht betreten würden, so
o ERSTES KAPITEL: NEUJAHR 1814 3
geschah das in der festen Absicht, dieses Wort zu brechen und
den Zaren, ,,das gute Kind", zu düpieren. Einen kostbaren Vor-
wand, um wenigstens seinem eigenen Herrn, dem Kaiser Franz,
die Einwilhgung zum Einmarsch in die Schweiz abzunötigen,
gaben dem Fürsten Metternich die Patrizier, welche die Ge-
schichte — nach einer zufälhgen Zusammenkunft in Waldshut —
unter dem Namen ,,Waldshuter Komitee" kennt. Es waren Ari-
stokraten, die den Sturz ihrer Herrschaft durch die Franzosen
im Jahre 1798 nicht verwinden konnten und nun im Gegensatz
zur Landesregierung alle Anstrengungen machten, um das Heer
der AHiierten herbeizurufen. Sie boten sich ihm als Führer an
und stellten ihm jede Unterstützung in Aussicht, — unter einer
Bedingung : dass die Alliierten die Wiederherstellung der Zustände
vor 1798 versprechen sollten. Mit solchen Plänen erschienen Ende
November in Zürich bei Lebzeltern und Capo d'Istria die Bemer
Patrizier Oberst Gatschet und Hauptmann Steiger von Riggis-
berg und wünschten Pässe ins Hauptquartier. Auch der Zürcher
Gerichtsherr Escher von Berg reichte den Gesandten eine
Denkschrift im Sinne der Herstellung des Alten ein. Der ,, kind-
lich gewordene General Bachmann, welcher mit seinen auslän-
dischen Orden geziert, majestätisch herumwandelte" (H. Escher),
und andere ,, Leute von Distinktion" (Bericht Lebzeltems) anti-
chambrierten mit ähnhchen Absichten bei Lebzeltern und Capo
d'Istria.
Die Gesandten antworteten zunächst ausweichend, da sie
noch nicht wussten, wie Mettemich eine Empfehlung dieser Ver-
schwörer aufnehmen würde. Gatschet reiste ,, tränenden Auges"
nach Bern zurück, um auch seinerseits eine Denkschrift auszu-
arbeiten ; Steiger jedoch organisierte in Zürich einen mihtärischen
Spionendienst für die Gesandten. Nachdem diese erfahren, dass
Mettemich inzwischen selbst Beziehungen zum Waldshuter
Komitee angeknüpft hatte, und zwar durch Vermittlung des in
österreichischen Diensten stehenden Bündners Joh. v. Salis-
Soglio, trugen sie kein Bedenken mehr, die gewünschten Pässe
auszustellen. Die Nachrichten für Mettemich sollten aber noch
günstiger werden. Mit 16 gegen 5 Stimmen hatte die Berner
Regierung ihre Tagsatzungsgesandten desavouiert und das An-
schlagen der Neutrahtäts-Proklamation vom 20. November im
4 ERSTES KAPITEL: NEUJAHR 1814 o
ganzen Kanton verboten. Am 7. Dezember sodann kam der
schweizerische Obergeneral Niki aus Rudolf von Wattenwil,
gewesener Schultheiss von Bern, von Dragonern eskortiert in Zürich
an und wurde wie ein grosser »Sieger mit freigebig gespendetem
Kanonendonner begrüsst. Er selbst dachte nicht, dass er dazu
kommen würde, dem Ritter v. Lebzeltern seine Kapitulation
anzubieten. Der Schultheiss v. Watten'wnl war ein strenger Herr;
die Bauern am Zürichsee hatten es mit Schaudern erfahren, als
er nach dem Bockenkrieg Reinhard zu härtester Bestrafung der
Rebellenführer antrieb. Dem Österreicher gegenüber zeigte er
sich von seiner weichem Seite. General v. Wattenwil hätte den
Neutralitätsbeschluss der Tagsatzung durchführen und die Grenzen
gegen jeden Einbruch schützen sollen. Er war dazu nicht imstande,
schon wegen des lächerlich geringen Truppenaufgebots, das ihm
die Tagsatzung zur \'erfügung stellte, — • und nicht einmal dieses
Kontingent hatte Reinliard in seinem Sparsinn vollzählig einbe-
rufen! Aber Wattenwil machte keinen Versuch, auch nur die
schweizerische Waffenehre zu retten, sondern erklärte sich schon
am 13. Dezember in Zürich, bevor überhaupt der Befehl zum Ein-
marsch ergangen war, zur Auflösung der schweizerischen Grenz-
besetzungstruppen bereit, indem er nur um die nötigen Formen
bat, um seine Verantwortlichkeit zu decken und beiderseits Un-
annehmhchkeiten zu ersparen. Diese Verhandlungen bheben
selbstverständlich geheim. Ihr Resultat offenbarte sich in der
am 19. und 20. Dezember zu Basel und Lörrach zwischen dem
österreichischen Kommandanten Bub na und dem Berner v. Her-
renschwand abgeschlossenen Kapitulation der eidgenössischen
Armee. Dass die Soldaten in ihrer \\'ut die Gewehre zerbrachen,
wendete die vSchmach nicht mehr ab.
Das Hauptquartier der \'erbündeten war am 12. Dezember
nach Freiburg i. B. verlegt worden. Hier erlangte Mettemich von
Kaiser Franz die Erlaubnis, ,,dem Kanton Bern zu Hilfe zu kom-
men". Am 20. Dezember erhielten Reding und Escher die IMit-
teilung, dass die schweizerische Neutrahtät mcht anerkannt wer-
den könne und der Durchmarsch bevorstehe. Umsonst hatte sich
Reding anerboten, selber die Orte unterhalb Hüningen zu bezeich-
nen, wo der Übergang mit Leichtigkeit bewerkstelligt werden
könnte. Dienstags den 21. Dezember, morgens 6 Uhr, setzten
o ERSTES KAPITEL: NEUJAHR 1814 5
sich die verschiedenen Korps gegen den Rhein hin in Bewe-
gung. In wenigen Tagen war die ganze 100,000 Mann starke
österreichische Armee samt den 30,000 Bayern zu Basel, Rhein-
felden, Laufenburg und Eglisau auf Schweizerboden über-
getreten. Regiment auf Regiment, endlose Artillerietrains und
Wagenkolonnen zogen Tag und Nacht über die alte Basler Holz-
brücke. Die Schweizertruppen — 10,000 Mann von Basel bis
zum Bodensee ■ — wurden zurückgezogen imd am 24. Dezember
entlassen. Schon Tags zuvor war Bubna in Bern eingetroffen.
Die Patrizier illuminierten. Am nächsten Morgen verkündete
die alte Regierimg in einer Proklamation den erstaunten ,, Unter-
tanen" die Wiederübemahme der Gewalt und geruhte zu ver-
sichern, dass sie ,,nach der Weise Unserer in Gott ruhenden Regi-
mentsvorfahren bisherige Verirrungen väterlich übersehen und zu
keiner persönlichen Ahndung ziehen werde" . . .
In Zürich langte am 23. Dezember, von EgUsau kommend,
die österreichische Division Trautenberg an. Mit fliegenden
Fahnen und kUngendem Spiel defilierte .sie, dem Landammann
zu Ehren, vor dem Rechberg. Auch Fürst Moritz Liechtenstein
war schon an diesem Tage mit seiner leichten Di\äsion in Zürich.
Was für herrhche Zeiten gab es da für die Zürcher Schuljugend!
,,Der eine oder andere von uns," erzählt Prof. Mousson in seinen
Lebenserinnerungen, ,, schwänzte den Unterricht, um an dem
Kronen- oder Niederdorftor den Trompetenstössen der ankom-
menden Kriegsscharen zu lauschen. Wie er dann die freudige
Nachricht brachte, war von Lernen keine Rede mehr; die Schule
wurde entlassen, und alles stürzte sich auf die Strasse oder auf
den Graben, die aufgestellten Kürassierregimenter oder die langen
W^agenzüge mit Kriegsgerät und Vorräten aller Art anzugaffen."
Nun aber, wie soll es werden mit unserer Verfassung?
Das war jetzt die dringendste Frage. So wie die gnädigen Herren
von Bern — das erkannten Reinhard und die Zürcher wohl —
konnte man nicht dreinfahren, oder man setzte die halbe Schweiz
in Brand. Die Kantone W^aadt, Aargau, Thurgau, St. Gallen,
Tessin, die der Mediationsakte von 1803 ihr Dasein verdankten,
würden nicht wieder ins Nichts versinken, freie Bürger nicht
neuerdings Untertanen werden wollen. Der Vorort lud rasch
eine eidgenössische Versammlung nach Zürich ein. Bei Reinhard
6 ERSTES KAPITEL: NEUJAHR 1814 o
im Rechberg berieten am 27. Dezember die Abgeordneten von
zwölf Kantonen über die Lage. Man war darüber einig, dass die
Mediationsverfassung fallen müsse, sofort aber der Grund zu
einem neuen Bunde zu legen sei, wobei keine mit den Rechten
eines freien Volkes unverträglichen Untertanen\-erhältnisse wieder-
hergestellt werden sollten. Das war der wesentliche Inhalt einer
vom ,, Bundesverein" in Zürich am 29. Dezember getroffenen
„Übereinkunft". Berns Gesandtschaft, die folgenden Tages
eintraf, reiste unter Protest sogleich wieder ab. Zürich bUeb einst-
weilen Vorort und Reinhard Landammann.
Neujahr 1814! Lebzeltern und Capo d'Istria stellten sich
gratulierend im Rechberg ein und überreichten dem Landammann
eine gemeinsame Note, worin gesagt war, der Augenblick sei für
die Schweiz gekommen, wieder ihren Rang unter den freien, un-
abhängigen Nationen Europas einzunehmen und sich als solche
eine \'erfassung zu geben, welche die Garantie der Dauer in sich
trage. Die verbündeten Mächte versprächen ihr, die \\'affen nicht
niederzulegen, bis ihre ,, absolute" Unabhängigkeit und die von ihr
frei entworfene und angenommene Verfassung unter die Garantie
Europas gestellt und ihr die von Frankreich entrissenen Gebiete
zurückerstattet seien. — Als am 13. Januar 1814 die drei ver-
bündeten Monarchen, Zar Alexander I. von Russland, Kaiser
Franz I. von Österreich und König Friedrich Wilhelm III.
von Preussen ihren feierUchen Einzug in Basel gelialten hatten,
fand es der Vorort für schickhch, die Souveräne durch eine Ab-
ordnung mit Reinliard an der Spitze zu begrüssen. Die Berner
mit Schultheiss v. Mülinen waren aber auch schon da, um den
Wiederanschluss des Aargau zu betreiben; aargauische Gesandte
wirkten in entgegengesetztem Sinne. Genfer Deputierte hatten
allerlei Wünsche für ihre Stadt vorzubringen, und dazwischen
wühlte und intriguierte das Waldshuter Komitee. So gab der
Monarchenaufenthalt in Basel den Eidgenossen Gelegenheit, ,,ihre
tausend kleinen Erbitterungen vor den Souveränen und Staats-
männern Europas zur vSchau zu stellen". Reinhard und seine
Begleiter fanden überall die Uebenswürdigste Aufnahme. Von
Kaiser Franz zur Tafel gezogen, sass er zwischen diesem und Met-
ternich. Der Kaiser war sehr gemütUch und fragte Reinhard u. a.,
was er für einen Eindruck von seinem Schwiegersohn Napoleon
o ERSTES KAPITEL: NEUJAHR 1814 7
erhalten habe. Reinhard, der ja bei Abschluss der Mediations-
akte in Paris viel mit Napoleon verkehrt hatte, erwiderte: ,,Je
nach Umständen traf ich ihn in sehr ungleicher Stimmung, stets
von hohem Geiste, dabei zuweilen ebenso strenge als anderemal
wohlwollend." Gerade so, meinte der Kaiser, habe er ihn auch
kennen gelernt und beurteilt . . .
Also mit dem mediateur in Paris wären wir jetzt fertig. Das
französische Protektorat über die Schweiz ist durch die öster-
reichischen Bajonette sauber hinweggefegt. Aber haben wir
nicht nur eine Fremdherrschaft gegen die andere getauscht?
Zwar der Bundesverein vom 29. Dezember 1813 war ein höchst
löblicher Anlauf zur Selbständigkeit, die erste spontane Tat der
Schweiz seit 1798. Doch Capo d'Istria und Lebzeltern bleiben
in Zürich als unsere Berater und Erzieher. Sie verlangen den
Entwurf der Verfassungskommission und machen ihre kritischen
Bemerkungen und Vorsdiläge dazu. Sie mahnen und drängen
fortwährend, mit den Verfassungsrevisionen in den Kantonen
vorwärts zu machen, geben an, in welcher Richtung sich diese
Revisionen zu bewegen haben, kümmern sich um alles, und wenn
man seinem Winke nicht gleich nachkommt, kann Capo d'Istria
auch ruppig werden. ,,Wenn Sie Ihres Amtes nicht fähig sind,"
sagt er zu dem Tessiner Rusca, ,,dann werden wir Ihre Regierung
auffordern, Sie abzuberufen und Leute herzusenden, die mich
besser verstehen." Capo d'Istria, der von Corfu stammte, war
als ,, Republikaner" von Alexander I. speziell für den Posten in
der Schweiz ausgewählt worden ; so schrieb der Zar seinem schwär-
merisch verehrten ehemaligen Erzieher Cäsar Laharpe, dem
Führer der Waadtländer Revolutionäre. ,,Ich bitte Sie inständig,
ihn zu leiten, und ich versichere, dass er eine tiefe \^erehrung
für Sie empfindet, da er in St. Petersburg Gelegenheit hatte, die
Hefte durchzulesen, welche Sie uns als unser Erzieher diktiert
hatten." Indessen bedurfte Capo d'Istria der Leitung Laharpes
nicht; wohl aber leitete er selbst mit grossem Geschick — den
Landammann der »Schweiz.
♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦«♦♦♦♦♦»♦
ZWEITES KAPITEL
IM NEUEN SCHWEIZERBUND
Unser „Buiidesverein" vom 29. Dezember 1813, eine Art eidge-
nössischer \"erfassungsrat, ist ein gar zartes und schwächliches
Geschöpf, nicht imstande zu stehen und zu gehen ohne einen
fremden Gesandten hnks und rechts, der es stützt und vorwärts
schiebt. Die Waldstätte wollen nichts von dem ,, Zürcher Bund"
wissen. Der Bemer Mutz muss von Alexander I. tüchtig am Ohr
genommen werden; erst eine scharfe Drohung des Zaren kann
Bern bestimmen, die Tagsatzung in Zürich zu beschicken. Am
21. März 1814 erschienen in Zürich zur Beratung des \"erfassungs-
entwurfes nur die Gesandten von elf Kantonen: die acht andern
Kantone hielten seit dem 17. März eine vSondertagsatzung in
Luzern. Druck und Zwang des Auslandes brachten schhesshch
am 6. April 1814 die Eröffnung einer vollzähhgen Tagsatzung in
Zürich zuwege. Die »Session dauerte bis zum 31. August 1815!
Unter unbeschreiblichen Mühen und beständiger Nachhilfe durch
die fremden Diplomaten errang der neue Bundesvertrag am 8. Sep-
tember 1814 in der ,, langen Tagsatzung" endhch eine Mehrheit
(13^/2 vStände). Aber auch nach seiner Proklamation am g. Sep-
tember drohte er noch zehnmal wieder auseinander zu fallen.
Erst als am 7. August 1815 der neue Bund im Grossmünster zu
Zürich von allen Ständen mit Ausnahme Xidwaldens beschworen
worden war, durfte die Gefahr des Bürgerkrieges und damit des
Unterganges der Eidgenossenschaft für beseitigt gelten. Das
protestantische Bern hatte an der Spitze der katholischen Kan-
tone für die möglichste \\'iederherstellung des Alten gekämpft
und auch die eidgenössische Klostergarantie in die \'erfassung
hineingebracht. Zürich — mit Basel, Schaffhausen und nament-
lich den neuen Kantonen — hielt energisch an der Abschaffung
aller Untertanenverhältnisse fest, so sehr es sich im übrigen be-
mühte, im Bundes\"ertrag und besonders in den kantonalen \'er-
fassungen den \'ertretem des Alten das Übergewicht zu verschaffen.
F. lies
Ginzug der eidg. Qesandten in die Qrossmünsierlai-cße
bei Gröffnung der 'Vagsai^ung
o ZWEITES KAPITEL: IM NEUEN SCHWEIZERBUND 9
So kam eine Bundesverfassung zustande, die zwar die wesentlich-
sten freiheitlichen Errungenschaften der Helvetik und der Media-
tionsverfassung nicht wieder austilgte, aber doch vom demo-
kratischen Standpunkt aus einen Rückschritt bedeutete.
Zunächst jedoch schien man sich unter der treuen Obhut der
Diplomaten in Zürich überglücklich zu fühlen. Zur Feier des
Einzugs der AlHierten in Paris (31. März 1814) veranstalteten
am 12. April Lebzeltem, Capo d'Istria und die übrigen Gesandten
ein Fest, das nach der Schilderung der ,, Freitagszeitung" zu einem
Freudentage für die ganze Bevölkerung wurde. Beim Bankett
im Hotel zum , .Schwert", das in seinem geschmückten Lustschiff
auf der Limmat eine flotte Tafelmusik instalhert hatte, begleitete
die Toaste auf die hohen Verbündeten, diese ,, Organe der Gott-
heit", Kanonendonner vom Lindenhof herab. Abends war Ball
im Kasino und Illumination der ganzen Stadt. Das Beglückendste
aber in all dieser nie gesehenen Pracht war für die Bevölkerung
,,das von den Herren Ministem abgelegte Zeugnis von Dero Zu-
friedenheit und ihre Versicherung, dass sie ihren hohen Souveräns
von der guten Gesinnung der Zürcher rühmlich Meldung tun
würden".
Viel weniger rühmlich war dagegen die Rolle der Sendlinge
der Schweiz beim Abschluss des ersten Pariser Friedens am
30. Mai 1814. Über dem Streit, wo zwischen Bern und Aargau
die Grenzpfähle zu setzen seien, verpassten die hadernden Eid-
genossen die unwiederbringliche Gelegenlaeit, die Landesgrenze
zu verbessern. ,, Bitter wird man es bereuen, den grossen Moment
so heillos unbenutzt gelassen zu haben. Wäre seit zwei Monaten
ein von der Tagsatzung abgesandter Bevollmächtigter hier ge-
wesen, der kein Lokalinteresse im Auge, sondern nur die eidge-
nössischen Angelegenheiten besorgt und im Herzen gehabt hätte,
wären wir jetzt im Besitz wahrer Grenzen im Westen und hätten
Konstanz im Osten. Man darf an all dieses nicht denken, ohne
Bluttränen weinen zu mögen." (Stapfer an Usteri).
Die um vmsere Bimdesverfassung so vielverdienten fremden
Gesandten in Zürich liessen es sich auch angelegen sein, den kanto-
nalen \'erfassungsräten und Regierungen ihre Hefte zu korri-
gieren. Talleyrand schildert einmal, wie die Deputierten aller
Kantone vor den Türen der Minister sich drängten mit Bitten,
lo ZWEITES KAPITEL: IM NEUEN SCH^VEIZERBrND o
diesen oder jenen Verfassungsartikel noch ändern zu dürfen.
Zürichs neue kantonale Verfassung ist zur Zufriedenheit Cape
d'Istrias ausgefallen. Sie bringt einige bescheidene demokratische
Neuerungen bezügUch des Wahlrechts, die aber bei weitem auf-
gewogen werden durch den bedeutenden Vorrang der Stadt,
der sich überdies noch durch ein sinnreiches Wahl- und Auslosungs-
system für die Grossratswahlen \-on Jahr zu Jahr automatisch
verstärken muss. Die neue Verfassung wird am ii. Juni 1814
vom Grossen Rat mit 105 gegen 62 Stimmen angenommen und
am 25. Juni beschworen. Eine Volksabstimmung findet mcht statt.
An demselben 12. September 1814, da die „lange Tagsatzung"
Walhs, Neuenburg und Genf in den Bund der Eidgenossen auf-
nahm, ernannte sie ihre Gesandten für den Wiener Kongress
der Mächte: Reinhard, den Bürgermeister Wieland von Basel
und den Freiburger Aristokraten v. Montenach. Kurz vor der
Abreise am 19. September hatte Reinhard noch eine Eingabe der
Bündner Regierung in Sachen des Velthns erhalten, die ihm aber
nicht in den Kram passte, weshalb er sie der Tagsatzung einfach
nicht mitteilte und Heber ohne Instruktion über diesen Punkt
nach \\'ien ging. Auf dem Kongresse war die offizielle Schweizer
Gesandtschaft eine absolute Null. Montenach trieb PoUtik auf
eigene Faust und sagte selbst: ,,]\Iein erstes war, die beiden andern
(Reinhard und Wieland) zu trennen, was leicht war, da keiner
den andern leiden mochte. Ohne meine Grundsätze aufzuopfern,
tat ich dergleichen, als ob ich bald die Meinung des einen, bald
die des andern biUige; so wurde ich der Vertraute von beiden,
und es gelang mir, ihre Tätigkeit zu lähmen, soweit sie der meinigen
entgegen war." Reinliard machte auf die Minister ,,den Eindruck
der Borniertheit und Trägheit" zugleich ; Wieland, den sie für
den klügern hielten, litt an Schüchternheit. Die Schweizer Ge-
sandten waren auch nicht etwa Mitgheder des Kongresses, sondern
erschienen nur ab und zu vor einer Kommission desselben, dem
sogenannten »Schweizer Ausschuss, der als Gerichtshof über ihr
Schicksal zu entscheiden hatte. Und nicht einmal bei ihrem ersten
Erscheinen vor dem Ausschuss, am 15. November 1814, waren die
drei Gesandten einig. Hätten sie aber auch eine Meinung gehabt,
sie wäre immer wieder durchkreuzt worden von dem Schwärm
von Sondergesandten aus der Schweiz, der sich in Wien lästig
o ZWEITES KAPITEL: IM NEUEN SCHWEIZERBUND n
machte. Umsonst warnte der Zar, der die Schweizer Gesandt-
schaft am 23. Oktober in seinem Schlafzimmer empfing, mit der
Miene des bekümmerten väterlichen Freundes vor Uneinigkeit und
Spaltung. Die Schweizer hatten es noch immer nicht begriffen,
was er ihnen schon am 2. Juni in Paris ans Herz gelegt hatte: sie
seien eine Nation! Unter dem 28. September 1814 schrieb der
preussische General v. Knesebeck an den Minister v. Stein: ,,Wie
eingeengt, wie erbärmUch ist der Sinn der neuen Helvetier! Sind
das die Sieger bei Murten und Sempach ? Ist das der Sinn der
Stauffacher und Melchtale, der aus den Verhandlungen der Tag-
satzung spricht ? Wo ist hier noch Vaterlandshebe und Gemein-
sinn ? Jeder sieht nur seine sieben Kartoffeln, seinen Distrikt,
seinen Herd, seine Famiheninteressen allein und zankt sich darum
mit den andern. Ist das nicht das wahre Krähwinkel unter den
Staaten?" Und Knesebeck war dafür, dieses Krähwinkel mit
Deutschland zu vereinigen.
Dazu kam es nun zwar lücht, aber sonst haben wir in Wien
fast nur schlechte Geschäfte gemacht. Nordsavoyen ging uns ver-
loren; Reinhard meinte, wir hätten jetzt schon zu viel Kantone,
und ihn erschreckte die Masse KathoUken, die wir dort wieder be-
kommen würden. \'elthn, Bormio und Chiavenna verdanken dem
Starrsinn der Bündner Abgeordneten und der Kurzsichtigkeit
Reinhards ihren Anschluss an Italien. Manchmal bheben die
Schweizer Angelegenheiten auch wieder wochenlang unberührt
hegen. Der Kongress hatte mit der ,, Rekonstruktion Europas" zu
viel zu tun, oder — was häufiger der Fall war — er kam vor lauter
Vergnügungen überhaupt lücht zum Arbeiten. ,,L,e congres danse,
mais ne marche pas", sagte der Fürst von Ligne. An einem der
unzähhgen Bälle mischte sich auch Freund Hein unter die Tanzen-
den. Ein dänischer Kavaher ward vom Schlage gerührt, bekam
im Todeskrampf Reinhards Domino zu fassen und riss ihm seine
Blonden- Spitzen von oben bis unten entzwei. Die Nachricht von
Napoleons Flucht von der Insel Elba bereitete den Wiener Lust-
barkeiten ein jähes Ende. Mit den Schweizern wurde schnell fertig
gemacht. Die Deklaration vom 20. März 1815 eröffnete ihnen die
definitiven Beschlüsse des Kongresses. Ein schüchterner Protest
wegen der verlorenen Gebietsteile erweckte Mettemichs ,, Erstau-
nen" und der Kongress ging darüber zur Tagesordnung.
12 ZWEITES KAPITEL: IM NEUEN SCKTWEIZERBUND o
Wie ihre Herren in Wien, waren die in Zürich akkreditierten
Gesandten beim muntern Schäferspiel vereinigt, als eine Depesche,
welche Schraut erhielt (,, Montblanc" nannten die Jüngern Diplo-
maten den weisshaarigen hagern Österreicher) der Gesellschaft die
Landung Napoleons in Cannes kundgab. Beim Anitsbürgermeister
und Tagsatzungspräsidenten David v. Wyss (dem jungem) traf
am IG. März,, abends neun Uhr, ein Kurier des Staatsrates von
Genf ein mit der Meldung, dass Napoleon schon in Grenoble ein-
gezogen sei. Um 7 Uhr morgens, den 11. März, war die Tagsatz-
ung versammelt; sie beschloss schleunige Einberufung der ab-
wesenden Mitgheder, Aufbietung des halben eidgenössischen Kon-
tingents und Entsendung des Oberst- Quartiermeisters Finsler als
Kommissär nach Genf. Von Neutrahtät war diesmal keine Rede;
die Schweiz musste sich wohl oder übel dem ,, System" der Yer-
bündeten anschliessen, und der österreichische General v. vStei-
gentescli wurde hergesandt, um das militärische Einvernehmen
mit der Schweiz herzustellen, musste aber bald erfahren, dass ,,in
diesem Lande, wo alle Entschlüsse auf dem langen Wege der Über-
legung und des Herkommens reifen, den fünf Jahrhunderte mit
breiten Förmhchkeiten ausgetreten haben", Geduld das erste Er-
fordernis war. Doch brachte die »Schweiz bis Alitte Juh ein für
ihre Verhältnisse imponierendes Bundesheer von 40,669 Mann,
2871 Pferden und 118 Geschützen auf. In einem kurzen Grenz-
feldzug im Jura führte General Bachmann (später von Finsler ab-
gelöst) den Oberbefehl; vor der Festung Hüningen bei Basel
spielten \aer Zürcher Mörser, darunter der ,, Apollo", dem fran-
zösischen Kommandanten Barbanegre zum Tanze auf und die
Zürcher Scharfschützen nahmen aus ihren ,, Fuchslöchern" die
Verteidiger einzeln aufs Koni.
Während der Belagerung Hüningens, das am 28. August 1815
fiel, war der Erzherzog Johann von Basel nach Zürich geeilt,
um am 7. August im Grossmünster dem Bundesschwur beizu-
wohnen. Seine Anwesenheit wurde als hohe Ehre empfunden, aber
des Guten zu \äel tat die ,, Freitagszeitung", wenn sie schrieb,
sein holder Blick habe dem neuen Schweizerbund das kösthchste
Siegel aufgedrückt. Die Feier verlief würdig und ernst. Morgens
um 9 Uhr begaben sich die sämtUchen Gesandtschaften der Kan-
tone auf ihr gewöhnhches Sitzungszimmer in der ,, Aleisen", unter-
o ZWEITES KAPITEL: IM NEUEN SCHWEIZERBUND 13
schrieben und besiegelten dort die Bundesurkunde. Dann schritten
sie in feierUchem Zuge zwischen Spaüeren von Soldaten unter
Glockengeläute und Artilleriesalven zum Grossmünster, voran die
Weibel in ihren Mänteln in den Standesfarben nach der Rangord-
nung der Kantone, dann der Grossweibel der Tagsatzung mit der
Bundesurkunde, die eidgenössische Kanzlei, der Präsident der
Tagsatzung und die Gesandtschaft der Vorortes, hierauf die Ge-
sandtschaften der übrigen Stände und am Schluss die in Zürich
anwesenden Stabsoffiziere. Gesang und Instrumentalmusik emp-
fingen die ins Gotteshaus Einziehenden; auf besonderer Tribüne
hatte bereits der Erzherzog Johann, umgeben von den fremden
Diplomaten, Platz genommen. Der Grosse Rat, die Geisthchkeit
und zahlreiche Zuschauer füllten die weiten Hallen des ehrwürdigen
Domes. Bürgermeister David v. Wyss hielt eine eindrucksvolle
Rede. Hernach verlas der eidgenössische Kanzler Mousson die
Bundesurkunde und die Eidesformel. Sämtliche Gesandte standen
auf und sprachen, die Rechte erhoben, dem Präsidenten den Eid
Wort für Wort nach. In diesem Augenbhck fiel der Kanonendonner
wieder ein, Musik ertönte, und beim Verlassen der Kirche beglei-
teten die Gesandtschaften ihren Präsidenten zu seiner an der
alten Ringmauer der Stadt in der Torgasse gelegenen Wohnung,
wo das Mihtär defiUerte. Mittags folgte ein Bankett im Kasino
mit zahlreichen Tafelreden auf den neuen Bund, die Alliierten
und ihre Feldherren. Erzherzog Johann toastete auf die Frei-
heit, Unabhängigkeit und das Wohlergehen der »Schweiz. Beim
Ball am Abend überreichte ihm ein zwölfjähriges Mägdlein mit
einer artigen Deklamation einen Blumenstrauss. Der Erzherzog
blieb bis Mitternacht; beherzigenswert war sein guter Rat, den
er wiederholt schweizerischen Würdenträgern gegenüber äusserte:
,, Bleiben Sie bei der Einfachheit. Diese wird Ihnen die
Achtung des Auslandes am meisten verschaffen."
Der schweizerische Brudersinn und das Nationalgefühl der
Eidgenossen war mit dem neuen Bunde noch nicht ohne weiteres
Gemeingut geworden, wie sehr auch zahlreiche edle Eidgenossen,
gemeinnützige und patriotische Gesellschaften und Vereine sich
mühten, ihn zu wecken und zu pflegen. Das offenbarte sich be-
sonders in den furchtbaren Teuerungsjahren 1816 und 1817.
Im Kanton Zürich herrschte eine förmUche Hungersnot. Das
14 ZWEITES KAPITEL: IM NEUEN SCHWEIZERBUND o
Land wimmelte von Bettlern; man fand vSterbende an der Strasse,
in Feld und Wald. Die Tagsatzung traf einige halbe Massregeln,
die Kantone aber sperrten gegeneinander die Grenzen, um alle
Lebensmittelausfuhr zu verhindern. ,, Nirgends brüderhches Ent-
gegenkommen, treues ^Mitteilen, gemeinsames Ausharren", sah der
preussische Gesandte Justus Grüner; ,, überall selbstische Sorge
und einseitige verderbliche Massregeln ; in schauderhafter Gestalt
hat sich die innere Zerrissenheit dieses Bundes.staates offenbart".
Kaiser Alexander spendete 100,000 Fr. Zürich verwendete
700,000 Fr. für den Ankauf von fremdem Getreide und Reis, ord-
nete Liebesgabensammlungen an und beschäftigte die Arbeitslosen
mit der \'erbesserung der Strasse durchs Tösstal. Eine ähnliche
Erscheinung wie bei der Teuerung zeigte sich wieder in den für
die Schweiz so drückenden Jahren 1818 und 1819 des französischen
Prohibitivsystems. Jeder Kanton trieb Zollpolitik auf eigene
Faust, als ob die übrigen Kantone Ausland wären. Die vSchweiz
envies sich im x^irtschaftlichen Kampfe vollständig wehrlos. Noch
im Jahre 1823 durfte der französische Gesandte I\Iarquis de Mous-
tier wegwerfend schreiben: ,,Ich werde diese Leute mit dem Takt-
stock regieren; die »Schweizer haben mehr schwache Seiten als
andere Leute; ihre Eitelkeit, ihre Personen- und Familieninter-
essen bieten ebenso vdele Mittel der Verführung dar, aus denen
man grossen Nutzen ziehen kann."
Und wie ging es mit der Linthkorrektion, die man von
der Mediationszeit als Erbe übernommen hatte! ,,In Monarchien",
meinte Grüner, ,, würde ein ähnhches Unternehmen gar kein Auf-
sehen erregen; hier hat man ihm aber grossen Nationalrulim bei-
legen müssen, um die Fonds zusammenzubringen." Öchsli be-
tont: ,,Dass Schweizer aus allen Kantonen freiwiUig nahezu eine
Million zusammenlegten, um einen Landesteil vor dem Untergang
zu retten, war zwar ein erhebendes Zeichen des erwachenden Ge-
meinsinnes, aber ebensosehr auch ein betrübendes Zeichen der
Schwäche des Staates, der solche Unternehmungen ganz auf frei-
wilUge Beisteuern gründen musste. Das Werk hatte daher fast
bis zur \'ollendung mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen,
weil die Tagsatzung vor dem kleinsten Geldopfer als vor einer \'er-
fassungswidrigkeit zurückscheute. 181S wurde ein neues Gesuch
um 10,000 Fr. mit 13 gegen 9 Stimmen abgewiesen, so dass Escher
^oßann Conrad Gscßer von der ßinifi
o ZWEITES KAPITEL: IM NEUEN SCHWEIZERBUND 15
in die eigene Tasche greifen musste, um seinen Arbeitern den Lohn
auszuzahlen. 1823 war das Werk soweit vollendet, dass die Tag-
satzung am 14. August die Übergabe an die drei beteiligten Kan-
tone Glarus, Schwj-z und St. Gallen beschliessen konnte. Der
Mann aber, dem die allgemeine Stimme das Hauptverdienst an
dem wohlgelungenen \^'erke beimass, erlebte die Übergabe nicht
mehr. Hans Konrad Escher starb am 9. März 1823, allge-
mein betrauert als einer der selbstlosesten, hochsinnigsten Charak-
tere, welche die Schweiz je her\-orgebracht. Am 12. Juni beschloss
der Kleine Rat von Zürich, nach einem Sprachgebrauch, der sich
bereits eingebürgert hatte, den Verewigten und seine Nachkom-
men als ,, Escher von der Linth" zu bezeichnen, und die Tag-
satzung fügte am 14. August den Beschluss hinzu, ihm in der durch
ihn geretteten Landesgegend ein einfaches Denkmal zu setzen,
sowie der Familie eine goldene Denkmünze und pergamentene
Urkunde zu überreichen."
^▼•▼♦♦•▼^♦♦♦♦♦♦♦♦# ♦♦♦♦♦♦♦▼▼•♦• •
DRITTES KAPITEL
STADT UND FESTUNG ZÜRICH
Wilhelm Füssli meinte: „Die Stadt Zürich ist mehr eine plan-
lose Kollekte von Häusern, denn eine regelmässig gebaute
Anlage von Quartieren, und bietet mit ihren zum Teil engen Ga.ssen
keinen schönen Anblick dar." Gerold Meyer v. Knonau wurde
durch sie an deutsche Reichsstädte erinnert; ,,in einzelnen Gassen
mödite man sich noch jetzt in die oberitahenischen Städte und
selbst nach Genua versetzt glauben". Für den modernen Menschen
wäre das Zürich des Jahres 1814 mit seinen Türmen und Zinnen
entzückend zum Anschauen, — weniger vielleicht zum Drinwohnen.
Und doch ward es damals von seinen Bürgern über alles geliebt.
Sie fühlten sich so sicher und wohlgeborgen in ihren Mauern!
Den Kern der Altstadt umschloss auf lange Strecken immer noch
die alte Ringmauer mit Toren und Wachttürmen, und in weiterem
Umfang, ungefähr das Gebiet des heutigen ersten Kreises um-
ziehend, bildete ein zusammenliängendes vSystem von Bastionen,
Gräben und Ravelins den mächtigen Schutzwall der Stadt. Je
zwei Durchgänge — eine äussere ,, Porte" und ein inneres ,,Tor" —
hatte man zu passieren, um von irgend einer Seite her ins Herz
der Stadt zu gelangen, und diese Porten und Tore waren keine
blossen Dekorationsstücke, sondern sie wurden nachts 10 Uhr,
Sommers um 1 1 Uhr geschlossen und der Schlüssel auf die Haupt-
wache gebracht (die Kästchen mit den Stadtschlüsseln sind heute
im Stadtarchiv). Das mochte zu Zeiten unbequem sein, gab aber
den Bürgern das Gefühl der Sicherheit, und viele von ilmen hörten
es sehr ungern, als man davon zu reden anfing, dass die Festungs-
werke geschleift werden sollten. Es kam ihnen vor, als wollte man
die Haustüre aushängen und jedem Landstreicher freien Einlass
gewähren. Als im Sommer 1832 die Regierungsräte Hüni und
Brändli die schadhaft gewordene Brücke über den Graben bei der
Kronenporte besichtigten und dabei äusserten, es sei gut, dass
diese Brücke bald durch festen Boden ersetzt werde, riefen ihnen
o DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH ly
zwei vorübergehende, „nicht unangesehene" Männer zu: ,,Me
wird I!" (Ludwig Meyer v. Knonau).
Aber schon vor 1814 hatte das Wegräumen begonnen, wenn-
gleich erst bei den innem Befestigungen. Der Oberdorfturm und
das Augustinertor, um nur diese zu erwähnen, wurden 1812 nieder-
gerissen, das Linden- oder Junkerntor fiel 1S13. Noch lange stan-
den indessen die äussern Porten unberülirt. Zur Stadelhofer-
porte führte eine lange, fahrbare Brücke. Der Mauer entlang, zu
Füssen des Geissbergbollwerks, dehnte sich ein Friedhof der Gross-
münstergemeinde, das ,, Fuchsloch" genannt. Als der Friedhof
imis Grossmünster aufgehoben wurde, hatten sich die Toten teils
in den Krautgarten, teils ins Fuchsloch vor die Stadt hinaus flüch-
ten müssen. Von dort verzogen sie sich später nach der ,, Hohen
Promenade" auf dem Geissbergbollwerk, aber auch da wird ihres
Bleibens nicht sein. Die Stadelhoferporte stand ungefähr an der
Stelle des heutigen ,, Olivenbaum". Auf der ,, Holzschanze"
am See, die man durch Auffüllungen verbreiterte und mit dem
festen Land verband, wurde 1839 das neue Komhaus erstellt,
das der lebenden Generation noch als ,,alte Tonhalle" in Erinne-
rung ist. Die untere Rämistrasse, damals ,,Schmidgasse" genannt,
ging bis zum See, wo das ,,KohlenpörtU" nach der kleinen Kohlen-
schanze sich öffnete. Das unterste Haus beim Kohlenpörtli war
das ,, Salzmagazin"; bis an dieses heran trat das Häuserviereck
zwischen Torgasse und Schmidgasse, das den Weg limmatabwärts
vollständig sperrte. Man muss sich gewaltsam losreissen von der
Gegenwart, um ein klares Bild der ,, Schiff lande" von 1814 und
üirer Umgebung zu erhalten. Enorme Auffüllungen haben die
UferHnien gänzlich verändert. Der See reichte damals bis zu der
doppelten Palisadenreihe, die vom Bauschänzli quer durch die
Limmat bis zum Wassertor des Grendel lief. ,, Grendel" hiess
der mit Eisenspitzen beschlagene, auf dem Wasser liegende und
mit einer Kette bewegUche Sperrbalken, durch welchen den Schiffen
die Ein- oder Ausfahrt geöffnet und verschlossen werden konnte.
,, Hatte man Oberwind gehabt", erzählt Hardmej-er-Jennj' noch
aus eigenem Erleben, ,,so hiess es warten, bis Schlag sechs Uhr
der Grendelwart den Balken aufgehoben hatte und der freie Ein-
tritt in die Kapitale geöffnet war. Anderswo ans Land zu gelangen,
war nicht möglich, die Palisaden sperrten vom Kohlenschänzli
i8 DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH o
beim Salzmagazin bis in die Enge hinüber die Ufer. Hier am Hafen
der Stadt war bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts das Zentrum
des Verkehrs." Mitten aus dem Fluss ragte noch der düstere
Wellenberg, das Kriminalgefängnis, von dem aus Waldmann
und noch mancher nach ihm seine letzte Fahrt angetreten. Hart
am Wasser standen die Häuser zur ,, Sonne" (jetzt Albert Müller),
zum ,, Stern" (später Hotel du Lac, jetzt Gysier- Wunderli) und
der stark frequentierte Gasthof zum ,,Raben" mit seiner aus-
sichtsreichen Terrasse, der kurze Zeit einmal auch ,,Bellevue"
hiess und jetzt von Geschäftsleuten bevölkert ist (Hechtplatz
Nr. i). Sehr besucht waren auch die Wirtschaften zum ,,Rössli",
zum ,,Bilgerischiff" und andere an den zur Schiff lande herab-
steigenden Gassen.
Weiter abwärts gelangte man nur hinter 'dem ,, Raben"
und der ,,vSonne" hindurch auf den Sounenplatz und zur Wasser-
kirclie, die schon seit 1634 die Stadtblibhothek beherbergt. Das
Magazin zwischen Wasserkirche und Strasse, ,, Wasserhaus" ge-
nannt, ist 1858 durch einen steinernen, mit der Stadtbibliothek
verbundenen Neubau ersetzt worden. Wahrscheinlich, weil au
dieser Ecke seinerzeit eine der ersten öffentlichen Laternen Zürichs
brannte, hiess das schräg gegenüber liegende Wirtshaus ,,zur La-
terne", dessen Namen im Lateruengässchen heute noch fortlebt.
An das Lateruengässchen schloss sich der Hottingerturm (bis
1856), dessen unterer Teil vor Jahrhunderten schon als Kaufhaus
eingerichtet worden war (jetzt Musikalienliandlung Hug & Co.),
daneben das Salzhaus (städtisches Salzverkaufslokal, jetzt
Eisenhandlung Kisling). Durch die Bogen und die Halle des
Helmhauses aber gelangte man auf die hölzerne obere Brücke.
Kirchenratssekretär Dr. F. Meyer (t 30. März 1910) sagt von ihr
in seinen ,,Jugenderinnerungeu" : ,, Diese war ein Steg für Fuss-
gänger; man gelangte zu ihm durch die breite Toröffnung an der
Westseite des Helmhaus. (Nach Vollendung der ■ — einige Meter
weiter unten erbauten — Münsterbrücke wurde sie zugemauert
und dafür das mittlere Fenster an der Nordseite zum Durchgang
erweitert, wie es jetzt noch besteht. Auf dem Plane von 1838 sieht
man noch beide Brücken nebeneinander.) Das Geklapper der
hölzernen Bretter des Brückenbelages, wenn wir Schüler darüber
trampelten, ist mir jetzt noch in Erinnerung, und es war etwas
CS
§
.C;
o DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH 19
Unerhörtes, dass einmal einige Dragoner es wagten, zu Pferde
über die Treppenstufen des Zugangs hinaufzusetzen und durch
das Helmhaus über die Brücke zu reiten."
Eine grosse Merkwürdigkeit für Fremde war immer das auf
der obern Brücke stehende Brunnenhäuschen mit dem Wasser-
rad und den dazu führenden Fang%vuhren in der L,immat, eine
Einrichtung, die bis 1835 bestand und Trinkwasser aus der Limmat
in einen Brunnen mit sieben Röhren schöpfte. Solche Wasser-
räder waren errichtet worden, nachdem der Aberglaube aufgekom-
men, dass die Juden die Brunnen vergiften.
Über die Salzhaustreppe kommen wir zum Grossmünster
und in die Kirchgasse. Viel weiter als das jetzige Grossmünster-
schulhaus ragte das alte, unansehnlich gewordene Chorherren-
stift (CaroHnmn, höhere Schule, besonders für Theologen) in
die Kirchgasse hinein. Die ganze Kirchgasse hinauf aber reihte sich
fast ein (dem Stift gehörender) ,,ChorherrerLlaof" an den andern;
wir nennen bloss das Diakonat zum Silberschild, heute alkohol-
freies Restaurant ,,Karl der Grosse"; die ,,Provisorei" (Ecke
Kirchgasse-Neustadtgasse), daneben den (1858 verschwundenen)
Brunnen mit der schönsten Brunnensäule Zürichs, schräg gegen-
über, am Chorherrenplatz, die Schulei, Zwingiis letzte Amts-
wohnung, und — nach einem Zwischenraum — die Stifts ver-
walterei. Zu oberst an der Kirchgasse war 1814 im vSteinhaus
die Staatskanzlei untergebracht; Martin Usteris ,, Erggel im Stein-
huus" ist 1831 bei einem Umbau verschwunden. Das Haus zum
,, roten Adler", schräg abwärts dem Steinliaus gegenüber, hat
1830 Dr. Ludwig Keller sehr schön um.gebaut.
Der Zwingiiplatz hatte 1814 schon ungefähr die heutige
Form, und den benachbarten Häusern sind ihre Namen bis jetzt
geblieben, die Häuser selbst aber teilweise bis zur Unkennthchkeit
umgebaut. Der Flügel des Chorherrenstifts gegen den Zwingliplatz
diente damals der Französischen Kirche. Einen befremdlichen
Eindruck machte die am Grossmün.ster klebende hölzerne gedeckte
Doppeltreppe, die (bis zum Jahr 1844) vom ehemaligen Friedhof
auf die Emporen hinauf führte und das prächtige Hauptportal
mit ihrem Überbau verunstaltete. Das Antistitium (,, Oberst-
pfarrhaus"), Sitz des Antistes, ist (wie die ,, Schulei") erst 1856
als Pfarrhaus in den Besitz der Kirchgemeinde übergegangen.
20 DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH o
Das „grüne Schloss" (heute Berichthaus) wurde 1835 Privat-
besitz. Im Haus zum „Loch" wohnte der gelehrte Chorherr
J. H. Bremi mit seiner vSchule; der letzte Chorherr, welcher die
„Weinleiter" bewohnte, war der liberale Theologe Joh. vSchult-
hess. Auch die ,, Blaue Fahne" existierte schon, aber nicht als
Bierhaus; weiter kommen wir in der Münstergasse, am Meyers-
hof vorbei, der vier Jahrhunderte lang im Besitz der Famihe
Meyer v. Knonau war, zum alten Turm der M anesse (zu unterst
an der Napfgasse) und — ihm gegenüber — zur Post! Es ist
nämhch zu beachten, dass wir uns hier in der Hauptstrasse
des alten Zürich befinden; die wichtigste ^'erkehrsader ging von
der Stadelliofer|Dorte durclis Oberdorf, die mittlere Kirchgasse,
Müustergasse und das Niederdorf.
Das zürcherische Postwesen verdankt seinen Ursprung den
Kaufleuten Hess, welche (zwei Häuser weiter, links, an der
Münstergasse) im Haus zum ,, roten Gatter" wohnten. Sie richteten
1630 einen Fussbotendienst nach Lyon ein, wo sie eine Nieder-
lassung hatten, und auch mit Italien knüpften sie Postverbindungen
an. Im Jahre 1632 übergab die Regierung das Post- und Boten-
wesen dem neugebildeten Kaufmännischen Direktorium, das
die Post in die Häuser zum ,,Schäppeli" und ,, Grauen Mann" an
der Münstergasse verlegte. Als tmmittelbare Nachbarin erhielt die
Post später das Berichthaus. Mit der Ausdehnung des Post-
verkehrs und der Einfülining immer neuer Eilwagenkurse staute
sich der Verkehr auf dem kleinen Platz bei der Post, die keinen
Hof und keine Remise hatte, oft zu beängstigendem Gedränge;
zur Winterszeit war der Platz für die Fulirwerke fast unzugänghch.
Dazu kamen dann noch die ^Menschenansammlungen %-or den
Schaltern des Berichthauses. Auf seinem Weg zur Schule (im
Haus zum ,, schwarzen Garten" an der Stüssihofstatt) hatte einst
auch Dr. F. Meyer diese Stelle zu passieren; er erzählt: ,,Das
dortige Plätzchen war kleiner als jetzt; um acht Uhr standen die
vierspännigen Eilwagen nach den verschiedenen Richtungen zur
Abfahrt bereit, dicht aneinaudergedrängt, so dass es für den kleinen
Schüler keine Kleinigkeit war, längs des Hauses über Treppen-
stufen, an Pferdebeinen und Wagenrädern \'orl3ei die »Strecke bis
gegen die ]\Iarktgasse hin ungeschoren zurückzulegen. Noch
schwieriger hatten es die kleinen Mädchen, die von der Münster-
o DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH 21
gasse her ins Schulhaus zum Napf (zweitoberstes Haus an der
Napfgasse, später auch Lokal der Musikschule) gingen und darum
das Plätzchen durchkreuzen mussten. Da geschah es denn, dass
sie nicht selten sich unter den Pferdebäuchen hindurchwanden, um
ans Ziel zu kommen. Auch das Abfahren der Posten den steilen
Abhang bei der jetzigen ^Vleyerei und durch die enge Marktgasse
hinunter war für Pferde, Wagen und das die Gasse passierende
Pubhkum keineswegs angenehm, sondern geradezu gefährhch. Die
Posten nach Winterthur fuhren durch die obere Kirchgasse hinauf
über den Hirschengraben bis zum Rechberg oder durch Rinder-
und Neumarkt ebendahin und dann durch das Halseisen (Künstler-
gasse) hinauf zur Kronenporte; nach Baden und ebenso nach
Horgen durch Marktgasse, Strehlgasse und Renuweg durch die
Sihlporte; nach Rapperswil durch das Oberdorf und die Stadel-
hoferstrasse."
Das ,, Berichthaus" neben der Post ist eine Gründung des
Hauptmanns Hans Jakob Lindinner in Zürich, welcher am
23. Februar 1730 die erste Nummer der ,,Donnstags-Nachrich-
ten" herausgab, ein Inseraten- oder Reklameblatt, das sich fast
ausschliesslich in den Dienst des wirtschaftlichen Verkehrs stellte.
Indem es, das häusliche Leben, sowie Handel und Wandel berück-
sichtigend, vSuchende und Anbietende einander näher brachte und
den Austausch \'on Sachgüteni und Diensten vermittelte, ver-
drängte es mehr imd mehr das mittelalterliche Amt des öffentlichen
Ausrufers. In seinem Haus zur ,,Provisorei" an der Kirchgasse
eröffnete Lindinner zugleich ein sogenanntes , , Adress-Comptoir"
zur Auskunfterteilung, und dieses ,, Adress-Comptoir" wird in
Nr. III der ,,Donnstags-Nachrichten" vom g. Merz 1730 zum
erstenmal ,, Bericht-Haus" genannt. Im Volksmund hiess es
meist ,,Blätth-Huus". Hauptmann Lindinner trat das Geschäft
nach wenigen Jahren seinen Brüdern ab, die sich mit einem Prä-
zeptor Ziegler assoziierten. Später führte der Sohn des letztern,
Buchdrucker Caspar Ziegler, das Geschäft allein. Seit dem
21. März 1768 befand sich das Berichthaus in den von Ziegler an-
gekauften Häusern zum ,, Goldstein" und ,,vSchlegel", Münster-
gasse-Ankengasse, neben der Post, zu denen bei weiterer Aus-
dehnung des Geschäftes noch das Haus zum ,, roten Gatter"
kam, die \^'iege des zürcherischen Postwesens. Ziegler nahm in
22 DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH o
der Folge seinen Schwiegersohn Joh. Casp. Ulrich ins Geschäft auf,
und seit 1794 lautete die Firma , .Ziegler & Ulrich". Die ,,Donn-
stags-Xachrichten" liiessen vom 4. Januar 1781 an „Donnstags-
Blatt", imd mit dem Jahre 1801 erschienen sie als „Zürche-
risches Wochenblatt" wöchenthch zweimal, ^Montags und
Donnerstags. Xach dem Tode seines Sch\vieger\-aters verkaufte
Joh. Casp. Ulrich, ein Sohn des letzten Landvogts von Kyburg,
das Berichthaus samt Druckerei seinem Bruder, dem Landschreiber
J. J. Ulrich in Andelfingen. Das war am i. Juli 1814.
Wenige Schritte weiter führen uns zum ..Elsasser", oben
an der ]\Iarktgasse, dem Sitz der grössten Buchdruckerei Zürichs
im 18. Jahrhundert. Es hatten sich im Jahre 1766 die Herren
Konrad Orell, Buchdrucker, Salomon Gessner, der bekannte
Dichter, und der Historiker Heinrich FüssU zu einer Buchhand-
lungsgesellschaft unter der Firma Orell, Gessner, Füssli &
Companie vereinigt. In ihrer Offizin, die sich nach dem Aus-
scheiden Gessners auf die Namen Orell, Füssli & Co. beschränkte,
erschien am 12. Januar 1780 die erste Nummer der ,, Zürcher
Zeitung", nach ihrem Erscheinungsort im Volksmund auch etwa
,, Elsasser-Zeitung" genannt. Jalirzehntelang kam das Blatt nur
zweimal wöchenthch heraus, Mittwochs imd Samstags, und es haben
in den bewegten neunziger Jaliren die Stäfner jeden ^littwoch und
Samstag ein eigenes Schiff nach Zürich gesandt, um im ,, El-
sasser" die Zeitmig zu holen. \'om i. Juli 1821 an hiess das Blatt
,,Neue Zürcher Zeitung" und wurde in den folgenden Jalir-
zehnten bald dreimal, bald zweimal wöchentlich ausgegeben; seit
dem I. Januar 1843 erscheint es täglich. Der ,, Elsasser" aber hat
inzwischen mehrmals den Besitzer gewechselt — ■
\'om Helm haus ging die ,,alte Wühre" zwischen einer dop-
pelten Reihe von Buden (Läden), die eine hart am Wasser, die
andere vor der jetzigen Münsterterrasse, zum Wettingerhaus und
dem Zunfthaus Zimmerleuten. Die Limmat bespülte die Grund-
mauern des ,, Rüden", Fussgänger- und Wagen verkehr ging hinten
durch, unter den Bögen, über den Rüdenplatz mid durch die
,,Tihnen", mit wagrechten Dielen bedeckte Durchgänge unter den
Häusern zur Kerze, Käshütte, Büchsenstein, Haue und Safran.
Der Brunnen auf dem Fischmarkt (Simson mit dem Löwen)
stand damals am Wasser, gleich oberhalb dem Rathaus, und wurde
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X'i-tt,, '•IjI'A.J.'.^VauV > AV*.
o DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH 23
erst bei der Quaibaute verlegt. Planchen traurigen Aufzug hat
der Fisclimarkt gesehen. Dehnquenten, die zum Tod, zu Pranger
oder Prügelstrafe verurteilt worden waren, wurden vor der Exe-
kution unter Glockengeläute zum Rathaus geführt. Auf den Stufen
der Rathaustreppe knieend, die ziemlich weit in die Strasse
hinein reichte, hatten sie das Urteil anzuhören, welches aus einem
Fenster des Rathauses laut verlesen wurde. Hier gleich in der
Nähe muss auch der Pranger gestanden haben, denn als im Juni
1831 der Grosse Rat Pranger und Peinhchkeit abschaffte, haben
noch in der gleichen Nacht Sträflinge in aller vStille den Pranger
beim Rathaus weggeschafft (vgl. Vogel, Memorabilia Tigurina
1841, p. 234). Das dem Rathaus gegenüber liegende Gebäude an
der lyimmat hiess früher das Richthaus, weil dort zu Zeiten
Gericht gehalten worden war. Aber schon zu Anfang des ig. Jahr-
hunderts diente dasselbe als Haupt wache, und bei ungünstiger
Witterung spazierte die Schildwache hinter den hölzernen Säulen
des Vordaches hin und her. An das Richthaus war die Metzg
angebaut, und unmittelbar neben der Hauptwache befand sich
das ,,Speckkämmerh", wo gelegenthch Betrunkene eingesperrt
wurden. Die frühem Gerichtsräume über der Hauptwache hatte
ein gewisser Cordes gepachtet, der im untern Lokal ein Cafe hielt.
Metzg und Hauptwache wurden 1823 bis 1826 neu gebaut, das
neue Schlachthaus am 19. Mai 1825 von den Metzgern durch einen
Umzug eingeweiht; vor der Hauptwaehe zog am 2. Oktober 1825
eine Kompagnie Soldaten mit Fahnen und Fanfaren auf. (Nach
Abschaffung des Garnisonsdienstes wurde die Hauptwache am
IG. Oktober 1832 von den Landjägern bezogen.) Zwischen der
Metzg und der ,, Metzgerlaube" (Fleischverkaufshalle, an der
Stelle des jetzigen Museumsgebäudes) ging nur ein schmaler Weg
hindurch. Auch nach dem Neubau des Schlachthauses war diese
Passage nicht überflüssig breit. ,,Wer am Vormittag dort hin-
durchging, musste vSorge tragen, von den blutigen Fleischstücken,
die aus dem einen Gebäude über die Strasse ins andere getragen
wurden, oder von den Hunden, die im Schlachthause Blut leckten,
kein Andenken zu bekommen. Von da reichte die fahrbare vStrecke
noch bis zur Rosengasse; dort bildete das Haus zur Gerwe den
Abschluss, und nur ein Fussweg führte längs der Limmat weiter.
Die Wagen mussten noch bis zur Erbauung des Uimmatquais
24 DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH o
(1855 bis 1S59) durch Rosengasse und Niederdorf den weitem Weg
suchen." (Dr. F. Meyer.) — Die Rathausbrücke (Gemüse-
brücke) war ursprünglich eine hölzerne Brücke, auf fünf Reihen
von Pfählen ruhend, und lange Zeit der einzige Limmatübergang
in Zürich. Auch hier sah man bis 1821 ein Brunnenhäuschen mit
Wasserrad und etliche Jahrzehnte länger noch ein sogenanntes
, .Budengebäude" .
Auf dem ,, Obern Mühlesteg" befanden sich 1814 fünf
Mühlen und eine ,, Schleife" (letztere wurde 1840 in ein Pumpwerk
umgebaut). Der Obere Mühlesteg hatte noch keine Verbindung
mit dem linken Ufer. Erst nach einem furchtbaren Brand auf dem
Obern Mühlesteg im Jahre 1842 wurde ein hölzerner V^erbindungs-
steg und ein Fussweg bis zum Waisenhausgarten erstellt. Der
Fussweg ist 1875/76 in eine Fahrstrasse bis zum Wollenhof, der
Obere Mühlesteg 1880 in eine fahrbare Brücke verwandelt worden.
Auf dem ,,Werd", das heisst der Insel am ,, Untern Mühlesteg",
befand sich schon seit Jahrhunderten eine Papiermühle, welche
1842 in den Besitz der I\Iechanischen Papierfabrik an der Sihl
überging. Das ,, gedeckte Brücklein" stammt etwa aus dem
Jahre i68g.
Wo die heutige Bahnhofbrücke am linken Ufer aufliegt,
mündete der Schanzengraben in die Limmat. Gleich unterhalb
dieser Stelle traversierte in schräger Richtung nach der ,,Xeu-
mühle" der ,, Lange Steg" den Fluss (zwischen der Walchebrücke
und Bahnliof brücke). Die Bahnhofbrücke, 1864 vollendet, hat
nicht dieselbe Richtung wie der ,, Lange Steg"; sie wurde von der
zur ,, Neumühle" gehörenden Limmatburg her (heute Hotel
Zentral) über den Papierwerd zur vSchanzengrabenniündung ge-
legt und alsdann der ,, Lange Steg" abgebrochen. Auf dem rechten
Ufer führte der ,, Lange Steg" mitten in die Etablissemente der
Neumühle hinein. Die hier gelegene, von der Bastion zwischen
Limmat und Niederdorfporte umschlossene alte Neumühle
war ehedem ein obrigkeitliches Lehen und wurde 1805 an einige
Kaufleute verkauft, die unter der Firma Escher Wyss & Cie.
hier zuerst eine weitläufige Maschinen-Garnspinnerei errichteten;
diese wurde bald auf Metallbearbeitung ausgedehnt und hat später
sogar Dampfschiffe und Lokomotiven erstellt. Der eigentUche
Gründer der Finna war Hans Kaspar Escher-v. Muralt in:
o DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH 25
„Felsenhof" (f 22. August 1859), ^^ dessen Namen heute noch
das „Kaspar Escher-Haus" erinnert. Die Häuser und Werkstätten
der Neumühle erstreckten sich bis herwärts der heutigen Bahiüaof-
brücke in die Stadt hinein. Das letzte Haus auf dieser Seite, die
alte Landmühle, dann ,,Spitalermühle" genannt, ging 1834
an Escher Wyss & Cie. über. In diesem Haus allein glühten und
sprühten elf Essen, und es kostete Mühe und ziemlich viel Geld,
als die den Zugang zur Bahnhofbrücke sperrende Spitalermühle
von der Stadt erworben werden musste (in der Bürgergemeinde
vom 14. April 1862 wurde starke Opposition gemacht).
Dicht an die Spitalermühle stiess das Niederdorf-Tor, ein
schmaler Durchgang für Fussgänger und daneben ein breiterer
unter dem Turm hindurch für Fuhrwerke. Die Schlaguhr auf
dem Tunn wandte ihr Zifferblatt dem Niederdorf zu, das schon
1256 in den Akten als ,,villa inferior" figuriert. Als 1824 der
Niederdorfturm abgetragen wurde, kam die Schlaguhr auf die
Sihlporte, und als 1834 auch diese fiel, aufs Rennwegtor. Das
Niederdorttor war der Ausgangspunkt der Strassen nach Eglisau,
Schaffhausen, dem Neuamt und der Herrschaft Regensberg. Der
Zoll wurde bei der im äussern Bollwerk (bei der Neumühle) er-
richteten Niederdorfporte eingezogen. Ziemlich schmal war die
Passage vom Niederdorftor zur Niederdorfporte, zwischen den
Häusern der ,, Neumühle" hindurch. Erst mit Vertrag vom April
1869 wurden Escher Wj^ss & Cie. veranlasst, durch Abtragung
einiger Häuser auf der Ostseite die Strasse auf 13% Meter Breite
zu enveitern.
Längs dem Seilergraben, dem schon seit 1780 die Hirschen-
graben-Promenade zur Seite ging, zog sich im Jahre 1814
vom Niederdorftor zum Kronen- oder Neumarkttor noch ein
wohlerhaltenes Stück der alten städtischen Ringmauer hin, und
auch ein stattlicher Turm (auf Breitingers Plan nur mit X be-
zeichnet) ragte noch aus der Ringmauer auf: der Ketzerturm;
er fiel erst im Jahre 1878 und ist in Gottfried Kellers Zürcher
Novelle ,, Ursula" verewigt. Noch heute ist — oben an der Gräbli-
gasse rechts — ein Überrest der Ringmauer zu sehen; nur ein
paar Schritte weiter in der Fortsetzung dieser ]\Iauer gegen die
Heringsgasse zu stand der Ketzerturm mit Uhr. Innerhalb der
Ringmauer, ungefähr von der Häringsgasse bis zum Predigerplatz,
26 DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH o
lag der Prediger-Friedhof. Die weitläufigen Gebäulichkeiteii
des ehemaligen Dominikanerklosters bei der Predigerkirche dienten
schon seit der Reformation dem vSpital und seineu Dependenzen.
Von 1S14 bis 1816 wurde das Irrenhaus gebaut (das allein-
stehende Gebäude auf dem Platz am Nordende des Friedhofs).
Von den andern Gebäuden hiess das eine „Neuhaus", das andere
„Krankenliaus" ; die Gebäulichkeiten erstreckten sich bis zum
Niederdorf. Zwischen Älushafenplatz und Xiederdorf, in der alten
Spitalkapelle, befand sich seit 1810 die Kantonsapotheke, auf der
andern Seite des Mushafenplatzes die Anatomie (,,Theatrum
Anatomicum" heisst sie noch bei Werdmüller, ]\Iem. Tig.) ; es muss
da gelegentlich etwas sorglos mit den armen \'erschnetzelten \'er-
brechern und Spitalinsassen umgegangen worden sein, denn im
September 1835 trieb ein Menschenkopf, welcher bei der Anatomie
in den Wolfbach gefallen und von ihm beim Obern Mühlesteg in
die Ivimmat geschwemmt worden war, zum Grausen der An-
wohner flussabwärts. Im Häuserviereck beim Prediger war nach
dem Neubau des Kantonsspitals in Fluntern die Versorgungs-
Anstalt untergebracht, welche 1867 nach Rheinau verlegt wurde.
1873 ging das ganze Spitalareal in den Besitz der Stadt über,
welclie die ehemalige \"ersorgungsanstalt einstweilen für alle
möghchen Zwecke \-enTiietete. Am Samstag abend, den 25. Juni
1887, ist diese ganze ^Mietskaserne radikal abgebrannt. Kirche
imd Kantonsbibliothek (seit 1872 im Chor der Predigerkirche)
standen in höchster Gefahr; ^lanuskripte und Bücher wurden
von Bibliothekaren und .Studenten mit Bravour ,,geflöchnet".
Das Kronentor — am Ausgang des Neumarkts nach dem
Hirschengraben — stand bis 1827. An Stelle des angrenzenden
Hauses wurde 1833 von Martin Escher-Hess vom Wolleiüiof,
dem Zürich seine erste Eisenbahn \-erdankt, der prächtige Neubau
zum ,, Kronentor" aufgeführt. Das gegenüber liegende Haus
,,zur Krone", von Zunftmeister Hans Kaspar Werdmüller 1766
bis 1776 erbaut, das vornehmste Privathaus des altern Zürich,
beherbergte nacheinander die Generale Schauenburg, Massena,
Hotze, Korsakow und ^lacdonald, dann Jahrzehnte hindurch den
L,andammann Reinhard; von 1807 bis 1830 war es der ^Mittelpunkt
des diplomatischen Lebens in Zürich. 183g ging es in den Besitz
der Familie v. Schulthess Rechberg über und hiess seitdem ,,Rech-
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o DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH 27
berg". Oben am „Halseisen" (Künstlergasse, zwischen Poly-
technikum und neuer Hochschule), „auf der erhabendsten und
lustigsten Anhöhe an der Strasse nach Winterthur", stand die
Kronenporte, ein stattlicher, in Quadern aufgefülirter Bau.
Das Obmannamt, früher die Amtswohnung des , .Obmanns
gemeiner Klöster", ist ein Bestandteil des alten Barfüsser-
klosters. Der Teil des ausgedehnten Gebäudekomplexes, in dem
sich die Weintrotten des Klosters befanden, wurde 1806 von der
,,Assemblee-Gesellschaft" erworben, welche unter der Leitung von
Kaspar Escher zum Felsenhof und andern an dieser vStelle das
Kasino erbauen Hess, die Tonhalle des alten Zürich. 1874 kaufte
die Regierung das Kasino zurück und baute es zum Obergerichts-
gebäude um. Vorher (seit 1838) war das Ober-, Kriminal- und
Schwurgericht in dem Flügel des Obmannamts hinter dem Kasino
untergebracht, den 1876 das Staatsarchiv bezog. Das ,, Konvent-
haus", der Hauptflügel gegen den Hirschengraben, der ganz zum
Zwecke der kantonalen Verwaltung eingerichtet wurde, erhielt
1839 und 1840 ein drittes Stockwerk, der Mittelbau 1880 noch
einen weitem Aufbau. Die Barfüsserkirche (im Flügel gegen die
Untere Zäune) ist 1833 zum Theater umgebaut und am 10. No-
vember 1834 mit der ,, Zauberflöte" eröffnet worden, am i. Januar
1890 aber — kurz nach Beginn des vierten Aktes des Birch-
Pfeifferschen ,,Der Leiermann und sein Kind" — abgebrannt.
Längs dem Wolfbach (das dortige Schulhaus wurde 1866 ein-
geweiht) führte ein Ausgang aus der Stadt durch das Hottinger-
pörtli. Vom Rämi-Bollwerk umschlossen, erhob sich das
hübsche Haus des Sängervaters Nägeli, das später der Kantons-
schule weichen musste, und wenn man den Stadtplan Breitingers
ansieht, begreift man allerdings einigermassen die Klage der
,, Freitagszeitung" von 1838, dass die Kantonsschule in den
,,äussersten Winkel der vStadt" gestellt werden solle. Seit dem
grossen ,,Sterbent" im Pestjahr 1611 bestand im Krautgarten
ein Friedhof der Grossmünstergemeinde (bis 1848!). Ein weiteres
Stück der Stadtmauer umzog 1814 noch die Winkel wiese; sie
reichte früher längs der Torgasse bis zum vSee hinab, und die
heutigen Anlagen bei der Freien Schule an der Waldmannstrasse
waren seit 1775 Viehmarkt, vorher Rossmarkt; der Aufgang zur
Hohen Promenade hiess ,, Kühgasse".
28 DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH o
Wir sind damit wieder an den See gelaugt. Was wir bisher
durchwanderten, war die „grosse Stadt" (früher „mehrere
vStadt") im Gegensatz zur „kleinen Stadt" („mindere Stadt")
links der Limmat.
Die „kleine Stadt" betreten wir beim Bauschänzchen; es
gehört seit 1841 der Stadt, die es im folgenden Jahre durch einen
gewölbten vSteg, die ,, Seufzerbrücke", mit dem Festland verband.
Die flache Brücke datiert von 1856. Dicht bei der ..»Seufzer-
brücke" stand noch bis 1841 das Steinrad in rundem Gehäuse,
auf dessen Dach der Kran oder ,,Kraiüch" funktionierte. Süd-
lich vom sogenannten ,, Bauplatz" ist jetzt alles aufgefüllt bis auf
die Höhe des kleinen Inselchens, auf dem ein ,, Schiffshaus" stand.
Auf der nur über einen schmalen Damm zugänglichen Halbinsel
zwischen den Einmündungen von Fröschengraben und Schanzen-
graben stand 1814 noch der Schiffsschopf, der Kriegshafen des
alten Zürich! Von hier fuhr — z. B. noch im Bockenkrieg 1804 —
die zürcherische Armada aus, das ,,MeeqDferd" und der , .Neptun",
jedes mit sechs Kanonen bewehrt und jedes mit eigenem Schiffs-
hauptmann, Sclüffsprediger und Scliiffsschreiber. Noch im Jahre
1791 war ein neues ,, Kriegs- und I^ustschiff", die ,, Stadt Zürich",
erbaut worden. Die Ringmauer der ,, kleinen Stadt" zeigte
schon 1814 — 1817 allerlei Lücken und Einbrüche, wodurch, wie
Erni (Mem. Tig.) sagt, ,, Gassen und Gebäude mehr Heiterkeit
erhalten". Der Fröschengraben vor der Ringmauer — vom
See bis zum Rennwegtor und von dort nach der Werdmiüile und
bis in die Limmat — erhielt erst am 13. Mai 1817 eine richtige
Zufahrt vom See her, so dass die Weidlinge vom See bis zum
Rennwegtor fahren konnten. An verschiedenen Stellen wurden
steinerne Treppen an den Ufern des Kanals angebradit. Eigent-
lich aber waren es zwei Fröschengräben, der grosse und der kleine
nebeneinander, dazwischen ein mit W^eiden, Nussbäumen und
Linden bepflanzter Wall. Die schönste dieser Linden stand beim
Tiefeiiliof am Paradeplatz. Der Schanzengraben, dessen Be-
stimmung sein Name andeutet, war für die ausserhalb liegenden,
früher schon teilweise zur Stadt gehörenden Gebiete ein schweres
Verkehrshindernis. Zwischen vSihlporte und See bildete das W o 1 1 i s-
hoferpörtchen mit hölzernem Steg den einzigen und nur für
Fussgänger passierbaren Durchlass; die Strasse von Luzern, Zug
o DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH 29
und Schwyz musste im Bleicherweg nach dem Selnau abbiegen
und in grossem Bogen die Sihlporte erreichen. Das Selnau wurde
durch die Befestigung gänzlich von der Stadt getrennt und erhielt
erst nach zwei Jahrhunderten v^ieder eine direkte Verbindung mit
ihr durch die 1854 erbaute Schanzengrabenbrücke. „Im Spitz"
hiess die Gegend beim obersten Teil des Fröschengrabenwalles ;
die ,, Spitzschöpfe" standen ungefähr an der Stelle der heutigen
Börse.
Beim Eingang aufs Bauschänzli stand das Stadthaus (ehe-
mals „Bauhaus"), das bald nach der Vermögensaussonderung zwi-
schen vStaat und Stadt vom Jahre 1803 Sitz der Stadtver-
waltung und des vStadtpräsidenten ward. (Mit seinem Abbruch
wurde im Oktober 1886 begonnen.) Der „Bauplatz" hinter dem
Stadthaus war den Zimmerleuten und Steinmetzen angewiesen. Auf
dem grossen freien Platz „im Kratz" vor dem Stadthaus wurde
Jahrzehnte hindurch Markt gehalten. Der Baugarten mit seiner
einzigartig schönen Aussicht war als Gartenwirtschaft — auch der
\'ater von Ernst Zahn aus Göschenen hat einmal da gewirtet —
auf dem alten Bollwerk beim Kratzturm (x) errichtet; er fiel
1879 samt dem Kratzturm dem Fanatismus der geraden Linie
zum Opfer, als man die Bahnhofstrasse bis zum See fortsetzte.
Umsonst hatten Rud. Alex. Pestalozzi-Wiser und andere Freunde
des Heimatschutzes alle Anstrengungen gemacht, um zu erlangen,
dass durch eine kleine Abdrehung der Achse der Strasse nach
Westen wenigstens der Baugarten erhalten bleibe. Der Kappeler-
hof — nicht der 1886 entstandene pompöse Häuserblock dieses
Namens, sondern sein anspruchsloserer Vorgänger an der Ring-
mauer beim Fröschengraben — war 1814 österreichisches Mihtär-
lazarett, seit 1833 Bezirksverwaltungs- und Stadtgerichtsgebäude
(bis 1859), sowie Parlamentspalast für den Grossen Stadtrat und
enthielt eine Zeitlang auch Schullokale; er verschwand 1878 mit
dem übrigen Kratzquartier. Das zweite Haus limmatwärts, am
Eingang in den ,, Kratz", gegenüber dem ,,Seminarium" (Plan D),
war die Helferei, seit 1835 Pfarrhaus der Fraumünstergemeinde.
Das eben genannte ,,Seminarium" diente dem Alumnat
(,, Zuchthof"), d. h. dem Konvikt der Zöglinge oder ,, Alumnen",
die auf obrigkeitliche Kosten zu Geistlichen ausgebildet wurden
(1832 aufgehoben und in ein Stipendiat ver^A'andelt). Das leitet
30 DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH o
uns hinüber zur Fraumünsterabtei, deren Gebäulichkeiten
zum grossen Teil ebenfalls für Schulzwecke eingerichtet waren,
und zwar umschlossen die Schulräume den innern Kirchhof;
im östlichen Flügel dieses Vierecks war bis 1876 das »Staats-
archiv untergebracht. Die Abteigebäude zunächst der Limmat
sind auf dem Plan mit b b „Fraumünsteramt" bezeichnet; der
eine Teil davon, nächst dem Alumnat, war der frühere Hof der
Äbtissin und des Fraumünsteramtmanns (später Verwaltungs-
gebäude) ; der andere Teil, an die Kirche angebaut, hiess ehedem
,, Haberhaus" und enthielt im obern vStock den Musiksaal.
Gegenüber stand an der Limmat das Kornhaus (von 1835 an
Kaufhaus). ,,Am Freitag war Alarkt, da kamen die Schwaben-
fuhrleute von Winterthur her durchs Halseisen, die ^Marktgasse
hinunter über die untere Brücke und durch die Storchengasse an-
gefahren. Der Platz zwischen Koriüiaus und Fraumünsteramt
war mit Pferden, Wagen, Säcken und offenen ,, Standen", in denen
das Getreide zur Besichtigung der Käufer unter freiem Himmel
ausgestellt war, so ausgefüllt, dass wir uns kaum zur .Schule durch-
drängen konnten . . . Der Zugang zum .Schulhaus war auch hier
etwas kompUziert. Er führte durch den schmalen Hausgang des
Fraumünsteramtes über einen kleinen Platz, an den der Kirchhof
Fraumünster stiess, durch das Gebäude des Staatsarchivs und
einen Teil des ehemaligen Kreuzgangs eine enge winklige Treppe
hinauf in die 1834 neu erstellten .Schulräume. In den Pausen
stürmte alles in den Kreuzgang und ins anstossende Höfli hinunter,
wo man in wildem Geschrei sich herumtrieb." (Dr. F. Meyer.) —
Der übrige Teil des Gebietes der einstigen Abtei ward 1814 noch
hauptsächlich vom Werkhof, der Arbeitsstätte staatlicher Bau-
arbeiter, eingenommen. Gegen den Fröschengraben begrenzte ihn
die 25 Fuss hohe Ringmauer, die samt dem 53 Fuss hohen
Werkhofturm 1829 abgetragen wurde. Durch den Werkliof
legte man 1838 die Poststrasse. — Ums Fraumünster drängten
sich allerhand Krambuden, teils dicht am Chor anklebend, teils
in den Münsterhof vorstehend; die letztem wurden erst 1836
entfernt, die andern nodi viel später.
,,In Gassen" befanden sich 1814 nicht weniger als drei
Zeughäuser; ganz vorne, zwischen,, Waaggasse" imd ,, In Gassen",
das grosse (gelbe) Zeughaus, auch ,, Büchsenhaus" oder ,, altes
o DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH 31
Zeughaus" genannt (jetzt Eisenmagazin Bär im hintern Teil) ;
dann das „Venezianische Zeughaus", jetzt Privathaus ,,zum
alten Zeughaus" am Zeugwartgässchen, mid endlich der „Leuen-
hof" (jetzt französische Warenhalle), in dessen Hof eine Ecke
der Peterskirche hineinragt. — Am alten Kommarkt, jetzt \\'ein-
platz, bewachte den Eingang in die Storchengasse der Rote
Turm, der in den dreissiger und \-ierziger Jahren als radikales
,,Cafe litteraire" zu einer gewissen Berühmtheit gelangte (jetzt
Pelzwarenhandlung Heintze). Das Hotel ,,vSchwert" auf der
,,niedem Brücke" stand um 1814 in seiner Blütezeit. Hier hat
gelegentlich auch Joh. Heinrich Bürkli von der ,, Freitagszeitung"
mit fremden Kriegsobersten getafelt. Er war kein unbedeutender
Mann; Lavater zählte zu seinen Freunden und Goethe hat ihn
gekannt und besucht. Die Bürklische Druckerei befand sich in
der Schipfe. Dort holten jeden Freitag die Boten vom Land
und die Leser in der Stadt ihre ,,Bürkli-Zeitung" ab. Die ,, Zürche-
rische Freitagszeitung" ist die älteste der noch bestehenden Zei-
tungen Zürichs und der Schweiz und eine der ältesten deutschen
Zeitungen überhaupt. Ihr erstes Erscheinen fällt ins Jahr 1674.
Der Gründer der Bürklischen Offizin, Joh. Kaspar Bürkli, kaufte
1724 mit der Hardmej-erschen Druckerei auch das Verlagsrecht
der ,, Freitagszeitung", das dann bis 1890 im Besitz der Familie
Bürkli blieb. David Bürkli, welcher der Firma seinen Namen
gab, führte das Geschäft von 1756 bis 1791, sein Sohn Joh. Hein-
rich David BürkH bis 1821. — Die Augustinerkirche war seit
Aufhebung des Klosters nur Holz- und Fruchtmagazin. Erst 1843
bis 1844 wurde sie samt der anstossenden Münze umgebaut
und den Katholiken wieder überlassen. Im südlichen Flügel des
Klosters war das Almosenamt installiert, im westlichen Flügel
(dem sogenannten Hinteramt oder Rütiamt) befanden sich seit
1805 verschiedene Regierungskanzleien. Im Jahre 1834 wurden
beide Flügel der neugegründeten Hochschule eingeräumt. Über
den ,, Fröschengraben" führte seit 1813 beim alten Augustinertörli
die steinerne Augustinerbrücke. — Den Rennweg schloss noch
bis 1866 ein Tor mit imposanter Bastei ab (ein nach aussen
halbrundes, daher auch Rondell genanntes, nach innen vier-
eckiges Festungswerk). Die Barmherzigkeit des Mittelalters hatte
neben dem Tore ein Kruzifix angebracht zur Tröstung für die
32 DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH o
armen Schacher, die man aus der Stadt zur Richtstätte führte.
Das letzte Haus Unks am Rennweg, gleich innerhalb dem Renmveg-
tor, hiess ,,Der Feuermörser", in welchem seinerzeit Bürgermeister
Melchior Hirzel wohnte. Der Lindenhof, dieser ,, majestätische
Hügel" (Erni, Mem. Tig.) gehört der ältesten Geschichte Zürichs
an. Das Kloster Ötenbach, welches seinen Namen von seinem
früheren Domizil am Ötenbach (Hornbach) am Zürichhom mit
in die Stadt genommen hatte, erhielt schon lange vor 1814 seine
Bestimmung als Zuchthaus (R) und war anfangs auch zugleich
Waisenhaus, bis dann die Waisenkinder 1771 ihren schönen
Neubau (Plan g) bekamen. Im südöstlichen Flügel des alten
Klosters (Plan Oet.) befand sich die Waisenhauskirche, in
welcher bis 1868 Gottesdienst gehalten wurde; den Ostflügel (Q)
bewohnte das Kornamt. Unten an der Limmat lag der Wollen-
hof, von 1702 bis 1867 Sitz der Firma Salomon Escher, welcher
auch Martin Escher-Hess angehörte. Und ganz unten im ,, Spitz"
beim gedeckten Brückh trutzte der Zeit eine Bastei, die spätere
Gärtnerwohnung und Wäscherei des Waisenhauses. Dicht dabei
stand das ,, grüne Hüsli"; es wurde darin einmal ein ,,CafeNord-
balm" geführt; 1867 kam das ,, grüne Hüsli" an die Stadt, wurde
Sitz der ,, Freiwilligen- und Einwohnerarmenpflege" mid ist 1900
verschwunden.
In dieser Gegend mündeten nebeneinander in die Limmat:
der Fröschengraben und der Sihlkanal, die , .zahme Sihl"
genannt im Gegensatz zur ,, wilden Sihl", dem Sihl-Fluss. Das
Dreieck zwischen Limmat und Ringmauer, auf dem das Waisen-
haus steht, hiess der vSihlbühl und sein nördlicher Abhang,
zwischen der Ringmauer am Ötenbach und dem Fröschengraben,
der Beatenrain. Der Sihlkanal, welcher bei der Schortanne
oberhalb dem Sihlhölzli aus der ,, wilden Sihl" abgeleitet worden
war und beim Bau des vSchanzengrabens zunächst der Sihlporte
über diesen hinweg geführt werden musste, diente schon seit dem
13. Jahrhundert zum Betrieb von sechs Mühlen und zur Flösserei.
Noch bis 1868 wurde den Bürgern ihr Bürgemutzungsholz aus dem
Sihlwald auf der zahmen vSihl in die Stadt hinein geschwemmt.
Von den sechs Mülilen seien die folgenden genannt: i. die Stein-
mühle (unterhalb der Sihlporte, rechts vom Löwenbollwerk,
auf einer kleinen Kanalinsel); 2. der Sihlhof, 1866 für den Bau
^ans Conrad Cscßer
der erste Sladipräsident
DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH 33
der Bahnhofstrasse abgetragen. Man findet den Sihlhof im „Sihl-
wiesH", jener dreieckigen Insel zwischen den beiden Armen des
untern Sihlkanals; das länghche Gebäude bei den Bäumen in der
südhchen Spitze des vSihlwiesH ist das „vSihlwiesli-Magazin" (Salz-
magazin), das Haus daneben der „Sihlhof". 3. Die obere Werd-
mühle, bei dem kleinen Inselchen gleich unterhalb dem Sihlhof,
zwischen Sihlkanal und Fröschengraben; unterhalb dem dortigen
Zusammenfluss von drei oder vier Kanalarmen befand sich eine
Säge. 4. Die untere Werdmühle, später Ölmühle oder vSchleife,
sowie auch Säge, zu Füssen des Ötenbach am Beatenrain, die
untersten Gebäulichkeiten zwischen Fröschengraben und Sihl
kanal. Im März 1860 ist die ehemalige untere Werdmülile, Öle,
Säge und Rosshaarfabrik des Herrn Koller mit hundert Stühlen
und massenhaft zur Versendung bereit liegender Ware abgebrannt.
HeTO"ärts der Schanzengrabenmündung stand das alte
Schützenhaus ,,am Platz", das 1849 verlassen wurde. Der
Schützen platz, zwischen Limmat und Sihl, hatte durch die
Festungsbauten seinen ganzen obern Teil verloren, diente aber
noch Jahrhunderte zu Schützenfesten, Exerzitien, Musterungen
und später auch Kadettenmanövern. An den Schützeupiatz,
zwischen den Alleen der spätem Platzpromenade, stiessen die
Bürgergärten, Pflanzland, welches an die Bürger verlost wurde.
Der ,, Platzspitz" bestand bereits 1814 als ,, Lusthain", Gessner-
promenade genannt nach dem dort nach Salomon Gessuers Tod
(1788) errichteten Gtssner-Denkmal (in dem Rondell, süd-
lich davon der Pavillon) . Zum Drahtschmidli hinüber konnte man
mittelst Fähre gelangen, ebenso ans linke Sihlufer in die Gegend
des Kräuel, das spätere ,, Industriequartier". Hier hatte der
unternehmende Rittmeister und Hotelier Ott vom ,, Schwert" für
sich und seine vornehmen Gäste ein reizendes Landhaus errichtet,
das ,,OttengütU", leicht kennthch an den beiden Alleen (beim
gedruckten Namen ,,Sihl-Fluss").
Den Weg an der Reitbahn vorbei weiter südwärts verfolgend
kommen wir in die Gegend von St. Jakob ausser der Stadt.
An die Kapelle war das länghche ,, Siechenhaus" angebaut, das
bis zur Erbauung der Pfrundanstalt vSt. Leonhard (1839) benutzt
wurde. Der kleine Friedhof vor dem Chor der St. Jakobskapelle
war die Ruhestätte der in der nahen ,, Hauptgrube" hingerichteten
3
34 DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH o
Verbrecher (die Hauptgrube lag an der Badenerstrasse, auf dem
Plan gleich ausserhalb am Rande links) ; der andere, dreieckige
Friedhof auf der vSüdwestseite des Siechenhauses diente einem Teil
der St. Peter- Gemeinde (für die Hintersassen und Dienstboten, die
Herrschaften und Bürger kamen nach St. Anna). 1807 erwarben
auch die Katholiken einen eigenen Friedhof beim Siechenhaus ; vor-
her mussten sie ins Kloster Fahr. Nachdem wir die gedeckte Sihl-
brücke (1866 abgebrochen) und die Sihlporte passiert, in deren
Nähe auf dem Katz-Bollwerk 1836 der Botanische Garten
errichtet wurde, teilt sich der Verkehr stadtwärts durch die Sihl-
strasse zum Rennwegtor und den Talacker zum Neumarkt (Parade-
platz). Die Sihlstrasse fülirt uns am St. Anna-Friedhof vorbei,
der von der alten St. Anna-Kapelle den Namen hat. Sie war seit
1807 dem katholischen, seit 1844 dem englischen und zuletzt dem
lutherischen Gottesdienst eingeräumt. Nachdem schon 1840 die
Beerdigungen zu St. Anna aufgehört, ist 1912 auch die Kapelle
verschwunden. Sie hat samt dem ganzen umliegenden Gebäude-
komplex dem St. Annahof des Lebensmittelvereins Platz gemacht.
Die Häuser gegenüber der Kapelle, an der St. Annagasse, hiessen
zum ,, goldenen Winkel"; eines von ihnen enthielt noch Spuren
der ehemaligen »St. .Stephanskirche. Dem Friedhof gegenüber lag
die Füsslische Giesserei, an deren Stelle 1864 die ,,neue
St. Annakapelle" von Mathilde Escher errichtet wurde, und
hinter dieser Liegenschaft, an der Sihlstrasse, gegenüber der Stein-
mühle, das alte Glockenhaus. Das Glockenhaus, die neue
St. Annakapelle und die Häuser im Goldenen Winkel sind 1910
wegrasiert worden, und es erheben sich nun dort in mächtigem
Häuserblock die Bauten des Christlichen \'ereins junger ^länner,
das Famihenhotel Glockenliof, die neue St. Anna- Kapelle und
das Freie Gymnasium. Das letztere ist unmittelbar benachbart
dem ,, Felsenhof" an der Pelikanstrasse, der Wohnung Hans
Kaspar Eschers von der Neumühle.
Auf der Sihlstrasse weiter schreitend, kommen wir in den Be-
reich der Seidenhöfe, die uns mit einer ganzen Kolonie zürche-
risclier Zelebritäten aufwarten können. Da ist zunächst der Alte
Seidenhof, an der Gabelmig von Sihlstrasse imd Seideugasse;
hier wohnte unter andern Generalfeldzeugmeister Hans Georg
Werdmüller, der die Fortifikation der grossen Stadt durchführte;
o DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH 35
dann Pfarrer und Kirchenrat Salomon Vögelin, Verfasser des ,, Alten
Zürich", femer sein Sohn, der Professor für alte Sprachen am
GjTnnasium, Anton Salomon Vögelin; auch der Aquarellist und
Dialektdichter Leonhard Steiner stammt aus dem Alten Seidenhof ;
in den letzten Jahrzehnten hatte der Kaufmännische Verein sein
Heim im alten Seidenhof. — Ihm gegenüber, auf der andern Seite
des Eingangs in der Seidengasse, steht der Neue Seidenhof,
heute Sihlstrasse Nr. 16, mit zwei Hintergebäuden (Nr. 8 und 10).
Hier wurden geboren und wohnten : Hans Konrad Escher von der
Linth, Erbauer des Linthkanals; sein vSohn, der Naturforscher
Professor Arnold Escher von der Linth; Rittmeister und Stadt-
präsident Georg Bürkli, Seidenindustrieller, und dessen drei Söhne :
Adolf Bürkli, Oberfeuerkommandant; Konrad BürkH, Präsident
der Kaufmännischen Gesellschaft; Stadtingenieur Dr. Arnold
Bürkli, Schöpfer der Quaianlagen. — Das Eckhaus vis-ä-vis,
Sihlstrasse Nr. 7, jetzt City-Hotel, war der Gelbe Seidenhof,
Geburtshaus des eidgenössischen Münzdirektors Escher-Platel.
Im ,,Schmidtenhaus" nebenan, Sihlstrasse Nr. 5, wurde geboren
der Afrikareisende und Direktor des Botanischen Gartens Professor
Dr. Hans Schinz, im ,,Usterihaus", Sihlstrasse Nr. 3, Ständerat
Dr. Paul Usteri. Das äusserste Haus in der Reihe gegen den
Fröschengraben hiess ,,zum Brünneli", nach dem auf dem Plan
verzeichneten Brunnen. EndHch ist noch zu nennen der Grüne
Seidenhof, dem Brünneli gegenüber (heute Warenhaus Jelmoli).
Er war das väterliche Haus von Ingenieur Albert Vögeli, aus dessen
,, Jugenderinnerungen" wir hier schöpfen. In diesem Haus wohnte
als Älieter Erziehungsrat Ferdinand Meyer, der Vater des Dichters
Conrad Ferdinand Meyer, und Albert Vögeli wusste allerlei zu
erzählen von dem menschenscheuen Jüngling und seiner lebens-
lustigen Schwester Betsy. Zwischen dem Grünen Seidenhof und
dem Rennwegtor stand die Trülle, das stattliche und heimelige
Wohnliaus von Stadtpräsident Dr. Melchior Römer. In der ,, Trülle"
wohnte auch, von 1876 bis 1883, Professor Oswald Heer, der
berühmte Naturforscher, und verbrachte Nationalrat Vögelin seine
letzten Lebensjahre.
Nun noch von der Sihlporte durch den Talacker nach der
Stadt! Wir grüssen im Vorbeigehen das Talegg, wo der liebens-
würdige Martin Usteri wohnte und dichtete (am Pelikanplätzli
36 DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH o
links, Nr. 34). Rechts kommt die Kaserne, ehemals das ,, grosse
Magazin"; es musste 1798 in aller Geschwindigkeit zur Kaserne
mngevvandelt werden, als die Franzosen kamen. An ihrer Stelle
stehen jetzt die Häuser Talacker Nr. 21 und 23. Am innem Ende
des Talacker lag das grosse Viereck des Feldhofs, das Kriegs-
Munitionshaus zur Aufbewahrung der Geschütze samt Zubehör.
Das Haus in der Glitte des Hofes war die Wohnung des Zeugherrn.
Das Haupttor öffnete sich nach dem Neumarkt, der bis 1819
,, Säumarkt" hiess, seit 1865 aber den stolzen Namen ,, Parade-
platz" führt. An den Neumarkt grenzte südhch die Liegenschaft
zum , .Tiefenhof" mit ihren ausgedehnten Gärten. Das Bürklische
Haus an der Ecke gegen den Fröschengraben wurde Ende der
dreissiger Jahre entfernt und die Tiefen hoflinde frei gelegt; es
war ihr noch zwei Jahrzehnte zu leben \-ergünnt.
Viele der Namen, die auf dem Rundgang durch das alte Zürich
uns vor Augen kamen, werden auf den folgenden Blättern ims
wieder begegnen. Eingeschnürt von seinem Festungsgürtel, bot
das alte Zürich nur einer massigen Bevölkerungszahl Raum und
Existenz. Am i. Dezember 1812 zählte mau nach dem Bürgeretat
7828 Bürger und 2647 Ansässen, zusammen 10,475 Einwohner.
Von den Ansässen waren 2194 Kantonsbürger, 277 Schweizer-
bürger, 80 französische Bürger (die im alten Zürich immer eine
besondere Stellung einnahmen und nicht zu den übrigen Aus-
ländem gezählt wurden), und endhch 96 ,, Bürger fremder Staaten".
Am I. Dezember 1814 waren es 7669 Bürger; die Ansässen wurden
damals nicht gezählt. — Es war aber um jene Zeit auch schon
niclit mehr das ganz alte Zürich, das nächthcherweile ,, pechschwarz
verblieb, wenn der Mond nicht gerade dabei war, und jeder Bürger
mit einer eigenen Blendlateriie über die Strasse sicli forthalf wie
ein Leuchtkäfer: da stralilte auf der ,, untern Brugk" schon die
erste Laterne, die im Jahre 1778 öffentlich ausgehängt wurde.
Sie war zur Bedienmig der Hauptwache und des Rathauses \-om
Beginne der Nacht bis zum Torschlüsse aller Stadtporten hellauf,
so schlecht und so recht es ihr immer gelang." (Olga Amberger.)
Eine zweite Laterne — beide von Privaten gestiftet — brannte
oben an der ]\Iarktgasse, und bald kamen noch einige andere in
den Hauptstrassen dazu. Nach und nach erschien der Bürger-
schaft der Nutzen dieser Strassenlaternen so ,, einleuchtend", dass
^ans Jfeinridi JLoandolt
StadIpräsiJeni
o DRITTES KAPITEL: STADT UND FESTUNG ZÜRICH 37
die Bürgen-ersanimlung vom 31. Juli 1S06 im Grossmiinster den
Beschluss fasste, die Stadt solle inskünftig von 160 Laternen
beleuchtet werden, woran jede Haushaltung ein Gewisses beizu-
tragen habe. Zürich im Glanz seiner hundertsechzig Laternen,
den eine sparsame Stadtverwaltung auf wenige Abendstunden
zubilHgte, erfüllte doch seine Bürger mit nicht geringerem Stolz
als uns die heutige Grosstadt in ihrer permanenten Illumination.
♦»♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦«
VIERTES KAPITEL
DER ERSTE STADTPRÄSIDENT
Die Wiege der zürcherischen Stadtverwaltung bewachten fran-
zösische Bajonette. Unsere gute Landesmutter, die „Stadt
und Republik Zürich", war am 13. März 1798 gestorben,
und auf den Zunftstuben Zürichs flössen herbe Männerzähren
um ihren Tod. Sagt was ihr wollt von ihrem Regiment, das Urteil
der Geschichte ist ihm längst gerecht geworden. Es war ein er-
schütternder Augenbhck, als an jenem 13. März die alte Zürcher
Regierung durch den ehrwürdigen Amtsbürgermeister Kilch-
sperger ihre Gewalt in die Hände der Landeskommission nieder-
legte. Nun gab es auf Jahre hinaus keinen Kanton Zürich melir,
nur noch eine ,,Präfektur" der einen und unteilbaren helvetischen
Republik. Die Stadt Zürich aber, ihrer Herrscherkrone beraubt,
sah sich zur gewöhnlichen ,, Commune" degradiert. So betäubend
wirkte der .Schlag auf ihre Bürger, dass man wochenlang nicht
daran dachte, der selbständig gewordenen Gemeinde nun auch
eine eigene Verwaltung zu geben. Erst als es zur Gewissheit
wurde, dass trotz aller gegenteiUgen Versprechungen die Fran-
zosen am 26. April doch kommen würden, stellten in der Nacht
vorher einige jüngere Leute die Liste für eine ,, provisorische
Munizipalität" zusammen und liessen sie am Morgen durch
eine grössere Bürgerversammlung wählen. Präsident dieser ersten
Stadtbehörde wurde der ,, Bürger" Hans Conrad Escher, alt
Seckelmeister (geb. 8. Oktober 1743, t 12. Dezember 1814 kurz
nach seiner Wahl zum Bürgermeister). Auch ,, Bürger" Hans
Reinhard befand sich unter den 20 En^-ählten.
Einstweilen hatte die IMunizipalität freilich mehr für die
Franzosen als für die eigenen Bürger zu sorgen. Sie war ihnen
das Mädchen für alles. Das erste Geschäft in der ersten Sitzung
am 26. April I7q8 betraf die Einrichtung des grossen ]\Iagazins
im Talacker zur Kaserne, und die ]\Iitgheder Bürger Ott und
Tobler wurden auf die Umschau bei den Glasermeistern ,,nach
o VIERTES KAPITEL: DER ERSTE STADTPRÄSIDENT 39
etwan vorräthigen alten Fenstern" ausgesandt. Und als die
Franzosen dann wirküdi da waren, fingen die Zumutungen erst
recht an, für deren Erfüllung sich die Munizipalität von der Ver-
waltungskammer und dem fränkischen Commissariat die Kompe-
tenzen erst erbitten, die allernötigsten ersten Betriebsmittel aber
als Beitrag aus dem „sequestrierten Aerario" förmhch erbetteln
musste. Daneben hatte die jMunizipaHtät auch noch für die gut
patriotische, d. h. helvetische Gesinnung zu sorgen. Wiederholt
wurde ihr der ausschliessliche Gebrauch des ,,Tituls Bürger" in
allen Dikasterien eingeschärft. Zürcher Schilde, I^öwen und
andere Insignien des Adels oder der alten Regierung waren auch
an den Privathäusem zu entfernen. Den ,, Patriotismus" hatte
man, wie heute das rote Bändeli an der Maifeier, ,, sichtbar zu
tragen". Die Mitglieder der Munizipalität dekorierten sich mit
der dreifarbigen »Schärpe, für die Bürger war das Tragen der
helvetischen Cocarde (grün-gelb-rot) obligatorisch — die Zürcher
Farben Weiss-Blau waren verpönt und abgetan — ; auch L,and-
leute, die in die Stadt kamen, hatten sich mit der Cocarde zu ver-
sehen, wollten sie nicht Gefahr laufen, ,, wegen Ungehorsams"
vom fränkischen Militär angehalten zu werden (Schreiben des
Platzkommandanten Gore vom 17. Juli 1798). Es gab nun einmal
nichts anderes als mit den fränkischen Wölfen zu heulen. Das
begriff auch ohne weiteres das Tagblatt, damals ,, Hochobrig-
keitlich bewilligtes Donnstagsblatt " , das den jungen Morgen
des 22. März 1798 mit dem jauchzenden Aufschrei ,,Freyheit!
— Gleichheit!" begrüsste (am Tag zuvor hatte die Kantonal-
versammlung die helvetische \^erfassung angenommen). ,,Frey-
heit" und ,, Gleichheit" blieben fortan, statt der bisher vorge-
druckten hochobrigkeitUchen Bewilligung, als Zierde am Kopf
des Blattes, verschwanden während des österreichisch-russischen
Interregnums und kehrten hernach in etwas kleinerer Schrift
wieder zurück. Dieselbe anmutige Abwechslung zeigt das Proto-
koll der Munizipahtät im Gebrauch der Titel ,, Bürger" oder dann
wieder ,, Junker" und ,,Herr". Hie und da mochte die fränkische
fraternite der Munizipahtät etwas allzu aufdringhch vorkommen,
so z. B. am 21. Januar 1799, als sie am Festmahl Massenas auf
der ,, Meisen" zur Erinnerung an die Enthauptung Ludwigs XVI.
teilzunehmen hatte und abends vor dem illuminierten Rechberg
40 VIERTES KAPITEL: DER ERSTE STADTPRÄSIDENT o
der Präsident alt Seckelmeister Escher mit dem jedenfalls nicht
mehr nüchternen General die Carmaguole tanzen musste.
Die Franzosen hessen sich die Freiheit und Gleichheit, mit
der sie uns beglückten, schwer bezahlen (was sie uns sonst noch
alles brachten, kriegte man freihch gratis). Kommissär Lecarlier
präsentierte schon am 8. April 1798 den Mitgliedern der alten
Zürcher Regierung eine Rechnung von 3 Millionen, und die Kom-
missäre Rapinat, Rouhiere und Pommier erbrachen und plünderten
am 5. Juni das Schatzgewölbe im Grossmünster. Den Protesten
des helvetischen Statthalters Pfenninger antwortete nur ein
höhnisches Grinsen: ,,Voilä les baj^onettes!" Man durfte nicht
mucksen. Die Redaktoren der ,, Freitagszeitung" und der ,, Zürcher
Zeitung", die den Vorgang beim Grossmünster einfach berichtet
hatten, ohne Bemerkungen daran zu knüpfen, wTirden vor den
General Schauenburg zitiert, der sie wutschnaubend anfuhr und
mit ,, hundert Arsprügeln" bedrohte, wenn sie weiter derartiges
berichteten. Die grösste Mühe musste die Munizipalität auf-
wenden, damit nicht alles, was unzweifeUiaft der Stadt und nur
der vStadt gehörte — wie der Chorherrenstiftsfond, Direktorial-
fond, Pf rund Verbesserungsfond usw. — , in dem unersätthchen
Schlund des ,, hei vetischen Nationalguts" verschwinde. Staats-
und Stadtvermögen, bisher eins und dasselbe, waren ja noch gar
nicht ausgeschieden, und es bedurfte eines langen, zähen Ringens
von Seiten der Munizipalität, um für die Stadt das ihrige sicher-
zustellen. Hier hat sich besonders Reinhard verdient gemacht. Das
helvetische Gesetz \-om 3. April 1799 ermöglichte die vorläufige
Ausscheidung, kam aber in Zürich nie zur Ausführung. Erst die
Mediation brachte am i. September 1803 die richtige Aussteue-
rungsurkunde für die Stadt Zürich, der am 22. Juli 1805 noch
ein sog. ,,Abchurungsinstrument" für die Ausführung folgte.
Es wurde — abgesehen von den der Bürgergemeinde zustehenden
Fonds und Stiftungen — ganz detailHert zusammengerechnet,
was die Stadt für Bewachung der Tore, Pohzeidienst und alle
ihre sonstigen öffentUchen Aufgaben aufwenden müsse; man war
so auf eine Summe von 70,500 Fr. gekommen und hatte der Stadt
Einkünfte im gleichen Betrage zugeschieden. Noch nach hundert
Jahren, 1905, kamen die Abmachungen von 1803 zur Anwendung
beim Auskauf der städtischen Freiplätze in der Spannweid.
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o VIERTES KAPITEL: DER ERSTE STADTPRÄSIDENT 41
1799 war für die I\Iunizipalität ein besonders bewegtes Jahr.
Mitten im Schlachtenungewitter hielt sie getreulich ihre „durch
Abwechslung permanenten" Sitzungen. Am 3. Juni notiert der
wackere Sekretär Hofmeister, dass keine förmliche Session ge-
halten werden könne, „indem das von der Höhe bei Wytikon
bis an den See den ganzen Tag über dauernde Gefecht nur augen-
blickhche Dispositionen zuliess". Desgleichen am 4. Juni, da die
Schlacht auch bei den Redouten begann und bis in die Nacht
um die grosse Stadt her tobte. Massena retirierte am 6. Juni,
aber nur bis an den Ütliberg, und warf sich dann am 25. September
mit neuer Wucht auf die Russen unter Korsakow, die am 28. Au-
gust die inzwischen abberufenen Österreicher ersetzt hatten. Das
Protokoll gibt in wenigen Sätzen ein anschauliches Bild der zweiten
Schlacht bei Zürich und der furchtbaren Verwirrung, die in der
Stadt beim Abzug Korsakows durch die ihm einzig noch offen
stehende Oberdorfpforte entstand. Dann wird kaltblütig beige-
fügt: „Diesen vorgehenden Unordnungen zu steuern nicht im-
stande, war man wenigstens bemüht, die von allen Seiten eingehen-
den Klagen (der geschädigten Bürger) zu derjenigen Gelassenheit
herabzustimmen, welche zu möglichster Beibehaltung der öffent-
hchen Ruhe und Sicherheit erforderlich schien." In der Munizipah-
tät sollten nun einige Lücken wieder ausgefüllt werden. Den mit
andern Notabihtäten im April verhafteten und nach Basel depor-
tierten Bürgern Reinhard und Pestalutz wurden ihre Plätze aus-
drückUch offen behalten ; zu ersetzen waren dagegen \'ier MitgUeder,
darunter der Präsident alt Seckelmeister Hans Konrad Escher, die
am 20. Juni in die kurzlebige kantonale Interimsregierung berufen
worden waren. Diese hatte sich gebildet in der verfrühten Hoff-
nung, der österreichische Sieg werde nun auch dem helvetischen
Elend in Zürich ein Ende machen. Aber nicht eher als am 25. No-
vember 1799 konnte die im Oktober neugewählte Munizipali-
tät sich konstituieren. Reinhard führte das Präsidium, bis er am
IG. November 1801 das Amt des Regierungsstatthalters antrat.
Die heftigen pohtischen Kämpfe zwischen den helvetischen
Unitariern und den Föderalisten verraten sich vielfach auch im
Protokoll der ,, konstituierten Munizipahtät" von Zürich. Auf
ganz Schlimmes deutete im September 1802 der Wiederbeginn
dieser verwünschten Dauersitzungen Tag und Nacht. — Hannibal
42 VIERTES KAPITEL: DER ERSTE STADTPRÄSIDENT o
ante portas! — Der helvetische General Andermatt war vor
den Porten der kleinen Stadt erschienen und hatte die „fast un-
glaubhche" Forderung gestellt, ihm binnen einer halben Stunde
den Durchmarsch zu gestatten, und als dem nicht entsprochen
wurde, fing ein ,, unerhörtes Bombardement mit Haubitzgranaten
an, welches über zwei Stunden fortwütete" (Prot. v. lo. Sept.).
Am II. erfolgte die ,, Überfahrt der Helvetier" über den See nach
Erlenbach und Küsnacht, in der Nacht vom 12./13. ein zweites
Bombardement aus drei Batterien, diesmal auch mit glühenden
Kugeln. In den Spital allein fielen 28 Granaten und 4 glühende
Kugeln, und es war ein unbegreifUches Wunder, dass nur eine
Person, Diakon Schulthess, tötlich verletzt wurde. Die Ankunft
des helvetischen Kommissärs v. May von Bern machte der tollen
Belagerung Zürichs ein Ende, und am 16. September zogen die
„Helvekler" unter Spott und Hohn der Zürcher ab. Die Franzosen
waren um jene Zeit lücht mehr da. Napoleon hatte sie abberufen,
w'ohl wissend, dass dann seine lieben Helvetier so hintereinander
kommen würden, wie er es wünschte, um im gegebenen ^Moment
als Retter und Vermittler sich anbieten zu können. Der Abzug
der Franzosen von Zürich begann am .Samstag den 31. Juli 1802.
Am Sonntag brachte ihre Musik dem vStatthalter im Steinhaus
und der Munizipalität ein vStändchen und spielte zum Abschied
eine Weile auf der obern und untern Brücke. Aber wie lange
dauerte es, und die Zeitungen verkündeten : Die Franzosen kommen
wieder! Der ,, Junker Regierungsstatthalter" Reinhard war schon
im April 1802 wieder abgesetzt worden, sein Nachfolger Ulrich
demissionierte am 3. September und dessen Stellvertreter Hof-
meister verweigerte nach der Behandlung Zürichs durch den
,, feigen Mordbrenner" Andermatt, wie er sich ausdrückte, den
weitern Dienst. vSo musste denn am 28. Oktober der französische
General Dombowsky den neuen helvetischen Statthalter Koller
in Zürich einfüliren. Reinhard wurde (als Präsident der zweiten,
am 25. September gebildeten Interimsregierung) am 11. November
auf dem Zunfthaus Zimmerleuten verhaftet, als er sich eben zur
Abreise an die von Napoleon nach Paris einberufene helvetische
Consulta anschickte. Die Bemühungen der Munizipalität und die
Fürsprache des Generals Seras ermöglichten es ihm, mit einigen
Tagen Verspätung doch nach Paris zu gehen.
i
o VIERTES KAPITEL: DER ERSTE STADTPRÄSIDENT 43
Die Mediationsakte Napoleons vom 19. Februar 1803
machte aus der Schweiz wieder einen Föderativstaat von 19 sou-
veränen Kantonen. Sie gab dem Kanton Zürich seine erste Ver-
fassung, der Stadt Zürich ihren „Gemeinderat" an Stelle
der helvetisch-französischen „Munizipalität". Der Gemeinderat
wurde erstmals am 19. Juni 1803 und den folgenden Tagen von
der „Generalversammlung" der Bürgerschaft gewählt. Er bestand
aus 15 Mitgliedern, von denen alljährlich ein Drittel der Erneue-
rungswahl unterlag. Auch der Präsident des Gemeinde-
rats wurde von der Generalversammlung gewählt. Für ihn scheint
sich zuerst in der Umgangssprache der Titel ,, Stadtpräsident"
eingebürgert zu haben, bevor derselbe offizielle Bezeichnung
wurde; immerhin sagt doch schon das Protokoll des Gemeinde-
rates vom 30. Juni 1803, wenn auch mehr beiläufig, dass ,,der
Herr Stadtpräsident" Escher mit dem Quästor Bürkli den
General Barbou zu begrüssen habe, und am 2. Mai 1804 wird
beschlossen, dass ,,der Herr Stadtpräsident" ohne weiteres das
Präsidium an der Generalversammlung zu führen habe. (Zum
Sitz des Stadtrats wurde am 16. Februar 1804 das bisherige Bau-
haus bestimmt; bisher war man bei den Konstaffeln zu Gast.)
Das Protokoll der Behörde geht vom 5. auf den 11. JuU 1804
ganz unvermittelt zur Bezeichnung ,, Stadtrat" für den Ge-
meinderat über; aus der Munizipalität war auch der Sekretär
Hans Heinrich Hofmeister in den Gemeinderat herüber-
genommen und alsdann zum ersten Stadtschreiber befördert
worden, welches Amt er noch bis 1830 mit Auszeichnung versah.
„Stadtschreiber" gab es allerdings auch schon vor 1798, aber mit
anderm Pflichtenkreis; z. B. war der Bürgermeister Hans Konrad
von Escher, der Jüngere, gewählt 1803, im Jahr 1794 ,, Stadt-
schreiber". Um es hier gleich anzuführen: wir haben nämUch
seit 1803 auch wieder einen ordentlichen Bürgermeister (d. h.
Regierungspräsidenten!) im Kanton Zürich, oder vielmehr,
wie früher , deren zwei, die sich j ährlich im Präsidium ab-
lösen, mit dem Unterschied aber, dass sie mit der Stadtver-
waltung nichts mehr zu tun haben und nicht etwa mit den
gleichzeitigen Stadtpräsidenten zu verwechseln sind. Die
ersten zwei Bürgermeister, welche nach dem helvetischen Tohu-
wabohu gewählt wurden, waren Hans v. Reinhard und der eben
44 VIERTES KAPITEL: DER ERSTE STADTPRÄSIDENT o
genannte Hans Konrad v. Escher. In den Kleinen Rat, dessen
engerer Ausschuss „diplomatische Kommission", später ,, Staats-
rat" hiess, wählte der neue Grosse Rat am gleichen i8. April 1803
neben 20 Aristokraten nur 5 Demokraten! Die ,,gute alte Zeit"
kündigte ihre Rückkehr an.
Der erste Stadtpräsident von Zürich, von der
,, General Versammlung" gewählt am 19. Juni 1803, war Hans
Konrad Escher vom Pfauen in der Froschau, geb. den 7. April
1743, t 8. Januar 1814. Nach dem Werk von Dr. C. Keller-Escher
über die Familie Escher vom Glas besuchte Hans Konrad Escher
die gelehrten Schulen seiner Vaterstadt, trat 1763 eine längere
Auslandreise an und beteihgte sich hierauf im väterlichen Fabri-
kation-sgeschäft. Im Jahre 1778 wurde er ,, Zwölfer zu Schuh-
machern" (d. h. einer der zwölf Grossräte, welche die Zmift zu
Schuhmachern zu wählen hatte), am 31. Januar 1794 Zunftmeister
und Mitghed des Kleineu Rats (,, Ratsherr"). Noch im gleichen
Jahre wurde ihm die Ober\'Ogtei Erlenbach übertragen, und im
Jahre 1796 entsandte ihn die Regierung als Obervogt auf den
schwierigen Posten von Stäfa. Beim Ausbruch der Revolution
und der kriegerischen Unternehmungen Frankreichs gegen die
Republik Benr befand sich Escher als Mitghed des eidgenössischen
Kriegsrates in Bern. Nach seiner Rückkehr wählten ihn seine Mit-
bürger zum Mitghed der Landesversammlung, und diese übertrug
ihm das verantwortungsvolle Amt des Kantonskriegskommissärs,
das er in allen Stürmen bis zur Einführung der Mediationsakte
mit Treue und Gewissenhaftigkeit bekleidete. 1803 kam Escher
wieder in den Grossen Rat; bald darauf wurde er vStadtpräsident
und gleichzeitig ernannte ihn die Regierung zum Bezirksstatt-
halter. Am 31. Dezember 1803 erhielt er die Stelle eines \'er-
walters des Obmannamtes, als welcher er die Einkünfte der zur
Reformationszeit säkularisierten Klöster zu beziehen und zu be-
sorgen hatte wie früher der ,, Obmann gemeiner Klöster"; er
resignierte daher nach einigen Monaten als Stadtpräsident. Sein
Urenkel, Dr. Conrad Escher-Ziegler, hat ihm in einer pietätvollen
Biographie ein ehrendes Denkmal gestiftet.
Hans Rudolf Werdmüller, der zweite Stadtpräsident
(geb. 12. Juni 1756, f 9- Juni 1825 im Pfarrhaus zu Elgg), war
Kaufmann im Alten Seidenhof. Er wurde am 4. September 1798
^ans Qeorg ^msfer
Siadfpräsident
o VIERTES KAPITEL: DER ERSTE STADTPRÄSIDENT 45
zum ^litglied der provisorischen Munizipalität gewählt und be-
sorgte meist das Quästorat. Dem Grossen Rat hatte er als „Acht-
zehner zu Konstaffel" von 1791 bis 1798 angehört. Im Juni 1803
trat er in den Gemeinderat, und nachdem Hans Conrad Escher
am 2. Mai 1804 zurückgetreten war, wurde Werdmüller am darauf-
folgenden 7. Mai von der Generalversammlung zum Stadtpräsi-
denten gewählt. Haushohes und geschäftliches Unglück veran-
lasste ihn, am 23. Dezember 1809 seinen Rücktritt zu erklären.
Der Fall war schwierig und es bedurfte für den erfahrenen Stadt-
schreiber einer kunstvoll aufgebauten Satzperiode von neimund-
zwanzig Zeilen und zweihundertsiebenunddreissig Worten, um
Dank, Anerkennung, Bedauern und ]VIitgefühl in geziemender
Form zum Ausdruck zu bringen. Werdmüller verwaltete nach
seinem Rücktritt noch eine Zeitlang das Schlossgut von Elgg
(Familienfideikommiss), bis er schhesshch noch erbhndete.
Zum dritten Stadtpräsidenten erhielt Zürich Hans Hein-
rich Landolt ,,auf dem Graben" (geb. 13. August 1763, f 10. Ja-
nuar 1850). Er war Mitghed des Stadtgerichtes (für Zi\ilstreitig-
keiten), 1794 des Grossen Rats als ,, Zwölfer" von der »Schneidern,
1795 Assessor Synodi, 1797 ,,Schultheiss", wie der Präsident des
Stadtgerichts tituhert wurde. Einige Jahre zuvor hatte Landolt
das väterhche Haus (des Bürgermeisters Heinrich Landolt im Burg-
hof) verlassen, nachdem er sich den prächtigen Sitz zum Linden-
thal erbaut hatte, der dann später durch die Munifizenz seines
Enkels, Stadtrat Heinrich Landolt-Mousson, in das Eigentum der
Stadt überging. Hans Heinrich Landolt wurde am 3. Januar 1805
Mitghed des Stadtrates und Stadtseckelmeister, am 8. ]Mai 1810
Stadtpräsident. Zum Mitglied des Kleinen Rates gewählt, trat er
im Dezember 1814 als Stadtpräsident zurück, und der Stadtrat
entsandte eine Gratulationsdeputation zu seiner Beförderung an
ihn. Gleichzeitig war auch der neugewählte Bürgermeister Junker
DaN-id Wj'ss zu beglückwünschen, und es gab da feine Unter-
schiede des Zeremoniells : zum Junker Bürgermeister ging der Stadt-
rat in corpore in schwarzer Kleidung, mit Degen und in Begleitung
des Stadtschreibers, sowie eines Weibels in den Stadtfarben ; zum
Ratsherrn Landolt ohne Degen und vStadtfarben.
Hans Georg Finsler, der vierte Stadtpräsident (geb.
23. Mai 1748, t 29. März 1821) wohnte im Haus zu ,, allen Winden"
46 VIERTES KAPITEL: DER ERSTE STADTPRÄSIDENT o
im Kratz. Er war vSeidenfabrikant, 1775 Zunftsclireiber, 1787
Zwölfer von der Meisen, Oberst der Artillerie, 1803 Stadtrat und
Bauherr, vStadtpräsident vom 24. Mai 1815 bis zu seinem Tod.
Ausdrücklich wird im Protokoll vom 30. Mai 1815 die Übergabe
der vStadtschlüssel von seinem Vorgänger an Finsler erwähnt.
In die Amtszeit Finslers fällt eine wichtige Änderung der Stadt-
verfassung, und zwar, vom demokratischen Standpunkt aus ge-
sehen, wieder in rückschritthchem Sinne. Das vom Grossen Rat
am 14. Juni 1816 angenommene Gesetz betr. die Organisation
der Stadträte von Zürich und Winterthur schaffte die bisherigen
General- und vSektionsversammlungen der Bürgerschaft ab. Bisher
w'ar die Stadt für gewisse Wahlen und \^erwaltungszwecke in drei
vSektionen eingeteilt: i. »Sektion grosse vStadt, oberer Teil (bis zu
den Strassen von der Kronenporte zur Marktgasse) ; 2. Sektion
grosse Stadt, unterer Teil; 3. Sektion kleine vStadt. Die General-
versammlung hatte u. a. den Stadtrat und Stadtpräsidenten zu
wählen. Jetzt wurden alle diese Kompetenzen der Sektionen und
Generalversammlung einer neuen Körperschaft, dem grössern
Stadtrat, übertragen, in den die Zünfte 52 Mitglieder zu wählen
hatten (jede der 13 Zünfte 4 Mitglieder) und dem der engere
Stadtrat mit Stimmrecht ex officio angehörte (total also 67 ;\Iit-
gheder). Als Sitzungslokal wurde vorerst der ]\Iusiksaal bestimmt.
Den Mitgliedern des grossem Stadtrates war für die Sitzungen
schwarze Kleidung vorgeschrieben. Als Anrede in den Sitzungen
setzte der Stadtrat nach reiflicher Erdauerung am 2. Juli fest:
,,Herr Präsident! Hochzuverehrende, hochgeschätzte Herren!"
Fünfter Stadtpräsident: Hans Konrad Vogel von der
,, Sonnenblume" an derötenbachergasse (geb. den 11. Oktober 1750
in Knonau als vSohn des dortigen Landvogte, f den 28. Februar
1835). Er wurde 1773 Zunftschreiber zu Zimmerleuten, 1777
Proselytenschreiber, 1781 Zwölfer,' 1782 Assessor und Almosen-
pfleger, 1785 Obmann im Almosenamt, 1793 Examinator (kirch-
liche Aufsichts- und Verwaltungsbehörde mit Vorschlagsrecht für
die Pfarrstellen ; eine Kommission dieser Behörde hatte mit Zuzug
der Chorherren die Theologiekandidaten zu prüfen. An die Stelle
des Examinatorenkonvents trat später der Kirchenrat, dem Vogel
ebenfalls angehörte). Er war am 25. ]\Iai 1799 in die provisorische
Munizipalität gewählt worden, aber sein Name verschwindet —
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Qeorg Conrad Q}ürkli
Sfadfp ras Ide n i
o VIERTES KAPITEL: DER ERSTE STADTPRÄSIDENT 47
wie der anderer Mitglieder — bald wieder aus dem Protokoll. Im
Jahre 1803 kam \'ogel in den Stadtrat, am 14. Januar 1805 in
das französische Konsistorium. Zum Stadtpräsidenten wurde er
vom grossem Stadtrat am 12. April 1821 gewählt. Er demis-
sionierte am 30. November 1830 aus Altersrücksichten. In sein
letztes Amtsjahr fällt eine neue Änderung der Stadtverfassung.
Der Stadtrat wurde auf 13 Mitgheder reduziert, die auch dem
grossem Stadtrat angehörten; die andern 60 Mitglieder dieser
Behörde wählten die Zünfte, und zwar jede so viele als sie Mit-
glieder des Grossen Rates zu wählen hatte.
Der sechste Stadtpräsident: Georg Conrad Bürkli, Kauf-
marm im Tiefenhof und Talhof, später im Neuen Seidenhof (geb.
den 2. Juni 1787, f den 5. März 1873), hatte eine Tochter
(Dorothea) Eschers von der lyinth zur Frau. Er war Rittmeister,
oberster Feuerwehrkommandant, kam am 12. April 1821 in den
Stadtrat und wurde am 18. Januar 1831 zum Stadtpräsidenten
gewählt. Er verabschiedete sich aber schon am 14. September
gleichen Jahres wieder von seinen Kollegen, da er für die am
gleichen Nachmittag noch stattfindenden Neuwahlen nicht mehr
zu kandidieren gedachte.
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FÜNFTES KAPITEL
FURSTENBESUCHE
Um den „hinreissenden Anblick des Züriclisees" zu geniessen
machte die Kaiserin Marie Luise am 6. Maii8i4 von Schaff-
hausen aus einen Abstecher nach Zürich. Doch nur wenigen Be-
wohnern der Stadt war es vergönnt, die Gemahhn Napoleons und
Tochter des Kaisers Franz von Angesicht zu sehen. Sie reiste
im strengsten Inkognito und empfing nicht einmal den Gesandten
V. vSchraut; vor den neugierigen Blicken des Pubhkums schützte
sie ein grosser Hut. Der Wirt zum „Schwert" musste der Kaiserin
auf dem WerdmüUerschen Landgut zu Wolhshofen ein Diner
servieren; dann machte sie eine Seepartie und stieg zum Nidelbad
hinan, von wo aus sich ihr bei dem prächtigen Wetter der Zürich-
see in seiner ganzen Schönheit zeigte. Abends kehrte die Kaiserin
nach Schaffhausen zurück, und folgenden Tages verreiste sie mit
ihrem Gefolge von 62 Personen nach Konstanz. 119 Pferde standen
auf jeder »Station zum Auswechseln bereit.
Marie Luise von Frankreich war nur die Vorläuferin einer
ganzen Reihe von fürstlichen Personen, welche anno 181 4 und
die folgenden Jahre Zürich mit ihrem Besuch beehrten. Anfangs
JuU 1814 waren die russischen Grossfürsten Nicolaus und
Michael schon zum zweitenmal in Zürich. Am 22. Juli folgte
ihnen der König von Preussen, Friedrich Willaelm III., auch
er nur inkognito; einzig der Bürgermeister Reinhard konnte ihn
sprechen. ,,Der Anblick unseres vSees, auf dem sich gerade bei
höchstderselben Ankunft viele Schiffe befanden, schien einen
angenehmen Eindruck auf Ihro Majestät zu machen. Eine See-
fahrt, die man allerhöchstdemselben am 23. geben wollte, unter-
blieb wegen ungünstiger Witterung, und Sie verreisten schon
morgens %io Uhr." (,,Monatl. Nachr."). Nach den Zürchern
hatten die Schaf fhauser am Rheinfall Gelegenheit, die ,,edle
Simplizität" des Königs zu bewundern.
Eine gewisse Aufregung verursachte es in Zürich, als auf den
9. Oktober 181 5, einen Montag, ziemlich unerwartet die Ankunft
o FÜNFTES KAPITEL: FÜRSTENEESUCHE 49
des Kaisers Alexander I. von Russland angekündigt
wurde. Der in Eile zusammenberufene Stadtrat traf die nötigen
Anordnungen, namentlich Räumung und Reinigung der Strassen
von der Sihlporte zum Rennwegtor und zum „Schwert", wo der
Kaiser logieren wollte — ein Privatlogis für ihn hatte sein Ge-
schäftsträger Baron v. Krüdeuer abgelehnt — und ebenso waren
instand zu stellen ilarktgasse, Rindermarkt, Neumarkt, oberer
Hirschengraben für die Fahrt zum Rechberg und Kasino. Dem
Löbl. PubHco wurde durch Trommelschlag die Ankunft des Kaisers
bekannt gemacht mit der Einladung, für eine Illumination der
Häuser auf den Abend zu sorgen. Dem hohen Gaste wurden
vom Staatsrat Oberst Füssh und Oberstleutnant v. Muralt mit
einer Eskadron zürcherischer ,,Chevauxlegers" unter Anführung
des Rittmeisters Melchior Meyer an die Grenze nach Dietikon
entgegengeschickt. Als die Ka\-alkade der Sihlporte nahte, er-
dröhnten von allen Wällen die Kanonen und che Kirchenglocken
läuteten, bis der Kaiser beim ,, Schwert" abgestiegen war. Hier
empfing er sogleich die Delegation des Staatsrates mit Bürger-
meister David V. Wyss an der Spitze, der ihn in wohlgesetzter,
kluger Rede begrüsste. Der Zar war von grösster L,iebenswürdig-
keit. ,,Ich bin so weit von Ihnen entfernt," sagte er, ,,dass ich
Ihnen nur Gutes tun kann." Und dann überraschte er die Zürcher
mit zwei grossen Neuigkeiten ; dass die Mächte beschlossen hätten,
die Festimg Hüningen, die stets bedrohliche Nachbarin der Schweiz,
zu schleifen, und dass zwischen allen Staaten Europas mit Einschluss
der Schweiz, ein Bund geschlossen werden soll, der es keinem
Machthaber mehr mögUch machen würde, etwa die Rolle Napo-
leons zu spielen. Drei Kompagnien des Bataillons Eandolt hatten
von der Sihlporte bis zum ,, Schwert" Späher gebildet, die Grenadier-
kompagnie dieses Bataillons hatte die Ehrenwache beim ,, .Schwert",
die Scharfschützen von der ,, Legion" standen bei der Haupt-
wache. Abends zündete eine allgemeine Illumination in alle die
, .malerischen Winkel" von Zürich hinein, nur schade, dass der
starke Wind so manches Lichtlein immer wieder ausblies. Von
9 bis II Uhr war der Kaiser auf dem Ball im Kasino ,,und setzte
die zürcherischen Schönen durch seine Anreden in Verlegenheit".
Frühmorgens am 10. Oktober besuchte der Kaiser zu Fuss
in Begleit des Barons v. Krüdener, Eschers von der Linth und
50 FÜNFTES KAPITEL: FÜRSTENBESUCHE o
anderer Herren den vSchützenplatz, die Katze und den hohen
Wall ob Stadelhofen und Hess sich die Stellungen der Russen
und Franzosen im Jahre 1799 zeigen; schhesshch besuchte er
noch die StadtbibUothek, wo ihn besonders J. Müllers Relief der
Kantone Glarus, St. Gallen und Graubünden interessierte. Dann
setzte er sich in seinen Wagen, der beinahe noch in der Metzg-
Passage stecken blieb. Schützenwachtmeister Heinrich Escher
(vom WoUenhof) und noch ein anderer Schütze von der Haupt-
wache eilten herbei und hoben den kaiserhchen Wagen von der
fatalen Hausecke weg (Dr. Conrad Escher in der „Zürcher Wochen-
chronik"). Im Rechberg verabschiedete sich der Kaiser von den
beiden Bürgermeistern Wyss und Reinhard, inspizierte nochmals
die dort aufgestellte leichte Kavallerie und fuhr dann das Hals-
eisen hinauf Konstanz zu.
Zwei Tage später, Donnerstag den 12. Oktober 1815, kam
Kaiser Franz von Österreich nach Zürich, mit denselben
Ehren und Feierhchkeiten empfangen ^^"ie der Zar. Er hatte
aber von Baden her den W^eg rechts der L,immat über Ober-Eng-
stringen, Weiningen und Höngg genommen. Ludwig Mej'er
v. Knonau befand sich auf seinem Gut ,,Ankenliof" bei Ober-
Engstringen und schrieb hernach an seinen Freund Hegner in
Winterthur: ,,Ich liess dem Kaiser Franz die Strasse zurecht
machen und sah ihn, vom Steg unter unserm Gute, dicht neben
mir vorbeifahren. Er grüsste den Lehenmannsjungen und mich
nüt gleicher Aufmerksamkeit." Der Weg von der Xiederdorfporte
zum Rechberg, dem Absteigequartier des Kaisers, war schon seit
dem Montag von Marktbuden und dergleichen gesäubert. Der
Empfang gestaltete sich wieder sehr herzhch. Kaiser Franz pries
in seiner Antwort auf die Anrede des Bürgermeisters Wyss die
Schweiz als die wichtige Vormauer seiner Staaten. Reinhard und
Escher \^ou der Linth begleiteten liierauf den Kaiser in die Escher-
sche Spinnerei in der ,, Neumühle" und auf die vStadtbibHothek,
wo man auch eine kleine Ausstellung der vorzüghchsten Produkte
der zürcherischen Fabriken und [Manufakturen, von Arbeiten des
Bhndeninstituts und Gemälden von Salomon Gessner und Ludwig
Hess veranstaltet hatte. Nach Tisch begleitete David ^^ Wyss
den Kaiser nach dem seinem Bruder gehörenden Werdmüllerschen
Landgut in \^'ollishofen. Bei diesem gemütUchen Beisammensein
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o FÜNFTES KAPITEL: FÜRSTENBESUCHE 51
fand Wyss Gelegenheit, auch vom \'eltHn anzufangen, aber Kaiser
Franz meinte freundUch ablenkend, der Wiener Kongress habe
ihm dieses Land gegeben, und man werde begreifen, dass er nun
nicht wohl darauf verzichten könne; dagegen wolle er gerne be-
hilflich sein, den ungerechtenveise zu Schaden gekommenen
Bündner FamiUen ein Entgelt zu bieten durch ein unparteiisches
Schiedsgericht. Abends wurde im Rechberg das diplomatische
Korps empfangen und dem Kaiser zu Ehren ein kleines Konzert
gegeben. Xatiirhch brannten die Strassenlaternen wieder die ganze
Nacht, und der Kaiser machte mit dem Bürgermeister eine Fahrt
durch die Stadt, um sich die Illumination zu besehen oder \nel-
mehr, wie Wj'ss an Mühnen schrieb, ,,um dem PubUkum Ver-
gnügen zu machen". Morgens 6 Uhr fuhr auch er das Halseisen
hinauf und durch die Kronenporte, um über Winterthur und Wil
St. Gallen zu erreichen. Der österreichische Kronprinz und
nachmalige Kaiser Ferdinand wurde am 6. November 1815 in
Zürich mit 50 Kanonenschüssen bewillkommt und mit einer See
fahrt regaUert.
Was der Zar Alexander bei seinem Besuch am 9. Oktober an-
gekündigt hatte, war die sogenannte ,,H eilige Allianz", welche
die Grundsätze des Christentums zum obersten Gesetz in der
innem Verwaltung der Staaten wie in ihren Beziehungen unter-
einander erklären sollte. Alexander hatte eigenhändig die seltsame
Urkunde entworfen, und der Köiüg von Preussen, sowie der Kaiser
Franz taten ihm den Gefallen, am 26. September 1815 das Doku-
ment zu unterzeichnen, ,, nachdem Metternich die Bedenken
seines Herrn mit der Bemerkung beruhigt hatte, es sei blosser
Wortschwall". Auch der Schweiz ward also ,,ein Plätzchen auf
der untersten Treppenstufe der Heihgen AUianz" eingeräumt.
Am 23. Juli 1816 lud der russische Gesandte in Bern, Baron
Paul von Krüdener, die Tagsatzung zum Beitritt ein. In
allen Grossen Räten und Landsgemeinden, die damals noch —
zum Zweck der Instruktion der Tagsatzungsgesandten — viel
in auswärtiger Pohtik zu machen hatten, wurde über den Bei-
tritt beraten. Den Grossen Rat von Zürich veranlasste eine glän-
zende Rede Dr. Paul L^steris zur Zustimmung. Am 27. Januar
181 7 hatte Baron Krüdener die Beitrittserklärung der Schweiz
in Händen. Es hiess, dass seine Mutter, Juliane von Krüdener,
52 FÜNFTES KAPITEL: FÜRSTENBESUCHE o
nicht ohne Einfluss auf die EntschUessung des Zaren Alexander
gewesen sei, mit dem sie in Paris religiöse Gespräche geführt
hatte. Frau v. Krüdener war eine Dame der grossen Welt, Vex-
fasserin eines ziemlich schlüpfrigen Romans , .Valerie", bekehrte
sich dann und reiste seitdem als Busspredigerin durch die Welt.
Im Hungerjahr 1817 kam sie nach der Schweiz und bereitete den
Behörden viele Verlegenheiten. Man hatte der Mutter des rus-
sischen Gesandten gewisse Rücksichten zu tragen, und doch
konnte man das Geläuf, zu dem sie Anlass gab, nirgends lauge
dulden. Hungerndes \'olk, aber auch viel Lumpengesindel, von
ihren wahllos gespendeten Gaben angelockt, strömte ihr massen-
haft zu. So wurde sie immer wieder ausgewiesen und pohzeilich
von Kanton zu Kanton abgeschoben. Am 3. Juh 1817, abends
IG Uhr, brachte der Oberamtmann von Knonau die interessante
Frau nach Zürich. Bei der Durchfahrt ihres Wagens unter den
,, Bögen" wurde ein Koffer vom \'erdeck heruntergerissen und
krachend ging das schöne Porzellangeschirr, mit dem der Koffer
vollgepackt war, in Stücke. Auf der ,, Platte" hielt dann am fol-
genden Tage die ,,Frau Prinzessin" oder ,,Frau Herrgöttin", wie
das Volk spottete, eine flammende Busspredigt. ,,Wehe über die
Schweiz! \"\^ehe über Zürich, wo die Kinder schon Holofernes-
Gesichter haben!" »Sie hatte die unempfänglichen Schweizer um-
sonst zur Busse gerufen, umsonst sogar Wunder getan. ,,In Luzern
speiste ich neunhundert Menschen urit neunzehn Broten und ein
wenig Butter . . . Schon öfters lag ich mit dem russischen Kaiser,
mich Gott innigst hingebend und ihn um seinen heiligen Geist
bittend, vor ihm auf die Knie geworfen. Der Kaiser selbst, der
doch einen grossen Schaden am Knie hatte (es fuhr ihm nämlich
ein Rad über dasselbe), lag tief gebückt vor dem Höchsten im
Staube. Dies ist die walire Andacht ...", aber ,,wehe denen,
die mich aus ihren Ländern Verstössen, Gott wird mich an ihnen
rächen!" Von Zürich ausgewiesen, verlegte Frau v. Krüdener
ihre Wirksamkeit in das badische Grenzdorf Lotstetten. Dort
befand sich unter ihren Zuhörern die damals 23jährige Älarga-
retlia Peter von \Mldispuch bei Benken. Die beiden Frauen
zogen einander an und Frau v. Krüdener suchte die Margret
dauernd an sich zu fesseln. Sie aber fühlte sich selber zu noch
höherem berufen. Wir wollen sie nicht erzählen, die traurige
o FÜNFTES KAPITEL: FÜRSTENBESUCHE 53
Geschichte von der ,, heiligen Gret" von Wildispuch, die mit dem
Blutbad in der Famihe Peter am 15. März 1823, der schauerlichen
Kreuzigung und Nicht -Auferstehung am dritten Tage ihren Ab-
schluss fand. Zürich bekam davon noch das gerichtUche Nach-
spiel zu sehen. Da man zu jener Zeit auch die Verkündigung
und Vollstreckung von Strafurteilen mit einem gewissen Pomp
zu umgeben für nötig hielt, fanden die elf Verurteilten von Wildis-
puch auf ihrem bittern Bussgang am Donnerstag den 4. Dezember
1823 ein grosses Geleite. Kaum aus dem Wellenberg beim Korn-
haus ans Land gebracht, ward die Margret Jäggli von mehreren
Ohnmächten befallen, weshalb der Jammerzug zum Rathaus nur
langsam vorwärts kam. Dort mussten die vier Schuldigsten
während der Urteilsverlesung auf der obersten Treppenstufe
knien, die andern sieben auf der untersten. Dann gings durch
die Marktgasse und die Hauptstrasse zum Grossmünster. Glocken-
geläute, massenhaftes Volk in den Strassen, alle Landjäger in
grosser Gala mit der schwarzen Feder auf dem Tschakko — , man
konnte glauben, die Tagsatzung komme, es fehlte nur der Ka-
nonendonner und das Militärspalier. Für die obrigkeitlich ver-
ordnete Predigt des Chorherm Kramer hatten die Delinquenten
Sperrsitze um den Taufstein her. Das endliche Verschwinden
hinter den Zuchthausmauern war für sie eine Erlösung.
Der häufige Umgang mit den fremden Fürsthchkeiten hatte
für ,, Unsere Herren und Obern" — ganz allmählich bürgerten sich
die alten Titel recht solide wieder ein — allerhand Annehmlich-
keiten, Orden, Schnupftabaksdosen und andere Andenken zur
Folge. Überhaupt deutete alles darauf hin, dass die Schweiz
wirklich als vollwertiges MitgUed der , .Heiligen AlUanz" betrachtet
wurde. Die eidgenössische Kanzlei im Obmannamt hatte genug
zu tun, um nur alle die erlauchten Zivilstandsnachrichten, die ihr
von den hohen Dynastien Europas zugingen, pfhchtgemäss an
sämtliche 22 Stände weiter zu leiten und zum Ableben eines Gross-
onkels, der glückhchen Entbindung einer Cousine, der Heirat
von Prinzen und Prinzessinnen bald des einen, bald des andern
Hauses entsprechend zu kondolieren oder zu gratulieren. Mit
den Orden war es eine eigene Sache. 1817 machte die Tagsatzung
in Bern, wo der präsidierende Amtsschultheiss v. Wattenwyl und
der Kanzler Mousson mit dem roten, der zweite bernische Ge-
54 FÜNFTES KAPITEL: FÜRSTENBESUCHE o
sandte Elirchsperger mit dem schwarzen preussischen Adlerorden,
der erste Gesandte Zürichs mit dem österreichischen St. Stephans-
orden prangten, auf Talleyrand den Eindruck einer Versammlung,
die von einem preussischen Prinzen präsidiert werde, und sar-
kastisch schrieb er am 17. JuU 1817: , .Einst erhielt man die Mehr-
heit auf der Tagsatzung durch Geld, und heute, wo das Geld rar
ist, kann man sie erlangen, wenn man der EigenHebe der Regie-
rungen durch Verleihung von Titeln und Orden schmeichelt."
Über die Wirkung der preussischen Dekorationen schrieb der Ge-
sandte Justus Grüner am 25. Mai 1817; ,,Der König kann jetzt
ganz auf Bern zählen und ich verspreche mir grossen Erfolg von
den Geschäften der nächsten Tagsatzung durch meinen Einfluss
auf den Präsidenten und den Rat des Vororts." David v. Wyss
hatte den vStephansorden nicht ohne schwere Bedenken und nur
mit Erlaubnis des Kleinen Rats, Mousson den roten Adlerorden
nach Befragung der 22 Stände angenommen ; General Finsler, der
dem Kaiser Franz nicht die persönlichen Rücksichten schuldete
wie Wyss, lehnte die österreichische Auszeichnung ab, und der
Kleine Rat von Zürich beeilte sich, ein Gesetz auszuarbeiten, das
seine MitgUeder durch ein striktes Verbot vor künftigen ähnUchen
Verlegenheiten schützte.
Jeder Kanton schloss auf eigene Faust mit fremden ]\Iächten
sogenannte ,, Kapitulationen" ab für die Lieferung von Söld-
nerregimentern, und beim Abschluss solcher Kapitulationen
gab es wieder Geschenke und Auszeichnungen für die regierenden
Häupter, z. B. für den Zürcher Bürgermeister einmal eine Mar-
morbüste Ludwigs XVIII. Erst im Jahr 1831 verbot Zürich diese
Kapitulationen, die schon Stapfer eine ,, Versündigung an der
Nationalehre und Volkswohlfahrt" genaimt hatte. Denn tat-
sächUch hatten Land und Volk von diesem Kriegsdienst im Solde
fremder Mächte nicht den geringsten Nutzen, nicht einmal irgend-
welche handelspoUtische Vorteile. Es war dabei einzig und allein
auf die Offiziersstellen als eine ehrenvolle und lukrative Car-
riere für die Angehörigen der hohem Stände abgesehen. In Frank-
reich allein standen 546 solcher Stellen zur Verfügung. Die Tag-
satzuug aber trieb einen förmhchen Kultus mit der bezahlten und
selbstverständlichen Treue der angeworbenen Söldner für ihre
fremden Herren. Sie verlieh am 7. August 1817 den Überleben-
o FÜNFTES KAPITEL: FÜRSTENBESUCHE 55
den der Schweizergarde in Paris „in tiefer, ewiger Dankbarkeit
und Bewunderung" eine eiserne Denkmünze an rotweissem Band
mit dem eidgenössischen Kreuz imd der Aufschrift: „Treue und
Ehre." Demselben Geiste entsprang die Errichtung des Löwen-
denkmals in Luzern zu Ehren der beim Tuileriensturm am
10. August 1792 gefallenen Schweizer. Das prachtvolle Werk
Thorwaldsens wurde am 10. August 1821 in Gegenwart zahl-
reicher hoher Persönhchkeiten und der ganzen Söldneraristokratie
feierhch enthüllt. Der Luzemer Studentenverein „Zofingia"
aber, eingedenk dessen, dass die Helden von Sempach, St. Jakob
und Neuenegg noch kein Denkmal hatten, beteiligte sich nicht an
dieser Feier, sondern fuhr an diesem Tage demonstrativ in die
Hohle Gasse bei Küssnacht und feierte dort das Andenken von
Wilhelm Teil.
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SECHSTES KAPITEL
VATER PESTALOZZI
Als Johann Heinrich Pestalozzi am 17. Februar 1827 zu
• Brugg die müden Augen schloss, war sein Weltruhm schon un-
austilgbar begründet. Auch die Heimat hat „ihrem Propheten" bei
seinem Tode die Anerkennung nicht versagt. Die „Monatschronik"
vom Februar 1827 spricht von dem „welthistorischen Impuls, den
er durch seinen Enthusiasmus, geniale Ideen, hingebende Liebe
der ganzen gebildeten Welt gab, die erste Erziehung, die \'olks-
schulen, die untern Volksklassen überhaupt mehr zu berücksich-
tigen, als es bisher geschehen war". Dennoch kam die Vater-
stadt erst spät dazu, ihrem grossen Sohne ein Denkmal zu errich-
ten: am 26. Oktober 1899 wurde das Werk des Bildliauers Hugo
Siegwart in den Anlagen vor dem Linth-Escher-Schulhaus, etwas
abseits von der »Strasse, enthüllt. Pestalozzi war ein Freund und
Helfer der Armen und Elenden und selber einer der Ärmsten unter
ihnen! Der ärmste Mann in Zürich, der am Pestalozzi-Denkmal
vorübergeht und seine Augen zu dem Standbild erhebt, wird kaum
von solcher Not bedrückt, wie Pestalozzi sie in einem Brief an
Zschokke sclülderte: ,, Freund, wusstest du es nicht? Dreissig
Jalire war mein Leben eine unaufhörHche ökonomische Verwirrung
und ein Kampf gegen eine zur W^ut treibende äusserste Armut.
Wusstest du es nicht, dass mir gegen dreissig Jahre die Notdurft
des Lebens mangelte ? Nicht, dass ich bis auf heute weder Gesell-
schaften noch Kirchen besuchen kann, weil ich nicht gekleidet
bin und nüch nicht zu kleiden vermag? Zschokke, wusstest du
es nicht, dass ich auf der Strasse das Gespött des \'olkes bin, weil
ich wie ein Bettler unüierlaufe ? Wusstest du es nicht, dass ich
tausendmal kein Mittagessen vermochte und in der Stunde, da
fast alle Armen an ihrem Tische sassen, ich ein Stück Brot mit
Wut auf den »Strassen verzehrte? Ja, Zschokke, noch kämpf ich
den entsetzHchen Kampf zwischen drückender Armut und fürchter-
lichen Ausgaben und habe das einzige Ziel, durch Standliaftigkeit
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fffeinricd CEesfafozzi
o SECHSTES KAPITEL: VATER PESTALOZZI 57
in meinem Plan noch vor meinem Tode die elendeste unter allen
Haushaltungen, meine eigene Haushaltung, aufrichten zu können."
Und die Armut blieb dem Vater Pestalozzi treu sein lieben lang.
Nicht viel anders als ein alter Landstreicher mag er ausgesehen
haben, als er im Oktober 1814 zu Fuss von einem Besuch auf dem
Neuhof bei seiner Frau nach Iferten zurückkehrte, in den Schuhen
der treuen Lisabeth, seiner frühern Magd und nunmehrigen Ver-
waltersfrau im Neuhof. Er schickte dann die vSchuhe zurück und
schrieb dazu seiner Frau: ,,Sie haben mir auf der Reise so weh
getan, dass ich sie von Lenzburg aus heruntertreten und so durch
Bern bis liieher reisen musste."
Bei Pestalozzi kam zur Armut noch die natürhche Hässlich-
keit und ein angeborner Mangel an Ordnungssinn und Reinlich-
keit, um sein Äusseres so unvorteilhaft als mögHch zu gestalten.
,, Stellt euch," sagt Vulliemin in seinen «Souvenirs racontes ä ses
petits-enfants >^ , , ,einen sehr hässUchen Mann vor mit aufstehenden
Haaren, mit einem blatternarbigen und mit roten Flecken be-
deckten Gesicht, stechendem, ungepflegtem Bart, ohne Halsbinde,
mit schlecht zugeknöpften Hosen, die auf Strümpfe herabfallen,
die ihrerseits über grobe Schuhe hinabgehen, mit schwankendem,
stossweisem Gang, mit Augen, die sich bald erweitern und Feuer-
bhcke ausstrahlen, bald sich halb schhessen, der innem Betrach-
tung zugewandt, mit Gesichtszügen, die bald eine tiefe Traurig-
keit, bald eine SeUgkeit voll Sanftmut ausdrücken, mit einer
Sprache, die bald langsam, bald schnell, bald weich und melodisch
erkUngt, bald wie der Donner erschallt, dann habt ihr ein Bild
von demjenigen, den wir Vater Pestalozzi nannten." Nichts
war weniger geeignet, Pestalozzi zu einer weltgeschichtlichen Auf-
gabe vorzubereiten, als seine Erziehung und Veranlagung. ,,Es ist
eigentlich ein wundersames Phänomen: der Mann, der zeitlebens
nicht orthographisch schreiben konnte, wird der Prophet für die
Methode des Unterrichtens; der Mann, der in seiner Naivetät
den Freunden gestand, er verderbe (durch seine bhnde Gutmütig-
keit) alle die, mit welchen er zu tun habe, der Prophet der Er-
ziehung; der Mann, der nur in der Gegenwart lebte und dessen
geistiges Leben nach Niederers treffendem Ausdruck eigenthch
keine Geschichte hatte, eine Persönhchkeit von zentraler kultur-
geschichtUcher Wirksamkeit; der Älann, der sozusagen nie über
58 SECHSTES KAPITEL: VATER PESTALOZZI o
die Grenzen seines kleinen Vaterlandes hinausgekommen, zieht die
Bewunderer aus aller Welt zu sich heran ; der Mann, der sich selbst
der absoluten Regierungsunfähigkeit anklagt, war der herrschende
Mittelpunkt und der Gegenstand einer Hingebung, die das Unmög-
Uche um seinetwillen möglich zu machen suchte." (Hunziker.)
Die wahrhaft schöpferische Idee Pestalozzis, dem eine Königin
Luise ,,in der Menschheit Namen" dankte, erbUckte vSeyffarth
darin, ,,dass er den Menschengeist selbst zum Gegenstande der
Behandlung machte, während man früher den Geist nur als ein
Gefäss betrachtet hatte, in welches ein gewisser Unterrichtsstoff
hineingefüllt werden musste. Das war ein ganz neues Prinzip, das
den ganzen Unterrichtsbetrieb umgestalten musste." G. v. Zezsch-
witz bezeugt: ,, Pestalozzi ist mehr als nur Reformator; er ist der
Schöpfer des Anschauungsunterrichts nach seinem organischen
Zusammenhange mit der Ausbildung aller Geisteskräfte."
Als Geburtsstätte Pestalozzis gilt nach der Tradition (dokumen-
tarisch bezeugt ist es nicht) das Haus zum ,, schwarzen Hom" am
Rüdenplatz, dem ehemahgen ,,Stücklimärt" ; nebenan ist das
Geburtshaus seiner Frau (zum ,, Pflug"). Geboren am 12. Januar
1746, verlor Heinrich Pestalozzi schon mit fünf Jahren seinen
Vater, einen unbemittelten Chirurgen, und wuchs nun ,,als Weiber-
und Mutterkind auf, wie nicht bald ein grösseres sein kann". Die
Dienstmagd Babeli sperrte den Buben soviel als mögUch ein,
damit er der Mutter nicht unnütz Kleider brauche. In der Schule
hiess er ,,der Heiri Wunderli von Toriikon"; aber als es ,,erd-
bebnete" (1755), konnte man nur ihn in das in toller Flucht ver-
lassene Schulhaus zurückschicken, die Kappen und Bücher zu holen.
Als vStudent kam Pestalozzi in den Verdacht, dem Verfasser einer
politischen Flugschrift zur Flucht verholfen zu haben, und ward
deshalb vier Tage eingesteckt, das Pamphlet vor dem Rathaus
öffenthch verbrannt. Pestalozzi gab das Studium bald wieder
auf, widmete sich der Landwirtschaft und kaufte mit entlehntem
Geld den Neuliof bei Birr im Aargau, der nun im Jahr 1913 als
,, Pestalozzistiftung" (Erziehungsanstalt) eröffnet worden ist. Er
wollte dort vor allem seiner jungen Frau, Anna Schulthess, ein
gemütliches Heim bereiten und daneben einen ^'e^such mit der
Krappkultur (Wurzel der Färberröte) im grossen machen. Doch
die Sache rentierte nicht, ebensowenig die hierauf begonnene
o SECHSTBS KAPITEt: VATER PESTALOZZI 59
Sennerei. Da kam ihm der Gedanke, eine Armenerziehungsanstalt
zu errichten (1774). Es war eine ökonomisch-pädagogische Speku-
lation: das verwilderte Land sollte durch ebenso verwilderte und
ungebrauchte menschliche Kräfte angebaut werden, der Mensch
die Natur und die Natur den Menschen kultivieren, die Kinder
aber mit der Zeit so viel verdienen, dass die Unkosten früherer
Jahre gedeckt wurden. Die Spekulation schlug gänzhch fehl. Die
Bettelkinder wollten sich nicht an die Arbeit gewöhnen, liefen in
den geschenkten Sonntagskleidern wieder weg, und jeden Sonn-
tag hatte Pestalozzi das Haus voll Leute, welche schimpften und
den Zustand ihrer Kinder ungenügend fanden. Nach sechs Jahren
ging die Anstalt ein. Jetzt versuchte es Pestalozzi mit der Feder.
Es erschien seine ,, Abendstunde eines Einsiedlers" und dann
(1781) das Volksbuch ,,Lienhard und Gertrud", das ihm mit
einem Schlage zu europäischer Berühmtheit verhalf, ihn aber
nicht aus seiner Schuldennot errettete.
1798 schickte ihn die helvetische Regierung nach St ans zur
Pflege und Erziehung der Kinder, die durch den Kampf gegen die
Franzosen am 9. September Waisen geworden waren. Er kam
am 7. Dezember dort an, leistete in fünf Monaten an Liebe, Hin-
gabe, Fürsorge und Treue, was nur ein Pestalozzi leisten konnte.
Mehr als das aber hob seinen Kredit, dass er von 6000 Franken,
die ihm bewilhgt waren, 3000 zurückgeben konnte! Die nächste
Etappe war eine Schulmeisterstelle in Burgdorf, 1800 die Er-
öffnung der Erziehungsanstalt im dortigen Schloss mit Unter-
stützung der helvetischen Regierung, 1801 die Veröffentlichung
der pädagogischen Schrift ,,Wie Gertrud ihre Kinder lehrt",
die den Einfluss Pestalozzis auf das Schulwesen des 19. Jahr-
hunderts begründete. Seltsamerweise befand sich der unprak-
tische Pädagoge 1802 unter den Abgeordneten zur helvetischen
Consulta in Paris, wo er sein Zimmer neben Paul Usteri hatte.
Nach Nej's Bericht an Talleyrand wäre dort eine nette Gesell-
schaft exaltierter Köpfe beisammen gewesen: ,, Usteri, on le
nomme exalte et intolerant, Pestalozzi homme celebre par les
Sciences, mais exalte dans les opinions pohtiques. Pfenninger
patriote exalte, vSchweizer aristocrate exalte, Reinhard aristo-
crate exalte, Soulzer modere." Pestalozzis Denkschrift an Na-
poleon über eine rechte Verfassung zur Emporbildung des Volkes
6o SECHSTES KAPITEL: VATER PESTALOZZI o
fand ungnädige Aufnahme. „Ach was, ich kann mich um Eure
Abc-Lehren nicht kümmern," lautete der barsche Bescheid.
Da die wiederhergestellte Bemer Regierung das Schloss Burg-
dorf für sich reklamierte, musste Pestalozzi 1804 ins alte Johan-
niterhaus Müncheubuchsee umziehen. Im nahen Hofwyl führte
Philipp Emanuel v. Fellenberg seine Erziehungsanstalt. Pestalozzi
schloss sich ihm an, stellte seine Anstalt unter Fellenbergs Yer-
waltung und zog selbst nach Yverdon, um dort ein neues In-
stitut zu gründen. 1805 folgten ihm Lehrer und Schüler von
Münchenbuchsee nach. Yverdon (Iferten) war die äusserlich
glänzendste Periode von Pestalozzis Wirksamkeit, allein schon
nach wenigen Jahren zeigten sich die Keime des Zerfalls. Pesta-
lozzis Kraft war dem stark erweiterten Institutionsorganismus
nicht mehr gewachsen. vSchwere Krisen brachen herein, verschärft
durch Streitigkeiten unter der Lehrerschaft, die selbst zu häss-
lichen Prozessen führten. Auch Pestalozzi wurde in der öffent-
lichen Polemik nicht geschont und überdies von der Vaterstadt
aus, durch den Chorherm Bremi in der ,, Freitagszeitung", aufs
.Schärfste kritisiert. Schhesslich Hessen ihn die Lehrer gänzhch
im Stich. ,, Jeden Hess er besonders kommen. Die Worte, die er
in diesen Momenten der rührendsten Niedergeschlagenheit und in
unbegreifhcher Herzensbewegung sprach, sind nicht zu wieder-
holen. Wohl zehnmal wollte er zu ihren Knien fallen, bat, weinte,
stellte vor, wie sie das ganze Institut stürzten, einen armen un-
glücklichen Mann zugrunde richteten, wie sie es rummer vor der
Welt würden verteidigen können." Schmid, um dessen willen die
andern Lehrer gehen wollten, rettete zwar das Institut als finan-
zielles Unternehmen, stellte aber zugleich Pestalozzi unter seine
Vormundschaft. Der Verfall war trotzdem nicht auf die Dauer
aufzuhalten. 1825 löste sich die Anstalt auf, Vater Pestalozzi zog
zu seinem Enkel auf den Neuhof. In ergreifenden Selbstanklagen
strömte Pestalozzi sein Leid aus in den letzten seiner Schriften,
„Lebensschicksale" und ,, Schwanengesang", und als am 21. Juli
1826 der Achtzigjährige die Armenerziehungsanstalt Zellers in
Beuggen durchwanderte, rief er aus: ,,Das ist's! Das habe ich
gewollt!" Zu Tränen rührte ihn das Lied der Kinder ,,Der du von
dem Himmel bist", das er in ,,Lienhard und Gertrud" aufgenommen
hatte.
o SECHSTES KAPITEL: VATER PESTALOZZI 6i
Die letzten Lebenswochen verbitterte die leidenschaftliche
Schmähschrift Bibers. Noch kurz vor seinem Tode schrieb Pesta-
lozzi: ,,0, ich leide unaussprechUch ! Kein Mensch vermöchte zu
fassen den Schmerz meiner Seele. Man verschmäht und beschimpft
den alten, schwachen, gebrechHchen Mann und sieht ihn jetzt
nur noch als ein unbrauchbares Werkzeug an. Das tut mir nicht
um meinetwillen weh, aber es tut mir weh, dass man auch meine
Idee verschmäht und verachtet und unter die Füsse tritt, was mir
heilig war und wonach ich während meines langen kummervollen
Lebens gerungen habe. Sterben ist nichts; ich sterbe gern, denn
ich bin müde und möchte endHch Ruhe haben ; aber gelebt zu haben,
alles geopfert zu haben und nichts erreicht zu haben und alles
zertrümmert zu sehen und so mit seinem Werk ins Grab zu sinken,
— o das ist schreckUch, und ich kann es nicht aussprechen." Die
Erschütterung warf ihn aufs Krankenlager. Ein qualvolles Leiden
führte die Grösse und die tiefe Tragik dieses Lebens einem raschen
Ende entgegen. Am 15. Februar 1827 wurde der schwer Leidende,
in einem Schlitten wohl verpackt, nach Brugg gebracht, damit er
der ärzthchen Hilfe näher sei; aber zwei Tage später hauchte er
seine Seele aus. Am 19. Februar begrub man ihn in aller Stille
beim Schulhaus in Birr. Als man ihn einst gefragt hatte, was er
sich für ein Grabdenkmal wünsche, soll Vater Pestalozzi geant-
wortet haben: ,,Ein ganz roher Feldstein tut's; denn ich selbst
bin nichts anderes gewesen."
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SIEBTES KAPITEL
STADT UND LAND
Es war einmal eine konservative Stadt Zürich, welcher eine
radikale und fortschritthche Landschaft gegenüberstand. Das
hatte seinen natürUchen Grund darin, dass die Stadt Zürich die
ihr im Jahre 1798 entrissenen Vorrechte, soweit es irgend möglich
war, zurückzuerobern und zu behaupten trachtete, während die
Landschaft an der Proklamation ihrer Freiheit und Ebenbürtig-
keit mit der Stadt (5. Februar 1798) festhielt und darauf ihre nur
vorübergehend zum Schweigen gebrachten Forderungen stützte.
Formell war jene Proklamation ja nie widerrufen worden; der
Grundsatz der Rechtsgleichheit hatte vielmehr in den Verfassungen
von 1803 und 1814 seinen Ausdruck gefunden. Aber die Wirk-
lichkeit zeigte ein ganz anderes Bild. Es war, als hätte die natür-
lidie Entwicklung der Dinge, welche keine Sprünge liebt, eine
nochmahge fast vollständige Wiederherstellung der Herrschaft
der vStadtaristokratie verlangt, weil diese Herrschaft, als sie
1798 stürzte, bei allen ihren Fehlern keineswegs eine schlechte und
verrottete gewesen war, sondern nur ihre Zeit nicht begriffen hatte.
Die Geschichte gab ihr nun nochmals auf die Dauer eines Menschen-
alters Gelegenheit, den veränderten Verhältnissen sich anzupassen,
das in der Not verpfändete Wort lo3'al einzulösen und beim Volk
statt nur des untertänigen Gehorsams Verständnis, Sympathie
und freiwiUige Unterordnung unter die Interessen des Ganzen zu
suchen. Das aber wurde versclimäht. Darum schliesshch die un-
vermeidliche und unwiderrufhche Entthronung durch das eigene
Volk im Jahr 1830. ]\Ian darf freilich nicht vergessen, dass der
Rückkehr des Patriziats in der Zeit der ,, Restauration" (Wieder-
herstellung des Alten) das allgemeine Ruhebedürfnis in Europa
nach den Xapoleonischen Stürmen und bei uns noch insbesondere
die herbe Enttäuschung nach der durch die Franzosen gründlichst
kompromittierten ,, Freiheit und Gleiclilieit" ausserordenthch zu-
statten kam. Dieses Ruhe- und Friedensbedürfnis der \'ölker wurde
Wilh.lm Sch.'iicliz.r
(iTcßfacßfßaus in ZüricH 1820
o SIEBTES KAPITEL: STADT UND LAND 63
von den Aristokraten allerwärts, in manchen Kantonen der vSclivveiz
und in monarchischen Staaten noch ganz anders als in Zürich,
für die eigenen Standes- und Familieninteressen ausgenützt. Sie
haben es also bei uns nicht etwa ganz besonders schUmm getrieben;
sie machten hier nur leider keine Ausnahme.
Der typische und von seinen Standesgenossen allverehrte
Repräsentant der regierenden Zürcher Aristokratie der Restau-
rationszeit war Bürgermeister Hans von Reinhard, ein Mann
von mittelmässiger Begabung und engem Horizont, aber heihg und
aufrichtig davon überzeugt, dass nur seinem Stande durch die Vor-
sehung die Weisheit des Regierens verUehen, dem Volke aber das
Dienen und Gehorchen in alle Ewigkeit verordnet sei. Dabei
waren ihm Hochmut und persönUche Selbstüberhebung fremd;
er spricht von sich in seinen Memoiren mit rührender Bescheiden-
heit und hat namentlich vor der Wissenschaft eine scheue Ehr-
furcht. Nicht Bosheit oder bewusste Pfhchtvergessenheit ver-
schuldeten die grobe \'ernachlässigung des ihm lange Jahre unter-
stellten Volksschulwesens, vielmehr das instinktive Gefühl,
dass für das zum Gehorchen bestimmte Volk eine bessere Schul-
bildung eigentlich gar nicht nötig sei, wie dies ein Zeit- und Standes-
genosse Reinliards ausdrückte: ,,Was braucht der gemeine Mann
mehr, als dass er ein bisschen lesen, schreiben und rechnen könne,
um seinen Katechismus zu lernen, seine Obligationen zu unter-
zeichnen und sich vor den Prellereien der Juden zu schützen ?
Ist in einer Gemeinde auch nur ein geschickter Mann, so ist's
genug." Dafür genügte dann allerdings eine Lehrerbildung,
wie sie die Restaurationszeit noch kannte und über deren Stand
eine anfangs der dreissiger Jalire vorgenommene Musterung den
traurigsten Aufschluss gab. Wenn einer von den geprüften Schul-
meistern meinte, der Riese GoHath sei in der Schlacht bei vSempach
gefallen, ein anderer Basel ans Schwarze Meer verlegte, der dritte
als die ersten Eidgenossen Kaspar, Melcher und Balthasar auf-
führte, so waren das noch nicht die schHmmsten Elemente unter
der zürcherischen Lehrerschaft. Auf die ,,Religion" aber ver-
standen sich die Schulmeister ausnahmslos vortrefflich, ,, Re-
ligion" — wenn auch nichts anderes — wurde den Kindern des
Volkes in den Schulen in reichlichen Quantitäten beigebracht. Die
gesetzlichen Schulbücher waren ausschliesslich religiöse: das
64 SIEBTES KAPITEL: STADT UND LAND o
Namenbüchlein (zum Buchstabieren), der Lehrmeister (Fragen
über Gott, die zehn Gebote etc.), das Waserbüchlein (Gebete,
geisthche Lieder, Bibelsprüche), Katechismus und Neues Testa-
ment. Scherr beschreibt ein Examen, an dem der vSpruch zu be-
handeln war: ,,Der Herr ist nicht ferne von unser einem Jeden".
Der Lehrer fragt: ,,Wer oder was ist nicht?" Schüler: ,,Der Herr
ist nicht." Lehrer: ,,Gut! Wo ist der Herr nicht?" Schüler:
,, Ferne." Lehrer: ,, Von wem ist er nicht ?" Schüler: .."^'on unser."
Lehrer: ,,Von wem unser?" Schüler: , .Einem Jeden." Lehrer:
,,Ganz gut."
Ein Hauptmittel in der Hand der herrschenden Klasse zur
Bändigung des Volkes lag in der Justiz. Es gab keine unabhän-
gigen Gerichte, keine Trennung der Gewalten, keine Appellation.
Umsonst drangen Dr. Paul Usteri, Ludwig ]\Ieyer von Knonau,
Esclier von der Linth und andere auf einen Kriminalkodex; die-
jenigen, welche das sogenannte ,,richterhche Ermessen", das heisst
die Willkür vorzogen, fanden immer wieder Mittel, selbst vor-
handene Entwürfe zu beseitigen und viele Jahre hindurch ,,das
vS tillschweigen und die Kraft der Trägheit" den Neuerem entgegen-
zusetzen. Körperstrafen wurden nicht nur durch Urteil verhängt,
sondern es konnte jeder Untersuchungsbeamte zur Erpressung
eines Geständnisses, wenn sein cholerisches Temperament durch
das Leugnen des Verhafteten gereizt wurde, Rutenstreiche auf-
messen lassen so\äel ihm gut dünkte. Im Wellenberg wurde schwer
geprügelt, ebenso im Zuchthaus, wo in der Regel der Samstag
,, Zahltag" war. Ein Untersuchmigsgefangener, der zu seinem Un-
heil gerade an einem Samstag eingeUefert worden war, hörte vor
seiner Zelleutür den Ruf: ,,Chum usse, du!"; er gehorchte und
empfing eine furchtbare Tracht Prügel, die einem ganz andern
zugedacht gewesen war. Zu den eifrigsten Vorkämpfern für die
Abschaffung der Prügelstrafe gehörte der Knonauer Oberamtmann
und spätere Bürgermeister Melchior Hirzel. Das Landvolk
seufzte unter Zehnten und Grundzinsen ; die Hauptlast der Steuern
(fast ausschliessUch indirekte) lag auf den untern Klassen, die
innern Zölle drückten auf die Gewerbetreibenden; man konnte
keine neue ,, Gelte" nach Zürich tragen, ohne sie an der Porte zu
verzollen. Korn für die Mühlen durfte im ganzen Kanton nur
via Kernhaus Zürich eingeführt werden; der Müller Heinrich
o SIEBTES KAPITEL: STADT UND LAND 65
Gujer in Bauma, der „kluge Müller" oder ,,Müller-Heiri" ge-
nannt, der wegen Umgehung dieser Vorschrift vom Oberamtmann
von Kyburg aufs gröbste angefahren worden war, verHess das
Schloss mit dem innerlichen Entschluss, diesen Bann brechen zu
helfen. Nicht nur besass die zwanzigmal kleinere Stadtbevölkerung
im Grossen Rat fast die doppelte Vertretung wie das Land,
im Kleinen Rat (25 Mitglieder) verfügte sie über vier Fünftel der
Stimmen; in den Staatsrat (engerer Ausschuss des Kleinen Rats)
oder gar zum Bürgermeisteramt kam ein Landbürger überhaupt
nie. Die vom Kleinen Rat gewählten 11 Oberamtmänner,
welche mehr Gewalt besassen als heute Statthalter, Bezirksrat
und Bezirksgerichtspräsident zusammen, waren sozusagen nichts
anderes als die wiedererstandenen Landvögte, in deren Schlössern
sie auch meist residierten. Von ihnen wurden die Gemeinde-
anmiänner gewählt. Von den Oberamtmänneru waren 8, von den
160 Pfarrern 140 Stadtzürcher ; die letztem hatten die Schule unter
sich, nahmen im öffentlichen Leben eine tonangebende Stellimg
ein und fühlten sich auch als poUtische Beamte. Das Selbstgefühl
der reichen Familien auf dem Lande wurde verletzt dadurch,
dass man ihren Söhnen die Epauletten der Stabsoffiziere und der
,, brillanten Dragoneroffiziere" niclit gönnte. Auf die ganze Staats-
verwaltung erstreckte sich das , .Stadtzürchersystem", das
seinerseits ganz vomehmUch der Partei Reinhard zur Versorgung
ihrer Anhänger und Trabanten dienen musste, und nicht immer
waren es die Würdigsten, die auf diese Weise zu Amt und Würden
kamen.
Harmloser, wenn auch oft lästig empfunden war die Titel-
sucht der Regierenden, ihr Vomehmtun, das hochfahrende Wesen
den Audienz nachsuchenden Bürgern gegenüber. Auch höhere
Beamte, die vom Junker Amtsbürgermeister Reinhard aufs
Kanapee eingeladen zu werden die Ehre hatten, durften nur
dessen Meinung anhören; eine Gegenrede, Einwendung oder der-
gleichen wurde nicht erwartet; der Bürgermeister stand auf, wenn
er gesprochen hatte, und geleitete den Gast höflich zur Tür. Alle
ihre Verhandlungen und Beschlüsse umgab die Regierung mit
der grösstmöghchen HeimHchkeit; die böse Presse ward mittelst
der Zensur im Zaum gehalten. Doch allmählich entstand diesem
Regiment auch in der Stadt eine immer schärfere Opposition.
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66 SIEBTES KAPITEL: STADT UND LAND o
Um eine Gruppe hochachtbarer Männer scharte sich das streit-
bare Fähnlein der Stadtliberalen. Unter den edelsten Trägern
der neuen Ideen befand sich Staatsrat Ludwig Meyer von
Knonau, der die Republik auf Tugend und Rechtlichkeit, auf
Öffentlichkeit und Walirheit gründen wollte; dann Staatsrat
Paul Usteri, dem der Kanton Zürich nebst anderm die Press-
freiheit verdankt; selber hervorragend in der Presse tätig (an
der „Augsb. Allg. Zeitung" und der „Neuen Zürcher Zeitung"),
ruhte Usteri nicht, bis am 15. Juni 1829 vom Grossen Rat das neue
Pressgesetz endhch angenommen, die Zensur gänzlich aufgehoben
war; Melchior Hirzel, ein Riese an Gestalt, mit dem Gemüt
und der Stimme eines Kindes, achtungswürdig allein schon durch
seine warmherzigen ,, Wünsche zur \'erbesserung der zürcherischen
Landschulen" (1829). In die Justiz brachte der hochbegabte
Amtsrichter Dr. Friedrich Ludwig Keller, ein Schüler Sa-
vignys in Berhn, neues Leben und neue Prinzipien; sein Freund
und Gesinnungsgenosse David Ulrich, Staatsanwalt seit 1824,
teilte mit ihm die grossen pohtischen Erfolge seiner Glanzzeit. In
seinem ,,vSchweizerischen Beobachter" machte der junge, sehr
selbstbewusste Theologe Heinrich Nüsclieler mit seinem leb-
haftem Temperament beinahe Usteri von der ,, Neuen Zürcher
Zeitung" den Rang streitig. Diese entschlossene Phalanx stadt-
zürcherischer Fortschrittsmänner gewann der Aristokratenpartei
Schritt für Schritt Terrain ab. Einen wuchtigen Vorstoss führte sie
besonders mit dem neuen Grossratsreglement vom 14. Dezember
1829, das dem Gros.sen Rat die Gesetzesinitiative verschaffte. Fatal
waren andrerseits für die konservative Regierung zwei ^'orkomm-
nisse des Jahres 1829: der Konkurs des Handlungshauses Ge-
brüder Finsler, an dem der Staatsrat imd General Finsler als
Associe beteihgt war. Infolge Kreditgewährung durch den General
hatte der Staat an das Geschäftshaus eine Forderung von 114,000
Franken an Wechselschulden, die aber in wenigen Tagen gedeckt
war. Trotzdem musste Finsler von allen seinen Ämtern zurück-
treten. Am 9. No\'ember verschwand der wackere Staatsrat
Jakob Hirzel. Als am folgenden Morgen die Grossräte den
Ratssaal betraten, sahen sie die beiden Bürgermeister und den
Polizeipräsidenten in eifrigem Gespräch. Unter der Hand ver-
breitete sich die Kunde \-on dem Geschehenen und machte einen
CM
SS
o SIEBTES KAPITEL: STADT UND LAND 67
ausserordentlichen Eindruck. Erst am 22. November fand man
Hirzel tot im Hochwachthäuschen auf dem Ütliberg. L,. Mej'er
V. Knonau kam es damals vor, als ob, wenn ein Ratsherr spazieren
gehe, die Menge starr auf ihn hinbUcke und denke: Da geht
auch wieder ein Ratsherr zum Tore hinaus. Es hiess, mit Finsler
habe die konser\-ative Regierung den rechten, mit Hirzel den
linken Arm verloren. Hirzel, der an Erschöpfung gestorben
war, hinterliess Amt und Haus in vollständiger Ordnung. Als
charakteristisches Anzeichen für einen politischen Witterungs-
umschlag betrachtete man das Unterbleiben des bisher üblichen
,,Scharinggelhofs" am i. Januar 1830: zum erstenmal fehlten
bei der Neujahrs- Auf Wartung in den Salons der Herren Bürger-
meister die glänzenden Uniformen der Offiziere.
Doch wer weiss, wie lange sich in Zürich das alte Regime
noch hätte halten können, wäre nicht auch diesmal der elektrische
Funke aus Paris auf den lange angesammelten Zündstoff über-
gesprungen. Die Pariser hatten in ihrer Julirevolution den
König Karl X. verjagt und den ,, Bürgerkönig" Louis Philipp
an seine Stelle gesetzt, der eine Zeitlang als Flüchtling im Bündner-
land geschulmeistert hatte. Die vSchweizer Söldner wurden nach
Hause geschickt. Ein Teil von ihnen kam am i. September gänz-
lich abgerissen rmd zerlumpt in Zürich an. Dem ,, Tagblatt"
(,, Zürcher Wochenblatt") vom 6. September war ein Aufruf des
Spitalschreibers Fäsi zur Spendung von Hemden, Schuhen usw.
für die entlassene und verlassene Söldnerschar beigelegt. Die
radikale Presse aber jubelte. ,,Hast du ihn vernommen, den
rauschenden Flügelschlag des sich wieder erhebenden Geistes
deiner uralten Freiheit?" vSo fragte am 4. September 1830 die
auch im Kanton Zürich stark verbreitete ,, Appenzeller Zeitung",
und bedeutsam fügte sie hinzu: ,, Vernommen hast du ihn wohl,
aber ob auch verstanden?" Die Antwort Hess nicht lange auf
sich warten. Zuerst regte es sich wieder am See. Die vSöhne der
Stäfner Patrioten von 1795 hatten schon vor 1830 in einem Turm-
stübchen der Ringmauer von Rapperswil heimliche Zusammen-
künfte gehalten und der Aristokratie den Untergang geschworen.
Jetzt Hessen sie ein Flugblatt in 6000 Exemplaren ins Land
flattern und riefen die ^Mitbürger zur Freiheit auf. In der Stadt
erschrak man ob diesem Ungestüm. Auch die Liberalen wandelte
68 SIEBTES KAPITEL: STADT UND LAND o
die blasse Furcht an, und selbst der charakterfeste Usteri wurde
bedenkhch. „Nur kein Bauernregiment", lautete das Schlag-
wort; in einem ,, Bauernregiment" erbückten konser\'ative und
liberale Stadtzürcher das Grab aller Bildung und Kultur. Es
musste ein Deutscher kommen, Dr. Ludwig Snell aus Nassau,
um den freisinnigen Stadtzürchern Vertrauen auf das Volk
zu predigen. Dr. Snell, ein begeisterter Volks- und Freiheits-
freund, weilte seit 1827 in der Schweiz. Im Sommer 1830 traf
er auf dem Rigi mit Staatsanwalt Ulrich zusammen, der ihm seine
Besorgnisse wegen einer kommenden bildungsfeindlichen Demo-
kratie, rohen Massenherrschaft usw. anvertraute. Aber Snell er-
widerte: ,,Ihr niüsst im allgemeinen aufs \''olk vertrauen, das,
mag es jetzt noch so roh und ungebildet sein, doch unverdorben
genug ist, um das Gute zu wollen. In der Freiheit wird das Volk
für die Freiheit reif werden, und während die alte Generation die
Schule der politischen Bildung durchmacht, wächst in den umge-
stalteten vSchulen ein neues, aufgeklärtes und strebsames Geschlecht
heran. Welch herrlicher Wirkungskreis dann für tatkräftige
Männer!" Ulrich war ergriffen. ,,Die Bildung der Masse, das ist
ein grosser Gedanke." Mit neu entfachter Begeisterung reiste er
nach Zürich. Ganz anders der , .Beobachter" Heinrich Nü-
scheler, der sich bisher ungemein radikal geberdet hatte. Ihm
hatte, auch während eines Ferienaufenthaltes in Hütten, Dr.
Schmid von Richterswil etwas vom ,, Brechen der vSklavenketten"
vordeklamiert und dabei gehofft, den Gesinnungsgenossen aus
der vStadt für die Bewegung der Landschaft zu gewinnen. Tötlich
erschrocken, ging Nüscheler von »Stund an hinter sich; er hatte
sich eingebildet, die ganze Fortschrittssache in seiner Hand zu
halten, und musste nun erkennen, dass die Landschaft auch ohne
die Führung der vStadtliberalen vorzugehen imstande wäre.
Nach seiner Rückkehr vom Rigi besuchte Dr. Snell seinen
Freund Dr. Streuli in Küsnacht, einen Schwager der Gebrüder
Gessner, die Nüschelers ,, Beobachter" druckten. Auf dem Weg
nach Küsnacht begegnete Dr. Snell am Mühlebach dem ihm
ebenfalls befreundeten Nüscheler, der ihn aber sehr kühl und
befangen grüsste. Abends erzählte Nüscheler sehr erregt auf der
,,Saffran", dass die radikalen Landleute nun doch ihren Organi-
sationsmann gefunden hätten: Dr. Snell! Er habe ihn heute
o SIEBTES KAPITEL: STADT UND LAND 69
nach Küsnacht gehen sehen. Wirkhch wurde Dr. Snell in Küs-
nacht, wenn auch mit vieler Mühe, von Dr. StreuH überredet,
den Seeleuten eine Denkschrift über die Volkswünsche aufzu-
setzen, die dann unter dem Namen ,,Küsnachter Memorial"
bekannt wurde. Ihre in der Folge auch durchgedrungene Haupt-
forderung bestand in der Änderung der Vertretung im Grossen
Rat: von 212 Grossräten sollten zwei Drittel dem l,and, ein Drittel
der Stadt angehören. Das Memorial sollte in Abschriften beim
\'olk als Petition an den Grossen Rat zirkuheren und unterzeichnet
werden. Der cholerische Nüscheler aber erliess am 26. Oktober
eine öffenthche Erklärung, dass er seine Beziehungen zu den Ge-
brüdern Gessner im Schwänli, ,,die dem von einem Fremden
verfassten Memorial nicht fremd gebheben" seien, abbreche und
mit dem ,, Beobachter" zu Orell Füssh & Co. im Elsasser über-
siedle. Daraufhin wurde das Küsnachter Memorial gedruckt, was
man zuerst nicht beabsichtigt hatte.
Während die Stadthberalen, die so viel von Rechtsgleichheit
und voller Freiheit zu schreiben gewusst, jetzt — da die Sturm-
zeichen am Himmel standen — die Segel einzogen und ängstHch
dem heimischen Hafen zuruderten, griff die Bewegung auf dem
Lande immer weiter um sich. Im Lauf des September fanden
auf Bocken, in der ,, Krone" zu vStäfa, in Richterswil und Meilen
Versammlungen statt, wo man einig wurde, etwas zu tun zur
Herbeiführung des demokratischen Fortschritts. Wahrscheinhch
auf Veranlassung der Stadthberalen setzte auf dem Lande zugleich
eine Gegenaktion ein mit dem Zweck, dem radikalen \''olksbegehren
durch einen weise temperierten Fortschritt zuvorzukommen. Am
13. Oktober 1830 versammelten sich im ,, Kreuz" zu Uster 31
stadtfreundUche Landgrossräte und verfassten ein Memorial mit
dem Begehren der schleunigen Einberufung des Grossen Rates
zur Behandlung einiger der wichtigsten (im Memorial aufgezählten)
Volkswünsche. Das Memorial wurde am 14. Oktober von Stadt-
präsident KünzH von Winterthur, Quartierhauptmann HürU-
mann von Richterswil und einigen andern Grossräten den beiden
Bürgermeistern übergeben. Eine neue Flugschrift der Seeleute,
,, Gespräch zwischen Jakob und Konrad", erschien gegen Ende
Oktober; sie verlangte, dass die Verfassung sich auf den \'olks-
willen gründe. Der am i. November versammelte Grosse Rat
70 SIEBTES KAPITEL: STADT UND LAND o
beschloss, den gemässigten Wünschen der Landgrossräte in Uster
entgegenzukommen; er war geneigt, dem Land io6 Grossräte
einzuräumen, io6 den Städten Zürich (92) und Winterthur (14)
zusammen, welches letztere man damit vom Lande zu trennen
hoffte. Es wurde eine Re\isionskommission aus fast lauter Stadt-
bürgem mit Usteri an der vSpitze eingesetzt, die am 25. November
ihre Anträge einbringen sollte. Das Memorial von Küsnacht,
von vSnell verfasst, fand im Grossen Rat keinerlei Beachtung;
Snell selbst, von der Polizei in Zürich als ,, gefährlicher Mensch"
übenvacht, entzog sich einer drohenden Ausweisung durch die
Flucht nach Basel.
Die Totalrevision der Verfassung war also abgelehnt; nur
eine Partialrevision sollte vorgenommen werden. Damit konnte
sich die Landschaft nicht zufrieden geben. Am Tage nach dem
Stäfner Wochenmarkt. Freitag den 19. November, kamen in
Stäfa über hundert ]\Iänner aus verschiedenen Teilen des Kantons
zusammen. Die Beratung dauerte bis Mitternacht und endete
mit dem Beschluss, auf Montag den 22. November eine grosse
Landsgemeinde nach Uster einzuberufen. Schnell wurde eine
Einladung geschrieben und gedruckt, — nur eine kurze Aufforde-
rung (ohne Unterschrift) an ,,alle Kantonsbürger, denen das Glück
des \"aterlandes am Herzen liegt und die den Drang des Augen-
blickes fühlen", nach Laster zu kommen. Reiter und Schnell-
läufer verbreiteten den Aufruf im ganzen Kanton. Die Komit-
tierten begaben sich am Sonntag Abend nach Uster, nicht alle
in freudig gehobener Stimmung, auch nicht einig unter sich.
Dr. Hegetsch Weiler von Stäfa, ein Freimd von Dr. Paul Usteri
mid von diesem beeinflusst, hatte im Sinn, gegen ein radikales
\"orgehen zu sprechen und Anschluss an die \^orschläge der Stadt-
liberalen zu empfehlen. ]\Ian konnte nicht wissen, wie es gehen
werde und welche Stellung die Regierung zu der Landsgemeinde
zu nehmen beabsichtige. Noch lebte und regierte der nämliche
Bürgermeister Hans v. Reinhard, der die Führer des Bockenauf-
standes hatte hinrichten lassen, und es war kein blosser Scherz,
als der \'ater Gujer in Bauma dem nach Uster abreisenden Sohn
nachrief: ,,Heiri, wenn's fehlt, kann's dich den Kopf kosten." Der
Heiri hatte auch vorsorglich den Reisepass zu sich gesteckt, um
im Fall der Not ins Badische zu entkommen. Aber es war seit 1804
o SIEBTES KAPITEL: STADT UND LAND 71
denn doch manches anders geworden, und die Regierung wagte
nichts gegen die Landsgemeinde zu unternehmen.
Den Kommittierten ward es leichter ums Herz, als am Montag
morgen der Wachtposten im Kirchturm von Uster meldete, man
sehe von allen Seiten ganze Massen von Volk herankommen. End-
lose Züge \-on Landleuten sali der Oberamtmann Ott von Grü-
ningen an seinem Schloss vorüberziehen, und die ernste, feierliche
Stimmung der Leute machte ihm Eindruck. Acht- bis zehntausend
Mann kamen in Uster zusammen, auch die Winterthurer stellten
sich ein, mit Freuden begrüsst. Im ,, Kreuz" führte man Dr.
Hegetschweiler ans Fenster und liess ihn die ruhig wartenden
Massen überbhcken. Ergriffen wandte er sich um und sagte: ,,Es
weiss das Volk, was es will, vmd ist des Rechtes würdig. Ich stehe
ab \"on meiner Absicht und will als Redner für eure Ansicht auf-
treten." Die Versammlung war zu gross für die Kirche und musste
auf die kleine Anhöhe des ,,Zimiker" verlegt werden. Dort spra-
chen nacheinander Heinrich Gujer von Bauma, Dr. Heget-
schweiler, Arzt und Naturforscher, der mit den Dichterworten
begann: ,,Frei ist der Mensch, ist frei, und war' er in Ketten ge-
boren"; endhch J. J. Steffan von Wädenswil, Direktor einer
der Kunzischen Fabriken in Uster, ein gutmütiger, etwas über-
schwengHcher Mensch, bei dem (nach Scherr) die Gemütswogen
zuweilen den Verstand bedeckten. Mit lauter Stimme verlas er
den Entwurf des Komitee für die Petition und eröffnete dann die
allgemeine Umfrage nach allfälhg weiteren Wünschen. Da kam
denn alles ]\Iöghche; bereitwilhg ging der hitzige Steffan, von sei-
nen Mitkommittierten immer ängsthcher am Rockärmel gezupft,
auf alles ein, und als die Zürcher Oberländer, welche durch die
neuen Webmaschinen brotlos geworden waren, riefen: ,, Web-
maschinen weg!", da tröstete der gute Steffan wieder: ,,Au da
muess ghulfe sü", nicht ahnend, dass dieses törichte Wort zwei
Jahre später die Fabrik seines Kollegen Corrodi in Uster in Flam-
men setzen werde.
Abgesehen von diesen paar Entgleisungen nahm der Tag von
Uster, das wichtigste pohtische Ereignis in der Geschichte von
Stadt und Kanton Zürich in den letzten hundert Jahren, den er-
hebendsten und würdigsten Verlauf. Kleinere Versammlungen
fanden an demselben Tage statt auf Schloss Mörsburg, zu Wiesen-
72 SIEBTES KAPITEL: STADT UND LAND o
dangen, Hettlingen, Wülflingen und andern Orten. Im Auftrag
des Komitee schrieb Fürsprech Furrer von Bubikon (f 1837)
die Petition in endgültiger Redaktion nieder. Es ist dies das be-
rühmte Memorial von Uster, dessen Anrede lautete:
„Hochwohlgebomer, Hochgeachteter Junker Amtsbürger-
meister !
„Hochgeachtete, Hochzuverehrende Herren und Obere!"
Es sei allgemein bekannt, fängt das Schriftstück an, dass
durch die Vorfälle des Juli in Frankreich auch in unserem Kanton
verschiedene Begehren und Wünsche wieder aufgeweckt wurden,
die seit dem Jahre 1814 in Schlummer eingewiegt worden waren.
Dann folgt eine ruhige und leidenschaftslose Auseinandersetzung
der Sachlage. Das ganze Schriftstück ist im Tone der Ehrerbietung
und bewunderungswürdiger Mässigung abgefasst. Es enthält kein
unziemhches Wort und lässt nur ganz am Schluss in einem einzigen
Satz durchblicken, dass eine starke männliche Entschlossenheit
hinter den höfhchen Worten steht: ,,Aber so wie sich das Volk
früher und an jenem Tage gezeigt hat, ist bestimmt anzunehmen,
dass bei Nichtentsprechung seines \'erlangens es mit dem näm-
lichen Mute, aber vielleicht nicht mit der näniHchen Ruhe seine
Wünsche wiederholen werde."
In Zürich war man auch ohne Telephon ra.sch unterrichtet
von den Vorgängen in Uster. Reinhard hatte bei den ersten
Berichten über die Menschenansammlung die ]Mitgheder des Staats-
rates, den PoHzeipräsidenten u. a. in seine Wohnung berufen.
Man vernahm dann, dass alles ruhig verlaufe, wer gesprochen habe,
was beschlossen wurde und dass die \''ersammlung schhesslich
sich auflöste und nicht nach Zürich marschierte, wie einige befürch-
tet hatten. Dienstag den 23. November fand im Schützenhaus
eine Versammlung von Stadtbürgern statt, welche von dem
liberalen Professor der Geschichte Heinricli Escher geleitet wurde.
Sie bestand in der grossen Mehrheit aus Anliängern des Alten.
Eine Kundgebung, die sie an die Bevölkerung erliess, nannte als
Zweck der Versammlung die Aufrechthaltung von Rulie und
Ordnung in der Stadt; es wurde auch eine Kommission ernannt,
in welche man fünf höhere konservative Offiziere delegierte. Der
Regierung, welche an diesem Tage ebenfalls eine zur Ruhe mah-
o SIEBTES KAPITEL: STADT UND LAND 73
nende Proklamation erlassen hatte, scheint, man nicht mehr die
nötige Kraft zur Wahrung der öffentlichen Ordnung zugetraut zu
haben. Mittwoch den 24. November meldeten sich beim Amts-
bürgermeister Reinhard im Rechberg neun Abgeordnete der
Versammlung in Uster, an ihrer Spitze Rektor Troll von Winter-
thur, zur Übergabe des Memorials. Der Weibel wies den
Herren das Zimmer an, in welchem 1813 die Mediationsverfassung
von den XIII alten Orten als aufgehoben erklärt worden war,
und sagte, „S. Exzellenz der Junker Landammann" werde so-
gleich kommen. Als er eingetreten war, richtete Troll eine An-
sprache an ihn, die allen Anwesenden mit Ausnahme Reinhards
Tränen entlockte. Der Bürgermeister lud die Abgeordneten zum
Sitzen ein und Hess sich dann in väterhch mahnendem Tone über
die ,,Bittschrift" vernehmen — ,, Denkschrift" oder ,, Memorial"
zu sagen, vermied er stets gefUssenthch — von der er meinte, es
werde nun viel darauf ankommen, wie der Grosse Rat diese Äusse-
rungen aufnehmen werde. Auch an die einzelnen Abgeordneten
richtete Reinhard seine \'orstellimgen und sanften Zurechtwei-
sungen, bis das allseitige Aufstehen und Rücken der Stühle den
Bürgermeister belehrte, dass die Mäimer des Volks diese nutzlose
Unterredung zu beendigen wünschten. ,, Freudig lächelnd" zogen
sie von dannen. Folgenden Tages trat der Grosse Rat zusam-
men. In zehnstündiger Sitzung Hessen sich über neunzig Redner
vernehmen. Einstimmig wurde das Repräsentationsverhältnis von
zwei Drittel Land und ein Drittel Stadt gutgeheissen und am
27. November beschlossen, dass schon am 6. Dezember ein
neuer Grosser Rat nach diesem Verhältnis zu wählen sei, der dann
sogleich eine neue Verfassung auszuarbeiten habe. Der wesentlich
verjüngte Grosse Rat konnte schon am 14. Dezember von Rein-
hard wieder eröffnet werden. Der Greis hielt eine Ansprache,
die seine absolute Verständnislosigkeit für die treibenden Kräfte
der \^olksseele verriet und in elegischen Tönen über die herrliche
Verfassung von 1814 und den aües Begreifen übersteigenden Wan-
del der Zeit sich erging. Am 20. März 1831 fand die Volksab-
stimmung über die neue Verfassung statt. Sie wurde mit 40,503
Ja gegen 1721 Nein angenommen; in der Stadt Zürich standen
1791 Ja nur 138 Nein gegenüber. Damit hatte sich das Zürcher
Volk zum erstenmal durch Urabstimmung kraft seines
74 SIEBTES KAPITEL: STADT UND^LAXD o
Selbstbestimmungsrechtes und ohne fremden Einfluss eine Ver-
fassung gegeben.
Nun war für den 75jährigen Hans v. Reinhard die Zeit
gekommen, da er sich zurückziehen durfte. Zwei Tage nach der
Volksabstimmung schrieb er sein Entlassungsgesuch nieder, ver-
bheb aber im Grossen Rat, um in den folgenden Jahren gelegent-
lich noch für die Interessen der Stadt das Wort zu ergreifen oder
sich für seine geliebte Jagd (d. h. die Beibehaltung des Jagd-
bannes) zu wehren, der er bis in sein hohes Alter eifrig oblag. Der
Zufall der Geburt hatte ihn auf die Höhen des gesellschaftHchen
Lebens gestellt und mit Heroen der \^'eltgesclüchte in persönliche
Berührmig gebracht. ]Mit Napoleon I. hatte er bei verschiedenen
Gelegenheiten verkehrt und auch seine wechselnden Launen mit
Würde zu ertragen gewusst. Am interessantesten war wohl die
Begegnung im Kriegslager zu Regensburg (kurz vor der zweiten
Eroberung Wiens 1809). Als eine action d'eclat im Leben Rein-
hards darf sein tadelloses Benehmen am Bankett nach der Über-
reichung der ]\Iediationsakte in Paris im Jahre 1803 angeführt
werden. Dort war, als die Gäste dem \\'ein bereits gehörig zuge-
sprochen hatten und das Mahl sich seinem Ende näherte, vom
französischen Kommissär Roederer nur so ganz beiläufig mitgeteilt
worden, es habe in der Mediationsakte noch eine kleine redak-
tionelle Änderung angebracht und deshalb das letzte Blatt mit
den Unterschriften abgetrennt werden müssen; man möchte so
gut sein und die unbedeutende FörmHchkeit durch das Anbringen
der neuen Unterschriften gleich erledigen. D'Affr^- und Glutz
unterzeichneten arglos ohne weiteres; Reinhard aber erklärte, er
sei jetzt nicht in der Verfassung, um Redaktionen zu prüfen; nach
einem solchen Mahle gezieme es sich nicht, etwas Ernsthaftes
vorzunehmen. Je stärker man ihm zusetzte, um so misstrauischer
wurde Reinhard und bheb dabei, heute unterzeichne er nicht mehr.
Dadurch aufmerksam geworden, verweigerten auch Jauch und
andere ihre Unterschrift. Der Streich Roederers war an Rein-
hards Standhaftigkeit gescheitert. Mit der angebUchen kleinen
,, redaktionellen Änderung" hätte der Kanton Zürich sein Eigen-
tumsrecht auf die Domänen Weinfelden, Wellenberg, Neunforn,
Pf3"n, Steinegg, Sengen, Amt Stein und Sax im Wert von über
einer Milhon Gulden eingebüsst.
o SIEBTES KAPITEL: STADT UND LAND 75
In der Schweiz und im Kanton Zürich wurde Reinhard beinahe
wie ein Fürst verehrt. Dem Volke gegenüber, dem er auf seinen
Jagden öfters nahe kam, zeigte er sich gerne leutseHg, wo man dies
als Herablassung empfand. Dass er zeitlebens nie über die Vor-
urteile seines Standes hinwegkam, wird ihm kein Verständiger zum
Vorwurf machen. Hans von Reinhard starb am 23. Dezember 1835
und wurde am 27. Dezember begraben. Die ,, Freitagszeitung" gibt
von der Trauerfeier die folgende, etwas trockene Beschreibung:
,,Das ausgezeichnet grosse Begleit, das letzten Sonntag der Leiche
des sei. Junker Landammann Reinhard folgte, war ein Zeuge,
welcher Achtung dieser Mann unter allen Klassen des Volkes genoss.
Dass bei demselben zum erstenmal die Leidtragenden die Hüte
auf dem Kopf behielten und auch das andere Pubhkum dieses
Beispiel nachahmte, ist eine Sitte, die schon längst wünschens-
wert gewesen wäre und die hoffentlich fortgesetzt wird. Gewiss
ist's, dass schon manche Kranklieit bei dem frühern Gebrauche
bei einem Leichenbegängnis geholt wurde."
ZWEITER TEIL
AUS DER
REGENERATIONSZEIT
ACHTES KAPITEL
DAS ALTE STÜRZT
Die Stadt Zürich grollte. Sie sah sich durch den Ustertag zum
zweitenmal entthront. Nicht weniger als der Verlust des
poHtischen Übergewichts schmerzte die Einbusse an zahlreichen
materiellen Interessen. Hatten auch die vornehmern FamiUen
das eigentUche Regiment für sich reserviert, so waren doch neben
ihnen viele andere Stadtbürger zu Stellen und Einfluss ge-
kommen und überzeugt, dass auch sie eine Art Aristokraten seien.
Die Handwerker, namenthch die Besitzer von sogenannten Ehe-
haften, Wirte, Müller, Fleischer, usw., glaubten ihre Privatvorteile
und Vorrechte in Gefahr. Die konservative Schützenhausver-
sammlung hatte dieser städtischen Opposition schon am ersten
Tage nach der Landsgemeiude \-on Uster eine feste Organisation
gegeben, und es sah ganz danach aus, als ob die Gewalt in der
Stadt nun zunächst bei diesem konservativen Stadtverein Hege,
waren doch selbst die Wächter auf den Türmen angewiesen, bei
einer 'V'olksbewegung auf keinen Befehl zu achten als auf den-
jenigen des Generals Ziegler und seiner vier Mitvorsteher vom
zürcherischen Stadtverein. Die Bildung einer Bürgergarde, die
der mit dem Stadtverein harmonierende Stadtrat am 31. Ok-
tober 1831 beschlossen hatte, untersagte der Regierungsrat. Die
bitterböse Stimmung der Stadtbürger bekamen die Parteigänger
der Umwälzung auf allerlei Weise zu spüren. Der gesellschaft-
liche Verkehr zwischen früher befreundeten FamiUen wurde
unmöghch, man versagte den Freunden der I^andpartei den Gruss
auf der Strasse, indem man ,,mit martiahschem Blick" an ihnen
vorüberging. Das Haus von Dr. Ludwig Keller an der obern
Kirchgasse (zum ,, roten Adler") wurde mehrmals beschädigt.
Als Ludwig Meyer v. Knonau mit einem seiner Mieter den Miet-
vertrag erneuerte, verlangte der Mann Schadloshaltung für alle
eingeschlagenen Fensterscheiben, da er nicht die Folgen der
Unpopularität des Hausherrn tragen wollte ; bei seinem Hut-
8o ACHTES KAPITEL: DAS ALTE STÜRZT o
macher Morf entschuldigte sich Meyer v. Knonau, weil er jetzt
— wegen viel geringerer Abnützung durch Grüssen — weniger
Hüte brauche als früher. Im Grossen Rat erhoben die Radi-
kalen des öftern bittere Klagen über Belästigungen und Ver-
folgungen, denen sie in der vStadt ausgesetzt seien. Regierungsrat
Pfenninger erklärte, er fühle sich in Zürich nicht mehr sicher
und werde nachts aufs Land gehen. Friedensrichter Fierz aus
Küsnacht, ein 70jähriger Greis, war tätlich misshandelt worden,
und zwar bei einem Krawall vor der Gessnerschen Druckerei, wo
seit dem 26. November 1830 das neue radikale Blatt, der ,, Schwei-
zerische Republikaner" erschien. Auch Offiziere in Epauletten be-
teiUgten sich an dem Auflauf, bei dem der Inhaber der Druckerei,
seine Frau und sein Bruder mit Schlägen traktiert wurden.
Leidenschaftliche Debatten, während denen u. a. Stadtpräsident
J. J. Escher und Dr. Ludwig Keller wiederholt ,, aneinander auf-
standen", füllten manche Grossratssitzung aus.
Für die Stadtliberalen war der Ustertag zum trennenden
Keil geworden. Dr. Ludwig Keller, der noch an der Schützen-
hausversammlung teilgenommen, hatte rasch die Nutzlosigkeit
eines Widerstandes gegen die demokratische Strömung einge-
sehen und kurzerhand beschlossen, sich ihrer zu bemächtigen,
um sie zur Verwirklichung seiner Staatsideale zu benützen. Das
ist ihm denn auch in hohem Mass gelungen. Er wurde das Haupt
der hberal-radikalen Mehrheitspartei, der in allen Fragen und
Entscheidungen tonangebende Führer der Landgrossräte und
damit der eigentliche Beherrscher Zürichs, ohne dessen Rat und
Zustimmung nichts geschehen konnte. ,,Peisistratos von Limmat-
Athen", ,, Tyrann von Zürich" nannten ihn seine Gegner, wenn
sie höfUch sein wollten ; sonst hatten sie für ihn auch noch andere
Namen. Friedrich Ludwig Keller, geboren den 17. Oktober 1799,
einziger Sohn des ,, reichen Keller von Goldbacli", stammte aus
alt angesehenem Stadtzürcher Geschlecht. In ihm verehren die
zürcherischen und schweizerischen Juristen den ersten Begründer
und Bildner einer wissenschaftlichen schweizerischen Jurispru-
denz. An der Schaffung einer wohlorganisierten zürcherischen
Rechtspflege hatte Keller das Hauptverdienst. Niemand hat das
mit grösserm Freiniut anerkannt und ausgesprochen als sein
schärfster poUtischer Gegner Johann Caspar Bluntschli,
o ACHTES KAPITEL: DAS ALTE STÜRZT 8i
selber ein Jurist von phänomenaler Begabung und eine Autorität
von erstem Range für sein Fach. So verschieden Keller und
Bluntschli politisch dachten und handelten, in der Rechtswissen-
schaft stehen sie nebeneinander als leuchtendes Doppelgestirn.
Kellers Schwäche lag in seiner „allzugrossen Verehrung für das
weibliche Geschlecht", die dem von ihm und seinen Freunden
frequentierten Restaurant am Wolfbach den Namen ,,Cafe Ober-
richter" eintrug. Keller betrachtete diese Neigung als Privat-
sache, die niemand etwas angehe; aber wenn selbst BluntschU
deswegen gegen die ,,zur Schau getragene Unsittlichkeit" der
Radikalen protestierte und Keller die Stimme versagte, wie
konnte dann ein im Brennpunkt des pohtischen Kampfes stehender
Parteiführer envarten, dass das übrige Pubhkum sich um seine
,, Privatangelegenheiten" nicht kümmern werde? Man muss dies
erwähnen, weil die Revolution von 1839 von daher zum guten
Teil ihre Berechtigung herleitete. Aber derselbe Bluntschli hat
Dr. Keller in seinem Nachruf auch folgende Worte gewidmet:
,, Überhaupt habe ich die reinigende und veredelnde Macht der
\^lssenschaft selten deutlicher erkannt als in dem Leben Kellers.
Er stürzte sich in die wissenschaftUchen Studien wie in ein frisches,
stärkendes Bad, welches allen Schmutz des täghchen Lebens und
alle Flecken der Leidenschaft abwascht. Da war er immer unbe-
fangen, heiter, frei nach Wahrheit ringend. Ich habe nie einen
Zug des Neides, keine Spur von Gelehrten- oder Autoreneitelkeit
an ihm bemerkt. Jeder Fortschritt, den andere in seinem Umkreis
machten, war für ihn eine Freude; er war ebenso bereit, denselben
zu fördern, wie für sich nutzbar zu machen. Von ganzer Seele
liebte er die Wahrheit."
Mit Keller trat an die Spitze der liberal-radikalen Partei
Staatsanwalt David Ulrich, geb. 1797, Enkel (mütterhcher-
seits) und Pathenkind des Bürgermeisters David von Wyss
(Vater). ,,Wenn an dem Juristen und Staatsanwälte das unbe-
stechliche Gerechtigkeitsgefühl, an dem Politiker der unabhängige
Charakter, das gesunde Urteil, wodurch er den meisten überlegen
war, allgemein anerkannt wurden, so mussten die Schroffheit
des pohtischen Auftretens, die dem ausgesproclienen Parteimann
und Parteiführer trotz seiner angeborenen Gutmütigkeit eigen
war, und noch mehr die offenkundigen Blossen seines Jung-
6
82 ACHTES KAPITEL: DAS ALTE STÜRZT o
geselleiilebens, von dem die chronique scandaleuse allerlei pikante
Abenteuer zu erzählen wusste, ihm bald Anfechtungen und Feinde
zuziehen." (Wettstein, Regeneration). Der dritte im Bunde war
der 1803 geborene Wilhelm Füssli, „radikaler Parteimann
schärfster Tonart, schneidiger journahstischer Vorkämpfer dieser
Tendenzen, launig-derber Redner im Grossen Rat, voll Liebe für
Wissenschaft und Kunst und alle edleren Richtungen der Men-
schen." Mit Vehemenz wehrte sich Füssh gegen ungerechte, seine
Partei herabsetzende \'erallgemeinerungen. ,,Man hat den Radi-
kalen vorzüglich Unsittlichkeit vorwerfen wollen: was mich be-
trifft, so greife jemand meine Sittlichkeit an, wenn er kann. Ich
kann jedem Rede stehen. Man darf durch meine Fenster sehen,
wie es in meinem Hause zugeht." Keller, Ulrich und Füssli bildeten
nach der N. Z. Z. (Juni 1834) ^i^i ,, Triumvirat, dem es eine
Zeitlang so ziemlich gelungen war, vor ihrer Allgewalt einen
gewissen Schrecken zu verbreiten." Als abhängig von diesem
Triumvirat nannte die N. Z. Z. in erster Linie den Oberrichter
Schulthess, den die Zunft zu ,, Zimmerleuten" wegen seiner
Gesinnimg aus dem Grossen Rat entfernte und deshalb vom
,,Repubhkaner" als eine Gesellschaft von Kakerlaken tituhert
wurde; und sodann den Bürgermeister Hess, den das Trium\-irat
durch Schmeicheleien zu führen glaube. Zur Partei gehörten
ferner der Winterthurer Jurist Dr. Jonas Furrer (späterer
Bundespräsident), Conrad Melchior Hirzel, mit Keller zwar
oft auf gespanntem Fusse stehend, Professor Eduard vSulzer,
der aber bald zu den Konservati \'en überging und das konservati\"e
Parteiblatt ,,Der schweizerische Konstitutionelle" gründete und
redigierte. Auch der edle Ludwig Mej'er von Knonau, ein
Staatsmann der alten Schule (geb. 176g), stand auf dem Boden
der hberal-radikalen Partei, ,, rüstig und freudig bejahend trat
er in den Umschwung der Dinge ein und arbeitete mit der lebendig-
sten Teilnahme für alle neuen Aufgaben, welche dem Staatsleben
gestellt wurden." Von den radikalen Landvertretern seien nur
genannt Dr. Hegetschweiler, der sehr tüchtige und brauchbare
Amtsrichter und nachherige Regierungsrat Weiss, alt Statthalter
Pfenninger, Heinrich Gujer von Bauma (erster Grossratspräsident
vom Lande!). vSie alle aber fügten sich — wenigstens im Anfang —
willig der geistigen Überlegenheit der stadtzürcherischen Fülirer.
o ACHTES KAPITEL: DAS ALTE STÜRZT 83
Der rechte Flügel der Stadtliberalen war seit dem Ustertag
zur städtischen Opposition abgeschwenkt und bildete innerhalb
derselben die „Partei der Gemässigten", des „juste-milieu",
die ihr geistiges Haupt in Joh. Caspar Bluntschli besass.
Bluntschii (geb. 1808), damals Gerichtsschreiber beim Bezirks-
gericht Zürich und städtischer Notar, nahm energisch Stellung
gegen den ,, Souveränitätsschwindel der Menge" und wurde des-
halb von der radikalen Landpartei samt seinem ,,iuste-miUeu"-
Gefolge mit den Aristokraten in denselben Topf geworfen. \'on
den gemässigt Konservativen, die der Richtung BltintschHs nahe-
standen, sind besonders zu nennen Bürgermeister Conrad von
Muralt, die Regierungsräte Ferdinand Meyer — Vater des
Dichters C. F. Mej-er — und J. J. Hottinger, Dr. jur. Joh.
G. Finsler, Oberrichter Joh. Caspar Ulrich, Chef der Buch-
druckerei Berichthaus; der Philologe Joh. Caspar v. Orelli ge-
hörte anfänglich ebenfalls zum rechten Flügel der Liberalen, aber
doch nur kurze Zeit. Organ der Gemässigten war — nach dem
Eingehen des ,, Beobachter" (Heinrich Xüscheler starb am 15. Juli
1831) — der ebenfalls nur kurzlebige ,, Vaterlandsfreund", den der
radikale ,,Repubhkaner" als ,, Hofhund der Aristokratie" verbrüllte.
Die ,, Freitagszeitung" war konservativ und aristokratisch und
zählte zu ihren Mitarbeitern hauptsächUch GeistHche. Die ,,Neue
Zürcher Zeitung", eine Zeitlang redigiert von dem gewesenen
Oberlehrer an der Blindenanstalt, dem Württemberger Ignaz
Thomas Scherr (geb. 1801) und dann von dem Kriminal-
gerichtspräsidenten und nachherigen Regierungsrat Heinrich
Escher und dessen poU tische Schwankungen getreuUch wider-
spiegelnd, wurde gelegentlich mit gleicher Heftigkeit von rechts
und hnks angegriffen. Das Gros der städtischen Bürgerschaft
hörte aber viel weniger auf die Stimme der Gemässigten, als auf
den Vertreter der Stockkonservativen, der Opposition ä tout prix,
Oberstleutnant und Stadtrat David Nuschele r. Das war ihr
Mann, ,,der sagte es ihnen", der bekämpfte , .unerschrocken"
alles und jedes, was die Regierung bringen mochte. Das lauwarme
Getränk der ,, Gemässigten" mundete den Stadtbürgern nicht
und den verbindUchen, freundUchen Bürgermeister v. Muralt
verspotteten sie als ,, Seidenhändler Muralt". Ob mehr gemässigt
oder extrem-konservativ, hat man sich in jedem Fall die Stadt
84 ACHTES KAPITEL: DAS ALTE STÜRZT o
Zürich schon vom Ustertage an als feindüches Lager gegei:über
der Regierung und herrschenden Partei im Kanton zu denken,
und die Anhänger der letztern bildeten in der .Stadt eine kleine
und scheel angesehene Minderheit.
Die Verfassung von 1831 stellt einen Markstein dar in der
Geschichte des Kantons Zürich. Indem sie, wie Dr. L. Keller
sagte, als wesenthchste Errungenschaft die Wegschaffung des alten
väterlichen, aus Gnade und Ungnade regierten Staates und die
Konstituierung der Herrschaft des Grundsatzes, des Gesetzes
und der Wissenschaft brachte, trennte sie zwei Zeitalter von-
einander. Die überraschend glänzende Annahme der Verfassung
am 20. März 1831 täuschte indessen eiuigermassen über den Grad
der Reife des Volks für die neuen Grundsätze. Es kam so, wie
Keller einmal an Bluntschli schrieb: ,,Bekannthch beissen die
allgemeinen Grundsätze, die in einer Verfassung stehen, niemanden ;
aber die Spezialisierung und Durchführung derselben, die freihch
derjenige, welcher mit Grundsätzen und der Entwicklung zu ver-
kehren gewohnt, als blosse Folge, der Alltagsmensch aber als
etwas Neues betrachtet, die beissen so, dass viele zucken und
schreien, die an dem allgemeinen Grundsatz keinen Anstoss ge-
nommen haben." Einstweilen herrschte freilich die Freude vor,
und in dieser Freude hatte die siegreiche radikale Partei die Gut-
mütigkeit, von 19 Sitzen des Regierungsrats, wie der ,, Kleine
Rat" jetzt hiess, zehn, also die Mehrheit, den Stadtzürchern
zu überlassen (23. — 25. März 1831). Unter den MitgUedern des
Regierungsrats, innerhalb dessen sich wieder ein ,, Staatsrat" für
auswärtige Angelegenheiten und andere Subkommissionen kon-
stituierten, nennen wir von konservativer Seite David v. \^'yss,
Conrad v. Muralt, Ferdinand ;\Ieyer, von radikaler: Dr. Paul
Usteri, Dr. Hegetschweiler, Pfenninger, C. ;\I. Hirzel, Prof. Ed.
vSulzer, L. Meyer v. Knonau, die Amtsrichter Melchior Sulzer
und Heinrich Weiss von Fehraltorf. Das Bürgermeisteramt
in doppelter Bestellung mit jährlichem Wechsel in der Amts-
führung wurde beibehalten. Die Walil des von der Landschaft
unbegrenzt verehrten radikalen vStadtzürchers Dr. Paul Usteri
zum ersten Bürgermeister war gegeben; zweiter Bürgermeister
wurde David v. Wyss. Ebenso selbstverständHch wie die Wahl
Usteris zum Bürgermeister war diejenige von Amtsrichter Dr.
Ocry luicli ik-iii Li-Ihmi auf SU-iij {;L-zficliiR-t
Qlauf Oisferi
o ACHTES KAPITEL: DAS ALTE STÜRZT 85
Fr. Ludwig Keller zum IVIitglied und Präsidenten des Ober-
gerichts (26. März 1831). Dass er das Obergericht als koordi-
nierte Behörde neben dem Regierungsrat auffasse, zeigte Dr.
Keller ostentativ an dem gemeinsamen Bankett nach der Kon-
stituierung der sämtUchen Behörden, bei dem er ohne weiteres
mit grösster Unbefangenheit — ,, Frechheit" sagten die Konser-
vativen — den Platz gegenüber dem Bürgermeister David v. Wyss
für sich belegte.
Am 28. März 1831 war Bürgermeister Dr. Paul Usteri
auch zum Grossratspräsidenten gewählt worden. Er hatte
am 30. März kaum die Sitzung eröffnet, als ihn ein Unwohlsein
befiel. Er musste den Saal verlassen und wurde in einer Sänfte
heimgebracht. Am 9. April starb der vortreffhche Bürger und
Staatsmann, der wie kein anderer berufen schien, die Gegensätze
zwischen Stadt und Land auszugleichen und das Staatsschiff
sicher durch die Wogen der Parteileidenschaften zu steuern.
Gleich ausgezeichnet als Staatsmann wie als Rechtsgelehrter,
Arzt, Naturforscher und Journahst und infolge seiner glänzenden
Geistesgaben und weisen Ausnützung der Zeit von ungewöhnhcher
Leistungsfähigkeit, war Usteri in der ganzen Eidgenossenschaft
hochangesehen, und seine Grösse wurde auch von dem erzreaktio-
nären Karl Ludwig v. Haller widerwillig anerkannt, indem er ihn
als ,, unverbesserlichen Revolutionär" und ,, Haupt der Jakobiner-
partei der ganzen Schweiz" bezeichnete. Auf der zürcherischen
Landschaft wurde Usteri beweint und betrauert wie ein Landes-
vater. Die Beschwörung der neuen Verfassung, Sonntag den
10. April nach dem Gottesdienst, die besonders am See als gross-
artige Festlichkeit geplant war, gestaltete sich zur Trauerfeier.
Zum Begräbnis am 12. April strömten die Landleute in Scharen
zur Stadt. Die Sängervereine vom See kamen in schwarz bewim-
pelten Schiffen, auf denen die eidgenössische Fahne Usteris vater-
ländische Bedeutung kennzeichnete, und der kleine St. Anna-
Friedhof sah nie ein imposanteres Trauergeleite als an diesem Tag.
Paul Usteri wurde am 13. April 1831 im Grossen Rat ersetzt
als Regierungsrat durch den liberal-konservativen Historiker
J. J. Hottinger, als Bürgermeister durch Conrad v. Muralt und
als Grossratspräsident durch Melchior Hirzel. Es standen somit
nun an der Spitze der Regierung zwei konservative Bürgermeister
86 ACHTES KAPITEL: DAS ALTE STÜRZT o
und im Kollegium des Regierungsrats bestimmten die acht konser-
vativen Stadtzürclier im \'erein mit einigen ihnen innerhch nahe-
stehenden radikalen Kollegen die pohtische Richtung. Die Un-
natüriichkeit des Verhältnisses zu dem mehrheithch radikalen
Grossen Rate musste sich bald fühlbar machen. Dr. Ludwig Keller
beherrschte den Grossen Rat unumschränkt. Eine ganze Reihe
konservativer Regierungsräte und Grossräte konnte die treffUchsten
überzeugendsten Argumente mit grösstem Fleiss für eine Ansicht
zusammentragen: wenn Dr. Keller zuletzt aufstand und dagegen
redete, so war alles wie weggewischt. Er brauchte auch nicht
einmal zu reden, sondern nur gegen den konservativen Antrag
in der Abstimmung aufzustehen, und totsicher stand die Mehrheit
des Rats mit ihm auf. Es war oft für die Konservativen zum
Wütendwerden. Nun begab es sich, dass am 26. Februar 1832
zu Bassersdorf ein radikaler kantonaler Verein gegründet wurde,
der \-ielberufene ,, Bassers dorfer Verein". Wilhelm Füssli
präsidierte und ein Hauptredner war der damals noch extrem-
radikale Dr. Schmid von Richterswil. Vorausgegangen war
diesem Ereignis die Gründung eines schweizerischen frei-
sinnigen vSchutz Vereins in Langental am 25. September 1831,
dessen Zweck darin bestand, den freisinnigen Regierungen der
regenerierten Kantone als Stütze zu dienen, ihren Schutz gegen
aristokratische Wiederherstellungsversuche zu bilden, sie zur
Durchführung der Reformen anzuspornen, sowie auch eine Re-
vision der unter dem Segen der alliierten Mächte entstandenen
und lücht mehr zeitgemässen Bundesverfassung von 1815
anzustreben. Der ,, Bassersdorf er Verein" war lüchts anderes als
der Zürcher Kantonalverband des radikalen Langentaler Vereins.
Ausserdem schlössen — am 17. März 1832 während der Tag-
satzung in L,uzern — die radikalen Regierungen der Kantone
Euzern, Zürich, Bern, Solothum, St. Gallen, Aargau und Thurgau
das sogenannte ,, Siebner-Konkordat" zu gegenseitigem Schutz
und Beistand gegen aristokratische Umwälzungsversuche. Der
Beitritt Zürichs zu diesem Konkordat, einem radikalen Sonder-
bund, wurde am 11. April 1832 nach hitziger Debatte mit 127
gegen 61 Stimmen vom Grossen Rat beschlossen und mit 118
gegen 65 Stimmen der Dank an die Tagsatzungsgesandten votiert,
worauf C. V. Muralt, gefolgt von 33 weitem Mitgliedern, den
o ACHTES KAPITEL: DAS ALTE STÜRZT 87
Saal verliess. Die endgültige Ratifikation erfolgte mit 128 gegen
21 Stimmen.
Die Erwähnung des Siebner Konkordats musste hier etwas
vorausgenommen werden, um die — in Zürich sofort begriffene
— Bedeutung des „Bassersdorfer Vereins" in die richtige Beleuch-
tung zu rücken. Man war in der Stadt um so mehr erschreckt
und erbittert, als in Bassersdorf auch von der Schleifung der
Festungswerke und Verteilung der Kanonen aufs L,and
gesprochen wurde. Die Regierung hielt den Bassersdorfer Verein
für verfassungswidrig und legte dem Grossen Rat einen Gesetzes-
entwurf vor, der die Konstituierung von Vereinen an gewisse
Bedingungen knüpfte. Die Grossratsdebatte über diesen Entwurf
erfolgte unter dem Vorsitz von Dr. L. Keller am 8. und 9. März.
Sie endete mit der Verwerfung des Gesetzes mit 94 gegen
85 Stimmen. Daraufhin legten sämtliche acht konser\'ative stadt-
zürcherische Regierungsräte ihr Amt nieder. Die Ersatzwahlen
am 19. März bereiteten erhebliche Schwierigkeiten. Einer um den
andern ^-on den Vorgeschlagenen lehnte ab. Die Konservativen
frohlockten und schlugen ,,zum Schund" die unmöghchsten
Namen vor, um den \Vahlakt lächerHch zu machen. ,,Es war
ein verfluchter Nachmittag", schrieb Keller seinem Freund
J. J. Hess nach Luzern. ,,Der Missmut und der Ärger auf unsrer
Seite, der Triumph der Gegner stieg mit jedem Augenbhck, die
Unsrigen waren grösstenteils niedergeschlagen, manche verloren
den Kopf. Die Feinde jubiherten und hohnlachten ganz laut,
unverhohlen und einmütig. Es sah ordenthch aus, als ob wir zu
Kreuz kriechen und den alten Herren gestehen müssten, dass,
wenn sie nicht regieren, bei uns nicht regiert werden könne."
Vorzeitig brach der Präsident die Sitzung ab, dann gings zum
,, Seh wert", wo Keller seinen Leuten den Standpunkt klarmachte
und ihnen sagte, ,,es frage sich jetzt, ob die Versammlung von
Uster eine Dummheit gewesen sei und ob wir wieder an die Gnade
unserer alten Herren kommen müssten." Am nächsten Morgen
gingen die noch ausstehenden fünf Ersatzwahlen ganz glatt von-
statten. Bürgermeister wurden Melchior Hirzel und J. J. Hess.
Alle diese Vorgänge spielten sich noch unter Ausschluss der
Öffenthchkeit ab. Erst Ende des Jahres 1832 erhielt der Rats-
saal gemäss der von der Verfassung vorgeschriebenen Öffentlich-
88 ACHTES KAPITEL: DAS ALTE STÜRZT
keit der Verhandlungen seine Tribüne, für welche man auf die
Weise Platz schaffte, dass man die Decke des Ratssaales um ein
Stockwerk hob und sie nach dem klugen Rat Eschers von der
Neumühle an den Dachstulil hängte.
Am 27. Januar 1832 hatte der Grosse Rat nach einer Debatte,
die von 5 bis 11 Uhr abends dauerte, mit 83 gegen 79 Stimmen
die Aufhebung des Kasernendienstes beschlossen. Die
Frage, um welche man stritt, lautete: ,, sollen die Rekruten auf
ländlichen Trüllplätzen, wie dies zahlreiche eingereichte ,,\"olks-
wünsche" verlangten, oder aber wie bisher 21 Tage in der Kaserne
der Hauptstadt eingeübt werden?" Die städtischen Offiziere
sprachen mit grösster Lebhaftigkeit gegen die Trüllplätze, und
als der Rat im gegenteihgen Sinne entschied, legten zehn höhere
konser\'ative Offiziere ihre Kommandos nieder. Noch bedeutend
grössere Aufregung verursachte in der Stadt die Aufhebung
des Chorherrenstifts, welche Keller bereits in einer ]\Iotion
vom 21. Dezember 1831 beantragt hatte. Als ein Anachronismus
ragte das Chorherrenstift noch in die Regenerationszeit hinein.
Ein ,,Cliorherrenstift" und protestantische ,, Chorherren", das
musste Nichtzürchern immer erst erklärt werden, ,, wieso". Den
Zürchern selbst war ,,die Stift", wie sie zu sagen pflegten, wohl-
vertraut; mit dem Gemeinwesen aufs engste verwachsen und
durch Erinnerungen, die in die Zeit Karls des Grossen hinauf-
reichten, beinahe geheihgt, hatte das Chorherrenstift auch die
Stürme der helvetischen Revolution überdauert. Hand an ,,die
Stift" zu legen, das erschien vielen Zürchern als frevles Attentat,
als Sakrilegium. Das Kollegium das Chorherrenstifts zum Gross-
münster bestand seit der Reformation nur aus einem engen Kreise
von etwa 12 Personen: dem Antistes, zwei Archidiakonen, dem
Pfarrer zu Predigern, sechs Chorherren, welche zu Schuldiensten
am Gymnasium verpflichtet waren, und drei weitern Würdenträgern.
Die jMitgheder des Stifts gehörten von Amtes wegen der Synode
an; sie waren Inhaber der Kollatur verschiedener Pfarrstellen
und Verwalter eines sehr bedeutenden Stiftsvermögens, aus dem
u. a. 47 Prediger besoldet, 16 Stipendien an Theologiestudenten
verabfolgt und eine Anzahl Predigenvitwen unterstützt wurden.
Das Chorherrenstift hatte seine grosse Zeit; allein nun stand es
einer gründhchen Reform und \'erbesserung des höhern Unter-
o ACHTES KAPITEL: DAS ALTE STÜRZT 89
lichts im Wege. Unter der Aegide des Stifts hatten und behielten
die Unterrrichtsanstalten Zürichs einen einseitig theologischen
Zuschnitt. Wo man die Frage des höhern Unterrichts auch an-
packen mochte, es war um das Stift nicht herumzukommen. Die
Chorherren wehrten sich verzweifelt gegen die Aufhebung, ganz
besonders der freisinnige Dr. Johannes Schulthess, welcher
Urkunden auf Urkunden, Streitschrift auf Streitschrift häufte,
um die Unverletzlichkeit des Rechts darzutun, das dem Chor-
herrenstift die Fortdauer garantierte. Aber wie steht es mit
solchem ,, sonnenklaren" urkundHchen Recht? War nicht der
Stadt Zürich schon durch die Urkunde Kaiser Karls IV. 1362
der Zürichsee ,,so weit die Wellen schlagen" als Eigentum zuge-
sichert ? Ist nicht noch 1799 urkundlich und unwidersprechHch
das götthche und menschUche Recht der Herrschaft der Stadt
Zürich über die Landschaft nachgewiesen worden? ,, Recht" kann
nicht ewig Recht bleiben. Durch die Veränderung der Verhält-
nisse wird es zum Unrecht und muss durch neues Recht ersetzt
werden. Dr. Keller gab seiner Motion die mildeste Form; die
gegenwärtigen Mitgüeder des Stifts sollten im lebenslängHchen
Genuss Uirer ökonomischen Vorteile verbleiben. Mit 133 gegen
34 Stimmen wurde die Motion erhebhch erklärt, am 10. April 1832
mit 131 gegen 52 Stimmen auf den regierungsräthchen Gesetzes-
entwurf eingetreten. Das Stiftsgut sollte auch in Zukunft als
abgesondertes Kantonalgut verwaltet und unter Beachtung der
auf demselben haftenden besondern Verpfhchtungen für die
Zwecke der Kirche und des höhern Unterrichts ungeschmälert
verwendet werden. Die Aufsicht über die Verwaltung und Ver-
wendung des Stiftsguts hatte eine dem Regierungsrat unter-
geordnete Stiftspflege zu übernehmen. Die Aufhebung des Chor-
herrenstifts machte die Bahn frei für die Gründung und Finan-
zierung der höhern kantonalen Lehranstalten.
Schlag auf Schlag folgten die für das altzürcherische Bürger-
tum niederschmetternden Ereignisse. Das nächste, was nun kam,
war die Schleifung der Festungswerke, die im Jahre 1832
ein Petitionssturm vom Lande nach dem andern verlangte, da
man auf der Landschaft in der Festung ,,das Bollwerk der reaktio-
nären Stadtpartei" erblickte. Man sprach es sogar offen aus, dass
die feindselige Stadt einmal den Regierungsrat und Grossen Rat
90 ACHTES KAPITEL: DAS ALTE STÜRZT o
einfach gefangen nehmen könnte. Für viele Stadtbürger hinwieder
erhielten die Festungswerke, die ihnen vielleicht gleichgültig
geworden waren, einen erneuten Wert, als vom Lande her Angriff
auf Angriff gegen sie erfolgte und der eminent pohtische Charakter
dieser Frage mehr und mehr zutage trat. Unter der Führung
David Nüschelers entspann sich in Zeitungen und Broschüren
ein hitziger Kampf zur Erhaltung der Festung, ohne welche
Zürich zum Dorf herabsinken und allen räuberischen Überfällen
preisgegeben sein würde. In einer städtischen Gemeindever-
sammlung vom 15. Oktober 1S32 verwies Dr. Rahn-Escher
warnend auf das Beispiel von Aarau, das als offene Stadt leicht
von den Freischaren Fischers von Merischwanden überrumpelt
werden konnte. In der entscheidenden Grossratssitzung vom
30. Januar 1833, welche 10 vStunden dauerte, sagte es Dr. Schmid
von Richterswil rund heraus, es sei der politische Gesichtspunkt,
aus welchem die Schleifung der Festungswerke verlangt werde.
Ebenso offen fügte Regierungsrat Weiss bei: ,,Die Wünsche der
Landschaft beruhen auf politischen Rücksichten, wenn ich sagen
darf, auf Misstrauen; und wenn man gestanden hätte, dass die
Bürgerschaft der Stadt auch aus Misstrauen die Beibehaltung
wünsche, so hätten beide Teile die Walirheit gesagt. Wenn man
sagt: Misstrauen gebiert Misstrauen, so ist das richtig; man schaffe
aber nur die Schanzen weg, so wird der Gegenstand und der Grund
des Msstrauens beseitigt." Mit 131 gegen 53 Stimmen wurde die
Demolierung der Schanzen beschlossen. Ludwig Me3'er v. Knonau
sah mit Zuversiclit dem nahen Zeitpunkte entgegen, wo nicht
nur die ausserhalb der Stadt verhasste Scheidewand fallen, sondern
auch der beständige Reiz schwinden werde, ,, hinter Wällen und
Gräben der Landschaft Trotz zu bieten." Noch im Frühjalir 1833
begann die Abtragung der Fortifikationen mit der Wegnahme der
Porten, Barrieren und Fallbrücken und Verebnung des flachen
Bollwerks beim Hottinger Pörth durch Straf Unge. Mit Verdruss
sahen manche Bürger diesen Arbeiten zu, und ]\Ieyer v. Knonau
hörte etwa an den Stadtausgängen sich Begegnende fragen:
, .Wollen Sie auch ausser dem Dorf gehen ?" Oberstleutnant David
Nüscheler, der im Talacker wohnte, benutzte Jahre lang nicht
die naheliegenden bequemen Ausgänge, sondern machte konse-
quent den grossen Umweg durch die Werdmühle und die Brücke
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51
1?
o ACHTES KAPITEL: DAS ALTE STÜRZT 91
beim Schützenhaus. Den Bemühungen von Regierungsrat L. Meyer
V. Knonau war es zu danken, dass die „Katze" im Botanischen
Garten, das Bauschänzh und die Hohe Promenade erhalten bUeben.
Dass die Stadt es infolge der pohtischen Misstimmung versäumte,
sich das kostbare Schanzengebiet zu sichern, wurde in spätem
Jaliren ausserordentlich bedauert. ,,Unsre Sibyllinen", so schrieb
die ,, Freitagszeitung" 1862, ,,das war das Schanzengebiet. Zwei-
mal kam die radikale Regierung zu der konservativen Stadt und
zweimal bot sie ihr das Schanzengebiet an. Immer weniger waren
der Blätter und immer teurerer Preis wurde gefordert. Das dritte
Mal musste die Stadt froh sein, dass sie den kleinen Rest zu aller-
höchstem Preis nur noch angeboten erhielt, und sie nahm schnell
an." Das Blatt meinte, die Verwerfung der Angebote sei weniger
erfolgt aus mangelnder Einsicht in die Interessen der Stadt ,,als
um der verhassten radikalen Regierung durch Opposition Ver-
legenheiten zu bereiten".
Das vierte der grossen Probleme, welche anfangs der dreissiger
Jahre die Gemüter erhitzte, war die Aufhebung des Direk-
torialfonds. Im Jahre 1662 gründeten die zürcherischen Kauf-
leute das ,, Kauf männische Direktorium", welches das Postwesen
übernahm und von der Regierung das Recht erlüelt, zur Deckung
der Betriebskosten auf jedem in Zürich ein- und ausgehenden
Stück Gut eine Abgabe zu erheben. Als im Jahre 1803 die Post
Staatsregal wurde, bildete sich die Ansicht, dass der aus den
Rechnungsüberschüssen entstandene ,, Direktorialfond" vom Staat
beansprucht und für die Öffentlichkeit fruchtbar gemacht werden
sollte. Es gelang indessen dem Direktorium, das Eigentumsrecht
an den Fond zu behaupten. Erst am 30. September 1830 kam
die Regierung dazu, vom Direktorium Rechenschaftsablegung
über die \'en\-altung des Fonds zu verlangen, wogegen sich das
Direktorium feierlich verwahrte. Drei Jahre lang wurde nun um
den Direktorialfond hin- und hergestritten. Die Position des
Direktoriums verschlechterte sich aber sehr erheblich, als der
,, Republikaner" am 29. November 1833 ein von der Regierung
von 1804 geheim gehaltenes und selbst den Grossräten bisher
unbekannt gebhebenes Dokument an erster Stelle veröffentlichte:
den Beschluss der helvetischen Liquidationskommission vom
15. Juni 1804, welcher den kaufmäniüschen oder Direktorialfond
92 ACHTES KAPITEL: DAS ALTE STÜRZT o
„als wahres und unmittelbares Kantonaleigentum" erklärte. Man
sah nun ein, dass man sich mit dem Staat vergleichen müsse,
wollte man nicht riskieren, dass sich der Grosse Rat durch einen
,, Gewaltstreich" des ganzen Direktorialfonds bemächtige. Es
kam ein Vertrag zustande, der am 17. Dezember 1833 in einer
Sitzung, die von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends dauerte, mit
HO gegen 72 Stimmen im Prinzip gutgeheissen wurde. Nach
diesem Vertrag fiel dem Staat ein Betrag von 1,100,000 Fr. zu,
aus dem dann der sogenannte ,, Industriefond" (für Strassen- und
Brückenbau) gebildet wurde. Das ,, Kauf männische Direktorium"
behielt 700,000 Fr. mit der Verpflichtung der Ausführung einer
Reihe von Bauten in der Stadt Zürich. Gemäss diesen Ver-
pflichtungen wurden bis 1840 u. a. ausgeführt: ^Nlünsterbrücke,
Rathausquai, Sonnenquai, Hafenbau, Kornhaus (,,alte Tonhalle"),
Poststrasse, Abtragung des Wellenbergs, mehrere vStrassendurch-
brüche usw.
Aufhebung des Kasernendienstes, Aufhebung des Chorherren-
stifts, Aufhebung der Festung, Aufhebung des Direktorialfonds,
das waren die letzten wuchtigen Axthiebe, die den stattlichen,
uralten Baum stadtbürgerhcher Herrschaft, Privilegien und
vSonderrechte endgültig zum Falle brachten, nachdem er schon im
Jahre 1798 vermittelst einer fränkischen Säge unheilbar ange-
schnitten war. Wehmut und Trauer in bangen, verzagten Herzen
begleiteten seinen dröhnenden Sturz. Doch im Geiste seilen wir
schon einen ganzen Wald von jungkräf tigern Nachwuchs empor-
spriessen, der heute noch seinen Schatten spendet : Hochschule —
Kantonsschule — Seminar — Kantonsspital — Gewerbefreiheit
— \'olksschulreform, ein Treiben und Sprossen und Blühen auf
allen Gebieten, wie es kein Zeitalter vor und nach der ,, Re-
generation" der dreissiger Jahre jemals erlebt.
********* ******************************
NEUNTES KAPITEL
NEUES LEBEN
Als einen der dringendsten \^olkswünsche hatte das Memorial
von Uster „eine durchgreifende Verbesserung des Schul-
wesens" bezeichnet. Der Grosse Rat beeilte sich, diesem Begehren
zu entsprechen. Schon am 20. Juni 1831 wurde durch ein Gesetz
der seit dem 4. Juni 1803 bestehende Erziehungsrat umgestaltet
und mit der Aufsicht über das Schulwesen des ganzen Kantons
betraut. Er bestand — inklusive drei Regierungsvertretem —
aus fünfzehn Mitgliedern und teilte sich in zwei Sektionen: für
die höhereu Lehranstalten und für das Bezirks- und Gemeinde-
schulwesen. Präsident der Gesamtbehörde und zugleich der zwei-
ten Sektion wurde Bürgermeister Melchior Hirzel; der ersten
Sektion gehörten u. a. an J. J. Hottinger, C. v. Orelh, Dr. L. Keller,
Hof rat J. C. Homer, Ferdinand Meyer, der zweiten: Hans Georg
Nägeli, Ignaz Thomas Scherr. Aus den Vorarbeiten beider Sek-
tionen ging das Unterrichtsgesetz hervor, das vom Grossen
Rat in acht langdauernden Sitzungen vom 25. bis 28. September
1832 durchberaten und angenommen wurde. Es war ein Werk
der Verständigung und ,, stellte in wohlgelungenem Grundriss das
Gebäude dar, zu welchem zum erstenmal die öffentlichen Unter-
richtsanstalten von der Elementarschule bis zur höchsten Stufe
als ein einheitliches Ganzes vereinigt werden sollten". Der Ab-
schnitt über die zu gründende Hochschule wurde entgegen
den ,, Bedenken" David Nüschelers mit 148 gegen 9 Stimmen
(von neun stadtzürcherischen Militärs) gutgeheissen. Es trug zu
diesem günstigen Ergebnis nicht wenig bei, dass gerade damals
viel von einer eidgenössischen Hochschule gesprochen wurde
und Zürich hoffte, Sitz derselben zu werden. Durch Regierungs-
beschluss vom 29. Dezember 1832 wurde der Hochschule das
Hinteramt (s. Seite 31) als Wohnstätte angewiesen, allein der
Umbau und Ausbau dieser Gebäulichkeiten zog sich noch bis ins
Jahr 1838 hinein. Vorerst musste das am 23. Januar 1832 auf-
94 NEUNTES KAPITEL: NEUES LEBEN o
gehobene Alumnat (»Seite 29), das nach der ,,N. Z. Z." seit langem
nur „eine Pflanzschule der Bequemlichkeit und gesicherten Schlaff-
heit" gewesen war, für die Vorlesungen benutzt werden, und ein
chemisches Laboratorium wurde ,,in der Chorherren" eingerichtet.
Im März 1833 erschien das erste Lektionsverzeichnis: 46 Dozenten
der theologischen, staatswissenschaftlichen, medizinischen und
philosophischen Fakultät kündigten 105 Vorlesungen an; 161
Studenten hatten sich immatrikulieren lassen (61 Zürcher, 67
andere Schweizer, 33 Ausländer). Auf der Dozentenliste figu-
rierten eine Anzahl glänzender Namen. Von den Theologen seien
nur erwähnt H. C. M. Rettig aus Giessen und der Badenser
Ferdinand Hitzig. An der staatswissenschaftlichen Fakultät
wirkten Dr. Wilhelm Snell, Bruder des uns schon bekannten
Dr. Ludwig Snell, Freiherr Dr. Ludwig v. Low, der späterhin
mit seinem Büchlein , .Zürich im Jahre 1837" die Zürcher nicht
wenig ärgerte, aber bei der von ihm selbst konstatierten grossen
Gutmütigkeit derselben bald wieder Absolution fand; dann Dr.
L. Keller, Kriminalgerichtspräsident H. Escher und Kellers
ehemaliger Schüler am politischen Institut J. C. Bluntschli.
An der vSpitze der medizinischen Fakultät stand Dr. Lukas
Schön lein aus Würzburg, der sich in Deutschland schon eines
bedeutenden Rufes erfreute. Schönlein war ein geistreiclier, ori-
gineller Mensch und zeichnete sich durch ,, göttliche" Grobheit
aus. Wie er den an einem Knödielchen beim Essen beinalie er-
stickenden Regierungsrat Ed. Sulzer behandelte, erzählt Dr.
Conrad Escher in einer gelungenen Anekdote (Aus Zürichs \"er-
gangenheit, I, 23). Öfters hörte man ihn etwa ingrimmig knurren:
,,So was kann auch nur in Zürich vorkommen." Er mag sich
diese Redensart angewöhnt haben, seitdem ihm, dem Katho-
liken, die Bürgergemeinde Zürich die Aufnahme ins Bürgerrecht
verweigert hatte. vSchon im Jahr 1834 wollte ihm der Stadtrat
das Bürgerrecht schenken; die deswegen anberaumte Bürger-
versammlung vom II. September musste jedoch wegen formeller
Einsprachen wieder aufgelöst werden. In der \'ersammlung vom
9. Juni 1836 wurde die Einbürgerung eines Katholiken abermals
grundsätzlich scharf bekämpft und die Aufnahme Schönleins mit
205 gegen 191 Stimmen abgelehnt. Damit fiel auch die Aufnahme
eines zweiten Katholiken dahin: Junker Jakob Dürler von Luzem
o NEUNTES KAPITEL: NEUES LEBEN 95
(Über den nicht abgestimmt wurde). Stäfa hatte inzwischen, schon
aus alter Vorhebe für die vStadt, den berühmten Universitäts-
professoren (am 26. Oktober 1834) mit seinem Ehrenbürgerrecht
beschenkt. Der 1839er Sturm verleidete Schönlein (und andern
Dozenten) den Aufenthalt in Zürich und er liess sich nach BerUn
berufen. Zur philosophischen Fakultät gehörte der am 20. April
1833 gewählte erste Rektor der Hochschule Zürich, Lau-
renz Oken von München, an den heute noch die ,,Okenhöhe"
auf dem Pfanuenstil erinnert. Eine Zierde der Fakultät war
J. C. V. Orelli. Der vom dankbaren Küsnacht mit dem Bürger-
recht und einem Grossratsmandat betraute Dr. Ludwig vSnell,
Redaktor des ,,Repubhkaner", dozierte Geschichte und Philo-
sophie. Unter den Privatdozenten befanden sich besonders viele
Kantonsschullehrer. Zu poUtischer Berühmtheit gelangte der
Dozent für Sanskrit und OrientaHa, Dr. Bernhard Hirzel,
nachmals Pfarrer in Pfäffikon.
Die Eröffnungsfeier der Hochschule erfolgte am 29. April
1833 in Gegenwart der in Zürich versammelten Tagsatzung im
Grossmünster. Ansprachen hielten Bürgermeister Melchior Hirzel
und Rektor Oken. Den Schluss bildeten ein Bankett im Kasino
und der erste Kommers, den Zürich sah. Die Hochschule hatte
von Anfang an mit allerlei Widerwärtigem zu kämpfen. Sie war
kaum eröffnet, als ihr Besuch durch die deutschen Regierungen
verboten wurde, und zwar infolge des Frankfurter Attentats vom
3. April 1833, wo eine Anzahl Studenten einen sinnlosen Putsch
zur Sprengung des deutschen Bundestages unternommen hatte;
wer dabei nicht erwischt wurde, floh in die Schweiz. Am 14. März
1834 beschloss Bern die Gründung einer eigenen Universität
und vereitelte dadurch Zürichs Hoffnungen auf den Sitz der eid-
genössischen Hochschule. Gegen Zürich eröffnete Bern sofort
einen unlautern Wettbewerb, indem es ihm Professoren und Stu-
denten abzujagen suchte (z. B. durch Verzicht auf jeden Maturi-
tätsausweis!). Von den Professoren Hessen sich allerdings nur
die Mediziner Dr. Demme und die Brüder Snell für Bern gewinnen.
Letztere wurden dann dort die Führer der ,, nationalen Partei"
gegen die ,,Burgdorfer Partei" der Brüder Schnell.
Gleichzeitig mit der Hochschule ward die Kantonsschule
geschaffen. Sie trat an die Stelle der bisherigen Schulen für höhere
96 NEUNTES KAPITEL: NEUES LEBEN o
Berufsarten: Bürgerschule (für das 9. bis 11. Altersjahr) und
Gj^mnasium am Chorherrenstift. Das letztere hatte sich in
folgende Abteilungen gegliedert: die Gelehrtenschule mit erster
Einführung ins Altertum (der Vorsteher hiess „Ludimoderator");
das untere Kollegium (Collegium humanitatis im Fraumünster-
stift) ; das obere Kollegium (Carohnum, Gymnasium im engern
Sinne, im Chorherrenstift). Dann bestand noch die 1773 gegrün-
dete „Kunstschule" (im Anschluss an die Bürgerschule) als
Vorbereitung zum Eintritt in handvverkhche oder Handels-Lehre
oder zu höheren mathematischen, technischen und kaufmännischen
vStudien. Den Mangel einer Universität ersetzten bis 1833 einiger-
massen das medizinisch-chirurgische Institut (gegründet
1782, seit 1804 Kantonal- Anstalt) , das politische Institut
für künftige Verwaltungsbeamte und Juristen (gegründet 1807
auf Anregung von Escher von der Linth, L. Meyer v. Knonau und
Konrad v. Meiss) ; das technische Institut (seit 1826) zur
Weiterbildung in mathematischen, naturwissenschaftlichen und
sprachHchen Fächern, unterhalten von einem Privatverein, der
sich nach Gründung der Industrieschule auf Ostern 1833 auflöste.
Die neu gegründete Kantonsschule gliederte sich ebenfalls in
zwei Abteilungen: Gj'mnasium (unteres und oberes) und Indu-
strieschule (untere und obere). Beide wurden am 22. April 1833
feierhch eröffnet. Ihre Lokahtäten befanden sich im Chorherren-
gebäude und im Haus zum ,,Loch". 1835 beschloss der Regie-
rungsrat, an vStelle des erstem einen Neubau in byzantinischem
Stil zu errichten, allein man kam von dem Plane wieder ab, und
am 7. Dezember 1837 entschied sich der Regierungsrat für den
Bauplatz auf dem ,,Rämi-Bollwerk". Am 15. August 1842 konnte
der von Architekt Wegmann erstellte Bau bezogen werden. Dr.
F. Meyer erzählt davon in seinen ,, Erinnerungen": ,,Auch die
dortige Gegend hatte infolge der Schanzenschleifung eine neue
Gestalt erhalten. Die Krautgartengasse, die vorher zum Hot-
tingerpörth geführt hatte, war nun durch eine gerade Strasse
mit dem Zeltweg verbunden und dieser selbst verbreitert worden.
Damit begann dort auch der Bau neuer Häuser; besonders gross-
artig für damahge Begriffe waren die Escherhäuser, für meine
Erinnerung die erste Privatbaute, die von dem Erbauer nicht
nur als Wohnung für ihn selbst, sondern als Kapitalanlage errichtet
NEUNTES KAPITEL: NEUES LEBEN 97
wurde. Für den Wolfbach wurde zur Ablagerung des Geschiebes
ein Bassin erbaut, das im Winter als Eisbahn sehr frequentiert
war. Zwischen diesem und dem Schulgebäude war der neue Turn-
platz angelegt, in der Mitte ein gewaltig hohes Klettergerüste
mit Leiter, Stange und Seil . . . Schon lange Zeit vor der Ein-
weihung hatte der Gesanglehrer mit uns den Chor aus Rombergs
Komposition von Schillers Glocke: .Holder Friede, süsse Ein-
tracht' eingeübt. Als dann bei den letzten Proben alle Klassen
zusammengezogen wurden und zu unsern Knabenstimmen nun
auch die Bässe der .Grossen' erschollen, so machte mir dieser erste
,gemischte Chor', an dem ich teilnahm, einen gewaltigen Eindruck.
Und die Feier selbst war vollends ein wichtiges Ereignis. Behör-
den und Schüler versammelten sich in dem Singsaal, der schon
durch seine Grösse und Höhe, sowie durch die nach damaligen
Begriffen sehr schöne Bemalung der Wände uns imponierte und
nun noch durch Topfpflanzen dekoriert war. Die Reden des
Präsidenten des Erziehungsrates und des Rektors Uessen wir ohne
zu grosse Aufmerksamkeit über uns ergehen, unser Gesang aber
war prächtig. Am Abend wurden auf dem Schützenplatz an der
Limmat, der ausser dem jetzigen Platzspitz auch den ganzen
Bahnhofplatz und die Gessnerallee in sich fasste. Spiele gemacht,
und im Schützenhaus (ungefähr an der Stelle des jetzigen Schützen-
gartens) hatten wir Schüler ein Abendessen."
Auch der Kantonsschule blieben in ihrer Jugend gefährhche
Stürme nicht erspart. Die schlimmste Krisis hatte sie 1836 zu
bestehen, als Winterthur, von der Stimmung der Landschaft
sehr begünstigt, ernsthafte Anstrengungen machte, Sitz der
Kantonsschule zu werden. Die Stadt Zürich hatte bisher wenig
Lust gezeigt, an die Baukosten und den Unterhalt der höhern
kantonalen Lehranstalten einen erheblichen Beitrag zu leisten.
Sie ging von der Ansicht aus, dass ihr bei der Ausscheidung
zwischen Stadt und Land ihr früheres Eigentum genommen und
nur das zum Leben Notwendige gelassen wurde. Nun wäre es
unbillig, wenn sie ihr Privatvermögen noch einmal für die Kantonal-
anstalten hergeben sollte. Die Winterthurer Gemeindeversamm-
lung vom 2. Februar 1836 dagegen stellte ein Baukapital von
400,000 Fr. und einen Jahresbeitrag von 16,000 Fr. zur Verfügung,
wenn die Kantonsschule Winterthur zugesprochen werde. Der
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98 NEUNTES KAPITEL: NEUES LEBEN o
radikale ,, Republikaner" bezeichnete diesen \'orstoss als eine sehr
nützliche „Demonstration gegen Zürichs PlüHsterei und Geiz",
und der am i. März 1836 zum erstenmal erschienene Winterthurer
„Ivandbote" bemühte sich vor allem, der Landschaft und den
Landgrossräten die von Winterthur vorgeschlagene Lösung plau-
sibel zu machen. Die stadtzürcherische Gemeindeversammlung
vom 3. März 1836 beschloss daraufhin fast einstimmig, einen Jahres-
beitrag von 20,000 Fr. zu übernehmen, solange die höhern Lehr-
anstalten in Zürich verbleiben würden (alt Bürgermeister C. v. Mu-
ralt und Bürgermeister J. J. Hess hatten überdies je 16,000 Fr.
geschenkt, um der Stadt die zu übernehmende \'erpfHchtung zu
erleichtern). Am 22. März wurde darüber im Grossen Rate de-
battiert. Mit nobler Selbstverleugnung trat Regierungsrat Ed.
Sulzer von Winterthur im Interesse der Schule und Wissenschaft
dafür ein, dass die höhern Lehranstalten nicht auseinandergerissen
werden sollten, und seinem Beispiel folgte der Sprecher der Winter-
thurer, Reinhart-Hess, indem er seine Anträge zurückzog.
Am 27. Dezember 1836 beschloss der Grosse Rat den Bau
des Kantonsspitals in dem ,, Schönhaus" genannten Spitalgut.
Die Spannweid sollte alsdann als Kranken- und Versorgungsanstalt
aufgehoben, die Pfründer und Hauskinder derselben in den alten
Spital bei der Predigerkirche, die Krauken des Spitals und der
Spannweid aber in das neue Krankenhaus versetzt werden, .so
dass der alte Spital neben der Irren- und Gebäranstalt dann aus-
schliessHch als Versorgungsanstalt für alte, gebrechliche, elende
und unheilbare Personen benützt werden konnte. ,,Am 20. Juni
1842 wurde das neue Krankenliaus eröffnet und 109 Patienten
aus dem vSpital und q aus der vSpannweid in verschiedenen Arten
von Wagen schnell dalün versetzt und eine Einweihungspredigt
gehalten" (Vogel). Schönleins Nachfolger, Prof. Dr. Carl Pfeufer,
schrieb nach Eröffnung der Khniken an seinen Vater: ,,Wenn ich
in mein herrhches Spital gehe und bedenke, wie die Losreissung
von einer peniblen und verhältnismässig unfruchtbaren Praxis
mich in die glückUchste Lage zu wissenschafthcher Ausbildung
gesetzt hat, so möchte ich Herrn v. Abel die Hand küssen, der
mir den Weg aus Bayern so leicht machte." Aus privaten ^Mitteln
wurde der Neubau der (1809 gegründeten) Blindenanstalt an
der Stelle der ehemaligen Kronenporte erstellt. Die Anstalt nahm
o NEUNTES KAPITEL: NEUES LEBEN 99
seit 1827 auch Taubstumme auf. Ihr neues Heim wurde am
2. Oktober 1838 festlich eingeweiht. Bis dahin hatte sie im Haus
zum Brunnenturm Unterkunft gefunden. Die 1820 gestiftete,
1823 verbesserte Tierarzneischule wurde durch Gesetz vom
13. Januar 1834 nach den Forderungen der Wissenschaft und den
Bedürfnissen des Kantons Zürich erweitert und eingerichtet. Ihr
erstes Lokal war das sogenannte Enderlinsche Anwesen zunächst
der ,, Hauptgrub". Nach Aufhebung der vScharf richterstelle,
13. Januar 1834, wurde ihr das Wohnhaus des vScharfrichters
am Sihlkanal angewiesen; der ohne Entschädigung entlassene
Scharfrichter (Vollmer) starb an gebrochenem Herzen. Durch
Regierungsbeschluss vom 30. Dezember 1834 war die Verlegung
des Botanischen Gartens der physikalischen Gesellschaft vom
„Schimmelgut" in Aussersihl nach dem stehen gebUebenen Boll-
werk „zur Katze" gutgeheissen worden. Die »Stadt spendete
(13. Juni 1837) mit Anrechnung privater Gaben für diese Neu-
anlage 50,000 Fr. Seine abschliessende Vollendung erhielt er erst
1839. Obergärtner („Universitätsgärtner") wurde der Deutsche
L. Th. A. Fröbel. Älit den Besitzern des benachbarten Wasser-
turms wurde ein Vertrag abgeschlossen für Zuleitung von Wasser
zu einem Springbrunnen und Sumpfpflanzenteich.
Den Glanzpunkt der Umgestaltungen der dreissiger Jahre
bildet die Schulreform. ,, Neben den guten Strassen," sagte
Eduard Sulzer, ,,ist die neugeschaffene Schule die Krone unter
den Leistungen dieser denkwürdigen Zeit." Seit Erlass des
Unterrichtsgesetzes bis Ende 1843 entstanden 141 neue, zum Teil
recht schöne Schulhäuser im ganzen Kanton herum, deren Ein-
weihung jedesmal für alt und jung ein frohes Fest war. Vor allen
Dingen aber wurde für eine tüchtige Lehrerbildung gesorgt. Vom
30. September 1831 datiert das ,, Gesetz betreffend die Errichtung
einer Bildungsanstalt für Schullehrer". Zu seinem Sitz erkor am
25. Januar 1832 der Erziehungsrat unter sieben Gemeinden
Küsnacht, welches seiner Eingabe den Satz beigefügt hatte:
,,Die Schullehrer sollen auch die freisinnigen Ideen im ganzen
Kanton verbreiten und befestigen, und dies wird geschehen, wenn
sie in möghchst freisinnigen Umgebungen gebildet wurden, wie
das in Küsnacht der Fall ist". Zum Seminardirektor wurde am
29. Februar 1832 Ignaz Thomas Scherr gewählt, der Mann,
100 NEUNTES KAPITEL: NEUES LEBEN o
aus dessen Hand Plan und Methode der Volksschule hervor-
gegangen waren und der sich in rastloser, aufreibender Tätigkeit
die grössten Verdienste um die zürcherische \'olksschule erwarb.
Am 7. Mai 1832 wurde das Seminar im NägeHschen Privatgut
„Zum Seehof" in Küsnacht eröffnet; dank den Bemüliungen
Scherrs konnte es 1834 in das sogenannte Amthaus, das frühere
Kloster oder die Johanniter-Komthurei übersiedeln. Gleichzeitig
wurde ihm auch die Heranbildung von Sekundarlehrern über-
tragen. Mehrmals sprach sich noch 1835 der konser\-ative ,, Kon-
stitutionelle" mit begeisterter Anerkennung über die Leistungen des
Seminars und der neugeschaffenen \'olksschule aus. Intensiven An-
teil hatte Scherr auch an der Schaffung der neuen Lehrmittel
für die Volksschule. Das Gesetz vom 24. September 1833, um-
gearbeitet 1837, brachte die Organisation der Sekundärschule.
Das Straf- und Gerichtswesen wurde gründlichst umgestaltet,
mit den Resten mittelalterlicher Justiz abgefahren und statt des
Richtschwertes das Fallbeil eingeführt. Verfasser des am 24. Sep-
tember 1835 erlassenen »Strafgesetzbuch es war Oberrichter
Johann Caspar Ulrich (geboren den 6. »September 1796, ge-
storben 14. Oktober 1883). Ihm sprach im Namen des Grossen
Rates sein politischer Gegner, Dr. L. Keller, Dank und Anerken-
nung aus, und die Universität Zürich belohnte seine \'erdienste
mit der Verleihung des Ehrendoktortitels (1838). Oberrichter
Ulrich, .Sohn des gewesenen Landschreibers \-on Andelfingen (siehe
Seite 22) besuchte die Universitäten von BerUn und Paris. Wäh-
rend der Vater das in Zürich übernommene Notariat besorgte,
stand die kluge, hochbegabte Frau Landschreiber der Buch-
druckerei Berichthaus vor und ermögHchte danüt dem Sohn nach
seiner Heimkehr eine höchst ehrenvolle und einflussreiche öffent-
Uche Tätigkeit. Seit 1820 wirkte er als Lehrer am poUtischen
Institut, wurde 1823 Amtsrichter, 1831 Oberrichter. Dem Grossen
Rat gehörte er von 1830 bis 1853 an, war dreimal Präsident des-
selben, und es gibt Bände des Protokolls, in denen sozusagen
auf jedem Blatt sein Name zu finden ist. Von gemässigt kon-
servativer Richtung, scharfer Logik und klarer Diktion, führte
LHrich öfters in wichtigen Fragen die Entscheidung herbei. Auch
im Grossen Stadtrat und in der Gemeindeversammlung war ein
Votum Dr. Ulrichs in der Regel von durchschlagender Wirkung.
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o NEUNTES KAPITEt: NEUES LEBEN loi
Nur flüchtig streifen können wir die ausserordentliche Frucht-
barkeit der Regenerationszeit auf andern gesetzgeberischen Ge-
bieten : die Landwirtschaft beglückte sie mit der Herabsetzung des
Salzpreises, dem Loskauf der Zehnten und Grundzinse. Die volle
Gewerbefreiheit erschien selbst jener radikalen Zeit noch als ein
so ungeheuerhcher Umsturz, dass man sie nicht einzuführen wagte.
,,Es geht die Sage," hiess es im ,, Vaterlandsfreund", ,,die Hand-
werke sollen aufgehoben, gänzUch freigegeben werden! Jeder
könne treiben, was er wolle, zu was er Lust, Talent, Vermögen, Ge-
legenheit habe! So vielerlei, als ihm einfalle" usw. Das erschien
der tausendköpfigen Handwerkerversammlung von Bassersdorf
am 8. April 1832 als Vernichtung des Gewerbes, als ,,Grab des
Bürgertums". Man begnügte sich daher zunächst mit einer halben
Gewerbefreiheit, und erst am 26. September 1837 wurde mit dem
bisherigen Zunftsystem gänzlich gebrochen und alle Handwerke
freigegeben. Im Jahr 1838 wurden alle Weggelder im Innern ab-
geschafft und an die Grenzen verlegt, womit die Zölle an der
Stadtgrenze von Zürich und Winterthur aufhörten (ein Bankett
im neuen Hotel Baur im Dezember 1838 feierte diesen Sieg). Von
besonderer Bedeutung auch für die Stadt Zürich waren die Ge-
setze vom 30. Mai 1831 über die Gemeindeverwaltung und Ge-
meindeversammlung. Das erste Staatssteuergesetz erschien am
29. Juni 1832. Fünf Gesetze ordneten die Bezirk-sverwaltung.
Die Militärorganisation des Kantons Zürich datierte vom 8. August
1832; die drei Waffengattungen besassen treffHche Instruktoren
in den hochgebildeten Offizieren Oberst Salomon Hirzel (Ar-
tillerie), Major Bruno Uebel, einem in Herrliberg eingebürgerten
Deutschen (Kavallerie), und Oberstl. Johannes Sulzberger
von Frauenfeld (Infanterie). Viel glimpflicher als man es bei dem
Radikalismus der Machthaber hätte erwarten sollen, kam in der
pohtischen Umgestaltung des Kantons die Kirche weg. Zwar
stärkte das Kirchengesetz vom 25. Oktober 1831 trotz Protesten
der Geistlichkeit die Stellung des Staates ihr gegenüber; auch
gegen die wissenschaftHch-theologische Lehrfreiheit an der
Universität, welche ,,den Irrlehren Tür und Tor öffnen werde",
vermochte die Opposition nichts auszurichten. Das Recht der
Pfarrwahl hatte den Gemeinden schon die neue Verfassung ge-
währt. Den Pfarrern wurde aber auch das Präsidium der Gemeinde-
I02 NEUNTES KAPITEI<: NEUES LIEBEN o
scliulpflegeu übertragen, und alle Angriffe der Lehrerschaft gegen
dieses Privilegium nützten nichts; es bheb dabei noch bis über
1869 hinaus!
Hand in Hand mit der poHtischen Erneuerung ging ein un-
gemein reges geistiges und geselüges Leben in der vStadt Zürich,
an dem es ihr übrigens auch unter der alten Regierung nie gefehlt
hat. Aber nun bildeten die neuen Lehranstalten und die Anwesen-
heit der zahlreichen deutschen Professoren ein neues anregendes
Element. ,,Es galt, sowohl an der Kantons- und Hochschule, als
im Leben überhaupt ein einträgliches und ausgleichendes Zu-
sammenwirken aller, des schweizerischen und des deutschen Wesens,
anzubahnen und festzuhalten". Ludwig v. Low rühmt in dem
erwähnten Büchlein die Eintracht und Harmonie, die unter dem
akademischen Lehrerkollegium herrschte. ,,\^on den sonst unter
Umversitätslehrern leider so häufigen Zänkereien, Spaltungen und
Intriguen findet sich fast keine Spur. In einer wöchentHchen
Abendvereinigung findet man fast alle ohne Unterschied des Alters,
der poHtischen oder wissenschafthchen Ansichten einträchtig ver-
sammelt." Als Bindeghed zwischen den Professoren und den Ge-
bildeten unter der städtischen Bevölkerung konnten die \-er-
schiedenen Gesellschaften gelten, denen die erstem beitraten.
Im Frühjahr 1834 gründeten Hans Konrad Ott-Usteri und
Direktor Hans Konrad Pestalozzi-Hirzel die ,, Museums-
oder Lesegesellschaft", die anfänglich auf dem ,, Rüden" (später
im Neubau Marktgasse) Lesesaal und Bibhothek besass. Sie war
entstanden durch Verschmelzung der 1808 gegründeten Lese-
gesellschaft der Gelehrten auf der Chorherrenstube mit der 1828
gegründeten kaufmännischen Lesegesellschaft. Am i. Juni 1832
gründete Ferdinand Keller V.D.M. (f 21. JuH 1881) die
Antiquarische Gesellschaft, wozu ihm die Aufdeckung eines
keltischen Grabhügels beim Burghölzli die Anregung gegeben hatte.
Durch Hans Georg Nägeli von Wetzikon, den begeisterten
Pestalozzianer und streitbaren Politiker, erhielt das Gesangsleben
einen ausserordentlichen Aufschwung. Er ist der Schöpfer der
Männerchöre, denen er seine weihevollen Lieder auf den Weg mit-
gab. Überall im Kanton entstanden Sängervereine. 'Slan las mit
Rührung, wie der Sängerverein von Wald dem am 27. Juh 1827
im ,, Pfauen" zu Rapperswil auf dem Sterbebette Hegenden Dichter
o NEUNTES KAPITEL: [NEUES LEBEN 103
Martin Usteri die letzten Lebensstunden versüsste. L. v. l,öw
bemerkt über Nägeli: ..Ein gewisses Selbstgefühl, ja eine Art
Übermut, wie man ihn gerne bei genialen Menschen mag, trat
überall hervor und kleidete ihn wohl. Man erzählt sich unter
anderm, dass, als im Erziehungsrat, dessen Mitghed er war, die
\'eTbesserung des Unterrichts im Gesang beschlossen worden, er
den Antrag gestellt, für Angabe der zweckmässigsten Mittel eine
Kommission zu ernennen, bestehend aus den drei Männern, die
einzig der Sache kundig seien, nämüch dem Haus, dem Georg
und dem Nägeli." Wie Geizer meinte, gUch Nägeli im Charakter
auffallend seinem vertrauten Freunde Pestalozzi und besass ,, die-
selbe Glut für heihge Menschheitsinteressen, dieselbe kindliche
Unkenntnis aller Bedingungen des äusserhchen, bürgerhchen Be-
stehens und Fortkommens". Sängervater Nägeh starb tief be-
trauert am 26. Dezember 1836 und wurde am letzten Tag des
Jahres beerdigt. Eine erhebende Totenfeier fand am i. Juni 1837
im Fraumünster statt.
Staunen und Bewunderung wird die Schaffensfreudigkeit der
dreissiger Jahre immer erregen, allein das Bild hatte auch seine
Kehrseite. Dieser Fortschritt in Siebenmeilenstiefeln eilte dem
Verständnis des Volkes weit, weit voraus. Führer und Volk rede-
ten bald nicht mehr die gleiche Sprache, hatten sich vielleicht
von Anfang an mehr oder weniger missverstauden. Das ver-
heissene goldene Zeitalter hatte sich das Volk hauptsächUch als
Erleichterung seiner ökonomischen Lasten gedacht, und nun trat
ja gerade das Gegenteil ein: ein ganz unerhörtes Anziehen der
Steuerschraube, besonders für das Schulwesen. Da wurden auf
einmal die alten Herren mit ihrer ,, weisen Sparsamkeit" wieder
wert, und was es kostete, das von ihnen Versäumte nachzuholen,
schrieb man der ,, leichtfertigen radikalen Verschwendungssucht"
aufs Konto. Selbst im Grossen Rate zeigte es sich, dass die Hoch-
schule und ähnliche Schöpfungen von einigen Landvertretern
für nicht viel mehr als kostspielige Liebhabereien angesehen wur-
den. Über alle Bedenken und Einwände stürmten aber die radi-
kalen Juristen der Hauptstadt rücksichtslos hinweg, und ob das
Volk nachzukommen vermöge oder nicht, danach fragten sie zu-
letzt. Hatten die gnädigen Herren von ehemals mit ihrer väter-
lichen Pedanterie doch immerhin viel Güte und aufrichtiges Wohl-
104 NEUNTES KAPITEL: NEUES LEBEN o
wollen für das Volk verbunden, so waren diese Demokraten von
solchen Schwächen völhg frei und sie spreizten sich gelegentlich
mit einer förmlichen Volksverachtung, die sich auch schon in ihrer
völhgen Wurstigkeit gegenüber der ihre Person beurteilenden
öffentHchen Meinung ausdrückte. Sie schufen Grosses, das die
konservative Bedenklichkeit und Knauserigkeit der alten Zeit
nie zu schaffen imstande gewesen wäre, sich selber bereiteten sie
mit ihrem Übermut den Untergang.
Nicht ungewarnt ! Es wetterleuchtete am Horizont schon
bedenklich, als die Regeneration kaum begonnen hatte, und lehr-
reiche Vorkommnisse zeigten, in welcher Geistesverfassung die
Masse des Volkes sich noch befand. Zum Beispiel der Aufruhr
von Baunia im Juli 1832, wo sich ein 74Jähriger lediger ]\Iann
erhängt hatte und auf Anordnung des Statthalters im Kirchhof
beerdigt wurde. Das wollte das christliche Volk von Bauma nicht
dulden und grub den Mann wieder aus. Eine Abordnung von drei
Regierungsräten und ein Aufgebot von 24 Landjägern vermochten
nicht, dem Selbstmörder im Friedhof der braven Leute ein Grab
zu sichern. Er musste in einem extra angekauften abgelegenen
Stück Land verscharrt werden. Oder der Brand von Uster
an der Feier des Ustertages, den 22. November 1832 ! Hatte man
dem Volk nicht am Ustertag versprochen, die Webmaschinen
abzuschaffen ? Man hatte es angelogen, und nun schritt es zur
Selbsthilfe. Die Spinnerei Corrodi wurde angezündet. ,,Ich weiss,
was ich tue," sagte der Anführer der Brandstifter, Felix EgU
von Bäretswil, ,,denn ich bin jetzt 51 Jahre alt, aber wir sind es
uns und unsern Kindern schuldig, die Maschinen zu zerstören,
weil sie uns um unsern Verdienst bringen. Diese muss verbrannt
sein; bis dahin haben wir keine Ruhe und kein Glück." Bald
loderten die Flammen aus den Fenstern. Die Regierungsräte
Fierz uiid Bürgi, Delegierte des Bassersdorf er- Vereins zur Uster-
tagfeier, wehrtet! mit aller Macht ; Fierz, für den Eigentümer Corrodi
gehalten, wurde beinahe niedergeschlagen. Wilhelm Füssli rief der
Volksmenge zu: ,,Mir nach, wer \'aterland, Ordnung und Eigentum
heilig hält!" Die IMehrzalil der Anwesenden folgte ihm zum Fest-
platz, die Brandstifter wurden überwältigt. In seiner Ansprache
an die \'ersammlung sagte FüssH: ,,An diesem Tag hat vor zwei
Jahren das \'olk den schweren Kampf gegen die Aristokratie,
NEUNTES KAPITEL: NEUES LEBEN 105
heute den schwereren gegen die Anarchie siegreich bestanden!"
In Zürich war man womöghch noch bestürzter als vor zwei Jahren
am Ustertag. Die wehrfähige Mannschaft sammelte sich „zu den
Pannern" und bewachte die Tore bis zum Morgen. Aber schon
um \-ier Uhr nachmittags kam ein Leiterwagen mit 56 gefesselten
\'erhafteten, und alles atmete auf. Vieljährige Kerkerstrafe traf
die Unglücklichen. In dieses Kapitel gehört auch das „Revo-
lutiönchen" von Stadel im Jahr 1834. Die Wehntaler wollten
von der religionsgefährhchen „neuen Lehre", die aus dem Seminar
Küsnacht kam, nichts wissen und verbaten sich insbesondere die
verdächtigen neuen Lehrmittel. Als der Grosse Rat über ihre
Petition zur Tagesordnung schritt, drang das Volk am 14. Mai
zu Stadel und Raat in die Schulhäuser ein und warf die Beherr-
schen Sprachtabellen zum Fenster hinaus. Zwanzig Landjäger
stellten die Ordnung wieder her. War es nicht, nach rückwärts
projiziert, genau der ,,Züriputsch" von 1839? Wer Ohren hatte,
konnte das dumpfe Grollen des heraufziehenden Gewitters jetzt
schon vernehmen; unheimUch pfiff der Wind vom Oberland her,
und über den sich kräuselnden Wellen flatterte als Sturmvogel,
jähen Fluges und bald wieder entschwindend, der Name Strauss!
Es war im Jahr 1836, als das Zürcher Volk zum erstenmal von
diesem IManne hörte. Im Erziehungsrat war beantragt worden,
den Tübinger Theologieprofessor zum Nachfolger des verstorbenen
Rettig zu berufen. Hans Georg Nägeli war Feuer und Flamme
gegen einen solchen Antrag und schrieb seine letzte Streitschrift:
,, Laienworte über Dr. Strauss Leben Jesu und Ansichten gegen
dessen Berufung an die Universität Zürich". Auch der Präsident,
Bürgermeister Melchior Hirzel, bekämpfte mit Lebhaftigkeit
den Antrag, und es wurde Elwert berufen. ,,Die Sache ist, denke
ich, beseitigt", schrieb Hirzel an einen Bekannten . . .
ZEHNTES KAPITEL
EIDGENÖSSISCHE FRAGEN
Waren es nicht Probleme der iunem Verwaltung, an denen
der Parteikampf in der Stadt Zürich sich entzündete, dann
boten dazu um so reichlichere Veranlassung die eidgenössischen
Angelegenheiten. vSo Hessen insbesondere die Bas 1er und die
Schwyzer Wirren die Leidenschaften emporlodern. In Schwyz
verhielt sich der alte Landesteil, Inner-Schvvyz, ablehnend gegen
Gleichberechtigungsforderungen der äussern Bezirke (March,
Wäggital, Höfe etc.), die sich deshalb im April 1832 als eigener
Stand ,,Ausserschwyz" konstituierten und Aufnahme in den Bund
begehrten. Basel machte seiner Landschaft nur so geringe Zu-
geständnisse, dass diese die völlige Trennung anstrebte. Drei-
mal suchten im Jahre 1831 mihtärische baslerische Expeditionen
die Landschaft heim, eine vierte erUtt am 7. April 1832 bei Gelter-
kinden eine Niederlage. vSelbstverständlich sjtnpathisierte die
Stadt Zürich mit Basel und Innerschwyz, die Landschaft und
die radikale Partei mit Basellaud und Ausserschwyz, und von die-
sen Positionen aus wurden in der Presse, in \'ersanimlungen und
im Grossen Rat die hitzigsten Gefechte geliefert. Zur Abmahnung
von geplanten Freischarenzügen nach Basel hatte die Regierung
schon im August 1831 eine Proklamation erlassen. Die Tagsatzung
sprach sich am 14. September 1832 für die Trennung von Basel,
Stadt und Landscliaft, aus. Gegen diesen Beschluss erhoben
Basel, Uri, Schwyz, Unterwaiden, WalHs und Neuenburg Protest.
Diese Stände (ohne WalHs) schlössen am 14. November 1832 in
Samen einen neuen vSonderbund, den ,, Sarnerbund", mJt dem
Zweck, die Zulassung von Baselland und Ausserschwyz zur Tag-
satzung zu verweigern und keine Re\ision der Bundesurkunde
von 1815 zuzulassen. Nachdem am 22. April 1833 die Tagsatzung
auch eine Vertretung \-on Ausserschwj'z aufzunehmen beschlossen
hatte, schlug der Samerbund los. Am 31. Juli 1833 besetzte
Oberst Theodor Abj'berg mit 600 I\Iann und 4 Kanonen Küsnacht,
o ZEHNTES KAPITEL: EIDGENÖSSISCHE FRAGEN 107
das zu Ausserschwyz hielt. Die Baselstädter unter Oberst Vischer
aber holten sich am 3. August bei Pratteln eine neue Nieder-
lage. Nun schritt die Tagsatzung mit grösster Energie ein. Der
Vorsitzende, Bürgermeister J. J. Hess, sonst eher ein schwanken-
der Charakter, zeigte sich der Situation vollkommen gewachsen,
und das zürcherische Kontingent zur Besetzung von Basel und
Schwyz war besonders stattlich. Wenn eine anonyme Broschüre
unter dem Titel: ,,Das entlarvte Standeshaupt oder Trembleur
Hess von Zürich" den Bürgermeister als ,,kour agierten National-
grobian" bezeichnete, so war das für ihn ein Komphment. In
Basel bUeb es bei der Trennung, in Schwyz, wo kein Blut geflossen
war, versöhnte man sich unter der Garantie einer neuen Verfassung.
Den Sarnerbund hatte die Tagsatzung schon am 12. August als
aufgelöst erklärt. Die kraftvolle Entschiedenheit, mit welcher
die Eidgenossenschaft diesen Zwist aus der Welt schaffte, machte
den günstigsten Eindruck. ,,In wenigen Tagen haben wir ein Jahr-
hundert zurückgelegt", sagte die ,,N. Z. Z.".
Einen weniger rühmhchen Verlauf nahmen die Anstreng-
ungen für eine Revision der Bundesverfassung von 1815.
Hier kämpften die Stadtkonservativen teils gegen jede Revision,
teils für eine Revision in mehr föderalistischem Sinne. Auch die
Radikalen spalteten sich. Die einen waren für Vermittlung, die
andern für einen zentraUstischen Vorstoss. Es kam vor, dass von
den beiden Bürgermeistern Hirzel die eine, Hess die andere An-
sicht im Grossen Rat vertrat. Der Ende 1832 von der Tagsatzung
zustande gebrachte Entwurf der neuen Bundesverfassung war ein
Werk des ,,juste-miUeu"; als erster hat ihn am 10. Juni 1833 der
Grosse Rat des Kantons Zürich mit 124 gegen 54 (konservative)
Stimmen angenommen. Aber in den meisten andern Kantonen
war die Aufnahme so frostig, dass die Revision am 10. Oktober
1833 von der Tagsatzung aufgegeben wurde.
Grossartig war zu allen Zeiten die Hilfsbereitschaft Zürichs
für das Unglück im eigenen Vaterland oder in der Fremde. Als
die Stadt noch wenig über 10,000 Einwohner zählte, hat sie wieder-
holt an einem einzigen Januarsonntag Eiebessteuern im Betrag
von 14,000 bis 18,000 Gulden zusammengebracht, Summen, die
von der Stadt der 200,000 an einem Bettag oder Reformations-
sonntag nicht mehr erreicht werden. Flüchtlinge aller Na-
io8 ZEHNTES KAPITEL: EIDGENÖSSISCHE FRAGEN o
tionen fanden in ihren Mauern die gastlichste Aufnahme. Das
erfuhren 1821 schon die Griechen in ihrem unglückhchen Auf-
stand gegen die Türken. Für die im Jahr 1823 besonders zahl-
reich in Zürich eingetroffenen Griechen wurde in jeder Hinsicht
gesorgt. Major Fäsi exerzierte mit ihnen und Hess sie an einem
Manöver bei Wipkingen teilnehmen. Der Theologiestudent C. H.
Schweizer hielt für sie Bibelstunden in neugriechischer Sprache.
Der Griechenenthusiasmus in Zürich war ausserordentlich und der
vom Chorherrn Joh. Heinr. Bremi am 11. November 1821 gegrün-
dete Griechenhilfsverein leistete Bewunderungswürdiges. Er
rüstete sogar Freischaren nach Griechenland aus, wurde allerdings
auch gelegentUch schwer hereingelegt, so von dem SendUng des
,, osthellenischen Areopags, Kephallas vom Olymp". Der bay-
rische Philhellene Oberst Heidegger, welcher in Nauplia Gaben
verteilte, war ein geborner Zürcher. Beim Sturm auf Athen er-
stieg ein Zürcher als erster die Ringmauer der Stadt. Der Medizin-
student J. J. Meyer von Schöffiisdorf, in dessen Armen Lord
Byron gestorben sein soll, richtete in Missolunghi ein Spital von
80 Betten ein und starb am 28. April 1824 den Heldentod beim
Untergang der Stadt. Den fremden Gesandten in der Schweiz
war diese Unterstützung der ,, modernen Argonauten", in denen
sie nur Aufrührer salien, ein Greuel. Capo d'Istria allerdings
machte nun keine Schwierigkeiten mehr. Nachdem er 1816 rus-
sischer Minister des Äussern geworden und 1822 gestürzt war,
privatisierte er in Genf und förderte nach Kräften die Sache seiner
Landsleute. Sie wählten um im Mai 1827 zum Präsidenten der
griechischen Republik, allein schon am 31. Oktober 1831 wurde
er von den beiden Mauromichalis unter dem Portal der Kirche
St. Spiridion zu NaupUa erdolcht.
Nicht mit den Griechen erst hatten die Reklamationen der
fremden Mächte bei der Schweiz begonnen. Schon von 1814 an
und sozusagen das ganze 19. Jahrhundert hindurch bildete die
Asylfrage immer wieder den Anlass fremder Einmischung.
Wegen der Flüchtlinge wurde die Gesinnung des Zaren Alexander
gegen die Schweiz sehr unfreundlich, und auch Franz I. machte
den vScliweizern harte \"orwürfe. Die Tagsatzung suchte sich
umsonst mit dem ,, Press- und Fremdenkonklusum" vom 14. Juli
1823, das die Presse und die Flüchtlinge unter strenge Kontrolle
o ZEHNTES KAPITEL: EIDGENÖSSISCHE FRAGEN 109
stellte, Rulie zu schaffen. Erst als die Macht der Reaktion in Eu-
ropa etwas nachzulassen begann, konnte (am 8. Juli 1829) dieses
Konklusum aufgehoben werden. Doch der Zustrom von Flücht-
Hugen erneuerte sich immer wieder und damit der Notensturm
der Mächte. 1832 reisten 243 Polen durch Zürich. Auch zu ihrer
Unterstützung bildeten sich \'ereine und kamen grosse Summen
zusammen. Ein starker Trupp Polen traf am 9. April 1833 in
Saignelegier im Berner Jura ein. Es waren zum Teil grobe, brutale
AdeUge, die sich frech in die innern Angelegenheiten unseres Lan-
des einmischten und der Schweiz Verlegenheiten bereiteten. Auch
italienische Revolutionäre, unter ihnen Mazzini, flüchteten
scharenweise in die Schweiz. Polen und Italiener unternahmen
am I. Februar 1834 einen tollen Einfall nach Savoyen, welcher
gänzHch misslang, aber die Schweiz nötigte, IVIitte Juni eine Ent-
schuldigungsdeputation an König Karl Albert auf Schloss Cham-
bery in Savoj^en zu senden. Einige Studenten der Universität
Zürich, die an dem Zug teilgenommen hatten, wurden relegiert.
Besonders zahlreich waren in den zwanziger und dreissiger Jahren
die deutschen Flüchtlinge. Manche von ihnen bewährten
sich als tüchtige Leute und erlangten in der Schweiz als Lehrer
oder Politiker — oder auch beides — einflussreiche Stellungen.
Die Flüchtlinge Dr. Fein und Dr. Kom_bst waren Redaktoren
der ,,N. Z. Z.", Dr. Schauberg Redaktor des ,, Konstitutionellen".
Nach einer von den deutschen Revolutionären am lo./ii. August
1834 in Zürich abgehaltenen Versammlung fanden einige Ver-
haftungen und Ausweisungen statt. Am Morgen des 4. November
1835 fand man auf dem Fussweg an der Sihl, zwischen SihlhölzU
und Wollishofer Ahmend, den deutschen Studenten Ludwig
Lessing von zahlreichen Dolchstichen durchbohrt. Er galt als
Polizeispitzel und seine Mörder wurden nie entdeckt. Man \'er-
mutete sie unter den ^Mitarbeitern des ungefähr in der Sx^rache
der heutigen extremen »Sozialistenpresse geschriebenen revolu-
tionären Blattes ,,Das NordÜcht". 1836, am 23.724. Mai, hielten
die Jungdeutschen im Lavatergüth in der Enge ihr ,, Nachtparla-
ment". Sie wurden von der Tochter des Hauswirts belauscht
und denunziert. Die Folge war das Gesetz vom 29. September
1836, das den FlüchtHngen und übrigen Landesfremden die Bei-
bringung von Schriften auferlegte und ihren Aufenthalt an eine
HO ZEHNTES KAPITEL: EIDGENÖSSISCHE FRAGEN o
Bewilligung des Regierungsrates knüpfte. Die Tagsatzung hatte
es nicht leicht, auf die Noten der fremden Mächte immer die rich-
tige Antwort zu finden. Die Radikalen fanden sie den fortwäh-
renden Zumutungen gegenüber zu nachgiebig, und eine am
21. August 1836 auf der Ägerten in Wiedikon abgehaltene
schweizerische Volksversammlung sollte ihr den Rücken stärken.
Es sprachen die Regierungsräte Zehnder und Eduard Sulzer,
vStatthalter Gujer, Hans Georg Nägeli und besonders hitzig in
seinem breiten Schwäbisch Semiuardirektor Scherr, dem
dieses Auftreten sehr verübelt wurde.
Zu den schwierigsten Auseinandersetzungen kam es mit
Frankreich wegen des Pohzeispitzels Conseil. Der französische
Gesandte Montebello, der nicht wusste, dass Conseil bezahlter
PoHzeispion sei, hatte brüsk dessen Ausweisung aus der Schweiz
verlangt, da er am Attentat Fieschis auf Ludwig Philipp am
28. Juli 1835 beteihgt gewesen sei. Da stellte sich ihm der Ehren-
mann in seinem wahren Charakter vor und erhielt einen vor-
datierten Pass auf den Namen Fran9ois Hermann. Graf IMonte-
bello beharrte aber der vSchweiz gegenüber auf der Forderung der
Ausweisung von Fieschis angeblichen Mitschuldigen. Dr. Lud-
wig Keller von Zürich, damals Tagsatzungsgesandter, Hess
ohne Befragung der Regierung seinen Bericht über die Affäre
drucken und erregte mit der öffentlichen Aufdeckung des ganzen
frechen Conseil-Schwindels die grösste vSensation. Frankreich
sah sich blossgestellt und verhängte nun zur Strafe den Blocus
hermetique über die Schweiz, d. h. es Hess keine Schweizer und
schweizerischen Waren mehr über die Grenze und zahlte auch
die MiUtär-Pensionen nicht mehr aus. Die Tagsatzung musste
Abbitte tun.
Zwei Jahre später sollte es mit Frankreich wegen dem
Prinzenhandel beinahe zum Kriege kommen. Unter den Flücht-
lingen befand sich auch Prinz Louis Napoleon. Seine ]\Iutter
Hortense Beauharnais, Napoleons I. vStieftochter und Gattin des
Königs Ludwig (Bonaparte) von Holland, hatte das Schloss
Arenenberg in der thurgauischen Gemeinde Salensteiu gekauft.
Salenstein und der Kanton Thurgau schenkten Louis Napoleon
das Bürgerrecht. Er absolvierte seinen Militärdienst in Thun
unter Dufour und brachte es bis zum Artilleriehauptmann. 1834
o ZEHNTES KAPITEL: EIDGENÖSSISCHE FRAGEN in
beim eidgenössischen Schützenfest in Zürich sah man ihn in Ge-
sellschaft des Regierungsrates Bürgi, der ihm auch das Bürger-
recht von Oberstrass verschaffte (das aber von den Oberbehörden
nicht anerkannt wurde). Der Prinz besuchte in Zürich gelegentlich
auch die Gartenwirtschaft im Seefeld („Seefeldgarten"), das
Rendez-vous der fremden FlüchtUnge, wo ihn einmal Prof. Oken
dem Deutschen JuHus Fröbel vorstellte. Der schmächtige kleine
Leutnant soll dem Deutschen nicht sonderhch imponiert haben.
1838 beim Schützenfest in St. Gallen war L,ouis Napoleon der
Sprecher der Thurgauer Schützen. Noch als Kaiser mischte er
gerne schweizerdeutsche Brocken in seine Unterhaltung mit
Schweizern. Da indessen Louis Napoleon durch das Komplott
von Strassburg 1836 klar bewiesen hatte, dass er nach dem Throne
seines Oheims strebe, verlangte Frankreich immer dringender
seine Ausweisung. Die Schweiz zögerte und das Volk nahm in
zahlreichen Versammlungen für den Prinzen Partei. In Herisau
verkündete der Standesweibel einer aufgeregten Volksmenge als
Beschluss des im Rathaus tagenden Regierungsrates: ,,Frankriich
isch ab- und zur Ruch g'wise!" Aber Frankreich bedrohte trotz-
dem die Schweizergrenze mit einem Beobachtungsheer von 27,000
Mann. Um seinem Adopti\^'aterland weitere Schwierigkeiten
zu ersparen, verHess im September 1838 Napoleon freiwillig die
Schweiz und ging nach England.
Auf die liberal-radikale Partei in Stadt und Kanton
Zürich wirkten die Auseinandersetzungen über die Flüchtlings-
und Fremdenfragen wie Sprengpulver. Liberale und Radikale
überschütteten sich mit Grobheiten; die konservative Partei
stand als tertius gaudens still und hoffnungsfroh auf der Seite.
Dass Bluntschli und Keller sich ausgesöhnt hatten und wieder
persönlich verkehrten, trug zu der konservativen Zurückhaltung
wohl auch etwas bei. Überdies war Keller in eidgenössischen
Fragen bei weitem nicht so radikal wie seine Freunde Füssh,
David Ulrich u. a. Mit den Konservativen stimmte der liberale
Flügel der Radikalen darin überein, dass man im Lande Ruhe
wünschte und der Flüchthnge wegen nicht diese ewigen und ge-
fährlichen Streitigkeiten mit dem Ausland haben wollte. Das
war ganz besonders die auf dem Lande vorherrschende Meinung,
und es vollzog sich über den Erörterungen des Fremden wesens
112 ZEHNTES KAPITEL: EIDGENÖSSISCHE FRAGEN o
allmählich eine sehr bemerkenswerte Abkehr der Landlibe-
ralen von den Radikalen. Sie waren aufs tiefste augewidert
von der rohen Sprache der radikalen Presse, die z. B. einem Bürger-
meister Hirzel gegenüber vor keiner Gemeinheit zurückschreckte.
Eine „Hundesprache" nannte der Redner von Uster, Steffan,
die Sprache des „Republikaner" und erklärte, er wolle nun auch
einmal mit Lavater unter die Schweine fahren und den betreffen-
den Artikelschreiber einen Sauhund nennen. Aus dem Kantonal-
verein (von Bassersdorf) zogen sich die besonnenen Elemente mehr
und mehr zurück und überUessen das Feld den , .Brutal-Radi-
kalen", den ,, Radmännern", von denen sich ,, jeder ein kleiner
Napoleon" zu sein dünkte. Wenn es (1835) sogar dem »Staatsan-
walt Ulrich passieren konnte, im Kantonalverein zu Bassersdorf
ausgepfiffen zu werden, bis er zu reden aufhörte, dann musste
die Entfremdung zwischen Stadt- und Landliberalen schon sehr
weit gediehen sein. Dass trotz alledem die Radikalen bei den
Grossratswahlen vom 3. November 1834 wieder auf der ganzen
Linie siegten und nicht ein einziger der bisherigen vStadtvertreter
gewählt wurde, war für die Konservativen eine bittere Enttäusch-
ung, und sie mussten es als neuen Schlag empfinden, als der Grosse
Rat am 17. Dezember 1834 den radikalen Dr. med. Hans Ulrich
Zehn der von Ober-Engstriugen in den Regierungsrat wälilte
(Zehnder wurde nach einigen Jahren der erste nichtstädtische
Bürgermeister). Dennoch hatte Kellers Stern den Zenith bereits
überschritten und begann zu sinken. Die Angriffe auf den ,, dünkel-
haften Despoten" mehrten sich von Jahr zu Jahr. Auch sein
grosses Werk, die Justizreform, wurde immer schärfer kritisiert.
Man fand die neue Justiz fremd, kalt, rücksichtslos. Der gemeine
Mann begriff nicht, dass er wegen eines Formfehlers hangen bleiben
konnte, wenn er in der Sache selbst recht hatte, und doch bestand
der Unterschied gegen früher hauptsächUch darin, dass die alten
Richter die Formen bald beachteten, bald aber nicht, wie es ihnen
gerade behebte, während Keller sie nun konsequent durchgeführt
wissen wollte. Er selbst nahm es besonders seinen Schuldnern
gegenüber peinhch genau und duldete den gemütlichen Schlen-
drian nicht mehr, dass man jeweilen den Zins fürs \^orjahr zahlte,
den laufenden aber wieder schuldig blieb. Das trug ihm im ganzen
Kanton den Ruf eines heillosen ,,\A'ucherers" ein, und die Sj'm-
Or. g. C. Üifricß, Oberridiier
o ZEHNTES KAPITEt: EIDGENÖSSISCHE FRAGEN 113
pathien für ihn mehrte es auch nicht, wenn er mit einem gewissen
wissenschaftlichen Genuss Prozessgegner an einer ihnen nagel-
neuen Form des römischen Rechts aufspiesste und zappeln Hess.
Kein Geringerer als Hans Georg Nägeh, einst ein schwärmerischer
Verehrer Kellers, machte sich im Grossen Rat als erster zum Spre-
cher der populären Antipathien gegen das neue Recht. Die Wahl
eines Laienrichters vom Lande, Hanliart von Pfäffikon, ins Ober-
gericht am 17. Dezember 1835 kennzeichnete die zunehmende
Strömung gegen die Fachjuristen. Am 11. März 1837 trat J. C.
Ulrich aus dem Obergericht zurück, um die Leitung der Buch-
druckerei Berichthaus ganz zu übernehmen. Zu seinem Nach-
folger schlug Dr. Keller J. C. BluntschH vor. Der Grosse Rat
wählte jedoch den Kriminalrichter Dürr, worauf Keller als Mit-
glied und Präsident des Obergerichts seine Demission einreichte.
BluntschU, durch die Zurücksetzung ebenfalls verletzt, wurde in
seinen poUtischen Anschauungen noch schroffer als vorher, und
auch der alte Hass zwischen ihm und Keller flammte bald wieder
auf. BluntschH sagte sich vor den Wahlen öffentlich von ihm los,
und Keller quittierte damit, dass er ihn als ,,den schmutzgebore-
nen Sohn des \'aters der Lichter" betitelte (Bluntschlis Vater
war Kerzenfabrikant). Die aus den Hberalen Kreisen hervor-
gegangenen Angriffe auf die Justiz und die Juristen mussten
die Zersetzung des Uberal-radikalen Regiments mächtig beför-
dern. ,,Der Gegensatz zwischen den Liberalen und den Radi-
kalen lag jetzt neuerdings vor aller Augen, und ebenso offenbar
war die stets abnehmende Bedeutung der Radikalen. Dafür zeigte
es sich immer deutHcher, dass die eigentUch reaktionären Ele-
mente sich zum vollständigen Sturze des Hberal-radikalen Regi-
ments je länger je mehr mit den ochlokratisch-antiwissenschaft-
Hchen Tendenzen verbanden, die aus den Tiefen der Volksmassen
heraufstiegen und die bei den Hberalen Fülirern der Landschaft
stets weniger festen Widerstand fanden." (Wettstein.)
ELFTES KAPITEL
EIDGENÖSS. SCHÜTZENFEST 1834
Wenn aus der Geschichte der Mediations- und Restaurations-
zeit uns so oft ein wahrhaft herzbeklemmender Älangel an
Schweizersinn, an eidgenössischem Patriotismus, an Ge-
fühl der Zusammengehörigkeit der Kantone entgegentritt, dann
weiss man es den eidgenössischen vSchützenfesteu und den \'eran-
staltungen anderer schweizerischer Gesellschaften doppelt Dank,
dass sie durch alle trüben Zeiten kleinlichen Haders unter den
Kantonen das heilige Feuer des eidgenössischen Brudersinnes,
der Liebe zum gemeinsamen Vaterland immerfort unterhalten
und genährt haben. Den Schützenfesten \-or allen gebührt dieser
Ruhm. Sie wurden die eigenthche Pflanzstätte des schweize-
rischen Nationalgefülils und gestalteten sich mehr und mehr zu
einer wirklichen \'erbrüderung der Kantone. Bonstetten schrieb
1823: ,, Diese helvetischen Versammlmigen haben eine elektrische
Wirkung auf den Patriotismus der vSchweizer, alles ist darauf be-
rechnet, die Schweizer in eine Nation zusammenzuzaubern." Und
einige Jahre später noch einmal: ,, Nichts hat der Schweiz mehr
Nutzen gebracht, als die helvetischen \'ersammlungen jeder Art;
das waren die Sammler der freien Gedanken, die sich da zusammen-
paarten." — ,,Mit unbeschreibhchem Eifer üben alle Schweizer
sich im Scheibensclüessen ; überall findet man ein Ziel aufgestellt,"
schrieb ein preussischer Spion 1822. Der französische Legations-
sekretär Vicomte de la Passe machte 1824 dieselbe Beobachtung
mit erheblichem Missfallen. Er fand, die schweizerische Schützen-
gesellschaft sei nur darauf berechnet, der Gebirgsbevölkerung,
die wenig Geschmack an Künsten und Wissenschaften habe, da-
gegen die Schützenkunst leidenschaftlich hebe, das revolutionäre
Gift einzuimpfen, indem man den einfältigen, aber mutigen Leuten
die Vaterlandsliebe als Lockspeise vorhalte. Was dem französi-
schen Legitimisten als ,, revolutionäres Gift" erscheint, ist uns
der männliche Unabhängigkeitssinn, die nationale schweizerische
o ELFTES KAPITEL: EIDGENÖSSISCHES SCHÜTZENFEST 1834 115
Demokratie. Ihr dienten, bewusst oder unbewusst, alle jene 87
grössern und kleinern Ehr- und Freischiessen, die allein in den
Jahren i8iq bis 1823 in den Kantonen Zürich, Bern, Luzern,
Schwyz, Untenvalden, Zug, Solothurn, Aargau, St. Gallen und
Waadt abgehalten wurden. Die Idee, die vSchweizer Schützen
zu einem dauernden eidgenössischen Verein mit wechselndem
Vorort zu verbinden und regelmässige eidgenössische Wett-
kämpfe zu veranstalten, wurde im August 1822 auf einem kanto-
nalen Schützenfest in Aarau geboren. Die Aarauer Schützen-
gesellschaft nahm die Verwirklichung an die Hand, und vom 7. bis
12. Juni 1824 fand das erste eidgenössische Schützenfest
auf dem Schach en, einer waldbekränzten Ebene bei Aarau, statt.
,,Die Reinheit des Himmels, die Anmut der FrühUngslandschaft,
das bunte frohe Gewirre der Menschen, dazwischen das ununter-
brochene Feuer der Schützen, die fröhlichen Gesänge längs den
Tischen, der Donner des Willkomms- oder Abschiedsgrusses der
Kanonen, der Schall der Musik, das Jauchzen der Sieger unter
den wettkämpfenden Schützen, das unverhoffte Zusammentreffen
von Bekannten aus weitgetrennten \^aterlandsgegenden, die ersten
Freundschaftsversicherungen sich vorher unbekannter Personen,
die Nationaltrachten und Nationalphj-siognomien, die Ausgleich-
ung jedes Standes und Ranges unter der Macht der Freude und
des Gefühls, Eidgenoss zu sein, — das alles machte auf das Gemüt
wohl jedes Zuschauers, der zugleich in dem grossen beweghchen
Bilde Mitspieler war, ungewöhnhchen Eindruck." Dasselbe vScliau-
spiel wiederholte sich am eidgenössischen Schützenfest 1827
in Basel, 1828 in Genf, 1829 in Freiburg, 1830 in Bern. Ausser
manchen reformierten gehörten auch mehrere hberal-katholische
Geistliclie zu den Besuchern und Rednern der eidgenössischen
Schützenfeste, so Christopher Fuchs, am Schützenfest in Euzern
1832 als ,, zweiter Rösselmann beim neuen Rütlibund" bewill-
kommt, oder Pfarrer Kahn von Zürich. An den eidgenössischen
Schützenfesten sah und hörte das Volk die bekanntesten Männer
der Eidgenossenschaft: Casimir Pfyffer, Baumgartner, Mun-
zinger, Oberst Dufour, Druey, Luvini u. a. Von stürmischem
Jubel wurde stets Landammann Sidler von Zug begrüsst, den
man ,,den edelsten und reinsten Republikaner, den Augapfel und
das Herz des Schweizervolkes" nannte. Beredt wie er war Land-
ii6 ELFTES KAPITEL,: EIDGENÖSSISCHES SCHÜTZENPEST 1834 o
ammann Waller von Aarau; „wie vom Himmel tausend Sterne
sind seine Worte auf die Zuhörer herabgefallen".
Für Zürich war das Ehr- und Freischiessen vom Juli 1821
eine wohlgelungene Vorprobe auf das grosse eidgenössische Schüt-
zenfest 1834. Das erstere wurde auf dem Schützenplatz bei der
Platzpromenade abgehalten. Als das Fest am Dienstag morgen
6 Uhr, den 3. Juli, durch Kanonendonner eröffnet wurde, rückten
die Schützen trotz des trüben Regenwetters in Scharen ein,
nach altem Brauch herzUch und freundschaftlich begrüsst und
zu dem mit den alten Ehrenpokalen prangenden ,, Willkomms-
tisch" geführt. Am Mittwoch morgen trafen die Schützengesell-
schaften von Baden ein, abends diejenigen von Bern und Lenzburg
unter Vorantragung ihrer Banner. Auf dem Kutschbock des
Bemer Wagens sass zum grossen Gaudium der Jugend der Mutz.
Von den Zürcher Schützen stellten neben der vStadt die Winter-
thurer und die beiden Seeufer das Hauptkontingent. Die Falmen
wurden alle vor dem Schützenhaus aufgepflanzt. An den Schöpfer
des zürcherischen Scharfschützenkorps, Oberst Landolt, erinnerte
sein bekränztes Bild. Am 7. JuH, mittags punkt i Uhr, verkün-
dete ein Kanonenschuss das Ende des Schiessens. Es folgte das
„Absenden" und dann die feierliche Verabschiedung jeder ein-
zelnen Gesellschaft. Besonders herzUch gestaltete sich der Ab-
scliied von den Bernern, die erst am Sonntag morgen verreisten.
Ihrem Wagen voraus fuhr auf besonderem Gefährt die Zürcher
Knabenmusik. Der Berner Mutz schwenkte in seiner Pranke ein
Zürcher Fähnlein, und neben ihm sass ein in die Zürcher. Farben
gekleideter Knabe mit der Berner Fahne. Im Talacker huldigten
die Berner noch in einer kleinen Ovation dem Dichter Martin
Usteri, welcher freundhch dankend an ihren Wagen herantrat.
Einen bedeutend grössern Umfang erhielt nun allerdings das
eidgenössische Schützenfest von 1834, zu dem der Re-
gierungsrat 6000 Fr. spendete. vSchöne Gaben stifteten auch die
Stadträte von Zürich und Winterthur. Fest platz war die so-
genannte ,,Ägerten" bei Wiedikon, eine ausgedehnte Matte an
der Sihl, gegenüber dem Sihlhölzli. Die ganze, grossartige und
geschmackvolle Anordnung der Festbauten, welche die ungeteilte
Bewunderung aller Festbesucher erregte, war entworfen worden
von Scharfschützen-Leutnant Wild, damals noch Schneidermeister,
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o ELFTES KAPITEL: EIDGENÖSSISCHES SCHÜTZENFEST 1834 117
später Ingenieur der Strassburger Eisenbahn. Die auf allen Seiten
offene Festhütte bot einen prächtigen Überblick über den gan-
zen Festplatz und den hinter ihm aufragenden, dicht bewaldeten
Üthberg. An 2 X 74 Tischen konnten 3000 Gäste auf einmal
bewirtet werden. Eine erhöhte Estrade war für die Musik errichtet
worden. In der IVIitte der Hütte stand die rot und weiss ausge-
schlagene Rednertribüne. Die ganze Festhütte umzogen an der
Aussenseite grüne Kränze mid Guirlanden aus roten und weissen
Tüchern. An einem ^'orsprung des Daches gegen den Festplatz
prangte ein Kolossalgemälde der drei Eidgenossen im RütU, und
unter demselben las man der ganzen Stirnseite der Festhütte ent-
lang in mächtigen Schriftzügen die Worte: „Willkommen, ihr
Männer zu Berg und Tal! Hier gebt Euch die Hände beim fröh-
lichen Mahl. Euch eine das traute Gespräch und der Wein: Ge-
selHge Freunde und Brüder zu sein!"
Vor der Festhütte erhob sich auf vier Pfeilern die Fahnen-
burg mit den Namen und Jalireszahlen von 28 Schweizerschlach-
ten. Sie überwölbte wie ein Baldaclün die Riesenstatue eines
alten Schweizer Kriegers. Mancherlei Inschriften priesen an den
Pfeilern die Eintracht, den Mut usw.
Rechts und hnks vom Festplatz lockten zwei reich deko-
rierte Festwirtschaften zur ,, Eintracht" und zur , .Treue",
jede mit einem obeni Boden, der auf bequemen Treppen zugäng-
lich war. Vor jeder dieser Wirtschaften hielt ein steinerner Banner-
träger die Ehrenwache. Die Mitte des Festplatzes bezeichnete
der 150 Fuss hohe, weithin sichtbare Freiheitsbaum, mit der
ungeheuren eidgenössischen Fahne auf dem Wipfel. ,,Es weht
die Fahn' in weiter Fem; sie leite euch als guter vStern", las man
auf einem der zahlreichen Zugänge zum Festplatz. Am Fuss ent-
quoll dem Freiheitsbaum in zwei Röhren frisches Wasser. Klein
und niedhch war das Gabentempelchen, auf drei mit Moos
und Blumen bedeckten Stufen erbaut und mit den Fähnchen in
den 22 Kantonsfarben geziert. Seine vier Seiten bildeten ebenso-
\-iele Glaskasten, in denen die Gaben zu sehen waren. Die grösse-
ren Becher standen in besondern, an den vier Ecken vorspringen-
den Glaskästchen, und das Ganze krönte eine Glasglocke, unter
welcher der erste Preis, ein silberner Pokal von ansehnlichen Di-
mensionen, in der Sonne bhtzte.
Ii8 ELFTES KAPITEL: EIDGENÖSSISCHES SCHÜTZENFEST 1834 o
Nach der Seite gegen den Ütliberg war der Festplatz abge-
schlossen durch den langgestreckten Schützenstand, über
dessen Haupteingang ein Gemälde den Tellenschuss darstellte
und eine Inschrift mahnte: „Brüder! Herz ui:d Auge, Arm und
Hand Weiht, wie Wilhelm Teil, dem Vaterland." Es konnte nach
41 Scheiben, darunter acht Stichscheiben, geschossen werden.
Für die Scheibe Grüth waren vier Gaben, für jede andere, auch
die ,,vScheibe der Heimatlosen", zwei Gaben bestimmt. Aus jeder
Öffnung des Schützenstandes konnte nur die dazu gehörende
Scheibe gesehen werden, weil lange Reihen von Tännchen die
Richtung nach jeder andern Scheibe verschlossen. Kleine Däch-
lein, etwa 50 Schritte vor dem Stand, erleichterten das Zielen
noch mehr. NatürUch bedurfte der Fest- und Schiessbetrieb
noch einer Reihe von Nebengebäuden, so nameutUch einer Kugel-
giesserei, eines Sekretariats, einer Wachtstube etc.
Das Fest eröffneten am Samstag abend den 12. Juh, um
8 Uhr, 22 Kanonenschüsse, und auf dem Festplatz weihten Musik-
vorträge die Festhütte ein. Am Sonntag den 13. war schon
vom frühen Morgen an grosse Bewegung in den Strassen. Von
allen Seiten strömten die Schützen und Festbesucher herbei,
in geschmückten und bewimpelten Schiffen, auf Leiterwagen,
in ganzen Karawanen von Kutschen und Cabriolets. Ein grosser
Wagen brachte das Zentralkomitee von Luzern mit der
eidgenössischen Schützenfahne. Als sinniges Symbol des Frie-
dens und der Eintracht hatte das Zentralkomitee auf seinem
Wagen einen Ohvenbaum mitgebracht — ein Ölzweig allein hätte,
wie es zu fürchten schien, bei der mit so viel Elektrizität gelade-
nen poütischen Atmosphäre nicht genügend Eindruck gemacht.
Um den Ölbaum her standen 22 Stutzer, verbunden durch die
kantonalen Wappen. Die Schützen sammelten sich auf dem Lin-
denhof, und von dort aus setzte sich um halb 11 Ulir der Fest-
zug in Bewegung, der über den Paradeplatz, den Talacker und die
Sihlbrücke den Festplatz erreichte: voran 40 gehamischte Reiter,
dann eine Abteilung Scharfschützen, die neu organisierte Zürcher
Militärmusik, 50 Zeiger in roten Hemden und weissen Hosen,
ihre Zeigerfähnchen in der Hand, auf den Köpfen weiße und rote
Mützen in 50 versclüedenen phantastischen Formen. Hierauf
kam die vortreffliche Luzerner Blechmusik, das abtretende und
o ELFTES KAPITEL: EIDGENÖSSISCHES SCHÜTZENFEST 1834 119
das neue Zentralkomitee, das eidgenössische und das kantonale
Schützenbanner. Eines von beiden — ■ die Quellen widersprechen
sich in diesem Punkt — wurde von einem Wilhelm Teil getragen,
dem der Knabe mit Pfeil und Apfel zur Seite ging. Ein langer
Zug von Schützen und Schützengesellschaften schloss sich an;
die Winterthurer und die Richterswiler hatten ihre eigene Musik
mitgebracht. Zuletzt wieder eine Abteilung Scharfschützen und
dann eine ungeheure Menge Volks. Kanonendonner von der
,, Katze" und dem Festplatz her und vielstimmiges Glocken-
geläute begleitete den Zug.
Auf dem Festplatz bildete er ein Carre um die Fahnenburg.
Oberst Schumacher von Luzern übergab die Schützenfahue ; der
neue Zentralpräsident, Regierungsrat Dr. Hegetschweiler, nahm
sie in Empfang. Der Trunk wurde geboten und dann pflanzte
man die Fahnen auf: als erste erschien auf der Zinne die Fahne
von Schwj'z. In der Festhütte folgte das Eröffnungsbankett
mit den ersten feurigen Toasten. Tag für Tag kamen und gingen
nun die Schützengesellschaften, in der noch heute üblichen Weise
begrüsst und entlassen. Schmuck nahmen sich besonders die
Bündner aus in ihren grauen Hüten und grünen Jagdwämsem,
mit der \A'eidniannstasche angetan. Sie hatten ihre Zelte mitge-
bracht und kampierten auf dem Festplatz.
Der Donnerstag, 17. JuU, war offizieller Tag, an welchem
auch die in Zürich versammelte Tagsatzung, das diplomatische
Korps und die akademische Lehrerschaft sich beteiligten. Die
Zahl der auf dem Festplatz anwesenden Menschenmenge wurde
auf 30,000 geschätzt. Um 12 Uhr war die Festhütte schon so voll,
dass man sie räumen musste, um für die .Schützen Platz zu machen.
Um 2 Uhr fand das zweite Bankett statt, an dem die offiziellen
Toaste ausgebracht wurden. Man musste auf Verschiedenes ge-
fasst sein. Es war eine Zeit der grössten politischen Spannung
wegen der FlüchtHngsangelegenheiten und der fremden Noten.
Die abenteuerlichsten Gerüchte gingen vor dem Feste um über
einen angeblich geplanten Handstreich der Radikalen, und über
die Festtage selbst verstummte nicht für einen Moment das Pol-
tern und Schmählen der radikalen Presse. Einem der steinernen
Fahnenträger auf dem Festplatz hatte der Wind das Fahnentuch
ums Haupt gewunden. ,,Uns schien es," schrieb der ,,Republi-
120 ELFTES KAPITEL: EIDGENÖSSISCHES SCHÜTZENFEST 1834 °
kaner', „als schäme er sich, auf die Enkel herabzublicken, die in
sorgloser Munterkeit, ohne das zermalmende Gefühl der Schmach,
um ihn her wogten." War auch der radikale Putsch nur leeres
Gerede, so stand doch die Absicht mancher radikaler Redner
fest, den Tagsatzuugsherren und fremden Gesandten jetzt, da
man sie vor sich habe, die ,, Meinung zu sagen". Den ersten Trink-
spruch hatte ,, Bundespräsident" Melchior Hirzel auszubringen.
(,, Bundespräsident" nannte man schon damals häufig den je-
weiligen Amtsbürgermeister des Vororts mid Tagsatzvmgs\or-
sitzenden.) Hirzel schlug sogleich kräftige Töne an. , .Friedsam
soll er (der Fremde), wie es einem Gaste geziemt, in unserm Hause
sich aufführen oder dahin gehen, wo ungeahndet das Gastrecht
verletzt werden kann. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, in der
einen Hand die Kai.ser, in der andern die Könige zu erdrücken.
Weisen wir solche Renommistereien in die Spielkammer der Kin-
der ..." ,,Abe, abe," hiess es an einigen Tischen, und der Bundes-
präsident musste zeitweise die Rede unterbrechen. Nach ihm sprach
Dr. L. Keller, dann Pfarrer Bonihauser, Casimir Pfyffer, Bürger-
meister J. J. Hess, Oberst Dufour, Baumgartner von St. Gallen,
Curti von Rapperswil, eine nicht enden wollende Reihe von Red-
nern. Nach einer Pause trat Obergerichtspräsident Dr. Emil Frey
von Ifiestal auf, der es nun unternahm, der Tagsatzung ins Ge-
wissen zu reden, aber seine Worte gingen bald in den allgemeinen
Protesten an den offiziellen Tischen und den Beifallsrufen seiner
Freunde unter. Die Regierungsräte Hess und Hegetschweiler eilten
auf die Tribüne und versuchten nach rechts und links die Gäste
zu beruhigen, aber Dr. Frey kam nicht mehr zum Wort. Nach
den folgenden Reden — es sprachen noch Dr. Henne, Dr. Hans
Schnell von Bern, dem General Guiger ,,A bas!" zurief, und
Oberst Fetzer von Aarau — liess Hegetschweiler allemal rasch den
Sängerchor einfallen, worüber sich der ,, Republikaner" schwer
beklagte als ,, Missbrauch des Männerchors zur Festpolizei".
Folgenden Tages tadelten Pfarrer Zschokke und Dr. Wil-
helm vSnell auf der Tribüne die Behandlung, welche Emil Frey
erfahren hatte. Am Samstag bekam man noch den festberühmten
Landammann vSidler von Zug zu hören, dann schloss das eidge-
nössische Schützenfest mit einem die eroberten Ge\^'inne zu froher
Schau tragenden Zuge nach dem L,indenhof, wo sich die Festver-
o ELFTES KAPITEL: EIDGENÖSSISCHES SCHÜTZENFEST 1834 121
Sammlung auflöste. Man kann ja nun nicht gerade sagen, dass
das eidgenössische Schützenfest von 1834 in Zürich ohne jeden
Misston verlaufen sei; dazu waren die Zeitumstände auch gar
nicht angetan und in der den Rednern wie den Hörern notwen-
digen Disziplin und Selbstbeherrschung besass man noch zu wenig
Übung. Auch die Hörer befanden sich in einem Zust9,nd der Ner-
vosität, der sie oft kaum recht verstehen Uess, was der Redner
meinte, dessen Worte sie sofort mit Beifall oder Missfallen quit-
tierten. Dem radikalen Redaktor Leuthy flog schon am zweiten
Tage während einer Rede ein Weinglas an den Kopf. In der Fest-
wirtschaft zur ,,Treu" wurde der General Guiger wegen seinem
„A bas!" ausgepfiffen, und drüben in der Hütte ,, Eintracht"
passierte es einem Neuenburger, dass er von einem Berner Ober-
länder am Kragen gepackt und die Treppe hinabbefördert wurde,
weil er behauptet hatte, noch nicht zu wissen, ob er ein Schweizer
oder ein Preusse sei. Nicht den von ihren radikalen Veranstal-
tern erhofften Effekt machte jedoch die Volksversammlung vom
20. Juli im ,,Kräuel" (gegenüber der Platzpromenade), auf der
noch alles das nachgeholt werden sollte, was man in der Fest-
hütte nicht hatte sagen können. Die in der Nähe befindliche
Mauer, vor welcher der Bauemführer HäberUng 1804 standrecht-
lich erschossen wurde, war mit schwarzen Tüchern behangen.
Von der Platzpromenade aus schauten eine Anzahl Leute, u. a.
Bürgerineister Hirzel und sein Freund Oken, der Versammlung
von ferne zu. Aber keiner der Festberichte, nach welcher Partei-
richtung er auch gefärbt sein mochte, berechtigt zu der Annahme,
dass nach dem allgemeinen Gefühl das Fest nun etwa in einer
Dissonanz ausgeklungen sei. Sie stimmen vielmehr darin über-
ein, dass nur das Grosse und Schöne in der Erinnerung haften,
die Missklänge aber bald vergessen sein werden. Die Missklänge
waren unvermeidlich, können aber gar nicht in Betracht fallen
gegenüber der Tatsache, dass auch die Radikalen bei allem ihrem
Ungestüm, ihrer Phrasenhaftigkeit und Zügellosigkeit nichts
anderes meinten und wollten als die Ehre und die Unabhängig-
keit des Vaterlandes. So durften denn die Bewohner Zürichs
mit vollem Recht sich noch lange der glanzvollen Tage des eid-
genössischen Schützenfestes freuen.
▼▼^V W W W W WTV* VT
ZWÖLFTES KAPITEL
DAS DAMPFSCHIFF
Die Dampfschiffahrt hat im Jahre 1835 auf dem Zürichsee
ihren Einzug gehalten, ^'ielleicht wäre er schon hundert
Jahre früher damit beglückt worden, wenn nicht wütende Fluss-
schiffer Papins Dampfschiff, mit dem er 1707 auf der Fulda ge-
fahren sein soll, zerstört hätten. Auch die Schiffsleute am Zürich-
see sahen das Dampfschiff nur ungern und mit grossen Sorgen
kommen. Die ,, Freitagszeitung" lieh ihren Kümmernissen Aus-
druck, als sie im Januar 1825 sdirieb, es sei schon genug, dass
man sich der fremden Maschinen bediene, wo es nun einmal ,, nicht
änderst" sein könne, imd man würde klug tun, diejenigen zu ver-
mindern, die nicht Bedürfnis seien und dennoch den Verdienst
und Lebensunterhalt vieler Familien schmälern; ,,denn am Ende
muss der Mensch vom Menschen leben." Doch mit solchen Be-
denken und Befürchtungen hat sich noch niemals eine Erfindung,
wenn sie einmal praktisch erprobt war, fernhalten lassen. Den
durchschlagenden Beweis der Brauchbarkeit des Dampfschiffes
leistete Robert Fulton, als er 1807 mit seinem ,,Claremont" auf
dem Hudson die regelmässige Flussdampferfahrt einrichtete und
sodann 1819 mit dem Dampfer ,,Savannah" zum erstenmal den
Ozean durchkreuzte. Der erste Zürcher, welcher ein Dampfschiff
konstruierte, war der in Konstanz niedergelassene Mechaniker
J. C. Bodnier. Unter den Wenigen, die ihm Aktien abnahmen,
befanden sich der Vizekönig Eugen und die Königin Hortense
auf ,, Arenenberg". Der vStapellauf sollte am 30. September 1817
stattfinden; da aber die englische Fabrik die Maschine nur gegen
Barzahlung liefern wollte und Bodmer kein Geld hatte, musste
das Schiff auf Abbruch verkauft werden. Es hiess ,, Stephanie";
der Volkswitz machte daraus ,,Steh fahr nie".
Früher als der Zürichsee kam der Genfersee zu seinem
Dampfer, dem ,,Guillaume Teil", der am 28. Mai 1823 seine erste
Fahrt unternahm. Das Erstaunen der Uferbewohner beim An-
mX
^
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o ZWÖLFTES KAPITEL: DAS DAMPFSCHIFF 123
blick dieser neuen Schiffahrt ohne Segel und Ruder war grenzenlos.
Alles eilte herbei und bezeugte durch Geschrei und tausend De-
monstrationen seine Überraschung. Man sah manche sich be-
kreuzen, den Gottesdienst verlassen und auch den allein gebHebenen
Priester ans Ufer eilen. Man sah Schiffer, wie sie dem ,,Guillaume
Teil" mit Rudern folgen wollten; aber schon in zwei Minuten liess
er sie weit hinter sich. Da Hessen sie die Ruder sinken und folgten
bewundernd seinem Laufe mit den Bhcken. Wie die ,, Freitags-
zeitung" berichtet, nahm im September der ,,Guillaimie Teil"
zum erstenmal am Schiffahrtsfest auf dem Genfersee teil. ,,Er
umkreiste auf der Heimfahrt dreimal die Flotte, und zwar mit einer
Schnelhgkeit, wie kamn ein berittener General seine Bataillone
hätte mustern können, welche Bewegungen den Zuschauem be-
sonderes Vergnügen machten."
Im Jahre 1834 entstand in Zürich eine Gesellschaft für die
„Dampfschiffahrt auf dem Zürich- und Wallensee".
An der Spitze standen die Unternehmer Caspar von Rorschach
und Ivämmlin, Mechaniker, von Schaffhausen; einer der Haupt-
aktionäre war Kaspar Escher von der Neumühle. Die Gesell-
schaft bestellte einen eisernen Dampfer samt Maschinen in England.
Von Selby aus fuhr dieses Dampfschiff unter dem Namen ,, Vulkan"
mit beträchtHcher Ladung über Rotterdam und den Rhein hinauf
nach Mannheim, Basel und Kaiseraugst, indem es die lange disku-
tierte Frage, ob der Rhein zwischen Strassburg und Basel mit
Dampfschiffen befahren werden könne, praktisch löste. In Kaiser-
augst wurde der ,, Vulkan" von Lämmlin demontiert, nach Zürich
gebracht und hier wieder zusammengesetzt. Am 20. Juni 1835
konnte er bei der ,, Holzschanze" in Stadelhof en von Stapel gehen
(die Pallisaden im See und beim Grendeltor in der Limmat waren
bereits weggeschafft; das Grendel tor wurde allerdings erst 1836
abgetragen) ; dann wurde noch die innere Einrichtung vollendet
und das Schiff auf den Namen ,,Minerva" umgetauft. Die erste
Lustfahrt nach Rapperswil, zu welcher Caspar, LämmUn & Cie.
in den öffentHchen Blättern geziemend eingeladen hatten, ging
am 19. Juh 1835 glücklich von statten. Die Mitfahrenden sammel-
ten sich unter obügatem Kanonendonner und Glockengeläute
auf dem Bauschänzli. Punkt 11 Uhr wurde abgefahren. ,,Die
weiss und grüne Fahne (St. Galler Standeszeichen) schwellte sich.
124 ZWÖLFTES KAPITEL: DAS DAMPFSCHIFF o
der Dampf fing an mit einem eigentümlichen, rauschenden Getöse
gleich der Stimme eines Ungeheuers zu arbeiten; ein Kommando-
wort, das Schiff machte eine Schwenkung und fuhr dann pfeil-
schnell mitten durch die Seefläche hin, bis man es allmählich aus
den Augen verlor. Mittags i Uhr landete das Dampfboot in
Rapperswil, wo ein glänzendes Mittagessen mit Musik und Tanz
stattfand. Abends 6 Uhr fuhr dasselbe wieder von Rapperswil
ab, landete zirka 8 Uhr glücklich bei der Bauschanze und wurde
mit allgemeinem Jubel begrüsst." Gleich am folgenden Tage
nahm die ,, Minerva" ihre regelmässigen Fahrten auf. Die Passa-
giere wurden anfangs in kleinen Booten an den Dampfer heran-
gebracht. Die ,, Minerva", später ,,vSplügen" getauft, hatte eine
I,änge von 33,6 m, eine Breite von 4,8 m und zwei Hochdruck-
maschinen von je 25 HP. Die Leute gewöhnten sich rasch an das
neue Verkehrsmittel. Man muss in dem Büchlein ,,Aus Zürichs
Vergangenheit", I. Bändchen, J. Hardmej-er- Jennys prächtige
,, Bilder vom Zürichsee" nachlesen, um den stimmungsvollen
Übergang vom alten Marktschiff zum Dampfschiff recht zu ge-
niessen. Drei Tage nach der Eröffnung gab es auch schon die erste
Panik auf der ,, Minerva". Einige zu nah am Kessel Hegende Holz-
stücke gerieten in Brand (es wurde bis 1855 ausschliessUch, bis 1868
teilweise mit Holz gefeuert). Obwohl keine Gefahr bestand, fuhr
der Steuermann zur Beruhigung der Passagiere sofort ans Land.
1836 Hess eine am Unken Seeufer entstandene Konkurrenzgesell-
schaft den Dampfer ,,Linth-Escher" bei Escher Wj-ss & Cie.
erbauen. Schon nach zwei Jahren vereinigten sich beide Gesell-
schaften, sahen aber alsbald einen dritten Konkurrenten auf-
tauchen, eine Aktiengesellschaft, die 1839 den ,, Republikaner"
auf den Zürichsee setzte. Er war ebenfalls bei Escher \V5-ss & Cie.
erbaut und ging am i. Januar 1842 um einen sehr hohen Preis
in den Besitz der alten Gesellschaft über. Dem PubHkum hatte
diese Konkurrenz den "\'orteil einer bedeutenden Fahrpreisermässi-
gung gebracht. Der ,,Linth-Escher", welcher zuerst den Wallen-
see befahren hatte, kam 1839 ^uf den Zürichsee und dafür die
,, Minerva" auf den Wallensee. ,, Republikaner" und ,,Linth-
Escher" wurden sehr stark benutzt. ,,Das eine Schiff landete am
Bauschänzli, das andere an der Hafenmauer (ungefähr beim jetzigen
Hotel Bellevue). Ihre An- und Abfahrt geschah im Anfang, bis
o ZWÖLFTES KAPITEL: DAS DAMPFSCHIFF 125
Maschinen und Steuer recht eingeübt waren, mit grosser Langsam-
keit und UmständUchkeit, und noch \-iele Jahre war stets eine
Anzahl Zuschauer da, um dieses Schauspiel mitanzusehen. Es
war auch wirklich hübsch, wie die »Schiffe bei der Abfahrt vom
Hafen rückwärts bis gegen die Münsterbrücke hinunterfuhren,
dann den Kurs vorwärts nahmen oder zur Landung am Bau-
schänzli vor demselben sidi drehten, um dann rückwärts zum
Landungssteg zu gelangen. Ein Stück der wachsenden Frequenz
bildeten die Pilgerzüge, die im Herbst nach Einsiedeln gingen.
Hatten sie vorher den Weg aus dem Elsass oder Schwabenland
ganz zu Fuss gemacht, so benützten sie nun gerne für die Strecke
Zürich bis Wädenswil oder Richterswil die neue Verbindung. , , Auf
dem Schulweg sahen wir die Scharen, ihre Lieder singend oder
Gebete murmelnd, zum Bauschänzh ziehen, und da kam es vor,
dass ein mutwilhger Ruf ,'s pressiert! 's Schiff god ab!' oder sogar
,'s Schiff isch scho im Wasser!' die ganze Menge der Weiber in
ihren bunten Trachten in Galopp setzte." (Dr. F. Mej-er.)
1845 kaufte die Dampfschiffgesellschaft den kleinen, von
Mechaniker Lämmhn erstellten Raddampfer ,,Delphin", 1846
liess sie den ,, Gustav Albert" bei Escher Wyss & Cie. erbauen.
Der ,, Delphin" kam 1850 zur Bestellung des Postkurses Zürich-
Chur auf den Wallensee, ging aber schon nach fünf Monaten mit
Mann und Maus unter. Es war eine furchtbar stürmische Winter-
nacht (16. /17. Dezember 1850). Von Weesen aus hatte man
(zwischen 12 und i Uhr) die Lichter des von Wallenstadt kom-
menden ,, Delphin" noch gesehen, dann aber verschwand er spur-
los in einem wirbelnden Schneegestöber. 17 Personen fanden den
Tod. Das einzige lebende Wesen, welches schwimmend das Ufer
erreichte, war der Hund des Postkondukteurs Rosenstock. Die
Passagiere Morandi von Mailand und Mondelh von Como hatten
in Wallenstadt Oberst v. Muralt von Zürich getroffen, der ihnen
dringend, aber vergeblich abriet, die Nachtfahrt zu machen.
Frau Veragut von Stäfa war in Thusis gewesen, um ihr Vermögen
zu holen. Ihr Koffer mit den Wertschriften trieb ans Land, sie
selbst war versunken. Schiffskassier Franz Schlegel von Wallen-
stadt hinterhess neun Kinder. Als am Dienstag der ,,Splügen"
von Wallenstadt wegfahren sollte, kam ein Knabe Schlegels,
um dem Vater das Mittagessen in einem Körbchen nach Weesen
126 ZWÖLFTES KAPITEL: DAS DAMPFSCHIFF o
ZU schicken. Die Schiffsleute nahmen das Körbchen und wandten
sich wortlos ab, um die verräterischen Tränen zu verbergen.
Als Ersatz für den „Delphin" erschien am 14. Mai 1851 auf
dem Wallensee der „Schwan". Mit Eröffnung der Wallensee-
linie 1860 wurde indessen die Schiffahrt auf diesem See gänzlich
eingestellt. Zum Schiffspark des Zürichsees gesellten sich noch
1856 die „vStadt Zürich", 1858 die „Stadt Rapperswil", 1862 ein
zweiter ,,Linth-Escher", nachdem der erste abgetakelt war. Die
hübschen Dividenden, welche die Gesellschaft 1856 bis 1862 aus-
richten konnte, führten zur Gründung der „Dampfschiffgesellschaft
vom linken Seeufer", mit Sitz in Horgen, welche 1863 das Güter-
schiff ,,Biene", 1864 die ersten Schraubendampfer ,,Schwalbe"
und ,, Taube", 1866 die ,, Lerche" in Betrieb setzte, worauf die
alte Gesellschaft 1864 mit dem Stapellauf der ,, Konkordia",
1865 des ,,Gotthard" und des ,, Lukmanier" antwortete. Im
Dezember 1868 kam die Fusion der beiden Gesellschaften zustande.
Am 29. August 1872, abends 7I/2 Uhr, ereignete sich in der
Nähe von Obermeilen eine Katastrophe, bei welcher der Dampfer
,,Gotthard" von der ,, Konkordia" angerannt und zum Sinken ge-
bracht wurde. Auf der ,, Konkordia" befanden sich 450 Schul-
kinder und 60 Erwachsene von Meilen, die von einem Ausflug
zurückkehrten. Die »Situation war fürchterhch: Vom ,,Gottliard",
dessen Untergang jeden Augenblick erfolgen konnte, flüchteten
die Passagiere auf die ,, Konkordia" hinüber. Sehr schwierig war
die Rettung der Leute in der Kajüte des ,,Gotthard", da der
eingedrungene Vorderteil der ,, Konkordia" den Ausgang sperrte.
Schiffskassier Brändli, ein Bruder von Regierungsrat Brändli, tat
Übermenschliches bei diesem Rettungswerk. Zuletzt versuchte er
noch die Kajütendecke mit der Axt zu öffnen, die aber bald seiner
ermatteten Hand entsank. Doch waren in diesem Moment schon
alle gerettet bis auf eine Jgfr. Gysin, Arbeitslehrerin von Basel,
die im Schreck den Ausweg nicht finden konnte. Mit einem furcht-
baren Schrei sank sie samt dem Schiffe, das sich nun von der
„Konkordia" löste, in die Tiefe; aber auch der brave Brändli ver-
schwand lautlos im Strudel ; Taucher Hess fand ihn am 18. Sep-
tember am Hinterteil des Schiffes angeklammert.
Die nächsten Jahre zeigten eine grosse Zunahme des Verkehrs.
1873 beschloss die Gesellschaft den Bau des Salondampfers ,,Hel-
o ZWÖLFTES KAPITEL: DAS DAMPFSCHIFF 127
vetia" bei Escher Wyss & Cie. ; er sollte 64 m lang, 6,7 m breit
werden und für 1200 Personen Platz bieten. Noch bevor aber der
Bau vollendet war — die „Helvetia" lief 1875 vom Stapel —
ging der ganze Schiffspark samt Mobiliar und Immobihen der
Gesellschaft durch Vertrag vom 30. Oktober 1874 an die Nordost-
bahn über, womit eine erste Phase der Dampfschiffahrt auf dem
Zürichsee abgeschlossen war.
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DREIZEHNTES KAPITEL
STADTPRASIDENT J. J. ESCHER
Der siebente in der Reihe der zürcherischen Stadtpräsidenten ist
Johann Jakob Escher aus dem Wollenhof (geboren den
15. April 1783, gestorben am 7. Juni 1854). Er war ursprünglich
wie seine jüngeren Brüder Martin Escher-Hess und Hans Heinrich
Escher Seidenfabrikant, sodann Amtsrichter und von 1823 bis
1831 Oberrichter. Am 14. September 1831 wählte ihn der Grosse
Stadtrat an Stelle des zurücktretenden Georg Konrad Bürkli zum
Stadtpräsidenten. Er war auch Mitglied des Grossen Rates
(bis 1850) und von 1832 au Präsident der Zunft zur Meisen. vSeinen
Rücktritt als Stadtpräsident erklärte er im Stadtrat am 14. No-
vember 1837; durch eine Abordnung dieser Behörde wurde ihm
eine Dankesurkunde überreicht. Dem Grossen Stadtrat gehörte
J. J. Escher bis zu seinem Tode an. Der politische Umschwung
zu Anfang der \ierziger Jahre liess ihn wie andere konser\-ative
Pohtiker mehr und mehr in den Hintergrund treten. Die „Freitags-
zeitung" meinte bei seinem Hinschied, seine beiden Brüder hätten
sich als Industrielle ein dankbareres Gebiet gewählt. ,,Es wäre
unschicklich, am frischen Grabe unnütze Vorwürfe zu machen;
aber die Andeutung darf zu Ehren des Verstorbenen gewagt
werden, dass Zürich Dienste, die es einst zu seinem Vorteil an-
genommen und anerkannt, auf unverantworthche Weise ihm
gegenüber wieder vergass und zwiefach sich verfehlte, indem es die
Achtung und Dankbarkeit gegen ein mit Ehren und in seinen
Diensten ergrautes Haupt bei vSeite setzte." Die konser\'ative
,, Eidgenössische Zeitung" hob die bleibenden Verdienste her\^or,
die sich J. J. Escher um die Admimstration der Stadt Zürich er-
worben hat. ,,Er besass ein ungewöhnUches Organisationstalent,
war in Rechnungssachen ein Muster von Genauigkeit und Schärfe
und zeichnete sich durch einen unbeugsamen Rechtssinn aus."
In die Amtsjahre des Stadtpräsidenten J. J. Escher fällt eine
bauliche Entwicklung der Stadt Zürich von beispielloser
0. Ü. (Sscßer
SfadfpräsiJeni
o DREIZEHNTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT J. J. ESCHER 129
Grossartigkeit. „Wenn die Stadt sich jetzt mit einem Schlage
ihres mittelalterlichen Charakters zu entkleiden und eine moderne
Physiognomie zu erhalten begann, so waren eben jetzt die beiden
Bedingungen erfüllt, welche diese Entwicklung mögHch machten:
die Aufliebung des kaufmännischen Direktorialfonds gab die ^Vlittel
zu \^elen der grossartigen Neubauten der Stadt und des Staates,
und den nötigen Raum schaffte man sich durch die Schleifung der
Schanzen, welche bis anhin gleichsam wie ein Panzer die Stadt
eingeschnürt und jede bauliche Entwicklung grösseren Mass-
stabes unmöglich gemacht hatten. Als schon im Jahre 1833 die
Abtragung der Schanzen begann und von da an Jahr für Jahr
unter der Leitung der Schanzenkommission grössere oder kleinere
Teile der Befestigungen beseitigt wurden, erstanden gleichzeitig
auf dem Schanzenterrain zahlreiche neue Haupt- und Verbindungs-
strassen oder wurden schon bestehende Kommunikationen er-
weitert und verschönert. Auf den Teilen des Schanzengebiets,
die der Staat verkaufte, erhoben sich viele neue Gebäude von
Privatleuten, welche die Stadt bedeutend vergrösserten und in
einem Masse verschönerten, dass sie nach dem Bericht eines Zeit-
genossen bald einen reizenden Anblick darbot. Namentlich in der
Richtung gegen den vSee dehnte sich die Stadt aus, z. B. an der
Seefeld- und oberhalb derselben an der Zeltwegstrasse, und die
in blühenden Gärten liegende Kirchgemeinde Neumünster bildete
mit ihrer Kirche und ihren vielen prachtvollen Gebäuden bald ein
eigenes Stadtquartier. Rings um die Stadt herum, in und ausser
dem Schanzengebiet, erhoben sich bald ganze Strassen neuer Ge-
bäude, welche die neue Betriebsamkeit im Bauwesen an die Stelle
der abgetragenen Mauern, Schanzen und Wälle hinstellte. Man
erhält einen Begriff von dieser Bauleidenschaft, wenn man hört,
dass im Sommer 1836 in der Stadt und den Vorstädten gleich-
zeitig an die 500 neu begonnene Bauten gezählt wurden, die Tau-
senden von fremden Arbeitern Beschäftigung und den Städtern
hinwieder Verdienst gaben . . . Hätte die zürcherische Regene-
rationsperiode nichts anderes geleistet als diesen erstaunUchen
Aufschwung der Stadt Zürich, so würde sie schon ruhmreich genug
in der Geschichte dastehen." (Wettstein, Regeneration.)
Den Mittelpunkt der grossen Umwandlung der innem Stadt
bildete der Bau der Münsterbrücke (1835 — 1838). Sie öffnete
9
I30 DREIZEHNTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT J. J. ESCHER o
nun den freien Verkehr zwischen der grossen und der kleinen
Stadt, zwischen dem rechten und dem linken Seeufer, und blieb
neben der Rathausbrücke, die in der kleinen Stadt nur an enge
Gassen anschloss, noch für lange Jahre die einzige wirklich fahr-
bare Verbindung über die Limmat zwischen dem vSee und Baden
im Aargau. Die Ausführung der Brücke, wie der andern in den
Verträgen von 1834 und 1835 mit dem Staat genannten Bauten,
hatte das Kaufmännische Direktorium zu übernehmen, an
dessen Spitze Martin Escher-Hess in rein ehrenamtlicher
Tätigkeit unserer vStadt die grössten Dienste leistete. Die Plan-
ausarbeitung und Bauleitung wurde dem Ingenieur Ludwig
Negrelli, bisher vStrassen- und Wasserbauinspektor des Kantons
St. Gallen, übertragen. Die Grundsteinlegung feierte man am
22. Februar 1836, die Einweihung am 20. August 1838, und
zwar gründlich: Man ging hinüber, herüber und unten durch, um
das Bauwerk auch wirklich von allen Seiten zu besichtigen. Die
Ehrengäste hatten sich im Rathaussaal versammelt und um
II Uhr in feierlichem Zuge zum Helmhaus begeben, wo die ersten
offiziellen Ansprachen gewechselt wurden. Dem Ingenieur NegrelU
überreichte Stadtpräsident Ziegler eine goldene Medaille. Dann
ging man zuerst zu Fuss über die Brücke und bestieg in der Nähe
des alten Rathauses vier bekränzte Schiffe, die unter den schlanken
Gewölben hindurchfuhren. An den Treppen der neuen Quais ge-
landet, bestiegen die Ehrengäste 22 bereitstehende Equipagen, die
sich über die Brücke, den Münsterhof und die enge Waaggasse
bewegten, um alsdann im Triumph durch die neue Poststrasse
zurückzukehren und die Brücke zum zweitenmal zu befahren.
Während die Eingeladenen sich zum offiziellen Bankett ins Kasino
begaben, stürmte das Publikum jubelnd über die freigegebene
Brücke. Abends um 8 Uhr erstrahlten Brücke und Stadt in feen-
hafter Beleuchtung, und auf den Trümmern des dem Abbruch
verfallenen Wellenberg prasselte ein Brillantfeuerwerk. Ganz be-
sonders flott hatte sich auf dieses Fest die am 5. Juni 1837 ^^
Zunfthaus zur , .Meisen" an der Münsterbrücke eröffnete ,,Bank
in Zürich" herausgeputzt.
Die Einweihungsfeier hatte aber nicht nur der Brücke, sondern
auch den angrenzenden Quais gegolten, die ungefälir gleichzeitig
mit ihr entstanden waren. vSchon 1823— 1825 hatte man ein Stück
o DREIZEHNTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT J.J. ESCHER 131
des Limmatquai (von der Roseiigasse bis zum Schlachthaus,
der jetzigen Fleischhalle) gebaut. Zehn Jahre später folgte der
Rathausquai; daran schloss sich der Sonnenquai, wobei der
Einfluss des Kanals unter dem Helmhaus zugedeckt wurde, und
am gegenüberliegenden Ufer der Stadthausquai (zwischen
dem alten Stadthaus und Kaufhaus). Die Quais mit ihren hohen
Mauern und Geländern haben die Zürcher etwas von ihrem Flusse
abgesperrt, dem dadurch viel Leben und Bewegung entzogen
wurde. Nach den Schilderungen Lud. v. Löws hatte sich z. B.
auch das Sechseläuten, das seit 1819 in grösserem Umfang ge-
feiert wird, zum guten Teil auf dem Flusse abgespielt. Diese Zunft-
begrüssungen auf den reichgeschmückten Schiffen und das bunte
Gewimmel der ,, Gondeln" zwischen den Ufern hin und her fielen
wie so mancher Reiz des alten Zürich der modernen Zeit zum Opfer.
Mit einem Durchbruch an der untern Torgasse wurde von der
Rämistrasse und dem Seefeld her der Zugang zum Sonnenquai
gewonnen. ,,Das erste neue Haus, das an den Sonnenquai gebaut
wurde, war der Gasthof zur ,, Goldenen Krone", jetzt ,,Zürcherhof",
der durch seine für damahge Begriffe ungeheure Höhe mich in
Erstaunen setzte. Daneben entstand die ,, Budenhalle", in ihrer
Art auch eine sehr merkwürdige Neuigkeit, so viel Läden ,,alle
beieinander!" (Dr. F. Mej'er). Dafür verschwanden die Buden-
reihen unterhalb dem Helmhaus, an der ,, alten Wühre", und es
wurde auch dort, am Fusse der Grossmünsterterrasse, eine aus
Quadersteinen massiv gebaute neue ,, Budenreihe" errichtet. So-
wohl das ,,neue Kornhaus" (,,alte Tonhalle") auf der Holz-
schanze, wie der neue Hafen wurden nach Plänen Negrellis
ausgeführt. Der lange steinerne Hafendamm reichte herab bis auf
die Höhe der heutigen kleinen Anlage beim Cafe de la Terrasse,
und dort Uefen die Dampfschiffe zur Landung ein. Der obere Teil
des Hafendammes (beim Kornhaus) war vom Lande aus zugäng-
lich und fahrbar. Ganz bedeutende Auffüllungen haben am hnken
Limmatufer, hinter dem alten Stadthaus, stattgefunden vmd in
der Gegend der Fröschengraben- und Schanzengrabeneinmündung
grosse Veränderungen herbeigeführt.
Die neue Poststrasse (Paradeplatz — Münsterhof), zu welcher
Architekt Conrad Stadler die Idee gab, war im Oktober 1838
vollendet. An ihrem Eingang, auf der Nordseite, erstand das erste
132 DREIZEHNTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT J. J. ESCHER o
eigentliche Hotel der Stadt, das „Hotel Baur", das die bisherigen
Gasthöfe, auch ,, Schwert" und ,, Krone", an Eleganz und Grösse
überstralilte. Das erste Bankett im ,, Hotel Baur" hat am 31. Ok-
tober 1838 stattgefunden zur Feier der Eröffnung des gegenüber-
Uegenden Postgebäudes. Ein malerischer Umzug, in dem die
verscliiedenartigsten Postveliikel paradierten, war der Feier vor-
ausgegangen, und mit Trommelwirbel, Trompetengeschmetter und
dem Jauchzen der Menge wurde der erste Post-Kurswagen be-
grüsst, der durch den Eingang in den Posthof sprengte. Dass
dieser denkbar günstig gelegene Prachtbau 1872 von der eid-
genössischen Postverwaltung aufgegeben und der Privatspekulation
überlassen wurde, um dafür (am i. Dezember 1873) einen nüch-
ternen Neubau auf dem Areal des alten Feldhofs an der Bahn-
hofstrasse zu beziehen, verstellt heute kein Mensch mehr. Hatte
früher zum Paradeplatz nur die Verbindung der Katzentor-
brücke (am Ausgang der Waaggasse) bestanden, so wurde nun
der Fröschengraben auf eine weitere Strecke überwölbt und da-
durch der Neue Markt (Paradeplatz) vergrössert; hier stand
eine einsame Linde (s. vSeite 36) noch bis zum 25. März 1857.
Seit 1835 war durch die Bleie her wegbrücke über den Schanzen-
graben die neue Fahrstrassenverbindung mit der Enge hergestellt.
Von noch grösserer Bedeutung war für die .Stadt der Durchbruch
der Rämistrasse zwischen der Hohen Promenade und dem
Landoltschen Besitztum (Kunsthausareal) ; er hiess lange Jahre
,,der Durchbruch" schlechthin und war Hauptmotiv des Sechse-
läutenumzugs vom 3. April 1837, von der löbUchen Weggenzunft
mit fremden Architekten in Equipagen, schaufei- und pickel-
bewehrten Lazzaronis etc. dargestellt. ,, Poetische" Inschriften
lauteten: ,,E ganz neus Züri gids, e bsunders Späcktackel", oder
,,Fahr hin, du altes Nest, das uns geboren, die neue Zürich reisst
mächtig mich dahin". Die vom Staat erbaute Rämi-Tannenstrasse
fand ihre Fortsetzung in der 1837/38 entstandenen Neuen Winter-
thurer Landstrasse. Der bedeutend verbreiterte und mit Trottoirs
versehene Zeltweg wurde 1837 bis zur alten Kreuzkirche am
Kreuzplatz verlängert und dort die Kirchhofmauer durchbrochen.
Bald ging es auch dem Kirchlein selbst ans Leben. Es war ur-
sprünglich nur als Abdankungskapelle für einen 1611 neu an-
gelegten Friedhof erbaut, wurde aber dann in immer steigendem
-L
o DREIZEHNTES KAPITEL: STADTPIIÄSIDENT J. J. ESCHER 133
Masse als Filialkirche des Grossmünsters für die Gemeinden Hot-
tingen, Riesbach und Hirslanden benutzt und ausgebaut. Am
19. Januar 1834 beschlossen diese drei Gemeinden die Ablösung
von der Kirchgemeinde Grossmünster und Bildung einer selb-
ständigen, neuen Kirchgemeinde, für welche am 29. Juni gleichen
Jahres unter elf Vorschlägen der Name Neumünster gewählt
wurde. Da aber die drei Gemeinden über den Bau einer neuen
Kirche nicht einig werden konnten, bildete sich zu diesem Zweck
eine Aktiengesellschaft. Auch über die Wahl des Bauplatzes,
den Baustil usw. herrschte viel ^Meinungsverschiedenheit. Die Ge-
meinde entschied sich am 27. April 1834 für den sogenannten Zelgli-
hügel als Baustelle. Am 23. Juh 1836 wurde der Grundstein der
Neumünsterkirche gelegt, am 11. Augu.st 1839 die Kirche
eingeweiht.
Durch die kantonale \'erfassung vom 10. März (Volksabstim-
mung 20. März) 1831 war auch die Gemeindeverwaltung im
Kanton Zürich neu geordnet worden. Erst jetzt erhielten die
Gemeinden ihren Charakter als öffentlich-rechtHche Korporationen,
und es knüpfte sich nun an die Verfassungsbestimmungen über die
Gemeindeverwaltung eine reiche Gesetzgebung, wobei das soge-
nannte ,, junge Zürich" mit Dr. Bluntschli au der »Spitze für mög-
Hchst ausgedehnte vSelbständigkeit und Freiheit der Gemeinden
eintrat. Die Organisation der Gemeinden bUeb sich im allgemeinen
gleich, nur waren jetzt die Bürger wieder im vollen Besitz ihrer
politischen Rechte. Den auf Grundeigentum Niedergelassenen
wurde durch das Gesetz vom 20. September 1833 in Angelegen-
heiten der Schule und Kirche das Stimmrecht eingeräumt (erst
das Gesetz betreffend das Gemeindewesen vom Jahre 1855 ver-
liess den Boden der reinen Bürgergemeinde und schuf die Ein-
wohnergemeinde). Das Gesetz vom 30. Mai 1831 führte auch für
Zürich, wie für die andern Gemeinden die Gemeindeversamm-
lungen ein, womit der Aktivbürgerschaft die Rechte und Kom-
petenzen zurückgegeben wurden, die sie 1816 an den Grossen
Stadtrat hatte abgeben müssen. Auf Grund der neuen Verfassungs-
artikel gab sich Zürich nun auch seine neue ,, Stadtverfassung",
die Gemeindeordnung vom 14. September 1831. Nach
dieser besteht die Gemeindeversammlung aus den stimmberech-
tigten, ins Bürgerbuch eingetragenen vStadtbürgern. Zu ihren
134 DREIZEHNTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT J. J. ESCHER o
Kompetenzen gehört unter anderm die Wahl des engern Stadt-
rats und des vStadtpräsidenten. Der engere Stadtrat besteht
aus 13 MitgHedern; er unterhegt alle zwei Jahre der hälftigen Er-
neuerungswahl. Der grössere Stadtrat besteht aus dem engern
Stadtrat und 60 weitem Mitgliedern, die \-on den Zünften gewählt
werden, und zwar von jeder Zunft so viel als sie Grossräte zu wählen
hat. — Das Jahr 1837, das letzte der Amtsperiode von Stadt-
präsident J. J. Escher, war ausgefüllt mit Kämpfen für eine aber-
maüge Verfassungsrevision, die auch für die Stadt Zürich wichtige
organisatorische Änderungen mit sich brachte.
eidgenössificJicr Ohersi
»«»♦♦♦«♦♦♦«
VIERZEHNTES KAPITEL
STADTPRÄSIDENT ZIEGLER
Kurz, aber bedeutungsvoll war die Zeit, da Oberst Paul Karl
Eduard Ziegler an der Spitze von Zürichs Stadtverwaltung
stand. Als scharfkantiger Charakter, als willensstarke Persönlich-
keit tritt er uns aus der in ihrer soldatischen Schlichtheit und
Geradheit so sympathischen Biographie Adolf BürkUs entgegen.
Ziegler (geboren den ii. Dezember 1800, gestorben am 21. August
1882) gehört zu den hervorragendsten historischen Gestalten
Zürichs im 19. Jahrhundert, und seinen Namen umgab schon zu
seinen Lebzeiten ein Glorienschein. Er hat ihn sich erworben durch
seine eines antiken Helden würdige Haltung in schicksalsschwerer
Stunde. Am 6. September 1839, ^^^ ^^^t jedermann in Zürich auf
die eine oder andere Weise sich blamierte, als niemand mehr
wusste wo aus imd an, hat er allein von allen den massgebenden
Persönlichkeiten den Kopf lücht verloren, er allein gewusst, was
er wollte — und damit die Stadt vor namenlosem Unglück bewahrt.
Und \\ieder trat das Schicksal mit einer entscheidenden Frage an
ihn heran; zur Sonderbundszeit, als Oberst Ziegler mit allen
seinen Sympathien auf der vSeite der KathoUkeu stand. Er wählte
als Mann und Soldat den Weg der Pflicht, und er hat sie erfüllt
als ein Held auf blutiger Wahlstatt. An Popularität im Schweizer-
land stand Oberst Ziegler wenig liinter einem General Dufour
zurück, und überdies gehörte ihm auch die verehrungsvolle Be-
wunderung der Besiegten. Was verschlug's, dass daneben Oberst
Ziegler in seinen politischen Ansichten zeitlebens einer einseitigen
und oft genug in schroffer Form auftretenden konservativen
Richtung huldigte ! Das begriff sogar der RadikaUsmus seiner Zeit,
dass es einen Oberst Ziegler nicht nach den für andere gelegent-
lich fast imgeniessbaren parteipolitischen Anschauungen beurteilen
durfte, und Ziegler selbst hat sich durch die strenge Unparteilich-
keit imd geistige Überlegenheit, mit der er als Stadtpräsident
und \4elbewunderter Leiter der Gemeindeversammlungen seines
136 VIERZEHNTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT ZIEGLER o
Amtes waltete, den Respekt seiner politischen Gegner erzwungen,
den sie in solchem Grade nicht leicht einem andern Konservativen
dargebracht hätten.
Eduard Ziegler war ein Soldatenkind. Sein \'ater, der spätere
niederländische Generalmajor Jakob Christoph Ziegler, stand im
Dezember 1800 als ,, Oberstwachtmeister" (Bataillonskommandant)
im Regiment Bachmann im Engadin den Franzosen gegenüber;
seine Frau Johanna Margareta, geb. v. Meiss von Teufen, hatte
er nach Sterzing in Tirol in Sicherheit gebracht. Dort wurde
Eduard Ziegler geboren und am 18. Dezember 1800 vom Pater
Guardian des Kapuzinerklosters zu Sterzing getauft. \'om
20. August 1801 an wohnte die Familie wieder in Zürich, und hier
verbrachte Eduard Ziegler mit seinem altem Bruder Hans (Stadt-
rat 1840 — 1842) glückliche Kinderjahre. Schon 1815 konnte der
körperlich stark entwickelte Eduard in das neugebildete hol-
ländische Regiment seines Vaters eintreten. Er wurde 181 7 Ober-
leutnant, 1821 Bataillonsadjutant, 1826 Regimentsadjutant mit
Hauptmannsrang. Im Dezember 1828 kündete Holland die Militär-
kapitulation, und zu Anfang 1830 bezog die FamiHe Ziegler wieder
ihre frülrere Wohnung im ,, vordem Pehkan" (am PeHkanplätzli,
Seite 35). Im Juni 1830 wurde Eduard Ziegler vom Kleinen Rat
des Kantons Züricli zum Oberstleutnant und Kommandanten des
4. Auszüger-Bataillons ernannt. Freiwillig \\-idmete er sich neben
seinem Kommando der Instruktion des Knaben-Kadettenkorps.
Der Ustertag 1830 brachte seine militärische Karriere für einst-
weilen zum vStillstand. Im Februar 1832, nach der Aufhebung
des Kasernendienstes, verzichtete Ziegler auf sein zürcherisches
Offiziersbrevet. Es war die Zeit, da die miwirschen Konservativen
es hebten, der Regierung ,,den Bündel vor die Füsse zu werfen",
zu demissionieren, demonstrativ aus der Grossratssitzung weg-
zulaufen usw. Ziegler schnallte den ,, Habersack" an den Rücken
und liess sich mit seinem Freund Hauptmann Meyer-Biedermann
als gemeiner Infanterist bei der Eandwehr des Stadtquartiers
einreihen. Inzwischen wählte ihn die Schiffleutenzunft (1832) in
den Grossen Rat, dem er bis 1868 miunterbrochen angehörte. In
den Stadtrat war er schon am 14. September 1831 gewählt
worden; im Etat des Stadtrats figuriert Ed. Ziegler in den ersten
Jahren als ,,Ofengschauer"; später wurden ihm wichtige Zweige zu-
o VIERZEHNTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT ZIEGLER 1 37
geteilt. Am 20. November 1837 wählte ihn die Gemeindeversamm-
lung an Stelle J. J. Eschers zum Stadtpräsidenten. Die
Stadtgemeinde sprach ihm am 10. Oktober 1839 für seine Haltung
am 6. September ihre Dankbarkeit aus, die der Stadtrat noch
durch Überreichung einer pergamentenen Urkunde besiegelte.
Eine Versammlung im Kasino am 19. Januar 1840 dedizierte ihm
aus gleichem Anlass einen Ehrendegen mit goldenem Griff und
passender Inschrift. Gerne nahm Ziegler nun aus den Händen
der konserv-ativen Regierung die Erneuerung seines Offiziers-
brevets entgegen; mit einem Sprung avancierte er nun wieder
(April 1840) vom gemeinen Landwehrsoldaten zum Obersten
der Infanterie und gleichzeitig zum Waffenkommandanten
der Infanterie des Kantons Zürich. Am 26. Mai 1840 erfolgte
seine Wahl zum Regierungsrat, die seinen Rücktritt als Mit-
glied und Präsident des Stadtrates nach sich zog. Er verabschie-
dete sich am 4. Juni 1840 mit bewegten Worten von seinen Stadt-
ratskollegen; ,,eine Männerträne im Auge, verliess jedes Mitglied
die Sitzmig", sagt das Protokoll.
Im Regierungsrat sass Ziegler bis Ende 1866 und war häufig
dessen Präsident (als einziger der bisherigen konservativen Re-
gierungsräte blieb er aucli nach 1845 unangefochten in der Regierung) .
Eine fruchtbare Tätigkeit entfaltete Ziegler besonders als ;\IiHtär-
direktor, stiess dabei allerdings auch auf Widerstand in den Reihen
der Offiziere selbst, so 1841, als eine Anzahl Kavalleristen wegen
einiger Äusserungen Zieglers im Grossen Rat im ,, Landboten"
eine Aufsehen erregende Fehde gegen ihn führten. 1844, nach
dem Tode von Oberst und Zeugherr Salomon Hirzel im Feldhof,
wurde Oberst Ziegler Präsident des Kantonskriegsrates. Im August
des gleichen Jahres wählte ihn die Tagsatzung in Luzern zum
eidgenössischen Obersten. 1845, beim Aufgebot wegen des Frei-
scharenzugs, erhielt er das Kommando der 2. Brigade der Di-
vision Gmür, am 22. August 1845 die Ernennung zum Mitglied
und Vizepräsidenten des eidgenössischen Kriegsrates. In brüskem
Tone quittierte Ziegler im August 1847 diese Stellung, weil
Ochsenbein von Bern, den die Tagsatzung wegen seiner Be-
teiligung am Freischarenzug aus dem eidgenössischen Stabe ge-
strichen hatte, nun trotzdem beim Übergang des Vororts an Bern
als dessen Regierungspräsident die Tagsatzung präsidieren sollte.
138 VIERZEHNTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT ZIEGLER o
Im Sonderbundskrieg führte Oberst Ziegler die 4. Division. Am
13. Januar 1848 wurde ihm vom zürcherischen Regienmgsrat ein
Dankschreiben überreicht; im Grossratssaal übergab er in feier-
Uchem Akte die aus Luzern mitgebrachten Waffen Zwingiis,
die sich nun im Landesmuseum befinden. Dem Nationalrat
gehörte Eduard Ziegler von 1848 bis 1855 und dann wieder von
1860 bis 1866 an. Als er 1856 anlässlich des Xeuenburger Handels
und wieder 185t) beim oberitalienischen Krieg ein wichtiges Kom-
mando erhalten sollte, bereiste er zuvor als Zi\'ilist die in Be-
tracht fallenden, der Schweiz benachbarten Grenzgebiete. 1860
war Oberst Ziegler Divisionär und Platzkommandant in dem von
Unruhen heimgesuchten Genf und erwarb sich auch dort trotz
seiner unbeugsamen Strenge im Dienst eine ausserordenthche
Popularität; er wurde mit Ehren- und Dankesbezeugungen über-
häuft. Xach Xiederlegung seiner öffentlichen Ämter, Ende 1866,
gehörte er noch bis 1869 der Stadtarmenpflege an und ärgerte
sich dabei etwa, wenn Arme für sich mehr verlangten, als er selbst,
der Bedürfnislose, zu seinem Unterhalt bedurfte. Die Schiffleuten-
zunft verehrte in ihm ihren vieljährigen Präsidenten. Sein Bio-
graph sagt von Eduard Ziegler: ,,\Vir haben ihn als von Hause
aus konservativ kennen gelernt; so bekämpfte er denn auch im
Rate energisch alle Bestrebungen, die ihm begründete Zustände
und Ordnungen in vStaat und Kirche zu bedrohen schienen, und
machte mitunter in schroffer Weise seinem Unmute über solche
Bestrebungen L,uft. Zur Abhilfe von wirkUchen Übelständen und
zu dem, was er als Fortschritt erkannte, bot er nichtsdestoweniger
die Hand. Er war überhaupt nicht ein Parteimann, der die eigene
Überzeugung hätte verleugnen oder welcher sich in wichtigen
Fragen der von seinen politischen Frevmden ausgegebenen Parole
ohne selbständige Prüfung hätte unterziehen können. Im Gegen-
teil erwies er sich, wie wir aus der Schilderung der Septembertage
von 1839 ersehen haben, diesen Freunden mitunter sehr un\\-ill-
fälirig und durchkreuzte ihre Pläne. Rücksichtslos im Vorgehen,
wo sein Pflichtgefühl in Frage kam, tnig er den äusseren Formen
nicht immer volle Rechnung; im Ratssaal hielt man aber dem
Manne, der sich auf dem Felde der Ehre als Ritter ohne Furcht
und ohne Tadel em-iesen hatte, hie und da ein herbes Wort zu
gut, das an andern scharf gerügt worden wäre."
o VIERZEHNTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT ZIEGLER 139
Als Eduard Ziegler sein Amt als Stadtpräsident antrat, be-
fand sich das politische Leben des Kantons in starker Bewegung.
Die ersten sechs Jahre, nach welchen gemäss einer Verfassungs-
bestimmung frühestens eine Verfassmigsre\'ision vorgenommen
werden durfte, waren abgelaufen, und nun meldeten sich aufs
neue die ,, Volks wünsche" nach einem Ausbau der Verfassung.
Zu ihrem \'ertreter machte sich insbesondere der einflussreiche
Winterthurer ,, Landbote". Im Vordergrund dieser Volksbegehren
stand wiederum eine Änderung der Vertretung im Grossen Rat
zugunsten des Landes und sodann das ,,Veto" oder Referendum
(Volksabstimmung über die wichtigsten Gesetze). Da war es denn
höchst interessant und lehrreich zu sehen, dass gerade die mit
der Demokratie emporgekommenen Radikalen sich mit aller Macht
gegen eine weitere Demokratisierung der Verfassung stemmten,
während beispielsweise das ,,Veto" in konservativen Kreisen, in
der ,,Freitagszeitung" und anderwärts, sehr warme Verfechter
fand. Man konnte nicht \'erächtUcher, nicht wegwerfender von
der ,, Masse", vom ,, Pöbel" sprechen als es Dr. Ludwig Keller im
Grossen Rate tat (vgl. Verhandlungen vom 28. März 1837), ^^-
dem er die Gebildeten zum Zusammenhalten im Kampf gegen
,, Roheit und Pöbelherrschaft" aufrief. Nicht minder charak-
teristisch war andererseits die Äusserung eines bekannten Rats-
mitgliedes vom Unken vSeeufer, welches die so geheissene Mittel-
klasse und die Angesehenen der Landschaft als ,,den eigentlichen
Souverän" bezeichnete. Gegen das Begehren einer abermahgen
Beschränkung ihrer Vertretung im Grossen Rate erhob sich in
der Stadt auffallend wenig Widerstand. Es war ja nicht zu leugnen,
dass die Männer von Uster mit ihrer Zustimmung zu einer Ver-
tretung von ein Drittel Stadt und zwei Drittel Landschaft der
Stadt immer noch ein grosses Vorrecht gelassen hatten. Jetzt
aber verlangte man die verhältnismässige Vertretung nach der
Kopfzahl, nach ,, Proporz", wie man damals gesagt hätte, wenn
das Wortungetüm schon bekannt gewesen wäre. Die bisherige
Zunfteinteilung der Wählerschaft fiel weg, und der ganze Kanton
wurde in 51 Wahlkreise eingeteilt, welche insgesamt 192 Mit-
glieder direkt zu wählen hatten; indirekt konnte der Grosse Rat
selbst noch 12 weitere Mitgheder wählen. Die Stadt Zürich
bildete fortan nur einen einzigen Grossratswahlkreis mit 13 Ver-
140 VIERZEHNTES KAPITEL: STADTPR.4SIDENT ZIEGLER o
tretern (statt 66!). Das „Veto" und die Grossratstaggelder
wurden abgelehnt. Der ganze Verfassungsentwurf wurde vom
Grossen Rat am 19. Dezember 1837 "^t 131 gegen iq Stimmen
angenommen. Unter den Verwerfenden befanden sich (als einziger
bedeutender Landvertreter) der ganz in einen ängstlichen Kon-
servativen umgewandelte Regierungsrat Dr. Hegetschweiler, Ge-
neral Ziegler, alt Bürgermeister v. Muralt, vStadtpräsident Oberst
Ziegler, alt vStadtpräsident J. J. Escher u. a. Mit der neuen Ver-
fassung, die vom Volk am 4. Februar 1838 bei sehr schwacher
Beteiligung mit 15,307 gegen 3379 Stimmen angenommen wurde,
begann für den Kanton Zürich die grundsätzhche, wenn auch vor-
erst bloss repräsentative Demokratie. Die Zahl der vom Grossen
Rat zu wählenden Regierungsräte blieb zunächst 19; erst das
Verfassungsgesetz vom 26. Mai 1840 brachte die Reduktion auf
13 Mitglieder. Das letzte ihrer seit der Revolution immer noch
innegehabten Vorrechte verlor die Stadt mit dem Verfassungs-
gesetz vom 27. September 1838, welches ihre ausnahmsweise
Vertretung in den Bezirksbehörden aufhob und sie darin den
übrigen Gemeinden gleichstellte. Dass die Stadt nach dem Gesetz
vom 30. April 1832 nicht wie die andern Gemeinden eine Schul-
gemeinde bildete und für die Beaufsichtigung ihres Schulwesens
einen eigenen vSchulrat besass, dass im fernem das Gesetz vom
27. März 1833 für die Kirchgemeinden der Stadt und der dahin
kirchgenössigen Landgemeinden besondere Bestimmungen auf-
stellte, war nicht sowohl als Vorrecht, denn als bilHge Berück-
sichtigung ihrer besondem Verhältnisse zu betrachten.
Mit der neuen kantonalen \'erfassung erhielt die Stadt Zürich
auch eine neue Gemeindeordnung oder Stadtverfassung. Da-
bei wurde u.a. der Wahlmodus für den Grossen Stadtrat ge-
ändert. Zwar blieb es für diesen bei der bisherigen Zunfteinteilung ;
es wurde der Personalbestand der Zünfte sogar noch gestärkt,
indem jeder Bürger gezwungen wurde, einer Zunft beizutreten.
Auf 30 Zünfter war je ein Vertreter in den Grossen Stadtrat zu
wählen, und es sollte jede Zunft mindestens einen Vertreter
haben ; die bisherige Liniite von 60 ^litgliedern des Grossen vStadt-
rates wurde also fallen gelassen, ebenso die hälftige Erneuerungs-
wahl alle zwei Jahre; die Gesamterneuerungswahlen sollten je am
Schluss der vierjährigen Amtsperiode stattfinden. Der engere
o VIERZEHNTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT ZIEGLER 141
Stadtrat wurde auf 9 Mitglieder reduziert, die wie bisher es
officio auch dem Grossen Stadtrat als stimmberechtigte Mit-
glieder angehörten. Die neue Stadtverfassung trägt das Datum
der Gemeindeversammlungen vom 10. Oktober und 23. Dezember
1S39 und die Unterschrift des Stadtpräsidenten Ziegler.
Schon bei den erstmals nach den neuen \'erfassungsbestim-
mungen vorgenommenen Grossratswahlen vom 4. März 1838
war offenbar geworden, wie sehr die Radikalen die Fühlung mit
dem Volk verloren hatten. Dr. Ludwig Keller, Wilhelm FüssH,
Eduard Sulzer u. a. wurden nirgends mehr gewählt und konnten
nur auf den Krücken der indirekten Wahlen wieder in den Rats-
saal gelangen. Staatsanwalt David Ulrich verdankte sein Mandat
dem Wahlkreis Bülach. Zu der unheildrohenden Verschärfung
und Zuspitzung der politischen Lage im Jahr 1838 hatte der
Kampf um die Schule und der wachsende Gegensatz zwischen
Schule und Kirche nicht wenig beigetragen. Während in der
Schule ein frisches, reiches Leben pulsierte, herrschte in der Kirche
Stillstand und Unfruchtbarkeit. Sie entfremdete sich dadurch
die InteUigenz; die Presse der ,, Brutal-Radikalen" aber behandelte
Kirche und Pfarrer fortwährend mit dem giftigsten Hohn und
Spott. Pohtische, religiöse und persönliche Motive machten die
üben\-iegende ^Mehrheit der GeistUchen zu unversöhnHchen Gegnern
der herrschenden radikalen Partei und namentUch der durch die
regenerierte Volksschule repräsentierten sogenannten ,, neuen
Lehre". Die ostentative LiederUchkeit der Lebensführung ein-
zelner radikaler Führer erleichterte es den Pfarrern, Texte zu
lehrreichen Predigten gegen die ,,neue Lehre" zu finden. ,,An
ihren Früchten sollt ihr sie erkennen". Gehörte auf dem Lande
anfangs da und dort noch einiger IVIut dazu, gegen die neue Ord-
nung zu predigen, so waren dagegen Sticheleien gegen die Re-
genten für die Kanzeln der Stadt immer ein dankbares Thema.
In der Kirchensynode kam es zu heftigen Zusammenstössen
zwischen Pfarrern und weltlichen radikalen Mitghedern der Sy-
node. Radikale Redner wurden auf der Synode vom 29. Oktober
1833 von den geistUchen Herren mit Stampfen, Scharren und
Brummen unterbrochen, was dieser hohen \'ersammlung deu
Namen der ,, Stampf sj-node" und zudem einen regierungsräthchen
Rüffel wegen unziemUchen Betragens eintrug. Wenig Eindruck
142 VIERZEHNTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT ZIEGLER o
machte es hinwieder, wenn Dr. Keller im Grossen Rat (1837) die
Geistlichkeit einen »Stand nannte, der in einer Periode allgemeiner
Tätigkeit nur Trägheit, Dummheit imd Lahmlieit zeige und einen
Scheelblick auf alles werfe, wo sich edleres Leben rege. Als Stadt-
zürcher (mit wenigen Ausnalimen) waren die Geistlichen fast durch-
weg konservativ. Sie erblickten in der neuen Ordnung der Dinge,
wie Li. Meyer von Knonau ausfülart, ,,eine vStorung mancher bis-
her genossener und von vielen jetzt noch als ein Recht angesehener
Vorzüge. Das Neue, das den noch übrig gebhebenen Nimbus,
der die weltHchen Beamten umgab, zerstörte, hatte auch den der
Geistlichkeit nicht unangetastet gelassen und ihn auf diejenige
Würde beschränkt, mit welcher Pflichttreue und moraHscher
Wert den Beamten immer umgibt. Ihre Macht und ihr Ein-
fluss waren in mehreren Beziehungen vermindert worden, und
wenn das Gesetz mit Recht den Schullehrer höher stellte als
früher, so sah gleichwohl mancher Pfarrer bald mit mehr, bald
mit weniger Grund durch die Ansprüche des jungen Mannes sich
verletzt, der die Herrschaft über die intellektuelle Sphäre mit ihm
teilen wollte." Gegen Scherrs Schulreformpläne hatte die Geist-
lichkeit schon anfangs 1832 entschieden und nicht immer in ge-
wählten Worten Stellung genommen. Sie bezichtigte ihn (1836)
auch als Urheber des Antrags, Strauss zu berufen. Der Bildner
der jungen, mit Korpsgeist erfüllten, seinen Freisinn und Ra-
tionalismus zur Schau tragenden Lehrer war den Geisthchen
immer ein Gegenstand besonders kräftiger Antipathie.
vScherr machte sich aber auch im eigenen radikalen Lager
mit seiner reizbaren, selbstgefälligen und eigensinnigen Art, die
ihm den Vorwurf der Unfehlbarkeit und Dünkelhaftigkeit ein-
trug, viele Feinde. ,, Schulpapst" und ,,Schult3-rann" nannten ihn
nicht nur die Konservativen. Mit Bürgermeister ]\Ielchior
Hirzel, dem Prä.sidenten des Erziehungsrats, kam er ganz aus-
einander. Hirzel fürchtete nicht ohne Grund, Scherr könnte ihm
den heiss ersehnten Ruhmespreis, in der Gesclüchte als Haupt-
urheber des regenerierten Volksschulwesens bezeichnet zu werden,
streitig machen. Scherr dachte skeptisch von der Schulsynode,
einer Schöpfung Hirzels (Gesetz vom 26. Oktober 1831) ; auch
über andere wichtige Punkte bestanden zwischen den beiden
Männern Differenzen. Da Hirzel die Mehrheit des Erziehungsrats
o VIERZEHNTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT ZIEGLER 143
fast immer auf seiner Seite hatte, erklärte Sclierr im Herbst 1835
seinen Rücktritt aus dieser Behörde. Der Grosse Rat nalim je-
doch die Demission nicht an. Der Streit dauerte fort und drang
in die Öffentlichkeit, die sich alsbald in ,,Hirzehaner" und ,,Scherri-
aner" spaltete. Nun demissionierte Scherr am 26. Februar 1836
als Seminardirektor. Es wurde aus der Sache eine hoch-
politische Affäre. Während der Entscheid über das Rücktritts-
gesuch noch in der Schwebe bheb, erhess der Grosse Rat am 28. Sep-
tember 1836 ein neues Seminargesetz nach den Wimschen Scherrs ;
allein den Bemühungen Hirzels gelang es, ein Ausführungsregle-
ment dazu durchzusetzen, das Scherrs Sieg illusorisch machte
und den Seminardirektor unter eine besondere Aufsichtsbehörde
stellte. Ein neuer heftiger Feind erstand Scherr in Dr. J. C.
Bluntschh, dessen Durchfall bei der Oberrichterwahl Scherr in
einer Korrespondenz der ,,Augsb. Allg. Zeitg." besprochen hatte.
Bluntschh schrieb eine leidenschafthche Streitschrift gegen Scherr,
welcher daraufhin am 24. Juli 1837 sein Entlassungsgesuch er-
neuerte. Der IMeinungskampf um diese Angelegenheit im Grossen
Rat und in der Presse dauerte noch weit ins Jahr 1838 hinein
und endete damit, dass Hirzel und Scherr sich wieder versöhnten
und letzterer seine Demission am i. November 1838 zurücknahm.
Der Hader im radikalen Lager war nun endhch beigelegt,
aber seine Spuren Hessen sich nicht mehr verwischen. Er hatte
mitgeholfen, die Lage kritisch zu gestalten. Ludwig Meyer von
Knonau äussert sich über dieselbe: ,,Im Kanton Zürich stand
gegen Ende des Jahres 1838 das poUtische Barometer nicht tiefer
als in den meisten andern Schweizerkantonen und europäischen
Staaten. Man war mit einem Teil der Gesetzgebung, der Ver-
waltung und Rechtspflege, im ganzen genommen, nicht befriedigt.
Warme Anhänghchkeit an das Bestehende war nicht vorhanden;
doch sann man nicht auf dessen Umsturz." Die Regierung —
sagt Me3-er von Knonau, selber Mitglied des Regierungsrates —
,,genoss als solche keiner wahren Achtung, und wenn etwas
davon gegen einzelne Mitgheder geäussert wurde, so geschah dies
in persönlicher Weise. Es konnte auch schon wegen der beständigen
Ausfälle der meisten öffentlichen Blätter nicht anders sein."
Im Schosse des Regierungsrats herrschten oft herbe Differenzen,
es fehlte der Zusammenhalt, die einheithche Leitung. Von den
144 VIERZEHNTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT ZIEGLER o
beiden Bürgermeistern konnte weder Hirzel noch Hess als Staats-
mann im wahren Sinne des Wortes gelten. Melchior Hirzel,
gutmütig und treuherzig von Natur und von Leidenschaften un-
befleckt, richtete mit seiner rastlosen Vielgeschäftigkeit und seinem
unklaren Enthusiasmus \'iel Verwirrung an. Es fehlte ihm auch
gelegentlich an Gefühl für die Würde seiner ,, konsularischen
Stellung". Wenn er als Bundespräsident selber im Hotel ,, Schwert"
vorsprach, um die Korrespondenzen in Empfang zu nehmen und
damit dem fremden Kurier ,, einen Gang zu ersparen", oder wenn
er im Kasino einer internationalen Flüchtlingsgesellschaft, mitten
im Saale stehend, mit seiner hohen Teuorstimme ein paar Schweizer
Älplerweisen vorjodelte, so fand auch das Volk das unpassend.
An J. J. Hess, dem Sohn eines der privilegierten Metzger der
Stadt, vermisste L. Meyer von Knonau ungern ,,das Gefülil der
Unabhängigkeit, zu welchem er durch seine A'erhältnisse berufen
schien". Er war bildsames Wachs in den Händen Eudwig
Kellers. An der Spitze des Grossen Rates stand seit dem 19. März
1838 der ,, kluge Müller von Bauma", Statthalter Heinrich
Gujer, der erste Grossratspräsident vom Lande, neben ihm als
Vizepräsident Jonas Furrer von Winterthur. Gujer entliess am
20. Dezember 1838 den Grossen Rat mit den Worten: ,,Der eine
trägt sich mit der Verwirklichung grossartiger edler Pläne, während
andere tausend näher liegende Bedürfnisse zu befriedigen suchen,
ohne sich tiefer mit der Frage zu befassen, welches der Erfolg der
Gewährung derselben für das Ganze wäre. Auch unsere Revolution
hat diese Erscheinungen dargeboten. Eine grosse Zahl von
Wünschen und Hoffnungen hat nicht befriedigt werden können,
weil sie nicht gut waren. Viele glaubten sich dadurch zurück-
gesetzt und getäuscht. Ein gewisser Missmut und L'nzufriedenheit
bHeben als Folge davon zurück. Die Stimmung dauert fort.
Auch den neuen Grossen Rat trifft der \'orwurf, dass er den
Wünschen und dem Interesse des Volks zu wenig Rechnung trage."
Die Präsidialrede klang wie eine letzte Mahnung und Warnung.
.Sie blieb fruchtlos wie alle frühern.
DRITTER TEIL
DER
ZÜRICH-PUTSCH
;i^
(Diivid Friedrich (bfrauss
von ßiidwigsburg
FÜNFZEHNTES KAPITEL
„STRAUSS KOMMT!"
Alles hatte der Radikalismus in seine Gewalt gebracht: Ge-
■ setzgebung, Verwaltung, Justiz, höheres Unterrichtswesen
und Volksschule. Als er sich auch hinter die Kirche hermachte,
brach er zwar nicht den Hals, aber beide Beine und musste eine
Zeitlang das Bett hüten. Es war für ihn eine heilsame Lehre,
die bis heute noch nachwirkt. Insofern mag es eine offene Frage
bleiben, ob der 6. September 1839 ,,das schwärzeste Blatt in der
Geschichte Zürichs" genannt werden darf, wie L,udwig Meyer von
Knonau meinte. Sicher aber war es eines der lehrreichsten.
Professor Eduard Elwert aus Cannstatt (Seite 105) war im
Herbst 1838 in den Kirchendienst seiner schwäbischen Heimat
zurückgekehrt. Dr. David Friedrich Strauss von Ludwigs-
burg, welcher 1836 bei der Berufungswahl Elwert gegenüber unter-
legen war, hoffte nun sein Nachfolger zu werden. Jedenfalls hatte
er den lebhaften Wunsch, nach Zürich zu kommen, und er bat
Hitzig, dafür zu wirken. Günstig war für ihn der Umstand, dass
der Präsident des Erziehvmgsrats, Bürgermeister Melchior Hirzel,
jetzt ganz und gar für ihn gewonnen war. Hirzel hatte Strauss
1837 in Stuttgart besucht und schwärmte seitdem förmhch für
ihn. Doch wiederum erhoben sich gegen diese Nomination im
Erziehungsrat die schwersten Bedenken. Der damals 27jährige
Theologe war 1836 wegen seines Buches ,,Das Leben Jesu, kritisch
beleuchtet" aus dem württembergischen Kirchendienst ausge-
schlossen worden. Das Buch, welches überall grösstes Aufsehen
erregte, zeichnete sich aus durch unerhörte Kühnheit, weniger
durch Klarheit und Folgerichtigkeit. Strauss zweifelte an allem
und zweifelte zuletzt an seinen eigenen Zweifeln. Dass seine Lehre
für die christUche Gemeinde nicht taugte, davon war er selber
überzeugt. Nur ein fanatisch gewordener Aufklärungstrieb, schrieb
er, könnte versuchen wollen, die Gemeinde auf diesen Standpunkt
zu erheben; ein Prediger von seiner Gesinnung aber, der sich auf
148 FÜNFZEHNTES KAPITEL: „STRAUSS KOMMT!" o
den Standpunkt der Gemeinde herablassen wollte, müsste der-
selben und am Ende auch sich selber als Lügner erscheinen. Theo-
logische Kritik hatte es zwar vor Strauss schon gegeben, auch au
der Hochschule Zürich und sogar schon am Chorherrenstift.
Dr. Johannes Schulthess, J. J. Hottinger u. a. wären da zu nennen.
Auch 1838/39 war in der theologischen Fakultät nicht etwa aus-
schUesshch die orthodoxe Richtung vertreten. Trotzdem kam die
Fakultät in ihrem am 23. Dezember 1838 erstatteten Gutachten
dazu, mit allen Stimmen gegen diejenige Ferdinand Hitzigs zu
erklären: dem Hauptwerke extrem-negativer Kritik von Strauss
gegenüber, welches dem Bewusstsein und Glauben der Kirche,
namentUch der protestantischen, als Kriegserklärung erscheinen
müsse, hege keine genügende positive Leistung des Verfassers vor,
um die Besetzung der einzigen Professur für Dogmatik durch
seine Berufung zu rechtfertigen. Die erste Sektion des Erzie-
hungsrates sprach sich mit Stichentscheid ihres Präsidenten
Ferdinand Mej-er gegen diese Berufung aus; der gesamte Erzie-
hungsrat aber beschloss (26. Januar 1839) mit 7 gegen 7 Stimmen
und Stichentscheid des Präsidenten Hirzel die Berufung. Die
Radikalen handelten in ihrer Stellungnahme für Strauss aus ver-
schiedenen Motiven. J. C. von Orelli hatte ausschliessHch ein
ernstes wissenschaftliches Interesse im Auge mid hielt es für
falsch, wegen ,, äusserer BedenkUchkeiten" einer neuen Richtung
den Weg zu verrammeln. Melchior Hirzel war \-on eben jenem
,, fanatischen Aufklärmigstrieb" besessen, den Strauss für mi-
angebracht hielt. Dr. Keller und seine Freunde aber mochten
hoffen, mit Hülfe der Straussischen Theologie die Kirche beim
Volk zu entwurzeln, wobei sie sich indessen ,, überlupften". Es
sollte sich bald zeigen, dass die Kirche und ihre führenden ;\Iänner
mit dem Volk in \-iel engerer Fühlung standen, seine Gefühle
und Stimmungen besser kannten und die Lage richtiger be-
urteilten als die Radikalen. Sogleich nach dem Beschluss des
Erziehungsrates hatte die ,, Freitagszeitung" geschrieben, dass die
Folgen dieser Berufung ,,sehr ernster Natur" werden könnten.
Zwei Tage nach diesem Beschluss (28. Januar) lag vor dem
Regierungsrat eine Eingabe des Kirchenrats, welche in ernstem
und würdigem Tone vor einer Bestätigmig der Berufung warnte.
Prophetisch klang das \\'ort: ,, Glaubt man endlich, nachdem
o FÜNFZEHNTES KAPITEL: „STRAUSS KOMMT!" 149
kaum die politischen Kämpfe bei uns sich gelegt haben, nun die
religiösen hen^orrufeu zu müssen ? Wohl ! Sie werden auf diesem
Wege nicht ausbleiben, diese wichtigsten und gefährlichsten aller
Kämpfe. Aber sie werden auch in ihren nächsten und entferntesten
Folgen Resultate herbeiführen, welche ihre Urheber weder er-
warten noch anstreben und welche durch Gefährdung der innem
und äussern Ruhe, sowie der fortschreitenden geistigen und sitt-
Hchen Bildung des Volkes eine schwere Verantwortung über die-
selben bringen dürften."
Im Grossen Rat, welcher am 31. Januar zusammentrat,
brachte Antistes Füssli, Pfarrer der Neumünstergemeinde,
die Angelegenheit zur Sprache in Form einer Motion, welche
ein Vorschlags- oder Mitwirkungsrecht des Kirchenrats bei der
Wahl von Theologieprofessoren verlangte. In seiner Begründung
warnte Füssh vor den ,,gefährhchen Träumen" von einer neuen
Reformation, indem er mit deutUcher Anspielung auf Strauss
und Hirzel dartat, dass Zwingli mit dem trefflichen Bürger-
meister Röust an der Seite die Grundlagen des Glaubens her-
stellen, nicht zerstören wollte. Melchior Hirzel zeigte, dass
er in der Tat gerade diese neue Reformation erhoffe und
erstrebe ; der Grosse Rat möge wie der Rat vom 29. Januar
1523 beschhessen: ,, Meister Ulrich soll fürfahren, das EvangeUum
nach dem Geiste Gottes zu verkünden." Professor Alexander
Schweizer (später Pfarrer am Grossmünster), ein feiner und
kluger Kirchenmann, bestritt dem Erziehungsrat das Recht, von
sich aus eine neue Reformation einzuführen. ,,Ich bin ein Feind
von Unternehmungen, die mit mehr als Mut begonnen, dann aber
nicht durchgeführt werden können. Wir hier sind die einzigen,
welche den Mut haben, Herrn Dr. Strauss zu berufen, während
wir noch nicht wissen, ob wir dann mit Schande wieder umkehren
und, wenn allerlei Reaktionen uns nötigen, künstliche Mttel,
Vorwände suchen müssen, um irgendwie wieder zu entfernen,
was wir so leichtfertig gerufen haben." Dr. Keller bekämpfte
die Motion als formwidrig, verwerflich und unnütz. Er verstieg
sich auch zu einer Definition des Glaubens, der nach ihm besteht
„in dem zutrauensvollen Anschhessen an die religiöse Begeiste-
rung, welche ein bevorzugter Mann empfinden und andern mit-
teilen kann". Als ,, Demagogenkniff" bezeichnete Staats-
I50 FÜNFZEHNTES KAPITEL: „STRAUSS KOMMT!" o
anvvalt Ulrich die ganze Sache. „Man will eine Frage, die in den
Kreis der gesetzlichen, hiezu kompetenten Behörden gehört, auf
ein Feld ziehen, wo man hofft, vermittelst Erregung von mancherlei
Vorurteilen und Missverständnissen einen Sieg zu erringen. Man
hat uns ja prophezeit, das sei eine Frage, über welcher die Radi-
kalen endlich einmal den Hals brechen werden." Nach neun-
stündiger Debatte, welche den eigentHchen Beratungsgegenstand
kaum berührte und fast nur um Strauss sich drehte, wurde die
Motion mit c)8 gegen 49 Stimmen bei 65 Abwesenden als un-
erheblich erklärt. Der Beschluss musste notwendigerweise auf-
gefasst werden als eine Billigung der Berufung von »Strauss
durch die verfassungsmässige Vertretung des Volkes.
Der Regierungsrat handelte demgemäss. Obschon ihm be-
reits elf abmahnende Petitionen vorlagen, bestätigte er am
2. Februar mit 15 gegen 3 Stimmen die Berufung. Mit Blitzes-
schnelle verbreitete sich die Kunde davon im ganzen Lande.
,, Strauss kommt!" Ein Schrei des Erstaunens, der Entrüstung
allüberall. ,,In den Hütten des Landmannes wie im Famihen-
kreise der Gebildeten wurde dieselbe Frage laut: Sollen wir es
dulden, dass das Höchste, was wir besitzen, dass unser Glaube
uns und unsem Kindern planmässig geraubt, dass unser Land in
einen Abgrund sittlicher \'ersunkenheit und geistiger \'erüdung
gestürzt wird?" Diese Besorgnis, diese Empörung waren unver-
fälscht und walir. Nur der bornierte Hochmut einer so \-olks-
fremdeu und volksfeindlichen herrschenden Partei wie der radi-
kalen von 1839 konnte darüber im Zweifel sein. Die Berufung von
David Friedrich Strauss war die grösste politische Dummheit, die
je im Kanton Zürich begangen worden ist. Es kam, was kommen
musste. Im Handumdrehen hatte der ,, Stillstand Neumünster"
am 4. Februar 668 Protestunterschriften beisammen, und in Zei-
tungsartikeln, Inseraten, Broschüren, Flugblättern erhob sich ein
Sturm des Unwillens, der seinesgleichen nicht hatte. Mit fassungs-
losem Erstaunen bückte Melchior Hirzel in dieses Toben der
Elemente. Das hatte er nie erwartet, und er setzte sich hin und
schrieb (am 10. Februar) einen offenen Brief ,,An meine Mit-
menschen im Kanton Zürich". Liebreich und freundhch setzte
er ihnen die Sache auseinander, versicherte, dass niemand daran
denke, ihnen den Glauben zu nehmen, und er bat und flehte:
o FÜNFZEHNTES KAPITEL: „STRAUSS KOMMT!" 151
„Zünit uns nicht länger, dass wir es dem Dr. Strauss möglich ge-
macht, die ihm von Gott verliehene Gabe unter uns leuchten zu
lassen. Seid nicht mehr böse, seid wieder gut!" Eine Flut von
Gift und Hohn war die Antwort. Was ..^Mitmenschen" ? Also
nicht einmal mehr Mitchristen ? Jeder Satz, jedes Wort ward ihm
aufgerupft, verdreht und mit der höhnenden Anrede ,, teurer Mit-
mensch" ins Gesicht geworfen. Jeder anonyme Wicht kühlte sein
Mütchen an dem ..langen Mitmenschen", der zur ständigen Figur
in den Blättern wurde. In einem anonymen ,, Sendschreiben"
von 16 Druckseiten unternahm es ,,ein GeistUcher der östHchen
Schweiz", den unglücklichen Bürgermeister recht eigentlich
herunterzuhudeln, seine L,eibeslänge, sein ,, erhabenes Antlitz" zu
verspotten, seinen ,, schlecht versteckten Christushass" ans Licht
zu ziehen. ,,vSchmach und Schande hegt auf Ihrem Namen, vSie
sind in der Sittengeschichte Zürichs gestempelt. Sie stehen so in
der \A'ahrheit, wie der Arge von Anfang an." Und der fromme
Mann schüesst: ..Weil Sie Jesum, den Gottessohn, verachten, kann
ich mit der Achtungsbezeugung, die Ihnen sonst wohl gebühren
mag, nicht schhessen. aber mit dem tiefsten und wärmsten Be-
dauern Ihrer argen Verirrung."
Das war so ein kleiner Vorgeschmack von der Kampfesweise
der Gegner, mit denen es die Regierung nun zu tun bekam. Als-
bald erhob sich aber auch eine hochemste politische Gefahr.
und zwar wieder vom See her! Am 7. und 8. Februar begannen
Zusammenkünfte von Männern aus Hombrechtikon, Stäfa, ^Meilen,
Bubikon usw.; am 10. Februar tagte in Richterswil bereits eine
Versammlung von 80 Gemeinde Vertretern. Es waren meistens
Liberale, ehemahge Freunde und Verbündete der Radikalen und
Parteigänger des Ustertages. Die Versammlung bestellte ein
Komitee mit Fabrikant H. J. J. Hürlimann-Landis in Rich-
terswil als Präsidenten und Dr. S c h m i d in Richterswil als
Aktuar. Beide gehörten der liberalen Richtung an; Dr. Schmid
galt sogar bisher als extrem-radikal und hatte als leidenschaft-
licher Redner auf der Bassersdorfer Tagung vom 26. Februar 1832
starke Entrüstung in der Stadt erregt. Nach einer öffenthchen
Erklärung Dr. Schmids vom 27. Februar 1839 war die einstimmige
Meinung der Richterswiler Versammlung dahin gegangen, die
Aufhebung der Hochschule wäre das radikalste und für die
152 FÜNFZEHNTES KAPITEL: „STRAUSS KOJUIT!" o
Regierung schonendste Mittel, die Berufung des Dr. Strauss zu
verhindern. Das Komitee hielt seine erste ordentliche Sitzung
am II. Februar in der „Sonne" zu Stäfa. Entscheidend war die
\'^ersammlung der Abgeordneten von 29 Gemeinden am 13. Februar
in Wädenswil. Hier ist, unter der Assistenz von Geistlichen,
ein niedliches kleines Revolutiönchen zur Welt gekommen,
echte Rasse vom Zürichsee, etwas dunkel in der Farbe zwar, aber
von guter Stimme und kräftigem Gebiss. Es wird schon recht
bald seine Zäline zeigen. Über seine wahre Natur befand sich in-
dessen die Versammlung von Wädenswil in einer seltsamen Täusch-
ung, nur der Abgeordnete von Thalwil, der Sängerfreund Pfarrer
Sprüngli, bezeichnete es gewissermassen als ein garstiges Vieh,
vor dem man sich werde in acht nehmen müssen. Da fielen aber
die andern dermassen über ihn her, dass er es \-orzog, die \"er-
sammlung zu verlassen. Einmütig fasste diese darauf eine Reihe
von Beschlüssen, von denen die wichtigsten folgende sind:
1. Die Einberufung von Dr. Strauss sei auf verfassungsge-
mässem, gesetzlichem Wege zu behindern durch Konstituie-
rung von Kirch-, Bezirks- und Zentralvereinen und durch
das Mittel des Petitionsrechts.
2. Zu diesem Behuf e soll in jeder Kirchgemeinde ein Verein
von 12 ]\Iitghedern gebildet werden.
3. Die Vereine haben aus ihrer ^Mitte je zwei Mitglieder in den
Bezirksverein zu wählen.
4. Hinwieder liegt es den Bezirksvereineu ob, die Wahl von je
zwei Mitgliedern in das Zentralkomitee zu veranstalten.
Dieses Zentralkomitee, von den Gegnern alsbald ,, Glau-
benskomitee" getauft, sollte somit aus 22 Mitghedern bestehen
(den sogenannten ,,XXIIern").
Ein Sendschreiben vom 13. Februar 1839, unterzeichnet
von Hürlimann-Landis und Dr. Schmid, teilte sämtlichen
Kirchgemeinden die Beschlüsse der Wädenswiler Versammlung
mit und forderte sie auf, die Abgeordneten für die zu konstituieren-
den Vereine zu wählen. Das Sendschreiben zeichnete auch in Um-
rissen Veranlassung und Ziel der eingeleiteten Bewegung: ,,Frei
geboren und gewohnt, ihre Gefühle ohne Scheu auszudrücken,
fühlt sich die Bevölkerung beleidigt, gekränkt in den heiUgsten
Rechten der Menschheit, durch eine, ohne den Volkswillen zu be-
o FÜNFZEHNTES KAPITEL: „STRAUSS KOMMT!" 153
fragen, in den Annalen der Geschichte beispiellose Verfügung über
ihre religiöse Zukunft — und wie Ein Mann, Eine Seele steht sie
auf, die ganze Bevölkerung des Kantons Zürich, und spricht als
Freyin des Vaterlandes zu ihrer Regierung: ich will in meinem
evangehsch-reformierten Glaubensbekenntnis fernerhin unwandel-
bar beharren, und fordere von Euch, gestützt auf unsem Pakt,
dass Ihr den Doktor Strauss von Ludwigsburg entlasset, an den
theologischen Lehrstuhl der Dogmatik einen rechtgläubigen Theo-
logen berufet. — ■ Der Zentralverein wird die Mittel und Wege
beraten, welche einzuschlagen sind, um die Entfernung des Dr.
Strauss vom theologischen Lehrstuhle der Dogmatik zu erwirken.
Er wird auf Garantien denken, welche die Wiederholung ähn-
licher \'ersuche vereiteln, und zugleich, in bezug auf die Schule,
die sich nach vielfach geflossenen Äusserungen auf dem Wege der
IrreHgiosität befinden soll, die nötig erachteten Forderungen
stellen. Er wird in Untersuchung ziehen, wie Verbesserungen
in imsem kirchlichen Verhältnissen, auf die imantastbare
Grundlage unseres christhch evangelisch-reformierten Glaubens
hin, vorgenommen werden können." Beiläufig wird in dem Send-
schreiben auch betont, das Mittel der Vereinsorganisation sei ge-
wählt worden, um auf ,, gesetzlichem Wege" die Entfernung
von Dr. Strauss zu erlangen und ,,die Angelegenlieit, als rein
religiös, in keinerlei Beziehung zur Politik zu halten".
Dieser Satz offenbart bereits den fundamentalen Irrtum,
in dem sich die IMänner der Glaubensbewegung von allem Anfang
an befanden. Sie glaubten ehrhch und aufrichtig, eine ,,rein reü-
giöse" Bewegung zu inszenieren, stellten aber dabei Forderungen,
die sich ohne Verfassungs- und Gesetzesänderungen, ohne Mit-
wirkung der politischen Instanzen, folghch auch ohne politischen
Kampf gar nicht erfüllen Hessen. Es war eine Illusion, eine solche
Angelegenheit ,,in keinerlei Beziehung zur Politik" halten zu kön-
nen. So absurd die Beschuldigung seitens der Radikalen war, man
habe die ReHgion nur zum Deckmantel einer pohtischen Aktion
gemacht, mit Hilfe einer fingierten und ungeheuerlich aufgebausch-
ten ,, Religionsgefahr" die Regierung zu stürzen gesucht, darin
hatten die Gegner recht, dass sie den pohtischen Charakter des
Glaubenskampfes immer und immer wieder betonten. ,,Rein reli-
giös" wäre die Bewegung nur dann gebUeben, wenn sie sich auf
154 FÜNFZEHNTES KAPITEL: „STRAUSS KOMMT!" o
das nach dem damaligen Stand der Verfassung und Gesetzgebung
allein zulässige Mittel der Petition beschränkt hätte. Allerdings
waren auch die Vereine nach der Verfassung gestattet; dafür
hatten ja die Radikalen mit Hülfe des Bassersdorfer Vereins (1832)
gesorgt, ohne freilich zu ahnen, dass sich dieses zweischneicUge
Schwert so bald schon gegen sie selber kehren werde. Aber selbst
diesen Vereinen bUeb verfassungsmässig gar nichts anderes übrig,
als in corpore gegen die Berufung von Strauss zu petitionieren.
Die reine Demokratie mit direkter Ausübung der Volksherrschaft
existierte damals im Kanton Zürich noch nicht, Referendum und
Initiative hatte man noch nicht, das Gesetz stellte klar und un-
zweideutig die Wahl der Professoren in die ausschliesshche Kom-
petenz von Erziehungsrat und Regierungsrat. Es war ganz mid
gar ungehörig, d. h. revolutionär, an diese allein kompetenten
Behörden die mit Drohungen verbundene Forderung zu stellen,
eine ergangene Berufung zurückzunehmen. In seinen spätem Kund-
gebungen hat das Zentralkomitee dann die Anklage erhoben, dass
die Regierung ihrerseits die Verfassung verletzt habe und des-
halb zur Rechenschaft gezogen werden müsse. Eine echt revo-
lutionäre Argumentation, mit der noch fast jede Revolution ein-
geleitet wurde. Im vorliegenden Falle sollte § 4 der Staatsver-
fassung verletzt worden sein, welcher sagt: ,,Die christUche Reh-
gion nach dem evangelisch-reformierten Lehrbegriffe ist die \-om
Staate anerkannte Landesreligion." Es gehörte die ganze \-er-
fahrene pohtische Lage von 1839, der gesteigerte Hass der Par-
teien, der begreifhche und nicht miverdiente Mangel an \^ertrauen
und Achtung vor den Behörden dazu, aus der Berufung eines ex-
trem-freisinnigen Dogmatikers an die Hochschule eine Verfas-
sungsverletzung zu konstruieren. Die ,,neue Reformation",
welche Strauss inaugurieren sollte, war nichts weiter als eines der
vielen Himgespinnste des ja sattsam bekannten, phantasiereichen
Konfusionärs Melchior Hirzel. Um eine neue Reformation im
Kanton Zürich zu machen, genügten »Strauss und Hirzel nicht.
Da mussten erst die pohtischen Behörden, der Kirchenrat, die
Synode, die Geisthchkeit mitmachen wollen, und wenn diese alle
dafür gewesen wären, so war als ausschlaggebender Faktor immer
noch das Volk selber da, welches mit seinem passiven Wider-
stand eine von oben herab oktrovierte neue Reformation verun-
o FÜNFZEHNTES KAPITEL: „STRAUSS KOMMT!" 155
möglicht hätte. Soweit es sich um die politische Seite der
Glaubensbewegung handelt, fehlte ihr formell und materiell die
verfassungs- und gesetzmässige Grundlage. Dass die Urheber der
Bewegung den aufrichtigen Willen hatten, selber in den Schran-
ken von Verfassung und Gesetz zu bleiben, ist unbestreitbar, be-
weist aber nichts für den Charakter der Bewegung, die sie weder
zu übersehen, noch auf die Dauer zu beherrschen vermochten.
Bald genug sollte in ihr infolge des Anschlusses aller möglichen
unzufriedenen Elemente eine ausgesprochen revolutionäre
Unterströmung hervortreten, die in Verbindung mit dem ent-
fesselten religiösen Fanatismus schlimme Tage über den Kan-
ton Zürich brachte.
Das Wädenswiler Komitee hatte mit seinem Aufruf einen
fabelhaften Erfolg. Mit verschwindenden Ausnahmen antworteten
alle Kirchgemeinden des Kantons zustimmend und bestellten ihre
Komitees. In Zürich und Winterthur erfolgten diese Wahlen
am 21. Februar (Winterthur widerrief allerdings am 4. März mit
215 gegen 193 Stimmen seinen Anschluss an das Komitee wegen
„Überschreitung der Kompetenzen" durch das letztere). Neu-
münster erlebte am 24. Februar in seinem alten Kreuzkirchlein
bei den Abgeordnetenwahlen den ersten Ausbruch des frommen
Terrors. Als Kriminalrichter Boller in offener Aussprache vor der
„revolutionären" Bewegung warnte, brach ein wilder Tumult
los. Mit Scharren, Schreien und Drohungen wurde der Redner
zum Schweigen gebracht. Nicht besser erging es Kantonsrat
Streuh, worauf etwa 80 Mann der Opposition die Kirche verUessen.
Der pastor loci, Antistes FüssU, sah dem Skandal zu und wagte
nicht, sich zu rühren. 37 Bürger von Bülach protestierten öffent-
üch gegen die dortige, ,, gegen alle Ordnung" abgehaltene Kirch-
gemeindeversammlung und hofften, dass viele nach und nach ein-
sehen werden, ,, welch miserables Spiel mit ihnen zu treiben beab-
sichtigt wurde". Das bheben indessen vereinzelte Erscheinungen
einer Opposition in den Kirchgemeindeversammlungen. In Zürich
entstand am 21. Februar ein radikaler Schutzverein ,,zur Aufrecht-
haltung gesetzhcher und verfassungsmässiger Ordnung" mit Kan-
tonskriegskommissär Orell, Regierungsrat Zehnder und Ober-
richter Füssli an der Spitze. Man konnte sich in der Kaserne und
im Cafe litteraire zum ,, Roten Turm" am Weinplatz als Mitglied
156 FÜNFZEHNTES KAPITEL: „STRAUSS KOMMT!" o
einschreiben, aber der Erfolg blieb mager. Es war das genaue
Gegenstück zum konservativen Schützenhausverein vom 23. No-
vember 1830! Die »Stimmung auf der Landschaft zeigte sich so
ziemlich einlieUig „antistraussisch" und regierungsunfreundhch.
Zwar hatte Regierungsrat H. Escher auf einer SchUttenfahrt nach
Bubikon nichts BedrohUches bemerkt und bei einer Tanzpartie in
der „Brach" sogar ganz straussenfreundUche Äusservmgen gehört.
Aber Regierungsrat Hüui, mit dem er nachher darüber sprach,
hatte andern Bericht und erwiderte: nicht diejenigen, welche sich
auf den Tanzplätzen belustigen, werden entscheiden; es sind die
,, Stillen im Lande", die in ihren warmen Stuben beisammen sitzen,
unter welchen sich der Umsturz vorbereitet. Und Hüni Hess sich
für eiiüge Monate zu einer Studienreise nach England beurlauben.
Die Regierung wurde besorgt und suchte abzuwiegeln. Sie
erHess am 20. Februar eine Kundmachung, in der sie erklärte,
die Bewegung zu ehren, in welcher sich ein rehgiöser Sinn kund-
gebe, und weit davon entfernt zu sein, den Art. 4 der Verfassung
verletzen zu wollen ; sie warnte aber vor Unordnung und mahnte
zur Rulie, zur Achtung vor dem Gesetz und vor den Beschlüssen
verfassungsmässiger Behörden. Die Kundmachung sollte am
24. Februar von allen Kanzeln verlesen werden; an vielen Orten
lief aber das Volk weg, ohne sie anhören zu wollen, x^ucli im Er-
ziehungsrat regten sich bängliche Gefühle. Er beschloss am
23. Februar, unter gegenwärtigen Umständen die Einberufung von
Dr. Strauss zu verschieben und demselben die Veranlassung
des Aufschubs mitzuteilen. vStrauss sprach in seiner Antwort die
Hoffnung aus, der ,,hochpreisUche Erziehungsrat" werde ihn in
den Rechten und Ansprüchen zu schützen wissen, die ihm als wirk-
lichem und ohne eigene Schuld au der Akti\dtät verhinderten
Professor zustehen.
Mit wunderbarer SchnelHgkeit hatte sich die Organisation
der Glaubenskomi tees durch das ganze Land vollzogen. Schon
auf den 28. Februar konnte das Zentralkomitee zu seiner Kon-
stituierung nach Zürich einberufen werden. Die Besorgnis der
Regierung stieg. Einige ]VIitgheder begannen von Abdankung zu
sprechen. Wilde Gerüchte regten das Land auf. Es hiess, die Re-
gierung wolle das Zentralkomitee verhaften und seine MitgHeder
werden darum unter bewaffneter Bedeckung nach Zürich gehen.
o FÜNFZEHNTES KAPITEL: „STRAUSS KOMMT!" 157
\'om obem rechten Seeufer wälze sich ein drohender \'olkshaufe
heran, der unten\'egs das Seminar in Küsnacht erstürmen, das
Haus von Regierungsrat Fierz daselbst anzünden wolle. Man be-
schwor den Seminardirektor, dem Haufen seine Abdankungs-
urkunde entgegenzuschicken. Scherr weigerte sich und erklärte,
auf seinem Posten zu bleiben, komme was da wolle. Es zeigte
sich, dass die Gerüchte keinen Untergrund hatten und die von
der Regierung gesandten Landjäger wieder abziehen konnten.
Das Zentralkomitee hielt seine Beratungen im Sitzungssaal des
Stadtschulrates beim Fraumünster. Es war eine poUtisch recht
gemischte Gesellschaft. Als Vertreter der städtischen Kreise
beteihgte sich Dr. med. Conrad Rahn-Escher, der zum Vize-
präsidenten des Zentralkomitees gewählt wurde (neben Hürlimann-
Landis als Präsidenten). Von den Land-Liberalen ist besonders
nennenswert Rektor Troll von Winterthur, Führer der Depu-
tation von Uster bei Bürgermeister Reinhard am 24. November
1830 ! So ändern sich die Zeiten. Unter den 22 MitgUedem waren
sechs Pfarrer. Der eine und andere von ihnen zog sich in der
Folge still zurück, als er gemerkt hatte, dass er als Pfarrer
nicht in einem Revolutionstribunal sitzen dürfe. Das Zentral-
komitee fasste den Beschluss, der Regierung eine iVdresse
(rucht Petition) zu überreichen. Die Übergabe an den Amts-
bürgermeister J. J. Hess erfolgte am i. März, abends 5 Uhr,
durch drei Abgeordnete des Zentralkomitees. Die Adresse ver-
weist auf den gewaltigen Erfolg der Wädenswiler Tagung und
nennt als übereinstimmende Forderung der Bezirke:
,,Strauss darf und soll nicht kommen!"
Das Volk, sagt die Adresse weiter, befinde sich im höchsten
Grade der Spannung wie im höchsten Grade der Kraft! ,,Der
Wille des Einzelnen ist der Wille des Ganzen geworden, und jeder
Widerstand unserer Regierung, dem Volkswillen in dieser Hin-
sicht seine Rechte zu versagen, ist gefährlich!" Die Regierung
werde zu der Überzeugung gelangen: Wir müssen nachgeben
und wir wären für die Folgen verantwortlich, die aus einem
langem Widerstand hervorgehen würden. ,, Jetzt ist's noch Zeit,
den üblen Eindrücken zu begegnen, das lockere Band zwischen
Regierung und Volk neu zu befestigen." Das einfache Mittel hiezu
sei die Berufung eines rechtgläubigen Dogmatikers an Stelle des
158 FÜNFZEHNTES KAPITEL: „STRAUSS KOMMT!" o
Dr. Strauss. Der Hochschule solle nichts geschehen. Dagegen
wird eine Petition angekündigt, welche die Rückkehr der echt
christlich-evangelischen Richtung in Kirche und Schule, Hebung
des kirchlichen Lebens und Läuterung der Sitten bezwecke. Diese
Petition werde, je nach den Beschlüssen des Regierungsrates, im
Geschäftsbereich des Grossen Rates bleiben oder daraus weg-
fallen (eine vielsagende Andeutung). Zum Schlüsse gibt das Zen-
tralkomitee der Regierung nochmals die Folgen zu bedenken,
die für sie und für das ganze Land aus der Ablehnung seiner
Forderungen hervorgehen müssten.
Folgenden Tages (2. März) erliess das Zentralkomitee ein
Sendschreiben an alle Kirchgemeinden mit der Mittei-
lung von der Erfolglosigkeit der bisherigen konfidentiellen Ver-
handlungen mit der Regierung und der Bitte, die beigelegte Pe-
tition an den Grossen Rat bis spätestens den 10. März durch
die Kirchgemeindeversammlung beschliessen zu lassen. Es soll
der Regierung gezeigt werden, dass die ihr vorgetragenen Wünsche
wirkHch allgemeiner und entschiedener Volkswille sind. Dann
wird die Petition einlässlich erläutert, von den vielfach vorge-
schlagenen weitern Forderungen, auch Scherr sei zu entlassen und
die Hochschule aufzuheben, abgeraten und die Erwartung ausge-
sprochen, die Gemeinden werden an den bevorstehenden vSitzungs-
tagen des Grossen Rates nicht nach Zürich gehen, sondern
den Entscheid ruhig in der Heimat abwarten.
War das würdig gehaltene Memorial von Uster (1830) ein
ernst erhobener Drohfinger, so gUch nun die ,, Petition" der
Kirchgemeinden der geballten Faust, die der Regierung brutal
unter die Nase gehalten wurde. Als schlechtes Plagiat jenes ^le-
morials begann auch sie mit der Pariser Julirevolution, nur
in anderem Tone: ,,Es gibt im Leben der »Staaten Momente, wo
die gesetzmässigen Gewalten ihre Befugnisse überschreiten, die
Völker sich erheben und diese Missbräuche bestrafen! — Die Ge-
schichte gibt dazu Belege, und einer der neuesten ist die anno 1830
stattgehabte Schilderhebung des französischen Volkes gegen sei-
nen König, der die getanen Übergriffe mit dem Verlust seines
Thrones büssen mu-sste!" Die Petition rühmt nun die letzten
sieben , .gottgesegneten Jahre", in denen ,,alle die Wunder de?
jungen Staatslebens" entstehen konnten, bilhgt u. a. die Aufheb-
o FÜNFZEHNTES KAPITEL: „STRAUSS KOMMT!" 159
ung des Chorherrenstifts, dessen Fond „seiner früliern fehlerhaften
Bestimmung" entzogen worden sei, und spricht von ,, allen diesen
glücklichen Entwicklungen" im poUtischen Staatsleben (von denen
jede einzelne bis zum Äussersten bekämpft worden war!), beklagt
dann aber die zutage getretene sittUche Entartung, die rehgiöse
Leere, die Polemik einer zügellosen Presse. ,,Die Anmassungen
des Direktors am Seminar zu Küsnacht, seine mibegrenzte Macht-
vollkommenheit, die Zweifel an seinem evangehschen Glauben
und die aus seiner Streitsucht her\'orgegangene, dünkelhafte Un-
bescheidenheit \aeler der daselbst erzogenen Schullehrer" weckten
die Frage, ob nicht die sittliche und rehgiöse Gemütsbildung an
einem verhängnisvollen Irrwege stehe ? Die Berufung von Dr.
Strauss habe nun vollends den Plan enthüllt, auf das irrehgiöse
Element der Schule auch eine irreligiöse Kirche zu gründen. Darin
liege eine klare Verletzung von Art. 4 der Staatsverfassung. Eine
„unsäghche Aufregung", habe das zürcherische Volk erfasst und
einstimmig sei der Ruf durchs Eand erschallt:,, Doktor Strauss
soll und muss entlassen werden!" Wenn aber der Regie-
rungsrat dabei beharre, die Volksgefühle unbeachtet zu lassen,
daim bleibe kein anderer Weg, als den Grossen Rat zu ersuchen,
denselben wegen Verfassungsverletzung im Namen des Volkes
zur Rechenschaft zu ziehen. Dem Volk genüge es zu er-
klären, ,,dass es den Doktor Strauss weder auf dem Lehrstuhl
der Kirchengeschichte und der Dogmatik, noch an irgend einer
andern wissenschafthchen vS teile seiner Lehranstalten haben will!"
Die Petition trägt daher ,, ehrerbietig" an, die Berufung von Dr.
Strauss aufzuheben, ihm auch keine andere Anstellung zu geben
und statt seiner einen Mann von entschiedenem, evangelisch-
christlichen Glauben zu berufen. Es folgen noch eine Reihe
anderer Wünsche: gemischte Kirchensynode, Prüfungsrecht des
Kirchenrats für alle Wahlen von theologischen Professoren, Wahl
eines Drittels des Erziehungsrates durch die Kirchensynode, Wahl
des Rehgionslehrers am Seminar auf Vorschlag des Kirchenrates,
mehr ReHgionsstunden auf allen Schulstufen, neues religiöses
Lehrmittel, Genehmigung aller rehgiösen Lehrmittel durch den
Kirchenrat, Totalrevision des vSeminargesetzes im Sinne der ReH-
gion als Grundlage des Unterrichts: alle Seminarlehrer hätten im
evangehsch-reformierten vSinne zusammenzuwirken, weshalb nur
i6o FÜNFZEHNTES KAPITEL: „STRAUSS KOMMT!" o
bekenntnistreue Lehrer zu wählen seien; der Direktor soll seine
Tätigkeit rein dem Seminar zuwenden und dürfe nicht ^litglied
des Erziehungsrates sein.
Was hätte wohl der selige Reinhard zu einer derartigen
„Petition" gesagt?
♦«♦»♦««♦♦♦♦♦♦♦«♦♦♦«
SECHZEHNTES KAPITEL
STRAUSS KOMMT NICHT
Der Regierungsrat hatte noch so viel Charakter, die Adresse
des Zentralkomitees vom i. März zurückzuweisen. Gleich-
zeitig beschloss er jedoch (4. März) mit 10 gegen 8 Stimmen, ,,in
Betrachtung der allgemeinen Bewegung im Kanton den Erziehungs-
rat einzuladen, er möge untersuchen, ob Strauss seiner Ver-
pflichtungen in Anwendung von § 185 des Schulgesetzes (über
Pensionierung) nicht entlassen und die Stelle anderweitig besetzt
werden könnte, da die Umstände ihm eine nützhche Wirksamkeit
für einmal unmöghch machten". In einer öffentlichen Kund-
gebung des Regierungsrates vom 5. März heisst es: ,,Wir
haben die vom i . März datierte Adresse eines sogenannten Zentral-
komitee zurückgewiesen, weil es im Namen des zürcherischen
Volkes gesprochen, wozu nur dessen Stellvertreter, der Grosse
Rat, befugt ist, weil es nicht Wünsche und Petitionen, sondern
Forderungen und Drohungen an uns gerichtet, weil es endhch
einer Sprache sich gegen uns bedient, wie sie sich gegen keine
Regierung, geschweige gegen eine aus dem Volke nach dem Grund-
satze der Rechtsgleichheit herv^orgegangene Regierung geziemt.
Missversteht diese Zurückweisung nicht; sie gilt der bekannten
unschicklichen Adresse, nicht aber Euren Wünschen! Richtet
Euere Wünsche zutrauensvoll unmittelbar an uns, oder an Euem
Stellvertreter, den Grossen Rat. I,asst Euch aber diese Wünsche
nicht durch Dritte vorschreiben; heisst keine derselben gut, die
Ihr nicht geprüft und einzeln beraten habt! Wir wiederholen die
Zusicherung, dass wir bilhge Wünsche mögüchst berücksichtigen
werden; unbilhge, ungerechte Wünsche müssen wir hingegen um
Euerer Ehre willen von uns abweisen. Was den gesetzHch gewählten
Herrn Professor Strauss anbelangt, so haben wir dem Erziehungs-
rat den Auftrag erteilt, uns ein Gutachten zu hinterbringen, ob
derselbe in Ruhestand zu versetzen sei. Es ist eine Kommission
zur Prüfung der eingekommenen Petitionen eingesetzt worden."
i62 SECHZEHNTES KAPITEL: STRAUSS KOMMT NICHT o
Der engere Ausschuss des Zentralkomitees suchte in
seiner Erwiderung die Vorwürfe des Regierungsrates zu entkräf-
ten, sah sich aber doch veranlasst, an dem den Kirchgemeinden
zugestellten Petitions-Entwurf einige Streichimgen und Milde-
rungen vorzunehmen; namentlich wurde der Eingang (von der
Julirevolution) weggelassen. Der Erziehungsrat hatte am
9. März das vom Regierungsrat gewünschte Gutachten zu er-
statten. Es lagen zwei Anträge vor: Eduard Sulzer proponierte,
dem Regierungsrat die Pensionierung von Dr. Strauss zu emp-
fehlen. Regierungsrat Zehnder schlug vor, Strauss einstweilen
nicht einzuberufen, aber auch nicht in den Ruliestand zu ver-
setzen, sondern an der Hochschule noch eine zweite Professur
für Dogmatik zu errichten, die dann der strenggläubigen Richtung
zu überlassen wäre. Die Stimmen standen wieder ein: 7 gegen 7,
und der Präsident Melchior Hirzel gab den Stichentscheid für den
Antrag Zehnder.
Unterdessen hatte die Abstimmung in den Kirchge-
meinden über die Petition stattgefunden. Die vier städti-
schen Kirchgemeinden Grossmünster, Fraumünster, Predigern
und St. Peter hatten am 7. März die Petition mit 1191 gegen 27
Stimmen angenommen. Nur im Grossmünster, das mit 300 gegen
24 Stimmen annahm, war von David Ulrich, Dr. Keller u. a. eine
Diskussion gefülirt worden. Das Gesamt-Resultat des Kan^
tons ergab nach der Zählung des Zentralkomitees 39,225 Ja und
1048 Nein; nach einer gegnerischen Statistik waren es 2976 Nein.
34 Gemeinden mit 10,336 zustimmenden Votanten hatten die
erste, schärfere Redaktion angenommen, die übrigen die zweite.
In einigen Gemeinden hatte wegen drohender Störungen die Ab-
stimmung nicht vorgenommen werden können. Einzelne Gemein-
den verwahrten sich gegen alle ungesetzhchen Schritte und even-
tuelle Kosten, andere verlangten ausdrücklich die Aufhebung der
Hochschule. Nach diesem Abstimmungsergebnis war dem Zentral-
komitee der Anspruch, im Namen des Volkes gesprochen zu
haben, nicht mehr zu bestreiten. Das Schauspiel dieses Massen-
aufmarsches für eine im Kern und Wesen religiöse Forderung hat
weit über Zürichs Grenzen hinaus den tiefsten Eindruck gemaclit.
Machtvoll und imponierend ist hier einmal die Kirche als Ge-
samtheit des Volkes in die Erscheinung getreten. Dass die
o SECHZEHNTES KAPITEL: STRAUSS KOMMT NICHT 163
Kirche nicht nur aus den paar Dutzend Pfarrern bestand und dass
es Wahnwitz wäre, ihr ans Leben zu wollen, das musste jetzt auch
der kirchenfeindhchste Radikale sehen und begreifen. Wäre es bei
dieser wahrhaft erhebenden Demonstration gebheben, man würde
von Herzen gerne all das ungereimte Zeug mit in Kauf nehmen,
das bei der ihr vorangegangenen Bewegung mit unterlaufen war.
Das nahezu einstimmige Begehren der Kirchgemeinden, die
man als sozusagen identisch mit der Aktivbürgerschaft betrachten
durfte, schuf für den Regierungsrat eine neue Situation. Seine
früliere Mehrheit wurde zur Minderheit. Mit 13 gegen 4 Stimmen
beschloss er am 14. März, entgegen dem Gutachten des Erziehungs-
rates Pensionierung von Dr. Strauss und anderweitige Be-
setztmg seiner Stelle ohne Errichtung einer zweiten Professur.
Unter freiwilhgem Verzicht auf die eigene Kompetenz beschloss
er gleichzeitig, die ganze Angelegenheit dem Grossen Rat ,, ehr-
erbietigst zu unterbreiten". Man war also genau da angelangt,
wo nach der Prophezeiung Alexander Schweizers am 31. Januar
der Karren stecken bleiben sollte: in einer hülf losen und beschä-
menden Blamage.
Hinter der in ihrer Kraft und Grösse Respekt einflössenden
reUgiösen Bewegung einher schritt die Furie Fanatismus, die Be-
gleiterin aller Religionskämpfe, und nicht ungebildetes Volk allein
machte sich zu ihren Helfern und Schergen, auch Gebildete heben
ihr die Feder, imd selbst zu Kanzeln erhielt sie Zutritt. Ein
„Strauss" zu heissen, war fast so schhmm wie Räuber und Mörder
genannt zu werden. Wer es noch wagte, für Strauss Partei zu er-
greifen, bekam es auf alle Weise zu fühlen, gesellschaftUch und
geschäftUch. Ganze Gemeinden schlössen sich der Bewegung nur
deshalb an, um nicht als ..straussisch" von den Nachbarn ver-
fehmt zu werden. Bis auf die Schuljugend herab erstreckte sich
die Parteiung nach ,,Straussen" und ,,Antistraussen". Als zehn-
jähriger Junge vernahm Dr. F. Mej^er mit Grauen, dass ein naher
Verwandter und Mitschüler sich als ,, Strauss" bekannte. An der
Fastnacht wurden grosse Puppen herumgetragen, ,,Scherr",
„Hirzel" und ,, Strauss", die man verhöhnte, verbrannte oder
durchs Wasser schleifte. Karrikaturen machten den Bürgermeister
Hirzel lächerhch und nahmen auf der andern Seite die ,, Pf äffen"
aufs Korn. Krämer, Metzgerknechte, Hausierer trugen die ab-
164 SECHZEHNTES KAPITEL: STRAUSS KOMMT NICHT o
surdesten Geschichten von Dorf zu Dorf : Keller und Ulrich wollten
die Hauptstadt zu einem Sodom und Gomorrha machen; Strauss
sei in Deutschland gebrandmarkt worden und trage Galgen und
Rad auf dem Buckel. Auch die sancta simphcitas des Weibleins
bei Hussens Scheiterhaufen fand ihr Ebenbild in einer Aargauerin,
die in der „Freitagszeitung" gegen die „Beleidigung der weib-
hchen Würde" protestierte, weil Bürgermeister Hirzel Straussens
„Liebenswürdigkeit" gepriesen hatte. Was haben, fragt sie, edle
Frauen und Mütter mit Straussens PersönHchkeit für Gemein-
schaft? Die ,, Freitagszeitung", das verbreitetste, volkstümlichste
Blatt jener Zeit, hatten einige jüngere Geisthche als Mitarbeiter
ganz unter ihren Einfluss gebracht; sie wurde die eigenthche
Bannerträgerin der Bewegung. Gegnerische Äusserungen wurden,
soweit sie Aufnahme fanden, in den Inseratenteil verwiesen, so
auch alle die Ehrenerklärungen der Schulkapitel für den hart
angefochtenen Seminardirektor Scherr. Neben Strauss war
vScherr das Hauptobjekt des Hasses und Abscheues der Bewegungs-
mäuner. Wilhelm Wackernagel in Basel schrieb am i8. Februar
an seinen Schwager Bluntschh : , ,Ihr müsstet dem \^olke die Augen
noch besser gegen Scherr hin öffnen; denn selbst wenn Strauss
auf guten Rat hin oder aus Furcht wieder ablehnt, so bleibt doch
in Küsnacht immer noch das Narrennest: das muss fort, oder Ihr
habt doch in jeder niedem Schule ein Sträusslein." Dieses Rates
bedurfte es in Zürich nicht erst. Scherr selbst, dem man immer
wieder den gewesenen Kathohken aufrupfte, schlug sich in mehre-
ren ,, Sendschreiben" mit den XXIIem herum. Grossratspräsident
Jonas Für r er von Winterthur sagte von der Petition: ,,so
spricht ein Bettler mit geladener Pistole". Eine radikale Streit-
schrift rief den XXIIem zu: ,, Anathema eurer Gleisnerei, von
der die ganze Petition stinkt. So werden von euch unsere neuen
poUtischen Schöpfungen gelobhudelt, die \'er\-ollkommnung des
Landbaues gerühmt, die schöne Blüte des Volksschulwesens be-
sungen, die Juhrevolution gepriesen. Ihr Pharisäer! Wisset ihr
nicht, dass Karl X. als Freund der Pfaffen und Aristokraten aus
dem Lande gejagt wurde? Geht, Heuchler, aus dem Gewand der
ReUgion lasst ihr den Dolch des Terrorismus her\-orbhnken. Ihr
habt in der Tat gegen unsre Gesetze ein Veto geübt, wie jemals
der römische und Pariser Pöbel. Warum kommt nicht noch eine
o SECHZEHNTES KAPITEL: STRAUSS KOMMT NICHT 165
Petition etwa des Inhalts : ... so wünschen wir nochmal ehrer-
bietigst und wünschen in aUer Untertänigkeit (mit uns 40,000
geballte Fäuste), die Wahl eines Professors der Dogmatik unserer
höchsten und letzten Sanktion zu unterbreiten." Strauss mischte
sich auf Veranlassung seiner Freunde ebenfalls mit einem ,, Send-
schreiben", dem V. OrelU ein Vorwort beigab, direkt in den lite-
rarischen Kampf. Er erblickte in der ganzen Aufregung nur den
Konkurrenzneid der Geisthchen, die Abneigung der Zunftgenossen
gegen eine neue Erfindung, und sagte: ,,Die meisten Geistlichen
sind nur darauf eingeübt, mittelst des Klebens am Buchstaben
der biblischen Erzählungen und Vorstellungen fromme Gefühle
in ihren Zuliörem zu erwecken; dass wir uns anheischig machen,
auch bei freierer Ansicht von der Bibel uns und andere zu er-
bauen, setzt sie in Verlegenheit und erregt ihren Unwillen, weil
sie darauf nicht eingerichtet sind." Für unbelehrbar hält Strauss
,,jene aufgeregte Masse, die von einem gewiss nicht christhchen
Ketzerhasse gliilit und unter dem Deckmantel der Frömmigkeit
jetzt alle möglichen andern, weltlichen Interessen verfechten
will; mit dieser habe ich nichts zu reden, des Spruches Christi
eingedenk, der solcherlei Menschen das Kleinod religiöser Über-
zeugung vorzulegen ausdrücklich verbietet".
Die Flut der Pamphlete, Sendschreiben, Broschüren, Predig-
ten, Lieder, Gedichte und Dramen, eine ganze Literatur, stieg zu
unheimlicher Höhe an und die Heftigkeit des Tones steigerte sich
auf beiden Seiten von Woche zu Woche. Würdig gehalten war
die von Pfarrer J. C. Grob in Rorbas geschriebene, von der Evan-
gelischen Gesellschaft herausgegebene Broschüre. Aus dem Lager
der Brutal-Radikalen kam dann etwa wieder ein ,,AntistraussischeT
Gruss", dessen Verfasser, offenbar Publizist J. H. Meyer, in när-
rischer Selbstironie sich als ,,Struthio Camelus", die Herausgeberin
als ,, Gesellschaft für \'eredlung des Abtrittpapiers" bezeichnete,
und der im Paroxismus des Hasses stammelte ,,von den ortho-
doxen Ochsen, vSchauer-Auer-Ochsen, welche grochsend bochsen,
und von manchem Licht, das der Bluntschli nicht gezogen, man-
cher schweren Irrlichts-Lehre und des »Schicksals Donnerhagels
schwaben-lichtputz-scheere ..."
Wenn die Presserzeugnisse der ,, Glaubensstreiter" an schlag-
fertigem \Mtz und Sarkasmus manchmal hinter den radikalen
166 SECHZEHNTES KAPITEL: STRAUSS KOMMT NICHT o
Pasquillen zurückstanden, an Bosheit waren sie ihnen häufig noch
„über". Die radikalen vSkribenten- wollten aber wenigstens nicht
noch fromm sein dazu, sondern gaben sich wie sie waren, wäh-
rend es Schmähschriften, Zeitungsartikel und Inserate gibt, die
von Frömmigkeit triefen und dabei doch nur Hass und Hohn
verraten. Die Fechtweise der Frommen machte deswegen nicht
etwa einen minder rohen Eindruck als die der Radikalen,
weil sie ihre Boxliandschuhe mit Bibelsprüchen wattiert, ihre
oft vergifteten Lanzen und Pfeile mit frommen Redensarten be-
wimpelt hatten. Der Vorwurf kann verschiedenen Wortführern
der Glaubensbewegung nicht erspart werden, dass sie zur Ver-
mehrung der Aufregung, zur Aufstachelung des Fanatismus, zur
Aufhetzung gegen die Obrigkeit beitrugen. \^'ie soll man es nennen,
wenn die ,,Neue Kirchenzeitung" am 13. März ein Bulletin
im Lande verbreitete, worin es heisst: ,,Aus dem Aargau hören
und lesen wir: Wünscht Zürich Truppen aus unserm Kanton?
Etwa 700 Juden ständen zu Gebote! Christenbrüder aber
werden nie gegen Christen, die für ihren Glauben stehen, zu Felde
ziehen! Nein, gewiss nicht!" Und diese plumpe Mache, die nur
auf die Verhetzung der Massen berechnet sein konnte, wird ver-
brämt mit dem Bibelspruch; ,, Befiehl dem Herrn deine Wege"
usw. Vor mis hegt eine antistraussische vSchmähschrift, die unter
dem Titel einer ,, Bettagspredigt für die eidgenössischen
Regenten" dem Volk seine Obrigkeit in infernahsch-benga-
lischer Beleuchtung zeigt: ,,Um diese Altäre herum hegen nun
eidgenössische Regenten Tag und Nacht, pflegend den schmutzigen
Dienst. \^on dort weg muss man sie holen, wenn sie mitreden
sollen zu des Landes Wohl. Dort werden die heihgsten Ange-
legenlieiten lachend in den Kot getreten und aus diesem Kot
hervor in die Ratsäle gezogen. Von dort wanken eidgenössische
Regenten besudelt heim erst mit anbrechendem Tage, \'erfassen
in trunkenem Zustande Gesetze für das Land, Richtersprüche
gegen Witwen und \^^aisen . . . Geld, Geld, tönt es ihnen im
Traume, schwebt ihnen vor auf den grünen Bänken, liinterm
grünen Glase, im vSchos.se der Buhlerin, Geld ist das Losungs-
geschrei bei der Stellenjagd, Geld der goldene Hintergrund der
Gesetzgebung, der goldene Himmel aller Staats- und namenthch
Finanzreformen. Mit wohlbezahlten Stellen paart man die Tag-
o SECHZEHNTES KAPITEL: STRAUSS KOMMT NICHT 167
gelder, krönt beide mit unverschämten Kostensnoten, um alles
windet man dunkle Spekulationen, und, wie Vampyre an den
Schlafenden, klammert mau sich mit teufhschem Wucher an die
Unmündigen im Volk und lacht mit teufhschem Hohn den Todes-
seufzem der Ausgesogenen." Man begreift es vollständig, wenn
feinere Naturen wie Kirchenrat Salomon Vögelin, der die
vortreffhche Eingabe des Kirchenrats vom 28. Januar an die Re-
gierung geschrieben hatte, an diesem literarischen Hexensabbat
von radikalem Cj^nismus und frommer Raserei in keiner Weise
sich beteihgten und auch sonst gänzhches Schweigen beobach-
teten, da in dem wilden Kampfe jede Stimme der Vernunft und
Mässigung wirkungslos verhallen musste. Was Vögehn dachte,
erfuhr dann erst ein späteres Geschlecht (aus dem Neujahrsblatt
der Stadtbibliothek von 1885) : ,, Seinem streng gesetzUchen Sinn
war die Erhebung einer Volksgewalt neben derjenigen der Re-
gierung ein Unding, die dadurch herbeigeführte Anarchie und
Revolution ein Gräuel." — ■
Der 18. März kam heran, an welchem Tage der Grosse Rat
sich schlüssig machen musste, ob er dem peccavi der Regierung
sich anschliessen wolle oder nicht. Als eine Art Nebenregierung
etabherte sich zugleich das Zentralkomitee in der Schmid-
stube, um den Gang der Verhandlungen zu überwachen und durch
seine Anwesenheit in der Hauptstadt der eingereichten Petition
den nötigen Nachdruck zu verleihen. Grossratspräsident Dr.
Jonas Furrer nahm denn auch in seiner Eröffnungsansprache
Bezug auf die ,, gleichzeitige Sitzung eines Kantonal-Komitees,
das sich als zweiten Repräsentanten des Volkes aufgestellt hat."
Eduard Sulzer begründete den Mehrheitsantrag der Regie-
rung: Pensionierung von Dr. Strauss, Melchior Hirzel den
Minderheitsantrag. Regierungsrat Bürgi stellte eine Motion auf
Aufhebung der Hochschule, ein ganz perfides radikales
Manöver. (Die Motion, deren Beratung Dr. Keller und seine Tra-
banten mäuschenstille beiwohnten, wurde am 19. an eine Kom-
mission gewiesen und dann später abgelehnt.) Erziehungsrat
Ferdinand Meyer brachte eine Motion ein, mit welcher den
Wünschen der Petenten bezüghch der Kirchensynode und Schul-
gesetze einigermassen entgegengekommen werden sollte (ging am
20. an eine Kommission). Zur Frage Strauss äusserte Dr. Keller:
168 SECHZEHNTES KAPITEL: STRAUSS KOMMT NICHT o
In einem Staat mit Repräsentativgewalt ist die Meinung des
Volkes ausgedrückt in der Meinung seiner Vertreter, und wenn
daneben noch 700 gültige oder ungültige Gemeindeversammlungen
abgehalten werden. Es soll sich nun zeigen, ob eine Republik
eine Unmöglichkeit oder eine Narrheit sei. Gott hat die Menge
nidit geschaffen, dass sie über einen theologischen Professor ur-
teilen kann. Die Bewegung ist in ihrer Quelle unrein, in ihrer
Entwicklung unrein, in ihren Resultaten staatsgefährhch. Unsere
GeistUchen sollten auch einmal hinstehen und sagen müssen, was
sie eigentUch glauben; es nähme mich dann wunder, wie viele
den Unterschied von ihrem Glauben und dem von vStrauss be-
greifen würden. Es nehmen an der Bewegung, die in unordent-
Uch zusammengetrommelten \'ersammlungen vor sich ging, Per-
sonen teil, die das Verderbliche kennen, wenn die morahsche Kraft
einer aus dem \'olk herv^orgegangenen Regierung gebrochen wird.
Gegen wirkhche oder vermeintliche Verfassungsverletzung kann
man beim Richter klagen. Man rufe die Miteidgenossen des Siebner-
konkordats an; geben sie uns recht, dann belange man die Be-
wegungsmänner entschlossen als Aufrührer. Kein Rückzug ! Keine
Konzession! Aber der feste Vorsatz, dann jede physische und
morahsche Gewalt gegen die DemoraUsation aufzubieten, damit
diesem anarchischen Zustande ein Ende gemacht werde.
Eduard Sulzer replizierte: für eine ,, unreine Bewegung"
hätten nicht 40,000 Bürger sich erhoben. Oberrichter Füssli:
In den Kircligemeindeversammlmigen wurden die Opponenten
teils hinausgeworfen, teils niedergebrüllt. Muss man erst noch
mit den Flinten in die Kirche kommen und die Opponenten nieder-
schiessen, bevor die Bewegung eine ,, unreine" genannt werden
darf ? Es ist eine Prüfungsstunde für den Grossen Rat. Ich frage
Sie, ob Sie nicht den Mut haben, einem ungeheuren Haufen ent-
gegenzutreten ? Schmählich ist es, davonzulaufen, bevor die Ge-
fahr vor die Nase tritt. Amtsbürgermeister J. J. Hess war jetzt
auch für Pensionierung. ,,Bei den Juristen heisst es: fiat justitia,
pereat mundus ; der Staatsmann aber muss trachten, einem Bürger-
krieg auszuweichen, wenn noch irgend ein gangbarer \^'eg dafür
ist." Statthalter Heinrich Gujer von Bauma gab zu, dass
sich der Bewegung auch unedle, selbst strafwürdige Tendenzen
beigemischt haben, aber bei welcher grossen Bewegung wäre das
•.^.liX.
Or. ßudicig (Keffer
o SECHZEHNTES KAPITEL: STRAUSS KOMMT NICHT 169
nicht der Fall ? Man sei billig und bedenke, wie viel Bande sich
seit 1830 gelöst haben und welche Opfer und Anstrengungen das
Volk auf sich nehmen musste, um früher Versäumtes nachzu-
holen! Wie leicht können rehgiöse Impulse den Fanatismus her-
vorruien, und diese furchtbare Gefahr bedroht uns auch jetzt,
wenn nicht bald das erlösende Wort gesprochen wird. Die Be-
wegung hat einen moraUschen Haltpunkt, der sie unüberwindlich
macht. Die Stillen im Lande, die rechtlichen, ruhigen Bürger
können des Gewissens halber nicht ruhen, Straussens Wirksam-
keit zu verhindern, so lange es ihnen möghch ist. Prof. Alexander
Schweizer erwiderte Dr. Keller, man könne die Sache nicht
nur wie einen Rechtshandel betrachten. ,,Dass Regierungen ihrem
Volke sagen: seid sittUcher, besser, religiöser, kirchhcher, das ist
oft vorgekommen. Dass ein Volk sich erhebt und seinen Füh-
rern, Erziehungsräten und Regenten sagt: wir beschwören Euch,
seid sitthcher, reUgiöser als bisher, sorget besser für die Erhaltung
dieser tiefsten Fundamente der öffenthchen und häushchen Wohl-
fahrt, — solche Sprache eines Volkes zu seiner Regierung ist mir
noch nie vorgekommen." Melchior Hirzel sah seine Sache
verloren und gestand mit aufrichtiger Bekümmernis: ,, Bergen
kann ich es nicht, dass diese Bewegung mich mit Trauer erfüllt,
weil ich sehe, dass die rehgiöse Bildung tiefer steht, als ich gedacht
hatte." Mit 149 gegen 38 Stimmen beschloss der Grosse Rat,
Strauss zu pensionieren. In Vollziehung dieses Beschlusses
setzte am 19. März der Erziehungsrat die Pension auf 1000 Fr.
fest. Bitter klagte J. C. v. Orelh: ,,So habt Ihr denn abermals
einen Ketzer abgeschlachtet. Nehmet Euer Opfer hin! Bratet
ihn, zehret ihn auf!"
Für die Regierung wäre nun wohl der psychologische ^lo-
ment gewesen, abzudanken. Regierungsrat H. Escher erzählt
auch von einem Ratschlag, bei welchem Oberst Fierz von Küs-
nacht den \'orschlag machte, es sollte der gesamte Regierungs-
rat, wenn er den Willen des souveränen Volks entschieden gegen
sich habe, freiwilhg abtreten; dadurch könne man schhmme Auf-
tritte vermeiden und werde die Mehrzahl am ehesten wieder zur
Besinnung kommen. Darauf rephzierte Melchior Hirzel: ,,Das
wäre tmsem Feinden eine gemähte Wiese; eben dieses wünschen
sie ; aber das wollen wir nicht tun. Im Gegenteil, wir wollen ihnen
I/o SECHZEHNTES KAPITEL: STRAUSS KOMMT NICHT o
die Stühle nicht abtreten, sondern uns daran festbinden." Mit
diesen Worten zog er sein weisses Nastuch aus der Tasche und
befestigte damit eines seiner langen Beine am Stuhl. Es war
aus seiner Miene zu schhessen, dass er selbst das Lächerliche dieser
Gestikulation einsah; aber mit ernster Stimme fügte er bei: „Herr
Fierz hat gut sagen, er kann als begüterter Mann sich wieder in
seiner Heimatsgemeinde Küsnacht der Landwirtschaft widmen;
aber was soll ich dann anfangen, da ich weder einen Gütergewerb
noch eine Fabrik besitze . . . ?" H. Escher berichtet ferner von
einer Zusammenkunft bei Regierungsrat Eduard vSulzer, wo
er auch vStatthalter Gujer traf. Dieser habe ihn und die andern
Eingeladenen zu bestimmen gesucht, sich für diese ,, schöne Be-
wegmig" zu entscheiden. ,,Ich wollte meinerseits den Herrn Gujer
belehren, dass hinter der Bewegung sich eine revolutionäre, ari-
stokratische Tendenz verstecke, welche den Endzweck habe,
die Demokratie um die 1831 errmigene Freiheit zu betrügen und
die Gewalt in die Hände der Yorrechtler zu spielen. Herr Gujer
beharrte auf seinem Ansinnen, indem er sagte, wenn der Zweck,
den Strauss, Scherr und ihre Verbündeten zu beseitigen, erreicht
sei, so werde man die Mittel schon finden, allfälUge Zwecke, die
zum Nachteil der Rechtsgleichheit gereichen könnten, zu ver-
eiteln. Nach diesen Erörterungen wurde das bei Sulzer versam-
melte Komitee ohne Resultat entlassen."
Triumphieren konnte nun das Zentralkomitee; es hatte
einen ersten bedeutmigsvollen Sieg errungen. Und doch fand es
noch ein Haar in der Suppe: die tausendf ränkige Pension für
den vertriebenen Strauss ! In seinem Sendschreiben vom 20. März
sagt das Komitee, dass Herr Strauss, ,,wenn er dieses Geld an-
nimmt, sich dadurch vor aller Welt als einen unehrenliaften und
habsüchtigen Mann darstellt, von dessen Sittlichkeit usw. dann
wohl niemand mehr viel zu rühmen wagen wird, dem dafür dann
vielmehr die Verachtung jedes Biedermannes zuteil werden und
um so sicherer jedes Wirken als Lehrer abgeschnitten sein wird."
(Es sei hier gleich beigefügt, dass vStrauss auf diese Anrempelung
nicht reagierte, sondern sich kaltblütig die Pension Jalir für Jalir
ausbezahlen Hess bis zu seinem Tod, 1874; er übermachte das
Geld der Armenkasse Ludwigsburg zum Andenken an seine
Mutter; unter der Hand schickte er auch Beträge nach Zürich
o SECHZEHNTES KAPITEL: STRAUSS KOMMT NICHT 171
ZU gemeinnützigen Zwecken durch seinen Freund Hitzig.) Nicht
ganz befriedigt war das Zentralkomitee auch deshalb, weil der
Regierungsrat nicht in Anklagezustand wegen Verfassungsver-
letzung versetzt worden war; aber der Grosse Rat habe das Land
nicht Stürmen preisgeben wollen (hingegen das Komitee wollte
also das!), welche möghcherweise durch eine solche Anklage
heraufgerufen worden wären. Zum Schluss erklärte das Zentral-
komitee seinen Rücktritt wegen vollständiger Erfüllung
seiner Aufgabe. VertrauUch ging indessen die Mitteilung an die
Bezirkskomi tees, dass die ganze Organisation der Bezirks- und
Gemeindekomitees aufrecht erhalten bleiben solle, um nötigen-
falls jeden Augenbhck zum Eingreifen bereit zu sein. Als Vor-
ort der Bezirkskomitees wurde Horgen bezeichnet.
SIEBZEHNTES KAPITEL
REVOLUTION
Ist es nicht sonderbar, dass die Men-
schen so gerne für die Religion fechten
und so ungern nach ihren Vorschriften
leben ? Lichtenberg.
Um die Osterzeit des Jahres 1839 erhielt die Denktafel christ-
licher Wohltäter und Jugendfreunde in der Schulstube Zol-
likerberg eine neue Eintragung: zehn Gulden „zum Andenken an
den grossen Triumph Jesu über Tod und Grab, sowie über den
straussischen Unglauben". Die Widmung war wohl etwas ver-
frülit; denn eben weil der .Straussische Unglaube ja nicht erst
mit Strauss gekommen wäre, sondern schon längst vom Seminar,
der Volksschule usw. Besitz ergriffen hatte, musste nach der Über-
zeugung der Gläubigen, auch nachdem Strauss verjagt war, der
Kampf erst recht aufgenommen werden. Der christliche Wohltäter
im Zollikerberg ging auch darin zu weit, dass er die Sache seiner
Partei zur ,, Sache Jesu" schlechtweg machte. Wäre es wirklich
die Sache Gottes und Jesu gewesen und nicht bloss eine mensch-
liche Parteisache, die durch das Glaubenskomi tee vertreten wurde,
dann hätte nicht nach ihrem zum Teil mit höchst frag\\-ürdigen
Mitteln errungenen Augenbhckserfolg der sogenannte Straussische
Unglaube wieder auf der ganzen Linie obgesiegt und dann hätten
auch nicht die damahgen Sieger sich hernach nur mit einem
steigenden Unbehagen an das fatale Jahr 1839 erinnern lassen.
Ohne deswegen den radikalen Vorwurf der Heuchelei zu ver-
dienen, berauschten sich die ,,Antistraussen" förmlich in frommen
Illusionen. Weil die ,, Sprache Kanaans" nun einmal zu der im
Lande herrschenden geworden war und fast widerstandslos von
Freund und Feind ertragen werden musste, glaubte man nicht
nur eine tiefgewurzelte Landesreligion, sondern auch eine all-
gemeine Landesfrömmigkeit pietistischer Fasson voraussetzen zu
dürfen, deren rapides Dahinschwinden nach dem Jahre 1839
dann allerdings die Haltlosigkeit dieser Annahme deutlich erwies.
So konnte der Ausspruch von Hürlimann-T<andis, ,,das Zürcher-
o SIEBZEHNTES KAPITEL: REVOLUTION 173
volk ist ein hehres, christliches Volk", zum geflügelten Worte
werden. Er behauptete mit Überzeugung, das Verhältnis von
Gläubigen und Ungläubigen im Kanton Zürich sei wie 50:1.
Jakob Hürlimann-Landis, der Präsident des Glaubens-
komitees (geb. 1796), schätzte die Rehgion hauptsächhch von prak-
tischen Gesichtspunkten aus: als Trost der Armen und Elenden,
Schutz \ or Verbrechen und Unmoral und Unterpfand ewiger SeHg-
keit. Hie und da kann man sich des Eindrucks einer gewissen
geistigen Beschränktheit bei Hürhmann-Landis (welcher schwer-
hörig war) nicht ganz erwehren, doch mag der Eindruck täuschen.
Der englische Gesandte David Richard Morier, selber ein sehr
rehgiöser Mann, der mehrere Unterredungen mit Hürhmann hatte,
spricht von ihm in seinen Berichten an Palmerston (herausgegeben
von W. Oechsli im Z. Taschenbuch 1909) mit grosser Achtung und
Sj-mpathie. Solcher achtungswerten Männer wie Hürlimann-
Landis, denen die Rehgion ein höchst wertvolles Gut war, gab
es Hunderte und Tausende. In den überheferten vSatzungen und
Lehren der Kirche erbhckten sie sozusagen die vertraglichen
Garantien für dieses hohe Gut. Wer an diesen Vertragsklauseln
etwas änderte oder umstellte, konnte nach ihrer Meinung mög-
licherweise bewirken, dass der ganze Vertrag hinfälhg wurde, wes-
halb man sich für die vermeinthch bedrohten Vertragsklauseln
bis zum Äussersten wehrte, so ungefähr, wie man einen Zivil-
prözess mit allen Mitteln bis zur höchsten Instanz hindurch ver-
ficht. Daher dieses unaufhörHche Rumoren im Lande herum,
worüber in den ,, Briefen eines Zürchers an einen Basler" geklagt
wird. ,, Diese hierarchisch geghederten Komitees, von den Gemeinen
bis zur Spitze, dieses unablässige Hetzen, das dem Volke keine
Ruhe und keine Besonnenheit Hess, dieses Verdächtigen in öffent-
lichen Blättern — wahrlich, auf diese Weise musste der Ruhigste
fanatisch und gereizt werden. Diese ZentraUtät, dieses Auf-
treten und Vorschreiben von oben für alle nach einem Formular,
hat der rehgiösen Bewegung ihre Freiheit genommen. Alles ging
nach einer Form und einem Schnitt, und der ganze Zweck war
der äussere Erfolg! Als ob kein Gott im Himmel wäre, als ob
von ihnen alles abhänge, als ob sie es durchsetzen müssten
wohl oder übel, so war ihr Auftreten in der Sache. Es war ein
Stürmen, nichts anderes." Dieses zwängerische und über alle Be-
174 SIEBZEHNTES KAPITEL: REVOLUTION o
denken sich hinwegsetzende Hinarbeiten auf den äussern Erfolg
erklärt es denn auch, warum man bei aller gehässigen Befehdung
der „Straussen" andererseits dann doch wieder die Mitarbeit von
Männern sich gefallen Hess, selbst in der Leitung der Bewegung,
von denen man wissen konnte, dass sie innerlich den sogenannten
,,Gottesläugneni" Strauss und Scherr ziemlich nahe standen.
Für den Sanskritforscher Pfarrer Dr. Bernhard Hirzel in
Pfäffikon, der als Folge der Berufung von Strauss für Zürich
einen , , Rückfall in die Orthodoxie ' ' befürchtet hatte , galt es :
Jetzt oder nie ist der Zeitpunkt, den Radikalismus zu stürzen,
und dafür will ich arbeiten! Es %var bei ihm, sagt der Ver-
fasser der erwähnten ,, Briefe", nicht beschränkte Kirchhchkeit,
es war ihm alles viel weiter und grossartiger, aber auch \-iel welt-
licher und unreiner. Der Freimaurer J. C. Bluntschli, das geistige
Haupt der Konservativen, kennzeichnete nach der Bewegung
seinen Standpunkt mit den Worten: ,,Die alte dogmatische Vor-
stellung, dass Christus ein Gott sei, war von allen als veraltet
und undenkbar aufgegeben; aber wilhg verehrten wir in Christus
den gottbegeisterten Menschen und achteten in dem Christen-
tum die Rehgion der Gottes- und Menschenliebe." Melchior
vSulzer, ein eigentlicher \'ertrauensmann des Glaubenskomitees
im Regierungsrat, war aus nichts weniger als kirchenfreundHchen
Motiven gegen die Berufung von Strauss und sagte oft zu seinen
Regierungskollegen: ,,Ihr werdet sehen, ihr arbeitet mit eurem
Plan bloss den Geistlichen in die Hand, die werden euch bei dieser
Gelegenlieit über den Kopf wachsen; und am Ende ist dieser
Strauss selbst so ein Gelehrter, ein Pfaff wie diese, und stellt euch
ums Geld übers Jahr wieder ein neues System auf."
Unerklärlich bleibt, neben andern Rätseln dieser Episode, der
fast bedingungslose Anschluss der Konservativen an die Be-
wegung, auch dann noch, als über ihr revolutionäres Ziel niemand
mehr im Zweifel sein konnte. ,,Die konser\'ative Partei des Kan-
tons Zürich hatte bisher die \^'urzeln ihrer Kraft in dem Einstehen
für die verfassungsmässige Ordnung und in der Verwerfung jeder
Revolution besessen. I\Iit dem Zürich-Putsch gab sie diese Grund-
sätze preis und zerstörte mit eigener Hand den sichern Boden,
darauf sie stund" (Prof. Fritz Fleiner, Herausgeber des Brief-
wechsels Bluntschh-W'ackernagel) . Es fehlte nicht an warnenden
o SIEBZEHNTES KAPITEL: REVOLUTION 175
Stimmen. Ganze Gemeinden und Bezirke der Glaubensorgani-
sation selbst, die sich nicht täuschen üessen durch die fort-
währende Betonung des „streng gesetzlichen", unpolitischen Vor-
gehens, waren für das Zuwarten bis zu den nächsten ordenthchen
Erneuerungswahlen, d. h. also für den einzig möglichen, wirk-
lich gesetzUchen Weg, den auch ein Christ beschreiten darf, wenn
er eine Umwälzung des Regierungssystems für nötig hält. Die
Mehrheit wollte es anders, und nur zu leicht redete das Glaubens-
komitee sich ein, dass auch in diesem Falle ,, Volksstimme Gottes-
stimme" sei. Wenn der konser\-ative ,, Beobachter aus der öst-
lichen Schweiz" schon Monate vor der Katastrophe drohte: ,,Wir
jagen euch alle ins Weite", wenn selbst ein ,, angesehener Geist-
Ucher" erklären konnte: ,,Wir ruhen nicht und werden nicht
ruhen, bis Hirzel, Keller, Scherr und Ulrich vertrieben sind",
diese Herren aber rücht freiwilhg gehen wollten, so musste es
eben zur Revolution kommen. Ob dann in den dramatischen
Hauptmomenten die ]Marseillaise oder Psalmen gesungen werden,
macht keinen wesentlichen Unterschied. Als Menschen dürfen
die herv'orragendsten städtischen Führer der Bewegung, ein
Dr. Rahn, der herzensgute, in tätiger Nächstenliebe unermüd-
liche Arzt und -Menschenfreund, und der charaktervolle Proku-
rator (Fürsprech) Spöndlin, unsere ungeminderte Hochachtung
beanspruchen. Hat doch selbst H. Escher, der in seinen ,, Er-
innerungen" keinen schont und weder bei Bluntschh, noch bei
Gujer und andern irgendwelche religiöse Motive anerkennen will,
die absolute Lauterkeit von Spöndlins religiöser Überzeugung
her\-orgehoben. Dass Rahn und Spöndhn, Vizepräsident und
Aktuar des rekonstituierten Zentralkomitees, in der kritischen
Stunde das Volk nicht im Stiche Hessen, sondern selber vorne
hinstanden, wo es am gefährhchsten war, kann die S^-mpathien
für sie nur vermehren. Diese Männer fühlten sich getragen und
vorwärtsgedrängt von einer übermächtigen Strömung, die —
weil sie nun einmal gegen die Radikalen ging — selbst einem so
guten Demokraten wie Jonas Furrer das Geständnis abpresste, er
könne und möge gar nicht sagen, was in ihm vorgehe, wenn er
nur vom ,, Volkswillen" höre . . .
Liberale IMittelsmänner hatten den Führern der Bewegung
unter der Hand zugesagt, bei der nächsten Teilerneuerung des
176 SIEBZEHNTES KAPITEL: REVOLUTION o
Regierungsrates ein paar von den im Austritt befindlichen radi-
kalen Mitgliedern beseitigen zu helfen. Am 3. April bot sich dazu
Gelegenheit, aber der Grosse Rat bestätigte sämthche sechs
Regierungsräte, die sich der Wiederwahl zu unterziehen hatten.
Folgenden Tages kamen die 158 Petitionen der Kirchge-
meinden zur Behandlung. Referent Surber beantragte, die 114
Petitionen der milderen Fassung (zweite Redaktion) an die am
19. und 20. März bestellten Kommissionen zu weisen, über die
andern (schärfere, erste Redaktion) zur Tagesordnung zu schreiten.
Dr. Keller wollte sämtliche durch Vermittlung des XXIIer Ko-
mitees eingegangene Petitionen abweisen und charakterisierte die
Bewegung neuerdings als ,, etwas Schlechtes in jeder Beziehung"
und einen schlecht bemäntelten Aufruhr weniger \"erfiihrer und
vieler Verführten. Das Resultat der Beratung war die Über-
weisung sämtlicher Petitionen an die Kommissionen ohne jede
Rüge oder Missbilligung. Hieher gehört nun ein kleines vStimmungs-
bildchen aus den Aufzeichnungen von \^'ilhelm Meyer-Ott,
der sich selbst als ,, nicht eigentlich ruhigen, aber ehrbaren Bürger
in Stadelhofen" bezeichnet. Ja, das war er, durch und durch
ehrenhaft und von einer kostbaren Geradheit und Aufrichtigkeit.
Tausende dachten wie er, und die Berichte von Meyer-Ott, die sein
Sohn, der ebenfalls schon oft zitierte Kirchenratssekretär Dr.
F. Meyer im Zürcher Taschenbuch 1910 mitgeteilt hat, dürfen
wohl zu den wertvollsten Quellen der Geschichte des 6. September
1839 gezählt werden. Anknüpfend an die Berufung von Strauss
schreibt Meyer-Ott, damals Kassier der „Bank in Zürich" auf der
,, Meisen": ,,Das Zentralkomitee wurde von entschlossenen Freun-
den gleichsam auf den Knieen gebeten, Gewalt zu brauchen.
Aber es blieb standhaft. Die von den Radikalen so oft verhöhnten
Häupter desselben, Hürlimann-Landis, Dr. Ralin, Pfarrer Meyer
und andere, erklärten: Ihr Freunde, wir wollen keine Revolution,
wir werden auf gesetzlichem \^'ege verharren und Gott wird uns
helfen. — Das ist ganz gut, sagten wir andern, aber Ihr habt es
mit schlechten Kerls zu tun, die Euch nur auslachen. Lasst doch
nur während des Grossen Rates ein wenig unbewaffnetes Volk in
die Stadt kommen, wir bitten Euch! — Da schrieb das Zentral-
komitee an alle Gemeinden: Wir erwarten von Euch, dass Ihr
während des Grossen Rates ruhig zu Hause bleibt und nicht nach
o SIEBZEHNTES KAPITEL: REVOLUTION 177
Zürich kommt. — • Man gehorchte, aber viele weinten vor Zorn.
Der Grosse Rat trat zusammen und beschloss Straussens Ent-
fernung; die Petition aber warf er gleichsam unter den Tisch, und
einige Mitglieder Hessen die empörendsten Äusserungen über Re-
ligion imd Gottesdienst hören. Das Volk knirschte. Einige Männer
des juste milieu intriguierten beim Komitee und versprachen bei
den gleichzeitig eingetretenen Emeuerungswahlen von einem
Drittel des Regierimgsrates ihre Beihilfe zur Ausstossung einiger
schlechter Subjekte. Diese dem Grossen Rate zuständigen Wahlen
wurden vorgenommen und jene schlechten Menschen alle mit
grossem Mehr wieder gewählt. Das war nach Ostern. Das Volk
tobte; aber, hiess es, jetzt kommt die Feldarbeit. Nach dem
Herbst wollen wir mit der Regiertmg abrechnen, nach dem Herbst !"
Von vielen Seiten war das Zentralkomitee dringend ge-
beten worden, seine Tätigkeit wieder aufzunehmen. Kaum ab-
gesessen, schwang es sich denn, mit ,, freudigem Ernst" dem er-
haltenen Rufe Folge leistend, wohlgemut wieder in den Sattel
und ergriff mit fester Hand die Zügel. Die vSitzung vom 22. April
in Zürich zeitigte ein Sendschreiben an das Volk, mit welchem
das Zentralkomitee seine politische Tätigkeit offiziell er-
öffnete. Dieses Sendschreiben ,,an die Bürger der vereinigt pe-
titionierenden Gemeinden" enthielt nämlich die energische Auf-
forderung zu lebhafter BeteiUgung an den bevorstehenden Ge-
meindewahlen, bei denen dafür gesorgt werden müsse, dass
rechtschaffene und gottesfürchtige Männer in die Gemeinde-
behörden kommen. Gleichwohl ist das Zentralkomitee natürhch
auch hier ,,fem davon, das Politische mit imserer heihgen Sache
vermengen zu wollen, wie gerne und gefhssen auch unsere Gegner
uns dieses andichten". Die Eröffnung des Wahlkampfes durch
das Zentralkomitee nötigte an verschiedenen Orten Bürger und
Gemeinden zu öffentHchen Verwahrungen gegen allfällige ,, Ver-
dächtigungen", straussisch gesinnt zu sein. Mit ihren Namens-
unterschriften bezeugten Kantonsräte in gemeinsamen öffent-
lichen Erklärungen, im Grossen Rat gegen Strauss gestimmt zu
haben. Die Gemeindewahlen standen ersichtlich im Zeichen der
Glaubens bewegung. Die Kirchgemeinde Neumünster zum Bei-
spiel entfernte am 28. April vier ,,Straussen" aus der Schulpflege.
Der Regierungsrat, noch nicht gewitzigt, kassierte die von Radi-
I7S SIEBZEHNTES KAPITEL: REVOLUTION o
kalen aus formellen Gründen angefochtenen Wahlen der Gemeinden
Wald und Wetzikon, deren Mannschaft nunmehr samt und son-
ders zum Zentralkomitee überging. In der Grossratssession
vom 24. bis 27. Juni kamen die „Volksv^Tinsche" der Kirch-
gemeindepetitionen zur materiellen Erledigung. Die wichtigsten
derselben wurden abgelehnt, so namentlich die gemischte
Kirchensynode, die Revision des Seminargesetzes, das Vorschlags-
recht des Kirchenrates für Professorenwahlen usw. Einige Kon-
zessionen machte man bezüglich vermehrter Religionsstunden in
den Schulen. Die Antwort des Zentralkomitees bestand zu-
nächst in dem Beschluss (2. Juli), eine neue Petition vor-
zubereiten betreffend die im Herbst bevorstehende Emeuerungs-
wahl des Erziehungsrates und einen Plan zur Errichtung eines
,,auf christlichem Grund und Boden wurzelnden Schullehrer-
Seminars". In der ,, Freitagszeitung" wurde gesagt: ,, Zwischen
dem Volke und seinem Stellvertreter ist bei uns eine ungeheure
Kluft, und die Regierung scheint sich zur äussersten Linken halten
zu wollen. So geschraubt, wie die Sachen nun stehen, können sie
sich unmöglich auf die Dauer erhalten. Aber kein anderer Aus-
weg ist vorhanden, als dass das Volk, auf seine verfassungsmässigen
Rechte sich stützend, sich versammle und a. Abschaffung der
indirekten Wahlen verlange, b. das Veto (Referendum) in die
Verfassung einführe."
Über die hochbedeutsame Sitzung des Zentralkomitees
vom 8. August berichtet das nämliche Blatt: ,,Das Zentralkomitee
hat in seiner heutigen Sitzung infolge langer und ernster Dis-
kussion beschlossen, dem Volke eine Beleuchtung der heihgen
Sache, wie sie sich durch die Beschlüsse des Grossen Rates gestaltet,
vorzulegen. Alle Deputierten stimmten darin überein, dass das
Volk, dem die Sache immer noch von der nämUchen Bedeutung
sei, sich mit den kleinen Vergünstigungen des Grossen Rates umso-
weniger begnügen werde, als einzelne Hochgelehrte in ihren Voten
nur zu klar gezeigt, wie fern sie dem Volk, seinen Wünschen und
seinem Glauben stehen. Die Garantie für die Aufrechthaltung
der Verfassung und namentUch des § 4 derselben muss geleistet
werden, bevor das Volk sich beruhigen wird; der Erziehungsrat
muss in vielen seiner Mitglieder anders komponiert werden, bevor
die Schule als eine christliche gesichert ist. Es ist das Zentral-
o SIEBZEHNTES KAPITEL: REVOLUTION 179
koniitee, wie bisher, fest entschlossen, auf gesetzlichem Wege
zu bleiben; aber auf diesem Wege wird es standhaft und aus-
dauernd bis zum Ziele gehen, nicht fürchtend weder den gottlosen
Spott, noch die eitlen Drohungen seiner Gegner. Bessert es früher
nicht, so wird doch die Zeit der Emeuerungswahlen das treue
Volk dahin bringen, an die Stelle seiner Gegner seine Repräsen-
tanten zu setzen; vielleicht bringt die Zeit noch vorher glückliche
Änderungen."
Das hier angekündigte Sendschreiben des Zentral-
komitees, ebenfalls vom 8. August datiert, knüpft an die Mit-
teilung der Grossratsbeschlüsse die Bemerkung, dass die Be-
sorgnisse des Zentralkomitees keineswegs gehoben seien und das
Volk sich bei den Äusserungen seiner Gegner im Grossen Rat
nicht beruhigen könne. ,, Solange die Gegner solche Waffen gegen
Euch brauchen, solange sie solche zu den ihrigen zählen, die nicht
nur gegen Euch mit unehrUchen Waffen kämpfen, sondern Gottes
deutliche Offenbarung Unwahrheit nennen und also auch diese
verwerfen, solange kann von einer Beruhigung und einer auf-
richtigen Versöhnung keine Rede sein." Das Zentralkomitee hält
es deshalb für seine Aufgabe, auch fernerhin noch andere gesetz-
liche Mittel und Wege aufzusuchen und anzuraten, um die ge-
wünschten Garantien zu erhalten. Darüber soll jetzt mit den
Bezirkskomitees beraten werden. Das Sendschreiben schliesst mit
den Worten: ,,Wir grüssen Euch im Namen des Herrn." Es hätte
ebensogut sagen können: ,,Es lebe die Revolution". Die
Kriegserklärung war deutUch und wurde auch verstanden. Mit
dürren Worten sagte das Komitee: wir geben keine Ruhe und
keinen Frieden, bis wir eine christliche Regierung und einen
christUchen Grossen Rat haben.
Sogleich nach dem Erscheinen des Sendschreibens schlug der
,, Republikaner" L,ärm und sagte es dem Zentralkomitee auf den
Kopf zu, dass es revolutionieren wolle. Das wurde bestritten
und noch am 16. August unter anderm erklärt: ,,Von einer Volks-
versammlung ist weder geheim noch offen die Rede; davor
brauchen sich die Herren nicht zu fürchten."
Was gedachte nun eigentHch die Regierung zu tun? Im
Gegensatz zu der kraftvollen Energie und Geschlossenheit, welche
das Zentralkomitee beseelte, bot sie das Bild jämmerlicher Lahm-
l8o SIEBZEHNTES KAPITEL: REVOLUTION o
heit und Zerrissenheit. Sie hatte es dulden müssen, dass dieses
Zentralkomitee einen erheblichen Teil der öffentlichen Gewalt an
sich riss, dass es sich in seinen Erlassen und Kundgebungen über
den Kopf der Regierung liinvveg direkt an das Volk wandte und
in Anordnungen, die den Stil amtlicher Verfügungen trugen, die
politische Organisation der Aktivbürgerschaft, als welche damals
die Kirchgemeinden anzusehen waren, ungescheut zu seinen
Zwecken benützte. Man sehe sich die verschiedenen Sendschreiben
an, in denen die Kirchgemeinden „eingeladen" werden, an diesem
und jenem Tage ihre Versammlungen zu halten, und in denen
unter anderm verfügt wird, dass die Petition nur als Ganzes durch
offenes Stimmenmehr anzunehmen oder zu verwerfen, vom Präsi-
denten und Aktuar namens der Gemeinde zu unterzeichnen sei usw.
Was aber das vSchlimmste war: diesen Anordnungen und Ver-
fügungen des Zentralkomitees wurde überall mit dem grössten
Eifer nachgekommen, während den Befehlen der wirkHchen Re-
gierung durch verschiedene Statthalter und \'iele Gemeinde-
beamte nur sehr lässig oder gar nicht gehorcht wurde. Wie konnte
es auch anders sein, da der unheilvolle Zwiespalt in der Regierung
längst offenkundig war und sie bei den Bürgern wirkUche Achtung
nicht mehr genoss und auch kaum mehr verdiente. Von den
19 Regierungsräten waren zum mindesten Eduard mid Melclüor
Sulzer, sowie Hegetschweiler als ,,Antistraussen" und heimUche
Freunde und Helfershelfer des Glaubenskomitees zu betrachten.
Regierungsrat H. Escher, der diese drei Kollegen einfach als Ver-
räter bezeichnet, berichtet sogar von nächtlichen Zusammen-
künften Hegetschweilers mit dem engem Ausschuss des Glaubens-
komitees im Haus eines gewissen Stauber im Seefeld. Der Staats-
schreiber J. H. Hottinger und sein Sohn und Gehilfe waren dem
Komitee mit Leib und Seele ergeben; das letztere erfuhr jedes
Wort, das im Regierungsrat gesprochen wurde, und hatte Kennt-
rus von amtlichen Verfügungen noch vor ihrer Publikation.
Einer der aufrechten, achtungswerten und in jeder Hinsicht
makellosen Charaktere im Regierungsrat war Oberst Heinrich
Weiss von Fehraltorf, der Präsident des Kriegsrates. Dr. Ludwig
Keller hatte dem Regierungsrat nie angehört, sondern vor-
gezogen, als Präsident des Obergerichts und Drahtzieher hinter
den Kulissen des Regierungsrates beide ,, Gewalten" zu dirigieren.
o SIEBZEHNTES KAPITEL: REVOLUTION i8i
Am Abend des 20. August fand eine vertrauliche Be-
sprechung zwischen einigen radikalen Mitgüedern des Re-
gierungsrates statt, an welcher auch Dr. Ludwig Keller teilnahm.
Man kam ohne viel Worte zu dem Schlüsse, die Regierung dürfe
dem erneuten Treiben des Zentralkomitees nicht stillschweigend
zusehen; es sei evident, dass die ganze Tendenz derer, die an der
Spitze stehen, eine poHtische und nichts weniger als eine rehgiöse
sei. Den Bürgern des Landes, denen Ruhe und Ordnung heb
wären und die sich aufs neue nach dem Schutze der Regierung
gegen leidenschafthche Verfolgung in dem Masse sehnten, dass
sie sich mit \"erachtung von der schwachen, ohnmächtigen Re-
gierung zu wenden drohten, sei man schuldig, zur Wiederherstel-
lung eines geregelten Zustandes das MögUche zu tun. Man kam
überein, dass Oberst W'eiss im Namen des Poüzeirates einen An-
trag auf Erlass eines Dekrets oder dergleichen im Regierungsrat
stellen solle. Oberst Fierz und Dr. Ludwig Keller übernahmen es,
inzwischen den stets unentschiedenen Amtsbürgermeister Hess im
Sinne der Konferenzbeschlüsse zu bearbeiten, was denn auch
von Dr. Keller mit vollem Erfolg besorgt wurde. In einer Unter-
redung mit Oberst Weiss am 22. August zeigte sich Hess sehr ent-
schlossen und übergab Weiss den von Keller verfassten Entwurf
einer Kundmachung mit der Bitte, sie während der vSitzung der
Tagsatzung, die seit dem i. Juli unter dem Vorsitz von Hess
in Zürich tagte, mit Keller noch vollends zu redigieren.
Auf Freitag den 23. August morgens 7 Uhr hatte Amts-
bürgermeister Hess eine ausserordentliche Sitzung des Re-
gierungsrates anberaumt. In seiner Eröffnungsansprache er-
klärte Hess, dass ihm bei der erneuten Tätigkeit des Zentral-
komitees notwendig scheine, auch von selten der Regierung Schritte
zu tun, indem jenes Treiben die Schranken der GesetzUchkeit
überschreite, immer frecher und arroganter werde und das Ansehen
der Behörden und ihre Wirksamkeit total untergrabe. Dann gab
er Oberst Weiss das Wort zur Begründung seines Antrages,
welcher in ernster Stimmimg auseinandersetzte, dass es einem so
unermüdlich tätigen Feinde gegenüber Pflicht der Regierung sei,
nochmals wenigstens den Versuch zu machen, die Zügel zu
erfassen und sich einer Existenz zu entwinden, wo sie in allen
ihren Verrichtungen gehemmt und kontrakarriert würde. Alle
i82 SIEBZEHNTES KAPITEL: REVOLUTION o
Mitglieder hörten beifällig zu; nur Hegetschw eiler schüttelte
den Kopf und sagte dann, der Zeitpunkt zum Einschreiten sei
noch nicht da; bis jetzt sei vom Komitee aus nichts Ungesetzliches
geschehen und wenn man nicht reize, werde auch nichts ge-
schehen. Solche Massnahmen schaden mehr als sie nützen; sie
verdächtigen die Sache der Regierung und bringen das \'olk in
Harnisch. Überdies sei von den Radikalen, die jetzt diesen Vor-
schlag bringen, und ihren Organen vieles verdorben und auf die
Spitze getrieben worden. Finde die Regierung sich stark genug,
bei den Vereinen und Gemeinden zu imponieren imd mit Erfolg
gegen sie zu agieren, wohl, so möge sie es tun; dann aber müsse
sie nicht bloss bei diesem Erlass stehen bleiben, sondern weiter
gehen, dem Komitee befehlen, sich aufzulösen, und die \^'ider-
spenstigen bestrafen lassen. Wäre man des Erfolges sicher, so
würde er aucli dabei sein, allein er bezweifle dieses. Während
dieser Rede hatte Bürgermeister Hess mehrere Zeichen des Un-
willens und der Ungeduld gegeben; mit bittem Worten widerlegte
er sodann den Redner und verlangte Entscheidung. Nachdem
noch H. Escher in ähnlichem Sinne wie Hegetschweiler ge-
sprochen, wurde der Dekretsentwurf angenommen. M. Sulzer
war erst unmittelbar vor der Abstimmung eingetreten, hatte pro
forma nach dem Stand der Verhandlungen sich erkundigt und
sich dann der Abstimmung enthalten. Eduard Sulzer war in
Baden und missbilHgte nachträghch den Regierungserlass. Ver-
traulich und ausserhalb der Beratung hatte Hegetschweiler
noch zu Oberst Weiss geäussert: ,,Mein Gott, es wäre um ein
geringes Opfer zu tun, alles wieder ins Geleise zu bringen ! Könnten
sich diese drei, vier Männer, um die es sich handelt, denn nicht
entschhessen, das Opfer zu bringen ? \^ersprechen Sie wenigstens,
Scherr fallen zu lassen." Weiss wies dieses Ansinnen zurück mit
dem Bemerken, es wäre eine Schande für alles, was Mann heisst
im Kanton Zürich, wenn man mit Wahrheit sagen könnte, es
wären ihrer dreie oder viere, die im Kanton Zürich Sonnenschein
und Regen, Glück oder Unglück machen könnten, und zu einem
so schwarzen Undank den \'erdiensten Scherrs gegenüber würde
er nimmermehr Hand bieten. ,,Nun, wenn man nicht will, in
Gottes Namen," erwiderte Hegetschweiler achselzuckend und
kehrte dem Kollegen den Rücken.
o SIEBZEHNTES KAPITEL: REVOLUTION 183
In dem nunmehr beschlossenen Erlass des Regierungs-
rates vom 23. August wird gesagt, dass in den vom Komitee an-
gebahnten Schritten ungeachtet des Anstrichs von Gesetzlichkeit
nichts anderes liege als eine Aufwiegelung gegen verfassungs-
mässige Behörden und die von denselben ausgegangenen Amts-
handlungen. Diese Bestrebungen erscheinen umsoweniger als mit
der Ordnung im vStaate verträglich, als der vStaatsorganismus
selber dazu missbraucht werde, eine unrechtmässige Gewalt den
gesetzlichen Behörden entgegenzustellen. Die Statthalter der
II Bezirke werden deshalb beauftragt, an alle ihre Gemeinde-
ammänner, Gemeinderäte, Pfarrer, Stillstände und Beamte sofort
durch Expresse und unter Zustellung des gegenwärtigen ge-
druckten Erlasses den ausdrückUchen Befehl ergehen zu lassen,
bei Verantworthchkeit keine Gemeindeversammlungen in-
folge etwaiger von jenem sogenannten Zentral- oder andern ähn-
lichen Komitees ausgegangenen Aufträge zu veranstalten. Gegen
Dawiderhandelnde soll gehörigen Ortes Klage eingeleitet werden.
Aus den tindichten Wänden des Regiermigsratssaales ver-
breitete sich die Kimde von dem Erlass wie ein L,auffeuer durch die
ganze Stadt. Schon mn 11 Uhr wurde er auf einem Cafehaus
laut als Verfassungsbruch proklamiert. Die Regierung will
die Gemeindeversammlimgen verbieten, das Petitionsrecht ab-
schaffen, sie hat die Verfassung gebrochen — das flog von Mund zu
Mund. Der engere Ausschuss des Zentralkomitees bemächtigte
sich sofort des Erlasses und liess ihn samt einem gehörigen Kom-
mentar abdrucken, lun ihn durch seine beflügelten Boten, der
amthchen vSchneckenpost weit vorauseilend, in alle Gemeinden
verbreiten zu lassen und für den Befehl der Regierung, wenn er
dann endlich eintreffen werde, einen angemessenen Empfang vor-
zubereiten. ,, Teure Mitbürger! Brüder!", sagt das Komitee in
seinem Kommentar, ,,wir teilen Euch mit unserer gewohnten
Offenheit den obigen Beschluss (des Regierimgsrates) mit." Es
ruft die ganze Welt zum Zeugen dafür, dass es sich immer innert
den Schranken der Verfassung und der Gesetze bewegt habe.
Nie habe es den Gemeinden Befehle oder Aufträge, sondern nur
Ratschläge erteilt. Trotzig wird beigefügt: ,, Solange Ihr ihm
Euer Vertrauen schenkt, wird es Euch ferner beistehen, bis die
heihge Sache zu Euerer Befriedigung erledigt sein wird, uu-
i84 SIEBZEHNTES KAPITEL: REVOLUTION o
bekümmert um alle Kränkungen, die wir für unsere Hingebung
erfahren. Die Gemeinden dürfen sich in ihren Angelegenheiten, von
wem immer es sei, raten lassen, und mit der Verfassung und den
Gesetzen in der Hand werden sie ihr Recht geltend zu machen
wissen, jeden beUebigen Gegenstand, der von der Vorsteherschaft
oder von einzelnen Bürgern ihnen vorgelegt wird, in Beratung zu
ziehen und darüber Beschlüsse zu fassen. Seid mannhaft und
stark. Der Herr wird Eure gute Sache zum Siege führen."
Die Staatsanwaltschaft interessierte sich um den an-
gekündigten Kommentar des Zentralkomitees und Hess in der
Buchdruckerei Zürcher & Furrer die ganze Auflage von 3000 Stück
beschlagnahmen. Etwa 120 Stück waren allerdings bereits an
den Aktuar Spöndhn abgehefert worden. Der Komiteeausschuss
liess nun den etwas abgeschwächten Kommentar hthographieren
und zur Versendung bringen. vStaatsanwalt Ulrich aber erbUckte
in dem vom Komitee gebrauchten Bibelspruch ,,Seid mannhaft
und stark" (i. Kor. 16, 13) die direkte Aufforderung zum Drein-
schlagen und erhob gegen die Mitgheder des engem Ausschusses
Hürhmann, Rahn, Spöndhn und Bleuler Strafklage. Einen ähn-
lichen Bibelspruch-Prozess hatte der Staatsanwalt in diesen Tagen
- — die ja zu solchen Häkeleien geeignet waren wie keine andere
Zeit! — angehoben gegen die ,, Schweiz. Evang. Kirchenzeitung"
wegen des Ausdrucks, die Väter des Landes hätten einen ,, Frevel
im Heiligtum" gutgeheissen. Vom Kriminalgericht freige-
sprochen, wurden die beiden Redaktoren am 2. September vom
Obergericht zu je 64 Franken Busse und den Kosten verurteilt.
Die Mitgheder des Komitees wurden am 4. September vom Kri-
minalgericht freigesprochen; die Berufung des Staatsanwalts ans
Obergericht wurde durch die Ereignisse hinfälhg.
Von den Radikalen abgesehen, welche die vorübergehende
Anwandlung von Energie der Regierung freudig begrüssten, fand
der Erlass vom 23. August im Laude eine recht schlechte Aufnahme
und verursachte bedeutende Aufregung. Von den Statthaltern
wurde das Dekret sehr verschieden aufgefasst und ausgelegt;
einzelne, wie Hirzel in Wetzikon, gingen scharf ins Zeug mid knüpf-
ten von sich aus noch strengere Weisvmgen an dasselbe; andere
nahmen es bedeutend gemütHcher. Von den Gemeindevorständen
vervveigerten eine Reihe rundweg den Gehorsam und wiesen die
o SIEBZEHNTES KAPITEL: REVOLUTION 185
Verfügungen der Regierung zurück. Der Stadtrat Zürich
antwortete am 27. August ganz im Tone des Komiteeschreibens.
ÄlmUch tönte es von Erlenbach, Pfäffikon, Illnau, Kyburg, dessen
Stillstand (Kirchenpflege) und Gemeinderat antworteten, sie seien
der Regierung nur dann Gehorsam schuldig, wenn ihre Befehle
mit der Verfassung und ihrer Überzeugung übereinstimmen.
Ganz vereinzelt bheb das Vorgehen der Gemeinde Uster, welche
sich am 23. August vom Komitee losgesagt hatte, weil dessen Ten-
denzen anfingen, mehr pohtischer denn rehgiöser Natur zu sein.
Die Bezirksorganisation Uster bheb jedoch fortbestehen. Wie
wenn das Komitee noch nicht genug Beschwerdepunkte hätte und
die Regierung ihm weitem Agitationsstoff besorgen müsste, be-
schlagnahmte die Staatsanwaltschaft wiederholt auf der Post den
(in Frauenfeld gedruckten) ,, Beobachter aus der östlichen Schweiz"
und gab das Blatt erst frei, nachdem der Staatsanwalt imd der
Bürgermeister Hirzel es gelesen hatten.
Das Zentralkomitee, ,,mit einigen andern einflussreichen
Leuten", versammelte sich am Donnerstag den 29. August in
Kloten. Der Beschluß der Versammlung ging dahin: Montag
den 2. September vormittags 9 Uhr versammeln sich sämtliche
Bezirkskomitees zu einer Generalversammlung in Kloten mit
der Tagesordnung: Wahlvereine und neue Petition. Das war die
Anberamnimg einer Volksversammlung, ,,denn wenn man in
Zeiten von Gärung ein paar Hundert speziell zusammenruft, dann
will man, dass fünfmal so viel Tausende erscheinen sollen" (Meyer-
Ott). Die Atmosphäre ward schwül wie vor einem Gewitter;
jeden Augenbhck konnte der Sturm losbrechen. Aus einem Ge-
spräch vom 30. August zwischen zwei Männern, von denen der
eine hernach eine hohe, der andere eine einflussreiche Stellung er-
hielt, verzeichnet L,. Meyer v. Knonau das Wort: ,,Wenn man
nur trauen dürfte!" An diesem Tage waren im Cafe Utteraire
im ,, Roten Turm" etwa 60 Radikale aus dem ganzen Kanton
versammelt. ,, Alles war überzeugt, dass vSturm und Entscheid
mit schnellen Schritten herannahen, und alles hoffte auf die
Festigkeit der Regierung als das einzige Mittel, den Staat aufrecht
zu erhalten. Dieselbe darin noch zu bestärken, wurde eine Adresse
an sie beschlossen imd solche durch fünf Abgeordnete an Bürger-
meister Hess überbracht."
i86 SIEBZEHNTES KAPITEL: REVOLUTION o
Zu ernster Beratung trat am 31. August der Regierungsrat
zusammen. Oberst Weiss rechtfertigte den Erlass vom 23. August
und referierte über die Antworten der Gemeinden; er stellte den
Antrag, durch einen neuen Erlass das Volk im allgemeinen
über den ersteren aufzuklären. Die Andeutung, dass es nötig
werden könnte, Truppen aufzubieten, fand zur Verwunderung
des Referenten selber allgemeine Zustimmung; nur Hegetsc h-
weiler stellte die Bedingung, dass gleichzeitig der Grosse Rat
einberufen werde, um ihm über die Massregel Rechenschaft zu
geben. Es wurde beschlossen, das bereits auf Pikett gestellte
Auszügerbataillon i (Brunner) auf Pikett zu belassen, das Ba-
taillon 4 (Markwalder, 621 Mann) auf vSonntag abend den i. Sep-
tember nach Züricli einzuberufen. Man wählte dieses aus dem
Weinland stammende Bataillon, weil jene Gegend noch als halb-
wegs regierungsfreundhch galt. Der Oberbefehl wurde dem ,,Zeug-
herm" Oberst Salomon Hirzel im Feldhof übertragen. Während
der Regierungsrat zur Behandlung anderer Geschäfte überging,
redigierten Eduard Sulzer und Zehnder im Nebenzimmer die neue
Kundmachung vom 31. August, die noch in der Nacht in 40,000
Exemplaren gedruckt werden sollte. Sie erklärt, es seien dem
vorausgegangenen Erlass (vom 23. August) mit oder ohne Absicht
falsche Deutungen gegeben worden, welche Beunruliigung her\-or-
Tufen mussten. Der Regierungsrat habe jedoch nicht die Ab-
sicht, die Befugnisse der Gemeinden oder das Petitionsrecht der
Bürger zu beeinträclitigen, sondern ledighch die Ausübung dieser
Rechte von jedem äussern Zwang rein zu bewahren. Die dem
Stande Zürich als gegenwärtigem eidgenössischem Vorort in noch
erhöhtem Masse obhegende Pflicht der Aufrechthaltung von
Ordnung und Gesetzen habe zu einem Truppenaufgebot genötigt,
das aber keineswegs bestimmt sei, ruhige Versammlungen zu
stören, die persönUche Sicherheit zu gefährden oder die Ausübung
verfassungsmässiger Befugiüsse zu hemmen. — Obwohl dieses
Truppenaufgebot dem Regierungsrat eine gewisse martialische Pose
geben sollte, entging es dem scharfen Auge seiner Gegner nicht,
dass er den mit entschlossener Geberde aufgehobenen Fehde-
handschuli des Komitees heimUch wieder hatte fallen lassen. Die
Regierung, welche sich in solchen Momenten aufs Parlamentieren,
Erklären und Entschuldigen einlässt, hat Angst und ist bereits
o SIEBZEHNTES KAPITEL: REVOLUTION 187
verloren. Mej'er-Ott fand die Proklamation noch „zweideutig
genug, um daraus zu ersehen, dass von unserer Seite mit Kraft
gehandelt werden müsse".
Der Sonntag (i. September) ging in der Stadt ziemUch
ruhig vorüber. Nur das Komitee befand sich in fieberhafter Tätig-
keit für die Volksversammlung vom Montag. In den Strassen
wurden Einladungen verteilt an die ,, teuren Freunde und Glaubens-
genossen", den Verhandlungen des Volkes in Kloten über seine
heiligsten Interessen beizuwohnen; man werde sich um halb sechs
Uhr beim Helmhaus sammeln und mit Fahnen nach Kloten ziehen.
Im spätem Nachmittag trafen bereits zahlreiche L,andleute auf
dem Durchmarsch nach Kloten in der Stadt ein, und die Strasse
dorthin wimmelte die ganze Nacht über von Fussgängem, Reiten-
den und Falarenden. HürUmann-Landis war ohne Aufenthalt durch
die Stadt gefahren. Seine Fabrikarbeiter hatte er ermahnt, ruhig
weiter zu arbeiten und nicht nach Kloten zu gehen. Am Abend
rückte bei strömendem Regen das aufgebotene Militär in die
Stadt ein. Die Ordre de bataille weist folgenden Bestand vom
I. September auf: Oberkommando Oberst Hirzel; I. Adjutant
und Stabschef Oberstleutnant Brunner; II. Adjutant Oberst-
leutnant Sulzberger; Yo Kompagnie Artillerie (Rynaclier);
y2 Kompagnie Scharfschützen (Meister) ; i Kompagnie Kavallerie
(Forrer) ; 4. Auszüger-Bataillon (Markwalder) . Dazu kam noch
die Militärschule (der sog. Kadetten), 363 Mann, darunter
34 Dragoner (Offiziere und Mannschaften), unter dem Kommando
des Instruktors Major Uebel. Insgesamt befanden sich in der
Kaserne im Talacker am Sonntag abend iioo Mann. Die Stim-
mung unter den Leuten war nicht die beste. Tropf nass und müde
waren sie eingerückt, und man hatte jedem von ihnen % Mass
34 er Wein nebst Brot gereicht, bevor die Suppe aufgetragen
wurde. Ferner fasste jeder »Soldat sogleich 30 scharfe Patronen,
wobei allerlei unhebsame Bemerkungen fielen. Beim Lichter-
löschen machte einer, dem der Wein zu Kopf gestiegen, Radau.
Junker Hauptmann Escher vom Birchrütihof bei Höngg hess
den Schreier in Arrest setzen, aber sogleich nahmen seine Kame-
raden für ihn Partei und verlangten seine Freilassung. Der Tumult
verbreitete sich durch die ganze Kaserne, die Obersten Sulzberger,
Brunner und ^Markwalder eilten herbei, und Sulzberger entHess
i88 SIEBZEHNTES KAPITEL: REVOLUTION - o
nach kurzem Verhör den Mann aus dem Arrest. Aber nun kamen
andere Sachen aufs Tapet. Die Soldaten wollten wissen, warum man
sie einberufen; es sei ja nicht an ihnen, sondern das i. Bataillon
sei auf Pikett, aber sie müssten immer die Narren sein und daher-
gelaufen kommen, auch wenn die Kelirordnung gar nicht an ihnen
sei. Das möge man aber zum voraus wissen, dass sie nicht auf
ihre Väter und Brüder schiessen werden. Auch wegen der dunkel-
blauen und hellblauen Kapötte gab es ein ,, Spitzeln" hin und her,
und schUesslich forderten die ,, Dunkelblauen" von ihren Offi-
zieren, dass auch sie künftig die Kapötte mit heininehmen dürfen.
Die Offiziere waren himmelfroh, als die Leute endUch auf dem
„Schrägen" lagen und schUefen. Auf diese Mannschaft war kein
Verlass, das zeigte sich am ersten Abend schon. Am Montag bUeb
die Truppe konsigniert; nur eine ,, Ehrenkompagnie" für den durch-
reisenden Grossherzog von Baden sollte ausrücken. Die Dragoner
der Kompagnie Forrer verlangten trotzig, sogleich nach der In-
spektion nach Hause entlassen zu werden, mid man musste ihnen
willfahren! Am Dienstag den 3. September entschloss sich die
Regierung schweren Herzens, auch das Bataillon Markwalder
wieder zu entlassen. Die konser\^ative Presse, alle ihre Tra-
ditionen verleugnend, bilhgte unverkennbar die Meuterei, welche
gezeigt habe, ,,dass des Vaterlandes Söhne überall Brüder sind".
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ACHTZEHNTES KAPITEL
DER TAG VON KLOTEN
OIhr siebenmal gescheiten Radikalen, was habt Ihr angestellt
mit Eurer Politik, den Konservativen einen solchen Tag zu
verschaffen, viel grösser und schöner als der Tag von Uster! So
musstet Ihr es machen, so verächthch und wegwerfend von allem
reden und schreiben, was den l,euten heiUg ist, um schliesshch
den ganzen Kanton auf die Beine zu bringen und gegen Euch
marschieren zu lassen. Nun sitzt Ihr, auf ein kleines Trüpplein
zusammengeschmolzen, während des ,,herrhchen" Tages von
Kloten im ,, Löwen" zu Bassersdorf beisammen wie die betrübten
Lohgerber, denen die Felle fortgeschwommen, und flucht auf die
,, fromme Demagogie", die der Eurigen den Rang abgelaufen.
Nehmt Euch nur selber bei der Nase; dass es so gegangen, daran
seid Ihr ganz allein und selber schuld. — Doch auch über die
Konservativen muss man sich wundern, nun sie auf der Bahn
der Auflehnung gegen die Obrigkeit, der Agitation, der Versamm-
lungen und Volkstage zu sehen. Ihrem Herzen mag es wohlgetan
haben, einmal vom Jubel des Volks umrauscht, einmal als die
„lieben, guten Herren" vom Volk gepriesen zu werden, einmal die
Süssigkeit zu kosten der wandelbaren Volksgunst. Es lauert aber
ein Dämon in der heissflackemden, imsteten Liebe des Demos,
der gern denjenigen tötet, der geblendet und benebelt sich ihm
in die Arme wirft. Einen Tag von Kloten gab es niemals wieder.
,,Im Land hinten rüsten sie die Wagen und nehmen die
Fahnen her\^or," erzählte einer am Sonntag miserm braven Meyer-
Ott. ,,Wer? Die Unsrigen oder die Radikalen?" Die Antwort
wusste man ihm lucht zu geben. Die ganze Nacht hindurch regnete
es in Strömen und am Montag früh war der Himmel grau wie ein
Sack. ,,Früh um 5 Uhr trete ich ans Fenster und sehe nichts als
Regen. Da tönt es in der Strasse leise: tratsch, tratsch, tratsch,
und ein Zug von zwölf ehrbar gekleideten Männern schreitet unter
Regenschirmen einher. Hurrah, das kommt gut! Eine Weile
IQO ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KI.OTEN o
später, tratsch, tratsch ; wieder so .ein Trüpplein. Jetzt ist gut
Wetter im Land und die Regierung wird das Arretieren bleiben
lassen. Da sitzen wir nun, fünf Freunde, um 7 Uhr im bequemen
Wagen und fahren zur Stadt hinaus. Ausserhalb der Stadt sehen
wir viele einzelne Wanderer dieselbe Strasse ziehen. Eine Viertel-
stunde weiter, wo man eine lange Strecke Weges vor sich sieht,
ist alles bunt von Regenschirmen. Da erkenne ich den alten
Pfarrer von Knonau mit einem Trupp. Vortreffhch! Wenn die
Freiämtler kommen, die man hier sonst für die Gleichgültigsten
hielt, so ist die Sache auf guten Wegen. Dann aber, je näher \^•ir
gegen Kloten kommen, desto ummterbrocliener die Züge der Wan-
derer. Gar niedlich sahen die langen Reihen der bunten Schirme
aus, wo sie über die Wiesen und durch die Hölzer zogen. Alle
Gesichter heiter und fröhhch. Jetzt sind wir in Kloten. Ein
ganzer Park von Chaisen ist aufgefahren, seitwärts an der Strasse,
diese gedrängt voll Menschen. Die Wirtshäuser gestopft voll,
alle Fenster der Bauemliäuser mit Köpfen dicht besetzt. Wir
gehen hinauf in den Saal des Wirtshauses zum Löwen. Da sind
unsere wackem Fussgänger aus Zürich neben vielen Landleuten
schon beim Frülistück und alles gemischt, Herr und Bauer, Fabri-
kant und Handwerker, Aristokraten und Liberale. Manche, die
sich seit 1830 nie mehr gegrüsst, schütteln sich herzlich die Hand.
Von den Feinden sieht man nur selten einen über die Strasse
schleichen. Aus dem Bezirk Pfäffikon sind mehr als tausend
Freunde da, aus der acht Stunden entfernten Gemeinde Wald
himdert Männer, alle in ihren Sonntagskleidern. \\'ir bezeugten ihnen
unsere Teilnahme wegen des schlechten Wetters. ,,Ihr Herren",
war die Antwort, ,,bei gutem Wetter hätten wir nicht kommen
können wegen der Feldarbeit; der Regen aber macht uns nichts."
Die Szenen, welche Meyer-Ott beschreibt, Hessen sich ver-
hundertfachen. Der Aufmarsch in Kloten war schlechthin impo-
sant. Dem offiziellen Zug der Stadtgemeinde Zürich schlössen
sich die Fahnen der drei Neumünstergemeinden an; an der Spitze
des Zuges marschierten Oberstleutnant Bürkü und Hauptmann
Frei. Aus den östUchen Gegenden pilgerten während der ganzen
Nacht grosse Scharen nach Kloten. Schauerüch tönte ihr Lied
durch die mitternächtige Stille, wenn sie an einem Friedhof vor-
überkamen: ,, Staub bei Staube ruht ihr nun in dem friedevollen
o ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN 191
Grabe; möchten wir wie ihr auch ruh'n in dem friedevollen Grabe."
Etlichen von ihnen sollte der Wunsch bald erfüllt werden. Aus
der Gemeinde Fischental allein sollen mehr als 500 Mann in Kloten
gewesen sein, darunter einige Greise von mehr als 70 Jahren.
In Bauma und anderwärts bestritten die Wohlhabenden die Reise-
kosten der Armen ; durch die Rosa-Brille eines geistlichen Bericht-
erstatters gesehen („Des Zürcher Volkes Kampf und Sieg"),
Hessen diese Armen ,, freudig ihre Arbeit und ihren Verdienst für
einen oder zwei Tage faliren, um ihrem Heiland aufrichtige Treue
zu beweisen." Regierungsrat Weiss sagt in seinem ,, Beitrag zur
Geschichte der Revolution" etc.: ,,Was mir über die verschie-
denen Mittel, eine grosse Zahl zusammenzubringen, erzählt worden
ist, gehört nicht zu dieser Darstellung. Genug, die Leute waren
da, und das ist's eben, was man wollte. Mir kommt es jetzt vor,
wie wenn ein General vor der Schlacht über seine Armee Heer-
schau hält und je nach dem Ergebnis seinen Plan macht. Die
Regierung hatte ihr — Bataillon, die Stadt ihre — Bürgerwache."
Die Schätzungen der Volksmenge in Kloten schwanken zwischen
8000 und 25,000; es werden nach den zuverlässigsten Berichten
10 — 15,000 gewesen sein.
Das tausendstimmige Summen und Brausen des Volkes auf
der Strasse ward plötzUch unterbrochen durch die Rufe: ,,Der
Herr Präsident! Seht ihn dort!" Auf dem Balkon des Wirts-
hauses ersclüen Hürlimann-Landis mit einigen Begleitern,
alle in schwarzer Kleidung. Er ist von mittlerer Statur, mager,
blassem Gesicht, schwarzen glatten Haaren, und um seinen Mund
spielt ein leichtes Lächeln. ,,Heil' Dir, Du christhches Volk des
Kantons Zürich", so begann sein Gruss. ,,Du hast empfunden
den Ernst des AugenbHcks und bist herbeigeeilt aus allen Gauen
Deines Vaterlandes zum Schutze Deiner heihgen Religion." Er
schilderte nun die Bestrebungen des Zentralkomitees und die
Haltung der Regierung, welche allen Vorstellungen gegenüber
unzugänghch und verstockt geblieben sei wie das Herz des Pharao.
Jetzt aber, da dem Komitee von selten der Regierung Verfolgung
drohe, trete es zum erstenmal vor das versammelte Volk, damit
der Regierung über die Gesinnung des Volkes kein Zweifel übrig
bleibe. Wenn Ihr also die Schritte des Komitees gutheisset und
auf der angetretenen Bahn w^eiter vorwärts gehen wollet, so sprechet
192 ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN o
Ja !" Ein allgemeiner Jubelruf war die Antwort. So werde man nun,
fuhr der Redner fort, zu den Geschäften schreiten. Ein Zeichen
der Glocke solle die Mitgheder der Bezirksausschüsse nach der
Kirche berufen. Den Zug werde man erkennen an der vater-
ländischen Fahne, die ihm vorangetragen werde. ,,Maclit ihm
freundlich Platz und drängt nicht nach, drückt nicht, damit
Ordnung bleibe." Die von den Ausschüssen nicht besetzten Plätze
seien für das Volk. Da aber nur der kleinere Teil in der Kirche
Platz finde, so müssen sich die übrigen im Freien gedulden. Von
Zeit zu Zeit aber werde von dieser Stelle (dem Balkon) das Volk
über alle in der Kirche vorgegangenen Verhandlungen und Be-
schlüsse unterrichtet werden. Während dieser Rede hatte der Regen
auch nicht eine Minute innegehalten, und doch durfte kein Schirm
aufgespannt sein; von der ganzen !Masse wich kein Mann und
mancher greise Schädel bheb die ganze Zeit über vöUig entblösst.
Unter Glockengeläute begaben sich die Bezirksdelegierten in
die Kirche, in welcher sich gegen 4000 Menschen zusammen-
drängten. Hürlimann-Landis begrüsste die Versammlung ,,im
Namen des Herrn, der das Weltall regiert, und im Namen des gött-
hchen Erlösers und Heilandes." Vieles, was er vorbrachte, klingt
dunkel, schwülstig, phrasenhaft. Mit Nachdruck hob er die Haupt-
forderungen hervor: das vSeminargesetz muss geändert werden;
die Leitung des Seminars muss in andere Hände kommen. Die
Regierung, statt sich einer so herrhchen Richtung im Volk zu
freuen und Gott dafür zu danken, blickt finster und gewitter-
drohend auf das Volk herab. Ihr bieten sich heute drei Wege dar:
EinwiUigen in die Volkswünsche, freiwilhger Rücktritt, der jetzt
noch mit Ehren erfolgen kann, oder — • ,,der unheilbringendste
von allen" — Beharren auf der gegenwärtigen Bahn! ,,Du aber,
gläubiges, für deine Rehgion entflammtes Volk, unterstütze femer,
wie bisher, auf gesetzliche Weise, die grosse Angelegenheit, die
du zum zweitenmal vor den Grossen Rat zu bringen hast. Wir
schwören dir feierlich, unser Leben, unsere Kräfte für die heilige
Sache zu opfern, so lange du uns dazu aufforderst. Wir werden
die Bahn der Gesetze nicht verlassen, und du wirst uns auf der-
selben stets begleiten. Nur wenn die Verfassung verletzt wird
oder ungerechte Verfolgung gegen uns eintritt, ist der
Widerstand geheiligt!"
o ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN 193
Nach der Rede Hürlimanns übernahm Dr. Rahn-Escher
das Tagespräsidium. Er legte der Versammlung den Entwurf
einer Adresse an die Regierung vor, die heute noch über-
reicht werden soUte, und zwar mit dem Ersuchen um sofortige
Erledigung. Die Adresse macht aufmerksam auf die von den
Regierungsproklamationen verursachte Aufregung. Die beab-
sichtigte Beruliigung sei durch das ungerechtfertigte Truppen-
aufgebot illusorisch gemacht. Die Regierung wird dringend
gebeten, das vorhandene Misstrauen nicht durch weitere Mass-
nahmen zu schärfen und dadurch das ,, biedere Volk" zu kränken.
Die Versammlung venvahrt sich gegen die auf das Zentralkomitee
gehäuften Vorwürfe, erklärt sich mit ihm soUdarisch imd biUigt
alle seine Schritte. ,,Die Vereinigimg von 40,000 Bürgern für
gesetzliche und heiUge Zwecke ist eine Macht, die jeder Regierung,
jeder Behörde einen Eindruck machen muss." Nur böswilUge
Verdrehung konnte aus einem Bibelwort eine Anklage gegen das
Komitee schmieden, und die Regienmg Hess auch eine schwere
Verletzimg der Pressfreiheit durch die Staatsanwaltschaft ge-
schehen. ,,Das Volk ist fest entschlossen, seine bürgerUchen und
kirchUchen Rechte unverletzt und unangetastet zu erhalten und
zu schirmen. Es ehrt Verfassung imd Gesetz und bleibt ihnen
treu, aber es weiss, dass sie ihm gehören." Zum vSchlusse werden
drei Bitten ,, ehrerbietig" vorgelegt; ,,die Folgen ihrer Versagung
zu ermessen, überlassen wir der Regierung selbst." Die drei Bitten
bestanden in folgenden Forderungen:
1. Zurücknahme der gegen das Zentralkomitee erhobenen Be-
schuldigungen ;
2. Unterdrückung der Klage der Staatsanwaltschaft gegen
das Komitee;
3. Massregelung der Staatsanwaltschaft wegen Verletzung der
Pressfreiheit.
Es folgt noch die allgemeine Bitte, die Bürger ihr Petitions-
recht frei imd ungehindert üben zu lassen, die hemmenden Befehle
der Statthalterämter zu entkräften und die Herren vStatthalter
zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Versammlung wählte sogleich 22 Delegierte, aus jedem
Bezirk zwei (u. a. Pfarrer Hirzel in Pfäffikon), um nach Schluss
der Verhandlungen die Adresse dem Amtsbürgermeister Hess zu
13
194 ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN o
Überbringeil. Namens des Zentralkomitees beantragte ferner
J. Bleuler-Zeller von Neumünster die Bildung von Gemeinds-
vereinen zur Fördermig der Religiosität durch Kirche und »Schule,
namenthch zu dem Zwecke, um bei vorkommenden Wahlen in
Gemeinds-, Zmift-, Bezirks- und Kantonsbehörden gemeinsam
dahin zu streben, dass nur tüchtige und christlich gesinnte Männer
an die vStellen erwählt werden. Pfarrer Meyer von Glattfelden
erläuterte und begründete die vom Zentralkomitee vorgeschlagene
neue Petition an den Grossen Rat, welche dieselben Ten-
denzen verfolgt wie die frühere Petition und speziell verlangt:
Garantien für den Art. 4 der Verfassung; Umwandlung des
Seminars in eine Pflanzschule religiöser und gläubiger Jugend-
lehrer; andere Bestellung des Erziehungsrates (aus christlich ge-
sinnten Männern). Leonhard von M uralt verlangte vom
Grossen Rat eine kategorische Erläuterung des § 4 der Verfassung.
Es sei Zeit, dass einmal deutlich ausgesprochen werde, welches
das Fundament des evangehsch-reformierten Lehrbegriffes sei.
Er finde dasselbe ausschüessHch in den heihgen Schriften des
alten und neuen Testamentes nach ihrem vollständigen und im-
verfälschten Inhalt, ohne Mehrung noch Minderung. ,,Ein donnern-
der Beifall folgte diesen Worten von selten der sonst die ganze
Zeit hindurch in würdevoller Stille verbhebenen Versammlung
und legte zum Erstaunen manches bloss poHtischen Parteimannes
die Lebendigkeit des kirchlichen Motivs in dieser Volksbewegung
zutage." Präsident Hardme3^er von Zunükon verlangte unter
lebhaftem Beifall baldige ausserordentliche Einberufung des
Grossen Rates, damit die Sache nicht immer wieder ^■on oben
herab auf die lange Bank geschobeh werde. Die Schlussrede von
Dr. Rahn-Escher klang aus in eine Huldigung für Hürlimann-
Landis, welcher seinerseits die Ehre Gott und den Dank dem
Volke weitergab.
Stundenlang hatte inzwischen die Menge im Freien dem
Unwetter standgehalten. Von Zeit zu Zeit fuhren Fremde in
vierspännigen Wagen durch. Man öffnete ihnen eine Gasse und
führte die Pferde am Zügel. Ein Engländer stieg aus und wohnte
der Versammlung bis zum Ende bei. Grosse Freude verursachte
die Nachricht aus Zürich, dass ein Teil des Mihtärs sich geweigert
habe, Munition zu fassen und sich gegen Väter und Brüder ge-
o ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN 195
brauchen zu lassen. Zwei Stunden mochten seit dem Zuge in die
Kirche verflossen sein, als endUch der Jubelruf erschallte: „Sie
kommen! Sie kommen!" Auf dem Balkon des Wirtshauses stellte
das Komiteemitglied Bindschädler von Männedorf den Pfarrer
Dr. Bernhard Hirzel von Pfäffikon als Freund der guten Sache
dem Volke vor und übergab ihm dann das Manuskript der Rede
Hürlimanns in der Kirche, das Hirzel verlas und noch mit einer
eigenen feurigen Ansprache begleitete. Spöndlin legte die mit
stürmischem Applaus aufgenommene Adresse vor, Pfarrer Meyer
die Petition. Die 22 Deputierten, denen man einige Wagen zur
Verfügung gestellt hatte, waren bereits nach Zürich abgegangen.
Nun kam auch noch Dr. Rahn-Escher auf den Balkon und
dankte dem Volk für seine Treue und Ausdauer. ,,Dich segnen
alle Christen im engem und weitern Vaterland. Deiner gedenken
im Gebet die Gläubigen der entfernten Länder. Auf dich sehen
aus dem Aufenthalte der Seligen herab die dir vorangegangenen
Väter, deine Eltern, die bei der heiligen Taufe das hier von dir
erneuerte Gelübde gegen deinen Gott imd deinen Erlöser in deinem
Xamen abgelegt; sie sagen: Herr, dort stehen sie, die du uns an-
vertraut hast. Dich segnen Zwingli und die Helden, welche für
die reine evangeUsche Lehre ihr Blut freudig geopfert haben."
Alle Häupter entblössten sich während dieser Rede, Hunderte
suchten ihre Tränen zu verbergen, indem sie den Hut oder die
Mütze vor das Gesicht hielten. Einzelne Greise hörte man rufen:
„Ja, so ist es, es ist alles wahr, Gott sei mit Euch, Gott segne
Euch, Ihr heben Herren." Zuletzt erschien nochmals Hürli-
mann, dankte mit herzUchen Worten, mahnte zu ruhigem Be-
nehmen während der Heimkehr, verabschiedete und segnete das
Volk. Während drei Viertelstunden waren alle von Kloten aus-
gehenden Strassen schwarz von Menschen.
Wie sonderbar aber, dass auf einmal alle diese Wanderzüge
stockten, wie festgebannt sich nicht weiter bewegten. Stafetten
aus Kloten waren den Leuten nachgeeilt, hatten befohlen, stille
zu stehen und auf den Turm zu Kloten zu achten, wo ein Zeichen
gegeben werden solle, wenn man sich wieder sammeln müsste.
Was war denn geschehen ? War sie schon da, die Stunde des
„geheihgten Widerstandes"? WiUielm Meyer -Ott soll es uns er-
zählen :
196 ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN o
In Kloten weilten noch die Mitglieder des Zentralkomitees,
um die Rückkehr der Deputierten abzuwarten. Im ganzen Dorf
waren kaum noch ein paar hundert Männer beisammen. Da
kommt von Zürich her Oberstleutnant Bürkli in gestrecktem
Galopp zurückgefahren, springt aus dem Wagen und bringt die
Botschaft, unsere 22 Deputierten seien sämtlich arretiert. Sein Ge-
währsmann war der Kassier des Bankierhauses Schulthess, dessen
einer Chef noch in Kloten zu Tische sass, der andere bei der Depu-
tation sich befand. BürkU hatte den Kassier auf dem \^'ege ge-
troffen, den atemlosen Mann zu sich in den Wagen genommen
und rasch umgewendet. Nim entstand ein gewaltiger Tumult
unter den noch Anwesenden. Einige erblassten, andere jubelten:
,, Hurrah, jetzt geht's los, jetzt soll sich's zeigen, ob noch
Schweizerblut in unsem Adern fliesst." Wieder andere riefen:
,,Eilt zur Kirche und zieht die Glocken an!"
Da erschien Hürlimann. Seine ersten Worte waren: ,,Das
ist nicht mögUch, es kann nicht Gottes Wille sein." Sogleich aber
fragte er ruhig: ,,Wo ist der Mann, der die Nachricht brachte?"
Der arme Kassier trat nun hervor und erzählte, von schwerem
Keuchen unterbrochen, — gleich nach der Ankunft der Depu-
tierten, die im Kasino abgestiegen waren, sei eine Anzahl Land-
jäger in die Wohnung des Bürgermeisters beschieden worden,
und auf dem Wege dahin habe einer derselben dem Bruder des
Dr. Rahn-Escher die Worte in die Ohren geraunt: ,, Jetzt geht's
ans Arretieren." Von diesem Bruder Dr. Rahns habe er selbst
diese Nachricht. (Man muss wissen, dass das ganze Landjäger-
korps bis zum letzten Mann der guten Sache schon seit dem Früh-
jahr ergeben war.)
,,Dass also unsere Deputierten wirklich arretiert sind, wissen
wir noch nicht", sprach Hürlimann, ,,aber einen kleinen Augen-
blick Geduld; wir werden bald im Klaren sein."
,,Aber," fragte jemand, ,, gesetzt den Fall, man habe sie
arretiert, dürfen wir dann läuten?"
,,Dann," antwortete er ruhig, ,,wird Sturm geläutet, jeder
ergreift die erste beste Waffe, und Jung und Alt marschiert nach
Zürich."
Nun wurden bei offenen Türen aufs ungenierteste die zu er-
greifenden Massregeln verhandelt. Es wurde laut ausgesprochen,
o ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN 197
dass die Regierung auch ohnehin abgesetzt sein müsse, auch dass
man auf die erste Nachricht von Truppenaufgeboten aus andern
Kantonen den Sturm wolle ergehen lassen usw. Ein Landmann
äusserte: ,,;\Ieine Herren, ich hege das Vertrauen zu Zürichs
Bürgerschaft, dass, wenn im Moment der Abreise dieses Boten
unsere Deputierten festgenommen waren, sie in diesem Augen-
blicke schon befreit sind." Dieses schöne Zutrauen war nicht
unverdient. Auf die erste Sage hin hatte der kräftige Stadtrat
Gysi schon zu allen Glocken Leute beordert, und es bedurfte nur
eines Winkes, so intonierte das Grosse Münster den Sturm,
Aber siehe! Da kommen unsere Deputierten wohlbehalten
zurück. (Rahn eilte ihnen entgegen; das Volk spendete lauten
Beifall für die sofort getroffenen Anordnungen und bezeugte,
dass es mit Leib und Leben zum Komitee halten werde.) Der
Bürgermeister Hess hatte sie freundhch empfangen und seine
Verwendung für Erfüllung der Wünsche zugesagt. Unmittelbar
darauf liess er den Regierungsrat zusammenberufen; denn eben
zu diesem Behufe hatte er jene Landjäger zu sich bestellt. Nun
trennten sich alle Freunde in Kloten tmd reisten nach Hause.
Diejenigen Züge, welche zu Fuss durch Zürich kamen, zogen
schön geordnet und vaterländische Lieder singend durch die Stadt.
Ein ansehnhcher Trupp von ein paar hundert Mann verfügte sich
noch zum Kasino, um denjenigen der 22 Deputierten, welche nicht
mehr nach Kloten zurückgekehrt waren, ihre Anhänghchkeit zu
bezeugen, und viel Volk aus der Stadt strömte ihnen nach. Escher-
Schulthess (alt Oberamtmann von Wädenswil) dankte ihnen und
beruliigte sie, worauf sie friedUch nach Hause gingen. —
In der Sitzung des Regierungsrates um halb 4 Uhr,
welche im Saal auf dem Posthause stattfand, hatte Amtsbürger-
meister Hess über den soeben erfolgten Empfang der Klotener
Deputierten referiert. Es wurde über eine den Deputierten schrift-
hch zu erteilende Antwort beraten, die, wie Weiss sagt, ganz dem
vom Regieningsrat von Anfang an eingeschlagenen System ent-
sprach: ein schwankendes weder Ja noch Nein! Hess meinte,
die Deputierten werden sich mit dieser Antwort begnügen ; Heget-
schweiler bezweifelte es stark. Während der Beratung wurden
die bemischen Tagsatzungsgesandten Neuhaus imd Steinhauer
angemeldet und Hegetschweiler und Zehnder beauftragt, sie im
igS ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN o
Nebenzimmer zu empfangen. Die beiden Herren kamen nach
einiger Zeit zurück und teilten anscheinend ihrer nähern Umgebung
etwas von der Unterredung mit ; die entfernteren MitgUeder hörten
aber nichts davon und eine offizielle Mitteilung wurde in der
Sitzung nicht gemacht. Die schhesshch genehmigte Antwort
des Regierungsrats, welche sofort ins Kasino gebracht wurde,
bezieht sich auf den Erlass vom 31. August, welcher hinlängliche
Zusicherung gebe, dass den verfassungsmässigen Rechten der
Bürger keinerlei Eintrag geschehen solle. Darüber sich weiter
auszusprechen, sei der Regierungsrat nicht im Falle, dagegen soll
dem Grossen Rat einlässhch Bericht erstattet werden. Bezüglich
der Klage der Staatsanwaltschaft stehe dem Regierungsrat keine
Einwirkung auf die Gerichte zu; über die Beschwerde betreffend
Verletzung der Pressfreiheit sei der Staatsanwalt zum Bericht
aufgefordert. Den Statthalterämtem seien die nötigen Beleh-
rungen über den Vollzug der Beschlüsse vom 23. und 31. August
bereits zugegangen.
Selbstverständhch genügte dem Ausschuss des Zentral-
komitees diese Antwort in keiner Weise, was denn auch den
,, teuren Freunden und Brüdern" sofort durch Sendschreiben
kundgetan wurde. ,, Womit das Volk, womit dessen Abgeordnete
diese neue Kränkung verdienen, wissen wir nicht. Aber wie
wir in Kloten einander, wie wir es dem Volke feierHch versprochen
haben, fest und ruhig der heihgen Sache treu zu dienen, so bleiben
wir es auch jetzt. Der engere Ausschuss erachtet es daher in
seiner PfUcht, die sämtUchen Bezirks- und Gemeindskomitees zur
ernsten und sorgfältigsten Wachsamkeit aufzufordern,
damit die Güter, für welche sich unsere Mitbürger heute feierhch
und freudig erklärten und deren Begehnmg sie uns auftrugen,
denselben gesichert seien." Ein Postskriptum sagt: ,, Soeben ver-
nehmen wir, dass die Truppen abgedankt werden sollen"
(weiter oben war über die Fortdauer ihrer Anwesenheit und ihre
Vermehrung geklagt worden).
In der vStadt war ein gewaltiges Treiben den ganzen Tag.
Es wurde wenig gearbeitet und viel nach Neuigkeiten gefragt.
Am Abend wogte es auf den Strassen und Plätzen von Menschen.
,,Hell und hoffnungsreich leuchteten die Gesellschaftshäuser der
Städter, wo man mit Witzen und Gelächter über die lyage der
o ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN 199
Regierung und der Liberalen sich belustigte." (Leuthy.) Lud-
wig Meyer von Knonau suchte das Gesellschaftshaus auf,
wo die Tagsatzungsgesandten zum Abendschoppen zusammen-
zukommen pflegten. „Es wurde in sehr ungleichem Sinne von
dem Ereignisse des Tages, der ganzen Angelegenheit und der
Stellung der Tagsatzung gesprochen, auch die Frage berührt, ob
diese Bewegung nicht die Einmischung der andern Kantone er-
forderhch machen könnte. Ich beschränkte mich auf die Ver-
sicherung, dass die Tagsatzungsgheder persönlich von dem Volke
des Kantons Zürich, welcher Partei es auch angehöre, nichts zu
besorgen haben und dass ich hoffe und wünsche, unser Grosse
Rat werde ohne äusseres Zutim unsere Wirren zu lösen wissen.
Jede auswärtige Einmischung würde unser Übel ärger machen
und könnte die Eidgenossen selbst unter sich trennen. Ausser mir
war kein anderes Mitghed (des Regierungsrats) zugegen als Heget-
schweiler, der, soweit ich seine Worte vernahm, dieselbe Sprache
führte." Ob die ,,Konkordätler" für die Regierung marschieren
werden oder nicht, das war eine der brennendsten Fragen dieser
schwülen Tage, und sie hat ja auch schHesslich die Katastrophe
direkt herbeigeführt. Das Siebnerkonkordat (s. Seite 86) ver-
pflichtete die in diesem Sonderbund vereinigten radikalen Kan-
tone, einander gegen konservative Umsturzversuche beizustehen,
aber die radikale Zürcher Regierung hatte in ihrer Not doch lücht
mehr den Mut, diese Hilfe anzurufen. Das Misstrauen des Volks
schrieb ihr trotzdem fortwährend diese Absicht und bereits ge-
troffene Abmachungen mit den Gesandten zu und zeitigte die
tollsten Gerüchte von dem Anmarsch der ,, fremden Truppen",
wie die Eidgenossen in den Bulletins des Glaubenskomitees be-
harrlich genannt werden. Aber auch die Komiteeleute sondierten
emsig bei den Gesandten der Nichtkonkordatskantone, und Meyer-
Ott weiss zu berichten, dass die ,, treuen alten Eidgenossen der
drei Urstände" Uri, Schwj'z und Unterwaiden die besten Zu-
sicherungen gaben. Weiss äussert sich über die Frage: ,,Wer
wollte glauben, dass zwischen den Gesandten der freisinnigen
Kantone und einzelnen Mitgliedern der Regienmg nie kein Wort
über unsere Zustände gewechselt worden wäre! Allein Haupt-
gegenstand der Konversation war ein mitleidiges, ich möchte fast
sagen verächtliches Beurteilen unseres Musterkantons, das uns
200 ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN o
alle tief beschämen musste. Die gegenseitige Stimmung schien
mir in dieser Beziehung lange Zeit so beschaffen zu sein, dass jene
aus Unwillen, wir aus Scham und Zerknirschung uns über die
Sache nicht einlassen mochten. Ich meinerseits wenigstens war
froh, deshalb nie befragt, in keine Unterhaltung hineingezogen
worden zu sein. Was demnach über diese Truppenanerbietungen
und Forderungen gefabelt worden ist, hat nicht den mindesten
Gehalt," — abgesehen uatürUch von dem noch zu erwähnenden
offiziellen Schritt der Konkordatsgesandten.
Der Dienstag (3. September) ging ruhig vorüber, ,,wenn
man das fieberhafte Schlmnmern eines Kranken Ruhe heissen
kann." Die Regierung beschloss die Entlassung des Bataillons 4
und Einberufung des Grossen Rates auf Montag den
9. vSeptember. An diesem Dienstag Abend hielt Hürlimann-
Landis eine Besprechung mit seinem Stabe im Kasino, und
es wurde dort der Plan erörtert, es solle in der kommenden Gross -
ratssitzung ein Mitglied den Antrag stellen, der Grosse Rat
möge sich als aufgelöst erklären; diesem Antrag soll eine gleich-
zeitige gewaltige Volksdemonstration vor dem Rathaus
das nötige Relief geben; etwa 16,000 Mann würde man zu diesem
Zwecke unbewaffnet in die Stadt kommen lassen. Meyer-Ott
spricht auch von ganz einlässhchen militärischen Plänen,
die für den Fall des Aufruhrs und des Kampfes gegen die Konkor-
dätler zwischen Komiteemitgliedern erörtert wurden; u. a. ist
dabei die Rede von einer ,, Avantgarde der christlichen
Landesbewaffuung", die sich von Männedorf her gegen Zürich
in Be^^•egung setzen sollte usw. Während man in den hohem
Regionen der Glaubensstreiter die Revolution in möghchst glatten
Formen zu vollziehen gedachte, ging man in den untern etwas
handgreifhcher zu Werk. Auf offener Strasse verhiess man sich,
den Grossen Rat mit dem Stock auseinander zu jagen, wenn er
diesmal nicht nachgebe. Alles war in gespannter Erwartung.
Geht's bald los ? — • Lasst Euch nicht überraschen. — Sclimiedet
das Eisen, während es warm ist, imd was dergleichen Redensarten
mehr waren. Doch war man allgemein der Meinung, dass die Stadt
nicht die erste Glocke ziehen dürfe, damit es nicht heisse, es sei
alles nur Aristokratenmache zur Herstellung der städtischen
Privilegien .
o ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN 201
Mittwoch den 4. September. Das Fieber steigt. Die un-
sinnigsteu Gerüchte jagen durchs Land; Hürlimann, Rahn,
Spöndlin sollen verhaftet sein; 15 Bataillone Bemer seien unter-
wegs; Oberrichter Füssli sei extra nach Bern gereist, um sie in
Bewegung zu setzen. Die Radikalen hätten schon eine Pro-
skriptionsliste aufgesetzt, einen Scharfrichter aus Colmar mid
zwei Guillotinen aus Köln bestellt, und diese Guillotinen
waren den Leuten nicht mehr aus den Köpfen zu bringen; sie
überdauerten noch um Monate den 6. September und wurden
von konservativen Mitgüedern des Grossen Rates noch am
5. November gegen die Radikalen als Anklage heraufbeschworen!
Bereits an diesem Mittwoch den 4. September teilten einige
zürcherische Einwohner, die nicht zu den Häuptern der Einge-
weihten gehörten, dem in Zürich wohnenden Bruder des Regie-
rungsrates Fierz mit, in wenigen Tagen werde eine proviso-
rische Regierung aufgestellt sein; sie nannten ihm auch die
meisten Namen der Mitglieder, die dann warkUch gewählt wurden.
Das Komitee Hess neuerdings ein Bulletin ins Land flattern,
das wahrscheinlich ,, beruhigen" sollte, aber auch nur wieder eine
Kanne Öl zum Feuer goss. ,, Warten wir ruliig die Sitzmig des
Grossen Rates ab und lassen die Feinde des Volkes ihre ohn-
mächtigen Versuche machen. Das Volk, welches gross und
ernst in Kloten seinen Willen kundgetan, wird sich nicht durch
schwache Versuche reizen lassen, sondern ruhig die nicht aus-
bleibende Erfüllung seiner Wünsche erwarten." Damit hatte das
Volk aus der Hand seines angebeteten Komitees die Bestätigung
des von ihm längst felsenfest geglaubten, schauderhaften radi-
kalen Komplotts, mit dem man ihm fortwährend zusetzte
und den Kopf heiss machte. Von einer freisinnigen Versamm-
lung am Mittwoch Abend auf der ,, Platte" berichtet Weiss:
,,Ohne die mindeste Verabredung, bloss getrieben von der Sorge
für die Aufrechthaltung des Bestehenden und der Gefahr seines
Unterganges fanden sich mehr als hundert der in und um die
Stadt wohnenden Freisinnigen zusammen, Leute, weitaus zum
grössten Teil uns unbekannt, von Unter- und Oberstrass, Neu-
münster, auch Studenten (wahrscheinUch befand sich auch ein
Spion unter ims, der rapportierte). Natürlich frug man sich auch
hier: was ist zu tun? Femer: kann man sich darauf verlassen,
202 ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN o
dass die Regierung handeln werde ? Allgemein wurde die letzte
Frage mit Nein beantwortet. (Bei dieser Gelegenheit erzählte
man, ein gewisses IVIitglied des Regierungsrats habe sich geäussert,
es sei sicher, auch in einer neuen Regierung wieder seinen Platz
zu finden. Ebenso wurde auch laut bemerkt, ein gewisses Regie-
rungsmitghed habe gestern bis Mittemacht mit HürUmann im
Kasino zugebracht.) Nach vorhergegangenem Austausche gegen-
seitiger Ansichten wurde man dahin einig, auf nächsten Freitag
die freisinnigen Mitgheder des Grossen Rates zu einer Zusammen-
kunft einzuladen und jedem derselben zu überlassen, einen oder
mehrere seiner vertrauten Freunde mitzubringen. Sogleich boten
sich Freiwillige an, alsobald in die Bezirke zu gehen und die Ein-
ladungen zu besorgen. Nach diesem gingen neun Zehntel der An-
wesenden auseinander. Das Wort Zeughaus kam über memandes
Lippen, keine Silbe wurde darüber verloren und weder vor- noch
nachher war hiezu auch keine Gelegenheit, weshalb auch dieses
bloss eines der tausend Gerüchte gewesen sein muss, die zu dieser
Zeit gefhssentlich im Land herum verbreitet wurden, das aber,
wie es scheint, ebenso gefUssen benutzt wurde, um daraufhin
einen allgemeinen Aufstand zuwege zu bringen."
Ihren Höhepimkt erreichte die antistraussische Hetz- und
Wühlarbeit am Donnerstag den 5. September. Der engere
Ausschuss des Zentralkomitees verbreitete abermals eines
seiner Bulletins, die mit ihren vagen Andeutungen, halben
Dementis und versteckten Aufreizungen den brodelnden Kessel
schUessUch zum Überkochen bringen mussten. Es wurde in
diesem Bulletin erzählt, der Statthalter von Winterthur habe
den versammelten Gemeindevorständen seines Bezirks erklärt, es
werde der Regienmg wohl nichts anderes übrig bleiben als abzu-
danken und alles der Anarchie zu überlassen. Der Statthalter
habe deshalb von sich aus befohlen, unverzüglich in den Ge-
meinden den ersten imd zweiten Bundesauszug aufzubieten
und jeden Augenbhck marschfertig zu halten. Im Bezirk Winter-
thur werde auch verbreitet, wenn man sich nicht vom Komitee
lossage, so werden fremde Truppen kommen. Die Regienmg
habe jedoch das Truppenangebot einiger Stände bestimmt ab-
gelelmt. ,,Der Plan einer radikalen Landsgemeinde, der
lange reifUch erwogen wurde und mit dem dann noch andere
o ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN 203
kriegerische Pläne auf den Montag zusammengehangen haben
sollen, scheint wieder einstweilen aufgegeben worden zu sein,
ob ganz, wissen wir nicht."
Was das Glaubenskomitee nur anzudeuten, diplomatisch klug
zu umschreiben für gut fand, hatte die ebenfalls am Donnerstag
noch ausgegebene ,, Freitagszeitung" ins Populäre, Massive,
Handgreifhche zu übertragen, den heraufbeschworenen Phan-
tomen Fleisch und Blut zu geben, die Radikalen, die man andrer-
seits nicht verächtHch genug als unbedeutende Minderheit be-
handeln konnte, dem Volke direkt als die Urheber des kommenden
Bürgerkriegs zu denunzieren. Die ,, Freitagszeitung" schrieb:
„Sonntags wollen die Straussen, so wenig ihrer sind, eine Volks-
versammlung in Winterthur abhalten und dann am Montag
unter Anführung von Statthalter Sulzer nach Zürich ziehen,
um die dort versammelten Bürger des Kantons auseinander-
zusprengen. Das heisst also nichts anderes als Bürgerkrieg
beginnen. Dies wird so leicht nicht gehen; der See, die Stadt,
die hintern Bezirke, die sich so zahlreich in Kloten einfanden,
lachen über diese Hand voll Leute, die von Winterthur her kommen
dürften. — Jedenfalls ist der nächste Montag, wo sich der Grosse
Rat besammelt, der wichtigste Tag für unser Volk. Da wird es
sich entscheiden, ob der unglückhche Zustand, wo Volk und
Regenten sich gegenüberstehen, noch länger dauern, ob nicht das
Volk wieder seine Rechte erlangen und endhch einmal in Ruhe
und Frieden seines wieder errungenen Glaubens froh werden
köime. Wie das zu erreichen, ist noch lücht ausgemacht; es gibt
der Wege mehrere, aber nur einen sichern. — Diejenigen, welche
auf Winterthur gehen, wird man kennen."
Als Oberheizer im Dienst des Glaubenskomitees fungierte
Regierungsrat Eduard Sulzer. Dieser Magistrat hatte schon
am Montag zu seinem Kollegen Weiss wörthch gesagt: ,, sobald
Sie oder sonst jemand diese Intervention (der Konkordatskantone)
in der Regierung zur Sprache bringen und durchzusetzen suchen,
werden wir uns entschieden zur andern Seite schlagen." Obwohl
nun seitdem die Intervention im Regierungsrat noch nicht offiziell
zur Sprache gekommen und irgend ein Beschluss rücht gefasst war,
Hess Sulzer am Dormerstag Vormittag den Domänenkassier
Steffan, den radikalen Redner von Uster (,,au da muess ghulfe
204 ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN o
si") und jetzigen Freund der , .guten Sache", zu sich kommen und
sagte ihm wörtlich folgendes: „Sagen Sie Ihren Freunden, vor
allem aus Herrn alt Oberamtmann Escher von Wädenswil, es
drohe ihrer Sache ein Komplott; in 24 Stunden werden 30,000
Konkordätler gegen Züricli auf dem Marsch sein; FüssH ist nach
Bern verreist und Rordorf wird die Basellandschäftler heran-
führen." Diese psychologisch absolut unerklärHche Mitteilung
eines Regierungsrates entbehrte, wie sich bald herausstellen
sollte, jeder Grundlage; sie war nichts anderes als die Wieder-
gabe umlaufender Gerüchte, die nun aber im Munde eines Regie-
rungsrats und mit dem daran geknüpften Auftrag offiziellen
Charakter und Glaubwürdigkeit erhielt. Die Nachricht musste
in der Stadt wie eine Bombe einschlagen. Auf der Strasse hiess
es schon in kürzester Frist: ,,\Venn Ihr nicht unverzügHch los-
schlaget, so geht es Euch in sechs Stunden an den Kragen!"
vSteffan war zuerst zum Vizepräsidenten des Glaubens-
komitees, Dr. Rahn-Escher, gelaufen, vmi ihm das regierungs-
räthche Geschwätz brühwarm zu hinterbringen, hatte ihn aber
nicht angetroffen und war dann bei andern herumgegangen. Als
Dr. Rahn endlich gefunden wurde, sandte derselbe unverzüglich
an sämtUche Bezirkskomitees das folgende, berühmt gewordene
Bulletin (nach einer Kopie in den Akten Spöndlin) :
Freunde, Brüder!
Die Feinde wollen das Land mit fremden Truppen über-
fallen. — Neuhaus bietet Bern auf; — ■ Baselland rüstet sich.
— Ich ersuche Euch, schnell alles zum Sturm in Bereitschaft
zu setzen, und wenn die Glocken losgehen, dass ein guter
Teil nach der Stadt komme, ein Teil aber zur Bewahrung des
eigenen Herdes gerüstet bleibt, — für Gott und das Vaterland.
Donnerstag 10 Uhr.
Rahn-Escher.
Jetzt war die Kugel aus dem Rohr und keine Macht der Welt
brachte sie mehr zurück. Rahn machte dazu zwar noch einen
ehrlichen Versuch, als nach einigen Stunden das ganze Lügen-
gewebe offenkundig war, allein der lalune Gaul des zweiten Boten
traf in Pfäffikon erst ein, als der Landsturm schon aufgebrochen
war. In der Stadt wusste ausser den Eingeweihten niemand etwas
o ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN 205
von der Alarm-Depesche Rahns, am wenigsten die Regierung.
Alles war nur gespannt auf den kommenden Montag und mit den
Vorbereitungen für den Empfang und die Bewirtung der auf
jenen Tag nach der Stadt aufgebotenen I^andleute beschäftigt,
als Eduard Sulzers Tartarennachricht in der freudig erregten
Bürgerschaft die Hoffnung erweckte, dass der Kampf der ,, Guten"
und ,, Schlechten" — nach Meyer-Otts einfacher Klassifikation
— gleich jetzt ziun Austrag gebracht werden könnte. ,, Schon
jetzt zeigte sich, wie gut die Bürger dachten, denn die meisten
waren voll Freude und harrten mit Sehnsucht des ersten Glocken-
schlags; auch die wenigen Landleute, die in der Nähe waren,
entbrannten sogleich, und es wurde von vielen Pulver und Blei
gekauft." Stadtpräsideut Oberstleutnant Ziegler wurde dringend
gebeten, sogleich Sturm läuten zu lassen. Dieser aber erklärte,
auf eine so vage Nachricht liin sei es nicht ratsam, von dem System
abzuweichen, das er sich in dieser Sache vorgesetzt habe, nämhch
„Ruhe und Ordnung aufrecht zu halten und nur dann an einer
Insurrektion teilzunehmen, wenn es für die Sicherheit der Stadt
selbst notwendig werde. Wenn die I^andschaft Lust hat, die
Regierung fortzujagen, so mag sie es tun, welche dieselbe einge-
setzt hat. Unklug wäre es von uns, die Initiative zu ergreifen und
dadurch denen die Waffe in die Hände zu geben, welche sagen,
die Stadt strebe nach Herstellung ihrer Herrschaft über das Dand."
Im Kaufhause traten die Knechte vor die Herren und fragten,
ob sie zuschhessen imd mit den Sparren ausrücken sollen. Die
städtische Polizei gab sich alle Mülie, das Volk zu beruhigen.
Hauptmann Fehr, Chef der Pohzeiwache, eilte von einem zum
andern, um abziunahnen und zu beschwichtigen. Alle jene Nach-
richten seien ,,erheit und erlogen; Füssh sei nicht in Bern, sondern
in seinem Hause am Wolfbach; wir sollen doch Geduld haben bis
am Montag; Hess halte es ja mit uns; er und seine Landjäger
halten es ja mit uns; niemand werde ims etwas Leides zufügen,
aber nur sollen wir um Gottes und des Heilands willen nicht
stürmen." Dieser Vorfall, fügt Meyer-Ott bei, wird hier nur des-
halb erwähnt, um zu zeigen, dass die Regierung bewacht war
und dass jeder Versuch zu einer energischen Massnahme, z. B.
Aufpflanzen von Geschütz, dem unmittelbaren Aufstand in der
Stadt gerufen hätte.
2o6 ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN o
Nachmittags um 5 Uhr war wieder ausserordentliche Sitzung
des Regierungsrats. Es lagen zwei Zuschriften vor von den
Statthaltern von Zürich und Winterthur. Der erstere empfahl,
den umgehenden Gerüchten von der Einberufung „fremden Volks"
durch eine Kundmachimg entgegenzutreten, da sonst bis zum
Montag kaum alles ruhig bleiben dürfte. Der Statthalter von
Winterthur meldete vollkommene Ruhe in seinem Bezirk und
die Erklärung mehrerer Gemeindevorsteherschaften, treu zur Ver-
fassung und Regierung zu halten. Beide Zuschriften wurden
einstweilen ad acta gelegt, um vorerst die Zuschrift der Tag-
satzungsgesandten der sechs mit Zürich im Konkordat stehen-
den Kantone zu behandeln. Die Eidgenossen baten um beförder-
lichen Aufschluss über den Stand der Bewegung und vorzügUch
über Kraft und Wirksamkeit der Regierungsbehörden des Kantons
Zürich. Die Zuschrift wurde von versclüedenen Seiten als un-
gebührUch, voreiUg und anmassend bezeichnet, von Bürger-
meister Hess und andern in Schutz genommen. Da es sich nun
hier um die wichtige Frage der Intervention oder Nicht-
intervention handelte, die Meinungen darüber aber weit aus-
einandergingen, beschloss der Regierungsrat einstimmig, die den
Gesandten zu erteilende Antwort erst morgen Freitag Mittag
zu beraten. Um 7 Uhr ging man auseinander.
Abends waren die Diberalen wieder zahlreich auf der Platte
beisammen. ,,Kaum hatte ich mich niedergesetzt", erzählt Weiss,
,,als es lüess, im Bezirk Pfäffikon werden Anordnungen
zum Sturm getroffen. Ein Augenzeuge versicherte, diesen
Abend in Russikon gesehen zu haben, wie ein Bote von Pfäffikon
den Auftrag ins dortige Pfarrhaus brachte, auch da Sturm zu
läuten, sobald die Glocken in Pfäffikon ertönen. Ungefähr um
halb 9 Uhr suchte mich ein Expresser von Hin au auf, mir die
Nachricht zu bringen, dass dort seit 5 Uhr abends die Kirche
umstellt und Alles in Bereitschaft sei zum Sturmläuten; der
Pfarrer habe den Weibel in die Häuser geschickt, anzuzeigen,
dass das Geläute nicht einer Feuersbrunst, sondern dem Marsche
nach Zürich gelte." Weiss, Kantonsrat Studer von Wipkiugen
und noch ein dritter begaben sich zu Amtsbürgermeister Hess,
um ihn zu unterrichten und zu Massnahmen zu veranlassen;
Studer setzt ihm hart zu, aber ohne Erfolg. Als sie das Haus
o ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN 207
verliessen, ritten eben zwei junge Leute auf kotbespritzten Pferden
vorbei; sie hatten, wie sich nachher herausstellte, dem Komitee
die Nachricht vom Aufbruch des Landsturms gebracht.
Weiss begab sich auf die Haupt wache und ordnete an,
dass die Landjäger von Stunde zu Stunde zu rapportieren hätten.
Um IG Uhr wurde ihm ein Mann gebracht, den er kannte und der
ihm die bestimmte Versicherung gab, dass bei seinem Abgang
von Pfäffikon die Glocken in vollem Gange gewesen seien. Nun
verfügte sich Weiss zu Oberst Hirzel im Feldhof und erklärte
ihm, dass sie beide als Mitgheder des Kriegsrats nicht zusehen
dürften, sondern einige Massregeln treffen müssten. Hirzel, damit
einverstanden, erhielt von Weiss, dem Präsidenten des Kriegsrats,
die schriftHche Vollmacht, ,,die ihm zweckmässig scheinenden
Massregeln zu treffen." Das sei eine weite Vollmacht, meinte
Hirzel, man könne sie so oder anders auslegen; aber Weiss über-
liess ihm, seine Einrichtungen nach seinen Kräften zu treffen.
Auf dem Rückwege zur Hauptwache begegneten Weiss einige
bewaffnete Bürger. Er Hess deshalb den städtischen PoUzei-
präsidenten Stadtrat Gj'si zu sich kommen und bat ihn um Auf-
schluss. Gysi berief sich darauf, dass er ihm schon im März die
Kontrolle einer Bürgerwache von zirka 65 Mann vorgewiesen
habe, die jetzt aufs Stadthaus berufen worden sei. Ferner besitze
man eine Liste von 500 Mann, die man, wenn sich die Gerüchte
erwahren sollten, ebenfalls besammeln werde, aber einzig zur
Handhabung von Ruhe, Ordnung und Sicherheit und ohne poU-
tischen Zweck. Die Unterredung endete mit Händeschütteln und
gegenseitiger Versicherung redUcher Absichten. Nun erschien auch
Regierungsrat Hegetschweiler, Vizepräsident des PoUzei-
rates, auf der Hauptwache, fortwährend behauptend, es seien
alles nur Gerüchte. Allein jetzt kamen die Berichte imd Anzeigen
zu Häuf. Um Mittemacht meldete sich schweisstriefend ein junger
Bauembursche von Schwamendingen, mit dem Hegetschweiler
ein barsches, inqmsitorisches Verhör anstellte, das den jungen
Mann, der auf eine ganz andere Aufnahme gerechnet hatte, ver-
blüffte und einschüchterte. Endhch brachte man aus ihm heraus,
dass ein Dragoner, von einer Übung nach Hause reitend, auf der
Brücke von Dübendorf in einen Haufen bewaffneter und mit
Stöcken und allerlei Werkzeug versehener Landleute geraten und
2o8 ACHTZEHNTES KAPITEL: DER TAG VON KLOTEN o
sogleich umgekehrt sei, um in schnellster Carriere die Nachricht
nach Zürich zu bringen. Aber in Schwamendingen habe er das
ermüdete Pferd nicht mehr weiter gebracht, weshalb ihm, dem
Boten, aufgetragen wurde, nach Zürich zu gehen. Hegetschweiler
bUeb noch immer verstockt. Man ging hinaus, um auf der Brücke
hin und her zu spazieren. Nun kam auch ein Landjäger mit
der Meldvmg, dass er die L,eute in Dübendorf gesehen habe, ebenso
ein Mann aus Pfäffikon (dem Rahn dann den abmahnenden Brief
an Pfarrer Hirzel nach Dübendorf mitgab). Unterdessen stiess
auch Herr Steffan zu der Gruppe und wandte sich an Weiss:
,,Herr, ich frage Sie, woher wissen Sie, dass in Pfäffikon gestürmt
wird? Es ist an allem nichts!" Weiss erwiderte: ,,Herr, es ist
nur zu wahr; hinlänghche Berichte sind da, dass Herr Pfarrer
Hirzel das Stürmen angeordnet hat." Steffan ging mit der kräf-
tigen Verwünschung: ,,Dann soll ihn das " usw.
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****************************** *
NEUNZEHNTES KAPITEL
DER SECHSTE SEPTEMBER
Im Pfarrhaus Pfäffikon weilte Besuch aus der Stadt. Das
trauhche Beisammensein wurde unterbrochen durch einen Ex-
pressen, welcher Rahns Alarm-Bulletin überbrachte. Das war
Donnerstag nachmittag 2 Uhr (den 5. September). Pfarrer
Dr. Hirzel, ein ßijähriger Mann von leidenschaftHchem Tempera-
ment, erhob sich alsbald in lodernder Empörung. Sein böser
Genius riss ihn fort zu handeln, wo ihm doch nur Bereitschaft
befohlen war. Der Besuch reiste ab und brachte die erste Nach-
richt vom bevorstehenden Sturm nach Zürich. Hirzel selbst er-
zählt in seiner Rechtfertigungsschrift (,,Mein Anteil" usw.):
,, Sogleich berichtete ich die umliegenden Gemeinden, dass sie
auf die Glocken von Pfäffikon achten möchten, und überlegte
sodann mehrere Stunden lang allein vor Gott die Lage der Dinge."
Die ihm von allen Seiten zugetragenen Gerüchte von einem An-
schlag der Radikalen und Studenten auf das Zeughaus, der be-
stellten Guillotine, dem Marsch der Winterthurer nach Zürich,
dem Aufgebot „fremder Truppen" Hessen es ihm als das Richtigste
erscheinen, ,,den Plänen der Radikalen zuvorzukommen", und so
befahl er denn (um 5 Uhr) das Sturmläuten. Zu gleicher Zeit
gingen Expresse nach Zürich und an den See, den Aufbruch
mitzuteilen ,,und zur Teilnahme einzuladen". Pfarrer Hirzel hat
die Revolution nicht gemacht; er hat nur im kritischen Augen-
bhck das Oberkommando an sich gerissen und damit das
Zentralkomitee in eine peinhche und ohnmächtige Passivität den
kommenden Ereignissen gegenüber versetzt. Aber mit dem ersten
Ton der Sturmglocke zerriss der Dunst und Nebel von Gerüchten,
durcheinander wogenden Meinungen und frommem Selbstbetrug,
und es erschien Hellsehenden wie eine Vision, darob sie bis ins
Innerste erschraken, die Fratze der Revolution. Der Pfarrer
von Hittnau hatte nichts gesehen und Hess sechs Stunden lang
die Glocken ziehen. Auch Russikon, Illnau und Bauma
14
2IO NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
stimmten ein in das Lied der Rache und Empörmig, und der
jmige Pfarrverweser von Bauma segnete beim Fackelschein in der
Kirche Waffen und Mannschaft zum heiligen Krieg. Dagegen
blieben die Glocken von WeissUngen, Zell, Wildberg, Wiesen-
dangen stumm. Nach und nach sammelten sich in Pfäffikon an
die 2000 Mann. ,,Ein kleiner Teil bewaffnete sich, um damit dem
Zuge ein gewisses Ansehen zu geben." Ein Gemeindeseckelmeister
hinwieder steckte eine Summe Geld, den Zehnten, zu sich, um sie
bei dieser guten Gelegenheit der Finanzkanzlei in Zürich ab-
zuliefern. Von Dorf zu Dorf schwoll der Landsturm lawinen-
artig an. In Volketswil vereinigte man sich mit dem ,,Zug
der Kellenländer" aus Sternenberg, dem Tösstal, Hinwil.
Pfarrer Hirzel sagt nichts davon, dass in Volketswil die Kirche
gewaltsam erbrochen wurde, um Sturm zu läuten, und dass Radi-
kale sich in Kellern und hinter Scheiterbeigen verstecken mussten,
um nicht zum Mitgehen gepresst oder insultiert zu werden; er
weiss nur von ,, tausendstimmigem Gesang frommer Lieder aus
Herzensgrund". In Dübendorf war seine Armee auf 5000 Mann
angewachsen. Doch hier suchte ihn ein Mann und übergab ihm
folgendes Brief lein:
An die Männer von Pfäffikon.
Zürich, den 5. September 1839, Mitternacht.
Teure Freunde ! Ich eile. Euch zu bitten, nüüg zu bleiben.
In der vStadt ist alles ruhig, aber bereit gegen die Radikalen,
die, wie es sich herausstellt, einen Handstreich im Sinne
hatten, der aber durch Euch glücklich abgewendet scheint.
Ich bitte Euch daher, entweder ruhig zu bleiben und nach
Hause zu gehen, oder, wenn Ihr nach der Stadt kommt,
nichts anderes als zu sagen, Ihr kommet, um zu wissen, ob
Spöndhn und ich wohl seien.
Älit Treue und Freundschaft Euer
Rahn-Escher.
Nun was tun? ,, Vorwärts marschieren!" riefen die
Männer von Pfäffikon, und ihr Pfarrer und Feldherr willigte ein
,,in der festen Überzeugung, dass die andern Bezirke einerseits
o NEUNZEHNTES KAPITEI,: DER SECHSTE SEPTEMBER 211
uns sicherlich nicht stecken lassen wollen, anderseits auch nicht
können werden, da ja unser aller Interesse nur eines, unsere
Niederlage ihre eigene sei."
*
Hürlimann-Landis hatte Donnerstag nachmittag noch
eine Komiteesitzung in Zürich abgehalten und war dann ahnungs-
los nach Hause gereist. Ralin und Spöudlin wurden abends,
wie alle Welt, überrascht durch die Berichte aus Pfäffikon, denen
auf dem Fuss die ileldung folgte, die Illnauer seien bereits im
Anzug. Unverzüglich wurde vom engern Komitee Spöndhn ab-
geordnet, ihnen entgegenzugehen mid sie zur Umkehr zu bewegen,
weil man sie nicht gerufen mid sie in der Stadt weder brauchen
könne noch wolle. Auf der Höhe des Zürichbergs erfuhr Spöndhn,
dass das ganze Hinterland im Aufstand sei. Sofort schrieb er im
Hause eines Bekannten vier Briefe, worin er die betreffenden Ge-
meinden beschwor, ruhig zu bleiben, da das Gerücht vom Heran-
nahen der Konkordatstruppeu unrichtig sei. Darauf kehrte er
nach der Stadt zurück. Um 9 Uhr, als die Berichte immer be-
stimmter lauteten, wurden die Gemeinden am See nochmals
durch driugHche Botschaft aufgefordert, sich durch kein Gerücht
zum Aufbruch bestimmen zu lassen, bis es im Neumünster
stürme.
Im Kasemenhof am Talacker rasselte abends halb 10 Uhr ein
Trommelsignal: ,, Feld weibel heraus". Oberstleutnant Sulzberger
gab den Befehl, die Mannschaft solle angezogen, mit umgehängter
Patroutasche sich bereit halten, die Lichter sollen brennen, die
Fenster geschlossen sein und niemand an denselben sich blicken
lassen. Einige der jungen Wehrmänner taten noch ein Übriges
und versuchten, ihre stumpfen Säbel zu schleifen. An die Ka-
vallerie war der Befehl ergangen, in den Stall an der Sihl zu
gehen, zu satteln, aufzusitzen und in die Kaserne zu kommen.
Sie rückte um 11 Uhr in den Kasernenliof ein, und damit war die
gesamte Truppenmacht der Regierung beieinander! Sie
hatte nichts anderes zur Verfügimg als die MiHtärschule (Offiziers-
Aspirantenschule), grossenteils Brüder und Söhne der bei der
Volksbewegung beteihgten oder doch mit ihr sympathisierenden
212 NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
Bürger. Das ganz unzuverlässige Landjägerkorps, 50 bis 60 Mann,
war, \'on einzelnen Posten abgesehen, zu nichts anderem zu ver-
wenden als zur Bewachung des Zuchthauses. Oberst Salomon
Hirzel, der Oberkommandant der ,, Regierungstruppen", hatte
auf den Schlachtfeldern in Spanien und Portugal und an der Bere-
sina gekämpft, aber eine schwierigere Stellung und Aufgabe war
ihm nie zuteil geworden als in dieser Nacht. Als konservativer
Stadtbürger sollte er die radikale Regierung stützen und be-
schützen, und er erfüllte diese saure Pfhcht als Soldat und Ehren-
mann solange er konnte und musste. Um sie unter den Augen
zu haben, wie es liiess, hatte Oberst Hirzel die radikalen Offiziere
Oberstleutnant Konrad v. OrelU (Artillerie), Markwalder und
Brunner in den Dienst berufen imd sein Augenmerk zunächst
auf den Schutz der drei Zeughäuser In Gassen gerichtet,
die nach „konfidentiellen Mitteilungen" des Bürgermeisters Hess
durch einen radikalen Putsch bedroht sein sollten, aber auch
Angriffsobjekt des anrückenden Landsturms bilden konnten. Vom
vStadtpräsidenten Oberst Ziegler, der zu ihm in den Feldhof ge-
kommen war, erbat sich Hirzel 40 bis 50 Mann der Bürger-
wache, die er bewaffnete und in die Zeughäuser verteilte. Damit
behielt er seine kleine Truppe frei und hoffte auch, der Landsturm
werde von den Zeughäusern abstehen, wenn er sie in den Händen
der befreundeten Bürgerwache sähe. Dann begab er sich nach
der Hauptwache, wo er noch die Regierungsräte Weiss und He-
getschweiler traf, deren Mitteilungen ihm die ganze Schwere seiner
Verantwortung klar machten. Die ihm hier ,,sehr zudringlich
angebotene" und verdächtig scheinende Hilfe der Studenten
verbat er sich entschieden. Nachdem er nochmals in den Zeug-
häusern Nachschau gehalten, suchte Oberst Hirzel den Stadt-
präsidenten im vStadthaus auf. Dort wurde ihm gemeldet, dass
hundert Studenten bei der Tiefenliofhnde am Paradeplatz auf-
gestellt seien. Sofort dahin eilend, fand er sie nicht mehr; sie
hatten sich zur Kaserne begeben. Die Studenten waren an diesem
Abend bei ihrer Semester-Schlusskneipe im ,, Widder" am Renn-
weg versammelt, als die Nachricht vom Sturmläuten auf dem Land
auch sie erreichte. AugenblickUch organisierten sie sich als mili-
tärisches Freikorps und stellten sich dem Amtsbürgermeister Hess
zur Verfügung, der ihnen den zweideutigen Rat gab, ruhig bei-
o NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER 213
sammen zu bleiben und auf einen eventuellen Ruf sich bereit
zu halten. Ähnlich antwortete Weiss, den dreimal Deputationen
auf der Hauptwache aufsuchten. Auf die Bitte von Oberst Hirzel
ging ihnen Weiss dann auch gegen die Kaserne nach und traf
sie beim Feldhof, worauf sie sich auf sein Zureden zerstreuten.
Auch ein späterer Versuch, sich in die Bürgerwache einreihen zu
lassen, scheiterte; man hatte angebUch keine Gewehre mehr für
sie. Im Cafe htteraire sassen die ganze Nacht Radikale bei-
sammen, eines Winks der Regierung gewärtig; doch keiner der
regierungsrätlichen Stammgäste liess sich blicken. Kantonsrat
Studer bemühte sich, im Limmattal ein FreiwilHgenkorps zu-
sammenzubringen; aber niemand begehrte seine Dienste.
Unter den in aller Stille um Mittemacht Mann für Mann aufs
Stadthaus entbotenen Bürgern befand sich auch Meyer-Ott
vom St. Urban in Stadelhofen. Im Hausflur des Stadthauses war
schon eine ganze Anzahl Bewaffneter versammelt; sie wurden
von alten Offizieren, die in Holland vmd Frankreich gedient hatten
und nun plötzHch, ihren funkelnden Augen nach zu urteilen, um
25 Jahre jünger geworden waren, in Reih und Ghed gestellt.
Das Kommando über die gesamte Bürgerwache fülirte Oberst-
leutnant Friedrich Schulthess zur ,, Weinleiter", Sohn des
Uberalen Chorherrn Dr. Johannes Schiüthess und Gründer der
Buclihandkmg Schulthess. Ohne an der Leitung der Volksbewegung
irgendwie beteiUgt zu sein, sj'mpathisierte er mit ihr. Seiner
ruhigen, tapfern und taktvollen Haltimg am 6. vSeptember gebührt
neben Zieglers Feldhermgenie das Hauptverdienst daran, dass es
für die Stadt ohne grösseres Unglück ablief. Die Bürgerwache
des Stadtpräsidenten Oberst Ziegler bildet neben den Regierungs-
truppen den zweiten für die Revolution des 6. vSeptember in Be-
tracht fallenden, mihtärisch organisierten Machtfaktor. Ihre .Stel-
lung gegenüber der vom Landsturm mit Umsturz bedrohten
Landesregierung war die der nicht wohlwollenden NeutraUtät.
Man kann eine Landesregierung auf zwei Arten stürzen: die Re-
volution in der Arbeiterbluse geht ihr direkt und roh an den
Kragen; die Revolution im Frack wahrt möglichst die äussern
Formen, vermeidet Roheiten, rührt aber für den Schutz der Re-
214 NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
gierung nicht den kleinen Finger und geht bei ihren Verteidigern
herum mit der Erklärung: untersteht ihr euch, für die Regierung
einen Schuss zu tun, so bekommt ihr's mit mir zu schaffen. So
wird, kalt und klug, der Moment abgewartet, da die wehrlose Re-
gierung am Boden liegt und der drohenden Anarchie gegenüber
der Anschluss an die siegreiche Revolution im höchsten Interesse
der Ordnung und Sicherheit des Gemeinwesens liegt.
Oberstleutnant Schulthess verteilte seine Mannschaft auf ver-
schiedene wichtige Posten. Meyer-Ott hatte unversehens eine
weisse Binde am Arm und sah sich in ein Kontingent von etwa
dreissig Mann eingeteilt, dem die Aufgabe zufiel, den Herren
Dr. Rahn und Spöndlin als Eskorte zu dienen. Es war die
(übrigens falsche) Meldung eingegangen, der Landsturm rücke
über Witikon heran. Die Komiteeabordnuug sollte ihm entgegen-
gehen und nach seinem Begehren fragen. Durch die schlafende
Stadt ging es hinaus nach Hirslanden. Beim Wirtshaus zum
,, Wilden Mann" wurde Halt gemacht. Vom BürgU her dröhnte ein
Schuss der Lärmkanone; es brannte in vSchlieren oder Dietikon,
aber mit dem Aufrulir stand das Signal in keiner Verbindung,
denn am See bheb alles totenstill in der ruhigen, sternhellen Nacht.
Die Knechte im Wirtshaus freuten sich, ,,dass es einmal hinter
diese schlechte Regierung her geht", und sagten, hier herum wohnen
alles Gute, ausser dem vSchneider Fink da unten, der sei der einzige
Strauss in der Nähe. Da auf einmal Pferdegetrampel. Zwei
Reiter nahen von Witikon her. Es sind Boten des wackern Pfarrers
und Dekans Werdmüller von Uster. Der Pfarrer hatte das
Glaubenskomitee von Uster schon vor einiger Zeit aufgelöst, weil
ihm die Sache zu poUtisch geworden war; nun aber wurde er von
seiner Gemeinde bedrängt, welche stürmen wollte, und fragte des-
halb an, was er tun solle. Dr. Rahn empfalil in seiner Antwort
(morgens 2 Uhr), ruhig, aber wachsam zuzusehen. Nachdem
es klar geworden, dass der Landsturm einen andern Weg ein-
geschlagen hatte, sandte die Deputation noch eine dringende Ab-
mahnung nach Kloten und kehrte zur Stadt zurück. Beim
,, Falken" in StadeUiofen wurde man bereits von einem starken
Posten Bürgerwache angerufen, und auf dem Stadthaus wimmelte
es von Bewaffneten.
o NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER 215
Um dieselbe Zeit rückte die Kavallerie aus. Major Bruno
Übel ritt mit seinen 34 Dragonern auf den Münsterhof. Der
preussische Instruktor, ein schöner, ritterlicher Mann mit klarem
Verstand und makellosem Ruf, wurde die Zielscheibe der ersten
Schüsse; aber nicht hier war ihm bestimmt zu fallen. Übers
Jahr erst sollte ihn eine Araberkugel niederstrecken in den Wüsten-
sand. Seine FamiUe bheb in der Schweiz, und seine Tochter
wurde die Gattin Alfred Eschers. Mit der spärlichen Infanterie
besetzte Oberst Hirzel die obere und die untere Brücke und einige
exponierte Posten. Die Spitze des üandsturms war bereits aus
Schwamendingen gemeldet worden. Im Zimmer des Pohzei-
rats auf der Haupt wache hatten sich einige Mitgheder des Re-
gierungsrates zusammengefunden; die fehlenden wurden noch
einberufen. L. Mej-er v. Knonau, im Fraumünsteramt wohnend,
musste sich zwischen den Soldaten und dem Geländer der Münster-
brücke durchwitaden. H. Escher, der vom Hirschengraben kam,
bemerkte nichts Auffälhges ausser den Laternen in den Gassen,
die in unruliigen Zeiten von Mietern und Hausbesitzern vor ihre
Türen gehängt werden mussten. Auf Veranlassung von Regierungs-
rat Weiss wurden auch Stadtpräsident Oberst Ziegler und
Stadtpohzeipräsident Gysi auf die Hauptwache beschieden, um
über die immer weiter ausgedehnte Bewaffnung der Bürger-
schaft und ihre Bewegungen nochmals Aufschluss zu geben.
Bürgermeister Hess, Weiss und Eduard Sulzer sollten mit den
Herren reden. Oberst Ziegler berief sich auf das (von Dr. Keller
stammende) Aufruhrgesetz von 1832, das die Gemeinden haftbar
erklärte für den bei Unruhen entstehenden Schaden. Nur die
Abwendung solchen Schadens und der Schutz der Personen und
des Eigentums sei zunächst der Zweck der städtischen Bewaff-
nung. Mit vollkommener Offenheit fügte Ziegler jedoch bei, dass
die Bürgerwache angewiesen sei, die Dandieute frei passieren
zu lassen und nicht mit ihnen anzubinden. Bei der in der Stadt
herrschenden Stimmung könne er, Stadtpräsident Oberst Ziegler,
allerdings nicht dafür bürgen, dass sich die Bürgerwache nicht
mit dem Landsturm vereinigen werde.
Es kann also niemand behaupten, dass die Stadt Zürich am
6. September treulos und hinterUstig an der Regierung gehandelt
habe. Noch bevor eines Landstürmers Fuss städtischen Boden
2i6 NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
betreten hatte, wusste die Regierung ganz genau aus des Stadt-
präsidenten eigenem Munde, wessen sie sich von der Stadt ver-
sehen musste. Die Regierungsdeputation aber erklärte sich von
den Eröffnungen des Stadtpräsidenten ,, befriedigt", und sie
gewährte weiter die von Oberst Ziegler kaltlächelnd ausgespro-
chene Bitte, dieser seiner Bürgerwache, für deren Regierungstreue
er keinen Augenblick einstand, 500 Gewehre samt Munition
aus den Zeughäusern verabfolgen zu lassen. Endlich wurde, um
das Mass des Entgegenkommens voll zu machen, der Ober-
kommandant der Regierungstruppen, Oberst Salomon Hirzel,
angewiesen, mit dem Oberkommandanten der Stadttruppen,
Oberst Ziegler, die weiter zu treffenden militärischen Massnahmen
zu vereinbaren. Die beiden Kommandanten ^verständigten sich
dahin, dass gegen die Bauern keinerlei Offensive zu ergreifen
sei, Oberst Hirzel die Zugänge zu den Zeughäusern zu decken,
Oberst Ziegler für die Ruhe und vSicherheit der Stadt zu sorgen
habe. Nun war bloss noch dieser Preusse Übel als unsicherer
Faktor in Rechnung zu ziehen. Oberst Ziegler beschloss, ihn auf
die Probe zu stellen. Meyer-Ott erhielt den Auftrag, mit einer
Patrouille von vier Mann ein paarmal den Münsterhof zu passieren.
vSollte Übel vSchwierigkeiten machen, so habe er nur zu sagen,
man werde an Hirzel rapportieren, imd wenn dies nichts nütze,
zu erklären, dass man ihn als Feind behandeln werde.
,,Aber ganz höfüch und so ruliig, wie ich jetzt zu dir rede, musst
du ihm das sagen". Meyer-Ott kam ungehindert durch und sah
auch Oberst Hirzel neben Übel stehen, so dass das Einverständnis
allseitig gesichert schien.
*
Der Landsturm ist da! Hirt und Herde lagern bei der
,, Linde" in Oberstrass. Es ist morgens 4 Uhr. Dr. Rahn bittet
auf dem Stadthaus Meyer-Ott, ihn mit einer Eskorte von 20 ]\Iann
zu begleiten. Unterwegs werden sie schlüssig, das Volk beim
Einmarsch nicht über die Brücken zu führen, sondern am Rat-
hausquai den Zuzug vom See abzuwarten und dann erst im Ein-
verständnis mit der Bürgenvachc dem Militär gegenüber Terrain
zu gewinnen und die BesitznaJime des Zeughauses zu erwirken.
Beim Volk angelangt, tritt Rahn sogleich ins Gasthaus zur , .Linde",
o NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER 217
währendMej'ersichmit den Bauern unterhält. Da kommt Pfarrer
Hirzel, schüttelt Mej-er die Hand und sagt: „Mein Volk will
die Stadt nicht beunruhigen, nur den Bescheid der Regierung auf
die Adresse von Kloten abwarten und dann nach Hause gehen."
Dann geht er Rahn nach ins Wirtshaus. Das Aussehen der Leute
findet Meyer miserabel. Die Mehrzahl scheint der armen Fabrikler-
klasse anzugehören. Alle sind in ihren schlechten, zum Teil zer-
rissenen Kleidern, auch unordenthch mit ihren mirasierten Stoppel-
bärten. Ein alter, kleiner Mann tritt vor den Stadtherm hin mit
den Worten; ,,Wir begehren der Regierung nichts Leides zuzu-
fügen; es ist uns gleich, wer in Zürich regiert." — ,,Aber was sind
eigenthch eure Forderungen?" — ,,Nur das, was in Kloten ge-
redet worden ist. Ich weiss sonst von nichts anderem." — Neu-
gierige aus der Stadt wollen auf ähnUche Fragen die Antwort
erhalten haben, sie wüssten es eigenthch selber nicht, warum sie
gekommen, oder auch: die Regierung müsse weg. Ein Student
schrieb seinen Eltern nach St. Gallen von ,, Gesindel, mutlos, un-
schlüssig, verlorenen Schafen gleich". —
Bevor die auf der Hauptwache sitzende Regierung zu einem
Schluss kommen kann, was angesichts des Landstunns zu tun
sei, lässt Oberst Salomon Hirzel melden, dass er das MiUtär von
den Brücken zurückziehen müsse tmd der Regierung nur im Zeug-
haus Löwenhof Schutz bieten könne. Man ratschlagt nun zunächst
über ein geeignetes Sitzungslokal (im Rathaus wird umgebaut).
Melchior Hirzel will ins \'enezianische Zeughaus gehen; die Mehr-
heit ist aber dafür, die nächste Sitzung auf halb 8 Uhr in den ge-
wohnten Sitzungssaal im Posthaus anzuberaumen. Dann wird
beschlossen, eine Deputation, Hegetschweiler und Eduard
Sulzer (zwei ,, Gutgesinnte" nennt sie Meyer-Ott) in Begleitung
eines Weibels in den Standesfarben nach Oberstrass zu entsenden
und nach dem Zweck und \^orhaben der Leute zu fragen.
Es mochte auf 6 Uhr rücken, als die Regierungsabordnung die
neue Rämi-Taimenstrasse heraufgestiegen kam. Das Volk hielt
den Weibel in seinem Amtsornat für einen vornehmen Offizier.
Hegetschweiler schien ob dem schlechten Aussehen imd der
geringen Bewaffnung der Leute sehr — bestürzt ! Die Deputation
wurde bei Pfarrer Hirzel ,, vorgelassen", wie Hegetschweiler in
seinem Bericht sich ausdrückte. Als ,, ehrerbietige, aber feste"
2i8 NEUNZEHNTBS KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
Wünsche des Volkes wurden ihr unterbreitet: i. Annalime der
Adresse von Kloten, 2. bestimmter Verzicht auf alle fremde Hilfe
zur Ordnung innerer Angelegenheiten, 3. Austritt aus dem Siebner
Konkordat. Das wäre also so eine Art Ultimatum. Als Frist
dürfen zwei Stunden angenommen werden, derm für so lange
gab Pfarrer Hirzel nach der Unterredung seinem Volke Urlaub,
indem er beifügte, die Regierung werde jetzt Sitzung halten, und
wenn sie den Wünschen nicht entspreche, so ziehe man in die
Stadt; das Komitee werde dann sagen, was zu tun sei. Die
Leute zerstreuten sich darauf in die Wirtshäuser; manche gingen
auch in die Stadt und betrachteten misstrauisch die bewaffneten
Bürger. Aber überall hiess es, ,,wir tun euch nichts", und ein
Offizier versicherte: ,,Ich lasse das Gewehr präsentieren, wenn
ihr kommt". Die Stadtbürger waren ob dem friedhchen und
vielversprechenden Verlauf der Unterredung in Oberstrass nur
halb erbaut, und manche ,, besorgten" — nach Meyer-Ott — so-
gar den Fortbestand der Regierung. Als Meyer dem vStadtpräsi-
denten seine Eindrücke mitteilte, meinte Ziegler: ,,Ja, ja, ich glaube
auch, es werde alles arrangiert werden. Wenn aber die Regierung
nicht nachgibt, so dürfte es am Nachmittag doch noch zu Auf-
tritten kommen."
Das Komitee, wo ist das Komitee? Eines nach dem andern
von seinen auswärtigen Mitgliedern ist während der Nacht in Zürich
eingetroffen; auf ,, Zimmerleuten" findet die unfreiwillige ausser-
ordentUche Sitzung statt. Wenige hundert Schritte voneinander
tagen die reguläre und die irreguläre Regierung, eine vor
der andern sich fürchtend, miteinander in Ratlosigkeit wett-
eifernd. Auch der Präsident Hürlimann langt an und bringt
nichts weniger als ermutigenden Bericht. Auf Pfarrer Hirzels
Aufforderung hin hatte er den Sturm in den obern Seegemeinden
befohlen, und Bindschädler von Männedorf war von einer Ge-
meinde zur andern geeilt, aber keine wollte stürmen! ,,Denn die
Vornehmen hatten sich vor der \'olksmasse gefürchtet, vor der
Regierung gefürchtet, vor den Kugeln gefürchtet, mit einem
Wort gefürchtet!" Das Komitee steht vor der Entscheidung.
Zu ungewollter Stunde zwingt sie sich ihm auf. Glaubte das Ko-
mitee, monatelang das Volk gegen eine ,, schlechte Regierung"
o NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER 219
aufwiegeln, alle Masseninstinkte, die guten und die schlimmen,
aufpeitschen und dann dem Sturm gebieten zu können, wann und
wie er ausbrechen soll, so befand es sich im Irrtum. Jetzt ist der
Pfäffiker Landsturm da, ungerufen, in einem Zustand, dass es
kaum der Handvoll Dragoner Übels bedarf, um ihn auseinander-
zusprengen. Und dann — gibt es für uns nichts anderes mehr
als ,,in Kriminalprozessen unterzugehen". Pfarrer Hirzel
hatte ganz richtig kalkuhert: sie können mich nicht im Stiche
lassen. Also — das andere. Noch wagt es keiner auszusprechen,
und doch, sie ist's, die Revolution. Sie kommt. Mögt ihr davor
zurückschaudern, das Glockenseil des Aufruhrs zu ergreifen, jetzt
müsst ihr . . .
Wenn doch auch die Stadt anfangen wollte! Mit einem
Schlage wäre die Sache erledigt, wir aus allen Ängsten ! Mehrmals
gehen Deputationen zum Stadtpräsidenten, bitten und flehen,
Sturm läuten zu lassen. Aber Ziegler bleibt hart. Auf all das
verzweifelte Drängen hat er immer nur sein kurzes, kaltes ,,Noch
nicht!". So müssen wir denn andere zu Hilfe rufen. Spöndlin
schreibt, morgens 6 Uhr: ,,Der Bezirk Uster soll kommen, so
schnell möghch! — Allenthalben soll Sturm geläutet werden!"
Hürlimann (dasjenige Mitghed, das am wenigsten Skrupel
empfand und für seine ,, heilige vSache" mit was immer für IVIitteln
zu kämpfen bereit war) sendet durch den Amtsrichter Merz in
den Bezirk Andelfingen eine Botschaft, die zeigt, dass er schon
seinen fertigen Plan im Kopf hat: ,,.... Inzwischen besitzt die
volkstümhche und für das Volksinteresse warm schlagende Stadt
alle Posten zur Aufrechthaltung guter Ordnung des Eigen-
tums. Die Bezirke Horgen, Meilen und Zürich fangen jetzt an
Sturm zu läuten und heranzukommen. Das Zentralkomitee wird
sich beraten, was zu tun sei. Eine provisorische Regierung
wird gebildet werden müssen, da die alte das Zutrauen nicht mehr
besitzt. Die Grundsätze der Verfassung, unbedingte Rechts-
gleichheit, sowie die Volksrechte im allgemeinen als das heiligste
Gut betrachtet. Morgen wird eine ungeheure Volksversamm-
lung die nähern Beschlüsse fassen. Dasst Sturm läuten,
Brüder! Vereinigt euch ztim Schutze der verletzten ReUgion,
der verletzten Verfassung, der Grundlage einer besseren Zukunft !
— Gott mit euch und uns!"
220 NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
Die Brüder Franz und Fritz Meyer reisen mit Vollmachten
ab, um den See aufzubieten, ersterer ans rechte, Fritz ans linke
Ufer. Mit dem Zuger Postwagen fährt Fritz IMeyer bis auf die
Höhe von Adliswil und rennt nach Kilchberg zum Pfarrer mit
der Bitte, stürmen zu lassen, was sogleich geschieht. Das ,,5traus-
sische" Thalwil (Pfarrer Sprüngli, Melchior Hirzels Schwager!)
wird links liegen gelassen, in Oberrieden sagt Pfarrer Gessner,
Lavaters Enkel: ,,Herr! Wissen Sie, was Sie tun? Das heisst:
Re-vo-lu-ti-on!" — ,,Das ist nicht die Frage, was es heisst,"
erwidert Meyer ärgerUch, ,, sondern ob Sie den armen Ivcuten aus
dem hintern Land helfen oder sie im Stich lassen wollen." — ,,Nein,
in Gottes Namen, nein!" — ,,So werden es andere tun." — Weiter
nach Horgen. ,,Nein," heisst es da, ,,wir wollen unsere Freunde
sonst zusammenrufen und unbewaffnet nach Zürich ziehen wie
zur Landsgemeinde nach Kloten." Aber kaum in Wädenswil
angekommen, hört Meyer Horgen läuten; man hatte dort die
,,friedUchen Herren" sanft zur Seite geschoben und die Kirchentür
gewaltsam erbrochen. Trotzdem will Wädenswil nicht läuten; ,,es
könnte traurigen Auftritten rufen". Und auch der alte Statt-
halter Hüriimann in Richterswil, der Vater des Komitee-
präsidenten, erklärt: ,, Läuten lasse ich nicht"; er will auch nicht,
dass man bewaffnet nach Zürich geht. Eben erst ist die Mann-
schaft abgegangen, da kommt ihr von Wädenswil her Dr. Schmid
entgegengelaufen (,, diesmal sein demagogisches Talent der guten
Sache widmend", sagt Meyer-Ott) mid ruft: ,,Fremide, jetzt muss
alles an alles gesetzt werden; man schlägt sich in der Stadt, der
Platz beim Feldhof liegt voller Toten, Hegetschweiler ist er-
schossen." vSofort eilt alles ins Dorf zurück, bewaffnet sich, rückt
nach Wädenswil und mit der dortigen Mannschaft vereint nach
Zürich, wo die Schar bei einbrechender Nacht eintrifft. — Ähn-
liche Erfahrungen wie der Bruder macht Franz Meyer auf
dem rechten Ufer. In Meilen wird zögernd die Stunnglocke an-
gezogen, zögernd sammeln sich die Männer. Eine resolute Frau
tritt imter sie: ,,Seid ihr Männer? Schämt ihr euch nicht?
Beim Sapperment, trüge ich Hosen, ich wäre längst auf dem
Weg nach der Stadt!" In Männedorf lauter Bedenkhchkeiten
und Ausreden. Stäfa bricht auf, sobald es jenseits des Sees
läuten hört.
o NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER 221
Ungewiss, was die Brüder Mej-er am See ausrichten werden,
durchlebt das Zentralkomitee auf ,, Zimmerleuten" peinvolle
Stunden. Ziegler bleibt mierbittUch, vor der Stadt lärmt der
Landsturm und will nicht mehr warten — etwas muss gehen.
Neumünster soll läuten, soll den Brüdern am See das Zeichen
geben. Doch Bleuler-Zeller, KomiteemitgUed und Gemeinde-
präsident von Neumünster, wehrt sich und sperrt sich mit aller
Macht. Die schönen neuen Glocken in der neuen Kirche, kaum
eingeweiht — ,, Friede sei ihr erst Geläute" — sie sollen nun den
Bürgerkrieg einläuten? Hilft alles nichts; ihr müsst ....
Es war Freitag, Wochenmarkt in Zürich, und es ist rührend
zu lesen, dass an diesem Revolutionstage das Mihtär von den
Brücken zurückgezogen wurde, um den Marktverkehr nicht zu
behindern. Die Bauern vom See, frühzeitig auf ihren Schiffen
eingetroffen, waren sehr erstaunt ob den Neuigkeiten, die sie in
Zürich vernahmen. Meyer-Ott traf auf dem Weg zur Bank auf
der Münsterbrücke einen Bekannten von Wädenswil, der ihm
sagte: ,,Ach Gott, was ist denn das? Die unsrigen sind noch ganz
imwissend darüber." Um 8 Uhr öffnete Meyer wie gewohnt sein
Gtiichet und stellte Geld auf; es kamen Leute auf die Kasse und
auch ins Comptoir. Allgemein wurden die Läden geöffnet, und
da nun schon genug Leute Pfarrer Hirzels wenig Furcht ein-
flössende, eher bemitleidenswerte Scharen gesehen hatten und kein
weiterer Zuzug kam, hielt man das- Unternehmen für gefehlt.
Oberst Salomon Hirzel konzentrierte seine Truppen in der
Gegend der Zeughäuser. Eine erste vSchul-Kompagnie sperrte
den Eingang in die Zeughaus-(jetzt Waag-)gasse vor der ,,Waag"
mit einer Postenkette vom Wiserschen Haus (Gebrüder Pestalozzi
& Cie.) bis zum WilHamschen Haus (später Bankhaus Kugler).
Die Infanterie wurde durch 26 Dragoner verstärkt. Eine zweite
Schulkompagnie unter Oberstleutnant Markwalder war am Ein-
gang In Gassen von der vStorchengasse her postiert. Zwei Ab-
teilungen ,, Kadetten" (Offiziersaspiranten), unter dem Befehl von
Oberstleutnant Sulzberger, standen vor dem grossen gelben Zeug-
haus mit Front nach dem Paradeplatz und einer starken Posten-
kette von der Ecke des Hotel Baur zum Fröschengraben, eine Ab-
222 NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
teilung Scharfschützen am Ausgang der Zeughausgasse, gegen den
Paradeplatz. Seine zuverlässigsten Leute, Exerziermeister, Unter-
offiziere usw. nebst einer Abteilung Kadetten stellte Oberst Hirzel
als Reserve In Gassen auf. In den Feldhof mit dem neuen Zeughaus
wurden 20 Artilleristen unter dem Kommando von Oberstleutnant
v.OrelH gelegt. Die Bürgerwache, nunmehr 386 Mann zählend,
verteilte Oberstleutnant Schulthess auf verschiedene Punkte der
Stadt; eine Reserve von 86 I\Iann bUeb beim Stadthaus zur un-
mittelbaren \'erfügung des Stadtpräsidenten. ,,Wir jungen Leute,"
schreibt Adolf Bürkh, ,,grüssten im Vorbeimarsch unsere Ver-
wandten und Freunde unter den Militärschülern auf dem ]Münster-
hof und In Gassen, nicht ahnend, dass die MögHchkeit nalie lag,
ein paar Stunden später als Feinde aufeinander schiessen zu müs-
sen." Oberst Hirzel machte gegen 7 Uhr, von einigen Dragonern
begleitet, noch einen Ritt durch die Stadt, mn sich dem Landvolk
zu zeigen, damit es bei eintretender Unordnung desto eher auf
seine Stimme achten möge. Wie der Stadtpräsident, envartete er
erst gegen Abend mögUche Unrulien, hess es daher der Mannschaft
sich bequem machen und ging um 8 Uhr ebenfalls nach Hause in
den Feldhof, um etwas Rulie zu geniessen. Der vStadtrat hatte
schon frühzeitig zwei Ochsen schlachten lassen und trug Vorsorge,
etwa um 10 Uhr oder 11 Uhr Fleisch, Brot und Wein nach Ober-
strass zu schicken. Man glaubte im Stadthaus, die Leute würden
warten, bis der See herankäme, und dann erst einrücken.
Inzwischen versammelte sich der Regierungsrat zu seiner
letzten Sitzung auf dem Post hause. Eduard Sulzer, den man
mehrmals herbescheiden musste, erschien absichthch eine Stunde
zu spät. Hegetschweiler referierte in sehr günstigem Sinne
über die Sendung nach Oberstrass. Man beriet anderthalb Stunden
lang über eine Antwort, welche die Kanzlei ausfertigen sollte;
sie sagte in der Hauptsache, man habe die Herbeiziehung fremder
Truppen nie beabsichtigt und werde sie auch nicht beschUessen.
Auch eine Kundmachung an das Volk — die letzte —
wurde noch redigiert und erlassen, welche den Anmarsch fremder
Truppen bestritt und erklärte, der Regierungsrat habe die ganze
Angelegenheit in den Schoss des Grossen Rates niedergelegt.
Nun wurde eingetreten auf die den Konkordatsgesandten auf ihre
Anfrage vom Donnerstag zu erteilende Antwort.
o NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER 223
Plötzlich fährt ein Summen und Sausen durch die Gassen
der Stadt, wie der erste Windstoss, der vor dem Gewitter her die
Strassen fegt, Läden zuschlägt, Fenster erklirren lässt und re-
spektlos die Papiere auf dem Tisch der Ratsherren herumwirbelt.
Bei der Aleisenbank kommt's zuerst vorbei. Ein Mann lässt
pressiert an der Kasse fünf Banknoten wechseln, streicht das Geld
ein und sagt: ,,Herr Meyer, wissen Sie, dass es im Neumünster
stürmt ?" Meyer ruft die Neuigkeit ins Comptoir, und der Direktor
ruft zurück: ,,Dann müssen wir schUessen!" Im gleichen Augen-
blick stürzt der Kassendiener herein mit dem Ruf: ,,Sie kommen
alle nach der Stadt," imd eine dritte Stimme verkündet: ,,Da
sind sie schon!". Im Hui fliegen Läden und Jalousien zu. — Die
Beratung der Regierung unterbricht der Weibel Brändli mit der
Nachricht, das Volk komme über die obere Brücke daher. Er-
schrocken fahren einige Herren von ihren Stülilen auf, Bestürzung
und Ratlosigkeit malen sich auf allen Gesichtern, doch wird in
aller Hast noch ein Antrag Melchior Sulzers angenommen, die
Klage gegen die Mitglieder des Komitees zurückzuziehen, ,,aber
jetzt, m.eine Herren," sagt der Staatsschreiber Hottinger,
,,ist es Zeit, das Sie sich in Sicherheit bringen, denn ich weiss be-
stimmt, dass jetzt vom See her grosse Massen im Anzüge sind,
und ich besorge, dass Ihnen Schhmmes begegnen könnte," und
er will den Regierungsräten Anleitung geben, wie sie in den
hintern Räumen des Erdgeschosses durch Fenster in die Kappeler-
gasse gelangen und von dort den weitem Ausgang suchen könnten.
.... Flintenschüsse, hell und scharf, vom Münsterhof her,
galoppierende Pferde, schreiende Menschen in der Poststrasse.
,, Jetzt die Kanonen heraus," ruft angsterfüllt Eduard
Sulzer. Weiss, in dessen Ressort die Kanonen gehören, verlangt
als vorsichtiger Mann schriftlichen Auftrag. ,, Versteht sich,"
sagt Sulzer, und verschwindet. Nun knattert's auch auf dem
Paradeplatz. Schnell wirft Amtsbürgermeister Hess einen Be-
fehl an den Truppenkommandanten aufs Papier, das Feuer ein-
zustellen. Aber wer soll das Papier dem Obersten Hirzel zustellen ?
Der Weibel Brändh hat dazu nicht die mindeste Lust.
224 NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
Dem Volk in Oberstrass war das Warten verleidet. Man
sprach von Heimziehen, wenn's jetzt nicht bald vonvärts gehe.
Die Leute desertierten haufenweise. Die Regierung hess nichts
von sich hören. Pfarrer Hirzel schlug den Ungeduldigen vor:
Wir ziehen jetzt einmal in die Stadt liinunter, lagern uns auf
einem Platz und schicken eine Deputation an die Regierung.
Einverstanden! Die Haufen ordneten sich. Ein Kellenländer,
der ein Jagdhorn umgehangen hatte, instruierte seine Leute:
,,Wenn i eimol blose, so ränned; wenn i zweimol blose, so ränned
gege mir." Der geisthche Feldherr haranguierte die Menge wie
ein Bramarbas: ,,Fremide! Jetzt muss mit Entschlossenheit ge-
handelt werden. Ergreift die Stöcke! Das dicke Ende in die Höh' !
Also hat der grosse Napoleon seine Siege erfochten. Marsch!"
Der Landsturm setzte sich in Bewegung, zu Vieren geordnet,
Scharfschützen voraus, etwa 20 Mann, dann hundert mit In-
fanteriegewehren, hierauf ein ganzer Wald von Stöcken, Prügeln,
Gabeln, Äxten, die an lange Stangen gebunden waren und die zu
„friedlichen Unterhandlungen mit der Regierung"
nicht unbedingt erforderUch gewesen wären. Bei der Blindenan-
stalt gab's nochmals einen Halt. Hier wurden die Gewehre
geladen. Unter den Zuschauern stand auch der Urner Tag-
satzungsgesandte, Landammann Schmid. Er überlegte sich,
dass geladene Gewehre, mit denen ein aufgeregter Volkshaufe
daherkommt, die Eigentümlichkeit haben, loszugehen; ob mit
Absicht oder aus Versehen, macht dann in der Folge wenig aus;
der besonnene Mann ging deshalb heim auf sein Zimmer im Frau-
münsteramt.
Der Landsturm, im ganzen etwa 1500 Mann, kommt das
Halseisen herunter, ihm voran ein Schwärm Buben, der von Gasse
zu Gasse den Ruf verbreitet: ,,Sie kommen! Sie kommen!"
Durch den Neumarkt und Rindermarkt erschallt mächtig das
Lied der Kreuzf alirer : ,,Dies ist der Tag, den Gott gemacht,
sein werd' in aller Welt gedacht". Aus den Fenstern grüssen
lachende Bürger. Die meisten aber bücken stumm und ernst
auf das ungewohnte vScliauspiel eines ,, betenden Aufrulirs". Von
einem alten schwäbischen Fuhrmann berichtet L. Meyer v. Knonau,
der — die Fäuste in die Hüften gestemmt — in die Worte aus-
brach: ,,Das ist wieder einmal eine rechte Sauerei." An der Markt-
o NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER 225
gasse stutzt der Zug einen Augenblick. Man hat beim Rathaus
\-ier Landjäger mit Gewehr und aufgepflanztem Bajonett ge-
sehen. Auch der Posten auf der Hauptwache steht unter Gewehr.
Da sich aber keiner rührt, geht man weiter. Hier hat sich aucli
Dr. Rahn wieder eingefunden. Ein alter Kriegsmann unten an
der Marktgasse findet, es wäre artig, wenn sich die Kolonne teilen
würde, die einen über die untere, die andern über die obere Brücke
vorrückten. Dies wird für gut befunden und vorläufig abge-
redet, auf dem Münsterhof wieder zusammenzutreffen. Vor der
Trennung noch ein Choral aus dem Kirchengesangbuch: ,,Gott
ist mein Lied, er ist der Gott der Stärke". Dann stellt sich Rahn
an die Spitze von achthundert der unbewaffneten, d. h. nur mit
Stöcken versehenen Landstürmer, um sie den Quai aufwärts imd
über die Münsterbrücke zu führen. Sie singen: ,,Kein vSperling,
Herr, fällt ohne deinen Willen". Nebenlier auf dem Trottoir be-
gleiten sie die Neugierigen, Volk aller Stände, auch Frauen und
Mädchen. Im Neumünster stürmt's.
Die Bewaffneten folgen Pfarrer Hirzel über die Rathaus-
brücke in die Storchengasse. Neben der ersten Rotte von Scharf-
scliützen marschiert mit gezogenem Degen ein älterer Offizier in
abgetragener hellblauer Uniform, zwischen den Scharfschützen
imd den übrigen Gewehrtragenden Pfarrer Hirzel. Eben
sind zwei Ausspäher der Kavallerie über den W'einplatz nacli der
Brücke geritten; nun werfen sie die Pferde herum und traben
durch die Storchengasse zurück. Jubelnd begrüsst der Land-
sturm die vor dem ,, Weggen" aufgestellte Abteilung der Bürger-
wache, aber auch mit der Kompagnie Markwalder, die in der
Schlüsselgasse steht und Brot und Wurst verzehrt — es ist 9 Uhr
— werden nicht etwa Kugeln gewechselt, sondern nur ein gemüt-
liches ,, Guten Tag!" Anders Major Übel, den die Meldung
vom Anrücken des Landsturms erreicht hat. Er kommt über
den Münsterhof geritten, rasselnd und khrrend mit ihm die Ka-
vallerieschwadron ; am Ausgang der Storchengasse in den Münster-
hof stossen die Dragoner auf den Landsturm. ,, Zurück! Der
Platz soll frei bleiben!" Die Kolonne hält; die Scharf-
schützen fassen die FUnten, zum Anschlag bereit, Murren, Ge-
15
226 NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
sclirei, Tumult erhebt sich, Gewehrhähne knacken, in den liintem
Reihen ruft und drängt man ,, vorwärts!" Pfarrer Hirzel springt
vor die Scharfschützen, beschwört sie, nicht zu schiessen, „bis
zwei von uns tot am Boden hegen" ; die Dragoner drängen und
drücken die Rosse in die in der Gasse sich stauende Menge.
,, Friede!" ruft man ihnen zu. ,,Ja wohl, Friede, aber der Platz
muss frei bleiben; ihr dürft nicht vorrücken!" !Man zankt und
streitet sich herum. Jetzt stellt sich Pfarrer Hirzel in Positur
und hält eine Ansprache an Major Übel: ,,Wir kommen bloss,
um unsere friedhchen Verhandlungen mit der Regierung fortzu-
setzen. Ich beschwöre Sie, beginnen Sie keinen Bürgerkrieg!"
Major Übel erwidert kein Wort, hört wohl überhaupt nicht,
was der Pfarrer sagt; er sieht nur vor sich (nach seiner zu hoch
gegriffenen vSchätzung) dreihundert bis vierhundert feindhche
Soldaten in blauen, grünen und allen mögliclien Uniformen und
mit schussfertig gehaltenem Gewehr, dahinter in der Luft eine
Menge bedrohlich winkender Holzschlegel; er weiss hinter sich,
bei der Waag, eine ganz dünne Postenkette zum Schutz des Zeug-
hauses, die im Augenblick über den Haufen gerannt sein wird,
wenn er den Landsturm auf den Münsterhof herauslässt, und —
,,Zurück!!" donnert es noch einmal, zum letztenmal dem Pfarrer
von Pfäffikon entgegen. ,, Zurück!" ruft und winkt mit der Hand
hinter den Dragonern jetzt auch der Höchstkommandierende,
Oberst Salomon Hirzel, der auf den Lärm zu Fu.ss herbei-
geeilt ist. Ein junger Dragoner, mit dem Säbel in der Faust,
rückt dem Pfarrer mit seinem Gaul gefährlich nahe auf den Leib.
Ein Schuss kracht; das Pferd dreht sich auf den Hinterfüssen
und stürzt mit dem Reiter, der, nur leicht verletzt, unter ihm sich
her\-orarbeitet. An dem Gestürzten vorbei stürmen jetzt die
Pfäffiker unaufhaltsam vorwärts. Fünf, sechs Schüsse sind dem
ersten gefolgt, ein ganzes Rottenfeuer, aber alle zu hoch. ,,Nun
denn, in Gottes Namen vorwärts!" kommandiert Pfarrer
Hirzel. Der Landsturm debouchiert auf den Münsterhof und
treibt wie ein wilder Bergstrom in seinen Wirbeln die Dragoner
vor sich her. Zwei oder drei kommen zu Fall, werden aber von
den Kameraden herausgeholt. Hinter den Jalousien des Hinter-
zimmers in der Meisenbank jubeln die jungen Herren: ,,Die Dra-
goner fliehen!" Sie sehen, wie ein Dragoneroffizier von der Masse
o NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER 227
Über den ganzen Platz bis zum Fraumünster gedrängt wird. „Das
ist der verfluchte Übel!" ruft der Aufgeregteste der Jünglinge
und schlägt sofort das Gewehr auf ihn an; der Bankdirektor
Finsler fällt ihm aber in den Arm. Beim Fraumünster gerät Übel
in die Tete einer neuen „feindlichen Abteilung", der Kolonne
Rahn, die über die Münsterbrücke singend herangezogen ist.
Jetzt ist die Kavallerie endgültig geworfen. FUehende Dragoner
galoppieren durch die Poststrasse und über den Paradeplatz bis
zum Eingang des Talackers. Mit den übrigen trabt Major Übel
durch die Zeughausgasse auf die Hauptstellung zurück. Die In-
fanterie-Postenkette hat sich beim Anbhck der anrückenden
Massen aufgelöst und in die angrenzenden Häuser geworfen:
in die „Waag", in das (nunmehrige) Cafe Orsini, in den Erker
der Bäckerei Vögeli. Die Kolonne Hirzel schwenkt rechts
und will geradewegs um die „Waag" herum auf das gelbe Zeug-
haus los. Doch die „Waag" speit Tod und Verderben. Zwischen
Jalousien blinken Gewehrläufe, Bhtz und Rauch fährt aus ihnen
hervor, Blei schlägt in Köpfe, in Leiber, wirft Leute nieder, die
mit ihrem Blut das Pflaster färben. Erschüttert steht Pfarrer
Hirzel; rechts und hnks fallen die Seinigen, ihn trifft es nicht,
und doch wäre eine Kugel vor den Kopf ein besseres Los
gewesen, als heute noch wie ,,ein zweiter ZwingU" gefeiert zu
werden, Samstag Abend als Held im illuminierten Pfäffikon
empfangen zu werden, und dann — nach einigen Jahren — sich
zu drücken aus der Gemeinde, auszutreten aus Pfarramt und
Kirchendienst, unterzugehen in Paris in der äussersten Nacht
der Verzweiflung. Unglücklicher Pfarrer! Was tust du? Führst
deine Schafe selber zur Schlachtbank! Nun fliehen sie, zutode er-
schrocken, eiiüge ohne sich umzusehen über den Berg bis nach
Dübendorf, verbreiten auf dem Land die erste Schreckenskunde,
dass alles verloren ist. Der uns schon bekannte vStudent will
gehört haben, wie davonspringende Bauern riefen: ,,Die Dunner-
hagle schüsset jo! Das hämmer bim Eid nüd gmeint!" Einige
von ihnen verlaufen sich, stadtunkundig, in den Winkelgassen
der Neustadt und kommen an eine verschlossene Türe, die den
Ausgang nach der Winkelwiese sperrt. ,, Sprengt sie doch auf!"
rufen mitleidige Bürger aus den Fenstern. ,,Gott behüte uns,
wir sprengen keine Türen." Zum Glück wird die Tür von der
228 NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
andern Seite geöffnet. Mit dem Rest seiner Truppen tritt Pfarrer
Hirzel einen mehr oder weniger geordneten Rückzug über die
Münsterbrücke an, hält unentschlossen nochmals am obern Quai,
wird aber einige Augenblicke später von den in rasender Flucht
daher rennenden Massen der Kolonne Rahn gegen vStadel-
hofen hinaus mitgerissen. Diese Kolonne ist — A-on einem nach
dem Kratz abgesprengten mid dort verirrten Haufen abgesehen
- — mit wildem Geschrei durch die Poststrasse gestürmt, wo
im Hotel Baur die Tagsatzungsgesandten, gegenüber an den
Fenstern und auf der Terrasse des Posthauses einige Regierungs-
räte, unten am Tor der Post Weiss und Hegetschweiler mit
Postbeamten und andern L,euten zuschauten. Beim Feldhof war
wenige Minuten vorher Generalmarsch geschlagen worden. Oberst
vSal. Hirzel hatte, nach dem Münsterhof eilend, den beim Gelben
Zeughaus noch ruliig umlierstehenden Kadetten zugerufen: ,,An
die Gewehre!" und kam nun, vom Münsterhof schleunigst zu-
rückkehrend, noch gerade recht, um die führerlos aus der Post-
strasse herv-orbrechenden, mit wild geschwungenen Prügeln auf
die Scharfschützen und Kadetten losstürmenden Bauern zu
empfangen. Umsonst ruft Oberst Hirzel, rufen Sulzberger und die
andern Offiziere: ,,Halt, halt! — Zurück!" Die Bauern sind schon
auf acht Schritte herangekommen, da wird endhch Feuer ge-
geben und die vordersten fallen. Gleichzeitig bricht die beim
,, Windegg" wieder gesammelte Kavallerie vor und reitet auf die
Masse ein. Panik erfasst das Volk, es stiebt auseinander. Die
Stöcke wegwerfend, fhehen die Bauern zu Hmiderten die Post-
strasse zurück, von wenigen Dragonern verfolgt. Hegetsch-
weiler ist vom Posttor verschwunden, hinaufgeeilt in den Sit-
zimgssaal, hat den Befehl zum Feuereinstellen, der nocli unbe-
stellt auf dem Tisch liegt, ergriffen, kommt zurück — ,,auf mit
dem Tor!" — und stürzt sich hinaus ins Kampfgewülil. Das
Papier hoch in der Rechten schwingend, läuft er ums Eck des
Hotel Baur, auf die Dragoner los, übergibt es dem Leutnant
Fenner von der Forch, der laut zu den Offizieren hinüberruft:
„Ein Befehl von der Regierung!" und das Schriftstück
an Oberstleutnant Brunner weiter gibt. Hegetschweiler hat
sich umgewendet und geht zurück. Noch ein Schuss, der letzte
in diesem Bürgerkrieg. Er trifft Hegetschweiler in den Kopf.
o NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER 229
Der Mann schwankt, schlägt hin auf dem Trottoir vor dem Hotel
Baur. Dragoner jagen über den Platz, kehren von der Verfolgung
zurück. Oberst Hirzel sieht seine kleine Schar von Kadetten
mächtig erschüttert durch den Anblick der Toten und \^envunde-
ten. Sie wird einem erneuten Angriff des bewaffneten Land-
sturms, der jeden Augenblick vom See her kommen kann, nicht
mehr standhalten. Er bringt einige Mannschaft in den Feldliof,
imi das Gartentor von innen gegen einen Einbruch zu sichern,
und befiehlt, ein Geschütz in Bereitschaft zu halten; ein zweites
soll neben dem Venetianischen Zeughaus (Pulvermagazin!) auf-
gefahren werden. Dann sieht Oberst Hirzel sich um nach seinen
besten Leuten, den alten gedienten Instruktoren und Unter-
offizieren, die er als Reserve In Gassen postiert hatte — — • —
Jetzt — läutet das Grossmünster. Fraumünster, St. Peter
fallen ein. Ein Dragoner auf dem Münsterhof lässt vor Schreck
den Säbel fallen und starrt nach dem Grossmünster hinüber,
ob's hervmtersteigen wolle, teilzimehmen an dem Kampf. Es
hallen und wallen die ehernen Töne über die Stadt dahin. Das
bedeutet Sturm. Das bedeutet, dass die Stadt dem Aufruhr bei-
getreten ist, der Stadtpräsident sich an die Spitze der Revolution
gestellt hat. Jeder begreift es ujid erschauert ob den sonoren
Erlangen. Sie tragen die Kunde ins Land hinaus. Alle Kirchen
nehmen sie ab imd geben sie weiter. Bis über die Tliur hinaus
sind die Glocken in Bewegung. Es läutet das ganze Land. —
Jetzt ist es ganz aus mit ims, jetzt wehe uns! Ein Regierungs-
rat springt die Estrichtreppen im Posthaus hinauf, verkriecht
sich ins Dachgebälk, — zwei andere die Treppe hinunter, suchen
Deckimg in den alten Postkutschen im Hof. — Es hallen die
Glocken. — Umsonst sucht Oberst Hirzel seine treuen Reserven
In Gassen. Kein Bein ist mehr da. In den hintersten Schlupf-
winkeln des \"enetiamschen Zeughauses haben sie sich versteckt.
Urteilt nicht zu hart über sie ! Ein Oberstleutnant, der eben noch
tapfer im Feuer gestanden, fleht eine Freundin an um ein Damen-
kleid, steckt sich in Hut und Schleier, vergisst nur in der Hast,
den buschigen Schnurrbart zu rasieren — Herr Gott, wenn das
Grossmünster Aufriilir läutet und der vStadtpräsident Revolution
230 NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
macht, wer soll da nicht verrückt werden! — Der See bedeckt
sich mit fliehenden Marktschiffen; sie rudern nach Kräften, aus
dem Bereich der stürmenden Stadt zu kommen. Verwirrt und
betäubt von dem Geläute irren die Dragoner in den Gassen um-
her, verlassen die Stadt, einzeln oder in Gruppen, setzen bei Wip-
kingen über die Limmat. Und dort auf der Strasse nach Baden
stiebt in einer Wolke Dr. Ludwig Keller davon, die schnellsten
Rosse Zürichs an seinem Wagen. Ihn jagen die Kirchenglocken.
Auf demselben Wege folgen ihm die Fremide, Wilhelm Füssli,
David Ulrich, Jonas Furrer — —
In den Glockenklang mischt sich jetzt kriegerischer Trommel-
schall. Mit seinen die Luft durchschneidenden Schlägen, mit
dem festen Taktschritt bewaffneter Bürger kommt in das Bild
der Verwirrung, der Panik und kopflosen Flucht auf einmal die
Ruhe und Sicherheit eines überlegenen Willens und zielbewusster
Kraft. Jetzt tritt er auf den Plan, der Mann, der allein von allen
diesen Augenbhck klar vorausgesehen, der allein von allen von
diesem »Sturmgeläute nicht bewegt und nicht erschüttert wird,
weil sein Befehl die Glocken in Schwingung setzte : Oberst Eduard
Ziegler, der »Stadtijräsident von Zürich. vSeht dort, er ist es, der
an der Spitze einer kleinen Schar einherschreitet, im schwarzen
Frack, den Mihtärhut auf dem Haupt, den Degen in der Scheide.
Wohl dem Land und wohl der Stadt, wenn im Augenbhck des
Zusammenbruchs aller staathchen Autorität ein Mann da ist,
der weiss, was er will, dessen Persönhchkeit allein schon Autorität
genug ist, den Staat zu retten, dessen Bhck allein das Gespenst
der Anarchie zu bannen vermag. Die Glocken hallen, der Stadt-
präsident ist auf dem W^ege, ein Ende zu machen. Schicksal
imd Geschichte des Kantons Zürich, Schutz und Hort der Stadt,
Strafgericht unwürdiger Regenten, das alles verköqiert sich in
diesem Augenblick, in diesen zwei Stunden in seiner Person. Er
will, dass diese Regierung nun endhch verschwinde, die mit üirer
charakterlosen Schwäche den Staat an den Rand des Abgrundes
geführt, er will, dass ihretwegen kein Tropfen Bürgerblut ver-
gossen werde; er ist imstande, das zu vollbringen und kaum da-
bei die Hand zu regen. Hinter dem Stadtpräsidenten sdireitet,
mit blankem Säbel, der Kommandant der Bürgenvaclie, Oberst-
leutnant Friedrich Schul thess, mid dann — ■ tambour bat-
o NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER 231
tant — die Mannschaft, meist ältere Herren, erst seit diesem Mor-
gen in Dienst, noch migewiss — als sie auf des Stadtpräsidenten
Befehl vor dem Stadthaus die Gewehre luden — , ob sie nicht
den eigenen Söhnen, die bei der MiUtärschule stehen, entgegenzu-
treten haben werden. Gleichzeitig mit der Reserve haben sich
auch die übrigen, auf verschiedene Punkte der Stadt verteilten
Kontingente der Bürgerwache in Bewegung gesetzt. Trommel-
schlag und Taktschritt marschierender Kolonnen von allen Seiten.
Die Salzhaustreppe herab kommt, das Gewehr in der Hand, die
hallenden Glocken über sich, das Kontingent des Oberstleutnant
Rahn, vom Sonnenquai Oberstleutnant Weiss, vom Weinplatz
Oberstleutnant Bürkli, von der Wühre Oberstleutnant Nüscheler
— es ist ein Schauspiel, dem nur die grössere Büline fehlt, um
es imposant zu nennen.
Stadtpräsident Ziegler hat in einigen Minuten den Weg vom
Stadthaus zum Münsterhof zurückgelegt, lässt hier seine Mann-
schaft halten und geht allein nach der Storchengasse, wo die
Kompagnie Mark walder der Militärschule noch immer in
Gefechtsbereitschaft steht. Es bedarf nur einiger Worte des
Stadtpräsidenten, um den Oberstleutnant Markwalder zu dem
Versprechen absoluter Neutralität zu veranlassen. Oberst Ziegler
wendet sich nach der Poststrasse, gefolgt von der Bürger-
wache. Beim Heraustreten auf den Paradeplatz öffnet sich im
gegenüber hegenden Feldhof ein Tor und eine (mit Kartätschen
geladene) Kanone wird demaskiert, Kanoniere mit brennender
Lunte daneben. Die Leute von Oberstleutnant Schulthess stehen
still, aber keiner weicht vom Platz, nur etwas windschief gegen die
schützende Ecke des Hotel Baur zu wird die Linie; aber ,, unser
20 hätte es doch geputzt", meint vSchulthess nachher. Der Stadt-
präsident geht ganz allein ruhigen »Schrittes auf die Kanone
los ; die Kanoniere starren auf ihn wie auf ein Phantom, der Kom-
mandant, Oberstleutnant v. OreUi, vom Stadtpräsidenten ange-
redet, ,, stammelt einige im verständliche Worte", und dann —
verschwindet die Kanone. Hintendrein behaupteten die Kano-
niere, sie hätten nicht geschossen, sie hätten ,, gemeutert". Ihr
prahlt umsonst, Ihr konntet keinen Finger rühren, er hielt
Euch alle in seinem Bann, dieser Eine, der Stadtpräsident von
Zürich. Die Scharfschützen und Dragoner beim ,, Windegg"
232 NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
machen dieselbe Erfahrung. Was sonst noch herumsteht an
„Regierungstruppen", ist nicht mehr von Bedeutung. Das Werk
ist getan ; ein Befehl, die Toten und \'erwundeten wegzuschaffen,
ist das letzte.
Noch eins, im Vorbeigehen. Unter dem Eingang des Post-
hauses steht Bürgermeister Melchior Hirzel, unschlüssig, wo-
hin er sich wenden soll. Da sieht er den vStadtpräsidenten auf
sich zu kommen, streng und hart wie das Sclücksal, imd er hört
die Worte: „Herr, Sie wissen, dass ich nicht Ihrer Ansicht bin;
aber wenn Ihnen Ihr Leben heb ist, so machen Sie, dass Sie fort-
kommen." — , .Wollen Sie mich begleiten?" lispelt ,,das grosse
Kind". — „Mit Ihnen gehe ich nicht!" — Nicht ohne eigene
Schuld wirst du nun zuletzt nur so fortgejagt, du kurzsichtiger
Sesselkleber! Doch ein Böser warst du nie, und manche, die
dein gutes Herz versiDotteten, sind nicht der Liebe imd Men-
schenfreundlichkeit fähig, die dich immer beseelten. — Mitleidig
folgt man seinen Schritten durch die aufgeregten ^lenschen-
massen, ist froh, dass er mit einigen vSchimpfworten davonkommt
und unbehelligt sein Haus erreicht. Wie heimatlos irrt der fort-
geschickte Bürgermeister in den nächsten Wochen herum, nach
Zug, nach Duzern, über den Brünig . . .
Als der Weibel Brändli sah, dass die Poststrasse sich mit
Bürgergardisten füllte, lauter rechten Deuten, die er persönhch
kannte, getraute er sich mit dem zweiten Befehl des Amts-
bürgermeisters Hess über die Strasse und steckte ihn dem Oberst-
leutnant Schulthess zu. Der Befehl lautete: ,,Herr Oberst Hirzel
wird andurch beauftragt, die Zeughäuser der Bürgerwache
zu übergeben." Als Hirzel den Befehl erhielt, sagte er: ,, Gott-
lob! Sorgen Sie nur, dass es bald geschieht!" Rasch waren die
Kadetten der Älilitärschule gesammelt, die man sofort heim in
die Kaserne schickte. Im Thalacker begegneten die Truppen
dem von den Sturmglocken herbeigerufenen Harst von Ausser-
sihl. Oberstleutnant Sulzberger schwenkte sein Taschentuch,
und die beiden Kolonnen marschierten salutierend aneinander
vorbei. In der Kaserne erhielten die Soldaten und Offiziere bald
darauf den Befehl, einzeln und womögUch in Bürgerkleidern fort-
o NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER 233
zugehen. So wurde eine Regierungstruppe verabschiedet, die sich
immerliin mutig geschlagen hatte. Als der von Oberst Hirzel
erwartete dritte Angriff des Landsturms kam, fand er keinen
Gegner mehr. Nach der Kolonne Hirzel und der Kolonne Rahn
die Kolonne Spöndlin, die wildeste von allen! Von den erstem
hatte sich das Gros nach Stadelhofen geflüchtet. Spöndlin
imd Hürlimann hefen ihm nach. Spöndlin, ausser sich vor Zorn,
rief laut: ,, Haltet! Haltet! Kehrt um und schlagt die Strahl-
haglen tot." Hürlimann, bedeutend ruliiger, sagte zu Ferdinand
Mej'er, der im Hof seines Bruders zum ,,St. Urban" stand, mit
einem sonderbaren Lächeln: ,,Wir haben ein kleines Scharmützel
gehabt, leider ein paar Tote. Unsere Leute sind ein wenig er-
schrocken. Ich werde sie draussen im Riesbach sammeln und dann
wieder vorwärts führen." In diesem Augenblick kam, von Zolli-
kon her, der erste Trupp des Landsturms vom vSee, vierzig
Mann mit Stutzern und viele Unbewaffnete. Spöndlins Mittei-
lungen versetzten sie in Wut. Er schwang seinen Spazierstock
und rief: ,,Drum vorwärts, ihr Stralilhaglen," und mit tobendem
Lärm ging es in die Stadt hinein. Auch die Geflüchteten hatten
sich wieder angeschlossen. Hier wurden nun keine Psalmen mehr
gesungen. Auf der Münsterbrücke lief dem Zug Stadtrat Gysi
entgegen und sagte Spöndlin, dass der Kampf vorbei und weiteres
Blutvergiessen unnötig sei. Spöndlin befand sich in einer solchen
Aufregung, dass er sich schon nach kurzer Zeit dieser Unter-
redung kaum mehr erinnerte. Auf dem Münsterhof wollten die
Schützen die ,,\Vaag" unter Feuer nehmen, weil daraus zuerst
geschossen worden sei. vSpöndUn stellte sich vor die Liiüe und
schlug mit dem Stock die Fhntenläufe in die Höhe. Dann legten
sie auf einen Haufen Neugieriger an, der aus der Poststrasse kam.
Da packte SpöndHn den wildesten an der Gurgel und schüttelte
ihn tüchtig. ,, Jetzt zur Kaserne!" SpöndHn und seine Leute
hatten nichts Geringeres im Sinn, als die Kaserne zu stürmen.
In der Poststrasse wurde der Landsturm von der Bürgerwache
mit lautem Beifall begrüsst. Bluntschh erzählt: ,,Als die Männer
vom See vor dem Hotel Baur die Blutlachen am Boden gewahrten,
da machte sich der wilde Schmerz und der grimme Zorn in einem
entsetzlichen Gebrülle Luft, das mir die Nerven erschütterte."
Als Hotelknechte das Blut wegschaffen wollten, wehrte das Volk:
234 NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
„Nei, nei, lönds nu si, dass me sieht, wieme mit is umggangen
ist." Mit verdoppelter Wut stürmte jetzt die Kolonne Spöndlin
nach dem Talacker. Da war es Oberstleutnant Friedrich Schult-
hess, der den Rasenden nacheilte und sie mit dem Ruf : „Im Xamen
des Zentralkomitees Halt!" zum Stehen brachte. Seine Ver-
sicherung, dass wahrscheinlich jetzt schon niemand mehr in der
Kaserne sei und die Regiermigstruppen sich vollständig aufgelöst
hätten, beschwichtigte die Landstürmer. Von jetzt an trafen
ununterbrochen die Landsturmhaufen in Zürich ein, viele
iirit Stutzern und Infanteriegewehren versehen, andere in der
seltsamsten Bewaffnung, mit Sensen, Hellebarden, Morgen-
sternen. Bis zum Abend dauerte der Zustrom an; sie kamen von
den obem Seegegenden sowohl wie vom Wehntal und Rafzer-
feld. Das wunderHche Heer, das sich in Zürichs Mauern zusammen-
fand, mochte im ganzen 4 — 5000 Köpfe zählen.
*
Der arme Dr. Hegetsc hw eiler! Hätte man ihn zurück-
treten, zu seiner Botanik, seinen Herbarien zurückkehren lassen,
als er im Januar seine Entlassung begehrte. Im Regiermigsrat
fühlte er sich je länger je weniger an seinem Platz. Er hatte für
die Pohtik die Nerven nicht und konnte sich schliesslich nur noch
für die andern opfern. Das hat er buchstäbHch getan und ist als
Held und Märtyrer gestorben. Woher der tödUche Schuss ge-
kommen, wurde nie mit vSicherheit festgestellt. Es konnte eine
Dragoner[3istole, ebensogut aber auch eine Landsturmflinte ge-
wesen sein. Hegetschweiler hatte sich zwischen beide begeben,
und es war kein Wunder, dass ihn ein vSchuss traf. Absolut ge-
wiss ist jedoch, dass der schmälilich verleumdete Leutnant Fen-
ner von der Forch rücht der Schütze war. Hegetschweiler war
kaum um die Ecke des Hotel Baur \-ersch\%unden, als auch Re-
gierungsrat Weiss ihm nacheilte, ihn aber schon am Boden
hegen sah und sich umsonst bemühte, ihn aufzulieben, worauf
Weiss nach dem Feldhof weiter lief. Ihm auf dem Fusse war
Regierungsrat Kaspar Hirzel gefolgt, der stille, brave, un-
beredte Mann, dessen Unzufriedenlieit mit misshebigen Beschlüssen
jeweilen an seinem Kopfschütteln und dem Blättern in seinen
Papieren zu erkennen war. Kaspar Hirzel und Professor Ulrich
Faesi, der sich vorher schon heldenmütig um die verwundeten
o NEUNZEHNTES KAPITEI<: DER SECHSTE SEPTEMBER 235
Landleute angenommen hatte, halfen den todwunden Hegetsch-
weiler ins Posthaus tragen, wo sich Regieruugsrat Dr. med. Zehnder
sofort um ihn bemühte und auch Ludwig Meyer v. Knonau zu
assistieren suchte, während im Hintergrund des Zimmers Re-
gienmgsrat Fierz in tiefen Gedanken mit verschränkten Armen
auf und ab schritt. Hegetschweiler starb am 9. September und
wurde am 12. mit grösster Feierlichkeit bestattet.
,,Was tun wir jetzt ?" hatte es im Regierungsratssaal geheissen,
als Hegetschweiler mit dem Befehl des Feuereinsteilens fort-
geeilt war. ,, Beisammen bleiben und den Erfolg abwarten,"
meinten die blutigeren. Die andern aber nahmen Reissaus, so-
bald es zu läuten begann. Wälirend im Zimmer unter dem Rats-
saal Hegetschweiler mit dem Tode rang, schrieb Hess seinen letzten
Befehl (zur Zeughausübergabe). Ohne förmhchen Beschluss
löste sodann die Regierung sich auf, fiel wie ein ver-
faulter Baumstrunk auseinander, indem einfach eines um das
andere von ihren MitgHedem sich entfernte. Eduard Sulzer
(und nach ihm in gleicher Weise Melchior Sulzer) liess sich
von seinem Finanzweibel Schenkel mid einem bewaffneten Bürger,
Glaser Gimpert, nach dem Stadthaus begleiten, um sich unter
den mächtigen Schutz des Stadtpräsidenten zu stellen. Oberst
Fierz verschmähte den menschenfremidlichen Rat des Staats-
schreibers, durch ein hinteres Fenster hinauszuschlüpfen, und er-
klärte: ,,Ich gehe durch diejenige Tür hinaus, durch die ich ein-
getreten bin." Auch H. Escher liess sich das Hauptportal öffnen.
Der letzte auf dem Platz war der greise Junker Meyer v. Knonau,
der den Saal vollständig leer fand, als er von Hegetschweilers
Sterbelager wieder heraufkam. Weiss traf im Feldhof Oberst
Pestalutz, der ihm erklärte, er sei hier im Hause nicht sicher.
Er ging in die Wohnung des Zeugherrn (im Garten des Feldhofs).
Oberst Hirzel kam bald darauf, schweisstriefend und ganz ver-
stört, sagte bloss: ,,Gott! dass dies hat geschehen müssen", stürzte
ein Glas Wein hinunter und wieder fort. Jetzt kam auch Oberst
Pestalutz ins Wohnhaus, warnte nochmals Weiss und anerbot
sich ritterhch, ihn zu begleiten, wohin er wolle. Weiss wünschte
in die Wohnung des Amtsbürgermeisters Hess im ,, Tannen-
berg" zu gehen. Hess war lücht da, kam aber in einer Viertel-
stunde. ,,Was ist?" rief Weiss dem alten Freimd und Partei-
236 NEUNZEHNTBS KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
genossen entgegen. „Was ist?" gibt Hess grob zurück, „das
Glaubenskomitee regiert halt jetzt! — Ich denke, jetzt tut man
gut, bei Weib und Kind bei Hause zu bleiben. Ich weiss nicht,
— aber wenn Bürgi und solche den Leuten in die Hände kämen,
es würde ihnen nicht gut gehen." — ,,Sind denn diese Leute Mei-
ster?" — Hess zuckt die Achseln. ,,Eine vertrauHche Besprech-
ung hat vorläufig stattgefunden; aber wollen vSie jetzt nicht
gehen?" — Um 4 Uhr war Weiss in Winterthur.
Die ,, vertrauliche Besprechung", welclre in der Tat um 10% Uhr
auf dem Stadthaus unter der Ägide des Stadtpräsidenteu Ziegler
stattgefunden hatte, galt der Konstituierung einer provisorischen
Regierung. Sie wurde gebildet aus — vier radikalen Mit-
gliedern der gestürzten Regierung (!): Hess, Eduard und
Melchior vSulzer, Meyer v. Knonau; zwei Konservativen: alt
Bürgenneister C. v. Muralt, alt Oberamtmann Escher-Schulthess,
und dem Präsideuten des Glaubenskomitees: Hürhmann-
Landis. Hess blieb Präsident. Den Vorwürfen der Radikalen
gegenüber erklärte er später: ,,Ich habe meine persönUche Ehre
dem Vaterland und den Freunden zum Opfer gebracht." Meyer
V. Knonau, welcher erst nach dem Mittagessen an den eigenthch
für Hegetschweiler bestimmten Platz berufen wurde, schreibt:
,,Der Gedanke des \'aterlandes Hess mich die Parteien und die
VerantwortUchkeit, die ich auf mich laden könnte, vergessen,
um so \ael mehr, als der Moment nicht ungefährlich war und ich
immer glaubte, in Zeiten der Gefahr müsse ein Mann, der an einer
höhern Stelle sich befindet, nie dem Vorwurf der Furchtsamkeit
sich biosstellen und Ueber gewagt als verzagt handeln, soweit
es nur seine Person betrifft." Er erzählt folgenden Zwischenfall:
,, Einer der ersten Lenker der Bewegung trat in das Zimmer,
gerade als Hürlimann abwesend war, und sagte, nachdem einige
Worte waren gewechselt worden: ,Es bleibt nichts übrig, als
dass die provisorische Regierung gemeinscliaftlidi mit dem Komitee
handle und sich an dasselbe anschUesse!' Muralt, an den er diese
Worte gerichtet hatte, antwortete mit Bewegung: ,Das können
wir nicht, wenn wir eine Regierung sein sollen; allein wir werden
gewiss handeln, wie es die jetzige Lage der vSachen erfordert.'
Nun bhckte jener Mann mich an, und mit kräftiger Stimme ant-
wortete ich ihm: .Alles werde ich für Ruhe und Ordnung redlich
o NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER 237
tun, aber an das Komitee können wir uns nie anscliliessen, ins-
besondere nach dessen Treiben in den letzten Tagen.' Gelassen
ging der Sprecher weg, ohne Zweifel im vollen Bewusstsein, dass
die Macht bereits in seinen und seiner Genossen Händen Hege."
Die pro\'isorische Regiervmg erHess folgende Proklamation
an das Volk: ,,Die Unterzeichneten haben es für ihre ernste PfHcht
erachtet, unter den gegenwärtigen verhängnisvollen Umständen,
bei der Auflösung des Regierungsrats, die einstweilige Leitung
der öffentHchen Geschäfte als ergänzter eidgenössischer
Staatsrat zu übernehmen, bis ein Grosser Rat die Behörde
wieder organisiert haben wird. Mitbürger! Verhütet jeden Aus-
bruch der Gewalt, alle Exzesse! Ein Grosser Rat wird für die
Mittel sorgen, die öffentHche Ruhe und Ordnung wieder her-
zustellen, die Gesetzgebung fortan nach den Bedürfnissen des
Volkes zu ordnen." Auch das Zentralkomitee erHess eine
Proklamation, worin u. a. behauptet wird: ,,Das Volk rückte
friedlich, aber entschlossen ein, Schutz für seine heiUgen Rechte
zu verlangen. Da wurde es plötzlich überfallen und ange-
griffen" usw. Bei einer Revolution wird eben alles auf den Kopf
gestellt, auch die Wahrheit. Den eben abfahrenden St. Galler
und Berner Postwagen wurden die beiden Proklamationen reich-
Hch mitgegeben und alle Passagiere hielten deren in der Hand.
Der französische Gesandte Graf Mortier machte dem neuen (alten)
Amtsbürgermeister Hess sofort seinen Besuch. ,,Vous avez fait
une belle revolution," schmeichelte der Franzose. Er hatte auf
dem Balkon des Hotel Baur zugeschaut, bis eine Kugel in un-
gemütHcher Nähe aufschlug und gleichzeitig aus dem Hotel
gemeldet wurde, die Frau Gräfin sei in Ohnmacht gefallen.
Neben der sofortigen Einberufung regulärer Truppen
(zwei Bataillone Infanterie, eine Kompagnie Artillerie, deren
Oberkommando dem Stadtpräsidenten Oberst Ziegler über-
tragen wurde) war die Hauptsorge der provisorischen Regierung
die Abwehr jeder Intervention von selten der Eidge-
nossen, denen gegenüber mit Hartnäckigkeit der Standpunkt
verfochten wurde, es habe eigentHch gar kein Regierungs-
wechsel stattgefunden oder doch nur ein unbedeutender, die
Verfassung sei in keiner Weise geändert, jede fremde Einmischtmg
überflüssig, auch stehe der gleiche Amtsbürgermeister mit dem
238 NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
Staatsrat an der Spitze des Vorortes und könne somit ruliig als
Bundespräsident der Tagsatzung weiter Vorsitzen. Ein Send-
schreiben vom 6. September an die „getreuen lieben Eidge-
nossen" sagt nur kurz, dass die Regierung infolge eines „laut
ausgesprochenen Volkswillens" sich aufgelöst habe, die öffentUche
Ruhe ,,wälirend einigen AugenbUcken gestört wurde", jetzt aber
die Ordnimg wieder hergestellt sei, und legt sodann dar, dass
eine Intervention nicht nur unnötig, sondern auch bedauerUch
und für che Rulie von Kanton und Eidgenossenschaft gefährUch
wäre. Trotz anfänghchem lebhaftem Widerstreben namentUch
von Seiten der Mitvororte Bern mid Luzern und der Gesandten
einiger Konkordatskantone bequemte sich die Tagsatzung zur
Gutheissung des Zürcher Standpunktes und Anerkennung seiner
weitem Funktionen als Vorort.
*
Die Opfer des 6. September waren 15 Tote (Hegetsch-
weiler und 14 Bauern) und 17 Verwimdete. Auf Seite der
Regierungstruppen waren nur einige leichte Verletzungen zu
konstatieren. Acht Bauern waren am 6. September gefallen,
einer am 7. September, die andern fünf etwas später gestorben.
Neun \'on ihnen wurden Sonntag Nachmittag 4 Uhr im Prediger-
kirchhof bestattet. ^lan hatte die Verwundeten und Sterbenden
zuerst auf Sesseln, Tragbahren und Leitern ins Stadthaus ge-
schafft, wo ein Ratsdiener in grosser Aufregung sich mitten unter
sie stellte und laut betete: ,, Meine Lebenszeit verstreicht" usw.
Hierauf wurden sie unter gewaltigem \^olksauflauf in den Spital
beim Prediger gebracht. Das Volk ,, verlangte" die Ausstellung
der Toten im Chor der Predigerkirche; es defiUerte vor den
grausig aussehenden, mit ihren offenen ungewaschenen Wunden
dahegenden Leichnamen, und man hörte die Leute sagen: ,,Den
hat der tlDel erschossen; dem hat er den Kopf gespalten". Ein
Hilfskomitee nahm sich der Hinterbhebenen an, nachdem
es über die Toten sorgfältige Erkundigungen eingezogen hatte.
Die Leumundszeugnisse lauteten gottlob mit einer Ausnahme
günstig. Exzesse wurden in der Stadt trotz der massenhaften
Ansammlung von Bewaffneten keine verübt; immerhin musste
die ,,Waag", gegen die sich der Volkszom hauptsächhch richtete,
ständig von starken Posten bewacht werden. Die Landjäger
o NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER 239
beim Rathaus wurden zum Dank für ihre „gute Gesinnung" so
geplagt und gehänselt, dass Hürlimann geholt werden musste,
welcher die Ablösung dieser Posten beim Rathaus und der Haupt-
wache durch die Bürgerwache befahl, ,, womit das Volk sich jubelnd
zufrieden gab." Nicht als Urteil, nur als Stimmungsbild aus
radikalen Kreisen ist die Bemerkung des schon erwähnten Stu-
denten interessant: ,,Wäre nicht Verrat im Innern so gewiss als
etwas vorauszusehen gewesen, so würde die Regienmg jetzt sieg-
reich dastehen; aber die Spiesse und Aristokraten alle machten
und machen gemeinsame Sache mit dem Pöbel, den sie sonst ver-
achten, geben ihm zu saufen in den Kirchen, quantum satis super-
que, und stralilen vor Freude, wo man sie sieht . . . Der ehemahge
aufgeklärte! freisinnige! geistreiche Professor Bernhard Hirzel
von Zürich, der an der hiesigen Hochschule Treffüches geleistet
in orientalischer Sprache, hielt diesen Nachmittag (4 Uhr) in der
Fraumünsterkirche eine so fanatische Predigt, wie kein Peter
von Amiens oder sagen wir lieber kein Walter von Haberüchts
je fähig gewesen wäre, eine solche zu halten." Gut gekleideten
Leuten, die um diese Zeit von der Stadt weggingen und Land-
stürmem begegneten, konnte es passieren, für ,,Straussen" ge-
halten und belästigt zu werden. Auf der Forch wurde Kantons-
rat Suter von Gossau misshandelt ; auf den alten Kriminalrichter
Boller wurde geschossen. Das Forchwirtshaus erhielt höchst
gefährlichen Besuch von Landstürmen! , die das Gerücht in Wut
versetzt hatte, der Sohn des Hauses habe Hegetschweiler er-
schossen. Man musste froh sein, wenn die Leute nur assen und
tranken ohne zu zahlen. Der Vater Fenner hatte sich bereits ge-
flüchtet. Zwischen Wermatschweil und Fehraltorf und dann bei
Pfäffikon machten die Bauern Jagd auf ihn, bis er von Bezirks-
richter Zimmermarm gerettet werden konnte. Die Hauptführer
der Radikalen waren in Badcu in Sicherheit. Dr. Keller, der
sich nach seiner Ankunft ,,mit seinem bekannten Hohngelächter"
zur Tafel gesetzt hatte, führte dort einige Wochen mit seinen
Freunden ein ,, fröhlich-frivoles Emigrantenleben".
Das erste, was der Stadtpräsident Oberst Ziegler als neu-
emannter Höchstkommandierender sämtUcher Stadt- und Land-
240 NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
truppen erlebte, war — ein Streik der Offiziere! Der Zauber
von heute morgen war verflogen, man hatte es wieder mit ganz
gewöhnlichen eigensinnigen Menschen zu tun. Der in die Stadt
eingerückte Landsturm musste irgendwie organisiert, eingeteilt
und untergebracht werden. Ziegler wollte ihn den einzelnen
Kontingenten der Bürgerwache zuteilen und deren Komman-
danten unterstellen, allein die Offiziere der Bürgerwache weigerten
sich mit Heftigkeit, solches Volk, das nicht viel mehr als Gesindel
sei, zu befehligen; man solle das denen überlassen, die es her-
gerufen haben. Sie anerkannten auch keine Verpflichtung gegen
irgend eine Regierung oder Komitee, sondern nur für die vSicher-
heit der Stadt. ,, Meine Herren," sagte Oberst Ziegler, ,,ich kann
Sie nicht zwingen, Sie sind zudem ältere Offiziere als ich. Die
Massregel ist aber absolut notwendig, und wenn mich niemand
unterstützen will, so kommandiere ich allein." Ungerülirt ver-
harrten die Offiziere bei ihrer W^eigerung. Ziegler musste teil-
weise zum — Zivil greifen, um Bataillonskommandanten für
den Landsturm zu bekommen. vSo kommandierte in der Kaserne
Herr Professor Bluntschli, der nie eine Uniform getragen
und nun eine Nacht hindurch sich ,,Herr Oberst" titulieren lassen
konnte. Nachträglich Hessen sich allerdings doch noch einige
höhere Offiziere zu Kommandos herbei, und der treue ^Nleyer-
Ott, freiUch selber auch nicht ^MiUtär, aber begeisterter Mili-
tärfreund und Militärschriftsteller, erklärte: ,,Ich gehe auf jeden
Posten, wo man mich liinstellt." Noch während dieser Verhand-
lungen ,,kam eiti besoffener Kerl, den man Feldweibel nannte,
und sagte, das Volk auf dem Paradeplatz fange an, ungeduldig
zu werden, dass es keine Offiziere und keine Gewehre erhalte".
Es war Zeit, mit diesen Leuten, an welche 70 Saum Wein aus
dem Stadtkeller verabfolgt worden waren, abzumarschieren in
die Nachtquartiere (die vier Kirchen). Sie wurden in A-ier Batail-
lone eingeteilt, zum Zeughaus geführt, wo sie ihre Stecken usw.
gegen Gewehre austauschten, Patronen in Rock- und Hosen-
taschen steckten und vergnügt zur Kirche wanderten. Meyer-
Ott kam mit seinem Bataillon in die Predigerkirche. Hier
Sassen schon 50 bis 60 Wehntaler Bauern um eine leere Weintanse
herum und sangen geistliche Lieder. Als aus dem Spital ein Sarg
gebracht wurde, um den andern im Chor beigesellt zu werden,
o NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER 241
stimmten sie an: „Wie sicher lebt der Mensch, der Staub". Es
wurde dem Landsturm in der Kirche Brot und Fleisch gebracht;
die Leute sangen: „Wir danken alle Gott", klagten dann über
grossen Durst, bis Meyer-Ott sich rüliren Hess und noch eine
Tanse Wein bestellte. Immer wieder erschallte in der Kirche der
hehre Männergesang, bald aus dem ,,christüchen Gesangbuch"
oder auch ,,In des Waldes düstern Gründen" und Ähnhches.
Auf einmal ein Schrei: ,,Die Straussen kommen!" Alles
stürzt aus der Kirche. Es hatte einer den Sitz eines Männer-
stuhls polternd heruntergeschlagen, um sich darauf zu setzen;
die Schildwache aber, die den Schrei getan, meinte, ,, einen fernen
Schuss" gehört zu haben. Dem Zentralkomitee war zu Ohren
gekommen, dass es im Prediger etwas laut zugehe. Es erschien
deshalb eine Deputation, bestehend aus einem Pfarrer und einem
Landmann, ,,den ich seitdem", sagt Meyer-Ott, ,,als Erzspitz-
buben kennen gelernt habe." Vor der Tür sagte mir der Pfarrer:
„Wie geht's drinnen?" — ■ ,,Sie sind alle voll." — ,,Wie steht's
mit dem Gehorsam?" — ,, Nicht übel, die drinnen befehlen, ich
gehorche." — Der Pfarrer betrat die Kirche mit den Worten: ,,Gott
grüss euch, christliche Freunde." — Keine Antwort. — „Wir
sind Abgeordnete des Zentralkomitees." Alsbald flogen die
Hüte von den Köpfen, und andächtig lauschten die Männer einer
längeren Ansprache des Pfarrers, der sich dann auch noch nüt
einzelnen in ein Gespräch einhess; ein grosser alter Kerl trat vor
ihn hin, sah ihm mit dem stieren Blick des Trunkenen ins Gesicht
und hielt seinerseits eine geläufige Ansprache über einen Bibel-
text, die der Pfarrer mit ,,So, so, hm, hm" quittierte. Auch der
Höchstkommandierende kam auf seiner nächthchen Runde ein-
mal in den Prediger und wurde von demselben Kerl angerempelt,
ob es wahr sei, dass man Sulzberger gefangen, was mit ihm ge-
schehe usw. Ziegler fertigte ihn kurz ab, worauf sich der Alte
wieder verkroch.
Richtig, Sulzberger! Er war in der Tat bei der Sihlbrücke
erwischt worden, als er — eine elegante Dame — in einem Zwei-
spänner sich flüchten wollte. Gab das ein Hailoh und Gelächter!
Der englische Geschäftsträger fand das Detail interessant genug,
um es an Palmerston zu berichten. Sulzberger sei in seiner Ver-
kleidung in Parade durch das Volk und vor das Komitee geführt
16
242 NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER o
worden, habe da eine Art Urfehde schwören müssen und sei dann
ohne weitere Unbill entlassen worden. Der Gegenstand war
dankbar für Karrikaturen, Fastnacht und Schnitzelbänke und
wurde auch weidhch dazu benutzt. Es gab Leute, die sich noch
in hohem Alter mit Vergnügen an den Gutjalrr-Dirggel erinnerten,
den sie etwa von einer Tante- Gotte bekommen und auf dem
die tragikomische Geschichte abgebildet war. Die , .schönste"
Eroberung in Zürich am 6. September aber machte — ratet ein-
mal! — David Friedrich Strauss! Der Züriputsch ver-
schaffte ihm zu der Zürcher Pension, die er schon hatte, auch
noch — seine Frau, die schöne Opernsängerin Agnes Sche-
best, die am Abend des 6. September in einem Gastspiel des
Aktientheaters als ,, Romeo" in Belhnis Oper ,,Die Montecchi
imd Capuletti" hätte auftreten sollen (s. ,, Tagblatt" Nr. 248).
Der Landsturm verdarb ihr das Gastspiel, aber der Mann, nach
dessen Namen sich ein ganzes Volk in zwei Parteien spaltete imd
blutig duellierte, interessierte sie in hohem Grade, imd aus dem
Interesse wurde Liebe und — Heirat. Die Geschichte macht bis-
weilen solche Witze.
Die Nacht ging ohne den von Baden her befürchteten Über-
fall der Radikalen vorbei. Auf Samstag vormittag 10 Uhr
hatte das Zentralkomitee grosse Landsgemeinde auf dem
Paradeplatz angesagt. Mit Trommelschall zogen die I^andsturm-
Kompagnien auf. Präsident Hürlimann war umgeben von der
Ehrengarde seiner Richterswiler Scharfschützen, und der grosse
Platz füllte sich mit einer ungeheuren Menschenmenge, aus welclier
Gewehre, Morgensterne, Keulen, Speere imd Hellebarden her\'or-
ragten, — eine Versammlung, wahrhaftig würdig der ]\Iemora-
biha Tigurina, wo sie sich auch aufgezeichnet findet. Nachdem
Rahn-Escher die Begrüssuugsansprache gehalten, ward Hür-
limann mit stürmischem Beifall empfangen, und hier sprach
er, über dieser in Waffen starrenden Gemeinde, sein grosses Wort:
,,Das Zürcher Volk ist ein hehres christliches Volk!"
Es jubelte das Volk und freudig kUrrten Speere, Hellebarden und
Morgensterne, als Hürlimann ankündigte, dass der Grosse Rat sich
auflösen werde, um einem neuen Platz zu machen, und dass die
o NEUNZEHNTES KAPITEL: DER SECHSTE SEPTEMBER 243
noch im Zuchthaus sitzenden Brandstifter von Uster (1832)
begnadigt werden sollen. Eine Parallelversammlung fand auf
dem Münsterhofe statt. Nach dieser Landsgemeinde wurde
der unbewaffnete Landsturm in die Heimat entlassen, der be-
waffnete hatte noch zu warten, bis das reguläre Militär einge-
rückt war, was zum Teil (Bataillon Däniker) noch an diesem
Abend geschah. In der Nacht gab es im Neumünster, infolge
eines blinden Schusses, einen gewaltigen Rumor. Man glaubte
den Antistes mit dem Tode bedroht, und eine grosse Schar seiner
Getreuen stellte sich als Schutzwache um sein Haus. In Stadel-
hofen aber rief der 68jährige Major Mej-er-Pestalozzi : ,,\Vas
zum T. ist das für ein Lärm ? Da meinen diese Torenbuben gleich,
der Feind komme, wenn einem solchen Lappi das Gewehr los-
geht." Spöndlin kam mit blankem Säbel gelaufen, den An-
tistes zu verteidigen. Der Alte aber brummte: ,, Glaubt doch
nicht solche Dummheiten; so verrückt sind die Radikalen nicht."
Am Sonntag den 8. September konnte auch der bewaff-
nete Landsturm entlassen werden, nachdem das Bataillon
Brunner eingerückt war. Mit diesem Bataillon, das auf dem
Münsterliof sich besammelte, gab es noch einen recht unangeneh-
men Vorfall. Sein Kommandant war wegen einer nicht-dienst-
lichen Untersuchung zur Zeit nicht dienstfähig. Das Bataillon
verlangte aber stürmisch diesen imd keinen andern Komman-
danten; eine Deputation wurde nach seiner Wohnung geschickt,
imi sich zu erkundigen, ob ihm nichts fehle, und die Mannschaft
ruhte nicht, bis Oberstleutnant Brunner das Kommando über-
nahm. Oberst Ziegler war froh, am 12. das Oberkommando wieder
an Sal. Hirzel abtreten zu können. Noch einmal wurde in der
Sonntag-Nacht unnötig Alarm geschlagen und sogar Geschütz
aufgefahren. Ein ehrhcher Mann hatte mit eigenen Augen eine
Kolonne mit zirka 300 Bewaffneten gesehen (vielleicht vom Mond
beschienene Rebstickel ? fragt Meyer-Ott). Jene Männer aber,
welche am Montag früh vom Albis herniederstiegen und denen
ein Weib atemlos voraus lief, um die Stadt auf den Überfall vor-
zubereiten, waren friedliche Deputierte aus dem Amt Affoltem,
welche kommen wollten, um dem Staatsstreich des Grossen
Rates beizuwohnen.
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ZWANZIGSTES KAPITEL
REAKTION
Weil man einen Missgriff der Regierung zum „Verfassungsbruch"
gestempelt und mit einer Revolution beantwortet hatte,
war man nun gezwungen, eine ganze Reihe wirklicher Ver-
fassungs- und Gesetzesverletzungen der krassesten Art selber zu
begehen. Weil die Frommen sich nicht damit begnügt hatten,
der Stimme ihres Gewissens gegen ein vermeintUches Attentat
auf Religion und Kirche laut und deuthch Ausdruck zu geben
und des überraschend grossartigen Erfolges eines solchen Pro-
testes (40,000 Stimmen und Abberufung von Strauss) sich dank-
bar zu freuen, weil sie vielmehr geglaubt hatten, sie müssten der
unbegreiflichen Langmut Gottes gegen die radikalen Regenten
nun ein wenig nachhelfen, selber dafür sorgen, dass solche Sachen,
wie die Berufung von vStrauss, nicht mehr passieren können,
mit einem Wort selber ein wenig Vorsehung und Weltgericht
spielen, so hatten sie diese Rolle nun auch durchzuführen und zu
zeigen, wie man es nach ihrer Meinung machen und einrichten
muss, um das Reich Gottes ein- für allemal gegen alle Bosheit der
Radikalen ,, sicher zu stellen". Ungeschickte Kinderhände, die
dem Vater bei der Arbeit helfen wollen und ihm die Tinte aufs
Manuskript leeren! Ein Klex auf der Geschichte der christlichen
Kirche, das ist der 6. September 1839.
Wohl hatte dank Zieglers überlegener Taktik die Revolution
nur wenig äussern Schaden angerichtet, und die Regiervmg
dankte ihm auch in ihrer Urkunde vom 12. Oktober dafür,
dass er die Ordnung und Sicherheit der Hauptstadt aufrecht
zu erhalten vermochte, als ,, unter der Gewaltsbewegung der
Bevölkerung (eine hübsche Umschreibung) die ganze Organisation
der Staatsbehörden versank und wenige Hände, durch Selbst-
bewusstsein und allgemeines Zutrauen stark, das Staatssteuer er-
griffen". Aber auch Spöndlin hatte recht, als er nach dem
Kampfe zu Meyer-Ott äusserte: ,,Eine Revolution ist und bleibt
o ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION 245
ein greuliches Ding". — Eine „christliche" Revolution voll-
ends ist ein Unding, das Widersinnigste, was es auf der Welt
geben kann; in ihren demoralisierenden Wirkungen ist sie
noch weit schhmmer als eine radikale Revolution. Ludwig Meyer
von Knonau schrieb: ,,Von dem Volke wich der letzte Überrest
des Glaubens, dass die Regierung auf einer hohem Stufe stehe. Es
hatte zu klar gesehen, wie es mit einem Stosse eine solche nieder-
werfen und wie leicht es eine andere aufstellen könne. Die Mittel
und Vorspiegelungen, deren man sich bedient hatte, machten
zwar nicht im ersten AugenbHcke, aber in der Folge imd durch
die Wirkungen des Kampfes der Parteien in den öffentUchen
Blättern, dass bei einem grossen Teile des Volkes eine Misstim-
mung entstand, durch welche es nicht nur das Vertrauen und den
Glauben an alle Höherstehenden verlor, sondern über die höchsten
Angelegenheiten unschlüssig wurde und fragte: Wem können wir
vertrauen ? — Hätte uns die Septemberregierung bis im Frühling
1842 bestehen lassen und ihre Opposition mit Umsicht und Popu-
larität fortgesetzt, so wären wir genötigt gewesen, entweder nur
zu vegetieren und dadurch lächerlich zu werden, oder aber Miss-
griffe zu machen und anzustossen, und so wäre sie auch, zwar
etwas später, aber auf eine rechtmässige Weise zur Herrschaft
gelangt, und die nachteihgen Wirkungen, die der 6. September
nicht nur auf den Kanton Zürich, sondern auf die ganze
Schweiz hatte, wären unterblieben." In den ,, Briefen eines
Zürchers an einen Basler" heisst es: ,,Man kennt noch gar nicht,
was alles im Volke aufgerülirt ist. Durch den Gegensatz, dass
man der Rehgion wegen der Obrigkeit untreu werden dürfe,
ist nicht bloss das sittliche Bewusstsein untergraben worden,
sondern auch das religiöse hat von seinem Leben verloren und ist
in leeres Formelwesen bei vielen ausgeartet. Die Religion ist nicht
mehr die Macht über ihr sittUches Verhalten, die sittUchen Begriffe
überhaupt sind locker geworden. So hörte ich neulich einen
sonst wackern Gemeindebeamten von einer nochmaUgen Re-
volution sprechen in einem so gleichgiltigen Tone, als spräche er
von einer Pfeife Tabak. Indem das Volk gegen die gestürzte Re-
gierung zur Verachtung gereizt wurde und dieser Kampf als ein
,,heiUger Kampf" gepriesen wird, ist es leicht geneigt, gegen Re-
gierungen als solche überhaupt mit Geringschätzung und am Ende
246 ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION o
mit Widerstand aufzutreten. Endlich ist dem Volk durch die
letzten Ereignisse klar geworden, welche Macht in den Massen
liegt. Der Unbedeutendste dünkt sich Souverän zu sein, und mehr-
mals hörte ich die Äusserung: wir wollen es mit der neuen Re-
gierung probieren; jetzt weiss einmal das Volk, was es vermag;
handelt diese nicht nach dem Volkswillen, so macht man es ihr
wie der alten. — Überhaupt nur kein Wort der Ruhe und Ver-
nunft durfte nach dem 6. September gesprochen werden. Es
lag eine furchtbare Inquisition auf dem Land, und
dass so wenig Unheil geschah, kommt daher, dass die Gegen-
partei kaum wagte zu atmen. Der Name ,,Strauss" war dem Volk
jetzt mehr als Dieb, Hurer und Mörder, und mit diesem Namen
brandmarkte man bald jeden Ruhigen. Von diesem Gefühl mögen
freihch diejenigen nichts wissen und ahnen, die an der Spitze der
Bewegung standen. Von diesem Gefühl wissen aber die Ruhigen
recht viel."
Am Montag den 9. September kam der Grosse Rat
zusammen — derselbe, den man nötigenfalls mit dem Stock aus-
einanderjagen wollte. Wieder strömte eine Masse Ueute in die
Stadt, alle sonntäghch gekleidet, es war wie an einem Fest. Im
Fraumünster hielt das Zentralkomitee eine kurze Ver-
sammlung; dann ging's ,,in brausendem Strom" über die Münster-
brücke zum Grossmünster, wo unter dem Schutz der Bajonette
und in Anwesenheit der Tagsatzungsherren und der fremden Ge-
sandten der Grosse Rat tagte. Die Verhandlungen hatten schon
begonnen, allein das Volk erzwang sich mit Tumult und Lärm den
Zutritt. ,, Gegen den Grossen Rat wurden keine Schreckmittel
angewandt; aber das Gebrüll einzelner roher ]\Iensclien, Beifalls-
äusserungen bei einzelnen Voten zeugten von dem Zustande der
pohtischen Auflösung" (M. v. K.). Trotz der Abwesenheit von
75 radikalen Mitgliedern konnte die Beschlussfähigkeit konstatiert
werden. Das ganze Bureau, Präsidium und Kanzlei, war ab-
wesend, auf Reisen. Bürgermeister Hess wurde zum Präsi-
denten, Gujer zum Vizepräsidenten gewählt. Der gewandte
Eduard »Sulzer begründete den Antrag auf Bestätigung der
provisorischen Regierung und sofortige Auflösung des Grossen
Rates. Diesen letztern Antrag bekämpften Prokurator Schock
und Kantonsrat vStuder von Wipkingen als verfassungs-
o ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION 247
widrig und ungesetzlich. Professor Bluntschli unterstützte
die Regierung mit einer Rede, die den stürmischen Beifall des
Volkes fand. „So ist's recht; so wämmer's ha!" hiess es. Der
Präsident gebot ,, Stille, oder ich hebe die Sitzung auf!", was
mit noch grösserem Lärm beantwortet wurde. Ein alter Bauer
schrie von der Emporkirche herunter: ,,Hochgiehrti Herre, das
ist euseri Meinig; mir wand nüd wie der Prokrater Schoch!"
C. V. Muralt: ,,Ich fordere jeden Bürger auf bei seiner Ehre, bei
seiner VaterlandsHebe vmd allem, was ihm heilig ist, die Eintracht
imd Ruhe zu wahren." Mit lautem Jubel begrüsste das Volk das
Ergebnis der Beratung: Auflösung des Grossen Rates (mit allen
Stimmen gegen diejenige Studers, der auch am 6. September
furchtlos 'den ganzen Tag in der Stadt herumgeritten war) . Noch
am gleichen Tage erschien die Weisung der Regierung für die am
16. und 17. September ,, unter Anrufung des götthchen Beistandes"
vorzunehmenden Neuwahlen. Auch das Zentralkomitee er-
liess ein Wahlmarüfest.
Bei diesen Neuwahlen wurde die Partei der ,,Straussen" fast
vollständig aufgerieben. Im ganzen traten nur 57 Mitgheder von
der alten in die neue Behörde über. Von jeder Landzimft wurden
auch vStadtzürcher gewählt. Der Grosse Rat trug einen ,, wahr-
haft puritanischen Charakter". Die konstituierende Sitzung
fand am 19. September statt. Präsident des Grossen Rates
wurde alt Oberrichter Dr. Ulrich, Vizepräsident Melchior Sulzer.
Es wurde einstimmig beschlossen, es seien ausser dem Regierungs-
rat auch das Obergericht, das Kriminalgericht, die Staatsanwalt-
schaft, das Kantonalverhöramt, der Kirchenrat und der Erziehungs-
rat aufzulösen und neu zu wählen, — ■ dies einzig zu dem Zweck,
um die ,,Straussen" aus allen diesen Behörden lünauszuwerfen.
Jeder einzelne dieser Beschlüsse bedeutete einen Verfassungs-
bruch, eine schwere Rechtsverletzung gegenüber den mitten in
der Amtsperiode ohne Urteil und Recht abgesetzten und entlasse-
nen oder doch den Daunen und Zufälligkeiten einer Wiederwahl
ausgesetzten Beamten. Das Dispositiv 2 erhöhte noch die Ge-
hässigkeit des Beschlusses mit der Bestimmung: ,, Nicht wieder
gewählte Mitgheder haben keinen Anspruch auf Besoldung, noch
auf Entschädigung." L- Mej-er v. Knonau hatte in der provisori-
schen Regierung lebhaft, aber vergebHch gegen den Beschlusses-
248 ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION o
antrag protestiert; ihm inissfiel besonders, dass man schon die
Namen der neuen Mitglieder aufzählen konnte, und er besuchte
seitdem die Sitzungen des Regierungsrates nicht mehr. Es war
einigen der ,,Straussen" bedeutet worden, sie möchten doch so
vernünftig sein und selber zurücktreten, damit man nicht ihret-
wegen sämthche Behörden umkrempeln müsse; aber diese Radi-
kalen hatten die Gemeinheit, nicht zu demissionieren, sondern
extra den Konservativen diese Verlegenheit zu bereiten, sich mit
dem Odium des Verfassungsbruches beladen zu müssen. Es war
rein tüchts zu machen. Der zum absoluten Herrscher proklamierte
Volkswille verlangte gebieterisch das Opfer der Straussen, und
so hatte denn Conrad v. Muralt, die Milde, Versöhnlichkeit
und Loj-alität in Person, die äusserst unangenehme Aufgabe, jenen
ominösen Antrag vor dem Grossen Rat zu begründen, wobei er
ausführte, es sei angesichts der \\'eigerung der Radikalen, frei-
wilhg zurückzutreten, die Auflösimg der Behörden ,,das Ehren-
festeste". Auch von ihm mag gelten, was Fürst Metternich in
Wien (1842) zu Bluntschh über den ^Minister Guizot sagte: ,,Er ist
ein ehrlicher Mann; seine Prinzipien sind gut, aber seine Lage ist
schief." Mit Mühe und Not — ein eindringliches Sendschreiben
des Zentrallvomitees verrät es — konnte ein noch weiter gehender
Antras; verlündert werden, auch sämthche Gemeinde- und Be-
zirksbehörden neu zu wählen; schHessUch wollte man sich
denn doch nicht noch 500 abgesetzte Beamte zu Todfeinden
machen. Am 20. und 21. September wurde der (einstweilen noch
iggüedrige, später auf 13 reduzierte) Regierungsrat neu be-
stellt mit den Bürgermeistern Hess und Muralt. Von der alten
Regierung fanden ausser Hess auch Hürü, Eduard und Melchior
Sulzer wieder Gnade. Her\-orragende Mitgheder waren neben
V. Muralt noch Bluntschli, Ferdinand Mej'er und Bezirks-
richter Heinrich Mousson (welcher nach dem Rücktritt von
Hess am 22. Juni 1840 Bürgermeister wurde). Der Baron v. Sul-
zer-Wart gehörte dem Kollegium ebenfalls an. Für sämtliche
Vergehen am 6. September wurde Amnestie erteilt, den Brand-
stiftern von Uster Begnadigung gewährt. Dann konnte alsbald
die ,, trockene Guillotine" zu arbeiten beginnen: Als Tag-
satzungsgesandte wurden Dr. Keller und Weiss durch IMelchior
Sulzer und Bluntschh ersetzt, Staatsanwalt David Ulrich hatte
o ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION 249
dem Gericlitsschreiber Rahn, sein Substitut Benz dem Proku-
rator Spöndlin Platz zu machen. Am i. Oktober kamen das
Obergejicht und Kriminalgericht an die Reihe: Williehn Füssli,
Gessner, Boller etc. erhielten den L,aufpass; am 2. Oktober, der
auch den Austritt aus dem Siebner Konkordat brachte, konn-
ten Baron Sulzer, Antistes Füssh, Pfarrer Bernhard Hirzel ihren
Einzug in den Erziehungsrat halten. Es hat indessen keinen Wert,
allen den Taten der am 6. September in Zürich aufgerichteten
,, christlichen" Tyrannis, den formlosen Absetzungen von miss-
liebigen Beamten, Lehrern, Pfarrern, der bemühend kleinlichen
Behandlung Scherrs usw. im einzelnen nachzugehen.
Der zwangsweisen Wiedergeburt des Staates folgte eine in-
tensive, künstliche VerchristUchimg von hohen und niedern
Schulen. Mit Gesetzen, Verordnungen und Reglementen glaubte
man den Straussischen Geist austreiben und wahres Christentum
an seine Stelle pflanzen zu können. Die Hochschule insbe-
sondere geriet direkt in Bedrängnis. Die Volksstimmung war
ihr nicht günstig. ,,Wir hätten nichts dagegen," schrieb die ,, Frei-
tagszeitung", ,,wenn die Hochschule — Hochmutsschule nannte
sie gleich bei ihrem Beginnen ein geistreicher Mann im Kanton
Aargau — aufgehoben würde." Das Verhältnis zwischen Bevölke-
rung und Studenten bheb andauernd ein gespanntes und entlud
sich u. a. in einem tragischen Vorfall am 25. Mai 1842, bei welchem
der unbeteiligte Student Kirchmeier von der PoHzei tödhch ver-
wundet wurde. Ein Gesetzesentwurf vom 2. April 1840, welcher
im Hinblick auf Strauss die Pensioiüerung von Professoren ganz
wesentHch einschränken wollte, wurde allerdings wieder zurück-
gezogen, weil er mit der Stiftungsurkunde der Hochschule in allzu
schroffem Widerspruch stand. Aber auch gegen die neuen Be-
stimmungen des Niederlassungsgesetzes vom 10. April 1840 muss-
ten die Professoren Einsprache erheben. Am schlimmsten war
jedoch für die Hochschule die Bedrohung der lyehrfreiheit.
Nicht nur wurde dem Kirchenrat das Vorschlagsrecht für die
Wahl der Theologieprofessoren und das Recht der ,, Einsicht-
nahme in den evangehsch-reformierten Rehgionsunterricht auch
an der Hochschule" eingeräumt; der Grosse Rat beschloss
vielmehr am 24. Juni 1840 auf einen Antrag Sulzer- Wart geradezu:
,,Die der Hochschule gestattete theologische Lehrfreiheit soll sich
250 ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION o
nur innerhalb der Grenzen des biblischen Christentums bewegen."
(§ 7 des neuen Unterrichtsgesetzes.) Umsonst machte der konser-
vative alt Oberrichter Dr. Ulrich, selber ein bibelgläubiger
Mann, gegen den Antrag nachdrückliche Opposition ; er wurde mit
73 gegen 41 Stimmen angenommen und folgenden Tages gegen-
über einem Wiedererwägungsantrag von Prof. Alex. Schweizer
festgehalten. Eine Protesteingabe der theologischen Fakultät
wies der Erziehungsrat mit einer Rüge über die gebrauchten
Ausdrücke ab. Zum Professor der Dogmatik an die vStelle von
Strauss war der strenggläubige Pastor Lange in Duisburg be-
rufen worden.
Das Seminar erhielt durch das Gesetz vom 26. Februar 1840
seine neue Gestalt und in der Person des Pfarrers Dr. Bruch
von Wädenswil, damals Vorsteher einer Erziehungsanstalt in
Lausanne, seinen neuen Direktor und neben diesem als Religions-
lehrer Pfarrer Burkhard. Die Lehrer an der ^'olksschule waren
gleich am 16. Oktober mit einem Rundschreiben des Erziehungs-
rates bedacht worden, das sie an die christlich-rehgiöse Grund-
lage der Volksschule erinnerte und ermahnte, Hand in Hand mit
der Kirche an der geistigen Bildung der Jugend zu arbeiten. Ein
Antrag, das Neue Testament in allen vSchulen obligatorisch ein-
zufüliren, wurde unter Streichung der Worte ,,in einer sprachlich
bereinigten Ausgabe" vom Grossen Rat angenommen, den Leh-
rern in § 18 des neuen Schulgesetzes fleissiger Besuch des Gottes-
dienstes zur Pflicht gemacht. Um aber auch im Volke die
religiöse Bewegung weiter zu fördern und zu schützen, entstanden
in einer Reihe von Ortschaften sog. ,, Friedensvereine", welche
u. a. speziell der Prozessiersucht der Leute entgegenwirken sollten.
Nach der Idee Hürhmanns wurde das Maximum, um welches
miter Brüdern nicht prozessiert werden durfte, in den Statuten
auf 1000 Franken festgesetzt. Der ,, Friedensverein" der Stadt
Zürich, für den man sich auf dem Stadthaus und an einigen
andern Orten als Mitghed einschreiben konnte, wurde am 18. Juli
1840 gegründet; er reduzierte aber in seinen Statuten das nicht
prozessierbare Maximum auf 400 Franken. Solche ,, Friedens-
vereine" fanden sich auch in Richterswil, Älännedorf, Hinwil,
Bubikon, aber eine nennenswerte Verbreitung und Lebensdauer
erhielten diese künsthchen Gebilde nicht. \'on einer fatalen W^ir-
o ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION 251
kuiig für die konservative Partei war ihre enge Verbindung mit
den Brüdern Friedrich und Theodor Rohmer, zwei Deut-
schen, von denen der erstere mit einem grenzenlosen Toupet als
politischer Messias, der zweite als sein Prophet und Impresario
auftrat. Es gehört zu den grössten UnbegreifUchkeiten dieser
sonderbaren Zeit, dass ein so grundgescheidter Mann wie Prof.
Bluntschli sich von den Rohmern und ihrem Evangelium voll-
ständig gefangen nehmen lassen konnte, ihnen sein Organ, den
„Beobachter aus der östUchen Schweiz" zur Verfügung stellte
und mit seiner goldenen, eines Bessern würdigen Freundestreue
und Uneigennützigkeit schUesslich noch allein für sie gegen eine
ganze Welt einstand. Den konservativen Parteifreunden Bluntsch-
lis bereitete diese unglückseHge Rohmerei vielen Verdruss. Der
damals noch recht junge, hochbegabte Georg v. Wyss (geb.
31. März 1816, 2. Staatsschreiber seit Dezember 1842), ein Sohn
des Jüngern David v. Wyss, schrieb 1841 an Wenck: ,, Bluntschli
erklärte sich öffentUch als ihren Freund und Anhänger ihrer
Philosophie und zog uns so in die fatale Stellung einer einzig und
allein durch die Rohmer und die Rohmerschen Prinzipien reprä-
sentierten Partei hinein; denn BluntschU ist ohne alle Ausnahme
der erste und tüchtigste Kämpfer auf konservativer Seite, unser
Führer und Leiter, und aUes, was von ihm ausgeht, gilt als von
ims sohdarisch verbürgt. Das war nun sehr schHmm; denn ein-
mal wollte uns dieses \^oranstellen fremder, unbekannter Leute
als Verfechter an und für sich nicht gefallen, und zweitens standen
unsere festesten Überzeugungen, unsere Bestrebungen auf reli-
giösem und kirchUchem Gebiete im allerdirektesten Gegensatz
zu den lächerlichen Anmassungen Friedrich Rohmerscher All-
wissenheit; drittens sahen wir unter der glänzenden Hülle der
neuen Apostel bedenkliche Erscheinungen sich regen. — Gott
weiss, wie die Sache enden mag. Ich fürchte, BluntschH sei der
Betrogene im Spiel; sie leben auf seine Kosten, und was noch
viel schhmmer ist, ich fürchte, die Hebenswürdige Aufrichtigkeit,
Wahrheit und Treue seines Herzens leide im Umgang mit diesen
glanzschuppigen Schlangen." Auch der Schwager Bluntschhs,
Wackernagel in Basel, schüttelte bedenkUch den Kopf zu dieser
Freundschaft, und in der ,, Basler Zeitung" schrieb der konser-
vative Ratsherr Professor Andreas Heusler: ,, Merkwürdig,
252 ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION o
in dem intelligeuten Zürich, dem schweizerischen Athen, vertrauen
beide Teile Ausländern die Führung des Streites. Es handelt
sich um die wichtigsten Interessen des Volkes, aber Deutsche
sind die Heerführer auf beiden Seiten. Es ist das eine Tatsache,
die dem Volke von Zürich, offen gesagt, wenig Ehre bringt, dass
sich die Parteien auf solche Weise unter die Vormundschaft Frem-
der stellen. Der .Republikaner', der ,Iyandbote', der .Pädagogische
Beobachter' werden von geborenen Deutschen redigiert, die,
zum Dank für gastfreundliche Aufnahme, seit Jahren die Deute
hintereinander zu hetzen suchen, der .Östliche Beobachter' hat
in neuerer Zeit auch die Hilfe Fremder angerufen, nur der alte
David Bürkli soll sich von dieser Manie fremder Intervention
frei erhalten. Diese Fremdlinge haben recht gewandt eine schwache
Seite des Zürchervolkes herauszufinden gewusst: sie schmeicheln
ihm mit der weltgeschichtlichen Bedeutung des zürcherischen
Meinimgsstreites, während doch höchst wahrscheinHch die Welt-
geschichte um diese streitsüchtigen vSchulmeister sich wenig küm-
mern wird." Das Ende vom Lied war ein Skandal- und Injurien-
prozess. welcher zwar zugunsten Fr. Rohmers entschieden wurde,
aber ihn doch veranlasste, den vSchweizerboden zu verlassen. —
Die Radikalen feierten 1839 "'•i^ einen stillen Ustertag.
Der ..Repubhkaner" erschien am 22. November mit Trauerrand.
Aber sich in den Schmollwinkel stellen und den Kopf hängen
lassen, ist nicht radikales Temperament. Pah! Ein Jass ist ab-
geklopft, die Karten werden verteilt, das Spiel beginnt von neuem,
nun lasst uns sehen, wer diesmal die bessern Trümpfe in die Hand
bekommt! Jetzt sind wir wieder die Opposition, und wir werden
Euch das Leben und Regieren schon sauer machen ! In der Presse
begann ein unablässiges Stechen und Bohren: immer und immer
wieder die Revolution und das vergossene Blut, tagtäglich das
vergossene Blut und die Revolution, bis zum Ekel und Über-
druss ; kein Frühstück konnte man mehr nehmen, ohne dass einem
der , .sechste September" aufs Brot gestrichen wurde. ,,Hört
doch jetzt einmal auf mit diesem 6. September," bat erustHch
die ,, Freitagszeitung". Ach, da kann die ,, Freitagszeitung" noch
siebzig Jahre älter werden als sie schon ist und sich den 6. Sep-
tember immer noch umsonst ,, verbitten". In aufrichtigster, ehr-
hchster Meinung mahnten konservative Staatsmänner im Grossen
o ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION 253
Rate und in den Blättern zum Frieden, zum Vergessen, und boten
die Hand zur Versöhnung. Ha! Das würde Euch jetzt passen,
Ihr habt uns wahrhaftig das Beispiel gegeben von vergessender
Liebe und Versöhnüchkeit ! ,,Zu einem freundUchen Handbieten,"
sagt der ,, Landbote", ,,müsstet Ihr vorerst laut und offen vor aller
Welt erklären, das Volk des Kantons Zürich sei unter dem Titel
,Rehgionsgefahr' auf eine schändHche, niederträchtige Weise miss-
braucht, belogen und betrogen worden." Winterthur wurde der
Sitz der heftigsten Opposition, und dort beschloss schon am 15. De-
zember 1839 eine Versammlung eine Petition an den Grossen
Rat zum Schutz der Schule. Sie war nur die erste von dreissig bis
vierzig ähnUchen Petitionen, die unter anderm auch die Beibehal-
tung Scherrs verlangten. Natürlich trat der Grosse Rat darauf
nicht ein. Die erste bedeutsame Protestkundgebung gegen das
Septemberregiment erhess die Schulsynode von Winterthur
am 31. August 1840. Ihre Resolution sprach mit dem innigsten
Bedauern von der Umgestaltung des Seminars, bezeugte dem ge-
waltsam vertriebenen Direktor achtungsvollen Dank, erklärte die
neuen Anordnungen im Schulwesen für höchst betrübende und
nachteihge Rückschritte, sprach den gemassregelten Lehrern auf-
richtige und herzhche Teilnahme aus und bezeichnete den Kirchen-
zwang der Lehrer als Herabwürdigung. Zum Schluss wurde
Schert zum Synodalpräsidenten gewählt. Diese ,, revolutionären"
Beschlüsse der Lehrerschaft warfen gewaltig Staub auf. Die
Regierung erteilte der Synode einen scharfen Verweis und erklärte
ihre Beschlüsse für null und nichtig; der Grosse Rat erHess ein
Gesetz, wonach Präsident und Vizepräsident der Synode vom
Erzieliungsrat zu wählen seien, und die nächste Synode tagte dann
imter dem Präsidium eines Herrn Pfarrer Hug im Neumünster.
Am Ustertag von 1840 in Bassersdorf, wo sich etwa 5000
Mann aus allen Teilen des Kantons zusammenfanden, feierten die
Liberalen, wie Dubs sagt, ,,ein Wiedersehen voll Trauer und
Freude". Dieser 22. November 1840 wurde ,,der Tag der Wieder-
geburt der Liberalen Partei, die Bassersdorfer Adresse geradezu
ein historisches Dokument". Die Redner des Tages waren Dr. Weid-
mann in Niederweningen, Fürsprech Dr. Pestalutz in Winter-
thur und Dr. med. Koller von Winterthur. Die einhellig an-
genommene Adresse spricht ihren Abscheu aus über die seit dem
254 ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION o
6. September an der Verfassung begangenen Frevel, ihr tiefes
Bedauern über die Rückschritte im Schulwesen, die Verfolgung
freisinniger Männer, den fortgesetzten Missbrauch der Kanzel zu
pohtischen Zwecken, und schUesst mit einer Reihe von ,, Volks-
wünsche n", die allerdings von der Septemberregierung ignoriert
wurden, zum grossen Teil aber dann in der demokratischen Be-
wegung der sechziger Jahre ihre Erfüllung fanden. Für die ,,Bas-
sersdorfer Wünsche" wurde eine Unterschriftensamm-
lung eingeleitet, zu welcher trotz heftigster Bekämpfung durch
die regierende Partei 17,726 Bürger ihre Namen gaben. Eine von
Wädenswil ausgegangene Gegenaktion für eine Ergebenheits-
adresse an die Regierung erzielte etwas über 10,100 Unterschriften.
Der Zürich-Putsch wurde der Ausgangspunkt einer die ganze
Schweiz erschütternden Bewegung, an deren Ende — • der
Sonderbundskrieg steht. Nirgends war die zürcherische Glau-
bensbewegung mit grösserem Interesse, mit freudigerem Erstaunen
verfolgt worden als in den kathohschen, von einer radikalen Partei
regierten Kantonen: Wenn in einem reformierten und freisiimigen
Kanton eine radikale Regierung wie vom ,, Blast" weggefegt
werden konnte, wenn sogar gläubige Protestanten zu diesem
Zweck eine Revolution ins Werk setzten, was zögern wir Katho-
Hken denn noch lange, das Joch einer radikalen Regierung ab-
zuschütteln ? Zwei Monate nach dem Zürichputsch brachte der
Bauer Leu von Ebersol im Grossen Rat von Luzern eine Motion
ein, welche neben andern interessanten Sachen Rücktritt vom
Siebner Konkordat und Berufung der Jesuiten verlangte.
,,Mit Entrüstung" schritten Regierung und Grosser Rat über diese
Forderungen zur Tagesordnung. Aber das konservative Ruswiler
Komitee, dem auch der radikale Staatsschreiber Siegwart-
Müller und der liberale zweite Staatsschreiber Bernhard Meyer
beigetreten waren, brachte eine Volksbewegung zustande, welche
eine neue konservative Verfassung einführte. Auch der Aargau
erfreute sich einer radikalen Regierung und eines echt straussischen
Seminardirektors, Augustin Keller in L,enzburg. Dort war
das Bünzener Komitee am Werk, bessere Zeiten herbei-
zuführen. Die Regierung beschloss Verhaftung der Komitee-
mitgheder, und Landammann Waller, der bekannte Schützen-
festredner, ging selber als Kommissär ins Freiamt, um die Aus-
o ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION 255
führung des Befehls zu überwachen. Aber das bekam ihm übel.
Wütende Volkshaufen in Bremgarten und Muri befreiten die Ge-
fangenen, misshandelten den Landammann und sperrten ihn ein.
Die katholischen Führer ordneten die Volksbewaffnung an und
fülirten den Landsturm nach Villmergen, wo er aber am
II. Januar 1841 mit leichter Mühe von Oberst Frei-Herose aus-
einandergesprengt wurde. Daraufhin beschloss der aargauische
Grosse Rat am 13. Januar, die (in der Bundesverfassung von
1815 ausdrückhch garantierten) Klöster als Herde des Aufruhrs
imd der Unkultur aufzuheben. Zu eidgenössischem Aufsehen
gemahnt, Hess Zürich am gleichen Tage das Bataillon Mark-
wald er ins Freiamt einrücken, welches dort mit den Truppen
von Baselland und Bern die aufgehobenen Klöster besetzte. Fort-
an aber bildete die Aargauer Klosterfrage den wertvollsten
Agitationsstoff der Radikalen. Klöster, Pfaffen und Jesuiten, das
waren Trümpfe, mit denen sie die Konservativen ausstechen
konnten. — Der Zürcher Grosse Rat, zur Instruktion seiner
Tagsatzungsgesandten am 9. März 1841 versammelt, erklärte die
Klosteraufhebimg für unvereinbar mit der Bundesverfassung.
Die ausserordentliche Tagsatzung in Bern schloss sich mit
1272 Ständen am 2. April diesem Antrag an und lud den Aargau
zur Wiedererwägung seines Beschlusses ein. Am 23. Juni
wiederholte der Grosse Rat Zürich seine frühere Instruktion mit
dem Zusatz, es sei der Tätigkeit der wiederherzustellenden Klöster
eine Richtung auf das Gemeinnützige und Wohltätige zu geben.
Der entgegenkommende Beschluss des Aargauischen Grossen
Rates vom 19. JuH, die drei Frauenklöster Gnadental, Fahr und
Baden bestehen zu lassen, wurde von der Tagsatzung als nicht
genügend erachtet.
Nicht zufrieden mit diesem Gang der Dinge, veranstalteten
die Radikalen am 29. August 1841 eine gewaltige Volksver-
sammlung in Schwamendingen. Sänger- und Schützen-
vereine zogen mit ihren Fahnen auf, Gesang und Musik eröffneten
die Verhandlungen. Redner waren Fürsprech Dr. Pestalutz,
Dr. Weidmann, alt Regierungsrat Dr. Zehuder. Das zürcherische
Volk, meinte einer von ihnen, habe die besondere Pfhcht, dem
Aargau beizustehen, ,,weil diesem das Unglück nicht von der
Aare, noch von der Reuss gekommen, sondern auf den Wellen
256 ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION o
der Limmat zugeführt worden sei." Der Grosse Rat des Kan-
tons Zürich wurde in einer Adresse aufgefordert, sich nicht weiter
in die innern Angelegenheiten des Kantons Aargau zu mischen,
sondern diesen in seinem Rechte zu unterstützen. An den aar-
gauischen Grossen Rat ging eine Sympathieadresse. Die Vorsichts-
massregeln der Regierung (Platzkommandant: Oberst Ziegler,
seit 26. Mai 1840 Regierungsrat; Bewachung der Zeughäuser:
Oberst Sal. Hirzel) erwiesen sich als überflüssig; die Versamm-
lung löste sich friedUch auf. Von den Männern der Glaubens-
bewegung, HürHmann-Landis usw., wurde (am 13. vSeptember)
wiederum eine Gegen-Eingabe an die Regierung gerichtet,
um sie in ihrer vermittelnden Tendenz zu bestärken. Am 16. Sep-
tember erHess Hürlimann auch ein Sendschreiben an seine
Getreuen, im vSinne des konfessionellen Friedens und der Abwehr
radikaler Aufwiegelungen, aber diese vSendschreiben des Glaubens-
komitees hatten nun ihre Wirkung fast ^•ölhg verloren. Über-
dies war durch einen groben Vertrauensmissbrauch eine Korres-
pondenz Hürlimanns mit ,Siegwart-Müller in Luzern auf-
gedeckt worden, die von den Radikalen mit ingrimmiger Schaden-
freude ausgeschlachtet wurde. Während dieser Kämpfe starb
am 21. September 1841 im Alter von 72 Jahren Dudwig Mej'er
V. Knonau, nachdem er an seinem Geburtstag, den 12. Septem-
ber, noch ein ergreifendes , , Absclüedswort" an seine Mitbürger
niedergeschrieben hatte. Es verrät die ganze Reinheit und Tiefe
dieser adeligen Seele und bildet das Testament eines der edelsten
Staatsmänner des Kantons Zürich. Der Grosse Rat vom
6. Oktober 1841 verwarf mit 165 gegen 16 Stimmen den Instruk-
tions-Antrag der Minderheit, die Tagsatzung habe sich mit dem
Anerbieten Aargaus zu befriedigen, und beschloss mit 138 gegen
38 Stimmen, auch die Wiederherstellung des Frauenklosters
Hermatschweil zu verlangen, aber unter gewissen Bedingungen
auf die Wiederherstellung der vier Männerklöster zu verzichten.
Die Tagsatzung in Bern (25. Oktober bis 2. November) ging
resultatlos auseinander. Der Ustertag in Zürich am 22. No-
vember 1841 konnte bereits wieder mit einem glänzenden Fackel-
zug gefeiert werden, der dem früheren Bürgermeister Melchior
Hirzel vor seiner Wohnung eine Huldigung darbrachte (Melchior
Hirzel hatte mit einem Plädoyer vor Bezirksgericht Regensberg
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jQudivig <TJ(eyer von 'Jyponau
o ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION 257
seine Anwaltspraxis wieder aufgenommen). Am 26. Februar 1842
entstand in Zürich unter dem Vorsitz von alt Regierungsrat
Zehnder ein radikaler Scliulverein, welchem sofort 610
Mitglieder beitraten. Zum erstenmal hörte man um diese Zeit
auch von Anstrengungen der Radikalen, die Arbeiterschaft
für ihre Wahlinteressen zu gewinnen.
Der Wahlkampf im Frühjahr 1842 nahm äusserst lebhafte
Formen an. Die Konservativen mussten alle Kräfte anspannen,
nm nur überhaupt Herren der Situation zu bleiben. Der kon-
servative Wahlverein der Stadt Zürich, mit Georg v. Wyss
als Präsident, erliess am 13. März einen geschickten und eindring-
lichen Wahlaufruf. Die Wahlen fanden nicht alle am gleichen
Tage statt; in sechs ländlichen Wahlkreisen vollzogen sie sich
unter vStörungen und Unruhen, die teilweise das Einschreiten von
Regierungskommissären nötig machten. Hauptwahltage (Stadt
Zürich usw.) waren der i. und 2. Mai. Und das Resultat? Die
Konservativen verloren nahezu die Hälfte ihrer Sitze; fast alle
namhaften Führer der Radikalen zogen wieder in den Rat ein,
Leute wie Melcliior und Eduard Sulzer, Baron v. Sulzer- Wart,
mussten froh sein über das Rettungsseil der indirekten Wahlen,
das ihnen wieder aufs Schiff half. Jonas Furrer wurde in
Wiedikon gewählt, und die ,, Freitagszeitung" ärgerte sich über
das dort zu seinen Ehren veranstaltete Freudenfest. Dr. Ludwig
Keller dagegen, in Höngg gewählt, lehnte das Mandat beharrhch
ab. Von den Launen der Volksgunst erhoben und gestürzt, hatte
er genug von allen Arten Demokratie und strebte fort von Zürich.
In seiner Absage an die Wähler schreibt Dr. Keller: ,,So haben sie
(die Konservativen), im krassen Widerspruch mit ihrem vorgeb-
Hchen Prinzip, die schlechtesten Elemente der Volkskraft ent-
fesselt, die Herrschaft der rohen Gewalt herbeigeführt und geübt,
und so geht es noch immer fort. So sind in den letzten Jahren
im Namen Gottes, als dessen Attribute ich von Jugend auf Wahr-
heit, Gerechtigkeit und Liebe betrachtet habe, viele Werke des
Hasses, der Ungerechtigkeit und Lüge verübt worden. Glauben
Sie mir, ich zürne nicht den Knütteln des 6. September, viel
weiuger denen, die sie trugen, wohl aber denen, welche dergleichen
anstifteten, begünstigten und dann, um die Früchte zu geniessen,
mit heuchlerischem Bedauern — in den Riss standen." Der Sep-
"7
258 ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION o
tember-Regierung gegenüber hatte Keller eine vollkommen in-
differente Stellung eingenommen, sich um Pohtik nicht mehr ge-
kümmert und nur noch seiner Professur gelebt. Er benützte die
erste Gelegenheit, die sich ihm bot, einen Ruf an die Umversität
Halle im Jahre 1843, um nach Deutschland überzusiedeln. Die
Studenten brachten ihm am 14. März 1844 einen Absclüeds-
Fackelzug dar, der nachmaUge Stadtschreiber Spyri hielt eine
begeisterte, dankerfüllte Ansprache an ihn, und am folgenden
Tage begleiteten ihn vSchüler und Freunde bis Bülach. Schon 1847
wurde er dann an die Universität Berhn berufen. In Deutschland
ging Keller zur hochkouservativen, aristokratischen, feudalen
Politik über, bequemte sich in Halle sogar zum regelmässigen
Kirchenbesuch xmd Hess den 1487 von Kaiser Maximilian seiner
Famihe verhehenen Adelsbrief auffrischen, d. h. sich in die preus-
sische Adelsmatrikel eintragen. Als Mitglied des preussischen
Abgeordnetenhauses wurde Keller eine Stütze der konservativen
Partei und nahm an vertrauhchen Zirkeln bei König Friedrich
Wilhelm IV. teil. 1860 von einem Besuch in der alten Heimat
zurückkehrend, wurde er in Halle von einem Schlaganfall be-
troffen. Erstarb am 11. September 1860 in Berlin. Bluntschli,
sein alter Gegner, widmete ihm einen Nachruf, der mit den
Worten schloss: ,,In der Schweiz aber wird sein /Andenken
nicht nur bei den Gerichten, sondern auch im Volke gesegnet
bleiben"! —
Im Grossen Rat stand am 23. Juni 1842 wiederum die
aargauische Klosterfrage auf der Tagesordnung, und den
veränderten poHtischen Verhältnissen entsprechend lautete die
Instruktion an die Gesandten (mit 103 gegen 84 Stimmen) nun
dalün, sich mit der Erklärung Aargaus vom 19. Juh 1841 zu be-
gnügen und die Angelegenheit der aargauischen Klöster aus Ab-
schied und Traktanden fallen zu lassen. Die Tagsatzung (4. Juli
bis 27. Aug. 1842) kam wiederum zu keinem Beschluss. Weitere
Symptome einer veränderten pohtischen Windrichtung im Kanton
Zürich bildeten der Wiedereintritt von Dr. med. Zehnder in die
Regierung am 5. April 1843 und die Wahl von Melchior
Hirzel zum Oberrichter am 21. Juni 1843. Hirzel starb aber
schon am 8. Juli; es wurde am 31. Oktober im St. Peter eine Ge-
dächtnisfeier zu seinen Ehren gehalten.
o ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION 259
Eidgenössischer Vorort für 1843 war Luzern, wo die Tag-
satzung am 31. August mit 1273 Ständen beschloss, das An-
erbieten Aargaus, auch noch das vierte Frauenkloster wieder-
herzustellen, als befriedigend zu erklären und die Augelegenlieit
als erledigt zu betrachten. Diesen Beschluss erklärten I^uzern,
Uri, Schwyz, Unterwaiden, Zug, Freiburg, Wallis, Appenzell Inner-
rhoden als Verfassungsbruch und gaben Protestation und Ver-
wahrung zu Protokoll. Zürich (Hüni und Dr. Furrer), an der
Spitze von 12V2 Ständen, veranlasste eine Gegenprotestation,
welche die Tagsatzung für kompetent, die Protestation der
7 Stände als unzulässig und rechtswidrig erklärte. Der Sonder-
bund, welcher bereits mit der geheimen Konferenz von Brunnen
am II. Oktober 1841 ins Leben getreten war, erhielt nunmehr in
der Zusammenkunft vom 12. September 1843 im Bad Rothen
festere Gestalt. In Zürich machte der Umschwung zugunsten der
liberalen Sache tägUch Fortschritte. Die ,, Zürcher Flug-Blätter",
der ,, Beiwagen" zur Freitagszeitung, begingen die dritte Wieder-
kehr des Tages von Kloten in recht gedrückter Stimmung mit der
bemühenden Konstatierung eines Massenabfalls. Da im Mai 1844
die WalHser Liberalen und Jesuitengegner am Trientbach eine
blutige Niederlage erUtten hatten und in Luzern die Jesuiten-
berufung mit Gewalt durchgesetzt werden sollte, instruierte der
Grosse Rat von Zürich, dem schon eine Menge Petitionen
gegen die Jesuiten vorlagen, seine Gesandtschaft am 19. und
20. Juni 1844 dahin, es sei einem weitern Umsichgreifen des
Jesuitenordens entgegenzutreten, von einer gewaltsamen Aus-
weisung der Jesuiten aus der Schweiz aber abzusehen. Dem-
gemäss wurde auch von der Tagsatzung am 20. August der An-
trag Augustin Kellers, die Jesuiten von Bundes wegen auszuweisen,
mit 17I/2 Ständen verworfen. Eine schwere Niederlage erhtten
die Zürcher Konservativen am 26. September 1844 im Grossen
Rat, welcher mit 94 gegen 90 Stimmen die Motion BluntschH auf
Reorganisation des Erziehungsrates und Aufhebung der Schul-
synode ablehnte. Der Grosse Rat Luzern beschloss am 24. Ok-
tober 1844 definitiv die Berufung der Jesuiten; eine gewaltige
Aufregung in der ganzen Schweiz war die Folge. Den ersten
Freischarenzug der Luzemer Liberalen am 8. Dezember 1844
schlug die Luzerner Regierung mühelos nieder, was den Zorn und
26o ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION o
Abscheu der Radikalen der übrigen Schweiz nur noch vermehrte.
Unter diesen Eindrücken erklärte im Zürcher Grossen Rat am
i6. Dezember 1844 Bürgermeister Conrad v. Muralt, dessen
innerster Natur wilde, leidenschaftUche Parteikämpfe wider-
strebten, seinen Rücktritt. Zum Amtsbürgermeister und Bun-
despräsidenten (da Zürich mit 1845 Vorort wurde) rückte dei
zweite Bürgermeister Heinrich Em. Mousson vor. Zum zweiten
Bürgermeister wurde am 17. Dezember im sechsten Wahlgang
mit dem absoluten Mehr von 99 Stimmen der radikale Dr. Zehnder
gewählt (als erster mchtstadtzürcherischer Bürgermeister). Der
konservative Gegenkandidat Dr. Bluntschli unterlag mit
97 Stimmen. Dies wurde auf der Tribüne mit einem tosenden,
minutenlangen Beifallslärm begrüsst und im ganzen Land mit
SpottUedern besungen. Bluntschli, ein vornehmer Charakter
ohne alle Kleinhchkeit, wurde mit der einstimmigen Wahl zum
Grossratspräsidenten entschädigt und nahm dieselbe au. Am
18. Dezember beschloss der Grosse Rat, die Regierungsräte Zehnder
und Melchior Sulzer nach L,uzern abzuordnen mit dem freund-
eidgenössischen Ersuchen, die Berufung der Jesuiten zurück-
zunehmen. Georg V. Wyss hatte als Staatsschreiber am 26. De-
zember die Abordnung nach Luzern zu begleiten und beim Schult-
heissen Siegwart-Müller anzumelden; er erhielt von dessen
frostigem und zugeknöpft ungeschickten Wesen keineswegs einen
günstigen oder gar Sympathie erweckenden Eindruck. Die Ab-
ordnung richtete denn auch nichts aus.
Der 26. Januar 1845 sah eine imposante schweizerische
Volksversammlung auf der Wiese beim ,, Kreuz" in Unter-
strass. Zu Ross und Wagen waren die Zürcher in Massen herbei-
geeilt und mit ihnen Aargauer, Berner, Luzerner, Thurgauer, Solo-
thurner, Basellandschäftler usw. An einem Winterthurer Wagen,
der in Schwamendingen stehen gelassen wurde, las man die In-
schrift: ,, Jesuitenfreund ist vSchweizerfeind, Jesuitenstift ist
Christengift, Jesuitenbund der Höllen Schlund, Jesuitenlehre des
Teufels Wehre. Darum fort nüt der Jesuitenbande aus unserem
Vaterlande, 's nächstemal Kugeln in Sack fürs Jesuitenpack."
Auf der Tribüne sah man die KorA-phäen der radikalen Partei,
und neben ihnen — siehe da, ein neuer Stern am politischen
Himmel Zürichs, eben erst über dem Horizont sichtbar, aber
o ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION 261
bald alle an Glanz überstrahlend: Alfred Escher. Auch
Dr. Robert Steiger von Luzern und Landammann Sidler von
Zug befanden sich auf der Tribüne und wurden wiederholt gerufen,
liessen sich aber entschuldigen. Die Reden von Jonas Furrer,
Weiss und Oberst Fierz machten grossen Eindruck, wenn auch
Weiss den Mund vielleicht etwas voll nahm mit der Behauptung,
dass die hier ertönende Volksstimnie an den Marmorwänden
von Rom und ^^'ien widerhallen werde. Die von der Versammlung
angenommene Adresse sprach die Erwartung aus, dass die Jesu-
iten weggewiesen werden und dass die Bundesbehörde ihrem
Beschlüsse Nachachtung zu verschaffen wissen werde. — - Die
Konservativen lancierten eine — • wiederum von Wädenswil
ausgehende — Gegenpetition, die sich mit 18,251 Unter-
schriften bedeckte und darauf drang, mit allen erlaubten und
moralischen Mitteln auf die Zurücknahme der Jesuitenberuf uug
nach Luzern hinzuwirken, aber von allen Gewaltmassregeln ab-
zusehen, um nicht einen Bürgerkrieg heraufzubeschwören. Die
von Dr. Jonas Furrer eingereichte Petition von Unterstrass
sollte die Meinung von 25,000 Einwohnern, welche angebhch der
Versammlxmg beigewohnt hatten, und 9000 weiteren Bürgern
vertreten.
Die vorörtliche zürcherische Regierung stand auf dem Boden
der konservativen Petition, und noch in seiner Eröffnungsrede
im Grossen Rat am 4. Februar 1845 warnte Regierungsrat und
Grossratspräsident Bluntschli vor gewalttätiger Vertreibung der
Jesuiten. Am 5. und 6. Februar wurde über die Frage lebhaft
debattiert. Bei dieser Gelegenheit hielt auch das jüngste Rats-
mitglied, Dr. Alfred Escher, seine Jungfernrede und wies aus
der neuern Geschichte den verderbUchen Einfluss der Jesmten
nach. Mit 103 gegen 95 Stimmen verwarf der Grosse Rat die
Anträge der Regierung und beschloss: Luzern sei zur Abberufung
der Jesuiten aufzufordern und jede weitere Aufnahme von Jesuiten
in irgend einem Kanton von Bundes wegen zu untersagen. ,,Die
vorörtUche PoUtik erhtt im vorörtHchen Kanton eine Niederlage."
Der zweite Freischarenzug am 31. März 1845 nahm wiederum
ein Ende mit Schrecken; es war gerade Sechseläuten in Zürich,
als die Nachricht von seiner Niederlage sich verbreitete. Am
2. April war im Grossen Rat die Erneuerungswahl von fünf
262 ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION o
Regierungsräten vorzunehmen; einer von ihnen, Mousson,
wurde bestätigt, die andern vier Konservativen durch Radikale
ersetzt. Dies veranlasste Bluntschli, am 3. April seinen Rück-
tritt als Regierungsrat zu erklären, und dieser Demission schloss
sich nun auch Mousson an. An die Stelle der beiden konserva-
tiven Staatsmänner traten Jonas Furrer und EssHnger, und
Jonas Furrer, das erklärte Haupt der liberalen Partei, wurde
mit 120 von 165 Stimmen in derselben »Sitzung zum Amtsbürger-
meister und Tagsatzungspräsidenten gewählt. Er hatte
sich lange geweigert, eine solche Wahl anzunehmen, aber der
Grossratspräsident Bluntschli redete ihm ins Gewissen: ,,Herr
Dr. Furrer ist als Führer der Partei, welche die jüngsten Wahlen
in den Regierungsrat vollzog, morahsch verpflichtet, die Wahl
anzunehmen; es ist nicht möghch, dass er auf seiner Weigerung
bestehe. Es genügt nicht, einer Regierung in den Zügel zu fallen,
sondern man muss auch die Verantworthchkeit der daherigen
Folgen übernehmen." In seiner Schlussrede sagte Bluntschli,
immer über der »Sache stehend: ,,Ohne Revolution ist eine totale
Umänderung in der Regierung eingetreten; hoffen wir, dass dieses
Ereignis zum Segen des Vaterlandes werde." Bei den Kon-
servativen verursachte dieser Wandel der Dinge tiefste Nieder-
geschlagenheit. Bluntschli, auf dessen Dienste das Vaterland ver-
zichtete, richtete seine Bücke nun ebenfalls auf das grössere
Deutschland. Er Hess sich 1848 nach München, 1861 nach
Heidelberg berufen, nahm aber nach München noch den Auftrag
Jonas Furrers mit, das von Keller begonnene, von ihm fortgesetzte
bürgerliche Gesetzbuch für den Kanton Zürich zu vollenden,
mit dem er sich ein bleibendes Denkmal in seiner alten Heimat
gesetzt hat. Seine ausserordentUch vielseitige und fruchtbare Tätig-
keit in Deutschland auf politischem und kirchUchem Gebiet und
seine universelle Bedeutung als Jurist stellen ihn in die erste Reihe
der Söhne unseres Vaterlandes. Mitten in der vollsten und schön-
sten Wirksamkeit starb er am 21. Oktober 1881 zu Karlsruhe. —
In Zürich nahm die Auflösung der Septemberherrschaft
ihren unaufhaltsamen Fortgang. Am 16. Dezember 1845 wurde
der Amtsbürgermeister Furrer Grossratspräsident, der 1839
vertriebene Weiss Vizepräsident, Zehnder Amtsbürgermeister,
der Erziehungsrat erfuhr eine radikale Renaissance. Die
Nach dt-r Nuiur ;;(.-/.. v, Uah< Nutz
ÜL'i l"r. lUiliv Ulli Sti-in "iz. v. Atzinger.
^r. Ü. e. Q^funfscßfi
o ZWANZIGSTES KAPITEL: REAKTION 263
Grossrats wählen vom Mai 1846 vollendeten den friedlichen
Umsturz und boten das genaue Widerspiel zu den Wahlen vom
September 1839: Dezimierung der Konservativen bis auf
eine Gruppe von 30 bis 40 Mann. Dass durch diesen vollständigen
Systemwechsel auch einem Mann wie Georg v. Wyss die weitere
politische Karriere für immer abgeschnitten wurde, haben nicht
nur seine engeren Parteifreunde bedauert. Statt dass man nach
dem Rücktritt des ersten Staatsschreibers Hottinger (1847)
Wyss hätte vorrücken lassen, wurde Dr. Alfred Escher an
diese Stelle gewählt und zum zweiten Staatsschreiber der
Winterthurer Jakob Sulzer, welcher Wyss schon 1846 als
Sekretär des Grossen Rates verdrängt hatte. — Mit den Gross-
ratswahlen von 1846 fand die Geschichte des 6. September 1839
ihren Abschluss. 1832 — 183g ,, sieben gottgesegnete Jahre" (nach
dem Zeugnis der Kirchgemeindepetitionen); 1839 — 1846 sieben
Jahre Reaktion. Aber nicht haben diese wie die sieben mageren
Kühe in Pharaos Traum ihre sieben fetten Vorgänger aufzu-
zehren vermocht, sondern sie sind ihrerseits bis zum letzten
Schwanzzipfel wieder verschlujigen worden. Die ,, Freitagszeitung"
vom 18. September 1846 bemerkte: ,,Wir sagen nichts Neues und
nichts Unerhörtes, wenn wir darauf aufmerksam machen, dass
gegenwärtig fast alle Wahlen über den radikalen Ivcisten gehen
und dass man Konservative höchstens etwa noch aus Mitleiden
als Hüberlinge zum Flicken braucht."
VIERTER TEIL
DIE
LIBERALE AERA
EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL
DIE EISENBAHN
Napoleon I. hatte sich sehr verächtHch über Eisenbahnen aus-
gesprochen. Von dem berühmten Physiker Arago war der
„wissenschaftHche Nachweis" erbracht worden, dass auf einer
Eisenbahn niemals würden Lasten befördert werden können.
Nach einem Urteil der französischen Akademie der Wissenschaften
wäre der Techniker, der an den Bau von Eisenbahnen gehen wollte,
,,reif für die Zwangsjacke". In den Archiven der am 7. Dezember
1835 eröffneten ersten deutschen Eisenbahn Nürnberg-Fürth
liegt ein Gutachten der bayrischen Ärzte, welches erklärt: ,, Orts-
veränderung vermittelst irgend einer Art von Dampfmaschine
sollte im Interesse der öffentlichen Gesundheit verboten sein. Die
raschen Bewegungen können nicht verfehlen, bei den Passagieren
die geistige Unruhe, dehrium furiosum, herv'orzurufen. Selbst
zugegeben, dass Reisende sich freiwilHg dieser Gefahr aussetzen,
muss der Staat wenigstens die Zuschauer beschützen; denn der
Anblick einer Lokomotive, die in voller Schnelligkeit dahinsaust,
genügt, diese schreckliche Kranklieit zu erzeugen. Es ist daher
unumgängUch nötig, dass eine Schranke, wenigstens sechs Fuss
hoch, auf beiden vSeiten der Bahn errichtet werde." Wenn es
also auch im Kanton Zürich Leute gab, welche dem Projekt einer
Eisenbahn mit starkem Zweifel und Kopfschütteln gegenüber-
standen, so befanden sich dieselben in sehr guter Gesellschaft.
Allerdings war man mit dem Wort ,, unmöglich" etwas vorsichtig
geworden, seitdem das erste Dampfschiff den Zürichsee durch-
furchte und die Zweifler sich durch Augenschein an Bord der
„Minerva" von der Leistungsfähigkeit einer Dampfmaschine über-
zeugen konnten, um schUesshch mit dem bewundernden Ausruf:
,,Was doch der Tüfel nid alles ersinnet" zu kapituheren (vgl.
Hardmeyer-Jermys ,, Bilder vom Zürichsee"). Die Bedenken
gegen ein zürcherisches Eisenbahnuntemehmen hatten ihren
Grund denn auch viel weniger in techiüschen Schwierigkeiten
268 EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL: DIE EISENBAHN o
als in der für immöglich gehaltenen RentabiUtät. Nachdem die
Zürcher Handelskammer am ii. März 1836 Vorstudien angeregt
und vSchritte bei den Behörden eingeleitet hatte, konstituierte
sich am 17. Januar 1838 unter dem Vorsitz von alt Bürgermeister
C. V. Muralt in Zürich die „Eisenbahngesellschaft Basel-
Zürich"; aber von den 30,000 Aktien wurden nur Q178 gezeich-
net, und nach erfolglosen Bemühungen um behördliche Unter-
stützung und das Vertrauen des Publikums musste am 5. Dezem-
ber 1841 die Gesellschaft ihre I^iquidation beschUessen. Auf
die zu öffenthcher Versteigerung gebrachten Pläne und Akten
der Gesellschaft ging ein einziges Angebot (von 3600 Fr.) ein.
Es kam von Martin Escher-Hess aus dem Wollenhof, später
„Dampf -Escher" genannt.
Mit Martin Escher-Hess (geb. 1788, t 28. September
1870) tritt eine der sympathischsten Gestalten des altem Zürich
vor die Augen des Lesers. Seine Vaterstadt schuldete — und
bezeugte ihm auch — ihre tiefste Dankbarkeit für seine uneigen-
nützige, aufopfernde Tätigkeit an der Spitze des Kaufmännischen
Direktoriums bei der baulichen Umgestaltung Zürichs. Mit seiner
grossen persönhchen Liebenswürdigkeit und Generosität, seiner
zähen Ausdauer, seinem kaufmänmschen Talent und Scharf-
blick gelang es ihm schliesslich, die enormen Schwierigkeiten zu
besiegen, welche dem Anschluss Zürichs an das in raschem Ent-
stehen begriffene europäische Eisenbahnnetz im Wege standen.
Martin Escher wurde der Gründer und Direktor der ersten
schweizerischen Eisenbahn (der bei Basel auf Schweizer-
gebiet hereinreichende, am 15. Juni 1844 eröffnete Stumpen der
Strecke St. Ludwig-Basel kann nicht als ,, schweizerische Eisen-
bahn" angesprochen werden). Mit seinen Freunden Conrad Ott-
Imhof, Schulthess-Landolt, Salomon Pestalozzi und G. v. Schult-
hess Rechberg bildete Martin Escher im Sommer 1845 ein Initia-
tivkomitee, in dessen Auftrag er nach Wien reiste, um den General-
Inspektor der österreichischen Bahnen, Ingenieur v. Negrelli,
den Erbauer der Münsterbrücke, für den Bahnbau zu gewinnen
und bei dessen Oberbehörden den nötigen Urlaub zu erwirken.
Die Pläne für die Bahnliöfe in Zürich und Baden und für die
Überbrückung der »Sihl in Zürich hatten die Zürcher Ingenieure
Wegmann und Ferd. Stadler ausgearbeitet. Die zürcherische
'TKartin Gs(£er=9fess
geb. 1788
o EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL: DIB EISENBAHN 269
Konzession datiert vom 26. Juni 1845, die aargauische
vom 3. Juli 1845. Mit Baselland, welches eine gänzhche Ver-
ödung seiner I^andstrassen und hoffnungslose Verarmung seiner
Wirte und Fuhrleute befürchtete, und mit Baselstadt, das
lieber nach Luzern und dem Gotthard strebte, war nichts zu
machen, so dass man sich vorerst auf das Teilstück Zürich-Baden
beschränken musste. Von den 40,000 ausgegebenen Aktien wur-
den 32,939 eingezahlt; den Rest musste die Gesellschaft selber
übernehmen. Im Kasino Zürich tagte am 16. März 1846 die erste
Generalversammlimg der Aktionäre der ,, Schweizerischen
Nordbahn- Gesellschaft". Sie bestellte die Direktion
aus Martin Escher-Hess (Präsident), Ott-Imhof, Schulthess Rech-
berg, Regierungsrat EssHnger und VögeH-Wieser, sämtHch in
Zürich. Zum Präsidenten des Ausschusses (Verwaltungsrates)
wurde gewählt Regierungsrat Eduard Sulzer, zu MitgUedern:
Salomon Pestalozzi, Schulthess-Eandolt, Bürgermeister Dr. Jonas
Furrer, alt Bürgermeister C. v. Muralt, Landammann Frei-Herose
(Aarau), Regierungsrat Schaufelbühl (Laufenburg) ; alt Bürger-
meister J. J. Hess, alt Oberrichter Dr. Ulrich, Escher-Pestalozzi
zum Steinliof, Hans Stockar-Escher. Die Konstitmerung der
Eisenbahngesellschaft erweckte in Zürich grossen Enthusiasmus.
Das Sechseläuten am 23. März 1846 stand ,,im Zeichen des
Verkehrs". Ein vielbewundertes Gedicht des populären Metzgers
und Poeten Gramer pries die Errungenschaften der fünf Männer
des Initiativ-Komitees als herrhches Friedenswerk in trüber Zeit.
Zum ,, Kronentor", dem prächtigen Wohnhaus Martin Eschers
am Seilergraben, bewegte sich abends ein brillanter Fackelzug
sämtlicher Zünfte. Im Zug marschierten 800 Fackelträger, 13
Zunftpräsidenten, 26 Träger der Ehrengeschirre, 26 Marschälle
nebst Stab und Pannerträgern. Oberst Bürkü-Füssh hielt eine
begeisterte Ansprache an Martin Escher, die dieser beantwortete.
Sänger trugen zwei speziell für diesen Anlass gedichtete Lieder
vor und ein silberner Becher mit der Widmung ,,Die Stadt Zürich
Herrn Martin Escher" und den Emblemen der Münsterbrücke
und des Kornhauses wurde dem Gefeierten überreicht.
Der Grosse Stadtrat hatte bereits am 14. Januar 1846
beschlossen, das Terrain für den Bahnhof im Schützenplatz
imentgeltUch abzutreten, und die Bürgergemeinde bestätigte
270 EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL: DIE EISENBAHN o
diesen Beschluss am 5. Februar 1846. Die ganze Bahnhofanlage
wurde mit einem Holzgitter eingefriedigt. Die Geleisehalle über-
dachte fünf vSchienenstränge : zwei in der Abfahrtshalle (links,
gegen die Stadt zu), zwei in der Ankunftshalle (rechts, gegen die
Platzpromenade) und ein mittleres Rangiergeleise. Alle fünf
Schienenpaare liefen in dem halbkreisförmigen Platz vor dem
Bahnliof auf eine Drehscheibe zusammen. Nach der Sihl hin
waren die Geleise durch eine hölzerne Barriere abgesperrt, die
jedesmal nach Ankunft eines Zuges, wenn der ,,Choh" im vStall
war, zugemacht wurde und dafür denFussweg öffnete. Im Gebäude
hnks (gegen die Stadt) befand sich die Verwaltung, im Zwischen-
bau waren die Wartesäle, auf der rechten Seite (nach der Platz-
promenade) Magazine und Dienstgebäude. Ein eigener Omnibus-
dienst der Gesellschaft vermittelte den Verkehr des PubHkums
aus dem Zentrum der Stadt nach dem recht entlegenen Bahnhof.
Die Wagen fuliren vom Posthof über Paradeplatz und Talacker
und dann über die hölzerne Schanzengrabenbrücke beim Bahn-
hof, wohin man vom rechten Limmatufer her zu Fuss auf dem
,, Dangen Steg" gelangte. Die Schwierigkeiten des Bahn-
baues begannen schon gleich ausserhalb des Bahnhofs: bei der
Sihlbrücke, die infolge eines zweimaligen schweren Wolkenbruchs
im August 1846 für grösseren Hochwasserdurchlass umgeändert
werden musste. Sie führte anfänglich zwei, 1856 nach der ersten
Bahnliof erweiterung sieben Geleise über die Sihl. Nicht geringe
Kosten verursachte die Korrektion und Überbrückung der Rep-
pisch bei Dietikon. Das Terrain von Spreitenbach bis Baden
war sehr ungünstig; die jetzt durch zwei Brücken abgeschnittene
Halbinsel beim Seminar Wettingen wurde mit einer grossen
Schlaufe umgangen. Der Bau des 90 Meter langen Tunnels durch
den Schlossberg in Baden brachte eine gewaltige Erdmasse ins
Rutschen; er musste durch hohe Mauern geschützt werden,
wobei leider wertvolle Weinberge zerstört wurden. Bei den
Expropriationen längs der BahnUnie machten die Landeigentümer
einen tüchtigen Schnitt; auf zürcherischer Seite überstiegen die
Preise den Voranschlag um 23%, auf aargauischer um 129%.
Eine grössere Station erhielt bloss Dietikon, einfache Haltestellen
Altstetten und vSchlieren. Die Eschen für die Schwellen waren
vorsorghch schon im Winter 1845/46 gefällt worden, die Schienen
0 EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL: DIE EISENBAHN 271
bezog man durch Escher Wyss & Co. aus englischen Werken.
Vier Lokomotiven, „lyimmat", „Aare", ,, Rhein" und ,,Reuss"
wurden in den Werkstätten von Emil Kessler in Karlsrulie her-
gestellt, und ein junger Basler Mechaniker im Dienst dieser Firma,
Nikiaus Riggenbach, der spätere Erbauer der Rigibahn,
hatte die Freude, diese vier ersten L,okomotiven über die Schweizer-
grenze hereinzubringen. Er schildert in seinen ,, Erinnerungen"
das bedenkhche Kopfschütteln manches ehrsamen Basler Bürgers
beim Passieren der alten Rheinbrücke und den Jubel der Zürcher
Bevölkerung bei der ersten Probefahrt Zürich- vSchlieren. Der
Wagenpark der Gesellschaft bestand aus 31 Personen- und 9 Ge-
päck-, Güter- und Viehwagen.
Die Einweihung der Bahn am Samstag den 7. August
1847 lockte viel Volk nach Zürich und Baden und an die Zwischen-
stationen. Ein Extrazug holte am Morgen die aargauischen Be-
hörden und Ehrengäste in Baden ab. Im reich dekorierten Warte-
saal in Zürich wurden die ersten Begrüssungsansprachen zwischen
Martin Escher und Landammann Siegfried gewechselt, worauf
man die ganze Bahnliofanlage eingehend besichtigte. Punkt
1 Uhr verhess der Festzug mit 140 Personen die Bahnhofhalle.
Die bekränzte Lokomotive ,,Aare" war vorgespannt; auf ihrem
Vorderteil standen in alter Waffenrüstung, mit Pannem in der
Hand, zwei zürcherische Lokomotivführer; ein dritter lenkte die
Maschine. Sodann folgte ein offener Wagen mit treffUcher Musik
imd nach ihm die Personenwagen. Die Stationen und Wärter-
häuschen an der Linie trugen Kränze und Blumenguirlanden;
auch der Bahnhof Baden war prächtig geschmückt. Ein Triumph-
bogen mit Inschrift stand am Weg nach den Bädern. Den an-
kommenden Gästen wurden Blumensträusse, Herrn Escher ein
Lorbeerkranz überreicht, den er aber nicht annahm. Zahllose
Toaste würzten das Bankett im Gasthof zum ,,Schiff". Die
schönste Rede hielt beim Abschied am Bahnhof Landammann
Waller. Am 9. August wurde der regelmässige Betrieb eröffnet.
TägUch fuhren vier Züge nach jeder Richtung, Sonntags noch je
ein Extrazug. Zum Schmerz der Direktion ereignete sich schon
am dritten Betriebstag ein schwerer Unglücksfall. Der Ober-
kondukteur Brunner hatte eben noch die Passagiere gewarnt,
nicht hinauszulehnen, da jetzt das Brücklein über die Reppisch
272 EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL: DIE EISENBAHN o
komme; er selbst beobachtete diese Vorsicht nicht, wurde vom
Zug gerissen und schreckHch verstümmelt. Die Frequenz war
gleich von Anfang an eine recht erfreuliche; schon während der
drei ersten Wochen wurden zwischen Zürich und Baden 24,836
Personen befördert.
Der Ausbau des zürcherischen Bahnnetzes verzögerte sich
über Erwarten. Die unruhigen politischen Verhältnisse beein-
flussten den Geldmarkt sehr ungünstig, und sodann musste,
nach Gründung des neuen Bundes, zunächst einmal die Frage:
,, Privatbau" oder ,, Staatsbau" entschieden werden. Nach heissem
und langem Kampfe siegte der Privatbau, und zwar mit
Hülfe Zürichs und Alfred Eschers. Den politischen Zentra-
listen beherrschte ein starkes föderalistisches Bedenken: wenn
Bern zum Bundessitz auch noch die Zentralverwaltung der
Schweizerbahnen erhielt, könnte es Zürich gegenüber allzu mächtig
werden. Auch die Broschüre des weitblickenden bernischen
Staatsmannes Stämpfli für den Rückkauf der Eisenbahnen
wurde in Zürich sehr ungünstig beurteilt. Die ,, Freitagszeitung"
erklärte (1862) einen Sieg der Stampf hschen Ideen für ein Natio-
nalunglück, den Untergang der alten Schweiz. ,,Mit dem kanto-
nalen Deben und der kantonalen Selbständigkeit wäre es aus.
Wir hätten eine Hauptstadt, in der allein die Geschicke der
Schweiz abgemacht würden, auf die sich alles politische Leben
und Treiben konzentrierte, in der man zu siegen und dann über
die Schweiz zu herrschen streben würde, von der aus Gnaden und
Ämter allein ausgingen, — kurz, die Schweiz würde zu einem De-
partement und aller Patriotismus der Unabhängigkeit müsste
erlöschen. Napoleon könnte zugreifen, wann und wo und wie
er wollte. Fände die Schweiz ja dann nicht einmal mehr das Geld,
um zum Kriege zu rüsten, wenn sie ihren Kredit für die Eisen-
bahnen erschöpft hätte und schon über und über in Schulden
stäke." Aus solchen und ähnlichen Erwägungen heraus war in
der Tat schon 1852 der »Staatsbau von der Bundesversammlung
abgelehnt worden.
In Zürich war 1S51 ein neues Unternehmen entstanden:
die ,, Zürich-Bodensee-Eisenbahngesellschaft", welche mit
Vertrag vom 29. April 1853 mit der Nordbahn zur ,, Schweize-
rischen Nordostbahn" (N. O. B.) fusionierte, an deren Spitze
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1
o EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL: DIE EISENBAHN 273
Alfred Escher trat. In St. Gallen entstanden durch Fusion
der ,,St. GalHsch-AppenzelHschen Eisenbahngesellschaft", der
,, Schweizerischen Südostbahn" (nicht zu verwech.seln mit der
spätem gleichnamigen Gesellschaft Wädenswil-Einsiedeln etc.)
und der Glattalbahn am 10. April 1857 die „Vereinigten Schwei-
zerbahnen" (V. S. B.). Von den 1855 — 1865 neu eröffneten
Linien sind für Zürich folgende von Bedeutung:
Winterthur-Romanshorn N. O. B. 16. Mai 1855;
Örlikon-Winterthur N. O. B. 27. Dezember 1855;
Zürich-Örlikon N. O. B. 26. Juni 1856;
Wallisellen-Uster V. S. B. i. August 1856;
Baden-Brugg N. O. B. 29. September 1856;
Winterthur-Schaffhausen N. O. B. 16. April 1857;
Uster-Wetzikon V. S. B. 9. November 1857;
Brugg-Aarau N. O. B. 15. Mai 1858;
Wetzikon-Rüti V. S. B. 15. August 1858;
Rüti-Rapperswil-Glarus V. S. B. 15. Februar 1859;
Turgi-Waldshut N. O. B. 16. August 1859;
Zürich-Altstetten-Zug-Ivuzern i. Juni 1864;
Zürich-Örlikon-Bülach mit Oberglatt -Dielsdorf i. Mai
1865.
Die beiden letztern I,inien wurden nur von der N. O. B.
geleitet und betrieben, bildeten aber besondere Unternehmungen.
Die übrigen mit N. O. B. bezeichneten Linien sind das alte Stamm-
netz der Nordostbahn.
Wenn im ersten Betriebsjahr 166,248 Personen befördert
worden sind auf der ,, Spanisch Brödlibahn" (so genannt nach
einer beliebten Badener Spezialität), jetzt aber jährlich über
4^/2 Millionen Menschen nur allein vom Hauptbahnhof Zürich
abreisen, täglich insgesamt 500 Züge in denselben einlaufen
und aus seiner Halle abfahren, so nimmt sich bei solchem Ver-
gleich der Betrieb der ersten schweizerischen Eisenbahn ja recht
winzig aus. Sie war nichtsdestoweniger eine Glanzleistung für
ihre Zeit. Wie oft mag der ehrwürdige Martin Escher-Hess
noch von seinem Landsitz im Engenweg in Unterstrass sinnend
hinübergeschaut haben auf die Lichter der Bahnlinie, von der
wie ein Gruss aus schöner alter Zeit der Pfiff der Loko-
motiven herüberschallte. Als die ,, Spanisch BrödUbahn" eröffnet
274 EINUNDZWANZIGSTES KAPITEI.: DIE EISENBAHN o
wurde, war das I,and von Sonderbundssorgen erfüllt; als Martin
Escher die müden Augen schloss, beschäftigte der deutsch-
französische Krieg Sinnen und Gedanken der Leute. Beides war
einer vollen und gerechten Würdigung seines Werkes nicht gerade
günstig; den Tribut der Dankbarkeit und Verehrung aber zollten
ihm seine Mitbürger, ^litarbeiter und frülieren Untergebenen
noch über das Grab hinaus.
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ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
KRIEGSBILDER
EIN \'ORSPIEL. Der Wirt Johann Gross zum Cafe litteraire
in Zürich (f 1897 im Altersasjd Helfenstein) war ein feuriger
Radikaler und dabei ein guter Mann. Der radikale Patriotismus,
der an den Stammtischen seiner berühmten Wirtschaft dominierte,
war ihm selber Evangelium, innerste Überzeugung, für die er alles
zu opfern, ja sein Blut zu verspritzen bereit war. Das bewies er
auch mit der Tat: Johann Gross stand als Leutnant bei Lunnern
an der Reuss tapfer im Kugelregen und half Zürichs Waffenehre
glänzend retten, während andere — davonHefen. Im Cafe Htteraire
sind zuweilen Verhandlungen geführt und Beschlüsse gefasst
worden, die denjenigen im Grossen Rat den Weg vorzeichneten.
Der nachmaUge Regierungsrat Karl Walder, 1847 Sekretär des
Grossen Rates, berichtet von einer interessanten Szene, bei der
alt Regierungsrat Oberst Weiss an den bekannten runden Tisch,
an dem mehrere Regierungsräte und höhere Offiziere sassen, heran-
trat und ihnen seine Meinung über den schwächUchen Instruktions-
antrag der Regierung deutHch aussprach, womit er eine Änderung
der Instruktion bewirkte. In der ganzen Schweiz berühmt geworden
ist aber das Cafe litteraire und sein Inhaber besonders durch die
Befreiung und Entführung von Dr. Robert vSteiger in Luzern.
Dr. vSteiger, ein sehr geachteter und beliebter Arzt, hatte sich be-
wegen lassen, an dem zweiten unglückhchen Freischarenzug 1845
teilzunehmen, war dabei gefangen genommen und am 2. April in
Luzern eingebracht worden unter einem teuflischen Gejohle des
Pöbels, das selbst einem Siegwart-Müller durch Mark und Bein
ging. Im Kesselturm, der Bastille der Luzerner Regierung, wurde
Steiger eingekerkert und am 3. Mai zum Tode durch Erschiessen
verurteilt. Das Obergericht verwarf die Appellation. Das Schick-
sal des Gefangenen ging dem Wirt Gross und seiner gleichgesinnten
Frau, die darob viel Tränen vergoss, tief zu Herzen. Er beschloss,
Steiger zu befreien. Mit einem seiner Gäste, dem Luzerner Flucht-
276 ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER o
ling Bühler von Büron, führte er darüber eifrige Gespräche. Bühler
verschaffte Gross die Bekanntschaft eines Landjäger- Korporals
Birrer in L,uzern, mit dem er das Nähere über den Befreiungsplan
besprechen sollte. Fünfmal reiste Gross zu diesem Zweck über
den Albis und wieder zurück, ohne etwas ausgerichtet zu haben.
Birrer hielt die Entführung für unmögUch. Nun aber schrieb die
ebenfalls ins Vertrauen gezogene Frau Dr. Steiger, Gross möchte
noch einmal kommen und 6 — 8000 Fr. mitbringen. Gross hatte
nur 2000 Fr. zur Verfügung; er bat einen seiner eben anwesenden
Gäste, Maler, auf der Waid bei Zürich, um das Fehlende, und
dieser hef spornstreichs nach Hause, um die 6000 Fr. zu holen.
Unverzüghch ging Gross nun an die Ausführung seines Planes,
bestellte zwei Wagen — • im einen fuhr seine unternehmende
Schwägerin Jungfer Bosshart mit — und reiste nach Luzern, wo
er nachts 11 Uhr eintraf und im ,, Weissen Kreuz", die Schwägerin
im ,, Schwanen" einkehrte. Dem Korporal Birrer war es nämhch
inzwischen doch gelungen, noch zwei Kollegen, Kaufmann und
Hofmann, für die Sache zu gewinnen. In der Nacht (des 19. /20.
Juni) führte Birrer den Landjäger Hof mann zur Ablösimg eines
andern Postens vor den Kesselturm. Hofmann öffnete mit einem
Nachschlüssel die Gefängnistür und half Dr. Steiger durch eine
Öffnung im Korridor in die anstossende Scheune des Kutschers
Hofstetter schlüpfen, wo Kaufmann seiner harrte. Während Hof-
mann auf seinen Posten vor der Tür zurückkehrte, schlüpfte vSteiger
in eine bereit gehaltene Landjägeruniform und spazierte dann mit
Kaufmann als ,,PoUzeipatrouille" ruliig am Kesselturm und an
Siegwarts Haus vorbei, dem Kriensbach entlang und über die
Reussbrücke zur Kapellgasse. Ohne von irgend einer Wache an-
gehalten zu werden, gelangten die beiden in die Zürcherstrasse,
wo Gross voll Angst und Sehnsucht mit dem Fuhrwerk harrte
und sie rasch einsteigen Hess. Dann ging es in hellem Galopp davon
und morgens zwei Uhr war man auf Zürcherboden in Knonau in
Sicherheit. Eine Stunde nach dem Ausbruch Steigers führte Birrer
einen andern Landjäger zur Ablösung Hofmanns vor den leeren
Kesselturm, ging mit Hofmann auf die Wachtstube, Hess sich für
den Rest der Nacht durch einen Vize-Postenchef vertreten und
begleitete endHch Hofmann ebenfalls in die Zürcherstrasse — zum
Wagen der Schwägerin. Um 3 Uhr war auch dieses Fuhrwerk in
o ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER 277
Knonau. In frühester Stimmung wurde die Reise nach Zürich
fortgesetzt und unterwegs nur noch in Bonstetten bei Freunden
Halt gemacht. Die ganze Stadt Zürich geriet ob der Neuigkeit
in Bewegung, das Cafe htteraire wurde fast erstürmt, jedermann
wollte Dr. Steiger sehen und seinen Befreiern wurden begeisterte
Ovationen dargebracht. Dr. Steiger Hess sich hierauf in Winterthur
nieder und schuf sich dort einen neuen Wirkungskreis. Die Ge-
meinde Höngg schenkte ihm das Bürgerrecht, der Regierungsrat
das Landrecht. Auch die drei Landjäger wurden — nicht ohne
lebhaften Protest konservativer Jlinderheiten, welche in bestech-
lichen Landjägern keine wünschbare Acquisition erbhckten — in
Wiedikon, Schheren und Bonstetten eingebürgert. Während die
Luzerner Regierung auf der sogenannten Lästerbank eine Tafel
anbringen liess mit den Worten: ,, Jakob Robert Steiger, dato
landesflüchtig, ist wegen Hochverrats laut Freischarengesetz zum
Tod durch Erschiessen verurteilt", feierten die Winterthurer
Liberalen den Geretteten in fast überschwengHcher Weise. Oberst
Ulrich jVIeister erinnert sich noch an den langen Kutschenzug,
mit dem Dr. Steiger durch Benken an den Rheinfall geführt wurde
und der auf der Rückfahrt dann auch in Benken zu einer be-
sondem Feier anhielt.
MOBILISATION. Der umgekehrte Fall vStrauss: die konser-
vative Luzerner Regierung beruft die Jesuiten; radikale Frei-
scharen versuchen das mit Gewalt zu hindern, werden aber blutig
geschlagen, und die Jesuiten halten zu Allerheihgen, i. November
1845, ihren triumphierenden Einzug in Luzern, herzlich bewill-
kommt von dem jetzt konser^'ativen Schultheiss Siegwart-MüUer,
der noch wenige Jahre zuvor die Jesuiten als Filzläuse bezeichnet
hatte, die man — einmal eingenistet — nicht mehr los werde.
Doch mm machte die eidgenössische Tagsatzung die Jesuitenfrage
zur Bundessache, erklärte die Jesuiten als Landesgefahr und
verfügte ihre Ausweisung aus dem ganzen Gebiet der Eidgenossen-
schaft. Da sich die sieben Kantone des Sonderbundes diesem
Bundesbeschluss widersetzten, musste derselbe schliessUch mit
Waffengewalt vollzogen werden. Die Zürcher Konserva-
tiven gerieten durch diesen Gang der Dinge in arge innere Not
278 ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER o
und Bedrängnis. Zwar die Jesuiten waren auch ihnen durchaus
unsympatliisch, allein als überzeugte Föderalisten waren sie der
Ansicht, daß ihre Berufung ausschUesslich in die Kompetenz der
„souveränen" Kantone falle und auf keinen Fall mit Gewalt
von Bundes wegen gehindert werden dürfe. Den Siebner-Sonder-
bund setzten sie in Parallele mit dem radikalen Siebner-Kon-
kordat und meinten, was dem einen recht, sei dem andern billig,
bedachten aber zu wenig, dass sie selber das Siebner-Konkordat
immer bekämpft und schliesslich aufgehoben hatten, sobald sie
die Macht dazu besassen. Sie konnten auch mcht ahnen, mit
welchen wahrhaft hochverräterischen Plänen der Sonder-
bund — zum Untersclüed vom Siebner- Konkordat ! — von Anfang
an umging, • — Plänen, deren Ausführung die Zertrümmerung der
Schweiz unfehlbar hätte herbeiführen müssen. Die lebende Gene-
ration ist, namentlich dank den Forschungen Wilhelm Öchslis in
den Wiener Arclüven, auch über die Geheimgeschichte des
Sonderbundes unterrichtet, und es wird heute wenig Leute mehr
geben, die es bestreiten würden, dass der Souderbundskrieg eine
absolute Notwendigkeit im Interesse der Erhaltung der
Schweiz gewesen war. Das konnte man aber damals noch nicht
so deuthch und klar erkennen, wie es jetzt der Fall ist. In den
Augen der Konser\'ativen war es denn auch nicht die Eidgenossen-
schaft, nicht das Vaterland, das für seine Existenz sich wehren
musste, sondern es war ledighch ,,der Radikalismus", welcher
zum vernichtenden Schlage gegen das konser\'ative und födera-
hstische Prinzip ausholte. Das muss man sich vor Augen halten,
um zu begreifen, dass zürcherische konservative Offiziere zum
Fahneneid demonstrativ schwarze Handschuhe anzogen und der
treffUche Adolf Bürkli, der bei der Batterie Scheller so tapfer
focht, ,,mit wehmütigem Gefühl, mit fast gebrochenem Herzen"
den Schwur leistete. Da war es denn nun ^\^eder eine gar nicht
hoch genug zu schätzende Tat Oberst Eduard Zieglers, dass
er in diesem Gewissens- und Gefühlskonflikt seinen konservativen
Gesinnungsgenossen und Kameraden den klaren Weg der PfHcht
zeigte. Er wäre der letzte gewesen, der ,,für den Radikahs-
mus" das Schwert gezogen hätte, aber an seinem Beispiel und
Vorbild konnten nun die Konserv^ativen erkennen, dass es sich
um anderes und um weit mehr handelte als um den Radikahsmus.
o ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER 279
Und es erhielt diese Treue gewissermassen ihre Belohnung dadurch,
dass dann gerade Oberst Ziegler mit seiner Division dazu be-
rufen war, den Entscheidungskampf in diesem Kriege durch-
zuführen und die Ehren des Sieges zu ernten.
Noch bevor die Tagsatzung in Bern Dufour zum General
ernannte, che Sonderbundsgesandten am 29. Oktober 1847 die
Tagsatzung verHessen und am 4. November der entscheidende
Kriegsbeschluss gef asst wurde , begann in Zürich die Mobilisation,
und zwar auf speziellen Wunsch St. Gallens, das in seinem See-
bezirk von einer aufständischen Bewegung bedroht war. Am
22. Oktober wurde das Bataillon Schmid auf dem Platz hinter
dem Stadthaus beeidigt und sodann auf einem Dampfer und sechs
Schleppschiffen eingeschifft. In schöner, mondheller Nacht fuhr
es seeaufwärts nach Stäfa, und am 23. Oktober folgte ihm eben-
daliin das Bataillon Ginsberg. Seitdem genoss nun die Stadt
Zürich das fast täghche Schauspiel des Einzugs, der Beeidigung
und des Abmarsches von Truppen, des Durchmarsches eidge-
nössischer Kontingente von St. Galleu, Schaffhausen, Thurgau,
Graubünden; es war ein imaufhörHches Kommen und Gehen.
Dass der Krieg tatsächhch ausgebrochen und auch ihren Grenzen
schon ganz bedeiikhch nahe gerückt sei, zeigte den Zürchern der
Brand der gedeckten Brücke von Sihlbrugg (8. November), in
welche die Sonderbündler einen Wagen mit brennendem Stroh
geschoben hatten. Auch die gedeckte Brücke von Hütten teilte
ein paar Tage darauf dieses Schicksal. Bei der Aufstellung der
Ordre de bataille wurden die Zürchertruppen hauptsächhch
der 4. Division, Ziegler, Hauptquartier Aarau, und der 5. Di-
vision, Gmür, Hauptquartier Zürich, später Af foltern a. A., zu-
geteilt.
*
LUNNERN. Die Division Ziegler im Freiamt hatte ihre
Vorhut bis Dietwil im südlichsten Zipfel des Aargau vorge-
schoben. Am 8. November war der Divisionär noch selber da-
gewesen und hatte die Offiziere der Kompagnie Forrer zu grösster
Wachsamkeit ermahnt. Dessenungeachtet zog Hauptmann Forrer
am 10. November morgens seine Schildwachen bis auf einen ein-
zigen Posten ein und setzte sich mit seinen drei Leutnants im Pfarr-
28o ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER o
haus zum Frühstück. Da ging die Tür auf; sonderbündlerische
Offiziere traten ins Zimmer und ersuchten die Herren Kameraden,
sich zur sofortigen Abfahrt nach Luzera bereit zu machen. vSie
hatten sich im Schutz des Xebels mit einer starken Abteilung dem
Dorf genähert, die einzige Schildwache entwaffnet und die halbe
Kompagnie gefangen genommen; die andere Hälfte war zum Teil
mit Zurücklassung ihrer Waffen geflohen. Am gleichen Vormittag
ging die gedeckte Reussbrücke von Sins in Flammen auf. Diese
Vorkommrüsse deuteten auf Unternehmungslust von sonder-
bündlerischer Seite und die Notwendigkeit vermehrter Wachsam-
keit der eidgenössischen Truppen. Oberst Rotpletz, damals ein
junger Soldat, erzählt, dass er sich mit zwei andern als FreiwiUiger
der Führung eines Wachtmeisters Sutermeister anvertraute, welcher
die Stellung des Feindes bei Reitnau erkunden sollte. „Der Weg
ging durch einen Streifen niederu Gehölzes, durch das ein ganz
unbedeutendes, zwei bis drei Schuh breites Bächlein floss. Als
wir an den Steg gekommen waren, sagte der eine vSchütze: .Ich
bliebe denn do an der Brücke als Wache'. Sutermeister lachte
grinsend und marschierte ohne ein Wort zu sagen weiter. Als wir
aber den Weidenbusch durchschritten hatten und uns auf freiem
Feld gegen Reitnau wandten, meinte der zweite vSchütze, ein ge-
waltiger, grosser, rothaariger \^'achtmeister, der mich tags zuvor
auf der Feldwache kujoniert hatte: ,Ich bliebe denn do am Wald
in Aufnahmestellung!' Jetzt brach der Führer in helles Gelächter
aus und wandte sich an mich mit den Worten; ,Wottst du öppen
au in Aufnahmestellung zurückbleiben?' — ,Ich gehe mit Euch,
so weit Ihr wollt', war meine Antwort."
Bei Lunnern schlugen am Freitag den 12. November zürche-
rische Pontoniere eine Schiffbrücke über die breit und reissend
dalünfUessende Reuss; nur eine Fähre hatte dort bisher den \^er-
kehr zwischen den beiden Ufern vermittelt, die seit 1876 durch
eine sohde, eiserne Strassenbrücke verbunden sind. Es ist ein
hebUcher Fleck Erde, den der vSonderbundskrieg für seine erste
ernsthaftere Aktion ausersehen hat. In ihrer ganzen Pracht und
Grösse stehen im Süden Rossberg, Rigi und Pilatus nüt dem Kranz
der ewigen Firnen. Die anmutige Talschaft weitet sich hier zu
nicht unbeträchtlicher Breite, die aber fast ganz der aargauischen
vSeite zugute kommt, während auf dem rechten zürcherischen Ufer
o ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER 281
das Terrain schon 14 J^™ vom Fluss entfernt zu der sanft geneigten
Anhöhe von Unter-Lunnern ansteigt. Die braunen Häuser und
Scheunen dieser Ortschaft, die sich ziemlich eng zusammengedrängt
am obern Rand der Anhöhe lagern, gehören zu der Gemeinde Ob-
felden, welche gerade in diesem Jahr 1847 eine selbständige Kirch-
gemeinde geworden und gerade an diesem Freitag, den 12. No-
vember, damit beschäftigt war, den Kirchturm aufzurichten,
welche Arbeit indessen wegen der in höchst bedrohHcher Nähe
herumsausenden sonderbündlerischen Granaten zeitweise unter-
brochen werden musste. Das flache Uferband besteht zmn grössten
Teil aus Ried, das mit alten Weidenstrünken bestanden ist und
auf dem an dem Tage, von dem wir berichten, die Streue-Ernte
zu IG — 12 Fuss hohen Schobern aufgeschichtet war. Strecken-
weise begleitet das Ufer, wie übrigens auch jenseits, eine damm-
artige Erhöhung. Auf der aargauischen Seite treten die Häuser
des Dörfleins Rickenbach ziemHch nahe an den Fluss heran.
Aus einer Entfernung von einer halben Stunde schaut vom Fuss
des langgestreckten Lindenberg über die Bäume und das Busch-
werk der Niederung der schlanke, weisse Käsbissen- Kirchturm der
freundUchen Ortschaft Merischwanden herüber. Man sieht auch
von der Lunnern-Höhe aus die Landstrasse, die in der Ebene
längs des Lindenberg von Merischwanden nach dem % Stunden
flussaufwärts an der Reuss gelegenen Mühlau führt, wo sich das
Tal wieder bedeutend verengt. Mühlau bildet die vSpitze eines
länghchen Dreiecks, dessen zwei Ecken Merischwanden und
Rickenbach bezeichnen.
Die Batterie Scheller hatte am Freitag vormittag noch
fleissig in Bonstetten manövriert und exerziert, als gegen 12 Uhr
ein Befehl des Brigadekommandanten Oberst Blumer sie schleunig
nach Affoltern a. A. berief. Sofort wurde Alarm geblasen und
das verabredete Signal von acht Kanonenschüssen abgefeuert. In
der Stadt verursachte dieser Kanonendonner nicht geringe Auf-
regung. Es wurde Generalmarsch geschlagen und die gerade an-
wesenden (kathohschen !) St. Gallertruppen sammelten sich rücht
sehr eihg. Die wildesten Gerüchte flogen durch die Gassen und
verursachten gewaltigen Schreck: die Sonderbündler seien in
Rnonau hereingebrochen, die Eidgenossen zurückgeworfen, Kappel
und Hausen brennen! Massenhaft rannten die Leute auf den
282 ZWBIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER o
Albis und Ütliberg, um vSicheres zu vernehmen. In scharfem Trabe
war die Batterie Scheller nach Affoltern gefahren, wo sie einige
Kompagnien vom Bataillon ^leyer Nr. 29 und die Batterie Zeller
vorfand. Oberstbrigadier Blumer erwartete nach den ihm zuge-
gangenen Meldungen ein \'orrücken des Feindes über die Reuss
und von Zug her. Am meisten bedroht erschien indessen zunächst
der Übergang von Rickenbach-Lunnern. Eben war in Affoltern
der Train-Offizier Manch von der Pontonier-Kompagnie Huber,
welche die Schiffbrücke geschlagen hatte, mit neuen dringUchen
Meldungen vom Anrücken des Feindes eingetroffen. Batterie
Scheller erhielt deshalb den Befehl, an die Reuss vorzurücken zur
Sicherung der Schiffbrücke von Rickenbach. In schnellster Gang-
art, mit Rasseln und Dröhnen, wurde der etwa 4 km lange Weg
über Toussen, Obfelden, Ober- und Unter-L,unnern zurückgelegt.
Hauptmann Scheller fand die Schiffbrücke bereits fertig erstellt
und ritt sofort zur Rekognoszierung ans linke Reussufer hinüber.
Hier waren um das Dorf lein Rickenbach her eine Jägerkompagnie
und eine vScharfschützenkompagnie aufgestellt; zwei Füsilier-
Kompagnien hatte der in lyunnern kommandierende Major Brup-
pacher als Reserve auf dem rechten Ufer zurückbehalten. Nun
liess Hauptmann Scheller den Leutnant Hauser mit zwei Ge-
schützen ebenfalls über die Schiffbrücke nachrücken und sie am
Ausgang des Dörfchens Rickenbach, links neben der Strasse nach
Merischwanden, auffahren, von wo aus sie diese Strasse und die
ganze Ebene, durch welche sie sich zieht, auf 1000 — 1200 Schritt
Distanz bestreichen konnten. Oberleutnant Adolf BürkH erliielt
den Befehl, mit den zwei andern Geschützen der Batterie weiter
rückwärts, auf der Anhöhe bei Unter-Lunnern, eine Position zu
wählen, von welcher aus er ebenfalls die jenseitige Landstrasse,
aber im Notfall auch die Schiffbrücke zur Deckung eines Rück-
zuges unter Kartätschfeuer halten konnte.
Kaum waren diese Dispositionen getroffen, als zwei Luzerner
Flüchtlinge atemlos und schweissbedeckt gelaufen kamen mit dem
Bericht, ein starkes Kor|3s Luzerner Truppen mit vieler Artillerie
habe bereits Mühlau passiert und sei im Anmarsch auf Meri-
schwanden begriffen. Die Absicht dieser Truppen konnte keine
andere sein, als sich in Merischwanden mit einer scharfen Rechts-
schwenkung gegen Rickenbach zu wenden und sich der hier ge-
o ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER 283
schlagenen Schiffbrücke zu bemächtigen. Die ^Meldung der Flücht-
linge erhielt ihre volle Bestätigung durch die eigene Beobachtung
der Kanoniere auf der Höhe von Lunnern, welche ganz deutlich
grosse Truppenmassen auf der Strasse von Mühlau nach Meri-
schwanden marschieren sahen. Einer solchen Übermacht gegen-
über konnte von einem Standhalten auf dem linken Ufer mit zwei
Kompagnien und zwei Geschützen keine Rede sein. Major Brup-
pacher befahl den Rückzug sämthcher Truppen auf das rechte
Ufer und den sofortigen Abbruch der Scliiffbrücke. Zuerst gingen
die zwei Geschütze wieder über die Brücke zurück, gefolgt von
einem Fuhrwerk mit fhehenden Landleuten, und dann die Schützen
und Jäger, so lange der fortschreitende Abbruch der Brücke es
gestattete; die letzten Schützen brachte man noch mit der Fähre
ans rechte Ufer. Auf Wunsch des Pontonierhauptmanns Huber
Hess Hauptmann Scheller seine beiden zurückgezogenen Geschütze
zunächst rechts imd links vom Brückenzugang aufstellen, machte
aber bald dem Kameraden begreifHch, dass er ihn viel besser aus
einer erhöhten Stellung weiter rückwärts werde schützen können.
Er sprengte darum mit seinen zwei Kanonen die Anhöhe nach
Unter-L,unnem hinan und protzte vor den Häusern dicht neben
der Strasse ab. Inzwischen ging das Abbrechen der Brücke rasch
vor sich. Die Jäger und Schützen bildeten flussaufwärts und
-abwärts eine Schützenkette unter Benutzung aller zur Deckung
dienhchen Gegenstände. Die zwei Füsilierkompagnien standen
etwa 50 — 60 Schritte vom Ufer entfernt in der Ebene, teilweise
gedeckt durch die Uferböschung und den bei der Brücke aufge-
fahrenen Ponton-Train. Kurz vor drei Uhr sah man aus Meri-
schwanden starke Kolonnen auf die Ebene debouchieren und sich
nach Rickenbach zu in Bewegung setzen. Als die Avantgarde um
ein kleines Wäldchen, 500 Schritt vor Rickenbach, herumbog,
löste sie sich in tadelloser Ordnung en tirailleurs auf und stürmte
im Laufschritt mit lautem Hurrah auf die nahe Reuss zu, und
schon sprengten einzelne Reiter dem Flussufer entlang. Mit dem
Ruf ,,Obwalden! Obwalden!" eröffneten die Scharfschützen hinter
Bäumen und Erderhöhungen hervor alsbald ein heftiges Kreuz-
feuer auf die Pontoniere, welche den Abbruch der Brücke kalt-
blütig vollendeten und glückhch das letzte Ponton aufs Ufer
brachten, während allerdings drei Birago-Böcke zunächst dem
284 ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER o
rechten Ufer stehen gelassen werden mussten. Ein Pontonier
wurde am Fuss verwundet.
Der feindhchen Avantgarde war von Merischwanden her eine
starke Kolonne Artillerie gefolgt, auf welche Hauptmann vScheller
das Feuer seiner sämtlichen vier Geschütze eröffnete, ohne sie
jedoch am Abprotzen und Auffahren hindern zu können. Ein
Geschütz hatte liinter den Häusern von Rickenbach \-erdeckte
Stellung genommen und auf nur 250 Schritt Distanz das rechte
Ufer mit Kartätschen zu beschiessen begonnen. Die FüsiUer-
kompagnien, die sich in kleinere Gruppen aufgelöst und hinter
den Streueschobern Schutz gesucht hatten, wurden schon durch
den ersten Kartätschenschuss gänzUch in Verwirrung gebracht
und zogen sich in überstürzter Flucht den Abhang liinauf gegen
Lunnern zurück, allen voran ein Instruktions-Hauptmann aus
neapohtanisclien Diensten und ein zweiter Offizier. Die Pon-
torüere, die jetzt mit ihrer Arbeit fertig waren, sammelten sich
in einem nahen Wäldchen und schauten dem weitem Verlauf des
Kampfes zu. Am Ufer standen nur noch Scharfschützen und
Jäger, aber auch sie zogen sich, um bessere Deckung zu finden,
immer näher am Abhang heraui. Einer, der nicht vom Platze
weichen wollte und hinter einer Eiche am Ufer hervor mit Todes-
verachtung immer weiter schoss, war der vScharfschütze Jakob
Spörri von Niederglatt. Auf ihn richtete sich schliesslich vom
linken Ufer her ein konzentriertes Feuer und er erhielt vier Kugeln,
bevor er niederstürzte. Das Ufer war nun bei der Brückenanfahrt
ganz verlassen, und schutzlos stand dort angesichts des jubelnden
Feindes der Ponton-Train, den er sich gar zu gern geholt hätte.
Am schönsten hielt sich, nach dem Zeugnis des auf dem Platze
anwesenden Dr. med. Lüning, die Artillerie; ,,die Mannschaft
stand und feuerte in ihrer ungedeckten Stellung so ruhig und ge-
lassen, als ob sie einer altgedienten Truppe angehört hätte." Das
Gefecht war je länger je mehr zum blossen Geschützkampf ge-
worden. Die feindlichen Granaten flogen zuerst hoch über die
Köpfe der Zürcher Artilleristen hinweg und schlugen in die hinter
ihrer Stellung gelegenen Scheunen und Wiesen ein, aber zusehends
schoss sich der Feind besser ein und um wenige Zoll sch\\irrten
nun die Kugeln vorbei; eine von ihnen tötete das Rlittelhandpferd
eines Gespanns.
o ZWEIUNDZWAKZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER 285
jVIit grosser Mühe war es einigen Offizieren, darunter dem
Leutnant Gross, gelungen, die erschrockenen FüsiUere oberhalb
Lunnerns wdeder zu sammeln, aber die Truppe zeigte auch jetzt
noch keine starke Xeigimg, das Gefecht wieder aufzunehmen. Die
Lage der unausgesetzt feuernden Batterie Scheller hätte kritisch
werden können, wenn es dem Feind eingefallen wäre, den Fluss
bei der in der Nähe gelegenen Furt zu passieren und sich auf
Lunneru zu stürzen. Glücklicherweise kam das den Sonderbündlern
nicht in den Sinn, \aelmehr begann ihr Geschützfeuer auf einmal
zu stocken und verstummte endUch ganz. Durch den sich ver-
ziehenden Rauch sah man die Artillerie aufprotzen und mit Zurück-
lassung eines demontierten Geschützes in aller Eile davonfahren.
Ein freudiges Hurrah der Zürcher Kanoniere begleitete diesen
Abzug, und es wurde den Davontrabenden noch manche Kugel
nachgesandt. Zweimal versuchte man drüben, mit sechs Pferden
die stehengebhebene Kanone wegzuliolen, aber die Batterie Scheller
sprach dazu ihr gewichtiges Nein. Zur Deckung des Rückzugs Uess
der Feind nochmals eine Scharfschützenkompagnie bis an den Fluss
vorrücken, deren Feuer jedoch der grossen Entfernung wegen
keinen Schaden anrichtete. Als der Kampf vorüber war, erschien
— von Affoltern her — auch noch die Batterie Zeller auf dem Platz
und bewies mit zwei über die Reuss gesandten Granaten wenigstens
ihren guten Willen. Auch Infanterie kam nun in grosser Zahl.
Als es Nacht wurde, sah man bei Rickenbach Laternen herum-
schwirren ; der Feind suchte die Stücke seiner zerschossenen Kanone
zusammen und schaffte sie weg. Als am Morgen ein Genieoffizier
in einem Ponton über die Reuss setzte, fand er auf dem Kampf-
platz nur noch ein totes Pferd, ein Gewehr und einen Tornister.
Die leider zu spät von Affoltern aufgebrochene Infanterie war
einigen Flüchtlingen von Lunnern begegnet, unter denen sich auch
der erwähnte Instruktionshauptmann befand. Leutnant Karl
Walder, an der Spitze seiner Stadtzürcher-Kompagnie, stellte den
hinkenden Hauptmann, der am Fuss verwundet sein wollte, zur
Rede. Der Hauptmann fing eine grosse Jeremiade an von dem
Unglück in Lunnern, die auch die begierig horchenden Soldaten
stutzig zu machen drohte, weshalb Walder seine Pistole zog und
dem Hauptmarm zurief: ,,Mach Platz, oder ich behandle dich als
Deserteur!" Einen Trompeter, der nicht mehr vorwärts wollte.
286 ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER o
traktierte Walder mit der flachen Klinge, die Stadtzürcher aber
folgten dem Leutnant mit freudigem Zuruf. Am folgenden Tag
erschien der fragwürdige Hauptmann mit einem Finken an einem
Fuss ; er musste seine Wunde zeigen, man fand aber nichts als ein
Hühnerauge.
Die Zürcher hatten bei Lunnern zwei Tote und i8 Ven\'undete.
Einer der Toten war ein Luzerner Flüchtling, der sich an Stelle
eines kathohschen Zürchers von Dietikon hatte einreihen lassen;
der andere hiess Staub, von Thalwil, und es fügte sich, dass sein
Bataillon gerade in derselben Viertelstunde Thalwil passierte (auf
dem Marsch nach Richterswil), als man bei seinem Haus für ihn
das Leid abnahm. So konnte er dann noch mit miUtärischen Ehren
bestattet werden. Samstag vormittag besichtigte auch der
Di\'isionär Oberst Gmür den Kampfplatz von Lunnern. Die
Schiffbrücke hatte man weiter flussabwärts nach Ottenbach ge-
sandt und dort in besser gedeckter Lage neu aufschlagen lassen.
Am vSonntag erfolgte eine grosse Rekognoszierung über diese
Schiffbrücke ins Freiamt hinüber. Infanterieabteilungen bewegten
sich am aargauischen Reussufer aufwärts bis Rickenbach, stellten
Feldwachen aus und hielten fleissig Ausschau: eine halbe Kom-
pagnie rekognoszierte, von den andern unbemerkt, noch weiter, bis
gegen Mühlau, kam dann auf der Landstrasse nach IMerischwanden
und debouchierte aus diesem Dorfe auf die Ebene gegen Ricken-
bach, genau wie am Freitag die vSonderbündler. Als sie von den
bei Rickenbach stehenden Füsilieren und Offizieren bemerkt
wurde, packte diese ein panischer Schrecken, und sie stoben auf
und davon ! In weniger als fünf Minuten war die ganze \'orposten-
linie mit Ausnahme eines Offiziers und 15 — 20 Mann in heller
Retirade; der Schreck, der in die Leute gefahren, war entsetzhch.
Jeder lief, was er konnte, Gräben und Hecken überspringend, über
welche nachher kälteren Blutes keiner mehr zu setzen wagte,
Tschakkos, Gewehre und Tornister von sich werfend. So ging es
in rasendem Laufe bis zur rettenden Schiffbrücke in Ottenbach
und über dieselbe ins Dorf hinauf, wo man erst wieder Atem zu
schöpfen wagte. Die vSappeure und Pontoniere bei der Brücke
hatten höchst verwundert die Infanteristen vorüberstürmen lassen,
ohne selber mitgerissen zu werden, bereiteten sich aber schleunigst
auf die Abwehr des den Ausgerissenen vermeinthch auf den Fersen
o ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER 287
folgenden Feindes vor. Statt dessen kam ganz gelassen der zurück-
gebliebene Offizier mit seinen Leuten und brachte die Aufklärung.
Oberst Meister fügt der Mitteilung dieser Episode aus Adolf Bürklis
Tagebuch die Bemerkung bei, dass solche Ausbrüche einer sinn-
losen Panik bei jeder Armee, auch der stehenden, zuweilen vor-
kommen; sie gehören zu den überraschendsten und gefürchtetsten
Erscheinungen eines Feldzuges.
GISIylKON. Nachdem am Soimtag den 14. November
Freiburg, am Sonntag den 21. November Zug kapituUert hatte,
richtete General Dufour den konzentrischen Angriff von fünf
Di\'isionen auf Luzern. Drei von ihnen, Ochsenbein, Burkhard
und Donat, sollten von Westen und Nordwesten her vorrücken,
die 4. und 5. Division, Ziegler und Gmür, von Norden ins luzer-
nische Gebiet eindringen.
Dem Vormarsch dieser letztern zwei Divisionen, denen der
grösste Teil der Zürcher Truppen zugeteilt war, stellte das
bis 800 m ansteigende, zerklüftete, von Bächen und waldigen
Tobein coupierte Massiv des Rooterberges zwischen Zugersee
und Reuss eine starke natürhche Barriere entgegen. An zwei
Stellen sollte dieselbe durch den Verstoss der eidgenössischen
Truppen durchbrochen werden : im Osten durch das Defile Ibikon-
Meierskappel (zwischen dem Rischer Berg am Zugersee und dem
Rooterberg) — ■ die Aufgabe der Division Gmür! — , und an ihrem
äussersten westlichen Rand, bei Gislikon au der Reuss. Das
war der kritische Punkt; Ider musste sich die Sache entscheiden.
In den Schanzen von Gislikon kommandierte in eigener Person
der General der Sonderbundsarmee : Johann Ulrich von
Salis-Soglio, ein Protestant von ritterhcher Gesinnung, auch
tapferer Soldat, aber schlechter Feldherr. Seinem Freund und
Waffengefährten von Holland her, Oberst Eduard Ziegler,
war es vorbehalten, ihn aus den Schanzen von GisUkon zu werfen
und seinen Feldherrnruhm für immer zu vernichten.
Bei Gislikon schmiegt sich die Reuss dicht an den Fuss des
Rooterberges und lässt nur der Landstrasse — jetzt noch der
Eisenbahn — , sowie einigen Häusern Platz. Das eigenthche
Dörflein hegt kaum hundert Schritte unterhalb der langen ge-
deckten Brücke, zum grössern Teil auf der Bergseite der Strasse.
288 ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER o
Bedeutend breiter ist die Talsohle jenseits der Reuss. Eingebettet
zwischen den letzten Ausläufern des Lindenbergs und der Reuss,
lässt sich die langgestreckte Flussebene bis zu den Höhen von
Oberrüti hinab überblicken, wo die Reuss dann wieder zum Linden-
berg hinüberbiegt. Die Niederung wird doniimert von der statt-
lichen Kirche des uns schon bekannten Dietwil, drüben am
Berghang, 4 km Luftlinie direkt nördlich von Gislikon. In der
gleichen geraden Richtung stehen die Kirchturmspitzen von Ober-
rüti und Sins.
Die Landstrasse Luzern-Zug geht von Gislikon weiter dem
Fuss des Rooterberges entlang und tritt von der Reuss mehr
und mehr zurück, so dass sich auch auf dieser Seite des Flusses
eine Niederung öffnet; aber es ist meist schlechtes, unwegsames
Terrain, voll Löcher, Hecken und Höcker, in der Nähe des
Wassers auch sumpfig. Eine Viertelstunde vorwärts Gishkon
passieren wir Dorf und Kapelle Honau. Die Landstrasse schlägt
dann nordöstliche Richtung ein nach Rotkreuz (3 km) und
Cham (8 km von Honau).
Bis nach Rotkreuz wagten sich am Tage von Gishkon,
Dienstag den 23. November 1847, Schlachtenbimimler von
Zürich, unter ihnen auch Fr. Vogel, Verfasser der MemorabiHa
Tigurina, und sein 11 jähriger Knabe Gerold. Der Platz war nicht
schlecht gewählt und es gab nach den interessanten Aufzeich-
nungen Vogels (II, Seite 128 ff.) in Rotkreuz recht vieles zu sehen.
Man steht hier gerade vor der Mitte des Nordhangs des Rooter-
berges, und mit bange klopfendem Herzen fragten sich die Zu-
schauer, wie es den Kolonnen Zieglers beim Ersteigen dieser
Schluchten und Tobel, dieser so leicht zu verteidigenden, wald-
umsäumten steilen Matten ergehen werde. Der ganze Rooterberg,
von der Reuss bis zum Zugersee, war am Frühmorgen mit Sonder-
bündlern gespickt. Auch auf der höchsten, baumlosen Kuppe,
bei der weit in die Lande blickenden Kapelle St. Michael, ge-
walirte man durchs Perspektiv eine bedeutende, in Linie aufge-
stellte Masse mit roter Fahne, hinter welcher der Kommandierende
geschäftig hin und her ritt.
Eine klare, mondhelle Nacht war dem 23. November vorauf-
gegangen. Die Division Ziegler hatte in der Gegend von Sins
biwakiert. Zeitig wurde Tagwacht geblasen. Am frühesten
o ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER 289
mussten die Pontoniere aufbrechen. Eine aargauische Pon-
tonier- Kompagnie hatte den Befehl, unterhalb der zerstörten
Sinserbrücke eine Scliiff brücke zu schlagen für den Übergang
der Brigade Egloff. Der Ponton-Train der Zürcher Kompagnie
Huber, welche bei Lunnern ihre Feuertaufe empfangen, bewegte
sich in die Ebene von Dietwil herunter, um bei der Fähre von
Eien, 2 km östUch von Dietwil, für die Brigade König eine
Brücke, meist mit Birago-Böcken, zu erstellen. Pontons und
Kähne dienten zum Übersetzen der Scharfschützen und Jäger,
die als Tirailleure der Division vorauseilen sollten. Auch hier
hatten die zürcherischen Pontoniere die Ehre, das feindliche
Artilleriefeuer zuerst auf sich zu ziehen. Als sich um 10 Uhr der
Nebel zerteilte, bemerkte die Luzeruer Batterie Mazzola, welche
auf einer Anhöhe bei Rotkreuz postiert war, die Truppenbewegung
an der Reuss und begann zu bombardieren. Die Granaten fuhren
zum Teil ganz nahe bei den schon am rechten Ufer wartenden
Scharfschützen und Jägern in den Boden, vermochten aber den
Brückenschlag nicht zu stören, so dass sich die feindhche Batterie
bald auf Honau zurückzog und um 11 Uhr die Brigade König,
bei der sich auch der Di\dsionär befand, die Brücke ungelündert
passieren konnte. — Die dritte Brigade, Müller, sollte auf der
hnken Flusseite bleiben und von dort aus die Operation gegen
Gishkon unterstützen, leistete aber darin mchts Besonderes und
war nicht \nel mehr als Bedeckung der Artillerie-Reserve
unter dem Kommando von Oberst Denzler, welche zwischen
10 und II Uhr durch Dietwil rasselte und herwärts dieses Dorfes,
bei der Ziegelliütte, auffuhr, um sogleich mit dem gegenüberhe-
genden Honau ein Artillerie-Duell zu beginnen. Der erste Tote
auf dieser Seite des vSchlachtfeldes war ein Luzerner Flüchthng,
welcher der Artillerie von Oberst Denzler als Fülirer gedient hatte.
Doch nun lasst uns rasch von Gishkon nach der St. Michaels-
Kapelle hinaufeilen, um — wenigstens für einige AugenbUcke —
den Anmarsch der Division Ziegler zu sehen. Die Lage
der Kapelle ist entzückend. Hinter ihr ragt, zum Greifen nahe,
die Pyramide des Rigi, zu Füssen Hegt ihr das Juwel des Zuger-
sees, in der Ebene blinkt in der Sonne bis weit liinab das Silber-
band der Reuss. Rings um die Kapelle mit ihrer ]VIiniatur-Be-
stuhlung im Innern ist ein schmales Bänklein angebracht, damit
19
290 ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER o
man recht bequem nach allen Seiten Ausschau halten könne.
Nahe dabei steht in der Wiese ein massives Steinkreuz, das
St. Michaels-Kreuz. Heute tobt der Schlachtenlärm um die
Kapelle. Rechter Hand ist die Division Gmür bereits in voller
Aktion, der Rischer Berg schon in ihrer Gewalt, jetzt stürmt
Bataillon Brunner gegen Ibikon herauf, über die Stürmenden
hinweg feuert die Batterie Scheller, doch allzunahe fliegen
die Kugeln über die Köpfe dahin, das Bataillon wird von Furcht
ergriffen, wankt, weicht abwärts, nur einige Offiziere bleiben
stehen und ein paar Mutige um sie her; da wird Hauptmann
Frauen felder von Henggart schwer getroffen und fällt; wild
jauchzend stürzen die sSchwyzer aus dem Gebüsch den Fhehenden
nach, versetzen dem liegengebliebenen Hauptmann Kolbenstösse
auf Brust und Kopf. Ein anderer ver^vundeter Offizier findet
einen Helfer und Retter in einem gutherzigen Füsiher, dem Gassen-
besetzer (Pflasterer) Meier von der Enge. Zwei Kugeln gehen
diesem durch den Tschakko, eine dritte zerreisst den Tragriemen
des Habersacks, die \aerte trifft die Säbelkuppel, Meier lässt
nicht locker und bringt seinen Offizier in vSicherheit. — Das
ist Krieg. — ,,Sieh mich an," sagt ,,der Artillerist" von Selma
Eagerlöff zu seiner Frau, ,,ich bin nie im Krieg gewesen. Kann
ich wissen, wie ich mich benehmen werde, wenn die Kugeln sausen ?
Vielleicht werde ich Angst bekommen. Vielleicht werde ich die
Besinnung verlieren. Man kann nie wissen." — ,, Gewiss nicht,
du wirst bis zuletzt auf deinem Posten ausharren," hatte sie
geantwortet. — ,,Wir wollen es hoffen. Aber das ist wirkUch
etwas, was man nicht sicher wissen kann. In solchen Augen-
blicken ist man nicht Herr über sich selbst. Da ist es etwas anderes,
das die Macht an sich reisst und einen führt. Dann kommt es
darauf an, ob das, was in einem steckt, stark oder schwach ist.
Solange man die Probe nicht bestanden hat, weiss keiner, wie er
handeln wird, wenn eine grosse Gefahr kommt." — Dieser Artil-
lerist hat die Probe bestanden. Am Rooterberg hat sie auch
mancher Zürcher und Eidgenosse bestanden und mancher Sonder-
bündler, andere dagegen nicht, wie es immer war und immer sein
wird. Es bedurfte auf eidgenössischer Seite teilweise der grössten
Anstrengungen und des alles dransetzenden Beispiels der Offiziere,
um die Truppen an den Feind heranzubringen.
o ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER 291
Ausschauend nach der Division Ziegler, sehen wir sie nun
in langer schwarzer Linie von der Reuss durch die Ebene gegen
den Rooterberg sich heranbewegen. Brigade Egloff hatte
schon um acht Uhr die Schiffbrücke bei Sins passiert, war dann
nach der sanft ansteigenden Höhe von Hünenberg marschiert,
um sich hierauf wieder mehr der Reuss zu nähern und über Meisters-
wil, parallel der Reuss, Berchtwil zu erreichen, dessen Häuser
noch zehn Minuten von Rotkreuz entfernt sind. Zur Brigade
Egloff gehörten von Zürcher Truppen die Bataillone Gins-
berg, Benz und Zuppinger, die Scharfschützenkompagme
Bleuler, die Kavalleriekompagnie Hanhart und die Batterie
Schweizer. Ausserdem waren dieser Brigade noch zugeteilt das
Aargauer Bataillon Häusler und die Berner und vSolothurner
Batterien Moll und Rust. Die Bataillone waren der grössern
Beweghchkeit wegen sämthch in Halbbataillone eingeteilt. Hinter
der Infanterie fuhren in langem Zuge die Geschütze, die Caissons
und die Wagen für Verwundete. Berchtwil hegt am rechten
Reussufer gerade über der Fähre von Eien, wo die Brigade
König die Schiffbrücke passiert hatte und sich nun mit der
Brigade Egloff vereinigte. Bei der Brigade König standen das
Zürcher Bataillon Fäsi, das Aargauer Bataillon Berner, das
Thurgauer Bataillon Ernst und das Appenzeller Bataillon Bänziger
nebst zwei Kompagnien Thurgauer und St. Galler Schützen.
In Berchtwil letzte Dispositionen des Divisionärs, und dann:
vorwärts zum Angriff! Dem Oberst-Brigadier Johann Konrad
Egloff von Tägerweilen im Thurgau fiel die ehrenvolle Aufgabe
zu, den Sturm auf Hon au und Gislikon zu führen. Ihn betraute
Ziegler mit diesem schwersten und blutigsten Teil der Arbeit, weil
er sich auf ihn verlassen konnte wie auf sich selbst. Nötiger war
die persönhche Begleitung und Führung des Divisionärs bei der
Brigade König, welche den Rooterberg von Sonderbündlern
säubern und dadurch den Vormarsch der Brigade Egloff unten
im Tal sichern sollte. So teilten sich denn in Berchtwil die Wege:
Brigade Egloff, mit dem rechten Flügel an die Reuss gelehnt,
marschierte durchs Ufergelände auf Honau los, Bataillon Ginsberg
imd Häusler voran; Brigade König überschritt zwischen Rot-
kreuz und der Binzmühle die I,uzerner Landstrasse. Nun Teilimg
der Brigade in zwei Kolonnen: Oberst König soll mit den Aar-
292 ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER o
gauern und Thurgauern nach der Höhe des Berges vorgehen,
Richtung St. Michaelskapelle ; Oberst Ziegler will mit dem Appen-
zeller Bataillon Bänziger und dem halben Bataillon Fäsi an halber
Höhe des — Honau und Gishkon überhöhenden — Abhanges \'or-
rücken (das andere halbe Bataillon Fäsi bleibt als Artillerie-
bedeckung zurück). Jägerketten über die ganze Breite des Ab-
hangs verbinden die Kolonne Ziegler mit der unten kämpfenden
Brigade Egloff, und gegen den Schluss der Aktion gehen die bei-
derseitigen Truppen immer mehr ineinander über.
Den längsten und in Bezug auf das Terrain wohl auch müh-
samsten Weg hatte die Kolonne des Oberst-Brigadier König
zurückzulegen. Unter stetem Geplänkel mit den Tirailleurs der
Sonderbündler gelangte sie nach und nach in die Höhe. Ihre
Jäger und Schützen standen schliessUch am Rande des Gehölzes,
das nur noch durch den baumlosen Wiesenhang von der Kapelle
auf dem Gipfel getrennt war. Vergebens envartete das um die
Kapelle gescharte Schwyzer Bataillon mutig und entschlossen
den Sturmangriff Königs; die Haltung der Sch\\yzer imponierte
dem eidgenössischen Brigadier dermassen, dass er seine Bataillone
wieder — den Berg hinunter gehen liess und damit auch die vor-
geschobenen Schützen nach sich zog, — und das in demselben
Moment, als unten bei Gishkon der Sieg erfochten, der Durch-
bruch erfolgt war! Nun aber räumten die Schwyzer freiwiUig das
Feld. Nachdem auf ihrer rechten Flanke — bei Meierskappel —
die 5. Division hereingedrungen war und hnks bei Gishkon Ziegler
den Durchgang forciert hatte, mussten sie fürchten, vom Rückzug
abgeschnitten zu werden, und zogen sich deshalb sachte rechts
den Berg hinunter gegen Meierskappel zu. Um 5 Uhr flatterte
die eidgenössische Fahne auf der Kuppe des Rooterberges und die
Rosse des Brigadestabes zerstampften den Rasen beim St. Michaels-
kreuz.
Oberst Ziegler war mit dem halben Bataillon Fäsi und dem
Bataillon Bänziger über die ,, Fuchsberg" genaimte Anhöhe am
Rooterberg heraufgestiegen. Das Reiten wurde bald so schwierig,
dass er es vorzog, abzusteigen und zu Fuss zu gehen, welchem
Beispiel auch seine Adjutanten folgten. Es hatte das noch den
weitern Vorteil, dass der Divisionär den Truppen näher bleiben
konnte. Bis ungefähr in die halbe Höhe des Berges ging der Vor-
o ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER 293
marsch glatt vonstatten; dann aber wurde die Sache schwieriger.
Die Schussweite zwischen den hinter Felsen, Bäumen und Häusern
gut gedeckten sonderbündlerischen Jägern und den eidgenössischen
Truppen verringerte sich mit jedem Schritt, und unheimUch be-
gannen die Kugeln an den Ohren vorbeizupfeifen. Mit ruliig-
gleichmässigem Gange schritt der Di\'isionär bergan, gefolgt von
dem halben Bataillon Fäsi und etwas weiter zurück von den
Appenzellem. Brav und unerschrocken gingen die tirailUerenden
Jägerkompagnien immer voraus. Aber auch die sonderbündle-
rischen Jäger hielten tapfer Stand und liessen sich eher von den
sie im Vorrücken überholenden Eidgenossen gefangennehmen, als
dass sie vom Posten gewichen wären. Man kam unter immer
lebhafter werdendem Kampfe an eine offene Waldwiese, deren
oberer Rand, eine dichte WaldUsiere, sehr stark vom Feinde
besetzt war. Er musste unter allen Umständen auch aus dieser
Position geworfen werden, und der Divisionär schritt seinen
Truppen weiter voran, allein derer, die ihm nachfolgten, wurden
immer weniger. Das Appenzeller Bataillon, dessen Major Bänziger
verwundet worden war (Fr. Vogel sah ihn in Rotkreuz wegtranspor-
tieren), war ganz zurückgebHeben, aber auch das Halbbataillon
Fäsi zog sich immer mehr rechts herunter gegen Honau zu.
Inzwischen hatte sich aber auch der Abstand zwischen den
Truppen Zieglers und der Brigade Egloff, welche unten im Tal
und über der Strasse auf der Berglehne vorrückte, so verringert,
dass man sich gegenseitig die Hand reichen konnte. Ziegler erhielt
Verstärkung durch das halbe Bataillon Häusler, allein auch damit
wollte es nicht recht vorwärts gehen, ,,dem Tambour will der
Wirbel nicht unterm Schlägel fort", er starrt mit angstverzerrten
Zügen nach der Höhe, von der die todbringenden Kugeln immer
dichter herabsausen, und da tritt nun der historische Moment
ein, den der Zeichner unseres Bildes, Leutnant J. Sulzer von
Winterthur im Stabe Zieglers, festgehalten hat: wo Ziegler den
erbleichenden Tambour am Kragen packt und mit sich nach der
Höhe reisst, ihm nach die wieder Mut fassenden Füsihere. Wie
Ziegler haben auch seine Offiziere mit Heldenmut die Soldaten
angefeuert. Adjutant Siegfried, Leutnant Konrad BürkH, Major
Schorer, sie alle haben mitgewirkt, das Gefecht herzustellen und
die letzte gefährUche Position über Gishkon, die noch gesäubert
294 ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER o
werden musste, einzunehmen. Ziegler wusste wohl, was er tat,
als er an der verwundbarsten vStelle seiner Vormarschhnie sich
selbst, seine Person, sein Leben einsetzte und mit seinem und
seiner Offiziere Beispiel die Situation rettete. Hätte auch diese
Hälfte der Brigade König versagt, so wären bald die triumphierend
vom Berg herabstürzenden Sonderbündler im Rücken der im Tal
vorgehenden Eidgenossen gestanden imd hätten sie zwischen zwei
Feuer genommen.
Die Brigade Egloff war durch den weglosen ,,Schachen"
an der Reuss und auf der Landstrasse gegen Hon au vorgerückt,
voraus die Tirailleurkette der Jäger und Scharfschützen, welche
— Gewehr in der Hand, vSack am Rücken • — über Hecken und
Gräben springend, grössere Hindernisse umgehend, kühn und
geradewegs auf die feindliche vStellung bei Honau losmarscliierten.
Sobald die Sonderbundsartillerie in Honau, die sich bisher aus-
schliesslich mit der Reserve-Artillerie Denzler vor Dietwil unter-
halten hatte, auf der ^Strasse grössere Truppenmassen heran-
kommen sah, richtete sie ihr Feuer gegen diese, und gleich eine
der ersten Kugeln riss einem .Soldaten den einen Fuss weg. Die
Berner Zwölf pfünder-Batterie Moll, am Rande des Plateaus bei
Berchtwil aufgefahren, schleuderte ihre Geschosse über die vor-
rückenden Truppen hinweg nach Honau hinein. Die andern
Batterien, Rust, Müller und Schweizer, folgten auf der
Strasse den in breiter Front auf- und unterhalb derselben und
am Abhang oberhalb vorgehenden Bataillonen und bezogen suk-
zessive ebenfalls vStellung. Ihr vereintes Feuer zwang den Feind,
Honau und die Stellung oberhalb des Dorfes am Berg aufzu-
geben und sich samt seiner Artillerie auf Gislikon zurückzu-
ziehen.
Unverzüghch drängte Oberst Egloff mit seiner ganzen
Macht nach. Er selbst ritt auf dem Feldweg oberhalb und parallel
der Landstrasse, hinter sich die Batterie Rust, welche an ihm
vorbei und geradezu tollkühn bis in die unmittelbare Nähe von
Gislikon vorging und bei der Mühle am Feldweg abprotzte. Auf
der Landstrasse unten ging das Bataillon Ginsberg voran, aber
bei der scharfen Biegung derselben gegen Gishkon zu wurde es
von dorther mit einem heftigen Kartätschfeuer empfangen, wes-
halb es schleunig hinter einer nahen Kiesgrube Deckung suchen
o ZWEIUNDZWANZIGSTBS KAPITEL: KRTEGSBILDBR 295
musste. Glücklicherweise kam nun Verstärkung vom Berg herab:
Zieglers Adjutant, Oberleutnant Siegfried, von ihm beauftragt,
das abhanden gekommene Bataillon Bänziger aufzusuchen und
zweckmässig zu verwenden, brachte die Appenzeller heran, die
mit den andern Truppen vereint das Dorf GisHkon immer
enger umschlossen. Aber aus den Schanzen bei der Gisliker
Brücke entlud sich nun ein so starkes Infanterie- und Artillerie-
feuer auf die Tirailleure, die Batterie Rust und die liinter ihr
stellenden Bataillone, dass zunächst die stark mitgenommenen
Jäger und Schützen zurückgingen und die Batterie Rust ent-
blössten. Bei dieser wurden durch eine Kugel drei Pferde und
drei Mann getötet oder verwundet. Eine I^uzerner Jägerkompagnie
rückte aus dem Laufgraben der Schanze mit lautem Geschrei bis
auf 100 — 150 Schritte an die Batterie heran und begann ihr Feuer;
eine Infanteriekette folgte. Die Batterie, welche etwa 20 Minuten
lang dem Feuer ausgesetzt war, musste aufprotzen und unter
Zurücklassung eines Geschützes sich im schärfsten Galopp hinter
die Gefechtshnie zurückziehen, um sich dort neu zu ordnen.
Der Moment war kritisch. Es bedurfte der vollen Tatkraft
und der heldenhaften Entschlossenheit von Oberst Egloff und
Adjutant Siegfried, um eine Panik und allgemeine Retirade zu
verhüten. Egloff zwang wiederholt flüchtige Tambouren, umzu-
kehren und Sturm zu schlagen, brachte mit Aufbietung aller
Energie die FüsiHere zum Stehen und Wiedervorrücken und ver-
anlasste einen jungen Offizier, der hinter einem Nussbaum Deckung
gesucht (,,Nussbaumer" hiess er dann sein L,eben lang), sich
mutig dem Feuer auszusetzen. Siegfried vermochte die wankenden
Appenzeller festzuhalten und zur Wiederaufnahme des Gefechts
anzufeuern. Major Schorer pflanzte auf dem rechten Flügel eine
eidgenössische Fahne neben sich in die Erde und rief mit weit-
schallender Stimme- ,, Schweizer! Wisst ihr, was diese Fahne
bedeutet?" Und in die zagenden Soldatenherzen kehrte freudiger
Mut zurück. Gleichzeitig eilte das aus seiner Reservestellung
herbeigerufene Bataillon Ginsberg im Laufschritt auf den Kampf-
platz, um neben den Appenzellem ins Gefecht einzugreifen. Sieg-
fried und Aidemajor v. Hofstetter drangen mit den Tirailleurs
ins Dörflein GisHkon vor, nahmen in und zwischen den Häusern
gute Stellungen und Hessen auf die letzte Schanze des Feindes bei
296 ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER o
der Brücke feuern, was aus den Rohren ging. Im Galopp sprengte
die Batterie Moll eine Anhöhe hinan und richtete ihre Feuer-
schlünde ebenfalls auf die Schanzen von Gislikon, die Batterie
Schweizer, oberhalb GisHkon aufgefahren, verrichtete treffliche
vorbereitende Arbeit, auch Bataillon Benz rückte nun in die Linie,
und vom linken Ufer her kamen — endlich ! — auch die Tirailleurs
der Brigade Müller bis in die Nähe der Brücke, — 3000 Gewehre
und 20 Kanonen schleuderten nun von allen Seiten ihre Projektile
auf diesen einen Fleck, die von der Batterie Mazzola heldenhaft
verteidigte Schanze bei der Gisliker Brücke. General von Salis
selbst ward von einem Kartätschenschuss an der Schläfe gestreift,
stürzte ohnmächtig nieder und hess sich, zur Besinnung gekommen,
im Wirtshaus an der Brücke verbinden, um das Kommando weiter
zu führen. Doch nun war auch ihm die Unmöghchkeit des längern
Widerstandes klar geworden; er erteilte den Befehl zum Rückzug;
Batterie Mazzola stellte das Feuer ein und fuhr ab, die Infanterie
folgte, die Schanzen, in denen eine Vierpfünderkanone stehen
gebheben war, wurden mit Hurrah von den Eidgenossen in Besitz
genommen. Auch die Brücke, von der nur einige Bretter fehlten,
wurde schnell wieder hergestellt und besetzt; neben dem zer-
schossenen Wirtshaus und in seiner Scheune fand man einige Tote
tmd Verwundete. Adjutant Siegfried Hess von der Brigade Müller
alle entbehrUche Mannschaft über die Brücke nachrücken, und
ohne weitern Kampf marschierten die eidgenössischen Truppen
nunmehr über Root hinaus, wo das Biwak rechts und hnks der
Landstrasse bezogen wurde und schon frühzeitig die Lagerfeuer
brannten. Es war dem Di\asionär Ziegler von General Dufour
befohlen worden, an diesem Abend, nachdem er Gislikon ge-
nommen, bei Root zu biwakieren, — und so war man denn jetzt
da ! Gishkon und Honau aber hatten an diesem Tage die Schrecken
des Krieges erfahren müssen. Vier Häuser brannten hchterloh,
zwei andere waren von Kanonenkugeln durchlöchert. In einer
Scheune auf dem Berg verbrannten mehrere Stück Vieh und in
einem Stall unterhalb der Strasse bei Honau wurden vier Kühe
durch eine Kanonenkugel getötet. Auf dem Kampfplatz lagen
mehrere tote Pferde, Gewehre, Tschakkos, Mützen, Säbel, abge-
schossene Baumäste, und der Boden war an \-ielen Orten von den
Kanonenkugeln aufgerissen. — Aber auch eines edlen Friedens-
o ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER 297
boten sei noch gedacht: der Zürcher Maler und Panoramen-
zeichner Müller -Wegmann, hatte in dem von der Division
Gmür mit Sturm genommenen Meierskappel verwundete
Sonderbündler vor ^lisshandlungen geschützt und Plünderungen
so\-iel als möghch Einlialt getan. Dann war er mit einem oder
zwei Begleitern vor den Eidgenossen her, über Udligenswil, Adligen-
wil usw., von Dorf zu Dorf gelaufen und hatte den Leuten ge-
sagt: „Seht uns an, wir sind auch Eidgenossen, ganz wie die,
welche jetzt kommen werden. Und nun seid verständig. Stellt
Tische vor die Häuser und Most und Käs und Brot darauf, und
wenn die Soldaten kommen, so versteckt Euch nicht in die Häuser,
sondern seid freundhch mit ihnen ; sie werden Euch nichts Böses
tun!" Der hebenswürdige, von seinen Freunden als goldiger Cha-
rakter geschätzte Zürcher Künstler verrichtete Engelsdienste.
LUZERN. Schultheiss, Staatsschreiber und Regierungsräte-
Jesuiten, Kapuziner und weinende Nonnen, — • alle auf ein Dampf-
schiff gepackt und fort nach Flüelen! Staatsschreiber Bernhard
Meier schrieb: ,,Auf dem Schiffe Jammer, mitunter Weinen,
Konsternation auf allen Gesichtern. Auf der Seite, wo die Ge,
fechte bei Gishkon, Meierskappel und derenden stattgefunden,
war der Himmel mit einer grässhchen Flammenröte bedeckt,
welche das Dunkel bis zu uns durchbrach und den nächthchen
Spiegel des Sees blutigrot färbte — , dieses furchtbare Schauspiel,
das Unglück meines gehebten Luzerner Volkes, ich kann noch
heute nicht an diese Überfahrt zurückdenken, ohne dass meine
Seele tief erschüttert wird" . . .
Am folgenden Tag: Einzug der eidgenössischen Trup-
pen in Luzern, von mittags bis in die Nacht, 24,000 Mann,
während 16,000 vor den Toren bleiben. In den Strassen furcht-
bares Gedränge, Durcheinander, beginnende Exzesse, Sturm der
Luzemer Bastille und Befreiung der Gefangenen, Verwüstung des
Hauses von Siegwart-Müller, Bedrohung der Klöster — wer soll
in diesem Wirrwar Ordnung schaffen? Wer anders als Oberst
Ziegler, der Mann der Ordnung par excellence; er wird zum
Platzkommandanten von Luzern ernannt und er schafft
298 ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER o
Ordnung! So dass die eroberte Stadt dem Kommandanten des
Besatzungsheeres Blumen des Dankes streut und sein Wirken
segnet und lobpreist. General Dufour ist ebenfalls eingetroffen,
und er umarmt den Sieger vom Rooterberge mit den Worten:
,,Je V0U3 en garderai un eternel souvenir." Oberst Siegfried
schilderte nach Zieglers Tod dessen Tätigkeit in Luzern: „Zum
Platzkommandanten von Luzern ernannt, zeichnete sich nun
Ziegler wieder aus durch seine ausserordentliche Anstrengung,
Ausdauer und Befähigung in Bemeisterung der eingetretenen
Verwirrung, Unordnung und Rechtswidrigkeiten. Dabei legte er
eine unerschöpfhche Ruhe und Geduld, Milde und Ernst, Billig-
keit und Gerechtigkeit an den Tag. Als zur Erleichterung für die
Einwohnerschaft so rasch als möglich für die Truppen Natural-
verpf legung eingeführt wurde, traf auf dem Divisionsbureau der
Bericht ein, dass die Mannschaft einer Zürcher Artilleriekompagnie
sich dagegen auflehne. Ziegler befahl sofort, dass dieselbe auf
den Schwanenplatz geführt werde, und hess die ihm treu ergebene
und intelhgente Zürcher Kavalleriekompagnie Hanhart ebendahin
ausrücken. Alsbald in Begleit seiner Adjutanten daselbst zu Pferd
angelangt, Hess er die Artilleriekompagnie zwischen die in zwei
Reihen in angemessener Entfernung voneinander aufgestellte
KavaUeriekompagnie einrücken und rief den Hauptmann der
Batterie zur Berichterstattung über die Entstehung und die An-
stifter der Auflehnung vor. Die paar genannten Anstifter rief
Ziegler hervor, Uess sie die Waffen abgeben und durch ein kleines
Detachement Kavallerie sofort zur kriegsgerichthchen Unter-
suchung und Beurteilung abführen. Dem Hauptmann der Kom-
pagnie warf er dann laut Mangel an Energie zur Unterdrückung
des Skandals vor, diktierte ihm vorläufig scharfen Arrest und die
Kompagnie selbst hess er sofort zu einem Strafmarsch abmar-
schieren. So zerstörte Ziegler durch rascheste imd klarste Energie
den Keim einer widrigen Bewegung; denn jedermann fülilte auf
dem Schwanenplatz, dass die Kavalleriekompagnie nicht umsonst
aufgestellt war."
Die Duzerner Regierung liess Ziegler durch ihren Schultheiss
Kopp einen Dankbesuch für sein Wirken abstatten und erklären,
dass sie ihm gerne noch irgendwelchen Beweis ihrer ErkenntUch-
keit geben würde. Nach Beratung und im Einverständnis mit
o ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEI.: KRIEGSBILDER 299
seinem Regierungskollegen Bollier erbat sich darauf Ziegler die
im Luzemer Zeughaus aufbewahrten Waffen Zwingiis. Er
sagte in seinem Schreiben vom 2. Januar 1848: „Eines hegt mir
indessen am Herzen und wenn ich Ihre Geneigtheit in diesem
Sinne in Anspruch nehmen dürfte, so würde die Gewährung meiner
Bitte mir allerdings grosse Freude machen. Es ist dies die Aushin-
gabe der vor mehr als 300 Jahren den Zürchern abgenommenen
Streitaxt, Schwert und Sturmhaube Zwingiis. Einer unerlaubten,
gewaltsamen Hinwegnahme dieser gescliichtUch wertvollen Gegen-
stände beim Einzug der eidgenössischen Truppen hätte ich mich,
meinen Grundsätzen getreu, mit Gewalt widersetzt, deren Empfang-
nahme auf hochdero Verfügung hin hätte aber einen um so grossem
Wert für mich und stolz dürfte ich sein, mit dem Geschenk der
einen Regierung vor die andere zu treten."
Mit Schreiben vom 5. Januar willfahrte die I/Uzemer Regie-
nmg diesem Wunsche, ,,in der Absicht, der Eidgenossenschaft,
insbesondere dem Stande Zürich, einen Beweis zu geben, wie
sehr Luzem freundeidgenössisches Entgegenkommen und Be-
seitigung jegHcher Erinnerung konfessionellen Haders wünsche."
Am 6. Januar 1848 kehrte Oberst Ziegler mit seiner kostbaren
Gabe nach Zürich zurück. Die Regierung beschloss, ihm zu
Ehren eine besondere Feier im Rathaus zu veranstalten. Am
festgesetzten Tage, den 13. Januar, fuhr eine Deputation der
Regierung in fünf zweispännigen Wagen nach der Wohnung
Zieglers im PeHkan und übergab ihm dort ein Dank- und Aner-
kennungsschreiben der Regierung. Dann fuhr Ziegler mit der
Deputation zum Rathaus, wo im Grossratssaal der Regierungsrat
imd eine grosse Zahl von Stabsoffizieren seiner wartete. Amts-
bürgermeister Dr. Zehnder hielt eine Begrüssungsansprache an
den mit dem Eorbeer des Siegers aus dem Kriege heimgekehrten
Divisionär, die dieser in seiner charakteristischen Weise beant-
wortete: ,, Hochhebst zu bedauern war es," sagte er u. a., „dass
Eidgenossen gegen Eidgenossen zu Felde ziehen mussten. Doch
weil es einmal so beschlossen war, so kaim ich mich nur freuen,
dass wenigstens da, wo ich und die meinem Kommando unter-
stellt gewesenen Truppen waren, ein kräftiger Widerstand ge-
leistet worden ist und dass unsere Gegner, welche sich ja auch
im Rechte glauben mochten, den Platz nicht ganz leichten Kaufes
300 ZWEIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: KRIEGSBILDER o
räumten. Die Opfer, die gefallen sind, bringen dem Schweizervolk
wahrhaftig mehr Ehre und Kraft, als wenn Alles ohne Schwert-
streich vorübergegangen wäre. Wenn aber denjenigen, welche sich,
wde es Schweizern geziemt, gehalten haben, Anerkennung gebührt,
so bleibe auch die Schande für diejenigen nicht aus, sie mögen
in unsern oder des Gegners Reihen gestanden haben, denen es
vergönnt war, am Kampfe teilzunehmen, die aber den Kampf-
platz aus Feigheit verUessen, damit es auf alle Zeiten für einen Jeden
zur Warnung diene. Glückhch dürfen wir uns schätzen, dass der
Kampf, nachdem er ehrenhaft durchgefochten, so bald zu einem
Resultate führte. Das Werk des Siegers werde gekrönt durch ein
gemässigtes Verfahren gegen die Besiegten, sonst wird jenes mcht
gedeihen ... In hohem Masse fand auch in Luzern die einfache
Pfhchterfüllung, sowohl bei Kantonal-, als auch bei Stadtbehörden
die vollste Anerkennung und mit grösster Freude vernahm ich,
dass die h. Regierung meinem und meines Kollegen Bollier ge-
äusserten Wvmsche entsprochen und die Rückgabe des Helmes
und der Waffen Zwinghs beschlossen, die durch die Standeskom-
mission auch stattfand. Ich bin stolz darauf, meiner Regierung
dieses Geschenk überreichen zu können, nicht zweifelnd, dass das
Opfer, welches sich die Regierung des hohen Standes Luzern ge-
fallen Hess und welches für uns von hohem Wert ist, bei Ihnen
alle Anerkennung finde."
Unter freudiger Bewegung der ganzen Stadt wurden nach
dieser ebenso schHchten als erhebenden Feier die Waffen Zwingiis
in das grosse gelbe Zeughaus gebracht. Ihrem Überbringer aber
widmete Oberst Siegfried in seinem Nachruf 1882 die Worte:
,,Aus dem Feldzug gegen den Sonderbund hinterliess Oberst
Ziegler, zunächst und zmneist bei den ihm dauernd nahe Gestan-
denen, allmähhch dann aber auch bei jedermann, der mit ihm in
Berührung kam, insbesondere bei seiner zahlreichen Di\äsion, wie
in Stadt und Land Luzern den prägnanten Eindruck eines an
militärischen und bürgerhchen Tugenden her\-orragenden Mannes.
Uns gilt und erhebt er als das Bild eines vollendeten Truppen-
führers und wahren Edelmannes, und wir rufen ihm wie \'iele
dankerfüllt und wehmütig mit General Dufour nach: Nous lui
en garderons un etemel souvenir!"
DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL
DAS POLYTECHNIKUM
Zum fünfzigjährigen Jubiläum des eidgenössischen Poly-
technikums im Jahre 1905 erschien als erster Teil einer
moniunentalen Festschrift eine Geschichte der Gründung dieser
Anstalt mit einer Übersicht ihrer Entwicklung 1855 bis 1905,
verfasst von Wilhelm Oechsli. Ein Gang durch dieses Buch,
auf den sich die nachfolgenden knappen Aufzeichnungen be-
schränken, erinnert daran, dass der stolze Bau der eidgenössi-
schen pol5-technischen Schule sein Dasein der Idee einer schweize-
rischen Hochschule verdankt, die schon in einer von Philipp
Albert Stapfer verfassten Botschaft des helvetischen Direk-
toriums vom 18. November 1798 figuriert, aber nicht zur Aus-
führung gelangte. Ein junger Tessiuer Schulmeister, der nach-
malige Bundesrat Franscini, griff in einer 1827 ersclüenenen
Druckschrift den Gedanken wieder auf, und mit noch grösserem
Nachdruck tat dies 1829 der Luzerner Philosoph Troxler. Im
Schosse der helvetischen Gesellschaft in vSchinznach bezeichnete
(Mai 1831) Dr. Kasimir Pfyffer von Luzern die Schöpfung
einer schweizerischen Universität als die notwendige Konsequenz
der angebahnten, poUtischen Bewegung. Am 15. Juni 1832 be-
schloss der Grosse Rat des Kantons Waadt, bei den andern
Ständen die Errichtung einer Universität grossen Stiles auf dem
Konkordatswege zu beantragen. Diese Anregung kam zwar auf
der Tagsatzung in Luzern nicht offiziell zur Sprache, wurde aber
auf einer freien Konferenz im Tagsatzungslokal (24. August 1832)
lebhaft besprochen und hatte zunächst die Folge, dass Zürich
die Gründung seiner Hochschule beschleunigte. Der Entwurf
der Tagsatzungsgesandten fand in den Kantonen und auch in
Zürich nur kühle Aufnahme; es scheiterten aber ebenso die Be-
mühungen Zürichs, mit seinem Kreisschreiben vom 3. Mai 1835
zehn andere Kantone zmn Beitritt in einen Verband zu veran-
lassen, der die Hochschule Zürich zu einem interkantonalen
302 DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: DAS POLYTECHNIKUM o
Institut der östlichen Schweiz erheben sollte. Für das technische
Bildungswesen in der vSchweiz war von den Kantonen schon
vieles getan worden; es fehlte aber noch eine wohlausgerüstete
technische Hochschule, wie sie eben kein einzelner Kanton, son-
dern nui das ganze Land schaffen und erhalten konnte.
Schon vor dem Sonderbundskrieg hatten die der Basler Diö-
zese angehörenden Kantone Unterhandlungen geführt für die
gemeinsame Errichtung einer theologischen Anstalt in Solothurn,
in dem Bestreben, an die Stelle des in den in- und ausländischen
Jesiütenanstalten erzogenen Klerus eine modern gebildete, vater-
ländisch gesinnte katholische Geistlichkeit zu setzen. Auf die
Anregung des Vororts Bern fand daselbst am ii. Februar 1848
eine Konferenz statt, welche die Errichtung einer kathoUschen
Priesterschule neuerchngs besprach. Allein schon am 24. Februar
beschloss die Revisionskommission für die Bundesverfassung,
die eidgenössische Hochschule in ihren Entwurf aufzu-
nehmen, allerdings nur in der bescheidenen Form einer vom
Bund zu subventionierenden Konkordatsanstalt. In der zweiten
Lesung am 8. April kam ein erweiterter Beschluss zustande,
wonach die Eidgenossenschaft für Errichtimg einer schweize-
rischen Universität, einer polytechnischen Schule und
für Lehrerseminarien sorgen werde. Dieser Antrag musste den
Kantonen für die Instruktion ihrer Tagsatzungsgesandten unter-
breitet werden. Im Grossen Rat von Zürich sprachen am 11. Mai
1848 Bürgermeister Jonas Furrer dagegen, x\lfred Escher und
Dubs dafür. Der Rat schloss sich jedoch dem Bürgenneister
an. Auf der Tagsatzung siegte am 24. Juni die fakultative Form,
welche sodann in die Bundesverfassung vom 12. September 1848
überging: ,,Der Bund ist befugt, eine Universität und eine
eidgenössische polytechnische Schule zu errichten."
Gleich in der ersten Session der neugeschaffenen Bundes-
versammlung stellte am 18. November 1848 Nationalrat Ochsen-
bein von Bern die Motion, es solle eine eidgenössische Universität
errichtet werden, deren Sitz nicht in der Bundesstadt sein dürfe.
Der Sinn dieser Motion war der: wenn Bern Bundesstadt werde,
so überlasse es Zürich die eidgenössische Urüversität. Der ber-
nische Erziehungsdirektor Imobersteg ergänzte die Motion Ochsen-
bein dahin, dass auch die polytechnische Schule eiuzubeziehen
o DREIUNDZWAXZIGSTES KAPITEL: DAS POLYTECHNIKUM 303
sei. In diesem Sinn wurde die Motion am 25. November erheblich
erklärt. Drei Tage später wählte die Bundesversammlung Bern
zur Bundesstadt. Der Bundesrat veranstaltete am 4. Januar
1849 eine Umfrage bei den Kantonen nach ihren Wünschen be-
züghch einer eidgenössischen Universität und polytechnischen
Schule. Am 17. Dezember 1850 beantragte er im Nationalrat
einen Budgetposten von 1000 Fr. für die Beiziehung von Sach-
verständigen für die Hochscliulfrage. Der Nationalrat bewilhgte
3000 Fr. und lud den Bundesrat ein, bis zur nächsten Session
Bericht über die Frage zu erstatten. Am 26. Mai 1851 trat in
Bern eine Expertenkommission zusammen, in welcher Alfred
Escher die beste Stütze der Hochschulbestrebungen wurde.
,,\Venn einer, so war er imstande, sie zu verwirkhchen, w^eil er
durch seine erstaunUche Arbeitskraft und gefürchtete Redege-
walt sich in kürzester Frist zum ersten Parlamentarier der Schweiz
aufgeschwungen hatte. Im Gegensatz zu Jonas Furrer hatte
Escher schon mit Begeisterung die Idee der eidgenössischen
Hochschule ergriffen, als seine Vaterstadt noch wenig Aussicht
auf die Ehre ihres Sitzes hatte; jetzt, wo es als selbstverständHch
galt, dass Zürich dadurch für die verlorene Vorortschaft zu ent-
schädigen sei, setzte er das ganze Gewicht seiner imponierenden
Persönlichkeit für diese schönste schweizerische Kulturfrage
ein." Die Expertenkommission bejahte beide Hauptfragen und
räumte der Universität die Priorität vor der polytechnischen
Schule ein. In wenigen Tagen redigierte Escher die beiden Gesetzes-
entwürfe (für Universität und Polji:echnikum) . Sein Berater
war dabei für das Polytechnikum der Rektor der zürcherischen
Industrieschule, J. W. v. Deschwanden. Die Expertenkom-
mission (27. Juni bis i. Juli 1851) spaltete sich bezüghch der
Universität in Mehrheit und Minderheit, das Polytechnikums-
gesetz wurde angenommen und die Meinung ausgesprochen,
dass die Universität in die deutsche, das Polytechnikum in die
welsche Schweiz zu verlegen sei.
Der Nationalrat bestellte am i. August 1851 für das Trak-
tandum eine Neunerkommission. Unter den Motiven, welche
Alfred Escher bewogen, seine Haltung gegen den vStaatsbau
der Eisenbahnen einzunehmen, spielte auch die Besorgnis mit,
der Bund werde, wenn er sein Geld in den Eisenbahnen festlege,
304 DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: DAS POLYTECHNIKUM o
nichts mehr für die Hochschule übrig haben. Als der Privatbau
gesiegt hatte, ging Escher mit um so grösserem Eifer hinter die
Hochschulfrage. Die Mehrheit der nationalrätlichen Kommission
beantragte Eintreten, die Minderheit Verschiebung der Angelegen-
heit auf unbestimmte Zeit. Unter dem Beifall der Studenten
auf der Tribüne beschloss der Nationalrat am ig. Januar 1854
Eintreten mit 64 gegen 43 vStimmen, und abends brachte die
Studentenschaft Berns den zustimmenden Volksvertretern einen
Fackelzug. Aus taktischen Gründen kam Escher dazu, während
der Detailberatung beide Gesetze in einen Entwurf zu verschmel-
zen. Der Nationalrat stimmte der Verschmelzung zu und nahm
das ganze Gesetz mit 59 gegen 39 Stimmen an. Der Ständerat
dagegen lehnte am i. Februar 1854 das Eintreten auf die vereinigte
Vorlage Urüversität-Polytechnikum ab, beschloss aber zugleich
mit 24 gegen 17 vStimmen, es sei eine eidgenössische poly-
technische Schule in Verbindung mit einer Schule für das
höhere Studium der exakten, pohtischen und humanistischen
Wissenschaften in Zürich zu errichten. Kaum war dieser Ent-
scheid gefallen, so produzierte der Kommissionsreferent Kappeier
den fertigen Gesetzesentwurf für das Polytechnikum, den er für
diesen Fall schon zum voraus durch vStreichung alles auf die Uni-
versität Bezüghchen aus dem verworfenen Gesetz und durch
die nötigen Abänderungen präpariert hatte. Trotz den Protesten
der ,, überrumpelten" Minderheit beschloss der vStänderat am
3. Februar sofortiges Eintreten und am 4. Februar Annahme
dieses Gründuugsgesetzes für das Polytechnikum, dem
am 7. Februar sodann auch der Nationalrat beistimmte. ,,Die
gewaltige Hochschuldebatte, die mit wenig Unterbrechungen
vom 16. Januar bis 7. Februar 1854 gedauert hatte, eines der
denkwürdigsten Ereignisse in den Annalen des schweizerischen
Parlamentarismus, war zu Ende und die Schweiz um eine hohe
Bildungsanstalt reicher. Das Hauptziel, für das die Träger der
Hochschulidee mit dem Einsatz ihrer ganzen Kraft gestritten,
war zwar nicht erreicht, aber dafür war die polytechnische Schule,
die sie neben der Universität hatten gründen wollen, weit um-
fassender geworden als es im ursi^rünglicheu Plane gelegen hatte."
Als die Seele der Operation bezeichnete der ,,Bund" Dr. Alfred
Escher, ,,der hier aufs neue bewies, wie viel eine mit allen Tugen-
o DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: DAS POLYTECHNIKUM 305
den eines produktiven und energischen Staatsmannes ausge-
rüstete Kraft auch unter den schwierigsten Verhältnissen zu
leisten vermag, und wie sehr die Eidgenossenschaft und der Kanton
Zürich Ursache haben, auf ihn stolz zu sein."
In Zürich war die Freude gross, wenn auch nicht ungeteilt;
die Studenten brachten den National- und Ständeräten am
17. Februar einen Fackelzug, die gegnerischen Ansichten der
konservativen ,, Eidgenössischen Zeitung" bheben auf einen engen
Kreis beschränkt. Nun hatte sich aber Zürich noch zu erklären,
ob es die mit der Übernahme des Polytechnikums verbundenen
Bau- und andern Pf hellten auf sich nehmen wolle. In glückhcher
Ahnuugslosigkeit rechnete man mit einer Bauausgabe von etwa
400,000 Fr. Die Stadt erklärte sich zu einem fixen Geldbeitrag
bereit, wenn auch die ,, Ausgemeinden" ein Gleiches tun würden.
Infolgedessen bewilUgten am g. April 1854 die zürcherischen
Vororte insgesamt eine Aversalsumme von 20,000 Fr. In Ausser-
sihl, welches für einen Beitrag zu arm war, legten Private 750 Fr.
zusammen, damit die Gemeinde auch auf der Liste figuriere.
Die Stadt bewiUigte am 10. April sodann mit 496 gegen 307 Stim-
men 12,000 Fr., von welchem Betrage die Bürgergemeinde allein
4000 Fr. übernahm, wogegen für das Übrige Bürger und Nieder-
gelassene gemeinsam durch Steuern aufzukommen hatten. Der
Grosse Rat genehmigte am 19. April einstimmig die Anträge
der Regierung über die Verpfhchtungen des Kantons Zürich.
In der Juhsession 1854 gewährten die eidgenössischen
Räte einen Spezialkredit von 144,000 Fr. für die erste Einrich-
tung der polytechnischen Schule und einen ersten Budgetkredit
von 127,000 Fr. pro 1855. Daraufhin beschloss der Bundesrat
am 31. JuH, die Eröffnung der polytechnischen Schule habe
im Herbst 1855 stattzufinden und es solle dem ersten Schuljahre
ein halbjähriger, im Frühjahr 1855 beginnender Vorbereitungs-
kurs vorangehen. Am 2. August 1854 bestellte der Bundesrat
den schweizerischen Schulrat nüt Dr. Joh. Konrad Kern von
Berhngen im Thurgau als Präsidenten und Dr. Alfred Escher
als Vizepräsidenten. Unverzüglich ging der Schulrat nun an die
Aufsuchung und Berufung von Professoren, wobei sich nament-
Ucli Kern durch seine Umsicht und unermüdhche Tätigkeit grosse
Verdienste erwarb. Eröffnet wurde die Reihe der Berufungen
3o6 DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: DAS POLYTECHNIKUM o
durch den stolzen Namen Gottfried Sempers für die Bau-
schule, auf den Richard Wagner Escher und Kern aufmerksam
gemacht hatte. In Karl Culmann erhielt dann auch die In-
genieurschule ihren \'orzüglichen Leiter. Aus der grossen Zahl der
übrigen Professoren seien hier nur einige der allgemeiner bekann-
ten erwähnt: so der Aarauer Gewerbeschulrektor und Chemiker
P. A. Bollej'; der Professor der Forstwissenschaften Ehas Landolt;
der Physiker Albert Mousson, Sohn des frühern eidgenössischen
Kanzlers; R. J. Clausius, der Begründer der geltenden Wärme-
theorie; der Botaniker Oswald Heer; Arnold Escher von der Linth,
nach Heims Urteil „der grösste Alpenforscher, den es je gegeben
hat und geben wird" (»Sohn des Erbauers des Linthkanals) ; De-
schwanden, welcher der erste Direktor des Pol\i;echnikums wurde;
der Astronom Joh. Rud. Wolf; der streitbare Ästhetiker Fr. Th.
Vischer, Freund und Verteidiger von D. Fr. Strauss; der Lehrer
für allgemeine Gesclüchte Willielm Adolf Schmidt ; der Kunst- und
Kulturhistoriker Jakob Burckhardt von Basel; der Staatsrechts-
lehrer und Regierungsrat J. J. Rüttimann. Im Lande herrschte nur
eine Stimme der Anerkennung über die vom Schulrat getroffenen
Wahlen. Der Berner Konsen^ative v. Gonzenbach, ein Gegner
des Polytechnikumprojektes, schrieb am 2. März 1855 an Alfred
Escher: ,, Erlauben Sie, dass ich diesen Anlass benutze, um Ihnen
meine innige Freude über die Vorschläge der Lehrstellen am
Polyteclinikum auszusprechen. In der Schweiz war man an ein
derartiges Absehen von der pohtischen Färbung seit langem
nicht mehr gewohnt. Ich begrüsse diese Erscheinung als einen
wirkHchen Fortschritt und sage Ihnen in der Überzeugung,
dass Sie dazu wesenthch beigetragen, meinen herzUchsten Dank
dafür."
Die Aufnahmeprüfungen für den Vorkurs fanden am
23. und 24. April in Zürich statt; der Vorkurs dauerte vom i. Mai
bis 8. September. Am 28. August wählte der Schulrat Deschwan-
den zum Direktor. Das erste Vorlesungsverzeichnis zeigt die
Einteilung des Polytechnikums in folgende Schulen: Bauschule,
Ingenieurschule, mechanisch-technische Schule, chemisch-tech-
lüsche Schule, Forstschule, und eine sechste Abteilung nüt Natur-
wissenschaften, mathematischen Wissenschaften, literarischen und
staatswirtschaftlichen Wissenschaften. Die Gesamtzahl der Stu-
o DRBIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: DAS POLYTECHNIKUM 307
dierenden des ersten Semesters betrug 183, womit die Berech-
nungen der Kommissionen und Behörden bereits um ein Erkleck-
liches übertroffen wurden.
Am Montag den 15. Oktober 1855 erfolgte die Eröffnungs-
feier des Pol3-technikums. Die Ehrengäste sammelten sich
beim Rathaus. Unter dem Donner von 22 Kanonenschüssen
und dem Geläute der Glocken setzte sich der Festzug um 2 Uhr
nach dem Fraumünster in Bewegung. Weibel in den eidgenös-
sischen und Standesfarben schritten den Behörden des Bundes,
des Kantons und der Stadt voran, Professoren und Studenten
schlössen den Zug. Alfred Esclier war zu allgemeinem Bedauern
durch Krankheit von der Feier ferngehalten. Im Fraumünster,
wo , .Harmonie" und ,, Stadtsängerverein" ihre Lieder vortrugen,
sprachen Bundesrat Frey-Herose und Schulratspräsident Kern.
Ein Festbankett im Kasino belebten zahlreiche Toaste und die
Studenten brachten mit einem vor dem Kasino erscheinenden
Fackelzug eine wohltuende Abwechslung in die Tafelfreuden. —
Aber wo war denn nun eigentlich das Polytechnikum der ersten
Zeit ? Es war auf fünf oder sechs meist weit auseinanderliegende
Lokah täten verteilt. Den Hauptsitz hatte es im Universitäts-
gebäude im Hinteramt bei der Augustinerkirche und im daran
anstossenden Münzgebäude. Die Bauschule hauste in der ehe-
maligen Stiftsverwalterei an der obern Kirchgasse, wo jetzt die
Grüthbuchhandlung sich befindet; auch die chemisch-technische
Schule und die Kunstfächer hatte man hier untergebracht. Chemie
und Physik befanden sich in der Kantonsschule, die Ingenieur-
schule und die Sammlungen mussten das Kornamt am Ötenbach
beziehen, und bei diesem unbefriedigenden Provisorium bUeb
es fast ein ganzes Jahrzehnt.
Der Grund der Verzögerung des Neubaues lag zum Teil in
der Krankheit Alfred Eschers, die ihn am 30. September 1855
zum Austritt aus dem Staatsdienst veranlasste, hauptsächlich
aber in der panikartigen Verblüffung der Zürcher Regierungs-
kreise über den Umfang und die Kosten des vom Schulrat aus-
gearbeiteten Bauprogramms. Statt auf 400,000 Fr. musste
man sich jetzt auf mehr als eine Million Baukosten gefasst machen.
Erziehungsdirektor Jakob Dubs arbeitete zunächst ein Gegen-
programm aus, bei dem er von der Annahme ausging, die Schüler-
3o8 DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: DAS POLYTECHNIKUM o
zahl am Polytechnikum werde schwerlich je auch nur 200 erreichen
(beim Jubiläum 1905 waren es 1300 reguläre Studenten und 700
Zuhörer). Am 12. März 1857 ^^^ ^^^ Zürcher Regierung so weit,
dass sie gerne eine MilUon für den l,oskauf von allen Bauver-
pflichtungen gegeben hätte, aber darauf trat der Bundesrat nicht
ein. Streit herrschte auch darüber, wie die Vertragsbestimmung
zu verstehen sei, dass Zürich nicht nur die Lokalitäten zu erstellen,
sondern auch ,, gehörig einzurichten" habe. In Bern verstand
man darunter auch die Möblierung, Zürich anerkannte aber diese
Verpflichtung keineswegs, und so musste Kern jeden Schrank,
jeden Ofen, jede Gasröhre, welche die Schule brauchte, bei der
Regierung von Zürich erbetteln, indem er zugestand, es solle
ihre Lieferung kein Präjudiz bilden für die Entscheidung der
Frage, wer es schliesshch zu bezahlen habe. Der Bundesrat wollte
auch die Mitbenützung der Polytechnikumsräume durch die
Universität Zürich lücht zugeben und bloss gestatten, dass die
Universität im gleichen Gebäude, aber in vom Polytechnikum
getrennten Räumen untergebracht werde. Unter den zur Ver-
fügung stehenden Bauplätzen fiel die Wahl des Regierungsrates
auf den ,,Schinhut", dem auch der Bundesrat zustimmte.
Die überaus fruchtbare Tätigkeit Dr. Kerns als Schulrats-
präsident beendete dessen Wahl zum Gesandten in Paris am
28. Juh 1857. Sein Nachfolger wurde wiederum ein Thurgauer,
Ständerat Karl Kappeier, unter dessen Leitung das Polytech-
nikum sich zu ungeahnter Blüte entwickeln sollte. Ein Nachtrags-
gesetz vom 29. Januar 1859 führte den einjährigen Vorbereitungs-
kurs am Polytechnikum ein und erhöhte den jährhchen Bundes-
beitrag auf 192,000 Fr. Mit den kantonalen Mittelschulen wurden
1860 und in den folgenden Jahren Verträge abgeschlossen, die
unter gewissen Bedingungen ihren Schülern nach bestandener
Matura die Aufnahme ans Polytechnikum ohne Examen zusicher-
ten. Von 1859 ^'^ begann die Frequenz des Polytechnikums sich
erhebhch zu steigern; im Wintersemester 1863 64 betrug die
Schülerzahl bereits 650. Nachdem ein erster Wettbewerb für den
Polytechnikumsbau keinen befriedigenden Erfolg gehabt, über-
trug die Zürcher Regierung die Ausarbeitung der Pläne Prof.
Gottfried vSemper, dem sie den Staatsbaumeister Wolff
als gleichgeordneten Mitarbeiter beigab. Bei der Ausführung
o DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: DAS POLYTECHNIKUM 309
dieses Baues zeigte Zürich sich nun nicht kleinhch und sein Grosser
Rat bewilhgte am 28. Dezember 1858 mit 170 gegen 2 Stimmen
den geforderten Kredit von 1,700,000 Fr. Noch einmal verzögerte
sich aber die Inangriffnahme der Bauarbeiten, weil über die
Mobiharfrage und die Sammlungen mit dem Bund noch beson-
dere \^erträge abgeschlossen werden mussten. Als alle diese Fra-
gen endUch bereinigt waren, konnte im August 185g mit den
Erdarbeiten für das Neben- oder Chemiegebäude (hinter dem
Polj-technikum) begonnen werden. Die immer unerträgHcher
werdende Raumnot Hess es nicht zu, dass mit dem Einzug in den
Neubau bis zu dessen gänzhcher Vollendung gewartet worden
wäre. Unter Wolffs energischer Leitung ward derselbe stück-
weise fertig gestellt und stückweise bezogen. Im April 1864 be-
zog die Universität Zürich ihre neuen Räume im Südflügel
des Hauptbaues und im Oktober siedelten die letzten Abteilungen
des Poh'teclmikums in den Neubau über. Inzwischen war Zürich
noch um eine weitere Baute Sempers, die schöne Sternwarte
reicher geworden, die zu Ostern 1864 ihrer Bestimmung übergeben
wurde. Am 24. August 1866 fasste der Bundesrat den Beschluss,
das Hauptgebäude zu übernehmen, und sprach zugleich Zürich
,,für die ausgezeichnete Erfüllung der übernommenen BaupfUcht
seine volle Anerkennung aus". Ein besonderer Akt der Ein-
weihung, wie er nach Vollendung eines so grossen und schönen
Werkes wohl am Platze gewesen wäre, wurde zwar geplant, kam
aber nicht zur Ausführung, weil die Vollendung der Aula sich
so lange hinauszögerte und wohl auch, weil der Kanton Zürich
in den Jahren 1867 bis 1869 von einer schweren pohtischen Krisis
erschüttert wurde, die keine festhche Stimmung aufkommen Hess.
Was aber das Polytechnikum der Gegenwart ist und bedeutet,
das kann nicht schöner ausgedrückt werden als mit den Worten
der Glückwunschadresse der Universität Zürich, welche
beim fünfzigjährigen Jubiläum von Rektor Prof. Dr. Haab ver-
lesen wurde:
,,Ein halbes Jahrhundert lang hat die eidgenössische poly-
technische vSchule, immer in vorderster Reihe, die fruchtbarste
Tätigkeit entfaltet.
,, Ungezählte Adepten sind aus ihr hervorgegangen, um mit
tausend Künsten
3IO DREIUNDZWANZIGSTES KAPITEL: DAS POLYTECHNIKUM o
,,zu errichten den geistigen und materiellen Bedürfnissen
der Menschen zweckdienhche, dem Auge wohlgefällige
Bauten ;
„zu durchbrechen gewaltiger Felsmassen Schranken;
„spielend zu heben den Menschen auf die höchsten Höhen
der Berge;
„tiefe Kluften kühn zu überbrücken;
„zu bezwingen Raum und Zeit;
„zu erwirken, dass über Ozeane hinweg Menschen in kurzer
AugenbHcke Frist sich durch sichtbare Zeichen verstän-
digen und dass ihre vStimme vernehmhch in ferne Gegen-
den und ferne Zukunft töne;
„zu nähern I,änder und Völker;
,,zu bändigen des reissenden Wassers Gewalt und sie zu
verteilen und zu wandeln in leuchtendes L,icht, behag-
Uche Wärme und friedliche gewerbliche Kraftleistung;
„zu zerlegen die Materie und aus ihren Elementen neue
nützliche und wohltätige Verbindungen aufzubauen;
„einzudringen in die geheimnisvollen Werkstätten der leben-
den Natur, um mit ihren eigenen Mitteln fördernd oder
umgestaltend, hemmend oder ablenkend in ihr Getriebe
einzugreifen ;
„das Erdreich fruchtbarer zu machen, der Wälder wohl-
tätige Herrhchkeit zu erhalten und zu erneuern;
,,als Lehrer zu wirken an den Bildungsstätten der reiferen
Jugend, den empfänglichen Boden ihres Geistes zu ebnen
und vorzubereiten für die Saat vertiefter Erkenntnis,
für die Keime zu höheren Trieben, zu fördern den Drang
nach Wissen und Wahrheit.
,,In hervorragendem Masse hat sich zu jeder Zeit die eid-
genössische technische Hochschule diesen hohen und gewaltigen
Aufgaben gewidmet und ihr gehört ein reicliHch zu bemessender
Anteil an den Fortschritten der Kultur, welche sich in der
zunehmenden Unterwerfung der Naturgewalten, die der Wohlfahrt
der Menschheit dienstbar gemacht werden, offenbaren."
♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦♦
f^lfred (Sscßer
Xii.li Vlint.,L'ni|il.ii- vi.ii l:. Caiiz
«♦♦♦«♦♦♦»»♦♦♦♦♦♦♦♦♦
VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL
ALFRED ESCHER
Ein Fremder, der zum erstenmal nach Zürich käme mid, beim
Austritt aus dem Bahnhof das Alfred Escher-Monument be-
wundernd, denken würde, es möchte dies wohl ein verstorbener
,, Landesfürst" gewesen sein, hätte so übel nicht geraten. Sie
nannten ihn den ,,Princeps", den ungekrönten ,, König Alfred",
und sagten damit die Wahrheit. Dieser Mann in Erz, der Gründer
der Gotthardbahn, der Gründer des Polytechnikums, der Gründer
der Schweizerischen Kreditanstalt und der Schweizerischen Renten-
anstalt, war zu seiner Zeit der unumschränkte Herrscher des
Kantons Zürich, kaum wahlfähig geworden schon Kantonsrat,
als jüngstes Mitglied des Grossen Rates dessen Präsident, als eines
der jüngsten Mitgüeder des Nationalrates dessen Präsident, eben
erst über die Schwelle des gesetzlichen Alters getreten und schon
Regierungsrat und Bürgermeister, der einflussreichste Parla-
mentarier der Eidgenossenschaft, der nur deshalb nicht Bundes-
präsident geworden, weil ihm sein Belvoir heber war als ein Bundes-
ratsfauteuil in Bern. Alfred Escher (geboren den 20. Februar 1819)
ist aufgewachsen und erzogen worden wie ein Prinz. Sein Vater,
der in Amerika reich gewordene Kaufmann Escher-ZoUikofer,
Erbauer der ,,Escherhäuser" am Zeltweg, hatte 1826 das ver-
sumpfte ,, Schwertgut" in Enge angekauft und bis 1831 zu dem
fürsthchen Landsitz ,, Belvoir" umgestaltet. Dem begabten Sohne
gab Escher-Zolhkofer die besten Hauslehrer: Prof. Alexander
Schweizer, Anton Sal. Vögelin, Oswald Heer, der seine Stelle als
Theologe antrat und nach sieben Jahren das Belvoir als Natur-
forscher verhess. Aus diesem MiUeu von Reichtum und Luxus, in
dem die Kunst und Wissenschaft und alles Schöne gepflegt wurde,
ging ein Mann her\^or, dessen stärkste Leidenschaft die Arbeit
war. In ehrhcher Bewimderung schrieb Alfred Eschers Alters-
genosse Gottfried Keller 1847 in sein Tagebuch: ,,Der Sohn eines
Millionärs, unterzieht er sich den strengsten Arbeiten vom Morgen
312 VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEI.: ALFRED ESCHER o
bis zum Abend, übernimmt schwere, weitläufige Ämter in einem
Alter, wo andere junge Männer von 25 bis 28 Jahren, wenn sie
seinen Reichtum besitzen, vor allem nur das Leben geniessen."
Nicht sein Reichtum und auch nicht seine Talente haben Alfred
Escher gross gemacht, sondern seine Arbeit.
Das erste juristische Doktorexamen, welches überhaupt an
der Universität Zürich abgelegt wurde, hat Alfred Escher (17. Sep-
tember 1842) bestanden, und zwar summa cum laude. \"oraus-
gegangen waren der Promotion Studien in Zürich, Bonn und Berlin,
ein Aufenthalt in Paris schloss sich an. Im Frülijahr 1844 habi-
litierte sich Dr. Alfred Escher als Privatdozent für Staatswissen-
schaften an der Hochschule Zürich. Doch schon sehr bald zog ihn
die Politik in ihren Bannkreis, um ihn alsdann nicht mehr los-
zulassen. Der Wahlkreis Elgg entsandte am 21. Juli 1844 den
jungen Rechtsgelehrten in den Grossen Rat. Es war um die Zeit,
da es mit der Septemberregierung reissend abwärts ging. ,,Noch
kein Grosser Rat, wie der von 1839, war so sehr mitten aus dem
\^olk her\'orgegangen, und doch ist noch keiner dem ^"olke so bald
wieder verleidet, nach kurzer Zeit so wenig mehr von ihm ge-
achtet worden. Nicht, dass er nicht recht gehandelt, nicht, dass
er nicht gute Gesetze erlassen hätte, aber das ^'olk merkte, dass
diese Gesetze mehr souffliert als .selbst geschaffen waren, und es
kehrte nach wenigen Jahren — unter schmählichem Falle der
Volksvertreter aus dem Volke, die sogar froh waren, wieder ins
Dunkel zurücktreten zu können • — ■ zu dem eine Zeit lang durch
Ostrazismus verbannten Beamten und Advokaten zurück" (,, Frei-
tagszeitung"). In einer beispiellosen Karriere häuften sich auf
das junge Haupt Alfred Eschers Ämter und Ehren; er ward 1845
Tagsatzungsgesandter, Mitglied des Rates des Innern, des Er-
ziehungsrats, der wichtigsten Kommissionen des Grossen Rates,
1847 vStaatsschreiber und Grossratspräsident, am 27. Juni 1848
Regierungsrat, im Herbst darauf eidgenössischer Kommissär im
Tessin, am 15. Oktober 1848 Mitghed des Nationalrats und sofort
dessen Vizepräsident, am 27. Dezember Amtsbürgermeister
und am 16. April 1849 Präsident des Nationalrats. IVIit 30 Jahren
stand Alfred Escher schon auf der obersten Sprosse der Staffel
republikanischer Ehren und brauchte nur die Hand auszustrecken,
um den Bundesratstitel zu pflücken. Er überHess ihn aber, als
o VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL: ALFRED ESCHER 313
Jonas Furrer, der erste Bundespräsident, am 25. Juli 1861 starb,
dem von ihm in die politische Laufbahn eingeführten Jakob Dubs,
dem klugen und sympathischen Gastwirtssohn von Affoltern a. A.
]\Iit dem Eintritt Alfred Eschers in die Regierung begann für
den Kanton Zürich eine zweite Regeneration. Professor Johannes
Scherr, ein Bruder des gewesenen Seniinardirektors und Gegner
Eschers, bezeichnet es in seiner Biographie desselben als be-
wundernswert, was in dieser Zeit die kleine Repubhk Zürich in
der Gesetzgebung und \"er\valtung, in der Schaffung gemeinnütziger
Anstalten aller Art, in der Hebung von Industrie und Verkehr
leistete. Als Chef des Erziehungsdepartements genoss Escher
das unbedingte Vertrauen der Lehrerschaft; er gab sich grosse
Mühe für die Hebung der Volksschule und bereitete auch ein neues
Schulgesetz vor. Ausser der vöUigen Beherrschung seines eigenen
Departements arbeitete er sich als Regierungspräsident in die
wichtigsten Geschäfte der übrigen Departemente ein und hielt so
die Fäden der ganzen Verwaltungsmaschine in seiner kräftigen
Hand. Er war darum auch im Obmannamt ebenso gefürchtet als
bewundert, denn keine Nachlässigkeit, vom Departementschef an
bis zum Kopisten hinunter, entging seinem ScharfbHck. Mehr-
mals kam es vor, dass er sich im Obmannamt ein Bett aufschlagen
Hess, um nach einigen Stunden Ruhe sofort seine Arbeit wieder
aufzunehmen. ,,In jener Zeit war Escher die bewegende Seele
in der Regierung sowohl als auch im Grossen Rat und konzentrierte
eine solche Fülle von Machtmitteln in seiner Person, dass sich
vor seinem Willen fast alle Knie beugten. Er bestimmte die Rich-
tung der Politik, besetzte die Ämter und drückte Ungefügige an
die Wand; er übte einen souveränen Einfluss auf seine Umgebung
aus." Dieser Einfluss dauerte auch dann noch an, als Escher am
30. September 1855 krankheitshalber aus der Regierung zurück-
getreten war. Nach wie vor blieb das Belvoir der Ort, wo die
Geschicke des Kantons Zürich bestimmt, Gunst und Gnaden
gewährt oder versagt wurden. Die als ,,vSystem" bezeichnete
Herrschaft Alfred Eschers, die ohne Frage den Kanton Zürich zu
hoher äusserer Blüte brachte, musste von unabhängigen Geistern
als drückend empfunden werden. Andersdenkende konnte er
in seiner Umgebung nicht dulden, Widerspruch nicht ertragen.
Seinem frühem Lehrer Anton Salomon Vögelin hat er für eine
314 VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL: ALFRED ESCHER o
Professur am Gj'mnasium einen weit weniger fähigen, aber dafür
gefügigeren Bewerber vorgezogen. Seinem Alters- und Studien-
genossen Georg V. Wj'ss, dem er die Staatsschreiberstelle vonveg-
genommen, legte er Schwierigkeiten in den Weg, wo er konnte, und
Hess ihn weder Nordostbahndirektor, noch Staatsarchivar, noch
ordentlicher Professor werden, solange er es zu hindern vermochte.
Wj'ss freihch wusste genau und schrieb auch dem Bruder: ,,Wer
nicht den Hof macht, ist ein Feind. Möchte sein Tross noch zehn-
mal grösser sein, ich werde rüe dazu gehören." Dabei war Escher
aber wieder ein zu grosser Geist, um eitel zu sein. Den altehr-
würdigen Bürgermeistertitel legte er nieder, sobald er ihn er-
langt hatte. Seiner Initiativ^e entsprang das Gesetz vom i8. No-
vember 1849, das den Regierungsrat auf neun Mitglieder redu-
zierte und an die Stelle des ,, Bürgermeisters" den einfachem
Regierungspräsidenten setzte. Die Grossratswahlen vom
5. Mai 1850 brachten den Konservativen neue Verluste. ,,Auf
der andern Seite trat eine radikale Opposition in ihren ersten
Anfängen auf: die Doppelwahl des Herrn Prokurators Treichler
(in Wiedikon, wo er sogar Herrn Bürgermeister Escher die Palme
streitig machte, und in Richterswil) darf als ein bedeutsames
Wetterleuchten des Sozialismus angesehen werden" (,, Frei-
tagszeitung"). Bei den Regierungsratswahlen im Grossen
Rat am 24. Mai wurden Hüiii, Melchior und Eduard Sulzer, die
seit 1831 ununterbrochen im Regierungsrat sassen, ,, gesprengt",
dagegen Oberst Ziegler, der einzige und letzte konservative Re-
gierungsrat, mit der höchsten Stimmenzahl bestätigt.
Der Name Treichlers ist verknüpft mit den Anfängen des
Sozialismus auf zürcherischem Boden. Fremde Handwerks-
gesellen haben dieses Importgewächs bei uns eingeführt. Einer
von ihnen, der Schneider Wilhelm Weitling aus Magdeburg,
der die Feder so gewandt wie die Nadel zu handhaben verstand,
liess bei Hess in Zürich sein ,, Evangelium des armen Sün-
ders" drucken. Weitung war im Februar 1843 nach Zürich ge-
kommen trotz Abraten des hier eingebürgerten Dr. JuHus Fröbel,
Redaktors des ,, Republikaner" und Leiters des im Dienst der
deutschen freiheithchen Bewegung stehenden ,, Literarischen Comp-
toirs". Eben war der Dichter Georg Herwegh, dem die Stu-
denten ein Ständchen gebracht hatten, ausgewiesen worden. Keine
o VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL: ALFRED ESCHER 315
Zeit konnte für Weitlings Evangelium des Kommunismus, unter
welchem Titel der Sozialismus zuerst auftrat, ungünstiger sein.
Er aber kündigte sein Buch noch mit einem grossartigen Pro-
spekt an und zog sich damit den Staatsanwalt auf den Hals. Die
Druckbogen wurden beschlagnahmt. Weitling verhaftet, zu zehn
Monaten Gefängnis verurteilt und ausgewiesen. Prof. Bluntschli
aber verfasste seinen berühmten Kommissionsbericht über den
Kommunismus (Juli 1843). Jetzt trat jedoch auch ein Zürcher
als Kämpfer auf den Plan für den Kommunismus: Johann
J akob Treichler, geboren 1822, armer Leute Kind vom Berg in
Richterswil. Als Fabrikhandlanger verdiente er zuerst ein kümmer-
liches Brot. Gute Leute, darunter Hürlimann-Landis, verhalfen
ihm mit Vorschüssen zum Eintritt ins vSeminar Küsnacht (1839!).
Krankheit nötigte ihn im Januar 1840 wieder zum Austritt.
Durch Hürhmann-Landis erhielt Treichler sodann eine Buch-
halterstelle bei Junker Escher im Schloss Eigental bei Berg am
Irchel, siedelte 1842 ins Seminar Lenzburg über und wurde als
Lehrer patentiert. Als Schulverweser wirkte Treichler nacheinander
in Egg bei Zürich und Geroldswil im Limmattal. Diese letztere
Gemeinde geriet mit dem Erziehungsrat wegen Treichlers Be-
soldung in Konflikt, der mit der pohzeilichen Ausschaffung
Treichlers und Landjägerbegleitung bis zur Grenze von Weiningen
endigte. Treichler war den Behörden bereits als unruhiger Kopf
verdächtig geworden. Er hatte in Geroldswil despektierliche
Zeitungsartikel verfasst unter dem Titel ,, Wintergedanken des
Schulmeisters Chiridonius Bittersüss". Als Sekretär von Dr. JuHus
Fröbel angestellt, kam er nun mit der Journahstik in noch engere
Berührung. Eben um jene Zeit hatte auch Gottfried Keller
(am 13. August 1843) schüchtern mit seinen dichterischen Erst-'
hngsversuchen an der Tür des ,, Literarischen Comptoir" angepocht.
Gegen Treichler strengte der Erziehungsrat wegen heftigen An-
griffen im ,, Republikaner" vStrafklage an, und er wurde im April
1844 zu vier Tagen Gefängnis verurteilt. Dieser Prozess, bei dem
sich der junge Bursche glänzend selbst verteidigte, gab ihm den
Geschmack an der Juristerei; er wurde stud. jur. ! Inzwischen
hatten ihn, im Zusammenhang mit BluntschUs Kommunisten-
bericht, die pohzeilichen Schnüffeleien auch in die Weithng-Affäre
hineingezogen; es konnte festgestellt werden, dass Treichler schon
3i6 VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL: ALFRED ESCHER
in Geroldswil ein früheres Werk Weitlings mit Begeisterung ge-
lesen hatte. Fortan war auch er als „Kommunist" amtlich ab-
gestempelt. Als „Chiridonius Bittersüss" gab der unternehmende
Student jetzt ein eigenes Wochenblättchen, den ,,Usterboten"
heraus, das er dann in ein .«Not- und Hilfsblatt" umwandelte
und zu einem Organ der ,, sozialen Demokratie" gestaltete.
In Zürich gründete Treichler einen ,, gegenseitigen Hülfs- und
Bildungsverein" und hielt im ,, Widder" Aufsehen erregende Vor-
träge über den Kommunismus, die bald einmal vom Stadtrat
verboten wurden. Die Regierenden apostrophierte Treichler in
seinem Blättchen als ,, Maulaffen" und ,, Schöpse", sprach vom
Geld als dem den Arbeitern abgezapften Blut und Lebenssaft usw.
Liberale und Konservative waren einig, dass diese Sprache nicht
geduldet werden könne, und schmiedeten gegen Treichler und sein
Blatt das Gesetz vom 24. März 1846 ,, gegen kommunistische
Umtriebe", das erste ,,Maulkrattengesetz", gegen welches nur
die konservative ,, Freitagszeitung" im Namen der Pressfreiheit
lebhaften Einspruch erhob. Treichler musste wirklich seine Tätig-
keit einstellen. Er ging nach Lausanne, dann ins Baselland, kam
184g zurück und machte sein Prokurator-Examen (für die erste
Stufe der Advokatur, der 1854 der ,, Fürsprech" folgte). 1850
konnte er in den Grossen Rat einziehen, wo sich ihm (November
1851) ein zweiter Sozialist zugesellte: Karl Bürkli aus dem
Tiefenhof am Paradeplatz, ein aus der Art geschlagener Aristo-
kratensprössling. Sein Vater, Oberstleutnant Bürkli, stand 1839
in den vordersten Reihen der Antistraussen. vSchon der Knabe
Karl fing an ihm ,, fürchterlich" zu werden; konnte er doch nach
einem Tischgebet die entsetzten Eltern überraschen mit dem
Seufzer: ,,0 wänn's nu au kän Herrgott und kän Heiland gab,
dass mä nüd eso plaget wurd". Karl Bürkli (geboren 1823) lernte
das Gerberhandwerk und ging nach Paris, wo er ein Anhänger
Fouriers, eines utopistischen Vorläufers des Sozialismus, wurde.
Nach des Vaters Tod heimgekehrt, bekannte er sich auch in Zürich
zum Sozialismus und kandidierte im Wahlkreis W^iedikon, zu dem
noch Aussersihl, Altstetten, Albisrieden, Enge und WoUishofen
gehörten, für den Grossen Rat. In der Wahh-ersammluug im
alten Kirchli zu Wiedikon gaben die liberalen Häupter die Parole
aus, wem im ersten, wem im zweiten Wahlgang zu stimmen sei,
o VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL: ALFRED ESCHER 317
,,nu dass da eh. . . . Sozialist Bürkli nüd ine chunnt". Da streckte
ein Arbeiter in der Neumülile den Kopf in die vordere Reihe der
Matadoren und sagte ganz trocken: ,,Jä, meined ihr öppe, mer
müesid zweimal schribe ? Verflucht bin i, im erste Skrutinium
chunt de Bürkli use!" Und so kam es auch. Treichler und Bürkh
standen im Grossen Rat zusammen. Für die Motion Treichler
(Verfassungsrevision) standen am 31. März 1852 nur Treichler und
Bürkli auf. Sie gründeten auch zusammen den ersten Konsum-
verein. Im gleichen Jahr 1852 sass Treichler bereits als National-
rat in Bern.
Aus den mehr oder weniger bewusst sozialistischen, klein-
bürgerüch-radikalen und „neudemokratischen" Elementen braute
sich nach und nach eine demokratische Opposition gegen
das „System" zusammen, die schon 1853 in einer getrennten
Ustertagfeier in die Erscheinung trat. Die Liberalen waren,
wie gewohnt, auf der , .Platte", die Demokraten in der ,, Blume"
Aussersihl. Der liberale ,,Ustertag" verlor von Jahr zu Jahr an
Glanz und wurde ein reines ,, Beamtenfest". Ob man ihn nicht
Heber abschaffen und dafür Treichlers Geburtstag feiern wolle,
fragte boshaft die ,, Freitagszeitung". Die Grossratswahlen vom
7. Mai 1854 brachten, der Opposition weitern Zuwachs von Stimmen
und Sitzen, und die neuen Männer schienen auch mit neuen Mit-
teln operieren zu wollen: betreten wohnte der Grosse Rat einem
Tränenausbruch des Tierarztes Zangger bei, als dieser eine Rede
über den Wucher hielt. Es war Alfred Eschers Gedanke, dass
man ,, wilde SoziaHsten" am besten zähme — • durch ihre Wahl in
die höchsten Behörden, und er veranlasste, zur grenzenlosen Ver-
blüffung Zürichs, am 27. Oktober 1856 die Wahl Treichlers
zum Regierungsrat! Das Verfahren ist probat; es hat nur
den einen Haken, dass dann noch mancher denkt: in dem Fall
werde ich auch mal ein ,, wilder SoziaHst"; das Schlimmste, was
mir dabei passieren kann, ist Regierungsrat zu werden. Der
Staatsschreiber Gottfried Keller hat einmal eine hübsche
Anekdote erzählt: es war beim Bankett zu Ehren der österreichi-
schen und itahenischen Bevollmächtigten, welche nach dem lom-
bardischen Feldzug am 10. November 1859 auf dem Rathaus
den ,, Frieden von Zürich" geschlossen hatten. Einer der Öster-
reicher, der früher in der Schweiz in diplomatischen Diensten ge-
3i8 VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL: ALFRED ESCHER o
standen, wandte sich an den neben ihm sitzenden Regierungsrat
mit der Frage: „Als ich noch ein junger Anfänger war, da trieb
sich gerade im Kanton Zürich ein langer, hagerer Kerl umlier,
der gewaltige Brandreden hielt und den Kommunismus predigte.
Wir mussten über diese Hopfenstange viel nach Wien an den
sehgen Staatskaiizler berichten. Aber bitte, wie hiess doch gleich
der Kerl ? Leichler, Weichler, Meichler oder so ungefähr ?" Worauf
der Gefragte mit bezeichnender Handbewegung gegen den der
Tafel Vorsitzenden bemerkte: ,, Exzellenz zu dienen, unser Herr
Regierungspräsident Dr. Treichler!" Nicht \ael geringer war
übrigens das Erstaunen in Zürich, als durch Alfred Eschers Ein-
fluss am 14. September 1861 der Regierungsrat Gottfried
Keller, den ehemaligen Mitarbeiter an Treichlers ,,Not- und Hilfs-
blatt" und demokratischen Agitator, der noch das Jahr vorher
Dr. Eschers PoHtik in einem öffentlichen Marüfest ,,Marklosigkeit
und VerschHffenheit der Grundsätze" vorgeworfen hatte, zum
Staatsschreiber wählte. Jetzt fehle bloss noch, meinte die über
diesen ,, Geniestreich der Regierung" untröstliche ,, Freitags-
zeitung", dass man den Dichter Herwegh zum Erziehungsdirektor
mache. Aber Gottfried Keller beschämte dieses Misstrauen in
seiner I5jährigeu Staatsschreibertätigkeit. Der eidgenössische
Kanzler Schiess pflegte zu sagen, Gottfried Keller sei der beste,
zuverlässigste Staatsschreiber der Schweiz gewesen.
Die Zulassung einzelner Oppositionsvertreter zu den staat-
Hchen Ämtern und Würden konnte die Opposition selbst nicht ent-
waffnen, weil ihre materiellen Forderungen: Umwandlung des Re-
präsentativsystems in die reine Demokratie, ökonomische Erleich-
terungen, Errichtung einer Kantonalbank, soziale Gesetzgebung usw.
vom herrschenden System unberücksichtigt bheben. Die demo-
kratische Bewegung kam zum Durchbruch, schadete aber Eschers
persönhchem Ansehen so wenig, dass er, 1868 aus dem Nationalrat
zurückgetreten, sofort mit gewaltigem Mehr gegenüber dem
Pamphletär Locher wieder gewählt wurde. Escher gehörte auch
weiterhin dem Kantonsrate an. Lange bheb auch sein mass-
gebender Einfluss in der eidgenössischen Politik unge-
schwächt. Zum ersten schweizerischen Eisenbahngesetz von 1852
gab seine Motion die Grundlage; zur Neuenburger- und Savoyer-
frage, zur Verfassungsre^^sion sprach er sein klares und bestim-
o VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL: ALFRED ESCHER 319
mendes Wort. Anfangs mit dem radikalen Berner Stämpfli eng
verbunden und mit ihm vereint die Bundesversammlung be-
herrschend, trennte er sich, in den Eisenbahnfragen und aus-
wärtigen Angelegenheiten andern Anschauungen huldigend, nach
und nach von StämpfU und wurde der Führer einer gemässigten
Richtung. Vollends nach dem Sturz des ,, Systems" in Zürich und
der weitern Ausdehnung der radikal-demokratischen Bewegung
in der Schweiz beschränkte sich Eschers Führerschaft auf die
liberale Zentrumsgruppe.
,,Um den Beweis zu leisten," sagt Eschers Biograph Willielm
ÖchsH, ,,dass die Schweiz auch mit dem Sj'stem des Privatbaues
zu den notwendigen Eisenbahnen komme, stellte sich Escher an
die Spitze einer ,, Zürich-Bodensee-Eisenbahngesellschaf t",
die sich im Januar 1853 konstituierte und im Laufe des gleichen
Jahres sich mit der ,, Nordbahn" zur ,, Schweizerischen Nordost-
Balm" verschmolz. Am 12. September 1853 wählte ihn die General-
versammlung der N. O. B. zum Präsidenten der Direktion. Auch
bei dieser Schöpfung hatte er nur das Landeswohl im Auge; aber
es kennzeichnet doch die schiefe Stellung, in die er geriet, dass er
den Vertrag über die Konzession, die der Gesellschaft erteilt wurde,
in seiner doppelten Eigenschaft als Regierungspräsident des
Kantons Zürich und als Präsident der N. O. B. zu unterzeichnen
hatte." Nach seinem Rücktritt aus der Regierung widmete er
sich ganz der N. O. B., die sich unter seiner Leitung zu der best-
verwalteten Eisenbahn der Schweiz aufschwang, sowie seiner
zweiten grossen wirtschafthchen Gründung, der Schweizerischen
Kreditanstalt (1856), unter deren Auspizien 1857 auch die
Schweizerische Rentenanstalt ins Leben trat. Escher bheb
Präsident der Kreditanstalt, bis 1877 ein Konfhkt ihrer Interessen
mit denjenigen der Gotthardbahn ihn zum Rücktritt zwang. Den
grössten Ruhm und die schärfsten Dornen brachte ihm die Grün-
dung der Gotthardbahn. Nach seinem Plan konstituierte
sich am 8. August 1863 unter dem Vorsitz von Regierungsrat
Zingg in Luzern die ,,Gotthardvereinigung", welcher 13 Kan-
tone, sowie die Zentralbahn und Nordostbahn beitraten. Unter
unendHchen Schwierigkeiten, in deren Bemeisterung Alfred Escher
seine ganze Energie und GeniaUtät entfaltete, kam die Finanzie-
rimg mit Hilfe Deutschlands und ItaUens zustande, und am
320 VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL: ALFRED ESCHER o
4. Mai 1871 konnte die Gotthardvereinigung in Luzern ihre letzte
Sitzung abhalten. Die Stadt schwamm in Jubel, Alfred Escher
ward als der „Escher vom Gotthard" gefeiert. Er trat an die
Spitze der Direktion der neuen Bahn. Aber gar zu bald sollte
dem Hosiannah das Kreuzige folgen. Der Tunnelbau erforderte
100 Millionen mehr als berechnet worden war; die Gotthardbahn-
aktien sanken von 300 Franken auf 30 Franken, die Obhgationen
von 1000 auf 350 Franken, und an allem Unglück sollte Alfred
Esclier schuld sein. Keine Schmähung wurde ihm erspart; drei
seidene Schnüre wurden ihm anonym zugesandt. Neue grosse
Opfer mussten vom Bund und von den Gotthardkantonen, sowie
von den Subventionsstaaten für das Unternehmen gebracht
werden. Alfred Escher erklärte am 30. April 1878 seinen Rück-
tritt aus der Direktion der Gotthardbahn, weil, wie er einem
Freunde schrieb, ,,fast alle Berner und die Grosszahl der Zürcher
Demokraten in der Bundesversammlung als Preis für ihre Stimm-
gabe zugunsten der Unternehmung meinen Austritt verlangen."
Unter allen den Aufregungen und Anstrengungen dieser
Kämpfe hatte Eschers Gesundheit stark gelitten. Schonung seiner
selbst kannte er dabei nicht und arbeitete unablässig von früh bis
spät, auch stets während der Ei.senbahnfahrt. Den Winter 1881/82
brachte er in Nizza zu, wo er sich einer Carbunkel-Operation unter-
ziehen musste. Seine letzte öffentliche Kundgebung war wohl die
von ihm erlassene Erklärung der liberalen Fraktion der Bundes-
versammlung zugunsten des sogenannten ,, Schulvogtes". Auch
die Eröffnung der Gotthardbahn erlebte er noch, ohne aber daran
teilnehmen zu können. Eine erneute Carbunkelbildimg fülirte am
6. Dezember 1882 nach furchtbaren Schmerzen zum Tode. Kurz
vorher hatte er noch seine Tochter Lydia mit dem Sohne von
Bundesrat Welti verlobt. Der Leichenzug, welcher am 9. Dezember
Eschers irdische Reste zum Fraumünster und dann zum Famihen-
grab beim Bethaus in Enge brachte, war wohl der grösste, den
Zürich je gesehen. Professor Alexander Schweizer, der schon lange
nicht mehr öffentlich aufgetreten war, hielt die Leichenrede.
Dann sprachen namens der Bundesversammlung Dr. Deucher und
namens der Stadt Zürich Stadtpräsident Dr. Römer. Als Leit-
stern Eschers bezeichnete der Stadtpräsident in dieser Rede ,,das
Streben, das engere und weitere \'aterland nach den Ideen des
o VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL: ALFRED ESCHER 321
modernen Zeitalters umzugestalten, auf dass es im Innern glück-
lich sei und nach aussen als das Muster eines Staatswesens da-
stehe. Seine hohe Begabung Hess ihn die treibenden Ideen der Zeit
erkennen und richtig erfassen. Er gewahrte, dass die besten
Staatsformen ein Volk nicht zu beglücken vermögen, sofern ihnen
nicht grosse wirtschafthche Schöpfungen zur Seite stehen, und als
einer der ersten in unserm Lande begriff er die weltumgestaltende
Bedeutung der Eisenbahnen in ihrem vollen Umfange. Trat er
an eine Frage heran, so suchte er sie mit unerschütterUcher Energie
bis auf den Grund zu durchdringen, und nichts gab er aus der
Hand, das nicht inhaltlich und formell gleich vollendet gewesen
wäre."
Auf den 2. Februar 18S3 lud Stadtpräsident Dr. Römer einen
Kreis von Verehrern und Freunden Alfred Eschers zu einer Be-
sprechung der Frage eines Denkmals ein. Ein öffentUcher Auf-
ruf war von schönem Erfolg begleitet, und das Denkmalkomitee
konnte mit dem Solothurner Bildhauer Richard Kissling
einen Vertrag abschhessen. Am Samstag den 22. Juni 1889 fand
die feierUche Enthüllung statt. Es war eine eigenartige Doppel-
feier: die Einweihung des Denkmals für den letzten Bürgermeister
fiel zusammen mit der Feier des berühmtesten Bürgermeisters
Zürichs, Hans Waldmann, der vor vierhundert Jahren tragisch
geendet hatte. Vormittags 11 Uhr fielen auf dem Bahnhofplatz
die Hüllen vom Escherdenkmal und zeigten den 6000 Zuschauem
eines der herrHchsten Kunstwerke der Stadt. Oberst Karl Pesta-
lozzi übergab das Denkmal der Obhut der Stadt, in deren Namen
es Stadtpräsident Hans Pestalozzi entgegennahm. In der alten
Tonhalle fand das sehr belebte Festbankett statt. Während am
Abend das Escherdenkmal mit seinem wirksamen Hintergrund des
Bahnhofgebäudes in elektrischem und bengaHschem Lichte er-
strahlte, begann in der Tonhalle die Vorfeier des Waldmanntages.
Noch einmal war Alfred Eschers Name in aller Mund, als
seine Tochter, Frau Welti-Escher, ihr Vermögen im Betrage von
2 V2 MilUonen Franken am 6. September 1890 der Eidgenossenschaft
als ,, Gottfried Keller-Stiftung" schenkte zu besonderer Ver-
waltung mit dem doppelten Zweck der Förderung der Kunst in
Friedenszeiten und für die Pflege verwundeter und kranker Wehr-
männer beim Kriege. Zur Gottfried Keller-Stiftvmg gehörte auch
322 VIERUNDZWANZIGSTES KAPITEL: ALFRED ESCHER o
das Belvoir, dem infolgedessen die Gefahr der Parzellierung und
Veräusserung nahe stand. Als im September 1890 aus der Bundes-
stadt gemeldet wurde, der Bundesrat gedenke das Grundstück
zu parzellieren, schrieb ,,ein Freund der Natur und der Kunst"
in der ,, Freitagszeitung", es wäre doch ein wahrhaftes Verhäng-
nis, weim eine Stiftung zur Förderung der Kunst den Anlass
bieten sollte, ein solch wunderschönes Stück Natur zu ruinieren,
und er warf die Frage auf, ob es nicht möghch wäre, das Bel-
voir zu einem öffentlichen Garten zu gestalten und so für alle
Zeiten vor den Brutalitäten der Häuserspekulanten sicher zu
stellen. Die Anregung fiel auf fruchtbaren Boden. Es gelang
einer Anzahl gemeinnütziger Männer in Verbindung mit den
Stadtbehörden, das Belvoir als öffentUche Anlage für die Stadt
zu retten. Das aus den Herren Stadtingenieur Dr. Arnold Bürkli,
Karl Fierz-L,andis und Eduard Guyer-Freuler gebildete Initiativ-
komitee erwarb das Belvoir von der Eidgenossenschaft zuhanden
der Gemeinde Zürich-Enge, verkaufte einen Teil davon und stellte
die übrige Liegenschaft als öffentlichen Garten von 37,000 m"
Grundfiäche (Platzpromenade 51,000 m^) der Stadt zur Verfügung,
welche ihren Besitz am i. Januar 1901 antrat. Zwar meinte
Direktor Georg Stoll einmal, Alfred Escher würde sich im Grabe
umdrehen, wenn er wüsste, dass aus seinem Belvoir ein Wirtshaus
geworden sei. Die Bevölkerung Zürichs aber dankt es jenen
Männern bei jedem Besuch des Belvoir, dass sie ihr diesen herr-
lichen Park erhalten haben.
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FUNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL
STADTPRÄSIDENT HESS
HANS LUDWIG HESS ist geboren am 5. JuH 1788 als Sohn
des Cliirurgus und Sekretärs des medizinischen Instituts zum
„Schwarzen Garten" H. J. Hess. Er widmete sich ebenfalls der
Medizin und studierte zu Wien 1811 und 1812, nachdem er zuvor
das zürcherische medizinische Institut besucht hatte und anderthalb
Jahre zu Brück in der Lehre gewesen war. 181 3 machte er als
Feldarzt bei der kaiserlich österreichischen Ambulanz den Feld-
zug mit durch Böhmen, Leipzig, Frankfurt, Genf und zurück
nach Wien, wo er sich noch vier Monate aufhielt und hierauf
heimreiste. Gleich nach seiner Ankunft aus der Fremde bat er
sich (Januar 1815) ein Examen aus, worin er Proben besonderer
Geschicklichkeit ablegte und unverzüglich bei der eidgenössischen
Armee als Oberarzt eine Ambulanz besorgte. 1818 wurde Hess
Armenarzt der Grossmünstergemeinde, 1819 Lehrer am medi-
zinisch-chirurgischen Institut, 1822 Aktuar desselben. In dem-
selben Jahr erhielt Hess das Amt eines Adjunkts des Bezirksarztes
für das Oberamt Zürich und rückte am 5. JuH 1823 selber in die
Stelle des Bezirksarztes ein, die er bis 1847 bekleidete. ,,In
seinen Gutachten legte er seine reichen Kenntnisse und seine
klare, oft geniale Beobachtungsgabe an den Tag. Seinen sehr
geschätzten Vorträgen über gerichtliche Arzneikunde am medi-
zinischen Institut verdankte der Kanton Zürich die gediegene
Bildung seiner Bezirksärzte. Auch nach der Niederlegung der
Bezirksarztstelle nahm Hess grossen Anteil an den Ergebnissen
der medizinischen Literatur, wie er denn auch, so viel es ihm seine
Zeit erlaubte, an den Versammlungen der ärztlichen Vereine teil-
nalim." Dem Stadtrat gehörte Hans Ludwig Hess seit dem
15. September 1831 an, dem Grossen Rat als Vertreter der Schmie-
denzunft seit April 1832. In diesem Kollegium zählte Hess
zu den Konserv^ativen und tat sich besonders hervor als Ver-
fechter der Wünsche und AnHegen der Handwerker, die vor der
324 FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS o
Einführung der Gewerbefreilieit grosse Befürchtungen hegten
(vgl. Wettstein, Regeneration). In den Diskussionen hierüber wies
Hess speziell darauf hin, dass die alte Regierung im Jahr 1830
von der Bürgerschaft Zürichs darum nicht kräftiger unterstützt
worden war, weil sie im Verdacht stand, die Gewerbefreiheit ein-
führen zu wollen; nach der ,,N. Z. Z." (1832, Nr. 37) mochten
sich die neuen Regenten dies gemerkt und eben deswegen die
Rechte der Gewerbefreiheit nicht entschiedener und durchgreifen-
der geltend gemacht haben. Hess gehörte auch zu den Unter-
zeichnern der Protestatiou gegen das Siebner-Konkordat.
Als im Mai 1840 Oberst Ziegler in die Regierung übertrat,
wählte die am 25. Juni 1840 in der St. Peterskirche versammelte
Stadtgemeinde Stadtrat Hess zum Stadtpräsidenten. Volle
23 Jahre hindurch stand er an der »Spitze der Stadtverwaltung und
erwarb sich durch seine unermüdliche Pflichttreue viel Verdienste
um die Stadt. Das Neujahrsblatt des Waisenliauses 1872 hebt
noch besonders hervor: ,,Als im Jahre 1855 die asiatische Cholera
Zürich einen kurzen Besuch machte, finden wir Hess als einen der
ersten auf dem Kampfplatze, und seinen ebenso umsichtigen als
energisch durchgeführten Massnahmen war die erfolgreiche Be-
kämpfung des Übels vorzüghch zu verdanken. Eine seltene Ge-
däclitniskraft, die ihm den Namen des lebendigen Protokolls zu-
zog, unerschütterliche Gemütsruhe und Pflichttreue, erheitert
durch freundhche Geselligkeit, erleichterten ihm seine Geschäfts-
last und erhielten ihm bis an sein Eebensende das Zutrauen seiner
Mitbürger." Im Jahr 1856 durfte Hess sein 25iähriges Jubiläum
als Mitglied des Stadtrates begehen. ,,In bewegter Stim-
mung und mit lautloser Stille" erklärte am 15. »September 1856
die Bürgergemeinde den von Regierungsrat Hageubuch befür-
worteten Antrag des Vizepräsidenten Mousson zum Beschluss, es
sei dem Herrn Stadtpräsidenten durch eine besondere Abordnung
eine Dankesurkunde zu überreichen und dieselbe mit der goldenen
Verdienstmedaille zu begleiten. , .Abends feierte die Bürger-
Mittwochgesellschaft, deren Mitgründer und beständiges, \-on
allen geachtetes und geliebtes Mitglied Herr Hess ist, den Jubilar
mit einem Bankett und einem Ständchen. Nach einer Ansprache
bei diesem Fest im Schützenhaus öffneten sich hinter dem Ju-
bilar plötzhch zwei Vorhänge, und ein Transparent erschien,
o FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS 325
in welchem die Tigurina in weiss und blauem Kleide dem Ge-
feierten den Kranz bot („dem Verdienste seine Krone") und in
ihrem Gedenkbuche zwei Blätter aufgeschlagen hatte, auf denen
der 15. September 1831 und der 15. September 1856 verzeichnet
standen. Herr Hess gab darauf der Versammlung eine kurze und
gemüthche Geschichte seines Eintritts in den Stadtrat imd dessen,
was mit ihm, der Behörde und der Stadt selbst seither vor-
gegangen" (Frtgsztg.). Alters- und Gesundheitsrücksichten ver-
anlassten Hans Ludwig Hess am 30. Mai 1863 zum Rücktritt
als Stadtpräsident; sein Nachfolger wurde am i. Juni 1863 alt
Bürgermeister Heinrich Emanuel Mousson. Hess starb, auf-
richtig betrauert, am 27. November 1866.
Die Stadt Zürich zur Zeit des Stadtpräsidenten Hess zeigt
das diesem Kapitel beigeheftete Vogelschaubild aus der Mitte
des letzten Jahrhunderts. In der Ecke unten Unks drängen sich
die Bäume der Platzpromenade zusammen. Sie umrahmen
die Bürgergärten hinter dem Bahnhof, in welche 1855/56 die
Gasfabrik gestellt worden ist, an deren Stelle sich jetzt das
Landesmuseum erhebt. Vom Bahnhöfchen und seinen Neben-
gebäuden leitet die primitive Eisenbahnbrücke in den ,,Kräuer'
hinüber (Ecke rechts), in welchen (um 1870) die Mihtärbauten,
Kaserne und Zeughaus, verlegt worden sind. Die drei Häuser an
der Sihl, am Ende der Allee, sind die alten MiUtärställe und die
Reitbahn. Die düstere gedeckte Sihlbrücke, die erst 1866
durch eine offene Gitterbrücke ersetzt wurde, ist von den Ausser-
sihlern lange Jahre als lästiges Verkehrshindernis empfunden
worden, um dessen Beseitigung sie eifrig petitionierten. Links
von ihr sieht man den einzigen Bogen der Sihlportenbrücke über
den Schanzengraben. Der Schanzengraben umfhesst hier das
stehen gelassene Katz-Bollwerk, auf welchem der Botanische
Garten angelegt wurde (leicht kennthch an der Baumgruppe auf
der obersten Terrasse). Durch den Schanzengraben vom Botani-
schen Garten getrennt, ragt der noch jetzt bestehende Wasser-
turm. Auf der entgegengesetzten Seite des Botanischen Gartens,
zwischen Talgasse imd Schanzengraben, dehnt sich der ehemalige
Exerzierplatz, auf welchem häufig Festhchkeiten stattfanden
und auch etwa Truppen beeidigt imd verabschiedet wurden (Gegend
des jetzigen Schanzengrabenschulhauses).
326 FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS o
Jenseits des Schanzengrabens, dem Botanischen Garten gegen-
über, liegen die Häuser des Sein au, die erst 1854 durch eine
steinerne Brücke (in der Fortsetzung der PeHkanstrasse, an Stelle
des bisherigen Fussgängersteges) wieder ihre richtige Verbindung
mit der Stadt erliielten. Weiter dem Schanzengraben aufwärts fol-
gend, treffen wir auf die Bleicherwegbrücke und den nach der
Enge und Wollishofen hinaus führenden Bleicherweg. Die
Talgasse läuft dem Schanzengraben parallel bis zum See. Die
drei Häuser zu oberst, gegenüber dem Kratzturm, sind die De-
pendance des Hotel Baur, später Baur au lac, erbaut von dem-
selben ehemaUgen Bäckergesellen Baur (gestorben 1865), der auch
das Hotel Baur en ville beim Paradeplatz errichtet hat. Der
grosse, von einer Allee dem Ufer entlang eingesäumte Platz hinter
dem Stadthaus ist bei der Sonderbundszeit genannt worden.
Hier wurden öfters Truppen vereidigt und dann beim BauschänzH
nach den obern Seegegenden eingeschifft. Das Häusergeviert des
Kratzquartiers, dessen südwestliche Ecke der Kratzturm
mit dem Baugarten bezeichnet, schhesst den Stadthausplatz
ein, auf dem der wöchenthche und der Jahrmarkt zu Martini ge-
halten wurde (das Stadthaus ist das erste Haus rechts gegenüber
dem BauschänzH). An der Ljmmat (bei der Münsterbrücke)
steht isoHert das Kaufhaus, an der Poststrasse das Post haus
(jetzt Zentralhof), gegenüber Hotel Baur, am Paradeplatz die
Tiefenhoflinde und dahinter der Bürklische Tiefenhof, auf
der Nordseite des Paradeplatzes der Feldhof, in der Mitte des
Talackers (rechts, das länghche Gebäude) die Kaserne, herwärts
derselben am PeHkanplätzh der vordere Pelikan, Wohnung des
Stadtpräsidenten Ziegler. An der Sihlstrasse hegt noch der alte
St. Anna-Friedhof. DeutUch hebt sich aus dem Bild der
Fröschengraben mit der an seiner Westseite entlang laufenden
Strasse hervor und von der Bastei des Rennwegtors schräg
aufwärts gegen die Peterskirche der Renn weg. Halbwegs
zwischen Paradeplatz imd Rennwegtor führt über den Fröschen-
graben die Augustinerbrücke; zwischen der Peterskirche und
der Augustinerbrücke hegt das Geviert der Augustinerkirche mit
dem ,, Hinteramt", dem ersten Universitätsgebäude. In der
Mitte der Rathausbrücke ein Budengebäude, rechts vorsprin-
gend das Hotel ,, Schwert". Der Lindenhof, das alte Zuchthaus
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sbcjü ums 0aßr 1850
o FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS 327
am Ötenbach, das Waisenhaus daneben und das „gedeckte
Brückli" sind nicht zu verkennen, ebensowenig das alte Schützen-
haus an der Linimat (zwischen dem „gedeckten BrückU" und der
Schanzengrabenmündung) . Das hufeisenförmige Gebäude rechts
vom Schützenhaus und gegenüber dem Bahnhof ist das sogenannte
neue Zeughaus; die Pappeln dabei umgeben als BHtzableiter
drei kleine Pulverhäuser. Auf der langgestreckten, rechts spitz
zulaufenden Wiese vor dem Zeughaus wurde bei Hinrichtungen
das rot bemalte Blutgerüst aufgeschlagen. Die Strasse, welche als
Fortsetzung der Talgasse den Schanzengraben bis zur Limmat
begleitet, hiess die Löwenstrasse.
Am See ist die lange weisse Linie der Seefeldstrasse
sichtbar; deutlich erkennt man auch das Kornhaus (die ,,alte
Tonhalle"); Hnks von ihr Stadelhofeu und die Kreuzbühl-
strasse, oben am Kreuzplatz zusammenlaufend nüt dem Zeltweg.
Die Gartenanlagen des Gutes zum Linde ntal korrespondieren
mit dem gegenüberliegenden grossen Turnplatz der Kantons-
schule. Das turmartige, viereckige Gebäude soll die Kantons-
schule vorstellen. Links davon, bei dem Rondell an der Rämi-
Tannenstrasse, dehnt sich der weitläufige Bau des Kantons-
spitals mit der Anatomie, dahinter, etwas erhöht, das Absonde-
rungshaus. \'om Rondell abwärts geht der Weg an der Blinden-
anstalt und dem Künstlergütli vorbei das Halseisen liinunter
zum Rechberg vmd Hirschengraben. Auf die viereckige Wiese
gegenüber der Bhndenanstalt, den ,,Scliienhut", kam dann das
Polytechnikum zu stehen. In erhabener Lage über den Resten des
alten St. Leonhard-Bollwerks (links) thront die Pfrundanstalt;
unten an der Limmat verbindet der Lange Steg die Etablisse-
mente von Escher Wyss & Cie. mit der Platzpromenade; der
Limmatquai ist nur bis auf die Höhe der Rosengasse durch-
geführt und dort abgebrochen. Im allgemeinen befanden sich die
^^erkehrsverbindungen im Innern der Stadt und die Zugänge zu
derselben von aussen vor 50 bis 60 Jahren noch in einem recht
imbefriedigenden Zustande. Strassen, auf denen bequem gefahren
werden konnte, waren nur sehr wenige vorhanden: in der ,, kleinen
Stadt" der Talacker und die Poststrasse, in der ,, grossen Stadt"
der Rathausquai, der Sonnenquai und allenfalls der Hirschen-
graben; sodann die an Stelle der früheren Schanzenumwallung
328 FÜNPUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPR,4SIDENT HESS o
angelegten Strassenzüge : links der Limmat die Löwenstrasse und
Talgasse, rechts der Limmat Rämistrasse und Leonhardstrasse.
Alles andere waren schmale, krumme, meist unebene Gassen.
Recht anschauHch beschreibt z. B. Dr. Conrad Escher in der
, .Zürcher Wochenchronik" den damaUgen komphzierten Ver-
kehr mit dem Balmhof. Der Fahrverkehr aus der , .kleinen
Stadt" ging durch den Talacker und die Löwenstrasse; Fussgänger
benützten die Fröschengrabenstrasse bis zum Rennwegtor; von
da ging's rechts hinunter zur ,, Werdmühle", wo sich eine fleissige
Sägemühle befand. Der Weg führte unter einem Dach durch die
Säge hindurch und dann in mehrfachen romantischen Krüm-
mungen zum Bahnhof. Nicht viel besser und direkter war der
enge Weg durch die Schipfe. Ganz misshche Verkehrsverbiudungen
bestanden für die grosse Stadt. Die ..Metzgpassage" zwischen der
Hauptwache und dem Haus zum ,,Kiel" war so eng, dass zwei
Fuhrwerke Mühe hatten, aneinander vorbeizukommen, und von
der Rathausbrücke abwärts gab es keinen fahrbaren Flussübergang
mehr; der ganze Fuhrwerkverkehr musste den Umweg durch die
kleine Stadt nehmen.
In chronologischer Reihenfolge seien nun noch einige der
bemerkenswertesten Begebenheiten und baulichen Ver-
änderungen in der Stadt Zürich aus der Zeit von vStadtpräsident
Hans Ludwig Hess verzeichnet:
1840. — Auf dem Ütliberg hat sich ein Gasthaus auf-
getan. Es wurde von Friedrich Bej-el auf dem Kulm neben dem
alten Hochwachthäuschen im Stil der Appenzeller Alphütten er-
baut. Beyel ist 1866 gestorben und die Famihe weggezogen. Das
neue grosse Zeughaus beim Bahnhof, dessen erster Flügel
1837/38 erstellt wurde, befindet sich noch in vollem Ausbau; der
mittlere Verbindungsflügel (gegen das vSchützenhaus) wurde erst
1844 fertig.
. *
1841. — Der Packhof (hinter den Fraumünstergebäuhch-
keiten an der Kappelergasse), ein mit dem Betrieb des Kaufhauses
in Zusammenhang stehender Bau, wird vollendet und der Stadt
übergeben.
o FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDBNT HESS 329
1842. — Im Oktober wurde die neue Pfrundanstalt be-
zogen, deren Bau von der Gemeinde am 4. Juli 1839 beschlossen
worden war. Bei der Einweihting am 27. Oktober sangen die
Zöglinge der Blindenanstalt einige Lieder. Das alte Pfrundhaus
zu St. Jakob in Aussersihl wurde verkauft; die Kapelle diente
eine Zeitlang als Magazin und schliesslich noch als Schlachthaus
des Konsumvereins! Die Gottesdienste zu St. Jakob wurden in
das am 6. Oktober 1844 eingeweihte neue Bethaus verlegt,
welches die Gemeinden Aussersihl und St. Peter gemeinsam auf
dem neuen Friedhof gegenüber dem alten Pfrundhaus an der
Badenerstrasse erstellt hatten. Mit der Anlage dieses Friedhofs,
an dessen Portal die Inschrift stand: ,, Grabesnacht — Frühlings-
morgen", war schon 1820 begonnen worden. Nach dem Vertrag
von 1843 sollte derselbe gemeinsam dem Stadtteil der St. Peters-
gemeinde und der Filiale Aussersihl dienen, die Beerdigungen auf
dem Friedhof St. Anna am 30. Juni 1845 aufhören.
*
1843. — Das ,, Tagblatt der Stadt Zürich" hat seine
Metamorphosen beendet, Titel und Gestalt endgültig angenommen.
Wir lernten es (Seite 21/22) zuerst kennen als ,,Donnstags-Nach-
richten" (seit 1730), dann als ,,Donnstags-Blatt" (1781) vmd end-
lich als ,, Zürcherisches Wochenblatt" (1801), unter welchem Titel
es 1814 samt der Buchdruckerei Berichthaus an die Famihe Ulrich
überging und fortgefülirt wurde. Nun gab aber das Berichthaus
vom I. Januar 1837 an neben dem ,, Zürcherischen Wochenblatt"
täglich, auch Sonntags (zwischen xo und 12 Uhr), das vorerst
nur als zweiseitiges Blättchen erscheinende ,, Tagblatt der
Stadt Zürich" heraus, das ledigHch die FremdenHste und
daneben noch einige pressante amthche und private Anzeigen ent-
hielt. Da die Fremdenhste unter Leitimg der Stadtpohzei erschien
und an die Stelle des von einem eigens angestellten ,, Nacht-
schreiber" angefertigten ,, Nachtzettels" trat, hatte dieses ,, Tag-
blatt" gewissermassen amthchen Charakter. Bald Uef das ,, Tag-
blatt" dem wöchentUch nur zweimal erscheinenden ,, Wochenblatt"
den Rang ab. Im ersten Halbjahr 1843 wurde das ,, Wochenblatt"
wie bisher zweimal wöchentlich, aber nur noch als zweiseitiges
Blatt für die Landgemeinden ausgegeben, verschwand dann aber
gänzHch, um dem ,, Tagblatt" das Feld allein zu überlassen.
330 FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS o
Seit 1855 lieferte das „Tagblatt" auch Börsenkurse und eine
„Übersicht der Tagesnachrichten". Am 31. Dezember 1863
wurde sodami der erste Vertrag mit der Stadt Zürich ab-
geschlossen, nach welchem das ,, Tagblatt der Stadt Zürich" als
offizielles Pubhkationsmittel für alle Bekanntmachungen der
städtischen Behörden gilt. SämtUche amtUchen Bekanntmachungen
waren unentgeltUch aufzunehmen, sämtlichen städtischen Ver-
waltungen und Kanzleien Freiexemplare abzuHefern. Der Abonne-
mentspreis von 6 Fr. und der Insertionspreis von 6 Rp. pro Zeile
durfte ohne Einwilligung des Stadtrates nicht erhöht werden,
und es ist gewiss interessant, dass dieser Abonuementspreis von
6 Fr., durch welchen bei weitem nicht einmal die Kosten des
Papiers gedeckt werden, bis auf den heutigen Tag, fünzig Jahre
liindurch, derselbe geblieben ist! Auf Verlangen war das ,, Tag-
blatt" von 1864 an auch durch Austräger ins Haus zu hefern.
Der Stadt hatte das Berichthaus eine jährhche Remuneration
von 5000 Fr. zu bezahlen (nach dem Vertrag vom i. November 1911
beträgt diese Remuneration nunmehr 90,000 Fr., was mit der
unentgelthchen Aufnahme der amtlichen Inserate einer Gesamt-
leistung von jährlich 150,000 Fr. an die Stadt gleichkommt). —
Am 25. imd 26. Juh 1843 wurde vom vSängerverein ,, Harmonie"
das eidgenössische Sängerfest durchgeführt. Auf dem
Exerzierplatz am Schanzengraben (beim Botanischen Garten)
war eine Festhütte für 3000 Gedecke errichtet. Die eidgenössische
Sängerfahne, von Aarau kommend, wurde in Dietikon eingeholt
und hielt in Begleitung von zwölf kostümierten Reitern ihren
glänzenden Einzug in die vStadt. Die übhchen Begrüssungs-
ansprachen wurden zwischen den Regierungsräten Häfehn von
Aargau und Zehnder von Zürich gewechselt. Die Wettgesänge
fanden im Fraumünster statt, wo eine bekränzte Büste
H. G.NägeHs aufgestellt war; in den Verhandlungen vom 26. Juh
wurde die Errichtung eines Nägeli-Denkmals beschlossen. Die
Schlussrede hielt Dr. Zehnder.
Im März 1843 hatte der Kanton Zürich als erster Festlands-
staat nach engli.schem Muster die Brief postmarken eingeführt,
in Werten von 4 und 6 Rappen, \'on denen erstere zur Zeit mit
300 — 400 Fr. bezahlt wird.
o FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS 331
1844. — In der Gemeindeversammlung vom 18. Juli wurde
die Vorlage über die Ausscheidung des stadtbürgerlichen Gemeinde-
gutes vom Nutzungsgut angenommen. — An Stelle der heutigen
Wipkingerbrücke wurde im Oktober 1844 eine Wagenfähre
zwischen Wipkingen mid Aussersihl dem Verkehr übergeben; sie
diente bis zum Bau der Brücke 1873. — • In Enge begann der Bau
der neuen Landstrasse, und zwar mit der Abteilung vom Sternen
bis Wollishofen ; 1845 wurde die Strecke Bleicherweg-Belvoir korri-
giert und 1846 die ganze Strasse vollendet. — Bei der Kollerschen
Mühle am Obern Mühlesteg wurde 1844 bis 1846 eine Schiffahrts-
schleuse eingebaut. ^
1845. — Dienstag den 15. Juli wurden auf der Wiese beim
neuen Zeughaus die Mörder I^attmann und Sennhauser in An-
wesenheit grosser Volksmassen hingerichtet. Sträflinge hatten in
der Nacht das Blutgerüst aufgestellt. Die Scharfrichter Mengis
von Rheinfelden und Heygi \'on Genf vollzogen die Exekution.
Am gleichen Ort wurde am 2. Juh 1856 wiederrun ein Mörder-
paar, Bosshard und Reinberger, hingerichtet. Die „Freitags-
zeitung" gibt davon eine grausige Beschreibung und fragt, ob man
tücht endUch die ÖffentUchkeit dieser Hinrichtungen abschaffen
soUte, da sie nur verrohend wirken könne. Der Mörder Kündig
wurde am 26. Oktober 1859 guillotiniert.
*
1846. — Am 12. Januar imposante Pestalozzifeier im
Grossmünster zu Ehren des 100. Geburtstages von Heinrich Pesta-
lozzi, verbunden mit einer Sammlung zugunsten einer Pestalozzi-
stiftung, d. h. einer Musteranstalt im ehemahgen Stift Olsberg
im Kanton Aargau. — Vom 3. bis 31. August im Theatergebäude
und Kreuzgang des Obmannamtes erste Industrieausstellung
des Gewerbevereins, Preisverteilung am 7. September im Kasino-
saal, if.
1847. — Am 17. Mai trat der uns bestens bekannte Bank-
kassier Wilhelm Meyer-Ott in den Stadtrat und widmete
länger als ein Jahrzehnt dem Gemeinwesen seine wertvollen Dienste
als städtischer Finanzminister. Er nahm 1863 gleichzeitig mit dem
Stadtpräsidenten Hess seinen Rücktritt.
332 FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS o
1848. — Nachdem der im Jahre 1841 lebhaft ventiUerte Plan
der Errichtung eines gemeinsamen städtischen Friedhofs im Selnau
sich zerschlagen hatte, schlössen die Kirchgemeinden Gross-
münster und Predigern am 28. März 1843 einen Vertrag mit
der Regierung über die Anlage eines Friedhofs auf der Hohen
Promenade. Diesem Vertrag trat am 10. August 1843 auch die
Fraumünstergemeinde bei. Der Verein für Errichtung eines
Privatkirchhofs sicherte sich für seine Zwecke ein Terrain an
der Südostseite der Hohen Promenade und schloss mit der Fried-
hofkommission einen Vertrag (1846) über gemeinsame Benutzung
der auf dem öff entheben Kirchhof errichteten Abdankungs-
kapelle (jetzt enghsche Kirche). Die Einweihung von Friedhof
und Kapelle erfolgte am 27. August 1848, wobei vStadtpräsident
Hess die Eröffnungsrede hielt. Damit hörte die Benutzung des
Krautgartens mid des Predigerkirchhofs auf. Der letztere ging in
den Besitz des Staates und 1873 mit dem gesamten Spitalareal in
denjenigen der Stadt über, welche ihn 1875 applanierte. — Ein
prächtiges Fest war die Enthüllung des Nägeli-Denkmals auf
der Hohen Promenade am 16. Oktober 1848. Am Vorabend
wurde die Front des Kasinos ausgeschmückt und auf allen »Strassen,
die zur Stadt führten, Ehrenpforten errichtet. Die Sängervereine
zogen vereint zum Balinhof, um die eidgenössische Fahne und
die ankommenden Gäste zu empfangen und zum Kasino zu ge-
leiten. Am Festtage selbst brachten Dampfschiffe und Wagen
noch zahlreiche Sängergruppen. Im Hof des Postgebäudes sam-
melten sich 800 bis 900 Sänger. Der Festzug bewegte sich vom Frau-
münster aus nach der Hohen Promenade. Die Feier wurde in-
toniert durch NägeUs ,,Wir fiüilen uns zu jedem Tun entflammet".
Nach der Rede des Sängervereinspräsidenten Hauk fiel die Hülle,
und es erschienen zwölf weissgekleidete IMädchen, welche das
Piedestal des Denkmals bekränzten. Den Schluss machte Nägehs
„Stehe fest, o Vaterland". Abends war Bankett im Kasino und
Theatersaal.
1849. — Die Post ist mit diesem Jahr eidgenössisch ge-
worden. — Durch den Bahnhof waren die Schützen von ihrem
alten Schützen platz bei der Platzpromenade verdrängt worden,
auf dem am 22. September 1845 das letzte Schiessen stattfand.
o FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS 333
Vom Stadtrat wurde der Stadtschützengesellschaft das Sihlhölzli
als entsprechender imd „ganz sicherer" Raum abgetreten, und die
Schützengesellschaft errichtete dort ein neues Schützenhaus,
welches am 14. Mai 1849 bezogen und eingeweiht wurde. Das
alte Schützenhaus ging 1860 mit Grund und Boden an den Kon-
sumverein über.
Der badische Aufstand im Sommer 1849 brachte un-
erwartet kriegerisches Leben nach Zürich. Die Schweiz musste
ihre Grenzen sichern, und wieder genoss man in unserer %Stadt das
häufige Schauspiel des Durchmarsches von Truppen. Am Abend
des 7. Juh traf u. a. eine Kompagnie Schwyzer Scharfschützen auf
einem Dampfschiff ein — die ersten TruppeBf^aiis 'den Sonder-
bundskantonen seit 1847! Sie wurden in Enge einquartiert und
marschierten folgenden Tages nach Eghsau. Am Montag den
g. Juli langte ein Trupp von 250 Pfälzern, welche bei Basel die
Grenze überschritten hatten und vom eidgenössischen Oberst
Kunz einfach nach Zürich instradiert wurden, per Eisenbahn hier
an. Es waren meist blutjunge unansehnliche Burschen, zum Teil
in elendem Zustand. Am 11. JuH trat das Sigelsche Korps
in die Schweiz über. vSigel, mit Generalsepauletten und umgeben
von seinem Stab, an der Spitze seiner Armee, defiherte vor den
im Rafzerfeld aufgestellten Zürcher Truppen und wurde dann
entwaffnet. Mittags zwischen i und 2 Uhr kamen die ersten
Badenser in Zürich an, etwa 70 Mann Freischaren, mitten zwischen
ihnen ein Mädchen in ]Männerkleidung. General Sigel und sein
Stab kamen gegen 3 Uhr in zwei Kutschen. Die Hauptmasse der
entwaffneten Armee wurde erst am Donnerstag erwartet, und es
ging ihr die halbe Stadt nach Unterstrass entgegen, um dieses
nie gesehene Schauspiel zu gemessen. In den folgenden Tagen
kamen immer noch mehr Flüchthnge nach Zürich, die zum grossen
Teil auf das Uand verteilt werden mussten. Am 2. August er-
nannte der Bundesrat General Dufour zum Kommandanten der
Rheinarmee, Oberst Ziegler zu seinem Generalstabschef. Am
Sonntag den 5. August war auf der WoUishofer Ahmend grosse
Revue über die in imd um Zürich stehenden Truppen. Am
15. August traf General Dufour in Zürich ein und hielt fol-
genden Tages auf dem Exerzierplatz am Schanzengraben eine
Inspektion über Schwyzer und Luzerner Truppen, gegen welche
334 FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS o
er vor zwei Jahren im Felde gelegen. Mit der im Naclibarlande
eingekehrten Ruhe konnten auch die eidgenössischen Truppen
nach und nach wieder entlassen werden.
*
1851. ■ — Grossartig war die fünfhundert] ährige Jubel-
feier von Zürichs Aufnahme in den Bund der IV Wald-
stätte am I. Mai 1351. Das Fest wurde auf zwei Tage verteilt:
Donnerstag den i. und Sonntag den 4. Mai. Eingeladen waren
dazu selbstverständUch in erster Linie die getreuen lieben Eid-
genossen der IV Waldstätte: Uri, »Schwyz, Unterwaiden und
lyUzern. Leider konnten sich die drei Urkantone nicht entschhessen,
der Einladung Folge zu leisten; noch brannten die Wunden des
Sonderbundskrieges, und es ist begreifhch, wenn z. B. Uri schreibt,
dass es die Stimmung, welche diese FestHchkeit voraussetze, nicht
mitbringen könnte und anderseits das Volk von Uri durch die
Teilnahme seiner Regierung unangenehm berührt werden dürfte.
Das nun wieder radikal regierte Luzern war vertreten durch Staats-
rat Pfyffer. Wiederum stand die für 3000 Personen berechnete Fest-
hütte auf dem Exerzierplatz beim Botanischen Garten ; die Haupt-
fassade gegen die Talgasse wurde mit den Wappenschilden der
22 Kantone und zwei Gemälden geschmückt, von denen das eine
den Bundesschwur vom i. Mai 1351, das andere die Heimkehr der
Zürcher aus der Schlacht von Tätwil bei Baden, 26. Dezemberi35i,
darstellte (die Bilder befinden sich jetzt im Stadthaus). Das Ge-
läute der Glocken im ganzen Kanton eröffnete um 6 Uhr morgens,
am I. Mai, die Bundesfeier, und in Zürich donnerten dazu die Ka-
nonen. Auf der Münsterterrasse wurden von einer Blechmusik
Choräle gespielt. Um 9 Uhr setzte sich vom Rathaus weg der
Festzug in Bewegung; er zählte mehrere Musikkorps, eine Menge
Fahnen, lange Reihen von Abordnungen eidgenössischer, kanto-
naler und städtischer Behörden, Offiziere, Professoren usw. (zwei
deutsche Professoren hatten sich entschuldigt, weil sie ein Ereigms
nicht mitfeiern könnten, bei dem sich ein wertvoller Teil des
deutschen Reiches losgerissen habe). Die Strassen waren prächtig
dekoriert. Auf dem Schützenplatz beim Bahnhof war eine Tribüne
errichtet. Die Festreden hielten dort, nachdem der erhebende
Eröffnungsgesang verklungen war, Regierungspräsident Dr. Zehn-
der, Bundesrat Dr. Jonas Furrer und Staatsrat Kasimir Pfyffer.
o FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS 335
Beim Bankett in der Festhütte eröffnete Dr. Alfred Escher die
Reihe der Toaste. Der kostümierte Festzug am Nachmittag
wurde leider durch den Regen stark beeinträchtigt, Feuerwerk
und Uferbeleuchtung am Abend mussten verschoben werden. Um
den Glanz des Festes zu erhöhen, hatte der zürcherische Kantonal-
Schützenverein auf die Tage der Bimdesfeier ein Ehr- und Frei-
schiessen veranstaltet, welches am Samstag den 3. Mai seinen
Anfang nahm. Zu diesem Schiessen kamen nun auch etwa 100
Schützen aus den Urkantonen, die in Zürich mit Jubel begrüsst
und gehörig fetiert wurden. Sie hatten ihr Absteigequartier in der
,, Krone" (,,Zürcherhof") und wurden mit Musik ins Sihlhölzli
begleitet. Durch alle herzlichen Begrüssungsreden klang der eine
Grundgedanke: ,,Wir müssen zusammenhalten, gleich uusern
Alten. Wir können ims wohl zu Zeiten hassen, aber rüe tmd nimmer
voneinander lassen, und wenn wir auch fortschreiten mit der
Welt, so bleibt doch, was uns aufrecht erhält, das weisse Kreuz
im roten Grunde, die alte Treu im neuen Bunde". Es war zur
Vermeidung unangenehmer Störungen bestimmt worden, dass
beim Älittagessen keine politischen Toaste gehalten werden sollen,
aber der erste, der das Verbot übertrat, war Herr Stadtpräsident
Hess, welcher unter grosser Heiterkeit sein Hoch dem alten und
dem neuen Bunde brachte. Der Obmann der StadtschützengeseU-
schaft, Martin Escher-Hess, wixte am Nachmittag den
Schützen einen Extrazug nach Baden, wo sie im Schlossberg von
ihm mit grosser Liberahtät regahert wurden. Die Verabschiedimg
der Schützen am 11. Mai durch den berühmten Festordner Heinrich
Gramer war so herzHch, dass man sich innig umarmte imd ge-
rührt voneinander schied. Der zweite Tag der Bundesfeier,
Sonntag den 4. Mai, war durch Festgottesdienst und Jugendfeste
bedacht worden. Ihre besondere Feier hatte an diesem Tage die
Kantonsschule, die nach der kirchHchen Feier eine Dampferfahrt
nach Horgen machte. Abends erwartete sie ein Festmahl in der
Festhütte; dann zogen die Schüler mit Fackeln und Lampions an
den See, um die nun erfolgende Illumination der Seeufer anzu-
sehen. Den Schluss bildete der Zug zum bengaUsch beleuchteten
Kantonsschulgebäude. Das BriUantfeuerwerk G. Schweizers konnte
erst am 6. Mai abgebrannt werden.
*
336 FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS o
1852. — Das „Tagblatt" vom 24. April brachte folgende
Theateranzeige: Sonntag den 25. April 1852. Mit aufgehobe-
nem Abonnement. Unter persönHcher Leitung des Komponisten
Herrn Kapellmeisters Richard Wagner. Mit verstärktem Or-
chester- und Chorpersonale. Zum ersten Mal: „Der fliegende
Holländer". — Richard Wagner lebte schon seit 1849 "i Zürich.
Er war als schriftenloser FlüchtUng hergekommen, nachdem er
bei der Revolution in Dresden auf einem der Kirchtürme Sturm
geläutet hatte. Die Staatsschreiber Jakob Sulzer und Franz
Hagenbuch leisteten Kaution für ihn. Am 18., 20. und 22. Mai
1853 fanden im Theater Musikaufführungen Richard Wagners
statt. Die musikalischen Vereine der Stadt brachten ihm am
13. JuU 1853 ein Ständchen mit grossem Fackelzug. Richard
Wagner erklärte in seiner Dankrede, dass er die ihm angetane Ehre
erst verdienen wolle und fortfahren werde, Zürich zum Zentrum
seines Wirkens zu machen. Um dieselbe Zeit hatte der rhein-
ländische Grosskaufmann Otto Wesendonk in Zürich die
Liegenschaften auf dem ,,Wyssenbülar' in Enge zusammengekauft,
um sie zu einem prächtigen Park umzugestalten und eine neue
Villa hineinzustellen (die jetzige Villa Rieter-Bodmer). In diesen
Park kamen auch eine Anzahl Bäume aus dem Tiefen hofgarten
am Paradeplatz, den ein Konsortium angekauft hatte, um darauf
die jetzt dort stehenden Häuser (Konditorei »Sprüngli usw.) zu
erstellen (1855/56). Otto Wesendonk und seine Frau waren gute
Freunde Richard Wagners. Wesendonk hatte Wagner bei einer
Einladung im Hause Marschall von Biebersteins kennen gelernt,
der später eine Zeitlang die ,, Übersicht der Tagesnachrichten" im
,, Tagblatt" schrieb. Von 1857 bis 1859 bewohnte Richard Wagner
ein ihm gastfrei angebotenes Haus, das zur Liegenschaft Wesen-
donk gehörte.
Das Jahr 1852 brachte Zürich den Anschluss an das inter-
nationale Telegraphennetz. Zwar führten die zürcherischen
Zeitungen schon seit 1827 eine besondere Rubrik ,, Telegraphische
Nachrichten", aber das waren keine Originaldepeschen, sondern
nur ein Abdruck aus fremden Zeitungen. Am 15. Juli 1852 klopfte
zum erstenmal der Apparat im Telegraphenbureau Zürich. St. Gal-
len fragte an und erhielt Antwort; das telegraplüsche Gespräch
dauerte 30 Sekunden. Am Sechseläuten 1853 machte sich ein
i.iv
o FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEt: STADTPRÄSIDENT HESS 337
zürcherisches jMitgHed der Bundesversammlung den Spass, seinen
Zimftgenossen einen telegrapliischen Toast aus Bern zu übermitteki.
UnsterbUch ist das Dienstmädchen, welches die Depesche, die es
seiner Herrschaft abzugeben hatte, um und um drehte und ver-
wundert sagte, es könne ,,das L,och" gar nicht finden (jenes Loch
nämhch, an dem die Depesche dem Draht entlang hef).
1853. — Es war ein hoher Freudentag für die weibhche
Schuljugend Zürichs, die bisher im ,,Napf" und zum Teil auch im
Fraumünsteramt in engen Verhältnissen hausen musste, als sie
am 7. April 1853 das für damaUge Begriffe imposante Schulhaus
beim Grossmünster beziehen konnte, welchem das alte un-
ansehnliche ,, Chorher renstift" hatte Platz machen müssen. Die
Feier wurde eingeleitet durch einen kirchHchen Akt im Gross-
münster, worauf die Jugend mit Jubel und Freude von den hellen,
schönen Räumen Besitz nahm. Nachmittags wurde sie im Ka-
sino bewirtet und unterhalten, abends bankettierten daselbst die
Erwachsenen. Um das Zustandekommen dieses Schulhauses hatte
sich ganz besonders alt Bürgermeister J.J.Hess verdient gemacht,
dem dafür vom Stadtrat die goldene Verdienstmedaille zuge-
sprochen worden war. Die gleiche Auszeichnung erhielt Oberst-
leutnant Usteri-Wegmann. — In diesem Jahr erhielt das Frau-
münster seine Orgel. — Im Strickhof wurde die kantonale
landwirtschaftUche Schule eröffnet. — An den Strassenecken
wurden auf hübschen blau emailherten Täf eichen die Strasse n-
namen angebracht. — • Der Begräbnisverein beschloss am
27. September 1853 die Einführung der Leichenwagen; das
,, Klopfen" dagegen (die Sitte der Leidabnahme mit Handbieten)
sollte beibehalten werden. — Die Einführung der Droschken
wurde erst 1855 grundsätzUch beschlossen, und nicht früher
als am 15. Juni 1856 wurden die ersten Droschken auf den
verschiedenen Plätzen Zürichs aufgestellt. — Viel früher hatten
die Abfuhrwagen in Zürich Eingang gefunden: am 30. April
1836 erklang zum erstenmal ihr anmutiges Geläute in den Strassen.
— Nicht ohne Besorgnis sahen manche Leute im Mai 1863 die
Dienstmänner kommen, weil man glaubte, ihre Löhne könnten
den Neid der häusHchen Dienstboten erregen.
338 FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS o
1855. — Am Sechseläuten beleuchtete der Physiker Ro-
bert von der Galerie des Grossmünsterturms aus die Stadt durch
elektrisches Licht (Scheinwerfer); „an den beiden Quais war
es fast so hell wie beim hellsten Vollmondhcht". — Am 14. Sep-
tember versammelte sich zum erstenmal die Zürcher Kaufmann-
schaft zu einer Börse im Theaterfoyer (später im Baugarten,
jeden Freitag). — Ein schlimmer Gast stellte im September sich
ein: die asiatische Cholera; es starben etwa 90 Personen. —
Die Gemeinde Unterstrass errichtete im Riedth einen neuen
Friedhof und hob den alten Friedhof zu vSt. Leonhard auf. —
In den Jahren 1855 bis 1858 wurde der im Dezember 1854 be-
schlossene Limmatquai (von der Rosengasse bis zur Neumühle)
ausgeführt; leider wurde er von Anfang an zu schmal angelegt;
es bHeb auch bis auf weiteres die enge Metzgpassage und der weite
Umweg nach dem Bahnhof. — Bei Escher Wyss & Cie. brannten
schon seit 1840 Gaslaternen. Viel später kam die Stadt zur
öffentlichen Gasbeleuchtung. Am 30. Juni 1855 schloss der
vStadtrat mit Herrn Riedinger aus Bayreuth einen („für die Stadt
und die Konsumenten in der Folge als sehr vorteilhaft anerkann-
ten") Vertrag für die Einrichtung und Betreibung der Gas-
beleuchtung der vStadt mit Holzgas ab. Durch Gemeindebeschluss
wurde ihm ein Teil der Bürgergärteu lünter dem Bahnhof als
Bauplatz abgetreten. Im November 1856 konstituierte sich die
Gasaktiengesellschaft, welche das ganze Geschäft um 800,000 Fr.
übernahm. Am 18. Dezember gleichen Jahres fand die feierUche
Eröffnung der Gasbeleuchtung statt. Das Pubhkum gewöhnte
sich schnell an die neue Beleuchtungsart. Der Fall der Wöchnerin
im Spital, welche nach alter Gewohnheit das Licht ausbhes, ohne
den Hahnen abzudrehen, und dann erstickte, bheb vereinzelt.
1866 beschloss die Gemeinde die Verlegung der Gasfabrik in die
Markstallermatte im jetzigen Industriequartier und die Einführung
der Steinkohlengasbeleuchtung. Die neue Fabrik konnte am
2. Oktober 1867 eröffnet werden.
1856. — Zwei Tage (25. und 26. Juni) wurden der Eröffnung
des Tunnels von Örlikon und damit der vollendeten Eisen-
bahnstrecke Zürich-Romanshorn gewidmet. Das ,, Tagblatt"
o FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS 339
berichtet vom ersten Tag: „Der \'ormittag war der Probefahrt
günstig. Ein gewaltiger Wagenzug fasste kaum die überschwäng-
hche Zahl der Festfahrer. Der Bahnhof war hochfestHch ge-
schmückt; aber die grünen Geschlinge, die weiss-roten und weiss-
blauen Gewinde zogen sich bis hinaus zum neuen Damm, wo den
Lokomotiven dieser Bahn eine feine Residenz erbaut ist. In brau-
sender Schnelle bugsierte das Dampfrossgespann die lange Wagen-
reihe über Damm und Limmatbrücke in den Tunnel. Dort brachte
ein eigenes Gefühl Stille in die Menschenkasten, als dieselben durch
den dunklen Schlund gerissen wurden. Die Minute dehnte sich
lang aus, die verging, bis das Post tenebras lux zur Wahrheit
wurde und der erste Bhck des Himmels durch die Wagenfenster
fiel. Im Fluge war Winterthur erreicht." Die Rückfahrt von
Romanshorn-Frauenfeld erfolgte gegen Abend, dann Festzug durch
die Stadt, Bankett im Kasino und Mihtärmusik auf dem Kasino-
platz. Donnerstag nachmittag den 26. Juni kostümierter Um-
zug zu Ehren der Tunneleröffnung, Abendessen auf dem Linden-
hof, Illumination und Feuerwerk. Ganz programmwidrig dröhnte
in das Nachtessen auf dem Lindenhof das unheimüche Feuer-
horn; es brannte das kleine, noch neue Hotel ,,Limmathof"
(Haus zum ,, gewundeneu vSchwert", am Limmatquai unterhalb der
Stüssihof statt) . \'oni Essen weg rannten die Kostümierten wie sie
waren zum Löschen. Photograph und Architekt Keller drang als
erster in eine Kammer ein, wo Grossmutter, Mutter und Kind
erstickt waren. ,,Ein hingebender Rettungseifer belebte die
von allen vSeiten herbeigeströmte Löschmannschaft. Man sah
kräftige Gestalten auf rauchendem Dache das Wendrohr regieren
und mit blanker Waffe gegen den feurigen Feind ankämpfen;
man sah auch mutige Flöchner, ihre fhegenden Leitern in die
Fensterbänke einhakend, eichhornfünk in die oberen Stockwerke
klettern und durch den Rettungsschlauch angstvolle Gäste retten,
denen der Qualm die Flucht über die Treppe verwehrte." In seinem
Gedicht ,,Ein Festzug in Zürich" schildert Gottfried Keller
das abenteuerHche Schauspiel:
Nie sah man solchen Mummenschanz sich tummehi in des Feuers Glanz
Mit raschem Tun imd Schaffen. Hier schleppen dunkle Pfaffen
Langbeinig Bett und Kasten fort, und starke Nonnen tragen dort
Mit rauhem Ruf die Leiter her und richten sie, die schwank imd schwer.
Mühsam empor; mit langem Schlauch
340 FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS o
Eiu perlbesäeter Hiudumann, der Maharadja, klimmt hinan
Und schwindet hoch in Qualm und Rauch.
Am Ufer schöpft australisch Volk vereint mit dem Kosakenpolk;
Die bräunliche Zigeunerin fährt mit dem Windlicht her und hin,
Sie schlägt dem dicken Mönch aufs Ohr, der sie zu müss'gem Scherz erkor.
Und schickt ihn zu den Spritzen. Tscherkessenhelme blitzen.
Und mit den kahlen Köpfen und rückenlaugen Zöpfen
Tun dort Chinesen enggeschart des Pumpwerks Arbeit heiss und hart.
So schiesst von allen Seiten bald das Wasser in den Flammenwald
Und stirbt in seiner wilden Glut das klare Labsal hold und gut.
Doch seht, auf höchstem Giebel ragt ein Wendrohrführer unverzagt:
Der Irokes' mit roter Haut, den graushch mau von unten schaut.
Der Bäcker ist's von Unterstrass, ein lustger Mann voll Schwank und Spass.
Jetzt mit dem Element im Kampf, verbirgt ihn bald der krause Dampf,
Bald steht er schwarz im hellen Schein auf kräftig ausgespreiztem Bein;
Umstoben von der Fimkenglut lenkt er des Wassers Silberflut
Und schleudert mächtig Strahl auf Strahl in den empörten Flammensaal.
Sein indianischer Kriegerschmuck erzittert vom gewaltgen Druck,
Der Geierfittig schräg im Schopf raucht halb versengt auf seinem Kopf.
Das ist ihm nun die wahre Lust. Ein Jauchzer steigt aus seiner Brust
Hoch über allen Lärm und Drang
Arg verregnet wurde das grossartige Kadettenfest in Zürich
anfangs September 1856, zu dem Gottfried Keller ebenfalls zwei
Gedichte gestiftet hatte. Die Memorabilia Tigurina verzeichnen
mit Rührung die Tatsache, dass auf der Eisenbahnfahrt von Winter-
thur zurück Oberst Ziegler sich zu den armen Jungen in die offenen
Wagen begab, um ihren Mut aufrecht zu halten und ihnen zu zeigen,
wie man sich einigermassen schützen könne. — Der Stadtrat ge-
nehmigte am 17. Dezember 1856 das Rücktrittsgesuch des Stadt-
schreibers Heinrich Gysi-Schinz und verHeh ihm die goldene
Verdienstmedaille. Gysi war der dritte Stadtschreiber seit
dem Bestehen der Stadtverwaltung; er amtete von 1839 bis 1856;
ihm waren vorangegangen Hans Heinrich Hofmeister 1803 bis 1830
und Johannes Nüscheler 1830 bis 1839. ^'^^ seinem Stadtschreiber-
amt war Gysi Stadtrat und Polizeipräsident gewesen. Zum Stadt-
schreiber wählte der Stadtrat nunmehr Dr. Eugen Escher, Sohn
von alt Regierungsrat und Professor Heinrich Escher. Mit Dr. Eu-
gen Escher, dem spätem Nordostbahndirektor, erhielt die Stadtver-
waltung eine ungewöhnlich tüchtige Kraft. Sein Substitut wurde
1862 Dr. Conrad Escher. — Aus den Werkstätten von Escher
Wyss & Cie. gingen in diesem Jahr die ersten Lokomotiven her-
■^
t
s
o FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS 341
vor. — Im Zuchthaus begann 1856, resp. 1859, eine grosse Um-
bauperiode, welche erst 1S78 ihren Abschluss fand.
1857. — Abermals Kriegslärm! Die Neuenburgerfrage
verwandelt die Schweiz in ein Kriegslager. In der Begeisterung
sind die Zürcher Studenten wieder die ersten, bilden ein Freikorps,
lassen sich in der Kaserne uniformieren und in Kapute stecken.
Überall werden Liebesgabensammlungen veranstaltet. Am 13. Ja-
nuar ist General Dufour in Zürich und wird mit einem Fackel-
zug und einer Serenade begrüsst. Wieder wimmelt die Stadt von
eidgenössischem ÄliUtär; viele der Schwyzer gehen ins Theater
und begeistern sich am , .Wilhelm Teil". Offiziere, die sich im
Sonderbundskrieg gegenüber gestanden, fraternisieren. Auch in
Eglisau wird Dufour ,,nüt 22 Kanonen- und vielen Champagner-
schüssen empfangen". Oberst Ziegler findet am Sonntag zwei
Feldprediger im Wirtshaus zechend, während ihr Bataillon in der
Dorf kirche sitzt ; er bnmimt den beiden geistUchen Herren zweimal
24 Stunden Arrest auf . All derKriegslärm war , ,pour le roi de Prusse" ,
glückhcherweise umsonst, da Friedrich Wilhelm IV. nachgibt und
auf Neuenburg verzichtet. — Über Ostern grosse Eierbörse auf
der Rathausbrücke; 20,000 Ostereier werden getupft. — Im
Jurü wohlgelungenes schweizerisches Offiziersfest in Zürich.
— Gegen Jahresschluss beginnt die Revision der Stadt-
verfassung (Gemeindeordnung) die Pohtiker zu beschäftigen;
die Niedergelassenen verlangen vermehrte Rechte. Die Beratimgen
ziehen sich bis ins Jahr 1859 hinein. In der Gemeindeordnung
vom 30. Mai 1859, welche die Unterschrift des Stadtpräsidenten
Hess und des Stadtschreibers Dr. Eugen Escher trägt, wird u. a.
bestimmt: Die Gemeindeversammlung besteht aus den in das
Bürgerbuch eingetragenen, die Stimmfähigkeit besitzenden Stadt-
bürgem. Femer nehmen die niedergelassenen Schweizerbürger
teil an den Beratungen über solche Gegenstände, an welche sie
durch Steuern beizutragen haben." — Am 15. März 1857 ist
die herrhche Tiefenhoflinde unter den Axthieben der Bau-
spekulanten gefallen; dasselbe Konsortium hatte 1856 auch die
neuen Münsterhäuser erstellt.
342 FÜNPUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS o
1858. — Die Hochschule Zürich feierte am 29. April ihr
25jähriges Jubiläum und zugleich das 50jährige Dozenten-
jubiläum des ehrwürdigen Historikers Johann Jakob Hot-
tinger. Die Stadt hatte sich in Flaggenschmuck geworfen; be-
sonders das Kasino war fein herausstaffiert. Die Feier fand im
Grossmünster statt; die Fe.strede hielt Professor Hitzig, die Rede
zu Ehren Hottingers Georg von Wj'ss. Um 2 Uhr war Fest-
bankett im Kasino, abends Fackelzug zu Ehren Hottingers und
Freikommers in Unterstrass. — Die Kantonsschule hatte ihr
Jubiläum acht Tage vorher in aller vStille gefeiert.
Zum eidgenössischen Sängerfest (18. und 19. Juü 1858)
war schon frühzeitig eine Festmusik in Stuttgart bestellt worden.
Die Baugartengesellschaft stellte den Sängern zu gemütlichen
Anlässen ihr prächtiges Lokal zur Verfügung. Die Sängerhalle
wurde auf dem Exerzierplatz, mit Front gegen die Kaserne, er-
richtet. Gottfried Keller dichtete den „Festgruss", den Wil-
helm Baumgartner komponierte. Das Fest verlief aufs präch-
tigste. — In Hirslanden hat am 30. Nov. 1858 das Kranken-
asyl Neumünster seine Tore geöffnet. — Am 11. August wurde
die neue Reitbahn mit den Mihtärstallungen (zwischen Sihl und
Schanzengraben) dem Gebrauch übergeben.
1859. — Wegen des österreichisch-italienischen Krie-
ges muss sich ein Teil der Zürcher Truppen abermals in Uni-
form werfen und in Tessiii und Graubünden Grenzdienst tun. Am
16. Juni kamen 238 Österreicher unter Bewachung von 40 Urner
»Scharfschützen in Zürich an und wurden in der Kaserne einquartiert ;
sie konnten dann an den Festbauten und Scheibenanlagen für das
eidgenössische Schützenfest recht gut beschäftigt werden; ein
paar Tage darauf brachten Graubündner Jäger auch österreichische
Schiffsmannschaft von Laveno samt einer Marketenderin. (Der
Friede von Zürich wurde am 10. November 1859 auf dem
Rathaus unterzeichnet.)
Für das eidgenössische Schützenfest (3. bis 12. JuH
1859) '^3.r als Festort Riesbach auserkoren. Ein prächtiger
Platz an der vSeefeldstraße, angrenzend an das Bodmergut und
die Fröbelschen Baumgärten, stand dort zur Verfügung. Die Fest-
o FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS 343
hütte, deren obere Giebelseite gegen die Seefeldstrasse, die Längs-
front gegen den Festplatz sich wendete, war nachts von 242 Gas-
flammen erleuchtet. Die langen Scheibenhäuser standen ganz
nahe am See und ausserhalb dem Hornbach. Zur Verhütung von
Unglücksfällen waren starke Blendungen aus Ladenwänden,
Steinplatten imd Scheiterbeigen (1651 Klafter Holz) errichtet.
Die Straßen waren prachtvoll dekoriert; über dem Eingang in
die Seefeldstrasse (gegen die Stadt) stand auf einem Triumph-
portal eine riesige Statue Willielm Teils (die später nach Altdorf
kam und dort verfiel). Zur Unterhaltung diente ein ganzer Jahr-
markt von Buden und Kramladen, der sich vom Festplatz zu
beiden Seiten der Seefeldstrasse bis weit ins Land liinaus erstreckte.
Dichterische Gaben spendeten Georg Herwegh und Gottfried Keller.
Die eidgenössische Schützenfahne kam am 2. Juü von Bern
imd wurde am 3. JuH nach dem Festzug von Regierungspräsident
Dr. Dubs entgegengenommen. Zu Ehren der Schützen von
Bremen fand am 5. Juh eine Lustfahrt auf dem See statt. Die
Schützen der vier Waldstätte trafen am 6. Juli in gemeinsamem
Zuge ein ; beim Anbhck der Teilstatue an der Seefeldstrasse brachen
sie in ein Freudengeschrei aus. Am Sonntag Feldgottesdienst
von Pfarrer Hiestand. Montags nahm am Festmahl in der Hütte
auch die aus ihrem Land vertriebene Herzogin von Parma mit
ihren beiden Knaben und zahlreichem Gefolge teil. Einer der
Knaben meinte, wenn er nur auch ein Schweizer wäre ! Die Her-
zogin stiftete einen vergoldeten Pokal. Während der beiden letzten
Tage des Schützenfestes wurde auf der benachbarten Bodmer-
schen Parkwiese auch ein eidgenössisches Turn- und
Schwingfest abgehalten. — In engem Rahmen hielt sich, am
10. November 1859, die Schillerfeier.
Im Jahr 1859 ist das Bezirksgebäude im Selnau voll-
endet worden, und es wuchs um dasselbe nach und nach das neue
Selnauquartier (erweiterte Brandschenkestrasse, Gerechtig-
keitsgasse etc. bis 1861, die an der Stelle des abgetragenen Reb-
hügels Sihlbühl entstanden) ; auf dem Platz des Bezirksgebäudes
stand ehemals das Kloster Seldenouwe. Bezugsfertig wurde 1859
auch das schöne Bodmerhaus am Schanzengraben bei der Sihl-
portenbrücke. — Die Bürgergemeinde beschloss am 5. Sep-
tember den Bau eines neuen Kornhauses beim Bahnhof (zwi-
344 FÜNPUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS o
sehen diesem und der Gasanstalt, zunächst der Sihl, eröffnet
1860) und die Einführung eines städtischen Baukollegiums,
das — zum grössten Teil vom Grossen Stadtrat gewählt — dem
Stadtrat in Baufragen zur Seite stehen sollte. Dieses Baukollegium
erwies sich als eine höchst wertvolle und zeitgemässe Institution.
Auf seinen Vorschlag wurde 1860 beschlossen, neben der Stelle
des vStadtbaumeisters auch noch diejenige eines vStadtingenieurs
zu schaffen. An diese wichtige Stelle wurde im Dezember 1860
Arnold Bürkli gewählt, dessen Name mit der baulichen Ent-
wicklung der Stadt in den nächsten drei Dezennien aufs engste
verknüpft ist. Als dringendste Bauaufgabe der Stadt für
die nächste Zeit bezeichnete das Baukollegium: i. die Erstellung
der Bahnhof brücke, 2. die Erweiterung der sogenannten Metzg-
passage und Verlegung des Schlachthauses, 3. Bau der Fröschen-
grabenstrasse (Bahnhof Strasse), 4. Anlage neuer »Stadtquar-
tiere. Wie diese verschiedenen Aufgaben angefasst und durch-
geführt wurden, erzählt in seinem hübschen Büchlein ,,Die grosse
Bauperiode der Stadt Zürich in den sechziger Jahren" Dr. Con-
rad Escher, welcher eine Zeitlang Sekretär des Baukollegiums
gewesen war und heute noch in bewunderungswürdiger Geistes-
frische unter uns weilt. Nicht zuletzt durch seine Mitarbeit wurde
die ,, Zürcher Wochenchronik", in der er seine Studien und Er-
innerungen gewöhnlich zuerst veröffentHcht, zu einer so reichlich
fUessenden Quelle der Zürcher L,okalgeschichte.
1860. — Einweihung der Grossmünster-Kapelle auf dem
ehemahgen Chorherrenplatz am 15. November 1860. — Es wird
die Frage einer Vereinigung von Aussersihl mit der Stadt
Zürich aufgeworfen und in einigen Blättern besprochen. Eine
Siebnerkommission mit Dr. med. Hauser an der Spitze erhält
von einer öffentlichen Versammlung in Aussersihl den Auf-
trag (Dezember 1860), mit der Stadt Zürich in Unterhandlung zu
treten. Als äusserste westliche Grenze des eventuell von der
Stadt zu annektierenden Gebietes wird die Rotwandstrasse be-
trachtet.
*
o FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS 345
1861. — Freitag den 10. Mai, am Tage nach der Auffahrt,
ist Glarus abgebrannt. Von Zürich ging eine Abordnung des
Regierungsrates und eine Abteilung der Feuerwehr an die Un-
glücksstätte. — Statt des ehemaligen Fussweges über den Hot-
tingerboden vom Wolfbach bis zum Klosbach wurde die Freie
Strasse angelegt. — Am 7. Juh versank unter der Last von vier-
zig Personen, von denen drei ertranken, das Fahrscliiff beim
Drahtschmiedli.
1862. — Auf den i. Juh wird das Zehnrappenporto
eingeführt. — Im Zusammenhang mit den grossen bauhchen Ver-
änderungen in der Gegend des Bahnhofes steht die Ablenkung
des Schanzengrabens: er wird in der Nähe der neuen MiHtär-
staUungen direkt in die Sihl gefülirt und nahe seiner Mün-
dung ein provisorischer Steg erstellt, welcher 1866 einer steiner-
nen Brücke (Usteribrücke) weicht. Die MiUionenprojekte für den
Ausbau der Stadtquartiere rufen vielen Bedenken; die ,, Freitags-
zeitung" bemerkt (27. Juh 1862): ,, Nochmals sei es gesagt: Opfer
für die Grösse Zürichs so viel man will, nur nicht grössere als die
Ausgemeinden sie für ihre Grösse bringen; denn jeder Rappen,
den wir mehr als diese steuern, fällt mcht auf Stadtboden, son-
dern hundertfältige Früchte bringend auf Ausgemeindeboden,
und die Aussaat, die dort kräftige Wurzeln treiben wird, sie wird
zuletzt dem Stadtboden jede Nahrung entziehen. Vereinige
man die alte Stadt mit den Ausgemeinden und bringe dann die
neue Stadt Zürich die grössten Opfer für ein neues, schöneres
Zürich."
An der Seestrasse (jetzt Theaterstrasse), ausserhalb des Korn-
hauses, lag der grosse Viehmarkt. Von demselben wurde der
grössere Teil (gegen die Stadt hin) 1862 zu Bauplätzen verkauft
(es steht dort jetzt das Stadelhof erquartier) ; den kleineren Teil
wandelte man in die Stadelhofer-Anlagen um, in welchen 1870
eine Fontaine aufgerichtet wurde.
Um die ,,Metzgpassage" bei der Hauptwache auf die erfor-
derUche Breite zu bringen, bheb nichts übrig, als den ganzen
Häuserblock auf der Nordseite der untern Marktgasse nieder-
zureissen, was im Lauf des Jahres 1862 geschah. Ferner beschloss
346 FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS o
die Gemeinde, das alte Schlachthaus hinter der Hauptwache
abzutragen und an ihrer Stelle eine neue schöne Fleisch ver-
kaufshalle zu errichten (da die dem alten Schlachthaus gegen-
über gelegene Fleischverkaufshalle nun mit dem ehemaligen Ehe-
gerichtshaus niedergerissen war). Ein neues Schlachthaus
sollte in der Walche (rechtes Limmatufer gegenüber der Platz-
promenade) erbaut werden. Fleischverkaufshalle und Schlacht-
haus wurden 1864 in Angriff genommen und 1866 vollendet.
1863. — Eine grosse Erleichterung für die bauhche Ent-
wicklung Zürichs schuf das vom Grossen Rat am 30. Juni 1863
erlassene städtische Baugesetz, für welches der Stadtrat
auf Veranlassung des Baukollegiums schon 1861 petitioniert hatte.
— Dr. Conrad Esc her trat als Nachfolger von Stadtpräsident
Hess in den Stadtrat ein (Stadtpräsident wurde Mousson). —
Ein mächtiges Zentralschulhaus wurde im Juni 1863 an der
Langstrasse in Aussersihl eingeweiht.
Für die projektierte Bahnhofstrasse gab der Fröschen-
graben in der Hauptsache die Richtung, den man nun als Wasser-
lauf eingehen zu lassen und zuzudecken beschloss. Schwierigkeiten
bereitete der oberste und unterste Teil der Bahnhofstrasse. Der
obere Teil traf auf den Baugartenhügel, dessen Beseitigung auf
starken Widerstand stiess. Da die Lösung dieser Frage nicht
dringHch war, solange das Kratzquartier nicht in Angriff ge-
nommen wurde, Hess man sie einstweilen offen. Dem untern
Teil der künftigen Bahnhofstrasse, vom Rennwegtor abwärts,
und der damit verbundenen Anlage des Bahnhofquartiers,
stand u. a. das neue Zeughaus beim Bahnhof im Wege. Da
der Staat ohnehin beabsichtigte, die verschiedenen Miütäranstalten
an einem Ort zu vereinigen, und zwar in Aussersihl gegenüber
den neuen Militärstallungeu, wurde das für diese Bauten, sowie
für einen Exerzierplatz erforderliche Eand von der Stadt ange-
kauft und dem vStaat zur Benutzung angeboten. Im übrigen
kam im Juni 1863 zwischen .Staat und Stadt ein Vertrag zu-
stande, in welchem die gegenseitigen Abtretungen und Verpflich-
tungen genau geregelt wurden. Die Stadtgemeinde genehmigte
den Vertrag nebst der Strassenbaute und Quartieranlage am
o FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS 347
29. Februar 1864. Es spielten bei den Verhandlungen im Grossen
Rat über diesen Vertrag auch politische Momente mit, da Winter-
thur ernstliche Anstrengungen machte, die Kaserne für sich zu
erhalten.
Der Seiler- und Hirschengraben mussten erhebUch
tiefer gelegt und ihre Gefällsverhältnisse ausgeghchen werden,
wenn sie als Zufahrten zur neuen Bahnhofbrücke dienen
sollten; auch waren die untersten Häuser am Hirschengraben
abzutragen. Der Bau der Bahnhof brücke und die an diesen
sich anschUessenden Arbeiten wurden am 10. Juni 1861 von der
Gemeinde beschlossen und die Ausführung dem frühern Ober-
ingenieur L. Pestalozzi übertragen. ]Mit den Bauarbeiten wurde
im September 1861 begonnen und dieselben so weit durchgeführt,
dass die Bahnhofbrücke Ende 1863 dem Verkehr übergeben
werden konnte.
*
Damit sind wir an der Schwelle des neuen Zürich an-
gelangt. Für die jetzt in der Lebensreife stehende Generation
ist es tatsächlich ein neues Zürich, das mit den grossen baulichen
Veränderungen um die Mitte der 60er Jahre erstand. Aber mit
jeder jungen Generation rückt auch die Grenze zwischen der
,, alten" und der ,, neuen Zeit" weiter vor. Fortwährend geht
ein ,, altes Zürich" unter, mid immer schöner sehen wir es wieder
auferstehen. Auf dem Wege, den wir zurückgelegt durch die erste
Hälfte imserer , .hundert Jahre", ist uns mehr denn einmal der
Wechsel von Altem und Neuem vor Augen getreten, bald schroff
und unvermittelt, bald wieder in längern Übergängen, und wir
wurden uns dabei auch bewusst, dass Zürich nicht nur ein ver-
gnügliches Stilleben für sich führt, dass es vielmehr im engsten
Zusammenhang und in unausgesetzter Wechselwirkung steht mit
dem Leben des Kantons, der Eidgenossenschaft, ja der gesamten
Kulturwelt. Wären doch manche von jenen Übergängen und
politischen Umwälzungen in der Stadt Zürich gar nicht zu ver-
stehen ohne den Hintergrimd des kantonalen, eidgenössischen oder
weltgeschichthchen Geschehens, auf dem sie sich ab.spielten. Nur
selten zwar hörte und verspürte man den Schritt der Weltge-
schichte so unmittelbar wie 1799, als sie ihren Weg sozusagen
348 FÜNFUNDZWANZIGSTES KAPITEL: STADTPRÄSIDENT HESS o
direkt über Zürich nahm, und nicht jeder Generation ist es
vergönnt, der Weltliteratur Männer wie Gottfried Keller und
K. F. Meyer zu schenken, aber immerdar besteht der innige
Zusammenhang mit der Weltkultur und Weltgeschichte, und auch
Zürich ist ein Nagel, ein Eflock am Webstuhl der Zeit, an dem
ein Teil der Fäden des Gewebes hängt. Nur umso lieber ist Zürich
seinen Zürchern, nur umso wärmer wird es von ihnen gehegt
und gepflegt, und es ist einer seiner Grossen, die der Welt und
nicht nur Zürich angehören und teuer sind, Konrad Ferdinand
Meyer, der die Verse schrieb:
Als ein Kind bin ich mit frischen Wangen
Durch die Tore Zürichs noch gegangen,
Sie zerbrach den Bann und wuchs und baute,
Sich verjüngend, während ich ergraute.
Sie zerschlug des Walles starre Hülle
Und entrollte sich in Lebensfülle,
Und auf immer ungestümerm Flügel
Krönte sie mit Zinnen rings die Hügel.
Doch aus reicherm Rahmen und Gefüge
Sprechen immer noch die lieben Züge —
FreimdUch dämmert fort im Traum der Dichtung,
Was gesunken ist für Raum und Lichtung.
Limmat überbrückte sich aufs neue,
Aber flutet noch in tiefer Bläue,
Und mit ihren sehg reinen Stirnen
Strahlen droben dort dieselben Firnen.
Menschenstunde gleicht dem AugenbHcke,
vStädte haben längere Gesclücke,
Haben Genien, die mit ihnen leben
Und in immer weitem Kreisen schweben.
WW^ WWWT ▼▼▼▼▼▼▼▼▼▼▼▼ wwvvw w w
ilegi,.l.-l.
Q^augarien
BENUTZTE QUELLEN
W. Oechsli, Geschichte der Schweiz im 19. Jahrhundert, II. Band.
W. Oechsli, Der Durchzug der Alliierten diirch die Schweiz (Neujahrsblatt des
Waisenhauses 1907/08.
W. Oechsli, Lebzeltern und Capo d'Istria in Zürich.
W. Oechsli, Zwei Denkschriften des Restaurators Karl Ludwig v. Haller über
die Schweiz in den Jahren 1824 vmd 1825 (Aus der Festgabe für G. Meyer
V. Knouau).
K. Dändliker (und W. Wettstein), Geschichte der Stadt und des Kantons
Zürich, III. Band.
,, Monatliche Nachrichten schweizerischer Neuheiten" und „Schweize-
rische Monatschronik" i8i4ff.
„Zürcherische Freitagszeitung" 1814 — 1914.
J. J. Leuthy, Geschichte des Kantons Zürich.
Gerold Meyer v. Knonau, Der Kanton Zürich.
Memorabilia Tigtirina von Emi, Vogel und G. v. Escher.
Sal. Vögelin, Das Alte Zürich, I. und II. Band.
Ludwig Meyer v. Knonau, Lebenserinnerungen.
H. Escher, Erinnerungen seit mehr als 60 Jahren.
Fr. V. Wyss, Leben der beiden Bürgermeister David v. Wyss.
A. Kramer, Das Stadtrecht von Zürich.
Handschriftliches Protokoll der pro\nsorischen und der konstituierten Muni-
zipaHtät 1798 ff., des Gemeinderates imd Stadtrates und der Gemeinde-
kammer 1803 ff.
Donnstagsblatt von Zürich I798ff.
P. Rutsche, Der Kanton Zürich und seine Verfassung ia der Zeit der Hel-
veük.
C. Brunner, Der Kauton Zürich in der Mediationszeit.
Th. Curti, Geschichte der Schweiz im 19. Jahrhundert.
H. Sträuli, Verfassung des eidg. Standes Zürich.
V. Muralt, Hans v. Reinhard.
C. Keller-Escher, Geschichte der Familie Escher vom Glas.
Pestschrift zur Feier des 500jährigen Bestandes der Gesellschaft der Schildner
zum Schneggen.
O. Hunziker, Heinrich Pestalozzi, biographische Skizze.
H. Morf, einige Blätter aus Pestalozzis Lebens- und Leidensgeschichte.
W. Wettstein, Die Regeneration des Kantons Zürich.
A. Schneider, Dr. Ludwig Keller (,,N. Z. Z." Dez. 1899).
J. C. Bluutschli, Dr. L. F. Keller (Allg. deutsche Biographie), sowie Nachruf
auf denselben.
350 BENUTZTE QUEL-LEN o
J. C. Bluntschli, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben.
G. Meyer v. Knonau, J. C. Bluntschli (Allg. deutsche Biographie).
G. Meyer v. Knonau, Georg v. Wyss (Neujahrsblatt des Waisenhauses 1895/96).
Chronik der Kirchgemeinde Neumünster.
F. Meyer, Erinnerungen eines alten Zürchers (Neujahrsblatt des Waisenhauses
1910).
A. Bürkli, Paul Karl Eduard Ziegler.
K. Dändliker, Der Ustertag und die politische Bewegung der dreissiger Jahre
im Kanton Zürich.
G. V. Wyss, Die Hochschule Zürich, Festschrift zur 50. Jahresfeier.
L. V. Low, Zürich im Jahre 1837.
Festschrift des Schweiz. Pressvereins 1908 mit den Beiträgen von J. Jakob,
5. Markus imd M. Uebelhör zur Geschichte des zürcherischen Zeitungs-
wesens.
H. Geizer, Die Straussischen Zerwürfnisse in Zürich.
Fr. Schulthess, Aufzeichnungen über die Straussische Bewegung und den
6. September 1839 (Z. Taschenbuch 1906).
W. Meyer-Ott, Erlebnisse und Beobachtungen am 6. September 1S39 (Z. Taschen-
buch 1910).
B. Hirzel, Mein Anteil an den Ereignissen des 6. September 1839.
H. Weiss, Beitrag zur Geschichte der Revolution vom 6. September 1839.
Betrachtungen über die Revolution im Kanton Zürich in Briefen eines Zürchers
an einen Basler,
sowie weitere Broschüren, Flugblätter und Zeitungsartikel aus dem
Jahre 1839.
F. Fleiner, ein politischer Briefwechsel zwischen J. C. Bluntschli imd W. Wacker-
nagel.
,,Neue Zürcher Zeitung", einzelne Jahrgänge.
,, Züricher Kalender" von David Bürkli, i8i4ff.
W. Oechsli, Alfred Escher (Allg. deutsche Biographie).
Das Alfred Escher-Denkmal, Bericht des Zentralkomitees.
W. Oechsli, Geschichte der Gründung des eidg. Polytechnikums, Festschrift
1905, I. Band.
Fest Schrift zur Feier des 50jährigen Bestehens des eidg. Polytechnikums, II. Band,
speziell die Beiträge von S. Pestalozzi (bauliche Entwicklung der Stadt
Zürich), A. Weiss (Beleuchtung), Rob. Moser (Haupt- imd Nebenbahnen,
Dampfschiffe).
P. Weissenbach, Das Eisenbahnwesen der Schweiz, I. Band.
C. Escher, Chronik der ehemaligen Gemeinden Wiedikon imd Aussersihl.
C. Escher, Die grosse Bauperiode der Stadt Zürich in den sechziger Jahren.
„Zürcher Wochenchronik".
„Aus Zürichs Vergangenheit" (Orell Füssli & Co., Verlag), 3 Bäudchen,
speziell die Beiträge von Dr. C. Escher (Selnau und Bleicherweg, Tiefenhof-
Linde, Vüla Rieter), Olga Amberger (Damals auf und bey der untern Brugk),
J. Hardmeyer- J enny (Bilder vom Zürichsee, mittlere Bahnhofstrasse),
o BENUTZTE QUELLEN 35:
Fr. Schulthess-Meyer (ein Gang durch Stadelhofen) , Albert Voegeli (in
den Seidenhöfen).
A. Tobler, Entwicklung der Schweiz. Schwachstromtechnik (Neujahrsblatt des
Waisenhauses 1909).
Programme der Höhern Töchterschule, speziell die Beiträge von C. Weit-
brecht, S. Stadler und Th. Vetter.
U. Meister, Die Entwicklung der liberalen Partei des Kantons Zürich.
U. Meister, Die Zürcher Truppen im Sonderbimdsfeldzug 1847 (Neujahrsblatt
der FeuerwerkergeseUschaft 1896/97).
A. Heer und G. Binder, Der Sonderbund.
Th. Usteri, Die goldene Verdienstmedaille der Stadt Zürich.
P. Keller, Die zürcherischen Staatsschreiber seit 183 1.
A. Streuli, Treichler („N. Z. Z." 1906, Nr. 298ff.).
Eugen Escher, Lebenslauf in ruhigen imd bewegten Zeiten.
R. Seidel, W. Weitung (GrütUkalender 1914)-
,, Freie Jugend", Karl Bürkli-Festnummer, August 1913.
NAMEN- UND SACHREGISTER
Aarau, eidgenössisches Schützenfest: i6.
Aargau s. Klosteraufhebvmg.
Abäudenmgen der Verfassung s. Ver-
fassungsrevision.
Abfuhrwagen ^^y.
Absonderungshaus 327.
Adhgeuswü 297.
Affoltem a. A. 279, 281, 282, 285.
Ägerten 116.
Alexander I. von Russland 2, 3, 6, 7,
8, II, 14, 49, 52, 108.
Alliiertenfeier 1S14: 9.
Almosenamt 31.
Altstetten 270.
Alumnat 29, 30, 94.
Anatomie 26, 327.
Andermatt, General 42.
St. Annahof 34.
St. Anna-Kapelle 34.
Antiquarische Gesellschaft 102.
Antistitium 19.
Appenzeller Zeitung 67.
Arenenberg 122.
Artillerie-Reserve Denzler 289, 294.
Asylfrage 108.
Augustinerbrücke 31, 326.
Augustinerkirche 3 1 .
Augustinertor 17, 31.
Aussersihl 232 (Landsturm), 344 (Ver-
einigimg) .
B
Bachmarm, General 3, 12.
Baden-Brugg (Eisenbahn) 273.
Badischer Aufstand 1849: 333.
Bahnhof Zürich 268, 269, 270, 325, 328,
332, 334 (s. Illustrationen Nr. 35 u.40).
Bahnhofbrücke 24, 344, 347.
Bahnhofquartier 346.
Bahnhofstrasse 29, 344, 346.
Bank in Zürich (Meisenbank) 130, 176.
Barbou, General 43.
Barfüsserhofstatt s. Illustration Nr. 7.
Barfüsserkirche 27.
Barfüsserkloster 27.
Basler Wirren 1832 ff. 106, 107.
Basler Zeitung 251.
Bassersdorf 189, 253, 254.
Bassersdorf er- Verein 86, 87, 104, 112,
154-
Bataillon Bänziger 291 ff.; Benz 291,
296; Berner 291; Brunner 243, 290;
Däniker 243; Ernst 291; Fäsi29iff. ;
Ginsberg 279, 291, 294, 295; Häusler
291, 293; Meyer Nr. 29 282; Schmid
279; Zuppinger 291.
Batterie Mazzola 289, 296; Moll 291,
294, 296; Müller 294; Rust 291, 294,
295; Scheller 278, 281 ff., 290;
Schweizer 291, 294, 296; Zeller 282,
285.
Baugarten 29, 326, 338, 342, 346 (s. Il-
lustration Nr. 44).
Baugesetz, städtisches 346.
Bauhaus (Stadthaus) 43.
Baukollegium 344, 346.
Bauhche Entwicklung 1833: 92, 128,
129.
Bauma 104, 191, 209, 210.
Baumgartner St. Gallen 115, 120.
Baumgartner, Wilhelm, Komponist 342.
BauschänzU 17, 28, gi, 123, 124, 125,
326 (s. Illustration Nr. 18).
Beatenrain 32.
Beleuchtung 36, $y.
23
354
NAMEN- UND SACHREGISTER
Belvoir 311, 313, 322.
Benken 277.
Benz, Substitut 249.
Beobachter, s. Schweiz. Beobachter.
Beobachter aus der östlichen Schweiz
175, 185.
Berchtwil 291, 294.
Berichthaus 20, 21, 329.
Bern Bundesstadt 302, 303.
Bevölkerung der Stadt Zürich 1814: 36.
Beyel, Friedrich, Wirt, Ütliberg 328.
Bezirksgebäude im Selnau 343.
Bezirksverwaltung loi.
Bezirksverwaltungs- und Stadtgerichts-
gebäude 29.
z. Bilgerischiff, Wirtschaft 18.
Bindschädler, Männedorf 195, 218.
Birrer, Landjäger-Korporal, Luzern 276.
Blaue Fahne 20.
Bleicherweg 29, 326 (s. Illustration
Nr. 20).
Bleicherwegbrücke 132, 326.
Bleuler-Zeller, Gemeindepräsident, Neu-
münster 184, 194, 221.
Blinden- imd Taubstummenanstalt 98,
99, 224, 327.
Blocus hermetique iio.
,, Blume" Aussersüll 317.
Blumer, Oberstbrigadier 281, 282.
Bluntschli, Johann Caspar 80, 81, 83,
94, I", "3, 133, i43> 164, 174,
175, 233, 240, 247, 248, 251, 258,
259, 260, 261, 262, 315 (Porträt
262/263).
Bödmet, J. C, Mechaniker 122.
Bodmerhaus am Schanzengraben 343.
Bodnierhaus z. obern Schönenberg (s.
Illustration Nr. 17).
BoUer, Kriminalrichter 155, 239, 249.
BoUey, P. A., Chemiker 306.
BoUier, Regierungsrat 299, 300.
Bombardement von Zürich 1802: 42
(s. Illustraüon Nr. 11).
Bonstetten 277, 281.
Bomhauser, Pfarrer 120.
Börse 29, 338.
Botanischer Garten 34, 91, 99, 325 (s.
Illustration Nr. 40).
Brändli, Weibel 223, 232.
Bremer-Schützen 343.
Bremgarten 255.
Bremi, J. H., Chorherr 20, 60, 108.
Briefpostmarken 330.
Brigade Egloff 289, 29 i ff. ; König 289,
29 I ff. ; Müller 289, 296.
Bruch, Dr., Pfarrer, Seminardirektor
250.
Brugg-Aarau 273.
z. Brünneli (Wohnhaus) 35.
Brvmnenturm 99.
Bnmner, Oberstleutnant 187, 212, 228,
243-
Brunner, Oberkondukteur ■\ 271.
Bruppacher, Major 282, 283.
Brutal-Radikale 112.
Bubikon 156, 250.
Bubna, österr. Kommandant 4, 5.
Büchsenstein (Wohnhaus) 22.
Buden (Läden) 22, 24, 30, 131 (s. Illu-
stration Nr. 8).
Bühler von Büron 276.
Bülach 141, 155.
Bundesfeier 1851: 334, 335.
Bimdesschwur im Grossmünster 8, 13.
Bimdesverein 181 3: 5 ff.
Bundesverfassung 181 5: 5, 8, 9, 86,
107.
Bünzener-Komitee 254.
Burckhardt, Jakob, Basel 306.
Bürgergärten 33, 325, 338 (s. Illustra-
tion Nr. 40).
Bürgerliches Gesetzbuch 262.
B ürgermeister ( Regierungspräsidenten)
43. 84, 314.
Bürger-Mittwochgesellschaft 324.
Bürgemutzungsholz 32.
Bürgerschule 96.
Bürgerwache 2i2ff., 222, 225, 231, 233,
240.
Bürgi, Regierungsrat 104, iii, 167, 236.
NAMEN- UND SACHREGISTER
355
Burkhard, Pfarrer, Religionslehrer 250.
Bürkli, Adolf, Oberfeuerkommandant
35, 278, 282, 287.
Bürkli, Arnold, Dr., Stadtingenieur 35,
32^, 344-
Bürkli, Da\'id 3 1 .
Bürkli, Georg Konrad, Stadtpräsident
35, 47 (Porträt 46/47).
Bürkli, Joh. Heinrich (,,Freitagszei-
tung") 31.
Bürkli, Joh. Kaspar (..Freitagszeitung")
31-
Bürkli, Karl, Landwehrhauptmann 316,
317-
Bürkli, Konrad, Leutnant (1847): 293.
Bürkli, Kourad, Präsident der Kaiifm.
Gesellschaft 35.
Bürkli, Oberstleutnant 183g: 190, 196,
222, 231, 316.
Bürkli-Füssli, Oberst 1846: 269.
Cafe de la Terrasse 131.
Cafe litteraire 31, 155, 185, 213, 275,
277 (s. Illustration Nr. 14).
Capo d'Istria, russischer Gesandter i,
3, 6, 7, 9, 108.
Carolinum, s. Chorherrenstift.
Caspar, Unternehmer, von Rorschach
'23-
Cham 288.
Chemiegebäude (beim Polytechnikum)
309-
Christhcher Verein jimger Männer 34.
Cholera 1855: 324, 338.
Chorherrenhof 19.
Chorherrenplatz 344.
Chorherrenstift 19, 40, 88, 89, 94, 96,
148, 159, 337-
Chorherrenstube 102.
Clausius, R. J., Professor 306.
Conseil, Polizeispitzel iio.
Consulta, helvetische 42, 59.
Cramer, Heinrich, Metzger 1846: 269,
335-
Culmanu, Karl, Professor 306.
Curti, Landammann, von Rapperswil
120.
D
Dampfschiffe 122, 267 (s. Illustration
Nr. 24). Dampfschiff „Biene" 126;
„Delphin" 125, 126; ,,Gotthard"
126; ,,GuillaumeTell" 122; ,, Gustav
Albert" 125; ,,Helvetia" 126, 127;
„Konkordia" 126; „Lerche" 126;
„Linth-Escher" 124, 126; ,,Luk-
mauier" 126; „Minerva" 123,
124, 267; „Republikaner" 124;
„Schwalbe" 126; ,, Schwan" 126;
„Stadt Rapperswil" 126; ,, Stadt
Zürich" 126; „Taube" 126.
Dampfschiffahrt 12 2 ff., 131.
Dampfschiffgesellschaft vom linken See-
ufer 126.
Demme, Dr. 95.
Demokratische Opposition i853ff.: 317.
V. Deschwanden, J. W., Rektor 303,
306.
Deucher, Adolf, Dr. (Bundesrat) 320.
Dienstmänner 337.
Dieükon 270.
DietwU 279, 288, 289, 294.
Direktorialfond 40, 91, 92, 129.
Dombowsky, General 42.
Donnstags-Blatt 22, 39, 329.
Donnstags-Nachrichten 21, 22, 329.
DrahtschmidU 33, 345.
Droschken 337.
Druey, Bundesrat 115.
Dübendorf 207, 208, 210.
Dubs, Jakob, Bimdesrat 253, 302, 307,
313-
Dufour, General 115, 120, 135, 298,
333, 341-
Durchbruch (Rämistrasse) 132.
Durchmarsch der Alliierten 2, 4, 5.
Dürler, Jakob 94.
Dürr, Kriminalrichter 113.
356
NAMEN- UND SACHREGISTER
Eggb. Zürich 315.
EgUsau 341.
Ehegerichtshaus 346 (s. Illustration
Nr. 16).
Eidgenössische Fragen i83 4£f. : 106.
Eidgenössische Hochschule, s. Hoch-
schule, Schweiz.
Eidgenössische Zeitung 305.
Eieu 28g, 291.
Einwohnergemeinde Zürich 133.
Eisenbahn 267£f., 272, Einweihung 271.
EisenbahngeseUschaft Basel-Zürich 268,
269.
Eiseubahngesetz 1852: 318.
Elektrisches Licht 1855: 338.
Elsasser 22, 69.
El wert, Eduard, Professor 105, 147.
EnderHnsches Anwesen 99.
Enge 331.
Erlenbach 185.
Erziehungsrat 93, 159, 162, 163, 169,
178, 194, 247, 249, 250, 253.
Escher, Alfred, Dr., Regierungspräsi-
dent 215, 26:, 263, 272, 273, 302ff.,
311 ff., 335 (Porträt 310/31 1).
Escher, Conrad, Dr. 328, 340, 344, 346.
Escher, Eugen, Dr., Stadtschreiber 340,
341-
V. Escher, Hans Konrad, Bürgermeister
(t 1814) 2, 4.
V. Escher, Hans Konrad, d. jüngere.
Bürgermeister 43, 44.
Escher, Hans Konrad, alt Seckelmeister,
Präsident der provisor. Munizipali-
tät 38, 40, 4!.
Escher, Hans Konrad, erster Stadtpräsi-
dent 44 (Porträt 32/33).
Escher, Hauptmann, Höngg 187.
Escher, Heinrich, Professor der Ge-
schichte 72.
Escher, Heinrich, Regierungsrat und
Kriminalgerichtspräsident 83, 94,
156, 169, 170, 175, 180, 182, 215,
235, 340.
Escher, J. J., Stadtpräsident 80, 128,
i34> ^37, '4° (Porträt 128/129).
Escher, Junker, Schloss Eigental bei
Berg a. Irchel 315.
Escher, Mathilde 34.
Escher, Salomon, im WoUenhof 32.
Escher v. Berg, Georg, Gerichtsherr 3.
Escher-Hess, Martin 26, 32, 128, 130,
26S, 269, 271, 273, 274, 335 (Por-
trät 268/269).
Escher von der Linth, Arnold, Professor
35, 3o'5-
Escher von der Linth, Hans Konrad
14. I5> 35. 49, 50, 64, 96 (Porträt
i4/'5)-
Escher-von Jluralt, Hans Kaspar (Neu-
mühle) 24, 27, 34, 88, 123.
Escher-Pestalozzi, zum Steinhof 269.
Escher-Platel, Münzdirektor 35.
Escher- Schulthess, alt Oberamtmann
von Wädenswil 197, 204, 236.
Escher, Wyss & Cie. 24, 25, 124, 127,
-71, 327, 338, 340-
Escher-ZoUikofer, Kaufmann 311.
Escherdeukmal 321.
Escherhäuser 96, 311.
EssUnger, Regierungsrat 262, 269.
Eugen, Vizekönig 122.
Evang. Gesellschaft 165.
Exerzierplatz (an der Talgasse) 325,
330, 333, 334, 34-, 34^ (s. lUustra-
tion Nr. 40).
Falken Stadelhofen 214.
Faesi, Ulrich, Professor 234.
Fehr, Hauptmann, Chef der PoUzei-
wache 205.
Fein, Dr. 109.
Feldhof 36, 132, 222, 228, 229, 234,
326 (s. Illustrationen Nr. 21 u. 30).
von Fellenberg, Philipp Emanuel 60.
NASIEN- UND SACHREGISTER
357
Felsenhof 25, 34.
Fenner, von der Forch, Leutnant 228,
234> 239-
Ferdinand, Kaiser von Österreich 51.
Festungswerke 16, 34, 36, 87, 89, 90,
91, 129.
Fetzer, Oberst, von Aarau 120.
Feuermörser (Wohnhaus) 32.
Fierz, Regierungsrat und Oberst 104,
157, 169, 181, 235, 261.
Fierz-Landis, Karl 322.
Finsler, Direktor der Bank in Zürich
227.
Finsler, Hans Georg, Finanzminister
und General 54, 66, 67.
Finsler, Hans Georg, Stadtpräsident
45, 46 (Porträt 44/45)-
Finsler, Joh. G., Dr. jur. 83.
Fischental 191.
Fischmarkt 22, 23.
Fleischverkaufshalle 23, 131, 346 (s.
Illustration Nr. 16).
Flüchtlings- und Fremdenfragen 107,
log, III, 119 (s. auch Asylfrage).
Forchwirtshaus 239.
Porrer, Kavallerie-Hauptmann 187, 188.
Frankfurter Attentat 95.
Franscini, Bimdesrat 301.
Franz I. von Österreich 3, 4, 6, 7, 50,
51, 108.
Franzosen in Zürich 38, 39, 40, 42.
Französische Kirche 19.
Frauenfelder, Hauptmann, von Heng-
gart 290.
Fraumünster 30, 229, 239, 246, 330,
3i^, 337-
Frey, Emil, Dr., von Liestal 120.
Frei, Hauptmann 1839: 190.
Frei-Herose, Oberst und Landammann,
Aarau 255, 269, 307.
Freie Strasse 345.
Freies Gymnasium 34.
Freischarenzüge 137, 259, 261, 275, 277.
Freitagszeitung 31, 83, 164, 203, 252,
259, 263, 316.
Freiwillige und Einwohnerarmenpflege
32-
Frieden von Zürich 317, 342.
Friedensvereine 1839: 250.
Friedhof St. Anna 34, 326, 329; Fuchs-
loch 17 (s. Illustration Nr. 5); Hohe
Promenade 332; St. Jakob 329;
Krautgarten 17, 27, 332; St. Leon-
hard 338; Predigern 26, 332; Riedtli
338; Selnau 332.
Friedrich Wilhelm III. von Preussen
6, 48.
Fröbel, Julius III, 314, 315.
Fröbel, L. Th. A., Obergärtner 99.
Fröschengraben 28, 31, 32, 131, 132,
326, 346 (s. Illustration Nr. 44).
Fuchs, Christopher 115.
Furrer, Fürsprech, Bubikon 72.
Furrer, Jonas, Dr. Bundesrat 82, 144,
164, 167, 175, 230, 257, 259, 261,
262, 269, 302, 303, 313, 335.
Fürstenbesuche 48.
Füssli, Antistes, Pfarrer, Neumünster
149, 155, 243, 249.
Füssli, Heinrich, Historiker 22.
Füssli, Oberst (Divisionär) 49.
Füssli, Wilhelm, Oberrichter 82, 86,
104, III, 141, 155, 168, 201, 230,
249.
FüssHsche Giesserei 34.
St. Gallisch-Appenzellische Eisenbahn -
gesellschaft 273.
Gasbeleuchtung 325, 338.
In Gassen 30, 212.
Gatschet, Oberst, von Bern 3.
Gedecktes Brücklein 24, 32, 327.
GeissbergboUwerk 17.
Gelehrtenschule 96.
Gemässigte Partei (Bluntschli etc.) 83.
Gemeindegut 330.
Gemeindeordnimg 1831 (s. auch Stadt-
verfassung) 133, 1859: 341.
358
NAMEN- UND SACHRBGISTER
Gemeinderat der Stadt Zürich 43.
Gemeindeversammlung loi, 133.
Gemeindeverwaltimg loi, 133.
Gemüsebrücke s. Rathausbrücke.
Generalversammhmg der Bürgerschaft
43, 46-
Genf, Unruhen 138.
Gerolds wil 315, 316.
Gerwe 23.
Gespräch zwischen Jakob u. Konrad 6g.
Gessner, Gebrüder, Buchdrucker 69, 80.
Gessner, Oberrichter 249.
Gessner, Ptarrer, Oberrieden 220.
Gessner, Salomon 22, Denkmal 33.
Gewerbefreiheit 10 1, 324.
Gislikon 28 7 ff. (s. Illustration Nr. 36).
Glarus (Brand) 345.
Glattalbahn 273.
Glaubeuskomitee 152, 155, 156, 172,
173, I75> 180, 199, 203, 236, 256.
Glockenhaus, Glockenhof 34.
Gmür, Oberst-Divisionär 279, 286, 287,
290.
z. Goldenen Winkel 34.
Goldstein 21.
von Gouzenbach, Bern 306.
Gore, Platzkommandant 39.
Gottfried Keller-Stiftung 321.
Gotthardbahn 311, 319, 320.
Gotthardvereinigimg 319, 320.
Gräbhgasse 25.
z. Grauen Manu 20.
Grendel 17, Grendeltor 123 (s. Illu-
stration Nr. 5).
Griechenhilfs verein 108.
Grob, J. C, Pfarrer, Rorbas 165.
Gross, Johann, Wirt z. Cafe Utteraire
275, 276, 285.
Grosse Stadt 28.
Grosser Rat, Vertretung 65, 1830: 69,
70. 73-
Grosser Stadtrat 29, 46, 140; 1831: 134.
Grossmünster 19, 133, 162, 229, 246,
332, 342 (s. Illustration Nr. 3) ;
Schatzgewölbe 40, Kapelle 344.
Grossmünsterschulhaus 19, 337.
Grossmünsterterrasse 131.
Grossratsreglement 66.
Grossratswahlen 1830: 73; 1834: 112;
1838: 141; 1839: 246, 247; 1842:
257; 1846: 263; 1850: 314.
Gnmer, Justus, preussischer Gesandter
54-
Grünes Hüsli 32.
Grünes Schloss 20.
Gujer, Henirich, Bauma 65, 70, 71, 82,
110, 144, 168, 170, 175, 246.
Guyer-Freuler, Eduard 322.
Guiger, General 120, 121.
Gymnasium 96.
Gysi-Schinz, Heinrich, Stadtrat und
Stadtschreiber 197, 207, 215, 233,
34°-
H
Haab, Prof. Dr., Rektor 309.
Haberhaus 30.
Häberling, Bauemführer 121.
HäfeHn, Regierungsrat, Aargau 330.
Hafen iS, 92, 131.
Hagenbuch, Franz, Staatsschreiber imd
Regierungsrat 324, 336.
von HaUer, Karl Ludwig 85.
Halseisen (Künstlergasse) 21, 27, 327.
Handelskammer 268.
Handwerkerversammlung von Bassers-
dorf loi.
Hanhart (Pfäffikon), Oberrichter 113.
Hardmeyer, Zumikon 194.
Hardmeyersche Druckerei 31.
Harmonie, Sängerverein 330.
z. Haue 22.
Hauk, Sängervereinspräsident 332.
,, Hauptgrub" 99.
Hauptwache 2^, 207, 213, 215, 217,
2^5, 345-
Hauser, Leutnant 1847: 282.
Hauser, Dr. med. (Aussersihl) 344.
Hechtplatz ]8.
NAMEN- UND SACHREGISTER
359
Heer, Oswald, Professor 35, 306, 311.
Hegetschweiler, Dr. 70, 71, 82, 84, 119,
120, 140, 180, 182, 186, 197, 199,
207, 208, 212, 217, 222, 228, 229,
234, -35, 239.
Heidegger, Oberst 108.
Heilige Allianz 49, 51, 53.
Heilige Gret, s. Peter, Jlargaretha.
Helferei, Fraumünster- Gemeinde 29.
Helmhaus 18, 131.
Helvetische Gesellschaft 301.
Henggart 290.
Henne, Dr., St. Gallen 120.
Heringsgasse 25.
von Herrenschwand, Bern 4.
Herwegh, Georg, Dichter 314, 318, 343.
Hess, Buchdruckerei 314.
Hess, J. J., Bürgermeister 82, 87, 98,
107, 120, 144, 157, 16S, 181, 182,
185, 197, 206, 212, 215, 223, 232,
235, 236, 237, 246, 248, 269, 337.
Hess, Hans LudTrig, Stadtpräsident
323ff., 328, 331, 332, 335, 341, 346
(Porträt 322/323).
Hess, Kaufleute, Gründer der Post 20.
Heusler, Andreas, Ratsherr, Professor,
Basel 251.
Hiestand, Pfarrer, Neumünster 343.
Hinrichtimgen 327, 331.
Hinteramt (oder Rütiamt) 31, 93, 307,
326.
Hinw-il 210, 250.
Hirschengraben 21, 25, 327, 347.
Hirslanden 214.
Hirzel, Bernhard, Dr., Pfarrer 95, 174,
193, 195, 208, 209, 210, ziyti., 221,
224ff., 239, 249.
Hirzel, C. Melchior, Bürgermeister 32,
64, 66, 82, 84, 85, 87, 93, 95, 105,
107, 112, 120, 121, 142, 143, 144,
I47ff., 154, 162, 163, 164, 167, 169,
170, 175, 185, 193, 220, 232, 256, 258.
Hirzel, Jakob, Staatsrat 66, 67.
Hirzel, Kaspar, Regierungsrat 234.
Hirzel, Salomon, Oberst loi, 137, 186,
187, 207, 2i2ff., 221, 222, 226, 228,
229, 232, 233, 235, 243, 256.
Hirzel, Statthalter in Wetzikon 184.
Hittnau 20g.
Hitzig, Ferdinand, Professor 94, 147,
148, 171, 342-
Hochschule, schweizerische 93, 301 ff.
Hochschule Zürich 31, 93, 94, 95, loi,
102, 103, 148, 151, 154, 158, 162,
167, 249, 250, 301, 309, 342.
Hofmann, Landjäger, Luzeru 276.
Hofmeister, Hans Heinrich, Stadt-
schreiber 41, 42, 43, 340.
von Hofstetter, Aidemajor 1847: 295.
Hohe Promenade 17, 27, 91, 132, 332.
Holzschanze 17, 123, 131.
Honau 288 ff.
Höngg 277.
Horgen 171, 220.
z. schwarzen Hörn 58.
Hornbach 32.
Homer, J. C, Professor 93.
Hortense Beauharnais iio, 122.
Hotel Baur au lac 326; Baur en ville
loi, 132, 228, 229, 231, 233, 234,
237, 326 (s. Illustration Nr. 30) ;
,,City" 35; ,,Du Lac" 18; ,,Limmat-
hof" 339; „Schwert" 9, 31, 33, 49,
87, 132, 326 (s. Illustration Nr. 14);
„Raben" (altes ,,BeUevue") 18;
,, Zentral" 24; ,,Zürcherhof" 131,
132, 335-
Hottinger, J. J., Historiker 83, 85, 93,
148, 342.
Hottinger, Joh. Heinr., Staatsschreiber
180, 223 (J. H., nicht J. J. Hot-
tinger).
Hottinger, Jakob Heinrich, Staats-
schreiber 263 (Sohn des obigen).
Hottingerpörth 27 (s. Illustration Nr. 5).
Hottingerturm 18.
Hug, Pfarrer 253.
Hülfs- und Bildimgsverein (Treichler)
316.
Hünenberg 291.
36o
NAMEN- UND SACHREGISTER
Hiini, Regierungsrat 156, 248, 259.
Hiiningen, Festung 4, 12.
Hürlimann, Quartierhauptmann, Rich-
terswil 69.
Hürlim£inn, Statthalter, Richterswil
220.
Hürlimann-Landis, J. J., Richterswil
151, 152. 157, 172, 173, 176, 184,
187, 191 ff., 200, 201, 202, 211, 218,
219, 233, 236, 239, 242, 250, 256,
315-
Hütten 27g.
I J
St. Jakob, Aussersihl 33, 34, 329.
Jesuiten 254ff., 2yyii.
Illnau 185, 206, 20g, 211.
Imobersteg, Erziehmigsdirektor, Bern
302.
Industrieausstellung 1846: 331.
Industriequartier 33, 338.
Industrieschule 96.
Johann, Erzherzog 12, 13.
Irrenhaus beim alten Spital 26.
,, Junges Zürich" 1836: 133.
JuUrevohition Paris 67.
Justizreform 23, 64, gg, 112.
K
Kadettenfest 1S56: 340; Kadetten-
korps 136.
KäUn, kath. Pfarrer 115.
Kantonalverhöramt 247.
Kautonsapotheke 26.
Kantonsbibliothek 26.
Kantonsschule 27, 95, 96 (Einweihung
1842), 97, 102, 307, 327, 335,
342 (Jubiläum).
Kautonsspital g8, 327 (s. Illustration
Nr. 40).
Kapitulationen (für den Söldnerdienst)
2, 54, 55, 67, 136.
Kappeier, Karl, Ständerat und Schul-
ratspräsideut 304, 30S.
Kappelerhof 29.
Karl Albert, König von Sardinien 109.
,,Karl der Grosse", alkoholfreies Re-
staurant 19.
Kaserne Aussersihl 325, 347; Talacker
36, 38, 155, ^ii, 326-
Kasemendienst, Abschaffung 23, 88,
136.
Käshütte 22.
Kasino, jetzt Obergerichtsgebäude i,
9, 13, 27, 49, 197, 198, 307, ii^, 339,
342 (s. Illustration Nr. 17).
Kaspar Escher-Haus 25.
Katholiken 31, 94.
Katz-BoUwerk 34, 91, 99, 325 (s. Illu-
strationen Nr. 20 und 40).
Katzentorbrücke 132.
Kaufhaus (altes, jetzt Musikalienhand-
lung Hug & Co. 18; ehemaliges
Komhaus beim Fraumünster 30,
326 (s. Illustrationen Nr. i und 18).
Kaufmann, Landjäger, Luzern 276.
Kaufmännisches Direktorium 20, 91,
92, 130.
Kaufmännische Lesegesellschaft 102.
Kaufmännischer Verein 35.
Kavalleriekompagnie Hanhart 291,
298.
Keller, Architekt und Photograph 339.
Keller, Augustiu, Seminardirektor,
Lenzburg 254, 259.
Keller, Ferdinand, Gründer der Anti-
quarischeu Gesellschaft 102.
Keller, Friedrich Ludwig, Dr., Ober-
gerichtspräsident 19, 66, 79, So, 81,
84ff., 93, 94, 100, II off., 120, 139,
141, 142, 144, 149, 162, 167, 169,
175, 176, 180, 181, 215, 230, 239,
248, 257, 25S (Porträt 168/169).
Keller, Gottfried 311, 315, 317, 318,
339, 340, 342, 343, 348.
Kern, Jobann Konrad, Dr., Schulrats-
präsident 305, 306, 307, 308.
z. Kerze 22.
Ketzerturm 25.
NAMEN- UND SACHREGISTER
361
Kilchberg 220.
Kilchsperger, Bürgermeister 38.
Kirchengesetz loi.
Kirchenrat 148, 159, 178, 247, 249.
Kirchensynode 159, 167, 178.
Kirchgasse 19, 20, 21.
Kirchmeier, Student, f. 249.
Kirchsperger, bernischer Tagsatzungs-
gesandter 54.
Kissling, Richard, Bildhauer 321.
Kleine Stadt 28.
Klosteraufhebung, Aargau 255, 256,
258.
Kloten 185, 187, 189, 190, 191, 195, 196,
197, 198, 214, 217, 218.
Knonau igo, 277.
Kohlenpörtü und Kohlenschanze 17.
Koller, Dr. med., Winterthur 253.
KoUer, helvet. Statthalter 42.
Kombst, Dr. 109.
Kommunismus 315, 316, 318.
Kompagnie Forrer 279.
Konservative Partei iii, 112, 174, 189,
257, 259, 261, 263, 277, 278.
Konstitutionelle, s. Schweiz. Konsti-
tutionelle.
Konsumverein 317, 333.
Kopp, Schultheiss, Luzem 298.
Komamt 32, 307.
Komhaus beim Bahnhof 343; beim
Fraumünster, s. Kaufhaus; am
Hafen (alte Tonhalle) 17, 92, 131,
327-
Kommarkt (Weinplatz) 31.
Korsakow, General 4 1 .
Kramer, Chorherr 53.
Krankenasyl Neumünster 342.
Kratzquartier 29, 326, 346.
Kratzturm 29, 326 (s. lUtistration
Nr. 40).
Kräuel 33, 121, 325 (s. Illustration
Nr.40); Volksversammlung 1834:121.
Krautgartengasse 96.
Kreuzbühlstrasse 327.
Kreuzkirche, alte 132, 155.
Kreuzplatz 132.
Kriegs- und Lustschiff 28.
Kriminalgericht 247, 249.
„Krone", s. Rechberg imd Hotel ,,Zür-
cherhof ' ' .
Kronenporte 21, 27 (s. Illustration
Nr. 5).
zum ,, Kronentor" (Martin Escher) 269.
Kronen- oder Neimiarkttor 25, 26.
von Krüdener, JuHane 51, 52.
von Krüdener, Paul, russischer Gesand-
ter 49, 51.
Kühgasse 27.
Kimsthausareal 132, 327.
Künstlergasse, s. Halseisen.
Künstlergüth 327 (s. Illustration Nr. 17).
Kunstschule 96.
Kunz, Oberst 333.
Künzh, Stadtpräsident von Winter-
thur 69.
Küsnachter Memorial 69, 70.
Kyburg 185.
Laharpe, Cäsar 7.
Lämmlin, Mechaniker von Schaffhausen
123.
Landbote, Winterthur 98, 137, 139,
252. 253.
Landesmuseum 325.
Landjäger 212, 238.
Landliberale 112.
Landmühle 25.
Landolt, Elias, Professor 306.
Landolt, Hans Heinrich, Stadtpräsi-
dent 45 (Porträt 36/37).
Landolt, Salomon, Oberst, gew. Land-
vogt 116.
Landolt-Mousson, Heinrich, Stadtrat
45-
Lange, Professor, von Duisburg 250.
Langer Steg 24, 270, 327 (s. Illustra-
tionen Nr. 5 und 35).
Langstrasse, Zentralschulhaus 346.
362
NAMEN- UND SACHREGISTER
Laternengässchen i8
Lebensmittel verein 34.
von Lebzeltern, österr. Gesandter i, 2,
3, 4. 6, 7, g.
Lecarlier, Kommissär 40.
Lehrer i84off. : 250, 253; Lehrerbildung
1814: 63.
Lehrfreiheit an der Universität loi, 249.
Leichenwagen 337.
St. Leonhard- Bollwerk 327.
Leonhardstrasse 328.
Lessing, Ludwig, Student, fi i09-
Leu, von Ebersol, Ratsherr 254.
Leuthy, Redaktor 121.
Liberale Partei 1840: 253.
Liberal-radikale Partei 80, iii, 113.
Liechtenstein, Moritz, Fürst 5.
Limmatburg 24.
Limmatquai 23, 131, 327, 338.
Linde, Gasthaus, Oberstrass 216.
Lindenhof 32, 120, 326.
Linden- oder Junkemtor 17.
Lindental, s. Kimsthausareal.
Lindinner, Hans J akob, Buchdrucker 2 1 .
Linthkorrektion 14, 15.
Literarisches Comptoir 314.
zum Loch 20, 96.
Locher, Friedrich, Dr., Pamphletär 318.
Louis Napoleon iio, iii.
Louis PhiHpp 67, 1 10.
von Low, Ludwig, Dr. 94, 102, 103, 131.
Löwendenkmal, Luzern 55.
Löweustrasse 327, 328.
St. Ludwig-Basel 268.
Lüning, Dr. med. 284.
Lunnem an der Reuss 275, 279, 280 ff.
Luviui 115.
Luzern 1847: 287, 29 7 ff.
M
Maler, Waid b. Zeh. 276.
Männedorf 220, 250.
Manesse-Tiu'm 20.
Marie-Luise, Kaiserin 48.
MarkstaUermatte 338.
Marktgasse 21, 36, 345.
Markwalder, Oberstleutnant 187, 188,
212, 221, 225, 231, 255.
Marschall von Bieberstein 336.
Massena, General 39, 41.
Manch, Train-Offizier 282.
Maulkrattengesetz 1846: 316.
von May, Kommissär 42.
Mediation 40, 43, 74.
Medizinisch-chirurgisches Institut 96.
Meier, Pflasterer, Enge 290.
Meierskappel 292, 297.
Meilen 220.
Meisen, Zunft, 128, 130.
von Meiss, Konrad 96.
Meister, Ulrich, Oberst 277, 287.
Merischwanden 281 ff.
Merz, Amtsrichter 219.
Metternich, Fürst, 2, 3, 11, 51, 248.
Metzg xmd Metzgerlaube s. Schlacht-
haus.
Metzg-Passage 50, 328, 338, 344, 345.
Meyer, Bernhard, Staatsschreiber, Lu-
zern 254, 297.
Meyer, Betsy 35.
Meyer, Conrad Ferdinand 35, 83, 348.
Meyer, F., Dr., Kirchenratssekretär 163,
176.
Meyer, Ferdinand, Erziehxmgsrat 35,
83, 84, 93, 148, 167, 233, 248.
Meyer, Franz und Fritz 1839: 220, 221.
Meyer, J. H., Publizist 165.
Meyer, J. J., von Schöffüsdorf 108.
Meyer, Melchior, Rittmeister 49.
Meyer, Pfarrer, Glattfelden 176, 194, 195.
Meyer-Biedermaun, Hauptmann 136.
Meyer von Knonau, Ludwig 64, 66, 79,
82, 84, 90, 91, 96, 142, 143, 144,
199, 215, 235, 236, 245, 247, 256
(Porträt 256/257).
Meyer-Ott, Wilhelm 176, 187, 189, 190,
195, 199, 200, 205, 213, 214, 216,
217, 218, 220, 221, 223, 240, 241,
243. 244- 331-
NAMEN- UND SACHREGISTER
363
Meyer-Pestalozzi, Major 1839: 243.
Meyershof 20.
Michael, Grossfürst 48.
St. Michaels-Kapelle, Rooterberg 28 8 ff.
Militäranstalten Aussersihl 325, 346.
Müitärbilder (s. Illustrationen Nr. 21
mid 30).
Militärorganisation 1832: i o i .
Militärschule 183 2ff.: 187, 211, 232.
MiHtärställe 325, 342, 346.
Mobilisation 1847: 279.
Monarchenaufenthalt in Basel 6.
Montebello, französischer Gesandter 1 10.
von Montenach, Freiburg 10.
Morier, David Richard, englischer Ge-
sandter 173.
Mortier, Graf, französischer Gesandter
237-
Mousson, Albert, Physiker 306.
Mousson, Heinrich Emanuel, Bürger-
meister und Stadtpräsident 248,
260, 262, 324, 325, 346.
Mousson, Kanzler 13, 53, 54.
deMoustier, französischer Gesandter 14.
Mühlau 281 ff., 286.
von ilülinen, Schultheiss, Bern 6.
Müller-Wegmann, Maler 297.
Munizipalität 38 ff.
Münsterbrücke 18, 92, 129, 130, 225,
227, 228, 233, 268 (s. Illustration
Nr. 31).
Münstergasse 20.
Münsterhäuser 341.
Münsterhof 30, 215, 225, 226, 228, 243
(s. Illustration Nr. 8).
Münsterterrasse 22, 334.
Münze 31.
Munzinger, Solothum 115.
von Muralt, Conrad, Bürgermeister
8 3 ff., 98, 140, 236, 247, 248, 260,
268, 269.
von Muralt, Leonhard 194.
von Muralt, Oberstleutnant 18 15: 49.
Muri 255.
Museums- oder Lesegesellschaft 23, 102.
Mushafenplatz 26.
Musiksaal 30, 46.
Musikschule 21.
N
Nägeli, Hans Georg, Sängervater 27,
93, 102, 103, 105, iio, 113, 330;
Denkmal 330, 332.
zum Napf 21, 337; Napfgasse 20, 21.
Napoleon I. 2, 6, 7, 11, 12, 42, 43, 60, 74.
Napoleon III., s. Louis Napoleon.
Negrelli, Ludwig, Ingenieur 130, 131,
268.
Neue Kirchenzeitung 166.
Neue Zürcher Zeitung 22, 83, 109.
Neuenburgerfrage 138, 318, 341.
Neuhaus, bernischer Tagsatzungsge-
sandter 197.
Neuhof bei Birr 58.
Neumarkt, grosse Stadt 21, 224; Neu-
markt (kleine Stadt) s. Paradeplatz.
Neumühle 24, 25, 50.
Neumünsterkirche 133, 211, 221, 225.
Neumünster, Kirchgemeinde 133, 150,
155, T-77, 190, 243.
Neustadt 227.
Neutralitätserklärung der Schweiz 1 8 1 3 :
2, 3-
Nicolaus, Grossfürst 48.
Niederdorf 20, 24, 25, 26.
Niederdorfporte 24, 25 (s. Illustration
Nr. 5) ; Niederdorf-Tor 25.
Niedere Brücke, s. Rathausbrücke.
Niederlassungsgesetz 1840: 249.
Nordbahn-Gesellschaft, Schweizerische
269, 272, 319.
„Nordlicht", Zeitschrift 109.
Nordostbahn 127, 272, 273, 319.
Not- und Hilfsblatt (Treichler) 316, 318.
Nüscheler, David, Stadtrat 83, 90, 93,
231.
Nüscheler, Heinrich, Redaktor 66, 68, 83.
Nüscheler, Johannes, Stadtschreiber 340.
Nutzlingsgut 331.
364
NAMEN- UND SACHREGISTER
o
Oberamtmänner 65.
Oberdorf 20, 21; Pforte 41; Turm 17.
Obere Brücke 18, 19.
Obergericht 1839: 247, 249.
Obergerichtsgebäude (s. Kasino).
Oberer Mühlesteg 24.
Oberrieden 220.
Oberrüti (Aargau) 288.
Oberstrass 216, 217, 222, 224.
Obfelden 281, 282.
Obmannanit 27, 44.
Ochsenbein, Ulrich, Bern 137, 302.
Oechsli, Wilhehn, Prof. Dr. 278, 301,
3J9-
ÖrUkon-WinterthuT 273.
Österreichisch-italienischer Krieg 342.
Ötenbach, Kloster 32.
Offiziersfest 1857: 341.
Oken, Laurenz, Professor 95, iii, 121;
Okenhöhe 95.
Olivenbaum 17.
Orell, Konrad, Buchdrucker 22.
Orell FüssH & Co. 22, 69.
von Orelli, Job. Caspar, Professor 83,
93, 95. 165, 169.
von Orelli, Oberstleutnant und Kan-
tonskriegskommissär 155, 212, 222,
231-
Ostereier 341.
Ott, Ho teuer 33.
Ott, Mitglied der Munizipalität 38.
Ott, Oberamtmann von Grüuingen 71.
Ott-Imhof, Conrad 1846: 268, 269.
Ott-Usteri, Hans Konrad 102.
Ottenbach 286.
Ottengütli 33.
Packhof 328.
Pädagogischer Beobachter 252.
Pallisaden im See 17.
Papiermühle „Werd" 24.
Paradeplatz 36, 132, 242 (s. Illustra-
tionen Nr. 21 xmd 30).
Pariser Frieden, erster 9.
von Parma, Herzogin 343.
de la Passe, Vicomte, Legationssekre-
tär 114.
Pelikan, vorderer 136, 299, 326.
PehkanplätzU 35, 136.
Pestalozzi, Hans, Stadtpräsident 321.
Pestalozzi, Johann Heinrich 56 ff., 331 ;
Denkmal 56 (Porträt 56/57).
Pestalozzi, Karl, Oberst 321.
Pestalozzi, L-, Oberingenieur 347.
Pestalozzi, Salomon 1846: 268, 269.
Pestalozzi-Hirzel, Hans Konrad 102.
Pestalozzi-Wiser, Rud. Alex. 29.
Pestalozzifeier 1846: 331.
Pestalozzistiftung 191 3: 58; 1846: 331.
Pestalutz, Dr., Fürsprech, Winterthur
253, 255-
Pestalutz, Mitglied der Munizipalität4 1 .
Pestalutz, Oberst 1839: 235.
Peter, Margaretha, von Wildispuch 52,
53-
St. Peter 229.
Petitionen 158, 162, 176, 178, 180, 185,
194, 195, 253, 254, 261.
Pfäffikon 185, 190, 204, 206, 208 ff.
Pfälzer Flüchtlinge 333.
Pfenuinger, helvet. Statthalter 40, 80,
82, 84.
Pfeufer, Prof. Dr. Carl 98.
z. Pflug 58.
Pfrundanstalt St. Leonhard 33, 327,
329 (s. Illustration Nr. 40).
Pfrundverbesserungsfond 40.
Pfj-ffer, Casimir, Dr. 115, 120, 301, 334,
335-
„Platte" 317.
Platzpromenade 33, 116, 322, 325
(s. Illustrationen Nr. 35 und 40).
Polen 109.
Politisches Institut 96.
Polytechnikum 3oiff., 327 (s. Illustra-
tion Nr. 37).
NAMEN- UND SACHREGISTER
365
Pomraier, französischer Kommissär 40.
Pontonier-Kompagnie Huber 282, 283,
289.
Porten imd Tore (s. Illustration Nr. 5).
Posthaus Münstergasse 20, 21.
Posthaus Poststrasse 132, 197, 217,
222, 229, 232, 326 (s. Illustrationen
Nr. 30 und 43).
Poststrasse 30, 92, 131, 233, 327.
Postwesen, zürcherisches 20, 91, 332.
Prediger-Kirche 26, 238, 240, 332.
Predigerplatz 25.
Press- und Fremdenkonklusum 108,109.
Pressfreiheit und Pressgesetz 66.
Prinzenhandel iio.
Prohibitivsystem, französisches 14.
Provi.sorei 19, 21.
Q
Quais 23, 130, 131.
R
Radikale 112, 213, 252, 257.
Rahu-Escher, Dr. 90, 157, 175, 176,
184, I93ff., 201, 204, 205, 2o8ff.,
214, 216, 2:7, 225, 227, 228, 242.
Rahn, Gerichtsschreiber 1839: 249.
Rahn, Oberstleutnant 1839: 231.
Rämi-Bollwerk 27, 96.
Rämistrasse 17, 131, 132, 328.
Rämi-Tannenstrasse 217.
Rapinat, französischer Kommissär 40.
Rathaus 23, 53.
Rathausbrücke 24, 31, 225, 326, 341
(s. Illustrationen Nr. i, 14 und 16).
Rathausquai 92, 13t, 327.
„Rechberg", ehemals ,, Krone" i, 5,
21, 26, 39, 51, 72,, 327.
von Reding, schweizerischer Gesandter
2, 4.
Regeneration 92, loi, 129.
Regierungspräsidenten s. Bürgermei-
ster.
Regierungsratswahlen 1831: 84, 85;
1832: 87; 1839: 176, 177; 1850: 314.
Reinacher (Rynacher), Artillerie-Haupt-
tnann 187.
von Reinhard, Hans, Bürgermeister i ff.,
10, II, 38, 40 ff., 48, 50, 63, 65,
70 ff., 157 (Porträt i).
Reinhart-Hess, Winterthur 98.
Rennweg 21, 31, 32.
Rennwegtor 25, 28, 31, 326, 346.
Repubhkaner, s. Schweiz. Republikaner.
Restauration 62, 63.
Rettig, H. C. M., Professor 94.
Richterswil 151, 220, 250.
Richthaus 23.
Rickenbach 281 ff.
Riedinger, Gasfabrikant, aus Bayreuth
338.
Riesbach 233, 342.
Rieter-Bodmer, ViUa 336.
Riggenbach, Niklaus, Mechaniker 271.
Rindermarkt 21, 224.
Robert, Physiker 338.
Rohmer, Friedrich und Theodor 251,
252.
Römer, Melchior, Dr., Stadtpräsident
35, 320, 321.
Root und Rooterberg 287 ff.
Rosengasse 23, 24, 131, 327, 338.
zum RössU, Wirtschaft 18.
Roter Turm, s. Cafe litteraire.
zum Roten Adler ig, 79.
zum Roten Gatter 20, 21.
Rotkreuz 288, 289, 291.
Rotpletz, Oberst 280.
Rotwandstrasse 344.
Rouhiere, französischer Kommissär 40.
Rüden und Rüdenplatz 22, 58.
Rusca, Tessiner Abgeordneter 7.
Russikon 206, 209.
Ruswiler Komitee 254.
Rüti-Rapperswil-Glarus 273.
Rüttimann, J. J., Regienmgsrat 306.
366
NAMEN- UND SACHREGISTER
Safran 22.
von Salis-Soglio, Joh., österreichischer
Unterhändler 3.
von Salis-Soglio, Joh. Ulrich, General
287, 296.
Salzhaus (jetzt Eisenhandlung Kisling)
18; Salzhaustreppe 19.
Salzmagazin am See 17, 18; im Sihl-
wiesli 33.
Salzpreis loi.
Sängerfest, eidgenössisches 1843: 330
(s. Illustration Nr. 41); 1858: 342.
Samerbund 106.
Savoyerfrage 318; Savoyerzug log.
Schanzengebiet, s. Festungswerke.
Schanzengraben 24, 28, 32, 131, 132,
325 (s. Illustrationen 20 und 35);
Ablenkung 345; Brücke 29.
Schanzengrabenschulhaus 325.
zum Schäppeh 20.
Scharfschützenkompagnie Bleuler 291.
Schariuggelhof 67.
Schauberg, Dr., 109.
Schauenburg, General 40.
Schaufelbühl, Regierungsrat, Laufen-
burg, 1846: 269.
Scherr, Ignaz Thomas 83, 93, 99, 100,
HO, 142, 143, 157, 15S, 159, 163,
164, 170, 174, 175, 182, 249, 253.
Scherr, Johannes, Professor 313.
Schiess, Kanzler 318.
Schiff alirtsschleuse 331.
Schifflände 17, :8 (s. Illustration Nr.
24).
Schiffleutenzunft 136, 138.
Schiffshaus, Schiffschopf 28.
Schiffsunglück bei Meilen 1872: 126.
SchiUerfcier 1859: 343.
Schimmelgut 99.
,,Schinhut" 308, 327.
Schinz, Hans, Dr., Direktor des Bota-
nischen Gartens 35.
Schipfe 31, 328.
Schlachten bei Zürich 1799: 41.
Schlachthaus 23, 344, 346 (s. Illustra-
tion Nr. 16).
zum Schlegel 21.
SchUereu 270, 277.
Schmid, Dr., Richterswil 68, 86, 151,
152, 220.
Schmid, Landammann, Tagsatzimgs-
gesandter, Uri 224.
Schmidgasse 17.
Schmidt, Wilhelm Adolf, Professor 306.
Schnell, Haus, Dr., Bern 120.
Schoch, Prokuratoi 246, 247.
Schönhaus, Spitalgut 98.
Schönlein, Lukas, Dr., Professor 94,
95, 98.
Schorer, Major 293, 295.
von Schraut, österreichischer Gesandter
I, 12.
Schule und Kirche (Regenerationszeit)
141.
Schulei 19.
Schulgesetz 1S39: 161, 167.
Schulrat, schweizerischer 305.
Schulreform (Regenerationszeit) 93, 99.
Schulsynode 142, 253.
Schulthess, Diakon, f, 42.
Schulthess, Friedrich, Oberstleutnant,
Buchhändler 213, 214, 222, 230 ff.
Schulthess, Joh., Chorherr 20, 89,148,213.
Schulthess, Oberrichter 82.
Schulthess-Landolt 1846: 268, 269.
von Schulthess Recbberg, G. 1846: 268,
269.
Schulverein, radikaler 1842: 257.
Schulvogt 18S2: 320.
Schützenfest 1821: 116; 1851: 335.
Schützenfest, eidgenössisches, Aarau
1824: 115.
Schützenfest, eidgenössisches, in Zürich
1834: III, 114, ii6ff. (s. Illustra-
tion Nr. 23); 1859: 342, 343.
Schützenhaus, altes ^^, 327; Sihlhölzü
iii-
Schützenhausversammlung, konserva-
tive 1830: 72, 79, 80, 156.
NAMEN- UND SACHREGISTER
367
Schützenplatz 33, 97, 116, 269, 332,
334 (s. Illustrationen Nr. 35 und 40).
Schützenverein, kantonaler 335.
Schutzverein in Langenthai 86.
Schutzverein, radikaler 1839: 155.
Schwamendingen 207, 208, 215, 255.
zum Schwarzen Garten 20.
Schweizer, Alexander, Professor 149,
163, 169, 250, 311, 320.
Schweizerischer Beobachter 66, 83.
Schweiz. Evang. Kirchenzeitung 184.
Schweiz. Konstitutioneller 82, 109.
Schweizerische Kreditanstalt 311, 319.
Schweizerische Rentenanstalt 311, 319.
Schweizerischer Republikaner 80, 83,
91, 95, 179, 252, 314.
Schwyzer Scharfschützen 333.
Schwyzer- Wirren 1833: 106, 107.
Sechseläuten 131, 132, 261, 269, 338
(s. Illustration Nr. 42).
Seefeldgarten, Cafe 1 1 1 .
Seefeldstrasse 327, 342, 343.
Seestrasse (jetzt Theaterstrasse) 345.
Seidenhöfe 34, 35.
Seilergraben 25, 347.
Sektionseinteilung der Stadt 46.
Sekxmdarlehrerbüdung (Regeneration)
100.
Selnau 29, 326, 343.
Seminar Küsnacht 99, 100, 157, 159,
194, 250, 253, 315.
Seminar Leuzburg 315.
Seminargesetz 99, 143, 159, 178, 192.
Semin arium (Fraumünsteramt) 29.
Semper, Gottfried, Professor 306, 308.
Septemberregierung 312.
Seras, General 42.
Sidler, Landammann von Zug 115, 120,
261.
Siebner-Konkordat 86, 87, 218, 249,
254. 278, 324-
Siechenhaus, s. St. Jakob.
Siegfried, Landammann, Aargau 271.
Siegfried, Oberst, Adjutant 1847: 293ff.
Siegwart, Hugo, Bildhauer 56.
Sieg%vart-MüUer, Staatsschreiber imd
Schultheiss 254 ff., 260, 275 ff.,
297.
Sigelschps Korps 1849: 333.
Sihlbrücke 34, 241, 325 (s. Illustration
Nr. 40).
Sihlbrugg 279.
Sihlbühl 32.
Sihihof 32, 33.
Sihlhölzh ^}}, 335.
Sihlkanal 32, 33.
Sihlporte 21, 25, 29, 32, 34 (s. Illustra-
tion Nr. 5).
Sihlportenbrücke 325.
Sihlwald 32.
Sihlwiesh 33.
Silberschild, Diakonat 19.
Sins 280, 288, 289, 291.
Snell, Ludwig, Dr. 68, 69, 70, 94, 95.
Snell, Wilhelm, Dr. 94, 95, 120.
Sonderbundskrieg 135, 138, 254, 259,
278, 334-
zur „Sonne" (jetzt Albert Müller) 18.
Sonneuquai 92, 131, 327.
Sozialismus 3i4ff.
„Spanisch-Brödlibahn" 273.
Spannweid 40, 98.
Spital 26, 42, 98, 238.
Spitalareal 26, 332.
Spitalermühle 25.
Im Spitz (am See) 29.
Spöndlin, Fürsprech 175, 184, 195, 201,
210, 211, 214, 219, 233, 234, 243,
244, 249.
Spörri, Jakob, Niederglatt 284.
Sprüngli, Pfarrer, Thalwil 152, 220.
Spyri, Johann Bernhard, Stadtschrei-
ber 258.
Staatsanwaltschaft 193, 247.
Staatsarchiv 27, 30.
Staatsrat 44, 84.
Staatssteuergesetz loi.
Stadel 105.
Stadelhofen 327, 345.
Stadelhofer-Anlagen 345.
368
NAMEN- UND SACHREGISTER
Stadelhoferporte 17, 20 (s. Illustration
Nr. 5).
Stadelhof erstrasse 21.
Stadler, Conrad, Architekt 131.
Stadler, Ferd., Ingenieur 268.
Stadt und Land 62.
Stadt und Republik Zürich 38.
Stadtaristokratie 62.
Stadtbaumeister 344.
Stadtbibliothek 18, 50.
Stadthaus, altes 29, 43, 131, 238, 326.
Stadthausplatz 326; Stadthausquai 131.
Stadtingenieur 344.
StadtHberale 66, 67, 68, 69.
Stadtpräsidenten 29, 38, 43, 44, 46,
12S, 134, 135, 137, 139, 323.
Stadtrat, engerer 134, 141.
Stadtrat Winterthur 46.
Stadtrat Zürich 43, 46, 185.
Stadtschreiber 340.
Stadtschulrat 157.
Stadtschützengesellschaft 333.
Stadtverfassung 43, 133, 140, 341.
Stadtvermögen, Ausscheidung 40.
Stadtverwaltung 38.
Stadtzürchersystem 65.
Stäfa 220, 279.
Stämpfli, bern. Staatsmann 272, 319.
Stapfer, Phihpp Albert 301.
Staub, Thalwil 286.
Steffan, J. J., von Wädenswil 71, 112,
203, 204, 208.
von Steigeutesch, Österreich. General 12.
Steiger, Hauptmann, von Riggisberg 3.
Steiger, Robert, Dr., Luzem 261, 275 ff.
Steiner, I,eonhard 35.
Steinhauer, bernischer Tagsatzungs-
gesandter 197.
Steinhaus 19, 42.
Steinmühle 32.
Steinrad 28.
St. Stephauskirche 34.
Sternenberg 210.
Sternwarte 309.
Stifts verwalterei 19, 307.
Stockar-Escher, Hans 1846: 269.
Stell, Georg, Direktor 322.
Storchengasse 225.
Straf- imd Gerichtswesen (Regene-
ration), Strafgesetzbuch 100.
Strassennameu 337.
Strauss, Dr. David Friedrich I47ff.,
242ff., 277 (Porträt 146/147).
Strehlgasse 2 1 .
Streuh, Dr., Küsnacht 68, 6g, 155.
Strickhof 337.
StückUmärt s. Rüdenplatz.
Studenten iS3gff.: 212, 217, 227, 239,
249, 257.
Studer, Kantonsrat, Wipkingen 1839:
206, 213, 246, 247.
Südostbahn 273.
Sulzberger, Johannes, Oberstleutnant
loi, 187, 211, 221, 22S, 232, 242.
Sulzer, Eduard, Professor, Regierungs-
rat 82, 84, 98, iio, 141, 162, 167,
168, 170, 180, 182, 186, 203, 205,
215, 217, 222, 223, 235, 236, 246,
248, 257, 269.
Siüzer, Jakob, Staatsschreiber, Winter-
thur 263, 336.
Sulzer, Julius, Leutnant, von Winter-
thur 293.
Sulzer, Melchior, Regierungsrat 84, 174,
180, 182, 223, 235, 236, 247, 248,
257, 260.
Sulzer, Statthalter, Winterthur 203.
von Sulzer-Wart, Baron 248, 249, 257.
Suter, Kantonsrat, Gossau 239.
„System" (Alfred Escher) 313, 317, 319.
Tagblatt der Stadt Zürich 39, 329, 330.
Tagsatzmig, lange 8, 10 (s. Illustration
Nr. 3); 1832: 301; 1834: 119, 120;
1839: 181, 238; 1841: 255, 256;
1842: 258; 1843: 259; 1845: 277;
1847: 279; 1848: 302.
Talacker 35, 327; Talegg 35.
NAMBN-UND SACHREGISTER
369
Talgasse 326, 328, 334.
Talleyrand, französischer Gesandter i,
2, 9, 54-
Technisches Institut 96.
Telegraph 336, 337.
Teuening 1816 und 1817: 13, 14.
Thalwil 220.
Theater 27, 242 (s. Illustration Nr. 7).
Theaterstrasse 345.
Tiefenhof 36, 326 (s. Illustrationen
Nr. 21 und 30).
Tiefenhofgarten 336.
Tiefenhoflinde 36, 132, 212, 326, 341
(s. Illustrationen Nr. 21, 30 und 43).
Tierarzneischnle 99.
Tilinen 22.
Tobler, MitgUed der Munizipalität 38.
Tonhalle, alte, s. Komhaus.
Torgasse 17, 27, 131.
Tösstal 14, 210.
Toussen 282.
Trautenberg, österr. Kommandant 5.
Treichler, J. J., Professor 3i4ff.
Tribüne im Ratsaal 88.
TroU, Rektor, Winterthur 73, 157.
Troxler, Philosoph, Luzern 301.
TrüUe 35.
Tunnel von Örlikon 338, 339.
Turgi-Waldshut 273.
Tum- imd Schwingfest, eidgenössisches
1859: 343-
u
Uebel, Bruno, Major loi, 187, 215, 216,
225, 226, 227, 238.
Udhgens^vil 297.
Ulrich, David, Staatsanwalt 66, 68,
81, III, 112, 141, 150, 162, 175, 184,
230, 248.
Ulrich, Joh. Caspar, in Firma Ziegler
& Ulrich 22.
Ulrich, Joh. Caspar, Dr., Oberrichter,
Chef der Buchdruckerei Berichthaus
83, 100, 113, 247, 250, 269 (Porträt
112/113).
Ulrich, J. J., Landschreiber 22, 329.
Ulrich, helvetischer Statthalter 42.
Unitarier imd Föderalisten 41.
Universitätsgebäude 326.
Unterer Mühlesteg 24.
Unterrichtsgesetz (Regeneration) 93,
250.
Unterstrass, Volksversammlung 1845:
260.
Uster 185, 214, 219; Fabrikbrand 71,
104, 105, 243, 248; Versammlung
der Landgrossräte 69.
Uster-Memorial 72, 73, 93, 158.
Uster-Wetzikon 273.
„Usterbote" 316.
Ustertag 70, 71, 72, 79, 84, 104, 136,
253. 256, 317-
Usteri, Martin 35, 103.
Usteri, Paul, Dr., Staatsrat und Bürger-
meister 51, 64, 66, 70, 84, 85 (Porträt
84/85).
Usteri, Paul, Dr., Ständerat 35.
Usteri- Wegmann, Oberstleutnant 337.
Usteribrücke 345.
Ütliberg (Gasthaus) 328.
V
Vaterlandsfreimd 83.
Vereinigte Schweizerbahnen 273.
Vereinigungsfrage (Stadt Zürich) 344,
345-
Verfassung und Verfassungsrevisiou,
zürcherische 1814: 10; 1830: 70,
73; 1831: 84, 133; 1837: 139, 140.
Verfassimgsrevisionen in den Kantonen
1814: 7, 9.
„Veto" 139, 140, 178.
Viehmarkt 27, 345.
Villmergen 255.
Vischer, Fr. Th., Ästhetiker 306.
Vogel, Fr. (Memorabilia) 288.
Vogel, Hans Konrad, Stadtpräsident
46, 47-
Vögeli, Albert, Ingenieur 35.
24
370
NAMEN- UND SACHREGISTER
Vögeli-Wieser 1846: 269.
Vögelin, Anton Salomon, Professor 35,
3", 313-
Vögelin, Salomon, Kirchenrat 35, 167.
Vögelin, Salomon, Nationalrat 35.
Volke tswil 210.
Volksschulwesen 1814; 63.
w
„Waag" 221, 226, 227, 233, 238 (s. Illu-
stration Nr. 8).
Waaggasse 132.
Wackemagel, Wilhelm, Professor, Basel
164, 251.
WädenswU 152, 220, 221, 254.
Wagenfähre Wipkingen 331.
Wagner, Richard 306, 336.
Waisenhaus 32, 327; Waisenhauskirche
32-
Walche-Schlachthaus 346.
Wald i;8, 190.
Walder, Karl, Sekretär des Grossen
Rates 275, 285.
Waldmann, Hans 321.
Waldmannstrasse 27.
Waldshuter Komitee 3, 6.
Waller, Landammann von Aarau 1 1 6,
254, 271.
WaUisellen-Uster 273.
Wasserhaus, Wasserkirche 18.
Wasserrad 19, 24 (s. Illustration Nr. 17).
Wasserturm 99, 325.
von Wattenwil, Niki. Rud., Schultheiss
von Bern 4, 53.
Weggelder i o i .
,, Weggen" 132, 225 (s. Illustration
Nr. 14).
Wegmann, Architekt 96.
Wegmann, Ingenieur 268.
Weidmann, Dr., Niederweningen 253,
255-
Weinleiter 20.
Weinplatz 31.
Weiss, Oberstleutnant 1839: 231.
Weiss, Regierungsrat 82, 84, 90, 180,
181, 182, 186, 191, 197, 199, 201,
203, 2o6ff., 2i2ff., 223, 228, 234 ff.,
248, 261, 262, 275.
WeissUngen 210.
Weitling, Willielm, Schneider 3i4ff.
Wellenberg, Kriminalgefängnis 18, 53,
64, 92, 130 (s. Illustration Nr. 18).
Welti-Escher, Lydia 321.
,,Werd" 24.
Werdmühle 28, ^3, 328.
Werdmüller, Dekan, von Uster 214.
Werdmüller, Hans Georg, Generalfeld-
zeugmeister 34.
Werdmüller, Hans Rudolf, Stadtpräsi-
dent 44, 45.
Werdmüllersches Landgut 50.
Werkhof imd Turm 30 (s. Illustration
Nr. 21).
Wesendonk, Otto, Grosskaufmann 336.
Wettingerhaus 22.
Wetzikon 178; Wetzikon-Meilen 273.
,, Widder" 212, 316.
Wiedikon 277, 316; Volksversammlung
110.
Wieland, Bürgermeister von Basel 10.
Wieuer-Kongress 10, 11, 51.
Wiesendangen 210.
Wild, Scharfschützen-Leutuaut 116.
Wildberg 210.
„Windegg" 228 (s. Illustration Nr. 43).
Winkelwiese 27, 227.
Wiuterthur 155, 253.
Winterthvir-Romanshom 273.
Win terthur- Schaff hausen 273.
Winterthurer Landstrasse 132.
Wipkingen 230; Wipkingerbrücke 331.
Witikon 214.
Wolf, Joh. Rud., Astronom 306.
Wolfbach 27, 97.
Wolff, Staatsbaumeister 308, 309.
WoUenhof 24, 32.
Wollishofer Allmend 333.
WoUishoferpörtcheu 28 (s. Illustration
Nr. 5).
NAIIEN- UND SACHREGISTER
i7i
Wülire, alte 22, 131.
von Wyss, David, der jüngere, Bürger-
meister 12, 13, 50, 51, 54, 84, 85, 251.
von Wyss, Georg, 2. Staatsschreiber
251, 257, 260, 263, 314, 342.
Zahme Sihl 32.
Zahn, Ernst 29.
Zangger, Tierarzt 317.
Zehnder, Hans Ulrich, Dr. med., Re-
giervmgsrat iio, 112, 155,162, 186,
197, 235, 255, 257, 258, 260, 262,
299, 330, 334-
Zehnrappenporto 345.
Zehnten mid Grimdzinsen 64, loi.
Zell 2IO.
Zeltweg 96, 132, 327.
Zensur 65, 66.
Zentralbahn 319.
Zentralhof 326.
Zentrumsgruppe 319.
Zeughäuser 212, 216, 221, 240, 256
(s. Illustrationen Nr. 20, 30, 40 und
43); grosses gelbes 30, 228, 300;
venezianisches 31, 229; beim Bahn-
hof 327, 328, 346 (s. Illustration
Nr. 40); Aussersihl 325; neues s.
Feldhof; iKJwenhof 31, 217.
Ziegler, Caspar, Buchdrucker 21.
Ziegler, Eduard, Oberst und Stadtpräsi-
dent 130, 135 ff., 205, 212, 215, 216,
218, 219, 229ff., 236 ff., 256, 278,
279, 287, 2S8, 289, 291 ff., 314, 324,
326, 333, 340, 341 {Porträt 134/135)-
Ziegler, General 79, 136, 140.
Ziegler, Hans, Stadtrat 136.
Ziegler & Ulrich, Buchdrucker 22.
Zimmerleuten, Zimft 22, 82, 2i8, 221.
Zimmermann, Bezirksrichter 239.
Zingg, Regierungsrat, Luzern 319.
ZoUikon 233; ZolUkerberg 172.
Zschokke, Pfarrer 120.
Zuchthaus 32, 64, 326, 341.
Zimftsystem loi.
Zürcher & Ftirrer, Buchdruckerei 184.
Zürcher Flug-Blätter 259.
Zürcher Wochenchronik 344.
Zürcherisches Wochenblatt 22, 329.
Zürich-Altstetten-Zug-Luzem 273.
Zürich-Baden 269.
Zürich-Bodensee-Eisenbahngesellschaft
272, 319.
Zürich-Örlikon-Bülach 273.
Zürich-Putsch 145.
Zürich-Romanshom 338.
Zwingliplatz 19.
Zwingiis Waffen 138, 299, 300.
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