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ARTES SCIENTIA VERITAS
ii
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ÖSTERREICHISCHE BIBLIOTHEK.
herausgeber:
Dr. albert ILG.
Mf».
II. BAND:
HUNDERT JAHRE
DEUTSCHER DICHTUNG
IN STEIERMARK
1785 BIS 1885.
VON
Dr. Anton Schlossar.
h)-M^
WIEN.
Verlag von Carl Graeser.
1893.
HUNDERT JAHRE
Deutscher Dichtung
IN STEIERMARK
1785 BIS 1885.
VON
Dr. ANTON SCHLOSSAR
MIT 10 ABBILDUNGEN.
WIEN.
Verlag von Carl Graeser.
1893.
K. u. k. Hofbuchdruckerei Karl Prochaska in Teschen.
1
)
DEM
»^i DICHTER DER STEIERMARK
P. K. ROSEGGER
ZUR JUBELFEIER
SEINES FÜNFZIGSTEN GEBURTSTAGES
HERZLICHST GEWIDMET.
1
VORREDE.
Auf den nachfolgenden Blättern habe ich ver-
sucht, das dichterische Leben eines Landes,
welches unserem schönen Osterreich angehört, zu
entwerfen und zu zeigen, wie sich dieses Leben
im Laufe des letzten Jahrhundertes entwickelt hat,
welche Beziehungen es zu den poetischen Strömun-
gen aufweist, die seitdem auf dem Gebiete der deut-
schen Literatur hervorgetreten sind. Ungefähr das
Jahr 1785 ist es, von dem an wirkliche bemerkens-
werthe dichterische Äusserungen in Steiermark zu-
tage traten. Für Deutschland war um jene Zeit die
glänzende Periode der classischen Dichtkunst an-
gebrochen, Goethe und Schiller hatten schon durch
unvergängliche Dichtungen ihren Ruhm verkündet
und verhießen dem deutschen nationalen Schrift-
thum eine herrliche Zukunft. Ein Strahl des Schim-
mers, welcher sich über die deutschen Lande aus-
gebreitet, war auch in das schöne, aber damals
noch wenig beachtete Alpenland Steiermark ge-
drungen und das einmal entzündete Licht sollte
nicht mehr verlöschen. Wie sich langsam und
allmählig seit jener Zeit die deutsche Poesie auf
steiermärkischem Boden entfaltete, wie sie in ver-
schiedenen Vertretern und Pflegern Geltung im
Innern des Landes und nach Außen gewann, sol-
len die folgenden Blätter nachweisen.
VIII
Es war mir durchaus nicht darum zu thun —
schon der gebotene Raum hätte dies nicht gestat-
tet — aller dichterischen Schöpfungen und aller
Poeten ohne Ausnahme, die mitunter ganz unbe-
deutend im Lande auf- und wieder abgetreten
sind, zu gedenken. Ich wollte nur in einzelnen
Skizzen die Wichtigsten und Bedeutendsten, kurz
jene Talente vorführen, welche für die Entwicklung
des deutschen dichterischen Lebens überhaupt be-
achtenswert erscheinen oder die wenigstens im
Lande seinerzeit eine hervorragende literarische
Rolle gespielt haben, wenn sie auch vom Stand-
punkte der heutigen Zeit betrachtet, keine glän-
zenden Namen aufweisen. Es gilt dies Letztere
insbesondere von einer Zahl verschiedener Poeten
aus der vormärzlichen Zeit, die vielleicht selbst in
eingehenderen deutschen Literaturgeschichten ver-
gebens gesucht werden, die aber für das zeitgenös-
sische literarische Leben im Lande immerhin Bedeu-
tung erlangt haben und jedenfalls der Vergessenheit
entrissen zu werden verdienen. Nicht von Allen,
welche hier besprochen sind, lagen geschlossene
Sammlungen ihrer Dichtungen vor, Freiherr von
Hammer-Purgstall, Schröckinger, Kollmann, Dirn-
böck und Andere haben dieselben an den verschie-
densten Stellen zerstreut veröffentlicht. Diese
Dichter älterer Zeit habe ich deshalb von der
Behandlung nicht ausgeschlossen, da sie mir
beachtenswert erschienen, ein Name wie etwa
derjenige Hammer-Purgstalls durfte ja schon an
sich nicht übergangen werden. Auf dem Gebiete
der neueren Zeit wurde allerdings etwas strenger
IX
vorgegangen. Es war meine Absicht von den
Bedeutendsten kleine Literaturbilder zu ent-
werfen und dieselben durch einzelne bezeichnende
dichterische Proben, die freilich nur knapp aus-
fallen durften, zu ergänzen. Eigentliche Biogra-
phien zu bieten, lag nicht in meinem Plane, doch
sind die wichtigsten biographischen Daten ange-
führt, ausführlicher spreche ich über Lebensum-
stände, wo es die Darstellung erfordert. Es dürfte
von besonderem literargeschichtlichen Interesse
sein, dass verschiedene bisher ungedruckte Ge-
dichte, Briefe und Briefstellen hier zum erstenmale
veröffentlicht erscheinen. So stand mir aus dem
Nachlasse C. G. R. von Leitners und Faust Pachlers
Manches zu Gebote und ich konnte einige schöne
poetische Gaben derselben hier zuerst vor die
Öffentlichkeit bringen. Auch aus Briefen des
Dichtergrafen Anastasius Grün, die bis nun un-
bekannt geblieben, finden sich verschiedene be-
zeichnende Stellen.
Um irrigen Auffassungen vorzubeugen, sei
noch bemerkt, dass es sich in dem Buche nicht
um steiermärkische Dichter allein, d. h..um solche,
die in Steiermark geboren sind, handelt, sondern
auch um diejenigen, welche lange Zeit im Lande
gewirkt und der Literatur daselbst ein charakteri-
stisches Gepräge verliehen haben.
Zu meiner innigen Freude verlassen diese
Blätter die Presse gerade zu einer Zeit, da der
Jubel zum 50-jährigen Geburtsfeste meines hoch-
verehrten Freundes, des edlen Dichters P. K.
Rosegger durch ganz Österreich und Deutschland
noch nicht ganz verhallt ist und ich will diesem herr-
lichen Sohne der Steiermark, als eine wenn auch
etwas verspätete Festgabe, die aber doch in dem
Jubeljahre hervortritt, meine Arbeit darbieten.
Bildet doch die Darstellung seiner reichen und
glänzenden poetischen Wirksamkeit so ziemlich
den Abschluss des Buches. Viele der Jüngeren
und Jjingsten wären darin noch zu erwähnen und
hervorzuheben gewesen, aber die Darstellung der
letzten Jahre dieses Jahrhundertes möge der
Zukunft überlassen bleiben. Es sind alle Anzeichen
dazu vorhanden, dass man, wenn das ganze Jahr-
hundert verrauscht ist, auf ein schönes und
reiches poetisches Leben der letzten 25 Jahre in
Steiermark wird zurückblicken können.
Graz, im August 1893.
Dr. Anton Schlossar.
Inhalts -Verzeichnis.
Seite
Einleitung. Die Cultur- und Literaturverhältnisse
der Steiermark in den früheren Zeiten ... i
1. Capitel. Die Musen-Almanache. Johann Ritter von
Kalchberg und seine Zeitgenossen in Steier-
mark. Classische Anklänge 12
2. Capitel. In das neue Jahrhundert. Josef Freiherr von
Hammer-Purgstall. Julius Schneller. Carl
Sehr öc kinger 29
3. Capitel. Johann Georg Fellinger. Ignaz Kollmann
und »Der Aufmerksame« 47
4. Capitel. Anton Graf von Prokesch-Osten ... 61
5. Capitel. Rudolf Gustav Puif. J. A. Suppantschitsch.
Johann Gabriel Seidl in Steiermark . . 74
6. Capitel. Carl Gottfried Ritter von Leitner. Seine
Beziehungen zu Anastasius Grün. Aus
Leitners ungedrucktem Nachlasse ... 98
7. Capitel. Jacob Dimböck. Vincenz Zusner. Faust
Pachler und dessen poetischer Nachlass . 116
8. Capitel. Carl von Holtei und Anastasius Grün in
Steiermark. Robert Hamerling . . . 132
9. Capitel. Von den noch Lebenden, die in Steiermark
geboren sind oder daselbst gewirkt haben 151
10. Capitel. Hans Grasberger und P. K Rosegger . 167
11. Capitel. Carl Morre. Beschluss 189
EINLEITUNG.
Die Cultur- und Literaturverhältnisse der
Steiermark in den früheren Zeiten.
Das Land Steiermark, inmitten der übrigen Provin-
zen und Gebiete des heutigen österreichisch-unga-
rischen Reiches gelegen, zeichnet sich, was seine äußere
Gestaltung betrifft, durch schöne Gebirgsgruppen im
nördlichen und westlichen, durch fruchtbare Thäler,
reiche Obst- und Weinpflanzungen im südlichen und
südöstlichen Theile aus und wird immer mehr von
Freunden der Natur und Verehrern anmuthiger Land-
schaftsbilder, welche in den höher gelegenen Gegenden
auch wohl einen großartigen Charakter annehmeUj
gerne aufgesucht. Die erwähnte Lage dieses Landes
aber ließ dasselbe in früheren Zeiten, da noch die Ver-
kehrsmittel der Neuzeit fehlten, eine ziemlich vereinzelte
Stellung einnehmen und den Bewohnern, welche aller-
dings großentheils dem ' bildungsfähigen Bajuvaren-
stamme angehören, war es damals schwer, in der
culturellen Entwicklung gleichen Schritt zu halten mit
der Bevölkerung anderer österreichischer Länder, die
den Hochstätten des deutschen Geisteslebens näher
gelegen erschienen.
Allerdings haben Kunst und Wissenschaft liebende
Fürsten, als Pflegestätten aller geistigen Bestrebungen
Schlossar, icx> Jahre deutscher Dichtung. I
rühmlich bekannte Klöster und auch einzelne hervor-
ragende Männer schon Jahrhunderte hindurch viel dazu
beigetragen, um auf dem Gebiete der Steiermark Edles
und Schönes zu fördern und dem Lande eine auch
culturell beachtenswerte Stellung zu verschaffen.
Die Regenten des Hauses Habsburg insbesondere
seit Erzherzog Karl, dem berühmten Fürsten von
Innerösterreich, waren bestrebt, nach allen Richtungen
in dieser Beziehung ihren Eihfluss geltend zu machen.
Freilich standen der Pflege aller schönen Künste wie
nicht minder der Entwicklung des geistigen Lebens
vielfache Hindernisse entgegen, und letzteres fand trotz
der durch den genannten Erzherzog Karl im Jahre 1 586
bewirkten Gründung der Grazer Universität, welche mit
Hilfe der Jesuiten zustande kam und den Händen
derselben übergeben wurde, noch immer manches Hemm-
nis. Die Wirren der Reformation und der Gegenrefor-
mation ließen ein ruhiges ersprießliches Wirken noch
immer nicht aufkommen und das vielfache Gezänk
zwischen den Anhängern dieser oder jener Richtung
klärte kaum gewisse theologische Fragen, davon zu
schweigen, dass es für andere Wissenschaften frucht-
bringend gewesen wäre oder gar der heimischen Dichtung
zur Entwicklung die Wege geebnet hätte.
Trotzdem war es möglich schon in vergangenen
Jahrhunderten wenigstens den Künsten zu einem ge-
wissen Aufschwünge zu verhelfen. Durch geistliche Ein-
wirkung ist schon in frühester Zeit manches schöne kirch-
liche Bauwerk entstanden, wie etwa der uralte roma-
nische Bau der Stiftskirche in Seckau, die Kirche Maria
Straßengel mit dem prächtigen gothischen Thurme
(1355 vollendet), die gothischen Kirchenbauten von
St. Lambrecht und Maria-Zeil, die St. Agidiusdom-
kirche in Graz (1456 vollendet), die großartige Kirche
auf dem Pöllauberge, die Pöllauer Stiftskirche selbst
und andere ähnliche Bauten, unter denen der Barok-
bau des Mausoleums Ferdinands IL zu Graz von Gio-
vanni Pietro de Pomis (16 14 — 1633) besondere hohe
Beachtung verdient. Schöne Burg- und Schlossbauten
reihen sich daran, welche von reichen Adeligen des
Landes aufgeführt wurden, freilich auch meistens zu-
gleich den Zwecken der Vertheidigung bei Angriffen
gewidmet waren ; zu diesen gehört die so gewaltig an-
gelegte Riegersburg bei Feldbach in der östlichen Steier-
mark, welche verschiedene Bauperioden aufweist imd
heute noch als eine der merkwürdigsten Burganlagen
Österreichs bewundert wird. Ein prächtiges Stück Renais-
sance-Architektur errichtete der italienische Meister de
Lalio in dem 1558 begonnenen und erst nach seinem
Tode vollendeten Neubau des Landhauses zu Graz, das
insbesondere durch die an venetianische Bauten er-
innernden Arkadengänge des Hofes einen mächtigen
Eindruck hervorbringt. Verschiedene Palastbauten
steierischer Adeliger in Graz wurden ebenfalls von
italienischen Meistern hergestellt, die ja selbst bei den
Kirchenbauten in- und außerhalb der Landeshauptstadt
im Lande vielfach thätig waren, wenn man auch nicht
die Namen aller dieser Baumeister kennt, wie jenen
Dömenico Sciassia's, welcher um die Mitte des 17. Jahr-
hundertes das Stiftsgebäude von St. L ambrecht und
die Wallfahrtskirche zu Maria Zell neu herstellte.
Auch die Malerkunst hat aus älterer Zeit manch
schönes Werk aufzuweisen, zunächst an einigen Ge-
mälden der gothischen Kunst, zumeist Fresken in der
Landeshauptstadt selbst, dann an verschiedenen Altar-
bildern aus der Renaissancezeit, später an mehreren
I*
Bildern italienischer Meister, insbesondere ist hier wieder
Peter de Pomis zu nennen, dessen Vielseitigkeit ebenso
Bewunderung verdient als die geniale Ausfuhrung seiner
Werke auf dem Gebiete der Architektur und Malerei.
In Kirchen und Schlössern findet sich aus der späteren
Zeit noch manch schönes Stück und zumeist sind es
wieder italienische Maler, welche diese Bilder ange-
fertigt haben. Später, im i8. Jahrhundert, beginnt mit
dem Maler der großartigen Fresken zu Voran und
Festenburg : Johann Cyriak Hackhofer eine Zahl deut-
scher heimischer Künstler aufzutreten. Schon die Namen
Hauck und Flurer weisen auf die deutsche Abstammung
dieser Künstler hin, die Freskenmaler J. G. Ritt, von
Molk und Mathias Schiffer zu Ende des vorigen Jahr-
hundertes sowie Johann Mayer, dem die Stadt Graz
den genialen malerischen Schmuck der Fa9ade des sog.
»gemalten Hauses« verdankt, seien hier auch noch er-
wähnt. Wie die Architektur und die Malerei jener
Zeit, da man im Lande der Entwicklung künstlerischen
Sinnes mehr Aufmerksamkeit zuzuwenden begann, das
italienische Gepräge aufwies, so auch die Bildhauer-
kunst, deren Werke von damals wie etwa die stolzen
Figuren von Mars und Bellona an dem Portal des land-
schaftlichen Zeughauses in Graz, übrigens zumeist nur
den architektonischen Werken zum Schmucke dienten.
Plastische Einzelwerke der späteren Zeit, im achtzehnten
Jahrhundert, haben allerdings wieder heimische Künstler
geschaffen, so etwa Joh. Jakob Schoy, dem mehrere
Gruppen und Figuren von Heiligen in vortrefflicher
Ausführung zu verdanken sind, femer der Admonter
Thaddäus Stammel, dessen »vier letzte Dinge« im
Bibliothekssaal des Admonter-Stiftes bis heute den Be-
schauer fesseln.
Es könnte hier noch erwähnt werden, dass auf
dem Gebiete des Kunstgewerbes sich der fremd-
ländische Einfluss am wenigsten zeigt und dass die
verschiedenen derartigen Arbeiten älterer Zeit nicht nur
das Gepräge des deutschen Kunsthandwerkes an sich
tragen, sondern auch thatsächlich heimischen tüchtigen
Meistern zu verdanken sind wie etwa die Guss- imd
Schmiedearbeiten, die künstlichen Holzarbeiten und
schönen Vertäfelungen, die Thonarbeiten u. dgl. mehr.
Die Absicht dieser Blätter, welche sich der Darstellung
eines anderen Gebietes zuwenden, ist es jedoch nicht,
des Näheren auf die künstlerischen Zustände imd Ver-
hältnisse im Lande Steiermark einzugehen. Dafür erschien
es dennoch wichtig, von einzelnen bestimmten Beispielen
der hervorragendsten Werke auf künstlerischem Ge-
biete nachzuweisen, dass sich erst später deutscher Ein-
fluss in dieser Richtung geltend machte, dass vielmehr
die cultur eilen Einwirkungen in dieser Beziehung
aus dem Süden, aus den italienischen Landen kamen,
mit einem Worte, dass sich Steiermark von den übrigen
deutschen Gebieten zu sehr abgeschlossen befand, um
von denselben auf geistigem Felde rasch beeinflusst
werden zu können. Dies machte sich aber insbesondere
auf den eigentlichen geistigen Gebieten, auf jenen der
Wissenschaft und des Literatnrlebens überaus
bemerkbar. Hatten schon die Folgezustände der Refor-
mation und der dreißigjährige Krieg in ganz Deutsch-
land selbst lähmend auf das literarische Leben ge-
wirkt, so konnte von einem solchen überhaupt kaum
die Rede sein in einem Lande, das wohl zumeist
deutsche Bewohner aufwies, aber im Aufstreben auf
dem Felde der Kunst anderen Einflüssen naturgemäß
ausgesetzt war, Einflüssen, die in Folge der Verschieden-
heit fremder Denkweise und insbesondere der fremden
Sprache auf sprachliche Kunst, auf Poesie und Schrift-
thum sich nicht nur nicht geltend machen konnten,
sondern hier thatsächlich im Wege standen. Die Ge-
lehrtensprache war imd blieb überdies in Vorträgen
und Schriftwerken die lateinische und auch die etwa
beachtenswerteren Stücke der Poesie im Lande aus
jener Zeit waren daher bis in das achtzehnte Jahr-
hundert herein in dieser Sprache abgefasst, zudem
ganz nach den theologisch-aesthetischen Grundsätzen
welche auf der geistlichen Universität galten, gestaltet,
diesen Grundsätzen nach aber musste ein Poem sich inner-
halb bestimmter vorgeschriebener Grenzen bewegen und
der geistigen Spannkraft, dem dichterischen Schwünge,
blieb fast gar kein Raum zu weiterer Ausdehnung.
In der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhundertes
gewannen die Dinge leise und allmählig eine andere
Gestaltung. Es war wie ein geistiger Lichtblick aus
dem deutschen Norden gekommen, der zunächst in
Wien eine gewisse literarische Regsamkeit hervor-
gerufen, dann aber auch einen Schimmer auf die Steier-
mark geworfen hatte. Die Verkehrsverhältnisse waren
inzwischen bessere geworden, insbesondere wurden
regelmäßige Verbindungen mit der Residenz imd von
da aus mit den nunmehr wichtigen Literaturstätten in
Deutschland eingeführt. Dazu kam das wichtige Er-
starken der periodischen Literatur, der Presse.
Nachdem in Wien ein »Posttäglicher Mercurius«
und das bekannte »Diarium« schon zu Anfang des
Jahrhundertes erschienen waren, folgte auch in Graz
bald in den ersten Decennien des Jahrhimdertes ein
»Posttäglich Grätzerisch ausfliegender Mer-
curius«, der freilich seine Nachrichten nur aus dem
Wiener Blatte abdruckte und ebensowenig wie jenes
sich mit literarischen Dingen befasste. Aber derartige
dürftige Blätter genügten den Lesern in der Residenz-
stadt bald nicht mehr, nachdem diese schon mit ver-
schiedenen »gelehrten Zeitungen« Deutschlands bekannt
geworden; es erschienen denn nicht lange darauf auch in
Wien: ein »gelehrter Anzeiger« (1759), »die Welt« von
Klemm (1762), ihnen folgten die verschiedenen von
Sonnenfels herausgegebenen periodischen Schriften:
»der Vertraute« (1764), »der Mann ohne Vorurtheil«
(1765) etc., Klemm' s »Briefe über die neuere öster-
reichische Literatur« (1768) und seit 1770 Borns »Real-
zeitung«, welche sich längere Zeit erhielt. Diese Blätter
fanden natürlich auch in Steiermark nun leicht Eingang,
sie hatten zur Erweckung literarischen Lebens in Öster-
reich nicht wenig beigetragen und lenkten daselbst die be-
sondere Aufmerksamkeit auch weiterer Kreise auf deut-
sche Dichtkunst, welche ja seit Klopstock's »Messias«
(1747 — 1773) sich kühn der Poesie Englands und Frank-
reichs zu Seite stellen konnte. Man wurde bald auch auf
Lessings große Bedeutung geführt und auf die Wichig-
keit des geistigen Wirkens seiner Zeitgenossen. Es
wagte nun auch in der Steiermark mancher bescheidene
Poet seine Stimme zu erheben, zumal auch hier und
zwar in Graz ähnliche literarische Zeitschriften wie in
Wien auftauchten.
Eine solche und wohl die erste ähnliche Zeitschrift
war das »Wochenblatt für die inneröster-
reichischen Staaten«, welches 1775 in Graz zu
erscheinen begann und dessen Herausgeber, einer
neuen Untersuchung zufolge der 1794 als Professor in
Lemberg verstorbene Lehrer der Theresianischen Militär-
Academie in Wiener-Neustadt, Gottfried Uhlich war.
8
Er strebte darnach, dem deutschen literarischen Leben
darin gerecht zu werden und die auftauchenden
großen deutschen Dichter als Vorbilder aufzustellen.
Uhlich selbst hat sich in einem größeren Gedichte
»Agatha oder die junge Mart)nin«, das zweifellos von
ihm herrührt (obgleich der Verfasser nicht genannt ist)
und mit dem dieses Wochenblatt eröffnet wird, Klop-
stock zum Vorbilde genommen; natürlich muss man
mit dem Versuche zufrieden sein und die Ausführung
nicht allzusehr mit der kritischen Sonde untersuchen.
In der Ankündigung konnte der Herausgeber dieses
Wochenblattes schon von Innerösterreich, zu dem ja
Steiermark mit gehörte, sagen: »der Zeitpunkt einer
allgemeinen Aufklärung ist vorhanden. Unter dem
sanften Zepter Theresiens haben die Wissenschaften in
ihren gesammten Erblanden einen ungemeinen Fort-
gang gemacht. Wir können bereits Gelehrte aufweisen,
die selbst von Auswärtigen mit Ehrfurcht genannt
werden, und der aufblühende Keim junger Schrift-
steller lässt uns vermuthen : dass wir ihnen bald gleich
kommen werden. Und diese zu ermimtem; auch die
Talente unserer Gegend zur Arbeit für die Ehre des
Vaterlandes zu befeuren, ist der erste Endzweck des
Wochenblattes«. So war die Bestrebung dieser Zeit-
schrift eine höchst anerkennenswerte ; sie enthielt Lieder,
Oden, Fabeln und andere Gedichte sowie Prosaaufsätze
und zwar sowohl von den hervorragendsten zeitge-
nössischen deutschen Poeten, welche Stücke in diesem
Falle natürlich verschiedenen anderen Blättern und
Büchern entnommen und keine Originalarbeiten waren,
als auch von einheimischen Talenten, die jedoch leider
niemals genannt sind. Obgleich dieses literarische
Unternehmen sich kaum zwei Jahre hindurch erhalten
hat und lange Zeit kein ähnliches * periodisches Blatt
in Steiermark oder in einem Orte Innerösterreichs auf-
tauchte, so gewährt es doch Einblick in die sich bessern-
den literarischen Verhältnisse, in das erstehende poe-
tische Leben des Landes. Der früher erwähnten Zu-
stände und eben dieses Wochenblattes gedenkt auch
der ungenannte Verfasser der 1792 erschienenen »Skitze
von Grätz«, eines in zwei Heften erschienenen Werkchens,
das sich Pezzls bekannte »Skitze von Wien« zum
Muster genommen hatte und mit großem Freimuthe,
oft auch mit Witz und Humor die Verhältnisse jener
Zeit im Lande und insbesondere in der Stadt beleuchtet
und manche treffende Charakteristik, manche derbe aber
wohlverdiente Kritik derselben enthält. Es sei gestattet,
einige Sätze aus den Capitel XXI dieses Buches,
welches »Literatur« überschrieben ist, hier anzuführen :
» Grätz war, wie überhaupt alle österreichischen Länder
so unglücklich, dass es bis auf Marien Theresiens Re-
gierung kaum wusste, was Literatur sei. — Ein für
Innerösterreich erschienenes Wochenblatt erweckte end-
lich — obschon es sich nicht lang erhielt, den Geist
der Grätzer auch zur Liebe der schönen Wissen-
schaften. Man fieng an Deutsch zu lehren und Geschmack
daran zu finden. Das Theater wurde gereinigt. Die
Fragmente eines Schink, der sich durch eine kurze Zeit
in Grätz aufgehalten hatte, *) lehrten das Publicum das
Schöne der Kunst kennen. — Zu Anfang der Regierung
Josephs war man schon ziemlich weit gekommen. Man
fieng schon an die Voltaire, Wieland, Lessing, Rousseau
u. a. m. zu lesen. Die Literaturzeitungen wurden etwas
*) Joh. Friedr. Schink's dramaturgische Fragmente 4 Bde.
waren 178 1 und 1782 bei Widmanstetter in Graz erschienen.
10
gemeiner, und kaum erschien ein neues vortreffliches
Werk, so sah man es auch schon in den Händen des
Publicums; freilich nicht allgemein; aber — in einer
lange Zeit stockfinster gewesenen Stube macht jeder
Funke großes Aufsehen«. Diese Bemerkung ist etwas
derb, aber die vorhergegangenen Zeilen dieser Dar-
stellung zeigen, dass dieselbe durchaus nicht ungerecht-
fertigt erscheint. Schon das nächste Capitel der »Skitze«
über die »Schriftsteller« weist verschiedene Namen auf,
welche zur Zeit des Erscheinens dieses Werkchens von Be-
deutung waren, und über Steiermark hinaus bekannt ge-
worden sind, wir finden unter denselben insbesondere
auch zwei Dichter, deren noch zu gedenken ist, den
jungen steirischen Edelmann Johann Ritter von Kalch-
berg und den Advocaten Joseph Eustach König. Ersterer
hat sich in der Folge zu besonderer literarischer Be-
deutung aufgeschwungen und mit seinem Auftreten erst
kann von einem eigentlichen poetischen Leben im Lande
'die Rede sein.
Eines Umstandes ist noch besonders Erwähnung zu
thun, der für die Verallgemeinerung und Verbreitung
des Wissens und der Kenntnis der bedeutendsten Schrift-
und Dichtwerke der Zeit in der Hauptstadt der Steier-
mark von hoher Bedeutung erscheint. Es ist dies
die vollzogene Eröffnung der »öffentlichen Bi-
bliothek« an der Grazer Universität. Die Eröffnungs-
feier fand am 19. März 1781 unter großem Gepränge statt.
Es war von da an jedem nach Bildung Strebenden Ge-
legenheit geboten, die Schätze unserer Literatur auf
leichte und bequeme Art kennen zu lernen und sich
mit denselben vertraut zu machen, während bisher nur
den Universitätslehrern selbst die Bücher zugänglich
gemacht waren und das größere Publicum von der
II
Benützung derselben ausgeschlossen erschien. Der Pro-
fessor der schönen Wissenschaften Josef Werneking hat
damals ein Gedicht: >Bey Eröffnung des Büchersaales
von der hohen Schule zu Grätz« veröffentlicht, welches
im Klopstockschen Odenstyle gehalten, die schon von
Maria Theresia bewilligte und nunmehr zustande ge-
kommene allgemeine Zugänglichkeit dieser Bücher-
sammlung feiert, aus welchem, wenn auch nicht gerade
sehr bedeutenden, so doch bezeichnenden Poem einige
Strophen zur Probe hier ihre Stelle finden sollen:
Verweile Fremdling! wenn die Mure dich
Noch einmal ans Taurisker Ufer bringt,
Und frohnst du ja der Musen einer;
So wag den Schritt, und huldige
Der Göttin hier in ihrer neuen Halle. — —
Hier such sie Musensohn, und jauchze Dank
Den Sphären zu, wo nun Theresien's
Verklärter Geist mit seePgen Blicken
Das goldene Gepräge der
Wohlthätigkeit auf Ihres Denkmals Zinnen
Froh liest; so lange Josephs Vateraug
Für Künste wacht, und Seines Namens Ruf
In der Unsterblichkeit Geleite
Zur grauen Nachwelt überzeuht
Auch spät'rer Enkeln Segnungen zusammen.
m
I. CAPITEL.
Die Musen- Almanache. Johann Ritter von
Kalchberg und seine Zeitgenossen in Steier-
mark. Classische Anklänge.
Es ist allbekannt, dass kurz nachdem unsere deutsche
Dichtung im letzten Drittel des i8. Jahrhundertes
ihre Wiedererstehung feierte, auch das in Bezug auf
Entwicklung poetischen Lebens noch bescheiden im
Hintergrunde stehende Österreich bald seinen Antheil
zur deutschen Poesie bot. In Wien führte Denis, der
»Barde Sined« den Reigen an und erregte insbesondere
durch Oden nach dem Vorbilde Klopstocks wohlver-
diente Aufmerksamkeit, welche ihm selbst ausser Öster-
reich zu theil wurde, Mastalier, Retzer, Ratschky,
Haschka ragten ebenfalls durch ihre lyrischen Poesien
hervor, während Alois Bluntauer zunächst auf dem
Gebiete der ernsten Dichtung, später aber auf jenem der
Burleske eine bedeutende literarische Persönlichkeit
genannt werden muss, an welcher gewisse frivole Be-
strebungen allerdings auch zu tadeln sind. Übrigens
herrschte ja im Liebeslied an der Pleiße und an der
Elbe wie am Donaustrand der leichtfertige Ton über-
haupt vor. Die anakreontische Dichtung war in jene
lockere Darstellungsweise übergangen, welche uns
in der deutschen Lyrik jener Zeit bei aller Hochschätzung
vor derselben bald da, bald dort entgegentritt. Außer
13
Denis und Mastalier hatten auch die Wiener und die
übrigen Dichter Österreichs diesem Zeitgeschmacke ge-
huldigt. Den Spuren Wielands folgte von den Wie-
nern J, B. Alxtnger, der Verfasser einiger großer
Rittergedichte, dem Vorbilde Lessings^ wenigstens in
den Fabeln, welche die zahlreichen Sammlungen der
einst vielgelesenen »Skizzen« enthalten, A, G. Meissner,
auf dramatischem Gebiete hatte Ayrenhoff seinerzeit
große Anerkennung gefunden, ward aber in dem jetzt
ins Auge gefassten Zeitabschnitte schon als veraltet
angesehen.
Eine besondere Wichtigkeit für die Entwicklung
der poetischen Bestrebungen erlangten seit 1870 die
nach dem Muster des Pariser »Almanach des muses«
auch in Deutschland erschienenen Musenalmanache*).
Dass Schiller selbst von 1796 bis 1800 einen solchen
»Musen- AI manach« herausgegeben hat, ist bekannt.
Der Gedanke, auch für Österreieh einen derartigen
Sammelplatz der Dichter zu schaffen, lag nahe und in
der That gab J. F. Ratschky den ersten »Wieneri-
schen Musenalmanach für 1777« heraus, welcher
über zwanzig Jahre lang fortgesetzt und zuletzt von
Blumauer und G. Leon geleitet wurde. Der Wiener
Almanach nahm sich die deutschen Almanache zum
Muster, er war wirklich auch in Österreich rasch be-
liebt geworden und keiner der auch nur halbwegs be-
achtenswerten Namen der deutschen Dichter Öster-
reichs fehlt in der Reihe dieser Bändchen ; von
♦) Über die Musenalmanachliteratur liegt nunmehr die
ausgezeichnete Arbeit in der 2. Auflage von »Goedeke's
Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung« IV. Bd.
I. Abthlg. (1891) S. 359—372 vor. Vgl. etwa auch meine
»Österr. ,Cultur- und Literaturbilder« (Wien 1879) S. 6 ff.
14
Steiermärkem, auf welche noch zurückzukommen ist,
sind J. V. Kalchberg, J. E. König, J. J. Scheiger und
F. Schräm in verschiedenen Jahrgängen mit Beiträgen
vertreten. Durch die Wiener aufmerksam gemacht,
entstanden in den österreichischen Provinzen ebenfalls
einzelne Almanache, die es freilich gewöhnlich nicht
über den ersten Jahrgang brachten, Tekusch gab einen
Preßburger (1785), Hübner einen Salzburger (1787
und 1788), Bretschneider einen Lemberger Almanach
heraus und J. D. John bot 1787: »Blumen, Blümchen
und Blätter statt eines Prager Musenalmanachs.« Die
Zahl der deutschen Almanache war bald kaum mehr
zu übersehen.
Für den Zweck der vorliegenden Darstellung ist
insbesondere jenes 1789 in Graz erschienene Bändchen
ins Auge zu fassen, das unter dem Titel »Früchte
vaterländischer Musen, herausgegeben zum Be-
sten der leidenden Menschheit« J. N. Ritt, v, Kalchherg
herausgab, welchem im Jahre 1790 eine zweite Samm-
lung folgte. In dem an die Erzherzogin Marianne
von Österreich gerichteten Widmungsgedichte des Al-
manachs findet sich die bescheiden klingende Strophe :
Wir fühlen es! Zu schwach sind unsere Töne
Um in dem heiligen Bardenhain,
Im Kreise ruhmgeschmückter Musensöhne
Des Lorbeerkranzes werth zu sein.
Immerhin sind aber viele Gedichte dieser Bänd-
chen den besseren Stücken der Wiener Almanache und
so manchen Reimereien der übrigen deutschen Musen-
almanache gleichzustellen. Noch waren es Wenige,
welche in Steiermark Kalchbergs Rufe folgten, aber
unter diesen Wenigen hatten Geist und Witz manchen
wackeren Vertreter. Wie eine Prophezeiung und weh-
15
müthig klingt in der ersten Sammlung die Ode : »An
Steiermark« aus, welche den Herausgeber Kalchberg
zum Verfasser hat und die hier als eines der ältesten
Gedichte Kalchbergs auszugsweise mitgetheilt sei.
An Steiermark.
O du! in dessen waldigem Schoß mein Aug
Den ersten Strahl der wärmenden Sonne trank,
Du, dess forellenreiche Ströme
Einst um die Wiege des Dichters sausten.
Dir holdes, schönes Vaterland tönt mein Lied!
Dir, das ich liebe, glühend und innig, wie
Der gute Sohn den Vater, wie die
Zärtliche Tochter liebt ihre Mutter!
Zwar horcht dein dumpfes Ohr dem Gesänge nicht.
Der deiner Söhne Leier entströmet, nur
Der Fremdlinge Geklimper hat noch
Reize für Wenige deiner Kinder.
Doch Mutter! Nein ich zürne dir nicht! Noch schläfst
Du fort den tiefen Schlummer des Geistes, noch
Ist das Jahrhundert nicht gekommen.
Welches bestimmt ist, dich einst zu wecken.
Einst, wenn vom Meer der Zeiten das Geisteslicht
Auch über dich, mein Vaterland, aufgeht, wird
Der späte Enkel mich erkennen,
Segnen die Asche des frühen Dichters
In der 1816 und 17 erschienenen Gesammtaus-
gabe der Werke Kalchbergs erscheint das obige Gedicht
vom Verfasser vollständig umgearbeitet, und hat eine
andere Gestalt erhalten*) ; der Dichter selbst hat damit
*j Die vollständige neuere Fassung des Gedichtes findet
sich auch in der von mir veranstalteten Ausgabe. J. R. v.
Kalchbergs gesammelte Schriften. Wien. 1878, Bd. L S. 5.
Es ist ein Verdienst des verstorbenen Hofbuchhändlers R.
v. Braumüller, Kalchbergs Werke in dieser neuen Ausgabe
dem Publicum wieder zugänglich gemacht zu haben.
i6
zugestanden, dass die literarischen Verhältnisse im
Lande besser geworden, dass die Pflege der Dicht-
kunst sich verbreitet, dass man derselben schon auf-
merksame Beachtung schenkte, dass der »Schlummer
des Geistes« geweckt erschien. Jedenfalls trug zu dieser
erfreulichen Wirkimg Niemand mehr und besser bei
als Kalchberg selbst, zunächst im Vereine mit seinen
gleichgesinnten Freunden in dem Almanache: »Früchte
. vaterländischer Musen. «
Obgleich die vorliegende Darstellung sich durchaus
nicht eingehender biographischer Behandlung zuwenden
soll, so erscheint es doch nothwendig, einige der wich-
tigsten Punkte aus Kalchbergs Leben hier zu berühren.
Joh, Ritt V, Kalchberg, 1765 in dem Schlosse Pichl
im Mürzthale der Steiermark geboren und im Convicte
zu Graz erzogen, wo er sich schon frühzeitig mit der
damals zeitgenössischen Literatur der deutschen Klas-
siker bekannt machte, betrieb das Studium der Rechte,
trat 1785 in den Bankaldienst, wurde 1791 zum Aus-
schussrath der steiermärkischen Stände gewählt und
lebte einige Zeit zurückgezogen, sodann aber wieder
als ständischer Ausschussrath. Als Erzherzog Johann
das wissenschaftliche Institut, welches unter dem Namen
des »Joanneums« weithin bekannt und berühmt gewor-
den ist, in Graz begründete, war es Kalchberg, dessen
Vorschläge zur Einrichtung und Fortführung dieser
Anstalt Wesentliches beitrugen. Er wurde vom Erz-
herzog zu einem der drei Curatoren des Joanneums be-
stimmt und leistete 16 Jahre lang als solcher die vor-
trefflichsten Dienste. Kalchberg rechtfertigte also das
Vertrauen, welches der Erzherzog in sein Wirken ge-
setzt, in glänzender Weise und wie sehr dieses Ver-
trauen dem Steiermärker zugekehrt war, zeigt der Brief-
i8
Wechsel, welcher zwischen ihm und dem Erzherzoge
von 1810 — 1825 geführt wurde*) und welcher eine
ganze Reihe der für das Land wichtigsten culturellen
Fragen behandelt. Kalchberg wurde 18 10 und später
18 16 zum Verordneten der steiermärkischen Stände
gewählt. Viele Leiden hatten zuletzt den eifrigen und
für alles Schöne und Edle in seinem Vaterlande so be-
geisterten Mann heimgesucht, denen er endlich im
Jahre 1827 auch erlag. Sein in einem Gedichte ausge-
sprochener Wunsch, an der geschichtlich merkwürdigen
Leechkirche seiner Vaterstadt, dem ältesten kirchlichen
Bauwerke derselben, begraben zu werden, wurde erfüllt.
An dieser Stelle haben wir es nun allerdings nur
mit dem Dichter Kalchberg zu thun, vorwiegend mit
dem lyrischen Dichter. Als solcher ist Kalchberg wie
erwähnt schon in den »Früchten vaterländischer Musen«
aufgetreten. Im Jahre 1793 erschien eine Sammlung
seiner eigenen Gedichte.**) Vollständig umgearbeitet,
vermehrt und verbessert wurde die Sammlung dieser
Gedichte in der später veranstalteten Ausgabe von
Kalchbergs »Sämmtlichen Werken« (Wien 1816 — 17,
9 Bände) und dasselbe gilt von den im Jahre 1878
durch den Verfasser dieser Zeilen herausgegebenen »Ge-
sammelten Schriften« des Dichters, deren i. Band die Ge-
dichte aus dem Nachlasse vermehrt enthält, doch wurde
manches Unbedeutende auch zugleich ausgeschieden.
*) Vom Verfasser dieser Zeilen sind die Originalbriefe
Erzherzog Johanns an Kalchberg herausgegeben worden
in dem Werke: »Erzherzog Johann von Österreich und sein
Einfluss auf das Culturleben der Steiermark« (Wien 1878).
♦*) Schon 1788 soll eine solche Sammlung erschienen
sein, doch ist sie mir trotz eifrigen Nachforschens nie vor-
gekommen.
19
Eine allgemeine Charakteristik des Dichters ge-
statten alle diese Ausgaben. Klopstock, Lessing, Geliert,
Hölty, Pfeifel, später Schiller, von den Wienern vor
Allem Denis sind es vorzüglich, an deren Schöpfungen
sich die Lyrik des Steiermärkers anlehnt, gerne wendet
er antike Strophen an in der beliebten Odenform, auch
die gereimte Fabel findet sich öfter vertreten, insbe-
sondere aber dürfte Kalchberg der erste sein, welcher
heimische, geschichtliche Stoffe in Balladenform behan-
delte imd in dieser Beziehung etwa Bürgern folgte.
Solche Balladen sind »Heinz von Plasman,« »Hans
von Stein,« »Andreas Eberhard von Rauber,« »Die
Tempelherren zu Mainz« u. A. Sowohl in der Dar-
stellung als auch in der Anwendung der Reimform folgt
der Dichter seinen erwähnten berühmten Vorbildern. Es
ist nicht zu verwundem, dass auch manche Geschmack-
losigkeit, mancher unreine und unschöne Reim mit
unterlaufen, deshalb ist aber das Streben des Poeten,
seiner Dichtung einen weiteren Kreis zu eröffnen und
dieselbe in Bezug auf die behandelten Gegenstände
mannigfaltig zu gestalten, immerhin anzuerkennen.
Liebliche zarte, kleine Lieder finden sich dazwischen,
welche zu den schönsten poetischen Blüten jener Zeit
m Osterreich gehören.
Den Einfluss Schillers auf den Dichter können
Gedichte wie »An Marianne« nicht verläugnen. Als
Beispiel hier die erste Strophe:
Holde Schöpferin geheimer Triebe,
Die mich mit den Fesseln heißer Liebe
Schnell an ihren Siegeswagen band.
Gute, traute, sanfte Marianne,
Heil mir, dass auf meinem Lebenskahne
Ich im Ocean der Welt dich fand.
2*
20
Aber auch manches ernste gedankenreiche Gedicht,
manche von einem schönen Patriotismus, von Begei-
sterung für Kaiser und Vaterland zeugende Strophe
treten dem Leser neben kleinen scherzhaften Liedchen
entgegen. Der Dichter wollte später eine Sammlung
von Gedichten herausgeben, die in den vor 1820 er-
schienenen Ausgaben nicht enthalten waren, aber der
Schrecken aller damahgen Poeten und Schriftsteller,
die Censur, gab die Druckerlaubnis selbst diesem durch
seine glänzende Loyalität hervorragenden Dichter nicht.
Einige dieser in Distichen abgefassten kurzen Gedichte,
welche die Censurbehörde auf diese Weise von der
Öffentlichkeit ausschloss, mögen noch folgen.
Der Zeitgeist
Wie in der Vorzeit regiert noch jetzt das eiserne Fatum,
Beugt mit gewaltiger Faust mächtiger Sterblichen Trotz,
Zeitgeist nennt sich sein Sohn und wenn ihm trotzen die
Herrscher,
Wanken die Throne, es weicht von den Beherrschten das
Glück.
Warnung.
Völkergebieter, vertraut nicht heuchelnden Schranzen das
Scepter,
Nichts ist empörender als Sclaven von Sclaven zu sein.
Macht der Liehe,
Völkergebieter, vertraut nicht Bajonetten die Throne,
Fest bestehen sie nur, treu von der Liebe bewacht.
Einen Beitrag zur Geschichte unserer Censur bietet
es, dass solche Gedanken in edler poetischer Form
ausgedrückt vor der Veröffentlichung ängstlich gehütet
wurden. Diese und ähnliche Stücke aus Kalchbergs
Nachlasse sind wirklich erst etwa fünfzig Jahre nach
des Dichters Tode gedruckt worden.
21
Es war jedoch nicht so sehr das lyrische Gebiet,
auf welchem der Dichter Kalchberg hauptsächlich dich-
terisch thätig war, sondern vorwiegend das dramatische.
Eine Reihe von Dramen liegt vor, welche zum großen
Theile auch die Feuerprobe der Darstellung durchge-
macht, haben und in denen der Dichter zumeist ge-
schichtliche Persönlichkeiten in den Vordergrund der
Handlung treten lässt. Besonderes Interesse unter diesen
dramatischen Stücken verdienen insbesondere »Die
Tempelherren« (1788), »Die deutschen Ritter in Accon«
(1796) und »Die Ritterempörüng« (1792), welch' letztere
der Dichter später nicht eben zum Vortheile der dra-
matischen Wirksamkeit in Versen umgearbeitet hat.
In den »Tempelherren« war Lessing des Dichters Vor-
bild, wie auch aus Kalchbergs eigenen Worten in einer
Anzeige »An die Freunde meiner Muse« (1816) hervor-
geht, welche Worte lauten: »Nathan der Weise und
der Mönch von Carmel giengen als Vorbilder meinen
Tempelherren voraus in dieser Gattung dramatischer
Dichtung, die nun so viele Meisterstücke besitzt.« Die
Fabel der »Tempelherren« bildet das Geschick des
Großmeisters Jakob von Molay. Beide dieser Dramen
durchweht ein wahrhaft classischer Geist und sie blei-
ben jedenfalls die bemerkenswertesten dramatischen
deutschösterreichischen Dichtungen jener Zeit. Mehrere
Stücke aus der Geschichte der engeren Heimat Kalchbergs
so »Die Grafen von Cilli« (1791 und 1793) sowie das
Jugenddrama »Agnes Gräfin von Habsburg« (1786)
weisen manche poetische Schönheit auf, doch ist das
letzterwähnte Stück minder bedeutsam, »Die Grafen
von Cilli« sind wieder durch die scharfe Charakteriesirung
einzelner Gestalten von Wert. Auch die oben genannte
»Ritterempörung« (Andreas Baumkircher) nimmt eine
22
Episode aus der Geschichte Steiermarks üum Vorwurfe
und bleibt wohl das Wirksamste, was Kalchberg auf
dem Gebiete des Drama's geschaffen, zudem Baum-
kircher als ein ritterlicher Held erscheint, den heute
noch das Publicum mit Begeisterung auf die Bühne
treten sieht, denn Kalchbergs »Baumkircher« wird in
Steiermark noch bis auf unsere Tage von Zeit zu Zeit
zur Darstellung gebracht, ein Umstand, welcher die
Lebensfähigkeit dieser Dichtung gewiss aufs Beste er-
weist.
Schon aus dem bisher Gesagten geht hervor, dass
sich Kalchberg mit dem Studium der Geschichte und
besonders der Geschichte seiner Heimat eingehend be-
fasst hat, er war auch der erste, welcher in seinen »histo-
rischen Skizzen« (i8oo) Erzählungen zumeist aus
der Heimatsgeschichte in einer Form vor das Publicum
brachte, die allgemein ansprach, er war es, der die
Geschichte des Vaterlandes damit in weiteren und
weitesten Kreisen bekannt machte und zur Kenntnis
derselben daher so unendlich viel beitrug. Mit den
geistigen Größen unserer deutschen Literatur trat der
Dichter vielfach in Verbindung. »Ich hoffe« schrieb
er am 12. Januar 1793 an Schiller »dass Ihr Edelmuth
mir diesen kühnen Schritt (an Schiller zu schreiben)
vergeben wird, zu dem mich nur allein die hohe Ach-
tung und Bewunderung Ihrer erhabenen Verdienste
verleitete, von der nicht ich allein, sondern Tausende
meiner Landsleute erfüllet sind : obschon in diesen Ge-
filden das heilige Licht der Weisheit nur noch mit
blässen Strahlen flimmert.« Dem Briefe, welchem diese
Stelle entnommen ist, lag eiii Manuscript für die von
Schiller redigierte »Neue Thalia« bei: »Eine Scene aus
deiii Leben Kaiser Heinrich's IV. « welche in der
23
That in der erwähnten Zeitschrift (IV. i.) von Schiller
zum Abdruck gebracht wurde. Schon frühzeitig wurde
dem steiermärkischen Dichter die Ehre zu theil, dass
ihn, »dessen Eifer für die Ehre unseres Vaterlandes den
würdigsten Beifall der Kenner und den Ruhm eines
edelmüthigen und geschickten Beförderers der deutschen
Literatur ihm längst erworben hat«, die herzoglich
deutsche Gesellschaft in Jena zu ihrem vornehmen Mit-
gliede ernannte. Kalchberg stand im Verkehre mit
den Hauptstätten des literarischen Lebens in Deutsch-
land, bis ihn seine amtliche Thätigkeit von der Dichtling
rrfehr abgezogen hatte. Er veröffentlichte zuletzt fast
nur historische Abhandlungen. Zum Schlüsse folge
noch der Anfang eines Gedichtes, das der steiermärkische
Dichter an Goethe gerichtet hat und das bisher nir-
gends abgedruckt wurde.
An Herrn geheimen Rath von Goethe,
Stolz der Deutschen, dem die Hippokrene
Von Achaias Lorbeerhöhen quillt,
Stets Natur, wie keinem ihrer Söhne,
Neuer Reize Heiligt hum enthüllt.
Sieh, es bringt ein Freund aus fernem Lande,
Dem dein Lied oft Seelenlabung war.
Von der Mur noch schwach erhelltem Strande
Dir dies Merkmal der Verehrung dar.
Über die Lebensumstände der zeitgenössischen Poe-
ten Steiermarks aus jener Periode, in der Kalchbergs
Poesie die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, ist wenig
bekannt geworden, selbst manche Namen derselben
sind nur aus den »Früchten vaterländischer Musen«
und aus einigen in späteren Zeitschriften abgedruckten
Gedichten in weitere Kreise gedrungen, so Xav, Adolf
24
V» Unruhe, ein sinniger Dichter (1770 geboren), welcher
mit Kalchberg befreundet gewesen wie die meisten
Mitarbeiter des angeführten steirischen Almanachs. Er
scheint frühzeitig gestorben zu sein* Einem witzreichen
Poeten Josef Eustach König begegnen wir außer .in
den »Früchten« auch im »Wiener Musenalmanach«; er
war 1758 zu Graz geboren, Advocat in seiner Vater-
stadt und starb 1795. König besaß die größte Privat-
bibliothek daselbst und zeichnete sich als Dichter durch
feinen Humor in seinen zugespitzten Epigrammen aus.
Leider sind viele, wohl auch größere Gedichte dieses
geistvollen Mannes niemals der Öffentlichkeit übergeben
worden und Niemand weiß, ob und wo deren Hand-
schriften sich erhalten haben.
Ein Dichter Sigismund Theodor Grafv. Auersperg
(1757 — 1803) war ein Schüler des »Barden« Denis in
der Theresianischen Academie zu Wien, an welchen
gefeierten Lehrer auch ein Gedicht Auerspergs in den
»Früchten v. M.« gerichtet erscheint. Doch wurden
nur einzelne Poesien des in den besten Jahren verstor-
benen Grafen bekannt, der etwa hundert Jahre früher
in Graz weilte, als der weitberühmte Dichtergraf Ana-
stasius Grün.
An Kraft des poetischen Ausdrucks überragt der
geborene Steiermärker Franz Schräm^ von dem ver-
schiedene Gedichte in den »Früchten v. M « und in
Zeitschriften bis in das zweite Decennium des 19. Jahr-
hundertes erhalten sind, viele der gleichzeitigen Dichter
Innerösterreichs. Schräm starb im Jahre 1834, achtzig
Jahre alt. Er pflegte die Ode, das leichtere Liebeslied,
und bot auch manches humoristische Stück. Eine
Sammlung der Gedichte Schrams ist in Wien erschienen.
25
ich konnte aber trotz eifrigsten Nachforschens nie ein
Exemplar derselben erhalten.*)
So manche, besonders spätere Poesieen Schrams,
zeugen von trüber beinahe verbitterter Lebensanschau-
ung, schlägt er doch schon in dem Gedichte »An das
Schicksal« (Früchte v. M. I. Bd.) jenen elegischen Ton an:
Auch ich dein Sclave, strenge Gebieterin!
Soll nimmer mir die Fahne der Freiheit nahn ?
Und soll und muss ich ewig deine
Ketten an blutigen Fersen schleppen?
Im Jahre 1785 schon begegnen wir im Wiener
Musenalmanache kleinen poetischen Erzählungen von
/. /. Scheiger^ wie aus diesen Stücken und den später
in dem steirischen Almanach veröffentlichten Fabeln und
anderen Dichtungen hervorgeht, einem geschickten
Nachahmer Gellerts, Pfeffels und anderer guter Fabel-
dichter jener Zeit. Weniger beachtenswerth erscheinen
die vereinzelten übrigen lyrischen Poesien dieses
Steiermärkers, dessen Lebensumstände ebenfalls in
Dunkel gehüllt sind.
Der in Graz 1763 geborene Wenzel Haan verließ
seine Heimat bald und wurde Professor in Lemberg,
später in Krakau, wo er (etwa zwischen 1806 und 1810)
starb. Er hat schon 1782 und 1783 zwei Bändchen
»Versuche in der Dichtkunst« veröffentlicht und in
einer größeren Dichtung »Xenokrat« (1787). Wielands
*) In meinen Händen befindet sich ein in Kupfer ge-
stochenes Titelblatt mit einer von Blaschke gestochenen
Vignette, welches lautet: Gedichte von Franz Schräm; Zwei-
ter Theil. Wien und Leipzig. 1797. Wo mag ein Exemplar
dieser Gedichte, von denen also 2 Theile erschienen sind,
zu finden sein? In Grazer Bibliotheken und in der Wiener
Hofbibliothek existirt keins.
26
Einfluss auf seine Dichtweise nachgewiesen. Allerdings
sind wohl beinahe alle Gedichte Haans außerhalb seiner
Heimat entstanden. Hier ist derselben aber dennoch
zu erwähnen, da sie ein ganz besonderes Talent des
in Steiermark geborenen Dichters verrathen. Geläufig-
keit im Ausdruck und Gewandtheit in der Darstellungs-
weise heben diese Lieder über viele der gleichzeitigen
Poesien empor.
Auch Josef Edler von Högen gehört nur seiner
Geburt nach (er wurde 1767 in Graz geboren) und
wegen seiner daselbst erhaltenen Ausbildung der Steier-
mark an. Schon während der rechtswissenschaftlichen
Studien verließ er das Land und starb wahrscheinlich
in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts als Land-
rechtsralh zu Linz. Högens Gedichte erschienen separat
1793 in 2 Bändchen zu Graz. Ernste Gedanken in
poetischer Form, leichte ja selbst lockere Lieder wechseln
hier miteinander ab, in letzteren hat sich Högen mit-
unter den einst allbeliebten Blumauer zum Vorbild er-
koren, wie dies ja sogar die Bezeichnung: »nach
Blumauer« bei dem Gedichte »An den Schnee« ganz
ausdrücklich nachweist. Auch hübsche Naturbilder
weiß der Dichter in Versen zu entwerfen.
Seiner ernsten Klänge und des großen edlen
Schlusspoems wegen, das »Über die Regierungsformen«
betitelt ist und bedeutende Gedanken so wie reiches
historisches Wissen des begabten Dichters verräth, kann
man demselben manchen derben Scherz und manches
allzu gewagte Liebeslied, womit er freilich dem Zeit-
geschmacke zu entsprechen glaubte, verzeihen.
Zum Schlüsse sei bei dieser Dichtergruppe eines
Mannes gedacht, der wie sein Bruder, der ebenfalls lite-
rarisch thätige Cajetan Franz von Lettner^ Beachtung
27
verdient. Es ist dies Alois Vinzenz v. Lettner, welcher
ebenfalls unter den Steiermärkem jener Zeit eine lite-
rarische Bedeutung erlangt hat, wenn auch nicht eine
so hohe wie sein Neffe Carl Gottfried R. v. Leitner,
der hervorragende Lieder- und Balladensänger unseres
Jahrhunderts. Alois v, Leittier, 1767 geboren, starb 181 8
zu Graz. Er hat neben verschiedenen Aufsätzen in
dem literarisch-belletristischen »Sonnabends- Anhang zur
Gräzer Zeitung,« welcher 1796 zu erscheinen begann
und von dem oben erwähnten Cajetan v. Leitner,
(f 1805) dem Vater Carl Gottfrieds redigiert wurde,
manches beachtenswerte Gedicht, sowohl in den
»Früchten v. M.« als auch anderwärts veröffentlicht,
darin die Natur und die Liebe besungen, sich in
Epigrammen versucht und auch hier und da warme
und schöne patriotische Klänge angeschlagen, wie
etwa in den Versen, welche er zur Vermählung Maria
Louisens mit Napoleon L in einer 1810 zu Graz er-
schienenen Sammlung abdrucken Hess.
So naht denn auch für das geistige und poetische
Leben der dem deutschen Norden fem gelegenen Steier-
mark eine neue bessere Zeit mit dem Beginne des
19. Jahrhundertes und geebnet erscheinen die Bahnen
durch jene Männer, über deren Wirken auf dem Ge-
biete der Dichtung oben Erwähnung geschehen ist.
Die Thätigkeit Einzelner derselben erstreckt sich noch
bis in die ersten Jahrzehnte des neuen Jahrhundertes,
in der Hauptsache fallt dieselbe aber in das letzte
Drittel des 18. Jahrhundertes, in welchem jene bahn-
brechende Geister geworden sind oder doch wenigstens
nach bestem Können und Wissen den Sinn für Schönes
und Edles geweckt haben. Mit Recht konnte daher
Kalchberg 1 816 in der Grazer Zeitschrift: »Der Auf-
28
merksame« die Worte veröfFentlichen : »Indessen ver-
wandelte sich die Morgenröthe der GeistescuJtur, der
ich als Jüngling mit Begeisterung opferte, in einen herr-
lichen Frühlingsmorgen. Die Musentempel vermehrten
sich mit der Zahl ihrer Priester und Verehrer. Der
deutsche Genius erzeugte imsterbliche Werke der Kirnst
und des Geschmackes; des Vaterlandes späterer Sohn
genießt nun schwelgend in Fülle, was uns Altem so
karg zugemessen war und wir nur in schwerem Kampfe
mit Hindernissen jeder Art erringen konnten. Nahend
dem Herbste des Lebens sah ich mit Wonne diese
schöne Verwandlung, dieses Fortschreiten des Geistes
in allen Kenntnissen und Wissenschaften.«
Kaum ein dutzend Jahre, nachdem der steiermär-
kische gemüthvolle Poet diese schönen Worte seinen
Heimatsgenossen zugerufen, hatte man auch ihn einge-
senkt in die kühle Erde an der Stelle bei der Leechkirche
in Graz, die er sich als Grabstätte erbeten.
^
IL CAPITEL.
In das neue Jahrhundert. Joseph Freiherr von
Hammer-PurgstalL Julius Schneller. Carl
Schröckinger.
Zur Besprechung des neuen Jahrhundertes erscheint
es nothwendig, nochmals zurückzugreifen in das alte,
um die Verbindungsglieder zu finden. Im »Neuen
teutschen Merkur« Wielands ^ November 1796. 1 1. Stück,
erschien ein Gedicht, dem Hofrathe v. Jenisch, dem Vor-
steher der k. Academie der morgenländischen Sprachen
in Wien, gewidmet, überschrieben »An die Freunde der
Literatur,« es war in schwungvollen antiken Strophen
abgefasst, der Dichter hieß Josef Hammer und war
damals 22 Jahre alt. Das Gedicht beginnt:
Ha, wie es blühet, wie es in herrlichem
VoUendungsglanze neuer Entdeckungen
Empor und stets empor sich hebt, das
Reich der erhellenden Wissenschaften.
Ein Götterfunke strebender Thätigkeit
Und ein Gemeingeist hat mit elektrischem
Erschütt'rungsstoße seine Bürger
Bis zu dem Letzten entflammt mit Muthe.
In dieser begeisterten Weise setzt der Poet seine
Strophen fort, Deutschland auffordernd »mit kühner
Faust das Sonnenthor des Ostens« zu zersprengen imd
gold'ne Beute zu erobern, er preist den Mann, an den
die Verse gerichtet sind und der »die verschlossenen
geheimen Quellen östlicher Kenntnisse den Durstigen
30
entsiegelte.« Josef Hammer starb, wie ganz Deutsch-
land weiß im Jahre 1856 als Josef Freiherr von
Hamtner-Purgstall und als einer der berühmtesten
Orientalisten jener Zeit, ein Bahnbrecher für die For-
schungen auf dem Gebiete morgenländischer Sprache
und Dichtung. Hammer- Purgst all war 1774 zu Graz
geboren, er verbrachte in der Folge die Zeit seiner
Müsse häufig auf dem später ihm gehörigen Schlosse
Hainfeld in Steiermark, aber er ist nicht nur als Forscher
imd Übersetzer weltberühmt geworden, sondern er hat
auch das Feld der Poesie gepflegt in seiner Jugend wie
in späteren Tagen und dieser berühmte Mann sei es,
auf dessen dichterisches Wirken, welches so vielfach
gerade auch das schöne Heimatland verherrlichte, hier
zunächst ein Blick zu werfen ist. In Hammer-Purgstall
vereinigte sich der Dichter und der Gelehrte in harmo-
nischer, sich ergänzender Weise, wenn auch der letztere
den ersteren in der Folge weit überflügelte. Als er,
beinahe noch ein Jüngling, mit Wieland in Verbindung
getreten war, hatte dieser rasch die poetische Be-
gabung so wie den Forschungseifer des für den Orient
so begeisterten Jünglings erkannt und schon im 6. Stück
des »Merkur« vom Juni 1797 war auch eine Probe ge-
lehrter Arbeit Hammers, die »Orientalischen Sagen«
erschienen. Von den Gedichten, die Hammer seitdem
zu veröfl^entlichen begann, weisen viele auf die Be-
deutung der morgenländischen Dichtung und Forschung
hin, welche ja Hammer fest zu begründen berufen sein
sollte. So preist der junge Poet »Asia« (»Merkur« 1797
December) in einer Ode, von welcher Wieland selbst die
Bemerkung macht, dass sie »viel Enthusiasmus für orien-
talische Dichtkunst und teutschen Ruhm« athmet. In die-
ser Ode ruft der Dichter dem östlichen Erdtheile zu:
31
Du bist die Heimat, göttliche AsiaJ
Du unser wahres Vaterland, Asia!
Erzeugerin der ganzen Thierwelt,
Sämmtlicher Menschengeschlechter Mutter!
Willkommen denn, du theuerer Erdetheil,
Mit allen tausendfältigen Reizungen
Der Schönheit, Jugend und der ew'gen
Zärtlichkeit wonniglich ausgestattet.
Aber nicht minder ist es das schöne heimische
Land, welchem Hammer die begeisterten Verse gewidmet
hat. In der Ode: »Die Steiermark« schildert er in
prächtigen Strophen die Schönheiten dieses Landes:
»Stürz hinab mein Gesang« ruft er Eingangs:
Stürz hinab mein Gesang wie der erbrausende
Waldstrom schäumend sich stürzt über den Felsenhang,
Donnernd dass die Gebirge
Ringsum murren vom Wiederhall!
Bist nicht du mein Gesang, Land der Vortrefflichkeit !
Land der Fülle, der Kraft! Herrliche Steiermark!
Land des Glückes, des Segens!
Du mein herzliches Vaterland!
In gewaltigem Tone fährt der Sänger fort, ein-
zelne der schönsten Punkte seines Heimatlandes hervor-
hebend und auch »der noch schlafenden Keime mensch-
licher Geisteskraft« in demselben gedenkend. Ähnliche
Verse ruft der Dichter der Riegersburg (1806) zu,
welche er öfter besuchte und deren Eigenthümer, der
mit den hervorragendsten Männern der deutschen Li-
teratur in Verbindung stehende Graf von Purgstall, den
jungen poesievollen Gelehrten gerne bei sich aufnahm.
Der Name Purgstalls sollte später mit demjenigen
Hammers in der ehrenvollsten Weise für immer ver-
einigt bleiben.
32
Die Natur ist es insbesonders, welche den Dichter
immer wieder anregt, ihre Schönheiten im Liede zu
verherrlichen, schon 1797 besingt er das lieblich ge-
legene Weidling bei Klosterneuburg:
Pomonens, Libers Stolz! du Neid der Flur
Elysiums und seiner Götterhaine!
Verklärter Schönheitstempel der Natur,
Vergoldet von der Anmuth Sonnenscheine!
O Weidling! wo ich fem von Städtertross,
Und reicher als mit Jasons goldnem Vließe,
Des Lebens schönsten Blütenmond genoss,
Und, wohl mir Glücklichem, noch jetzt genieße.
Man erinnert sich daran, dass Hammer-Purgstall
37 Jahre vor seinem Tode sich jenen mit orientalischen
Inschriften versehenen Grabstein herstellen imd auf dem
Friedhofe in Weidling aufstellen ließ, wo schon eine
theure Jugendfreundin ruhte, wo aber auch später neben
dieser Grabstätte der ihm ebenfalls befreundete Nikolaus
Lenau beerdigt wurde. Dort ruht der berühmte Orient-
forscher und Dichter neben dem liedergewaltigen ele-
gischen Sänger seit dem Jahre 1856.
Was die poetische Thätigkeit Hammers weiter be-
trifft, so hat er eine Reihe von Gedichten in Sartori's
»Malerischem Taschenbuche,« in Hormayr's »Archiv«, im
»Aufmerksamen« und an anderen Orten veröffentlicht.
Oft ist es eine Sage, welche der Sänger im Ge-
wände des Liedes erzählt, wie etwa die Sagen vom
»Jungfernsprung« bei Graz, »vom schwarzen Kreuz bei
Weidling«, von »Klosterneuburgs Stiftung« vom »Lean-
der von der Traun«, von der »Mazzocha in Mähren«
oder er schildert die Schönheiten Admonts und seiner
Umgebung, den gewaltigen Wasserfall von Golling,
die Empfindungen bei dem Besuche des alten Stiftes
34
zu Klosterneuburg und andere durch ihre Lage und
Landschaftsreize ausgezeichnete Gegenden. Ein län-
geres Gedicht von 1799 besingt »Wiens Gärten und
Umgebungen« in schöngeformten Hexametern. Hammer-
Purgstalls eigene Gedichte sind übrigens nie gesammelt
erschienen. Es ist an dieser Stelle nicht auf die Be-
deutung Hammers als Orientforscher einzugehen, wie-
wohl seine Übersetzungen des Divans von Hafis,
Baki's und anderer orientalischer Dichter, selbst die
Übertragungen der Sonette Spencers neben dem poeti-
schen Wert von der Übertragungskunst Hammers be-
redtes Zeugnis ablegen. Der außerordentlichen geistigen
Thätigkeit Hammer-Purgstalls hat zuletzt Ottokar von
Schlechta -Wschehrd in der »Allgemeinen Deutschen
Biographie« X. Band, 1879, gedacht und überhaupt in
dem bezüglichen Artikel die Persönlichkeit und die
Bedeutung des Dichters und Orientalisten in schöner
pietätvoller Weise geschildert.
Eines großen Prosa- Werkes aber muss hier noch
gedacht werden, das Hammer-Purgstall zum Verfasser
hat. Es ist dies der historische Roman: »Die Gallerin auf
der Riegersburg«, welcher im Jahre 1845 in 3 Bänden,
(ohne Angabe des Verfassers) erschienen ist. Hammer
hat darin ein großes Zeitgemälde aus Steiermark ent-
worfen, das allerdings von der Art der heutigen histo-
rischen Romane sehr weit abweicht imd mit Ur-
kunden, Actenstücken u. dgl. belegt erscheint. Die
Riegersburg ist es hier auch wieder, welche der Dichter
und Gelehrte sich zum Vorwurfe seines Stoffes ge-
wählt und die »Gallerin«, die Vollenderin dieses
großartigen Baues als Festung wider die Türken im
17. Jahrhunderte, bildet die Hauptperson, welche in den
Vordergrund des Interesses tritt. Von der historischen
35
Wahrheit ist der Verfasser übrigens hier nirgends abge-
wichen, insbesondere schildert er darin auch einen der
merkwürdigsten Hexenprocesse jener Gegend, in welcher
die Handlung vor sich geht, ist es doch das Gebiet
um die Riegersburg, in dem, wie noch viele er-
haltene Processacten nachwiesen, der traurige Hexen-
wahn so zahlreiche Opfer forderte.
Hammer-Purgstall hat auch die nähere Kenntnis
eines hoch begabten jungen Dichters vermittelt, der leider
in den herrlichsten Jugendjahren dahinschied, nämlich
des Grafen Wenzel Gottfried Raphael von PurgstalL
Es war dies der 1798 geborene Sohn jenes Grafen
Wenzel Johann Gottfried von Purgstall, dessen oben
Erwähnung geschah und welcher mit Hammer im freund-
schaftlichen Verkehre stand. Des geistig hochstehenden
Vaters ebenfalls mit geistigen, insbesondere dichterischen
Anlagen ausgestatteter Sohn hatte das Gebiet der Poesie
schon frühzeitig gepflegt. Kaum 20 Jahre alt, im
Jahre 181 7 starb der so vielversprechende junge Edel-
mann. Ihm wie seinem vortrefflichen Vater hat 1821
Joseph von Hammer ein Denkmal in dem nur für
Freunde herausgegebenen Buche »Denkmal auf das
Grab der beiden letzten Grafen von Purgstall« gesetzt,
welches auch die bis dahin theils gedruckten, theils
noch ungedruckten Dichtungen des dahingeschiedenen
Jünglings enthält. Man ersieht daraus ein zwar noch
in der Ausbildung begriffenes, aber ganz bedeutendes
poetisches Talent, das sich wohl schön entfaltet haben
würde, wenn nicht der Tod den aufstrebenden jungen
Mann plötzlich seinem Schaffen und Wirken entrissen
hätte. Die zurückgelassenen Gedichte weisen den
Einfluss Schillers in manchen Strophen nach, es wechseln
in demselben heitere Klänge mit patriotischem Sänge
3*
36
ab, auch einige Sagen der Heimat hat der Dichter
in poetischer Form gestaltet. Dass der jugendliche Poet
auch ernste und sinnige Lebensanschauung in Verse
gefasst hat, möge das nachfolgende Gedicht zeigen.
Das Leben.
Die Stunden des Lebens, sie fließen vorbei,
Bald bringen sie Schmerzen, bald Freude;
Vergangen sind sie doch einerlei.
Leer hinterlassen uns Beide,
Wenn nicht des Gemüthes strebende Kraft
Mit dem Höchsten ringet nach Einung,
Eine höhere Welt auf der Erd' uns schafft
Und verherrlicht die todte Erscheinung.
An dem Lyceum der Stadt Graz, in welches die
frühere Universität umgewandelt war, wirkte von 1806
an der Historiker yw/zw5 Schneller ^ der im Jahre 1777 zu
Straßburg geboren war. Schneller erschien nicht bloß
als eine ausgezeichnete Lehrkraft und als philosophisch
angelegter trefflicher Geschichtsschreiber, sondern auch
als ein Mann von glänzender allgemeiner Bildung,
welcher in der Landeshauptstadt der Steiermark die
hervorragendsten Geister um sich versammelte und in
dem Mittelpunkte des geistigen und geselligen Lebens
daselbst stand. Von seinen Zuhörern und Schülern
wurde Schneller außerordentlich hoch gehalten, unter
den Namen derselben finden wir diejenigen von zwei
hier noch zu besprechenden Persönlichkeiten: C. A.
Schröckinger und Anton Prokesch. Schneller selbst aber
war ein reich begabtes Talent, feinsinnig behandelte er
seine Wissenschaft, die Geschichte, ft-eisinnig aber auch
Musik und Poesie und während seines Aufenthaltes in
Steiermark hatte er eine Zahl schöner Dichtungen ver-
fasst, welche ihm eine hervorragende Stelle unter den
gleichzeitig im Lande wirkenden Poeten einräumen.
37
Als vom Jahre 1810 an der begabte Bruder Napoleons,
Ludwig ßonaparte^ der einstige König von Holland,
unter dem Namen eines Grafen von St. Leu in der
Stadt weilte, woselbst er auch einen zweibändigen
Roman: 1 Marie ou les peines de l'amour«, welcher
m Jahre 181 2 erschien, verfasst hatte, machte Schneller
in dem Hause des einstigen Königs diesen mit der
deutschen Sprache und Literatur bekannt. Ein feiner
Zirkel erlesener Geister war damals um den Grafen
von St. Leu versammelt, und ein schönes, heute noch
im Original und Übersetzung geläufiges Gedicht des
letzteren auf Maria Grün bei Graz zeigt, dass auch dem
Exkönige Sinn und Begabung für Poesie nicht fremd
geblieben sind. Der bekannte Schriftsteller imd Buch-
händler Franz GräfFer, damals bei dem Grafen von
St. Leu als Bibliothekar angestellt, entwirft eine Skizze
von den geistigen Vorzügen des Fürsten, der einige
Jahre in Graz zubrachte. Professor Schneller blieb bis
1823 in der Stadt, widrige Verhältnisse veranlassten
ihn dieselbe zu verlassen, er erhielt eine Professur zu
Freiburg ifti Breisgau, wo er im Jahre 1 823 starb. Als
Gattin führte Schneller Gabriele Prokesch heim, die
Stiefmutter des später berühmt gewordenen obenge-
nannten Anton Prokesch, späteren Grafen von Prokesch-
Osten, dessen glänzende Begabung der Stiefvater schon
frühzeitig erkannt hatte. Fast alle Dichtungen Schnellers
— hier kann nur von diesen die Rede sein — wurden
in Graz veröffentlicht, nachdem schon im Jahre 1804
sein Trauerspiel »Vitellia« im Wiener Burgtheater mit
großem Beifall zur Aufführung gelangt war. Unter
den Dichtungen Schnellers erscheint der zuerst im
1 Aufmerksamen« von 1821 veröffentlichte Sonetten-
cyclus: »Weiblichkeit«, welchen der Dichter seiner ge-
38
liebten Gattin und seiner einzigen Tochter gewidmet
hatte, als eine sinnige poetische Verherrlichung des
Weibes als Jungfrau und Frau in wohlgeformten Versen,
welche in jeder Strophe das tiefangelegte Dichtergemüth
erkennen lassen. Diese Verherrlichung in der erwähnten
zierlichen Strophenart durchgeführt, lässt uns manchen
tiefen Blick thun in das weibliche Seelenleben, dessen
Wandlung von dem ersten Sinnen und Walten der
Jungfrau, bis zum Freudengefühle inniger Mutterliebe,
welche die Gattin des Geliebten dem Kinde entgegen-
bringt, in diesen Versen dargestellt erscheint.
Das Gedicht beginnt mit dem »Selbstbekenntnisse
der Jungfrau«, die als Sinnbild der Reinheit uns ent-
gegentritt, der Leser folgt der Siebzehnjährigen bei
ihrem Eintritt in die Welt und lernt bald die Wandlung
des Herzens kennen, in das die Liebe eingezogen ist:
In Lieb' und Lust will mir die Welt vergehen,
Ich fühle mich erröthen und erblassen,
Da treulich seine Arme mich umfassen.
Und seine Augen in die meinen sehen.
Und nachdem die Jungfrau dem Geliebten die
Hand gereicht, macht sie in stiller Stunde sich selbst
das Bekenntnis:
Was hör ich leis die stille Seele sagen? —
Du bist bestimmt zu dulden und zu tragen!
Da dunkelt es in mir, es schwand mein Frieden,
Des Lebens Lust war welkend hingeschieden.
Zu klein erblickt ich mich und musste klagen.
Doch als in Ihm das Licht mir angeglommen,
Verschwebt die Nacht, erblüht ein neues Leben,
Und stolz hab' ich den stolzen Ruf vernommen:
Des Mannes unbestimmt und friedlich Streben
Sollst liebend du in enge Kreise binden.
Der Welt entflohn — wird Er in dir sie finden.
39
In zarten Strophen ist die bald folgende Ahnung
der Mutterfreude entworfen und da die Glückliche zum
erstenmale ihr Kind an die Brust drückt, ruft sie aus :
In dir nur lebend will ich mich erfreuen ;
Dein Dasein kann mir ja zur Lust genügen,
Dein Lächeln lässt mich keine Mühe scheuen;
In dir erblüht mir himmlisches Vergnügen.
In solcher Weise erscheint der ganze stille Lebens-
lauf des edlen Weibes poetisch durchgeführt bis zu
dem Momente, in welchem dieses als Mutter der Braut
des Sohnes den Segen ertheilt. Böttiger, ein kritischer
Beurtheiler dieses Gedichtes, nennt es eine Art Haus-
und Votiv-Tafel, welche er auf den Lesetischen aller
unserer Jungfrauen, Gattinnen und Mütter liegen zu
sehen wünschte, einen »auf dem heiligen Boden der
Häuslichkeit erblühten Sonettenkranz.« In der That
ist die tiefe Poesie darin von einer für das weibliche
Gemüth geradezu erhebenden Wirkung. Unter den
kleineren Gedichten Schnellers sind es insbesondere
die »Grabschriften und Distichen« (Xenien), welche durch
manchen tiefsinnigen Gedanken die Aufmerksamkeit
des denkenden Lesers verdienen, so ruft er in einem
Distichon Kant zu:
Scharf bestimmtest du, Forscher, dem menschlichen Geiste
die Gränzmark,
Wo der Verstand sich versteigt, rufst du mit Weisheit:
Zurück !
und preist Schiller:
Dreifach sei du bekränzt mit Lorbeer, Myrthe und Eichblatt.
Freiheit, Liebe und Ruhm sang dein unsterblich Gedicht.
oder zeichnet mit Worten Ha3^dn's Tonschöpfung:
Schöpfers Stimme erklang: es werde Licht! und es ward
Licht.
Tausendstimmig erschoUs also in deinem Accord.
40
Also hat Schneller auf poetischem Gebiete Edles
und Schönes geschaffen ; aber nicht allein durch eigenes
Schaffen ist er bedeutend geworden, unter seiner An-
leitung hat sich manches Talent entwickelt, das mit
und neben ihm wirkte und nicht minder eine ehren-
volle Stelle in der Geschichte der deutschen Dichtung
verdient. Schneller verstand es in geistvoller geschickter
Weise den Begabten anzuregen und sein scharfer Blick
erschaute schon im Keime das Bedeutende. Er war
es auch, welcher auf Marie Koschak und deren gei-
stige und musikalische Ausbildung Einfiuss nahm imd
die Aufmerksamkeit Beethovens auf diese junge Dame
in Graz lenkte, welche durch ihr virtuoses Spiel den
großen Meister der Töne in einem Briefe zu den
Worten veranlasste: »Ich habe noch niemand gefunden,
der meine Compositionen so gut vorträgt als Sie. —
Sie sind die wahre Pflegerin meiner Geisteskinder.«
Marie Koschak aber, welche später den Advokaten
Karl Pachler heiratete, wurde selbst die Mutter eines
später in der Steiermark geborenen geistvollen Dichters,
nämlich Faust Pachters, auf den noch zurückzukom-
men ist.
Schneller erhielt im December 1819 durch Anselm
Hüttenbrenner aus Wien die Nachricht von dem
Tode Karl Schröckingers, welcher daselbst in dem
herrlichsten Jugendalter mit 21 Jahren einer tückischen
Krankheit erlegen war.
Auch auf Schröckinger, den sein Lehrer Schneller
so überaus liebte, hatte dieser seinen geistigen hoch
bedeutenden Einfluss ausgeübt. Eine mehr als ge-
wöhnliche poetische Begabung trat schon in der früheren
Jünglingszeit bei dem Schüler zu Tage und selbst die
kurze dichterische Thätigkeit dieses Jünglings stellt ihn
41
den Besten im Lande und Reiche zur Seite, welche
sich der Dichtung zugewendet.
Karl Schröckinger war in Graz geboren, kaum
i8 Jahre alt hatte er mehrere Trauerspiele vollendet,
welche die Aufmerksamkeit umsomehr auf ihn lenkten,
als diese Stücke zu derselben Zeit auf der Bühne zu
Graz — wohl durch Schnellers Vermittlung — zur
Darstellung gelangten und in dem jugendlichen Dra-
matiker eine genial angelegte Natiu: erkennen ließen,
die freilich noch so mancher Klärung bedurfte. Immer-
hin erregten diese Dramen: >Alix Gräfin von Toulouse,«
»Gilles, Prinz von Bretagne,« >Der Hirtenknabe« und
insbesondere die füntactige Schicksals-Tragödie »Der
Fluch« von 1816 bis 1819 den Beifall des Publikums ;
sie wiesen eine kräftige, echt dichterische Sprache, eine
gelungene Zeichnung der Personen, eine fesselnde
Handlung auf und die kleineren Schwächen, welche
ihnen hier und da anhafteten, konnten daher wohl über-
sehen werden. Um dieselbe Zeit erschienen zunächst
wieder in dem steiermärkischen literarischen Blatte
»Der Aufmerksame«, doch auch in Wiener Blättern,
Taschenbüchern etc. Gedichte Schröckingers, welche
dem Grazer Blatte zur wahren Zierde gereichten und
in Wien hohe Beachtung fanden, den Namen des jungen
Poeten daher rasch nicht nur in seinem Heimatslande,
sondern darüber hinaus bestens bekannt machten. Nach
dem leider so rasch erfolgten Tode des Dichters war
es wieder Schneller, welcher die Einleitung traf, dass
diesem ein Denkmal in seiner Vaterstadt gesetzt werde;
dasselbe wurde an der alten Leechkirche aufgerichtet,
nahe der Stelle, an welcher J. R. v. Kalchberg später
begraben wiurde. Schröckingers irdische Überreste
selbst sind auf dem Friedhofe zu Währing beigesetzt.
42
»Wir haben ihn gekannt, geschätzt, geliebt,« sprach
Schneller bei einer in Graz veranstalteten Todtenfeier.
»Seine Dichtergaben erfreuten uns. Die Knospe ver-
sprach Frucht. Das höchste Ziel seines Lebens war,
unter den Sängern Steiermarks und Deutschlands zu
stehen.« Der Tod hat dem Hochstrebenden leider die
weitere Poetenbahn verschlossen. Aber noch immer
bietet sein Nachlass, der sich gesammelt zuletzt hand-
schriftlich in den Händen C. G. R. v. Leitners befand,
insbesondere auf lyrischem Gebiete viel des Schönen,
wenn auch bisher keine gedruckte Sammlung an die
Öffentlichkeit gelangt ist. Wenn man die vorhandenen
lyrischen und epischen Dichtungen Schröckingers einer
Prüfung unterzieht, so muss man die Bemerkung machen,
dass er auf classischen Bahnen wandelt, dass er den
großen Vorbildern unserer deutschen Dichtung nachzu-
kommen strebte. Insbesondere ist es die Ballade und
epische Erzählung, welche in Schröckinger trotz der
Jugend des Autors einen der besten Vertreter unter
den gleichzeitigen Österreichern aufweist. Der Raum
gestattet hier nur, eine gekürzte Probe der poetischen
Bearbeitung einer Volkssage zu bieten, .die sich an eine
»Das Hufeisenkreuz« genannte Kreuzsäule iii der Nähe
von Leoben knüpft, man ersieht aber daraus die Kraft
des poetischen Ausdrucks, welche dem Dichter zu Ge-
bote stand.
Das Hufeisenkreuz,
1514.
Es lauschet die Nacht so finster und grau
Wie dunkelndes Rabengefieder,
Die Elfen weben hoch über dem Gau
Und säuseln in Träumen hernieder.
Horch! Hohl und hohler bergauf und ab
Erdonnert 's wie brausender Pferde Getrab,
Hinab, wo mit himmelküssenden Thürmen
Die schwarzen Mauern das Kloster schirmen.
43
»Hinunter, hinunter, erzhufiges Ross!
Zermalme die Steine zu Funken!
Musst heimwärts wieder in's Hochzeitsschloss,
Eh* die Sichel zu Berg gesunken;
Denn eh' die rosichte Pforte graut.
Bereiten muss ich der holden ßraut,
Damit sie geborgen auf heiliger Schwelle
Ein Obdach still in der ruhigen Zelle.«
Und leuchtend erscheinen der Ritter zwei
Und stehen eisern im Bügel,
Sie treiben die Renner mit Sporn und Geschrei
Und peitschen mit schwellendem Zügel.
»Wohlauf, mein Genosse, bald sind wir dort
Der Braut zu erflehen den Friedensort,
Sonst wird sie gezwungen ihr holdes Leben
Dem feindlich gesinnten hinzugeben.« —
»Hurrah! Hurrah! frisch drauf und dran,
Wo 's weiß aus dem Nebel zücket!«
So grollt er den schnaubenden Streitgaul an,
Hoch über die Mähne gebücket;
Da thut das Ross einen jähen Fall
Und wiehert zusammen mit donnerndem Schall ;
Der Ritter rasselt mit strebenden Händen
Tief unter die Hufe und zuckenden Lenden.
Dem Freund wohl schaudert's im weichen Sinn,
Doch es treibt ihn das Werk zu vollführen.
Schaut weinend auf den Zerschmetterten hin
Und trabt zu den Kirchenthüren,
Und wie er der Jungfrau die heilige Statt
Im sicheren Zwinger erbeten hat.
Da sputet er sich die Braut zu holen.
Wie ihm der gefallene Freund befohlen.
Und als sie reiten dem Ort vorbei.
Wo der Bräutigam schmählich vollendet.
Mit thränenden Blicken alle zwei
Sich betend zu Gott gewendet.
44
Er steigt vom triefenden Ross herab,
Und gräbt dem Ritter ein kühles Grab,
Drauf weist er sie still zu den Klosterzinnen
Und grüßet sie fromm und sprengt von hinnen.
Sie aber wohl ziehet den Schleier an
Und wandelt im schwarzen Gewände,
Und wo er den tödtlichen Fall gethan,
Erhöht sie das Kreuz am Strande,
Und schauet bei Tag und nächtlicher Weil'
Gar oft hinüber zum Hügel steil,
Und betet beim Chor für ihn und Altare
Bis sie lächelnd ihn grüßt' von der Todtenbahre.
In ähnlicher Weise findet sich manche Romanze,
Ballade, manche dichterische Bearbeitung eines Mythen-
stofFes oder einer historischen Begebenheit unter den
zurückgelassenen Gedichten dieses Sängers, so die
klangvolle Ballade von dem Helden Szapary und seiner
edlen Rache an dem gefangenen Türken, welchem der
Held die Freiheit schenkt, das sinnige Märchen
»Weibertreue«, die romantische Erzählung von »Des
Sängers Gaben« oder jene von »Herzog Albrecht«, der
dem Mörder seines Vaters Verzeihung angedeihen lässt»
die ergreifenden Gedichte: »Der Ring von Savoyen,«
»Der Minnesänger und sein Sohn,« »Erminia vor dem
Frankenlager« u. a. m. Mancher Ausdruck, manche
Wendung in diesen Dichtungen werden vor dem Rich-
terstuhl strenger Kritik vielleicht nicht bestehen können,
aber das Talent des Dichters offenbart sich im Großen
und Ganzen in jeder Strophe. Dass ihm auch der
warme lyrische Ton zu Gebote steht, ersehen wir eben-
falls aus einzelnen Poesien dieser Art, welche tief zu
Herzen sprechen. Wie sinnig und herzergreifend be-
singt er »Die Thräne«
45
Du süßer Trost im Leben,
O Thräne sonnenklar,
Bist uns zum Pfand gegeben.
Das uns die Huld gebar.
Blinkst bei dem Mondgeiiimmer,
Wo Sarggebilde steh'n,
Und in dem trauten Zimmer
Beim frohen Wiedersehen.
Es tritt zu jedem Herzen
Ein andres gern und nah,
Wo es den fremden Schmerzen
Dich leise zittern sah;
Denn schön im dunkelhellen
Liegt feucht der reine Thau,
Wie sich die Kelche schwellen
Auf morgenheller Au u. s. w.
Und überall findet der Dichter reichlich seinen
StoiF, die Natur begeistert ihn zu ihrem Preise, die
alte Ritterburg zaubert ihm jene Zeit vors Auge, da
der Ritter für seine Dame focht, der Sänger für sie
seine Harfe schlug. Beim Anblicke der Ruine von
Pfannberg und des Felsenschlosses Rabenstein in seiner
schönen Heimat ruft er den altersgrauen, hier zerfallenen,
dort schon bald dem Untergange geweihten Mauern zu:
Was starrst du, Burg, in finstern Schutt gefallen
Den Pilger mit der Schwermuth Grauen an?
Der Thurm allein im Staube deiner Hallen
Steht riesengroß wie deiner Sassen Ahn;
Der hörte oft die Sturmtrompete schallen.
Und lugte nieder auf die Lanzenbahn,
Doch die den Speer getragen und gehalten,
Sie sind dahin, die hohen Mannesgestalten u. s. w.
Also sang der steiermärkische Poet zu Anfang des
Jahrhundertes und der Wunsch an seine Freunde,
46
welchen er auf dem Sterbelager äußerte: die Poesien
gesammelt dem Drucke zu übergeben, war gewiss ein
auch im Geiste aller Verehrer wahrer Dichtung gerecht-
fertigter. Leider ist er bis heute nicht in Erfüllung
gegangen. Der greise Dichter Leitner, welcher den
wertvollen Nachlass geborgen, ist ebenfalls dahin-
geschieden und die Gedichte Schröckingers harren noch
immer der Veröffentlichung. Möge dieselbe, — sie ist
für die heutige Zeit noch von Wert — doch einmal
erfolgen, schon der berühmte Literarhistoriker Goedeke
sprach sich für die Herausgabe von Schröckingers
Nachlass aus »im psychologischen Interesse, mehr noch
literargeschichtlichen«. Selbst das Gebiet der Erzählung
in Prosa hat der junge, so vielseitige Dichter betreten,
in der »Wiener Zeitschrift«, in der »Theater-Zeitung«
und an anderen Orten sind mehrere Stücke in dieser
Richtung von ihm abgedruckt und auch sie fanden
den Beifall des weitesten Leserkreises und gereichen dem
Verfasser zur Ehre.
M
m. CAPITEL.
Johann Georg Fellinger, Ignaz Kollmann
und >>Der Aufmerksame ^<.
In der romantisch von hochgethürmten Felswänden
überragten und an den rauschenden Wellen der Mur
gelegenen steierischen Ortschaft Peggau steht bei der
Straße ein einfaches Denkmal, das zur Erinnerung an
den Dichter Johann Georg Fellinger errichtet worden
ist. Fellinger, welcher 1781 daselbst geboren schon
im Jahre 1866 starb und somit als ein Zeitgenosse
des hochbegabten Schröckinger erscheint, gehört zu
jenen Poeten Steiermarks, deren Name ebenfalls stets
mit großer Achtung genannt werden wird. Er hatte sich
schon frühzeitig dichterischem Schaffen zugewendet;
nachdem er seine Studinn vollendet, trat er beim steier-
märkischen Landwehrbataillon ein und wurde 1809
Ofßcier. Im Felde hatte Fellinger ein Auge verloren,
dessenungeachtet blieb er Soldat, bis 1814 war er zu
Klagenfurt in Garnison, später in Judenburg und Adels-
berg. Trübsinnig und missmuthig wegen seiner ge-
schwächten Sehkraft und wegen der schwindenden
Hoffnimg, durch eine ruhigere Anstellung gesichert
sich mit der Dichtkunst eifriger beschäftigen zu können,
starb er an einem Nervenfieber.
48
Fellinger hat mehrere dramatische Arbeiten ver-
fasst, unter denen das Schauspiel: »Die Grafen von
Sella« und das Trauerspiel »Inguo« besonders zu
nennen sind. Beide Stücke weisen eine edle poetische
Sprache auf und fesseln auch durch ihre Handlung den
Zuhörer, insbesondere errang > Inguo«, welches Drama
einen Stoff aus Kärntens ältester Geschichte behandelt
und später in Klagenfurt (1817) zur Aufführung ge-
langte, reichen Beifall von Seite des Publikums. Dass
Fellinger überhaupt für dramatische Behandlung be-
gabt, solcher besondere Aufmerksamkeit zuwandte, zeigt
schon seine erste Veröffentlichung: »Abgerissene Sce-
nen aus der Geschichte der Menschheit«, welche im
Jahre 1808 erschien und in dramatischer Form ge-
dichtete Episoden aus dem Leben hervorragender histo-
rischer Persönlichkeiten enthält; trotz der heutzutage
ungewohnten, zu jener Zeit aber sehr beliebten dialo-
gischen Anlage, finden sich reichlich echt poetische
Stellen in diesen eigenartigen Dichtimgen Fellingers,
durch welche er seinen eigenen Worten nach wünschte,
»die geistlose Leetüre eines Moderomans«, wenn auch
»nur auf ein Stündchen« zu verdrängen und »den
Funken edleren Gefühls« zu wecken. Hohe Beachtung
aber fanden die zunächst in Taschenbüchern und Zeit-
schriften insbesondere in der »Carinthia« erschienenen,
später 18 19 — 1821 in 2 Bänden von J. G. Kumpf ge-
sammelt herausgegebenen Gedichte Fellingers; durch
die feuerigen begeisterten poetischen Gesänge in den-
selben ward dem Dichter der Beinamen des »öster-
reichischen Kömer« zu Theil. Wie sehr er diesen
ehrenden Beinamen verdient, mögen einige Strophen aus
dem 1813 gedichteten Poem: »Der Kampf des Rechtes«
erweisen :
49
Die Telyn klingt durch Wälder hin,
Die deutsche Telyn klingt,
Zum Kampfe muss der Jüngling zieh'n,
Der Tod die Sense schwingt; —
Was Kampf und Tod? Die Ehre ruft.
Dem Feigen folget in die Gruft
Die Märe seiner Schmach
Vom fernen Enkel nach.
Die Telyn klingt, die Harfe tönt
Zum Tosen wilder Schlacht,
Der Feind, er hat ims aufgehöhnt,
Und Deutschland ist erwacht;
Herab die Waffen von der Wand !
Was uns erhob, was uns verband,
Ist jedem Zeitgeschlecht
Ein angeborenes Recht,
Was willst du, Feind, mit Heergewalt?
Was trotzest du so kühn?
Die Zeit ist jung, das Recht ist alt,
Und Glück und Stolz verblühen;
Das Gute nur sei allgemein!
Du konntest frei der Erste sein.
Doch nur wer Gutes will.
Erreicht das höchste Ziel.
So schlug Fellinger wie der edle Freiheitssänger
Körner im deutschen Befreiungskampfe beinahe zu
derselben Zeit im österreichischen Alpenlande Klänge
an, welche in kräftigen Strophen zum Kampfe gegen
den Feind Deutschlands und Österreichs riefen. Es liegt
eine außerordentliche Gewalt in vielen dieser Lieder,
mag der Dichter die »Kampflust« preisen, oder ein
stolzes »Marschlied für die steiermärkische Landwehr«
entwerfen, welcher er selbst angehört, mag er die
Deutschen aufrufen, »den alten Ruhm zu retten« oder
einen »Schlachtgesang für Österreicher« anstimmen
Schlossar, xoo Jahre deutscher Dichtung. 4
50
oder ein > Siegeslied nach der Schlacht bei Leipzig«.
Aber es sind nicht bloß kriegerische, auch andere einem
echt deutschen Gemüthe entspringende Klänge, welche
die Harfe des Sängers anschlägt, er preist »das deutsche
Wort«, * demselben zurufend :
Wie lieblich säuselt es in deinen Klängen,
Wie donnert es in deinem Wogenfall,
Wie rauscht es auf, wenn sich die Sylben drängen,
Und rieselt wieder fort im leisen Schall!
Du hast die Töne der Natur entrissen.
Als in der Urzeit wirren Finsternissen
Das Wort aus Lust und Schmerzen sich entwand,
Und den Begriff zuerst an Laute band.
Er besingt die deutsche Treue und Freundschaft und
widmet sogar dem »deutschen Tanz« ein sinniges Ge-
dicht. Auch sanfte Töne bietet der Dichter in leicht
dahinfließenden schönen Versen, so erhebt er die Natur-
schönheiten des Alpenlandes in zahlreichen prächtigen
Strophen wie beispielsweise in dem längeren Gedichte :
»Die Berge«.
Er zeichnet im gedankenreichen Verse das Natur-
bild des Morgens, und apostrophiert seine engere Heimat,
»Die Steiermark« :
Mein Vaterland! wie schön bist du vor Allen!
In dir verschmilzt Italien und Nord,
schildert bewundernd die unheimliche Pracht der Felsen-
grotte (bei Adelsberg) und weiß die Landschaft, welche
er im Worte verherrlicht, vor das Auge des Lesers zu
zaubern. Einen hohen Flug nehmen des Dichters Ge*
danken in Gedichten wie »Die Zeiträume«, »Menschen-
kraft«, »Der Forscher«:
51
Fessellos steht der menschliche Geist
An des Lebens gebrechlichen Schranken,
Und was den Kühnen hinüber reißt,
Stammt von höchsten schönsten Gedanken;
Fort muss er, fort, hinaus und von hinnen,
Und eilend will er den Vorsprung gewinnen.
Dass er selbst dem alten Thema von der Liebe
neue poetische Seiten abzugewinnen weiß, davon zeugt
manches tiefempfundene Lied.
Auch auf dem Gebiete des erzählenden Gedichtes
hat sich Fellinger mit Geschick erprobt und insbesondere
ist in dieser Bezfehung die schön bearbeitete kämtnerische
Volkssage: >Der Kampf mit dem Lindwurm« hervor-
zuheben. Man muss es besonders betonen, dass in
der äußeren Form der Verse und Strophen dieses
Poeten besondere Reinheit und Correctheit vorwaltet
und jedes Gedicht wie aus einem Gusse geformt er-
scheint, Vorzüge, welche so zahlreiche Dichtungen ent-
behren, die zu jener Zeit auf unserem österreichischem
Boden entstanden sind.
Verschiedene der bisher angeführten Namen von
hervorragenden oder doch beachtenswerten Dichtern
wurden im Zusammenhange mit einer Zeitschrift ge-
nannt, in welcher dieselben ihre ersten oder auch späteren
Poesien zum Abdrucke brachten. Es ist dies das lite-
rarische Blatt »der Aufmerksame«, welches in Ver-
bindung mit der »Gräzer Zeitung« an Stelle des früher
herausgegebenen »Sonnabends- Anhanges« zuerst im
Jahre 1812 zu erscheinen begann und ununterbrochen
bis zum Jahre 1 842 fortgeführt wurde. Der Herausgeber
oder besser gesagt Gründer und Leiter dieses Blattes,
welches durch 30 Jahre das einzige Blatt der Steier-
mark blieb, in dem der schönen Literatur und Kunst
4*
52
neben anderen landwirtschaftlichen, geschichtlichen
u. dgl. Arbeiten Aufmerksamkeit zugewendet wurde,
war Ignaz Kollmann, Kollmann hat aber auch selbst
eine so reiche poetische Thätigkeit entfaltet, dass er
billig den meist gelesenen Dichtern und Schriftstellern
jener Zeit in Österreich und insbesondere in Steiermark
beigezählt werden muss. Zunächst noch einige Worte
über den »Aufmerksamen« selbst. Die Poeten der inner-
österreichischen Länder fanden in diesem wenn auch
bescheidenen, mehrmals wöchentlich erscheinenden Blatte
endlich ein Organ, in welchem ihre ^Dichtungen der
Öffentlichkeit vorgeführt werden konnten. Durch die
schwierigen Verkehrsverhältnisse, durch die beengende
Censur oder aus Mangel von Verbindungen der Ver-
fasser mit anderen maßgebenden Leitern ähnlicher Blätter
im Reiche, wären diese Poesien sonst wohl kaum be-
kannt geworden und manches schlummernde Talent, er-
muntert durch den Beifall am ersten Versuche, der an die
Öffentlichkeit gelangte, ist durch den »Aufmerksamen«
zu weiterem Schaffen angeregt worden. Selbstverständlich
finden wir darin auch Namen vertreten, die schon einen
literarischen Ruf besaßen und deren Beiträge dem »Auf-
merksamen« zur besonderen Zierde gereichten. So hat
dieses Blatt im Laufe seines Bestehens, wenn wir das
poetische Element ins Auge fassen, zahlreiche Gedichte
von Hammer-Purgstall, Kalchberg, Schneller, Schräm,
Fellinger, Schröckinger, später von Castelli, Carl G.
R. von Leitner, V. Zusner, Zacharias Werner, J. G. Seidl,
M. G. Saphir theils zum erstenmale, theils als Wieder-
abdruck dem heimischen Leserkreise vermittelt. Histo-
rische und erzählende Aufsätze aus der Feder der
besten heimischen und auswärtigen Kräfte schlössen sich
daran und Ignaz Kollmann selbst ist in jedem Jahrgange
53
durch Gedichte, Erzählungen, Sagenbearbeitungen und
andere poetische Arbeiten häufig vertreten.
Erzherzog Johann schenkte, seitdem er die För-
derung alles Guten und Schönen im Lande so kräftig
in die Hand genommen hatte, dem Blatte und dem
Leiter desselben besondere Beachtung.*) Diesem edlen
Fürsten war es zunächst darum zu thun, Aufklärung
und Bildung und zwar insbesondere auf den praktischen
Wissenschaftsgebieten in dem Lande Steiermark zu ver-
breiten, das er so sehr durch seine Gunst auszeichnete.
Die Begründung des »Aufmerksamen« begrüßte der
Erzherzog daher mit großer Freude und war darauf
bedacht, dass ökonomische und historische belehrende
Aufsätze möglichst häufig in demselben vertreten seien,
wozu er Kollmann selbst anregte, ja der Fürst wählte
wohl auch persönlich die bezüglichen Arbeiten, zumeist
aus hervorragenden Fachzeitschriften aus, übersandte sie
an den Redacteur und gab dem Wunsche nach deren
Erscheinen im »Aufmerksamen« Ausdruck. Der Erzherzog
war es auch, welcher die Anstellung Kollmanns als
»Scriptor« im Joanneum bewirkte, woselbst der in vielen
Richtungen gebildete Schriftsteller neben der redac-
tionellen Thätigkeit Tüchtiges leisten konnte. Das Haupt-
blatt der Stadt, die >Gräzer Zeitung«, hatte übrigens
Kollmann ebenfalls zu leiten und gewissermaßen dessen
literarische Ergänzung bildete eben der »Aufmerksame«,
der nach dem Wunsche Erzherzog Johanns ein gutes
Volksblatt bilden sollte und in der That im Lande
außerordentlich und auch außerhalb desselben ver-
breitet war. Auf Erzählungen und oberflächliche Reime-
*) Vgl. des Erzherzogs diesbezügliche Bemerkungen in
der von mir herausgegebenen Sammlung von Originalbriefe
Erzherzog Johanns, welche früher citiert ist.
54
reien legte der Erzherzog wenig Wert, wie er zumal
anfangs Kollmann und Anderen gegenüber oft be-
tonte, dafür wusste er die Bedeutung eines guten, ins-
besondere den Patriotismus und die Begeisterung für
das Vaterland hebenden Gedichtes wohl zu würdigen,
er schreibt selbst am 4. December 1813 an Kalchberg,
dass solche Gedichte von Bedeutung sind, »um früh
die Jugend zur Nachahmung der Thaten der Väter
zu stimmen, um geschehene Dinge der Nachwelt zu
überliefern, weit besser als alle die Gassenhauer und
erotischen Lieder, die man leider nur zu oft hört«. Es
ist daher ein Irrthum, wenn man glaubt, Erzherzog
Johann habe der Poesie keine Beachtung geschenkt;
die Gesammtausgabe seiner Schriften vom Jahre 1816
durfte Joh. R. von Kalchberg dem allem Edlen und
Schönen ergebenen Fürsten widmen und in der Folge
fanden sich noch zahlreiche Schriftsteller und Dichter,
von denen der Erzherzog Widmungen ihrer Schriften
und Dichtungen in freundlichster Weise annahm. Es
ist auch wohl selten noch ein Fürst in Liedern so
hoch gefeiert worden als dieser, vom Anfang des Jahr-
hundertes an bis auf die spätere, ja bis auf die jüngste
Zeit herab. Dass sich in reiferen Jahren Erzherzog
Johann Mühe gab die Volkslieder der Steiermark in
Wort und Weise sammeln zu lassen und eine reiche
Zahl derselben wirklich schon erhalten hatte, ist eine
Thatsache, welche einem Kreise näher Eingeweihter
und insbesondere dem Verfasser dieser Zeilen, der die
bezüglichen Sammlungen benützt hat, genau bekannt ist.
Es ist nun wieder auf den Dichter Ignaz Kollmann
überzugehen. Aus seinem Leben, welches darzustellen
nicht die Aufgabe dieser Zeilen ist, sei nur erwähnt,
dass der im Jahre 1775 zu Graz geborene und daselbst
55
ausgebildete begabte Mann Secretär des Fürsten Seraphin
Porcia in Italien war und 1811 nach Graz kam, wo er
die früher erwähnte Anstellung erhielt und seine redac-
tionelle Thätigkeit begann. Er war nicht bloß als Be-
amter, Schriftsteller und Redacteur, sondern auch als
Maler thätig und heute noch finden sich gute Gemälde
von ihm in verschiedenen Kirchen Steiermarks. Als
Kollmann im Jahre 1837 starb, lauteten die Schluss-
worte des Nekrologes in demselben Blatte, das er eine
so lange Reihe von Jahren geleitet hatte, ganz richtig :
»Kollmann ist sowohl in literarischer als artistischer
Beziehung wert, dass sein Name und sein Andenken
in den Jahrbüchern des Vaterlandes aufbewahrt und
mit Achtung genannt werde. « Der vortreflFliche Johann
Gabriel Seidl aber, welcher selbst in Steiermark durch
Jahre die Poesie thätig pflegte, widmete dem Dahin-
geschiedenen eine »Grabesinschrift«, in der er ihm die
Worte nachrief: »Warm schlug sein Herz fürs Wahre,
Gute, Schöne«.
Und jene Kränze, die der Musen Hand
Ihm oft erheiternd in sein Leben wand ;
Sie sind ihm auch im Tode treu geblieben
Zum Schmuck für ihn, zum Trost für seine Lieben.
Was die größeren Dichtungen Kollmanns anbelangt,
so seien die wichtigsten erwähnt. In dem dramatischen
Gedichte »Maximilian« (1819) hat er die Einführung
des Christenthums in Celeja (Cilli) durch Maximilian
den Bischof von Lauraceum in poetischer Weise zum
Ausdrucke gebracht und ein dramatisches Bild aus der
Zeit des niedersinkenden Römerthums und des auf-
strebenden Christenthums entworfen. Als Probe nur
einige Verse aus dem Schlussmonologe der Dichtimg,
welchen der Bischof, bevor er zum Tode abgeführt
wird, spricht:
56
So leb denn wohl, du liebliches Celeja!
Ich schau dein Schicksal in dem Schutz des Kreuzes
Der Prüfung Düsternisse zieh'n vorüber
An deinem Himmel. Doch dir bleibt ein Gott.
Begehr' es nicht, Celeja groß zu werden
In Macht und Pracht, du alte Römerstadt!
Es stiegen durch Verbrechen stolze Städte
Und fielen durch die Hand des ew'gen Rechts,
Und ihre Namen sind der Völker Trauer.
So steigen wirst du nicht, und so nicht fallen.
In Demuth und in Frieden wirst du blüh'n
Als Römerin und erstes Kind der Kirche. — —
Zum Leben ruft es von des Himmels Höh'n,
Im Kreuz ist Auferstehen und Wiedersehen.
Ich ruf es sagend auch in Gottes Namen,
Und liebend spricht der Herr sein ewig Amen.
Man ersieht schon daraus den Zug echter Frömmig-
keit, welcher durch diese dramatische Dichtung weht.
In ähnlicher poetischer Form durchgeführt erscheint
das dramatische Gedicht Kollmanns: >Dante« (1826),
welches die Folge eifriger Beschäftigung des Dichters
mit der italienischen Literatur war und ebenfalls dich-
terischen Wert besitzt. Das vaterländische Schauspiel
»Carl von Österreich oder der Wundertag im Erz-
gebirge« (1833) ist wieder der Heimatsgeschichte ent-
nommen und behandelt in der Hauptsache des Re-
genten Erzherzog Carl von Innerösterreich Aufenthalt in
Eisenerz, womit eine fesselnde Handlung verbunden
wird. Das Stück ist dramatisch außerordentlich wirk-
sam und wurde im Theater an der Wien vom 29. Fe-
bruar 1832 an, für die damalige Zeit geradezu groß-
artig ausgestattet, 14 Tage nacheinander anlässlich der
Jubelfeier des Kaisers Franz aufgeführt. Auch in Graz
selbst fand die Aufführung die beifälligste Aufnahme.
57
Die zahlreichen lyrischen und epischen Gedichte,
die Novellen, Skizzen, Erzählungen und Bearbeitungen
von Sagen aus der Heimat, welche Kollmann verfasste
und veröffentlichte, wurden nie gesammelt herausgegeben.
Dieselben sind in verschiedenen österreichischen Zeit-
schriften, insbesondere aber in den Jahrgängen des
»Aufmerksamen« von 1 812 bis 1837 ^Iso in jenem
Zeitabschnitte, durch welchen er das Blatt leitete, ver-
streut enthalten. Kollmann ist kein hinreißender lyrischer,
kein glänzender formgewandter epischer Dichter, aber
er hat es verstanden, rasch und für die zeitgenössischen
Leser seines Blattes in lesbarer Weise romantische oder
Sagenstoffe poetisch zu bearbeiten; so manche der heimat-
lichen Sagen ist nur durch ihn, der sie auf seinen Reisen
im Lande auffand und dichterisch formte, auf diese Weise
bekannt geworden. Die Bearbeitungen seiner erzählenden
Gedichte tragen alle den Charakter einer gewissen
Flüchtigkeit an sich, doch weiß er immerhin selbst den
spröden Stoff mundgerecht zu machen, wenn man von
Reimfehlem, kleinen Sprachunrichtigkeiten u. dgl. ab-
sieht. In der That waren seine Beiträge überaus gern
gelesen. Bei patriotischen Gelegenheiten und festlichen
Anlässen unterließ es Kollmann nie, seinen Gefühlen in
Versen Ausdruck zu geben und die meisten dieser Dich-
tungen sind von einer gewissen Begeisterung getragen,
wie ja dieselbe häufig in seinen erwähnten dramatischen
Gedichten hervortritt. Gern wählte Kollmann als Vor-
wurf seiner längeren Dichtungen auch wohl Legenden,
Märchen oder Episoden aus dem Leben großer Männer.
Eine solche Episode aus dem Leben Raphaels sei
hier in des Dichters Bearbeitung auszugsweise mit-
getheilt.
58
Raphad und der hölzerne Teller,
Als Ra{)hael auf seiner Bahn
Das Wunder und Entzücken
Gerufen ward, den Vatican
In Roma auszuschmücken,
Verließ er schnell Florentia,
Und sieh, Romagna's Grenzen nah
Lud ihn ein sanfter Schatten
Zur Ruh' auf grüne Matten.
Er schlief, da schwebte sanft und mild
Ein Himmelstraum hernieder,
Vom Morgenroth umreift, ein Bild.
Der Ruf: so schaff es wieder!
Ertönte in des Malers Brust»
Er schaut das Bild mit süßer Lust,
Und rief: Ich seh' es strahlen.
Will's Gott, so will ich's malen. — —
Und als er um sich blickte, fand
Er nahe eine Hütte,
Ein heilig Bildlein an der Wand
Nach christlich frommer Sitte.
Ein alter Bauer kniet davor.
Der hob bekreuzend sich empor,
Und sah den Meister liegen
Ins weiche Gras sich schmiegen.
Ist euch nicht wohl? fragt ihn der Greis,
Ich bring', um euch zu laben.
Von frischer Milch, der Tag ist heiß.
Wir geben, was wir haben.
Ja bringt mir Milch, der Meister bat;
Der Alte bracht' der Hilfe That,
Die Milch, nur um so schneller
Und Brot auf hölzernem Teller.
Zum Danke verlangt Raphael, da der Alte kein
Geld nehmen will, den Holzteller und malt die Gottes-
mutter mit dem Kinde, wie er sie im Traume gesehen,
59
darauf, er ruft den Mann, der ihn gelabt, und über-
gibt ihm den Teller mit dem Bilde. Dieser nimmt
überrascht und entzückt den Teller mit dem herrlichen
Gemälde entgegen.
Ihr Herr, mögt wohl ein Engel sein!
Rief er, um das zu malen
Mit diesen Himmelsstrahlen.
Ich bin ein Mensch mit Fleisch und Bein,
Und glaube, was ich male,
Dass es im Himmel licht und rein
Den SeePgen widerstrahle,
Der Gottesfurcht dient meine Kunst,
Und weckt sie die, ist's höchste Gunst,
Die mir mein Gott gewähret.
Was Menschenkunst hier ehret.
In solcher Weise hat der versgewandte Poet auch
Mythen- und Sagenstoife aus dem steirischen Ober-
und Unterlande, vorzüglich aus der Umgebung von
Graz und aus der Stadt selbst, historische Anekdoten
und Scenen in allen möglichen Strophenformen für
seine Leser bearbeitet und es war erstaunlich, wie rasch
er diese von den verschiedensten Seiten hergeholten
Stoffe in die gewählte poetische Form zu bringen
wusste. Kollmann glänzte überhaupt damals in der
Stadt als Reimkünstler und Improvisator, es war ihm
ein Leichtes auf bestimmt gegebene Endreime ein Ge-
dicht, dessen Titel ebenfalls bestimmt wurde, sofort ab-
zufassen. Ein ausgezeichnetes seltenes Gedächtnis
unterstützte ihn hierbei. Der Abdruck auch verschie-
dener derartiger Gedichte in seiner Zeitschrift gibt von
solchen Improvisationen ganz überraschende Proben.
Wenige Anthologien und Literaturgeschichten haben
Kollmanns bisher gedacht, von dessen nicht zum
Drucke gelangten Dramen Karl Goedeke im 3. Bande
6o
seines »Grundrisses« uns noch mehrere aufzählt, die
in Graz wie in Wien zur Aufführung gelangten. Wenn
auch große gewaltige Schöpferkunst diesem Manne
nicht gegeben war, so ist doch sein Fleiß und sein
Talent in den angedeuteten Richtungen anzuerkennen.
Die poetische Strömung in Steiermark, welche sich in
den ersten Decennien des 19. Jahrhunderts, wie wir ge-
sehen, schon im Lande bemerkbar machte, hat in ihm
einen Förderer gefunden, der durch sein Orgaö, den
»Aufmerksamen«, in der That nicht nur heimische,
sondern die weitesten Kreise auf Talente hinwies, die
später auf dem Gebiete der Dichtung in Steiermark
glänzende Rollen zu spielen berufen waren; hat doch
Karl Gottfr. v. Leitner seine ersten Gedichte ebenfalls
von 1819 an in dem bescheidenen steiermärkischen Li-
teraturblättchen, das lange auf dem üblichen Lösch-
papier gedruckt erschien, veröffentlicht und mancher
Wiener Poet, der viel umworben in der Residenzstadt
thätig war und dem die Blätter desselben zur Verfü-
gung standen, sandte dem »Aufmerksamen« die Ein-
gebungen seiner Muse in Vers und Prosa ein. Was
Kollmanns Blatt weiterhin zur Hebung des Geistes
unter den Augen des edlen Erzherzogs Johann gethan,
gehört zwar nicht ins Gebiet der Poesie, muss aber
doch nochmals betont werden.
IV. CAPITEL.
Anton Graf von Prokesch-Osten.
Bei der Besprechung der Dichtungen und der Bedeu-
tung Julius Schnellers wurde schon der Name seines
Stiefsohnes Anton Prokesch erwähnt, der später eine
so hervorragende Rolle im diplomatischen Leben spielte.
Schneller führte nach seiner Verehelichung mit Marie
Prokesch, der Mutter des Helden und Diplomaten
mit diesem einen eifrigen Briefwechsel, aus welchem
schon die Anerkennung der hohen geistigen Anlagen
des noch im Jünglingsalter Stehenden hervorgeht, dem
Schneller eine außerordentliche Zuneigung schenkte.
Prokesch im Jahre 1795 zu Graz geboren, bewahrte
seiner engeren Heimat, der er so bald entführt werden
sollte, stets eine innige und herzliche Liebe. Nachdem
am 26. August 1813 zwischen Gadebusch und Schwerin
einer der edelsten und herrlichsten Freiheitssänger un-
seres Volkes: Theodor Kömer, in jugendlichem Alter
gefallen war, erschien im Grazer »Aufmerksamen« bald
darauf (Nr. 93 vom 5. October 1813) ein schwung-
volles, von dem herrlichsten Patriotismus und glühender
Vaterlandsliebe zeugendes Gedicht:. »An Theodor
Kömer«, mit dem einfachen Buchstaben P. unterzeichnet.
Der Verfasser dieses Gedichtes war ein junger Rechts-
hörer, welcher im Jahre 1813 begeistert zu den Fahnen
geeilt, mit Theodor Körner selbst befreundet gewesen
und nun eine Fähnrichstelle in der österreichischen
62
Armee bekleidete, er hieß Anton Prokesch. Mit dieser
schönen Dichtung hat sich Prokesch auf dem Gebiete
der Poesie allerdings zunächst, ohne genannt zu sein,
in die Öffentlichkeit eingeführt und es erscheint gewiss
passend und vom Interesse, einige der tief empfundenen
Strophen hier anzuführen, zumal das Gedicht später,
so viel dem Verfasser dieser Zeilen bekannt ist, nirgends
mehr zum Abdrucke gelangte, jener Jahrgang der er-
wähnten Zeitschrift aber zu den Seltenheiten gehört.
An Kömer.
Du sankst dahin! — Ein heilig leises Wehen
Aus hohem Welten brach die Blume ab.
Die sehnsuchtsvoll nach oben oft gesehen! —
Es fasst dich einsam nun das stille Grab.
Du hörst nicht mehr des fernen Freundes Flehen,
Der Thränen dir zum Abschied ahnend gab —
Du giengst dahin -- sieh mich verlassen weilen.
O könnte ich in deine Arme eilen.
Geschiedener Jüngling ! Nein, ich kann nicht trauern!
Für Freiheit fechtend sankst du edel hin!
Es ist zu groß für kleinliches Bedauern;
Wohl ihm, dem dort die Grabcypressen blüh'n!
Es riss dich fort mit himmlisch holdem Schauem,
Du fühltest heiß ein Bess'res in dir glüh'n:
Ob du es Freiheit, ob du's Liebe nanntest.
Es riss dich hin, ob du es schon nicht kanntest. —
O ruhet wohl, gesunkene Gebeine
Des deutschen Jünglings, der für Freiheit fiel!
Ihr Brüder holt an seinem Leichensteine
Euch Stolz und Muth und hohes Siegsgefühl! —
Wer waget es zu rauben mir das meine?
Ist Menschenweh des Fremdlings leichtes Spiel?
Sein kühner Schritt soll selber ihn verderben!
Und fallen wir, lasst uns in Freiheit sterben.
63
Die schönen markigen Strophen zeigen schon in
dem jugendlichen Sänger und Helden eine gewaltige
poetische Kraft. Prokesch war, wie oben erwähnt, zu
einer hohen Lauibahn berufen, er hatte als hoher Mi-
litär mid in diplomatischen Sendungen Großes geleistet
und durch seine Tapferkeit schon in jener Zeit seiner
Jugend ebenso wie durch sein ausgezeichnetes Wissen
und seine hohen geistigen Anlagen geglänzt, so dass
im Jahre 1870 Graf Adolf Friedrich von Schack nach
dem Abschiede, den er von dem damals greisen geist-
vollen Freunde Grafen Prokesch-Osten genommen, die
Worte niederschrieb: »ich schied von ihm, mit dem
wehmüthigen Gefühl, einen Mann zu verlassen, der an
mannigfaltiger geistiger Bildung und lebhafter Theil-
nahme für höhere Bestrebungen fast Alle, die ich ge-
kannt, überragte.« — Prokesch hatte auf seinen zahl-
reichen militärischen und diplomatischen Zügen nach
Griechenland, nach Ägypten und in so viele Gebiete
des Orientes nicht nur sein glänzendes Diplomatentalent
bewährt, über das sich selbst Gentz und Mettemich
bewundernd aussprachen, sondern er hatte auch den
Schatz seiner poetischen Anschauungen vermehrt und
dieser vielseitig hochbegabte Mann zählt zu den her-
vorragenden Vertretern der Dichtung in seinem Heimat-
lande, das er freilich viele Jahre lang gar nicht oder
nur vorübergehend betreten, in dessen Erde aber der
Vielerfahrene, nachdem er im Jahre 1876 seine müden
Augen geschlossen, für immer zur Ruhe gebettet wurde.
Es soll und kann hier kein auch noch so kurzes Lebens-
bild des Grafen Prokesch-Osten seine Stelle finden,
zuletzt hat Hofralh H. v. Zeißberg im 26. Bande der
»Allgemeinen deutschen Biographie« (Leipzig 1888)
eine schöne eingehende Schilderung dieses reichen
64
Lebens entworfen, nachdem schon Wurzbachs »Biographi-
sches Lexikon« im 23. Bande noch bei Lebzeiten
des Grafen, dessen Wirken nach allen Richtungen hin
entworfen und ausführlich dargelegt hat und wer das-
selbe genau kennen lernen will, kann daher aus diesen
Darstellungen die beste und eingehendste Auskunft er-
halten. Doch sei darauf hingewiesen, dass schon in
der frühen Jugend beim Knaben sich eine außerordent-
liche geistige Regsamkeit zeigte, dass eine glühende
Phantasie den Jüngling beseelte, dass eine tiefe
innige Poesie sein ganzes Sein verklärte bei aller Haupt-
wirksamkeit auf anderen jedoch nicht allzu weit
abseits liegenden Gebieten. Schon frühzeitig der Leetüre
unserer herrlichsten Dichter hingegeben, stand er mit
diesen in steter enger Verbindung, ja auch in per-
sönliche Berührung war er mit so manchem derselben
gekommen. Es wurde schon Körners erwähnt, dessen
Tod dem jungen selbst heldenmüthigen Freunde An-
lass zu dem mitgetheilten Gedichte gab, aber er war
auch mit dem gewaltigen Dichter in Weimar persönlich
zusammengetroffen, mit dem großen Goethe, den er
bewunderte und liebte und welcher dem genialen jungen
Mann selbst die wärmsten Sympathien entgegenbrachte.
Man höre, was Prokesch selbst am 27. August 1820 von
Weimar an seinen Stiefvater Schneller schreibt: »Er-
rathen Sie, dass ich von Goethe rede? Nicht hier,
sondern schon vorgestern, in Jena traf ich ihn. Mit
ihm durchfuhr ich die Gegend; an seiher Seite be-
suchte ich die Cabinete und Büchersammlungen; in
seinem Garten lebt' ich mit ihm, theilte Mittags imd
Abends seine ländliche Tafel. Mit kindlicher Heiterkeit
zeigte er mir einige Versuche, die auf den dritten
Theil der Morphologie Bezug haben; wir sprachen
SobIo*iar, loa Jahre dcutichcT Diel
66
über seine Tugend, seine Schöpfungen, seine Verhält-
nisse. Bis gegen Mittemacht las er mir aus seinem
Divan, dann schloss er mich in seine Arme, und ich
schied. Von diesem Manne umarmt! — Ich gebe die
seligste Umarmung der Liebe dafür.« Noch sei der
Schluss dieses merkwürdigen Schreibens aus der Heim-
stätte imserer classischen Dichtung hierhergesetzt. »Am
25. war es eben, dass ich Goethen in Jena besuchte.
Am 26. traf ich zu Weimar ein und heute in der
Nacht kehrte ich nach Leipzig zurück. Kammerrath
von Goethe (der Sohn) an den der Vater mich wies,
wurde mein Führer durch den schönsten Park Deutsch-
lands; ich besah jede heilige Stelle, Goethe's, Herder's,
Wieland's Wohnungen und Grabstellen. Können Sie
zweifeln, dass ich bei Schillers Witwe war ? Mit freu-
digem Zittern trat ich in sein bescheidenes Haus.«
Einige Jahre darauf veröffentlichte Prokesch im »Hes-
perus« jenes Schreiben an den Grafen von Paar, in
dem er als Vertheidiger des großen Dichters gegen
eine hämische Flugschrift auftrat, die Glover imter dem
Titel: > Goethe als Mensch und Schriftsteller« heraus-
gab und deren »Unverschämtheit, Halbheit, Roheit und
Anmaßung« Goethe's Bewunderer mit Worten geisselte,
welche ihm die Verachtung jenes Machwerkes imd die
hohe Verehrung des größten deutschen Dichters eingab,
welche; aber auch den tiefen Sinn für wahre Poesie
bekunden, der den Steiermärker beseelte. Die meisten
von Prokesch bis etwa in das Jahr 1834 verfassten
Gedichte sind im 6. Bande der »Kleinen Schriften von
Ritter Anton vpn Prokesch-Osten« (Stuttgart 1844,
7 Bände) enthalten. Aus den jüngeren Jahren findet
sich hier allerdings nur eine knappe Auswahl, manches
schöne Gedicht dürfte heute noch in einer oder der
67
anderen Zeitschrift zu finden sein, aber auch freilich,
wenn es anonym erschienen ist, als dessen Verfasser
Graf Prokesch unbekannt bleiben. Neben bemerkens-
werten, lebendigen, geistvollen Darstellungen aus den
Gebieten der Kunst und Literatur hat Prokesch eine
Erzählung »Gegensätze« verfasst, welche im Jahrgange
1840 von Witthauers »Wiener Zeitschrift« erschien
und in der er die Anhänglichkeit und Liebe eines abessy-
nischen Mädchens einem jungen Manne gegenüber schil-
dert, welche Zuneigung dieser jedoch nicht, ahnt, da ihn
eine andere Neigung beseelt. Wie tief das Gefühl der
Abessynierin aber ist, zeigt deren freiwilliger Tod,
nachdem der Geliebte im Duell verwundet verschieden
ist. Die kleine Erzählung ist einfach und schlicht,
aber zu Herzen sprechend und von bedeutender Wir-
kung.
In den Gedichten von Prokesch ist gewisser-
maßen ein poetisches Tagebuch enthalten, wir finden
hier aus den frühesten Jahren einige Strophen — das
älteste Gedicht: »An eine Quelle bei Bärneck« hat Pro-
kesch mit 16 Jahren verfasst — diesen reihen sich
patriotische Lieder aus der Zeit der Freiheitskämpfe
an. Der Ton derselben gemahnt an jenen Rückerts,
M. V. Schenckendorfis, Körners und des Landsmanns
Fellinger, so das »Lied nach dem Rheinübergange:«
So stehn wir denn an deinem Strand,
Du edler deutscher Rhein!
Erkämpft ist unser Vaterland
Und du bist wieder sein! —
. Was jagst du vor, Dragonerschar,
So schweigsam und so kühn ?
Was streifst du, muthiger Husar,
Durch Feld und Fluren hin?
5*
68
Vertraut auf unsem festen Schritt,
Wir sind euch Schutz und Halt.
Musik voran! Kanonen mit!
Der Todesruf erschallt.
Trotz der vielen Züge in fremde Länder bewahrte
Prokesch seiner Heimat Steiermark, wie schon erwähnt
wurde, eine treue innige Liebe. Dieselbe tritt nirgends
so schön hervor als in dem Gedichte, welches »Wieder-
kehr« tiberschrieben ist. Hier einige Strophen aus
der tiefempfundenen Dichtung:
Sei mir gegrüßt, du Land der schönen Auen,
Du theures Vaterland, sei mir gegrüßt I
Ich fasse dich, ich darf dich wieder schauen —
Es ist dein Hauch, der meine Stime küsst!
Nacht liegt auf dir, doch aus dem Schleier blicken
Mit mildem Aug mich Thal und Höhen an —
Und sicher, mit errathendem Entzücken
Verfolg' ich die bekannte Bahn. —
Und wenn es rauscht' in euren heil'gen Zweigen,
Erhab'ne Tannen, die der Sturm nicht bricht
Fühlt' ich das Schicksal sich heruntemeigen.
War's wie Musik, aus der die Zukunft spricht —
Mein Herz schwoll auf in Thatkraft und Verlangen,
Mein Auge schwamm in ungeahnter Lust,
Die Welt war mein, Entschluss und Ernst durchdrangen
Die hoffnungsstarke Knabenbrust.
Willkommen mir, du wohlbekannte Quelle,
Auch deine Perlen waren einstens mein —
Ein Wandrer kehr' ich an die Weihestelle,
Und Sprech bei ihr zu kurzer Labung ein;
Willkommen, Bach, der aus den Felsen schäumet,
Willkommen, Pfad, den hoch Gebüsch umflicht,
Ob auch mein Fuß bald zögernd bebt, bald säumet.
Er kennt dich wohl, das Dunkel birgt dich nicht.
6g
Aber auch die süßen Klänge der Liebe sind dem
Dichter nicht fremd, Liebesgesänge von großer Zart-
heit wechseln mit solchen von wilder Glut und Lei-
denschaftlichkeit ab. Ein Lied, gedichtet im Jahre
1823, beginnt mit der Strophe;
Es brennt ein Licht im Dunkel deiner Augen,
Das mich verlockt mit zaubervollem Schein;
Es reisst mich nach, sieh, alle Pfade taugen,
Durch Moor und Wald, Gebirg und Wüstenein.
GewafFnet keck und jedem Kampf gerecht
So folg' ich dir, ein treu ergebener Knecht.
Ein anderes, edel gedachtes, schönes Gedichtkann
ich mich nicht enthalten, hier ganz wiederzugeben:
Treue Liebe.
Treue Liebe gilt für's Leben,
Treue Liebe endet nicht ;
Was dem Wechsel sich ergeben,
Treue Liebe ist es nicht.
Was durch Leiden kann vergehen.
Was der Freude Hand zerbricht.
Ähnlich mag's der Liebe sehen,
Treue Liebe ist es nicht.
Was des Wort's bedarf hienieden.
Was nicht zittert, wenn es spricht,
Bringen mag es tiefem Frieden,
Aber Liebe ist es nicht.
Liebe, Liebe birgt die Thränen,
Liebe flieht Besitz und Licht,
Liebe schwelgt in Angst und Sehnen,
Treue Liebe endet nicht.
Eine stille tiefinnige Sehnsucht tönt aus einem
kurzen Gedichte entgegen, in welchem uns der Dichter
an das Gestade der See führt:
70
VeHangen.
Es schläft die See in dunkler Nacht,
Kein Sternchen ist heut aufgewacht,
Kein Lüftchen ist gekommen;
So schläft ein Herz von Leid erfüllt,
In Schweigen dicht und tief verhüllt,
Und jedem Wunsch entnommen.
Es tönt von ferne Schiffersang
Voll Wehmuth und voll sanftem Klang
Und singt sich selbst den Frieden;
O Hoffnung komm' o Lebenslust,
Zieht ein in die bewegte Brust!
Wo find' ich euch hienieden? —
Derartige Stimmungsbilder des Poeten in kurzen
Strophen fesseln den Leser oft durch ihren Wohlklang,
mit wenigen Worten zeichnet Prokesch oft ein Bild
schön und klar z. B. die Ruhe der Nacht:
Rückt die stille Nacht heran
Wird's auch still im Herzen,
Tagesqual ist abgethan,
Müde sind die Schmerzen —
oder die Schönheit des Abends:
Herrlich steigt der Abend nieder,
Weiche Weste wehen wieder,
Säuseln süß wie Liebesflöten
Und ein wundersam Erröthen
Wacht am ganzen Himmel auf,
Herz, o Herz, jetzt schließ dich auf!
In der Mehrzahl seiner Gedichte* aber macht uns
der Dichter mit der farbenreichen Welt des Orients be-
kannt, welche er so genau kennen gelernt und mit dem
Blicke des Poeten in sich aufnahm. Wir folgen ihm
von der Fahrt aus dem »Hafen von Pola« (1824) zu
den hervorragendsten und merkwürdigsten Stellen,
71
welche er berührt und denen er theils in der getragenen
Form des Hexameters, theils in kunstvollen Reim-
strophen von tiefem Verständnis für Kunst- und Natur-
schönheiten zeugende Verse gewidmet hat. So auf
der >Höhe von Antivari« oder beim >Gap Linguetta«,
wo er auf hohem Meere dem Nordwind noch den Dank
für die Grüße aus der Heimat entgegenruft:
Dank dir, emsiger Nord! Dich sendet die schwimmende
Heimat
Ihrem Geborenen nach auf dass sich beeUe die Meerfahrt.
Grüße bringest du mir, wie der Mann vom gesegneten Mürz-
thal
Gibt dem Mann vom Gebirg und dem, der wandelt zur
Hauptstadt.
Fordere mir wacker mein Schiff, das die heilige Salzflut
durchschneidet.
Und wieder auf der »Höhe von Panormus«, in
>Corfu«, am > Leucadischen Fels«, in «Ithaka« und
>Delos« sind classische Erinnerungen geweckt, welche
die edlen Verse des Dichters durchziehen. Orien-
talische Klänge hat der Poet in der Levante ange-
schlagen und in den Lauten seiner Heimat gebannt,
es finden sich Wanderbilder und Seestücke, ernste Be-
trachtungen, wohl auch Erinnerungen an die ferne Ge-
liebte, wie in dem Gedichte »In der See« (1825).
Leb' wohl, leb' wohl! Um Mitternacht
Ist dir der letzte Gruß gebracht.
Viel hundert Meilen trennen mich
Und thürmen zu Gebirgen sich.
Leb' wohl, leb' wohl und denke mein !
Durch tausend Leiden bin ich dein.
Ein culturgeschichtliches und ethnographisches In-
teresse erhalten diese verschiedenen Gesänge, durch
die im Liede ausgeprägte Schilderung des Volks-
72
Charakters und der besonderen Eigenart jener Völker,
deren Gebiete der Dichter betreten hat, so in dem
» Messenischen Wechselgesang « , im > Cretischen Wechsel-
gesang«, in dem >Jonischen Liede« aus Smyma, in
dem >Chiotischen«, im > Türkischen Lied« und in anderen
dieser Gesänge aus den Gebieten des Morgenlemdes mehr.
Selten hat sich ein so tief poetisches Gemüth in
einem Namen mit der Klugheit und Geistesschärfe des
Staatsmannes gepaart als bei Prokesch', dessen aus-
gezeichnetes Talent auf so verschiedenen Gebieten ihn
allein schon als eine merkwürdige Persönlichkeit hervor-
treten lässt. Was diesen hochbegabten Mann als Dichter
betrifft, so sehen wir in seinem poetischen Schaffen
gewissermaßen die Verbindung des letzten begeisterten
Sanges aus der Zeit der Literatiurperiode deutscher
Classik mit dem Epigonenthum, welches darauf ge-
folgt oder besser mit der modernen Poesie, zu deren
Vertretern Prokesch gerechnet werden muss.
Wie ahnungsvoll hat Julius Schneller in einem
Briefe von 1817 an Karoline Pichler nach Wien über
Prokesch geschrieben: »Der Überbringer dieses Schrei-
bens ist der Stiefsohn meiner Frau, ein Jüngling von
außerordentlichen Anlagen. Da ich nur das Dichterische
für außerordentlich halte, so habe ich ihn zugleich als
ein poetisches Gemüth bezeichnet. Sie haben Kömer'n
imd Chorinski persönlich gekannt und Ihres Umgangs
gewürdigt. Sie fielen beide für eine heilig geglaubte
Sache. Mein Antonio entgieng durch einen Zufall einem
ähnlichen Schicksal, welches er aufsuchte. Vergebens
suchte ich ihn abzuhalten, vergebens suchte er den
Tod für Deutschlands Freiheit im Gefolge der Könige, —
imser lieber Gott bewahrte ihn, vielleicht, damit er
dichterisch vollende, was jene beiden Edlen andeuteten.«
73
Ernst Münch, der Biograph Schnellers, macht im
Jahre 1834 schon auf die Bedeutung des poesieerfuUten
Helden Prokesch aufmerksam, welcher sich nach den
Worten Münch's: »mit sinnvollem Ernste und kraft-
voller Entschlossenheit, mit poetischer Begeisterung
imd kritisch forschendem Blicke dem falschen Elemente
imd dem noch falscheren Leben anvertraute, imd Meere
imd Wüsten, Herrlichkeiten imd Trümmer vieler Länder
imd Städte durchwanderte«. Als Dichter selbst war Pro-
kesch damals noch nicht bekannt, die 1 844 erschienene
Gedichtsammlung bestätigt diese Aussprüche seines ihn so
hochverehrenden Stiefvaters und macht die Zeichnung
Münch's von der Anlage dieses seltenen Mannes noch
klarer und deutlicher.
V. CAPITEL.
Rudolf Gustav Puff. J. A. Suppantschitsch.
Johann Gabriel Seidl in Steiermark.
Zu Anfang der zwanziger Jahre wohnte Schnellers geist-
reichen Vorträgen über Weltgeschichte in Graz ein
junger Mann »im bescheidenen Incognito« bei, welcher
sich durch seine tüchtige Geschichtskenntnis schon in
den Gymnasialclassen ausgezeichnet hatte. Es war
dies Rudolf Gustav Puff; etwa zehn Jahre später
finden wir ihn als Verfasser von Gedichten, Erzählungen,
Sagenbearbeitungen und historischer Skizzen in den
meisten literarischen Blättern Wiens und der übrigen
Kronländer Österreichs vertreten, selbst in hervorragenden
deutschen Zeitschriften begegnen wir seinem Namen.
Bald erschienen auch Sammlungen von Gedichten und
Erzählungen Puffs, welche sich grosser Beliebtheit bei
der Lesewelt in Steiermark und ausserhalb des Landes
erfreuten. Puff — geboren 1808 zu Holzbaueregg in
Steiermark — starb 1865 in Marburg. Er hat manches
Trübe in seiner Jugend durchgemacht, war in Graz
ausgebildet worden und schon aus seinem dreizehnten
Jahre rühren Gedichte von ihm her, kaum achtzehn
Jahre alt erscheinen poetische Beiträge aus Puffs Feder
im »Aufmerksamen«, später wie erwähnt, auch ander-
wärts abgedruckt. In Wien, wohin PufTs Mutter nach
des Vaters Tode übersiedelt war, betrieb der eifrige
junge Mann philosophische und juridische Studien, imd
75
eifrig die Leetüre unserer Dichter, er verkehrte aber
daselbst auch mit literarisch bedeutenden Persönlich-
keiten, so insbesondere mit Karoline Pichler, deren
Haus ja der Sammelplatz hervorragender Geister der
Residenz bis zu ihrem Tode geblieben. Hier war es
auch, wo er mit Kaltenbrunner, W. Schleifer, Frau v.
Chezy, mit Franz Schubert imd «mderen bedeutenden
Männern in Verbindung trat. Obgleich Puff das Doc-
torat der Jurisprudenz erworben hatte, (neben welchem
er sich allerdings auch den philosophischen Doctorgrad
errungen) finden wir ihn doch, da ihm dieser Beruf
besonders zusagte, 1831 als Gymnasialprofessor und
zuletzt in Marburg angestellt, woselbst er auch sein an
literarischer Thätigkeit überaus reiches Leben beschloss.
Puff hat seit seinen Jünglingsjahren zahlreiche Reisen,
insbesondere durch die deutschen Alpenländer zumeist
zu Fuss, aber auch weiter hinaus nach Italien und in
die deutschen Reichs-Gebiete unternommen und die
literarischen Früchte dieser Reisen in seinen Schriften
sowohl in Poesie als in Prosa niedergelegt. In Steier-
mark hat er viel mit J. G. Sei dl, der damals in Cilli
weilte, verkehrt und Beiträge für dessen bekannten
Taschenbücher (»Aurora« etc.) geliefert.
Es erscheint nöthig, diese Andeutungen über die
Hauptpunkte im Leben des strebsamen Mannes zu
geben, der in der Geschichte der Dichtung in Steiermark
beinahe ein halbes Jahrhundert lang eine Rolle spielt
und wohl als der fruchtbarste aller steiermärkischen
Schriftsteller jener Zeit bezeichnet werden kann, anderer-
seits aber heutzutage trotz seines einst überall in öster-
reichischen Literaturkreisen gekannten Namens außer
Landes fast gar nicht mehr genannt ist. Allerdings
nimmt Puff als Poet überhaupt keineswegs einen Rang
76
ein wie etwa J. G. Seidl oder K. G. R. v. Leitner,
deren Zeitgenosse und Freund er war, aber der Reich-
thum und die Fülle seines dichterischen Schaffens
müssen ihm heute noch Beachtung verschaffen. Puff
besass eine überaus rege Phantasie, ausserordentlichen
Fleiss und reiche, insbesondere sprachliche und ge*-
schichtliche Kenntnisse. Auch in seinen »Gedichten«,
von denen 1835 und 1836 zwei Sammlungen zu Mar-
burg erschienen sind, tritt der historische Sinn kräftig
hervor. Sagen und geschichtliche Begebenheiten, dazu
freundliche Naturbilder zumal aus dem Alpengebiete
sind es zumeist, welche ihm den Stoff zu diesen Ge-
dichten geboten. Wie Kollmann, in dessen Zeitschrift
er so Vieles veröffentlichte, nahm er es aber mit der
Form nicht sehr genau und Versehen in dieser Richtung,
welche leicht hätten vermieden werden können, treten
uns daher nicht selten aus seinen Versen entgegen und
wirken störend. Dessenungeachtet sind ihm zahlreiche
zarte und innige Lieder gelungen, insbesondere jene,
welche er zum Preise seiner steirischen Heimat verfasste,
die in so vielen seiner Gedichte verherrlicht ist. So
besingt er die Farben des Landes »Weiß und Grün«
Wie Alpen weiß ist reiner Sinn,
Wie Tannen fest und stark.
Drum wählte sich wohl weiß und grün
Mein liebes Steiermark u. s. w.
oder er widmet einzelnen romantischen Stellen seines
Vaterlandes gefühlvolle Lieder, ruft er diesem doch
selbst »In der Fremde« die sehnsuchtsvollen Strophen zu:
Thäler flohen, Thäler fanden
Blühend sich vor meinem Blick.
Berge kamen, Berge schwanden
Feme hinter mir zurück.
77
Kahle Felsen, sanfte Fluren
Kränzten meinen Wanderpfad,
Freundlich grüßt mich und azuren
Tritons Fluth nun am Gestad.
Heimwärts fühl' ich mich gezogen.
Wie von magischer Gewalt;
In des fremden Volkes Wogen
Bleib' ich ewig fremd und kalt.
Noch schöner ist diese Sehnsucht nach der theuem
Heimat in einem späteren Gedichte ausgedrückt, welches
Puff seinem Buche : »Frühlingsgruß« (von 1843) unter
dem Titel »Heimweh« vorgesetzt hat:
Heimat, heil'ges Lustgefilde I
Heimat, süßer Zauberklang!
Deiner Hoifnung treuem Bilde
Folgt der Wandrer froh und bang.
An den Mond möcht' er sich schwingen.
Mit den Wolken möcht' er flieh'n.
Mit den Schwänen möcht er fliegen,
Mit den Schwalben heimwärts zieh'n u. s. w.
Von den verschiedenen Romanzen, Balladen und
epischen Gedichten Puffs seien, um nur die Stoffe der-
selben anzudeuten, hier einige Titel angeführt: Der
Siedler am Michaels-Berge (magyarische Sage), der
Veilchenstein (vorarlbergische Sage), Frau Jutha (vor-
arlbergische Sage), Titus Dugovich (Ballade), Krains
Leonidas, der Templer, der Schwan und der Sänger,
Österreichs Thermopylen, der Blutbecher (magyarische
Sage), Karl der Große und Wittekind, die Bräute von
Elsenstein, das Kreuz am Wasserfall, die Todtenver-
mählung, des Pelikaren Wunsch, die Brüder von Plan-
kenwart. Da diese erzählenden Gedichte zumeist von
bedeutenderem Umfange sind, muss von der Anfuhrung
78
eines vollständigen Stückes an dieser Stelle abgesehen
werden. Viele derselben zeichnen sich durch das in
ihnen zum Ausdrucke gebrachte warme patriotische
Gefühl aus, welches den Dichter durchdrang.
Von 1841 an erschien aus der Feder R. G. Puffs
bis 1846 alljährlich ein Bändchen mit dem Titel:
»Frühlingsgruß,« welches Novellen und Erzählungen
bot, deren Stoff zumeist der Geschichte und Sage des
steirischen Unterlandes entnommen war oder deren
landschaftlicher Hintergrund aus jenem eigenartig-
schönen Gebiete der Steiermark gewählt erschien. Die
eigentlichen Sammlungen von Novellen und Erzählungen
Puffs liegen in fünf, schon seit 1838 herausgegebenen
Bändchen vor, ihr Inhalt ist em reicher und mannig-
faltiger. Manches dieser erzählenden Stücke verdiente
der Vergessenheit entrissen zu werden, in die es ver-
sunken ist, Puff weiß fesselnd und fließend zu erzählen,
er besitzt die Gabe, anschaulich zu schildern. Auch in
dem »Frühlingsgruss« sind einzelne Gedichte ent-
halten, manche derselben scheinen die Einwirkung J.
G. SeidPs, mit dem Puff in Steiermark befreundet
wurde, und dessen »Bifolien« 1836 erschienen waren,
nachzuweisen. Ein auffallendes hübsches Beispiel von
dieser Einwirkung bietet das gemüthreiche Gedicht;
Stammbuchblätter.
So manche herzliche Zeile
Aus fernem, fernem Land,
So manches Bild, wohl gezeichnet
Von lieber, von zärtlicher Hand,
So mancher Wunsch für die Zukunft,
So mancher Vergangenheit Traum,
Sie bilden in flüchtigen Blättern
Eine Welt hier im engen Raum
79
Oft zaubern sie schönere Tage
Wie Frühlingshauch mir zurück,
Oft treiben sie unwillkürlich
Die Thränen mir in den Blick,
Die Blätter sind friedlich beisammen,
Die Freunde längst zerstreut.
Und mancher schläft müßig im Grabe,
Der sich thätig des Lebens gefreut.
Die das Kränzchen glühender Rosen,
Ihr Ebenbild schüchtern gemalt,
Ist längst als ewige Rose
In's ewige Tempe gewallt.
Der Freund, der die Zeilen geschrieben
Von ehelicher Harmonie,
Ist seinen eigenen Zeilen
Geworden zur Parodie.
Der von Herz und ewiger Freundschaft
Von treuem Brudersinn sprach,
Der könnt es nicht leicht überleben
Müsst' die That seinen Worten nach.
Nur manche in schlichten Versen
Versprachen das Wiederseh'n,
Die wollen als gute Geister
Mich freundlich noch jetzt umweh'n.
Eine der letzten poetischen Gaben PuiFs waren
die >FrQhlingsknospen von der Sann, Skizzen, Sagen,
Erzählungen und Gedichte« (1850), eine ähnliche bunte
Reihe wie die >Frühlingsgrüsse« enthaltend. Wie außer-
ordentlich schafFensfreudig dieser Dichter gewesen, zeigt
sein reicher Nachlass. Der verschiedenen historischen
und topographischen Arbeiten dieses unermüdlichen
Mannes kann hier nicht gedacht werden, aber es ist
doch darauf hinzuweisen, dass der erwähnte Nachlass
in dieser Richtung ebenso wie an Erzählungen und
Gedichten beinahe noch mehr Arbeiten Puffs enthält
8o
als dieser überhaupt schon an die Öffentlichkeit gebracht
hat. Man wird heutzutage unter den Österreichern dem
Dichter Rudolf Gustav Puff keine große Bedeutung
beimessen, aber es wäre im höchsten Grade unbillig,
seiner ganz zu vergessen. Dass er in den weiteren
Kreisen des deutschen Publicums nicht mehr bekannt
geworden — selbst Goedeke's eingehender »Grund-
riss« erwähnt seiner nicht — liegt wohl in den Ver-
hältnissen des damaligen Buchhandels, der, was den
Verlag in österreichischen Provinzstädten betrifft, so
sehr im Argen lag, dass sogar die großen Bücher-
lexica, in dieser Hinsicht die bedeutendsten Lücken
aufweisen. Wenn wir Alles zusammenfassen, was Puff
in poetischen Werken der Öffentlichkeit übergeben, so
können wir ihn als Novellisten und Erzähler ganz wohl
den besseren Talenten beizählen, wie sie uns in den her-
vorragenderen unserer Almanache und Taschenbücher
entgegentreten, zu denen er ja selbst so lange Zeit
Beiträge geliefert; dass er dabei sich zumeist auf den
Boden seiner von ihm so gern geschilderten Heimat
bewegt, kann diesen novellistischen Skizzen nur zur
Ehre gereichen, wenn ihnen auch öfter die innere Ver-
tiefung fehlt. Als erzählender und lyrischer Dichter
hat Puff zwar die gewohnten Pfade betreten wie so
manche seiner zeitgenössischen Landsleute, die ihrer
Geringfügigkeit wegen hier nicht in Betracht kommen,
allein der große Stoffreichthum in diesen Dichtungen
hebt ihn über die Andern empor. Eine strenge Aus-
wahl der Gedichte PufTs, etwa durch Überarbeitung
hier und da besser gestaltet, hätte die Bedeutung dieses
Poeten in das beste Licht gestellt. Es ist sehr zu be-
dauern, dass die Verhältnisse für derartige Unter-
nehmungen so ungünstig erschienen.
8i
Als im Jahre 1831 R. G. Puif zum Professor in
Capodistria ernannt wurde, vertauschte er nach einge-
holter Genehmigung der Behörden seinen Lehrplatz mit
dem als Humanitätsprofessor in Marburg wirkenden
J, A. Suppantschitsch (1788 zu Laibach geboren),
welcher jedoch schon 1833 sein Leben beschloss.
Suppantschitsch war eine in ähnlicher Weise wie PufF
dichterisch angelegte Natur und obgleich er sich vor-
wiegend mit dem Studium der Geschichte und Alter-
thumskunde beschäftigte, verdient er doch auch seiner
dichterischen Veröffentlichungen wegen heute noch Be-
achtung und sein Name neben denjenigen Puffs ge-
stellt zu werden, dessen kleine Fehler er übrigens eben-
so theilt wie die in den Dichtungen beider zu Tage
tretende Liebe zum Vaterlande. Suppantschitsch war
früher als Professor zu Cilli in Untersteiermark ange-
stellt und es entfaltete sich schon damals der für alles
Schöne und Edle rege Sinn dieses kenntnisreichen und
gebildeten Mannes. Dort schon verfasste er manches
Gedicht, das seiner patriotischen Begeisterung Aus-
druck gab und von warmem poetischen Gefühle zeugte.
Im Jahre 1859 erschien eine dramatische Erzählung:
»Der Türkensturm auf Marburg im Jahre 1559«, welche
zwar kein eigentliches Drama genannt werden kann,
aber in schöner poesievoller Sprache Dichtung und Wahr-
heit verschmolz und nicht gewöhnliche dichterische Kraft
bekundete. Andere kleine Dichtungen von Suppemtschitsch
sind in Zeitschriften erschienen und behandelten ver-
schiedene historische Ereignisse aus der Stadt, in
welcher er so lange geweilt hatte, oder aus deren Umge-
bung, so die erzählenden Gedichte >Carl VL in Marburg«,
»Die Pfarrthiutnglocke zu Marburg«, »Die Malteser in
Melling«, »Die Stiftung von Großsonntag« u. a. m.
Schlossar, zoo Jahre deutscher Dichtung. O
82
In einem dieser Gedichte: »Kuradi's Kogel«, in dem
er die Schönheiten schildert, welche sich dem Blicke
von jener Höhe bieten, schloss er, wie von einer Ahnung
ergriffen, mit der diesen seirffen Lieblingsplatz behan-
delnden Strophe:
Hört ihr in feierlicher Abendstunde
Die Zweige rauschen durch den stillen Hain,
Dann mög' euch eine stille Geisterkunde,
Ihr lieben Freunde, jenes Rauschen sein,
Dass in dem Glas der Sand mir abgeflossen,
Und ich den müden Pilgerlauf beschlossen.
Es war in der That nicht lange nach der Ab-
fassung dieses Gedichtes, dass er diese Welt im schönsten
Mannesalter, betrauert von zahlreichen Freunden, ver-
lassen musste. Eine Sammlung seiner kürzeren Gedichte
ist nicht erschienen, sein poetischer Nachlass verloren ge-
gangen. Suppantschitsch sei es, der den Übergang zu
einem Dichter bilden soll, welchem bald darauf in Steier-
mark auf dem Gebiete der Poesie hervorragend zu
wirken bestimmt war.
Es ist dies Johann Gabriel Seidl. Allerdings war
Seidl (1804) zu Wien geboren und hatte schon in
jungen Jahren in der Residenzstadt durch seine Ver-
öffentlichungen in Vers und Prosa die Aufmerksamkeit
der literarischen Kreise daselbst erweckt, mit denen er
bald in reger Verbindung stand, mit Lenau, Gastelli,
Bauernfeld, Anastasius Grün, Grillparzer und anderen
poetisch und literarisch bedeutenden Persönlichkeiten
verbanden ihn zum Theile feste freundschaftliche Bande.
Im Jahre 1824 schon war im Theater an der Wien
eine dramatische Arbeit von Seidl aufgeführt worden.
Der warme Gemüthston, welcher die zierlichen Lieder,
.83
die vortrefflichen erzählenden Gedichte Seidl's aus-
zeichnete, konnte ihn bald daran denken lassen, eine
Sammlung derselben zu veranstalten, welche denn auch
im Jahre 1826 bei SoUinger in Wien in 3 Bändchen
erschien. Und diese Gesammtausgabe der Dichtungen
eines österreichischen Poeten von 22 Jahren fand die
Anerkennung nicht nur in Österreich, sondern weit
darüber hinaus und ragt in der That durch ihren dich-
terischen Wert über die meisten der zu jener Z^it im
Lande veröffentlichten Poesieen weit empor. Gerne
hätte der Dichter in seiner geliebten Heimatstadt weiter
gewirkt, aber das Schicksal hatte es anders bestimmt.
Zu Anfang des Jahres 1829 erhielt er eine feste An-
stellung durch Verleihung der Gymnasialprofessur in
dem Städtchen Cilli in Untersteiermark und seitdem
war er durch eine Reihe von Jahren in der Steiermark
wissenschaftlich und poetisch so rege thätig, dass Seidls
Name seitdem mit dem poetischen Leben dieses Landes
untrennbar verknüpft erscheint ; freilich kehrte er auch
im Jahre 1840 wieder nach Wien zurück, wo er
eine Custosstelle in der kaiserlichen Schatzkammer
angeboten erhielt und im Jahre 1875 als Hofrath starb.
Auch auf Seidls Lebensgeschichte ist hier nicht
weiter Rücksicht zu nehmen. Außer Wurzbach (ßd. 33)
hat dieselbe Hofrath W. Hartel in der Zeitschr. f.
österr. Gymnasien (1875), Hans Max im 6. Bande von
Seidls »Ges. Schriften« (Wien 1881) ausführlich, der
Verfasser dieser Zeilen in der >Allg. deutschen Bio-
graphie« (33. Bd.) etwas knapper entwickelt. Aber
auf die Bedeutung, welche Seidl als Dichter für
Steiermark gewann, wo er seine schönsten Poesien
geschaffen, muss hier ausführlicher hingewiesen wer-
den. Hatte doch schon der edle K. G. R. von Leit-
6*
84
ner, welcher sich selbst um jene Stelle am Gymnasium
zu Cilli beworben, dem Freunde Seidl, als dieser nach
Steiermark einwanderte, ein herzliches Gedicht gewid-
met, selbstlos und unbekümmert um den Vorzug, wel-
cher dem Freunde durch jene Verleihung eingeräumt
worden war. In diesem Gedichte ruft er dem Sänger,
der aus Österreich gekommen, zu:
O sieh, in welch' ein Land du eingezogen!
Und fühlst du nicht von Liedern schon es wogen
In sangvertrauter reicher Dichterbrust?
Beim Himmel! wert unsterblicher Gesänge
Sind diese Thäler, Alpen, Rebgehänge,
Sich ihrer Schönheit Reiz kaiun selbst bewusst.
Seidl hatte die Steiermark und ihre Schönheit denn
auch bald in sein Herz geschlossen und eine reiche
Zahl von poetischen und prosaischen, daneben auch von
wertvollen wissenschaftlichen Werken seiner Feder, ist
im Lande entstanden. Die kleine Stadt, in der er sich
seine Häuslichkeit gegründet, war ihm rasch herzlich
lieb geworden, so dass er darin gerne lebte und nach
seinen eigenen Worten, »zuletzt beinahe vergaß, wie
man in einer großen Stadt leben könne«. Seine Be-
grüßung des neuen Heimatslandes hat er im »Auf-
merksamen« in einem Gedichte >Die Landesfarben«
als »Gruß an Steiermark« in schöne Verse gefasst, von
denen einige hier ebenfalls ihren Platz finden mögen.
Farben meines Vaterlandes,
Glühend Roth und blendend Weiß,
Noch macht ihr mein Auge funkeln,
Macht mir noch den Busen heiß.
Und wie sich der Saum der Wolken
Golden färbt im Abendschein,
Fasst ihr noch mir alle Träume
Meines Jugendglückes ein. —
85
Aber Roth, du blut'ge Farbe,
Die der Muth im Wappen trägt,
Du magst wohl das Grün vertragen,
Das den Strahl gebiert und hegt
Roth, du Lichtsymbol des Sieges,
Grün, du Friedenskleid der Flur,
Ja ihr malt im heirgen Bunde,
Mir des Segens sich're Spur,
Also sei mir denn gesegnet,
Vaterland an Vaterland,
Lass' die Liebe meinem Herzen,
Lass' die Leier meiner Hand ;
Und vergib, wenn doch bisweilen
Zwischen deinem Segens-Grün
Mir des lieben Heimat-Roth es
Heil'ge Purpurstreifen glühn.
Und wir wollen gleich an dieser Stelle dessen geden-
ken, mit welchen Gefühlen im Jahre 1840 der Dichter
die ihm so lieb gewordene Heimat verlassen, indem einige
Strophen aus dem Gedichte »Abschied von Steiermark«
angeführt seien. Beide Gedichte sind in keinem Sammel-
bande von des Dichters Werken aufgenommen und
daher wohl in weiteren Kreisen beinahe ganz unbe-
kannt.
O sage mir, o Steiermark, o sage
Wie kommt es nur, dass du so lieb mir bist?
Mich dünkt, du lächelst über meine Frage,
. Worauf dein Reiz die beste Antwort ist!
Mit deinen Alpen, Thälern, Au'n und Flüssen,
Wer kann dich seh'n — und dich nicht lieben müssen.
Von deiner Tliäler lieblichstem- umfangen,
Hab' ich des Lebens schönste Zeit verlebt;
Hab' heiter und betrübt, in Lust und Bangen
Gehofft, geliebt, gerungen und gestrebt;
Hab' aufgenommen msmchen gold'nen Faden,
Der mich noch leiten wird auf späten Pfaden. — —
86
So leb' denn wohl, Gott lächle deinem Sterne^
Gott nehme meines Dankes Flehen an!
Vergiss auf mich so wenig in der Feme,
Als jemals ich auch dein vergessen kann!
Und lass' mich, wenn gleich AlpenhÖh'n uns trennen
Noch immer gerne deinen Bürger nennen.
In der Einleitung zu dem Werke August Mandl's
»Die Staatsbahn von Wien bis Triest« (1856), dessen
prosaischer Titel nicht vermuthen lässt, dass es zahl-
reiche Poesien Seidls enthält, welcher zahlreiche auch
stei ermärkische Sagen, historische Begebenheiten u. dgl.
in Verse gefasst diesem Buche beigab, erklärt der
Dichter, dass er in der schönen Steiermark »die zwölf
glücklichsten Jahre seines Lebens zugebracht habe.«
Thatsächlich sind auch die schönsten und gehaltvollsten
seiner Lieder in der kleinen Sannstadt und in dem
Lande entstanden, welches er gerne seine zweite Hei-
mat nennt. Die vier Hefte: »Flinserln, Öst'reichische
G' stanzin, G'sangln und G'schicht'ln,« jene zierlichen,
dem Volke des Alpenlandes abgelauschten mundart-
lichen Liedchen, welche so ganz dessen gemüthliches
Leben und Treiben widerspiegeln, sind in den Jahren
1828 bis 1838 zum großen Theile in Steiermark yer-
fasst und von dort aus herausgegeben worden, und als
der Dichter, nachdem er schon seit Jahren das Land
verlassen, die »Almer, Tnnerösterreichische Volksweisen,«
(1850) vor die Öffentlichkeit brachte^ waren es wieder
volksthümliche Klänge, deren beste er unmittelbar nach
dem Volksmunde in den Alpen gesammelt und durch
seine Ausgabe der Vergessenheit entrissen hat. Bevor
wir der eigentlichen weiteren lyrischen Thätigkeit des
Dichters erwähnen, sei noch angedeutet, dass die ver-
schiedenen Sammlungen seiner Novellen: »Georginen«
8?
(1836), »Episoden« (1836), »Novelletten« (1839), »Pen*
tameron« (1843) und andere manche kleine und be-
merkenswerte Erzählung enthalten, im Übrigen aber,
da sie zunächst meistens für die von dem Dichter
herausgegebenen Taschenbücher abgefasst wurden, mehr
bestimmt waren, die Leselust eines großen Publicums
zu befriedigen. Eine größere Vertiefung fehlt diesen
Geschichten und Geschichtchen zumeist, hübsche land-
schaftliche Schilderungen, phantastische Skizzen und
Ähnliches entschädigen den Leser von heute für verschie-
dene dem einstigen Zeitgeschmacke angepasste dieser
Novellen und Novelletten, welche auch wohl historische
Stoffe behandeln. Manche solcher erzählenden Stücke
sind ebenfalls in Steiermark verfasst, sie enthalten
nicht selten Erinnerungen des Dichters an eigene
Erlebnisse und Zeichnungen von Örtlichkeiten im
Lande. Hat er diesem Lande doch sogar jenes eigen-
artige Wanderbuch, die »Wanderungen durch Tirol und
Steiermark« (als Theil des großen Werkes: »Das
malerische und romantische Deutschland«) gewidmet,
das 1840 in erster Auflage erschien und in seiner
schönen, mit mancher dichterischen Beigabe geschmück-
ten Darstellung die Arbeit des Poeten nicht verläugnet.
Das eigentliche Schaffen Seidl's auf lyrischem Ge-
biete hat, wie wir gesehen, frühzeitig schon in Wien
begonnen. Sein 1825 herausgegebener Cyclus »Schillers
Manen« zeugt von poetischer Kraft, Gewandtheit und
Begeisterung. Die »Lieder der Nacht« sind formschöne
schwermüthige Gesänge, seine Balladen und Romanzen
weisen epische Gestaltungskraft auf, die man bei jungen
Talenten — S.eidl war nach der Veröffentlichung von
»Hans Euler,« »Die feste Mauer« und andern ähnlichen
Gedichten kaum 22 Jahre alt — selten antrifft. Leichte
88
Liebeslieder und andere kleine lyrische Stücke sind ihm
ebenfalls schon in so jugendlichem Alter wohl gelungen.
Nicht lange nachdem sich Seidl in Cilli ansässig ge-
macht, waren Anastasius Grün's, seines ausgezeichneten
Freundes, »Spaziergänge eines Wiener Poeten« erschienen
und der Sturm, welchen diese gewaltigen Dichtungen
in Deutschland und Österreich erregten, deren Ver-
fasser in das Dunkel tiefer Anonymität gehüllt erschien,
theilte sich allen literarischen Kreisen mit. Es ist in-
teressant zu ersehen, dass selbst dem treuen Freunde
Seidl gegenüber Anastasius Grün die Anonymität der
genannten Dichtungen nicht aufgab. Ein laimiger ge-
reimter Brief des »Spaziergängers« an den Dichter in
Cilli*), welch' letzterer wohl eine Auskimft über den
Verfasser des solches Aufsehen erregenden Buches ver-
langt hatte, enthält geradezu die Stelle:
»Spaziergang* eines wienerischen Poeten«
Kenn ich wohl manche, theilend den Genuss
' Sowohl zu Wagen, als — und meist — zu Fußl
Jedoch ein Buch des Namens kenne ich nicht.
Ein solches aber meint wohl Eu'r Bericht? —
Seidl in Steiermark hatte allerdings auf dem Felde
der Poesie andere Wege eingeschlagen; »Natiu* und
Herz« waren es, an die sich seine Lieder knüpften,
keine leidenschaftliche Bewegung ist in denselben zu
finden, aber eine innige, in die Seele des Lesers drin-
gende Gemüthstiefe, welche vom Herzen kommt und
zum Herzen geht. Vor Allem ausgeprägt zeigt sich
dieselbe in den »Bifolien«.
•) Vollständig mitgetheilt von Hans Max in »Seidl's
Gesammelten Schriften« VI. Band. (Wien i88l) in der bio-
graphischen Einleitung S. XVII. .
90
Die >Bifolien« sind zuerst im Jahre 1836 zu
Wien erschienen und seitdem noch fünfmal aufgelegt
worden, sie wurden dem y^ Erzherzog Johann,t mit
dem der Dichter bald nach seinem Einzüge in Steier-
mark verkehren durfte, gewidmet.
Es sind zarte duftige Blumen, >zwei Blätter an
einem Stiele,« wie der Dichter den Namen erklärt, mit
einem epischen Blättchen je ein lyrisches vereinigt und
was die Blüte dieser Blättchen sein soll, weist die
Schlussstrophe der poetischen Erklärung:
»Gut! — Aber wo ist die Blüte?«
Wirft wohl ein Kenner mir ein;
Die Blüte soll die Empfindung,
Die draus Euch anspricht, sein.
Als die fünfte Auflage des Buches erschien, weilte
Seidl schon lange wieder in Wien, eingesponnen zwi-
schen wissenschaftlichen archaeologischen Arbeiten, aber
das neue Widmungsgedicht (1855) wandte sich doch
wieder an den unvergesslichen Fürsten in der grünen
Steiermark, welchem das Liederbuch >als treuer Hul-
digung schüchtern Zeichen in seinem Lenz ein Dichter
dargebracht«. »Es ist an ihm«, am Dichter, fährt dieser
in sein,fer Apostrophe an den Erzherzog fort:
Auch viel vorbeigegangen,
Viel, wie an Allen, die mit ihm gelebt;
Doch fest an seinem Ideal zu hangen,
Erhob ihn einst, — ist's, was ihn noch erhebt!
Drum, wenn er jetzt dir seinen Strauß, vom Strahle
Des Herbstes matter gleich vergoldet, schickt,
Blick' ihn iso freundlich an ziim fünftenmale.
Wie du zum erstenmal ihn angeblickt!
Als die jüngste Ausgabe der »Bifolien« im 2. Bande
der > Gesammelten Schriften« Seidls 1877 erschien, war
91
der Schöpfer dieser Lieder schon heimgegangen zu
den Sangesgenossen seiner Jugend, welche ihm voraus
geschieden in die Ewigkeit, auch der edle Erzherzog
Johann ruhte schon lange von seinem thatenreichen
Leben aus in der Familiengruft zu Schönna in Tirol.
Die >Bifolien« sind unbedingt die bedeutendste von
den Sammlungen der Poesien J. G. Seidls, sie zeigen
uns ganz den Charakter des Dichters in seinem mensch-
lichen Streben und Wollen, in seinem poetischen Fühlen
und Können. Nur . ein kleiner Kreis des Empfindens
tritt uns aus den Liedern dieses Buches entgegen, der
Segen der Häuslichkeit, das Glück der Familie, die
Gefühle der Liebe imd Freundschaft besingt der
Dichter in schlichten wohllautenden Strophen, welche
zu Herzen dringen und durch ihre innige Gemüthstiefe
ergreifen. Man hat die Einfachheit der Stoffe, welcj^e
sich der Sänger zum Vorwurfe gewählt, auch wohl
getadelt, mit Unrecht, wie uns dünkt, auch die ein-
fachen Klänge sind so schön und einschmeichelnd vor-
getragen, dass sie von großer Kunst des Dichters und
von seltener Innigkeit Zeugnis ablegen, die in jeder
Strophe zum Ausdrucke gelangt. In den epischen
Stücken' dagegen ' liegt' eine biesondere Klarheit der
Darstellung und gerade auf diesem Gebiete ist
ja die Einfachheit nur dem Meister eigen, welcher
uns in Dichtungen wie: »Das Glücksglöcklein, « >Der
König und der Landmann«, »Die Pestjungfrau,« >Der
todte Soldat«, »Das gerettete Kind« und in ähnlichen
erzählenden Gedichten entgegentritt. Dadurch sind
diese poetischen Erzählungen selbst dem Verständnisse
des einfachen Gemüthes nahe gerückt imd es ist wahr-
haftig für den Dichter eine Auszeichnung, wenn sich
in Schul- und Lesebüchern für die Jugend so viele seiner
92
epischen Gedichte als die passendsten eingereiht finden.
Wie musterhaft klar und schön sind z. B. die Gegen-
sätze behandelt in dem nachstehenden eben erwähnten
Gedichte, das hier seine Stelle finde, obwohl es in
vielen Büchern und Blumenlesen unserer Dichtung zu
finden ist.
Der König und der Landmann,
Der Landmann lehnt in der Hütt' allein,
Und blickt hinaus in den Mondenschein,
Und schaut empor zu des Königs Palast,
Er weiß nicht, welch' ein Gefühl ihn fasst.
»Ach war' ich ein König nur eine Nacht,
Wie wollt' ich schalten mit meiner Macht,
Wie gieng ich umher von Haus zu Haus,
Und theilte den Schlummernden Segen aus!
Wie strahlte dann morgens so mancher Blick
Die Sonne zum erstenmal hell zurück:
Wie staunten einander die Glücklichen an.
Und meinten: das hat ein Engel gethan!« —
Der König lehnt im Palast allein.
Und blickt hinaus in den Mondenschein,
Und schaut hinab auf des Landmanns Haus,
Und seufzt in das weite Schweigen hinaus:
»Ach, war' ich ein Landmaxin nur eine Nacht,
Wie gern entrieth ich der drückenden Macht,
Wie lehrt' ich mich selber die schwere Kunst,
Nicht irr' zu gehen mit meiner Gunst!
Wie wollt' ich in's eigene Herz mir seh'n.
Um wieder es offen mir selbst zu gesteh 'nl
Was tausend Hände mir nicht vollbracht.
Das wollt' ich gewinnen in einer Nacht 1« —
So schau'n sie sinnend beim Stemenlauf
Der König hinunter, der Landmann hinauf;
Dann schließen beide den müden Blick,
Und träumen beide vom fremden Glück.
93
Der Dichter liebt es überhaupt, ähnliche poetische
Gegensätze in seinen Gedichten gegenüberzustellen und
weiß hiedurch große dichterische Wirkungen zu er-
zielen, »das wunde Herz« der Königstochter, welches
sie im Tode nicht mehr quält, >die Spielkarten«, welche
den Verurtheilten an die Verbrechen seines Lebens ge-
mahnen, »der Bettlerknabe, € welcher in der Winter-
kälte die fühllosen Menschen um ein Almosen anspricht,
und vor Frost erstarrt in den Tod sinkt, die »Legende«
von dem kunstvollen Liede und dem einfachen Volks-
gesange, welcher dem Herrn so wohl gefällt, diese
imd viele andere Stücke zeigen, in welcher Weise im-
ser Poet das Herz des Lesers durch die vorgeführten
Gegenüberstellungen zu ergreifen versteht. Die letzt-
genannte Legende klingt im Schlüsse beinahe wie eine
Vertheidigung des Dichters selbst, wenn man ihm die
große Einfachheit des einen oder des anderen Liedes
zum Vorwurfe gemacht:
Darauf der Herr mit Lächeln spricht:
»Mein Petrus, das verstehst du nicht.
Dort sangen sie geistliche Lieder zwar,
Voll Kunst, doch aller Andacht bar;
Hier singen sie zwar Volkslieder nur,
Ganz ohne Kunst, doch voll Natur,
Und mitten unter Lust und Scherzen
Mit aller Andacht frommer Herzen.
Und sieh, mein Petrus, das merke dir.
Ein echtes Volkslied hat viel von mir.
Man sieht ihm keine Frommheit an.
Und doch erbaut es seinen Mann!
Manch' Lied mag in der Luft verschwimmen.
Es wendet und windet sich allzu schräg:
Volkslieder aber, wie Kinderstimmen,
Die finden zum Himmel den graden Weg.«
94
Und damit kommen wir auf einen Vorzug der
eigentlichen lyrischen > Blättchen« der Bifolien. Viele
derselben treffen den Ton des Volksliedes, des ein-
fachen Sanges, welcher doch so unmittelbar aus der
Seele des Volkes stammt und auf den mit fühlendem
Gemüth begabten Hörer viel nachhaltiger wirkt, als die
tiefsinnigste Kunststrophe. Eine ernste gereifte Welt-
anschauung ist es, welche uns aus den Strophen so
manchen Gedichtes der > Bifolien« entgegentritt und
uns den Dichter als wackeren poetischen Mahner weist,
der kernige Lehren in. klangvollen Versen dem Leser
einprägt; »Nie ohne Waflfe sei der Mann!« ruft er in
den >Männerwaifen«.
Ich meine nicht das Schwert,
So sehr es ihn auch ehren kann.
Wenn er es selber ehrt.
Doch andere Waffen gibt es noch.
Die Gott ihm umgeschnallt.
Die leih'n ihm selbst im Sclavenjoch
Beherrschende Gewalt.
Und solche Waffen sind des Mannes > Geist, der
ruhig klare Sinn«, des Mannes »Gefühl, sein edles,
warmes Herz,« des Mannes »Wort, das Echo seines
Sinn's. «
Die leg er im Gefecht der Welt
Nie eingeschüchtert ab,
Die nehm er, als ein echter Held
Einst mit sich in das GrabI
»Selbst ist der Mann« lautet die Überschrift eines
anderen Gedichtes, in dem der Poet darauf hinweist,
wie so wenig auf das Urtheil der Welt Gewicht zu
legen ist, die nimmer nach dem Herzen fragt und nach
dem Wohl und Wehe der Einzelnen.
95
In deinem tiefsten Herzen
Bestelle dir dein Haus,
Dort breite deine Schmerzen
Und deine Freuden aus.
Mit gläubigem Sinne und echter Frömmigkeit
schließt er sein Lied:
Thu Alles Gott zu Liebe,
Nicht um den Dank der Welt,
Und wenn dir nichts auch bliebe
So bist du wohl bestellt!
Und geht es meinst zu Ende,
So falte fromm die Hände.
Nicht aller Trost erblich,
Denn sollt' auch keiner klagen.
Und Niemand nach dir fragen,
Dein Gott fragt doch um dich!
So mahnt er im schönen Dichterworte das za-
gende Menschenherz. In den >Bifolien« bietet Johann
Gabriel Seidl die duftigsten Blüten seiner Kunst, die
innigsten Töne seines Herzens dar und viele dieser
Töne werden immer erklingen, so lange der Sinn für
Schönes und Edles im deutschen Gemüthe ruht.
Es sei, was Seidl's poetische Thätigkeit in der
Steiermark anbelangt, endlich auch auf die patriotische
Richtung derselben hingewiesen, sein großes Vaterland
und seinen Kaiser hat er geliebt und in's Herz ge-
schlossen, selten fehlte bei festlichen Gelegenheiten in
Cilli ein dichterischer Gruß oder ein poetisches Fest-
Spiel, in dem er nicht seinem patriotischen Gefühle
Ausdruck gegeben hätte. Zumal verherrlicht er den
unvergesslichen Erzherzog Johann^ den Fürsten, dessen
segensreiches Wirken für das Land, in dem nun Seidl
weilte, der Poet ja von Monat zu Monat und von Jahr
zu Jahr verfolgen konnte, desselben Fürsten, bei dem
96
er selbst zu Gaste sein und dessen Häuslichkeit er kennen
lernen durfte. Aber selbst nach Wien zurückgekehrt,
gedachte Seidl des segenspendenden Prinzen und als
dieser seinen 60. Geburtstag feierte, schrieb er noch
das schöne Glückwunsch-Gedicht >In der Hofburg zu
Wien,« welches, so weit uns erinnerlich, in keiner
Samnilung von Seidls Werken aufgenommen erscheint
imd das hier im Auszuge noch den Abschluss dieses
Capitels bilden möge.
In der Hofburg zu Wien.
Am 20. Jänner 1842.
An einem der hphen Fenster
Im Hofe der Burg zu Wien,
Lässt heute wohl einen Sänger
Sein Herz nicht vorüber ziehn.
Er war in den Alpen heimisch,
Sang dort manch' Liedchen schlicht,
Drum gehn ihm die lieben Berge
Noch jetzt aus dem Sinne nicht.
Vielleicht, dass hinter den Scheiben
Der hohe Herr sich ihm zeigt.
Für welchen heut aus den Alpen
Viel Segen zum Himmel steigt.
Dem heute des sechzigsten Jahres
Vorsichtig schonende Hand
Noch freundlich die sinnende Stime
Mit frischen Blumen umwand. —
Und sieh! es ist derselbe,
So wie er ihn oft gesehn
Inmitten des Landes Steier
Begleitet von Liebe stehn;
So kräftig in seinem Wirken
In seiner Muße so groß,
Die edle Gemahlin zur Seite,
Das liebliche Söhnlein im Schoß.
97
Und heute, so fem dem Lande!
Sie wünschen umsonst ihn zu sehn ;
Er kann nicht schaun ihr Frohlocken,
Er kann nicht hören ihr Flehn! —
Das geht dem Sänger zu Herzen,
Er maßt sich die Botschaft an,
Die heut er unter dem Fenster
Für Tausende künden kann:
Die Segenswünsche des Landes,
In dessen Herz er geblickt.
Er sendet sie leise für Alle
Empor an das Fenster entzückt,
Damit sie wie Tauben umflattern
Des Fürstengemaches Wand,
Und laut durch die Scheiben girren :
Glück auf, aus dem Steirerland!
^
Schlossar, loo Jahre deutscher Dichtung.
VI. CAPITEL.
Carl Gottfried Ritter von Leitner. Seine Be-
ziehungen zu Anastasius Grün. Aus Leitners
ungedrucktem Nachlasse.
Der Mann, dessen an dieser Stelle gedacht werden soll,
ist eine der hervorragendsten österreichischen
Poetengestalten, er nimmt einen Ehrenplatz ein unter
den Dichtem Deutschlands überhaupt und nur die
außerordentliche Bescheidenheit, ja Schüchternheit seiner
Persönlichkeit blieben wohl Schuld daran, dass Leitners
Name lange Jahre hindurch außerhalb der Grenzen
Österreichs nicht mit unter ' den Besten des deutschen
Parnasses genannt erschien. Spät erst wurde ihm, dem
so klangvolle Liedergabe geschenkt war, die allgemeine
Anerkennung auch der weitesten Kreise zu Theil, frei-
lich im engeren Kreise hatte man ihn schon lange hoch-
gehalten und nach dem Erscheinen der ersten Auflage
seiner Gedichte im Jahre 1825 galt C G. R. v. Leitner
in Österreich als eines jener Talente, welche hoch über
alle neben ihm aufgetretenen Sänger und Dichter empor-
ragen.
Der Familie Leitner wurde durch Erwähnung des
Vaters Cajetan Franz und des Oheims Alois Vinzenz
schon früher im L Capitel dieser Darstellung ge-
dacht. Carl Gottfried Ritt, von Leitner (geb. 1800 zu
Graz) war kaum in das sechste Lebensjahr getreten.
99
als sein Vater starb, auch sein Oheim erlebte nur die
ersten Versuche des poetisch so bedeutend veranlagten
Jünglings, dessen Lebenslauf ein stiller und einfacher
gewesen; in Kehrein's »Biographisch-literarischem
Lexikon« (Bd. L 1868) ist derselbe nach des Dichters
eigener Mittheilung dargestellt. Leitner hat in Graz
die philosophischen und juridischen Studien betrieben,
wollte sich dem Lehrfache zuwenden und hatte wirklich
auch schon 1826 am Gymnasium zu Cilli imd nachher
in Graz Vorträge gehalten, konnte jedoch keine feste
Anstellung erlangen ; sein bereits begründeter literarischer
Ruf trug wohl auch mit dazu bei, dass er im Jahre 1836
zum Secretär der steiermärkischen Stände erwählt wurde,
als solcher trat er im Jahre 1854 in den Ruhestand.
Seine 1846 mit der an Geist und Gemüth reich begabten
Caroline Beyer eingegangene Ehe trennte schon im
Jahre 1855 der Tod. Die geliebte Gattin wurde ihm
auf einer Reise in Pisa entrissen. Er begleitete die
Leiche der unvergesslichen Lebensgefährtin bis nach
Graz zurück, wo er sie in der heimatlichen Erde be-
statten liess; mit inniger Rührung wird jeder die poesie-
Vollen Strophen lesen, welche Leitner in seinen Ge-
•dichten nachher an die Verklärte gerichtet hat. Seitdem
lebte er womöglich noch stiller in der steiermärkischen
Hauptstadt ; er hatte sich vielfach auch mit historischen
Studien beschäftigt und manche tüchtige kleinere Ar-
beit auf diesem Gebiete veröffentlicht, die vortreffliche
»steiermärkische Zeitschrift«, welche auch dichterischen
Schöpfungen Eingang gewährte, hat er eine Zeitlang
mit mehreren anderen sachkundigen Männern geleitet,
für das Joanneum und dessen geistigen Aufschwung
viel gethan und war im Jahre 1858 vom Erzherzog
Johann selbst zu einem der drei Curatoren dieser An-
lOO
stalt ernannt worden. Im Jahre 1863 wurde Leitner
zum Vorsitzenden der deutschen Schiller-Zweigstiftimg
in Graz erwählt. Aber noch lange sollte der ins
Greisenalter Getretene dieser Welt zur Freude seiner
stetig immer mehr anwachsenden Freundeszahl erhalten
bleiben, er starb, nachdem ihn ein Schlagfluss ge-
troffen, 90 Jahre alt am 26. Juni 1890 in Graz.
Diese kurzen Andeutungen über das Leben des
steiermärkischen Dichtemestors mögen genügen, sie sind
nur zum etwaigen Verständnisse einiger Angaben die
hier folgen sollen, angeführt. Die Stammtafel der Fa-
milie Leitner und viele andere Daten über den Dichter
hatjosef Goldscheiderin einer 1880 dem Achtzigjährigen
gewidmeten zu Graz erschienenen Festschrift zusammen-
gestellt. Schlicht und still wie das Leben des be-
scheidenen Dichters, dem die Muse doch ihre herr-
lichsten Gaben verliehen, war auch sein poetischer Ent-
wicklungsgang. Nachdem Leitner mit 19 Jahren sein
erstes Gedicht veröffentlicht, folgten bald Gedichte und
Novellen aus seiner Feder in den hervorragendsten lite-
rarischen Zeitschriften Wien's, in Taschenbüchern und
Sammelwerken. Erst im Jahre 1857, also mehr als
30 Jahre nach der ersten erschien die zweite Auflage
der »Gedichte« (Hannover), allerdings vielfach ver-
mehrt und verbessert. Selten hat wohl ein Poet seine
Arbeiten so eingehend geprüft und gebessert wie Leitner,
dessen bis in die letzten Lebenstage reichenden dichteri-
schen Schöpfungen, deren viele noch nicht bekannt ge-
worden sind, dem Verfasser dieser Zeilen vorliegen und
hievon Zeugnis ablegen. »Herbstblumen« benannte Leit-
ner die 1870 in Stuttgart erschienene neue Sammlung
von Gedichten, »Novellen und Gedichte«, ein spärliches»
aber reines Gold der Dichtkunst bietendes Bändchen, das
lOI
er als letzte Gabe im Jahre 1880 herausgab. In diesen
wenigen Büchern hat der steierische Dichter die Summe
seines poetischen Schaffens der Öffentlichkeit vorgelegt,
aber er hat Viel des Herrlichen dieser Öffentlichkeit
vorbehalten, wie sein reicher Nachlass zeigt. Alle
Poeten beinahe, welche in dem vorliegenden Buche
behandelt erscheinen, 'hat er persönlich gekannt oder
ist ihnen sonst näher getreten, J, R, v, Kalchherg
hat den jungen Mann geschätzt und ermuntert, Rosegger
und seine Zeitgenossen haben dem Greise Hochachtung
und Verehrung dargebracht.
Leitners Poesien bieten nach den beiden Haupt-
richtungen, nach der lyrischen und nach der epischen
Richtung Hervorragendes und Bedeutendes, die Form
derselben ist stets musterhaft, ein edler Gedankenschwung
zeigt sich im Liede jeder Gattung, dessen lieblichste
Töne ihm zu Gebote stehen ; Klarheit der Bilder, welche
nie gesucht sind und doch überraschend wirken, bietet
der Dichter im Liebesliede wie in der Verherrlichung
der Natur, für welche ihm ja sein schönes Steirerland
so prächtige Vorwürfe gegeben, meisterhaft beherrscht
er die Strophenform des Sonetts, nicht minder aber auch
die Nibelungenstrophe und den Hexameter. Auf dem
Gebiete der Ballade und Romanze, der poetischen Er-
zählung ist Leitner ausgezeichnet, Stücke wie > Herzog
Inguo's Mahl«, »König Hackon's letzte Meerfahrt« oder
>Der Herr des Meeres« reihen sich den besten Poesien
Uhlands und anderer Großen im Reiche der Dichtkimst
würdig an. >Der Herr des Meeres« mit dem gewaltig
wirkenden Refrain: >Und laut erbrausen die Wogen«
gehört zu den Meisterwerken deutscher Balladendichtung.
Der Verfasser dieser Zeilen ist in der Lage auf gar
102
gewichtige Zeugnisse hinzuweisen, welche schon in
früher Zeit die Bedeutung imseres Dichters hervorheben.
Kurze Zeit nach Vollendung seiner Studien wurde
Leitner mit dem damals noch jugendlichen Ant Alex,
Graf Auersperg, mit dem künftigen Dichter Anastasius
Grün befreundet. Letzterer hatte zwar Steiermark bald
verlassen und erst später ab imd zu wieder besucht,
bis er sich das Land zum dauernden Aufenthalte er-
wählte. Aber ein Briefwechsel verband inzwischen die
beiden Poeten, den in kühnen glänzenden Strophen die
Geistesfreiheit herbeirufenden Dichtergrafen und den
in schönen, sanften, formvollendeten und von wohl-
thuender Wärme durchwehten Versen ihm begegnenden
Steiermärker. Aus den Briefen Auerspergs an Leitner
seien hier einige Stellen aus früherer und späterer Zeit
angeführt.*); >Ich hoffe mit der Zeit« schreibt im
Juli 1826 der noch unberühmte > Wiener Poet« »wenn
es mir höher hinanzuklimmen gelingen sollte, mit Ihnen
im freundlichen Bunde dem schönen Ziele entgegen-
zuwandeln, da keiner unserer neueren Dichter, ich darf
es offen bekennen, meiner Individualität so sehr zusagt,
wie Sie«. Schon 1829 wendet sich Auersperg gar ver-
traulich an Freund Leitner und ersucht ihn in scherz-
haften Reimen aus Wien um poetische Beiträge im
Auftrage der Herausgeber verschiedener Zeitschriften
und Taschenbücher. Aus der für den heiteren Brief
gewählten Strophenform wird man wohl unschwer ent-
nehmen, dass Anastasius Grün damals an den Nibe-
lungenstrophen seines »Letzten Ritters« beschäftigt war.
Hier einige Verse des interessanten Briefpoems:
*) Mehrere dieser Briefe hat vollständig L. A. Frankl
im Feuilleton der »Neuen Freien Presse« vom ll. April 1881
Nr. 9563 zum Abdrucke gebracht.
103
Gott grüß' dich, braver Dichter und schlechter Corre-
spondent !
Es macht dein langes Schweigen bald meiner Geduld ein
End',
Zerschlugst dein Tintenfass du, so fülle eine Nuss
Und ist dein Arm erfroren, so schreibe mit dem Fuß.
Ja oder hast vergessen du ganz des Freundes schon?
Und kanntest, als er pochte, nicht den bekannten Ton?
Ja oder kam sein Pochen zu rechter Zeit dir nicht?
Wohlan, so murr' und fluche — nur aber schweige nicht ! —
Mancher vertrauliche Brief wurde seitdem zwischen
den beiden Dichtem gewechselt und Anastasius Grün
hat den Freund über seine literarischen Pläne manche
interessante Mittheilung gemacht. Besonders wichtig
aber, erscheint es, dass Leitner, welcher zu Anfang der
fünfziger Jahre an die endliche zweite Auflage seiner
Gedichte dachte, sich das unpartheiische Urtheil des
bereits in ganz Deutschland und Österreich gefeierten
hochberühmten Freundes Grün erbat und diesem das
Manuscript der erwähnten zweiten Auflage mit der
Bitte zustellte, fireimüthig über jedes einzelne Gedicht
seine Ansichten und Ausstellungen mitzutheilen. That-
sächlich unterzog Anastasius Grün damals im Jahre
1855 zu Thum am Hart das Manuscript der genau-
esten Prüfung und verzeichnete den Erfolg derselben
auf eigenen Blättern, welche er dem steirischen Poeten
offenherzig zusandte. Die daselbst angeführten Be-
merkungen Auerspergs hat Leitner auch genau beob-
achtet und so manches in Reim und Wort nach Ana-
stasius Grün's Vorschlag geändert. Letzterer nahm
aber dabei Gelegenheit, dem Poeten in Graz trotz der
kritischen Bemerkungen seine Verehrung auszudrücken.
> Meine kritischen Bedenken« schreibt er in dem be-
züglichen Briefe vom 21. October 1855 > wollen Sie,
I04
insofern sie Ihnen hie und da unbegründet scheinen
sollten, immerhin unberücksichtigt fallen lassen; ich
glaubte es dem innigen Antheile und der hohen Ach-
tung, die ich Ihren dichterischen Leistungen zolle, so
wie diesen selbst schuldig zu sein, auch die kleinsten
Bedenken nicht zu verschweigen und so mitzuwirken,
dass der Glanz und Erfolg Ihrer Schöpfungen auch
nicht durch an imd fiir sich geringfügige Mängel be-
einträchtigt werde. Ein wahrer Dichter wie Sie, hat
dann immer noch Selbständigkeit und Selbsterkenntnis
genug, um derlei kritische Bedenken zu sichten und
zu reducieren« — > Obwohl ich Ihrem Wunsche . . .
nachzukommen bestrebt war« lautet eine andere Stelle
dieses Schreibens, >so ficht es mich doch fast unan-
genehm an, wenn ich jetzt die lange Liste meiner Be-
denken anblicke, ohne dass ich ihr in den Aussprüchen
meiner Bewunderung imd Freude, in den Ausdrücken
meiner Rührung und Erhebung das richtige Gegen-
gewicht an die Seite stellen darf. Doch statt zwei Halb-
bogen müsst' ich deren wohl zehn und mehr mit Lob
und Preis anfüllen ... im Übrigen wissen Sie ja seit
Jahren, wie ich, der ich kein Schmeichler und Schön-
färber bin, von Ihrem herrlichen Talente denke. Und
so brauche ich Ihnen nur kurz anzudeuten, dass die
Tiefe und Wahrheit, die Reinheit und Wärme Ihrer
poetischen Empfindung, die edle Einfachheit und Ge-
diegenheit der Formen, die von echt künstlerischer
Bildung zeugt, die schwung- und zugleich maßvolle
Beweglichkeit Ihrer Phantasie, die markige Gestal-
tungsfahigkeit und volksthümliche Ausdrucksweise (ins-
besondere in den Balladen) mich neuerdings entzückt
und hingerissen haben«. —
^,
Ci^^^^^^^'^^ZS*--'.^-/
io6
Und auch Freund Leitner hat an den Neuauflagen
von > Schutt« und von den »Gedichten« Anastasius
Grünes über dessen Wunsch gebessert, wofür ihm der
»Wiener Spaziergänger« in einem anderen Briefe den
Dank ausspricht. Als Leitner's Gedichte im Jahre 1857
in der Neuauflage endlich erschienen waren, beglück-
wünschte Auersperg neuerlich den poetischen Freund
und Gesinnungsgenossen (Brief vom 21. November
1857) und tröstete ihn zugleich, herzlich bedauernd,
»dass das Wiedererscheinen Ihrer anmuthvoUen Muse
auf dem Marke der Öffentlichkeit Ihnen mitunter An-
lässe zu kleinen Verstimmungen gibt.« Er fügt die
schönen Sätze betreffend des Steiiermärkers poetische
Bedeutung bei: »Lassen Sie sich . . . nicht im sichern
Glauben und Vertrauen auf sich selbst irre machen;
Sie sind und bleiben nicht nvir ein edler, harmonien-
reicher und tüchtiger Poet, sondern Sie sind auch in
der That eine eigenthümliche und ursprüngliche Dichter-
natur, zu deren Erkenntnis imd Würdigung es aller-
dings auch auf der anderen Seite einer feineren Or-
ganisation bedarf. Die grobsinnliche Alltäglichkeit wird
freilich in den ruhigen Schönheitsliniien des vollendeten
Ebenmaßes schwer die Originalität entdecken und ihr
wird der flötenspielende Faun immer eine auffallendere
und eigenthümlichere Erscheinung sein als der belve-
derische Apoll in seiner olympischen Ruhe.«
Soll der Verfasser der vorliegenden Zeilen diesen
gewichtigen Urtheilen des Dichtergrafen noch Etwas
beifügen ? Es scheint wohl kaum nöthig. Manches Lied
K. G. R. V. Leitners hätte feurig geklungen im Tone
der stolzen Verse Anastasius Grün's, der so gewaltige
Klänge anschlagen konnte, freilich im Auslande, ohne
seinen wahren Namen zu nennen, aber der Dichter Leitner
107
durfte nicht jeden Sang anstimmen, wie es ihn wohl
in der Seele drängte.
Es ist dem Verfasser gegönnt aus dem schönen
und reichen dichterischen Nachlasse dieses Poeten,
welcher bisher noch nicht zum Drucke gelangte, einige
Proben, welche sich auf die Gebiete verschiedener Dich-
tungsgattungen erstrecken, anzuführen. Die schönen zu-
rückgebliebenen Gedichte liefern den merkwürdigen
Beweis, dass selbst der Greis kein Nachlassen der poe-
tischen Kraft zeigt, vielmehr finden wir hier Strophen von
erhabener Gewalt und treiflicher Durchführung, Gedichte,
welche alle fiüheren Vorzüge des Dichters, aufweisen.
Seinem unvergessenen todten Freunde, dem ge-
nialen Grafen Auersperg, der ja in der letzten Zeit
seines Lebens auch als Staatsredner so gewaltige Siege
emmgen, wie einst als Dichter, widmet im Jahre 1 884
Leitner die begeisterten Strophen:
An Anastasius Grün,
Seit, Held des Gesangs, am erbleichenden Mund'
Erstorben das Lied dir, wie haben sich rund
Verändert die Lande und Leute!
Der Deutsche, der Reich gegründet und Thron,
Steht abseits gedrängt, missachtet zum Lohn'
Beinahe den Andern zur Beute.
Wie lauschten sie jubelnd, bewunderungsvoll.
Als mächtig dein deutsches Lied einst scholl
In's dumpfe Schweigen und Brüten.
Jetzt grüßen den Laut sie, in dem du gewagt
Die Freiheit zu feiern, noch eh' sie getagt.
Mit Hohn, mit Johlen und Wüthen.
O kehre zurück aus dem Geisterreich
Im Faltengewande, den Barden gleich,
Bekränzt, die Harfe zur Seite.
Lass' brausen sie kühn mit der alten Macht,
Dass drüber der letzte der Schläfer erwacht,
Du gewaltiger Rufer im Streite.
io8
Nimm wieder im Rathe der Herren, du Graf,
Das Wort, das immer die Herzen traf
Mit zündenden Feuergedanken.
Erfülle die Treuen noch einmal mit Lust
Und ströme von Neuem Muth in die Brust
Den Zagen, die schwanken und wanken.
Dort oben ist Frieden, ist Freiheit und Licht,
Dort oben bedürfen sie deiner nicht,
Hier unten ist Streit und Bedrängnis.
Hier stimme begeistert das Schlachtlied an.
Siegfreudig schreiten zum Kampfe wir dann
Mit Übermacht imd Verhängnis.
Kein Wunder, dass dem Greise, welcher so mar-
kig im Gesänge den Dahingeschiedenen feierte imd
herbeirief, auch die poetische Erzählung, die Ballade imd
Romanze, welche Leitner ja seit dem ersten Auftreten
als Dichter mit so großen Erfolgen gepflegt hatte,
sich schön wie früher gestaltete. Man lese das nach-
folgende Gedicht dieser Gattung, welches aus dem
Jahre 1887 stammt.
T>er Delinquent
Als mit dem Tage die Nacht noch stritt,
Noch einzeln blinkten die Sterne,
Marschierte bereits mit langsamem Schritt
Ein Zug aus der Kaserne.
Inmitten kam gebeugt einher.
Gar bleich die Lippen und Wangen,
An Händen imd Füßen mit Ketten schwer
Ein Delinquent gegangen.
Jüngst hatte der Lieutenant vom Stab
Kurzweil mit Grete getrieben.
Den schmiss er gleich die Treppe hinab.
Dort ist der todt geblieben.
109 '
Das Kriegsgericht, zumal im Feld
Muss strenge Mamiszucht pflegen.
Da nützt kein Bitten, kein Lösegeld,
Jetzt geht er dem Tod entgegen.
Er trägt einen schönen Strauß in der Hand,
Den ihm sein Schatz gegeben,
Der Feldkappelan im Chorgewand
Geht leise betend daneben.
Sie kommen in einen Wiesengrimd,
Den allerlei Blümelein färben.
Jetzt thut der Herr Auditor ihm kund,
Dass er sogleich muss sterben
Verbunden sind schon die Augen ihm itzt.
Vier Mann sind vorgetreten.
Des Hauptmanns Degen im Frühroth blitzt.
Da krachen vier Musketen.
Sie legen den Todten still ins Grab,
Das hinter ihm stand schon ofifen.
Die Mannschaft rückt jetzt wieder ab.
Das Volk verschleicht sich betrofifen.
Jetzt liegt er dort zur Ruhe gebracht.
Nicht mehr so wild aufbrausend;
Und morgen geht es in die Schlacht,
Da folgt ihm manches Tausend.
Wie frisch und munter der Greis noch wenige
Jahre vor seinem Tode der Freude gedachte, welche
ihm die Dichtkunst bereitet, zeigt der freilich schon
tief wehmüthig ausklingende, aber doch im Ganzen von
Humor durchwehte:
Poetenritt.
Da ich noch war ein kleiner Knab'
In meinen ersten Höschen,
Da galt der nächste beste Stab
Mir schon als Lieblingsrösschen.
HO
Ich tummelte darauf wie toll
Mich rings durch alle Stuben; '
Und wuchs heran bald Zoll für Zoll
Zum lehrbedürft'gen Buben.
Jetzt trabt' ich, überall bepackt
Mit Büchern und mit Mappen
Zur Schule im bescheidnen Takt
Auf Meister Schusters Rappen.
Dort hört' ich bei der Lection
Von einem Flügelpferde,
Das heimisch auf dem Helikon
Betrete nie die Erde.
Und plötzlich stand das Wunderthier
Leibhaftig vor dem Hause,
Und schnob mir zu, einladend schier
Mit muthigem Gebrause.
Sein Leib war schlank, von schnee'gem Glanz
Perlmuttern Schweif imd Mähne,
Es hob die Hufe wie zum Tanz,
Beflügelt war's wie Schwäne.
Und schnell entschlossen schwang ich leicht
Mich stolz auf seine Kruppe,
Und flugs hat es mit mir erreicht
Des Musenberges Kuppe.
Als wüsst's, dass ich mich, von Natur
Nervös, nach Heilung sehne.
Setzt' ab es mich zur Wasserkur
Am Rand der Hippokrene.
War das ein köstlich Nass ! — berauscht
Von der Begeisterungsquelle
Schien mir die Welt ganz ausgetauscht,
So schön, so rosig helle.
Nur scholl's im Dunkel unter mir
Wie wild Gesurr von Hummeln,
Da war vor Neid und Streit und Gier
Ein wüst Gewirr imd Bummeln.
III
Oftmals lürwahr ergriflf mich Scheu
Vor dieser. Tollhausmenge,
Doch musst' ich bald hinimter neu
In ihr verwirrt Gedränge.
Ich musste mir mit PuflF und Stoß
Weg bahnen durch die Gassen
Und oft auch selbst von Klein und Groß
Mich puften, stoßen lassen.
Musst bücken mich vor dem und dem,
Mir oft den Mund verkleiben,
Mich fügen, war's gleich unbequem,
In's leere Alltagstreiben.
Doch kam bisweilen Feierzeit,
Ein Tag nur, eine Stunde,
So war ich freudig gleich bereit
Zur Lustreis' in der Runde.
Da war für mich kein Ziel zu fem.
Mich trug mein Zauberschimmel
Von Land zu Land, von Stern zu Stern
Fast in den dritten Himmel.
Jetzt freilich geht's in andrer Weis'
Mit Flügelross und Reiter,
Der Reiter ward ein müder Greis,
Sein Gaul kommt nicht mehr weiter.
Der hinkt zu aller Leute Hohn
Nur sacht noch an der Leine,
Gemaust hat jetzt sein Fittig schon
Und steif sind seine Beine.
Bald bringt trotz Huf und Flügelpaar
Ein Hüglein ihm Gefährde,
Und stolpernd wirft für immerdar
Den Alten er zur Erde.
Wie sich aber der Dichter K. G. R. v. Leitner
das warmfühlende echte deutsche Herz bewahrt hat,
112
davon könnten viele Strophen Zeugni$ ablegen, die er
schon am Rande des Grabes verfasst. Als ein Bei-
spiel stehe hier das 1888 entstandene:
Erstes Eigenthuni,
Das Erste, was uns wird zu eigen
Im Schaukelbett der Wiege schon,
Das deutsche Wort ist's und nie schweigen
Soll fürder sein geliebter Ton.
Schon, wenn das Kind nach Müh'n und Drängen
Nun endlich Vater, Mutter! lallt,
Gewinnt mit diesen süßen Klängen
In ihm das deutsche Wort Gewalt.
Fortan durchs ganze Leben kleidet
In dieses sich der Schmerz, die Lust,
Sein Wehe klagt mit ihm, verleidet,
Mit ihm jauchzt auf des Frohen Brust.
Es tönt in Demuth auf zum Himmel
Als frommes Lied im Gotteshaus,
Und kühn erschallt's im Schlachtgewimmel
Durch Wafifenlärm und Sturmgebraus.
Jedwedes deutsche Fühlen, Denken
Ist durch das deutsche Wort bedingt.
Bewahrt es treu, trotzt allen Ränken,
Wie's seit der Vorzeit stolz erklingt.
Lasst das, was fremd, nicht vorwärts dringen
Und schritt es gleich nur Schritt für Schritt;
Ja könnt es irgend ihm gelingen
So sei zur Schmach es dem, der's litt.
Auf bleicher Lippe noch im Sterben
Soll schweben uns das deutsche Wort,
Und noch die fernste Nachwelt erben
Soll unversehrt den goldnen Hort.
Immer wehmüthiger werden Leitner's Verse in den
letzten Jahren, in den letzten Monaten seines Lebens,
"3
aber der trotz seines Alters stets geistesfrische Greis führt
sie fort und kein Jahr vergeht, das nicht dem Hoch-
betagten schöne poetische Früchte trägt. Er gedenkt
aher Freunde, die mit ihm gestrebt imd gerungen und
die ihm längst vorangegangen, er gedenkt der Jugend-
zeit und selbst so manchen Strahles, den ihm vor langen,
langen Jahren die Liebe ins Herz gesendet und er ge-
denkt seiner schönen Heimat, die er nie dauernd ver-
lassen hat. Dann aber naht die Krankheit, die böse
poesiefeindliche, wohl die letzte, wie er meint. Aber
es ist wieder besser geworden, er kann wieder zum
Stifte und zur Feder greifen und aus den Phantasien
des Fiebers, die ihn umgaukelt, entsteht ein schönes
Gedicht, das er am 3. März 1890 mit seiner etwas
zitternden, aber doch noch nicht kraftlosen Hand
niedergeschrieben :
Krankenbesuch.
Als ich stumpf im Fieber
Lag um Mitternacht,
Nahtest du, Geliebte,
Meinem Bette sacht.
Ganz war mir entfallen,
Dass vor langer Zeit
Du vorangegangen
In die Ewigkeit.
Doch du bist's gewesen!
Goldblond war dein Haar,
Blau wie reiner Äther
Kleid und Augenpaar.
Und du hast dich schweigend
Über mich gebückt,
Auf die Stirn mir leise
Einen Kuss gedrückt.
Schlossar, xoo Jahre deutscher Dichtung. 8
114
Auf die Knie gesenket
Hobst den Blick du dann,
Faltend fromm die Hände
Brünstig himmelan.
Mehr und mehr ward ruhig
Blut und Nerv dabei
Und die Augen schlug ich
Wieder auf nim frei.
Doch du warst verschwunden,
Als ich aufgewacht,
Nur mein Herz war trunken
Noch vom Glück der Nacht.
Es ist eine seltsame Thatsache, dass Menschen im
hohen Alter eigenthümliche Träume und Visionen haben,
die sich besonders kurz vor dem Tode mehren. Diese
führen den Geist in die frühere Jugend zurück, sie
spiegeln ihm Bilder aus der weiten, weiten Vergangenheit
vor, sie lassen ihn geliebte Gestalten erschauen, die
ihm einst nahe gestanden und welche ihm nun wieder
nahen, gleichsam Willkomm und Gruß bietend zum
Empfange in einer unbekannten Welt. Leitner hat dies
in seinem nachfolgenden letzten Gedichte bestätigt, das
am 15. Juni 1890 niedergeschrieben ist. Am 20. Juni
desselben Jahres ist er für immer entschlummert.*)
Traumleben.
Wenn nächtlich am Himmel der Sternenschein blinkt.
Und sanft auf das Haupt der Schlummer mir sinkt
*) Leitner nimmt unter den deutschen Poeten eine höchst
angesehene Stelle ein, er gereicht der österreichischen Literatur
zur besonderen Zierde. Eine Neuausgabe seiner Werke (die er
zum Theile vorbereitet \ in welche die zahlreichen schönen
Stücke des Nachlasses aufzunehmen sein würden, wäre eine
Ehrenpflicht und würde erst ein Gesammtbild vom Wirken
des nicht sehr productiven, dafür aber überaus edlen form-
gewandten Dichters gewähren.
"5
Dann wird eine andere seltsame Welt
Im Innern von magischem Licht mir erhellt.
Ein Weben und Leben beginnt darin kraus,
Bekannte Gestalten entwickeln sich draus,
Sie kommen und gehen, und stellen sich an
Im Thun und im Lassen, wie sonst sie gethan.
Des Nachbars Kathrinchen, das muntere Blut,
Das längst in den Blumen des Friedhofes ruht.
Hüpft wieder umher, wirft zu mir den Ball,
Und fängt ihn und lacht, wenn er kommt doch zum Fall.
Der Vater, der wiedererstandene hält
Mir lehrreiche Reden zum Schutz in der Welt,
Die Mutter macht auf sich aus ewiger Ruh'
Und stecket dem Liebling den Kuchen noch zu.
Die Corpsburschen grüßen zum flotten Empfang
Den Fuchs in der Kneipe mit Prosit und Sang.
Und schwingen die Gläser und singen so froh.
Und sind doch schon Alle, der Himmel weiß wo.
Und Vettern und Muhmen und Freund und Genoss
Die lange die Pforte des Grabes verschloss.
Und wen ich sonst nannte im Leben noch mein,
Sie stellen mit freundlichen Mienen sich ein.
Ich spreche mit ihnen so harmlos als wär^
Es kurz erst seit unserem letzten Verkehr;
Und Alles dies ist nur ein täuschender Traum,
An den der Erwachte erinnert sich kaum.
Einst aber wird kommen ein ewiger Tag,
Der mehr als die irdischen Nächte vermag.
Der wieder mir alles verlorene Glück
Wird bringen in Wahrheit für immer zurück.
8*
Vn. CAPITEL.
Jakob Dimböck. Vincenz Zusner.
Faust Pachter und dessen poetischer Nachlass.
Es ist kein großer Dichter, auf den wir nun zu
sprechen kommen, aber als Verfasser jenes Liedes,
welches die Steiermark weit über die Grenzen des Lan-
des hinaus verherrlicht hat, in dem es entstanden ist, ver-
dient der Poet Jakob Dirnhöck in ähnlicher Weise
Aufmerksamkeit wie etwa Max Schneckenburger,
welcher durch seine »Wacht am Rhein« so viele Hun-
derttausende zur Begeisterung entflammte. Haben wir
es in unserem Falle nun freilich nur mit einem schlichten
steirischen Sänge zu thun, der mit dem Erfolge jenes
weltberühmten Rheinliedes wohl nur einen bescheidenen
Vergleich aushält, so sind einige Vergleichungspunkte
denn doch gegeben. Gerade an dieser Stelle ver-
dient der Verfasser des zum Volksliede gewordenen,
in allen Alpenländem und selbst in allen deutschen
Landen ertönenden Sanges »Hoch vom Dachstein«
umso mehr unsere Aufmerksamkeit als er auch im
Übrigen nicht bedeutungslos poetisch thätig und ins-
besondere einer der ersten war, welcher gewissermaßen
als Vorgänger P. K. Roseggers im heimischen Dialecte
eine Zahl sinniger und ansprechender Gedichte ver-
öffentlicht hat. Dieselben sind freilich niemals gesammelt
erschienen und nur in verschiedenen literatur- und
poesiefreundlichen Blättern zum Abdrucke gekommen.
117
Keine Literaturgeschichte, kein Sammelwerk hat
bisher dieses Poeten gedacht, obgleich dessen »Dach-
steinlied« in zahllosen Sängerkreisen ertönt und Viele
aus diesen Kreisen wissen es wohl -selbst nicht, wem
sie die zum Preise ihres schönen Alpenlandes gedich-
teten Strophen verdanken, Jakob DimbÖck hat auch
nicht den Lebenslauf eines Dichters aufzuweisen, dessen
Wege mit Blumen und Kränzen geschmückt sind. Er
war im Jahre 1809 zu Graz geboren, trat nach den
Gymnasialstudien in die Müller'sche Buchhandlung
seiner Vaterstadt ein, kam 1831 als Buchhändler nach
Wien und Prag, später nach Breslau, Augsburg und
in einige andere deutsche Städte, weiterhin auch riiach
Luzem und eröffnete im Jahre 1844 eine Buch-
handlung zu Graz. Daneben aber lernte er, mit offenem
Blicke und feinem Sinne begabt, Land imd Leute seiner
Heimat genau kennen, der Heimat, welche er mit
der ganzen Wärme seines Herzens liebte und in der
er auch schon im Jahre 1861 (ebenfalls zu Graz) starb,
nachdem er sich als Geschäftsmann einen ehrenvollen
Ruf erworben. Im Jahre 1844 feierte die steiermär-
kische Landwirtschaftsgesellschaft, deren Bestrebungen
der hochverehrte Erzherzog Johann so mächtig för-
derte, ihr fünfundzwanzigjähriges Jubiläum. Zu dieser
festlichen Gelegenheit hat Dimböck das Lied, welches
zunächst den Titel: »Der Steirer Land. Hoch vom
Dachstein« '^) führte, gedichtet und dasselbe wurde von
L. Seydler in Musik gesetzt. Damals ertönte zuerst
der kräftige Sang:
♦) Von mir nach der ersten Originalausgabe nebst der
ausführlicheren Biographie Dimböcks vollständig mitgetheüt
in meinen iCultur- und Sittenbüdem aus Steiermark«
(Graz 1885) S. 190 ff.
Ii8
Hoch vom Dachstein an, wo der Aar noch haust,
Bis zum Wendenland am Bett der Sav',
Und vom Alpthal an, das die Mürz durchbraust
Bis ins Rebenland im Thal der Drav':
Dieses schöne Land
Ist der Steirer Land,
Ist mein liebes, theures Heimatland.
Wo die Gemse keck von der Felswand springt
Und der Jäger kühn sein Leben wagt.
Wo die Sennerin frohe Jodler singt
Am Gebirg, das hoch in Wolken ragt.
Dieses schöne Land etc.
Das Lied wurde nach den ersten Vorführungen
zurückgelegt und beinahe vergessen, aber wenige Jahre
darauf fanden Dichtung und Composition immer mehr
Aufnahme und heute ertönt er bei jeder patriotischen
Feier im Lande von vielen Stimmen gesungen und in
zahllosen der Fröhlichkeit gewidmeten Kreisen durch
ganz Österreich und Deutschland. Und weil es auf
diese Weise zum Nationalliede, zum Volksliede ge-
worden, ist auch des Dichters nicht zu vergessen, der
es ^um Preise seiner Heimat geschaffen. Wir haben
demselben, wie erwähnt, noch manche Dichtung zu
verdanken, die sinnig und wohlgeformt dem Leser
entgegentritt, wie trefflich ist etwa der Vergleich der
Natur mit einem Buche gelungen, welchen der Poet in
dem Gedichte »Das größte Buch« so schön durchführt:
Ein großes Buch liegt vor dir aufgeschlagen,
O sieh' hinein mit wissbegier'gem Blick,
Erheben wird*s den Geist, nach Oben tragen.
Sanft trösten dich, beugt dich ein herb' Geschick.
Ein Finger Gottes hat das Buch geschrieben,
Das schönste Werk wie's irgend einer sah.
Und ewig her ist's neu bis heut geblieben
Und klar vom Alpha bis zum Omega. — —
119
Und in dir selbst, in deinem eigenen Wesen,
Im Kunstbau, der dein geistig Ich umschließt,
Kannst du des Buches Wahrheit, Weisheit lesen
Und nimmer zweifeln wer sein Autor ist.
Willst du dies Buch, das größte lernen kennen?
Erräth es nicht des Geistes eigne Spur?
Wohlan, ich will das Wunderwerk dir nennen;
Es ist die göttlich herrliche Natur.
Zumeist verherrlichen auch wirklich die hoch-
deutschen Lieder und Gedichte Dirnböck's die Schön-
heiten der Natur: die Pracht des Lenzes, die Ruhe
des Sommerabends u. dgl. in anmuthig malerischer
Weise, aber auch mancher andere Sang, welcher von
der Innigkeit und Herrlichkeit des Dichters Zeugnis
ablegt, findet sich daneben. Die Lieder in der Steirer
Mundart sind ihm besonders gelungen, ein schalkhafter
Humor steckt in vielen derselben, mag nun der Dichter
»Die Beargla und d'Öbna« (Die Berg- und Thalbe-
wohner) oder ein paar Verliebte lustige Wettgespräche
führen, oder den »so armselingen Buam« seine Klage
anstimmen lassen mit dem steten Refrain »'s gschicht
oamal net, i kum halt nia dazua,« mag er die zwei
Brücken, nämlich die Prager »Bruggen von Stoan« mit
der »Weinzödlbruggn von Hulz« bei Graz vergleichen,
welche ihn an seine herrliche Heimat erinnert, der
er ferne sein muss, oder den Tageslauf des zufriedenen
Landmannes schildern oder gar »Tanzliadln und Stichla-
reim« in echt volksthümlicher Weise anstimmen:
A gamsaugats Deamdl
Und a lustiger Bua,
Dö kinan net stean bleibn,
Dö tanzen glei zua.
120
immer dringt der wahre echte Ton seines Heimats-
volkes durch und man wird dem Sänger gerne zuhören,
der so heitere Weisen vorzutragen versteht. Jedes
dieser Liedchen und Gedichte im Dialect trägt den
Charakter steirischer Fröhlichkeit oder Gemüthlichkeit
und es ist dem Dichter gelungen, wie später freilich
in weit höherem Grade dem Poeten P. K. Rosegger, den
richtigen Ausdruck in diesen Liedern imd Versen zu
finden, welcher dem Volke der engeren Heimat eigen-
thümlich ist. Deshalb und wegen seines unverklungenen
»Dachsteinliedes« darf Dimböck imter den bedeuten-
deren Namen von Dichtem, die in Steiermark oder als
Steiermärker poetisch gewirkt haben, nicht fehlen. Auf
dem mundartlichem Gebiete ist er in der vormärzlichen
Zeit — wenn dieser politische Ausdruck hier ange-
wendet werden darf — der Einzige gewesen, der Nen-
nenswertes geleistet hat.
Eine gewisse Bedeutung erlangte auch der 1815 zu
Graz geborene und 1875 zu Klagenfurt als Ge-
richtspräsident verstorbene Hiazinth von Schulheint
unter den heimischen Talenten und Zeitgenossen.
Verschiedene Poesieen, welche er zunächst in litera-
rischen Blättern der österreichischen Alpenländer ver-
öffentlichte, hat er unter dem Titel »Gedichte«
(Graz, 1836) veröffentlicht und damit freundliche An-
erkennung gefunden. Wenn man von gewissen Reim-
versehen, welche zu jener Zeit leider Gottes bei so
Vielen fast imvermeidlich erscheinen, absieht, so ent-
halten die Gedichte Schulheims manch sinniges Stück,
manchen schönen poetischen Vergleich und manches
hübsche Naturbild, auch einige Liebeslieder sind von
ihm hervorzuheben; als patriotischer Liederdichter ist
er auch noch später öfter bei verschiedenen Gelegen-
121
heiten hervorgetreten. Einige erzählende Gedichte der
angeführten Sammlung (z. B. »Der Freimann,« »Donna
Laura,« »Die Mutter« etc.) scheinen unter dem Ein-
flüsse von Leitners Dichtweise entstanden zu sein. Im
Allgemeinen fehlt es freilich manchen Stücken an der
nöthigen Glätte und Feile. Schulheim hat auch als
einer der ersten mehrere Volkslieder aus dem Sloveni-
schen metrisch ins Deutsche übersetzt.
Wichtiger und jedenfalls innerhalb des poetischen
Gedankenkreises, den er sich selbst gezogen, hervor-
ragend erscheint der liebenswürdige Sänger Vincenz
Zusner. Ähnlich wie Dimböck hatte auch Zusnei*
einen Lebensgang, welcher nicht auf den Poeten hin-
weist. Zu Bischoflack in Krain 1803 geboren, musste
Zusner misslicher Verhältnisse wegen sich frühzeitig
dem Handelsstande widmen, obgleich er schon als
Knabe poetisches Talent zeigte. Es gelang ihm, durch
seine tüchtige Geschäftskenntnis ein Vermögen zu er-
werben und von 1825 an lebte er in immer besserer
Vermögenslage zu Graz, wo er 1874 starb. Bei diesem
prosaischen Lebenslaufe ist es um so mehr zu ver-
wundem, dass ihm die Muse der Poesie stets hold ge-
blieben. Als im Jahre 1842 seine »Gedichte« erschienen,
wurden sie ihrer Originalität, Klarheit und Natürlich-
keit wegen allgemein auf das beifalligste begrüßt, so-
gar der auch lyrischen Gedichten gegenüber stets hä-
mische Saphir sprach dieser Sammlung seine unver-^
holene Anerkennung aus. Die neueste vermehrte dritte
Auflage der Gedichte Zusners ist 1871 erschienen, sie
gibt ein vollständiges charakteristisches Bild von dem
Leben imd Weben dieses Dichters, welcher in ihr das
Beste niedergelegt, was er an dichterischem Gefühl
besaß. Ein ausgezeichneter Gelehrter und zugleich
122
Kenner der Dichtung aller Zeiten und Völker, der
treffliche Historiker Hofrath Johann Weiß vergleicht
Zusner's Muse »mit einem durch frühlingshelle Auen
dahinrieselnden Wiesenbache, der jetzt die Blüten-
fiocken eines duftenden Lindenbaumes neckisch ent-
führt, gleich darauf die friedliche Hütte eines Land-
manns mit melodischem Wohllaut begrüßt und dann
wieder mit bimt gefärbten Wiesenblumen kost und
schäkert.« Dieses hübsche ländliche Bild bezeichnet
uns die Art der Dichtung Zusner's aufs Beste. Das
Naturbild, die Stimmung der Landschaft weiß er in
knappen Strophen und Versen zierlich zu malen und
dem Leser in anmuthiger Weise vorzuführen. Oft gibt
ihm eine Blume, ein Baum, ein Thierchen im Walde
Gelegenheit zur sinnigen Betrachtung. Im Walde ruft
er dem Eichhörnchen zu:
Sei nicht so furchtsam, kleines Thier!
Ich flucht' ja auch ins Waldrevier;
Wir fühlen ganz den gleichen Drang,
Mir wird's ja auch vor Menschen bang.
Im lauten, tollen Weltgewühl,
Da wird das Leben oft zu schwül.
Mich freut, wie dich, die Waldesruh',
Mein Herz ist auch so scheu wie du.
Wie schönen Trost bietet der Dichter in dem
kurzen poetischen Vergleiche:
Itn Dickicht
Erscheint ein Wald auch noch so dicht.
Dem Strahl des Himmels wehrt er nicht,
Dass er die schwarze Nacht durchdringt
Und mildes Licht in's Dunkel bringt.
123
Und wird's im schweren Lebensdrang
Dem armen Herzen noch so bang,
So schimmert doch durch jede Qual
Des Himmels milder Hof&iungsstrahl.
Tiefempfundenes religiöses Gefühl weht durch
viele der Lieder Zusners, wie er dasselbe mit dem
Naturbilde zu vereinigen versteht, davon noch ein Bei-
spiel (im Auszuge):
Unterm Baume.
Am schmalen Gartensaume
Im grünen Dämmerschein,
Da sitz' ich unterm Baume
Mit meinem Gram allein.
Und blick' ich stumm und düster
Zum grünen Blätter dach,
Da macht mir sein Geflüster
Die Hoffnung wieder wach.
Der Baum erfasst vom Winde,
Bewegt sich rasch dabei.
Und theilt darauf geschwinde
Sein breites Dach entzwei.
Da schimmert zwischen Zweigen
Der Himmel hoffnungsvoll.
Als wollt' der Baum mir zeigen,
Auf wen ich bauen soll.
Auch einige epische Stücke finden sich in der
Sammlung und manche derselben wie etwa »Die beiden
Wanderer« sind von packender, wenn auch etwas
grauenhafter Wirkung. Aber Zusners beste Kraft liegt
in der Schilderung der Natur und in der harmonischen
Vereinigung derselben mit der Seelenstimmung. Er
ist ein Naturmaler dem keiner der Dichter auf steier-
124
märkischem Boden gleichkommt und deshalb werden
seine zierlichen, von innigstem Gefühl durchdrun-
genen, schlichten und doch so sinnigen Verse stets
dem Freunde echter Poesie dichterische Labung bieten.
Es dürfte passend erscheinen, noch der schönen, von
dem Dichter selbst verfassten zwei Strophen zu ge-
denken, welche Zusner's mix dessen wohlgetroifener,
von Karl Lacher ausgeführter Broncebüste geziertes
Grabdenkmal auf dem St. Peters-Friedhofe in Graz
enthält; dieselben lauten:
Als Jüngling zog's mit heiter'm Sinn
Mich nach den höchsten Alpen hin;
Jetzt pfleg' ich, da die Kräfte fliehen.
Schon niedere Berge vorzuziehen.
Es währt indessen lange nicht,
Dass mir's auch hier an Kraft gebricht.
Und mir auf meinen Wanderzügen
Ein kleiner Hügel wird genügen.
Wir gehen nun zu einem Poeten über, der leider
in seinem Heimatland Steiermark viel zu wenig be-
kannt geworden, und dessen mit philosophischer Tiefe
angelegtes poetisches Talent auch in den literarischen
Kreisen überhaupt nicht ganz nach Gebür gewürdigt
wurde, es ist dies Fatist Pachter, Freilich hatte das
größere Publikum erst in den letzten Jahren Gelegen-
heit, die lyrische Seite Pachlers in zwei größeren
Sammlungen kennen zu lernen, von seinen trefflichen
Novellen, welche in Taschenbüchern und Zeitschriften
der fünfziger Jahre erschienen und fast vergessen
wurden, ist leider nie eine Sammlung erschienen.
Pachler wurde 1819 zu Graz geboren, seiner Mutter,
125
der trefflichen musikalischen Interpoetin Beethovens, ist
schon auf S. 40 dieses Buches gedacht worden. Er
erhielt eine strenge, aber vortreffliche Erziehung, stu-
dierte die Rechte und hatte sich, trotzdem seine Eltern
das poetische Streben durchaus nicht aufmunterten, in
früher Jugend schon mit dichterischen, insbesondere
dramatischen Arbeiten beschäftigt, ja als Jüngling schon
konnte er auf eine ganze Reihe selbstverfasster Schau-
spielversuche zurückblicken, die freilich Wenige zu
Gesicht bekommen haben. Seit 1843 war Pachler in
der Wiener k. k. Hofbibliothek angestellt, seitdem hat
er seine Vaterstadt, in welcher übrigens die Familie
Pachler in der ersten Hafte unseres Jahrhundertes eine
hervorragende Rolle spielte, nur ab und zu besucht.
Kurze Zeit vor seinem Tode jedoch, als er in den
Ruhestand getreten war, zog er sich wieder in die
heimische Murstadt zurück. . Hier starb er denn im
September des Jahres 1891, von einer edlen Gattin und
den literarischen Freunden, die ihn zu würdigen ver-
standen und wussten, was er gelitten hatte, allerorts
tief betrauert. Pachler hatte von 1850 an die Leitung
des »Illustrierten Familienbuches des österreichischen
Lloyd« übernommen und diese Zeitschrift unter ihm
jene Bedeutung erlangt, welche sie bald als eine der
besten deutschen Monatsschriften erscheinen ließ. Fried-
rich Halm hat Pachlers tiefes Verständnis für Poesie
erkannt und ihn, mit dem er schon als dessen Amts-
vorstand, aber auch als warm fühlender Freund ver-
kehrte, testamentarisch mit der Herausgabe seines Nach-
lasses betraut, welchen Pachler auch in der That auf
das Pietätvollste besorgte. Die Nachlassbände 9— -12
von Halms Werken (1872) legen hievon schönes Zeug-
nis ab.
126
Dass der Dichter Pachler bedeutendes dramatisches
Talent hatte, unterliegt keinem Zweifel; das 1849 er-
schienene Trauerspiel »Begum Sumro«, mehrere vor-
liegende Bruchstücke von Dramen, selbst einige heitere
Lustspiele zeugen dafür. Den Stoff zu »Begum« hatte
er in der Folge trotz der eigenen Bearbeitung desselben
an Halm ausdrücklich abgetreten, welcher in der That
auch sein gleichnamiges Stück verfasste, das 1867 auf
der Bühne des ßurgtheaters zur Aufführung kam.*)
Noch mehr aber verdient die novellistische Thätigkeit
Pachlers Beachtung, schon seine Novelle : »Der Beruf«
im Jahrgang 1852 des »Familienbuchs« zeigt eine
feine Charakterzeichnung und eine schöne, klare Sprache,
in noch höherem Grade gilt dies von der historischen
Novelle »das Begnadigungsgesuch« im österr. Frühlings-
album für 1854, ^ie ^^^ ein kleines Meisterstück
nennen kann. Cabinetsstücke der Erzählungskunst sind
die Erzählungen; »Ein spanischer Grande«, »Die Frau
von Bouisseur,« und »Das Armband« in Seidl's Ta-
schenbuch »Aurora.« Im Jahre 1877 erschien Pachlers
Roman »Die erste Frau«, welcher besonders durch
seine feine psychologische Durchführung hervorragt.
Die vorliegende Schrift hat es vorwiegend mit
der lyrischen und epischen Dichtung im engeren Sinne
zu thun und Pachler ist erst merkwürdig spät mit
Schöpfimgen auf diesem Gebiete hervorgetreten, aber
es sind dafür auch Schöpfungen voll Reife imd Tiefe.
1885 erschien »Das Geheimnis des Dichtens. Eine
lyrische Symphonie,« einige Jahre später aus der Feder
des Poeten, dessen Leiden ihn öfter zum Aufenthalte
*) Vgl. Halms Werke. 7. Bd. (Wien, 1872) Seite V.
»Vorwort von Faust Pachler zu Halm 's Begum Somru.«
^r£**.y^^*y^^«
128
in dem steirischen Badeorte Rohitsch-Sauerbrunn zwan-
gen, die Gedichtsammlung: »Rohitscher Sonnendienst«,
nachdem schon früher 1879 der kleine l)nrische Cyclus
»Rohitscher Brunnenkur« vorangegangen war. Das
»Geheimnis« ist ein Werk, reich an poetischen Schön-
heiten, eine anatomisch genaue Zergliederung des dich-
terischen Geisteslebens, ein Buch voll hoher Gedanken,
eine reiche Zahl aneinandergereihter poesievoller Bilder
und wieder ein Schatzkästlein für jeden, der es mit der
Dichtkunst Ernst nimmt, mögen sich unsere berufenen
Sänger die schönen Schlussverse, welche die scheidende
Muse jiem Dichter zuruft, in dessen Händen sie als
Gastgeschenk die Leier zurücklässt, zu Herzen nehmen :
I Du darfst sie nie zu Tönen zwingen,
Sie wird, dies glaube mir,^ von selbst erklingen,
So oft ein Hauch des Lebens sie berührt;
Ipu brauchst dann nichts als nach- und mitzusingen.
Und wiss' auch das: ihr Ton ist immer rein,
t>Qr deine muss damit im Einklang sein.
l^Tur dann wird's dir in Dur wie Moll gelingen,
Ip jedes Herz mit deinem Sang zu dringen.
>
. Es vereinigen sich hier der Poesie- und der Musik-
verständige der uns auf jeder Seite dieses Buches ent-
gegentritt, in harmonischer Weise. In der > Brunnenkur«
wie ink > Sonnendienst« sind es zumeist anmuthige Na-
turbilder, welche der Poet bei Betrachtung der
herrlichen Landschaft in seine Seele aufgenommen
und nun in zierlichen Strophen und Versen von man-
cher ernsten philosophischen Betrachtung begleitet,
wiedergibt. Im »Sonnendienst« hat der Dichter eine
unendlich reiche Zahl solcher schöner Bilder vorgeführt,
die Abtheilung »Libellen« zeigt uns in kurzer Xenien-
form das reiche Gedankenleben des Poeten.
129
Eine weitere Sammlung von Gedichten Faust
Pachlers ist bisher nicht erschienen, aber der Verfasser
dieser Zeilen war*) in die Lage gesetzt, den handschrift-
lichen poetischen Nachlass auch dieses edel angelegten
Dichtertalentes zum großen Theile kennen zu lernen
Diese Nachlassgedichte dürften wohl bald der Öffent-
lichkeit übergeben werden und noch manche bisher
nicht bekannte Seite der poetischen Begabung Pachlers
hervortreten lassen. Tief empfundene Klänge wie etwa
das Gedicht »An meine Mutter» :
Es war im Herbst ein schöner Morgen,
Da kam mein Mütterchen zu mir;
Ich hatt' mein Herz voll Gram imd Sorgen,
O Mutter, meine Mutter,
Für diese Stunde dank ich dir. etc.
sind es, denen wir in diesen formschönen Dichtungen
begegnen.
Der Raum gestattet leider nicht mehrere ähnlicher
Gedichte hier anzuführen. Ein wehmüthiger Zug geht
durch die meisten derselben, alle aber sprechen zum
Herzen des Lesers. Ein durch die Gegenüberstellung
besonders wirksames Poöm sei hier noch wenigstens
auszugsweise mitgetheilt:
Auf dem Friedhofe.
' Es ist der Weg zum Friedhof, den wir geh'n.
Beliebt es dir, so bleiben wir hier steh'n.
Das Thor ist offen, gib mir deine Hand
Und lass uns schau'n in dies gelobte Land.
*) Durch das liebenswürdige Entgegenkommen der
Witwe des Verewigten Frau Johanna Pachler.
Schlossar, xoo Jahre deuUcher Dichtung. 9
130
Der dir im Lockenhaare spielt so lind.
Weht durch Cypressen dort, der Abendwind.
Der dir die Wangen färbt, der Sonnenschein
Strahlt goldig dort auf Kreuz und Leichenstein.
Das Röslein, das dir meine Liebe gab
Hat schöne Schwestern dort auf manchem Grab
Wie? Schauert's dich, du süßes, holdes Mein?
O zittre nicht I Komm, tritt mit mir hinein.
Für einen von den Schläfern lege hier
Die duft'ge Blume hin, als Gruß von mir.
Dereinst in Zeiten, wo ich nicht mehr bin,
Thut so ein Fremder mir, in gleichem Sinn.
O weine nicht! Noch steh'n wir Hand in Hand,
Und — schauen nur in dies gelobte Land.
Noch lehnt in holder Glut dein Angesicht
An meinem — Theure, Theurel Weine nicht!
Noch schlägt mein Herz, und dankt dir tiefbewegt,.
Dir, für den Frieden, den es in sich trägt!
Noch ruft mein Blick dir liebeselig zu:
»Ich lebe! Und mein Leben — das bist du!«
Ach, lass' doch ab vom Weinen, hast du Grund?
Ward' nicht dir eben jetzt mein Jubel kund ?
Der ganze Himmel strahlt von Glanz und Licht
Gleich einem Dichter, der von Liebe spricht.
Die würz'ge Luft weht jedes Wölkchen fort,
Wie oft von meiner Stirn dein trautes Wort.
Und Stille rings! So heilig süße Ruh!
O liebstes Herz! Entzückt wie ich, sei du!
Du mein, ich dein! Voll Glück und voller Lust!
Wird's nicht bei Gräbern dir erst recht bewusst?
131
So ist dem Poeten die Leier erklungen, zumeist
in elegischen milden Tönen. Möchte ihm, wenigstens
nach dem Tode, noch die hohe Beachtung werden,
welche er verdient und welche, wenn die noch übrigen
schönen Stücke seiner Kunst ans Licht treten, gewiss
von Seite jedes Feinsinnigen ihm zugewendet wird.
9*
VIIi: CAPITEL.
Karl von Holtei und Anastastus Grün
in Steiermark. Robert Hamerling.
Die Naturschönheiten des steirischen Alpenlandes
und die friedliche Ruhe, deren sich — wenigstens
in früherer halbvergangener Zeit — der Sammlung lie-
bende sinnende Poet daselbst erfreute, haben manche
unserer Dichter veranlasst, in diesem Lande insbeson-
dere in der Hauptstadt desselben Aufenthalt zu nehmen,
und selten hat wohl ein Sänger daselbst wenn auch
nur vorübergehend verweilt, ohne ein dichterisches
Erinnerungsblatt zurückzulassen, das in einem warm
empfundenen Gruß an die Schönheiten der Landschaft
oder an die Stadt bestand, wo er freundliche schöne
Tage, umgeben von den Reizen einer gesegneten Natur
verlebte. Solche Dichtergrüße haben schon in früherer
Zeit Castelli und Saphir, Stelzhamer und Kaltenbrunner
Freiherr v. Kiesheim und Andere in den Zeitschriften
des Landes oder sonst an passenden Stellen veröffentlicht
und Viele sind immer gern wiedergekommen in den Bann
der steirischen Bergketten und des klaren Gebirgswassers,
wo sie ja immer auch gleichstrebende poetische Freunde
zu finden wussten, die sie freundlich aufgenommen
haben.
Einige aber wählten sich die Stadt an der
Mur zum ständigen Aufenthalte und lebten manche
133
Reihe von Jahren in ihren Mauern, haben auch wohl ihre
letzte Ruhestätte daselbst gefunden. Unbillig wäre es
in ein^ Werke, welches der deutschen Dichtung in
Steiermark gewidmet ist, ihrer nicht zu gedenken, un-
billig insbesondere jenen Männern gegenüber, welche
auf dem deutschen Parnass einst gar gewichtige Stim-
men erhoben und die zu den Zierden und Größen
unserer deutschen Literatur gehören. Es kann nicht
die Aufgabe dieser Blätter sein von solchen wenn auch
bedeutenden Dichtem eine ausführlichere Darstellung
ihres Lebens oder auch nur ihres literarischen Ent-
wicklungsganges an dieser Stelle zu bieten, zumal der
Schwerpunkt dieser Entwicklung in Zeiten fällt, da sie
außerhalb des Landes geweilt. Doch ist es immerhin
angemessen ihrer 2:u gedenken, zumal sie im regen
Verkehre mit den heimischen Dichtern gestanden und
wohl auf so manches von diesen Geschaffene bestim-
mend gewirkt, der Literatur jeher Zeitperiode aber im
Lande, während welcher sie daselbst geweilt, manchen
bedeutimgsvollen Zug verliehen haben.
Eine dieser Persönlichkeiten ist der schlesische
Dichter Karl v. Holtet (1797- 1880), der Verfasser
des längst zum Volksliede gewordenen > Mantelliedes«
(»Schier dreißig Jahre bist du alt«) und anderer Ge-
sänge, welche wohl in keinem der Geselligkeit und
Fröhlichkeit gewidmeten Liederbuche fehlen. Nachdem
Holtei als Theaterdichter, Schauspieler, Regisseur und
Redacteur, Reisebegleiter des Grafen Herberstein imd
Vorleser, kurz in den verschiedensten Stellungen sein
Wanderleben, welches er selbst so vortrefflich in den
Bänden der »Vierzig Jahre« (1843 — 1850 f!.) schildert,
zum vorläufigen Abschlüsse gebracht hatte, ließ er
sich im Jahre 1847 ^^ Graz, wo seine Tochter ver-
134
heiratet war, zum bleibenden Aufenthalte nieder.
Wohl hat er ab und zu längere Fahrten in seine
schlesische Heimat unternommen, aber nicht weniger
als 23 Jahr-e gehörte er der Stadt an, in welcher er
nun seinen Wohnsitz aufgeschlagen. Hier verkehrte
er mit C G. v, Lettner, später mit Anastasius Grün
mit dem Germanisten Carl Weinhold imd mit allen
die Dichtung pflegenden Geistern der Stadt, deren Jour-
nale imd Zeitschriften manches seiner Gedichte aus jener
Zeit, manchen Aufsatz aus seiner Feder veröffent-
lichten. In den späteren Auflagen von Holtei's mannig-
faltigen »Gedichten« (4. Auflage 1856) von so verschie-
denartigem poetischen Werte sind die Spuren seines
Aufenthaltes in Graz in vielen Gelegenheitspoesieen,
Naturbildem etc., die in Graz entstanden, zu finden.
Er hat so manchen sinnigen Prolog — so einen be-
geisterten zur Genesungsfeier des Kaisers 15. März
1853 — manches Gelegenheitsgedicht für größere
Kreise oder für die Bühne in der Murstadt verfasst
und der Öffentlichkeit übergeben. Nachdem Holtei
schon vor 1845 durch seine Schauspiele dem deut-
schen Bühnenrepertoire zahlreiche wirkungsvolle Stücke
geboten, waren es die großen Romane: »Die Vaga-
bunden« (1851), »Christian Lammfell« (1853), »Ein
Schneider« (1854), »Die Eselsfresser« (1860) u. a. m.,
welche zum größten Theile in Steiermark verfasst,
eine neue Seite des vielseitig begabten Poeten
hervorkehrten und seinem rühmlichen Namen noch
weitere Bewunderung verschafften; hat er doch in
diesen Romanen die Poesie des Vagabundenlebens, des
fahrenden Künstlerthums in einer Weise geschildert,
die bisher geradezu unerreicht geblieben ist. Auch
eine Art Blumenlese verschiedener Beiträge in Poesie
135
und Prosa, von denen manche Verfasser wie Leitner,
Schulheim, Anastasius Grün, Karl Weinhold und An-
dere dem Herausgeber in Steiermark selbst persönlich
nahe gestanden sind, hat Holtei in dem 1857 erschie-
nenen Album »Für den Friedhof der evangelischen
Gemeinde in Gratz« zusammengestellt und damit ge-
wissermaßen ein Erinnerungsbuch an seinen Aufenthalt
im Lande, geschaffen. Noch sind einzelne Flugblätter
in Versen enthalten, welche der schlesische Poet diesem
oder jenem festlichen Anlasse gewidmet und noch leben
Manche in der Steiermark, denen er in literarischen
und poetischen Dingen mit' Rath und That an die
Hand gegangen ist, darauf hinzudeuten ist die Aufgabe
dieser Blätter und deshalb verdient der nunmehr auch
schon seit Jahren in seiner Heimat zu Breslau dahin-
geschiedene/ Dichter eine besondere Erwähnung an
dieser Stelle unter den deutschen Dichtern, die in
Steiermark gewirkt haben.
Im Stadtparke der steirischen Hauptstadt mitten
zwischen prächtigen grünen Büschen erhebt sich ein
plastisches Meisterwerk Kundmanns, die überlebensgroße
Figur des »Dichters Anastasttts Griln^^ des »Staats-
mannes Anton Alexander Grafen Auersperg,<^ Das
schöne Bildwerk erinnert daran, dass auch der be-
rühmte Freiheitspoet und Dichtergraf eine Reihe von
Jahren in Graz zugebracht, dass er der Landesvertre-
tung Steiermark's (als Landtagsabgeordneter von 1861
bis 1 869) angehört hat, Graf Auersperg trat sogar in
die Zahl der Grazer Bürger, er besaß seine eigene
Villa am Rosenberge in idyllischer Lage und hatte sich
in den fünfziger Jahren ein Palais in der Elisabeth-
straße erbaut, dasselbe, aus dessen Halle man den
todten Dichter, nachdem er siebzig Jahre alt geworden
136
war, am 15, September 1876 hinaustrug, um ihn fort-
zuführen in die Familiengruft zu Thum am Hart in
seinem Heimatlande. Schon in seiner Jugend- und
Studienzeit hatte Graf Auersperg in der steirischen
Hauptstadt ge\yeilt ; dass er mit Leitner in schriftlichem,
später ganz intimen Verkehre stand, wurde bereits
früher angedeutet, später fand wieder ein persönliches
Zusammentreffen der beider Dichter statt. Leitner
theilt in Aufzeichnungen, die er nach dem Tode des
Grafen Auersperg abgefasst, mit, dass er den damals
noch Unberühmten, als dieser 1827 in Graz die Rechte
studierte, persönlich kennen gelernt und insbesondere
bei dem zu jener Zeit als jugendlicher Held an der
Grazer Bühne engagierten * Schauspieler Carl Rettich
oft mit dem dichterischen Freunde zusammengetroffen
war. Bei Rettich wurde Shakespeare mit vertheilten
Rollen gelesen und viel und vielerlei über dramatische
Literatur dabei gesprochen. Sonst lebte Auersperg
sehr ziuückgezogen, und schloss sich gerne an Männer
an, die ihm an Jahren und Erfahrung voraus waren.
Die Vorstudien zum »letzten Ritter« betrieb er schon
zu jener Zeit, sein Schreibtisch war stets — nach
Leitners Bericht — mit alten historischen Folianten
bedeckt, welche Quellenwerke er eifrig durcharbeitete.
Damals stellte er auch schon seine »Blätter der Liebe«,
sein erstes Liederbuch zusammen. Hatte Anastasius
Grün doch bereits im Jahre 1826 dem älteren von ihm
so hochverehrten Dichtergenossen mitgetheilt, dass
»er selbst die Bahn der Literatur betreten habe.«
Manche andere Anknüpfung an Steiermark und dessen
Landeshauptstadt vollzog sich also bereits damals und
in der Folge, ab und zu besuchte der Dichtergraf die-
selbe und weilte gern in dem Alpenlande, das ja un-
mittelbar an sein heimatliches Krain grenzte.
138
Nachdem im Jahre 1857 das erwähnte Wohnge-
bäude des Grafen in Graz vollendet war, übersiedelte
er und verblieb daselbst fast zwanzig Jahre wie er-
wähnt, bis zu seinem Tode. Wie die Universität
Wien, so hatte auch die Universität Graz den genialen
Dichter und Staatsmann durch die Verleihung des
Ehrendoctordiploms ausgezeichnet, nachdem er schon
früher zum Ehrenmitgliede der kaiserlichen Akademie
der Wissenschaften in Wien gewählt worden war.
Der Name Anastasius Grün ist schon öfter auf
diesen Blättern genannt, manche Beziehung desselben
zu den Poeten des Landes Steiermark, das man wohl
die zweite Heimat des Dichters nennen kann, hervor-
gehoben worden. Sein Lebenslauf als derjenige eines
der bedeutendsten und berühmtesten Männer Österreichs
kann wohl als bekannt vorausgesetzt werden, ebenso
die Thatsache wie er im Parlamente und als Staats-
mann imentwegt für die deutsche Sache und für jene
der Freiheit als Redner aufgetreten war und als solcher
große Siege feierte, Anastasius Grün's poetische Thä-
tigkeit ist allerdings später, als er in der Steiermark
weilte, wenig mehr zutage getreten. Nachdem seine
erste Gedichtsammlung die »Blätter der Liebe« (1830)
erschienen war und wenig Beachtung gefunden, wusste
er durch den Romanzenkranz »Der letzte Ritter« (1830)
der in so herrlichen kräftigen Strophen abgefasst ist,
die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Dieselbe aber wurde zur stürmischen Bewunderung als
die »Spaziergänge eines Wiener Poeten« erschienen,
jene dem Volke Österreichs ^us dem Herzen geschrie-
benen glutdurchströmten Verse, welche in so markiger
Weise den Ruf nach Freiheit des Geistes in Österreich
hinausriefen durch das ganze deutsche Land und jenen
139
Geist zu wecken berufen waren, welcher später wirklich
die gewaltigen Erfolge bewirkte, denen die freiheitliche
Neugestaltung Österreichs zu verdanken ist. Eine ähn-
liche stolze Gesinnung, doch mehr den freiheitlichen
Idealen der Menschheit im Allgemeinen zugewendet,
trat auch in dem nächsten Werke des Dichters : »Schutt«
(1836) hervor imd als ein Jahr später zum erstenmale
die Sammlung seiner »Gedichte« erschienen, da fanden
sich wahre Perlen l3rrischer imd epischer Poesie unter
denselben. In den »Gedichten«, wie auch in dem
späteren epischen Gedichte »Der Pf äff vom Kahlenberg«
(1850) hat Anastasius Grün an so mancher Stelle der
Alpen des schönen steirischen Berglandes gedacht und
auch wohl manche bestimmte Gegend desselben im
Liede verherrlicht. Man denke etwa an die prächtige
Schilderung der Gegend von Neuberg im Mürzthale
(»Pfaff vom Kahlenberg«: >Eine Gebirgsreise. Neuberg«),
an die noch aus der Jugendperiode des Dichters her-
rührende Bearbeitung der steirischen Sage von den
Brüdern in Reichenburg*), an die schalkhaft ausklin-
gende Darstellung der Sage von der Gründung des
idyllisch gelegenen Wallfahrtskirchleins Maria-Grün bei
Graz, an die noch in die letzte von Graz ausgesandte
Gedichtsammlung Anastasius Grüns aufgenommenen
Apostrophe: »Dem neuen Burgherrn von Rabenstein,«
worin er des romantischgelegenen Schlosses und seities
kunstsinnigen Eigenthümers Rudolf Freiherm von
MandelPs gedenkt. In der steiermärkischen Hauptstadt
war es, wo Anastasius Grün die erwähnte Sammlung:
»In der Veranda« ordnete, sichtete imd als eine Art
' I »
♦) Mitgetheüt von P. v. Radics in dessen Buche : »Ana-
stasius Grün. Verschollenes und Vergilbtes.« Leipzig. 1879.
S. 40.
140
literarischen Vermächtnisses dem deutschen Volke vor-
legte* Man wird beim Durchlesen der »Lieder aus
dem Gebirge« in der ersten Sammlung der »Gedichte«
unschwer entnehmen, dass Anastasius Grün auch hier
Naturbilder aus den Alpen der Steiermark entworfen
hat, wohin er ja noch vor seinem ständigen Aufent^
halte daselbst, gerne seine Schritte gelenkt hatte. Hier
in Graz war es auch, wo Josef Fellner lebte, mit
welchem den Dichter nahezu ein halbes Jahrhundert
hindurch innige Freundschaft verband, mit dem zu-
sammen er schon in der Jugend die Vorstudien zum
»letzten Ritter« betrieb, welches Werk er ihm, dem
Freunde, dann auch gewidmet hat, denn der Freund
»Emfall« auf dem Widmimgsblatte der ersten Auflage
ist kein Anderer als Josef Fellner, dessen wahrer Namen
aus Censurrücksichten nicht genannt wurde. Als Fellner
im Jahre 1873 zu Graz gestorben war, sandte ihm
noch Anastasius Grün, welcher für öffentliche Blätter
ungern die Feder zur Hand nahm, ein herzliches »Ge-
denkblatt« in einem Journal nach, das als das ange-
sehenste der Hauptstadt galt.*)
Es bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung,
dass Graf Auersperg, der noch Gelegenheit gehabt
mit dem Erzherzoge Johann in Graz persönlich zu
verkehren, diesem dieselbe hohe Verehrung entgegen-
trug, wie jeder Einzelne in Steiermark. Hatte er doch
schon im Juli 1848 »dem Erzherzog Reichsverweser«
jenes schöne Gedicht (»In der Veranda« zuerst abge-
druckt) gewidmet, das den edlen Fürsten mit Beziehung
auf das bekannte Bild des Erzherzogs von Peter Krafft
so prächtig schildert.
*) Radios. Eben daselbst S. 149 Näheres.
141
Die Verehrung des Erzherzogs bewahrte Ana-
stasius Grün in seinem Herzen bis zum Ende seines
Lebens, er sah in ihm eine jener idealen Ftirsten-
gestalten verkörpert, wie sie dem Poeten schon zur
Zeit seiner brausenden Jugend als glänzende Sterne
vorschwebten. Ihm, dem Dichter Anastasius Grün, ent-
stammen auch die Worte, welche auf des Erzherzogs
großem Brunnenstandbilde zu Graz in Erz geschrieben
stehen :
Unvergessen lebt im Volke,
Der des Volkes nie vergaß.
Es sei hier endlich auch noch angeführt, dass
die Neuauflagen der Werke Anastasius Grüns in der
Hauptstadt der Steiermark durch den Dichter ihre
Verbesserung erfuhren, der sich mit gleichstrebenden
Geistern über manche Änderung und Umformung in
diesen neuen Auflagen berieth. Insbesondere hielt er,
wie schon erwähnt wurde, auf das Urtheil Leitners
außerordentlich viel und dem, wenn auch nicht zu
solcher geradezu europäischer Berühmtheit gelangten
steiermärkischen Poeten war der gräfliche Dichter stets
für Verbesserungen und kritische Bemerkungen dank-
bar. Freund Leitner hätte wohl kaum gedacht, dass
er den Sänger Anastasius Grün überleben würde.
Neben den eben genannten Poeten, welche in der
Hauptstadt der Steiermark, ohne gerade Söhne des
Landes zu sein, lange Zeit geweilt haben, tritt uns
noch eine gewaltige Gestalt entgegen, ein Dichter, der
auch nicht in Steiermark geboren ist, aber durch Jahre
seine reiche glänzende dichterische Thätigkeit daselbst
» entwickelte und schließlich in den Boden jenes Landes,
auf dem St. Leonhardfriedhofe in Graz zur ewigen
142
Ruhe gebettet wurde. Es ist dies Robert Hafnerling,
Hamerling am 24. März 1830 zu Kirchberg am Walde
in Niederösterreich geboren, hat als Gymnasialprofessor
im Jahre 1854 vorübergehend in Graz geweilt und
auch später im Jahre 1862 die Stadt, da er einen
Kuraufenthalt in dem derselben nahe gelegenen Tobel-
bade nahm, besucht und liebgewonnen. Als er von
seinem Lehramte, welches er wegen damals schon
auftretender Leiden nicht weiter pflegen konnte, im
Jahre 1866 zurückgetreten war, wählte er sich Graz
zum bleibenden Aufenthalte, der schönen Murstadt
rief er beim Einzüge die Worte entgegen :
Sei gegrüßt von meinem Psalter,
Du reizende Grazienstadt:
Du ruhst wie ein prangender Falter
Auf einem Lorbeerblatt.
Hold ruhst du auf grünenden Auen,
Du Perle der Steiermark:
Voll Seele deine Frauen,
Und deine Söhne voll Mark.
Und dort hat denn der edle Dichter auch gelebt
und gedichtet durch 23 Jahre, bis ihn am 13. Juli 1889
der Tod von langjährigen Leiden erlöste. Hamerlings
poetische Werke sind zum großen Theile in Graz
entworfen und ausgeführt, dieser Stadt bleibt der Ruhm,
däss die bedeutendsten Schöpfungen eines der genialsten
deutschen Dichter daselbst geschaffen und in alle Welt
hinausgeschickt wurden. Der Poet selbst erzählt in den
»Stationen meiner Lebenspilgerschaft c, welche 1889 er-
schienen sind: »So war ich denn seit meiner Über-
siedlung nach Graz im Laufe von zwei Jahrzehnten
mit dreizehn neuen Werken hervorgetreten: mit der
Leopardi-Übersetzung, dem König von Sion, Danton
144
und Robespierre, Teut, den sieben Todsünden, der
durch das Doppelte des Umfangs vermehrten zweiten
Auflage von Sinnen und Minnen, mit Aspasia, Lord
Lucifer, Amor und Psyche, Prosa, den Hesperischen
Früchten, den Blättern im Winde und Homunculus,«
die herrlichste Entfaltung von Hamerlings Dichter-
genius hat sich also auf dem Boden der Steiermark
vollzogen. Auch hat er sich sein eigenes stilles Som-
merheim daselbst gegründet, das »Stiftinghaus«, welches
er selbst poetisch verherrlichte und wo er abseits von
dem Getriebe der Welt gedichtet :
Einsam bin ich, und ich singe
In des Waldes Grün versteckt.
Doch das Lied hat eine Schwinge
Und der Klang ein Echo weckt.
Und an's andere Gestade
Sendend mein beschwingtes Lied,
Bin ich ähnlich der Cicade,
Die man hörtj- doch niemals sieht.
So scheu und zurückhaltend auch die Persönlich-
keit Hamerlings anderen Personen gegenüber erschien,
so wusste er doch das wahre Talent zu schätzen und
entzog sich nicht dem Verkehre mit seinen poetischen
und schriftstellerischen Zeitgenossen. Er verkehrte
»nicht sehr häufig« wie des Dichters eigene Worte
lauten »aber immer in anregender für mich wohlthuen-
der Weise« mit AnasJtasius Grün > desgleichen mit
dem seither zum zweifach jubilierten Dichtergreise
gewordenen C. G. v, Leitner^ (der ein Jahr spä-
ter als Hamerling starb). Beiden hat der Poet in
sinnigen Dichtungen unvergängliche Gedenkblätter
zurückgelassen. Als Anastasius Grün in Graz (1876)
145
SQipen 70. Geburtstag feierte, wurde diesem von dem
jüngeren gleichstrebenden Sänger als Glückwunsch
»Ein Frühlingslied« dargebracht und dem mannhaften
»Wiener Poeten« klangen daraus die Worte entgegen:
Von allen Jubelgreisen
Der jugendlichste du,
Noch grün wie deine Weisen,
Frisch — kräftig immer zu.
Vorm Schwärm der Zeitgenossen
Stehst du im Tagesstrahl,
Wie schon in Erz gegossen
Dein eig'nes Ehrenmal! — —
Dein Lied, es war' verklungen,
Wär's nicht ein goldener Klang:
Es lebt, was du gesungen,
Weil es ein Meistersang!
Aber in demselben Jahre auch tönte ein ernstes
Trauerlied, welches Hamerling am Todestage Anastasius
Grün's in dem herrlichen Gedichte »Der letzte Kranz«
dem am 12. September Dahingeschiedenen gewidmet.
Als später im Jahre 1880 Leitner zum achzigstenmale
das Wiegenfest begieng, bot auch ihm der Dichter
des »Ahasverus« edel und schön gefügte Verse und
pries den. Greis, wie er's erreicht,
dass seine Lebenssonne
In Glanz und nicht in Wolken niedergeht.
Alle diese Gedichte sind später in Hamerlings
letzter Gedichtsammlung: »Blätter im Winde« (1887)
veröffentlicht worden. Mit dem Numismatiker und
Poeten Fritz Pichler, mit Friedrich Marx, mit Sacher
Masoch und vielen anderen der jüngeren Generation
Schlossar, xoo Jahre deutscher Dichtung. 10
146
stand Hamerling zu Graz in Verbindung und viele auf-
strebende Talente haben ihm Aufmunterung imd man-
che bedeutende Winke zu verdanken, welche ihrem
späteren literarischen Wirken zugute gekommen sind.
Sowohl diese als auch andere auf den verschiedensten
Gebieten des Kunstlebens hervorragende Männer, die
sich an Hamerlings stillem aber anregendem Verkehre
in Graz erfreuten, erwähnt derselbe am Schlüsse seiner
früher genannten Selbstbiographie. Auch der Verfasser
dieser Blätter gedenkt mit stiller Wehmuth so mancher
Anregung, die ihm durch den liebenswürdigen geist- und
gemüthreichen Poeten geworden imd so mancher ge-
haltvollen Worte desselben. Eine warme stille Freund-
schaft verband insbesondere Hamerling mit dem aus
seinen Bergen nach Graz gekommenen und hier ebenfalls
berühmt gewordenen P. K, Rosegger. Die erste Samm-
lung mundartlicher Dichtungen desselben : »Zither und
Hackbrett« hat ja doch Hamerling selbst mit einem
empfehlenden Vorworte versehen und dem » Steirerpoeten «
die Bahn beim ersten Eintritt in das Gebiet der Lite-
ratur geebnet. Später war Hamerling bis zu seinem
Tode ein eifriger Mitarbeiter an Roseggers »Heimgarten« .
Er fühlte sich glücklich in den »erhebenden und er-
frischenden Gedanken«, dass ihn mit »diesem jüngeren
Genossen seit vielen Jahren eine, nie auch nur einen
Augenblick getrübte Freundschaft verknüpft« hat, mit
ihm, den »der Geniusfunke, der den Dichter in ihm
weckte, auch zu einem der taktvollsten und zartfühlend-
sten Menschen gemacht, die ich kenne, und mit einem
solchen zu verkehren, thut mir wohl.« (Stationen m.
Lebenspilgerschaft. S. 421). Solche Worte eines solchen
weit über Deutschlands Grenzen hinaus gefeierten
großen Dichters werden den zartfühlenden steirischen
147
Poeten manche Kränkung vergessen lassen, die ja
auch ihm zu theil geworden, wie so vielen Andern,
welche Gutes und Edles erstrebt und dafür von un-
berufener Seite fiir das reinste Streben Undank ge-
emtet haben. »Wie er mir ohne Stolz, so stehe ich
ihm ohne Neid gegenüber« schreibt Hamerling in ei-
gener tiefer Bescheidenheit über sein Verhältnis zu
Rosegger. Diese Worte zählen zu den schönsten,
welche ein berühmter Dichter dem andern je gewidmet
und zeigen uns auch das Herz des Menschen im hell-
strahlenden Glänze. Viele, viele der minder Bedeuten-
den unserer Tage könnten solchen Ausspruch sich tief
in die Seele schreiben. Rosegger selbst hat später
nach dem Tode des edlen Freundes manche Seite dieses
herrlichen Charakters dargelegt in dem fesselnden
Buche: »Persönliche Erinnerungen an Robert Hamer-
ling« (1891), aus dem wir das Gemüth beider Poeten
und ihren innigen Verkehr in der besten Weise kennen
lernen. — Wie sehr der Dichter an der ihm zur zweiten
Heimat gewordenen Miu-stadt hieng, davon gibt so
manches schöne Gelegenheitsgedicht Zeugnis, wel-
ches er zu irgend einem bedeutungsvollen Zwecke ab-
gefasst. In den »Blättern im Winde« ist eine Zahl
solcher Dichtungen enthalten, jede derselben erhebt
sich durch die Schönheit und Gewalt der Sprache und
durch den Schwung des Geistes weit über die Gewöhn-
lichkeit der üblichen Gelegenheitsdichtung. Es ist
vielleicht in weiteren Kreisen noch wenig bekannt, dass
Hamerling auch Vorstand des Schriftsteller- Vereines
»Grazer-Concordia« war, dessen Bestreben er nach
allen Kräften förderte. Eine von der Genauigkeit
nnd Gewissenhaftigkeit des Dichters zeugende Bestim-
mung, welche den gebildeten Bewohnern der Steier-
10*
148
mark insbesondere zugute kommt, ist jenes Vermächt-
nis Hamerlings, wonach er den beiden in Graz be-
stehenden Bibliotheken je ein Exemplar aller seiner
Werke in allen erschienenen Auflagen zuwendete.
Dass den Dichter auch manches Herzensbündnis mit
der Stadt verknüpfte, in welcher er seine Augen für
immer schloss, davon erzählt er in den »Stationen
meiner Lebenspilgerschaft« und in dem »Pauline«
überschriebenen Capitel seines Buches: »Lehrjahre der
Liebe« mit offener Unbefangenheit und macht seine
Tausende von Freunden damit bekannt, dass auch ihm
der Frühling und der Sommer des Lebens nicht ganz
ohne duftige Blüten geblieben war.
Nur wenige Worte über Hamerlings Dichtungen,
über welche an dieser Stelle allerdings kaum in Um-
rissen, geschweige denn erschöpfend gesprochen werden
kann. Sein Leben und Wirken hat Aurelius Polzer
in dem Buche: »Robert Hamerling« (1890) geschildert.
Eine kleinere Arbeit über den Dichter von K. E.
Kleinert ist überschrieben: »Robert Hamerling. Ein
Dichter der Schönheit« (1889). In der That, mit dieser
Bezeichnung ist das Streben und Wirken des Poeten
ausgeprägt bezeichnet. Ihm war die Schönheit das
Ideal, nach dem er sein Leben hindurch gestrebt und
das er besungen in herrlichen Strophen und Versen,
das Ideal, welches er hoch gehalten und dem er seine beste
Dichterkraft gewidmet hat. Als er im Jahre 1866
dauernd sich in Graz ansässig machte, war die damals
noch kleine lyrische Sammlung »Sinnen und Minnen«
(1859) sowie auch das »Schwanenlied der Romantik«
(1861) mit seinen begeisterten Strophen schon erschienen,
zunächst aber wurde durch das gewaltige Epos »Ahasver
in Rom« (1865) die hohe Aufmerksamkeit auf den
Poeten gelenkt, jene
149
Epopöe
Des Sinnentaumels, des Genusses —
Der Sättigung und — Übersättigung,
Des Lasters — nah' dem Punkt, wo sich 's erbricht...
Dieses großartige Werk mit seinen gewaltigen
Schilderungen und Bildern, zu denen der Dichter gleich-
sam den Pinsel in die sattesten Farben getaucht hat,
mit seinen so wunderbar plastisch hervortretenden
Gestalten Nero's, Agrippina's und des düstern Ahasver
selbst war ohne Gleichen in der Geschichte unserer
Dichtkunst, dazu fesselte die edle Schönheit der Form
ebenso den Leser wie der historische Stoff, den der
Dichter in solcher Weise zu bearbeiten verstanden.
Der Ruhm Hamerlings war damit begründet. Als die
nächste epische Dichtung: »Der König von Sion« (1867)
herausgegeben wurde, welche auch zum größten Theile
in Graz abgefasst ist, blickte die gebildete Welt mit
begreiflicher Spannung dem neuen Werke entgegen.
Der »König von Sionc übertraf noch die Erwartung,
obgleich der Dichter den »Pinsel getaucht in die käl-
teren Farben des Nordens«. Jan von Leyden, der
Held des Gedichtes, ist eine fast übernatürliche Gestalt,
er und die übrigen Personen des Gedichtes sind wieder
mit Meisterzügen entworfen, das Treiben der Wieder-
täufer, deren Umgebung und die ganze Landschaft
bieten dem Dichter Gelegenheit zu Schilderungen,
deren Gewalt und Anschaulichkeit jene im »Ahasverus«
womöglich noch übertrifft. Nur angeführt sei, dass
im Jahre 1870 das Drama »Danton und Robespierre«,
ein Schauspiel, reich an kräftigen fesselnden Scenen
erschien, das die Gestaltungskraft des Dichters auch
auf dramatischem Gebiete nicht verläugnete. Im Jahre
1875 folgte der culturhistorische Roman »Aspasia«,
t50
welcher von den Studien des Poeten auf dem Gebiete
des Griechenthums so beredtes Zeugnis ablegte, 1881
die liebliche Dichtimg »Amor und Psyche« und 1887
das moderne Epos »Homunculus«, ein Werk so reich
an Witz, Sat3Te imd Phantasie wie wohl kaum eines
von einem modernen Poeten geschaffen worden. Wie
in allen Werken des Dichters ist auch hier die Voll-
endtmg in Form imd Inhalt mit hohem dichterischen
Schwünge gepaart. »Homunculus« ist das einzige
Werk Hamerlings, in dem er moderne Zustände und
Verhältnisse in poetischer Form der Beurtheilung unter*
zieht imd mit der schärfsten Satyre gegen die un-
gesunden Richtungen dieser Verhältnisse vorgeht. —
Inzwischen war man längst auf den lyrischen Dichter
Hamerling aufmerksam geworden, sein »Sinnen und
Minnen« war in neuer verstärkter Auflage erschienen,
das »Schwanenlied der Romantik«, der »Germanenzug«,
die »Venus im Exil« hatten dieselbe bezeichnete An-
erkennung gefimden wie die kleinen l)rrischen Gedichte
in »Sinnen und Minnen« ebenso später die 1886 heraus-
gegebenen »Blätter im Winde«. Beide Sammltmgen
enthalten wahre Edelsteine der deutschen Poesie, die
allein des Dichters Namen unvergängUch machen könn-
ten, wenn er auch nicht seine gewaltigen Epen ge-
schaffen hätte. Und doch sind diese letzteren seine
Hauptwerke zu nennen imd bewahren Hamerlings
Namen ruhmvoll und unvergessen durch die Folge
der Zeiten. Zur genaueren Übersicht über Hamer-
lings Thätigkeit muss hier auf die über sein Leben
und Dichten vorliegenden Arbeiten verwiesen werden.
IX. CAPITEL.
Von den noch Lebenden, die in der
Steiermark geboren sind oder daselbst ge-
wirkt haben.
In dem für Österreich historisch so bedeutsamen
Jahre 1866 war ein Kreis von Poeten in der Stadt
Graz vereinigt, unter welchen wir hervorragende
Vertreter deutsch-österreichischer Dichtkimst finden ;
neben Anastasius Grün, welcher, wie schon früher er-
wähnt, sein Heim in der Murstadt aufgeschlagen, dich-
tete der überaus geistesfrische K. G. JR» v. Leitnery
wenn er auch selten an die Öffentlichkeit trat, so
manches schöne Lied, auch Robert Hamerling kam
dazu und Leopold v» Sacher^Masoch schrieb seine
prickelnden an französischen Geist gemahnenden Novellen.
Unter den damals Jüngeren finden wir insbesondere
Friedrich Marx und Fritz Pichler, welche schon durch
bemerkenswerte dichterische Werke auf lyrischem und
dramatischem Gebiete die Aufmerksamkeit weiterer
Kreise auf sich gelenkt und manchem anderen hier nicht
Genannten ist manch schöne Dichtung gelungen, wenn
auch sein Name nur der engeren Heimat bekannt ge-
worden.
Zu jener Zeit war es auch, dass in der Steiermark
ein belletristisches Blatt gegründet wurde, welches
für die Geschichte des literarischen Lebens von Oster-
152
reich beachtenswert erscheint und deshalb nicht ver-
gessen bleiben darf. Es ist dies die » Gartenlaube für
Österreichs^ welche 1866 zu erscheinen begann und
die von Heinrich Penn und L, v, Sacher-Masoch
später von Heinrich Hügel herausgegeben, viele der
besten Schriftsteller und Dichter Österreichs vereinigte.
Vier Jahre hindurch hatte dieses Blatt Bestand, unter
dessen Redacteuren auch Carl Pröll und Hans von
Südenhorst zu nennen sind. Eis bot gute Original-
Novellen und Erzählungen, Skizzen und Aufsätze, Ge-
dichte und literarische Berichte aus bewährten Federn
und wenn auch die Verhältnisse das Forterscheinen
dieser Zeitschrift nach dem Jahre 1869 nicht mehr ge-
statteten, so gewähren doch die vier Jahrgänge ein
ansprechendes Bild des geistigen insbesondere dichte-
rischen Lebens nicht etwa der Steiermark allein, sondern
des deutschen Gesammt-Österreich überhaupt. Neben
den oben angeführten Namen waren unter den Mit-
arbeitern Männer wie H, Laube, K, E, Ebert, H. Mo-
senthal, O. Prechtler, Adolf Pichler. C, v. Wurzbach,
auch F. Bodenstedt und F, Hebbel (durch Stücke aus
seinem Nachlasse) vertreten, selbst Adalbert Stifter
bot freundlich der österreichischen Gartenlaube manchen
Beitrag, liebte doch der herrliche Böhmerwaldpoet
sein schönes österreichisches Vaterland wie kaum Einer.
Leider hatte er wohl seine letzten Stücke hier ver-
öffentlicht, denn schon zu Anfang 1868 verließ er
diese Welt.
Nunmehr sei zweier Dichter aus dem Eingangs
dieses Capitels erwähnten Kreise gedacht, welche zwar
in dem Kärntner Nachbarlande geboren sind, deren
poetische Hauptthätigkeit jedoch auf steirischem Gebiete
sich entfaltet hat und deren Namen schon oben ge-
153
nannt wurden, es sind dies : Friedrich Marx und Fritz
Pichler, F Marx, 1 830 zu Steinfeld geboren, hatte eine
militärische Laufbahn eingeschlagen, er weilte infolge
dessen in verschiedenen Gamisonsorten zu Mailand,
Gmunden, Ischl, Wien, von 1861 an lebte er in Graz,
wo er noch 1870 — 72 Vorstand des steiermärkischen
Schriftstellervereins war. Eine Zeitlang hatte er den
activen Militärdienst verlassen und sich zurückgezogen
seinen literarischen Beschäftigungen hingegeben, von
1878 an aber trat er neuerlich in die militärische Stellung
ein und dieser Beruf zwang ihn wieder seine Aufent-
haltsorte oft zu wechseln. Gegenwärtig lebt er als
k. k. Oberst des Ruhestandes in der Murstadt. Marx
ist zumeist von Steiermark aus mit dramatischen
und lyrischen Gedichten hervorgetreten, sein geschicht-
liches Trauerspiel »Olympias« (1863) und sein Schau-
spiel »Jacobäa von Bayern« (1865) weisen edle poe-
tische Sprache und fesselnde Handlungen auf, ein wahr-
haft classischer Zug weht durch die wohllautenden
Verse dieser dramatischen Gedichte. Dass Marx die
Sprache zu beherrschen versteht, zeigen auch seine
schöngeformten Übersetzungen des italienischen Dichters
Alessandro Poerio, die er 1868 mit einem Lebensbilde
dieses Autors versehen herausgegeben. Besonders aber
tritt die Begabung des warmfühlenden und formge-
wandten Poeten in seinen Gedichten: »Gemüth und
Welt« (1862) hervor, welche, im Jahre 1877 in dritter
reichvermehrter Auflage erschienen sind. Ein Reich-
thum dichterischer Gedanken thut sich vor dem Leser
dieser Poesien auf, sei es dass der Sänger Klänge
der Liebe anstimmt, sei es dass er in erzählen-
der Form manches schöne Bild vorführt oder in
Sonetten seinem poetischen Denken Ausdruck gibt.
154
Überaus zu Herzen sprechend erscheinen die Gedichte
in der Abtheilungj: »Junge Liebe,« in denen die Stim-
mung des Herzens nicht selten mit der Stimmung der
den Dichter umgebenden Natur in schönen Einklang
gebracht ist. Der Dichter spricht sein tiefangelegtes
Gemüth aus, wenn er, als er von der Geliebten für immer
scheiden musste, die Weihe des Schmerzes von ihrer
Hand empfangen hat und dabei doch noch mannhaft
ausruft :
Ein Idol hab' ich gerettet
Aus der Liebe Tempelbrand, —
An das Frauenherz den Glauben
Trag' ich über Meer und Land.
Was Wunder, dass er, der Sohn der Alpen in so
manchem Gedichte der heimischen Berge und ihrer
Herrlichkeit gedenkt, die Schönheiten der steirischen
Felsenschlucht »Im Sunk« imd die Begegnung der
»drei holden Mädchenrosen« preist, auch wohl an den po-
chenden Eisenhammer im heimatlichen Thale sich er-
innert und der braunen Gesellen darin im Lederschiu-z,
die wie »Hünen anzuschau'n« gewesen. Von den er-
zählenden Gedichten wirkt die hübsche Sage vom
»Posthaus zu Aussee,« welche den erhabenen Gönner
der Steiermark Erzherzog Johann behandelt und dessen
spätere Gemahlin die Gräfin von Meran überaus
schalkhaft, anmuthig und zu Herzen dringend, während
die düstere Erzählung »Wilde Schwäne« das erschüt-
ternde Bild unglücklicher Liebe entwirft, welche einem
edlen Jüngling die Pistole in die Hand drückt. Wie
reich und üppig die Phantasie des Dichters aufstrebt
weisen die prächtigen orientalischen Bilder: »Kairo«
oder »die Mumienhand«. Im ersteren gemahnt der
Dichter geradezu an Freiligrath, wenn er den Zauber
155
des Orients schildert, welcher über der Stadt Kairo
schwebt und des Lebens und Treibens in der märchen-
haften gedenkt:
Araber im weißen Burnus schreiten schweigend durch den
Chan,
Enkel des Propheten mustern Teppiche von Ispahan, —
Haremsfrauen, dicht verschleiert, nah'n mit buntem Mohren-
tross,
Wiehemd auf der Schwelle draußen stampft des Aga's
Berberross,
So manches Lied und so manches Gedicht zeugt
vom warmen patriotischen Fühlen des ritterlichen Dich-
ters und von seiner Begeisterung für das schöne öster-
reichische Vaterland, tief wehmüthig wirkt unter diesen
Stücken: »Ein deutscher General« dessen zwei Söhne
»am Po und am Ticino« den Heldentod starben.
Auch der in Kärnten geborene Fritz Pichler ist
eigentlich jenem Poetenkreise der Steiermark beizu-
zählen, dessen vorhin Erwähnung geschehen. Pichler
hat 1834 zu Klagenfurt das Licht der Welt erblickt
und in Wien historische und germanistische Studien be-
trieben. Er wurde, nachdem die Aufmerksamkeit des
Erzherzogs Johann durch mehrere wissenschaftliche
Arbeiten auf ihn gelenkt war, 1856 im Münz- imd An-
tikencabinet des Joanneums zu Graz angestellt, be-
schäftigte sich auf wissenschaftlichem Gebiete insbe-
sondere mit Heraldik, Sphragistik und Numismatik
und gab ein vortreffliches »Repertorium der st einsehen
Münzkunde« (1865 — 1875) 3 Bde. heraus; 1868 wurde
Pichler Universitätsprofessor und ein Jahr später Vor-
stand des eben genannten Cabinets in Graz, als solcher
trat er im Jahre I892 in den Ruhestand. An dieser
Stelle, an welcher nur der Bedeutung Pichlers als
156
Dichter zu gedenken ist, verdienen seine »Balladen«
(1857) Erwähnung, so wie die culturhistorische Novelle
»Christian und Else« (1857), welche zur Zeit des
westphälischen Friedens spielt, ferner die Novelle in
Versen: »Margaretha von Schweden« (1880). Auch
auf dramatischem Gebiete hat sich Pichler versucht
und den berühmten Steiermärker Brockmann, dessen
großes Schauspielertalent gegen Ende des vorigen
Jahrhundertes durch ganz Deutschland Bewunderung
erweckte, zum Helden eines wirksamen Schauspieles
geschaffen, welches 1890 im Drucke erschienen ist.
Eine in wohllautenden Versen abgefasste freie Bear-
beitimg der Tragödie »Aias« von Sophokles (1887)
zeigt des Dichters Begeisterung für die Dichtung un-
serer antiken Classiker. Pichler's bedeutendstes poe-
tisches Werk jedoch, das epische Liederbuch > Runen
und Reime« erschien 1875 und enthält umgearbeitet
auch manches Stück aus den früher herausgegebenen
Balladen. Schon diese Aufzählung der poetischen
Werke Pichlers erweist, dass sich derselbe mit Vorliebe
der epischen Poesie zugewendet hat. In der That
ersieht man auch aus dem Inhalte der »Runen und
Reime«, welche Mannigfaltigkeit er in dieser Richtung
zu entfalten, wie plastisch er oft seine Stoffe zu formen
versteht. Die Ballade und die poetische Erzählung
sind, wie bekannt, jene Gebiete, auf welchen die Kraft
und Gewalt jedes Dichters am besten zutage tritt, sie
erfordern Reife und Überlegung im Denken, Gewandt-
heit in der Sprache, Knappheit in der Ausdrucksweise ;
manchem der besten Sänger auf lyrischem Felde ge-
lingt es kaum in epischer Darstellungsweise Leser und
Hörer zu fesseln. Die von Pichler gewählten Stoffe
weisen auf den weit ausblickenden Historiker, neben
157
erzählenden Gedichten, welche die Glut des Orients durch-
weht wie »Des Emirs Braut«, oder die uns bewegte Scenen
aus dem antiken Leben vorführen, wendet er sich gerne
dem deutschen und nordischen Alterthum zu, so in den
Stücken: »Die Gebannte« (Kudrun), »Helgi und Thor-
stein,« »Harald Blauzahn« oder er führt berühmte
Geisteshelden, Künstler und Dichter vergangener Zeiten
vor wie in den Gedichten: »Paul Rembrandt,« »Rafael
Sanzio,« in der sinnigen Dichtung »Zum Löwen,«
welche in begeisterter Weise vom Leben und Dichten
Schillers erzählt, in der erschütternden Erzählung:
»Der Bettler von Lissabon,« welche uns von dem
Hungertode des Weltpoeten Camoens ergreifende Kunde
gibt. Zumeist sind es düstere Stoffe, die Pichler
sich zum Vorwurfe seiner poetischen Erzählungen er-
sehen, mit großer Begabung weiß er oft grauenhafte
Begebenheiten in Verse zu fassen, in dieser Beziehung
geht der Dichter mitunter vielleicht sogar zu weit wie
etwa in dem unheimlichen Sänge »von des Scharf-
richters Beile,« welches beim Henker nachts zu klirren
beginnt, weil es sich schon freut »aufs warme Blut«,
und nach dem Tage, da Lord Capell in Tower damit
enthauptet worden, wieder schwieg »wie nach dem
heißen Kuss erschöpft die Jungfrau ruht.« Trotzdem
aber blickt das bedeutende Talent aus den Strophen
dieser markigen Poesien, welche zusammen gleichsam
ein culturhistorisches poetisches Bilderbuch dem Leser
entrollen. Auch der Geschichte Steiermarks hat Pichler
so manchen seiner Stoffe entlehnt \vie etwa in den
Dichtungen von »Herrn Ulrich« (von Liechtenstein)
oder in »Abt Johann von Admont in der Karthause«
etc. Dass übrigens hier und da des Schalkes Lächeln
die Lippe unseres Dichters umspielt, davon zeugt imter
158
Anderem die schlichte hübsch durchgeführte Erzählung
von dem Gespräche zwischen Laudon und Geliert in
Karlsbad.
Aus dem mächtig wirkenden Gedichte »die Kart-
hause«, welches die anbefohlene Verbrennung der prote-
stantischen Bücher anlässlich der Gegenreformation in
Steiermark zum Gegenstande hat und Gestalten jener
Tage in visionenhafter Darstellung heraufbeschwört,
sei ein Bruchstück als Probe hier angeführt:
Der grätzer Holzstoß ist's, den Alle kennen,
Der wie Herakles' Kraft des Öta Berg,
In spielend kurzen Stunden soll verbrennen
Das Erbe jenes Tag's von Wittenberg.
Da fällt so manchen Pergaments Gebinde,
Manch' vollbeschrieben, reichbedrucktes Buch,
Beschwert mit der Gedankenfreiheit Sünde,
Anheim dem unerhörten Flammenfluch.
Was schwer den stillen Nächten abzuringen
Der bannbelegte Prädikant gewusst,
Die Kunde von der Menschheit höchsten Dingen,
All- alles ist verfehmt zum Aschen wüst. — ~
Zuletzt von Tausenden verkohlter Bücher
Verbleibt als Rest ein Flöckchen Asche nur.
O spreitet aus noch eure Purpurtücher
Und rettet uns des Kleinod's kleinste Spur. —
Eine größere historische Episode hat Pichler in
der poetischen Novelle »Margaretha von Schweden«
bearbeitet, er liefert ein dichterisches Zeitgemälde
aus der Vorzeit Schwedens darin, das reich ist an
schönen poetischen Einzelheiten und kräftigen Zügen,
an lebendig geschilderten Volksscenen und kühn
entworfenen Gestalten aus jenen bewegten Tagen
159
des alten Schwedenreiches, wobei die Hauptfiguren
des Königs, Swante Sture's und der lieblichen
Königin besonders hervortreten. Es ist sehr zu be-
klagen, dass in der neuen Zeit Pichler das Gebiet
der erzählenden Poesie verlassen hat, wenigstens
ist nichts davon in die Öffentlichkeit gedrungen. Unter
den erzählenden Dichtem Deutsch-Österreichs nimmt
er jedenfalls schon durch seine vorliegenden Veröffent-
lichungen einen bemerkenswerten Rang ein.
Ein Name, welcher an dieser Stelle nicht über-
gangen werden soll, obgleich er seit Jahren nicht mehr
auf dem Gebiete der Poesie genannt wird, ist Joseph
Mayr^Tüchler, von dem die »österreichische Garten-
laube« ebenfalls hübsche dichterische Beiträge der
Allgemeinheit vermittelte. Mayr-Tüchler hat zu Ende
der Sechziger Jahre manches Gedicht so wie
auch wohlgeformte Übersetzungen aus dem Französi-
schen und Südslavischen daselbst, ebenso manche hu-
morreiche Strophe in der Mundart seiner Heimat seiner-
zeit in den Münchener »Fliegenden Blättern« veröffent-
licht. Der 1840 zu Graz geborene Dichter, welcher
eine höhere bergmännische Ausbildung erhielt, lebt
gegenwärtig als Fabriksdirector zu Felixdorf. Wenn
er auch längst von der sinnigen Dichtung, die er ge-
pflegt, sich abgewendet, so verdient doch die 1869 von
ihm herausgegebene poetische Sammlung »Wolken«-
volle Beachtung. Friedrich Marx hat diese Gedichte
nach ihrem Erscheinen eingehendster Besprechung
gewürdigt und denselben die wärmste Anerkennung ge-
spendet, er erkannte anlässlich dieses »frohen Sänger-
grußes aus den steirischen Bergen« Ma3rr-Tüchlers
Talent als ein solches, in dem sich »neben manchen
Anklängen an Lenau, Freüigrath, Rückert und Heine
i6o
doch so viel des Eigenartigen, Charakteristischen,
Selbsterlebten und nicht bloß anderen Dichtem Nach-
empfundenen«, findet, »dass uns die Mehrzahl seiner
Gedichte mit dem vollen Reize der Neuheit und der
Ursprünglichkeit anmuthet.« In der That überrascht
Mayr-Tüchler durch Form und Inhalt seiner wohl-
lautenden Verse, die bei all' den kleinen Mängeln,
welche jüngeren Poeten zumeist anhaften, ein nicht
geringes Talent hervortreten lassen, mag der Dich-
ter ein zartes Liebeslied anstimmen, seinem warmen
Vaterlandsgeftihle und der deutschen Mannesgesinnung
Ausdruck geben, sinnige Betrachtungen anstellen oder
begeistert die Schönheiten der Natur preisen wie in
dem prächtigen Sänge: »An die Alpen«:
Wie lieb ich euch, wie lieb ich euch,
Ihr blauen Zacken und Zinken,
Die mir am fernen Horizont,
So zaubermächtig winken!
Ihr schroffen Höh'n, wo die Gemse springt,
Ihr Hörner mit schneeigen Hängen,
Ihr grünen Alpen, wo alles klingt
Von Herdenglocken und Sängen, etc.
Tiefpoetische Anlage zeigen Gedichte wie: »Ein
Engel geht durch's Zimmer«, »Heimweh«, »Das Kerz-
lein», »Zu früh«, »Ade mein Herz« und manches er-
zählende Stück gibt uns kund, dass auch auf diesem
Gebiete der Dichter richtige Töne zu treffen weiß.
Eine vornehme Poetengestalt tritt uns in dem
hochbegabten Grafen Albrecht Capello von Wickenburg
entgegen, welcher im Jahre 1838 als Sohn des viel-
gefeierten und beliebten Gouverneurs der Steiermark
Mathias Constantin Graf von Wickenburg zu Graz
i6i
geboren wurde. Hat auch Graf Albrecht sein aller-
dings hauptsächlich auf dem Gebiete der poetischen
Übersetzung von Dramen aus verschiedenen Sprachen
meisterhaft bewährtes Talent insbesondere außerhalb
der engeren Heimat bethätigt, so verdient der
einem edlen Adelsgeschlechte der Steiermark Entstam-
mende, welcher daselbst auch seine erste Ausbildung
genoss, doch schon als begabter Poet dieses Geschlech-
tes hier Beachtung. Graf Albrecht Wickenburg hatte
in Wien die Rechte studiert, war in den Staatsdienst ein-
getreten, verließ denselben aber bald wieder und wid-
mete sich später ganz literarischen Arbeiten. Im
Jahre 1868 vermählte er sich mit Wilheltnine geb.
Gräfin Almasy, welche den Ruhm ihrer eigenen Dichter-
begabung mit der seinen vereinigte. Leider wurde
die edle Dichterin vor wenigen Jahren (l 890) allzufrüh
durch den Tod ihrem Gatten entrissen, welcher noch
pietätvoll die Gedichte ihres Nachlasses herausgegeben
hat. Von der feinsinnigen Anlage Graf Albrecht
Wickenburg's als Übersetzer und Bearbeiter dramatischer
Werke legen beredtes Zeugnis ab : die metrische Bear-
beitung des peruanischen Dramas »Ollonta« (1876),
die Übertragungen vonShelley's »Der entfesselte Prome-
theus« (1876) von Swinburne's Tragödie »Atalanta in
Calydon« (1878), von Tennyson's Drama >Harald
{1880), von Augier's Schauspiel: »Die Abenteurerin,«
so wie von dem altfranzösischen Schwanke »Meister
Pathelin« (1884.) Aber auch selbständig Geschaffenes
hat Graf Albrecht Wickenburg in der Sammlung:
»Eigenes und Fremdes« (1874) veröffentlicht und darin
sich als begeisterter formgewandter Dichter gezeigt.
Er besingt in schönen klangvollen Strophen die Natur-
und Herzensstimmung, zeigt in den schönen Gedichten :
Schi ossär, xoo Jahre deutscher Dichtung. II
l62
»Meinem Kinde« und >An meine Mutter« das innigste
Familiengefühl und manches sinnige Liebesgedicht
lässt uns in die Tiefe seines Herzens blicken. Wie
schöne Strophen hat er der Residenzstadt gewidmet
in dem >Wien« überschriebenen Gedichte:
Wie liegst du da im Sonnenglanz
Am blauen Stromes Bette,
Umwogt von Saat, umrauscht vom Kranz
Der grünen Wälderkette!
Kommt jemals Einer Donau wärts
Um dir ins Aug' zu schauen,
Und wäre noch so starr sein Herz,
Die Rinde müsste thauen. etc.
Formvollendet und inhaltstief hat er auch
Sonette und Ghaselen geboten und in dem erzählenden
Gedichte: >Die Madonna des Filippo Lippi« die farben-
reiche poetische Bearbeitung eines in Prosa vorliegen-
den Stoffes. Auch die kunstvollen Übertragungen von
Dichtungen englischer Poeten, die in dem Bande ent-
halten sind, verdienen hohe Beachtung jedes Kunst-
freundes.
Im Jahre 1884 erschien ein Band »Lieder und
Romanzen« von Wilhelm Fischer, der schon fiüher
mit einer Zahl eigenartiger Werke hervorgetreten war.
Fischer, geboren 1846 zu Csakathum, gehört der
Geburt nach nicht der Steiermark an, aber von seiner
Studienzeit an (1865) hat er im Lande geweilt und ist
heute in der steiermärkischen Landesbibliothek zu
Graz angestellt. Der classische Hauch, welcher seine
poetischen Schriften durchweht, die gedankentiefe Anlage
seiner größeren Werke räumen ihm nicht nur in der
Reihe der Dichter Steiermarks, sondern unter den
Österreichern überhaupt eine bemerkenswerte Stelle
163
ein. Schön das Epos »Atlantis« (1880) zeugt von
seiner Begeisterung für die Welt des classischen Alter-
thums, ein phantastisches Werk, jedoch reich an glän-
zenden Bildern, an bewegten oft berauschenden Scenen.
Hamerling nennt das Buch »eine philosophische Dich-
tung in des Wortes kühnster, und allgemeinster Be-
deutung.« Der große Dichter hat ihm die wärmsten
Worte der Anerkennung gespendet und auf »die Kraft
und Farbenglut seiner Schildenmgen« insbesondere
hingewiesen. Einen leichteren Ton hat. Fischer in dem
Frühlings-Idyll »Anakreon« (1882) eingeschlagen, wel-
ches des griechischen Poeten frische heitere Lebens-
anschauung durchzieht. Zwei Novellensammlungen:
»Sommemachtserzählungen« (1882) und »Unter altem
Himmel« (1891) machen uns mit der Erzählungskunst
des Dichters bekannt. Auch diese ist keine gewöhn-
liche, sei es, dass der Erzähler einen getreu entworfenen
historischen Hintergrund wählt oder wohl auch in das
Gebiet des Märchenhaften übergreift. Ein warmer
Herzenston liegt auf diesen zierlichen Novellen, die
fein durchgearbeitet mit der gewöhnlichen Marktware
unserer heutigen Novellistik wenig gemein haben.
Echte Poesie blinkt uns aus diesen duftigen Ge-
schichten entgegen. Da jedoch hier. die Lyrik imsere
besondere Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, so
sind Fischer's oben erwähnte »Lieder und Ro-
manzen« insbesondere ins Auge zu fassen. Die eigent-
liche Lyrik des Sängers bewegt sich auf den nie aus-
gesungenen Gebieten, die Natur und die Liebe bieten
ihm den alten, in schöne neue Formen gebrachten
Stoff, ernste sinnige Betrachtung ündet sich dazwischen.
Insbesondere versteht es der Dichter, in wenigen Strophen
ein Naturbild zu entwerfen und wenn auch wohl An-
II*
164
klänge aii- cKe Meister unserer Dichtung nicht überall
vermieden sind, so sprechen doch die wohltönenden
Verse oft ergreifend, zum Herzen des Lesers. Die
Schönheit der Nacht, die Pracht des Frühlings, die
Herrlichkeit des Sommers, die zarte duftige Landschaft
führen diese Lieder in einschmeichelnden Strophen vor's
geistige Auge. Man wird oft an die kiurzen anmuthigen
schönen Naturbilder gemahnt, wie sie etwa der Schwabe
Karl Mayer entworfen. Hier eine kurze Probe:
Mondesweben,
Der Mond spinnt über das Wasser
Seine Strahlen silbern bleich;
Nun liegt die Welt im Schlafe
Wie ein verzaubert Reich.
Was mag den Zauber brechen
Von diesem seligen Traum!
Ich lass mich still umwehen,
Und wage zu athmen kaum.
Aber auch die erzählenden, »Romanzen« über-
schriebenen Dichtungen, enthalten manche sinnige
Sage oder manches märchenhafte Bild in voller poeti-
scher Verklärung. In der That ünden wir hier roman-
tische Stoffe im Gewände der schöngefügten Verse
vorwiegend vertreten, bekannte Gestalten aus alten
Mären ziehen an uns vorüber, wir sehen die Helden
im goldenen Saal, und den geheimnisvollen Zauber-
brunnen, es ersteht das stolze Marmorschloss vor un-
seren Augen mit der schönsten Maid auf dem Söller
und der junge Mönch findet die' blaue Blume, die ihm
Trost in seiner Einsamkeit spendet. Die gedankenvolle
Allegorie: »Der Kampf mit dem Schicksal« in klang-
i65
vollen Nibelungenstrophen sei aus der bunten Zahl
dieser farbenfrischen Romanzen besonders hervorgehoben.
Von einem Dichter, welcher das Pseudonym
^ Adolf Hagen« gewählt hat, ist im Jahre 1883 ^^^
Band »volksthümlicher Dichtungen« unter dem Titel
»Sagen und Singen nach Volkes Weise« erschienen.
Der Verfasser desselben wurde im Jahre 1857 zu Graz
geboren, hat sich mit dem Studium verschiedener
Fächer insbesondere mit jenem der Philosophie ein-
gehend beschäftigt und weilt heute noch, nachdem
er vielfach die Welt durchwandert, publicistisch thätig
in der Steiermark. In dem erwähnten Liederbuche
hat er den glücklichen Gedanken durchgeführt, die
Mythen und Sagengestalten verschiedener deutscher
Gebiete dichterisch gestaltet dem Leser in ihrem ge-
heimnisvollen Wirken und Treiben zu zeigen und
manche kluge Nutzanwendung knüpft er in den zierlich
gefügten Strophen an die Erzählung. Es sind die
»Sagen der Spinnstube«, welche auf diese Weise der
Dichter, der sie >in der Schenk' am Berge zu
nächtlicherweile« vernommen, dem Leser wiedererzählt,
und die lebendige Darstellung wirkt überall fesselnd
und oft ergreifend. In den Liedern, welche den zweiten
Theil der Sammlung bilden, sind frische Klänge des
»Fahrenden von Steier« enthalten, die bald die wech-
selnde Schönheit der Natur preisen, bald wieder den
Wein und die Liebe, insbesondere aber tritt die frohe
Wanderlust des Poeten daselbst zu Tage, denn noch
im »Scheidegruß« ruft er's aus:
Allein der freie fahrende Mann
Beherrscht die weite Welt,
Weil Alles er erkunden kann
Und thun, wie ihm gefällt.
i66
Auch in Adolf Hagens Buche herrscht eine bunte
Abwechslung, die in Verbindung mit dem heitern
poetischen Tone des begabten Sängers wohlthuend
und erfrischend auf den Leser wirkt. Nach dieser
zierlichen Gabe hat der Dichter in seinem Büchlein:
»Aus der deutschen Ostmark« (1883) kraftvolle natio-
nale Töne angeschlagen, von denen die prächtige Apo-
strophe »Mein Steier«
Dich lieb' ich über Alles, du meiner Thäler Klang,
Du Widerhall der Berge zu meines Volkes Sang! etc.
oder auch wohl »Das Lied der deutschen Ostmärker«
besonders hervorgehoben zu werden verdienen.
Im Vereine mit Erich Fels wurde von Adolf
Hagen noch eine Sammlung: »Wehr und Waffen.
Deutsche Dichtungen des jungen Österreich« im Jahre
1885 herausgegeben. Es sind noch markigere Stro-
phen als in dem eben erwähnten Liederbuche, die
uns hier entgegentönen und mancher nationale Kampf-
gesang, mancher kräftige Spruch mahnt Österreichs
Deutsche daran festzuhalten an ihrem alten Stamme
und ihre Gesinnung nie zu verleugnen. Jedenfalls
zählen die letzten zwei Bücher zu den besten und
klangvollsten Sammlungen politischer-deutschnationaler
Lyrik, welche Österreich aufzuweisen hat.
X. CAPITEL.
Hans Grasberger und P. K. Rosegger.
Die zwei Dichter Steiermarks, welchen dieses Capitel
gewidmet sein soll, sind warmfiihlende Söhne
ihrer Heimat, manche Ähnlichkeit weist ihr äußeres
Leben auf, manche Vergleichungspunkte lassen sich
über ihre literarische Thätigkeit aufstellen, beide haben
insbesondere auch das Gebiet heimischer mundartlicher
Poesie gepflegt und zählen in dieser Beziehimg wohl zu
den hervorragendsten Vertretern, welche dem steier-
märkischen Boden entsprungen sind, dabei entwickelt
freilich der mitten in den Bergen aufgewachsene Ro-
segger eine Ursprünglichkeit und Naturanlage, wie sie
selten einem dichterisch angelegten Gemüthe beschieden
ist. Darauf ist noch weiter unten ausführlich zurück-
zukommen und zunächst sei es Grasberger, dem wir
unsere Aufmerksamkeit zuwenden.
Hans GrashergeTy 1836 zu Obdach in Steiermark
nahe der Kärntner Grenze geboren, erhielt seine Er-
ziehung im Hause und später im Stifte St. Lambrecht,
studierte die Rechte in Wien und wandte sich hierauf
dem Gebiete der Tagesliteratur zu, er hatte Gelegen-
heit das heilige Land zu betreten, von wo aus er be-
merkenswerte Berichte in Wiener Journalen veröffent-
lichte, vom Jahre 1867 an verbrachte er eine Reihe
von Jahren in Italien insbesondere in Rom und be-
i68
nützte seine Anwesenheit in dem Vaterlande der großen
Meister der Kunst nicht nur zu Berichten für die po-
litischen Journale, sondern auch zu eingehenden Stu-
dien auf dem Gebiete der Künste ; die Resultate dieser
Studien liegen in zahlreichen vortrefflichen Aufsätzen
der genannten Richtung vor, welche Grasberger seit-
dem an verschiedenen Orten veröffentlicht hat. Aber
nicht nur die Kunstanschauungen auf dem Gebiete der
Bilderei, der Malerei und Architektur läuterten sich
bei Grasberger durch den Aufenthalt auf dem clas-
sischen Boden, auch seine Poesie wurde in eine be-
sondere Bahn gelenkt und nachdem er den Orient und
Italien besucht hatte, gab er seine ersten poetischen
Werke heraus, welche mit den üblichen Jugendarbeiten
so mancher unserer Dichter nicht zu vergleichen sind.
Eine ausführlichere Selbstbiographie hat der Dichter in
Roseggers »Heimgarten« (XV. Jahrg. 1891.) ver-
öffentlicht.
Im Jahre 1864 erschienen die »Sonette aus dem
Orient,« worin Grasberger die schwierige Strophenform
in gewandter Weise handhabte und in schönen poe-
tischen gedankentiefen Bildern die Erinnerung an seinen
Aufenthalt im fernen Osten festhielt. Diese Sonette,
zuerst unter dem Pseudonym: Carl Birkenbühl
erschienen, liegen seit 1873 in dritter verbesserter
(imd gekürzter) Auflage vor. In ernster Stimmung
führt der Dichter darin den Leser in die Welt des
Orients ein mit ihren farbigen bunten Bildern und
großartigen Landschaften :
Es lacht im Orient auf kleinstem Raiun
Gar oft der farbenreichste Blumenflor,
Ein bunterlei von Tönen rauscht an's Ohr.
Und Blut' und Frucht zugleich bedeckt den Baum.
169
See- und Wüstenbilder ziehen nun an unserm
Auge vorüber, der Dichter hat in Nazareth und
Bethlehem, am Jordan und in Jerusalem geweilt, er
widmet diesen geweihten Stätten die Klänge seiner
kunstvollen Verse und manche Erinnerung an die alte
biblische Zeit oder an die gewaltigen Tage der Kreuz-
fahrer ist darin festgehalten. Mannigfaltiger in der
Form, aber auch, was den stofflichen Theil betrifft,
abwechslungsreich erscheint die Gedichtsammlung
»Singen und Sagen« (1869.) Sie enthält nicht nur
eine Zahl inniger Lieder, welche des Dichters feines
Naturgefiihl und seine Gabe bekunden, den edlen Ge-
danken seines Innern echt poetischen Ausdruck zu ver-
leihen, sondern auch epische Gedichte von kräftiger
Anlage, deren Stoffe vielfach der älteren Geschichte
entnommen sind, so die Mär von »König Authari's
Brautwerbung,« »Chrodihilde«, »König Liutprand,«
»König Pipin in der Reismühle« «Gundeberga,« die
heitere Mär von dem zum Edlen erhobenen »Köhler«
und anderes mehr. Ein starker epischer Zug ist in
den meisten dieser erzählenden Gedichte enthalten, die
wohl mitunter an Hermann Lingg's gewaltige historische
Strophen erinnern. Aber wie lieblich und malerisch
Grasberger auch oft in wenigen Versen ein einfaches
Bild zu entwerfen und in zarten Farben ausgeführt
darzustellen versteht, davon zeuge das Nachfolgende:
Die Braut.
Weiß das Kleid und weiß der Schleier,
Myrthenlaub im goldnen Haar,
Ihr Geleit ein seliger Freier,
Schwebt die Maid zum Traualtar.
Die Gespielen nahn und schauen,
Schauen all' mit Neubegier,
170
Und sie senkt verschämt die Brauen,
Und sie möchte weinen schier.
Draußen schweigen Geig' und Flöte,
Doch ihr Herze pocht so laut,
Auf den Wangen sanfte Röthe,
Horcht und träumt die schöne Braut.
Mädchenträume! Lichte Träume!
Euch ist die Erfüllung nah.
In die süß geahnten Räume
Führt ein leis gehauchtes Ja.
Durch die Kirchenfenster schräge
Fällt so bunt der Sonnenschein —
Säumt der Liebe neue Wege
Mit den hellsten Farben ein.
War es bisher weniger das Thema der Liebe,
welches der Poet in seinen dichterischen Veröffent-
lichungen behandelte, so brachte er in der 1873 heraus-
gegebenen Sammlung: »Aus dem Gameval der Liebe«
ein ganzes Bändchen von Strophen, welche dem Liebes-
leben geweiht sind, vor die Öffentlichkeit. Aber so
reich an Gefühl und dichterischem Schwvmge diese
Poesien erscheinen, so handelt es sich in denselben
doch nicht allein um das zarte Liebeslied, welches aller-
dings im ersten Theile des Büchleins oft in der innig-
sten Weise geboten zutage tritt wie etwa in dem aus
voller Seele kommenden Gedichte »Mein« ; vielmehr
hat der Dichter das Herzensleben in den verschiedensten
Beziehungen aufgefasst und demselben Momente ab-
gelauscht, die wahrhaft erschütternd wirken; der letzte
Theil des Büchleins führt uns tief ergreifende sociale
Bilder vor, in Stücken wie »Lisette,« »Mutter und
Kind,« »Die Sirene« sind Scenen aus dem Liebesleben
171
geschildert, die uns manchen tiefen Blick in die Ver-
hältnisse unserer Tage gestatten. Der Idealismus des
Dichters geht hier in den kräftigen Realismus über,
ohne übrigens die Grenze zu überschreiten, welche
wahre edle Poesie zu wahren weiß. Bald finden wir
Grasberger auch auf anderen Gebieten thätig, auf jenem
der Novelle und auf dem der mundartlichen Dichtimg
seiner Heimat. »Wie jedem« schreibt er in reiferen Jahren
>der zu Jahren kommt, ist auch mir Heimat und Jugend
mit Wesen imd Typen, Lied und Brauch allmälig
gegenständlich geworden und sie mir von Erinnerung
imd Gemüth loszuschreiben, um sie desto sicherer und
inniger zu besitzen, war eine natürliche Anwandlung«.
So erschienen denn: das zierliche Büchlein »Zan Mit-
nehm« (1880), »Nix für unguat« (1884) und »Plodersam.
Geistlin' G'schichtn g'sangsweis dazält« (1885). Gras-
berger hat in allen diesen Werkchen genaue Kenntnis
des Dialectes und das überaus feine Gefühl für die
Dicht- und Denkweise seines Volkes bekundet. Dass
er die Mundart, auf deren Geltungs-Gebiete er ja die
erste Jugend verbrachte, später auch theoretisch studiert
hat, weist sein vortrefflicher Aufsatz: »Dialectund Dia-
lectdichtung der Deutschen« in dem Bande »Steier-
mark« des grossartigen Werkes: >Die österreichisch-
ungarische Monarchie in Wort und Bild« zur Genüge
nach. Aber auch das Leben und Treiben des Volkes,
sein Denken und Sinnen, seine Innigkeit wie sein
Übermuth sind dem Steiermärker, nachdem er den
heimatlichen Boden später oft besucht hat, wieder zmn
Bewusstsein gekommen und im Geiste dieses Volks-
gemüthes hat er den zumeist neckischen Ton ange-
schlagen, welcher uns aus seinen erwähnten mundart-
lichen Büchern entgegenklingt und ui» ganz an die
172
Volkslieder des Landes gemahnt, welche im ganzen
Gebiete unserer Alpen, da oder dort mit der einen
oder andern Abändenmg immer wieder aber zu dem-
selben Grimdtone zurückkehrend, den heiteren Sinn
oder das tiefe Gemüth jenes Völkleins bezeichnen, eines
Gemüths, das freilich oft in derber stets aber gutgemeinter
Weise zutage tritt. Hauptsächlich ist es die kurze
allgemein übliche Strophe des »Schnaderhüpfels«,
welche sich der Dichter zu seinen Liedern gewählt
und die er in der verschiedenartigsten Abwechslung
dem Volke selbst abgelauscht^ hat. Echt und voll
packender Ursprünglichkeit erscheint er, mag er nun
den Übermuth des Burschen ausrufen lassen:
Hiet a saggrischi Schneid,
War ma heint was vagunnt . . .
Wirtshaus, is Neampt da,
Dass i 'hn außischmeißn kunnt?
oder die »Wirtshauspolitik« der Kellnerin schildern:
Dö Kellnerin is fein,
Is da Sögn in Haus,
Dö Manna lacht's an
Und dö Buabma lacht's aus.
Oder mag er die Almdirn zufrieden ausrufen
lassen :
Mei Schatz is a Hulzknecht
Weit omad in Wald,
Dorscht findt 'hn ka neidigi
Gretl not so bald.
Auch so manche echte »Bauern- Weisheit« im un-
verfälschten Naturgewande dieser Vierzeiler wird dem
Leser und Höper geboten:
173
Mit'n Willn, den sd hast,
Kannst au'm Kopf oder Buckl tragen
Und, is d'Landstrasse lang,
An Fuaßsteig einschlagen.
Hint' an süaßestn Redn
Steckt oft a falsch Than,
Grad die giftign Bir
Sand die scheansta au'm Ran.
Doch genug. In den zwei letzten Sammlungen
hat Grasberger auch längeren mundartlichen Bildern
aus dem Volksleben ihren Platz eingeräumt und manche
humorvolle Erzählung zum besten gegeben ; eine köst-
liche Skizze liefert er in dem Gespräch zwischen dem
>Bandlkramer« und dem > Scharschleifer«, welches
>Neue Liebesgötter« überschrieben ist und das' sich
unter den Liedern in dem Bande: >Nix für unguat«
findet. Demselben Büchlein ist übrigens auch eine sehr
lesenswerte Einleitung Ȇber Herkunft und Wesen
des Schnaderhüpfels« vorgesetzt. Harmlose Scherze
aus geistlichen Kreisen, die aber durchaus nicht be-
leidigen, sondern nur erheitern wollen, enthält das lu-
stige Buch »Plodersam,« welches umfangreichere Stücke
bietet. Mancher der hier behandelten Stoffe ist nicht
geradezu neu (z. B. dö Kieslsuppn), aber in so ur-
sprünglicher der localen Färbung angepasster Weise
und mit so reichem Humor behandelt, dass man der-
artige Anklänge, die ja stets vorzüglich passend ge-
wählt sind, gerne vergisst und. sich immer mitten in
das Reden und Treiben des Alpenvolkes versetzt fühlt,
welches der Dichter in seinen Versen so prächtig zu
schildern versteht.
Als Novellist trat Grasberger in späteren Jahren
hervor. Es ist an dieser Stelle nicht auf die
174
ausführlichere Besprechung seiner Thätigkeit in dieser
Hinsicht einzugehen, doch müssen die zwei Novellen-
bücher: »Aus der ewigen Stadt« (1887) und »Aul
heimatlichem Boden« hervorgehoben werden. Wie Gras-
bergers Bücher in Versen zwei Seiten seines Wesens,
zeigen: den von Idealen des Lebens und der Kirnst
durchwehten Poeten, der in edlen Versen sein Lied
ertönen lässt und den Sänger, welcher dem einfachen
Bauemvolke in der gebirgigen Heimat Lied und
Sang abgelauscht hat und dessen Mundart gewandt
handhabt, so bietet er auch in diesen Erzählungen
auf der einen Seite vom Glänze des italienischen Him-
mels bestrahlte Skizzen und Erzählungen, in denen
sich das Künstlerleben der prächtigen Römerstadt imd
das heitere südliche Volksthum widerspiegeln, auf der
andern Seite einfache, aber zu Herzen sprechende
Geschichten zumeist aus der Alpenheimat, welche ge-
rade durch ihre Schlichtheit auf den unbefangenen
Leser wirken. Man wird den Erzählungen Grasbergers
jedenfalls eine hervorragende Stelle in der Novellistik
unserer zeitgenössischen Poesie einräumen müssen.
Und nun zum letzten derjenigen, welche das vor-
liegende Büchlein in den Kreis seiner Darstellung ein-
bezieht, dieser letzte ist aber einer der allerersten
unter den Männern im ganzen deutschen Lande, welche
ihr Leben der Dichtung geweiht haben, es ist P, K,
Rosegger, Von den Poeten, die in Steiermark geboren
wurden, gelebt und gewirkt haben, ist Rosegger,
was die geniale Anlage und die Eigenart der Begabimg
anbelangt, unangefochten der erste und hervorragendste,
nicht bloß wegen des reichen, vielseitigen Schaffens,
das er bethätigt, wegen der Unermüdlichkeit, mit
der er stets den Spuren seiner Heimat folgend,
Cj/^ f^f'i^
;^
Rosegger's Geburtshaus in Alpel bei Krieglach
Facsimile der vom Dichter eigenhändig für den Verfasser des
vorliegenden Werkes gefertigten Zeichnung.
176
diese weit über ihre Grenzen hinaus verherrlicht, ja
man kann sagen berühmt gemacht hat, sondern auch
wegen der ganz besonderen Anlage seiner Dichtweise
in Poesie und Prosa, wegen der bewunderungswürdigen
Abwechslung, welche er derselben verliehen, obwohl
er sich stets in so enggezogenen Grenzen bewegt,
wegen der Macht und Gewalt, die ihm in der Erzählung
und Schilderung ebenso gegeben ist wie im Verse
der heimatlichen Sprache und Mundart. Und diese
Kraft und Poesie hat er wie jener gewaltige Titane
aus der Vatererde selbst geschöpft und immer wieder
an dieser Vatererde erneuert; in seiner Jugend, als er
noch ein schlichter Bauemknabe war, sind ihm, der
gar ungelenk die Feder oder den Stift handhabte,
Lieder gelungen, welche er gleichsam unbewusst auf-
gezeichnet hat und die vom feinsten Naturgefühl, von
der genauesten Kenntnis der Volksseele Zeugnis ab-
legen, Lieder, welche andere Poeten in der besten
Zeit ihres Schaffens zu den trefflichsten Errungen-
schaften desselben zählen könnten. Wie Adalbert Stifter
in dem Böhmerwalde, so hat Rosegger in seinem Mürz-
thale aus diesem und aus dem Gebiete des Hochschwabs
kurz aus den Alpen und Wäldern seiner Heimat Stätten ge-
schildert, welche dadurch dem deutschen Volke unvergess-
lieh bleiben und in der Dichtung für alle Zeiten verherr-
licht erscheinen werden. Soll man über das Leben
dieses Poeten viel berichten? Sein dichterisches Schaffen
ist sein Leben, ein Drittel seiner Prosawerke erzählt
uns von Roseggers ärmlicher Jugend, seine prächtigen
Dialectgeschichten und Lieder ergänzen so manches
Bild oder jedes einzelne Stück vielmehr ist wieder ein
neues Bild im Rahmen des Waldlandes; in jedem
seiner Lieder tritt uns das Volksgemüth mit all seiner
w Jahre deuWcliet DLchluüi.
178
Naivität und Ursprünglichkeit entgegen, die beim größ-
ten Talente nur derjenige wiedergeben kann, der selbst
ein gut Theil des eigenen Lebens in der gleichen Denk-
art wie das Volk selbst als ein Sohn desselben zuge-
bracht hat. Und das ist eben bei Rosegger der Fall
gewesen. Als Sohn eines kleinen Häuslers, der sich
und seine zahlreiche Familie schwer genug ernähren
konnte, war Peter in der Gemeinde Alpel, welche
einige Stunden von Krieglach zwischen »schwarzen
Fichtenwäldern« hoch oben in den Bergen liegt, im
Jahre 1843 geboren, dort wuchs er abgeschlossen von
der Welt als Hirten- und Bauemknabe auf, von einem
alten Schulmeister, welcher in die abgelegene Gegend
verschlagen worden, im Lesen und Schreiben unter-
richtet. Er lernte bei einer alten Frau in Krieglach
allerlei Bücherwerk kennen und seine Neigung trieb
ihn Alles durchzulesen, was er fand. Schon zu jener
Zeit begann er zu schreiben, freilich nur Dinge, die
ihm aus seiner Leetüre im Kopfe waren, kleine Ge-
dichte, Dramen, Kalender u. dgl. JLin Bauer zu werden,
das ließ seine Körperbeschaffenheit nicht zu und er
trat im Sommer 1860 bei einem Schneider zu St.
Kathrein am Hauenstein in die Lehre, mit ihm wan-
derte er 5 Jahre von Haus zu Haus — »ging auf
die Stör«, wie es im Volksmunde heißt — um zu
arbeiten. Daneben entstanden jedoch Geschichten und
Lieder, die alle sorgfaltig gesammelt, aber freilich keinem
Schriftkundigen bekannt wurden. So ward Rosegger
über 20 Jahre alt. Eines Tages im Jahre 1864 sandte
er muthig eine Zahl von seinen Dichtungen an den
Schriftleiter der »Tagespost« Dr. A. V. Svoboda in
Graz, welcher das Talent des jungen Mannes, so un-
gelenk auch dessen Darstellung noch war, erkannte
179
und ihm durch Veröffentlichungen in dem erwähnten
Journale, aber auch durch persönliche Empfehlung die
Wege ebnete, um sich in der Landeshauptstadt aus-
zubilden. Rosegger studierte nun von 1865 bis 1869
an der Grazer Handelsakademie von verschiedenen
Gönnern unterstützt. Er erhielt später vom steier-
märkischen Landesausschusse ein Stipendium und nach-
dem er im Jahre 1869 seine mundartlichen Gedichte
»Zither und Hackbrett« veröffentlicht hatte, war er
ununterbrochen weiter literarisch thätig, suchte dabei
aber auch durch Selbstudien auf allen Gebieten seine
Kenntnisse zu erweitem und zu vertiefen; er wählte,
obgleich er vorübergehend den Versuch gemacht hatte,
sich andern Lebenstellungen zu widmen, schließlich
doch den Schriftstellerberuf, unternahm längere Reisen
durch Deutschland, Italien, Holland, die Schweiz etc.
und stand bald mit den hervorragendsten Geistern
unseres deutschen Schriftthums in Verbindung. Seinen
Aufenthalt nahm Rosegger für immer in Graz und ver-
ließ die Stadt nur ab und zu zum Zwecke von Reisen,
die er in verschiedene Gegenden Österreichs und
Deutschlands unternahm, um seine mundartlichen Lieder
und Geschichten zum Vortrage zu bringen. Er hatte
sich nämlich bald auch zum Meister des Vortrages in
seiner heimatlichen Mundart ausgebildet und steht als
solcher heute unerreicht da, durch den Vortrag ist er
selbst der beste mündliche Interpret seiner eigenen
Dichtungen. Im Jahre 1877 hat sich Rosegger, der
eine erste geliebte Gattin verloren und zum zweiten-
male geheiratet hatte, ein Landhaus im Gebiete seiner
Heimat zu Krieglach gebaut, wo er zunächst seinen
geliebten Bergen, die er nie missen kann, die schöne
Zeit des Jahres verbringt. Viele Ehren und Freuden
12*
i8o
sind dem an seinem Heimatslande so innig hängenden
Dichter zu theil geworden, aber auch manches Leid
und viel Kümmernis sind an seinem fühlenden Herzen
vorübergezogen, der Kampf mit dem Leben ward ihm
nicht leicht gemacht trotz seiner hohen Begabung imd
unendlichen Schaffensfreudigkeit, auch hat den Dichter
körperliches Leiden vielfach geschwächt und seine er-
schütterte Gesundheit konnte sich bis heute nicht recht
kräftigen; dabei ist aber sein Geist stets kräftig ge-
blieben und hat die ihm eigene Spannkraft bewahrt.
Eine eigentliche Biographie zu bieten ist die Absicht
dieser Blätter in Bezug auf Rosegger ebensowenig
wie bezüglich der übrigen hier zur Besprechung ge-
brachten Poeten. In der Gesammtausgabe seiner
Schriften hat er selbst seine »Lebensbeschreibung« in
ansprechender und gewissenhafter Weise veröffentlicht.
Welche Ehren und Anerkennungen dem Dichter im
Juli des Jahres 1893 zum 50. Geburtsfeste aus allen
Gauen Deutschlands und Österreichs zu Theil geworden,
daiüber haben die öffentlichen Blätter berichtet.
Es ist nun auf das Schaffen und Dichten P. K.
Roseggers überzugehen. Der Anlage dieser Darstel-
lung entsprechend, haben wir insbesondere zunächst
die lyrische Seite ins Auge zu fassen. Selbst in dieser
Beziehung gestattet der Raum nicht die nöthige Aus-
führlichkeit, doch sollen wenigstens die Andeutungen
möglichst das Hauptsächlichste berühren. »Zither und
Hackbrett. Gedichte in obersteirischer Mundart« war,
wie oben erwähnt, die erste Sammlung von Liedern
und Gedichten betitelt, welche Rosegger herausgab.
Robert Hamerling, wie dies schon im VIIL Capitel
berichtet wurde, hat dies köstliche Erstlingswerk des
jungen Poeten mit einer Vorrede versehen und dem
Publikum empfohlen, er hat darauf hingewiesen, dass
l8i
in dem Buche Lieder enthalten sind, die zu den
»frischesten und lieblichsten Blüten volksthümlicher
Alpenlandspoesie« gehören, er hat schon damals auch
in den meist heiteren Klängen das > ernstere, sinnige,
tiefer angelegte Dichtergemüth« erkannt. Und als
Rosegger sein Liederbuch an den hochgefeierten Ana^
stasius Grün gesendet hatte, da schrieb ihm dem Auf-
strebenden dieser die schönen Worte in einem (un-
gedruckten) Briefe vom 21. Jimi 1869: >Der Ent-
wicklung Ihres schönen Talentes seit dessen erstem
Auftauchen in der Öflfentlichkeit mit aufrichtiger Theil-
nahme folgend, begrüße ich heute mit inniger Freude
die reifere Entfaltung und die künstlerische Klärung,
welche dasselbe unbeschadet seines frischen und ur-
sprünglichen Gemüthsbomes, durch Ihren seitherigen
Bildungsgang erfahren hat und wovon Ihr anziehendes
Liederbuch ein so sprechendes liebenswürdiges und
poesievolles Zeugnis abgibt. — Und so begleite ich
denn Ihre ferneren Pfade . im Leben und Dichten mit
meinen besten Wünschen und einem herzlichen
Glückauf!« Es war nicht der letzte Brief, den Graf
Auersperg an den Steirerpoeten gerichtet hat und im
Jahre 1 876 noch schrieb er diesem auf die Einladung, an
dem neubegründeten »Heimgarten« sich als Mitarbeiter
zu betheiligen, im August die freundlichste Zusage. Im
September 1876 ist das erste Heft des > Heimgarten«
erschienen, in demselben Monate hat Anastasius Grün
in Graz die Augen für immer geschlossen. Doch nun
zurück zu Roseggers mundartlicher Dichtung. In der
ersten Auflage von > Zither und Hackbrett« waren
auch einige dialectische Prosageschichten enthalten,
die zu den besten und humorvollsten Darstellungen in
unserer Alpenmundart gehören. 1871 gab Rosegger
I82
wieder eine Samrhlung mundartlicher Stücke in Poesie
und Prosa unter dem Titel »Tannenharz und Fichten-
nadeln« heraus. Anlässlich späterer Auflagen wurden
in »Zither und Hackbrett« nur die poetischen, in
»Tannenharz und Fichtennadeln« nur die prosaischen
Dialectstücke aufgenommen. Noch folgten zwei ähn-
liche Bücher: >Stoansteirisch«. (Erste und zweite Folge
1885 und 1889).
Die Lieder Roseggers in der Mundart halten die
Mitte zwischen dem Tone des Volksliedes und jenem
der Kunstdichtung, überall zeigt sich insbesondere in
den älteren die echte Unmittelbarkeit der volksthüm-
lichen Anschauung, die Strophen und Verse erscheinen
nirgends gemacht, sie sind dem Dichter aus dem Inner-
sten gedrungen, sei es, dass Humor und Scherz vor-
walten, wie es in den meisten dieser Lieder der Fall
ist oder sinniger Ernst, der in späteren Stücken oft
überaus rührend hervortritt. Es braucht wohl nicht
erwähnt zu werden, dass in allen Abtheilungen, mögen
sie nun »Lust und Liab«, »Liab und Load», »Trauer
und Trüabsal,« »Lehn und Lehr« oder >Lond und
Leut« mit manchem heiteren Schwanke umfassen, stets
die treuherzigen Bewohner des heimischen Landes im
Thun und Treiben geschildert erscheinen, die man im
heimischen Laute glaubt jubeln und singen, schelten
und sprechen, auch wohl Herzensgeheimnisse und Er-
lebnisse erzählen zu hören. Der steirische Bauer des
-Oberlandes,, den Rosegger unbewusst studiert, da er
neben ihm aufgewachsen ist, hat in diesen Dichtungen
eine Wiedergabe seines Redens und Treibens gefunden
wie sie wohl dem Landbewohner keines zweiten deut-
schen Gebietes in so genauer und ausdrucksvoller
Weise durch einen schriftlichen Darsteller poetisch zn
183
theil geworden ist. Wie prächtig lässt Rosegger dem
Steirer berichten über jene Zeit, da er >kaum zur
Welt gekommen«:*)
Klewa gruckt auf d' Welt,
Hon ih guckt und gfrogt:
Giebts a Steirerland?
A Dirndl ? — Jo hobn s gsogt.
Häts ka Steirerlond,
Kan Garns, ka Dirndl gebn,
W^r ih gor nit einer in das Lehn.
Oder welche Lebenskraft und Liebe zum Vater-
lande liegt darin, wenn der »steirischi Bua« ausruft:
A Büabl von steirischen Landl,
Das gibt da ka Rost und ka Rua,
Und wer nit recht tonzn und rafn kon.
Der is ka steirischa Bua!
Und s Büabl von steirischn Londl
Haut topfa fürs Vodalond.zua;
Und wer sih in Feind nit vor d Nosn traut,
Der is ka steirischa Bua!
Und so ist es immer wieder das innige Heimats-
gefühl, welches der Dichter aus dem Herzen seiner
Landsleute heraus in der derben natürlichen Aus-
drucksweise derselben zum Ausdrucke bringt. Man
muss diese Landsleute kennen, um die Gewalt zu em-
pfinden, welche etwa ein Lied wie »Stoansteirisch«
(etwa »ursteirisch«) in sich trägt.
Lusti singa, Buabn,
Mir singa stoansteirisch,
Oda Zithern schlogn.
•) Die angeführten Stellen sind nach der Orthographie
Roseggers in den neuesten Auflagen der betreffenden Werke
gegeben.
I&4
So schlogn ma stoansteirisch,
Oda tonzn mar Oans,
So tonzn ma stoansteirisch,
Recht schon stoansteirisch umareibn.
Was Wunder, dass solche und ähnliche Liedet
Roseggers schon ihre heimischen Componisten ge-
funden haben, ja mitunter längst als echte und rechte
Volkslieder durch das Land und darüber hinaus er-
klingen. Dies gilt insbesondere von dem geradezu
berühmt gewordenen schalkhaften »Darf ih's Dirndl
liabn?«
Ih bin jüngst verwichn
Hin zon Pforra gschlichen:
»Darf ih s Dirndl liabn ? - «
»Untasteh dih nit, bei meiner Seel,
Wonstas Dirndl liabst^ so kirnst in d' Höll!«
Aber auch einzelnen urwüchsigen Gestalten
seiner Waldheimat verleiht der Dichter in kernigen
Strophen, welche von der feinsten Beobachtimgsgabe
Zeugnis ablegen, pulsierendes Leben, so schildert er
uns den stets »giftigen« »Kreuztamisch,« den »han-
tigen Bauer,« welcher heftig gegen den Krieg ei-
fert, den »Dispadira,« den »Gleichgildi« oder auch
wohl den »Homaschmied auf der Pariser Weltausstel-
lung,« welcher mit der Sense aus steirischem Eisen
die Bleiplatte auseinanderhackt und die »guldeni Me-
taille datoppt.« Alle diese Gestalten und so manche
andere Vorgänge aus dem heimatlichen Gebiete sind
mit dem prächtigsten Humor gezeichnet. Daneben
erscheinen aber auch innige Klänge voll tiefer ernster
Poesie angeschlagen wie etwa in dem Liede »'s Pfiiat-
dihgottnehma«
185
Ich thua mi nit fürchta,
Won s mih einilegn in d' Erd,
Aba s Aussitrogn furcht ih,
Von da Muater ihm Herd u. s. w.
Lieder wie >Unsa Herzerl is a Zithern,« »Sterbn!«
»Vascherzt« oder die rührende Geschichte >s Pfeiferl,«
welches dem alten Bauer so trübe Geschichten vom
Todeseiner Lieben >dazählt«, sind kleine Meisterwerke.
Es ist wohl selbstverständlich, dass es an Liebesliedem,
reich an Schalkheit und Humor, ebenfalls nicht fehlt
und wenn der Poet des Erzherzogs Johann gedenkt oder
die Geschichte von dessen Gemalin »Anna von Aussee«
der Gräfin Anna 'Uon Meran erzählt, so weiß er ein-
dringlicher als der ausführlichste Geschichtsschreiber die
Anhänglichkeit und Liebe des Volkes zu dem verehrten
Erzherzog und seiner Familie darzulegen. Und selbst in
Gelegenheitsgedichten, die er z. B. auch dem greisen
heimischen Dichter Leitner widmet, versteht es der
Poet, die Herzen zur tiefsten Bewegung anzuregen.
Es sei gleich an dieser Stelle angeführt, dass viel
später (1890) Rosegger auch hochdeutsche »Gedichtet
gesammelt veröffentlicht hat, welche Einblick in sein
Gemüthsleben seit seiner frühesten Jünglingszeit ge-
währen. Hier finden wir bedeutende Gredanken in der
mannigfaltigsten poetischen Form niedergelegt und
als Zeichen eines vielseitigen dichterischen Geistes sind
auch diese Strophen von Wert und Interesse, wenn
sie auch eine ganz andere Anlage zeigen, als die er-
wähnten Gedichte in der Mundart. Welch' eine reiche
Fülle urwüchsigen Humors aber dem Poeten zu Gebote
steht, weisen die Prosastücke der oben angeführten
Sammlungen am besten. In »Tannenharz und Fich-
tennadeln c und in >Stoansteirisch« sind diese kurzen Er-
186
Zählungen und Schwanke enthalten, welche letztere
durch Inhalt und Darstellung den bärbeißigsten Phi-
lister heiter stimmen müssen, dabei aber stets so getreu
die heimische Färbung wahren, dass eben hierdurch
und durch die mundartliche Erzählung die Komik dieser
Scherze noch erhöht wird. Ob der Dichter nun in
naiver Weise die Geschichte vom >Pfora sein Fiderl,«
vom >Steira vor da Himmelsthür,« vom >neidi Baur«,
vom >Bruggnwirth sei letzta Willn«, vom >Bär«, von
der »Brautprüafung« oder auch wohl Geschichten, die
er von Fritz Reuter und Anderen entlehnt und in
seiner köstlichen Weise bearbeitet hat, erzählt, immer
weiß er die beabsichtigte komische, übrigens in einigen
Stücken auch ernsthafte und rührende Wirkimg auf
den Leser voll auszuüben.
Noch einer andern Seite von Roseggers Dichtimg
wäre zu gedenken, nach dem oben das Bezeichnende der
eigentlichen lyrischen Poesie des Sängers angedeutet
wurde. Es ist das Gebiet des Romanes»und der klei-
neren Novelle, auf welchem sich der Dichter später
einen so ausgezeichneten Namen unter den deutschen
Erzählern erworben. So reich oft die Erfindungsgabe
des Erzählers erscheint, so sind es doch fast immer die
Wälder und Berge der Heimat, welche den Schau-
platz seiner Handlung bilden. In dieser Beziehimg aber
erscheint er als wahrhafter Dichter in Prosa, wenn er
die Schönheit oder das Grauen der Alpenwildnis schil-
dert oder die Pracht des Hochgebirges, die rauschenden
Alpenbäche oder die still verborgenen Seen in den
Bergen, selbst die würzige Luft auf den freien Alpen-
matten glauben wir mitzuathmen und die Blumen und
Blüten auf den Wiesen und im Walde zu sehen, wenn
der Dichter seine Schilderungen entwirft. Gleich wie
i87
der herrliche Adalbert Stifter den Zauber der Schönheit,
welcher auf seinem geliebten Böhmerwalde ruht, dem
Leser in den »Studien« zum Bewusstsein gebracht und
auf das Einzelne hingewiesen hat, das auf jedes em-
pfindende Gemüth wirkt, ist Rosegger in ähnlicher
Weise der Zauberer geworden, welcher im Worte die
ganze Pracht des Berglandes entfaltet und durch
seine Darstellung den Leser zu fesseln versteht. An
den Schilderungen Stifters, der heute noch zu Roseggers
verehrten Lieblingsdichtem zählt, hat sich der Steier-
märker wohl herangebildet, wenn auch von einer Nach-
ahmimg nicht die Rede sein kann. In seinen Erzäh-
lungen hat Rosegger dem Böhmerwaldpoeten gegen-
über, was die auftretenden Personen betrifit, vielleicht
nicht jene Keuschheit zutage treten lassen wie Stifter,
dafür aber allen Richtungen der menschlichen Eigen-
art kräftigsten Ausdruck und seinen Menschen überall
warmes pulsierendes Leben verliehen. Die »Gestalten
aus dem Volke der österreichischen Alpenwelt« (1872),
»Geschichten aus den Alpen« (1873), »Sonderlinge«
(1875), »Neue Waldgeschichten« (1883) und wie immer
die zahlreichen Sammlimgen überschrieben sein mögen,
welche seine Erzählungen und Skizzen umfassen, ent-
halten so viel Leben und Bewegtmg, dass man über
der Schilderung der Außenwelt durchaus nicht auf die
oft reiche Handlung vergisst oder daneben auch nicht
müde wird, die Geschicke der lebenswahren Gestalten
zu verfolgen, deren Urbilder der Dichter in den Bergen
seiner Heimat gefunden. Unter den größeren Erzäh-
lungen sind die ergreifenden »Schriften des Waldschul-
meisters« (1875), welche den ganzen Lebensgang eines
in die Berge verschlagenen edlen Menschen erzählen,
zu den schönsten und poesievollsten Erzählungen der
i88
neuen Literatur zu zählen, die Geschichte »Heidepeters
Gabriel« (1875), voll fesselnden Reizes, enthält vielfache
ZiigQ aus des Dichters eigenem Leben und wahre
Prachtstellen an herrlichen Naturschilderungen, Er-
zählungen wie »Die Christvesper« oder »Der Höllpart«
(auf historischem Hintergrunde) wirken mit Kraft und
Gewalt auf den Leser, welche in dem großartigen Ro-
mane »Der Gottsucher« (1883) womöglich noch ge-
steigert erscheinen. Nur beigefügt sei noch, dass
Rosegger in jüngster Zeit, nachdem er kleinere dra-
matische Stücke schon früher vor die Öffentlichkeit
gebracht, auch mit einem Volksschauspiel: »Am Tage
des Gerichts« hervorgetreten ist und in diesem schon
vielfach auf deutschen Bühnen beifällig aufgenommenen
Volksstücke kräftige Charakterzeichnung und lebendige
Darstellungsweise bekundet. Es scheint, dass auch auf
diesem Gebiete der Dichtung dem »Waldpoeten« noch
manches Lorbeerblatt grünen soll.
XL CAPITEL.
Carl Morre. Beschluss.
Vor Abschluss dieser Darstellung soll noch eines
Mannes Erwähnung geschehen, welcher mit Fug
und Recht der Reihe jener Poeten in Steiermark angefügt
werden darf, die auf dem Felde der Dichtung Jahre
hindurch im Lande thätig waren und zu den bemer-
kenswertesten Erscheinungen in dieser Beziehung ge-
hören. Allerdings hat dieser Mann weder das Lied
noch die erzählende Dichtung gepflegt, auch ist der-
selbe nicht dem steirischen Boden entsprossen, sondern
wie mehrere Andere der schon früher Genannten dem
benachbarten Kämtnerlande. Es ist Karl Morre. Morre
hat nur auf dramatischem Gebiete gewirkt und zwar
während seines langjährigen Aufenthaltes in Steiermark.
Letztere Thatsache allein würde allerdings trotz der
anerkannten Vortrefflichkeit und hohen Begabung dieses
Dramatikers für das Volksstück mit österreichischer
Färbung, trotz des reichen Schatzes an Witz und Hu-
mor, welchen Morre besitzt, für dessen Anfiihnmg auf
den vorliegenden Blättern nicht genügen, aber Morre
hat mit einem seiner Werke »'s Nullerl« ein echtes
und rechtes steirisches Volksstück mit so ausgeprägter
Charaktereigenthümlichkeit geschaffen, dass es unbillig
wäre, dieses hochbegabten Talentes nicht am Schlüsse
190
der vorliegenden Ausführungen noch zu gedenken. Karl
Morre ist im Jahre 1832 zu Klagenfurt geboren, in seinen
besten Mannesjahren kam der stets mit schlagfertigem
Witze Begabte nach Steiermark, wo er nach verschie-
denen Anstellungen als Beamter im Oberlande und in
Graz infolge seiner warmen Liebe zum Volke, die er
in jeder Weise zu bethätigen wusste und infolge seines
unerschrockenen Auftretens, das mit gewandter Redner-
gabe gepaart erschien, in den Landtag und bald darauf
in den Reichsrath gewählt wurde, dem er als mann-
hafter Vertreter seiner zweiten Heimat, der Steiermark,
noch angehört. Die Politik ist nicht Sache dieser
Blätter. Es sei nur darauf hingewiesen, dass Morre's
Volksstück mit Gesang: »'s NuUerl« die Runde über
die bedeutendsten deutschen Bühnen gemacht hat, seit-
dem es 1884 in Graz zur ersten Aufführung gelangte.
>'s Nullerl« bringt, wie Rosegger richtig bemerkt »eine
Frage und eine Gestalt auf die Bühne, die bisher dort
noch nicht gesehen worden ist.« Das Stück mit der
treuherzigen rührenden Figur des alten Einlegers >Null-
Anerl«, zeichnet in den kräftigsten Strichen das in
der Steiermark herrschende Armenwesen auf dem
Lande in packender herzbewegender Weise und wenn
es auch ein Stück sociales Elend ist, das Morre uns
damit aufdeckt, so erscheint doch die Anlage dieses
Schauspieles mit seinen charakteristischen Haupt- und
Nebenpersonen so glücklich entworfen, das Ganze so ein-
heitlich und mit Beherrschung aller dramatischen Mittel
so poetisch durchgeführt, dass Morre's »Nullerl« das
beste Volksstück genannt werden kann, welches Steier-
mark überhaupt aufzuweisen hat. Neben der fesselnden
Handlung finden wir hier naturwahr gezeichnete volks-
thümliche Gestalten vom Boden jenes Landes, auf dem
191
der Dichter mit so scharfem Blicke seine Studien ge-
macht, seine Beobachtungen angestellt hat ; in den Vor-
dergrund des Interesses tritt, dabei die erwähnte Gestalt
des greisen Einlegers, »Null-Anerl« genannt, der schon
zu Anfang der ersten Scene durch sein einfaches Lied :
I bin, i bin der Neamd auf der Welt,
I hab, i hab ka Feld und ka Geld
Ka Hütterl, ka Kammerl, ka Fensterl g'hört mir,
I bin, i bin auf der Weit im Quartier
in rührender Weise die Aufmerksamkeit des Zuschauers
und Hörers erweckt, »'s Nullerl« ist 1885 im Druck
erschienen und mehrfach aufgelegt worden, Rosegger
hat dem Buche eine schöne, höchst beachtenswerte
Vorrede mitgegeben. Vor Allem aber muss man die
Wirkung dieses trefflichen Volksstückes von der Bühne
herab in's Auge fassen, welche in und außer Landes
sich immer in derselben Weise bewährt hat. Das in
dem Stücke vorkommende Lied mit dem Refrain: »Is
do dö Welt a Narrenhaus« kann zugleich als das
Muster eines »Couplets«, wie deren heutzutage leider
so jämmerliche in unseren sogenannten Volksstücken
üblich sind, erklärt werden. Der Vollständigkeit wegen
sei übrigens bemerkt, dass Morre noch eine Zahl von
Volksstücken geschaffen, welche, wenn sie auch nicht
die Bedeutung des »Nullerl« erreicht haben, doch sich
weit über die gewöhnliche Art dieser Bühnenerschei-
nungen erheben und überall eine ehrenvolle Aufnahme
mit häufigen Wiederholungen gefunden haben, wie
etwa »Die Familie Schneck« (1881), »Die Frau Räthin«
(1884), »Der Glückselige« (1886), »Ein Regimentsarzt«
(1887) u. A. m. Überall zeigt der Dichter die Kunst
einer kräftigen Charakterzeichnung und gesunden herz-
erquickenden Humor.
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Damit wäre die Reihe jener hervorragenderen
dichterischen Talente, welche als Steiermärker oder in
Steiermark während der ins Auge gefassten hundert
Jahre hervorragend gewirkt und mit zur Gestaltung
deutscher Poesie in Österreich beigetragen haben, ge-
schlossen. Manche überaus beachtenswerte Namen
sind in späterer Zeit noch aufgetaucht, ja haben An-
sehen und Bedeutung in der allerjüngsten Zeit erlangt,
sie fallen aber nicht mehr in den Rahmen, welcher die
vorliegenden Blätter umfasst. Für denjenigen, welcher
diese Namen kennen lernen will, liegen in dem >St eier-
märkischen Dichterbuche,« das 1887 Karl W.
Gawalowski herausgegeben hat, kurze Lebensskizzen
und schöne dichterische Beiträge vor, die bis dahin
noch ungedruckt waren. Der wackere Herausgeber
des erwähnten Dichterbuches selbst lebt schon
über zehn Jahre in der Steiermark und seine Lieder
und Dichtungen, vor Allem das markige vor Kurzem
in zweiter Auflage erschienene Lied aus der Hussiten-
zeit: »Ramphold Gorenz« verdienen die volle Aufmerk-
samkeit aller Freunde mannhafter edler Dichtung. In
den letzten Jahrgängen des so feinsinnig geleiteten
literarischen Jahrbuches »Die Dioskuren« sind weiters
noch manche schöne poetische Klänge zu finden, deren
Verfasser in der Steiermark weilen und von dem dich-
terischen Leben, das in dem schönen Lande alle, selbst
die hohen und höchsten Gesellschaftskreise beseelt,
beredtes Zeugnis ablegen.
Rosegger gibt nun siebzehn Jahre lang seine eigen-
artige, gleichsam von erfrischender Alpenluft durch-
wehte Monatsschrift »He im garten« heraus. Auch
hier ist den Strophen und Versen Berufener, so wie
auch der Prosadarstellung so manches Plätzchen ein-
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geräumt und auch hier tritt aus naheliegenden Gründen
der heimische Sang in den Vordergrund. Man kann
es mit Recht frohen Herzens annehmen, dass in we-
nigen Jahren wieder eine neue Dichtergeneration im
Lande kräftig und liedergewaltig dasteht, die Worte
des herrlichen Sängers rechtfertigend, dass es niemals
»ausgeklungen, das alte ew'ge Lied.«
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Schlossar, loo Jahre deutscher Dichtung. 13
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