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Full text of "Illustrirte geschichte der schrift; populär-wissenschaftliche darstellung der entstehung der schrift, der sprache und der zahlen sowie der schriftsysteme aller völker der erde, von Karl Faulmann"

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ILLUSTRIßTE 


GESCHICHTE  DER  SCHRIFT. 


ILLUSTRIKTE 


GESCHICHTE  DER  SCHRIFT 


PÖPllÄR  -  WISSFXSt  HAmil'HE  DAIiSTHIB'G 


i>i:r 


ENTSTEHUNG  DER  SCHRIFT 


PKR 


SPRACHE  UND  DER  ZAHLEN 


SONVIK  DKR 


.SCHRIFTSYSTEME  ALLER  VÖLKER  DER  ERDE 


V(IN 


KARL  FAULMANN 

?R*>IEFSOR  PER  STENOORAPHIE,  RITTER  DES  KCL.  BAYER.  VERDIRNSTORDKÜS  VOM  H.  MICHAEL« 
BESITZER  ZWEIER  VERDIENST-MEDAILI.EN  PER  WIENFR  WELTAUSSTELLINO. 


MIT  15  TAFELX  IX  FARBEN-  UNI)  TONDRUUlv 
UND  VIELEN  IN  DEN  TEXT  GEDRUCKTEN  SCHRIFTZEICHEN  UND  SCHRIFTPROBEN. 


Karel  KocTous 


WIEN.  PEST.  LEIPZIG. 


A.     H  A  R  T  L  E  B  E  N'S     V  E  U  L  A  G. 

isso. 

ALLE  RECHTE  VoRMEHALTEN. 


ß  '//Vs^ 


j 


Texl-Druck  der  k.  k.Hof-u.  Staat-^tlnirkerei  in  Wien.  — Umschlag-Druck  von  R.v.  Waldheim  in  Wien. 
Lithographie  und  Druck  der  Tafeln  von  W.  ZOller  &  Neufeld  in  Wien. 


Vorwort. 


Der  Geist  der  Verjfleiohnnj?  ist  der  wahre  wissenschaftliche 
Gei-t  iiuheros  JahrhnndtTtä,  vielmehr  aller  Zeitalter. 

Meue  Müller. 


r-  1 


^,^>^.^j.  ,^^^  ^.^    Vierleljahrhundert  ist  verflossen,   seit  ich  zuerst  einen 


-^1 


Aufsatz  über  die  Entstehung  der  Schrift  veröffentlichte.    Damals 
^^'  bot  ich  Lesefrüchte,  welche  ich  in  kindlichem  Vertrauen  auf  die 


Autorität  gelehrter  Männer  gesammelt  hatte;  heute  bietet  der  gereifte  Mann 
die  Früchte  langjähriger  selbständiger  Forschungen;  und  doch,  obgleich  ich 
die  naive  Auffassung  von  ehemals  längst  über  Bord  geworfen  habe,  Einen 
gesunden  Kern  derselben  habe  ich  bewahrt,  nachdem  ich  durch  sorgfältige 
Priifung  den  Werth  derselben  erprobt  habe,  und  dieser  Kern  ist  die  von 
vielen  meiner  Vorgänger  geahnte,  von  mir  zum  Grundsatz  erhobene  Lehre : 
.Zeichen  bedeuten*. 

Diese  Lehre  ist  leider  in  jüngster  Zeit  von  vielen  Autoritäten  fallen 
gelassen  und  statt  derselben  gelehrt  worden,  unsere  Schriftzeichen  seien 
einzig  das  Product  eines  Missverständnisses,  unverstanden  von  Jahrhundert 
zu  Jahrhundert,  von  Volk  zu  Volk  geschleift  und  auf  diesem  Wege  theils 
abgeschlifTen,  theils  zufällig  durch  Ansetzungen  verändert.  Es  wäre  an  sich 
gegen  diese  Lehre,  so  traurig  sie  sein  mag,  nichts  einzuwenden,  denn  That- 
:»ache  ist,  dass  das  edelste  Werkzeug  unseres  Geistes,  die  Schrift,  derzeit  ein 
ererbter,  unverstandener,  überlebter  Mechanismus  ist,  welcher  der  gesunden 
Vernunft  kraft  seines  mehrtausendjährigen  Bestandes  ebenso  trotzt,  wie  der 
Aberglaube  dem  klaren  Wissen,  der  ererbte  Irrlhum  der  bessern  Erkenntniss, 


^  *  Vorwort. 

die  barbarische  Gewohnheit  dem  edlern  Gefühl.  Wenn  aber  die  Vergleichung 
auf  Thatsachen  slösst,  welche  durch  die  eben  geschilderte  Entwicklungs- 
oder besser  gesagt  Entartungsgeschichte  der  Schrift  nicht  erklärt  werden 
können,  dann  dürfte  wohl  die  Frage  entstehen,  ob  nicht  über  eine  wichtige 
Frage  zu  oberflächlich  entschieden  wurde. 

Auch  die  Wissenschaft  kann  sich  irren,  und  sie  hat  sich  schon  oft  und 
schwer  geirrt,  denn  die  Wissenschaft  ist  niemals  mehr  gewesen  als  ein  Kind 
ihrer  Zeit.  In  Beziehung  auf  die  Schriftkunde  fragt  es  sich  überhaupt,  ob  die- 
selbe bisher  eine  Wissenschaft  war,  denn  Diejenigen,  welche  die  Schrift- 
kunde pflegten,  waren  in  erster  Reihe  Philologen,  Theologen,  Philosophen, 
allesammt  aber  Dilettanten  auf  diesem  Gebiete,  welches  sie  nur  nebenher 
cultivirten,  und  somit  konnte  der  Verfasser  dieses  Werkes,  dessen  Beruf 
ausschliesslich  die  Schrift  ist,  sich  wohl  in  diese  illustre  Gesellschaft  wagen. 

Dennoch  war  es  nicht  Voreingenommenheit  für  einen  Berufsgegen- 
stand, dass  in  mir  die  Überzeugung  von  einer  höhern  Bedeutung  der  Schrift- 
kunde sich  entwickelte.  Diese  Überzeugung  entstand  erst  allmählich  als 
Frucht  meiner  Forschungen,  als  Antwort  auf  die  Frage:  Wie  entstand  die 
Schrift? 

Was  bisher  zur  Lösung  dieser  Frage  veröffentlicht  wurde,  leidet  an 
einer  Innern  Unklarheit;  die  Lehre,  nach  welcher  die  Schrift  anfangs  eine 
Wortschrift  gewesen  und  dann  nach  und  nach  Silben-  und  Buchstabenschrift 
geworden  sei,  hört  sich  wohl  hübsch  an,  giebt  aber  nicht  die  geringste 
Erklärung  über  die  Entstehung  und  Anordnung  der  Alphabete.  So  lange  ich 
jenem  Irrthume  ebenfalls  huldigte,  ist  es  auch  mir  nicht  gelungen,  die  Ent- 
stehung der  Buchstabenschrift  klar  hinzustellen;  aber  ohne  noch  von  Max 
Müller's  Schriften  etwas  zu  kennen,  gelangte  ich  bei  der  Verfolgung  dieser 
Frage  doch  zu  derselben  Überzeugung  wie  dieser:  „alle  künftige  Philosophie 
wird  ausschliesslich  Sprachphilosophie  sein*. 

So  wurde  der  Schriftforscher  zum  Sprachforscher,  und  mit  der  Frage 
nach  dem  Ursprung  der  Schrift  vermischte  sich  die  Frage  nach  dem  Ursprung 
der  Sprache.  Auch  auf  diesem  Gebiete  sind  alle  bisher  veröffentlichten  Ideen 
unklar,   meistens  sogar  bereits  widerlegt,    wie  z.  B.  Max  Müller  sowohl  die 


Vorwort.  VII 

Meiaung,   dass  die  Sprache  auf  der  Schallnachahmung  beruhe,   wie  die  An- 
sicht, dass  sie  von  Empfindungsiauten  ausgegangen  sei,  als  unhaltbar  zurück- 
gewiesen  hat.  Wenn  ich  mir  daher  erlaubt  habe,   zu  den  vorhandenen  eine 
neue  Theorie  hinzufügen,   so  habe  ich  wenigstens  die  Beruhigung,   keiner 
erprobten  Lehre  entgegengetreten  zu  sein. 

Meine  Theorie  hat  übrigens  den  Vortheil,  ein  naturgemässes  alhnäh- 
Hohes  Wachsen  der  Sprachfähigkeit  zu  erklären  und  sich  somit  jener  neuern 
Wissenschaft  anzuschliessen ,  welche  alles  Unnatürliche  im  Entwicklungs- 
processe  verwirft  und  diesem  in  seinen  Wandlungen  zu  folgen  sucht.  Ich 
habe  sie  auch  nicht  aufgestellt,  ohne  den  Versuch  gemacht  zu  haben,  sie 
praktisch  durchzuführen,  indem  ich  eine  Sprache  analytisch  bis  zu  ihren 
Elementen  verfolgte.  Leider  habe  ich  bisher  noch  nicht  Gelegenheit  gefun- 
den, diese  Arbeiten  der  ÖfTentlichkeit  zu  übergeben;  aber  die  Zeichenerklä- 
rungen, welche  das  vorliegende  Werk  bietet,  dürften  den  Beweis  liefern,  wie 
klar  die  etymologischen  Forschungen  sich  gestalten  Hessen ,  wenn  sie  an 
concreto  Zeichen  angeheftet  würden. 

Daher  möchte  ich  an  die  Fachgelehrten  die  Bitte  richten ,  über  die  in 
diesem   Werke   niedergelegten  Meinungen   nicht   vorschnell    abzuurtheilen. 

Man  wird  sich  der  Überzeugung  nicht  verschliessen  können,  dass  ich 
nicht  blos  Stoftsammler  war,  sondern  mich  bestrebt  habe,  in  die  Anschau- 
ungen und  Sprachen  der  Völker,  deren  Schriften  ich  besprochen  habe,  ein- 
zudringen, um  mir  ein  selbständiges  Urtheil  zu  bilden. 

Alle  Lautzeichen  bleiben  unverstanden,  erscheinen  als  willkürliche 
Figuren  oder  bedeutungslose  »Stricheln*,  als  welche  sie  Wultke  erklärte. 
wenn  man  sich  nicht  mit  der  Symbolik  der  Völker  vertraut  macht,  wenn 
man  nicht  in  der  betreffenden  Sprache  die  Wurzeln  ihrer  Bedeutung  sucht: 
und  Niemand  läuft  dabei  leichter  Gefahr,  in  Irrthum  zu  verfallen,  als  der  in 
trockenen  Studien  aufgewachsene  Geist  des  Europäers,  der  schon  in  der 
J-i^end  den  Gebieten  der  Phantasie  entsagte,  welche  in  ewiger  Schöpfungs- 
kraft in  dem  Geiste  der  orientalischen  Nationen  wucHern. 

Ausserdem  sind  die  Specialforschungen  der  Neuzeit,  so  fruchtbringend 
*ie   auch   für  die   einzelnen  Wissenschaften  waren,  doch  der  Er^ri'mdung 


VIII  Vorwort. 

allgemeiner  Gesetze  im  Wege.  Wenn  der  Sinologe  sich  nicht  um  die  Arbeitea 
des  Ägyptologen  kümmert,  wenn  der  Forscher  semitischer  Sprachen  kalt  an 
den  Untersuchungen  der  Indo-Germanisten  vorübergeht,  so  gehen  auch  die 
Fäden  verloren,  welche  die  einzelnen  Völker  aneinander  knüpften.  In  dieser 
Beziehung  ist  die  Vielseitigkeit  des  Studiums  mitunter  fruchtbarer  als  die 
Vertiefung  in  das  Einzelne. 

Wenn  sich  mir  nun  bei  dem  Lesen  der  Edda  unwillkürlich  ägyptische 
Hieroglyphen  vor  die  Augen  stellten,  welche  die  Bilder  des  nordischen  Dich- 
ters erläuterten;  wenn  bei  dem  Studium  der  ägyptischen  Hieroglyphen  mein 
Gedächtniss  Analogien  aus  der  chinesischen  Schrift  herbeiführte;  wenn  bei 
anderen  Schriften  neu  auftretende  Formen  sich  mir  als  längst  bekannte 
Figuren  aus  anderen  Alphabeten  darstellten ;  wenn  alle  diese  oft  wunderbaren 
Übereinstimmungen  noch  eine  lautverwandte  oder  sinnverwandte  Grundlage 
in  den  correspondirenden  Wörtern  fanden :  dann  mag  es  wohl  Jeder  begreif- 
lich finden,  dass  ich  solche  Goncordanzen  nicht  dem  blossen  Zufall  allein 
zuschreiben  konnte,  sondern  dass  sich  in  mir  die  Überzeugung  von  der  Ein- 
heit und  ursprünglichen  Gemeinsamkeit  aller  menschlichen  Gultur  entwickelte^ 
welche  obendrein  in  den  religiösen  Ideen  sich  gleichfalls  manifestirl. 

Was  Max  Müller  von  der  Sprache  behauptet:  »Wer  den  Einfluss, 
welchen  Wörter,  blosse  Wörter,  auf  den  menschlichen  Geist  ausgeübt  haben, 
genau  verfolgen  wollte,  würde  zugleich  eine  Weltgeschichte  schreiben,  welche 
uns  wohl  mehr  lehren  würde,  als  irgend  eine,  welche  wir  besitzen*,  das  gilt 
mir  auch  für  die  Zeichen,  und  wenn  ich,  die  Unzulänglichkeit  meiner  Kraft 
kennend,  einen  solchen  Versuch  nicht  unternommen  habe,  so  glaubte  ich  doch 
berechtigt  zu  sein,  Bausteine  zu  einer  solchen  Geschichte  der  Menschheit  zu 
liefern,  so  viel  ich  solche  auf  meinem  Wege  fand. 

Übrigens  wird  jedem  Unbefangenen  beim  Lesen  dieses  Buches  klar 
werden,  dass  ich  in  erster  Linie  anregend  wirken  und  zu  eigenem  Nach- 
denken und  Forschen  aneifern  wollte ,  daher  habe  ich  auch  das  Gebiet  der 
Polemik  fast  nie  betreten,  obwohl  mir  dasselbe  scharfe  Waffen  gegen  die 
bestehenden  Anschauungen  geliefert  hätte.  Dass  mir  diese  wohl  bekannt 
smd,    dass  ich  nicht  aus  Unkenntniss  von  dem  breitgetrelenen  Wege  des 


Vorwort.  IX. 

Autoritätsglaubens  abgewichen  bin,  wird  wohl  aus  der  Fülle  des  StofTes  zu 
erkennen  sein;  dass  es  mir  auch  nicht  an  Muth  fehlt,  Autoritäten,  wess' 
Namens  immer,  entgegenzutreten,  dafür  spricht  der  Umstand,  dass  ich  überall 
entschieden  mit  meiner  eigenen  Meinung  hervorgetreten  bin,  wo  ich  glaubte, 
dass  ein  Bekennen  derselben  für  die  Wiederaufnahme  von  bereits  als  abge- 
than  geltenden  Fragen  von  Nutzen  sein  könnte.  Anderseits  muss  ich  aber 
auch  darauf  hinweisen,  dass  ich  die  Freude  hatte,  auf  meinen  einsamen 
Wegen  in  die  Spuren  zweier,  in  gleicher  Richtung  sich  bewegenden  Forscher 
eintreten  zu  können,  nämlich  in  die  Fusstapfen  Lauth's  in  der  Runenfrage 
und  in  die  Oppert's  in  der  Frage  der  persischen  Keilschrift.  Ich  habe  diesen 
Umstand  als  einen  Beweis  angesehen,  dass  ich  den  richtigen  Weg  ver- 
folgt habe. 

Diejenigen  Leser,  welche  sich  für  die  eingestreuten  Erörterungen  der 
Scliriftzeichen  nicht  interessiren,  mögen  mir  vergeben  und  sie  überschlagen ; 
sie  finden  in  den  allgemeinen  Bemerkungen  und  in  den  Schriftproben  die 
Unterhaltung  und  Belehrung,  welche  sie  suchen.  Eine  Trennung  des  StofTes 
in  einen  streng  wissenschaftlichen  und  in  einen  popuIäi*en,  konnte  ich  nicht 
vornehmen,  da  die  Grenze  schwer  zu  ziehen  ist;  es  wäre  ja  möglich,  dass 
die  Abhandlung  über  die  Entstehung  der  Zeichen  das  grosse  Publikum  nicht 
weni^v.T  interessirte  als  die  Fachgelehrten,  da  sie  so  recht  geeignet  sind, 
die  Entwicklung  der  menschlichen  Anschauungen  kennen  zu  lernen.  Der 
Umstand,  dass  schon  während  des  Druckes  dieses  Werkes  gegen  30()(> 
EIxemplare  verkauft  wurden,  deutet  darauf  hin,  dass  das  Interesse  an  der 
Geschichte  der  Schrift  ein  allgemeineres  ist,  als  man  bisher  angenommen  hat. 

F'ür  diese  Anerkennung,  welche  mein  Streben  gefunden  hat,  sage 
ich  an  dieser  Stelle  meinen  verbindlichsten  Dank,  ebenso  danke  ich  jenen 
wenijrr*n  Herren  Gelehrten,  welche  so  freundlich  waren,  mir  auf  Anfraj:eu 
bereitwilligst  Auskunft  zu  ertheilen,  nämlich  dem  Herrn  Professor  Friedrich 
Müller«  Herrn  Dr.  Pfizmaier,  Herrn  Dr.  Bergmann  und  Herrn  Professor 
A.  Wahrmund,  insbesondere  aber  danke  ich  meinem  verehrten  PVeundc 
Herrn  Dr.  Gustav  Winter,  welcher  mir  während  der  ganzen  Arbeit  ralhond 
zur  Seite  stand. 


X  Vorwort. 

Weiters  danke  ich  der  Verlagsbuchhandlung  A.  Hartleben,  dass  sie 
durch  reiche  Ausstattung  und  durch  ihre  Geschäftskunde  es  ermöglichte,  dass 
ein  so  prächtiges  Werk  zu  so  billigem  Preise  in  den  Handel  kommt,  und 
damit  die  von  mir  ersehnte  grosse  Verbreitung  desselben  ermöglicht  wurde, 
ferner  der  k.  k.  Hof-  und  Staatsdruckerei  in  Wien,  welche  ihren  grossen 
Typenschatz  bereitwilligst  zur  Verfügung  stellte,  endlich  allen  technischen 
Kräften,  welche  bei  der  Herstellung  mitgewirkt  haben.  Es  ist  ein  schönes, 

Ö»» 
sterreich  ehrendes  Druckwerk,  welches  ich  hiermit  der  Öffentlichkeit  über- 
gebe, möge  der  Inhalt  der  glänzenden  Ausstattung  würdig  befunden  werden. 


Karl  Faulmann, 


Inhalt 


Seil«-- 
KiiiU'itun^     1 

Erster  Theil. 

Iluna  oder  das  Geheimniss  der  Entstehung  der  Lautzeichen :25 

Die  Tradition ^7 

Die  nordischen  Runen 34 

Das  Futhork 40 

Die  ür.Runen 48 

Die  Dreiheit 55 

Die  Vier 6S 

Die  achttbeiiige  Windrose 85 

Die  sechzehntheiiige  Windrose b9 

Ein  altnordisches  Runenlied 107 

Zeichennamen 1:J1 

Die  deutschen  Runen 130 

Kalendergeschichten 1  i9 

Die  gothischen  und  angelsächsischen  Hünen 177 

Rückblick 1S7 

Zweiter  Theil. 

Di«?  Schriftsysteme  der  Völker  des  Erdkreises ItK» 

Amerikanische  Schriften. 

1.  Dl«»  Knotenschrift 1  'jö 

±  Indianische  Bilderschriften 11*8 

3.  Die  mexikanische  Schrift :il 3 

4.  Die  yukaianische  Schrift l^*J4 

5.  Die  Schriftzeichen  der  Muiska^ l^'J^ 


XII  Inhalt. 

Sei  e 

6.  Die  Aymara-Schritt ^i9 

7.  Die  Schrift  der  Tschirokeseii d20 

S.  Schrift  der  Tinne-Indianer 331 

9.  Schrift  der  Kri-Indiauer 231 

10.  Schrift  der  Mikmak-Indianer 232 

Afrikanische  Schriften. 

I.  Die  Sjryplische  Schrift 235 

1 .  Die  Hieroglyphen 235 

2.  Die  hieratische  Schrift 244 

3.  Die  demotische  Schritt 246 


\f.  Die  koptische  Schrift 


252 


II.  Die  Schriften  der  Beri)er 254 

1 .  Die  numidische  Schrift 254 

2.  Die  Tamaseq-Schrift 256 

III.  Die  Schriften  der  Äthiopen 260 

1.  Abessinisch 261 

2.  Die  amharische  Schritt 272 

3.  Die  himyarische  Schrift 273 

IV.  Die  Vei-Schrift 276 

Asiatische  Schriften. 

I.  Die  chinesische  Schrift 279 

1.  Die  Pa-kwa-Schrift 28<3 

2.  Die  Schrift  Ku-wen 282 

3.  Die  Schrift  Ko-teu 2S8 

4.  Die  T§\van-Schrift 292 

5.  Die  Li-Schrift 207 

G.  Die  Tshao-Schrift 298 

7.  Die  Kyai-Schrift ; -299 

II.  Japanische  Schrift 305 

1.  Manyokanna 305 

2.  Katakanna 305 

3.  Firakanna 310 

4.  Yainatokanna 31^ 

5.  Das  Syllabar  Zyak-seo's 31 2 

III.  Die  tatarisch -mongolischen  Schriften 314 

1 .  Die  koreanische  Schrift 320 

2.  Die  Xiut§i-Schrift 322 

3.  Die  uigurische  Schrift 325 


Inhalt  XIII 

Seile 

•i.  Di»»  kalmückische  Schrift 3:27 

5.  Die  mongolische  Schrift 3:?8 

6.  Die  inaiid2urische  Schrift 3:29 

IV.  Die  Keilschriften 331 

] .  Die  akkadische  Keilschrift 335 

4 

5i.  Die  assvrisch-habvlonische  Keilschrift 337 

3.  Die  niedische  Keilschrift 342 

i.  Die  armenische  Keilschrift 344' 

5.  Die  persische  Keilschrift 344 

V.  Die  kyprisehe  Schrift 348 

Kyprisches  Syllabar    , 350 

VI.  Die  phönikisch-hehraische  Schrift 357 

1.  Die  moabitische  Schrift  359 

i.  Die  samaritanische  Schrift 360 

3.  Die  phönikische  Schrift 363 

4.  I>ie  neupunische  Schrift  365 

5.  Die  aramäische  Schrift 366 

6.  Die  palmyrenische  Schrift 368 

7.  Die  hebräische  Quadralschrift 369 

S.  Haschi  oder  Habbinisch 372 

Spanisch-levantinisch 372 

Italienische  Haschi  . .    372 

9.  Weiberdeutsch 372 

10.  llphräL^che  Schreibschrift 373 

VII.  Die  syrischen  Schriften 374 

1.  Die  mandäische  Schrift 376 

2.  Estrangelo 379 

3.  Die  Schrift  der  Melchiten 385 

4.  Die  Schrift  der  Xestorianer 386 

5.  Die  Schrift  der  Jakobiten 387 

6.  PeMto 387 

Vin.  Die  pt-rsiscben  Schriften 387 

1.  Die SasanidenSchrift 391 

2.  Die  IVhlevi-  oder  Huzvare^ -Schrift 391. 

3.  Die  Zend-AvestvScbrift 396 

I.  Die  kabuliscbe  Schrift 390 

IX.  Di*»  arabischen  Schriften 401 

1.  Die  hauranitischen  Inschriften 402 

2.  Die  nabathäische  Schrift 406 

3.  Kufisch 409 


XIV  Inhalt 

Seite 

4-.  Die  karmatische  Schrift 41S 

5.  Die  Ma7reb-Schrift ^19 

6.  Die  Neskhi-Schrift 4-19 

7.  Die  Tülüt-Schrill 431 

8.  Die  Dierisi-Schrift 421 

9.  Die  Taalik 44i 

10.  Die  Rikai 422 

11.  Die  Diwaiii 422 

12.  Die  Dzeri    422 

13.  Die  Kalemi-rasd 423 

14.  Die  Syakat 423 

X.  Die  indischen  Schriften 423 

1.  Die  Schriit  der  LeptSa 4o2 

2.  MulUn 454 

3.  Sindh 456 

4.  Gudzarat 457 

5.  Maipradha 4oS 

6.  Xepal 464 

7.  Sikh 465 

8.  Marathi 467 

9.  Ka$mir 467 

10.  Devanagari 467 

1 1 .  Ben^'alisch 470 

12.  Orissisch 471 

13.  Xerbadda 472 

14.  Telingisch 473 

15.  Karnatisch . .  474 

16.  Tamulisch 475 

1 7.  Malabarisch 477 

18.  Singalesisch 478 

19.  Maledivisch 479 

20.  Tibet 480 

21.  Pali-Birmaniseh 4JS5 

22.  PaH-Siamesisch 489 

23.  Javanisch 493 

24.  Philippinen 495 

25.  Die  übrigen  malayischen  Schriften 497 

XI.  Die  armenischen  und  georgischen  Schriften 497 

1 .  Armenisch 499 

2.  Georgisch 501 


Inhalt.  XV 

Europäische  Schriften. 

*  Seite 

I.  Die  griechische  Schrift  (Inschriften,  Gursiv,  üncial,  Minuskel) 505 

Neupriechis^rhe  Schreibschrift 517 

Tachygraphie 517 

11.  Die  pothische  Schrift 518 

III.  Die  slavischen  Schriften 523 

1.  Glagolitisch 532 

2.  Cyrillisch 533 

3.  Russisch 533 

4-.  Serbisch 535 

5.  Rumänisch 536 

6.  Die  Schriften  der  westlichen  Slaven 536 

IV.  Albanesisch 537 

V.  Altitali<che  Schriften 5i2 

1 .  Unibrisch 543 

2.  Oskisch 544 

VI.  Die  lateinische  Schrift 545 

1 .  Capitalschrift 546 

2.  Uncialschrift 547 

3.  Cursiv 548 

i.  Tachygraphie 549 

.% .  Merowingisch 551" 

Ü.  Minuskel 556 

VII.  Der  Buchdruck 562 

VIII .  Die  Schreibschrift 580 

IX.  Sprache  und  Schrift 583 

X.  Telegraphie 586 

XI.  Stenographie 587 

J,  Englische  Stenographie-Systeme: 

1.  Ratcliff  1588 5^.8 

2.  Jolm  Willis  1602 5^s 

X  Edmond  Willis  1618 Ö^J 

i.  Jeremiah  Rieh  1654 5i>0 

.\  Wilham  Mason  1672 591 

♦>.  Thomas  Gumev  1710     593 

7.  James  Westen  1 727 594 

N.  John  Mitchell  1783 595 

9.  Aulay  Macaulay  1 747 59.*> 

10.  Jnhn  Bvrom  1767 597 

n.  Sannu-l  Taylor  1786 599 

12.  I?auc  Pitman  18:57 iWH) 


XVI  Inhalt.— Tafeln. 


B.  Französische  Stenographie-Systeme: 

1.  Jacques  Cossard  1651 604 

±  Charles  Alovs  Ranisay  1065 604 

3.  Couion  de  Thevenot  1778 604 

4.  Theodore  Pierre  Beilin  1792 605 

5.  Conen  de  Prepean  1S13 6a~> 

6.  F.  G.  Astier  1816 606 

7.  FavetlS3L> 607 

m 

8.  Prevost-Delaunav  18-i6  1878 607 

m 

9.  Duploye  Freres  1868 608 

C  Deutsche  Stenographie-Systeme: 

1.  Friedrich  Mosengeü  1796 -. .  .609 

±  Karl  Gottlieh  Horstig  1797 609 

3.  J.  C.  Danzer  1800    610 

4.  Julius  Leichtlen  1819 611 

5.  J.  Xowak  1830  18k)    611 

6.  Franz  X.  Gabelsherger  1818 612 

7.  Wilhelm  Stolze  1840 618 

8.  L.  A.  F.  Arends  1850 620 

9.  Karl  Faulmann  1875 621 

Schlussbemerkung 623 

Anmerkungen 625 

Die  beigelegten  Tafeln  sind  einzufügen: 

zu  Seite 

1.  Indianische  Kekinowin  und  mexikanische  Zeitzeichen 200 

2.  Mexikanisches  Schriflgemälde 214 

3.  Theil  eines  ägyptischen  Wandgemäldes  aus  den  Pyramiden 238 

4.  Chinesische  Schriflspielarten 294 

5.  Chinesische  Schriftarten 300 

6.  Babylonisch-assjTische  Keilschrift 340 

7.  Deutsche  hebräische  Schrift  des  Mittelalters 342 

9.  Arabisch 418 

8.  Arabischer  Titel 420 

10.  Sanskrit  und  Pali 470 

1 1.  Armenisch 500 

12.  Griechische  Uncial  IX.  Jahrhundert 514 

14.  Römisches  Wachstafelchen   548 

13.  Lateinischer  Palimpsest 560 


.  * »  ' 


Einleitung. 


INE  Geschichte  der  Schrift  ist  bisher  noch  nicht  geschrieben  worden, 
sie  hätte  auch  in  früherer  Zeit  sehr  unvollkommen  bleiben  müssen,  da 
ihr  das  Material  fehlte,  welches  zum  grössten  und  wichtigsten  Theile  erst  in 
diesem  Jahrhundert  gesammelt  worden  ist.  Von  den  Völkern  des  Alterthums 
haben  nur  die  Chinesen  der  Geschichte  ihrer  Schrift  grössere  Aufmerksamkeit 
gewidmet,  aber  ihre  diessbezüglichen  Arbeiten  sind  uns  erst  in  diesem  Jahr- 
hundert durch  Hager  (1801)  bekannt  geworden;  Juden,  Griechen  und  Römer, 
welche  vorzugsweise  die  Quellen  für  unsere  Geschichtschreiber  lieferten,  haben 
sich  fast  gar  nicht  um  die  Geschichte  der  Schrift  bekümmert,  erst  die  gelehrten 
BenedictinermÖnchc  von  der  Congregation  St.  Maur,  Mabillon  und  Montfaucon 
begründeten  im  17.  Jahrhundert  die  lateinische  und  griechische  Paläographie ; 
Ulrich  Kopp  (1819)  schuf  in  seinen  , Bildern  und  Schritten  der  Vorzeit"  die 
vergleichende  Schriflkunde ;  Alexander  von  Humboldt  erweckte  (1811)  das 
Interesse  an  den  mexikanischen  Hieroglyphen,  indem  zugleich  sein  gewaltiger, 
alle  Himmels-  und  EIrdräume  umspannender  Geist  auf  den  Zusammenhang 
hinwies,  der  zwischen  den  Sitten  und  Ideen  der  amerikanischen  Völker  und 
denen  Asiens  bestand ;  ihm  schloss  sich  Schoolcraft  an,  der  in  den  Vierziger- 
Jahren  Alles  sammelte,  was  sich  auf  die  Sitten  und  (iebräuche  der  nord- 
amerikanischen Indianer  bezog;  Ägyptens  Hieroglyphen  wurden  uns  erst 
durch  die  Forschungen  Champollion's  in  den  Zwanziger-Jahren  verständlich 
gemacht,  um  eben  diese  Zeit  eiitzitTerte  Grotefend  die  persepolilanischen  Keil- 
schriften, 1845  wurde  durch  Layard's  Ausgrabungen  Niniveh  wiederum  ent- 
deckt und  in  seinen  Trümmern  die  Schlüssel  der  assyrisch -babylonischen 
Keilschriften  gefunden,  endlich  wurden  von  dem  gelehrten  Prinsep  zu  Anfang 
dieses  Jahrhunderts  die  Inschriften  Indiens  gesammelt  und  veröfTentlichl.    So 

l«»ulm«ao,  («««chichlo  <].  Srhhlt.  1 


2  Meiminjreii  ül»er  die  Entstehung  der  Schrift. 

reihten  sich  Entdeckungen  an  Entdeckungen,  mit  grossem  Eifer  und  Erfolg 
beuteten  gelehrte  Gesellschaften  und  einzelne  Forscher,  deren  Namen  hier 
aufzuzählen  zu  weit  führen  würde,  die  erschlossenen  Fundgruben  aus  und 
erölfneten  eine  neue  Geistes  weit,  von  welcher  noch  das  vorige  Jahrhundert 
keine  Ahnung  hatte.  Im  Jahre  1852  konnte  der  verstorbene  Director  der 
k.  k.  Staatsdruckerei  in  Wien,  A.  Auer,  mit  einem  Tableau  der  Alphabete  des 
gesammten  Erdkreises  auf  der  Londoner  Ausstellung  auftreten,  welches  fast 
hundert  verschiedene  Schriftarten  enthielt,  und  wie  sehr  inzwischen  das 
Material  gewachsen  ist,  zeigt  des  Verfassers  auf  Veranlassung  der  k.  k. 
Staatsdruckerei  im  vorigen  Jahre  veröffentlichtes  „Buch  der  Schrift'',  welches 
266  verschiedene  Schriften  enthält. 

Je  mehr  das  Material  für  die  Schriftkunde  anwuchs,  desto  mehr  änderten 
sich  auch  die  Ansichten  über  die  Geschichte  der  Schrift.  Noch  zu  Anfang 
dieses  Jahrhunderts  konnte  die  Meinung  aufgestellt  werden,  Adam  habe  bei 
der  Schöpfung  zugleich  die  Gabe  der  Rede  und  Schrift,  und  zwar  der  Buch- 
stabenschrift erhalten.  Nach  Bekanntwerdung  der  Hieroglyphen  entstand  die 
Meinung,  die  Menschen  hätten  zuerst  Bilder  roh  gezeichnet,  dann  mit  Hilfe 
dieser  Bilder  eine  Wortschrift  geschaffen,  von  dieser  seien  sie  zur  Silben- 
schrift und  dann  zur  Buchstabenschrift  übergegangen,  welche  letztere  von 
den  Phönikiern  auf  Grund  der  Hieroglyphen  erfunden  worden  sei.  Diese 
Ansieht  ist  noch  jetzt  sowohl  in  wissenschaftlichen  wie  in  Laienkreisen  all- 
gemein verbreitet,  und  ein  französischer  Gelehrter  hat  sie  zur  Grundlage  einer 
geistreichen  Schilderung  genommen,  nach  welcher  die  Vorsehung  die  Menschen 
von  Stufe  zu  Stufe  auf  der  Erkenntniss  des  Schriftwesens  geführt  habe,  wobei 
natürlich  angenonnnen  wurde,  dass  unsere  jetzige  Buchstabenschrift  die  beste 
aller  Schriften  sei. 

Es  ist  jedoch  nichts  gefährlicher  und  mehr  zu  Irrungen  führend,  als  das 
Aufstellen  von  wissenschaftlichen  Svstemen,  nach  denen  die  Thatsachen* 
bemessen  werden;  die  Naturwissenschaften,  welche  unter  allen  gelehrten 
Disciplinen  die  exaclesten  sind,  haben  einen  ähnlichen  Irrthum,  welcher  in 
gleich  successiver  Weise  eine  Steinzeit,  eine  Bronzezeit  und  eine  Eisenzeit 
schuf,  nicht  lange  bestehen  lassen;  Ihatsächlich  hat  sich  auch  nie  aus  einer 
Silbenschrift  eine  Buchstabenschrift  entwickelt,  ja  eine  genauere  Kennlniss 
der  Hieroglyphen  Ägyptens  zeigt  uns  in  diesen  Hieroglyphen  das  Vorkommen 
von  Lautzeichen  oder  Buchstaben  als  ebenso  alt  wie  das  Vorkommen  der 


Verschiedenheit  in  der  Entwicklung  der  Schrilt.  3 

Sclirifl  selbst,  sogar  bei  den  Mexikanern,  welche  die  Ereignisse  wirklich 
malten  und  nicht  sclu-ieben,  begegnen  wir  in  ihren  Gemälden  Lautzeichen 
für  Namen,  nur  in  den  Totems  der  nordamerikanischen  Rothhäute  sind 
Namen  und  Begriffe  identisch. 

Dem  unbefangenen  Beobachter  dieser  Thatsachen  musste  sich  daher 
die  Überzeugung  aufdrängen,  dass  die  Entwicklung  der  Schrift  durchaus  nicht 
so  einfach  und  systematisch  war,  wie  man  bisher  annahm,  dass  vielmelu* 
-dieser  Entwicklungsgang  ein  complicirterer  und  verschieden  ausstrahlender 
gewesen  sei,  und  dass  überhaupt  auf  dieser  Entwicklungsgeschichte  ein  liefer 
Schleier  liege,  den  nur  sorgfältig  vergleichende  Untersuchung  nach  und  nach 
zu  lösen  vermöge.  Insbesondere  drängte  sich  diese  Überzeugung  dem  Ver- 
fasser des  vorliegenden  Werkes  auf,  als  er  das  Material  seines  ,,  Buches  der 
Schrift "  zusammenstellte,  als  die  Eigenlhümlichkeiten,  welche  die  einzelnen 
Alphabete  boten,  sich  störend  einer  übersichtlichen  Anordnung  entgegen - 
«stellten  und  sich  die  Unmöglichkeit  ergab,  den  Stammbaum  der  Schriften, 
den  Prof.  Lenonnant  aufgestellt  halte,  mit  den  unleugbaren  Thatsachen  ui 
Cbereinstimmung  zu  bringen.  Er  kam  dabei  zu  dem  Schlüsse,  dass  die  Ent- 
wi<klung  der  Schrift  als  Wort-,  Silben-  und  Buchslabenschrift  von  der  Wissen- 
»rhaft  in  Zukunft  nicht  aufrechterhallen  werden  könne,  und  wie  die  Che- 
miker die  Wer  Elemente:  Luft,  Erde,  Feuer  und  Wasser,  aufgegeben  und 
flaftir  einige  sechzig  Elemente  angenommen  haben ,  trotzdem  sie  überzeugt 
jsind,  dass  die  Körper  in  Wirklichkeit  aus  sehr  wenigen  allgemeinen  Grund- 
stoffen bestehen,  die  letzteren  aber  mit  den  jetzigen  Mitteln  der  Wissenschaft 
norh  nicht  eruirbar  waren,  so  wird  auch  die  Schriftkunde  nicht  an  Werth 
verlieren,  wenn  sie  verschiedene  Bildungscentren  der  Schrift  annimmt  und 
gestehen  muss,  dass  wohl  der  einheitliche  Ursprung  aller  Schriftformen  zu 
vemiuthen,  aber  derzeit  noch  nicht  nachweisbar  ist. 

Dem  Verfasser  des  vorliegenden  Werkes  ist  es  jedoch  bei  den  ein- 
gehenden Untersuchungen,  welche  er  über  diese  Frage  anstellte,  geglückt,  in 
einer  Beziehung  zu  besseren  Resultaten  als  die  Chemiker  zu  gelangen,  es  ist 
ihm  gelungen,  einige  Schriften  bis  zu  ihrem  Ursprünge  zu  verfolgen  und  den 
allmäUgen  Aufbau  derselben  zu  beobachten.  Dies  gelang  ihm  nur  dadurch, 
dass  er  sich  nicht  auf  dieVergleichungder  Schriftzeichen  beschränkte,  sondern 
auch  d\e  Überlieferungen,  die  Religionen  und  Sitten  der  Vorzeit,  die  Enl- 
derkungen  der  Geologen  und  Anthropologen,  endlich  die  Sprachvergleichung 


4  Cullurhis torische  Bedeutung  der  Geschichte  der  Schritt. 

zu  Rathe  zog.  Die  Resultate,  zu  denen  er  gelangte,  liefern  die  sichere 
Gewähl',  dass  auch  andere  Alphabete  sich  in  derselben  Weise  analysiren 
lassen,  aber  die  Sprachkenn tniss,  welche  dazu  gehört,  in  diese  Verhältr.isse 
einzudringen,  können  derlei  Studien  nur  zu  Gegenständen  einer  Special- 
forschung machen,  welche  er  Anderen  überlassen  muss. 

Es  ergab  sich  aber  auch  aus  diesen  Studien,  dass  die  Geschichte  der 
Schrift  eine  grössere  Bedeutung  hat,  und  dass  sie,  indem  sie  in  die  graueste 
Vorzeit  zurückführt,  zugleich  eine  Geschichte  der  menschlichen  Cultur  ist. 
Dieser  Umstand  hat  den  Verfasser  veranlasst,  seine  Arbeit  nicht  einem  kleinen 
Gelehrlenkreise,  sondern  dem  ganzen  gebildeten  Publikum  vorzulegen,  und  er 
war  so  glückUch,  einen  Verleger  zu  finden,  welcher,  die  Verbreitung  wissen- 
schaflhcher  Kenntnisse  sich  zur  Hauptaufgabe  machend,  seinen  Wünschen 
entgegenkam. 

Die  Popularisirung  der  Wissenschaft  ist  eine  geistige  Strömung  unserer 
Zeit,  sie  wurde  hervorgerufen  durch  die  Buchdruckerkunst  und  ihre  Schnell- 
presse, sowie  durch  die  Verbreitung  der  Mittelschulen,  welche  ein  grosses,  mit 
wissenschaftlicher  Vorbildung  ausgerüstetes,  gebildetes  Publikum  schaffen,  sie 
ist  nothwendig  für  die  Wissenschaft  selbst,  welche,  wie  jede  Höhe,  eines 
breiten  Fundaments  nicht  entbehren  kann.  Wo  die  Wissenschaft  dieser 
breiten  Basis  entbehrte,  wie  in  Babylon  und  Ägypten,  musste  sie  mit  der 
Unwissenheit  paktiren  und  w^urde  schhesslich  selbst  zu  dieser  herabgezogen, 
wogegen  das  kleine  Volk  der  Griechen,  bei  welchem  die  Bildung  in  das  Volk 
drang,  unsterbliche  Geisteswerke  schuf  und  bewahrte.  Nichts  kann  dem  For- 
scher mehr  den  idealen  Schwung  geben,  der  ihn  aufrechterhält  in  den  stillen 
Nächten  geistiger  Arbeit,  bei  dem  mühevollen  Durchdringen  dunkler  Fragen, 
bei  dem  Ringen  seiner  Gedanken  nach  Licht  und  Wahrheit,  als  die  Hoßhung, 
dass  er  nicht  blos  für  die  kalten  Gräber  der  Bibliotheken  arbeitet,  sondern 
mitwirkt  an  der  Aufklärung  seines  Volkes  und  vorarbeitet  für  andere  Forscher, 
die  sich  nicht  immer  aus  den  engen  Kreisen  der  Fachgelehrten  recrutiren. 
Wie  der  Professor  nur  vor  vollen  Bänken  den  rechten  Schwung  seines  Geistes 
findet,  so  findet  auch  der  Schriftsteller  in  der  grossen  Zahl  seiner  Leser  die 
Ermuthigung,  alle  seine  Kräfte  an  die  Lösung  der  höchsten  Aufgaben  zu 
setzen. 

Und  wohl  dem  Lande,  dessen  Bürger  sich  nicht  auf  Erwerben  und 
Geniessen  beschränken,    sondern  mit  Interesse   die  Arbeiten   der  Forscher 


Culturhi?torisclie  Bedeutung  der  Geschichte  der  Sclirift.  '> 

begleiten,  heute  mit  Spannung  den  Ergebnissen  einer  Nordpolfahrt  lauschen, 
morgen  den  Berichten  über  die  neuesten  Entdeckungen  auf  dem  Gebiete  der 
Naturwissenschaften  folgen  und  ein  andermal  vor  den  ausgegrabenen  Über- 
resten der  Vorzeit  stille  Betrachtungen  über  Einst  und  Jetzt  anstellen:  die 
Beschäftigung  mit  der  Wissenschaft  bildet  die  sittliche  Kraft  des  Staates,  sie 
stählt  den  Geist  in  den  Tagen  der  Gefahr,  denn  sie  lehrt,  dass  es  ausser  Essen 
und  Trinken,  dessen  sich  auch  der  Sklave  freut,  für  den  gebildeten  Menschen 
noch  etwas  Höheres  giebt,  wofür  mit  Gut  und  Blut  einzustehen  werth  und 
edel  ist,  und  das  ist  die  Bildung  und  die  Menschenwürde. 

Womit  könnte  aber  dieses  Grefühl  mehr  erregt  werden,  als  wenn  wir 
au  der  Hand  der  Schriftkunde  hinabsteigen  in  die  Dunkelheit  der  Vorzeit, 
wenn  wir  von  den  Schriflzeichen  lernen,  welche  vieltausendjährige  Geistes- 
arbeit PS  gekostet  hat,  auch  nur  die  elementarsten  Wissenszweige,  wie 
Sprechen,  Schreiben  und  Rechnen,  zu  schaffen,  wie  die  Zunge  mühsam  vom 
geistigen  Willen  gelenkt  wurde,  ihre  Laute  zu  bilden,  wie  die  primitivsten 
Eintheilungen  der  Zeit  in  Wochen,  Monate  und  Jahre  nur  langsam  sich  durch- 
arbeiteten u.  dgl.?  Wir  bewundern  an  der  Hand  der  Geologie,  wie  die  Erde 
in  Millionen  von  Jahren  riesige  Gebirge  und  tiefe  Meere  erzeugte .  aber  nicht 
minder  staunenswerth  ist  der  Entwicklungsgang,  den  uns  die  Geschichte 
der  Sclirifl  vorführt,  indem  sie  uns  zeigt,  wie  der  schwache  Mensch  nur  durch 
die  Ausbildung  seiner  geistigen  Kräfte  sich  zum  Herrn  der  Pflanzen-  und  Thier- 
well  aufschwang  und  sich  die  Kräfte  der  Natur  dienstbar  machte:  wie  uns 
durch  die  Schrift  das  reiche  Erbtheil  einer  fruchtbaren  Weisheit  erhalten 
wurde,  welches  ein  schöneres  Los,  als  unseren  Vorfahren  zu  Theil  geworden, 
uns  in  die  Wiege  legte,  und  welches  daher  zu  bewahren  und  zu  vermehren 
die  heiligste  xVufgabe  unserer  Dankbarkeit  und  unserer  Pflichten  gegen  unsere 
Nachkommen  ist. 

Angesichts  der  Ankündigung  dieser  neuen  oder  bisher  nur  wenig  beach- 
teten Eigenschaft  der  Schrift,  das  Dunkel  der  Vorzeit  zu  öffnen,  wird  der 
Les#*r  zunächst  die  Frage  aufwerfen,  aus  welchen  Quellen  der  Verfasser  die 
Kenntniss  dieser  Geheimnisse  habe,  deren  er  sich  rühmt,  und  ob  er  die  Rich- 
tigkeit seiner  Anschauungen  beweisen  könne.  Soweit  diese  Quellen  Werke 
sind,  ist  die  Antwort  darauf  in  den  kleinen  Ziffern  gegeben,  welche  in  den 
Text  eingestreut  sind  und  auf  den  Anhang  verweisen .  der  die  volUtändijr^Mi 
Titel,  sowie  die  nähere  Bezeichnung  der  Stellen  enthält :  diese  Ziffern  sind 


6  Quellen  für  die  Geschichte  der  Schrift. 

für  die  F'achgelehrten  bestimmt,  welche  Gelegenheil  und  Müsse  haben,  die 
betreffenden  Werke  nachzusehen  und  sich  von  der  Richtigkeit  der  Citate  zu 
überzeugen;  für  das  Publikum,  welches  keine  Gelegenheit  zu  derartigen 
Quellenstudien  hat,  genüge  die  Bemerkung,  dass  nur  Werke  anerkannter 
Autoritäten  als  Grundlage  benutzt  worden  sind.  Eine  weitere  Grundlage  bieten 
die  Zeichen  und  die  fremdsprachlichen  Wörter.  Auch  diese  sind  nur  aus  den 
anerkanntesten  Werken  entnommen;  es  sind  keine  Zeichen,  keine  Texte  auf- 
genommen worden,  welche  nicht  von  Fachgelehrten  entziffert  worden  sind 
oder  die  Sanction  derselben  erhalten  haben;  es  ist  keine  Übersetzung  eines 
fremdsprachlichen  Wortes  gegeben,  die  nicht  in  guten  Wörterbüchern  nach- 
weisbar wäre.  Der  Verfasser  hat  sich  einzig  und  allein  das  Recht  genommen, 
aus  diesen  von  der  Wissenschaft  gegebenen  Thatsachen  Schlussfolgenmgen 
zu  ziehen  und  diese  Folgerungen  dem  Urtlieile  der  Leser  vorzulegen,  von 
denen  er  nur  ein  gesundes  Urtlieil  und  keine  Sprachkenntnisse  verlangt,  wes- 
halb  auch  griechische  und  lateinische  Wörter  mit  deutscher  Übertragung 
gegeben  wurden:  in  diesem  Sinne  hat  der  Verfasser  die  populär- wissen- 
schaftliche Darstellung  aufgefasst. 

Der  Verfasser  mussle  sich  ferner  vor  Augen  halten,  dass  die  Streit- 
fragen, welche  bisher  von  Schriftkundigen  erörtert  wurden ,  dem  grossem 
Publikum  bisher  wenig  bekannt  geworden  sind ;  er  hält  daher  diese  Einleitung 
umsomehr  für  den  Ort,  diese  Fragen  zu  besprechen,  als  einerseits  der  hihalt 
des  Werkes  selbst  nicht  polemischer  Natur  ist,  andererseits  die  Erörterung 
dieser  Fragen  geeignet  ist,  als  Vorschule  für  die  Geschichte  der  Schrift  zu 
dienen,  indem  sie  Anlass  giebt,  das  Wesen  der  Schrift  im  Allgemeinen  und 
ihr  Verhältniss  zur  Zahl  wie  zur  Sprache  zu  berühren.  Naturgemäss  werden 
wir  dabei  vom  Nächstliegenden  ausgehen,  und  zunächst  die  Frage  in's  Auge 
fassen:  Wie  ist  unsere  gebräuchliche  Schrift  entstanden? 

Diese  Frage  ist  bisher  noch  keineswegs  gelöst  worden.  Sicher  ist  nur. 
dass  wir  unsere  lateinische  Schrift  von  den  Römern  entlehnt  haben;  was  jedoch 
die  Entlehnung  der  römischen  Schrift  von  den  Griechen,  die  Entlehnung  der 
griechischen  Schrift  von  den  Phönikiern.  die  Entstehung  der  phönikischen 
Schrift  betrifft,  so  hatten  wir  darüber  bisher  nur  Traditionen,  deren  Dunkel- 
heit vieh*  Fragen  un^'rlöst  lässt.  Angenommen  z.  B.^  die  Römer  hätten  ihre 
Buchstaben  von  den  Griechen  entlehnt,  warum  nahmen  sie  das  griechische 
P  (f)  für  j)  und  iii^ht  für  r.  und  wannii  nahmen  sie  das  R,  welches  die 


Meinungen  ül)er  den  Ursprunjr  tles  Alphabets.  7 

Griechen  aufgaben,  warum  machten  sie  F  (tj)  zu  C,   um  dann  noch  ein  G 
zu  schaffen,  während  das  K,  welches  das  lateinisch«?  G  ist,  sich  als  fremdes 
Zei<*hen  in  der  römischen  Schrift  herumtreibt?  Angenonnnen»  dass  die  Grie- 
chen ihre  Schrift  von  d(m  Phönikiern  erhielten,  warum  machten  sie  das  alt- 
hi'bräische  X  0)  zu  kh,  warum  machten  sie  aus  dem  phönikischen  ^  das 
^^    oder   aus  ni  ein  Z  oder  1,  vereinfachten  sie  einerseits  und  complicirten 
<!♦»  andererseits  phönikische  Zeichen?  Man  antwortet,  die  Griechen  seien  im 
S<*hreiben  ungeschickt  gewesen  und  hätten  nicht  g(»nau  nachgeschrieben,  was 
j:»'gf'nuber  der  griechischen  Kunstfertigkeit  in  der  Giselirung  und  Bildhauer- 
kunst ein  eigenthümliches  und    wenig  überzeugendes  Argument  ist.    Aber, 
<iii*ss  bei  Seite  gelassen,    wie  erklärt  sich  der  Wechsel  in  den  griechis<*hen 
Alphabeten,  wo  h  einmal  i  das  andereiual  s  ist,  M  «*inmal  m  das  anderemal 
*,  B  sogar  als  e  vorkommt  und  X  bei  einigen  Stämmen  khj  bei  den  anderen 
ks  ist?    Wenn  man  alles   dieses   der   Unwissenheit  und    Ungeschicklichkeit 
zuschreibt,  weil  man  keine  Erklärung  dafür  weiss,  so  läuft  man  Gefahr,  ober- 
flächlich    zu    urlheilen   und  die   eigene  Unwissenheit  Anderen  «lufzubürden. 
Noch  eine  andere  P>age  drängt  sich  hier  auf:   Sollten  die  Griechen  keine 
Schrift   besessen  haben ,   bevor   sie  mit   den  Phönikiern  bekannt  wurden  ? 
Haben  sie,  die  den  Hinmiel  in  allen  seinen  Theilen  mit  Sternbildern  bemalten, 
keine  ZfMchen  für  ihre  irdischen  Bedürfnisse  gehabt,  während  doch  die  wihien 
Finnen,    die  Nomaden  Sibiriens,    die  Jägerstämme  der  nordamerikanischen 
Indianer  Schriftzeichen  besassen? 

(Jehen  wir  nun  über  zu  den  phönikischen  Schriftzeichen,  so  begegnen 
uns  hier  zwei  Meinungen:  tue  eine  sagt,  die  Schriftzeichen  hätten  ni(*  etwas 
be«i»Mitet,  sie  sei<»n  willkürlich  für  die  Laute  gewählt  worden,  die  an<lere 
behauptet,  tlie  phönikischen  Zeichen  X.  4  "1  »•  ^-  w.  seien  verderbte  Formen 
der  hi^Tatischen  Zeichen  ^  ^  o^m  welche  in  Hieroglyphenforin  ^L  ^^ 
^ir\,  ein  Adler,  ein  Sumpfvogel  und  ein  Napf  sind.  *  Ich  hab«»  s<hon  in  einer 
frühern  Abhandlung:  ,»Neue  Untersuchungen  über  den  Urspnnig  des  Alpha- 
bets* die  Ungereimtheit  <iieser  Behauptung  nachgewiesen  und  gezeigt,  dass 
die  phönikischen  Schriftzeichen  mit  anderen  Hieroglyphen  und  hieralis<hen 
Foffneii  Ahnlichkeil  haben,  und  wenn  es  mir  bei  jener  Arbeil  noch  nicht 
i:elung«Mi  war,  der  Frage  auf  den  (irund  zu  kommen,  so  bin  ich.  auf  dem 
b«*lretenen  Wege  weiter  schreitend,  do<*h  gegenwärtig  zur  Lösung  dieses 
I^'ithsels  gekommen,  und  werde  diess  in  den  folgenden  Gapiteln  nachweisen. 


"  Zeichen  bedeuten. 

Vorher  durfte  es  nicht  überflässig  sein,  die  Meinung  zu  beJeuchlen. 
nach  welcher  die  Zeichen  Producte  der  Willkür  seien,  die  gegenwärtig  nichts 
als  den  Laut  bedeuten  und  nie  etwas  Anderes  bedeutet  hätten.  Es  giebt  noch 
manche  andere  Zeichen  als  Lautzeichen,  deren  Bedeutung  gegenwärtig  nur 
den  Culturforschem  bekannt  isU  die  aber  im  gewöhnlichen  Leben  gewohn- 
heilsmässig  und  unverstanden  fortgeführt  werden.  Wir  geben  unseren  Kindern 
in  der  Wiege  noch  dieselbe  Klapper  als  Spielzeug  in  die  Hand,  welche  in  der 
Vorzeit  dazu  diente,  böse  Geister  zu  vertreiben;  wir  geben  ihnen  dieselbe 
Puppe,  welche  einst  als  guter  Geist  über  dem  Kinde  wachen  sollte ;  die  Vogel- 
scheuche, welche  wir  in  den  Feldern  finden,  schreckt  die  Vögel  wenig,  einst 
war  sie  der  Gott  der  Grenzmarken,  welcher  das  Feld  vor  Diebstahl  sichern 
sollte:  ebenso  wird  noch  alljährlich  in  den  Weingärten  die  hohe  Stange  mit 
den  Knoten  aufgerichtet,  aber  nur  der  Südsee-Insulaner  \vürde  sich  hüten, 
dieser  Stange  wegen  eine  Traube  zu  stehlen,  weil  er  glaubt,  der  Knoten 
wurde  ihn  auf  mystische  Weise  dingfest  machen,  unsere  Bauern  verlassen 
sich  nicht  mehr  auf  diese  heiligen  Knoten ,  sondern  setzen  einen  handfesten 
Wächter  daneben ;  auf  des  Verfassers  Frage  nach  der  Bedeutung  dieser  Stange, 
wurde  ihm  die  naive  Antwort,  sie  zeige  an,  dass  ein  Wächter  vorhanden 
sei(!),  während  doch  der  Südsee-lnsulaner  ihre  ursprüngliche  Bedeutung 
besser  kennt:  ob  die  Quasten,  welche  das  Militär  trägt,  nicht  dieselben 
Knoten  sind,  welche  den  ägyptischen  Soldaten  vor  dem  Tode  schützen  sollten, 
wollen  wir  dahin  gestellt  sein  lassen,  sicher  aber  ist,  dass  der  Adler  auf  der 
Standarte,  welchen  die  Franzosen  den  Römern  entlehnten,  der  Sonnengott 
Horus  ist.  welcher  die  ägyptischen  Truppen  zum  Siege  fuhren  sollte,  und 
bei  manchen  Gefallenen  hat  man  Amulette  gefunden,  welche  der  Cullur- 
forscher  ,  Fetische "  nennt.  Wenn  die  sparsame  Hausfrau  über  den  Brodlaib, 
bevor  sie  ihn  anschneidet,  das  Kreuz  macht,  so  ist  es  nicht  das  christliche 
Symbol,  sondern  das  uralte  X»  welches  in  die  Mathematik  als  Zeichen  der 
Vermehrung  von  Stifel  eingeführt  wurde;  der  Brodlaib  ist  aber,  mag  man  das 
Wort  auch  mit  ai  schreiben,  das  wahrhafte  Svmbol  des  Leibes  mit  dem  Nabel 
in  der  Mitte,  wie  das  Kipfel  das  Symbol  des  Mondes,  der  Striezel  ein  Weiber- 
zopf, die  Semmel  ein  Fruchtknoten,  kurzum  die  sämmtlichen  -Bäckerwaaren 
hieroglyphische  Formen  sind.  Wenige  denken  daran  oder  wissen,  dass 
diese  Backwaaren  noch  heute  dieselbe  Form  haben  wie  zu  jener  Zeit,  wo  sie 
als  Opfer  den  Göttern  gebracht  wurden,    als  Ersatz  für  die  Menschenopfer. 


Zeichen  bedeuten.  ^ 

die  einst  in  natura  geliefert  werden  mussten ;  Wenige  denken  daran,  dass  die 
Schmausereien  an  den  hohen  Festtagen  Überbleibsel  der  alten  Opferfeste 
und  dass  wir  glücklicherweise  nur  mehr  symbolische  Menschenfresser  sind: 
aber  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  vererben  sich  die  Bräuche,  erhalten  sich 
unbewusst  die  Formen  und  Zeichen,  die  einst  hochbedeutend  waren,  ebenso 
wie  sich  unausrottbar  der  ^Vberglaube  erhält,  der  doch  nichts  ist  als  ein 
alter  Glaube,  den  die  herrschende  Lehre  verwirft,  den  aber  das  Volk  treu 
bewahrt  hat. 

An  die  Stelle  der  uralten  Sudkunst  ist  der  moderne  KafTeesatz  getreten, 
an  die  Stelle  der  uralten  Lose  das  Kartenschlagen,  und  wenn  sich  auch  heut- 
zutage kein  Pharao  Traumdeuter  mehr  hält,  so  giebt  es  doch  Leute  genug, 
welche  an  die  Bedeutung  der  Träume  glauben.  Vergeblich  haben  Gewalt  und 
Wissenschaft  gegen  den  Aberglauben  geeifert,  er  pflanzt  sich  fort  von 
Geschlecht  zu  Geschlecht,  und  während  mühsam  und  verdrossen  die  Jugend 
in  den  Schulen  die  Lehren  der  Wissenschaft  aufnimmt,  zeigt  sie  sich  lern- 
begierig und  mit  wunderbarer  Auffassung  gegenüber  den  Lehren  des  Aber- 
glaubens, der  von  den  ehemaligen  Pries lerinnen  der  Germanen,  den  Frauen, 
mit  einer  Geschicklichkeit  docirt  wird,  um  die  sie  mancher  Pädagog  beneiden 
könnte. 

Was  folgt  daraus?  Die  Idee  ist  ^wig,  sie  mag  misshandelt,  zur  Fratze 
verxerrl  werden,  aber  sie  lebt  fort  von  Geschlecht  zu  Geschlecht,  und  unter 
diesen  ewig  fortlebenden  Ideen  ist  im  Volkshewusstsein  am  tiefst»'n  die  Idee 
eingewurzelt,  dass  Zeichen  bedeuten. 

Wenn  wir  im  Schutthaufen  des  Aberglaubens  eine  Perle  finden,  ist  sie 
deshalb  weniger  werth.  als  wenn  sie  in  irgend  einem  Museum  als  Rarität  auf- 
bewahrt worden  wäre? 

Wenn  aber  die  Zeichen  bedeuten,  wenn  die  Überlieferung  sich  so  treu- 
lich forterbt,  dass  z.  B.  die  altheidnische  Rune  %,  welche  ,Name,  Wesenheit. 
Eigenthum*  bedeutet,  und  wahrscheinlich  ursprünglich  ein  Knoten  war.  noch 
jelzl  als  Kreuz  die  Namensunterschrifl  vertritt,  während  sie  sich  als  Herr  N.N. 
s<igar  im  Gebrauche  der  Schriftkundigen  erhalten  hat,  um  wie  viel  mehr 
niuss  denjenigen  Zei(*hen  eine  Bedeutung  innegewohnt  haben,  die  den  StotV 
zum  Alphabete  lieferten,  schon  deshalb ,  weil  sie  ja  zugleich  die  Zeichen  der 
Lose  waren,  denn,  dass  nicht  nur  die  Runen  Lose  waren .  sondern  das  Los- 
werfen auch  bei  den  Juden  im  Gebrauche  war,   lehren  ja  genug  Stellen  der 


tO  Zeichr^ii  al?  Lose.  —  Zeiclieimamen.  —  Polyj>honie. 

Bibel,  und  die  Juden  werden  doch  sicher  ebenfalls  die  Lautzeichen  als  Lose 

■ 

verwendet  haben,  wie  die  nordischen  Völker  Europas. 

Waren  die  Schriftzeichen  Lose,  so  waren  es  auch  heilige  Zeichen,  und 
dieser  Umstand  spricht  entschieden  dagegen,  dass  dieselben  aus  Unkenntniss 

« 

oder  Ungeschicklichkeit  verändert  worden  seien;  finden  wir  trotzdem  ver- 
schiedene Schriftzeichen  vor,  so' beweist  diess,  dass  den  Zeichen  Begriffe 
innewohnten,  welche,  verschieden  aufgefasst,  sich  in  verschiedener  Gestalt 
nianifeslirten,  und  dieser  Verschiedenheit  der  Auffassung  begegnen  wir  nicht 
nur  in  den  Formen,  sondern  auch  in  den  Namen  der  Zeichen,  welche  Namen 
wiederum  beweisen,  dass  die  Zeichen  bedeuten.  Die  Wichtigkeit  dieses 
Umstandes  hat  den  Verfasser  veranlasst,  in  einem  eigenen  Abschnitte  die  Natur 
der  Zeichennamen  zu  erörtern;  hier  sei  nur  daraufhingewiesen,  dass,  wenn 
der  hebräische  Name  Beth  mit  fxifh  , Tochter**  verwandt  ist,  das  Zeichen  ^ 
in  dem  griechischen  B,  welches  ein  Weib  vorstellt,  ein  Analogon  gefunden 
hat,  was  nur  Diejenigen  nicht  verstanden,  welche  in  Befh  durchaus  das  Wort 
fxiifh  ,Haus**  suchten,  in  ^  durchaus  die  Form  eines  Hauses  finden  wollten 
und  nicht  beachteten,  dass  das  arabische  „Harem"  den  Grundbegriff  des 
,V>rschlossenseins"  enthält,  der  sich  im  hebräischen  Intth  , Mädchen*  (Jung- 
frau) findet,  aber  doch  etwas  Anderes  ist  als  B,  welches  das  ,Weib"  bedeutet. 

Dieses  eine  Beispiel  lehrt,  dass  die  Frage  des  Zusammenhanges  zwi- 
schen Zeichen,  Laut  und  Zeichennamen  nicht  so  oberflächlich  erörtert  wer- 
den darf,  wie  diess  bisher  leider  immer  geschehen  ist.  Lässt  sich  aber  nach- 
weisen, dass  die  Lautzeichen  Symbole  von  Begriffen  waren,  dann  erscheint 
auch  die  oben  erwähnte  Vertauschung  der  Zeichen  im  griechischen  Alphabete 
in  einem  andern  Lichte,  dann  beweist  sie,  dass  die  Polyphonie,  d,  i.  die 
Mehrdeutigkeit  eines  Zoi<'hens,  welche  bisher  nur  in  der  Keilschrift  und  in 
den  ägyptischen  Hieroglyphen  bekannt  war,  indem  z.  B.  ►yT'^T  ri  und  tal,  y 
k  und  s  bedeuteten,  auch  hi  anderer  Form  bei  den  Griechen  zu  Hause  war, 
indem  z.  B.  B  in  Halikamassos  b  und  in  Korintli  e,  5  in  Korinth  i  und  in 
Athen  .s  gelesen  wurde,  bis  später  in  ganz  Griechenland  ein  einheitliches 
System  sich  einbürgerte. 

Bei  der  Neuheit  dieser  Tliesis  ist  es  mir  angenehm,  auf  ein  anderes 
Gebiet  hinweisen  zu  können,  welches  viele  Analogien  enthält  und  diesem 
Gegenstande  nahe  verwandt  ist,  nämlich  auf  das  der  Religion.  Die  religiösen 
Mvthen  der  Alten  sind  von  der  Oberflächlichkeit  ebeiitalls  für  alberne  Fabeln, 


Religion  und  .Schrift.  1 1 

ersonnen  von  müssigeu  Köpfen,  gehalten  worden,  weil  ihr  das  Verständniss 
dafür  fehlte,  dass  Zeus  sich  in  einen  Stier,  einen  Goldregen  oder  in  einen 
Srhwan  verwandelte,  um  verschiedene  Erdentöchter  zu  beglücken.  Wenn 
nun  aber  diese  Erdentöchter  Personificationen  der  Erde  selbst  sind ,  wenn 
Zeus  als  Hinimelsgott  identisch  ist  mit  den  Kühen  des  indischen  Gottes  hidra, 
welche  die  Wolken  sind,  und  mit  den  goldenen  Thränen  der  Isis  als  befruch- 
tender Sommerregen,  endHch  als  Schwan  ebenfalls  die  weisse  Wolke  ist,  so 
linden  wir  in  diesen  Sagen  sinnvolle  allegorische  Erzählungen,  durch  welche 
man  dem  Volke  das  Walten  der  Naturkräfte  verständlich  machen  wollte. 
Heutzutage  werden  freilich  diese  Lehren  von  Künstlern  niissbraucht,  um 
lüsterne  Bilder  zu  malen,  wie  einst  in  Ägypten  missverstandene  Lehren  zu 
den  ärgsten  Verirrungen  führten. 

Die  griechischen  Götterbilder  wurden  nicht  von  den  Künstlern  ersonnen, 
>ie  nuissten  genau  nach  den  religiösen  Ideen  ihrer  Zeit  und  den  Traditionen 
der  Priester  ausgeführt  werden.  Wer  aber  war  Kronos  ohne  Sichel ,  Zeus 
ohne  Adlc.T,  Hera  ohne  Scheibe  oder  ohne  Kind,  Pallas  ohne  Schild  und 
Speer,  Artemis  ohne  Bogen  und  Pfeil,  Apollo  ohne  Leier,  Hermes  ohne 
Flügel  und  Schlangenstab,  Hephaistos  ohne  Hammer,  Hestia  ohne  Schleier, 
Ares  ohne  Schwert,  Poseidon  ohne  Dreizack  u.  s.  w.?  Gewöhnliche  Männer 
und  Frauen I  Nicht  «iie  Gestalt,  n)ochle  sie  nebenbei  noch  so  majestätisch 
>ein,  sondern  die  Symbole  machten  die  Götter;  die  Symbole  aber  waren 
Zeichen,  welche  bedeuteten,  sie  waren  Schriftzeichen,  Hieroglyphen,  welche 
di*m  Bilde  den  Namen  gaben.  Diese  Namen  waren  nicht  die  gewöhnlichen 
Namen  der  Gegenstände,  sie  waren  wie  die  Buchstaben-Namen  ausser  Gebrauch 
ge<#»lzl,  gerade  so  wie  bei  den  Chinesen  das  Zeichen,  welches  den  Namen 
♦■ine^j  Kaisers  enthält,  ausser  Gebrauch  gesetzt  wird,  damit  es  nicht  profanirt 
w#'nJe.  So  lange  die  (Jriechen  (lötter  verehrten,  musslen  sie  auch  symbolische 
Z«'i<-hen  für  Begriffe  älmlich  den  Hieroglyphen  haben,  und  wir  werden  finden, 
fla>s  die  religiösen  Symbole  mit  den  Lautzeichen  innig  zusammenhingen. 

In  Ägypten  fin«ien  wir  Ähnliches.  Wir  finden  zunächst  Tliiere  als 
tioUer,  das  sind  die  Fetische,  welche  wir  bei  allen  rohen  Völkern  finden,  dann 
Tliierköpfe  auf  Mensc  henleibern.  wobei  die  Tliierköpfe  nur  die  Hieroglyphen 
df-r  ffötternamen  sind,  endlich  rein  menschliche  Gestalten  mit  Symbolen, 
al-io  den  Übergang  des  Fetischthunis  zu  der  (Jottesidee,  welche  in  der  Bibel 
in    d«'n    Worten    zum    Ausdrucke    gelangle:   Gott  srhuf  die  Menschen  nach 


1 2  Religion  und  Schrift. 

seinem  Bilde.  Demnach  war  Horus  der  Adler  der  griechische  Zeus,  Isis  als 
Mutler  mit  dem  Kinde  die  griechische  Hera,  Neil  als  Göttin  des  Bogens  die 
Artemis  u.  s.  w.,  denn  die  Symbole  sind  dieselben,  und  verfolgen  wir  die 
Idee  der  Himmelsmutter  mit  dem  Kinde,  so  finden  wir  dieselbe  über  die 
ganze  Erde  verbreitet,  wenn  auch  die  Fratzenbilder  der  Tibetaner  und  Mexi- 
kaner einen  schauerlichen  Contrast  zur  Madonna  von  Rafael  bilden. 

Horus  ist  sogar  in  männlicher  Form  derselbe  Name  wie  die  weibliche 
Hera,  und  wenn  sonst  die  Namen  auseinander  gehen,  so  finden  wir  dieselbe 
Verschiedenheit,  wenn  wir  die  römischen  und  griechischen  Götter,  welche 
nachweisbar  dieselben  sind,  vergleichen:  Saturnus  -  Kronos ,  Jupiter -Zeus, 
Juno-Hera,  Minerva-Pallas,  Diana-Artemis  u.  s.  w.  Dringen  wir  tiefer  in  die 
Sache  ein,  so  finden  wir,  dass  Zeus  als  Himmelsgott  identisch  mit  Apollon. 
dieser  mit  Hermes,  dieser  mit  Kronos  ist,  und  dass  alle  Götter  sich  in  den 
männlichen  oder  weiblichen  Gott  auflösen,  der  in  letzter  Instanz  ebenfalls 
ein  und  derselbe  ist,  und  wenn  wir  erwägen,  dass  die  einzelnen  Götter  in 
einzelnen  Städten  vorzugsweise  verehrt  wurden,  so  finden  wir  in  der  soge- 
nannten heidnischen  Religion  eine  Menge  von  Religionen  verschmolzen,  die 
früher  neben  einander  bestanden,  und  sich,  nach  den  Traditionen  von  den 
Gölterkämpfen  zu  urtheilen,  ebenso  heftig  bekämpften  wie  Christenthum  und 
Heidenthum,  Mohammedanismus  und  Christenthum,  Brahmanismus  und 
Buddhismus.  Solche  Kämpfe  hatten  zur  Folge,  dass  einzelne  Völker  unterjocht, 
andere  versprengt  wurden;  die  letzteren  trugen  ihre  Götter,  ihren  Glauben 
und  ihre  Schrift  in  entferntere  Länder,  in  Gegenden,  wo  sie  wieder  die 
schwächeren  Völker  unterwerfen  oder  vertreiben  konnten. 

Es  ist  unzweifelhaft,  dass  Kadmos,  der  die  Schrift  von  den  Phönikiem 
zu  den  Griechen  gebracht  hat,  eine  neue  Religion  war,  ^  welche  von  Phöni- 
kien  nach  Griechenland  übersiedelte ;  aber  es  ist  durchaus  nicht  ausgemacht, 
dass  dieselbe  die  letzte  Religion  war,  welche  in  Griechenland  zur  Herrschaft 
gelangte ,  diese  scheint  vielmehr  mit  den  homerischen  Gresängen  sich  einge- 
bürgert zu  haben,  deren  Schrift  in  Griechenland  ebenso  herrschend  wurde 
wie  die  arabische  Neskhischrift  in  allen  Ländern  des  Islam,  wie  die  römische 
Evangelienschrift  im  westlichen  Europa,  wie  die  Devanagari  in  Vorderindien 
und  die  Pali  in  Hinterindien.  Griechen  und  Römer  herrschten  in  Ägypten, 
aber  sie  Hessen  die  Religion  unangetastet,  weil  sie  selbst  religiös  indifferent 
waren:  erst  das  brausende  Feuer  des Christenthums  zerstörte  die  altägj'ptische 


Schrift  und  Sprache.  1 3 

Schrill  und  mit  dem  griechischen  Evangelium  setzte  sich  die  griechisch- 
koptische Schrift  an  die  Stelle  der  Hieroglyphen.  Die  Geschichte  der  Schrift 
ist  daher  auch  eine  religiös-politische  Geschichte. 

Diese  Geschichte  führt  uns  weit  hinauf  in  die  sogenannte  vorgeschicht- 
liche Zeit,  in  eine  Zeit  nämlich,  von  deren  politischen  Umwälzungen  uns 
keine  directe  Kunde  zugekommen  ist;  sie  verbietet  uns  aber  auch,  die  Schrift 
als  einen  Handelsartikel  zu  betrachten,  der  von  einzelnen  Kaufleuten  in  fremde 
Länder  exportirt  wurde ,  welche  noch  keine  Schrift  besassen,  und  wenn  wir 
phonikische  Schrift  an  den  Küsten  Spaniens  und  Frankreichs  finden,  so  kann 
sie  nur  in  den  Ansiedelungen  der  PhOnikier  vorkommen,  als  Eigenthum  der 
Leute  phönikischen  Stammes  und  phönikischen  Glaubens. 

So  können  auch  die  nordischen  Runen  nicht  von  Phönikiem  oder 
Griechen  oder  Römern  entlehnt  sein,  sondern  sie  waren  die  Schrift  der 
Odhin- Religion ,  die  Schrift  der  nordischen  Sprache ,  welche  sich  mit  ihren 
16  Lauten  eng  an  die  Zeichen  der  16  Runen  anlehnt,  wie  die  griechische 
Sprache  mit  ihren  24  Lauten  an  die  24  griechischen  Schriftzeichen,  wie  die 
syrisch-hebräische  Sprache  mit  ihren  22  Lauten  an  die  22  hebräischen  oder 
syrischen  Zeichen,  wie  die  arabische  Sprache  mit  ihren  28  Lauten  an  die 
28  himyarischen  (altarabischen)  Zeichen,  die  Sanskritsprache  mit  ihren  48 
Lauten  an  die  48  Devanagari-Zeichen  und  die  Palisprache  mit  ihren  36 
Lauten  an  die  36  Palizeichen  u.  s.  w. 

Angesichts  dieser  Übereinstimmung  muss  sich  die  Frage  aufdrängen, 
ob  nicht  eher  die  Laute  den  Zeichen  angepasst  wurden,  als  die  Zeichen  den 
Lauten.  Wir  mögen  nämlich  w*elche  Sprache  immer  betrachten,  so  finden 
wir,  dass  alle  Sprachen  aus  denselben  Elementen  bestehen,  einem  Kehllaute, 
«nneni  Lippenlaute,  einem  Zungenlaute  und  einem  Zahnlaute,  welche  in  ver- 
schiedene Variationen  sich  verzweigen ;  nur  bei  wenigen  Völkern  findet  sich 
noch  ein  Schnalzlaut  vor.  Wir  finden  ferner  in  grösseren  Ländern  die  Varia- 
tionen in  den  Dialekten  sich  verwischend  und  nur  durch  die  Schriftsprache 
aufrecht  erhalten,  welche  als  der  Kanon  der  guten  Rede  gilt;  bestände  diese 
S<>hrifläprache  nicht,  so  würden  sich  die  Sprachen  in  derselben  Weise  zer- 
splittern, wie  sie  sich  bei  jenen  Völkern  zersplittert  haben,  welche  keine 
Srhriflsprarhe  besitzen,  wie  in  Amerika  und  im  innern  Afrika,  und  somit 
kofunien  wir  zur  letzten  Frage :  Ist  die  Schrift  die  Mutt**r  d^r  Sprache  od^r 
flie  Sprache  die  Muller  der  Schrift? 


14-  Schrift  losi^keit. 

Vitale  werden  glauben,  die  letzlere  Frage  einfach  niil  dem  Einwiu-fe 
beseitigen  zu  können,  dass  es  ja  viele  Völker  giebt,  welche  keine  Schrift  haben, 
nie  eine  Schrift  besassen,  und  denen  nichts  wunderbarer  vorkommt  als  die 
Schrift.  Um  das  letzlere  zu  beweisen,  erzählt  man  drollige  Anekdoten,  wie 
z.  B.  ein  Neger  mit  einem  Briefe  und  Früchten  abgesendet  worden  sei,  unter- 
wegs von  den  Früchten  gegessen  habe,  durch  den  Brief  verrathpn  worden 
sei  und  das  nächstemal  den  Brief  unter  einen  Stein  gelegt  habe,  damit  er  nicht 
Zeuge  seiner  Näscherei  sei;  oder  dass  ein  Insulaner-Häuptling  von  einem 
Europäer  seinen  Namen  aufschreiben  Hess,  und  als  ein  anderer  Europäer  diesen 
Namen  las,  sehr  verwundert  darüber  war,  da  doch  die  Schrift  keuie  Spur 
seiner  Gestalt  zeige,  u.  s.  w.  Lassen  wir  dahingestellt,  was  an  diesen  Proben 
Wahres  ist,  die  Hauptfrage  ist,  ob  schriftlose  Völker  nie  eine  Schrift  gehabt 
haben. 

Wir  leben  in  Ländern,  wo  im  allgemeinen  Lesen  und  Schreiben  schon 
von  Kindheit  an  gelernt  werden,  wo  allgemeiner  Schulzwang  herrscht:  aber 
dennoch  giebt  es  Viele ,  welche  weder  lesen  noch  schreiben  können :  selbst 
wenn  sie  es  in  der  Schule  gelernt  haben,  vergessen  sie  es  später,  wenn  sie 
es  nicht  fortwährend  üben.  Es  herrscht  auch  hie  und  da  die  Meinung,  dass 
Lesen  und  Schreiben  für  das  gemeine  Volk  unnütz  und  schädhch  seien,  da  es 
dadurch  weniger  lenksam  werde;  man  lasse  solche  Meinungen  aufkommen, 
hebe  die  Schulpflicht  auf  und  in  wenigen  Generationen  wird  es  entlegene 
Gebirgsdörfer  geben,  welche  Lesen  und  Schreiben  nur  vom  Hörensagen 
kennen;  man  denke  sich  eine  Verheerung  hinzu,  welche  den  Wohlstand  des 
Landes  verwüstet  und  den  Bewohnern  nichts  als  die  Befriedigung  ihrer  drin- 
gendsten Nahrungsbedürfnisse,  den  Ackerbau,  lässt,  so  wird  die  ünkenntniss 
der  Schrift  sich  über  ganze  Länder  verbreiten,  und  auf  den  Trümmern  einer 
zerstörten  Bibliothek  ein  Hirt  seine  Ziegen  weiden,  welche  das  aus  der  Asche 
und  dem  Moder  verbrannter  Bücher  aufwachsende  Gras  wegfressen. 

Lässt  das  Wesen  des  Kurden,  der  unkundig  des  Lesens  und  Schreibens 
an  den  LTern  des  Euphrat  und  Tigris  sein  Räuberhandwerk  treibt,  vermuthen, 
dass  die  Wüste,  in  der  er  haust,  einst  ein  üppig  grünender  Garten  war,  in 
welchem  das  wissenseifrige  Volk  der  Chaldäer  die  Zeittheilung  schuf,  welche 
wir  noch  gegenwärtig  verwenden?  Er  ist  vielleicht  ein  Nachkomme  jener 
Gelehrten,  deren  Weisheit  die  Welt  bewunderte,  denn  Kurde  ist  eng  verwandt 
mit  Chaldäer  und  noch  mehr  mit  D'Ottin  ^ariumim,  wie  die  heiligen  Schreiber 


Sohriillosi^keit  als  Folge  des  Vergessens  den  .Schrill.  1 5 

derÄjfvpter  und  eine  Klasse  babyionischer  Magier  hiessen.^  Jahrtausende  lagen 
«lie  Bibliotheken  der  assyrischen  Könige  unter  dem  Sande  vergraben,  und  die 
Xarhrichten  über  die  Chaldäer  würden  zur  Fabel  geworden  sein,  wenn  nicht 
die  Ausgrabungen  Layard's  die  alte  Weisheit  aus  dem  Grabe  zu  neuem  Leben 
jjebracht  hätten,  um  die  Tradition  der  Genesis  und  noch  manches  Andere  zu 
l>eleuchten.  Hätte  Napoleon's  Expedition  nicht  die  Tempel  und  Gräber 
Ägyptens  erschlossen ,  so  würden  uns  die  Hieroglyphen  der  Obejisken  noch 
immer  so  fremd  anblicken  wie  die  Felsinschriften  in  Sibirien  und  Südamerika, 
weh-he  von  einer  Culturstufe  der  dortigen  Völker  erzählen,  von  welcher  sonst 
nicht  die  geruigste  Spur  übrig  geblieben  ist.  hi  den  feuchten  und  heissen 
Wäldern  Südamerikas  lebt  der  Yolksstamm  der  Panos.  nackt,  von  Bananen 
und  Fischfang,  sie  haben  keine  Idee  von  der  Schrift  und  kein  Bedürfniss. 
solche  zu  gebrauchen;  als  aber  die  Spanier  nach  Amerika  kamen,  besass 
flie>es  Volk  Bücher  mit  schönen  farbigen  Bildern,  aus  denen  die  Kinder  von 
i\vu  *VJteu  in  den  Schicksalen  ihres  Volkes  unterrichtet  wurden ;  leider  ist  das 
♦•inzige  Exemplar,  welches  sich  ein  Missionär  verschaffen  konnte,  schon  damals 
auf  dem  Transporte  verloren  gegangen.**  Ebenso  haben  die  hidianer  Mittel- 
ani«*rikas  jede  Kenntniss  der  seltsamen  Schrift  verloren,  deren  sich  ihre  Vor- 
falin'ii  so  fleissig  und  geschickt  bedienten ;  die  vielen  Bücher  der  Azteken  sind 
auf  den  Scheiterhaufen  der  spanischen  Mönche  verbrannt  worden,  und  nur 
wenige  Exemplare  sind  in  europäische  Bibliotheken  gerettet  worden.  Wäre 
nicht  der  Mikmakstamm  erhalten  gebheben,  so  hätten  wii*  kenie  xVhnung  von 
der  reichen  Hieroglyphenschrift,  deren  sich  einst  alle  Hotlihäute  Kanadas 
iH-dienten.  *  Auch  die  Jäger  Völker  Nordamerikas  müssen  einst  eine  höhere 
Bildung  besessen  haben,  denn  der  Boden  zeigt  Spuren  eines  regehnässigen, 
Liliistlich  betriebenen  A(^kerbaues,  und  die  Felsinschriften  enthalten  man- 
cherlei symbolische  Zeichen,  welche  die  jetzigen,  der  Felsinschriften  kundigen 
ln«iianer  nicht  mehr  verstehen.  Wie  diese  Stämme  von  einem  sesshaften  Leben 
durch  die  Xoth  zum  Wandern  getrieben  wurden,  hat  man  bei  den  Tscheyenne- 
Indianeni  beobachten  können,  welche  erst,  nachdem  ihre  Feinde,  die  Sioux, 
>ir  au^  ihrem  befestigten  Dorfe  vertrieben  und  fast  aufgerieben  hatten,  das 
Wanderleben  begannen.  Die  Navajos  im  Norden  von  Mexiko  wissen  zu  erzäh- 
len. da>s  einst  der  Hhnmel  schöne  Thierbilder  gezeigt  habe,  aber  ein  Prairiewolf 
liahe  dieselben  verscheucht,  so  dass  nur  mehr  einzelne  Constellationen  übrig 
g»-blieben  seien.   Auch  sie  haben  kehie  Schrift,  aber  wie  sehr  nnissen  sie  einst 


i  0  Schrililosi^keit  als  Folge  des  Vergesseus  der  Schrift. 

gebildet  gewesen  sein,  wenn  sie  sich  noch  jetzt  an  die  Sternbilder  erinueni ! 
Wenn  w^ir  auf  ägyptischen  Bildern  Neger  als  ägyptische  Könige  und  Königiauen 
erblicken,  so  muss  die  schwarze  wollhaarige  Rasse  im  Alterthiune  eine  der 
ägyptischen  wenig  nachstehende  Bildung  besessen  haben  und  in  grossen 
Staaten  vereinigt  gewesen  sein,  der  Häuptling  eines  kleinen  Negerstammes 
konnte  sich  nicht  auf  den  Thron  eines  mächtigen  civilisirten  V'olkes  schwingen. 
In  der  That  wurde  noch  im  16.  und  17.  Jahrhundert  von  mächtigen  Xeger- 
stänmien  in  Weslafrika  berichtet,  von  denen  jetzt  nur  mehr  schwache  Gemein- 
den vorhanden  sind.  Auch  in  Südafrika  muss  eine  verhältnissmässig  hohe 
Cultur  geherrscht  haben,  wie  die  alten  Schilderungen  vom  Reiche  Monomotapa 
beweisen,  und  die  merkwürdigen  Ruinen  und  Bauten,  welche  ohne  Mörtel 
aus  unbehauenen  Steinen  aufgeführt  waren,  deuten  auf  eine  frühere  Bildung 
liin,  welche  höher  war  als  die  der  heutigen  eingebornen  Bevölkerung.  * 

Die  menschliche  GuUur  bewegt  sich  wie  Fluth  und  Ebbe,  aus  kleinen 
Stämmen  entstehen  grosse  Reiche,  mit  dem  Reichthume  stellt  sich  die  Cultur 
ein,  mit  der  Cultur  die  Keime  der  Zersetzung  und  der  stolze  Bau  zerfallt 
schliesslich  in  die  Trümmer,  aus  denen  er  hervorging,  während  sich  in  anderen 
Ländern  dasselbe  Spiel  wiederholt.  Wie  die  rohe  Hand  eines  römischen 
Kriegers  mit  einem  Schwerthiebe  das  reiche  Geistesleben  eines  Archimedes 
vernichtete,  so  haben  immer  und  immer  rohe  Kriegerhorden  himdert-  und 
tausendjährige  Cullurarbeiten  im  Blute  ertränkt  und  im  Schutte  begraben, 
und  wir  müssten  verzweifelnd  jeder  Mitarbeit  am  Aufbaue  der  Cultur  entsagen, 
wenn  nicht  die  Geschichte  der  Schrift  die  tröstliche  Gewissheit  böte,  dass  in 
diesem  fortwährenden  Wechsel  von  Cultur  und  Barbarei  doch  im  Ganzen  ein 
Fortschritt  bemerkbar  ist,  und  wie  in  den  Erd-Revolutionen  an  Stelle  der  unter- 
gegangenen Pflanzen  und  Thiere  neuere  bessere  Organisationen  im  Kampfe 
um  das  Dasein  entstanden,  so  stehen  auch  aus  den  Menschen- Revolutionen 
höher  organisirte  Geschlechter  auf. 

Dass  bei  diesen  Revolutionen,  welche  den  Untergang  vieler  Schriftarten 
zur  Folge  hatte,  die  Sprache  erhalten  blieb,  dafür  sorgte  die  Unmittelbarkeit 
der  letzteren,  ja  gerade  diese  war  es,  welche  dadurch  gewann,  denn  da  eine 
mündliche  Verständigung  zwischen  Siegern  und  Besiegten  nöthig  war,  so 
wurde  das  nationale  Unglück  Ursache  der  Sprachbereicherung,  der  Siegt r 
niusste  Wörter  des  Besiegten  lernen ,  der  Sklave  die  seines  Herrn ,  und  so 
entstand  die  bunte  Mis<hung  der  grammatischen  Formen,  welche  die  meisten 


i^chrift  und  Sprache.  1 7 

Sprachen  zeigen,  die  synonymen  Wörter  und  die  Verschiedenheit  der  Stämme, 
mit  welchen  derselbe  Begriff  ausgedrückt  wird,  wie  ,bin,  ist,  sein**  im  Deut- 
*j«hen,  ,fero,  tuli,  latum*,  d.  h.  trage,  trug,  getragen  im  Lateinischen  u. s.w. 
Die  chinesische  Sprache  scheint  am  wenigsten  diesem  Vermischungsprocesse 
ausgesetzt  gewesen  zu  sein,  aber  sie  zeigt  auch  die  grösste  Unbeholfenheit  in 
der  Satzconstruction. 

Erklärt  sich  hieraus  der  Reichthum  der  Sprache,  der  uns  selbst  bei  den 
imgebildetsten  Völkern  überrascht,  so  bleibt  andererseits  die  Frage  übrig,  wie 
entstand  überhaupt  die  Sprache?  Dass  die  Sprache  dem  Menschen  nicht 
angeboren  ist,  darüber  kann  kein  Zweifel  sein;  das  Kind  lenit  die  Sprache 
viel  später  als  den  aufrechten  Gang,  und  nur  mühsam,  nur  schwer  lassen  sich 
die  Sprach  werk  zeuge  durch  viele  Übung  so  lenken,  dass  sie  flüssig  die  Wörter 
her\'<>rbringen ;  Laute,  welche  wir  nicht  von  Jugend  auf  gewöhnt  sind,  sind 
von  uns  so  schwer  nachzuahmen,  dass  man  selbst  nach  vieljährigem  Aufent- 
halte in  einem  fremden  Lande  als  Fremder  leicht  am  Accente  erkannt  wird, 
wenn  man  auch  den  Geist  der  Sprache  noch  so  sehr  beherrscht;  fassen  wir 
Hi'hliesslich  in's  Auge,  dass  nach  den  Gesetzen  der  Vererbungstheorie  die 
Kinder  schon  vom  Mutterleibe  an  mit  besser  organisirten  Sprachwerkzeugen 
aa>gestatlet  sind,  als  die  ersten  Menschen,  welche  zu  sprechen  begannen,  so 
niuss  sich  die  Überzeugung  festsetzen,  dass  die  Sprache  ebensogut  eine 
Krtnichmg  des  Menschen  ist  wie  die  Schrift. 

Die  Sprachwissenschaft  nimmt  an,  dass  die  Sprache  auf  der  Schall- 
narhahmung  beruhe,  aber  die  Schallnachahmung  finden  wir  nur  bei  wenigen 
Vögeln,  und  unbegreiflich  ist  es,  wie  aus  dieser  Schallnachahmung  jene 
Articulation  hervorgehen  konnte,  welche  die  menschliche  Sprache  vor  der 
thierischeii  auszeichnet  und  jene  sonderbaren  Läutverschiebungen  bei  ver- 
wandten Sprachen,  welche  wie  h  und  s  (im  Zend  und  Sanskrit)  auf  keiner 
Laiitverwandtschafl  beruhen,  sondern  allenfalls  auf  der  oben  erwähnten  Foly- 
phonie  der  Zeichen,  wie  denn  auch  *  h  und  «»•»  s  sehr  ähnliche  Zeichen  haben, 
un«l  in  der  Inschrift  von  Assam,  welches  in  der  Falisprache  Almm  heisst, 
^  m  und  S\^  ha  sieh  ähnlich  sind. 

Verständlicher  gestaltet  sich  der  Ursprung  der  Sprache,  wenn  sie  sich 
an  die  Zeichen  anlehnte,  mochten  diese  Zeichen  in  (ieslen,  Schnüren,  Strichen 
4Mii*r  F'iguren  bestehen.  Unwillkürlich  begleiten  wir  noch  die  Hede,  nament- 
H«*h  in  aufgeregten  Momenten,  mit  Gesten;  sie  sind  bei  unserer  ausgebildeten 

r^nluiinn.  <irMliif  ht«  d.  Srhrift.  •> 


1  ^  Ursprung:  der  Sprache  und  Schrift. 

Sprache  nicht  mehr  nothwendig,    sie  sind  eines  jener  Cberlebsel  aus  längst 
vergangenen  Zeiten,   welche  nur  durch  die  mechanische  Nachahmung  sich 
vererben,  aber  sie  sind  das  einzige  Mittel  der  Verständigung  für  Taubstumme 
und  für  Menschen,  welche  sich  wegen  Unkenntniss  der  gegenseitigen  Sprachen 
nicht  sprechend  verständigen  können;  sie  waren  auch  das  Verständigungs- 
mittel aller  Menschen,  so  lange  die  Zunge  nicht  in  der  Articulation  geübt 
war  und  sich  die  Sprache  in  der  Kindheit  befand.  Betrachten  wir  die  geringen 
Bedürfnisse  der  Menschen,  welche  auf  einer  sehr  niedrigen  Stufe  der  Cultur 
stehen,  so  kann  man  sich  der  Meinung  nicht  entschlagen,  dass  die  Sprache 
für  sie  ein  überflüssiger  Luxus  sei,  da  sie  sich  wohl  auch  durch  Geschrei  und 
Gesten  verständigen  könnten^  wobei  die  Geste  die  Articulation  ersetzt.    So 
erkennen  wir  auch  noch  jetzt  bei  Rufen  aus  grösserer  Entfernung  aus  der 
winkenden  oder  drohenden  Hand,  ob  der  Ruf  locken  oder  verscheuchen  soll, 
und  dem  entsprechend  finden  wir  in  den  ägyptischen  Hieroglyphen  die  Hand 
mit   drei  verschiedenen  Lauten  verbunden:   jj    A*,  .a»^  a,  ipi  m,  hebräisch 
K"ip  qara  „ rufen **,  ii^  i/adad  ,  werfen**,  ]üKamefi  «fesf  (die  zusammengezogene 
kräftige  Hand,  zugleich  Symbol  der  Erde  als  Amon). 

Es  kann  möglich  sein,  dass  auf  Grundlage  von  Gesten  sich  bei  uncul- 
tivirlen  Stämmen  eine  Sprache  ohne  geschriebene  Zeichen  bildete,  da  aber 
die  Schnur  in  dreifacher  Weise,  nämlich  lang  —  kurz  —  und  als  Knoten  •  , 
oder  die  Figuren  |  /\  C  J  dieselben  Elemente  xiie  die  Gesten  zeigen,  so 
liegt  darin  eine  eben  solche  Übereinstimmung  wie  in  den  Sprachen,  welche 
alle  aus  Kehllaut,  Zungenlaut  und  Lippenlaut  sich  aufgebaut  haben,  und 
diese  Übereinstimmung  in  den  Elementen  lässt  auf  eine  einheitliche  Entstehung 
der  Sprache  und  der  Schrift  aller  Völker  schliessen.  Was  uns  insbesondere 
in  dieser  Meinung  bestärkt  ist  die  Weise,  wie  die  Sprachen  sich  ausgebUdet 
haben.  Unsere  deutsche  Sprache  besteht  durchwegs  aus  einsilbigen  Stämmen, 
z.  B.  Unzerstörbarkeit  hat  die  Stammsilbe  stör,  dieselbe  wird  verstärkt  durch 
die  Vorsilbe  zf.r,  zerstöreti  ist  ein  völliges  Stören,  dieser  Begriff'  wird  passiv 
durch  die  Nachsilbe  bar,  verwandt  mit  dem  lateinischen  ferre  ,  tragen **, 
zerstörbar  ist,  was  zerstört  werden  kann;  dieser  Begriff"  wird  substantivisch 
durch  die  Nachsilbe  keit,  während  die  Vorsilbe  un  dem  Begriffe  einen  ver- 
neinenden Sinn  giebl.  Der  Stanmi  selbst  aber  —  stör  —  ist  zusammengesetzt 
aus  der  Wurzel  tiur,  welche  mit  Thür  und  dem  lautverschobenen  Theil  ver- 
wandt ist,  und  aus  eniem  verstärkenden  s.  welches  sich  in  älmlicher  Weise  ui 


Ursprung  der  Sprache  und  Schrilt.  1  ^ 

^sohr**  erhalten  hat,  z.  B.  gross:  sehr  gross.  Die  Wurzel  tur  bedeutet  als 
oour  ,kühn**,  als  ,Thier^  das  Theilende,  Bewegliche,  Lebendige,  ^vie  auch 
das  lautverwandte  griechische  zoon  „Thier"  das  Lebendige  {zoos  lebendig)  ist, 
der  Stier  (wie  der  Fisch  Stör)  ist  das  kühne,  starke,  slörrige  Thier,  welches 
im  Altnordischen  als  tiur  und  im  griechischen  tauros  auch  ohne  s  vorkommt. 
Vom  Standpunkte  der  Runenschrift  aus  betrachtet,  geben  sowohl  ^  8  wie  D  ur 
den  Begriff  des  Theilens,  welcher  sich  in  tiur  findet,  und  während  sich  ur  in 
nW  verwandelte,  ging  ^  als  Dorn  in  Zorn  und  andererseits  in  Thür  und 
Thor  (ein  offenherziger  Mensch)  über,  während  sich  Dorn  in  dürr,  dörren 
und  sprachlich  wie  schriftlich  in  f  Tyr,  den  durchbohrenden,  zerstörenden 
Pfeil  verwandelte.  Wenn  sich  somit  die  Sprache  aus  wenigen  Elementen 
aufbaute,  aus  zweilautigen  und  dreilautigen  Wurzeln,  wie  die  sogenannten 
indogermanischen  und  semitischen  Sprachen,  oder  aus  Consonant  und  Vokal. 
wie  die  chinesische  Sprache,  so  musste  sie  Stützen  haben,  an  denen  sie  sich 
aufrarü^en  konnte,  und  solche  Stützen  konnten  nur  die  Zeichen  sein.  Ohne 
Zeichen  konnte  man  nicht  auf  den  Gedanken  kommen,  Begriffe  wie  „Thor'* 
und  .«lürr**  zu  vereinigen,  das  Zeichen  V  allein  konnte  durch  die  Form  V  und 
►  auf  diese  Begriffs  Wandlung  fuhren,  und  diess  erinnert  uns  daran,  dass  wir 
aU  Grundlage  unserer  Gedanken  nichts  als  „Begriffe"  haben,  nämlich 
(Gegenstände,  welche  man  greifen  konnte,  und  welche  man,  um  sie  Anderen 
initzutheilen,  , zeigen*  oder  „zeichnen"  musste. 

Es  ist  doch  merkwürdig,  dass  die  Sprachbildung  manche  Lautklänge 
bevorzugte,  während  sie  andere  vernachlässigte,  so  ist  z.  B.  die  Reduplication 
//  in  tat,  tot,  tut,  tit(el)  tet  und  in  deut  ausgebildet,  während  ff  nur  einseitig 
in  , Pfeffer,  pfiff,  pfeiffen*  vorkommt,  und  während  theoretisch  aus  a^cStämme 
wie  ah,  ba,  ac,  ca,  br,  cb,  aa,  hh,  cc,  aaa,  bbby  ccc,  aha,  baa,  aab,  aca,  aar,  caa, 
fbtg,  mb,  bac  u.  s.  w.,  also  in  einer  grossen  Vielartigkeit  gebildet  weiden 
konnten,  sehen  wir  mühsam  die  Sprache  sich  an  einzelne  Sprachwurzeln 
anklammern  und  ihnen  die  verschiedenartigsten  Bedeutungen  beilegen,  welche 
nur  uothdQrflig  durch  die  Lautbiegung  unterschieden  werden,  wie  oben  Thier, 
Thur,  Thor  u. s.w.  Diese  Erscheinung  kann  doch  nur  dadurch  erklärt  werden, 
dass  die  solchen  Stänunen  zu  Grunde  liegenden  Begriffe  an  sich  vielseitiger 
waren  und  daher  der  Sprachkunst  grösseren  Spielraum  boten,  aber  die  Viel- 
seitigkeit bot  eben  die  Undeutlichkeit  des  Bildes.  Wir  werden  im  Verlaufe  der 
speciellen  Untersuchungen,  welche  die  folgenden  Capitel  enthalten.  Gelegenheit 


20  Synonyma.  —  Schrift  und  Zahl. 

linden,  diess  ausfuhrlicher  nachzuweisen,  und  beschränken  uns  deshalb  hier 
auf  diese  Andeutung. 

Waren  aber  die  Zeichen  die  Väter  der  Laute,  so  gewinnen  sie  für  die 
Sprachkunde  eine  hohe  Bedeutung«    denn   dann  bieten   sie  die   sichtbaren 
Wurzeln  der  Sprache,   dann  erklären  sie  mittelst  der  Polyphonie  die  Ver- 
schiedenheit der  Sprachen  und  die  Verschiedenheit  des  Ausdruckes  für  den- 
selben Begriff,  den  wir  nicht  nur  bei  der  Vergleichung  verschiedener  Sprachen, 
sondern  selbst  in  der  eigenen  antreffen,  wie  ^Sec*  und  ^Meer",  „Thier*  und 
,Vieh",  ^Erz*'  und  „Metall**,  ,Haus*'  und  , Gebäude-,  „Weg« und  , Strasse-, 
,  greifen"   und  ,  fassen"  u.  s.w.  In  dieser  Beziehung  bietet  die  Bilderschrift 
der  Ägypter  eine  gute  Anleitung  zur  Erklärung  der  Wörter,  weil  dieselbe  die 
Variationen  der  Zeichen  klar  vor  Augen  fuhrt  und  den  Ideengang  verfolgen 
lässt.  So  war  die  Hand  -»— •  anfanglich  nur  etwas  Ausgestrecktes,  damit  ver- 
band sich  aber  auch  der  Begriff  des  Messens   „die  Elle",  welche  wir  in  dem 
W^orte  „Ellenbogen"   noch  mit  dem  Arm  verbinden:  die  Hand  konnte  aber 
auch  „zeigen"  bedeuten  und  die  leere  Hand  „nichts",    den  ersten  Begriff 
fmden  wir  in  ägyptisch  a,  hebräisch  t  yad  „Hand",  lateinisch  ad  ,zu",  den 
letztern  im  verneinenden  griechischen  a ;  in  späterer  Zeit  suchten  die  Ägypter 
diess  zu  unterscheiden,  sie  zeichneten  die  Hand  „zeigend"  oder  mit  abwärts 
gebeugten  Fingern  als  inhaltslos,  sie  gaben  verschiedene  Figuren  bei,  um  die 
verschiedene   Thätigkeit   der  Hand  auszudrücken,   wie  J — I  mo  „geben", 
-^   -■  njTt  „schlagen",  tvJ  /w  „beschützen",  >^  ntn  „malen  u.  s.  w.,  wie 
die  deutsche  Sprache  aus  Hand:  hindettt  (abwehren)  Hund  (den  Beschützer 
der  Heerden),  aus  fassen:  die  Faust  u.s.w.  schuf. 

Die  Zeichen  bedeuten  aber  nicht  nur  Laute,  sondern,  wie  die  Alphabete 
der  Juden  und  Griechen  beweisen,  auch  Zahlen.  Dass  diess  kein  Zufall  ist, 
beweist  das  hebräische  Wort  idd  saphar,  welches  „schreiben"  und  „zählen" 
bedeutet,  noch  weiter  fuhrt  das  isländische  Wort  tala,  welches  „reden*  und 
„zählen"  bedeutet,  und  unser  Wort  „Rede"  hängt  mit  dem  nordischen  rWa 
„ordnen,  aneinanderreihen,  lesen",  raeoa  „reden"  zusammen  und  ist  ver- 
wandt mit  riia  .schreiben",  welches  auf  Runensteinen  mit  rista  „ritzen"  (der 
Runen)  wechselt.  Ebenso  hat  sich  mal  „Zielpunkt,  Zeitpunkt,  Zeitzeichen", 
woraus  tnala  „  malen " ,  gothisch  meljan  ,  schreiben "  geworden  ist,  im  deut- 
schen mel-deti  als  „er-zähl-en"  (isländisch  maela  „reden**)  erhalten.  Demnach 
ist    „lesen"   die   geordnete  Aufeinanderfolge   gesprochener  Laute;   \y\e  das 


Zeichenorduung.  ^  1 

Bcerenlesen  und  Ährenlesen  darin  besteht,  dass  man  eine  Frucht  nach  der 
andern  aufnimmt  oder  abpflückt,  so  ist  auch  die  „Rede**  die  geordnete 
Aufeinanderfolge  der  Wörter  im  Gegensatze  zu  , sprechen,  schwatzen**,  bei 
welchen  Wörtern  ein  logischer  Ideengang  gerade  nicht  vorausgesetzt  wird. 

Angesichts  dieser  Thatsachen  gewinnt  die  Zeichenordnung  der  Alpha- 
bete, mit  welcher  die  Zahlenordnung  verbunden  ist,  an  Wichtigkeit  und 
Bedeutung;  sie  kann  so  wenig  ein  Product  der  Willkür  sein,  als  die  Zeichen 
selbst  ihre  Gestalt  und  Bedeutung  dem  Zufalle  verdanken  können,  und  es 
wird  daher  eine  nicht  unwichtige  Aufgabe  der  Geschichte  der  Schrift  sein, 
den  Gründen  nachzuforschen,  aus  welchen  das  scheinbare  Durcheinander 
der  Lautzeichen,  wie  a,  h,  c,  d,  e,  f,  g  u. s.w.  als  feste  Ordnung  aufgestellt 
wurde. 

Diese  Aufgabe  ist  nicht  so  unmöglich,  als  sie  auf  den  ersten  Blick 
erscheinen  mag;  wir  haben  schon  oben  darauf  hingewiesen,  dass  die  Ideen 
«mvergänglich  sind,  zumal  weim  sie  tief  mit  der  menschlichen  Geistesent- 
Wicklung  verbunden  sind,  wie  diejenigen,  welche  der  Schriflerfindung  und 
Ausbildung  zu  Grunde  liegen.  Diese  Ideen  liegen  in  alten  Sagen  und  Mythen 
vergraben,  deren  Sinn  bisher  noch  zu  wenig  erforscht  wurde,  an  denen  Viele 
arhtlos  vorübergingen,  weil  sie,  in  ähnlicher  Weise,  wie  Araber  und  Italiener 
Inscbriftensteine  der  alten  Tempel  zum  Baue  ihrer  bürgerlichen  Wohnungen 
verwendeten,  von  alten  Völkern  zum  Aufl>aiie  ihrer  bürgerlichen  Geschichte 
verwendet  wurden. 

Auch  in  dieser  Beziehung  wird  die  Geschichte  der  Schrift  höchst  inter- 
e>>ant**  Aufklärungen  bieten,  und  Mancher  wird  wohl  bedauern .  dass  die- 
selben nicht  weiter  geführt  wurden:  der  Verfasser  musste  sich  aber  vor  Augen 
hah«*n.  dass  er  weder  eine  Geschichte  der  Sprache  noch  der  ReHgion  zu 
*rhreil>en  habe,  er  konnte  diese  Gegenstände  nur  berühren,  so  weit  es  der 
uninittelbar  vorliegende  Zweck  bedingte;  aber  innerh.ilb  dieser  Schranken 
niii>-te  er  sich  das  Recht  der  freiesten  Forschung  vorbehalten  ohne  Rücksicht 
auf  hf'rrschende  Anschauungen,  und  am  wenigsten  konnte  er  Auslegungen 
arreptiren.  welche  jüdische  Gelehrte  des  Alterthums,  sei  es  absichtlich  oder 
irrthflinlich.  aufgestellt  haben,  wenn  er  gegründete  Ursache  hatte,  an  ihrer 
l'nfehlbarkeil  zu  zweifeln.  Selbst  das  Ansehen  der  Bibel  kann  nur  gewinnen. 
w»*nn  ihn*  beJenklichen  Erzählungen  im  Lichte  der  freien  Forschung  sich  als 
n'in  ko'smi'^che  Vorgang»»  darstellen,  denen  nichts  l'nsittliches  anhaftet. 


22  Flau  des  Werkes. 

In  dieser  Weise  ist  iin  ersten  Ab>;chnitte  des  vorliegenden  Werkes  das 
Geheimniss  der  Entstehung  der  Lautschrift  aufzuklären  gesucht  worden. 
indem  die  Entstehung  der  europäischen  Alphabete  erörtert  wurde:  aber  die 
damit  gewonnene  Erkenntniss  würde  nur  eine  einseitige  sein,  wenn  nicht 
der  Blick  das  ganze  Gebiet  aller  Schriften  des  Erdkreises  überflöge  und  ähn- 
liche Erscheinungen  wie  in  unsemi  Erden winkel  in  allen  Ländern  beobachten 
lernte.  Bei  diesen  uns  femer  liegenden  Schriften  wird  es  uns  nicht  so  mög- 
lich sein,  die  Ursachen  der  Schriftveränderungen  aufzuklären,  weil  uns  die 
Mittel  zur  etymologischen  Durchforschung  von  Sprachen  fehlen,  die  wenig 
oder  gar  keine  Literatur  haben.  Dennoch  bieten  die  Zeichen  selbst  Anlass, 
ihre  Verwandtschaft  zu  verfolgen,  den  Wendungen  der  Alphabete  nachzu- 
gehen und  manche  Eigenthümlichkeiten  kennen  zu  lernen,  welche  sich  bei 
weit  auseinander  liegenden  Völkern  wiederholen  und  auf  ein  früheres  benach- 
bartes Verhältniss  derselben  hinweisen.  Wir  werden  gar  mancherlei  Metho- 
den kennen  lernen,  die  Sprache  in  der  Schrift  mehr  oder  weniger  genau  fest- 
zuhalten, wir  werden  dabei  wiederholt  Gelegenheit  haben,  das  Verhältniss  der 
Wort-  und  Silbenschriften  zur  Buchstabenschrift  zu  beobachten,  und  wir 
werden  die  Geistesarbeit  bewundern,  welche  von  so  vielen  Völkern  und  zu 
den  verschiedensten  Zeiten  auf  den  Aufbau  ihrer  Schriftsysteme  verwendet 
wurden.  Auch  in  dieser  Beziehung  wird  die  Geschichte  der  Schrift  lehrreich 
sein  und  das  Interesse  weiterer  Kreise  erregen. 

Endlich  werden  wir  uns  mit  den  Versuchen  der  Neuzeit  beschäftigen, 
abseits  von  den  historischen  Buchstaben  eigene  Zeichen  aufzustellen,  ent- 
weder um  sie  mechanischen  Apparaten  anzupassen,  wie  diess  bei  den  tele- 
graphischen Zeichen  der  Fall  ist,  oder  wie  in  der  Stenographie  die  Hand  in 
die  Lage  zu  setzen,  dem  schnell  gesprochenen  Worte  mit  der  Schrift  zu 
folgen.  In  dieser  letztern  Beziehung  liegen  fast  eben  so  viele  Alphabete  vor, 
als  die  historische  Schrift  im  Ganzen  aufzuweisen  hat,  und  wenn  auch  die 
meisten  derselben  nur  Producle  der  Nachahmung  sind,  so  bieten  andere 
doch  wohl  durchdachte  Arbeiten,  welche  das  Wesen  der  Schrift  von  einem 
neuen  Standpunkte  auffassen  und  die  Aussicht  eröffnen ,  dass  auch  auf  dem 
Gebiete  der  Schrift  die  Producte  der  neuern  Wissenschaft  die  ererbten  unvoll- 
kommenen  Schriftsysteme  verdrängen  und  eine  neue  .\ra  des  Schriftwesens 
begründen  werden.  Von  diesen  Bestrebungen  ist  bisher  im  grössern  Publikum 
wenig  bekannt  geworden,  und  hieraus  erklären  sich  die  Vorurtheile,  die  jetzt 


Die  Schrift  der  Zukunft.  ^23 

noch  selbst  in  wissenschaftlichen  Kreisen  der  Neugestaltung  des  Schriftver- 
fahrt*ns  entgegengetragen  werden. 

Die  Geschichte  ist  eine  Lehrerin  nur  in  dem  Falle,  weini  sie  die  Ent- 
wicklung des  Bestehenden  beleuchtet,  dass  wir  seine  Mängel  erkennen  und 
lins  von  denselben  frei  machen.    In  unserer  gebräuchlichen  Schrift  spuken 
noch  alle  Geister  und  Gespenster,  für  welche  sie  geschaffen  wurden ;  aber  es 
ist  ihr  der  Geist  wissenschaftlichen  Strebens  verloren  gegangen,  der  ihr  den 
Trspnmg  gab.    Dieser  Geist  wissenschaftlichen  Strebens  ist  auf  die  Schrifl- 
systeme  der  Neuzeit  übergegangen,  in  denen  er  das  Material  der  Schrift  der 
Zukunft  braut;  unsere  Sprache  ist  glücklicherweise  so  ausgebildet,    dass  sie 
«*ine  neue,    auf  wissenschaftlicher  Grundlage  beruhende  Form   der  Zeichen 
ohneweiters  annehmen  kann,    und  da  diese  neue  Schrift  die  Klarheit  und 
Di'ullichkeit  der  Bezeichnung   mit  der  höchsten  Einfachheit  der  Form  und 
mit  der  grössten  Leichtigkeit  der  Erlernung  vereint,    so  wird  sie  sich  sicher 
Bahn  brechen  und  die  jungen  Generationen  der  Zukunft  werden  mit  leichterer 
Müh(*  die  Wege  der  Wissenschaft  wandeln.    Nicht  mehr  wird  die  wichtigste 
menschliche  Arbeit,  die  geistige,  in  den  schweren  Fesseln  einer  überlebten 
Form  oinherhinken.    Leicht,    wie  der  elektrische  Funke  das  Wort  am  Draht 
f*ntlang  tragt,   .schnell,   wie  die  Eisenbahn  das  voluminösere  Geisteswerk  in 
f'filfenite  Gegenden  führt,  wird  der  Gedanke  sich  dem  Papiere  anvertrauen, 
und  das  Licht  der  Aufklärung  möge  auch  die   letzten  Beste  jener  Bohheit 
l»<*s**itigen,    welche   wie   erratische  Blöcke   das   freundliche   Gartenland   der 
Cultur  verunstalten. 


jr 


EBSTER   THE  IL. 


R  U  N  A 


ODER 


DAS  CtEHEIMNISS  DES  URSPRUNGS 


DER 


LAUTZEICHEN. 


1.  DIE  TRADITION. 

Wie  es  Ereignisse  im  Kindesalter  giebt,  welche  sich  lebendig  im  Gedächt- 
nisse des  Mannes  erhalten,  so  erhielten  sich  auch  Ereignisse  aus  der  Urzeit 
der  Cultur  im  Gedächtnisse  der  Völker  und  bildeten  den  Kern  der  Sagen. 
Natürhoh  haben  dieselben  nicht  Anspruch  auf  unbedingte  Glaubwürdigkeit, 
da  einerseits  Manches  miss verstanden,  einseitig  ausgelegt  und  dadurch  falsch 
überliefert  wurde,  und  andererseits  Beobachtungen  und  Lehren  abstracter 
Natur  sich  mit  historischen  Ereignissen  mischten,  Menschen  zu  Göttern  und 
Naturkräfte  zu  Menschen  gemacht  wurden;  es  wäre  aber  thöricht,  dieser 
Schlacken  halber  den  werthvolleu  Inhalt  ganz  zu  verwerfen,  vielmehr  ist  es 
im  Interesse  der  Aufklärung  geboten,  alle  Erfahrungen,  welche  die  Wissen- 
schaft uns  in  neuerer  Zeit  gebracht  hat,  anzuwenden,  um  die  Räthsel  unserer 
Vorfahren  zu  lösen. 

Wenn  daher  die  Sage  die  Erfmdung  der  Schrift  den  Göttern  zuschreibt, 
so  wird  der  Forscher  diese  Tradition  nicht  als  albern  bei  Seite  schieben:  die 
(fötlerideen  entstanden  in  menschlichen  Gehirnen,  und  aus  derselben  Quelle 
entsprang  die  Schrift;  ist  daher  die  Schrift  göttlichen  Ursprungs,  so  ist  sie 
uralt,  denn  sie  ist  mit  der  ersten  menschlichen  Cultur,  mit  der  ersten  Regung 
des  Geistes,  mit  der  Religion  ursächlich  verknüpft. 

Werden  nun  mit  der  Entstehung  der  Schrift  bestimmte  Namen  ver- 
bunden, so  bekommt  die  Forschung  festern  Boden,  denn  die  Namen  der 
Vorzeit  sind  nicht  so  willkürlich  gewählt,  wie  die  der  Jetztzeit,  sie  sind 
BejfrifTe,  welche  von  den  Philologen  ebenso  anatomisch  untersucht  werden 
können  wie  Körper. 

Da  wir  es  hier  nicht  mit  einer  einzelnen  Schrift  zu  thun  haben,  so 
nin»>en  wir  die  Sagen,  welche  sich  auf  den  Ursprung  der  Schrift  beziehen, 
im  Zusammenhange  behandeln  und  wollen  sie  daher  zunächst  hier  zusannnen- 
-»teilen. 


2!^  Sa^eii  von  der  Sclirifterfinduu^. 

Die  mesLikanische  Sage  berichtet,  die  Schrillt  sei  von  dem  Gotte  Ketsal- 
koatl  erfunden,  der  auch  als  Herr  der  Landbauer  und  der  Metalle  verehr, 
wurde.  Ketsalkoatl  ist  die  , gefiederte  Schlange.*- ' 

Nach  der  chinesischen  Sage  wurde  die  Schrift  von  Fohi  erfunden,  der 
auch  in  China  zuerst  die  Cultur  verbreitet  haben  soll.  Im  »Buche  der  tausend 
Worte  ^  heisst  Fohi  ,Herr  des  Drachen,  Kaiser  des  Feuers,  Obrigkeit  der 
Vögel,  König  der  Menschen  •".  Mit  der  Erfindung  der  Schrift  wird  auch  der 
Anfang  der  Kleidung  in  Verbindung  gebracht.* 

Aus  hidien  liegen  keine  directen  Sagen  vor;  ein  chinesischer  Schrift- 
steller. Huen-Thsang.  ein  Buddhist,  schreibt  die  Erfindung  der  indischen  Schrift 
dem  Gotte  Fan,  d.  i.  Brahma,  zu.^ 

Die  eranische  Sage  bezeichnet  den  König  Tahmurath  (d.  h.  der  grosse 
Fuchs)  zwar  nicht  als  den  Erfinder  der  Schrift,  wohl  aber  als  Denjenigen, 
welcher  die  Schrift  den  Dämonen  (azhis  dahaka)  entriss.  Die  Schrift  sei  von 
guten  Geistern  erfunden  worden,  aber  in  die  Hand  der  Dämonen  gerathen. 
welche  sie  bis  zuTahmurath's  Zeil  den  Menschen  vorenthielten.  Von  Tahmurath 
wird  noch  erzählt,  dass  er  die  Unze,  den  Leoparden  und  Falken  zähmte  und 
sie  zur  Jagd  abrichtete,  Hausthiere  mit  Stroh  und  Körnern  futtern  und  die 
Wolle  der  Thiere  zu  Zeugen  weben  lehrte,  die  Hühneraucht  einführte  und 
grosse  Bauwerke  errichtete.  ^^ 

Einem  ähnlichen  Namen  begegnen  wir  in  Südamerika,  wo  die  Eiii- 
gebomen.  scheu  und  ohne  sie  anzusehen,  an  den  Felsinschriften  vorübergehen 
(weil  sie  dieselben  für  göttliche  Emanationen  halten)  und  leise  Tehmehri 
rufen.  ^^ 

Die  babylonische  Sage  schreibt  die  Erfindung  der  Schrift  dem  Oannes 
zu,  einem  Wesen  halb  Fisch,  halb  Mensch,  welches  am  Tage  die  Menschen 
alle  Künste  und  alle  Wissenschaften  lehrte  und  Nachts  sich  in  das  Wasser 
zurückzog.  Sardanapal  nennt  in  einer  Inschrift,  welche  er  für  seine  Bibliothek 
verfasste.  Nebo  und  Tasmil  als  die  Götter,  welche  seinen  Vorfahren  die  Schrift 
gelehrt  halten.  ^- 

Die  äjryptische  Sa<re  nennt  Tliaud  als  den  Erfinder  der  Schrift,  von  ihm 
wird  erzählt,  er  habe  die  Sprache  und  alle  Wissenschaften  erfunden,  den 
Menschen  die  taktische  Bewegung,  die  Bildung  des  Körpers  zu  geftilligem 
Anstand  und  die  Fechlkunst  gelehrt,  die  Stellung  der  Gestirne,  sowie  die 
Harmonie  und  das  Wesen  der  Töne  beobachtet  und  den  Oelhaum  erfunden.*'* 


Sagen  von  der  Schrille rfindung.  -9 

Die  nordische  Sage   nennt  mehrere  Schrifterfinder;  zunächst  Udhin, 
y<  II  <\**m  es  heisst: 

Ich  weiss,  dass  ich  hing  am  windigen  Baum 

Neun  lange  Nächte, 

Vom  Speer  verwundet,  dem  Odhin  geweiht. 

Mir  selber  ich  selbst, 

Am  Ast  des  Baumes,  dem  Niemand  ansieht, 

Aus  welcher  Wurzel  er  quoll. 

Sie  boten  mir  nicht  Brod  noch  Muth, 

Da  neigt  ich  mich  nieder. 

Auf  Runen  sinnend,  lernte  sie  seufzend: 

Endlich  fiel  ich  zur  Erde. 
Andererseits  heisst  es  in  der  Völuspa: 

Die  Äsen  einen  sich  auf  dem  Idafelde 

Über  den  Weltumspanner,  den  Grossen,  zu  sprechen, 

l'ralter  Sprüche  sind  sie  eingedenk, 

Von  Fimbultyr  gefundener  Runen.  *"* 

Ein  dritter  Erfinder  ist  Rigr,  der  dem  Jarl  Runen  kennen  lehrte:  Zeit- 
ninen  und  Zukunflsrunen. 

Endlich  berichtet  die  jüngere  Edda**  über  den  Ursprung  der  Dicht- 
kunst Folgendes:  Die  Äsen  hatten  Unfrieden  mit  einem  Volke,  das  man 
Wanen  nennt.  Nun  aber  traten  sie  zusammen,  Frieden  zu  schliessen,  und  der 
kam  auf  diese  Weise  zu  Stande,  dass  sie  von  beiden  Seiten  zu  einem  Gefasse 
Irinnen  und  ihren  Speichel  hineinspuckten.  Als  sie  nun  schieden,  wollten  die 
Äsen  dieses  Friedenszeichen  nicht  untergehen  lassen.  Sie  nahmen  es  und 
*«hufen  einen  Mann  daraus ,  der  Kwasir  heisst.  Der  ist  so  weise ,  dass  ihn 
Niemand  um  ein  Ding  fragen  mag,  worauf  er  nicht  Antwort  wüsste.  Er  fuhr 
w«-it  umher  in  der  Welt,  die  Menschen  Weisheit  zu  lehren.  Später  wurde  er 
ton  den  Zwergen  erschlagen,  welche  mit  seinem  Blut  den  Kessel  Odhrörir  und 
die  (tefässe  Son  und  Bodn  füllten,  Honig  in*s  Blut  mischten  und  daraus  einen 
Mf'th  erzeugten,  der  jeden  Trinker  zum  Weisen  und  Dichter  machte.  Der 
Riese  Suttiing  nahm  später  diesen  Mcth  den  Zwergen  ab,  verbarg  ihn  im 
Hnilb«*rge  und  setzte  seine  Tochter  Gunnlödh  zur  Hüthcrin.  Aber  Odhin 
drang  in  den  Berg  ein,  verführte  die  Gunnlödh  und  raubte  den  Meth.  —  In  dieser 
Sajre  if^t  allerdings  nicht  von  der  Schrift  die  Rede,  wem  fällt  aber  nicht  die 


30  Kwasir  und  die  Kiiotenschrilt 

Ahnlichkeil  mit  der  Sage  von  Tahmörath  auf.  der  die  Schrift  den  Dämonen 
entriss,  wie  Odhin  die  Dichtkunst  den  Riesen  raubte? 

Aber  noch  aus  einem  andern  Grunde  wurde  die  Kwasir -Sage  hier 
aufgenommen.  Kwasir  wird  in  der  Edda  öfter  erwähnt,  er  sah  das  zu  Asche 
verbrannte  Netz  des  Gottes  Loki  und  merkte,  dass  dies  ein  Kunstgriff  sei. 
Fische  zu  fangen,  worauf  sie  anfingen  und  ein  Netz  jenem  nachmachten,  mit 
welchem  sie  den  Loki,  der  sich  in  einen  Fisch  verwandelt  hatte,  fingen. 
Kwasir  war  ein  Wane  und  mit  Njördh,  dem  Meeresgotte,  als  Geisel  zu  den 
Äsen  gekommen,  wie  der  griechische  Poseidon  den  Kreis  der  Olympier  ver- 
vollständigte. Loki  war  als  Laugr  selbst  das  Meer  und  somit  identisch  mit 
Njördh  und  Kwasir,  denn  Loki  hatte  das  Netz  gemacht  und  Kwasir  kannte 
das  Netz,  weil  er  die  älteste  Schrift,  die  Knoten schrifl,  selbst  w^ar.  Diess 
beweist  sein  Name.  Kwasir  ist  zwar  verwandt  mit  dem  isländischen  geys 
„Hausen,  Heftigkeit,  Wuth"  (Geysr  der  feuerspeiende  Berg)  und  identisch  mit 
Odhin,  deutsch  „Geist*,  nordisch  A*m^  „Gott",  aber  das  Wort  besteht  aus  zwei 
Wurzeln  Am  =  kwa  und  s,  sir,  wovon  die  erstere,  welche  sich  in  unserm 
„Kuh"  erhalten  hat,  „bändigen,  zähmen"  (also  Kuh.  das  gebändigte,  gezähmte 
Tliier)  bedeutet;  sir  bedeutet  „Herr"  und  ist  ein  bei  vielen  Völkern  verbreitetes 
Wort,  sanskritisch  äira,  arabisch  sary,  hebräisch  sar,  slavisch  czar,  englisch 
,stV.  französisch  sire  und  deutsch  y^sehr^,  immer  etwas  Grosses.  Vornehmes 
bedeutend;  in  kwasir  einigt  sich  also  „bändigen"  im  Passivum  und  Activum. 
Ebenso  finden  wir  im  Ägyptischen  ka  und  sir  für  „Schnur",  sr  als  Vornehmer, 
im  Hebäischcn  heisst  ^p  qav  „Schnur",  mü  sera  „Kette,"  ii«?  sur  „reihen", 
iiü  §or  „Rind",  im  Chinesischen  heisst  kie-seit  „ Knolenknupfen "  und  im  Peru- 
anischen sind  die  Quipus  die  Knolenschrifl,  wahrscheinlich  vom  chinesischen 
Pa-kica  „die  acht  Knoten".  Im  Deutschen  haben  sich  die  Wurzeln  in  „kauern, 
Kuh,  Knäuel",  wie  in  „Seil"  und  „Zwirn"  erhalten.  Die  Äsen  waren  Götter 
eines  Jägervolkes,  die  Wanen  die  eines  SchifTervolkes.  aus  der  Vereinigung 
des  Speichels,  d.  i.  der  Sprache  und  Sagen  beider  entstand  Kwasir  als  Inbegriff 
der  Weisheit  seiner  Zeit. 

War  Kwasir  das  chinesische  Pa-kwa,  so  war  er  auch  der  Fohi,  dem  die 
Erfindung  dieser  Pa-ktcas,  welche  wir  später  als  die  acht  Himmelsrichtungen 
und  Elemente  kennen  lernen  werden,  zugeschrieben  wird;  war  er  als  Netz- 
kenner identisch  mit  dem  Netzknüpfer  Loki,  der  sich  in  einen  Lachs  verwan- 
delte, dann  war  er  identisch  mit  dem  babvlonischen  Fischmenschen  Oannes: 


Kwasir  —  Oannes  —  Thaud  —  Brahma  —  lao.  3 1 

sowohl  als  Fisch  wie  als  Wuth  war  er  die  Wolke  und  die  Meeres  woge,  welche 
l>eide  den  Begriff  des  Drachen  schufen,  also  den  Ketsalkoall  der  mexikanischen 
Sage,  den  Dämon  azhis  der  Babyloner,  ägyptisch  ^^  die  als  i  ari,  nh  die 
Uräus  oder  Midgardschlange  und  identisch  mit  Nebo  ist.  Der  Ackerbau 
r^ntstand  hei  den  Fischern,  welche  sich  an  den  Flussufern  niedergelassen 
hatten;  die  Cberschwemmungen  erzeugten  den  fruchtbaren  Schlamm,  sie 
trug**n  auch  aus  dem  Innern  der  Berge  die  Goldkörner  und  Erze  herbei, 
welche,  zufallig  im  Lagerfeuer  geschmolzen,  ^®  zur  künstlichen  Metallbearbei- 
tung führten,  woraus  sich  erklärt,  dass  der  Drache  der  Gott  des  Ackerbaues 
werden  konnte.  Der  Lehrer  des  Fischfanges  aber  war  ^y^  Thaud,  der  Sumpf- 
vogel, in  Ägypten  der  Ibis,  in  Europa  der  Storch^  der  störrige,  starr  am  Ufer 
>lehende.  der  dem  geduldig  an  der  Angel  sitzenden  Fischer  ein  Vorbild  war, 
h»*bräisch  m'Dn  /asida  ,der  seine  Kinder  ernährt"  verwandt  mit  nnvo  kas-dim 
dt'm  Namen  der  Chaldäer  (von  nW3  kasa  „sich  mästen"),  ein  Name,  der  sinn- 
verwandt ist  mit  den  nordischen  dickbäuchigen  Zwergen  und  den  phönikischen 
F^atäken.  welche  als  Götter  der  Sohifffahrt  auf  keinem  Schiffe  fehlten, 
ursprünglich  aber  Bewohner  der  Sumpfgegend  waren,  denen  die  Malaria  die 
Hauche  auftreibt. 

Fimbultyr  wird  von  Simrock  als  der  unausgesprochene  Gott  charak-  • 
lerisirt.  eine  Wiedergeburt  des  Odhin,  von  dem  es  heisst: 

Einst  kommt  ein  Anderer,      mächtiger  als  er. 

Doch  noch  ihn  zu  nennen,  wage  ich  nicht. 
Der  Fimbultyr- Winter  ist  derjenige,  welchen  Baldur's  Tod  herbeiführt, 
dfm  kein  Sommer  folgt,  sondern  der  Untergang  der  Welt.  Fimbultyr  ist  dem- 
narh  «lerselbe  Begriff  wie  das  hebräische  uvsm  ,Name,  Gerücht**  und  der 
indische  Brahma,  das  Wort,  der  unbegreifliche  Gott,  dessen  Name  nicht  aus- 
j:«->prochen  werden  darf,  wie  der  des  Jehovah  der  Juden,  oder  wohl  richtiger, 
d«'>.«'n  Name  lAfl  oder  auch  AEIOY  nicht  ausgesprochen  werden  kaini,  da 
er  nur  aus  Vokalen  besteht,  wie  auch  rt^rt'",  er  ist  der.  von  dem  es  im  Evange- 
lium Johannis  heisst:  ich  bin  diis  A  und  j?,  der  Anfang  und  das  Ende,  also 
das  <,AII',  iotu»,  omnis,  u.s.w.,  welche  Begriffe  in  den  Götternamen  Allvater, 
Tod  oder  Tliaud,  Anion  wiederkehren.  War  Fimbultvr  nicht  nur  der  Unter- 
gang,  sondern,  wie  es  sehr  wahrscheinlicli  ist,  auch  der  Anfang,  so  liegt  die 
Vermiithung  nahe,  dass  er  die  drei  ersten  Buchstaben  der  Runenordnung 
fffX\%trV  thurs  darstellt,  denn  ur  ist  so  viel  wie  hui,  fmtth'  der  Stier,  ja  selbst 


32  Rigr  —  Thaml  —  Anubis  —  Nebo. 

wie  tifr,  denn  tiur  ist  ebenfalls  der  Stier,  die  erstgeschafifene  Stierseele  der 
Perser,  die  neben  Ymir  entstandene  Kub  Audhumbla  der  nordischen  Sage, 
begrifflich  die  Wolken,  wie  Indra's  Kühe  beweisen,  die  Nacht,  der  Winter,  der 
die  junge  Sonne  erzeugt,  in  zweiter  Potenz  die  junge  Sonne  selbst. 

Mit  Fimbultyr  hängt  Rigr  eng  zusammen;  dieser  ist  der  , Erreger*,  der 
Amor  der  Römer,  welcher  die  Liebenden  eint,  er  ist  aber  auch  der  Richter. 
der  die  Stande  einfährt,  der  Reiher,  Oi-dner,  der  Gründer  der  Regierung,  der 
Rächer  des  Unrechts,  der  Verwünscher  (isl.  ^*agn  Verwünschung),  der  mi 
ruaj(  , Geist**  der  Juden,  das  "iok  amavy  d.  i.  das  schaffende  Wort  Gottes. 
Hinter  diesen  Wörtern  verbergen  sich  nicht  mehr  Gedanken,  sondern  bereits 
wirkliche  Personen,  nämlich  die  Priester,  und  wenn  Rigr  nicht  dem  Knechte, 
nicht  dem  freien  Bauern,  sondern  dem  Jarl  Runen  lehrt,  so  folgt  daraus 
nicht,  dass  früher  die  Zeichenkunst  unbekannt  gewesen  sei,  denn  die  Knoten- 
schrift hat  ihre  Spuren  auch  bei  den  ungebildetsten  Völkern  hinterlassen,  son- 
dern dass  die  Beschäftigung  mit  der  Schrift,  mit  der  Zeitrechnung  und 
Zukunflsdeutung  von  hier  ab  das  Privilegium  eines  Standes  wurde,  der  Jarle 
(noch  erhalten  im  englischen  earl  „Graf"),  welche  ein  Priestergeschlecht 
bildeten  und  von  ihrer  Keniitniss  auf  Kosten  der  Bauern  und  Knechte  lebten. 

Einem  ähnlichen  Begriffe  begegnen  wir  in  den  Xamen  Nebo  und  Tasmit 
der  Assyrer.  Tasmit,  buchstäblich  TT»^T  T>-  ^""^Tfc^  tas-fni-tur  oder  tas-^-tur, 
da  in  der  Keilschrift  m  und  r  gleich  sind,  lehnt  sich  eng  an  das  ägyptische 
— •  jk  ^^^  thaiid  an,  zumal  ^  an  ist,  also  das  Wort  auch  thastid  heissen 
könnte ;  TT^-T  mit  den  Lautwerthen  ias,  ur,  Uk,  lis,  ran  bedeutet  »Hund*, 
arabisch  kalb,  hebräisch  kaleb,  und  es  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  von 
diesem  Worte  das  römische  caeUbs  herstammt;  1>-  mi  bedeutet  , hundert*. 
iuv  ^Thier**,  Tasmid  ist  also  der  hundertköpHge  Höllenhund  Kerberos,  der 
Argos  oder  der  Stemenliimmel,  als  Symbol  der  Nacht  und  des  Todes.  Elnt- 
spricht  aber  Tasmid,  der  Hund,  dem  Ibis-Thaud,  so  entspricht  umgekehrt  der 
Ibis  dem  Nebo,  denn  dieser  heisst  ►-►-J  ►-T^J  an  ak  d.  h.  »Gott  Schöpfer* 
(hebräisch  tj«  anoki  ich),  ak  ist  aber  im  Ägyptischen  ^fc  der  Schwan,  als 
Wasservogel  ein  naher  Verwandter  des  Ibis.  Mit  den  obigen  Keilschriflzeichen 
(an-Hik)  wechselt  ►►-j  Cp^  «n  pu,  woraus  Nebo  geworden  ist,  d.  i.  ägyptisch 
1 11^  J  ^^'P^  ^^^r  iaj  Anubis.  Anubis  mit  dem  Hundekopfe  (er  eriimert 
an  Tahmurath  den  grossen  Fuchs)  empfangt  aber  neben  dem  ibisköpßgen 
Thaud  die  Seelen  der  Verstorbenen,  Anubis  wägt  ihrHerz,  Thaud  beaufsichtigt 


Verschiedene  Epochen  der  Schrift.  33 

die  Wage,  Jjeide  sin^also  die  Richter  der  Unterwelt.  Wer  aber  waren  die 
Todlenrichter  anders  als  die  Priesterschafl?  Wenn  noch  ein  Zweifel  darüber 
bestehen  konnte,  so  beseitigt  ihn  die  Hieroglyphe  ^S^ssta,  ein  Priestertitel, 
das  ist  der  scharfäugige  Priester,  der  auf  dem  Thurme  den  Himmel  beobachtet 
und  dem  hellsten  Fixstern  seinen  Namen  gegeben  hat,  weil  die  Ankunft 
dieses  Wächters  der  Sternenheerde  den  Beginn  der  Überschwemmung  anzeigt 
und  die  Menschen  als  treuer  Hüther  warnt,  bei  Zeiten  sich  in  Sicherheit  zu 
bringen.  Der  ägyptische  Hund  Anubis  ist  zugleich  der  Wolf  Odhin's,  der  die 
Opfer  verzehrt,  da  der  Gott  zu  seiner  Nahrung  der  Speise  nicht  bedarf 
er  ist  der  schlaue  Fuchs  der  Thiersage,  dessen  List  die  aller  anderen  Thiere 
übersteigt. 

Finden  wir  hier  den  Hund  des  Jägers  mit  dem  Ibis  des  Fischers  fried- 
lich geeinigt,  so  treten  beide  in  der  eranischen  Sage  als  feindlich  einander 
gegenüber;  denn  es  kann  kein  Zweifel  sein,  dass  die  azhis  ddliaka  oder 
Dämonen  der  Babylonier  der  Deus  oder  Thaud  der  Ägypter  war;  ist  doch 
noch  jetzt  der  verabscheute  Dev  der  Parsen  der  gute  Gott  der  Inder;  auch 
dakaka  dürfte  mit  dem  ägyptischen  |8  jK,*^^  '-'»-«-^->  oder  Thaud  identisch 
sein,  d.  i.  das  hebräische  nnn  ta/ath  »der  untere  Theil"  »nnri  ta/ti  „das 
Unterste*;  i  t/n  „der  Obelisk*  ist  das  von  den  Ackerbauern  hochverehrte 
Symbol  der  Fruchtbarkeil,  welches  von  den  Anhängern  Zoroaster's  sehr 
verabscheut  wurde,  da  nach  ihrer  Lehre,  welche  auch  in  die  Bibel  gedrungen 
Bt,  die  Lüsternheit  eine  Folge  der  Sünde  war;  die  Perser  waren  eben  Hirten. 
denen  der  natürliche  Gras  wuchs  für  ihre  Heerden  genügte,  und  welche  nicht 
nöthig  hatten,  die  Natur  künstlich  zu  grosser  Fruchtbarkeit  zu  nöthigen. 

Wiederum  aber  wäre  es  gefehlt,  daraus  zu  schliessen,  dass  die  Hirten 
keine  Schrift  gekannt  hätten,  vielmehr  ist  es  auffallend,  dass  hierbei  von 
sieben  Arten  der  Schrift  gesprochen  wird,  welche  den  Dämonen  entrissen 
wurden,  und  worunter  nichts  Anderes  zu  verstehen  sein  kann  als  die  Theilung 
der  Woche  in  sieben  Tage,  welche  die  Hirten  von  den  Ackerbauern  annahmen 
und  ihrer  Zeitrechnung  einverleibten,  also  eine  ähnliche  Sage,  wie  die  vom 
Friedensschluss  der  Wanen  und  Äsen. 

Hi<*rau8  folgt,  dass  es  in  der  Geschichte  der  Schrift  verschiedene 
Epochen  gegeben  hat,  während  welcher  sich  mit  den  Anschauungen  die 
Zeichen  vermehrten,  dass  mehrere  Völker  auf  einer  gemeinschaftlichen  Gniiid- 
lajre  verschiedene   Formen   der  Zeichen    ausgebildet   haben,   welche  dann 

FaalmanD,  Gfvrhichte  d.  Srhrifl.j  '\ 


34  Die  nordischen  Runen. 

vereinigt  wurden,  und  dass  auf  diese  Weise  allmählich  eine  WisseLSchafl 
•  entstand,  welche  vorzugsweise  Besitz  eines  Volkes  war,  das  sich  als  Priester 
über  die  Erde  zerstreute,   überall  durch  Gesang  die  Menschen  erfreuend^ 
durch  Zauber  sie  schreckend,  durch  Belehrung  sie  bildend.   Hierauf  deuten 
die  Sagen  von  dem  wandernden  Sänger  Arion,  dem  auch  das  Los  des  Kwasir 
drohte,  von  Orpheus,  der  selbst  in  die  Unterwelt  stieg,  wie  die  Forschung  der 
Priester  sich  auch  auf  die  Zukunft  des  Menschen  nach  dem  Tode  ausdehnte, 
und   endlich  die  Sagen  über  die  Givilisation  der  Menschen,  welche  an  die 
Einfuhrung  der  Schrift  geknüpft  wurden.   War  Thaud  nicht  eine  einzelne 
Person,    sondern   die   Personification   des   Priesterstandes,    so   verliert  die 
Sage,    er  habe  die  Sprache,  das  Rechnen,  die  Musik,  die  Fechtkunst  u.  s.ve. 
erfunden  und  den  Oelbaum  eingeführt,  alles  Wunderbare  und  die  Sage  erhält 
den  Charakter  einer  sehr  glaubwürdigen  Thatsache. 

Von  Interesse  ist,  dass  unter  diesen  Erfindungen  auch  die  Sprache 
genannt  wird,  und  daraus  geht  hervor,  dass  die  Schrift  in  jener  Zeit  nicht 
Schreibkunst  im  engem  Sinne,  sondern  Zeichen  künde  war;  auch  die  Sprache 
mussle  sich  erst  mit  und  an  den  Zeichen  entwickeln,  bevor  man  an's 
Schreiben  denken  konnte,  und  nirgends  tritt  uns  dieses  Verhällniss  von 
Sprache  und  Schrift  so  klar  entgegen  als  in  den  Runen,  mit  denen  wr  uns 
daher  auch  in  erster  Reihe  beschäfligen  müssen. 


■2.  DIE  NORDISCHEN  RUNEN. 

Rune  ist  ein  im  Norden  Europas  heiinisclier  Name  für  Schriftzeichen, 
welche  in  der  Form  Ahnlichkeil,  ja  völlige  Übereinstimmung  mit  den  phöni- 
kischen,  altgriechischen  und  römischen  Zeichen  haben,  so  dass  einige  Gelehrte 
zu  der  Annahme  geführt  wurden,  die  Runen  seien  aus  der  griechischen  oder 
lateinischen  Schrift  entstanden,  zumal  alle  SchrittdenkmiUer  derselben  nirht 
weit  über  die  Zeit  hinaufreichen,  wo  das  Christenthum  in  Schweden  eingeführt 
wurde. 

Aber  der  Name  run  ist  verwandt  mit  rt/na  ,  verborgene  Dinge  ergrün- 
den**, run,  nina  ,die  vertraute  Rathgeherin",  noii  „der  vertraute  Rathgeber", 
ry//</r, kundig,  Zauberer** ,  im Gütliischen be<leutet nina  „  Geheimniss, Beralhung, 
Ralhschluss**,  im  Althochdeutschen  run^t  „GeinurnieK   Hath*,  mtis  ,  Spring- 


Zauberrunen.  35 

«juell*  (Ursprung),  welches  sich  im  neuhochdeutschen  raunen  und  rinnen, 
renntrn  erhallen  hat,  und  diese  Bedeutungen  sind  etwas  ganz  Anderes,  als 
was  man  unter  Schrift  versteht,  denn  unsere  Schrift  ist  das  Gegentheil  von 
Geheimniss,  in  Steine  eingegraben  ist  sie  die  öffentliche  Bekanntmachung 
und  in  ihrem  gegenwärtigen  Gebrauche  zu  Zeitungen  ist  sie  die  unbeschränkte 
OtTentlichkeit. 

Nun  mag  allerdings  in  der  Vorzeit  der  Gebrauch  der  Runen  dem  Volke 
vonMithalten  worden  sein,  wie  die  Kenntniss  der  indischen  Vedabücher  den 
indischen  Parias,  die  Runen-Urkunden  mögen  die  alten  Überlieferungen  nur 
filr  Eingeweihte  enthalten  haben,  wie  es  in  Hawamal  79  angedeutet  ist: 
Was  wirst  du  finden,  fragst  du  die  Runen, 

Die  hochheiligen, 

Welche  Gölter  schufen,  Hohepriester  schrieben, 

Dass  nichts  besser  sei  als  schweigen? 
So  lernte  auch  Rigr  die  Runen  nur  dem  Jarl  und  zwar  Zeilrunen,  um  die 
Z*Mt  zu  messen  und  die  Opferfeste  zu  bestimmen,  und  Zukunflsrunen,  welche 
Skuld.  die  Xome  der  Zukunft,  schnitt,  um  zu  weissagen.  Wenn  es  ferner  im 
Gripi^paüede  heisst: 

Sie  wird  dich  Reichen  Runen  lehren. 

Alle  die  Menschen  wissen  möchten, 

<o  «Tinnert  das  an  den  nordamerikanisohen  Indianer,  der  vom  Medizinmanne 
•'♦*'^<'n  kostbare  Geschenke  Zauberzeichen  (Kekinowins,  verwandt  mit  dem 
nonii-rhen  tjwjn  , Nutzen,  Beistand**?)  und  Zauberlieder  eintauscht,  denen 
♦T  mehr  Macht  zuschreibt  als  seinem  natürlichen  Mulhe,  seiner  vielgeiibten 
LUi  und  seiner  (iewandtheit. 

Anrh  im  Norden  wird  die  meiste  Nachfrage  nach  Zauberrunen  geherrscht 
h.ihen, denen  man  übernalürliihe  Kräfte  zuschrieb.  So  heisst  es  inSigrdrifumal: 
ti.  Si»'>rnmt»n  schneide,  wenn  du  Sieg  willst  haben; 

(ir.die  sie  ein  auf  des  Schwertes  Grill, 

Auf  die  Seiten  eini^^re,  andere  auf  das  Stirhblalt 

Und  nenne  zweimal  Tyr. 
7.  AHnuicn  kenne,  dass  des  Andern  Frau 

Dich  nicht  trüg»*,  wenn  du  traust. 

Auf  das  Hörn  ritze  sie  und  di-n  Rücken  der  Hand 

!'nd  mal  ein  \  auf  den  Na^el. 


36 


Zauberrunen. 


9.  Bergrunen  schneide. 


wenn  du  bergen  willst 


und  hart  um  die  Knöchel 


wenn  du  bergen  willst 


auf  das  Steuerblall  ritzen. 


Und  lösen  die  Frucht  von  Frauen. 

In  die  hohle  Hand 

Und  heische  der  Disen  Hilfe. 

10.  Brandungsrunen  schneide. 
Im  Sund  die  Segelrosse: 
Auf  das  Steven  sollst  du  sie. 
Dabei  in 's  Ruder  brennen. 

Nicht  so  stark  ist  die  Strömung,  nicht  so  schwarz  die  Welle. 

Heil  kehrst  du  heim  vom  Meere, 

1 1 .  Astrunen  kenne. 
Und  Wunden  wissen  zu  heilen. 
In  die  Rinde  ritze  sie 
Wo  ostwärts  die  Aste  sich  biegen. 

1 2.  Gerichtsrunen  schneide. 
Deiner  Schäden  sicher  sein. 
Die  winde  du  ein. 
Und  setze  sie  alle  zusammen. 
Bei  der  Dingstätte, 
Zu  vollzähligem  Gerichte  ziehen. 

13.  Greistrunen  schneide. 
Als  es  ein  andVer  kann. 
Die  ersann  und  sprach, 
Odhin,  der  sie  ausgedacht. 

Hieraus  geht  hervor,  dass  die  Runen  allein  noch  nicht  der  Zauber 
waren,  es  musste  auch  das  Wort  dabei  sein,  der  Zauberspruch,  und  dieser 
konnte  wieder  nicht  gedacht  werden  ohne  Zauberzeichen.  Die  Zauberzeichen 
weihten,  in  die  Geräthschaften  eingegraben,  wie  Schwerter,  Steuerruder, 
Steven,  diese  Gegenstände,  oder  bannten  den  Geist  in  Bäume  wie  bei  den 
Astrunen,  die  Gerichtsrunen  scheinen  sogar  in  die  Erde  gegraben  oder  an 
der  Stelle  verborgen  worden  zu  sein,  um  die  Meinungen  der  Richter  zu 
ändern;  am  interessantesten  aber  sind  diejenigen  Stellen,  welche  vom  Ein- 
ritzen der  Runen  in  den  Körperjsprechen,  denn  sie  geben  Aufschluss  über 
den  Ursprung  der  Taluirung.  Eine  solche  Tatuirung  kommt  auch  in  der  Bibel 
vor,  wo  Jehovah  dem  Kain  ein  Zeichen  machte,  dass  er  nicht  durch  Blutrache 


wenn  du  Arzt  sein  willst 


und  das  Reis  am  Baume, 


willst  du  der  Rache 


die  wickle  du  ein 


wo  Leute  sollen 


willst  du  kluger  scheinen 


die  schnitt  zuerst 


Verbindung  der  Runen  mit  Zaubersprüchen.  37 

umkomme,  der  Name  dieses  Zeichens  ist  niM  oth,  dasselbe  Wort,  welches  in 
der  Schöpfungsgeschichte  gebraucht  wird:  ,es  werden  Lichter  an  der  Veste 
des  Himmels,  die  da  scheiden  Tag  und  Nacht  und  geben  Zeichen,  Zeiten,  Tage 
und  Jahre",  denn  dieses  oth  ist  auch  Himmelszeichen,  Wunder;  dieselbe 
Wurzel  hat  das  nordische  %  naud,  welches  das  althebräische  X  Thau  ist, 
während  andererseits  die  citirte  Bibelstelle  snxf  ^  Dakth  hinweist,  das  mit 
dem  nordischen  V  Thurs  verwandt  ist,  von  dem  es  im  Skymisför  heisst: 

Ein  Thurs  schneid  ich  dir,  die  drei  Stäbe; 

Ohnmacht,  Unmuth,  Ungeduld. 
Dass  das  hebräische  niM  oth  mit  dem  ägyptischen  ^^  uten  «das  gött- 
liche Auge,  die  Sonne''  und  dem  nordischen  Odhin  eng  verwandt  ist,  beweist 
der  Umstand,  dass  das  linke  Auge  ^^  o^,  Mond'' bedeutete,  dasselbe  Auge, 
welches  nach  der  Sage  Odhin  bei  Mimer  verpfändet  hatte.*  Wenn  nach  dem 
Runenzauber  Odhin  sich  vom  Weltbaume  loslöst,  nachdem  er  die  Runen 
gelernt  hat,  so  liegt  die  Deutung  nahe,  dass  mit  der  Erfindung  der  Runen  die 
Religion  begann:  die  Götter  existirten  nicht,  ehe  man  sie  anrief,  und  sie  gingen 
unter  mit  der  Religion,  diese  Ahnung  beherrschte  schon  die  Priester  der 
Vorzeit,  und  sie  liegt  der  Lehre  von  der  Götterdämmerung  zu  Grunde.  Moses 
verbot  die  Tatuirung,  wahrscheinlich  weil  er  fürchtete,  dass  dieselbe  zum 
Polvtheismus  führe. 

Die  Zaubersprüche,  welche  mit  den  Runen  verbunden  waren,  haben 
ihren  Ursprung  jedenfalls  im  Losen.  Es  wurden  hierbei  Stäbe  durcheinander- 
geworfen, unter  denen  man  drei  auswählte,  den  verschiedenen  Sinn  derselben 
äuchte  man  durch  Deutung  zu  einigen;  aber  gerade  dieses  Verfahren  nöthigtc 
zu  einer  Biegung  der  Ausdrücke,  welche  auf  die  Sprachentwicklung  von 
(.Tossem  Einflüsse  war.  So  werden  in  dem  oben  citirten  Verse  an  die  Thurs- 
nine  drei  Worte  mit  u  geknüpft:  Unmacht,  Unmuth,  Ungeduld.  Zur  Auf- 
klärung sei  bemerkt,  dass  Freyr  (die  Sonne)  seinen  Diener  Skyrnir  (den 
Sonnenstrahl)  zur  Gerda  (der  Erde)  mit  einer  Brautwerbung  gesendet  hatte; 

•  Mimer  ist  der  Gott  des  Wassers,  in  welchem  sich  d<»r  Himmel  und  iusbo- 
•'»ndere  Sonne  und  Mond  widerspiegeln,  diess  erklärt  die  Anschauung,  Odhin  habe 
*in  Auire  hei  Miroer  versetzt,  die  Sage  von  den  einäugi^ren  Cyclopen  'lässt  jedoch 
auch  die  Deutung  zu,  dass  anf&nglich  Sonne  und  Mond  nicht  unterschieden  wurden 
■md  erst  9piter  beide  als  besondere  Himmelskörper,  als  Götter,  betrachtet  wurden; 
in  die«em  Falle  wurde  der  Gott  des  Wassers  und  der  Fruchtbarkeit  der  Mondgott. 


38  Geheime  Bedeutung  der  Hünen. 

als  Gerda  sich  weigerte,  dieselbe  anzuiiehmen,  schleuderte  üir  Skyrnir  die 
obige  Drohung  entgegen,  welche  bedeutet,  er  werde  die  Erde  in  einen  unfrucht- 
baren, von  innerer  Hitze  (Unniuth,  Ungeduld)  berstenden  Boden  verwandeln. 
Auf  dem  Boden  dieser  Runensprüche  wuchs  auch  die  Alhtterations-Poesie 
hervor,  welche  ursprünglich  keine  Spielerei,  sondern  das  Ringen  nach 
Erweiterung  des  Ausdruckes  einer  wortarmen  Sprache  war.  In  den  Psahnen 
tritt  diess  ebenfalls  hervor,  nur  ist  hier  die  Allitteration  in  den  Parallelismus 
des  Gedankens  übergegangen,  der  zwei-,  drei  und  selbst  viergliedrig  auftritt; 
den  dreigliedrigen  Parallelismus  findet  man  im  ersten  Psahn: 

Heil  dem  Manne,  der  nicht  wandelt  nach  der  Frevler  Rath, 

Und  den  Weg  der  Sünder  nicht  betritt. 
Und  im  Kreise  der  Spötter  nicht  sitzt. 
Hieraus  erklärt  sich,  warum  das  Auswendiglernen  der  Sprüche  auch 
zur  Zeit,  wo  man  die  Schrift  kannte  und  übte,  so  wesentlich  war,  vor  allem 
bedurfte  die  Sprache  der  Ausbildung,  die  Schrift  bot  nur  die  Unterlage,  an 
sich  war  das  Zeichen  vieldeutig,  wie  Gudrunakwida  II,  12  beweist,  wo  es 
heisst: 

In  jedes  Hörn  hatten  sie  allerhand  Zeichen 

Röthlich  geritzt,  die  ich  nicht  errieth. 

Wären  die  Runen  eine  Lautschrift  gewesen,  wie  wir  sie  verwenden, 
so.  hätte  doch  jeder  Schriftkundige  die  Inschrift  auf  den  Hörnern  lesen 
können,  es  hätte  von  einem  Errathen  keine  Rede  sein  können ;  aber  sie  waren 
vieldeutige  Begriffszcichen,  mit  einem  geheimen  Sinne,  der  nur  dem  Ein- 
geweihten verständlich  war,  und  darum  konnte  man  sie  ungescheut  einem 
Boten  anvertrauen,  wie  es  im  Atlamal  bezeugt  wird: 

In  Xoth  war  die  Weise,  wollte  sie  helfen; 

Die  Gesandten  sollten  segeln,     sie  selbst  daheim  sein. 
Da  ritzte  sie  Runen;  doch  vor  der  Reise 

•     Verfälschte  sie  Wingi.  der  Bringer  der  Fahr. 

Offenbar  kannte  Wingi  den  Sinn  der  Botschaft  nicht,  welche  er  über- 
bringen sollte,  er  vermuthete  nur,  dass  sie  eine  Warnung  enthielten,  den 
Gesandten  nicht  zu  trauen,  daher  fälschte  er  sie,  indem  er,  wahrscheinlich 
durch  Hinzufügen  von  Strichen,  den  Zeichen  eine  andere,  gleichviel  welche 
Bedeutung  gab.  Es  gelang  ihm  dadurch  den  Sinn  zu  verwirren,  denn  es  heisst 
von  der  Empfängerin  der  Runen: 


Runen  und  Hieroglyphen.  39 

Klug  war  Kostbera  und  kundig  der  Runen. 

Sie  besah  die  Stäbe  beim  Schimmer  des  Lichtes 

Und  zwang  die  Zunge  zu  zwiefachem  Laut, 

Denn  sie  schienen  umgeschnitzt      und  schwer  zu  errathen. 
Derlei  doppelsinnige  Zeichen  waren  aber  nicht  nur  die  Runen,  sondern 
die  Schriflzeichen  überhaupt,   so  lange  sie  nicht  zur  öffentlichen  Bekannt- 
machung als  reine  Lautzeichen  verNvendet  wurden ;  Spuren  davon  haben  sich 
erhalten  z.  B.  in  den  Hieroglyphen,  wo  der  Fisch  „  nicht  sein,  verboten " ,  eine 
Schote  ^zusammenbinden,  Bündel*,   ein   Schlitten  „in  Stillstand  geräthen, 
bewundern",  eine  Feder  , offen,  Wahrheit,  Gerechtigkeit**,  der  Phallus  »Weg, 
Pfad*,   ein   Wasserbecken  „lieben,  wünschen,  Freundschaft**,  eine  Schnur 
«voll,   Besitzer,   Anführer*,   der  Geier  „Mutter,  Mann,  Mensch",  der  Hahn 
,  preisen,  anrufen,  bitten  •* ,  eine  säugende  Kuh  „  können,  vermögen " ,  ein  Doppel- 
hammer „wenden",  ein  Bogen  „der  Fremde",  ein  Kalb  „Fleisch,  Erbschaft", 
ein  Doppelhorn  „  Stand,  Würde,  Ansehen  " ,  zwei  einzelne  Hörner  „  erleuchten, 
erhellen",  ein  springendes  Kalb    „Durst"    bedeutet,  welch  letzterer  Begriff 
klar  in  dem  Helgakwida  (III,  36)  hervortritt,  wo  es  heisst: 

So  hob  sich  Helgi  über  andere  Helden 

W^ie  die  edle  Esche  über  Dornen, 

Oder  wie  thaubeträuft  das  Thierkalb  springt: 

Weil  überholt  es  anderes  Wild 

Und  gegen  den  Himmel         glühen  seine  Hörner. 
Man  vergleiche  die  ägyptischen  Hieroglyphen  !fmt  ab  „Durst"  ^^  ap 
^erleuchten".  Überhaupt  zeigen  die  Bilder  der  Edda  eine  merkwürdige  Über- 
einstimmung mit  den  Hieroglyphen,  z.B.  im  Hymiskwida: 

19.  Des  Thursen  Tödter,  abbrach  er  den  Thieren 
Der  beiden  Hörner  erhabenen  Sitz. 

(v^  au,  ap  „Stand,  Würde"). 

20.  Da  bat  der  Böcke  Gebieter  den  Affengott 
Ferner  in  die  Fluth  das  Seeross  zu  führen. 

<S  jJ^wMOT,  der  Weltschöpfer,  J  a«,  Symbol  des  Thaud,  ^^  ba,  Seeross?) 
Diese  abstracten  Begriffe  sind  an  dem  Wortlaut  hängen  geblieben, 
nachdem  die  Bilder  weggefallen  waren,  und  es  ergiebt  sich  hieraus,  dass  eine 
Kemitntss  der  Bilderschrift  das  Verständniss  der  Wörter  wesentlich  erieichlerl. 
das»  daher  die  ägyptischen  Hieroglyphen  dem  Sprachforscher  sehr  nützliche 


^0  Das  Futhork. 

Wegweiser  sind»  um  von  dem  abstraeten  Begriffe  auf  dessen  concrete  Grund- 
lage zurückzuschliessen,  dass  es  für  ihn  aber  auch  absolut  nothwendig  ist, 
sich  mit  der  Form  und  dem  Sinn  der  alten  Dichtkunst  vertraut  zu  machen, 
ja  dass  er  selbst  etwas  von  einer  poetischen  Ader  haben  muss,  um  den 
Wandel  der  Begriffe  zu  verstehen.  Mit  trockenen  Worten  und  Lautverglei- 
chungen  richtet  man  da  nichts  aus,  im  Gegentheil  kann  man  gerade  dadurch 
zu  Missverständnissen  gelangen. 

Wenn  wir  dennoch  nicht  die  Hieroglyphen,  sondern  die  Runen  zur 
Grundlage  unserer  weiteren  Untersuchungen  nehmen,  so  veranlasst  uns  hierzu 
erstens^die  geringe  Zahl  der  Runenzeichen,  in  welcher  die  Begriffe  sich  noch 
nicht  so  sehr  zersplittert  zeigen  wie  in  den  Hieroglyphen,  zweitens  die  fest- 
geschlossene,  an  die  Zahlenreihe  geknüpfte  Ordnung  der  Runen,  der  die 
Hieroglyphen  wenig  Ähnliches  an  die  Seite  stellen  können;  drittens  die  Durch- 
sichtigkeit dieser  Anordnung,  welche  ein  allmähliches  Entstehen  aus  einer 
kleinen  Anzahl  von  Grundzeichen  erkennen  lässt,  viertens  die  Runennamen, 
welche  die  Zeichen  erklären  und  den  Sinn  derselben  plastischer  hervortreteo 
lassen,  als  diess  bei  den  äg}'ptischen  Lautzeichen  der  Fall  ist,  welche  die 
Begriffsbedeutung  bereits  ganz  abgeworfen  haben  und  nur  mehr  als  Laut- 
zeichen vorkommen.  Aus  diesen  Gründen  werden  wir  im  folgenden  Abschnitte 
die  Runenzeichen-Ordnuiig  zum  Gegenstände  einer  besonderen  Untersuchung 
machen. 


3.  DAS  FUTHORK. 

In  den  meisten  Ueberlieferungen  der  nordischen  und  angelsächsischen 
Runen  sind  dieselben  in  einer  eigenen  Zeichenordnung  gegeben,  welche  nach 
den  ersten  sechs  Lautzeichen  f  u  th  o  r  Je  Futhork  heisst.  Diese  Zeichen- 
ordnung spricht  entschieden  gegen  jede  Abstammung  der  Runen  von  griechi- 
scher oder  römischer  Schrift,  denn  hätten  die  Normannen  ihre  Zeichen 
entlehnt,  so  hätten  sie  sicher  die  griechische  Ordnung  »Alphabet*  oder  die 
römische  ,.Abece*'  angenommen.  Auch  das  spricht  gegen  die  ElnQehnung, 
dass  in  den  dänischen  Waldemarrunen  ^urch  Punktirung  Lautnuancen 
gebildet  wurden  wie  P  «'  aus  f  f,  W  ü  aus  H  m,  ►  (/  aus  V  8^  Y  g  aus  Y  Av 
I  e  aus  I  I,  % p  aus  %  b,  da  doch  das  griechische  Alphabet  Y  ü  J^d  F g  E  e 
np  geboten  hätte. 


Das  Futhork.  4. 1 

Bedenklicher  ist,  dass  in  den  Namen  der  Runen  Laute  vorkommen, 
für  welche  keine  Runenzeichen  vorhanden  sind,  wie  e  in  fe^  et  in  reü^  g  in 
hiiyl  und  langr,  d  in  Reid,  Naud,  Madr,  ö  in  Biörk,  aber  auch  dieser  Umstand 
spricht  für  das  hohe  Alter  der  Runen,  deni^  diese  Namen  sind  isländisch  und 
die  isländische  Sprache  lautreicher  als  die  Runen ,  obgleich  mit  der  Runen- 
sprache innig  verwandt;  so  steht  dem  runischen  tV  isländisch  er  »er*,  run. 
inkia  isl.  eckia  , Witwe*,  run.  inir  isl.  einir  , Wachholder*,  run.  ^t^t 
isl.  heidi  «Heide*,  run.  hakna  isl.  hagi  „Zaun,  Hag*,  run.  mudir  isl.  modir 
, Mutler*,  run.  hiurn  isl.  biöni  ,Bär*,  run.  iukul  isl.  joktU  »Eisberg* 
gegenüber. 

Es  ist  sogar  wahrscheinlich,  dass  die  Runenordnung  in  früherer  Zeit 
noch  kürzer  war,  denn  die  Helsingrunen,  welche  keine  Stäbe  haben,  bestehen 
nur  aus  folgenden  15  Zeichen:  ^^ 


I  /     V     \ 


I     \  / 


I      / 


/ 


f.    ti     ih     r      k      h      n     i     a      8      t        h      l      m     n. 
Durch  die  Theilung  des  i  entstehen  nämlich  zwei  Zeichenreihen,   offenbar 
zwei    ursprünglich   verschiedene    Ordnungen,    welche    sogar   den    Laut  n 
gemeinsam  haben,  während  o  ausgefallen  ist. 

Es  erinnert  di^ss  an  die  Schrift  der  Malediven,  von  der  Prinsep^® 
berichtet,  ein  intelligenter  Maledive  habe  ihm  gesagt,  sie  besässen  eine  Schrift 
Ton  neun  Zeichen,  nämlich  m  fd  1 1  g  n  s  d,  Prinsep  Hess  verschiedene 
Wörter  aufschreiben,  worunter  auch  eines  mit  k  vorkam,  und  auf  Befragen, 
wie  er  dieses  schreibe,  antwortete  jener,  das  sei  in  einem  andern  Alphabet.  Es 
ergab  sich  somit,  dass  die  Malediven  ein  doppeltes  Alphabet  besässen,  nämlich : 

a     th      n       r        b       l       k      a     w 
und 

m  ph    dh       t       l      g        n      8        d. 
Die  erste  Reihe  dieser  Zeichen  besteht  aus  den  arabischen  Zahlzeichen: 

\     rrVo^YA\ 

12      3      456789 
und  diess  hat  zu  der  Vermuthung  Anlass  gegeben,  die  Malediven  hätten  die 
Zahlzeichen  von  den  Arabern  entlehnt  und  sich  daraus  eine  Schrift  gebildet; 


42  Vei'schinelzun?  verschiedener  Alphabete  zu  einem  Ganzen. 

aber  die  Malediven  kennen  nicht  nur  die  arabischen  Zahlzeichen,  sondern 
auch  die  ganze  arabische  Schrift  und  bedienen  sich  derselben,  doch  sclu*eibeu 
sie  lieber  mit  ihren  heimischen  Zeichen,  die  denn  doch  wohl  älter  sein 
müssen.  Hierzu  kommt  der  Umstand,  dass  es  wohl  allgemein  bekannt  ist, 
dass  die  Araber  ihre  Zahlzeichen  von  den  hidern  entlelmt  haben,  aber 
vergebens  sucht  man  unter  den  übrigen  indischen  Ziffemsyslemen  eines, 
welches  eine  Ähnlichkeit  mit  den  arabischen  Zahlzeichen  hätte.  Es  bleibt 
somit  keine  andere  vernünftige  Annahme  übrig,  als  dass  die  Araber  von  den 
Malediven,  die  ihnen  auch  zunächst  lagen,  das  indische  Ziffernsystem  aus  den 
maledivischen  Zeichen  entlehnt  haben. 

Jedenfalls  haben  wir  hier  den  Beweis,  dass  ein  Volk  eine  doppelle 
Lautzeichenreihe  besass,  und  diese  Tliatsache  hat  für  uns  umsomehr 
Interesse,  als  auch  das  Runen-Futhork  auf  einer  solchen  doppelten  Zeichen- 
reihe zu  beruhen  scheint,  wenn  wir  die  1 6  Zeichen  desselben  in  zwei  Reihen 
gliedern : 


r 

fe 

n 

w 

> 

thuvs 

* 

OS 

it 

reicl 

r 

katm 

* 

hayl 

% 

naud 

1 

is 

A 

ar 

H 

sol 

t 

Vir 

l 

bi'örk 

r 

luuijr 

Y 

madt 

Xs    in'' 

War  P  verwandt  mit  I,  so  ergiebt  sich  sogar  eine  augenscheinliche  Zahlen- 
ordnung; I  1,  n  =  A  ^;  ^  =  A  3,  ^  4,  ^5  imd  setzen  wir  ♦  statt  T,  so 
erhalten  wir  sechs  Striche,  diese  Zeichen  bilden  aufifallenderweise  den  Namen 
^»Futhork*.  Dass  diese  sechs  Zeichen  in  alter  Zeit  genügten,  lässt  sich  aus 
den  noch  vorhandenen  Wörtern  nachweisen,  welche 

den  Uebergang  von/    in  /  und  b 

y,    th*  ^    s  d  t 

n    0     ^    a 

.    r     ,    l 
*  Das  nordif?clie  th  ist  ein  spitzer  Laut,  welcher  durch  Anstossen  der  Zunge 
hervorgel)racht  wird,  wie  gegenwärtig  noch  das  englische  th^  wir  bezeichnen  ihn  in 
den  nordischen  Wörtern  mit  d. 


Wechsel  der  Bedeutung  der  Zeichen.  43 

beweisen,  wie  isl.  afl,  afli  , Kraft*  mit  abl,  ahli  wechselt,  julr  „froh*  mit/o/i 
,  Füllen  * ,  o«\  iranier  *  mit  aefi  „  Lebenszeit  ''yUr,,  Thau "  mit  yHa,  inadr  «  Mann  * 
mit  tiad}\  isl.  /»ro/r  „  mannhaft  * ,  hm  „  Haus  *  mit  hanis  (das  Bedeckende) 
p die  Haut*  und  mit  heimi  „das  eigene  Haus*,  Srottr  „Kraft*  mit  truiiti 
»Herr*,  ding  «Berathung*  sak  „Klagsache*,  uitni  „der  Zeuge*  und  uisr  „der 
Weiser,  kud  „Gott*  und  kus  „der  Hausherr*,  odr  „wüthend*  und  aeda 
„wüthen*,  ar,  ann  „  Feuerherd  *  und  Juxlr  „Stein*  eng  verwandt  sind,  während 
nordisch  k  häufig  im  Althochdeutschen  als  h  auftritt,  und  n  vor  k  ebenso 
verloren  geht,  wie  im  Griechischen  77  «,  j'x  nk  bilden;  allenfalls  könnte  « 
no<  h  als  Ergänzung  gedacht  werden. 

Je  weiter  wir  uns  von  einem  Sprachslamm  entfernen,  desto  klarer 
tritt  der  Wechsel  der  Laute  hervor,  im  Altägyptischen  und  im  Chinesischen 
sind  die  Laute  r  und  l  nicht  geschieden,  und  Spuren  davon  scheinen  in 
unserer  Sprache  in  dem  Auslaute  rl  vorhanden  zu  sein;  in  der  Keilschrift 
sind  m  und  r  nicht  zu  unterscheiden,  im  Deutschen  ist  das  nordische  27ioi7t 
zu  Dwn  und  Zorn  geworden,  futr  zu  Fnss  u.  s.  w. 

Nehmen  wir  aber  die  erste  Hälfte  voll  mit  acht  Runen  an  und  die- 
jenigen Laute  dazu,  welche  in  den  nordischen  (nicht  den  lautreicheren 
isländischen)  Runennamen  vorhanden  waren,  also 

FI  RID 

U  R  KU  N 

Th  R  (S)  H  K  L 

OS  N  U  D 

so  entstehen  merkwardiger\veise  gerade  ein  Dutzend  Laute: 

/  I  u  r  th  s  0  d  k  n  h  l, 
welche  sich  auf  der  Grundlage  der  noch  gegenwärtig  geltenden  vier  Laut- 
rlassen  in  folgender  Weise  aufbauen: 

Lippenlaute:  m  —  /  —  o 
Zungenlaute:  (/  —  th  —  s 
Schmelzlaute:  l  —  r  —  u 
Kehllaute:  k   —  h   —  i 

Hier  wirft  sich  nun  die  Frage  auf,  weshalb  man  für  die  Runennamen 
sich  mit  den  Lautzeichen  nicht  begnügte  oder  sich  nicht  darauf  beschränkte. 
einen  inhärirenden  Vocal  beizufügen,  wie  wir  in  a  he  ce  efel  em  haben?  Man 
konnte   dorli    auch   die  Runenzeichen  ef  oder  fe.    m,  the,  0   u.  s.  w.  lesen? 


^•^  Pulyphonie. 

Gewiss,  denn  der  Begriff  der  Zeichen  ist  ohne  Zweifel  im  Anlaut  enthalten, 
nur  scheint  noch  etwas  mitgewirkt  zu  haben,  was  unserer  Zeit  fremd  ist, 
im  Alterthume  aber  eine  grosse  Rolle  spielte,  nämlich  die  Polyphonie. 

Bilder  der  BegrilTe  sind  nicht  so  klar,  wie  sie  uns  scheinen.  Das  ägyptische 
Zeichen  ]j^  konnte  ebensogut  eine  Biene  wie  eine  Ameise,  eine  Mucke,  eine 
FHege  sein,  ja  überhaupt  ein  Insect,  denn  wir  vermissen  z.  B.  in  den  Hiero- 
glyphen den  SchmetterUng ,  der  in  der  griechischen  Religion  als  Symbol  der 
Seele  (Psyche)  eine  Rolle  spielte.  Dieser  Vieldeutigkeit  entspricht  die  Poly- 
phonie; das  obige  Zeichen  hiess  q/*  als  ,  Fliege  oder  beflügeltes  hisecl*,  s/t 
als  , Ungeziefer*  heb.  nnr  sa/athy  „verderben,  verwüsten*,  s/t  heisst  auch 
Unterägypten,  wahrscheinlich  als  Surapfland,  Tiefland,  hehr,  nniz;  äa/aih^ 
.ikothige  Grube,  Koth*  was  auch  ^  hin  zu  bedeuten  scheint);  /b  als  Biene 
wegen  des  Honigs,  mn  (Volk)  wegen  der  grossen  Zahl  und  kt  (unser 
„kitten*)  wegen  der  Baukunst  der  Bienen  und  Ameisen.  In  der  Keilschrift 
lautet  ^[i  kur,  tnatj  nat,  laf,  §at^  nal  im  Sinne  von  „Hand,  konmien.  gehen, 
nehmen,  Land*,  Alles  Begriffe,  welche  auf  „ausspreizen,  ausbreiten*  hinaus- 
laufen, worauf  auch  das  Zeichen  hindeutet.  Die  Polyphonie  in  der  ägyp- 
tischen und  babylonischen  Schrift  ist  eine  Thatsache ,  welche  durch  Namen 
und  Vergleichung  verschiedener  Texte  ausser  allem  Zweifel  gestellt  ist. 

In  anderen  Schriften  ist  zwar  die  Polj-phonie  nicht  vorhanden,  wohl  aber 
beweisen  Spuren,  dass  sie  einst  vorhanden  war.  Wenn  im  Chinesischen  ein 
Baum  mu,  zwei  Bäume  (Wald)  liu,  drei  Bäume  (Baumw^uchs)  san  gelesen 
wird,  so  konnten  diese  verschiedenen  Lautwerthe  desselben  Begriffes  doch 
nur  deshalb  entstehen,  weil  der  Baum  oder  die  Pflanze  im  allgemeinen  die 
Poh-phonie  tn  s  hatte,  wie  auch  sonst  neben  fnan  „Kraut*  und  tni  „Getreide*, 
s«i„  wachsen*,  san  „reifen*  vorkommt,  lin  aber  hat  gewöhnlich  die  Bedeutung 
von  etwas  Zweifachem,  wobei  dann  der  Begriff  „Baum*  nebensächlich  war. 
Selbst  die  Alphabetschriften  zeigen  deutliche  Spuren  der  Polyphonie, 
die  schon  in  der  Einleitung  erwähnt  wurden. 

Wenn  Kostbera  ihre  Zunge  zu  zwiefachem  Laute  zwang,  so  mussten 
auch  die  Runen  polyphonetisch  gewesen  sein,  und  waren  die  Runennamen 
nicht  ein  Spiel  des  Zufalls  (mit  Göttergaben  spielte  man  nicht),  so  müssen 
nicht  nur  die  Anlaute,  sondern  auch  die  In-  und  Auslaute  auf  das  Zeichen 
sich  beziehen,  d.  h.  fe  musste  sowohl  /  als  (e)  i  bedeuten,  ur  sowohl  u 
als  r  u.  s.  w. 


Folyphonie  des  Runen.  A^ 

Diese  Ansicht  lässt  sich  in  folgender  Weise  belegen: 

r  (fe)  ist  in  dem  iberischen  Alphabet  e,  wie  das  angelsächsische  ^  (rsc 
im  Altgriechischen  f;  in  den  tironischen  Noten  ist  H  sowohl  e  als  /*,  1  sowohl 
f  als  i;  folglich  ist  P=^  =  |'  =  l,  mit  den  Lautwerthen  f  e  et  L 

n  (ur)  kommt  schon  in  einzelnen  Runenalphabeten  als  D  vor,  die  Form 
n  entspricht  dem  griechischen  p  TT,  und  bekannt  ist,  dass  P  im  Griechischen 
r,  im  Römischen  p  ist,  übrigens  kommt  auch  im  altgriechischen  Alphabete 
k  als  r  vor;  folglich  ist  n  =  TT  =  n=R  =  P,  mit  den  Lautwerthen  u p  r. 

^  (thurs)  ist  im  altgriechischen  Alphabete  r,  moabitisch  ^  d  ist 
iberisch  r,  Q  ist  faliskisch  (/,  umbrisch  und  oskisch  r,  cf  wechselt  in  M  mit 
fw,  m  wechselt  in  M  mit  s;  folglich  ist  ^  =^  =  Q  =  M  =  M,  mit  den  Laut- 
werthen th  d  r  m  8, 

^  (os)  ist  in  der  umbrischen  Schrift  ♦  z  im  Phönikischen  +  a,  während 
das  verwandte  $  «  im  Griechischen  zu  ks  wurde ;  da  das  hebräische  a,  wie 
das  Zeichen  ,  beweist,  zwischen  a  und  o  schwankt,  so  ist  schon  hiermit  nach- 
};ewiesen,  dass  4*  =o  und  s  ist. 

It  (reid)  ist  bezüglich  seiner  Verwandtschaft  mit  d  schon  unter  ^ 
erörtert  worden,  in  umgekehrter  Form  K  kommt  es  im  iberischen  als  e  vor, 
und  zwar  gleichbedeutend  mit  ^  und  E,  E  gilt  aber  im  Altgriechischen  sowohl 
für  e  als  für  ei;  somit  ist  |t  =  K  =  |s  =  E,  mit  den  Lautwerthen  r  e  i  ei  d. 

X  (knun)  ist  iberisch  ü,  wie  das  griechische  Y  ö,  markomannisch  / 
und  identisch  mit  K,  welches  in  der  Minuskel  h  bedeutet,  in  den  tironischen 
Noten  aber  a;  h  ist  gleich  H,  welches  in  slavischen  Schriften  theils  t,  i/i 
theiis  n  ist;  somit  ist  r=Y=h=^H,  mit  den  Lautwerthen  k  /  h  a  i  ü  n, 

4^  (hagl)  ist  markomannisch  k  verwandt  mit  H  g,  dieses  identisch  mit 
X.  welches  in  altgriechischen  Alphabeten  sowohl  kh  als  ka  ist,  im  Angel- 
sächsischen ist  i^  als  Avr  identisch  mit  T  und  ^,  altgriechisch  kh,  in  den 
tironischen  Noten  bezeichnet  die  Durchkreuzung  sowohl  ks  als  /;  somit  ist 
♦  =J(=:X  =  Y  =  y,  mit  den  Lautwerthen  h  g  k  kh  ks  l,  welches  letztere 
auch  im  angelsächsischen  Runennamen  Eolhx  hervortritt. 

^  (naud)  hat  in  den  markoniannischen  Runen  dieselbe  Form  wie  g  in 
den  angelsächsischen,  g  lehnt  sich  durch  V  k  smY  ü  an,  wie  auch  das 
markoniannisrhe  H  k  sich  an  das  altgriechischo  n  anlehnt;  übrigens  wechselt 
in  nordischen  Wörtern  n  geradezu  mit  d,  z.  B.  madr  und  tnannr  „Mann*';  Y 
ist  identisch  mit  V  u,  welches  oben  als  verwandt  mit  r  und  d  nachgewiesen 


^ö  Polyphonie  der  Runen. 

ist;    also    ist    i  =  X  =  r=Y=M=V=r,  mit    den    Lautwerthen   ii  g  k 
ü  u  r  d. 

I  {is)\^i  im  Altgriechischen  identisch  mit  H,  mit  den  Lautwerthen  i  und  s. 

X  (ar)  ist  identisch  mit  +,  weshalb  man  auch  +  als  Doppel-a 
angenommen  hat,  an  seiner  Stelle  steht  im  Bracteaten  %  welches  dem  angel- 
sächischen  ^  yer  entspricht,  dem  altgriechischen  ;',  iberischen  o;  ♦  ist  im 
Altgriechischen  />/«,  welches  sich  an  f  und  u  anlehnt.  Eine  einfachere  Betrach- 
tung bietet  A  als  Grundstück  zum  lateinischen  A,  welches  im  Griechischen  l 
ist  und  sich  an  H  ii  anlehnt,  wonach  J  =  A  =  n  =  lt,  a  =  /  =  M  =  r  ist. 

H  (sol)  ist,  wenn  wir  statt  des  schwedischen  sol  das  isländische  suna 
nehmen,  nichts  Anderes  als  das  verkehrte  altgriechische  M  N,  dessen  ein- 
fachere Form  V  n  ist,  das  umgekehrte  A  /,  wie  h  das  umgekehrte  Y 
kann  ist. 

So  ist  auch  ^  (Ujr)  das  umgekehrte  Y  y,  dessen  Verwandtschaft  mit  r 
genugsam  oben  beleuchtet  ist. 

^  (hidrk)  ist  verNvandt  mit  P,  welches  im  Griechischen  r,  im  Römischen 
p,  im  Angelsächsischen  w  (u)  ist,  im  Altgriecliischen  kommt  B  neben  Z  (im 
Korinthischen  e)  vor,  welches  letztere  in  der  iberischen  Schrift  kh  ist  mit  der 
Nebenform  X,  die  der  gothischen  Rune  \^  p  entspricht;  demnach  scheinen 
auch  B  und  K  urvenvandt  zu  sein. 

r  (l(it(</r)  wechselt  im  Allgriechischen  als  A  und  h  in  der  Bedeutung 
von  l  und  g,  hieran  schliesst  sich  das  lateinische  Aa,  und  scheint  das  iberische 
P  dem  h  nicht  fern  zu  stehen;  sohin  ist  h  =  A  =  P,  lg  r. 

Y  (madr)  ist  in  der  angelsächsischen  Schrift  als  M  identisch  mit  m  und 
(/,  indem  ebenso  als  Name  des  m  man^daeg  steht,  wie  als  Name  des  (/ 
daeg/man.  Die  Verwandtschaft  von  d  und  r  ist  oben  nachgewiesen. 

j^  (gr)  ist  das  umgekehrte  uuidr  und  eng  verwandt  mit  H  tu\ 

Es  sind  hier  nur  die  augenfälligen  Wechselungen  aus  den  Zweigen 
eines  homogenen  Schriftslammes  nachgewiesen,  ohne  auf  die  Bedeutung 
der  Zeichen  einzugehen  und  die  Abweichungen  sachlich  zu  begründen, 
aber  schon  hieraus  lässt  sich  das  grosse  Geheimniss  der  Sprache  erkennen, 
w^elche  aus  wenigen  Lauten  nicht  nur  viele  Tau  sende  von  Wörtern  bildete, 
sondern  auch  zugleich  jenen  Ueberfluss  von  synonymen  Wörtern  schuf,  der 
mit  der  aulTälligsten  Dürftigkeit  im  Ausdrucke  abwechselte  Die  Sprach- 
bildung zeigt  sich  hier  als  eine  elementare  Kraft  wie  die   zeugende  Natur, 


Nordische  Geheimsprache.  i7 

welche  in  einem  Lande  eine  verschwenderische  Fülle  schafft,  während  im 
Nachbarlande  durch  zufällige  Umstände  Unfruchtbarkeit  herrscht.  Nichts 
kann  mehr  zur  Ausbildung  und  zum  Wortreichthum  der  Sprache  beigetragen 
haben  als  die  Polyphonie  der  Zeichen,  welche  gestattete,  einen  Begriff  in 
immer  neuer  Weise  zu  variiren,  nichts  hat  aber  mehr  als  diese  Polyphonie 
zur  Verschiedenheit  der  Sprache  beigetragen,  da  schon,  wie  die  griechischen 
Alphabete  beweisen,  in  den  nächsten  Städten  sich  andere  Aussprachen  der 
Zeichen  festsetzten.  Hieraus  ergiebt  sich  ferner,  dass  eine  im  Lautwerthe 
so  schwankende  Schrift  keine  Verlockung  bieten  konnte,  Ueberlieferungen 
oder  Rechte  auf  sie  zu  stützen,  dass  man  die  mündliche  Verhandlung  und 
l*»»lM»rliefernng  vorzog,  bei  welcher  die  Sprache  sich  reicher  entwickelte, 
und  dass  erst,  als  die  Sprache  einen  Reichthum  an  Wörtern  und  bestimmte 
Unterscheidungen  derselben  gewonnen  hatte,  die  Buchstaben  schritt  dem 
V»Tkehre  dienen  konnte.  Die  homonymen  Wörter  unserer  Sprache  sind 
Cb^rN^bsel  eines  frühern  Zustandes. 

Dass  die  von  der  Zeichenpolyphonie  ausgehende  Modelung  der  Wörter 
><»j:.ir  wissentlich  gepflegt  wurde,  um  der  Sprache  durch  den  Reichthum  an 
Wörtern  mehr  Biegsamkeit  zu  geben,  beweist  die  Geheimsprache  der 
nonlischen  Priester,  von  der  ein  gründlicher  Kenner  der  Runen,  Lilienkron, 
Fol^'cndes  sagt:^^  ,Das  vorzüglichste  Augenmerk  der  Skalden  war  die 
^.'»♦wandte  Handhabung  der  wunderbar  complicirten  Umschreibung  der  Namen 
und  Bf^rriffe;  diese  sind  alte  überlieferte  Formeln,  gesammelt  und  verzeichnet 
h«->itz»Mi  wir  sie  unter  dem  Namen  des  SkaldskapaVmal  benannten  Theiles  der 
.üntri-ni  E<lda.  —  Es  giebt  zwei  Grundregeln  für  die  poetischen  Benennungen. 
LH*'  »'ine  beisteht  darin,  dass  ein  jeder  der,  wohl  zu  merken,  bestimmt 
h*-w'i*»'iizten  Bt^griffe.  aufweiche  die  Regeln  anwendbar  sind,  beliebig  durch  eine 
#*lM»iifails  f»*stslehende  Reihe  von  Wörtern  ausgedrückt  werden  darf,  deren  jedes 
.m  die  Stelle  des  andern  treten  kann.  Soll  z.B.  der  Begriff  ,  Reichthum*  aus- 
^'♦-tjrü'kt  werden,  so  kann  hierbei /c  ^pecunia**,  yuU  ,Gold",  fxnujr,  hvhujr 
^\\\\\\:*  u.  s.  w.  benutzt  werden.  Die  zweite  Grundregel  besteht  darin,  dass 
dunh  «»ine  (*ombination  mehrerer  Wörter  ein  Begriff  umschrieben  wird,  un<l 
fiir  j»'d#'n  tler  in  diesem  Kreise  dazugehörigen  Begriffe  giel)t  es  wiederum  eine 
•/.uu**  F?»Mlie  solcher  Umschreibungen.  F]s  besteht  auf  solche  Art  die  ^'anze 
Pi>»'^ic  fast  ausschliesslich  auf  dem  Substantiv;  .Vdjcctiv  und  Verbum  spielen 
••in*'  durrhaus  unt»*rtr^>()p|nete  Rolle.* 


4^  Analvse  des  Runen-Futhorks. 

Wir  können  diese  Wortspiele  der  spätem  Zeit  hier  nicht  verfolgen, 
unsere  Aufgabe  ist  vielmehr,  vorwärts  in  das  Dunkel  der  Vergangenheit  zu 
dringen  und  zu  untersuchen,  auf  welche  Weise  die  Zeichenreihe  des  Futhoii 
enstanden  ist.  Die  Polyphonie  lehrt,  dass  die  zweite  Zeichenreihe  der 
16  Zeichen  nicht  unbedingt  nöthig  war,  da  mit  Ausnahme  von  b  und  m  alle 
Laute  schon  in  den  Namen  der  ersten  Reihe  vorkommen,  b  und  m  aber 
lehnen  sich  eng  an  f  und  u  an,  sind  blosse  Lautverschiebungen  derselben. 

Die  Lautverschiebung  lässt  uns  weiter  dringen  und  die  erste  Zeichen- 
reihe abermals  theilen,  wobei  jedoch  nicht  eine  Anreihung,  sondern  eine 
Durchsetzung  angenommen  werden  muss:  Wir  erhalten  somit 

r     fe  n     ur 

^      thurs  ^     OS 

^     reid  X     kaun 

♦     hagl  %     naud 

also  in  der  ersten  Reihe  einen  Kehllaut  K  einen  Lippenlaut  /",  einen  Zungen- 
laut fh,  einen  Schmelzlaut  r;  ebenso  in  der  zweiten  Reihe  einen  Kehllaut  k, 
einen  Lippenlaut  u.  einen  Zungenlaut  i?.  einen  Schmelzlaut  w. 


4.  DIE  UR-RUNEN. 

Wir  haben  im  vorigen  Abschnitte  die  Runenreihe  von  16  Zeichen  in 
zwei  Reihen  zu  acht,  und  diese  wieder  in  zwei  Reihen  zu  je  vier  Zeichen 
zerlegt;  wollen  wir  der  Entstehung  der  Schrift  und  der  Runen  insbesondere 
nachgehen,  so  dürfen  wir  hierbei  nicht  stehen  bleiben,  sondern  müssen  auch 
diese  vier  Zeichen  in  zwei  Theile  zerlegen,  um  zur  Einheit  zu  gelangen. 

Der  Begriff  der  Einheit  ist  keineswegs  so  nahe  liegend,  als  wir  im 
Besitze  unserer  Erbweisheit  wähnen;  um  die  Einheit  zu  verstehen,  musste 
man  , scheiden*,  »unterscheiden"  lernen,  nur  aus  der  zwei  konnte  man  die 
Einheit  erkennen:  die  zwiefache  Einheit.  Wir  bezeichnen  noch  gegenwärtig 
den  höchsten  Grad  der  Unwissenheit  damit,  dass  wir  sagen,  Jemand  könne 
nicht  bis  drei  zählen,  und  es  gibt  wirklich  Völker,  welche  nicht  bis  drei  zählen. 
Die  Botokuden  zählen  nur  tnokenam,  d.  h.  1,  und  uruhu,  welches  2  und 
,viel*  bedeutet,  und  von  den  Neuholländem  wird  behauptet,  sie  hätten  keine 
Zahlen  über  zwei.  -'^ 


Die  Schlinge.  .  49' 

Scheiden  und  unterscheiden  kann  aber  jeder  Mensch »  denn  die  Unter- 
scheidung ist  der  Anfang  aller  Vernunft;  sie  war  jedenfalls  auch  der  Ursprung 
der  Schrift  und  der  Sprache,  die  erste  geistige  Regung  des  Menschengeisles. 
Was  war  es,  das  den  geistigen  Funken  im  Menschen  erregte?  ' 

Untersuchen  wir,  was  den  Menschen  am  meisten  von  seinem  nächsten 
Verwandten  im  Thierreiche,  dem  Afifen,  unterscheidet,  so  ist  es  der  Blutdurst. 
Die  Affen  nähren  sich  von  Fruchten,  Vogeleiern  und  Insecten;  der  Mensch 
verzehrt  am  liebsten  Fleisch,  es  ging  ihm  wie  dem  Löwen:  nachdeni  er 
einmal  Blut  gekostet,  zog  er  dieses  allen  anderen  Nahrungsmitteln  vor.  Um 
abiT  Thiore  zu  erlegen,  reichten  seine  natürlichen  Eigenschaften  nicht  immer 
aus,  der  Hunger  oder  der  Blutdurst  trieb  ihn  an,  die  ersten  Werkzeuge  zu 
bilden ,  und  diess  waren :  für  kleine  schnelle  Thiere  die  Schlinge,  für  grosse 
(iie  Keule  oder  der  Baumast. 

Wir  möchten  fast  der  Schlinge  die  Priorität  zuerkennen,  denn  der 
älteste  Gott  (und  es  war  natürlich,  dass  die  Menschen  sich  ihren  Gott  nach 
ihrem  Bilde  vorstellten)  war  Ltüci  „der  Verführer,  V^erlocker",  loka  „der  Ver- 
sohliesser*,  der  Schhngenmacher,  der  Gott  der  List;  ihm  gegenüber  steht  der 
stärkere  Keulenträger,  der  „Thor"  in  des  Wortes  doppelter  Bedeutung.  Lüki 
<H]er  isländisch  logt  ist  auch  lautverwandt  mit  dem  griechischen  logos  „das 
Wort*,  welches  im  Isländischen  nur  mehr  als  Ujgi  „Lüge*  vorkommt,  sinnver- 
wandt mit  dem  nordischen  fiur  „Leben,  Athem",  dem  Geiste  j^hi  der  Karenen, 
der  als  Fieber  sich  auf  den  Bäumen  der  Dschungeln  aufhält,  der  Schlange  i<;«*^ 
/"der  Ägypter,  denn  man  betrachtete  das  Schütteln  des  Fiebers  als  die  Bewe- 
gungen der  unsichtbaren  Schlange,  die  vom  Baume  in  den  Menschen  gefahren 
sei ;  die  lauernde,  schleichende  Schlange  war  auchder  Lehrmeister  des  Menschen 
bei  seinem  ersten  Handwerke  und  die/p-Rune  P  =  Y  ist  im  Grunde  nichts 
Anderes  als  der  züngelnde  Schlangenkopf  >4^  oder  als  I  die  Schlange  selbst. 

Hand  in  Hand  mit  dieser  ersten  Erfnidung  ging  aber  eine  Idee,  welche 
den  Anstoss  zu  aller  Cultur  gab.  Schlingen  gab  es  im  Urwalde  genug,  und 
dass  sich  darin  Vögel  und  kleinere  Thiere  verstrickten,  hatte  den  Menschen 
wohl  zur  Nachahmung  veranlasst,  aber  häufig  blieben  die  Schlingen  leer  oder 
wurden  von  den  Thieren  zerrissen,  was  konnte  dem  abhelfen?  Eben  derselbe 
/'Äi,  der  die  Menschen  plötzlich  niederstreckte,  der  Hauch ,  der  ob  nun  als 
Sturmestoben  oder  säuselnde  Bewegung  Alles  bewegte  und  erregte,  der  Odem, 
«ler  den  lebendigen  Menschen  von  der  Leiche  unterscheidet,   der  Gott  der 

F«<itaiann.  (t««chirht6  d.  Schrift  4 


50  .  Fi.  —  Ur. 

Lufl,  der  selbst  die  stärksten  Bäume  zerknickte.  So  war  der  erste  Gedanke, 
der  den  Menschen  bewog,  seine  Kräfte  auch  über  den  Bereich  seiner  Glied- 
massen auszudehnen,  der  Ursprung  der  Religion,  der  Glaube  an  eine  über- 
natürliche Einwirkung,  der  Versuch  der  Zauberei.  Der  Mensch  behauchte  die 
Schlinge,  er  blies  ihr  den  Geist  ein,  und  dieser  erste  Laut,  der  über  den 
Kreis  der  Empfmdungslaute  hinaustrat,  dieser  Laut,  der  eine  Absicht  aus- 
sprach, dieser  erste  artikulirte  Laut  war:  /f. 

War  diese  erste  Geistesregung  auf  Trutz  und  Angriff  gerichtet,  so  war 
daran  unwillkürlich  der  Gedanke  an  Schutz  geknüpft ;  der  Geist  der  Luft,  den 
er  zum  Verderben  Anderer  anrief,  den  rief  er  auch  an,  ihn  zu  verschonen, 
die  erste  Erkenntniss  zog  unwillkürlich  die  zweite  herbei,  zum  Leben  gesellte 
sich  der  Tod,  zur  freudigen  Hoffnung  die  Angst  und  zu  dem  hellen  fi  gesellte 
sich  das  knurrende:  ur. 

So  war  die  Gedankenlosigkeit  abgestreift,  welche  bisher  den  Menschen 
befangen  hatte,  sein  Geist  war  erwacht  und  übte  sich  im  Unterscheiden. 
Natürlich  bewegte  sich  die  Auffassung  seiner  Begriffe  nur  in  leicht  fasslichen 
Gegensätzen:  Leben  und  Tod,  Mann  und  Weib,  Tag  und  Nacht,  Frost  und 
Hitze,  klein  und  gross,  hart  und  weich,  gerade  und  gebogen,  eins  und  viel  — 
Alles  Begriffe,  welche  sich  in  den  Zeichen  I  und  A  oder  V  ausdrücken. 

Wir  fmden  Spuren  dieser  zweitheiligen  Auffassung  in  den  ältesten 
Mythen  der  Bibel :  Im  Anfange  schuf  Gott  Himmel  und  Erde,  schied  er  das 
Licht  von  der  Finstemiss ,  nannte  das  Licht  Tag  und  die  Finstemiss  Nacht, 
ward  aus  Abend  und  Morgen  der  erste  Tag.  Bezeichnend  werden  nur  die 
beiden  Wechsel  zwischen  Finstemiss  und  Licht  hier  benützt,  um  die  Zeit  zu 
bezeichnen,  denn  ob  die  Sonne  höher  oder  tiefer  am  Himmel  stand,  war  dem 
Wilden  gleichgiltig,  er  merkte  nur  den  Unterschied  zwischen  Licht  und  Fin- 
stemiss. Eine  zweite  Stelle  befindet  sich  in  der  uralten  Sündfluthsage:  ^So 
lange  die  Erde  steht,  soll  nicht  aufhören  Saat  und  Ernte  Frost  und  Hitze. 
Sommer  und  Winter.  Tag  und  Nacht".  Jahrtausende  lang  mag  der  Mensch 
auf  dieser  Entwicklungsstufe  stehen  geblieben  sein,  da  sie  sich  so  dauernd  in 
der  Elrinnerung  erhalten  hat. 

Ich  vermulhe,  dass  diese  Erfindung  der  Sprache,  welche  Hand  in  Hand 
mit  der  Erfindung  der  Schrift  und  der  Religion  ging,  das  Menschengeschlecht 
geschaffen  hat,  dass  es  also  weniger  durch  natürliche  Kreuzung,  als  vielmehr 
durch  Veränderung  der  Lebensweise  und  geistige  Thätigkeit  sich  über  den 


Knotenschürzen.  5 1 

thierischen  Zustand  erhoben  hat;  wirkt  doch  noch  jetzt  das  Denken  auf  die 
körperliche  Entwicklung  der  Menschen  ein,  während  die  Nichtbeschäfligung 
mit  dem  Denken  dem  Gesichte  einen  stumpfsinnigen  Ausdruck,  dem  Körper 
einen  gebeugten,  schleppenden  Gang  giebt  (der  übrigens  nicht  mit  den  Folgen 
von  Schwäche  oder  Alter  verwechselt  werden  darf  und  kann).  Mit  der  Hand- 
arbeit  des  Schlingenknüpfens  und  Keulentragens  war  der  aufrechte  Gang 
unbedingt  verbunden^  und  das  Gelurn  konnte  sich  mehr  entwickeln.  Es  giebt 
kein  Volk,   welches  nicht  im  Besitze  der  Sprache  und  der  Religion  wäre, 
denn  wenn  auch  von  einzelnen  Völkern  behauptet  wird,   sie  besässen  keine 
religiösen  Begrifife ,   so  liegt  die  Vermuthung  nahe ,   dass  sie  ihre  Meinungen 
verhehlten,  zumal  die  Missionäre  nicht  immer  die  Befähigung  besitzen,   sich 
das  Vertrauen  der  Wilden  zu  erwerben   oder  deren  Anschauungen  zu  ver- 
stehen. ** 

Wenn  ich,  vom  Ruuen-Futhork  ausgehend,  angenommen  habe,  dass  fi 
und  ur  die  ersten  menschlichen  Laute  gewesen  seien,  so  bin  ich  weit  entfernt, 
damit  die  Einritzung  von  Zeichen  als  Anfang  der  Schrift  in   Verbindung  zu 
bringen;   so  lange  der  Mensch  keine  anderen  WafTen  als  den  abgerissenen 
xVst  oder  die  Schlinge  besass ,   konnte  von  keinem  Einritzen  die  Rede  sein, 
wohl  aber  mochte  sich  von  jener  Zeit  an  das  Knotenschürzen  datiren,  welches 
dir*  beknoteten  Gegenstände  heilig  macht  und  sich  später  in  China  und  in 
Peru  zu  einer  formlichen  Schrift  entwickelte,   die   (wie  unsere  Zeichen  im 
Grunde  auch)   auf   —   und  — ,   nämlich  auf  der  Einheit  und  Zweiheit,   auf 
dem  Ungetheilten  und  Getheilten,   sowie  auf  der  Fortsetzung  der  Theilung 
beruht.  Merkwürdigerweise  hat  eine  mechanische  Nothwendigkeit  in  jüngster 
Zeit  wieder  zu  einem  ähnlichen  Alphabete  geführt,   dem  telegraphischen, 
welches,  da  die  vom  Magnet  bewegte  Nadel  nur  Einritzungen  von  verschie- 
dener Länge  machen  kann,  sich  aus  Strichen  und  Punkten  aufbaut,  als  ein 
Beweis,   dass  man  auch  mit  diesen  unscheinbaren  Mitteln  den  Reichthum 
der  Sprache  wiedergeben  kann.  Leider  ist  von  dem  Wesen  der  Knotenschrifl 
wf'nig  Kunde  erbalten ;  wir  wissen  namentlich  nicht,  in  welchem  Verhältnisse 
die  Knoten  zur  Sprache  standen.  In  unserer  Schrift  hat  sich  der  Knoten  nur 
aU  X  erhalten,  welches  von  Schriflunkundigen  statt  der  Unterschrift  gebraucht 
wird,   und  es  ist  schon  in  der  Einleitung  darauf  hingewiesen,  dass  damit  die 
Rune  +  Saut  (=  Knoten),  die  schon  in  der  Heidenzeit  doppelt  W  für  den 
N.imen  gesetzt  wurde.**  zusammenhing. 


52  Doppelsinn  der  Laute. 

Es  ist  oben  angedeutet,  dass  fden  Begriff  des  Lebens,  r  den  Begriff 
des  Todes  enthalte ;  man  würde  jedoch  sehr  irren ,  wenn  man  darauf  eine 
Sprachanalyse  bauen  wollte,  denn  da  jeder  Begriff  activ  und  pai^siv  gebraucht 
werden  kann ,  so  schliesst  er  auch  sein  Gegentheil  in  sich.  Ist  z.  B  \  f  der 
Hauch,  das  Leben,  so  ist  es  andemtheils  auch  I  is  das  Eis,  das  Ausgestreckte, 
der  Tod;  ist  h  ur  die  Höhle,  die  Leere,  das  Loch  ^>,  so  ist  es  im  Gegen- 
satze zum  Ausgestreckten  das  Zusammengezogene,  der  Fruchtknoten,  der 
Same,  das  Leben;  ist  I  das  Feste,  das  Harte,  der  ausgereckte  Arm,  das  Glied, 
so  ist  es  auch  die  dünne  Sclmur,  das  Nachgiebige,  der  Faden,  dagegen  k  der 
Knäuel,  das  Feste,  Harte,  die  Erde;  ist  Ifdas  Ausgebreitete,  so  ist  es  anderer- 
seits auch  das  Kleine  im  Gegensatze  zu  h  ur  gross,  gewölbt,  weit;  ist  I  die 
Zunge,  so  ist  ^^  der  Mund  und  beides  das  Werkzeug  zum  Sprechen;  ist  I 
die  Ähre,  der  Halm,  der  Baum,  so  ist  P  die  Blume,  die  Frucht  und  die  Fülle 
im  Gegensatze  zu  —  der  unfruchtbaren  Ebene.  Die  Sprache  ist  kein  Mineral, 
wo  sich  Krystall  an  Krystall  ansetzt,*  sondern  eine  Tochter  des  Gedankens, 
der  vielfach  durchschlungenen  Fäden  unseres  Gehirns, 

Demgemäss  wird  es  nicht  auffallen ,  wenn  f  und  r,  welche  wir  als 
Gegensätze  kennen  gelernt  haben,  in  manchen  Wörtern  geradezu  dasselbe 
bedeuten,  so  im  Nordischen :  ß  „glätten,  poliren*,  n'fa  „reiben*,  /iiA*^  (isläu> 
disch /oA*Ä^  „Fuchs",  rifr  „Fuchs",  fu  „roth",  rauSr  „der  Rothe*,  rot  na 
„verfaulen",  fa  „abzeichnen,  malen",  risfa  „ritzen",  rita  „schreiben",  (beides 
vereinigt  sich  in  rifa  „Ritze"), /a«-»  „fahren",  fli/a  „fliehen",  riSa  „reiten", 
renna  „rinnen",  rufis  „Fluss"  (der  Springquell),  fosn  (isländisch /brs^  „der 
Wasserfall". 

Man  wird  begreifen,  dass  Sprache  und  Schrift  auf  dieser  Stufe  sehr 
armselige  Verständigungsmittel  waren ;  wurden  die  Zeichen  nur  zum  Zauber 
gebraucht,  so  war  kein  Unfall  zu  befürchten,  denn  Knoten  war  Knoten,  ob  lang 
oder  kurz,  und  beim  Sprechen  begleiteten  die  Geberden  die  Rede  und  gaben 
an,  ob /im/ „viel"  oder  fair  „wenig",  furir  „vorne"  oder  aftar  „hinten"  gemeint 
sei,  denn  ob  «^>  der  Mund  oder  etwas  Anderes  war,  konnte  ohne  „Fingerzeig* 
nicht  erkannt  werden,  selbst  im  Hebräischen  wird  rrxT  rao  ,  sehen  "  und  pn  ra'^ 
„schlecht"  mehr  in  der  Schrift  als  in  der  Sprache  unterschieden,  zumal  auch 
npn  ro'a  „hüthen"  mit  „sehen"  (wachen)  zusammenfällt. 

Natürlich  waren  die  religiösen  Vorstellungen  in  damaliger  Zeit  sehr 
unklar;   der  hbterlistige,    blutdürstige  Mensch  lebte  zugleich  in  beständiger 


Fetische  als  Schriflzeicheu.  53 

Furcht  vor   Anderer  Hinterlist,    gegenseitiges   Misstrauen    verhinderte    die 

• 

Geselligkeit,  wie  sie  bei  friedlichen  Thieren  heimisch  ist.  Daher  gab  es  auch 
keine  Fainilie.  Wie  noch  jetzt  die  Chittagong  in  den  Dschungeln,  lebten  Mann 
und  Weib  getrennt,  nur  zeitweilig  wurde  dieses  von  jenem  aufgesucht,  und 
die  Bräuche  der  Neuseeländer  und  ähnlicher  Völker  beweisen,  dass  nicht 
mit  Liebesgirren  geworben,  sondern  dass  das  Weib  mit  Keulenschlägen 
betäubt  oder  in  Schlingen  gefangen  (noch  jetzt  hat  sich  die  Redensart 
erhalten:  zu  Fall  gebracht)  wurde.  Man  hat,  und  wohl  nicht  mit  Unrecht, 
behauptet,  dass  die  Prostitutionsgebräuche  der  Babylonier,  Phönikier  u.  s.  w. 
den  Übergang  zum  Familienleben  bezeichneten,  dass  das  Weib  sich  mit  den- 
selben von  der  Allgemeinheit,  als  deren  Eigenthum  sie  betrachtet  wurde, 
loskaufen  musste,  um  fortan  einem  einzigen  Manne  zu  gehören.  ^^  Wenn  in 
jener  Zeit  ein  Bund  der  Liebe  zwei  menschliche  Wesen  verband,  so  war  es 
die  Liebe  der  Mutter  zum  Kinde ;  die  Mutterliebe,  w^elche  zu  allen  Zeiten  und 
▼on  allen  Völkern  in  allen  Tonarten  besungen  und  in  allerlei  Bildern  gefeiert 
und  verehrt  wurde. 

Bei  der  Unklarheit  der  allgemeinen  Gottesidee  wendete  sich  der  Mensch 
lieber  den  äusseren  Erscheinungen  zu,  welche  er  als  Emanation  der  Gottheit 
betrachtete.  Das  Leben  (fi),  welches  seine  erste  religiöse  Verstellung  war, 
sah  er  in  der  ganzen  Natur;  der  rollende  Stein  lebte,  wie  der  rauschende 
Baum,  in  jedem  Thiere,  dessen  plötzliches  Erscheinen  ihn  erschreckte ,  sah 
er  eine  Gottheit,  ein  günstiges  oder  ungünstiges  Omen,  jede  ungewöhnliche 
Erscheinung  war  ihm  Bedeutung,  eine  vereinzelte  Feder,  ein  bunter  Stein,  ein 
Knochen  war  ihm  ein  Schutzgeist,  den  er  sich  um  den  Leib  hing.  Aus  jener 
Zeit  stammt  der  Fetischdienst  und  der  Glaube  an  den  Proteus,  der  sich  in 
allerlei  Gestalten  verwandelte,  aus  jener  Zeit  stammt  auch  die  Bilderschrift, 
deren  Vorläufer  (so  lange  der  Mensch  nicht  ritzen  gelernt  hatte)  er  an  seinem 
Leibe  herumtrug  oder  an  seiner  Waffe  befestigte. 

Über  diese  Einzelheiten  erhob  sich  die  Verehrung  zweier  Naturkräfle : 
der  Lull  und  des  Wassers,  entsprechend  den  Runen  fi  und  i/r  =  wr.  Als 
sichtbare  Erscheinung  der  erstem  galt  der  NTogel  (ägyptisch  ^^  ^  ist  die 
Seele,  Jm^p  »fliegen*  ist  als  Allheitsausdruck  bestimmter  Artikel  der  Sub- 
stantiva  geworden)  und  die  Schlange  ■»'-p-/;  welche  als  |  r  in  das  Symbol 
des  Wassers  überging  und  im  Gegensatze  zum  Vogel,  der  den  Tag  bedeutete, 
«lie  Nacht  vertrat;  aber  auch  der  Vogel  vertrat  als  ttL  m  „die  Eule*  die  Nacht, 


54  Sociale  Verhältnisse  zur  Zeit  der  Schriflerfindung. 

sie  war  das  Symbol  des  Pallas -Athene,  der  Geist  des  Baumes,  und  ihr 
schauerlicher  Ruf  die  Stimme  Gottes,  welche  mit  Furcht  und  Entsetzen  den 
Abergläubischen  erfüllte. 

Wir  können  diese  Skizze  der  Urzeit  nicht  schliessen,  ohne  noch  einer 
andern  religiösen  Anschauung  zu  gedenken,  welche  derselben  entstammt 
Die  Götter,  welche  der  räuberische  Mensch  verehrte,  gewährten  ihre  Gunst 
nur  gegen  einen  Antheil  an  der  Beute,  am  besten  gegen  Vorausbezahlung. 
Je  kostbarer  das  Opfer  war,  desto  mehr  musste  es  wirken,  daher  opferte  man 
Fruchte,  Thiere  und  Menschen,  ja  schliesslich  das  Theuerste,  die  eigenen 
Kinder.  So  grauenhaft  diese  Sille  ist,  so  ist  an  derselben  um  so  weniger  zu 
zweifeln,  als  sie  bis  in  die  historische  Zeit  hinein  sich  erhalten  hat  und  durch 
zahlreiche  Zeugnisse  beglaubigt  ist.  Konnte  sich  aber  diese  schreckliche 
Sitte  bis  in  die  historische  Zeil  erhalten,  wo  die  Menschen  in  VölkerschaHen 
zusammen  lebten,  so  ist  ihre  Entstehung  bei  Menschen  erklärlich,  welche 
Lenonnant  auf  Grund  der  geologischen  Ausgrabungen  also  schildert: 

, Ackerbau  und  Viehzucht  waren  ihnen  unbekannt,  sie  irrten  in  Wäl- 
dern umher  und  suchten  Schutz  in  den  natürlichen  Gebirgshöhlen.  Die 
Bewohner  der  Seeküsten  ernälirten  sich  von  Fischen,  die  sie  zwischen  den 
Felsen  harpunirten,  und  von  Muscheln;  die  im  Innern  des  Festlandes  umher- 
streifenden Stämme  lebten  vom  Fleische  der  Thiere,  die  sie  mit  ihren  Stein- 
waffen  erlegten.  Einen  Beweis  hierzu  liefern  die  Höhlen  mit  ihren  Anhäu- 
fungen von  Thierknochen,  deren  viele  noch  jetzt  die  Spuren  der  Werkzeuge 
tragen,  mit  denen  das  Fleisch  abgenommen  wurde.  Allerdings  beschränkten 
sich  die  Menschen  dieser  Periode  nicht  allein  auf  das  Verschlingen  der  abge- 
streiften Fleischtheile  der  Wiederkäuer,  der  Einhufer,  der  Pachydermen  und 
selbst  der  Raublhiere,  sie  wareu  äusserst  gierig  nach  dem  Knochenmarke, 
wie  es  die  fast  constante  Bruchart  der  längeren  Knochen  zeigt.  Diese  Neigung 
hat  man  bei  der  Mehrzahl  der  Wilden  festgestellt.  Einige  Stämme,  wie  der, 
dessen  Spuren  wir  in  Choisy-le-Roi  bei  Paris  finden,  scheinen  sogar  der 
Menschenfresserei  ergeben  gewesen  zu  sein,  doch  treten  die  bezüglichen  Hin- 
deutungen nur  ausnahmsweise  auf.  Man  sieht  hieraus,  dass  die  Menschen, 
deren  Spur  wir  in  den  qualernären  Ablagerungen  finden,  noch  eben  so  wenig 
in  der  Gultur  fortgeschritten  waren  als  heute  die  Wilden  der  andamischen 
Inseln  und  Neu-Galedoniens.  Auch  ihr  Leben  war  ein  äusserst  trauriges, 
wenngleich  besseres  als  das  der  Tertiärmenschen.  *  *^* 


Sociale  Verhällnisse  zur  Zeit  der  Schrifterfinilunjr.  55 

Wir  bemerken  dazu  nur,  dass  die  hier  geschilderten  Menschen  schon 
auf  einer  höhern  Culturstufe  standen  als  jene,  welche  wir  im  Auge  haben, 
denn  dieselben  kannten  die  SteinwafTen  noch  nicht,  desto  mehr  müssen  wir 
mit  folgenden  Bemerkungen  Lenormant*s  übereinstimmen: 

, Vergessen  wir  nicht,  dass  gerade  die  allerersten  Entdeckungen  die 
g^rösste  geistige  Anstrengung  erfordert  haben ,  denn  sie  bildeten  den  Anfang 
und  gingen  nicht  aus  früheren  hervor.  Aus  Feuersteinen  jene  schwerfalligen 
Äxte  anzufertigen,  die  uns  jetzt  die  Landschichten  aus  den  Flulhen- 
anschwellungen  wieder  zustellen,  war  zu  Anfang  der  Menschheit  weit  mehr 
Scharfsinn  erforderlich,  als  wir  heutzutage  zur  Anfertigung  der  künstlichsten 
und  sinnreichsten  Maschinen  anwenden  müssen.  Betrachtet  man  andererseits 
in  den  Sammlungen  gleichzeitig  diese  Waffen  der  ersten  Menschen  und  die 
Skelete  der  furchtbaren  Thiere,  unter  denen  sie  lebten,  dann  begreift  man 
wohl,  dass  der  so  schwache  und  unzulänglich  bewaffnete  Mensch  die  mög- 
lichste Geistesanstrengung  machen  musste,  wenn  er  unter  solchen  Verhält- 
nissen nicht  gleich  vernichtet  «sein  wollte.  Die  Einbildungskraft  kann  uns  jetzt 
mit  ziemlicher  Bestimmtheit  die  furchtbaren  Kämpfe  vorführen,  welche  die 
ersten  Menschen  gegen  diese  aus  der  Schöpfung  verschwundenen  Ungeheuer 
bestehen  mussten.  Jeden  Augenblick  hatten  sie  mit  den  damals  noch  weit 
i^rosseren  und  schrecklicheren  Haubthieren,  mit  Bären,  Hyänen  und  Tigern, 
um  ihre  Höhlen  zu  kämpfen.  Gar  häufig  fielen  sie  auch  überrumpelt  diesen 
reis  senden  Thieren  zum  Opfer.  Indessen  gelang  es  doch  dem  Menschen, 
durch  List  und  Gewandtheit,  diese  gewaltigen  Raubthiere  zu  überwinden, 
und  letztere  zogen  sich  «lach  und  nach  vor  dem  Menschen  zurück ,  der  im 
Vergleiche  zu  ihnen  so  schwach  und  so  ohnmächtig  war".^^ 


5.  DIE  DREIHEIT. 

In  Übereinstimmung  mit  den  Ergebnissen  der  Culturgeschichte  ist  das 
dritleRunenzeichen^/ÄMrÄ^derSteinriese".  Seine  Bedeutung  in  derGeschichte 
haben  die  eben  citirten  Ausführungen  Lenormant*s  erwiesen;  seine  Erfmdung 
schloss  sich  an  den  Baumast  an.  Wohl  mochten  die  Menschen  die  Steine 
schon  gleichzeitig  mit  Keule  und  Schlinge  zum  Werfen  benützt  haben,  wie 
auch  die  Affen  geschickt  im  Werfen  sind;  clie  Erfindung  aber,  welche  weiter 


56  Die  Stein waffe. 

führte,   war  die  Verbindung  des  Steines  mit  dem  Aste  mid  der  Schlinge,  die 
Erfmdung  einer  neuen  Waffe  als  Product  einer  geistigen  Thätigkeit 

In  Verbindung  des  Steines  mit  der  Schlinge  entstand  die  weittreffende 
Schleuder,  mit  welcher  der  mit  dem  nordischen  Thorr  so  vielfach  verwandte 
David  der  Juden  den  Riesen  Goliath  bekämpfte ;  *  aus  der  Verbindung  des 
Steines  mit  dem  Baumaste  entstand  das  Steinbeil,  zu  welchem  die  scharfen 
Wunden  der  Dornen  (^  heisst  auch  Dorn)  Anstoss  gaben,  mdem  man  die  zer- 
brechlichen Dornen  oder  das  scharfe  Schilfgras,  von  dem  es  noch  im  angel- 
sächsischen Runenliede  heisst:  „es  wundet  grimmig*,  durch  scharfkantige 
Steinsplitter  ersetzte,  wie  noch  die  Mexikaner  im  Mittelalter  hierzu  dasObsidian 
verwendeten.  Endlich  schuf  man  noch  Todtschläger  in  der  Weise  der  nord- 
amerikanischen Indianer,  welche  den  Stein  in  das  Fell  einer  jungen  Ziege, 
das  überdiess  durch  Bestreichen  mit  Honig  geschmeidiger  gemacht  wird, 
wickeln  und  an  einen  Stock  anbinden,  worauf  nach  erfolgler  Trocknung  der 
Haut  der  Stein  so  fest  an  den  Stock  angekittet  ist,  dass  er  mit  demselben  wie 
zu  einem  Stücke  ver\i*achsen  erscheint.  Es  erinnert  dieses  Verfahren  unwill- 
kürlich an  den  in  mit  Honig  bestrichene  Ziegenfelle  gewickelten  Stein,  welchen 
Gaea  dem  Kronos  statt  des  Kindes  Zeus  darreichte,  um  das  Leben  des 
letztern  vor  seinem  kinderfressenden  Vater  zu  schützen. 

Die  Verwandtschaft  zwischen  oiV  „Volk*  und  Suni  „treu*  im  Nordi- 
schen, sowie  zwischen  ■  mn  (Obelisk)  als  „beständig*  und  „Volk*  im 
Ägyptischen  lassen  darauf  schliessen,  dass  mit  der  Steinzeit  auch  ein  engeres 
Zusammenschliessen  der  Menschen  erfolgte,  wahrscheinlich  gab  die  bessere 
Waffe  mehr  Muth  sowohl  zum  Verkehre  mit  Seirfesgleichen  als  'auch  zur 
gemeinsamen  Bekämpfung  der  riesigen  Thiere,  welche  im  vorigen  Abschnitte 
erwähnt  wurden.  Überdiess  trat  zu  dieser  Zeit  noch  ein  wichtiger  Culturfbrt- 
schritt  ein:  die  Gewinnung  des  Feuers. 

Das  Feuer  war  bisher  der  Feind  des  Menschen  gewesen,  als  BHtz,  als 
Logi,  hatte  es  oft  den  unter  dem  Baume  Schutz  suchenden  Menschen  nieder- 
gestreckt ,   wohl  auch  verheerende  Waldbrände  erzeugt,   und  wo  es  ihm  als 

*  TIT  ditd  =  david  ist  die  Liebe,  wie  Thorr  Gott  der  Ehe,  David  ist  Harfen- 
spieler wie  der  ägyptische  Thaud  und  vertreibt  die  bösen  Geister  beim  Saul,  der  als 
fj^Wt?  selbst  der  Geist  der  Untenveit,  Scheol,  ist,  er  bekämpft  die  Riesen  wie  Thorr 
u.  s.  w.  Ohne  darauf  einzugehen,  ob  David  eine  geschichtliche  Persönlichkeit  war, 
ist  doch  so  viel  sicher,  dass  in  seine  Geschichte  Mythen  eingewoben  sind. 


Das  Feuer.  57 

Erdfeuer  entgegentrat,  zeigte  es  sich  auch  in  furchtbarer  Gestall.  Auf  welche 
Weise  es  gelang,  dieses  Element  den  Menschen  dienstbar  zu  machen,  ist  nicht 
zu  ermitteln,  da  Sage  und  Gewohnheit  verschiedene  Feuergewinnungen 
erkennen  lassen. 

Bei  dem  Schrecken,  welchen  Naturerscheinungen  den  Menschen  ein- 
flössen, sollte  man  kaum  glauben,  dass  die  letzteren  es  je  gewsCgt  hätten, 
von  einem  durch  den  Blitz  in  Brand  gesetzten  Baum  Feuer  zu  nehmen;  aber 
Diodor  berichtet,  dass  nach  einer  ägyptischen  Sage  wirklich  Hephästos 
auf  diese  Weise  den  Menschen  das  Feuer  gegeben  habe.  Die  nordamerika- 
nischen Indianer  entzünden  das  Feuer  dadurch,  dass  sie  hartes  und  weiches 
Holz  mitsammen  reiben.  Da  im  Alterthum  das  Feuer  für  identisch  mit  Blut 
gehalten  wurde  (Lodur  gab  dem  Menschen  Leben  und  gesunde  Färbung),  so 
erklärt  sich  hieraus  die  Mythe,  die  Menschen  seien  aus  Bäumen  entstanden, 
der  Mann  aus  der  Esche,  das  Weib  aus  der  Ulme,  denn  die  Esche  hat  hartes, 
die  Ulme  w  eiches  Holz ;  hiermit  hängt  auch  zusammen,  dass  im  Hebräischen 
OK  «J  »Feuer*  venvandt  mit  O'»  i^  „Mann*,  nwK  iÄ^«  Feuerung  und  e^Sa 
»Feuer*  verwandt  mit  rrt^K  iSSa  „Weib*  ist.  Nach  der  griechischen  Sage  sind 
die  Menschen  aus  Steinen  entstanden  und  dem  entsprechend  erzeugten  die 
Oriechen  das  Feuer  aus  Steinfunken.  Doch  beweist  die  Unterhaltung  des 
ewigen  Feuers,  dass  man  nur  mit  Scheu  an  die  selbständige  Erzeugung  des 
Feuers  ging,  wie  auch  kaum  Faulheit  die  Ursache  sein  mag,  dass  manche 
wilde  Stämme  lieber  stundenweit  zu  einem  benachbarten  Stamme  um  Feuer 
laufen,  statt  selbst  solches  zu  entzünden. 

Wie  hoch  die  Gewinnung  des  Feuers  geschätzt  wurde,  zeigt  die  Sage 
von  Prometheus,  der  angeblich  von  den  Göttern  hart  dafür  gestraft  wurde, 
<lass  er  das  Feuer  vom  Himmel  raubte  und  es  den  Menschen  brachte.  Leider 
können  wir  seinem  Schmerze  keine  Thräne  weihen,  denn  war  er,  wie  die 
ägyptische  Sage  lehrt,  identisch  mit  Hephästos,  so  hätte  er  sich  selbst  an  den 
FVlsen  geschmiedet,  gerade  so  wie  Saul  vom  bösen  Geiste  heimgesucht 
mnirde,  der  er  doch  selbst  ist. 

Auch  das  Feuer  vereinigt  den  jüdischen  David  mit  dem  nordischen  Thorr. 
Wenn  dieser  zt  Oegir's  Mahl  den  grossen  Kessel  von  dem  Riesen  (der  er 
selbst  ist)  holen  muss,  so  ist  tit  dud  selbst  »der  Topf*;  wie  jener  leicht  zor- 
nig aufbraust,  so  heisst  "ni  dud  »aufkochen,  auflodern,  lieben*.  Damit  schält 
«ich  aber  Thorr  aus  dem  Thursengeschlechle  los,    denn  der  Wassertopf  aus 


58  Der  Steinriese.  —  Ackerbau. 

gebranntem  Lehm  ist  nicht  mehr  das  todte  Gestein,  sondern  die  quellenreiche 
Erdenbrust  (hebräisch  "tt  dad ,  um  daddim  ,die  Brüste*,  griechisch  nr5i:, 
österreichisch  Duttel),  der  Berg,  der  seine  Ströme  in  das  Thal  ergiesst,  wo  sie 
überschwemmend  den  Schlamm  absetzen,  der  den  natürlichen  Ackerboden 
abgiebt. 

So  wurde  der  Steinriese  der  Gott  des  Ackerbaues  und  die  Dreizahl 
führt  uns  auch  in  die  Gegend,  wo  der  Ackerbau  entstand,  nämlich  in  die 
tropischen  Länder,  wo  nur  drei  Jahreszeiten:  Ll)erschwemmung,  Fruchtbar- 
keit und  Dürre,  herrschen  und  wo  die  Saat  nur  wenig  Nachhilfe  von  Seile 
der  Menschen  bedurfte,  um  zur  Frucht  zu  reifen.  Die  üppige  Vegetation  auf 
dem  Schlammboden,  namentlich  die  des  Getreides,  musste  die  Menschen  zur 
Nachahmung  anregen,  nachdem  ihnen  die  Essbarkeit  der  Getreidefrucht 
bekannt  geworden  war,  aber  wiederum  war  es  nur  das  Feuer,  welches  den 
Ackerbau  ermöglichte.  Wie  diese  Erfindung  gemacht  wurde,  erwähnt  die 
Sage  nicht,  sie  erzählt  nur,  Osiris  habe  die  Menschen  entwöhnt,  sich  selbst 
aufzuessen,  diess  sei  dadurch  geschehen,  dass  Isis  eine  Frucht  des  Weizens 
oder  der  Gerste  erfunden  habe,  die  früher  unbeachtet  unter  Gräsern  wuchsen, 
und  dass  Osiris  zu  gleicher  Zeit  die  Verarbeitung  dieser  Frucht  .erfunden 
habe.  Zu  dieser  Zubereitung  gehörte  das  Zerreiben  der  Kömer  zwischen  zwei 
Steinen  und  das  Rösten  des  AJehles  an  der  Flamme,  respective  das  Backen 
des  Brotes  im  Ofen. 

Dass  mit  dem  Ackerbaue  der  Menschenfresserei  ein  Damm  gesetzt 
wurde,  ergiebt  sich  aus  der  Form  des  Gebäcks,  denn  der  Brotlaib  ist,  wie 
bereits  in  der  Einleitung  erwähnt,  ein  wirklicher  Leib,  alle  Formen  des 
Gebäckes  zeigen  Körperformen,  welche  man  statt  der  wirklichen  Glieder  dar- 
brachte, und  ebenso  hat  der  Krug  die  Gestalt  des  menschlichen  Leibes,  woraus 
hervorgeht,  dass  Brot  und  Wein  symbolisch  statt  Fleisch  imd  Blut  geopfert 
wurden,  um  sich  vom  Menschenopfer  loszulösen. 

Allerdings  wurde  damit  dem  Menschenopfer  noch  kein  Ziel  gesetzt,  es 
war  zu  tief  in  die  Gewohnheit  eingewurzelt,  und  wenn  eine  unfruchtbare  Zeit 
eintrat,  so  galt  diess  als  Zeichen  des  Zornes  der  Götter,  welche  um  die 
Menschenopfer  betrogen  seien,  in  solchen  Zeiten  kamen  die  Menschenopfer 
wieder  in  Schwung. 

Jedenfalls  bildete  die  erste  Saat,  welche  in  die  Erde  gelegt  wurde  in  der 
Hoffnung  auf  eine  Ernte,  die  erste  Emt^,  welche  diese  Hoffnung  zur  Erfüllung 


Entstehung  der  Familie  und  des  Fricsterthunis.  59 

werden  liess,  einen  grossarligen  Wendepunkt  in  der  Geschichte  der  mensch- 
lichen Cultur.  Die  unmittelbare  Folge  des  Ackerbaues  war  die  Sesshafligkeit 
und  die  Gründung  der  Familie.  Der  Mann  konnte  dem  Weibe  nicht  mehr  in 
den  Wäldern  nachlaufen,  er  suchte  sie  an  seine  Hütte  zu  gewöhnen,  zumal 
er  auch  ihre  Hilfe  bei  der  Feldarbeit  brauchte ;  obwohl  auch  der  Fall  denkbar 
ist,  dass  der  Ackerbau  von  Weibern  ausgegangen  sei  und  durch  denselben 
die  Männer  an  die  Scholle  gewöhnt  wurden,  die  ihnen  gute  Nahrung  bot.  In 
fruchtbaren  Jahren  bot  das  Feld  mehr  Nahrung,  als  die  Menschen  brauchten, 
und  frühzeitig  scheint  man,  durch  die  Noth  klug  gemacht,  Magazine  für  die 
Vorräthe  angelegt  zu  haben,  zumal  die  einmalige  Saat  für  das  ganze  Jahr 
reichen  musste.  So  entstanden  Häuser,  Dörfer  und  Städte. 

Da  die  Arbeiten  auf  dem  Felde  mit  dem  Wechsel  der  Jahreszeiten 
zusammenhingen,  so  wurde  auch  dem  Himmel  eine  grössere  Aufmerfeamkeit 
gewidmet.  Der  Wilde,  der  in  den  Urwäldern  umherschweifte,  kannte  nur  den 
Unterschied  zwischen  Tag  und  Nacht,  ja  bei  der  Dämmerung,  welche  die  dicht 
verllochtenen  Kronen  der  Riesenbäume  auch  am  Tage  verbreiteten,  mochte 
ihm  selbst  dieser  Wechsel  nicht  besonders  klar  werden,  wenn  er  sich  gewöhnt 
hatte,  selbst  in  der  Finstemiss  zu  sehen,  wie  die  von  ihm  angebetete  Eule. 
Die  an  den  Flüssen  wohnenden  Ackerbauer,  welche  ihr  Gebiet  durch  Aus- 
rottung der  Bäume  mit  Feuer  und  Beil  ausdehnten ,  unterschieden  nicht  nur 
Tag  und  Nacht,  sondern  den  Beginn  des  Tages,  die  Mittagszeit  und  das  Ende 
des  Tages,  dagegen  beachteten  sie  nicht  die  Mittemacht,  weil  sie  um  diese 
Zeit  schliefen.  Wir  haben  also  hier  die  Dreitheilung  in  der  Zeit. 

Die  sorgfältige  Beobachtung  des  Himmels  (der  Aufgang  des  Sirius  in 
Äfnpten  zeigte  regelmässig  |den  Eintritt  der  Regenzeit  an)  musste  bald  das 
an^«:chlies$liche  Geschäft  der  Priester  werden,  da  die  Menge  des  Volkes  ent- 
weder zu  indolent  oder  zu  beschäftigt  war,  um  diese  Beobachtung  zu  pflegen, 
auch  war  man  zu  sehr  von  der  persönlichen  Einwirkung  der  Götter  überzeugt, 
als  dass  man  Sonnenschein  und  Regen  etwas  Anderem,  als  ihrem  persön- 
lichen Belieben  zuschrieb,  femer  bot  der  Ackerbau,  besonders  in  fruchtbaren 
fiependen,  Uberfluss  genug,  um  auch  Diejenigen  zu  ernähren,  welche  Bur 
Uiittelbar  durch  Rathschläge,  Gebete,  Opfer,  Zauber  und  Himmelsbeobachtung 
«»ich  an  der  Feldarbeit  betheiligten;  alles  diess  wirkte  zusammen,  um  ein  unab- 
här.'giges,  reiches,  der  Wissenschaft  ergebenes  Priesterthum  zu  eirzeugen, 
welches  Müsse  hatte,   über  Gegenwart,  Vergangenheit  und  Zukunft  nachzu- 


60  Jahreszeiten. 

denken,  und  an  der  Erziehung  des  Volkes  zu  arbeiten,  indem  es,  mit  gutem 
Beispiele  vorangehend,  diesem  Reinlichkeit  und  Massigkeit  empfahl.  Das 
Gesetzbuch  der  Juden,  welches  seinen  Ursprung  in  Ägypten  hatte,  giebl 
Zeugniss  sowohl  von  der  Vernunft  der  Reinlichkeitsregeln  als  von  der  er- 
schreckenden Unsittlichkeit  und  Rohheit,  mit  welcher  die  Priester  zu  kämpfen 
hatten.  Aus  dieser  Zeit  stammen  die  Mythen,  welche  auf  der  Dreizahl  beruhen. 

Im  Widerspruche  mit  diesem  Aufschwünge  der  Cultur  steht  zwar  die 
Anschauung  der  Bibel,  welche  in  der  Erzählung  von  Adam  und  Eva  den 
Ackerbau  als  die  Folge  der  Ausstossung  aus  dem  Paradiese  bezeichnet,  allein 
wir  wissen  nicht  nur,  dass  die  frühere  Zeit  ganz  anders  aussah,  als  sie  die 
träumende  Poesie  schuf,  dass  Thiere  und  Menschen  nicht  friedlich  mit  ein- 
ander lebten,  sondern  der  Mensch  im  Urwalde  sich  jeden  Tag  sein  Dasein 
erkämpfen  mussle;  wir  ersehen  auch  aus  den  Buchstaben,  wie  diese  Sage 
und  die  ihr  ähnlichen  entstanden  sind. 

Die  Beschäftigung  mit  den  Vorgängen  der  Gegenwart  erzeugte  bei  den 
nachdenkenden  Priestern  auch  die  Beschäftigung  mit  den  Vorgängen  der  Ver- 
gangenheit; wie  Jahr  um  Jahr  dieselben  Erscheinungen  auftreten,  so  musste 
diess  auch  früher  der  Fall  gewesen  sein,  da  aber  doch  einmal  ein  Anfang 
gewesen  war,  der  den  Anstoss  zu  den  Einrichtungen  der  Gegenwart  gab ,  so 
schoben  sich  in  der  Betrachtung  die  Zeiten  auseinander,  und  aus  Zeiten  bil- 
dete  man  Epochen.  Wie  im  Feldbau  auf  eine  Zeit  der  Überschwemmung  die 
Zeit  der  Ernte  und  die  Zeit  der  Dürre  folgte,  wie  die  Runen 

die  Sonne,  den  Mond  und  die  Erde  vorstellten,  so  bildete  sich  die  Idee  vom 
goldenen  Zeitalter  (Sonne),  dem  silbernen  (Mond)  und  dem  eisernen  Zeitalter 
(Erde);  so  wie  die  Überschwemmung  alle  Spuren  der  Felder  verwischt  und 
ein  neues  Leben  auf  denselben  entstehen  lässt,  so  glaubte  man  auch,  dass  in 
grösseren  Zeitepochen  grossere  Überschwemmungen  die  ganze  Erde  rem- 
wuschen,  denen  ein  neues  Leben  folgte,  und  so  entstand  die  Idee,  dass  auch 
einst  die  Zeit  der  Ernte  eine  ununterbrochene  gewesen  sei,  das  goldene  Zeit- 
alter Saturns.  Der  Garten  \'^}f  eden  ist  das  sich  selbst  Erneuernde,  wie  Saturn 
der  zeugende  und  seine  Kinder  verschlingende  Gott  der  Zeit,  daher  ist  auch 
Pj?  iddan  ausgesprochen  „die  Zeif*.  Zu  der  Auslegung,  welche  die  Bibel 
diesem  Worte  giebl,  scheint  übrigens  erst  eine  spätere  Zeit  gekommen  zu 
sein,  nämlich  die  Periode  des  Hirtenlebens. 


Entstehung  des  Hirten.  6 1 

Dass  das  Hirtenleben  vor  dem  Ackerbaue  entstanden  sei,  ist  logisch 
nicht  anzunehmen.  Der  Mensch  der  Urzeit,  den  wir  als  Jäger  kennen  gelernt 
haben,  konnte  wohl  den  Wolf  zähmen,  die  Unze  und  den  Falk  zur  Jagd 
abrichten,  aber  seinem  unruhig  umherschweifenden  Leben  sagte  das  ruhige 
Beharren  bei  der  Heerde  nicht  zu.  Wohl  aber  war  der  Ackerbau  geeignet,  die 
grasfressenden  Thiere  anzuziehen  und  auch  das  erdeaufwühlende  Schwein 
mag  zu  der  Erfindung  des  Ackerbaues  beigetragen  haben,  wie  der  Ochse 
(das  Symbol  des  Osiris)  zum  Austreten  der  Körner  führte,  wozu  er  auch 
später  verwendet  wurde.  Das  Brachliegenlassen  der  Felder  gab  den  Anstoss 
zur  Viehzucht,  deren  wichtigstes  Product,  die  Milch  gewinnung,  erst  spät  in 
der  Bibel  erwähnt  wird,  in  einer  bisher  missverstandenen  Stelle  (I.  Moses  36, 
21):  ,Ana  erfand  in  der  Wüste  das  do»  yemim,  als  er  seines  Vaters  Esel 
hüthele*.  Luther  hat  irrthümlich  „Maulpferde**  übersetzt,  näher  kam  Gese- 
nius,  der  , warme  Quellen"  vermuthete,  das  Wort  entspricht  genau  dem 
agyptisrhen  W  htn,  d.  i.  die  Frauenbrust,'  und  bedeutet  „melken*.*® 

Die  Gefahren,  welche  dem  Ackerbaue  drohten,  wie  Dürre,  Heuschrecken, 
Versandung  der  Felder,  die  Vernichtung  der  Ernte  durch  Gewitter  u.  dgl., 
erregte  die  Befürchtung,  dass  ein  Fluch  auf  diesem  Gewerbe  ruhe,  weil  der 
Mensch  gewaltsam  in  Gottes  Weltordnung  eingegriffen,  den  jungfräulichen 
Botlen  der  Erde  entblösst  und  sie  gezwungen  habe,  Früchte  hervorzubringen. 
Beweise  dieser  Anschauung  liegen  vor  im  Sündenfalle  Adam's  und  Eva's  und 
in  der  Entblossung  Noah's  durch  Kham  (den  Ahnherrn  der  Ackerbauer),  eine 
zweite  Sünde  begingen  die  Menschen  durch  das  Umhauen  der  Bäume,  so 
er»<*lilug  Kain,  der  Ackerbauer,  seinen  Bruder  Abel,  der  , Nebel*  bedeutet, 
^o  wird  in  der  eranischen  Sage  das  Umhauen  der  Bäume  als  eine  Blutschuld 
erwähnt  und  damit  der  Verlust  der  Unschuld,  wie  in  der  Adamsage,  in  Ver- 
liindung  gebracht;  so  wird  Esau  als  Jäger  und  Ackersmann  aufgeführt  (beides 
als  Beraubung  der  Natur  aufgefasst),  während  Jakob  ,ein  frommer  Mann 
war,  der  in  den  Hütten  blieb*,  obgleich  sein  Vater  Isaak  Viehzucht  und 
Ackerbau  zugleich  trieb  und  Ana  ein  Nachkomme  Esau*s  war. 

Genug,  die  Hirten  trennten  sich  von  den  Ackerbauern,  gewiss  weil  sie 
TOD  den  Heerden  eine  gleichmässigere ,  sichere  und  ruhigere  Erwerbscjuelle 
hofften,  und  ihnen  gesellten  sich  viele  Priester  zu,  weil  Kain*s,  des  Ackerbauers, 
Opfer  Gott  nicht  so  angenehm  war  als  das  Opfer  des  Hirten,  der  die  Erstlinge 
?*»*iner  Heerden  darbrachte ,   wie  es  in  der  mosaischen  Überlieferung  heissl. 


C-  Entstehung  des  Schiflfer. 

Das  Nebeneinanderleben  von  Hirten  und  Ackerbauern  war  auf  die  Dauer 
nicht  möglich,  die  übergrossen  Heerden  schädigten  die  Saaten,  es  entstanden 
Streitigkeiten,  in  Folge  deren  die  geringere  Zahl  veranlasst  wurde,  andere 
Wohnorte  aufzusuchen,  so  floh  Kain  nach  dem  Lande  Nod,  möglicherweise 
wurden  auch  die  Hirten  zur  Auswanderung  gezwungen;  jedenfalls  hatten  die 
letzteren  eine  grössere  Auswahl  beim  Suchen  neuer  Wohnplätze,  da  ihnen 
Berge  und  Wälder,  selbst  die  Wüsten  Nahrung  boten.  Während  aber  die 
Ackerbauer  auf  ihrem  Sumpfboden  imd  bei  ihrer  sitzenden  Lebensweise 
Krankheiten  ausgesetzt  waren,  welche  ihre  Bäuche  auftrieben  und  die  Zeugungs- 
kraft  lähmten,  erstarkten  die  Hirten  in  der  Bergluft,  in  der  steten  Bewegung, 
welche  die  Bewachung  der  Heerden  erfordert,  und  durch  den  Genuss  des 
Fleisches  und  der  Milch.  Nahmen  ihre  Heerden  zu,  dass  ihre  Wohnorte  nicht 
mehr  ausreichten,  so  richteten  sie  ihre  Blicke  auf  die  fruchtreichen  Ebenen 
der  Ackerbauer,  welche  letztere  von  ihnen  mit  leichter  Mühe  unterjocht  wur- 
den, und  so  wurde  aus  den  Hirten  das  Kriegergeschlecht  und  der  Krummstab 
ihrer  Priester  beherrschte  sie  und  die  Ackerbauer. 

Endlich  schuf  das  Feuer  noch  einen  dritten  Stand,  die  Schifler.  Nach- 
dem mit  Feuer  und  Steinbeil  der  Baumstaram  ausgehöhlt  werden  konnte, 
bildete  dieser  das  Boot,  mit  welchem  sie  sich  immer  weiter  auf  dem  Grebiete 
des  Wassers  wagten,  sie  vermittelten  den  Verkehr  zwischen  den  Jägern  und 
Hirten  einerseits  und  den  Ackerbauern  andererseits,  indem  sie  die  Thierfelle 
der  ersteren  gegen  die  Früchte  der  letzteren  austauschten,  und  so  bildeten 
sich  die  Völkergeschlechter  Sems  des  Hirten,  Khams  des  Ackerbauers  und 
Japhet's  des  Schifffahrers  nach  den  Symbolen,  welche  sie  vorzugsweise  ver- 
ehrten, nämlich  Luft  (samaim  Himmel),  Erde  (gania  die  durstige  Erde),  Wasser 
(apet  ist  der  Wasservogel  bei  den  Ägyptern).  Nach  der  Geographie  der  Bibel 
waren  diese  Völker  zugleich  die  des  Ostens,  Südens  und  Westens. 


Das  neue  Zeichen  erzeugte  natürlich  einen  neuen  Laut;  der  Gott,  den 
dieses  Zeichen  vertrat,  musste  auf  andere  Weise  angerufen  werden,  als  die 
früheren.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  spuckte  man  den  Stein  an  und 
brachte  so  den  scharfen  Ton  heraus,  den  die  ^-Rune  vorstellt  und  der  sich 
noch  im  englischen  th  erhalten  hat,  während  es  im  Deutschen  in  i  d  z  sich 
zersplittert  hat,  auch  das  hebräische  r  halte  ursprünglich  diesen  Laut. 


Wachsthum  der  Sprache.  03 

Mit  den  Dreilauten  begann  die  Ausbildung  der  Sprache.  Die  zwei 
Laute  der  ersten  Periode  boten  zu  wenig  Abwechslung,  mit  den  drei  Lauten 
konnte  man  neun  zweilautige  Stämme :  tt  ft  tfrr  rt  tr  rf  fr  ff  bilden ,  wobei 
die  Reduplication  eine  bestimmtere  Form  des  ursprünglichen  Sinnes,  die 
Zusammensetzung  mit  anderen  Lauten  eineModification  des  Begriffes,  mitunter 
aber  auch  eine  blosse  Umschreibung  des  BegriiTes  bildet.  So  haben  wir  noch 
jetzt  in  , pfeifen*  eine  Reduplication  des  Stammes  f  (Luft),  in  , rühren**  des 
Stammes  r  (bewegen),  in  Tod  des  Stammes  i  (Höhle,  Grab),  in  „Diebstahl* 
bedeutet  sowohl  „Dieb*  als  „stehlen"  dasselbe,  während  in  „Mondnacht* 
der  Begriff  Nacht  durch  „Mond"  näherbestimmt  wird.  So  war  im  Nordischen 
tayAr  Tod,  die  Reduplication  von  iu  (isl.  d^ißd)  „tödten",  wie  im  lat.  vivere 
.leben",  im  Ägyptischen  rr  „rollen",  dd  „Hand"  (hebr.  yad)  „Beständigkeit" 
(hebr.  daih  „Gesetz"),  hebr.  tt  dad  „die  Brust"  (als  Symbol  der  Fülle  wie 
die  Hand,  woraus  sich  Tn  d%id  das  Ueberschäumen,  dod  die  Liebe  bildete. 

Durch  eine  Zusammensetzung  von  drei  Wurzellauten  entstanden 
36  dreilautige  Wurzeln  und  damit  war  zugleich  der  Anstoss  zur  Flectirung, 
daher  zur  grössten  Biegsamkeit  der  Wörter  gegeben.  Im  Chinesischen  'ist 
dieselbe  nicht  zum  Durchbruch  gekommen,  weil  sie  in  der  Schrift  bheb  und 
nicht  in  die  Sprache  überging ;  im  Aegyptischen  ist  sie  in  Schrift  und  Sprache 
sichtbar,  indem  |  o  den  Singular,  ||  t  den  Dual,  i  u  den  Plural  vorstellt,  welch' 
letzterer  auf  dem  Wege  der  Lautverschiebung  sich  im  Hebräischen  als  D  m 
festgesetzt  hat.  Uebrigens  scheinen  die  Vocale  gewissermassen  als  weih- 
liebe  Formen  den  männlichen  Consonanten  inhärent  gewesen  zu  sein,  wie 
%%ir  auch  bei  fdas  %  (e),  bei  r  das  u  und  et,  bei  ih  das  o  (a)  fmden;  es  ist 
möglich,  dass  man  zu  Gebeten  sich  nur  der  Consonanten  bediente  und  daher 
die  Gebete  murmelte  oder  brummte,  als  die  Sprache  jedoch  mehr  und  mehr 
das  Verständigungsmittel  der  Menschen  wurde,  mussten  die  Vokale  hervor- 
treten, wenn  man  sie  auch  in  heiligen  Schriften  (wie  in  der  Bibel)  noch 
unbezeichnet  liess.  Dass  dieser  Gebrauch  einst  auch  in  Indien  herrschte, 
beweist  die  Aufzählung  zweier  Alphabete,  von  denen  eines  aus  den  Vokalen, 
da.s  andere  aus  den  Consonanten  besieht,  während  eine  dritte  Zeichenreihe 
fOr  sich  als  Zahlzeichen  fortexistirte. 

Gehen  wir  nun  zu  den  Zeichen  selbst  über,  so  müssen  wir  vor  Allem 
in*8ADge  fassen,  dass  wie  bei  den  beiden  Ur-Runen,  auch  hier  die  Begriffe  in 
einander  fibergehen  und  die  Mythologie  wird  uns  die  Beweise  dafür  liefern. 


i  I 


^*  Die  Rune  P. 

Wenn  P  an  die  Stelle  von  I  trat,  so  begegnet  uns  sofort  der  ßegiiflf  der  Drei- 
einigkeit,  insoferne  der  Geist  die  Geister  einschloss.    Odhin,   Wile  und  We 
vereinigten  ihre  Gaben  im  Menschen.  Die  Chinesen,  z.  B.  Tschu-tse,  sagen 
geradezu,   Mensch  ist  dasselbe  wie  Himmel,  und  erklären  diess   folgender- 
massen:    ,  Himmel  ist  Vater,   Erde  ist  Mutter,   Mensch  ist  Sohn.    Obgleich 
San-ti  (Himmel)  der  Sohn  der  Erde  oder  des  Stoffes  ist,  ist  er  doch,  weil  er 
vom  Chaos  aus  eigener  Macht  ausgeht  und  dann  den  Stoff  der  Erde  bildete, 
der  Erzeuger  der  Erde  und  daher  ihr  Vater.    Die  Erde  wurde  später  sein 
Weib*.*^    Dieses   Raisonnement,    wonach  der  Sohn    sein  Vater  und  der 
Gemahl  seiner  Mutter  war,   ist  bei  den  Priestern  aller  Völker  zu  finden,  nur 
wurde  es  nirgends  so  präcis  ausgesprochen.  Man  betrachtete  das  Universum 
als  eine  Kugel  oder  ein  Ei;    wie  sich  in  diesem  der  Dotter  vom  Eiweiss 
sondert,  so  sonderte  sich  aus  dem  Chaos  der  Stoff  vom  Aether  —  der  Stoff 
wurde  Erde ,   der  Aether  Himmel ;  indem  beide  sich  durchdrangen,  entstand 
der  Mensch,   welcher  aus  dem  stofflichen  Körper  und  dem  GJeiste  besteht, 
somit  als   dritte  Potenz   die  Vereinigung  der  beiden  anderen  Potenzen  in 
erster  Potenz  (dem  Geiste  oder  Leben)  enthält.    Astronomisch  betrachtet, 
bildeten  die  drei  Potenzen:  die  Sonne,  der  Mond  und  die  Sterne,  als  Vater, 
Mutter  und  Kinder;    aber  der  Sternenhimmel  war  wiederum  der  Vater  von 
Sonne  und  Mond,    und  letzterer   gebar  durch  seine  Verwandlungen    fort- 
während neue  Gestirne. 

Die  ursprüngliche  Form  von  P  war  Y,  welche  Form  im  spätem  voll- 
ständigem Futhork  die  Rune  madr  „Mann*  ist.  Der  Mann  oder  Mensch  ist 
das  aufgerichtete  Wesen,  das  Abbild  des  zeugenden  Gottes,  an  sich  schon  in 
I,  er  breitet  seine  Hände  gegen  den  Himmel  aus  in  f  und  Y,  und  ist  in  dieser 
Form  der  Atlas,  der  das  Himmelsgewölbe  trägt.  Deshalb  ist  er  auch  der 
Baum,  dessen  Aeste  den  Himmel  tragen,  und  der  Berg,  dessen  Haupt  sich  im 
Himmel  verliert.  Es  ist  die  Weltesche  Yggdrasil,  der  Zeitbaum  der  Perser, 
die  Fichte  des  Attys,  deren  Zapfen  das  uralte  Symbol  der  Erneuerung  waren. 
In  den  Hieroglyphen  Ägyptens  ist  das  Bild  theils  ■  wi«,  t/n  der  Obelisk, 
theils  ri^  sa  (Stütze)  der  Himmelsträger,  dessen  hieratische  Form  |  zugleich 
dieHieroglj'pheJ  rp,  tr  „die  Zeit,  das  Jahr,  den  Baum"  vertritt;  4^  ist  aber  so 
viel  wie  1  sw,  hieratisch  ^,  welches  auch  König  bedeutet  und  die  heilige 
Haomapflanze  der  Perser  oder  Saoma  der  Inder,  der  üw  stau  , Knoblauch* 
der  Juden  ist,  von  dem  die  nordische  Wöla  sagt: 


Die  Rune  f).  ^^ 

Sonne  vom  Süden  schien  auf  den  Felsen 

Und  dem  Grunde  entsprosste  grünender  Lauch. 
Lauch  ist  die  saflreiche  Pflanze,  der ,  erlauchte  •  Herrscher,  der  kraftstrotzende 
Mann,  der  Stier,  der  Pater  patriae,  der  Lokidernordischen  Sage,  der  als  ursprüng- 
licher Liebesgott  ebenso  zum  Bösen  wurde,  wie  suten,  der  (ägyptische)  „König" 
•"Tu  Saddai  »der  Allmächtige"  zum  ftoü  satan  , Widersacher";  genau  wie  sich 
I  zu  Y  verhielt,  wenn  letzteres  als  Lingam  betrachtet  vnrd.  Andererseits  lehnt 
sich  I  an  die  ^  Dom-Rune  an,  insofern  dieselbe  das  Keimen,  sich  spalten,  dar- 
stellt. So  verbindet  sich  auch  das  junge  Reis  mit  dem  griechischen  Eros,  der 
als  Ares  sich  an  Saddai  einerseits  und  an  satan  andererseits  anlehnt,  seinen 
Bogen  mit  den  Liebespfeilen,  ebenfalls  eine  Lingamform,  findet  man  sowohl 
in  Y  als  im  ersten  hebräischen  Buchstaben  ^L  oder  4^,  jetzt  noch  in  ^ 
erkennbar,  dessen  Name  Aleph  nicht  nur  an  ^^k  alaph  ,,zahm  werden" 
(durch  einen  die  Nase  durchbohrenden  Pflock,  wie  er  noch  jetzt  von  manchen 
wilden  Körperschaften  als  Zierde  getragen  wird),  sondern  auch  an  den 
nordischen  Alf  erinnert,  den  neckenden  Liebesgott  und  an  halfa  die  Himmels- 
seite, die  Hälfte. 

n  ist  der  Himmelsbogen,  der  obere  fheil  von  ^  sa  „Stütze",  welches 
selbständig  als  U^  jpr  „Haus",  ^^"^ pt  „Himmelsgewölbe"  vorkommt.  H  ist 
so  viel  wie  P,  nur  die  weibliche  Form  desselben,  wie  Hera  so  viel  ist  als  Zeus. 
Eine  strenge  Theilung  ist  unmöglich.  War  Zeus  der  Tag,  so  war  Hera  die 
Nacht;  aber  Zeus  war  als  schwarzer  Stier  mit  den  Mondhörnem  die  Nacht 
und  die  weisse  Hera  der  Tag  (ägyptisch  ^^  Aru,  der  leuchtende  Esel  oder  der 
goldborstige  Eber  der  nordischen  Sage) ;  war  jenes  die  Säule,  der  Berg,  so 
ist  n  das  Einschliessende,  aber  als  A  selbst  der  Berg,  die  Erdmutter  Kybele; 
war  P  der  Wind,  so  ist  H  als  Wile  „die  Bewegung";  fl  ur  ist  der  Sturm, 
die  Wolke.  Doch  ist  im  Allgemeinen  V  mehr  das  Äussere,  11  das  Innere, 
una  wenn  Vater  der  zeugende  Mann  ist,  so  ist  Mutter  (verwandt  mit  Mulh) 
die  Gebärende;  jener  der  stürmisch  Wogende,  diese  die  innerlich  Erregte, 
das  Gemüth.  Daher  ist  auch  das  hebräische  ^  heth  das  ägyptische  <^S 
,  das  Innere,  die  Einge-Mwe^c",  also  verwandt  mitffiDa  ft^^e»  „  Mutterleib " ,  dessen 
W^urzeln  3  „die  Höhle"  und  ü  „die  Brust,  der  Leib"  sind.  D  ist  auch  dasselbe 
wie  hebräisch  a  und  ägyptisch  ^=,  hieratisch  ^  i»,  hebr.  npo  ma'ar  „der 
leere  Raum",  die  Pfeife  --■■,  mit  welcher  Kybele,  wenn  der  Hauch  hinein 
kam«   Liebesraserei  erweckte;  aber  im  Gegensatze  zum  verführerischen  Loki 

ITauimann,  Geschichte  d.  Schrift.  5 


66  Ole  Rune  ►. 

bedeutete  es  »Offenheit  Wahrheil,  Gerechtigkeit*.  So  war  auch  H  als  -^r» 
ab  .Moud*  das  milde  freundliche  Silberlicht,  im  Gegensatze  zur  brennenden 
Sonne;  aber  wenn  diese  als  Gluth  zugleich  das  Gold  war,  so  war  auch  Fl  als  ägyp- 
tisch fJK)  nb  »das  Gold*,  der  Schatz  Ögir's  (im  Gegensatze  zum  Schwert- 
licht  der  Walhalla),  der  Tagglanz  der  Zwerge,  wie  die  nordische  Poesie  sagte. 
So  sind  auch  hier  Mann  und  Weib  ein  Leib ,  nur  das  letztere,  wenn  unter- 
schieden wird :  das  Weiche,  das  Milde. 

^  das  Kind,  ist  wie  noch  jetzt  in  der  Sprache,  geschlechtslos,  Ter- 
einigt  aber  in  sich  die  Eigenschaften  der  beiden  vorigen.  Zunächst  ist  es  der 
Dom,  den  wir  bereits  oben  mit  P  verglichen  haben,  dann  das  Schwert 
1  und  I,  letzteres  auch  der  Halm,  die  keimende  Pflanze;  im  Gegensatze  zu 
Gold  und  Silber,  ist  es  die  Eiserne  Zeit,  wie  auch  das  Feuer  die  Bearbeitung 
der  Metalle  erzeugte;  alle  Metallgotter  sind  gelähmt,  so  Horus,  Hephästos, 
Vulkan,  ihnen  schliesst  sich  Thorr  an,  dessen  Bock  gelähmt  ist,  der  ein* 
händige  Tyr  und  der  Jakob  der  Bibel,  dem  ebenfalls  die  Hüfte  verrenkt 
war;  diese  Lähmung  bezieht  sich  nicht  nur  auf  die  Zeugung,  sondern  auch 
auf  das  sesshafle  Leben  im  Gegensatze  zu  der  Schnellfussigkeit  der  Hirten, 
^  ist  aber  nicht  blos  der  Gelähmte ,  sondern,  getreu  der  alten  Doppelsinnig- 
keit, das  Lähmende,  der  Schlafdorn,  der  Tod,  der  Zahn  der  Zeit,  der  Zahn 
des  Ebers,  der  versengende  Strahl  der  heissen  Sonne  und  die  Befruchtung, 
welche  die  Bewegung  lähmt.  So  zersprang  Nanna,  die  Knospe,  vor  Schmerz, 
als  Baidur  auf  den  Scheiterhaufen  gelegt  wurde ;  aber  wie  dieser  Fruhlingsgott 
sich  auf  dem  Scheiterhaufen  in  das  Feuer  verwandelte,  so  verwandelte  sich 
auch  die  Knospe  in  die  empfangende  Blüthe,  Baidur  in  Thorr  und  Nanna  inSif, 
das  goldene  Getreidefeld,  dem  Loki  das  Haar  abschnitt.  ^  ist  der  erste  Zahn, 
bei  dessen  Erscheinen  die  Kinder  beschenkt  wurden,  wie  im  Aegyptischen  A 
,Gabe,  Geschenk*  bedeutet,  er  ist  aber  auch  als  ausfallender  Zahn  der  Beginn 
des  Alters.  ^  ist  aber  auch  das  Weib,  die  offene  Thüre,  die  Thorheit  und 
Leichtgläubigkeit  gegenüber  dem  verschmitzten  Manne.  Thorr  verkleidete  sich 
als  Weib,  als  er  zu  dem  Riesen  ging,  um  seinen  entwendeten  Hammer  zu 
holen,  wie  Idhunn  von  den  Riesen  geraubt  wurde,  aber  den  Göttern  zurück- 
gegeben werden  musste,  weil  sonst  keine  Erneuerung  des  Frühlings  gewesen 
wäre;  deshalb  verwandelte  Loki  die  Idhunn  in  die  den  Frühling  veckün- 
dende  Schwalbe.  We  gab  den  Menschen  Antlitz,  Sprache,  Gehör  und  Gesicht, 
daher  ist  l>  das  .Haupt",  das  Haupt Mimir's,  dasGorgonenhaupt,  d.i.  dieSonuc. 


Tiilogie,  ^7 

Als  Fnililmg;  xsl  Thorr  der  Anfang  des  Jahres,  der  Anfang  aller  Dinge,  daher 
Odhin  selbst,  wie  Eros  älter  ist  als  Kronos  und  Zeus,  eigentlich  dasselbe, 
nämlich  die  Dreieinigkeit,  das  Auge  Gottes  ^^,  welches  im  Ägyptischen  uten, 
im  Nordischen  Odhin,  im  Hebräischen  niM  oth  .Himmelszeichen,  Wunder" 
bedeutet  Im  hebräischen  Alphabet  steht  dafür  1  Gimel,  die  Erde,  und  i^t 
hier  ein  Wechsel  eingetreten,  indem  Ae/o/e/A,  die  Zeittheilung,  welches  Zeichen 
doch  unläugbar  auch  eine  Dreizahl  ist  und  der  Rune  ^  entspricht,  an  die  Tierte 
Stelle  getreten  ist  aus  Gründcoy  welche  im  folgenden  Abschnitte  erörtert 
werden. 

Dass  diese  Dreiheit  der  Zeichen  den  ältesten  religiösen  Ideen  zu 
firunde  liegt,  beweist  die  Vergleichung  der  Zeichen  mit  den  Götter-Trilogien. 
Wir  haben  bereits  kennen  gelernt:  Odhin  P,  der  Geist  und  Seele  gab,  Wile 
n,  der  Bewegung  gab,  We  ^,  der  Antlitz  u.  s.  w.  gab;  an  Stelle  der  beiden 
l**lzleren  treten  auch  auf:  Hönir  gab  Sinn  (wir  haben  H  als  »Gemüth* 
kennen  gelernt),  Lodhur  gab  Blut  und  blühende  Farbe  (d.  i.  das  Haupt). 
Andere  Trilogien  sind:  Odhin,  Njördhr  (als  Gott  der  Meereswogen  fl)  und 
Thorr;  Odhin  (Slmn  Y),  Frigg  (Weib  H),  Baidur  (Kind  >);  Frigg  (identisch 
mit  Odhin),  Freyja  (als  Liebesgöttin  der  Mond  D),  Hei  {>  als  Tod);  Fulla  (die 
Fülle  als  Schmuckmädchen  der  Frigg,  der  Glanz  Y),  Gna  (die  Götterbotin  A, 
▼erwandt  mit  dem  Regenbogen  fl),  Hiin  (die  Helferin  in  Nöthen  wie  Thorr 
►) ;  die  drei  Farben  des  Regenbogens  sind  fl  grün,  ►  rolh,  f  gelb.  Als  drei- 
einiger Gott  heisst  Odhin  auch  Thridi,  wie  Pallas  Athene  Tritogeneia  (die  im 
Frühling,  Sommer  und  W^inter  sich  dreimal  verwandelnde  Erde)  heisst.  Im 
Indischen  ist  Indra  P  die  Lufl,  Varuna  (der  Umfasser)  H,  Agni  (das  Feuer)  J^, 
ihnen  entsprechen  Brahma  (das Wort,  v»obei  man  neben  Tauch  an K den  Mund 
drnkt),  Wi§nu  (als  Gott  der  Meereswogen  fl),  Siva  (das  Feuer  t^),  auch  hier 
fuhrt  Indra  den  Namen  Trita.  Im  Griechischen  ist  Zeus  (das  ägyptische^  th, 
die  Schlange)  Y,  PoseYdon  (der  Gott  der  Meereswogen)  11,  aber  durch  der 
Dreizack  identisch  mit  Y,  Pluto  (Tod,  Unterwelt,  aber  auch  Reichthum)  ►; 
oder  Zeus,  Apollo  (Himmel  H),  Athene  (Erde  >)\  die  Göltinen  Hera  (die 
Hohe)  r,  Aphrodite  A,  Athene  (Mond).  Wie  aber  Athene  die  Tritogeneia,  also 
90  viel  wie  Zeus  war,  so  war  Siva  der  oberste  Gott,  die  Alles  erzeugende  und 
▼erschlingende  Zeit;  also  überall  Rnden  wir  neben  der  Uebereinstimmung 
d*»n  Gegensalz  und  darin  die  Ursache  des  Auseinandergehens  der  An- 
schauungen in  Sitte  und  Sprachen  der  Völker. 

5* 


<^«  Die  VierzahL 

In  der  Genesis  wird  das  Auseinandergehen  der  Sprachen  merk- 
würdigerweise mit  dem  Thurmbau  in  Verbindung  gebracht,  der  an  A 
erinnert.  Diese  Pyramiden  dienten  ebensowohl  als  Wegweiser  in  den 
weiten  Ebenen,  wie  als  Gnomon,  um  den  Stand  der  Sonne  zu  messen.  Die 
bibUsche  Sage  knüpft  an  ein  syrisches  Wort  bobol  an,  welches  »Verwir- 
rung der  Rede,  Stammeln,  Stottern"  bedeutet  und  dessen  erstere  Bedeu- 
tung durch  die  bekannte  Polyphonie  der  Keilschriftformen  unterstützt  wird« 
aber  die  übrigen  Bedeutungen  weisen  auf  „Barbar*,  mit  welchem  Worte  in^ 
AJterthum  alle  Völker  bezeichnet  wurden,  welche  unverständlich  redeten; 
diess  führt  aber  auf  eine  andere  Bedeutung,  nämlich  denNamen  >J^  ^^  -  J.^^^ 
welcher  wörtlich  tin-tir  d.  h.  (Stamm,  Wurzel  oder)  »Ursprung  der 
Sprache"  bedeutet  und  der  sich  in  der  ägyptischen  Stadt  Dendetxth,  in  deren 
Tempel  eine  Abbildung  des  Thierkreises  aufgefunden  wurde,  erhalten  hat. 
Ausserdem  kommt  Babylon  nach  Lenormant  mit  dem  akkadi sehen  Namen 
kd-din-gira,  d.  h.  „Pforte  Gottes",  und  als  t=rT^^j^^|^^  M-au-ra^ 
welches  assyrisch  ^5-i7w  ebenfalls  „ Pforte  Gottes " ,  aber  wörtlich  „Pforte  des 
Sternes  der  Ueberschwemmung "  (d.  i.  der  ägyptische  Sinus)  oder  des  Gottes 
der  Ueberschwemmüng  bedeutet,  womit  auch  der  hebräische  Name  des 
Landes  D'nrrj  naharim  zusammenhängt,  der  wiederum  durch  iinj  nahor 
„Licht*  auf  den  Gott  des  Lichtes  führt,  welcher  in  bab-ilu  hervortritt.  Alles 
iiess  weist  darauf  hin,  dass  und  vielleicht  mit  Recht  Babylon  als  der  Ort 
betrachtet  wurde,  wo  die  Cultur  entstand  und  von  wo  sie  in  alle  übrigen 
Länder  sich  verbreitete. 

6.  DIE  VIER. 

Mit  dem  Ackerbaue  und  der  Viehzucht  hatte  der  Mensch  einen  Lebens- 
unterhalt gewonnen,  der  ihn  inmfier  unabfiängiger  von  der  Natur  machte. 
Der  Urmensch  konnte  unbekleidet  nur  in  heissen  Ländern  wohnen,  wo  auch 
die  Fülle  des  Wachsthums  und  der  Thierwelt  ihm  mehr  Nahrungsstoff  zu- 
lührte;  der  Ackerbau  gab  ihm  Leinen  und  Byssus,  die  Viehzucht  Pelze,  mit 
denen  er  sich  bekleidete  und  in  nördlichere  Gegenden  wandern  koimte,  wenn 
die  Zunahme  des  Volkes  eine  Ausbreitung  erforderte.  Da  übrigens  die  Vieh- 
zucht vom  Ackerbaue  abstammte,  so  war  der  letztere  den  Hirten  nicht  fremd 
und  sie  konnten  ihn  bei  günstigem  Boden  auch  neben  der  Viehzucht  betreiben,. 


Handel.  G9 

wie  der  Isaak  der  Bibel  diess  that.  Waren  aber  die  Menschen  in  die  nörd- 
lichen Wendekreise  gekommen,  so  musste  ihnen  bald  der  Unterschied  des 
Klimas  auffallen:  an  die  Stelle  der  drei  Jahreszeiten  (Überschwemmung, 
Fruchtbarkeit,  Dürre)  traten  vier  (Frühling,  Sommer,  Herbst,  Winter),  und  so 
war  die  Erkenntniss  auf  eine  Stufe  höher  getreten.  Wenn  wir  diese  Erwägung 
mit  den  Ergebnissen  der  geologischen  Forschungen  vergleichen,  welche  uns 
Ton  einer  tropischen  und  von  einer  Eiszeit  in  Europa  erzählen,  so  muss  die 
Viertheilung  m  eine  verhältnissmässig  neuere  .Zeit  fallen,  aber  jedenfalls  in 
die  vorgeschichtliche  Zeit,  während  andererseits  auch  möglich  wäre,  dass 
nicht  einmal  Wanderungen,  sondern  klimatische  Veränderungen  auf  demselben 
Boden  an  dieser  Erziehung  des  Menschengeschlechts  mitgewirkt  hätten. 

Noch  eine  andere  Entwicklung  drängte  über  die  Dreiheit  hinaus.  Die 
grössere  Verbreitung  der  Menschen,  der  Uberfluss  des  Ackerbaues,  die  Kennt- 
niss  anderer  Länder  hatte  den  Handel  erzeugt,  über  dessen  Ausbreitung 
Lcnomiant  folgende  Thatsache  constatirt:  ,Wie  weit  wir  auch  in  den  beiden 
allosten  Staaten,  in  denen  wir  eine  vollkommene  und  hervorragende  Cultur 
erblicken,  in  Ägypten  und  Chaldäa,  zurückgehen,  treffen  wir  stets  den  Gebrauch 
der  Bronze  an.  Bronze  ist  eine  Mischung  von  Kupfer  und  Zinn  in  gewissen 
Verhältnissen.  Nun  fanden  Ägypter  und  Chaldäer  das  Kupfer,  w^enn  auch 
nicht  auf  ihren  eigenen  Territorien,  so  doch  in  den  Districten,  welche  an  ihre 
Gebiete  grenzten,  und  über  welche  sie  schon  sehr  früh  ihre  Herrschaft  aus- 
gedehnt hatten;  Zinn  dagegen  fand  man  nur  in  sehr  weit  entlegenen  Ländern. 
Das  geringfügigste  Bronzegeräth,  das  man  etwa  bei  Memphis  in  einem  jener 
Gräber  findet,  deren  Entstehung  mit  derjenigen  der  Pyramiden  zusammen- 
fällt, wo  es  seit  sechzig  Jahrhunderten  eingeschlossen  liegt,  ruft  daher  in  uns 
den  Gedanken  an  einen  alten  weitverbreiteten  Handel  hervor,  welcher  dem 
pharaonischen  Ägypten  das  Zinn  von  Paropamisus  oder  kaukasisch  Iberien 
zuführte.  Ohne  diesen  Handel  könnte  man  in  der  That  dieses  Vorkommen 
nicht  erklären,  weil  sich  das  Zinn  an  keiner  Ägypten  näher  gelegenen  Stelle 
findet.  •  «• 

Lenormant  fügt  zwar  hinzu:  ,in  jener  Zeit  konnte  es  noch  keine  SchiiT- 
fahrt  geben  und  der  Seehandel  war  noeh  nicht  vorhanden;  aller  Verkehr 
wurde  auf  Landstrassen  durch  Karawanen  vermittelt*,  aber  diess  ist  eine 
Behauptung,  für  welche  nicht  nur  der  Beleg  mangelt,  der  sogar  viele  That- 
sachen  widersprechen.  Die  älteste  Beseitigung  der  Todten  bestand  darin,  d.iss 


70  Schififfalurt. 

man  sie  in  das  Wasser  warf  oder  in  einem  Boote  aussetzte;**  rings  um  die 
Erde  glaubte  man  das  Meer  gelegt  und  jenseits  desselben  die  Schattenweit  i 
auch  die  todten  Griechen  konnten  nur  auf  Gharon's  Nachen  in  die  Unterwell 
gelangen,  und  die  Ägypter  hatten  Todtenbarken  auch  zu  der  Zeit,  wo  sie  ihre 
Todten  in  der  Erde  begruben.  Die  Geschichte  Noah's  hat,  wie  aus  dem  keil> 
schriftlichen   Urtexte  hervorgeht,    den- Sinn,   dass  die  Todten,   welche  in's 
Wasser  geworfen  wurden,   nicht  mehr  auferständen,   dass  aber  der  Körper, 
welcher  in  die  Erde  gelegt  wurde,  ebenso  wieder  auferstehe,   wie  das  in  die 
Erde  gelegte  Samenkorn  zu  neuer  Blüthe  gedeiht;   sie  bezweckte  also  der 
Wasserbestattung  entgegenzuwirken,  obwohl  der  ägyptische  Gebrauch  beweist» 
dass  die  Wasseridee  so  fest  eingewurzelt  war,  dass  sie  wenigstens  symbolisch 
noch  beibehalten  werden  musste,   nachdem  das  Erdbegräbniss  schon  ein- 
gebürgert war.  Wenn  nun  Diejenigen,  welche  ihre  Todten  in  die  Erde  senkten» 
Ackerbauer  waren,   so  mussten  jene,   welche  ihre  Todten  in  Booten  aus- 
setzten, Schiffer  gewesen  sein,  denn  nur  die  Gewohnheit  des  Lebens  ging  auf 
den  Tod  über.   Übrigens  hefem  die  Grönländer  und  die  nordamerikanischen 
Fischervölker  den  Beweis,  dass  der  mit  dem  Wasser  Vertraute  sich  auf  den 
kleinsten  Fahrzeugen  weit  in  das  Meer  wagt;  die  Sündfluth-Sage  aber  erzählt 
schon  von  einem  riesigen  Schüfe,   welches  sorgsam  mit  Pech  wasserdicht 
gemacht  war.     Wir  sehen  femer  die  Normannen  im  Mittelalter  mit  kleinen 
Fahrzeugen  von  Norwegen  bis  Frankreich  und  Griechenland  segeln  und  in 
(die  Flüsse  eindringen,  um  Raubzüge  vorzunehmen.    Lange  vor  den  Phöni- 
kiem  waren  die  Karier  Herren  des  Mittelmeeres,  und  es  existiren  Sagen,  welche 
von  einer  noch  altem  Verbindung  der  Atlantis  mit  Afrika  berichten.    Die 
.grünen*  Wege  der  Erde,  welche  Rigr  wandelte,  waren  unstreitig  die  grünen 
Gewässer  der  Flüsse,   denn  Rigr  ist  identisch  mit  Heimdall^und  somit  ein 
Wassergott;   der  älteste  Gott  der  Ägypter,   Ptah,   hat  den  Wasserkrug,  das 
Symbol  des  Meeres,  um  den  Hals,  das  älteste  Scepter  der  ägyptischen  Könige 
♦  war  ein  Ruder,  und  wenn  die  Säule  sich  mit  dem  Himmel  vereinigte  in  W, 
so  vereinigte  man  andererseits  den  Mastbaum  mit  der  Joni  in  ^L;  eines  der 
ältesten  Symbole  der  Chinesen  \Q^  wird  erklärt  als  »der Gross vater  (sah-U 
, Himmel*)  oder  die  Sonne  fliehend  in  dem  Mondboote  vor  der  Fluth*;*^ 
in  den  amerikanischen  Kekinowin   ist  der  Nachen    ^EP    das  Meer,   in  den 
ägyptischen  Hieroglyphen  bedeutet  ^«^  nh  »alles,  jedes*  und  ist  als  Göttin 
n  fipt  das  römische  nuptiae,  wie  Rigr  die  Paare  vereinigte.  Viel  schärfer» 


Die  viertlieiliKe  Windrose  ^  1 

als  im  Patriarchenihum  prägt  sich  das  Herrscherthum  im  Steuermanne 
<les  Schiffes  aus,  dem  Alles  unbedingt  gehorchen  musste,  sollte  nicht  die 
ganze  Mannschaft  zu  Grunde  gehen,  und  noch  jetzt  ist  gouvemer  , regieren '^ 
latitverwandt  mit  gauvernail  «das  Steuerruder*,  und  spricht  man  von  einem 
^ Ruder  des  Staates*,  welches  doch  jetzt  nur  in  einer  Feder  besteht.  Es 
dürfte  daher  der  Wasserverkehr  anfangs  auf  Flüssen,  dann  längs  des  Meeres- 
ufers  den  Rarawanenstrassen  vorangegangen  sein,  welche  letztere  nur  bei  den 
Hirten  entstehen  konnten.  Betrachten  wir  aber  beispielsweise  die  Lage  des 
Mittelmeeres,  so  musste  das  Streben  nahe  liegen,  durch  Kreuzung  des  Meeres 
den  Weg  abzukürzen,  und  es  fragt  sich  dabei,  ob  die  ^-Rune  nicht  schon 
einen  Mast  mit  Segel  bildete.  Jedenfalls  konnte  der  Seefahrer  nicht  mit  den 
drei  Tageszeiten  (Morgen,  Mittag,  Abend)  auskommen,  für  ihn  gab  es  keine 
Unterbrechung  der  Arbeit  und  er  musste  der  Mittagszeit  die  Mitternacht 
;:egen  übersetzen. 

So  vereinigten  sich  zwei  verschiedene  Umstände,  die  Vierzahl  zu 
sc II äffen,  und  zwar  nicht  blos  so,  wie  das  deutsche  Wort  (vier  ist  lautver* 
wandt  mit  viel)  vermuthcn  lässt,  als  allgemeine  Vielzahl,  sondern  als  positive 
Grr*sse.  Als  Vielzahl  tritt  die  Vierzahl  in  der  Noah-Sage  hervor,  indem  dieser 
«k-r  Vater  der  drei  Söhne  §em,  Kham  und  Japhet  oder  nach  den  Geschlechts- 
n'gistem  Japhet,  Kham,  Sem  ist,  denn  ausdrücklich  wird  (I.  Moses  10,  21) 
Japhet  der  grössere  (daher  der  erstgeborne)  Bruder  genannt,  während  die 
semitischen  Hirtenvölker  erst  nach  Kham  aufgeführt  werden,  was  darauf  hin- 
deutet, dass  die  Semiten  sich  erst  später  die  Herrschaft  und  den  ersten  Rang 
angeeignet  haben.  Wenn  wir  dennoch  die  Abstammung  in  folgender  Weise 
ansetzen 

Nwh  (Norden) 


OVesten)  Japliei 


Sem  (Osten) 


KJiam  (Süden) 

8o  erklärt  eben  der  Wechsel  des  Tagesanfanges   (Abond  oder  Morjren)   die 
Mu'/lichkeit  einer  Umstellung. 

Kehren  wir  nun  zu  den  Runen  zurück,  so  finden  wir  als  vierte  Kune 
t  iMs  und  die  EintheÜung  der  Himmelsrichtungen  in 


72 


Die  viertheilige  Windrose. 


f  fe  (Norden 


Westen)  o»  + 


D  ur  (Osten 


V  thurs  (Süden 
Auch  hier  gestattet  die  Lautverwandtschaft  zwischen  .Ost*  und  ,West*,  an 
eine  Umstellung  zu  denken. 

Wir  haben  aber  in  der  Besprechung  des  Futhork  eine  andere  Theilung 
vorgenommen,  wonach  sich  f  fe,  ►  thurs,  ^  reid,  ♦  hagl  als  männliche  For- 
men ergeben,  denen  fl  ur,  4^  os,  Y  kaun,  %  naud  als  weibliche  Formen  gegen- 
überstehen, denn  Y=P  ist  der  Mann,  der  Wind,  h  ur  ist  auch  der  Sturm,  aber 
das  Weib,  ►  thurs,  ist  als  Stein  der  Mann,  +  os  als  Mund  (Scheide)  das  Weib, 
^  reid  ist  der  bärtige  Mann  gegenüber  dem  Y=r  knun  als  Weib,  ^  hagl  der 
Donnerkeil  gegenüber  dem  Knoten  %  naud  als  ägyptische  Neit.  Wir  erhalten 
daraus  zwei  Windrosen,  nämlich 

P  fe  (Nord)  W  ur  (Nord) 


(West)  hagl  *. 


>  thurs  (Ost)    (West)  naud  %. 


.+  OS  (Ost) 


^  reid  (Süd)  T  k-aun  (Süd) 

Da  die  hier  angeführten  Runen  die  des  16-theiligen  Futhorks  sind« 
und  bereits  mehrfach  darauf  hingewiesen  wurde,  dass  an  ihrer  Stelle  ein- 
fachere Zeichen  waren,  als  z.  B.  die  ZifTer  1  2  3  4  in  der  Form  I  A  A  +,  so 
würde  die  erste  oben  angeführte  Windrose  die  Zeichen 

I 


geliabt  tiat)en,  und  merkwürdigerweise  bieten  alle  Weslrunen  ^os,  %  naud, 
♦  Jiogl  die  Form  eines  mehr  oder  weniger  modificirten  Kreuzes.  Es  fragt 
sich  zunächst,  welchen  Lautwerth  dasselbe  gehabt  habe.  Ich  meine,  dass  wir 
hier  den  Repräsentanten  der  vierten  Lautgruppe,   nämlich  den  Kehllaut  zu 


Wecbsel  der  Z&blung. 


73 


suchen  haben,  ob  er  nun  h  oder  k  laute,  und  ich  werde  in  dieser  Ansicht  duicli 
die  Beobachtung  bestärkt,  dass  die  Himmelarichtungen  in  alter  Zeit  nicht  in 
der  jetiigen  Reihenfolge,  sondern  gekreuzt  gezählt  werden;  so  sagen: 

die  Chinesen:  Süd,  Nord,  Ost,  West. 

die  Ägypter:    Süd,  Nord,  Ost,  West, 

die  Juden:  I.  Moses  13,  14:  Mitlemachl,  Mittag,  Morgen,  Abend. 
i.  Moses  28,  \i:  Abend,  Morgen,  Mitlemachl,  Mitlag, 

die  Edda:  Osl,  West,  Nord,  Süd. 

So  stehen  sich  bei  aller  Verschiedenheit  der  Aufzählungen  gegenüber: 
Nord  und  SOd,  Ost  und  West;  war  Norden  f,  der  Süden  r  und  dieses  mit 
Rücksicht  auf  den  Namen  Ur  eng  verwandt,  ja  identisch  mit  u,  war  dann 
Osten  A,  so  bietet  die  Aufeinanderfolge  /rtk  eine  volle  Obereinstimmung 
mit  der  sp&tem  Reihe  f  u  th,  und  eine  solche  Übereinstimmung  mussle  vor- 
handen sein,  sonst  konnte  ein  Wechsel  nicht  eintreten.  Wie  lange  kreuzend 
gezfthlt  wurde,  wissen  wir  nicht,  wir  besitzen  nur  folgende  zwei  Thatsachen: 
einerseits  kreuzt  der  jukatanische  Slundenkreis,  andererseits  fand  man  einen 
schwedischen  Bracleaten,  eine  BlechmDnze,  dessen  Gepräge  aus  einem  Kopfe 
mit  umstehenden  Hunen-Futhork  in  der  Reihenfolge  der  ZifTem  bestand: 
jukatanisch  schwedischer  Bracleat 


Es  ist   also  zweifellos  bei  den  Runen  an  die  Stelle  der  Kreuzung  diu  Aiif- 
einanderfolge  getreten. 

War  nun  Westen  k,  so  war  er  das  Ginnungagap,  von  welchem  der 
Strom  Elivagar  theils  nach  Norden  iloss.  wo  er  in  Eis  erkaltete,  theils  nach 
Süden,  wo  das  heisse  Muspelheim  war,  zwischen  beiden  entstand  der  Riese 
Ymir  oder  örgelnür,  das  ist  der  Lehmgeller,  also  das  Prinrip  der  Erde,  das 
ist  Tborr.     Weder  im  kalten  Norden   noch  im  heisscn  Süden   konnten  die 


'  ^  Das  Kreuz. 

Menschen  gedeihen,  sondern  in  der  gemässigten  Zone;  das  scheint  die  Ansiclil 
zu  sein,  welche  diese  Mythe  schuf. 

Übrigens  finden  wir  in  den  markomannischen  Runen  X  und  )(  als  </,  in 
den  angelsächsischen  ^  als  h  und  tig,  ^  als  io  (wie  nordisch  ^  as). 

Es  ist  also  mit  dem  vierten  Zeichen  der  vierte,  nämlich  der  Kehllaut 
entstanden,  und  damit  war  die  Grundlage  zu  allen  übrigen  Lauten  gelegt 

Beachtenswerth  ist,  dass  die  vierte  Rune  nicht  ein  Viereck  darstellt, 
sondern  das  Kreuz,  wahrscheinlich  weil  Thorr  als  Erde  schon  uep  Kreis  war, 

I  I 

ferner  weil  die  Theilung:  j    +  —  ^,  zusammengeschoben  +   +  ^^,  das  letztere 

A  A 

zugleich  als  das  Symbol  der  Welt,  nämlich  aller  vier  Seiten,  ausmachte. 

Der  Übergang  von  der  Dreizahl  zur  Vierzahl  dürfte  sich  auch  an  den 
Wechsel  der  Verehrung  von  Sonne  und  Mond  geknüpft  haben ;  das  Dreieck 
^  war  der  Mond,  das  Kreuz  +  oder  ♦  die  Sonne,  obgleich  auch  die  vier 
Phasen  des  Mondes  mit  der  Vierzahl  übereinstimmen. 

Daneben  drängt  sich  eine  andere  Beachtung  auf:  in  den  Hieroglyphen 
ist  das  Kreuz  ~h  identisch  im  Lautwerthe  am  mit  ,Baum*  und  der  Zeitbaum 
der  Edda  erinnert  sehr  an  die  Stabsäule  der  Ägypter  1  mit  ihren  vier  Stäben. 
Bevor  diese  der  Nilmesser  wurde,  hatte  sie  eine  höhere  Aufgabe.  Man  dachte 
sich  die  Erde  als  einen  Berg  (der  Meru  der  Inder),  um  welchen  Sonne.  Mond, 
und  Sterne  ihre  Kreise  (Sphären)  zogen.  Oben  thronte  Sonne  und  Mond, 
die  vier  Querstäbe  stellten  die  Planelen  Merkur,  Venus,  Mars,  Jupiter  vor; 
diesen  vier  Planeten  entsprechen :  die  Rune  f  als  Wind  dem  geflügelten  Götter- 
boten Merkur,  h  ur  als  Weib  der  Venus,  V  TJiorr  als  Kriegsgott  dem  Mars, 
^  OS  als  Mund,  von  dem  Alles  ausgegangen  ist,  dem  Zeus  oder  besser  seinem 
grössern  Bruder  Poseidon,  wie  auch  die  Stabsäule  psd  hiess.  So  Hefen  im 
Zeitbaume  und  in  den  Himmelserscheinungen  zwei  Systeme  neben  einander 
her,  welche  später  zu  einer  Einheit  verschmolzen  wurden,  als  man  eine 
genauere  Theilung  der  Zeit  vornahm. 

Es  ist  oben  darauf  hingewiesen,  dass  das  Kreuz  die  Sonnenbahn  vor- 
stellte. Als  solche  stellen  sich  die  vier  Jahreszeiten  dar  und  der  Sonnen- 
mythus, der,  im  Norden  entstanden,  später  die  ganze  Welt  durchwanderte. 
Nur  im  hohen  Norden,  wo  am  2 1 .  December  die  Sonne  unter  den  Horizont 
versank,  ohne  am  nächsten  Morgen  wieder  zu  erscheinen,  konnte  sich  die 
Idee  entwickeln,    dass   die  Sonne  gestorben  sei.   Wird  sie  jemals  wieder 


Sonn  enrnyinen,  7  5 

auferstehen  oder  hat  die  finstere  Nacht  sie  für  immer  verschlungen?  Das  war 
die  Frage,  welche  die  Menschen  sich  vorlegten.  EndUch  nach  drei  Tagen 
erschien  die  Sonne  wieder  am  Himmel,  und  jubelnd  wurde  sie  von  den 
geängstigten  Menschen  begrüsst.  Doch  nun  drängte  sich  die  Frage  auf:  War 
das  dieselbe  Sonne,  welche  gestorben  war,  oder  eine  neue?  Zwei  Meinungen 
standen  sich  einander  gegenüber:  die  eine  sagte,  sie  ist  nicht  gestorben, 
sondern  niedergestiegen  zur  Hölle  und  am  dritten  Tage  wieder  auferstanden 
Ton  den  Todten;  die  andere  sagte,  nein,  sie  ist  gestorben,  aber  die  Nacht 
Yi2kl  eine  neue  Sonne  geboren ,  welche  den  Tod  ihres  Vaters  (an  der  Mutter, 
der  bekannte  Widerspruch)  rächen  wird,  man  gab  ihr  den  Namen  Ali  oder 
Wall.  Die  letztere  Ansicht  gewann  die  Oberhand,  doch  verdrängte  sie  auch 
die  crstere  nicht  ganz,,  weil  diese  später  bei  den  Frühlingsfeslen  wieder 
erscheint.  Die  neue  Sonne  war  jung  und  schwach,  ein  Kind,  und  die  ägyp- 
tische  Hieroglyphe  ju),  hieratisch  |^,  scheint  mit  f  in  Verbindung  zu  stehen, 
iDSofeme  die  letztere  die  erhobenen  Hände  andeutet.  Die  Stürme  des  Winters 
drohten  sie  umzubringen,  wie  die  Schlangen  den  Herkules  in  der  Wiege, 
aber  vergebens,  sie  erstarkt  nicht  nur  mit  jedem  Tage,  sie  verscheucht  auch 
ihre  Feinde.  In  der  Zeus-Sage  sind  es  allerdings  im  Gegentheile  die  Stürme 
(Korjbanten),  welche  das  junge  Kind  schützen  und  mit  ihren  Schilden  und 
Schwertern  (Bogen  und  Pfeil  trägt  der  jugendliche  Gott)  ein  solches  Getöse 
machen,  dass  der  grimme  Vater  Kronos,  der  als  Zeit  alle  seine  Kinder  ver- 
schlingt, das  Geschrei  des  Kleinen  nicht  hören  solle.  So  wächst  das  Kind 
das  erste  Vierteljahr  auf,  bis  es  am  21.  März  den  Sieg  über  die  Nacht  davon 
trägt,  denn  Tag  und  Nacht  sind  gleich.  Mit  der  Sonne  war  zugleich  die  Erde 
neugeboren,  sie  war  nackt  und  bloss,  doch  unter  den  wärmenden  Strahlen 
der  Sonne  reifte  auch  sie  heran,  der  erste  Graswuchs  bedeckte  den  Boden, 
und  nun  begann  für  die  Sonne  Baidur  die  schöne  Liebeszeit  mit  Nanna,  die 
Zeit  der  Knospen,  welche  die  Rune  t^  darstellt.  Anders  wurde  diess  in  Phöni- 
kien  aufgefasst,  dort  hatte  der  thauende  Schnee  die  rothe  Erde  mit  fort- 
gerissen, die  Ströme  färbten  sich  wie  Blut,  und  Alles  weinte  um  den  ermordeten 
Attys;  aber  dieser  konnte  nicht  gestorben  sein,  denn  herrhch  blühte  ja  rings 
dip  Flur,  da  erklang  die  tröstende  Mythe  aus  dem  Winter:  nein,  er  ist  auf- 
erstanden von  den  Todten.  Eine  dritte  Mythe  konnte  den  Gedanken  nicht 
fassen,  dass  die  Sonne,  die  doch  ein  Kind  der  rothen  Erde  war,  sich  mit 
aeioer  Mutter  verehelichen  sollte,   sie  Hess  das  Kind  todt  und  an  die  Stelle 


'*  Sonnenmytheii. 

des  Honis  trat  wieder  Osiris,  der  von  den  Todlen  auferstanden  war.  Nur  auf 
diese  Weise  lässt  sich  das  Trauerfest  im  Frühling  erklären,  wozu  die  Natur 
keine  Veranlassung  bot.  Beachtenswerth  ist,  dass  dieses  Fruhlingsfest  zu 
jener  Zeit  gefeiert  wurde,  wo  der  Vollmond  der  Sonne  gegenüber  stand.  — 
Ein  Vierteljahr  dauerte  diese  Liebeslust,  immer  kräftiger  wird  die  Sonne,  am 
21.  Juni  ist  die  Nacht  gänzlich  überwunden,  drei  Tage  steht  die  Sonne  am 
Himmel,  ohne  unterzugehen,  doch,  da  trifft  sie  Hödur  s  Pfeil;  Baidur  stirbt 
und  wird  auf  dem  Scheiterhaufen  verbrannt,  seiner  Gemahlin  Nanna  zer- 
springt vor  Schmerz  das  Herz  und  sie  wird  mit  ihm  begraben;  da  erfOUte 
sich  der  Fluch:  du  wirst  ihr  (der  Schlange)  den  Kopf  zertreten  und  sie  wird 
dich  in  die  Ferse  stechen;  zu  früh  hatte  Hackelberend  gejubelt,  dass  er  den 
Eber  getödtet  habe,  zufallig  war  der  Zahn  des  todten  Ebers  (der  Zahn  der 
Zeit)  durch  seinen  Stiefel  gedrungen  und  hatte  ihm  eine  tödtliche  Wunde  bei- 
gebracht. Unsere  Rune  weiss  davon  nichts,  sie  zeigt  uns  die  Sonne  als 
Mann  mit  dem  rothen  Barte  ^,  der  in  der  Fülle  seiner  Kraft  steht  (im  Gegen- 
sätze zum  bartlosen  Kopf  ^,  der  sowohl  das  Kind  wie  das  Weib  bedeutet), 
wohl  ist  die  Blume  verblüht,  die  Liebe  gestorben,  aber  es  reifen  die  Früchte. 
Unterdessen  wird  die  Sonne  aber  schwächer ,  die  Tage  nehmen  ab  und  die 
Nächte  zu;  am  21.  September  erscheint  die  Sonne  als  Greis  ^  und  geht 
unhaltbar  ihrem  Tode  entgegen.  Ägypten,  welches  nur  drei  Jahreszeiten 
hatte,  verkörpert  diess  in  gleicher  Weise  in  dem  jugendlichen  Horus,  in  dem 
männlichen  Osiris  und  in  dem  tückischen  Typhon,  der  die  Erde  verdorrt. 

So  fmden  wir  dieselbe  Idee  bei  allen  civilisirten  Völkern  des  Alterthums, 
verschieden  gef^bt  durch  locale  Einflüsse,  aber  im  Grunde  überaU  dieselbe, 
und  wenn  die  einen  Völker  ihr  Jahr  um  Weihnachten,  die  anderen  im  März, 
die  dritten  im  Juni,  die  vierten  im  September  begannen,  so  lag  der  Grund 
immer  in  derselben  Mythe,  welche  die  Sonne  sterben  und  auferstehen  liess, 
entweder  zur  astronomischen  Zeit  oder  zur  Zeit  d^r  Fruchtbarkeit  oder  nach 
der  Ernte. 

Alles  diess  beweist  die  ursprüngliche  Einheit  der  Religion  und  ihrer 
Manifestationen  in  Sprache  und  Schrift ;  die  Scheidewände,  welche  die  Philo« 
logen  zwischen  Sprachen  und  Sprachgruppen  gezogen  haben,  können  sich 
nur  auf  die  Verzweigung  erstrecken,  in  den  Wurzeln  sthnmen  alle  Sprachen 
überein,  ihre  Zweige  entwickelten  sich  nach  dem  Einflüsse  der  Polyphonie' 
und   der  verschiedenen  Auffassung  der  Begriffe  in  activer   und  passiver 


Runen  und  Hieroglyph*»n.  77 

Beziehung:,  naher  kann  die  Sprachvergleichung  nur  in  der  Schriflvergleichung 
einen  festen  Uoden  finden,  weil,  wo  das  Ohr  aufhört,  der  Ariadnefaden  zu 
sein,  der  Knoten  seine  Lösung  in  dem  Bilde  des  Begriffes  findet. 

So  finden  wir  als  Symbol  des  Horus  das  Schwert  I,  hieratisch  |,  das 
ist  das  Schwert,  welches  das  Haupt  HeimdaU's  ist,  des  Gottes  der  Mitternacht; 
das  Symbol  des  Osiris  ist  sowohl  das  Auge,  als  der  Hammer  |  hieratisch  f 
sein  Hieroglyphe  ist  j  "i  das  heisst  eher  ar-aa  (das  ist  Ares)  als  aa-ar;  aber 
der  Hammer  ntr  erinnert  an  Tkorr  und  as-tr  ist  der  Asathorr  oder  Asabragr, 
das  ist  der  GötterfQrst,  als  welcher  er  sich  an  Bragi,  den  Gott  der  Dichtkunst 
anlehnt.  Der  Rune  ^  entspricht  die  hieratische  Form  p,  hieroglyphisch  ^ 
u,  verwandt  mit  ^,  hieratiscti  A^  rt  »Strick*  und  -^,  hieratisch  .^us,a8, 
9t  ,  Strick*,  die  letztere  Figur  war  aber  ursprünglich  der  Windhauch  @,  der  das 
Wasser  kräuselt^  und  Typhon  ist  derGott  der  Stürme.  Andererseits  ist  ^  auch 
als  Rose  oder  als  Frucht  ausgeführt  und  dadurch  verwandt  mit  y  '^  «Reife, 
Jahreszeit*  und  mit  (l  s  (st),  welches  ebensowohl  die  verdorrende  Pflanze 
als  der  Schwanz  ist,  der  letztere  ist  das  Symbol  des  TvphonnLJs/^  der  als  Esel 
(hebräisch  lön  j^atnor)  die  Hitze  bedeutet  (hebräisch  /amar  .schäumen,  roth 
sein,  ;/fwar  Asphalt*,  wie  nordisch  ro/«a  , verfaulen*,  rätAdr  ,rolh*)  wie 
auch  Typhon  als  verdorrender  Südwind  auftrat.  Endlich  findet  ♦  sein  Ana- 
logonindem  ägyptischen  T,  hieratischen  ^,  das  ist  der  Venusspiegel,  ver- 
wandt mit  dem  Sistrum  ^,  dem  Symbol  der  Isis,  dem  Vorgänger  der 
Lyra  und  Harfe,  deren  vier  Saiten  die  vier  Sphären  bedeuteten. 
Entsprechen  somit 

die  hieratischen  Zeichen  \a      f  ntr      p  m        ^    / 
den  Runen  ^  fe      V  ihurs    ^  reid    *     hagl^ 

so  entsprechen  nicht  minder 

den  Runen  \\  "Ar     ^  os        Y  kaun    \  naud 

die  ägyptischen  ^hr  -m^  s         ^  /sf      f  nhs. 

Das  Zeichen  ^  ist  die  hieratische  Form  A  ^r,  tp,  ap,  was  verglichen 
mit  dem  obigen  I,  an  das  nordische  „das  Schwert  ist  Heimdairs  Haupl* 
erinnert,  ap  ist  insbesondere  der  Anfang  \{y'  op-rw/H, der  Anfang  des  Jahres*, 
daher  ist  fj  so  viel  wie  \/  ap  ^  das  Haupt*,  das  hebräische  3K  ab  »Vater*. 
Zu  beachten  ist,  dass  die  T§uanform  des  chinesischen ^^if>t  , Mensch* 
gen^ti  der  hieratischen  Form  Jj  entspricht,  und  wohl  mochte  dioss  den  chine- 
sischen Theologen  bekannt  sein,   wenn  sie  sagten:    ^^an-ti  (HimmeH   ist 


78 


Die  zweite  Runenreihe. 


Mensch*  (auch  Sohn,  Vater  und  Fo-hi).  -^p^  ist  so  Qbereinstimmend  in  Form 
und  Bedeutung  (-»-  ist  der  Muskel,  die  Scheide),  dass  darüber  nichts  weiter 
zu  bemerken  ist;  bezüglich  der  Jahreszeit  ist  nur  zu  bemerken,  dass  i(9^, 
hieroglyphisch  •Hff»  sa  ausser  .Rückgrat*  auch  »Kraut*  bedeutet,  mit  ^^ 
hieratisch  |,  J  (dem  Symbole  der  Isis)  und  mit  fc^^,  hieratisch  ^  wechselt, 
welches  letztere  der  H  so/-Rune  entspricht  ^  /5f  ist  die  Lotosblume,  hiero- 
glyphisch 1,  ausserdem  entspricht  die  Hieroglyphe  T  /n  »halten*,  welche 
ursprünglich  das  Geschlecht  bedeutete;  letzteres  ist  dasselbe  wie  (  der  Krug, 
Symbol  der  Fülle  und  des  Meeres,  aus  dem  die  Aphrodite  entstieg,  deren 
Schaumursprung  sich  an  das  hebräische  *)0n  /etnar  (Asphalt)  anlehnt  und 
somit  an  p.  Endlich  ist  ^  nhs  sowohl  der  Soldat  '^^  als  der  Verijrecher  -Jhf 
beide  vereinigt  durch  das  Symbol  des  Knotens,  welchen  der  erste,  wie  das 
Porte-^p6e  unserer  Officiere,  als  Ehre  oder  zum  Schutze,  letzterer  als  Fessel 
trägt.  Es  sind  die  Schicksalsknoten  der  Moiron  oder  Parzen,  ven^'andt  damit 
ist  N^,  hieratisch?^  ntn  , verderben*. 

Wie  in  der  Skaldenkunst  durch  Umschreibung  immer  neue  Wörter 
desselben  Begriffes  gebildet  niiirden,  so  sind  auch  die  Schriflzeichen  ucnmer 
neue  Variationen  desselben  Themas,  entspricht 

f  der  Rune  H,  so  entsprechen  ihnen  auch    I  is 
>  *  hsol 

^  r  ^  biörk 

^  '^  Y  uiadr 


daher 


A  ar 
r  lajr 


I  Xurden 


A  Xorclai 


Westen  Y 


H  Osten      Westen  j^ 


t  Osten 


i  Süden  r  Sü^en 

I  is  als  .Eis*  ist  als  Zeichen  des  Nordens  gewiss  an  seinem  Platze, 
es  bedeutet  aber  nicht  blos  .Kälte*,  sondern  auch  .Glanz*,  es  würde  sich 
somit  an  das  .Messer*  I  anschliessen ,  indessen  weist  der  Name  auch  auf 
die  Äsen  hin,  deren  Laut  sich  auch  im  ägyptisehen  hs  (Isis)  erhaken  hat; 
dadurch  erscheint  I  als  identisch  mit  dem  hieratischen  Zeichen  |,  der  Hiero- 
gly])ho  ^  .Gott*.  Isis  ist  zwar  im  Ägyptischen  eine  Göttin,  im  Deutschen 
war  es  auch  Masculinura: 


Die  Runen  |  >|   H.  70 

Ise, 
ein  vischer  guot  und  wise.  ^^ 
Das  Wasser  aber  ist  das  ewig  bewegliche  Element,  welchef«  als  .Tebovah- 
Elohim  im  Garten  Eden,  als  die  drei  Männer,  welche  Abraham  im  Harne  Mamre 
besuchten,  als  die  zwei  Engel,  welche  nach  Sodom  gingen,  als  Higr,  der 
durch  die  Erde  wandelte,  als  Jupiter  und  Merkur,  welche  Philemon  und  Baucis 
besuchten,  bis  auf  den  ewigen  Juden  nimmer  müde  die  Erde  durchwanderte; 
sein  Symbol  ist  A  ar,  hieroglyphisch  Ji  oder  A.,  hieratisch  ^  an  .hin*, 
wobei  zu  bemerken  ist ,  dass  an  und  ar  wechseln,  wie  in  "^^^  welches  an 
und  ar  heisst.  Dieses  Wort  hat  sich  im  deutschen  „irren*'  erhalten;  im  Nor- 
dischen hiess  ar  .pflügen*,  Ton  dem  Hin-  und  Hergehen;  dr  .Diener,  Gesand- 
ter* in  seiner  zweiten  Bedeutung  sprechend,  ari,  am  .Adler*,  der  .Segler 
der  Lüfte*,  womit  ari  .Ehre*  ebenso  zusammenhängt  wie  Sein  mit  Samaim 
»Himmel*.  Wenn  der  Name  Arier  .die  Hirten,  die  Vornehmen*  bedeutet, 
wie  im  ägyptischen  ar  sowohl  die  hochklettemde  Ziege,  wie  die  Treppe  oder 
der  Tempel  ist,  und  nach  Lassen  die  Ausdehnung  der  Arier  so  weit  reicht, 
als  die  Bergziege  sich  findet,  so  geht  hieraus  hervor,  dass  Arier  und  Semiten 
ein  und  dasselbe  sind.  ^^  Die  Hirten  mochten  auch  diejenigen  sein,  welche  von 
allen  Völkern  sich  am  weitesten  nach  Norden  wagten. 

Die  Sonne,  welche  regelmässig  im  Osten  aufgeht,  war  die  naturgemässe 
Ostrune,  das  Zeichen  H  ist  der  Sonnenstrahl,  der  Blitz,  der  Götterbote.  Dieses 
Zeichen  heisst  im  Phönikischen  nun,  es  ist  der  Nu,  der  Augenblick,  das  eben 
kommende  .nun*,  im  Ägyptischen  bedeutet  ^  !^  nn  (nennen)  .ähnlich  sein*, 
weil  Namen  überhaupt  auf  Vergleichung  von  Begriffen  beruhten,  es  bedeutet 
auch  ^,  hieratisch  3  das  Wasser,  wie  Venus  aus  dem  Meere  entstieg,  am 
besten  ist  es  aber  zu  vergleichen  mit  den  Vögeln  ^^^  ba  (Seele),  hieratisch 
J^  gml  PfP^  (fliegen),  hieratisch  J^  4|^«;8tt(SohH,  Tochter),  hieratisch  ^, 
weil  in  unseren  Gegenden  die  Vögel  die  Boten  des  Frühlings  sind,  und  da  nach 
einer  sehr  verbreiteten  Sage  die  Störche  die  Kinder  bringen,  so  ist  es  begreif- 
lich, dass  der  Begriff  ^son,  Sohn*  damit  verbunden  ist,  ebenso,  dass  die 
armen  Mädchen  spottweise  .Gänschen*  genannt  werden.  Die  Meen  sind 
eben  unsterblich.  Die  Lautwerthe  ba,  8  führen  auf  den  Widder,  der  im  Ägyp- 
tischen diese  Lautwerthe  (auch  sr  =  sl)  vereinigt;  die  Böcke  waren  27ton*'s 
Gespann,  und  es  ist  daher  ganz  begreiflich,  wenn  neben  Sol  als  Ostnune  Tyr 
steht,   die  jüngere  Form  des  Thorr.  Das  Wort  ar  bedeutete  im  Ägyptischen 


so  Die  Runen  f  ^  h 

den  Vornehmen,  es  hat  sich  im  nordischen  und  englischen  sir^  im  fraiiz5* 
sischen  Sire  und  im  russischen  Czar  erhalten,  während  es  im  Morgenlande 
aus  dem  ägyptischen  suten  (König)  zu  Sultan  geworden  ist  Durch  Seil  ist  es 
mit  der  H  So^Rune  rerwandt,  als  1  sun  .Pfeil,  Lohn*  erimiert  es  durch 
das  hebräische  rrjt  zana  «buhlen*,  an  Amor*s  Lif^bespfeil,  wie  Upr  neben 
Aphrodite  steht,  als  /*^^  hieratisch  ^  if,  pu,  n«,  od  ist  es  die  Taufe,  das 
Leben,  die  Reinheit,  der  Levit  (ru  =  lu,  Iv),  da  es  auch  im  Ägyptischen  als 
Priesterzeichen  galt,  am  nächsten  aber  dürfte  m ,  hieratisch  Ö  jfu,  am  stehen 
als  strahlenwerfende  Sonne;  in  dieser  Beziehung  ist  t  verwandt  mit  dem 
Altar  j,  hieratisch  f  ab  (Osten),  femer  mit  dem  Baumaste  i ,  hieratisch  ^-o 
entsprechend  der  Dom-Rune.  Endlich  ist  zu  erwähnen,  dass  ^  tua  dei 
j Morgen*  bedeutet,  wie  Venus-Ostara  der  Morgenslern  ist. 

^  biörk  ist  das  Bergen  der  Ernte,  ägyptisch  -»^  hieratisch  j^  das 
reife,  gebärende  Weib,  die  deutsche  Berchla ,  die  Qöttin  der  Ernte,  verwandt 
damit  ist  T  hieratisch  ^  /a  .messen,  1000*,  das  griechische  ^ihoi 
«tausend*,  welches  als  Kilo  in  jüngster  Zeit  sich  wieder  breit  macht;  es  ist 
nämlich  die  Frucht  mit  ihren  unzähligen  Kömem;  dazu  gesellt  sich  T  lau^, 
aber  hier  nicht  in  der  Bedeutung  von  Wasser,  sondern  als  Feuer  logt,  ägyp- 
tisch \  hieratisch  ff|,  mit  welchem  die  Stoppeln  verbrannt  wurden,  damit  sie 
fruchtbare  Asche  als  Dünger  für  das  nächste  Jahr  lieferten,  wie  denn  Loki  der 
GetreidegöltinSif  heimlich  das  Haar  abschor  und  ihr  dafür  von  (unterirdischen) 
Zwergen  ein  goldenes  (die  nächste  Ernte)  machen  lassen  musste;  eigentlich 
machte  er  es  selbst,  da  ihm  die  Gölter  nachredeten,  er  habe  neun  Monden 
unter  der  Erde  gesessen  und  da  geboren,  was  sie  sehr  schändlich  fanden. 
Allerdings  heisst  die  Flamme  im  Ägyptischen  nicht  rk  =  Ik,  sondern  sbt,  d.  i. 
Sabbalh.  Ruhe:  aber  wir  werden  finden,  dass  in  späterer  Zeit  r  lattgr  gleich- 
l'iills  diesen  Sinn  halle,  es  ist  eben  ein  Wechsel  eingetreten,  wie  er  auch  in 
den  angelsächsischen  Runen  sich  zeigt,  wo  die  Latju-Rune  nach  der  Man- 
Rune  folgt,  während  sie  umgekehrt  im  nordischen  Futhork  ihr  vorausgeht. 
Einen  Fehler  können  wir  aber  deshalb  doch  nicht  annehmen,  da  die  Madr^ 
Rune  als  Mandel  unbedingt  die  fünfzehnte  sein  muss,  der  nur  noch  Yr  folgt  Ein 
entsprechendes  Zeichen  für  laugr  ist  die  Hieroglyphe  |JJS?  r^,  der  Vogel  Rock, 
der  die  Menschen  hinwegraffende  Sturmwind,  der  aber  auch  Weisheit  bedeutet, 
wie  im  Althochdeutschen  neben  lecchan  , tropfen,  lecken*  (der  Flanmie) 
gülhisch  leikeis  .Arzt",  isländisch /a^  , Gesetz*,  hebräisch  in^  la^^ak  , lecken* 


Die  Runen  Y  >k»  ^* 

neben  nph  laqa/  „ nehmen*,  ^0/  »Lehre*,  ani»  , Flamme*  und  tirr^  lahat 
,  Flamme  •  (Lohe)  steht.  Nebenbei  bemerkt,  ergiebt  sich  aus  der  Vergleichung 
der  Runen  ^  und  T,  dass  der  einhändige  Tyr  der  Loki  ist,  die  sich  neigende 
Sonne,  nachdem  der  Wolf  glücklich  (am  2 1 .  Juni)  gefesselt  war. 

Die  Rune  Y  madr  (Mann)  ist  die  Hieroglyphe  ^,  hieratisch  ^  hh,  nfr 
,die  Unendlichkeit*,  genau  entsprechend  unserm  «Potz  tausend*  und  der 
griechischen  Myrias.  Diese  Rune  ist  schon  bei  f  mit  einbezogen  worden, 
beide  sind  Nachtrunen,  wie  zeugen  und  Tod  im  Alterthum  innig  verwandt 
'waren  und  der  Jüngling  (Loki)  mit  der  Hochzeitsfackel  auch  der  Todesengel 
war.  Im  Ägyptischen  finden  wir  dasselbe.  Den  Übergang  macht  LlJ  hr,  mtn 
der  Weg  (nordisch  hakna,  isländisch  hctgi  Zaun,  hatikr  der  Grabhügel,  schwe- 
disch^ «hoch,  Hügel*,  altnordisch  hari  .der  Hehre*),  mtn  »Weg*  ist  auch 
der  Phallus,  der  gleichfalls  »Weg*  bedeutet  und  durch  ma  sich  an  die  Eule 
und  das  Kreuz  anlehnt,  das  Kreuz  weist  wieder  auf  die  Zwergwelt  hin,  wie 
auch  das  chinesische  qp  ua  „  Sünde  *  ursprünglich  das  Bild  eines  verkrüp- 
pelten Menschen  war.  Der  Lautwerth  nfr  »jung*  weist  gleichfalls  auf  die 
/»-Rune  hin,  wie  auch'das  räthselhafte  Zeichen  T,  hieratisch  J  mit  der  Rune  f 
Terwandt  ist  Neben  madr  steht  j^  yr,  dessen  Bedeutung  im  Ägyptischen 
jT],  hieratisch  rtl  ark  »beendigen,  Halle*  klar  ist,  hebräisch  heisst  das 
Wort  71*  yarek  ,  Lende,  am  Leuchter  derjenige  Theil,  wo  sich  der  Schaft  in 
drei  Füsse  theilt*,  an  dieser  Stelle  wurde  Jakob  verrenkt,  es  ist  das  Zeichen 
der  Unfruchtbarkeit,  des  Todes. 

Stellen  wir  die  Runen  in  Reihen  nebeneinander,  als: 

P  /e  W   ur  I  IS  A  ar 

V    thurs         ^08  H  soZ  '^  tyr 

%   reid  Y  kaun         i  hiörh  [^  laugr 

♦   Jiagl  %   naud         Y  madr         X  yr 

«o  findet  sich  in  den  beiden  untersten  Reihen  ein  auffallender  Wechsel 
zwischen  Kehllauten  und  Liquiden,  ,  X  »  welcher  auf  ein  Schwanken  zwischen 
der  dritten  und  vierten  Rune  hinweist,  und  sich  daraus  erklärt,  dass  die 
dritte  Rune  die  Schlussrune  war,  bevor  die  vierte  hinzukam. 

Einen  gleichen  Wechsel,  aber  zwischen  Kehllauten  und  Zahnlauten, 
finden  wir  im  hebräischen  Alphabet,  wenn  wir  dasselbe  in  gleicher  Weise 
zergliedern,  wobei  die  sich  lautlich  entsprechenden  16  Zeichen  als  Grundlage, 
die  übrigen  6  als  Zusätze  in's  Auge  zu  fassen  sind: 

Faulmann,  Ge schiebte  d.  Schriit.  (3 


82  Futhork  uiid  Alphabet 


N  alejih 

n  he 

h  lamed 

V  din 

d  beth 

1  vav 

s  fnem 

G  |}/l« 

2  gimd 

T  2atn 

l  nun 

X  M»/e 

1  dakih 

n  ^«/Ä 

D  8amej[ 

p  goph 

ID  tet 

1  rrf 

•  yo<^ 

vA'n 

3  kaph 

n  ^u 

Wir  finden  in  der  ersten  Zeile  die  Vokale  a  d,  den  Hauch  h  und  das 
liquide  l,  in  der  zweiten  Zeile  die  Lippenlaute  b  v  m  ph,  bei  der  dritten  und 
vierten  Zeile  kreuzen  sich  JXy    "Xl- 

Diess  kommt  daher,  dass  die  erste  und  dritte  Reihe  als  die  ursprüng- 
lichere, mehr  im  Sinne  den  Runen,  die  zweite  und  vierte  mehr  im  Laute  den 
Runen  entspricht.  Die  hebräischen  Zeichen  bedeuten  nämlich: 


y     aleph    zahm  werden,  die  Rui 

aen:  r  fe 

Vieh 

^    beth      Haus 

n  ur  gross 

(Gewölbe) 

1     gimel    gekrümmt 

►  thurs 

Riese 

A    dcUeth  Theilung 

1 

♦  05 

Mündung 

(J'  lanied  lernen 

^  reid(rada) 

ordnen 

*^  metn     Wasser 

X  kann 

Geschwür 

H     nun      Sprosse 

^  /id^/ 

Hagel 

i     satne/  Stütze 

t  naud 

Noth 

Aleph  undfe  stimmen  überein  in  dem  Begriffe  ,zahm*,  beth  und  ur  in  dem 
Begriffe  »Gewölbe*  (die  neue  Schrift  hat  ^  5  zu  d  ^  und  jp  zu  2  b  gemacht, 
welches  3  eine  Höhle  wie  fl  u^  das  Gewölbe  ist),  gimel  der  Rücken  ist 
als  der  Berg  der  Steinriese  thura,  daUth  stimmt  im  Begriffe  der  Theilung  mit 
+  OS,  der  Mündung,  überein,  doch  ist  A  die  Dreitheilung,  +  =  +  die  Vier 
theilung,  obgleich  auch  die  Pyramide  aus  vier  gleichen  Theilen  besteht  Hier 
ist,  wie  bei  gimel  und  thurs,  die  Übereinstimmung  im  Begriffe  und  der  Wechsel 
im  Laute,  obgleich  sich  os  an  den  Zahnlaut  d  anlehnt.  Das  Zeichen  für  lamed 
ist  der  Knoten,  die  Richtschnur,  das  Gesetz,  wir  haben  auch  ^  als  ursprüng- 
lichen Knoten  kennen  gelernt,  andererseits  scheint  lamed  auch  der  Phallus 
zu  sein,  der  im  Ägyptischen  »Weg*  bedeutet,  und  damit  stimmt  räd  »reisen* 
überein;  mem  Grewässer  hängt  mit  A»Mn  , Geschlecht*  als  »Same*  zusanunen, 


Dreitheilung  und  Viertheilung.  83 

«loch  besser  als  Dia  mum  , Flecken'  mit  kait$n  , Beule*.  Das  Zeichen  ^ 
entspricht  dem  ägyptischen  Hl  tnn,  hieratisch  Sf  ,  Sumpfland,  Rohrdickicht ' , 
'womit  1*0  mtn  , Geschlecht'  (das  niedrige  Volk)  verwandt  ist.  H  nun  ist  die 
Einzahl  yon  der  Mehrzahl  mem,  ihm  steht  in  den  Runen  hagl  gegenüber, 
welches  wie  das  ägyptische  r  /a  ebenfalls  das  Geschlecht  bedeutet»  dieses 
beuzt  sich  mit  $  satne/,  wie  H  nun  mit  %  naud  „Noth,  niedrig*. 

Wenn  somit  die  Obereinstimmung  zwischen  Runen  und  althebräischen 
oder  ph5nikischen  Schriftzeichen  unleugbar  ist,  so  ist  diese  Übereinstimmung 
doch  keine  solche,  welche  auf  eine  Entlehnung  der  phönikischen  Zeichen, 
wie  man  bisher  glaubte,  schliessen  lässt,  vielmehr  ist  es  ein  wurzelhafter 
Zusammenhang  wie  der,  welcher  die  Runen  und  die  Hieroglyphen  verbindet, 
und  dieser  Zusammenhang  ist  offenbar  viel  älter  als  jene  Zeit,  wo  die  Griechen 
däS  ionische  Alphabet  annahmen.  Auch  giebt  nur  die  Erkenntniss  der  Grund- 
bedeutung Aufschluss  Ober  den  Zeichenwechsel,  der  in  der  zweiten  Hälfte 
ebenso  klar  hervortritt  wie  in  der  ersten. 

Dieser  Wechsel  entstand  durch  den  Obergang  von  der  Dreitheilung  zur 
^ierlheilung. '  Bei  der  Zweitheilung  waren  Mann  und  Weib  oder  Weib  und 
Kind;  bei  der  Dreitheilung  waren  Mann,  Weib,  Rind;  die  Viertheilung  gesellte 
4len  Enkel,  das  Volk  hinzu,  welches  letztere  zugleich  wieder  Geschlecht, 
Vater,  Grossvatcr  wurde,  wie  Noah  gegenüber  seinen  Söhnen.  Wir  ünden 
4lies8  noch  in  der  Wochentheilung,  wo 

Sonntag        Mittwoch       Donnerstag 

Montag  Freitag 

Dienstag  Samstag  (Sonnabend) 

gegenüberstehen  den  Planeten 

©  Sonne       ^  Merkur     %  Jupiter 

3  Mond  9  Venus 

cT  Mars  Ji  Saturn 

Herkur  ist  der  jugendliche  Götterbote,  als  Hermes  das  Haupt,  welches 
^e  Welt  erschaffen  hat,  aber  damit  aufgehört  hat  zu  zeugen ;  dieser  Hermes 
isl  als  Stern  das  hebräische  A  Daleth,  als  Gott  der  Schifffahrt  ^  os,  als  Erden- 
gott das  hebräische  ^  gitnel,  griechisch  Gaea,  nordisch  Thorr,  mythologisch 
Mars,  femer  der  KnotenknQpfer  in  ^  hagl  und  %  naud,  der  Blitz  als  Götter- 
fcote  im  hebräischen  H  nun  und  der  Weltbaum  $  same/;  als  Schäfer  (sem) 
stiehlt  er  dem  ApoUon  die  Ochsen,   als  Ackerbauer  (kham)  ist  er  der  Stein, 

6* 


r^. 


84  Thierkrelszeichen. 

als  Gott  des  Handels  ßaphet)  ist  er  der  Eröffner  +  der  Schifffahrt.  Die  Mytho» 
logie  allein  kann  die  Räthsel  der  Zeichen  lösen,  denn  ihre  Erzählungen 
erklären  die  Zeichen. 

Ähnliches  zeigen  die  chaldäischen  Sonnenhäuser  (Thierkreiszeichen). 
Die  Ghaldäer  hatten  drei  Jahreszeiten: 

Fruchtbarkeit  Dörre  Regenzeit 

if^    y    Widder  f5f    ü    Lötce  ^    ^   Schutze 

f^    V    S^^^''  ^    Tip  Jungftvu     ^^^X    /6   Steinbock 

14     IT   Zwillinge        |^     IDJ   Wage  /j^     »»   Wassermann 

•^    0   Krebs  WJg    Tl[  Skorpion       Ä     K   ^^^che- 

Beim  Stier  bleibt  es  unbenommen,  denselben  auch  für  eine  Kuh  zu 
halten,  denn  der  Mond  war  die  Göttin  Isis,  der  Stier  Osiris  und  die  Erde 
sowohl  Osiris  als  Isis.  Liest  man  nun  die  Zeichen  quer,  so  erhält  man  drei 
Zeichen  der  Männlichkeit:  den  Widder,  den  Löwen,  den  Schützen;  drei 
Zeichen  der  Weiblichkeit:  die  Kuh,  die  Jungfrau,  die  Ziege;  drei  Kinder- 
zeichen: die  Zwillinge,  die  Wage  (als  Symbol  der  Tag-  und  Nachtgleiche), 
den  Wassermann  (als  pissenden  Knaben)  drei  geschlechtslose  Zeichen:  den 
Krebs,  den  Skorpion,  den  Fisch.  Andererseits  ist  der  Widder  der  zeugende 
Mann,  der  Löwe  als  Sphinx  die  Weiblichkeit,  der  Schütze  als  Horus  das 
Kind  (Amor);  der  Stier,  die  Jungfrau,  der  Delphin  (vergleiche  hebräisch  fttui 
Fisch,  Nachkomme);  die  Verbindung  (Zwillinge,  Thurm,  Phallus?),  die  Thei- 
lung  (Wage),  das  Kind  (der  Wassermann);  die  Deckung  (Krebs),  die  Feuchte 
(Skorpion),  der  Fisch. 

Ein  anderes  Beispiel,  wie  aus  derselben  Wurzel  verschiedene  Zweige 
ausgehen,  zeigt  die  Vergleichung  der  altchinesischen  mit  der  benachbarten 
mongolischen  Windrose.  In  der  chinesischen  Knotenschrifl  war  —  der  Him- 
mel, —  "—  die  Erde,  daraus  wurde  gebildet 

«BBS  Himmel 

Feuer  Ijl  jjj  Wasser 

s  =  Erde 
wobei  jodorh  zu  bemerken  ist,  dass  die  Chinesen  rechts  für  Westen  (Wasser), 

links  für  Oslen   (Feuer)   annahmen,  während  oben  Norden  (Himmel),  unten 

Süden  (Erde)  ist.    Die  Mongolen  dachten  sich  die  Erde  als  eine  Schildkröte, 

wie  im  Ägyptischen  der  Käfer ä  /pr  »Welt*  bedeutet.  Diese  Schildkröle  war 

von  einem  Pfeil  durchbohrt  und  mit  dem  Kopfe  nach  Süden  gerichtet: 


Ostasiatische  Windrosen.  85 


Norden     Wasser 


Eisen  Westen   < ( f—^i  Osten  Holz 


Süden  Feuer 
Wir  werden  auf  diese  Eintheilung  noch  zurückkommen,  da  sie  in  der 
achltheiligen  Windrose  ihre  £|jrklärung  findet;  einstweilen  constatiren  wir, 
dass  dieselbe  gegenüber  der  chinesischen  gerade  um  ein  Viertel  verschoben  ist. 
Alles  diess  beweist  aber,  dass  eine  ursprünglich  gemeinsame  Anschau; 
ang  nach  der  Trennung  der  Völker  sich  in  Folge  localer  Verhältnisse  ver- 
schieden gestaltete.  Die  Elemente  waren  in  folgender  Weise  aneinander 
gereiht : 

in  den  Runen:     bei  den  Chinesen:  bei  den  Mongolen: 
Norden  Lull  Luft  Wasser 

Osten  Erde  Feuer  fcuft 

Süden  Feuer  Erde  Feuer 

Westen  Wasser  Wasser  Erde 

Es  stehen  also  in  den  Runen  Kälte  und  Feuer,  bei  den  Chinesen  Him- 
mel und  Erde,  bei  den  Mongolen  Wasser  und  Feuer  einander  gegenüber,  in 
xweiter  Reihe  in  den  Runen  Erde  und  Wasser,  bei  den  Chinesen  Feuer  und 
W^asser,  bei  den  Mongolen  Luft  und  Erde;  denmach  ist  runisch  Nord  — 
Süd  gleich  mongolisch  Ost  — Süd;  chinesisch  Ost— West  gleich  mongolisch 
Süd— Nord;  chinesisch  Nord— Süd  gleich  mongolisch  Ost— West  u.  s.  w. 


DIE  ACHTTHEIUGE  WINDROSE. 

Mit  der  Vervollkommnung  der  SchilTfahrt  musste  auch  eine  genauere 
Eintheilung  der  Himmelsrichtungen  Hand  in  Hand  gehen,  zwischen  Norden 
und  Osten  u.  s.  w.  lag  ein  viel  zu  grosser  Raum ;  man  vervollständigte  daher 
die  Windrose,  indem  man  zwei  viertheilige  durcheinander  schob  und  dadurch 
jeder  männlichen  Rune  eine  weibliche  beiftigte.   Genau  ist  diese  Tendenz  im 


86  Osiasiatiscbe  Windrosen. 

Chinesischen  ausgedrückt,  wo  es  heisst:  «Es  giebt  acht  Formen  des  Ke  (der 
Luft):  Himmel,  Erde,  Donner,  Wind,  Wasser,  Feuer,  Berg,  Thau;  Hinunel 
und  Erde  sind  Grossvater  und  Grossmutter,  die  anderen  sind  sechs  Rinder,  ron 
denen  drei  männlich  und  drei  weiblich  sind.  Männlich  sind  Verdreifachungen 
des  Himmels:  Feuchte,  Feuer  und  Donner,  weiblich  Verdreifachungen  der 
Erde:  Bei*g, Wasser  und  Wind.*^  So  bildete  sich  die  chinesische  Windroser 

Norden,  Winter 


^^^  Uimmd    ^ 


///f  —  ^ 


llil  .^111 

0«fm,  Fiühling  1 1 L?  S  .  1  ■  Westen,  Ilerbst 


W:^W 


Süden,  Sommer 
Vergleicht  man  diese  überlieferte  Ordnung  mit  der  obigen  Aufzählung,   so 
findet  man,   dass  stets  kreuzweis  gezählt  wird,   vergleichen  wir  die  Zeichei» 
nach  ihren  Elementen,  so  finden  wir,  dass  Himmel  und  Erde  mit  Wasser  und 
Feuer  gekreuzt  und  später  die  übrigen  eingeschoben  wurden. 

Anders  in  der  mongolischen  Windrose,  ^  wo  zwei  Hauptelemente  auf 
die  Seite  geschoben  wimlen: 

itösun  Wasser 

Himmel  oktorgoi   C/>^  oolct  Berg 
Eisen  tummen  -< r—'il^modon  Holz 


Erde  äorroi  \\y/  kie  Luft 


gal  Feuer 

So  sehen  wir  die  Einzelheiten  immer  mehr  auseinander  gehen,  wie  die 
Sprachen  sich  immer  unähnlicher  werden.  In  den  Runen  finden  wir  die 
Durchsetzung  nach  chinesischer  Weise ;  wir  werden  später  aber  auch  eine 
Verschiebung  kennen  lernen.  Leider  hat  uns  die  Bibel  nicht  die  Namen  vou 
Noah's  Weibe  und  die  seiner  Schwiegertöchter  übermittelt,   denn,  da  die 


Die  achttheüige  nordische  Windrose.  ä7 

chinesische  Anschauung  sich  eng  an  die  Noah*sche  Familie  anlehnt  so  hätten 
wir,  daraufgestützt,  eine  Vergleichung  der  hebräischen  Schritlzeichen  vor- 
nehmen können.  So  müssen  wir  uns  an  die  Runen  allein  halten. 

Betrachten  wir  zunächst  die  nordische  Windrose '^  ohne  Rücksicht  auf 
die  Zeichen,  so  linden  wir  eine  eigenthümliche  Geographie: 

nordhr 


lUnordhr  v  y  landnordhr 


vestr  "yK (lustr 

utsudhr  ^  hndsudfir 

sudhr 
also  drei  Nordrichtungen,  drei  Südrichtungen,  auf  der  rechten  Seite  Land, 
auf  der  linken  Wasser  (ui);  es  ist  möglich,  dass  die  linksseitigen  weibliche 
Runen  sind,  aber  wahrscheinlicher  ist,  dass  diese  Windrose  in  einem  Lande 
entstand,  welches  im  Norden,  Osten  und  Süden  Land  und  nur  im  Westen 
das  Meer  zur  Grenze  hatte,  und  da  tritt  uns  sofort  die  geographische  Lage 
Palästinas  entgegen.  Wir  erinnern  uns  hierbei  an  die  blauäugigen  blonden 
Gestalten,  welche  auf  ägyptischen  Bildern  hie  und  da  vorkommen,  und  an  die 
Enakssöhne,  welche  von  den  Juden  bekämpft  wurden,  und  mit  den  Ingävonen, 
Angeln,  Ynglingem  eine  eben  solche  Namensähnlichkeit  haben  wie  die 
Khetas  mit  den  Chatten,  den  Stammvätern  der  Hessen. 

Hit  dieser  Himmelsrichtung  hängen  die  8  Theile  des  Tages  zusammen: 

Mitnaette         Mitlernacht  P   fe         Nachts      12  Uhr 

Ötta  Früh  fl    ur        Morgens     3     , 

Midurmorgen  Morgen         ^    thura  ,  C     , 

Dagmal  Vormittag     +    (w  »  9     , 

Hddege  Mittag  ^    reid     Mittags     12     , 

N6n  Nachmittag  T    kaun  ,  3     , 

Midurapian     Abend  ^    hafjl     Abends      6     « 

Ndtimal  Nacht  i    naud  ,  9     , 

Hier  entsteht  die  Frage,   ob  nicht  das  Zeichen  i  an  die  Mittemacht  gehi3re 

and  demgemäss  alle  Runen  eine  Stelle  tiefer  rücken  müssten,   wobei  dann 

auch  die  Rune  ►  ihurs  dem  Dagmal  entsprechen  würde.    Dem  geponübor  ist 

darauf  hinzuweisen,  dass  die  Tageseintheilung  nur  von  der  Jahreseinliieilung 


88  Windrose  und  Jahreszeiten. 

entlehnt  sein  kann,  da  die  Stellungen  der  Sonne  zu  wenig  Anhaltspunkte  für 

die  Zeichen  lieferten,   dagegen  die  Jahreszeiten  charakteristische  Merkmale 

abgaben.    Nun  ist  P,  dessen  ältere  Form  Y  nuuir  war,  die  Mitte,   der  Janus 

mit  nach  Vergangenheit  und  Zukunft  gerichteten  Köpfen,   es  ist  P  ^  der 

Winter,  das   Schwert  HeimdalFs,   der  Harpokrates  der  Ägypter,  der  am 

25.  December  geboren  wurde. 

Als  Jahreszeiten  stellen  sich  aber  die  Runen  in  folgender  Weise  dar: 

F  fe       Jahresanfang  /„.,,.      (  Anfang  Januar  bis  Mitte  Februar 

^  V  Frühling  { 

n   ur      Überschwemmung  ]  {  Mitte  Februar  bis  Ende  Man 

^   tJwrr  Ackerbereitung       )  ^  (  Anfang  April  bis  Mitte  Mai 

>  oommer  f 

T  OS       Blüthezeit  )  (  Mitte  Mai  bis  Ende  Juni 

^  reid    Reife  }  ^r    ^         (  Anfang  Juli  bis  Mitte  August 

N  Herbst    / 

Y  kaun  Ernte  \  {  Mitte  August  bis  Ende  September 

♦  hagl  Jagd  )  j  Anfang  October  bis  Mitte  November 

+  naud  Kälte  )  \  Mitte  November  bis  Ende  December. 

Ich  habe  das  erste  Vierteljahr  als  Frühling  bezeichnet,  weil  ich  diess 
für  richtiger  halte  als  Winter,  es  ist  die  Zeit  des  jungen  Jahres,  wo  der  Saft 
in  die  Bäume  schiesst  und  das  junge  Grün  sich  hervorwagt;  unsere  jetzige 
Benennung  stammt  aus  dem  Orient,  wo  das  Jahr  mit  dem  Monat  März  begann 
und  daher  das  zweite  Quartal  das  Frühjahr  war. 

Was  nun  die  Namen  betrifft,  so  ist  zu  bemerken,  dass  der  Gottesname 
gewöhnlich  den  Anfang  der  Alphabete  bildet,  so  ^  Harpokrates,  derlA-'^ 
(Gott  des  Anfangs  und  des  Endes)  im  Hebräischen, -^»■TVwim^?  im  Ägyptischen, 
A  Älplia  (Alphaistes,  der  Erfinder  Hermes)  im  Griechischen,  As  im  Slavischen, 
Frair  in  den  Runen;  hiermit  ist  verwandt /fwr  »erfinden*,  furir  »vorn*,  fiirsta 
.Fürst*.  Da  das  Runen-Futhork  mit  dem  Sonnenjahr  zusammenhängt,  so  ist 
frair  auch  der  Jahresanfang.  Ur  ist  der  Thau,  die  zweite  Jahreszeit,  die  Zeit 
des  Thauens  und  der  Überschwemmungen,  welche  durch  das  Thauen  hervor- 
gerufen werden.  ITiorr  ist  als  Acker baugott  bekannt,  es  gehört  aber  hierher 
auch  isländisch  Üyr  „Sklave*,  da  der  Ackerbau  von  Sklaven  besorgt  wurde 
und  dem  entsprechend  ITiorr  der  Gott  der  Knechte  war.  Wenn  ich  +  als  Biüthe 
(lateinisch  flos)  auffasse  und  nicht  als  us,  isländisch  os  «Mündung*  (was 
Eröffnung  der  Schifffahrt  bedeuten  würde)  oder  als  vasi  »Garbe*  (für  welche 
die  Zeit  noch  zu  früh  wäre)  oder  als  althochdeutsch  tcäso  „Rasendecke*  (wofür 
die  Zeit  zu  spät  wäre),  so  habe  ich  das  Wort  ast  , Liebe*  im  Auge,  welches 


Die  sechzehntheilige  Windrose.  ^^ 

mit  OS  .sein,  Existenz*'  zusammenhängt;  im  Ägyptischen  ist  die  Blüthe  «|»  uu 
mit  der  Bedeutung  .sein,  Wesen*,  sie  wechselt  mit  ^g^  un,  den  wir  «Hasen* 
nennen,  aber  auch  im  Nordischen  isi  unna  .lieben*  uud  daher  dürfte  auch  os 
diese  Bedeutung  gehabt  haben,  da  die  aus  Schmerz  zerspringende  Nanna  sich 
nothwendigerweise  zur  Blüthe  entfalten  muss.  ^  ist  der  rothbärtige  lliorr, 
rau^r  .der  Rothe*,  ryd  .Rost*,  rotna  .verfaulen*,  was  Alles  auf  .Reife" 
hinweist.  Damit  stimmt  kaun  .das  Geschwür*  zusammen,  indessen  kann 
auch  eine  weniger  anstössige  Bedeutung  in  qven  .Weib*  gefunden  werden, 
welche  die  würdige  Gefährtin  des  rothbärtigen  Thorr  wäre,  und  zwar  wäre  es 
dann  «das  gesegnete  Weib*,  dänisch  kynder  .Geburtswehen*,  wovon  unser 
.Kindbett*,  d.  h.  Wehbett  abstammt.  Der  Rune  ^  hagl  habe  ich  das  Prädicat 
.Jagd*  beigelegt,  weil  der  Hackelberend  der  wilde  Jäger  ist  und  nach  der< 
Ernte  die  Jagd  über,  die  Stoppelfelder  sich  ergoss,  daher  musste  hagi  .Zaun* 
zuiücktreten,  ebenso  haka  .hacken*,  obwohl  das  Umgraben  der  Felder  auch 
am  Platze  gewesen  wäre.  Naud  dilrfie  niatäa  .geniessen*  sein,  nachdem  die 
Speicher  voll  und  Wild  in  Fülle  vorhanden  ist;  so  heisst  auch  im  Ägyptischen 
mh  .der  Winter,  die  Fülle*,  verwandt  damit  ist  nida  .schänden*,  welches  in 
Nolhzucht  eine  Zusammensetzung  erhält  wie  Dieb  in  Diebstahl,  denn  nif  ist 
d4^r  Eifer,  woraus  .Neid*  entstand,  damit  hängt  nauir  .Genosse*  zusammen, 
der  Winter  und  der  Abend  ist  die  Zeit  der  Geselligkeit : 

Um  des  Lichts  gesellige  Flamme 
Sammeln  sich  die  Hausbewohner, 
Und  das  Stadtthor  schliesst  sich  knarrend. 


DIE  SECHZEHNTHEILIGE  WINDROSE. 

Das  Streben  nach  genauerer  Orientirung  führte  zu  einer  abermaligen 
Theilung  der  Windrose,  welche  noch  gegenwärtig  besteht,  ihr  entsprechen 
die  16  Zeichen  des  nordischen  Runen-Futhorks ,  mit  welchem  auch  die 
nordische  Sprache  ihren  Abschluss  fand.  Indem  wir  von  der  8  zur  16  sofort 
übergehen  und  die  Betrachtung  der  Mittelstufen  einstweilen  bei  Seite  lassen, 
folgen  wir  der  natürUchen  Entwicklung,  die  durch  fortwährende  Theilung 
ron  t  zu  4.  zu  8,  zu  16  führte;  dass  diese  16-Form  in  anderen  ZifTernsystemen 
•ich  nicht  vorfmdet,  beweist,  dass  sie  den  jüngeren  Theilungcn  in  12  und  10 


90 


Die  sechzehntheilige  Windrose. 


den  Platz  räumte.  Dass  sie  früher  eine  noch.  gi*össere  Ausdehnung  hatte  als 
auf  die  Windrose,  wird  die  Folge  zeigen,  vorerst  müssen  wir  constatiren, 
dass  die  Runen  nicht  getheilt,  sondern  ähnlich  wie  bei  der  mongolischen 
Windrose  zwei  Zeichenordnungen  aneinander  gereiht  tv  urden.  Die  Form  der 
Windrose  war  demnach: 


Der  Doppelsinn  der  Runen  ist  uns  bereits  viel  zu  oft  entgegengetreten, 
als  dass  wir  uns  dadurch  beirren  lassen  werden,  dass  auf  diese  Weise  ganze 
Runenreihen  ihre  Bedeutung  wechseln,  Runen  des  Nordens  und  Nordostens 
zu  Runen  des  Südens  und  Südwestens,  Runen  des  Nordwestens  zu  Runen 
des  Südostens  werden;  überzeugend  spricht  in  dieser  Beziehung  die  feste 
Ordnung  der  Zahlen,  welche  die  Runen  von  f  bis  X.  mit  dem  Zahlwerthe  von 
1  bis  16  verbindet;  wäre  eine  Gegenüberstellung  wie  im  yukatanischen  Tages- 
kreise vorhanden  gewesen,  dann  musste  Ur  und  nicht  Is  die  Rune  des  Südens 
sein ;  man  zahlt  aber  nicht  1 ,  9,  doch  mochte  der  Begriff  der  Erneuerung, 
der  in  der  Neun  liegt,  dazu  geführt  haben,  in  der  jetzigen  Zählung  zu  Mittag 
mit  1  wieder  zu  beginnen. 

Wiederum  drängt  sich  hier  die  Frage  auf,   ob  nicht  analog  unserer 
jetzigen  Zählweise  f  nach  NNO  und  i  auf  den  Mittag  gehörten  ?  Aber  zwei 
Umstände  sprechen  dagegen,  nämlich  erstens  die  Geisterstunde  von  12  —  1 
Die  Glocke,  sie  donnert  ein  mächtiges  Eins 
Und  unten  zerschellt  das  Gerippe. 

Wir  haben  alle  Ursache,  die  Fe- Rune  als  Geisterrune  anzusehen; 
zweitens  bedeutet  i  natUr  »Genuss,  Speise",  und  unsere  Landleute,  welche 
alte  Sitten  treu  bewahren,  essen  nicht  um  12  Uhr  zu  Mittag,  sondern  um  1 1, 
da  sie  schon  um  4  Uhr  (Rune  +)  aufstehen.  Unsere  Landleute  haben 
aber  auch  noch  eine   alte  Tageseintheilung  im  Gebrauche,   wenn  sie  bei 


Windrose  und  Tageszeiten. 


9t 


Mtdnaette 

rOm.  media  nox  oder 
tertia  viffilia 


2  n  ur      , 

3  >  thurs^ 


n 


Otta 

röm.  quarta  vigt'lia     ,     •. 

4  T  OS 

5  fc  reid 

6  Y  katm 


Frühzeit 


Sonnenaufgang 


MifJurmorgen 

rOm.  prima 


Dagtnal 

rOm.  tertia 


7  *  hagl 

8  i  natid 

9  I   is 

10  /l  ar 

11  H  soZ 
12t/yr      . 

13  ^  biork  , 

14  r  2au</r  , 
Ndänud       15  Y  >»ac?r  , 


Hddege 

röm.  «exfo 
rOm.  Mona 

Afiduraptan 

rOm.  vt9p€ra  oder 
jrrtiNa  vigilia 


Vormittags 

Mittags 

Nachmittags 


9 


Abends 


Orlsentfernungen  von  einer  , guten  Stunde*  sprechen,  welche  in  der  Regel 
1  Va  Stunden  unserer  Zeit  entspricht.  ^*  Theilen  wir  den  Tag  in  1 6  Theile.  so 
erhalten  wir  folgende  16  ,gule  Stunden',  von  denen  die  um  Mittag  herum 
gelegenen,  unseren  BegriiTen  von  Vormittag  und  Nachmittag  genau  entsprechen: 

\  f  fe     von       12— lyg    Uhr  Morgens,  Beginn  des  Tages 

IV2-3 

3-41/2 

41/2-6 

6-71/2 
7V«-9 
9-IOV2 
IOV2-I2 
12-1% 

IV2-3    . 
3-47, 
41/2-6 

6-71/j 
71/2-9 

9-101/2 
101/2-12 

Diese  Elintheilung  des  Tages  wäre  kaum  ausführbar  gewesen,  wenn 
sie  nicht  in  der  Eintheilung  des  Jahres  einen  grossen  plastischen  Hintergrund 
gefunden  hätte,  indem  die  Naturerscheinungen  den  Stoff  zu  den  Runen  oder 
Malen  (Zeitzeichen)  boten,  wie  auch  die  späteren  Thierkreiszeichen  jedenfalls 
auf  irdischen  Malen  beruhten.  Theilen  wir  das  Jahr  in  16  Male  (ich  vermeide 
den  Namen  Monat ,  da  wir  es  hier  mit  einem  reinen  Sonnenjahr  zu  thun 
haben),  so  fallen  auf  jedes  23  oder  22  Tage  (die  Zahl  der  hebräischen  Buch- 
staben), zusammen  360  Tage,  wie  das  isländische  Jahr  hatte,  die  übrigen 
Tage  w*urden  eingeschaltet,  und  da  noch  gegenwärtig  hohe  Feste  drei  Tage 
lang  gefeiert  werden,  so  mochten  derlei  Feiertage  solche  Schalttage  sein. 
Diese  Einschaltung  war  um  so  leichter,  als  der  Stand  der  Sonne  in  den 
Wendepunkten  zur  Correctur  Anlass  gab.  Dass  eine  solche  Theilung  des 
Jahres  uralt  ist,  beweisen  die  von  den  Chinesen  schon  dem  Kaiser  Yao  zuge- 
schriebenen Worte :  B  Nehmt  eine  Periode  von  366  Tagen  wahr.  Die  Ein- 
schaltung eines  Monats  und  die  Bestimmung  der  vier  Jahreszeiten  dienen  zur 


n 


Sonnenuntergang 


Schlafenszeit 


röm.  ateunda  vigilia 


16  J^  yr 


Nachts. 


92 


Wiudrose  und  Jahreszeichen. 


vollkommenen  Anordnung  des  Jahres.  Ist  diess  Alles  genau  regulirt,  so  wird 
jeder  sein  Geschäft  in  der  rechten  Jahreszeit  verrichten  und  Alles  gehörig  von 
Statten  gehen*. '^ 


L 


Mal      Tage 

i 


Datum  nach  jetzigem 
Kalender 


I 


Thierkreis 


Chaldäische  Monate**, 


I 


ffa  I  23 
n  fir  I  22 
►  thura  23 
+  <w      I  23 


25.  Dec.  bis  16.  Januar     vqX   ^      Monat  der  Wolken 
17.  Januar  bis  7.  Februar  i 


8.  Februar  bis  1.  März 
2.  März  bis  24.  März 


1^  reid 
X  kann 
♦  Jtatjl 

■ 

'^  )f(nid 


23 
22 
23 
24 


I 


?5.  März  bis  16.  April 
17.  April  bis  8.  Mai 
9.  Mai  bis  31.  Mai 
1.  Juni  bis  24.  Juni 


Ä   K 


des  Regens 
der  Vermessung 


CT»  T 

I 

?^    y     Monal  des  Stiers 


a  K  ; 


der  Zie^relsteine 


IS 


23 

23 
24 


j  A  ar 
H  so/ 

r  hiiojr.  22 
Yi/mf/r  23 
J^l/r      I   23 


25.  Juni  bis  17.  Juli 
18.  Juli  bis  8.  August 
9.  August  bis  3 1 .  August 

1.  Sept.  bis  24.  Sept. 

25.  Sept.  bis  17.  Oct. 
18.  Oct.  bis  8.  Nov. 
9.  Nov.  bis  1.  Dec. 

2.  Dec.  bis  24.  Dec. 


m^  Q     Monat  der  Hand 


^   Tip 


,     des  Feuers 
,      des  Bogens 


f^   .TL     Monat  der  Dämme       | 


I 


der  Gründunsr 


Bei  der  Aufzählung  der  Koilschriflmonate  sind  nur  10  erwähnt  worden, 
und  zwar  aus  folgenden  Gründen.  Die  Chaldäer  hatten  ausser  diesen  10 
Monaten  noch  einen  Monat  des  Anfangs  und  einen  Monat  des  Endes.  Der 
Monat  des  Anfangs  fallt  mit  dem  Zeichen  des  Widders  zusanuneUi  dem  ent- 
sprechend stimmen  die  Thierkreiszeichen  Stier  und  Bogen  mit  den  betreffenden 
Keilschriflformen  überein;  ein  Widerspruch  entwickelt  sich  jedoch  vom  Januar 
an,  der  so  auffallend  ist,  dass  die  Feldvermessung  mit  dem  Wassermanne 
zusammen  fiele,  und  zu  den  Fischen  der  Monat  des  Endes  oder  (nach  Lenor- 
mant)  des  Glückverkündens  käme,  was  absolut  unmöglich  ist,  weil  Maria- 
Verkündigung  einen  vollen  Monat  später,  nämlich  auf  den  25.  März  in  das 
Zeichen  des  Widders  föllt.    Angenommen,   die  Chaldäer  hätten  wirklich  12 


Das  Mal  P.  03 

und  nicht,  wie  wahrscheinlich  ist,  ursprünglich  nur  1 1  Monate  gehabt,  so 
müsste,  um  die  Übereinstimmung  herzustellen,  der  Monat  des  Endes  dem 
Schätzen  entsprechen,  da  die  folgenden  Monate  nach  dieser  Einschaltung 
t^bereinstimmen.  Deshalb  sind  hier  die  fraghchen  Monate  ganz  ausgelassen 
worden.  Was  die  Gegenüberstellung  der  Runen-Male  und  derThierkreiszeichen 
betrifft,  so  ist  natürlich,  dass  jedes  Quartal  ein  Thierkreiszeichen  ausfallen 
musste;  nach  dem  Sinne  den  Runen-Malen  gegenübergestellt,  ergiebt  sich, 
dass  der  Ausfall  regelmässig  an  derselben  Stelle  erfolgt. 

Untersuchen  wir  nun  die  Concordanz  der  einzelnen  Daten,   um  die 
Stichhaltigkeit  dieser  Anordnung  zu  prüfen. 

Das  Mal  P  fallt  während  seiner  ganzen  Dauer  in  das  Thierkreiszeichen 

,t3L  oder  /5.    Das  erste  Zeichen  wird  als  Steinbock  oder  Ziege  erklärt.    Es 

giebt  aber  keine  liegenden  Ziegen  mit  vorgestreckten  Füssen,  dabei  weist  die 

Figur  eher  auf  ein  Seethier  hin  und  als  Zeichen  des  Nordens  insbesondere 

auf  das  Walross,  nur  dass  die  Zähne  in  Hörner  verwandelt  wurden.    Von 

den  nordischen  Seethieren  stammen  jene  Fabeln  ab,   welche  sich  auf  das 

Elinbom  (den  Schwertfisch?)  beziehen,  und  man  wird  wohl  nicht  irre  gehen, 

die  Hieroglyphe  R  für  den  Wasserstrom  zu  halten,   den  der  Wal  ausspritzt 

und  der  mit  der  Rune  fl  vielleicht  auch  verwandt  ist.    Der  Wal  galt  als  das 

Haupt  der  Riesenschlange,  welche  sich  um  die  ganze  Erde  legte.  Diese  Uräus- 

schlange  zeigt  die  zweite  Form  des  Thierkreiszeichens  T    oder  j^  mit  den 

Lautwerthen  nb,  r,  k,  mh.  Wenn  die  Römer  statt  dieses  Zeichen  — ö*  schrieben, 

so  verwendeten  sie  eben  die  hieratische  Form  >0  der  Hieroglyphe  oo^  ht, 

mh  .Norden,  Fülle*.   Wenn  in  Ägypten  am  2.  Januar  Kuchen  mit  dem  Bilde 

des  Seepferdes  gebacken  wurden,   so  haben  wir  in  demselben  das  kleinste 

Diminutiv  der  Seeschlange.   Die  Schlange  i  ist  das  Symbol  des  Horus,  der 

jungen  Sonne  mit  dem  Lautwerlhe  nb,  das  ist  der  Gott  i^J  nebo,  der  Gott  des 

Anfangs  und  der  Offenbarung,  nb  ist  als  ''■ir  nb  einerseits  der  Nabel,   der 

Ursprung,   andererseits  das  lateinische  nuhes   »die  Wolke",   der  Nebel,   das 

Niflheim  der  nordischen  Sage.   Niü  ist  das  ägyptische  nfry   da  die  Ägypter 

V  wie  l  aussprachen  oder  umgekehrt  l  wie  r,  die  Hieroglyphen  für  nfr  sind, 

t  (Nabel?)  die  Laute,  hebräisch  h^i  nebel,  griechisch  vaßlo:,  lateinisch  nahlium, 

welches,  da  hebräisch  nebel  auch  , Schlauch'  bedeutet,  selbst  der  Dudelsack 

sein  kann,  nfr  heisst  ferner  ^\\  der  AfTe,  Symbol  der  Sonne,  ^|ijj|  das  Pferd, 

unser  »Fohlen,  Füllen*,^  die  weisse  Königskrone  Ägyptens,   der    Helm, 


94  Das  Mal  Ü. 

die  plirygische  Mütze,  engverwandl  mit  Sd  ni,  welche  zwar  die  rothe  oder 
goldene  Königskrone,  aber  auch  Symbol  des  Horus  i  bt;  endlich  lAl  das 
Zeichen  der  Unendlichkeit,  der  grossen  Zeitpenode,  welche  daher  auch 
ursprünglich  das  des  Jahres  gewesen  sein  kann;  allen  Zeichen  mit  dem  Laut- 
werthe  nfr  wohnt  der  Begriff  «jung,  schön,  gut*  inne.  Das  Zeichen  t^ 
führt  auf  Y,  welches,  wie  schon  wiederholt  bemerkt,  ursprünglich  statt  f 
stand,  zumal  es  auch  den  Janus  vorstellt;  nachdem  Y  aber  für  madr  fest- 
stehend  geworden  war,  scheint  fe  auf  den  Begriff  «oben*,  hieroglyphisch  M, 
hieratisch  P^  .anbeten,  grüssen*  reducirt  worden  zusein,  womit  auch  das 
Kinderzeichen  ^  zusammenhängt.  Es  ist  die  Begrüssung  des  neuen  Jahres, 
die  Epiphanie  des  Osiris,  bei  welcher  man  sich  mit  den  Worten  eurekamenl 
8tm/aironi€fif  begrüsste.  Ein  solcher  Sonnenanbeter  ist  der  Affe,  bezüglich 
dessen  es  in  der  Edda,  im  Hymiskwidha,  Strophe  20,  heisst: 
Da  bat  der  Böcke  Gebieter  den  Affengott 

Ferner  in  die  Fluth  das  Seeross  zu  führen. 

Wir  sehen  somit  den  Affenkönig  oder  Affengott  von  Ceylon  bis  nach 
Island  bekannt;  es  ist  auch  gar  nicht  zweifelhaft,  dass  die  Edda  unter  dem 
Affengott  Loki  begreift,  den  Lucifer,  Apollon,  den  Vater  des  Lichtes  und  das 
Licht  selbst,  den  Amor,  das  Leben,  die  Liebe,  das  Lob  Gottes,  der  vermöge 
der  bereits  mehrfach  besprochenen  Antithese:  der  Tod,  der  Neid,  der  Ver- 
leumder ist,  wie  der  Eberkopf,  der  am  Weihnachtstage  jubelnd  aufgetragen 
wurde,  sowohl  der  Kopf  der  erschlagenen  Finsterniss,  als  das  neue  Haupt  des 
Lichtes  ist,  dessen  Hauer  die  Rune  P  zeigt,  der  Elephantengott  der  hidier, 
überhaupt  Alles,  was  sich  emporhebt,  wie  Adam,  der  Plural  von  iK  ed  .der 
aufsteigende  Dunst*.  Alles  weist  daraufhin,  dass  P  ^  so  viel  ist  wie /no 
.Same,  Ei,  Ursprung*,  althochdeutsch /rua  .früh*,  der  .An-fang*  des  Jahres 
das  .Frühjahr*. 

Wir  haben  H  ur  in  der  achttheiligen  Zeit  als  Thauzeit  aufgeführt,  in 
dem  sechzehntheiligen  Kalender  ist  das  Mal  zu  weit  hinaufgerückt,  um  diese 
Bedeutung  zu  behalten ,  hier  schliesst  sie  sich  mehr  als  weibliche  Form  an 
die  Rune  f  fe  an.  In  dieses  Mal  fällt  zwar  auch  ein  Theil  des  Wassermanns, 
doch  sind  es  mehr  Lichtfeier,  welche  stattfinden,  wie  Maria  Lichtmess,  das 
Fest  der  Kerzenweihe  und  das  altpersische  Feuerfest  rus  neiram  Am 
3.  Februar  wurde  in  Rom  das  festum  siüUorum  gefeiert  und  gegenwärtig  noch 
wird  die  ganze  Zeit  des  Mals  mit  dem  Fasching  ausgefüllt.    Der  5.  Februar 


Das  Mal  (>.  95 

war  hn  Alterthume  ehelichen  Verlöbnissen  und  Freunüschaflsbänduissen 
gewidmet,  deren  Andenken  sich  noch  in  England  in  der  Feier  des  Valentins- 
tages erhalten  hat.  Valens  »kräftig*  stimmt  ganz  mit  der  Bedeutung  von  ur 
«gross*  Qberein  und  die  Bedeutung  dieses  Festes  mit  altnordisch  uil,  vili 
«wollen,  erwfihlen*.  Es  erinnert  diess  an  die  noch  im  Morgenlande  Qbliche 
Verlobung  der  Kinder.  Ein  Gegenstück  zu  der  jugendlichen  Sonne  ist  dei 
Nachthimmel,  der  besonders  im  Februar  die  grössten  Fixsterne  am  nordischen 
Himmel  vereinigt.  Das  runische  Urinkr  ist  der  Sternenhimmel,  und  insbe- 
sondere die  hringesstraza,  die  Milchstrasse,  welche  wie  Thautropfen  (ur)  am 
Himmel  funkelt.  Wir  werden  daher  dieses  Mal  mit  . Glanz*  und  in  Bezug 
auf  die  Sonne  mit  der  Zeit  des  .zunehmenden  Lichtes*  übersetzen. 

Das  Mal  V  fällt  mit  dem  vorigen  in  mehrfacher  Beziehung  zusammen. 
Mit  dem  Hammer  Thor*s  wurden  Ehen  geweiht  und  Thorr  als  Thor  passt 
ganz  zu  dem  Festum  stultorum  der  Romer,  wie  auch  in  diesen  Monat  der 
Schluss  und  die  ausgelassenste  Feier  des  Faschings  fällt.  Wir  haben  oben 
die  Rune  V  als  Haupt  kennen  gelernt,  hier  ist  sie  die  Maske,  die  jugendlich 
kindische  Sonne  scheint  bald  freundlich,  bald  nimmt  sie  die  grimmige  Wolken- 
maske vor  das  Gesicht,  und  diess  führt  auf  die  zweite  Eigenschaft  dieses  Mals, 
welche  dem  Thierkreiszeichen  des  Wassermanns  ^  oder  z»  entspricht,  und 
dem  Kcilschriflmonate  ^»»»P^^T  des  Regens.  Letzteres  stimmt  zusammen 
mit  dem  römischen  Monat  Februar  (februare  , scheuem,  reinigen*),  und  nicht 
nur  bei  den  Römern,  auch  bei  den  Persern  und  Ägyptern  war  dieser  Monat 
der  religiösen  Reinigung  gewidmet.  Am  25.  Februar  wurde  in  Ägypten  der 
Eintritt  des  Osiris  in  den  Mond  gefeiert,  weil  um  diese  Zeit  der  Durchgang 
der  Sonne  durch  den  Ort  am  Himmel  erfolgt,  wo  jedes  Jahr  der  Vollmond 
steht  Das  Mal  ^  ist  der  Mond,  als  Symbol  des  Wassers;  es  beginnt  die  Zeit 
des  Thauens,  die  immer  kräftiger  werdende  Sonne  erwärmt  die  Felsen,  das 
darin  befindliche  gefrome  Wasser  zersprengt  mit  Donnerkrachen  (schwedisch 
Thor-dön)  die  Felsen.  Das  ist  die  Zeit,  wo  Thorr  auf  die  Ostfahrt  zieht  und 
mit  den  Frostriesen  kämpft:  der  Monat  des  Thauens. 

Das  Mal  ^  stimmt  sogar  im  Bilde  mit  dem  Keilschriftmonate  ^^hn^  pz, 
dem  Monate  der  Vermessung,  überein,  dem  das  Thierkreiszeichen  ^  oder 
^  entspricht.  Die  beiden  Fische  zeigen  die  Laichzeit  an, 

Befreit  von  Eis  sind  Strom  und  Bäche 
Durch  des  Frühlings  milden  belebenden  Blick, 


96  Di«  Male  +  |^  r  *• 

und  so  ist  auch  +  os  die  Eröffnung  der  Schifffahrt.  Wenn  in  Ägypten  am 
5. März  die  Schifffahrt  der  Isis  gefeiert  wurde,  so  beweist  diess,  dass  nordische 
Erinnenmgen  sich  bis  in  den  SQden  verpflanzt  haben,  während  die  Tag-  und 
Nachtgleiche  den  Anstoss  zu  dem  Lampenfeste  der  Neit  zu  Sais  und  dem 
ebenfalls  unter  Beleuchtung  gefeierten  Feste  der  Erdgöttin  Durga  auf  dem 
Ganges  gaben.  Das  Zeichen  X  dQrfte  mit  der  Hieroglyphe  ^^  ab  .Opfer* 
oder  f^l  an  «schreiben*  zusammenhängen,  ersteres  könnte  sich  auf  die 
Opfer  beziehen,  welche  bei  Eröffnung  der  Schifffahrt  gebracht  wurden,  letzteres 
auf  das  .Vermessen*,  welches  in  Ägypten  seinen  klimatischen  Verhältnissen 
nach  auf  eine  viel  spätere  Zeit  fallt,  weshalb  das  Zeichen  eine  andere  Bedeu- 
tung erhielt. 

Das  Mal  fc  reid  ist,  wie  schon  mehrmals  bemerkt,  ebenso  eine  Thurs- 
rune  wie  ^,  letzteres  ist  der  jugendliche  bartlose  Kopf,.  ^  der  bärtige,  mit 
Rücksicht  auf  die  betreffende  Jahreszeit  bedeutet  ^  die  grünende  Erde  und 
damit  stimmt  der  Widder  zusammen,  der  auf  die  Weide  getrieben  wird. 
Damit  würde  ^  als  keimender  Grashalm  zusammenstimmen,  als  ^s^  ab  ist 
es  jedoch  der  Anfang  des  Jahres,  der  im  Oriente  um  diese  Zeit  gefeiert 
wurde.  Mit  den  lustigen  BockssprOngen  der  auf  die  frische  Weide  getriebenen 
Thiere  dürfte  auch  die  Sitte  des  Aprilschickens  zusammenhängen.  Der  Name 
reid  bedeutet  natürlich  hier  nicht  wie  im  vorigen  Kalender  ,roth*,  sondern 
riS  9 Ried*,  wohl  auch  ruSia  , reuten*  mit  Bezug  auf  die  Ackerbestellung, 
welche  im  vorigen  Kalender  durch  ►  dargestellt  wurde. 

An  die  Zeit  der  Keime  schliesst  sich  die  Zeit  der  Knospen,  denn  Y  kaun 
bedeutet  eine  Beule,  und  dass  die  Knospen  diese  Gestalt  haben,  ist  bekannt. 
In  diese  Zeit  fällt  auch  die  Belaubuiig  der  Bäume,  und  der  grünende  Hain 
(lautverwandt  mit  kann),  welcher  im  Nordischen  lund  hiess,  dürfte  mit  dem 
.Lenz*  in  engster  Verwandtschaft  stehen.  Wir  haben  T  auch  als  Y  kennen 
gelernt,  dem  Symbol  der  Venus;  dem  entsprechend  wurden  am  1.  Mai  die 
Orgien  auf  dem  Blocksberge  abgehalten  und  die  Maibäume  aufgerichtet,  auf 
welche  wir  noch  beim  folgenden  Mal  zu  sprechen  kommen. 

Das  Mal  ^  hagl  hat  eine  doppelte  Bedeutung:  mit  Rücksicht  auf  die 
vorhergehenden  Male  wäre  es  die  Blüthe,  an  welche  aber  nur  das  nordische 
hugd  , Liebe*  erinnert,  dagegen  heisst  im  Griechischen  dyaXkiq  die  Zvriebel- 
blume,  ägyptisch  T  /o,  dyaTliaatg  »Wonne*  (wie  der  Mai  der  Wonnemonat 
ist);  andererseits  ist  ♦  der  Hagel,  das  fruchtbare  Gewitter,  indem  der  Hagel  als 


Die  Male  :|c  ^  97 

himmlischer  Same  mit  dem  Blüthenregen  verglichen  wurde;  hiermit  hängt 
nordisch  Aoibta  9  yerzäunen,  verbinden  *  zusammen.  Von  den  Thierkreiszeichen 
^pj^  und  ^  ist  das  letztere  einerseits  die  ägyptische  Schnur  V  k  oder  die  Ver- 
bindung von  Sonne  und  Mond,  welche  im  Stierkopf  symbolisirt  wird.  Mit  dem 
lliierkreiszeichen  hängt  das  indische  Fest  der  KamadSva  zusammen,  das  ist 
die  alle  Wünsche  erfüllende  Kuh  oder  Erde,  welche  durch  die  Bebauung 
genöthigt  wird,  alle  ihre  Schätze  dem  Menschen  zu  öffnen.  Die  Sunde  gegen  die 
Gottheit,  welche  nach  biblischer  Anschauung  damit  begangen  wurde,  führte 
zu  dem  in  Rom  am  9.  Mai  gefeierten  Feste  der  Lemuralia  oder  Hausgeister, 
während  um  dieselbe  Zeit  eine  andere  indische  Gottheit  die  Bhawani  oder 
Venus  Urania  durch  Aufpflanzen  von  Maibäumen  gefeiert  wurde,  an  welche 
die  Rune  ^  ebenfalls  erinnert,  da  sich  das  «Verknüpfen'  auch  auf  die  Blumen 
und  Bänder  beziehen  kann,  mit  welchen  der  Maibaum  geziert  wurde.  Dem 
entspricht  das  um  diese  Zeit  von  den  Persem  und  Türken  gefeierte  Tulpen- 
fest. Es  ist  bereits  oben  erörtert,  dass  jn^  ebensowohl  eine  Kuh  als  ein 
Stier  sein  kann,  das  Fest  der  Kamad^wa  deutet  auf  die  Kuh;  auf  den  Stier 
weist  nicht  nur  der  Keilschriftmonat  ^^^  ^I<  (Stier),  sondern  auch  die 
Opferung  der  Jungfrauen,  welche  um  diese  Zeit  in's  Wasser  geworfen  wurden, 
um  den  Stier  .günstig'  zu  stimmen  und  Fruchtbarkeit  zu  erflehen.  Nachdem 
diese  Menschenopfer  beseitigt  waren,  erhielt  sich  noch  der  symbolische 
Gebrauch,  wie  zu  Rom  am  15.  Mai,  ein  Stück  Holz  in  Form  eines  Kreuzes 
unter  Feierlichkeit  in's  Wasser  zu  werfen.  Die  um  diese  Zeit  gefeierten  altpersi- 
schen Feste  Neiran  und  Abrisegan  waren  die  Feste  des  Feuer-  und  Wasser- 
ausgiessens,  und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die  Keilform  ^T^ 
eher  auf  dieses  Ausgiessen  als  auf  ein  Stierhaupt  hinweist.  Wir  haben  im 
vorigen  Kalender  ^  als  Mal  der  Jagd  kennen  gelernt,  die  Verbindung  beider 
Begriffe  liefert  das  Sternbild  des  Orion  (das  Kreuz,  welches  in's  Wasser 
geworfen  wurde),  denn  Orion  geht  um  diese  Zeit  unter,  weil  er  sich  in  die 
Atlantiden  und  Plejaden  verliebte  und  ihm  deshalb  Jungfrauen  geopfert 
wurden.  Orion  war  ein  Jäger,  aber  sein  Name  wird  durch  o\tpHv  erklärt,  also 
das  Wasserausgiessen,  welches  die  Hieroglyphe  T  ^a  darstellt,  und  welches 
das  nordische  %  hagl  war.  Letzteres  ist  daher  ebensowohl  der  fruchtbare 
Regen  als  die  Blüthezeit. 

Die  Rune  i  naud  ist  nichts  Anderes  als  die  einfachere  Form  der  Rune 
^,  das  nordische  nautr  „Speise*  ist  das  hebräische  ^^k  akdl , essen',  welches 

Fanlmann,  Gesehichte  d.  Schrift  7 


98  Die  Male  %  |. 

im  vulgären  Deutsch  achdn  heisst,  das  zwar  durch  die  Juden  ein^schleppt 
sein  kann,  in  yflkel*  (erzeugt  durch  Ubermass  im  Essen)  aber  ein  unzweifel- 
haftes urdeutsches  Analogon  hat.  Mit  natar  «Speise*  hängt  nida  , schänden* 
zusammen,  wie  fiot  «nützen*  und  nid  .Schmähung*  mit  akal  .essen*  und 
.Ekel';  war  doch  Loki,  der  Nidingr,  ebenso  der  von  den  Göttern,  z.  B.  als 
Baumeister  .benützte'  wie  nachher  .geschmähte*  Gott,  wie  die  Liebe  leicht 
zur  Eifersucht  und  Schmähung  umschlägt.  Das  entsprechende  Thierkreis- 
zeichen  f4  ^^^^  Jü  ^^  ^^  .Zwillinge*  erklärt,  die  dem  ersten  Bilde  ent- 
sprechende ägyptische  Hieroglyphe  mit  dem  Lautwerthe  htr  erhält  jedoch 
durch  das  griechische  irepog  .der  Andere,  der  Gegner*  eine  weitere  Deutung, 
welche  zu  kralpog  .yergesellschaflet''  führt  und  durch  die  griechischen  Hetären 
allgemein  bekannt  ist  Das  Zeichen  Jf  scheint  eine  Vereinfachung  des  ersten 
Bildes  zu  sein,  erhält  aber  ebenfalls  eine  andere  Deutung  durch  den  Keilschrift- 
monat  ^^fT^>t^^  <ien  .Monat  der  Ziegelsteine',  somit  dürfte  Tf 
mit  dem  ägyptischen  f|  und  ivjt  A*^  .bauen,  kitten*  identisch  sein.  Alles 
deutet  auf  die  heisse  Jahreszeit.  Zu  Rom  wurde  am  8.  Juni  der  Esel  des 
Pnapus  feierlich  mit  Blumen  bekränzt,  in  Ägypten  um  diese  Zeit  Kuchen 
mit  dem  Bilde  des  Esels  gebacken;  es  ist  im  Yorigen  Kalender  schon  auf  den 
Zusammenhang  des  hebräischen  ^amor  .Esel*  mit  ^e^nar  .Asphalt*,  der  als 
Mauerkitt  verwendet  wurde,  hingewiesen  worden ;  die  ägyptische  Hieroglyphe 
X  ttu,  SU,  das  phönikische  Thav  bedeutet  .Zaun,  Wohnort  (hebräisch  Rn  ta 
.Zimmer*,  nin  tava  .wohnen*)  kreuzen,  mischen,  vermehren*,  nan  j^amar 
ist  aber  auch  .aufbahren,  brausen,  schäumen*,  daher  der  Geist  (mens),  dessen 
Fest  am  8.  Juni  in  Rom  gefeiert  wurde.  Wir  haben  im  vorigen  Kalender 
i"  als  Nattmal  kennen  gelernt,  als  Todeszeichen;  aber  mit  dem  24.  Juni 
schloss  auch  das  Reich  der  Liebe  ab,  Baidur  starb,  von  Hödur^s  Pfeü  getroffen, 
es  beginnt  die  Nacht  der  Götter,  während  deren  Wiänu  (Regenzeit)  vier 
Monate  auf  der  Schlange  Si§a  (die  Hieroglyphe  X  lautet  auch  sS)  schläft  und 
Hitze  und  Trockenheit  auf  der  Erde  herrschen.  Wir  werden  also  das  Mal  +  als 
die  Zeit  der  Befruchtung  auffassen,  wie  es  als  Tages-Mal  die  Essenszeit 
bedeutete. 

Mit  dem  Mal  I  is  beginnt  der  zweite,  jüngere  Halbkreis ;  wir  haben  es 
als  Nordrune  is  .Eis"  kennen  gelernt,  .Eis'  und  .heiss*  wie  .Eisen*  ver- 
bindet der  Begriff  des  Glanzes,  wie  .Eiter*  und  .heiter*  sich  in  dem  Begriffe 
g weiss*  zusanmienfinden.  Der  entsprechende  Keilschriftmonat  ist  ^^f  ^t 


Das  Mal  |.  99 

'der  «der  Hand',  die  ausgestreckte  Hand  bedeutet  die  Gabe,  die  geschlossene 
Hand  den  Tod,  letzteres  ist  das  Thierkreiszeichen  «^  oder  0 ;  der  Krebs  ist 
iiu  Ägyptischen  der  Käfer /pr  (hebräisch  ^o  kaph  .Hand*',  nD3  kapha  , beugen, 
neigen  *),  der  Käfer  ist  das  Symbol  der  Ober-  und  Unterwelt,  da  er  in  der 
Erde  wohnt  und  über  der  Erde  fliegt;  so  muss  auch  die  Sonne  von  nun  an 
ihren  Aufenthalt  über  der  Erde  mit  dem  unter  der  Erde  theilen,  und  daher 
dürfte  0  die  Hieroglyphe  SS  tcUa  «Ober-  und  Unterwelt'  sein.  Der  nor- 
dische Hödur  ist  in  der  Bibel  die  Schlange,  bezüglich  deren  zu  Adam  gesagt 
wird  «du  wirst  ihr  den  Kopf  zertreten  und  sie  wird  dich  in  die  Ferse  stechen*, 
wodurch  die  Ähnlichkeit  des  Krebses  mit  dem  Skorpion  gegeben  ist.  Der 
Pfeil  (die  Schlange)  ist  aber  die  Ähre  mit  ihren  Stacheln  (aÄir) ,  die  Proser- 
pina, Persephone,  welche  einen  Granatkern  deshalb  verschlucken  musste, 
weil  sie  selbst  das  Korn  ist,  das  in  die  Erde  gelegt  wird.  So  finden  wir  den 
Widerspruch  erklärt,  der  zwischen  Tod  und  Frucht  liegt.  Übrigens  war  I  in 
Au'vpten,  wo  um  diese  Zeit  die  Überschwemmung  begann,  das  eiserne  Schwert 
I  des  Horus.  der  als  Rächer  seines  Vaters  die  Hitze  tödtete,  und  ihm  zu 
Ehren  wurde  das  Lotosblumenfest  gefeiert;  um  dieselbe  Zeit  wurde  in  Indien 
am  8.  .Srawana  Krischna  geboren.  Im  Norden  aber,  unter  veränderten  klima- 
tischen Verhältnissen,  war  I  der  Hahn,  die  Zeit  des  reifenden  Getreidefeldes, 
und  nur  Maria  Heimsuchung  (2.  Juli)  oder  Maria  Sif  (nach  Simrock)  erinnerte 
an  die  südliche  Überschwemmung,  denn  wenn  es  an  diesem  Tage  regnet, 
so  regnet  es  40  Tage  fort  und  die  Ernte  ist  gefährdet.  Auch  in  Ägypten  fiel 
um  diese  Zeit  manchmal  der  «Monat  der  Hand"  Thot,  aber  nur  im  Jahre 
\3M  oder  2782  vor  Christo,  denn  in  den  übrigen  Jahren  löste  man  die 
Monate  von  ihrer  festen  Anpassung  an  die  Jahreszeiten,  und  hieraus  geht 
hervor,  w^ie  alt  der  Runenkalender  sein  mag,  dessen  Male  mehr  als  alle 
anderen  Monate  getreue  Bilder  der  Jahreszeiten  und  daher  älter  als  die  Monate 
und  Thierkreiszeichen  sind.  Ausser  dem  Halm  bezeichnete  die  Rune  I  noch 
etwas  Anderes;  war  das  Mal  Zeichen  einer  Beschäftigung,  so  war  es  das 
Zeichen  für  die  Schiffer,  auf  den  Häringsfang  zu  ziehen,  der  Ende  Juni  an 
den  shetländischen  und  orkadischen  Inseln  erfolgt.  Der  Fisch  ist  der  Glanz 
(HäringsbKck)  des  Wassers,  und  es  entsteht  daher  die  Frage,  ob  nicht  der 
Krebs  ebenfalls  auf  die  Fischzeit  hindeutet,  vielleicht  selbst  ursprünglich 
(ohne  Füsse)  der  Häring  war,  dessen  Name  (har  ist  der  Hehre)  ebenso 
auf  Glanz  hinweist  wie  i8=^(ts,  welches  Gott  bedeutet.  Ise  wai,  wie  oben 


100  Das  Mal  A. 

* 
erwähnt,  ein  Schiffer.  Wir  werden  daher  das  Mal  I  is  als  Zeit  des  Häringsfanges 

betrachten. 

Das  Mal  A  ar  wird  als  «Ernte*  aufgefasst,  aber  damit  ist  das  Zeichen 
nicht  erklärt;  ar  heisst  übrigens  vielerlei:  Ehre,  Diener,  Gesandter,  Arbeit, 
besonders  pflügen,  Ernte,  Ruder.  Oben  bei  Vergleichung  der  Runen  mit  den 
Hieroglyphen  haben  wir  den  Begriff  der  Bewegung  beobachtet,  der  auch  in 
, Arbeit,  pflügen,  rudern,  Gesandter,  Diener*  hervortritt,  demnach  muss  nicht 
,Jahr'  Ertrag  der  Arbeit  sein,  wie  man  allgemein  annimmt,  es  kann  auch 
der  Kreislauf,  der  Stoffwechsel  im  Pflanzenreich  sein,  wogegen  die  Hiero» 
glyphejT  X  <r, Zeit, Jahreszeit*  umsoweniger streitet,  als frp nur. wachsen* 
lyr  op-rripi  .Anfang  des  Jahres',  das  Keimen  der  Pflanze  bedeutet,  denmach 
ist  ar  .Ernte*  so  viel  wie  •.•  aru  .Kömer,  Pulver,  Mehl*,  wahrscheinlich  die 
leicht  bewegliche  Kugelform  und  das  dieser  ähnliche  Korn.  Hieran  knüpfen 
sich  folgende  Betrachtungen:  Auf  den  1.  August  fällt  das  Fest  LakhSmi's, 
der  indischen  Göttin  des  Überflusses;  am  5.  August  wurde  zu  Rom  das 
festum  salutis  begangen,  welches  dem  unbekannten  Gotte  Ajo  Locutio 
geheiligt  war,  den  Plutarch  4>i%fxi3  xal  KX17  Jctiv  .Ruf  und  Gerücht*  nennt; 
das  ist  sicherlich  derselbe,  den  die  Juden  ov^i'M  dohi  Sem  .Gott  Sem's* 
nannten,  d.h.  Gott  des  Gerüchts,  also  abermals  ein  Beweis,  dass  Ari  und 
Sem  dasselbe  ist.  Dieser  Gott  ist  derselbe,  dem  das  ägyptische  Zungenfest, 
das  Fest  der  Dolmetsche  gewidmet  war,  wobei  man  PXoiaaa  rux^^  yXtüfjfsa 
ialyitav  .Zunge  Glück!  Zunge  Geist I*  ausrief  und  Hülsenfirüchte  herumtrug. 
Es  war  also  der  Gott  Logos,  der  Gott  der  Zweizüngigkeit,  der  Gott  der 
doppelschaligen  Hülsenfrüchte,  der  Gott  des  Glücks  und  als  Dämon  der  Gott 
der  Lose,  unser  nordischer  Loki,  der  ewig  wandelnde  Gott,  der  Gott  des 
Unteren  (hebräisch  «nnn  ia/ti,  das  unterste,  Thaud),  der  Füsse,  der  Wurzeln, 
von  dem  es  in  der  Edda  heisst: 

Schweige  du,  Loki,  acht  Monde 

Sassest  du  als  milchende  Kuh   unter  der  Erde, 
Da  gebarst  du,  das  ist  eines  Argen  Art. 

Loki  ist  aber  nicht  der  Gott  des  Getreidebaues,  sondern  der  Gott  der  jung- 
fräulichen Natur,  der  wilden  Beeren  und  Kräuter,  der  einheimischen  Gewächse, 
wie  Bohnen,  Linsen,  Rüben  u.s.w.  Auch  die  kanadischen  hidianer  bezeichnen 
den  Monat  Juni  als  den  der  Beeren.  Fassen  wir  A  als  gespaltene  Schale  auf, 
so  bezeichnet  das  Mal  die  Zeit  der  Beeren  und  Schotengewächse. 


Die  Male  H  T.  101 

Das  Mal  M  sol  entspricht  dem  Tliierkreiszeichen  ^  oder  Q^  und  dem 
Keilschriftmonate  ^^'^f  ^^^j^J  ^®s  Feuers.  H  ist  der  Blitz,  der  Sonnen- 
strahl, der  Blick,  daher  »üiZ^  isländisch  söl  ^die  Seele'',  ^toZ^  .selbst*,  silfr 
, Silber',  eng  verwandt  damit  ist  die  blinkende  Sichel  ^«^,  mit  welcher  das 
Cietreide  abgemäht  wird,  der  Raub  des  Feldes,  der  räuberische  Löwe,  der  den 
Stier  (das  fruchtbare  Feld)  zerreisst,  wie  diess  auf  den  chaldäischen  Tafeln 
dargestellt  wurde ;  dazu  gesellt  sich  das  Feuer ,  mit  dem  man  die  Stoppeln 
▼erbrannte,  um  mit  der  Asche  den  Acker  zu  düngen,  und  das  Zeichen  Qj, 
welches  der  Hieroglyphe  f^  ^r,  ttui .  Getreidemass,  Tenne*  entspricht.  Damit 
stimmt  überein  die  am  15.  August  gefeierte  Maria  Himmelfahrt  und  das  um 
diese  Zeit  in  Norddeutschland  gefeierte  Erntedankfest,  wie  das  am  13.  August 
in  Rom  gefeierte  Fest  der  Diana  (der  Mondgöttin),  weil  es  ein  Fest  der  Knechte 
und  Mägde,  also  jedenfalls  ein  Fest  der  Erholung  nach  der  Zeit  der  Ernte  war. 
Ohne  Zweifel  bedeutet  daher  das  Mal  H  die  Zeit  der  Ernte. 

Das  Mal  t  tyr  entspricht  dem  Thierkreiszeichen    ^    oder  7TP  und 
dem  Keilschriflmonate  ^-»44^1  ETT  kin,  Monat  der  Botschaft   (der  Istar). 
Tyr  als  Jagdpfeil,  Symbol  der  Diana,  die  Jungfrau  und  die  Botschaft  der  Istar 
stimmen  sämmtlich  in  der  Jagdgöttin  überein;   es  ist  daher  zweifelhaft,    ob 
man  derselben  mit  Recht  statt  des  Pfeiles  eine  Ähre  in  die  Hand  gegeben 
hat.  Demnach  scheint  auch  yCO  die  Hieroglyphe   jjp  st  (der  Jagdhund)  oder 
in  seiner  andern  Form  ^L^  die  Hieroglyphe  31  st,  das  von  einem  Pfeil  durch- 
bohrte Thierfell,  gewesen  zu  sein.  Nicht  unwahrscheinlich  ist  auch,  dass  die 
Jungfrau  mit  der  Ähre  die  ägyptische  Dai*stellung  der  Jungfrau  mit  einer 
Knospe  war,  um  die  Unverletztheit  auszudrücken,   denn  Diana  war  der  von 
dem  Pfluge  nicht  berührte  Waldesboden,   und  das  Wort  Herbst,  von  herha 
.Kraut*,  dürfte  die  junge  Wintersaat  sein,   oder  es  dürfte  etwas  vom  Ernte- 
monat in  dieses  Mal  hinüberspielen,  wie  das  am   10.  Moharrem  bei  den 
Arabern  gefeierte  Fest  Aäurah,  der  Glücksgöttin,  wo  ein  Potpourri  von  allerlei 
Gemüsen  und  Hülsenfrüchten  gekocht  wurde,  oder  das  Mithrasfest,   bei  wel- 
chem eine  Speise  aus  sieben  Ingredienzen  (Zucker,  Reis,  Pfirsiche,  Granaten, 
Kybeben,  Weinbeeren  und  Lotos)  gekocht  wurde,  anzudeuten  scheint.   Nach 
Beendigung  der  Ernte  fing  ein  ue*ies  Jahr  an,  wie  auch  noch  jetzt  mit  dem 
Monat  Moharrem  bei  den  Arabern  ein  neues  Jahr  beginnt,   das  ist  die  Zeit, 
von  der  man  behauptet,  Noah  sei  aus  dem  Kasten,  Jonas  aus  dem  Walfische, 
Abraham  aus  dem  Feuerofen  und  Josef  aus  dem  Kerker  gegangen,   so  das» 


102  Die  Male  t  t. 

* 

also  Beendigung  der  Regenzeit  und  Ende  der  heissen  Zeit  in  diesen  Sagen 
durcheinanderlaufen.  Um  diese  Zeit  feiern  die  Juden  ihr  Versöhnungsfest  und 
fünf  Tage  darauf  das  Laubhüttenfest,  wie  in  Griechenland  das  Fest  der  Göttin 
von  Eleusis,  der  Naturgöttin,  gefeiert  wurde,  wobei  man  Geiseln  und  Fackehi,. 
Symbole  der  Ehe  und  Liebe,  schwang.  Jagd  und  Speise  sind  im  Hebräischen 
eng  verwandt,  tx  isaid  »Jagd*,  rrm  ^se^a  .Speise, Reisekost ",  und  das  sama- 
ritanische  Zeichen  für  x  Tsade  -ffl  scheint  das  umgekehrte  '\W  zu  sein.  Jeden- 
falls begann  zu  der  Zeit,  wo  die  Äcker  ihrer  Frucht  beraubt  waren,  die  lustige 
Zeit  der  Jagd,  und  wenn  Esau  müde  vom  Felde  heimkommt  und  ihm  Jakob 
um  ein  Linsengericht  die  Erstgeburt  abkauft,  so  beweist  diess,  da  Jakob 
so  viel  wie  rmt  tsadiya  .die  Hinterlist'  ist,  dass  nun  der  Hirt  und  Jäger  an 
die  Stelle  des  Ackerbaues  traten,  jener  indem  er  seine  Heerde  über  die  Felder 
trieb,  wo  das  junge  Grün  zu  sprossen  angefangen,  dieser  indem  er  das  Wild 
verfolgte,  das  den  Feldern  geschadet  hatte.  Freilich  war  Esau  selbst  ein 
Jäger,  wir  wissen  aber,  dass  die  tendenziöse  Bearbeitung  den  Jakob  durch- 
aus zu  einem  , frommen  Manne'  machen  wollte.  Endlich  sei  noch  erwähnt^ 
dass  auf  den  8.  September  Maria  Geburt  fallt,  wo  die  Schwalben  nach  dem 
Süden  ziehen,  die  ,  Botschaft  der  Istar'  auszurichten.  Wir  können  daher  das 
Mal  1"  tyr  als  Zeit  der  Jagd  betrachten. 

Das  Mal  ^  fällt  in  das  Thierkreiszeichen  der  Wage  ^  oder  inj  und  in 
den  Keilschriftmonat  ^<^ ^^T  ^®^  »Dämme*;  dieser  Monat  war  in  den 
südlichen  Ländern  der  letzte  Monat  vor  der  Regenzeit,  um  diese  Zeit  mussten 
die  Dämme  ausgebessert  werden.  Die  beginnende  Regenzeit  war  wohl 
Ursache,  dass  wiederum  Jungfrauen  in's  Wasser  geworfen  wurden,  vne  noch 
heute  die  Kopten  das  Kreuz  in  den  Nil  werfen.  Wir  haben  ^  als  das  W^eib, 
insbesondere  in  seiner  Fülle  kennen  gelernt,  Frauenfeste  sind  es  auch,  wenn 
in  Ägypten  die  heilige  Kuh  siebenmal  um  den  Tempel  getragen  wurde  und 
in  Indien  Tänze  aufgeführt  werden,  welche  den  Tanz  des  KriSna  mit  den 
Gopias  oder  Kuhmädchen  vorstellen.  Endlich  fiel  um  diese  Zeit  in  Ägypten 
das  Geburtsfest  der  Sonnenstäbe,  von  denen  es  hiess,  sie  müssten  die  Sonne 
stützen,  welche  altere.  Das  letztere  ist  ein  handgreiflicher  Beweis,  wie  sehr 
die  Ägypter  Ursache  hatten,  ihre  Götter  im  Norden  zu  suchen,  denn  nicht 
die  Sonne  brauchte  Stützen,  wohl  aber  die  fruchtbeladenen  Bäume  in  den 
Gegenden  des  Wendekreises,  und  hierbei  liefert  auch  die  hebräische  Sprache 
einen  merkwürdigen  Wegweiser.    Das  obige  Keilschriftzeichen  ^^T  heissl 


Die  Male  g  r  Y.  103 

ful  , Hügel',  dem  entspricht  f»n  tel  , Hügel",  H^r\  täla  ^aufhängen*,  n}»T  dala 
.Herabhängen  der  Zweige*,  aber  auch  ^ dünne  Fäden"  (das  sind  die  Sommer- 
fliden,  der  alte  Weibersonuner,  welche  Fäden  Ähnlichkeit  mit  den  Kätzchen 
der  Birke  haben),  ^e  ial  ,Thau",  ^^lo  takU  , gelinde  benetzen",  Ar\  telag 
»Schnaeer",  »^o  Uli  »Lamm".  Wir  haben  hier  Ähnliches  wie  der  Doppelsinn^ 
der  in  unserm  ,  Reif"  liegt  Auch  die  Wage ,  obgleich  sie  durch  die  Tag- 
und  Nachtgleiche  genügend  erklärt  ist,  hat  einen  Doppelsinn,  auch  sie  ist 
das  Aufgehängte,  auch  sie  deutet  auf  die  Ernte  hin,  auf  das  Abwägen  der 
Früchte;  endlich  aber  führt  das  Zeichen  sl^  die  Hieroglyphe  ^^  htp  .ver- 
einigen* (ein  Symbol  des  Grabes),  auf  die  Bedeutung  von  biork,  biarga  ,  ber- 
gen", hyrgi  «ein  umfriedeter  Platz",  danach  ist  ^  so  viel  wie  ^tmmA  mn  .Thal", 
tnenat  «die  milchgebende  Kuh",  menmen  «die  Heerde",  und  das  Mal  ^  biork^ 
die  Bergung  der  Heerden,  der  Abtrieb  von  der  Weide. 

Das  Mal  T  laitgr  umfasst  die  Zeit,  in  welche  in  der  römischen  Kaiser- 
zeit die  neuntägige  Andacht  der  Isis,  die  Trauerfeierlichkeit  um  den  in  den 
Sarg  gelegten  Osiris  fiel ;  um  diese  Zeit  feiern  wir  das  Allerseelenfest,  wie  die 
Perser  das  Todtenfest.  Danach  war  T  so  viel  wie  lukta  «beendigen",  loka 
.verschliessen",  und  wie  in  der  Keilschrift  ^  si  sowohl  ,Ende"  als  «Glück" 
bedeutet,  so  steht  auch  dem  lukta  «beendigen"  luku  «Glück"  gegenüber. 
Somit  ist  r  loka  „das  Elnde"  der  Gegensatz  von  ^  os  „Eröffnung  der  SchifT- 
fahrt",  die  Heimkehr  der  Schiffer  zum  häuslichen  Herde,  die  Zeit  der  Seelen- 
opfer für  die  Ertrunkenen,  und  somit  einigen  sich  die  beiden  BegrifTe  von  1^ 
als  Wasser  (laugr)  und  logt  die  Flamme  des  häusUcheu  Herdes  (ägyptisch  ^). 

Bei  dieser  Grelegenheit  sei  eine  kleine  Abschweifung  gestattet.  Wir 
haben  wiederholt  erkannt,  dass  Y  und  P  ursprünghch  identisch  waren,  wie 
auch  madr  mit  midli  «Mitte"  verwandt  ist;  wir  finden  nun  vor  Y  das  Mal 
r  als  Abschluss,  und  es  liegt  daher  die  Vermuthung  nahe,  dass  1^  früher  der 
Abschluss  des  Jahres  war,  dass  also  später  zwei  Runen  eingeschoben  sind. 
War  das  der  Fall,  so  bezieht  sich  diess  ebensowohl  auf  die  achttheilige  Wind- 
rose, welche  somit  ursprünglich  aus  sieben  Zeichen  bestand,  und  dann  war 
%  naiid  eingeschoben  oder  ^  aus  naud  entstanden.  Wir  haben  somit  auch 
in  den  Runen  Anklänge  an  die  siebentägige  Woche. 

Das  Mal  Y  tnadr  entspricht  dem  Thierkreiszeichen  des  Skorpions  ^£ 
oder  1|1  und  dem  Keilschriftmonate  ^<^ ^»^T  ^^^  «Grundfeste"  oder  der 
.BüfTelhaut".  Die  Büffelhaut,  ägyptisch  ^  ab  «Fell«  hat  Ähnlichkeit  mit  der 


104  Die  Male  YA 

Rune  T.  Diese  Büffelhaut  ist  der  Mantel ,  den  Odhin  trägt  und  mit  dem  er 
durch  die  Luft  fährt  wie  Dr.  Faust,  das  ist  aber  auch  der  Mantel  des  heiligen 
Martin,  den  er  mit  den  Annen  theilte,  wie  Crispin  aus  dem  Leder  der  Reichen 
Schuhe  für  die  Armen  machte,  wie  man  in  der  Heidenzeit  die  Lederabschnitzel 
sammelte,  um  jenen  Schuh  zu  erzeugen,  mit  dem  Widar  den  Rachen  des 
Wolfes  versperrt,  damit  er  die  Welt  nicht  verschlinge ;  einen  Schuh  gab  man 
dem  Todten  mit  in's  Grab,  damit  er  über  das  Wasser  könne,  Mantel  und 
Schuh  sind  der  Wind,  der  auf  dem  Wasser  schreitet,  wie  die  Gans  durch  das 
Wasser  schwimmt;  die  Gans  war  der  Vogel  des  Martin,  dessen  Tag  auf  den 
11.  November  fallt,  das  war  die  Zeit,  wo  geschlachtet  wurde,  damit  die 
Schinken  und  Würste  den  Winter  über  im  Rauchfang  hängen  konnten  und 
so  durchräuchert  wurden.  An  das  Fell  lehnt  sich  auch  ||1  an,  denn  wir 
haben  jH)  st  als  den  das  Fell  durchbohrenden  PfeO  kennen  gelernt,  ebenso 
die  Verwandtschaft  von  Y  und  P,  denn  feh  ist  das  bunte  Fell,  der  Hermelin, 
das  Symbol  der  Füisten.  Der  die  Nässe  liebende  Skorpion,  wie  die  Grund* 
veste  deuten  auf  die  im  Süden  beginnende  Regenzeit  hin,  wo  die  Grund- 
vesten  des  Himmels  sich  öffnen ,  denn  »^»"^  ist  verwandt  mit  ^fe^  gan 
«Regen*,  und  auch  darin  eint  sich  Y  mit  P,  dass  letzteres  der  Monat  der 
Regenwolken  ist,  wie  auch  )}]  der  Regenwurm  oder  die  Schlange  ist,  die 
sich  an  die  Schlange  u^^-^fe  anlehnt.  Ausserdem  kann  Y  tnadr  auch  als 
verwandt  mit  vetr  »Wetter,  Winter"  der  entlaubte  Baum  sein,  der  als  solcher 
ebenfalls  ein  Himmels  träger  ist,  und  dem  der  Winter  das  Laub,  den  schützenden 
Mantel  geraubt  hat,  um  ihn  nun  in  eine  Schneedecke  einzuhüllen.  Da 
jedoch  die  Male  vorzugsweise  Beschäftigungen  andeuten,  so  werden  wir  Y  als 
Fell,  als  die  Schlachtzeit  auffassen. 

Das  Mal  X.  entspricht  dem  Thierkreiszeichen  des  Schützen  ^  oder 
^,  das  ist  T)fr,  der  Todesgott,  den  wir  oben  als  Jagdgott  kennen  gelernt 
haben.  Allerdings  wurde  auch  die  Winterszeit  fleissig  zur  Jagd  benützt ;  aber 
die  Rune  >k  hat  eine  eigene  Bedeutimg,  sie  entspricht  genau  dem  hebräischen 
•p»  yarek  .Lende*,  der  Theil  des  Leuchters,  wo  sich  der  Schaft  (.Tjp  garte  d.i. 
ägyptisch  j /n,  die  Rune  Y  madr)  in  drei  Füsse  theilt,  die  Stelle,  an  welcher 
Jakob  verrenkt  und  daher  zeugungsunfähig  wurde.  So  feierten  die  Perser 
um  diese  Zeit  das  Fest  Khurremruss,  d.  i.  der  feierliche  Tag,  an  welchem  der 
König  (der  Sohn  der  Sonne  und  die  Sonne  selbst)  vom  Throne  stieg,  sich  in 
die  Heiben  seiner  Unterthanen  mischte,  mit  ihnen  an  einem  Tische  sass  und 


Das  Mal  i,.  105 

sagte:  »Ich  bin  wie  einer  unter  euch!*  es  war  das  Fest  der  Gleichheit,  wie 
die  Satumalien  der  Römer,  welche  in  diesem  Monate  gefeiert  wurden,  und 
gleich  macht  Fürst  und  Unterthan  der  Tod.  AufTallend  ist  die  Übereinstim- 
mung des  am  11.  December  im  römischen  Kalender  angesetzten  Festes 
Septimontia  mit  dem  von  den  Indern  am  7.  des  Monats  gefeierten  Sonnen- 
feste Mitra  septami  (spt  .sieben*,  hebräisch  nnt?  äabbath  ist  die  Ruhe,  der 
Tod).  Die  alten  Perser  verfertigten  in  diesem  Monate  Puppen  aus  Teig  oder 
Thon,  denen  sie  königliche  Ehren  erwiesen  und  die  sie  dann  assen,  respec- 
tive  verbrannten;  in  gleicher  Weise  werden  auch  Puppen  zum  Nikolaifeste 
angefertigt,  wie  Nikolaus  mit  seiner  Wollperrücke  der  Winter  ist.  Yr,  islän- 
disch yria  bedeutet  .funkeln*  (wie  ur),  urigr  .bereift*,  yr  ist  daher  das 
Schnee-Mal  und  X.  wohl  gar  ein  Schneemann.  Da  wir  aber  analog  dem 
Keilschriftkalender,  welcher  einen  Monat  des  Jahresanfangs  und  einen  Monat 
des  Jahresendes  hat,  auch  in  P  den  Jahresanfang  haben,  so  kann  X.  auch 
das  Mal  des  Jahresendes  sein. 

Das  Ergebniss  dieser  Untersuchung  haben  wir  in  der  umstehenden 
Tabelle  (Seite  106),  welche  sich  von  der  auf  Seite  92  gegebenen  insbesondere 
durch  die  inzwischen  ermittelten  Bedeutungen  der  Runen  und  Runen-Namen 
unterscheidet,  übersichtlich  zusammengestellt. 

Obwohl  keine  Ueberlieferung  von  einem  solchen  Kalender  berichtet, 
80  bietet  derselbe  doch  die  einzige  sichere  Basis  für  die  Erklärung  der 
nordischen  Runen;  die  Übereinstimmung  der  Daten  ist  so  überwältigend, 
dass  sie  jeden  Zweifel  beseitigen  muss,  und  die  Anleitung  zu  derselben  habe 
ich  aus  der  Edda  selbst  erhalten,  indem  sie  Odhin  die  Worte  in  den  Mund  legt: 
Wort  aus  dem  Wort  verlieh  mir  das  Wort, 
Werk  aus  dem  Werk  verlieh  mir  das  Werk. 
So  habe  auch  ich  das  Wort  aus  dem  Zeichen  des  Begriffs,  den  Begriff  des 
Zeichens  aus  dem  Worte  zu  erächliessen  gesucht. 

Mit  der  Ausbildung  der  16  Male  war  der  Bau  der  nordischen  Sprache 
beendigt,  indem  keine  anderen  Laute  und  Zeichen  in  derselben  vorkamen ; 
andere  Völker  haben  weiter  gebauet,  und  wir  werden  nun  diesen  zu  folgen 
haben.  Vorher  wollen  wir  aber  noch  eine  andere  Bedeutung  der  Runen  in's 
Auge  fassen. 


106 


Runenkalender. 


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Dec.  bis  24. 

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EIN  ALTNORDISCHES  RUNENLIED. 

Nachdem  wir  gesehen  haben,  dass  die  Reihenfolge  der  Zeichen  kein 
Product  des  Zufalls  oder  der  Willkür  ist,  dass  sie  vielmehr  als  Zahl-  und 
Zeitbestimmung  in  ihrer  Integrität  aufrecht  erhalten  werden  musste,  so  kann 
das  Vorkommen  alphabetischer  Dichtungen  nicht  Wunder  nehmen,  im  Gegen- 
theil  muss  man  sich  wundern,  dass  nicht  mehr  derlei  Lieder  bekannt  sind. 
DaM  auch  die  Griechen  solche  Lieder  besassen,  glaube  ich  daraus  schliessen 
ZQ  ki^nnen,  dass  die  Albanesen  ein  alphabetisches  Gedicht  auf  Grundlage  der 
griechischen  Buchstaben  besitzen,  *®  welches  offenbar  von  den  Griechen  ent- 
lehnt oder  den  Griechen  nachgedichtet  wurde,  da  die  albanesischen  Laute 
mit  den  griechischen  nicht  Qb  ereinstimmen. 

Die  alphabetischen  Lieder  sind  verschiedenen  Inhalts:  die  Psalmen- 
dichtungen und  Klagelieder  scheinen  auf  einem  Verständnisse  des  BegriiTes 
der  Zeichen  zu  beruhen,  aber  ihr  Inhalt  ist  mehr  allgemein  poetischer  als 
didaktischer  Natur;  das  oben  erwähnte  albanesische  Gedicht  ist  ein  Liebeslied 
—  von  diesen  unterscheidet  sich  das  altnordischeRunenlied  durch  den  Mangel 
des  innem  Zusammenhanges  seiner  Wörter.  Der  erste  Vers  lautet  z.  B. 
nach  Grimmas  Übersetzung:  *® 

Geld  bringt  Streit  unter  Verwandte, 

Der  Wolf  nährt  sich  im  Walde, 
der  vierte  Vers : 

Einkehr  ist  bei  den  meisten  Reisen, 

Aber  die  Scheide  bei  dem  SchwerL 
drr  siebente  Vers ; 

Hagel  ist  das  kälteste  Korn, 

Christus  schuf  die  alte  (!)  Welt. 
Man  hat  daraus  geschlossen,  dass  die  Verse  nur  zur  Erlernung  dienen 
tollleo  wie  die  bekannten  Fibelverse: 

Der  »Affe*  sehr  possierlich  ist, 

Zumal  wenn  er  den  «Apfel*  frisst 

Abgesehen  aber  davon,   dass  in  keinem  der   obigen  drei  Verse  das 

Subftantivnm  der  zweiten  Strophe  den  Anfangsbuchstaben  des  betreffenden 

Verses  hat»  ist  schon  o  priati  eine  solche  Kinderspielerei  bei  jenem  Volke 

nicht  anzunehmen,  dessen  .Edda"  in  Geist  und  Form  sich  kühn  den  besten 


108  Die  Runen  als  Zauberzeicben. 

• 

Dichtungen  des  Alterthums,  der  Genesis  und  der  Ilias,  an  die  Seite  steUen 
kann.  Auch  waren  es  nicht  Kinder  mit  fünf  oder  sechs  Jahren,  die  man  im 
Alterthum  lesen  und  schreiben  lehrte  (die  nordischen  Priester  suchten  ihre 
Schüler  aus  den  aufgewecktesten  Köpfen  der  edlen  Greschlechter),  und  endlich 
waren  ja  die  Runen  nicht  todte  Buchstaben,  wie  wir  sie  zum  Schreiben  ver- 
wenden, sondern  Geheimnisse,  Zeit-  und  Zauberzeichen. 

Das  letztere  muss  man  in^s  Auge  fassen,  wenn  man  das  nordische 
Runenlied  verstehen  will.  Wir  haben  die  Runen  bisher  nur  als  Laut-  und 
Zahlzeichen  betrachtet,  wir  wissen  aber  aus  den  eddischen  Gedichten,  dass 
sie  vorzugsweise  als  Zauberzeichen  dienten,  und  wir  können  wohl  annehmen, 
dass  sie  in  ihrer  ersten  Bedeutung  nur  den  tiefer  Eingeweihten  verständlich 
waren,  wie  die  Wissenschaft  sich  stets  auf  engere  Kreise  beschränkt,  während 
die  Zauberbedeutung  die  Runen  populär  machte,  ja  wir  glauben  nicht  zu 
irren,  wenn  wir  annehmen,  dass  wir  allein  der  Zauberbedeutung  der  Runen 
ihre  Kenntniss  verdanken.  Längst  hatte  das  Ghristenthum  mit  seinen  neuen 
Mysterien  den  alten  Odhin  mit  seinen  alten  Mysterien  verdrängt,  als  noch 
insgeheim  die  Runen  als  Zauberzeichen  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  über- 
liefert wurden.  Nicht  umsonst  eiferten  die  Mönche  gegen  die  heidnischen 
Zeichen,  welche  sie  durch  die  lateinischen  zu  ersetzen  suchten,  sie  wussten 
gar  wohl,  dass  an  diesen  heidnischen  Zeichen  viel  alte  Überlieferung  hing, 
die  sich  mit  dem  neuen  Glauben  nicht  vertrug.  Die  Hexenprocesse  des  Mittel- 
alters wären  nicht  möglich  gewesen,  wenn  sie  nicht  eine  reale  Grundlage 
darin  gefunden  hätten,  dass  Viele  glaubten,  hexen  zu  können.  Noch  bis  auf 
unsere  Tage  hat  sich  dieser  Glaube  unausrottbar  erhalten,  Wunden  und 
Krankheiten  werden  durch  Besprechungen  und  Knotenschürzen  zu  heilen 
gesucht,  die  Zukunft  sucht  man  aus  den  Karten  zu  errathen,  welche  alte 
ÜberHeferungen  ehemaliger  Priesterweisheit  sind,  obwohl  sie  theilweise,  als 
Spielkarten,  ihren  tiefen  Sinn  gerade  so  verloren  haben  yne  das  Schach-, 
Damen-,  Kegelspiel,  der  Reigen  und  viele  Gebräuche,  die  als  leere  Formeln 
fortleben. 

Im  Alterthum  wurde  kein  Geschäft  unternommen,  ohne  die  Götter  zu 
befragen,  es  wurde  kein  Urtheil  gefällt,  ohne  die  Entscheidung  der  Götter 
anzurufen.  Selbst  die  monotheistischen  Juden  liessen  das  Los  entscheiden, 
und  es  ist  kein  Zweifel,  dass  die  ägyptischen  Traumbücher,  nach  denen  jetzt 
nur  das  unwissende  Volk  fragt,  einst  aus  der  Priesterweisheit  hervorgingen. 


Die  Runen  als  Lose.  1 09 

Wären  dieselben  unverßllschte  Überlieferungen,  so  würden  sie  uns  manche 
Aufklärungen  über  die  Anschauungen  der  Vorväter  geben,  indessen  dürften  sie 
im  Laufe  der  Zeiten  mannigfache  Änderungen  erlitten  haben.  Ich  lasse  daher 
dahingestellt,  ob  Traumdeutungen,  wie 

AtUer,  fliegend,  ist  ein  gutes  Zeichen,    auf  den  Kopf  fallend:   ein  Sterbefall; 
Au^  verlieren  bedeutet  Sterbefall,  gutes  Auge:  Gesundheit; 
Bad  sehen  bedeutet  Betrübniss;  sich  darin  befinden:  Wohlstand  u. s.w. 
oder  die  Deutung  der  Begriffe  durch  Zahlen,  um  in  die  Lotterie  zu  setzen : 
Flaschenkeller,  Uhr,  Schlange,  Mühle  bedeuten     1 
Brücke,  Kirche,  Tauben,  Wasser  ,  2 

Getreide,  Mörser,  Galgen,  Rettig  ,  3 

Dreschen,  Katze,  Leiterwagen,  Pfau  »  4  u.s.w. 

auf  Oberlieferung  beruhen;  dagegen  scheint  das  Losen  bei  den  Chinesen 
ähnlich  jenem  zu  sein,  welches  bei  den  Runen  geübt  wurde.  In  den  Tempeln 
der  Chinesen  stehen  nämlich  Urnen  mit  Losen,  aus  denen  die  Lose  gezogen 
werden,  an  den  Wänden  der  Tempel  hängen  Verzeichnisse  der  Schriftbilder, 
welche  die  Bedeutung  der  Lose  erklären,  und  solche  Erklärungen  scheinen 
in  Europa  die  Runenverse  gewesen  zu  sein. 

Nehmen  wir  an,  es  war  die  Rune  f  aus  den  zertrennten  Stäben  auf- 
genommen worden,  so  bot  der  Vers 

F^  veUdr  frätida  vögi,  fadist  ülftir  i  skogi, 

Geld  bringt  Streit  unter  Verwandte,  der  Wolf  nährt  sich  im  Walde 
folgende  Erklärungen:  .Geld,  veranlassen.  Streit,  Verwandte,  Wölfe,  Nahrung, 
Wald*,  da  gewöhnlich  drei  Stäbe  aufgenommen  wurden,  so  gaben  sie  einen 
Satz  und  man  konnte  z.  B.  aus  den  Runen  f  ^  ^  herauslesen :  frätida,  ferda, 
foma^  Verwandte,  Reisen,  vom,  und  diess  erklären:  »ein  Verwandter  vdrd  eine 
weite  Reise  machen",  fi  os  heiminn,  .Geld  wird  von  dei  Reise  heimkehren", 
fi  OS  hagl,  ,  dein  Geld  wird  zu  Wasser  werden  * ;  oder  bei  dem  Begriffe  Streit 
würde  der  Streit  viel  Schläge  bringen  u.  s.  w.,  u.  s.  w  Wir  haben  hier  die- 
selbe Dunkelheit  des  Ausdrucks  und  dieselbe  Vieldeutigkeit,  welche  von  den 
delphischen  Orakeln  bekannt  sind. 

Würden  wir  aus  diesen  Runenversen  weiter  nichts  lernen,  als  die 
Vielseitigkeit  der  Orakel  zu  verstehen,  so  könnten  wir  leicht  über  dieselben 
hinweggehen;  es  ist  aber  durchaus  nicht  anzunehmen,  dass  diese  Wörter 
dem  Zufalle  ihre  Entstehung  verdankten,  es  ist  sogar  unwahrscheinlich,  dass 


1 10  Erklärung  des  Runenliedes  —  Fe. 

die  Priestei'  mit  Bewusstsein  täuschten,  denn  diess  würde  eine  Erkenntniss 
voraussetzen,  zu  der  die  nothwendigen  Kenntnisse  fehlten,  man  kann  Tid- 
mehr  annehmen,  dass  die  P^ester  selbst  an  ihre  Orakel  glaubten,  dann  aber 
musste  den  Wörtern  eine  logische  Kette  von  Begriffen  zu  Grunde  liegen, 
ein  Wort  musste  aus  dem  andern  hervorgehen  und  die  Rune  ihre  Grundlage 
bilden.  War  diess  der  Fall,  dann  sind  die  Runen verse  eine  werthvoUe  «etymo- 
logische Fundgrube,  und  würdig,  dass  man  sie  eingehend  betrachtet 

Fd  teUdi*  firättda  v6gi,  fadist  tdfur  i  sHcogi, 
fi,  runisch  /f,  heisst  »Geld,  Vermögen,  Vieh*,  der  Begriff  ,Vieh*  ist  verwandt 
mit  griechisch  tf^xr^  „Leben*,  /(f  als  , Vermögen*,  ist  aber  so  viel  als  voMa 
9 Vermögen*,  welches  gleich  daneben  als  veUir  vorkommt;  dieses  ist  somit 
xalJd  oder  tfSQd  , Gewalt*,  raHdr  , ausgewählt,  stark*,  vaXlda  (oüi,  oüad) 
«Ursache  zu  etwas  sein* ;  war /^  Leben,  so  ist  es  als  Vermögen  ursprünghch 
, Lebenskraft,  Zeugungskraft*,  dann  ist  aber  .Geld*  nur  ein  abgeleiteter 
Begriff  und  die  ursprüngliche  Bedeutung  war  etwas  Gegenseitiges  (wie  die 
Zeugung),  der  Tausch,  wie  ,Geld",  isländisch  giald,  ursprünglich  .Schuld* 
bedeutet,  gialda  ,  entgelten  * ,  güldi ,  Werth,  Ehre  * ,  giJda  ,  gelten  * ,  gildr  ,  werlh- 
voll",  gidl  ,Gold*  (wahrscheinlich  durch  «  „viel*  von  hohem  Werthe);  Geld 
in  unserm  Sinne  war  daher  ursprünglich  ein  Tauschmittel,  obgleich  es  irrig 
ist,  die  Verwandtschaft  von  Vieh  und  Geld,  welche  fi  zeigt,  damit  zu  erklären, 
dass  Vieh  das  Tauschmittel  gewesen  sei;  Vieh  haben  wir  vielmehr  als  einen 
mehr  entfernten  Verwandten  von  Geld  kennen  gelernt,  denn  der  Begriff  von  ft 
war  .zeugen*,  vermögend  war  Derjenige,  der  viel  Kinder  und  von  diesen  und 
durch  diese  viel  Gesinde  hatte;  hiermit  hängt  auch /niiu/i,  der  , Verwandte*, 
der  , Freund*  zusanmien.  Mit  zeugen  verwandt  ist  der  Begriff  ,  verursachen*, 
mit  Tausch  der  Begriff  , Streit*,  verwandt  mit  streiten  »gegen  etwas  streben*, 
welches  durch  das  angelsächsische  straedan ,  gehen  *mit ,  tragen  *  und  .  bringen  * 
verwandt  ist;  das  isländische  Wort  v6gi  ist  verwandt  mit  vakr  » hurtig,  arbeit* 
sam*,  vaka  «wachen*,  vacka  „umherschweifen*,  als  Frequentativ  youvoIm 
„wachen*,  durch  Hin-  und  Hergehen  dem  Einschlafen  vorbeugen  oder  auch 
das  Hin-  und  Herwälzen  Desjenigen,  der  nicht  einschlafen  kann;  verwandt 
damit  ist  „wagen,  erwägen  (hin  und  her  bedenken),  wiegen,  wogen*.  Das 
Wort  fadist  „ernährt*  bedeutet  auch  „vatem*,  wenn  auch  im  Norden  fiSr 
Erzeuger  vorzugsweise  Icuni  gebraucht  wurde,  denn  auch  wir  haben  für 
letzteres  vorzugsweise  Gatte  und  begatten,  trotzdem  wir  das  Wort  Vater  als 


Erklärung  des  Runenliedes  —  ür.  111 

Erzeuger  auffassen.  Die  Grundbedeutung  von  »Wolf"  scheint  u  zu  sein, 
welches  gleich  ft  Vieh  ist,  das  bildet  mit  r  «Ur,  Auer,  Bär,  Wal(fisch)*,  mit 
t  „Thier*,  mit  st  , Stier",  mit  g  „Gaul*  u.  s.  w.,  im  Ägyptischen  ist  ab  all- 
gemeines Thierzeichen.  Das  Wörtchen  ^  »in*  dürfte  ebenfalls  auf  die  K'-Rune 
Bezug  haben,  und  skogi  ,Wald"  führt  uns  durch  »Wald*  (der  wallende, 
rauschende)  auf  velldr  zurück ;  skögr  ist  eigentlich  das  Bedeckende,  Schatten 
gebende,  skygni  „Laub*,  sky  „der  Wolkenhimmel*.  Es  geht  hieraus  hervor, 
dass  die  ursprüngliche  Form  der  I^-Rune,  wie  schon  wiederholt  nachgewiesen, 
Y  war,  >-  ist  der  Hauch,  das  Vermögen,  das  Geschlecht,  das  Thier  mit  der 
heraushängenden  Zunge  und  Y  der  Baum,  die  Stütze  des  Himmels. 
Ur  er  afSUu  (eUd)jdmi,  opt  sleipur  (sleppr)  rdni  d  hiarnL 

Funke  fliegt  aus  glühendem  Eisen,       oft  eilt  der  Schnabelschuh  über 

gefrorenen  Schnee. 
n  ist  das  Himmelsgewölbe,  der  Thau  ur,  das  Morgenroth  aurora,  das  Licht, 
hebräisch  or,  es  ist  die  dritte  Person  Singularis  Präsentis  Indicativi  von*  sein, 
dessen  Grundbedeutung  „sehen*,  nämlich  das  Blitzen  des  Auges  ist,  es  hängt 
wohl  auch  mit  zeugen  zusammen,  da  es  im  Ägyptischen  durch  den  Hasen  un 
(unser  hin)  dargestellt  wird,  femer  mit  Sonne  und  Seele  {sol,  isländisch  scfQ, 
auch  mit  Schatten,  Athem,   »sehg*  sind  die  Schatten,  die  Todten.  Dadurch 
schliesst  sich  an  er  das  Wort  af  „auf,  von*  an,  und  f)  ist  das  ägyptische 
zz:  ma  „offen*;  cWu  ist  verwandt  mit  veUa  „wellen,  wallen*  (des  Feuers);  jar» 
„Eisen*  ist  das  blinkende,  wie  „Eisen*  mit  „Eis*  verwandt  ist,  und  mit  aes 
„Kupfer*   durch  den  Glanz;   opt  scheint  seiner  Grundbedeutung  nach  nur 
so  viel  wie  „wiederholt,  zweimal*  zu  sein,  dann  wäre  das  Zeichen  A .  Ähnliches 
zeigt  der  ägyptische  Dual  «  »  =  llai  1  a/,  zurückkommen,  also  wiederholen, 
altnordisch  ai  „inuner*    oder   „nichts*,   ersteres  isländisch  ai   „ewig*,  ae 
.immer*, letzteres  isländisch  at  „nicht*,  die  Erklärung  giebt  ägyptisch  •*-'^  nn, 
welches  als  zusammenfassend,  wiederholend  und  als  abwehrend  „nichts* 
gebraucht  wird;  denselben  Doppelsinn  bietet  sleip  in  „schlaff,  schlafen*  und 
, schleifen*,  rdni  als  „rennen,  wallen*  {rdn  das  Meer),  rdan   „Raub*   und 
Schuh,  SMapfen,  schlüpfen,  schlüpfrig  (in  des  Wortes  doppelter  Bedeutung, 
wie  Schlampen,  gleich  schwedisch  run-kundd,  eine  läufische  Dirne  ist).  Wäh- 
rend sich  die  bisher  erörterten  Wörter  auch  an  P  anlehnen,  ist  in  d  „über* 
ein  Gegensatz  zu  /  „in*  enthalten.  Das  Wort  hiami  schliesst  sich  eng  an;am 
„Eisen*  an,  sowohl  in  Bezug  auf  Glanz  wie  in  Bezug  auf  Härte. 


HS  Erklärung  des  Runenliedes  —  lluAsa. 

Tlmss  veSdur  qvenna  qviüu  (quilju),        kätur  verdurfdr  af  eUu  (dju). 

Riese  macht  den  Weibern  Angst,  Niemand  freut  sich  über  Feindschaft. 

Thu88  ist,  wie  die  Rune  V  zeigt,  etwas  Hartes,  der  Dom,  der  Stein, 
der  Tod,  isländisch  dusa  , schlummern*  (duseln),  dann  das  Herrorragende. 
Emporstrebende  Susur  „die  Heftigkeit",  dys  ,Lärm*,  mittelhochdeutsche» 
.Tusch,  in's  Hörn  stossen",  schwedisch  Thor-dcn  «Thorskrachen,  Donner*. 
VeUdur  ist  bereits  oben  als  .Ursache*  bezeichnet,  sein  Vorkommen  bei  V 
beweist,  dass  f  und  V  von  gleicher  Grundbedeutung  sind.  Quetma  ist  verwandt 
mit  kam  . etwas  Hervorstehendes,  das  Kinn*,  hanir  .die  Kante*,  kaun  ,erha* 
benes  Geschwür*,  qpitmay  qven  .Weib*  (mit  hervorstehendem  Busen);  indessen 
ist  V  ebensogut  auch  die  Scheide,  kunna  .kennen*  (unterscheiden),  kuuta 
.cunnus*,  nämlich  das  Passivum  von  kani,  Quilla  .Qual*  ist  verwandt  mit 
.quellen,  schwellen*,  so  dass  der  Satz  auch  heissen  kann:  ^Thcr  macht  die 
Weiber  schwellen*,  und  im  Gegentheil:  Stein,  d.  i.  'Unfruchtbarkeit  ist  der 
Weiber  Schrecken,  wobei  man  an  die  Beschwörung  der  Gerda  erinnert 
wird:  .ein  Thurs  schneid  ich  dir  und  drei  Stäbe:  Ohnmacht,  Unmuth, 
Ungeduld*.  Katrisi  .froh,  geil*,  schwedisch  kät\  verdur  ist  .werden,  ent- 
stehen*; far  bedeutet  .klein,  wenig*,  englisch  few;  af  kam  bereits  bei  Vr  vor; 
^u  ist  verwandt  mit  iür  .böse*,  englisch  ill  .krank*,  eHan  .Streit*,  diari 
.Nebenbuhler*,  griechisch  SXkog,  lateinisch  aliiis,  .der  andere*;  der  Salz 
heisst  eigentlich:  .Freude  erhält  man  wenig  von  Feindschaft  oder  Neben- 
buhlern*. Es  ist  merkwürdig,  dass  hier  alle  Wörter  auf  den  Begriff  «geil* 
hinauslaufen,  der  mit  .Keil*  ^  so  innig  verwandt  ist;  auch  dürfte  der  Sinn 
darin  liegen,  welcher  den  Weibern  vorzugsweise  Bosheit  und  Falschheit 
zuschreibt,  wobei  man  jedoch  an  das  .schwache*  Geschlecht  denken  muss, 
denn  im  Ägyptischen  sind  .Kleinheit*  und  .Bosheit*  gleichbedeutend,  wie 
auch  die  Zwerge  in  der  deutschen  Sage  als  falsch  und  boshaft  dargestellt 
sind;  wir  sehen  hier  die  zwei  ursprünglichen  Menschenrassen  einander 
gegenüber,  die  Ubermüthigen,  Rohen,  Starken  und  die  Verschlagenen,  durch 
erlittene  Kränkung  boshaft  gemachten  Schwachen. 

Os  er  flestra  ferda,  enn  skdlpr  er  sverda. 

Einkehr  ist  bei  den  meisten  Reisen,     aber  die  Scheide  bei  dem  Schwert 

0$  ist  die  Mündung,  der  Ausgang,  aber  auch  passiv  die  Heimkehr;  es 
Ist  aber  auch  verwandt  mit  wasefi  .aufsteigende  Wasserdämpfe*,  althoch- 
deutsch venmzefi  .verwesen,  in  Dünste  verwandeln,  verfaulen*,  daher  könnte 


Erklärung  des  Kunenliedes  —  liidr,  113 

Äuch  der  Sinn  sein  , Nimmerwiederkehr* ;  durch  er  , ist*  lehnt  sich  +  an  fl  an. 
Das  Worl  fiestra  ist  der  Plural  von  fWl  »viel*  (+  ist  die  vierte  Rune  und  besteht 
aus  vier  Strichen),  flaistr  ist  aus  fiöl  gebildet,  wie  meist  aus  mehr  und  dieses  ist 
das  lautverschobene  (mr^vl)  viel;  unser  «Fleiss*  hängt  damit  zusammen, 
aber  auch  die  Fahrt,  das  Hin-  und  Herwandern.  Das  Wörtchen  enn  ist  wohl 
kaum  der  schroffe  Gegensatz,  den  man  unter  «aber*  vermuthen  könnte, 
sondern  nur  eine  die  Rede  fortführende  Interjection,  wie  unser  ,und*,  sie 
erinnert  an  das  Ägyptischem  m  ,in*  und  deutet  auf  die  einfache  Form  des 
Kreuzes  in  %  naud  hin.  Die  Wurzel  yonskalpr  ist  skal  «  Schale  zum  Trinken, 
Wagen*,  tkali  .Dach,  Haus,  Schlafkammer*,  sHeuU,  skyli  «Beschützer*  shjln 
.der  Schleier*,  skioUdr  »der  Schild«,  akaüi  »der  Kahlkopf,  der  Schädel* 
enmiert  an  den  indianischen  Skalp;  skdlpr  als  Scheide  ist  daher  das 
Beschützende  des  Schwertes  und  schliesst  sich  eng  an  den  Begriff  ^  os 
»Mündung*  an.  Das  Wort  sverd  .Schwert*  ist  das  .Schwirrende*  {suira, 
.^rtn),  wie  .Klinge*  das  Klingende,  Tönende;  sverd  steht  dem  skalpr  gegen- 
über wie  Angriff  und  Vertheidigung,  und  wie  Schild  und  Schwert  in  diesem 
Siime  uralte  Symbole  des  Krieges  sind. 

Üi^lr  (rtid)  qrdda  hrossum  vesta,  Raghh  er  sverdit  bnidesta. 

Kitt,  sagt  man,  ist  den  Rossen  das      Raghn  ist  das  schnellste  Schwert 

Schlinmiste, 
Dass  Reiten  den  Rossen  das  Schlimmste  sei,  ist  ein  sonderbarer 
Ge<ianke  und  könnte  nur  für  wilde  Pferde  gelten,  aber  rida  .reiten*  ist  ein 
ali^eleitetes  Wort  von  reida  .schwingen,  schwanken*,  womit  die  Bewegungen 
des  Reiters  ausgedrückt  werden,  schwankend  ist  auch  ri3  .die  Sumpfgegend, 
der  Rieth*,  und  ein  solcher  Boden  ist  allerdings  fürRosse  das  Unangenehmste; 
rnlr  weist  daher  auf  ^,  die  zu  Stricken  verwendete  Pflanze  hin,  doch  lässt 
h(  .schreiben*  auch  vermuthen,  dass  ridr  auch  .einritzen,  Wunde,  geriehen, 
aufgerieben*  (vom  Reiten)  bedeutet.  Das  Wort  qvGda  kommt  von  der  Wurzel 
kiii  .sich  regen,  rege 'machen,  in's  Leben  rufen*,  davon  ktifi  .Gott*,  d.  h.  der 
Schöpfer,  quäda  .die  Rede*  ist  der  Hauch,  der  Geist,  der  aus  dem  Munde  ^ 
hervorgeht  Hross  oder  hars  (englisch  horse,  althochdeutsch  hros  ^Ross*)  ist 
lia«  runische  haursi  .der  Hurtige*  (nicht  Schläfrige),  daher  Ayrc/  .Schutz, 
Wtirhe,  Hort*,  hur  .Feuer*  (das  Lebendige),  lehnt  sich  an  ^  durch  das 
Hiu-  und  Uerspringen  an.  Vesta  kommt  von  der  Wurzel  vi  .wehen,  winden, 
Schmerzen  leiden*,  daher  auch  eist  .Aufenthalt,  Ruhe*  (Tod),  Wüste  gleich 

f  AulmAna.  Geschieht«  d.  !5chrifL  H 


11^  Erklärung  des  Runenliedes  —  Kuuh, 

Öde,  das  leere  Ausgebreitete,  die  Weide  (im  Gegensatze  zum  Walde),  RVi/e, 
alles  Begriffe,  welche  mit  dem  Zeichen  ^  zusammenhängen.  Baghn  ist  jeden- 
falls dasselbe  wie  rctgn  «die Verwünschung*  und  hängt  daher  mit  qväda  zusam- 
men, röggta  ,die  Rache  der  Götter  über  Jemanden  erflehen*,  rdca  .rächen*, 
rogr  .Verleumdung*,  gothisch  ragin  «Meinung*,  eigentlich  .Richterspruch*, 
Ragnaröck  ist  das  Weltgericht;  die  Wurzel  ist  .regen*  =  anregen,  erregen. 
Eifer.  Durch  er  .ist*  vereinigt  sich  ^  mit  D  und  4*,  mit  letzterm  auch  durch 
sverd  das  Schwirrende,  Blitzende  (^  ist  auch  der  Blitz);  damit  hängt  brddesta 
zusammen,  ver\i'andt  mit  bragd  Glanz  (Pracht)  und  brandr,  welches  auch 
.Schwert,  Klinge*  bedeutet,  die  Wurzel  dürfte  rdsa  .laufen*  sein,  davon 
hradr  .hurtig*,  hrada  .eilen*,  wovon  das  sich  drehende  Rad  abstammt,  b  ist 
eine  verstärkende  Partikel  (wie  in  .bereit*),  die  mit  dem  Stanmi  verwachsen  LsL 
Kann  er  beggia  bania,  *      böl  giorir  near  (ndr)  fblvama  (fuüfarna). 

Beule  haben  beiderlei  Kinder,  Elend  macht  zur  Leiche  die  Voilkräftigsten. 
Kaun  .erhabenes  Geschwür*  ist  offenbar  der  secundäre  Begriff  von 
.erhaben*  und  stammt  von  kunna  .hervorragen  machen*,  diese  Ursache  ist 
aber  kyn  .Geschlecht*,  althochdeutsch  kun  das  männliche  Glied,  dem  als 
Passivum  kunta  .cunnus*  zur  Seite  steht;  das  letztere  wiederholt  sich  in 
beggia^  von  der  Wurzel  bak^  althochdeutsch  pah,  d.  i.  eine  Vertiefung  zwischen 
zwei  Hügeln,  daher  isländisch  bakki  .Flussufer*,  beehr  .Bach*.  Barn  .Kind* 
ist  nur  eine  andere  Form  von  kundr  .Sohn*,  kynd  .Nachkonune*,  wie  boi 
zu  kaun.  BÖl  ist  jedenfalls  die  Geschlechtskrankheit,  welche  im  Alterthume 
durch  das  Hierodulenwesen  und  die  Unkenntniss  ihrer  Ursachen  noch  grössere 
Verheerungen  anrichtete  als  gegenwärtig,  man  schob  ihre  Ursache  der  Sonne 
zu,  da  die  Sonne  selbst  als  das  göttliche  Geschlecht  aufgefasst  wurde,  und 
wenn  Odhin  als  Bölwerker  die  Arbeit  von  neun  Männern  verrichtete,  so  dürfte 
dies  wohl  sich  auch  hieran  angelehnt  haben,  da  Bölwerker  der  Unheilstifter 
ist.  Giorir  ist  verwandt  mit  klar  .auserwählt*  und  daher  mit  gan  .Zauber*. 
Die  Leiche  heisst  eigentlich  im  Isländischen  nd,  ndr  ist  ein  nackter  Leichnam 
und  lehnt  sich  an  unser  .nur*  (bloss)  an,  es  erinnert  diess  an  das  griechische 
Y  Y'psiUm  .das  nackte  y* ;  Leichnam  ist  daher  hier  ein  secundärer  Begriff  und 
steht  im  Gegensatze  zu  foitama^  wie  auch  im  Alter  die  Haare  ausfallen  und 
die  Kraft,  der  Schutz  des  Körpers,  gleich  der  Kleidung,  den  Menschen  ver- 
lässt,  so  ist  auch  Vk  (unser  Leiche)  ein  Körper,  Fleisch  ohne  Haut,  wie  ^q%m 
der  Schatten  des  Körpers,  das  Abstractc. 


Erklärung  des  Hunenliedes  —  Hngl  —  Naud,  1 1  ö 

llagl  er  kaldastur  kotita,  Kristur  sk6p  heiminn  fama, 

Hagel  ist  das  kälteste  Korn,  Christus  schuf  die  alte  Weit. 

Christus  ist  jedenfalls  ein  für  ein  älteres  Wort  eingeschobener  Begriff; 
diesen  hatten  die  nordischen  Völker  im  Hangatyr,  der  sich  von  der  Welt- 
esche  Yggdrasil  loslösende  Gott,  der  Erlöser,  dieser  ist  das  Grauen,  das 
Zwielicht,  welches  den  Tag  erzeugte,  der  graue  Gott  Uller,  mit  dem  der  Gräl 
zusammenhängen  dürfte,  auch  das  Wort  kraus,  isländisch  kmsa  «die  verwach- 
senen Ranken  der  Kräuter*,  der  Urwald,  das  Kreuz,  isländisch  kross,  wie  denn 
die  Hervorhebung  des  Gekreuzigten  an  Stelle  des  in  den  ersten  Jahrhunderten 
des  Christenthums  mehr  verehrten  Lammes  wohl  vorwiegend  nordischen 
Anschauungen  zugeschrieben  werden  dürfte,  die  in  Rom,  dem  Zusammen- 
flusse aller  Völker,  unverkennbar  mit  zur  Ausbildung  der  Christusreligion 
beigetragen  haben.  Demnach  dürfte  auch  das  Zeichen  4^  der  griechischen 
Kirche  sowohl  der  nordischen  +-Rune  als  durch  diese  der  ♦  Aa^/-Rune  ver 
wandt  sein.  Der  Hagel  selbst  wurde  in  alter  Zeit  als  die  Frucht  der  himm- 
lischen Coition  betrachtet,  diese  Frucht  ist  verwandt  mit  Kern  und  Korn, 
wie  auch  Hagl  mit  Ekel,  dem  Gefühl  des  Überdrusses  nach  dem  Genüsse ; 
kalt  ist  das  Zusammengezogene,  der  Stein,  im  Gegensatze  zur  Wärme  des 
Sumpfes;  skapa  .schaffen*  hat  die  Wurzel  kappa,  .kämpfen*,  eigentlich 
.gegeneinander  sein*,  kaupa  .kaufen*,  so  viel  wie  .tauschen*,  wiekaup  .die 
Waare  *  ist  und  mit  unserm « kuppeln  *  zusammenhängt,  skafa  heisst .  schaben  * , 
skapi  .Schaft*  ist  ein  von  der  Rinde  entblösster  Stamm,  wie  skip  .Schiff", 
ursprünglich  ein  ausgehöhlter  Baumstamm  war.  So  war  auch  ^mt*.  die  Welt*, 
heimi  .das  eigene  Haus*,  ursprunglich  eine  Höhle,  wie  himin  .Himmel*  die 
Decke  war,  woran  noch  .das  gastliche  Dach'  erinnert;  foman  hat  hier 
jedenfalls  die  Bedeutung  von  .alt,  Alterlhum*;  eigentlich  müsste  der  Satz 
heissen  .Gott  schuf  einst  die  Welt*.  Das  vorkonmiende  er  verbindet  ^  mit 
n  ur,  +  (w,  ^  ridr  und  %  kann,  sämmtlich  Zeugungsrunen. 
Kauh  giorir  napa  kosti,  naktan  kiälir  i  frostü 

Noth  macht  knappe  Kost,  den  Nackten  friert's  im  Frost. 

Durch  giorir  zeigt  sich  +  verwandt  mit  K,  als  verneinend  steht  es  audr 
.Reichthum*  gegenüber,  es  ist  verwandt  mit  niedrig  und  daher  mit  klein  und 
Kind,  dasselbe  bedeutet  napa,  welches  beim  Zusammenhalt  mit  unserm 
knapp  beweist,  dass  bei  zusammengesetzten  Anlauten  der  Vorlaut  gewöhnUch 
nicht  zum  Stamm  gehört;  napa  ist  verwandt  mit  nef  .Nase*,  näbb  .Schnabel*, 

8' 


116  Erklärung  des  Runenliedes  —  Is. 

na  fit,  fiabli  »Nabel*,  etwas  Hervorragendes,  aber  damit  auch  ein  Thefl  ciiies 
Ganzen,  in  knefi  ,die  geballte  Hand*,  nähert  es  sich  dem  Knoten,  der  sich  zu 
naud  verhält  wie  knapp  zu  nap;  klein  ist  das,  was  man  in  den  Mund  steckt, 
daher  ist  nautr  .Genuss*  so  viel  wie  kosti  .Kost*  und  kiosa  .erwählen, 
kosten*,  welches  sich  durch  kiör  .auserwählt*  an  giorir  anlehnt,  während 
gusa  .giessen*,  geysr  .der  speiende  Berg*  an  Wasser  und  den  Wassergott 
nikr  .Nix*  sich  anlehnen;  das  Wasser  ist  nackt,  stets  beweglich,  daher  nicka 
.nicken*,  niga  .neigen*,  verwandt  mit  friasa  .frieren*,  frosti  .Kälte*,  das 
Schüttelnde,  das  Fieber,  der  Hauch,  der  Wind.  Durch  i  lehnt  sich  die  Rune 
+  an  P  an,  wie  auch  frosti  beweist,  durch  kialir  an  ♦  Hagl;  übrigens  liegt 
in  naktan  kialir  auch  ein  Doppelsinn,  insofern  kiali  .der  Brünstige*  ist, 
derselbe  Doppelsinn  liegt  auch  in  7iaud  und  nautr  als  Noth  und  Genuss. 
Is  kollum  hru  breUIa,  hlindan  tharfat  leida. 

Eis  nennen  wir  eine  breite  Brücke,      der  Blinde  muss  geleitet  werden. 

Fast  alle  Wörter  dieser  beiden  Sätze  lassen  eher  auf  X  als  auf  I 
schliessen,  denn  hru  .die  Brücke*  verbindet  zwei  Ufer,  auch  dann,  wenn 
es  ursprünglich  nur  ein  fester  Weg  durch  Sümpfe  war;  überhaupt  drücken 
die  meisten  Wörter  mitti  eine  Verbindung  aus,  so  brodir  .Bruder*,  hridgumi, 
wo  hrut  so  viel  wie  gam,  griechisch  ya/xctv  .heirathen*  ist,  denn  die  Braut 
ist  die  Verlobte,  ja  sogar  die  Verwandte,  denn  hregda  heisst  .Familienähn- 
lichkeit haben*  ;  hreidr  .breit*  kommt  von  hiota  .brechen*,  und  braut  heisst 
ini Isländischen  .ein  angelegterWeg*,  von  6Wote  jarrf . reuten,  urbar  machen*. 
Das  W^ort  tharf  ist  verwandt  mit  diarfr  .kühn*,  dii-fa  .ermuthigen*,  ditfaz 
.  ermuthigt  sein,  wagen  * ;  wagen  bedeutet  aber  schwanken.  Das  Wort  leida 
kommt  von  lid  .Genossenschaft*,  hängt  aber  durch  leid  .Reiseweg*  mit  6ni 
.Brücke*  zusammen.  Dieser  Widerspruch  zwischen  Zeichen  und  Begriff  lässt 
sich  nur  dadurch  erklären,  dass  I  das  Verbindende  allein,  ohne  Angabe  der 
verbindenden  Gegenstände  ist,  und  dass  es  der  Eins  gleicht,  die,  wie  oben 
nach^'ewiesen,  als  ein  Theil  von  .zwei*  zum  Begriff  gekommen  ist  Elbenso 
beruht  koUum,  englisch  call  .rufen,  nennen*  auf  einer  Vergleichung  und  Ver- 
bindung, ist  aber  kull  wie  im  Holländischen  das  Membrum  virile,  so  ist  es 
verwandt  mit  der  Zunge  I.  Das  Wort  blind  kommt  von  blenden,  blind  heisst 
jreblendet  und  diese  Blendung  entsteht  im  Norden  auf  natürlichem  Wege 
durch  den  Glanz  fbragd)  des  Eises;  hragd  ist  auch  .Geschmack,  Geruch *» 
daher  im  Grundbegriffe   .scheiden,  unterscheiden*.   Das  Wörtchen  at  xeigt 


Erklärung  des  Runenliedes  —  Xr.  117 

eine  Richtung  an,  die  sich  auch  in  unserm  »bis*  findet  welches  bis  im  Latei- 
nischen «wiederholen*  bedeutet.  Im  Ganzen  scheint  daher  is  den  BegritT  der 
^ Mitte'  zu  bergen. 

Ar  er  gumna  gödi,  gSt  ec,  at  ör  var  FrödL 

Fruchtbares  Jahr  ist  der  Menschen  Glück,  ich  höre,  dass  Prodi  freigebig  war. 
Das  Wort  ar  hat  eine  verschiedene  Bedeutung:  dr  «Jahr',  ar  «Feuer- 
herd, Heim*,  dr  «Diener,  Gesandter*,  ar  »Arbeit,  pflögen*,  ar  «Ernte*,  ar 
«Ruder*.  Dieterich  bemerkt  dazu,  der  Wurzel  ar  scheint  der  allgemeine 
Begriff  «in  Bewegung,  in  Thätigkeit  sein*  zu  Grunde  zu  liegen;  in  der  That 
sicheint  die  Rune  A  zwei  ausgespreizte  Füsse  darzustellen.  Dass  der  Begriff 
«Jahr*  von  «Ernte*  komme,  ist  keineswegs  zweifellos,  dem  nordischen  ar 
entspricht  das  lateinische  ver  «Frühling*,  und  annus  ist  der  Kreislauf,  wie  im 
Ä;^yptischen  das  Auge  (die  Sonne)  die  Lautwerthe  ar  und  an  hat,  dagegen  rp 
,ilas  Jahr*  durch  die  keimende  Pflanze  ausgedrückt  wird.  Der  Begriff  ar  als 
Frucht  bezieht  sich  auf  die  gerundete  Gestalt  der  Körner.  Hierzu  kommt,  dass 
tptmi  im  engem  Sinne  der  Mann,  der  Krieger  ist,  wie  sich  dieses  Wort  im 
Deutschen  auch  nur  in  Bräutigam  erhalten  hat.  Gerade  für  den  Krieger  hat 
eine  Ernte  keinen  besondern  Werth,  eher  wäre  hier  ar  im  Sinne  von  Gewinn, 
englisch  ^arw  «verdienen*,  aufzufassen,  sowie  als  «Ehre*,  isländisch  atH»  Es  ist 
hirrbei  zu  beachten,  dass  ein  synonymes  Wort  für  Mann,  nämlich  ver  «Gatte*, 
▼♦•nvandt  ist  mit  tera  «sein,  Wesen*,  wie  auch  oben  ar  und  er  nebeneinander 
stehen.  Auffällig  ist,  dass  hier  nicht  lucka  «Glück*,  sondern  godi  gebraucht 
wurde,  welches  auch  Priester  bedeutet  und  verwandt  mit  god  «Gott*  ist. 
Ovdi  als  Priester  schliesst  sich  an  ar  als  «Gesandter*  an,  denn  die  Priester 
waren  die  Herolde.  Das  Wort  gä  stammt  von  ga  «Aufmerksamkeit*,  bedeutet 
also  «offen*;  ee  ist  verwandt  mit  aikvi  «Eigenlhum*,  aika  „besitzen,  eigen 
sein*,  wonach  auch  das  deutsche  «ich*  mit  der  Nachsilbe  «ig*  zusammen- 
fällt. Eigen  ist  das,  was  man  umfasst,  daher  im  Ägyptischen  [J  k  «Wesen- 
heit, Alles*  also  unser  «eigen*  bedeutet,  das  umgekehrte  Zeichen  davon  ist 
unsere  Rune  Ji  ar,  Frodi  ist  gleich /r<Wr  «der  Weise*,  und  diess  erinnert 
daran,  dass  «können*  und  «kennen*  in  kunna  ebenso  identisch  sind  wie  im 
Hebräischen  yada  «erkennen*  und  «zeugen*,  ör  bedeutet  auch  «r  zur 
Bezeichnung  eines  hohen  Grades,  femer  «Pfeil,  Kieselstein,  Erzstück*  und  ist 
verwandt  mit  awir  «Reichthum*.  WahrscheinHch  bedeuteten  diese  Wörter 
ui^prünglich  ohne  Zusammenhang:  Gewinn,  sein.  Mann,  Glück,  Botst haft» 


1 1 H  Erklärung  des  Runenliedes  —  Sol  —  Tyr. 

Person,  Vergangenheit,  Richtung  nach  auswärts  und  daher  Reise,  Geschenk^ 

Uug;  gerade  so  wie  beim  Kartenschlagen  den  einzelnen  Karten  an  sich  und 

im  Zusammenhange  derlei  Bedeutungen  gegeben  werden. 

S6l  er  landa  liömi,  luti  (lyt)  ec  at  hdgum  d6mi> 

Sonne  ist  der  Erde  Licht,        Ich  unterwerfe  mich  dem  heiligen  Ausspruche. 

5o?  dürfte  verwandt  sein  mit  aio/  .Seele*,  wie  swina  mit  , Schein*, 
beide  Wörter  bedeuten  etwas  Aussti*ahlendes,  wie  der  H  der  Blitz,  der  Blick 
des  Auges  ist;  ebenso  ist  liomi  wie  das  verwandte  hgi  ,1  Flamme'  und  lias 
.Licht*  das  Wallende,  isländisch  W  die  Welle,  ägyptisch  ru  »fliessen*,  l%teir€; 
verwandt  damit  ist  /au/ (das  Herabhängende)  .das  Laub*,  lodinn  .mit  Gras 
bewachsen",  unser  Loden;  diese  Begriffe  des  Umgebens,  Beschützens  finden 
sich  auch  in  Rinde,  Rand,  isländisch  rvnd,  welches  auch  .Schild*  bedeutet; 
hiemach  kann  man  Land  als  das  Bewachsene  im  Gegensatze  zum  nackten 
Wasser  betrachten  (lundr  der  Hain),  wie  es  sich  andererseits  an  rund,  rad 
anlehnt.  An  den BegriiT. Herabhängen *schliesst  sich, unterwerfen*,  verwandt 
mit  liod  .Volk,  Leute,  die  Kleinen,  Niedrigen*,  auch  in  dem  Sinne  von  Prole- 
tariat. Der  Begriff,  heilig*,  isländisch  hdgr,  scheint  mir  von.  verborgen*  abzu- 
stammen und  mit  der  Hei  verwandt  zu  sein ;  die  Hei  ist  die  leere  Augenhöhle, 
welche  erst  durch  den  Augapfel,  die  Sonne  Glanz  erhält,  die  ewige  Jung- 
frau, der  leuchtende  Äther,  das  nichtDurchbrochene,  isländisch  heäl  unverletzt, 
gesund ;  heilig  war  der  Boden,  der  noch  von  keiner  Pflugschar  verletzt  war, 
heill,  d.  i.  unverletzt,  musste  das  Opfer  sein;  unverletzlich  bis  auf  den 
Schulterfleck,  der  durch  das  Kreuz  bezeichnet  war,  war  die  Sonne  Siegfried, 
wie  auch  die  Sonne  selbst  als  von  einem  Schilde  verhüllt  gedacht  wurde,  da 
sie  sonst  die  Erde  verbrennen  würde.  An  den  Begriff  des  Verborgenen 
schliesst  sich  dotni,  das  hebräische  urim  und  thumim,  das  heilige  Los^  an,  wie 
das  hebräische  ath  .Himmelszeichen*,  welches  Wort  im  Ägyptischen  das 
göttliche  Auge  bedeutet.  Ist  daher  sol  der  Blick,  die  Ausstrahlung,  so  schliesst 
es  sich  an  er  (ist)  und  Licht  an,  femer  an  die  Offenbarung  (dornt),  während 
helgr  im  Sinne  von  Unverletzlichkeit,  Jungfräulichkeit  den  Obergang  zu  land 
und  luti  bildet. 

Tyr  er  einhendur  Asa,  opt  verdur  smidur  at  bldsa. 

Tyr  ist  der  einhändige  Ase,     oft  beginnt  der  Schmied  zu  blasen. 

Ty}'  war  ursprünglich  der  höchste  Gott,  der  Deus,  Zeus,  und  als  solcher 
Erschaffer  und  Zerstörer  in  emer  Persen,  das  A  und  das  Q,  durch  Trennung 


Erklärung  des  Runenliedes  —  Biarkan  —  Lcmgr,  HO 

von  P  und  1"  blieb  letzteres,  der  Speer  oder  Pfeil  nur  noch  das  Werkzeug  der 
Zerstörung,  und  hieraus  scheint  sich  die  Sage  vom  einhändigen  Tyr  gebildet 
zu  haben;  Tyr  ist  wie  sol  die  Ausstrahlung  und  ^  schliesst  sich  an  das  ägyp- 
tische M  an,  dessen  ältere  Form  P  als  Y  ist,  nämlich  die  Zunge  im  Munde 
oder  der  zwiegeschlechtige  Thuiskon,  T  ist  demnach  so  viel  wie  I  is,  an  welches 
sich  auch  isländisch  as  » göttliches  Wesen*  (gothisch  ans,  lateinisch  ens)  an 
.Stift,  Stange*  anlehnt,  sowie  askr  »die  Esche,  der  Phallus,  die  Schlange", 
ägyptisch  ^"^  ts,  Keilschrift  ►-^T^-<  ti  .Basilisk*;  diese  Schlange  ist  als 
züngelndes  Element  Ptah  oder  Vulkan,  der  Schmied,  der  Glühende  und 
Eifernde  oder  Blasende.  Interessant  ist  die  Wiederkehr  des  Wortes  opty 
welches  wir  zuerst  bei  h  ur  gefunden  haben,  da  ur  gleich  tiur  der  Stier  ist, 
dort  lag  dem  op<  der  Begriff  A  zwei  unter,  hier  in  der  ursprünglich  verlän- 
gerten Form  A  der  Begriff  der  drei;  das  Wort  verdur  hängt  mit  er,  nämlich 
, werden*  mit  »sein*  zusammen. 

Biarkan  er  lauf-gränst  lima,  Loki  bar  flerdar  (ßardar)  tima. 

Birke  ist  das  laubgrüne  Gezweig,  Loki  brachte  Falschheit  in's  Glück. 

Die  Birke  war  nach  alter  Anschauung  der  früchtelose,  jungfräuliche 
Baum,  deren  Schooss  verschlossen  (isländisch  hiarka  , bergen")  war,  mit 
diesem  Begriffe  des  Verborgenseins  hängt  das  bergende  2a{i/ (Laub)  zusanmiert 
und  lima  Gezweig;  grän  ist  verwandt  mit  grannr  »schlank",  gretii  der  schlank 
gewachsene  Baum,  die  Tanne ,  wie  auch  schlank  der  Gegensatz  zu  befruchtet 
(gesegnet)  ist;  to^•t  bedeutet  hier  »Verführer,  Verlocker",  womit  »zubringen, 
Falschheit,  Glück*  zusammenhängt.  Bei  der  Auslegung  der  Lose  lagen  also 
die  Begriffe  vor:  Jungfrau,  mannbar,  schlank.  Verwandte  (Gezweig),  Ver- 
führung, zubringen,  Falschheit,  Glück.  Auffallend  und  auf  die  Begriffsver- 
vrandtschaft  hindeutend  ist,  dass  der  zweite  Theil  des  Verses  sich  auch  auf 
die  folgende  Rune  bezieht. 

luaugr  er  thad  er  fdlur  ur  fiaUi,                   Fast  en  gull  ern  nalli  (?) 
Wasser  fällt  vom  Berge  . 

Die  zweite  Strophe  hat  Grimm  nicht  übersetzen  können ;  auch  die  erste 
scheint  mehr  zu  bedeuten:  Wasser  ist  das,  welches  aus  der  Höhle  fällt;  da 
latikr  zugleich  der  Lauch,  die  saftreiche  Pflanze  ist,  so  scheint  die  Rune  f' 
einen  Springquell  anzudeuten.  Die  beiden  bezüglichen  Fürwörter  deuten  auf 
den  ausgestreckten  Arm,  der  auch  in  loki  »Verführer"  den  Begriff  giebt;  durch 
ur  schliesst  sich  ^  an  fl  an ;  fellur  und  fialli  haben  den  Grundbegriff  » schlagen. 


1 20  Erklärung  des  Runeiilie des  —  Mmlr  —  Yr, 

fiillen,  lödten,  verbergen* ;  sie  sind  der  Gegensatz  vom  aufsteigenden  Wasser. 
Wenn  fost  von  fostra  .ernähren*  kommt,  so  scheint  die  Verbindung  mit 
gull  ,6old'  anzudeuten,  dass  das  Wasser  das  Gold  enthält,  wie  auch  das 
Gold  zuerst  im  Sande  der  Flösse  gefunden  wurde,  doch  ist  dann  die  Verbin- 
dung mit  em  unklar,  welches  wohl  der  Adler  (isländisch  ari,  arin,  eni  mit  der 
Grundbedeutung  des  Schwebenden)  ist.  Naüi  dürfte  verwandt  sein  mit  nal 
»Niete*',  welches  in  dem  deutschen  Worte  ,  Schnalle*  mit  Doppel-/  vorkommt, 
ferner  mit  naeli  eine  Nadel  ohne  Öhr;  in  diesem  Falle  könnte  ncUU  das  Seiten- 
stück zur  ^-Rune,  und  zwar  der  Schlafdorn  sein. 
Madr  er  moldur  (moldar)  auki,  tmlcil  er  greip  d  hauki, 

Mensch  ist  Vermehrung  der  Erde,        gross  ist  die  Klaue  am  Habicht. 

Wir  finden  hier  dieselbe  Verbindung  von  Mensch  und  Erde,  wie  im 
Hebräischen  (i//am  »Mensch*  und  adanui  »Elrde*.  Die  Wurzel  ist  two/  »das 
Zusammentreffen*,  wie  denn  Y  wie  P/c  die  Vereinigung  der  Geschlechter  ist, 
daraus  entwickelt  sich  passiv  modir  (die  Einsaugende)  die  Mutter,  madr  der 
Zeugende,  der  Mann,  verwandt  damit  ist  deutsch  landschaftlich  madr  «der 
Hunger*,  isländisch  mala  « mahlen*,  melia  »zermalmen*,  mtdi  (der  Zermal- 
mende) »der  Mund*,  und  davon  die  Wörter  Mühle,  Mahl,  Gremahl,  vermälilen 
(sich  verbinden),  isländisch  mold  die  zermalmte  Erde ,  die  fruchtbare  Acker- 
erde und  das  deutsche  Mulde.  Mit  zeugen  hängt  auki  »Vermehrung*,  mikill 
» gross,  viel  *  zusammen,  mit  dem  Zeugungsgliede  greip  » die  Kralle,  der  Griff, 
die  Hand*;  äöwW  der  Habicht  kommt  von  »haben,  fassen*  her,  wie  denn 
hauka  im  Lappländischen  »der  Würger*  bedeutet,  worauf  auch  greip  »Kralle" 
hindeutet.  Im  Ägyptischen  ist  5|{?  r/,  der  hebräische  ma^r  »Greist*  der 
Vogel  Rock  oder  Greif  der  orientalischen  Sagen,  als  %^  hrb  ist  er  die 
Harpye,  als  V^  a  der  Horus  (hebräisch  or  Licht),  als  %  mr  ist  er  die  fxslpa, 
der  Todesvogel,  als  jjk  mr,mt,nr,kt ^Ge'ieTj  Mutter,  Mensch".  Wir  finden  hier 
denselben  Gedankengang  in  den  Hieroglyphen  wie  in  Islands  Wortstämmen. 
Yr  er  urtur  grünst  vida,  vant  er  thar  er  hrenner  at  svida. 

Bogen wo  es  brennt,  pflegt  es  zu  schmerzen. 

Die  erste  Strophe  hat  Grimm  nicht  übersetzen  können,  auch  die 
Bedeutung  »Bogen*  dürfte  hier  kaum  am  Platze  sein.  IV  ist  jedenfalls  soviel 
wie  ur,  wie  im  Isländischen  tir,  ifria,  ynnger  »Thau,  Funke*  bedeuten,  daher 
bezieht  sich  Bogen  auf  H,  nicht  auf  A.  welches  eher  ein  Pfeil  ist,  das  Hervor- 
gehende, wie  Thau  und  Funke.  Wenn  Wir  erwägen,  dass  vida  »Holz  fallen* 


Biegung  des  Ausdruck^s.  1  ^  1 

bedeutet,  womit  pränst  »grünst*  übereinsümmt .  dass  urtur  vielleicht  mit 
huroir  .Thörllügel*  und  vratr  ,  verwundet  •  ver^'andt  ist,  so  würde  yr  sich 
als  Wunde  des  gefällten  grünsten  Holze?  darstellen  und  somit  den  Kien 
bedeuten,  der  aus  den  verletzten  Tannen  fliesst,  vant  er  thar  er  bretwer  at 
svida  heisst  wohl  genauer,  ,es  ist  nöthig,  dass  es  brennt,  um  zu  heilen*,  denn 
svid  ist  der  Zauberkreis  und  hängt  mit  unserm  „ge-sund*  zusammen;  wahr- 
scheinlich wurde  Kien  gebraucht,  um  eiternde  Wunden  zu  heilen,  worauf  auch 
der  Name  Klen=:  Kaun  (Eiterbeule)  hindeutet. 

Ich  beschränke  mich  darauf,  hier  die  Wege  angedeutet  zu  haben ;  mögen 
Andere  mit  mehr  Wissen  diese  Wege  weiter  verfolgen ,  man  wird  jedenfalls 
zu  dem  Schlüsse  kommen,  dass  sämmtliche  Worte  eines  Verses  auch  mit 
denselben  Anfangsbuchstaben  vorkommen,  wie  z.  B. 
Kauii  er  heygia       borna,  bSl      yiorir  near         folvarna 

sein      beiderlei  Kinder  Beule  Leiche  den  Vollkräfligsten 

qn'kr     kina  kynd  kaun  krufa         krae/r 

Leben  Kluft         Nachkomme,  Beule  begraben  kräftig 

oder  Naiul  yiorir  napa    kosii,    naktun    kiälir         i  frösii 

macht  Kost  friert^s      im  Frost 

nepina  nautr  nicka  nordr 

unternehmen  Genuss  nicken  (schütteln)  Norden. 

Eis  sind  somit  absichtlich  anders  lautende  Wörter  genommen  worden, 
am  durch  diese  Sprachbiegung  die  Sprache  auszubilden  und  einen  Rcichthum 
an  Ausdrücken  zu  erzeugen.  Einen  gleichen  Vorgang  sehen  wir  in  den  Psal- 
men, wo  durch  fortwährende  Wiederholung  des  Gedankens  in  anderen  Worten 
der  Reirhthum  des  Ausdrucks  geschaffen  wurde.  Diese  Verse  führen  uns 
somit  in  die  Werkstätte  der  Sprachbildner  und  verdienen  deshalb  die  grösste 
Beachtung. 

ZEICHENNAMEN. 

Wir  haben  In  der  vorstehenden  Entwicklung  des  Runen-Fnthorks  von 
x^ei  auf  sechzehn  Zeichen  die  unzweifelhafte  Thatsache  nachgewiesen,  dass 
die  Bedeutung  der  Zeichen  gewechselt  hat,  dass  Zeichen  des  Nordens  zu 
Zeichen  des  Südens,  Zeichen  der  Hitze  zu  Zeichen  der  Kälte  wurden:  wir 
haben  auch  nachgewiesen,  dass  eine  solche  Umwandlung  möglich  war  zufolge 


1^2  Unklarheit  der  BegrifTszeichen. 

dem  jedem  BegrifTe  innewohnenden  Doppelsinne,  je  naclidem  derselbe  als 
activ  oder  passiv  aufgefasst  wird;  wir  wollen  diese  Thatsachen  nun  benutzen, 
um  Licht  auf  eine  grosse  Unklarheit  zu  werfen,  welche  die  Alphabete  sowohl 
in  Bezug  auf  die  Zeichen,  als  auch  bezüglich  ihrer  Benennung  aufweisen. 

Was  zunächst  die  Gestalt  der  Zeichen  betrifft,  so  erklärt  die  verschie- 
dene Bedeutung,  welche  denselben  beigelegt  wurde,  den  Mangel  jeglicher 
Individualisirung,  sie  waren  eben  runa  .Geheimniss*,  sie  konnten  keine  Bilder 
bestimmter  Gegenstände  sein,  weil  die  Allgemeinheit  ihrer  Bedeutung  diess 
nicht  zuliess,  weil  der  Deutung,  der  Prophezeiung,  welche  mit  die^^pn  Zeichen 
verknüpft  war^  die  Hände  gebunden  worden  wären.  Aber,  selbst  abgesehen 
von  diesen  speciell  priesterlichen  Gründen,  waren  die  Zeichen  Grundlagen 
der  Sprache,  Wurzein  der  Begriffe.  Je  älter  die  Zeichen  waren,  desto  viel- 
deutiger waren  sie;  die  jüngeren  Zeichen  waren  schon  mehr  individualisirt ; 
wäre  man  auf  diesem  Wege  fortgeschritten,  so  wäre  man  zu  der  reinen  Bilder- 
schrift gekommen ,  wie  sie  in  Mexico  ihre  vollste  Ausbildung  erhalten  hat, 
die  aber  an  die  darstellende  Hand  die  grössten  Anforderungen  gestellt  hätte 
und  doch  nicht  dem  Fluge  der  Phantasie  folgen  konnte,  welche  die  Sprache 
aufbaute,  der  Phantasie,  welche  gerade  um  so  grossem  Spielraum  hat,  je 
weniger  sie  vom  Wissen  und  von  der  Logik  eingeschränkt  Ist.  Wir  können 
diess  an  unseren  Träumen  noch  bemerken ;  während  jener  Theil  der  Gehim- 
nerven  ruht,  welche  durch  Wissen  und  Beobachten  geübt,  die  Eindrücke, 
welche  wir  durch  die  Augen  und  Ohren  empfmden,  regeln,  fuhren  die  nur 
durch  äussere  Eindrücke  erregten  Nerven  ein  buntes  Spiel,  welches  sich  über 
alle  Schranken  des  Raumes  und  der  Zeit  hinaussetzt  und  die  Elreignisse 
kaleidoskopisch  durcheinander  führt.  Dieselben  Erscheinungen,  welche  der 
vernünftige  Mann  nur  im  Traume  empfindet,  behen'schen  den  Irrsinnigen 
ohne  Unterlass,  sie  äussern  sich  bei  dem  Berauschten  und  sie  bilden  den 
Inhalt  der  Kinder-  und  Jünglingsträume;  dieselbe  zügellose  Phantasie 
beherrscht  den  Wilden,  und  sie  war  es  auch,  welche  im  Alterthume  den  Luft- 
raum, die  Erde,  das  Wasser  und  die  Unterwelt  mit  Göttern  bevölkerte. 

In  diese  phantastischen  Gebilde,  welche  noch  im  Fetischismus  fort- 
wuchern, trat  zuerst  regelnd  die  Zahl  ein,  wie  noch  jetzt  die  Mathematik  die 
genaueste  aller  menschlichen  Wissenschaften  ist.  Wenn  die  Pythagoräer  den 
Ursprung  aller  Dinge  in  den  Zahlen  suchten,  so  war  diess  kein  Himgespinnst, 
sondern  die  Verfolgung  einer  uralten  Überlieferung;  auch  wir  haben  ja  in  den 


Individualisirunsr  des  BegrifTes  durch  die  Zahl  1^3 

vorigen  Abschnitten  klar  erkannt,  dass  die  menschlichen  Begriffe  mit  dem 
Zählen  entstanden  sind  und  sich  mit  den  Zahlen  fortgebildet  haben ;  wir  haben 
gesehen,  wie  die  geraden  Zahlen,  welche  nach  Pythagoras  unbegrenzt  und 
unvollkommen  sind,  weibliche  Begriffe  darstellten,  welche  fortwährend  auf 
die  Vielheit  deuteten ,  aber  die  genaue  Unterscheidung  hinderten ,  während 
die  ungeraden  Zahlen,  welche  nach  Pythagoras  begrenzt  und  vollkommen 
sind,  männliche  Begriffe  enthielten  und  individualisirtsn.  Erst  mit  der  Thei- 
lung  der  Zwei  in  die  Einheiten  war  die  Unterscheidung  gegeben,  und  im 
Hebräischen  ist  T  yad  »die  Hand*  eng  verwandt  mit  pt  yadd  »erkennen*, 
die  Einheit  zeugte  mit  der  Zwei  die  Dreiheit,  wie  Vater  und  Mutter  das  Kind, 
und  fortan  fahrte  die  Eins  immer  um  eine  Stufe  höher  hinauf,  während  die 
Zwei  sich  sofort  in  die  Vier,  d.  i.  Viel  verwandelte.  Wenn  die  Erkenntniss 
weitere  Stufen  erklomm,  so  war  diess  nur  möglich  durch  die  Verbindung 
der  Begriffe  mit  den  Zahlen.  Wohl  hat  die  Hand  fünf  Finger,  aber  diese  fünf 
Finger  sind  eine  verwirrende  Vielheit  für  Denjenigen,  der  nicht  jeden  einzelnen 
Finger  mit  einem  Namen  benennt,  und  es  giebt  ja  ein  altes  Einderspiel, 
welches  diess  lehrt.  Wenn  wir  eine  grössere  Anzahl  von  Bäumen  sehen,  so 
zählen  wir  sie  nicht,  sondern  sagen,  es  sei  ein  Wald,  oder  wenn  sie  in  Reihe 
stehen,  eine  Allee;  ebensowenig  fallt  es  uns  ein,  jede  Reihe  von  Stäben  zu 
zählen ,  wir  fassen  sie  nur  als  Gesammtheit  auf  und  sagen :  ein  Zaun  oder 
ein  Gitter.  Noch  viel  weniger  fällt  es  dem  wenig  denkenden,  gleichgiltigen 
Wilden  ein,  zu  zählen,  zu  unterscheiden,  er  wird  auf  der  untersten  Stufe  wie  das 
Kind  Alles  zum  Munde  führen,  ob  es  essbar  sei  oder  nicht,  gerade  so  wie  der 
Affe  alle  Gegenstände  beriecht  und  sie  entweder  frisst  oder  wegwirft.  Bezeich- 
nend ist  ^,  die  hieratische  Form  von  ^^,  der  erste  Buchstabe  des  hebräi- 
schen Alphabets,  und  unsere  Rune  P  scheint  ja  dasselbe  zu  bedeuten. 

Hieraus  folgt,  dass  die  Zählungsmethode  nach  Strichen,  wie  bei  den 
Ägyptern  und  Babyloniem,  oder  nach  Nullen,  wie  bei  den  Mexicanern,  bereits 
eine  hohe  Stufe  der  Unterscheidung  voraussetzte,  sie  setzte  Zahlwörter  voraus, 
von  denen  der  Begriff  bereits  losgelöst  war,  daher  sind  alle  Methoden  älter, 
in  denen  Zahlbegriff  und  Zeichen  noch  innig  verbunden  sind ,  wie  bei  den 
Hünen,  dem  hebräischen  Alphabet,  bei  den  Indem  und  Chinesen,  welche  nur 
Sirichbilder  von  eins  bis  drei  hatten  oder  noch  haben.  Hieraus  folgt  ferner, 
dass  die  Zahlwörter,  deren  wir  uns  bedienen,  sofern  sie  nicht  mit  den  Namen 
der  Buchstaben  übereinstimmen,  jüngere  Namen  sind,  welche  die  alten  Namen 


1 24  Individualisirung  der  BegrifTe  durch  Namen. 

verdrängten,  die  eog  mit  den  Begriffszeichen  verknüpft  waren,  oder  vielmehr, 
die  ursprüngliche  Einheit  der  Begriffe  wurde  getrennt,  weil  der  Begriff  ver- 
schiedene Verwendung  erfuhr.  Wir  erkennen  diess  an  den  Zeitzeichen,  wii 
haben  die  Zahlen  eins,  zwei,  drei  u.  s.  w.  als  Namen  der  Jahre,  andere  wie 
Januar,  Februar,  März  u.  s.  w.  als  Zahlen  der  Monate,  andere  wie  Sonntag. 
Montag,  Dienstag  u.  s.  w.  als  Zahlen  der  Tage.  Die  Römer  zählten  mit  Aus- 
nahme der  ersten  vier  ihre  Monate  in  Zahlen:  Quintilis,  Sextilis,  Septem-ber, 
Ocio-her,  Novenv'her,  Decem-ber;  die  Juden  sollen  vor  dem  Exil  keine  Monats- 
namen gehabt  haben,  sie  haben  noch  jetzt  keine  Wochentage,  wenn  nicht  die 
Buchstabennamen  Aleph,  Beth,  Gimel  u.  s.  w.  als  Zahlen  der  Tage  gelten. 

Nun  war  es  ganz  natürlich,  dass  eine  heillose  Begriffsver^virrung  ent- 
stehen musste,  wenn  man  nicht  wusste,  ob  ein  Wort  eine  Zahl  oder  einen 
Gegenstand  bedeutete;  wie  man  also  die  Begriffe  durch  Lautbiegungen  und 
Zusammensetzungen  individualisirte,  aus  legen :  liegen,  aus  geben :  gab,  gieb, 
Gift  bildete,  oder  schwimmen,  schwamm,  geschwonmien ,  so  musste  man 
auch  durch  Lautbiegung  die  Zahlen  von  den  Begriffen  unterscheiden. 

Hieraus  erklärt  sich,  warum  wir  die  Buchstabennamen  meist  vergebens 
in  einem  Lexikon  oder  im  lebendigen  Wortschatze  der  Begriffe  suchen. 
Die  hebräische  Sprache  hat  wohl  die  Begriffe  alaph  »sich  gewöhnen,  lernen*, 
eleph  »Rind,  tausend",  aluph  »gewöhnt,  Freund,  Rind,  Familienhaupt',  aber 
der  Begriff  aleph  ist  aus  der  lebendigen  Sprache  verschwunden,  er  ist  blos 
Name  des  Zeichens  i«  und  des  ersten  Wochentages,  respective  der  Laut  a, 
es  scheint  sogar  »'  eleph  »tausend*  lautlich  unterschieden  worden  zu  sein. 
Ebenso  kennt  die  hebräische  Sprache  keinen  Begriff,  beth ,  sondern  nur  baith 
»Haus*,  bath  »Tochter*;  sie  kennt  kein  gimel,  sondern  nur gamal  »Jemandem 
etwas  erzeigen*,  gemul  »Vergeltung*,  ganuil  »Kameel";  sie  kennt  kein  (fa/^//i^ 
sondern  nur  deleih  »Thür*,  he  ist  wohl  vorhanden,  aber  nur  als  Formwort 
genau  wie  unser  lief  »siehe*,  und  wenn  wirklich  ein  Buchstabenname  mit 
einem  Begriffsworte  übereinstimmt  wie  nun  »Fisch,  Nachkomme*,  so  folgt 
daraus  durchaus  nicht,  dass  das  Zeichen  H  wirklich  ein  Fisch  oder  ein  Nach- 
komme sei,  denn  so  gut  wie  aluph  ausser  »Rind*  und  »gewöhnt*  auch 
»Freund*  und  »Familienhaupt*  bedeutet,  so  kann  auch  neben  »Fisch*  und 
»Nachkomme*  ein  dritter  Begriff  existirt  haben,  welchen  das  Zeichen  H  vertrat. 

Hieraus  folgt,  dass  das  Fehlen  entsprechender  Begriffe  für  die  grie- 
chischen Zeichennaraen'  in  der  griechischen  Sprache   durchaus  noch  nicht 


?Jamen  sind  abgestorbene  Begriffs^vörler.  125 

bedingt,  dass  diese  Namen  einfach  von  den  PhÖnikiern  entlehnt  und  der 
griechischen  Zunge  angepasst  seien.  Der  Name  Sigma  ist  im  phönikischen 
Alphabete  nicht  enthalten,  sein  Begriff  aber  im  hebräischen  nQDV  Sikhma 
.Schulter*,  womil  die  Formen  M  M  ^  übereinstimmen,  welche  im  phöniki- 
schen Alphabete  wohl  als  \^  Sin,  aber  mit  veränderter  Gestalt  und  verän- 
dertem Worte  vorkonwnen.  Auch  ist  A  etwas  Anderes  als  ^,  B  etwas  Anderes 
als  ^  u.  s.  w.,  und  es  fehlt  nicht  an  griechischen  Begriffs  Wörtern ,  welche 
mit  den  Namen  verwandt  sind,  wie  alphano  , erfinden,  einbringen",  alphiton 
9 Mehl,  Brod,  Lebensunterhalt*,  alpliestes  »Erfinder*,  hathys  «tief,  hoch,  reich- 
lich, dicht,  hoch  bewachsen*,  womit  CD ,  welches  sowohl  ,Berg*  wie  »Thal* 
ist,  vollkommen  übereinstimmt,  Gamma  V  lehnt  sich  an  gameo  „ich  heirathe* 
als  Verbindung  an,  Delta  an  diladi  »offenbar*,  deltos  »Tafel*  (die  weiss  über- 
zogene), dolos  »Feuerbrand*,  deile  »Mittagszeit*  u.  s.  w. 

Damit  soll  nicht  der  orientalische  Ursprung  des  Alphabets  bestritten 
werden,  denn  wir  haben  schon  bei  der  achttheiligen  Windrose  local-phöni- 
kische  Verhältnisse  erkannt,  wohl  aber,  dass  die  Griechen  die  Schrift  erst 
von  den  Phönikiem  erhalten  hätten.  Was  die  Griechen  erhielten,  war  ein 
neues  System,  eine  neue  Eintheilung  der  Zeit,  jedenfalls  zugleich  mit  einer 
ganzen  Priesterschaft,  welche  ihre  Heimat  verlassen  hatte  und  sich  in  Europa, 
nicht  blos  in  Griechenland,  ausbreitete. 

Waren  aber  die  Namen  ausser  Curs  gesetzte  Begriffswörter,  so  müssen 
sie  älter  sein  als  die  vorhandenen  Begriffe,  denn  sie  stützten  sich  unmittelbar 
auf  das  Zeichen ,  während  die  anderen  nur  mittelbar  sich  auf  das  Zeichen 
«tatzen.  Wenn  z.  B.  fe  »Geld,  Vieh*  bedeutet,  P  aber  weder  ein  Geldstück, 
noch  ein  Viehporträt  ist,  so  muss  fe  ursprünglich  etwas  bedeutet  haben,  was 
den  BogrifTen  »Vieh*  und  »Geld*  zu  Grunde  liegt,  das  ist  das  Zwiefältige, 
das  »Hin  und  her*  als  Begriff  des  Bewegens  und  Lebens,  der  im  Begriffe 
.Vieh*  liegt,  und  das  Zwiofältige  als  Tausch,  der  dem  Begriffe  des  Geldes 
zu  Grunde  liegt;  dass  trotzdem  die  Rune/e  die  erste  ist,  kann  nicht  befrem- 
den, da  ja  auch  «eins*  in  »einigen*  die  Vielheit  zur  Voraussetzung,  in  »in* 
eine  Umgebung  (ägyptisch  jf  m  am  die  Eule  als  Nacht  bedeutet  auch  den 
Wind  und  den  Winter)  hat  und,  wie  oben  benierkt  wurde,  der  Begriff  der 
Einheit  erst  aus  derZweiheit  erkannt  werden  konnte;  ebenso  war  ur  ursprüng- 
\\c\\  der  Himmelsbogen,  die  Nacht,  woraus  die  Begriffe  «r  »vormals*  und  ur 
,Thau*  hervorgingen.    Daher  ist  bei  allen  Namen  der  Begriff  eine  unbekannte 


1  !26     Vermehrung  der  Wörter  und  Zeichen  durch  fortschreitende  Erkenntniss. 

Grösse,  welche  nur  aus  der  Vergleichung  des  Zeichens  mit  dem  Namen  und 
den  lautverwandten  Begriffen    erschlossen  werden  kann. 

Nun  entsteht  die  Frage:  wenn  die  Namen  so  alt  waren,  warum  sind 
sie  nicht  einfach,  warum  sind  sie  so  complicirt?  Wir  haben  schon  bei  dem 
Runen-Futhörk  darauf  hingewiesen,  dass  die  Laute,  aus  denen  die  Namen 
zusammengesetzt  sind,  in  einem  ursächlichen  Zusammenhange  mit  einander 
stehen,  welcher  sich  auf  die  Form  des  Zeichens  gründet  Wir  haben  femer 
bei  der  Entwicklung  der  einzelnen  Zeichen  gesehen,  dass  dieselben  sich  in 
einem  engen  Kreise  durch  Differenzirung  entwickelten,  dass  z.  B.  aus  I  i"  % 
r  y|  ^  +  P  Y  ♦  entstanden  sind ;  unzweifelhaft  war  I  die  erste  Rune  f,  ihre 
spätere  Entwicklung  +  =  P,  so  dass  also/-A=/i  die  Zeugung,  f  das  Erzeug- 
niss  bildeten,  ebenso  war  H  ursprunglich  A,  woraus  A  wurde,  in  ^  nahm  sie 
aber  das  ^  auf  r-d;  je  grösser  der  Kreis  der  Runen  wurde,  desto  mehr  musste 
die  Individualisirung  sich  ausdrücken,  und  I  ia,  ursprünglich  »Eis*,  musste  die 
.Hitze"  werden,  da  P  das  »Wehen*  besser  ausdrückte. 

Das  Gleiche  finden  wir  bei  den  Hieroglyphen.  Hier  war  der  Vogel  das 
Element  der  Luft  neben  dem  Baume  oder  dem  Schilfe,  aus  dem  letztem 
I  entwickelte  sich  das  Messer  ^^  1,  die  Ähre  S,  das  Reis  ]  1  0  und  die 

Lautwerthe  I  a^  S  o^^  bti,  w  (^s,  y  s,  \  su,  i  rpj  sp,  tr  u.  s.  w. ;  aus  dem 
Vogel  JK  p  entwickelten  sich  die  Lautzeichen  1^  ^'  %  ^'  ib  ^'  ^h  ^' 
^fc  dz,  '^^  h  oder  die  hieratischen  Zeichen  2L  ^^  ^=4  **'  5  *"'  ^  *' 
^  (JU,  ^  h;  dann  aus  Ik  der  Sperber  ^L  ,  IW^  wahrscheinlich  der  Hahn, 
da  nh,  ti  .preisen,  anmfen'  bedeutet  und  nach  morgenländischer  Anschauung 
der  Hahn  der  Priester  unter  den  Vögehi  ist,  der  die  Morgenröthe  verkündigt 
und  die  Gläubigen  zum  Gebete  ruft;  aus  m  entstand  '^^  ur,  Sra  der  kleine 
Vogel  mit  den  Begriffen  «zahlreich,  schlecht'  und  .klein',  aus  HL  entstand 
m^  mr  .sterben",  aus^M^  entstand  ^y  Ann  .finden,  roth*  u.  s.  w.  (So  weit 
die  ägyptischen  Hieroglyphen  Laut-  und  Sylbenzeichen  sind,  entbehren  sie 
jeder  Individualität,  es  sind  symbolische  Darstellungen  von  Begriffen;  erst 
als  Determinativzeichen  werden  sie  individualisirt,  dann  aber  sind  sie  keine 
Schriflzeichen  mehr,  sondern  illustrirende  Bilder  der  Wörter.)  Aus  I  ent- 
wickelten sich  ferner  .a^—i  und  ^»^  .das  Hervorragende,  Vorgestreckte,  die 
Hand  und  der  Arm",  ersteres  mit  dem  Lautwerthe  a,  letzteres  mit  dem  Laut- 
werttie  d;  aus  j^-^  entstand  o»^  sp,  mh,  rinn,  nn  .messen,  Schwert,  tragen. 


Die  Zeichen  als  Hilfsmittel  der  Etymologie.  127 


Elle,  zeigen*,  ferner  A-J  i^^  is^  \^^  ^  ^  ^^^  wobei  andere  Hieroglyphen 
den  Begriff  der  Hand  specialisiren. 

Durch  diese  Specialisirung  sind  die  ägyptischen  Hieroglyphen  werth- 
volle  Hilfsmittel  der  Etymologie  geworden;  so  entspricht  1^  dem  hebräischen 
TJit  or  »Licht*  (als  Horus),  »Blitz*  (als  blitztragender  Adler  des  Zeus),  ni«  oth 
«Zeichen,  Feldzeichen*  (der  Adler  als  Standarte),  »Wahrzeichen"  (Deutung 
des  Vogelflugs),  »Himmelszeichen*,  hieran  knüpfen  sich  dv  yow  »Tag*,  ?«  os 
»Zeit*,  an  das  Geschrei  des  Adlers  n»«  mjah  »Geier,  Habicht*  ^^^«  ayay 
»ächzen,  heulen,  glühen,  brennen*  (Horus  als  Licht),  m«  acoÄ  »schreien, 
heulen  *  (vom  Himmelszeichen) » bezeichnen  * ,  (als  Taube  aufgefasst) » Verlangen 
haben,  neigen,  beugen*,  wobei  übrigens  auch  der  Ibis  mit  hineinspielt.  Die 
Verwandtschaft  von  Vk  und  1  erklärt  die  Verwandtschaft  von  xrm  arah 
»Licht*  und  mm«  oroth  »Kräuter,  Gemüse*  (das  junge  Grün),  die  Verwandt- 
schaft von  m^und  j^.^  erklärt  «M  i  »Geschrei, Geheul*  und  *m  t  ,Land*  («tf»« 
t=z terra  Thorr),  ♦«  €  »wo*  und  *«  i  »nicht*  (die  leere  oder  abwärts  gebeugte 
Hand).  Diese  wenigen  Beispiele  dürften  hinreichen,  zu  beweisen,  dass  in  den 
dunklen  Fragen  der  Etymologie,  wo  der  Forscher  fortwährend  auf  verblüffende 
Lautverwandtschaften  stösst,  die  Zeichenkunde  der  beste  Ariadnefaden  ist  und 
aller  Fleiss  bisher  auf  diesem  Gebiete  wenig  zu  Tage  fördern  konnte,  weil  man 
die  Zeichenkunde  ganz  beiseite  liess. 

In  gleicher  Weise  ist  die  Beobachtung  der  Entwicklung  der  chinesischen 
Schrift  lehrreich,  da  diese  gerade  den  Gegensatz  zur  Entwicklung  von  Schrift 
und  Sprache  im  Westen  liefert;  während  im  Westen  die  Zeichen  auf  eine 
kleine  Anzahl  beschränkt  blieben,  dagegen  sich  die  Sylben  mehrten,  ist  in 
China  die  Sprache  zurückgeblieben  und  haben  sich  die  Zeichen  vermehrt ;  der 
Chinese  verliess  sich  beim  Sprechen  auf  die  Geste,  welche  er  durch  Modula- 
tionen der  Stimme  unterstützte ,  beim  Schreiben  fügte  er  dem  an  sich  viel- 
deutigen Zeichen  Ergänzungen  theils  lautlicher,  thcils  begrifflicher  Natur  bei, 
und  so  entstand  der  Reichthum  der  chinesischen  Zeichen.  Hier  bemerken 
^0^ir  nur,  dass  aus  dem  angegebenen  Grunde  statt  einfacher  Begriffe  compli- 
cirte  geschaffen  wurden,  während  die  Grundzeichen  an  einem  Grundbegriffe 
hängen  blieben.  Wie  bei  uns  aus  os  »Mündung*  (runisch  us)  der  Begriff 
ut  «aus*  und  esse  »sein,  leben*  entstand,  so  war  ^  tse  ursprünglich  eine 
Öffnung,  die  Nase;  jetzt  bedeutet  es  nur  mehr  »selbst,  von,  aus*,  für  Nase 
hingegen  wurde  ein  ausführlicheres  Zeichen  jS  gebildet,   dessen  oberster 


\2S  Begriffswörter  mumificireu  sieb  in  Nameu  und  Partikeln. 

Theil  der  Grundlheil  ist,   während  die   übrigen    mit    dem    Lautwerlhe  pi 
zusammenhängen. 

Femer  kann  man  in  der  chinesischen  Schrift  die  Umwandlung  der 
Begriffe  in  Namen  und  Form  Wörter  beobachten,  die  zweifelsohne  auch  im 
Alterthume  bei  den  westlichen  Sprachen  stattfand.  In  China  ist  es  Brauch, 
tmd  wohl  kein  neuer,  dass  das  Zeichen,  welches  den  Namen  eines  neuen 
Kaisers  bildet,  sofort  aus  der  Reihe  der  Begriffs  Wörter  entfernt  wird,  indem 
das  Begriffswort  in  irgend  einer  Weise  verändert  wird.  Angesichts  dieser 
Thalsache  begreift  man  die  Schwierigkeit,  welche  die  Erklärung  der  mytho- 
logischen und  biblischen  Namen  bietet;  dass  die  letzteren  Namen  früher 
ebenfalls  Begriffswörter  waren,  ergiebt  sich  aus  den  etymologischen  Versuchen 
zur  Erklärung  derselben,  von  denen  die  Genesis  wimmelt;  aber  schon  Den- 
jenigen, welche  diese  alten  Traditionen  niederschrieben,  waren  die  Begriffe 
nicht  mehr  klar  und  sind  ihre  Erklärungen  mit  Vorsicht  aufzunehmen,  da  sie 
nur  den  heimischen  Sprachschatz  zur  Verfügung  hatten  und  dieser  zur  Erklä- 
rung solcher,  man  möchte  fast  sagen:  antediluvianischer  Namen  nicht  aus- 
reicht. Ein  sprechendes  Beispiel  hefert  die  Erklärung  der  Namen  der  Sohne 
Jakob's,  bei  denen  die  Erklärung  bei  der  Geburt  wenig  mit  derjenigen  über- 
einstimmt, die  der  Segen  enthtllt.  Zu  dieser  Kategorie  von  Namen  gehören 
aber  in  erster  Linie  die  Zeichennamen,  wie  wir  noch  später  erkennen  werden. 

Wenn  ferner  die  Chinesen  aus  '^  tsi,  ursprünglich  ein  Keim,  den 
Genitiv,  das  Fürwort  der  dritten  Person  u.  s.  w.  mit  völligem  Aufgeben  des 
Grundbegriffes  gebildet  haben,  so  entspricht  diess  ganz  unserm  Genitiv-s^ 
welches  den  Begriff  »aus*  enthielt  und  sich  in  der  englischen  Sprache  als 
sächsischer  Genitiv  nur  bei  Personen  erhalten  hat;  IM  t,  als  Substantiv 
, Ursache*,  ist  Partikel  des  Dativs  geworden,  wie  unser  m  (ägyptisch  IPi  am 
„Faust,  fassen*,  als  ,Hand,  Ort*), ^F 50,  ursprünglich  „Ort*,  bedeutet  ,wo, 
wohin,  woran,  woher"  u.  s.  w. ;  ebenso  ist  im  Ägyptischen  ^nu  der  Genitiv, 
■  pa,  das  griechische  ttuv  > alles*,  männlicher  Artikel,  ^  t,  ein  Erdhaufe, 
weiblicher  Artikel,  wie  das  hebräische  n,  |  a  ist  die  Einzahl,  auch  die  Wesen- 
heit, Eigenschaft,  daher  zum  Zeichen  der  Siglen  oder  Begriffszeichen  gebraucht, 
ähnlich  wie  es  im  hebräischen  n'  und  im  griechischen  a  als  Zeichen  vor- 
kommt, dass  der  Buchstabe  eine  Zahl  ist,  also  1 ;  «^  t  ist  der  Dual,  1  u  ist  der 
Plural,  das  hebräische  c  wobei  also  u  und  im  lautlich  verschoben  wurden: 
^^  r,  die  Höhle,  ist  ,aus*  u.  s.  w. 


Unklarheit  der  Begriffswörter.  1  "29 

Gehen  wir  nun  zu  den  Begriffswörtem  selbst  über,  so  finden  wir  Wurzeln, 
welche  durch  die  Formbuchstaben  (Ablaut)  oder  die  Flexionen  zu  Substan- 
tiven,  Adjectiven  und  Verben  gebildet  sind,  aber  die  meisten  derselben  sind 
uns  bezüglich  ihrer  Abstammung  ebenso  unklar  als  die  Partikeln ;  die  Begriffe, 
welche  sie  darstellen,  sind  insolange  conventionell,  als  ihre  Wurzeln  und  ihre 
Entstehung  nicht  klar  erkannt  sind.  Daher  können  über  das ,  was  „  lieben  * 
bedeutet,  die  Meinungen  sehr  auseinander  gehen;  der  Begriff",  Gott*  ist  solange 
unklar,  als  die  Wurzel  nicht  positiv  nachgewiesen  ist,  es  ist  sogar  möglich, 
dass  bei  der  Übernahme  solcher  Wörter  die  Anwendung  eine  ganz  schiefe 
sein  konnte,  wie  z.  B.  das  französische  Sottise,  welches  eigentlich  „Dumm- 
heit* bedeutet,  in  Deutschland  gewöhnlich  im  Sinne  von  »Beleidigung"  an- 
gewendet wird,  oder  der  „General",  welches  Wort  den  obersten  Befehlshaber 
bedeutete,  dem  , Marschall"  an  Rang  nachsteht,  und  der  „König",  der 
vom  Göttergeschlecht  abstammte,  hinter  dem  „Kaiser",  dem  „Feldherrn'' 
zurücksteht. 

Unter  diesen  Umständen  ist  einerseits  den  Erklärungen  der  Namen  ein 
grosser  Spielraum  gegeben,  andererseits  aber  die  grösste  Vorsicht  geboten, 
da  die  Grundlage,  auf  welcher  die  Sprachvergleichung  beruhen  soll,  erst  durch 
die  Sprachvergleichung  geschaffen  werden  muss. 

In  dem  folgenden  Abschnitte,  welcher  die  deutschen  Runen  behandelt, 
ist  übrigens  der  Kreis  der  Vergleichung  erweitert,  denn  da  unzweifelhaft  die 
deutschen  Runen  in  der  Anordnung  mit  dem  phönikisch-hebräischen  Alphabet 
übereinstimmen,  so  muss  doch  offenbar  ein  dem  Zeichen  entsprechender 
Begriff,  wenn  er  unter  gleichem  oder  ähnlichem  Laute  in  der  deutschen  und 
der  verwandten  griechischen  oder  lateinischen  Sprache  nicht  vorkommt,  in 
der  hebräischen  vorhanden  sein,  in  der  Sprache  des  Landes,  von  welchem 
das  Abece  stammt.  Wenn  oben  (Seite  125)  gegen  die  Ableitung  der  Buch- 
stabennamen aus  der  hebräischen  Sprache  gesprochen  wurde,  so  richtete  sich 
diese  Polemik  nur  gegen  die  Ausschliesslichkeit  einer  solchen  Etymologie  u  nd 
gegen  den  Irrthum,  dass  die  griechischen  und  runischen  Zeichen  dieselben 
wie  die  phönikischen  Zeichen  der  entsprechenden  Laute,  somit  auch  die 
Buchstabennamen  verderbte  Formen  der  phönikischen  Namen  seien ;  ebenso 
wäre  es  irrig,  die  deutschen  Namen  nur  aus  den  orientalischen  Sprachen  zu 
erklären,  weü  das  Abece  dem  Orient  entstammt;  nur  mit  Ausgriffen  nach 
beiden  Seiten  hin  kann  das  Richtige  getroffen  werden. 

Paalmaan.  Geschichte  d.  Schrift  9 


130 


DIE  DEUTSCHEN  RUNEN. 

Die  Schriftzeichen,  welche  wir  dieser  Besprechung  zu  Grunde  legen, 
^vurden  zuerst  von  Hrahanus  Maurus  veröfTentlicht,  der  eine  lateinische 
Bemerkung  hinzufügte,  aus  welcher  hervorgeht,  dass  dieselben  für  ursprüng- 
lich deutsche  galten,  dass  sie  nur  von  Denjenigen  verwendet  wurden,  welche 
noch  dem  Heiden thum  ergeben  waren,  und  dass  damit  Gedichte,  Zauber- 
spruche und  Weissagungen  aufgezeichnet  wurden. 

Grimm  *^  hat  diese  und  mehrere  andere  aus  verschiedenen  Codices 
:Eusammengestellt,  ferner  ist  noch  das  Abece  einer  Munchener  Handschrift^^ 
in  Betracht  gezogen  worden,  welche  im  wesentlichen  mit  den  von  Grimm 
veröffentlichten  Qbereinslinimt  und  nur  in  den  Namen  einige  minderwesent- 
liche Änderungen  aufweist 

Diese  Runen  sind  verschieden  in  ihrer  Zahl  und  in  ihrer  Ordnung, 
welche  letztere  um  so  wichtiger  ist,  als  sie  verschiedene  Zeiten  abzutheilen 
scheint.  So  hat  der  Codex  Vindobonensis  64  fünf  Reihen,  von  denen  die 
erste,  dritte  und  vierte  je  fünf  Zeichen,  die  zweite  sechs  und  die  fünfte  zwei, 
offenbar  Schallzeichen,  enthalten,  nämlich: 
<J    J&.  asrh       I    f  p  fehc  m  lxI  man 

b      B  hirith     \    g  X  i/'^"  ''    iY    iioi 

c      V  chen       !    h  ^  hatjale        o    K:   othil 

%  J    /lis  p    J\  perch 

A-^  gilch  q    Xf    chon 

l  h     In  /r        I 


d    IXlthorn 


r  R  rehit 
s  y  suhil 
t  ^  iac 

arfh  helahe 


z  T  ziu 


Das  zweite  Abece  aus  demselben  Codex  hat  drei  Reihen  zu  je  sieben 
Zeichen  ohne  Namen: 

Iv  M  K 

B  1  n 

h.  F  y 

F  X  ^ 

Hier  steht  statt  der  zwei  Runen  für  q  und  r  nur  ein  Zeichen,  welches  der  Ur- 
Ruue  ähnlich,  aber  ausdrücklich  als  r  bezeichnet  ist. 


Deutsche  Runen. 


131 


Eiii  drittes  Abece,  dem  Codex  Vindoboiiensis  828  entnommen,  führt 
die  Runen  des  Codex  64  mit  denselben  Namen  und  Zeichen  auf,  hat  aber  in 
drei  Reihen  nur  1 5  Zeichen,  schliesst  daher  mit  petc  und  setzt  T  lagu  oben 
in  die  dritte  Reihe.  Ein  genau  entsprechendes  Abece  von  15  Zeichen  wurde 
von  Lazios*'  veröflFentHcht. 

Eine  Zusammenstellung,  welche  Hickes**  veröffentlichte,  entspricht  in 
der  Anordnung  wohl  ganz  dem  Abece  des  Hrabanus,  bietet  aber  mehrere 
Varianten.  Endlich  besteht  der  Codex  Sangallensis ,  sowie  das  Münchener 
Manuscript  Abece  aus  22  Zeichen  in  zwei  Reihen,  nämlich 

Cod.  Sang. 


Nl* 

M 

Münch.  Ag  cai 

•R 

man     H 

^ 

1^ 

heric 

B 

naet      \ 

h 

AM 

cen 

K 

08           M 

^P 

iTfi 

dai 

* 

N 

l^erd     G 

M 

^ 

eh 

M 

cen       K 

»> 

R 

feh 

P 

rat      K 

iÄ<t>Vi 

^»1 

gern 

X 

öil        M 

N 

tH 

heih 

36 

tir       t- 

1 

n 

is 

1 

ur       Vi 

1 

X 

her 

1» 

elcd     ^ 

h 

T 

layo 

r 

uijr   Arh 

Diese  Abecedarien  machen  in  ihrer  Ungleichheit  der  Zeichen  denselben 
Ejndiuck  wie  die  altgriechischen  Alphabete,  es  müssen  daher  die  einzelnen 
Volker  Deutschlands  eigene  Abecedarien  gehabt  haben,  welche  im  Grossen 
und  Ganzen  übereinstimmten,  in  Einzelheiten  abwichen.  Diese  Abweichungen, 
sofern  sie  verschiedenen  Zeichen  entsprechen,  beweisen  die  Identität  oder 
wenig:5lens  nahe  Verwandtschaft  der  Zeichen,  wenn  z.  B.  K.  als  a  vorkommt, 
während  es  gewöhnlich  o  ist,  so  ist  a:szOf  wenn  yC  als  g  und  n  vorkommt, 
so  ist  g=:n,  wenn  A  als  o  und  q  vorkommt,  so  ist  o=q,  wenn  rU  als  q  und 
jr  vorkommt,  q=ff,  und  wenn  T  als  /  auftritt,  f=kf  DO  als  m  und  d,  also 
m=:d^  wie  im  angelsächsischen  Futhork  unzweifelhaft  sich  darstellt;  endlich 
beweisen  die  beigeschriebenen  Buchstaben,  dass  q  =  d,  z  =  v  ist. 

Besonderi  augenfällig  ist  die  Ähnlichkeit  von  a,  b,  c  und  o,  p,  q;  es 
scheint,  ab  ob  an  die  ersten  13  Zeichen  eine  zw*eite  Reihenfolge  von  10 
Zeichen  angehäugt  wäre,  andererseits  scheinen  die  ersten  Runen  die  der 

9* 


132  Yergleichung  der  deutschen  und  nordischen  Runen. 

•iertheiligen  Ordnung  A  P"  1X1  R  zu  sein,  welche  den  vier  Jahreszeiten  vor- 
gesetzt sind,  diess  würde  der  nordischen  ^iertheiligen  Windrose  entsprechen: 
f  V  A 


A ' >^       aber  auch:        R i_ 

I 


SR  >^ 

denn  wenn  Tacitns  bchaiiplel,  die  Deutschen  hätten,  wie  die  Juden,  mit  dem 
Abend  zu  zählen  begonnen,  so  werden  wir  bei  der  Prüfung  der  Zeichen 
erkennen,  dass  die  ersten  Zeichen  auch  Nordrunen  waren  und  den  Jahres- 
anfang vertralen. 

Das  unvollständige  Alphabet  von  1 5  Zeichen  ist  den  Forschem,  welche 
sich  bisher  mit  diesen  Zeichen  beschäfLgt  haben,  unerklärlich  geblieben;  sie 
meinten,  es  sei  eine  zufällige  Un Vollständigkeit;  fasst  man  aber  die  Runen, 
wie  sie  es  unzweifelhaft  sind,  als  Zeitzeichen  auf,  so  ist  es  allerdings  denkbar, 
dass  ein  grosses  und  ein  kleines  Abece  existirte,  wie  das  Jahr  in  12  Monate 
und  in  52  Wochen  eingelheilt  wird,  oder  wie  der  Monat  in  4  Wochen  und 
30  Tage  getheill  wird.  Gerade  in  Deutschland  war  15  eine  Einheit,  das 
Mandel,  4  solcher  Mandel  bildeten  ein  Schock,  althochdeutsch  achoc,  sehoel; 
srhoij,  achoijk,  altsächsisch  scok,  wahrscheinlich  verwandt  mit  Kuoh  mittel- 
hochdeutsch 3f'ir(0ffc  .Schuh'  als  Mass ^Fuss.  Wurden  die  deutseben  Runen 
in  der  Weise  des  hebräischen  Alphabets  zum  Zählen  verwendet,  so  gaben 
die  Zeichen  von  ose  bis  gileh  die  Einheiten  von  1  — 10,  wobei  !K  eine  grosse 
ÄhnUchkeit  mit  der  römischen  X,  wie  M  mit  der  römischen  V  zeigt,  und 
gikh  Laulähnlichkeit  mit  dem  calctdua  oder  Rechenstein  hat;  wurden  dann  die 
folgenden  Zeichen  als  Zehner  behandelt,  so  war  l  20,  m  30,  n  40,  o  60, 
p  60  und  damit  die  erste  Potenz  erschöpft,  welche  in  der  Keilschrill  die  grosse 
Einheit  ^  bildet. 

Ohne  darauf  einzugehen,  ob  die  Marcomanni,  von  denen  diese  Runen 
luiTÜhren,  das  Volk  Merkurs,  verwandt  mit  demhebräischeni^sttM&it, König* 
und  mit  den  Amalckilern  (die  schöngesichtigen,  arabisch  dmhq  »von  schönem 
Angesicht")  ist,  so  muss  doch  darauf  hingewiesen  werden,  dass  das  marko- 
mannisehe  Abece  eine  ganz  andere  Anordnung  als  das  nordische  Fulhork 
^■4i  und  sich  sowohl  durch  die  mehrfach  auilretende  Siebenzahl,  durch  die 


Vergleichung  des  Alphabets  mit  dem  Abece. 


133 


22  Buchstaben  und  durch  die  Aufeinanderfolge  der  Zeichen  eng  an  das 
hebräische  anlehnt,  ohne  demselben  oder  den  verwandten  griechischen  und 
lateinischen  Ordnungen  ganz  zu  entsprechen,  also  immerhin  eine  originelle 
Anordnung  zeigend.  Man  vergleiche: 


Althebräisch 

Markomannisch 

Griechisch 

Römisch 

Jf^    aleph 

Jt   asch 

A  alpha 

A 

1   ba 

B    birith 

B  ^to 

B 

^     gitnd 

M    chen 

r  gamma 

C 

2\    daleth 

Od  iharn 

A  (/€/to 

D 

^    he 

■ 

M    eho 

E   epsilon 

E 

Y    vav             j 

V    fehc 

F  raw 

F 

Z   2^<'i 

H  gibu 

Z  ^e/a 

d 

^    cheih 

X    hagale 

H  e7a 

H 

'           ^  ttt 

G  thefa 

^  yod 

J    hia 

1   iV>/a 

1 

H    kapli 

%   gilch 

K  kapjm 

K 

U   lamed 

h    lagu 

y  A  lamMa 

L 

^  wem 

t>^  man 

M    »IM 

M 

'      Mtt« 

X    not 

N  m7 

N 

,           *    M»^/ 

!E  A*^' 

O    oin 

1        tv    oihil 

1 

0  otiu'h'OH 

0 

0    1^ 

1 

n  pi 

P 

1 

Y^  Uade 

T    q<>ph 

V    chon 

9  A*o/j»/>a 

i      Q 

A    rdf 

R    re/it< 

P  rho 

R 

\V   «r. 

V    suhiJ 

S   Wyf/ia 

s 

1           X    iha» 

t    toc 

T  tau 

T 

1 

T\   Äwr 

Y  tV/wf/o« 

V 

dl   hdahe 

^  j)At 

X 

1 

<P    Auv»i 

Xr. 

Y 

1 

1 

^    ziu 

Vi»» 

Z 

■ 

^^  omegn 

1 

1 

''>  satNjn 

134  Vergleichung  des  Alphabets  mit  dem  Abece. 

Diese  Gegenüberstellung  bietet  merkwürdige  Thatsachen :  zunächst  die 
Übereinstimmung  des  markomannischen  und  römischen  Abece  in  der  Anord- 
nung der  Laute,  dagegen  die  Übereinstimmung  der  griechischen  und  römischen 
Gestalt  der  Zeichen,  wobei  nur  der  Wechsel  zwischen  R  P  und  P  R  auffölU, 
ein  Wechsel,  der  sich  aus  dem  markomannischen  |\  hur,  ur  erklärt,  welches 
die  Laute  u=p  und  r  vereinigt.  Da  Hrabanus  bestimmt  sagt,  die  markoman- 
nischen Runen  seien  nur  von  Jenen  gebraucht  worden,  welche  dem  Heiden- 
thum  ergeben  waren,  so  ist  die  Einführung  durch  christliche  Priester  aus- 
geschlossen, wogegen  auch  die  Form  der  Zeichen  spricht;  es  bleibt  somit 
nur  die  Annahme  übrig,  dass  in  der  Vorzeit  Römer  und  Markomannen  des- 
selben Stammes  und  derselben  Religion  waren,  wie  auch  die  besondere 
Verehrung  des  Kriegsgottes  Mars  in  Rom  beweist,  dem  der  erste  Monat  im 
allen  zehnmonatlichen  Kalender  gewidmet  war.  Eine  historische  Reminiscenz 
bietet  Ascanius,  der  Sohn  des  Aneas,  der  Rom  gegründet  haben  soll,  sofern 
die  am  Rheine  gelegene  Asciburg  von  dem  gleichen  Stamme  gegründet  wurde. 
Ascanius  war  ein  See  und  ein  Fluss  in  Kleinasien  und  in  diese  Gegend  setzt 
die  Genesis  die  «3ü«  askenaz,  einen  Theil  der  Völker  von  Gomer  (Kyramerier), 
welche  auch  in  der  Krim  wohnten. 

Wenn  an  die  Stelle  des  hebräischen  z  das  g  trat,  so  erinnert  diess  an 
den  Wechsel,  der  bezüglich  des  X  im  Griechischen  und  Römischen  eintrat, 
indem  es  bei  dem  Einen  zu  ks,  bei  dem  Andern  zu  kh  wurde,  während  es  im 
Deutschen  h  vertritt;  vergleicht  man  aber  das  hebräische  Alphabet  mit  den 
nordischen  Runen,  so  findet  man,  dass  th  und  os'mg  und  d  übergingen,  oder 
einen  Wechsel  angenommen,  dass  +  os  zu  ^  gimel  wurde,  welches  im  Marko- 
mannischen \^  chen  ist;  ebenso  ist  der  Name  für  x:  helahe,  angelsächsisch  ioix 
und  calc,  gleich  eolJuc  4^  5K,  welches  die  deutsche  y-Rune  und  die  deutsche 
gilch'Rune  ist.  Alles  diess  ist  nur  ein  neuer  Beweis  der  Polyphonie  der  Zeichen, 
auf  welcher  der  Lautwechsel  beruht. 

Während  sich  so  das  markomannische  Abece  eng  an  das  hebräische 
anlehnt,  wobei  es  jedoch  die  der  deutschen  Zunge  fremden  Laute  1,  8,  s  ver- 
warf und  statt  derselben  u  x  y  z  anfügte,  schliesst  dasselbe  sich  eng  an  die 
deutsche  Sprache  an,  zumal  wenn  o,  angelsächsisch  a?,  für  ö  anzunehmen  ist, 
denn  y  hat  sich  im  Deutschen  als  wf=tt  erhalten;  weniger  stimmt  das  römische 
Abece  mit  der  römischen  Sprache  überein,  da  A;  y  c  der  lateinischen  Sprache 
fremd  sind.  Man  hat  diess  dadurch  erklären  wollen,  dass  diese  Zeichen  als 


Deutsche  Zeichennamen.  Asch.  135 

fr*»mde  mit  griechischen  Wörtern  sich  eingebürgert  hätten,  aber  dann  ist 
niclit  begreiflich,  warum  sich  nicht  auch  /  und  ^  einbürgerten,  da  die 
Umschreibung  durch  ch  und  ps  doch  nicht'bequem  war  und  k  ganz  gut  durch 
r,  wenn  dieses  nicht  wie  im  Deutschen  der  Kehllaut  ch  war,  hätte  umschrieben 
werden  können;  zur  Zeit  des  Christenthums  muss  c  den  harten  Laut  gehabt 
haben,  da  die  römischen  Mönche  das  deutsche  c  mit  ch  umschrieben. 

Untersuchen  wir  nun  die  Namen,  so  begegnet  uns  zunächst  asch^ 
welchem  in  der  Münchener  Handschrift  car  beigesetzt  wurde.  Asch  ist  wie  char 
^ein  Geflss,  Schüssel,  Wanne,  Trog^,  kara  ist  die  Sorge,  die  Klage,  hebräisch 
^r^p  qara  .rufen*,  wie  das  hebräische  -|i  aleph  das  ägyptische  a,  der  Harpo- 
krates,  das  göttliche  .Wort*  ist,  welches  die  Welt  erschuf.  Die  Gharwoche  ist 
diejenige,  welche  Ostern  vorangeht,  und  demnach  müsste  ^  die  Stelle  vor 
der  Ostrune  einnehmen,  dann  aber  musste  die  Zeitrechnung  am  Morgen 
hesrinnen  und  nicht  am  Abend,  wie  Tacitus  sagt.  Hiermit  stimmt  überein, 
dass  ask,  asrh  auch  die  Eschenlanze,  der  Speer  'f  des  Kriegsgottes  ist,  zu 
dessen  Ehren  die  Asciburg  gebaut  war;  ciska  ist  ferner  der  Staub,  die  Asche,. 
der  Dust,  wonach  A:  identisch  mit  der  nordischen  V  Thursrune  ist.  Von  Dust 
stammt  das  lateinische  industria,  d.  i.  das  künstliche  Handwerk  im  Gegensatze 
zum  Ackerbau,  aber  auch  mit  diesem  verwandt,  da  die  Industrie  von  den 
Ackerbauern  ausging.  Mit  asche  hängt  K^  oihil  das  Vaterland  zusammen,  die 
Muttererde.  Asch  ist  auch  die  Esche,  und  da  die  Weltesche  Yggdrasil  der 
Schreckensträger,  die  Axe  der  Welt  ist,  so  wird  das  Wort  überhaupt  Baum 
bedeutet  haben,  wie  othü  auf  die  Weide  und  im  allgemeinen  auf  Baum,, 
runisch  mflur,  isländisch  tUlr  «Baum,  Wald*,  tit^t,  isländisch  tidir  «Weide*, 
irerwandt  mit  n/>r,  althochdeutsch  wetar  .Wetter,  wehen*  hinweist.  Der 
Baum  mit  seinen  belaubten  Zweigen  war  das  Symbol  der  Luft,  sein  Rauschen 
das  göttliche  Wort,  der  Geist,  der  As^  lateinisch  esse  »sein,  leben*.  Das  Laub 
ist  die  Haut,  griechisch  askos,  imd  das  griechische  cuik^ö  kunstfertig,  wovon 
Asklepiös  oder  Aesculap  herstammt,  ist  verwandt  mit  industria,  also  mit  Dust. 
Oijaleizi  «emsig,  eifrig*,  aki  mittelhochdeutsch  ege  «Furcht,  Schrecken*,  ekka 
das  schneidende  Werkzeug,  wovon  das  griechische  aksfnef  lateinisch  a^sna  «die 
Axt*  und  das  Ackerwerkzeug  die  Egge  abstammen;  im  Ägyptischen  ist  diese!> 
Werkzeug  die  Hacke  zum  Aufhauen  des  Bodens  \X  hieratisch  ^,  dasselbe 
Zeichen,  welches  wir  in  altgriechischen  Alphabeten  ßnden,  wo  es  mit  ^  der 
Axt  wechselt  Wir  werden  daher  nicht  irren,  wenn  wir  -Ä  lür  ein  Acker(:crälli 


136  Birith. 

und  R  für  einen  Baum  halten,  im  letztern  Falle  schliesst  es  sich  an  die 
P-Rune  an.  Endlich  ist  zu  beachten,  dass  a^kr  auch  der  Mann  ist,  der  aus 
der  Esche  gebildet  wurde.  Die  Esche  war  das  harte  Holz  (und  daher  vorzugs- 
weise zu  Götterbildern  verwendet),  die  Ulme  das  weiche,  beide  zusammen- 
gerieben  gaben  das  Feuer,  und  hier  fällt  die  Verv^^andtschaft  auf  zwischen  dem 
hebräischen  r«  es  „Feuer*  und  «?♦«  i^  „Mann,  Mensch";  Asche  ist  aber  auch 
die  Erde,  woraus  der  Adam  gemacht  wurde,  also  hier  wie  dort  haben  wir  ein 
Spiel  mit  Worten.  Einer  ägyptischen  Manneshieroglyphe  wie  hieratisch  ^^ 
haa,  ha  „preisen*  ist  K.  wohl  zu  vergleichen,  selbst  angenommen,  dass  K, 
nur  den  Kopf  mit  dem  männlichen  Kinnbarte  bedeute,  denn  gleich  darauf 
folgt  B  das  Weib;  das  ägyptische  ka  erinnert  sogar  an  K  den  geöffneten  Mund, 
das  Sprechen,  den  Gaumen.  Als  nordischer  Widar  ist  es  die  Erneuerung  (des 
Jahres),  woraus  der  Widdergott  entstanden  ist,  der  Gott  der  Weide,  w-elcher 
auf  die  junge  Rasendecke  hindeutet,  den  Monat  März  regierte.  In  dem  Asch 
vereinigen  sich  somit  die  Begriffe  des  Winters  und  des  Frühjahrs,  welche 
Vereinigung  die  verschiedenen  Jahresanfänge  erklärt. 

Bi  in  allen  Abecedarien  gleichmässig  geschrieben,  hat  den  Namen 
hirith,  hyriih,  nur  in  der  Münchener  Handschrift  heiic,  dennoch  ist  das  t  kein 
Fehler,  denn  wie  dem  Namen  hirith  als  p  perch  gegenübersteht,  so  steht  in 
der  Münchener  Handschrift  dem  Namen  beric  unter  p  perd  gegenüber.  Das 
Wort  fehlt  im  Deutschen,  im  Hebräischen  kommen  nna  betith  „Bund*  und 
nna  bonih  „Laugensalz*  vor,  ersteres  vom  Stanmi  rr'ia  bara  „schneiden* 
(man  zerschnitt  Opferlhiere  und  ging  zwischen  denselben  durch,  wenn  man 
einen  Bund  schloss),  das  zweite  vom  Stamme  na  bor  „rein,  auserwählt*,  w^ohl 
auch  von  na  beiH  „Fett",  weil  Salz  das  Vieh  gesund  erhält  und  fett  macht, 
demnach  wäre  nna  im  letztem  Sinne  das  Nährende  und  das  dickbauchige 
Zeichen  B  stimmt  damit  am  besten  überein.  Eigenthümlich  erinnert  hierbei 
das  althochdeutsche  p*u^en,  mittelhochdeutsch  ^'u^^n  „  sich  schmücken,  sich 
bräutlich  schmücken*,  brut  „die  Braut,  die  Gemahlin*,  ersteres,  weil  „Braut* 
die  Verlobte,  die  Gemahlin,  die  „Verbundene*  ist,  andererseits  weil  der 
Begriff  des  Glanzes  in  peraht,  heraM  an  den  glänzenden  Fettbauch  erinnert,  der 
den  zum  Opfer  bestimmten  Menschen  angemästet  wurde,  wie  auch  die  Ver- 
mählungen mit  grossen  Schmausereien  gefeiert  werden;  war  Jt  als  erstes  das 
Kind,  so  folgte  B  ^Is  Bund,  nämlich  die  Opferung  des  Kindes,  wie  hebräisch 
n^is  uudah  „die  Beschneidung*  mit  vhi^  mala  „voll  sein*  zusammenhängt, 


Chen,  Dom*  137 

denn  die  Beschneidung  war  das  symbolische  Kindesopfer.  Nach  deni  Voraus- 
geschickten können  wir  hinih  oder  beric  unbedenklich  auch  für  das  schwellende 
Weib  annehmen,  sei  es  als  hebräisch  n^  hath  Mädchen,  oder  als  nordische 
Birke,  lateinisch  ^^u/a,  wie  hebräisch  ^\h^r\^  hethula  ,die  Jungfrau",  die 
unerschlossene  Blüthe,  oder  als  isländisch  hitiir  .es  tagt'',  der  perhtac  oder 
Epiphaniastag,  der  kipurtitago  , Geburtstag*,  je  nach  dem  Zusammenhange 
der  Zeichen,  l/iii  perd  .Pferd*  hängt  das  Zeichen  in  der  Form  m  zusammen, 
insofern  der  Einschnitt  die  Schulter  des  Reitthleres  bedeutet,  wie  auch  der 
Einschnitt  der  Berge  .Sattel*  heisst.  Grundbedeutung  ist  die  Theilung, 
die  Scheide. 

M  kommt  auch  in  der  Form  h  ▼or,  immer  mit  dem  Namen  chen  oder 
c^H,  wogegen  die  verkehrte  Form  4 con  ist.  Ist  das  letztere* das  lateinische cu»;}t/5^ 
so  ist  cen  das  Vordere;  beide  einen  sich  in  kinan  „sich  spalten,  öffnen,  keimen*, 
X-iftd  ist  der  Keim,  der  Sprosse,  das  Kind;  M  kann  das  nordische  ginnhig  ,das 
Verlocken*  sein,  auch  kam  „das  Hervorstehende*,  der  Schnabel,  der  Hand- 
griff, das  Kinn  oder  kinda  .das  Feuer*,  \\  der  Kien,  der  herausträufelnde 
Saft,  oder  das  Knie  (das  hervorstehende);  femer  ist  M  das  nordische  Arau/i,  die 
Beule,  das  Schwellende,  das  Weib,  also  dasselbe  wie  chofi,  qino,  griecliisch 
yfjne  .das  Weib*.  Demnach  ist  diese  Rune  je  nach  dem  Zusammenhange  der 
Zeichen  das  Kind,  das  Erzeugte,  wie  der  Mann,  der  Erzeuger,  und  das  Weib. 
Grundbedeutung  ist  .gähnen^,  wonach  V  verwandt  mit  K  ka  ist,  h  schliesst 
sich  auch  an  das  nordische  h  ur,  hebräisch  gatnal  (Rücken)  Kameel,  griechisch 
A  gamein  .heirathen*,  das  althebräische  Zeichen  A  erinnert  an  das  nordische 
r  latigr  «der  Saft*,  dos  Rinnende,  das  Meer,  aber  auch  an  die  keimende 
Pflanze  und  dadurch  an  Güa  die  Erde. 

Das  Wort  ihoni,  dhorn^  dorn  ist  mehrdeutig,  indem  es  sowohl  den 
Stachel  wie  das  Gebüsch  bedeutet,  beachtenswerth  ist  das  venvandte  dth-en, 
türen  .dauern*,  zumal  der  Dorn  auch  Symbol  des  Schlafes  und  Todes  war 
(^.Srhlafdorn) ;  das  Bild  der  Rune  DO  wird  wohl  am  besten  durch  das  grie- 
chische ihontyomai  .sich  begatten*  (von  Schlangen)  erklärt;  die  Form  scheint 
wirklich  Schlangen  anzudeuten,  wie  die  Hieroglyphe  ^<^  für  8,  wobei  zu 
beachten  ist,  dass  DO  das  vierte  Zeichen  ist  und  die  ägyptische  Hieroglyphe 
einer  redupücirten  Vier  nicht  unähnlich  ist.  Andere  Formen  der  Rune,  wie  Mi 
weisen  auf  die  Thür  hin,  welche  mit  dem  Zaun  verwandt  ist,  indem  derselbe 
sowolil  den  Verschluss  als  die  zu  öffnende  Stelle  des  Verschlusses  bedeuten 


138  Die  vier  ersten  Runen. 

soll,  wie  auch  im  Gebirge  die  Zäune  durch  die  Wege  gehen,  an  solchen  Stellen 
der  Zaun  also  geöffnet  oder  überstiegen  werden  muss.  Auch  die  Hieroglyphe 
±tt  scheint  ein  solcher  Weg  zu  sein,  und  der  Umstand,  dass  auch  der  Phallus 
,Weg*  bedeutet,  setzt  die  Zweideutigkeit  ausser  Zweifel.  Ist  das  griechische 
Wort  (leile  , Mittagszeit*  mit  dem  hebräischen  Zeichennamen  Daleth  verwandt, 
wie  das  deutsche  ihoyth  mit  dem  hebräischen  Dt-jT  darom  , Mittagsgegend*,  so 
musste  d  die  Mittagsrune  sein,  was  jedoch  nicht  behinderte,  dass  sie  auch 
in  anderen  Stellen  stehen  und  z.  B.  als  Verschluss  den  Abend,  den  Westen, 
als  sich  öffnende  Thür  den  Morgen,  als  Mitte  die  Millemacht  bedeuten 
konnte. 

Fassen  wir  die  vier  ersten  Runen  zusammen,  so  finden  wir  eine  Über- 
einstimmung mit  der  nordischen  vieriheiligen  Windrose,  jedoch  insbesondere 
mit  den  zweiten  Zeichen,  nämlich: 

n    «r  -Ä  asc 

+  08  B    Wr/7/i 

Y    kaun  P    rhen 

i  naut  t><  thorn 
insofeme  Jt  das  Herabhängende,  B  das  Getheilte,  V  das  sich  Erhebende 
>^  das  Verschliessende  oder  Jt  asc  der  Mann,  B  hirith  das  Weib,  M  chrn  das 
Kind  und  t>^  die  Nachkommen,  die  Wurmer  (wie  Kinder  oft  genannt  werden) 
sind;  als  Lebensstufen  sind  dagegen:  Ä  die  kriechenden  Kinder,  B  der 
gedeihende  Jüngling,  U  der  kühne  Mann,  tx^  t]u)rn=f)ian  der  müde  Greis; 
wir  haben  bei  den  Nordrunen  P  als  das  Kind  erkannt  (und  hierin  liegt  die 
Ursache  der  Verschiedenheit  in  der  Zeitrechnung  bei  den  mit  dem  Abend 
beginnenden  Mondvölkem  und  bei  den  mit  der  Mitternacht  beginnenden 
Sonnenvölkem),  und  dem  entsprechend  sind  die  vier  deutschen  Runen  auch 
identisch  mit  der  ersten  nordischen  Runenreihe,  nämlich: 

P  Mann  Kind  A:  Mann,  Kind 

>   Weib  Jüngling         B    Weib 

^  Mann  M    Mann 

*  Greis  X  Grab. 

A  ist  als  asch  das  Herabhängende,  die  Asche,  der  Westen,  das  hebräische 
up  as  ,das  Bärengestirn*,  der  Sternenaufgang  und  der  Herbst,  B  biriih  als 
Holde,  Glänzende,  die  Nacht  und  der  Schnee,  V  chen  ist  das  sich  Spalten,  der 
Oslcn  und  der  Keim,  t><  ist  die  Zeugung,  die  Hitze,  der  Sommer,  also : 


Viertheilige  Windrosen. 


139 


B 


V  =* 


Aber  A^  ist  als  Baum,  der  Wind,  der  Winter,  B  ist  das  sich  Spaltende, 
die  aus  dem  Meeresschaume,  der  auch  weiss  ist,  aufsteigende  Aphrodite; 
|i  ist  als  Mann  der  heisse  Sommer  und  X  das  Grab,  der  Westen,  der 
Sonnenuntergang,  die  Ernte,  daher 

|i  P  P 


M 


B  =  * 


>  =  * 


n 


femer  ist  -Ä  die  Zeit,  wo  die  Erde  sich  mit  Rasen  bekleidet,  die  Weidezeit, 
B  die  Blüthe,  M  oder  h  die  Frucht,  tx  der  Schluss,  die  Neuzeugung,  daher 


XI 


|5=* 


B 


Wtllers  ist  A:  als  belaubter  Baum  der  bärtige  Mann,  B  die  Fülle,  die  Ernte, 
|i  der  unbelaubte  Baum,  der  Winter  und  X  die  Öffnung,  die  ErölTnung  der 
SchitTfahrt,  also 


B 


•N«  * 


Wir  stellen  zur  bessern  Übersicht  hier  nochmals  diese  verschiedenen 
Bedeutungen  zusammen: 


140  Wechsel  der  Zeiten.  Eho, 

^    die  Asche,  die  Nacht,  Wind,  Winter,  Weidezeit,  die  Reife, 

B   das  Glänzende,  sich  Spaltende,  die  Blüthe,  die  Ernte. 

M    das  sich  Spaltende,   der  Mann,   die  Frucht,   der  unbelaubte  Baiun. 

txidie  Zeugung,  das  Grab,  die  Öffnung. 

Ohne  eine  solche  Vieldeutigkeit  wäre  es  nie  möglich  gewesen,  dass 
die  Zeitrunen  zusammengeschoben  und  dadurch  einzelne  Runen  in  ihr  Gegen- 
theil  verwandelt  werden  konnten ;  ohne  dieselbe  wären  die  Ägypter  nie  auf 
den  Gedanken  gekommen,  ihre  Monate  durch  alle  Theile  des  Jahres  laufen 
zu  lassen,  indem  sie  365  Tage  zählten  und  den  übrig  bleibenden  Vierteltag 
stets  dem  folgenden  Jahre  zurechneten,  so  dass  erst  in  1460  Jahren  der 
Jahresanfang  mit  der  Gestimsconstellation  zusanunentraf.  Hieraus  ergiebt 
sich,  dass  auch  der  Tagesanfang  auf  Morgen,  Mittag,  Abend  und  Mittemacht 
fallen  und  der  Jahresanfang  mit  der  Sommer-  oder  Winter-Sonnenwende,  oder 
mit  der  Tag-  und  Nachtgleiche  im  Frühling  oder  Herbst  anfrenommen 
werden  konnte. 

Gehen  wir  weiter. 

M  ^'«0,  ec  ist  verwandt  mit  altsächsisch  ehu  , Pferd*;  auch  mit  alt- 
sächsisch ec  «ich*,  lateinisch  effo»  Die  Grundbedeutung  liefert  das  griechische 
Zeichen  M,  welches  als«  Sigma,  hebräisch  rtüDV  §ikma  , Schulter*  bedeutet; 
der  Grundbegriff  ist  daher  .Mitte,  etwas  Getheiltes*,  so  steht  »ich*  zwischen 
,du*  (ägyptisch  ^•^  t  die  Hand,  das  Vordere)  und  »er*,  der  hinter  mir  ist; 
so  ist  hebräisch  nn  a/  »Bruder*  der  Andere,  der  Verbündete,  wie  das 
deutsche  »Bruder*  sagt,  und  thj«  e/ad  »einer*  ist  der  Vordere  (wegen  des  {/> 
nn«  a/th-  »der  Hintere*,  wegen  des  r,  denn  a/  ist  die  Theilung  oder  die 
Mitte,  die  Eig-enschafl;  damit  hängt  auch  das  deutsche  eha  »Gesetz*  zusam* 
men,  als  etwas  beide  Theile  Verpflichtendes  (Verflechtendes),  wie  die  Elbe. 
M  schliesst  sich  dem  Sinne  nach  ganz  an  IX]  in  allen  seinen  Bedeutungen 
an.  So  ist  griechisch  e/ma  »das  Hindemiss,  die  Schutzwehr*,  und  mit  abge* 
worfenem  e  /eö  »ich  entströme*,  /Hön  »der  Leibrock*,  /iön  »der  Schnee*, 
und  zwar  die  Schneeflocke;  M  ist  femer  verwandt  mit  h  ur  dem  Himmels« 
bogen,  wovon  eha  »die  Unendlichkeit*  herkommt,  es  ist  endlich  die  Gewitter- 
wolke mit  ihren  Blitzen,  wovon  ägis,  der  Schild  der  Pallas  Athene,  herstammt 

In  dem  Namen  fech  begegnen  sich  zwei  Begriffe,  nämUch  vthe  ,  Feind* 
Schaft*  und  feh  »bunt*,  dem  Worte  gifeh  »feindlich*  steht  gifehan  ,sich 
(reuen*  gegenüber,  und  diese  Begriffe  dürften  in  dem  Zeichen? ihre  Grün dla^ 


Fech.   Gibit.  141 

iialvcn,  denn  ist  P  ein  Gesicht,  so  ist  F  die  vor  das  Gesicht  erhobene  Hand, 
tirohend  oder  verdeckend,  wohl  auch  lockend,  und  dann  wäre  es  die  fei,  feie, 
fhit  ,die  Zauberin,  Verlockcrin";  das  sind  die  Hieroglyphen:  M,  hieratisch 
W,  np,  hieratisch  jjK,  ctS  hieratisch  ^  (das  moabitische  -^i),  Ja),  hiera- 
tisch (!^,  ^^  hieratisch  ^,  woran  sich  noch  ^,  hieratisch  JP/o  »tragen, 
arbeiten*,  griechisch  pherö  »ich  trage,  erdulde*  anschliesst;  doch  scheint  ctS, 
griechisch  ^?Äö(7«;i  »essen*,  verwandt  mit  psyche  »Hauch,  Athem,  Seele*, 
v:o\on  jfsychos  »Kälte*  und  phetiie,  phama  »Stimme",  das  Nächstliegende  zu 
sein,  denn  auch/<n>  ist  der  Hauch,  der  Geist,  insbesondere  der  Nebel,  und 
unter /«'/i  »bunt*  verstand  man  die  weissen,  schwarz  untermischten  Hermelin 
feile,  das  Zeichen  der  Fürsten;  dem  entspricht  auch  das  hebräische  nc^e/i 
,Mund*.  In  den  nordischen  Runen  haben  wir  P  als  Rune  des  Winters 
betrachtet;  als  Rune  des  Ostens  ist  sie  die  rosenfingerige  Eos,  hinter  deren 
Rosenfuigem  sich  die  Sonne  verbirgt,  das  Morgenroth;  als  Rune  des  Südens 
gemahnt  sie  an  den  Schild,  der  vor  der  Sonne  stehe,  damit  ihre  Gluth  nicht 
«He  Erde  verbrenne,  an  den  Aegisschild,  dessen  Schlangen  nicht  nur  die 
fiÜtze,  sondern  auch  die  Sonnenstrahlen  sind;  als  Rune  des  Westens  ist  sie 
ÖAS  Abendroth,  die  winkende,  verlockende  Sonne,  das  fatum,  fei(/i,  d.  h.  »dem 
Tode  bestimmt*,  immer  der  flimmernde  Sonnen-  oder  Mondstrahl,  im  Osten 
und  Westen  auch  das  Zwielicht.  Zu  beachten  ist  auch,  dass/eA  als  Wasser 
iler  Spiegel  der  Venus  ist,  d.  i.  der  Spiegel  im  allgemeinen,  da  das  Wasser 
Alles  widerspiegelt,  ebenso  das  Eis  und  das  Eisen,  wobei  man  insbesondere 
an  isländisch  faegia  »glätten,  poliren*  denkt,  denn  nur  der  poHrte  Schild 
gestaltete  sich  zum  Spiegel.  Hiermit  dürfte  auch  das  lateinische  figura 
<,  Gestalt*  zusammenhängen. 

X  'jfffn  oder  geno  ist  verwandt  mit  cJietcd  »der  Rachen*,  kittsan  »kosten*, 
altnordisch  kiur  ,  auserwählt '^,  durch  fji/eh  schliesst  es  sich  an  das  vorige  an, 
do'h  ist  hier  gi  nicht  Stamm;  an  den  Rachen  schliesst  sich  kiben  »keifen, 
z.4nken*,  kiffen  »kauen,  beissen*,  giß  . Geifer,  Gift*  aber  auch  »Gabe, 
Geschenk*;  Gift  und  Gabe  vermittelt  kip  »Leidenschaft*,  kebis,  kebes,  kebse 
das  , Kebsweib*,  hebt-äisch  DJ  gani  »Vermehrung*,  griechisch  gam^  »ich 
heirathe*,  kaimema,  mbatio  verwandt  mit  Cttpido,  beachtenswerlh  ist  auch  kylfjs 
,der  sechsseitige  Würfel*,  allerdings  ein  abgeleitetes  W^orl,  aber  für  unsere 
sechslheilige  Rune  sehr  zutreffend.  Vergleichen  wir  X  mit  F,  so  ist  dieses 
die  verdeckte,   X  die  glänzende  Sonne,   F  die  sich  neigende,   X  die  den 


142 


Hagale,  AchtUieilige  Windrose. 


Horizont  durchschneidende  Sonne,  sowohl  am  Morgen ,  wie  am  Abend,  die 
Sonne  am  Mittag  und  der  Stern  der  Nacht,  die  Zeugung;  war  F  die  auf- 
springende Knospe,  so  ist  X  die  entfaltete  BiCtthe. 

X  fiogale  ist  der  Gegensatz  des  vorigen,  der  Hagel,  Schneestem,  bild- 
lich: Unglück,  der  hagasialt  «der  Hagestolz*,  lateinisch  caelebs  .der  Unbe- 
weibte", obgleich  auch  h^H  akai  .essen*  mit  chitisan  „kosten*  zusanunen- 
trifft;  an  den  Hagel  reiht  sich  in  Bezug  auf  die  Schönheit  das  griechische 
agoilis  .die  Schwertlilie*,  verwandt  mit  der  Ackelei,  aber  auch  a/lgs  «das 
Dunkel,  die  Todesnacht*,  worauf  auch  die  Variante  |^  hinweist. 

Wir  können  jetzt  die  viertheilige  Windrose  zur  achttheiligen  ergänzen: 


A 


A 


M 


txi 


danach  wäre  A  der  Anfang  des  Tages,  B  d^r  Glanz,  das  Morgenrolh,  p  die 
aufgehende  Sonne  (im  Mittel),  X  der  Vormittag,  M  der  Mittag,  F  die  sich 
neigende  Sonne,  X  der  Sonnenuntergang,  X  die  Nacht  und  als  Jahreszeiten: 
A  der  Winter,  B  die  Zeit  des  Thauens,  M  die  Zeit  der  Knospen,  DO  die  Zeit 
der  Blöthen,  M  die  heisse  Zeit,  V  die  Zeit  der  berstenden  Fruchte  (die  Reife), 
X  die  Zeit  der  Ernte,  der  Beraubung  der  Bäume,  X  die  fruchtlose  Zeit,  oder 

X 
X 


M 


\ 


^ 


B 


XI 


A  die  Morgonröthe,  B  der  Osten,  die  aufgehende  Sonne,  K  die  Erhebung 
der  Sonne,  DO  die  Mittagszeit,  M  der  Rücken,  die  Neigung,  F  die  unter- 
gehende Sonne,  X  die  Schlafenzeil,  X  die  Mitternacht  oder  A  die  Zeit  des 
Thauens,  B  die  Ackerbereitung,  V  die  Knospenzeit,  tx  die  BlQthezeit,  M  die 
Zeit  der  Reife,  wo  sich  die  Aste  biegen,  F  die  Zeit  der  Fechsung,  X  die  Zeil 
der  Fülle,   X  die  leere  Winterszeil;   ferner  A  der  Sonntag,   B  der  Montag 


His.  Lagu,  143 

y  der  Zistac  Dienstag,  t>*^  Mittwoch,  M  der  Donnerstag  (M  als  Himmel),   F 
der  Freitag  (der  Göttin  der  Liebe),  X  der  Sonnabend. 

Die  Rune  J  his  trifft,  ihrer  Stellung  nach,  genau  mit  der  Rune  I  is 
der  nordischen  16theiligen  Windrose  zusammen,  in  beiden  Reihen  ist  sie 
das  neunte  Zeichen : 

fe       ur    thurs     os     reid  laun  hctgl    naud  is 

A      Q       MDOMFXXJ 

asch  birith  chen  thorn  os  fehc  gihu  hagcde  is 
In  der  nordischen  Windrose  fiel  das  Zeichen  I  auf  die  zwölfte  Stunde 
des  Mittags,  dem  entspricht  J  his  als  ,heiss'  und  diu  heize  snuor  als 
Äqualorlinie,  damit  stimmt  auch  das  griechische  isos  , gleich'  zusammen; 
auch  das  hebräische  m  az  «Zeit*  dürfte  damit  verwandt  sein.  Das  Bild  1  selbst 
erinnert  an  die  Säule  als  Symbol  der  Sonne;  der  Haken,  welcher  sich  in 
unserem  consonantischen  j  erhalten  hat,  scheint  das  Ergiessen  des  Sonnen- 
strahles anzudeuten. 

An  J  lehnt  sich  JU  gilch  als  gilth  »gleich*  (nach  allen  Seiten  gleich), 
ferner  an  gibu  und  hagale  als  gilge  »Lilie*,  geliicke  «Glück*,  chilichä,  chilchä, 
i/iinoS (lateinisch  circus)  «Mittelpunkt,  um  den  sich  etwas  sammelt*,  die  Kirche 
oder  das  Heiligthum  des  Gottes,  welches  im  Mittelpunkte  der  Stadt  und  des 
Landes  angelegt  wurde.  An  den  Begriff  «heiss*  schliesst  sich  das  griechische 
fßuiUdon  «Schmiedekunst*,  chalkos  «Bronze*  (gemischtes,  verschmolzenes 
Metall),  chalkeos  «Erz,  Kupfer*;  die  Rune  ist  auch  kalgoy  galga  «Gestell  am 
Ziehbrunnen,  um  den  Eimer  aufzuhängen*,  hebräisch  M^  gilgal  «Rad*, 
ij^ilgal  «Wirbelwind*,  welcher  letztere  sich  an  is  «Eis*  anschliesst;  endlich 
ist  es  call'  »Kalk*,  die  aufbrausende  Erde,  der  Meerschaum,  aus  welchem  die 
Aphrodite  entstand  (daher  die  auf  Eis  folgende  Ostrune)  und  calx  «die  Ferse* 
(welche  vom  Todespfeil  verwundet  wird,  daher  die  auf  heiss  folgende  Tagrune). 
h  !agu  heisst  «See,  Meer*,  wahrscheinlich  war  diese  Rune  ein  Symbol 
wie  die  Hieroglyphe  (1,  hieratisch  9v,  welche  als  kb  sowohl  , heiss*  als  «kühl* 
bedeutet,  sie  deutet  hier  wohl  auf  die  Gewitter  in  der  heissen  Zeit  hin  (in  den 
nordischen  Runen  fand  sie  eine  spätere  Stellung)  und  dann  wäre  sie  verwandt 
mit  griechisch  lagtieia  «Wollust*;  sie  entspricht  auch  der  Hieroglyphe  R, 
welche  sowohl  ein  Wasserstrahl  (/aM^r=See),  als  der  Schwanz  Unh,  als 
solches  steht  es  im  Königstitel  «der  Erlauchte*)  und  die  dürre  Pllunze  sein 


14.4.  Man.  Xot.  Oihil. 

kann;  an  das  letztere  reihen  sich  laggan,  lekkan  flecken*  (die  den  Hegea 
gierig  einsaugende  Pflanze),  lecker  , gutschmeckend*,  hckari  »Schmarotzer, 
sittenloser  Mensch*;  ist  das  Symbol  des  letztem  die  heraushängende  Zunge^ 
so  ist  h  verwandt  mit  lachinon  »besprechen*,  lachenaere  »Besprecher,  Arzt*, 
wie  auch  M  sneb  lateinisch  sanus  »gesund*  bedeutet,  endlich  ist  es  als 
lachelkh  »lächerlich*  derLoki,  der  alle  Götter,  selbst  die  finstere  Skadhi  zum 
Lachen  bringt;  Jei,  leik  »das  Spiel*. 

Cxi  man  ist  hier,  wie  im  nordischen  Futhork,  die  zwölfte  Rune,  in  der 
sechzehntheiligen  Windrose  steht  sie  der  vierten  DO  thorti  gerade  gegenüber, 
wie  auch  h  der  Rune  \i.  Man  ist  »Mann  im  gereiften  Alter,  Ehemann, 
Mensch  im  Allgemeinen*,  das  chinesisch  min  »Volk*,  hebräisch  n:2  mana 
»zählen*  (des  Volkes),  althochdeutsch  manaji  »Menge*,  davon  minnir 
»minder*,  lateinisch  minor;  manag  »viel*  in  manag/alt  »mannigfaltig*.  Die 
Grundbedeutung  ist  das  ägyptische  tna  »gleich  sein*,  welches  durch  Auslaut 
und  Flexion  major  »grösser*  und  minor  »kleiner*  vrird,  aus  »Gleichem* 
bildet  sich  die  Verbindung:  fni;j;ia,  Liebe*,  sowie  das  Sehnen,  manon  »mahnen* 
die  Erregung,  welche  zum  griechischen  manteia  »wahrsagen*  und  mania 
»Wahnsinn*  führt.  ><1  dürfte  sich  von  DO  unterscheiden  wie  der  Schluss 
von  der  Öffnung,  der  Eingang  vom  Ausgang,  der  Tod  vom  Leben,  auf  den 
Tod  deutet  das  lateinische  manes  »die  Seelen  Verstorbener*,  ursprünglich 
wohl  der  todte  Körper  und  die  Leiche. 

X  not  ist,  wie  das  Zeichen  lehrt,  ch-nod-o,  ki-noth-o  »der  Knoten^. 
gi-nöte  »das  Beengende,  Zuschnürende*,  not  »die  Noth,  der  Kampf,  der 
Zwang,  die  Verbindung*,  wovon  gi-nöz  »Genosse*,  das  gi-mizzen  »gemessen* 
abstammt,  wie  not-diintft  »Lebensunterhalt*  andererseits  die  Natumothwen- 
di^keit  ist,  es  ist  ferner  die  naht-s  »die  Nacht*  von  nah  »nahe,  nach*,  wie 
auch  nahts  der  Tag  vor  den  Festen  ist,  die  tcihen  piaJiien  »Weihnachten*. 

fv  othil  ist  nur  eine  Variante  von  -Ä;  mit  ^  schloss  eine  13theilige 
Reihe  ab,  welche  in  Europa  und  Asien  vergessen  ist,  sich  aber  in  den 
13  Abtheilungen  des  mexikanischen  Zeitkreises  und  in  den  1?  Tagesstunden 
der  Mexikaner  erhalten  hat.  Das  23theilige  Abece  der  Markomannen  scheint 
aus  der  Zusammenfügung  von  13  und  10  Zeichen  entstanden  zu  sein,  von 
welchen  letzteren  die  drei  ersten  othil,  perch,  chon  den  drei  Anfangsrunen 
asch,,  hirith  oder  heric,  chen  auch  lautlich  entsprechen.  Wir  haben  hier  vorzugs- 
weise die  Unterscheidungen  in's  Auge  zu  fassen. 


Pen,  Chon.  145 

War  ose  die  Esche,  der  Baum  im  allgemeinen,  so  dürfte  othü  mit  der 
«Weide*  verwandt  sein,  denn  auch  diese  bedeutet  Baum  im  allgemeinen: 
runisch  tit^ur.  isländisch  vidr  ,Baum,  Wald',  uidi,  isländisch  t^uifr  , Weide', 
verwandt  mit  vi8r^  althochdeutsch  toetar  , Wetter,  wehen";  ist  iisc  verwandt 
mit  aha  , Wasser,  Fluss*,  so  mahnt  es  wohl  an  die  Weide  an  den  Flüssen; 
aber  es  ist  doch  mehr  der  achar  .Acker*,  d.  i.  der  wasserreiche  Boden,  der 
durchfurcht  wird,  während  othü  die  Weide,  der  jungfräuliche  Erdboden  ist, 
der  keines  Menschen  Hufe  bedarf,  d.  i.  die  ursprüngliche  Erde,  woraus  der 
BegrifT  des  Ursprungs,  das  Vaterland,  die  Heimat,  gebildet  wurde.  Beachtens- 
werth  ist,  dass  ^  an  der  Stelle  steht,  wo  im  nordischen  Futhork  h  laugr 
«die  Heimkehr  der  Schiffer*  seinen  Platz  hat,  hierzu  passt  othü  »Vaterland*, 
namentlich  wenn  es  ^,  hieratisch  T,  uotä^=mu8iry  muoiar  „die  Mutter* 
(Kri^^mhildens)  und  uisler  ,der  Westen*,  von  vist  .Aufenthalt,  Ruhe*  ist. 

Auf  die  Heimkehr  folgt  perc  ,die  Bergung  der  Güter*,  das  herihten 
«Ordnen*  der  Angelegenheiten,  wohl  auch  der  Bericht,  die  Erzählung  der 
Reiseabenteuer;  die  Ähnlichkeit  von  ^  othü  und  R  perc  lässt  letzteres  als 
tA,  hieratisch  J\  .Ruhe,  Vorfahren*  erscheinen;  die  Variante  J^  ist  die 
hieratische  Form  jjP^  Ä  »nennen,  lesen*  (erzählen?),  womit  ^,  die  hiera- 
tische Form  für  9  sm  »Ohr*,  verwandt  scheint,  wie  dieses  mit  unserer  Rune 
pij^  perc,  zumal  sm  wie  perd  »Pferd*,  d.  i.  das  sausende  Thier  (hebräisch  "no 
^trred  »Maulthier*,  das  schnelle)  bedeutet,  das  Symbol  des  Windes,  wie  um 
diese  Zeit  die  Herbststürme  die  SchifTfahrt  gerährlich  machen  und  die  Thiere 
von  der  Weide  in  den  Pferch  zu  treiben  nöthigen.  Das  hebräische  riTno  pern' 
doih  »Saatkörner*,  von  '^'\^  parad  »ausbreiten,  ausstreuen*,  weist  auf  die 
Saat  und  sowohl  die  Frühlings-  wie  Wintersaat  hin,  und  fQr  den  Frühling 
giebt  es  auch  den  BegrifT  des  Gegentheils  der  Heimkehr,  die  Zerstreuung  in 
die  Lander,  die  Ausfahrt  der  Schiffer. 

Der  Rune  M  chon  sind  in  einem  Manuscripte  die  Lautwerthe  q  d  bci- 
^r^'^ohrieben,  und  in  der  That  ist  ^  ein  Zeichen,  welches  in  einem  gothisdien 
Uncialfu/)ark  dem  Zeichen  ^  (d)  beigesetzt  wurde,  in  einem  Cursivfu/Jark 
so^ar  statt  des  letztem  vorkommt;  hiermit  dürfte  die  Variante  d  ^r  thom 
zusammenhängen.  M  und  M  beruhen  wohl  beide  auf  der  Form  Y,  nur  ist  M 
das  Vordcrtheil,  V  das  Hintertheil  (das  Kind  auf  dem  Rücken?);  ch/me  heisst 
«kühn*,  aber  auch  chone,  qino  »Weib*,  dass  Weib  und  Furchtsamkeit  nicht 
immer  identisch  sind,  beweist  mmtherj  welches  mit  »Muth*  und  »Gemüth*« 

rsoliDAan,  G«ieluehU  d.  Schrift.  IQ 


146  /ieJtit,  SuhiL  Tae. 

allerdings  aber  auch  mit  tnuwt  , Nahrung*  und  tnus  .Maus*,  das  sich 
bergende  Thier,  verwandt  ist  Mit  dem  Begiiff  , hinten*'  ist  die  Hieroglyphe 
^^,  hieratisch  ^  «der  Sitzende,  das  Kind*  verwandt,  obgleich  diese  Hiero- 
glyphe «vom  und  hinten*  bedeutet,  denn  Harpokrates  ist  der  Anfang  wie 
das  Ende;  durch  das  griechische  kania  p Staub*  ist  dum  mit  asea  .Asche* 
verwandt,  wie  mit  dem  Ackerbauer  Adam,  der  aus  Staub  gebildet  ward;  hier 
fragt  es  sich,  ist  vieUeicht  Derjenige  .kühn*,  der  einen  sichern  Hinterhalt 
hat?  oder  hängt  es  mit  der  Stärke  der  Schenkel  zusanmien,  wie  auch  Mars 
stets  mit  starken  Schenkeln  abgebildet  wurde?  Jedenfalls  weist  die  Rune  V 
auf  die  Hinterseite  hin. 

Wir  haben  bis  jetzt  einen  Cyclus  von  15,  resp.  16  Zeichen,  welcher 
den  nordischen  Runen  begrifflich  entspricht;  der  deutsche  Zeichenkreis 
ist  aber  über  den  nordischen  hinausgewachsen,  und  zwar  dadurch,  dass  zu 
einer  Runenreihe  von  13  Zeichen  eine  verwandte  von  10  Zeichen  hinzu- 
gefügt wurde ;  von  diesen  letzteren  haben  wir  o,  p,  c  den  ersten  a,  b,  c  ent- 
sprechend gefunden,  die  folgenden  drei :  R  rehit,  M  suhä,  'f  tac,  schliessen  sich 
ihrem  Lautwerthe  nach  an  die  drei  letzten  Zeichen  des  hebräischen  Alphabets 
an:  *i  resch,  v  sin,  n  tau,  die  letzten  scheinen  eine  Wiederholung  zu  sein, 
nämlich  u  =  r,  x=8,  2=ty  wobei  ^  und  Y  sich  zu z  neigten;  auch  mit  dem 
letzten  Theile  der  nordischen  Runen:  ar,  sol,  iyr,  biÖrk,lago,  man,  yr, 
zeigen  die  deutschen  Runen :  rehit,  suhil,  iw,  hur,    hdahe^  hujfri,  ziu, 

eine  Übereinstimmung,  welche,  sowie  die  Vergleichung  der  vorigen  Zeichen, 
klar  beweist,  dass  die  Zeichen  stets  durch  Variation  vermehrt  und  bei  Ver- 
mehrung der  Zeichenreihen  die  Varianten  entlehnt  wurden, 

R  relüt  durfte  verwandt  mit  reht  .Recht*  sein,  altnordisch  regin  .die 
Richtenden,  die  Götter*,  althochdeutsch  ^'ahha  .Rache*,  also  das  Todten- 
gericht;  die  Figur  R  ist  bereits  wiederholt  erörtert,  sie  ist  der  Kinnbart,  den 
sich  Ägyptens  Könige  anklebten. 

y  suhü  ist  verwandt  mit  V  chon,  hier  wohl  sw^ien  .siechen*,  sücMige 
.krank*,  das  Zeichen  scheint  auch  eine  bucklige,  gekrümmte  Person  vorzu- 
stellen. 

^  toc  ist  die  gerichtliche  Verhandlung,  tagadinc,  mu  rMt  verwandt; 
auch  mit  dem  griechischen  iyche  .Schicksal*,  das  Todeslos,  das  Zeichen  ist 
der  Todtenpfeil,  wohl  auch  der  Heerpfeil,  der  im  Lande  umhergesendet  wurde, 
um  die  Mannen  aufzubieten. 


üur.  Heiahe.  147 

|\  hur,  das  nordische  H  ur,  ist  altnordisch  hur  »Feuer*,  auch  althoch- 
deutsch hurt  »die  Hürde,  die  Thür*,  wahrscheinlich  die  Nachtwache,  weil 
isl&ndisch  hyrd  «Schutz,  Wache"  heisst;  vielleicht  hängt  auch  das  mittel- 
hochdeutsche hüren  »kauern*  damit  zusammen;  als  Feuer  dürfte  das  Zeichen 
eine  Fackel  sein. 

fll  hdahe  dürfte  mit  hdan  »verbergen,  verhehlen'  zusammenhängen 
und  die  Hd  bedeuten,  wie  auch  heilag  »heilig*  der  blaue  Himmel  ist,  dessen 
Ätherlicht  unabhängig  von  Sdnne  und  Mond  ist,  die  heile,  d.  h.  unverletzte, 
ewige  Jungfrau,  das  Zeichen  ist  wie  das  nordische  A  yr  »die  Unterwelt,  das 
Untere*  (der  Weiberrock),  ägyptisch  H  ^r=W. 

Hiermit  schliesst  das  eigentliche  Abece  ab,  denn  die  beiden  folgenden 
Runen  sind  offenbar  Schaltzeichen.  7  huyri  lehnt  sich  an  J\  hur  an  und  ist 
wahrscheinlich  das  lateinische  hora  die  Zeit,  der  Kreislauf  des  Jahres,  die 
Sonne,  die  Liebe,  deren  Priesterinnen  im  Alterthum  die  Länder  durch- 
schweiflen  und  sich  an  Jeden  vermietheten  (hureti  »miethen*),  der  Gefallen 
an  ihnen  fand.  Das  Seitenstück  zu  7  Auyrt  ist  der  Lichtgott  ^  zius,  die 
männliche  Sonne,  hebräisch  i^r  ziu  »Glanz*,  das  Stammwort  von  Zeus,  Deus 

U.  8.  W. 

Betrachten  wir  nun  das  Abece  als  Ganzes,  so  sind  a,  h,  e,  d  unzweifel- 
haft in  diesem  Zeitkreise  die  Kunen  des  Morgens  und  des  Frühjahrs,  wie  die 
nordischen  />  u,  ih,  o;  /,  g,  h,  t,  k,  l  die  Runen  des  Vormittags  und  der 
Blüthezeit,  wie  die  nordischen  r,  k,  h,  n;  die  Runen  m,  n,  o,  p,  q  die  Runen 
des  Nachmittags  und  der  Erntezeit,  vne  die  nordischen  i,  a,  s,  i;  und  die 
Runen  r,  $,  t,  y,  x,  y,  z  sind,  vne  wir  oben  gesehen  haben,  die  Runen  der 
Abendzeit,  der  Nacht  und  des  Herbstes;  nur  eine  künstliche  Änderung  konnte 
die  ursprungliche  Nordrune  zur  Abendrune  gestalten. 

Wenn  nun  Tacitus^^  von  den  Deutschen  behauptete,  sie  hätten  die 
Zeitrechnung  mit  der  Nacht,  als  der  Vorgängerin  des  Tages  begonnen,  und 
sie  sonderten  das  Jahr  nur  in  Winter,  Frühling  und  Sommer,  welche  bei 
Omen  Begriff  und  Bedeutung  gehabt,  wogegen  sie  weder  den  Herbst  noch 
seine  Gaben  gekannt  hätten,  so  mag  diess  für  jene  Stämme  gelten,  welche  die 
ägyptische  Isis  verehrten,  aber  nicht  für  alle,  denn  das  deutsche  Wort  herhist^ 
haryist  hängt  mit  dem  griechischen  karpos  »die  Ernte*  zusammen»  kann  also 
nicht  von  den  R6mem  entlehnt  sein,  und  wann  sollten  die  wilden  Baum* 
fruchte  fnach  Tacitus  scheint  es  und  jedenfalls  mit  Unrecht,  als  hätlen  die 

10' 


1  i8  Verschiede uheit  der  deutschen  Stimme. 

Deutschen  das-  Getreide  nur  des  Bieres  wegen  gebaut)  anders  gepflückt  worden 
sein  als  im  Herbste?  Tacitus  ist  hier  so  ungenau,  wie  dort,  wo  er  sagt, 
Deutschland  sei  mit  fmsteren  Wäldern  oder  mit  wüsten  Sumpfen  bedeckt 
gewesen,  während  er  an  anderer  Stelle  selbst  den  Getreidebau  erwähnt 

Was  nun  die  drei  Jahreszeiten  betrifft,  so  dürften  diese  in  dem  drei- 
theiligen  Abece  desGod.  Vindob.  6i.  dessen  jeder  Theil  7  Runen  hat,  enthalten 
sein,  oder  auch  in  den  15  Runen  des  Cod.  Vindob.  828  und  des  Lazius; 
aber  das  viertheilige  Abece  beruhte  sicher  auf  4  Jahreszeiten.  In  dem  drei- 
theiligen  sind  /  und  g  zum  Frühjahr  gezogen,  aber  g  hat  nicht  die  Form  der 
Blüthe  ^,  sondern  das  kalte  yC,  die  Winter-Runen  sind  dieselben  wie  bei 
dem  Yierthciligen,  nur  ist  p  dazugezogen. 

Aus  diesen  verschiedenen  Alphabeten  von  21,  22  und  23  Zeichen  gelit 
offenbar  hervor,  dass  die  Völker,  welche  Germaniens  Boden  bewohnten,  eine 
verschiedene  Eintheilung  der  Zeit  hatten  und  wohl  auch  sehr  verschiedenen 
Ursprungs  waren;  gesteht  doch  Tacitus  selbst  zu,  dass  die  Sueven,  weldie 
wie  die  Araber  und  Mongolen  das  Haar  zurückkämmten  und  in  einen  Zopf 
vereinigten,  aus  verschiedenen  Völkerschaften  bestanden,**  und  waren  die 
Chauken,  »welche  die  Grösse  ihres  Volkes  lieber  durch  Grerechtigkeit  erhalten 
wollten*, und  daher  keine  Raub- und  Plünderungszüge  unternahmen,  nichtsehr 
verschieden  von  den  nomadischen  Kriegern  der  Chatten,  von  denen  «keiner 
Haus,  Hof  oder  ein  Geschäft*  hatte  und  die  nur  von  Krieg  und  Gastfreund- 
schaft lebten?  Wenn   die  zunächst  am  Rhein   wohnenden   auch  ,Wein  xu 
behandeln*  wussten,*'  so  mussten  sie  von  milden  Ländern  eingewandert  sein 
und  die  Bereitung  des  Bieres  tlieilten  die  Deutschen  mit  den  Ägyptern.  Es 
kann  kein  Zweifel  sein,  dass  die  Deutschen  des  Tacitus  mit  den  unwirschen 
blauen  Augen,  dem  röthlichen  Haar  und  grossen  Wuchs  dasselbe  Volk  sind, 
welches  wir  auf  den  Bildern  der  Ägypter  als  ihre  Hilfstruppen  oder  Feinde 
finden,  und  der  künstliche  Kinnbart,  den  sich  die  bartlosen  ägyptischen  Roth- 
häute anklebten,  erinnert  (wie  oben  bemerkt)  an  die  Rune  ^ ,  die  bei  allen 
nordeuropäischen  Völkern  vorkommt,  wie  auch  der  Kinnbart  noch  jetzt  vo^ 
zugsweise  bei  Deutschen  und  Franzosen  zu  finden  ist. 

Noch  grösser  musste  die  Kluft  zwischen  diesen.  Völkern  und  jenen 
gewesen  sein,  welche  wie  die  Angelsachsen,  der  grösste  Theil  der  Gothen, 
dann  dieSchweden  und  Normanen,  sich  des  Futhorks  bedienten:  die  Rune  auch 
war,  wie  erwähnt,  das  Sternbild  des  Bären,  also  Symbol  der  Nacht,  die  Rune 


Kalender- Geschichten.  149 

ft  war  die  Sonne,  freyr;  das  Abece  war  das  Mondjahr,  das  Futbork  das 
Sonnen  jähr;  das  Sonnenjahr  entstand  im  Norden,  das  Mondjahr  im  Süden 
und  insbesondere  ist  es  die  Bibel,  welche  uns  mehrfach  Aufschlüsse  über  das 
letztere  giebt.  Im  Süden  und  selbst  noch  zwischen  dem  30.  und  40.  Breitegradei 
welcher  Europa  nur  in  seinen  Südspitzen  berührt,  ist  der  Wechsel  der  Jahres- 
zeiten weniger  zu  bemerken  als  im  Norden,  hier  ist  der  Gang  der  Sonne  ein 
viel  gleichmässiger  und  sie  bot  wenig  Anlass  zur  Zeitrechnung,  hier  boten 
die  Phasen  des  Mondes  einen  um  so  bessern  Anhaltspunkt,  als  der  den 
grössten  Theil  des  Jahres  heitere  Himmel  mit  seinen  hell  strahlenden  Sternen 
Orientirungspunkte  bot,  welche  wir  noch  in  den  Thierkreiszeichen  und  in  den 
Mondstationen  kennen.  Dass  die  Sternkunde  uralt  ist,  beweist  das  Buch  Hiob, 
in  welchem  schon  das  Bärengestirn  vv  ai  erwähnt  wird,  der  Woche  ist  in 
der  Schöpfungsgeschichte  ein  eigenes  Lied  gewidmet,  auf  welches  wir  noch 
eingehen  werden;  der  Nacht  (apj;  eqd)  ,das  Ende")  ist  in  der  Mythe  von 
22r  yaakob  eine  Genealogie  gewidmet,  aus  welcher  hervorgeht,  dass  dieselbe 
ursprünglich  nur  10  Theile  oder  Sohne  hatte,  welche  sich  allmählich  auf  12 
itrmehrlen;  merkwürdig  ist,  dass  die  Zwölfzahl  erst  im  ionischen  Alphabet 
aus^'eprägt  wurde  und  dem  gothisch- angelsächsischen  Futhork  zu  Grunde 
(lept,  während  die  Eilfzahl  dem  22theiligen  hebräischv^n  Alphabet  wie  dem 
uiarkomannischen  zu  Grunde  liegt,  obwohl  sie  auch  in  12  -h  10  m  diesem 
ebenso  enthalten  sein  dürfte,  wie  die  Chinesen  aus  der  10-  und  12theiligen 
ZifTcrnreihe  ihren  GOtheiligen  Cyclus  gebildet  haben. 

KALENDER  -  GESCHICHTEN. 

Seit  die  Menschen  an  der  Hand  der  Zahlen  denken  lernten,  beschäftigte 
sich  dieses  ihr  Denken,  sofern  es  nicht  von  den  Nahrungssorgen  eingenommen 
war,  mit  dem  Ursprünge  der  Dinge,  und  aus  diesem  Denken  entstand  die 
Religion.  Im  Grunde  besteht  in  dieser  Richtung  zwischen  den  ältesten  und 
jüngsten  Anschauungen  kein  Unterschied;  das  Chaos  der  Griechen  wie  das 
Kke  der  Chinesen  ist  der  Stoff  der  Materialisten,  der  Eros  der  Griechen  wie 
das  Li  der  Chinesen  (sie  können  kein  r  aussprechen)  die  Kraft;  indem  die 
Kraft  den  Stoff  bewegte,  sonderten  sich  die  gröberen  Theile  des  Stoffes  von 
df^n  feineren  oder  ballte  sich  der  SlofT  an  einzelnen  Stellen  zu  Körpern 
zusammen,  und  diess  war  die  Erde,  während  Eros  oder  Li  die  Luft  blieb.  Die 


1 50  Schöpfungsgeschichte. 

Luft  wurde  aufgefasst  als  Geist,  Hauch,  Gott,  Mann,  die  Erde  als  Körper  and 
Weib;  andererseits  wurde  die  Erde  als  fester  Körper  als  Mann  und  der 
Himmel  als  weicher  Stoff  als  Weib  betrachtet,  zumal  das  Weib  als  GebSrenn 
sich  durch  den  ihr  innewohnenden  Geist  befruchten  konnte;  endlich  erhob  sich 
als  dritte  Potenz  das  Kind,  welches  die  Erde  oder  die  Sonne  war,  und  dani» 
wurden  Mann  und  Weib  der  Himmel  und  es  entstanden  männliche  und  weib- 
liche Götter.  Es  lässt  sich  aus  diesen  Gesichtspunkten  sehr  einfach  die  Ein- 
heit und  die  Vielheit  der  Religionen  erklären,  wir  brauchen  aber  umsoweniger 
hier  darauf  einzugehen,  als  wir  diese  Verhältnisse  bereits  bei  den  Ur-Runen 
besprochen  haben,  und  es  sich  hier  nur  mehr  darum  handelt,  von  der  Vierzahl 
an  die  Entwicklung  weiter  zu  verfolgen. 

Die  nächste  Stufe  war  die  Woche  mit  ihren  sieben  Theilen,  und  ihrer 
Erklärung  ist  jenes  Gedicht  gewidmet,  welches  den  Anfang  der  Bibel  bildet : 
die  Schöpfungsgeschichte;  sie  hängt  innig  mit  unserer  Woche  zusammen, 
welche  sogar  den  Gedanken  noch  klarer  erkennen  lässt: 
Sonntag:  Mann  Mittwoch:  Donnerstag:   Thor,  Mann. 

Montag:     Weib  Zwitter  Freitag:  Freya,  Weib. 

Dienstag:  Kind,  geschlechtslos  Sonnabend  geschlechtslos. 

Die  Juden  kannten  keinen  Mittwoch,  nach  ihrer  Schöpfungsgeschichte 
waren  die  Tage 

1 .  Erschaffung  dos  Lichtes :     Mann     4.  Erschaffung  der  Lichter 
2.9,   Himmels :  Weib     5.  ^  des  Lebens  der  Luft  und 

im  Wasser 
3.  „  der  Erde:  Kind     6.  .  des  Lebens  auf  der  Erde 

7.  Ruhetag:  zeugungslos. 

Die  deutsche  Anschauung  ist  die  ältere,  denn  am  vierten  Tage  schuf  Gott 
die  Lichter,  „um  zu  theilen*  die  Zeiten,  die  Tage  und  Jahre,  das  ist  aber  der 
Mittwoch,  die  Mitlernacht,  der  Mittag  u.  s.  w.  Der  Gott  der  Theilung  war  der 
Merkur,  welchen  die  Deutschen  besonders  verehrten,  noch  bevor  der  Freitag 
und  dann  der  Sonntag  der  heilige  Tag  wurde.  Setzen  wir  daher  in  der  bibli- 
schen Schöpfungsgeschichte  den  vierten  Tag  in  die  Mitte,  so  verhalten  sich 
der  fünfte  und  sechste  Tag  kreuzend  zum  ersten  und  zweiten,  nämlich: 

1.  Licht:       Mann  4.  Theilung  5.  Himmel:  Mann 

2.  Himmel:  Weib  6.  Erde:        Weib 

3.  Erde:        Kind  7.  Ruhe:  geschlechtslos. 


Der  erste  Tag.  1 5  ^ 

%Iso  getreu  der  oben  entwickelten  Anschauung,  dass  Himmel  und  Erde  bald 
männlich,  bald  weiblich  betrachtet  wurden. 

Wir  könnten  uns  mit  dieser  Aufklärung  begnügen,  wenn  nicht  die 
Einzelheiten  dieser  Mythen  ein  helles  Licht  auf  die  Zeichen  würfen,  wenn 
nicht  die  Nachweisung  erspriesslich  wäre,  dass  dieselben  sogar  auf  den 
Zeichen  aufgebaut  ist,  weil  diess  wiederum  den  Beweis  liefert,  dass  die  Sprache 
sich  an  der  Schrift  emporrankte.  Vor  allen  Dingen  muss  man  sich  aber 
darüber  klar  ^ein,  dass  die  Sprache  nicht  auf  einmal  entstand,  dass  es  zuerst 
nur  Substantiva  gab  oder  vielmehr  BegrifTswörter,  welche  wie  die  flexions- 
losen chinesischen  Wörter  Substantiva,  Adjectiva  und  Verba  zugleich  waren; 
•lie  Bindemittel  derselben,  die  Artikel,  Fürwörter  u.  dgl.,  entstanden  erst  in 
spaterer  Zeit,  gleichwie  die  Cyclopen  ihre  Mauern  anfangs  ohne  Mörtel  auf-  ' 
führten  tmd  die  Steine  unverbunden  übereinander  legten.  So  bestand  die 
bibli>ehe  Schöpfungsmythe  ursprünglich  aus  den  Zeichen,  an  welche  eine 
Reihe  von  synonymen  Wörtern  angeknüpft  wurde,  z.  B.  im  ersten  Verse: 

4:  en  ros  »Haupt,  Anfang«,  («)ia  bar(a)  , schaffen*,  (rt^H  el(oh)  »Gott*^ 
•cMar  Ham(aim)  , Himmel*,  pC«)  ((t)re$  »Erde*,  (nn^n  hay(tho)  »sein**, 
r>nr.  tohm)  »wüste*,  <i)na  boh(u)  »leer*,  iyvn  /a^f'ek)  »finster*,  hp  al  »auf*», 
<•):©  pnrr)  »Angesicht«,  CDi)nn  t^(om)  »Tiefe*,  ndh  r(u)a/  »Geist*, 
•  ro>r^<3>  (me)raj((ep1\eth)  »schwebte«,  (DVO  mai(m)  »Wasser*,  no^K)  (a)mer 
, sprach«,  -ih)»  ar  »Licht«,  mO»  (ya)ra  »sah*,  a('i)tD  t(o)b  »gut*,  6n20> 
fifa)h(ifii)  »schied*,  («)ip(»>  (yi)qr(a)  »nannte*,  diO)  (y)(m  »Tag*,  wh(^)^ 
la(i)Ui  »Nacht«,  aVp»  -  (a>ip  ereb  »Abend«,  ipfa)  -  (n)pa  boqer  »Morgen« 
♦•f)nn  -  '^in)  a/ad  »eins«. 

D.  h.  4^  bedeutet:  Haupt,  Anfang,  schaffen,  Gott,  Himmel,  Erde  (sowie 
Himmel  und  Erde  vereinigt),  sein,  wüste,  leer,  finster,  auf,  Angesicht,  Tiefe, 
Geist,  schweben,  Wasser,  sprechen,  Licht,  sehen,  gut,  scheiden,  nennen 
(rufen),  Tag,  Nacht  (sowie  Tag  und  Nacht  vereinigt).  Abend,  Morgen,  eins. 

Diess  liegt  schon  in  der  Natur  des  Zeichens;  dasselbe  besteht  aus  < 
und  I,  d.  i.  der  Winkel  und  der  Pfahl,  aus  <  und  I  wurde  auch  A  gebildet, 
•omil  ist  A  gleich  ^;  <  ist  femer  gleich  ^  jetzt  a  b,  I  ist  gleich  1  jetzt 
3  gx  daher  ist  4-  sowohl  das  Chaos  A  als  die  Schöpfung.  Wir  können  dieses 
an  den  ägyptischen  Hieroglyphen  genau  beobachten. 

q|v   oder  ^  ra  ist  die    15-blällrige  (man  denke  an  das  15-thpilige 
Alphabet)  Reivaspflanze,   aus  der  die  Menschen  nach  der  persischen  Säte 


1 52  _  Der  erste  Tag. 

entstanden  sind,*®  \i/'  ap-mpi  »Jahresanfang*,  dieses  letztere  ist  aber 
wohl  dasselbe  wie  1 ;  n,^  ap  ist  der  Anfang  und  auch  das  Haupt  H,  der 
Kopf  zwischen  den  Schultern,  wie  ^s^  das  sich  Theilende,  auch  die  Schultern 
sind, ^"  ist  der  die  Erde  durchbohrende  Pflug  "^o,  ü^ar  1  ist  das  beiderlei 
Geschlecht,  der  Vornehme,  das  Auge,  der  Löwe,  das  Ei;  also  sowohl  die 
Kraft  wie  die  Frucht  und  die  Grösse,  sm  ist  das  brausende  Pferd,  das  Ohr  9 
hieratisch  ^,  rs  ist  das  oben  erwähnte  Reis,  im  Ägyptischen  ist  sm  ebenfalls 
Symbol  der  Erde,  da  es  das  Feld  II I  bedeutet  (aber  auch  die  blitzes- 
schwangere Wolke  sein  kann,  denni  ist  sowohl  die  Pflanze  wie  das  glänzende 
Eisen),  /%  ist  der  Himmel  r— ^  in  n  ,  ^  per-a  (=]^a?)  die  hohe  Pforte,  der 
Pharao,  pater  patriae;  th  ist  der  Obelisk  ■  als  Symbol  der  schaffenden  Erde, 
wegen  seines  Gestelles  ^  1 »  als  Stein  ,wüst*,  bh  ist  das  Gegentheil  nämlich 
der  Wasserbecken  '^«^',  das  öde  Meer,  aber  zugleich  als  Frauenbrusl  Symbol 
der  Fülle;  auch  das  Wasserbecken  vereinigt  beide  Elemente,  denn  das  Wasser 
ist  von  der  Erde  oder  dem  irdenen  Topfe  eingeschlossen;  ;^^=  ägyptisch  Atj 
ist  der  Tod  '-■i*  hieratisch  ^  der  Mensch  im  Mutterschosse  der  Erde,  al=ar 
ist  -«►*  sehen,  das  Auge,  das  Obere,  wie  wir  auch  , aufmerken,  aufschauen* 
gebrauchen,  das  Angesicht,  bn  ist  im  Ägyptischen  die  Wurzel  t  in  der  Blrde, 
wie  der  Augapfel  in  der  Höhle,  th  ist  der  ^  Wasservogel,  der  Taucher,  der 
in  die  Tiefe  sich  senkt,  r^  ist  ^jj?  der  Sturmwind,  der  Vogel  Rock,  überhaupt 
der  Vogel,  der  über  der  Erde  „schwebt*,  mm  »Wasser*  ist  auch  die  Kanne  |f , 
mr  »sprechen*,  reduplicirt  in  murmeln  ist  sowohl  die  Hacke  %Ä«^  wie  das 
rauschende  Meer  i^k  und  der  Augapfel  in  der  Augenhöhle;  ar  ist  dasselbe, 
nämlich  der  Blick,  das  Licht  des  Auges,  aber  auch  ^^  r  die  leere,  weisse 
Augenhöhle,  der  klare  Nachlhimmel,  vom  -<s>^  Auge  kommt  «i  ra  »sehen*, 
tp  »das  Haupt*  H  ist  »gut*  im  Gegensatz  zur  Höhle  ^>  jn  ra  »schlecht*. 
bt  J  der  Bohrer  ist  das  Theilende,  wie  p-^  pt  der  Himmel,  die  krystallene 
Scheidewand  zwischen  den  Wassern  über  und  unter  der  Veste,  qr  ist  ;^*^ 
die  Quelle,  daher  auch  der  Laut,  der  aus  dem  Munde  kommt  (unser  krähen, 
girren,  kichern,  kiren,  knurren),  am  ist  ägyptisch  /K  am  das  ausstrahlende 
Licht,  U  =  rr  ^=>  das  Zusammengezogene,  das  Innere,  die  Eingeweide,  auch 
^^  die  Nacht;  rb  ist  \^  die  Harpie,  die  die  Sonne  verschlingende  Finster- 
niss,  dagegen  bk  -^  die  die  Sonne  gebärende  Nacht,  der  Morgen,  /i  ist  der 
Zweig  '^»■^  a/  '^  der  Hals,  beide  Theile  des  Ganzen.  Alle  diese  Zeichen 
berulien  auf  ^^  auf  |    oder  i  und  auf  4^ 


Der  zweite,  dritte  und  vierte  Tag.  153 

In  derselben  Weise  wird  ^  heth  erklärt  als,  rp")  fvqf/a,  d.  i.  die  Scheide 
(Hymen)  zugleich  als  o^  ^,  das  Zahlwort  Sn  «zwei*,  daher  ist  ^  auch  n*2 
baith  das  (verschlossene)  Haus,  {ca  beteti  .der  Mullerleib«,  na  6afÄ  »die 
Tochter,  die  Jungfrau*,  d.  i.  der  Himmel,  welcher  von  Anfang  an  war,  dann 
speciell  der  heitere  Himmel,  der  noch  nicht  von  der  heissen  Sonne  erregt 
und  mit  Wolken  erfüllt  ist,  die  als  fruchtbare  Regen  sich  auf  die  Erde 
ergiessen;  wolü  auch  der  Winterhimmel  mit  seinen  dünnen  Schneeflocken. 

i  ffimfl  wird  erklärt  Absonderung  der  Erde,  d.  i.  A  unser  Giebel,  oder 
ä^'ptisch  ^^  qn  .der  Winkel«,  sie  theilt  sich  in  das  Meer  ^/n  und  in  die 
Erde  (i  rs  ist  pp  eres),  aus  welcher  Pflanzen  hervoi^ehen,  die  das  Wasser 
einsaugen,  damit  das  Trocknen  |  km  hervortritt.  Die  Zahl  Drei  hebräisch 
vhv  .saloS  bedeutet  , Nachkommen.  Sprossen«. 

A  daleth  wird  erklärt  als  Lichter  (-^^^  Auge)  und  als  Theilung  der 
Zeiten,  auch  als  Unterschied  zwischen  gross  und  klein;  in  A  vereinigen  sich 
zugleich  die  Begriffe  »drei«  und  vier,  denn  die  Seite  der  Pyramide  ist  drei- 
eckig, die  Basis  viereckig;  im  Chaldäischen  heisst  rb^  delath  (die  Erweichung 
des  hebräischen  r^v)  .drei«,  als  Symbol  des  Berges  ist  sie  gross  (an  rah 
.viel,  gross«);  entsprechend  unserem  »reit*',  ägyptisch  A  rp  .Jahr«  ist  vziv 
drhf}  ,vier*  die  Ernte,  die  Fülle,  die  samenreiche  Frucht. 

Diesen  vier  Zeichen  entsprechen  die  vier  Zeichen  l,  m,  n,  b,  nämlich : 
4^  (Jeph  verwandt  mit  cdaph  .sich  ^   lamed  verwandt  mit  lamad 

gewöhnen«,  .gewöhnen«, 

A  Utk  als  Himmel,  ^  mem  .Wasser«    (Stamm  von 

c*a*u  Sa  mäht  ^Himmel«), 
1  gim^  als  Keim,  y  tnui  .Sprossen«. 

A  lialfih  als  Theilung,  ^  sanie/^SüM/x'"  (das  theilende 

Rückgrat). 

Diesen  vier  entsprechen  aber  auch  die  Runen 
f  fe  als  Wind, 
n  ur  als  Himmelsgewölbe, 
^  ihotr  als  Keim, 
^  OS  als  Theilung. 

Die  Erzählung  flüul  nun  fort:  Gott  Hess  Himmel  und  Wasser  sirh  mit 
wehenden  und  lebendigen  Thieren  erregen;  das  Zeichen  ^  i^t  j'^enlalls  da« 
ig>plische  ^j^ /«i  Haar,  welches  .Farbe,  Haut,  Haar,  Schmerz*  bedeutet; 


1 54  Dor  fünfte  und  der  sechste  Tag. 

das  Haar  ist  das  Oberste  auf  dem  Kopfe,  welches  mitunter  auch  von  den 
lebendigen  Thieren  erregt  wird;  als  Leben,  hebräisch  rvn  jfoya  schliesst  es 
sich  an  4-  den  Geist  an,  aber  auch  als  nin  ^ata  (die  Eva)  an  die  EIrde,  die 
mit  Schmerzen  Gebärende;  übrigens  kann  die  Hieroglyphe^^ auch  .Wasser* 
bedeuten;  das  Zahlwort  van  ^ameä  5  ist  verwandt  miVv:ün )famas  .Scbmeer- 
bauch*,  bedeutet  daher  , schwanger*  und  weist  damit  auf  das  neunte  Zeichen 

Am  sechsten  Tage  liess  Gott  die  Thiere  der  Erde  entstehen,  d.  i.  im 
Grunde  dasselbe,  wie  die  Thiere  der  Lufl,  sofern  der  Begriff  des  »Lebens* 
hervortritt,  und  das  Zeichen  Y  vav  scheint  auf  i^  ab  , Schwanz*,  Symbol 
der  VierfQssler,  hinzudeuten ;  sofern  es  sich  aber  auf  die  Erde  bezieht,  erklärt 
sich,  warum  in  der  neuem  Schrift  t  (das  alte  1  gimel)  vav  wurde,  während 
fQr  ghnd  J  das  nordische  A  ar  verwendet  wurde.  Es  ist  ein  Irrthum  i  für  die 
Haken  zu  halten,  das  was  die  Bibel  unter  vav  versteht,  sind  Köpfe  oder 
Knäufe  der  Säulen,  also  das  ägyptische  |^n,  noch  deutlicher  (J  hieratisch^ 
das  Symbol  der  Nephthis  (römisch  nuptiae),  daher  tritt  hier  auch  die  Schöpfung 
des  Menschen  in  den  Vordergrund,  welcher  ist  «ein  Bild  Gottes*  (die  Bild- 
säule, aufrecht  stehend)  daher  [  pi  =  x*^  qain  »die  Lanze*,  der  Sohn  des 
Adam,  von  dem  Eva  sagt  m-T-n»  «^R'n'jp  qanithi  iS  eth-yehava  »ich  habe  den 
Mann,  den  Gott*,  wie  auch  thatsächlich  Qain  als  \vd  kitjun  (Saturn)  von  den 
Juden  verehrt  wurde,  denn  die  Propheten  nennen  ihn  D3»oi»x  p»3  ^kUjnn,  euer 
Bild*.  Zu  beachten  ist  auch,  und  mit  der  Säule  im  Einklang,  dass  Gott  Mann 
und  Weib  zugleich  schuf  im  Gegensatz  zu  der  andern  Mythe,  wonach  Gott 
die  Eva  (den  Mond)  aus  der  Rippe  des  Adam  schuf,  was  auf  einem  Wortspie! 
beruht.  Die  Zahl  sechs,  hebräisch  w  äeä,  bedeutet  weiss,  ursprünglich  wohl 
nur  »glänzend*,  denn  iv^  äaSar  ist  wie  dt»  adam  »roth*  und  die  Säulen 
wurden  mit  Gold  überzogen;  diesem  Glanz  entspricht  die  Schlange  1  ,  wovon 
das  Zeichen  :V  yod  abstammt,  denn  nn  hud  ist  gleich  dem  keilschrifllichen 
J"^  i,  mih  »Glanz,  Majestät*  dessen  passive  Form  «r  yeda  »preisen*,  ägyp- 
tisch nl  oder  J^  ha  ist. 

Damit  war  die  Schöpfung  beendet  und  sechs  Zeichen  schöpferischer 
Thätigkeil  geschaffen,  wobei 

+        A 
1  Y 


Der  siebente  Tag.  Die  Schöpfungsgeschichte  der  Neuseeländer.  1 55 

einander  gegenüberstanden,  an  welche  sich  ^  und  ^  anschlössen,  denen 
auf  der  andern  Seite  ^  Kopf  und  W  Sin  (Untertheil,  Scheide)  entsprachen. 
Es  mussten  aber  sieben  gebildet  werden,  weil  die  Woche  sieben  Tage  hatte^ 
und  so  nihete  Gott  am  siebenten  Tage  und  segnete  die  Menschen.  Dieses 
Ruhen  ist  aber  zweideutig,  denn  die  Nacht,  die  Zeit  der  Ruhe,  ist  zugleich  die 
Zeit  der  Zeugung,  und  das  folgende  Zeichen    X    zain  ist  verwandt  mit  njr 
zana  , buhlen".  In  dieser  Beziehung  redet  das  Zeichen   IE  ,   es  ist  die  Säulc^ 
{r^xiafna'S^beih,yerwgLndimiiT\:immi'zbea/  , Altar'  und  ry'\t^:i)tsebaoth  , Sterne*); 
so  dachte  man  sich  und  so  denken  sich  noch  heute  die  Maoris  das  Chaos: 
Himmel  und  Erde  hafteten  aneinander,  und  Finstemiss  lag  über  ihnen  und 
den  Wesen,  welche  sie  gezeugt  hatten,  bis  zuletzt  ihre  Kinder  berathschlagten. 
ob  sie  ihre  Eltern  auseinanderreisfsen  oder  erschlagen  sollten.  Der  Vater  der 
W&lder  sagte  zu  semen  fünf  grossen  Brüdern,  es  ist  besser,  wir  trennen  sie, 
$0  dass  der  Himmel  weit  über  uns  steht  und  die  Erde  unter  unseren  Füssen 
liegt.  Lasst  den  Himmel  uns  fremd  werden,  aber  die  Erde  bleibe  bei  uns,  als 
unsere  nährende  Mutter.  Aber  vergebens  erhob  sich  der  Gott  der  Cultur- 
pflanzen,  der  Gott  der  Fische,  der  Gott  der  wildwachsenden  Nahrungsmittel 
und  der  Gott  der  Menschen.  Da  erhob  sich  der  Gott  der  Wälder,  und  unter 
Schreien  und  Ächzen  wurden  sie  von  ihm  getrennt.  Bis  auf  den  heutigen  Tag 
ist  der  Himmel  noch  immer  von  der  Erde  getrennt,  doch  ihre  gegenseitige 
Liebe  besteht  noch  immer,  die  sanften  warmen  Seufzer  ihres  liebenden  Busens 
erbeben  sich  noch  immer  zu  ihm,  aufsteigend  von  den  waldigen  Bergen  und 
Tliälem,  und  die  Menschen  nennen  sie  Nebel,  und  der  weite  Himmel,  der  die 
langen  Nächte  über  die  Trennung  von  seiner  Geliebten  trauert,  lässt  häufig 
Thrftnen  auf  ihren  Schoss  fallen,  und  Menschen,  welche  diese  sehen,  nennen 
sie  Thautropfen.   Konnte  das    3Z    schöner  besungen  werden?  An  dieses 
Zeichen  schliesst  sich  Y  kajyh  an,   es  ist  das  Gegentheil  von  4^,   der  leere 
Gaumen,  das  Ginnunagap  oder  Chaos,  das  am  Anfang  war.  Der  Name  der 
sieben  pav  Sebä'  ^ schwören*  weist  auf  die  Hand  hin,  aber  die  Hand  ist  auch 
das  Symbol  des  Todes,  namentlich  als  ^^«  tot,  die  geschlossene  Hand,  pavr 
ist  die  Wurzel  von  tevD  mi^pot  , Gericht",  ägyptisch  uMti  (u=m)  r  die 
Götter  der  Unterwelt,  wovon  zugleich  D»n3C?o  nmhattim  ,  Vertilgungen  •  her- 
stammt; §ep  in  Ägypten  jWK  ist  das  Zeichen  fQr  80.  bedeutet  also  eine  grosse 
Zahl,  die  Ewigkeit,  sie  ist  aber  auch  das  umgekehrte  ZZi  ps  .theilen*,  die 
Hälfte,  und  als  solches  steht  Y  am  Schlüsse  der  ersten  Zeichenreihe,  während 


1 56  Wechsel  zwischen  Sieben  und  Acht 

ihm  gegenüber  X  Thau  steht,  das  Zeichen  des  Schlusses,  des  Todes,  aber 
auch  der  Vermehrung  in's  Unendliche. 

Es  scheinen  übrigens  hier  S  Zeichen  in  7  zusanmiengezogen  zu  sein, 
denn  I  ist  als  Säule  auch  der  Mensch  und  Q  ^eth  ist  als  Gitter  das  ägyptische 
äep,  zugleich  das  umgekehrte  IE  als  [-|,  nn  ^eth  ist  der  Schrecken,  nnnjjfatham 
»versiegeln",  wie  "»n  thau  als  X  der  Abschluss,  die  Unlersclmft,  die  Besiege- 
iung  des  Vertrages  ist. 

Demnach  sind: 
4^    aleph  Chaos  und  Licht  ^i    e/ad  Zweig,  eins  1 

^     beih  Himmel,  Hymen  ^  am  Scheide,  zwei  i^n 

1      ^mel  Erde,  Pflanze  ^  öcUoS  Sprosse,  drei  ^ 

A   daleth  Zeiltheilung  A  arba  Fülle,  vier  A 

\    he  Leben  der  Lufl  t^  /atnas  Schmerbauch,  fünf  ^ 

Y     vav  Leben  der  Erde  ^  ^eS  Glanz,  sechs  J^ 

m  zain  Ruhe,  Vereinigung  ^  Sdxi  das  Unterirdische,  sieben    ■ 

H  }f€ih  dasselbe. 

Mit  der  Siebenzahl  und  diesen  Zeichen  ist  noch  eine  andere  Sage 
verknüpft,  welche  aus  Babylon  stammt;  es  ist  die  Sage  von  Istars  Hollen- 
fahrt, welche  in  sehr  ausführlicher  Form  auf  Keilschrifltäf eichen  gefunden 
wurde.  Eine  verblasste  Form  dieser  Sage  findet  sich  in  der  nordischen 
Erzählung  von  Idunn's  Raub  durch  die  Riesen,  und  da  hierbei  die  Idunn  in 
eine  Schwalbe  verwandelt  wurde,  so  ist  es  eine  Soimensage;  Idunn  kommt 
im  Frühling  mit  der  heimkehrenden  Schwalbe  zurück,  bleibt  dann  wahr- 
scheinlich während  der  Blüthezeit  bei  den  Äsen  und  wird  von  Loki  (hier  die 
Hitze)  zu  den  Frostriesen  gebracht,  wonach  die  3X7  Zeichen  der  deutschen 
Runen  sich  erklären. 

Wir  lassen  hier  die  Sage  nach  Lenormanf  s  Übersetzung,*®  und  zwar 
stellenweise  wörtlich  folgen,  weil  die  fortwährenden  Wiederholungen  beweisen, 
dass  absichtlich  die  Erzählung  ausgedehnt  wurde,  um  besser  im  Gedächtniss 
bewahrt  zu  werden;  die  Form  der  Erzählung  erinnert  an  die  Erzählungsweise 
unserer  Bauern,  wo  es  hcisst  »ich  habe  gesagt*  und  darauf  , er  hat  gesagt*, 
wobei  Rede  und  Gegenrede,  obgleich  meist  dasselbe  bietend,  umständlich 
erzählt  werden. 


Islar's  Höllenfahrt.  ^  ^^ 

1.   NnMi  dem  Lande  ohne  Heimkehr,  dem  Gebiete  der  Heimgegangenen» 
Istar,  Sin's  Tochter,  den  Sinn  fest 
hat  gerichtet;  Sin's  Tochter  hat  gerichtet  den  Sinn 
nach  demWohnsitz  der  Heimgegangenen,  dem  Sitze  des  Gottes  Irkalla, 
5.  Nach  dem  Wohnsitz,  wo  man  eintritt,  ohne  wieder  herauszutreten,  nach 

dem  Pfade,  wo  man  geht,  ohne  wieder  zurückzukommen  etc. 
1 2.   Istar,  am  Thore  des  fernen  Landes  ohne  Heimkehr,  sich  nähernd 
dem  Wächter  des  Thores  hat  verkündet  ihren  Willen, 
dem  Wächter  des  Wassers:  —  Oeffne  dein  Thor! 
15.  Öffne  dein  Thor,  auf  dass  ich  eintrete; 

wenn  du  nicht  öffnest  dein  Thor  und  dass  ich  selbst  nicht  kann  eintreten, 
werde  ich  einstürmen  auf  das  Thor,  ich  werde  den  Riegel  zerbrechen  etc. 
^Nachdem  der  Wächter  die  Bewilligung  der  Fürstin  des  Grabes  ein- 
geholt hat,  spricht  er) : 
iO.  Tritt  ein,  o  Herrin  von  Tiggaba.  Dass  •    •    •    • 

Dass  der  Palast  des  Landes  ohne  Heimkehr  sich  erfreue  bei  deinem  Anblick. 
Am  ersten  Thor,  er  hat  sie  eintreten  lassen,  er  hat  sie  empfangen,  er 

hat  abgenommen  die  grosse  Krone  von  ihrem  Haupte. 
,  Warum,  Wächter,  hast  du  abgenommen  die  grosse  Krone  von  meinem 

Haupte?* 
,  Tritt  ein,   Herrin,   denn  die  Fürstin  des  Grabes   (behandelt)   so  ihre 
Besucher.  ■ 
15.  Am  zweiten  Thor,  er  hat  sie  eintreten  lassen,   er  hat  sie  empfangen,  er 
hat  abgenommen  die  Gehänge  von  ihren  Ohren. 
,  Warum,  Wächter,  hast  du  abgenommen  die  Gehänge  von  meinen  Ohren?" 
, Tritt  ein,   Hei-rin,  denn  die  Fürstin  des  Grabes    (behandelt)  so  ihre 

Besucher." 
Am  dritten  Thor,  er  hat  sie  eintreten  lassen,  er  hat  sie  empfangen,  er 

hat  abgenommen  die  Edelsteine  von  ihrem  Halse. 
,  Warum,  Wächter,  hast  du abgenommendie  Edelsteine  von  meinem  Halse?" 
50.   «Tritt  ein,  Herrin,   denn   die   Fürstin  des  Grabes  (behandelt)   so   ihre 
Besucher.  ■ 
Am  vierten  Thor,  er  hat  sie  eintreten  lassen,  er  hat  sie  empfangen,  er 

hat  abgenommen  den  Schmuck  von  ihrer  Brust. 
,Warüm,  Wächter,  hast  du  abgenommen  den  Schmuck  von  meinerBrusl?* 


1 58  Istar^s  Höllenfahrt 

«Tritt  ein,   Herrin,   denn  die  Fürstin  des   Grabes  (behandelt)  so  ihre 

Besucher.* 
Am  fOnften  Thor,  er  hat  sie  eintreten  lassen,  er  hat  sie  empfangen,  er 
hat  abgenonmien  den  mit  Edelsteinen  verzierten  Gürtel  von 
ihren  Hüften. 
55.   «Warum,  Wächter,  hast  du  abgenommen  den  mit  Edelsteinen  verzierten 
Gürtel  von  meinen  Hüften?* 
«Tritt  ein,  Herrin,   denn  die  Fürstin  des  Grabes  (behandelt)  so  ihre 

Besucher.* 
Am  sechsten  Thor,  er  hat  sie  eintreten  lassen,  er  hat  sie  empfangen,  er 

hat  abgenommen  ihre  Arm-  und  Fussspangen. 
«Warum,  Wächter,  hast  du  abgenommen  meine  Arm- und  Fussspangen?* 
«Tritt  ein,  Herrin,   denn  die  Fürstin  des  Grabes  (behandelt)  so  ihre 
Besucher*. 
60.  Am  siebenten  Thor,  er  hat  sie  eintreten  lassen,  er  hat  sie  empfangen, 
er  hat  abgenonmien  den  Schleier  ihrer  Scham  etc. 
Hierauf  folgt  die  Zusammenkunft  mit  der  Fürstin  des  Grabes;  auf  der 
Erde  machen  sich  die  Folgen  der  Entfernung  der  Istar  bemerkbar,  die  Liebe 
ist  verschwunden,   Menschen  und  Thiere  vermehren  sich  nicht  und  drohen 
auszusterben;  da  gebietet  Nuah,  die  Istar  heimkehren  zu  lassen,  und  sie  tritt 
durch  dieselben  Thore,  an  jedem  den  ihr  früher  weggenommenen  Schmuck 
zurückempfangend,   wobei  jedoch  am   fünften  Thore  «Stirn*  statt  «Hais* 
gebraucht  wird. 

Vergleichen  wir  diese  Sage  mit  den  obigen  Schriftzeichen,  so  stinmit 
^  als  Licht  mit  der  Krone  der  Istar  und  ihrem  Haupte  überein;  ^  haben  wir 
als  Himmel  kennen  gelernt,  aber  mit  Himmel  (D*av  ^ftiotm)  ist  «hören* 
pcv  ^amä  innig  verwandt,  durch  «Ohr*  erklärt  sich  auch  die  spätere  Form 
O;  1  haben  wir  als  Erde  und  Pflanze  kennen  gelernt,  der  gebogenen  Pflanze 
entspricht  der  Hals ;  merkwürdig  ist  auch  die  Lautverwandtschaft,  die  zwischen 
*j3nj  gargar  «Hals*  (unsere  Gurgel)  und  ^  gen'  «Elrde*,  zwischen  DU'n^ 
tsavarmim  und  ")i5t  tsar  «Fels*  besteht,  hieraus  erklärt  sich  auch  der  Wechsel 
zwischen  i  und  A,  und  letztere  Form  Hess  wohl  auch  die  Stirne  an  Stelle 
des  Halses  treten;  A  daieth  «die  Thür*  entspricht  der  Brust,  hebräisch 
*rt  dad  und  dem  Worte  nn  hod  «Schmuck*,  namentlich  in  der  auch  vorkom- 
menden Form  y ;    zur  Hüfte  passt  eigentlich  der  fünfte  deutsche  Buchstabe 


Istar's  Höllenfahrt  1 59 

M.  welcher  nicht  nur  die  Schulter,  sondern  auch  die  Weichtheilc  des  Körpers 
darstellt,  die  Theilung,  wie  auch  hufbeini  «die  Hinterkeule"  bedeutet  und 
Haufe  ursprünglich  die  Unebenheit  ist;  dem  entspricht  unter  den  hebräischen 
Zeichen  am  meisten  Ö  t;  die  Arme  und  Füsse  werden  durch  ^  oder  ni 
vertreten,  und  ^  kapk  ist  im  Sinne  von  n^^  qobah  «die  Scham*,  womit  f)o 
kaph  in  der  Bedeutung  von  .Pfanne,  Schale*  zusammenhängt. 

Jedenfalls  dachten  sich  die  Chaldäer  wie  die  Ägypter  den  Himmel  als 
ein  Weib,  I  1  ifcft  -  mn  -  fiap  ^ava  (Eva),  welches  am  Abend  die  Sonne 
verschluckt  und  sie  am  Morgen  neu  gebiert,  die  Sonne  läuft  nun  in  der 
Nacht  durch  die  verschiedenen  Theile  des  Körpers  und  am  Tage  legt  sie 
aussen  denselben  Weg  zurück,  wobei  die  Zeichen  natürlich  in  umgekehrter 
Weise  folgen,  also: 


1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

4- 

^ 

1 

A 

« 

^ 

>l 

7 

6 

5 

4 

3 

2 

1 

*■ 

t 

1 

A 

« 

^^ 

* 

Es  mag  mit  dieser  Erscheinung  die  Art  des  Schreibens  zusammen- 
gehängt haben,  welche  unter  dem  Namen  Bustrophedon  bekannt  ist  und  ihren 
Namen  davon  hat,  dass  die  Hand  die  Zeilen,  wie  der  Pflug  die  Furchen  des 
Ackers,  zieht,  von  links  nach  rechts,  dann  von  rechts  nach  links  u.  s.w.; 
wahrscheinlich  wurden  im  zweiten  Falle  andere  Zeichen  angewendet,  vielleicht 
auch  dieselben  mit  der  Bezeichnung  vor  und  nach;  wurden  die  Zeichen  jedoch 
nicht  auf  den  Tag,  sondern  auch  auf  das  Jahr  bezogen,  so  trat  noch  eine 
dritte  Reihe  ein,  welche  die  Zeit,  während  welcher  die  Sonne  in  der  Unter- 
welt zubrachte,  eintheilte,  dann  erhalten  wir  drei  Reihen  von  je  sieben 
Zeichen,  von  denen  die  erste  Reihe  die  Zeit  der  Fruchtbarkeit,  die  zweite 
die  Zeit  der  Unfruchtbarkeit  und  die  dritte  die  Zeit  der  Erneuerung  oder 
Überschwemmung  ist. 

Es  musste  nach  solchen  Erfahrungen  die  Vermuthung  entstehen,  dass 
auch  die  10  Gebote  des  Moses  mit  den  alphabetischen  Zeichen  zusammen* 
lüngen.  Diese  Vermuthung  wurde  zwar  durch  die  Bemerkung  erschüttert, 
dass  nicht  das  siebente  Gebot,  sondern  das  dritte  die  Heilighaltung  des 
Feiertages  gebot,  aber  eine  eingehende  Untersuchung,  sowie  die  Herbeiziehung 
der  Namen  der  Kinder  Jakobs  erklärte  sofort  diesen  Umstand  und  bestätigte 
die  Vermuthung,  dass;  die  zehn  Gebote,  welche  Moses  den  Kindern  Israels 


1 60  Die  zehn  Gebote. 

gab,  in  nichts  Anderem  bestanden  als  in  den  alphabetischen  Zeichen,  an 
welche  mündlich  überlieferte  Erklärungen  geknüpft  waren.  Ich  sage:  mündlich 
überlieferte,  denn  dafür  sprechen  die  Abweichungen  in  den  beiden  Über- 
lieferungen, welche  wir  im  II.  Mose  20,  2—17  und  V.  Mose  5,  6  —  21 
besitzen.  Von  kleinen  Abweichungen  abgesehen,  wird  nämlich  das  dritte 
Gebot,  du  sollst  den  Sabbath  heiligen,  in  der  ersten  Überlieferung  damit 
motivirt,  dass  Gott  an  sechs  Tagen  die  Welt  erschaffen  habe,  in  der  andern 
aber  durch  den  Auszug  aus  Ägypten,  der  um  so  auffallender  an  dieser  Stelle 
ist,  als  er  schon  in  dem  ersten  Gebote  berührt  wurde;  femer  heisst  das 
neunte  Gebot  an  der  einen  Stelle :  du  sollst  nicht  begehren  deines  Nächsten 
Haus,  an  der  andern  Stelle :  du  sollst  nicht  begehren  deines  Nächsten  Weib, 
worauf  dem  entsprechend  auch  im  zehnten  Gebote  Haus  und  Weib  wechseln. 
Nun  ist  aber  die  Geschichte  von  den  Tafeln  so  lebendig  erzählt,  dass  kaum 
angenommen  werden  kann,  sie  sei  erfunden;  wir  können  somit  die  Sache 
nur  so  auffassen,  dass  die  Tafeln  Zeichen  enthielten,  welche  mündlich  erklärt 
wurden,  und  dass  zwei  dieser  Zeichen  sogar  verschieden  erklärt  werden 
konnten. 

Bevor  wir  weiter  gehen,  ist  es  nothwendig,  einen  Blick  auf  die  Ent- 
stehung der  zwölf  Stämme  Israels  zu  werfen.  Ihr  Stammvater  war  onn»  Ahratn, 
d.i.  Vater  der  Höhe,  tr\  soviel  wie  D"»k  Aram  (Hochland),  wovon  die  Aramäer 
den  Namen  fuhren.  Abram,  der  Berg  oder  der  Alte  vom  Berge,  hatte  zwei 
Weiber  (Seiten),  die  "ijn  Hagar,  d.  h.  die  Flucht,  und  die  »nw  oder  mv  Sara, 
die  Fürstin.  Der  Stamm  von  Hagar  ist  13  ger  »der  Fremde*,  welchem  Worte 
m?K  ezra/  »der  Einheimische*  gegenübersteht,  der  Stamm  hiervon  ist  mr 
zara^  »Aufgehen  der  Sonne,  Aufschiessen  der  Pflanzen*,  daher  ezra}^^  der 
Baum,  der  auf  seinem  ursprünglichen  Boden  steht.  Der  Vater  der  Höhe  halte 
also  zwei  Seiten,  den  Sonnenaufgang  und  den  Sonnenuntergang,  denn  mw  ist 
eng  verwandt  mit  nir,  dem  entsprechend  gab  es  im  Alterthum  zwei  grosse 
Religionen;  die  welche  die  aufgehende  Sonne  und  die  welche  die  Nacht  ver- 
ehrte, die  Sonnen-  und  Mondanbeter.  Der  erstgebome  Sohn  Abrahams  war 
der  Sohn  der  Hagar,  k^poü'  lätndel,  d.  i.  der  hörende  Gott,  der  Gott  SetUy 
der  andere  war  Isaak,  der  Spötter,  die  Sonne;  dessen  Sohn  b»yo^  Israel,  der 
Gott  Fürst  (denn  nt?  ist  hier  dasselbe  Wort  wie  mv  Sara),  früher  ^pP*  Jakob 
genannt,  app  dqab  heisst  , hinten  sein* ;  also  die  Nacht,  während  er  als  Israel 
Gott  der  Sonne  wurde.   Jakob  als  Nacht  geht  zu  Laban  (d.  h.  weiss)  und 


Die  zwölf  Stämme.  161 

erhftlt  von  diesem  zwei  Töchter,  nämlich  Lea  (griechisch  Rhea)  «die  Müdig- 
keit* und  daher  die  Nacht,  und  hm  Ra^d  (das  Mutterschaf,  arabisch  das 
Lamm,  also,  da  ägyptisch  der  Widder  ^ff9t  ^r  heisst,  der  Tag).  Von  der  Lea 
erhielt  Jakob  zuerst  vier  Söhne:  R'uben,  Simeon,  Levi,  Jehuda;  dann  von 
der  Bilha  (Furchtsamkeit),  einer  Magd  der  Rahel,  also  nach  der  ganzen 
Anlage  dieser  Sagen  einer  andern  Form  der  Rahel,  zwei  Söhne:  Dan  und 
Naphthali,  drittens  von  der  Zilpa  (Tropfen),  einer  Magd  der  Lea,  zwei  Söhne : 
Gad  und  A§er;  er  hatte  somit  acht  Söhne,  vier  von  einer  rechtmässigen  Frau 
und  vier  von  Nebenweibem.  Waren  die  vier  ersten,  wie  es  nach  der  ganzen 
Anlage  dieser  mythischen  Erzählung  zu  vermuthen  ist,  die  vier  Theile  der 
Windrose:  Mittemacht,  Morgen,  Mittag  und  Abend,  so  war  nun  aus  der 
viertheiligen  durch  HinzufQgung  die  achttheilige  Windrose  gebildet.  Hierauf 
erhielt  Jakob  wieder  von  der  Lea  zwei  Söhne :  Issas/ar  und  Zebuion,  und  er 
hatte  nun  so  viel,  als  die  chaldäischen  Monatsnamen  BegrifTszeichen  haben: 
Stier,  Ziegelstein,  Hand,  Feuer,  Bogen,  Damm,  Gründung,  Wolken,  Regen, 
Vermessung,  wie  auch  die  Römer  ursprünglich  nur  zehn  Monate  kannten. 
Darauf  gebar  ihm  Rahel  den  Josef,  welcher  als  « Zugabe '  erklärt  virird,  was 
auf  einen  Schaltmonat  hinweist;  endlich,  und  zwar  nach  der  Rückkehr  nach 
Palästina  und  nachdem  er  im  Kampfe  mit  Gott  zeugungsunfähig  geworden 
war  und  den  Namen  Israel  erhalten  hatte,  gebar  ihm  Rähel,  wie  die  von  dem 
Schatten  desOsiris  geschwängerte  Isis,  einen  Sohn,  bei  dessen  Geburt  sie  starb. 
Was  nun  die  Beschäftigung  dieser  Stämme  betrifft,  so  ist  allgemein  die 
Ansicht  verbreitet,  sie  seien  Hirten  gewesen;  dem  widerspricht  jedoch  der 
Umstand,  dass  sie  wegen  Misswachs  nach  Ägypten  schickten,  um  Getreide 
einzukaufen.  Es  war  also  eine  in  Kanaan  ansässige  Völkerschaft,  welche 
später  nach  Ägypten  auswanderte  und  von  dort  nach  Kanaan  in  Folge  einer 
<  wahrscheinlich  misslungenen)  Empörung  zurückfloh.  Dieses  Volk  bestand 
aus  Fürsten,  Priestern  (Leviten)  und  wahrscheinlich  aus  verschiedenen 
Standen  oder  Kasten,  deren  jede  einen  Ahnherrn  verehrte ;  ähnlich  wie  Jabal 
als  Stammvater  derjenigen  galt,  die  in  Hütten  wohnten  und  Vieh  zo^'cri,  Jubal 
sein  Bruder,  von  dem  sind  hergekommen  die  Geiger  und  Pfeifer,  Thubalkain 
der  Meister  in  allerlei  Erz  und  Eisenwerk.  Dass  die  Priester  die  Reihenfolge 
der  Stände  nach  Willkür  bestimmten,  sie  vielleicht  in  der  Reihenfolge  beson- 
derer Sternbilder  ordneten,  dürfte  sehr  wahrscheinlich  sein,  die  Reihenfol;:e 
der  Geburt  deutet  entschieden  darauf  hin. 

f  «almann,  6«»chichte  d.  Schrift.  1 1 


162  Rüben,  Simeon. 

Untersuchen  wir  nun  die  Zeichen  mit  ihrer  Beziehung  auf  die  Gebole, 
so  tritt  uns  als  das  erste  das  Zeichen  ^i  als  Gotteszeichen  entgegen:  anoki 
yehoca  tlohik  «ich  bin  Jehova,  dein  Gott*  etc.  4f.  ist  die  hieratische  Form 
des  ägyptischen  Harpokrates,  der  auch  mit  dem  Gott  *jP  f  Änokt  identisch 
sein  dürfte,  das  war  der  Gott  der  Erde,  eigentlich  seiner  Federkrone  halber 
ursprunglich  wohl  Himmel  und  Erde,  wie  ^  aus  <c  und  I  entstanden  ist, 
hieraus  folgt  auch  das  Verbot,  ein  Bildniss  zu  machen,  weil  jedes  Bild  indivi- 
duell ist  und  daher  den  Gesammtbegrifif  zerstören  würde,  der  in  dem  Mono- 
theismus liegt.  Diesem  Zeichen  entspricht  nun  der  Name  des  erstgebomen 
Sohnes  Jakobs,  pw"i  R*uben  oder  Ra-u-hen,  das  wäre  »sehen  (Auge)  und  Sohn*; 
Harpokrates  war  das  Kind,  die  neugeborne  Sonne,  das  Auge  (Osiris)  sein 
Vater;  der  Begriff  des  die  Höhle  durchbrechenden  Augenstrahls  (Augapfels) 
liegt  dem  Zeichen  J(-  offenbar  zu  Grunde.  Bei  der  Geburt  R'uben's  wird  der 
Name  durch  '»Jp^  rnn*  nxn  raa  j/ehova  be^anyi  ,  der  Herr  hat  angesehen  mein 
Elend*  erklärt;  aber  es  ist  nicht  abzusehen,  warum  ein  Laut  wie  V  ausgelassen 
sein  sollte,  weshalb  Gesenius  »sehet,  ein  Sohn!*  für  die  natürlichste  hält; 
man  kann  auch  p  für  pa  beti  »Unterschied*  nehmen,  wonach  es  also  heissen 
würde:  »sehet  den  Unterschied',  und  diess  würde  auf  den  doppelgesichtigen 
Janus  führen,  wie  auch  Hermes-Harpokrates  zwiegeschlechtig  war  und  als 
Obaos  zwiegeschlechtig  sein  mussle. 

^  wird  erklärt  damit,  dass  der  Name  Gottes  {üv  äem)  nicht  missbraucht 
werden  solle;  §em  war  ein  Sohn  Noahs,  von  dessen  Stamm  zu  sein  die 
Israeliten  sich  rühmten,  dass  das  Zeichen  ^  samaitn  »Himmel*  bedeutet, 
haben  wir  in  der  Genesis  gesehen;  der  zweite  Sohn  Jakobs  heisst  Ppaw  Sitneon, 
d.i.  Erhörung,  dem  entsprechend  wird  in  der  Istar-Legende^  durch  Ohr  erklärt; 
wie  auch  üv  Sem  »rauschen*,  ü^qv ^amaim  »Himmel*  und  Pöw  iamd  »hören* 
begrifflich  verwandt  sind;  der  Himmel  heisst  im  Ägyptischen /><.  In  der  Genesis 
war  beth  durch  raqia  „Hymen*  erklärt,  das  wäre  das  äg>'ptische  ^=>  rr  (rollen, 
beben)  oder  die  hieratische  Form  .^  von  ^=^  ui^  »ausbreiten*  (ursprüng- 
lich das  Bächlein):  pt  ist  aber  auch  TujI  der  Himmel  über  der  Erde,  und 
damit  verwandt  ist  P*****  pr-a  »die  hohe  Pforte,  der  Pharao*.  Wenn  das 
erste  Zeichen  »Gott*,  das  dritte  den  , Priester*  bedeutet,  so  ist  es  natürlich, 
dass  zwischen  ihnen  der  König  steht,  tnn  ist  im  Ägyptischen  ein  Zepter,  das 
Zepter  sm  ist  das  Symbol  des  ^  ptah,  des  Gründers  der  Königs  würde,  Ptah, 
der  Widdergott,  ist  der  nordische  Tfiopr  ^,  das  Hom  y,  hieratisch  i)^  bedeutet 


Len.  Juda.  163 

.Stand,  Würde*;  es  ist  somit  alle  Wahrscheinlichkeit  vorhanden,  dass  beth 
zuerst  Himmel,  dann  den  Hinmielssohn,  den  König,  bedeutete.  Natürlich  hatte 
Moses  Ursache,  die  Königswürde  nicht  in  Erinnerung  zu  bringen,  oder  seine 
Nachfolger  änderten  den  ursprünglichen  Sinn,  genug,  die  Stelle  macht  den 
Eindruck,  als  habe  sie  ursprünglich  geheissen  ,du  sollst  den  König  nicht 
schmähen*. 

1  gimd  stimmt,  sofern  es  sich  auf  vip  qiddaS  , heiligen*  und  auf  den 
Priester  bezieht,  von  dem  es  auch  heisst  (3.  Moses  21,  8)  .du  sollst  ihn 
heilig  halten,  denn  er  opfert  das  Brot  deines  Gottes",  mit  dem  ägyptischen 
nl  te  .preisen*  überein;  der  dritte  Sohn  Jakobs  war  *if?  lein,  bekannthch 
der  Priesterstanmi,  dessen  Name  mit  ni^  lava  .anhängen*  erklärt  wird  (nun 
wird  mir  mein  Mann  wieder  anhängen,  denn  ich  habe  ihm  drei  Söhne  geboren), 
der  Priester  war  aber  der  Anhänger  des  Königs,  sein  Freund  und  Vertrauter ; 
auffallend  ist  hier  die  Erwähnung  der  Dreizahl,  welche  die  Reihenfolge 
bestätigt.  Bemerken swerth  ist  auch,  dass  i  die  umgekehrte  Rune  T  ist,  welche 
alä  griechisches  l  mit  dem  hebräischen  A  l,  jetzt  ^,  Ähnlichkeit  hat.  Übrigens 
liefert  auch  das  hebräische  D^  gam  .vermehren*  eine  Erklärung,  da  es  sinn- 
verwandt mit  mb  lata  in  dem  Sinne  ist,  wie  es  Lea  von  Jakob  gebraucht. 
Unwillkürlich  drängt  sich  dabei  die  Erinnerung  auf,  dass  die  Priester  im 
Alterthum  auch  zur  Veredlung  der  Stämme  dienten,  weshalb  nur  solche  in 
das  Pricsterthum  aufgenommen  wurden,  welche  keine  Körperfehler  besassen 

A  daleth  wird  durch  t^  kibbed  , ehren*  erklärt  (ursprünglich  war  es 
wohl  das  Geschlecht,  worauf  Vater  und  Mutter  deutet),  aus  *t^  entstand 
T23  kobod  .Ehre,  Majestät,  Herrlichkeit*,  das  ist  auch  die  Bedeutung  von 
— "*  hod,  der  Stamm  von  rm.T  yehuda,  oder  Juda,  wie  der  vierte  Sohn  Jakobs 
heisst;  dieser  Name  wird  in  der  Genesis  durch  rmM  ode  .danken*  erklärt; 
damit  hängt  das  ägyptische  A  oder  A-J  du  .Gabe,  Geschenk*  zusammen. 
Bezieht  sich  das  Zeichen,  wie  die  vorigen,  auf  eine  Kaste,  so  waren  es  wohl 
die  Krieger  als  Schützer  des  Landes  und  A  ursprünglich  ein  Schild;  daraus 
wäre  es  auch  erklärlich,  dass  im  Segen  Jakobs  Juda  zum  Herrn  erklärt  wird: 
Joda,  du  bist  es  (.thh  o/te),  dich  werden  loben  (ynr  yodtüca)  deine  Brüder, 
deine  Hand  ("p  yadka,  man  beachte  die  Alliteration  mit  d)  wird  deinen  Fein- 
den auf  dem  Halse  sein,  vor  dir  werden  deines  Vaters  Kinder  sich  nei(;en  etc. 

\ht  wrd  erklärt  .du  sollst  nicht  tödten*,  nrr  ha  ist  eine  Wehklage,  und 
dem  entsprechend  ist  das  Zeichen  ^  das  Bild  einer  Geisel  /\;  der  fünfte  Solui 

11* 


164  Dan.  NaphthalL  Gad. 

Jakobs  war  p  dan  «der  Richter'  und  Rahel  sagt  bei  seiner  Geburt:  vGott 
hat  meine  Sache  gerichtet*.  Die  Geisel  kommt  in  der  Hand  der  ägyptischen 
Könige  neben  dem  Hirtenstab  vor  und  heisst^  .beschfilzen' ;  die  Insignien 
der  ägyptischen  Könige  entsprachen  den  Titeln,  welche  sie  führten,  wie  auch 
noch  jetzt  die  Königstitel  unverändert  fortgeführt  werden,  auch  wenn  sie 
nicht  mehr  auf  thatsächlichen  Verhältnissen  beruhen;  hat  nun  ein  ägyptischer 
König  Hirtenstab  und  Geisel  in  der  Hand,  so  bedeutete  diess  «Herr  der 
Hirten  und  Ackerbauer* ;  es  waren  somit  wahrscheinlich  die  Ackerbauer  die 
fQnfle  Kaste  bei  dem  Volke,  unter  welchem  zuerst  diese  alphabetische  Reihen- 
folge aufkam.  Moses  machte  daraus  das  Gebot:  ,du  sollst  nicht  tödten*, 
welches  sich  jedenfalls  auf  die  Sklaven  und  Frohnbauem  bezog,  denn  Mord 
in  Kriegszeiten  und  gerichtliche  Tödtungen  sind  ja  durch  das  mosaische 
Gesetz  geradezu  geboten. 

Y  vav  wird  durch  pkj  naaph  , ehebrechen*  erklärt,  der  sechste  Sohn 
Jakobs  war  Naphthali,  bei  seiner  Geburt  sagt  Rahel  «Gott  hat  es  gewendet 
(«{ytroj  naphtule)  mit  mir,  ich  werde  es  zuvor  thun  (M^fioj  mphialU)  meiner 
Schwester*;  ^^düi  naphthaU  heisst  «ein  Kampf*,  der  Stamm  des  Wortes  ist 
^no  pathcd,  ein  Seil  drehen,  daher  Ränke  spinnen,  wohl  auch  doppelzüngig 
sein,  weshalb  es  in  Jakobs  Segen  heisst:  «Naphthali  ist  ein  schneller  Hirsch 
und  giebt  schöne  Rede*,  wobei  man  unwillkürlich  an' das  «Hömeraufsetzen* 
erinnert  wird;  an  Naphthali  erinnert  die  ägyptische  H  Nephtis-Hieroglyphe, 
welche  die  Ehe  bedeutet;  es  dürfte  daher  dieses  Zeichen  die  Kaste  der 
Dolmetsche  bezeichnet  haben,  welche  wohl  auch  Kuppler  waren. 

T*  zain  wird  erklärt  durch  noj  ganab  «stehlen*;  der  siebente  Sohn 
Jakobs  war  *t:i  gad  (Glück),  von  dem  es  heisst:  *t32  hagad  «Glück  zu*,  und  beim 
Segen  «Gad  gerüstet,  wird  das  Heer  führen  und  wieder  herumführen*,  es  (ragt 
sich  aber,  wie  diess  zu  verstehen  ist;  wir  haben  zain  als  Zeichen  der  Ruhe 
kennen  gelernt,  und  in  der  Keilschrift  bedeutet  Ende:  Glück,  njd  (o^fou/ heisst 
«bedecken,  betrügen,  treulos  handeln*,  heged  ist  die  «Decke*,  und  unter  einer 
Decke  spielen,  heisst  falsch  handeln,  ebenso  wie  njr  zana  «buhlen*  Heimlich- 
keiten bedeutet;  aus  der  Vergleichung  von  3j:i  ganab  und  ajt  zinA  geht  hervor, 
dass  der  Stamm  2:  nah  ist,  k^j  nibba  heisst  «prophezeien*,  1^  nt^  ist  der  Grott 
Merkur,  der  der  Gott  der  Offenbarung,  aber  auch  der  Spitzbuben  ist,  weU  er  das 
Dunkel,  die  Heimlichkeit  ist.  Auf  eine  Kaste  bezogen,  musste  dieses  Zeichen 
dieherumziehenden  Krämer  bedeuten,  womit  auch  die  spätere  Form  Z  erklärt 


ASer.  DieDudainu  165 

wird.  £8  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  solche  Krämer  als  Kundschafter 
und  Wegweiser  für  die  Heere  benützt  wurden,  da  sie  durch  ihr  Herumziehen 
der  Wege  kundig  waren,  und  hierauf  dürfte  sich  der  Segen  Jakobs  beziehen. 

H  Z^  wird  erklärt:  «du  sollst  nicht  falsch  Zeugniss  reden  (npVTp  ed 
ieqfr)  wider  deinen  Nächsten*;  dem  entspricht  der  achte  Sohn  Jakobs,  A§er, 
msofeme,  als  aSar  «gerade  sein,  aufrecht*,  also  aufrichtig  bedeutet;  eSer 
beisst  Glück,  und  in  diesem  Sinne  sagt  Lea  «wohl  mir  (nvK2  b'a^ri)^  denn 
mich  werden  selig  preisen  (uint^M  iSrum)  die  Töchter*.  (!)  Der  Ausdruck 
Töchter  erinnert  an  die  Glücksgöttin  A^-a,  wie  auch  Osiris  mit  der  weib- 
liehen  Isis-Hieroglyphe  d  4  oder  auch  mit  dem  Faulbett  ^m^  abgebildet 
wird;  hierauf  passt  der  Ausspruch  Jakobs:  «Von  A§er  kommt  sein  fett  Brod 
and  er  wird  den  Königen  zu  Gefallen  thun*  (*J*Ti;a  maddane  heisst  «Wonne, 
Freuden,  Leckerbissen*);  damit  stimmt  nton  ^^a  «Weizen*  überein,  während 
Mcn  ][eU  «Sünde*  sich  an  das  achte  Gebot,  du  sollst  nicht  falsches  Zeugniss 
reden,  anschliesst;  das  Zeichen  scheint  die  Falle  oder  das  Netz  gewesen  zu 
sein,  dem  auch  der  Begriff  der  Falschheit  entspricht.  Es  ist  wohl  nicht 
zufällig,  dass  der  Stamm  ASer  in  Kanaan  denselben  Namen  führt  wie  die 
Assyrer;  die  Assyrer  trugen  lange  gewebte  Frauengewänder,  Haar  und  Bart 
in  Zöpfen  geflochten,  sie  scheinen  die  Stammväter  aller  sybaritischen  Völker. 
die  ersten  Städtebauer  (an  das  iSruni  der  Lea  schliesst  sich  M:it^N  uSsarna 
«Hauer*,  vom  Stamm  wk  (iSaS  «gründen*,  ägyptisch  jj  as,  Isis,  an)  und 
Handwerker  gewesen  zu  sein. 

An  dieser  Stelle  flicht  nun  die  Grenesis  ein  merkwürdiges  Intermezzo 
ein*  «Rüben  ging  aus  zur  Zeit  der  Weizenernte  (nton  pita  «Weizen*  schliesst 
sich,  wie  erwähnt,  an  das  «fette  Brod*  des  A§er  an)  und  fand  D^Kin  (dudaim) 
auf  dem  Felde  und  brachte  sie  heim  seiner  Mutter  Lea.  Da  sprach  Rahel  zu 
Lea:  Gieb  mir  der  Dudaim  deines  Sohnes  ein  Theil.  Sie  antwortete:  Hast  du 
nicht  genug,  dass  du  mir  meinen  Mann  genommen  hast,  und  willst  auch 
die  Dudaim  meines  Sohnes  nehmen?  Bahel  sprach:  W^ohlan,  lass  ihn  diese 
Nacht  bei  dir  schlafen  um  die  Dudaim  deines  Sohnes*.  Es  war  aber  nicht 
die  eine  Nacht  allein,  denn  Lea  erhielt  noch  zwei  Sohne.  Was  war  die 
Dudaim?  Gesenius  erklärt  sie  als  Mandragora,  Alraune,  ein  Kraut  vom 
Geschlecht  der  Belladonna  mit  einer  rüben förmigen  Wurzel,  weissen  und 
röthlichen  BlQthen  und  gelben  Äpfelchen,  die  vom  Mai  bis  gegen  den  Juli 
leifea  and  der  der  Aberglaube   des  Morgenlandes  noch  heutzutage    eine 


166  Die  Dudaim. 

die  Ehe  wirksam  machende  KraA  beimisst.  Der  Streit  zwischen  Lea  und 
Rahel  um  die  Dudaim  erinnert  an  den  Streit  der  drei  Göttinnen  Aphrodite, 
Hera  und  Pallas  um  den  goldenen  Apfel ;  Paris  (griechisch  pyr^  pyros  das 
Feuer,  pyros  heisst  auch  der  Weizen)  gab  den  Apfel  (der  Fruchtbarkeit) 
der  Aphrodite,  weil  diese  der  Frühling,  die  Göttin  der  Liebe,  war.  Es  wird 
hierbei  nicht  gesagt,  dass  Paris  sich  selbst  mit  der  Aphrodite  verband,  aber 
als  Feuer  war  er  doch  der  Hephaistos  und  dieser  nach  Homer  der  Gemahl 
der  Aphrodite.  Wenn  nun  Rüben  die  Dudaim  seiner  Mutter  brachte,  so  war 
er  auch  der  Vater  der  beiden  folgenden  Söhne  derselben,  das  war  den  Ver- 
fassern der  Genesis  bekannt,  denn  sie  werfen  ihm  Blutschande  vor,  selbst 
im  I.  Buche  der  Chronika  wird  damit  der  Verlust  des  Rechtes  der  Erstgeburt 
motivirt,  wobei  bemerkt  wird,  Juda  habe  das  Fürstenthum,  Josef  das  Elrst- 
geburtsrecht  erhalten,  jedenfalls  nachträgliche  Sanctionirung  der  durch 
Waffengewalt  erlangten  Herrschaft  der  Stämme  Juda  und  IsraeL  Der  Ver- 
fasser der  Genesis  sucht  die  Blutschande  Rubens  zu  mildem,  indem  er  sagt,, 
er  habe  die  Bilha,  die  Magd  Raheis,  verführt^  da  aber  Ruhen  der  Horus  der 
Ägypter  und  der  Hephaistos  der  Griechen  ist,  so  ist  er  die  andere  Form  des 
Osiris  (A§er)  und  folgerecht  sein  eigener  Vater,  der  Gemahl  seiner  Mutter, 
denn  r^n^z  Bilha  (die  Alte)  ist  dieselbe  wie  die  blödgesichtige  rtt^^  lea,  beide 
sind  die  Nacht;  Rahel  aber,  die  Schöne,  ist  der  Tag,  und  Lea  verhält  sich  zu 
Rahel  wie  Jakob  zu  Ruhen,  d.  h.  wie  Nacht  zu  Tag,  wie  Mond  zur  Sonne; 
vereinigle  sich  aber  Ruhen  mit  Rahel  selbst,  und  war  er  sein  Vater  Jakob, 
dann  musste  allerdings  Josef  der  Erstgeborne  sein.  Man  kann  hieraus 
ersehen,  wie  die  biblischen  Geschichten  alles  Anstössige  verhei-en,  wenn 
man  sie  wieder  zu  dem  macht,  was  sie  ursprünglich  waren,  zu  kosmischen 
Erzählungen;  indem  die  Redacteure  der  Genesis  die  Naturkräfte  und  Natur- 
erscheinungen vermenschlichten,  um  den  Monotheismus  nicht  zu  beeinträch- 
tigen, haben  sie  nur  der  Heiligkeit  ihrer  Lehren  selbst  geschadet,  wiewohl 
wir  annehmen  können,  dass  die  levitischen  Sammler  dieser  Bücher  nicht 
absichthch,  sondern  nur  irre  geleitet  von  ihrer  beschränkten  Auffassung 
gehandelt  haben. 

t5  iet  ist  der  Lehm  und  dieses  Zeichen  ist  sowohl  mit  Haus  als  mit 
Weib  verwandt.  ^Lass  dich  nicht  gelüsten  deines  Nächsten  Haus*,  respective 
Weib.  Von  gelüsten  Tan  ^awad  kommt  /emed  ,die  Schönheit*  und  diess  fuhrt 
auf  das  ägyptische  ^  uh  (hebräisch  .t:j  mtvah  heisst  .wohnen*   und  ,<chöp 


Issas'xar.  Zebuion.  Dina.  167 

sein*)  hieratisch  JJ,  "ön  ^amad  kommt  vom  Stamme  Dn  ^am  ,heiss*,  lorr 
yamar  heisst  ,  aufschäumen*,  /emar  ist  der  Asphalt  (wie  tt^tt^  der  Lehm),  der 
Meerschaum,  aus  dem  die  Aphrodite  entstand,  r^ün  ^ema  ist  die  Milch  und  tt 
ihtd  die  Brust,  irr  dod  »die  Liebe*  von  dud  »aufbrausen*,  die  vorhin  erwähnte 
cättt  dudaim  ist  die  Liebe  Erregende;  in  der  That  ist  das  Zeichen  t5  in  den 
Inschriften  bald  einer  Brust,  bald  einem  Apfel  ähnlich,  wobei  man  sich  erinnern 
wird,  dass  auch  in  der  Adams-Sage  der  Apfel  der  Erreger  der  Liebe  ist.  Der 
entsprechende  Sohn  Jakobs  ist  '^w*  Issctsyar  »der  Lohn*,  jedenfalls  so  viel 
wie  "^Tü  sa/ir  »der  Lohnarbeiter,  Taglöhner*,  und  daher  heisst  es  auch  von 
ihm  im  Segen  Jakobs:   »er  ist  ein  zinsbarer  Knecht  geworden*. 

^  yod  wird  erklärt  durch  Weib  (Haus),  Knecht,  Magd,  Ochs,  Esel, 
alles  Eigenthum.  Diesen  sechs  Aufzählungen  entspricht  der  sechste  Sohn  der 
Lea»  und  diese  Zahl  ist  zu  beachten,  weil  nur  bei  Levi  und  Zebuion  die  Zahl 
angegeben  ist,  in  diesen  Erzählungen  aber  die  unscheinbarsten  Worte  Bedeu- 
tungen haben,  w  Ae^  »  sechs  *^  kommt  auch  als  Zeitwort  HW  Si^a  ,  führen,  weg- 
luhren*  vor,  der  Stamm  von  p^3t  sebulon  ist  aar  zabah  »schweben*,  verwandt 
mit  dem  griechischen  zepkyros,  der  Windgott  und  speciell  der  Westwind ;  im 
Segen  Jakobs  heisst  es,  Zebuion  wird  an  der  Anfurt  des  Meeres  wohnen 
und  an  der  Anfurt  der  Schiffe  und  reichen  an  Sidon;  hieraus  lässt  sich 
schliessen,  dass  Zebuion  der  Stamm  der  Schiffer,  und  was  im  Alterthum  damit 
identisch ,  der  Seeräuber,  war,  wobei  ^  einerseits  an  die  |  Seeschlange, 
andererseits  an  die  hieratische  Form  SS^  des  Fisches  erinnert;  hiermit  hängt 
das  Verbot  des  Raubes  zusammen. 

Numero  7  gebar  die  Lea  eine  Tochter:  Dinad.  h.  »Gericht*,  die  weib- 
liche Form  von  p  Dan  »Richter*,  und  wie  dan  dem  Buchstaben  he,  so 
entspricht  dina  dem  Buchstaben  k,  }/  kaph  ist  durch  das  Zeitwort  hdd  kapha 
»beugen,  bändigen,  zwingen*  miialaph  »zahm  werden*  verwandt.  Mädchen 
aufzuführen,  ist  in  den  biblischen  Genealogien  nicht  Sitte,  um  so  unerklärlicher 
ist  dasselbe  hier,  sowie  ihre  Liebschaft  mit  Sichem,  dem  Sohne  des  Esels 
(••tr  yamor),  der  ein  alter  Gott  der  Perser  und  überhaupt  der  Hirten  war; 
im  Ägyptischen  isis/m  5,  hieratisch  ♦  »Machthaber*,  so  viel  wie  tn  »der 
Vorfahre*,  es  bezog  sich  wahrscheinlich  auf  einen  Stamm  der  Ureinwohner. 

Merkwürdig  ist,  dass  die  Kinder  Lea's  in  derselben  Reihe  sirh  fol^ron, 
wie  die  Zahlwörter  der  hebräischen  Sprache  mit  Beziehung  auf  die  Zeichen 
(s.  oben  S.  156),  nämlich: 


*^^  Josef.  Benjamin. 

4-  e/ad      1  Rüben 

^    Sne        2  Simeon 

0   äaloä      3  Levi 

A  aHM      4  Juda 

W  /amaä  5  Issas/ar 

^  ^'         6  Zebuion 

^  ä^  7  Dina 
Wie  die  Zahl  7  die  Unfruchtbare  war,  so  war  auch  Dina  kein  mSiin- 
liches,  sondern  ein  weibUches  Zeichen  und  ihr  Geliebter  wurde  erschlagen. 
Weiters  geht  hieraus  hervor,  dass  zwischen  Juda  und  Issas^ar  Tier  Zeichen 
eingeschoben  wurden,  als  Kinder,  welche  mit  Nebenweibem  gezeugt  wareli, 
demnach  bestand  das  Volk  anfänglich  aus  Hirten  (König),  Priestern,  Kriegern, 
Maurern  {ursprunglich  Ackerbauer)  und  SchifTem,  später  wurden  Ackerbauer, 
Dolmetscher,  Krämer  und  Handwerker  dem  Volke  einverleibt  (erobert?),  aber 
jenen  als  minder  gleichberechtigt  betrachtet 

Was  nun  den  Josef  betrifift,  so  wird  derselbe  durch  .Hinzufugen* 
erklärt,  er  ist  auch  als  f)D{<  asaph  der  «Sammler*  der  Psalmen  und  wahr- 
scheinlich identisch  mit  David  oder  Thaud,  dem  die  Psalmen  zugeschrieben 
werden.  Josef  wurde  bekanntlich  nach  Ägypten  verkauft  und  heirathete  eine 
Ägypterin,  dennoch  wurden  seine  zwei  Söhne  nachträglich  unter  die  Stämme 
Israels  aufgenommen  und  so  die  Zahl  1 2  wieder  voll  gemacht,  welche  durch 
den  Wegfall  der  Leviten,  welche  kein  eigenes  Land  besassen,  auf  11,  respeo- 
tive  10  reducirt  war.  Wir  finden  hier  also  dasselbe  Schwanken  zwischen  10, 
11,  12,  13  wie  bei  den  Äsen  und  den  griechischen  Göttern,  welches 
Schwanken  wohl  auf  der  Schi^ierigkeit  beruhte,  Mondjahr  und  Sonnenjahr  in 
Übereinstimmung  zu  bringen. 

Benjamin  ist  nach  dem  Worte  der  Rahel  uiK^a  ben-am  »Sohn  meiner 
Noth*,  denn  sie  starb  bei  seiner  (jeburt;  pM  an  heisst  aber  auch  «Kraft*  und 
ist  der  ägyptische  Name  der  Sonne,  in  letzterem  Falle  ist  an  so  viel  wie  p3? 
ain  «Auge*  und  Ben-mii  «der  Sohn  des  Auges*,  d.  i.  der  Augapfel,  in  diesem 
Falle  ist  er  derselbe  wie  Ruhen  (ra  «sehen*,  bett  «Sohn*),  der  ägyptische 
d  4  Osiris,  und  auf  ihn  dürfte  sich  daher  das  Zeichen  (^  oder  ii  lamed 
bezogen  haben,  mit  welchem  die  zweite  Reihe  der  Zeichen  beginnt. 

Auf  diese  Weise  dürfte  sich  das  Vorhandensein  der  Zehnzahl,  der  Eilf- 
zahl  und  der  Zwölfzahl  im  hebräischen  Alphabet  erklären:  die  ursprünghche 


Zeittheiluiig.  1 69 

Zahl  von  zehn  Zeichen  wurde  auf  elf  erhöht,  die  Erhöhung  auf  zwölf  erfolgte 
nur,  indem  das  erste  Zeichen  der  zweiten  Reihe  doppelte  Bedeutung  erhielt. 

BenH>m  erhielt  von  Jakob,  der  um  diese  Zeit  auch  den  Namen  Israel 
annahm,  den  Namen  Benjamin,  d.  i.  der  Sohn  des  Glücks;  der  12.  Keilschrift- 
monat bedeutet  ganz  entsprechend  «Glück*  und  «Ende',  auch  nvN  a^ 
bedeutet  Glück,  in  der  Keilschrift  ^^^  Asur,  der  ägyptische  Osiris,  den  wir 
als  identisch  mit  Horus  und  Aleph  kennen  gelernt  haben,  wobei  ^zu  bemerken 
ist,  dass  Osiris  im  Ägyptischen  auch  den  Namen  Ben  führte  "^i^. 

Dass  der  Laut  l  beigezogen  wurde ,  scheint  auch  aus  dem  deutschen 
Runen- Abece  hervorzugehen,  dessen  zwei  erste  Abtheilungen  mit  l  schliessen; 
aber  auch  dieses  Abece  hat  nur  11  Zeichen,  weil  das  t  weggelassen  wurde; 
hiermit  dürfte  auch  zusammenhängen,  dass  im  griechischen  Thierkreis  das 
Zeichen  der  Wage  fehlte,  denn  die  Erklärung,  welche  Professor  Buttmann 
dafür  angab,  ^  nämlich:  die  Griechen  hätten  das  wenig  hervortretende  Stern- 
bild der  Wage  für  die  Scheren  des  hellen  Skorpionbildes  gehalten,  beweist 
nur,  dass  überhaupt  an  dieser  Stelle  des  Himmels  ein  hervorleuchtendes 
Sternbild  fehlte,  und  dass  erst  eme  genaue  mathematische  Eintheilung  des 
Himmels  zur  Ergänzung  auf  12  Zeichen  führte.  Dagegen  ist  die  Bemeikung 
Ideler's^^  ganz  unstichhältig,  dass  «Menschen,  die  einigen  Sinn  für  Regel- 
mässigkeit und  Ebenmass  haben,  in  Zeiten,  wo  Symmetrie  die  Hauptgrund- 
lage des  Kunstsinnes  war*,  eine  Eintheilung  in  11  Theile  gar  nicht  gehabt 
haben  k'önnten.  Nichts  ist  verfehlter,  als  unsere  derzeitigen  Anschauungen 
massgebend  für  alle  Zeiten  zu  halten,  und,  weil  wir  den  Thierkreis  in  12 
Hieile  zu  theilen  gewohnt  sind,  zu  glauben,  es  hätte  nie  anders  sein  können. 
Der  yukatanische  Tag  war,  wie  (oben  Seite  73)  gezeigt  wurde,  in  13  Stunden 
getheilt,  und  diese  Eintheilung  ist  sehr  natürlich,  wenn  man  das  Jahr  von 
52  Wochen  in  4  Theile  theilt;  ferner  theilten  sie  den  Himmel  nicht  in  4, 
sondern  in  6  Theile,  diese  wieder  in  3  und  erhielten  so  18  Monate,  deren 
Hälfte  an  die  Neunzahl  erinnert,  welche  in  der  nordischen  Mythologie  eine 
noch  nicht  ganz  aufgeklärte,  aber  grosse  Rolle  spielte;  sie  theilten  femer  den 
Kreis  in  4  Tlieile,  und  diese  in  5,  und  erhielten  so  die  Zahl  von  20  Tagen, 
welche  den  Monat  bildeten,  also  360  Tage  für  das  Jahr;  diese  4  Theile  waren: 
Süden,  Osten,  Norden,  Westen;  nimmt  man  statt  5  Zeichen  3,  so  hat  man 
den  12-theiligen  Brustschild  des  jüdischen  Hohenpriesters.  Femer  ist  nicht 
gerade  nothwendig,  dass  die  Theile  gleich  sein  mussten;  den  18  Monaten  der 


170  Zeittheilung. 

Yukalaner  entsprechen  nur  1 5  Mondslationen,  indem  mehrere  Sonnenstationen 
ohne  begleitenden  Mond  geschrieben  sind ;  ferner  theilen  wir  noch  jetzt  unsere 
Tageszeit  sehr  ungleichmässig  in  1.  Morgen,  2.  Vormittag,  3.  Mittag,  4.  Nach- 
mittag, 5.  Abend  und  6.  Nacht  ein,  allenfalls  mit  Mitternacht  in  7  Theiie,  wie 
die  Araber  sie  umgekehrt  in  1.  Untergang  der  Sonne,  2.  Abend,  3.  Mitler- 
nacht, 4-.  Aufgang  der  Sonne,  5.  Mittag,  6.  Nachmittag  eintheilen,  daher  in 
der  Weise; 


sie  zählen  dann  1.  Stunde  nach  Untergang  der  Sonne,  2.  Stunde  nach  Unter- 
gang der  Sonne  u.  s.  w.,  aber  bei  den  grossen  Zwischenräumen  sagen  sie 
7.  Stunde  Nachts  (um  1  Uhr  Morgens),  8.  Stunde  Nachts,  9.  Stunde  Nachts, 
1.  Stunde  vor  Aufgang  der  Sonne,  2.  Stunde  vor  Aufgang  der  Sonne;  dann 
nach  dem  Aufgang  der  Sonne  1.  Stunde  des  Tages,  2.  Stunde,  3.  Stunde  des 
Tages,  dann  2.  Stunde  vor  Mittag,  1.  Stunde  vor  Mittag;  aber  besondere 
Namen  haben  sie  nur  für  die  oben  erwähnten  6  Theiie  des  Tages. 

Obwohl  die  Araber  als  nächste  Verwandte  der  Juden  angesehen  werden, 
möchten  wir  doch  auf  einen  wesentlichen  Unterschied  aufmerksam  machen; 
die  Araber  theilten  das  Jahr  in  28  Mondstationen  ein  und  hatten  dem  ent- 
sprechend 28  alphabetische  Zeichen  schon  vor  Mohammed  in  der  himyarischen 
Schrift;  bei  den  Juden  und  Syrern  dagegen  finden  wir  von  dieser  Eintheilung 
keine  Spur,  sie  haben  nur  22  Zeichen,  mit  denen  ihre  Sprachbildung  abschloss. 
Die  Araber  hatten  ferner  ursprunglich  nur  10  Monate,  und  bei  einem  reinen 
Mondjahre  ist  diess  erklärlich,  denn  diese  10  Mondmonate,  diese  280  Tage 
sind  diejenigen,  deren  der  Menschenkeim  zu  seiner  Entfaltung  bedarf;  später 
suchte  man  Sonnen-  und  Mondjahr  in  Übereinstimmung  zu  bringen,  indem 
man  die  Monate  Rebi  und  D^niadi  theilte  in  den  ersten  und  zweiten  Rebi, 
den  ersten  und  zweiten  D2madi,  ferner  indem  man  die  Monate  in  29  und  30 
Tage  theilte;  diess  geschah  aber  erst  nach  der  Ausbildung  der  Sprache, 
welche  davon  nicht  berührt  wurde. 

Es  dürfte  bei  dieser  Gelegenheit  die  Bemerkung  gestattet  sein,  dass, 
wie  die  Laute  sich  auf  Grundlage  der  Zeichen  entwickelten  (wie  oben  nach- 
gewiesen), so  auch  der  Reichthum  an  Lauten  durch  die  Zeichen  bedingt  ist; 


Zeittheilung.  171 

man  suchte  nicht  Zeichen  für  vorhandene  Laute  aufzustellen,  sondern  vor- 
handene Zeichen  lautlich  zu  unterscheiden;  *T«3n  waren  ursprünglich  identisch, 
wie  aus  ►  die  Runen  +  und  1"  entstanden,  erst  bei  Erweiterung  der  Wind- 
rose unterschied  man  durch  DlfTerenzirung  sowohl  die  Zeichen  als  die  Laute; 
war  auf  solchen  Grundlagen  in  einzelnen  Ländern  die  Sprache  ausgebildet, 
80  wurde  dieselbe  durch  neue  Zeitrechnungen  nicht  mehr  beirrt;  das  nor-  • 
dische  Futhork  von  16  Zeichen  zeigt  keine  Spur  von  der  12-theiligen  Äsen» 
religion,  und  so  zeigt  auch  das  28-theilige  Mondalphabet  der  Araber  keine 
Spur  von  dem  12-theiligen  Sonnensystem,  während  die  Griechen  von  dem 
16-theiligen  System  zu  dem  22-theiligen  und  zuletzt  zu  dem  24-theiligen, 
unter  steter  Ausbildung  des  Zeichensystems  und  der  Sprache,  übergingen. 

Die  Syrer  haben  wohl  mit  den  Arabern  das  gemein,  dass  sie  aus  10 
Monaten  1 2  machten,  indem  sie  den  Monat  TiSri  und  den  Monat  Kanun  m 
je  zwei  theilten,  aber  mit  den  Juden  haben  sie  das  22*lheilige  Alphabet 
gemeinsam;  die  Juden  haben  das  22-theiIige  Alphabet,  aber  keine  andere 
Spur,  dass  sie  aus  10  Monaten  1 2  gemacht  hätten,  als  in  den  Namen  der  Söhne 
Jakobs,  wonach  zu  den  11,  in  Chaldäa  gebomen,  Benjamin  in  Palästina 
hinzuwuchs.  Hieraus  geht  hervor,  dass  die  Sprache  der  Juden  in  Palästina 
ihre  Vollendung  fand,  wie  sie  denn  auch  sowohl  mit  der  moabitischen,  als  mit 
der  phönikischen  und  assyrischen  übereinstimmt,  wogegen  die  Perser,  Inder 
und  Ägypter  die  Zwölfzahl  der  Monatsnamen  und  Thierkreiszeichen  hatten. 

Beachtenswerth  ist  hierbei,  dass  die  Erweiterung  der  Zehnzahl  auf  die 
Zwölfzahl  sich  nur  an  einer  Stelle  des  Jahres  findet,  nämlich  im  October  bis 
Februar;  der  syrische  Monat  Ti§ri  füllte  ursprünglich  October/November, 
Kanun  December/Januar;  der  arabische  Monat  Rebi  November/December, 
D»madi  Januar/Februar;  der  Monat,  welcher  dem  Namen  Judas  entspricht, 
fallt  zwischen  März  und  April;  demnach  war  der  Januar  dem  Namen  Rubens 
entsprechend;  wurde  dem  Ruhen  das  Recht  der  Erstgeburt  entzogen  und 
Jodah  als  Fürst  anerkannt,  so  erinnert  diess  daran,  dass  im  Orient  an  Stelle 
des  Jahresanfanges  zu  Weihnachten,  wie  bei  den  Römern,  der  Anfang  des 
Kirchenjahres  auf  den  Frühling  verlegt  wurde,  also  ein  Übergang  vom  nordi- 
schen Systeme  zum  orientalischen  eintrat;  bemerken  wir  ferner,  dass  das 
deutsche  Runen- Abece  sich  vom  hebräischen  durch  den  Ausfall  des  e  t  unter- 
scheidet, dass  nicht  fem  von  dieser  Stelle  der  Punkt  war,  wo  im  griechisdion 
Himmel  die  Wage  fehlte,  dass  auch  der  Name  Josefs  in  der  Nähe  ist,   der 


172         Vergleichung  der  alphabetischen  Zeichen  mit  den  Monatsnamen. 

nach  der  Chronika  das  Erstgeburtsrecht  erhielt,  wie  auch  die  Juden  mit  dem 
September  das  bürgerliche  Jahr  beginnen,  so  folgt  aus  alle  dem,  dass  der 
Boden  Palästinas  das  Centrum  war,  wo  eine  Umgestaltung  der  Zeitrechnung 
eintrat  und  von  wo  sich  dieselbe  in  verschiedene  Länder  verbreitete.  Bis  ins 
Einzelne  können  wir  dieselbe  nicht  nachweisen ,  wir  begnügen  uns  damit, 
auf  diese  dunkle  Stelle  der  Geschichte  aufmerksam  zu  machen,  und  die 
Namen  der  hebräischen  Monate  mit  den  Namen  der  Stämme  zu  vei^leichen. 

Nun  gelten  zwar  die  Namen  der  Monate  als  fremde,  welche  erst  im 
Exil  angenommen  wurden;  da  aber  die  Juden  aus  Chaldäa  stammten  und 
durch  das  Exil  in  ihr  Stammland  zurückversetzt  wurden,  da  sie  femer  mit 
Zähigkeit  an  ihrer  Religion  hingen,  so  können  die  fremden  Namen  nur  des- 
halb angenommen  sein,  weil  sie  mit  den  eigenen  nahezu  identisch  waren; 
ein  Wechsel  ist  nur  insofern  bekannt,  als  statt  des  Monats  Abib  der  Name 
Nisan  angenommen  wurde,  während  dagegen  Ab  später  vorkommt ;  femer  ist 
zu  beachten,  dass  die  Namen  der  Stämme  nach  der  Tradition  in  Chaldäa 
entstanden  sein  sollen  und  somit  die  chaldäischen  oder  vielmehr  assvrischen 
Monate  mit  den  Namen  übereinstimmen  müssen,  wenn  diese  Thierkreiszeichen 
bedeuteten. 

+  a{q)h,  verwandt  mit  aluph  .Stammvater*,  in  den  Geboten  Gott, 
als  Stamm  R'uben,  als  Monat  Januar:  hebräisch  D^fi  td)et,  vorwandt  mit  r;2C 
tahaoih  „Siegelring*;  assyrisch  Tabitu,  in  der  Keilschrift  Monat  der  Flecken 
(Wolke),  Thierkreiszeichen  das  Seeungeheuer  (Cannes?). 

^  beth,  verwandt  mit  baiih  ,Haus*  (hohe  Pforte?),  in  den  Geboten 
der  Name,  als  Stamm  Simeon,  als  Stand  König,  als  Monat  Februar:  hebräisch 
iD^v  Sebat,  verwandt  mit  ^^v  Sehet  . Zepter",  assyrisch  Sabatu,  in  der  Keilschrift 
Monat  des  Feldvermessens,  Thierkreiszeichen  Wassermann. 

1  giniel,  verwandt  mit  ganial  »Wohlthun*,  in  den  Geboten  Feiertag 
heiligen,  als  Stamm  Levi,  als  Stand  Priester,  als  Monat  März:  hebräisch  n-rit 
adar,  verwandt  mit  *nK  eder  , Herrlichkeit*,  assyrisch  Addaru^  in  der  Keil- 
schrift Monat  des  Glückverkündens,  Thierkreiszeichen  die  Fische. 

^  daleth  verwandt  mit  »Thür,  Pforte"  (vergleiche  die  hohe  Pforte  bei 
beth),  in  den  Geboten  Ehre  die  Eltern,  als  Stamm  Juda,  als  Stand  Krieger, 
als  Monat  April:  hebräisch  früher  y^»  abib  «Ähre*,  später  (DU  nisan,  verwandt 
mit  DJ  nes  , Panier*,  assyrisch  Nisannu,  in  der  Keilschrift  Monat  des  Altars 
(die  Rechtschaffenheit),  Thierkreiszeichen  Widder. 


Vergleichung  der  alpliabetischen  Zeichen  mit  den  Monatsnamen.         173 

^  hf,  verwandt  mit  he  »siehe*  und  hah  »Wehklage*,  in  den  Geboten 
«du  sollst  nicht  tödten',  als  Stamm  Dan,  als  Stand  Ackerbauer,  als  Monat 
Mai:  hebräisch  "»''»  iyar,  verwandt  mit  fiv  yara  »benetzen*,  mi*  yore  »Früh- 
regen*,  assyrisch  Airu,  in  der  Keilschrift  Monat  des  günstigen  Stiers,  Thier- 
kreiszeichen  dasselbe. 

Y  vav,  verwandt  mit  vop  »Haken,  Träger*,  in  den  Geboten  »du  sollst 
nicht  ehebrechen*,  als  Stamm  Naphthali,  als  Stand  Dolmetsch,  als  Monat 
Juni:  hebräisch  P'd  atixin,  verwandt  mit  po  sin  »Koth*  (verwandt  mit  Ziegel- 
stein), assyrisch  Sivatiu,  in  der  Keilschrift  Monat  des  Ziegels,  Thierkreis- 
zeicbcn  Zwillinge. 

^  zain,  verwandt  mit  zana  »buhlen*,  in  den  Geboten  »du  sollst 
nicht  stehlen*,  als  Stamm  Gad,  als  Stand  Krämer,  als  Monat  Juli:  hebräisch 
rafi  thamuz,  assyrisch  Duzu,  verwandt  mit  Pfi  ihiz  »abschneiden*  und  nman 
themutha  »Tod*,  femer  |0'n  iheman  »Süden*,  wahrscheinlich  die  welk- 
Miachende  Hitze;  in  die  Keilschrift  Monat  des  die  Aussaat  Überfallenden, 
Thierkreiszeichen  Krebs,  wobei  zu  beachten  ist,  dass  das  Zeichen  ^  auch 
Ähnli<-hkeit  mit  der  hieratischen  Form  des  ägyptischen  Käfers  ^  hat 

M  Z^f  verwandt  mit  onn  ^atham  »versiegeln*,  in  den  Geboten  »du 
sollst  nicht  falsches  Zeugniss  geben*  (falsch  schwören),  als  Stamm  ASer,  als 
Stand  Handwerker,  Künstler,  als  Monat  August :  hebräisch  2H  ab,  assyrisch 
jihu,  verwandt  mit  p«  oben  »Töpferscheibe*,  Keilschrift  Monat  des  Feuers, 
Thierkreiszeichen  Löwe. 

^  iei,  verwandt  mit  e*Q  tit  »Lehm*,  in  den  Geboten  »du  sollst  nicht 
hegehren  deines  Nächsten  Weib  (Haus)*,  als  Stamm  Issa§)^ar,  als  Stand 
Taglöhner,  als  Monat  September:  hebräisch  W»  eltd^  verwandt  mit  b^  yalal 
,<fhreien,  heulen,  jauchzen*,  assyrisch  Ululu,  Keilschrift  Monat  der  Bot- 
s<  haft,  Thierkreiszeichen  Jungfrau  (das  letztere  scheint  auf  die  phönikischen 
Liebesfeste  hinzudeuten,  an  denen  sich  die  Jungfrauen  gegen  Lohn  den 
Fremden  hingaben). 

^  yod,  verwandt  mit  T  yad  »Hand*  (ausgestreckte  Hand),  in  den 
Geboten  »du  sollst  nicht  begehren  deines  Nächsten  Eigenlhum*,  als  Stamm 
Zebalon,  als  Stand  Schiffer  oder  Fischer,  als  Monat  October:  hebräisch  nwn 
tiiri,  Terwandt  mit  rnwr\  UJura  »Geschenk*  und  tc  hir  »reisen*,  auch  «das 
Schauen,  Lauem*,  assyrisch  Tasritu,  Keilschrift  »Monat  des  Hügels*,  Thier- 
kreiszeichen Scheren  des  Skorpions,  respective  Wage. 


1 74  Die  Gesetz(?ebung  Mosia. 

y  Icaph,  verwandt  mit  rp  kaph  ,Hand*  (hoMe  Hand),  als  Stamm  Josef, 
als  Stand  vielleicht  so  viel  als  iod  sapher  .Schreiber*,  als  Monat  November: 
hebräisch  pvn  jreSvan  oder  genauer  pvmo  marjfeSvan,  welches  die  .getheille 
Fläche*  zu  sein  scheint,  entsprechend  dem  keüschrifUichen  Monat  «der 
Büffelhaut*,  assyrisch  heisst  der  Monat  Arakh^amtia,  d.  i.  hebräisch  njüv  m« 
yarea/  Senume  .der  achte  Monat  (von  März  an  gerechnet)*,  Thierkreiszeichen 
Skorpion. 

1$  lamed,  verwandt  mit  *td^  lamad  .lehren*,  als  Stamm  Benjamin,  als 
Monat  December:  hebräisch  ^^QD  kislev  von  ^od  kessd'  .die  Lendenmuskel*, 
Thierkreiszeichen  der  Pfeil. 

Begreiflich  ist  es,  dass  den  1 1  Zeichen  1 1  andere  Zeichen  beigegeben 
wurden,  wie  den  Göttern  die  Göttinnen,  wie  auch  die  Ägypter  die  fQnf  Planeten 
männlich  und  weiblich  sich  dachten  und  mit  Zufügung  von  Sonne  und  Mond, 
welche  nicht  getheilt  wurden,  aus  7  Zeichen  12  machten;  aber  wie  verhält 
sich  zu  dem  Alphabet  die  Gesetzgebung  des  Moses,  wozu  die  Hervorhebung 
der  10  Worte  unter  den  vielen  Gesetzen,  welche  dem  Moses  zugeschrieben 
werden,  wozu  die  Proclamirung  dieser  10  Worte  in  feierlicher  Weise  auf 
2  Tafeln  unter  Donner  und  Blitz? 

Die  Antwort  dürfte  in  einem  Nebenumstande  liegen,  der  gleichwohl 
sehr  wichtig  ist.  Jethro,  der  Schwäher  des  Moses,  dessen  Name  Ähnlichkeit 
mit  Josef  hat,  denn  irr  t/eiher  heisst  .das  Übrige»  der  Überfluss*,  besucht 
Moses,  welcher  vom  Morgen  bis  zum  Abend  das  Volk  richtete ;  er  ermahnt  ihn, 
sich  nicht  mit  Einzelheiten  zu  ermüden,  sondern  sich  nach  rechtlichen 
Leuten  umzusehen,  welche  über  tausend.  Ober  hundert,  über  fünfzig  und 
zehn  als  Richter  in  Bagatellsachen  zu  setzen  wären,  wogegen  Moses  sich  nur 
die  Hauptgeschäfte  vorbehalten  solle.  Moses  gehorchte  seinem  Schwäher  und 
that  Alles,  was  er  sagte,  und  erwählte  redliche  Leute  aus  dem  ganzen  Israel 
und  machte  sie  zu  Häuptern  über  das  Volk,  etliche  über  tausend,  über  hundert, 
über  fünfzig  und  über  zehn,  dass  sie  das  Volk  allezeit  richteten,  was  aber 
schwere  Sachen  wären,  zu  Mose  brächten,  und  die  kleinen  Sachen  sie  rich- 
teten. Hierbei  wird  nicht  gesagt,  dass  Moses  diesen  Richtern  Instructionen 
gegeben  habe,  aber  unmittelbar  darauf  folgt  die  Besteigung  des  Sinai  und 
die  Gesetzgebung,  welche  also  mit  diesem  Vorgange  in  einem  Causalnexus 
stand.  Hierzu  kommt  noch  folgendes:  In  alter  Zeit  wurde  Schuld  und  Unschuld 
des  Angeklagten  nicht  nach  unserem  jetzigen  Verfahren  untersucht,  sondern 


Das  Zählen  bei  den  Juden.  175 

stets  das  Gottesurtheil  angewendet;  der  Beklagte  musste  seine  Unschuld  auf 
Qbernatüriiche  Weise  darlegen,  und  das  leichteste  Gottesurtheil  war  das  Loos; 
fiel  dasselbe  günstig  für  den  Angeklagten  aus,  so  war  er  nicht  schuldig,  im 
andern  Falle  wurde  er  verurtheilt.  Es  war  natürlich,  dass  Moses  seinen 
Richtern  die  Kenntniss  der  Loose  beibringen  musste,  und  wir  werden  wohl 
nicht  irren,  wenn  wir  hierin  den  Ursprung  der  zehn  Gebote  suchen ;  für  jedes 
Gebot  mussten  zwei  Zeichen  vorhanden  sein,  ein  günstiges  und  ein  ungün- 
stiges, diess  ergab  20  Zeichen;  aber  warum  nur  10  Gebote,  warum  nicht  elf? 
Auch  diese  Frage  dürfte  durch  Jethros  Rath  beantwortet  sein;  waren  die 
22  Zeichen  Einheiten,  so  konnte  man  nicht  bis  fünfzig,  nicht  bis  hundert  und 
tausend  zählen.  Anders,  wenn  Moses  das  den  Israeliten  bis  dahin  fremde 
Decimalsystem  einführte,  das  längst  in  Ägypten  herrschte.  Die  Ägypter  hatten 
in  den  Hieroglyphen  Striche  von  1  bis  10,  Hufeisen  von  10  bis  100,  Knoten 
Ton  100  bis  1000,  daneben  aber  in  der  hieratischen  Schrift  Zeichen  von 
1  bis  10,  von  10  bis  100,  woran  sich  dann  eine  den  Hieroglyphen  ähnliche 
Zählmethode  bis  1000  anschloss. 

Nun  kommen  zwar  in  der  Genesis  sehr  grosse  Zahlen  vor;  Adam  war 
130  Jahre  alt  und  zeugte  den  Seth,  und  lebte  darnach  800  Jahre  und  zeugte 
Söhne  und  Töchter,  dass  sein  ganzes  Alter  war  930  Jahre  und  starb.  Aber 
diese  Zahlen  sind  so  phantastisch,  dass  man  unwillkürlich  nach  einem 
Schlüssel  sucht,  der  z.  B.  die  1 30  Jahre  auf  ein  natürliches  zeugungsfähiges 
Alter  zuiijckführen  könne,  denn,  dass  die  Menschen  in  der  Vorzeit  nicht  länger 
lebten  als  gegenwärtig,  dafQr  spricht  die  Bibel  selbst,  wenn  es  heisst:  des 
Menschen  Leben  währt  70 .Jahre,  und  wenn  es  hoch  kommt,  so  sind  es  80 
Jahre.  Es  scheint  sogar  die  Anwendung  grosser  Zalilen  religiös  verboten 
gewesen  zu  sein,  denn  dem  König  David  wird  die  Volkszählung,  welche  Moses 
anstandslos  vornahm,  zur  Sünde  gerechnet.  Es  heisst  nämlich  im  4.  Buche 
Mose,  im  ersten  Kapitel:  »Und  der  Herr  redete  mit  Mose  und  sprach:  Nehmet 
die  Summe  der  ganzen  Gemeinde  der  Kinder  Israel,  nach  ihren  Geschlechtern 
und  ihrer  Väter  Häusern  und  Namen,  Alles,  was  männlich  ist,  von  Haupt  zu 
Haupt,  von  zwanzig  Jahren  an  und  darüber,  was  in^s  Heer  zu  ziehen  taugt  in 
Israel,  und  sollst  sie  zählen  nach  ihren  Heeren,  du  und  Aaron,  und  sollt  zu 
euch  nehmen  je  vom  Gesohlecht  einen  Hauptmann  über  seines  Vaters  Haus*. 
Die  Zählung;  ergab  603.550  Mann.  Dagegen  2.  Samuelis:  Und  der  Zorn 
des  Herrn  ergrinnnete  ahermal  wider  Israel   und  reizte  David   unter  ihnen, 


^  76  Das  Zählen  bei  den  Juden. 

dass  er  sprach:  Gehe  hin,  zähle  Israel  und  Juda.  Joab  sprach  zu  dem  Könige: 
Der  Herr,  dein  Gott,  thue  zu  diesem  Volke,  wie  es  jetzt  ist,  noch  hundertmal 
so  viel,  dass  mein  Herr,  der  König,  seiner  Augen  Lust  daran  sehe;  aber  was 
hat  mein  Herr  König  zu  dieser  Sache  Lust?  Da  aber  David  auf  seinem  Willen 
bestand,   zählte  Joab  das  Volk ;   es  waren  in  Israel  800.000  starke  Männer, 
die  das  Schwert  auszogen,  und  in  Juda  500.000  Mann.  Und  das  Herz  schlug 
David,  nachdem  das  Volk  gezählet  war.    Und  David  sprach  zum  Herrn:  Ich 
habe  schwer  gesündigt,  dass  ich  das  gethan  habe;  und  nun,  Herr,  nimm  weg 
die  Missethat  deines  Knechtes,   denn  ich  habe  sehr  thöricht  gethan.  Darauf 
liess  ihm  sein  Seher  die  Wahl  zwischen  Hungersnoth,  feindlicher  Verfolgimg 
und  Pest.  David  wählte  das  Letztere  und  es  starben  70.000  Mann. 

Wir  stehen  hier  somit  vor  einem  grossartigen  Widerspruch  der  jüdi- 
schen Lehre,  welcher  sich  nur  dadurch  erklären  lässt,  dass  in  die  Geschichte 
Davids  sich  Mythen  einer  längst  vergangeneu  Zeit  mischen,  welche  an  den 
Namen  David  oder  Thaud  geknüpft  waren,  sowie  an  die  Heiligkeit,  welche 
grossen  Zahlen  beigelegt  war.  Was  dem  David  verboten  war,  konnte  dem 
Sohne  David's,  dem  MeSia^,  erlaubt  sein,  denn  zwischen  dem  MeSia^  und 
dem  Mo§e  konnte  um  so  weniger  ein  Unterschied  sein,  als  Mo§e  ja  that- 
sächlich  die  Rolle  eines  Erretters  spielte  und  derselbe  ein  Sohn  des  Landes 
war,  wo  Thaud  als  Gott  herrschte. 

Führte  Moses  das  Decimalsystem  ein,  so  erhob  er  \  die  Zahl  10,  zur 
ersten  Potenz,  a  kaph  zur  zweiten  (20)  u.  s.  w.,  welchen  Potenzen  nun  die  Ein- 
heiten beigegeben  wurden:  K*  1 1,  a»  12  u.  s.  w.;  so  wurde  das  System  bis  auf 
n  400  ausgedehnt;  wie  dann  die  Zahlen  bis  1000  ausgedrückt  wurden,  ist 
nicht  klar,  wahrscheinlich  ähnlich  der  noch  vorkommenden  Zusammensetzung 
von  Himderl  pn  500,  nn  600,  wn  700,  nn  800,  worauf  ^  900  folgte,  das  in 
das  griechische  Zahlensystem  übergegangen  ist;  femer  ist  der  Ursprung  der 
Finalbiichstaben,  welche  gleichfalls  als  Zeichen  von  500  bis  900  dienen» 
unbekannt  und  ihre  Anwendung  um  so  unerklärlicher,  als  ja  mit  gleichem 
Rechte  alle  Buchstaben  basondere  Finalzeichen  erhallen  konnten;  wenn  dem- 
nach nur  einzelne  Buchstaben  eine  doppelte  Form  erhielten,  so  können  auch 
andere  als  graphische  Gründe  eingewirkt  haben. 

Es  dürfte  hier  am  Platze  sein,  auf  eine  Analogie  tunzuweisen.  Die 
Chinesen  haben  einen  Decimalcyclus  und  einen  Duodecimalcyclus ;  die  Zahlen 
des  erstem  heissen  »Stämme"  oder  , himmlische  Zeichen*  und  die  Zahlen 


Das  Zählen  bei  den  Juden.  177 

des  letztem  , Zweige'  oder  « irdische  Zeichen*,  aus  der  Zusammenstellung 
einer  Duodecimalzahl  und  einer  Decimalzahl  wird  ein  Cyclus  von  60  Jahren 
gebildet,  nach  dessen  Ablauf  dieselbe  Duodecimalzahl  neben  derselben  Deci- 
malzahl  steht.  Die  Duodecimalzeichen  sind  Zeichen  der  12  Doppelstunden 
des  Tages  und  die  Zeichen  des  Thierkreises.  Ohne  Combination  werden  die 
Cyclttszeichen  selten  für  Zahlen  gebraucht,  am  liebsten,  wenn  etwas  in  10 
oder  12  Abtheilungen  zerfällt,  das  ist  in  ähnlicher  Weise  wie  in  der  Keil- 
schrift das  Bruchsystem  gebildet  wurde  und  wie  die  römische  As  als  Ganzes 
ron  zwölf  Einheiten  gebraucht  wurde. 

In  der  hebräischen  Schrift  haben  wir  in  der  Zwölfzahl  die  Stämme, 
m  der  Zehnzahl  die  göttlichen  Gebote,  also  umgekehrt  wie  bei  den  Chinesen; 
dem  entsprechend  hatten  die  Juden  einen  Cyclus  von  50  Jahren  (Jobeljahr) 
wie  die  Chinesen  den  Cyclus  von  60  Jahren;  fünfzig  aber  war  nach  der 
Genesis  die  zweite  Potenz  von  10  auch  bei  der  Volkszählung. 

Wenn  wir  bekennen,  dass  wir  nicht  im  Stande  sind,  alle  Räthsel  des 
Alterthums  zu  lösen,  so  glauben  wir  gleichwohl  dasjenige  nicht  verschweigen 
zu  sollen,  was  ein  Licht  auf  diese  Dunkelheiten  zu  werfen  geeignet  ist,  und 
gerade  der  Umstand,  dass  es  geglückt  ist,  so  manches  Dunkel  aufzuklären, 
ist  eine  AufTorderung  dazu,  mögen  Andere  den  gebahnten  Weg  mit  besserem 
Glück  verfolgen. 

DIE  GOTHISCHEN  UND  ANGELSÄCHSISCHEN  RUNEN. 

Während  die  Markomannen  das  Abece  besassen,  hatten  die  benach- 
barten Gothen  und  Angelsachsen  das  nordische  Futhork  beibehalten,  aber 
vermehrt.  Wir  finden  somit  in  Deutschland  dasselbe  Verhältniss  wie  im 
Orient  Wie  die  Juden  und  die  Araber  trotz  der  innigen  Verwandtschaft  ihrer 
Sprache  sich  sehr  in  der  Zahl  der  Laute  und  in  der  Eintheilung  ihrer  Zeichen 
unterschieden,  so  auch  die  Markomannen,  die  Gothen  und  Sachsen ;  aber  auch 
bei  diesen  ist  eine  auffallende  Verschiedenheit  in  der  Eintheilung  der  Zeichen 
neben  der  Übereinstimmung  der  Zeichen  und  Namen.  Ein  angelsächsisches 
Futhork  eines  Codex  von  St.  Gallen  besteht  aus  28  Zeichen  (wie  die  arabi- 
schen Mondstationen),  emgetheilt  in  je  zwei  Reihen  zu  10  und  eine  Reihe  zu 
8  Zeichen;  dann  folgt  ein  anderes,  bestehend  aus  16  und  zweimal  13,  also 
zusammen  42  Zeichen ;  eine  Handschrift  Isidoris  enthält  drei  Roilien  zu  je  8 
Zeichen,  dann  einige  Zusatzzeichen   (wegen  einer  Lücke  im  Papier  lässt  sich 

raolmAim.  0«tehicht«  d.  SchriO.  1 2 


178 


Gothische  und  angelsächsische  Runen. 


die  Zahl,  wahrscheinlich  5,  nicht  genau  bestimmen);  von  den  drei  angel- 
sächsischen Futhorks,  welche  Hickes  Yeröffentlicht  hat,  besteht  eines  aus  17 
und  16,  also  33  Zeichen,  ein  zweites  aus  16  und  15,  nebst  3  Zusatzzeichen; 
ein  drittes  aus  13  und  11  Zeichen;  dem  ersten  Futhork  des  Hickes  ist  ein 
Runenhed  beigegeben,  welches  aber  nur  29  Zeichen  behandelt,  endhch  wurde 
in  Schonen  ein  Rracteat  gefunden,  welcher  im  Kreise  um  einen  Kopf  24 
Zeichen  in  3  Abtheilungen  enthielt  Wir  geben  zur  Übersicht  zunächst  eine 
Zusammenstellung  der  24  Zeichen: 


Bracteat 

St  Gallen  Cod. 

Cod.  Isidori 

Hickes 

♦ 

f  fe 

f 

ffeh 

f     j^fech 

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oe   S  od'd 

m 

M 

mann 

oe 

^pro 

1 

MA 

dctg 

Geheimschriften.  170 

Die  Zusatzbuchstaben  sind: 

1^  ac  mit  dem  Lautwerlhe     a  ) 

.    ,       ,     .        ,      «  }  beide  im  Stamrafüthork  durch  05  vertreten: 
p  (B8C  mit  dem  Lautwerthe  ä  ) 

frl  yr  mit  dem  Lautwerthe  y,  eine  Variante  von  h  ur; 

^  M>,  tor^  arent  mit  dem  Lautwerthe  to^  die  nordische  Hagel-Rune; 

^  Im,  ear,  cpeordh,  cur  mit  den  Lautwerthen  ear  und  Atr; 

m  Mr  mit  dem  Lautwerthe  ä;^  das  altnordische  X  yr,  Variante  von  eolhx  (ks); 

M  ^an  mit  den  Lautwerthen  st  und  ts; 

3^  por  mit  den  Lautwerthen  g  und  e^,  verwandt  mit  der  Ligatur  <t; 

^  calc,  eine  Variante  von  iolx; 

^*^^z,  das  markomannische  Ziu  (Tyr),  scheint  den  Blitz  zu  bedeuten. 

Vergleichen  wir  die  obigen  24  Runen  mit  den  16  nordischen,  so  finden 

wir  die  Zeichen  sehr  unregelmässig  eingeschoben: 

ru  >  *  t^  r  *       tu        Ht^     rrj. 

Dass  die  Striche,  welche  die  Zeichen  in  Gruppen  theilen,  keine  zufälligen 
waren,  geht  daraus  hervor,  dass  darauf  eine  eigene  Geheimschrift  begründet 
war;  man  schrieb  statt  der  Buchstaben  die  Zahl  der  Reihen  und  die  Zahl  der 
Stelle,  welche  das  Zeichen  in  der  Reihe  (vgl.  S.  178  Br.)  einnahm,  z.  B.  der 
Namecorrt:|.  j-j' ;.  |||.  |[.,;l[I.  |.  |||||.  |.  ||.  ||.  1||.,  denn  c  ist  der  sechste  Buch- 
slabe der  ersten  Reihe,  o  der  achte  der  dritten  Reihe,  r  der  fünfti^.  der  ersten 
Reihe,  u  der  zweite  der  ersten  Reihe,  t  der  dritte  der  zweiten  Reihe;  stall 
dieser  Striche,  welche  man  nach  der  Form  der  Buchstaben  lis-Runen  nannte, 
gebrauchte  man  auch  das  l,  also  j»^  hhhhhh.  ["["[".  hhMS^hf^  f"  M^hhh 
r.  N^.  ff.  hM^  ^^^  nannte  diese  Lago-Runen;  oder  man  setzte  die  Striche 
rechts  und  links  an  einen  Stab:  |^^ ?  p  und  nannte  diese  Zeichen  Hahal- 
runen,  oder  man  setzte  Punkte  [.;../  ..:•:..  ..i.,  .....  und  nannte  sie 
Slofrunen. 

Einer  Ihnlichen  Veranlassung  dfirfte  die  keltische  Oghamschrift  (in 
Iriand  und  Schottland)  ihren  Ursprung  verdanken.  Dieselbe  besteht  aus  fünf 
Strichen  in  vier  verschiedenen  Stellungen: 

unter  der  Zeile.  6  |_l|,,/|,,|.,|,^,« 


auf  der  Zeile  \  hW  d  •''  f  l|l|  k   ll' !  g 
die  Zeile  quer  durchschneidend  /  w// g  /// ti  ////st,  i^  ///// 


W 


180  Ogham. 


a   \  0  \\  u  '■  '  e  ' 
I        ,1 


«1 


die  Zeile  gerade  durchschneidend 

dann  fünf  Zusatzbuchstaben  X  ^  O  <>*  Id  ^  Si^  *^  ^  ^'^ 

Es  ist  das  dieselbe  Ordnung,  welche  sich  in  den  irischen  Buchstaben- 
nämen  erhalten  hat,  und  die  nach  den  ersten  drei  Buchstaben  BeUduismm 
heisst,   woraus  hervorgeht,  dass  in   der  Aufeinanderfolge  der  Zeichen  ein 
Wechsel  zwischen  f  und  n  eingetreten  ist.  Die  irischen  Buchstaben  haben  den 
Namen  von  Pflanzen,   wahrscheinhch  in  Folge  einer  Blumensprache;  sie 
lauten:  Beith  (Birke),  Luis  (Eberesche),  Fearran  (Erle),  ^f7  oder  5wt7 (Weide), 
Nuin  (Esche),  Uaih  [h]  (Weissdorn),  Duir  (deit  Eiche),  Teine  (Stechpalme), 
Choll  (^coö  f«<  Haselstaude),  Chueirt    ßcw]  (Apfelbaum),   Mmn  (Weinstock), 
Gh4>rt  (geil  Epheu),  Niatol  (Schilfrohr),  Straith  (Schwarzdom),  Buis  (Hollim- 
derbaum),  Aüm  (Fichte),  Onn  (oir  Geniste),  üir  (Haidekraut),  Eagadh  (eada 
Espe),    Yoghadh  (yoga  Eibenbaum),   Eabhadh  (Esche),    Oir  (Spindelbaum), 
L%a«w '(Geissblatt),  Ntfin  po]  (Stachelbeere),  Arnharchoü  [acj  (FlusssclülO- 

Es  geht  hieraus  hervor,  dass  die  Beschäftigung  mit  den  Lauten  und 
den  Lautzeichen  im  Alterthum  eine  grössere  war,  als  wir  ahnen;  bei  den 
wallisischcn  Barden  ist  noch  jetzt  eine  Runenschrift  im  Gebrauch,  welche 
Coelbrefi  y  beirdd  (Coelbren  bedeutet  Zeichenstäbe)  heisst  und  auf  einer  Reihe 
von  16  Zeichen  beruht,  welche  den  Zahlwerlh  behalten  haben,  nämlich: 

1   2  3  4  5  6    7  8  9   10  11  12  13  14  15  16 
AJIOI.wh^<<J'h>l1kHK 

aeiohmpfkg     i    d    n    l    r    9 
und   durch   DifTerenzirung    auf  38  vermehrt  worden  sind;  es  ist  übrigens 
fraglich,  ob  die  oben  angegebenen  Zeichen  wirklich  radical  sind,  denn  V  u, 
y  y  scheinen  nicht  minder  radical  zu  sein,  und  >  d  dürfte  wohl  ebenso  radical 
als  >  d  gewesen  sein. 

Kehren  wir  nun  zu  den  angelsächsischen  Runen  zurück,  so  ist  klar, 
dass  die  24  Zeichen  die  24  Stunden  des  Tages  bedeuteten,  dass  damit  auch 
die  Eintheilung  des  Jahres  in  Monate  und  des  Monats  in  29  und  30  Tage 
zusammenhing,  sowie  dass  diese  angeblich  schriftunkundigen  Barbaren  der 
Ausbildung  ihrer  Zeittheiiung  wohl  mehr  Aufmerksamkeit  gewidmet  hatten 
als  Griechen  und  Römer. 

Auf  die  Zeichennamen  wollen  wir  nicht  weiter  eingehen;  wir  müssten 
uns  zum  grössten  Theile  in  Wiederholungen  bewegen  und  würden  dadurch 
ermüden;  bezüglich  der  Zeichenformen  machen  wir  nur  darauf  aufmerksam^ 


Angelsächsisches  Runenlied.  181 

dass  NM  ^  H  für  A  abwechseln,  von  welchen  Zeichen  N  in  der  römischen 
SchriA  und  H  in  der  cyrillischen  Schrift  als  n  auftritt,  dem  entsprechend 
finden  wir  i  als  n  (f^g);  femer  finden  wir  einmal  R  als  8,  was  die  Ähnlich- 
keit von  P  (r)  und  f  (s)  in  der  spätem  angelsächsischen  Schrift  erklärt»  femer 
denselben  Wechsel  zwischen  i  und  a  wie  im  griechischen  Alphabet,  den 
Wechsel  von  m  und  d  und  den  Wechsel  von  l  und  x,  der  auch  in  den  tironi- 
sehen  Noten  bemerkt  wird.  Diese  verschiedenen  Bedeutungen  derselben 
Zeichen  deuten  auf  ein  Schwanken  in  der  Aussprache  hin,  welches  von 
Etymologen  beachtet  zu  werden  verdient. 

Schliesslich  können  wir  uns  nicht  versagen,  das  entsprechende  Runen- 
lied mit  Grimmas  Obersetzung  abzudrucken,  da  es  offenbar,  wie  das  alt- 
nordische, nichts  Anderes  ist  als  eine  Zusammenstellung  von  Wörtern, 
welche  beim  Losen  zur  Erklärung  der  Runen  verwendet  wurden;  man  hat  sie, 
wie  jene,  in  einen  nothdürftigen  Zusammenhang  gebracht,  damit  sie  leichter 
behalten  wurden,  unbekümmert,  ob  ein  Unsinn  herauskäme,  wie  z.  B.  ,Ritt 
ist  daheim  (!)  jedem  Manne  angenehm  und  stärkend,  dem  der  sitzt  oben  auf 
rielkräftigem  Rosse  über  lange  Wege*. 
f      Feoh  byth  frofur  Geld  ist  Trost 

fira  gehwylcum,  für  jeden  Menschen, 

sctal  iheah  tnanna  gehwyle  soll  doch  jeder  Mann 

miclun  hyi  dctian,  reichlich  es  austheilen, 

gif  he  teile  for  drihine  wenn  er  will  vor  dem  Herrn 

douies  hleoten.  Urtheii  empfangen. 

T\       Ur  bgth  anmod  Ur  ist  hartnäckig 

Q9ui  oferhgrned,  und  oben  gehörnt, 

/da  frecM  deor,  ein  viel  freches  Thier, 

feohieth  mid  }Hirtmm:  kämpft  mit  den  Hörnern, 

wiare  moT'Stapa:  gewaltig  im  Sumpfe  stapfend; 

Üiai  is  tnodig  tcuhU  das  ist  ein  stolzes  Thier. 

¥        Thorn  hgth  ihearU  acearp  Dom  ist  sehr  scharf 

tkegna  gthwglcum,  jedem  Menschen, 

nnfenggs  yfyl,  anzugreifen  übel, 

ungeffitlun  rtthe  unniässig  liarl 

inanna  grhwglatm,  jedem  Manne, 

ike  him  mid  re^teth,  der  mit  iiim  schläft 


182 


Angelsächsisches  Runenlied. 


K        Os  bf/th  ordfrwna 

cdcre,  sprcBce, 

tcisdomes  wrathu 

and  witena  frofur, 

and  eorla  gehwam 

eadnys  and  to-hiht, 
R      Rad  byth  onncyde  (cn  reeede?) 

rinca  gehtnjlcum, 

sefte  and  stciOiwcet, 

tham  the  sitfeth  on-ufan 

tneare  tncpgen'heatxlum, 

qfer  mil-pathas. 
(v       On  byth  ctcicei'a  gehtvam 

cuth  on  fyre: 

blac  and  beorhilic 

hjrneth  oßust, 

thcer  hi  cethelingas 

inne  restath. 
X      Gyfu  gumena  byth 

gUng  and  herenys^ 

tprathu  and  tvyrth-sq/pe 

and  tcraxna  gehwam 

ar  and  cetwisty 

the  byth  othra  leas, 
P        Wen  ne  bruceth 

the  can  weana  Igt 

sares  andforge  (sorge?), 

and  htm  sylfa  luefth 

bked  and  blysse 

and  cac  byrga  geniht, 
Y\       Hcegl  byth  hmiust  coma, 

hicyfft  hit  of}i€of(m€S  lyfte: 

tpealcath  hit 

Windes  scura  (scuras?), 

weortluih  hU  to  wabere  syththan. 


Mund  ist  Anfang 
jeglicher  Sprache, 
der  Weisheil  Stütze 
und  der  Klugen  Trost, 
und  der  Menschen  jedem 
Lust  und  Zuversicht. 

Ritt  ist  daheim 
jedem  Manne 
angenehm  und  stärkend, 
dem  der  sitzt  oben 
auf  vielkräitigem  Rosse, 
über  lange  Wege. 

Kien  ist  jedem  Lebenden 
kundig  im  Feuer: 
weiss  und  hell 
brennt  es  sehr  oft, 
da  wo  die  Edelinge 
innen  schlafen. 

Gabe  ist  der  Menschen 
Zier  und  Lob, 
Stutze  und  Ruhm, 
und  jedem  Wandernden 
Erz  (Geld)  und  Speisung, 
der  ist  anderer  beraubt. 

Hoffnung  braucht  nicht, 
der  wenig  weiss  von  Elend. 
Schmerz  und  Sorge, 
und  selbst  hat 
Gluck  und  Freude 
und  auch  Burgen  genug. 

Hagel  ist  das  weisseste  der  Köm  er. 
es  fällt  herab  aus  Himmels  Luft, 
treiben  es 
Windes  Schauer, 
wird  es  zu  Wasser  darnach. 


Angelsachsisches  Runenlied. 


183 


V 


Nifd  hf/th  nearu  on  hreostany 
wearththet  hi  theah 
of  nitha  beamum, 
to  helpe  and  io  hade  gekwcethre, 
gif  hi  kis  hlystath  cerar. 
h  byth  ofer  cealdunge  (afer-cecUd), 
meium  (ungemoetum)  sUdor, 
glisnath  gkes-hluitur 
gimmum  gelicttst, 
flar  forste  ge  tcoruUt  (gewehrt), 
fxger  ansgne. 
Ger  hgth  gumena  hiht, 
thon  god  keseth, 
haiig  heofones  cynitig, 
h'usan  syüan 
heovhte  hleda 
beonium  and  thearfunu 
Eoli  btfth  utan 
unstnethe  treaw, 
heard  hrusan-fcßst, 
htjrdefgres, 

wgrtrufnun  undencrethyd 
wtpian  (tcgn)  on  ethle, 
Peortk  byth  sgtnble 

P^ 

and  hUhter  wlancum, 

thar  wigan  näah 

Oft  beor-sde 

blithe  igt  aamne. 

Eoikz  seccard  (eolug-secgeard)  hafth 

oflust  onfenne, 

ictxeth  on  tßature, 

wundath  grimme, 

blöde  breneüi  (bgrneth) 

beoma  gehwglcne. 


Noth  ist  eng  in  der  Brust, 
gereicht  es  doch 
den  Menschenkindern, 
zu  Hilfe  und  zum  Heile  beides, 
wenn  sie  darauf  hören  zuvor. 

Eis  ist  überkalt, 
unmässig  glatt, 
glänzend  glashell, 
Edelsteinen  ähnlich, 
Flur  von  Frost  gewirkt, 
lieblich  anzusehen. 

Jahr  ist  der  Menschen  Hoffnung» 
wenn  God  lässt, 
der  heilige  Himmelskönig, 
die  Erde  geben 
herrliche  Früchte 
Reichen  und  Armen. 

Eoh  ist  aussen 
rauher  Baum, 
hart,  felsenfest, 
Hirte  des  Feuers, 
durch  Wurzeln  befestigt, 
Freude  im  Vaterland. 

Peorth  ist  inuner 

Spiel 

und  Scherz  den  Reichen, 
wo  Krieger  sitzen 
im  Biersaale 
fröhlich  beisammen. 

Schilf  hat  Erde  (wurzelt) 
sehr  oft  im  Sumpfe, 
wächst  im  Wasser, 
wundet  grimmig, 
brennt  mit  Blut 
jeden  Menschen, 


184 


Angelsächsisches  Bunenlied. 


ihe  him  cgmgne 

onfeng  gedeih. 
VI      Sigel  se^mannttm 

symble  byth  on  hihte, 

thann  (ihotme)  hi  hineferiath 

ofer  fisces  beth  (bceth), 

oth  hibrim  (hi  brim-)  hengest 

bringeth  io  lande. 
'^    Tgr  byth  iaaia  sum, 

healdeih  trytca  (treowa)  tcel 

mih  <xihding€tö, 

a  byth  Ofifopfylde  (on  foßrelde) 

qfer  nüUa  genipu; 

ncefre  swiceth. 
6       Bearc  byth  bleda-leas, 

bereth  efne  swa  theah 

tatios  butan  tudder, 

byth  an  idgum  wlitig, 

theah  on  helme 

hrysted  (hrisceth)  f(jegere, 

gdoden  leafum, 

kgfle  getenge. 
M      Eh  byihfor  eorlutn 

aühelinga  wyn, 

hors  hofum  wlanc, 

thcer  him  hoelethe  (Iicekthas)  tjinb, 

welege  on  uncgum, 

tcrixkuh  sprcece; 

and  byth  unstyllum 

opfre  frofur. 
M      Man  byth  on  myrgthe 

his  magan  (nvagum)  leof, 

sceal  theah  anra  gehwylc 

odrutn  swican, 

for  tham  dttjhten 


der  ihm  einigen 
Empfang  thut. 

Sonne  den  Seeleuten  ♦' 

ist  immer  in  Hoffnung, 
wenn  sie  fahren 
über  Fisches  Bad, 
oder  Meeresross 
sie  bringt  zu  Lande. 

Tyr  ist  der  Zeichen  eins, 
hält  Treue  wohl 
bei  Edlingen, 
ist  inmier  auf  der  Fahrt 
Ober  der  Nächte  Wolken 
trügt  ninomer. 

Birke  ist  früchtelos 
trägt  ebensowohl 
Zweige  ohne  Samen, 
ist  ia  Ästen  schön, 
doch  in  der  Spitze 
rauscht  sie  lieblich, 
bewachsen  mit  Blättern, 
von  der  Luft  bewegt. 

Pferd  ist  vor  den  Menschen 
der  Edlinge  Freude, 
Ross  auf  Hufen  stolz, 
wo  untereinander  Helden  deshalb, 
gewaltige,  im  Streit, 
Worte  wechseln, 
und  ist  Unruhigen 
inamer  Trost. 

Mann  ist  in  Freude 
seinen  Blutsfreunden  lieb, 
doch  ^ird  einer 
den  andern  betrügen, 
deshalb  der  Herr 


Angelsächsisches  Runenlied« 


185 


fpiU  dorne  sine  (sinum) 

thcet  earme  fkesc 

eorthan  hetaxan, 
h       La^  byth  leodum 

Umgsum  ^ethuht^ 

gif  M  seuktn  nethun  (neathan), 

an  naoan  tealtum  (teaUian), 

and  hi  scB'ytha 

swyihe  In'egath, 

and  se  brim-haigest 

hridles  ne  gym  (ggmlh). 
}(     Jng  UHJU  cerest 

mid  east-denum 

gesetceft  secgun, 

oih  the  siÜUhan  est  (est-wetd) 

o/er  icceg  gewat: 

lorri  aftei'  ran 

thus  hmrdingas 

(hone  lißde  nefndwt, 
A     Eihel  hyih  ofer-leof 

<Bghu:ylcum  men, 

gif  he  tnot  thcer  rMer  (rihtes) 

and  gerysena 

an  hrwan  on  blöde 

bUadum  oflasU 
N     ^^  ^f^  dnhiness  sond, 

deore  mannum, 

mctre  tnetodes  leohi^ 

mgrgth  and  to-kiht 

tadgum  and  earmum, 

eaüum  bnce  (bryce). 
K      Ae  bgth  an  eotiftan 

eida  beamum, 

fktsres  fodOTf 
fereth  geloim 


will  durch  sein  Gericht 

das  alte  Fleisch 

der  Erde  zurückgeben. 

Wasser  ist  den  Leuten 
beständiger  Gedanke, 
wenn  sie  sollen  nieden 
im  Nachen  schwanken, 
und  die  Seewellen 
sie  gewaltig  schrecken 
und  das  Meerross 
des  Zügels  nicht  achtet. 

Ing  ist  zuerst 
unter  den  Ostdänen 
gesehen  von  den  Männern, 
bis  er  hernach  ostwärts 
über  die  Fluth  ging, 
der  Wagen  rollte  nach.: 
also  die  Führer 
den  Mann  nannten. 

Vaterland  ist  überlieb 
jedem  Manne, 
wenn  er  muss  da 
nach  Recht  und  Gerechtigkeit 
richten  in  Blut, 
bei  Furchtsamen  oft. 

Tag  ist  des  Herrn  Bote, 
Theuer  den  Menschen, 
herrliches  Licht  Gottes, 
Freude  und  Zuversicht 
Reichen  und  Armen 
Allen  gedeihlich. 

Eiche  ist  auf  dem  Land 
den  Menschenkindern 
Fleisches  Behültniss, 
fthrt  häufig 


186 


Angelsächsisches  Runenlied. 


ofer  ganothes  hadh, 

gar-seeg  fandaih: 

hwcether  ac  hcMe, 

athele  trtowe  (treaw)/ 
h       Aesc  byth  ofer-heah^ 

Mum  dyre, 

stith  on  stathtde, 

stede  rüUe  hyU, 

theah  Mm  feohUm  (fechten)  <m 

firas  moniffe. 
Iy\     Yr  hifih  (gthdinga 

and  eorla  gehnocBS 

wyn  and  wyrthmynd^ 

byih  on  wiege  fcpger, 

foBSÜic  onfcerdde, 

fyrd  geacewa  (fyrd-gemacq)  sum. 
X      Jor  bjfth  ea  fixa  (ea-fiec), 

and  theah  abruceth  (a  hrüceth) 

fodres  onfaldan  (wi  fMan), 

hafath  fiegerre  eard, 

wogtre  beworpen, 

thcer  he  tpynnum  leofath, 

T    ^r  ^*  «7^ 
eorla  gehwylcum, 

thonn  fcestlke 

fkesc  onginneth 

hrawcolian  (hroew  coUan), 

hrusan  ceoean 

Uac  to  gebeddan: 

bleda  gedreosath, 

wgnna  gewitath, 

wera  (wmra)  geswicaih. 


über  Wasserhuhns  Bad. 
erforscht  die  See: 
Jeder  habe  Eiche 
den  edlen  Baum! 

Esche  ist  überhoch, 
den  Menschen  wertli, 
fest  im  Grunde, 
hält  recht  Stand, 
wenngleich  sie  anfallen 
▼iele  Männer. 

Bogen  ist  Edelingen 
und  Mannen,  eines  jeden 
Freude  und  Ehre, 
ist  im  Kampfe  angenehm, 
schnell  auf  der  Fahrt, 
ein  Genosse  im  Zug. 

Jor  ist  ein  Wasserfisch 
und  frisst  doch  immer 
Futters  auf  Erden, 
hat  die  schöne  Flur 
mit  Wasser  beworfen, 
wo  er  in  Freude  lebt. 

Ear  ist  verhasst 
jedem  Manne, 
wenn  unaufhaltsam 
das  Fleisch  beginnt 
als  Leiche  zu  erkalten, 
die  Erde  zu  erwählen, 
bleich  zum  Weibe, 
Freuden  zerfallen, 
Wonnen  verschwinden, 
Verbindungen  werden  gelöst 


187 


RÜCKBLICK. 

Wir  sind  jetzt  an  einer  Stelle  dieses  Werkes  angelangt,  wo  wir  einen 
kurzen  Augenblick  Halt  machen  müssen,  um  das  Vorangegangene  zu  über- 
schauen und  uns  für  das  Folgende  vorzubereiten. 

Die  vorstehenden  Untersuchungen  haben  den  Beweis  geliefert,  dass 
alle  Völker  die  Elemente  der  Schrift  besassen;  ob  sie  auch  nur  Knoten 
knüpften«  ob  sie  auch  keine  anderen  Zeichen  kannten  als  jene,  welche  sie  sich 
auf  den  Leib  malten  oder  in  den  Körper  einätzten :  die  Zeichen  waren  Begriffe 
und  mit  dem  Laut  verbunden,  denn  der  Laut  war  der  Geist,  der  dem  leblosen 
Stoffe,  dem  Knuten  oder  dem  Zeichen,  eingehaucht  wurde,  damit  er  Wunder 
wirke.  Wenn  es  ein  hrthum  war,  dass  der  Mensch  seine  eigene  Combination 
als  Ursachen  eines  göttlichen  Einflusses  betrachtete,  den  er  durch  den  Laut 
erwecken  wollte,  so  kann  uns  das  nicht  beirren,  wir  danken  diesem  Irrthume 
die  köstlichsten  Gaben  der  Menschheit:  die  Erßndung  von  Schrift  und 
Sprache. 

In  der  Urzeit  waren  Zeichen,  Begriff  und  Laut  unzertrennlich  verbun- 
den; aber  das  Zeichen  war  vieldeutig,  der  Begriff  vielseitig  und  der  Laut 
unklar.  Je  mehr  der  Mensch  begriff,  desto  mehr  lernte  er  unterscheiden,  desto 
reichhaltiger  und  individuahsirender  wurden  seine  Zeichen,  desto  mehr  unter- 
schied und  bildete  er  seine  Laute.  Wäre  diese  Entwicklung  gleichmässig  und 
ungestört  erfolgt,  so  hätten  sich  die  Zeichen  und  Laute  in's  Endlose  ver- 
mehrt wie  die  Begriffe  der  Menschen,  und  in  der  That  haben  wir  in  der 
Bilderschrift  den  Ansatz  zu  einer  unbeschränkten  Vermehrung  der  Zeichen, 
in  der  chinesischen  Sprache  den  Ansatz  einer  Lautmodulation,  die  unsere 
europäischen  Sprachbegriffe  verblüfft 

Es  ist  aber  nur  bei  dem  Ansatz  geblieben;  ja,  in  denjenigen  Sprachen 
und  Schriften,  welche  die  herrschenden  geworden  sind,  ist  dieser  Ansatz 
minder  stark  geworden  als  in  anderen,  weil  in  Sprache  und  Schrift  ein  anderes 
Element  vereinfachend  regulirend  eingegriffen  hat:  die  Zahl.  Die  Zahl  ist  das 
logisch  ordnende  im  Menschenverstände,  sie  hinderte  die  Ausschweifung  der 
Phantasie  in  nebelhafte  Unklarheit,  indem  sie,  von  der  Vier  an,  anfangs  selbst 
eine  nebelhafte  Vielzahl,  sich  individualisirte  und  an  bestimmten  Begriffen 
haften  blieb,  welche  Stufen  der  Leiter  wurden,  auf  denen  die  menschliche 
Erkcnntniss  iamier  höher  hinaufkletterte.  Wir  haben  diese  Individualisirung 


188  Kückblick. 

der  Vielzahl  an  den  Tagen  der  Woche  bis  zum  Monat  und  seinen  Tagen 
▼erfolgt.  Aber  auch  diese  Ent^^icklung  hätte  in  ihrer  ungestörten  Ausbildung 
zu  einer  Vielheit  geführt,  welche  dennoch  unvollkommen  war,  weil  sie  bald 
mit  Erschöpfung  und  Beschränkung  endigen  musste;  hier  entstand  als  regelnd 
die  Potenz,  welche  die  Einheit  zur  grossen  Vielheit  erhob,  die  auf  einer  stufen- 
weisen Theilung  beruhte:  dieselben  Stufen,  welche  Ton  der  Eins  zur  Zehn 
führten,  wurden  zu  Stufen  von  zehn  bis  hundert,  von  hundert  bb  tausend,  und 
so  wurde  aus  neun  Zeichen  die  Unendlichkeit  der  Zahlensysteme  aufgebaut, 
mit  denen  wir  die  Himmelsräume  messen.  Nach  diesem  grossen  Grewinne  der 
menschlichen  Erkenntniss  welkten  die  Zahlen,  welche  von  der  Eins  bis  zur 
Dreissig  sich  aus  Zeichen  aufgebaut  hatten,  von  der  Neun  aufwärts  und 
starben  ab. 

Doch  nicht  vergebens  waren  diese  Zweige  dem  Baume  der  Sprache 
und  Schrift  entsprossen;  wie  die  Zahl  eine  gewisse  Ausdehnung  erreicht 
haben  musste,  um  in  höheren  Potenzen  wirksam  zu  sein,  so  musste  auch  die 
Lautbiegung  eine  gewisse  Reihe  von  Lauten  erzeugen,  welche  breit  genug 
war,  die  Grundlage  der  Tausende  von  Wörtern  zu  werden,  mit  denen  wir 
unsere  fein  ausgebildeten  Begriffe  ausdrucken;  und  daher  blieben  die  als 
Zahlen  erstorbenen  Zeichen  über  9  als  Lautzeichen  lebendig  und  bildeten  die 
Grundlagen  der  Lautschrift. 

In  welcher  Weise  aus  der  Minderzahl  die  Vielzahl  der  Zeichen  entstand 
haben  wir  aus  der  Vergleichung  der  Zeichen  erkannt,  welche  uns  bald  in 
den  Orient,  bald  in  den  Occident  führte.  Die  Trennung  der  Familien  liess  an 
verschiedenen  Orten  sich  Völkerstämme  eigenartig  entwickeln,  wobei  auch 
die  gemeinsame  Sprache  und  Schrift  verschieden  sich  gestaltete;  hierauf 
erfolgte  Wiedersehen  unter  Kampf  und  Eroberung,  wobei  die  verschieden  ent- 
wickelten Zeichen  und  Laute  durch  Mischung  der  Sprache  des  Eroberers  mit 
der  des  Eroberten  zu  grösseren  Zeichen-  und  Lautkreisen  sich  vereinigten, 
wie  auch  die  Ideen  und  Erfahrungen  sich  mischten.  Nicht  erfunden  wurden 
neue  Zeichen  und  Laute,  sondern  die  bestehenden  wurden  varürt,  und  wie 
sich  alle  Laute  auf  vier  und  sogar  auf  drei  zurückführen  lassen,  so  lassen  sich 
auch  alle  Zeichen  auf  den  Strich,  den  Winkel  und  den  Kreis  zurückfahren, 
als  die  Grundlage  aller  Begriffe. 

Wie  ferner  sich  im  Zahlensystem  die  Potenz  ausgebildet  hatte,  so  bildete 
sich  im  Lautsystem,  namentlich  unter  dem  Einflüsse  des  Losens  die  Zusammen- 


Rackblick«  189 

Setzung  der  Wurzeln  aus,  welche  schon  in  der  dritten  Potenz  auf  alle  Laute 
ausgedehnt,  den  Sprachschatz  in's  Ungeheure  steigern  musste.  in  dieser 
Beziehung  hat  die  natürliche  Trägheit  dafßr  gesorgt,  dass  die  Bäume  der 
Sprache  nicht  in  den  Himmer,  d.h.  Qber  unsere  Fassungskraft  hinauswuchsen, 
und  auch  hier  hat  die  Mischung  der  Volker  den  Strom  mehr  in's  Breite 
gelenkt;  dieselben  Worte,  welche  sich  als  SufTixe  in  der  einen  Sprache 
ansetzten,  um  Zahl,  Zeit,  Art,  Person  anzugeben,  traten  in  anderen  Sprachen 
selbständig  auf,  und  bei  einer  Vermischung  kam  es  dahin,  dass  Artikel  und 
Fürwörter  zum  flectirten  Worte  hinzutraten,  somit  Person  und  Zahl  doppelt 
vertreten  waren,  während  andererseits  erstorbene  Stämme  sich  als  Präpo- 
sitionen dem  Worte  anschlössen  und  so  eine  Breite  der  Wörter  entstand, 
welche  auf  gleichen  Wurzeln  dieselbe  grosse  Vielartigkcit  des  Ausdruckes 
gestattete  wie  die  Potenzen  der  Zahlen. 

Ohne  diese  Ausbildung  der  Sprache,  welche  die  früher  zum  Verständ- 
niss  nothwendige  Geste  überflüssig  machte,  wäre  eine  Buchstabenschrift  nicht 
möglich  gewesen,  denn  die  Zeichen  waren  ursprünglich  vieldeutig  und  poly- 
phon; diese  Vieldeutigkeit  und  Polyphonie  wurde  sogar  gepflegt,  weil  sie  das 
Errathen  beim  Losen  erleichterte  und  weil  die  Individualisirung  der  Bilder 
»ie  dem  GesammtbegrilTe  entfremdete,  in  welchem  der  Laut  wurzelte.  Daher 
trennten  sich  schon  früh  Bild  und  Lautzeichen;  aber  die  Lautzeichen  konnten 
so  lange  nicht  als  Verständigungsmittel  dienen,  als  die  Sprache  noch  arm 
an  Worten  war,  oder  sie  konnte  als  Verständigungsmittel  nur  dienen,  wenn 
das  Bild  sie  erklärend  begleitete,  wie  die  Geste  die  Rede.  Auf  diesem  Stand- 
punkte finden  wir  die  Schrift  bei  den  Chinesen  und  Ägyptern. 

Um  diese  Zeit  konnte  auch  die  Schrift  bei  armen  oder  verarmten  Völ- 
kern in  Vergessenheit  gerathen.  W^ie  es  gegenwärtig  unter  den  gebildeten 
Völkern  Redner  giebt,  welche  stundenlang  im  Parlamente  oder  in  Volksver- 
sammlungen sehr  klar  und  logisch  sprechen  können,  aber  kaum  im  Stande 
sind,  ihren  Gedankengang  zu  Papier  zu  bringen,  indem  die  Anreihung  von 
Bucli5lal)en  an  Buchstaben  einen  verwirrenden  Cinfluss  auf  ihr  Denken  übt, 
während  umgekehrt  Gelehrte  Meisterwerke  des  Styls  und  des  Geistes  bei 
ruhiger  Aneinanderreihung  der  Zeichen  auf  dem  Papier  schaffen ,  aber  in 
ihrem  Gedankengange  verwirrt  werden,  wenn  sie  statt  den  stummen  Zeichen 
die  lebendigen  Köpfe  der  Hörer  vor  sich  sehen  oder  gegenüber  dem  lebhaften 
Auditorium  nicht  die  Zeit  finden,   mit  prüfender  Überlegung  die  Bausteine 


190  Rückbück. 

ihrer  Sätze  zu  ordnen  —  so  gab  es  Völker,  bei  denen  durch  die  Cbung  des 
mündlichen  Verkehrs  die  Schreibkunst  von  der  Redefertigkeit  erdrückt  wurde, 
während  speciell  bei  den  Chinesen  die  Ausbildung  ihrer  Sprache  durcb  den 
kunstvollen  Ausbau  ihrer  Wortbilder  beeinträchtigt  wurde.  Andererseits 
musste  die  Zeichen-  und  Schreibkunde  verloren  gehen,  wenn  der  Geist  sich 
nicht  über  die  Nothdurft  des  Tages  erhob;  denn  so  weit  der  Schall  des 
Wortes  reichte,  bedarf  man  keiner  Schrift,  um  sich  mittelst  der  Correspon- 
denz  zu  verständigen. 

Es  musste  ein  Bedürfhiss  nach  der  Schrift  vorhanden  sein,  wenn  die- 
selbe sich  entwickeln  sollte;  ein  mächtiger  König  musste  über  viele  Stämme 
gebieten,  .welche  er  nur  durch  schriftliche  Befehle  leiten  konnte,  einem 
E^iesterstamm  mussten  durch  den  Reichthum  und  die  Grösse  des  Volkes  die 
Mittel  geboten  sein,  ungestört  von  Nahrungssorgen  der  Wissenschaft  zu  leben, 
die  Überlieferungen  zu  sammeln  und  ihre  Religionssysteine  zu  ordnen;  dann 
ergab  sich  die  Nothwendigkeit,  dieselben  ihren  Nachfolgern  schriftlich  zu 
hinterlassen,  damit  das  Gefundene  nicht  verloren  gehe,  sondern  virachse  und 
wuchere.  So  sehen  wir  denn  die  Schrift  als  Offenbarung  (im  Gegensatze  zu 
den  Runen  als  Geheimniss)  stets  mit  Religionssystemen  vereint ,  wie  die  Sage 
von  Büchern  Thaud's  und  von  vergrabenen  Ziegelsteinen  Chaldaeas  berichtet; 
so  verbreitete  sich  die  hebräische  Schrift  mit  dem  Pentateuch,  die  griechische 
Schrift  mit  Homer's  Gesängen,  die  Devanagari  mit  der  Brahmanenlehre,  die 
Pali  mit  dem  Buddhismus,  die  syrische  Estrangelo  mit  dem  Evangelium,  die 
arabische  Neskhi  mit  dem  Qorän,  die  römische  Schrift  mit  der  Vulgata,  die 
cyrillische  Schrift  mit  CyrilFs  Bibelübersetzung  u.  s.  w. ;  was  dazwischen  liegt 
an  nationalen  Schriften  sind  Trümmer,  welche  von  einstiger  Herrlichkeit 
zeugen,  wie  die  Ruinen  verfallener  Paläste. 

Läge  die  geistige  Geschichte  der  Menschheit  klar  vor  uns,  könnten  wir 
an  der  Hand  derselben  die  verschiedenen  Religionssysteme  verfolgen,  dann 
können  wir  sicher  einen  chronologischen  Aufbau  der  Geschichte  der  Schrift 
liefern;  aber  selbst  in  vergleichsweise  neuer  Zeit  bt  die  Entstehung  der 
Religionen  in  Dunkel  gehüllt,  umgeben  die  sonderbarsten  Mythen  die  Ent- 
stehung der  Religionsbücher,  so  dass  man  selbst  höchst  misstrauisch  wird 
gegen  Daten,  welche  sich  den  Anschein  historischer  Thatsachen  geben.  Statt 
daher  Material  zu  empfangen,  müssen  wir  selbst  in  der  Geschichte  der  Schrift 
Material  zu  historischen  Ereignissen  suchen. 


RQckbüclL  191 

Obrigens  hat  auch  die  politische  Geschichte  Ähnlichkeit  mit  der 
Geschichte  der  Schrift.  Indien,  China,  Amerika  haben  einen  selbständigen 
Entwicklungsgang  gehabt,  welcher  unabhängig  war  von  jenem  Geiste  der 
Civilisation,  der  von  Vorderasien  auf  Griechenland,  auf  Rom  und  auf  die 
germanischen  Völker  überging,  und  zeitweilig  jedem  dieser  Völker  das  Zepter 
der  Präponderanz  in  die  Hand  drückte;  nur  dieser  Geist  der  europäischen 
Civilisation  lässt  sich  genetisch  nachweisen,  aber  er  ist  ein  so  kleiner  Abschnitt 
in  der  Tieltausendjährigen  Geschichte  der  Menschheit,  wie  die  Entwicklung 
der  phönikisch-griechisch-römischen  Alphabetschrift  nur  ein  ganz  kleiner 
Theil  der  allgemeinen  Geschichte  der  Schrift  ist 

Wir  müssen  daher  die  Schriften  der  Völker  einzeln  betrachten  und 
in  ihnen  die  Elemente  suchen,  welche  sie  mit  den  allgemeinen  Wurzeln  ver- 
knüpfen, nachdem  wir  in  den  vorstehenden  Abhandlungen  diese  Wurzeln 
blossgelegt  und  einen  Theil  ihrer  Verzweigung  verfolgt  haben.  Wenn  vrir 
dann  die  einzelnen  Schriften  zu  Familien  verbunden  und  die  Verwandtschaft 
dieser  Familien  unter  einander  erörtert  haben,  so  werden  wir  schliesslich  zu 
einem  Oberblick  des  gesammten  Schriflwesens,  wie  es  sich  historisch  ent- 
wickelt  hat,  gelangen  und  damit  einen  Beitrag  zur  grossen  Culturgeschichte 
'ler  Menschheit  liefern. 


ZWEITER   THEIL 


DIE 


SCHRIFTSYSTEME 


DER 


VÖLKEK  DES  EEDKKEISES 


VON  DEN  ÄLTESTEN  ZEITEN  BIS  AUF  DIE  GEGENWART. 


f  Aalnaiin.  0«tchieh(«  d.  Schrift.  I  ^ 


Amerikanisclie  Scliriften. 


1.  DIE  KKOTENSCHRIFT. 

Amerika  scheint  von  jeher  das  Land  gewesen  zu  sein,  in  welches  sich 
Bewohner  der  andern  Erdhälfle  flüchteten,  wenn  Verfolgungen  ihnen  das 
Leben  in  der  Heimath  unerträglich  machten.  Bei  vielen  amerikanischen  Völ- 
kern haben  sich  Traditionen  erhalten,  dass  sie  in  die  neue  Welt  eingewandert 
seien,  und  es  ist  daher  natürlich,  dass  wir  Culturformen,  die  sich  in  der  alten 
Welt  überlebt  haben,  in  Amerika  mehr  conservirt  finden.  Zu  diesen  gehört 
der  Gebrauch  der  geknüpften  Schnüre,  von  deren  Anwendung  in  Asien  und 
Europa  nur  mehr  die  Sage  und  einzelne  Gewohnheiten  zeugen. 

Am  verbreiteisten  war  der  Gebrauch  der  geknüpften  Schnüre  in  Peru 
zu  den  Zeiten,  als  die  Inkas  dort  herrschten,  d.  i.  bis  zur  Eroberung  Perus 
durch  die  Spanier.  Die  Tradition  berichtet,  dass  die  Inkas  eine  früher  in 
Gebrauch  gewesene  Bilderschrift  verboten  hätten,  wogegen  aber  der  Umstand 
spricht,  dass  gerade  m  den  Tempeln  Steine  mit  eingehauener  Bildersclirifl 
aufbewahrt  wurden. 

Diese  Knoten  hiessen  Quipu,  welches  Wort  sowohl  ,  knüpfen '^  als 
, Knoten*  bedeutete,  aber  das  versetzte  Pa-kwa  (die  acht  Knoten)  der  Chinesen 
zu  sein  scheint;  in  Tschile  wurden  sie  Pron  (Schnüre)  genannt.  Tschudi  hat 
hei  seinem  Aufenthalte  in  Peru  viele  solcher  Quipu  ausgegraben  und  selbst 
die  Bedeutung  der  jetzt  noch  bei  den  Hirten  der  Puna  in  Gebrauch  befind- 
liehen  kennen  gelernt.  Er  beschreibt  die  letzteren  in  folgender  Weise :  Die 
Quipu  bestehen  aus  einem  Hauptstrang,  an  den  verschiedene  Zweige  geknü))fl 
sind.  Auf  den  ersten  Zweig  setzen  sie  gewöhnlich  die  Stiere,  auf  den  zweiten 
die  Kühe,  diese  tbeilen  sie  wieder  in  solche,  die  Milch  geben,  und  in  Kühr*, 
die  nicht  gemelkt  weitlen,   die  folgenden  Zweige  enthalten  die  Kälber  nach 

13' 


196 


Art  und  Geschlecht,  dann  kommen  die  Schafe  in  mehreren  Unterabiheilungen, 
die  Zahl  der  getödteten  Föclise,  die  Menge  des  verbrauchten  Salzes  und  zuletzt 
das  gefallene  Vieh.  Auf  anderen  Qiiipu  sieht  der  Ertrag  der  Heerden  an  Milch. 
Käse,  Wolle  u.  s.  f.  Jede  Rubrik  wird  durch  eine  eigene  Farbe  oder  durch 
eine  verschieden  gedrehte  Schnur  angezeigt.  Auf  die  uämliche  Weise  wurden 
in  früheren  Zeiten  die  Kriegsheere  gezählt;  auf  eine  Schnur  wurden  die  Sol- 
daten mit  Steinsclileudem,  auf  eine  andere  die  mit  Speeren,  auf  eine  drille  die 
Reulenträger  u.  s.  w.  mit  ihren  Ober-  und  Unterofficieren  gesetzt;  ebenso 
wurden  die  Schlachtberichtc  abgefasst.  Von  den  Farben  galten:  roth  für  Sol- 
daten, gelb  für  Gold,  weiss  für  Silber,  gnln  fOr  Getreide.  Jeder  einfache 
Knoten  bezeichnete  zehn,  jeder  doppelt  verschlungene  hundert ,  jeder  dreifache 
tausend;  zwei  einfache  Knoten  neben  einander  bedeuteten  zwanzig.  Die  Eni- 
femung  der  Knoten  vom 
Stamme  war  von  grösster 
Wichtigkeit,  ebenso  die 
Aufeinanderfolge  der  ein- 
zelnen Zweige,  denn  die 
Hauptgegenstände  wurden 
an  die  erslen  Zweige  und 
in  die  Nähe  der  Querschnur 
gesetzt,  und  so  in  abstei- 
genderPolge.  Enjeder  Stadt 
waren  einige  eigens  be- 
Glimmte  Männer,  um  die 
Quipu  zu  knüpfen  und  zu 
erklären,  sie  hiesscn  Kno- 
lenbeamte.  So  ungenügend 
diese  Schrift  war,  so  hatten 
doch  während  der  Blfilhe 
des  Inka-Reiches  die  be- 
stellten Schriftsteller  eine 
sehr  grosse  Fertigkeit  im 
Enträlhseln  der  Knoten, 
aber  es  gelang  ihnen  nur 
selten,  einen  Quipu  ohne 


Wampumschnüre  197 

mündlichen  Commentar  zu  lesen,  es  musste  immer,  wenn  er  aus  einer  ferner 
Provinz  kam,  beigefugt  werden,  ob  er  sich  auf  Volkszählungen,  Tribute, 
Kriege  u.  s.  w.  beziehe.  ** 

Wir  geben  Seite  196  eine  Ton  Tschudi  veröffentlichte  Abbildung  eines 
solchen  Quipu,  wie  er  deren  viele  in  Peru  ausgegraben  hat. 

Cngverwandt  mit  diesen  Quipu,  aber  doch  eigenartig  sind  die  Wampum- 
oder  Muschelgürtel  der  nordamerikanischen  Indianer:  d^r  Leni-Lenape, 
Huronen,  Irokesen  und  anderer  Stämme.  Sie  bestehen  aus  Muschelschalen 
von  weisser,  brauner,  violetter  oder  in's  Schwarze  fallender  Farbe,  welche 
in  kleine,  OTal  geschliffene  Stücke  zerspalten  sind,  die  durchbohrt  und  an 
einen  Faden,  dünnen  Lederriemen  oder  Draht  angereiht  wurden.  (Derlei 
Steine  wurden  auch  in  dem  urweltlichen  Boden  von  Frankreich  aufgefunden, 
ein  Beweis,  dass  solche  Muschelschnüre  einst  auch  in  Europa  heimisch  waren.) 
Die  Muscheln  waren  so  geschätzt,  dass  sie  bei  den  Indianern  ehedem  auch 
die  Stelle  des  Geldes  vertraten,  und  diess  erinnert  daran,  dass  bei  den  Chinesen 
noch  jetzt  das  Bild  der  Muschel  »Reichthum*  bedeutet.  Wegen  der  Schwierig- 
keit, Muscheln  zu  erlangen,  wurden  statt  ihrer  auch  Holzslücke  verwendet, 
doch  sind  die  letzteren  verschwunden,  seit  der  Hanclclsgeisl  der  Enjrländer 
dio  Indianer  mit  sauber  poiirten  Muschelstücken  versorgte.  Mehrere  dieser 
Sohnüre  wurden  zu  einem  Gürtel  vereinigt,  der  vier  bis  sechs  Schnüre  ent- 
hielt, die  Gürtel  waren  von  verschiedener  Länge,  häufig  5  Ellen,  nianchinal 
eine  Klafter  lang.  Die  Färbung  der  Muscheln  trug  eine  Bedeutung:  dunkle 
gaben  Bedenklichkeit  und  Hartes  zu  erkennen,  schwarze  oder  vielmehr  braune 
und  violette  warnten  vor  Gefahr  oder  enthielten  eine  ernste  Mahnung,  die  an 
Drohung  streifte,  oder  auch  einen  nachdrücklichen  Verweis,  weiss  zeugte  von 
Güte  und  verhiess  Wohlwollen,  Frieden  und  Freundschaft,  roth  verkündete 
allemal  Krieg,  denn  roth  war  die  Kriegsfarbe.  Solche  Wampumgürtel  sendeten 
die  Stämme  einander  zu,  sie  gaben  mittelst  derselben  öfTentliche  Erklärungen 
und  beglaubigten  das  Wort  des  Botschafters,  denn  ohne  mündliche  Eiklünipg 
waren  sie,  wie  die  Quipu,  nicht  verständlich.  Hatte  in  einer  feierlicIuMi  Ver- 
sammlung eines  andern  Stammes  der  abgesendete  Sprecher  eine  wichtige 
Eröffnung  gemacht,  so  schloss  er  mit  der  Überreichung  der  Wanipumschnur: 
»Zur  Bestätigung  meiner  Rede  übergebe  ich  diese  Wanipuiuschnur. *  Der 
Antwortende  überreichte  ihm  eine  entsprechende  als  Gegen  gewähr.  r)ie 
Sprecher    beider   Parteien    hielten    auch    während    der   Verhandlung    den 


198 


WampumscIinQre. 


Wainiiumgürtel  an  den  entgegengesetzten  Enden.  Wurden  WampumgOrlel 
zurückgegeben,  so  hiess  diess,  es  werde  auf 
den  Vorschlag  nicht  eingegangen  und  die 
Unterhandlung  war  sogleich  abgebrochen.  Die 
erhaltenen  WampumgQrtel  bewahrten  sie  sorg- 
fältig in  Ledertaschen,  Beuteln  und  Eisten  auf. 
Dieses  ihr  Staatsarchiv  wurde  tod  Zeit  zu 
Zeit  durch  die  Kundigen  den  Slammgenossen 
erklärt.  Ein-  oder  ein  paarmal  im  Jahre  wur- 
den die  fähigsten  Knaben  und  Junglinge  des 
Stammes  und  die  Söhne  der  Angesehensten  an 
einem  Waldorte  versammelt,  Speise  undTrank 
dorthin  gebracht  und  auf  einem  grossen  Rin- 
denstücke oder  einer  Decke  der  Brielbcutel 
geleert  und  der  Urkundenvorrath  in  bestimm- 
ter Ordnung  ausgebreitet  Alsdann  ergriff  ein 
Sprecher  die  einzelnen  Gürtel  und  erklärte 
jedes  Inhalt  mit  ernstem  Nachdruck,  die 
Worte,  die  bei  der  Übergabe  gesprochen 
worden  waren,  wiederholend.  Manche  Gürtel 
scheinen  doppelseitig  gewesen  zu  sein,  denn 
es  wird  berichtet,  dass  bei  vielen  derAusleger 
den  Gürtel  umgekehrt  habe,  wenn  er  zur  Mitte 
seiner  Rede  gekommen,  und  diess  sei  dann 
ein  wesentlicher  Punkt  gewesen.  Wir  geben 
hier  die  Abbildung  eines  solchen  Wampuni- 
gurtels,  der  an  sich  nichts  Anderes  als  eine 
Zickzackfigur  zu  enthalten  scheint,  der  aber 
wichtige  Nachrichten  enthalten  haben  soll.*' 


ä.  LXIHAMSCHE  BILDERSCHRIFTEN. 


Die  Indianerütiuimie,  welche  zur  Zeit  der  Entdeckung  Amerikas  die 
nördliche  Hälfte  dieses  Erdtheils  durchstreiften  und  hauptsächlich  nomadisch 
von  der  Jagil  lebten,  wie  die  weui^'en  Überreste,  welche  der  Kampf  mit  den 


Die  Indianer.  19^ 

Europäern  und  die  Branntweinpest  übrig  gelassen  hat,  huldigen  den  Anschau- 
ungen des  Animismus.  Sie  haben  keine  Tempel  zum  Gottesdienste,  denn  sie 
meinen,  dass  der  grosse  Geist,  welcher  die  Welt  geschaffen  habe,  sich  vor 
den  Augen  der  Menschen  wrberge,  aber  in  allen  Dingen  wohne;  sie  erblicken 
ihn  demnach  in  Felsen,  Bäumen,  Wasserfällen  und  Wolken,  im  Donner  und 
Blitz,  in  den  heftigsten  Stürmen  wie  im  leichtesten  Wehen,  in  Vögeln,  Vier> 
füsslem  u.  8.  w.  ^  hisbesondere  scheinen  sie  in  den  Thieren  Emanationen 
der  Gottheit  erblickt  zu  haben,  denn  sie  wählten  dieselben  zu  Schutzgejstem, 
sowohl  der  Stämme  wie  der  einzelnen  Individuen,  die  Abbildungen  solcher 
Schutzthiere,  welche  genau  den  europäischen  Wappenthieren  entsprechen, 
heissen  Totema,  ein  Wort,  welches  an  das  ägyptische  tut  ,Gleichniss,  Bild* 
erinnert.  Diese  Zusammenstellung  ist  nicht  so  absurd,  wie  sie  auf  den  ersten 
Augenblick  scheinen  könnte;  die  hidianer  Amerikas  haben  zum  grossen 
Theile  dieselbe  Kupferfarbe  vvie  die  alten  Ägypter,  sie  sind,  wie  diese,  bart- 
los und  es  erinnern  so  manche  Bräuche  an  das  Nilthal:  so  die  hockenden 
Gestalten  an  die  Formen  der  ägyptischen  Götterbilder;  ihre  Hauptwaffe,  die 
Streitaxt,  bedeutet  in  den  ägyptischen  Bildern,  Göttlichkeit* ;  ihr  Haarschmuck 
mit  Federn  ist  derselbe,  den  der  ägyptische  Gott  Anoki  trägt,  das  Zusammen- 
binden der  Haare  auf  dem  Scheitel  erinnert  an  den  Zopf  des  Gottes  Amon, 
an  die  Haarform  der  Chatten  (in  Deutschland)  und  an  den  Zopf  der  Araber 
und  Mongolen.  Mehrere  Stämme,  wie. die  Tschipewais  und  die  Schawanoes 
haben  die  Tradition  bewahrt,  dass  Amerika  nicht  ihr  ursprüngliches  Vater- 
land gewesen  sei,  sondern  dass  sie  nach  einer  weiten  Reise  über  ein  grosses 
Meer,  welches  eng  und  voller  Inseln  war,  dahin  gekommen  sind.  ^^ 

Noch  zwei  andere  Wörter  haben  eine  auffallende  Ähnlichkeit  mit 
europäisch-asiatischen  Worten,  nämlich  der  Name  ihrer  Priester:  Meda,  und 
der  Name  ihrer  Propheten:  Yossakid.  Der  Name  Meda  wird  auch  mida,  moda, 
muda,  mata,  matt,  niadi,  ttutdo,  maiiu  ausgesprochen.  Der  Stamm  mat  findet 
sich  im  Griechischen  als  maihema  »Erkenntniss",  manthanö  ,  lernen  ■,  mantis 
»ein  Verzückter,  Seher,  Wahrsager,  Prophet",  lateinisch  mvd'iiari  .sinnen, 
Studiren*  und  medeor  «heilen*,  wie  auch  Medicin  bei  den  Indianern  Zauberet 
bedeutet  Die  Medea  der  griechischen  Sage  war  eine  Zauberin;  im  Hebräischen 
heisstffui//  «Mass*,  was  durch  die  Knotenschrifl,  sowie  durch  die  Bedeutung, 
welche  das  Messen  fQr  die  gesammte  Bildung  hatte  (Richtschnur  wird  noch 
in  unserer  Sprache  in  der  Bedeutung  von  Vorschrill,  Lehre  gebraucht),  eben- 


200  Indianische  Kekinowin. 

falls  auf  den  Priester  hinweist.  Der  Name  Yossakid  entspricht  dem  hebräi- 
schen yisekka  oder  yiska  („die  da  spähet*),  das  war  der  Name  der  Schwester 
Lots.  Die  indianischen  Yossakids  spielen  ganz  dieselbe  Rolle  wie  die  judi- 
schen Seher  im  Buche  der  Richter:  Männer  oder  F/auen,  welche  durch  Fasten 
und  Dampfbäder  zu  Visionen  gelangen,  werden,  wenn  ihre  Prophezeiungen 
in  Erfüllung  gehen,  berühmt,  und  öfter  gelang  es  solchen,  viele  einzelne 
Stämme  zu  gemeinsamen  Unternehmungen  zu  yereinigen,  an  deren  Spitze 
sie  sich  stellten. 

Die  Lehren  der  Priester,  sowohl  der  Medas,  wie  der  Yossakids  und 
einer  dritten  Art,  welche  nächtliche  Orgien  veranstalten  und  Wabeno  heissen, 
fuhren  den  Namen  Kekinowin  (der  Ausdruck  win  erinnert  an  die  wen  oder 
Bildzeichen  der  Chinesen)  und  beruhen  auf  Zauberliedem,  von  denen  jede 
Strophe  an  ein  (gewöhnlich  gemaltes)  Bild  geknüpft  ist;  sie  heissen  daher 
auch  Nugamunnu  oder  Gesänge  und  zerfallen  in  Yesukawin  oder  Prophe- 
zeiungen, Medawin  oder  Arzneikunst,  Wabino,  Gresänge,  welche  bei  den 
Orgien  gesungen  werden,  Nundobewunewun  Krieg,  Keossawin  Jagd,  Sadia- 
win  Liebe,  Muzzinabikon  Geschichte.** 

Wir  geben  auf  Tafel  I  die  Bilder  eines  solchen  Kekinowin,  welches  als 
besonders  heilig  gilt,  und  bemerken  zur  Erklärung  folgendes: 

Figur  1  stellt  die  Wohnung  eines  Medicinmannes  dar,  sie  ist  erfüllt 
mit  der  (jegenwart  des  grossen  Geistes,  der  geflogen  kam,  um  die  Indianer 
in  diesen  Ceremonien  zu  unterrichten.  Der  Priester  singt: 

Man  €  do 

We  gum  ig 

Ah  to  dum  in 

Ne  we  pin  de  gai, 
d.  h.  des  grossen  Geistes  Wohnung,  ihr  habt  davon  gehört;  er  veird  eintreten 
Figur  2  stellt  einen  Gandidaten  vor,  der  um  die  Aufnahme  unter  die 
Medas  eingeschritten  ist,  er  ist  mit  Federn  im  Haar  geschmückt  und  trägt  an 
einem  Arme  das  aufgeblasene  Fell  einer  Fischotter,  indem  er  die  Luft  am 
andern  Ende  ausströmen  lässt.  Er  singt,  die  Worte  des  Priesters  wieder- 
holend, während  Alle  in  Begleitung  der  Klänge  von  Trommeln  und  Ratteli) 
tanzen: 

Ne  sau  mü  hi^ 

We  au  »te  )uiif 


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Krkläruuj^  des  Kekinowin  auf  Tafel  I.  20  t 

Oi  ke  hu(j  ge  ze 

We  ye  tvaum 

Ne  pln  de  gai, 
d.  h.  ich  habe  immer  das  geliebt,   was  ich  suche,    ich  gehe  ein  in  die  neue 
grüne  Laubwohnung.  ^ 

Figur  3  bezeichnet  eine  Pause,  während  welcher  die  Victuahen,  die 
für  die  Schmauserei  Torbereitet  sind,  eingeführt  werden. 

Figur  4  bezeichnet  einen  Mann,  welcher  eine  Schüssel  in  seiner  Hand 
hält,  auf  seinem  Handgelenk  sind  magische  Figuren,  welche  ihn  als  gewandt 
in  allen  Dingen  bezeichnen.  Der  Gesang  lautet: 

Ne  mau  tau 

On  ne  go 

Ne  kaun, 
d.h.  ich  werde  dir  einen  Antheil  geben,  mein  Freund! 

Figur  5  bezeichnet  eine  Wohnung,  abseits  von  jener,  in  welcher  die 
Medas  versammelt  sind.  In  der  Wohnung  ist  ein  Dampfbad;  die  älteren 
Männer  nehmen  darin  ein  Bad;  während  sie  das  Bad  nehmen  oder  unmittel- 
bar vorher,  erzählen  sie  einander  gewisse  Geheimnisse  bezüglich  der  Anwen- 
dung der  Medawin.  Die  sechs  himmlischen  Zeichen  an  der  Spitze  der  Woh- 
nung bezeichnen  die  Dämpfe  aus  dem  Bade.  Die  Priester  singen  nacheinander 
und  zu  Zeiten  mit  schmalen  Stöcken  auf  die  Trommeln  schlagend: 

}Ve  ge  uuum 

Fin  de  gai 

Ke  kann 

E  naun 

Sain  gün  ah  tcau, 
d.  h.  ich  gehe  in  das  Bad ;  ich  blase  meinen  Bruder  stark. 

Figur  6.  Der  Arm  des  Priesters  oder  Meisters  dieser  Ceremonie, 
welcher  den  Candidaten,  der  in  der  nächsten  Figur  dargestellt  ist,  führt. 

Figur  7  bezeichnet  die  Gaben  oder  Geschenke,  welche  von  dem  Novizen 
als  Lohn  für  die  Aufnahme  entrichtet  werden.   Der  Gesang  lautet: 

Ne  W€  ftau  gtce  no 

Ne  tce  hau  gue  no 

No  sa  ne  kaun, 
d.  h   ich  wünsche  mich  so  zu  betragen,  mein  Vater,  mein  Freund. 


^02  Erklärung  des  Rikeno%viii  auf  Tafel  L 

Figur  8  bezeichnet  einen  Medabaum,  die  zurückgebogenen  Linien  am 
Stamme  deuten  die  Wurzel  an,  welche  die  Medicin  ergänzt  Der  (lesang 
lautet: 

Au  ne  i  ai4  ne  piai 

Au  ne  i  au  ne  nai 

Pa  zik  tcan  küz  e 

Ke  mit  tig  o  me  naun 

Ke  ice  tauS  kau  au^ 
d.  h.  Was!  mein  Leben,  mein  einziger  Baum,  wir  tanzen  rund  um  dich. 

Figur  9  ist  ein  ausgestopfter  Kranichbalg,  der  als  Medicinsack  dient; 
durch  einen  heimlichen  Druck  der  Hand  kommen  daraus  kleine  Vögel  hervor. 
Diese,  so  lehrt  man  den  Novizen,  springen  durch  die  starke  Macht  der 
Geislerbeschwörung  aus  dem  Sacke.  Der  Gesang  lautet: 

Sin  gau 

Wau  bum  au 

A  ie  aun 

Kau  ie  go  tcid 

A  ie  axwy 
d.  h.  ich  wünsche,  ihr  Erscheinen  zu  sehen ,   dass  das  so  geworden  ist,   ich 
wünsche  ihnen  zu  erscheinen. 

Figur  10  ist  ein  Pfeil  im  Himmelskreise,  das  ist  ein  bezauberter  PfeD, 
welcher  durch  die  Macht  des  Meda  diejenige  Person,  der  er  gehört,  befähigt, 
den  ganzen  Himmelskreis  zu  durchdringen  und  das  Ziel  zu  erreichen,  nach 
welchem  der  Pfeil  abgeschossen  wurde.  Der  Gesang  lautet: 

Ah  mn,  a  ze  ine  go 

Me  dai  we,  in  in  e  icau 

J,  e,  e,  me  da,  me  gun  », 
d.  h.  was  siehst  du  dort,  du  mi-da-man,  diess  —  diess  ist  der  Meda-Knochen. 
Figur  1 1  ist  der  Kakaik  (eine  Art  kleiner  Falken  mit  schnellen  Flügeln), 
der  fähig  ist,  hoch  in  die  Luft  zu  fliegen.  Den  Balg  dieses  Vogels  tragen  die 
Krieger  um  die  Schultern,  wenn  sie  in  die  Schlacht  ziehen.  (Ein  Falkenhemd 
trug  auch  der  nordische  Gott  Odhin.)  Der  Gesang  lautet: 

Ne  kaik'wi  on 

Tan  he  taib  wai  me  tum, 
d.  h.  Mein  Falkenhemd  flattert. 


Erklärung  des  Kekinowin  auf  Tafel  I.  203 

Figur  12  bezeichnet  die  himmlische  Sphäre  mit  dem  grossen  Geiste, 
der  Qher  sie  hinwegschaut.  Ein  Geisterarm  ist  bittend  emporgehoben.  Vögel 
und  gute  Omina  sind  im  Himmel  gedacht.  Der  Gesang  lautet: 

Kt  tri  tau  gS  Hg 

Koan  dau  tca 

Idofi  e  do^ 
d.  h.  Rings  um  den  ganzen  Kreis  des  Hinmiels  hOr'  ich  des  Geistes  Stimme. 
Figur  13  bezeichnet  eine  Pause. 

Figur  14  ist  ein  Medabaum  in  dem  Sinne,  dass  der  Baum  durch 
magische  oder  geistige  Macht  belebt  sei.  Der  Gesang  lautet: 

Wa  he  no 

Mit  tig  0 

M'a  be  no 

Mit  tig  0 

Se  H€  mi 

Kau  go 

Ne  He  ml 

Kau  go, 
d.  h.  der  Wabenobaum,  er  tanzt. 

Figur  15  ist  ein  Stock  zum  Schlagen  der  Ta-wa-e-gun  oder  Trommel. 
Gesang:  Pa  htm  nin 

Ha  ica  sin 

Xin  hau  gi  e  gun, 
d.  h.  Wie  rings  laut  der  Trommelstock  schallt! 

Figur  16  ist  die  Hälfte  der  himmlischen  Sphäre «  ein  Indianer  wandelt 
darauf,   der  Sinn  bezeichnet  den  täglichen  Lauf  der  Sonne  bis  zum  Mittag 
Der  Gesang  lautet: 

Xau  haun 

A  gl  Hg  a 

Pt  müs  au  tun  aun 

OUig, 
d,  h.  ich  wandle  auf  dem  halben  Himmel. 

Figur  17  bezeichnet  den  grossen  Geist,  der  mit  seinen  Strahlen  die 
Welt  erleuchtet,  er  erscheint  hier  als  Gott  des  Donucrs  und  des  Blitzes.  Der 
Gesang  lautet  t 


204  Erklärung  des  Kekinowin  auf  Tafel  1. 

Ke  %ce  tau, 

Gi  Hg 

Ka  ie  kwai 

^i'e  ihn  aun, 
d  h.  ich  sause  rund  um  den  Himmel,  damit  sie  mich  hören  können. 

Figur  18  isl  die  Ta-wa-e-gun  oder  einfach  behäutete  Trommel.  Der 
Gesang  lautet: 

Ke  gau  tai 

Be  tau  au 

Nin  *«  tai  tcai  e  gun, 
d.  h.  ihr  sollt  hören  den  Klang  meiner  Trommel. 

Figur  19  ist  das  Ta-wa-e-gonse  oder  Tamburin  mit  Federn  geschmückt. 
Der  Gesang  lautet: 

Kj  ms  0  tau  tiai 

In  tai  tcai  e  ytin, 
d.  h.  verstehst  du  meine  Trommel? 

Figur  20  ist  ein  Rabe;  seine  Federn  oder  sein  Balg  werden  als  Kopf- 
schmuck getragen.  (Auch  die  Raben  erinnern  an  den  nordischen  Gott  Odhin, 
desseu  Boten  sie  waren,  er  hiess  darum  der  Rabengott.)  Der  Gesang  lautet : 

Kau  gau  ge  tcau 

In  tcai  aun 

Wai  me  gwun  e  aun, 
d.  h.  ich  singe  den  Raben,  er  hat  edle  Federn. 

Figur  21  ist  eine  Krähe;  die  Flügel  und  der  Kopf  derselben  dienen  als 
Kopfschmuck.  Der  Gesang  lautet: 

In  daun  daig  o 

In  daun  daig  o 

Wi  aun 

Ne  au  u:aij 
d.  h.  ich  bin  die  Krähe,  ich  bin  die  Krähe,  sein  Balg  ist  mein  Körper. 

Figur  22  ist  eine  Medicinwohnung.  Der  Führer  oder  Meister  derMeda- 
Gesellschaft  hat  seinen  Trommelstock  erhoben  und  hält  in  seinen  Händen 
die  Wolken,  sowie  die  himmlische  Hemisphäre.   Der  Gesang  lautet: 

Ne  phi  de  qai 

Ne  pln  df  ijai 


VtTi^leich  nordamerikanischer  und  ägyptischer  Bildzeichen.  205 

Ke  we  at  wann 

Ke  we  ge  icaun, 
d.  li.  ich  wünsche  in  eure  Wohnung  zu  gehen,  ich  gehe  in  eure  Wohnung. '»^ 
Die  Gesänge  werden  nach  altherkömmhcher  Melodie  gesungen,  sie 
erinnern  an  die  Runenlieder,  welche  die  Edda  erwähnt,  und  an  die  alpha- 
betischen Psalmen,  bei  denen  ebenfalls  jeder  Vers  sich  auf  ein  Schriflzeichen 
bezieht.  Die  einsilbigen  Wörter  der  Verse  und  die  Erklärungen  derselben 
machen  weniger  den  Eindruck  einer  ursprünglichen  Naivetät,  als  viehnehr 
den  einer  gedankenlosen  und  missverstandenen  Nachahmung  uralter  Bräuche. 
Vergleichen  wir  diese  Figuren  mit  ägyptischen  Hieroglyphen,  nicht  von  dem 
Gesichtspunkte,  als  ob  die  Kekinowin  von  den  Hieroglyphen  abstammen, 
»undem  dass  beide  aus  derselben  Quelle  stammen,  beide  getrübt  durch  die 
Überlieferung  sind,  so  entspricht  der  ersten  Figur  die  Hieroglyphe  fifl  Hathor, 
«lic  grosse  Göttin  der  Nacht,  der  Beth-El  oder  Hausgott  der  Juden,  wobei  der 
^rosjse  Geist  als  Adler  oder  Wind,  wie  der  Wuotan  der  Deutschen,  gedacht 
wird,  als  Hauch,  Geist,  Seele,  welche  die  Welt  erfüllt.  Figur  2  hat  Ähnlich- 
V*\X  mit  der  Hieroglyphe  1^»  dem  anbetenden  Priester;  Figur  4  mit  i^J  mo 
^jrehen,  opfern*,  Figur  5  erinnert  an  Jt^  fu  , Weite*,  dessen  Ursprung- 
!  icher  Sinn  den  Ägyptern  verloren  gegangen  zu  sein  scheint.  Das  Dampfbad 
•ler  Indianer  entspricht  genau  dem  dampfenden  Schlünde  des  delphischen 
Orakels,  welcher  später  durch  den  Weihrauch  ersetzt  worden  ist;  die  Hiero- 
^'iyphe  3  11  ist  jedenfalls  der  Hauch,  der  Rauch,  ja  nach  der  Analogie  der 
iij»'xikanischen  Hieroglyphen  die  Stimme.  Figur  6  entspricht  der  einfachen 
H.ind,  aber  mit  7  verbunden  der  Hieroglyphe  -^-J  tu  , geben,  schenken*,  an 
»ich  entspricht  Figur?  der  Hieroglyphe  D  py  welche  nur  mehr  als  Lautzeichen 
y  vorkommt;  in  den  mexikanischen  Hieroglyphen  heisst  diese  Figur  ie  und 
bedeutet  Stein,  dem  entspricht  die  ägyptische  Hieroglyphe  ^  t  und  A  tu^ 
wobei  zu  beachten  ist,  dass  ■  p  männlicher,  ^  weiblicher  Artikel  ist.  der 
Artikel  aber  die  Allgemeinheil  bedeutet,  griechisch  ^aw,  denn,  wenn  wir 
>a'^'en,  »der  Mensch  denkt*,  so  meinen  wir  »alle  Menschen*,  im  gleichen 
Sinne  gebrauchen  wir  den  unbestimmten  Artikel  »ein*,  die  Einheit  wird  durch 
.ilieser*  oder  »Ein*  als  Zahlwort  ausgedrückt,  »dieser*  heisst  aber  im  Ägyp- 
ti«-hen /m,  was  im  Griechischen  »alles,  ganz*  bedeutet;  wenn  also  »ein*  als 
(ianzes  and  als  Einheit  noch  gegenwärtig  nicht  lautlich  unterschieden  wird, 
^o  erkliirt  sich  auch,   dass  p  zu  /  werden  konnte;  endlich  ist  zu  envälmcn. 


^06  Erklärung  nordaiuerikanischer  und  ägyptischer  Bildzeichen. 

dass  pe  im  Chinesischen  die  Muschel  und  .Reichthum'  bedeutet,  da  die 
Muscheln  als  Geld  gebraucht  wurden  und  noch  gegenwärtig  bei  vielen  Natur- 
völkern als  solche  gebraucht  werden.  Figur  8  erinnert  an  1  die  Reivasstaude 
der  Perser,  die  Weltesche  Yggdrasil  der  Nordländer,  das  heilige  Haoma  der 
Perser  und  Saoma  der  Indier,  ursprünglich  eine  Pflanze,  deren  Saft  ein 
berauschendes  Getränk  lieferte.  Figur  9  erinnert  an  ^^^  ha  mit  der  Bedeu- 
tung .Geist,  Seele*,  wobei  es  gleichgiltig  ist,  ob  man  sich  darunter  einen 
Kranich,  Storch  oder  Ibis  vorstellt.  Figur  10  scheint  identisch  mit  ^j«  dem 
das  Ziel  treffenden  PfeD  zu  sein,  sowie  mit  der  Rune  f  tyr,  die  in  den  Keki- 
nowin  „Krieg*  bedeutet,  die  ägyptische  Hieroglyphe  scheint  den  Jagdpfeil  zu 
individualisiren;  Pfeile  wurden  auch  gegen  den  Himmel  abgeschossen,  um  die 
der  Sonne  oder  dem  Monde  feindlichen  Mächte,  denen  man  Sonnen-  und 
Mondfinsternisse  zuschrieb,  zu  verscheuchen.  Figur  17  erinnert  an  ^^  uttn 
,das  göttliche  Auge*,  denOdhin  der  Nordländer;  Figur  18  an  4^  sa  , wissen, 
erkennen*,  insbesondere  an  die  Trommel  der  lappländischen  Zauberer,  welche 
mit  Figuren  bemalt  war,  aus  denen  geweissagt  wurde;  Figur  19  an  tS)  <^^ 
Sieb  der  Ägypter,  welches  letztere  seine  ursprüngliche  Bedeutung  als  Hand- 
trommel verloren  zu  haben  scheint;  Figur  20  ist  derHorus  der  Ägypter,  der 
Rabe  Odhin's,  der  ihm  alle  Geheimnisse  der  Menschen  verräth ;  Figur  2 1  das 
ägyptische  /m^^  welches  nur  mehr  als  Lautzeichen  p  vorkommt.  Figur  22 
erinnert  an  die  Hieroglyphe  V,  welche  nur  mehr  „hoch*  bedeutet.  In 
gleicher  Weise  lässt  sich  bei  den  meisten  indianischen  Kekinowins  eine 
Wurzelverwandtschaft  mit  den  ägyptischen  Hieroglyphen  nachweisen. 


Hiermit  steht  durchaus  nicht  im  Widerspruche,  dass  die  Felseninschrif- 
ten oder  Kekiwin  (auch  Muzzinabikon  genannt)  auf  die  Analogie  der  sibiri- 
schen Felseninschriflen  hinweisen,  da  ja  in  Ägypten  selbst  Skulpturen  mit 
mongolischem  Typus  gefunden  wurden ;  der  Wandertrieb  hat  die  Menschen 
von  jeher  und  bis  in  die  neueste  Zeit  in  allen  Theilen  der  Erde  durcheinander 
geworfen.  Nur  scheint  es  wenig  wahrscheinlich  zu  sein,  dass  in  diesen  Felsen- 
inschriflen eine  Geschichte  gefunden  werden  sollte;  wenn  auch  einzelne,  wie 
die  Abbildung  eines  altspanischen  Schiffes  auf  südamerikanischen  Felsen 
darauf  hinzudeuten  scheinen,  und  die  Inschriften  der  persischen  Könige  wie 
die  der  Ägypter  wirkhch  geschichtliche  Elreignisse  enthalten.   Da  die  Felsen 


Erklärung  der  Felseninschrifl  am  Erie-See.  207 

gewöhnlich  als  Wohnungen  böser  Geister  betrachtet  wurden,  so  dürften  reli- 
giöse Inschriften  die  ursprQnglichen  gewesen  und  erst  später  die  Benützung 
XU  geschichtlichen  Denkmälern  entstanden  sein,  letztere  sind  aber,  sicherlich 
nicht  von  kleinen  Stämmen,  sondern  erst  von  mächtigen  Königen  errichtet 
worden. 

Wir  geben  Seite  208  als  Probe  eine  Felseninschrift  am  Erie-See,  deren 
Zeichen  derart  verkleinert  sind,  dassd^sFuss  einen  Zoll  bilden.  Die  Zeichnung 
der  Figuren  und  Symbole,  welche  die  Inschrift  bilden,  ist  im  Jahre  1851,  auf 
starkem  Papier  copirt  und  mit  den  Ziffern  versehen,  an  Herrn  George  John- 
ston, auf  Sauls  de  Ste.  Marie  in  Mitschigan  gesendet  worden,  der  mit  der 
Sprache,  den  Sitten  und  Gewohnheiten  der  Indianer  gut  bekannt  war  und  bei 
der  Erklärung  der  Inschrift  durch  den  indianischen  Archäologen  Schingwauk 
oder  «die  kleine  Fichte'  unterstützt  wurde.  Im  Voraus  muss  bemerkt  werden, 
dass  in  dem  Hieroglyphensystem  sowohl  der  nordamerikanischen  Indianer 
wie  in  dem  der  Tolteken  und  Azteken  in  Mexiko  Vieles  dem  Gedächtnisse 
{überlassen  blieb,  so  die  Zeit,  von  welcher  eine  Inschrift  erzählt,  wie  die 
Abschnitte  der  einzelnen  Darstellungen;  hieraus  erklärte  sich  auch  das  Dunkel, 
welches  die  mythologischen  Gemälde  der  Mexikaner  umgiebt.  Einen  ähnlichen 
Eindruck  machte  auch  die  vorliegende  Inschrift  auf  den  indianischen  Archäo- 
logen, als  er  den  ersten  Blick  auf  sie  warf;  er  war  weniger  überrascht  durch 
Zweifel  an  der  Bedeutung  der  Hauptfiguren,  als  vielmehr  durch  die  Dunkel- 
heit und  gänzliche  Vergessenheit  der  übrigen,  sowie  durch  den  Umstand, 
dass  die  Inschrift  von  Stämmen  und  Ereignissen  erzählte,  von  denen  er  bisher 
nichts  gewusst  hatte.  Er  zog  Bleistiftlinien  von  ^  zu  B  und  von  C  zu  D, 
indem  er  bemerkte,  dass  er  wegen  Unkenntniss  oder  ungenauer  Bezeichnung 
der  Figuren,  welche  diesen  mittlem  Theil  der  Zeichnung  einnehmen,  keine 
genauere  Erklärung  derselben  geben  könne.  Er  meinte,  dass  die  Inschrift  von 
Kriegen  der  Erie-Stämme  erzähle,  welche  nach  der  Bekanntschaft  mit  den 
Europäern  stattgefunden  hätten,  darauf  deuteten  die  Hüte  auf  den  Figuren  6, 
1 1 1  und  117;  er  schloss  aber  auch  aus  der  Abwesenheit  von  Flinten,  dass 
die  Intlianer  zu  jener  Zeit  noch  keine  FeuerwafTen  von  den  Europäern 
hckomnif^n  hatten.  Die  Inschrift  dürfte  daher  aus  den  ersten  Jahren  des 
17.  Jahrhunderts  stammen.  Über  den  unerklärten  Theil  der  Inschrift  äusserte 
sich  Schingwauk  nur  unbestimmt;  Nr.  84  und  27  schienen  ihm  Brüder  zu 
sein,    sie  überwachten  ein  Blutbad  oder  eine  Schlacht.   Nr.  27  hält  seine 


SOS 


Felsinschrift  am  Erie-See. 


Erklärung  der  Felseninschrift  am  Erie-See.  209 

Pfeife  (28)  verkehrt,  wie  m  Verzweiflung  und  Todeskampf;  Nr.  84  hingegen 
sitzt  ruhig,  das  blutige  Feld  überschauend,  mit  seinen  Füssen  einen  Schädel 
und  die  Überreste  eines  Körpers  zurückstossend.  Diess  waren  wilde  Indianer, 
da  sie  ohne  Hüte  gezeichnet  sind.  Nr.  111  bezeichnet  einen  grossen  Häupt- 
ling, erkennbar  an  seiner  Medaille  (113)  und  seinen  Halbmonden  oder  Hals- 
bändern (114).  Semen  Verkehr  mit  den  Europäern  bezeichnet  das  viereckige 
Symbol  eines  Hutes  auf  seinem  Kopfe,  er  hat  aber  auch  seine  Federn  behalten. 
Xr.  112  bezeichnet  seine  Pfeife,  welche  er  rauchend  in  der  Hand  hält^ 
Nr.  115  stellt  einen  vdlden  rauchenden  Indianer  vor;  er  trägt  seinen 
Kopfputz  und  ist  eines  der  Mitglieder  der  Tatuirungs-Gesellschaft.  Nr.  117 
bezeichnet  einen  Häuptling  und  Geisterbeschwörer,  welcher  tatuirt,  Nr.  118 
ist  ein  Ohrenschmuck,  Nr.  120  sein  Medicinsack,  Nr.  121  seine  Tatuirungs- 
Instrumente;  er  trägt  gleichfalls  einen  Hut  und  drei  Schnüre  wie  Nr.  111,  sie 
stellen  seinen  Rang  vor  und  erzählen  von  seinen  Besuchen  bei  den  Forts  und 
Handelsplätzen  der  Seeküste.  Er  ist  offenbar  ein  Mann  von  Ansehen  und 
Macht,  was  auch  Nr.  119,  ein  Zauberstab,  andeutet.  Nr.  116  bezeichnet  eine 
Schüssel  mit  gemischten  Farben  zur  Tatuirung;  Nr.  105,  106,  107,  108, 
109,  110  sind  Gegenstände,  welche  nachzubilden  und  auf  den  Häuptling 
(111,  117)  zu  malen  sind.  Fig.  78  bezeichnet  eine  Strasse  und  Fig.  122 
Schlangen,  welche  den  V^eg  umgeben  und  Feinde,  Sorgen,  Elend  und  die 
schwersten  Mühseligkeiten  bedeuten.  Diese  Zeichen  beendigen  die  östliche 
Seite  der  Inschrift.  Die  Hauptfigur  Nr.  6  eröffnet  die  westliche  Seite  der  Inschrift. 
Es  ist  ein  ausgezeichneterHäuptling  und  Krieger;  Fig.  7  bezeichnet  seine  Pfeife; 
er  raucht  nach  einer  Fastenübung.  Fig.  1 5  und  1 6  sind  Lederverzierungen, 
welche  ausgezeichnete  Krieger  und  Häuptlinge  tragen,  wie  Beinkleider  mit 
angehängten  Thierklauen;  dasselbe  bezeichnen  die  Federn- Ornamente  Nr.  14. 
Fig.  33  ist  das  Zeichen  der  Zahl  10  und  bedeutet  10  Tage,  die  Länge  der 
Fasten.  Fig.  34  ist  das  Zeichen  fQr  zwei  und  bedeutet  zwei  Tage,  es  bezeich- 
net, dass  der  Häuptling  die  ganze  Zeit  gefastet  habe,  ausgenommen,  dass  er 
xu  Abend  etwas  Nahrung  zu  sich  nahm.  Fig.  1,  2,  3,  4,  5,  8,  9,  10,  11,  12, 
13,  17,  18,  19.  20,  21,  22,  23,  24,  25,  26,  29,  35,  36  und  43  sind  ver- 
schiedene Gegenstände,  auf  welche  der  Häuptling  in  der  Ausübung  seiner 
magischen  und  staatsklugen  Kräfte  vertraute,  sie  bezeichnen  die  Ursachen 
seines  langen  Lebens  und  seines  mächtigen  Einflusses.  Fig.  30,  39  und  40 
bezeichnen  eine  Reise  in  Schneeschuhen,  Fig.  31  und  41  sind  Kriegskeulen. 

rAblfMBfl,  6«M]iidite  a.  Schrift.  \l 


SlO 


Felseninschrift  im  Utah-Terrilurium. 


Fig.  38  bezeichnet  ein  Fasten  von  21  Tagen  und  Fig.  37  ein  Fasten  von 
10  Tagen.  Der  Hut  und  die  Feder  bedeuten  den  doppelten  Einfluss  der  weisseD 
und  rollten  Rasse  und  heben  seine  leitende  und  mächtige  Theilnahme  an 
den  erzählten  Begebenheiten  hervor.  Fig.  79  und  80  scheinen  den  Elrie-See 
anzudeuten  und  die  verbindenden  Wasser  der  Sandusky-Bai  und  des  Hutod- 
flusses  als  den  Schauplatz  dieser  Begebenheiten.'' 

Wir  lassen  es  dahingestellt,  inwieweit  der  indianische  Arcbäolog  die 
Zeichen  richtig  erratfaen  hat,  die  summarische  Behandlung  der  Figuren  1  bis 
iS  ist  nichts  weniger  als  erklärend,  besonders  aurmerksam  machen  wir  auf 
die  Figur  neben  Nr.  iO,  das  ist  genau  dasselbe  Zeichen  wie  die  ägyptische 
Hieroglyphe  »,^~  /,-  in  dem  indianischen  Kekinowin  ist  die  Schlange  mit  dem 
Halbmond  aur  dem  Kopfe  das  Symbol  des  Lebens  und  wir  haben  eine  ähn- 
liche Bedeutung  üi  der  Rune  f  fi  kennen  gelernt. 

Weiter  nach  Süden  und  Westen  zu  nehmen  die  F eisin schriflen  immer 
mehr  symbolischen  Charakter  an,  z.  B.  die  Inschrift  an  einem  Sandstein  im 
Ulah-Terrilorium,   130  Meilen  sadUch  vom  grossen  Salzsee: 


Dieses  Gemälde  wird  folgendermassen  erklärt.  Fig.  14.  die  Sotme.  ist 
das  Symbol  des  grossen  Geistes,  Fig.  10  ist  der  HauptfQhrer  und  Meda  des 
Stammes,  er  hält  in  seiner  Hand  die  magische  Ratlei  (11);  profetische  und 
heilige  Kraft  werden  der  Figur  7  zugeschrieben,  deren  Haupt,  aufTallend  hoch 
über  die  Schultern  erhoben,  von  der  Himmelsdecke  (8)  umgeben  ist;  die 
magischen  Kreise,  welche  die  Hand  Tasst  (6),  werden  als  „Todtenkopf"  erklärt 
und  sollen  die  Herrschaft  über  Tod  und  Leben  vorstellen;  Nr.  5  ist  dne 
scliädliche  Grille.*^ 

Eine  Felsen  in  Schrift  in  Neu-Mexiko  ^'^  enthält  folgende  Figuren: 


Felseninschrift  in  Xeu-Meadko. 


211 


Das  Bild  scheint  eine  Jagd  oder  eine  wildreiche  Gegend  vorzustellen; 
die  grosse  Hand  ist  in  den  Keklnowins  das  Bild  des  Todes,  welches  sich 
vielleicht  darauf  beziehen  dürfte,  dass  ein  hier  wohnhafter  Stamm,  von 
welchem  die  Bilder  herrühren,  wegen  Todesfällen  das  Land  verlassen  hat. 
wie  diess  bei  den  Indianern  häufig  der  Fall  ist. 

Indem  wur  einstweilen  das  mexikanische  Reich  bei  Seite  lassen, 
schliessen  wir  hier  die  Felsinschriflen  Südamerikas  an.  Dieselben  sind  sehr 
zahlreich  und  weit  verbreitet,  Schomburgk  ^^  schätzt  die  Zone  der  Bilderfelsen 
auf  12000  Quadratmeilen  (15  Längenmeilen  auf  einen  Grad),  sie  begreift  die 
Bassins  des  Corentyn,  Exequibo  und  Orinoko  in  sich.  Die  Bilder  sind  meist 
an  den  Uferfelsen  zu  finden,  sie  sind  mitunter  sehr  fleissig  ausgearbeitet  und 
zeigen  Figuren  von  10  Fuss  Grösse;  über  den  Ursprung  dieser  Bilder  lauten 
die  Urlheile  der  Indianer  verschieden:  während  die  einen  sie  dem  grossen 
Geiste  zuschrieben  und  mit  Angst  den  Axtschlägen  Schomburgk's  zusahen, 
der  ein  Stückchen  des  Felsens  mitnehmen  wollte,  antwortete  an  einem  andern 
Orte  ein  Indianer  auf  die  Frage  nach  dem  Ursprung  dieser  Bilder:  .das  sei 
vor  langer,  langer  Zeit  von  Weibern  gethan  worden*,  eine  Antwort,  die  nicht 
ganz  zu  verwerfen  ist,  wenn  man  den  Fleiss  der  Indiancr>veiber  und  die 
Trägheit  ihrer  Männer  vergleicht,  welche  letztere  am  liebsten  die  Zeit  mit 
Nichtsthun  in  der  Hängematte  verbringen.  Dass  diese  Gemälde  von  den  Vor* 
eitern  der  jetzigen  Cariben  herrühren,  scheint  daraus  hervorzu<!ohen,  dass 
Schomburgk  einige  der  Figuren  des  Timehri-Felscns  auf  die  Schenkeln  eines 

W 


312 


Felse Umschriften  der  Caribeo. 


Carlbenknaben  gemalt  fand,  und  es  ist  wohl  nur  der  ZurQckhaltune  d«r 
Indianer  in  religiösen  Dingen  zuzuschreiben,  wenn  sie  sich  stellen,  als  sei 
ihnen  die  Bedeutung  der  Zeichen  unbekannt.  Einer  dieser  Felsen  heisst 
Tamunimu,  was  Schomburgk  rür  den  comimpirlen  Namen  Tapu  Hereme 
als  .bemalter  Felsen*  in  der  Ma;fpure spräche  hält;  indessen  ist  eine 
Corrumpirung  anzuzweifeln,  da  Schomburgk  an  den  Indianern  die  Fertigkeit 
im  Namengeben  rQhml,  welche  Fertigkeit  die  Entlehnung  fremder  Namen 
nicht  gut  zulässt. 


Wir  geben  hier  zwei  solcher  Felsenbilder,  von  denen  das  obere  mysti- 
scher Xalur,  wie  die  symbolischen  Zeichen  auf  den  nordamerikanischen 
Felsen  zu  sein  scheint,  während  das  untere  zwei  europäische  Schiffe  darstellt, 
von  denen  das  kleinere  ein 
Zweimaster  ist,  das  grös- 
sere eine  Ähnlichkeit  mit 
der  spanischen  GaUone 
hat;  das  let2tere  zeigt  eine 
Fertigkeit  im  Zeichnen, 
welche  die  oberen  symbo- 
lischen Figuren  nur  um  so 
räthselhafter  erscheinen 
lässt.  Diese  Figuren  sollen 
durch  anhaltendes  Reiben 
mit  Quarzkieseln  in  den 


SUinschrin  aus  Peru.  213 

Iiartea  Felsen  eingegraben  sein;  Schomburgk's  Versuche,  auf  glmche  Weise 
Fiffuren  einzuritzen,  scheilcrleo  ebenso  wie  seine  Versuche,  miUelst  Reiben 
*on  iwei  Stückchen  Holz  Feuer  hervorzumren,  ein  Beweis,  dass  zu  beiden 
Arbeiten  eine  besondere,  nur  durch  anhallende  Übung  erlangte  Fertigkeil 
gehurt.  '• 

Wir  lervollständigen  diese  Bilder  noch  mit  dem  von  Tschudi  in  Peru 
gefundenen  Bilders  leine,  welcher  im  Ganzen  denselben  Eindruck  macht  wie 
die  nordamerikaniscben  Bildersteine,  so  dass  man  wohl  annehmen  kann,  dass 
wie  vom  Norden  bis  zum  Süden  im  Ganzen  eine  grosse  Ähnlichkeit  der  Indi- 
aner in  ReUgion,  Tracht  und  Sitte 
vorbanden  ist,  auch  ihre  Bilder- 
schrin  aus  einer  Quelle  stammt 
und  sich  später  erst  eigenartig 
entwirkelle,  indem  bei  einzelnen 
Siäiumen  religiöse  Symbole  mehr 
gr|ine)cl  wurden,  nährend  andere 
und  namentlich  die  nordamerika- 
nis'hen  Indianer  die  Keki« 
(einfache  Bilder)  zur  Darstellung  * 
concreler  Gegenslande  verwendeten  und  die  religiösen  Symbole  nur  in  den 
Kokinowins  oder  Zaubcrliedem  vererbten. 

tliDielne  Indianerv&lker  Amenkas  haben  noch  besondere  SchriOen. 

3.  DIE  MEXIKANISCHE  SCHRIFT. 

Während  die  Lebensweise  und  die  religiösen  Anschauungen  der  nord- 
amerikanischen Jägervölker  den  Eindruck  machen,  als  sei  dieses  Volk  auch 
geistig  verarmt  und  ihre  Kenntnisse  nur  der  schwache  Abglanz  einer  alten 
hjihem  Civilisation,  befand  sich  das  Volk  der  Azteken,  welches  bei  der 
Ankunft  der  Spanier  das  Land  Mexiko  bewohnte,  auf  einer  hohen  Stuft-  der 
Bildung,  von  welcher  freilich  ihre  jetzigen  Nachkommen  wenig  erübriglen, 
von  der  aber  die  Berichte  der  Spanier  und  die  literavisclien  Cbcne^te 
Zcugiiiss  ablegen. 

Die  Alleken  waren  nicht  die  Ureinwohner  von  Mexiko,  sie  hallin  das 
daselbst  vor  ihnen  wohnende  Volk  der  Tolti'ktn  vertrieben,   und  auch  diese 


214  Erklärung  des  mexikanischen  Bildes  auf  Tafel  II. 

waren  von  Norden  in  das  Land  eingewandert.  Von  wo  diese  Völker  gekommen 
sind,  scheinen  sie  selbst  vergessen  zu  haben,  wenn  aber  die  überlieferten 
Reisebilder  richtig  dargestellt  sind,  so  waren  sie  mit  Völkern  der  schwarzen 
und  gelben  Rasse  in  Verbindung  gewesen,  und  diese  Völker  konnten  keine 
anderen  gewesen  sein  als  die  schwarzen  Ureinwohner  Indiens  und  die  gelben 
Mongolen. 

Wir  finden  nSmlich  in  einem,  mexikanischen  Manuscripte,  welches 
Kingsborough^'  veröffentlichte,  folgende  Darstellungen:  Halbschwarze  (russige) 
und  ganz  Schwarze  vor  Häusern;  Schwarze  tragen  Lasten  und  tatuiren  sich, 
daneben  Rothe  (Mexikaner)  sitzend  und  Lasten  tragend.  Halbschwarze  räuchern 
(opfern),  tragen  bewaffnet  ihre  HabseUgkeiten,  drehen  ihre  Haare,  wobei 
gelbe  Frauen  jammernd  zuschauen,  tatuiren  sich,  wobei  vneder  gelbe  Frauen 
jammernd  zuschauen ;  wir  sehen  sie  dann  nach  dem  Tempel  wallfahren  oder 
reisen,  wobei  der  Mann  Schild  und  Speer,  die  Frauen  die  Habseligkeilen 
tragen;  wir  finden  dann  Rothe  bei  ihren  Tempeln  sitzend,  einen  Halbschwarzen 
den  rothen  Krieger  beim  Schöpfe  fassend,  andere  Halbschwarze  in  phanta- 
stischen Kostümen  ebenfalls  die  rothen  Krieger  beim  Schöpfe  fassend;  wir 
sehen  ferner  rothe  Männer  mit  schwarzem  Unterkleid  und  Panzerhemden  ein 
mit  Städten  und  Tempeln  bedecktes  Gebiet  einnehmen  und  über  einen  Strom 
setzen ;  wir  finden  dann  Halbschwarze  sesshaft  von  der  rothen  Frau  spinnen 
lernend,  dann  einen  rothen  König  auf  dem  Throne  sitzend,  Berathungen 
zwischen  Rothen,  worunter  auch  ein  weisser  König  ist,  dann  ein  Volk  von 
rothen  Männern  und  gelben  Weibern,  speciell  ist  auch  die  Verehelichung 
eines  rothen  Mannes  mit  einem  gelben  Weibe. 

Allerdings  werden  diese  Bilder  anders  erklärt,  und  wir  geben  hier  eine 
Probe  dieser  Erklärung,  sowie  auf  Tafel  II  eine  getreue,  nur  etwas  verkleinerte 
Abbildung  einer  solchen  Bildtafel. 

„1.  Huiznatl,  ein  Beamter  und  Gerichts  Vollstrecker,  eine  Art  Lictor. 
2.  Ein  Gerichtsvollstrecker.  3.  Der  Kazike.  4.  Ein  Gerichtsvollstrecker.  5.  Das 
gefangene  Weib  des  Kaziken  mit  einem  Halfter  um  den  Nacken.  6.  Der 
gefangene  Sohn  des  Kaziken  mit  einem  Halfter  um  den  Hals. 

Diess  soll  bedeuten:  Der  Kazike,  oder  Gouverneur  einer  Stadt,  habe 
sich  in  eine  Empörung  gegen  den  mexikanischen  Staat  eingelassen,  sei  des- 
halb venirtheilt  worden,  sein  Verbrechen  mit  dem  Tode  zu  büssen,  während 
seine  Frauen  und  Kinder  gefangen  gehalten  werden  sollten. 


Mexikanisches  Schriftgemälde 


Erklärung  des  mexikanischen  Bildes  auf  Tafel  IL  2 1  •> 

7.  Ein  Vasall  des  Kaziken.  8.  Kaufmannf^waaren.  9.  Kaufmann.  10.  Kauf- 
mann. 11.  Vasall  des  Kaziken.  12.  Ein  Gerichtsvollzieher.  13.  Ein  Gerichts- 
vollzieher. 14.  Der  Kazike. 

Der  linke  Theil  des  Bildes  soll  das  Vorige  erklären:  Mexikanische 
Kaufleute  seien  von  Vasallen  des  Kaziken  ausgeraubt  und  ermordet  worden. 
Das  rechtsseitige  Bild  zeigt,  wie  die  Gerichtsvollzieher  dem  Kaziken  das 
Urtheil  verkundigen. 

15.  16.  Gerichtsbeamte  oder  Gesandte  von  Mexiko.  17.  18.  Vasallen 
der  Kaziken.   19.  20.  Gerichtsbeamte  von  Mexiko.  21.  Vasall  des  Kaziken. 

Das  Bild  soll  bedeuten,  dass  die  Gerichtsbeamten  von  Mexiko  auf  ihrem 
Röckwege  von  Vasallen  des  Kaziken  feindlich  angegrilTen  worden  seien.* 

Gerade  dieser  letzte  Theil  erregt  aber  Zweifel  an  der  Richtigkeit  der 
Erklärung;  denn  fast  ganz  dasselbe  Bild  findet  man  auf  einem  Schriftgcmalde 
iit*r  Irokesen,  welches  Schoolcrait  veröffentlicht  hat,  nämlich  riesige,  in  Thier- 
ft'lle  gekleidole  Gestalten»  welche  von  Indianern  mit  Pfeilen  beschossen 
werden.  Diese  können  unmöglich  Gerichtsbeamte  gewesen  sein,  eher  ist 
anzunehmen,  dass  die  Ureinwohner  Amerikas  von  den  einwandernden 
Slam  nu' II  aufgerieben  wurden. 

Hiernach  ist  es  zweifelhaft,  dass  die  schwarze  Farbe  Priester  oder 
Gerichtsbeamte  anzeigte,  ebenso  dass  die  gelbe  Farbe  die  Frauen  bezeichne, 
i.um  findet  auch  rothe  Frauen  abgebildet  und  an  anderen  Bildern  das 
Geschlecht  so  auflullig  hervorgehoben,  dass  die  Gesichtsfarbe  als  ganz 
unwesentlich  erscheint.  Nach  alledem  ist  die  Vermuthung  vorhanden,  dass  die 
Bilder  auf  eine  grossere  Vergangenheit  zurückweisen,  welche  in  der  Erinne- 
rung des  Volkes  im  Laufe  mehrerer  Jahrhunderte  sich  verwischte,  und  da 
die  Bilder  ohne  mündliche  Erklänmg  nicht  verstanden  werden  konnten,  in 
die  mundliche  Oberlieferung  ein  S(4iwanken  und  dann  eine  Adaption  an  die 
Verhältnisse  der  Gegenwart  gekommen  ist,  gerade  so  wie  die  Juden  in  ihren 
biblischen  Traditionen  Überlieferungen  universaler  Geschichten  zu  Stauinieb- 
^eschirh'en  umbildeten. 

Wir  werden  daher  nicht  fehlgehen,  wenn  wir  die  Ursilze  der  Aztel.Mi 
in  \<\*>n  suchen.  Alexander  von  Humboldt  glaubte  selbst  dcMi  Zeitraum  ihn-r 
Auswanderung  aus  Asien  bestimmen  zu  können,  indem  er  die  letzten-  mit 
dem  Untertranfre  der  chinesischen  Dynastie  Tsin  im  Jahre  5ii  in  Verhiiidnng 
brannte.**    Es  ist  möi^lich,   dass  die  Uinwäkmi^ien,    v/eiche  zu  jener  Zeit  »n 


216  Mexikanische  Zeitzeichen  (Tafel  I). 

Asien  stattfanden,  und  welche  schon  in  früherer  Zeit  viele  Völker  nach  Europa 
getrieben  hatten,  manche  asiatische  Völker  nach  Osten  trieben,  jedenfalls 
wohnten  die  Azteken  früher  nicht  in  China  selbst,  sondern  allenfalls  an  den 
Grenzen  dieses  Reiches;  ihre  religiösen  Bilder  zeigen  dieselben  fantastischen, 
mit  Farben  überladenen  Formen  wie  die  japanischen  und  tibetanischen. 

Ihre  Zeitreclmung  beruht  auf  den  Zahlen  4,  5,  13,  20,  52.  Die  Grund- 
lage bilden  die  4  Zeichen,  des  Hauses,  des  Hasen,  des  Rohrs  und  des  Feuer- 
steins, welche  in  den  Zeitzeichen  mit  den  Ziffern  3,  8,  13  und  18  auf  Tafel  I 
nachgesehen  werden  mögen,  sie  entsprechen  den  vier  Elementen:  Erde  = 
Haus,  Luft = Hase,  Wasser  =  Rohr,  Feuer = Feuerstein;  da  in  den  ägyp- 
tischen Hieroglyphen  das  figurative  Element  mehr  verdunkelt  ist  als  in  den 
mexikanischen,  so  lehnen  sich  an  diese  folgende  ägyptische  Zeichen  an:  an 
das  Haus  J^T,  welches  die  Lautwerthe  täa  und  kal  hat,  ägyptisch  fD  K  ^^^P 

und  ' tna  (die  Höhle) ;  an  den  Hasen   >J*v  ^j    ägyptisch  m  ft  die  Nase, 

welche  auch  durch  einen  Kalbskopf  vertreten  wird,  während  andererseits  sich 
das  Symbol  des  Lebens  in  3^  im  «sein,  existiren*  erhalten  hat;  an  das  Rohr 

lehnt  sich  ägyptisch  ^TaJ  /a  mit  der  Abzweigung  in  1  ^  an,  wobei  ersteres 
den  Norden,  letzteres  den  Süden  bedeutet,  endlich  dürfte  der  Feuerstein  A 
die  Grundlage  des  ägyptischen  A  tu,  ^  oder  1  t  gewesen  sein,  während  eine 
andere  Form  des  Steines  QQ  te  die  Grundlage  des  ägyptischen  ■  p  wurde, 
denn  3  p  ist  der  Artikel  desMasculinums,  ^der  Artikel  des  Femininums.  Indem 
jedem  dieser  Elemente  vier  Zeichen  beigegeben  wurden,  entstand  die  aus  4  X  5 
Zeichen  bestehende  Reihe  von  20  Tagen,  welche  den  bürgerlichen  Monat 
bildete,  nämlich:  1.  Kalli  Haus,  Tafel  I,  Figur  3,  Ktcetspalin  Eidechse  (4),  Ko- 
htcatl  Schlange  (5),  Mitsili  Todtenkopf  (6),  Mazatl  Ziege  oder  Hirsch  (7). 

2.  Totmi  Kaninchen  (8),  Ail  Wasser  (9),  ItshcitttU  Hund  (10),  Ozo- 
motu  Affe  (11),  Malinatli  Kraut  (12). 

3.  ^Aa// Rohr  (13),  O^^Zo^Z  Tiger  (14),  KwaühtU  kdX^v  {\h\  Kozkak- 
icauMi  König  der  Geier  (16),  Ollin  oder  OUntonativh  jährliche  Bewegung  der 
Sonne  (17). 

4.  Telqmtl  Feuerstein  (18),  Ktvishtciil  Regen  (19),  Sotm  Blume  (20), 
Sipaktli  Meerungeheuer  (1),  Elteketl  Wind  (2).«^ 

Humboldt  hat  auf  die  grosse  Ähnlichkeit  dieser  Bilder  mit  den  Thier- 
kreiszeichen  hingewiesen : 


Uexikanische  Zeitzeichen  und  Zauberzeiclien. 


EuropSisch 

Asiatbch 

Mexikanisch 

Wassermann  Balte  (Wasser) 

All  Wasser  (9) 

Steinbock 

Ochs 

Sipaklli  Meerungeheuer  (1) 

Schaiie 

Tiger 

OseM  Tiger  (14) 

Skorpion 

Hase 

TotSU  Kaninchen  (8) 

Wage 

Drache 

KohittUl  Schlange  (5) 

Jungfrau 

Schlange 

Ahitl  Rohr  (13) 

Löwe 

Pferd 

Td-pall  Feuerstein,  Messer  (IS) 

Krebs 

Ziegenbock 

Om«  Weg  der  Sonne  (17) 

Zwillinge 

AfTe 

Oiomatli  Affe  (11) 

Stier 

Vogel 

JTtrauWK  Adler  (15) 

Widder 

Hund 

ItakwhilH  Hand  (10) 

Fische 

Schwein 

Kam  Haus  (3) 

Diese  zwanzig  Zeichen  hatten  auch  noch  eine  andere  Bedeutung.  Auf 
einem  Bilde  symboUsiren  sie  die  verschiedenen  Körpertheile  des  Menschen; 
so  der  Todlenkopf  (6)  die  Slim,  das  Haus  (3)  das  rechte  Auee.  der  Bügen 
(19)  das  linke  Auge,  das  Wasser  (9)  das  Haar,  der  Hund  (10)  die  Nase,  der 
Adler  (I^)  das  rechte  Ohr,  der  Hase  (8)  das  linke  Ohr,  der  Feuerstein  (18) 
die  Zähne,   die  Sonne  (17)  die   Zunge,   der  blasende   Mensch  (Wind  2) 


^  1  ^  Die  GöUer  des  menschiichen  Leibes. 

die  Lippe,  der  Geier  (16)  die  rechte  Hand,  dei  Affe  (11)  die  linke  Hand,  das 
Kraut  (20)  die  Brust,  das  Rohr  (13)  und  ein  Ungeheuer  (1)  das  Herz  (eines 
dieser  beiden  yielleicht  die  Eingeweide),  der  Tiger  (14)  den  Magen,  die 
Eidechse  (4)  die  Schenkel,  der  Hirsch  (7)  den  rechten  Fuss,  der  Wolf  (welcher 
in  den  Zeitzeichen  fehlt)  den  linken  Fuss  und  die  Schlange  die  Genitalien.  ^ 
Ähnliche  Anschauungen  finden  wir  bei  den  Neuseeländern,  welche  die 
Krankheiten  den  Göttern  zuschrieben;  so  Terursachte  Tonga,  der  in  der  Stirn 
seinen  Sitz  hatte,  Kopfweh;  Makstiki,  ein  Eidechsengott,  war  die  Quelle  der 
Brustkrankheiten;  Tu-tangata-kino  war  der  Gott  des  Magens,  Titi-hai  verur- 
sachte Schmerzen  in  den  Knöcheln  und  Füssen,  Rongomai  und  Tuparitapu 
waren  die  Götter  der  Auszehrung  und  Koro-kio "  w^achte  über  das  Kinder- 
gebären.  ®^  Bei  den  Ägyptern  wachte  Nu  über  die  Haare,  Ra  über  das  Antlitz, 
Hathor  über  die  Augen,  Aphuru  über  die  Ohren,  Sarq  über  die  Zähne,  Khunt- 
Sa/um  über  die  Nase,  Anubis  über  die  Lippen,  Isis  über  den  Hals,  der  Wid- 
dergott in  Mendes  über  die  Arme,  der  Gott  von  Garu  über  die  Gelenke,  Toth 
über  den  Bauch,  Pacht  über  den  Rücken,  Osiris  (Arthur)  über  die  Grenitalien, 
Nut  (Ptah)  über  die  Füsse.  ®®  Auch  griechische  und  hebräische  Bilder  ähn- 
licher Art  haben  sich  gefunden,  das  hebräische  führte  folgende  Inschriften: 
Haupt:  ira  Krone;  linke  Schulter:  ncDn  Weisheit,  Geschicklichkeit;  rechte 
Schulter:  na»a  Klugheit,  Einsicht;  linker  Arm:  ni»TTi  Grösse;  rechter  Arm: 
nmai  Stärke;  Brust:  mxDn  Ruhm,  Schmuck;  Bauch:  nitj  Sieg;  "nrr  hud  Maje- 
stät; linker  Schenkel:  tid»  Gründung  (Beständigkeit?);  rechter  Schenkel:  r^r^D 
Reich,  Herrschaft.  ^^  Endlich  findet  sich  eine  gleiche  Beschützung  der  Körper- 
theile  bei  den  Indem.  Danach  beschützt  den  Kopf  Agni ,  die  rechte  Brust- 
warze Aryaman,  Apavatsa,  die  linke  Pard^ana,  DSayanta,  Indra,  Surya  das 
(rechte)  Auge,  Ohr,  Brust  und  Schulter,  Satya,  BhrSa,  Antarik§a,  Anita  den 
(rechten)  Arm,  Savitar  und  Savitra  die  (rechte)  Hand,  Vitatha  und  Bhrhat- 
k§ata  die  Seite,  Vivasvant  den  Bauch,  den  Schenkel  Yama,  die  Knie  Gan- 
dharva,  das  Unterbein  BhrngaradJa  und  die  Lende  Mrga.  Diesen  Göttern  der 
rechten  Seite  stehen  ebensoviele  für  die  linke  Seite  gegenüber;  femer 
beschützen  die  Qeschlechtstheile  Indra  und  D^ayanta,  das  Herz  Brahma  und 
den  Fuss  die  Pitars,  im  Ganzen  45  Götter,  welche  so  ziemlich  den  Laut- 
zeichen der  Devanagari  (48)  entsprechen,  und  für  welche  der  Himmel  in  8 1 
Theile  zerlegt  wurde,  von  dem  9  auf  Brahma  fallen,  w^ährend  die'übrigen 
Götter,  ihrem  Range  entsprechend,  grössere  oder  kleinere  Vierecke  erhalten.'^ 


Mex]l:anische  Zeitrechnung.  2 1 0 

Die  zwanzig  mexikanischen  Tage  bildeten  einen  Monat,  so  dass  IS 
Monate  ein  Jahr  ausmachten. 

Ausser  dieser  Zeitrechnung  gab  es  aber  auch  Perioden  von  13  Tagen, 
welche  sich  enger  an  den  Thierkreis  anschliessen  und  auf  jene  Zeit  hin- 
weisen, wo  Loki  der  dreizehnte  Ase  und  Poseidon  der  dreizehnte  Olympier 
war;  28  solcher  kleiner  Perioden  von  13  Tagen  gaben  das  Jahr  von  364 
Tagen;  ein  Cyclus  von  52  Jahren,  getheilt  in  4  Theile  zu  13  Jahren,  hatte 
eben  so  viele  Wochen  von  13  Tagen  als  das  Jahr  bürgerliche  Tage;  ein 
Cyclus  von  52  Jahren  umschliesst  1460  kleine  Perioden  von  13  Tagen,  und 
wenn  man  13  Schalttage  hinzufügt,  so  hat  man  1461  kleine  Perioden,  da& 
ist  eine  Zahl,  welche  vollständig  mit  der  Sothisperiode  der  Ägypter  überein - 
>timmt. 

Der  Cyclus  wurde  in  der  Weise  gezahlt,  dass  Nullen  von  1  —  13  von 
<len  wechselnden  vier  Zeichen:  Feuerslein,  Haus,  Hase  und  Rohr  begleitet 
wurden,  wie  aus  beistehender  Reiseschilderung  mit  chronologischer  Anga))c 
zu  ersehen  ist;  also  1.  Feuerstein,  2.  Haus,  3.  Hase,  4.  Rohr,  5.  Feuerstein, 
6.  Haus,  7.  Hase,  8.  Rohr,  9.  Feuerstein,  10.  Haus,  11.  Hase,  12.  Rohr, 
13.  Feuerstein,  1.  Haus  u.  s.  w. ;  es  wechseln  also  hier  4  und  13  in  derselben 
\Veise  im  52jährigen  Cyclus,  wie  bei  den  Chinesen  die  Zeichen  des  zehn- 
theiligen und  des  zwölflheiligen  Cyclus  in  einfachem  Wechsel  eine  Periode 
von  60  Jahren  bilden.  Wir  finden  somit  hier  eine  Analogie  mit  asiatisrhen 
Gebrauchen,  welche  ebenso  sehr  auf  eine  ursprüngliche  Verwandtschaft  hin- 
weist, wie  sie  andererseits  eine  originelle  Fortbildung  zeigt. 

Originell  ist  die  Reiseschilderung,  deren  Anfang  wir  Seite  220  nach  dem 
Manuscripte  Botturini  folgen  lassen.  ^^  W^ir  sehen  links  oben  eine  von  W^asser 
umgebene  Insel,  in  der  Mitte  das  Heiligthum,  umgeben  von  sechs  Häusern 
oder  Städten,  die  Figuren  scheinen  Mann  und  Frau  zu  sein;  ein  langhaariger 
Mann  verlässt  in  einem  Nachen  das  Land  und  kommt  zu  einem  Berge,  in 
dessen  Höhle  ein  Gott  wohnt;  die  fliegenden  Zeichen  scheinen  den  Opfenlainpf 
vorzustellen,  vor  dem  Munde  der  Menschen  bezeichnen  sie  «sprechen*,  also 
wahrscheinhcb  den  Odem ;  die  Fussstapfen  zeigen  die  Reise  an ;  sie  führen  zu 
S  Städten  oder  Stämmen,  oder  vielmehr  ist  anzunehmen,  dass  acht  Stäninie 
auszogen,  denn  wir  sehen  dieselben  Häuser  mit  denselben  Wappen  weiter 
vom;  das  erste  Wappen  ist  eine  Fischreuse,  das  zweite  ein  Stein,  das  drittf^ 
ciu  f]o^'r*u  u.  s«  \v.,  viev  Pnester  mit  Göttern  ziehen  voran,  der  erste  scheint 


Hexikuiuchu  Ralaebild. 


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Erklärung  des  mexikanischen  Reisebildes.  221 

ein  Fii^rh,  der  zweite  ein  Vogel,  der  dritte  ein  Kraut,  der  vierte  ein  Sieb  oder 
ein  Spiegel  zu  sein,  vielleicht  waren  es  die  Götter  des  Winters,  Frühjahrs, 
Somnif^rs  und  Herbstes.  Man  kommt  nun  in  ein  fruchtbares  Land  mit  starken 
Bäumen,  welche  ein  Mann  nicht  umspannen  kann,  hier  finden  mehrfache 
Berathungen  statt,  der  fünfte  Stamm  oder  die  vier  letzten  Stämme  trennten 
sich,  die  anderen  setzen  ihren  Weg  fort.  Was  die  Opferung  bedeuten  soll, 
ist  höchst  unklar,  noch  unklarer  die  Gruppe  mit  dem  Vogel. 

Dieses  Gemälde  wird  in  folgender  Weise  erklärt:  ^Auf  dem  Bilde 
beschrieben  die  Mexikaner  ihre  erste  Landung  in  Aztlan.  Dieser  Ort  wird 
beschrieben  als  eine  Insel,  auf  drei  Seiten  vom  Meere  umgeben.  Er  hat  die 
Zeichen  von  drei  Fürstenhäusern  mit  einem  Tempel,  der  von  den  gewöhn- 
ll«.iicn  Zeichen  ihrer  Priesterschaft  überragt  wird  (Wasser,  ägyptisch  r3), 
darunter  befindet  sich  ein  König  und  eine  Königin  oder  Häuptling  und  Häupt- 
lingin. Der  erstere  hat  einen  Schulterknoten  und  lange  Gewänder,  die  letztere 
••inen  Spiegel,  ihre  Haare  sind  in  einen  Stirnknoten  gebunden  (eigentlich  auf- 
^'ekämmt  wie  bei  den  Bewohnern  von  Neu-Mexiko  und  den  Japaneserinnen), 
ihre  Fiisse  sind  rückwärts  gezogen,  wie  die  Wilden  zu  sitzen  pflegen.  Beide 
sitzen.  Die  nächste  Figur  ist  ein  Mann  in  einem  Boote  mit  fliegenden  Haaren 
und  langem  Gewände.  Dieses  Bild  bezeichnet  gewöhnlich  die  Überfahrt.  Er 
ist  offenbar  im  Begrifl'  zu  landen  und  nicht  abzureisen.  Diese  Landung  geschah 
1038  nach  Christo  (nach  Anderen  1064.).  Die  Azteken  beginnen  von  dieser 
Landung  des  ersten  Jahres  ihres  Tekapetl  an  zu  zählen.  Der  erste  Aufenthalt 
war  Kolhwakan,  der  Hornberg,  wo  ihrer  neun  Chefs  waren,  jeder  bezeichnet 
durch  sein  FamiHenzeichen  oder  was  die  Algonkiner  , Totem •  nennen.  Von 
hier  zog  das  Volk,  die  Idole  und  priesterlichen  Apparate  tragend,  vorwärts, 
die  Pacific-Küste  entlang  wandernd.  Auf  dieser  Reise  waren  sie  28  Jahre 
(siehe  die  28  Zeitzeichen  am  Ende  des  Bildes).  Während  dieser  Zeit  hatten 
sie  drei  Auszüge  gemacht,  die  Tropen  erreicht ^  wo  sie  Früchte  fanden,  die 
auf  Bäumen  wuchsen,  deren  Stämme  ein  Mann  kaum  umspannen  konnte. 
Sie  machten  drei  Gefangene,  welche  durch  ihre  Priester  geopfert  wurden, 
indem  ihnen  in  derselben  grausamen  Weise,  wie  diess  aus  der  Zeil  ihrer 
Herrschaft  in  Mexiko  bekannt  ist,  die  Herzen  ausgerissen  wurden.  Von  dieser 
letzten  Periode  ist  ihre  Chronologie  sorgfältig  aufbewahrt.  Sie  machten  22 
Auszüge«  blieben  verschiedene  Perioden  von  4  —  20  Jahren  an  einem  Platze, 
zusammen  186  Jahre,  bis  sie  Mexiko  1216,  oder  1223  erreichten.* 


n 


222  Asiatische  Analogie  zum  mexikanischen  Reisebiide. 

Ein  tibetanisches  Todtenbuch  enthält  merkwürdigerweise  fast  dieselben 

Bilder,  auch  hier  ist  ein  Tempel  mit  sechs  Häusern,  aber  diese  bezeichnen 

sechs  verschiedene  Wege  in  das  Jenseits,   von  denen  es  heisst:  ,auf  dem 

weissen  wirst  du  zu  den  Deotas  kommen,  aber  geh'  ihn  nicht ;  auf  dem  gelben 

wirst  du  zur  Wiedergeburt  auf  dieser  Erde  gelangen,  aber  geh'  ihn  nicht,  du 

wurdest  ewig  wiedergeboren  werden;  auf  dem  schwarzen  gelangst  du  nach 

Niruk  (Hölle),  betritt  ihn  nicht,  denn  dort  ist  ewige  Pein ;   auf  dem  grünen 

kommst  du  nach  Lamayin,  d.  i.  der  Himmel  unter  Indra's  Paradies,  aber  betritt 

ihn  nicht,  denn  dort  ist  ewiger  Krieg;  gehe  nicht  den  rothen  Weg,  denn  dort 

begegnest  du  den  Idak  oder  bösen  Geistern,   welche  grosse  Köpfe,   sehr 

schmale  Nacken  und  sehr  leere  Bäuche  haben,  die  nimmer  befriedigt  werden; 

geh'  auch  nicht  den  blauen  Weg,  weil  dort  die  Thiere  Timod  sind,  welche 

allein  Macht  haben  und  dich  zerreissen  werden;  aber  schaue  aufwärts  in  den 

Himmel,   so  wirst  du  einen  von  glitzerndem  Glase   sehen,   roth  und  gelb 

leuchtend,  wenn  du  den  siehest^  wirst  du  erschrecken,  aber  fürchte  dich  nicht 

und  geh'  auf  diesem  Wege,  dann  erreichst  du  sicher  LIama  KantSök  (Gott) 

und  du  wirst  eintreten  in  die  Gottheit •.  Die  Todten  in  Lassa  und  Tibet  wurden 

theils  in  das  Wasser  geworfen,  theils  in  Stücke  zerschnitten  den  Hunden 

vorgeworfen  (daran  erinnert  der  griechische  Höllenhund)  oder  auf  den  Spitzen 

der  Berge  den  Geiern  preisgegeben.  Ein  Bild,  welches  diese  Todtenbestattung 

darstellt,  zeigt  uns  vier  Personen  gehend  mit  den  Todten  in  Säcken  auf  den 

Rücken,   nachdem  sie  die  Todten  den  Geiern  vorgeworfen,  sitzen  sie  ebenso 

beisammen  wie  die  Figuren  auf  dem  mexikanischen  Bilde  und  trinken  TSao 

oder  Branntwein,  bis  die  Geier  ihre  Arbeit  vollendet  haben  imd  die  Knochen 

gesammelt  werden  können,  es  ist  sogar  ein  Manu  abgebildet  der  die  Geier 

bewacht,   wie   auf  dem  mexikanischen  Bilde;   die  Todtenbesorger  heisscn 

Togdun  und  wohnen  in  Hornhäusern  (vergleiche  den  Hornberg  auf  dem  mexi- 

kanischen  Bilde).'*-  Eine  merkwürdige  Übereinstimmung,  die  fast  vermuthen 

lässt,  dass  dem  mexikanischen  Bilde  missverstandene  Traditionen  zu  Grunde 

liegen. 

Diese  Darstellung  der  Reise  entspricht  übrigens  dem  Berichte,  welchen 
Cortez  über  die  Art  der  mexikanischen  Schrift  gegeben  hat;  er  erzählte  näm- 
lich, dass  die  Mexikaner  die  Schiffe,  die  Soldaten,  die  Waffen,  das  Geschütz 
und  die  Pferde  abgezeichnet  und  diese  Bilder  durch  erklärende  Zeichen 
ergänzt  hätten.  Diese  erklärenden  Zeichen,  welche  in  der  Historie  auf  Tafel  U 


Vergleicilung  mexikanischer  und  ägyptischer  Hieroglyphen.  223 

ganz  fehlen,  sind  hier  vorhanden;  der  erste  Berg  ist  als  Hornberg  bezeichnet, 
der  z^veite  als  Berg  der  Thränen,  der  dritte  als  Schlangenberg;  die  Priester 
sowie  die  Stämme  haben  ihre  Wappen,  und  aus  einer  Vergleichung  bekannter 
Namen  mit  den  Figuren  hat  sich  ergeben ,  dass  diese  Zeichen  Lautzeichen 
waren  und  Namen  bedeuteten.  In  dieser  Beziehung  erscheinen  die  mexika- 
nischen Hieroglyphen,  verwandt  mit  den  ägyptischen,  aber  während  in* 
den  letzteren  die  Gemälde  die  Lautzeichen  erklären,  ist  bei  den  mexikanischen 
das  Umgekehrte  der  Fall. 

Dass  die  mexikanischen  Hieroglyphen  älter  als  die  ägyptischen  sind, 
scheint  daraus  hervorzugehen,  dass  erstere  noch  deutUch  erkennbare  Gegen- 
stände zeigen,  wo  die  ägyptischen  nur  ungewisse  Bilder  liefern.  So  z.  B.  ist 
ägyptisch  ^^  ma  »Wahrheit,  öffnen*  die  mexikanische  Flöte  ^  ■  i  Wt^ 
um  so  sicherer,  als  diese  ebenso  den  gleichen  Lautwerth  mit  der  Eule  hat 
Wie  die  ägyptische  Flöte  mit  VL  ma:   eine  gleiche  Übereinstimmung  zeigt 

mexikanisch  ^  Mond  und  if  Fuss  mit  dem  Lautwerthe  mets,  wie  ägyptisch 

-^^  oZ>  »Mond*  und  jb  »Fuss*;  eine  solche  Übereinstimmung  kann  kein 
Zufall  sein,  sie  beruht  auf  gleichen  Grundanschauungen,  und  der  veränderte 
Lautwerth  ist,  wie  wir  oft  genug  gesehen  haben,  die  Folge  theils  reiner  Laut- 
verschiebung, theils  veränderter  Auffassung.  Zu  mexikanisch  U  gehören  tki 
»das Haus*, /^  »das  Kinn*,  f^' »Harzkömer*,  A:ama^a/o/i  »geöffneter Mund*, 
/.<!  »Hund*,  fAVi  »Eule*  und  »Flöte*,  dem  entsprechen  im  Hebräischen  jea 
fftten  »Leib.  Brust*,  verwandt  mit  fJ»a  baith  »Haus*,  n^iu  gizra  »Brust*,  auch 
Tc  ^od,  aramäisch  Tr  thad,  griechisch  titthe,  wnt  zara  »Ekel*,  nie  seri  »Harz*, 
fpr  zakan  »Kinn*,  pr  z^  »Pfeil*,  assyrisch  äo/,  Wn  ^alil  »Flöte,  profan, 
Abscheu* ;  die  Eule  ist  das  Symbol  der  Nacht  und  des  Todes,  die  Pfeife  der 
Wind,  welcher  auch  bei  uns  noch  der  Name  des  Hundes  ist,  das  Haus  ist  die 
H<*>h]e,  die  Wohnung  der  Winde,  im  Ajryptischen  heisst  ^^  ma  »geben, 
opfern*  (Harz  als  Weihrauch  diente  zum  Opfer),  ;r^^^  ma  »der  günstige 
Wind*,  ^^1  ma  »Stimme*  (geöffneter  Mund),  Alles  auf  den  Begriff  des 
Offenseins,  des  Ausströmens  der  Lui\  basirend ;  die  Eule  heisst  hebräisch 
ü*2  kus  (unser  Käuzchen),  verwandt  mit  v^d  ktiS,  dem  Namen  der  schwarzen 
Äthiopier. 

Mexikanisch  <^p^  «^  otl  »Wasser*  stimmt  mit  dem  keilschrifllichen  yTw 
«»Wasser*  und  dem  ägyptischen  ^^  fta  »Hciar*  überein,   dessen  Figur  auf 


f  24  Vergleichung  mexikanischer  and  ägyptischer  Hieroglyphen. 

Wasser  hindeutet;  =r.-x::  ee  .Blut*  ist  hebräisch  wk  eS  »Feuer*,  verwandt 
mit  «TM  ii  »Mann*,  ägyptisch  ^^  ts  (Schlange  als  Blitz),  d.  L  der  griechische 
Zeus  auch  insofeme  als  ^T^  tset  (unsere  Zeit)  die  Ewigkeit  bedeutet;  ^Z3  iz 
»der  Fingernagel*  ist  ägyptisch  \  to6a  . Finger*,  hebräisch  pixp  ei86a,  r 
wi  »der  Dom*  oder  »Pfahl*  ist  ägyptisch  *^«  ua  »der  Pfeil*,  ^»^  ao 
.durchlöchern*,  ägyptisch  <4«  «<  »Pfeil*,  ^^  A»  »die  Vase*,   ägyptisch   9 

Z^ ,    fr  ^'ol  »krumm*,  hebräisch  pp  qerm  »Hom*  (Berggipfel),  11  koz  »gelb, 

Feder*,   ägyptisch  1  kb,  gs^  koS   »Fasan*,   ägyptisch  ^  jfu;  «^i;  ma 


,Hand*,  ägyptisch  •§  am,  fassen*,    ^Z"  /m>  »Stimme,  Athem,  Rauch,  Dampf, 

hebräisch  rt^ pe  »Mund*,  ägyptisch  «'/»Gliedmassen*,  ^r^  Üa  »Zahn*  (das 
Theilende),  ägyptisch  cssz  ä,  hebräisch  \v  Sm  »Zahn*,  ^w  Sne  »zwei*,  po  äin 
»pissen*,  was  im  Mexikanischen  sehr  genau  durch  ^  ^  ausgedrückt  wird; 
ebenso  erklärt  sich  das  ägyptische  ü^  ir  (Ernte)  durch  das  mexikanische 
^^  Füllhorn,  während  andererseits  die  Verwandtschaft  zwischen  ägypti- 
schen ^B3  und  trtrt  (beides  S)  durch  das  mexikanische  ^go^g  tok  »besäetes 
Land,  junge  Pflanzen*   erklärt  wird;   %~^^v-.    0  »Weg*  ist  ägyptisch 


hr,  jk  80I  »Wachtel*,  hebräisch  "J^w seUxv,  ägyptisch  m  u,  ^^  §ra,  ^r  ^^; 
auffallen  muss  die  Abwesenheit  der  Spinne  in  den  ägyptischen  Hieroglyphen, 
in  den  mexikanischen  kommt  sie  Tor,  während  sie  in  den  Hieroglyphen  in 
den  Käfer  übergegangen  zu  sein  scheint,  dessen  Figur  X  mit  dem  Kreuze 
auf  dem  Rücken  an  die  Kreuzspinne  erinnert 

Wir  haben  in  der  Einleitung  gesehen,  dass  die  Schrift  auf  Terschiedene 
Weise  sich  aus  den  Elementen  entwickeln  konnte:  durch  die  Knoten,  durch 
das  Ritzen  von  Figuren  und  durch  das  Malen,  die  Azteken  scheinen  das  Maler- 
volk kaV exogen  gewesen  zu  sein,  und  ihre  Meisterschaft  in  der  Nachbildung 
belebter  und  unbelebter  Gegenstände  war  wohl  die  Ursache,  dass  sie  die 
Lautbezeichnung  vernachlässigten  und  auf  die  Namen  beschränkten,  sie 
schätzten  mehr  den  unmittelbaren  Eindruck,  den  Gemälde  auf  die  Auffassung 
machen,  und  imterschätzten  die  Wichtigkeit  der  lautUchen  Wiedergabe. 

4.  DIE  YUKAT ANISCHE  SCHRIFT. 

Das  Mayavolk,  welches  südlich  von  Mexiko  in  Yukatan  wohnte,  hatte 
eine  nicht  minder  ausgebildete  Cultur  als  die  Mexikaner,  seine  Schrift  ist 


Yukatanisch. 


225 


anverständlicher  und  scheint  eine  cursive  Wortschrift  gewesen  zn  sein.  Leider 
ist  der  grösste  Theil  ihrer  Bücher  Ton  den  spanischen  Mönchen  verbrannt 
worden,  nur  der  Bischof  Diego  de  Landa  '*  hat  ein  Alphabet  und  zwei  Wörter 
dieser  Schrift  überliefert,  wonach  le  KsPMSMmBSD  e-l-e-le,  das  Wort  für .  ich 
'will  nicht*  o-H-o^^  3  g^  fi  ma-i-n-ka-ti  geschrieben  wurde.  Obgleich 
die  Mayas  dieselbe  Zeittheilung  hatten  wie  die  Mexikaner,  sind  doch  die 
Zeichen  und  Namen  der  Zeiten  ganz  verschieden.  Der  Tag  bestand  aus 
1 3  Stunden,  welche  jedoch  kreuzweis  gezählt  wurden,  wahrscheinlich  weil 
die  ungeraden  Stunden  von  Mittemacht  bis  Mittag  für  glückliche,  die  geraden 
fOr  anglückliche  Zeichen  gelten ;  wir  haben  eine  Abbildung  dieses  Stunden«^ 
kreises  Seite  73  gegeben.  Zwanzig  Tage  bildeten  einen  Monat,    und  zwar: 


» 


kan 

\oJ  muluk 

tsitian 

©    ok 

kimi 

^   tSwen 

manik 

0   eb 

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^^   ben 

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kauak 
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hon  bedeutete  Süden,  muluk  Osten,  idi  Norden,  katiak  Westen;  diese  vier 

Zeichen  hiessen  bakab  und  sollen  vier  Brüder  gewesen  sein,  welche  Gott 

unter  die  vier  Ecken  des  Himmels  setzte,  wie  die  Äsen  die  vier  Zwerge  unter 

die  Ecken  des  Himmels  setzten;  kan  soll  eine    , Schnur*  darstellen,  tSiVian 

«klein*,  kimi  «sterben*,  manik  «Wind*.  Ebensowenig  Ähnlichkeit  haben  die 

Monate  mit  der  mexikanischen,  man  vergleiche: 

Mexikanisch: 

Atlakohwailf  Monat,  in  welchem 
der  Hegen  aufliört,  18.  Februar 
bis  9.  März. 

Tlaka^ijiehwatiztU.Moxidii  der  Men- 
schenhaut, in  welchem  die  Ver- 
brecher gt'schunden  wurden, 
um  die  Priester  mit  Mensrlitiii 
häuten  zu  h^kloiden,  10.  his 
29.  Mai. 

TozoztUy  Monat  de?  Wachens,  d. 
i.  der  Nachtwaclie  während  der 
grossen  Tempelfeste,  30.  Muri 
bis  18,  ApriL 

15 


Yukatanisch : 

Qth  (Hirsch)  21.  Februar  bis 
lä.  März. 

Mak  (schliessen)  13.  März  bis 
1.  ApriL 


i 


Kankih  (gelbe  Sonne)  2.  bis 
il.  ApriL 


FtnlmiBo,  Geschtchf«  d.  Schrift. 


226 


Yukatanisch. 


y?^ 


y"  r^)  ^*>^'^   i^^^    bedeckte    Tag) 
S2.  April  bis  11.  MaL 


Pai  (Musikinstrument)  12.  bis 
31.  MaL 


iTayaö  (Gesang)  l.bisSO.JunL 


Bwti'Tozoztli,  Monat  der  grossen 
Wache  oder  Busse,  19.  April 
bis  8.  Mai. 

ToSkoaÜ,  Monat,  in  welchem  man 
die  Götterbilder  mit  Schnüren 
und  Guirlanden  schmückte, 
9.  bis  28.  Mai. 


^|S\  EtsaücwaliztU,  Monat  der  Speisen, 
29.  Blaibis  IT.JunL 


m 


etc. 

Das  beifolgende  Gemälde, ^^  welches  der  Österreicher  Dupaix  im 
Tempel  zu  Palenke  auf  gelblichem  Marmor  fand,  und  das  Ton  seinem  Begleiter 
Castanjeda  abgezeichnet  wurde,  beweist,  dass  die  Yukataner  eben  so  gut 
zeichnen  konnten  als  die  Mexikaner,  aber  einerseits  strebten  sie  Tielzusehr 
zu  symbolisiren,  andererseits  ist  bei  ihnen  die  Lautschrift  vielmehr  vorheir* 
sehend,  denn  die  ganzen  Zeichen,  welche  die  Figur  umgeben,  sind  offenbar 
Lautzeichen,  welche  es  doppelt  beklagen  lassen,  dass  der  Schlüssel  zu  diesen 
Hieroglyphen  verloren  gegangen  ist 

Wenn  wir  es  unternehmen,  etwas  an  diesen  Figuren  zu  deuten,  so 
möge  man  dicss  nur  als  einen  schwachen  Versuch  betrachten,  einige  Kennt- 
niss  der  Hieroglyphen  zu  verwerthen,  um  wenigstens  einigermassen  die 
Rälhsel  dieser  Schrift  zu  erhellen.  Wir  sehen  in  der  Mitte  das  Kreuz,  welches 
schon  bei  den  Mexikanern  ,Gott*  ^q/eot/(Thaud?) bedeutet;  über  demsell>en 
sitzt  der  Paradiesvogel,  der  wohl  zu  der  Sage  vom  Phönix  beigetragen  hat, 
wie  der  Pfau  mit  seinen  vielen  Augen  auf  den  Schwanzfedern  als  Symbol  des 
Sternenhimmels  bei  den  Griechen  der  Vogel  der  Hera  war;  neben  dem 
Paradiesvogel  ist  rechts  eine  Figur,  die  mit  ihren  schlangenartigen  Beinen 
an  die  lao-Figur  der  gnostischen  Amulette  erinnert;  der  Priester  links  bringt 
ein  Kind  den  Göttern  dar,  dessen  Mutter  rechts  neben  dem  Kreuze  steht,  die 
letztere  trägt  einen  auffallend  gezeichneten  Zopf  und  am  Kopfe  die  Blume, 
welche  in  den  ägyptischen  Hieroglyphen  Symbol  der  Weiblichkeit  ist:  vj. 
Unter  dem  Kreuze  ist  eine  Figur,  welche  auffallend  an  die  geflügelte  Sonnen- 
Scheibe  der  Ägypter  erinnert,  welche  auf  unserem  Titelbilde  über  der  ägyp- 
tischen Landschaft  sich  befindet;  der  Priester  trägt  um  Brust  und  Arme 
gewickelt  eine  Schellenkette,  welcher  Schmuck  sich  noch  bei  unserem  Adel 
bis  in  das  Mittelalter  erhielt  und  in  der  deutschen  Spielkarte  sich  bis  jetzt 


Tukataniaches  Schriflgemälde. 


223  Scbril\  der  Muiskas. 

erhalten  hat;  die  Zeichen,  welche  die  Figuren  umgeben,  sind  offenbar  Laut- 
zeichen; links  oben  ist  ein  Gesicht,  wie  im  Spiegel  sich  betrachtend,  ein 
ähnliches  vor  dem  Kopfe  des  Priesters ;  die  dritte  Figur  von  oben  ein  Gesicht, 
mit  der  Zunge  an  einer  Frucht  leckend,  deutet  wahrscheinlich  auf  essbare 
Früchte,  weiter  unten,  sowie  in  der  zweiten  Reihe  sehen  wir  eine  Hand  ein 
Rad  haltend,  ähnlich  dem  ägyptischen  £—1  tno  .weihen,  widmen*,  die  vierte 
Figur  von  oben  scheint  ein  Schloss  zu  sein;  ähnliche  Formen  bietet  die  letzte 
Reihe  rechts,  wo  wieder  ein  leckender  Kopf  vorkommt,  femer  ein  Schloss, 
eine  Hand  mit  Geschenken  und  ein  Kopf  mit  grossen  Ohren,  der  wahr- 
scheinlich Hören  bedeutet.  Alle  diese  Lautzeichen  machen  den  Eindruck, 
als  ob  mehrere  Einzelfiguren  vereinigt  wurden,  um  einen  Gesanmiteindnick 
hervorzubringen;  die  oben  gegebenen  Zeitzeichen  sind  noch  cursiver  und  lassen 
wenig  verständliche  Formen  übrig.  Die  Maya-Bilderschrift  war  gegenüber 
der  mexikanischen  jedenfalls  ein  Fortschritt  in  Bezug  auf  Lautbezeichnung, 
die  Lautzeichen  überwuchern  hier  so  wie  bei  den  ägyptischen  Schriftgemälden, 
und  es  ist  daher  doppelt  beklagenswerth,  dass  der  Schlüssel  dazu  verloren 
gegangen  ist 

5.  DIE  SCHRIFTZEICHEN  DER  MOSKAS. 

Dieses  Volk,  welches  in  Neu-Granada  wohnte,  erhielt  seine  Cultur  von 
einem  gewissen  BoSika.  Humboldt  ^^  findet  die  politischen  Einrichtungen 
Bo§ika's  denen  der  Regierungen  von  Japan  und  Tibet  ähnlich.  Er  hatte  vier 
Häupter  der  Stämme  Gameza,  Busbanka,  Peska  und  Toka  ausgewählt  und 
befohlen,  dass  nach  seinem  Tode  diese  und  ihre  Nachkommen  das  Recht 
hätten,  den  Oberpriester  zu  wählen.  BoSika  regelte  die  Zeitrechnung  und 
führte  einen  Kalender  ein.  Der  Tag  war  in  vier  Theile  getheilt:  sua^^nena  vom 
Aufgang  der  Sonne  bis  Mittag,  sua-meka  vom  Mittag  bis  Sonnenuntergang, 
zaska  vom  Sonnenuntergang  bis  Mitternacht,  kagni  von  Mittemacht  bis  Morgen. 
Das  bürgerliche  Jahr  war  in  20  Monate  eingetheilt,  das  Priesterjahr  umfasste 
37  Monate  und  20  solcher  grossen  Jahre  gaben  einen  Gyclus.  Von  ihrer 
Schrift  sind  nur  folgende  Zeitzeichen  bekannt: 

^  1  Uta  (wahrscheinhch  Wasser,  wie  mexikanisch  atl),  die  Hieroglyphe 
bezeichnet  einen  Frosch,  der  Schrei  dieser  Thiere  bezeichnet  die  An- 
näherung der  Zeit,  wo  gesäet  werden  muss.  (Die  Chinesen  haben  statt 
dieses  Frosches  die  Wasserratte  als  erstes  Zeitzeichen.) 


Ayinara-Schriil.  229 

^  2  hosa  (einzuzäunen,  bezeichnet  den  Monat,  in  welchem  die  Felder  durch 
Zäune  gegen  schädliche  Thiere  geschützt  werden  müssen).  Hieroglyphe : 
eine  Nase  mit  offenen  Nasenlöchern,   auch  ein  Theil  des  Mondkreises. 

^3  müca  (veränderlich  oder  der,  welcher  gewählt  ist).  Hieroglyphe:  zwei 
geöffnete  Augen,  ebenfalls  ein  Theil  des  Mondkreises. 

^4  mmhika  (schwarze,  stunn verkündende  Wolke).  Hieroglyphe:  zwei 
geschlossene  Augen. 

Jf  5  hiska  (ausruhen).  Hieroglyphe:  zwei  vereinigte  Figuren,  die  Hochzeit 
von  Sonne  und  Mond. 

Q^  6  to  (Ernte).  Hieroglyphe:  ein  mit  einer  Schnur  umzogener  PfahL 

^  7  kuhupkuHii  (Salamander).  Hieroglyphe:  zwei  Ohren. 

^  8  suhma  (Schwanz). 

^  9  aka.  Hieroglyphe :  zwei  vereinigte  Kröten. 

^10  tibtfihia  (glänzende  Sonne).  Hieroglyphe:  ein  Ohr. 

^  f>ü  ktttta  (Haus).  Hieroglyphe:  eine  ausgestreckte  Kröte. 

Der  Monat  (suna),  dessen  Hieroglyphe  eine  Kröte  S  war,  fing  mit  dem 
cr>ten  Tage  nach  dem  Vollmonde  an. 

6.  DIE  AYMARA- SCHRIFT. 

Aufseiner  Reise  im  Jahre  1860  fand  J.  J.  Tschudi  im  Kloster  Ka)ia- 
kahwana  am  Titikasee  eine  Thierhaut,  auf  welche  eine  Biiderschrifl  mit  dem 
Safte  eines  Nachtschattens  geschrieben  war.  '• 

Der  Erfinder  dieser  Schrift  soll  ein  noch  in  diesem  Jahrhundert  lebender 

Aymara-Indianer  Namens  Juan  de  Dios  Apasa  gewesen  sein.  Die  Kirche  ist 

durch  ein  Viereck   mit 

einem    darauf  befindli- ^^J^fni/^Ä^Oft^HO^g 

chenKrcuz  ausgedrückt,  ^  ^        ^  .t  m  £^^^"N^l^ilft 

da.  Sacrament     durch     x,.,,^,„^,    Ö«lt«||)  &  I^U    ''»    ■"" 

eine     Monstranz,     die  •[["' ''"''»♦/'«»f  |(||||   j(j«»  J^5,t  ^iM 
Priesterweihe  durch  ein   ™^^"*V''J«|1l|li»||| 

Zeichen,  welches  wahr-  ^  ^.^.    .i..  ,t 

scheinUch   ein  Messge-         ^ff  J^llülLU-^lUlW  «f  W"  ^  " 

wand  vorstellen  soll ;  in  -^    ^^  wjA  -|rt  m.  Q  ^^ 

den  beiden  letzten  Zeilen  ^ 


230  Schrift  der  Tschirokesen, 

« 

sind  die  leiblichen  Werke  der  Barmherzigkeit  dargestellt:  einen  Fremden 
beherbergen  ist  ausgedruckt  durch  einen  schutzenden  Bogen,  welchen  Einer 
über  den  Andern  hält;  den  Gefangenen  erlösen  durch  em  Viereck  mit  Quer- 
stäben und  daneben  stehende  Gefangnisswärter;  daneben  wird  eine  Leiche 
begraben.  Nur  ein  einziges  Mädchen  konnte  1860  diese  Schrift  noch  lesen. 

7.  DIE  SCHRIFT  DER  TSCHIROKESEN. 

Eine  andere,  ebenfalls  erst  in  diesem  Jalirhundert  erfundene  und  mit 
der  Versprengung  des  Stanmies  wieder  ausser  Gebrauch  gekon&mene  Schrift 
ist  die  der  Tschirokesen.  Ihr  Erfinder  Segwoya  oder  mit  seinem  englischen 
Namen  Georg  Guess^^  soll  durch  den  Anblick  der  europäischen  Bücher, 
welche  er  jedoch  nicht  lesen  konnte,  auf  die  Idee  verfallen  sein,  eine  Laut- 
Schrift  für  seine  Sprache  aufzustellen.  Anfangs  soll  er  mehrere  hundert  Zeichen 
aufgestellt,  dieselben  jedoch  allmählich  auf  85  reducirt  haben.  Dieser  Angabe 
entspricht  auch,  dass  wir  die  lateinischen  Versalbuchstaben  fast  vollständig, 
jedoch  in  anderer  Bedeutung  wiederfinden,  nämlich:  A  go,  B  yf,  JD  a^  E  ge, 
G  ncHi,  H  mi,  i  gu,  K  dzo,  L  die,  M  lu,  P  dlf,  R  sf,  8  9u,T  i,  W  la,  Z  no; 
wenn  auch  griechische  Buchstaben  vorkommen,  wie  A  do,  V  hu,  so  mag  diess 
davon  herkommen,  dass  die  lateinischen  Zeichen  in  verstümmelter  Form  weitere 
Laute  vertreten  mussten,  dass  daher  A  ein  verstümmeltes  A,  F  ein  verstüm- 
meltes F  war,  wie  auch  f  (von  F)  als  ho  vorkommt;  die  Abwesenheit  von 
N  0  Q  X  dürfte  wohl  auf  Rechnung  der  spätem  Reduction  zu  setzen  sein, 
ebenso  die  Abwesenheit  der  gemeinen  Buchstaben,  von  denen  nur  y  als  gi 
vorhanden  ist,  merkwürdig  ist  das  Vorkommen  der  Ziffer  4  als  se,  manche 
Zeichen  weisen  Schreibschriflcharakter  auf,  wie  f  ga,  f  le,  8  um,  A  hi,  % 
gwe,  andere  endlich  sind  ganz  fremdartiger  Natur,  wie  Cd  gwu,  A  dla,  /i  gi, 
^  SU  u.  s.  w.  Das  Sillabar  besteht  aus  Silben  mit  a  e  t  o  u  f,  z.  B. 

*  9<*f  ^  9^f  y  9h  A  go,  i  gu,  E  ge 
X  gwa,  iS  gtce,  ^  gwi,  qV^  gwo.  Cd  gicu,  6  gupe  u.  s.  w. 
Diese  Schrift  fand,  als  sie  im  Jahre  1824  bekannt  waixi,  den  Beifall  der 
Stanrniesgenossen  und  die  Billigung  der  Missionäre;  es  wurden  auch  in  der- 
selben mehrere  Bücher  gedruckt;  in  Folge  späterer  Feindseligkeiten  wurde 
jedoch  der  Stamm  versprengt  und  vertrieben  und  die  Überreste  desselben 
haben  die  Schrift  vergessen. 


231 


8.  SCHRIFT  DER  TINNE-INDIANER. 


Diese  Schrift  ist  ebenfalls  eine  Silbenschrift,  aber  von  anderem  Gepräge : 
Jedes  der  1 7  Stammzeichen  erhält  durch  veränderte  Stellung  einen  veränderten 
Laut,  wie      <a         ^  e         A<         >o 

L  ma       1   m«      T    nn      J  n\o 

Cda       \J  de       n  di       Cido 

b  ka  ^  ke  P  ki  6  ko  etc. 
Ausserdem  hat  diese  Schrift  eigene  Finalzeichen,  welche  jedes  Vokallautes 
entbehren,  wie  ^  d,  *  g,  ^  k,  ^  l,  C  m,  i  n,  ^  r,  ^  8,  %t  t,  o  th;  das  ist  eine 
Eigenthümlichkeit,  welche,  abgesehen  von  der  eng  verwandten  Schrift  des 
Kri-Stammes,  sich  nur  in  einem  weit  entlegenen  Lande,  nämlich  bei  den  im 
Himalayagebirge  wohnenden  Leptschas  wiederßndet.  Die  Grundzeichen  der 
Tinne-Schrifl:  ^  a,  ^ba,^  ^a,  Cefa,  C  >  ta,  C  tlha,  V»  ga,  b  ka,  K  kla, 
d  Uif  L  nia,  CL  na,  S  8a,  b  8la,  U  tha,  S  t8a,  S  ya  weisen  keine  Ähnlichkeit 
mit  europäischen  Alphabeten  auf,  und  es  ist  daher  die  Annahme  berechtigt, 
ilass  wir  in  denselben  Verwandte  der  Runen  vor  uns  haben,  uralte  Zeichen, 
welche  auf  die  frühesten  Schriftformen  zurückgehen,  '* 

Wir  lassen  hier  eine  Sprach-  und  Schriftprobe  folgen: 

cr>io  ►niv  M  i>|o-D«  v^c>  v^o  kj^w  iiK,-oni,  c«  n>>-«» 

D.  h.  Slwja  otie  mcon  yonito  eyita  teyasi  nwogmiiti,  ta  tiHtie  oyi  etthi 
^nithin  nite  tte  yaethi  ile  olili,  eißokithi  ithlasi  ißnda  oUlL 

Zu  deutsch:  Also  hat  Gott  die  Welt  geliebt,  dass  er  seinen  eingebornen 
Sohn  gab,  auf  dass  Alle,  die  an  ihn  glauben,  nicht  verloren  werden,  sondern 
das  ewige  Leben  haben. 

9.  SCHRIFT  DER  KRMNDIANER. 

Die  Kri-Indianer'^  bedienen  sich  derselben  Schrift,  doch  fehlen  ihnen 
die  Laute  und  Lautzeichen,  ga  ya  kla  8\a  ta  ttha;  b  (Tinne  tha)  gilt  ihnen 
für  tia  und  |^  (Tinne  ga)  für  ra,  so  dass  man  fast  vrrmutlien  möchte,  die 
Tinne  •Indianer  hätten  ihre  Schrift  von  den  Kri*s  entlehnt,  da  Tinne  C*  ta 
G  ttha  offenbar  DitTerenzirungen  von  C  da  sind.  Noch  grösser  ist  die 
Abweichung  in  den  Finalzeichen,  man  vergleiche: 


232  Kri-Schrin. 

Tinne:  \  g,  ^  1,'d,'^  i,  w  r, 

Kri        .j,,'<,-fa,+y,xr.^'''*' ''"**'•    ^*'<*'»*'   «."Aspiration. 

So  ähnlich  die  Schriften  sind,  so  Terschieden  smd  die  Sprachen,  wie 
überhaupt  Amerika  eine  grosse  Sprachenzersplittenmg  aufweist.  Man  ver- 
gleiche die  folgende  Probe  desselben  Textes  mit  der  Probe  der  Tinne-Sprache : 

V^A'T  SP««C''  PSL^b  A'Pp^o  b  PM>iip  ip^'  >VVdKö-,  <A*V^ 

qcv.sp^Iq*  vb  pp  o-,^<.Q.hf^^,  U  pp  <V^  bpq  aLoi^ao. 

d.  h.  EsUw^iiH  swukhittcai  kiseinanäwo  askiyitc  kwa  khurihotii  mddt  of^ei/akirO' 
stcatia,  awiyat  keitcaptceyeyitnuxMkwe  ekwa  kitäi  nisiwantcatisit,  mtcaka  lit^f 
ayivat  hcakike  bmtcaiisiunn, 

10.  SCHRIFT  DER  MIKMAK -IXDIAXER. 

Zu  den  merkwürdigsten  Schriften  der  Lidianer  gehört  die  des  Mikmak- 
Stammes,  der  im  französischen  Kanada  wohnt  und  eine  zeichenreiche  Hiero- 
glyphenschrift besitzt,  welche  einst  Gemeingut  aller  kanadischen  Stamme  war. 
Vor  der  Ankunft  der  Europäer  schrieben  die  Indianer  diese  Zeichen  auf 
Baumrinde  oder  in  Steine  mit  Pfeilen,  scharfen  Steinen  oder  anderen  Instru- 
menten. Es  war  Gewohnheit,  Stücke  von  Baumrinde,  mit  diesen  Zeichen 
Tersehen,  den  Indianern  anderer  Stämme  zuzusenden  und  von  ihnen  in  der- 
selben Weise  Antwort  zu  erhalten,  gerade  so  wie  wir  Briefe  wechseln; 
Häuptlinge  pflegten  in  derselben  Weise  Circulare  zu  ihren  Mannen  zu  senden, 
manche  Indianer  besitzen  in  ihren  Wigwams  eine  Art  Bibliothek  von  Steinen 
und  Baumrinde,  und  die  Medicinmänner  besitzen  grosse  Manuscripte  in 
diesen  Charakteren,  welche  sie  über  kranke  Personen  lesen.  Jetzt  sind  die 
übrigen  kanadischen  Stämme  bis  auf  die  Mikmaks  fast  ausgestorben,  welch 
letzteren  wir  die  Kenntniss  dieser  Schrift  verdanken.  Die  Jesuiten  scheinen,  im 
Gegensatze  zu  den  spanischen  Dominikanern  in  Mexiko,  welche  die  einhei> 
mischen  Bücher  verbrannten,  gerade  die  einheimische  "Schrift  benützt  zu 
haben,  um  ihren  Lehren  leichter  Eingang  zu  verschaffen,  wobei  sich  die 
Hieroglyphenschrifl  so  ausgebildet  erwies,  dass  die  neuen  Ideen  entsprechend 
dargestellt  werden  konnten. 

Vor  zwanzig  Jahren  wurde  mit  Unterstützung  der  Leopoldinischen 
Gesellschaft  in  der  k.  k.  Staatsdruckerei  in  Wien  ein  dreibändiges  Gebet-  und 
Gesangsbuch  in  diesen  Zeichen  gedruckt,  wozu  5701  verschiedene  Lettern 


Hikmak-Schrift  233 

▼erwendet  wurden ;  die  Matrizen  dieser  Schrift  sind  noch  vorhanden,  und  es 
wäre  eine  nicht  unwürdige  Aufgabe  gelehrter  Kreise,  dieselben  zur  Heraus- 
gabe einer  Grammatik  und  eines  Wörterbuches  zu  verwenden,  welches  wohl 
manche  Aufklärung  über  die  Entstehung  dieser  Zeichen  geben  würde.  Das 
oben  erwähnte  Gebetbuch  ist  ohne  Umschrift,  daher  für  wissenschaftliche 
Zwecke  ganz  werthlos,  und  ein  Versuch  des  Verfassers,  mit  dem  Herausgeber 
jenes  Gebetbuches,  dem  Missionär  Kauder,  zum  Zwecke  weitei-er  Aufklärung 
in  Verbindung  zu  treten,  missglückte,  da  Kauder  sich  krank  in  einem  Spitale 
in  Belgien  befand  und  sein  Versprechen,  bei  eintretender  Besserung  seines 
Zustandes  nähere  Auskunft  zu  geben,  bisher  nicht  einlösen  konnte.  Ein  von 
Vetromile*®  in  Newyork  herausgegebenes  Werk  enthält  einige  dürftige  Aus- 
künfte, denen  wir  wenigstens  den  Wortlaut  des  Vaterunsers  entnehmen 
konnten.    Dasselbe  lautet: 

Das  Gebet  des  Herrn. 

y(üi9im  uxitjok         Mn      iMptuk     dehcidiin       nieywidedemek  mtijok 

Unser  Vater  im  Himmel  sitzend  es  möge  dein  Name  sein  geachtet  im  Hiunnel 

«fei     ^£^V^a.83^M    ^ 

$^Uli<ianen  tSiptuk     ignemtriek      ula     nemulek    tUedetSinem.  Xatel      tcatjok 
uns       möge  gewährt  sein  dich  zu  sehen  immerdar.    Dort  im  Himmel 

deli  SkeduUc  i^ptuk    deli  ^kedulek  hiakiwhjHek 

wo  du  bist   dir  gehorcht  wird,     möge     so  dir  werden  gehorcht    auf  ErdfMi 

eitttek.  Delamtüctihenigtcal  r.stmitjicel  apS     nenm.^ 

wo  wir  sind.  Wie  du  uns  gegeben  hast  in  derselben  Weise  so  auch  nun 

kiskuk  dfiamuktei  penef/tcunemcin  nilutien  dehjabik^iktakaSik    uregaitciummfmk 
beute  gieb  uns  unsere  Nahrung  uns.  Vergeben  jene  so  haben  beleidigt  uns 


234  Mikinak'Schnil. 

elp  pel  nikskam   abikSiktwin         elureuliik        meketiiureS  tcinnhidü      mu 

so  du    Gott     vergieb  uns  unsere  Fehler,  halte  uns  fest  bei  der  Hand  nicht 

.^z-vv    H^       ^^^  SiHffJ  "1"! 

kUigalifia      kedÜnukatnke       wimisigtcel      twakiwin,       2Pd^v€tS. 
zu  fallen,  halte  fem  von  uns      Leiden  Übel.  Amen. 

Es  scheint  hieraus  hervorzugehen,  dass  die  Abwandlung  der  Wörter 
sich  in  den  Zeichen  weniger  widerspiegelt,  Jta^  heisst  Himmel  und  im 
Himmel,  ff— C^c  sowohl  ,wie  du  uns  gegeben  hast*  als  auch  ,gieb  uns", 
dagegen  wird  unterschieden  H  '  ij  ,du  bist*  und  j^'"T-|  »wir  sind*, 
doch   findet   man   das  Wort   .Taufe*    in  verschiedener  Form    äR_[F1 

aßf^ft  j-Bf^  «ßfif  «^^Bfl.  IM\  "•  «•  ''•  A"<=»» 

in  dieser  Schrift  kommen  lateinische  Buchstaben  vor;  aber  sie  sind  kaum 
europäischen  Büchern  entnommen,  denn  A  bedeutet  .gleich,  wie*;  A  .so 
auch*,  und  letzteres  ist  offenbar  das  Richtscheit  der  Maurer,  wie  A  die 
Gleichung;  H  bedeutet  .fest  halten*  und  damit  scheint  k^T  .gehorchen* 
übereinzustimmen ;  der  Buchstabe  B  kommt  vor  in  R  *fn  ,  .Taufe *  E  in  p  >\ 
.Gott  der  Sohn*,  bedeutet  also,  da  /\  Gott  bedeutet,  an  sich  .Sohn*; 
Glaube  wird  ausgedrückt  durch  Jj^  ,  .Gruss*  durch  0(1  [7 1  §  bedeutet 
.Engel*,  nicht,  wie  in  der  Aymara-Schrifl,  .Sacrament*,  denn  dieses  ist  in  der 
Mikmak- Schrift o-J-  J==J|==J ;  die  .  Priesterweihe  *  ist  «^b ;  ,  Morgen  *  ist  0'#' 

.Abend*  ^s^;  auch  Namen  werden  wiedergegeben:  J  »f  jS  jQ.  ^J^ 
Jesus  Christus.  Beachtenswerth  ist  das  Dreieck  für  .Gott*,  eine  Form,  die 
an  das  göttliche  Auge  erinnert,  femer  der  fünftheilige  Stern  für  .Himmel*, 
der  im  Ägyptischen  tua  heisst,  während  in  der  babylonischen  Keilschrift  der 
sechstheilige  Stern  $|^  .Gott*  bedeutet. 

Alte  Indianer  haben  Herrn  Vetromile  versichert,  sie  hätten  Bücher 
gesehen,  in  welchen  diese  Schrift  in  chinesischer  Art  von  oben  nach  abwärts 
geschrieben  wurde.  Je  tiefer  man  sich  in  das  Studium  dieser  Schrift  versenkt, 
desto  mehr  wächst  das  Bedauern,  dass  so  wenig  von  derselben  bekannt  ist; 
möchte  daher  diese  kurze  Darstellung  Anstoss  geben,  dem  Urspnmg  derselben 
nachzuforschen,  so  lange  noch  ein  Stamm  vorhanden  ist,  der  den  Schlüssel 
bewahrt 


Afrikanische  Schriften. 


I.  DIE  ÄGYPTISCHE  SCHRIFT. 

1.  Die  Hieroglyphen. 

Wie  sehr  die  Entstehung  der  Schrift  sich  im  Dunkel  der  Vorzeit  verliert^ 
zeigt  die  ägyptische  Schrift.  Auf  den  ältesten  Denkmälern,  in  den  Pyramiden 
von  Gizeh,  welche  vor  6000  Jahren  von  den  Herrschern  der  vierten  Dynastie 
errichtet  wurden,  findet  sich  die  Hieroglyphenschrift  bereits  in  derselben 
Weise  ausgebildet  wie  zur  Zeit  des  Unterganges  der  ägyptischen  Religion  am 
Beginn  unserer  Zeitrechnung.  Schon  in  den  Pyramiden  von  Gizeh  ßnden  wir 
femer  eine  zweifache  Form  der  Schrill,  nämlich  die  künstlerisch  sorgfältig 
ausgeführten  Bildzeichen,  welche  die  Griechen  charakteristisch  «Hieroglyphen*^ 
d.  h.  «heilige  Eingrabungen  *  nannten,  und  jene  flüchtige  gemalte  Schrift, 
welche  sie  «hieratische*  oder  Priesterschrift  nannten.  Wir  geben  hier  zunächst 
eine  Probe  verschiedener  Namensschilde  des  Königs  Khufu  oder  Gheops,  des 
Erbauers  der  Pyramide, ^^  von  denen  vier,  theils  gross,  theils  klein,  mit  rother 
Farbe  gemalt  sind,  während  eines  (Figur  2)  vom  Bildhauer  in  Hieroglyphen 
hergestellt  ist 

1  1 


r?wg 


CZS  mZl)  \ME} 


3 


Figur  1  zeigt  den  Namen  Kbufu,  hieroglyphisch  #\^^\,   hieratisch 
J  §1  ^O*  Aus  der  Vergleichung  dieser  Schriftformen  dürfte  sich  ergeben,  dass 


236  EiiUifTerung  der  Hierogh-phen. 

die  rohen  Figuren  der  obigen  Zeichen  die  Urzeichen  der  ägyptischen  Schrift 
waren,  dass  aus  ihnen  die  verschönernde  Hand  des  Bildhauers  jene  Figuren 
bildete,  welche  in  Figur  2  vorliegen,  während  die  vielschreihende  Priesterhand 
sie  zu  den  noch  fluchtigeren  Formen  vereinfachte,  welche  unsere  hieratischen 
Lettern  zeigen.  Eline  auffallende  Ähnlichkeit  haben  sie  mit  der  alten  Bilder- 
schrift der  Chinesen. 

In  Figur  2  ist  der  Name  in  /fu  vereinfacht,  dapregen  das  S^-mbol  V 
^num  des  Widdergottes  nebst  dem  Widderzeichen  beigefügt;  dieser  Inschnil 
entspricht  genau  Figur  4  in  einfachen  Charakteren,  in  denen  der  Krug  eine 
merkwürdige  Verdrehung  erfahren  hat;  Figur  3  und  5  enthalten  nur  den  Namen 
des  Widdergottes,  der  wahrscheinlich  identisch  mit  dem  Namen  des  Königs 

Khufu  war,  wenigstens  lässt  das  Figur  5  beigesetzte  %  u  diess  vermuthen. 

Die  ägyptische  Schrift  wurde  theils  von  rechts  nach  links,  theils  umge- 
kehrt von  links  nach  rechts  geschrieben;  die  erstere  Art  scheint  die  ältere 
gewesen  zu  sein,  sie  ist  auch  in  der  hieratischen  Schrift  beibehalten.  In 
welcher  Richtung  zu  lesen  ist,  lässt  sich  leicht  aus  den  Bildern  erkennen, 
welche  mit  dem  Gesicht  dem  Leser  entgegenschauen;  die  obigen  Inschriften 
laufen  von  rechts  nach  links,  unsere  Lettern  zeigen  die  umgekehrte  Form, 
die  auch  besser  zu  unseren  europäischen  Lettern  passt  Die  Einklammerung 
der  Königsnamen  erinnert  an  die  Runen-Inschriften,  welche  manchmal  von 
einer  Schlange  umgeben  wurden,  die  sich  in  den  Schwanz  beisst,  das 
uralte  Symbol  der  Unendlichkeit  und  Ewigkeit  Diese  Namensschilder  haben 
auch  zur  Aufklärung  der  Hieroglyphen  geführt,  weil  Champollion  mit  Recht 
in  den  umklammerten  Namen  der  dreisprachigen  Inschrift  von  Rosette,  sowie 
in  der  Inschrift  eines  ObeUsken  die  Namen  des  Ptolemaios  und  der  Kleopatra 

suchte.  Er  stellte  beide  Gruppen|[^^jjglip)und  (io^A"V^lit) 
nebeneinander,  und  kam  zu  dem  Schlüsse:  Ä  müsse  k  sein,  welches  in  dem 
Namen  Ptolemaios  nicht  vorkommt,  ^&  musste  l  sein  imd  fand  sich  auch  bei 
PTOLe^naios  an  der  vierten  Stelle;  das  dritte  Zeichen  I  musste  e  gelesen 
werden,  es  fand  sich  verdoppelt  in  Ptolemaios  da,  wo  man  das  griechische  ca 
zu  suchen  hatte;  das  vierte  Zeichen  |^  fand  sich,  wie  zu  erwarten  war,  als 
dritter  Buchstabe  in  PTOlefnaios,  ebenso  fand  sich  das  Viereck,  welches  p 
sein  musste,  in  Ptolemaios  an  erster  Stelle,  der  sechste  Buchstabe  in  dem 
zweiten  Namen  Ik  musste  a  sein  und  fand  sich  auch  an  der  letzten  Stelle  in 


EnUilTerung  der  Hieroglyphen.  237 

Kleopatra  wieder.  Das  siebente  Zeichen,  eine  Handel»«,  musste^  ausgesprochen 
iK'ci'iien,  im  Namen  Ptolemaios  fand  sich  zwar  ein  anderes  t,  der  Halbkreis  «^ 
und  diess  hätte  den  Entzifferer  irre  führen  können,  wenn  er  nicht  die  Mög- 
lichkeit, dass  ein  Laut  durch  verschiedene  Zeichen  ausgedrückt  werden  könne, 
gealint,  wenn  er  nicht  richtig  geschlossen  hätte,  dass  der  Halbkreis  am  Ende 
des  Namens  der  berühmten  Königin,  den  er  auch  am  Schluss  von  anderen 
Frauennamen  fand,  den  koptischen  weiblichen  Artikel  t  darzustellen  bestimmt 
sei  und  ebenso  ausgesprochen  werde  wie  die  Hand  an  der  siebenten  Stelle 
in  KleopaTra;  das  achte  Zeichen,  ^^  ein  Mund,  musste  r  bedeuten  und  fand 
sich  nicht  in  Ptolemaios.  So  blieb  kein  Laut  in  Kleopatra  unerwiesen,  während 
in  Ptolemaios  das  fünfte  und  achte  Zeichen  einer  Bestätigung  bedurften,  wenn 
es  auch  auf  der  Hand  lag,  dass  das  fünfte  nur  ein  fit,  das  achte  nur  ein  s 
darzustellen  bestimmt  sein  konnte.  ®* 

-  Es  würde  zu  weit  führen,  die  Geschichte  der  Hieroglyphen-Entzifferung 
hier  weiter  zu  verfolgen;  wir  erwähnen  nur,  dass,  nachdem  Champollioti den 
lautlichen  Charakter  der  Hieroglyphen  nachgev^nesen  hatte,  Seyffarth  die  Ent- 
deckung machte,  dass  die  Zeichen  nicht  nur  Lautzeichen,  sondern  auch 
Sylbenzeichen  waren,  somit  mehrere  Laute  vereinigten,  wie  z.B.  9 im  obigen 
Khufu-Schilde,  an  anderen  Stellen jj^%  Z^^  geschrieben  vorgefunden  wurde, 
und  somit  in  ^#  ^  nicht  sowohl  eine  Abkürzung  von  #  m  ^T"  m,  als  viel- 
mehr eine  syllabarische  Lesart  gegenüber  der  buchstäblichen  vorhanden  war; 
ferner  wurde  die  Entdeckung  gemacht,  dass  die  Hieroglyphen  polyphon  waren, 
d.h.  verschieden  ausgesprochen  werden  konnten,  dass  die  Stellung  der  Zeichen 
manchmal  eine  veränderte  war,  und  endlich,  dass  den  hieroglyphischen  Wör- 
tern oft  Zeichen  beigegeben  waren,  welche  nicht  gelesen  wurden,  sondern 
nur  die  Erklärung  der  Wörter  (Determinativa)  waren,  z.  B.  ITT^  J  a-n-p^ 
(Gott),  d.  h.  Anub  (als  Gottesname). 

Eine  eigentliche  Bilderschrift  war  die  ägyptische  nie,  so  realistisch  die 
Ägypter  in  ihren  BUdem  waren,  so  trefflich  genau  sie  zeichnen  konnten,  ihre 
Schrill  ist  entweder  symbolisch  oder  lautlich,  z.  B.  in  der  Neapler  Stele: 

O  Khnum,   du  König  von  Ober- und  Unterägypten,  du  Fürst  der  beidon  Länder, 

sein  Sonnensti-ahl  erleuchtet  die  Erde,  rechtes  Auge  sein  ibl  dieSonncnschcibe, 


238  Erklärung  der  Hieroglyphen  auf  Tafel  IIL 


linkes  Auge      sein  ist  der  Vollmond,  Seele  seine  ist  ein  Lichtglanz,  hervor- 


gegangen  aus  dem  Urgrund,  der  Hauch  aus  Nase  seiner  belebt  Dinge  alle.  ^' 
Hier  ist  jp  Lautzeichen  o  sowie  Begriff  der  Anrufung,  die  widder- 
köpfige  Person  der  Gott  /num,  die  Pflanze  su  oder  suten  , König*;  Oberägypten 
wird  symbolisirt  durch  die  Lotusblume,  Unterägypten  durch  die  Papyrus- 
staude, der  Skorpionenstab  hk  bedeutet  Fürst,  das  Eck  .Land*,  die  beiden 
Striche  darunter  .beide'' ;  rffK  ip  oder  jrp  ist  Silbenzeichen  für  , erleuchten*, 
dessen  Bedeutung  das  darunter  gesetzte  Sonnenbild  erklärt; *l%jm bedeutet 
.sein,  ist*,  »^^^fisi  das  Fürwort  .sein*,  der  Widder  ist  Symbol  der  Seele, 
das  Nest  im  Sumpfe  bedeutet  den  Sumpf  selbst;  das  Segel  bedeutet  den 
Wind.  ^=  tn  ist  aus,  in  ^''^  (die  aus  ihrem  Hause  kriechende  Schnecke) 
, hervorgeben *;  Y  eine  Lingamform  ist  , Leben*,  <^^  nb  bedeutet  » alles*, 
%^  jrt  .Dinge*. 

Wollte  man  die  Schrift  besonders  schön  darstellen,  ao  wurden  die 
Zeichen  mit  Farben  geschmückt.  Wir  geben  auf  Tafel  Ui  einen  Theil  der 
ältesten  farbigen  ägyptischen  Inschrift  mit  den  dazu  gehörigen  Bildern,  ^  aus 
der  Grabkapelle  einer  Pyramide  in  Gizeh,  welche  Grabkapelle  Ton  Lepsius 
nach  Berlin  gebracht  wurde,  wo  sie  sich  gegenwärtig  im  ägyptischen  Museum 
foefmdet  Die  betreffenden  Inschriften  lauten  nach  einer  Erklärung,  welche  ich 
Herrn  Dr.  Bergmann  verdanke:  Proskynesis  (Huldigung)  an  Anubis  (^aip 
dem  in  der  Halle  des  Gottes  [d.  i.  Osiris],  (ein  Beiname  des  Anubis  von  Hip> 

ponos),  dass  er  gewähre (A)  Begräbniss  (jffij)  in  der  Unterwelt  (1)  dem  Herrn 
der  Würdigkeit,  dem  Vertrauten  des  Königs,  dem  Propheten  (!)  des  Anubis, 
dem  Königssohne  (Im^  Sohn),  aus  dessen  (des  Königs)  Leibe  (^^■•).  .  .  . 
Hier  bricht  auf  der  Tafel  der  Text  ab  und  der  Name  des  Prinzen,  welcher 
Hier  ab  heisst,  fehlt.  Dieser  Name  steht  in  der  obersten  Zeile  des 
Textes ,  welcher  über  dem  Altar  vor  der  sitzenden  Figur  des  Prinzen  sich 
befindet,  |  X\^  vM^y  ^p'.  sowie  in  der  untersten  Schriftzeile,  in 
welcher  Mer-ab  auch  den  Titel  eines    m  LI  ^    t    »Chefs  aDer  Bauten  des 

<■  >       ^^^^  ^ 


\ 


Königs*  erhält,   die  Bedeutung  der  Gnippe  J^^   ist  zweifelhaft    Ober  dem 
Altare,   zur  Seite  und  unter  demselben  beßnden  sich  bildliche  Darstellungen 


•  -■    ■» 


»  -•  « 


A 

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■'^.:, 


0  + 


Ägyptische  Grabinschrift.  239 


von  Opfergaben  (viie  l^^^^^  or^p  »Wein*,  ^JT"  hau  .öl*,  |  j^  s^ni 
0  Augenschminke*)  u.  s.  w.  Die  mehrmalige  Setzung  des  Zeichens  T,  welches 
.tausend*  bedeutet,  bezeichnet  die  grosse  Menge  der  Gaben.  Die  Figuren 
rechts  sind  zwei  Priesierschreiber  und  zwei  Priester  mit  Opfergaben:  einem 
Schinken  und  Räucherwerk.  Prinz  Mer-ab  war  allem  Anscheine  nach  ein 
Sohn  des  Königs  Khufu,  des  Erbauers  der  grössten  Pyramide  von  Gizeh. 
Seine  Mutter,  N<unens  Sat't,  wird  in  den  hischriften  als  Königstochter  be- 
zeichnet, weshalb  Mer-ab  die  beiden  Titel  .Königs-Sohn*  (suten-si)  und 
.königlicher  Verwandter*  (suien  re^)  führt. 

Wir  lassen  hier  noch  eine  ähnliche  Grabinschrift  folgen,  deren  Anfang 
wir  auf  dem  untersten  rechten  Steine  des  Titels  gegeben  haben,  sie  lautet  mit 
der  Umschrift  und  Obersetzung  von  Prof.  Reinisch: 

Sutui%       ta-h'iitup'     Asar  /unt  ainunti  nutur       a 

Königliche    Bitte  (an)    Osiris,    den  Ersten    der  Unterwelt,  den  Gott  grossen 

-      fJS        ii       <tf^    J^    V 

piab'  AVadu  ta-f  qras-t  nufar-i       uw 

den  Herni    von  Abydos,    damit  er  gewähre   ein  Begräbniss    schönes    in  der 

Suturtfar-ti      mo       satt       amunti        Wab'a  au-t  nufar-t     tcar 

Todtenstadt,  in  der  Region  westlich  von  Theben  nach  Alter,  gutem,  hohem, 

/wr  nutur-a  ndb  pa-t  na  qa         na  y^nU-inir 

beim    Gotte    grossen,  dem  Herrn    des  Himmels,    der  Person    der  Hausfrau 

= 1  :«i'-^  •  '^^'A  v  \  VJ1Z  m 

Xa/t'osa'ti'-ru  sa^t     Fatantib'.     Zai  an     sab'     rupa  nutur-u  ia-'f 

Nachtasatiru  der  Tochter  des  Phatinub.  Siehe  Seb,  der  Fürst  der  Gölter,  gewährt 

parjfUT'U  aha-u  ap'ad-u  /ut-u  nah'  nufar-t  ua  qa  na  nah'  par  Xa^i-asn-ti-ru.^^ 
Todtenopfer  an  Stieren,  Gänsen  und  Dingen  allen  guten  der  Person  der  Hauslrau 
Nachtasatiru. 


240  Entstehung  der  Hieroglyphen. 

Es  geht  hieraus  hervor,  dass  die  Denkmäler  Ägyptens  nns  über  die 
Entstehung  der  Hieroglyphen  vollständig  im  Dunkeln  lassen,  und  diess  ist  auch 
natürlich.  Bevor  man  daran  denken  konnte,  Bauwerke  wie  die  Pyramiden 
herzustellen,  von  denen  Lenormant  bemerkt  «mit  all  unseren  Fortschritten  in 
der  Wissenschaft  würde  es  selbst  heutzutage  ein  schwer  zu  lösendes  Problem 
sein,  wie  die  Architekten  der  Ägypter  aus  der  vierten  Dynastie  in  solchen 
Steinmassen,  wie  sie  die  Pyramiden  sind,  Gemächer  anzubringen,  die  trots 
der  Millionen  von  Kilogrammen,  die  auf  ihnen  lasten,  noch  nach  sechzig 
Jahrhunderten  ihre  frühere  Regelmässigkeit  zeigen  und  noch  an  keiner  Stelle 
aus  ihren  Fugen  gewichen  sind*,®'  mussten  die  Wissenschaften  einen  hohen 
Grad  erreicht  haben,  musste  die  Schreibkunst  vollständig  ausgebildet  und  Ton 
dem  Ziffernsysteme  getrennt  sein. 

Daher  finden  wir  auch  bei  den  Ägyptern ,  wenigstens  in  der  Hiero- 
glyphenschrift,  ein  eigenes  Zahlensystem,  indem  die  Zahlen  von  1 — 9  durch 
Striche  dargestellt  werden:  |  1,  ||  «,  |||  3,  ||||  4,  |||  ||  5,  |||  |||  |||  oder  "j,|"  9, 
in  gleicher  Weise  werden  die  Zehner  durch  Vervielfältigung  des  Zeichens  fl  10 
bezeichnet,  also  DQ  40,  nOn  90;  ebenso  die  Hunderter  durch  Vervielfaltigimg 
von  @  100,  die  Tausender  durch  Vervielfältigung  von  T,  die  Zehntausender 
durch  y  die  Hunderttausender  durch  ^,  die  Million  durch  ^^;  Z3  bezeichnet 
„ Hälfte«  oder  .Theilen". 

Aber  gerade  hier  föllt  uns  auf,  dass  die  Potenzen  11,0  10,  ®  100  den 
Lautwerthen  I  a,  »  t^  @  =  III  u  entsprechen,  und  diess  veranlasst  uns  anzu- 
nehmen, dass  wir  hier  denselben  Entwicklungsprocess  der  Laute  und  Zeichen 
aus  der  Zahl  vor  uns  haben,  den  wir  schon  bei  den  nordischen  Runen  beob- 
achteten.  Mögen  unsere  Vermuthungen  noch  so  vag,  unsere  Nachweisungen 
noch  so  problematisch  sein,  bei  dem  gänzlichen  Mangel  aller  historischen 
Anhaltspunkte  dürften  sie  doch  berechtigt  sein,  da  besser  Unterrichtete  viel« 
leicht  daran  Anlass  nehmen  könnten,  die  Spuren  weiter  zu  verfolgen. 

Schon  die  Zahlwörter  fuhren  uns  einen  Schritt  weiter,  die  Zahl  1  heisst 
uö  und  wird  erklärt  durch  den  Pfeil,  die  Zwei  heisst  sni  (hebiiusch  »JW  Sne} 
und  wird  erklärt  durch  die  Pflanze  I ,  die  Drei  heisst  /mt,  dessen  Erklärungs- 
zeichen der  Phallus  zu  sein  scheint,  und  merkwürdigerweise  bedeutet  derselbe 
die  Zahl  10;  demnach  lehnen  sich  siiXa,  ^  i,  111  ii  die  Consonanten  w,  s,  jr 
an,  und  wenn  a  =  tt  d.  i.  1=3  ist,  so  haben  wir  hier  dieselbe  uralte  Idee 
der  Dreieinigkeit,  wie  die  Rune  Y/e  ursprünglich  I  is  war. 


Entstehung  der  Hieroglyphen.  241 

Dem  entspricht  genau  die  Verwandlung  des  |  a  in  1  a^  hieratisch  K 
welche  letztere  Form  mit  der  Einheit  die  Vielheit  vereinigt  und  sich  an  das 
hebräische  4^  anlehnt,  wahrscheinlich  sollte  die  Durchkreuzung  «das  Schnei- 
dende* (das  scharfe  Schilf)  andeuten;  I  ist  das  aus  dem  Wasser  aufsteigende 
Schilfblatt,  dann  überhaupt  die  Pflanze,  dann  vom  Begriffe  der  Schärfe  das 
Messer,  das  Eisen,  femer  das  Obere,  Hochstrebende,  in  welcher  Hinsicht  es 
mit  Ik  a  (dem  zum  Himmel  aufsteigenden  Horus)  identisch  ist,  der  übrigens 
in  den  gemalten  Hieroglyphen  auch  als  Taube  und  als  Papagei  vorkommt, 
also  ursprünglich  nicht  blos  Adler,  sondern  überhaupt  Vogel  war;  an  das 
hochstrebende  Blatt  lehnt  sich  der  vorwärts  ausgestreckte  Arm  -»—Ja  an,  hiera- 
tisch ^-^und  v^,  also  analog  );  an  den  Arm  schliesst  sich  die  Welle  ^•«^  an, 
hieratische  n,  als  Begriff  des  Niedrigen,  der  Ebene,  des  Gieichmässigen,  und 
in  seiner  Pluralität  n-^,  hieratisch  3,»  ftls  Wasser;  mit  dem  Lautwerthe  mu, 
den  übrigens  auch  <**'**^  hat,  ist  es  analog  |  1  mit  dem  Lautwerthe  ua,  da  m  nur 
das  lautverschobene  u  ist;  der  Lautwerth  mu  des  Wassers  lehnt  sich  an 
OL  m  die  Eule  an,  welche  als  Vogel  mit  dem  Horus  verwandt  ist,  und  wir 

haben  somit 

hierogiyphisch  |  =  1  s=  .:^i-J  =s  ^L  =  ^»»m,  =  II 

hieratisch         |  =  |=.^-r  =  2^=    —   =\ 

a      a  a  a  =     n    =:m 

Die  Eule  als  vJLlma,  hieratisch^,  genommen,  entsprechen  die  Figuren 

I2L  ^  genau  den  demotischen  Ziffern  1  1 .  i—  2,  i.  3,  während  die 
hieratischen  f  1  <l  2  ^  den  Hieroglyphen  \  a  "^  i  t"^  mu  entsprechen.  Den 
Begriff  des  Wassers  haben  noch  folgende  Zeichen:  11  s  als  Wasserstrahl  oder 
Schwanz  oder  keimende  Pflanze,  aber  auch  als  verdorrende;  femer  8  h  als 
Schneeflocke  und  Weiberzopf,  femer  ^  nu,  welches  als  j|  j|  j|  Ocean  bedeutet. 
Diese  Formen  fQhren  in  ihren  Varianten  sowohl  zur  Zweiheit  wie  zur  Dreiheil 
und  Vielzahl. 

•  t  das  Getheilte,  Zweifache  lehnt  sich  an  -«^  s  an,  offenbar  die  weib- 
hche  Form  von  Mf  8  ^  aIs  das  Gewundene,  hieratisch  |,  ist  auch  der  Blitz, 
dessen  Symbol  ^*^  i  die  Schlange  ist,  sanunt  ihrer  Nebenform  «^«^^  /, 
ursprünglich  wahrscheinlich  dio  Schnecke,  aber  als  nacktes  Thier  mit  dem 
begriffe  der  Schlange  verwandt;  die  Schlange  in  der  Form  '^A^-  hat  den  Laut- 
werth von  r,  dieser  führt  wieder  auf  das  Loch  ^^  r,  welches  lautverwandt 
mit  3(fi  l,  risij  das  wahrscheinlich  ursprünglich  nur  das  hebräische  ys^  raha^ 

FaalmAiui,  0«t€luebt«  d.  Schrift.  t  (j 


242  EiilsiehuDg  der  Hieroglyphen. 

bedeutete,  nämlich  «das  ausgestreckte  Liegen  vierfüssiger  Thiere*,  wodurch 
sich  der  Hund  des  Anubis  an  die  Sphinx,  welche  im  Ägyptischen  nb  heisst, 
anlehnt;  die  hieratische  Form  des  Lgwen  /  ist  ähnlich  der  hieratischen 
Form  des  Adlers  cL,  an  welche  sich  die  Vögel  '^^j  hieratisch  ^  6,  ^^, 
hieratisch  £^Pf  ^C  i  hieratisch  ^  i,  endlich  der  Fuss  J,  hieratisch  |^S>  an- 
lehnen. Andererseits  ist  das  hieratische  Zeichen  des  Loches  oder  Mundes  ^ 
ähnlich  der  Hand  "^^,  hieratisch  «air  t,  dem  Zaun  s=3,  hieratisch  4d=;  i  und 
dem  Haufen  «»,  hieratisch  ^.  Somit  sind: 

hieroglyphisch  *  =  -«^  =  Jk^-ss*^^  =  ^^  =  3A=^  ^^1^  =  J^  = 
hieratisch         «l  =  -*.  =  ,^  =  p'=^   =2^   =^^^^ 

i         8  f  d  r  rl  h  p     - 

S         b  t  t  t 

Die  dritte  Potenz  <3,  hieratisch  J,  lehnt  sich  an  die  Schlange,  femer  in 
der  Variante  m,  hieratisch  ^,  an  die  Vögel  an,  wie  w  an  6  und/,  der  Wind 
(?)  ist  aber  auch  |,  hieratisch  |,  wie  die  Hieroglyphe  des  W^inters  oo^ 
beweist,  der  Lautwerth  h  führt  auf  FD,  welches  nur  eine  viereckige  Form  von 
(9  u  zu  sein  scheint,  hieran  schliesst  sich  |,  hieratisch  JU  p,  femer  23  hiera- 
tisch E^  k,  titft  hieratisch  £|^  ^  (A  hieratisch  k  scheint  eine  Singularform 
dieser  Pluralzeichen  zu  sein),  endlich  der  Teich  osa,  hieratisch  si  ä,  der 
Neumond #, hieratische  Z,  ^b^,  hieratisch  ^^-^  k  (der  rauschende  Kessel  der 
nordischen  Sage),  und  der  Eckstein  J,  hieratisch  H  ^*- 

Wir  denken  uns  daher  die  Entstehung  der  ägyptischen  Lautzeichen  in 
der  folgenden  Weise: 

\\i  \a 


-  P  1  !  IM  •  In 

t       S       8  s  S  a  S       p  h        k 

r       t       t  f  8  a  n        u  h        k 

r     p       b  h  S  a  m       V  z       h 


Entslehnng  der  Hieroglyphen.  243 


hieratisch: 

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r        t        t        f       8       a       n        u       h        k 

r      p        b        h       d       a       m       u       /       k 

Es  ist  das  dieselbe  Lautbiegung  und  Zeichen modification,  welche  wir 
bei  den  Runen  kennen  gelernt  haben,  und  welche  in  ihrer  weitern  Fort- 
fübning  noch  andere  Varietäten  bildete,  so  führte  der  Arm  -^^^-J  a  zu  V^  a, 
das  gewundene  <3  u  zu  ^  ti^  die  Eule  als  Dunkelheit  zur  Höhle  ^=:  m,  als 
Glanz  der  Dunkelheit  zur  glänzenden  Sichel  «^^,  der  Zopf  8  zu  T  ^^  welches 
sich  auch  an  #  /  anlehnt  u.  s.  w. 

Eine  andere  Weiterbildung  erzeugte  die  Verbindung  dieser  Zeichen 
:snalo;:  der  Verbindung  der  Laute  zu  Wörtern,  z.  B.  J-i  ha  X  Ar  3|^  am 
^»JLi  ifM,  welche  aber  weniger  vorkommen,  meist  werden  die  Zeichen  neben- 
einantltr  oder  untereinander  gesetzt,  z.  B.  JJJ^  ^«,  r^^  '^^  "•  ^-  ^'*  ^^*  ^^^ 
j:i  o^sen  Anzahl  gleichlautender,  aber  sinnverschiedener  Wörter,  welche  in  der 
Rede  durch  die  Geste  unterschieden  wurden,  mussten  den  Wörtern  Erklärungs- 
zeichen beigegeben  werden,  von  denen  in  der  Folge  viele  auch  ohne  Laut« 
zeichen  die  Worte  vertraten  und  dadurch  zu  Silben-  oder  Wortzeichen  wurden; 
so  ist  z.  B.  I J  o^  als  Erhebung  des  Fusscs  erklärt  durch  ^  ab  «Tanz*' 
^fm  ab  «Durst*  (hebräisch  3iM  ob  ,bei  Nacht  kommen,  um  Wasser  zu 
schöpfen*),  «^0^06  «der  Mond *(l  Glanz  der  J  Dunkelheit)  und  diese  Silben- 
zeirhen  hätten  die  lautliche  Schreibung  ganz  entbehrlich  gemacht,  wenn  sie 
nicht  wiederum  vieldeutig  und  dem  entsprechend  polyphon  gewesen  wären; 
so  ist  ^^  als  hr  das  Haar,  als  anem  (das  Bedeckende)  Haut,  Fell ;  |f  als  w 
.«die  Messschnur*,  als  k8  (das  Weisse)  Alabaster;  k8  ^  andererseits  war 
der  Knochen  und  wurde  durch  den  Mciscl  d  (hebräisch  nn  gaza  «behauen*) 
dargestellt,  der  als  ab  «Hom,  Nagel,  Elfenbein  (etwas  Hartes,  Gespaltenes 
oder  Spaltendes,  hebräisch  *0P  ophi  «Zweig*),  als  bt  «Griffel*  (hebräisch  Mia 
hatia  «bilden*),  als  kn  «Zeit*  (die  Eintheilung)  bedeutet.  Je  mehr  neue  Wörter 
der  Spra<:he   zuwuchsen,   desto  unzuverlässiger  wurden  die  Silbenzeichen, 

16* 


S44  Die  hieratische  Schrift. 

desto  mehr  ging  man  zur  Schreibwig  der  Lautzeichen  zurück,  wenn  man 
deshalb  die  Silbenzeichen  auch  nicht  aufgab,  und  so  ist  die  Bfischung  von 
Lautzeichen,  Silbenzeichen  und  Determinativen  zu  erklären,  welche  den  Reich- 
thum  der  ägyptischen  Hieroglyphen  ausmacht.  Neben  dieser  natürlichen 
Entwicklung  der  ägyptischen  Orthographie  schuf  in  jüngeren  Zeiten  die 
Schreibkünstelei  ein  mystisches  System,  welches  durch  Doppelsinn  der 
Zeichen  zu  imponiren  suchte. 

S.  Die  hieratische  Schrift 

Während  die  Hieroglyphen  zur  Beschreibung  der  Tempelwände  und 
Monumente  dienten  und  ausserdem  noch  zu  Stücken  des  Todtenbuches 
verwendet  wurden,  welche  man  den  Gestorbenen  als  Reisepass  und  als  Vor- 
schrift über  ihr  Benehmen  in  der  Unterwelt  mit  in's  Grab  gab,  bedienten  sich 
die  Priester  zu  ihren  profanen  Aufzeichnungen  der  hieratischen  Schrift,  welche 
wir  als  eine  cursive  Form  der  ältesten  Schriftzeichen  erklärt  haben,  denn 
wir. können  der  landläufigen  Anschauung,  wonach  die  hieratische  Schrift  eine 
Art  ägyptischer  Stenographie  gewesen  sei,  nicht  beistimmen,  da  die  weitläufige 
Lautbezeichnung  der  hieratischen  Schrift  jedem  stenographischen  Principe 
widerspricht;  jene  Kürze  des  Ausdrucks,  wie  sie  z.  B.  oben  in  der  Neapler 
Stele  gezeigt  wurde,  fmdet  man  nie  in  der  hieratischen  Schrift,  vielmehr  tritt 
hier  die  Lautbezeichnung  in  breiter  Weise  zu  Tage,  man  könnte  daher  eher 
annehmen,  dass  die  hieratische  Schrift,  wenigstens  in  alter  Zeit,  eine  Geheim- 
schrift der  Priester  gewesen  sei,  wogegen  die  Hieroglyphen  öffentlich  dem 
Volke  erklärt  wurden,  und  gerade  der  letztere  Umstand  dürfte  dazu  beigetragen 
haben,  die  Bildförmigkeit  der  Hieroglyphen  zu  befördern.  Die  hieratische 
Schrift  verhält  sich  zu  den  Hieroglyphen  wie  eine  flüchtige  Handschrift  zu 
unserer  Druckschrift,  und  so  wenig  Jemand,  der  nur  die  Druckschrift  lesen 
kann,  eine  flüchtige  Schreibschrift  zu  entziffern  vermöchte,  so  wenig  konnte 
ein  Ägypter,  der  nur  die  Hieroglyphen  kannte,  die  hieratische  Schrift  lesen. 
Wir  geben  zur  Veranschaulichung  dessen  als  Probe  einen  der  ältesten 
hieratischen  Texte  mit  der  Umschrift  in  Hieroglyphen  und  Erklärung  von 
Brugsch.  ®' 

Die  ersten  nur  in  Umrissen  gezeichneten  Figuren  sind  im  Texte  roth, 
denn  es  ist  eine  uralte  Sitte,  Anfange  von  Büchern  oder  Urkunden  hervor- 
zuheben: 


Hieratische  Schriftprobe.  245 

Die  Übersetzung*  lautet: 

^1^  '^  ^  ^"^  5      *^®    *    iK*^  tK* 

/ejferu      su      un     an     ta  en  kern  na  aat-ti 

Es  ereignete  sich  war  dass  das  Land  von  Ägypten  gehörend  den  Aufruhrern 

au   neu     un     neb        aujf       u^a      sneb         steten     heru  /ejttru 

und  nicht  war  Herr  mit  Leben  Heil  und  Kraft  König  der  Tag  des  Ereignisses 

aatu  er  em    ar      suien      Raskenen     an/       nria       sneb         su 

siehe  es  war  dass  im  sein  '  König  Raskenen  mit  Leben  Heil  und  Kraft  dieser 

Ik©    f    AI»    -  S    iv     WT-T 

em     hek         an/       uSa       sneb         en       nen         res  aatu 

als  Fürst  mit  Leben  Heil  und  Kraft  des  Landes  südlich  die  Aufständischen 

I    fj  «1    ik  i.  < viiOHflD  * 

na  ie/a  m  em         au        aau  apepi  an/ 

waren  in  der  Burg  der  Sonne  während  war  der  grosse  '  Apepi     mit  Leben 


uSa     sneb      em  ha-wxr  au  Z^'^  ^^      P      '^ 

Heil  und  Kraft  in  Ha-uar  und  es       zeigte  sich      ihm    das  Land 

*  Die  hieratische  Schrift  läuft  von  rechts  nach  links,  die  vorstehenden  Hiero- 
^yphen  analog  unserer  Schrill  von  links  nach  rechts. 


246  Übersetzung  der  hieratischen  Schriftprobe. 


ier-er'f    yjr       hfk^u      sen     meha  em/a/a  /ar  j^er 

ganze  haltend  Dienste  |  ihre   vollen  in  gleicher  Weise  bietend  Erzeugnisse 

n^  nefer-'U    na     Uhtneri'/eb        un      an      suten  apepi  anjf 

alle   guten  von  Unterägypten.   Es  war  dass  König        Apepi         mit  Leber» 

uSa     stieb      her        Sei         naf        sttie/       em     tteb     (auf     fem      hek 
Heil  und  Kraft '  im  Er\vählen  sich       Sute;^      als  Herrn  er  war  nicht    Diener 

en  neter    nd>    enti      ein    p      ta        er-ter^f  kot  ha  em 

Gottes  jedes  welcher  in  dem  Lande     ganz     |       bauend     den  Tempel    von 

heku  nefer  heh-ru 

Werk  schönem  langdauemdem. 

Diese  Erzählung  bezieht  sich  auf  den  Einfall  des  Hyksos.  .Es  geschah, 
dass  das  Land  Ägypten  in  die  Hände  der  Aufständischen  fiel  und  Niemand 
war  König  («mit  Leben  Heil  und  Kraft*  war  der  königliche  Titel)  zur  Zeit, 
als  sich  diess  ereignete.  Und  siehe,  es  war  der  König  Raskenen  nur  Regen! 
von  Oberägypten.  Die  Aufständischen  waren  in  Heliopolis  und  ihr  Anführer 
war  Apepi  in  der  Stadt  Ha-uar  (Beinstadt).  Das  ganze  Land  erschien  vor  Qun 
spendend,  indem  es  volle  Dienste  leistete  und  ihm  alle  guten  Erzeugnisse 
Unterägyptens  lieferte.  Und  der  König  Apepi  erwählte  sich  den  Gott  Sute;^ 
(den  heiligen  Esel  der  Perser,  den  Typhon  der  Ägypter)  zum  Herrn  und  er 
diente  keinem  andern  Gotte,  welcher  in  Ägypten  war.  * 

3.  Die  demotische  Schrift. 

Aus  der  hieratischen  Schrift  entwickelte  sich  allmählich  die  demotische 
(Volksschrifl)  oder  epistolographische  (Briefschrifl),  welche  zuerst  im  8.  Jahr- 
hundert vor  Christo  als  eigener  Ductus  auftrat,  hi  dieser  Schrift  tritt  der 
Lautcharakter  noch  mehr  in  den  Vordergrund,  nur  wenige  Silben-  und  Wort 
zeichen  erhielten  sich,  mehr  der  Gewohnheit  als  des  Bedürfnisses  halber,  doch 


Entwicklung  der  ägyptischen  Schnftieichen. 


147 


wurden  die  Erkläningszeichen  oft  angewendet  Wir  geben  auf  der  folgt'nde» 
Tabelle  eine  Zusammenstellung  der  Hieroglyphen  und  derihnen  entsprechenden 
hieratischen  imd  demotischen  Schriftzeichen  und  bemerken  nur  noch,  dass 
die  ägyptischen  jQnglinge  nach  Erlernung  der  demotischen  Schrift  auch  die 
hieratische  und  die  Hieroglyphen  lernen  mussten,  da  der  Gebrauch  der  ein- 
xelnen  Lautzeichen  (5  a,  ii,  ^  t,  l  k  u.  s.  w.)  von  dem  Gebrauch  in  der 
alten  Schrift  abhing. 

Entwicklung  der  ägyptischen  Schriftzeichen. 


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248 


EntwicUung  der  ägyptischen  Schriftzeichen. 


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Entwicklung  der  ägyptischen  Scbnflzeichtrn. 


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Kopf 

Haar 

Auge 

Ohr 

Nase 

Zahn 

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schwache 

Handlung 
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Vordertheil 
Hintertheil 


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Schlange 

Käfer 

Himmel 

Nacht 

Glanz 

Sonne 

Mond 

Monat 

Stern 

Stadt 

Land 

Frucht 

Weg 

Stein 

Unterwelt 


250 


Entwicklung  der  ägyptischen  Schriflzeichen. 


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Bedeutung 

Hiero- 
glyphen 

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Denkmal 

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Krug 

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Fest 

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Schliesslich  lassen  wir  noch  die  zwei  ersten  Zeilen  des  Textes  der 
demotischen  Inschrift  von  Rosette,  von  welchem  der  Anfang  auf  unserem 
Titel  steht,  in  einem  ziemlich  getreuen  Facsimile,  welches  trotz  der  Grösse 
der  Zeichen  die  Schwierigkeit  der  Entzifl'erung  verstehen  lässt,  folgen.^ 

Der  Text,  welcher  wie  in  der  hieratischen  Schrift  von  rechts  nach  links 
geschrieben  wird,  lautet: 


Dcmoüsche  S<:hrl::i.r.b<L  251 


yj  oijip  xi/ojOim:HLY^}f^J\[*l}  t'^'^i^  <^3]i 


U^fift*l/tiifi|'b^-iu/>»i/>^(l)C?[uii|DD||Xzuir^ 


Transscription  und  Cb^fr^etzun-^. 

LZ«il«.  frenpi       9     h   Iwinkitm    nt       im//  k^rni  itu^r  hu       4 

,Ioi  Jahre  9  im  Xsaiik/Jis  im  Monat  4/yptli^:h      Melir,   am  Tage  4 
sutfn      p      mr        ati       .nt,a       pie      fuit       aut        9*iw:       ne      ari 
der  König,  das  Kind,  welcb<^sKöL:<;  anstatt  seines  Vaters  der  H^rr  derDiademe 

aweftä  at  atnant         k'i»ft€  a  re       nattr     v 

der   Ruhmreiche,   welcher  be^Tür.«iet  Äg}pU:D,   w:\t.LeT  gethan  Gute«  ihm, 

an         iaU      her      at         ft^^r  pt  ent  her    pat       S*Si 

welcher  fromm  war  gegen  die  GOtter,  w*-,/h<rr  ^ry^mv  jud^-n  hat  i»*:.ne  FVinde, 
at        er       noctr      pe        n»*/       m       r^m^u      pe    niue  neenr^npiniftncn 
welcher  gah  das  gute  (da»)  Let^n  d«rn  M^r.ä^heri  der  Herr  der  Jahre^feste. 

^^  Z*  y^^  suten  emt  j(i  pe  ra 
gleich  dem  Ptah,  der  Köi.ig  gleich  d^m  Ra. 
t.  Z«iU.     [lauten        fit      teiu    ertt  pnj        ne     f^ht       ent  yri  pe  n 

Der  König  der  Rej;ion  oberen  und  d*-r  Hei^ion  unteren  d^r  Na^ii komme 
ne    fUtUr     ht  mer  ant-H         rn  niip     pOih         nt  (a         nur     p^  tr.  p^ 

der  GOtter  vaterliebenden  we,-  hen  erior'-n  Ptah,  we.'.hem  ^^'^*-\i*:ii  f'a  iWw 


252  Koptisch. 

ira  p€   tutu     an/        amon        pe      ii    pe      re       pfütemaiis       an/ 
Sieg  das  Bild  lebende  des  Amon  der  Sohn  der  Sonne  Ptolemaios  der  lebende 

Seta      ptah  mer      pe    neter  her   en  atan  tev  dimnu 

ewige  von  Ptah  geliebte^  der  Gott  der  sich  offenbart  hat  durch  Aiisgiessung 

pttäemaiis  au  arsinoe      at         neter         ne       meri  aut-u 
seiner  Wohlthaten  Ptolemaios  und  Arsinoe  welche  der  Götter  der  vaterliebenden 
sa      au  alehsandras    au        neter     ne  ma/er  au  ne     neter   ne  sont   au 
Tochter  und  Aleksandros  und  der  Götter  Retter   und  der  Götter  Bruder  und 

ne      neter      ne  täte         u       ne  neter        ne        mer  aut-u       au      sufpn 
der  Götter  Wohlthäter  und  der  Göttin  der  vaterlicbenden  und  der  König: 
ptulemaiis  her        en  atan  tev  Simnu, 

Ptolemaios  der  sich  offenbart  hat  durch  seine  Wohlthaten. 

4.  Die  koptische  Schrift. 

Nachdem  schon  unter  Psammetich  (oder  Psamtik)  im  7.  Jahrhundert 
vor  unserer  Zeitrechnung  Ägypten  dem  fremden  Handel,  namentlich  mit 
Griechenland,  eröffnet  war,  und  griechische  Sitte  und  Sprache  in  Ägypten 
Eingang  gefunden  hatten,  wurde  unter  den  Ptolemäem,  welche  in  den  letzten 
drei  Jahrhunderten  vor  Christo  in  Ägypten  regierten,  trotz  aller  Schonung 
der  altagyptischen  Religion  die  griechische  Sprache  Hofsprache  und  Alexan- 
drien  ein  Hauptsitz  griechischer  Wissenschaft.  Aus  dieser  Zeit  sind  uns 
Schriftstücke  erhalten,  welche  doppelsprachig  griechische  Schrift  neben 
demotischer  enthalten.  Auch  die  ersten  römischen  hnperatoren  schützten 
die  ägyptische  Religion,  und  ihre  Namen  findet  man  in  hieroglyphischen 
Weihinschriflen.  Nachdem  jedoch  Gonstantin  die  christliche  Religion  zur 
herrschenden  erhoben  hatte  und  die  oströmischen  Kaiser  Ägypten  beherrsch- 
ten, vernichtete  diese  Religion  ihre  Vorgängerin  und  griechische  Schrift  und 
Sprache  herrschten  ausschliessend  in  Ägypten.  Im  3.  Jahrhundert  wurden 
Bibelübersetzungen  in  ägyptischer  Sprache,  die  nun  die  koptische  hiess,  ange- 
fertigt, wobei  man  das  griechische  Alphabet  um  sechs  Lautzeichen,  welche 
aus  der  ägyptischen  Schrift  genommen  wurden,  vermehrte.  Es  sind  diess 
^ä  (demotisch  ^,  hieroglyphisch  tftrt)f  ^/(entsprechend  dem  demotischen 
/,  hieroglypbischen  ^f^^^),  9.Ä  (entsprechend  dem  demotischen  o.,  hiero- 
glyphischen ^gy^  Haar  oder  9  Zopf),  ä  /  (entsprechend  dem  demotischen  -b, 
hieroglyphischen  f  /,  welches  als  Zeichen  für  1000  sich  im  griechischen 


Koiitiflch.  2o3 

yuux  1000  erhalten  ha!),  ac  di  (wahrsnheinhch  rom  demotischen  ^^  hiero- 
glyphisch ^  oder  £=]{  der  Knoten),  «-  tf  (entsprechend  dem  demotischen 
&,  hieroglyphiächen  #  jr,  oder  ^-*,  hierogljphisch  '^^^X  und  ^  A*,  welches 
wohl  den  Laut  des  lateinischen  ti  z.  B.  in  mUio  hat  (entsprechend  dem  demo- 
tischen -^,  hieroglyphischen  ^^2*)*  ^i^^u  lassen  sich  die  Urtypen  nicht 
feststellen,  da  die  ägyptische  Aussprache  sich  wesentlich  geändert  hatte,   so 

entspricht  das  Hieroglyphenbild  T  m*  mit  dem  alten  Lautwerthe  /m  dem 

koptischen  qinoti  Seui  (Altar),  jl  hak  dem  koptischen  ftnae.  bedi  (Sperber), 

^1  |m  oder  ^^|  krh  dem  koptischen  ^tv^  Uorh  (Nacht),  |^  kk  dem 

koptischen  ^ir  (Liqueur  als  Heilmittel),  1  ^A^jT  stm  t  hip,  dem  koptischer. 
ncoTTn^okTcl»  p-M/ti  ti  atph  (königliches  Opfer  oder  Huldigung),  ^^  sju 
dem  koptischen  cnoTor  spotu  (Lippen),  "^  $i  dem  koptischen  ^\  odei 
c««i  sti  oder  stoi  (Geruch),  y'^T  o'i/^  demotisch  &1,  koptisch  cT6>ne  n<oit^ 
(leben);  so  viel  ist  klar,  dass  manche  <:-Laute  in  d£  und  ti  erweicht  wurden, 
während  andere  den  A*-Laut  beibehielten,  ebenso  dass  /  theHs  /  blieb,  theils 
in  i  und  d£  überging.  Die  griechische  Schrift,  welche  der  koptischen  Sprache 
angepasst  wurde,  ist  eine  Uncialform.  Die  Trennung  der  koptischen  Christen 
Ton  der  griechischen  Kirche,  welche  im  6.  Jahrhundert  erfolgte,  erhielt  den 
eigenartigen  Charakter  dieser  Schrift  bis  auf  die  jetzige  Zeit,  kurz  nach  der 
Trennung,  im  7.  Jahrhundert,  wurde  Ägypten  Ton  den  Arabern  erobert, 
deren  Sprache  und  Schrift  fortan  in  Ägypten  herrschte,  während  die  koptische 
Sprache  und  Schrift  sich  in  den  ReligionsbQchem  der  christlich  gebliebenen 
Kopten  forterbte. 

Wir  geben  hier  als  Probe  die  koptische  Version  des  Vaterunser: 
flcniioT  CTjScn  iii')»KOTi.  üt^pcqTOTfto  iiatc  ncnp^^n.  Il«^pcci  fiacc  tcrm^- 
peniot    et/en   nipheui.     Mareftubo   endie  pekran.    Maresi  endie  iekme^ 
TOTpo.  ÜCTt^na^a  ««^ftq^iiani  A^l»pH^  iftcn  r^^  hcm  ^latcn  nina^oi.  Ilcncttiii 
iuro,     Peithnak     marefSopi    emphreti  /m  tphe  fiem  lidzen  pikahi.  Penoik 
liTtpAC^  MHir^  ii«at  Ar!|>ooT.  Oto^^^  ncTtpon  n%,n  cBoX  A't>pH^  ^«n  HTcn^««» 
€9Utra8ti  meif  tum  emphau.     Uoh  /a  neieron  mn  ebol  emphreti  hon   etiten/o 
cAoA  intHCTtOTOn  iiT«^it  cpcoov^.  Oto^  AncptitTcn  ciftOTi  cnip^^CMOc    ^lAA«^ 
ebol     emieteuon     entan     erou.      Uoh     emperenten   ey(un     epiraüinoa,     AUa 
»ik^Mcn  t6oX^«^  nincTcpcoOT.  ^lmhii. 
armeti    ebolha      pipeUrou.     Aimn. 


254 


n.  DIE  SCHRIFTEN  DER  BERBER. 


1.  Die  numidische  Schrift. 

Den  Norden  Afrikas  bewohnt  seit  undenklichen  Zeiten  ein  Nomadenvolk, 
welches  die  Berber  oder  Tuaregs  genannt  wird,  das  sich  selbst  aber  Amazi7 
oder  Imuha7,Imu§a7,bBa2e7en,  Imazi7en  nennt,  und  dessen  Stämme  schon  in 
den  ägyptischen  Inschriften  aufgeführt  werden.  Ein  arabischer  Schriftsteller 
des  15.  Jahrhunderts,  der  von  Abkunft  selbst  ein  Berber  war  und  mit  grossem 
Fleissealle  mündlichen  und  schriftlichen  Genealogien*  dieses  Volkes  zusammen- 
gestellt hat,  berichtet,  dass  alle  Berberstämme  in  zwei  Gruppen  zerfallen,  in 
die  Beräni's  und  Al-Butar,  deren  gemeinschaftlicher  Stammvater  Ber  war.  ^ 
(Dieser  Ber  spielt  auch  in  der  nordeuropäischen  Mythe  als  Stammvater  der 
Gölter  und  Menschen  eine  Rolle,  bei  den  Ägyptern  war  ^J  br  der  Typihon 
und  Gott  der  HykSos,  als  heiliger  Esel  hat  er  sich  bei  den  Persem  selbst 
in  der  Zoroaslrischen  Lehre  erhalten  und  mit  Rücksicht  auf  den  Lautwechsel 
zwischen  r  und  /  dürfte  er  auch  identisch  mit  dem  Baal  der  Babylonier  sein.) 
Beide  Völker  unterscheiden  sich  wesentlich  von  einander:  die  Beräni^s  sind 
von  weisser  Hautfarbe,  mittlerer  Grösse  und  athletischen  Formen,  rüstig  und 
kräftig,  voll  Leben  und  gewöhnlich  schlank;  dagegen  sind  die  Al-Butar, 
welche  auch  Schelluchen  genannt  werden,  von  weniger  kräftigem  Körperbau, 
dunkler  Hautfarbe  und  einer  gewissen  natürlichen  Neigung  zur  Übung  von 
Künsten  und  Handwerken.  Diese  Verschiedenheit  der  nahe  bei  einander  und 
selbst  zwischen  einander  wohnenden  Völker  war  schon  im  Alterlhum  bekannt, 
denn  die  Alten  berichten  von  den  dunkelfarbigen  Mauren,  Garamanten  und 
Älhiopen  Nordafrikas  und  von  den  am  Tritonsee  wohnenden  blondliaarigen 
Libyern,  Getulem  oder  Maziken;  wenn  nun  von  ,  schwarzen  Getulern*  und 
,  weissen  Äthiopen  *  gesprochen  wird,  so  deutet  diess  darauf  hin,  dass  eine 
strenge  geographische  Grenze  zwischen  den  Wohnorten  der  weissen  und  der 
dunkelfarbigen  Stämme  nicht  bestand;  doch  lässt  die  Erhaltung  dieser 
Stammeseigenthümlichkeiten  vermuthen,  dass,  sowie  noch  jetzt  die  Al-Butar 
sich  mit  den  Beräni's  nicht  verehelichen,  diess  auch  seit  Jahrtausenden  nicht 
geschah;  denn  dieselben  nordeuropäischen  Typen,  welche  Afrika-Reisende  zu 
ihrer  Verwunderung  im  Ma7reb  antrafen,  sehen  wir  auf  den  ägyptischen  Tempel- 
wänden abgebildet,  während  die  Schelluchen  wohl  von  demselben  Volks- 
stamme  wie  die  dunkelfarbigen  Ägypter  waren.  Auch  der  Islam  vermochte 


laschrifl  von  Tugga. 


S55 


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250  Nuinidisch. 

die  Berber  nur  äusserlich  zu  bekehi*en,  auch  ihm  gegenüber  bewahrten  sie 
eine  gewisse  geistige  Unabhängigkeit,  z.  B.  in  Bezug  auf  die  freiere  Stellung 
der  Frauen,  wie  insbesondere  durch  Erhaltung  ihrer  nationalen  Schrift, 
welche  zur  Aufzeichnung  von  Gesängen,  zu  hischriften  auf  Felsen  oder  in 
Höhlen,  zu  Devisen  auf  Schilden,  Waffen  und  Kleidern  verwendet  wird, 
wenn  sie  auch  keine  Literatur  und  keine  Bücher  bewahrt  haben.  Wie  bei  den 
alten  Europäern  wird  die  Schrift  der  Berber  besonders  von  den  Frauen 
gepflegt,  w^elche  sich  sogar  durch  willkürliche  Versetzung  der  Buchstaben 
eine  Geheimschrift  zu  schaffen  verstehen. 

Das  älteste  Denkmal  dieser  Schrift  ist  die  doppelsprachige  Inschrift, 
welche  zu  Tugga  im  ehemaligen  Numidien  gefunden  wurde,  sie  ist  sowohl  in 
numidischen,  wie  in  phönikischen  Charakteren  gegraben,  und  wir  geben  die- 
selbe S.  255  mit  Hal^vy's  Übersetzung.^  In  dieser  Inschrift  laufen  die  numi> 
dischen  Zeilen  von  rechts  nach  hnks,  wie  auch  jetzt  noch  von  den  Berbern 
geschrieben  wird,  meist  sind  jedoch  die  Inschriften  (durchwegs  Grabschriften) 
von  unten  nach  aufwärts  geschrieben  und  die  Zeichen  fangen  bald  rechts, 

bald  links  an,  z.  B. 

U 

X 

^     LU      ^      1,  .|.      ir      U    S   ^  Sohn  des  Ainvitam. 

i^S»  —      rO^Sß      Sohn  des  Iguka- 

^    ^    ^  rum. 


Beachtenswerth  ist  in  der  Tugga-Inschrift  die  Schrägstellung  der  geraden 
Striche  ||  / 1  t?,  wenn  mehrere  gerade  Striche  aufeinanderfolgen,  weil  dieser 
Gebrauch  noch  gegenwärtig  bei  den  Berbern  herrscht  und  beweist,  dass  die 
Schrift-Tradition  treu  bewahrt  wurde.  Umsomehr  muss  es  auffallen,  dass  die 
jetzige  Schrift  in  mehreren  Zeichen  von  der  alten  abweicht,  wie  wir  in  dem 
folgenden  Abschnitt  nachweisen  werden. 

2.  Die  Tamaseq-Schrift. 

TamaSeq  heisst  die  Sprache  der  ImuSar,  ihre  Zeichenordnong  Taßnay 
und  die  Schriftzeichen  Asekkil,  isekkilen  bedeutet  , Schrift*  ;  das  letzte  Wort 
erinnert  an  das  hebräische  vpv  Beqel  «Gewicht",  was  auf  den  Gebrauch  von 
Zahlzeichen  oder  Gewichtszeichen  (wie  die  Chinesen  ihre  Zahlzeichen  nennen) 


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TaitiaitK]. 


S57 


hiDzuweis«B  scheint.  Die  Zahl  der  Zeichen  und  der  Laute  ist  wie  in  der  alten 
Sciinft  2i,  also  den  24  Tagesstunden  entsprechend.  Naclidem  gegenüber  der 
treuen  Bewahrung  alter  Schriflgebiiluche  (wie  die  Schräglegung  gerader 
Zeichen)  an  eine  Gomimpinmg  der  Schrift  nicht  zu  denken  ist  und  dieser  auch 
die  genaue  OberetnstimmuDg  einiger  Zeichen  in  der  alten  und  neuen  Schrift 
gogenQbersteht,  wie  ||  I  3  "*  |  "  '"•'*'  O  O  "o  ist  nur  anzunehmen,  dass 
bei  ferschiedenen  StAmmen  Terschiedene  Zeichenformen  gebraucht  wurden. 
«He  denn  auch  die  bisher  TerÖfTentUchten  Alphabete  von  Hanoteau"  und  dem 
Englinder  Richardson*'  manche  Diflerenzen  zeigen.  Zeichennamen,  ihnlich 
den  hebrüschen  oder  runischen,  besitzen  die  Berber  uicht,  sie  sprechen  die 
Laute  mit  vorgeschlagenem  j/e  (das  deutsche  je)  aus,  nur  .  hat  den  Namen 
Ta7erit,  was  offenbar  a  *  i  bedeutet,  wie  denn  der  Punkt  für  aUe  Vokale 
■leben  kann,  obwohl  dieselben  gewöhnlich  nicht  geschrieben  werden. 

In  der  folgenden  (Segen Obers tellung  folgen  wir  Hanoteau's  Reihenfolge 
und  bemerken,  dass  bei  den  numidischen  Zeichen  der  Ausdruck  liegend  sich 
auf  die  von  rechts  nach  links  geschriebenen  Zeilen  bezieht,  während  steheud 
die  Zeichen  sind,  wenn  sie  von  unten  nach  aufwärts  geschrieben  werden. 


1  ä» 

Numidiscb  nach  Halevy 

Tamaäeq                          1 

'1^ 

Iii>v'fnd      1        sl-'hend 

nach  Hanoteau 

nach  Richardson 

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258 


Vergleichang  der  Zeichen. 


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u,  w 


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Numidisch  nach  Halevy 

TaniaSeq 

hegend               stehend 

nach  Hanoteau 

nach  Ricfaardson 

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Vollständig  übereinstimmen  .a-|-/i — i  «^O*"!!']]  ^  l"?  weoD 
0  ^  zu  ^  wurde,  so  erinnert  diess  an  die  Verwandtschaft  von  ^  beth  und 
iamaim  (Himmel),  welche  wir  im  hebräischen  Alphabet  kennen  gelernt  haben; 
0  als  Sonne  entspricht  dem  s  auch  im  hebräischen  vav  kmes  , Sonne*;  die 
Ver\Mindtschafl  zwischen^  §  und  ^  i  ist  auch  im  Griechischen  zu  beobachten; 
es  geht  hieraus  also  klar  hervor,  dass  der  Zeichenwechsel,  sofern  er  sich  auf 
das  phönikische  Alpliabet  oder  auf  die  vorstehenden  TafinaY's  bezieht,  nicht 
der  Corruption  der  Schriflzeichen  zuzuschreiben  ist^  sondern  dass  hier  eine 
ebensolche  Polyphonie  der  Zeichen  vorliegt  wie  in  den  altgriechischen 
Alphabeten.  Beachtenswerth  ist  auch,  dass  Richardson's  Tafinay,  welches 
ausser  dem  angeführten  Zeichen  noch  die  Verdopplungen  |.  yonyon  (nn)  und 
•  ;••  yokyok  (kk)  enthält,  28  Zeichen  (die  Zahl  der  Mondstationen)  enthält 
im  Gegensatz  zu  den  24  Zeichen  (der  Sonnenstunden)  des  Hanoteau. 

Gehen  wir  auf  die  Einzelheiten  ein,  so  bieten  |  und  .  als  a  den  Begriff 
der  Einheit;  0  als  h  und  s  ist  die  Sonne,  die  neuere  Form  0  scheint  der 
Mond  zu  sein,  doch  weisen  Ql  ägyptisch  ■  p  und  3  ägyptisch  ^  auf  den 
„Stein*  hin  (hebräisch  p«  eben)\  -j-  und  X  sind  das  hebräische  Thau^ 
ägyptisch  X  , Wohnort*;   n  c/ [^  s  ^  m   scheinen  alle  drei  die  Hälfte  zu 


Vergleichung  der  Zeichen.  259 

bedeuten :  hebräisch  ^"t  dal  dieThüre,  dasTheilende,  lateinisch  5em»,  griechisch 
hntti  ,halb*,  meson  ,die  Mitte*);  die  z-Formen  entsprechen  einander:  I  äU- 
Lcbiäisth  I  ^ö«*=Z»  4t^  entspricht  der  os-Rune  +,  ^  dem  ägyptischen 
-«-  >*««  8,  alle  ebenfalls  mit  dem  Begriffe  der  Theilung;  Q  r  ist  das  ägyp- 
tische ^^  r  das  Loch;  ^^  und  stehend  1  ist  das  hebräische  gitnel,  seine 
Nebenformen  1  r/\  entsprechen  dem  griechischen  Chimma,  sie  haben  den 
Begriff  des  Winkels,  desVereinigens,  aber  auch  desTheilens,  wie  die  nordische 
Gen,  welche  nicht  blos  ein  Speer,  sondern  auch  ein  Haken  war,  das  ägyptische 
f^^^  n  ein  Werkzeug  zum  Ritzen  und  Holzaushöhlen,  hebräisch  \n^  garzen, 
mit  versetzten  Buchstaben  onr^  gezarim  bedeutet  es  .  abgeschnittene  Stücke, 
Hälften*,  was  das  Zeichen  ^  erklären  dürfte.  ^  f  dürfte  das  hebräische  A^ 
pahg  ^theilen*,  nhüpaia  .absondern"  sein,  womit  [=j  undH  übereinstimmen. 
XI  scheint  dann  samaritanisch  ^  phe  ,Mund*,  pVD  paaaq  ,  Auseinander- 
sperren* (der  Lippen)  zu  sein,  womit  X  ^  als  2^^  gub  , schneiden,  spalten* 
zusammenhängt;  ^  gab  ist  der  Rücken,  ägyptisch  V  sa.  ||  ist  wie  :=:  :  u  das 
Doppelte,  ägyptisch  «*  i,  hebräisch  N^  lo  , nicht*  im  Sinne  von  ägyptis(bh  -"^^^ 
gleich  ÜZS  nn;\  n  ist  die  Einheit  wie  a,  wie  im  Ägyptischen  |  a  neben  «— i  a 
unü  1"^,  hieratisch  ^—7  n  vorkommt;  ^  i  scheint  das  ägyptische  2=3  t,  der 
Zaum,  SU  sein,  womit  übereinstimmt,  dass  die  Form  bei  Richardson  3  dem 
Zeichen  ^  4  ähnlich  ist,  ein  Zaun  scheint  auch  ^  ^  zu  sein,  dessen  ent- 
sprechendes  numidisches  Zeichen  5]  hich  an  ^  im  Sinne  von  Theilen  anlehnt; 
diese  Theilung  zeigt  auch  ^  oder  VV  ^^^  Scheide,  das  hebräische  <§f>t,  wie  \H; 
>-  t  scheint  der  Pfeil,  nordisch  f  tyr  und  X.  yr  zu  sein,  der  auch  die  Zunge 
im  Munde  ist  Bei  den  Kehllauten  herrscht  auffallend  die  Verdopplung  des 
Punktes  oder  Striches  vor,  und  wir  haben  hier  dieselbe  Potenz  von  .  a  . .  t,  t4 
...  ir,  welche  wir  schon  als  Grundlage  der  ägyptischen  Zeichen  kennen  gelernt 
haben.  Wir  haben  also  hier  eines  jener  Uralphabete  vor  uns,  welche  sich 
ähnlich  den  Runenzeichen  entwickelt  haben;  auch  zeigt  die  Vergleichung  der 
Tafina7'8  von  Hanoteau  oder  Richardson,  dass  auf  die  Biegung  der  Laute 
die  Vokale  einwirkten,  denn  wenn  Richardson  O  und  Q,  welche  bei  Hano- 
teau r  sind,  in  er  und  ir  unterscheidet,  so  hat  auch  Hanoteau  •••  yaq  neben 
ytK» 

>Vir  geben  schliesslich  als  Gegenstück  zur  numidischen  Inschrift  eine 
Probe  der  jetzigen  Sprache  und  haben  dabei  eines  jener  kleinen  Lieder  vor- 
gezogen,  welche  die  ureigenste  Poesie  des  Volkes  sind. 


160  Tama§eq. 

fifOTf:/\:\ 

t-nO:  :   mOHfOrn-: 

t':nCD©ti:  ;  I  j. 

t  ni:;n^OD|m© 

a    hauen   ennef       tefirt  iyet 
euch  will  ich  sagen  Wort  ein 

ku     d   ur  temus  bahu  urdiq  ei 

wenn  es  nicht  ist  Luge  ich  verantworte  es. 

ugehe^f      auen     t      as  aba  eddulet 

ich  bestätige  euch  (es),  dass  nicht  mehr  ist  die  Obrigkeit 
08  aba  aneipiri  *  depU  eddunet 

dass  nicht  mehr  ist  Freundschaft  des  Herzens  auf  der  Welt. 
Die  Nichtbezeichnung  der  Vokale,  die  Nichttrennung  der  Wörter,  wie 
wir  sie  auf  den  alten  Inschriften  finden,  machen  das  Lesen  dieser  Schrift 
sehr  schwer,  nur  eine  genaue  Kenntniss  der  Sprache  findet  beim  Überblick 
der  Zeile  die  Trennung  der  Wörter.  Der  Umstand,  dass  der  Punkt,  der  später 
die  Trennung  der  Wörter  bezeichnete,  in  alter  Zeit  ein  Vokal  war,  erinnert 
an  das  slavische  Jer,  das  in  altslavischen  Schriften  nach  einem  Consonanten 
nur  das  Ende  eines  Wortes  anzeigen  sollte.*^ 

m.  DIE  SCHRIFTEN  DER  ÄTfflOPEN. 

Unter  dem  Namen  Äthiopier  verstand  man  im  Alterthume  nicht  nur 
das  Volk  Abessiniens,  sondern  alle  dunkelfarbigen  Völker  im  Süden  Ägyptens, 
Arabiens  und  Babylons,  und  auch  wir  haben  mit  der  obigen  Überschrift  diese 
weitere  Ausdehnung  im  Auge,  denn  die  Schrift  der  südarabischen  Völker,  der 
Himyaren,  ist  innig  verwandt  mit  der  Schrift  der  Abessinier,  welche  sich 
andererseits  nicht  durch  die  Zeichen,  wohl  aber  durch  die  Buchstabennamen 
an  die  phönikischhebräische  Schrift  anlehnt.  Die  Kingebonien  Abessiniens 
leiten  ihre  Königsgeschlechter  von  dem  Lande  Himyar  ab,  indem  ihr  erster 
König  Menilehek  ein  Sohn  der  Königin  von  Saba  und  Salomos  gewesen  sein 
soll,  ebenso  soll  Himyar  ein  Sohn  Sabas  gewesen  sein.  Das  Wort  Himyar 
bedeutet  ebenso  wie  Phönikien  «die  rothe  Farbe*,  eigentlich  «sonneo- 
verbrannt*,   dasselbe  wie  Kham,   der  Stammvater  der  ackerbautreibenden 


Die  Schrift  der  Äthiopen.  261 

Völker,  dessen  Nachkommen  nach  der  Stammtafel  der  Genesis  Äthiopien 
<Abes8inien),  Ägypten,  Arabien  und  Kanaan  bevölkerten  und  auch  nach 
Babylonien  übersiedelten.  Diese  Tradition  der  Genesis  setzt  demnach  das 
Alter  dieser  Völker  viel  höher  hinauf  als  die  localen  auf  Salomo  bezüglichen 
Sagen,  wobei  überdiess,  wie  bei  David,  Zweifel  entstehen,  ob  die  Verbmdung 
der  Königin  von  Saba  mit  Salomo  sich  auf  eine  jüngere  geschichtliche  Zeit 
bcziehL  In  der  That  sehen  wir  auch  schon  im  höchsten  Alterthume  die 
Ägypter  im  Kriege  sowohl  mit  den  Kuschiten  (Abessiniern)  wie  mit  den 
Arabern,  und  die  Folge  wird  lehren,  dass  die  äthiopischen  Schriften  keines- 
wegs von  der  phönikischen  Schrift  abstammen,  sondern  viel  älter,  daher  nicht 
Töchterformen,  sondern  Schwesterformen  der  phönikischen  Schrift  sind. 

1.  Abessinisch. 

Das  abessinische  Alphabet  hat  zwar,  wie  oben  erwähnt,  eine  zum  Theil 
völlige  Übereinstimmung  der  Zeichennamen  mit  dem  Hebräischen,  z.  B.  Älef, 
Bei,  Gamet,  Hoi,  Wau,  Haut,  Kaph,  Koph,  'Äin,  Tsadai,  Res,  aber  auch 
einige  Abweichungen  wie  Mai,  Nayas,  Dent  u.  s.  w. ;  was  dasselbe  jedoch 
von  dem  Hebräischen  gewallig  trennt,  ist  die  Reihenfolge  hlh'mirBqb 
tynakwdzydgtptsdz  zusammen  24  Zeichen  (gegenüber  den  hebräi- 
schen ü),  woran  sich  noch  zwei  Zeichen  schliessen,  welche  keinen  consonan- 
tischen,  sondern  vokalischen  Anlaut  haben:  ef,  eps, 

Stellen  wir  diese  Zeichen  nach  der  24-theiligen  Sonnenuhr  zusammen: 


lo  ergiebi  sieb  die  Eigenthümlichkeit,  dass  A  alef  die  Mittagszeit«  h  sat  aber, 
welches  «Stunde,  Zeittfaeil*  und  im  Arabischen  ^J^sawi  «das  Gleichgewicht 
swiscben  zwei  Sachen  herstellen*,  J^  Sud  «Aufgang  der  Sonne*  bedeutet, 
das  Zeichen  des  Ostens  ist,  welchem  unmittelbar  i  res  (raas  Haupt)  voran- 
geht, während  Ul  iatit  die  vierte  Morgenstunde,  ebenfalls  als  Sonnenaufgang 


262  Ursprang  und  Bedeutung; 

gedacht  werden  kann,  da  es  als  W  dem  srabisclien  ^  entspricht,  w&hread 
das  amharische  fi  ä  sich  aus  A  e  in  derselben  Weise  bildet,  wie  ^  I  sich  aus 
1^  s  im  Arabischen  gebildet  hat.  Das  sind  doch  wiederum  Beweise,  dass  die 
Zeichen  zunBcbal  Zahl-  und  Zeitzeichen  waren  wie  die  nordischen  Runen, 
und  dass  hier  nicht  von  einer  gedankenlosen  Entlehnung,  sondern  nur  von 
einer  geistig  selbständigen  Ausbildung  des  Zeitmasses  die  Rede  sein  kann. 

Wenn  wir  nun  darangehen,  die  Zeichen  zu  deuten,  so  dürfte  es  gerecht- 
fertigt sein,  sowohl  die  himyarischen  Zeichen  wie  die  arabische  Sprache 
heranzuziehen,  denn  Zeichen  und  Sprache  beider  Vfilker  sind  innig  vei-wandt, 
und  die  äthiopische  Sprache  liefert  so  wenig  wie  die  flbrigen  Sprachen  eine 
klare  Erklärung  der  Zeichen namen. 

•  Abcssinisch  U  hoi         himyarisch  V  f^ 

Abessinisch  in  hcha  bedeutet  .Laut,  alphabetisches  Zeichen,  Element, 
Anfang',  arabisch  y>  hawi  .liebend,  lüstern*  (die  ausgebreiteten  Arme), 
ägyptisch  y  Am,  TT  haa,  ka  .gross,  viel*,  wie  hebräisch  it»  rf^  .tausend*; 
arabisch  r\^  haica  .Lull,  Raum  zwischen  Himmel  und  Erde*  erinnert  an  die 
Rune  f  fe.  km  bezeichnendsten  sind  ägyptisch  "S^  ap  .Anfang,  Haupt*, 
y  aa»  .Stand,  Würde,  Ansehen,  Vater*,  hebräisch  a«  ab  .Vater',  welche 
genau  den  beiden  obigen  Zeichen  entsprechen. 

Abessinisch  A    ioud  oder  lern         himyarisch  1  L 

Abessinisch  AUMDIatmifabedeutet. verdreht,  verwachsen',  AW  lawQva 
,b9sen  Herzens,  grausam',  A.T^/i«mw  .Leviten*,  arabisch  Ji^  latoai  .ver- 
dreht, verwachsen',  »y  Uwa  .Biegung,  Schlangenwindung  * ;  damit  stimmt 
übe  rein  hebräisch  n^^uz  .biegen,  beugen*,  [nn^  liwi/alhan,  die  Wasserschlange 
nih  Uwya  .Kranz*  (das  Gewundene);  hieraus  erklärt  sich  '\  umsomehr,  als 
es  dem  hebräischen  ^  girnd  entspricht,  welches  wie  wir  oben  (Seite  163) 
gesehen  haben,  das  Zeichen  der  Leviten  war  (auch  in  griechischen  Alphabeten 
ist  A  theils  g,  theils  t);  ägyptisch  M  anbeten,  TR  A  .rufen,  nennen*  (ent- 
sprechend ebenfalls  der  Rune  f  fe)  und  M  ab  .Priester',  /^  r*  (=  kt) 
niessen;  diese  Worte  erklären  das  himyarische  Zeichen,  das  abessinische 
aber  scheint  die  verkehrte  Form  von  U  h,  und  zwar  die  oberägyptiscbe 
Krone  M  Af  zu  sein  (man  erinnere  sich  an  den  Knopf  des  Verdienstes  bei 
den  Chinesen),  das  Zeichen  des  rex  oder  Königs,  ägyptisch  v  '^  ^  1  antat 
(Sultan),  denn  ursprünglich  war  der  König  der  oberste  Priester,  der  von  den 
Göttern  abstammt,   daher  abessinisch  AT®  iauütca  ^  hebräisch  33^  Itbab 


der  ahessinischen  und  bimyarischen  Schriftzeicheri.  26S 

,Herz*  (als  Sitz  der  Liebe,  der  Traurigkeit,  der  Erbitterung),  ägyptisch  ♦ä^ 
«Herz*  mit  demselben  Lautwerthe  wie  die  Krone  und  sich  an  den  ersten 
Buchstaben  hai  anschliessend  wie  Leid  an  Freude,  das  Weib  an  den  Mann. 

Abessinisch  ih  Kaut,  himyarisch  ^  h\ 
Abessinisch  bedeutet  «KOK^  haut  «verdreht,  yerborgen*  (dasselbe  wie 
das  vorstehende  A0<D  lawawa),  ATffbOK  awShew  « Gross vater,  Grossmutter* 
(dasselbe  wie  das  bei  hai  erwähnte  ägyptische  aau) ;  arabisch  21^  ^uwaat 
ist  der  Name  einer  Pflanze  mit  weissen  Blüthen,  ägyptisch  ^JVJ  y^a  (zugleich 
Symbol  des  Nordens)  und  T  x^f  welches  sich  durch  seine  Bedeutung  als 
1000  an  das  bei  hai  erwähnte  alef  anlehnt;  das  himyarische  ^  h*  ist  daher 
soviel  wie  V  h,  wie  in  der  nordischen  Rune  ►  Tharr  zu  f  Tyr  wurde.  Das 
Vorbild  des  ahessinischen  äi  dürfte  aber  das  ägyptische  nS  msn  «bilden, 
gebären,  hervorbringen*  gewesen  sem,  welches  ursprünglich  die  Wurzel 
war  und  wovon  später  '^ti^^X  «gebären*  gebildet  wurde,  dessen  hieratische 
Form  ^K  sich  an  die  Blume  T,  hieratisch^  anlehnt.  Diese  weibliche  Form 
bietet  das  folgende  Zeichen,  übrigens  haben  die  Ägypter  auch  die  Hieroglyphe 
JL.  hieratisch  ^.  «sich  auf  den  Kopf  stellen*,  und  wir  erinnern  uns  hierbei 
an  den  Fasching  m  dem  entsprechenden  Monat  Februar,  der  sich  durch 
«waschen,  reinigen*  an  das  vorige' 2au?i  anlehnt. 

Abessinisch  a>  mai  himyarisch  ]]  ^  ifi* 
Abessinisch  ^K^  mai  bedeutet  wie  das  hebräische  '9  ma  «was,  wie*, 
hebräisch  P  mt  auch  «von,  aus*  (von  [a  mm),  was  auf  dem  Begriffe  der 
,  Vergleichung,  Gleichung*  beruht ;  arabisch  ^k«  mdi  ist « Inneres,  Eingeweide  * 
(^  mai  «ausgebreitet,  Zwietracht  stiften*,  und  «hundert*,  wie  hebräisch 
rwc  mea,  so  dass  hier  »hundert*  dem  vorigen  Zeichen  für  «tausend*  gegen- 
übersteht, wie  der  Mond  der  Sonne;  von  den  ägyptischen  Zeichen  entsprechen 
i^^  mn  «Thal*  und  #  hieratisch  o  Xf  ^'^Icbes  sich  in  O  hieratisch  G>  ra 
«Sonne*  und  O  hieratisch  o  pau  «Mond*  theilte;  war  d\  als  atoähew  «Gross- 
viter't  *0  ist  mai  die  Mutter,  die  Amme  und  C5  der  Busen,  ägyptisch 
H^*^"^  menai  «die  Brust  gebende,  die  Amme*,  lautverwandt  mit  iHi^  men 
«täglich*  MMp— ^  men  das  (weite)  Firmament. 

Abessinisch  W  iaut         himyarisch  ^^  s. 
Dieses  Zeichen  ist  offenbar  dasselbe  wie  das  vorige,   und  dieselbe 
Ähnlichkeit  fmdet  sich  im  Hebräischen  bei  dem  Schluss-ifem  d  m  und  dem 
iiamtx  0  'f  wie  im  Ägyptischen  bbs  oder  ■■■  h  und  isk  m,  beides  Wasser- 


8M  Ursprung  und  Bedeutunif 

becken.  Wie  cas  S  dasselbe  Zeichen  ist,  wie  |tT(|  i»  so  lehnt  sich  an  den 
abessinisehen  Zeichennamen  ÜKD»^  saut,  10%^  sawü  «die  GetreideShre*  an; 
es  ist  der  Monat  März,  der  Monat  der  Aekerbestellung,  Aeker  bedeutet  auch 
im  Deutschen  ein  wasserreiches  Land,  Koth,  und  hieran  schliesst  sich  das 
arabische  J^l  ist  ^die  IJinterbacken  *  an,  von  der  Wurzel  S^^sU  «die  Frau*, 
welches  Wort  an  unser  säen,  Saat  erinnert,  wie  das  Zeichen  an  die  Acker- 
furchen, in  welche  die  Saat  gelegt  wird. 

Abessinisch  {  res         himyarisch  >    ^  )  r. 
Hieran  schliesst  sich  arabisch  ^J^  rassa   «gegrabene  Grube,  Todte 

•  

l)egraben,  verbergen*,  jj  razz  «den  Schwanz  in  die  Erde  stecken,  um  Eier  zu 
legen*  (von  den  Heuschrecken  entnommen),  wonach  >  soviel  ist  wie  ^; 
}  wie  das  hebräische  *i  weisen  jedoch  auf  vni  rui  «Mangel  leiden*,  v^.  ri3 
«Armuth*  hin,  dann  wäre  res  das  junge  Reis,  die  keimende  Pflanze,  und  wie 
diess  in  Folge  eines  eigenthümlichen  Ideenganges  zu  VNn  roS  «Haupt* 
(eigentlich  der  Anfang)  wurde,  so  finden  wir  auch  im  Abessinisehen  IM  r'tts 
,. Haupt*  von  £^  res,  welches  nur  mehr  als  Buchstabennamen  vorkommt, 
abgeleitet;  IKfi  raus  «Fürst*  erinnert  an  das  umgekehrte  ägyptische  V^  sr, 
hieratisch  ^y-f,  welches  als  \^,  hieratisch  L^  tor  «die  Ruhe  des  Grabes* 
ist,  man  erinnere  sich  sm^^^rassa,  «Todte  begraben* ;  das  letztere  scheint  die 
active  Form  von  «niedrig*  zu  sein,  nämlich  «erniedrigen,  klein  machen,  zu 
Boden  schlagen  (die  Feinde)*  wie  noch  jetzt  die  Fürsten  den  Titel  «alle  Zeit 
Mehrer  des  Reiches*  oder  «Pater  patriae*  führen,  genau  entsprechend  dem 
ägyptischen  V-'  sr.  Astronomisch  kann  es  auch  die  mächtiger  werdende 
Sonne  bedeuten. 

Hieran  schliesst  sich  das  im  Abessinisehen  nicht  vorkommend' 

himyarische  J[  z 
erklärt  durch  das  arabische  jj  zazzaj,m\\.  der  Hand  etwas  leicht  durchstossen*. 

Abessinisch  A  sdi         himyarisch  H  s. 

Wie  bereits  oben  erwähnt,  weist  das  Wort  hO^  sdt  « Stunde,  Zeittheil ' 
auf  die  Theilung  im  Osten  hin;  im  Ägyptischen  kommt  dieses  Zeichen  als  ^ 
oder  ^  oder  P^  mit  dem  Lautwerthe  s  und  in  der  Bedeutung  von  «Schutz, 
Rücken,  Rückhalt,  Talisman,  Schutzgeist*  vor  und  wechselt  in  einer  Weise, 
welche  nur  durch  die  Zeitbedeutung  erklärt  »werden  kann,  mit  «HH*  s  dem 
«Kraute*,  denn  als  äthiopisches  Zeitzeichen  ist  es  die  Zeit  der  keimenden 
Saat;  seine  Ähnlichkeit  mit  Inwi  ist  ganz  analog  der  Ähnlichkeit  zwischen 


der  abessinischen  und  himyarischen  Schriftzeichen.  265 

«See*  und  «Lauge*  im  Deutfchen  in  Bezug  auf  Meerwasscr,  und  wenn  h 
einerseits  der  aus  der  Erde  dringende  Keim  ist,  so  ist  es  andererseits  die  aus 
dem  Meere  aufsteigende  Sonne,  welche  ihre  blitzenden  Strahlen  aussendet, 
zugleich  die  untergehende  Sonne,  und  wenn  wir  das  nordische  Ostzeichen 
d  hier  als  Zeichen  des  Westens  finden,  so  könnte  die  Vermuthung  entstehen, 
die  Abessinier  hätten  wie  die  Chinesen  links  um  gezählt,  wenn  nicht  das 
arabische  ^yH»  iawada  «Ort  wo  die  Sonne  aufgeht*  jeden  Zweifel  ausschlösse, 
dass  h  wirklich  das  Zeichen  des  Ostens  ist. 

'  Abessinisch  4»  (Inschrift  ^)  qof       himyarisch  }  q. 

Abessinisch  jl*4.  A:a/' bedeutet  ein  «Ziel,  nach  welchem  zu  werfen  ist*, 
die  Bedeutung  von  ^4.  ist  unbekannt;  im  Hebräischen  ist  Kop  ka^ha  «sich 
zusammenziehen,  gerinnen*,  fflp  köpf  ,der  Affe*,  dessen  Hintertheil  mit  dem 
Schwänze  4»  darstellt,  wie  ägyptisch  f/a  «Leib,  Bauch*,  nordisch  t  hagl. 
Dem  himyarischen  \  scheint  der  Sinn  «lechzen*  zu  Grunde  zu  liegen,  ^ß  kauf 
oder  wiU  kaf  «Spuren  verfolgen,  Milch  aus  dem  Euter  trinken*,  möglicher- 
weise ist  es  auch  die  Knospe,  ägyptisch  J  /sf  Lotoknospe. 

Abessinisch  n  beih         himyarisch  R  M  6. 

Diese  Zeichen  entsprechen  dem  ägyptischen  p>— ^|i<  «Hinunel*,  daher 
abessinisch  (i^  bei,  ein  FlQssigkeitsmass,  wie  das  hebräische  xu  hath,  ägyp- 
tisch ^,  welches  als  m  die  Schläuche  des  Himmels  und  dem  entsprechend 
Ocean  bedeutet,  während  es  zugleich  den  Doppelsinn  der  Knospe  hat.  Arabisch 
Ja»  bait  bedeutet  «Haus,  Burg,  Pfalz,  Grab*,  daher  oU  bata  «Nacht  werden, 
Untergang,  Ruhe*.  Als  solches  ist  es  der  heitere  klare  Himmel  und  soll  waiir- 
scheinlich  hier  die  schöne  Jahreszeit  bedeuten. 

Abessinisch  i*  tau         himyarisch  X  ^• 

Die  Bedeutung  des  abessinischen  ^Hir  tau  ist  nicht  bekannt;  arabisch 
J^  tiici  heisst  (wie  wl>  bai)  «untergehen,  abwesend  sein*  ;  der  Grundbegriff 
ist  aber  «eingehen*,  ägyptisch  4-  m  «in*,  X  u«  «kreuzen,  mischen,  sich 
Termehrcn*.  Es  ist  die  Zeit  der  Liebe,  welche  dieses  Zeichen  vertritt. 

Hieran  schliesst  sich  das  im  Abessinischen  nicht  vorkommende 

himyarische  X  I  '^ 
arabisch  J^  fHteat  «Jemanden  in  die  Herberge  aufnehmen*,  entsprechend 
derRune'f  (J9  , Einkehr*,  ägyptisch »-i—tÄ,  hebräisch  rrrur/eÄira« Geschenk*, 
griechisch  ri^fsa^^iq,  lateinisch  testtera,  die  gebrochene  Scherbe,  welche  man 
dem  Gastfreunde  zum  Andenken  mitgab,  wobei,  wie  es  scheint,  die  Gast- 


266  Ursprung  und  Bedeutunj^ 

fireundschaft  in  jenem  weitesten  Sinne  gebraucht   wurde,  wie  ihn  wilde 
Völker  noch  jetzt  aufTassen. 

Abessinisch  ^  jrarm         himyarisch  ^  /. 

Nach  ^C^+  jfarmat  »Schriflzug,  Spitze  des  Buchstabens*  zu  urtheüen, 
bedeutet ^arm »einritzen*,  griechisch /djs/x« »Wonne*,  arabisch m^  ;(arama 
»zerrissen,  zertrümmerte  Scheidewand,  durchbohrte  Nasenwand*  und 
schliesst  sich  somit  eng  an  tau  an;  das  abessinische  \  alt  ^,  ist  dasselbe  wie 
das  himyarische  ^  und  das  hebräische  im  jfur,  arabisch  jy^  /ur  »Ausfluss 
des  Flusses*  und  die  Hieroglyphe  THT  ^^^  fruchtbare  Regen. 

Abessinisch  1  na/as         himyarisch  ^  n. 

Die  Bedeutung  des  abessinischen  Namens  ist  unbekannt,  das  arabische 
jgC  na/az  bedeutet  »gestossen*;  das  hebräische  wnj  na/aä  »Schlange*  ist 
viel  bezeichnender,  denn  1  ist  soviel  wie  das  ägyptische  "^^  ts,  der  Zeus, 
der  Blitz,  der  sich  an  das  Gewitter  (siehe  /arm)  anschliesst,  wie  auch  das 
Zeichen  i  an  das  Zeichen  Y*  ^^  ^^^  ^^^  Monat  Juni,  die  Befruchtung  ist 
erfolgt.  An  die  Schlange,  den  Blitz  schliesst  sich  der  Begriff  des  feurigen 
glänzenden  Kupfers  an,  arabisch  ,^U£  nuj(as,  aramäisch  vnj  nejfoL 

Abessinisch  A  alef        himyarisch  A  o« 

Im  Abessinischen  heisst  h^4^dl€f^  1000*,  d.  i.  zahlreich«  dem  entspricht 
das  arabische  cJul  alif  »unbeweibt  (caelebs),  zur  Familie  gehörig*  und  die 
Familie  selbst  im  Sinne  von  Angehörigen  des  Familienhauptes;  das  Zeichen 
entspricht  dem  chinesischen  ^j^Aia»  Familie*,  welches  Schriftbild  ein  Schwein 
unter  dem  Dache  vorsteUt.  Diese  Idee  war  so  ungewöhnlich,  dass  nach  Schott 
in  K'an-hi's  Wörterbuche  diess  für  falsch  erklärt  und  bemerkt  wurde,  das 
Schriflzeichen  »Schwein*  sei  eine  graphische  Verwandlung  eines  verdrei- 
fachten Zeichens  für  Mensch;  indessen  galt  das  Schwein  als  Symbol  der  Frucht- 
barkeit, und  somit  war  die  Idee  nicht  so  absurd,  als  sie  scheint.  Unsere  obigen 
Zeichen  stellen  nur  das  Dach  vor,  welches  die  Familie  »vereinigt*,  das  alt- 
chinesische i^,  ägyptisch  L^ü,  hieratisch  ^K»  aa  »Sitz,  Wohnort,  Sarg* 
oder  -A-,  hieratisch  ü^  htp,  verwandt  mit  hebräisch  onn  /atam  »versiegeln*, 
samaritanisch  D'on  /atim  , gelähmt*,  denn  es  ist  die  Zeit,  wo  die  Befruchtung 
aufhört  und  dem  Jakob  die  Hüfte  verrenkt  wurde,  der  Anfang  der  Unfrucht- 
barkeit. Nebenbei  bemerkt  ist  ocn  /atam  dasselbe  wie  ^,^M  alaph  »zähmen*, 
daran  schliesst  sich  der  Begriff  '>^k  eleph  Rind  als  Haustliier  an,  wie  das 
chinesische  Schwein. 


der  abessinischen  und  himyarischen  Schriftzeichen.  267 

Abessinisch  Vi  kaf         himyarisch  fi  h. 

Dieses  Zeichen  schliesst  sich  eng  an  das  vorige  an;  als  Vl4.  Aro/*, Hand ^ 
ist  es  das  Bändigende,  Niederdrückende,  Zähmende,  aber  auch  die  viel- 
fingerige,  ägyptisch  QJ^  kp,  geschlossen  1,  hieratisch  ^  <,  als  Rundes 
ist  es  auch  der  Kopf,  ägyptisch  A,  hieratisch  ff  tp,  ap;  als  Krautkopf  ist  es 
die  Fülle,  als  [l  As6  »der  Überfluss'  im  concreten  wie  abstracten  Sinne;  das- 
selbe scheint  auch  .^b,  hieratisch  S^  km,  der  Name  Ägyptens  zu  bedeuten. 
Eine  eigenthümliche  Erklärung  ßndet  das  arabische  %jSkafa  ,  Fransen  an 
ein  Kleid  nähen*,  im  Ägyptischen!,  hieratisch  jJJ  apr  .entfalten*  (eine  Ver- 
setzung von  alf)^  welche  Zeichen  sowohl  als  ein  Halstuch  mit  Fransen  wie 
als  Bündel  Gemüse  aufgefasst  wird;  endlich  ist  zu  beachten,  dass  UT  kafa 
, abwenden*  bedeutet,  das  ist  das  Ägyptische  S^,  hieratisch  f  a,  auch  wohl 
umkehren,  weil  die  Sonne  zu  sinken  anfängt. 

Abessinisch  <D  tcatoe,  toau         himyarisch  o  oo  Wm 

Wenn  arabisch  ^^  waw  «Traurigkeit*  bedeutet,  so  weist  andererseits 
\h\^  tcaha  als  Partikel  der  Bewunderung  auf  die  Augen  hin,  welche  das  zweite 
himyarische  Zeichen  darstellt,  ägyptisch  oo  mr  «sehen*,  verwandt  mit  shc 
inr  «Toll  sein*,  hebräisch  ifi  mar  «Tropfen*,  ms  mara  «bitter  (Meerwasser) 
traurig*.  Die  Sonne  hat  sich  von  der  Erde  abgewendet,  hier  herrscht  nun 
Traurigkeit,  Dürre  (aber  zugleich  auch  Fruchtbarkeit)  wie  <D  eine  berstende 
Frucht  zu  sein  scheint;  hebräisch  Nna mara  «körperlich  gedeihen,  fett  werden*; 
auch  dürfte  <D  Symbol  des  Mondes  sein,  der  wiederum  Symbol  der  Fülle  ist 

Abessinisch  O  din         himyarisch  o  d. 

Dieses  Zeichen  ist  ganz  dasselbe  wie  das  vorige  und  verhält  sich  zu 
jenem  im  Laute  vne  o  zu  u.  Oß'i  din  ist  «das  Auge*,  arabisch  ,^^  din  «Auge, 
Quelle.  Tagesregen*,  o  ist  der  Tropfen. 

Hieran  schliesst  sich  das  im  Abessinischen  nicht  vorkommende 

Das  arabischeO^r^naheisst  «dürsten,  schlechte  Leidenschaften  haben*, 
/^  Pinna  «der  Stein  gab  einen  Laut  von  sich*,  danach  scheint  tl  selbst  der 
Stein  zu  sein,  ägyptisch  ^  an,  die  ausgetrocknete  Erde;  auch  dürfte  ff  anh 
^Mauer*  auf  die  Zeit  der  Ziegelsteine  hinweisen. 

Abessinisch  H  zai         himyarisch  H  H  ^* 

Das  abessinische  "HP  «ya  bedeutet  wie  das  arabische  U  9a  «dieser*, 
\j^ji^  ha3a—da  dieser— jener,  dereine— der  andere,  beruht  also  auf  dem 


268  Ursprung  und  Bedeutung 

Sinne  der  Vergleichung,  es  ist  genau  dieselbe  Form  wie  das  Thierkreiszeichen 
14  und  scheint  daher  ursprünglich  wohl  an  der  Stelle  gestanden  zu  sein,  wo 
jetzt  I?  d  steht,  nämlich  der  Zeit  der  Tag-  und  Nachtgleiche;  das  hebräische  t, 
welches  als  n?  ee  ebenfalls  . dieser'  bedeutet,  heisst  in  rtrr?  zaha  .glänzen*, 
VT  ztt;, Glanz',  t*t  ziz  .volles  Euter*,  als  ürtizaltam  aber  « stinken,  ranzig  sein*, 
wodurch  es  sich  an  n*t  zaith  .Olive'  anlehnt.  In  diesem  Falle  stellt  sich  H 
als  das  ägyptische  ^Mrt,  hieratisch J^  ^A  .zusammentreten*  ursprünglich  die 
Ol-,  Obst-  oder  Weinkelter  dar,  hebräisch  n^r  zur  .zusammendrücken'',  t< 
zid  .überschäumen*. 

Abessinisch  P  yamon         himyarisch  }  y. 

Das  abessinische  €^'f  yatnan  bedeutet  rechts,  ebenso  das  arablsilic 
^  yatnana  und  das  hebräische  pa^  yamin,  Rechts  war  aber  diesen  Völkern 
der  Süden,  und  damit  stimmt  P  als  letztes  Zeichen  der  heissen  Zeit;  dagegen 
war  den  Ägyptern  h  amenti  .der  Westen*  rechts,  und  dem  entspricht  eben- 
falls dieses  Zeichen,  sofern  es  vor  dem  Abendzeichen  ^  steht  und  diesem 
sehr  ähnlich  ist.  Hiermit  stimmt  der  Begriff  .Glück*  überein,  den  alle  diese 
Völker  mit  rechts  verbinden;  den  vom  Norden  kommenden  Völkern  war  die 
warme  Gegend  die  des  Glücks,  des  Überflusses;  den  Bewohnern  der  heissen 
Länder  das  Aufhören  der  Hitze,  eine  Wohlthat,  der  Abend  die  Zeit  der  Ruhe 
und  des  Glücks.  Um  diese  Zeit  verwandelt  sich  auch  die  Göttin  des  Überflusses, 
die  Hera,  in  die  jungfräuliche  Diana,  denn  P  ist  das  Kinderzeichen,  1  =  T 
hS  scheint  der  Spinnrocken  zu  sein,  der  jetzt  in  die  Hand  genommen  wurde, 
um  Leinwand  und  Byssus  zu  fertigen. 

Abessinisch  ^  detit         himyarisch  }  d. 

Die  Bedeutung  des  abessinischen  J^1(^  dni  ist  unbekannt;  ^11  danana 
ist  die  .eingedrückte  Brust,  einen  Buckel  machen*,  arabisch  aJ.>  c/amya  ist 
die  Filzkappe  des  Richters,  ägyptisch  d\  ö^dan  bedeutet  .zurückbringen*, 
ägyptisch  f,  hieratisch  /t ««;  welches  sowohl  mit  dem  abessinischen  Zeichen 
Ähnlichkeit  hat,  vne  mit  dem  Untergang  der  Sonne.  Das  himyarische  j  ist 
ohne  Zweifel  die  ägyptische  Thüre  i ,  deren  Lautwerth  a  auch  d  sein  kann, 
weil  die  Hand,  welche  diesen  Lautwerth  anzeigt,  sowohl  a  wie  d  (dod)  veitritt. 
Man  erinnert  sich  hierbei,  dass  die  auf  die  trockene  Zeit  folgende  Zeit  derÜber- 
schwemmung  durch  die  Erscheinung  des  Sirius- oder  Thot-Stemes  angekündigt 
ward;  Thot  ist  daher  die  Öffnung  der  himmlischen  Thüren,  damit  der  Regen 
die    Erde    erneuere    (  ff  zeigt  an,   dass   Regen  kommt,   denn  %  ist  das 


der  abessinischen  und  himyarischen  Schriflzeichen.  269 

Wassergefass),  es  ist  auch  der  Eingang  iu  die  Unterwelt  (die  Sonne  geht 
unter)  und  der  Richter,  hebräisch  n  dan,  der  Todten.  i?  scheint  ausser  der 
oben  angegebenen  Bedeutung  noch  eine  andere  gehabt  zu  haben,  es  kann 
auch  eine  uralte  Hieroglyphe  sein,  welche  den  Richter  auf  seinem  Stuhle 
darstellt,  wie  etwa  ysL  Sp^  in  «der  König*. 

Abessinisch  1  gatml         himyarisch  1  g  (d£). 

Auch  im  Abessinischen  ist  TPA  gamel  etwas  Anderes  als  t<f^A  gamal 
•Kameel',  wahrscheinlich  die  Wurzel , gebogen*.  Das  arabische  ^J^  diamal 
•schön  von  Körper  wie  von  Sitten*  zeigt  einen  merkwürdigen  Wechsel  der 
BegrifTe  mit  abessinisch  IcMXJiwa  «verwachsen*,  denn  es  war  geradezu  ver- 
boten,  einen  verwachsenen  Menschen  als  Priester  aufzunehmen,  ein  Levit 
musste  die  Eigenschaft  ^^fT  (siehe  oben)  haben,  nur  das  Anbeten  der  Götter 
machte  den  Priester  «sich  krümmen*.  Wenn  daher  himjarisch  ^  g  und  T  2, 
abessinisch  A  l  und  7  g  verwandt  sind,  so  sind  es  auch  die  Begriffe;  hier  an 
dieser  Stelle  schliesst  sich  1  gatnel  an  das  ägyptische  "]  /w  «tugendhaft*  an, 
an  den  Vogel  des  Thaud,  den  die  beginnende  Regenzeit  herbeigerufen  hat. 
Hieran  schliesst  sich  das  ägyptische  ^|  als  W  Q|8'^..'tr!S  hr-hpi  «der 
Niktnidel*,  der  Schlund,  aus  dem  das  Wasser  stürzt,  der  Katarakt  f^^ 
hieratisch  ^  tf^  welches  zugleich  in  /^  a6  das  Priesterzeichen  ist;  auch  das 
Wort  ^1  km  (Ägypten)  ist  oben  als  ein  ähnhcher  Begriff  ins  Auge  gefasst 
«Orden. 

Abessinisch  fll  TtaU         himyarisch  Q]  d. 

Die  Bedeutung  von  iXiJ^^  ttaä  ist  unbekannt;  fItA  ttes  «rauchen* 
deutet  auf  das  Lagerfeuer;  arabisch  \^  data  aber  auf  die  untergegangene 
Sonne,  ägyptisch  rYI  hieratisch  f^  ark,  sh  «beendigen*.  Das  himyarische 
^^ichen  (D  dürfte  sich  als  i>^</tiyati^«  Niederlage,  schwierige  Sache*  erklären, 
^  entspricht  dem  ägyptischen  JS  /r,  welches  «Unterwelt*  bedeutet,  wie 
*üch  in  ^  im  Ägyptischen  «Niederiage*  (unser  Gram,  Tod)  bedeutet. 

Hieran  schliesst  sich  das  im  Abessinischen  nicht  vorkommende 

hymiarische  ^  %$• 
vabiseh  i^  daut  «nicht  recht  bei  Sinnen,  einfaltig*,  ein  Zeichen,  das  an  die 
Zwei^enform  •,  hieratisch  ^  bs,  nm,  sowie  an  *d^,  hieratisch  i^  ob  (unser 
, hüpfe  n,  tanzen*)  mahnt.  Kenner  der  nordischen  Mythologie  werden  sich 
^  ^e  Erzählung  erinnenit  wie  Loki  die  finstere  Wintergöttin  Skadi  zum 
l»»tVi^n  brachte. 


270  Ursprung  und  Bedeutung  der  Zeichen. 

Abessinisch  A  PpaU  himyarisch  0  /• 
Das  abessinische  A^Z  ppadere  bedeutet  «Kleid*,  lehnt  sich  an  das 
ägyptische  9,  welches  ebensowohl  den  Zopf  der  Frauen  als  die  Schnur  und 
auch  an  jenen  Regen  erinnert,  von  dem  man  sagt,  dass  es  wie  Schnure  regnet 
In  der  altchinesischen  Bilderschiift  ist  a  «Seidenquaste*.  Es  ist  die  Zeit  des 
Regens  und  des  Webens.  Das  himyarische  0  erklärt  sich  durch  das  arabische 
\li/ata  «Freigebigkeit,  Edelmuth'  als  Offenherzigkeit  und  schliesst  sich  eng 
an  das  vorige  ^  S  an. 

Abessinisch  A  tsadai  himyarisch  ^(i\  ^  §• 
Das  abessinische  aj^^  tsadai  bedeutet  «Herbst,  Erntezeit',  genau 
entsprechend  dem  ägyptischen  oo^,  hieratisch  >0  mh  «Norden,  Fülle*, 
sowie  die  nordische  Frau  Holle  die  Göttin  des  Überflusses  und  der  Schnee- 
flocleen  war;  ihr  Vogel  ist  wie  der  der  Pallas  Athene  die  Eule,  arabisch  bu^ 
sada,  ägyptisch  Sl  m.  Die  Bedeutung  «Herbst,  Erntezeit*,  welche  auf  die 
Zeittheilung,  die  wir  im  Auge  haben,  nicht  passt,  kann  uns  nicht  beirren, 
haben  wir  doch  im  vorigen  Quartal  die  Südrune  P  yaman  zur  Zeit  des  Herbstes 
oder  Sonnenunterganges  gefunden,  sie  beweist  nur,  dass  diese  Zeichen- 
ordnung einen  ebensolchen  Scenenwechsel  in  sich  schliesst,  wie  in  Ägypten 
der  Eintritt  der  Regenzeit  in  unsern  Juli  iUllt,  in  die  Zeit,  wo  im  Norden  die 
Hitze  erst  recht  beginnt.  In  den  nordischen  Runen  haben  wir  um  diese  Zeit 
T  madr  das  Mal  des  Schlachtens  gehabt,  und  wir  werden  wohl  nicht  irren, 
wenn  wir  auch  rfi  als  ein  solches  Zeichen  aufTassen.  Wir  haben  ferner  bei 
den  nordischen  Runen  gesehen,  dass  Y  mcuir  früher  identisch  mit  V  fe  war, 
und  eine  ebensolche  Überlieferung  finden  wir  hier  zwischen  PfJ  hh  und  Hr 
^Unendlichkeit*,  zwischen  r?-|  t  und  V  ä- 

Abessinisch  6  Dzappa  himyarisch  B  2. 
Das  abessinische  ^4^6  dafäe  bedeutet  ,Koth*,  das  arabische  «Juu> 
zafif  «zusammenpressen*,  genau  «wegen  zu  grosser  Menge  an  einem  Orte 
zusammengepresst  zu  Wasser  oder  Speise*,  entsprechend  dem  ägyptischen 
9,  hieratisch  29  dt,  «Knäuel,  dörren*,  das  Zeichen  dürfte  demnach  gedörrte 
Früchte  bedeuten,  das  Kietzenbrot,  welches  in  Wien  zu  Weihnachten  eine 
beliebte,  althergebrachte  Speise  ist,  oder  die  Honigkuchen,  welche  im  Norden 
den  Weihnachtstisch  schmücken. 

Von  den  beiden  Zusatzbuchstaben  ist  A,  fa  oder  ^4^  af  «Mund*  dem 
hebräischen  4^  aleph  ähnlich,  T  va  oder  KKtx  eps  erinnert  an  das  griechische 


Vokalbf  Zeichnung  und  Ziffern.  3  7 1 

V  psi,  welches  genau  dem  dritten  himyarischen  Zeichen  ^  entspricht  und 
sich  zu  diesem  verhält  wie  die  nordische  Rune  ^  yr  zu  T  madr  und  fe. 

Eine  Eigenthümlichkeit  der  abessinischen  Schrift  bietet  die  Vokal- 
bezeichnung. Wie  in  der  griechischen  Schrift  (A  E  H  I  0  T  Q)  sind  es  hier 
sieben  Vokale  aui  äeeo,  welche  in  der  Schrift  ihren  Ausdruck  finden,  indem 
den  Consonantenzeichen  durch  Häckchen,  Ringelchen  oder  Verkürzung  die 
betreffenden  Lautbedeutungen  beigefügt  werden;  z.  ß.: 

Vha  V-  hu  "L  hi   H  fiä  "i.  he    \}  he  if  ho 
li  la    it  U    \U    A  /ä   A.  /^    ü  If   ^^lo 
oi  ma  Oi*  mu  ^  m#  ^  mä  ^  mS  6^^  ine  ^  mo 
i»  ra   im  ru  A  ri  ^  rü   ä  rc   C  rf  C  ro 
fibafthuiX^hi^hädU^hf    P^ou.  s.  w. 
Diese  Vokalbezeichnung  ähnelt  der  indischen,  ist  aber  offenbar  nicht 
Tcn  den  Indem  entlehnt,  sie  kann  auch  nicht  von  den  Griechen  entlehnt  sein, 
da  sonst  die  Nachahmung  zur  selbständigen  Bezeichnung  der  Vokale  geführt 
hätte;  hier  ist  nur  die  Annahme  zulässig,  dass  zwei  Alphabete  bestanden, 
Ton  denen  eines  die  Stunden-  und  Monatszeichen,  das  andere  Zeichen  der 
sieben  Wochentage  enthielt,  und  wir  werden  zu  dieser  Meinung  dadurch  ver- 
anlasst,  dass  auf  alten  ägyptisch -griechischen  Amuletten  der  unausgespro- 
chene Gott  I  A  Q  auch  als  A  E  H  1  0  T  $2  aufgeführt  wird. 

Eine  andere  Eigenthümlichkeit  der  abessinischen  Schrift  ist  die  Annahm» 
der  griechischen  Buchstaben  als  Zahlzeichen,  welche  wohl  erst  mit  dem 
Christenthume  nach  Abessinien  kamen.  Wahrscheinlich  verwendeten  die 
Abessinier  wie  die  Himyaren  früher  jenes  Zahlsystem,  welches,  den  römischen 
und  griechischen  ähnlich,  die  Zahlen  von  1  —4  durch  Striche,  die  Zahlen  5, 10, 
50,  100,  1000  durch  Siglen  (Anfangsbuchstaben  dei  Zahlwörter)  bezeichnete, 
und  wie  in  Griechenland  das  ältere  System  durch  das  neuere  verdrängt  wurde, 
so  geschah  es  auch  in  Abessinien.  Da  auch  die  Phönikier  Strichzahlen  hatteUj 
so  ist  anzunehmen,  dass  neben  der  astronomischen  Zahl,  welche  durch  die 
Bacfastaben  dargestellt  wurde,  noch  eine  vulgäre  Rechnung  bestand,  und  dass 
die  erstere  als  die  einfachere,  bezeichnendere,  die  letztere  ersetzte. 

Die  gegenwärtige  abessinische  Schrift  ist  eine  gerundete  Uncialform, 
ID  froherer  Zeit  war  die  Schrift  eine  eckige  Kapitalschrift«  wie  folgende  Probe 
einer  Inschrift,  von  welcher  wir  schon  auf  dem  Titelbilde  eine  Probe  gaben,^^ 
beweist: 


5i72  Abessinische  Sprach-  und  Schriftprobe. 

AMSIVA^IT^AIVWSLIflXriYI 

[tiAH'iTUiixYirvwrvMiihwu 

m^^ivM  ixYwi  v)iifiPjvMi7in 

^AXIWrnCWlMAT+WVAIA> 

In  jetziger  Schrift:  AH^:üA.^:AA:0'^J?:'flAI1P: 

D'H :  Le/i'i :  0*H :  AHA :  (D^H :  AAA: 
•fwl:©'H:Ä'>N:»:<D'H:-flp:©'H:*aA: 

Transscription :  lazam  dlada  cUa  dmadi  bfosat/a 

Kaien  nägusa  aksüm  waz  Kamara 
loaz  raidan  tcaz  sabaa  waz  salf^a 
Ken  waz  tsyamo  icaz  hegU  tcaz  ka^ 
alda  nudiram  xokayt  tnawaka  Je. 

Übersetzung  nach  Professor  Rödiger  in  Halle*. 
Zur  Nachricht  f&r  die  Kinder  Derer,  die  das  Monument  gesetzt:  Mein  Gemahl 
Haien,  König  von  Axum  und  von  Himyar 
Und  von  Raidan  und  von  Saba  und  von  Sal- 
hen  und  von  Tsyamo  und  von  Bega  und  von  Kas, 
Der  Sohn  des  (Gottes)  Mahrem,  des  keinem  Feinde  Bezwingiichen. 

2.  Die  amharische  Schrift. 

Nachdem  im  14.  Jahrhundert  in  Folge  eines  Regierungswechsels  die 
amharische  Sprache,  benannt  nach  dem  Lande  Amhara,  zur  herrschenden  in 
Abessinien  geworden  war,  wurde  diese  Sprache  mit  abessinischen  Zeichen 
geschrieben.  Die  sieben  Laute,  welche  die  amharische  Sprache  mehr  besass, 
wurden  aus  den  entsprechenden  abessinischen  Zeichen  gebildet,  indem  diesen 
ein  Strich  überschrieben  wurde ,  gerade  so  wie  europäische  Sprachen  durch 
einen  Accent  (z.  B.  6)  die  Zeichen  des  lateinischen  Alphabets  vermehrten. 
Es  ist  dieser  Vorgang  lehrreich  gegenüber  der  Meinung,  dass  die  Schrift  bei 
ihrer  Adoption  durch  ein  anderes  Volk  Verstümmelungen  und  Differenziiiing 
der  Zeichen  erleide. 


Ainharische  Sprach-  und  Schrillprobe.  273 

Die  amharischen  Zeichen  sind: 

n  Äi  V  <«a  T  »Ja  "^  ^a   IT  za  W  d£a  Xlt  Wia 
gf'bildet  von      Aaeii*to      l  nä  ^  ka     H  za  ^  da     (h  tta 

Wir  geben  als  Sprach-  und  Schriftprobe  das  Vaterunser  in  amharischer 
Sprache : 

\^^ :  PfW?Al :  ^'Jje : :  1f<»;h<  : :  ^c^lJA-+ :  170  :  ^fl\1 :  A-^+Ol  r'.TWP^iy  ^'Ofl.^  • 

Transscription  und  Übersetzung. 
Abätätäen      basamäy    yäla)[\         yekqdas  ^f^^h        yntscHfn 

Vater  unser  im  Himmel  du  bist,  geheiligt  werde  dein  Name,  es  komme 
mangst^f,  faqpdjtme    y^/wfn  hasamay        mdala^Hg  bamdfrm   sisä- 

dein  Reich,  dein  Wille  geschehe  wie  im  Himmel  also  auch  auf  Erden  unser» 
yätffH       fyalatü      zäre  atan,  hadalätSfn         mharan         enäm    yabadalan 
Speise  unserer  Tage  uns  gieb,  vergieb  uns  unsere  Schulden  wie  wir  vergebeD 
f^        nenüCr,    Kamansut  ngabä  matan    attmoan,  odh'anand&i  kafns  naqar. 
unseren  Schuldigem,  führe    uns   nicht  in  Versuchung,  erlöse  uns  rom  Cbfrl 

Amen. 


8.  Die  himyarische  Schrift 

So  sehr  übereinstimmend  die  himjarischen  und  ab^^ssini-^'h^-Ti  Zf^'^h^ 
sind,  so  herrschen  doch  zwischen  ihnen  tiefgehende  Untergchifrde;  di^»^  «jrjd; 
1.  die  Schriftrichtung,  welche  im  Abessinischen  ron  linkis  nach  recf/Jt.  ixn 
Himyarischen  von  rechts  nach  links  läuft;  2.  die  Vokalbez^i'^.hnunjr,  w^#'.r>4 
die  himyarische  Schrift  nicht  hat,  und  wahrscheinlich  auch  3.  Aa  Z«r>  r.^j- 
Ordnung.  Es  ist  nämlich  nicht  unwahrscheinlich,  da.9ä  d^r  Ur/cr^ch.^d  \u  *i^r 
Zahl  der  Zeichen  die  anderen  bedingte,  dass  die  S4  Sonr.cf.zc.ch^.  ;/./  ':<  'u 
Lesen  von  links  nach  rechts  zusammenhingen,  die  2^,ch«ro  <ier  't'",  M^-.':- 
Stationen  mit  dem  Lesen  von  rechts  nach  links.  I»  h.:r,}ir -.';.*rf.  7/  "  ', 
sind  ofTenbar  die  der  28  Mondstationen,  das  sind  jene  ':i*/:t:,'/r^y^%.  ,u  '>  '*^t, 
der  Mond  einen,  die  Sonne  13  Tage  verweilL 

Dass  diese  Zeichen  nicht  in  derselben  Ordru/./   *-/*  '*•:',♦*'. />fi 
wie  die  abessinischen,  scheint  wenigstens  aas  Folg«iiC*^.'r.   fyr/>'y//./«  -  *' 
Die  jetzige  arabische  Schrift  stammt  aas  Meso^^Vrix^rj.  I/^  ''i  '<:^y  A-  %^f 

f aolmann.  6«*chiclit«  d.  Schrift.  { t^ 


374  Himyahsche  Zeichenordnung. 

und  Eufa  werden  von  der  Tradition  als  Ursprung  derselben  bezeichnet;  nach 
der  alten  Zahlenordnung  hatten  die  Zeichen  die  hebräisch-syrische  Ordnung; 
wenn  die  Araber  die  Erfindung  ihrer  Schrill  sechs  Personen  aus  dem 
ixeschlechte  Tasm  zuschreiben,  welche  heissen  Abudiad,  Hawaz,  Huti,  Kala- 
inun,  Sdfag,  Qori§at,  so  sind  diess  offenbar  die  22  syrisch-hebräischMi  Laut- 
zeichen 

r«?"»pVDPDJoi>3»ionnm3aK 

oder  arabisch: 

Gegenwärtig  haben  die  Araber  eine  andere  Zeichenordnung,  welche 
weder  grammatisch  ist,  noch  auf  Schriflähnlichkeity  wie  man  auch  annahm, 
beruht,  denn  wenn  dieser  Ähnlichkeit  halber  auf  %m^  h  das  O  i  und  das  «1/  (f 
folgte,  so  müsste  auch  0  n  folgen,  was  nicht  der  Fall  ist,  auch  ist  nicht  die 
alte  syrische  Ordnung  durch  neue  Zeichen  durchbrochen,  sondern  sie  ist  wie 
aus  folgender  Gegenüberstellung  hervorgeht, 

so  gründlich  verändert,  dass  man  die  frühere  Reihenfolge  nicht  mehr  kennt; 
derlei  Änderungen  lassen  sich  nur  erklären,  wenn  man  die  Zeichen  als  Zeit- 
zeichen in's  Auge  fasst,  und  es  liegt  die  Vermuthung  nahe,  dass  die  Reihen- 
folge der  Buchstaben,  welche  die  syrischen  Zeichen  in  Arabien  angenommen 
haben,  die  der  alten  himyarischen  Schrift  ist,  die  Zeichen  sich  also  in 
folgender  Ordnung  aneinanderreihen: 


A    a 

i 

d* 

B  ?• 

fi  k 

fl    b 

H 

i* 

ID  d* 

1    ^ 

X    ^ 

>  oder  ) 

f* 

A  ä* 

^    »» 

X   ^ 

2 

z* 

o  d 

h   «• 

1    d£ 

jS 

«• 

i\r 

V     Ä 

V    h' 

3 

s* 

0  f 

o   w 

Y    X 

rfi 

i* 

l    9 

1  y 

Die  mit  einem  Stern  bezeichneten  Laute  werden  Sonnenbuchstaben, 
die  übrigen  Mondbuchstaben  genannt,  doch  lässt  weder  Stellung  noch  Reihen- 
folge die  Ursache  dieser  Ordnung  erkennen. 

Stellen  wir  diese  Zeichen  in  einen  Kreis,  so  dass  ^  als  :>Jt»  knatda 
„der  Sonnenaufgang*  die  Stelle  im  Osten  einninunt,  so  würde  die  viertheilige 
Windrose  folgende  sein: 


Himyarische  Zeicbenordnung  und  Zahlen. 


275 


¥/ 


w  o 


Hl 


Of 


entsprechend  j^  hawa  .  schwarz-grQn  oder  roth-schwarz*  (Grundbegriff: 
Dunkelheit) J^yt»  iawada  «Sonnenaufgang*,  lä  fcOa  .Edelmuth,  Freigebigkeit* 
(Grundbegriff:  Oberfiuss),  ^j  wah  .Traurigkeit*  (Untergang). 

£ine  Vergleichung  mit  der  abessinischen  Ordnung  ergiebt  folgende 
CiegenQberstellung : 


UÄ      V   Ä' 

ft   8      ^    i 

'      A«     0/ 

^  d    «  w 

Ai      S  Z 

♦  2  ih  « 

'    «n  A      Iq 

ig     ly 

A^      id 

ab    Qs 

<D  to   ({k 

(^tt   f^a 

Oi  m    H   d 

'    *  t    lad 

od     11 

Ai>p  fl* 

m  i      )   r 

^A'  fi^ 

HZ      ^m 

A  /<   X  < 

t.r     Tüz 

i  »     od 

e  y    h» 

edzy^ß 

f\» 

i\T 

VA 

1   di 

Eine  Begriffsverwandtschaft  scheint  auch  hier  die  verschiedenen  Zeichen 
und  Laute  zu  vereinigen,  so  U  und  41  in  >v^  Haupt,  Anfang,  A  und  ^  in 
f^  ru  »fliessen,  ausgiessen*,  rfi  als  Thor  lehnt  sich  an  die  Thür  {,  UJ  i 
die  Öffnung  an  das  gähnende  >  r,  jA  in  gleicher  Weise  an  ^  ;;  u.  s.  w. 

Während  wir  bei  den  Abessiniem  das  griechische  Alphabet  als  Zahlen- 
reihe finden,  begegnen  wir  auch  bei  den  Himyaren  einem  griechischen 
Zahlensysteme,  bezüglich  dessen  jedoch  von  keiner  Entlehnung,  sondern  nur 
von  einem  gemeinsamen  Ursprünge  die  Rede  sein  kann.  Wie  die  alten  Griechen 
I  als  Einheit,  11  p  {nivri)  als  5,  A  cf  {iUa)  als  10,  H  (cxarov)  als  100, 
X  (^Clcoi)  als  1000,  M  (ixOptoi)  als  10000  verwendeten,  so  finden  wir  bei 
den  Himyaren  neben  der  [  1  die  Zeichen  V  oder  ^  /  {von  j(ameS  fünf)  fQr 
&,  O  <2  ("^^  ^1^9^  zehn)  für  10,"^  50  scheint  die  Hälfte  von  ^  100  (onito 
maaüm)  zu  sein,  A  ist  1000  (s)^N  def),  endlich  ist  noch  eine  grössere  Zahl  % 
Torhanden,  deren  Bedeutung  nicht  bekannt  ist  Auch  die  römischen  Zahlen 
V  5,  X  10,  L  50,  C  100,  M  1000  zeigen  dasselbe  Princip,  auch  hier  scheint 
L  50  die  Hälfte  von  Q  100  zu  sein.  Die  himyarischen  Zahlen  werden  von 
Balken  eingeschlossen  z.  B.  ||V{|  6,  |^|  1000. 

18* 


^^ö  Himyarische  Sprach-  und  Schriftprobe. 

Wir  haben  bereits  auf  dem  Titelbilde  eine  himyarische  Inschrift  in 
ReliefTorm  gegeben,  wir  lassen  dieselbe  hier  mit  der  Erklärung  folgen:  ^^ 

(l1l'l)^HlSnMt^<1<!IX*^?lllXh'1l?SHIII14X^ttmiSHm6Hf 

tn«iixniiMHo 

Transscription  und  Übersetzung: 
ybsL       5fi.  id£b.  qtdm.  mbny,  gna, 

Yabsul,  Sohn  des  §ad2d2ab,  hat  angefangen  unter  den  Söhnen  der  Umgegend 

mjffdL  glfft.  abmn.  dfllm.  inbna, 

Ton  Maifaat  mit  dem  Behauen  der  Steine  und  hat  beendet  den  Bau  des 

bit,         gdl     .    •    • 
Hauses  von  Gdl  .    .    . 

Wir  schliessen  hieran  eine  Inschrift  in  Bustrophedonform,  bei  welcher 
die  erste  Zeile  von  rechts  nach  links,  die  zweite  von  links  nach  rechts,  die 
dritte  wieder  von  rechts  nach  links,  die  vierte  von  links  nach  rechts  zu  lesen  ist 

Transscription  und  Übersetzung: 
fvbm.  vrlhmv,  bn.  Riäb  mit  ihren  Verwandten,  dem  Sohne 

Mm.  bn.  K$km.  h.  des  Sabbäh',  Sohns  des  H'ai)<^ak,  hat 

qfif,  (ütnqh.  rash  gehuldigt  dem  Almaqah,  ihrem  Fürsten, 

tnu?  w§dqal,  wSr  und  Sidq'il  und  Sar  .    •    • 

IV.  DIE  VEI-SGHRIFT. 

Von  den  NegervOlkem  war  es  bis  vor  kurzer  Zeit  nicht  bekannt,  dass 
sie  eine  Schrift  besassen;  um  so  überraschendem  Eindruck  machte  es  auf 
die  Missionäre  zu  Fourah  Bay,  als  Mitte  Januar  1847  Lieutenant  Foibes^ 
der  Commandant  von  S.  Bonetta,  sie  fragte,  ob  sie  von  einer  Schrift  der  Ein- 
gebomen gehört  hätten,  und  ihnen  ein  solches  Manuscript  zeigte.  Weitere 
Forschungen  ergaben,  dass  ein  Vei-Neger  Namens  Doalu  Bukere,  diese  Schrift 


Vei-SchrUt  277 

erfunden  habe  und  derselbe  erzählte  dem  Missionär  S.  W.  Koelle^*  darüber 
Folgendes:  Ungefähr  14  Jahre  war  ich  alt,  als  ich  einen  Traum  hatte,  in 
welchem  mir  ein  hoher  ehrwürdig  aussehender  Mann  in  einem  langen  Rocke 
erschien  und  sagte:  «Ich  bin  zu  euch  gesendet  durch  andere  weisse  Männer!' 
Doalu  fragte,  was  der  Grund  seiner  Sendung  sei?  Der  weisse  Mann  antwor- 
tete: 9 Ich  bringe  euch  ein  Buchl*  Doalu  sagte:  «Das  ist  sehr  gut,  aber  was  ist 
die  Natur  dieses  Buches?*  Der  weisse  Mann  antwortete:  «Ich  bin  gesendet. 
dass  ich  dir  das  Buch  bringe,  damit  du  es  den  Übrigen  deines  Volkes  mit- 
theilst; aber  ich  muss  dir  sagen,  dass  weder  dir,  noch  irgend  einem,  welcher 
mit  dem  Buche  bekannt  wird,  erlaubt  ist.  Fleisch  von  Hunden  und  Affen, 
noch  irgend  etwas,  was  todt  gefunden  wird,  zu  essen,  noch  das  Buch  an 
jenem  Tage  zu  berühren,  wo  sie  die  Frucht  des  Pfefferbaumes  angerührt 
haben!*  Der  Bote  zeigte  Doalu  sein  Buch  und  lehrte  ihn  einige  Vei- Worte  in 
derselben  Weise  zu  schreiben,  wie  das  Buch  geschrieben  war.  Er  schrieb  ihm 
ein  Zeichen  mit  dem  Finger  auf  den  Boden  und  sagte:  «Dieses  bedeutet  t, 
dann  ein  anderes,  indem  er  sagte,  diess  bedeutet  na',  und  hiess  nun  Doalu 
beide  nacheinander  lesen.  Doalu  that  es  und  war  entzückt,  das  Wort  ina 
(komm  her)  gelernt  zu  haben.  In  derselben  Weise  lehrte  der  Bote  ihm  eine 
grosse  Zahl  von  Wörtern  schreiben.  Zuletzt  frug  Doalu  seinen  Lehrer  nach 
d<;m  Inhalte  des  Buches,  welches  er  ihm  gebracht  hatte.  Aber  die  Antwort 
war:  «Warte  ein  wenig,  ich  werde  es  dir  nach  und  nach  sagen!'  Am  andern 
Morgen  rief  Doalu  seine  Freunde  zusammen  und  erzählte  ihnen  den  Traum. 
Ein  paar  Tage  darauf  hatte  einer  derselben  einen  gleichen  Traum,  in  welchem 
ein  weisser  Mann  ihm  sagte,  das  Buch  sei  von  Gott  gekommen. 

Koelle  erfuhr  ferner^  dass  Doalu  Bukere  als  Knabe  bei  einem  Missionär, 
der  sich  eine  Zeitlang  bei  seinem  Volke  aufgehalten  hatte,  Lesen  gelernt 
hatte  und  dadurch  in  ihm  die  Lust  zum  Lernen  erweckt  worden  war.  Er 
konnte  noch  einige  Bibelverse  hersagen,  welche  er  von  jenem  Missionär 
gelernt  hatte.  Später  war  er  Diener  bei  einem  Sklavenhändler  und  wurde  oft 
in  das  Innere  des  Landes  an  entfernte  Orte  gesendet,  von  wo  er  Briefe  zu 
•einem  Herrn  zu  bringen  hatte. 

Die  Schrift,  welche  Doalu  Bukere  seinen  Stammesgenossen  bekannt 
machte,  hat  nicht  die  entfernteste  Ähnlichkeit  mit  europäischen  Buchstaben; 
aulTallend  ist  femer,  dass  ein  und  derselbe  Laut  mehrere  ganz  verschiedene 
Zeichen  hat,  wie  Q  ^  und  ^  für  gba,  |  und  ^  für/o  u.  s.  w.  :|:  erinnert 


278  Vei-Schrift 

an  das  himyarische  |  y,  Q^  an  das  himyarische  ^  b,  fc  ^  (Flinte)  scheint 
Pulver  darzustellen,  ebenso  entspricht  (C  fr  der  Bedeutung  . blasen*,  [^fi 
, Dunkelheit',  X  9^  »Ruhe*,  OO  gbe  »Weisse*  (Augen?)  >^  du  .richten, 
Haus*,  *-«*^  d$t  »Wasser*,  ^  dsa  »Auge,  roth  sein,  gelb*  ^  fen  »Schwanz^ 
<^  dse  »sehen,  bemerken*  u.  s.  w. 

Die  ganze  Schrift  macht  den  Eindruck,  als  ob  der  Erfinder  sie  nicht 
selbst,  sondern  bei  irgend  einem  Volke  im  Innern  Afrikas  gefunden,  und  sie, 
um  sich  bei  seinen  Stammesgenossen  ein  besonderes  Ansehen  zu  geben,  als 
eine  ihm  gewordene  göttliche  Offenbarung  ausgegeben  habe,  denn  sonst  ist 
es  unbegreiflich,  warum  er  nicht  die  europäischen  Buchstaben,  die  er  ja 
kannte,  verwendete,  sondern  einen  Wust  von  neuen  Zeichen  geschaffen  hat, 
bei  dem  sogar  Figuren  für  verschiedene  Laute  wie  h^  du,  ru  identisch  sind* 

Wir  geben  hier  eine  Probe  der  Vei-Schrift  und  Sprache: 

fa-io-ma  sc-n    a        ba     ta^ru  gu-ra   a    ra  tcurru         du-fi-mu-ro  ke 

Fatoma  Seli  seine  Mutter  Talu  Gula  sie  ihm  gebar  die  Nacht,  in  welcher  die 

mu      ki-^a        soHXrina         ghe-ya       mu  ^  .         .  re 

Zweite  Zeile : 
wir  geschlafen    morgens  es  dämmerte  wir  verbrachten  'den  Tag 

y6e-n  dse-rima    ke-ya     chmu   murra    du-ru  korro  ke^e-ma   ds$  dp-fi     biri 

ganz   Abend    kam  an,  dann  wir  den  Nebelmond  gross  sahen.  Nacht  dieselbe 

a  we^e  ka  n-ku-ti-do       gbu     ke      do      do, 

will  nicht  kommen  aus  meinem  Kopfe  von  allen  diess  eins. 

d.  h.  Fatoma  Seli  war  geboren  von  Talu  Gula,  seiner  Mutter;  eines  Nachts, 

in  welcher  wir  zuerst  sahen  den  grossen  Nebelmond  (d.  i.  die  letzte  Nacht 

des  Decembers),  dieselbe  Nacht  werde  ich  nie  vergessen.  Das  ist  Eins. 


Asien. 


L  DIE  CHINESISCHE  SCHRIFT. 

Die  Chinesen  waren  Ton  jeher  ein  ackerbautreibeDdes  Volk,  welches 
mehr  die  Arbeit  als  den  Krieg  liebte,  mehr  Gewicht  auf  persöiüiches  Wissen 
als  auf  Ahnenruhm  legte  und  sich  durch  weise  Staatseinrichtungen  durch 
Tier  Jahrtausende  xu  eihalten  wusste,  während  alle  anderen  Volker  sich  im 
unruhigen  Kriegeslauf  abnützten,  abstarben  und  neuen  Gebilden  Platz  mach- 
ten. Mag  auch  manche  Elinrichtung  dieses  Landes  dem  Europäer  überlebt, 
manche  Sitte  als  widerlich  erscheinen,  im  Ganzen  muss  dieses  Volkes  Unver- 
wüstlichkeit  hohe  Achtung  einflössen,  ond  sorgfaltig  solhe  man  sich  bei 
Beurtheilung  ihrer  Einrichtungen  fragen,  ob  man  auch  vorurtheilsfrei  dieselben 
prüfe,  ob  man  nicht  die  eigene  Unvollkommenheit  als  Muster  aufstelle,  um 
das  fremde  Bessere  damit  zu  vergleichen,  und  weil  es  nicht  gleicht,  schlecht 
zu  finden.  Jedenfalls  gehören  Diejenigen  zu  den  wenigst  Unterrichteten,  welche 
das  Wort  Chinese  als  Scheltwort  gebrauchen  und  damit  den  Begriff  der 
Dummheit  verbinden  wollen. 

Die  Chinesen  gehören  zu  dem  grossen  mittelasiatischen  Volke  der 
Mongolen,  unterscheiden  sieh  aber  von  ihren  westlichen  Nachbarn,  den  mon- 
golischen Hirten,  durch  ihre  sesshafte  Lebensweise,  sowie  durch  ihre  ein- 
silbige Sprache,  welche  die  Frucht  ihres  eigenartigen  abgeschlossenen  Ent- 
wicklungsganges ist  Dieses  Volk  konnte  nur  äusserlich  unterjocht  werden, 
indem  fremde  Herrscher  sich  mit  Hilfe  ihrer  Kriegerhorden  auf  seinen  Thron 
setzten,  aberGeistund  Sprache  des  Volkes  blieben  herrschend  und  die  fremden 
Fürsten  mussten  ihnen  huldigen. 

Als  der  Stifter  des  chinesischen  Reiches ,  welches  in  der  heimischen 
Sprache  th  gSriun  ktco  , Reich  der  Mitte*  heisst,  %veil  die  Chinesen  ausser 


580  Pa-kwa. 

den  vier  Himmelsrichtungen  noch  als  fünften  Punkt  den  von  ihnen  bewohnten 
Boden  annehmen,  gilt  Pao-t  oder  Pohi,  bei  dem  man,  wie  bei  allen  Reichs- 
Stiftern  der  Vorzeit  nicht  unterscheiden  kann,  was  Yon  den  Nachrichten  Ober 
ihn  der  Mythe  und  was  der  Geschichte  angehört  Er  ist,  wie  der  Hermes  der 
Griechen  und  der  Thaud  der  Ägypter,  der  Begründer  der  Gesittung,  der  Schrift 
und  des  Handels,  wahrscheinlich  das  erste  Priestergeschlecht  und  die  erste 
Religion  der  Chinesen. 

1.  Die  Pa-kwa-Schrift 

Die  Schrift,  deren  Erfindung  dem  Fohi  zugeschrieben  wird,  ist  die  Pa- 
kwa  oder  8  Theilungen,  welche  wir  Seile  86  in  ihrer  Form  als  Windrose 
abgebildet  haben.  Wenn  erzählt  wird,  Fohi  habe  durch  diese  Zeichen  den 
Gebrauch  der  geknüpften  Schnüre  ersetzt,  so  muss  das  ein  Irrthum  sein,  da 
die  Formen  dieser  Pa-kwa  augenscheinlich  die  Bilder  Yon  Enotentheüungen 
in  verschiedener  Länge  und  verschiedener  Zusammenstellung  sind.  Wenn 
der  Name  Pa-kwa  erklärt  wird  durch  die  ,8  Ausgehängten*,  da  sie  bestimmt 
gewesen  seien,  das  Volk  zu  unterrichten  und  ihm  den  \^llen  des  Himmels 
oder  des  Fürsten  bekannt  zu  machen,  so  kann  sich  diess  sehr  wohl  auf  die 
Verwendung  derselben  zur  Zeittheilung  beziehen,  wie  ja  auch  unser  Wort 
Kalender  vom  Ausrufen  (xaXoj  ich  rufe)  herstammt,  indem  der  erste  Tag 
eines  jeden  Monats,  wofür  die  Erscheinung  des  Neulichts  bestinmit  war,  aus- 
gerufen ward.  Damit  war  jedoch  die  Bedeutung  der  Zeichen  so  wenig 
erschöpft  als  bei  den  Runen,  vielmehr  waren  diese  Zeichen  ausser  Zeit- 
zeichen auch  Zahlen,  Elemente  und  Eigenschaften,  wie  folgende  Zusammen- 
stellung*^ lehrt: 

^=  kyen,  Himmel  und  himmlische  Materie,  Yan,  erstes  Princip,  welches 
aUe  Dinge  erzeugt,  Äther,  flüssig,  feucht. 

Ss  tut,  Wasser,  Bergquellen,  Seen,  aufsteigender  Hauch,  leicht. 

SS  U,  Feuer,  schön  leuchtendes  Element^  Hitze  als  thätige  Kraft,  heiss. 

=^  tSih,  Donner,  Ausdünstung,  feurig,  Mutter  des  Blitzes  und  der 
Hitze,  hart. 

^^swen,  Wind,  Dünste  und  leichtes  Wehen,  bewegUch,  hmein- 
schreitend,  Holz,  biegsam. 

S-s  kan,  Wasser,  flüssiges  Element,  kühl,  kalt. 

S^  kefi,  Berg,  Dichte,  Bewegung  hemmend,  Ruhe,  Schwere. 


Pa-kwa.  28 1 

S  S  ktcefi,  Erde  als  irdische  Materie,  In,  zweites  Princip,  zerstörend, 
Dunkelheit. 

Diese  acht  Zeichen  beruhen  auf  dem  ersten  Princip  —  paii,  dem  Zeu- 
genden, und  auf  dem  zweiten  Princip  *  —  tn,  dem  Zerstörenden;  jenes  ist  das 
Licht,  dieses  die  Dunkelheit,  jenes  das  Leben,  dieses  der  Tod,  jenes  der 
Himmel,  dieses  die  Erde,  jenes  das  günstige,  dieses  das  ungünstige  Omen. 
Daher  sind  aUe  Zeichen  günstig  oder  ungünstig,  je  nachdem  sie  vom  Himmel 
oder  von  der  Erde  abstammen,  nämlich: 

günstig:  ungünstig: 

■B  Himmel,  Feuchte  g  S  Erde,  Trockenheit 

g^p^  Quelle,  Leichte  fB  Berg,  Schwere 

^S  Feuer,  Hitze  S-S  Wasser,  Kälte 

as  s  Donner,  Härte  9k  Wind,  Biegsamkeit. 

Wenn  es  daher  von  Fohiheisst:  .indem  er  die  Augen  in  die  Höhe  hob, 
sah  er  die  Figuren  des  Himmels,  indem  er  sie  senkte,  sah  er  die  Vorbilder, 
welche  auf  der  Erde  nachzuahmen  waren ,  er  betrachtete  die  verschiedenen 
Formen  der  Vögel  und  Vierfüssler,  sowie  die  Eigenthümhchkeiten  und  ver- 
schiedene Produclion  der  Erde,  sowohl  die  Körper  in  der  Nähe,  welche  er 
greifen  konnte,  als  entfernte  Gegenstände,  welche  er  bestimmen  konnte;  er 
fing  an  zu  ziehen  die  acht  Kwa's  oder  Symbole  in  Zeichnungen,  um  zu  durch- 
dringen die  Wahrheit  der  göttlichen  Weisheit,  wie  die  Natur  unbeweglich  und 
beweglich,  von  wo  sie  aufhört  nachzugeben,  und  von  da,  wo  sie  der  Kälte 
widersteht  und  m  ihnen  durch  Zwischenräume  die  EigenthümUchkeit  aller 
Wesen  zu  bestinmien,  die  Figui-en  derSee,  derBerge,  des  Windes,  desDonners 
und  der  Kälte', '^  so  ist  darunter  keine  Bilderschrift,  sondern  die  Aufstellung 
der  obigen  Zeichen  gemeint. 

Durch  verschiedene  Zusammenstellung  dieser  acht  Elemente  in  zwei 
Gliedern  entstanden  64  Zeichen,  z.  B. 


kien    ktcen    tun    tmm     au      sou       se       pi     u.  s.  w., 
über  deren  Bedeutung  die  Meinungen  jedoch  auseinandergehen,  so  dass  eine 
«ichere  Erklärung  unmöglich  ist,  zumal  ausser  dem  Buche  I  sich  nichts  von 
dieser  Schrifl  erhalten  hat.  da  sie  schon  in  grosser  Vorzeit  durch  die  Bilder- 
schrift verdrängt  worden  ist. 


282 


2.  Die  Schrift  Ku-weiL 

Die  gegenwärtige  Schrift  der  Chinesen  beruht  auf  einer  alten  Bilder- 
schrift (kurweti),  als  deren  Erfinder  Thsan-ke  genannt  wird,  der  um  das  Jahr 
2650  vor  Christi  gelebt  haben  und  ein  Minister  oder  Historiograph  (Ver- 
merker)  des  gelben  Kaisers  gewesen  sem  soll.  Der  chinesische  Archäolog 
Wei-tSan  sagt  darüber:  JE&  stand  einst  bei  dem  gelben  Kaiser,  Dinge  zu 
bilden,  einzurichten  und  zu  erfinden.  Es  waren  Tsiü-sun  und  Thsan-ke. 
Dieselben  erfanden  das  GefQge  der  Schrift  und  ersetzten  dadurch  die  geknüpften 
Schnüre.'  Im  Buche  Sün-kin-tse  heisst  es:  , Diejenigen,  welche  Schriften 
erfanden,  sind  eine  Menge,  aber  Thsan-ke  allein  hat  eine  solche  überliefert 
Er  befasste  sich  mit  einer  einzigen.'  Über  die  Schrift  selbst  wird  bemerkt: 
„Der  alte  Schriftschmuck  (ku-wen)  wurde  durch  ThsaA-ke,  den  Vormerker 
des  -gelben  Kaisers,  hervorgebracht.  Ke  hatte  an  dem  Haupte  vier  Augen  und 
verkehrte  mit  dem  göttlichen  Lichte.  Nach  aufwärts  blickend,  betrachtete  er 
den  Hüftstem,  die  Stärke  des  Runden  und  Krummen.  Nach  abwärts  blickend, 
untersuchte  er  die  Streifen  der  Schildkröte,  die  Gestalt  der  Fussspuren  der 
Vögel.  Er  pflückte  alle  Gestalten,  vereinigte  sie  und  bildete  Schriftzeichen.  ••• 
Im  Su-kin  des  weltberühmten  Kun-fu-tse  (Confucius)  wird  in  der  Stelle, 
welche  wir  auf  Tafel  V  in  verschiedenen  Schriftarten  geben,  der  Name  Thsan- 
ke's  nicht  genannt,  sondern  gesagt,  «die  heiligen  Männer'  hätten  die  Schrift 
erfunden,  und  in  der  That  kann  man  sich  bei  Erwägung  aller  Umstände  der 
Überzeugung  nicht  verschliessen,  dass  die  chinesische  Bilderschrift  nicht 
erfunden,  sondern  vom  Auslande  durch  eine  firemde  Dynastie  und  ein  fremdes 
Priestergeschlecht  eingeführt  wurde. 

Zunächst  muss  berücksichtigt  werden ,  dass  die  chinesischen  Schrift- 
steller, denen  wir  obige  Citate  verdanken,  bei  allem  Eifer,  den  sie  auf  die 
Sammlung  alter  Nachrichten  verwendeten,  einerseits  nur  die  heimische  Schrift 
und  nicht  auch  die  Schriften  anderer  Völker  kannten,  andererseits  auch  durch 
die  Historiographen  selbst  irregeführt  wurden.  Wir  haben  in  der  Betrachtung 
der  Genesis  gesehen,   dass  die  Juden,  unter  wülkürlicher  Verrückung  dei 

■ 

Umstände,  Götter,  welche  einen  grossen  Theil  der  Erde  zu  ihren  Verehren) 
rechneten,  wie  z.  B.  Abraham ,  dessen  Beschneidungstheorie  nicht  nur  die 
Juden,  sondern  auch  die  Ägypter  anerkannten,  zu  ihren  Stammvätern  machten. 
Als  im  3.  Jahrhundert  vor  unserer  Zeitrechnung  der  chinesische  Kaiser 
Tsin  §i-hoan-ti  zur  Alleinherrschaft  gelangt  war,  liess  er  den  grössten  Theil 


Ku-wen.  283 

der  Bücher  verbrennen,  um  alle  Spuren  früherer  Herrscher  ni  vertilgen, 
und  ähnlich  mochle  auch  der  oben  erwähnte  Kaiser,  wenn  er  ein  fremder 
Eroberer  war,  gehandelt  haben ,  wenn  es  ihm  darum  zu  thun  war,  seine 
fremde  Abkunft  vergessen  zu  machen;  er  liess  sich  in  die  Reihe  der  alten 
Herrscher  aufnehmen  und  die  neue  Schrift  als  eine  Erßndung  seiner  Priester 
ausgeben,  während  er  wahrscheinlich  auch  die  früheren  Überlieferungen  ver- 
tilgte und  nur  das  I-king  bestehen  liess,  welchem  ein  hoher  Geheimwerth 
beigelegt  wurde. 

Zu  dieser  Vennuthung  veranlasst  uns  der  Beiname  Thsan-ke's:  Tsin- 
Sun  (Verbreiter  der  religiösen  Gesänge),  *^  die  Betonung  des  Hüftstemes, 
welcher  identisch  mit  dem  ägyptischen  Siriussteme  sein  dürfte,  die  Zeit  der 
Einführung  der  Schrift  (2650  vor  Christo)  und  die  kurz  vorher  (2697)  erfolgte 
Einführung  des  60jährigen  Jahrescyclus,  der  unseren  Jahrhunderten  entspre- 
chend, eine  Verschmelzung  des  babylonischen  Decimal-  und  Duodecimal- 
Systems  ist  Im  Jahre  2782  vor  Christo  hatte  in  Ägypten  das  nur  alle  14-60 
Jahre  eintretende  Ereigniss  stattgefunden,  dass  der  Siriusstem  am  1.  Thot 
(20.  Juli)  zugleich  mit  dem  Beginne  der  Überschwemmungsperiode  aufge- 
gangen war,  und  es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  von  dieser  Zeit  das  beweg- 
liche ägyptische  Jahr  seinen  Anfang  nahm.  Die  Fixirung  fester  Zeitepochen 
war  eine  Arbeit,  welcher  viele  Beobachtungen  und  grosse  Kenntniss  der 
Mathematik  vorausgehen  mussten,  wozu  die  Pyramiden  in  Babylon  und 
Ägypten  Veranlassung  boten,  und  es  ist  sehr  wohl  möglich,  dass  bei  einem 
grossen  Völkerringen  im  Herzen  Asiens  Völker  bis  zum  fernen  Osten  ver- 
schlagen wurden,  dessen  Bewohner  sie  durch  ihre  höhere  Cultur  besiegten. 
Thsah-ke  als  Verbreiter  der  religiösen  Gesänge  lehnt  sich  jedenfalls  an  Thaud 
an,  der  neben  Schreiben  und  Rechnen  auch  die  Harmonie  der  Töne  er^ 
fünden  hat 

In  der  That  sind  die  Zeichen  der  Ku-wen,  soweit  sie  auf  Vasen  und  in 
alten  Büchern  erhalten  sind,^^^  sehr  ähnlich  denjenigen,  welche  auf  die  Wände 
der  ägyptischen  Pyramiden  (siehe  Seite  235)  gemalt  waren,  sie  stimmen  sogar 
mitunter  im  Lautwerthe  mit  den  ägyptischen  Hieroglyphen  überein,  nament- 
lich wenn  die  Lautverschiebung  und  der  Umstand  in  Erwägung  gezogen  wird, 
dass  Ägypten  und  China  nicht  in  directer  Verbindung  standen ,  sondern  die 
äassersten  Grenzen  eines  Centrums  waren,  in  welchem  die  Bilderschrift  sich 
bis  zu  einer  gewissen  Stufe  entwickelte.  Man  vergleiche: 


284 


Ku-wen. 


ägyptisch    fl    ab  Mond 
Vir  ^  Stern 
^^  ha  Haar 
MiTp  opÄ  Wolken 
0^^fu  weit 

•4^  o^,  hl,  Osten,  Morgen 
^^Jiwen  (u^o  Sinai) 
T    )^o  »Bauch* 
I  j7  (Lautzeichen) 
\   5«  (er)  ^  as  Pflanze 
Y  oÄ  Stock,  Scepter 
>»^  /t  Holz 
%|^  äna  Löwe 
^b^*«^  a6f  Leopard 

^ab(^ba,9r  Widder) 

^ar  Ziege 
,^L|  «m  Pferd 
^niRind 
^S»  6a,  sr  Widder 
^fffßapr  Eher 

Ak   n6  heiliger  Vogel 
^t   d,  "^J^  <J<  zwitschern 
0^p  (Lautzeichen) 
MT  Arm,  <n  sich  erheben 
%   II  (Lautzeichen) 

n  der  Gizeh-Pyramide  sieht  diesem 
Bilde  des  Schweines  ähnlich;  Gott  Schwein  war  bei  den  Ägyptern  Sebek.  bei  den 
Indem  Siwen,  später  wurde  der  Gott  Schwein  Gott  Krokodil  £«  ist  daher  möglich. 
dass  auch  früher  eine  Wandlung  eintrat* 


chinesisch    "^    ifire 

Mond            ägypti 

9           A    **'' 

Stern                     , 

G^  ^Ät 

Lufl                      , 

illil  yö 

Regen                   , 

,         /0\  yßn 

Wolke 

S.     ton 

Morgenroth          , 

•    , 

::i^    San 

Berg 

,            0     Um 

Mitte 

U    fan 

Viereck                 , 

1            ^     sai 

wachsen               . 

Y     »a 

Gabel                   . 

V     «» 

Zweig                   a 

.           t?    *« 

Löwe                    , 

• 

WD*« 

Tiger 

ca«y»« 

Elephant              . 

.       |ii|^« 

Hirsch                   , 

'\'~' 

Pferd                     , 

9J7^♦»y«* 

Ochse                  1 

,        *Wy«»« 

Widder 

1        Vir « 

Schwein*             , 

^  miao 

Vogel                    9 

J   ««^« 

Vögel                    , 

;;^  /•«■ 

Fliegen                 , 

t^  «/»• 

Wildfasan             . 

1 

■^  « 

Henne                   , 

• 

Das  äiryptische  Zeichen  des  Widders  ii 

Ku-wen. 


S86 


chinesisch     \^ffwan  Möve 

%J  /mm  Drache 

L»  ^  Schlange 

^  ktoei  Schildkröte 

O   /Ml  Schwanz 

ß^  Wdn  Vasall 

j^    tae  Sohn 


Nachkommen 
Auge 

Augenbrauen 
Nase 
Barke 

heilige  Vase 
Nagel 
Korb 
Bogen 
Pfeil 

Seidenquasten 
O    htcan   Kugel 
(  ß   kui^     grQssen 


^  mu 

cj)  pi 

t  tin 

W  An 


■  • 


ägyptisch  '^  ^tt  ausgezeichnet 
J^  r  Uräus-Schlangc 
"^^  d  (Lautzeichen) 
^  Zpr  Käfer^ 

^ph  Hintertheil 

%  k  Herrlichkeit 

j^  8  Kind,  A  mn  Zwerg 

I     «n  Bruder»  Schwester 
ii^  tna  sehen 

^  aw  Augenbrauen 

J^  fl  Nase 
[^  X^  heilige  Barke 

[|  oft  Opfer 
7  iU  meiseln 
'^^  k  (Lautzeichen) 

7   kns  Bogen  . 

I    Min  Pfeil 

X    h  (Lautzeichen) 

#   X  (Lautzeichen) 

^^  yti  umarmen 

W^  ha  Sistrum. 


nb 


^^    yo       Musik 

Wir  müssen  hierzu  bemerken,  dass  diese  Zeichen  auf  uns  nicht  den 
Eindruck  machen,  als  ob  sie  von  ungeübten  Händen  ausgingen,  eher  scheint 
eme  symbolisirende  Form,  welche  nur  so  riel  darstellte,  als  zum  Erkennen 
nothwendig  war,  hervorzutreten,  wie  z.  B.  in 


und 


*  Obgleich  auch  die  Ägypter  ein  Zeichen  für  die  Schildkröte  hatten,  so  dürfte 
doch  der  Käfer  hier  entsprechen,  da  der  ägyptische  Käler  mit  der  chinesischeD 
Schildkröte  den  Begriff  der  Heiligkeil  gemein  hat. 


486  Ku-wen. 

von  denen  das  erste,  yah,  das  Princip  des  Himmels,  daszweile,  in,  dasPrincip 
der  Erde  darslellt;  beide  Bilder  sind  Vasen  wie  das  ägyptische  9  ^»m  ,der 
WelUchöprer*,  der  Gott  des  Himmels  und  iler  Erde;  die  Gliinesen  unter- 
scheiden beide  Vaseo  durch  eingeschriebene  Zeichen,  und  zwar  enthält  das 
erstere  das  Zeichen  fQr  Glückseligkeil,  das  zweite  das  Zeichen  fQr  Unglück. 
Ferner  ist  Folgendes  zu  heachleni  Die  chinesische  Sprache  besteht  aus 
firca  450  einfachen  Laulverbindungen ,  denen  circa  200  einfache  Begriffs- 
zeichen  gegenüberstehen ;  die  Tradition  schreibt  dem  ThsaA-ke  die  Erfindung 
TOB  5i0  Zeichen  zu,  also  eine  Zahl,  welche  ui^efähr  den  Wortlauten  ent- 
spricht; es  scheint  somit  das  Absterben  der  Sprachausbildung  mit  der  Ein- 
führung der  Bilderschrilt  zusammenzuhängen;  aber  diese  ältesten  Zeichen 
waren  schon  nicht  ausreichend,  alle  Begriffe  darzustellen,  und  wurden  zu- 
sammengesetzt, um  das  nöthige  Äquivalent  herzustellen.  War  aber  die  Bilder- 
schrift eine  Erfindung  des  Thsan-ke,  so  begreift  man  nicht,  warum  derselbe 
die  Bilder  nicht  beliebig  vermehrte.  So  gut  man  einen  LOwen  und  einen 
Tiger  im  Bilde  unterschied,  konnte  man  doch  auch  einen  Hund  und  einen 
Fuchs  unterscheiden  (ägyptisch  \^  und  'S^) ;  aber  die  Chinesen  bezeichnen 
den  Fuchs  durch  den  Lautwerth  ku  und  das  Determinativ  des  Hundes,  eigent- 
lich, da  nt  /w  ,der  Kürbis*  ist,  als  .gelben  Hund*,  gerade  so  wie  Fuchs 
in  unserer  Sprache  ,der  Glänzende*  bedeutet;  ebenso  konnte  man  auch  eine 
Harke  zeichnen,  man  schreibt  aber  dafür  fP .  nämlich  pa  (Schwanz)  mit 
dem  Determinativ  ,Ho!z'  (ägyptisch  "^  ab  .Fell'  hat  Ähnlichkeit  mit  einer 
Harke);  wenn  Jii  Ueu  .SchiD"*  mit  dem  Zeichen  tf  Wasser  , Wasser 
becken'  bedeutet,  so  kann  man  an  die  Höhlung  des  Schifl'es  denken,  wenn 
es  mit  "p"  .Rede,  Geschwätzigkeit*,  mit  if^  Feuer  .Flackern  der  Flamme* 
bedeutet,  so  eriuiem  diese  Zusammenstellungen  an  das  Schwanken  des 
Schiffes.  Wir  haben  also  hier,  wie  im  Ägyptischen,  die  Verwendung  eines 
kleinen  Zeichen  vorrathes,  um  mühsam  durch  Umschreibung  B^riffe  zu  bilden, 
welche  viel  leichter  durch  die  zeichnende  Hand  in  einfachen  DarsteUungei. 
biwirkt  werden  konnten.  Dieser  Vorgang  weist  auf  keine  Erfindung  von  Bild- 
zcicheu  hin,  sondern  darauf,  dass  pietätvoll  überlieferte  Zeichen  beibehalten, 
nicht  vermehrt  wurden  und  dass  die  nothwendlge  Erweiterung  des  Ausdrucks 
ir\  der  Schrill  ganz  analog  dem  erfolgte,  wie  wir  durch  Zusammensetzung 
Unserer  Lautzeichen  Wörter  bilden.  Die  chinesische  unterscheidet  sich  ron 
doc  ägyptischen  Schrift  nur  dadurch,   dass  letztere  die  Zeichen  aneinander 


Ku-weii.  287 

reihte,  wie  es  eben  passte,  während  die  Chinesen  sorgsam  alle  Schriftzeichen, 
welche  einen  Begriff  darstellten,  in  ein  Quadrat  zusammendrängten. 

Die  .Herbeiziehung  der  göttlichen  Gefüge  in  dem  Buche  der  Eltern- 
liebe* sagt:  .Der  Hüftstem  ist  dem  Schriflschmucke  (wen)  vorgesetzt.  Was 
die  Zeichen  des  Schriflschmuckes  Thsan-ke*s  betrifft,  so  ist  dieses  im  allge- 
meinen gesprochen.  Es  mnschliesst  den  Sinn  und  giebt  der  Sache  den  Namen. 
Weim  man  es  theilt  und  den  Sinn  herstellt,  so  ist  der  Schriflschmuck  der 
Grossvater  und  Vater,  die  Schriflzeichen  (tse  Lautzeichen)  sind  die  Söhne  und 
Enkel.  Man  erlangt  sie  von  selbst,  man  bereitet  das  Ordnungsmässige  ihres 
Schmuckes.  Bildet  man  ab  das  Anhängende  der  Gestalt,  so  macht  man  sie 
zum  Schriftschmuck  (wen)*  Dadurch  wachsen  sie  und  wuchern,  Mutter  und 
Sohn  bringen  gegenseitig  Gestalt  und  Laut  hervor;  vereinigt  man  das  Anhän- 
gende des  Sinnes,  so  nennt  man  sie  Schriftzeichen  (tse).  *  ^^^ 

Es  hat  also  in  alter  Zeit  eine  bestimmte  Reihenfolge  der  Zeichen  ge* 
geben,  an  deren  Spitze  der  Hüftstem  stand,  wie  das  Zeichen  des  Thaud  an  der 
Spitze  der  ägyptischen  Zeichen.  Der  Name  der  Begrififszeichen  "^T  wen 
(Wurzel  X)  ist  identisch  mit  dem  ägyptischen  x  uu,  hebräisch  tau  .Zeichen' ; 
der  Name  der  Lautzeichen,  welcher  durch  das  Begriffszeichen  des  Kindes  *^ 
dargestellt  wird,  tse  ist  ähnlich  dem  ägyptischen  8t  .sprechen*. 

Nach  der  Tradition  bestand  schon  die  Schrift  Thsan-ke's  aus  sechs 
Ter><  hiedenen  Elementen:  1.  Sian-hiti  (Bilder  im  engern  Sinne);  t.  hoei-i 
Uusammengesetzte  Bilder),  z.  B.  Sonne  und  Mond ^^  Glanz,  Mund  und  Vogel 
s=Vügelgesang,  Wasser  und  Auge=Thränen,  Thür  und  Ohr  =  hören,  Daum 
und  Hand  =s  Keule,  Feld  und  stark  =  muthiger  Mann,  Frau,  Ohr  und  Hand 
s=eioe  Frau  nehmen  (heirathen),  Frau  und  Hand  ==  Sklave,  Frau  und  Kind 
s=  lieben,  Frau  und  entstehen  =  Familie  u.  8.  w.;  3.  täi-se  (eigentliche  Zeichen) 
wie  —  oben,  -:-  unten,  0  Mitte,  —  eins,  =  zwei,  =  drei;  4.  täwan  tiu 
(umgekehrte  Zeichen),  z.  B.  eine  Hand  ist  rechts,  verkehrt  links,  das  Zeichen 
fOr  aufrecht  ist  umgekehrt  .liegen*,  das  Zeichen  für  Mensch  umgekehrt 
.Leichnam' ;  5.  kia-tsie  (entlehnte  Zeichen),  z.  B.  schiek>ndes  Auge  für  .weiss*, 
keimende  Pflanze  für  .  geboren  werden,  wachsen* ,  zwei  Muscheln .  Kameraden*; 
6.  hin-4ih,  Bilder  und  Lautzeichen,  wonach  den  Bildern  Zeichen  beigegeben 
wurden,  welche  nur  die  Aussprache  bezeugen;  die  letzteren  haben  sich  so 
vermehrt,  dass  sie  gegenwärtig  *%o  aller  chinesischen  Wortzeichen  bilden, 
da  im  Laufe  der  Zeit  die  Aussprache  mehr  in  den  Vordergrund  trat 


288 

8.  Die  Schrift  Ko-teu. 

Unter  Ko-teu  oder  Froschwürmerschrifl  verstand  man  eine  Schriftart, 
deren  Striche  gewunden  waren  und  Knoten  bildeten,  wie  die  Probe  auf  Tafel 
IV,  Nr.  8,  zeigt;  dieser  Name  wurde  jedoch  allen  alten  Schriften  beigelegt, 
welche  keine  besonderen  Zierrathen  hatten,  und  man  kommt  dadurch  auf  die 
Vermuthung,  dass  überhaupt  die  Bilderschrift  im  Gegensatz  zu  den  regel- 
mässigen Strichen  der  Pa-kwa-Schrift  diesen  Namen,  sowie  den  der  Vogel- 
spuren-Schrift (Tafel  IV,  Nr.  9)  erhielt,  etwa  so  wie  man  noch  jetzt  die  Schrift- 
formen in  unserer  Sprache  spottweise  «Krähenfüsse*  nennt. 

Gerade  dieser  Umstand  beweist,  wie  wenig  Anlage  die  Chinesen  zu 
einer  Bilderschrift  besassen,  für  sie  war  fOr  ein  Zeichen  eine  bestimmte  Zahl 
von  Strichen  in  vorgeschriebenen  Richtungen  massgebend,  ihre  Kalligraphie 
beschränkte  sich  wie  die  unsrige  darauf,  diese  Striche  zu  schmücken,  aber 
die  Bildform  wurde  ganz  und  gar  vernachlässigt 

Der  Zufall  hat  uns  ein  Denkmal  erhalten,  ^^^  welches  den  Beweis  für 
die  Richtigkeit  dieser  Anschauung  liefert,  nämlich  die  Inschrift  des  nach- 
maligen Kaisers  Yü  aus  dem  Jahre  2278  vor  Christi,  also  372  Jahre  nach 
Thsan-ke.  Von  diesem  Denkmal  erzählen  die  alten  Chroniken,  dass,  nach- 
dem im  61.  Jahre  des  Kaisers  Yao  (2278  vor  Christo)  die  grossen  Gewässer 
grosse  Verheerungen  im  Lande  angerichtet  halten,  der  Minister  Yü  die  Flusse 
in*s  Meer  abgeleitet  und  zum  Andenken  daran  eine  Inschrift  in  den  Gipfel  des 
Berges  Keu-leu-fun  (in  der  Nähe  von  Peking)  eingegraben  habe;  es  war  lange 
Zeit  verschollen,  bis  im  Jahre  1208  nach  Christi  ein  Holzhauerden  gelehrten 
§u  dahin  führte,  der  von  den  schon  sehr  verwitterten  Zeichen  eine  Abschrift 
nahm.  Hiernach  wurde  von  den  chinesischen  Archäologen  auf  Grundlage 
alter  Schriften  eine  Restauration  dieser  Schrift  vorgenommen  und  der  so 
hergestellte  Text  auf  dem  Berge  Yo-lu-§an  eingegraben.  Interessant  ist  eine 
auf  die  Inschrift  bezügliche  Stelle  aus  dem  Buche  Kwan-yu-ki ,  weil  dieselbe 
eine  Ähnlichkeit  mit  der  Sage  von  den  mosaischen  Gesetztafeln  hat:  ,Yü 
opferte  auf  dem  T§en-§an  und  sah  im  Traume  einen  schönen  Knaben  von 
dunkler  Farbe,  der  auf  einer  weissen  Wage  blaues  Wasser  wog  und  zu  ihm 
sagte:  Wenn  du  wünschest,  dass  ich  eine  kurze  Schrift  von  der  Ableitung  der 
Gewässer  hierher  setzen  soll,  so  musst  du  selbst  fasten.  Yü  vollbrachte  also 
ein  dreitägiges  Fasten  und  erhielt  darauf  eine  goldene  Schrift  auf  einer  Tafel  von 
köstlichem  Steine,   welche  das  jetzige  Denkmal  des  Yü  ist.  Alle  Buchsta])en 


lose  hilft         I     HtfStaurirt      |         TSwan 


^ 
1 

« 


I 


0 


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Uiri  Der  ehr- 
würdige 


yt  GehilTen 
(und) 


/so  die  ihr 
mirhdslcht 


Verwaltung  i 


290 


Ko-teu. 


derselben  sind  Ko-teu.*  Ob  die  chinesischen  Paläographen  die  Inschrift 
richtig  restaurirt  haben,  ist  natürlich  eine  Frage,  welche  sich  jeder  FrOfung 
entzieht,  der  Text,  den  sie  herausgelesen  haben,  stimmt  mit  der  Oberlieferung 
überein;  in  einem  Gedichte  aus  den  Zeiten  der  Sun  heisst  es  aber:  «Insecten- 
züge  und  Yögelschriflen,  unverständlich  wie  die  Inschrift  des  heiligen  Yü  auf 
dem  Keu-leu. «  ^^ 

Wir  geben  auf  Seite  289  eine  Probe  der  ersten  Zeile  dieser  Inschrift 
in  alter,  r^staurirter,  Täwan-Schrift  und  jetziger  (KyaT-)  Schrift. 

Von  derselben  Schriftart,  wie  die  Yü-lnschrift  ist  die  folgende  von  Pau- 
Ihier  veröffentlichte  aus  dem  Jahre  2250  vor  Christi.  *®* 


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tsün    wei 


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isiü 


a  n 
r  i 


I      Zi 


ywe 


Es  war  nur  der  Tag  tin 
des  Cyclus  des  ersten 
Herbstmonats,  welchen 
der  König  als  einen 
glückbringenden 
bestimmte. 


M       wan 


im  Gegensätze  zu  den  einfachen  Formen  der  Ku-wen  haben  wir  hier 
iuuter  complicirte  Figuren,  z.  B.  Tag,  der  noch  jetzt  durch  das  einfache 
Zeichen  der  Sonne  ausgedrückt  wird,  besteht  in  der  Inschrift  aus  den  Zeichen 
für  Sonne  und  Mond,  zwischen  denen  sich  noch  eine  Figur  befindet.  Das 
Wort  tcei  bedeutet  ursprünglich  .beschauen,  genau  genommen'  und  in  Folge 
dessen  «nur* ;  das  Zeichen  für  Mond  zeigt  keine  Spur  von  der  gebräuchlichen 
Figur,  dagegen  scheint  die  Figur  für  /tn,  welches  einen  Nagel  bedeutet,  etwas 
Durchbohrendes  darzustellen. 

Der  groteske  Charakter  dieser  Formen  erinnert  sehr  an  die  Inschriften, 
welche  sich  auf  den  Felswänden  Sibiriens  finden.  Solche  Inschriften  findet 
man  in  Gross-Perm,  unweit  der  Stadt  Tzerdyn,  auf  Felsen  mit  rother  Farbe 
eingebrannt  oder  geschrieben.  Der  Fluss  geht  so  dicht  unter  den  Felsen, 
welche  öfters  so  jäh  und  glatt  wie  weisse  Mauern  und  hoch  wie  Kirchthürme 
emporragen,  und  die  Figuren  sind  so  in  der  Mitte  derselben  angebracht  dass 


Sibiriflcbe  FeUeninachrUlaa. 


S92  TSwan-ScHrift 

man  nicht  begreift,  wie  sie  dzhm  kommen  konnten,  hn  Sommer  konnteo 
keine  Leitern  angesetzt  werden,  da  das  Wasser  hier  tiefer  als  am  andern  Ufer 
ist,  und  im  Winter  verhinderten  die  schreckliche  Kälte  mid  der  oft  neun  Mana 
hohe  Schnee  das  Eingraben;  die  Arbeiter  musslen  sich  also  von  oben  herab* 
gelassen  haben,  oder  von  unten  mittelst  Einschlagen  von  Keilen  hinaufgeklettert 
sein,  in  der  Weise  wie  Alexander  den  Felsen  von  Sogdianum  stürmen  liess. 
Die  Zeichen  sind  eine  Viertel  Elle  lang,  etliche  auch  kleiner;  wir  geben  aul 
umstehender  Seite  einige  Proben  davon. 

Das  erste  Bild  links  zeigt  einen  Mann  und  eine  Frau,  unter  dem  Manne 
ein  Drache,  unter  der  Frau  ein  Thier,  welches  eine  Spinne  oder  ein  Scorpion 
ist,  es  sind  jedenfalls  die  Symbole  von  Himmel  und  Erde.  In  der  zweiten 
Figur  rechts  sieht  man  eine  achttheilige  Windrose,  in  der  Mitte  ein  Zeichen, 
welches  Zaun  oder  Ackerland  bedeutet,  unten  rechts  drei  Berggipfel,  perso- 
nificirt  als  heilige  Personen.  Die  übrigen  Zeichen  sind  zu  dunkel,  um  auch 
nur  Vermuthungen  zuzulassen. 

Jedenfalls  war  es  nur  der  religiöse  Eifer,  welcher  unzugängliche  Stellen 
wie  die  erwähnten  aufsuchte,  um  unauslöschliche  Denkmäler  zu  errichten. 
Vielleicht  war  hier  ein  Wallfahrtsort,  und  an  dem  Ufer  des  Flusses  lag  einst 
eine  nun  spurlos  verschwundene  Stadt,  welche  den  Cultus  dieser  Gottheiten 
pflegte. 

4.  Die  T§wan-Schrift.  (Tafel  V,  1.) 

Die  Complicirtheit  der  alten  Schriftformen  musste,  da  sie  nicht  auf 
bestimmten  Gesetzen  beruhte,  in  dem  weitausgedehnten  Reiche  eine  Schrift- 
zersplitterung erzeugen,  welche  das  Lesen  sehr  erschwerte  und  Missver- 
ständnisse hervorrief.  Daher  scheint  die  Nachricht  glaubwürdig,  dass  der 
Kaiser  Syuan-wan  (827  bis  78 1  vor  Christo)  den  Reichshistoriker  Täeu  beauf- 
tragt habe,  mit  seinen  (Sehilfen  an  eine  Sichtung  und  Vereinfachung  des 
Schriflbestandes  zu  gehen.  Diese  Männer  ordneten  die  Schriftbilder  in  15 
Reihen  und  suchten  die  Schrift  durch  Abwerfen  überflüssiger  Zierrathen 
leichter  und  fliessender  zu  machen;  der  Kaiser  liess  dann  die  Vorlagen  von 
anderen  Gelehrten  prüfen  und,  was  dergestalt  gesammelt  und  festgesetzt  war, 
in  Marmorsäulen  zur  allgemeinen  Nachahmung  eingraben. 

Der  NameTäwan  wird  durch  »Rohrschrift*  erklärt  (^T  ^Bambus); 
Pfitzniaier  giebt  aber  eine  andere  Erklärung:  ^Das  grosse  TSwan  ist  von  dem 


TSwan.  893 

Yermericer  (Historiographen)  Täeu,  dem  grossen  Vernierker  des  Königs  Syuen 
▼on  TSeu,  erfunden  worden.  Einige  sagen,  die  Vermerker  an  dem  Fusse  der 
Pfeiler  (so  heisst  der  aufwartende  Vermerker)  hätten  zuerst  die  alte  Schrift 
▼erändert.  Einiges  hätte  übereingestimmt,  Einiges  wäre  verschieden  gewesen. 
Man  nannte  es  das  TSwan.  ^b^  tbtcan  (oder  t^uen)  ist  so  viel  als  1  £  tSuxm 
vQberliefem*.  Man  überlieferte  die  Ordnung  der  Dinge  und  verbreitete  sie 
ohne  Ende*.  Eine  ähnliche  Erklärung  gibt  Pfitzmaier  von  dem  Worte  äu 
9 Schrift".  Er  sagt  .in  den  erklärten  Namen  ist  !^  Sü  .schreiben*  so  viel 
als  f-H  SU  .alle*.  Man  legt  aUe  Dinge  dar.  Es  besagt  auch  ^^  tSü  .über- 
tragen*. Man  überträgt  in  die  Hefte  der  Schrifttafeln  und  es  wird  in  Ewigkeit 
nicht  vertilgt.  ■  *«>« 

Was  uns  von  der  TSwan-Schrift  vorliegt,  lässt  vermuthen ,  dass  die 
Schriftreform  des  TSeu  eine  Rückkehr  zu  dem  alten  Ku-wen  des  Thsan-ke 
war.  In  den  dem  T§eu  speciell  zugeschriebenen  Ta-t§wan  oder  grossen 
T$wan  haben  die  Zeichen  .hören,  t  (Ursache)  und  fu  Vater"  folgendes 
Aussehen; 


^^6^ 


Die  Schriftkünstelei  begnügte  sich  aber  nicht  mit  diesen  einfachen 
Formen  und  suchte  Verzierungen  anzubringen,  wo  es  möglich  war.  So  ent- 
stand eine  Reihe  von  Spielarten,  welche  aber  keine  höhere  Bedeutung  haben 
ab  die  Zierschriften,  welche  Schreibkünstler,  Lithographen  und  Stempel- 
schneider für  Buchdruckereien  aus  unseren  alphabetischen  Zeichen  geschaffen 
haben.  Wir  haben  eine  Anzahl  derselben  auf  Tafel  iV  zusammengestellt  und 
theilen  nur  hier  mit,  wie  sie  heissen,  und  was  über  ihren  Ursprung  bekannt 
ist,**'  sie  führen  sämmtlich  den  Zusatz  TSwan  oder  §u,  welche  Wörter  oben 
erklärt  sind: 

1.  T^-tse^tSican^  d.  h.  »wunderbare  Schrift'.  Sie  ist  eine  mehr  aus- 
geschweifte Form  der  Ta-tSwan. 

2.  Fan-iU'tSicah,  d.  h«  Zeichen  der  Inschriften  auf  Grabsteinen  und 
Heirathscontracten  * .  Sie  soll  zu  Zeiten  der  T§eu  von  Moi-2in  erfunden  sein, 
sie  zeichnet  sich  durch  ihren  eckigen  Charakter  aus. 

3.  San-fan'ta^tiu'an,  d.  h.  .Schrift  der  erhabenen  Orte'.  Ihr  Erfinder 
bt  unbekannt;  sie  hat  eine  grosse  Ähnlichkeit  mit  jener,  welche  man  TSen, 
4L  h.  .paarweise  Zeichen'  nennt  In  dieser  ächiüt  sind  die  Striche  gcDroriitu 


TaM4. 


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2 


M  I/i 


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1! 


A^  3)\  H 


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8 


Chinesische  Schrift-Spielarten. 


> 


iC      v\\ . 


— Lj 


S94  Erklärang  der  Schriftarten  auf  Tafel  IV. 

und  eckig  gestaltet,  man  benützt  sie  noch  gegenwärtig  zu  Titeln  von  Bucheni. 
Auf  Tafel  Y,  2  ist  eine  grössere  Probe  dieser  Schrift  gegeben. 

4.  Swi-äu-iSwan,  d.  h.  9  Ahrenschrift*.  Die  Buchstaben  laufen  unten  in 
Ährenform  aus. 

5.  T^oati-sur^täwan,  d.  h.  sStemschrift*.  Die  Zeichen  sind  an  einzelneD 
Stellen  mit  Knöpfen  in  Form  von  Sternen  verziert. 

6.  Tao-J^fai'tswan,  d.  h.  .Hyaiblattschrift*.  Die  Pflanze  Hyai  ist  der 
wilde  Knoblauch;  die  Schrift  soll  aus  den  Zeiten  der  San  1766  Tor  Christo 
herrühren;  die  Striche  sind  ausgeschweift  in  Form  der  Blätter  knoblaucli- 
artiger  Gewächse. 

7.  Lun-UaO'täwcM,  d.  h.  .Drachenkrallenschrift'.  Die  Striche  haben 
Verzierungen  in  Form  von  Krallen. 

8.  Ko-teu-su,  d.h.  , Kaulquappenschrift'.  Nach  Einigen  soll  sie  von 
Thsan-ke  herrühren  in  Folge  eines  Missverständnisses,  welches  oben  erläu- 
tert wurde;  der  Bonze  §e-t§e  schreibt  sie  dem  Kao-yan-Se  2514  vor  Christo 
zu  ;  nach  Wei-sin  weiss  man  nicht,  zu  welcher  Zeit  sie  entstanden  ist,  und 
diess  dürfte  das  Richtigste  sein. 

9.  Nyao-ki-tStoan,  d.  h.  .Vogelspurenschrift*.  Im  Su-täwan  wird  sie 
dem  Thsan-ke  zugeschrieben,  wahrscheinlich  in  Folge  des  oben  bei  der 
Ko-teu-Schrift  erörterten  Missverständnisses.  Die  Schrift  zeigt  gar  keine  Ähn- 
lichkeit mit  Vogelspuren,  sondern  ist  nur  eine  gröbere  Form  der  Ta-t§wan. 

10.  Lin-äu,  d.h.  .Thierkönigsschrift',  d.  L  das  Einhorn,  dessen 
Männchen  hi,  dessen  Weibchen  Un  heisst  es  zeigt  eine  gute  Vorbedeutung 
an ;  die  Form  der  Schrift  zeigt  eher  eine  Schlangen-  oder  Eidechsen- Art. 

1 1.  Xyao-m,  d.  h.  ,  Vogelschrift'.  Soll  von  dem  Gründer  der  Dynastie 
Tseii  herstammen;  die  Striche  der  Zeichen  haben  Vogelköpfe. 

12.  Lwan-faii-thoan,  d.  h.  .Phönixschrift'.  Die  Striche  sollen  den 
Phönix  darstellen,  wenn  er  seine  Flügel  zusammenlegt,  um  sich  niederzu- 
lassen; die  Schrift  wird  wohl  mit  grossem  Unrecht  auf  das  Jahr  2506  vor 
Christo  zurückgeführt. 

13.  Luh'Uwan,  d.  h.  .Drachenschrift*,  stellt  Schlangen  vor;  sie  wird 
gar  auf  die  Zeit  des  Fo-hi  zurückgeführt,  jedenfalls  aus  Missverständniss, 
weil  Fo-hi  der  Drachengott  oder  Drachenpriester  war. 

14.  Kwi'äu,  d.h.  .Schildkrötenschrift'.  Wird  auf  die  Zeiten  des  Hoan-ti 
2698  vor  Christo  oder  auf  Tao*tan-§e  235S  vor  Christo  zurückgeführt;  auch 


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Chinesisch«  Schrifr-Spielarten. 


Erklärung  der  SchrilUrten  auf  Tafel  IV.  205 

hier  liegt  ein  Missverständniss  vor,  denn  die  Streifen  der  Schildkröte,  aus 
denen  die  Schriftzeichen  entnommen  wurden,  sind,  wie  wir  an  der  mongo- 
lischen Schildkröte  gesehen  haben,  die  Himmelsrichttmgen;  die  vorliegende 
Schrift  ist  aber  nichts  Anderes  als  die  Tlwan-Schrift,  deren  Striche  durch 
Schildkröten  ersetzt  sind. 

15.  Sten-tSe^iSwan,  d.  h.  , Scherenschrift'.  Soll  zu  den  Zeiten  der 
Dynastie  Han  erfunden  worden  sein,  es  ist  eine  schöne  Schrift,  deren  Striche 
in  Scherenform  auslaufen. 

16.  Fei-pe-äUj  d.  h.  , Schrift  des  weissen  Flugs*.  Sie  ist  ebenfalls  zu 
den  Zeiten  der  spätem  Han  von  Tsai-yun  erfunden.  ,  Ursprünglich  gebrauchte 
man  sie  in  den  Palästen  und  Vorhallen  zu  Aufschriften  der  verschlossenen 
Abtheilungen.  Da  ihre  Striche  gewaltig  und  gross  sind,  sollen  die  Schrift- 
zeichen leicht,  unscheinbar  und  nicht  voll  sein. '  (Pfitzmaier.) 

Es  geht  aus  diesen  Bemerkungen  hervor,  dass  die  chinesischen  Paläo- 
graphen  wenig  Zuverlässigkeit  besitzen  und  sich  handgreiflicher  Irrthümer 
schuldig  machen.  Alle  diese  Schriften  beruhen  auf  der  Täwanform;  wenn 
einige  aus  der  Zeit  herstammen,  wo  diese  Schrift  nicht  mehr  allgemein  im 
Gebrauche  war,  so  erklärt  sich  diess  daraus,  dass  die  TSwan-Schrift  auch  nach 
der  Einführung  modemer  Schriften  im  Clebrauche  blieb  und  noch  jetzt  zu 
Titeln  von  Büchem  verwendet  wird,  wie  etwa  die  gothische  Mönchsschrift 
sich  bei  den  Buchdruckem  zu  gleichem  Zwecke  im  Gebrauche  erhalten  hat. 

Durch  die  Schriftreform  des  TSeu  war  eine  kanonische  Schrift  geschaffen, 
welche  den  Regierungsbehörden  als  Gesetz  galt,  sie  hat  diese  Bedeutung  bis 
in  die  jetzige  Zeit  erhalten,  und  der  Herausgeber  des  zweitausend  Jahre  alten 
Wörterbuches  Swe-wen  sagt  mit  Recht:  «Ohne  Kenntniss  der  Schriftzeichen 
kmn  man  nicht  in  das  Herz  der  Weisen  sehen  (in  ihren  Geist  eindringen), 
ohne  das  Täwan  kann  der  Sinn  der  Schriftzeichen  nicht  ergründet  werden*. 
Und  alle  jetzigen  Forscher  auf  dem  Gebiete  der  chinesischen  Sprache  und 
Schrift  werden  diess  unterschreiben. 

Dennoch  zeigt  auch  diese  Schrift  kein  einheitliches  Gepräge.  Vergleicht 
man  die  Muster  auf  Tafel  IV,  so  findet  man  die  Thür  in  «hören*  in  der  1.» 
5.,  6.,  9.  und  16.  Schrift  durch  andere  Figuren  ersetzt,  in  der  4.  und  11. 
Schrift  sogar  durch  einen  Stem;  dem  Zeichen  für  t  ist  in  den  meisten  dieser 
Schriften  ein  anderes  Zeichen  beigegeben,  welches  ein  Mensch  zu  sein  scheint ; 
auch  dem  Zeichen  für  Vater  ist  in  einzelnen  Schriften  (i.,  9.,  11.,  12.,  13., 


296  TSwan. 

16.)  ein  anderes  Zeichen  beigegeben.  Bei  anderen  Schriftbildern  tritt  diese 
Verschiedenheit  noch  mehr  hervor;  so  findet  man  das  Schriftbild  für  kia 
Familie,  jetzt  ^f^,  wo  man  noch  nicht  weiss,  ob  es  ,  Schwein  unter  Dach' 
oder  »Menschen  unter  Dach*  bedeutet  (in  der  Yü-Inschrifl  ist  es  ^  Sohn 
unter  Dach)  in  vielerlei  verschiedener  Formen  dargestellt,  wobei  wir  nur  die 
charakteristischen  hervorheben:*®* 

f%iir^  rvi  lii  (II  1^1  fti -^  (51  r^  ffi  rs^i  1^ /Ti 

rfi\rtir^itl(Iir%\m(^falf^f?1(^fKl(fl 

Mit  der  TSwan- Schrift  schrieb  auch  der  berühmte  Philosoph  Kuü-tsei 
später  Kung-fu-tse  »König  der  Lehrer"  genannt,  welcher  von  550—479  vor 
Christo  lebte,  seine  Werke,  welche  den  Grund  zu  der  jetzigen  philosophischen 
Religion  der  chinesischen  Gelehrten  legten;  auch  er  erklärte  eine  Änderung 
in  der  Form  der  Schriflzüge  für  eine  der  wichtigsten  Regierungs-Angelegen- 
heiten des  Reiches,  weshalb  eine  Abänderung  oder  Verbesserung  Niemandem 
als  dem  Kaiser  gestattet  sein  solle. 

Aber  China  war  zu  jener  Zeit  in  mächtig  gewordene  Unterfürstenthümer 
zerfallen,  welche  dem  Kaiser  mehr  oder  weniger  unabhängig  gegenüberstanden, 
und  erst  dem  Kaiser  Tsin-§i-Hoafi-ti  (246  —  209  vor  Christo)  gelang  es,  der 
Unterfursten  völlig  Herr  zu  werden  und  die  Kaiserhoheit  zu  ehemaligem 
Glänze  zu  bringen.  Er  beauftragte  nun  seinen  Rath  Li-se,  Ordnung  in  die 
Schriften  zu  bringen,  dieser  stellte  in  Folge  dessen  eine  Schrift  her,  welche 
Syao-tSwan,  d.h.  das, kleine  TSwan  hiess.  Pfitzmaier  sagt  darüber:  ,Das 
kleine  TSwan  ist  durch  Li-se,  den  Reichsgehilfen  von  Tsin,  hergestellt  wor- 
den. Er  vermehrte  und  verringerte  das  grosse  Täwan.  Es  war  von  dem 
Schriflschmucke  TSeu's  theils  verschieden,  theils  stimmte  es  mit  ihm  überein. 
Man  nannte  es:  das  kleine  TSwan.  Es  heisst  auch  das  TSwan  von  Thsin.* 
Wir  geben  hier  als  Probe  dieselben  Schriftbilder,  welche  wir  als  Probe  des 
grossen  TSwan  gegeben  haben: 


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Die  Hauptarbeit  Li-se's  scheint  sich  mehr  auf  die  Orthographie  als  auf  die 
Form  der  Zeichen  bezogen  zu  haben,  d.  h.  auf  die  genaue  Bestimmung,  aus 
welchen  Elementen  jedes  Wortbild  bestehen  solle;  die  Zahl  der  damaligen 
geprüften  Wortbilder  soll  9353,   nach  andern  10.500  betragen  haben. ^^' 


U  297 

Aber  die  Durchführung  dieser  neuen  Orthographie  war  so  schwierig,  das 
Hangen  an  dem  Hergebrachten  und  an  localcn  Eigenthümlichkeiten  so  gross, 
d.iss  Li-se  dem  Kaiser  zur  Durchführung  der  neuen  Reform  eine  Gewalt- 
luassregel,  nftmlich  die  Verbrennung  der  Bücher,  empfahl;  vielleicht  waren 
auch  politische  und  dynastische  Gründe  massgebend,  welche  die  Verlöschung 
der  Vergangenheit  empfahlen  —  eines  aber  ist  jedenfalls  ausgeschlossen,  das 
ist  die  Vermuthung,  Li-se  habe  die  Verbrennung  der  Bücher  aus  Eitelkeit 
empfohlen,  um  seinen  Schriflzug  zur  Geltung  zu  bringen,  denn  dieser  Ver- 
muthung widersprechen  zwei  Thatsachen:  erstens  der  Umstand,  dass  die 
Bücher,  welche  vom  Ackerbau,  von  der  Musik,  der  Heilkunst,  der  Slern- 
sf'herei,  dem  wahrsagenden  Losen  und  von  den  Thaten  des  Herrscherhauses 
Tlisin  handelten,  sowie  Lao-lse's  Tao-te-kiÄ  und  das  I-kin,  von  der  Ver- 
brennung ausgenommen  waren,  zweitens,  dass  Li-se  das  Aufkommen  einer 
andern  Schrift,  von  welcher  wir  jetzt  sprechen  wollen,  nicht  behindert,  son* 
dem  sogar  gefordert  zu  haben  scheint. 

6.  Die  Li-Schrift.  (Tafel  V,  3.) 

Cber  die  Entstehung  derselben  wird  Folgendes  berichtet:  «Die  Schrift 
der  Zugesellten  (U  oder  Beamten)  ist  von  dem  zu  den  Zeiten  Thsin  lebenden 
Menschen  T§in-mo  aus  Hya-kwei  erfunden  worden.  Mo  fülirte  den  Jünglings- 
namen Twen-tsin.  Er  war  anfänglich  ein  Angestellter  des  Gefängnisses  des 
Districts  und  machte  sich  eines  Verbrechens  schuldig.  Der  Kaiser  des  Anfangs 
Hess  ihn  in  dem  Ge^gnisse  von  Yün-yan  einschliessen  und  binden.  Jener 
dachte  durch  zehn  Jahre  tief  nach.  Er  vermehrte  das  Viereckige  und  Runde 
des  kleinen  TSwan  und  bildete  dreitausend  Zeichen  der  Schrift  der  Zugesellten. 
Er  meldete  dieses  an  dem  Hofe.  Der  Kaiser  des  Anfangs  fand  die  Schrift  gut. 
Er  verwendete  Jenen  und  ernannte  ihn  zum  kaiserlichen  Vermerker.  Weil 
die  ftir  den  Hof  bestimmten  Meldungen  sehr  zahlreich  und  die  Zeichen  des 
T»wan  schwer  zu  bilden  waren,  bediente  man  sich  der  Schrift  Li.  Die  zuge- 
sellten Menschen  halfen  schreiben.  Deswegen  sagte  man:  die  Schrift  der 
Ziipesellten.  ■  "<> 

Diese  Schrift  ist  ofTenbar  das  Product  eines  neuen  Schreibmateiials,  des 
F^insels,  der  um  diese  Zeit  von  Muii-tian,  einem  Feldhcrm  des  Kaisers  Si* 
hoan-li  erfunden  wurde,  als  er  die  grosse  chinesische  Mauer  wider  die 
Tataren  erbaute  und  dieReidiSgrenze  hütete.  Dass  die  Entilcc  kling  des  Pinsels 


298  Thsao. 

an  der  Reichsgrenze  gemacht  wurde,  legt  allerdings  die  Vermuthimg  nahe, 
dass  der  Pinsel  bei  einem  benachbarten  Volke  im  Gebrauche  war  uad  von 
Muh-tian  nur  eingeführt  wurde.  Sei  dem  wie  ihm  wolle,  der  Pinsel  an  Stelle 
des  Rohrstäbchens  oder  der  Rohrfeder  musste  eine  flQchtigere,  wenn  auch 
eck'ge  Schrift  erzeugen.  Hierauf  folgte  die  Erfindung  des  Papiers  im  2.  oder 
1.  Jahrhundert  vor  unserer  Zeitrechnung  (nachdem  die  Ägypter  es  schon 
Jahrtausende  lang  kannten) ,  und  damit  war  einem  weitern  Portschritt  der 
Schrift  der  Weg  geebnet 

6.  Die  Thsao-Schrift.  (Tafel  V,  4.) 

Diese  Schrift,  welche  zu  deutsch  «Pflanzenschrift*  heisst,  ist  die  cur- 
sivste  Form  der  chinesischen  Schrift,  eine  Art  Schnellschrift.  Es  heisst  darüber 
in  chinesischen  Quellen:  ,Die  Entstehung  der  Pfiianzenschrifl  fallt  in  das 
nahe  Alterthum.  Nach  oben  ist  sie  nicht  von  den  Bildern  des  Himmels 
herabgelassen  worden.  Nach  unten  ist  sie  nicht  von  dem  Flusse  und  dem 
Lo  ausgeworfen  worden.  In  der  Mitte  ist  sie  nicht  von  höchstweisen  Menschen 
erfunden  worden.  Gegen  das  Ende  von  Thsin  war  nämlich  das  Schreiben 
der  Obrigkeit  mühselig  und  flüchtig,  Kämpfe  und  Überfälle  erfolgten;  in  dem 
Kriegsheere  schrieb  man,  indem  man  vereint  einherjagte,  die  gefiederten 
Holztafeln  flogen  vereint  umher.  Deswegen  war  der  Geist  der  Schrift  der 
Zugetheilten  und  der  Pflanzenschrift  nur  Eile  und  Schnelligkeit.  Man  zeigte 
hindeutend  auf  die  Leichtigkeit  der  Schrifttafeln,  es  war  nicht  die  Beschäf- 
tigung höchstweiser  Menschen.  Diejenigen,  welche  in  der  gegenwärtigen  Zeit 
die  Pflanzenschrift  lernen,  denken  nicht  an  das  Absichtliche  der  Leichtigkeit 
der  Schrifttafeln,  sie  meinen  geradezu,  dass  die  Schrift  der  Männer  der  Cie- 
scMechter  Tu  und  Thsin  auf  den  Drachen  und  Schildkröten  sichtbar  geworden. 
Ehe  sie  noch  die  Milchzähne  verloren  haben,  nehmen  sie  es  vorläufig  auf 
sich  und  gehen  über  zum  Lernen.  Sie  lassen  fallen  Thsaö-ke  und  den  Ver- 
merker Täeu.  Zuletzt  halten  sie  die  Männer  der  Geschlechter  Tu  und  Thsiü 
für  Muster.  Eigenthümliche  Schriften  werden  ihnen  gegeben,  die  gemeinen 
werden  allein  ausgebildet  Man  sagt,  weil  sie  Drang  und  Eile  haben,  des- 
wegen erreichen  sie  nicht  die  Pflanzenschrift  Die  Pflanzenschrift  war 
ursprünglich  leicht  herzustellen  und  schnell.  Jetzt  ist  sie  im  Gegentheil 
schwer  herzustellen  und  langsam.  Der  Zweck  ward  verfehlt  in  vielfacher 
sieht-.  "^ 


Kvai.  29^ 

Die  Geringschätzung,  mit  welcher  hier  von  der  Pflanzenschrift  gespro- 
chen wird,  hat  ihren  Grund  in  der  Verwischung  der  Charaktere,  welche 
gewissermassen  die  Etymologie  der  Wörter  bilden  und  deren  Erkenntniss  das 
AufTassen  schwieriger  und  seltener  vorkommender  Wörter  erleichtert.  Daher 
hat  sich  die  Pflanzenschrift  nur  in  BQchem  leichter  Gattung,  in  Romane» 
und  im  täglichen  Briefverkehr  erhalten  können,  fOr  wissenschaftliche  Werke 
kam  sie  nicht  zur  Anwendung  und  ebensowenig  im  amtlichen  Verkehr, 
Dagegen  ist  sie  in  Japan  die  Grundlage  einer  vielgebrauchten  Schrift,  der 
Firakanna  (S.  310),  geworden,  weil  die  japanische  Schrift  eine  Silbenschrift 
ist  und  daher  kurze  und  flüchtige  SchrützQge  viel  besser  verträgt 

7.  Die  Kyai-Schrift.  (Tafel  V,  5  und  6.) 

Wie  bereits  erwähnt,  genügte  die  Pflanzenschrift  nicht  für  das  wissen* 
schaftliche  Bedürfniss,  welches  gern  wieder  zur  TSwan-Schrift  zurückgriff,. 
um  den  Wortzeichen  einen  sprechenden  Ausdruck  zu  verleihen.  Die  An- 
wendung des  Pinsels  und  des  Papiers  bedingte  jedoch  eine  neue  Schnflform, 
und  so  entstand  allmählich  (denn  ein  Erfinder  wird  nicht  genannt)  im  4.  Jahr- 
hundert die  Kyai-,  d.  h.  Musterschrift,  welche  sich  bis  jetzt  im  Gebrauche 
erhalten  hat.  Die  Entstehung  dieser  Schrift  lässt  sich  an  der  auf  Tafel  V 
gegebenen  Probe  verfolgen,  wenn  man  das  TSwan  mit  dem  Li  und  dem  Kya> 
vergleicht.  Tafel  V  zeigt  zwar  zwei  Kyai- Schriften,  nämlich  das  Sun-pan 
(Tafel  V,  5)  und  das  Hifi-§u  (Tafel  V,  6).  Das  letztere  ist  eine  cursivere 
Form  des  erstem,  welches  durch  den  Holztafeldruck  eine  gleichmässigere 
Form  bewahrt  hat  als  das  mit  dem  Pinsel  hergestellte  HiA-äu. 

Die  chinesische  Schrift  wird  von  oben  nach  abwärts  und  in  Zeilen 
geschrieben,  welche  von  rechts  nach  Imks  laufen,  der  Text  der  Tafel  V  ist 
daher  in  folgender  Weise  zu  lesen: 


Zweite  Zeile: 

Erste  Zeile: 

1         durch 

sml 

oben 

Su       Schrift     ) 

V 

li         schwarz  \ 
pe        hundert 

Schrift 

ku 
kye 

sen 

AUerthum 

knüpfen  i    ,             .    ^ 
>  Knotenschrift 
Schnur    ) 

kwan  Beamte 

r 

und 

1          damit 

tu 

regieren 

tu       regieren 

httt 

nach 

300  Erklärung  der  Schrift-  und  Spraubprobe  auf  Tafel  V. 

Zweite  Zeile:     (Fortsetzung)     Erste  Zeile: 
ivan     zehntausend  Si        Geschlecht 

min      Volk  ^in       heilig 

t  damit  zin      Mensch 

si        prüfen,  unterrichten  i  verwandeln,  ersetzen 

t^  sie 
Die  chinesische  Sprache  reiht  Stamm  an  Stamm,  Flexionen  kennt  sie 
nicht,  ob  der  Stamm  Substantiv,  Adjectiv,  Verbiun,  Adverb  oder  Conjunction 
ist,  lehrt  nur  seine  Stellung  im  Satze,  wonach  das  Adjectivum  dem  Sub- 
stantiv vorausgeht,  das  Verbum  demselben  nachfolgt  und  die  Partikel  den  Satz 
beginnt  oder  schliesst.  Daher  ist  san  ,oben*,  Adjectiv;  ku  «alt*,  Subject: 
Alterthum,  beide  bedeuten  demnach  .im  höchsten  Alterthum*  (in  den  ältesten 
Zeiten);  kye-äen  ,  Knotenknüpfen  *  ist  hier  Verbum;  f  ist  Verbindungspartikel; 
bei  täi  , regieren*  ist  zu  ergänzen  , damit* ;  heu  ,nach*,  ursprünglich  «Hinter- 
theil*,  bedeutet  die  folgende  Zeit,  unser  .hiemach*,  H  .Geschlecht*  ist  hier 
im  Plural  aufzufassen,  beide  Wörter  sind  zu  übersetzen  .die  folgenden  Genera- 
tionen*; Hn  bedeutet  die  höchste  Weisheit  und  sittliche  Reinheit,  der  Aus- 
druck .heiliger  Mensch*  wird  auf  Fo-hi  bezogen,  es  bedeutet  aber  überhaupt 
ein  Priestergeschlecht  und  dürfte  richtiger  sich  auf  Thsan-ke  beziehen,  welcher 
die  Bilderschrift  in  China  einführte;  t  ist  hier  Verbiun;  tu  ist  eine  rück- 
bezügliche Partikel;  das  folgende  t  ist  Partikel,  ursprünglich  bedeutete  es 
.Ursache*,  indem  es  sich  aber  auf  .verwandeln*  oder  .ersetzen*  und  Schrift 
bezieht,  ist  es  mit  .durch*  zu  übersetzen;  iu^U  ist  eine  Zusammensetzung, 
welche  dem  Worte  äu  einen  allgemeinen  Begriff  giebt;  pe  .hundert*  und  wan 
.zehntausend*  sind  hier  nicht  Ordinalzahlen,  sondern  drücken  eine  Allge- 
meinheit aus,  wie  wir  sagen  würden  .Himderte  von  Beamten,  Tausende  von 
Leuten*.  Die  Stelle  heisst  also: 

.  Im  hohen  Alterthum  bediente  man  sich  der  geknüpften  Schnüre  für  die 

.Leitung  der  Geschäfte,  während  der  folgenden  Generationen  ersetzte 

.sie  der  heilige  Mann  durch  die  Schrift;  alle  Beamte  verwenden  sie  zur 

.Leitung  der  Geschäfte,  das  ganze  Volk  wird  darin  unterrichtet* 

Es  geht  hieraus  hervor,   dass  die  chinesische  Sprache  an  Deutlichkeit 

manches  zu  wünschen  übrig  lässt;  es  galt  in  alter  Zeit  bei  den  Chinesen  der 

Grundsatz:  .vorher  reiflich  überlegen,  was  man  schreiben  will,  und  dann  den 

Gedanken  kurz  ausdrücken*,   daher  muss  auch  der  Leser  sorgsam  darüber 


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Entwicklung  der  chinesischen  Schrift  301 

nachdenken,  was  gemeint  ist,  und  möglicherweise  kann  er  den  Sinn  missrer- 
stehen;  in  Folge  dessen  sind  die  alten  Uberliefenmgen  schwer  xu  deuten.  Dass 
auch  die  jüngere  Schrillstellerei  nicht  besonders  klar  ist,  davon  liefert  die 
Polemik  des  Stanislas  Julien  gegen  Pauthier  ergötzliche  Beweise.  ^^'  Diese 
beiden  französischen  Gelehrten  hatten  ein  chinesisches  Reiseweik,  welches 
Ton  hidien  handelte,  übersetzt  und  Julien  corrigirt  die  Übersetzung  seines 
Vorgängers  in  folgender  Weise: 

Pauthier:  Jetzt,  zufolge  einer   genauen  und  passenden  Aussprache, 
nennt  man  es  In-tu. 

Julien:  Heute  ist  es,  einer  genauen  Aussprache  gemäss,   passend, 
in-tn  zu  sagen. 

Pauthier:  Andere  haben  nur  Kleider,   welche  die  Form  des  Thaues 
(ros^)  haben. 

Julien:  Einige  tragen  keine  Kleider  und  gehen  nackt. 

Pauthier:  Die  Menschen  sind  diesen  Läppereien  sehr  ergeben. 

Julien:  Es  giebt  viele  Menschen,  welche  blossfQssig  gehen. 

Pauthier:  Sie  zieren  ihre  Nasen  mit  grossen  herabhängenden  Ringen. 

Julien:  Sie  haben  eine  lange  Nase  und  grosse  Augen  etc.  etc. 

Werfen  wir  noch  einen  kurzen  Blick  auf  die  Entwicklung  der  Kyai- 
Schrift,  so  wird  das  erste  Zeichen  erklärt  als  aus  *  .oben*  entstanden, 
die  TSwanform  ^  lässt  aber  vermuthen,  dass  neben  — £—  noch  ein  anderes 
2^ichen  für  .oben'  bestand,  ähnlich  dem  Zeichen  \j^  tSi  .aufrecht*,  dessen 
einfachere  Form  J^  san  .oben*  ist.  ^  ku  .Alterthum"  wird  erklärt  als 
-t*  .zehn"  und  .Mund*  (was  durch  zehn  Mäuler  geht),  es  dürfte  aber  eher 
die  Zunge  des  Mundes  sein,  wie  das  hebräische  *xsnp  qadmom  .das  Vordere, 
die  Vorzeit*  oder  eine  Pflanze  wie  das  ägyptische  ^  (w  im  Sinne  von  jT  tr 
Reife,  Ausfallen  der  Körner  (Ausfallen  der  Haare),  schimmelig  werden  (wie 
man  vom  .grauen*  Alterlhum  spricht);  der  halbrunde  untere  Theil  des 
TSwanzeichens  ist  im  Kyai  viereckig  geworden.  JK  ist  die  Quaste,  welche 
im  Kyai  j^  in  einzelne  Striche  aufgelöst  ist  ^  ist  zusammengesetzt  aus  J. 
.Erde*  und  p  .Mund*  und  bedeutet  .Glück*,  in  Verbindung  mit  der 
Quaste  deutet  es  auf  den  Grebrauch  der  Knoten  als  Schrift  hin ;  9k  ist  das 
Zeichen  ftlr  .Frösche*,  ^  dasselbe,  nur  viereckig;  ^V  T  »und*  soll 
ursprünglich  ein  Backenbart  gewesen  sein,  es  ist  jedenfalls  etwas  Cinschlies- 
•endes,  Vereinigendes,  wie   Pjn.    Das  Zeichen  für   .regieren*   entliäll  das 


302  Entwicklung  der  chinesischen  Schrill 

Zeichen  des  Wassers ,  wie  wir  schon  bei  einer  frühem  Gelegenheil  auf  die 
Ähnlichkeit  von  ^otir^mer  «regieren*  und  ^otirentai/. Steuerruder*  hingewiesen 
haben;  doch  könnte  das  Zeichen  fOr  Wasser  Iff   auch  die  ,IIand*,  T§wan 

Jp  ,  sein;  das  Zeichen  ^J  kommt  entweder  von  dem  vorigen  oder  von  ^, 
^'ie  die  Li-Schrift  zeigt;  das  Zeichen  ^  ,  Kyai  K  ,  dürfte  eine  mäandrische 
Figur  sein,  der  Ausfluss,  der  Quell,  in  Folge  dessen  die  Ursache  u.  s.  w.  ^^ 
,  nach  *  besteht  aus  dem  Knoten  oder  der  Quaste,  dem  Zeichen  fQr  .  Finstemiss  * , 
und  «gehen*,  das  letztere  ^  erinnert  an  das  hierogiyphische  ff,  und  dem 
entsprechend  scheint  ^  das  Kyai  "Jj^^  .führen*  zu  sein,  während  ^  auch 
im  TSwan  sonst  als  ^  voriLommt,  dem  Sinne  schliesst  sich  .nach*  als 
.folgen*  an;  ^  Si  .Geschlecht*  wird  als  dreimal  zehn  erklärt,  mir  scheint 
-es  ein  Baum  zu  sein,  der  Zweige  treibt,  es  kon[m:it  hn  TSwan  auch  als  i?X 
vor  und  war  dann  das  ägyptische  K],  hebräisch  fj^K  eieph  .tausend,  Familie, 
Stamm*;  das  Zeichen  für  .heilig*  besteht  aus  .Ohr*  und  ,Mund*.  der  untere 
Theil  scheint  ein  Wassergefass,  das  Symbol  der  Reinheit  zu  sein;  das  Zeichen 
für  Mensch  stinmit  im  TSwan  mit  dem  hieratischen  ^  (#  Kopf)  überein,  das 
Kyai  stellt  es  wie  zwei  Füsse  in  schreitender  Bewegung  dar  (man  vergleiche 

jI  =  y^  i»  eingehen  und  A  ün  Mensch),  demnach  war  der  Mensch  der 
Zweibeinige;  das  Zeichen  fQr  %  .verwandeln*  ist  mir  unklar,  es  hat  Ähn- 
lichkeit mit  einem  Vogel  oder  sonstigen  Thier;  ^  ist  die  junge  Pflanze, 
^aher  tu  so  viel  wie  .hervorgehen,  entstehen*,  es  ist  möglich,  dass  diese 
Form  zu  ^  wurde,   da  es  sich  aber  als  \XX   thse   .Pflanzenkeim*    und  in 

H!  tShu  y herauskommen*  erhalten  hat,  so  liegt  die  Vermuthung  nahe, 
dass  2^  ^^  anderes  Vorbild  hatte,  etwa  wie  das  ägyptische  ^^  8  .die 
Schlange*,  welche  ebenfalls  diese  Grundbedeutung  hat;  dass  das  Kyai  nicht 
immer  die  TSwanzeichen  rein  und  lauter  nachahmte,  beweisen  die  TSwan- 
form  ^  und  ^^  ,  denen  die  einzige  Kyaiform  ^1  gegenübersteht,  letztere 
ist  offenbar  das  zusammengesetzte  Zeichen,  bestehend  aus  k  und  ^^;  das 
Zeichen  für  Schrift  ist  ein  Pinsel  und  ein  Tintenfass,  oder  eine  Rohrfeder, 
ilhnlich  dem  ägyptischen  fal  <ni  .schreiben*;  es  wäre  möglich,  dass  man 
das  Zeichen  ^  (eine  Hand  mit  einem  Holz,  ähnlich  A  Knochen)  für  den 
Pinsel  gebrauchte,  als  dieser  aulkam;  ^  min  .Volk*  scheint  ähnlich  S 
Jähin  .Unterthan*  zu  sein.  Es  dürilte  aus  diesem  schwachen  Versuche  einer 
Erklärung  hervorgehen,  dass  die  chinesische  Schrift  eine  werthvolle  Fund- 
grube für  das  Verständniss  der  BegrifTsent^icklung  ist,  und  es  wäre  nur  zu 


Veiinehrung  und  Sammlung  der  Zeichen.  303 

wOnscheu,  dass  die  Analyse  dieser  Schrifl  noch  mehr  fortgeführt  würde, 
nach  Art  der  dankenswerthen  Andeutungen,  welche  Schott  in  seiner  chine- 
sischen Giximinatik  gegeben  hat. 

Die  Vemvendung  des  Pinsels  und  des  billigen  Papiers  hatte  jedenfalls 
eine  grosse  Ausdehnung  des  Schreibgeschäftes,  eine  Vermehrung  des  Wissens 
und  in  Folge  dessen  des  Wortschatzes  zur  Folge.  Während  das  von  Hyu-§in 
unter  dem  Titel  .Verständige  Deutung  der  einfachen  und  abgeleiteten  Zeichen* 
um  das  Jahr  100  Yerfasste  Wörterbuch  nur  9353  Zeichen  erörterte,  hatte 
das  Ton  TsiA-tsyao  im  5.  Jahrhundert  zusammengestellte  schon  24.000 
Zeichen,  denn  im  Jahre  453  sollen  allein  über  tausend  neue  Zeichen  aufge- 
stellt worden  sein.  Eine  Fülle  von  neuen  Begriffen  mag  mit  dem  Buddhismus 
nach  China  gekommen  sein,  der  den  Chinesen,  welche  keine  Fremdwörter 
annahmen,  Anlass  zur  Erweiterung  ihrer  Sprache  und  Schrift  gab,  indem  sie 
einem  Wortzeichen  ein  BegrifTszeichen  einschoben  und  dadurch  den  frühem 
Begriff,  wohl  auch  den  frühem  Laut  modificirten.  Auch  die  Erfindung  des 
Bücherdrucks  mittelst  Holztafeln  im  6.  Jahrhundert  trug  zur  Vermehrung  von 
Sprache  und  Schrift  bei,  da  durch  den  billigen  Bücherdruck  die  an  einem 
Orte  aufgestellten  Schriftzeichen  bald  in  den  übrigen  Theilen  des  Reiches 
bekannt  wurden.  So  wuchs  die  Zahl  der  Wortbilder  allmählich  bis  über  CO.OOO 
an,  von  denen  jedoch  viele  veraltet,  d.  h.  in  der  Gegenwart  nicht  mehr  ange- 
wendet sind  und  nur  in  älteren  Büchern  vorkommen.  Das  unter  dem  Kaiser 
KaA-hi  1716  veröffentlichte  Wörterbuch  Tse-tyan  (Gesetz  der  Zeichen), 
welches  gegenwärtig  noch  für  alle  amtlichen  Schriften  massgebend  ist,  ent- 
hält 42.000  erklärte  Schriftzeichen,  umfasst  aber  nicht  alle  Ausdrücke  fttr 
Schöngeistiges  und  für  die  Kunstsprache  der  Gewerbe.  Diesen  Zeichen  stehen 
in  der  lebendigen  Sprache  450  Lautverbindungen  gegenüber,  welche  indessen 
durch  verschiedene  Tonhöhe  vervielfältigt  werden;  wo  auch  diese  Verstän- 
digung nicht  ausreicht,  greift  auch  der  Chinese  zu  demselben  Mittel,  welches 
unsere  vielsilbigen  Wörter  schuf,  er  fügt  dem  Worte  ein  erklärendes  bei,  wie 
er  in  der  Schrift  dem  Laute  ein  erklärendes  Zeichen  beigefügt  hat. 

Die  grosse  Zahl  der  Schi-iftzeichen  übersichtlich  zu  ordnen,  bot  von 
jeher  Schwierigkeiten.  In  alter  Zeit  sollen  die  Zeichen  (zuerst  von  Pao  1078 
vor  Christo)  in  jenen  sechs  Abtheilungen  geordnet  sein,  die  man  auf  TlisaA-ke 
xurflckführt  und  welche  wir  bei  der  Ku*wen-Schrift  besprochen  haben;  später 
wurden  die  Zeichen  nach  Materien  geordnet.  Hyu-äin  stellte  100  nach  Christo 


304  Verschiedenheit  der  Aussprache. 

540  Stammzeichen  oder  Glassenhäupter  auf,  als  deren  Abzweigungen  die 
öbrigen  Zeichen  betrachtet  wurden;  gegenwärtig  nunmt  man  214  Glassen- 
häupter an,  welche  zuerst  von  Mei-tan  in  seinem  1615  beendigten  Wörter- 
buche aufgestellt  wurden.  Diese  Eintheilung  ist  zwar  nicht  streng  etymolo- 
gisch, da  Urtypen,  wenn  nicht  eine  Zahl  anderer  Yon  ihnen  abgeleitet  waren, 
als  abgeleitet  unter  Glassenhäupter  geschoben  wurden,  aber  sie  gestattet 
wegen  der  geringen  Zahl  Yon  Glassenhäuptem  ein  leichteres  Aufsuchen  der 
Wörter  in  den  Wörterbüchern.  Aus  diesem  Grunde  muss  man  darüber  hin- 
wegsehen, dass  "/  ya  , Gabel'  unter  dem  Glassenhaupte  |  ,  3t  tsik 
«Brunnen*  unter  dem  Glassenhaupte  JZZ^  zu  suchen  ist  u.  s.  w. 

Die  chinesische  Schrift  dient  als  allgemeines  Verkehrsmittel  in  den 
weiten  Provinzen  dieses  grossen  Reiches  und  wird  auch  in  Japan  und  Anam 
gebraucht;  es  ist  natürlich,  dass  sie  in  den  Terschiedenen  Ländern  in  ver- 
schiedenen  Dialecten  gelesen  wird,  wie  etwa  das  Latein  in  Deutschland 
anders  ausgesprochen  wii*d  als  in  Frankreich  und  England ;  z.  B. 

Beamtensprache  Ganton    Nin-po        Fo-kyen  Japan  Anam 
•^F   Himmel  thjeti  thin       thw,  ihyen   ihyen    fen      ihtjen 

gH    Reich  kivo  kwok     kok,   kwok   kok      kok      hüok 

Q     Sonne  £i  yat        nih,    nyeh    £it       fiitsi    ithiU 

yT  Schriflschmuck  wen  man      txm,    wan     bün     man     van  u.  s.  w. 

Die  Erlernung  der  Schrift  in  der  Jugend  geschieht  nach  Art  unserer 
F*ibeln,  die  Chinesen  besitzen  Elementarbücher  wie  das  von  Julien  veröffentlichte 
^Buch  der  tausend  Worte',  in  denen  die  elementaren  Kenntnisse  zugleich  mit 
den  Zeichen  gelernt  werden ;  im  Grunde  genommen  sind  die  chinesischen  Kin- 
der nicht  schlimmer  daran  als  unsere,  die  Wörter  lesen,  die  sie  nicht  verstehen. 

Nur  in  Bezug  auf  die  Wiedergabe  fremder  Namen  ist  die  chinesische 
Worlschrift  unbehilflich,  zumal  ihr  auch  die  Laute  h  d  g  r  mangeln;  Frank- 
reich wird  durch  fa-lan-si-ktco  (kwo  ist  Reich)  wiedergegeben,  und  in  dem 
erwähnten  von  Julien  übersetzten  Reisewerke  ist  es  vorgekonmien,  dass  der 
chinesische  Autor  es  vorzog,  eine  Stadt  begrifflich  statt  lautlich  wiederzugeben. 
Julien  fand  nämlich  eine  Stadt  Se-wei  verzeichnet,  die  sich  auf  keiner  Karte 
findet.  Er  war  in  Verlegenheit,  bis  ihm  einfiel,  dass  im  Ghinesischen  ^e-ton 
,wo  man  hört*  bedeutet,  er  suchte  das  entsprechende  Sanskritwort  und  faud 
9rava8,  wonach  also  die  Stadt  Sravati  gemeint  war. 


305 


n.  JAPANISCHE  SCHRIFT. 


Die  Einwohner  Japans  (sprich  2a-pan,  denn  das  Wort  ist  das  chine- 
sische i^i-^pm  «Wurzel  der  Sonne',  d.  h.  Ostland)  sollen  in  früherer  Zeit  eine 
Bilderschrift  besessen  haben,  ihre  Literatur  aber  stammt  erst  aus  ihrem  Ver- 
kehr mit  China  im  3.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung.  Der  Reichthum 
des  Wissens, .  welchen  die  gelehrten  Chinesen  besassen,  imponirte  den 
japanischen  Herrschern,  und  sie  bewarben  sich  förmlich  um  chinesische 
Gelehrte,  welche  ihre  chinesischen  BQcher  mitbrachten  und  chinesische  Lite- 
ratur in  Japan  in  eben  derselben  Weise  zur  Herrschaft  erhoben  wie  die 
Kirche  die  lateinische  Literatur  in  Deutschland  zur  Zeit  des  Mittelalters. 

1.  Manyokanna. 

Da  jedoch  die  fremde  Sprache  nur  Eigenthum  der  gebildeten  Classen 

werden  konnte,  so  richteten  die  Buddhistenphester,  welche  im  8.  Jahrhundert 

nach  Japan  kamen,  ihre  Sorgfalt  darauf,  auch  dem  Volke  eine  Literaturschrift 

zugänglich  zu  machen,  und  wie  sie  in  China  versucht  hatten,  eine  Lautschrift 

aus  chinesischen  Wörtzeichen  zu  bilden,  so  strebten  sie  diess  auch  in  Japan  an, 

wo  ihnen  die  mehrsilbige  Sprache  diese  Aufgabe  erleichterte,  da  die  japanischen 

Sylben  meist  in  Vokale  ausgehen.    Auf  diese  Weise  dürfte  die  Manyokanna 

C^)  entstanden  sein  (Schrift  der  zehntausend  Blätter),  welche  diesen  Namen 

2     nach  dem  Titel  einer  mit  chinesischen  Lautzeichen   geschriebenen 

/     Gedichtsammlung  Manyosin  führt.    Es  giebt  verschiedene  Zusammen- 

'^     Stellungen  dieser  Schriftzeichen,   welche   in  einzelnen   Formen  von 

^     einander  abweichen,  im  Ganzen   und  Grossen  aber  übereinstimmen. 

Die  auf  der  beifolgenden   Zusammenstellung    gegebene   ist   nach  Rosny's 

Angabe,'^'  der  auch  die  übrigen  Syllabare  entlehnt  sind,  eine  andere  von 

Siebold  ^^^  gegebene,   stimmt  in  manchen  Figuren  mit  denjenigen  überein, 

welche  in  beifolgender  Zusammenstellung  als  «chinesische  Prototypen*  (der 

japanischen  Katakanna)  aufgeführt  sind,   so  z.  B.  gleich  das  erste  Bild  1  )^, 

welches  wohl  mit  der  Katakannaform,   aber  nicht  mit  der  entsprechenden 

Thsaoform  übereinstimmt. 

?.  Kataknnna. 

Die  Breitspurigkeit   der  chinesischen   Kyai-Schrift  mag  die  Ursache 
gewesen  sein,   dass  der  Buddhistenpriester  Simo-mitsino  Mabi,   der  später 

F«b1b«iiii.  6«Mliieht«  d,  Schrift.  ^0 


306 

Japanische  Schriftarten. 

Ghines. 
Prototypen 

ManyokaDiu 

Tamato- 

Zyak-seo 

Lantwerth 

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Japanische  Schriftarten. 


307 


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Manyokanna 
Kyai       |     Thsao 


Firakanna 


Yamato- 
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Zyak-sao 


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308  Katakanna. 

unter  dem  Namen  Kibino-Datsi  oderKibi  berühmt  wwtle,  und  der  sich  zwanzig 
Jahre  zu  seiner  Ausbildung  in  China  aufhielt  (er  starb  775  vor  Christo)» 
eine  Vereinfachung  der  Zeichen  Tomahm  und  so  jene  Schriftform  bildele, 
welche  den  Namen  Katakanna,  d.  h.  .entlehnte  Bruchstücke  zur  Lautbezeich- 
nung' führt,  welche  in  der  vorstehenden  Zusanmienstellung  japanischer 
Schriften  in  der  Zweiten  Columne  dargestellt  ist  Wir  haben  derselben,  Rosny's 
Vorgange  folgend,  eine  Reihe  chinesischer  Prototypen  in  Kyai-Schrift  vorgesetzt, 
zweifeln  aber,  dass  dieselben  sämmtlich  wirklich  die  entsprechenden  Proto- 
typen sind,  da  einzelne  wenig  Ähnlichkeit  zeigen,  wie  o==tM>^  ica,  re,  na,ra 
u.  s.  w.,  während  bei  den  meisten  unzweifelhaft  die  Eatakannaformen  sich 
als  Theilzüge  der  gegenüberstehenden  chinesischen  Zeichen  erweisen. 

Die  Zeichen  der  Katakanna,  wie  die  aller  japanischen  Syllabare  haben 
eine  eigene  Reihenfolge,  welche  nach  den  drei  ersten  Zeichen  I-ro-fa  heisst, 
und  deren  Entstehung  noch  nicht  aufgeklärt  ist.  Dass  dieselben  hintereinander 
gelesen  einen  Vers  geben,  welcher  lautet:  , Farbe  und  Duft  schwinden  dahin, 
was  kann  in  unserer  Welt  von  Dauer  sein?  Ist  (das  Heute)  in  des  Daseins 
Gebirgsthal  versunken,  so  war  es  ein  gaukelnder  Traum,  der  keinen  Rausch 
zurücklässt',  erklärt  die  Entstehung  des  Syllabars  nicht,  denn  dieser  Sinn 
konnte  sich  zufalli^ergeben;  aber  es  fehlte  uns  an  Mitteln,  diese  Frage  auf- 
zuklären. Noch  ein  anderes  Dunkel  liegt  über  dem  Entstehen  dieses  Syllabars. 
Dasselbe  ist  nämlich  unvollständig,  da  es  kein  Zeichen  für  die  jiq[>anisch<M[i 
Laute  b  p  d  dz  g  z  enthält.  Als  die  Buddhisten  in  China  ein  Lautzeichen  auf- 
stellten, gaben  sie  sorgsam  jedem  chinesischen  Laute  ein  eigenes  Zeichen; 
nimmt  man  nun  auch  in  Betracht,  dass  die  Laute  h  d  g  dz  den  Chinesen 
unbekannt  sind,  so  bleibt  noch  immer  die  Frage  übrig,  warum  für/»  und  z 
keine  eigenen  Zeichen  aufgestellt  wurden.  Es  ist  doch  kaum  anzunehmen,  dass 
das  japanische  Lautsystem  sich  mittlerweile  verändert  habe  und  es  dadurch 
nöthig  geworden  sei,  durch  Accente  ^^  /&,  ^>^ 5a  und  )^ pa  zu  unter- 
scheiden. 

Die  Katakanna  wird  auch  zur  Lautbezeichnung  chinesischer  Wörter 
gebraucht,  ja  chinesischen  Texten  vollständig  beigeschrieben,  obgleich  die 
Wortstellung  in  beiden  Sprachen  eine  verschiedene  ist;  die  Verschiedenheit 
M  ird  dadurch  ausgeglichen,  dass  bei  abweichender  Wortfolge  den  chinesischen 
Wörtern  links  —  1,  ^  2,  z.  3  oder  J=  goben*,  ^  »Mitte*,  T^  .unten* 
bei  geschrieben  wird,  während  der  japanische  Katakanna-Text  rechts  von  der 


Katakanna. 


309 


chinesischen  Schrift  entlang  läuft.  Wir  geben  als  eine  Probe  dieser  Schreibart 


folgenden  Vaterunser-Text:  "* 


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310  Firakanna. 

Ein  Vergleich  dieses  Katakanna-Texies  mit  dem  Syllabar  lässt  sofoii 
einige  Eigen lliümliciikeilen  dieser  Schrift  erkennen,  wie  die  Verbindung  von 
einzehien  Strichen  in  einen  Zug,  z.  B.  <-  »■  -:?  =  T  ma  u.  s.  w.,  die  Andeu- 
tung der  Wiederholung  einer  Sylbe  durch  ^  z.  B.  ^  nUtsüsi,  die  Verwandlung 
der  Silbe  tsu  in  den  folgenden  Gonsonanten,  /  z.  B.  iaüomardcere  statt 
i€ht8U't(hfna^re'ke''re,  wie  auch  aus  m-tsu-fim  der  bekannte  Name  ,  (ßppon  *  wurde ; 
der  Übergang  von  Lauten  in  lautähnliche  wie  t  in  wi,  fe  in  e  und  ye,  endlich 
das  Vorhandensein  fremder  Zeichen  wie  £  tama,  t£"  dotno,  welche  aus  der 
chinesischen  Schrift  entnommen  wurden;  doch  konunen  derlei  fremde  Zeichen 
in  der  Katakanna- Schrift  wenig  vor. 


8.  Firakanna. 

Nicht  lange  darauf,  im  Jahre  809,  wurde  durch  zwei  Buddliistenpriester, 
Go-mioo  und  Kokai  ein  andei-es  Syllabar,  das  Firakanna  eingeführt ^^^  Wenn 
erzählt  wird,  dass  Gt>-mioo  1^  Zeichen,  Kokai  die  übrigen  aufgestellt  habe, 
so  ist  es  offenbar,  dass  der  Erstere  eine  Buchstabenschrift  einzufüluren  suchte, 
denn  die  japanische  Sprache  besteht  aus  den  12  Lauten:  aei o  u  ks  i  mf 
r  n,  da  tsi  und  tau  die  Laute  U  und  ^u,  welche  im  Syllabar  nicht  vorkommen, 
vertreten,  und  y^=i,  w^=^u  ist.  Diese  Buchstabenschrift  scheint  keinen  Anklang 
gefunden  zu  haben  und  deshalb  dürfte  Kokai  wieder  zu  dem  Syllabar 
gegriffen  haben. 

Was  nun  die  Firakanna  selbst  betrifft,  so  bedeutet  der  Name  ,  entlehnte 
Schriflzeichen  zur  Lautbezeiclmung*.  Die  SchriAform  ist  die  chinesische 
Thsao-Scliriil,sie  ist  aber  viel  einfacher  als  die  Thsao-Manyokanna,in  manchen 
Fällen  hat  sie  nur  die  Thsaoform  der  Katakanna- Schrift,  in  anderen  sind  die 
Formen  dcrManyokanna  inThsao-Schrift  übertragen;  überhaupt  besteht  neben 
dem  auf  Seite  306  und  307  gegebenen  Syllabar  noch  eine  grosse  Zahl  von 
Typen-Varianten,  welche  Thsaoformen  chinesischer  Schrift  enthalten,  so  dass 
offenbar  eine  sehr  freie  Auswahl  chinesischer  Lautzeichen  stattgefunden  haL 
So  kommt  z.  B.  neben  der  Form  f ür  a  4)  vom  chinesischen  '■hr  nan  ,  Ruhe, 
Frieden*,  (Weib  unter  Dach)  noch  7&  als  a  vor,  das  aber  vom  chinesischen 
Bp[  herstammt;  ^  ki  ist  das  chinesische  ^  ,  wovon  Katakanna  ^  gebildet 
ist,  aber  als  ^  ki  stammt  es  vom  =?  ab;  ^  ««  ist  wie  Katakanna  -t 
^^as  chinesische   jj^,   aber   ^   se  ist  das  chinesische  #-;    ^    mt  ist  wie 


Firakanna. 


31) 


Katakanna  ^  das  chinesische    —  9an,  aber  ^  mi  ist  das  chinesische  S: 
u.  s.  w.  Ausserdem  drängten  sich  viele  andere  chinesische  Wortbilder  in  die 
japanische  Sylbenschrift,  da  die  meisten  wissenschaftlich  gebildeten  Japaner 
die  chinesische  Sprache  und  Schrift  vollständig  kennen,   und  so  ersetzten 
Wortzeichen  die  Sylbenzeichen  wie  ^  (das  chinesische  Zlir  aan)  san,   ^ 
tsiii,   ^   mokti,   i^  muro,   ^   ban,  ^  fatva,   ^  fan,  ^  nüsi,  ^  roku, 

^  aki,  ^  ima,  Jl,  ui/e,   ™  tcotoko,  ^  yama,    ^  yori,  )^J  katoa,  ^  kane, 
{i\  kono,  ft  goto,  ^  ktiru  u.  s.  w.,  sämmtlich  aus  der  chinesischen  Thsao* 
Schrifl  übernommen. 

Da  die  chinesische  Thsao-Schrifl  selbst  ein  fiachtiger  die  Vollständig* 
keit  der  Schriflformen  wenig  beachtender  Zug  ist,  so  riss  auch  in  der  Fira- 
kanna eine  Modificirung  der  Zeichen  ein,  welche  durch  das  Streben,  die 
Wörter  in  einen  Zug  zu  verbinden,  vermehrt  wurde;  so  sind  die  Typen  für 
"•   ^      5    ^     ^     ^    5   .   fiir  *^.    ^    i    ^     i     t    i     i  .  Wr  /a 

yN  -^\    >>   />    /N  A    A   /\  />  neben  ^    ^    ^    ^    ^  "»^^  Ö^ 
u.  s.  w. 

Wir  geben  im  Folgenden  als  Schriftprobe  ein  japanisches  Vaterunser 
im  Dialect  von  Yeddo: 


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312  Firakanna. 

Lesart:  Kihre  ten^ni  gthtsi-a'ku'za'fno  a-ru    itif-«-!«-^   whlo^o-sa^ma 
0      im  Hinimel  wohnender  .  des   Menschen         Vater 
(2.  Zeile)  wo  na^zi-ya  ka^-hhsi  uxp-ta-ku'Sisi'^irde  unnm-no  toriMsu'  ku  (3.) 

dein  Name  werde  verehrt  bei  uns  du  welcher 

re-ri-si-gauHMi  go-hu  cnri  go-fo^n-ide  go-zcMi'ma'SU  t(hW(HrH/^.)mi'naU'H'Zi'iHiki 
gründest  dein  Reich  es  gebe  in  deinem  Willen  ist  was        alles  im  Himmel 
mo  u^ki'yO'ni'mokO'tesa-^e-arru{h^k(y-9ofi''}ffhn''fio  fä'-go-'ku'^ni'tcoma'i'nitsi'nitsi 
und  auf  Erden  möge  geschehen  und  nothwendige  Nahrung  täglich 

do-vrzo  vHha'tOrye  (6.)  Chso-ba-si  wariO'hursi'ga  fu-so-ktMoo  gcMiie-n  na-^i-i^-tt 
uns  gieb  unsere  Fehler  verzeihe 

kur  {7 .yda-sa^ti-si  ivoria^si-^a  fo-U'tno  yo-no  fito-m  si-a-me-n  ffUh-si-soro-yt  (S.) 

wir  den  Menschen  vergeben 

ico-ka-mi-rsa^  uHy-re-dzi-a-io     me'i'Wa'^kU'Sa-'SU'rU'kato  na-ke-re^o   (9.) 

du  uns  versuchen  nicht  sei 

te-n-ma-to  i-ii-Äo-ra  wo-su^ku^i  na-sa-re-ma-se. 
sondern   vor  dem    Bösen  errette. 

4.  Yamatokanna. 
Der  Erfinder  dieser  Schrift  ist  nicht  bekannt,   sie  ist  auch  nur  eine 
Abart  der  Firakanna  und  derThsaoform  der  Manyokanna,  wie  die  Vergleichung 
dieser  drei  Schriften  auf  beiliegender  Zusammenstellung  lehrt.  Yamatokanna 
bedeutet  „japanische  Schrift **. 

5.  Das  Syllabar  Zyak-seo's. 

Zyak-seo  war  ein  Bonze  von  der  Pagode  Jensisi,  der  im  Jahre  1001 
die  Jahresabgaben  Japans  nach  China  trug,  dort  fünf  Jahre  verweilte,  sich 
als  Schönschreiber  einen  Ruf  erwarb  und  ein  Syllabar  ftir  die  japanische 
Sprache  ausarbeitete.  Wie  eine  Vergleichung  mit  den  vorigen  lehrt,  ist  dieses 
Syllabar  nur  eine  Variante  des  vorigen,  gewissermasseu  nur  ein  anderer 
Schriftzug. 

Die  boiden  letztgenanntem  Schriften  sind  in  Japan  weniger  im  Gebrauch 
als  die  Katakanna  und  Firakanna,  indessen  ist  es  bei  der  Freiheit  der  Schrift- 
züge und  der  Auswahl  der  Lautzeichen,  welche  die  Firakanna  gestattet,  sowie 
bei  der  engen  Venvandlschafl,  welche  die  Syllabare  der  Yamatokanna  und 
Zyak-seo's  mit  der  Firakanna  und  ihren  Prototypen  haben,  jedem  Japanesen 
•'^ht,  das  in  solcher  Schrift  Geschriebene  zu  lesen. 


Uliutrationsprobe  am  einem  japanlictaen  Roman. 


314 


m.  DIE  TATARISCH-MONGOLISCHEN  SCHRIFTEN. 

Mit  welcher  Oberflächlichkeit  bisher  über  die  Abstammung  der  Schrifleii 
geurtheilt  wurde,  beweist  die  Thatsache,  dass  es  unter  den  Paläographen  und 
Kennern  der  orientalischea  Schriften  als  ausgemacht  gilt,  die  Tataren  und 
Mongolen  hätten  ihre  Schrill  von  den  Syrern  entlehnt  oder  vieUnelir  die 
syrischen  Missionäre  hätten  ihnen  die  Schrift  gebrachL    Die  Thatsache,  dass 

die  Nestorianer  wie  die  Mandäer  ihren  Glauben  im  7.-9.  Jahrhundert  bis 

■ 

nach  China  verbreiteten  und  die  Ähnlichkeit  der  tatarisch-mongolischen 
Schriftzeichen  mit  den  syrischen  genügten,  diese  Meinung  apodiktisch  auf- 
zustellen und  Alles,  was  dagegen  spricht,  unberücksichtigt  zu  lassen. 

Treten  wir  jedoch  dieser  Frage  näher,  so  ergiebt  sich  sofort,  dass  die 
Meinungen  deshalb  nicht  übereinstimmen  können,  weil  einige  tatarisch-mon- 
golische Zeichen  der  nestorianischen,  andere  der  mandäischen  Schrift  näher 
stehen;  Nestorianer  und  Mandäer  haben  aber  so  verschiedene  Lichren,  dass 
von  einem  Zusammenwirken  derselben  so  wenig  die  Rede  sein  kann  als  von 
dem  Zusammenwirken  christlicher  und  jüdischer  Priester.  Vergleichen  wir 
zunächst  die  Alphabete,  so  finden  wir 


Nestorianisch  *»^ 

Tatarisch  (üigurisch) «" 

Mand&isch<u 

Lautwerth 

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Ursprung  und  Verwandtschaft  der  tatarischen  SchrifL 


315 


Nestorianisch 

Tatarisch  (üigurisch) 

Mandflisch 

Lautwerth 

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Es  ergiebt  sich  hieraus,  dass  nestorianisch  i  a  •  u  *^  jf  \  t  ^  ff  f  m 
^  f  n  %  fmii  tatarisch  va*  u^/  ^  '^*j^  fn  vi  n  ^^f  und  mandäisch 

A  v^^/^t^k^f^r^ärmi  tatarisch  a.rAA/i^y^Jk^/'ar 
^  s  Qbereinstimmen,  dass  nur  **•  ^  und  «  y  aUen  drei  Schriften  gemeinsam 
sind,  und  dass  merkwürdigerweise  von  den  tatarischen  Zeichen  a  ^  v  und 
«  i  t  je  ein  Zeichen  sich  an  die  nestorianische,  das  andere  sich  an  die  man* 
däische  Schrift  anlehnt. 

Wenn  sich  Vdmb^ry  darauf  beruft,  dass  durchreisende  Nestoriancr  seine 
tatarischen  Handschriften  für  nestorianisch  gehalten  hätten,  so  beweist  dies» 
nur  die  äussere  Ähnlichkeit  dieser  Schriften;  lesen  konnten  die  Nestorianer  die 
tatarische  Schrift  doch  nicht.  Wenn  Vämb^ry  femer  daraufhinweist,  dass  die 
drei  Vokale  y  a  ^  t  a  ii  für  die  tatarische  Sprache  so  wenig  ausreichen  als  die 
arabischen  Vokale  1  a  ^  t  ^  ti  für  die  türkische  Sprache  und  daraus  Folge* 
ningen  auf  die  unzureichenden  Consonantenzeichen  macht,  so  übersieht  er 
dabei  ganz,  dass  die  syrischen  Alphabete  Zeichen  enthielten,  welche  den 
Tataren  charakteristische  Formen  tdr  b  d  g  z  gegeben  hätten,  warum  wurden 
diese  nicht  entlehnt?  Wir  haben  gesehen,  dass  die  Kopten  das  ganze  grie- 
chische Alphabet  annahmen,  trotzdem  sie  mehrere  Laute  desselben  nicht 
aussprechen  konnten ;  was  hinderte  die  Tataren  sämmtliche  22  Zeichen  des 
syrischen  Alphabets  zu  entlehnen?  Ohne  Zweifel  kannten  die  christlichen 


316 


Ursprung  und  Verwand tschalt  der  tatarischen  Schrift 


Tataren  die  syrische  Schrift,  wie  noch  jetzt  die4)uddhistischen  Mongolen 
tibetanische  Religionsböcher  neben  ihren  mongolischen  Büchern  haben  und 
das  Tibetanische  ebenso  gut  oder  schlecht  lesen  und  verstehen  wie  die  deut- 
schen Mönche  im  Mittelalter  die  lateinischen  Kirchenbücher ;  dass  sie  aber  die 
syrische  Schrift  nicht  rein  und  voll  annahmen,  deutet  darauf  hin,  dass  sie 
selbst  schon  eine  Schrift  hatten,  wie  sie  diese  Schrift  auch  noch  lange 
anwendeten,  nachdem  sie  mit  der  mohammedanischen  Religion  die  arabische 
Schrift  erhalten  hatten. 

Es  ist  möglich,  ja  wahrscheinlich,  dass  die  Tataren  ihre  Schrift  ent> 
lehnten,  denn  darauf  deutet  der  Gebrauch  verschiedener  Zeichen  für  diese  ben 
Laute  hin:  wenn  ^  neben  i  sowohl  für  <  als  d  gilt^  a  neben  ^  ftir  u^  so 
beweist  diess,  dass  verschiedene  Zeichen  vorhanden  waren,  dieselben  aber 
lautlich  nicht  unterschieden  wurden.  Diesen  Unterschied  fmden  wir  in  der 
kalmückischen  Schrift: 

aeiouöünbpjrkgmlrtdytsdzsv 
wobei  wir  gerne  zugeben  wollen,  dass  auch  hier  offenbar  differencirt  und 
auch  lautlich  nicht  streng  unterschieden  wurde,  da  S^  auch  neben  0  als  ^ 
vorkommt,  ähnlich  vrie  bei  den  Runen  aus  ^  d  das  f  t  wurde  und  die  etymo- 
logische Untersuchung  der  nordischen  Sprache  eine  strenge  Unterscheidung 
dieser  Laute  in  den  Sprachwurzeln  nicht  findet. 

Nun  tritt  noch  die  merkwürdige  Erscheinung  auf,  dass  gerade  die- 
jenigen syrischen  Zeichen,  welche  mit  den  tatarischen  übereinstimmen,  ganz 
verschieden  von  denjenigen  sind,  welche  das  phönikische  Alphabet  aufweist. 
Man  vergleiche: 


Nestori- 
anisch 

Phönikisch 

Mandäisch 

Laut- 
werth 

Nestori- 
anisch 

Phönikisch 

1 

Mandäisch 

Laut- 
werth 

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+ 

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H 

V 

11 

** 

H"^ 

^ 

X 

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'X^ft) 

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P 

-V 

Ö® 

j 

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A, 

^ 

•■ 

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*v 

^ 

y 

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Wt 

-^ 

*     1 

1 

*1 

1 

V 

k 

1 

1 

Ursprung  und  Verwandtschaft  der  tatarischen  Schrift  317 

Man  beachte  fenter,  dass  nestorianisch  •  v,  mandäisch  a,  nestorianisch  ^  i, 
mandäisch  j^  « ist,  und  man  wird  erkennen,  auf  welchen  Irrwegen  sich  die 
bisherige  Methode  der  Paläographie  befand,  welche  absolut  allen  Zeichen  des 
gleichen  Lautes  denselben  Ursprung  zuschrieb. 

Hiermit  dOrfle  eine  andere  höchst  interessante  Thatsache  zusammen- 
hängen. Die  Phönikier  schrieben  ihre  Buchstaben  einzeln  von  rechts  nach 
links;  das  beweisen  die  langen  vertikalen  Schwänze,  welche  die  meisten 
Buchstaben  haben,  z.  B.  ^  ^  ^  mdek  .König*.  Dagegen  tritt  in  den  syri- 
schen Schriften  eine  Bindung  der  Buchstaben  ein,  die  nur  von  einzelnen 
unterbrochen  wird,  z.  B.  tfictaA^i  nuükut  .Reich".  Diese  Bindung  der  Buch- 
staben, die  daraus  entstandene  verschiedene  Form  derselben  (am  Anfang, 
in  der  Mitte,  am  Ende  eines  Schriftzuges  und  alleinstehend,  z.  B.  estrangelisch 
vy  Ende4;,  a  Mitte-Xr,  x»  Anfangs-ib,  vy  alleinstehendes  k)  stammt  jedenfalls 
aus  Babylon,  da  auch  in  den  babylonischen  Talmudistenschulen  die  hebräische 
Quadratschrift  entstand,  welche  aSSurit  (assyrische)  heisst  und  gegenüber  der 
Altern  Schrift  das  Streben  nach  Verbindung  der  Buchstaben  zeigt,  wie  j  n 
an  Stelle  des  altem  y,  an  welches  nur  die  Finalform  ]  erinnert,  d  ä;  an  Stelle 
des  altem  y,  an  welches  ebenfalls  die  Finalform ']  erinnert;  ninunt  man  noch 
in  Betracht,  dass  die  Syrer  erwiesenermassen ^^  in  Säulen  von  oben  nach 
abwärts  schrieben,  z.  B.  «  q  weshalb  auch  bei  der  liegenden  Schrift  die 
griechischen  beigesetzten  « -j  Vokale  quer  gestellt  erscheinen,  und  die  hier 

" :J" ■ ■■"" ■ 


siehende  Zeile  von  oben  ^  d  nach  abwärts  zu  lesen  ist:  mentealnt/to  disaia 
fUno  »aus  demGesangedes  *  J^  Propheten  Isaia*,  so  ist  das  dieselbe  Form  der 


Schrift,  welche  die  mon*  *^  golischen  Völker  haben,  und  deren  Ursprung 
auf  die  Kerbhölzer  zurQck-  ^^  führt,  welche  nach  chinesischen  Nachrichten 
die  talarisch-mongolischen  .^  Völker  von  jeher  besessen  haben.  Was  mögen 
sich  denn  unsere  Paläo- *«^  graphen  unter  den  conventioneilen  Einschnitten 
dieser  Kerbhölzer  vorstellen,  mittelst  deren  die  tatarisch-mongolischen  Fürsten 
ihre  Völker  zusanunenberiefen,  genau  die  Anzahl  der  beizustellenden  Pferde, 
die  Orte  der  Aufstellung  der  einzelnen  Stämme  u.s.w.  bestimmten?  Convcn* 
tionelle  Zeichen  sind  auch  unsere  Buchstaben  geworden,  und  das^  was  von 
dem  Gebrauch  der  Kerbhölzer  berichtet  wird,  stimmt  vollkommen  mit  dem 
flberein,  wie  die  Schrift  von  jeher  in  Briefen  ver^'endet  wurde.  Macht  doch 
die  vorstehende  syrische  Zeile  genau  den  Eindruck  eines  Kerbholzes,  atif 
welchem  an  einen  von  oben  nach  unten  zu  laufenden  Einsciiiiitt  rechts  und 


318  Saadza-Bandida's  Alphabet. 

links  verschiedene  Einschnitte  angebracht  wurden,  und  denselben  Eindruck 
macht  die  mongolische  Schrift  z.  B.  in  daptar  .die  Abiheilung  -4  .  { 
eines  Buches",  griechisch  Jiy^t^a  (diphlhera)  .ein  zum  {  .^..4 
Schreiben   zugerichtetes   Thierfell',    aramäisch  'iwon   tipkiai  i 

, Rechtsgelehrter*,  persisch  j^r^->  Ikfisrd&r  .Secretär,  Finanzmiiüster', 
wobei  die  Vei^leichung  des  mongoUschen  und  Mandiu- Wortes  den  Wechsel 
znischen  t  und  d,  r  und  l  erkennen  lässt. 

IVas  die  Tradition  unter  der  Erfmdung  eines  Alphabets  mitunter  ler- 
stebt,  dafar  lierert  die  mongolische  Schrift  ein  entsprechendes  Beispiel.  Nacb 
dieser  Tradition  wurden  die  mongolischen  Buchslaben  oder  Isagubr  toq  dem 
Buddhisten  priester  Sagdia -Bangida  oder  Saadüa-Bandida  unter  dem  Kaiser 
Kubilal-khan  im  13.  Jahrhundert  erfunden;  aber  wie  man  sich  durch  erneu 
Vergleich  mit  den  obigen,  angeblich  von  den  Syrern  eingeführten  Zeichen 
Clberzcugen  kann,  besieht  seine  Erfindung  nur  darin,  dass  er  die  Consonanteii- 
zcichen  mit  den  Vokalzeichen  zu  Sylben  verband:'" 

i,"      i,  ta     ^  ia    ^?  h<i    ^  tua  t.  sa     {^ga    ^  tea 

ja    t^ä  C^  -^  f^  •Ltss  tsa  3  -ß  ^K^ 
>>  ."     ^  /<    Su     *  bi  %  tsi  i  9i     ^  gi     * 
£  ma  '£  HO  Tl.  m    Ü_  (Ua  '^  /a  -3^  ija    -^da 
£  fnäAi   nä  %  tä    X.  <i^^'-^  t-'"  J?  '"''  "3,  da 
^  m  %  m    ri,  ri    >,  dzi%  x'   ^  !""    -?,  di 
Diesen  Zeichen  fQgle  GdiSgdii  Orsirr  5ti  Zeichen  in  14  Abänderungen  in 
zwei  Classcn  (leichte  und  schwerer  auszusprechende  Zeichen)  hinzu,  nämlich: 
i    0      ^5      f  so      ^   so     1    IV   1    rS    "i    ijo    "^    yö 
i    u      ^    ä      f  SU     f  xii     "3    ru  "3    .■«    -3    y«  ^    yC 
1'  bo    i>  bö   -j"   Hü     {   iiö  -3    rfü  1    ,1,.    -i    ZO    ^    iö 

?    />„      *    bü     ■;(    ,,„      ■}■     „ii    -^     du  1      lla    -i     zu     ■J      iä 

i  'j"  f  -jo  -3  /o  T  i-ö  s  to  s  tö 

3   'ß'  f  'ß  "j  /"  f  '■■■'    f  ("    I  lii 

r  h  i'  v.   r  >•"•  f  ■■•-''  y  '""  \  Iiö 


Sad2a-Uandida*8  Alphabet  3 1 9 

Ferner  wurden  gebildet  aus  ^  fca,  iL  P^f  ^»  welches  sowohl  ya  wie  za 
bedeutet,  blieb  ya  allein  und  sa  wurde  Ü^,  ferner  j  n  und  ^  ar  in  \  ißhr. 
Hieran  schliessen  sich  die  Debeskerr  oder  Endbuchstaben : 

Die  Nachdrucksbuchstaben  4t  t  \  ö  \  üi^äm  '^äl  h  är  ^da  \^äd 
)>  i   i  « J  w,  die  accentuirten:  ^atttf  3  ahd  \amd  li  ald  \    arä  i  asä 

4  ald    1^  ayd  ^  auä    i    akd    i    ah'^;   die  nachdrücklichen:  :^    &f  ^  äbd 

:::3        ^       -i        ^        d  i  i  "* 

JLt  äniah  älähärti^äsä   {^  ätdd  ^  i-ä  J  u-ä   j^  äkä    \  äh-ä,    endlich 

Tier  besondere  Debeskerr-Orkiza  i   anu  i   ani  ^  änu  ^  äni. 

Hieraus  dürfte  hervorgehen,  dass  die  Mongolen  in  früherer  Zeit  ohne 
Vokale  schrieben  und  erst  durch  die  Buddhisten  eine  vollständige  Yokal- 
bezeichnung  erhielten,  die  aber,  wie  aus  den  vorstehenden  Beispielen  ersicht- 
lich ist.  Vieles  an  Genauigkeit  zu  wünschen  übrig  lässt.  Die  syrische  Schrift 
Tcrmochle  ihnen  kein  Bedürfniss  nach  einer  vollständigen  Vokalbezeichnung 
einziidüssen,  wahrscheinlich  lernten  sie  von  den  Syrern  nur  ihre  uralten 
BcgrilTszeichen  als  Lautzeichen  zum  Schreiben  verwenden.  Dass  die  im  Norden 
AsicMis  wohnenden  Volker  eigene  Schriftzeichen  besassen,  beweisen  die  runen- 
artigen Inschriften  an  den  Felswänden  Sibiriens,  wie  ^^* 

li+v  ^^^ 

Das  sind  Zeichen,  welche  an  die  himyarischen  Formen  erinnern. 

Es  ist  übrigens  gar  kein  Grund  vorhanden,  anzunehmen,  dass  die  tata- 
rischen und  mongolischen  Völker  von  jeher  in  einem  Zustande  der  völligen 
Unwissenheit  und  Rohheit  gelebt  hätten.  Freilich  wird  man  eine  allgemeine 
Kenntniss  des  Lesens  und  Schreibens  bei  diesen  Völkern  nicht  erwarten 
dürfen,  zumal  ja  auch  in  Deutschland  und  noch  mehr  in  Frankreich,  England, 
Spanien,  Italien  Viele  des  Lesens  und  Schreibens  unkundig  sind;  bei  rohen 
Völkern  ist  die  Schrift  das  Eigenthum  der  Gotsllichkeit,  welche  sich  noch 
gegenwärtig  bei  den  Mongolen  aus  den  Söhnen  der  edlen  Familien  recrulirt, 
wie  in  Deutschland  zur  Zeit  des  Mittelalters.  Wenn  nun  auch  liie  gegen  wärt  igen 
Religionen  dieser  Völker  aus  der  Fremde  imporlirl  sind,  so  hat  sich  duch  auch 


3i20  Astronomische  Kenntnisse  der  Mongolen. 

ein  Überbleibsel  ihrer  eigenen  uralten  Religion  in  den  Schamanen  erhalten, 
welche  man  sehr  mit  Unrecht  als  eine  Entartung  der  buddhistischen  Priester» 
schafl  betrachtet;  sie  waren  diess  so  wenig  als  unsere  Kartenschl&gerinneo 
Entartungen  der  Nonnen,  unsere  Kurpfuscher  Entartungen  der  chrisOicben 
Priester  sind. 

Wir  haben  oben  (Seite  86)  gesehen,  dass  die  Mongolen  eine  eigene  von 
allen  übrigen  abweichende  Windrose  haben,   eine  solche  konnten  sie  aber 
nicht  aufstellen  ohne  Zeichen;  sie  haben  mit  den  Chinesen  einen  eigenen 
Thierkreis  gemein,  der  wirklich  aus  lauter  Thieren  besteht,  und  es  ist  fraglich, 
ob  sie  denselben  von  den  Chinesen  erhalten  oder  ob  nicht  umgekehrt  die 
Chinesen  denselben  von  den  Mongolen  entlehnt  haben;    dieser  Thierkreis 
besteht  aus  folgenden  Zeichen:  /nüugunah  Maus,   uk-kyr  Ochs,  bars  Tiger, 
toolm  Steppenhase,   lu  Drache,   mogoi  Schlange,   morin  Pferd,  /oin  Schaf, 
met^in  Affe,   takia  Hahn,   fw/oi  Hund,  gajjrcn  Schwein.    Vor  ihrer  Bekehrung 
zum  Buddhismus  hatten  die  Mongolen  eigene  Monate,  welche  sie  nach  auf- 
fallenden Naturbegebenheiten  nannten,   und  sie  richteten  sich  bei  deren  Ein- 
theilung  nach  dem  Laufe  des  Mondes.  Schon  seit  imdenklichen  Zeiten  waren 
sie  an  eine  zwölfjährige  Periode  gewöhnt,  deren  Jahre  sie  nach  den  1 2  Thier- 
kreiszeichen  in  der  jetzt  noch  üblichen  Weise  benannten.    Der  Tag  wird  in 
12  Zak  oder  Stunden  und  in  ebensoviele  die  Nacht  eingetheilt   Sie  haben 
eine  Woche  von  sieben  Tagen:  naran  Sonne,  sara  Mond,  ulati^nidün  (Roth- 
auge) Mars^  ulemtsin  Merkur,  gaddasun  Jupiter,   bassait  Venus,   bämbä  Saturn 
etc.    Aus  alledem  geht  hervor,   dass  die  Mongolen  nicht  erst  auf  die  Syrer 
und  Buddhisten  zu  warten  brauchten,  um  Schriflzeichen  zu  erhalten,  sondern, 
dass  ihre  Schrift  sich  im  Dunkel  der  Jahrtausende  verliert,  und  wohl  aus  der- 
selben Wurzel  stammle  wie  die  uralten  Runen. 

1.  Die  Koreanische  Schrift. 

Wenn  die  Koreaner,  nachdem  im  3.  Jahrhundert  bei  ihnen  durch  den 
gelehrten  Wah-§in  chinesisches  Wissen  und  .chinesische  Bücher  eingeführt 
waren,  dennoch  ein  eigenes  Alphabet  bewahrt  haben,  so  ist  diess  eben  ein 
Beweis,  dass  sie  eine  heimische  Schrill  hatten.  Auch  die  Nachricht,  dass 
ihr  Alphabet,  welches  On-mun  heisst,  im  Jahre  374  von  einem  Könige  von 
Sinra  eingeführt  sei,  kann  nach  dem,  was  uns  von  der  Koreanischen  Schrifi 
vorliegt,   nicht  anders  aufgefasst  werden,   als  die  Nachricht,   dass  Saadia- 


Koreanisch. 


321 


Bandida  die  mongolische  Schrift  erfunden  habe ,  nämlich  dahin,  dass  dieser 
König  aus  den  vorhandenen  Consonanten  und  Vokalen  ein  Syllabar  bildete. 
Das  Alphabet  der  Koreaner  besteht  aus  drei  Abtheilungen: 


Vokale 


alt 


neu 


i~ 


Laut- 
werth 


Stammzeichen 


Name        alt 


I     Laut- 


^^^    '    werth 


Abgeleitete  Zeichen 


alt 


neu 


!  Laut- 
'  werth 


=1 


11 


T 


a 


ya 


o  0 


y^,y^ 


yo 


u 


y« 


u 


I  I 


Kiok 

Niun 

Tikut 

Liul 

Miom 

Piup 

Sios 

Yi 

Hein 


n 


y 

A 

I 

Ao 


1 


I 


91 

t 

l 

m 
P 


y 
h 


Hieraus   wurde  folgendes  Syllabar   gebildet^!- A*o,^t  A'y«,^|  A-o,  Aö, -7 J 
kyo,  kyo,   ^  Ao,  ^  kyo,  ^L.  ku.  ^j  AT,  <?  Aa,  [^l»  na,  [^t  tiya  u.  s.  w. 

Man  erkennt  auf  den  ersten  Blick,  dass  die  Zeichen  aus  den  einfachsten 
Elementen,  der  rechten  Ecke,  linken  Ecke,  der  Höhle,  dem  Zickzack,  dem 
Quadrat,  der  halbgelüUten  Grube,  dem  Winkel,  dem  Strich,  dem  Dreieck  und 
dem  Kreise,  zusammen  9,  respective  10  Zeichen  gebildet  sind,  aus  I  tj  wurden 
dann  sämmtliclie  Vokale,  aus  A-  ^  ;>  ^  die  Laute  kh  th  ph  U  dz  durch  einfache 
Zufugung  von  Strichen  gebildet.  Es  giebt  kein  Volk  in  ganz  Asion,  von  welchem 
diese  Zeichen  entlehnt  sein  könnten. 

Die  Anwendung  des  Pinsels  zum  Schreiben  hat  den  ursprünglich  geraden 
Strichen  einen  chinesischen  Zug  gp^'oben,  welcii<'r  sie  in  Verbindung  fast  wie 
eine  Art  chinesischer  Schrift  erscheinen  lässl.  Wir  geben  als  Probe  hier 
«inen  doppelsprachigen  Text  aus  einem  Gedichte,  wol»'lu>s  ein  koreanisclier 

fanlmana,  Ge<icbichte  d.  Schrift.  oi 


322  Koreanisch. 

Minister  einem  chinesischen  Gesandten  beim  Abschiede  überreichte;^^'  eine 

aufmerksame  Vergleichung  der  Zeichen  mit  dem  vor- 
stehenden Alphabet  lässt  Laut  für  Laut  trotz  aller 
Flüchtigkeit  der  Zeichen  erkennen: 

Soh  tsam  kun  o  Tsa  nu  tat  hyon  f}fon  tyi 

Huk  yu  tun  in  in  mu  i  ha  pyur  rak  fi  k*i  tyoi  hyon 
ha  pir  pun  Tsu  Wor. 

Das  heisst: 

«Überreicht  meinem  geehrten  Bruder  dem 
Kriegsrathe  Wu-tse-\ü  bei  seiner  Rückkehr  nach  Sina. 

Obwohl  es  mittlere  und  auswärtige  Völker  giebt, 
ist  es  doch  eitel  zu  unterscheiden  zwischen  Eingebomen 
und  Fremden.  Alle  Menschen  kommen  als  Brüder  zur 
Welt,  warum  also  eine  Grenze  setzen  zwischen  Tsu 
und  Yü.  • 

2.  Die  Niutsi-Schrift. 

Ein  anderes  tatarisches  Volk,  welches  von  den 
Chinesen  seine  Schrift  entlehnt  haben  soll,  ist  das  Volk 
derNiutSi.  Wuttke  erzählt  darüber  Folgendes : 

«Ambikhan  oder  Apaoki,  am  Anfang  des  10. 
Jahrhunderts,  Gründer  der  Macht  der  mongolisch-tun- 
gusischen  Kitan  (oder  Liao),  welche  von  916  bis  11 2G 
über  einen  grossen  Theil  der  Tatarei  und  Nord-Chinas 
herrschten,  hatte  in  seinem  Dienste  viele  Chinesen.  Von 
diesen  erlernte  er  ihre  Schrift  nach  der  Schreibart  Li. 
Manches  Ungeeignete  bei  ihrer  Anwendung  fühlend, 
veränderte  er  selbst  oder  einer  von  seinen  Leuten  sie  dergestalt,  dass  sie  etwas 
passender  ausfiel,  und  zwar  geschah  diess,  wie  angegeben  wird,  im  Jahre  920. 
Ambikhan  ergriff  die  chinesischen  Wortzeichen  nicht  nach  ihrem  Sinne,. 
sondern  nach  ihrer  Lautung,  und  bildete  so  eine  Silbenschrift,  wozu  ja  die 
Einsilbigkeit  der  chinesischen  Wörter  ihre  Figuren  geeignet  machte.  Ungefähr 
3000  Zeichen  wurden  ergriffen,  wobei  manches  ab-  und  zugethan  ward.  Die 
Züge  wurden  gross  ausgeführt.  Seitdem  hatten  die  Kitan  nicht  mehr  nöthig, 
r  Verträge  sich  der  Kerbhölzer  zu  bedienen. 


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§7  i9 

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NiutSi.  323 

Vom  Jahre  1119  an  zerstörten  die  YulSi  (Niutäi  oder  Kin*)  die  Herr- 
schaft der  Kitan  und  traten  in  ihre  vorwaltende  Stellung  ein ,  bemächtigten 
sich  auch  der  chinesischen  Provinzen  PitSeli ,  §ensi  und  §ansi.  Sie  hatten 
bisher  in  Schrifllosigkeit  dahin  gelebt.  Nun  (1119)  ergriffen  sie  die  Schrift  der 
Kitan,  aber  Hessen  sie  nicht  unverändert,  sondern  machten  sie  wieder  für 
ihren  Bedarf  sich  zurecht.  Chinesische  Geschichtsschreiber  berichten,  dass 
ihr  Haupt  Akuta,  der  sich  zum  Kaiser  unter  dem  Namen  Taitsu  aufwarf 
(1 123—1134),  dem  KuSin  Auftrag  ertheilte,  für  die  Sprache  der  Kin  eine 
Schrill  aus  dem  chinesischen  Zuge  Kyai-tse  zurechtzumachen  nach  Art  des 
von  den  Kitan  befolgten  Verfahrens ;  neben  der  von  Kuäin  aufgestellten  habe 
ferner  Kaiser  Hitsun  (1 134—  1 148)  eine  kürzere  machen  lassen.  Jene  hiess 
«die  grosse*,  diese  »die  kleine*.  Die  neue  Schinft  war  eine  aus  Abkürzung 
ausgewählter  chinesischer  Wortzeichen  mit  Zusätzen  gebildete  Silbenschrift 
und  wurde  ab  und  zu  in  den  Ländern  der  Mand2u  und  von  Tungusen 
gebraucht.  * 

Nachdem  der  Engländer  Wylie  in  einer  nordchinesischen  Grenzstadt 
eine  sechssprachige  Inschrift  aufgefunden  hat,  welche  dieNiutSi-Zeichen  neben 
chinesischen,  uigurischen,  Devanagari,  Passepa  und  tibetanischen  Zeichen 
enthält,  kennen  wir  das  Syllabar  dieser  Schrift  und  müssen  gestehen,  dass  uns 
dieselbe  ebensowenig  chinesisch  vorkommt  wie  die  koreanische  Schrift, 
obwohl  die  quadratische  Form  der  Zeichen  und  der  chinesische  Schriflzug  bei 
oberflächlicher  Anschauung  zu  der  Meinung  verführen  können ,  dass  diese 
Schriftzeichen  chinesische  seien.  Wir  geben  auf  Seite  324  als  Beleg  dieses 
Syllabar. 

Es  sind  81  Zeichen,  genau  so  viele  als  der  brahmanische  Himmel 
Quadrate  enthält,  und  man  wird  unwillkürlich  zu  diesem  Vergleich  geführt, 
wenn  man  betrachtet,  wie  ungleich  der  Sprachausdruck  behandelt  ist;  neben 
7  Sylben  b  sind  nur  2  Sylben  mit  t^  vorhanden,  während  ku  fehlt,  ist  ya  zwei- 
mal vorhanden  und  lautlich  nicht  unterschieden. 

Vergleicht  man  femer  dieses  Syllabar  mit  der  japanischen  Manyokanna, 
so  bemerkt  man  auf  den  ersten  Blick,  dass  diese  Zeichen  nicht  chinesisch 
sind;  dass  es  auch  mit  dem  chinesischen  Syllabar,  welches  im  5.  Jahrhundert 

*  Ein  nomadisches  Volk,  die  Keniter  oder  griechisch  Kinaioi,  hebräisch  u*p 
keni  wird  in  der  Bibel  angeführt  (I.  Mose,  15,  19.  IV.  Mose,  5Ü,  i>-J,  Ricliter  4,  11 ); 
sie  leiteten  ihr  Geschlecht  von  dem  Schwager  Moses  ab. 

il* 


SU 


B 

a 

m 

h 

iMUtSl 

1« 

mo 

U 

sam 

m 

tu 

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U 

lia 

U 

mu 

II 

san 

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bka 

u 

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H 

na 

m 

^a 

m 

u 

Sit 

bhä 

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iL 

nu 

^ 

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ki 

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Ä 

bhi 

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SU 

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n 

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s 

M 

tha 

\l 

ga 

k 

mi 

Vi 

sa 

I& 

ti 

von  Buddhisten  aufgestellt  wurde,  um  die  Verbreitung  buddhistischer  Literatur 
in  China  zu  (ordern,  beweisen  folgende  Zeichen  des  letztern: 

k(ian)  kh(i)  k(iu>0  (i)n  t(uan)  th(eu)  t{ih)  n(i) 
Die  NiutSi-Zeichen  scheinen  vielmehr,  ebenso  wie  die  koreanischen 
Zeichen  aus  nationalen  Elementen  gebildet  zu  sein,  und  hier  trifft  es  sich 
merkwürdig,  dass  die  koreanische  Schrift  aus  9  Grundzeichen  besteht,  wäh- 
rend das  Niul§i-Syllabar  81  Zeichen  (das  Quadrat  von  9)  enthält,  diese 
Elemente  dürften  in  gerader  Form  folgende  gewesen  sein: 

N  ♦*  1^-  =  -M.-MH^-.-^7aalioxniHb#ci!RHll. 


Uigurisch.  325 

vielleicht  nur  9,  da  die  liegenden  Striche  identisch  mit  den  stehenden  sein 
können ;  demnach  wären  diese  Sylben  Wörter  gewesen,  die  aber  jedenfalls 
einen  andern  Laut  hatten  als  die  obigen  Sylben,  denn,  wie  schon  Wylie 
bemerkte,  liefert  ein  Versuch  der  Analyse  keine  Lösung  des  Räthsels ;  die 
tatarischen  Worte  müssen  somit  dem  Begriffe  entsprochen  haben ,  den  die 
chinesischen  Sylben  ausdrücken. 

Wir  zweifeln  nicht,  dass,  nachdem  jetzt  der  Lautwe^lh  dieser  Zeichen 
und  doppelsprachigen  Inschrift  in  derselben  bekannt  sind,  auch  dieses  Räthsel 
seine  Lösung  finden  wird. 

3.  Die  uigurische  Schrift. 

Nachdem  bereits  oben  (S.  316)  das  Alphabet  dieser  Schrift  gegeben 
wurde,  ist  nur  wenig  darüber  noch  zu  bemerken.  Die  Zeichen  beruhen  auf 
wenigen  Grundformen:  |  —  woraus  a,  \J  woraus \>ä  i  ^^ke,tg:irund^^  s 
gebOdet  wurden,  O  woraus  *^^ufh  sowie  j^s^  t  wurden,  L woraus  t  l  ent- 
stand und  J  welches  zu  ^  wurde,  dessen  Endform  n  sich  an  ^3  anlehnt. 

Die  Schrift  wird  abweichend  von  der  mongolischen  Schreibart  nicht 
in  Säulen,  sondern  in  Zeilen  Ton  rechts  nach  links  geschrieben.  Wir  repro- 
dudren  auf  Seite  326  ein  Facsimile  aus  Vämb^ry's  Werke,***  welches  einer- 
seits zeigt,  wie  schwer  diese  Schrift  zu  lesen  ist,  anderseits  aber  eine  so 
grosse  Ähnlichkeit  mit  der  arabischen  Schrift  ven-äth,  dass  die  der  zweiten 
Zeile  überschriebenen  arabischen  Worte  sich  vom  tatarischen  Texte  fast  gar 
nicht  unterscheiden,  woraus  auch  die  Verschmelzung  des  uigurischen  und 
arabischen  Ductus  in  der  türkischen  Diwany  -  Schrift  sich  erklärt.  Der  Text 
lautet  im  Deutschen: 

Alles  Innere  und  Äussere  kennend.  Alles  ist  dir  klar. 

Vom  Auge  mir  entfernt,  bist  meinem  Herzen  nah. 
Dein  Ganzes  ist  Wissenschaft,  heller  als  Sonne  und  Mond, 
Zu  seiner  Beschreibung  genügt  kein  Geist,  kein  Lob. 
Allen  hast  du  eine  Beschaffenheit  gegeben, 

Und  geht  Alles  zu  Grunde,  bist  du  dennoch  am  Leben. 
Den  Einen  Schöpfer  beweisen  die  Geschöpfe, 

Der  beide  erschaffen  hat,  sein  Zeuge  ist  bereit. 
Keine  Ähnlichkeit  giebt*s  für  sein  Gesicht  und  Aussehen. 
Eine  Beschreibung  erreicht  i^icht  sein  Aussehen. 


326  Uigurisch. 


a    Ä  Ns    5*  tz  5^  ^' 


»    f  =5   "^    S 


sS      «•      §1     &     «  "         ^,      L 


^ 
O 


N{ 


S    I:    §-    ^    I 

1^  -  ^  i:  ^ 


E  5?-  ^  'S  1- 

s  ?  «  i  's^ 


•^        ?•  1  'S 


L.  \  ?I 


'S   4    S   l<c^ 
3     » 


1  Fl  h 


Die  vorstehende  uigurische  Schrift  ist  von  rechts  nach  links  zu  lesen, 
die  Transscription  in  lateinischer  Cursiv  umgekehrt,  so  dass  das  erste  Wort 
derselben  von  links  nach  rechts  dem  ersten  uigurischen  Worte  rechts  u.  s.  w, 
spricht. 


327 


4.  Die  kalmückische  Schrift. 

Die  Kalmücken  oder  Eulet  haben  dieselben  Schriftzeichen  wie  die 
Uiguren  und  die  Mongolen,  auch  bei  ihnen  ist  aus  der  Zusammensetzung 
Ton  Gonsonanten  und  Vokalen  ein  Syllabar  gebildet,  ^^^  welches  sich  von  dem 
mongolischen  durch  schärfere  Unterscheidung  der  Vokale  auszeichnet: 

*i  /a  y^  ba    ff  la  "^    da    ^    tsa     ^  sa     <! 

^kä    iS>  bä   x^  lä  ^    da    ]H    isä    X-  sä 
^ki    ^  hi  ^  U   ^    di    ^    ist    J^  si 

'i  z^  3^  ^  ^  ^  ^  ^  3  ^^  ^  *^ 

ri^/u-^  bu  ^  lu  %  du  ^  tsu   -^  SU 


^  a 

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•^  nü    f>gü    i^mü  ^  tu   ^yt7    3>  dzü   ^     ^ü 

Wir  lassen  hier  ein  Stück  aus  einer  kalmückischen  Erzählung  folgen : 


sa 


;sa 


si 


itO 


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d.  i.  kämäisi  gesprochen  äyn  also  yamar  was  für 
ugä  Worte  sonosto/oy  werden  buey  gehört  kätnän 
gesprochen  tsurkän  Herz  dokM'sär  wild  mit  iräd 
als  er  gekommen  war  tsolgolduksandu  sich  zu  unter* 
reden  tu^maell  Minister  dyn  also  kämin  gesprochen 
yabudäl  Geberde  inu  aber  go  erhaben  tClguefi  Sehen 
sadkiÜ  Gemüth  inu  aber  amugolantäy  ruhig  biiyä 
Körper  ütsäskulatigtöy  ansehnlich  gagan  Angesicht 
inu  aber  tunggulak  heiter  köbikm  Jüngling  /amiga 
ddzä  woher  iräbity  gekommen  kätnän  gesprochen 
asaguksaudu  auf  das  Gefragte  köböön   der  Jüngling  äyn  also  h'imän  sprach: 


328  Mongolisch. 

„Als  er  (der  Prinz)  also  gesprochen,  kam  er  wild  zu  dem  Alten 
gesprengt.  »Was  werden  (sprach  er)  für  Reden  vernommen?*  Da  sprach 
also  der  Minister.  ,  Deine  Geberden  verrathen  einen  erhabenen  Seher,  ruhig 
ist  dein  Geist,  voll  Ansehen  dein  Körper,  heiter  dein  Antlitz,  woher  kommst 
du  wohl,  Jüngling?"  So  sprach  er  und  der  Prinz  erwiderte  mit  folgenden 
Worten.  ■ 

5.  Die  mongolische  Schrift. 

Nachdem  wir  bereits  Seite  318  das  Syllabar  der  mongolischen  Schrift 
nach  Saad2a-Bandida*s  Anordnung  gegeben  haben,  lassen  wir  hier  nur  noch 
als  Probe  den  Text  des  Vaterunsers  folgen,  den  wir  einer  russischen  Quelle 
entnehmen,  für  dessen  richtige  Transscription  wir  aber  nicht  bürgen. 

:     %    ^     t>    A    ^^  V    \^  Ogtaryioi  tax  menu  etsei  dzinu  nerä  katnuk 

J     *?>    ?>  'i     ^    i  ^  tQf-  Jcintoläl  ulgu  holioy(ai  tsini  oron  ireko  hotto- 

-     -^     1    ^  ""^  1*    i   ^  X^^  tsinu  täyäl  ogiar/oi  tor  hotoko  mitu  tjer^ 

"^    "^    $    ^    iL    j!   JL     f .  ^fVicf^w  tor  tsu  hoiöko  Mto/ai  menu  etar  bort 

krakleku  tedzili  hiian  tor  etohi  etor  tsu  uggon 

^     <>     *      ''^'^1  suoranä  bitanu  uilätoksan  buro/u  uoni  bitan  tcr 

J^»li-.yj,i^ö  kiriJan  suoranä  bitan  ber  tsu  bitan  tor  buu^ujru 

•)6'di-4^Tj  uiUituktsitun  uoni  amu/oJed  ukbi  bitani  sintM- 

jl^  läkulel  ewiki  kemun  iuker  etse  keta/a  ketotken 


i||tHl| 


suorami  tsi  bir  tsalesi  oron  noktsikscn  kiked  irä 
i'toi  tsannu  toräi  ber  oron  kiked  iupiä  kod^om 
bä  tson  ibuJai  lunä  tokosoksan  bulai  an  matu 
ber  buiogo  bolto/ai. 

Eine  andere  mongolische  Schrift,  welche 
von  Passepa  aufgestellt  wurde,  wird  unter 
Indien  und  im  Zusammenhange  mit  der  tibe- 

i    U     -«gi^ksi^        tanischen,  von  der  sie  entlehnt  wurde,  erörtert 

^    8)    3    iL  ^    ?  J^  V       werden. 


329 


6.  Die  mandzurische  Schrift. 
Ober  die  Entstehung  der  mandiurischen  Schrift  wird  erzählt,  dass  Kaiser 
Taitsu  dergi  hoan-ti  im  Jahre  1599  einem  Manne  Tom  Geschlechte  Naran; 
genannt  Erdeni  Bak§i  (»der  köstliche  Gelehrte*),  seinem  Schreiber  und  Dol- 
metscher, sowie  demGagaiDiargutsi  befahl,  nach  Massgabe  der  mongolischen 
Schrift  eine  mand2urische  herzustellen.  Diese  getrauten  sich  anfangs  nicht, 
diess  zu  thun,  weil  die  mongolische  Schrift  seit  Alters  auf  unveränderlichen 
Regeln  bestanden  habe  und  darum  ihr  Alphabet  nicht  für  das  Mand2urische 
passend  umgeändert  werden  könne.  Auf  ihre  Gegenvorstellung  antwortete 
der  Herrscher:  ,Da  wir  sehen,  dass  die  Chinesen  und  Mongolen  für  ihre 
Sprache  eine  eigene  Schrift  haben,  warum  sollten  wir,  die  wir  noch  keine 
besitzen,  nicht  auch  eine  erhalten,  damit  wir  uns  schriftlich  verständlich 
machen  können  und  mit  ihrer  Hilfe  unsere  unwissenden  Landsleute  ihre 
eigene  Sprache  besser  kennen  lernen  lehren?  Wenn  wir  uns  immer  im 
Schreiben  des  Mongolischen  bedienen,  so  werden  Die,  welche  diese  Sprache 
nicht  verstehen,  niemals  aufgeklärt  werden.  Schreibt  den  Buchstaben  a  und 
hängt  an  denselben  ein  ma,  so  wird  daraus  das  Wort  ama  (Vater),  schreibt 
den  Buchstaben  e  und  hängt  daran  me,  so  habt  ihr  eme  (Mutter).  Ich  habe 
bereits  Alles  überlegt,  führt  es  im  Ganzen  aus.  *  Darauf  machten  sie  sich  an's 
Werk  und  lösten  nach  dem  gegebenen  Winke  ihre  Aufgabe,  so  dass  durch 
verschiedene  Zusammensetzungen  und  Verdopplungen  alle  mandiurischen 
Wörter  geschrieben  werden  konnten.  Der  Kaiser  befahl  ihre  Bekanntmachung 
im  ganzen  Reiche,  damit  Befehle  und  Vorstellungen,  die  bisher  mongolisch 
geschrieben  worden  waren,  hinfort  mandiurisch  verfasst  würden.  Indess  man- 
gelte doch  noch  Manches  zur  richtigen  Wiedergabe  der  Aussprache,  und  1641 
beauftragte  der  Kaiser  seinen  Vertrauten,  den  Da;jai  Bak^^i  (TakaY),  der  schon 
Tsai-tsu*s  Kanzleivorsteher  gewesen  sein  soll  und  nachmals  der  Gesetzgeber 
genannt  wurde,  diese  mandfurische  Schrift  zu  verbessern  und  zur  Vollkom- 
menheit zu  bringen.  Da^ai  half  manchen  Mängeln  der  bisherigen  Buchstaben 
ab,  ergänzte  das  Fehlende  durch  Beifügen  von  Häkchen  und  Punkten  zu 
ihnen  und  ordnete  die  Sylben  nach  ihren  Endungen,  vermehrte  auch  die  12 
Eintheilungen  des  Syllabariums  behufs  richtigerer  Wiedergabe  der  chine- 
sischen Aussprache.  Eine  Auswahl  von  Gelehrten  ging  ihm  bei  seinen 
Bemühungen  zur  Hand.  Damit  hatte  er  die  mandiurische  Schrift  zum  Ab- 
schlüsse gebracht,   in  der  fortan  geschrieben  wurde. ^^^  Eigenthümlich  sind 


330 


Mandzurisch. 


der  mandSuiischen  Schrift  die  Buchstaben  ^  e,  a  ^,  j^  g,  i)  hi,  \>  k'h,  ^  p, 
ißdz,  ^Sj  ^  £,  ^d,  k-d,  f  dihy  \fy  Kf.  Als  Schriftprobe  folgt  hier  das  Vater- 
unser : 


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§     -8. 

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331 


IV.  DIE  KEILSCHRIFTEN. 

Das  Vaterland  der  Keilschriften  ist  Mesopotamien  (fxs^o-nrcrafxea 
, Zwischenstrom-Land*), das  alteSinear,  keilschriftlich  ^  '^t-^,  T  d.  h.  das 
Land  derÜherschwemmung.  Die  Keilschrift  ist  später  auch  auf  die  armenische, 
medische  und  persische  Sprache  angewendet  worden,  in  anderen  Ländern 
scheint  sie  nicht  gehraucht  worden  zu  sein;  zwar  zeigt  ein  in  Deutschland 
gefundenerStein,  der  inGrimm's  Runenwerke  abgebildet  ist,  Keilformen,  doch 
sind  dieselben  so  wirr  gehauen,  dass  eine  Vergleichung  mit  der  mesopota- 
mischen  Keilschrift  unmöglich  ist.  Die  Keile  wurden  gewöhnlich  in  feuchten 
Thon  geritzt,  der  dann  entweder  in  der  Sonne  getrocknet  oder  zu  Ziegeln 
gebrannt  wurde ;  aber  die  Verwendung  der  Thonerde  kann  nicht  die  Ursache 
dieser  Schriftform  sein,  denn  auch  in  Ägypten  brannte  man  Thon  zu  Ziegeln, 
doch  wendete  man  keine  Keilschrift  an.  Es  müssen  also  andere  Ursachen, 
wahrscheinlich  religiöse  Anschauungen,  zur  Erfmdung  dieser  Schriftart 
geführt  haben. 

Zu  dieser  Vermuthung  ist  wenigstens  insofern  Grund  vorhanden,  als  der 
einfache  Keil  ►—  o««  Assyrien*  und  den  «Gott  Assur*  bedeutet,  dass  derselbe 
Keil  aufrechtstehend  T  dis  als  Zeichen  der  Person  vor  Personennamen 
steht  und  dass  endlich  der  Winkel  i,  der  aus  dem  schrägen  Keil  A^  entstanden 
isU  den  «Gott  Ao*  (den  Jehova  der  Juden)  bedeutet;  >^~as  ist  ägyptisch 
Ja«  dasZeichen  derStädtegrunderinlsis,  die  identisch  mit  j  J  «Osiris-Assur* 
ist,  die  Islar  der  Assyrer  und  ifioK  Esther  der  Juden,  deren  Mädchenname  noin 
hadasaa  (Myrthe)  den  Stamm  ds  wie  T  dis  hat  und  sich  an  die  deutschen  Disen 
(Waldfrauen,  WalkQren,  Hagedisen,  Hexen)  anlehnt,  wie  anderseits  Assur 
(auf  den  Inschriften  Atura)  sich  an  den  norddeutschen  Thorr  anlehnt,  dessen 
Rune  ebenfalls  der  Keil  ^,  der  Donnerkeil,  ist. 

An  den  Ufern  des  Euphrat  und  Tigris  siedelte  sich  in  alter  Vorzeit  ein 
ackerbautreibendes  Volk  wie  am  Nil  an,  jenes  fleissige  und  erfmderische 
Volk,  welches  Kham  (die  Erde)  als  seinen  Ahnherrn  verehrte  und  welches, 
verweichlicht  durch  die  Fülle  des  Genusses,  später  eine  Beute  der  Hirten  und 
JägenrOlker  wurde,  Sklaven  des  Landes,  dessen  freie  Bebauer  sie  einst  waren. 
Von  dem  Schicksal  dieser  Eingebornen  ist  uns  nichts  bekannt  geworden,  die 
älteste  Geschichte  zeigt  uns  bereits  die  nördlicher  wohnenden  Assyrer  als 
Herren  des  südlicheren  Babyloniens,   vor  ihnen  soll  nach  der  biblischen 


332  Die  Sprache  der  Keilschriften. 

Tradition  Nimrod,  der  Jäger,  im  Lande  geherrscht  haben,  dessen  Name  nach 
ägyptischer  Etymologie  auf  ein  Zwergvolk  deutet ;  so  viel  ist  aber  sicher,  dass 
die  Assyrer  EIrben  einer  altern  Priesterweisheit  waren,  deren  Sitz  Babylon  war, 
und  dass  die  älteste  Sprache  dieses  Landes  nicht  die  assyrische,  sondern 
eipe  turanische  war.  Was  uns  zu  dieser  Ansicht  bestimmt,  welche  von  Oppert 
in  Paris  gegen  Hal^vy,  der  die  Erfindung  der  Keilschrift  den  Semiten  zuschreibt, 
Terfochten  wird,  ist  insbesondere  der  Umstand,  dass  die  Keilschriftformen 
denselben  Charakter  des  Ineinanderschachteins  der  Zeichen  an  sich  tragen 
wie  die  Sprache  turanischer  Stämme,  in  welcher  die  älteren  Inschriften 
geschrieben  sind,  während  die  Assyrer,  welche  den  semitischen  Stamm  in 
Babylon  vertreten,  in  Zeichen,  wie  in  der  Sprache  der  Flectirung  huldigten. 

So  declinirt  die  alte  Sprache:  die  assyrische: 

ki'ta  mit  iiti  mit 

ki-ni-ta  mit  ihm  it-ti-su  mit  ihm 

ki-bH-biU-ta  mit  ihnen  it-H-su-fiu  mit  ihnen 

kumu-ta  mit  mir  uit-ti-ya  mit  mir 

ki-mi-ta  mit  uns  it-ti-^i  mit  uns 

ki'ZU'ta  mit  dir  ii-ti-ka  mit  dir 

hi'ZUrhil-hü-ta  mit  euch  it-ti-ku-nu  mit  euch. 

So  finden  wir  auch  in  der  Schrift  gebildet  aus  ►^-j  an  »Gott,  Stern*,  >^  K 
pal,  «Jahr,  Feldzug  etc.*,  indem  ^  kur  (Hand,  nehmen  etc.)  eingeschoben 
wurde,  daraus  entstand  ►►[  I  ['^  l>w>'  „Fluss*  (Pu-rat  =  Euphrat);  femer 
aus  ►fil  I  ka  »Haut,  Fell,  heirathen*,  verwandt  mit  t=^f  ^^  »Thor* 
(OefTnung,  Mund),  ►tT*T-T  Sprache  und  eine  Menge  unerklärter  Zeichen  wie 

►►i]^Z?  ,  ►-tlFTT^I  u.  s.  w.,  welche  einen  Begriff  einschliessen;  aus 
>^,  welches  allein  nicht  mehr  vorkommt  und  vielleicht  ^  «die  Hand*  war, 
^t  I,  mih  «majestätisch*,  ^^^gan,  kan,  zil  «die  Wolke*,  fc^I  a/« Vater', 

tZ^  Utr  «Sohn*,  aus  fitiT  ab  «Thal«  iz^zl  nab  «Tag*,  ^^  Äxi  ,Thor*, 

X^^\  »rosig,  rostig,  Eisen*,  ^  ►TTT  »Keule*  u.  s.  w. 

Es  scheint  dieser  Einschachtelung  der  Begriffe  dieselbe  Tendenz  zu 
Grunde  zu  liegen,  welche  die  chinesischen  Schriftzeichen  in  Vierecke  ein- 
schachtelte, und  es  musste  auf  diese  Weise  eine  Anhäufung  von  Strichen 
entstehen,  welche  das  Lesen  und  Schreiben  zu  einer  verwickelten  Beschäftigung 
machte ;  in  der  That  scheint  die  ältere  Schrift  auch  viel  complicirter  gewesen 


Archaistische  Keilschrift.  333 

zu  sein  als  diejenige,  welche  uns  in  den  assyrischen  Inschriften  entgegentritt, 
denn  es  giebt  auch  Inschriften  älterer  Form,  welche  einen  solchen  Charakter 
tragen.  Wir  haben  auf  Tafel  VI  eine  Inschrift  abgebildet,  welche  denselben 
Text  in  archaistischer,  complicirter  Form  und  in  der  vereinfachten  aufweist; 
derselbe  lässt  erkennen,  dass  auch  in  der  archaistischen  Form  einfache 
Zeichen  vorkommen,  sowie  dass  die  Vereinfachung  nicht  willkürlich  statt- 
fand, sondern  nur  durch  Anwendung  verwandter  Zeichen.  So  ist  ^JHy^I 
h  .nicht*  die  doppelte  Form  von  &  su,  hat  „Hand*,  die  einfache  Form 
zeigt  ►-^l  to,  gerade  so,  als  wenn  die  Ägypter  statt  >a^,K^nn  „nicht,  abwehren* 
die  leere  Hand  ^^^  gebraucht  hätten,  den  gleichen  BegrifT  wie  ägyptisch  -,    ■ 

hatte  alt:  'Y- —    neu   ^^Z  sa    „geben,  stellen*,  eigentlich  eine   „geöffnete 

.  IT-  ►^^^  Y        Y  Y 

Hand*,  oder  wohl  nur  der  Begriff  des  Offenseins,  dem    Ty —    neu    ,     |  hit, 

itutl  „Haus*  und  ^-zi.      neu  ^t  ha  „Thor*  gegenüberstehen.   Wenn  an 

Melle  des  «^  an  „Stern,  Gott*  das  Zeichen  >—►'  getreten  ist,  so  ist  wohl 
keine  Vereinfachung  vorhanden,  da  dieselbe  ^ —  wäre,  welches  har^  mas 
lautet  und  „Kreis*  bedeutet,  sondern  eine  Analogie  mit  aa  ut,  par  „Tag* 

dessen  alte  Form  ^^  ein  Kreis  war.    Man  hat  die  älteren  Formen  für 

corrumpirte  Bilder  gehalten,  und  es  ist  möglich,  dass  einige  Bildformen  sich 
in  die  Schrift  eingemischt  haben,  im  Ganzen  macht  die  Keilschrift  jedoch 
nicht  den  Eindruck  von  Bildern,  sondern  eher  von  der  Fortbildung  eines 
Systems,  ähnlich  demjenigen,  welches  wir  in  den  chinesischen  Pa-kwa*s 
kennen  gelernt  haben,  und  das  nicht  auf  der  Abbildung  von  Gegenständen 
heruhte,  sondern  auf  der  Entwicklung  der  Zahlenbegriffe. 

Diess  dürfte  insbesondere  aus  dem  Umstände  hervorgehen,  dass  Thiere, 
welrhe  wir  bei  den  Chinesen  und  Ägyptern  der  Natur  nachgebildet  finden, 
in   der  Keilschrift  durch  Begriffszeichen  dargestellt  werden.   So  heisst  das 

Pfi*rd  ^^y»»—  ^tjLi    Thier  hirra   oder     „Thier    des    Landes   der   Über- 

—   ^^ —  '  ►-^T^ —  Y^  ^  T         T 

schweromung*    (Thier  von  Sinear),  der  Esel  ^__ U^^  Itt^^  ^"^^    Thier  »u- 

oImmm  (die  Zeichen  bedeuten  Legion.  Thal,  Gott  oder  Stern),  ip3X  Sihi-in  war 

der  Vater  Ana's,  der  in  der  Wüste  das  Melken  erfand,  als  er  seines  Vaters 

Esel  hülhete(I  Moses  36,  24);  das  Kanieel  t^^Tr^Ift^trl^I  Thier  aiib-hH 

iThier,  Solm  des  getheillen  Tliales,  womit  wahrscheinlich  seinllöcker  ^remeint 

i>t);  der  Löwe  !  !~!^f^-i  I   nr-mah  (grosser  Hund,  ohne  das  Thierzeichen); 

Eber,  Delphin  ^>^fc:' am-i*7(grossliörnig,  scheint  sich  bezüglich  des  Delphins 


334  Die  Erfinder  der  Keilschrift 

auf  den  Stosszahn  des  Narwal  zu  beziehen,  der  wie  Elfenbein  bearbeitet  vnid  und 
früher  als  dasHom  des  fabelhaften  Einhorns  galt);  das  Schaf  T^fY^T^Y^ 
i/'lu^,  wovon  das  mittlere  Zeichen  selbst  schon  Schaf  bedeutet.  Oberhaupt 
herrschen  in  den  Lautzeichen  die  abstracten  Begriffe  vor. 

Fragen  wir  nun  nach  dem  Volke,  welches  die  Keilschrift  erfunden  hat, 
so  werden  besonders  zwei  Namen  genannt:  Sumir  und  Akkad.  Der  Name 
Sumir  kommt  in  der  Bibel  nicht  vor,  sondern  nur  Babel,  Erek,  Akkad  und 
Chalne ;  der  zweite  Name  hat  sich  als  Irak  noch  bis  auf  den  heutigen  Tag 
erhalten,  die  Griechen  nannten  eine  Stadt  in  Mesopotamien  Orchoe,  deren 
Einwohner  nach  Strabon  eine  eigene  Secte  chaldäischer  Astronomen  bildeten, 

der  Keilschriflname  ist    -»»^T^^/  arak-ki  , Stadt  der  Monate*  (oder  Tempel 

des  Mondes?);  den  Namen  Babel  haben  wir  schon  Seite  68  erörtert,  ist  das 
Stadtzeichen  als  Tempel  aufzufassen,  so  wäre  dort  der  Tempel  des  göttlichen 
Wortes  (wie  das  indische  Brahma)  gewesen;  Chalne  dürfte  identisch  mit 
-'►-<^^'  hii-an-na  ^Haus  des  (Fischgottes)  Oannes*  gewesen  sein,  und 

Akkad,   keilschriftlich  ^^ttt\^>>  ist  eine  Reduplication  von  fcz  TJ7  hur^ 

welches  in  der  alten  Sprache  „zehn*  bedeutete,  das  wäre  das  hebräische 
yov  asar,  verwandt  mit  aj(ar  „reich  werden*  und  lüK  aSar  „glucklich  sein*, 
wonach  Akkad  und  Asur  und  Osiris  ebenfalls  verwandt  wären. 

Die  Reduplication  hur  hur  erinnert  an  Barbar,  Menschen  mit  fremder, 
unverständlicher  Sprache,  welches  Wort  sich  lautverschoben  in  unserem 
„murmeln*  erhalten  hat;  das  ist  das  biblische  non  hh^  bakU  sephai  „er  ver- 
wirrt die  Sprache*,  womit  der  Name  Babel  erklärt  wurde  und  identisch 
mit  rttv  *pQp  imqe  sapha  „unverständliche  Sprache*,  welches  Jesaias  XXIII, 
19  gebraucht  wird:  „Dazu  wirst  du  das  starke  Volk  nicht  verstehen,  das  Volk 
von  tiefer  Sprache,  die  man  nicht  vernehmen  kann,  und  von  undeutlicher 
Zunge,  die  man  nicht  verstehen  kann* ;  eniqa  ist  aber  in  der  Keilschrift  „der 
Magier*,  und  Könige,  wie  Nebukadnezar,  führen  diesen  Titel;  weiters  ist  die 
Zusammensetzung  von  10  und  5  (bar),  also  bari>arj  das  Symbol  der  Istar 
(Isis),  deren  Symbol,  der  Stern  -j^,  im  Ägyptischen  5  bedeutete  und  deren 
ägyptischer  Name  iu  hs  den  Knoten  zeigt  (hebräisch  mn  ^ava  =  Eva); 
endlich  heisst  im  Hebräischen  tjk  agad  „binden*,  mjM  agudda  „der  Knoten*, 
wonach  keilschriftlich  hur  soviel  wie  hti  „Knoten*  wäre,  das  Wort  "T3«t  akad 
wird  aber  auch  auf  „befestigen*  (einer  Stadt)  bezogen,  und  diess  erinnert  an 


Akkadische  KeilschrifL  335 

das  ägyptische  4  kt  |jnt  =  jn|  kt  , bauen*,  unser  «kitten*,  welches  die 
Babylonier  mit  Erdpech  sehr  gut  auszuführen  verstanden.  Folgen  wir  dem 
Doppelsinn  dieses  Wortes,  und  erinnern  wir  uns  daran,  dass  die  Chaldäer 
als  Weber  berühmt  waren,  dass  dort  die  langen,  den  Körper  umwickelnden 
Gewänder  und  das  Flechten  der  Haare,  ja  selbst  des  Bartes  Mode  war ;  folgen 
wir  den  Auseinandersetzungen  Lenormant's,  der  das  Wort  Chaldäer  mit  den 
griechischen  Namen  Khaldauoi,  Kardakes,  Kardu;(oi,  Kordiaioi  etc.  vergleicht; 
erinnern  wir  uns  an  die  Sage  vom  gordischen  Knoten,  dessen  Verschlingung 
nach  der  Sage  nur  der  weiseste  Mann  hätte  lösen  können;  berücksichtigen 
wir,  dass  im  Hebräischen  ii»n  ^alad  « graben"  bedeutet,  wovon  /oled  »der 
Maulwurf*  abstammt,  dass  der  hebräische  Name  der  Chaldäer  onv^  kasdim 
mit  *TV3  kasad  «einschneiden*  zusammenhängt,  so  dürfte  wohl  die  Annahme 
berechtigt  sein,  dass  die  Akkad  jene  Urbevölkerung  waren,  welche  den 
Ackerbau,  die  Messkunst,  die  Erbauung  von  Städten  übten,  und  wie  sie  das 
Land  vermassen  und  mit  Kanälen  durchzogen,  auch  den  Himmel  vermassen 
und  den  Grund  zu  der  spätem  weltberühmten  babylonischen  Weisheit  legten. 
Die  Sumerier  dürften  ein  späteres  Volk  sein,  da  sie  die  Bibel  nicht  kennt;  im 
Hebräischen  bedeutet  *iav  iiom^r  ,der  Wächter*,  welches  Wort  auf  Hirten, 
also  Semiten,  deutet. 

1.  Die  akkadische  Keilschrift. 

Ihrer  Ursprünglichkeit  gemäss  wardie  akkadische  Keilschrift  vorwiegend 
ideographischer  Natur,  d.  h.  die  Zeichen  drückten  Begriffe  aus;  diese  Form 
ist  besonders  in  den  astrologischen  Bemerkungen  zu  ßnden,  welche  die 
Assvrer  aufbewahrt  haben,  z.  B.  *^^ 

Mond  in    Planetenstande    seinem      wie   Tag  erst  Tag      29.         gesehen 

Unglück         für     Assyrien.  Prophezeiung     Frau  Kind 

El  ^HI  -^  -H^I-  4£l  «=Ilf  ^  i*  -H^  El 

und  Ohren  seine  nicht  vorhanden  Trauer  im  Lande  wird  sein  und 
das  Land  verkleinert  werden. 


336  Akkadische  Keilschrift. 

Um  den  Unterschied  zwischen  akkadischer  und  assyrischer  Sprache 
zu  illuslriren,  geben  wir  in  Folgendem  den  Anfang  eines  zweisprachigen 
Textes  einer  Krankheitsbesprechung  nach  Lcnormant. 

Akkadisch: 

na  silik'  mulu-     /i  ina      im-     ma-  an-     si       ad(da)ni      mid- 

Gott  Marduk  Gnade  grosse  er  hat  gewährt  Vater  sein  der  Herr 

Äf-        ra  ea  ha-    si-         in-  tu  gu  mü- 

der Erde  zu  (in)  seiner  Wohnung  er  zu  ihm  und  eingetreten  ihm 

.ffi  ^KiE<Kiif  m-j«'  -^m  m^.^  -'--' 

im-      na-      an-         de-        a     ai-     um  sag  gig         an-      na- 

sagend  Vater  mein  die  Krankheit  des  Kopfes   (in)  der 

zin-         na         ni-      du-        du         imi       dim    mu-    un-      ri-         n. 
Öde  geht  herum  Wind     wie         sie  hat  sich  erhoben, 

Assyrisch: 

Maruduk  ip-     pa-  li-     sin     va    a-     na       a-  bi-    su  ea 

Marduk  hat  Mitleid  gehabt  mit  ihm  und      mit      Vater  sein  Ea 

i^^i  zm  «■^lu^iu  El  *E:::ttii  ^^  -^ 

a-     na  hit  t-      ru-        uv      va    %-         sis-         si      a-    bi      mu- 

in     der  Wohnung  er  ist  eingetreten     und  er  hat  gesagt  Vater   mein  die 


rur      US 

ka-      ka-      di 

ina 

si- 

ir-        ri 

H-      tak-    kip 

Krankheit 

des  Kopfes 

in 

der  Öde 

geht  eüiher 

kima      sa-   a-      ri        i-     sik-     ka 
wie         ein  Wind      sie  bläst  heftig. 

Eine  besondere  Eigenthümlichkeit   der  chaldäischen  Schrift    ist   das 
eigenartige  auf  mathematischer  Grundlage  beruhende  Zahlensystem,  welches 


Zahlensystem  der  Keilschrift.  337 

jedenfalls  in  diesem  Lande  der  Feldmesser  seinen  Ursprung  fand  und  sich 
erst  später  zu  den  übrigen  Völkern:  Indern  und  Ägyptern  verbreitete.  Bei 
den  Runen  fanden  wir  die  Zweiheit  potenzirt  2:4:8:  16,  bei  den  Chaldäern 
finden  wir  Ähnliches  in  Bezug  auf  die  Dreiheit,  nämlich  ü  3,  <ts  ß,  es  30, 
•«  60  =  9068e  (unser  Schock),  60  X  10  =  600  ner,  60  X  60  ==  3600  sar. 
Neben  dieser  Rechnung  und  zum  Theile  in  sie  verwickelt  finden  wir  die 
Zehner-Rechnung,  welche  auf  Strichen  aufgebaut  bis  zur  Zehn  reicht  und  diese 
leUlere  potenzirt:  J  1,  JJ  2,  JU  3,  ^  4,  W  5,  W  6,  fg  7,  ^  8,  |^  9, 
^10,  ^  20,  ^(  30,  ^^40,^^  50.  Hieran  schliesst  sich  das  Sexagesi- 
malsystem  mit  T  60  als  erster  Potenz,  nach  welchem  TT  (1  X60-f-l)  61, 
TTy  62,  y^  (60-+-10)  70  I^V  (60-H50-+-4)  114,  JJ  (2x60)  120 
yt^^(2x60-H20-H2)  142,  f^  (11  X60-h 50-4-6)  716,  ^f^ff 
(56X60-+-16)  3376  sind,  dieses  System  wird  bis  3699,  d.  i.  59X60-f-59 
fortgesetzt;  mit  3600  fangt  eine  neue  Reihe  an,  welche  in  derselben  Weise 
durchgemhrl  wird, z. B.  J^^  (1 X  3600-+-8  X  60-f- 1 6) 4096,  JJ^^^ff ^^ 
(2x36OO-h36x6O-+-20-^1)  9381;  ein  Beispiel  einer  hohem  Ordnung 
ist  bisher  nicht  gefunden  worden.  ^^^ 

Wir  finden  hier  den  Ursprung  der  ägyptischen  und  indischen  Zahlen- 
bezeichnung; jene  führte  das  Zahlensystem  einfach  fort,  indem  für  Zehner, 
Hunderter  und  Tausender  Zeichen  aufgestellt  und  die  Zahl  entsprechend 
vermehrt  wurde,  dieses  (das  indische)  übertrug  die  Potenzirung  des  Sexa- 
gesimalsystems  auf  das  Decimalsystem,  indem  es  die  nicht  benannten  Reihen 
durch  Nullen  (arabisch  si/r  »der  leere  Raum",  wovon  der  Name  , Ziffer* 
herstammt,  der  von  den  leeren  Nullen  auf  die  Zahlzeichen  übertragen 
wurde)  ausfüllte. 

2.  Die  assyrisch-babylonische  Keilschrift. 

Die  babylonisch-assyrische  Keilschrift  erinnert  lebhaft  an  die  japanische 
Firakamia-Schnfl,  obwohl  letztere  fast  ebensoviel  Jahrhundert  nach  imserer 
Zeitrechnung  aufkam  als  jene  vor  unserer  Zeitrechnung,  beide  also  über 
tausend  Jahre  auseinander  Uegen;  aber  gemeinsam  ist  beiden  der  Gebrauch 
fremder  Wortbilder  als  Silbenzeichen  und  die  Einmengung  fremder  Wort- 
bilder in  der  Weise,  dass  diese  wie  erratische  Blöcke  die  ebene  SylbenschriR 
durchbrechen.  Wir  haben  bei  der  Betrachtung  des  Namens  Akkad  gesehen» 
dass  derselbe  sich  eng  an  Assur  anlehnt,  wir  kOunen  uns  jedoch  der  That* 

FanlMinii.  0««eliicbt«  d.  SchriA.  ff 


338  Assyrisch- babylonische  Keilschrift. 

sache  nicht  verscbliesseo,  dass  die  unaufgelSsten  WCrter  in  der  assyrischen 
Keilschrin  nicht  assyrisch  sind,  wir  mOssen  also  die  Assyrer  als  ein  fremdes 
Volk  betrachten,  welches  die  UrbeTSlkerung  unteiioehte,  und  es  wäre  dabei 
sehr  wohl  möglich,  dass  die  Assyrer  fremde  Wörter  in  ihr«  Sprache  auf- 
nahmen, wie  sie  auch  den  ganzen  äkkadischen  Cultus  angenonunen  zu  haben 
scheinen.  Demnach  wäre  das  Verfaältniss  zwischen  beiden  Völkern  dasselbe 
gewesen  wie  in  China  zwischen  Mongolen,  Tungusen  und  Chinesen;  jene 
Völker  eroberten  das  Land,  setzten  ihre  Fürsten  auf  den  chinesischen  Kaiser- 
thron,  beugten  sich  aber  vor  chinesischer  Wissenschaft;  die  Fürsten  und 
Vornehmen  lernten  die  chinesische  Sprache  und  Schrift,  während  fQr  das 
gemeine  Volk  die  heimische  Schrift  zum  Schreiben  ausgebildet  wurde,  wie 
bei  den  Talaren,  Mongolen  und  MandiEuren;  wenigstens  lässt  sich  das  Vor- 
kommen der  aramäischen  Buchstabenschrift  neben  der  Keilschrift  nur  auf  die 
Weise  erklären,  dass  die  Assyrer  eine  Schrift  besassen.  wahrend  die  Fürsten 
die  heilige  Schrift  der  Urbewohner  annahmen,  wie  sie  ja  auch  das  Hohe- 
priesterihuin  sich  aneignete. 

Wie  femer  die  Japaner  Wörterbücher  anlegten,  in  welchen  den  chine- 
sischen Wortzeichen  die  japanische  Aussprache  und  Bedeutung  beigescbrieben 
ist,  so  fand  man  auch  in  Niniveh  Vokabularien,  welche  die  äkkadischen 
Wortzeichen  in  der  Mille  tragen,  während  links  die  akkadische  Aussprache, 
rechts  die  assyrische  Erklärung  beigeschrieben  sind,  z.  B. 
.Nr(iOO)    y.^  Mk  (b  to/ das  Ganze) 

ml  T^-  kalu  (nSj  kala  vollendet) 

wi  T^-  nfsu  oder  tamsu  (iian  Thamvz, 

syrischer  Gott,  griechisch  Ado- 
nis,  hebräisch  \\i»  adon  Herr) 
isib  [►-  mmku  (IOt  ranioit- Stute?) 

»IIS  !»*-►-►—   mädutiiv  (iite  mid  Menge).  "' 

Die  Auffindung  dieser  Tafeln  hat  die  volle  Entzifferung  der  Keilschriften 
'Tsl  ermöglicht;  auf  einer  derselben  fand  sich  eine  Inschrift  König  Sardana- 
pals  V.,  die  wir  auf  dem  Titelbilde  reproducirt  haben  und  welche  vollständig 
lautet:  '»» 

JTf^TL-l^.  tL^.^^T^T^  -TTgj^.S^^T 


Assyrisch-babylonische  Keilschrift.  339 


Erklärung:  ►^MU^t  Ä€-/:a/  bedeutet  , Palast*,  hier  steht  es  aber  für 
,ich'.  Das  folgende  Zeichen  |  zeigt  an,  dass  ein  Eigenname  folgt,  es  vertritt  den 
Königsschild  der  Ägypter;  der  folgende  Name  besteht  aus  den  Zeichen  für  Gott, 
schuf,  Sohn  (das  franzosische  Dieudonn^),  akkadisch  an-ak-a,  assyrisch  Äsiir- 
idamta-paüa,  woraus  Sardanapal  wurde ;  ^4  ist  das  Zeichen  für  König  (sar), 
^  für  Legion  und  Herrscher,  beide  Zeichen  können  also  König  der  Legionen 

A 

und  König  der  Könige  gelesen  werden ;  hierauf  folgt  wieder  König,  dann  der 
Name  Assur,  bestehend  aus  dem  Zeichen  für  Land,  Assyrien  und  nochmals 
Land,  wie  denn  in  der  alten  Schrift  die  Erklärungszeichen  bald  vor,  bald 
hinter  dem  Namen  stehen,  ein  Beweis,  dass  verschiedene  Schreibarten  in 
dieser  Schrift  verschmolzen  sind;  T^  sa  ist  Fürwort  „dem*',  hierauf  folgt 
ein  Gotteszeichen  und  >-t\^ak  „  Schöpfer  •,  sie  bilden  den  Gottesnamen 
Nabu  (hebräisch  laj  Nebo  der  Gott  der  Offenbarung,  Merkur),  die  folgende 
Gottheit  heisst:  tas-mi-tuv  (wir  haben  sie  Seile  32  schon  besprochen),  \^jy 
uzni  sind  »Ohren*,  JT  bedeutet  den  Dual;  hierauf  folgen  das  Begriffszeichen 
rapastuv  ,  ausgiebige  ■ ,  dann  die  Lautzeichen  i^-ru-ku ,  schenkten  * ,  i-hu-zu  ,  ge- 
öffnet*, ^Vyy  bedeutet  Augen  (mit  dem  Dual),  darauf  folgen  die  Lautzeichen 
na-mir-tu  , sehen*,  tii-Su  , Grundlage*,  tip-sar-ru-ti  , Herrschaft*,  sa  »der*, 
►^iM  »den*,  hierauf  das  Königszeichen  mit  der  Pluralform  '►<«  mis,  dann 
die  Lautzeichen  a-lik  , gestanden*  majf-ri-ya  »vor  mir*,  ^nak-mi-ru  .Schrill*, 
gU'ü'iH  »diese*  i'/u^uz-zu  »geoffenbart*,  ni-ni-i-ku  »in  Verehrung*,  an-ttk 
Nebo's (siehe  oben),  ►►-^  ilu  »des  Gottes*,  kip-sa-an  »des  Verbindenden*, 
ifum'ku  »das  Zeichen*,  ma-la  »geringste*,  iVi-?ia  »zweiten*,  a,^mu  »Laut*, 
in  »in*,  t  \^P^  I -44^1  Plural  =  (/»/>/>*  »Tafeln*, wv-Zi/r  »habe  ich  geschrieben*, 
OB-rut  »gezeichnet*,  ab-ri  »geordnet*,  a-fia  »zum*,  ta-mar-ti  »Unterricht"*, 


340  Erklärung  der  Tafel  VI. 

^'-to-itö-8»-ya  „meiner  Diener*,  ki-rib  „in  (Mitte)*,  he-hal-ya  „meinem  Palast*, 
V'kin  „aufgestellt*. 

Die  Inschrift  heisst  demnach:  „Ich  Sardanapal,  König  der  Legionen, 
König  von  Assyrien,  dem  Nabo  und  Tasmut  ausgiebige  Ohren  schenkten 
und  geöffnet  haben  die  Augen,  um  zu  erkennen  die  Grundlagen  der  Herrschaft, 
die  den  Königen,  welche  vor  mir  waren,  diese  Schrifl  offenbart  haben,  in 
Verehrung  Nabo's,  des  verbindenden  Gottes,  habe  ich  alle  Zeichen,  auch  die 
geringsten,  in  zweifacher  Schrift  auf  diese  Tafeln  geschrieben,  gezeichnet, 
geordnet  und  zum  Unterrichte  meiner  Diener  in  meinem  Palaste  aufgestellt.  * 

Eine  andere  Inschrift,  welche  von  Nebukalnezar  herrührt,  haben  wir 
auf  beiliegender  Tafel  VI  in  archaistischer  und  vereinfachter  Schrifl  abgebildet 
und  lassen  hier  die  Erklärung  folgen,  wobei  wir  die  untere  einfachere  Schrift 
in  Typen  wiedergeben:  ►-►]  gf — T^  fp^j  g'|||y  1^=*^  t^  ^I I  bilden 
den  akkadischen  Namen  an-pa'Sa-dU'U-sur'Uny  d.  h,  „  Gott  des  Scepters  (Nabo) 
schirme  die  Krone  * ,  assyrisch  fiabo-kudurri-usur,  wofür  auch  nasir  gebraucht 
wird,  weshalb  der  Name  einmal  ixnji^'^u  Nebttkadnezar,  manchmal  nx^i^uj 
Nebiücodrosar  gesprochen  wird;  das  folgende  Zeichen  ist  t^y^  9ar  „König*, 

dann  Ö^T  =  t^  6ai  i^ j  ü  ^^|  lu  a;|^J  =  ^^  „Stadt  Babylon*. 
yf  ^^>»^  I  za-^in  ,  Erbauer  * ,  ^^  |  ^~  |  g::^!^ TT  bit-sag-ga-tu  ist  der  akka- 
dische  Name  für  Pyramide;  ^Im^I  =  ff]W[«w  .  und  * .  ^^ZjT  [  »-^'^^  [  41 
bit-zi-da  ist  der  akkadische  Name  für  Thurm.  Zweite  Zeile  ^^T  ^^  t^  *'*''* 
pallu  „Sohn*,  t^I  |  ^]t^  Nabo-  8==^|  poü-  t\]]]  w-  das  folgende  su-ur 
(wie  oben)  also  Nabopallassur*s ;  jetzt  folgt  wieder  der  Titel  „König  von 
Babylon*,  dann  Tf^^-^^H^Ja-na-ku  „ich*,  ^^Pf  '*^^  „Palast*-, 
►— ^  c=T  ^T  ^1  mu-sa-ab  „Sitz*  ^y  T  ^y  y  ►-^T-^ ^| T  ifar-ri#-^i-ya  „meines 
Königreichs*.  Dritte  Zeile  i^>^^]  ina  „in*,  ^  yyy »  ^  1 1  ^^'^  ir-si-^i 
„Lande*,  {rj 4? ►-»-T ►fcT  ^  bab-ü-lu,  folgt  das  Stadtzeichen;  "^H  «» 
„welches*  ^^^^^  ^-rib  „der  Mittelpunkt*,  ^T^ttTT  ba-bi-lu,  folgt 

das  Stadtzeichen ;  ^j[  tJ^^^iT^T  *'^""^  »habe  ich  gemacht*.  Vierte  Zeile. 
»^►^^T  tt^ ^%7"T ►^T  i-na^mi;f'rcMit  »unter*,  .^ö-^V-vJ^  kt-gal-ht 
„Tiefe  des  Flusses*,  ^ ^*^ ^T-<^T ►y^^^  i-si-it-sa  „seine  Grundlagen*, 


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Erklärung  der  Tafel  VI.  34 1 

efPff-^g^JlT  u-Sa ^►^4,T^>- ►I^Ttl  ar-äi-^d-va  .tief  gefügt  habe  ich«. 
Fünfte  Zeüe:  ^•--•^y  ina  »mit«  TrT'^y^T^yTf  kupri  »Asphalt«  ^►"T+j 
au  .und-,  :3t:6:=^T»^|^t^f^y  <^^rn  »Ziegelstein»,  ^^ff 
►yS:V^^^^^^^|:|I  U'za-ak'ki'ir-äa  »habe  ich  erzählt«,  i-KJ  ^^^TT 
^;    j  |^ir"r^[  I  hu^rse^ni-iä  »auf  den  Gylindern«.  Sechste  Zeile  ^^^itti 

,  mit  • ,  ^;;^^Ttj^  ^I— I  ^*-^w-»**^-^  » init  deinem  Bestände « ,  i^^  ►T^^ 
Ä-a-  »erhaben«,  ►.►!  ►►.T>^| ^^[^T  Gott  (Sur-ut)  Meroda/,  ^^|  Wf 
»Palast«,  ^y  t33»— g=  I  i-hu-äti  »gemacht«,  ^^c=  |  ^  »nicht«,  >— c=:  ]  fiM 
ia-sa  »  umgeworfen  « ,  dHfc^Z^I^^— m-ms-^/  » wird  er  je  sein  « .  Siebente  Zeile : 

>-^*" |i-«ö » in « »^^/^"t  1  ^.^^t  |3 1  Ici-ir-bi-Sa , in seinerMitte « ,  i-na  » in « , 
ia-W-Ww»  Babylon«,  ^t^<;^p^A  H-hu-ti  »zu  Sitze«,  J^T^^^^^T^T  Iw 
uk'ht-ud  »auserwählt«,  J  »f  |^t^|>^|  JT^^H^ i  ^w-ui-fto-o-Zt  »dem  er  wieder- 
giebl  siebenfach«,  ^|  >A  te&  ^"^N  *^'^^'^*  »seine  Fruchtbarkeit«.  Achte 
Zeüe:  ^t^pj  ^►^ ^PPP^  jT  li-bu^u-a  »durch  mich«,  ina  »in«,  ki-ir-bi-sa 
»Mitte  der  Stadt«  (wie  oben),  !t^.^^^[  ana  »bis  zu«  ^U]  da  »Tagen«, 
^t:^Vi^.Mir'rukU'ti  »entferntesten«    W  aa  »das  Volk«,   tT»^! ^I  S^'Fl 

^^  ^^  -V  ^1^1  ^^  H 1  ^  7t  T  ^"^  ■  al'fna-at-ga-ga'Ut-da'li-hi'i'lu  »  wird 
herrschen«. 

Die  Inschrift  lautet  demnach:  »Nabukodonosor,  König  von  Babylon, 
der  Erbauer  der  Pyramide  und  des  Thurmes,  Sohn  des  Nabopallassar, 
Königs  von  Babylon,  ich  sage:  Ich  habe  erbaut  den  Palast;  den  Sitz  meines 
Königthums,  das  Herz  Babylons  im  Lande  Babylon,  ich  habe  seine  Fundamente 
tief  unter  das  Nivean  des  Flusses  legen  lassen,  ich  habe  erwähnt  seine 
Errichtung  auf  den  mit  Asphalt  und  Ziegeln  bedeckten  Gylindern,  mit  deiner 
Hilfe,  o  Gott  Meroda)r,  du  Erhabener,  habe  ich  diesen  unzerstörbaren  Palast 
erbaut,  dass  der  Gott  herrsche  in  Babvlon,  welches  er  sich  zu  seinem  Sitze 
auserwählt  hat,  dem  er  versiebenfacht  die  Zahl  seiner  Geburten,  dann  wird 
durch  mich  Babylon  herrschen  bis  zu  den  jüngsten  Tagen«. 

Die  cursive  Form  der  untern  Inschrift  auf  der  Tafel  erschwert  wohl 
das  Lesen,  aber  noch  viel  undeutlicher  sind  die  Gylinder  mit  kleiner  Schrift,  an 
denen  die  Keilschriftforscher  die  Geheimnisse  dieser  Inschrift  entziffern  müssen. 


342 


3.  Die  medische  Keilschrift. 

Die  Inschriften  des  persischen  Königs  Darius  sind  in  drei  Sprachen, 
assyrisch-babylonisch,  medisch  und  persisch,  sämmtlich  in  Keilschrift  abge- 
fasst  und  aus  diesen  Inschriften  die  medische  Keilschrift  bekannt  geworden. 
Ihrer  Form  nach  schhesst  sich  dieselbe  eng  an  die  assyrische  an,  ist  aber 
einfacher,  vermeidet  die  Durchkreuzung  der  21eichen,  hat  wenig  Zeichen  für 
geschlossene  Silben  und  als  klarsten  Beweis,  dass  sie  von  den  Assyrem 
entlehnt  ist,  einzelne  Ideogramme,  welche  in  alter  Weise,  aber  mit  Hin- 
zufugung  des  Zeichens  |  ^  geschrieben  sind,  so  z.  B.  kommt  das  Wort 
^[^Hfefczj  ►- 1  Thier  a-ab-ba  .Kameel*  in  der  medischen  Keilschrift  als 

[^►^►■►-T'Ttli^lj  ^1  1 1^  vor.  Diese  Schrift  kann  also  kaum  von  den 
medischen  Königen  herrühren,  welche  laut  Berosus  nach  der  grossen  Fluth 
und  vor  der  assyrischen  Dynastie  in  Babylon  geherrscht  haben  sollen;  eher 
dürfte  die  Schrift  nach  der  Eroberung  Ninivehs  im  Jahre  G25  vor  Christo 
durch  Kyaxares  entstanden  sein,  indem  wahrscheinlich  auf  Befehl  des 
Eroberers  gefangene  assyrische  Priester  die  Keilschrift  der  medischen  Sprache 
anpassten,  wenigstens  ist  einem  solchen  Vorgange  die  persische  Keüschrift 
entsprungen.  Wir  lassen  hier  zur  Vergleichung  die  beiden  Syllabare  folgen.  *«» 


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Medische  Keilschrift. 


343 


Assy- 
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Medisch 


Laut- 
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Assy- 
risch 


Medisch 


Laut- 
werth 


Assy- 
risch 


Medisch 


Laut- 
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Wirlassenhier  als  Probe  den  Anfang  der  Inschrift  vonßehistun  folgen:  *** 

T8^r^K-^"^^^fT^<f=^^^^!::fTf  V  rm^^- 
^^t  T  ^t:  y  f:^  ^  i-*^^  "^S:  »-*-^  4<^  «-^^  ^T  T  TTT».  T  "^TT  T 

^  T  t^^T  ^TT^  v--^  ^^i  ^  ^  ^>H'-t!^T> 

IT  Da-ri-ya^va-u-ii     ga        u'-iO'ir'ra        /ja         ir-nn-ir       u       i-fui^ 
Ich,         Darius       König    der  grosse,    König  der  KOnige.  i<-h     König 
yoron  sinHk'ka    ga  da^-yO'ü-ifi-na  na  u  i'iH'da^^-fpfi'^i'ok'ri  ir-^j'tn/i  ru»  i-hu 

der  Perser,      König  der  Provinzen,    i^h    Hi<la^[»*'j*  Sohn     Ar-saiua 
M-W-oÄr-n     ho'kO'man'HU'ii'ya. 
Enkel,  der  Achämenide. 


344 


4.  Die  armenische  Keilschrift. 

An  den  Felswänden  am  See  Wan  befinden  sich  ebenfalls  KeDschriflen, 
von  denen  man  annimmt,  dass  sie  in  armenischer  Sprache  abgefasst  sind. 
Dr.  Mordtmann  «<  hat  die  Zeichen  derselben  mit  den  assyrischen  verglichen 
und  sie  mit  diesen  übereinstimmend  gefunden,  z.  B. 

'T  a        assyrisch  ebenso 

t: 'T  €        assyrisch  ^»  y 

^:t  f         assyrisch  ebenso 

yyi  kha    assyrisch  ebenso 

.^^^I^  khar  assyrisch  ^^  ^b 

^y  ka     ass3rrisch  'S-! 

t:^  hl     assyrisch  t:!?Cl3 

^^,^^yy^  kun  assyrisch  M  4^>>ff^ 

►-^  kur  assyrisch  "^  u.  s.  w. 

Sind  die  Ansichten  Dr.  Mordtmann's  richtig,  so  würde  diese  Keilschrifl- 
art  mit  den  vorigen  identisch  sein  und  es  sich  nur  um  die  Sprache  handele, 
weshalb  wir  an  dieser  Stelle  nicht  weiter  darauf  einzugehen  haben. 

5.  Die  persische  Keilschrift. 

Einen  ganz  andern  Charakter  als  alle  vorigen  Keilschriflsysieme  hat 
die  persische  Keilschrift;  sie  ist  eine  Buchstaben-  und  keine  Silbenschrift, 
insbesondere  wenn  die  mehrfach  aufgestellte  Ansicht  richtig  ist,  dass  die 
Verschiedenheit  der  Gonsonanten  vor  gewissen  Vokalen  auch  eine  Ver- 
schiedenheit in  der  Aussprache  bedinge ;  es  wird  nämlich  k  vor  a  und  i  ^^ 
anders  geschrieben  als  vor  «,  wo  dann  ^^  steht,  »-^y^  w  vor  o,  ^{^  mvort, 
^^>*  m  vor  M,  in  welchem  Falle  Lepsius  m  v  tn!^  zu  lesen  emp6ehlt,  während 
y^  s  in  gleicher  Form  vor  a,  i  und  «,  z  in  gleicher  Form  y**^y  vor  a,  i  und  u 
vorkommt.  Ausserdem  zeigt  die  persische  Keilschrift  ganz  andere  Formen 
als  die  babylonisch-assyrische  und  die  medische,  z.  B. 

a  babylonisch   IT      medisch  y 'y  persisch  yyy 

p  babylonisch  gJ^     niedisch  [f:    persisch  ^ 

S  babylonisch  TJJ   medisch  ^    persisch  ^ 


Entstehung  der  persischen  Keilschrift.  345 

Dem  Scharfsinne  Oppert's**^  ist  es  gelungen,  dieses  Räthsel  zu  lösen,  und  er 
hat  die  Lösung  in  derselben  Weise  gefunden  wie  der  Verfasser  der  vorlie- 
genden Schrift  bei  seiner  Erklärung  der  Runen«  etc.,  indem  er  sich  nämlich 
▼om  Begriffe  und  nicht  vom  Laute  leiten  Hess;  es  ist  diess  neuerdings 
ein  Beweis,  dass  die  bisherige  Methode,  die  Veränderung  der  Zeichen  in 
der  Comimpirung  derselben  zu  suchen,  verlassen  werden  und  eine  neue 
befolgt  werden  muss ,'  welche  den  Begriff  der  Zeichen  zur  Grundlage  der 
Vergleichung  nimmt. 

Oppert  schreibt  die  Erfindung  der  persischen  Keilschrift  dem  König 
Kynis  zu  und  schliesst  diess  daraus,  dass  die  Zeichen,  welche  den  Namen 
dieses  Königs  bilden,  schmeichelhafte  Attribute  desselben  sind;  wir  möchten 
aber  aus  demselben  Umstände  schliessen,  dass  die  Schrift  nur  auf  Befehl 
des  Königs  Kyrus  von  babylonischen  Priestern  aufgestellt  wurde,  und  dass 
von  diesen  die  Schmeichelei  herrührt.  Nur  eine  tiefe  Kenntniss  der  Keilschrift, 
wie  die  babylonischen  Priester  sie  besassen,  konnte  eine  solche  Auswahl 
treffen,  ebenso  dürfte  auch  ein  fremdes  Ohr  die  feinen  Lautunterschiede 
ängstlicher  aufgefasst  haben. 

Im  Allgemeinen  ist  über  die  Schriftveränderung  zu  bemerken,  dass  das 
Streben  nach  Einfachheit  vorherrscht,  zusammengesetzte  Keile  wie  i  oder 
d  wurde  in  den  einzigen  Winkel  ^,  »—  und  t  in  den  einzigen  Strich  »-  und  y 
aufgelöst,Durchkreuzungen  vermieden  u.s.w.  Wir  lassen  nun  die  Entwicklung 
der  persischen  Keilschrift  aus  der  babylonischen  nach  Oppert's  Angabe  folgen 
und  bemerken  nur  noch,  dass  die  eingeklammerten  Vokale  darauf  hinweisen, 
dass  der  Consonant  nur  vor  diesen  Vokalen  gebraucht  wurde,  wie  oben 
erwähnt  worden  ist,  und  dass  die  persischen  Wörter  dem  babylonischen 
Bedeutungen  entsprechen. 

Persisch  Babylonisch 


m 

a                aura 

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u                um 

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k  (a,  i)     karta 

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k  (u)         ktirti 

-  yjj   sa     Herrscher 


Y  Ziegelstein 

4^^m  y  sul  gross,  breit 

J^         kak  Werk 

^y  ui  Sonne 


346 


Entstehung  der  persischen  Keilschrift 


Persisch 


Babylonisch 


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gaitha 

<H    9  M 

gmaka 

«ri  ** 

khaaita 

^h1  *  ('*'  i) 

tatSara 

rrr  *  m 

turiya 

n"    ^  00 

data 

3!y  ^  0) 

dipi 

<Hy  ^(^-> 

dwna 

«r  'Ä 

thukhra 

^  ^ 

pant^ 

5=r  * 

havana 

K<  / 

frätha 

5:<    n  r<»,  0 

näh 

«j:  « r«; 

nuna 

>-)fYf  m  ^a; 

fnathista 

K-  »«  ^:^ 

tniMa 

6:<-»»  r«; 

musti 

Et  ♦•  ^«^  »> 

räza 

-«  »•  r«; 

rttti 

<!^ 

lakhsa 

K-  y 

yüta 

>-y^  V  (a,  u) 

vahista 

y*Y      t>   (i) 

vidä 

y*?-  « 

Uakkra 

<<    ^ 

Siyätis 

rE  * 

spithra 

^►yr  im    Himmel  mid  Erde 

wir   Seite,  Ferse 
IIT'T      kan  mächtig 
^  y^  '    mal  Haus 
1 1 1^  die  vier  Elemente 

I       e       Befehl 
V     zu     Text 

tul    Wolke 
glänzend 

ya    fünf 

iz     StoflF 

mis  Vielheit 

bi     Röhre,  Kanal 

in     Wimper 

nun  Herr 
^{{^1=    di    Belohnung 

zak  Faust 

ma   Geheimniss 
►^       mu   Wort 
w^'       pin  Gründung 
^y>-       Si     Andenken 
^^gte         Paradies 
1  +  1        ip     berühmt 
!►    mar  Wagen 
^       /i    gut 

a$     Firmament 


TTT 

I 


■f 


Inschrift  von  Persepolis. 


347 


Persisch 

! 

\  y»^  y  z  zaruvana 

^^(   i  (a,  u)  iaya 

^-(^  i  (i)  Sigäla 

^^Z  h  hamna 

f^       ihr  thruva 


Babylonisch 


T-T 


Ewigkeit 


►>— [  A,  pcd  Lebenszeit 
►-^»^   8ir  Meteor,  Kohle 
i^  Opfer 

si     Hom 


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Wortzeichen: 


<<< 

Uli 

m 


khsütfothtfia 

bumi 

dahyära 

näma 

puthra 

pärsa 

fram{?) 

auramazda 


t  ^  König 

"^  (^^)  Göttin,  Land 
\^^  die  Länder 

iVy         Name 
Sohn 

Fürst,  Perser 
Waffe  ? 


Ausserdem  haben  die  Perser  folgende  Determination  aus  der  babylonischen 
Schrift  entnommen:  y  vor  Männemamen,  ^*^^  vor  Göttemamen,  ""^yT  ^^^ 
Städtenamen,  ^^  vor  Ländernamen, |][  vor  Flussnamen,  A  trennt  die  Wörter. 
Wir  geben  als  Schriftprobe  den  Anfang  dei  Inschrift  von  Persepolis.  i** 

j=r  <Tr  \ -y^  i-y  wj^  \  m  <?»  ^y  -m  Kp  m  V5=<!<- \ 

"»f  *"Ty!  m  ^f y!  \  s^Kyy  K^  "yy"  "  frl  "V  m  t?  m  "V  (^(H*-  \  yyy 

^1Z  *-h1  \  YYY  f  ^HyT  YYY  ^<*-h1  \  m  YV  YYY  ^  (^(H''\  "h^^ 

^h1  'iT  H"  '^fYTVYYY  YY  YYY  V^<K'-"V<<  "yy"  H*-  yyt  ^h1  W  '^h1\ 

m  YY  YYY  \  *-h1  ^f  £^f y!  "yY  ?<*-  <^<y<'-  YYY  ^  <^<!<^  V  YY  YYY  ^f 

T<>- Hfs  <?Y^HfY!  \  «n  <<  Yn  K-r<yW  K*-  -M  \  m  <!  <YY  t< 

<YY<<"V  YYY  YY  ''f^'-M  N  ^'^«<YY'-y^^<YYY  »"M  ^  «yy<< 

m  K'^  y  <f"YY  y<^  ^yYy  \  m  w  ^-y^  ^^yYy  "v  w  »-«(yy  »-y^  ^<yyy 
-h  y\  y«^y  -yYy  y"yy  syYy  ^i  --hi  \ 


348  Kyprische  Schrift. 

ha-ga  ,Gott",  va-z-ra-ka  ,der  grosse*,  a-u-ra-ma-z-da-a  «Auromaz- 
da",  Ä-yo  »der*,  i-iwo-a-m  , diese*,  hu-u-mi-i-m  »Erde*,  i^da-a  »geschaffen*, 
h-ya  »der*,  ö-ra-w  »jenen*,  a-s-nuMi-na^-m  »Himmel*,  ordorKi  »geschaffen*, 
h-ya  »der*,  ma-r-t-i-ya-m  »den 'Menschen*,  a^a^  »geschaffen*,  Ä-j/a  »der*, 
s-i-ya-a-t-p-m  »Annehmlichkeit (Schicksal)*,  Orda-n  »schuf*,  fwa-^-f-i-yo-Ä-yB-a 
»den  Menschen*,  h-ya  »der*,  (fa-a-ra-ya-f?-K-m  »Daryavus*,  ücÄ-ÄO-o-yo-rt-i- 
yorfn  »zum  König*,  Ork^urnoruS  »gemacht*,  a-i-vorm  »alleinigen*,  jw-r-w-r- 
na-Orfn  »vieler*,  lüi-sa-a-ya-th-i-yorm  »König*,  a^i-va-m  »alleinigen*, /w-r- 
tt-r-wa-a-m  »vieler*,  f-ra^ma^a-ta-rtP-m  »Herrscher*. 

Vom  Zahlensystem  haben  die  Perser  nur  das  einfache  Zehnersystem 
angenommen,  doch  schrieben    sie    y^  für  60,  ^(^  70,  y^^<(  80,  ^(^  90, 

ff^  100,  yyy-  200,  YYjy-  400,  y<f-  1000,  yf<y-  2000,  «y-  10.000. 

Höher  gingen  die  Ziffern  nicht  hinauf;  man  gebrauchte  fQr  höhere  Zahlen 
die  unbestimmten  Ausdrucke  »Tausend  und  aber  Tausend*  oder  , Tausend- 
maltausend dienten  ihm  und  Zehntausend  von  Zehntausenden  stehen  vor  ihm.' 

V.  DIE  KYPRISCHE  SCHRIFT. 

Auf  der  Insel  Kypern,  von  welcher  der  Gultus  der  Aphrodite  nach  Griechen- 
land kam,  hat  man  neben  phönikischer  und  Keilschrift  archaistischen  Charak- 
ters (eine  Inschrift  beginnt  mit  den  Worten  ^T.^^  f:  I  t^K^^'^^ 
ka-itti  kat-urtir-sa^  scheint  also  darauf  hinzudeuten,  dass  die  Verwandtscha/l 
der  Akkad  und  Kittim  der  Bibel  eine  mehr  als  nominelle  ist)  auch  Schrift- 
zeichen auf  Münzen  und  Inschriften  gefunden,  welche  keine  Ähnlichkeit  mit 
irgend  einer  andern  Schrift  haben  und  sich  bei  genauerer  Forschung  als 
Sylben zeichen  einer  griechischen  Sprache  dorischen  Dialectes  erwiesen.  Die 
Trachten  und  Embleme  auf  den  Münzen  weisen  auf  Ägypten  hin,  und  wir 
w^erden  wohl  nicht  irren,  wenn  wir  annehmen,  dass  hier  eine  ähnliche 
Schaffung  einer  Silbenschrift  für  die  griechische  Sprache  aus  der  ägyptischen 
Wortschrifl  vorliegt,  wie  wir  sie  bei  der  Entstehung  der  japanischen  Schrift 
aus  der  chinesischen,  der  persischen  Keilschrift  aus  der  babylonischen 
gefunden  haben,  und  wenn  wir  als  das  Volk,  für  welches  diese  Silbenschrift 
eingerichtet  wurde,  das  karische  halten,  welches  vor  den  Phönikiem  die 
Küsten  des  Mittelmeeres  und  dieses  selbst  beherrschte  und  einen  Theil  des 
Völkerbandes  bildete,  der  mit  Ägypten  Krieg  führte. 


Kyprisches  Syllabar.  349 

Die  Entstehung  dieser  Silbenschrift  muss  sehr  alt  sein;  noch  wurden 
die  griechischen  Laute  t,  th  und  d;  b,  p  xindph  nicht  unterschieden,  neben 
den  Silben  ka^  ke^  ki,  ko,  kü  findet  sich  nur  ein  ga^  dagegen  ist  das  v  noch 
vorbanden,  welches  in  der  spätem  griechischen  Sprache  verschwand  und 
ks  ist  in  ki-si  noch  aufgelöst.  Ebenso  entsprechen  die  Zeichen  weder  den 
Hieroglyphen,  noch  der  hieratischen  Schrift,  sie  scheinen  vielmehr  jenen 
Charakteren  ähnlich  zu  sein,  welche  wir  in  Khufus  Namen  fanden,  alte  runen- 
artige Zeichen,  aus  denen  sich  die  hieratische  Schrift  entwickelt  hat.  Wir 
glauben  daher  am  besten  zu  thun,  wenn  wir,  um  die  ursprüngliche  Bedeutung 
dieser  Zeichen  zu  erkennen,  die  entsprechenden  ägyptischen  Zeichen  mit  den 
griechischen  Wörtern  vergleichen. 

)|c  0  )l(  ^« 

Das  erste  Zeichen  ist  die  Rune  hagl,  welche  in  den  Hieroglyphen  als 
f  /a  vorkommt,  das  zweite  ist  der  Tropfen,  der  im  Charakter  der  Keilschrifl- 
form  T*T  a  ist,  das  dritte  Zeichen  schliesst  sich  an  das  erste  an,  das  vierte 
ist  ein  Stern.  Diesem  entsprechen  die  griechischen  Wörter:  aigis  das  Gor- 
gonenhaupt,  der  Schild  der  Minerva  ist  sowohl  die  strahlenwerfende  Sonne 
als  die  blitzwerfende  Wolke  f,  woran  sich  od^  »ich  verletze',  agddzomai 
,ich  staune*,  agn^  .heilig',  dgos  ,Gräuel*,  akoe  , Gehör*,  dUcar  .Abwehr* 
und  die  Göttin  Athene  anlehnen;  da  letztere  auch  die  Beschützerin  der  Künste 
ist,  so  könnte  das  Zeichen  auch  die  Spinne  (ard/ne)  vorstellen,  deren  Zeichen 
in  den  Hieroglyphen  längst  verloren  gegangen  ist.  ^  ist  auch  das  Symbol 
des  Krieges,  «Schild  und  Speer*,  welche  die  Göttin  trägt;  damit  hinge  Ares 
der  Kriegsgott,  aner  ,  der  Mann*,  änthröpos  .der  Mensch*,  dgö  .ich  führe,  ver- 
sammle*, aeidö  .ich  schwirre  (Bogensehne),  zwitschere,  singe*,  drisios 
,der  beste*  zusammen;  ferner  haben  wir  %  als  Vereinigung  der  Geschlechter 
kennen  gelernt,  womit  agcUhös  .gut*,  agapdö  .ich  schätze  hoch*,  agdpe 
«Liebe*,  anüö  .ich  vollende*,  ar/i  .Anfang*,  aut^s  .selbst*,  zusammen- 
hingen, femer  ist  ^  die  Blüthe,  daher  dnthos  .die  Blüthe*,  (igalKs  .die 
Schwertlilie  (ägyptisch  n,  akmi  .Spitze*;  endlich  die  Speichen  des  Rades, 
daher  am/)A/  .um,  herum*,  arithmöa  .die  Reihe*,  härma  .der  Kriegswagen* 
und  dieser  als  hdmadza  .Sternbild  des  Bären*  ist  zugleich  das  vierte  aus 
sieben  Strichen  bestehende  Zeichen  und  verwandt  mit  iister  .Stern* ;  J|(  ist 
liei  den  Chinesen  Symbol  des  Wassers  und  lehnt  sich  als  Bach  zwischen 
zwei  Ufern  an  den  Tropfen  an. 


350  Kyprisches  Syllabar. 

sind  ihrem  Ursprünge  nach  identisch  mit  dem  vorigen  Zeichen,  ihre  specielle 
Bedeutung  durfte  in  ^don  .sehen'  liegen,  ägyptisch  J^,  hieratisch  ^,  das 
zweite  Zeichen  hat  Ähnlichkeit  mit  der  Eeilschriftform  ^  Si  .Auge,  Gesicht*. 

Das  erste  Zeichen  ist  der  fünfstrahlige  Stern  der  Istar  (Aphrodite),  die  rosen- 
fingrige  Eos  oder  Iris;  auf  die  Erde  angewandt  (de  .das  Waldgebirge';  das 
zweite  Zeichen  scheint  ein  Rumpf  zu  sein,  daher  (sas  .gleich',  (dias  .eigen', 
idSa  .Beschaffenheit',  da  die  Körper  als  gleich  und  nur  das  Antlitz  als 
unterscheidend  angenommen  wurden;  es  scheint  dieses  Zeichen  aber  einen 
Doppelsinn  zu  haben  und  auch  der  zQngelnde  Schlangenkopf  zu  sein,  worauf 
i6s  .Gift,  Pfeil',  hieris  .Priester',  iater  .Arzt'  hinweisen. 

Das  erste  Zeichen  scheint  ein  Kraut  zu  sein,  ägyptisch  1 1  »n  .  gleich,  ähnlich 
sein',  da  die  Gräser  gleich  sind,  und  hieran  schliesst  sich  homoias  .gleich',  6 
.der'  (im  Sinne  von  .jeder'),  t«^  .wollereich,  kraus' ;  das  zweite  dürfte  der 
Vogel  sein,  ägyptisch  m,  hieratisch  ^  u,  oiönds^  örnis  .Vogel',  lateinisch  am. 

^  ü 

scheint  der  erste  Keim  zu  sein,  das  Bedeckende  des  Bodens,  dann  auch  die 
Öffnung  des  Himmels;  es  ist  verwandt  mit  Y,  daher  hüö  .ich  lasse  regnen', 
hudör  .Wasser',  hügrds  .feucht',  hüi6s  .der  Sprössling,  der  Sohn';  aus 
diesem  Doppelsinne  erklären  sich  auch  hüp^  .oben'  und  hüpö  .unten', 
nämlich  das  Wasser  über  der  Veste  und  das  Wasser  unter  der  Veste,  wie 
die  Bibel  sagt. 

[-   ta 
ist  die  nordische  Rune  ^  thurs  .der  getheilte  Stab,  das  Loos',  d^er  dahnön 
„die  Gottheit  der  Lose',   daiomai  .ich  theile,  vertheile',   tamias  .der  Ver- 
walter, Vertheiler'    (der  jedem  durch  das  Loos  seinen  Antheil  bestimmt), 
tdssö  .ich  ordne'. 

±  te 

ist  die  reife  Ähre,  ägyptisch  neben  m  beti  .Weizen'  jT  tr  .die  Zeit  der 
Reife',  daher  detle  .die  Mittagszeit',  ttleios  .reif,  theös  .Gott'  (der  nordische 
T  Jyr),  theros  .Sommer',  als  Frucht:  teknoti  .der  Gehörne',  deuttros  .der 
Andere",  analog  ägyptisch  I  son  .Bruder,  Schwester'. 


Kyprisches  Syllabar.  351 

A  ti 
ist  gleichfalls Tyr:  dia  .zwischen,  zwei*,  di/a  »zweifach*,  time  , Schätzung* 
(Unterscheidung),  d^e  .Recht*,  dtos  »Gott*,  ägyptisch  A  ist  der  Siriusstern, 
der  die  Zeit  theilt  und  den  Beginn  der  Regenzeit  ankündigt. 

kommt,  aber  sehr  selten,  in  den  Hieroglyphen  Tor;  Brugsch  erklärt  es  als  einen 
Schlüssel,  womit  den  Leichen  der  Mund  geöffnet  wurde,  um  das  Gehirn 
herauszunehmen;  es  kommt  vor  in  "^h**  8  jj  ^  uar  hek  »Magie*,  femer 
als  hi  »steigen,  schlagen*,  wahrscheinlich  ist  es  die  einfache  Form  von  J  ab, 
bt  »Werkzeug  zu  künstlichen  Arbeiten*,  entsprechend  dem  griechischen  iorös 
»durchbohrend*,  tome  »Schnitt*,  iomius  »Kneif,  Messer*,  auch  tokseuX^ 
»ich  schiesse*  schliesst  sich  an;  der  Stamm  ht  dürfte  sich  in  unserem  »Waid- 
messer, auswaiden*  erhalten  haben,  to  in  »Dolch*,  wahrscheinlich  war  es 
ursprünglich  ein  der  Hand  nachgebildeter  gekrümmter  Haken,  ein  Dietrich, 
hebräisch  ^  yad  »Hand*. 

Itk  tu 

schliesst  sich  an  das  vorige  an,  es  ist  die  ausgestreckte  Hand,  ägyptisch  (N^r 
hieratisch  2-^  )fu  »beschützen*,  \|->,  hieratisch  \^  tsr,  dem  entsprechen: 
iiptö  »ich  schlage*,  iürannos  »Herrscher*,  /ti/«  »Geschick,  Zufall*,  dinaniai 
»ich  kann*,  düo  »ich  dringe  ein*,  duo  »zwei*,  (die  Hand  mit  weggewendetem 
Daumen,  ägyptisch  ««»«  tt). 

ist  ähnlich  dem  oben  besprochenen  i,  wie  jenes  die  Isis,  ist  ga  die  gaia 
»Erde',  /ai«(J  »ich  gähne*,  gamiö  »ich  verbinde,  heirathe*,  ägyptisch  (^  /n 
»umarmen*. 

^  ka 
scheint  eine  Vereinigung  der  Symbole  von  Himmel  und  Erde  zu  sein  oder 
der  Kopf  auf  dem  Rumpfe;  dasselbe  symbolisirt  die  Pflanze  T  /a  »die 
Schvrertlilie * ,  griechisch  agalUs,  hieran  schliessen  sich  kdktos  »die  stachlige 
PÜMüie* ^  kardia  »Herz*  (lateinisch  Carduus  »die  Distel*),  von  der  Blülhe: 
kaihari$  »rein*,  kainös  »neu,  blank*,  kcMs  »schön*,  kdra  »Kopf*  (dagegen 
der  runde  Auswurf  kakös  »schlecht*),  auf  den  Stengel  beziehen  sich:  kauon 
»Rohr*,  kauUs  »Stengel*,  karter6$  »stark*,  auf  die  Vereinigung  von  Gipfel 
und  Boden  kai  »und*,  katd  »von  oben  nach  unten*,  auf  den  Blüthenstaub 
ki£ö$  ,Thau*. 


352  Kyprisches  Syllabar. 

ist  mit  dem  vorigen  verwandt^  sein  Grundbegriff  ist  aber  .durchschneiden* 
wie  die  Hieroglyphen  v^  w«,  Jj  6«,  y»  Asft  und  XT  ab\  hieran  schliessen 
sich  die  griechischen  Wörter:  keddsö  ,ich  zerspalte,  zerschneide*,  keiro  »ich 
schere  ab",  kiniron  , Stachel*,  k4ra$  „Hom*. 

S  ki 
scheint  ein  Weg  zu  sein,  griechisch  kUeuthos,   ägyptisch  'i^  hr,  auf  das 
Gitter  des  letztem  weist  kinklüs-  .Gitter,   Gitterthüre * ,   wie  im  Gebirge  für 
Wege  Thüren  in  den  Zäunen  angebracht  sind,  ferner  kiboids  «Kasten,  Kiste* 
(das  Verschlossene),  auch  der  rankende  Epheu  kissas  dürfte  sinnverwandt  sein. 

A  i^ 

ist  griechisch  korüphe  .Gipfel",  gdnia  .Winkel*,  koUas  .hohl*,  kölpos  .Busen- 
falte, Bauch*  (ägyptisch  13  kr),  kMis  .Hekn*,  gönü  .Knie«,  kSlon  .Glied, 
Fuss*  (ägyptisch  ^),ÄMJfios.  Zapfen  der  Pinie*,  koleös  .Scheide  der  Schwertes*. 

Sf   kü 

ist  das  ägyptische  T,  hieratisch  ^  /sf  .Lotos*,  griechisch  kdamos  .Bohne*, 
küras  (Sonne)  Name  des  bekannten  persischen  Königs ;  es  ist  verwandt  mit  #, 
daher  AnSdnos  .ßchwarzblau*  (wie  der  Nachthimmel),  ämMo  .schwanger*  (Wolke, 
Knospe),  käklos  .Umkreis*,  küma  .Woge*,  käUkSy  lateinisch  calix  .Kelch« 
(ägyptisch  ♦,  hieratisch  ^  .Herz*). 

ist  das  ägyptische  ff ,  hieratisch  ^  psd,  das  ist  der  Poseidon,  der  Gott  des 
Wassers  und  der  Erde,  der  Erreger  der  Wogen,  der  Wassermesser,  das 
Rückgrad  der  Welt,  die  Stabsäule,  um  welche  sich  die  Sphären  drehen,  die 
Weltesche  Yggdrasil,  der  Mittelpunkt  der  Welt.  An  ihn  lehnt  sich  das  grie- 
chische basüeiis  .König*  und  FcUlas  Athene  die  jungfräuliche  Erde,  Pon  der 
Feldgott,  p<U$r  .Vater*,  |wi/o«  .stark,  dick*.  Merkwürdigerweise  ist  auch  in 
der  Keilschrift  ^h^pa,  eine  vereinfachte  Form  von  ^TT|T  u  .Feld,  Mass« 
und  die  Bedeutung  .salben«  hängt  mit  dem  gesalbten  König  zusammen. 

ist  die  Rune  H  sol  (Sonne),  das  ägyptische  -  _j*  tna  .Sichel«,  das  hebräische 
H  nun  (Augenblick)  und  entspricht  den  griechischen  Wörtern:  bäos  .Blitz, 
Pfeil*,  peirö  .ich  durchbohre*,  pesso  .ich  erweiche  durch  Wärme  (also  der 
Sonnenstrahl),  reife,  koche«,  j?«^*«  .Bug,  Ellenbogen«. 


i 


Kyprisches  Syllabar.  353 

ist  verwandt  mit  o,  einer  Krautform,  daher  Hob  «Leben,  beweglich«  "mequeck 
in  Quecksilber,  wohl  auch  mit  der  Quecke,  dem  Unkraut  des  Feldes,  piloB 
»Filz*,  piasnta  .Mast,  Dünger«. 

ist  die  nordische  Rune  ^  reid,  daher  griechisch  p6a  «Kraut,  Gras,  Weide*, 
höakö  »ich  weide*,  botänf  »Weide,  Futterkraut*,  poreüö  »ich  reise*,  jxiros 
»Durchgang,  Weg^ , patamös  ,Fluss«,|>of  »wo«;  im  Ägyptischen  schliesst  sich 
das  hieratische  ^/m  »Kalb<^  an,  griechisch  büa  »Kuh«  das  gezähmte  Thier» 
das  Zeichen  war  ursprünglich  ein  Knoten. 

ist  eine  Pflanze,  griechisch  phäo  »ich  bringe  hervor*  (chinesisch  |-Lj  tse)^ 
phusis  »Natur*,  phüUa  »Kraut*,  ptUhmen  »Boden*,  ptüö  »ich  speie«,  dann 
RUch  verwandt  mit^^Sr  »Feuer*  (der  Erde). 

yS  la 
ist  verwandt  mit  dem  ägyptischen  j|^  un  »sein,  existiren«,  hieratisch  Si 
griechisch  lagös  »Hase*,  lagneia  »Wollust*,  das  ägyptische  Zeichen  des 
Hasen  ist  eng  verwandt  mit  der  Schlange,  «vaiu  ro^  das  schattenhaft  hin- 
S(  hleichende  Thier,  Symbol  des  Lebens,  der  Zeugung,  der  Seele,  griechisch 
Um6s  »Volk,  Leute*,  im  Sinne  von  Nachkommenschaft,  niedriger  Abkunft. 

8  ^ 

dürfte  ursprünglich  OO  gewesen  sein,  die  Augen,  daher  leüs^  »ich  schaue«, 
die  Lida,  welche  zwei  Eier  legte  (an  Stelle  des  ursprünglichen  Welteis),  leön 
«der  Löwe«  (das  Thier  mit  den  leuchtenden  Augen),  leukds  »leuchtend,  weiss*" 
(im  Ägyptischen  heisst  der  Löwe  ^  maatz-^esa  »schrecklich  anzuschauen«, 
auch  die  Katze  führt  den  Namen  mau  von  den  leuchtenden  Augen,  wie  auch 
1  fffia,  die  Feder,  »weiss«  bedeutet),  ledanan  »Baumharz*  hat  auch  seinen 
Namen  von  der  leuchtenden  Farbe,  wie  elektron  »der  Bernstein«. 

Ist  wohl  das  ägyptische  /*^ru  »fliessen«,  griechisch  le(bö  »ich  tröpfle,  giosse« 
{süh  dem  Stamme  lA)^  liparls  »klebrig«,  Umne  »Sumpf«. 

+  fe 
ist  eng  verwandt  mit  ♦,  daher  arithmos  »die  Reihe«  =Jog(dzotnai  »ich  rechne«, 
I6ij03   »Wort«,  es  ist  auch  das  Rückgrat,   daher  I6/os  »Hinterhalt«,   lohr 
^Keschimpfüng«,   im  Chinesischen   ist    ^S    ein  verwachsener  Mensch,  ein 

r«almaon.  0««chichttt  d.  Schrift  ^3 


l 


354  Kyprisches  Syllabar. 

Zwcr^  mit  vorstehender  Brust  und  Höcker,  ein  viereckiger  Körper  und 
bedeutet  Unglück,  wie  das  griechische  loigds  , Unheil*,  loksds  .schief*. 

scheint  ein  Körper  mit  Brust  zu  sein,  tnadzds  .Brust*,  maUMs  ,weich^ 
laleinisch  moUiSj  die  wogende  Brust,  tnafnotnai  «Wuth,  Raserei*. 

ist  das  ägyptische  nS,  hieratisch  JJ^  ms  .bilden,  gebären*,  doppelsinnig,  wie 
die  meisten  alten  Zeichen,  kann  es  sowohl  als  Wurzel,  wie  als  Zelt,  Familie 
aufgefasst  werden,  defti  entsprechen  milafUhron  .Haus,  Höhle,  Zimmerdecke*, 
iiiigas  .gross*,  miiron  .Mass*,  fnisos^  metäs  .mitten*,  meter  .Mutter*. 

/>C\  mi 

ist  das  ägyptische  ^,  hieratisch  ^  tm  .vereinigen*,  griechisch  mignüMai 
.ich  mische*,  miaino  .ich  besudle*,  m(astna  .Befleckung*,  misos  .schlecht*, 
das  ägyptische  tm  hat  den  Begriff  der  untergehenden  Sonne  und  des  Grabes. 

QQ  XU  ^f^f 

ägyptisch  caa,  hieratisch  B  ^,  anc  mr  .Fölle*,  ^0,  hieratisch  XU  ^ 
,  Weib*  ,  '^'^  ,  hieratisch  ^37  nb  .alles*,  griechisch  mo/lds  .Riegel,  Quer- 
balken*, mo//OÄ-  .allein*,  inoira  .Theil,  Schicksal*  (verwandt  mit  V  tä),  moi/tki 
.Elifbriicli*,  iHu.ia  .Göttin  des  Gesanges*. 

T  "«/ 

ägyi>lisch  3^^,  hieratisch  Jfj  nf  .fächeln*,  griechisch  naus,  lateinisch  nari* 
„SchilT*,  ndein  .schwingen*,  ndö  .ich  fliesse,  bin  voll*,  futös  .Tempel* 
(ä^^vptisch  "Y  Stütze  für  Götterbilder,  DD  Götterfest),  ndke  .Fell,  Vliess* 
(ägyptisch  ^  ab  .Fell*). 

ägyptisch  A,  hieratisch  \^  as  .Pflanze*,  (,  hieratisch  S  w**  .Knospe, 
Vase",  T,  hieratisch  "J,  nfr  .jung,  schön*,  griechisch  nSas  .jung*,  ntis 
.unwissend",  neiros  .Unterleib*,  nedtis .Bauch, Höhle*,  neids .Quellnymphe*. 
mphos  .Nebel*. 

iiikdö  .ich  siege*,    nOce  .Sieg*,  ägyptisch    ^^,    hieratisch    ^    ^Z^f    »^^^ 
Siegespalme,  der  Ölzweig,  die  Siegeskrone*,  verwandt  mit  der  Krone  ^ 
lüeratisch  ^  nt. 


Kyprische?  Syllal)nr.  355 

mo^nda  »auf  der  Weide  umherschweifend*,  daraus  nomddes,  tionie  «Weide*, 
noterös  .feucht*,  ägyptisch  1  1  tm    «gleich  sein*    (ursprünglich  Grashalme). 

Ol  ♦*«; 

ägyptisch  JID  hieratisch,  02,  pK  hk  «Hintertheil,  Magie*,  ^^  r  «Loch, 
Mund*,  griechisch  rÄd/w  »Rücken*  (deutsch  ist  verwandt  »recken,  Rachen*), 
rhtijtto  »ich  füge  zusammen*,  rJiaio  »ich  zerschlage,  zerschmettere  %  mit  der 
Bildform  dürfte  vMks  »die  Weinbeere*  verwandt  sein. 

ä^'vplisch  THTi  hieratisch  ]fj[f  ihn  »Gewitter*,  unser  »regnen*,  griechisch 
rfuo  »ich  fliesse,  ströme*,  rheuma  »Durchfall*. 

^   n, 
Ägyptisch  ^^  hr  »Haar*,  griechisch  rhigiö  »ich  entdecke,  schaudre*  (sträu- 
bende:: Haar),  rhujos  »Kälte,  Frost*  (Gänsehaut),  auchr^ii^  (die  schnaubende) 
^Nase*,  ägyptisch  J^,  hieratisch  ^,  dürfte  hiermit  verwandt  sem. 

ägyptisch  J{  §n  »wenden,  winden*  griechisch  rhödan  »Rose*,  rhoiä  »die 
Granate*,  rhöos  »die  Strömung*,  rhope  »die  Neigung  nach  unten*  (ägyptisch 
y  ri  »die  Rübe*). 

ägyptisch  — «•-,  hieratisch  «4ir  s  (Muskel),  davon  griechisch  saino  »ich  wedle 
mit  dem  Schweife,  schmeichle*,  sdlos  »das  Schwanken*,  sanls  »Thierflügel, 
Pfahl*  (ägyptisch  ^1,  hieratisch  J[,  verwandt  mit  d ,  hieratisch  Jj  sa  »Sitz* 
und  ^^  ma  »offenbar*,  griechisch  saphes  »offen,  klar*,  verwandt  mit  J^, 
hieratisch  as  sa  »wissen* ;  das  kyprische  Zeichen  ist  das  in  den  Hieroglyphen 
selten  vorkommende  Zeichen  für  Scheide,  Schwanz,  griechisch  saüros  »die 
<langschwänzige)  Eidechse*,  deren  Hieroglyphe  «U^die  ursprüngliche  Bedeu- 
tung verloren  hat 

ii;:yptisch  J^,  hieratisch  Q^  S  (Sumpfland),  das  Gebiet  des  Poseidon,  dessen 
Dreizack  ^  in  den  Hieroglyphen  nicht  mehr  vorkommt,  an  den  aber  \f/  o/>- 
ri/y/f, Jahresanfang*  und>v<^au »ehrwürdig*  erinnern;  hiermithängt  zusammen 
gnechisch  semnos  »ehrwürdig,  alt*,  s^lxis  »Scheu,  staunen*,  femer  ägypliscli 
\  M,  mnt  »Westen*,  griechisch  seli^ie  »Mond*,  Symbol  der  Fruchtbarkeit. 

23* 


356  Kyprisches  Syllabar. 

ß\  «. 

ägyptisch'  11  \  hieratisch  T  aft,  $iu  »Nacht*,  griechisch  sigdS ^\ch  schweige*. 
^/^^  ,  Stillschweigen*^,  »'//tos  9  hohl  er  Bauch'';  verwandt  damit  ist  ägyptisch 
<&,  hieratisch  ^  st  .Jagd",  hierher  gehört  das  kyprische  Wort  sigünnis 
^Wurfspicss*,  griechisch  sM/eiOj), Elisen*^  (lateinischsidua, Gestirn*,  griechisch 
asi^'),  sidzo  ,ich  schiesse*« 

^  so 
ist  hegrifi^sver^vandt  mit  pü,pi  und  o,  das  Grundzeichen  ist  (  V  «die  Knospe, 
die  Vase*,  davon  die  Hängelampe,  griechisch  sorös  .Urne*,  sophia  «Wissen, 
Kunst*  (ägyptisch  /n),  auch  die  Flamme  1,  hieratisch  £|  als  Mittel  zum 
Schmelzen  und  die  Metallbereitung  dürfte  hiermit  zusammenhängen;  sob^ 
^eihg  gehen*  schliesst  sichan  das  ägyptische  ff,  hieratisch  2  «hinbringen*  an. 

scheint  das  ägyptische  i>— >,  hieratisch  l.«  ma  .weihen,  darbieten*  zu  sein, 
griechisch  spendö  »ich  sprenge,  giesse  aus*,  oder  auch  die  einfache  Hand  '»^ 
hieratisch  2^  sp^  worauf  das  griechische  su  »du*  hinweist,  sowie  sun,  ksun 
«mit,  sammt*,  ägyptisch  Wi,  hieratisch  — ^  mn  «fassen*,  &^— l  ma  ist 
laulverwandt  mit  -^"  ina,  griechisch  surinks  «Pfeife,  Flöte*. 

A  ^^* 

ägyptisch  ^^,  hieratisch  F^  pt^  griechisch  bdthas  «Tiefe,  Höhe*,  hdllö 
«ich  werfe,*  erinnert  an  den  Bogen  und  die  Steinschleuder;  ebenso  harus 
«schwer*;  eine  solche  Schleuder  scheint  ägyptisch  £,  hieratisch  ^  ma  «Ge- 
wicht, gleichen*  ursprünglich  gewesen  zu  sein. 

z  ^ 

dürfte  der Thurm,  ägyptisch  j|,  hieratisch  JT  sein,  griechisch  ft^i  «befestigen*, 
hehaios  «feststehend*. 

^±«> 

dürfte  einerseits  das  ägj-ptische  f^^f*^  «Weite*  (Wolke,  Wind),  daher  hoi'&.s 
«Nordwind*,  ^{x/ö,  ich  rufe*,  6o#  «Stimme*  (vom  Stürmen),  andererseits  böntos 
«UiUersalz,  Gestell,  Fuss  einer  Statue,  Altar*  sein,  ägyptisch  A,  hieratisch 
l  id,  *,  hieratisch  "J  ab  «Osten,  Altar*. 

Wir  lassen   nun   als  Schriftprobe  den  Anfang  der  Inschrift  von  Dali, 
Welcher  sich  auf  dem  Titelbild  befindet,  folgen;  *»• 


Inschrift  von  DalL  3^^ 

Im  Griechischen  heisst  diess: 
"Ort  :  TafxnrröXev  'HiaXiov  :  xarcföpxwv  Mä^oc  :  xa^    Kcrc^fc^  :  ^v  rot  : 

<l>(Xcxuir|&ojy.  F^ni  rd)  'Ova^oYO  ^av  ßa^c/cO^  :  ^raaUifKpog  :  xa^  de  nroXt^  : 

'H^ouccv  ävci)70V  'OvadtAcv  :  töv  ^OvadixvTzpov  töv  far^pav  :  xag  :  ro^xa- 

5t7vr,T0^  :  iäabai  :  tö^  «vSowjto^  :  ri^  Iv  rq:  :  /xax?  •  ^7*'  fta/x^voc  :  oi^^'-f  : 

|UL(96wv  :  xaaac;ra(  :  cuupTsrd^avru  :  ßaacXeO^  xa^  : 

Diese  schwer  zu  übersetzende  Inschrift  sagt,  dass  dem  Arzte  Onasüos, 

dem  Sohne  des  Onasagoras,  sowohl  zusammen  mit  seinen  Assistenzärzten, 

als   auch  allein   für  sich,   für  ihre  während  des  Krieges  mit  Kition  und  den 

Medem  ohne  Honorar  geleistete  ärztliche  Hilfe  jetzt  nachträglich  auf  Conto 

des  Königs  Stasikypros  und  der  Stadt  anständige  Remunerationen  in  Geld 

bewHligt  und  ihnen,  im  Falle  diese  nicht  flüssig  zu  machen  wären,  genau  nach 

ihrer  Lage  und  Grenze  bestimmte  Felder  und  Garlengrundstücke  als  Äquivalent 

zurNutzniessung  angewiesen  werden,  so  lange  die  Familie  desOnasilos  in  dem 

Teinpelgüter-Complexe  von  Idalion  lebt. 

VL  DIE  PHÖXIKISCH- HEBRÄISCHE  SCHRIFT. 

PhOnikien  wurde  von  Griechen  und  Römern  als  das  Land  bezeichnet, 
in  welchem  die  Buchstabenschrift  erfunden  wurde,  und  wir  möchten  diese 
Nachricht  nicht  ganz  von  der  Hand  weisen,   trotzdem  wir  gesehen  haben, 
dass  die  phönikisch- hebräischen  Zeichen  uralte  Runen  sind.    Es  ist  bisher 
noch  keine  Inschrift  mit  Buchstabenschrift  aufgefunden  worden,  welche  älter 
als  die  moabitische  wäre,  und  auch  die  Inschriften  mit  nordischen  Runen 
sollen  aus  der  christlichen  Zeit  herstammen.    Wäre  es  nicht  möglich,   dass 
die  Runen  nur  als  Wort-,  Zeil-  und  Zahlzeichen  gebraucht  wurden,  und  dass 
die  Idee  mit  denselben  fjaut  für  Laut  zu  schreiben,   erst  durch  den  Verkehr 
mit  Ägypten  entstand?    So  einfach  die  Theorie  der  Buchstabenschrift  uns 
erscheint,   so  einfach  war  die  Idee,  aus  welcher  Gutenberg's  Erfmdung  ent- 
stand«   und  doch  wm'de  diese  nahe  liegende  Idee  Jahrlausende  lang  nicht 


358  Piiömlisch-hebräische  Schrift 

beachtet.  Wir  haben  zudem  gesehen,  wie  vieldeutig  die  Runenzeichen,  auch 
die  pböuikisch-hebräischen,  waren ;  wir  haben  gesehen,  dass  die  Ägypter  ihi'e 
Lautzeichen  nicht  zu  Wortbildem  zu  vereinigen  wagten,  ohne  meist  Begriffs- 
bilder als  Erkläi^ngszeichen  beizugeben ;  es  musste  irgend  einmal  der  Ver- 
such gemacht  worden  sein,  diese  Zeichen  wie  die  ägyptischen,  aber  ohne 
Erklärungszeiclien  zusammenzustellen,  und  da  sich  zeigte,  dass  sie  auch 
ohne  Erklärungszeichen  gelesen  werden  konnten,  fand  der  Versuch  Nach- 
ahmung; der  lebhafte  Handelsverkehr,  der  schon  damals  bestand,  trug  die 
Kunde  davon  in  andere  Länder,  und  die  Buchstabenschrift  machte  von  nun 
an  alle  Wortschrifl  und  Silbenschrift  überflüssig.  Wer  der  gesegnete  Mann 
war,  der  diese  Idee  durchführte,  ist  uns  nicht  bekannt;  ich  habe  die  Ver- 
muthung  ausgesprochen,  ^'^  dass  Mo§e  es  war,  und  wenn  ich  auch  die 
Meinung,  dass  die  Gesetztafeln  den  ersten  Versuch  boten,  nicht  aulreciit 
erhallen  kann,  weil  die  wörtliche  Überlieferung  dieser  Gesetze  eine  schwan- 
kende ist,  so  deutet  doch  der  Umstand,  dass  kein  Name  genannt  wird,  darauf 
hin,  dass  die  Erfindung  von  einem  Manne  gemacht  wurde,  der  seine  Idee 
göttlicher  Eingebung  zuschrieb,  daher,  wenn  Mo§e  keine  Person,  sondern  nur 
ein  Ehrentitel  war,  von  dem  betrefTenden  Hohenpriester. 

Wenn  etwas  beitragen  konnte,   die  Buchstabenschrift  zu  ermöglichen^ 
so  war  es  die  Einführung  eines  eigenen  Zahlensystems,   wie  wir  demselben 
bei  den  Phönikiem  begegnen,  welche  so  wie  die  Ägypter  die  neun  Einheiten 
durch  Striche   darstellten  und  für   10  wie  für  20  eigene  Zeichen  hatten, 
nämlich  "^10  und  \-\  oder  /V  20;  ähnliche  Zahlensysteme  finden  wir  auch 
bei  anderen  Völkern,  und  selbst  die  Franzosen  haben  in  ihrem  quatre-vingi  =  SQ 
eine  Erinnerung  daran  bewahrt.  Für  dieses  Zahlensystem  bot  die  Eilfzahl  der 
Laute  die  Basis,  indem  die  beiden  letzten  als  Potenzen  gebraucht  wurden; 
dass  aber  die  Juden  trotzdem  den  Zahlwerth  ihrer  Buchstaben  beibehalten 
haben,  dass  dieser  Zahlwerth  der  Buchstaben  von  Palästina  nach  Griechen- 
land übersiedelte  und  hier  in  gleicher  Weise  neben  der  Strichzahl  existirte, 
beweist,   dass   zwei   verschiedene  Zählungsmethoden  in  Kanaan  bestanden^ 
und  dass  hier  auch  der  einfache  Lautwerth  neben  dem  Zahlwerth  sich  ent- 
wickeln konnte.    In  gleicher  Weise  finden  wir  in  Ägypten  die  Lautzeichen 
von  dem  Zahlwerthe  losgelöst,  ebenso  in  Indien,  China  und  Himyar,  nur  die 
Juden  und  Syrer  behielten  den  Doppelwerth  der  Zeichen  als  Laut  und  Zahl- 
zeichen. 


Inschrift  des  Moabiter-Königs  Meäa.  35^ 

• 

Das  Schriflsystem,  welches  wir  in  der  Überschrift  als  phönikisch- 
hebräische  Schrift  bezeichnet  haben,  war  anfangs  ganz  auf  das  Land  Kanaan 
beschränkt,  denn  weder  im  Norden,  noch  im  Osten ,  noch  im  SQden  des 
Landes  finden  wir  ähnliche  Systeme:  im  Norden  die  kyprische  Silbenschrift, 
im  Osten  die  Keilschrift,  im  SQden  die  Hieroglyphenschrift,  selbst  die 
Inschriften  der  Wüste   von  Hauran  haben  ganz  verschiedene  Zeichen. 

1.  Die  moabitische  Schrift. 

Wahrend  man  noch  vor  Kurzem  die  phönikische  Schrift  fQr  die  älteste 
hielt,  ist  in  dem  ehemaligen  Lande  Moab  eine  Inschrift  des  Königs  MeSa,  der 
im  9.  Jahrhundert  vor  Christo  mit  den  Juden  Krieg  führte,  gefunden  worden, 
welche  älter  als  alle  phönikischen  Inschriften  ist.  Wir  haben  das  Alphabet 
derselben  Seite  133  gegeben  und  beschränken  uns  daher  hier  nur  auf  eine 
Wiedergabe  dieser  merkwürdigen  Inschrift,  welche  wir  auch  in  den  Titel 
dieses  Werkes  aufgenommen  haben,  wobei  wir  noch  darauf  aufmerksam 
m.ichen,  dass  das  l  hier  eine  rundere  Form  hat  als  jene,  welche  wir  in  das 
Alphabet  aufgenommen  haben,  weil  sie  sich  mel^r  der  hebräisch-phönikischen 
Type  nähert;  auch  zeigt  die  Inschrift,  dass  die  Form  der  einzelnen  Buch- 
staben nicht  gleichmässig  gehauen  ist,  vielmehr  sich  ein  bemerkbares 
Schwanken  zeigt.  ^'^ 

lA*HV7^5l447.'''fTVH^71^'^^fzr^75^1<^H^tl^r 

Transscription  und  Obersetzung  nach  Nöldeke. 
{\)  andki  meid,    ben        kmo4       [dStor],    ntelek     moab  [liad]i{^)  [djihoni] 
Ich  Meäa  Sohn  des  Kamos  König  von  Moab  aus  Dibon. 

ahi.  maUtk  fU    moab.  Hisin      saih     vanoki.  malak 

Mein  Vater  hat  geherrscht  über  Moab  dreissig  Jahre  und  ich  liabc  gcherrsc  lit 


360  Samaritanisch. 

<3)  ^t.  a/ar.       abi  \       vaads.     habbanuxth  zoth.       UkmoS,  baqar/dk, 

nach  meinem  Vater  und  angelegt   Altar   diesen  dem  KamoS  auf  der  Fläche 
In  [miqomve]{/ie)äd,  ki,  IwSidni  tnikcU.     hc^Sdakin,        vld 

weil  er  mir  geholfen  aus  allen    Nöthen    und  weil  er  mich 
hirani,    ^       bkoL  sanai    !.  ^       [dm  (5)  rj  i,  mdek 

sehen  liess  das  Unglück  aller  meiner  Feinde.  Es  erhob  sich  Omri  König  von 
israel      vaytnnu      eth  tnoab  yamin  rabbin  kitheenaph,   kmoS  ba[ra]    (6)  «A 
Israel  und  drückte  auf  Moab  Tage  lange,  weil  zürnte  Kamo§  auf  (sein  Land) 
vayajf  lephoh         btioh  vymnar  gam      hu      adnnu      eth,  fptoab\ 

und  ihm   folgte   sein   Sohn  und  sprach  gleichfalls  ich  will  drücken  Moah 

bitne»  amir (7)  vaere,  boh  ttbebethoh  i 

in  meinen  Tagen  sprach  er,  und  ich  sähe  sein  Unglück  und  seines  Hauses 

vj/israel    abod.      abSd.     alam,  vayiraS      dtnri,      eth (S)  l . ,  tnhffiba. 

und  Israel  geht  zu  Grunde  ewig  und  einnahm  Omri      [das  Land?J   Medaba 
ratje^fh.,     bah,,,,,,     benoh,       arbain  Sath       [vayM], 
und  es  lag      darin     sein  Sohn  vierzig  Jahre  und  zurück 

2.  Die  samaritanische  Schrift. 

Die  Geschichte  der  Juden  ist,  trotz  ihrer  breitspurigen  Chroniken,  in 
Dunkel  gehüllt;  die  alten  Hauptorte  ihres  Cultus  lagen  in  Samaria,  wo  sich 
auch  die  Berge  Grizim  und  Ebal,   die  Stätten  des  Segens  und  des  Fluches 
befinden,  der  Tempel  zu  Jerusalem  war  den  alten  Traditionen  entgegen,  und 
vorzugsweise  führte  das  nördliche  Reich  den  Stammnamen  Israel.  Nur  eine 
Religionsänderung  konnte  Jerusalem,  die  Stadt  der  Jebusiter,  und  einen  von 
Fremden  (von  Phönikiern)  erbauten  Tempel  zur  Haupt-Cultusstätte  erheben. 
Die  Geschichte  hiervon  hat  nur  die  eine  Partei  geschrieben,  der  andere  Theil 
hat  geschwiegen  und  daher  Unrecht  behalten,  und  so  gelten  nur  die  jerusa- 
lemitischen  Juden  als  die  echten  und  die  Samaritaner  als  Ketzer,  welche  sich 
mit  Fremden  vermischt  hätten  und  dem  Leben  der  Väter  untreu  geworden 
seien.   Vom  politischen  Standpunkte  ist  es  müssig,  diese  Streitfrage  zu  ent- 
scheiden ;  der  Stamm  Israel  ist,  bis  vielleicht  auf  einzelne  Familien ,  ausge- 
storben;  der  Stanun  Juda  hat  sich  in  der  Welt  zerstreut  und  dieselbe  (\^enD 
auch  indirect)  erobert. 

Dass  die  Israeliten  oder,  wie  sie  jetzt  heissen,  die  Samaritaner,   die 
ursprüngliche  Schrift  der  mosaischen  Gesetze  treu  bewahrt  haben,  gesteht 


Samaritanisch.  361 

selbst  der  Stamm  Juda  zu.  Im  Talmud  von  Babylon  heisst  es:  .Nachdem  das 
Gesetz  den  Israeliten  in   hebräischer  Schrift  und  in  der  heiligen  Sprache 
gegeben  war,   wurde  es   ihnen  in  neuerer  Zeit  durch  Esra  in  assyrischer 
Schrift  und  aramäischer  Sprache  gegeben.  Nun  wählten  die  Israeliten  die 
assyrische  Schrift  und  die  heilige  Sprache  und  Hessen  den  Unwissenden  die 
hebräische  Schrift  und  die  aramäische  Sprache*.  Wer  sind  die  Unwissenden? 
Rabbi  Khasda  sagt:    .die  Samaritaner*.   Dem  entsprechend  nennen  alle 
Rabbmer  die  samaritanische  Schrift  nsp  ^ro  ktab  'ibri  „hebräische  Schrift*, 
und  hier  stimmt  die  jQdische  Tradition  vollkommen  mit  der  samaritanischen 
uberein,  wonach  die  Samaritaner  die  Schrift  des  MoSe  treu  bewahrt  hätten. 
Damit  hängt  auch  zusammen,  dass  in  den  hebräischen  Texten  einige  Ver- 
wechslungen von  Zeichen  vorkommen,  welche  nicht  auf  Grundlage  der  jetzigen 
hebräischen  Quadratschrift,    sondern  nur  auf  Grund   der  samaritanischen 
Zeichen  entstanden  sein  können,  so  z.  B.  die  von  3=35  und  ^  =21  d  in 
zbrt  fl.  Samuelis  XXIII,  39  und  n^n  L  Chronika  XI,  30 ;  von  m  === '  und  am 
=  ü  in  pP  Josua  XXI,  16;  |W  I  Chronika  VI,  44.^8» 

Die  samaritanische  Schrift  stimmt  mit  der  moabitischen  nicht  voll- 
ständig überein,   sie  weicht  ab  in  A  cUeph,  moabitisch  -{1,   phönikisch  '¥  4*: 
letzteres  (in  der  Keilschrift  rf —  pa  Zepter)  dürfte  verwandt  sein  mit  ^  same/, 
welches  im  Samaritanischen  1^  ist,  wie  es  auch  in  der  hebräischen  Quadrat- 
Schrift  als  d  eine  ganz  andere  Form  angenommen  hat.  Diese  Form  erinnert 
an  das  ägyptische  (  oder  #  arp  (z=:al^h)  „Weinkrug*  und  erklärt  die  Ähn- 
lichkeit von  hebräisch  o  s  und  d  m  {mem  „Gewässer,  Flüssigkeit*),  demnach 
kann  auch  die  samaritanische  Form  ^  8  ein  Kelch  sein ;  die  phönikische  Form 
4*  ist  die  nordische  Rune  4*  os  und  f  fe,  der  Anfang  des  Tages,  dadurch  ist 
A  verwandt  mit  der  Hieroglyphe  ^L  hru  «Tag*,  „der  goldborstige  Eber*, 
und  darin  kann  der  Umstand,  dass  den  Juden  das  Schweinefleisch  verboten 
wurde,   umsoweniger  beirren,  als  es  gerade  heilige  Thiere  waren,  welche 
nicht  geschlachtet  werden  durften. 

Einen  weitem  Unterschied  bietet  ^  zain,  Quadratschrifl  r,  moabitisch 
3Z  ,  aramäisch  Z-  Die  samaritanische  Form  erinnert  an  die  Hieroglyphe  ^^ 
und  da3  aramäische  pjrK  azetun  „WafTen*,  wonach  auch  ?  ein  Pfeil,  ägyptisch 
<*■*•'  sttp»  ,Lohn*,  oder  ein  Spaten  T  sam  zu  sein  scheint,  den  nach  V.  Mose 
23.  1  i  ein  jeder  Israelit  bei  sich  tragen  musste,  um  seine  Excremente  in  die 
Erile  zu  scharren. 


362  Samaritanisch. 

Ihm  gegenflber  stand  das  Zeichen  •m  tsaeU,  moabitisch  |^  (die  linke 
Seite,  die  Abzweigung);  wir  haben  schon  oben,  Seite  102,  das  Zeichen  ^  als 
Zeichen  der  Jagd  kennen  gelernt^  war  es  der  Windhund,  hieratisch  yv^t  so 
lehnt  es  sich  auch  an  die  Hieroglyphe  ^  an. 

Ihm  ähnlich  ist  a  yod,  aber  dieses  dürfte  hier  weniger  die  Hand  als 
vielmehr  das  ägyptische  Hf  hieratische  ^|  h9,  . Silber'  entsprechend 
■nn  hod  »Glanz*,  rrnny  yehuda  »der  Gepriesene*,  oder  auch  fUR),  hieratisch  (^ 
nb,  „Gold*  sein;  die  Ähnlichkeit  der  Zeichen  für  Silber  und  Gold  beweist, 
dass  die  ursprüngliche  Bedeutung  fk  am  «Glanz*  war. 

Die  Zeichen  |i  nun,  ^  kaph,  ^  plie  haben  in  der  samaritanischen  Schrift 
eine  auffallende  Ähnlichkeit  und  schliessen  sich  an  das  hieratische  I^  m 
(Höhle)  an,  damit  stimmen  mj  nata  »wohnen*  (Höhle),  vp  kaph  »die  hohle 
Hand*  und  .to  pe  »der  Mund*  (die  Mundhöhle)  im  Begriffe  überein;  dem 
entsprechend  sind  sie  als  Zeitzeichen :  k  in  der  Nähe  der  Stellung  des  Thier- 
kreiszeichens  des  Krebsen,  n  der  Nachmittag  (englisch  noon  »Mittag*),  p  der 
Sonnenuntergang.  Mit  den  moabitischen  Zeichen  haben  sie  wenig  Ähnlichkeit, 
obgleich  sie  mit  denselben  dem  Begriffe  nach  eng  verwandt  sein  mögen; 
dagegen  entspricht  ')  p  der  nordischen  Rune  T  lagu,  welche  wir  als  »Heim- 
kehr der  Schiffer*  kennen  gelernt  haben,  H  der  sinkenden  Sonne,  der  Zeit  der 
Getreide-Ernte,  ^  der  Rune  \  naud  oder  ♦  hagl  der  Zeit  der  Befruchtung. 

Die  Verschiedenheit  zwischen  der  moabitischen,  samaritanischen  und 
phönikischen  Schrift  ist  analog  der  Verschiedenheit  der  Alphabete  in  den 
einzelnen  Städten  Griechenlands,  bevor  das  ionische  Alphabet  allgemein 
angenommen  wurde;  eine  derlei  Einigung  erfolgte  in  Palästina  nie,  da  die 
Israeliten  die  übrigen  Völker  nie  dauernd  unterjocht  haben  und  mehrere 
Religionsculte  nebeneinander  bestanden,  während  die  Griechen  in  religiöser 
Beziehung  eine  grössere  Einheit  erlangten. 

Wir  lassen  hier  als  Probe  der  samaritanischen  Schrift  den  Text  des 
Vaterunsers  folgen  und  bemerken  nur,  dass  die  vorliegenden  Lettern  ein 
verschnörkeltes  Gepräge  haben,  durch  welches  man  sich  bei  der  Vergleichung 
mit  den  einfachen  Figuren  der  moabitischen  Schrift  nicht  beirren  lassen  darf. 

: )it nitf .  Jii, .  t^vm-^A .  x\  . tJiA^i^ .  mivai.  tji^i^ •  '^^s^  .  tliAtfj«  . h\ . t ix 


Phonikisch.  3G3 

Transscriplion  und  Übersetzung: 
alnnu        Sebbaiamayim,  yiSqaddei  Smeka,  tabo 

Vater  unser  in  dem  Himmel,  es  werde  geheiligt  Name  dein,  es  komme 
mcUkudeka,         tjease  rsonka,     kaäer   hasbamayim   u    ken      bcuireiy 

Reich  dein,  gethan  werde  Wille  dein,    wie    im  Himmel   so  auch  auf  Erden, 

!e/emnu    dabar  yom  biyomu  Sen  lanu  hayom,    asla/    lanu       ai  /oboSnu, 
Brot  unser  nöthig  täglich  gieb  uns  heute,  und  vergieb  uns  unsere  Schulden, 

kiMT  sala/nu  labdli      /obotnu,  v'al      tarianu      lan 

wie  wir  haben  vergeben     unseren  Schuldnern,      und  nicht  führe  uns  in 

siyon,  ki  am    ha^^lenu        tnord.      Atnen, 

Versuchung  sondern  erlöse  uns  vom  Übel.  Amen. 

3.  Die  phönikische  Schrift 

Die  phönikische  Schrift  schliesst  sich  in  ihrer  ältesten  Form  eng  an 

die  moabitische,  in  ihrer  jungem  an  die  samaritanische  an ;  sie  unterscheidet 

sich  von  dieser  dadurch,  dass  4^  sich  in  /P  und  +-^  verwandelt;  das  erstere 

ist  die  Nase  mit  dem  durchgezogenen  Strick,  4*  ist  die  nordische  os-Rune,  Jp, 

die/e-Rune.  Das  Dreieck  des  A  daleth  verwandelt  sich  in  \  und  hiermit  wird 

die  Ähnlichkeit,  ja  Gleichheit  der  Laute  d  und  r  inaugurirt,   welche  der 

phönikisch-syrischen  Schrift  eigen  ist  (syrisch  ^  dh  r,  arabisch  unterscheiden 

sich  wohl  .>  d^  r  ein  wenig,  aber  aus  letztcrem  wird^  z  gebildet);  es  muss 

daher  d  hier  als  Kopf  zwischen  den  Schultern  aufgefasst  worden  sein,  wie 

auch  daleth  die  ThQre  in  ihren  Angeln  ist;  ri  und  r  treffen  aber  auch  in  dem 

Begriffe  »klein,  schwach*  {hi  dal  , schwach,  ohnmächtig*,  wn  rw  »Armuth*) 

zusammen.  Wenn  ^  sich  in  Q  rundet,  so  haben  wir  schon  bei  der  Istar-Sa^(* 

darauf  hingewiesen,  dass  letzteres  das  Ohr  ist,  welches  sich  als  VQV  liainu 

, hören'  an  ü^üv  samaim  ^Himmel*  anlehnt,  auch  dieses  Zeichen  bekommt 

oft  Ähnlichkeit  mit  d,  wie  auch  -»a  bad  „Theil"  mit  in  dal  .Theil*   sich  in 

hn^  bad(ä  und  ^M  baial  ,theilen,  trennen*  vereinigen,  i  verwandelt  sich  in 

/\j  welches  den  Bergrücken  darstellt;   ^  wird  zu    -j   und   i\  ,     Formen, 

welche  nur  cursive  Züge  der  altem  zu  sein  scheinen;    ebenso  wird  Y  zu 

N  r;   dagegen  liegt  in  der  Umwandlung  von  JO  zain  zu   Z   und     N    eine 

üegriffsänderung  vor;  Z  und   N  sind  die  Zickzackformen  des  Blitzes,  ^i^l 

im  Griechischen  zu  n  geworden,  entsprechend  dem  Xu  als  Blick,  Augenblirk; 

dagegen  wurde  es  in  der  hebräischen  Quadrat schrift  zu  N  cdeph,  dem  auch 


364  •  rhönikiscli. 

Cstrangelo  y€  zu  entsprechen  scheint;  zu  dieser  Verwechslung  muss  der 
Begriff  der  »Schöpfung*  beigetragen  haben.  Das  Zeichen  M  verwandelt  sich 
in  \^,  welches  Zeichen  sich  schon  neben  dem  Namen  des  Königs  Khufu  in 
der  Pyramide  von  Gizeh  findet,  in  den  späteren  Hieroglyphen  ist  es  verloren 
gegangen,  wenn  es  sich  nicht  in  EI,  hieratisch  ^,  verwandelt  hat,  welches 
letztere  allerdings  dem  phönikischen  t\,  der  cursiven  Form  von  \^,  sehr  ähn- 
lich ist;  H  dürfte  eine  Vereinfachung  von  H  sein.  Der  Name  )fed  .Schrecken* 
lässt  sowohl  f— 1,  hieratisch  F^,  )fai  .Himmel*,  wie  J^,  hieratisch  fi&,  ^s 
«Todtenbett*,  ^cn  'tm  die  Gruft  (der  Schlitten  und  die  Bretter  über  dem 
Grabe,  von  welchen  der  Sarg  hinabgelassen  wird,)  femer  pg^  hr  »Sarg* 
(n^«-4ro»  »der  Hohepriester*)  zu;  endUch  stinmit  die  Figur  Q  genau  mit  dem 
demotischen  ß  »Stein,  Denkmal*  überein,  wie  mit  diesem  der  Begriff  crn 
/affam  »besiegeln,  verschliessen*.  Das  Zeichen  tet  ist  zuweilen  eine  durch- 
kreuzte Kugel  0,  wahrscheinlich  ein  Kuchen  (ägyptisch  ta  Brot),  ausserdem 
hat  es  die  Form  M  ,  entsprechend  der  Hieroglyphe  W(Frauenbrust),  die  andere 
Form  scheint  den  Leib  aO  vorzustellen,  und  endlich  hat  es  die  Form  einer 
BlülherjQ.  ^  yod  wurde  zu  'TV,  welches  eine  Hand  oder  vielmehr  eine 
Kralle  zu  sein  scheint,  daneben  kommt  aber  auch  /T\  vor,  welches  ein  Hals- 
schmuck (entsprechend  nirr  hod  »Glanz*)  zu  sein  scheint;  ^  kaph  wird  zu 
tf-j  das  ist  ein  Hammer  und  die  verkehrte  Form  von  J^  a,  wie  ^  die  ver- 
kehrte Form  von  4^  ist,  als  Sleinhammer  ist  es  mit  f)3  keph  »Fels*  verwandt, 
in  der  vereinfachten  Form  y  ist  es  dem  ^  vav  ähnlich,  es  scheint  hier  die 
erhobene  Hand  zu  sein,  ägyptisch  jj^  h,  ka  »rufen,  preisen*  oder  mit  Ruck- 
sicht auf  die  Variante  ^  das  ägyptische  VJ  n/f,  jfn  »mächtig,  stützen*, 
hebräisch  nos  kapha  »beugen,  bändigen,  bezwingen*.  Das  moabitische  (^ 
kommt  im  Phönikischen  nur  als  /#  vor;  das  letztere  dürfte  das  ägyptische 
7  ort  »die  Wasserschlange,  Wasserwoge*,  wohl  auch  der  Blitz  sein,  da 
es  dem  Zeichen  ]  nun  sehr  ähnlich  ist ;  im  Koptischen  ist  der  Name  zu  lauJa 
geworden,  das  wäre  hebräisch  i»ii»  Itd  die  Wendeltreppe,  verwandt  mit  unserem 
»rollen",  und  [nni>  IhyaSan  »die  Seeschlange*.  ^  mem  (Gewässer)  ist  in 
den  Zeichen  ^  ^  ^  ganz  identisch  mit  den  späteren  Formen  für  W  ^n, 
wie  es  sich  andererseits  an  Hr  sanie/  anschHesst.  Dieses  letzte  ist  die  cursive 
Form  von  ^  d.  i.  als  satne/  der  sich  auf  den  Berg  stützende  Himmel,  aber 
das  Zeichen  kann  in  seinem  Doppelsinn  auch  die  den  Regen  auslassende 
Wolke  sein,  wie  ^  pu  Sin  »pissen*  bedeutet.  Allen  diesen  Formen  liegt  der 


Neupunisch.  365 

Begriff  der  Nässe  zu  Grunde,  wie  auch  die  Form  ü  die  aus  dem  wasserreichen 
Boden  auikeimende  Püanze  und  ^,  wie  das  samaritanische  ^metn,  das  demo- 
tische ^,  hieratisch  trtft  w  (=^0  sm  »Feld,  Garten"  insbesondere  die  Lotos- 
blumen darstellen.  |^  sade  ist  im  Phönikischen  fast  ganz  identisch  mit  V^  dau, 
die  Phönikier  dürften  3  und  3  wenig  in  der  Aussprache  unterschieden  haben, 
daher  durfte  hebräisch  mic  §ava  , stellen,  aufstellen"  hier  mit  in  Betracht 
kommen,  sowie  die  hieratische  Form  ]  der  Hieroglyphe  ^  sa  und  die  hiera- 
tische Form  \  der  Hieroglyphe  |  ^;mit^  hat  das  griechische  T  tau  Ähn- 
lichkeit, es  ist  die  stützende  Säule  wie  oben  ^  sama/;  andererseits  ist  p' 
saiie  nur  eine  Verstärkung  von  I  zain,  wie  |^  von  ^  zain ;  mit  ^da  heisst 
, nachstellen"  und  bezieht  sich  besonders  auf  die  Jagd,  in  dieser  Beziehung 
dürfte  das  Zeichen  mit  der  Hieroglyphe  Wr  <ti,  hieratisch  ^(^,  zusammen- 
hängen, welches  ursprünglich  jedenfalls  ein  Lockvogel  war;  es  würde  diess 
mit  dem  Knoten  X  übereinstimmen,  sowie  mit  rran  ^e^  , Kiste",  ägyptisch 
X  tb  »Käfig."  An  Stelle  des  ^-^  qoph  treten  o^  und  <Vj,  das  erstere  ist 
wahrscheinlich  das  ägyptische  J  jrmt  .Kupfer",  das  zweite  scheint  der 
Hinterkopf  oder  vielmehr  eine  Perrücke  zu  sein,  wie  sie  die  kahlgeschorenen 
ägyptischen  Priester  trugen. 

Es  dürfte  hieraus  hervorgehen,  dass  der  Zeichenwechsel  in  der  phöni- 
kischen Schrift  nicht  auf  mechanischen  Ursachen  beruhte,  sondern  dass  den 
Phönikiem  die  Bedeutung  der  Zeichen  wohl  bekannt  war.  Eine  Probe  ihrer 
Schrill  haben  wir  bereits  in  der  Inschrift  von  Tugga  (S.  255)  gegeben. 

4.  Die  neupunische  Schrift. 

Während  bis  zu  Beginn  unserer  Zeitrechnung  die  punischen  Inschriften 
zu  Karthago,  Marseille  und  in  Sicilien  den  phönikischen  Charakter  treu 
bewahren,  tritt  in  späterer  Zeit  die  Schrift  in  einer  merkwürdigen  Verein- 
fachung auf;  a  wird  zu  V^  und  dasselbe  Zeichen  gilt  für  m,  wie  für  S  oder 
f  {^atne/  fehlt),  eine  Analogie,  welche  nur  das  ägyptische  X  u  (  =  m),  8  i 
aufweist,  h  nahm  die  Form  S\  an  und  dem  entsprechend  /  m  2  wurde  zu 
'Y  Ähnlich  dem  ägyptischen  1  A*^  (Messer);  es  ist  indessen  möglich,  dass 
diess  nur  cursive  Formen  der  alten  Schrift  sind,  da  diese  Zeichen  meist 
nOchtig  eingeritzt  waren,  und  wir  nehmen  daher  Anstand,  in  diesen  Verein- 
fachungen einen  tiefem  Sinn  zu  suchen.  Wir  geben  hier  eine  Insclirift  als 
Probe; 


36b  "Neupunische  Inschrift 

tadn  bat  kmn  mlk  fUmd  ^  ^  T^ V  JX^)^^o'^YX^ 

qla  bika  svdda  bn  uY  J^\'^T7^VA^ 

brkbdl  bn  mdJ^gdm  p  « AX  «X)' ^  •>>!' 

aDem  Herrn  Baal,  der  Sonne,  dem  Fürsten  der  Ewigkeil,  welcher  erhört 
die  Stimme  des  Hiempsai,  des  Herrn,  des  Sohnes  des  Hicebal,  des  Sohites 
des  Magsibal.*^ 

5.  Die  aramäische  Schrift. 

Die  Formen  dieser  Schrift,  welche  auf  babylonischen  Ziegeb  neben 
KeiMnschriften,  ausserdem  aber  auch  in  selbständigen  Inschriften  un^  nicht 
nur  in  Babylon  und  Assyrien,  sondern  selbst  in  Ägypten  gefunden  wurden, 
bieten  neben  manchen  mit  der  phönikischen  und  samaritanischen  Sclirifl 
übereinstimmenden  Formen  auch  manche  seltsame  Eigenheiten.  Am  auffal- 
lendsten und  charakteristischsten  ist  die  Öffnung  bei  den  Buchstaben  >  b 
(statt  ^)  ^d  (statt  \)  und  ^  r  (statt  A).  Diese  Schrift  kommt  selbst  auf 
persischen  Sigeln  vor,  und  es  ist  daher  sehr  fraglich,  ob  sie  blos  von  den 
gefangenen  Juden,  oder  nicht  auch  Yon  ihren  Nachbarn,  den  Nabathäem 
herrührte,  die  ebenfalls  in  Babylon  gewohnt  haben  soUen.  Wir  werden  daher 
annehmen  können,  dass  die  aramäische  und  die  phönikische  Schrift  Schwester- 
formen eines  Stammes  sind.  Wir  erinnern  uns  hierbei,  dass  die  Keilschrift 
nicht  die  ursprüiigliche  Schrift  der  Assyrer  war,  sondern  auf  die  assyrische 
Sprache  in  ähnlicher  Weise  übertragen  wurde  wie  die  chinesische  Schrift 
auf  die  japanische  Sprache;  die  Assyrer  besassen  aber  dieselben  Laute  wie 
die  Juden,  wie  auch  die  aramäische  Sprache,  welche  in  Mesopotamien 
gesprochen  wurde,  mit  der  hebräischen  eng  verwandt  ist.  Als  daher  die  Juden 
in  das  Exil  kamen,  konnte  es  ihnen  nicht  schwer  werden,  sich  mit  den  Ein- 
wohnern zu  verständigen,  sie  wurden  daselbst  sogar  so  heimisch,  dass  viele 
die  Erlaubniss  zur  Rückkehr  nach  Jerusalem  versclmiähten  und  in  Babylon 
eine  Hochschule  jüdischer  Lehre  entstand.  Unter  diesen  Umständen  konnte 
es  nicht  autTallen,  dass  sie  sich  die  cursivere  aramäische  Schrift  aneigneten  und 
in  derselben  Weise  ihre  Bücher  schrieben,  wit:  noch  jetzt  die  Rabbiner  neben 
der  heiligen  Merubbä  (Quadratschrift)  die  cursivere  Raschi  verwenden.  Hiermit 
stimmt  überein,  dass  die  Rabbiner  die  samaritaniscbe  Schrift  fT7  rad$  .die 
gebrochene*  nennen. 


Aramäisch.  3C7 

Die  aramftische  Schrift  hat  für  uns  ein  besonderes  Interesse  dadnrcih, 
dass  sie  die  Entstehung  der  hebräischen  Quadratschrift  erkennen  lässt.  Aus 
41  entstand  das  cursive   a,  woraus  ^  und  H  wurden;    aus  ^  ^  J  woraus 
a    wurde,  obgleich  hier  der  Dialekt  mitgewirkt  zu  haben  scheint^  indem  H  p 
später  die  Form  0  erhielt,  welche  mehr  Ähnlichkeit  mit  ^  als  mit  ^  hat,  wie 
denn  auch  a  nur  am  Anfang  und  in  der  Verdopplung  b,  sonst  immer  iv, 
gesprochen  wird.  Für  g  tritt  nicht  die  Form  1,  sondern  ^  und  ^  auf,  gerade 
so  wie  im  Griechischen  A  und  A  l  vertreten;  mit  Rücksicht  auf  ^s:  gatnal 
«vergelten*  dürften  diese  Zeichen  mit  A.,  hieratisch^  und  l,at. zurück- 
kehren* verwandt  sein;  aus    j  d  entwickelte  sich  ^d,   aus  ^  h  rr,  doch 
tritt  hier  eine  auch  in  der  mandäischen  Schrift  bemerkbare  Vernachlässigung 
der  Unterscheidung  zwischen  rr  und  n  hervor,  da  rrauch  n  geschrieben  wurde, 
wogegen  n  allerdings  mehr  in  der  Form  \^  auftritt.   H  wurde  zu  1,  Z  oder 
2  ^  aber  auffallenderweise  zum  blossen  [;    die  neue  Form  ?  scheint  auf 
einem  Wechsel  zwischen  r  und  z  zu  beruhen,  da  in  der  althebräischen  Schrift 
r  Y  ^^^^  ^  ^^^^  dementsprechend  kommt  |  manchmal  für  v,  manchmal 
für  z  vor,  es  scheint  das  Zepter  j^us,  sm  gewesen  zu  sein,  das  Zepter  mit 
dem  Vogelkopfe,  dessen  Polyphonie  den  Wechsel  erklärt.  ^  y  ist  in  manchen 
Schriften   ganz  identisch  mit  g  in  den  Formen    "*,     -|    und  \;   dass  das 
Zeichen  nicht  zufällig  klein  wurde,  beweist  die  bekannte  Evangelienslelle  vom 
l*tüpfelchen ;  der  I-punkt  war  den  alten  Griechen  und  Römern  nicht  bekannt, 
er  tritt  zuerst  in  der  griechischen  Uncial  in  Doppel  form  auf,  in  der  einfachen 
erst  im  1 3.  Jahrhundert  in  der  lateinischen  Schrift ;  dagegen  war  dieser  Punkt 
hei  den  Mongolen  ^,  Arabern  *  und  Indern  n  (indisch  f  a),  in  welcher  Form 
er  an  das  hebräische  aln  (Auge)  erinnert.  Auffallend  ist,  dass  von  dem  Zeit- 
punkte, wo  in  der  aramäischen  Schrift  das  Yod  zu  *  wurde,  'Ain  aufhört  Q 
zu  sein  und  sich  zu  P  gestaltet,  welches  im  Arabischen  als  ^  vorkommt. 
y  wechselte  bald  mit  M,  die  Form  3  scheint  auf  einem  Beharren   bei   der 
samaritanischen  Form  zu  beruhen.  Der  Übergang  von  ^  zu  ?  scheint  erst  zu 
Anfang  unserer  Zeitrechnung  erfolgt  zu  sein  und  Hndet  sich  zuerst  in  der 
palmyrenischen  Schrift.  Aus  ^  entstand  »|,  dann  0  mit  dem  Final  o;  dieser 
Übergang,  der  ebenfalls  später  eintrat,  scheint  syrischen  Ursprungs.  Dass  an 
Stelle  des  T    «  V  trat,  kann  nur  auf  der  samaritanischen  Form  beruhen, 
ebenso  die  Form  2  P  ^^  Stelle  des  ^  p.  Dagegen  ist  in  x  die  alte  Form,  im 
Gegensätze   zu  der  samaritanischen,   in   der  Quadratschrift  erhalten,   nur 


368  Aramäisch. 

die  Biegung  nach  links,  auf  einem  Streben  nach  Verbindung  beruhend,  deutet 
auf  syrischen  Einiluss.  Die  Form  p  ^  an  Stelle  des  moabitischen  M^  q  hat 
sich  schon  im  phönikischen  ^  geltend  gemacht.  Im  Obergang  von  W  i  zu 
V  ist  aber  ein  offenbarer  Wechsel  eingetreten,  denn  das  letztere  ist  das 
ägyptische  trtrt  f^  die  Teichpflanze,  n  t  entstand  aus  der  Form  |^,  man  wäre 
fast  versucht,  hier  den  Einfluss  der  hieratischen  Form  f\  (Kopf)  anzunehmen. 
Hieraus  geht  hervor,  dass  die  Israeliten  im  Exil  keine  neue  Schrift 
annahmen,  wohl  aber  ihre  Schrift  unter  dem  Einflüsse  localer  Gewohnheiten 
eigenartig  ausbildeten;  als  sie  mit  dieser  Schrift  nach  Jerusalem  zurück- 
kehrten, weigerte  sich  der  Stamm  Israel,  dieselbe,  sowie  die  neuen  im  Exil 
entstandenen  Bücher  anzuerkennen;  der  alte  Glaubensstreit  entbrannte  neu, 
und  jede  Partei  betrachtete  die  andere  als  Schismatiker.  Doch  scheint  die. 
samaritanische  Schrift  sich  im  Lande  bis  zum  Untergang  Jerusalems  erhalten 
zu  haben,  denn  die  Münzen  der  Hasmonäer  und  die  Revolutionsmünzen  aus 
dem  Jahre  66  vor  bis  15  nach  Christo  zeigen  den  alten  Styl;  die  Schrift  Ketab 
a^sw-it  (d.  h.  assyrische  Schrift)  blieb  die  cursive  Schrift  der  Gelehrten  und 
der  Bücher.  Wir  geben  hier  als  Probe  der  aramäischen  Schrift  eine  in  Ägypten 
gefundene  Inschrift: 

brikah  dd>a  hrad  thaxphi  thamnxa  zi     ^\  YH^^P  ^  "l^f  /^^^^^\*  'A'-^^Hl' 
Osri  eloho  min  dahn  hiilo  ^^  S/^^3  '^"S  ^y^^jV^^***?  ^HW 

dbedcifJ  wkh'ze  U  lo  amrad  *^amtno'  -i|  *fjf»  ['^'^^  <^  W  ^H'jl^Hi}*' 

fiadam  osvl  hrlkah  haui  min  qatlom  ^^\h'*\^^4i4f^^^^^*\^^^**\^^ 

osri  minaqroh  haui pholxo  niinodi  ^P^^h'^ti^VlAA^  Hl^ V*^*Ht7 V 

üben  xttsai/o  (Slemah),  *1ftt*l*iJ7 

.Gesegnet  sei  Theba,  die  Tochter  des  Thayphi,  die  dem  Gotte  Osiris 
Geweihte.  Sie  hat  nichts  mit  einem  Menschen  gethan,  sie  hat  nichts  nach 
dem  Willen  eines  Menschen  gesagt,  ist  unversehrt.  Vor  dem  Osiris  sei  du 
gesegnet,  vor  dem  Osiris  sei  du  geehrt,  sei  eine  Pflegerin,  meine  Susseste, 
und  unter  Frommen  sei  geehrt*.^*® 

6ynDie  palmyrenische  Schrift. 

In  den  Ruinen  von  Palmyra  oder  "lom  {iadmor  , Palmenstadt*),  welche 
In  einer  Oase  der  syrischen  Wüste  lag  und  von  Salomo  erbaut  sein  soll. 


PalmyreiÜBch.  ^^^ 

fand  man  Inschnften,  welche  die  aram&ische  Schrift  in  ihrer  BlOthe  zeigen 
und  aus  den  ersten  Jahrhunderten  unserer  Zeitrechnung  herriUiren.  Wir 
geben  hier  eine  Probe: 

(m)vda  Ibryk  9m(h)  ÜÖ  V^  D^UJ  &  }OV^ 

(d)irp)vna  br  adylm  5S93KHSKTJ'\^^i 

ydaakopdy  »^J^UJKK^fi»  JC, 

(by)om24  fff/J  JiX(    " 

Obersetzung:  ADgemein  gesegneter  Name  in  Ewigkeit.  Julius  Aurelius 

Alophonos,  Sohn  des  Aalam von  Akopens.  Monat  Tebeth,  am  24.  Tage 

im  Jahre  544  (233  nach  Christo).  ^^^ 

7.  Die  hebräische  Quadratschrift 

Da  nicht  anzunehmen  ist,  dass  die  Juden  zu  jener  Zeit,  yon  welcher 
obige  Inschrift  spricht,  eine  geringere  Fertigkeit  im  Schönschreiben  besassen 
als  die  Pahnyrener,  so  ist  wohl  anzunehmen,  dass  die  jetzige  Form  der 
hebräischen  Quadratschrifl  im  Wesentlichen  schon  damals  die  jetzige  Grestalt 
hatte;  man  vergleiche  z.  B,  das  Zeichen  m  mit  dem  entsprechenden  in  obiger 
Inschrift  Wenn  daher  Lenormant  eine  Reihe  roher  hebräischer  .Alphabete 
▼om  1.  bis  zum  10.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  aufführt  und  geradezu 
von  einer  kalligraphischen  Regelung  im  11.  Jahrhundert  spricht  so  können 
wir  dem  wenig  Glauben  schenken.  Flüchtige  Inschriften  und  Manu  Scripte 
sind  nicht  immer  Beweise  für  den  Zustand  der  Kalligraphie,  welche  bei  den 
Juden  besonders  in  den  Gebetrollen  ein  Object  des  höchsten  Strebens  fand, 
und  gerade  das  11.  Jahrhundert,  in  welchem  die  Juden  den  grossten  Ver- 
folgungen ausgesetzt  waren,  bot  ihnen  wenig  Muse  zu  kalligraphischen 
Meisterwerken;  ja,  die  in  solchen  Zeiten  sich  immer  stärker  äussernde  Hin- 
gebung an  das  Hergebrachte  könnte  nur  eine  Reaction  jregen  eine  etwas 
freiere  Gestaltung  der  SchriflzOge  geschaffen  haben.  Einer  solchen  Reaction 
ma^  wohl  auch  der  eckige  Charakter  der  hebräischen  Schrift  der  dputschen 

FAuimuin.  Geschieht«  d.  ÖchrifL  24 


370  Hebräische  Quadratschrift 

Juden,  von  welcher  wir  auf  Tafel  VII  eine  Probe  aus  dem  12.  Jahrhundert 
geben,  ^^^  seinen  Ursprung  verdanken,  während  der  spanische  und  italienisch- 
Iranzösische  Charakter  der  hebräischen  Schrift  rundere  Formen  zeigte. 

Die  Anhänglichkeit  der  Juden  an  die  überlieferten  Schnftzeichen  geht 
ans  zwei  auffallenden  Erscheinungen  in  den  hebräischen  Büchern  hervor: 
1.  die  Masora  (es  ist  fraglich,  ob  dieses  Wort  masora  «Überlieferung*  oder 
wassara  , Verbesserung*  bedeutet),  das  sind  Bemerkungen  über  Lesarten 
und  schwierige  Worte,  welche  an  den  Rand  geschrieben  wurden,  und  2.  die 
Vokalbezeichnung.  Die  Masorethen  erlaubten  sich  nicht,  Buchstaben  des 
Textes  zu  ändern,  auch  wenn  sie  dieselben  fQr  falsch  hielten,  und  während 
in  den  Targums  oder  aramäischen  Paraphasen  des  Urtextes  die  Vokale 
häufiger  geschrieben  wurden  als  in  den  Worten  der  heiligen  Texte,  erlaubte 
man  sich  nicht,  den  Text  durch  Einfügung  von  Vokalen  umzugestalten, 
sondern  drückte  dieselbe  nur  durch  Striche  oder  Punkte  aus,  welche  den 
Wörtern  des  Textes  überschrieben,  unterschrieben  oder  in  die  Buchstaben 
eingesetzt  wurden.  Alles  diess  setzt  voraus,  dass  die  Buchstaben  des  Textes 
nicht  verändert,  sondern  in  den  alten  überlieferten  Formen  geschrieben 
wurden,  welche  auf  den  jüdischen  Hochschulen  zu  Jerusalem,  Tiberias  und 
Babylon  in  den  ersten  Jahrhunderten  unserer  Zeitrechnung  im  Gebrauch 
waren  und  vielleicht  bis  auf  Esra  zurückgehen. 

Die  Vokalzeichen  kamen  im  6.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  auf, 
um  die  überlieferte  Aussprache  auch  sichtbar  festzuhalten  und  das  Gesetz 
treu  zu  bewahren,  daher  heisst  es  im  Talmud :  ,  Die  Kinder  Juda  haben  ihre 
Sprache  sorgfältig  gepflegt  und  Zeichen  der  Aussprache  unter  (die  Worte) 
gesetzt,  so  haben  sie  das  Gesetz  bewahrt  in  ihren  Händen.  Die  Kinder  der 
Galiläer  (Samaritaner)  haben  ihre  Sprache  nicht  sorgfaltig  gepflegt  und  nicht 
Zeichen  der  Aussprache  untergesetzt,  so  haben  sie  nicht  bewacht  das  Gesetz 
unter  ihren  Händen.*  In  gleicher  Weise  wurde  durch  den  Ausdruck  , macht 
Hecken  um  das  Gesetz*  auf  die  Vokalisation  angespielt. 

Anfangs  hatten  die  Juden  nur  7  Vokale  (entsprechend  den  7  griechi- 
schen AEHIOTß),  also  so  viele  Vokale,  als  die  Woche  Tage  hat,  diese  waren: 

.  nno  pata/  (Öffnung  des  Mundes)  a  (gleich  dem  indischen  ""). 

^  tiJD  segol  (Traube)  e  (im  Indischen  .•.  t). 

•  P"''"  /irek  (zischen,  Pfeifen)  i  (dasselbe  Zeichen,  welches  in  der 
Berberschrifl  alle  Vokale  vertritt). 


Erklärung  der  Tafel  VIL  371 

,  fT^D  katnes  (zusammendrücken)  a,  aramäisch  o,  scheint  das  Y  v  zu  sein. 

„nie  sere  (Trennung)  e,  dürfte  wohl  mit  •/  sinnverwandt  sein. 

*  c^in  /olem  (Reinheit)  o  (bezüglich  dessen  gilt  das  bei/tre^Bemerkte). 

^  pni9  Sureq  (pfeifen)  deutet  mehr  auf  das  griechische  ü  als  auf  unser  u. 

Die  Zeichen  /oleni  und  Stireq  dürften  anfangs,  so  wie  pata/  und  /irek, 
einfache  Striche  oder  Punkte  auf  den  Zeichen  mm  gewesen  sein,  um  anzu- 
deuten, dass  dieselben  nicht  als  Vokale,  sondern  selbständig  als  Consonanten 
<aber  mit  Vokal)  auszusprechen  seien,  welcher  Brauch  sich  m  der  samari* 
tanischen  Schrift  erhalten  hat.  An  diese  Zeichen  schliessen  sich  an  das  t  itca 
(eben,  d.  h.  ohne  Vokal),  welches  den  Wegfall  des  Vokales  anzeigt,  das 
iMM/jei,  ein  Punkt,  welcher  theils  die  harte  Aussprache  (^  u>,  a  b),  theils  die 
Verdopplung  andeutet,  und  in  n  am  Ende  der  Wörter  anzeigt,  dass  es  aus- 
(•(•sprochen  vrerde  (in  diesem  Falle  heisst  der  Punkt  Majtpik),  und  der  Strich 
*  Hüpfte,  welcher  über  einem  Consonanten  dessen  weiche  Aussprache  anzeigt. 

Rabbi  Kim;(i,  der  berühmte  Rabbiner  des  12.  Jahrhunderts,  erweiterte 
das  Vokalsystem  auf  10  Vokale,  indem  er  /ireg  in  2  theiite,  und  ,  kaifies 
jratuph  (o)^  sowie  T  Qibbus  (u)  lünzufügte. 

Neben  den  Vokalen  entstanden  auch  eine  Menge  Accente,  um  die 
Tonsilbe  und  die  Interpunction  oder  das  Verhaltniss  der  Wörter  zu  einander 
anzugeben,  sie  heissen  D^spe  fc^mtfit,  Sinn,  Weise*,  ferner  zur  Bezeichnung  der 
Modulation  oder  des  Tones,  nach  welchem  das  Gesetz  in  der  Synagoge  halb 
singend  rccitirt  wird.  Wann  diese  Zeichen  entstanden  sind,  ist  nicht  bekannt; 
als  Betonung  und  Interpunction  werden  sie  schon  im  Talmud  bei  Hieronymus 
zu  derselben  Zeit  erwähnt,  wo  auch  die  griechische  Accentuation  geregelt  Mrurde. 

Endlich  findet  man  auf  der  Schriftprobe  auf  Tafel  7  über  manchen 
Buchstaben  wie  n  e  Verzierungen,  welche  schon  Maimonides  als  Erforderniss 
einer  nach  den  Regeln  geschriebenen  Synagogenrolle  erwähnt,  sie  kommen 
schon  in  phönikischen  Inschriften  vor,  z.  B.  ^  ^  ^  (db  d),  ihr  Zweck  ist 
unbekannt.  ^'** 

Die  Schriftprobe  auf  Tafel  VII  enthält  den  ersten  Vers  der  Genesis,  den 
mir  schon  Seite  151  analysirt  haben,  er  lautet: 

hreHi        bara  elohim  ed  h<ü^anMim  ved  haans  :       9     huures  haifna 

Am  Anfang  schuf  Gott  den  HimiDol  und  die  Erde  j  und  die  Erde  >\ar 

^tu     vttohu  t/o^ek  fU-pue     ühom  \       vrua/       elohim  mru/t^thtS 

wu]»te  und  leer  und  Finsterniss    auf  der  Tiefe  und  der  Geist  Gotte>  s(  hwcuie 

a4» 


872  RaschL 

dUpne  hammayim:         vtjomer       elohim       yhi         or  vayhi  or* 

auf  dem  Wasser.  Und  es  sprach  Gott  es  werde  Licht    und  es  ward  Licht 
vyard       elohim  ad    haor     ki      tob       vijahdel        elohim         ben 
und  es  sah    Gott  das  Licht,   dass  gut  und  es  schied  Gott  I  zwischen  dem 
haor  üben  ha/oSek:  vaifiqra     elohim       laor        yom 

Lichte  und  zwischen  der  Finstemiss  und  es  nannte  Gott  das  Licht  Tag  und 

vlajjToSek  qara     layla         tayhi  'ereb  vayhi  tpoqer 

die  Finstemiss  {  nannte  er  Nacht  und  es  war  Ahend  und  es  war  Morgen  der 
yom     e/a8. 
Tag  der  erste. 

Die  zweite  Abtheilung  der  Tafel  VII  enthält  das  erste  Wort  der  Genesis, 
ri*VMn:3  breäid,  welches  zugleich  den  Titel  des  Buches  bildet  und  oben  in  eine 
Verzierung  eingeschlossen  war,  in  verzierten  Buchstaben  nach  einer  andern 
Handschrift  aus  derselben  Zeit. 

8.  Raschi  oder  Rabbinisch. 
Neben  der  Quadratschrift  bedienen  sich  die  jüdischen  Gelelulen  zu 
profanen  Schriften  schon  seit  alter  Zeit  einer  Cursivform,  welche  RaSi  heisst, 
und  welche  vielleicht  bis  zu  jener  Zeit  hinaufreicht,  wo  die  Targums  ent- 
standen, denn  das  Schin  c  hat  eine  ganz  aramäische  Form.  Auch  von  dieser 
Schrift  giebt  es  verschiedene  Arten:  eine  spanische,  eine  italienisch-französische 
und  eine  deutsche.  Wir  lassen  in  den  beiden  ersteren  denselben  Text  (den 
ersten  Vers  der  Genesis),  folgen,  dessen  Transscription  wir  vorhin  gegeben 
haben,  und  behalten  die  deutsche  für  den  folgenden  Abschnitt  vor. 

Spanisch-levantinisch : 
jKPr'^y  o^ph  r rt» o^j»  M^  >J>  '^o^i  »pi» »p^ p^'p  p>pi :  p>p  ^>i  o»ycp  ^>  o^p}^  yo  jroya 
>n>v  :  «icrp  CO»  'n^p  'j  o«pJ>  J7JM  isj  «^  «vp  ^^  o»pJ>  yv^  :  *v  •pi  «v  *P'  o'P>>  •»v  *  ^*p  'j^  iy 

=irv  «•*  W  'P*»  iV  *p**  pW  yo  ^6(0»  or  "v^  «"pJ/ 

Italienische  Raschi. 

ni-^i  o^nn  »Dc-b»  'jBm  ^^3')  -»c^D  nD»ft  'pbTi^  i  pbTi  Dbi  o»«w  nb  o»nife  b">3  n»Db-)3 
^73»i  3i»"»3  '^•ibrTb  c>r)l>b  D-jn  :  '5ib'»:)n  '>'\b »»» ©»obb  "Jj^bn  :  o»«o  oc-b»  ddo">;^  c»dM) 
:7rb  ov  "jps"»:)»"!  3')35-»n>i  :)i»i  b')p  TW?bi  ov  "Jibb  oobb  b"5p»t :  poo  i^ai  Tibo  |»j  o*bb 

9.  Weiberdeutsch. 

Bei  den  Juden  war  das  Lesen  der  heiligen  Schrift  das  Vorrecht  der 
Männer,  die  Weiber  lernten  nicht  hebräisch,   sie   bedienten  sich  nur  der 


Weiberdeutsch.  373 

* 

I«andessprache,  und  daher  wurde  die  hebräische  Schrift,  mit  welcher  deutsche 
Texte  geschrieben  waren,  Weiberdeutsch  genannt.  Weshalb  die  Juden  gerade 
die  deutsche  Sprache  bevorzugen  und  französische,  polnische  und  ungarische 
Juden  der  deutschen  Sprache  mächtig  sind,  ist  nicht  bekannt.  Uebrigens  ist 
ihre  Sprache  ein  Gemisch  deutscher,  hebräischer  und  aramäischer  Wörter 
mit  mancher  eigenthümlichen  Satzconstniction ;  fremde  Wörter  werden  ger- 
manisirt  und  umgekehrt;  aus  ']brt  hala/  , gehen*  wird  hd/en,  aus  *ini  dabbar 
«reden*  dihbem  gemacht  und  conjugirt:  ich  habe  gedibbert  u.  s.  w.,  Yor  die 
Vorsilbe  er  wird  ein  d  gesetzt  z.  B.  derschrecktn;  auch  neugebildete  Wörter 
sind  häufig,  wie  leim  fiir  lesen,  ben^  fQr  segnen,  breiiaht  für  Hochzeit,  ermegen 
für  ergötzen  u.  s.  w.  Die  Consonanten  werden  wie  im  Hebräischen,  n  in 
der  Mitte  und  am  Ende  wie  8,  ausgesprochen,  K  dient  für  a  und  o^  *>  für  u 
und  w,  *  fDr  e  und  t^  das  helle  e  wird  durch  P  bezeichnet,  das  unbetonte  e 
wird  oft  weggelassen,  am  Ende  der  Wörter  steht  nach  einem  Vokal  stets  M, 
fängt  das  Wort  mit  i  o  u  an,  so  wird  m  vorgesetzt,  z.  B.  n*M  ich,  latM  und, 
*n^it  oder,  doch  wird  o  auch  durch  f  bezeichnet;  die  Diphthonge  werden  durch 
Beifügung  eines  '  gebildet,  z.  B.  nM  au,  ^  ei,  ^n  eu,  "i  ö,  ü;  statt  des  f  dient  c 
z.  B.  V^iMC  faul,  statt  w  wird  doppelt-t'  11  geschrieben,  folgt  aber  noch  ein  0 
oder  u,  so  wird  ein  a  dazwischen  gesetzt.  Die  deutsche  Raschi  oder  Weiber- 
deutsch ist  im  Ganzen  eckiger  als  die  italienische^  doch  hat  sie  auch  einige 
Abweichungen,  wie  x  z  (statt  t),  1  (statt  i). 

Indem  wir  hier  das  Alphabet  geben,  ersuchen  wir  die  Leser,  den  fol- 
genden Text  des  Vaterunsers  in  jüdisch -deutscher  Mupdart  im  Dialekt  der 
polnischen  Juden  gefälligst  selbst  zu  buchstabiren,  wobei  natQrlich  ebenfalls 
von  rechts  nach  links  zu  lesen  ist. 

oa4inijno*13lpM(30»i,Dfbp">ün 
abgdhvuzx^y^^      ^     ^      ^      ^epfisqrit 
pn  pwip  i^'^sryp  ri  43)M  » rx  rwrt3  pn  \tst  or^^n^^  .^mm  prt  oca  isn  •>!  "J'^ürtß  -j^m 
yr>t  'am » ooa  x\^vo  "j»!«  o^^n  »irt  t:i  -  iM^n  fTi  is^n  nts  pna  yin  r*535ii  irto^;  »m  \V» 

•o^wa^bsn  rt*»!  '3H^  osrtM  rt-i  'Dm  .■p'nrrp  oin  xys  pn  p'Jrtii  it^^a  (if  »m  p^rc^ 

10.  Hebräische  Schreibschrift 

Wie  in  der  deutschen  Schrift  seit  der  Erfindung  des  Buchdrucks  sich 
«in  eigener  Schriftzug  entwickelt  hat,  so  ist  auch  bei  den  Juden  eine  Schreib- 
fichriil  entstanden,   indem   Formen   der  Weiberschrift  abg».*rundel   wurden. 


374  Hebräische  Schreibschrift 

obgleich  die  Entstehung  einiger  Formen  dieser  Schrift  wie  3  ^  ^^^  ^t  C?  ^ 
aus  *r,  o  £2  aus  V,  }  q  aus  p,  -K  ^  aus  iZ7  schwer  zu  erklären  sind;  schnell 
geschrieben  und  mit  Ligaturen  versetzt,  ist  diese  Schrift  ebenso  schwer  zu  lesen 
wie  unsere  Schreibschrift,  wenn  sie  flöchtig  geschrieben  wird.  Wir  geben  als 
Probe  das  vorstehende  judisch-deutsche  Vaterunser  in  dieser  Schrift 

r<f  kU  .yz  (•*M(-'2  6*2  U*i^^*x  ,(fc^  jn  G9*z  »^»^  ^^ct  ^^G^&^^^u^ 

2ji\i  Q-y'iS^'Z   pg/»2  ,|ro-»  j-,  i3  fi-j  a;«K  /Tf'-^a   Jt.^-a/ii?  -^/«f  fe 

Vn.  DIE  SYRISCHEN  SCHRIFTEN. 

Wir  haben  schon  oben  Seite  d  1 4  Gelegenheit  gehabt,  von  den  syrischen 
Schriften  zu  sprechen,  der  Gegenstand  ist  aber  so  wichtig,  dass  wir  denselben 
besonders  behandehi  müssen.  Eine  der  ältesten  syrischen  Schriften  heisst 
>1>I^^^^|  estrangelOi  das  ist  .Schrift  der  Botschaft*,  weil  sie  die  Schrift 
der  christlichen  Evangelien  war;  in  der  That  hat  sie  grosse  Ähnlichkeit  mit 
der  hebräischen  Quadratschrift,  welche  die  Juden  «assyrische  Schrift*  nennen, 
der  Unterschied  beider  Schriftarten  liegt  ausser  in  einigen  minder  wesentlichen 
Buchstabenformen  darin,  dass  die  syrische  Schrift  die  Zeichen  verbindet,  die 
hebräische  Schrift  sie  getrennt  schreibt,  obgleich  auch  ihre  Formen  gegen- 
über den  phönikischen  darauf  hinweisen,  dass  das  Streben  der  Verbindung 
in  ihr  vorhanden  war,  z.  B. 


hebräisch  i  n 

phönikisch  y 

2  k 

^ 

t         oj,Ä 

0 

^  S 

K 

wobei  die  Finalzeichen  J  u  T  ^  ^  ph  lf  ^  noch  auf  die  phönikische  Fonn 
zurückweisen.  Das  Streben  nach  Verbindung  war  also  im  babylonischen  Exil 
entstanden,  und  wir  glauben,  die  Heimat  dieses  Strebens  bei  den  Mongolen 
und  Tataren  gefunden  zu  haben,  welche  an  eine  Kerbe  ihre  Zeichen  einritzten. 
Dieses   Streben  nach   Verbindung  ist  auch  in  der  noch  altem  mandäischen 


Syrische  Schriften. 


375 


Srhrifl  vorhanden,  d.  i.  die  der  Jünger  Johannis  des  Täufers,  welche  auch 
in  den  Evangelien  erwähnt  werden. 

Bevor  wir  auf  die  einzekien  Alphabete  übergehen,  wollen  wir  dieselben 
abersichtlich  zusammenstellen,  wobei  wir  bei  denjenigen  Lauten,  welche 
verschieden  in  der  Verbindung  und  auch  am  Ende  der  Wörter  geschrieben 
werden,  die  betreffenden  Finalzeichen  beifügen. 


1 

Werth  Ihebräisch 

1 

man- 
däisch 

estran- 
gelo 

melcbi- 
tisch 

nestori- 
anisch 

yako- 
bitisch 

peSitu 

tatarisch 

1 

a 

M 

< 

rt 

Z 

l 

x 

^^ 

b 

a 

a. 

» 

a. 

a 

j 

£i 

1  ' 

3 

1 

•^ 

X 

X 

s 

^ 

1 

;      d 

1 
^ 

a   \ 

^ 

n 

% 

• 

? 

;  * 

.1 

cn 

iTL 

« 

1 

Ol 

V 

1 

A 

c\ 

O- 

( 

f 

0 

o 

«&. 

* 

mf 

1 

J 

1 

K 

f 

f 

1 

'    z 

n 

1 

^^^ 

**• 

«* 

JJ 

^ 

- 

f 

13 

1 

V 

V 

V 

^ 

•6 

i. 

y 

• 

i      ■«■ 

j 

*• 

« 

j 

^ 

!   k 

13 

V 

vy-a 

Ha 

t^^ 

^* 

t* 

^.'J 

l 

h 

J 

A 

i 

i 

i 

i^% 

1 

m 

DO 

ÜL 

>=« 

a 

9    M 

pp 

Vd 

fr* 

n 

n 

V 

r-» 

\» 

^    • 

^' 

^^ 

8 

D 

i  •» 

^ 

tf 

ft 

M 

m 

d 

9 

- 

^ 

>- 

k 

• 

i.^ 

ph 

1 

t\ü 

V 

1 

eo 

ft 

a 

a 

\5 

1 

,  ^ 

1 

3* 

jr 

J 

S 

1 

1    q 

1 
? 

i  ^ 

1 

D 

- 

o 

A 

1 

•• 

n 

1  « 

« 

1 

1 

« 

J 

• 

1 

a 

i 

1 

1         V 

4> 

1 

* 

M 

« 

♦ 

i    ' 

1 

n 

4 

1 

i       ^ 

1 

All 

X 

» 

■ 

1 

1 

376 

1.  Die  mandäische  Schrift 
Die  mand&ische  Schrift  unterscheidet  sich  von  ihren  syrischen  Schwe- 
stern principiell  dadurch,  dass  sie  die  Vokale  schreibt  und  in  gleicher  Linie 
mit  den  Consonantzeichen  verbindet;  die  Vokale  haben  dieselben  Zeichen 
wie  die  Halbvokale  in  den  anderen  syrischen  Schriften,  doch  die  Bedeutung 
ist  verschieden ;  man  beachte 

mandäisch     ^  a  syrisch  e  9 

•  "^  «•  •      ^  y       * 

Das  o  a  war  das  phönikische  din  (Auge),  in  der  himyarischen  Schrift 

ist  das  Doppelauge  00  v,  wie  im  Syrischen  das  einfache  Auge,  während  dtM 
nur  durch  die  Augenhöhle -^^  vertreten  ist,  imMandäischen  durch  ein  Zeichen« 
welches  dem  b  sehr  ähnlich  ist  (wir  haben  phönikisch  Q  6  als  «Ohr*  kennen 
gelernt);  hier  kann  also  von  keiner  Comiption  die  Rede  sein,  hier  berulit 
der  Zeichenwechsel  auf  dem  Begrififswechsel,  und  wenn  dzuv  und  a  werden 
konnte,  so  mochte  letzteres  wohl  den  o-Laut  oder  d-Laut  haben. 

Für  b  kommen  zwei  Zeichen  vor,  von  denen  ^  bereits  als  verwandt  mit 

^  din,  erkannt  wurde,  es  ist  das  ägyptische  ^=:,  hieratisch  I^  m,  .die 
Höhle* ;  sL  scheint  das  moabitische  ^  zusein,  welches  in  der  syrischen  Schrift 
als  p  auftritt;  es  ist  auch  dem  syrischen  x ^ähnlich,  wie  sich  das  hebräische 
beth  an  Samodm  , Himmel*  anlehnte;  dann  wäre  es  ähnlich  dem  ägyptischen  ■ ; 
hieratisch  ^h,al  .Palast,  Altar*,  hebräisch  ^^n  heical  , grosses  Haus,  Palast, 
das  Allerheihgste*,  also  jedenfalls  der  Altar  und  dann  das  Haus  des  Altars. 
^  g  hat  keine  Ähnlichkeit  mit  den  phönikisch -hebräischen  Formen 
T  "1  ^  ,  es  ist  jedeiifalls  die  Hieroglyphe  i  oder  7^,  hieratisch  S  »  die 
Haube  scheint  eine  Krone  zu  sein;  wir  haben  im  hebräischen  Levi,  der  mit  dem 
Buchstaben ^me^  zusammenhängt,  denUebergang  zum  Wasser  (das  ägyptische 
Priesterzeichen  |H  tf  war  ursprünglich  die  Taufe,  die  wichtigste  Ceremonie 
der  mandäischen  Johannisjünger)  zur  Geisterbeschwörung  und  zumSchlangen* 
Zauber  kennen  gelernt. 

^  d  und  isi  r  sind  aramäische  Formen  und  entsprechen  dem  tatari- 
schen :i  r,  nicht  dem  phönikischen  \,  die  tatarische  Finalform  <^  ist  ver- 
wandt mit  dem  kalmückischen  (^  k  und  scheint  daher  eine  ägyptische  Vase 

V  ,  hieratisch^,  oder  ^.  hieratisch  ^,  od  „Herz*  zu  sein.  Wir  haben  db/e/A 
als  den  Begriff  .theiien"  erkannt;  Wasser  war  das  erste  Mass,  Mengen  von 


9 

Mandäisch.  377 

Fltissigkeiten  ergaben  ein  Gewicht,  wie  in  unserer  Sprache  noch  immer 
«Mass*  eine  bestimmte  Quantität  Flüssigkeit  ist;  ferner  haben  mvdaJeth  als 
»Mitte*  kennen  gelernt  und  das  Herz  galt  als  Mitte  des  Körpers,  möglicher- 
weise hing  das  Zeichen  auch  mit  der  Hieroglyphe  j]  dem  Hochgericht  zu- 
sammen, denn  hebräisch  p  dan  ist  der  , Richter*.  War  die  Stange  die 
Windfahne,  so  war  der  Begriff  identisch  mit  der  Bewegung  der  Thüre  in  den 
Angehl,  mit  der  Bewegung  des  Kopfes  zwischen  den  Schultern.  Die  Ähnlich- 
keit der  Zeichen  d  und  r  lässt  eine  Ähnlichkeit  in  der  Aussprache  vermuthen, 
und  so  finden  wir  in  der  persischen  Keilschrift,  wie  in  der  Sindh-  und  Multhan- 
schrift  einen  Laut  tr. 

h  fehlt  im  mandäischen  Alphabet,  es  war  identisch  mit  /,  im  Pehlewi 
sind  sogar  a,  h  und  /  identisch. 

.A  V  ist,  wie  oben  bemerkt,  das  syrische  y,  in  der  hebräischen  Quadrat- 
schrift ist  y  der  Winkel  oben  » .  ^  ist  das  verkleinerte  syrische  ^  am,  ver- 
wandt mit  o  b  und  a  A:,  so  dass  y  d  b^^u  und  k  hier  wechseln,  ähnlich  wie 
die  nordische  Rune  Y  kann,  moabitisch  Y  vav,  himyarisch  Y  A,  griechisch 
V  y  ist;  es  ist  der  Zwischenraum. 

I  z  tritt  im  Aramäischen  erst  in  jüngerer  Zeit  auf  und  herrscht  in  allen 
syrischen  Alphabeten  vor,  wie  es  auch  als  r  in  die  hebräische  Quadratschrifl 
übergegangen  ist,  wo  es  dem  *>  vav  sehr  ähnlich  sieht.  Die  Weiberdeutsch 
hat  die  Figur  t  erhalten,  welche  in  der  jakobitischen  Schrift  als  3  in  der 
Pehlewi  als  S  vorkommt,  jedenfalls  die  Schlange,  ägyptisch  "^^i  hieratisch 
f^^;  wie  hier  u  und  z  wechseln,  so  wechseln  in  der  altgriechischen  Schrift 
S  •  oder  h  «.  Die  Schlange  ist  der  Bohrer  Rati,  mit  welchem  Odhin  Fialar's 
Felsen  durchbohrte,  das  blinkende  Schwert  und  als  solches  ist  I,  aramäisch 
p^m  aseftin  «Waffen*,  aufzufassen. 

^^  /  wechselt  in  gleicher  Weise  mit  s,  samaritanisch  «*  An,  selbst  mit 
ägyptisch  pm^  n.  Sinai  ist  der  heilige  Berg,  chinesisch |h  San,  ägyptisch  ^AJ, 
hieratisch  iaj  und  k— i',  hieratisch  CLO  m»,  A,  a.  Dieses  Zeichen  ist  aber 
iijrht  nur  der  Berg,  sondern  auch  das  wellige  Land,  in  seiner  Diminutivform 
so-'ar  das  Ackerland,  die  Ackerfurchen,  denn  das  Zeichen  bedeutet  »Berg, 
Thal,  Land,  Volk*,  immer  im  Sinne  der  Fruchtbarkeit,  wodurch  es  sich  an 
das  liehräisrhe  /eth,  den  Ackerzaun  H  anlehnt.  Als  Bergthal  ist  es  das 
fn.'indäisfhe  4^  ^,  tatarisch^,  welches  als  0  k  auch  die  Grube,  hebräisch xc.3 
ytU  »einlerne,  Teich.  Sumpf,  ägyptisch  \tß  hm  ist 


378  '  Mandäisch. 

Jl  i  ist  das  Segel,  ägyptisch  ^^,  hieratisch  Jp  «/  (Wmd),  hebräisch 
W  M  ,Byssus,  feine  Baumwolle*,  arabisch  ^jei  quin  , Kattun*,  durch  die 
Farbe  verwandt  mit  «3»ö  iii  »Töpferthon*  und  n^o  iale  .Lamm*,  rhn  dala 
, Fäden*,  das  tatarische  i  ist  die  umgekehrte  Form  davon. 

Am'  y  tatarisch  ^  ist  in  gleicher  Weise  das  umgekehrte  r,  das  demoti- 
sche JL  U  welches  mit  a  verwandt  ist,  wie  .a^-j  sowohl  a  als  t  ist;  als  syrisch 
\  ist  es  das  Hintertheil,  der  Schwanz  (siehe  unter  Q. 

"^  k  ist  das  tatarische  (J  oder  ^  welches  wir  schon  oben  bei  d  r 
erwähnt  und  mit  •^,  hieratisch  ^,  ht  .Herz*  verglichen  haben,  es  ist  aber 
auch  verwandt  mit  '^^j  hieratisch  <^-^,  k  .der  Kessel'  (der  rauschende 
Kessel,  das  Chaos  der  nordischen  Sage)  umsomehr,  als  diesem  Zeichen  das 
weibliche  ^■p'  nb  und  ^,  hieratisch  S^  '^^  gegenübersteht  und  dem  man- 
däischen  nt  n  entspricht;  das  hebräische  tj^  kqpf  bedeutet  auch  .Pfanne, 
Schale*. 

' J  hat  in  allen  syrischen  Alphabeten  die  umgekehrte  Form  des  phöni- 
kisch-aramäischen  /« l^,  welches  letztere  dem  syrischen  und  tatarischen  l  a 
mehr  entspricht  Das  letztere  scheint  mehr  der  Schweif  des  Löwen  .Afi, 
hieratisch  /,  zu  sein,  welche  hieratische  Form  nur  den  Schweif  zu  zeichnen 
scheint;  der  Löwe,  ägyptisch  ar=l  heisst  hebräisch  n»  ari  oder  m*^^  lawi; 
l  ist  der  zwölfte  Buchstabe  im  Alphabet,  der  letzte  Stamm  Israels,  der  nach- 
gebome  Sohn  Benjamin.  Ägyptisch  heisst  ar  aber  auch  die  Schlange  1  , 
hieratisch  /j,  und  diese  Form  scheint  unser  l  umsomehr  vorzustellen,  als  es 
dem  g  ähnlich  ist.  Lamed  heisst  .lehren*,  die  Schlange  war  das  Symbol  der 
Arzneikunst 

^  m  hat  mit  der  Kaulquappe  ^  grosse  Ähnlichkeit,  sowie  mit  der 
Ruh  jt|c»  hieratisch  ^,  aa,  fii  .Kalb,  Erbschaft*,  Symbol  der  Isis,  jenes 
ist  das  Wasserthier,  Isis  die  Überschwemmung,  beide  somit  verwandt  mit 
D*a  matm  .Gewässer *; der Lautwerth  a  erklärt  auch  dasEstrangelo  Ka, welches 
das  umgekehrte  >i  m  ist. 

N  ist  oben  unter  k  besprochen. 

jo  8  ist,  da  A-.  das  Hintertheil  ist,  J^,  hieratisch  £^,  wovon  das 
nestorianische  tu  die  umgekehrte,  der  Hieroglyphe  mehr  entsprechende  Form 
zu  sein  scheint;  der  Lautwerth  hk  kann  um  so  weniger  beirren,  als  nestoria- 
nisch  ib  8  arabisch  i^  h  ist.  Ausserdem  entspricht  ^A»,  hieratisch  tf^,  htp 
.das  Allerheiligste*,  sei  es  als  Sonnenuntergang  aiifzu£assen  oder  als  Hobel, 


Mandäisch.  379 

wobei  zu  bemerken  ist,  dass  hk  die  Magie  bedeutet.  Auch  die  Zeichen  M^^^j 
hieratisch  ^,  aft  , ruhen*  verdienen  BeachtuuKt  iiisoferne  das  mandäische 
Zeichen  die  verkOrzte  Form  davon  sein  könnte. 

'Ain  ist  unter  b  besprochen. 

C9  ph  ist  das  tatarische  ^  p,  das  ägyptische  ■,  hieratisch  JJ|,  ursprüng- 
lich die  klaffende  Muschel,  daher  |>eA  ,Mund",  femer  @  u=-^,  hieratisch 
.P,  der  Hauch,  der  Wind,  welche  letztere  Form  allerdings  mehr  das  syrische 
9  ph  erklärt,  welches  nicht  unter  die  Zeile  geht;  auch  die  markomannische 
Rune  Vfe  hat  Ähnlichkeit,  sofeme  sie  die  verkehrte  Form  des  obigen  Zeichens 
ist;  als  Hieroglyphe  könnte  es  %V,  hieratisch  ^,  das  Weib  sein,  hebräisch 
^  bath  «das  Mädchen*. 

O^  s  ist  dasjenige  Zeichen,  welches  zum  arabischen  ^  8  wurde, 
ägyptisch  411,  hieratisch  £|^,  S  das  wasserreiche  Feld,  verwandt  mit  ff,  hiera- 
tisch fk,  kb  »kohl*,  insofeme  ^  =s  y  n  (siehe  oben)  ist. 

^  q  ist  dasselbe  wie  k,  tatarisch  ^,  hebräisch  n2p  qeba  ,der  faltige, 
wasserreiche  Magen  des  Kameeis*,  arabisch  Ü  qibbat\  damit  verwandt  ist 
nap  qoba  .das  Weib",  mn  jj^aro  »Eva*,  deren  Hieroglyphe  unter  jpÄ  aufgeführt 
wurde,  wonach  die  Zeichenähnlichkeit  ebenfalls  auf  BegrifTsverwandtschaft 
beruht 

R  ist  unter  d  besprochen  worden;  S  unter  )f. 

j(  <,  das  tatarische  Finale  w  «  ist  eng  verwandt  mit  m,  insofeme  thata 
wie  wo«!  »wohnen*  heisst  und  die  Isis  die  Göttin  des  Familienlebens  ist; 
übrigens  ist  auch  i.  hieratisch  f|,  an  »die  Säule*  verwandt,  weil  das  Zeichen 
ursprünglich  ein  Zelt  war. 

Es  dürfte  hieraus  hervorgehen,  dass  die  mandäische  Schrift  aus  dem 
Boden  einer  alten  Bilderschrift  entsprossen  ist,  der  ihr  mit  ihrer  Schwester- 
Schrift  gemeinsam  war,  und  dass  in  ihr  jene  Elemente  stark  vorhanden  sind, 
welche  die  tatarisch-mongolische  Schrift  bildeten.  Ob  diese  Secte  der  Über- 
rest eines  eigenen  Volkes  war,  oder  ob  die  Schrift  in  religiösen  Srhrifton 
den  Weg  von  Innerasien  nach  dem  Jordan  fand,  können  wir  nicht  beurtheilen. 

2.  Estrangelo. 

Wie  bereits  erwähnt,  hat  die  Estrangelo-Schrift  eine  grosse  Ahnlirhkeit 
mit  der  hebräischen  Quadratschrift,  sicherlich  nur,  weil  die  letztere  eben  aus 
Assyrien  stammt;  wo  sie  von  dieser  abweicht,   zeigt  sich  gleichfalls  der 


380  Eälra:igelo. 

tatarisch-mongolische  Eipfluss.  Die  Verbindung  der  Zeichen  dürfte  ihren 
Ursprung  darin  haben,  dass  dieselbe  einen  Vokal,  vielleicht  das  reine  a  aus- 
drückte, welches  auch  im  Hebräischen  als  Vokalzeichen  .a  auftritt;  die  Folge 
davon  war,  dass  am  Ende  der  V^'^örter  ein  Aufbiegen  des  Striches  erfolgte, 
um  etwa  ein  y  ähnlich  dem  slavischen  Jer  auszudrücken,  einen  Hauch,  mit 
dem  das  Wort  endigte.  Da  durch  die  Verbindung  manche  Eigenthümlichkeilen 
der  Zeichen  verwischt  wurden,  so  hob  man  in  solchen  Fällen  die  Verbindung 
auf,  oder  man  nahm,  wie  bei  k,  andere  Zeichen  zur  Verbindung.  So  würde 
^d  r  zu  ^  b,^  S  IM  jL  ^  geworden  sein,  bei  anderen  Buchstaben,  wie  bei 
y^  cn  h  ^  t  müssen  aber  innere  Gründe  vorhanden  gewesen  sein^  welche 
die  Verbindung  nicht  zuliessen,  denn  hier  konnte  keine  Verwechslung  eintreten. 

BezügHch  der  Bedeutung  der  Namen  der  syrischen  Zeichen  bin  ich  in 
der  angenehmen  Lage,  die  Ansicht  eines  gelehrten  Syrers,  des  nestorianischen 
Erzbischofes  Monsignore  Bartatar,  nach  seinen  mündlichen  Mittheilungen 
anführen  und  mit  meinen  Untersuchungen  vergleichen  zu  können: 

z  und  y^aleph,  alpha:  navis,  naviada,  scapha,  , Schiff,  Schiffchen,  Boot*. 
Ich  habe  z  oben  als  Schwanz  charakterisirt,  mit  Beziehung  auf  ,  Schiff*  dürfte 
es  das  Steuerruder  sein,  zu  dem  ja  der  Fischschwanz  den  Anstoss  gegeben 
haben  soll;  das  Zeichen  K'ist  das  hieratische  tc^  und  hängt  mit  .Schiff* 
genau  so  zusammen,  wie  mit  diesem  das  deutsche  vulgäre  « schiffen*. 

a  M  und  beta:  domus,  cubila,  tnclinium,  trimurai^,  .Haus,  Lager,  drei* 
sitziges  Speisesopha*.  (Ich  habe  das  Zeichen  als  «Höhle*  erklärt,  was  mit 
.Haus*  zusammenhängt,  das  Sopha  werden  wir  später  kennen  lernen,  es 
hat  eine  andere  Form,  auch  die  sitzenden  und  liegenden  Figuren  haben  in 
der  hieratischen  Schrift  eine  andere,  nämlich  die  umgekehrte  Form,  z.  B. 
C  Mensch,  ^  Kuh,  £ää^  Vogel,  doch  ist  es  möglich,  dass  die  Richtung  der 
Schrift  nicht  allzu  massgebend  war.) 

^  und  ^gavuü  und  gitnla,  canidus  (brevis  cauda),  .Kameel,  kleiner 
Schwanz*  (die  letztere  Bedeutung  mag  zu  dem  Punkte  am  Ende  des  Zeichens 
Anlass  gegeben  haben,  in  der  Estrangelo  geht  das  ganze  Zeichen  unter  die 
Zeile;  das  mandäische  g  war  die  Wasserschlange,  das  syrische  scheint  iden- 
tisch mit  dem  mandäischen  h  und  q^,  die  Cisteme,  der  Magen  oder  der  Wasser- 
schlauch;  es  ist  zu  beachten,  dass  MS^  gama  «schlürfen,  trinken*  bedeutet, 
wenn  gome,  die  ägryplische  Papyrusstaude  ihren  Namen  vom  Aufsaugen  des 
Wassers  hat,  so  mag  auch  das  Kaaieel,  welches  das  Wasser  lange  in  seinem 


k  Estrangelo.  38  J 

Magen  bewahrt,  den  Namen  davon  haben;   dasselbe  bedeutet  M,  hieratisch 
3t  km,  das  wasserreiche  Ägypten). 

%  und  >  dalat  und  dalta:  valva,fore8,  «Thürflügel,  Thüre*.  (Die  Zeichen 
weisen  auf  die  Grundbedeutung  «theilen'  hin,  ägyptisch  ^^,  hieratisch^, 
Winkel,  Ecke,  und  ^^  die  Hälfte,  Tj  das  Hochgericht.  Estrangelo  l  konnte 
daher  nur  am  Ende  stehen,  da  es  in  der  Verbindung  gleich  a  b  war,  und 
ebenso  nestorianisch  >,  da  es  in  der  Verbindung  gleich  a^  k  war,  welches 
am  Ende  \  oder  ^  geschrieben  wird;  die  Punkte  hängen  offenbar  mit  der 
Vokalbezeichnung  zusammen.) 

cn  und  «  he,  heta,  arabisch  äU^  haiat:  figura,  physiognoinia,  «Gestalt, 
Aussehen*.  (Als  solches  wäre  es  das  himyarischeooirau«  (die  beiden  Augen 
und  äthiopisch  0,  mir  scheint  aber  der  Begriff  hier  nicht  activ,  sondern 
passiv  zu  sein  «von  schönem  Aussehen,  jung*,  daher  ägyptisch  f^,  hieratisch 
[j1«  das  hebräische  hath  .Mädchen*,  ^^v^,  hieratisch  4r,  hb  .Freudenfest*, 
die  ewig  jugendliche  Hebe,  die  später  zur  mohammedanischen  Huri  wurde; 
Y1,  hieratisch  rtl ,  sah  «die  Halle*,  hebräisch  ^^m  hekal  «das  grosse  Haus, 
^alast,  Tempel*,  ^^  pr-a  «die  hohe  Pforte*.) 

A  und  •:  rar,  rata:  clavu^,  uncinus,  hamus,  «Nagel,  Angelhaken*. 
(a  stimmt  mit  hebräisch  i  v  als  Haken  überein,  •  ist  aber  das  phönikische 
O  din  «Auge*,  möglicherweise  war  es  nur  das  Gebogene,  der  Nasenring; 
Qbrigens  schliesst  sich  die  nestorianische  Finalform  •  an  den  Haken  an,  am 
Anfang  und  in  der  Mitte  wurde  es  nicht  gebraucht.) 

I  und  f  zaifi,  zait:  pugio  ei  oUvafructus,  «Dolch  undOlivenfrucht*.  Das 
mandäische  und  Estrangelo- «  sind  aU  Finale  dem  nestorianischen  ia  ähnlich 
und  bereits  beim  mandäischen  Alphabet  als  Waffe  erklärt.  Die  Olive  dürfte 
sirh  auf  die  nestorianische  Form  beziehen,  welche  sich  der  ägyptischen 
Hieroglyphe  9  9  to  «Brot,  Speise*,  tb,  hieratisch  £|,  ii  «Salbe*  nähert,  und 
hieraus  dürfte  sich  auch  die  Pe.^ilo-Form  von  d  und  r  erklären,  welches  sich 
als  «Theil*  auch  auf  die  «Frucht*  beziehen  kann,  welche  sowohl  Wurzel 
als  Krauthaupt  (ohne  Leib)  ist 

*•  /^t  Z^^^'  instrumentum  quo  ron/ncafur,  «Instrument  zum  Reihen* 
(Reibeisen?).  (Ich  habe  das  Zeichen  als  unebene  Fläche  oben  erörtert,  was 
mit  der  vorstehenden  Erklärung  nicht  im  Widerspruch  steht.) 

V  t^9  t^^^'  /'""'^^nim  panni,  quo  detenjitur,  «Lappen,  Tuch  zum  Ab- 
u.-«  lion*.  (Diese  Erklärung:  kann  sich  auf  das  man<läi<rhe  Se^'el,  nirlit  auf  die 


382  £sirangelo. 

vorliegende  Figur  beziehen ;  dieselbe  geht  unter  die  Zeile,  bedeutet  also  etwas 
Unterirdisches;  hierbei  mache  ich  darauf  aufmerksam,  dass  die  tatarische 
Form  •«  iUmlichkeit  mit  der  Hieroglyphe  ^  .I^upfer*,  natürlich  in  umge- 
kehrter Form  hat,  sowie  dass  <lie  Figur  V  in  gleicher  Weise  die  umgekehrte 
Form  der  Messer-Hieroglyphe  1  st,  kt  ist,  wobei  es  fQr  uns  gleichgiltig  ist, 
ob  dasselbe  ein  Steinmesser  oder  ein  Bronzemesser  war.) 

*  yod^  yoda:  tnanula,  vola  et  lineola^  .Händchen,  hohle  Hand,  kleine 
Linie*.  (Ich  habe  schon  bei  dem  mandäischen  Alphabet  auf  die  Ähnlichkeit 
von  yod  und  kaph  hingewiesen,  beides  bedeutet  im  Hebräischen  «Hand*  und 
insbesondere  den  Zwischenraum  zwischen  den  Fingern  und  die  hohle  Hand.) 

^  vy  ^  ^:  kaph,  kapha:  arcus,  ripa  concava,  , Bogen,  gekrünmites  Ufer*. 
(Der  Grundbegriff  ist  wie  bei  yod  der  Zwischenraum,  vy  ist  in  Form  und 
Bedeutung  dem  ^  /  ähnlich;  ^  ist  ähnlich  der  hieratischen  Form  ^^y  welche 
ich  bei  dem  mandäischen  k  besprochen  habe,  es  kann  auch  das  hebräische 
p,ip  Haarzopf,  Schwanz  (des  Affen)  bedeuten;  ^  scheint  das  tatarisch-mongo- 
lische [^  k  zu  sein,  das  ägyptische  %  oder  9\  ^  ist  wie  vorhin  erwähnt, 
«las  grössere  yod,) 

\  lanied  oder  lamda:  Stimulus,  « Stachel*.  (Das  Zeichen  ist  ähnlich  der 
Hieroglyphe  \  hieratisch  f,  »Grenzpfahl*,  welches  in  |  auch  in  Verbin- 
dung mit  der  Ebene  vorkommt,  femer  mit  der  Hieroglyphe  ^,  hieratisch  ^ 
hk  9  Skorpionstachel,  Zepter  der  Hirtenfursten*,  wobei  zu  beraericen  ist,  dass 
hk  »Magie*  bedeutet,  analog  loi»  Jamad  »lehren*,  T!ot»n  talmud  »die  Lehre* 
gleich  min  tora  »die  Lehre*,  von  fiT  yot'a  »zeigen,  anzeigen*,  daher  das 
ägyptische  o.^  rmn,) 

ft  »  »  mim,  mima:  maier,  matrix,  »Mutter,  Mutterleib*.  (Das  Zeichen 
n  ist  bereits  bei  dem  mandäischen  m  als  Isis,  die  Kuh,  besprochen;  auch  die 
geschlossene  Form  ;a  lehnt  sich  an  das  hieratische  ^  an;  m dagegen  ist  das 
ägyptische  oo^,  hieratisch  y>o,  mh  »Fülle,  Norden*,  die  Wolke,  die  Därme, 
welche  den  Wind  verursachen,  der  Schlauch,  die  Gebärmutter.) 

T^J  )tun,  nuna:  pisns,  pisriiuhis,  »Fisch,  Fischchen*.  (Das  hebräische 
pj  nun  bedeutet  nicht  nur  den  Fisch,  sondern  auch  die  Nachkonmien,  daher 
ist  J  nur  das  Kleine  und  das  hebräische  J  n  verwandt  mit  a  k;  \  ist  im 
Mongolischen  gleich  ^  a  »das  Huder*,  welches  dem  Fischschwanze  nach> 
gebildet  ist;  so  erkläre  ich  mir  auch  die  Finalform  ^  in  gleicher  Weise. 
Beachten swerth  ist,  dass  Anfangs-  und  Ende-iVK/i  in  der  Verbindung  ^  die 


Estrangelo.  08  3 

einfache  Form  des  phönikischen  Nun  geben,  das  letztere  ist  der  Nu,  der 
blick,  Augenblick,  Blitz,  das  ägyptische  «^,  hieratisch  ^'-r,  ma  «Sichel"; 
!( h  habe  oben  bemerkt,  dass  die  Verbindung  ursprünglich  einen  Vokal 
ausdrückte,  da  nun  mongolisch  n^^a  ist,  so  konnte  der  Schweif  von  S  in  der 
Schrifllinie  aufgehen  und  musste  am  Ende  der  Wörter  selbständig  hervor- 
Inften.  Übrigens  kann  V^^  auch  als  Pfeil,  als  Sonnenstrahl,  ungebrochen 
gedacht  werden.) 

^ti  Harne/,  stinka:  fulcrum,  sustentaculum,  „Gestell,  Grundpfeiler*. 
(^  ist  identisch  mit  ^  /  als  »— ^,  hieratisch  OJ)«  der  Erdboden,  die  Grund- 
feste, als  J^,  hieratisch  £2^^  das  Hintertheil,  wienerisch  „Gestell";  ägyptisch 
00^  hieratisch  ül,  U8,  ufs  das  Faulbett,  das  Symbol  des  Osiris,  der  als  Him- 
mel, pt,  sich  an  die  bei  beth  erwälmte  Bedeutung  anlehnt,  das  Bettgestell  |Sj, 
hieratisch  |S|,  afl  „Truhe*  verwandt  mit  der  bei  dem  mandäischen  Alphabete 
erwähnten  Hieroglyphe  ^^.  aß  „ruhen*  und  mit  ^"^j  hieratisch  f:^, 
der  Todtenbahre,  wie  mit  ^-^j  hieratisch  f^,  pt  der  Feste  des   Himmels.) 

.^.  v  li^  din,  dina:  oculus,  „Auge*.  (Dieser  Begriff  bezieht  sich  als 
Augapfel  auf  das  moabitische  o,  welches  im  Syrischen  zu  c  t?  geworden  ist, 
das  hebräische  V  ist  das  markomannische  V  chen,  griechisch  Y,  moabitisch  Y 
r ;  estrangelo  J^  wie  (j  das  Hintertheil,  nestorianisch  V  wie  hebräisch  ^  y  und 
aramäiseh  y.  Dieses  Zeichen  ist  das  demotische  a,  welches  den  Hiero- 
glyphen m^uLJ  entspricht,  der  Zwischenraum  zwischen  den  Füssen,  ^, 
hieratisch  dJi  wie  yod  der  Zwischenraum  zwischen  den  Fingern  war.) 

^  pe,  po,  pata:  visus,  faden,  aihpecUis,  „Gesicht,  Angesicht,  Ansehen*. 
(Insofeme  es  sich  an  eine  Hieroglyphe  und  das  althebräische  ^  h  anschliessl, 
ist  es  J  „das  Weib,  die  Schönheit*,  hiermit  hängt  noch  nno  pata  „oflen- 
herzig,  unbefangen,  leicht  zu  verführen*  ^r\o  pAi  „Einfalt*  zusammen,  inso- 
feme in  alter  Zeit  unverheirathete  Mädchen  jedem  Fremden  zugänglich  sein 
mussten ;  erst  mit  dem  Brautschleier  schlössen  sie  sich  der  Aussenwelt  ab ; 
aber  diese  Begriffe  scheinen  mir  mehr  auf  das  samaritanische  ^0  |;  zu  deuten ; 
t  ist  dem  ägyptischen  J^,  hieratische^,  ähnlich,  das  ist  der  Hauch  aus  dem 
Munde,  das  Hen'orbrechen  des  Kindes,  ägyptisch  b/,  papa  „  gebären  *, 
hebräisch  nro paSa/  „eröffnen,  loslassen,  [einen  Gefangenen]  befreien*.) 

J?  j  gad,  .^ade:  satus,  eris,  „Saat,  Hader*.  (Das  Zeichen  ist  dasselbe, 
weiches  im  mandäischen  Alphabet  erklärt  ist;  an  das  wasserreiche  Feld 
gchliesst  sich  die  Saat  an«  die  Eris  erinnert  an  die  Aussaat  der  Dracnenzaunc ; 


384  Estraogelo. 

die  Zwietracht  an  die  Ackerfurche.  ^Ain,  pe,  sade  entsprechen  in  dieser 
Reihenfolge  f  [\  ^ :  /  die  Leerheit,  der  Wind;  H  ur  die  Öffnung  des  Himmels, 
die  Thauzeit,  ^  thorr  die  Zeit  des  Ackerbaues;  aber  auch  den  Runen  A  ar, 
H  sol  Ernte  (henrorbringeu)  T  Jagd,  Krieg.) 

a  qoph,  qppha:  canistrum,  cophinus,  Korb*.  Entspricht  der  Rune  4*  os 
ader  Zeit  der  Eröffnung  der  Schifffahrt*,  daher  dürfte  es  das  ägyptische  i, 
hieratisch  (X,  k  .Ecke,  Knie,  Vorgebirge*,  sowie  ^^  «das  Schiff*  sein;  in 
der  zweiten  Runenreihe  i  biSrk  .die  Bergung*  und  damit  dürfte  der  Korb 
zusammenhängen,  ägyptisch  ^,  hieratisch  ^,  ba  .das  Opfer*  für  glückliche 
Heimkehr. 

1  i  rtiS,  raSa:  caput,  .Haupt*.  (Für  dieses  Zeichen  gilt  das  bei  d 
Bemerkte.) 

«X  Sin^  Sana:  dem,  hominis  et  montis,  .Zahn  von  Menschen  und  Bergen*. 
(Das  Zeichen  hat  in  der  Schrift  der  Mel;(iten  die  Form  k  entsprechend  der 
Hieroglyphe  w  Sa  (die  untergehende  Sonne,  auch  iBt,  hieratisch  9,  das 
wäre  das  Abendroth,  .aufleuchten*,  das  Morgenroth,  die  am  Himmel  auf- 
steigende Sonne,  chinesich  O  tan  .Morgen*,  lautverschoben  von  san,  es 
schliesst  sich  dadurch  unmittelbar  an  roS  ,  Haupt*  an,  ist  vielmehr  dasselbe.) 

^  A  M  tav,  tava:  rnansio,  hahitatio,  .Haus,  Wohnung*.  (Auf  diese 
Bedeutung  bezieht  sich  wohl  das  Zeichen  ^,  welches  an  die  Hieroglyphe  cd  und 
[h  erinnert,  tfi  mel;(itisch  ^ ,  ist  jedenfalls  yjn  der  Hochsitz,  einfach  J ,  das 
Zeichen  der  Isis,  der  Thron,  die  Sesshaftigkeit ;  auch  die  Hieroglyphe  j 
hieratisch  [i,  welche  ursprünglich  wohl  ein  Zelt  bedeutete,  stimmt  mit  ii 
überein.  ^  ist  das  verkehrte  Zeichen  von  x^  a,  vielleicht  dasselbe,  da  es 
auch  im  Zeitkreise  neben  demselben  stand.) 

Die  Estrangelo  wurde  noch  ohne  Vokalzeichen  geschrieben,  nur  m 
zweifelhaften  Fällen  wurde  ein  Punkt  über  oder  unter  das  Wort  gesetzt,  um 
anzuzeigen,  dass  '  a  ^  e,  t .  a  o  oder  9  u  zu  lesen  sei ;  derselbe  Punkt  bezeich* 
nete  über  dem  Consonanten,  dass  e  nicht  aspirirt  sei,  unter  demselben  die 
Aspiration,  und  hiervon  mag  wohl  der  Punkt  in  n  d  und  1  r  abstammen;  ein 
Doppelpunkt  **  (Ribui)  zeigte  den  Plural  an,  wenn  dieser  nicht  aus  dem 
Wortlaute  hervorging. 

Ausser  der  hier  gebrauchten  schönen  Uncialform  hatte  die  Estrangelo 
in  manchen  Manuscripten  einen  mehr  quadratischen  Charakter,  den  wir  in 
der  Probe  folgen  lassen. 


Estrangelo  Sprach-  und  Schriltprohe.  385 

Wir  lassen  hier  als  Schriftprobe  den  Text  des  Vaterunsers  folgen : 


In  quadratischer  Form: 

Transscription:         <///««  dhaAmayo,  moqada^ 

Übersetzung:     Vater  unser  der  in  den  Himmeln,  geheiligt  werde  dein 
:fmok*        fiioe  inalkudok' ,  uehwo  ^thtjofiah    aikatio     dbahmiyo 

Name,  es  komme  dein  Reich,    es  geschehe  dein  Wille      wie      im  Himmel 

of         boro,         hah     hin     h/nio  di(Unqo/f(tfi  yaumouo,     tva^huq 

auch  auf  Krden.   gieb  uns  das  Brot  unseres  Bedürfnisst's    heute,    und  crlass 

lan  /aubain  u/tohain  aikatio     dof  /tian  sbaqan 

uns  unsere  Schulden  und  unsere  Sünden,      wie     auch  wir  erlassen  unseren 

i/atftßff*iin,  ulo  ndhn  hie.^ifitfio,  eh  fa<on        men 

S<huldn»'m,   und  führe  uns    nicht  in  Versuchung,   sondern  erlöse  un>  von 

hi^u,  Amin, 

-d«Mn  Bös**n.  Amen. 

3.  Dir  Schrift  (li»r  Melchitcii. 

Im  5.  Jahrhundort  führten  reli^'iöse  Slreili'rkriten  darüber,  ob  Jesus 
zugleich  Mensch  und  Gott  gewesen,  ob  Maria  eine  (Joltcsjicbärerin  sei  u.  s.  w., 
zu  einer  grossen  Spallung  in  d«T  syrisrh-chri>tlii'lnMi  Kirche;  es  bildeten  sich 
nach  einander  die  Seelen  der  Nestorianer  und  Jakobilcn,  während  DicjcMii^en, 
iwelche  sich  den  kaiserlichen  Hclfhlen  und  den  Bt'M'hliiNsen  der  Concili^'U 
unterwarfen,  Melchilen,  d.  h.  köni/licho  <^'»*nannt  wur»i«'n.  Ihre  Bücher  sind  in 

Fe  •Imann.  Gesrhichto  d.  SchiiU.  ^5 


386  Melchi tisch.  Nestorianiscb. 

einem  besondern  Dialect  geschrieben,  welcher  der  Palästinas  war.  Lenormant 
hält  die  Schrift  für  eine  entartete  Eslrangelo,  welche  dem  Streben,  die 
griechische  Uncial  nachzuahmen,  entsprungen  sei.  « Eigenthömlich  ist  der 
melchitischen  Schrift  das  Vorhandensein  eines  aspirirten  und  eines  nicht 
aspirirten  p ;  da  von  hier  ab  an  Stelle  des  Estrangelo  c\  die  Form  o  auftritt, 
so  dürfte  dieses  p  das  Estrangelo  v  sein.  An  Stelle  dieser  Schrift  wurde  später 
die  Peäito  (siehe  Seite  387)  angewendet. 

4.  Die  Schrift  der  Neslorianer. 

Die  oben  erwähnten  Religionsstreitigkeiten,  die  Vertreibung  der  Nesto- 
rianer  und  deren  Rückzug  in  die  Staaten  des  Königs  von  Persien,  entfremdete 
die  westlichen  und  östlichen  Syrer.  Die  östlichen,  die  Nestorianer,  welche 
noch  gegenwärtig  in  Kurdistan  wohnen,  bewahrten  die  Schrift,  wie  sie  zur 
Zeit  der  Trennung  war,  und  bereicherten  sie  nur  noch  mit  Punkten,  um  die 
arabischen  Laute  auszudrücken,  da  die  Sprache  des  Qoran  nach  der  Eroberung 
Syriens  durch  die  Araber  in  alle  Kreise  des  Volkes  eindrang.  Diese  für  das 
Schreiben  arabischer  Wörter  erweiterte  Schrift  hei$:st  KarSun.  Sie  verwendet 
die  Zeichen  a  und  ^  für  O  w,  J  und  J;  j  für  ^^^  »V  för  Ji,  ^  und  -^  für 
^,  S^  für  ^  und  J^  für  ^,  endlich  ä  für  a. 

Die  rein  syrische  Sprache  der  Kirchenbücher  hat  ein  eigenes,  von  dem 
der  westlichen  Syrer  abweichendes  Vokalsystem,  nämlich  ^  a,     e,      f,      t. 

Wir  geben  hier  als  Probe  den  Anfang  des  Evangeliums  Johannis, 
Capitel  1,  Vers  1  und  2. 


/^^^   9990  «  i4^!i>o  290^  ^c9oiu2  ^^^3tla      i 


Transscription:  brosith  itovhe  heu  meltho,     rhu     tneltho  iiovhe  heu  loth 
Übersetzung:  Im  Anfang  war  das  Wort.  Und  das  Wort  war  bei 

aloho,    valolio     itovhe  heu  hu  meWio.       hono      itovhe  heu  brosith  loth  aloho, 
Gott,  Und  Gott  war         das  Wort.  Dasselbe  war    im  Anfang  bei  Gott. 


Jakobilisch.   PeSilo.  387 

5.  Die  Schrift  der  Jakobiten. 
Die  Schrift  der  Jakobiten   ist  der  vorigen   sehr  ähnlich,  andererseits 
entstand  aus  ihr  die  Minuskelform  der  Peäito.  Die  Vokale  sind  Punkte  wie 
die  nestorianischen,  aber  in  anderer  Bedeutung,  nämlich  —  ä,       a  o,  ^ —  /, 

G.   Peäito. 

Q 

Die  Schrift  peäito  ]l-'^^  ist  die  Schrift  der  westlichen  Syrer,  der 
Jakobiten  und  Maroniten ;  ihre  Form  ist  gerundeter,  ausserdem  wurde,  wahr- 
scheinlich im  8.  Jahrhundert  durch  Theophilus  von  Edessa,  die  griechische 
Vokalbezeichnung  in  diese  Schrift  eingeführt;  da  aber  die  syrische  Schrift,  wie 
oben  (Seite  317)  erwähnt,  in  Säulen  von  oben  nach  abwärts,  wie  die  tata- 
rische Schrift  geschrieben  wird,  so  stehen  die  griechischen  Vokalzeichen  quer 
zur  syrischen  Schrift,  demnach  «^  =  ^  a,  c  ^=  '  e,    i  =  *  f^,  «  = '  i,  o  =  *  o. 

Wir  geben  als  Schriftprobe  den  vorigen  Text  (Kvangelium  Job.  I,  1.2.). 

«  B  > 

9  .  C  P  0   0  C 

w  9  m 

Transscription:  brislth  itavhe  heo  mdtho.  vhu  nieltho  itavhe  heo  loth 
€Uohe.  uloho  itavhe  heo  hu  meltho,  hono  itavhe  heo  hrisU  loth  aloho. 

Vm.  DIE  PERSISCHEN  SCHRIFTEN. 

Wir  haben  Seite  344  die  persische  Keilschrift  kennen  gelernt,  welche 
nach  Oppert's  Ansicht  unter  Kyrus  aus  der  assyrisch-babylonischen  Keilschrift 
gebildet  wurde  und  sich  bis  zur  Zerstörung  dos  persischen  Heiches  durch 
Alexander  erhielt.  Wir  finden  diese  Schrift  aber  nur  in  den  Inschriften  der 
persischen  Könige,  und  nach  dem  Sturze  des  Achünienidenhauscs  ist  sir 
spurlos  verschwunden.  Es  ist  daher  sehr  zu  bezweifeln,  dass  die>elbe  Eigcii- 
Uium  des  persischen  Volkes  geworden  ist,  vielmehr  ist  es  wahrscheinlicher, 
dass  die  persischen  Könige  diese  Schrift  theils  wegen  ihrer  genauen  Laut- 
bezeichnung, theils  deshalb  bevorzugter\,  weil  sie  die  Form  der  chaldaischeii 
Schrift  hatte,  den  Babyloniem  schmeichelte  und  den  persischen  Königen  d<'n 
Nimbus  der  legitimen  Nachfolger  der  alten  babylonischen  Herrscher  verlieh. 
Wir  finden  aus  gleichen  politischen  Gründen  in  Ägypten  griechische  Herr-«  her 


38 S  Persische  Schriften. 

die  alte  Hieroglyphenschrift  cultiviren.  und  selbst  die  mächtigen  Cäsaren  der 
Römer  Hessen  ihre  Namen  in  Hieroglyphen  schreiben. 

Aus  der  Annahme  der  Keilschrift  folgt  nicht,  dass  die  Perser  zu  der 
Zeit,  wo  die  persische  Keilschrift  erfunden  wurde,  keine  Schrift  besessen 
hätten;  sie  konnten  eben  so  gut  eine  nationale  Schrift  haben  wie  die  Mon- 
golen, als  deren  Kaiser  die  chinesische  Schrift  auf  die  mongolische  Sprache 
übertragen  Hessen  oder  aus  Tibet  Priester  herbeiriefen,  um  die  mongoHsche 
Schrift  zu  vervoUkommnen;  aber  die  persische  Schrift  war  vielleicht  nicht 
so  ausdrucksvoll  als  das  neue  Keilschrift-Alphabet. 

Auf  diese  Weise  lässt  es  sich  erklären,  dass  als  die  Sasanideu  das 
Parther-Reich  stürzten,  in  ihren  Inschriften  zu  Nakh§i-Rustam  und  KirmanSah 
in  der  Nähe  von  Ekbatana  (der  alten  Hauptstadt  des  Meder-Reiches,  welche 
aber  auch  von  den  Perserkönigen  wegen  ihrer  kühlen  und  gesunden  Lufl  als 
Sommerresidenz  bevorzugt  wurde)  eine  Schrift  auftrat,  welche  keineswegs, 
wie  vielfach  geglaubt  wird,  von  den  Aramäern  entlehnt  wurde,  sondern  einen 
selbständigen  Charakter  zeigt.  Diese  Schrift  hängt  eng  zusammen  mit  der 
persischen  Nationalreligion  der  Mazdao-Verehrung,  welche  von  Zarathuslra 
herrührt,  einem  Manne,  von  dem  man  nicht  weiss,  wann  und  wo  er  gelebt 
hat,  obgleich  viele  Spuren  auf  Balkh  hinweisen,  welches  in  Mittelasien  ein 
ebenso  heiliger  Ort  war  wie  Jerusalem  für  die  Juden.  Thalsache  ist,  dass 
Abarten  der  Sasaniden- Schrift  sich  sowohl  als  Pehlewi  wie  als  Zendschrift 
erhalten  haben,  welche  beide  Schriften  zu  Umschreibungen  des  Avesta,  des 
alten  Religion.sbuches  der  Perser,  verwendet  wurden,  dessen  Ursprung  auf 
Zarathuslra  zurückgeführt  wird.  Es  ist  daher  alle  WahrscheinHchkeit  vor- 
handen, dass  diese  Schrift  mit  der  Lehre  des  Zarathuslra  in  einem  ursprüng- 
Hchen  Zusammenhange  stand  und  die  Nationalschrift  der  Perser  war. 

Auch  die  persische  Tradition  weiss  von  einheimischer  Schrift  zu 
erzählen,  und  zwar  nicht  von  einer  einzigen,  sondern  sogar  von  sieben.  Ibn 
MiKialTa,  ein  gelehrter  mohammedanischer  Perser,  dessen  Angaben  der 
Verfasser  des  Fihrist-ul-Kutub  aufbewahrt  hat,  leitet  die  Schreibkunst  der 
F^erser  auf  die  älteste  Zeit  zurück.  ^^  D2em§id,  ^aevarasp,  Fr^dun  sollen 
die  Ersten  gewesen  sein,  die  geschrieben  haben,  doch  sei  der  Gebrauch  der 
Schrift  nicht  eben  sehr  häufig  gewesen,  bevor  Zarathuslra  unter  Gustasp  (ein 
persischer  König,  von  dem  nicht  genau  bekannt  ist,  wann  er  gelebt  hat,  jedoch 
j«jden falls  in  der  Zeit,  wo  Turanier  und  Perser  sich  in  der  Religion,  che  früher 


Persische  Schrii'tfii.  389 

dieselbe  gewesen  zu  sein  scheint,  unterschieden,  da  in  der  ihn  betrefTenden 
Überlieferung  die  Turanier  Götzendiener  und  ihr  König  ^\jliyui  Pq-u  nesdad 
^aus  Pegu  stammend*,  genannt  werden  und  bemerkt  wird,  er  habe  mit 
P»»gu-Schrifl  geschrieben)  erschienen  sei  und  das  Avesta  verölTentlicht  habe. 

Von  da  an  habe  man  sich  des  Schreibens  befleissigt.  und  zwar 
luitten  die  Perser  eine  siebenfache  Schrift  gehabt,  deren  sie  sich  zu  verschie- 
denen Zwecken  bedienten,  nämlich  1.  a^j  ^j  din  dehire,  sie  diente  zur 
Schreibung  des  Avesta ;  2.  a^j  ^ij^  ris  debire,  die  aus  365  Buchstaben 
(SO  viel  als  das  Jahr  Tage  hat)  bestanden  haben  soll  und  dazu  diente,  die 
Geheimnisse  der  Physiognomie  etc.  aufzuzeichnen;  Ihn  Muqaffa  füjit  noch  bei: 
«Niemand  studirt  heutzutage  diese  Schriftart,  und  keiner  der  Perser  macht 
uiehr  Gebrauch  von  ihr* ;  3.  <^^  kaStd,  besteht  aus  28  Buchstaben  (gleich 
den  Mondstationeii),  man  schrieb  mit  ihr  die  Diplome,  Steuerregister  etc.; 
sie  wurde  auf  Siegeln,  Münzen,  Kleidern  und  Teppichen  angewandt; 
\.  ^^  s^*  nim  koiitdy  gleichfalls  28  Buchstaben,  man  schrieb  damit  philoso- 
phische und  medicinische  Werke;  „diese  Schrift,"  sagt  Ibn  MuqalTa,  ,ist 
iiirht  auf  uns  gekommen*;  G.  Ay^^Jb  raz  debire,  deren  sich  die  Könige 
bedienten,  um  mit  vertrauten  Individuen  verschiedener  Nationen  zu  corre- 
spondiren;  es  waren  4-0  Zeichen,  von  denen  ein  jedes  eine  sehr  beslinunle 
Gestalt  hatte;  nabathäische  Wörter  wurden  nicht  eingemengt;  Ibn  MuqafTa 
fügt  noch  bei:  .die  raz  debire,  die  zum  Schreiben  logischer  und  philosophi- 
scher Werke  gebraucht  wurde,  bestand  aus  25  Zeichen  und  liess  Punctation 
zu;  diese  Schrift  ist  niemals  unter  meine  Augen  gekommen*:  7.  von  einer 
weitem  Schriftart  sagt  er:  ,einijje  Perser  gebrauchen  die  alte  syrische 
Sprache,  die  man  in  Babylon  sprach,  und  lesen  sie  auf  persisch:  das  Alphabet 
besteht  aus  33  Zeirhen:  man  nennt  sie  a^^J  A-«U  name  dtlnre  oder  a^aj^  .\ä 
harn  dtbin;  sie  wird  von  Leuten  aller  Stände  gebraucht,  die  Köni^'e  aus- 
genonmien*.  Ausserdem  erwähnt  Ibn  MutjalTa  noch  andere  Schritten,  welche 
er  mit  dem  Aramäischen  in  Verbindung:  bringt,  wie  ^j^^j  zaruns  oder 
lluzrunsy  und  die  Schrift  des  Reli^ionsstillers  Man!,  welcher  aus  s^risrlnMi 
und  persischen  Zeichen  ein  Alphabet  biltlete. 

Spiegel  bemerkt  hierzu:  ,Man  sieht  aus  diesen  An-pTaheii  wohl  deutlith 
genug,  dass  Ibn  Muqafla  hier  nicht  von  ver>cliiedenenSrlirift»;ysteincn  hantlilt. 
sondern  von  Variationen  einer  und  derselhen  .'Schrift,  die  etwa  «len  neueren 
Taaüq,  Sikasta  etc.  entsj»rochen  haben  nin^cn*'.  Küizcr  und  etwii>»  abwei<lnnd 


3^0  Persische  Sprachen. 

von  Ihn  Muqaffa  sind  die  Angaben  Masudi's,  der  von  zwei  Schriftarten  spricht: 
A;Aj3  ;^^  din  debire,  womit  das  Avesta  geschrieben  werde,  es  seien  60  Schrift- 
zeichen  (die  Zendschrift  hat  51  Zeichen,  mit  den  Zahlzeichen  60);  daneben 
erwähnt  er  noch  d^J  S^  kaät  debire  .die  allgemeine  Schrift*,  deren  Buch- 
stabenzahl er  auf  160  angiebt  (die  Pehlewi  hat  mit  InbegrifT  der  Ligaturen 
168  Zeichen). 

Bei  dieser  Gelegenheit  dürfte  es  zweckmässig  sein,  auch  auf  die 
Sprachverhältnisse  einen  Blick  zu  werfen.  Nach  der  eranischen  Tradition 
scheint  zwischen  der  persischen  und  turanischen  Sprache  kein  Unterschied 
gewesen  zu  sein;  die  eranischen  Helden  verkehren  mit  den  turanischen  so 
frei,  als  ob  es  für  sie  nur  Eine  Sprache  gebe;  erst  in  den  letzten  Einzeln- 
kämpfen  werden  hie  und  da  Dolmetsche  erwähnt,  welche  zur  Verständigung 
jrebraucht  wurden.  So  wird  auch  vorausgesetzt,  dass  die  Turanier  dieselbe 
Religion  hallen  wie  die  Eranier,  die  Briefe  des  Afräsiäb  werden  in  derselben 
Weise  abgefasst  wie  die  der  eranischen  Könige  und  in  ihrem  Eingange  eben- 
falls der  Schöpfer  Himmels  und  Erde,  Sonne,  Mond  und  Sterne  als  Gott- 
heilen angerufen;  unter  Lohrasp  verändern  sich  diese  Verhältnisse,  von  nun 
an  sind  die  Turanier  Götzendiener,^**  und  diess  Tällt  in  die  Zeit,  wo  Zara- 
Ihi^islra's  Lehre  aufkam. 

In  der  neuern  Zeit  halten  die  Perser  nach  Ibn  MuqafTa  fünf  Sprachen : 
Pehlevi,  Deri,  Farsi,  Khuzi  und  Syrisch.  Von  diesen  Sprachen  hatte  das 
Pehlevi  seinen  Namen  von  Fehleh,  ein  Ausdruck,  mit  dem  man  die  Gegend 
bezeichnet,  welche  die  fünf  Städte  Ispähän,  Rei,  Hamadan,  Mähr  Nehävend 
und  Aderbcidjän  umfassen.  Das  Deri  war  der  Name  der  Städte,  die  unter 
den  Namen  ^^l-X-  madein  zusammengefasst  werden;  es  wurde  von  den 
Personen  des  königlichen  Hofes  gesprochen,  daher  bekam  es  den  Namen 
^j->  deri.  Unter  den  Idiomen  von  Khoräsän  und  überhaupt  des  Ostens  näherte 
sich  die  Sprache  von  Balkh  am  meisten  dem  Deri.  Das  Färsi  w^ar  die 
Sprache  von  Fars  und  wurde  von  den  Mobeds,  den  Gelehrten  und  anderen 
Personen  von  ähnlichem  Range  gesprochen.  Das  Khuzische  wurde  von  den 
Königen  und  Adeligen  im  Innern  der  Häuser  bei  ihren  Gesellschaften,  ihren 
Vergnügungen  und  mit  ihren  Dienern  gesprochen.  Das  Syrische  war  die 
Sprache  der -Bewohner  von  Seväd;  die  Correspondenz  aber  wurde  in  einer 
eigenthümlichen  Art  von  Sprache  auf  syro-persisch  geführt.  Ibn  Hauqal  sagt 
in  Bezug  hierauf:    ,In  Fars  sind  drei  Sprachen  im  Gebrauche:  das  Farsi,  in 


Die  sasanidische  Schrift.  391 

welchem  die  Einwohner  unter  sich  sprechen,  das  Pehlevi,  welches  die 
Sprache  der  alten  Perser  war,  in  welcher  die  Mager  ihre  Geschichtsbücher 
schrieben,  das  aber  in  unseren  Zeiten  ohne  Übersetzung  von  den  Einwohnern 
von  Fars  nicht  mehr  verstanden  wird,  und  das  Arabische " .  ^*® 

Die  zu  uns  gekommenen  Schriften  der  alten  Perser  sind  (ausser  der 
Keilschrift)  die  Inschriften  der  Sasanidenfürsten,  das  Huzvareä  oder  Pehlevi 
und  das  Zend  in  den  Religionsbüchern  der  Perser.  Alle  drei  Schriften  haben 
denselben  Grundtypus,  nur  sind  im  Zend  die  Vokale  klarer  ausgedrückt  als 
in  den  beiden  anderen  Schriften ;  wir  glauben  daher  diese  Schriften  in  zwei 
Classen  theilen  zu  müssen,  nämlich  in  die  westpersischen,  deren  Sprache 
eine  rauhere  war,  welche  unter  aramäischem  Einflüsse  die  Vokale  weniger 
hervortreten  lässt,  und  in  die  ostpersische,  oder  altbaktrische,  welche  unter 
indischem  Einflüsse  eine  schärfere  Unterscheidung  der  Laute,  und  zwar 
sowohl  der  Vokale  wie  der  Consonanlen  zeigt. 

1.  Die  Sasaniden-Schrift. 

Durch  die  Münzen  der  Susanidenherrscher  sind  wir  in  der  Lage,  diese 
Schrift  durch  fast  sechs  Jaiirhunderle  zu  verfolgen,  nämlich  vom  Jahre  226 
unserer  Zeitrechnung,  wo  ein  Enkel  Sasans  als  ArdeSir  L  den  Thron 
bestieg,  bis  zum  8.  Jahrhundert,  wo  die  Araber  die  einheimische  Dynastie 
stürzten.  Die  ältesten  dieser  Münzen  haben  dieselbe  Schrift  wie  die  Inschriften, 
die  jüngsten  stimmen  mehr  mit  der  Bücherschrilt  der  HuzvareS-Sprache  und 
mit  der  Zend-Schrifl  Überein.  ^*^  Die  Mazdao- Verehrung  der  Sasanidenfürsten 
lässt  nicht  annehmeUf  dass  sie  sich  einer  andern  Schrift  bedient  hätten  als 
jener»  welche  die  Priester  schrieben,  denn  die  Behauptung  Ibn  MuqafTa^s,  dass 
die  Schrift  der  Zend-Avesta  ags  60  Zeichen  bestanden  habe,  dürfte  sich  wohl 
nur  auf  seine  Zeit  beziehen;  die  Zend-Srhrift  ist  olTcnbar  jünger  als  die  Sasa- 
niden-Schrifl,  und  es  ist  daher  wahrscheinlich,  dass  die  allen  Heli;j:ionsbücher 
erst  in  den  späteren  Abschriften  die  jetzigen  Schriflzeichcn  erhielten,  welche 
sich  als  eine  cursive  Form  der  alten  Schrift  darstellen,  und  wobei  die 
ursprüngUchen  Zeichen  durch  Beifügung?  von  Strichen  ebeu'^o  verändert 
wurden,  wie  in  unserer  Zeit  das  lateinische  Alphabet  Erweiterungen  erfahren 
hat.  Wir  haben  schon  oben  darauf  aufmerksam  gemacht,  dass  die  Einführung 
der  Keilschrift  wohl  besonders  der  genaueren  Lautbozeichnung  gc^'enüber  der 
heimischen  Schrift  zuzuschreiben  ist. 


392 


Inschrift  am  Grabe  Sapor's  111. 


Wir  geben  hier  als  Probe  eine  Inschrift  des  zu  Taki-Bostan  befind- 
lichen Grabes  Sapors  III.  (384  —  386),  der  der  Sohn  Sapor's  IL,  der  Enkel 
Ormizd  II.  war  und  in  einer  Meuterei  der  Soldaten  sein  Leben  verlor.  Die 
Inschrift  ist  von  M.  Cosle,  Architekten  der  schönen  Künste,  am  1.  Juli 
1840^^®  abgezeichnet  worden  und  die  Abbildung  übertrifft  die  früheren  an 
Genauigkeit. 


2Sl«CG 
JJ0A21 

irfi)Dg2g!yoMßl!)^ 
o2{^in2irj/bA22 


patkah' 

das  Bild 

zatwian  mazdaya^n 

diese ^5  der  Mazda-Verehrung 

rra;jfm 

des  pöttlichen 

Sahpuhri 

initlkan  malka 

des  Königs  der  Könige 

ailan  r  amtilati 

von  Eran  und  Aneran 

ntanutkttali  man  yazdan 

von  jreistiger  Ahknnfl  von  Gott 

Jntnuan  nwzdnyasn  rr«// 

des  SohiH's  des  Mazda-Yerehrenden  guttL 

•^<*XpuXf'*  tmdkan 

Salipuhri  des  Königs 

w<dka  ailan  v  anailan 

der  Könige  von  Eran  und  Aneran 

tnanutäatali  man  yazdan  uapi 

von  geistiger  Ahkunlt  von  Gott,  Enkel 

vva/ia  ai4/nnazdi 
des  göttlichen  Ormizd 

malka n  malka, 

des  Könii^s  der  Könige. 


Andere  Inschriften  bieten  einige  Abweichungen  in  Schrift  und  Sprache^ 
sie  haben  z.  B.  ^  f^ir  /»  "^  ^^r  a,  statt  rva/i  oder  ha4ji  steht  das  aramäische 
alha,  statt  haiman  steht  hari  u.  s.  w.;  sie  dürften  also  in  syrischer  Sprache 
geschrieben  sein. 

Betrachten  wir  nun  die  Zeichen,  so  finden  w*ir  nicht  wie  bei  den  Syrern 
ein  Alphabet  von  22,  sondern  nur  von  16  Zeichen  wie  bei  den  Uiguren. 
Bei  den  Vokalen  finden  wir  abermals  eine  Verschiebung,  nämlich: 

persisch  jj  a  syrisch   -    )r 

wobei  jedoch  zu  bemerken  ist,  dass  a  auch  für  h  dient,  und  dass  das  syrische 
••  /  nicht  phönikischen  oder  aramäischen,    sondern  tatarischen  Ursprungs 


Entstehung  der  persischei\  Zeichen.  393 

isl,  somit  die  Perser  nicht  Entlehner,  sondern  Überlieferer  der  Zeichen  sind. 
Auflallend  ist  ferner  die  Gleichheit  Ton  u  und  r,  während  /  auch  für  r  steht; 
die  Phuniiuer  haben  /  und  r  streng  unterschieden,  nicht  so  die  Ägypter,  die 
Chinesen  und  manche  Inder;  die  persische  Keilschrift  hat  nur  r,  kein  l,  das 
HuzvareS  sehr  ähnliche  Formen  für  l  und  r;  in  der  Zend-Schrift  ist  das 
sasanidische  /  gar  zu  o  geworden.  Auffallend  ist  weiter  die  Bildung  neuer 
Zeichen  durch  Verdopplung;  zwei  /  sind  8,  zwei  u  sind  ä,  und  a  lässt- ungewiss, 
ob  es  Verdopplung  von  b  oder  von  z  ist;  doch  ist  zu  bemerken,  dass  in  der 
Bü<hrr5?chrifl  ein  dem^  b  sehr  ähnliches  Zeichen  \,  für  e  auftritt.  In  der 
Münzschrift  hat  a  manchmal  die  Form  U  wie  das  äthiopische  h  und  das 
tatarische  y,  /,  k\  Da  man  vergeblich  ein  Alphabet  suchen  wird,  von  dem 
di^'se  Schrift  entnommen  wäre ,  so  werden  wir  es  vorziehen,  bei  der  Unter- 
suchung der  Zeichen  wieder  zu  der  Urquelle,  der  Bilderschrift,  zurückkehren, 
der  ja  alle  Alphabete  entsprossen  sind.  In  dieser  Beziehung  erinnert  -5  r  an 
das  hieratische  $  u  der  Vogel  und  erklärt  die  dem  halben  a  ähnliche  Form, 
wie  -5  auch  im  Griechischen  theils  i,  theils  $  ist;  das  Zeichen  für  b  ist  ähn- 
lich der  hieratischen  Form  — -'  hh  ,die  Zunge"  eijcentlich  etwas  Vorgestrecktes 
undGebogenos,  derEllenbogen.  DasZeichon  für  «ist  wohl  dasselbe,  als  welches 
wir  das  syrische  a  betrachtet  haben,  der  Schweif  (des  Löwen),  hieratisch  / 
r,  /.  was  den  Wechsel  zwischen«  und  r  im  Persischen  erklärt.  Hiermit  verwandt 
isl  ])  als  hieratisches  t^  /a  ,die  Lotosblume",  welche  sich  aus  dem  Wasser 
erhebt,  auch  das  gesegnete  Weib,  also  eine  weibliche  Form  zum  männlichen 
r:  wohl  auch  als  Wasser  die  Schlange,  hieratisch  ^  r,  k,  üb;  ein  ähnliches 
Zei<hen  ist  das  hebräische  {»,  welches  die  Juden  mit  aus  Assyrien  gebracht 
haben  und  welcl  es  in  der  arabischen  Schrift  als  2/  k  vorkommt;  alle  ditse 
Figuren  stammen  nicht  von  der  phöiiikischen  Schrift.  An  die  Sc  lihiiij:e  lehnt 
sich  J\^  h.  /  an,  vielleicht  der  Hegeiiwurm,  sein  Zeichen  ist  in  der  Bücher- 
schrifl  verloren  geganjien,  wenn  es  nicht  in  umgekehrter  Form  sich  in  «v 
erhalten  hat,  möglicherweise  liegt  diesem  die  hieratische  Form  Ä/tf  zuCJnmde. 
i,  welches  ebenfalls  autVegeben  wurde  und  für  welches  j  eintrat,  scheint 
die  hieratische  Form  der  Eule  ^  ain,  hebräisch  r*r  kits,  iniser  Käuzchen  zu 
sein,  eine  jüngere  Münzfonn  ^  sclilicsst  sich,  sowie  das  als  y  angenommene 
Zeichen  2-j  an  das  hieratische  Zeichen  gL,  *1*'^  Adlers  (Uf  Itr/  an  und  merk- 
würdijrenaeise  finden  wir  diesem  entsprechend  die  Ligatur  /r  in  au/aniniztli 
f^Jrtnizih;  es  fra;:t  sich  denuiach,  ob  ilie>e  Ligaturen,  wie  auch  ^J  tm  und 


394  Entstehung  der  persischen  Zeichen. 

^  man,  welche  letztere  unzerlegbar  ist,  nicht  auf  eine  Silben-  oder  Wort- 
schrifl  hinweisen,  die  den  Persern  bekannt  war  und  deren  Vorhandensein 
das  Dunkel  der  vieldeutigen  HuzvareS -  Ligaturen  aufklären  wurde;  das 
jüngere  5  scheint  mir  die  Welle  oder  Wolke,  hieratisch  _^  u,  st,  zu  sein, 
welches  sich  als  Knoten  an  Jf  k,  s,  /s  u,  hieratisch  ^,  und  dadurch  an  das  per- 
sische h  und  z  anlehnt;  die  Eule,  welche  im  Ägyptischen  nur  »sterben*  heisst 
und  deren  einfaches  Bild  ^,  demotisch  o,  ist,  führt  auf  die  Form  3  d  und 
)  i,  welche  letztere  in  Münzen  auch  d  ist;  sterben  heisst  im  Ägyptischen 
tut,  hieratisch  ^,  verwandt  mit  dem  persischen  Münzcharakter  C ,  der  als 
U  und  t  vorkommt,  in  der  Form  ^  sich  an  das  hieratische  01  cmu  ,  Alter • 
anlehnt  und  in  dem  Inschriflenzeichen  9  d*s  hieratische  ^  hk  (Hirten zepter) 
ist,  dem  dann  ^  als  hieratisch  J*»  u,s  (Zepter  mit  dem  Kopfe  des  Windhundes) 
oderp  US  (Zepter  mit  dem  Vogelkopfe)  entsprechen.  <L  p  scheint  mir  das 
hieratische  ^  ph  „Hintcrtheil"  zu  sein,  verwandt  mit  J  m  dem  Monde, 
der  in  der  Münzschrift  zu  ;q,  hieratisch  /o  mh,  und  zu  -{5  ähnlich  der 
Hieroglyphe  W  hm  (Weib)  wurde,  die  Bücherform  ^  m  scheint  sogar  dasselbe 
Zeichen  wie  das  hieratische  Q2t^  zu  sein.  ^  «,  ist  dem  u  und  r  ähnlich, 
welche  wir  oben  mit  /  r  l  verglichen  haben. 

Wir  sind  hierbei  weit  entfernt  anzunehmen,  die  Perser  hätten  sich 
während  der  Zeit  ihrer  Herrschaft  in  Ägypten  unter  Kambyses  und  Darios 
Zeichen  entlehnt;  wir  glauben  vielmehr,  dass  die  Verwandtschaft  der  Zeichen 
aus  einer  viel  altern  Zeit  datirt,  denn  auf  demselben  Wege,  wie  die  Perser 
unter  Kambyses,  waren  schon  früher  die  Hyksos  in  Ägypten  eingedrungen, 
und  es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die  nü^o  pehset  (Umherschweifende, 
Fremde)  oder  Philister,  mit  welchen  die  Juden  viel  kämpften,  ein  Zweig  jenes 
Volkes  waren ,  welches  sich  mehrmals  schnell  zu  politischer  Grösse  empor- 
hob, um  ebenso  schnell  wieder  zu  sinken. 

2.  Die  Pehlevi  oder  Huzvareä-Schrift. 

Um  die  Umgestaltung  zur  Cursiv  der  Bücher  zu  zeigen,  lassen  wir  hier 
eine  Zusammenstellung  der  Schriflzeichen  der  Münzen  folgen.  Wir  nehmen 
dabei  die  Münzschrifl  wegen  ihrer  scharfen  Formen  zum  Ausgangspunkte, 
aus  welchem  einerseits  die  Schrift  des  westlichen  Persiens,  die  HuzvareS- 
oder  Pehlevi- Schrift  andererseits  die  des  östlichen  Persiens,  die  Schrift  des 
Zend-Avesla  hervorging. 


Huzvare§  und  Zend. 


395 


Hu2vare§ 

Münzschrift 

Zend 

h  •»  a  " 

u  JLla  A 

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1 

DtT  Übergang  in  die  Cursiv  hatte  in  der  HuzväreS-Schrifl  eine  grosse 
Undeutlichkeit  zur  Folge:  Der  Unterschied  zwischen  u  und  n,  zwischen  / 
und  jf  ging  fast  ganz  verloren,  letzteres  mag  wohl  auch  zu  einer  Lautver- 
sc'hiebung  in  der  Sprache  wesentlich  beigetragen  haben;  aber  auch  die 
Zeichen  für  t,  d  und  g  wurden  ganz  gleich  und  durch  die  Verbindung  wurde 
vollends  jeder  Unterschied,  der  bei  den  einzelnen  Zeichen  hervortreten 
mochte,  verwischt,  zumal  die  Funktationen  selten  geschrieben  wurden. 

So  ist  r  aw  und  an,  z.  B.  »^^r  anMUa  »Mensch*,  ^^r  uvartsm;  xy 
ai  und  <M  z.  B.  ♦tyvio'  apnniaiq  »Jüngling*,  t/^  d'^^^i  <©•  at  und  dit  z.  U. 
«r"«f*  miuntuh  »gehen*,  ^o*"  undit  »er  empfing*,  ^  aa  (a/),  ai,  i^  i.  B. 
*ij  a/  »Bruder*,  ^hK  mc/iVy,  ^^  raesa  »Wunde*,  jf  dem,  dm,  im  z.  B.  tO\jf 
diffdfit,  y^  dtniq  »Erde*,  ^\  bim;  -u  ga,  im,  da,  ^,  ia  z,  B.  ir-'-'-l)  gasamtn, 
-ny^iT'^  tsatuqsy  J-V^  da^l,  -u^r  Ha;  y  ae,  db,  ib  z.  B.  j^o  pae  »Fuss*.  »ys  hiha 
»Löge*,  Mjinpio  itibunUm  «sitzen*  ;  *  di,  gi,  ii  z.  B.  «r»t5r**  adituntun  ,seh«n*, 
fT*  git€u,  ^  wir;  ^  tss,  ds,  iit,  si  z.  B.  r-^  t^ai  ,er  sprang*,  ^^  dst,  r***^ 
matjft,  r^  husU. 


396  Huzvares. 

Dass  dadurch  leicht  Miss  Verständnisse  entstehen,  ist  klar;  so  bedeutet 
^AM  sowohl  a  die  Hand*  als  »er  sprang*,  ipiy  sowohl  da^i  oder  daMna  .rechts*, 
als  ahu  »Ort*,  ^^  sowohl  mizd  »Lohn*,  als  mazg  »Gehirn*,  o*  sowohl  äjj 
»Wasser*,  als  äz  »Begierde*,  jjo  kann  bedeuten  1.  stm  »Name*,  2.  gam 
»Schritt*,  3.  däm  »Geschöpf*,  4.  dzan  »Becher*. 

Auch  die  einzelnen  Ligaturen  können  bisweilen  unter  sich  verlauscht 
werden  und  dadurch  ein  und  dasselbe  Wort  eine  ganz  verschiedene  Gestalt 
erhalten.  So  schreibt  man  das  Wort  uzdaeza  t^Är  oder  -o-OÄ^r  oder  ^9T  oder 
*-»ayr;  fm pae  „F'uss*  sowohl  vö  alsj^ci  und  -«»ci,  für  e  »dieser*  sowohl  \, 
^  y  oderf  oder  <-.  In  vielen  Fällen  kann  nur  der  Zusammenhang  entscheiden, 
welches  Wort  zu  lesen  sei. 

Nebenbei  bemerkt,  hat  auch  die  arabische  Neskhi-Schrifl  bei  den  Per- 
sern in  der  Taaliq  eine  so  cursive  Form  erhalten,  dass  das  Buchstabiren  der- 
selben kaum  möglich  ist. 

Die  Zahlzeichen  haben  manche  Eigenlhümlichkeiten:  die  Ziftem  von 
1  bis  9  bestehen  aus  ebensoviel  Strichen,  von  denen  jedoch  drei  oder  vier  zu 
einem  Bündel  vereinigt  werden,  z.  B.  i  1,  v  :2,  y*  oder  «»  3,  jr  oder  -»*  4, 
y  y*  5,  TJ^  oder  »••»•»  8,  j**  J^LT  ^^^^  j»j»»jm  9,  insofern  haben  sie 
Ähnlichkeit  mit  den  demotischen  Tageszahlen,  welche  jedoch  für  9  ein  eigenes 
Zeichen  haben;  für  20  gilt  d^,  für  30  n  ^  oder  v  r«,  für .40  s  -o,  für  50  ^ 
^^•«ü,  für  60  h  -0^  für  70  isk^ü^  oder  xk^*iy,  für  80  äs  -0",  für  90  ssk^^, 
für  100  Y  rz;  die  Hunderte  werden  durch  vorgesetzte  Einheiten  gezählt, 
1000  ist  ii>7;  z.  B.  y  JTJt^T  5"^  ^ii'^rj^j^  -»iflT^f  torj  ty\o^^  ^  -tiü* 
dann  schuf  dieser  mein  Verderber  Ganä-Maingo  \\  Jt  T.^JT'^r^^^^ 
neunundneunzig  Krankheiten,  und  (dazu)  neun  hundert,  neun  tausend  und 
neun  zehntausend  (d.  i.  999,  999).  Der  Ursprung  der  Zehnerzeichen  ist 
dunkel. 


3.   Die  Zend-Avesta-Schrift. 

Über  die  Entstehung  derselben  bemerkt  Spiegel  im  Anschlüsse  an  die 
oben  citirten  orthographischen  Bemerkungen  über  die  HuzväreS- Schrift:  »Es 
liegt  am  Tage,  dass  ein  so  unvollkommenes  Alphabet  selbst  für  den  Geübten 
Schwierigkeiten  hatte,  und  dass  man  bei  Zeiten  darauf  denken  musste, 
schwierige   und  zweideutige  Wörter   deuthcher   zu  bezeichnen.    Namentlich 


Zend.  397 

erforderte  aber  das  Lesen  der  heiligen  Schriften,  die  in  einer  nicht  mehr 
habenden  Sprache  geschrieben  waren,  ein  deutlicheres  Alphabet,  wenn  man 
nicht  jeden  Augenblick  falschen  Lesungen  und  selbst  Missversländnissen  Thür 
und  Thor  offnen  wollte.  Der  Ausweg,  der  Unvollkommenheit  des  ursprüng- 
lichen Alphabets  durch  Funkle  nachzuhelfen,  war  damals  noch  nicht  gefun- 
den; man  nahm  also  seine  Zuflucht  zu  einem  zweiten,  vollständigem  Alphabet, 
das  nur  wenige  und  unverfängliche  Ligaluren  zuliess,  die  Vokale  aber  alle 
bezeichnete.  Es  gründet  sich  dieses  zweite  Buchstabensystem,  obwohl  ein 
Zusammenhang  zwischen  Huzväre§-  und  Avesta-Schrift  unläugbar  ist,  wenn 
man  blos  die  Zeichen  betrachtet,  meiner  Ansicht  nach,  im  Principe  auf  die 
älteren  eranischen  Schriftarten,  welche  gleichfalls  Vokale  bezeichneten,  und 
zwar  entweder  innerhalb  der  Zeile,  wie  die  allpersische  Keilschrift,  oder 
innerhalb  der  Buchslaben,  wie  das  arianisclie  (kabulische)  Alphabet.  Diese 
beiden  Alphabete  unlerscheiden  aber  die  Längen  und  Kürzen  der  Vokale  nur 
selten  oder  gar  nicht,  und  betrachten  den  Vokal  a  als  inhi'u'irend,  was  nun 
wieder  auf  die  Diphthonge  zurückwirkt  Das  zweite  Farsen-Alphabet  ist  neuer 
als  die  beiden  genannten,  und  hat  diesem  Mangel  abgeholfen  durch  genaue 
Bezeichnung  der  Kürzen  und  Längen,  durch  Unterscheidung  der  aspirirten 
lind  nicht  aspirirten  Buchstaben.  Die  Form  der  Buchstaben  ist  den  eigent- 
li<*hen  Huzväre>-Buchstaben  sehr  ähnlich,  in  vielen  Fällen  identisch;  es  wird 
daher,  dem  Alter  nach,  nicht  viel  verschieden  sein**. 

Wir  theilen  die  letztere  Ansicht,  nur  haben  wir  oben  die  Meinung  aus- 
p#"sprochen,  dass  die  alte  persische  Schrift  nicht  vokalisirt  wurde,  denn  sonst 
%*ürde  die  Zend-Schrift  mit  der  Keilschrift  übereinstimmen,  was  gerade  nicht 
d*^  Fall  ist,  denn  den  drei  Vokalen  der  Keilschrift:  a  i  u  stehen  15  Vokale 
der  Zend-Schrifl  oder  zum  mindesten  1  a  i  u  ä  e  o  ä,  d<*n  5  Kehllauten  jener 
zwar  5  der  Zend,  aber  den  3  Palatalen  nur  2,  den  !2  n  der  Keilschrift  4  n  der 
Zt'nd,  dem  1  wi  der  Keilschrift  2  m  Zend,  deii  3  Lauten  >-  .s  z  der  Keilschrift 
tlie  ö  Laut»*  .s  s  i  z  i  z  der  Zend  ge^'<»nüber.  Was  mm  die  Erweiterung  der 
litiehstaben  anbelangt,  so  erfolgte  di»'se,  wie  aus  d«T  obi'^ien  Tabelle  hervor- 
pi'hl,  durch  jene  beiden  Striche,  welche  in  der  tatarischen  Schrift  den  Vokal 
I  das  slavische  Jr;y  am  Ende  bezeichnen,  nämlich  1  und  f",  jenes  bildete  aus  » 
das  o,  dieses  daraus  da^;  p«  ,  auch  vorn  wurde  ang«*selzt  wie  in  *to  hh;  m'MSt 
iiberwi#»gl  der  abwärts  gehende  Strich;  der  alt(Mi  Ligatur  ^W  an  begegnen  wir 
hi«'r  aN  Nasal  i^  und  ^. 


Jftl» 


398  Schrift  und  Sprachprobe  aus  dem  Vendidad. 

Wir  geben  im  Folgenden  als  Schriftprobe  den  Anfang  des  Vendidad: 

Transscription:  PargarS    avtniL  mraoS  ahurö,  mazddt 

Übersetzung:     Umschlag  erster.      Der  Urheber  der  Schöpfung  sprach 

spitamai      zaraihustrai:     azem       dadhäm,  spitama         zarcUhustra 

zum  gelehrten  Zarathustra:  ich  bin  der  Urheber,   du   gelehrter  Zarathustra, 

asö  ratnö  daitim,         noW      kudaS      äaitlm.  zeidhi  zf 

sei  der  Friedensgeber,  es  giebt  keinen  Würdigern.    Bedürfte  ich  zum  Leben 

azem  nöW  daidhydm,  spitama 

der  Nahrung,    so   würde   ich   keinen  Vermittler  nöthig  haben,   du  gelehrter 
zarathustra      asö  rämo  daitim,  näif^       hudaS         äatthn, 

Zarathustra,    sei    also    der   Friedensgeber,     es    giebt   keinen      Würdigem, 

mspö  anhiis  astvd  airyanäm 

Alle  Welt  lebt  jetzt  für  sich  und  regiert  sich   selbst  und  Jedermann  feiert 

tcaedzff  frasntväO.  asd  ramU  daitim  noiti 

und  begrüsst   sich   nur  mit   anderen.    Du  sei  der  Friedensbringer,   es  giebt 

aodzJi    rümistäm,  paairim 

keinen  Würdigem.    Einmal  und  mehrmals  habe  ich  die  menschliche  G^sell- 
bitim,  äaft  ahe  paityärem.  maSimärava 

Schaft  erschaffen.  Aber  es  fand  sich  darin  ein  (böser)  Botschafter.  Ich  bin  wahr 

.sathflm  haiiim. 

und  werde  unsterblichen  Lebens  sein. 

Wir  lassen  hier  die   HuzvareS- Übersetzung    desselben  Textes  nach 
Spiegel's    Ausgabe    des  Vendidad   folgen.    Bei  der  Seite   395   dargelegten 


HuzvareS-Übersetzung  des  Vendidad,  399 

Si-liwierigkeit,  welche  das  Lesen  dieser  Schrift  bietet,  sind  wir  nicht  in  der 
I^ge.  eine  Transscription  zu  geben,  da  eine  solche  auch  in  SpiegeFs  Werke 
nioht  vorhanden  ist. 

^vVö  )r^  Ht)^  ^))^^  ))^  tat  9^rü^-**^>H>>^  tat  ^y  Ht)>^^^ 
tsi  -^  -v»>«b'ü  w>^  9^rü  ^-ojt*^  >^^we>^  ^i^>^  ^!«)*o 

4.  Die  kabulische  Schriit. 

Im  östlichsten  Theile  des  persischen  Reiches,  in  Ariana  und  Kabul, 
wurde  eine  von  der  westpersischen  ganz  verschiedene  Schrift  angewendet; 
man  findet  sie  auf  MQnzen  und  in  hischriflen;  im  ersteren  Falle  neben  der 
griechischen,  z.  B. 

T^^>i*lVTanna*lT5<nlu     BA2IAES>2  MKI'AAOr  KlKPATlAOr. 

Diese  Schrift  wird  von  rechts  nach  links  gelesen  wie  die  Zend -Schrift 
und  unterscheidet  sich  dadurch  wesentlich  von  den  indischen  Schriften, 
wohhe  von  hnks  nach  rechts  laufen.  Die  vorstehende  Münzle^onde  heisst  auf 
priechisch  basiirwi  nmjalü  ettkratidü,  d.  h.  »des  grossen  Köni^'s  Kukralides*, 
auf  kabulisch  tuaharadzasa  rat<haha  rat^shatid  eukrafidasa.^^'* 

l'rsprünglich  dürfte  die  Srhrifl  ärmer  an  Z<*i('hen  gewosrn  si'in  als 
gegenwärtig,  wo  sie  alle  Sanskritlaute  umfasst,  wahrscheinlich  erfuhr  sie  eine 
Krwciterung  durch  die  Buddhisten,  welche  unjrcfähr  zur  Zeit  Christi  od«'r 
noch  früher  diese  ganze  Gegend  ihrem  Glauben  gewonnen  liatl«*n.  Au^^rj-n- 
srhoinlich  existirte  anfangs  nur  Ein  Yokalzeichen,    nämlich  9.    welches  als 


400  Kabuliscli. 

syrisches  \  und  tatarisches  -  uns  schon  oft  entgegengetreten  ist,  aus  diesem 
wurde  -^  i  ^  u  ^  e  ^  o  ^  ä,  aber  zugleich  auf  eine  Art  gebildet,  wie  sie  nur 
in  Siam  vorkommt,  wo  9  a  zu  07  ä  9   i  d    u  iO  ehe)  o  07«  wurde,  während 
sonst  die  meisten  indischen  Schriften  eigene  Vokal-kiitiale  haben,  obgleich 
die  Vokale  nach  den  Gonsonanteu  in  ähnlicher  Weise  bei  den  übrigen  indischen 
Schriften,  namentlich  in  den   buddhistischen   Inschriften   der  magadhischen 
Fürsten  aus  dem  3.  Jahrhundert  vor  Christo  vorkoiumen.  Was  nun  die  Con- 
sonanten  betrifft,  so  entsprechen  >i  k  und  ^  kh  dem  nabathäischen  ^  ka, 
^  (ja  dem  moabitischen  ^  q,  '^  [jha  ist  jedenfalls  aus  dem  vorigen  durch  An- 
setzen des  Häkchens  gebildet,  wonach  zu  vermuthen  wäre,  dass  auch  kha 
eine  ursprüngliche  Form  und  ka  die  abgeleitete  sei.    Die  Zeichen  ^   ^  ikt 
und  V  Y  tsha  sind  identisch  mit  den  hi rayarischen  Zeichen  V  h  und  ^  /; 
y  T   H  (Ua  sind    nabathäische  rj-Formen,    während  BL,    welches  auch  dza 
bedeutet,   dem  nabathäischen  h  entspricht;    ^  dzha  scheint  aus  dza  gebildet 
zu  sein.  Die  Formen  i^  na  "i  na  und  >  na  entsprechen  dem  phönikischen  y  w; 
+  ta  ist  das  himyarische  X  ^  ^^'^^  "*"  V^^  dessen  äquivalente  FormX-     '^  4^* 
T   nhüy  *1  ta,  ^  ra,    ")  va  haben  dieselbe  Ähnlichkeit  untereinander,  wie  im 
Nabathäischen  und  Hebräischen  t  d,  -y  r,  ^  r,    ^   tha  scheint  ein  modificirtes 
t  zu  sein,   wie  ^  tta  ein  doppeltes  t,  dagegen  scheint  ^  das  äquivalente  iha 
analog  ijha  gebildet  zu  sein,  obgleich  es  dieselbe  Form  hat  wie  Multan  «.  ka. 
>   da  und  J  dha  entsprechen  dem  sasanidischcn  d;  h  pa  und  Ti  hha  scheinen 
ursprünglich  identisch  gewesen  zu  sein;   +  und  V.  pha  müssen  modificirle 
pa   sein,    sonst  erscheinen   sie  unerklärlich;   t)    ba  ist  das  nabathäische  b: 
u  nia  ist  die  Hälfte,  der  Halbmond  und  dadurch  mit  dem  hauranitischen  m  ver- 
wandt; von  A    n  ija  ist  das  letztere  dem  Fl  sa  ähnlich,  beide  dem  haurani- 
tischen Sy  wie  auch  "P  T  dem  nabathäischen  i?  entsprechen  und  eine  Mondform 
oder  das   hebräische   p  koph   ,der  Hinterkopf   (das   letzte  Mondviertel)  zu 
sein  scheinen;  H^  sa  ist  ähnlich  der  ägyptischen  Hieroglyphe  für  Nacht:    2  ha 
ist  das  sasanidisclie  u.    Unter  den  Ligaturen   sind  die  für   ^  sta  und  7»  spa 
bemerkenswerlh.  Von  den  Ziffern  sind  bekannt  X  -^^   D   10,  3  20,  welche  in 
der  folgenden  Schriftprobe  vorkommen. 

Über  die  Entstehung  dieser  Schrift  lässt  sich  nach  dem  Bemerkten  nur 
wenig  sagen;  auffallend  ist  jedoch  ihre  Verwandtschaft  mit  den  Schriften  der 
arabischen  WMstensöhne. 

Die  bereits  auf  unserem  Titelblatte  gegebene  Inschrift  lautet  vollständig: 


Kabulische  Inschrift.  4-01 

Transscription:  Sdtatsaraye  atia-satatimae  78  Maharayasa  mahatasa 
fftogasa  pasenuisa  tnasasa  divase  (2)  päUame  5  Etaye  purvaye  Uhdharasa  i^ip- 
khasa  t^a  Uhatrap<isi  Liako  Kusuluko  nama  tisa  pairopati ....  (3)  Takhasilaye 
nayare  utarma  prcUSu  deso  TShetna  nama  atri  ikpatiko  apratittavita  Bhagavat 
(i)  Sakamunisa  sarirä  patithavati  sagharamä  t^a  sarrabuddhana  puyae  tnafa 
pitarä puyayätu  Wiatrapasisa  {h)  pidra  darasa  ayu  bala  vardhya  hhratara  sarca 
tsa  saiiga  .  .  .  a  .  .  .  dharasa  tia  pnyayäto  mahadana  j)afipati  ka  sidea  ucaye  (G) 
Jiohini  mitrenaya  imahi  sägharame  nava  kamika.    *o^yj  vdoufoif^  nsvdifv^  *) 

Übersetzung:  Im  Jahre  78  des  grossen  Königs,  des  grossen  Moga,  am 
5.  Tage  des  Monats  Panaeinus.  In  Gegenwart  des  TShahara  und  TSukhsa, 
der  Satrap,  Namens  Liako  Kusuluko  hinterlegt  eine  Reliquie  des  heiligen 
Sakyamuni  in  das  Sepatiko,  errichtet  in  dem  Lande  Tähenia,  nordöstlich  der 
Stadt  Taxila,  zu  Ehren  der  grossen  Arbeiter-Gesellschaft  und  aller  Buddhas, 
zu  Ehren  seines  Vaters  und  seiner  Muller,  für  langes  Leben,  Kraft  und 
Gedeihen  seines  Sohnes  und  Weibes,  zu  Ehren  all  seiner  Brüder  und  Ver- 
wandten  und  bekannt  zu  machen  seine  grosse  Freigebigkeit,  seinen  Ruhm 
und  sein  Glück. 

Liako,  Satrap  des  Fürsten  der  Fürsten. 

Rohini  Mitrenaya,  der  Erbauer  dieses  Tempels. 


IX.  DIE  ARABISCHEN  SCHRIFTEN. 

Die  Halbinsel  Arabien  ist  von  Völkerslämmen  bewohnt,  welche  sich  in 

zwei  Hauptgrupprn  leicht  unterscheiden  lassen;  den  südlichen  Theil  bewohnt 

ein  dunkles,   den  Abessiniern  ähnliches  Volk ,    welches  nach  der  biblischen 

Tradition   die  Joktaniden  oder  Kochtaniden  j^cnannt  wird,  den  Norden   ein 

•)  Diese  Unterschrifl  ist  aucli  oben  im  Text  verkelirt  g«*schrieben. 

Faolnuuui.  Geschichte  d.  Schrifl.  2G 


4-02  Arabische  Schriflen. 

schöner  Menschenschlag  von  jüdischem  Typus,  welcher  nach  derselben  Tra- 
dition die  Ismaeliten  genannt  wird.  Dem  entsprechend  zerlallt  auch  die  ara- 
bische Sprache  in  zwei  Dialecte:  in  den  himyarischen  und  den  koreischiti- 
sehen,  welcher  letztere  durch  den  Qoran,  der  in  diesem  Dialect  abgefasst 
wurde,  die  Schriftsprache  des  Islam  geworden  ist. 

So  finden  wir  auch  in  Arabien  zwei  Schriftarten:  die  himyarische, 
welche  die  Schrift  der  alten  Sabäer  und  ihres  Stemcultus  war  und  mit  die- 
sem durch  den  Islam  verdrängt  wurde,  und  die  Schrift  des  Islam,  welche  jetzt 
ausschliesslich  den  Namen  der  arabischen  Schrift  erhalten  hat.  Von  der 
letztem  sind  uns  Proben  aus  der  vorislamitischen  Zeit  nicht  erhalten,  und 
doch  müssen  die  Ismaeliten  schon  in  uralter  Zeit  den  Norden  Arabiens 
besessen  haben,  da  wir  auf  den  Bildern  des  ägyptischen  Königs  Ehufu  Ismae- 
liten mit  ihren  charakteristischen  Habichtnasen  und  Spitzbärten  als  besiegte 
Könige  finden.  Die  Ismaeliten  wohnten  übrigens  nicht  nur  im  Norden  Arabiens, 
sie  dehnten  sich  auch  über  den  ganzen  Osten  Palästinas  und  den  südUcfaen 
Theil  von  Mesopotamien  (das  heutige  Irak)  aus,  und  hier  haben  sie  auch  die 
meisten  Spuren  ihres  Daseins  in  Inschriften  hinterlassen.  Nachdem  durch 
Levy  die  Inschriften  am  Berge  Sinai  entziffert  und  durch  die  Reisen  Vogu^'s 
und  Waddington's  in  der  Wüste  Hauran  die  dortigen  Inschriften  bekannt 
geworden  sind,  haben  wir  einen  interessanten  Eliublick  in  die  Entwicklung 
der  arabischen  Schrift  erhalten,  welche  wir  hier  unseren  Lesern  vorlegen. 

1.  Die  hauranitischen  Inschriften. 

In  den  Ruinen  verfallener  Städte  der  Wüste  Hauran  im  Osten  des  Jor- 
dan zwischen  Syrien  und  dem  Lande  der  ehemaligen  Nabathäer  wurden 
neben  rohen  Bildern  von  Kameelen  und  Reitern  Schriftzüge  gefunden,  welche 
auf  den  ersten  Anblick  ein  ganz  fremdartiges  Gepräge  trugen.  Diese  Inschriften 
sind  von  Hal6vy^*®  und  David  Heinrich  Müller  ^^^  zu  entziffern  versucht  wor- 
den, und  wenn  auch  die  Natur  dieser  Inschriften,  da  sie  grösstentheils  nur 
Namen  enthalten,  eine  durch  die  Sprache  zu  controlirende  Lesimg  sehr 
erschweren,  wenn  demzufolge  die  beiden  genannten  Forscher  in  der  Lesung 
der  Zeichen  nicht  immer  übereinstimmen,  so  weist  die  Yergleichung  mit 
benachbarten  Schriflen  doch  darauf  hin,  dass  im  Grossen  und  Ganzen  die 
Erklärungsversuche  nicht  ohne  Erfolg  waren.  Wir  geben  auf  der  folgenden  Tafel 
eine   Zusanmienstellung  dieser  Zeichen  nebst  den  nabathäischen  Schrift- 


Hauranitisch  und  Nabathäisch. 


403 


xeicheD,^''  welche  von  Münzen  und  von  Inschriften  am  Berge  Sinai  bekannt 
sind.  Die  Inschriften  rühren  von  Wallfahrem  her,  die  zu  diesem  nicht  blos 
den  Israeliten  heiligen  Berge  gepilgert  waren. 


W 


erlh 


Hauranitisch 


nach  Hal^vy 


MQlIer 


Nabathäisch 


a 

/Tanscn 

1 

UOr  q6  Li 

b 

))cCco 

3 

0    ^    Jyf     \ 

9 

Tlf  J.>^i 

T 

^  3   r^HX 

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H 

«^  7t  Hl 

h 

rk^\^-i4- 

n 

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r 

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11 

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3^cv^Daov 

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tiöd3nüi/.r 

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H 

>^  K 

t 

I 

X    + 

\n 

nT]7]n. 

S:6* 


404  Hauranitisch. 

Von  den  hauranitischen  Inschriften  bringen  wir  die  für  uns  interessan- 
teste, welche  eine  neuntheilige  Windrose,  mit  20  Buchstaben  umgeben,  zeigt; 
eine  Erklärung  können  wir  nicht  versuchen,  da  offenbar  Zeichen  sich  wieder- 
holen. 


z    q    l 


9      s     1 
r  q 


P  "^  e     \    I    /  V  d  y 

z  nach  y  _   q     ^^    ^^  ^^^.^  Müller 

'a  Halevy  s       "^      ^  v.     j — « 


m  V 

a  s 

bn     s     § 


a 

b  t 

t  h 

m  a 

ahn 


Den  ersten  Eindruck,  den  man  von  der  Zusammenstellung  der  Tabelle 
erhält,  ist,  dass  die  hauranitische  Schrift  in  Bustrophedonform  geschrieben 
wurde,  der  wir  in  himyarischen  Inschriften  begegnet  sind,  ferner,  dass  hier 
eine  Verschmelzung  himyarischer  und  phönikischer  und  aramäischer  Zeichen 
vorliegt,  eine  Verschmelzung,  die  ganz  in  der  Natur  liegt,  zumal  bei  den 
hauranitischen  Zeichen,  welche  vielleicht  älter  sind  als  die  aus  dem  Anfang 
unserer  Zeitrechnung  stammenden  nabathäischen. 

Untersuchen  wir  zunächst  die  hauranitischen  Zeichen,  so  bieten  mehrere 
Formen  von  a  Ähnlichkeit  mit  dem  samaritanischen  /^  a  und  ^  t,  deshalb 
kann  es  auch  nicht  befremden,  dass  Halevv  unter  a  das  Zeichen  |  auffuhrt, 
welches  im  Himyarischen  ^  ist,  wird  doch  noch  in  der  Neskhi-Schrifl  a  punk- 
tirt  S  als  /  gebraucht,  dem  entspricht  ganz,  dass  das  samaritanische  K  in  der 
hebräischen  Quadratschrift  zu  aleph  und  t  in  der  letztem  die  Form  t)  erhalten 
hat,  welches  dem  n  ähnlich  ist;  weiter  ist  dem  entsprechend  J  als  a  aufgeführt, 
welches  im  Himyarischen  ^  ist.  Müller  nimmt  ein  Zeichen  für  a  an,  das 
Halövy  als  s  auffasst,  welches  aber  sich  als  einfache  Form  an  das  himyarische 
/^  anschliesst,  dem  wieder  die  himyarische  Form  f\  entspricht. 

Die  ft-F'ormen  bilden  ein  Zwischenglied  zwischen  dem  nabathäischen 
"3  b  und  dem  Pehlewjj  h,  welches  letztere  sich  auch  in  der  nabathäischen 
Schrift  bemerkbar  macht.  Die  ^-Formen  entsprechen  dem  phönikisch-aramäi- 
sehen  g  wie  dem  himyarischen  Sz;  die  df-Formen  bilden  ein  Zwischenglied 
zwischen  dem  phönikischen  \  und  dem  himyarischen  \;  das  Muller  sehe 
d  ist  rein  aramäisch.  Die  Ä-Formen  bei  Halövy  sind  dieselben  wie  das  numi- 
dische  t,  aber  das  letzte  Zeichen  mit  der  Pfeilspitze  kommt  in  den  aramäischen 


Hauranitisch.  4*05 

Inschriften  der  Sasaniden  als  a  vor^  und  somit  könnte  Hal^vy  doch  Recht 
haben.  Das  MüUer^sche  h  hat  Hal^yy  als  z  aufgefasst»   aber  ein  ähnlicher 
Wechsel  zeigt  sich  auch  darin,  dass  das  himyarische  H  ^i  moabitisch  IT  z, 
bei  den  Griechen  zu  e,  bei  den  Römern  zu  h  wurde,  wie  es  auch  im  phönikisch- 
moabitischen  und  nabathäischen  Alphabet  als  ^  vorkommt.  Das  MüUer'sche 
z  ist  das  himyarische  v,  nach  Hal^vyj?^  wobei  Müller  sich  darauf  berufen  kann, 
dass  die  Formen  Q  Q|,  welche  Hal^vy  ebenfalls  als  p  annimmt,   im  Himya- 
rischen  z  und  i  sind.  Die  Formen  für  K  bei  Hal^vy  fasst  Müller  als  i  auf, 
und  in  der  That  ist  die  Form  rn  im  Abessinischen  ttait,  |V  i^^  verbunden 
das  griechische  JV,    sl arisch  yi,   das  Müller'sche  K  ist  das  verkehrte  k  der 
moabitischen  Schrift.   Ausserdem  hat  Hal^vy  neben  X  Xf  ^^^ches  bei  ihm 
auch  als  t  vorkommt,  ein  Zeichen  für/aufgefuhrt,  welches  in  der  himyarischen 
Schrift  ein  Zahlzeichen  von  unbekanntem  Werthe  ist,  es  ist  die  Hieroglyphe 
J{,  die  als  verkehrtes  ^  allerdings  auch  den  Lautwerth  k  haben   kann  und 
als  Zahlzeichen  eine  unendlich  grosse  Zahl  (etwa  10.000)  andeuten  konnte. 
Die  ^Forraen  bei  Hal<^vy  entsprechen  der  Hieroglyphe  -fH»  als  Zaun  und 
sind  dem  /^  begrifTsverwandt;  die  dritte  Figur  erinnert  an  das  phönikische 
Hn  und  das  arabische  ^  sin.  Die  i-Formen  sind  alle  der  himyarischen  ent- 
sprechend.  Die  Müller'sche  Ä:-Form  fmdet  sich  bei  Halevy  als  a,  es  ist  aber 
dieselbe,  welche  bei  den  Griechen  als  k  vorkam;   die  ^--Formen  bei  Halevy 
schliessen  sich  eng  an  dessen  ^-Formen  an,  sie  sind  von  diesen  durch  einen 
Überschriebenen  Strich  verschieden;  die  letztere  derselben  sogar  dem  ein- 
fachen g  ähnlich.  Die  /-Foimen  sind  wegen  ihrer  Einfachheit  bemerkbar,  wie 
finden  sie  erst  bei  der  neuarabischen  Schrift  so  wieder.   Die  ?/i-Formen  ent- 
sprechen  den   abessinischen  und  himyarischen,  doch  sind  einige  darunter, 
welche  im  Himyarischen  als  h  vorkommen,  wie  auch  Müller  das  Kipfel  als  b 
auffasst  und  dafür  eine  andere  Form  für  m  angiebt,  welche  aber  ebenfalls  ein 
Mondxeichen  ist;  diese  letzlere  Figur  hat  Halevy  als  Zeichen  für  Sohn  (bn  oder 
hr)  aufgefasst,  wobei  wir  daran  erinnern,  dass  in  der  Berbersprarhe  Sohn  v 
beisst,  und  die  hebräische  Form  o  dem  p  bn  sehr  ähnlich  ist,  auch  in  der 
Hauran-Inschrift  will  Halövy  eine  einfache  Form  für  Sohn  in  ^  gefunden  haben, 
welches  dem  einfachen  b  sehr  ähnlich  ist;  auch  für  Gott  hatten  die  Bewohner 
von  Hauran  ein  eigenes  Zeichen  "A  ,  wie  die  Juden  ein  solrhes  in  \  al  haben. 
Die  letzte  Figur  bei  Hah*vy  für  m  ist  der  Zaum,  der  hn  Ägy|)tis<hen  wie  im 
Berberischen  nach  Richardson  //  bedeutet,  doch  kann  es  au<h  die  uni^rekehrte 


406  Nabathäisch. 

Form  des  b  (m)  sein.  Für  n  hat  Hal^vy  den  kleinen  Strich,  der  auch  in  der 
Pehlevi-Schrift  n  bedeutet,  und  auffallenderweise  entspricht  das  MQller'sche  n 
der  sasanidischen  Inschriflform:  Die  Formen  für  s  sind  den  himyarischen 
ähnlich,  /\  schliesst  sich  an  das  phönikische  g  wie  an  das  abessinische  l  an, 
doch  kann  es  als  umgekehrte  Form  von  V  gelten,  welches  im  Mongolischen 
8  ist.  Die  c?-Formen  stimmen  mit  den  himyarischen  überein;  die  |>-Formen 
unterscheiden  sich  durch  den  durchschneidenden  Strich  von  den  himyarischen, 
sind  aber  identisch  mit  himyarisch  v  und  dem  berberischen  h  nach  Richardson, 
der  Hieroglyphe  Q  pau  (Vollmond)  der  Ägypter;  das  Müller*sche  p  ist  dem 
moabitischen  ähnlich.  Die  ^-Formen  bei  Hal^vy  sind  dieselbe  Form,  welche 
Müller  als  a  annimmt,  es  ist  jedenfalls  die  Schlange,  der  Blitz,  an  den  die 
Hieroglyphe  "^^  8  und  die  hieratische  Form  |von  9  h  erinnert.  Müller  nimmt 
ein  Zeichen  für  s  sm,  welches  bei  Halövy  p  ist,  ihm  entsprechen  jedoch  die 
Hieroglyphe  % ,  hieratisch  s  St  (Olive)  und  0  ta  (Brod,  Speise),  es  kann  aber 
auch  eine  einfache  Form  des  Mundes  sein  und  dann  würde  es  sich  an  das 
hebräische  n&  pe  .  Mund  **  anlehnen.  Die  g^-Zeichen  entsprechen  dem  Moabi- 
tischen und  Himyarischen ;  doch  ist  in  anderen  Schriften  +  allgemein  i,  in 
den  Hieroglyphen  m,  nur  das  nuraidische  ,\,  y  bietet  Verwandtes.  Die  Zeichen 
r  §  t  entsprechen  den  himyarischen,  die  der  beiden  letztgenannten  Laute 
auch  den  moabitischen. 

2.  Die  nabathäische  Schrift. 

Die  Herkunft  der  Nabathäer  ist  bis  heute  nicht  entschieden.  Die  Alten 
setzen  sie  in  die  Gegend  von  Petra,  und  auch  die  Genesis  kennt  sie  bereits 
daselbst  (I.,  Mosis  25,  13).  Dagegen  ist  es  sicher,  dass  sie  in  späterer  Zeit 
nicht  blos  in  Babylon  und  der  Umgegend  wohnten,  sondern  auch  in  Seväd  (im 
heutigen  Irak).  Bei  den  zuverlässigsten  und  frühesten  der  mohammedanischen 
Schriftsteller  kommt  der  Name  Nabathäer  oft  vor,  und  zwar  in  doppelter 
Bedeutung.  Ein  Theil  derselben  giebt  diesem  Namen  eine  sehr  ausgedehnte 
Bedeutung  und  bezeichnet  damit  alle  semitischen  Völkerschaften  von  Ägypten 
bis  zum  Tigris.  Andere,  und  zwar  die  älteren,  beschränken  den  Namen  auf 
die  Syrer  jenseits  des  Euphrat  und  bezeichnen  damit  die  eingebome  Bevöl- 
kerung von  Chaldäa  und  Mesopotamien.  Masudi  giebt  hierüber  beachtenswerthe 

Berichte:   »Die  Syrer,*  sagte  er,  »sind  dieselben  wie  die  Nabathäer Die 

Nemrod's  (i^^lsll)  waren  Könige   der  Syrer,    welche  die  Araber  Nabathäer 


Nabathäisch.  407 

nannten*.  Indem  er  von  Persien  spricht,  drückt  er  sich  folgendermassen  aus: 
«Die  Nabathäer  behaupten,  dass  die  Gegend  ihnen  gehöre  und  dass  sie 
dieselbe  früher  besessen  haben,  dass  ihre  Könige  die  Nemrode  waren,  unter 
die  man  auch  den  Nemrod  zählt,  von  dem  in  der  Geschichte  Abraham's  die 
Rede  ist«.  ^*» 

Wir  haben  dieses  Gitat  hier  angefiihrt,  weil  die  nabathäische  Schrift, 
mit  der  wir  uns  jetzt  beschäftigen  wollen,  eine  auffallende  Ähnlichkeit  mit 
der  syrischen  Schrift  hat,  dennoch  haben  wir  sie  nicht  schon  bei  dieser  auf- 
geführt, weil  die  Münzen  oder  Inschriften,  aus  denen  sie  entnommen  ist, 
dem  Lande  Petra  am  Todten  Heere  eigenthümlich  sind.  Allerdings  ist  bei 
▼ielen  Inschriften,  welche  am  Berge  Sinai  gefunden  wurden,  nicht  genau  zu 
entscheiden,  welchem  Volke  sie  gehören,  da  dieser  Berg  ein  uralter  Wall- 
fahrtsort vieler  Völker  war;  bezüglich  der  Münzen,  welche  aus  dem  2.  Jahr- 
hundert stammen,  ist  es  jedoch  sicher,  dass  sie  in  Petra  geprägt  wurden. 
Vergleichen  wir  nun  die  nabathäische  Schrift  mit  der  gleich  alten  Estrangelo,  ^ 
50  ist  offenbar,  dass  die  letztere  nicht  von  der  nabathäischen  Schrift  abstammen 
konnte,  so  verwandt  auch  beide  Schriften  sind,  sondern  dass  in  der  Estrangelo 
tatarische  Einflüsse  sich  geltend  machen,  welche  in  der  nabathäischen  fehlen. 
Wichtiger  ist  die  Vergleichung  mit  den  hauranitischen  Formen. 

Hier  finden  wir  denn  sogleich  einen  Wechsel,  indem  das  nabathäische 
a  das  hauranitische  d  ist,  das  Auge,  in  mancher  Form  ist  es  dem  moabitischen 
Lamed  gleich  und  scheint  ein  Hintertheil  zu  sein,  der  das  kufische  [  wurde. 
Bei  b  veremfacht  sich  die  Höhle  zu  dem  einfachen  Winkel,  der  in  der  persi- 
schen und  neuarabischen  Schrift  als  b  auftritt.  Die  Formen  für  g  sind  die 
aramäischen,  doch  tritt  hier  das  Eck  auf,  welches  zu  dem  neuarabischen  »• 
geworden  ist.  Die  d-Formen  sind  aramäisch.  Die  A-Formen  zeigen  den  Pfeil, 
wie  die  hauranitische  Form,  daneben  die  hebräische  Form  n  und  eine  an 
das  samaritanische  ^  sich  anlehnende  Form,  welche  dem  moabitischen  k 
entspricht.  Bei  u  finden  wir  neben  der  aramäischen  Form  die  syrische  Form 
CV,  wie  das  hebräische  i.  z  entspricht  dem  aramäisch-syrischen,  hebräisch  r. 
In  /  kommen  Formen  vor,  welche  wir  nur  noch  in  den  deutschen  A*- Runen 
finden,  allerdings  in  verkehrter  Form  als  M  und  K«  Die  ^Formen  zeigen  die 
geringelte  Schlangenform,  welche  sich  in  unserem  deutschen  3  erhalten  hat; 
sie  bilden  ein  Seitenstück  zu  der  zitternden  Schlange,  welche  im  Ilauraniü- 
scben  als ^  vorkommt  und  sind  dem  a  ähnlich;   es   drängt  sich  hier  wieder 


408  Nabathäisch. 

die  Bemerkung  auf,  dass  der  erste  Buchstabe  des  Alphabets,  wie  das  Estran- 
gelo  |<^  ein  Zeichen  war,  welches  in  unserer  Zeit  polizeilich  verboten  worden 
wäre.  Auch  die  t-Formen  sind  Schlangen,  jedoch  mehr  Würmer  oder  Strah* 
len  wie  das  griechische  ^.  Im  Neu  arabischen  ist  daraus  «^  geworden.  Die 
/.'-Formen  sind  aramäisch,  die  Prototypen  des  hebräischen  d  und  des  kufischen 
.^,  NeskhiV  Die  wi-Formen  sind  hier  wie  im  Syrischen  das  Gegentheil  von 
a;  verwandt  damit  sind  die  5-Formen,  deren  zweite  geradezu  der  Mond  ist 
und  genau  dem  kabulischen  8  entspricht.  Die  n-Form  entspricht  der  samari- 
tanischen ,  dagegen  die  6f-Formen  der  aramäischen,  woraus  das  hebräische 
V ,  sowie  das  sasanidische  a  entstanden  ist.  Die  ^-Formen  sind  theils  dem 
r^  theils  dem  h  ähnlich,  so  dass  man  wohl  annehmen  kann,  dass  ursprunglich 
alle  diese  Formen  identisch  waren;  in  der  neuarabischen  Schrift  ist  em 
Unterschied  insofern  vorhanden,  dass  |>  verbunden  wird,  v  nicht;  es  sei  hier- 
bei auch  auf  die  Gleichheit  von  f  und  q  in  der  neuarabischen  Schrift  auf- 
merksam gemacht,  welche  wohl  damit  zusammenhängen  dürfte,  dass  arabisch 
j  V,  Pehlevi  5  k  ist;  in  der  nabathäischen  Schrift  sind  p  und  Ic  noch  ver- 
schieden, indem  p  die  Rundung  vom,  q  hinten  hat,  doch  ist  sie  beim  zweiten 
Zeichen  schon  in  der  Mitte ;  auch  in  der  himyarischen  Schrift  unterscheiden 
sich  p  und  q  nur  durch  die  eckige  Form  des  p  gegenüber  der  runden  des  q. 
Die  /'-Formen  lehnen  sich  an  h  und  d  an.  Die  i-Formen  sind  die  aramäischen, 
ebenso  die  ^Formen,  welche  letztere  wie  im  Phönikischen  und  Arabischen 
grosse  Ähnlichkeit  mit  s  haben. 

Bemerkenswerth  ist  das  Streben  nach  Verbindung  der  Zeichen,  welches 
der  alten  aramäischen  Schrift  wie  der  phönikischen  fremd  war,  jedoch  im 
Syrischen  hervortritt  und,  wie  wir  bereits  erwähnt  haben,  tatarischen  Ursprungs 
sein  dürfte.  Wir  finden  z.  B.  j^'-H  yyi^  g  y^*i  VSjg^  ^  tl  J^  ^^w  at$v  br 
klbv  V  klbv  brh  Ith  ,  Friede  sei  Au§u  dem  Sohne  Kaleb's  und  Kaleb  dem  Sohne 
Latab's " ;  daneben  findet  man  auch  weniger  verschmolzen  %\\  klbv.  Eine 
ähnliche  Verbindung  muss  auch  in  der  hebräischen  Quadratschrift  bestanden 
haben,  wie  die  Finalbuchstaben  beweisen,  nämlich 

Anlaut     Dk  um  Jn  Q  ph  x  s 
Auslaut    7       D       I       f]         f 

Ähnliche  Finalzeichen  kommen  auch  in  der  aramäischen  und  nament- 
lich in  der  palmyreni sehen  Schrift  vor.  Wir  geben  hier  noch  eine  durch  ihre 
Wortspiele  interessante  Probe : 


Nabathftische  Inschrift  vom  Sinai.  409 

hrdykqvm  Q^LPS^X/ 

btSy  mrgvm  vbddd  qvm  DlJi^  W> )  M  J 

Übersetzung:  «Keiner  ersteht  unter  den  Hirten  wie  Kaun,  durch  Wohl- 
sland berühmt  und  durch  die  Menge  von  Volk. "  *^ 

3.  Kufisch. 

Mit  dieser  Schrift  betreten  wir  den  Boden  des  Islam,  dem  diese  Schrift 
eigenthOmlich  ist  und  der  sie  über  einen  grossen  Theil  der  Erde  verbreitete. 
Für  den  Philosophen  mag  der  Umstand,  dass  gerade  eine  der  unvollkommen- 
sten Schriften  eine  solche  Herrschaft  erlangte  und  bessere  Schriften  verdrängte, 
zu  lehrreichen  Betrachtungen  über  die  Weltordnung  Anlass  geben;  unsere 
Aufgabe  ist  nur,  die  Thatsachen  in's  Auge  zu  fassen  und  zu  fragen,  woher 
diese  Schrift  gekommen  ist. 

In  dieser  Beziehung  geben  uns  die  Traditionen  der  Araber  wenig  Auf* 
schluss.  Der  berühmte  Bibliograph  Had^i-Khalfa  sagt  in  seinem  alphabetischen 
Katalog  der  arabischen  und  türkischen  Bücher  bei  dem  Worte  ia»^  /at 
«Schrift':  ,Man  sagt,  dass  die  Schrift  ursprünglich  von  Adam  erfunden 
worden  ist,  welcher  die  Züge  in  Thon  schrieb  und  denselben  brannte,  damit 
durch  dieses  Mittel  die  Schrift  während  der  Sintfluth  bewahrt  werde  (ein 
Nachhall  der  babylonischen  Tradition  über  die  Entstehung  der  Keilschrift). 
Andere  schreiben  dieselbe  dem  Edris  zu  (das  ist  der  arabische  Name  eines 
Enkels  Henoch's,  also  eine  mythische  Person).  Man  erzählt,  dass  Ibn-Abbas 
sagte:  Der  Ursprung  der  arabis«  hen  Schrift  steigt  hinauf  zu  drei  Personen  der 
Fajnüie  von  Baulan  (dieses  Wort  ist  ebenso  lautverwandl  mit  Beran,  dem 
Stammvater  der  Lybier,  als  mit  der  Wüste  Hau  ran),  eines  Zweig<*s  der  Familie 
der  Tat  (Tai  hoisst  die  Sprache  der  Siamesen),  welche  gekommen  waren,  in 
der  Stadt  Anbar  zu  wohnen  (diese  Stadt  lag  in  Mesopotamien  am  Euphrat 
unweit  der  alten  Buclistadt  Sippara,  nördlich  von  Seleucia  und  Babel, 
wogegen  Kufa  noch  südlicher  lie^H).  Von  diesen  drei  Menschen  erfand  der 
erste.  Moramir,  die  Form  der  Buchstaben,  der  zweite,  genannt  Aslani,  gab 
den  Buchstaben  verschiedene  Formen,  je  nachdem  sie  einzeln  oder  v^rhuntien 
standen,  endlich  der  dritte,  welcher  Amir  ist,  erfand  die  diakritischen  F*unkte. 
Hiemach  verbreitete  sich  der  Ciebraucli  der  Schrift  (unter  den  Arabern)'.*" 


4flO  Die  Araber. 

Eine  weitere  Tradition,  welche  die  Schrift  sechs  Brüdern  aus  dem  Geschlechte 
Tasm  zuschreibt,  deren  Namen  die  22  syrischen  Laute  in  alphabetischer 
Reihenfolge  bilden,  haben  wir  schon  Seite  274  erwähnt.  Nach  einer  andern 
Tradition  waren  diese  Personen  Könige  von  Madian.  Wir  fügen  noch  bei, 
dass  die  Araber  ihre  Schrift  Sury  (syrisch)  nannten,  gleichwie  die  Juden  ihrer 
Quadratschrift  den  Namen  ASSurit  beilegten. 

Vergleichen  wir  aber  die  arabische  Schrift  mit  den  Terschiedenen 
syrischen  Alphabeten,  so  ergiebt  sich  zweifellos,  dass  sie  wohl  mit  diesen 
Ähnlichkeit  hat,  aber  unmöglich  weder  von  den  Mandäern,  noch  von  den 
Nestorianem,  noch  von  den  Jakobiten  entlehnt  ist,  ihre  Zeichen  sind  eben 
mit  der  nabathäischen  Schrift  verwandt,  und  wir  haben  oben  gehört,  dass  die 
Nabathäer  ihren  Wohnsitz  bis  Babylon  ausstreckten;  aber  die  arabisch-kufische 
Schrift  zeigte  eine  solche  Urwüchsigkeit,  dass  selbst  eine  Entlehnung  von  den 
Nabathäern  nicht  angenommen  werden  kann,  sondern  nur  eine  enge  Ver- 
wandtschaft mit  der  nabathäischen  Schrift  zu  constatiren  ist 

Es  bleibt  nur  übrig  anzunehmen,  dass  ein  Theil  des  Volkes,  welches 
sich  in  Anbar  niedergelassen  hatte,  weiter  südlich  nach  Arabien  vorgedrungen 
ist  und  die  Sabäer  (Elimyaren)  verdrängt  hat. 

Dieses  Volk  war  jedenfalls  der  Stamm  der  Koreischiten,  welcher  zu 
Mekka  eine  mächtige  Aristokratie  in  verschiedenen  Zweigen  bildete  und 
aus  welchem  Abul  Käsern  Ebn  Abdallah,  genannt  Mohammed  (der  Ruhm- 
würdige), entsprossen  ist.  Dieser,  ein  schwärmerischer  Mensch,  der  auf  seinen 
Reisen  nach  Syrien  fremde  Lehren  kennen  gelernt  hatte  und  mit  der  heimi- 
schen Tradition  zu  verschmelzen  strebte,  scheint  übrigens  nur  ein  Werkzeug 
in  der  Hand  eines  vornehmen  Aristokraten  aus  Mekka,  Namens  Abdullah 
Ben-Othmany  mit  dem  Zunamen  Al-Taim  oder  Al-Korei§  gewesen  zu  sein, 
der  Mohammed  nach  dem  Tode  von  dessen  erster  Frau  seine  jungfrauliche 
Tochter  AiSah  (die  Jungfrau)  zum  Weibe  gab,  dann  den  Namen  Abu-Bekr 
(Vater  der  Jungfrau)  erhielt,  nach  Mohammed's  Tode,  obgleich  dieser  seinen 
Schwiegersohn  Ali  zu  seinem  Nachfolger  bestimmt  hatte,  sich  mit  Hilfe  der 
Armee  die  Oberherrschaft  aneignete  und  die  Gesetze  und  Vorschriften  des 
Mohammed  gesammelt  haben  soll,  woraus  der  Qoran  (d.  h.  die  Vorlesung) 
entstand. 

Die  kufische  Schrift  war  vorzugsweise  die  Schrift  des  Qoran,  ausser- 
dem kommt  sie  nur  in  wenigen  Büchern  vor,  am  meisten  auf  Grabinschriften, 


Kufische  QuadratschrifL.  4-11 

welche  gewöhnlich  Qoranstellen  enthalten.  Der  Name  Kufi  soll  von  der  Stadt 
Knfa  im  Lande  Irak  (dem  alten  Babel)  stammen,  wo  eine  hohe  Schule 
bestand,  die  Schrift  erhielt  diesen  Namen,  da  die  Stadt  Eufa  erst  unter  einem 
späteren  Khalifen  gegründet  wurde,  offenbar  im  Gegensatze  zu  der  Neskhi- 
Schrift,  von  welcher  wir  später  sprechen  werden.  Ihre  sofort  in  die  Augen 
springende  Eigenthümlichkeit  ist  der  viereckige  Charakter,  der  zwar  in  den 
Handschriften  weniger  hervortritt,  desto  mehr  aber  in  Inschriften  und  noch 
gegenwärtig  in  der  Form,  welche  die  Türken  schreiben  und  iykiäfinennen, 
Inschriften  mit  rein  quadratischem  Charakter  hat  man  mehrere  in  Ägypten 
gefunden,  und  wir  geben  hier  zwei  Proben  davon,  in  denen  sogar  eine  beson- 
dere Versetzung  der  Buchstaben  erfolgte,  um  quadratische  Bilder  zu  erzielen.**^ 

d.  i.  in  arabischer  Neskhi  -V«j  ^^  J-J  ^>*^/^^^  ^\ 
.Gott  ist  das[^Reich  der  Vergangenheit  und  der  Zukunft*. 

Man  TäDgt  rechts  in  der  Ecke  zu  lesen  an:  kufisch  m  I  I.  das  nächste 
Wort  steht  darüber  Xf,  darunter  ^,  wobei  r  in  die  Höhe  geschlungen  ist, 
dann  steht  quer  gestellt  ^^  kufisch  «JLO  darüber,  unten  folgt  JJ,  kufisch 
litt,  daneben  ist  ^,  kufisch  ^,  in  das  quergestellte  ^,  kufisch  «JLO, 
eingeschachtelt,  darüber  steht  verkehrt  J^,  kußsch  ^SLl  (in  der  Inschrift  ist 
'las  d  verkehrt  geschrieben). 

Noch  künstlicher  gruppirt  ist  das  Folgende: 

d.  i.  in  der  arabischen  Neskhi  Aji\  JDUl  Aä\  ^\ 
»Gott  existirt  durch  sich  selbst,  er  ist  der  ewige 
König«. 
Man  föngt  unten  rechts  zu  lesen  an  «yUl, 
kufisch  o  n  I  \^,  dann  folgt  auf  der  entgegengesetz- 
ten Seite  xUl\,  kufisch  .äjLoJ(^,  das  dritte  Wort  ist 
in  zwei  abgetheilt,  nämlich  rechts  am  Rande: 
m,  kufisch  LoJl^.  «lann  auf  der  gegenüberstehenden  Seite  jU,  kufisch  .fanJ, 
in  der  Mitte  befindet  sich  das  letzte  Wort  ebenfalls  in  zwei  Theilen,  nämlich 
jJl,  kufisch  j>J[^,  wobei  wiederum  das  d=^  verkehrt  geschrieben  ist»  und 
darüber  x1,  kufisch  .^j(^ 

In  "der  Tradition   wird  einer  Schrift  Uli  Jü.  .Schrift  der  Frauen* 
erwähnt,  ohne  dass  gesagt  wird,  welches  dieselbe  sei;  da  die  Chinesen  die 


412 


Kufische  Grab-Inschriil. 


weissen  Zeichen  auf  schwarzem  Grunde  , weibliche  Charaktere*  nennen,  so 
dürften  die  obigen  Proben  wohl  die  .weibliche  Schrift*  der  Araber  sein. 

Wir  lassen  hier  femer  eine  arabische  Grabinschrift  folgen,  welche  zu 
Beit-al-Fakih  gefunden  wurde  und  im  Jahre  445  der  Hed2ra  (dieselbe  fiel  auf 

das  Jahr  622  nach 


Christo)  eingegra- 
ben sein  dürfte.  ^*' 
Sie  giebt,  in  der  jetzt 
allgemein  gebräuch- 
lichen Neskhischrift 
umschrieben : 


'  —         n     '^^       ««^ 


r 

^J\  uf-J\  All» 


yl 


Nach  der  Transscription,  welche  ich  sowie  alle  folgenden  Trans- 
scriptionen  und  Übersetzungen  aus  dem  Arabischen  der  Güte  des  Herrn 
Professor  A.  Wahrmund  verdanke,  ist  dieser  Text  nach  altarabischer  Aus- 
sprache zu  lesen: 

bismi  'llähi  W-raKmani 'r-rdh'tmi,  ud/uiu  'l-dMnnata  lä /aufu  dldikum 
wa  lä  ^Uyduma  iah'zanuna,   qad  qübira  ydqübu  'bnu  dKntada  'bni  ....  mfüidm- 

madx tuteiiffitja  ß  dini  'l-mOddäi  sdnata  /dmst  wa  arbdlna  uro  drhdi- 

tni'cUi  sdnata. 


Kufisch  auf  Tafel  IX.  —  Türkisch-Kufisch.  413 

Übersetzung:  ,Im  Namen  Gottes,  des  milden  Erbarmers.  Tretet  ein  in 
das  Paradies !  Ihr  habt  nichts  zu  fürchten,  und  ihr  werdet  heute  nicht  traurig 

sein.  Begraben  wurde  Jakob,  Sohn  des  Ahmed,  des  Sohnes des 

Mohammed ,  gestorben  zu  Ain-al-Maddd,  im  Jahre  445,  dem  Jahre... 

Eine  weitere  Probe  der  kufischen  Schrift  findet  man  in  der  ersten  mit 
Goldbuchs  laben  geschriebenen  Zeile  des  Qoranstückes  auf  Tafel  IX.  **® 
Diese  Worte  bilden  die  Überschrift,  welche  in  Neskhiform  die  Buchstaben 
iA  Ol^U  >  ^  aIji Ju  ö]^  u  \  l)y»»  enthält :  siirai  äl  dmrüne  medlnet  wahiye 
maiian  äyatj  «Sure  (Kapitel)  Familie  'Aron's  in  Medina  geofifenbart,  200  Verse 
enthaltend'.  Diese  Tafel  zeigt  auch  (aber  in  Ma7rebschrift)  die  Vokalzeichen 
und  diakritischen  Punkte,  welche  in  die  Qoran-Handschriften  in  Farben  ein- 
geschrieben wurden,  da  der  eigentliche  Text  davon  unberührt  bleiben  musste. 

Endlich  geben  wir  noch  eine  Probe  der  kufischen  Schrift  wie  sie 
noch  gegenwärtig  von  den  Türken  angewendet  wird  in  der  Weise,  wie  wir 
die  gothischen  Buchstaben  des  Mittelalters  als  Zierschrift  in  unseren  Büchern 
verwenden : 


das  ist  in  Neskhi- Schrift:  A^^  ^yLt^\ ^  ^JjJl  O^ 

Transscription:  Jautu  l-fdia  fi  'l-aizzi  nuhJn  Katjätihi 

wa  dmüiu  fi  *^-^iUi  dinu  mamatihi, 
Cbcrsotzung:      Der  Tod  des  Mannes  in  der  Ehre  ist  wie  sein  Leben. 

Und  sein  Leben  in  der  Erniedrigung  ist  der  Tod  selbst. 
Die  Quadralirung  der  Schrift  ist  eine  Eigonthümlirhkeit,  welche  Be- 
achtung  verdient;  wir  haben  dieselbe  zuerst  in  der  chinesischen  Sdirifl  San- 
fan-ta-t.^wan  .Schrift  der  erhabenen  Orte"  aiinreteii  gesehen,  wir  finden  sie 
femer  in  der  koreanischen  Schrin.  am  anffällijjsten  ist  sie  aber  in  der  tibeta- 
nischen Schrift  des  Passepa/  welcher p^  aus  tibetanischen  P  kha  y — |  aus  * 
/j$au.  s.w.  bildete.  Es  mussdaherdie(|uadralis(heForm  die  ein<»s  mongolischen 
Stammes  gewesen  sein,  und  hieraus  würde  sich  er^'^ben,  dass  die  oben 
erwähnte  chinesische  Tr^wan-Sclirift  ebenfalN  unter  dem  Einflüsse  rincs  fremden 


414  Die  kufischen  Schrillzeichen. 

mongolischen  Stammes  entstand,  wie  auch  ein  solcher Einfluss  auf  die  Estran- 
gelo  und  die  hebräische  Quadratschrifl  eingewirkt  haben  mag,  welche  ,  syrische* 
Schrift  genannt  wurden.  Es  dürfte  daher  die  Frage  entstehen,  ob  das  Wort 
9 Syrer*  nicht  mit  dem  Lande  Serika  verwandt  ist,  welches  südlich  an  Indien, 
westlich  an  Skythien  grenzte,  also  ein  Theil  des  heutigen  China,  die  Mongolei 
und  ein  Theil  Sibiriens  war.  Von  diesem  Lande  fuhrt  die  Seide  den  Namen 
serica  (ägyptisch  JJ  sr  .Schnur*);  die  Assyrer  waren  im  höchsten  Alterthum 
durch  ihre  Webereien  berühmt,  und  ihre  Art,  das  Haar  und  den  Bart  zu 
flechten,  hing  unzweifelhaft  mit  der  Seidenweberei  zusammen.  Die  Araber 
tragen  nicht  mehr  den  geflochtenen  Bart,  aber  sie  scheeren  sich  den  Kopf 
kahl  und  lassen  in  der  Mitte  nur  einen  Zopf  stehen,  genau  so  wie  die  Mon- 
golen und  die  Chinesen,  welche  aber  zur  Zeit  des  Eun-fu-tse  noch  langes 
Haar  getragen  haben,  also  diese  Sitte  erst  von  den  Mongolen  entlehnt  haben 
sollen;  diese  Sitte  war  uralt,  denn  schon  Moses  verbot  sie  den  Juden;  Amon 
trug  einen  langen  Haarzopf,  und  das  ursprüngliche  Vorbild  dieser  Tracht  war 
jedenfalls  der  heilige  Affe,  dessen  hebräischer  Name  ff\p  qoph  mit  ^pj  naqaph 
a einen  Kreislauf  machen",  ffpn  hiqqiph  (die  Haare)  .ringsum  abscheeren* 
zusammenhängt. 

Fassen  wir  nun  die  Schrift  selbst  in's  Auge,  so  besteht  sie  aus  zwei 
Bestandtheilen,  den  Figuren  an  sich  und  den  Schweifen  am  Ende;  diese 
Schweife  sind  gerade  ausgehend,  aufwärts  gebogen  und  nach  rechts  zurück- 
laufend gebogen,  z.  B.  [^a  ..3  b  ^_^  h  c y,  analog  dem  mongolischen  U  a. 

Diess  weist  darauf  hin,  dass  die  Consonanten  ursprünglich  mit  einem 
inhärirenden  Vokal  gelesen  vmrden,  der  am  Ende  vielleicht  in  die  Nunation 
(jetzt  *  a  ^  t  ^  m)  überging,  wie  auch  die  einsilbige  chinesische  Sprache  den 
Nasal  am  Ende  der  Silbe  neben  dem  Auslautvokal,  nicht  aber  einen  Auslaut- 
Consonanten  duldet.  Ursprünglich  besass  die  arabische  Schrift  keine  28  Zeichen, 
wie  die  jetzige,  auch  keine  22  Zeichen,  sondern  nur  15,  nämlich  (^a  j  btyn 

^  oder  ^  oder  ^ g  h'  /  ^  q  I^  k  js»  d  6  h  ^  u'/U»  t=Y^  s  j  l  j>  m 

jil  s  jcL  d  ^  r,  z  }Q,  wenn  ^  fn=^to,  ^  d=^  r,  :£.  ä'=ji|  ^  war,  sogar  nur 

9  Zeichen,  wie  die  koreanische  Schrift.  Diese  9  Zeichen  wurden  später  auf 
1 5  erhöht  wie  die  Tataren  sie  haben,  und  in  diesem  Falle  entsprechen 

arabisch  ^aj  b(ny)  2^g(d£)  ^Sq  I^k,^d^r6h^w\^ti^sjl^injüSjLK 
tatarisch  y  a  l  n  i      ^  dz      ^^^k   ^k   ^  r  a  u  ^  t  Kt-^mt^  l^s^jt. 


Die  kufischen  Schriflzeichen.  415 

f    Vergleicht  man  auf  der  Grabschrift  Seite  412  die  Figuren  von  m  als 
Finale,    so    sind  dieselben    ganz  dem  tatarischen   i    l  entsprechend,   mit 
zurückgebogenem  Schweife ,  während  l  mit  vorgebogenem  Schweife  J  dem 
tatarischen  m  entspricht,   der  Übergang  von  Z  in  m  erklärt  sich  aus  der 
Lautverschiebung  l=r=u=m;  in  der  koreanischen  Schrift  war  l  |— ^ 
eine  Form,  welche  dem  arabischen  ^  k  oder  dem  ^  q  entspricht  und  diess 
erinnert  an  die  Ähnlichkeit  der  arabischen  Zeichen  ^  k  und  J  l,  wie  denn 
auch  die  Türken  k  mit  1  l  schreiben,   worüber  sie  einen  schrägen  Strich 
setzen,  um  das  arabische  )  A;  zu  bilden.  Auffallend  ist  in  der  tatarischen 
Schrift  das  Final  If  m,  welches  mit  der  Neskhi-Form  ^  genau  übereinstimmt, 
dieses  Zeichen  konnten  weder  die  Tataren  noch  die  Araber  von  den  Syrern 
entlehnen,  denn  selbst  >o  ist  keine  entsprechende  Form.  Wir  sehen  ferner 
das  syrische  \  a  erst  spät,  und  zwar  bei  den  Nestorianem  auftreten ;  wir  fmden 
die  Form  J  h  bei  den  Sasaniden,  dagegen  bei  den  Syrern  immer  a  oder  n; 
wir  finden  ferner  bei  den  Syrern  mandäisch  J  u  (=  arabisch  h)  mit  Estran- 
gelo  s  i,  y  abwechseln,  dass  diese  Form  aber  zu  t  werden  konnte,  ist  nur 
daraus  zu  erklären,  dass  sie  in  der  syrischen  Ordnung  des  arabischen  Alpha- 
bets die  letzte  Stelle  einnahm,  dieselbe,  wo  in  der  phönikischen  Schrift  X  tou 
stand,  welches   im  Ägyptischen  u  ist.   Wir  haben  L  ^Is  Schwanz  kennen 
gelernt ;  ihm  entspricht  «^  als  ^-^  a  t  kp  n  thcils  als  Hand  (yad)  thcils  als 
Dienbogen,    wie  beith  etwas  Gewölbtes  ist;   hieran  reiht  sich  ^  im  selben 
Sinne,    sowie  das  ebenso  formähnliche  als  begrififsverwandte  .^  d,  welches 
wiederum  dem  J^  k  ähnlich  ist.   Die  Verwandtschaft  zwischen  S  f  und  S  q 
haben  wir  bereits  im  persischen  Alphabet  kennen  gelernt,  wo  e  ji  das  mon- 
golische hi  ist,  wie  das  mongolische  ^  h,  persisch  )  k,  arabisch  w  ist.  d  fehlt 
der  talarischen  Schrift,  welche  statt  dessen  c  iS  hat,  welches  in  dieser  Form 
in  der  arabischen  Schrift  als  ^  vorkommt.  Die  Zeichen  für  t  und  s,  Finalform 
L^  und  «^  waren  ursprünglich  offenbar  dieselben,  wie  auch  die  Tataren 
zweierlei  t  haben;  arabisch  jil  ist  das  persische  ä,  das  ägyptische  Feld.  Die 
Formen  Rlr  r  und  d  sind  in  der  kufischen  Form  verschiedener  (r  hat  eigentlich 
die  Form  des  mongolischen  )  n)  als  in  der  syrischen  Schrift,  wo  sie  einander 
gleich  sind,  in  der  persischen  Taalik  ist  der  Unterschied  zwischen  d  und  r 
sehr  verschwunden.  Auffallend  ist  es,  dass  wir  den  Punkt  über  dem  n,  der 
für  die  mongolisch-tatarische  Schrift  charakteristisch  ist,  in  dem  arabischen  * 
wieder  auftreten  sehen. 


416 


Vergleicbung  der  kufisch en  und  syrischen  Zeichen. 


Die  zweite  Phase  der  arabischen  Schrift  entstand  dadurch,  dass  sie  der 
phönikisch-arainäischen  Windrose  von  22  Zeichen  adaptirt  wurde.  Wir  kennen 
diese  Phase  aus  dem  Zahlenwerthe,  welchen  die  arabischen  Buchstaben  bis 
zur  Einführung  der  indischen  Zahlzeichen  hatten.  Wir  benützen  dieselbe,  um 
eine  Gegenüberstellung  der  arabischen  und  syrischen  Estrangelo-Schrift  zu 
geben,  um  die  Frage  der  Filiation  klarer  zu  stellen. 


Arabisc 

h-Ku 

fisch 

Syrisch-E  Strang  elo 

Name 

I&olirl 

Ende 

Mittej 

Anfang 

Laut 

^ahl 

Isolirt 

Endo  '  Mitte 

Anfang  Laut!     Name 

Elif 

L 

L 

a 

1 

<; 

" 

< 

a 

Aleph 

Be 

-» 

-i 

1 

J 

h 

2 

^ 

1 

^    i  b    Bä       , 

■ 

Dum 

c=^ 

C-- 

dz 

3 

•^ 

<^  A. 

A,  1  9 

Gomal 

Dal 

^ 

^^^ 

d 

4 

n 

^     1 

1 

'  d 

1 

Dolaih 

He 

d 

d 

4* 

i> 

h 

1 

5 

cn 

cn 

1 

He 

1 

Wato 

s 

> 

%o 

6 

A 

€C 

1 
t€ 

Vav 

Ze 

^ 

» 

z 

7 

1 

j 
l 

1 
'    Z 

Zain 

Ha 

^ 

o--. 

^i 

^ 

V 

8 

ji 

^ 

Jl 

z 

Kheih 

Ta 

u 

l»^ 

^ 

1^ 

d 

9 

\ 

\ 

\ 

\ 

t 

Teth 

Ye 

S 

CL  . 

X 

j 

y 

10 

> 

^ 

* 

J 

y 

Jud 

Kef 

i» 

.^^ 

^^^ 

^ 

k 

20 

'^ 

1  ^ 

A 

■  Ä 

k 

Kopk 

Lam 

J 

} 

i 

J 

l 

30 

^ 

1 

1 

^ 

i 

Lomad' 

Mim 

-o 

JL 

4). 

^ 

m 

40 

> 

> 

Ä 

:» 

m 

1 
Mm 

Nun 

) 

> 

1 

J 

n 

50 

V 

T^ 

1 

j 

n 

Nun 

1 

Sin 

f 

> 

JIL 

Jll 

s 

60 

^ 

ca. 

AI. 

Aa 

s 

Semkai 

1 
^Ain 

<^ 

l 

S. 

^ 

^a 

70 

:^ 

^ 

^ 

^ 

a 

Ee 

Fe 

-o 

JL 

s 

f 

80 

^ 

A 

A 

^ 

ph 

Phe 

1 

Sad 

J- 

^ 

j^^ 

^ 

s 

90 

^ 

_r 

ä 

1 

Sode 

1 

Qaf 

1 

1 

JL 

s 

9. 

100 

* 

^ 

-o 

9t 

Qoph    1 

Re 

id 

» 

r 

200 

• 

1 

\ 

r 

Biä      , 

Sin 

y 

> 

JIL 

Jll 

ä 

300 

^ 

vX 

X 

^ 

§ 

Sin      1 

Te 

^ 

1 

J 

t 

1 

400 

^ 

^ 

1 

t 

Hiou 

1 

Vermehrung  der  Zeichen  durch  Fun  Station.  417 

Ausser  der  Verschiedenheit  der  Namen,  deren  Abkürzungen  im  Arabi- 
schen den  Beweis  liefern,  dass  ihnen  die  syrische  Bedeutung  nicht  mehr 
7u  Grunde  liegt,  ausser  der  hiermit  zusammenhängenden  Verschiedenheit  der 
Zeichen  ist  es  noch  beachtenswerth,  dass  auch  die  Verbindung  keine  gleich- 
massige  ist,  dass  im  Arabischen  h  und  s  verbunden  werden,  im  Syrischen 
nicht;  offenbar  erfolgte  die  Verbindung  des  §  im  Syrischen  deshalb  nicht, 
^'eil  es  sonst  identisch  mit  n  oder  y  gewesen  wäre,  wie  überhaupt  die  Syrer 
sehr  auf  Unterscheidung  hielten,  und  z.  B.  das  arabische  Zeichen  für  (2^  für 
X'  anwendeten,  weil  ^  in  der  Verbindung  nicht  so  deutlich  war.  Ganz  anders 
die  Araber,  welche  die  Zeichen  nicht  unterschieden  oder  sich  in  dieser 
Beziehung  durch  die  Punctation  halfen.  Nichts  spricht  so  sehr  gegen  die 
Entlehnung  der  arabischen  Schrift  von  den  Syrern  als  der  Umstand,  dass 
die  Araber  selbst  auf  augenfällige  Unterscheidungen  verzichteten,  indem  sie 
die  Zahl  ihrer  Zeichen  von  15  auf  22  vermehrten. 

Diese  Punctation  erfolgte  nicht  in  syrischer  Weise,  in  welcher  der 
l'unkt  unter  dem  Zeichen  die  Aspiration,  über  demselben  die  laute  Aussprache 
anzeigt,  sondern  in  einer  altern  Weise,  wonach  die  Punkte  gewisse  fixe 
Bedeutung  hatten;  so  fmden  wir  arabisch  1  n  gleich  dem  tatarischen  l  n, 
arabisch  *  y  gleich  dem  Pehlevi  :»  y;  "  t  kommt  in  der  griechischen  Tachy- 
^raphie  selbständig  als  t  vor,  ohne  dass  zu  erklären  ist,  wie  die  Griechen  auf 
diesen  Einfall  gekommen  sind,  lo  kommt  in  der  Pehlevi-Schrift  für  ä  vor  und 
entspricht  dem  arabischen  w;  allerdings  kann  die  Punctation  in  der  Pehlevi- 
Schrifl  auch  aus  dem  Arabischen  abstammen,  da  sie  auf  Münzen  nicht  vor- 
kommt und  daher  der  Z'iitpunkt  ihrer  Einführung  unbekannt  ist.  Begnügen 
wir  uns  mit  der  Thatsache,  dass  die  Punctation  der  Araber  eine  dreifache  war 
.  .  *,  so  kann  dieselbe  auch  bis  auf  die  Hieroglyphr'n-Schrlft  zurückgehen,  wo 
.  und  ..  mr  Auge,  .*.  Körner  bedeuteten  und  den  Strichen  |  a  ||  t  lu entsprechen; 
wir  haben  Seite  2i'l  dieselben  als  Ausgaü^^spunkte  der  Laute  ts,  6,  /  einer- 
s**its,  ferner /und  irespecliveA:ainlerors*nts  kennen  gelernt;  dem  entsprecliend 
finden  wir  im  Arabischen  »  b  9^(1^,9  f^  /  *  n,  »  1 1  y  i  q,^  3,  Auffallend 
ist  die  Übertragung  der  Punkte  auf  *  ä  als  i  t,  woaach  sich  erklärt,  dass  i 
als  vokalisches  Element  als  7  ebeafalls  /  werden  koimte. 

Die  dritte  Ph«ise  des  arabischen  Alpha))ets  ist  die  Erweiterung  auf  28 
Zeichen,  entsprechend  dem  hlmyarisch'Mi  Alphabete,  diese  erfolgte  mittelst 
darüber  gesetzten  erweichenden  Punkt  in : 

FanlfflAim,  Geschtrht«  d.  ^schrift.  J7 


418 


Rarmatisch. 


j  i  ^  d  l:>  d  ^  s  während  durch  denselben  »-  ä'  c  d^^  d£ 

iH^iii^^z        erhärtet  werden  zu       ^  /  ^  r  ^  '^• 
Dass  hierbei  auch  eine  gänzliche  Umstellung  der  Buchstaben  eintrat, 
haben  wir  bereits  oben  Seite  274  erörtert. 


4.  Die  karmatische  Schrift 

Die  karmatische  Schrift  ist  eine  schwungvollere  Form  der  kufischen, 
sie  bildet  einen  Übergang  zur  Neskhi- Schrift.  Wir  geben  als  Probe  derselben 
ein  Stück  aus  dem  Qoran  (Sure  3,  1  und  2),  und  zur  Vergleichung  daneben 
stehende  kufische  Schrift. 

Kufisch.  Karmatisch. 


Alle.    Jyi   oJ-l£J  L  r-^L 


dLj^4llL   J^LJ  dj.l=u    iil  LoJ 


4A^^ lAj  <ju  ü  lififlX^ 


Neskhi :  Ai>.  j*,  11  Uj^  jJLl;  ^UÖl  jUc  4;;  .^1  J.\^  il  Alli  *!)!  |H 

Transscription:  ALM  aUähulä  illäha  (IIa  huica  U-hdijyu  H-qayyümu, 
naszala  dldika  ^l-kiiäba  ha  Ihuq  mu^addiqd*  li-mä  hdina  yaddihi  iro  dmala 
'Utatträie  wa  'l-indzila. 

Übersetzung:  A.  L.  M.  (Amar  li  Muhammad  „Befohlen  hat  mir  Muha- 
med*.)  Gottl  Es  giebt  keinen  Gott  ausser  ihm,  dem  Lebendigen,  dem  Ewigen. 
Herabgesandt  hat  er  das  Buch  mit  der  Wahrheit  zur  Bestätigung  dessen,  was 
in  seinen  Händen  ist,  und  herabgesandt  hat  er  die  Thora  und  das  Evangelium. 

*  Die  Verzierung  über  dem  m  in  der  karmatischen  Schrift  ist  eine  Corona, 
wie  sie  auch  in  der  hebräischen  Schrift  (vergleiche  Seite  371)  vorkonunt,  sie  scheint 
nur  ^'chönheitsrücksichten  zu  dienen. 


.     ■   •  ' 


Erklärung  des  Textes  auf  Tafel  IX. 


419 


Dem  karmatischen  Schriftcharakler  gehört  auch  folgende  Inschrift  an 


Transscription  in  Neskhi:  Xo  ^\  üt^\  ^'"^^  W-^!>^^  W^ 

khhuma  wa  li-wälidäihimä  loa  li-dzami  'l-musUmina,  allahümma  sdlli, 

Übersetzung:  Für  sie  beide  und  für  ihre  beiden  Ellern  und  für  sämml- 
lichc  Gläubige.  0  Gott!  segne  — 


5.  Die  Ma7reb-Schrift. 

In  Nordafrika  wird  derzeit  noch  eine  Schrift  gebrau  cht,  welche  sich  in 
manchen  Formen  von  der  Neskhi  unterscheidet  und  nach  ihrem  Vaterlande 
Mayreb  genannt;  eine  Probe  dieser  Schrift  zeigt  die  Qoranhandschrifl  auf 
Tafel  IX,  deren  kufischen  Eingangsworte  schon  oben  besprochen  worden  sind. 
Diese  Schriil  in  Neskhi  mit  Vokalen  geschrieben  ergiebt  die  Worte: 

histni  'l-lahi  W-raKmani  W'raitiimi 


Ä.    ^.c»-.  ^-. 


A.  L,  M.  allahu  lä  ilaha  iüa  hüa  'Ulh'ayyu 


'    -^•-» 


'  f'*j* 


'jcS^\jSk^/^\ 


^Ulqcttfuma  nazala  alayka  'Ulkitäbu, 

.Im  Namen  Gottes,  des  milden  Erbarmers.  A.L.M.  (die  oben  erwähnten 
mystischen  Buchstaben)  Gott!  Nicht  ist  ein  Gott,  ausser  Er,  der  Lebendige, 
der  Beständige!  Herabgesandt  hat  er  dir  das  Buch.* 


6.  Die  Neskhi-Schrift. 

Über  diese  Schrift,  welche  wir  bisher  schon  zur  Umschrift  der  älteren 
Schriften  verwendet  haben,  können  wir  uns  kurz  fassen;  wir  haben  nur  die 
Unterschiede  gegenüber  den  früheren  Schriften  hervorzuheben.  Das  a  ist 
alleinstehend  gerade  auslaufend  \,  b,  i,  ti  werden  in  der  Mitte  eingeknickt 
geschrieben  «a^,  am  Ende  in  breitem  Auslauf  w^w^<^;  am  Anfange  werden 
sie  vor  «^  {V)  verkehrt  geschrieben,  daher  <£  IK,  *^  th\  sC  hK,  zum  Unter- 
schiede von  nebenstehenden  -^  gewöhnlich  etwas  grösser  z.  B.  -j  ba;^  di, 


^20  XeskhL 

'>^h','>^  y  werden  in  der  Mitte  mit  Ansatz  s^^s^s^,  am  Ende  mit  rückläufiger 
Endung  geschrieben  <^;  ^  s  hat  am  Ende  einen  gerundeten  Auslauf  ,^; 
£>  d  hat  in  der  Mitte  eine  andere  Form  «,  am  Ende  eine  rückläufige  Endung 
^  die  alleinstehende  Form  ist  dem  Anlaut  identisch  P  («  ist  das  mongolische 
^  u,  0,^  das  mongolische  &  tä,  aber  auch  verwandt  mit  hebräisch  V  din); 
3 /hat  am  Ende  einen  breiten  Auslauf  <^jt,  der  bei  9  g  gerundeter  ist:  ^  (in  der 
Ma7reb-Schrift  hat  q  nur  einen  Punkt  oben  i,  /einen  Punkt  unten  -3  wie  6);  ^ 
k  unterscheidet  sich  von  J  l  mehr  durch  das  eingeschriebene  •-  Hamza 
(urspünglich  ein  ^  din),  welches  bei  den  Zeichen,  welches  sowohl  Vokale 
als  Consonanten  sind,  anzeigt,  dass  sie  Gonsonanten  sind,  in  der  Mitte 
ist  es  durch  den  Strich  ^  (ursprünglich  ein  \  a?)  ersetzt,  also  x^  Ar  1  ^;  m  ist 
am  Anfange  ^^  welches  das  syrische  ^  zu  sein  scheint,  in  der  Mitte  hat  es 
die  kufische  Form  ♦  erhalten,  die  sich  aber  auch  in  r  auflöst  z.  B.  r'=«w  sm; 
ib  h  ist  das  syrische  a  s,  das  ägyptische  _mrs  h  (Hintertheil),  in  der  Mitte  ist 
es  als  4  der  Muskel,  ägyptisch  -«»-,  auch  die  singulare  Form  von  «{Hl*  sa 
(Kraut),  daneben  tritt  t«  das  syrische  g,  als  h  auf,  am  Ende  ist  es  wieder  das 
Hintertheil. 

Die  Vokalzeichen  '  a  t  '  m  sind  die  Consonanten  \  d^  w,  verdoppelt 
geben  sie  Nasalformen  *  a  ^  t  ^  m;  •  di<ism  »der  Silbentheiler*,  bezeichnet 
als  Null  die  Leerheit  (das  Nichtvorhandensein  eines  Vokales,  *  te^id  .die 
Verdopplung*  scheint  das  syrische  ••  h\  arabisch  -» zu  sein,  welches  wohl  firüher 
einen  /i-Laut  hatte,  "  hamza,  ist  bereits  oben  erwähnt,  es  kommt  in  grösseren 
Schriften  auch  als  P  und  als  Y  i  ^^  ^^t  das  kufische  ^  din,  vor,  ^vesla  ,  Ver- 
bindung* zeigt  die  Zusammenziehung  des  Elif  mit  dem  folgenden  Worte  aa, 
es  hat  Ähnlichkeit  mit  ^  m;  ^  medda  zeigt  das  gedehnte  a  an,  es  scheint  eine 
A-Form  vA  (das  sasanidische  ä)  gewesen  zu  sein. 

Die  Zahlzeichen  sind,  wie  wir  schon  Seite  41  und  ^^  erwähnt  haben, 
indischen  Ursprungs  und  wahrscheinlich  von  den  Malediven  entlehnt. 

Um  den  handschriftlichen  Charakter  der  Neskhi  zu  zeigen,  geben  wir 
noch  eine  Probe  desselben  Textes,  den  wir  oben  Seite  413  gegeben  haben. 

^C^r^  J%Aiif Jj?\;>5i,ji  si^U^ 

,Der  Tod  des  Mannes  in  der  Ehre  ist  wie  sein  Leben,  und  sein  Leben 
in  der  Erniedrigung  ist  der  Tod  selbst.  ■ 


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I    . 


Arabischer  TlIeL 


Arabisch-türkische  Schrillen. 


421 


7.  Die  Tülüt-Schrift. 

Genau  gesprochen  heisst  diese  Schrift  ^^  HulüH,  die  Türken  sprechen 
das  Wort  Sülüa  aus.  Diese  Schriftart  kommt  schon  in  kufischen  Inschriften 
vor  und  zeichnet  sich  durch  die  verschlungene  Form  der  Buchstaben  aus; 
sie  wird  gern  zu  Titehi  angewendet  und  unsere  Tafel  VIII  zeigt  in  dieser  Schrift 
mit  getreuer  Nachbildung  der  Arabesken  den  Titel  dieses  Buches : 

s^llxll  i^j^  täri/u  ^Ikitäb  Geschichte  der  Schrift 

Jjl5  oülj  iallfkärol  unter  der  Sorge  des  Karl 

OU^  Faulmann  Faulmann. 

Wir  geben  als  weitere  Probe  eine  Zeile  mit  dem  obigen  Text  ,  der  Tod 
des  Mannes*  etc. 


8.  Die  DSerisi-Schrift. 
Die  Dierisi-Schrift  ist  noch  Terschlungener  als  die  Tülüt.  Es  giebt  davon 


zwei  Arten: 


a)  Neskhi-Dierisi. 


b)  Tülüt-D2erisi. 


v/"W 


Durch  das  Aufeinanderselzen  der  Wörter  ist  der  ursprüngliche  Text 
erweitert,  er  lautet  hier 
I>«T  Tod  des  Mannes  in  der  Ehre  ist  wie  sein  Leben,   a;L:>^^31»J«)I  i^Jjül  Cj^ 

lud  sein  Leben  in  der  Erniedrigun^'ist  der  Tod  selbst;  ajL-^  ^ys^  JjJI  i  ^^^ 

L«'rDe,o  Jungling,  die  Unwissenheit  ist  eine  Schande,  jLc^  ^K^^  ^  Js^  ^  r^ 

l  nd  nur  der  Esel  begnügt  sich  dainil.  ^jL-^  i'  L|i  ^^ji  *  ^ 


422  Arabisch- türkische  Schiitlen. 

9.  Die  Taalik. 

Die  namentlich  bei  den  Persern  beliebte  Taalik  (^j^)  hat  eine  sehr 
flüchtige  Form,  und  wenn  auch  die  Zeilen  geradläufig  sind,  so  fallen  doch  die 
einzelnen  Wörter  immer  von  oben  nach  abwärts.  Wir  geben  hier  als  Probe 
denselben  Text  wie  oben. 

(lUt  Typen.) 

10.  Die  Rikaa. 

Die  Rikaa  (^j)  ist  eine  rohe,  sehr  schwer  lesbare  Schrift,  deren  sich 
die  Araber  und  Türken  in  Briefen  bedienen ;  hier  werden  manche  Buchstaben 
zusammengezogen,  welche  in  den  Büchern  getrennt  geschrieben  werden. 
Der  obige  Text  in  dieser  Schrift  ist 

Häufig  auch  ohne  Punctation  geschrieben,  stellt  diese  Schrift  an  die 
Sachkenntniss  des  Lesers  grosse  Forderungen. 

11.  Die  Diwani. 

Diwani  (3!^-^)  ist  eine  Schrift,  deren  sich  die  vornehmen  Türken 
bedienen,  und  welche  am  meisten  durch  die  Reisepässe  bekannt  ist;  die 
Schrift  ist  sehr  schwer  leserlich,  da  die  Buchstaben  noch  mehr  verzogen  sind 
als  bei  den  arabischen  Schriften.  Wir  geben  als  Probe  denselben  Text. 

12.  Die  Dzeri. 

Die  Dieri  ifJ^/>-)  ist  eine  türkische  Schrift,  welche,  so  wie  die  Tülüt- 
Schrift,  sich  durch  Übereinanderstellung  und  Verschlingung  der  Wörter 
charakterisirt.  Die  folgende  Probe  enthält  die  ersten  zwei  Strophen  unseres 
Textes  in  zweimaliger  Wiederholung. 


Arabisch-türkische  Seh ri den. 


13.  Die  Kalemi-rasd. 
[n  der  Kalemi-rasd  {X^j  ii)  werden  die  Buchslaben   unverbunden 
geschrieben,  wobei  einii^e  derselben  ganz  merkwürdige  Zeichen  entwickeln, 
wie  /  und  </.  Der  obij^e  Text  in  dieser  Schrift  lautet: 

Dem  entsprechen  die  Xes^^i-Buchstaben : 

14.  Die  Syakat. 
Der  Syakat  (J-JL-)  bedienten  sich  die  Janitücharen.  sie  ist  noch  molir 
verlogen  als  die  Qbrii;en  türkischen  Schriften  und  hat  auch  besondere  Zalil- 
zeichen.  Der  ubijre  Text  in  dieser  Schrift  ergiebt 

In  Ncayj :  i-V  J^  JjJl  J  Ai^_j  JjU-  J^>J'  J  jJl  Oy 


Die  Zahlzeichen  sind: 


12      11    10     9    8    7    I 


5    4     3     2     1 


X.  DIE  INDISCHEN  SCHRIFTEN. 

Indien  ist  reicher  an  Sprachen  und  Süliritteii  als  ir^ri-iid  ein  asiatisches 
oder  europäisches  Reich.  Aus  der  LebeiisbeschreibauK  Bmidha's,  welche 
zwischen  70  —  76  nach  Christo  in  das  Chincsi^ü-he  übertrafen  wurde,  iciht 
ber»or,  dass  zur  Zeit  der  Geburt  dieses  Religiunsstifters  die  Kriernuiig  der 
Schrift  einen  wesenthchen  Theil  der  Priiizener/.iehun^  ausmachte  und  dass 


^24  Sprachen  in  Indien. 

damals  64  Alphabete  in  Indien  bestanden,  ^^^  von  denen  ein  ziemlicher  Theil 
inzwischen  verloren  gegangen  ist.  Wenn  dagegen  geltend  gemacht  wird^ 
dass  nach  den  Berichten  der  Griechen  zur  Zeit  Alexander's  die  Inder  nicht 
nach  geschriebenen,  sondern  nach  mündlich  überlieferten  Gesetzen  gerichtet 
wurden,  dass  die  Bücher  der  Brahmanen  erst  später  niedergeschrieben, 
früher  aber  ausschliesslich  durch  mündliche  Tradition  überliefert  wurden» 
so  beweist  diess  nicht  die  Unkenntniss  der  Schrift,  eher  dürfte  es  beweisen, 
dass  die  Schrift  der  Inder  im  Alterthume  nicht  so  ausgebildet  war  wie 
gegenwärtig,  dass  z.  B.  nur  Consonanten  geschrieben  wurden  und  die  münd- 
liche Überlieferung  der  Aussprache,  wie  bei  den  Persern  und  Juden,  allein 
die  richtige  Lesung  des  Textes  ermöglichte. 

War,  wie  wir  oft  nachgewiesen  haben,  die  Schrift  die  Grundlage  der 
Zeittheilung  und  die  Wurzel  der  Sprachen,  so  ist  es  schon  a  priori  unmöglich 
anzunehmen,  dass  sämmtliche  indische  Alphabete  Ton  Einem  Volke  stammten, 
und  die  Vorgleichung  liefert  hierfür  hinlängliche  Belege. 

Betrachten  wir  zunächst  die  Sprachen,  so  haben  die  beiden  Haupt- 
sprachen  Indiens,  Sanskrit  und  Pali,  sich  nur  als  Sprache  der  heiligen  Bücher 
der  beiden  indischen  Hauptreligionen,  des  Brahmanismus  und  des  Buddhis- 
mus, über  Indien  verbreitet,  sich  mit  den  Sprachen  der  einzelnen  Länder 
vermischt  und  zuweilen  auch  diese  verdrängt.  In  Java  (äzawa,  dzam)  z.  B. 
herrscht  die  malaische  Sprache,  aber  in  dieser  giebt  es  verschiedene  Rede- 
weisen :  krama  heisst  jene,  deren  sich  Niedere  oder  Jüngere  eegen  Höhere 
oder  Ältere  bedienen;  noko  jene,  welche  der  Höhere  gegen  den  Niedern 
gebraucht;  mac/ya  jene,  deren  sich  Gleichgestellte  bedienen ;  hasakraton  oder 
kadaton  die  Hofsprache,  d.  i.  jene,  deren  man  sich  in  Gegenwart  des  Fürsten 
bedient,  sie  ist  im  Ganzen  dieselbe  wie  krama,  strotzt  aber  von  Höflichkeits- 
worten  und  Titeln,  endlich  kam  die  Dichtersprache.  Fr.  Müller  bemerkt  hier- 
über: „Das  Entstehen  dieser  Redeweise  begreift  sich  aus  dem  Verhältniss 
der  eingewanderten  Inder  zu  den  Javanen  und  aus  dem  verschiedenen  Bil- 
dungsgrade beider.  Während  der  Javane,  die  geistige  Superiorität  des  Inders 
anerkennend,  diesem  mit  den  Klängen  seiner  Sprache  zu  nahen  suchte, 
bestrebte  sich  wieder  der  Inder,  eine  Höflichkeit  mit  der  andern  erwidernd, 
den  Javanen  in  seiner  reinen  Muttersprache  anzureden.  Da  aber  indisches 
Wissen  und  indische  Bildung  einen  gewissen  Vorzug,  eine  Art  Adel,  verlieh, 
wurde   die   Sitte,   welche  &us  dem   Gegensatze  der  beiden  Nationen   sich 


Die  indischen  Arier.  425 

entwickelt  hatte,  auch  in  die  Gesellschaft  übertragen  und  man  suchte  den 
Toroehmen  Reichen  in  der  eleganten  Sprache  anzureden,  während  dieser  Ton 
der  Höhe  seiner  Bildung  zum  einfachen  gemeinen  Mann  herabstieg*.  ^^ 

Denselben  Gebrauch  finden  wir  in  Birma,  ja  wir  haben  ihn  selbst  in 
unserer  Sprache,  denn  wie  , essen*  bei  gewöhnlichen  Leuten  in  Birma  tsah, 
wenn  aber  ein  Priester  isst,  pon-bai  heisst,  so  haben  auch  wir  in  fressen, 
essen  und  speisen,  saufen  und  trinken,  Kerl,  Mensch,  Mann  und  Herr, 
Mädchen  und  Fräulein,  verschiedene  Scalen,  ohne  selbst  zu  den  fremden 
Wörtern  ^diniren,  Monsieur,  Mademoiselle'  greifen  zu  müssen.  Diese 
Mischung  der  Sprachen  erklärt  auf  die  natürlichste  Weise  den  Übergang 
heimischer  indischer  Laute,  wie  der  Cerebralen,  in  das  Sanskrit  und  der 
Sanskritlaute  in  die  heimischen  Sprachen. 

Wir  haben  das  Sanskrit  eine  fremde  Sprache  genannt,  denn  offenbar 
ist  es,  wie  auch  seine  Verwandtschaft  mit  dem  Zend  beweist,  die  Sprache 
des  arischen  Stammes,  der  von  Nordwesten  aus  in  Indien  eindrang  und  das- 
selbe eroberte.  Dafür  spricht  auch  die  Kastentheilung,  welche  eranischen 
Ursprungs  ist.  Die  letztere  stammte  nach  der  eranischen  Sage  von  dem  era- 
nischen König  Yima  oder  D2em,  welcher  die  Menschen  in  vier  Stände: 
1.  Priester,  2.  Krieger,  3.  Ackerbauerund  4.  Handwerker,  eintheilte,  von 
Dämonen  (Babyloniem)  Häuser  aus  Backsteinen  bauen  liess,  die  Schifffahrt 
und  die  Kunst,  Edelsteine  aus  anderen  Steinen  auszusondern,  erfand ;  er 
erbaute  sich  einen  Thron,  um  sich  von  seinen  Arbeiten  auszuruhen,  als  er 
aber  log,  er  sei  allein  der  Urheber  des  Glücks,  entfernte  sich  die  Majestät  in 
Gestalt  eines  Vogels  von  ihm  ^•^  (d.  h.  wahrscheinlich,  er  wurde  von  den 
Priestern  abgesetzt  oder  vertrieben).  Eine  Erinnerung  an  diese  Sage  hat  sich 
in  dem  deutschen  Märchen  von  dem  Fischer  erhalten,  der  den  Fisch  Put 
(Buddha)  fing  und  von  diesem  die  Gewährung  aller  Wünsche  zugesaj^t  erhielt, 
worauf  er  alle  Stufen  der  menschlichen  Gesellschaft  kosten  lernte,  bis  er 
zuletat  Gott  zu  sein  wünschte  und  darauf  wieder  in  den  armen  Fischer  ver- 
wandelt ward.  Merkwürdigerweise  finden  wir  nur  in  Indien  vier  den  oben 
erwähnten  genau  entsprechende  Kasten :  die  Brahmanen  (Priester),  die  K^«!- 
triyas  (Krieger),  die  Vaisyas  (Ackerbauer)  und  die  Sudras  (Handwerker),  von 
denen  die  Ureinwohner,  die  Parias,  als  untergeordnete  Wesen  verachtt'l 
werden;  dagegen  finden  wir  bei  den  Persern  nur  Krieger  (Pasargaden, 
Maraphier  und  Maspier),  Ackerbauer  (Panthialäer,  Derusiäer  und  Germanier), 


426  Die  Laute  der  indischen  Sprachen. 

sowie  nomadische  Hirten  (Daer,  Marder,  Dropiker,  Sagartier);  bei  den  Medem 
die  Magi  (Priester),  Budii  (Besitzer  des  Bodens),  Arizanti  (arische  Beherrscher), 
Struchates  (Hirten),  Parelaceni  (Nomaden)  und  Busae  (Ureinwohner). 

Durch  sprachliche  Unterschiede  von  diesen  arischen  Völkern  streng 
unterschieden  sind  die  dravidischen  Stämme,  die  Malaien  und  die  hinler- 
indischen  Völker,  deren  einsilbige  Sprache  vermulhen  lässt,  dass  sie  sich 
einst,  wie  noch  jetzt  die  Annamiten,  der  chinesischen  Schrift  bedient  haben. 
Ausserdem  mögen  noch  kleinere  Völkerschaften  ihre  nationale  Eigenart  und 
Schrift  bewahrt  haben. 

Von  diesem  Standpunkte  aus  gewinnen  die  Alphabete,  soweit  sie  die 
Lauteigenthümlichkeiten  der  Sprache  erhalten  haben,  eine  besondere  Bedeu- 
tung. Unter  den  nordwestlichen  Schriften  ist  die  Multan-Schrift  am  ärmsten 
an  Lauten,  sie  hat  nur  drei  Vokale  a  i  u,  drei  Gutturale  k  kh  g,  drei  Palatale 
tä  Uh  dz,  einen  Cerebrallaut  d  nebst  dem  entsprechenden  Nasal  »i;  fünf 
Dentale  t  th  d  dh  n,  vier  Labiale  pphbtn,  vier  Halbvokale  ylrw,  ein  s,  ein  ä 
und  ein  tr,  welcher  Laut  sich  auch  in  der  persischen  Keilschrift  vorfindet.  Das 
eng  verwandte  Alphabet  von  Sindh  dagegen  besitzt  den  Reichthum  der  Pali- 
sprache, welcher  wiederum  die  Laute  s  und  s  des  Sanskrit  fehlen.  Auffallende 
Ähnlichkeit  mit  dem  nordwestlichen  Alphabete  haben  die  malaischen  der 
Tagala  und  Bisaya,  welche  im  entgegengesetzten  Theile  von  Indien,  auf  den 
Philippinischen  Inseln  wohnen.  Das  Sanskrit  hat  zehn  Vokale,  vier  Diphthonge, 
fünf  Gutturale  k  kh  g  gh  h,  fünf  Palatale  ts  täh  dz  dzh  fi,  fünf  Cerebrale  /  th 
d  dJi  n,  fünf  Dentale  t  th  d  dh  n,  fünf  Labiale  p  phh  hh  tn,  fünf  Halbvokale 
y  r  1 1  V,  drei  Zischlaute  s  ^  s  und  das  h,  während  die  eigenthümliche  Form 
des  5r  ^^'  ^1^  ^^s  sindhische  ^  tr  erinnert.  Haben  die  dravidischen  Laut- 
verhältnisse sich  im  Tamulischen  rein  erhalten,  so  besass  diese  Sprache  sechs 
Urvokale  a  ä  it  u  ü,  denn  nur  diese  verbinden  sich  mit  den  Consonanten- 
zeichen ;  ferner  sechs  explosive  Laute  k  ts  t  t  p  tr,  sechs  Nasale  nn  nn  n  tn, 
sechs  Halbvokale  y  r  r  l  l  t\  Endlich  haben  die  LeptSa  im  Lande  Sikkim 
am  Fusse  des  Himalaya  eine  eigenartige  Schrift,  welche  aus  neun  Vokalen, 
neun  Finalzeichen  (nach  Art  der  amerikanischen  Kri-Schrift)  und  28  Con- 
sonanten,  nämlich  vier  Gutturalen  k  kh  g  it,  vier  Palatalen  t^tShz  n,  vier  Den- 
talen t  th  d  n,  fünf  Labialen  p  ph  f  b  m,  fünf  Zischlauten  ts  tsh  z  s  S,  fünf 
Halbvokalen  y  r  l  v  w  und  dem  Hauchlaut  h  bestehen,  ausserdem  haben  sie 
noch  sieben  eigene  Zeichen  für  kl  gl  pl  fl  hl  ml  hl  und  42  Ligaturen  mit  y  r  ry. 


Die  indische  Sage.  427 

Die  Sanskritsprache,  welche  schon  zu  Zeiten  Asoka's  im  3.  Jahrhundert 
vor  Christo  eine  todte  Sprache  der  brahmanischen  Bücher  war,  hat  fast  alle 
Eigenthümlichkeiten  der  indischen  Sprachen  in  sich  aufgenommen  und  ist 
dadurch  die  lautreichste  Sprache  der  Welt  geworden,  aber  hieraus  geht  auch 
hervor,  dass  sie  keineswegs  eine  der  ältesten  ist,  wenngleich  ihr  rein  flecti- 
render  Aufbau  die  alten  Wurzeln  deutlicher  erkennen  lässt,  als  diess  bei 
vielen  anderen  Sprachen  der  Fall  ist.  In  gleicher  Weise  wie  die  Sprache 
mischte  sich  auch  ihr  Inhalt,  die  vedische  Religion,  und  diese  Mischung 
erschwert  ungemein,  das  Dunkel  zu  lichten,  welches  über  der  Vorzeit  Indiens 
ruht,  zumal  die  Brahmanen  wenig  Sinn  für  Geschichte  besassen  und  dieselbe 
mehr  als  andere  Völker  im  Dienste  ihrer  Religion  zu  Mythen  verwebten. 

Als  Beispiel  führen  wir  die  Erzählung  Lassen's  an.  welche  die  Sajje 
hetriin.  ,  Diese  ist  Satyavati,  die  Tochter  des  Königs  der  Dasa,  welche  be- 
schäftigt war  nach  dem  Befehle  ihres  Vaters  Leute  über  den  Flusb  zu  fahren. 
Der  Ri.ii  (der  Weise)  Paräsara  hatte  sie  auf  einer  Pilgerfahrt  bei  ihrer 
Besrhät1ij:ung  gefunden  und  geliebt,  ihr  Sohn  ist  Vyäsa,  der  Anordner  der 
Vedas  und  der  Verfasser  des  Mahabharata ;  für  dessen  Geburt  gewährte  ihr  der 
heilijre  Mann  den  lieblichsten  Wohlgeruch  statt  des  ihr  seit  ihrer  Geburt 
anklebenden  Fischgeruches,  sie  heisst  daher  auch  Gandhavatl  oder  »die  Wohl- 
riechende*. (Sie  heisst  auch  Gandhakäll,  welches  auch  durch  , wohlriechend" 
erklärt  wird,  k<üi  ist  jedoch  kein  Affix,  und  sie  wird  auch  allein  Kali  oder 
»die  Schwarze"  genannt.)  Dieser  Name  ist  ohne  Zweifel  aus  dem  Umstände 
zu  erklären,  dass  Paräsara,  als  die  Satyavati  ihn  darauf  aufmerksam  machte, 
dass  andere  am  Ufer  stehende  Riäis  sie  sehen  könnten,  einen  Nebel  erschuf, 
durch  welchen  die  ganze  Gegend  in  Finsterniss  gehüllt  wurde.  (Es  soll  wohl 
d«.T  dunkle  Ursprung  der  Sage  bezeichnet  werden.)  Warum  der  Sagensamniler 
Vyisa  der  Sohn  der  Weisheit  genannt  wird,  bedarf  nicht  der  Erklärung,  auch 
nicht  der  Grund,  warum  Paräsara  sein  Valer  ist,  denn  dieser  gilt  als  der 
Verfasser  eines  der  ältesten  Lehrbücher  der  Astronomie  und  hatte  schon  die 
gros>en  Weltperioden  festgestellt;  der  Anordnung  der  Sagen  der  Vorzeit 
Ui us^le  die  Chronologie  vorhergehen.  (Paräsara  bedeutet  «zerreissen*.  es 
i-l  unklar,  wie  der  Name  dieser  mythischen  Person  zu  erklären  sei.)*   Um 

•  Einfach  durch  den  Bi'jrrifT  «Iheilen",  der  identisch  mit  «zenvissen*  i^t; 
j^tnt-iara  ist  die  Zeittheiluii^,  hfliräisch  pC,  //evr«,  der  Zwillin^ssohn  der  Thaniar.  an 
•!»'**»*u  Geburt  »ich  die  auch  in  Indien  heimische  Schwa}?erlieirath  anknui»l\e. 


428  Die  indische  Sage. 

zu  erklären,  warum  Paräsara  die  verkörperte  Sage  auf  einer  Pilgerfahrt  findet, 
ist  daran  zu  erinnern,  dass  bei  den  Tirtha  viele  Menschen  zusammentrafen, 
und  oft  Nachrichten  erwähnt  werden,  welche  Brahmanen  von  ihrem  Besuche 
derselben  mitbrachten.  Es  tritt  hier  die  Bedeutung  des  Pilgems  für  die  Bfit- 
theilung  und  Erhaltung  der  Sagen  deutlich  hervor.  Betrachten  wir  den  übrigen 
Inhalt  der  Sage  über  die  Geburt  des  Vyäsa,  so  liegt  darin,  dass  seine  Mutter 
eme  Tochter  des  Königs  von  Magadha,  eine  Schwester  des  Königs  der  Katsya 
ist  und  von  einer  in  einen  Fisch  verwandelten,  in  der  Yamuna  lebenden 
Apsarasa  geboren  wird,  wie  Vyäsa  auf  einer  Insel  dieses  Flusses,  eine  An- 
deutung, dass  das  Sammeln  der  alten  Sagen  von  dem  Lande  Magadha  aus- 
gegangen und  in  der  Gegend  an  der  Yamuna  und  bei  dem  Volke  der  Matsaya 
besonders  betrieben  worden  sei.  Es  ist  hierbei  zu  berücksichtigen,  dass 
magadha  auch  einen  Sänger  bedeutet  und  diese  Bedeutung  keine  etymologische 
Begründung  hat,  es  muss  also  der  Grund  ein  historischer  gewesen  sein  und 
in  einer  besonders  hervortretenden  Beschäftigung  des  Volkes  von  Magadha 
gesucht  werden.  Das  Gesetzbuch  betrachtet  die  Sänger  als  eine  gemischte 
Kaste  aus  der  Verbindung  eines  Ackerbauers  mit  einer  Kriegerstochter  ent- 
standen; dieses  ist  aber  nur  eine  theoretische  Erklärung  eines  bestehenden 
Zustandes.  Das  Amt  des  Magadha  oder  Vandin  (Lobpreisers)  war  besonders, 
vor  den  Königen  den  Ruhm  ihrer  Vorfahren  zu  besingen  und  das  Hören 
solcher  Gesänge  war  auch  den  Ackerbauern  erlaubt.  Die  Matsya  bildeten 
eines  der  vier  grossen  Völker  Madhgadeöa's,  und  diese  Gegend  war  zur  Zeit 
der  Bearbeitung  der  alten  Sage  die  heiligste.  Dasa  bedeutet  einen  Diener,  er 
nimmt  eine  niedrige  und  verachtete  Stufe  ein,  indem  er  aus  Mischung  zweier 
unreiner  Kasten  entsteht,  sein  Geschäft  ist  das  des  Schiffers  und  des  Fischers; 
auf  diese  verachtete  Stellung  der  Dasa  wird  der  üble  Geruch  zu  beziehen 
sein,  welcher  der  Satyavati  anklebte.  •  ^^^ 

Diese  Erzählung  beweist  deutlich,  dass  die  brahmanische  Religion  von 
den  Ariern  nicht  nach  Indien  gebracht  wurde,  sondern  in  Indien  durch  Ver- 
mischung mit  der  einheimischen  Religion  entstand.  In  der  That  kennen  die 
ältesten  Religionsbücher  der  Inder  die  brahmanische  Religion  nicht,  in  ihnen 
ist  der  höchste  Gott  Indra,  der  Gott  des  blauen  Himmels  und  der  Gewitter, 
der  nordische  Thor.  Wie  dieser  die  Frostriesen  bekämpft,  so  verfolgt  Indra 
die  bösen  Schlangen  ahi  (die  finsteren  Wolken)  begleitet  von  der  Götterhündin 
Saramä,  während  bei  den  Eraniern  Tahmurath  (der  grosse  Fuchs)  selbst  mit 


Indische  Religionen.  429 

den  Dämonen  kämpft;  Indra  ist  daher  der  Gott  der  Hirten,  die  Sonne,  das 
Frühjahr. 

r 

An  die  Stelle  des  Indra  treten  in  der  spätem  Religion  WiSnu  und  Siwa 
auf,  welch*  letzterer  der  frühere  Indra,  aber  in  der  verderblichen  Gestalt  des 
zerstörenden  Feuers  ist.  WiSnu,  Ton  welchem  wir  auf  Tafel  X  eine  Abbildung 
geben,  ist  der  Gott  des  Wassers,  eigentlich  so  wie  er  dargestellt  wird,  das 
Schiff,  an  dessen  Hintertheil  seine  Gattin  LakSmi  (die  Schöne)  sitzt  (die 
Satyavati,  welche  in  der  Sage  die  Überfuhr  besorgt),  aus  der  Mitte  des  Schiffes, 
welches  nach  Art  der  Lotospflanze  gebaut  ist,  steigt  der  Mast  als  Brahma 
mit  den  vier  Himmelsrichtungen,  Ost,  Süd,  West,  Nord,  empor,  das  Symbol 
des  günstigen  Windes. 

Wenngleich  somit  Brahma  als  neuer  Gott  erscheint,  ist  er  doch  seinem 
Wesen  nach  älter,  nicht  das  Product  der  Philosophie,  sondern  als  Brahm 
und  persischer  Behram  der  ewige  Gott  des  Lebens,  der  in  allerlei  Gestalten 
erscheint,  der  grosse  Geist  der  amerikanischen  Indianer,  der  den  Menschen 
unzugänglich  ist,  aber  durch  seine  Emanationen,  die  Fetische,  wirkt.  Aus 
diesem  Grunde  mag  es  auch  zu  erklären  sein,  dass  Brahma  keine  Tempel 
besitzt,  ausser  einem  einzigen  in  Newara,  wo  sein  Betriff  also  eine  concre- 
tere  Form  angenommen  hatte.  Hier  wird  er  als  Lotosblume  in  PuSkara 
(Lotosteich)  verehrt,  ist  also  identisch  mit  dem  Horus  der  Ägypter,  zumal 
auch  ihm  ebenso  wie  dem  ägyptischen  Gotte  der  Wissenschaft  und  des 
Schweigens  die  Erfindung  der  Schrift  zugeschrieben  wird.  War  Brahma  aber 
gleich  dem  Horus,  dem  Gotte  der  Nacht  und  des  jungen  Jahres,  dann  müssen 
die  Felsentempel  auch  ihm  gewidmet  gewesen  und  sie  können  nicht  so  jung 
sein,  wie  man  annimmt.  Der  unbekannte  zeugende  Naturgott  wurde  im  Fin- 
Stern  durch  Orgien  verehrt,  von  denen  die  Hierodulen  ebenso  zeugen  wie  die 
Bavaderen  Indiens. 

Diesem  Gotte  des  Ackerbaues  trat  nun  WiSnu  als  Gott  des  Handels 
und  der  SchifTfahrt  gegenüber,  oder  vielmehr,  der  jüngere  Begriff  löste  sich 
von  dem  altem  ab;  wie  auf  der  andern  Seite  Indra  sich  in  Siwa  verwan- 
delte, der  ebenfalls  ein  Theil  des  Brahma  oder  vielmehr  derselbe  war.  Im 
bürgerlichen  Leben  machten  sich  diese  beiden  Götterlehren  durch  die  Be- 
erdigungsformen  geltend,  die  Anhänger  des  Siwa  verbrannten  ihre  Todten, 
die  des  WiSnu  setzten  sie  dem  Wasser  aus;  von  dieser  letztem  Bestattung 
hat  sich  nur  die  Meinung  erhalten,  dass  das  Ertrinken  im  heiligen  Ganges 


430  Indische  Religionen. 

die  wün sehen swerlheste  Todesart  sei.  Auf  die  Vereinigung  der  beiden  Reli- 
gionen deutet  die  Verehelichung  des  Paräsara  mit  der  Satyavali  hin;  die 
letztere  scheint  in  der  That  die  dunkelfarbige  Urbevölkerung  repräsenlirl 
zu  haben,  denn  die  oben  gegebene  Erklärung  des  Namens  Kali  ist  nur  theil- 
weise  zutreffend;  vielmehr  weist  die  ganze  Sage  und  besonders  der  Fisch- 
geruch darauf  hin,  dass  die  Urbevölkerung  von  Indien  mit  der  Babylons, 
welches  durch  den  Fisch  Oannes  cultivirt  wurde,  identisch  war.  Bei  dieser 
Gelegenheit  drängt  sich  die  Frage  auf  die  Lippen,  ob  nicht  Paräsara  das  per- 
sonificirte  Perservolk  war,  welches  sich  mit  den  indischen  Ureinwohnern  in 
derselben  Weise  vermischte  wie  in  Babylon,  von  wo  es  in  der  Bibel  heisst: 
,Da  sahen  die  Kinder  Gottes  (elohim  ist  als  „leuchtender"  so  viel  wie  indra) 
nach  den  Töchtern  der  Menschen  (adam  =  Erde),  wie  sie  schön  waren,  und 
nahmen  zu  Weibern,  welche  sie  wollten  ....  und  wurden  daraus  Gewallige 
in  der  Welt- und  berühmte  Leute". 

Dem  Brahmanismus  gegenüber  steht  die  Religion  des  Buddha,  gestiftet 
durch  Siddharta  in  Magadha.  Dieselbe  scheint  eigentlich  eine  Reaction  der 
einheimischen  Lehre  gegen  die  fremde  eingedrungene  zu  sein,  welche  letztere 
sich  durch  ihr  erdrückendes  Kastenwesen  verhasst  gemacht  hatte.  Der  Unter- 
schied beider  Religionen  ist  vorzugsweise  ein  politischer.  Dem  Brahmanen, 
dem  geistlichen  Adel,  der  sich  alles  Gute  und  Schlechte  erlauben  darf,  weil, 
was  er  thut,  keine  Sünde  ist,  der  nach  dem  Grundsatze  ^divide  et  impera* 
streng  auf  die  Kastenunterschiede  hält,  weil  nur  durch  diese  seine  Vorrechte 
erhalten  werden  können,  der  das  Volk  in  Unwissenheit  erhält,  weil  er  das 
Denken  fürchtet,  tritt  der  Buddhismus  gegenüber,  der  die  Lehre  des  Heils 
dem  ganzen  Volke  predigt  und  die  Heiligkeit  nicht  von  der  Geburt,  sondern 
von  der  innern  Reinigkeit  und  dem  Gebete  erwartet.  Die  Brahmanen  bedurf- 
ten einer  heiligen  Sprache,  welche  das  Volk  nicht  verstand ;  die  Buddhisten 
lehrten  in  den  Landessprachen,  und  daher  haben  wir  diesen  die  Kenntniss 
der  indischen  Paläographie  zu  danken,  denn  von  ihnen  allein  rühren  die 
Inschriften  her. 

Was  nun  Buddha  selbst  betrifft,  so  ist  der  concrete  Begriff  dieses 
Namens  „der  Boden,  der  Erdboden,  der  Grund",  hieraus  bildete  sich  „das 
Ergründen,  die  Weisheit".  Buddha  ist  daher  der  hebräische  Adam,  er  ist 
aber  auch  Brahma  und  WiSnu.  Es  war  kein  Zufall,  dass  die  buddhistische 
Religion   in  Magadha   entstand,   von  welchem  Lande  auch  die  Brahmanen 


Indische  Symbolik.  43 1 

einen  grossen  Theil  ihrer  Lehre  entlehnt  hatten ;  in  Magadha  hatte  sich  die 
alte  Lehre  lebendiger  erhalten,  und  daher  ging  von  hier  die  Reaction  gegen 
den  brahmanischen  Cberrauth  aus.  Die  Gupta-Dynastie  war  die  mächtigste 
Beschützerin  der  neuen  Lehre;  doch  erhoben  sich  im  4.  Jahrhundert  unserer  • 
Zeitrechnung  viele  von  den  Brahmanen  aufgewiegelte  Fürsten  gegen  diese 
demokratische  Religion,  die -Buddhisten  wurden  aus  ganz  Vorderindien  ver- 
trieben und  wendeten  sich  nun  gegen  Osten,  wo  sie  in  Hinterindien  und 
China  einen  grossen  Wirkungskreis  fanden,  nachdem  ihre  Lehre,  durch  den 
Schmutz  der  Unwissenheit  geschleift,  zum  blöden  Unsinn  entartet  war. 

Diese  kurze  Betrachtung  der  Grundlagen  der  indischen  Religionen 
zeigt,  dass  dieselben  in  einem  ursprunglichen  Zusammenhange  mit  den  Reli- 
gionen der  übrigen  Länder  standen  und  dass  daher  die  Bilderschrift  den  Indiern 
nicht  unbekannt  war.  Indra  ist  das  ägyptische  |  ntr,  das  Steinbeil  Thor's, 
aber  auch  der  blaue  Himmel  r— ^  pt,  als  Feste  des  Himmels  der  Boden 
Buddha  (auch  in  unserer  Sprache  hat  , Boden*  die  doppelte  Bedeutung  des 
Oberen  und  Unteren) ;  diesem  entspricht  -^o^  pt  der  Bogen  in  Brahma's  Hand, 
auch  M"*  pr-a  »der  Pharao";  diesem  wieder  A  du,  die  Yoni,  die  berggeborne 
Pärrata,  die  Gemahlin  ^iwa*s.  A  du  ist  als  Sothisstern  verwandt  mit  ^  sb, 
das  indische  ^tca,  der  als  vriSa-dhvwja  , Träger  des  Stierbanners*  -i^  ab  (das 
Schurzfell  des  eranischen  Gustasp)^S^  ap  , Haupt;  Würde", ^  ä<  »das  Zepter 
mit  dem  Slierkopf*  ist;  als  dhurdzafi  , Träger  des  Haarzopfes*  ist  Siva  der 
ägyptische  wl  Amon  und  T  /a,  sowie  ¥  ***/  »Leben*,  der  indische  Agni, 
der  Gott  des  Feuers;  er  war  aber  auch  identisch  mit  Varuna  dem  »Umfasser*, 
ägyptisch  ^^  /n  »umarmen*  ^  /num  »der  Weltschöpfer*  und  mräyana 
»der  ersten  Bewegung*  (ägyptisch  Ji  ai,  tu,  sanskrit  ayana  »Gang")  des 
Wassers,  ägyptisch  f  an  »gehen",  chinesich   LI    t  »Ursache*  u.  s.  w. 

Wir  finden  femer  der  alten  Trilogie:  Indra -Varuna -Agni  im  Brahma 
die  Vierzahl  substituirt,  welche  durch  das  Buch  (das  Wort),  den  Bogen,  das 
Feuer  und  den  Rosenkranz  (Sternenkranz  ?)symbolisirt  wird,  den  Übergang  von 
der  Zeittheilung  der  südlichen  Ackerbauer  (Überschwemmung,  Fruchtbarkeit 
und  Dürre)  in  die  Zeittheilung  der  Wendekreise  (Frühling,  Sommer,  Herbst 
und  Winter),  Der  Rosenkranz  fmdet  sich  auf  Bildern  des  Siwa  auch  als  Kranz 
von  Schädeln,  und  die  Erklärung,  dass  Brahma  alle  Jahre  stirbt,  worauf  ihm 
Siwa  den  Kopf  abschlägt  und  seinem  Schädelkranze  beifügt,  zeigt  deutlich, 
dass  die  Inder  einen  ebensolchen  Jahres-Cyklus  hatten,  wie  die  Chinesen, 


I3i 


Indiiclie  Symbolik. 


denn  der  Schädelkranz  bedeutet  eine  Reihe  von  Jahren,  welche  eine  grosse 
Periode  ausmachen. 

Wir  gehen  hier  als  Beweis,  wie  sehr  die  Inder  mit  den  Symbolen, 
welche  die  ägyptische  Bilderschrift  ausmachen,  vertraut  waren,  das  Bild  des 
Gottes  Yamaii  daija  (Ziegengesichles)  in  Tibet. 


\      , 


Indische  Symbolik.  433 

Dieser  Gott,  dessen  ursprüngliche  Bedeutung  durch  die  EinfQhrung  des 
Buddhismus  in  der  Erinnerung  der  Tibeter  mehr  und  mehr  Terblasste,  und 
dessen  Bild  nur  durch  die  Anhänglichkeit  an  alte  Gebräuche  erhalten  ist,  hat 
einen  Ziegen-  oder  Ochsenkopf,  der  zu  beiden  Seiten  von  drei  grimmen 
Menschen  gesiebtem  mit  rother,  hell-  und  dunkelblauer,  gelber  und  weisser 
Farbe  begleitet  ist,  über  dem  Ziegenkopfe  ragt  ein  rother  Menschenkopf  hervor, 
der  wie  jener  drei  Augen  und  einen  Kranz  von  Menschenschädeln  hat,  zu  oberst 
schliesst  das  Bild  ein  angenehmer  Frauenkopf  ab,  der  das  Sinnbild  der  gött- 
lichen guten  Eigenschaften  oder  der  Kopf  des  MansuSari  ist,  von  welchem 
Yamandaga  eine  Verwandlung  sein  soll,  sowie  das  Furchtbare  der  Figur  Symbol 
der  Macht  und  Thaten  dieses  Gottes  ist.  Auf  jeder  Seite  hat  Yamandaga  zehn 
Anne,  welche  allerlei  Waffen,  Siegeszeichen,  Marterwerkzeuge,  Schlingen, 
Schleudern  und  zerrissene  Glieder  von  Menschen  schwingen.  Mit  zwei  Armen 
hält  er  vor  sich  einen  Schädel,  dem  er  mit  einem  besonders  schneidenden 
Instrumente  die  Haut  abzuschaben  scheint,  unter  seinen  vielfachen  mit  Krallen 
bewaffneten  Füssen  liegen  allerlei  Ungeheuer  und  Menschen  von  gelber, 
blauer  und  weisser  Farbe  zertreten.  Sein  Gewand  ist  eine  Elephantenhaut 
und  sein  Gürtel  eine  mit  Menschenköpfen  behangene  Schlange.  Vor  ihm 
stehen  drei  Pyramidenaufsätze,  die  auf  Menschenschädeln  stehen ;  der  eine 
stellt  gleichsam  das  abgescherte  Fleisch  eines  menschlichen  Kopfes  mit  Nase, 
Augen,  Ohren  und  Zunge  dar;  der  andere  scheint  aus  Gehirn  zu  bestehen; 
der  dritte  ist  eine  zierliche  blutrothe  Pyramide;  dergleichen  aus  Mehlteig 
künstlich  verfertigte  Aufsätze  werden  diesem  Gotte  dargebracht,  wenn  sein 
besonderer  Dienst  verrichtet  wird.  ^^^ 

Wir  haben  hier  einen  Überrest  einer  alten  blutdürstigen  Religion, 
welche  einst  in  ganz  Europa,  Asien  und  Afrika  herrschte  und  die  durch 
eine  menschlichere  Lehre,  deren  Spuren  wir  in  der  Bibel  in  der  Abraham- 
Legende,  in  Ägypten  im  Isis-Cultus  und  in  Indien  in  der  brahmanischen 
Religion  fmden,  ausgerottet  wurde;  die  Ähnlichkeit  des  grotesken  tibetischen 
Gemäldes  mit  den  mexikanischen  Bildern  lässt  vermuthen,  dass  die  Azteken  die 
letzten  Überreste  der  Anhänger  dieser  blutigen  Religion  waren,  welche  aus 
einer  irrigen  Auffassung  der  Bilder- Symbole  entstand,  und  wir  werden  wohl 
nicht  irren,  wenn  wir  annehmen,  dass  in  den  jüngeren  Schriftzeichen  absicht- 
lich die  BOdform  verwischt  wurde,  um  dergleichen  Missverständnissen  vor- 
zubeugen. Wenn  daher  die  entstellten  Figuren  der  hieratischen  Schrift  der 

raafanaiiB,  Geschieht«  d.  Schrill.  j8 


4-34  Indische  Schriflzeichen. 

Ägypter,  der  TSwan-Schrift  der  Chinesen,  sowie  aller  Buchstabenschriften  die 
vergleichende  Untersuchung  des  Schriflkenners  erschweren,  so  kann  er  sich 
als  Menschenfreund  damit  trösten,  dass  diese  unklaren  Zeichen  die  Morgen- 
strahlen einer  humanen  Bildung  waren,  welche  das  menschliche  Geschlecht 
der  Nacht  eines  fmstem  Aberglaubens  entriss  und  es  lehrte,  dass  die  Elrde 
nicht  ein  von  schrecklichen  Gewalten  beherrschtes  Jammerthal  sei,  sondern 
ein  fruchtbarer  Boden,  der  den  Fleiss  durch  Gewinn  belohnt. 

Bevor  wir  auf  die  einzelnen  Schriften  eingehen,  wollen  wir  zunächst 
die  Frage  untersuchen,  ob  wir  in  den  einzelnen  Zeichen  selbständige  Formen 
oder  durch  den  Gebrauch  abgeschliffene  Spielarten  haben,  oder  endlich  in  wie 
weit  die  ersteren  oder  die  letzteren  auftreten.  Wir  werden  zu  diesem  Zwecke 
die  Bedeutung  der  Zeichen  erforschen  und  uns  hierbei  auf  die  Sanskritsprache 
stützen,  wenngleich  v.*ir  uns  nicht  verhehlen,  dass  deren  Bedeutungen  nicht 
für  die  übrigen  indischen  Sprachen  massgebend  sind. 

Ä,  Das  Sindh-a  n)  entspricht  dem  samaritanischen  A  yad  (Hand); 
dieselbe  Figur  heisst  im  Chinesischen  tSao  „Klaue*,  und  dem  entspricht 
Sanskrit  ai  .wandern*,  afh  .gehen*,  sov^e  ahi  .Schlange*.  Lelztere  als 
Symbol  der  Wasserwoge,  lehnt  sich  an  das  keilschriflliche  a  .Wasser*  an. 
Die  LeptSaform  j^  ist  der  ägyptischen  Form  ^  a  ähnlich,  woraus  das 
moabitische  4^  a  entstand,  die  Verbindung  mit  dem  Begriff  Wasser  lässt 
hierbei  die  Vermuthung  entstehen,  dass  die  LeptSaform  verwandt  mit  den 
Hieroglyphen  "^  und  "^+n  uaf^,  der  Regenwurm,  ist;  es  wäre  daher  a  als 
Zeitzeichen  Osten  gewesen,  der  Beginn  des  Frühlings  und  der  Regenzeit  und 
hiermit  hängen  Multan  TT,  gud2aratisch  :tft  als  Schlange,  gudiaratisch  31  wie 
Devanagari  ^  a  aber  als  ägyptisch  /j\  am  (ausstrahlen,  sowohl  Licht  als 
Regen)  die  aufgehende  Sonne,  zusammen;  magadhisch  M,  sowie  die  Gupta- 
formen  ^  ^  ^  entsprechen  dem  althebräischen  «V  kaph,  wie  Sindh  in  dem 
samaritanischen  m  Hand;  ersteres  ist  aber  auch  der  geöffnete  Mund,  der 
Kalender  {kcdo  .ich  rufe*),  die  Öffnung  des  Himmels,  und  demnach  dürften 
Orissisch  'Q  und  Kistna-*^  nicht  einfache  Comimpirungen  sein,  sondern  die 
Hieroglyphe  ff  kh,  welche  als  .kühl*  auf  den  beginnenden  Regen  hindeutet; 
mit  letzterem  Zeichen  ist  aber  auch  Devanagari  ^  verwandt.  Assam  T^ 
Pegu  V)  schliessen  sich  an  H)  an,  dagegen  scheint  Tagala  V*  und  Bisaya  \p 
.die  Giesskanne*  anzudeuten,  welche  in  der  Magadha- Schrift  «tJUM5< 34 «a 
ist,  das  letztere  Zeichen  ist  auch  Sanskrit  ^  sa  aber  tamulisch  a,  dagegen 


Indische  Schriftzeichen.  435 

weist  Telinga  9  auf  die  ägyptische  Hieroglyphe  W  hm  (Frau,  Wasser)  hin. 
Ganz  anders  ist  marathisch  ^,  welches  sich  in  der  Paliform  QJ  birmanisch 
33,  wiederfindet,  wogegen  eine  andere  Paliform  N  ganz  verschieden  ist;  die 
marathische  Form  ist  mit  Multan  @  u  verwandt,  welches  im  Sanskrit ,  wehen*, 
Ägyptisch  Q.  u  der  Wind,  die  gekräuselte  Welle,  oder  wohl  auch  '(Jj  Amon 
mit  dem  Haarzopf,  der  indisch  äiwa  ist  (sif  bedeutet,  wie  wir  Seite  99  nach- 
gewiesen haben,  den  Regen),  äiwa  aber  erklärt  N  als  die  Schleuse  des  Him- 
mels. Wir  finden  somit  in  a  die  indische  Trilogie  Brahma  als  Wind,  WiSnu 
als  Regen  und  Siwa  als  die  Befruchtung  vertreten;  finden  aber  auch  den 
Beweis,  dass  diese  verschiedenen  Formen  des  a  sich  nur  durch  die  Ver- 
wandtschaft und  Zeitbedeutung  des  Grundbegriffes  erklären  lassen. 

/.  Sindh  O  t  ist  der  Himmelsbogen  r-— <i,  Sanskrit  ind  .die  höchste 
Macht  haben*,  die  Wurzel  des  Wortes  Indra  „der  höchste  Gott*,  ägyptisch 
^F  a/  .hoch*,  Multan  6  t  ist  sindhisch  6  dha,  Sanskrit  cf^n  . in  Bewegung 
setzen*,  dhana  .Vermögen,  Geschenk*,  es  ist  das  Symbol  des  Phallus,  der 
im  Ägyptischen  auch  .Weg*  bedeutet;  dem  steht  t  als  indriya  .der  Same* 
gegenüber,  das  magadhische  t-  t^  welches  in  den  Gupta-Inschriflen  auch  als 
O  "^  V^  "^  und  dann  Wolken  oder  fruchtbaren  Regen  (Segen)  bedeutet 
Die  begriffliche  Übereinstimmung  erklärt  auch  die  Ähnlichkeit  von  ^  t  und 
^  dha  in  der  Devanagari-Schrift,  beide  Formen  scheinen  den  Thierschwanz, 
Ägyptisch  "^  ab,  oder  den  Zopf  des  Siwa  vorzustellen,  wenigstens  scheint  die 
gekrümmte  Form  darauf  hinzudeuten;  im  Singalesischen  kommt  <fals  t  vor, 
während  3  i  die  vorhin  erwähnte  Wolkenfonn  zu  sein  scheint.  Diese  Wolken- 
form  scheint  auch  das  Zeichen       zu  sein,  welches  in  der  Sanskrit-Schrift 

über  die  Consonanten  gesetzt  wird,  z.  B.  f^  ki  ^[  Ari,  während  die  Pali- 

o        o 
SchriAen  daHir  3  t  o  r^  z.  B.  birmanisch  cr^  ki  co  kt,  das  sind  die  Figuren  für 

Sonne  und  Mond,  haben.  Die  Schrift  der  LeptSa  hat  für  t  dieselbe  Form  ^ , 
welche  in  der  hieratischen  Schrift  der  Ägypter  u  bedeutet  und  in  den  Hiero- 
glyphen durch  den  Vogel  Ik  oder  die  Welle  Q  vertreten  wird,  dieser  Wechsel 
der  Aussprache  kann  um  so  weniger  beirren,  als  Sindh  (^  u,  tamulisch  (7  i, 
und  im  Siwa  die  Begriffe  Feuer,  Wasser  und  Luft  vereinigt  sind,  denn  er  ist 
das  Leben,  die  Liebe  und  der  fruchtbare  Regen;  tamulisch  P^  i  ist  der 
letztere;  die  Paliformen  ri  ^  ^  lehnen  sich  an  die  Formen  der  Gupta- 
Inschriften  an,  ebenso  kamaUsch  Zt  und  telingisch  'S},  Tagala  JifZ  und  Bisaya 
s^.  Dagegen  weisen  Passepa  ^j  i,  oJ  i,  auf  .ruhen,  sitzen*,  ägyptisch ^^^ 

28» 


436  Indische  Schriftzeichen. 

aft  .ruhen*,  ■  as  „Sitz*  hin,  also  die  weibliche  Form  des  männlichen 
Indra. 

Z7.  Sindh  @  ist  bereits  besprochen,  es  beruht  auf  dem  Sanskrit  u 
9 wehen,  blasen*,  es  ist  als  u  identisch  mit  Multan  @,  Sikh  '%^  KaSmir  7, 
devanagarisch  ^,  LeptSa  3  >  Tagala  3>  Bisaya  3«  dagegen  maratbisch  l^i 
und  tamulisch  5 1^  während  maratbisch  ^  u  eine  der  oben  erwähnten  i-Form 
ist.  Magadhisch  L  ist  der  Winkel,  der  Fuss,  hieroglyphisch  J,  hieratisch  j[^, 
Gupta-Inschrifl  L  Xj  ti,  woneben  3  und  &  als  u  vorkommen,  von  denen  das 
letztere  das  Devanagari  dha^  also  identisch  mit  i  ist ;  dem  entsprechend  ist 
Passepa  V9|  u  verwandt  mit  Sindh  JS  t,  welche  Form  ebenfalls  ein  Schwanz^ 
sein  dürfte,  wie  tamulisch  £-,  malabarisch  ^  dem  ägyptischen  -A^  ^h 
(Hintertheil)  entspricht,  Passepa  |^  u  das  ägyptische  r— ^  j>^  ist,  und  das 
Pali  3  6l>€nfialls  das  Hintertheil  bedeuten  dQrfte. 

E  kommt  nicht  in  allen  indischen  Schriften  vor;  diejenigen,  denen  es 
fehlt,  müssen  mit  der  Trilogie  abgeschlossen  haben,  während  die  übrigen 
den  vierköpfigen  Brahma  kannten.  Die  vierte  Gottheit  scheint  ursprünglich 
eine  weibliche  gewesen  zu  sein,  wie  magadhisch  V*^  >,  gudiaratisch  ^ka§- 
mirisch  "p»  Devanagari  |r,  javanisch  c^^  Pali  ^^>  femer  Sikh  ^,  Kutila- 
Inschrift  ^,  endlich  Passepa  ["  c  und  Pali  ß  Q  beweisen,  welche  den  Hiero- 
glyphen der  Höhle  ^>,  der  Gabel  Y,  des  unbärtigen  Weiberkopfes  J,  der 
Höhle  ^=  und  dem  gesegneten  Weibe,  den  Runen  ^  P  ^,  entsprechen. 
Eigentlich  ist  das  Sanskritwxrt  eha  „irgend  einer,  jemand*  unbestimmten 
Geschlechts,  wie  P  sowohl  Weiber-  als  Kindesrune  ist. 

Von  diesen  vier  Vokalen  sind  alle  übrigen  abgeleitet,  Siam  hat  nur 
das  eine  ^  a,  dem  die  übrigen  Vokalmerkmale  beigegeben  sind,  ebenso  hat 
das  maledivische  Alphabet,  welches  den  arabischen  Zahlzeichen  entspricht, 
nur  ein  a  J),  welches  die  achte  Stelle  einnimmt  und  die  einfachere  Form  des 
sindhischen  TD  a  ist,  wie  das  siamesische  Q  die  einfache  Form  des  Pali  39  a. 
Die  Vokalzeichen  scheinen  in  sämmtlichen  indischen  Alphabeten  eine  beson- 
dere Stellung  eingenommen  zu  haben;  in  der  Kambodia-Schrift  ist  das 
Alphabet  in  drei  Theile,  wie  in  der  Leptga- Schrift  eingetheilt,  von  denen  der 
erste  Theil  nomu  nach  der  Eingangsformel  ttomu  hvdhea  yosethö  d.  h.  .Ehre 
sei  Buddha*  die  Vokale,  der  zweite  Theil  kak?M  (nach  den  Anfangsbuchstaben) 
die  Consonanten  und  der  dritte  Theil  T^n  die  Finalzeichen  enthält;  ^^  es 
erinnern  somit  die  Vokale  an  den  Gott  AEHIOYQ  der  ägyptischen  Gnosten. 


Indische  Schriflzeichen.  437 

Gehen  wir  nun  zu  den  Consonanten  über,  so  scheinen  derselben  ur- 
sprflnglich  nur  7  gewesen  zu  sein,  nämlich  der  Guttural  ka,  der  Palatal  täa,  der 
Cerebral  ta,  der  Dental  to;  der  Labial  püy  der  Halbvokal  ya,  der  Zischlaut  sa, 
welchem  letztem  sich  ha  anschloss,  welches  auch  häufig  in  den  Sprachen 
mit  sa  wechselt.  Diejenigen  indischen  Sprachen,  in  welchen  die  Devanagari  und 
Pali-Schrifl  ausgebildet  wurden,  müssen  sowie  die  chinesische  einsilbig  gewesen 
sein  und  am  Ende,  wie  diese,  ausser  Vokalen  nur  den  Nasal  geduldet  haben, 
denn  bei  der  Erweiterung  der  Zeichenordnung  finden  wir  jede  Gruppe  in  harte 
und  weiche  Laute  mit  entsprechenden  Aspiraten  z.  B.  ka  kha  ga  gha  gebogen, 
an  welche  sich  ein  Nasal  anschloss,  dem  ka  das  na,  dem  i^a  das  fla,  dem  pa 
das  na,  dem  ta  das  na,  dem  pa  das  ma,  ferner  dem  ya  das  wa,  dem  sa  das 
ka  oder  tra.  Man  hat  diess  für  eine  Anordnung  der  Grammatiker  gehalten, 
aber  das  Schwankende  in  der  Aussprache  manches  Zeichens  lässt  eher  ver- 
muthen,  dass  man  vorhandene  Zeichen  lautlich  zu  unterscheiden  suchte,  als 
dass  man  umgekehrt  Zeichen  für  lautliche  Unterschiede  aufstellte ;  wenn  wir 
noch  gegenwärtig  täglich  an  unserer  Sprache  bemerken  müssen,  dass  die 
Zunge  mehr  nach  der  Orthographie  als  die  Orthographie  nach  der  Zunge  sich 
richtet,  so  sind  wir  wohl  berechtigt,  das  erstere  anzunehmen. 

K.  In  dem  Sindh-^  ^  begrüssen  wir  einen  alten  Bekannten  aus  der 
Sasaniden-Schrift,  der  uns  deutlich  an  den  persischen  Ursprung  der  indischen 
Arier  erinnert.  Sanskrit  ka  bedeutet  „Wasser*  und  X  ist  offenbar  die  hiera- 
tische Form  der  Hieroglyphe  f^  mu,  dem  S  /nm  ebenso  entspricht  wie 
die  ägyptische  Eule  als  jBLI,  hieratisch  3  ^'^f  ^^^  hebräischen  ü^D  kos 
V  Käutzchen  * ,  hebräisch  D^g  inaim ,  Gewässer  *  dem  lateinischen  a2ua  „  Wasser  * 
und  dem  deutschen  Quell,  ebenso  entspricht  das  Sanskrit  kirn  «wer,  jemand* 
dem  hebräischen  kmo  «wie*,  ägyptisch  U,  hieratisch  {,  mi  «Gleichgewicht*, 
wir  erinnern  uns  hierbei,  dass  das  ägyptische  Zeichen  der  Nacht  (deren 
Symbol  die  Eule  ist)  TP  auch  eine  Wage  vorstellt,  und  dass  das  Erscheinen 
des  Siriussternes,  der  die  beginnende  Regenzeit  ankündigte,  die  Jahre  theiltc, 
überhaupt  die  Sterne  die  Gewichte  der  himmlischen  Räderuhr  waren.  Da  ka 
an  der  Spitze  der  Gonsonantenzeichen  stand,  wie  a  an  der  Spitze  der  Vokale, 
so  ist  es  nur  natürlich,  dass  beide  in  ihrem  Wesen  übereinstimmten,  dass 
sogar  das  marathische  ^  ka,  das  Devanagari  ^  a,  das  siamesische  ?  a, 
das  birmanische  7^  kha  ist.  Das  älteste  Gewicht  war  eine  bef^timmte  Wasser- 
menge  und  noch  heute  trägt  in  unserer  deutschon  Spraohe  das  WassergeHiss 


^38  Indische  Schriitzeichen. 

vorzugsweise  den  Namen  «Mass*.  Den  Begriff  des  Gleichmasses  hat  auch 
das  magadhische  +  ha,  ägyptisch  4-  ma,  sowie  Pali  fTl  Ära,  ägyptisch  |T|, 
hieratisch  Y\\  ö*"^  (Halle);  letzteres  ist  aber  zugleich  die  Vereinigung  der 
Geschlechter,  Sanskrit  kam  »lieben",  griechisch  gamein  «heirathen*,  hiera- 
tisch ^,  hebräisch  dj  gam  , Vermehrung*,  femer  der  Begriff  des  Zwei- 
seitigen «vorn  und  hinten',  den  die  Hieroglyphe  ^^,  hieratisch  jj^, 
ausdrückt;  endUch  der  Begriff  des  «Anfüllens,  VollfQUens',  Ssmskrit  kri^ 
ägyptisch  J^,  hieratisch  ^.  Diesem  Begriffe  entsprechen  die  indischen 
Zeichen  in  folgender  Weise :  Multan  oL,  Sikh  3",  Tamil  R  dem  hieratischen 
^,  gud2aratisch  %,  Kayti-Nagari  ^(Figuren,  welche  dem pha  entsprechen) 
sowie  Kutila  ^^y  Devanagari  ^,  Rand2a  V,  Band2in-Mola  91,  malabarisch  <fi^ 
dem  hieratischen  ^,  hieroglyphisch  ^^,  respective  hieratisch  Sj^  und  dem 
Anion  ^  mit  dem  Haarzopfe;  kaSmirisch  7  dem  Gleichgewicht  £,  auch 
der  Hieroglyphe  T,  hieratisch  i  sam  .vereinigen*,  tibetanisch"!  der  Wage, 
Pali  rp|,  Assam  (^  dem  gestützten  Bogen  Vi],  maldivisch  L/  ist  wie  das  oben 
besprochene  e  das  Geschlecht,  LeptSa  HE-  die  Mitte,  telingisch  s  die  Schlange 
und  das  tlieilende  Bächlein,  die  mäandrische  Krümmung,  ägyptisch  ^=^  utb 
,  ausbreiten  ■ ,  Pegu  T)  (das  maledivische  a)  die  Verdopplung,  Tagala  und 
Bisaya  ^,  das  nioabitische   31 ,  hebräisch  pr  zain  »buhlen*. 

Kh.  Die  Wurzel  kha  ist  eine  Öffnung  des  menschlichen  Körpers,  eine 
Wunde,  der  feine  Äther,  der  Himmel,  also  dasselbe,  was  wir  im  Hebräischen 
als  ^  beth  kennen  gelernt  haben,  sowie  das  nordische  Y  kaun.  Hieran  schliessen 
sich  die  Sanskritwörter  khand  »in  Stücke  brechen,  zerstören*,  khad  »fest  sein, 
tödten*,  khit  »erschrecken*  an,  Wörter,  welche  genau  dem  hebräischen  nn 
/at  »zerbrochen,  erschrocken*,  »fin  ^itti  »schrecklich,  furchtbar*  entsprechen 
und  sich  an  ^am  »lieben*  anlehnen.  Dem  entsprechen  Sindh  ^  kha  sowohl  als 
Hieroglyphe  nj  (sich  furchten,  die  Hände  vor  das  Gesicht  halten),  wie  als 
1,  hieratisch  ^,  hs  der  (zerbrechliche)  Krug,  das  nordische  Y  kaun,  das  grie- 
chische Y  Ypsilon;  Mullan  Ci  der  Anker,  der  im  Boden  hallet,  aber  auch  die 
ausgespreitzten  Füsse  JS,  LeptSa  (/,  das  ägyptische  ^,  hieratisch  g,  gu- 
dSaratisch  m,  dasselbe,  genauer  vielleicht  [?,  hieratisch  ^,  kb  »kühl*,  Sikh  If 
die  geborstene  Blüthe  g  oder  der  klaffende  Mund,  der  im  Magadhischen  als 
H  a  vorkommt,  wie  Pali  ^  ^  kha  das  siamesische  Q  a  ist,  wahrscheinhch 
das  sitzende  Weib  J,  zu  welcher  Figur  ein  Wechsel  in  den  Gupta-Inschrinen 
führt,  der  mit  %  dem  ägyptischen  [1  sa,  hieratisch  Q,  (Schwanz,  Wasserstrahl 


Indische  Schriflzeichen.  ^39 

des  Delphins)  oder  1  kh  (dem  Skorpionenstab  der  Hirten)  beginnt,  dann  in  Q 
und  endlich  in  Q  öbergeht;  Q  lehnt  sich  an  den  Adler  Ik  ,  hieratisch  2u  o^ 
einerseits  und  an  die  Hand  V.^  tsr  «Ruhe  des  Grabes*  andererseits  an  und 
erzeugte  kamatisch  93,  telingisch  d),  malabarisch  QJ,  singalesisch  Q,  sia- 
mesisch 5^,  kambod2a  9;  marathisch  tjy  sowie  Kayti-Nagari  ^  sind  das 
ägyptische  ^o^  nb,  hieratisch  ^7«  ein  Zeichen,  welches  in  der  LeptSa-Schrift 
ga  bedeutet;  eine  andere  Zeichenreihe  kaSmirisch  FT,  Devanagari  ^,  Ban- 
d2in-Mola  $1,  orissisch  QJ,  bengalisch  At  entsprechen  der  hieratischen  Form 
f\\  für  .Haus*,  sowie  d,  hieratisch  Q^  k  (Weiberkitlel  mit  Zwickel,  Wasser- 
eimer) .Unterwelt*.  Das  tibetanische  H,  Passepa  [^T  scheint  ein  Brunnen- 
eimer tu  sein,  es  ist  dieselbe  Figur  wie  %  Passepa  Q^  ^d;  nur  umgekehrt. 

ö,  Sanskrit  ^a  ist  das  Sufllx  «bewegend*,  Stamm  gam  «gehen,  bewe- 
gen* ;  die  Grundbedeutung  sind  die  ausgespreitzten  Füsse  Ji^  daher  etwas 
Getheiltes,  das  Weib  (als  welches  wir  es  schon  bei  kha  kennen  gelernt  haben) 
und  der  aufrecht  gehende  Mensch,  der  Adam,  sowie  der  hinter  dem  Pfluge 
Hergehende,  der  Ackerbauer,  wobei  wir  uns  erinnern,  dass  auch  im  Chine- 
sischen yV  und  fi  «Mensch*  und  y^  «hineingehen*  ähnliche  Zeichen  haben. 
Dem  entsprechen  fast  alle  indischen  Zeichen  für  ga:  Sindh  J^,  MuUan  ^\,, 
gudiaratisch  Qi,  Sikh  3f ,  kaSmirisch  TTt  marathisch  TT»  magadisch  A,  Gupta- 
Inschriften  fl  O  fl  H  (an  letzteres  lehnt  sich  das  oben  besprochene  tibetische 
^  an),  Devanagari  J\,  Kayli-Nagari  ^,  Band2in-Mola  fl ,  bengalisch  ^,  telin- 
gisch A,  singalesisch  CO,  Pali  flllO  Kambodia  r>;  malabarisch  CO  ähnelt 
dem  singalesi sehen  CO;  Tagala  und  Bisaya  3i  aber  sind  Sindh  31  äia,  Pali  Q] , 
d.  i.  Siwa  mit  dem  Haarzopf,  dem  wir  bei  ka  bereits  begegnet  sind ;  auch 
dieser  Haarzopf  weist  auf  den  Ackerbau  hin. 

Gh.  Wir  haben  in  k  Gott,  den  Richter  und  Priester,  in  kh  (erschrecken) 
den  Krieger,  in  g  den  Ackerbauer  gefunden,  es  wäre  demnach  ganz  natürlich 
und  mit  dem  hebräischen  Alphabet  übereinstimmend,  wenn  gha  den  vierten 
Stand,  den  der  Dienerund  Handwerker  vertrete;  in  derT)iatheisst(/A<i/  «arbei- 
ten*, ghafa  «thälig*,  ausserdem  noch  «der Wassermann  imThierkreise*.  Dem 
entspricht  Sindh  \M,  welches  wir  schon  oben  bei  kha  als  Wasserkrug  kennen 
gelernt  haben;  ebenso  lehnen  sich  an  das  Kayti-Nagari  TXf  kha,  folgende  gha- 
Formen  an:  gudiaratisch  €|,  SikhVf,  KaSmir  lAf,  marathisch  U,  Devanagari 
1|,  Kayti-Nagari  JJ,  Band2in-Mo]a  ^ ;  die  letzteren  Formen  sind  dem  ]|  ga 
ähnlich,  dessen  Sanskrit- Wurzel  yd   «gehen,  untergehen*  ein  Seitenstürk  in 


4f40  Indische  SchriftzeicheD. 

der  Hieroglyphe  ff  an  .hinbringen'  hat,  wo  ebenfalls  der  Krug  eine  Rolle 
spielt;  die  gleiche  Ähnlichkeit  mit  ya  bieten  magadhisch  ^  gha  «L  ya  (Multan 
kha  .Anker*),  Gupta  111 U)  lU  gha,  d»  dl  eil  ya^  indem  oben  das  Sumpfland 
(ägyptisch  titit  ^»  unten  das  Schiff  mehr  hervortritt.  Waren,  wie  es  sehr  wahr- 
scheinlich ist,  die  vorstehenden  Zeichen  die  der  Stände,  so  muss  die  vierte 
Kaste  ursprünglich  aus  Schiffern  und  Fischern  bestanden  haben.  Aus  der  Gupta- 
Form  entstanden  Nerbadda  311,  Kistna  £11,  telingisch  Q^,  malabarisch  ^^^, 
singalesisch  ®,  Palil  |  |  |g|  CJO,  siamesisch  ^,  Laos  2a5^>  Kambodia  tXS- 

N.  Sanskrit  nu  bedeutet  .blasen,  wehen* ;  die  Sindhform  ^  ist  in  der 
That  auch  wenig  von  @  u,  welches  den  gleichen  Sinn  hat,  verschieden. 
Ebenso  sind  ähnlich  Kutila  ^  u  S  na^  da,  in  der  Assam-Inschrifl  ist  noch 
ein  Punkt  zur  Unterscheidung  beigegeben :  ^  u  ^  na,  ebenso  im  Devanagari 
^  u^  fia^  da;  weiter  entsprechen  bengalisch  'S  u  ^  na  'S  da.  In  der 
LeptSa-Schrift  ist  y  na  der  geöffnete  Mund,  in  den  Schriften  der  Buddhisten 
die  Höhle  des  Windgottes  (ägyptisch  ä^z,  ma),  nämlich  magadhisch  C,  Gupta- 
Inschrift  C I^,  tibetanisch  ^,  Kistna  C,  telingisch  U,  Pali  (^B  C*  Pegu  C, 
Batta  ^'.  Das  kaSmirische  IT  könnte  man  wohl  noch  hierzu  rechnen,  aber 
marathisch  H  ist  eine  eigene  Form,  welche  der  Devanagari-Form  ^  ähn- 
lich ist. 

TS.  Die  fünf  ersten  Zeichen  hatten  sämmtlich  den  BegriiT  der  Regen- 
zeit,  der  Erneuerung  der  Erde,  tia  bildet  durch  .wehen*  den  Übergang  zur 
trockenen  Zeit,  und  daran  schliesst  sich  täam,  tSama  .einschlürfen  des  Was- 
sers* an,  fast  sämmtliche  Figuren  dieses  Lautes  scheinen  Knospen  in  der 
Art  der  Rune  ^  thom  vorzustellen,  so  gudiaratisch  %  Sikh  7,  KaSmir  I'', 
marathisch  ^,  magadhisch  d,  Gupta-Inschrift  ^  J  ^,  tibetanisch  ^,  Deva- 
nagari ^,  Leptäa  -^,  Kayti-Nagari  TT,  Bandiin-Mola  S,  bengalisch  P,  wovon 
orissisch  q  abstammt,  Kistna  cJ,  Pali  Q  S  C,  Laos  ^.  Abweichend  sind 
Sindh  ^  und  Multan  vT,  ersteres  ist  im  Ägyptischen  der  Knoten  k$,  k,  sr,  s, 
und  wir  erinnern  uns  dabei,  dass  tsa  im  Sanskrit  eine  Partikel  der  Verbindung 
ist,  also  entsprechend  dem  hebräischen  QJ  gam  .vermehren*. 

Tsh.  Magadhisch  d  tia  verhält  sich  zu  <i>  tSha  wie  nordisch  Y  kaun  zu 
^  hagl,  die  Knospe  zur  Blüthe,  daher  ist  tShafä  .eine  Masse,  Menge,  Licht, 
Glanz*,  tShad  .bedecken,  verbergen*  (schwanger),  täham  .essen*  (empfan- 
gen). Die  Schriflformen  sind  mehrerlei:  Sindh  ^  scheint  sich  zu  Ä  zu  ver- 
halten, wie  ägyptisch  *^  zu  X  der  Strick  zum  Knoten,  die  Blume  zur  Knospe; 


Indische  Schriflzeichen.  4f4 1 

Ton  ^  sind  gebildet:  gudiaratisch  o,  marathisch  ^,  Devanagari  ^; 
charakteristisch  ist  Multan  ^  tSha  gegenüber  Sindh  K  tSa;  ähnlich  verhält 
sich  Randia  '^  tSha  zu  7,  bengalisch  ^  zu  ?  tSa,  malabarisch  slP  zanA  tSa; 
tibetanisch  9  zu  *  öa;  der  Hieroglyphe  T  /a,  hieratisch  y,  respective  T, 
hieratisch  dt  sam  «vereinigen*  entsprechen  magadhisch  <i>,  Gupta-Inschriften 
db  db,  kaSmirisch  7,  Passepa  ^,  Kutila  ^,  Nerbadda  So;  Pali  JH  90 
ist  die  potenzirte  Form  von  3  ^^f  welche  wir  als  Weib  aufgefasst  haben, 
wahrscheinlich  ist  3  ^^^  moabitisch  ^  b  die  Jungfrau,  ^  I  wie  griechisch 
I  b  das  Weib;  LeptSa  2^  ist  wie  Multan  ^  die  geöffnete  Blüthe. 

Dia,  Das  Präfix  dia bedeutet  »geboren,  Sohn,  Tochter',  d^n  „erzeugt 
sein,  geboren  sein*.  Wir  dürfen  wohl  hier  weniger  die  Geburt  als  vielmehr 
die  verwelkende  Bluthe,  welche  im  vorigen  Zeichen  befruchtet  ist,  in's  Auge 
fassen,  dfyi  «alt  werden*.  Hier  finden  wir  zunächst  wieder  3\^,  welches  wr 
schon  bei  g  getroffen  haben,  Siwens  Haarzopf,  in  Sindh  31  und  Multan  31 , 
sowie  in  Kutila  A,  Band2in-Mola  St»  ferner  im  Gegensatze  zu  C  na  der  leeren 
Höhle  die  gefüllte  magadhische  €,  Gupta-Inschriften  E  H>  tibetanisch  E,, 
Pali  ^  Sd^^s Gegenstück  von  9  ^'^^/  weiters  die  abwärts  gebogene  Hand  im 
Gegensatze  zu  der  aufgerichteten  lockenden  Hand  in  gud2aratisch  a,  Sikh  TT, 
Devanagari  ^  (dagegen  ^  tia)^  Kayti-Nagari  v7T;  die  junge  Frucht  in  mara- 
thisch «I  (sonst  bedeutet  dieses  Zeichen  va);  eine  eigenthümliche  Form  ist 
kaimirisch  ÜT,  welche  sonst  als  na  vorkommt,  anu  bedeutet  «Ei,  Hode". 

Diha,  Dieser  Laut  fehlt  in  mehreren  Alphabeten;  das  Wort  diham 
.essen*  erinnert  an  die  ägyptische  Hieroglyphe  ^S,  welche  sowohl  , essen* 
als  .sprechen*  bedeutet,  verwandt  ist  mit  ^^  »ich,  alle*  und  den  hiera- 
tischen Formen  ^  und  ^  entspricht;  es  war  jedenfalls  eine  Hieroglyphe  der 
Jugend,  von  welcher  sich  dann  J3)  „das  Kind*  absonderte,  das  sitzende 
Kind,  welches  noch  nicht  laufen  kann  und  von  der  Mutter  entweder  auf  der 
Schosse  gehalten  oder  auf  dem  Rücken  getragen  wird;  eine  solche  Figur 
mit  dem  Kinde  auf  dem  Rücken  scheint  die  hieratische  ^  zu  sein,  dem 
magadhisch  f,  Randia  7],  Ban2in-Mola  ^,  bengalisch  7,  Pali  ^^  A|  q) 
entsprechen,  auch  kaSmirisch  TU,  marathisch  'ffy  scheinen  Huckepack- 
Figuren  zu  sein,  dagegen  dürfte  Sindh  ^,  die  Mutter  mit  dem  Kinde  auf  dem 
Schosse  darstellen;  gudiaratisch  a(  d£ha  ist  Devanagari  ^  (2^^  Devanagari 
1K  verhält  sich  zu  ¥|  bh  {bha  „erscheinen*  bhava  „Geburt*),  wie  I|  pa 
zu  l||  pAa  (parva  ,  sättigen  * ,  phal  „  bersten  * ). 


^4.2  Indische  Schrifizeichen. 

N.  Sanskrit  a»itä  , undeutlich  sprechen*,  aM£  .salben,  heilen,  rein 
machen*  hängen  mit  dem  Kinderzeichen  zusammen,  daher  sind  maralhisch 
^  lia  dem  ^  d£a,  Devanagari  >|  tfa  dem  ^  dSa,  Rand2a  \E  Ha  dem  ^  dSa 
und  1|  €U^,  Band2in-Mola  $  rfa  dem  9)  d£ha,  Pali  ^i  8NI  fSa  dem^p^  dBui 
sehr  ähnlich  und  treten  im  kaSmirischenP?,  magadhischenl»,  Gupta-Inschriften 
h  Dl  >>  >>,  Pegu  *10,  Tagala  (aber  hier  als  na)  J>0  dieselben  Formen  auf, 
welche  wir  unter  d£ha  in  verschiedenen  Huckepack-Formen  gefunden  haben. 
Das  Kind  wird  grösser,  lernt  sprechen,  und  wird  auf  dem  Röcken  zur  Feld- 
arbeit mitgenommen,  ofidi  .heilen'  dürfte  sich  wohl  auf  die  Beschneidung 
beziehen,  sowie  auf  die  Taufe,  endlich  mag  es  auch  ganz  allgemein  eine 
Mahnung  gewesen  sein,  die  Kinder  rein  zu  halten  und  bezuglich  der  Natur 
die  Mahnung,  die  jungen  Obstbäume  von  Raupen  zu  befreien. 

TD.  Sanskrit  f^nka  «Hechel,  Hacke*,  to>nk  .binden,  bedecken*  er- 
innert uns,  dass  wir  in  der  Erntezeit  sind.  Im  Voraus  muss  jedoch  bemerkt 
werden,  dass  ein  Unterschied  zwischen  ta  und  da  umsoweniger  streng  ehi- 
gehalten  werden  kann,  als  beide  Zeichen  offenbar  wechseln:  Sindh  w  fa  ist 
Sikh  7  efa,  kaSmirisch  '^,  marathisch  v7,  Devanagari  ^  da  u.  s.  w.  Sindh  ^ 
da  ist  Sikh  3  fa,  Devanagari  ^  to;  dam  .wehen*,  dt  .fliegen*,  zeigt  an, 
dass  die  Vögel  flügge  werden,  die  Kinder  zu  laufen  beginnen,  die  Ähren 
reifen,  und  vnr  finden  in  ^  und  magadhisch  C  fa  die  Siehe],  zugleich  den  zu- 
nehmenden Mond.  Gud2aratisch  2  ta  und  malabarisch  S  sind  ebenfalls  maga- 
dhisch H  da  .der  Glanz,  die  Sichel,  der  Blick,  der  Blitz*  und  erinnern  an  af 
.herumstreifen*. 

Th  Dh,  Sanskrit  d/A  .gehen*  schliesst  sich  an  das  vorige  an,  vne  es 
auch  mit  d?ia  ebenso  verwandt  ist,  wie  fa  mit  da,  z.  B.  gudiaratisch  S  t^ 
C  dha,  Devanagari  ^  fha  mit  ^  dha,  ^  fa,  ^  da,  Pali  fi  fha^  O  da*  Im 
Magadhischen  folgt  auf  die  Mondsichel  <  fa  der  Vollmond  O  fha. 

N,  Sanskrit  an  bedeutet  .wehen,  athmen*,  verwandt  mitkam  .wehen*, 
^i  .fliegen*.  Das  Zeichen  0)  ist  zwar  sehr  verwandt  mit  .Wasser*,  aber 
richtiger  dürfte  hier  das  chinesische  ir^  ho  .Feuer*  sein,  das  Kochen  des 
Wassers,  das  Wallen,  Sieden,  die  Hitze,  zugleich  das  waUende  Haupthaar 
des  Jünglings,  das  Herabhängen  der  fruchtbeladenen  Zweige.  Kutila  ^ 
schliesst  sich  durch  den  Begriff  des  .Wehens*  anNerbadda  ^  na  an,  welches 
in  ä  ria  .den  trockenen  Stein*  darzustellen  scheint.  Den  Begriff  des  Welkens 
scheinen  Sikh  ^,  kaSmirisch  A  auszudrücken,  Gupta-Inschrift  3f  das  Bersten 


Indisrhe  Schhftzekh^n.  ^-^3 

der  Früchte,  magadhisch  I  ist  die  VereiDicving.  die  Ehe  der  Jungen,  dasselbe 
Zeichen^  welches  in  der  Tagala-Schrifl  XR  ka  ist. 

r.  Wie  schon  die  Verwandtschaft  der  CerebraDaote  mit  den  Dentalen 
vermuthen  lässt,  finden  wir  bei  den  Dentalen  so  ziemlich  dieselben  Formen 
wie  bei  den  Cerebralen ;  so  M ultan  3  ta,  Sindh  3  ta,  kaSmiiisch  7  ta,  tibe- 
tisch ^  (PalifAa).  Es  ist  auch  hierbei  zu  beachten,  dass  mehrere  indischeAlpha- 
bete  keine  Zeichen  für  Cerebrallaute  haben,  so  das  tibetische,  das  siamesische, 
die  Alphabele  von  Assam,  Pegu,  die  malaischen  der  Tagala,  Bisaya,  Battak, 
Bugis  u.  s.  w.,  die  M ultan- Schrift  hat  nur  Zeichen  für  da  und  na.  An  die 
Cerebrallaute  schliesst  sich  aber  jedenfalls  der  Begriff  top  ,heiss,  Hitze, 
Schmerz  leiden*  an,  tapa  »die  Sommerzeit*,  sowie  tarn  .Tennehren,  aus- 
breiten, verursachen,  ordnen*,  fang  , gehen,  straucheln,  beben*.  Das  letztere 
erklärt  das  magadhische  A,  welches  in  den  Gupta-Inschriften  zu  fi  A  A  H, 
Devanagari  zu  ff  wurde;  es  scheint  hier  auch  eine  Anlehnung  an  /j\  die 
Ausstrahlung  der  Hitze  vorzuliegen;  die  Hitze  erzeugt  das  Ungeziefer,  wie 
Beizebub  der  Gott  der  Insecten  ist ;  auf  diese  scheinen  Sikh  7,  Lept5a  ^ , 
Sindh  3  (eine  Schnecke  mit  ihrem  Hause,  entsprechend  der  Hieroglyphe  i#^ 
ra,  des  Sonnengottes)  bengalisch  ^  und  ^  Kistna  §,  telingisch  i  (ver- 
wandt mit  ©  a,  dem  Wassergefass),  raalabarisch  (TS).  Pali  fTl  und  00,  Assam 
'OO  (eine  Spinne?)  Pegu  00,  Tagala  und  Bisaya  v-^  hinzuweisen. 

Th.  Das  Sindh-Zeichen  *M  haben  wir  in  der  Sikh-  und  Marathen- 
Schrift  als  gha  kennen  gelernt,  in  der  Devanagari  ist  es  If  dÄa;  die  wenigen 
Sanskritwörter  mit  th  lassen  verraulhen,  dass  der  Begriff  des  ih  schon  ander- 
wärts in  den  ^-Formen  aufgegangen  sei,  die  Wörter  tkurv  »verletzen*,  thud 
»bedecken*  sind  begriffsverM'andt  mit  khand  und  die  Zeichen  daher  etwas 
Zerbrechliches.  Sindh  ^  ist  überdicss  form  verwandt  mit  dem  moabitisrhen 
*M  main  .Gewässer*;  Multan  ^'  ist  eine  geneigte  Vase;  gudiaratisch  i|, 
marathisch  ^,  Devanagari  ^,  sänuntliche  nipalische  Formen  ^^  xl,  ben- 
galisch 4,  orissisch  3  sind  Vasen  mit  Henkeln;  Sikh  ^  und  kaSmirisch  ^ 
sind  ebenfalls  Wassergefässe ;  maledivisch^  ist  gleich  Y,  magadhisch  O  ist 
die  durchbohrte  Scheibe,  die  Sonne,  wohl  auch  die  Frauenbrust,  wie  Pali 
OO  m  B,  Pegu  OO,  Assam  "OO;  Bisaya  V»  ist  verwandt  mit  Tagala  V*  «; 
welches  wir  oben  gleichfalls  als  Vase  kennen  gelernt  haben ;  tibetisch  ^  ist 
das  Weib  mit  dem  Busen,  das  griechische  B,  wie  griechisch  Ö  th  sich  an 
Sikh  ^  th  anlehnt;  auch  telingisch  1$  ist  die  Frauenbrust,  durch  den  Punkt 


444  Indische  Schriflzeichen. 

von  2^  da  unterschieden,  LeptSa  "yo  ist  die  Flechte,  ebenfalls  ein  weibliches 
Zeichen,  Sindh  K  iSa,  Battak  y^  ta,  Tagala  t:^  da  ist  die  Höhle,  welche  wir 
unter  na  erörtert  haben;  Laos  ^^  ist  das  folgende  da^  wogegen  Laos  (3  da 
dem  malabarischen  LO  ta  entspricht 

D,  Sanskrit  da  ist  Suflix  «gebend,  zerstörend,  bindend*,  da  .binden', 
dand  »bestrafen*.  Sindh  6%  ist  das  umgekehrte  te  Wia,  welches  wir  als 
Knoten  bezeichnet  haben ;  wenn  das  Zeichen,  wie  es  wahrscheinlich  ist,  die 
Ernte  bedeutet,  so  bezieht  es  sich  auf  das  Garben  binden,  ebenso  Multan  ^, 
gudiaratisch  ^,  (Sindh  da),  LeptSa  ^  scheint  auch  eine  Bindung  zu  sein; 
kaSmirisch  3J  ist  identisch  mit  Kistna  91  kka,  welches  letztere  für  da  die 
Höhle  £  hat;  marathisch  ^,  telingisch  2^  sind  die  Prauenbrust,  Pali  Q  3, 
malabarisch  G>,  Gupta-hischriflen  ^  und  Z  sind  das  Hintertheil  oder  der 
Körper,  magadhisch  >  scheint  etwas  Getheiltes  zu  sein,  Kutila  ^,  Rand2a  ZT, 
Band2in-Mola  S,  orissisch  Q  sind  Ge^se  ohne  Henkel,  wie  ägyptisch  ^^^ 
neben  ^^^,  ^  neben  ^;  Pali  #ist  identisch  mit  dem  Balken  +  Apo  im 
Magadhischen. 

^  _  mm 

Dh.  Sanskrit  dhana  bedeutet  .Geschenk,  Gold,  Geld,  UberQuss,  Vieh*, 
dhara  , tragend  (trächtig?),  erhaltend,  aufmerksam,  Erde*;  als  Erde  ist  es 
verwandt  mit  der  Berggöttin  parvata  und  in  der  That  ist  Sikh  If  dha,  Deva- 
nagari  T^pa;  magadhisch  0  ist  der  Mond  im  letzten  Viertel,  und  Pali  Q  O  O 
entsprechen  genau  der  ägyptischen  Hieroglyphe  des  Mondes  O,  die  Mond- 
göttin Isis  war  aber  auch  die  Erdgöltin,  die  Göttin  der  Fruchtbarkeit,  die 
Fülle ;  Sindh  6  dha,  welches  bereits  bei  i  besprochen  wurde,  ist  das  männ- 
liche Symbol  der  Erde  und  der  Fruchtbarkeit,  in  gudiaratisch  €1,  kaämirisch 
TT,  marathisch  ^,  Devanagari  \|,  Kayti-Nagari  'V,  Randia  ET,  Band2in-Mola  ^, 
bengalisch  ^,  orissisch  tl,  Nerbadda  fi  haben  wir  Formen  des  Kruges,  in 
Kistna  Q,  telingisch  2^,  malabarisch  co,  singalesisch  Q,  Laos  C^  Fonnen 
des  weiblichen  Busens. 

N,  Sanskrit  na  bedeutet  .nicht*,  die  Multan-Form*^,  welche  dieselbe  ist 
wie  Sindh  ^  ha,  scheint  allen  Formen  zu  Grunde  zu  liegen,  wie  gud2aratisch 
•i,  kaämirisch  ^,  marathisch  "T,  tibetanisch  Sj,  Kutila  ^,  Devanagari  Sf, 
Kayti-Nagari  ^T,  Rand2a  ^,  Band2in-Mola  ^,  bengalisch  *T,  Nerbadda  ^, 
telingisch  ^T,  Pali  5  ?^-  ^®^  Grundbegriff  scheint  wie  bei  ha  .weggehen, 
untergehen,  nicht  sein*,  und  wie  das  ägyptische  ''^^^  nn  zum  Unterschiede 
von  ^)  /n  die  Leere,  die  leere  Hülse,  zu  sein:  .Sehnend  breit'  ich  meine 


Indische  Schriflzeichen.  445 

Arme  nach  dem  theuren  Schattenbild;  ach,  ich  kann  es  nicht  erreichen,  und 
das  Herz  bleibt  ungestillt'  Alle  verlassenen  Gattinnen  der  griechischen  Mythen 
Medea,  Ariadne  etc.,  theilen  sich  in  dieses  Zeichen;  die  Sonne  hat  die  Erde 
verlassen,  die  Ernte  ist  vom  Felde  und  von  den  Bäumen  genommen,  nur  die 
dörre  Stoppel  magadhisch  1  na,  ist  geblieben.  Tagala  (T\  und  Bisaya  "£" , 
Battak  ^,  Bugi  ^  sind  olTenbar  Symbole  der  Nacht,  ägyptisch  TT . 

P.  Sanskrit  jNi  bedeutet  , trinken,  geniessen*,  para  .entgegengesetzt, 
entfernt*,  parv  .füllen*,  parcata  .der  Berg*,  panaga  .preisen"  (die  Arme 
ausstrecken);  dem  entsprechen  die  Hieroglyphen  /^  ab  .Priester*,  ^/a 
.tragen*,  ^^ätnn  Berg,  Bergthal  und  die  indischen  Zeichen  Sindh  %  Multan 
Y,  gudiaratisch  4,  Sikh  \f *  kaSmirisch  V,  Kutila  Q,  Devanagari  I|,  Kayti- 
Nagari  ^,  Rand2a  ^,  Bandiin-Mola  c),  bengalisch  ^,  orissischt}"  (ein  Mensch 
mit  erhobenem  Arm,  das  Dankopfer  für  die  Ernte  darbringend);  magadhisch 
ü,  Gupta-Inschriften  Li  LP  Ci,  tibetisch  ^,  Nerbadda  SJ,  Kistna  £1,  telingisch 
^,  tamulisch  lj,  malabarisch  o-J,  singalesisch  O»  javanisch  u*  Pali  LJilU» 
siamesisch  t/,  Laos  ^J^,  Assam  \},  Pegu  O  (sämmtlich  Formen  des  Berg- 
thales),  daneben  tritt  in  der  marathischen  Schrift  TU  die  weibliche  Brust 
auf,  in  der  LeptSa- Schrift  T\  die  Höhle,  Tagala  t^,  Bisaya  K*  scheinen  das 
Hintertheil  von  Th leren  zu  sein. 

PA.  Die  Zeichen  für  pha  sind  mit  Ausnahme  einzelner,  welche  sich  an 
andere  Schriflzeichen  anlehnen,  wie  Multan  uj  an  Sindh  tha,  gudiaratisch  X 
an  das  %  ka  derselben  Schrift,  Sikh  7  an  Devanagari  ^  dha,  ka^mirisch  ^ 
an  Randia  7  na,  Bandiin-Mola  Co  und  bengalisch  ^  an  Devanagari  V|  hha 
Modificationen  von  pa,  so  Sindh  4^  neben  ^  pa,  marathisch  ^  neben  ^  pa, 
magadhisch  Uneben  bpa,  Gupta-InschrifllD  CA  neben  \lllpa,  tibetisch  ^neben 
^  pa,  Passepa  2J  neben  "^J  V^f  Devanagari  l|j  neben  I|,  Leptäa  Ijneben 
jr\/>a,  Kayti-Nagari  Tf  und  Rand2a^neben  TJ  und  ^/xi;  Nerbadda  Sil  neben 
8i  pa,  telingisch  ^  neben  ^  pa,  malabarisch  o^  neben  aJ  pa,  singalesisch 
O  neben  ü,  Pali  \^  U  lA  O  neben  LJ II  O*  Assam  VJ  neben  UO;  nur 
Pegu  cß  zeigt  eine  etwas  verschiedene  Form,  doch  darf  man  sich  von  dem  ver- 
längerten Mittelstrich  nicht  täuschen  lassen.  Der  Unterschied  ist  kein  anderer 
als  er  im  Ägyptischen  zwischen  ^«i  und  i^^,  zwischen  9  und  i,  zwischen 
■  and  Hl,  hieratisch  J|  und  2^,  sämmtlich  mit  dem  Lautwerthm»»,  besteht. 
^Mi  mn  ist  Thal  und  Hafen,  und  ebenso  heisst  in  unserer  Sprache  der  Topf  (, 
hieratisch  g,   .Hafen*,  es  ist  der  geschützte  Wasserbehäller.  Die  Zeichen 


446  Indische  Sehriflzeicken. 

bedeuten  wie  das  nordisch  T  laugr  die  Heimkehr  der  Schiffer,  ägyptisch 
JJjjjjjHiJJ»  mma  .stehen  bleiben,  landen*,  verwandt  mit  j^*!  ||t*^  mmU 
, landen,  begraben  werden*,  Sanskrit /»/lo/  .bersten,  verschwinden,  Früchte 
bringen*,  man  erinnert  sich  dabei,  dass  im  Ägyptischen  nih  «der  Winter* 
auch  .Fülle*  bedeutet,  wie  im  Deutschen  die  Holla  sowohl  die  Erntegöltin 
als  die  Wintergöttin  ist,  welche  die  Schneedecke,  die  Blüthenüocken  des 
Winters  (Sanskrit  phull  «blühen")  über  die  Erde  streut,  wie  der  Frühling  die 
Blüthen.  Auch  die  ßerggötlin  Parvati  mit  ihrem  schneebedeckten  Haupte,  die 
trotzdem  die  Mutter  aller  Quellen  ist,  dürfte  hierbei  mitspielen. 

B.  Sindh  'VD  ba  ist  gleich  malabarisch  fG)  ta,  Multan  H  gleich  gudia- 
ratisch  ü  gha,  gudiaratisch  *i  ähnlich  dem  Vi  kha  in  derselben  Schrift,  Sikh  7 
ist  ähnlich  dem  ^  thava  derselben  Schrift,  kaSmirisch ''  ähnlich  dem  maga- 
dhischen  d  tSa,  marathisch  ^  ähnlich  dem  ^  bha  in  derselben  Schrift,  mala- 
barisch 6Yii  und  orissisch  Q  ähnlich  dem  €|  tha  in  derselben  Schrift,  LeptSa 
A  undBisayaO  ähnlich  dem  magadhischen  O  iha,  Tagala  CD  und  Baltak  CS 
sind  Frauenbrüste,  magadhisch  0,  Guptalnschrift  D  Q  □,  tibetisch  ^  sind 
Steine,  Nerbadda  (3  die  ägyptische  Hieroglyphe  J,  Pali  Q^  O  O  das  Berg- 
thal, Devanagari  ^  ist  wie  Kayti-Nagari "?,  Rand2a  ?  (Devanagari  c|  e>o), 
Band2in-Mola  9  (Devanagari  1|^)  ebenfalls  weibliche  Formen.  Die  Erklärung 
dieser  Formen  liefert  der  Name  budäha  (der  Boden).  Dieser  Gott,  der  weder 
Mann  noch  Weib,  also  Hermaphrodit  ist,  ist  mit  seinen  zusammengezogenen 
Füssen,  den  inein andergelegten  Händen  das  Bild  der  absoluten  Ruhe,  des 
Todes,  der  Stein,  der  von  keiner  Leidenschaft  bewegt  ist,  die  Grund veste  der 
Erde,  in  deren  Schosse  die  Menschen  die  ewige  Ruhe  finden.  Diese  Eigen- 
schaft tritt  in  der  Schrift  Magadha's,  dem  Heimatslande  der  buddhistischen 
Religion  im  Zeichen  0  am  schärfsten  hervor,  auch  die  LeptSas  mögen  diese 
Bedeutung  gehabt  haben ;  in  der  übrigen  Schrift,  namentlich  in  der  brahma- 
nischen,  ist  Buddha  verwandt  mit  der  Parvati,  ein  Weib  mit  der  gebirgigen 
Brust,  auch  der  Krug  als  Symbol  des  Bauches.  Das  Zeichen  entspricht  dem 
nordischen  ^  hiörk,  welches  wir  Seite  80  besprochen  haben. 

Bh,  Sanskrit  &Aä  ,  erscheinen  * ,  hhava  «Geburt,  Ursprung'  lässt  ver- 
muthen,  dass  mit  diesen  Zeichen  derJahres-Gyklusin  unserem  Sinne  abschloss; 
als  Zeitzeichen  musste  bha  das  Mal  des  Decembers  sein,  an  dessen  Schluss 
die  Sonne  neu  geboren  wurde ;  magadhisch  r/  zeigt  deutlich  den  Geburtsstuhl, 
Sikh  7,  fast  identisch  mit  u,  sind  die  , Wehen*,  Sindh  -«x,  gudiaratisch  «i> 


Indische  Schrillzeichen.  ^i? 

DeTanagari  V|>  Kayti-Nagari  ^,  Band2in-Mola  ^  sind  offene  Vasen,  entleerte 
Gefässe;  Pali  Fl  IBOO<  welches  letztere  auch  im  Gud2aratischen  als  iji 
▼orkommt,  scheint  der  Ausgang,  der  Anfang  (des  neuen  Jahres)  zu  sein. 

M.  Mehrere  Zeichen  für  wa  schliessen  sich  eng  an  das  vorige  an,  so 
Sindh  x^  hha  ft\  ma,  gud2aratisch  ^  bha'Pi  ma,  Devanagari  I(  jm»  V|  hha  J^  ma; 
dagegen  sind  eigenartig  magadhisch  b,  Gupta-Inschriflen  H  X  )S,  Pali  ^^ 
tl  Of  malabarisch  (h,  siamesisch  U  wie  tibetisch  ^  lehnen  sich  an  Kistna  QJ 
kka,  LeptSa^ST  ist  das  verkehrte  Kistna  dP  ma,  wie  tamulisch  lo  ma  das  ver- 
kehrte maledivische  £lJ  ha.  Der  Stamm  ist  ma  .messen,  Mass*  ma/rt  «Mutter, 
die  Erde,  die  Kuh*,  somit  sich  an  das  Vorige,  die  Geburt,  anlehnend;  wac  im 
Altherlhume  die  Zeit  der  menschlichen  Entwicklung  massgebend,  so  musste 
das  Jahr  aus  10  Monaten  und  das  Alphabet,  der  Monat  in  vier  Wochen  getheilt, 
aus  40  Zeichen  bestehen,  was  immerhin  möglich  war,  wenn  mehrere  Vokale 
hinzugerechnet  wurden.  Die  obigen  Zeichen  sind  entweder  die  Schnur  als 
L&ngenmass  oder  das  Wassergefass  als  Mengenmass. 

y.  Sanskrit  tfatn  «sich  bezähmen,  einschränken,  sich  beherrschen, 
Nahrung  geben*  scheint  sich  auf  die  vorausgegangene  Geburt  zu  beziehen; 
fast  sämmtliche  Zeichen  stellen  die  Frauenbrust  dar,  die  Mutter  muss  in  der 
Nahrung  vorsichtig  sein,  um  des  säugenden  Kindes  willen,  in  dieser  Hinsicht 
dürften  Sindh  ^,  Multan  ^,  gudiaratisch  H«  Sikh  TX,  kaSmirisch  ^,  mara- 
thisch  ^,  Devanagari  ]|,  bengalisch  IT,  orissisch  ici,  sowie  LeptSa  L  und 
siamesisch  V  aufzufassen  sein;  magadhisch  X  weist  jedoch  auf  Yama,  den 
Gott  der  Unterwelt,  in  dessen  Reich  die  junge  Sonne  noch  verweilt,  auf  dem 
Hintertheil  sitzend,  weil  sie  noch  nicht  gehen  kann  (die  göttlichen  .Nach- 
kommen* Harpokrates  und  Vulkan  sind  gelähmt).  Dieses  Hintertheil  tritt  in 
den  Gupta-Inschriflen  ^  dl  eil,  tibetisch  ^,  Nerbadda  3J,  Kistna  <II,  tamu- 
lisch uj»  malabarisch  CC2/,  singalesisch  c3,  Pali  UJIMOO,  AssamtO,  Pegu 
JD,  Tagala  to  unverkennbar  auf,  in  einzelnen  Formen  ist  es  in  das  Schiff 
übergegangen,  vrie  wir  im  Syrischen  aleph  als  «Schiff*  kennen  geleint  haben, 
und  Sanskrit  alpa  , klein*  bedeutet,  wie  unsere  Alfen.  Auch  der  Schiffer  im 
Kahne  sitzt,  und  die  schaukelnde  Wiege  ist  dem  Kahne  nachgebildet,  wie  der 
Sarg.  Yama  bedeutet  auch  .der  Zwilling',  wie  Tag  und  Nacht  Zwillinge  sind, 
und  der  Anker  zwei  Haken  besitzt,  genau  wie  magadhisch  X  ya. 

R.  Sanskrit  ram  ist  die  Metathesis  vom  lateinischen  Amor,  der  jugcnd* 
liehe  Gott  mit  Bogen  und  Pfeil.  Sindh  2-  ist  die  einfache  Form  von  2.,  welches 


448  Indische  Schriflzeichen. 

wir  als  Wasser  kennen  gelernt  haben ;  ägyptisch  VÜUli  nu  ist  gleich  '^^  nu 
, ähnlich  sein",  schliesst  sich  also  an  das  vorige  .Zwilling'  an;  die  beiden 
letzteren  Figuren  sind  aber  auch  junge  Pflanzen,  und  wenn  das  vorige  Yama 
,die  Unterweh*  ist,  in  welche  das  Samenkorn  gelegt  wurde,  UJ  die  Acker- 
furche, so  dürfte  Amor  als  das  junge  Reis  aufzufassen  sein,  das  den  Erdboden 
nach  oben  durchdringt  und  nach  unten  Wurzel  schlägt;  in  diesem  Sinne 
würden  sich  Multan  "^j  gudiaratisch  3  ,  Sikh  "g*,  marathisch  TJ,  magadhisch  |, 
die  Gupta-Formen  J  J  Ji  tibetisch  \  Devanagari  ^,  Lept§a  ^^,  bengalisch 
T,  orissisch  (^,  Nerbadda  ^,  Kistna  J,  tamulisch  t,  singalesisch  (T,  Pali 
§  öL  ■  Q»  siamesisch  5,  Laos  ^,  Assam  '^,  Pegu  Q  sämmtlich  erklären. 
Maledivisch  yC  ist  ägyptisch  ^^  die  Schlange,  die  aus  der  Erde  kriecht,  der 
Regenwurm,  der  Pfeil  Amor's. 

L.  Wenn  Sindh  J2  dem  ^  ähnlich  ist,  so  ist  auch  anderweitig  der 
Übergang  von  r  ins  l  ins  Indischen  zu  beobachten,  wie  diese  beiden  Laute 
von  Ägyptern  und  Chinesen  und  wahrscheinlich  auch  bei  allen  Völkern  des 
Alterthums  nicht  unterschieden  wurden,  Sanskrit  rak=lak=rag=lag=ragh 
,  kosten,  erlangen  * .  Es  dürften  daher  auch  die  Zeichen  von  ra  und  la  urver- 
wandt sein,  und  dem  ram  als  Gott  der  Liebe,  LakSmi  als  Göttin  der  Schön- 
heit und  Jugend  gegenüberstehen,  dem  Pfeil  der  Bogen  und  als  Schlange 
Ananta  (auf  der  WiSnu)  während  der  trockenen  Zeit  schläft,  der  Pfeil  selbst; 
lakä  ist  die  Ritze,  ein  Zeichen,  Ziel,  Merkmal,  lap  bedeutet  ,  sprechen,  jam- 
mern", las  «umarmen,  spielen*.  Sindh  22  ist  eine  geringere  Modification  von 
^  ra;  Multan  ^  ist  die  Hand  (im  Sinne  vom  hebräischen  t  yad  «Hand* 
pT  yada  «wissen,  erk)ennen*),  dasselbe  Zeichen  in  anderer  Richtung  bedeutet 
im  Chinesischen  Vater  (vgl.  Tafel  IV);  gudiaratisch  <a  und  Kayti-Nagari  ^ 
ist  Bogen  und  Pfeil,  ebenso  Sikh  W,  marathisch  ^;  maledivisch  ^  ist  etwas 
Gebogenes;  ka§mirisch  FT,  Devanagari  ^,  Rand2a  ^1  Band2in-Mola  ^, 
bengalisch  t^,  ist  die  Nabelschnur,  in  der  Brahma  aus  WiSnu,  der  männlichen 
Form  der  LakSmi,  hervorging.  Diese  Sage  liegt  den  meisten  weiblichen  Hiero- 
glyphen der  Ägypter  zu  Grunde,  indem  dieselben  eine  Blume  in  der  Hand 
tragen,  wie  ^,  ^,  ]J,  Tj ,  es  sind  diess  Frühlingszeichen  mit  dem  Symbol 
der  beginnenden  Fruchtbarkeit;  die  verkürzte  Form  dieser  Hieroglyphe  ist 
die  Hand,  gleichviel  ob  sie  eine  Blume,  einen  Stift  zum  Zeichnen,  einen  Stab 
oder  dergleichen  hält,  denn  der  Begriff  n/i  «mächtig,  tapfer*  ist  eng  ver- 
wandt mit  der  keimenden  Blume,  welche  jung,  schön,  stark  bedeutet,  solche 


Indische  Schriflzeichen.  449 

Hand-Hieroglyphen  sind  magadhisch  -0,  Gupta-Inschriflen  oJ  o)  ^  nl^  tibetisch 
^,  Nerbadda  lä,  Kislna  Bl,  malabarisch  a^,  Pali  Qj  fMCO,  siamesisch  O, 
Laos  (TVy,  Assam  >0,  Pegu  CO.  Tagala  "^  ist  eine  weibliche  Figur,  Bisaya 
2^  scheint  ein  Mund  mit  ausgereckter  Zunge  zu  sein  (lap  .sprechen*). 

If.  Sanskrit  tcan  , dienen,  ehren"  schliesst  sich  an  den  Begriff  der 
Lak^mi,  die  zu  den  Füssen  Wiänu's  sitzt,  an ;  ican  ist  auch  das  Weib  im  All- 
gemeinen, also  ebenfalls  die  LakSmi;  mit  dem  angelsächsischen  P  uuinne, 
deutsch  «Minne*,  dem  bartlosen  Frauen-  und  Kinderkopf  stimmen  sogar 
gudiaratisch  h,  marathisch  tl,  maledivisch  Q,  Kayti-Nagari  TI,  bengalisch  T 
in  der  Form  Qberein,  die  mit  Devanagari  If/)aundl|ya  identisch  ist;  wenn 
dem  Devanagari  'S(ha^%ca  gegenübersteht,  so  ist  in  der  LeptSa-Schrift  das 
Umgekehrte  der  Fall,  denn  hier  ist  /\  ta;  magadhisch  6  ist  die  keimende 
Zwiebel,  welche  im  Ägyptischen  ,der  Erlauchte*  bedeutet;  Sindh  O  ist  das 
Ei,  welches  im  Ägyptischen  »Weiblichkeit*  bedeutet;  Multan  ?.  das  Getheille, 
das  Hintertheil,  orissisch  ^  der  Hauch  {wa  gleich  griechisch  demi , wehen*), 
alle  übrigen  Formen  von  tca  sind  Symbole  der  Weiblichkeit,  die  wir  schon 
bei  früheren  Zeichen  gefunden  haben,  wie  kaSmirisch  g*,  Devanagari  ^, 
(lupta-Inschriften  A AQ,  tibetisch 'S,  Rand^a?,  Band2in-Mola  ä,  Kistna  cJ 
tamulisch  ^slj,  malabarisch  o-J,  javanisch  o,  Pali  QOd  Assam  ^,  Tagala 
2),  Bufris  ^*^;  Sikh  ^  ist  ha  und  wird  bei  diesem  erklärt  werden. 

//.  Sanskrit  ha  bedeutet  .verlassen,  fallen  lassen,  verlieren*;  es  ist  als 
magadhisch  Ir  die  umgekehrte  Hand  -O  la,  ebenso  Gupta-Inschriften  IrLTdi*^, 
tibetisch  ^,  Devanagari  9,  gudzaratisch  ^,  Rand2a  7,  Nerbadda  ^,  Kislna 
&,  malabarisch  dX),  singalesisch  ^'),  Pali  |  rUMCO^Tagalaco,  Bisaya  c^. 
Multan  S,  Sindh  ^  ist  Multan  ^  na  im  Sinne  von  , nicht*,  chinesisch  hoei 
.Dunkelheit*,  es  dürfte  im  Gegensatze  zu  der  empfangenden  LakSmi,  die 
auslassende,  der  Beginn  der  Regenzeit  sein,  insbesondere  ^  die  herab- 
hängende Wolke,  der  Weiberzopf. 

S.  Saraswata  ,die  Beredtsamkeit*  i>t  identisch  mit  Lak.^iiii;  daher  i>t 
Sindh  '»H  so  viel  wie  Devanagari^  kha  ,der  zerbrechende  Krug*;  Multan  '/^ 
ist  fast  ganz  identisch  mit  ^  la  in  derselben  Schrift;  gudiuratisjch  "^i,  Sikh  H, 
kaSmirisch  ^,  marathisch  ö*,  magadhisch  «t,  Gupta-lnschrifleu  ^  ?4  ^  J4, 
tibeti>ch  '',  Devana^'ari  ^,  Nerbadda  flj,  Kislna  ^,  Pali  ^|iOO  sind  Krü^'e 
mit  ausflie^scndeni  Wasser,  welche  den  Zeichen  für  h,  bha^  iw/,  .säniinlli«li 
weibliche  Zeichen,    entsprechen,   siamesisch   (^  ist   das    diirchhohrlc  r.)  la, 

F«ul  narm.  <te»chichtL*  «1.  *^<  iinft.  ^Mj 


450  Polyphonie  der  indischen  Schriflzeichen. 

Saga  ist  bekanntlich  der  ^ Urquell '^y  die  Mutter,  die  erste  Lehrerin,  und  .Gross- 
mutter' ist  Edda,  wie  die  Sammlung  der  nordischen  Mythen;  zugleich  ist 
alle  Lehre  der  „Ausfluss*  der  Gottheit. 

6'  und  S.  Diese  beiden  Laute  fehlen  in  den  meisten  buddhistischen 
Schriften.  Ka§mirisch  TT  §a  ist  Devanagari  m  (verwandt  mit  ^  s),  Gupta- 
Inschrift  &|  §a  ist  fast  dasselbe  wie  jU  sa;  kaSmirisch  'kf  sa,  Devanagari  ^  ki 
lehnt  sich  an  Gupta-Inschrift  (T>  R  ^  sa,  Nerbadda  fl  (das  bedeckte  Gesicht, 
der  bedeckte  Himmel);  gudXaratisch  Äl  sa,  Devanagari  ^,  marathisch  ^sind 
etwas  Aufgehängtes,  ägyptisch  %\  meni  Strick  gleich  1^1  mn^r  .Web- 
stuhl", Sanskrit  SaS  .sechs*  ist  das  hebräische  w  §es  .sechs,  Byssus,  Baum- 
wolle*. Ihrer  Stellung  als  Zeitzeichen  nach  gehören  diese  Zeichen  ebensowohl 
der  Blüthe  als  der  Winterzeit  an. 

Die  Schwierigkeit  des  Gegenstandes  macht  es  erklärlich,  dass  wir  nicht 

alle  Zeichen  in  erschöpfender  Weise  erklären  können,  soviel  aber  dürfte  nach 

der  vorstehenden  Auseinandersetzung  feststehen,  dass  die  indischen  Alphabete 

nicht  von  einem,  auch  nicht  von  dem  ältesten  bekannten  magadhischen  ab- 

geleitet  sind,   dem  widerspricht  entschieden  die  wechselnde  Bedeutung  der 

Zeichen,  von  welcher  wir  noch  eine  übersichtliche  Anschauung  folgen  lassen: 

O   Sindh  wa,  Pali  wa,  ka§mirisch  tha,  magadhisch  tha,  LeptSa  ha,  telingisch  ra 

6   Sindh  dJui,  Multan  i,  gudiaratisch  l  tha,  singalesisch  ra 

^    Sindh  ^;a^  Multan  pa,  gudiaratisch^,  verwandt  mit  Devanagari  hlka,  Sikh 

H  fna,  sa,  Randüla  da 
H»   Sindh  jpha,  gud^aratisch  pha,  ähnlich  dem  kha,  Devanagari  diha,  dagegen 

Devanagari  Tlfipha,  Kayti-Nagari  kha 
@  Sindh  u,  tamulisch  (?  i,  orissisch  ©  da 
"3  Ka§mirisch  u,  verwandt  mit  7  ta,  Devanagari  ^  u,  Sindh  3  ta,  Multan 

3  ta,  Sikh  3"  (a,  marathisch  1  da,  malabarisch  ß»  da,  Pali  3  d<^ 
5i   Sindh  und  Multan  dia,  Tagala  ga,  Pali  a,  bengalisch  vST  dza 
^J   Sindh  da,   magadhisch  dza,  Gupta-Inschriften  i.  da,   gud2aratisch  da, 

siamesisch  ya 
H  Multan  ba,  gud2aratisch  gha,  Devanagari  dha 
tgs^  Sindh  j/a,  marathisch  gha,  Devanagari  gha 
n  Multan  ya,  Sikh  ba,  bengalisch  ^  gha 
^   Sindh  fha  tha,  Multan  pJia,  Assam-Inschrift  gha 
UX,  Kutila  gha,  Kayti-Nagari  kha 


Polyphonie  der  indischen  Schriftzeichen.  451 

1|  Devanagari  pa,  Sikh  dha,  Band2in-Mola  ba 
W  Sikh  tha,  kaSmirisch  "^  tha,  marathisch  ^a,  Devanagari  m 
\^  Sindh  gha,  kasmirisch  "PT  kha,  Devanagari  kha,  marathisch  "^  (Wia 
^  Sindh  ba,  malabarisch  rü)  ta 
^  Sindh  tsa,  Mullan  ra,  Gupta-Inschrift  ma 
^  marathisch  da,  LeptSa  ga,  lelingisch  fsa,  t^ha,  da,  dha,  malabarisch  dha, 

siamesisch  pha,  Tagala  ha 
IH  Gupta-Inschrift  glia,  tamuHsch  ya,  Pali  ya,  Nerbadda  gha,  Pali  gha  ähnlich. 
"^   Sindh  ha,  Multan  na 
Ci    Multan  kha,  magadhisch  ya 

^  kaSmirisch  Uha,  Devanagari  ia,  magadhisch  tsha,  Pegu  j^ha 
Ol  Gupta-Inschrift  kha,  malabarisch  t^a,  Nerbadda  jx^f  ta  mulisch  tca 
0    magadhisch  ba,  Pali  tca. 

Wir  haben  damit  die  Gleichheiten  und  Ähnlichkeiten  der  Zeichen 
keineswegs  erschöpft  und  nur  die  markantesten  Lautwechsel  hervoi^gehoben, 
welche,  wie  die  Besprechung  der  einzelnen  Lautzeichen  bewiesen  hat,  in  der 
BegrifFsverwandtschafl  eine  reale  Grundlage  haben.  Noch  grösser  wird  dieser 
Lautwechsel,  wenn  in  Erwägung  gezogen  wird,  dass  die  Bedeckung  der 
Zeirhen  durch  den  oben  laufenden  Zeilenstrich,  welche  den  westlichen 
Alphabeten  von  Sindh,  Multan,  Gudiarati  und  den  magadhischen  Zeichen 
fehlt,  ihrer  Natur  nach  nicht  im  Wesen  der  Zeichen  begründet  ist,  sondern 
auf  dem  bezeichneten  Vokal  a  beruht,  der  in  der  Band2in-Mola,  wie  in  vielen 
älteren  Devanagari- Hand  Schriften,  sich  noch  als  Bogen  vorfmdet;  man  ver- 
gleiche magadhisch  t^a  d:  in  den  Gupta-Inschriflen,  welche  nachweisbar 
junger  und  von  dem  gleichen  Stamme  sind,  finden  wir  %J  ^  J)  J),  in  der 
Bandiiu-Mola  S(,  Kutila-Inschrifl  aus  dem  10.  Jahrhundert  ^,  Devanagari^, 
marathisch  '^,  aus  der  magadhischen  Schrift  entstand  bengalisch  p,  orissisch 
Q,  Nerbadda  3  (die  Zeichen  der  Nerbadda-Schrifl  haben  statt  des  Bogens 
der  Band2in-Mola  und  des  geraden  Striches  der  Devanagari  oben  ein  Viereck, 
die  Kistna-Zeichen  t),  Kistna  cJ,  hieraus  entstand  tclingisch  €j,  javanisch  -kti, 
Pali-Siamesich  jjT« 

Wir  werden  auf  diese  Eigenthümlichkeit  der  indischen  Schrift  bei  den 
einzelnen  Schriftarten  zurückkommen  und  dabei  den  Nachweis  führen»  dass 
sich  dieselben  durch  ihre  Structur  noch  mehr  unterscheiden  als  durch  die 
Form  ihrer  Buchstaben. 


4-52  Indische  Schriften. 

1.  Schrift  der  Leptsa. 

Die  LeptSa  oder  LaptSa  bewohnen  das  Land  Sikkim  am  Fusse  des 
Himalava,  früher  ein  Theil  von  Nepal,  östlich  von  diesem  zwischen  Bengalen, 
Butan  und  dem  übrigen  Tibet  gelegen.  Wir  haben  oben  gesehen,  dass  von 
dieser  Gegend  der  Brahma-Cultus  ausging,  der  sich  mit  dein  altern  Indra- 
Gullus  verschmolz,  und  wir  beginnen  mit  dieser  Schrift,  weil  sie  viele  Eigen- 
thümlichkeiten  zeigt,  von  denen  mehrere  in  die  Devanagari  oder  die  heilige 
Schrift  der  Sanskritsprache  übergingen.  Wir  geben  zunächst  als  Schriftprobe 
die  zwei  ersten  Verse  des  67.  Psalms. 

grü-mo  67. 

1,  mm  nun  ka-ijüm  gim-ran  tnat  hin  ka-yCnn  mun-l^am  ho  So  hu  tnlem 
ka-yü  dyeh  kä  ä-dm  ni  So, 

2,fat  lyCiii  plan  kä  ä-dolrom  rem  ä-do  ih^'i/or  Vom  rem  ren  sötna-ro  gun-na 
sa  nöii  kä  thyäk  San  kä  o-hm  nun  So, 

Diese  Sprache  war  offenbar  eine  einsilbige  wie  die  benachbarte  tibe- 
tische ;  der  Anlaut  enthielt  die  Wurzel,  daher  wurde  der  consonantische  Aus- 
laut anders,  und  zwar  durch  Zeichen,  ausgedrückt,  w^elche  über  oder,  wie  die 
Nasallaute,  vor  den  Anlaut  gestellt  wurden;  ebenso  umgaben  die  Vokalzeichen 
das  Wurzelzeichen,  indem  sie  über,  vor,  hinter  oder  unter  dasselbe  gesetzt 
wurden ;  die  Wurzel  selbst  hatte  ein  inhärirendes  a.  Die  Zahl  der  Vokale  ist  9, 
die  Zahl  der  Finalzeichen  ebenfalls  9,  der  Zahlzeichen  sind  gleichfalls  9,  und 
hier  dürfte  daher  der  Ursprung  der  indischen  Ziffern  zu  suchen  sein ;  die  Zahl 
der  einfachen  Wurzelzeichen  ist  28,  die  Zahl  der  Mondstationen,  ihnen 
wurden  noch  7  Gonsonanlenverbindungen  mit  l  angereiht,  welche  nicht  durch 
Gomposition  der  Wurzelzeichen  mit  l  gebildet  sind.  Die  Schriftzeichen  der 
Lept^as  waren  also  offenbar  Zeitzeichen. 

Die  Inder  hatten  nicht  immer  dieses  Zahlensystem;  in  den  Inschriften 
der  Gupta-Dynastie  besteht  ein  anderes,  welches  Zeichen  für  1  bis  9,  von 
10  bis  20  u.  s.  w.  enthält  wie  die  semitischen  Schriften;  dieses  Zahlensystem 
kommt  noch  in  Devanagari-Handschriften  vor,  wobei  zwar  einzelne  Zeichen 


Indische  Zahlzeichen. 


453 


die  Anfangsbuchstaben  der  betreffenden  Zahlwörter  sind,  andere  aber  sich 
nicht  auf  diese  Weise  erklären  lassen.  Die  indischen  Ziffern  haben  zugleich 
eine  auffallende  Ähnlichkeit  mit  den  hieratischen  Ziffern  der  Ägypter.  Wir 
lassen  zum  Beweise  dessen  hier  eine  Zusammenstellung  folgen: 


hieratische  Zeicher 
der  Ägypter 

1 

2 

3 

4 

5 

1 

6 

^ 

/ 

•a 

s 

9 

\ 

0 

Gupta-InschriAcn 

- 

— 

2 

H 

f^ 

t 

> 

c 

] 

Maledivisch 

1 

y 

r 

y^ 

<u 

> 

y 

:p 

9 

LeptSa 

f 

-z 

5 

a. 

U 

v5 

«) 

< 

(^ 

0 

Tibetanisch 

? 

a 

s 

<ai 

V- 

v& 

47 

<. 

(? 

o 

Nepal 

n 

2 

3 

% 

5 

t 

n 

c 

5 

0 

Devanagari 

s 

^ 

? 

8 

M 

? 

s 

b 

< 

0 

Ka^mir 

^ 

3 

0 

X 

H 

2 

5 

5 

to 

• 

Bengahsch 

h 

7 

o 

8 

er 

b 

«) 

Ir 

;j 

0 

Assam 

j 

X 

o 

S 

j^ 

b 

9 

(T 

? 

d 

Telingisch 

r> 

/O 

? 

ir" 

=1 

t 

l- 

J 

z 

0 

Tamulisch 

5> 

2- 

nh 

e^ 

(5> 

Bh- 

er 

^ 

A> 

u) 

Malabarisch 

^ 

o. 

00. 

a» 

® 

«5 

5 

«y 

ort 

o 

Singalesisch 

Ci 

Oo 

(fy» 

n 

%v 

6 

<y 

e? 

a 

<% 

Birmanisch 

Q> 

J^ 

2. 

9 

0 

e 

q 

o 

6 

o 

Siamesisch 

^ 

\a 

fr» 

(^ 

?r 

b 

CV 

d 

Q^ 

0 

Kambodia 

9 

Va 

««^ 

(f 

ts 

^ 

n- 

KP 

;t 

0 

,       vereinfacht 

A 

V 

M 

V 

y 

s 

y 

k 

^ 

Javanisch 

an 

C 

»^1 

<  - 

'1 

<"> 

vu 

1-S 

ni 

c 

Man  vergleiche  ferner  die  Zehner-Reihe: 

Hieratisch 

4 

t\ 

;( 

— 

? 

u 

) 

n 

JU 

^ 

Maledivisch 
Gupta-Inschrifl 

7 

i^ 

9 

3 

V 

0)0) 

sr 

Devanagari 

31 

i 

<tf 

% 

Z 

i 

1 

•e* 

«r 

f 

45  i  Indisclie  Zahlzeichen. 

Aus  dieser  Zusammenstellung  geht  hervor,  dass  wenn  die  Zeichen  die 
Anfangsbuchstaben  der  Zahlwörter  waren,  diess  nicht  die  gegenwärtigen 
Zahlwörter:  eka  1,  dra  2,  tn  3,  tMrar  i,  pantsanb,  Sa^  %y  saptan  7,  aätan  8, 
navan  9,  da^an  10,  waren,  auch  dort,  wo  die  Zahlzeichen  den  Buchstaben 
ähnlich  oder  gleich  sind,  stimmen  sie  mit  den  Anfangsbuchstaben  dieser 
Zalilwörter  nicht  überein;  es  liegt  offenbar  hier  ein  ebensolcher  Zeichen- 
wechsel wie  bei  den  Lautzeichen  vor.  Devanagari  1  ist  maledivisch  9;  Gupta  S 
ist  Lept§a  4,  wie  bengalisch  4  das  Zeichen  unserer  8  ist;  LeptSa  6  ist  Nepal 
5  u.  s.  w.  Beachten  wir  endlich  die  Ähnlichkeit  der  chinesischen  Ziffern 
-^  l  J=  2  ^  3  ßg  4  5  5  :;^  6  ,(/  7  A  8  A  9  +  10' 
so  kann  kein  Zweifel  sein,  dass  zwischen  Ägypten  und  China  ein  Alphabet 
aus  9  Buchstaben  bekannt  war,  dessen  Zeichen  zugleich  als  Zahlzeichen 
dienten,  welches  das  Decimalsystem  inaugurirte  und  mit  diesem  zu  den  ein- 
zelnen Völkerschaften  gelangte.  Wir  haben  bereits  Seite  41  daraufhingewiesen, 
dass  das  maledivische  Alphabet  genau  den  arabischen  Zahlzeichen  entspricht, 
wir  können  aber  daraus  keine  Schlussfolgerungen  auf  andere  Zahlenreihen 
ziehen,  da  z.  B.  die  tamulischen,  malabarischen  und  anderen  Zahlenreihen 
eigenthüniliche  Bildungen  zeigen,  welche  den  Lautzeichen  mitunter  ent- 
sprechen, meist  aber  von  ihnen  abweichen.  Nur  so  viel  wollen  wir  hier 
bemerken,  dass  das  Decimalsystem  auf  demselben  Princip  beruht  wie  das 
keilschriflliche  Sechziger-System,  und  wie  dieses  die  Eins  als  zweite  Potenz  in 
der  zweiten  Stelle  als  60,  in  der  dritten  als  3600  gebrauchte  (s.  S.  337), 
so  setzten  auch  die  Inder  die  Eins  als  zweite  Potenz  in  die  zweite  Stelle  als 
10,  in  die  dritte  als  100  u.  s.  w.  Könnten  die  Gupta-Inschriften  beweisen, 
dass  dieses  Decimalsvslem  zu  ihrer  Zeit  noch  nicht  existirte,  so  wäre  das- 
selbe  erst  nach  dem  2.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung  entstanden;  das 
ist  aber  deshalb  nicht  glaublich,  weil  die  Lept§a-Schrift  und  das  ganze  Neuner- 
System  viel  älter  ist,  wie  auch  letzteres  sich  nur  in  der  Sage  und  in  der  Zahl 
9  als  a Erneuerung"  erhalten  hat. 

2.  Multan. 

Nachdem  wir  in  der  Lepl§a-Schrift  einen  echt  indischen  Charakter 
kennen  gelernt  haben,  nehmen  wir  eine  andere  Spur  auf  und  begehen  uns 
an  den  äussersten  Westen  Indiens,  wo  der  Charakter  der  vokallosen  Schrill 
sich  noch  bis  auf  den  heuligen  Tag  als  eine  Brücke  erhalten  hat,  welche  die 


Multan.  455 

indischen  Schriftensysteme  mit  den  semitischen  verbindet.  Wir  lassen  zunächst 
eine  Probe  des  Vaterunsers  aus  einer  im  Jahre  1819  in  Serampore  er- 
schienenen Bibel  folgen: 

TT  o^^ii^iT  ^5Mr^  rr^l  13  3r  ^1 1^:^  ^yt 
3r  y3v  rr^  3r  ^^^^^  t^^ai^iT  SiS  35  \'^6%\r 

Transscription  und  Übersetzung; 
Ai   saragwitS  rahanwala  asda    pita     teda    naw  pawiira  tha  teda  radz 
0  Himmel  in  weilender  unser  Vater  euer  Name  heilig  sei  euer  Reich 
Qwa       teda  dihnaüia  aaraywii.^  diaha  taha  dunyawits   kara  ivangna,  aska- 
f  ukomme  euer    Wille   Himmel  in   wie     so    Erde  auf   gethau   gehe,    unser 
c/ittraii  layak      khawun     adi  asko  dawa  bhya    asda     dewin   aako  tsuda  dialia 
Leben  nöthi^e  Nahrung  heute  uns  gieb^  und  unsere  Schuld  uns  vergieb,  wie 
a^ii    ajfna    dewanwaleki       tihudahun      hhija    adzmattcits  aska  tnatan  thana 
wir  selbst  Schuldnern  vergebend  sind,  und  Versuchung  uns  nicht  führe,  son- 
jtara  tcattthtriakaHitshudwat^hadi   radi   bhya  paräkaram   bhya  mahaiam  sada 
dem     Chel  von       erlöse   denn   Reich  und  Herrlichkeit    und      Macht     btets 
/i*.Wo    hin.  Atzten, 

9 

eurh  sind.  Amen. 

Aus  dieser  Schriftprobe  geht  hervor,  dass  die  Vokale  Tr  a  ö  i  ^  m  in 
dieser  Schrift  dieselbe  Rolle  spielen  wie  K  a  *  y  i  ir  in  der  hebriü^clH'n  (»der 
die  Vokalzeichen  in  der  Pehlevi-Sclirifl,  die  richtige  Au>spracht*  bleibt  der 
mündlichen  Überlieferung  überlassen.  Dennoch  stobt  die  Mnllan-Schrift  mit 
der  Devanagari  in  innigster  Verbindung,  letztere  hat  inehnMe  Zei«  ln^n  der- 
•sejben  entnommen,  wie 
Multan  :;        Jt      cT        ij^        ^        ^        Y        '*!        n        5 

Devanagari    ^T^^        SRII'R        ^        5 

ka       ya       tsa       m       da       pta       jhi       ma       ya        ha 


456  Indische  Schriften. 

3.  Sindh. 
Die  Sprache  des  Landes  Sindh  ist  eng  mit  der  des  benachbarten  Landes 
Multan  verwandt,  wie  aus  folgender  Probe  des  Vaterunsers  hervorgeht: 

8/tDj)|  tn\t^v^tD  «08/  3i?)3  WM  M?)3i  8/n)j)\o:xxr-'^t)() 
^3Tfia  •^'^^M  ^o3i  ?)vr^  *.  tD'nxp'  *• 

Transscriplion  und  Übersetzung: 
Ai  sargmädz  rahantoara  äsudzo  pit  tuhid£o  nam  pawitr  thae.  tuhidzo  radi 
0  Himmel  in  weilender  unser  Vater,  euer  Name  heilig  sei,  euer  Reich 
äwe      tuhidzo  khatirkhah  sargmädz  dzahapa  tahata  dunyämädi  kara  tpahe. 
zukomme,  euer        Wille    Himmel  in     wie        so       Erde  auf  gethan  gehe, 
ctskhe  dzian     laik       khaun     adzh  askhe  deo.  bhya  asudzo   dean   askhe  tshod 
unser  Leben  nöthige  Nahrung  heute  uns  gieb  und  unsere  Schuld  uns  vergieb, 
dzahata  as  pahädze  deanwarankhe    Uhodde    hin.  bhya  adzinatmädz  askhe  mat 
wie    wir   selbst    Schuldnern  vergebend  sind    und  Versuchung  uns  nicht 
wadhu    par    huiShat'ikhe  tsJioda   Wiiedze  radz  bhya  mahatam  bhya      takmar 
führe,  sondern  Übel  von  erlöse,     denn    Reich  und    Macht   und  Herrlichkeit 
hamaso  tuwadzo  hin,  Amen, 
stets     euch     sind.  Amen. 

Gegenüber  der  Gleichheit  dieser  Sprache,  welche  sich  aber  auch  durch 
die  häufigen  Gerebrallaute  von  der  Multan- Sprache  unterscheidet,  ist  die  Ver- 
schiedenheit der  Zeichen  desto  auffallender.  Wir  heben  hervor 

6      ^      ;i.      ■=)      3  ,  Tii    @    Ji    3l    H    'n    ^^/ 

dasesen 
Sindh    dha    t<a     ra     ha     ta  .      .  au    ga  dza  pa  ma  tia 

,,  ,^  .  ,  '       übereinstimmend  ,, 

Multan     t      ra     ka     na     ta  a     tt    ga  dza  pa  ma  na 

Mehrere  Sindh-Zeichen,  wie  i  ka  ^  \'ha  ^M  gha  ^  ta  lehnen  sich  an 

die.  persisch-  aramäischen  Schriften  an, 


Indische  Schriften.  4-57 

4.  Gudäarat. 

Die  gudiaratische  Schrift  nähert  sich  der  Devanagari  noch  mehr  als  die 
beiden  vorigen,  so  dass  man  sie  eher  für  eine  cursive  Devanagari,  als  für 
eine  Vorgängerin  derselben  halten  könnte ;  doch  spricht  gerade  die  mangelnde 
Verbindung  der  Zeichen  für  das  höhere  Alter  der  gudiaratischen  Schrift;  sie 
hat  von  der  magadhischen  Schrift,  in  welcher  Inschriften  in  Gudiarat  gefunden 
wurden,  nur  die  genaue  Vokalbezeichnung  aufgenommen,  wie  %  ka  Jrt  /cäTx  k'i 
X?  ^  s^  ^*<'  ^^^  ^  ke  ^ko  ^  kau  % kä  i  rk\  kommen  aber  zwei Consonanten 
nacheinander,  so  werden  sie  nicht  untereinander  gesetzt,  wie  in  der  Devana- 
gari und  Pali.  sondern  neben  einander.  Wir  geben  als  Schriftprobe  wieder 
das  Vaterunser: 

An  ^^T.oi'^a  \^^^c-([  ^t^^a^  ^H  rii|  -dx 

:<3^  HC47  H^dx^-H  HcH?  id^n-K  :hi?.h^  ^'>d:(l  « 


l 

Transscription  und  Übersetzung: 

Are  sicargmä  rehawäwäla  antärä   hfip  täru   ndm  pawUr  thüe,  täru  iv7*/5 

0  Himmel  in  wohnender  unser  Vater,  euer  Name  heilig  sei,  euer  Ilt'ii  h 

ätcai     tärä  manmäfak  swargmä  dzyeicu  tijeuu  dhnjatm'i  kanjä  dzde,  amoHe 

zukomme,  euer  Wille   Himmel  in     wie       so     Erde  auf  gethan  gehe,  unser 

dhicäläyek    khäwäne    üdz  amone  äpaUy  wall  atnaru       rn       amotie  tsudiju 

Leben  nöthige  Nahrung  heute  uns     gieb    und  unsere  Schuld   uns  vei>Mt>b, 

diyewä  ame potänä  kardztlärZne    imiiye  ttthahiß.  tcall   ^mrlL^ämi  amotw  mt 

sowie  wir  unseren  Schuldnern  verzeihend  simi  und  Versuchung  in  uns  nicht 


4^58  Magadha. 

hjau     pan     bhüdälthl  Wiodäwau  kyemkye  rüdz  tcall  paräkram  wall  mähätam 
fahre  sondern  Übel  von    erlöse,      denn   Reich  und   Macht    und  Herrlichkeit 
sarwada  iumärä  tShai.  atnetx, 
stets       euer      ist.    Amen. 

Beachtenswerth  ist  die  Bildung  des  a  aus  zwei  Zeichen,  nämlich  3  , 
welches  dem  Sindh  H)  entspricht,  und  *t  y,  daraus  wurde  Devanagari  ^. 
Übereinstimmend  mit  Sindh  sind 

Sindh  @       3       Jl       \H        te        i^^       M        "h       "^       '^      ^ 

Gud^aratisch  ^       Vi       o\       ^        <9lUHX         ^^:^ 

%t      kha     ga     gha     islia      na      pa     pha      bha      ma     ra 

Gudiaratisch  co  bha  scheint  Sindh  T^  ba  zu  sein,  ein  Wechsel  ist  vor- 
handen im  Sindh  6  dha  ^  da  ^  tha  ^  da  ^  na  mit  gudiaraüsch  c  dha 
<l  da  ^  dha  ^  tha  ^  da;  der  letztere  Wechsel  entspricht  der  Devanagari- Form 
^  da^  na,  durch  Punktirung  werden  ^  dzha  {dza?)  in  «rl  dza,  y^  pa  in  X  /a 
verwandelt. 

Wir  lassen  noch  eine  Vergleichung  mit  der  Devanagari  folgen. 

Gudiaratisch  3^1    ^^\^i^ViO\^^<da<^Zli&€^,SX 
Devanagari    ^^TJ^r^^JT^^^SI^^^J^^iT 

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Gudiaratisch  «l<e^HHX     H^'A^T^^^'^TSl^I^ 

Devanagari    ^^URqXR^m^qj^^^^^^^ 

tha  da  dha  na  pa  pha  ba  bha  ma  ya  ra  la  wa  sa   bu  lia  ksa 

5.  Magadha. 

Wir  haben  schon  oben  (Seite  430)  auf  die  grosse  Bedeutung  hin- 
gewiesen, welche  das  Land  Magadha  (jetzt  Bihär,  die  Hauptstadt  des  gleich- 
namigen am  Ganges  gelegenen  Landes)  für  die  älteste  indische  Gultur  hatte. 
Eine  erhöhte  Bedeutung  gewann  dieses  Land  durch  die  im  5.  Jahrhundert 
vor  Christo  von  dem  magadhischen  Prinzen  Siddharla  (auch  Sakyamuni 
, Einsiedler  der  Sakya"  oder  Sramana  Gautama  „Büsser  der  Gautamiden* 
und  Buddha  „der  Erweckte")  gestiftete  buddhistische  Religion.  Dieselbe  war 
ihrem  Ursprünge  nach  eine  demokratische  Opposition  gegen  das  Kastenwesen 
und  eine  Reaction  der  alten  Urreligion  Magadhas,  sie  lehrte  die  Gleichheit 
der  Menschen  und  die  Befreiung  von  der  Sünde  durch  rechtschaffenen  Lebens- 
wandel. Daher  vermieden  ihre  Bekenner  die  Sprache  des  Sanskrit,  welche  zu 


A^oka's  Inschrift.  4-59 

jener  Zeil  schon  eine  todte  Sprache  war,  und  lehrten  in  der  Volkssf^rache.  Wir 
besitzen  aus  jener  Zeit  das  älteste  Denkmal  indischer  Schrift,  nämlich  ein 
Edict  des  Königs  A:$oka,  welcher  um  die  Mitte  des  3.  Jahrhunderts  vor  Christo 
König  von  CentraMndien  war  und  die  buddhistische  Propaganda^ in  jeder 
Weise  unterstützte.  Dieselbe  lautet: 

iT'AUCrDln'«(JXrUi«l4/f/rCUAAT-rf'AUtf*vCl?a/XLi"<0DAi 
Vi- WLC<<»f  «TLOjCWA  XI  fT'X /.«•lyT-L.  X  tf'Hrr'lrX  «tlAX 

Transsrription: 
Piijmiasa  Ja  (dzä)  mäijadhä  säijhd  abhiuHult  (inä)  nä  dhä  apabädhatä  i^u 
j*m4  wihähfd  tsn  (Zweite  Zeile:)  widiiewa  bhdte  ätcatake  ha  mä  btidhasi 
tlhdmtm  sdyhasW  yolatce  tsd  iMsCide  tsa  eketsi  bhüte  (Dritte  Zeile:)  bhatjataitä 
biidln-na  bhdsite  saice  se  subhäsite  trä  etsu  kho  bhdte  pämiijaye  diseya  hetvd  na- 
dhdtne  (Vierte  Zeile :)  i§ila  ica  tl  ke  Ihomilti  alahimi  hakä  tdtvtvataice  imätti  bhdte 
(dhd)  nui  jtaÜijdyäni  tcinay  asaniakasc  (Fünfte  Zeile:)  aUyaicesüui  auCujatn- 
bhaydni  muni  ynthä  moneyuaüte  (u)  patüsn  pasine  etsä  läyhulo  (Sechste  Zeile  :) 
icäde  ma^äwa  (tsä)  adhiyätsya  bhayairatä  budhena  bhäsite  etätti  bhdte  dhdmn 
paUyäyäni  itMmni  (Siebente  Zeile:)  kiti  bfthuk*-  bhikhapä  ye  tsa  bhikhani  ye  tsa 
aifikhind  suna  (yu  tsa  u)  pa  dhä  leyeyu  tsa  (Letzte  Zeile:)  hird  meua  upüsakü 
tsä  upäsokä  tsä  ettni  bhdte  imd  Ukhä(jta)yänti  ahhi  htti  madza  (nd)tati, 

Ubersotzun«:: 

«FMyudarsi,  der  König,  an  die  ehrwünlijie  Synode  zu  Magadha,  welclie 
er  grüsst.  wünscht  ihr  wenig  Soifron  und  ein  anjrenehiues  Leben. 

Es  ist  Euch  wohlbekannt,  wie  gross  meine  Arlitung  und  Glaube  an 
Buddha,  an  die  Gesetze  und  an  die  Synode  geworden  sind. 

Alles  was  der  g»'srgnete  Buddlia  g<*sagt  liat,  i^t  wohl  go^prorhcn.  rs 
niuss  d«iher  bekannt  gemacht  werden,  web  hos  die  Brtrgsc  haften  sind  (da^^s 


460 


Asoka's  Inschrift. 


er  CS  gesagt),  so  wird  das  gute  Gesetz  von  langer  Dauer  sein.  Das  ist  es, 
was  ich  für  nöthig  halte. 

Daher  sollen  bestimmt  werden  die  Vorschriften  der  wichtigsten  Weis- 
heit, welche  die  Unterdrückung  der  Aryas  überdauert  haben,  und  vor  künftigen 
Gefahren  bewahrt  werden  die  Gesänge  der  Einsiedler,  die  Sutras  der  Ein- 
siedler, die  Gebräuche  der  niederen  Asketen,  der  Tadel  der  leichtsinnigen 
Leute  und  der  schlechten  Lehrer. 

Diese  Sachen,  wie  sie  der  göttliche  Buddha  gelehrt  hat,  mache  ich  kund 
und  wünsche  sie  angesehen  als  Vorschrift  des  Gesetzes. 

Und  alle  männlichen  und  weiblichen  Geistlichen  mögen  sie  hören  und 
beachten,  wie  auch  alle  männlichen  und  weibüchen  Gläubigen. 

Diese  Sachen  bekräftige  ich  und  habe  veranlasst,  dass  sie  nieder- 
geschrieben werden,  damit  Jeder  wisse,  dass  das  mein  Wille  ist. '  ^®^ 

Man  hat  die  magadhische  Schrift,  weil  sie  die  älteste  Urkunde  bewahrt 
hat,  als  die  älteste  indische  Schrift  betrachtet;  irrig  wäre  es  jedoch,  aus  ihr 
alle  übrigen  Schriften  ableiten  zu  wollen.  Vergleichen  wir  sie  mit  der  Deva- 
nagari,  selbst  mit  in  begriff  der  übrigen  buddhistischen  Inschriften  aus  dem 
3.  Jahrhundert  vor  bis  zum  5.  Jahrhundert  nach  Christo,  welche  manche 
Übergänge  erkennen  lassen,  so  zeigt  die  Devanagari  doch  manche  Eigen- 
thümlichkeiten,  welche  nicht  aus  der  magadhischen  Schrift  stanunen,  sondern 
von  der  Schrift  der  westlichen  Länder,  welche  wu*  oben  behandelt  haben : 
gleichwohl  ist  der  dominirende  Einfluss  der  magadhischen  Schrift  unverkennb;\r. 


Laut- 
werlh 

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Tsandra- 
Gupta 

Dzirnar 
2.  Jahrh. 
nach  Clir. 

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5.  Jahrh. 
nach  Chr. 

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Vergleichung  der  magadhischen,  Devanagari  und  Pali-Schrilt. 


461 


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West- 
groUen- 
Inschrift 

1 

TSandra- 
Gupta 

Dzirnar 

2.  Jahrh. 

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Allahabad 
5.  Jahrh. 
nach  Chr. 

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462 


Vergleich uiig  der  magail bischen,  Devanagari  und  Pali-Schrill. 


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T§andra- 
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2.  Jahrh. 
nach  Chr. 


5.  Jahrh. 
nach  Chr. 


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Wir  sehen  in  diesen  Inschriften  immer  mehr  das  Streben  nach  einer 
Verbindung  der  Zeichen  entgegentreten,  welches  wir  in  den  folgenden  Schriften 
gleichfalls  vorfinden;  es  scheint  diese  Verbindung  darauf  zu  beruhen,  den 
inhärirenden  Vokal  a  auszudrücken,  denn  wir  fmden  im  magadhischen  >r  ä 
■f  kä  «f  tM  die  ersten  Spuren  dieser  Verbindung,  und  diese  in  dem  Masse 
wachsen,  als  J  an  Stelle  des  ä  trat;  doch  fehlt  diese  Verbindung  der  Pali- 
Schrift  durchweg  und  wir  müssen  daher  ihren  Ursprung  im  nordwestlichen 
Indien  suchen. 

Wir  lassen  hier,  um  den  Übergang  der  magadhischen  Schrift  zu  der 
Devanagari  zu  illustriren,  eine  kleine  Reihe  von  Inschriften  des  gleichen  Textes 
folgen,  welche  an  Symbolen  der  buddhistischen  Religion,  den  T§aityas, 
gefunden  wurden.  ^^® 

Afghanistan. 

Ye  dharmä  hetu-prabhawä  hetä  iesa  taihägaia 
praha  tesä  tSa  yo  nirodha  ewä  tvädi  MaM  Sraniam. 


ig^ 


Altinilische  Inschriiten.  463 

•  Tirhut. 

IV  dharmma  hetu  prahhaivä  tem  hetü  luihCujaia 
(u)vätia  tei^l  t^a  yo  nirodha  ewä  irddi  Maha  Samanah. 

Sarnäth  bei  Benares. 

Ve  dharma  hefu-pvobhairä  hetü  tesu  iathägato 
hyairadat  t(i<fi  tM  i/o  nirodha  eica  icadi  Maha  Samamh, 

Shergatti. 

Yt  dharmmä  heiu-prabhauä  heiü  ir.^u  Iathägato 
hijairadat  tesu  t.sa  yo  nirodha  ewä  irüdi  Mahd  Sra warnt, 

Java. 

Ye  dharnui  heta-j^robhawä  hetü  tetfä  iathägato 
hijairadat  trsä  t$a  yo  nirodha  enä  irädi  Mahd  i^ratnatia. 

Devanagari. 

Der  l*b<»rtrang  aus  niagadhisch  D  dha  zu  Di*vanai;ari  \|  dha  erklärt 
sii'h  durch  bengalijjcli  5f ;  die  Veräiiderun};en  der  übrijion  Zoirhen  lassen  sirli 
leirhl  aus  der  vorsiehenden  Zusaninien>U'lUing  dor  nia^Mtllii^chcn  Alphabete 
erkennen. 


4-64  Nevari. 

Der  Text  lautet  in  deutscher  Übersetzung: 

»Alle  Dinge  gehen  aus  einer  Ursache  hervor,  diese  Ursache  ist  erklärt 
durch  Tathagata; 

,  Alle  Dinge  werden  aufhören  zu  bestehen,  das  ist  was  erklärt  worden 
ist  von  Maha  Sramana  (Buddha).*^ 

Dieser  Spruch  wird  von  frommen  Indern  ebenso  oft  citirt,  als  das 
Vaterunser  von  Christen  gebetet  wird. 

6.  Nepal. 

In  Nepal,  wohin  sich  der  Buddhismus  vor  den  Verfolgungen  der  Brah- 
manen  im  5.  Jahrhundert  nach  Christo  gefluchtet  hatte  und  wo  derselbe  sich 
in  Vorderindien  allein  bis  jetzt  erhalten  hat,  werden  die  Bücher  in  vier  Schrift- 
arten geschrieben:  1.  in  der  Nevari,  welche  fast  ganz  mit  der  Devanagari 
übereinstimmt,  2.  in  der  Kayti-Nagari,  3.  in  der  Rand2a  und  4.  in  der  Bandiin- 
Mola.  Die  drei  ersteren  Schriften,  welche  sich  nur  unwesentlich  in  der  Form 
unterscheiden,  z.  B.  l\'^^d£ha,  haben  oben  den  die  Zeilenlinie  darstellen- 
den, verbindenden  Strich;  die  Bandi^in-Mola  dagegen  statt  dessen  einen 
gebogenen,  z.  B.  O]  ka.  Wir  lassen  hier  das  Vaterunser  in  Nevari  folgen. 

%  ?^TT^  ^;^^%^  ^T^  sng^ 
c??Mt  nft  mm^i  ^T%nf  sit^Fn  c?Tra^  i^t^  ^rm 

Transscription  und  Übersetzung. 
He   saragmä    rahnehet'U  hämrä  häbu,  tero  näm  patvitra  howas,  iero   ftidz 
0  Himmel  in  weilender  unser  Vater,  dein  Name  heilig   sei,  dein  Reich 
awas      tero  khätirmäphik  saragmä    d£a$tä    tastä    logmä         gari      dzawas, 
komme    dein       Wille       Himmel  in    wie      so    Erde  auf  gethan    werde 
hämiläl  hatSna   läyek      k1u>räk    ädz   hämiläi  deuni,    äwar   hamehemki    riii 
unser   Leben  nölhige  Nahrung  heute    uns       gieb,     und        unsere    Schuld 


Sikh.  465 

hameherülül      maph         gar      dzasto  liumi    üphnä    karadzdärläi         maph 

uns       Verzeihung  mache,     wie     wir    eigenen    Schuldnern    Verzeihung 
yardatShau,    ätcar    pankSämä  JuxmüäJ  na  lyau,     tara     buräidekhi  Wtodawa, 
machen  sind  und  Versuchung  in  uns  nicht  führe,  sondern  Übel  von    erlöse, 
kyähä  rad£  ätcar  paräkram  äwar   mälmtma     stidä  tamro  tsa.  Amin, 
denn  Reich  und      Macht     und  Herrlichkeit  stets    euer  ist.  Amen. 

Auch  hier  sind  noch  viele  Buchstaben,  Gonsonanten  wie  Vokale,  neben- 
einander gestellt,  welche  in  der  Devanagari  unmittelbar  verbunden  sind. 

7.  Sikh. 
Die  Sikh  wohnen  im  Fünfstromlande  (Pendiab),  wo  in  jüngerer  Zeit 
tler  Mohammedanismus  die  arabische  Schrift  eingeführt  hat,  doch  hat  sich 
die  alte   Schrift  noch  im  Gebrauch   erhalten,   von   deren  Ductus   wir  das 
folgende  Vaterunser  als  Probe  geben: 

Transscription  und  Übersetzung. 
He    surgmat    rahnvtcäle  liamäre  pitü   terä   nüm  pauitr  howe,  ierä  rädz 
0  Himmel  in  weilender  unser  Vater,  dein  Name  heilig    sei,    dein  Reich 
ütce,     terä     usf       dzisparkär       surgtnai       tisprcücär  prithnvitif     kitii  dzane, 
komme  dein  Wille  welche  Weise  Himmel  in  diese  Weise  Ertie  auf  gellian  gehe, 
asäde       dzitcaidnik        khünä  amddttui  adhi  dm  hu,  afr        dzisprah'ir       asi 
unsere  Leben  nöthige  Nahrung     uns     heute    gieb,   und    welche  Weise    wir 
«i/wiya    kanizäiyäko       niaf  karUhä       taisr  amüdetdi       maf        karu, 

eigenen  Schuldnern  Vergebung  machend  sind,  so       uns     Verzeihung  mache 
aU  asänü  pankhayäiciti     präpat     mat    karhu     horki    anmnü  bunte  tshmlnu, 
und  uns  Versuchung  in  gelangen  nicht  mache,  sondern  uns  ('bei  von  erlöse, 
kiuke  rädz  ate  paräkram  ate       mahnt  am     nahh    knhcit^    tau       hl,       Amin. 
denn  Reich  und    Macht     und  Herrlichkeit  jede    Zeit  in    dein  allein.  An.m. 

Faulraann.  Gevchichte  d.  ächriH.  '^\\ 


466  Marathi. 

Auch  in  dieser  Schrift  ist  die  verbindende  Linie  bereits  durchgeführt, 
dagegen  nicht  die  Consonantenverbindung;  Devanagari  9  ha  ist  hier  ?  tca, 
dagegen  TT  ha.  Auch  sonst  haben  die  Zeichen  manche  EigenthumHchkeiten. 

8.  Marathi. 

Die  Marathen  sind  brahmanischer  Religion,  haben  einen  Theil  des 
Dekan  erobert  und  sind  die  einzigen  Bewohner  dieses  Theiles  im  nördhchen 
Indien,  welche  si6h  der  Sanskritsprache  bedienen;  ihre  Schrift  (Moä)  ist  mit 
der  vorigen  verwandt,  zeigt  aber  eine  cursivere  Form  und  lehnt  sich  mehr 
an  die  Devanagari  an.  Wir  geben  als  Schriftprobe  das  Vaterunser: 

^TsOT  ^WT  Tr37fr*7n3r  <3jTr?  ^^s[  ^mT  ^Ä^  I  <ir?53TCr  u-Oily/1 
^Tufl'^jrRq  TitrT  ^5r^  Titrr  ttt^jt!  €m^  i  csjtch  ii 

Transscription  und  Übersetzung. 

He  amtse        swargastha  pitä  tumt$a  näw    pauntramänya   hotco, 

0  unser  himmelweilender  Vater,  dein  Name   heiliggehalten  werde, 
turnte  radzya  prak(da   howo  dzasa    swargl    tasa  prthtunt  tumtäi  isdha  krttfä 
dein    Reich  offenbar  werde,  wie  Himmel  in  so  Erde  auf  dein  Wille  gethan 
keli     dzawo,    adz   amt§a   nltya  hhakäya  amhas   dyä  ani  dzasa  amhi    amtse 
seiend  gehe,  heute  unser         tägUches  Brod       gieb,  und  wie    wir    unseren 
udharakas     rn    kmmä  karkto  tasa  amtna       rn     k^ama  karä  ätnhäs  parikSet 
Schuldnern  Schuld  verzeihen,     so  unsere  Schuld    verzeihe    und  Versuchung 
gheu    nakä  parantu  amhäs  apadäplian  uddhär    karä      käki  sadä  sarwa- 
in   führe  nicht  sondern     uns     übel  von  Erlösung  mache   denn  stets  immer- 

kkitn    rädsya  tathä  saktt  tathä    gaurawa   turnte,  Armn, 
während  Reich  und    Macht  und  Herrhchkeit  dein.    Amen. 

Li  dieser  Schrift  tritt  schon  die  unmittelbare  Verbindung  schärfer  hervor, 
wie  in  '^  dzya  "?53  ha  'tT  nta,  dagegen  ist  die  Verschmelzung  mit  langem  a 
wie  in  ^  Ära  "W  kä  ^  wa  ^  wä  eine  noch  viel  innigere  als  in  der  Devanagari. 


Indische  Schriften.  467 

9.  K'aSmir. 
Das  Land  Kaämir  hat  sich  von  jeher  in  Selbständigkeit  erhalten  und 
spielte  schon  in  der  alten  Geschichte  Indiens  eine  grosse  Rolle ;  die  Schrift  ist 
der  Dcvanagari  ähnlich,  hat  aber  ebenfalls  ihre  Eigenheiten,  so  namentlich, 
dass  das  Virania,  welches  das  Fehlen  eines  Vokales  anzeigt  und  in  der 
Marathi  als  ein  Strich  ^  unter  dem  Buchstaben  bezeichnet  wird,  hier  als 
\  hinter  den  Zeichen  steht;  die  unmittelbare  Verbindung  ist  genau  durch- 
geführt. Wir  geben  als  Schriftprobe  das  Vaterunser: 

^  "^SnirBT^  JUHH  ><T=f  ><Tr?f  HT^  =TR^  ^IJ  >Wrf=T^ 
fS^  ^I=T^  ftlfij^  I  VJ^T^  UnR>1^  FWJN^  VpT^\  WH^ 

^P^  fasnr?^  i  ft^  mvi  ^^  'to  vj^  ^fU\  ftr^  ^^ 

TOT  TfTM^  f56^  Vi'^:^  ^^^  ^^^^\  Vf^  I  ^f>l=T^  II 

Transscription  und  Übersetzung. 
He  swargasmddz  rediaicane     säne    mfile  thjänu    naiv   snisu    sampanin 
0    Himmel  in     weilender   unser  Vater,  dein   Namo  geheiligt   werde, 
tifßäHU  räd^y   yufin    tSyüPiu  khatirkhäh    swargasmädz  yithu  bhawasanuiptifldi 
dein   Reich  komme    dein  Herz  wünsch    Himmel  in     wie  vergängliche  Welt 
tithu  karan  yiyin  sanis  diatcanas   läyakh    khuräk    ad£   ai>me  diyiWt  hhiya 
auf   so  gethan  gehe,  unser   Leben    nöthige  Nahrung  heute  uns    pieb     und 
sanu      karz   asme        mäf      knriw  yithu  asi  paminyan  karzdäran       m'if 
unsere  Schuld  uns  Verzeihung  mache,  wie  wir  eigenen  Schuldnern  Verzeihung 
karan    Wtyih  hhiya    azmäyisimddz    asme    ma    hyayiw     h'kin     yntshyarani^ 
machend   sind    und    Versuchung  in    uns    nicht  führe,    sondern     (bei  von 
mukalätcitaw  kyähdiiki  rädzy  hhiya  pratäp  hhiya      nuihütm     tsuhay  tuhanthty 

erlöse  denn      Reich    und    Macht    und  Herrlichkt'it   >lets     euer  ist 

päthe,  Amin. 
allein.  Amen. 

10.  Dcvanagari. 
Die  Devanagari  (genau  di-uänfiyart)  oder  die  Schrift   <ler  G«»iter-»tadt 
^Benare>  oder  Varanasi)  ist  nicht  wie  die  vt)rlgen  die  Schrift  eines  bestimmten 

:io' 


468 


Dcvanagari. 


Landes  oder  Volkes,  sondern  die  allgemeine  heilige  Schrift  der  Sanskritbücher, 
welche  auf  der  Priesterschule  zu  Benares  ihre  Ausbildung  gefunden  hat,  indem 
ein  bestimmter  Schriftductus  vorgezogen  und  dieser  mit  allen  Eigen thümlich- 
keiten  der , verschiedenen  Dialecte  bereichert  wurde. 

Die  Reihenfolge  der  Consonanten  soll  nicht  immer  die  jetzt  gebräuch- 
liche gewesen  sein,  man  schreibt  dem  Grammatiker  Panini  folgende 
Ordnung  zu: 

^  ?^^i^  ^iTT  #1^  ^1^  ^  ^  ^^|5I  JT^J 

u       r       l       e        0       äi       au     ha    ya   tca  ra     la     tla  ma  na 
dzha  hha  yha  dha  dha   dza  ha     ga  da    da     kha  plia  tSha  tha  tha 

tki    ta   ta     ka    pa     sa    äi    sa     ha. 
Gegenwärtig  besteht  die  Schrift  aus  14  Vokalen  in  folgenderReihenfolge: 


a 


na 


na 


aäiluürrlleaio        au 

•        •        •       • 

Dann  folgen  4  Gutturallaute  nebst  ii,  4  Palatallaute  nebst  fi,  4  Gerebrallaute 
nebst  n,  4  Dentallaute  nebst  v,  4  Labiallaute  nebst  m,  dann  die  Zischlaute 
und  h.  Wir  verweisen  bezüglich  derselben  auf  die  oben  (Seite  460)  gegebene 
Zusammenstellung. 

Die  obigen  Vokalzeichen  stehen  nur  am  Anfange  der  Wörter,  sie 
spielten  daher  ursprünglich  eine  ähnliche  Rolle  wie  K  m  in  der  hebräischen 
Sprache,  man  glaubte  wahrscheinlich  einen  Vokal  nicht  ohne  consonantische 
Beimischung  am  Anfang  der  Wörter  aussprechen  zu  können;  nach  den  Con- 
sonanten bediente  man  sich  besonderer  Vokalzeichen  und  schrieb  dieselben, 
wie  die  Juden,  über  oder  unter  die  Consonanten,  mit  Ausnahme  des  J  zwischen 
den  Consonanten.  Kann  man  aus  ähnlichen  Erscheinungen  auf  ähnliche 
Ursachen  schlicssen,  so  waren  auch  die  ältesten  Bücher  der  Brahmanen 
vokallos,  wie  die  Mutterschrift,  und  die  Einführung  der  Vokalzeichen  dürfte 
dem  Buddhismus  zuzuschreiben  sein,  umsomehr  als  im  buddhistischen 
Alphabete  die  Vokalzeichen  besonders  unter  der  Einleitung  »Ehre  sei  Buddha* 
aufgeführt  werden.  War  diess  der  Fall,  dann  würde  sich  auch  die  W^ichligkeit 
erklären,  welche  die  Brahmanen  dem  Auswendiglernen  der  heihgen  Schriften 
beilegten,    und   dann   wäre   die   Einführung   besonderer   Vokalzeichen   dem 


Devanagari.  4r69 

Verfahren  der  Juden  ähnlich,  welche  mit  dem  Einzeichnen  der  Vokale  »Hecken 
um  das  Gesetz*  machten,  um  die  alte  Aussprache  zu  bewahren,  während  die 
Heiligkeit  des  consonan tischen  Textes  verbot,  die  Vokale  zwischen  die  Con- 
sonanten  zu  schreiben.  Gleiches  war  bei  den  Arabern  der  Fall ;  verschieden 
davon  ist  jedoch  die  Vokalbezeichnung  in  der  Pali- Sprache,  von  welcher 
wir  später  sprechen  werden. 

Die  Vokale  wurden  im  Sanskrit  in  folgender  Weise  bezeichnet:  a  galt 
als  dem  Consonanten  inhärent ;  wir  haben  bereits  oben  die  Vermuthung  aus- 
gesprochen, dass  die  Verbindung  der  Zeichen  das  a  ausdrückte;  hieraus  ent- 
stand die  Folge,  dass,  wenn  mehrere  Consonanten  aufeinanderfolgten,  dieselben 
unmittelbar  verbunden  werden  mussten,  entweder  durch  Vorsetzen,  wie  ^  na 
und  ff  ta  zu  rff  nta  wurde,  oder  durch  Untersetzen,  wie  ^  da  und  TJ^a  zu  ^ 
dga,  J^ma  undrf  na  zu8  mifa^  ka  zu^ kka  wurde;  ä  wurde  durch  den  Stab 
T  nach  dem  Consonanten  ausgedrückt,  t  durch  f  vor  dem  Consonanten,  i 
durch  I  nach  dem  Consonanten,  u  durch  nd  und  ü  durch  ^^^  unter  dem 
Consonanten  (wir  finden  dem  entsprechend  Sindh  O  i  @  m  als  Anlaute);  r 
wurde  durch  ^,  unter  dem  Consonanten,  als  r  vor  Consonanten  über  demselben 
ausgedrückt,  z.  B.  ^  rka  ^kr;  f  ist  die  Verdopplung  des  einfachen  o  in  ^ 
unter  dem  Consonanten;  /  ist  rr^,  l  h^  unter  dem  Consonanten  (ofTenbar  ^, 
e  ist  *^  über  dem  Consonanleti,  ai  die  Verdopplung  desselben  ^;  in  Ver- 
bindung  mit  dem  Stabe  J  geben  diese  |  o  und  ^  au  und  stehen  nach  dem 
Consonanten  (e  und  i  scheinen  ursprünglirh  identisch  gewesen  zu  seui), 
ausserdem  bedeutet  *  über  den  Consonanten  der  Nasal  (Anusvära),  verstäi'kt 
^  (Anunäsika),  endlich  werden  drei  Arten  von  Hauchen  gebraucht  !  Ä  -f  ^ 
und  y  /,  gewöhnlich  wird  nur  der  erste  angewendet.  Kndet  das  Wort  mit 
einem  Consonanten,  so  wird  -^  (Viränia  , Pause**)  gesetzt. 

Tafel  X  enthält  die  Abbildung  eines  Devana<rari-Manusrripts,  dessen 
Text  ich  hier  in  Typen  nebst  der  Übersetzung,  welche  ich  der  Freundlirhkfit 
des  Professors  Dr.  Fri?drich  Müller  verdanke,  folgen  lasse: 


ww  f^^^  Wff^^nm  II H*?:  Wi 


470  Erklärung  der  Tafel  X. 

(Im  Texte  steht  ^  statt  des  in  diesen  Typen  gebräuchlichen  ^JJ) 

Transscription. 
0  Hämo  näräijanäya ,  o  yas  parastnaranamätre 
na  dzanmasäsär  abatidhanät .  vimutäyate  nama 
s  tastnai  icihiawe  prabhaici^mwe  .  namah  sama 
stabhütänäm  ädibhütäya  hhubhrtte  .  aneka 
nlparüpäyo  uiänatce prabham^nawe  .  vaUä. 

Übersetzung. 

,OmI  Verehrung  dem  Narayana!  welcher  durch  das  blosse  Denken 
über  das  Höchste  aus  der  Fessel  des  Kreislaufes  der  Geburt  erlöst  wird! 
Verehrung  jenem  Wi§nu,  dem  Mächtigen!  Verehrung  dem  aller  Wesen  Erster 
Gewordenen,  dem  Weltträger,  dem  in  mannigfachen  Formen  Auftretenden  1 
Wi§nu.  •* 

(Om  ist  ein  heiliger  Ausruf  der  Inder.) 

11.  Bengalisch. 

Die  bengalische  oder  Gaura-Sprache  steht  dem  Sanskrit  in  Bezug  auf 
Reinheit  am  nächsten,  sie  wird  gegenwärtig  an  den  hohen  Schulen  Indiens 
gelehrt  und  in  wissenschaftlichen  Werken  angewendet.  Die  Schrift  lehnt  sich 
an  die  Nepalische  und  besonders  an  die  Band2in-Mola  an.  Eigenthümlich  ist 
ihre  Vokalbezeichnung,  welche  sich  mehr  an  die  Pali  als  an  die  Devanagari 
anlehnt.  Das  Charakteristische  derselben  ist,  dass  der  Vokal  e  nicht  als 
Häkchen  über  den  Consonanten,  sondern  als  Strich  vor  denselben  gestellt 
wird,  z.  B.  Devanagari  ^  ke,  bengalisch  C^  ke^  Pali  GOO  ke;  ebenso  werden 
0  und  au  um  den  Consonanten  gestellt,  daher  C^  ^'o,  GH  ^^'  ^^^  ^^^ 
Consonanten  sind  manche  noch  nicht  oben  geschlossen:  JU  kka  n  ga  "Q  na 
^  na  vi  tha  ^  pa  '^  ^a,  und  wir  erinneni  daran,  dass  wir  oben  (Seite  463) 
den  Übergang  von  magadhisch  Q  zur  Devanagari  \^  dha  an  dem  bengalischen 
^  dha  illustrirt  haben.  Alles  diess  spricht  dafür,  dass  die  bengalische  Schrift 
keineswegs  aus  der  Devanagari  abgeleitet,  sondern  älter  als  diese  ist.  Das 
Vaterunser  hat  in  dieser  Schrift  folgende  Gestalt: 


I 
t 

I 
I 


•  f 


I 


■ 


r 


•  ■  \. 


'    *- !    •    '     '     i    ♦■■■*'^  r    '••ff'*'. 


TTT 


'•!*', 


I      ' 


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'    I» 


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V  » 


I    , 


I. 


t 


*•  .  . 


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I  <  •  •«  I  I  " 


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'4, 


.1 


r 


X    • 


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\  -^         .  '    A 


I  \ 


;  '  .  ^  1 


'    \ 


t , 


i 


.  .',  .{  *:,»   TT.  ■:  i"  -i^.- 


il   • 


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OT' 


i  • . 


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♦  '    >\ . 


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u  f  .    '    '     (.'f. 


)   . 


•  I      ' '    ,1 1 


•     v\ 


I  :i 


Bengalisch.  4r7 1 

^  C^TTI  XJl^  Jl^P^Tei  Al^33  3  »«tf^  3  C9t^  rotlltA  I 

3rtnmi 

Transscription  und  Übersetzung. 
//(p  ämärder      swargastha        pitä    iomär  näm  pabitra   mänya   luiük, 
0    unser  himmelweilender  Vater,   dein   Name  heilig   gehalten   sei, 
tomär  rädztja    prukäsa   haük,  yeinan     swarge    temana  prithih'ite  tomär  iMha 
dein    Reich    kommend  sei,    wie    Hinmiel  in     so      Erde  auf  dein    Wille 
kriga       karä     gäuka,    adga  ämärder   nitga      hhakSya  äniärdigke  deo,   ebä 
gethan  gemacht  werde,  heute  unsere  tägliche  Nahrung        uns       gieb,  und 
gtmat  ämrä    ämärder   fndhärirdigke   ^  mäf  kari        se-i    mat  ämärder 

wie      wir     unseren    Schuldnern  Verzeihung  machend  sind  auch  unserer 

rn  maf  kar     ebä  ämärdigke    parikSäga  laoyäio  na 

Schuld    Verzeihung  mache  so,       uns       Versuchung  in    führen  gehe    nicht, 
kiniu    ämärdigke   äpad-haite    paritran     kara     kenanä    sadä    sarwatäakmne 
sondern       uns       Uebel  von    Erlösung  mache,    denn   stets   immerwährend 
rädcgti   0         sakti         o  gaurab    tomär.  Amen, 

Reich  und  Herrschaft  und  Herrlichkeit  dein.  Amen. 

12.  Orissisch. 

Die  orissische  Schrift  ist  eine  cursivere  Form  der  bengalischen,  die 
Ouerstriche  der  letztem  haben  sich  hier  in  Bogen  verwandelt,  und  so  ist 
eine  äusserlich  sehr  verschiedene  Form  entstunden,  während  im  Grunde  die 
Zeichen  doch  ziemlich  dieselben  sind.  Das  Vaterunser  lautet  in  dieser  Sprache: 


^'2  Orissisch. 

©J|^  OS  tJQlflfl  G-S^  Gafl©  fisiG^  G©fl&  JeiQIG^  g^Q 
Q%  >9ai  Qq  ^\<3l  I  laT»  '35^91190'^  9©<l  RQI  tl^^^llftg  ^I 
<5i9    Geifl©    tlG^I^IIGfl    'eilC|9t9Q'g>   §öiy|0iq|9g    QW   QÖ   G^^  ?l§ 

^^^qiflQ'^g    ^öi  igqi  qq  'a^qiQg  90iaiG0  Ga§  211(5  91  oSi 

'35^9119^    '61195^0   ogi    90    §9191  ^£5^1   ^^^ölGO   QS>1   <3  ^Tb»   (3 

Transscription  und  Übersetzung. 

He  ämhhamünankar     stcaryastJia        pitä  tumbhar  näm  pawitr  mänya 
0  unser         hinimelweilender  Vater,    euer  Name  heilig  gehalten 

Jieu,  tünibhar  radz  äyatnan  heu,  yeuvada  swargare  tetfiada  prthiblre  iütnbhar 
sei,      euer     Reich  zukommen  sei,     wie    Himmel  in   so    Erde  auf      euer 

iSta  krlyä       karä    yau,    adzi  amhhamänankar  fiitya  hhäkSya  äfnbhcunänaiikü 
Wille  thun  gemacht  gehe,  heule      unsere    beständige  Nahrung       uns 
diya  püni  yeniata  ambhemüne   ämbhamänahkar  rindMrlmanankü      k$ama 
gieb,  und       wie  wir  unseren  Schuldnern       Verzeihung 

kari      sehi    matt  änibhamänankar     nn         kSama        kar    ätnbhamänankü 
machend  sind,    so  unserer        Schuld  Verzeihung  mache,  uns 

parlkSare      ylieni    yäü       nä        püni    ämbhatnänankü      üpadar      rak^ä 
Versuchung  führen  gehe   nicht,  sondern  uns  Cbel  von    Erlösung 

kar    kipänä  sadä  sarwaksanare      rädzya    o      Saki'i     o       gaurab  tünibhar. 
mache,  denn  stets  jeden  Augenbli«^k  Reich  und  Macht  und  HerrUchkeit  euer. 
Amen. 
Amen. 

13.  Xerbadda. 

Die  Schrift,  welche  in  Inschriften  an  den  Flüssen  Nerbadda  und  Kislna 
gefunden  wurde,  ist  die  Mutter  der  jetzigen  telingischen  und  kamatischen 
Schrift.  Die  Zeichen  sind  dieselben,  nur  ist  in  den  Nerbadda-Schriften  an  den 
meisten  Buchstaben  ein  Quadrat,  in  den  Kistna-Schriften  eine  Doppelausbiegung, 
in  der  telingischen  Schrift  ein  Haken  vorhanden.  Man  vergleiche: 


Nerbadda.  4r73 

Nerbaddaf  .|AaiJSS:SäQ^aJäaJA 
Kistna  jai  i>S  Ol  dr%C$SÖ^£ldfcD^ 
Telinga  i  V  fC  S  €Suktfr^^'iSii>(sCK 
A'o  A'/ki  ga  gha  tsa  dia  ta  tha  dha  na  pa  ma  ya  äa 
Die  Grundzeichen  sind  die  Formen  der  magadhischen  Schrift  zur  Zeit 
der  Gupta-ETynastie: 

Wir  geben  als  Probe  den  oben  (Seite  463)  citirten   buddhistischen 
Spruch : 

Transscription. 
IV  dhamiiui  hetu  iwahhatca  teSä  hetu  Tathägato 
suratiki  te$d  Ua  ijo  nirodha  twä  teadi  MaJia  Sanianah. 
f bersetzung  siehe  Seite  46i. 


14.  Telinjrisch. 


o 


Nachdem  wir  über  die  Entstehung  der  Telinga-  oder  Telugu-Schrift 
bereits  oben  gesprochen  haben,  könnten  wir  über  dieselbe  ganz  hinweg- 
gehen, wenn  nicht  manche  Eigenthümlichkciten  zu  einer  Besprechung  her- 
ausforderten. Wir  finden  nämlich  in  dieser  Schrift  ähnliche  Laute  durch 
Striche  unterschieden,  welche  die  Erweiterung  eines  ursprünglich  geringern 
Alphabets  in  ein  der  Sanskritsprache  entsprechendes  erkennen  lassen.  Da 
nun  offenbar  die  Telinga-Schrift  eine  cursive  Form  der  alten  Gupta-Inschriften 
Ist,  so  folgt  daraus,  dass  zur  Zeit,  wo  diese  Schrift  auf  die  Telinga-Sprache 
angewendet  wurde,  die  ursprüngliche  Erweiterung  des  Alphabets  noch 
bekannt  war.  Wir  signalisiren  als  solche  Erweiterungen : 
Telinga  «6ocCö->yt30ö^^^2:i  ?;^ 
Magadha        LXdd>i'6>DbbD  r^ 

gha     ga     ^-f«  tslia  da     d}\a  da    dha     jhi  pha     ha       hha. 

Unter  den  Vokalen  entspricht  ^  i  dem  Sindh  O  / ,  Ä  7  dem  Multan 
6  1.  Die  Vokalzeichen  werden  mit  den  Consonanten  verbunden. 


4f74  Teliiigisch. 

Das  Vaterunser  lautet: 

5P»Q»    "^&;<E5ßoaS    Ö-Äi    «ö^QöSo    ^o^  X    ^Qögy     ^siioS^    ^SHä?aß> 

<;$»söo3SoaSÄ.  SoflüS^^C^  i  s^^^s^   ti^^^^  ©s^e^^f  ?;^(äüiß^  -ö^^ 

Transscription  und  Übersetzung. 
TTäya  swarganiddu  witui  mäijokha  tädrij  niyokha  nämamu  pawiiratnu 
Sei       Himmel  in      du      unser      Vater,      dein       Name       heilig 
täeyyapadieni^   niyokha  rädhfamuräni,   niyokha  iäpamu  ydäguna  swargamado 

seif  dein      Reich  komme,     dein      Wille        so  Himmel  in 

äläguna     bhümiyädunna     Ueyyapadzefii,    mäyokha     dziwanänaku    arhamain 
wie  Erde  auf  geschehe,  unser  täglich  seiendes 

hhakSyamanu  twela   mäkoraku  •  iyya,    ydäguna  memu  mäyokha  rüngrastalanu 
Brod  heute       uns         gieb,        wie         wir     unseren    Schuldnern 

k^ama  Uestu  unnämo  äläguna  mäyokha  runamanu  mammanukurtäi  kSama- 
Verzeihung  machen,  du  auch  unsere  Schulden  uns  Verzeihung 
tSeyya,  mammami  parikäayädu  tisnkotoaddunna  yemäfe  mammanu  täeddzctta^ 
mache,  uns  Versuchung  in  sein  lasse  nicht,  sondern  uns  Sünden 
namunutsi  wiiit^epettu,  yetakäranamutvallanu  radzyamu paräkramamu  mahät- 
von  erlöse,  denn  dein  ist        das  Reich,    die  Macht      und 

myämunna  säravadä         niyokhyyeive.  Amin, 

die  Herrhchkeit  immerwährend        stets.       Amen. 

Die  gekritzelte  Form  dieser  Schrift  hat  ihren  Charakter  durch  den 
Gebrauch  der  Palmenblätter  zum  Schreiben  erhalten. 

15.  Karnatisch. 

Die  Schrift  des  benachbarten  Landes  Karnätä  oder  Kamara  ist  fast 
ganz  identisch  mit  der  vorigen,  wie  folgendes  Vaterunser  beweist: 

ooüe?«  -^^K^ei^o?  öSs^  ^^  öo^So»  ^Äi-^oS  Sö^^g  ÖT»$r&s^Ä.  ötC©  \ 
^Ä.  CPö^cJ  ao5;^cr72  ^Td^x  t^^Tf  -^^KEsJe?«  I5*7f  it??v.söÄ03Soo  ^fJTf  SJ'&syfi^ 


Karnalisch.  475 

16.  Tamulisch. 

Tamulisch  oder  Tamilisch  ist  die  Sprache  der  Tamilen,  eines  drawidi- 
schen Volksstammes.  Die  drawidischen  Volksstämme  scheinen  einst  ganz 
Indien  beherrscht  zu  haben  und  von  den  arischen  Eroberem  an  die  südliche 
Küste  gedrängt  worden  zu  sein.  Die  Schrift  ist  eine  eigene  und  in  ihrer 
Structur  sowohl  von  der  Devanagari  wie  von  der  Pali  ganz  verschieden.  Sie 
besitzt  drei  Lautclassen:  6  explosive  Zeichen  k  t^  t  t  p  tr;  6  Nasale  n  n  ^ 
fi  fi  m  und  6  Halbvokale  y  r  f  II  w.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  es 
mehrere  dieser  drawidischen  Laute  sind,  welche  in  die  Sprache  der  Arier 
nach  ihrer  Vermischung  mit  den  eingebornen  Indern  aufgenommen  wurden ; 
ebenso  können  auch  eher  die  alten  Zeichen  der  drawidischen  Völker  in  die 
neueren  Schriften  eingedrungen  sein  als  umgekehrt.  Wenn  z.  B.  dem  Sindh 
n)  a  das  magadhische  M  a  gegenübersteht  und  in  der  gud2aratischen  Schrift 
jjX  auftritt,  so  liefert  zu  letzteren  tamulisch  2^  a  die  Grundlage.  Wenn  neben 
Sindh  O  t  und  Magadha  *.*  in  der  Devanagari  7  t  auftritt,  so  liefert  tamulisch 
C?  t  die  Grundlage,  welches  in  der  Sindh-Schrift  als  ©  w  vorkommt.  Das^  i 
der  Gupta-Inschrift  fmdet  im  tamulischen  wr.  i  sein  Vorbild,  Gupta  L  im  tamu- 
Hschen  2L.  w.  Devanagari  ^  ka,  gegenüber  magadhisch  +  lehnt  sich  an 
tamulisch  üy  ka,  welches  mit  Multan  «l  verwandt  ist,  entgegen  dem  sindhisclien 
i  ka,  welches  persischen  Ursprungs  ist.  Tamulisch  e=  tia  ist  verwandt  mit 
magadhisch  d  täa,  l-.  ta  aber  könnte  höchstens  dem  magadhisch  (  ^  an- 
gereiht werden;  tamuhsch  u  entspricht  wohl  magadhisch  0  pa,  Gupla- 
InschriA  1],  aber  nicht  Sindh  ^ ,  Devanagari  J^pa;  tamulisch  ^  ra  lehnt  sich, 
wenn  r  kein  wesentlicher  Theil  des  Zeichens  ist,  an  magadhisch  l  ra; 
tamulisch  lo  ma  hat  keine  Analogie,  es  müsste  denn  dem  Gupta  13  pha  ent- 
sprechen ;  tamulisch  tu  entspricht  dem  magadhischen  X  ya,  aber  nicht  Sindh 
^,  woraus  Devanagari  ]|  ya  entstand;  tamulisch  cm  la  entspricht  maga- 
dhisch -0  la,  aber  nicht  Sindh  !2  la;  tamulisch  £-i  wa  ist  £-  u.  Auch  die 
tamulischen  ZifTern  (Seite  453)  haben  einen  ganz  eigenen  Charakter.  Die 
Vokale  werden  in  einer  Weise  geschrieben,  welche  sich  an  die  Weise  der 
Pah-SchriAen,  aber  nicht  an  die  Devanagari  anlehnt,  nämlich: 


4:76  Tamulisch. 

d>    asT    S>    Ä    ^    Ovx.    Oa>    Qds    gs>^    Qssrr    Gasrr    Qscvr 
A'a      A:ä     At'     A'I    ku    kü      ke      ke       kai       ko  kö         kau 

Auffallend  ist  die  Gleichheit  von  n-  ä  und  ^  ra,  0©  ai  und  ^  «ä. 

Es  durfte  hieraus  hervorgehen,  dass  die  tamulische  Schrift  die  Schrift 
der  alten  Inder  vor  dem  Einbruch  der  Arier  war  und  von  allfen  indischen 
Schriften  ihren  alten  Charakter  am  treuesten  erhalten  hat.  Das  Vaterunser 
lautet  in  dieser  Sprache: 

L-LLryLLyG6^LM!STT;QyujujLJLj(Bia-j<^rrRai3OT"rP(Sgr^ 

LDfirr6rf)R^uDrTGL-.rTGQ)    q-n^.asor    ^'^öSTR&rr    griTTiRgp^^   LDiarrosRiu^ 
q-fTK^TT   ^G^rr^^rra,^  LJuCrfpGÄ-i^S^LJLJöSsr^öW)  G^ll|ld  iyjgGQ)T 

65öri_rTLi5*Q3s^_^  ^GlCStt  : 

Transscription  und  Übersetzung. 

ParamantalaitkaUUtnikkirä  enkal  pitäwe  ummutaiija  nätnam  pärlt^Uta- 
Himmel  in  weilender      unser  Vater         dein        Name        rein 
mCncatüka       ummutaiya    räUiyam        tvarutcatäka        nmmutaiya      t^ttam 
werden  möge  dein  Reich     zukommen  möge         dein  Wille 

paratnantdlattale  tseyyappatumüpale pumüyileyulu  t^eyyappatuwaiüka  anränhuUa 
Himmel  in       thun  leiden  wie      Erde  auf     thun  leiden  möge     tägliches 
enkalappattai  enkalukkihhii  tärum    enkalu    kafahkärärukku  nankal  mahnikkum 
unser    Brod     uns  heute     gieb    unseren     Schuldnern         wir        vergeben 
äppöle  etikal  kafahkalai  enkalukku  mahhiyum  ehkalai     katsotilaikku  pplrmce- 

wie  unsere  Schulden         uns         vergieb        uns    Versuchung  in     nicht 
tsikkappannä  ieyum    ähcdo    timnaiyainikki  enkalai  iraftsittukköüum  atenehräl 

führen        gieb     sondern     Übel  von         uns  erlöse  denn 

7'ättöiyamum    pelahum       makihätnayum    umakke  iiaronraikkumuntäyirukkutn, 
Reich  und     Macht  und  Herrlichkeit  und    dein  immerfort  ist. 


[  Anten. 

Amen. 


Malabarisch.  4r77 

Wie  man  sieht,  sind  in  dieser  Schrift  die  Doppelconsonanten,  welche 
in  Pali-Schriflen  durch  zwei  Zeichen  ausgedrückt  wurden,  von  denen  das 
zweite  unter  dem  ersten  steht,  noch  nebeneinander  gestellt ;  ferner  sind 
Wörter  mit  anlautendem  Vokal  zum  vorhergehenden  gezogen,  somit  eine 
endlose  Aneinanderreihung  der  W^örter  vorhanden,  woraus  sich  auch  das 
Fehlen  der  Unterscheidungszeichen  erklärt. 

17.  Malabarisch. 

Die  Malabaren  gehören  wie  die  Tamilen,  Telinga  und  Karnata  zu  den 
drawidischen  Völkern,  doch  haben  sie  viele  Wörter  aus  dem  Sanskrit  auf- 
genommen, und  ihre  Schrift,  welche  von  den  Palmenblättern  Ojrantham) ,  auf 
denen  sie  geschrieben  wurde,  den  Namen  Granthara  erhalten  hat,  ist  aus  den 
nördlichen  Schriften  gebildet.  Ursprünglich  waren  Schrift  und  Sprache  die 
der  Buddhisten  und  Brahmanen,  und  die  Zeichen  haben  grosse  Ähnlichkeit 
mit  denen  der  Inschriften  der  Gupta-Dynastie.  Man  vergleiche : . 

Gupta        >|QJ^LJ-oinUJ^dbEJOr^ 

Grantham  C5^^oÖo^d9>     6U     OO'i^J     üJäP      8«     S       O    ^^ 
a     i      1       u     ka     k'ha     ga     yha     Ua  tsha    lUa    fa    (ha     da 

Gupta        6hilIl3XcLaJ 

Grantham  ^^    fü)     ß>     o.)     oD      (0      ca>     aA 

ijita  ta      da     jmi     })ha     ma     ya        la 
Dagegen  stimmen  die  Nasale  mehr  mit  der  benachbarten  tamulischen 
S<hrifl  überein 

Grantham  C^  na  ö^  tia  G<^  na  CO  na 
Tamuhsch  iS  "«  osr  na  gst  na  ^  mi 
Die  Schrift  ist  reich  an  Ligaturen  z.  B.  gj  gr  c/3  gda  C/D  gna  (C/)  gra 
^  t^t.^i  ^%t  //i</i«  (ö^  ita  fiJ  Ijja  u.  s.  w.  Diese  Ligaturen  bilden  den  Über- 
gang von  der  Structur  der  tamulischen  Schrift,  in  welcher  die  Zeichen  an- 
einander gereiht  wurden,  zu  der  der  Devanagari  und  Pali,  in  denen  die 
Zeichen  untereinander  geschrieben  werden;  den  buddhistischen  Schriften 
eiitjipricht  die  Vorsetzung  des  e  z.  B.  e<^  he  die  Umklammerung  des  o  in 
6«ddO  ko  und  die  Untersetzung  von  r  und  y  in  (^  kra  ^  d^yu»  Das  Vater- 
unser in  dieser  Schrift  ist  Folgendes: 


4-78  Malabarisch. 

Äl00o(a-^(Ty)1cm^    (S*öaJo    gern    6^0S»36od9tf)    an©(05^no8H2    «    6V3)a5»9aQS 

6^g®3ÄQS  ce>OOöS»36i^  6^S806^g3§o  <eä:^Ql6yd9®6tn06H2  <  6<r5)€5>9o)J 
aJfSldöa^QOTl^ajdö«  (S*öd6>®Q-J§«r^D6)a5)  6i^€B>36yÄ  6^ft3.TÖCi(ö>7nVYtcY5)cnr) 
(OdöSildö^CSyo  QiUaQgJ6VY)6^Q   (DOSg.OJo  C/3d&<öncXyo  ßaOOD-Jajo  o^aonOflBSio 

Transscription  und  Obersetzung. 

Naitdute  swarggasthanäya  pitäwe  ninte  namii  pariSuddhamäkkappetename, 
Unser  Himmel  weilender  Vater,  dein  Name  sein  Leid, 

ninte  rädzyä  icarename    swarggattile    pole       bhümigilu       ninte    i^tä     t^y- 
dein    Reich   zukomme,    Himmel  in    wie  Erde  auf  auch,  dein    Wille   Ihun 
t/appefename.   mnelka  dindpratiyuüa  appä  inna  naneJka  tarename,    tianduU 
Leid,  unser  täglich  seiendes  Brod  heute     uns         gebe,        unsere 

nere        kattä  t^eygunnawarofu   tiaiiel  kö^mikunnatupole    nanelute   katfannak 
eigenen  Schulden    machen  wir     verzeihen,  wie     unseren  Schuldnern 

fianeloiü  käamikename,  naneU  parJksayiUka      akappetuttäte  flaneU  dasattinnina 
uns  auch     verzeihe,       uns  Versuchung  in  sein  lasse  nicht,  uns   Sünden  von 
raksikayu  tseggenatne     rädzgawu  saktigu     mdiiatyawü  ennekku    ninakuUata^ 
erlöse  uns,      denn     Reich  und  Macht  und  Herrlichkeit  dein    immerwährend 
äkunnata,  Amen, 
ist.       Amen. 

18.  Singalesisch. 

Die  Schrift  auf  der  Insel  Ceylon  (indisch  Sinhala  , Löwenreich*)  ist  mit 
der  vorigen  eng  verwandt,  nur  sind  die  Striche  noch  zierlicher  und  gekünstel- 
ter. cT  a  ist  magadhisch  H,  %  i  Gupta  Q  i,  <Sf  Gupta  }  und  Multan  6  t, 
welches  im  Singalesischen  r  ist,  C  w  ist  Gupta  L  w;  2Si  ka  lasst  sich  nur 
dadurch  erklären,  dass  malabarisch  dö>  ohne  Absetzen  geschrieben  wurde, 
©  kJia  entspricht  malabarisch  QJ  kha,  ebenso  ca  ga  dem  malabarischen  CO 
ga;  ßS  gha  lehnt  sich  an  Gupta  UJ  gha,  ©  na  an  telingisch  ö  na,  9  i^  ent- 
spricht dem  malabarischen  nJ  tm  u.  s.  w.  Ceylon  war  lange  Zeit  ein  Haupt- 
sitz der  Buddhisten,  nachdem  schon  im  5.  Jahrhundert  Buddha  ghosa,  ein 
BrahmaneausMagadha  nach  Ceylon  gekommen  war  und  hier  den  magadhischen 


SingalesL<?cli.  479 

Dialect  eingeführt  hatte,  welchem  die  südlichen  Völker  den  Namen  Pali 
gaben.  Eigenthümlich  ist  der  singalesischen  Schrift  das  Virama  in  der  Gestalt 
'.  welches  aber  nicht  unter,  sondern  über  die  Zeichen  gesetzt  wird,  denen 
kein  Vokal  folgt,  es  steht  auch  bei  ®  — ^  ^  und  in  ®  — 3  kö.  Ligaturen  sind 
wenig  vorhanden.  Wir  lassen  hier  eine  Probe  des  Vaterunser-Textes  folgen: 

<3iT.Sh/«5«i  C^cS®cö5®S)^  t§e)®öcS^  23)(r^(3L®©OD  c?(36  <;8e5ö^D 
StÄ^c5^5^>c5  c*09  qpq  ^ö5c3®L>3^0  ep®ü  vric5c3)0(fb.2r>9  qp8 
;s^3DSOenvr>D25sS)en  <)p®ö  er^ö^  qfo9  2®ö)d9  05eö)L>5^ö  q?o 

Transscription  und  Übersetzung. 

Sirurgayvhi   waedasiiina  apage  piyänanuahansa     ohawaliamege  nämaya 
Himmel  in    weilender   unser  Vater  erhabener     Seiner  Hoheit  Name 
sH^idhaiitco  ohawahansege  rädzyaya       ewä       ohawahanseye  kämätta  swarga 
geheiligt  sei,  Seiner  Hoheit  Reich    zukomme,  Seiner  Hoheit  Wille   Himrael- 
yehime$i  bhumiyehida  karamdabtco,  ape  daivaspatä  hhodzanaya  apafa  ada   diwa- 
in  wie  Erde  auf  so    gethan  sei    unsere  tägliche  Nahrung     uns  heute  geben 
dnlanu'inatva     ajfi    naycücärayania   api  h^am'nvennäktthen       ape         nayat 

geruhe,    unseren    Schuldnern    wie  vergeben  wir  wie  unsere  Schuld  auch 

ajnta  k^amätoi   wadäiamänawa  apa  parikmwiniata  nopamunuwä  napur&i  apa 

uns    vergeben  geruhe,       uns     Versuchung    nicht  führe,  Übel  von  uns 

galatcä  wadälamänawa  »Mknisäda    rad£yayat  paräkranmycU    mahimatäwayat 

erlösen         geruhe,  denn       Reich  und    Macht  und    Herrlichkeit  und 

gadäkalhima   t)botc(ihansegeinaya.  Atneu, 

immerfort  Seiner  Hoheit  eigen.  Amen. 

19.  Maledivisch. 

Das  Alphabet  der  Bewohner  der  Malediven  (einer  grossen  Anzahl  kleiner 
Inseln  vor  der  Küste  von  Malabar)  habe  ich  schon  Seite  41  gegeben  und  dort 
auf  die  Verwandtschaft  der  Zeichen  mit  den  arabischen  Zahlzeichen  aufmerk- 
sam gemacht.  Da  dieses  Volk  jetzt  mohammedanischen  Glaubens  ist  und  die 


480  •         Maledivisch. 

arabische  Schrift  kennt,  da  Ferner  Frinsep  ausdrücklich  versichert,  dass  die 
Slalcdiren  ihre  heimischen  Schriflzeichen  den  arabischen  vorziehen,  so  taon 
die  Vermuthung,  sie  hätten  sich  aus  den  arabischen  ZifTem  eine  Schrill 
gemacht,  unmöglich  die  richtige  sein.  Aus  demselben  Grunde  ist  auch  nicht 
anzunehmen,  dass  ihre  Vokalzeicben  von  den  Arabern  entlehnt  sind,  obgleich 
sie  denselben  vollkommen  entsprechen,  nämhch  '  a  "ä_i_,e'fi"ü 
*  vokallos,  denn  sie  haben  ausser  diesen  noch  '  e  "  e  "  o  -^  ö,  während  die 
übrigen  indischen  Mohammedaner  das  Neskhi- Alphabet  in  anderer  Weise 
erweitert  haben,  nämlich  in  Nord-Indien  \  a  \  ä  ^s'^  e\  i  ^\  l  Ji  o  \  u  Ji  ü  ^^\  ai 
j\  au,  die  Malayen  auch  nur  a  i  '  u  angenommen  haben.  Entspricht  im 
arabischen  Alphabete  I  d  dem  und  ,  und  j  w  dem  '  m,  so  entspricht  auch 
in  der  maledivischen  Schrift  I  h  dem  '  a  und  Q  tc  dem  '  u.  Wir  haben  ferner 
gesehen,  dass  das  maledivische  Alphabet  aus  2x9  Zeichen  besteht,  ist  "  ö, 
wie  sehr  wahrscheinlich,  ein  späteres  Zeichen,  so  entsprachen  den  2>;9 
Consonanlen  9  Vokale  wie  in  der  Leptäa- Schrift,  der  das  e  fehlt.  Es  gehl 
hieraus  hervor,  dass  das  Dunkel  der  indischen  Vorzeit  noch  manches  unge- 
löste Räthsel  birgt,  hi  Ermanglung  eines  grossem  Textes  mögen  hier  zwei 
Wörter  mit  Vokalen  folgen :  ^  I  5?  ^  ö-*  tiigJiaidib  (der  Xame  der  Inseln) 
und   l^Öiy  ^J  /.alkallia  (Kalkutta). 

20.  Tibet. 
Die  Tibeter  haben  eine  einsilbige  Sprache  und  ein  Alphabet  Ton  31 
Zeichen,  welches  von  den  Indern  entlehnt  wurde;  nach  der  Cberlieferung 
wäre  die  indische  Schrift  im  7.  Jahrhundert  nach  Christo  von  Tonmi-Sam- 
bodba  in  Tibet  eingeführt  worden  und  damit  stimmt  auch  eine  Vergleichung 
der  Schrift  überein.  Stellen  wir  nämlich  die  Inschrift  von  Allahabad  aus  dem 
5.  Jahrhundert  der  tibetischen  gegenüber,  so  ersieht  sich  eine  aulTalJende 
Cbereinstimiiiung. 


.\llahabad 

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Tibetische  Orthographie.  48 1 

Gleichwohl  müssen  die  Tibeter  früher  eine  eigene  Schrift  besessen 
haben,  vielleicht  eine  chinesische  Wortschrift  (wofür  die  Einsilbigkeit  spricht), 
der  gegenüber  die  indische  Buchstabenschrift  allerdings  eine  Vereinfachung 
war,  aber  eine  Vereinfachung  von  zweifelhaftem  Werthe,  denn  die  tibetische 
Sprache  ist  wie  die  chinesische  reich  an  gleichlautenden  Wörtern  ver- 
schiedenen Sinnes;  z.  B.  na  «ich',  na  .Tamburin',  na  „Rede",  na  «Magie* 
U.S.  w.,  welche  in  der  Schrift  gegenwärtig  dadurch  unterschieden  werden,  dass 
den  Consonanten  stumme  Zeichen  beigegeben  werden,  wozu  besonders 
1  Uta  ^  ba^  tna^  ia^ta  und  ^  a  dienen.  Nur  religiöse  Begeisterung  konnte 
die  Einftihrung  einer  Schrift  ermöglichen^  welche  so  unklar  gegenüber  der 
Sprache  war,  und  welche  wegen  der  verwickelten  orthographischen  Regeln 
über  den  Gebrauch  der  stummen  Zeichen  schliesslich  doch  nur  eine  Wort- 
Schrift  liefern  konnte;  denn  anders  können  wir  eine  Schrift  nicht  nennen, 
w^elche  das  oben  angegebene  Wort  ita  in  folgender  Weise  schreibt  R  »ich* 
2£,  , Tamburin "^1  »Rede"  ^^^  .Magie"  und  ^5  nicht  tia  auch  nicht  6m, 
sondern  h  (Haupt)  zu  lesen  gebietet. 

Besassen  die  Tibeter  eine  Erinnerung,  dass  ihre  Schrift  eine  frühere 
Wortschrift  ersetzt  hätte,  so  lässt  sich  auch  begreifen,  dass  unter  dem  Mon- 
golenkaiser Kubilaikhan,  ein  Tibeter  BaSbah  (nach  chinesischer  Aussprache 
Passepa),  auf  den  Gedanken  kam,  die  chinesische  Wortschrift  durch  eine 
tibetische  Buchstabenschrift  zu  ersetzen.  Dem  Kaiser  gefiel  diese  Schrift,  und 
er  befahl  ihre  Einftihrung  im  ganzen  Reiche,  doch  erhielt  sich  dieselbe  nur 
bis  zu  seinem  Tode,  seine  Nachfolger  Hessen  dieselbe  fallen. 

Wir  geben  S.  482  eine  Inschrift  in  dieser  Schrift  mit  nebenstehendem 
chinesischen  Texte,  welche  zu  Sun-kian-fu  im  Jahre  1294  errichtet  wurde. 
Der  Inhalt  dieser  Inschrift,  deren  Transscription  wir  der  bequemern  Ver- 
gleichung  halber  auf  S.  483  folgen  lassen,  ist  wörtlich  folgender: 

«Heiliger  Befehl  des  Kaisers,  der  durch  die  Gnade  des  höchsten  Him- 
mels regiert.  Man  benachrichtigt  alle  öffentlichen  Beamten  des  Innern  und 
Äussern,  dass  die  Lehre  Khun-tseu's  ein  Gesetz  sei,  boslinimt,  alle  Geschlerh- 
ler  zu  regieren.  Diejenigen,  welche  an  der  Spitze  der  Staaten  stehen,  sind 
besonders  beauftragt,  es  öffentlich  zu  ehren:  im  Tempel  des  Waldes  Khio-feü 
zu  San-tu,  in  der  Hauptstadt  des  Reiches,  in  den  Märkten  und  Hauptorten 
der  Länder,  Bezirke  und  Ämter  aller  Provinzen.  Daher  ist  befohlen^  ihm 
Tempel,  öffentliche  Schulen  und  Universitäten  zu  erbauen." 

FftOlfDann.  (t«iirhiclito  d.  Srhrift.  t»| 


482 


Tibetisch-chinesische  Inschrift  Kubilaikhan's. 


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Ti.-»r  tisch.  483 

Transscripliö!;!: 
itifi  then  'giön  min 

'hoan  di  äih  du  yeu  dzun  yuei  ba  shi  jaui  U  iht  dhin  Lhun  t^i 

da  iao  Suei  Ken  won  si  niao  gue  'gya  dc^  .<h  dan  i<un  fun  kheu 
feu  lim  tneao  sah  du  ia  du  dSeu  lu  ftt  •!  d^iO  h  u^n  'hi  'hin 
^  meao  hyo  seu  gu^n  dzeao  'hi. 

Diese  Schrift  unterscheidet  sich  Ton  der  tibetischen  durch  ihren  quadra- 
tischen Charakter,  welche  den  Schriflzug  San-fan-ta-t^wan  (Tafel  V,  3)  nach- 
ahmt und  einerseits  der  koreanischen  S'^hrift,  andererseits  dem  Charakter 
der  Pali-Quadratschrifl  entspricht. 

Wir  lassen  nun  als  Probe  tibetischer  Srlirift  Sprache  und  Orthographie 
das  Vaterunser  folgen: 

ne-nam-khgi  gap  nam-khei  Ion  tu       zu-bei.      khge-hhgi  tzen  iham-iM 
Unser  Vater  Himmels  welcher  in       sitzt  Euer    Name    allen 

ne    scM'kge-bar    khgur,  khge-khyi  gul-kftam  ggom-bar-io.  khge-khgi    thu~do 
von       heilig  sei-       Euer      Reirhe       zukomme,       euer         Wille 

tÜ^tar  tuim-kha   la   U-tar   dzik-ttn   tu      tsp-bir     gyur,    nin-re-zin    He-nam- 
so     Himmel    in     so       Erde     auf    gemacht     sei.       Heule  unser 

kkgi  pa-ieb     te^rin     ne-tuim    la-nan-  bir    Uo-ba   tait.     t^l-tar     nfi-mm-khgi 
Brod  tägliches*   uns       g^»geb^in  sei  gemacht  und    sowie  wir 

ne-khgi  pu^on-khen-la     so-har-thje  te-tar  ite-nam-la  he-khyi     pu-lon     s(hhar 
unseren   Schuldnern       vergeben,       so  uns        unsere   Schulden    Ter- 

zthba    tan.     ite-nam-la    khyitl-ba    gyun-bei    mi     tan-bar,       mi-ze    ne^nam 
gieb     und        uns       Versuchunjr  mar-hen  nicht  ausgesetzt  sondern    uns 

S -"«i^^^'««r'a«»^s|i, -«sX '1=^ '31^ '«1^ '^ '"^^^ 

mi'  U'   ha   le      trol-bar-tao.       U-tar  yin-ba-yin. 
Schlechten  von     befreie.  So  sei  es. 


484 


Verschiedene  Schriftarten  in  Tibet, 


Von  einem  Buchstabiren  kann  hier  natürlich  noch  weniger  die  Rede 
sein  als  im  Englischen,  wird  doch  z.  B.  la  für  da  gelesen!  Dennoch  reichte 
dieses  Alphabet  für  die  Sanskrit-  und  Pali-Sprache  nicht  aus,  es  mussten 
Zeichen  für  fa  tha  da  na  und  für  ^  durch  Umdrehung  der  entsprechendea 
tibetischen  Zeichen  geschaffen  werden,  und  diese  Zeichen  dürften  wohl  Tonmi- 
Sambodha  zuzuschreiben  sein,  während  aller  Vermuthung  nach  das  eigent- 
liche tibetische  Alphabet  älter  war. 

Aus  dieser  Schrift  wurden  noch  zwei  andere  Alphabete,  Umin  und 
Khyugayi  gebildet,  welche  cursiver  sind  und  sich  zu  der  Ut§en  verhalten 
wie  unsere  Schreibschrift  zur  Druckschrift. 

Endlich  werden  auch  noch  die  Randia  und  die  mongolische  Schrüt 
gebraucht,  so  dass  fünf  verschiedene  Alphabete  in  Verwendung  sind.  Wir 
geben  hier  als  Probe  einige  Zeichen. 


Khyugayi       Mongolisch   ■  Lautwerth 


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Wir  geben  zum  Schlüsse  noch  eine  religiöse  Formel  in  Rand2a  und 


UtSen : 


imflig^tt 


i^V'wyuujj;^'^ 


d.  h.  J  ma  ni  hat  ine  tSo  tu  0  (das  heilige  Wort  aller  Inder)  dient  in  Todes- 
gefahr und  Rückfällen  im  Reiche  der  guten  Tänggri  (Luftgeister) ;  ma  dient 
zur  Verhütung  der  Kriege  und  Sünden  im  Reiche  der  bösen  assarischen 
Tänggri,  zu  deren  Erlösung  und  Überwindung ;  n«  hilft  in  allen  Beschwerlich- 


Entwicklung  der  Pali-Schrift. 


485 


keilen  des  menschlichen  Jammerlebens;  bat  nützt  zur  Erlösung  und  Bewah- 
rung vor  der.Noth  im  Thierreiche  und  der  thierischen  Wiedergeburt;  ttte 
laugt  wider  den  verzehrenden  Hunger  und  Durst,  täff  endlich  befreit  aus  der 
heissen  und  kalten  Hölle. 


21.  Pali-Birmanisch, 

Die  religiösen  Bücher  in  Birma  sind  in  drei  Schriftarten  geschrieben, 
von  denen  eine  schlank-quadratisch,  die  zweite  dick  und  gerade,  die  dritte  zier- 
lich und  rund  ist.  Auch  hier  war,  wie  in  Tibet,  der  Buddhismus  das  religiöse 
EUement  der  Schrift,  doch  fmden  sich  in  Assam  und  Pegu  noch  Alphabete, 


Gupta- 
Inschrift 


Tibet 


Assam 


Pegu 


Pali 


Lautwerth 


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^86  ErkJärung  der  Tafel  X. 

'welche  nicht  alle  Laute  der  Pali-Sprache  haben,  bei  denen  also  wieder  die 
Yermuthung  nahe  liegt,  dass  sie  vor  der  Einführung  des  Buddhismus  bestan- 
den. Ausserdem  weisen  manche  dieser  Zeichen  wie  die  der  Pali  nicht  auf 
das  westliche  Indien,  von  wo  die  Buddhisten  nach  Birma  kamen,  sondern 
geradezu  auf  das  nördliche  Tibet  hin.  Man  vergleiche  die  Tabelle  S.  485. 

Die  Zeichen  für  a  und  ka  können  nur  durch  die  tibetische  Schrift 
erklärt  werden;  Assam  >\^  na  entspricht  der  tibetischen  Uminform  für  na, 
Utäen  f ;  dieselbe  Assam-Form  entspricht  Pegu  na,  so  dass  hier  wieder  der 
schon  öfter  bemerkte  Wechsel  vorliegt.  Eigenthümlich  sind  die  t-Formen, 
denn  aus  rS  konnte  nicht  OQO  und  00  werden,  so  wenig  wie  aus  O  S  die 
Form  CX) ;  war  aber  O  das  Auge,  so  sind  CX)  zwei  Augen.  Die  m-Form  J— J 
schliesst  sich  an  die  älteste  magadhische  Form  b,  nicht  aber  an  die  jüngere 
li  an.  Die  Form  Q  ^a  g^l^t  auf  die  Sindh-Form  >t  zurück,  welche  sich  an 
die  Sasanidenform  anlehnt.  Aus  Gupta  ^  konnte  wohl  Devanagari  ^,  aber 
nicht  Pali  II  entstehen,  nur  sinnverwandt  lehnt  es  sich  an  y^   an. 

Die  Pali-Quadratschrift  hat  mit  der  Quadratschrifl  Passepas  nur  den 
viereckigen  Charakter  gemein,  nicht  die  Form  der  Zeichen ;  denn  2^  ga 
(Passepa)  und  f^  ga  (Pali) sind  grundverschieden,  selbst  Passepa  FPI  la  und 
Pali  L  n  /a.  Alles  deutet  darauf  hin,  dass  in  diesen  Ländern  schon  eice  aus 
18  Zeichen  bestehende  Schrift  bestand,  als  der  Buddhismus  eingeführt  wurde, 
imd  dass  die  Buddhisten  dieses  alte  Alphabet  vervollständigten,  um  ihrer 
Pali-Sprache  Eingang  zu  verschaffen. 

Wir  haben  eine  Probe  der  fetten  quadratischen  Pali-Schrift  aus  dem 
Kammuwa  oder  heiligen  Ceremonienbuche  der  Buddhisten  auf  Tafel  X  in 
verkleinerter  Form  gegeben.  Der  Text  lautet:  ^^' 

Namo  tasa  hhagavato  arahaio  sammäsam  huddhasa.  paphamd  wpadzdzhd 
gahäpeiahho  upadzdzhd  gähäpeitca  patiai^tcarä  atükkhitabbä.  Äyanie  pqtto, 
äma  bhante.  Ayä  (säghati,  ämahhante). 

Das  heisst:  ,  Zuerst  ist  der  Befragung  zu  unterziehen  der  Candida!. 
Nach  geschehener  Befragung  ist  er  zu  ermahnen,  dass  er  eine  Opferschale 
imd  ein  Kleid  nehme.  (Der  Lehrer  spricht:)  ist  diese  Opferschale  dein?  (Der 
Candidat:)  so,  (meine)  Herren!  (Der  Lehrer:)  dieses  Kleid?  (Der  Candida!:) 
so,  Herren!* 

In  Birma  ist  der  quadratische  Zug  ganz  verloren  gegangen  und  schön 
gerundeten  Figuren  gewichen. 


Pali-Birmanisch .  487 

Wir  geben  hier  als  Probe  das  Vaterunser  in  Pali- Sprache : 

OOpC^  G^O  OOOO  OOO  ^0600  üSgOOO  GüOOOO  11  OOO 

,000000      II     OOOOO     006O     OOOOO      ÜgOOD    006OO0 

)  o  o  o       o 

[ÜOJOO  11  6^0  63^OO0ü00GjOQ.  6^0  63ÜO  II  WOTDOOOOO^ 

o  P  o  o 

GpO  OOOOO  9O0O  OOOOO  6^0  WOO  90  II  3^G0  üG[O0  oO  G^CÄ 
S^GQ    390?^o1  GOOGOCO  OO   Gj^QP  üGjOOOO  Q&OO    Ooi] 

OOGOO  390GOpOOO  11 

Transscription  und  Übersetzung. 
Saggafha  nö      piiä  iawa  nämö  pawittö  hötu.  tawa  radzdiam 

Himmelweflender  unser  Vater  dein  Name  geheiligt  werde,  dein  Reich 
ägatäWuUu.   ycühä     sagge      iathä  pafhatmyä  tawetSt^ä      kariyyatu.       nö 
zukomme,     wie    Himmel  in   so    Erde  auf  dein  Wille  gethan  werde,  unsere 

denikahäramadzdia     nÖ  dehi,  inayikäni    nö    yathä    khamäma    iaihä  nö 
tägliche  Nahrung  heute  uns  gicb,  Schulden  unser  wie  wir  verzeihen  so  unsere 

ini       khama.    amhe  parikkhä      mä      nehi   amhe    ädlfiowä  mötMii    ki 
Schulden  verzeihe  uns  Versuchung  nicht  führe  uns  Übel  von  befreie  denn 
rad^iofitSa  parakkamafit^      nuMhimaAtSa      sadä    taweica,       Amenäti, 
Reich  und      Macht  und    HerrUchkeit  und  stets  dein  allein.  Amen  also. 

Welchen  Unterschied  gegenüber  dieser  einfachen  Sprache  bietet  das 
Vaterunser  im  Gewände  der  birmanischen  Sprache,  welches  wir  hier  folgen 
lassen : 

II  3^11  6nOo880o8oüS  G^6005o6000O0)  pG00C5b^3^Od 
O^GOOCT  11  o8üSg00C539O^^0OG0OC5^  ^G00(QaS^8    00^ 

^6go  II  aS[o5Gooc5''^8dGooc5bo^oo^(c96Go  n  o^oSgoocT 

S^cSj^GOOCf  GnO088Oo8^  (99^?^^^^  OOOCG(5^83^GOr 
(o^OOO^(26go1IOO)'^G005c^  G'^0^8  3^00aS^8GOOOO^ 
39O0839ü00G|0  OOG^  O0)^G005c^3^08  OOoSoOO'pEGOOCf 
CXJI     «     O0)fG00C5b^O0^O0^    OppGOOCfo^     G@c(^Oo8 


4-88  Birmanisch. 

Oa)^G00C5<:^G(^8(^(^6G0003^(y6cd|Op8^OD^ 

COOCTqüI   II    O8Ori(p883^G|p008cO^  O0)^€00C5b8o8   QOOO 

C^OoSgOOCTq^    OGO008g)O08oO^39^{39GP  o8^    C/jSgCOÖ 

c^o^  (y^2G^0(yScnoScnSzQ>coS(^^  ii  3^ooaSG(^o8^^ 

0^00008   O^CxS60OCr3908  39O^O0aSg8c€OOCf  II  330(^00 
OQ  II  Oa^GOOJg)H8600Cf@66000^00^  S^OGO^  II 

Erklärung:   0  kaunh-kaen-waey         m-täti'^iü'SaU'kyün'täU'tö-apha' 

0      Himmel-in     weilen-erhaben-welcher-Diener-erhaben- 
kha-ini'täu.  käy-täu-ami-näma^täu  rö-se-^nrat-nöhhsJ'phriUtie.  kötf-t^ttrnam- 
Vater  erhaben  selbst-erhallen-Name      Ehren-halten-senden     selbst-erhaben- 
nä-täu-tt'Sl-phrU'iSe.  köy-täu-^d^täu       kaunhrkaenrnhuk, 

Reich-erhaben-richtel-sein-senden  selbsl-erhaben-Wille-erhaben  Himmel-in 

pri^tSö-sakae-so  pathawi-mre-krih-apäu         pri'iSd-si'phfit'fSe 

voUfuhrt-sein-voUenden-wie  Erde-auf       vollfiihrt-sein-voUenden-senden 

kyun-täU'tö        ne-taiti      (isiiek^SaeMauk-atSäh-a'härä      yck-tie       kyUn-täu- 
Diener-erhaben   jeden-Tag    Leben-genügende-Nahrung  dieser-Tag   Diener- 

iö-äh  kaey-ma-sanah-täu-mürpä,  kyüfi'täU'tÖ-si'li       kyUn-täu-tö    krueiy-mfi^ 
erhaben    helfen-gnädig-erhaben-Diener-erhaben-und Diener-erhaben  Schulden- 
taen-sau-lü  t(^ah'Sü-tö'krüeh-mrl'taeii'Si--mfM  kaey-kaenh^sakti^'SÖ-kyün'täu-tO' 
machen-Menschen  ihr-Beleidigung-zufögen      vergeben-wir-Diener-erhaben- 
krueh'mn-jjhrlt'SaU'ajmt'nar^'ae'myäh'm^  kaey-kaenthtau-mü^pä.      tSüh- 

Schuld-sein-welche-Sünder-auch  helfen-nacblassen-erhaben   Ver- 

tsain'khraenh-arä-taeH'll  kyUn-täu-tö-kö  irui-yü'ina'iShaun'täi^mü'iiU  ma- 
suchung-Gelegenheit-in  und-Diener-erhaben  nicht-fuhren-erhaben-und  nicht 
kaiin-ma'sMi-sJ'atnJiu-ara  iö-trüui  kyUn-täti-td-kö  küh-mratüc-kaey-kaenh-täU'' 
gut-nicht-geziemend-Dingen  von  Diener-erhaben  befreien-erlösen-erhaben 
mii'pa,  asaey'h'aun-iüli-hü'mü'käli        käy-täti^äh  atSin'ma'PfaUnain^'iä- 

welches-durch  selbst-erhabenem  Reiche-nicht-enden-Reicb 

tau,    atsum-satii.   (jofC'kye'Zyah'tau-phr'it'tSe-sltl.     Anwn, 
erhaben    Macht     Herrlichkeit-erhaben-sein-senden. 


Pali-Siamesisch.  489 

Wir  haben  hier  denselben,  nur  mit  Schmeichehvörtcrn  noch  mehr 
angefüllten  Styl  vrie  bei  dem  singalesischen  Vaterunser.  Die  Sprache  ist  an 
sich  einsilbig,  es  werden  aber  mehrere  Wörter  zu  einem  Ganzen  vereint  und 
die  Worte  auf  diese  Weise  mehrsilbig.  Diese  Sprache  scheint  ursprünglich 
nicht  mehr  Laute  besessen  zu  haben,  als  die  Alphabete  von  Assam  und  Pegu 
zeigen,  aber  ihre  theils  auf  Vokale,  theils  auf  Nasale,  theils  auf  A  ausgehenden 
Silbenwörter  enthalten  die  Grundlage  der  Structur,  auf  welcher  die  ganze 
indische  Schrift  aufgebaut  ist,  deren  Eigenthümlichkeiten,  wie  das  inhärente  a, 
die  Vokalzeichen  nach  Consonanten,  die  allen  Lautgruppen  entsprechenden 
Nasale,  sowie  das  Visarga  ( : )  den  westasiatischen  Schriften  und  daher  auch 
den  Arien  fremd  waren.  Die  Verschmelzung  arischer  und  hinterindischer  und 
drawidischer  Elemente  dürfte,  wie  oben  erwähnt,  in  Magadha  erfolgt  sein, 
dem  Geburtslande  des  42-theiligen  Alphabets. 

22.  Pali-Siamesisch. 

Wie  nach  Birma,  so  wurde  das  Pali-AIphabet  auch  zur  selben  Zeit 
von  Buddhisten  nach  Siam  gebracht,  und  merkwürdigerweise  zeigt  die  ))ali* 
siamesische  Schrift  eine  grössere  Verwandtschaft  mit  der  malabarischen  und 
singalesischen  als  die  birmanische.  Den  Übergang  zeigt  eine  Inschrift  zu 
Keddah.  welche  die  oben  (Seite  463)  citirte  Formel  in  Pali-Schrifl  enthält. 

Transscriplion. 
1>  dhannma  hetu-prabhanl  te.^fl  hvtu  tathä'jfifä  te 
Te.sfl  (Aa  ifo  nirodha  eivd  inldi  imihä  sramtnja, 
Übersetzung  wie  auf  Seile  iOi. 

Als  Probe  der  Büchersclirifl  geben  wir  liier  ein  Stück  aus  dem  Buche 
Fliatimokkha.  "»^^ 


490  Pali-Siamesisch. 

0?icar<LPt^4<^^4'car«itXc^l5'(LP<^^  Sl 

Transscription. 

SammadM&ani  padiphoiäa  udakä  äsanencUäa  uphosathassa  etäni  pubba- 
karananti  wutStSati,  Sammadidzant,  Sammadzdzanakaramni^ä.  P<xdiphot§a, 
Padipa  udzdzalanaAtäa  idäni  suriyälokassa  aithi  täya  padipaküätää  natihi.  Udakä 
äsauenafäa  äsanena  saha  phäniyaparibhodzdzaniya  udakathapanaMäa. 

Übersetzung. 

.Ein  ßesen  und  eme  Fackel,  Wasser  mit  einem  Sessel,  diess  wird  der 
erste  Act  der  Ceremonie  genannt.  Besen,  das  ist  ein  Werkzeug  zum  Fegen, 
und  eine  Fackel,  das  ist  die  Anzündung  einer  Fackel,  jetzt  ist  es  das  Licht 
der  Sonne,  daher  ist  es  das  Amt  der  Fackel  nicht.  Wasser  mit  einem  Sessel, 
das  ist  mit  einem  Sessel  zugleich  die  Darbringung  von  Trank,  Speise,  Wasser.* 

Die  pali- siamesische  Schrift  unterscheidet  sich  von  der  birmanischen 
hauptsächlich  durch  die  Verzierungen  am  obem  Theile  der  Buchstaben, 
(welche  ,das  Haar*  der  Zeichen  heissen)  und  dem  Querstriche  der  Devanagari 
entsprechen;  wie  magadhisch  A  ga  Devanagari  T\  wurde,  so  wurde  es  anderer- 
seits birmanisch  fl  ||  O,  pali-siamesisch  (^  £f ,  Laos  Q,  Kambodia  Ä, 
dieses  Haar  dürfte  jedenfalls  den  inhärirenden  Vokal  ausgedrückt  haben  und 
es  fehlt  daher  in  den  unterschriebenen  Zeichen,  welche  »die  Füsse*  Messen, 
während  die  mittleren  Zeichen  .den  Körper*  der  Schrift  bildeten.  Je  eckiger 
diese  Körper  mit  ihrem  Haarschmuck  wurden,  desto  einfacher  wurden  die 
Füsse,  und  so  entstand  zuletzt  eine  grosse  UnähnUchkeit  derselben  Zeichen 
z.  B.  ?J  tU§a.  Es  wird  sogar  die  Vermuthung  rege,  dass  diese  Füsse  schon 
ursprünglich  andere  Zeichen  waren  als  die  der  Körper,  und  dass  der  Gebrauch 
von  Finalbuchstaben,  welche  sich  bei  der  LeptSa  erhalten  hat,  in  frülierer 
Zeit  ein  ausgedehnter  war;  denn  wir  finden  neben  eigenthümhchen  Füssen 
andere,  welche  dem  Körper  entsprechen  z.  B.  Kambod2a  y^n  dShdzka, 

Wir  geben  zur  bessern  Übersicht  eine  Nebeneinanderstellung  der  pali- 
siamesischen  Alphabete,  zu  denen  wir  auch  die  Schrift  der  Laos  und  der  von 
Kambod2a  rechnen,  wobei  wir  die  Füsse  nicht  unten,  sondern  zur  bessern 
Vergleichung  neben  die  Zeichen  der  Körper  stellen: 


Hiliterindische  Schrillen. 


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Hinterindische  Schriften. 


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Hiiiterindische  Schriften.  493 

Es  geht  aus  dieser  Zusammenstellung  hervor,  dass  die  heilige  Schrift 
der  östlichen  Inder  manche  Eigenthümlichkeiten  zeigt,  welche  sieh  weder 
aus  der  magadliischen  noch  aus  der  Pali-Schrifl  erklären  lassen.  Auflallend  ist 
zunächst,  dass  die  siamesische  Schrift  wie  die  tibetanische  nur  ein  Vokal- 
zeichen hat:  0  ,  welches  mit  Q  der  Pali-Schrift  und  als  solches  mit  J  der  Deva- 
vanagari  correspondirt.  Das  S$  entspricht  dem  N  a  der  breiten  Pali,  zu- 
gleich aber  auch  dem  II  s  derselben  Schrift,  es  ist  das  H  der  Griechen, 
womit  auch  das  telingische  9  zusammenhängen  dürfte.  Woher  dieses  Zeichen 
gekommen,  ist  fraglich;  factisch  ist  nur,  dass  die  Methode,  alle  Vokale  durch 
ein  Zeichen  darzustellen,  sich  an  die  kabulische  Schrift  anlehnt.  Laos  6  e 
lehnt  sich  an  Devanagari  V  an ;  die  u-Fomien  entsprechen  dem  tamulischen 
A4  0.  Ausserdem  X  entsprechen  die  Vokalzeichen  Consonanten:  das  0  dem 
Pali  kha,  das  ^  e  dem  ^fiT  9^f  <ias  ^  i  dem  (^  ga.  Ferner  zeigen 
die  »FQsse*  oft  Ähnlichkeit  mit  der  Gupta-  und  Pali-Schrift,  während  die 
«Körper*  andere  Formen  haben;  so  ist  ^  iki  ähnlich  dem  Gupta  J,  aber 
nicht  C  tSa;  ebenso  ^  va  dem  Gupta  A  Pali  O  tYi^  wie  (l  dem  Gupta  O  /Aa. 
Laos  ^^  dha  ist  Sindh  ^  da,  Laos  ^  blw  ähnlich  dem  Sindh  '»O  ha; 
die  Form  g^  Ha  entspricht  Pali  OD  V^a,  Sindh  i^,  Devanagari  ^  na  (ein 
solcher  Wechsel  zeigt  sich  auch  zwischen  siamesisch  na  und  ria  und  Kam- 
bodia  f(a  und  na).  Die  cf-Formen  haben  unter  sich  eine  ebensolche  Ähnlich- 
keit wie  die  der  kabuliscben  Schrift.  Aus  alledem  geht  hervor,  dass  auch 
hier  sich  die  buddhistischen  Priester  der  landesüblichen  Schrift  anschmiegten 
und  diese,  welche  nicht  so  ausgebildet  war  wie  die  Pali-Sprache  (der  siame- 
sischen Schrift  fehlen  die  Cerebrale),  erweiterten.  Die  landesübliche  Schrift 
hing  schon  in  der  Vorzeit  mit  den  Schriften  des  westlichen  Indiens  zusammen. 

23.  Javanisch. 

Die  javanische  (sprich  diawanische)  Schrift  stammt  von  der  Pali  ab, 
deren  dicke  Zeichen  hier  als  Doppelstriche  erscheinen,  wobei  die  obere 
Verbindung  in  die  Mitte  oder  auch  nach  unten  lallt  und  die  untere  oft  unter- 
bleibt Man  vergleiche: 


Pali  Mi\»*iii*aiiioiiaiai«iM  fM«  _ 

Java  \x\  Kl  ici  11  Kn  la  isn  (x.i  o  tu  v\  in  ir;  in  tini   n  an  oi  i^  ci 

ha  fia  ii'i  ra  ka  da  ta    sa  tca   In  pa  da  dtjn  tja     m     um   tjn   Imi  fa   na 


494  Javanisch 

Die  Reihenfolge  der  Zeichen  ist,  wie  eine  Vergleichung  der  vorstehen- 
den Ordnung  mit  der  des  Pali- Alphabets  zeigt,  eine  abweichende,  aber  gerade 
deshalb  erscheint  die  vorstehende  Reihenfolge  beachtenswertli,  da  sie  jeden- 
falls älter  ist  als  die  geordnete  der  Devanagari-  und  Pali-Alphabete.  Ausser 
diesen  Zeichen,  welche  Haksara  heissen,  hat  die  javanische  Schrift  auch 
Anfugezeichen,  Pasanan,  welche  den  .Füssen*  der  pali-siamesischen  Schrift 
entsprechen;  dieselben  sind  theils  dieselben  Zeichen  wie  die  obigen,  theils 
einfachere  Formen,  welche  den  oberen  verwandt  sind.  Die  Vokalisalion  ist 
der  Pali-Vokalisation  verwandt,  eine  Null  oben  ist  t^  ein  Haken  unten  ist  u, 
e  wird  vorgesetzt;  ebenso  werden  die  Haken  ItLr  y  und  r  nach  Consonanten 
ebenso  gebraucht  wie  in  der  Pali-Schrift.  Ausser  diesem  Alphabet  giebt  es 
noch  sogenannte  grosse  Zeichen  (Haksara  gede),  welche  aber  nichts  Anderes 
sind  als  Sanskritlaute,  die  in  der  malayischen  Sprache  nicht  vorkommen, 

wie  Pali  IUI  CD  a  a  la  o  IM  a 

Java  cnnn     ^(Kvm     o^     ^^^     (i5ia£;Qan'^ 

na      täha    kha    tha     Sa        sa     phe  dJuia  gha  bha.  ^^^ 
Das  Vaterunser  lautet: 

J  I     ^        Ö  "^     \  ^\  J 

I  CL       O 

Q*     /  OCV  Q  ,        QT^QCN  Q  QCV  Q   Q       OL 

ojiJiicmn^iN     in(i^KTnKTn(uiijafiji(Kin(wiui(Ki{hq(Ki(WJk 

Q  a 


LKUKn 


luirmji^     (uiTOTJiiWKii-nimnaJinafuiM 

Q**0,.00*^  CX  Q  O 

OS>l  O  O  Q  . 

(LnnQajKuinuMOJiaoniKi  nx  «sinoQa|Q3iafiji(Kin(KiQuviQaji(0)int JiiiaOsnoaosra  n^ 

o  /  Q        .      o  a  CX 

loi  o^oiKi  (Linmi'hTi30(jji  QJ1  isiTKnoo  (KTniKi  *j|  KincnnriMi  o  (KiEiorn'L'n 


OsiiiriK 


cimoisnn  ö^ieKii^ 


Gursiv. 


y^  (U         Ci  CK     y^  OD   Q 


Javanisch.  ^OS 

*4^-ist     t      Cf     *sv      vu  B  CO   tisi<^  ^       '  f 

'       «»    #        tta<^  ^       C9)      '152/  »  <s>  fcoi>t  f 

'  o  r  V  vvv     0*1   C  '      ^f  4.1  CO ' 

Transscription  und  Übersetzung. 
Rama  kahula  htkd  tponten    7  swarga.    wasta  aampeyan  dadossa    su^. 
Vater  Diener  der     sein   im  Himmel.  Name      Fuss         wird      heilig. 
sadiaman  sampeyan   rawuhha,   kars  sampeyan    dadossa       'f     bumi  kados  7 
Heich       Fuss      zukomme.  Wille     Fuss      geschehe  auf  Erden  wie   im 
sicarga.  reditkki  kahula        kä        sadiniendinten  sukanni  dintm  puntiiki  ttiarl 
Himmel.    Brod   Diener   welches     Tag  für  Tag     gieb       Tag     diesen     von 
kahula.  hambi  puntan   mart  kahula     dosa  kahula,  kados  kahula  puntan  inaK 
Diener,  und    verzeihen  von  Diener  Schuld  Diener  wie  Diener  vergeben  an 

»atungiUügil      titiyd        kä  salah       mart    kahula,  hambi  sampun    bekia 

ein  jeder  jeder  Mensch  welcher  sündigen  gegen  Diener,  und  nicht  ftihren 
luihula  *f  pertSoban.  tapi  tSutäuUaken  kahula  bari  pada  sä  nawon^sabab 
Diener  in  Versuchung  sondern  machen  frei  Diener  von  Alles  was  böse,  denn 
sofizaman  hambi  kawasa  sarta  kamukten  gusti  kagü  hannipun  dumugi  T 
Reich  und  Macht  mit  Herrlichkeit  Herr  Eigenthum  sein  bis  in 
nawet.  Amin. 
Ewigkeil.  Amen. 

24.  Philippinen. 
Wenn  wir  im  äussersten  Osten  von  Indien  auf  den  philippinischen 
Inseln  malayische  Völker  antreffen,  deren  Schriflzeichen  eine  frappante  Ähn- 
lichkeit mit  denen  des  äussersten  Westens  zeigen,  so  erhalten  wir  eine  Ahnung 
von  den  furchtbaren  Kämpfen  aus  früherer  Zeit,  von  denen  keine  Geschichte 
erzählt.  Wir  fmden  den  äussersten  Westen  und  den  äussersten  Osten  aus- 
einandergeschoben durch  den  breiten  Keil  der  brahmanisch-buddhis tischen 
Religionen,  welche  sich  später  untereinander  ebenso  theilten  und  zerfleischten. 
Man  vergleiche : 

Tagala    V->c3ä    3l>0tDÄ/Tit-ocX>iy5toX?)>3<^ 
Bisaya    V    ^    ^  H:    ZI         bS^l^OY^         T        Vi   <^ 
Multan   Tf     C     ^^i      3l      ^S^'^YU^n^l^tO^o 
a       i       u  ka  ga(dia)ha  ta    da    na  jta   ba    t9ia    ija   ra  ira    sa    ha 


4-96  Bisayisch. 

Die  Vokale  werden  bei  diesen  malayischen  Völkern  auf  die  einfachste 
Weise  ausgedrückt,  nämlich  i  durch  einen  Punkt  über  dem  Worte,  u  durch 
einen  Punkt  unter  demselben,  welche  einfache  Form  allen  indischen  Vokal- 
zeichen zu  Grunde  liegt.  Wir  werden  daher  wohl  nicht  irren,  wenn  wir  an- 
nehmen, dass  in  diesen  18,  respective  14  Zeichen  sich  eine  der  ältesten 
Formen  des  indischen  Alphabets  erhalten  hat. 

Wir  geben  als  Schriftprobe  das  bisayische  Vaterunser : 

•  •  •  •  •     • 

•       •  •  •  • 

y^^^  siTV^s  Typ  i/i  y^T&T/ir'  sr^  >0  3i5  ^r 
v^i^  03^3  YtcY  i/i  y^>0r^53  >0^T  V'v^ 

Transscription  und  Übersetzung. 
Amahan  namu  nga  itotat  ka  sa   langit,      ipapagdayet    angimong  ngal/xH 
Vater     unser  der  bist  du  im  Himmel  gepriesen  sei  der  dein  Name, 
mwanhi  kanamun  an   imang  pagkdhadi,      twnanun    ang  ttnofig  huoi  dinM  sa 
komme  zu  uns   das    dein      Reich,     erfüllt  werde  der  dein  Wille  hier  auf 
yuta  maingun  sa  langit  thcUdgino  danum    an    kanum    namuH  sa 

Erde      wie     in  Himmel   gegeben  werde  dein   uns    die  Nahrung  unser  an 
matagarlao  ug  panadunmo  kamt  san       mga-sala        namu  maingun 

jeder  Tag  und  vergeben  werde  dein  uns  die  Menge  Sünden  unser      wie 

ginuara  namun      san     niganakasala    damun         ngan       giri  imo 

vergeben  werden  von  uns  welche  sündigen   wider  uns  und  nicht  von  dir 

tugotan      kamt  tnaJidog  sa  manga  panulai  sa  amun  manga  kaauaif  apan 

erlaubt  werde    wir   fallen     in     Versuchung  von  unsere  Menge  Feinde  auch 

bauiun  mokami   sa   matigo  marant  ngatanan.  Amin, 

befreit  werden  dein  wir  von  Menge    Übel       alles.     Amen. 

Die  Nasale  sowie  t  und  g  am  Ende  bleiben  unbezeichnet ;  r  wird  durch 
d  ersetzt;  es  ist  eine  höchst  primitive  Schreibweise. 


497 


25.  Die  übrigen  malayischen  Schriften. 

Die  Schriften  der  Battak  und  Biigis  sind  in  ihrer  Structur  ebenso  ein- 
fach wie  die  vorigen,  ja  in  den  Schriftzeichen  noch  einfacher,  z.  B.  Battak 
^9  ka  Bugis  «^^  ka,  Battak  «c  fna  Bugis  ^*  sie  sind  jedoch  an  Consonanten 
und  an  Vokalen  reicher  als  die  vorigen,  indem  sie  auch  e  und  o  haben;  in  der 
Bugis-Schrifl  ist  i  ein  Punkt  oben,  u  ein  Punkt  unten,  e  ein  Strich  vorn,  o  ein 
Strich  hinten;  entspricht  das  letzlere  als  ä  dem  Sanskrit  ä,  so  wäre  die 
Bugis-Vokalisation  die  Grundlage  der  Pali-Vokalisation,  z.  B. 

Pali    c9)  ki  Cp  ku  GCO  ke  OOO  kä 

Bugis  *^^     ^^,         X'^y         ^-^1   ko 


Die  Battak-Schrift  verbindet  sogar  die  Vokale  z.  B.  c^^2>SS  bupusuiu. 


XI.  DIE  ARMENISCHEN  UND  GEORGISCHEN  SCHRIFTEN. 

Die  Gebirgsvölker  im  Kaukasus  haben  sich  ihre  Eigenart  bewahrt, 
welche  auch  in  ihrer  Sprache  hervortritt,  die  weder  der  persischen  noch  der 
griechischen  noch  der  syrischen  ähnlich  ist.  Aus  den  Felsen-Inschriflen  am 
See  Wan  geht  hervor,  dass  zur  Zeit  des  Darius  die  Keilschrift  auch  bei  den 
Armeniern  Eingang  gefunden  hatte,  später  wurden  die  sasanidischen  Zeichen 
von  den  Armeniern  benützt,  aber  weder  diese  noch  das  griechische  Alphabet 
genügten  für  die  consonantenreiche  armenische  Sprache. 

Mesrop,  ein  gelehrter  Armenier  im  5.  Jahrhundert,  der  Secretär  der 
armenischen  Könige  Varazdates  und  Arsakcs  IV.  gewesen  war  und  den  Hof- 
dienst verlassen  hatte,  um  sich  ganz  einem  relijriösen  Leben  zu  widmen, 
suchte  sein  Volk  aus  der  geistigen  Abhängi^'keit  von  Persern  und  Griechen 
zu  befreien,  indem  er  seine  Gedanken  auf  die  SchalTunfr  einer  der  armenischen 
Sprache  genau  entsprechenden  Schrift  richtete.  Nachdem  er  mit  mehreren 
gel«.»hrten  Armeniern  ohne  Erfolg  darüber  berathen,  auch  das  von  Bischof 
Daniel  nach  der  Form  der  griechischen  Buclislaben  aufgestellte  Alphabet 
versucht,  aber  zu  ungenüjrend  befunden  hatte,  erfand  er  selbst  eine  Schrift, 
oder  wie  Moses  Khorenaddzi  erzählt,  sah  er,  nicht  im  Traume,  sond(»rn  durch 
geistige  Kraft,  eine  Hand,  welche  auf  Steine  Buchstaben  hinschrieb,  die  wie 
auf  Schnee  abgedruckt  erschienen.  Er  Iheilte  seine  Idee  dem  Einsiedler 
Ruphanus  auf  Samos  mit  und  Beide  brachten  das  armenische  Alphabet  zu 

FAiilmaDH.  Geschieht«  d.  Srhrift.  [\'2 


498  Die  Entstehung  der  armenischen  und  georgischen  Schrift 

Stande,  wobei  sie  die  armenischen  Charaktere  nach  dem  Muster  der  griechi- 
schen Schriftbezeichnung  formten.  Mesrop  übersetzte  nun  die  heiligen  Schriften, 
unterrichtete  seine  Schüler  in  der  neuen  Schrift  und  führte  mit  Hilfe  des  Königs 
Wrhamgapu;^  und  Sa;(ak's  seine  Erfindung  in  Armenien  ein  mit  Ausnahme 
des  unter  dem  Erzbischofe  von  Caesarea  stehenden  Theiles,  wo  man  sich  der 
griechischen,  nicht  der  assyrischen  Schrift  bediente.  Darauf  zog  Mesrop  unter 
die  Iberer  (Georgier),  die  er  mit  Hilfe  eines  gewissen  Däayah,  der  da  als 
Dolmetscher  der  griechischen  und  armenischen  Sprache  diente,  mit  einem 
Alphabete  beschenkte.  Dasselbe  that  er  auch  später  unter  den  Albanern.  *** 

Zunächst  müssen  wir  bemerken,  dass  man  sehr  irren  würde,  wenn 
man  auf  Grund  dieser  Erzählung  eine  Ähnlichkeit  der  georgischen  und 
armenischen  Schrift  annehmen  würde;  wenn  man  gleiche  Zeichen  in  diesen 
Schriften  findet,  so  haben  dieselben  doch  eine  ganz  verschiedene  Bedeutung. 
So  ist  fl  armenisch  uo  georgisch  ;*,  *b  armenisch  n  georgisch  \j  />,  ^  ar- 
menisch i  georgisch  j}  U,  dem  georgischen  i^  a  scheint  armenisch  t^ 
verwandt  zu  sein,  nur  armenisch  U^m?  stimmt  mit  georgisch  ^  vi  überein. 

Ebenso  ist  die  Zeichenfolge  und  die  derselben  entsprechende  Zahlen- 
bedeutung eine  verschiedene,  man  vergleiche: 

Georgisch. 

ahgdewzhthiklmnyopz      r      s      t      u 
1    2    3  4  5   6    7    8    9  10  20  30  40  50  60  70  80  90   100  200  300  400 

Armenisch. 

llf^S-'hbÄtaß-d^bl.  NVrliAai,     rf     IT     6     ^ 

abgdezeettzil/tskhdz'^     t^      m      y      n 

1  2  3  4  5  6  7  8  9  10  20  30  40  50  60  70  80  90  100  200  300  400 
Die  Reihenfolge  der  georgischen  Zahl  buch  staben  entspricht  fast  genau 
der  hebräischen,  nur  ist  durch  den  Ausfall  des  qoph  das  r  in  die  Stelle  der 
100-Zahl  und  s  sowie  t  ihm  nachgerückt,  w^orauf  ein  Ersatz  in  Oi  sich  als 
400  anschliesst.  Diesen  selben  Vorgang  finden  wir  in  der  slavischen  Glago- 
litza,  und  vermuthen  daher,  dass  dieses  Zusammentreffen  kein  Zufall  ist, 
sondern  dass  eine  gleiche  Zeitrose  diesen  Schriften  zu  Grunde  liegt.  Nun 
würden  wir  begreifen,  wenn  erzählt  würde,  Mesrop  habe  zuerst  das  der 
aramäischen  Zahlenfolge  entsprechende  georgische  Alphabet  aufgestellt  und 
dann   das  mit   vielen  Zeichen  erweiterte  armenische  Alphabet  gebildet;  da 


Armenisch.  499 

aber  berichtet  wird,  er  habe  zuerst  das  armenische  Alphabet  aufgestellt, 
woran  wir  zu  zweifeln  keine  Ursache  haben,  so  ist  am  wahrscheinlichsten, 
dass  Mesrop  weder  die  armenischen  noch  die  georgischen  Zeichen  erfunden 
hat,  sondern  dass  diese  Zeichen  wie  die  nordischen  Runen  als  Zeit-  und 
Zauberzeichen  Erbstück  dieser  Völker  waren,  und  dass  die  geistige  Erleuch- 
tung, von  der  Moses  Khorenaddzi  erzählt,  wohl  darin  bestand,  dass  dem 
Mesrop  der  Gedanke  kam,  diese  Zeichen  als  Lesezeichen  zu  verwenden,  und 
wenn  die  Georgier,  seinen  Rath  befolgend,  in  gleicherweise  ihre  ererbten  Zeit- 
zeichen als  Lesezeichen  verwendeten,  so  erklärt  sich  am  natürlichsten,  wie 
zwei  ganz  verschiedene  Alphabete  auf  Einen  Urheber  zurückgeführt  werden 
konnten,  wir  begreifen  dann  auch  den  oben  erwähnten  Zeichenwechsel 
zwischen  uo  und  ;',  n  und  p  u.  s.  w.,  da  uns  derlei  Zeichen  Wechsel  bisher 
genug  vorgekommen  sind. 

1.  Armenisch. 

Ich  muss  mir  wegen  Mangels  an  Kenntniss  der  armenischen  Sprache 
versagen,  auf  den  Ursprung  der  Zeichen  in  gleicher  Weise  wie  bei  den  übrigen 
Schriften  einzugehen,  ich  möchte  aber  darauf  aufmerksam  machen,  dass  die 
Namen  der  armenischen  Buchstaben:  Aip,  Pyeriy  Kim,  Ta,  Yetä  u.  s.  w.  auf 
den  Grund  hinzuweisen  scheinen,  weshalb  die  griechischen  Buchstaben  für 
die  armenische  Sprache  unpassend  waren;  das  armenische  b  oder  öy  oder|>y 
hatte  jedenfalls  einen  andern  Laut  als  griechisch  B,  ki(fn)  einen  andern  als 
griechisch  ga(mma).  Mesrop  fürchtete  wohl,  dass  die  Aussprache  durch  die 
griechischen  Zeichen  verdorben  würde,  und  zog  deshalb  eine  von  der  grie- 
chischen ganz  abweichende  Schrift  vor.  Wenn  nun  gesagt  wird,  er  habe  die 
armenischen  Charaktere  nach  dem  Muster  der  griechischen  Schriftbezeichnung 
geformt,  so  kann  darunter  wohl  nur  verstanden  werden,  dass  er  die  griechische 
Schriltrichtung  von  links  nach  rechts,  sowie  die  Lesezeichen,  die  Abtheilung 
der  Wörter  und  die  ganze  äussere  Form  der  griechischen  Bücher  nachahmte, 
wie  auch  die  auf  Tafel  XI  gegebene  Probe  der  armenischen  Schrift  aus  dem 
10.  Jahrhundert  die  Initial  Verzierung  nach  Art  der  griechischen  Schrift  zeij:!. 
Bezüglich  der  Zeichenordnung  weise  ich  nur  darauf  hin,  dass  der  Zahlwerth 
des  /  als  20  trolz  aller  anderen  Verschiedenheiten  mit  dem  georgischen  :2() 
und  mit  jener  griechischen  Reihenfolge,  in  der  das  F  fehlt,  übereinstimmt. 
Ursprünglich  dürfte   das  armenische  Alphabet  aus  3G   Zeichen  bestand<>n 


\\1' 


oOO  Erklärung  der  Tafel  XI. 

haben,  welche  die  Ziffern  von  1  bis  9000  darstellten,  worauf  cnp  ebenso  für 
10000  galt,  wie  das  hebräische  (ilq)h  für  1000;  denn  wir  finden  O  alsäw/ww 
für  10000,  ^fe,  entsprechend  dem  f^  pyen  als  20000. 

Die  Form  der  armenischen  Buchstaben  hat  sich  im  Laufe  der  Zeit  sehr 
geändert,  das  jetzige  Alphabet  hat  Versalien  und  gemeine  Buchstaben  und 
daneben  eine  Cursivschrifl.  Die  Schrift  auf  Tafel  XI  hat  noch  keinen  Unter- 
schied zwischen  Versalien  und  gemeinen  Buchstaben,  sie  ist  eine  üncialschrift, 
welche  aber  auch  nicht  mehr  den  ältesten  Charakter  zeigt,  sondern  eine 
Übergangsform  zu  den  Formen  der  jetzigen  gemeinen  Buchstaben.  Der  Text 
dieser  Schriftprobe  enthält  die  ersten  fünf  Verse  des  Evangeliums  Johannis, 
welche  wir  hier  in  jetziger  Schrift  nach  der  armenischen  Bibel  folgen  lassen: 

b*-  «/•*'  'A  /»-»«--vA 

Cursiv. 

Transscription. 
Isyzpane  erpann,  yew  pann  er  an*  (isduadz,  yew  asduadz  er  pann. 
Xa  er  isyzpane  arr  asduadz 

Amyenain  intsfiowau  yyyetc.  yew  arranddz  nora  yyyeic  yew  öt^ntä  oe  int^  yyytif'f'' 
Xoicau  kycnikh  er,  yew  hjankhn  er  luis  tnartgan. 
Yu  luisn  i  /auarL 

Übersetzung. 
Im  Anfang  war  das  Wort  und  das  Wort  war  bei  Gott  und  Gott  war  das  Wort. 
Dasselbige  war  im  Anfange  bei  Gott. 
Alle  Dinge  sind  durch  dasselbige  gemacht,  und  ohne  dasselbige  ist  nichts 

gemacht,  was  gemacht  ist. 
In  ihm  war  das  Leben,  und  das  Leben  war  das  Licht  der  Menschen. 
Und  das  Licht  scheinet  in  der  Finstemiss. 


J 


] 


Fl^^^l  •  ChPirWU 

nruQhV2  iin  Fii  '2 
linqiihiicuii^ar 


Armen' 


501 


2.  Georgisch. 

Georgiani  nennen  sich  die  iberischen  Christen  nach  S.  Georgio,  den 
sie  für  ihren  ersten  Evangelisten  halten  und  verehren.  Sic  besitzen  zwei 
Schriften,  eine  Schrift  der  Kirchenbücher,  Khutsuri  oder  Priesters chrifl,  deren 
eckiger  Fractur-Charakter  wesentlich  von  der  andern,  Mkhedruli  oder  Krieger- 
schrift, absticht.  Beide  mögen  auf  einer  gemeinschaftlichen  Grundlage  be- 
ruhen, eine  directe  Ableitung  der  einen  oder  der  andern  ist  im  Einzelnen 
schwer  nachzuweisen,  man  vergleiche: 

KhutsuriVersal  ^H.T.'^T^J.'bPai^^T^äiRäa'ö  etc. 
gemeine  •cg'gÄ*Tj7pTl|iin    i    I|in    3    fioiu    ti 

Mkhedruli  ^^35?0     3     %@or)035>     6     6tö»fn-3 

a    b   g    d     e    w     z   K    th    i    k     l    m    n  y    o    p 
Wir  lassen  als  Schriftprobe  das  Vaterunser  in  beiden  Schriften  folgen- 

Khutsuri. 

äiT^Ttti  |i*rpTjfiiui  ibiiid*f{*nj*i  ^ih  \n:mx  gifiv  BSi^to  iijt^ 
ipfi  \ix\ppvn  ijTjfii.  äiittiptjy'ifi  \im\pp[*tjyt:  g'gfii^  iiji^ipfi  fitjij%* 
gijfrn  'ijniu'cAQT  \n;mx  gifii;;  TJ'JjdnjQT  •(iipijfprfiTliT'btJ^^'C.  'Umi(^ 
dn  (iipijfi^  Tibluui}fli-C9  duidijQ  |ifpi{fi  2^*u*i]ii«?i;  diii3-fQi}7p-i}fi  jiipijH 
oiTßTwfiTyTJßßi  {i'ypijfifi'i*  ipini'cAg'V  {iipijfi  ^lungtjipijijiii  oiTffi'V^ 

7-tpiIi-c.  TibT^il^  d*fi|ibfii}fi  |ifpi{fi  tjiuiIiiugiliT^T'i*  Kclffi« 

Mkhedruli. 

o6o6cY>  ;  ncm  oGctv  ;  mavo  ^oto  ;  Wm  ;  r/6ao6  ;  ooG6 
ydo^6  :  oin6qD  ;  Wongpo  ;  o^do  ;  a-an^o6  ;  ucma)'ia6 
onoo  ;  ow^6a6  ;  6nö6  ;  o^do;  aooo6mr/6  ;  rv6oo6;  9o66 
eis  c)ß*^-  ^^^^^^0^6;  on^6:  i.(n]mo;  nonnbo;  6.Tibnf>-^ 
oo1j6  ;  öCTv9^Q  :  ^tnj^G  ;  ^ogo^b  ;  506  ;  9cT>-g9og^^6  ; 
mm  HD  ;  0060666^0060  ;   hLnn66o  ;  ao(x6mrj6  ;   ficm^j6  ; 


502  Georgisch. 

oocm^  na 'lOoo  ;  oq6d6  ;  9  roaoa>6  ;  o6cy>  ;  hon  o6co6  ;  ro6 ; 
DcrnonootnQ6Doo  ;  htmno  ;  o 6olj6r/^  ngr) ü6  ;  6mcworo  ; 
oo  SUD  OD  :  htm  no  ;  ocY>mcY>^ou6Q6D  ;  60  od  ; 

Transscription. 
Mamao  tStoeno  romeli  /ar  tsatha  äina.  Tsmida-iqawn  sa/eli  §enu  Motcediu 
supetoa  äetn,  iqawn  neba  seni  withartsa  tsatha  sina  egretsa  ktoeqanasa  zeda,  Pwri 
tSwefii  arsobiaa  momets  tätoen  djes.  Da  momitteweti  tätcen  thana-nadebni  t^'enni, 
withartsa  täwen  miutewebth  thana-rndebtha  math  tstcetitha.  Da  nu  semikwantb 
tSweii  gansatsddsa,  aratned  mi^snen  tSwen  horotiisagan.  Amin. 


Europa. 


Über  die  ältesten  europäischen  Schriften,  die  Runen,  habe  ich  bereits 
in  der  ersten  Abtheilung  dieses  Werkes,  ,Runa,  oder  das  Geheimniss  des 
Ursprungs  der  Lautzeichen'',  ausführlich  gesprochen  und  nachgewiesen,  dass 
die  Untersuchung  derselben  uns  in  die  ältesten  Zeiten  der  Cultur  des 
Menschengeschlechtes  zurückführt,  dass  es  also  sehr  irrig  ist,  dieselben  als 
von  den  Griechen  entlehnt  zu  betrachten.  Aber  auch  der  europäische  SüJen 
kann  der  Schrift  in  der  vorhistorischen  Zeit  nicht  entbehrt  haben,  denn  wir 
ßnden  in  der  ältesten  ägyptischen  Geschichte  Bündnisse  der  nördlichen 
Bewohner  des  Miltelmeeres  und  Einfalle  derselben  in  Ägypten,  wobei  lonier 
(hfinebu)  und  Sardinier  (ttardana)  namentlich  aufgezählt  werden.  *'®  Derlei 
Bündnisse  konnten  ohne  schriftliche  Verständigung  nicht  entstehen,  und  hätten 
diese  Völker  keine  Schrift  gekannt,  sie  hätten  in  Ägypten  eine  solche  kennen 
lernen  müssen.  Für  das  Vorhandensein  einer  altern  nationalen  Schrift  spricht 
auch  der  übereinstimmende  Charakter,  den  die  altitalischen  und  altgriechi- 
schen Alphabete  zeif?en,  wenn  sie  auch  in  Einzelnheiten  sich  unterscheiden. 
Was  speciell  die  Sage  betrifTt,  dass  Kadmos,  ein  phönikischer  Königssohn» 
das  Alphabet  nach  Europa  gebracht  habe,  so  hat  Lcnormant  in  einer  aus- 
führlichen Abhandlung  nachgewiesen,  dass  dieser  Kadmos  eine  Religion  war, 
welche  speciell  den  Schlangencultus  pflegte,  ^'^  der  noch  älter  ist  als  die 
Osiris-Religion  der  Ägypter,  an  welchen  aber  viele  ägyptiscln?  Symbole  erinnern. 
Es  war  eine  blutgierige  Religion,  welche  Menschenopfer  forderte,  deren  letzten 
Anklang  die  Iphigenia-Sage  zu  enthalten  scheint.  An  ihre  Stelle  trat  die  mil- 
dere Religion  des  Zeus,  deren  Gnmdlagen  in  Homers  Ilias  nieder^'rh^pTt  sind. 
Merkwürdigerweise  legt  die  Sage  in  die  Zeit  der  trojanischen  Kri»'jre  j»ine 
Vermehrung  der  griechischen  Buchslaben  und  ist  mit  der  Ili.is  das  pritM-hisrlie 


504  Schrillen  der  europäischen  Völker  in  vorgeschichtlicher  Zeit. 

Lautsystem  wie  die  griechische  Sprache  zum  Abschluss  gelangt.  In  früherer 
Zeit  war  das  Lautsystem,  wie  die  Inschriften  beweisen,  ein  schwankendes; 
jedes  der  kleinen  Länder,  in  welche  Griechenland  zersplittert  war,  hatte  we 
einen  eigenen  Cultus,  so  auch  ein  eigenes  Lautsystem,  welches  jedoch  nur  zu 
kurzen  Inschriften  gedient  zu  haben  scheint;*'^  erst  die  Entstehung  der 
homerischen  Literatur  schuf  eine  einheitliche  griechische  Schrift.  Ebenso 
hatte  in  Italien  jeder  Staat-  eine  eigene  Schrift,  welche  später  von  der  römi- 
schen verdrängt  wurden.  Betrachtet  man  aber  die  schönen  etruskisclien 
Malereien,  welche  in  der  altern  Zeit  den  ägyptischen  Typus  tragen,  so  muss 
man  auch  hier  den  Gedanken  aufgeben,  dass  die  italischen  Völker  erst  von 
den  Griechen  die  Schrift  gelernt  hätten.  Weit  entfernt,  ünkennlniss  der  Laut- 
zeichen zu  besitzen,  scheinen  die  alten  Völker  Europas  eher  einen  Oberfluss 
an  Zeichen  gehabt  zu  haben,  wie  z.  B.  die  Untersuchungen,  welche  Phillips  ^'^ 
über  die  Münzen  der  alten  Spanier  (Iberer)  angestellt  hat,  eine  grosse  Anzahl 
von  Schriftzeichen  ergeben  haben. 

Wir  fmden  da  für  a;  A  A  A  A  A  ^  ^  A  A  '^  A  A  A  F)  R  0  A 
n  n  fl,  für  5.  U  2  H  ^  S  S  S  J,  für  m.  M  M  M  M  M  Hl «  K  für  r.  > 
AhPrPPPhD^flnPu.s.w.,  Zeichen,  welche  wir  auch  in  italischen 
und  griechischen  Alphabeten,  sowie  in  den  nordischen  Runen  wiederfinden. 
Wenn  uns  ferner  erzählt  wird,  dass  Vulfila  ein  Alphabet  für  die  Gothen, 
Cyrillus  ein  Alphabet  für  dieSlaven  erfunden  habe  und  wir  in  diesen  Alphabeten 
neben  griechischen  auch  andere  Zeichen  und  andere  Namen  fmden,  so  liegt 
die  Vermulhung  nahe,  dass  Gothen  und  Slaven  eine  nationale  Schrift  besassen, 
und  dass  wie  bei  den  Armeniern  und  Georgiern  nationale  Zeichen  benutzt 
wurden,  um  eine  Schrift  aufzustellen.  Ja  selbst  die  wilden  Hunnen  scheinen 
eine  eigene  Schrift  besessen  zu  haben,  wenigstens  hat  Gessner^^*  im  vorigen 
Jahrhundert  ein  hunnisch-skythisches  Alphabet  veröffentlicht,  welches  wohl 
nicht  mindere  Authenlicität  haben  dürfte,  als  die  anderen  von  ihm  veröfTent- 
lichten  und  durch  'sichere  Quellen  als  richtig  erwiesenen  Alphabete.  Wir 
geben  hier  dieses  Alphabet,  welches  34  Zeichen  hat  und  alle  Laute  der 
magyarischen  Sprache  enthält: 

a       h     cz     CS     d      e      e     f      (j     tjy      h      i     j      k  k  (Final)  /      ty 

m      u      vij     0      o      p      r     r      $      $z      t      iy     u     ü     v     z     czs. 


iiriechische  Schriflzeichen.  oOb 

Die  Vokale  sollen  in  einer  Weise  ausgedrückt  worden  sein,  welche  an 
dir  Vokalisation  der  kabulischen  Schrift  erinnert,  nämlich 

X   X  X  X'' 

ba         he      hi      ho 
Ich  begnüge  mich,  auf  dieses  Alphabet  aufmerksam  gemacht  zu  haben, 

da  mir  sonst  keine  Quellen  über  dasselbe  vorliegen,  und  dasselbe  von  den 

G«-l«*hrten  perhorrescirt  wird,  zumal  bisher  der  Glaube  an  die  Schrifllosigkeit 

d#'r  Völker,   welche   keine   geschriebenen  Bücher  aufzuweisen  haben,  allen 

niflit  durch  Bücher  beglaubigten  Alphabeten  ein  an  sich  nicht  unberechtigtes 

Misstrauen  entgegenbrachte. 


I.  DIE  GRIECHISCHE  SCHRIFT. 

Da  die  Namen  der  grieehischen  Buchstaben  denen  der  phönikischen 
ähnlich  sind,  so  hat  man  geglaubt,  die  Griechen  hätten  Namen  wie  Zeichen 
von  den  I^hönikiem  entlehnt.  Man  hat  daher  nur  die  Ähnlichkeiten  in's  Auge 
g«'lasst  und  die  Unähnlichkeiten  dem  Zufall  zugeschrieben.  Eine  Lösung  des 
Räthsels  der  Entstehung  der  griechischen  Schrift  ist  aber,  soweit  es  überhaupt 
Iö>bar  ist,  nur  dann  möglich,  wenn  man  beides  in's  Auge  fasst,  und  von 
di^^sem  Standpunkte  wollen  wir  die  Buchstaben  betrachten. 

Der  Name  Alpha  ist  dem  hebräischen  Aieph  ähnlich,  in  den  Zeichen 
stehen  dem  phönikischen  +  die  Formen  AÄAAAnPIA  gegenüber. 
Di»-  vierte  und  fünfte  Figur  (gebraucht  in  Korkyra,  Anaktorion,  Eubüa  und  in 
den  achäischen  Colonien)  sind  Formen  eines  Hauses,  griechisch  olkoSf  welches 
sowohl  dem  hebräischen  n'a  haUh  (das  ist  aber  der  zweite  Buchstabe)  als  dem 
-hn  tlff  , Familie*  entspricht;  sie  können  aber  auch  den  Himmel  vorstelli-n, 
dann  wäre  nicht  nur  uranos  (diT  älteste  Gott  der  Grii'chen),  sondern  aueh 
vifiu$i)os  der  Götlersitz  in's  Auge  zu  fassen,  womit  auch  A  übereinstimmen 
würde.  Das  Wort  Alpha  selbst  konnnt  im  Gnechi>chen  so  wenig  vor.  wie 
ahj^h  im  Hebräischen,  verwandt  ist  alphanö  »ich  brin^'e  ein'  verwandt  mit 
dW/Zj,  woraus  das  deutsche  arbdfni  entstand,  das  hat  denselben  Sinn  wi»*  die 
Hüne  A  ar;  letzteres  bedeutet  auch  Ernte  und  gri«'chi>eh  alj>hifon  ,<ler>l«n* 
irraupen*,  auch  Männermark  genannt,  wahrscheinlich  wegen  der  weissen  F.ube 
< lateinisch  aff/un,  wovon  Alpe,  «las  Schiieeu'l'iiye,  herkommt,  welch«-*  im 
Hebräischen    Libanon    heis-l).    Graupen    sind    dem   Ha^rel    ähnlich,    de^-en 


506  Griechische  Schriflzeichen. 

mystische  Bedeutung  Seite  97  berührt  wurde.  Arbh  ist  aber  auch  der  Erbe, 
griechisch  orphands,  was  mit  dem  Harpokrates,  dessen  Hieroglyphe  J^  das 
hebräische  +  cUeph  ist,  übereinstimmt.  Das  Kind,  das  Kleine  ist  der  Zwerg, 
der  Alf,  der  halbe  Mensch,  wie  altnordisch  alfa,  halfa  die  Hälfte,  die  Him- 
melsgegend ist,  die  Hälfte  weisen  aber  alle  Figuren  des  Alpha  auf;  war  es 
die  Theilung,  so  war  es  Gott  Janus,  der  das  Jahr  theilt,  und  Alpha  das  Zeichen 
der  Mitternacht  und  des  neugebornen  Jahres.  A  dürfte  noch  insbesondere 
die  Bedeutung  von  drren  haben,  wodurch  es  sich  an  syrisch  1  und  K'anlehnt 

Der  Name  Beta  ist  dem  hebräischen  Beth  ähnlich,  der  zwischen  brith 
„Haus*  und  bath  »Jungfrau*  schwankt;  die  Jungfrau  heisst  im  Griechischen 
pmihhios,  das  kleine  Mädchen  pals,  auch  nednis,  und  letzteres  erklärt  es.  dass 
wir  im  Alphabet  von  Melos  das  umgekehrte  H  v,  nämlich  ^,  als  h  finden; 
hiermit  hängt  das  korinthische  1  h  zusammen,  insofeme  wir  Seite  153  das 
hebräische  heth  als  Hymen  kennen  gelernt  haben ;  es  würde  demnach  dem 
griechischen  maiandros  »das  sich  schlängelnde  Flüsschen*  entsprechen.  Hier 
ist  h  in  m  übergegangen,  gleiches  scheint  auch  in  fneier  »Mutter*  der  Fall 
zu  sein,  welchem  Begriff  B  das  hochbusige  Weib  entspricht,  wie  auch  der 
Begriff  »halb*  in  ni^sos  »Mitte*  ein  Gegenstück  wie  A  zu  B  findet.  Endlich 
kommt  noch  ^,  die  Rune  ^  Birke  vor,  die  im  Lateinischen  bdula  heisst 
(hebräisch  rri^ina  Vthtda  ist  die  »Jungfrau*). 

Gamma  dürfte  sich  zum  hebräischen  yimd  verhalten  wie  griechisch 
gameö  »ich  heirathe*  zum  hebräischen  d3  gam  »Vermehrung,  hinzufügen*. 
Das  griechische  f  ist  dasselbe  Zeichen  wie  das  phönikische  T  rav;  va  heisst 
hebräisch  »und*,  wie  griechisch  kai,  wie  die  angelsächsiche  Rune  ^  i/«'", 
und  T  war  in  den  tironischen  Noten  wie  im  Mittelalter  Zeichen  für  »und*. 
Das  griechische  kai  ist  lautverwandt  mit  gaia  »Erde*,  mit  Rücksicht  auf  das 
Zeichen  A  aber  nicht  nur  laut-,  sondern  auch  begriffsverwandt;  es  ist  HWa 
die  Berggöltin,  der  Giebel,  der  Gipfel  als  <  oder  C  auch  das  Kipfel  des 
Mondes,  wie  die  Erdgoltin  zugleich  auch  gewöhnlich  die  Mondgöttin  ist.  Alle 
diese  Figuren  eint  der  Begriff  ^öm«  »der  Winkel,  die  Ecke*.  Von  den  Figuren 
/  und  f  weist  das  erstere  noch  speciell  auf  kdmnö  »ich  arbeite*  hin,  es  ist 
die  Feldhacke,  als  drittes  Zeichen  identisch  mit  ^  thoir  dem  Gotte  der  Feld- 
arbeit; f  ist  das  hieratische  ^  ka,  hn  »landen,  fremdes  Volk*,  hebräisch '-i 
goi,  welches  auch  nur  vom  fremden  Volke  gebraucht  wird;  es  scheint  ein 
Grenzpfahl  oder  Wegweiser  zu  sein  im  Sinne  von  AwMaA"«»  Stange.  Weinpfahl'. 


Griechische  Schriftzeichen.  507 

am  Seeufer  aber  wohl  der  Leuchtthurm  im  Sinne  von  glaukos  , funkelnd", 
welches  sich  durch  glauks  .Eule'  (der  Vogel  mit  den  leuchtenden  Augen,  der 
in  der  Nacht  sieht)  an  die  Pallas  Athene,  die  jungfräuliche  Göttin,  und  somit 
an  das  vorige  Zeichen  anlehnt. 

Delta  ist  eine  förmliche  Umstellung  des  hebräischen  Daleth.  Delta 
nannten  die  Griechen  die  Mündung  des  Nils,  wegen  der  dreieckigen  Form, 
welches  das  Land  durch  die  Theilung  des  Flusses  erhielt;  sie  nannten  so 
auch  eine  Halbinsel  in  der  Nähe  des  Bosporus  und  die  Insel,  welche  das 
Meer  und  die  Arme  des  Indus  bildeten.  Merkwürdigerweise  schliesst  sich  diese 
Bedeutung  an  die  des  vorigen  Zeichens  (  an.  auch  im  BegrifTe  des  Leuchtens, 
denn  dal^  heisst  .Brand*,  dato  ,ich  brenne  an,  zünde  an*,  deile  ist  die  Hitze 
des  Tages,  aber  dieses  letzlere  hatte,  wie  wir  Seite  139  angegeben  haben,  bei 
der  4-theiligen  Windrose  diesen  Sinn,  nicht  bei  der  jetzigen.  Bei  der  8-theiligen 
war  ►  schon  die  Rune  des  Sonnenaufgangs  geworden,  bei  der  16-theiligen 
ist  sie  an  Stelle  der  Morgendämmenmg  gerückt,  und  genau  dieselbe  Stelle 
nimmt  A  im  24-theiligen  Tageskreise  ein.  In  diesem  Falle  ist  es  der  ägyp- 
tische Morgenstern  A  Thaud,  der  griechische  theös  und  Zeus,  der  Verkünder 
dos  Tagesanbruches,  wie  A  bei  den  Ägyptern  der  Verkünder  der  Lber- 
schwemmung  und  des  neuen  Jahres  war.  Neben  A  kommt  noch  A  und  D 
im  gleichen  Sinne  vor;  in  der  iberischen  Schrift  ist  D  b,  während  Q  d  ist, 
ursprünglich  waren  beide  wohl  identisch. 

E-psiloHy  hebräisch  he,  heisst  »das  nackte  A^*, es  dürfte  hdos  ,die  Morgen- 
rölhe*  sein,  die.rosenfmgrige*,  und  E  wären  die  Finger,  welche,  geschlossen, 
ge^en  die  Sonne  gehalten,  ein  rosiges  Licht  durchscheinen  lassen.  Bekanntlich 
wurde  die  aus  dem  Meere  aufsteigende  Aphrodite  (Sonne)  von  den  griechi- 
schen Künstlern  in  dieser  Weise  dargestellt,  und  es  ist  wohl  kein  Zufall, 
da<s  Aphrodite  »nackt*  ist,  während  Hera  bekleidet  erscheint.  Die  Variante 
^  ist  dann  ebenfalls  die  Hand.  Im  korinthischen  Alphabet  wird  Epsilon  durch 
die  Frauenzeichen  ^  B  Z  dargestellt,  und  dieser  Laulwcchsel  wäre  nicht  niöjr- 
licb,  wenn  nicht  der  Begriff  derselbe  wäre. 

Die  Moabiter  hatten  neben  diesem  Zeichen  Voder  griechisch  Y  V-psHoti, 
entsprechend  der  Rune  f  kamt,  das  wäre  hier  die  aulsteigonde  Sonne,  als  F 
oder  C  hat  sich  dieses  Zeichen  lange  als  Zahlzeichen  erhallen,  doch  scheint 
es  aus  dem  Zeitkreise  entfernt  worden  zu  sein,  worauf  es  auch  als  Laut- 
zeichen abstarb. 


508  Griechische  Schriftzeichen. 

Zeta  ist  vom  hebräischen  zain  ziemlich  verschieden.  Das  Zeichen  ist  im 
altgriechischen  Alphabete  stets  X  wie  im  Moabitischen,  in  der  jungen 
Schrift  ist  Z  durchgedrungen.  Letzteres  ist  der  Zeus,  .das  Licht*,  ägyptisch 
"^^  8  der  Lichtstrahl,  der  Blitz,  das  Durchdringende,  I  ist  so  viel  wie  das 
folgende  Zeichen. 

Eta  entspricht  dem  hebräischen  Kheth,  dem  Zaun,  der  Verbindung;  die 
Zeichen  sind  H  oder  B.  Ist  X  Zeus,  so  ist  H  seine  Gattin  Hera  oder  era  ,der 
Liebesdienst*,  verwandt  mit  ä'ös  .Liebe*.  H  ist  im  Jahreskalender  die  Zeit 
der  Tag-  und  Nachtgleiche,  als  Stundenzeichen  Jietn&a  .der  Tag*  (6  ühr 
Morgens),  helios  .die  Sonne*,  hide  »die  Zeit*,  das  Thierkreiszeichen  M  der 
Fische  (siehe  Seite  96),  deren  Laichzeit  jetzt  ist,  woran  auch  häaSros  .Ver- 
gesellschaftung* erinnert. 

Thefa  ist  ähnlich  dem  hebräischen  tet,  ähnlich  sind  auch  die  Zeichen, 
welche  im  Griechischen  ®  0  O  ^  O  sind,  am  auffallendsten  ist  aber  die 
Übereinstimmung  des  Begriffs  im  griechischen  theteia  .Lohndienst*,  hebräisch 
nrüü»  l8sas/ar  ^der  Lohn*,  dem  siebenten  Stamme  Israels,  welcher  Seite  166 
mit  dem  althebräischen  C^  iet  in  Verbindung  gebracht  wurde.  Daraus  dürfte 
hervorgehen,  dass  ®  ein  Bracteat  war,  womit  thesaurös  »Schatzkammer* 
übereinstimmen  würde.  Bezüglich  der  Jahreszeit  bedeutet  theta,  dass  die  Zelt 
der  Liebe  vorüber  ist  und  die  Zeit  der  Reife  beginnt;  Odhin  (die  Sonne)  ver- 
dingt sich  als  Bölwerker  undTheseus  vollbringt  seine  Arbeiten,  Letzterer  legte 
auch  den  Grund  zur  Stadt  Athen,  und  diess  erinnert  daran,  dass  in  den 
Hieroglyphen  ©die  Stadt  mit  ihren  Vierteln  ist;  ferner  ist  im  Ägyptischen  ta 
Brod  und  ®  hat  die  Form  der  Semmel,  endlich  bedeutet  thesthai  »ich  sauge, 
melke*  und  0  ist  titthe  ,die  Mutterbrust*. 

Iota  ist  ähnlich  dem  hebräischen  yod,  aber  die  griechischen  Zeichen 
haben  mit  den  phönikischen  gar  keine  Ähnlichkeit,  stimmen  dagegen  mit  der 
nordischen  /s-Rune  überein,  und  zwar  insoferne  sie  als  I  wie  auch  als  ^  2 
%  i  s  vorkommen.  In  der  16-theiligen  Windrose  (und  auch  die  Griechen 
hatten  früher  eine  solche)  war  I  (sos  »gleich*,  denn  es  stand  in  der  südlichen 
Mitte  derselben ;  nach  deren  Erweiterung  auf  24  Zeichen  ist  es  an  die  Stelle 
der  ♦-Rune  getreten  und  bedeutet  so  wie  S  oder  %  die  Zeit  der  Gewitier, 
in  letzterer  Form  in  sehr  respectwidriger  Weise.  Der  Name  dürfte  sich  somit 
an  das  hebräische  Tin  hud  »Glanz*  anlehnen,  auch  iötes  »der  Rath,  das 
Anstiften"   dürfte  damit  zusammenhängen,  wenn  man  an  die  Rolle  denkt, 


Griechische  Schriftzeichen.  509 

welche  der  Schlange  in  der  Bibel  zugeschrieben  wird ;  auch  im  Chinesischen 
bedeutet  i  »Ursache*.  Merkwürdigerweise  stimmt  der  Begriff  {tüs  »Rad- 
kranz, Radfelge*,  iksiön  (das  drehende  Rad),  ide  »Waldgebirge*  mit  der  Rune 
^  uberein,  dagegen  ithüs  »die  gerade  Richtung*  mit  |. 

Kappa  ist  dem  hebräischen  kaph  ähnlich,  auch  im  Zeichen :  phönikisch 
^,  griechisch  K,  welches  ohne  wesentliche  Variante  vorkommt  und  sich  bis 
auf  die  Jetztzeit  unverändert  erhalten  hat.  Das  hebräische  kaph  bedeutet 
»Faust*,  überhaupt  etwas  Gebogenes,  etwas  Gewölbtes,  daher /rop^fos  »  Grube, 
Graben,  Gruft*,  käpe  »Krippe  mit  dem  Futter*.  K  kann  ebensowohl  den 
Gaumen,  das  Gähnen  (Ginnungagap,  die  Urkluft,  das  Chaos)  als  die  Faust, 
das  altnordische  kapp  »Wetteifer,  Kampf*  bedeuten.  Der  Gaumen  wäre 
eigentlich  schon  durch  <  angedeutet,  die  Beifügung  des  Striches  weist  auf 
einen  Doppelbegriff  hin,  den  eben  das  nordische  kapp  enthält;  ebenso  das 
griechische  kapeletiein  »kaufen*  (deutsch  vulgär  ^aw^)«/«) betrügen,  verfälschen, 
lateinisch  caitponan.  Kaufen  ist  hier  im  Sinne  von  »tauschen*  zu  verstehen, 
welches  in  »täuschen*  denselben  Nebenbegriff  hat.  Hierher  gehört  auch  das 
deutsche  kebse,  welches  weniger  das  gekaufte  als  das  dienende  Weib  ist. 

Lamhda  entspricht  dem  hebräischen  lamed;  von  seinen  Zeichen  ist  aber 
nur  V  den  phönikischen  gleich,  A/  ß  h  nicht;  die  beiden  erstcren  kommen 
auch  als  (j  vor,  es  sind  aber  nicht  jene,  welche  dem  Begriff  IdmjM)  »ich  leuchte* 
entsprechen,  sondern  A  ist  läos  »der  Stein,  der  Berg,*  und  /,  welches  wir 
bei  Gamma  mit  katnno  in  Verbindung  gebracht  haben,  dürfte  hier  lanihdnd 
»ich  nehme,  fasse"  sein;  ß,  welches  sich  an  das  K  wie  an  das  cursive  y9 
anlehnt,  dürfte  lagtie(a  »die  Wollust*  sein,  wie  V  lan/dnö  »ich  lose*;  V  aber 
dürfte  iuj^eö  »ich  kränke,  verletze*  sein,  da  dieses  mit  dem  hebräischen  lamad 
»schlagen,  zuchtigen*  übereinstimmt  und  das  Zeichen  die  Zeit  bedeutet,  wo 
Jakob  gelähmt  wurde.  Nebenbei  bemerkt,  ist  V  auch  die  umgekehrte  Fackel, 
das  Symbol  des  erlöschenden  Lebens. 

3/«  ist  verwandt  mit  dem  hebräischen  mem;  wie  auch  V*  das  der  ver- 
änderten Schriftrichtung  entsprechende  umgekehrte  phönikische  ^  ist.  Das 
griechische  miua  »Fliege*  deutet  auf  die  hcisse  Zeit,  wie  das  phönikische 
Z  auf  a^r  zalmh  »in  der  Luft  schweben*  und  der  aiat^yaftn«/  ztbuh  der  (ioll 
der  Insecten,  die  Parthenogenesis  ist.  M  und  M  kam  auch  als  .<  vor  und  dej>sen 
Name  Sigma  ist  genau  das  hebräische  rrsrü  sikma  »Srhiilter,  Nacken,  der 
Köriiertheil,    welcher   besonders    mit   Schlägen    bedacht    wird*    (das    wäre 


510  Griechische  Schriflzeichen. 

auch  %),  wobei  zu  beachten  ist,  dass  lamad  „züchtigen*  vorausgeht.  Im 
Lateinischen  würde  sich  hier  munus  , Dienst''  anschliessen,  das  deutsche 
«Mühen*;  das  griechische  müd  .ich  schliesse  mich,  schliesse  die  Augen* 
dürfte  insoweit  entsprechen,  als  mit  diesem  Zeichen  die  Periode  der  Befruch- 
tung abschliesst. 

Nu  entspricht  dem  hebräischen  nun,  insoferne  nü,  nun  «nun,  jetzt* 
bedeutet;  mit  diesem  Zeichen  beginnt  die  zweite  Reihe  der  griechischen 
Buchstaben,  daher  neds  »neu*,  ndtos  , Süden*.  Das  Zeichen  I*'  ist  eine  Variante 
von  ^  und  l,  welches  wir  als  .Blick,  Blitz*  kennen  gelernt  haben,  und  von 
denen  H  als  Rune  Sol  (Sonne)  vorkommt,  was  mit  »Süden*  übereinstimmt. 
Da  N  mit  M  eng  verwandt  ist,  so  könnte  sich  hieraus  die  Bedeutung  von 
lateinisch  solus  und  griechisch  monos  .allein*  erklären.  N  ist  eine  Gleichung, 
Vergleichung  zweier  gleicher  Sachen  wie  H,  slavisch  h. 

Ksi  hat  mit   dem  hebräischen  Samek  wenig  Ähnlichkeit,   wohl  aber 
stimmt  das  Zeichen  Z  überein.  Dieses  Zeichen  bedeutet  im  Ägyptischen  psd 
den  Poseidon,  den  Wassermesser,  dessen  Dreizack  als  "^  psi  auch  in  das 
griechische  Alphabet  übergegangen  ist;   wir  haben  bei  den  Runen  I  is  als 
Zeichen  des  Häringfanges  kennen  gelernt,  und  Ähnliches  dürfte  dem  griechi- 
schen eks  .aus*  (entsprechend  der  Rune  ^  os)  zu  Grunde  liegen,  da  daraus 
eksö  .aussen*,  ks^os  .der  Fremde*  entstand.  S  ist  verwandt  mit  z,  welches 
Glanz  bedeutet,  damit  hängt  ks^ö,  ksäo  .ich  schabe*,  ksülon  .das  abgeschabte 
Holz,    der  Lanzenschaft,   der  Prügel",  ksiplios  .der  Degen*  zusammen;    im 
Hebräischen  ist  Din  )^ar<is  .schaben*,  /eres  .die  Sonne  und  die  Krätze*, 
welches  letztere  sich  an  das  persische  Küros  anlehnt,  auch  im  Chinesischen 
bedeutet  J^  den  Edelstein  yü  (Jaspis)  und  u>an  .König*.  Jedenfalls  bedeutete 
das  Zeichen  den  Beginn  der  trockenen  Zeit,  der  Ernte  auf  dem  Lande  wie 
im  Wasser,    es   war  die  helle  brennende   Sonne  oder  der  Vollmond,   die 
Zeit,    wo  das  Rohr  zu  Lanzen  gebrochen  wurde.    Wenn  später  daraus  2 
wurde,  so  behielt  nur  der  Begriff  des  Meeres  oder  des  Schilfrohres  Geltung 
und  Ksi  lehnt  sich  an  das  hebräische  po  sin  .Sumpf* ;    auch  als  H  bedeutet 
es  den  Wassergott  Poseidon. 

Omikron  bedeutet  das  .kleine  0",  im  Hebräischen  heisst  der  Name 
diu  .Auge*,  und  dem  entsprechen  im  Griechischen  ^mma,  6pJUhalm6$,  öpsis 
.das  Auge*,  eigentlich  der  Augapfel,  das  Symbol  der  Fruchtbarkeit,  die 
Frucht  selbst. 


Griechische  Schriftzeichen.  511 

Fi  ist  ähnlich  dem  hebräischen  phe^  welches ,  Mund  •  bedeutet,  das  wäre 
j:ri«'chisch  bodö  ,ich  rufe*  jpheine  »Stimme*  (aber  mit  dem  Zeichen  9),  oder 
«Ansehen*,  in  welchem  Falle  es  sich  als  öpsis  an  das  vorige  Zeichen,  allenfalls 
auch  an  4^  anschlösse,  P  P  Fl  ist  aber  weder  das  Eine  noch  das  Andere. 
n  ist  der  Himmelsbogen,  pfuje  der  Bug,  Buckel  und  daher  pi  so  viel  wie  epi 
,an,  auf,  bei,  neben,  nach*,  wie  1  gimel,  welchem  das  ^  phe  ähnlich  ist,  als 
, anhangen*  erklärt  wurde  (Seite  163).  Daher  dürfte  P  der  Nachwuchs  sein, 
httts  , Leben*,  die  erste  Regung,  phum  »die  Blähung*,  piedzö  „ich  drücke, 
falle  beschwerlich".  Auch  pllos  »Filz*  hängt  mit  P  im  Sinne  von  , Loden* 
(der  junge  Nachwuchs  des  Waldes)  zusammen. 

Rho  ist  dem  hebräischen  re,^  weniger  ähnUch,  doch  stimmen  die  Zeichen 
h  P  >  k  mit  dem  phönikischen  ^  ros  »Haupt*  überein.  Merkwürdigerweise 
ist  im  Hebräischen  daraus  i  riä  (arm)  geworden,  welches  sich  an  das  obige 
P  anlehnt,  so  wie  griechisch  P  (r)  lateinisch  P  (p)  geworden  ist.  Auch  das 
griechische  Hiops  »ein  mit  niedrigem  Strauchwerk  bewachsener  Ort"  lehnt 
sich  an  Loden  an,  das  wäre  aber  die  Figur  k,  das  Gesicht  mit  dem  Kinnbart, 
welch«'s  zur  alten  Runenreihe  gehört,  wo  es  den  Osten  bedeutete;  in  der 
neuen  Ordnung  schliesst  sich  ►  als  stärkere  Form  an  PI,  P  in  gleicher  Weise 
an  r  an,  und  der  passende  Begriff  dürfte  rhome  »Kraft,  Stärke*  sein;  die 
Wölbung  wird  stärker,  die  Gestalt  vollendeter,  P  ist  in  allen  Alphabeten  das 
Kindheitszeichen. 

Siyma  hat  mit  dem  hebräischen  Mn  keine  Ähnlichkeit,  vielmehr  hat  ein 
Wechsel  stattgefunden,  indem  ^in  (sin)  zu  ksi  und  samek  zu  siytna  ($iknui) 
wurde,  welches  oben  erklärt  wurde.  Wenn  das  Zeichen  M  mit  m  wechselt, 
so  ist  es  auch  nicht  ohne  Grund,  dass,  wie  m  die  Periode  der  Blüthe,  j^  die 
Periode  der  Fruchtbarkeit  abschliesst.  Sainö  »wedeln  mit  dem  Schweife" 
erklärt  ^,  dasselbe  dürfte  auch  semma  »alt*  im  Gegensatz  zu  rho  sein,  eine 
iiritte  Form  l  ist  stma  »Zeichen,  Spur,  Blitz*. 

TtiTN  entspricht  dem  hebräischen  Ouiu,  verschieden  sind  aber  die  Zeichen: 
phOnikisch  X  +»  griechisch  T.  Beide  P^ormen  verl)ind«'t  UUsö  »ich  stelle, 
richte*,  denn  +  ist  der  Balken,  X  der  Kreuzbalken  in  der  Hi<'gelwand,  T  i^t 
die  Wage,  das  Zeichen  der  Tag-  und  Nacht  gleiche,  /ro/w^»  Wendung  der  Sonne, 
Westen*  UHos,  tenna  »Grenze,  Ziel*,  insoferne  t  ursprünglich  der  letzte  Buch- 
slab<'  des  Alphabets  war,  eines  Alphabets  für  drei  Jahreszeiten  (Fruchtbark<Mt, 
Dürn%  Übers'^hwemmung),  wolrh<»s  dem  Alphaln-te  der  vier  Jalireszeiten  w.'rh, 


512  Griechische  Schriftzeiohen. 

in  welches  eine  Reihe  von  Winter- Runen  aufgenommen  wurde,  die  dem 
phönikisch-hebräischen  Alphabete  fehlen,  oder  die  Zeit  einer  doppelten  Ernte. 

Ü'psilon,  das  nackte  u,  war  als  V  der  von  Früchten  entblösste  Baunif 
als  Y  V  K  schliesst  es  sich  an  hutn^n  ,den  Gott  dei*  Ehe*  an,  insofern  die 
zweite  Abtheilung  des  Jahresringes  eine  Wiederholung  des  ersten  ist  und  auf 
die  Kinderzeichen  ks  o pr  $  t  die  Begattung  folgt,  die  zweite  Enite;  demnach 
wäre  hüö  ,ich  befeuchte,  lasse  regnen',  der  fruchtbare  Regen  wie  hüptrlön 
der  Obere,  Wolkenhimmel.  Im  Norden  würde  diesem  der  Altweibersommer 
entsprechen,  m  Ägypten  die  beginnende  Regenzeit.  Als  Tageszeichen  würde 
sich  T  Ypsilon  als  Abendstern  an  E  Epsilon  den  Morgenstern,  hhperos  an 
h^ösphöros  anschliessen. 

Wenn  die  Griechen  kein  Wort  für  Abendrötlie  hatten,  so  dürfte  doch 
ursprünglich  das  Zeichen  4>  oder  ®  phi  dieselbe  bedeutet  haben ;  allerdings 
wurde  |)Äös  »Licht*  und  phoibos  »der  Gott  des  Zwielichts,  Gott  des  Tages', 
aherphäros  „Segel,  Leichentuch*, ^>Äo7;iiÄ:5  „ roih^ , phülaks  »Wächter*  weisen 
noch  auf  die  ursprüngliche  Bedeutung  von  4>  hin,  ebenso  phobeö  »ich  fürchte*, 
denn  4>  war  nicht  nur  ♦  hagl,  welches  wir  als  Gewitter  kennen  gelernt  haben, 
sondern  auch  der  Höllenrachen,  die  über  den  Horizont  heraufleuchtende 
Gluth  der  Unterwelt,  welche  die  Sonne  verschlungen  hatte.  Eine  andere  Be- 
deutung in  Bezug  auf  die  Frucht  ist  phaülos,  unser  »faul*  (roth  werden  = 
verfaulen).  Endlich  ist  4>  der  von  der  Milchstrasse  durchzogene  Sternen- 
himmel, gdla,  galäksias,  wie  die  deutsche  ^  Aro/A-Rune. 

Ehi  hat  im  Griechischen  einen  schwankenden  Gebrauch ;  in  einer  Reihe 
von  Alphabeten,  namentlich  in  denen  des  östlichen  Griechenlands,  ist  +  und 
X  /,  in  einer  andern^  namentlich  im  Norden  und  Westen  +  und  X  ks,  wo- 
gegen /  durch  \|/  Y  ¥  dargestellt  wird,  welches  in  jenen  ps  ist,  während 
in  den  erwähnten  dieses  ps  durch  )K  bezeichnet  wird,  welches  wir  oben  als 
ÄYi/A-Rune  kennen  gelernt  haben.  Es  beruht  diess  auf  einem  Wechsel  der 
BegrIITe,  denn  Y  Y  ist  das  erweiterte  Y,  dieses  der  feine  Regen,  jenes  der 
starke  Regen  wie  4>  als  /wy/Z-Rune,  dagegen  dürften  +  und  X  Sternenzeichen 
sein,  welche  in  )K  in  verstärkter  Weise  hervortreten.  Y  ist/ai«5  »ich  gähne*, 
Y  /äris  »der  Liebesdienst*,  4*  ist  )(oros  »der  nächtliche  Tanz«,  welcher  die 
Bewegung  der  Gestirne  nachahmte;  X  ist  /alkös  »das  (bleiche)  Zinn*.  X 
/ilhi  »tausend*  (die  Vermehrung).  Y  ist  2)sil6s  »entblösst,  nackt*  (wie  Y 
iipsüon),  psü/e  die  Lebenskraft,  auch  der  Schatten,  die  abgeschiedene  Seele, 


Griecliischer  Zeitkreis.  —  Inschrift.  513 

wobei  wir  uns  erinnern,  dass  Y  madr  die  abgezogene  Haut,  das  Mal  des 
Schlachtens  (verwandt  mit  dem  Haarzopf  4>)  war,  dessen  Träger  Apollo 
bekanntlich  das  Menschenschinden  erfunden  hat,  welches  er  an  Marsyas  TerQbte. 

Omega  ist  das  grosse  O,  sofern  es  als  0  vorkommt,  äps  .das  Angesicht', 
als  £1  ist  es  uranös  der  Himmel  und  dessen  Spiegel  okeanös  ,das  Weltmeer', 
al:^  oikos  «Haus*  ist  es  die  Höhle,  das  Höhlengrab,  das  Grab,  als  hdra  .die 
Stunde'  der  Zeitabschnitt,  als  ocUnö  «ich  habe  Geburtsschmerzen*  aber  die 
Wehen  des  die  Sonne  gebärenden  Himmels,  als  deren  Äusserung  von  den 
Alten  das  Nordlicht  betrachtet  wurde. 

Hieraus  geht  hervor,  dass  das  griechische  Alphabet  einen  ebenso  fest- 
gegliederten Stundenplan  und  ein  Zeitrad  bildete  wie  die  übrigen  Alphabete, 
welche  wir  kennen  gelernt  haben,  dass  nicht  Zeichen  nach  dem  Bedürfnisse 
der  Sprache  aufgenommen  wurden,  sondern  dass  für  Zeitzeichen  Laute 
gebildet  wurden,  die  Griechen  hätten  auch  später  wie  früher  KZ  und  PZ 
statt  S  oder  4*  schreiben  können,  die  letzteren  drangen  als  Zeitzeichen  in 
die  Schrift.  Dieses  griechische  Zeitrad  war  dann  folgendes: 

drktos  Norden 


iwr 


trope  We>ten  1  T ^ M  1  helios  Osten 


nötos  Süden. 
Die  älteste  griechische  Schrift  kennen  wir  nur  aus  Inschriften.  Wir 
hatten  auf  unserem  Titelbilde  eine  solche  gegeben,  in  welcher  das  H  durch 
die  Buchstaben  XS  ausgedrückt  ist.  Dieselbe  lautet  vollständig: 

N0IX^^/VO(D/<iNrOI 


Fattlwnn.  Geschichte  d.  Schrift. 


•»•> 
«>•{ 


^14-  Altgriechische  Gursiv. 

In  jetzige  Schrift  umschrieben : 

2!^/ji.a  Tzarrip  K/ctßouAos^  d7:o^^iikiv<a  H£vcQ>dvra>  3^x£  röd*  avr* 
dperi^g  -kde  aaoypoa'jvr^^,  d.  h.  das  Denkmal  setzte  der  Vater  Kleibulos  dem 
verstorbenen  Xenophantos  für  Tüchtigkeit  und  Klugheit. 

Später  wurden  die  Zeichen  gleichmässiger,  gerader  und  erhielten  jene 
Gestalt,  welche  sich  als  Versalbuchstaben  in  der  jetzigen  griechischen  Buch- 
druckschrift erhalten  haben.  Mit  dieser  Schrift  wurden  auch  Bücher  selbst 
dann  noch  geschrieben,  als  sich  bereits  die  Uncialform  und  die  Minuskel 
entwickelt  hatten.  Die  Zeichen  der  Versalbuchstaben  und  der  Inschriften 
heissen  Majuskel  (grosse  Buchstaben)  im  Gegensatz  zur  Minuskel  (kleine 
oder  gemeine  Buchstaben). 

Die  Ziffern,  welche  in  diesen  Inschriften  vorkommen,  sind  Striche  von 
1  bis  4,  als  I  1,  ||  2,  |||  3,  Uli  4,  dann  Abbreviaturen  fl  für  p^te  5,  A  für 
deka  10,  H  für  ykaton  100,  X  für  xüioi  1000,  M  ^ür  märioi  10000. 

Aus  der  Majuskelschrift  bildete  sich  aber  schon  früher  eine  cursive 
Form  heraus,  von  der  wir  hier,  nach  einem  in  Ägypten  gefundenen  doppel- 
sprachigen griechischen  und  demotischen  Papyrus  eine  Probe  geben.  *'* 

jUL/Kjue/i|a)|<e©Ä^AK/(r/crrrÄT(Uft  ... t^dro^^j(^6L ^c^TAzcv 

7rihfT^<j)K^TOy^n(^plO0C  U^  tTT^JüKÄT   .iCh^^YThC  t\A,cfxU\OC 

In  jetzige  Schrift  umschrieben : 

My;  ikt  otwxe  öde.  'Avc^^  iTan'<Ti6r(ov)  iiero'jßavsg.  ßaard^fa  rr^v 
rd^fTiV  roxj  '0(7io£w^,  xat  ifTzdyoi)  xaracjTYiaai  aur>jv  Tsg  'Aßtooc  xaraffrifjffat 
sig  Tocg  ra^ag  xal  xara^^e^^xi  eig  .  .  .  yag  savyioi  6  detvaxoTzog  Tzapar/r, 
Tzpog  T£^aj  auTYjv  a'jrw. 

In  dieser  Gursiv  findet  man  schon  manche  Übergänge  der  Majuskel- 
schrift in  die  Minuskel,  so  in  der  Form  des  B,  welches  durch  Weglassung 
des  untern  Striches  zu  ß  wurde,  auch  A  ist  öfters  in  einem  Zug  geschrieben. 
W  ist  zu  einem  einfachen  Kreuz  geworden.  Der  hervortretendste  Zug  der 
Gursiv  ist  die  Verschmelzung  mehrerer  Buchstaben,  so  dass  ein  Theil  des 
vorangehenden  Buchstabens  zugleich  einen  Theil  des  folgenden  bildete.  Diese 
Verschlingungen  treten  in  späterer  Zeit  immer  stärker  auf  und  machen  die 
Schrift  schwer  leserlich. 


^Af^fp  HNenAINWM.  TA. 

\d}KeiA-^\XMACOMArOY 

^^HNOTIOIKeiA.AIATOy  _ 
TO  feyAWC.  AA\OT/A  AH-^H- 

AiAToyToenA  iNerwr 

AXH-e-HAe.dyXÖTIAIKMON 
MÖNON.  AAAOTIKAiriNW 

cKÖKteNA-  KAifonp^cyikpr. 
Öycyr\wpeiTAiK'ANe'0'e 


Griechische  Uncial  IX  Jahrh. 


{.«•«•••••'•'••'•:««*»»w«nM«WK»i«w«w 


^AfA^fHNenAINWN.  T\ 
^  tHNOTI  ÖIKilA.AIA.TÖY 

"to  fey^wc  'a\\oti'a\h-0-h- 
AiATOYToinA  merwc 

A\H-0-HAe.ÖyXOTIAIKMON 
k4ÖN0N.A\\0TIKAiriNW 

CKÖufNA-  KAifonp'Ocy^Apr 
Öycyr^wpeiTMKANf-^e 


Griechische  Uncial  IXJahrh. 


\ 


Erklärung  der  Tafel  XII.  5 1 5 

Neben  der  Cursiv  entstand  aus  der  geraden  Majuskel  eine  gerundete 
Form  mit  theilweise  über  oder  unter  die  Zeile  hinausreichenden  Zeichen, 
diese  Schrift  wird  Uncial  genannt  und  wir  haben  auf  Tafel  XII  ein  Blatt  eines 
sehr  schönen  Manuscripts  in  dieser  Schrift  abgebildet,  welches  zugleich  auch 
die  herrlichen  Verzierungen  erkennen  lässt,  mit  welchen  die  Anfänge  der 
Bächer  und  Capitel  umgeben  wurden.  ^^^  Insbesondere  wurden  die  Anfangs- 
buchstaben (Initiale)  reich  geschmückt,  wie  hier  das  ^. 

Wir  fmden  in  diesem  Schriftstücke  auch  die  Lesezeichen  angewendet, 
welche  der  alexandrinische  Grammatiker  Aristophanes  (200  vor  Christo)  in 
die  griechische  Schrift  eingeführt  hat,  indem  er  das  H  theilend  "^  für  den 
leichten  Hauch  (Spiritus  lenis),  *"  für  den  scharfen  Hauch  (Spiritus  asper, 
unser  h)  verwendete,  hierzu  fügte  Aristophanes  Byzantinum  die  Tonzeichen 
'  für  den  scharfen,  '  für  den  gemilderten,  "  für  den  gedehnten  Laut. 

Der  Text  auf  Tafel  XII  lautet  in  jetziger  Druckschrift  umschrieben : 

t  Et^  ry<v  dotXfiiv  inirdfiog  t 

*A^e/yT^v  ^«TÄtvwv  rd  oUtict  ^aujüLa^OjULat*  öv  /jlyjv  ort  otxst«  Siä  roOro 
-^s'joojg.  dXW  071  aATj^ri.  $iol  toüto  inaivir^t}^  öcXtj^  St  O'j^  ^"^^  Ätxaeov 
^svGv.  diu*  GT{  xae  7(vco9xöjxeva  xat  to  n-oo^'  X^P^^  ^'^  Tjy/j^tipelTat  xav  l^i 

Aus  dieser  Uncialschrifl  entwickelte  sich  im  9.  Jahrhundert  die  Minuskel, 
welche  übrigens  auch  Formen  aus  der  Cursiv  aufnahm,  die  Zeichen,  wie  die 
letztere,  möglichst  zu  verbinden  suchte  und  ausserdem  noch  eine  Menge 
Abbreviaturen  annahm,  so  dass  zum  Lesen  selbst  deutlich  geschriebener 
Manu  Scripte  eine  genaue  Kenntniss  der  Sprache  gehört.  Wir  geben  hier  als 
Probe  das  Vaterunser  im  Ductus  des  10.  und  15.  Jahrhunderts. 

10.  Jahrhundert.  ^ 

33* 


516  Griechische  Minuskel. 


15.  Jahrhundert. 


Als  die  Buchdruckerkunst  aufkam,  verfertigten  die  Buchdrucker  ihre 
griechischen  Lettern  zwar  nach  den  besten  Handschriften,  aber  sie  ahmten 
auch,  ängstlich  alle  Ligaturen  der  Manuscripte  nach,  so  dass  sich  die  Zahl 
der  griechischen  Lettern  auf  mehrere  Hundert  belief.  In  neuerer  Zeit  hat  man 
alle  diese  Ligaturen  aufgelöst  und  setzt  die  Buchstaben  nebeneinander.  In 
dieser  Form  lautet  der  obige  Vaterunser-Text: 

Tt  ßaüUüa  acu*  YsvK'S'T^TCi)  tö  ^£A>;ju.a  ^ov,  wg  iv  ovpavo),  xai  im  Tf,g  'jtq- 
TÖv  d&TCv  T^juLCüV  röv  £;rto6(7tov  oö^  r,pJv  ayifJLSoov  xat  ay£^  >5|jLfv  rd  oj/^*^-^'" 
|!JiaTa  r^/jLoüv,  wg  xat  ^fXEi^  d^t£/jL£v  rotg  cystAirac^  >;fxoüv  xat  ^i^  £t(7£V£7xYXs 
i:]üLdg  tiq  ntipaaiJ^ov^  d/Xd  f  0(7at  i^/Jid^  dnö  reu  ;rovT36oO*  w  <7o0  i^rtv  r, 
Pa(7(Ä£ta,  xat  t4  56va|üLt^,  xai  >i  ä^cfa,  £(C  ro'jg  atoivag.  'A/jlt^v. 

Transscription  und  Übersetzung. 
Pater  hemon,  ho  en  töts  uranots,     ayiasthetö    tö    önoma   su,      dthäö 
Vater  unser  d2r  in  dem  Himmel,  geheiligt  sei  der  Name  dein,  es  komme 
he  basileia  su,      ge  xetheiö      tö  thtHetna  s%i,  hos  en    iirano        kat        epi  tes 
das  Reich  dein,  es  geschehe  der  Wille  dein  wie  im  Himmel  so  auch  auf  der 
ges.    tön  drton  hemon  tön      epiusion       dös  hemm  setneron,  kat  dphes  hetnin  tä 
Erde,  das  Brod  unser  den  folgenden  Tag  gieb  uns    heute,   undvergieb  uns  die 
opheilemata  heinon   hos  kat    hetneis  aphtemefi    töts    opheiUtais      hemSn,      Äni 
Schulden     uns    wie  auch   wir     vergeben   den   Schuldnern   unseren,  und 
me  eisenmkes  hernäs  eis  peirasmön,        allä      rhiisai  hemäs  dpö    tu    ponerUf 
nicht    führe       uns     in  Versuchung,   sondern   erlöse   uns     von  dem    Übel, 
hoii    SU    esthi  he  basileia,  kat    he  dünamis,  ka\  he        doksa,    eis  tiis  aionas, 
denn  dein  ist  das  Reich  und  die  Macht    und  die  Herrlichkeit  in  Ewigkeit. 
^tnen. 
Amen. 

Wir  lassen  noch  als  Probe  der  jetzigen  griechischen  Schrift  das  obige 
Vaterunser  in  der  Schrift  folgen,  deren  sich  die  jetzigen  Griechen  bedienen. 


Neugriechische  Cursiv.  —  Tachygraphie,  517 

^Tz^«/«^  /h  AAtf' ^^ y^ , ^^I^ ^^^^ 

Eine  merkwürdige  Schrift  ist  die  Tachygraphie  der  Griechen,  von 
welcher  Schriftstücke  aus  dem  10.  Jahrhundert  gefunden  worden  sind;  kein 
Schriftsteller  erwähnt  derselben,  und  man  würde  keine  Ahnung  von  derselben 
haben,  wenn  die  wenigen  Schriftstücke,  in  denen  sie  vorkommt,  verloren 
gegangen  wären,  wie  so  viele  Stücke  der  griechischen  Literatur.  Es  existiren 
nur  zwei  Überbleibsel  dieser  Schrift :  ein  Codex  der  vatikanischen  Bibliothek, 
die  Werke  des  Dionysios  Areopagita  in  tachygraphischen  Noten  enthaltend, 
und  ein  Codex  der  Pariser  Bibliothek.  Kopp  lernte  die  griechische  Tachy- 
graphie in  wenigen  Stunden  lesen,  denn  sie  ist  einfacher  als  die  tironischen 
Noten  der  Römer,  hat  keine  Auslassungen,  und  da  Accente  und  Spiritus 
beigesetzt  sind,  kann  ein  Irrthum  im  Lesen  minder  leicht  unterlaufen.  In  dem 
Pariser  Codex  sind  diese  Zeichen  zu  Randbemerkungen  gebraucht  und  mit 
gewöhnhcher  Schrift  untermischt ;  z.  B.  ^"^^ 

^     ,  5 .  KATA  riOSOrS  KAI  notov?  r6Ö. 

'^T'^"/''''  norsöKATHro 

r\OMc  o  KATH  ro 

(Das  mit  Versalien  Gedruckte  ist  die  Übertragung  der  gewöhnlichen  Schrift, 
die  mit  gemeinen  Buchstaben  gedruckten  Wörter  sind  die  Transscription  der 
Tachygraphie.) 

Übersetzung:  „....auf  wie  viele  und  wie  beschaffene  Arten  der  Ankläger 
die  Behauptungen  des  Beklagten  vorlegt  und  was  zu  einem  jeden  die  geeignete 
Zeit  sei....". 


518  Gothisch. 

Die  Schriftzeichen  sind  Vereinfachungen  cursiver  Majuskelformen  oder 
vielmehr  eine  sonderbare  Mischung  von  Gursiv  und  Majuskel.  Die  Vokale  a 
€  i  sind  auf  Striche  reducirt,  nämlich  —  a  /  e  y  e\i,  bist  ähnlich  unserem 
u,  ^  g  ist  weitläufiger  als  das  gewöhnliche  F,  7  d  könnte  eine  Vereinfachung 
von  A  sein,  dz  und  th  haben  fast  dieselben  Zeichen  V ,  doch  wird  ersteres 
auch  %  geschrieben,  was  die  cursive  Form  von  Z  wäre,  ü  ist  das  cursive 
k,  als  V  ist  es  das  archaistische  l,  A  l  ist  das  phönikische  g  wie  H  ti  das 
phönikische  n  ist,  C  s  ist  die  Uncialform,  f  r  kann  als  cursive  Form  von  P 
gelten,  V  ü  ist  die  Majuskelform,  dagegen  sind  7  p  und  -  ö  stark  verkürzt; 
••  t  scheint  die  Gleichung  anzudeuten,  es  kommt  aber  auch  in  if  ks  vor.  Die 
Vokalzeichen  sind  mit  den  Gonsonanten  so  verbunden,  dass  die  Form  einer 
Silbenschrift  herauskommt,  was  besonders  durch  eine  grössere  Anzahl  von 
Finalzeichen  erreicht  wird.  Die  Schrift  macht  im  Ganzen  mehr  den  Eindruck 
einer  Geheimschrift  als  einer  Schnellschrift. 


n.  DIE  GOTHISCHE  SCHRIFT. 

Die  gothische  Schrift  ist  nur  aus  einigen  Handschriften  der  von  Vulfila 
im  4.  Jahrhundert  übersetzten  gothischen  Bibel  bekannt,  Schrift  und  Sprache 
der  Gothen  sind  längst  begraben,  und  es  wäre  kaum  nütze,  davon  zu  sprechen, 
wenn  nicht  diese  Schrift  ein  merkwürdiges  Licht  auf  die  bisherigen  An- 
schauungen über  die  Entstehung  von  Schriften  würfe.  Wenn  man  liest,  VuIfila 
habe  für  die  Gothen  eine  Schrift  erfunden,  so  müsste  man  glauben,  die  Gothen 
hätten  keine  Schrift  besessen.  Sie  besassen  aber  nicht  nur  die  Runen  (das 
auf  Seite  178  gegebene  Futhork  des  Bracteaten  wird  ihnen  zugeschrieben), 
sondern  hatten  auch  geschriebene  Gesetze.  Nim  meint  ein  Literarhistoriker 
höchst  naiv  „das  Runen- Alphabet  eignete  sich  zum  Gebrauch  auf  dem  Perga- 
ment nicht",  wobei  er  ganz  vergisst,  dass  die  angelsächsischen  Runen  uns 
in  Pergamenthandschriften  überliefert  sind  und  der  Gebrauch  eines  andern 
Materials  wohl  bestimmend  für  Geradheit  oder  Rundung  der  Striche  sein  mag, 
aber  die  Gestalt  der  Zeichen  nicht  beeinflussend  ist. 

Die  wahre  Ursache  der  Entstehung  der  gothischen  Schrift  scheint  viel- 
mehr darin  zu  liegen,  dass  Vulfila,  von  Kindheit  an  im  Christenglauben 
erzogen  und  mit  der  griechischen  Schrift  vertraut,  den  Versuch  machte,  mit 
griechischen  Buchstaben  gothisch  zu  schreiben,  und  weil  die  Zeichen  nicht 


Gothisch.  5 1 9 

ausreichten,  gothische  Buchstaben  zu  Hilfe  nahm;  so  u  fQr  q,  verwandt  mit 
dem  markomannischen  V  chan;  h  für  h,  das  markomannische  V,  welches 
hftufig  auch  als  K  vorkommt  (es  scheint  dieses  Zeichen  von  nordischen 
Völkern  in  die  griechische  und  lateinische  Schrift  gekommen  zu  sein,  da  die 
Ableitung  von  H  viel  zu  gewaltsam  ist);  Q  für  j  (auch  dieses  Zeichen  scheint 
von  nordischen  Völkern  in  die  römische  Schrift  gelangt  zu  sein) ;  n  für  u, 
die  Rune  H,  denn  die  Griechen  konnten  u  nur  durch  o\f  ausdrücken;  wenn 
wir  fi  statt  P  finden,  so  mag  die  Ursache  sein,  dass  P  der  aspirirte,  r  der 
harte,  nicht  aspirirte  Laut  war,  weshalb  wir  R  auch  bei  den  Römern  finden; 
auch  die  Aufnahme  von  s  statt  C  oder  ^  muss  auf  einer  Verschiedenheit 
der  Aussprache  beruhen;  weiters  wiurde  ^,  welches  die  Griechen  aufgegeben 
hatten,  wieder  als  ft  /  restaurirt ;  X  in  der  Bedeutung  von  ks,  welche  es  auch 
bei  den  Römern  hat,  aufgenommen,  ein  eigenes  Zeichen  für  hw  (unser  Qu) 
in  o  aufgestellt,  und  ebenso  ein  eigenes  ft  o  aufgenommen,  trotzdem  die 
Griechen  in  o  und  oj  sogar  eine  Auswahl  von  Zeichen  hatten. 

Merkwürdig  sind  die  Namen,  welche  diese  Zeichen  führen;  sie  sind 
weder  griechisch  noch  gothisch,  wenn  auch  in  neuerer  Zeit  unsere  Germa- 
nisten sich  redliche  Mühe  gegeben  haben,  sie  durch  gewaltsame  Veränderung 
der  gothischen  Sprache  anzupassen.  Schon  Lauth  hat  sich  dagegen  aus- 
gesprochen,  dass  die  Germanisten  in  allen  Wörtern,  die  ihnen  unbekannt 
waren,  Schreibfehler  sehen  wollten,  daher  aza  zu  ans  machten,  femer  herata 
zu  bairika,  geuua  zu  ffiba,  daaz  zu  dcujs  (der  Irrthum  des  Schreibers,  der  a 
für  g  gesetzt  hat,  ist  noch  nicht  befriedigend  gelöst,  sagt  Lauth),  eyz  zu  aihvus, 
gaar  zu  jir,  noicz  zu  nauths  (also  muss  der  Schreiber  in  einem  einzigen 
Worte  drei  Fehler  gemacht  haben !  bemerkt  Lauth  *'*  dazu)  u.  s.  w. 

Jedenfalls  hatten  die  Gothen  ein  geschlossenes  Zahlensystem,  welches 
bis  900  reichte,  so  dass,  wie  bei  den  Juden  und  den  Griechen  in  jün^^orer 
Zeit,  der  erste  Buchstabe  a  auch  1000  bedeutete.  In  dieser  Beziehung  steht 
das  gothische  System  in  der  Mitte  zwischen  dem  Althebräischen  und  dem 
Markomannischen,  wie  die  Gegenüberstellung  Seite  5:20  zeigt. 

Wenn  das  Zahlensystem  der  Gothen  mit  dem  der  (iriechen  so  über- 
einstimmt, dass  kein  Zweifel  entstehen  kann,  Vulfila  habe  es  von  den  Griechen 
entlehnt,  so  muss  andererseits  darauf  hingewiesen  werden,  dass  die  (iriechen 
ursprünglich  ein  anderes  Zahlensystem  hatten,  und  dass  in  der  gothisehen 
Schrift  das  Zahlzeichen  6  der  (iriechen  wieder  einen  Laut  bekam. 


520           Vergleichung  des  gr 

)thischen  Ahece  mit  verwandten  Schriften. 

Althebräisch 

Gothisch 

1 

Griechische  Uncial 

Harkomanuiscb 

^    aleph 

^  <ua 

1 
a 

!     1 

A 

1 

alpha 

1 

A 

a«:A 

^     beth 

B  bercna 

b 

1 

2 

ß 

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2 

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^     gimel 

r  ^e«Ma 

9 

3 

V 

gamma 

3 

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chen 

A    daleth 

^  daa^ 

S 

4 

A 

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4 

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\    he 

a  ey^ 

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1 

a 

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5 

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1 

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u  quertra 

2 

1      6 

e 

1 

oder  C 

6. 

F 

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Z    zain 

Z  ius 

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1 

/ 

Z 

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7 

X 

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Y\    /eth 

h  /ioa/ 

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H 

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20 

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20 

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30 

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30 

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^r 

1 
2-1« 

Die  Gothen  waren  von  jelier  ein  cuUivirtes  Volk,  und  wenn  ihr  Naö*® 
derselbe  ist,  der  uns  in  der  Bibel  als  Kittim  im  nördlichen  Palästina  entge?^' 
tritt,  so  hat  das  Volk  eine  grossartige  Vergangenheit  gehabt.  Auch  dürfte  ein 
Unterschied  zwischen  Gothen  und  Gothen  zu  machen  sein,  denn  diejenigen« 


Die  gothischen  Schriftzeichen.  521 

von  denen  das  Bracteaten-Futhork  stammt,  waren  andere  als  jene,  denen 
Vulfila  das  Evangelium  predigte;  die  letzteren  waren,  wie  die  Alphabete 
beweisen,  Verwandte  der  Markomannen,  und  zwischen  gothischer  und  grie- 
chischer  Schrift  muss  eine  Ähnlichkeit  bestanden  haben,  welche  die  Einführung 
griechischer  Buchstaben  ermöglichte,  denn  dass  die  Gothen  nicht  ohne- 
weiters  eine  fremde  Schrift  angenommen  hätten,  beweist  ihr  Festhalten  an 
den  Namen. 

Von  diesem  Standpunkte  aus  steht  ^  in  der  Mitte  zwischen  dem  grie- 
chischen Alpha  und  dem  ^  as  der  Markomannen;  b  bercna  ist  das  marko- 
niannische  K  2>^rch,  r  geuua  scheint  sinnverwandt  mit  X  der  Hand  zu  sein, 
den  Laut  d  hatten  die  Gothen  nicht,  sondern  nur  S  und  t;  E  ist  sinnverwandt 
mit  der  Schulter  M,  daher  konnte  a  hier  eintreten ;  wenn  q  an  die  Stelle  des 
/  und  bau  treten  konnte,  so  dürfte  unser  qu  damit  zusammenhängen,  wie 
auch  das  nordische  Ykaun  hier  als  Y  manne  vorkommt;  Z  kannten  die  Gothen 
als  Anlaut  nicht;  andererseits  scheint  X  im  Zusammenhange  mit  ks  gewesen 
zu  sein,  welches  wir  auch  nicht  als  Anlaut  haben,  das  T  des  12.  Jahrhunderts 
dürfte  nicht  ohne  Zusammenhang  mit  der  Rune  gewesen  sein;  h  steht 
zwischen  griechisch  H  und  markomannisch  X«  welches  im  Gothischen  ks  im 
Griechischen  kh  war,  in  J\  hur  hat  es  den  A-Laut.  Das  harte  th  kannten  die 
Markomannen  nicht,  doch  im  Angelsächsischen  haben  sich  das  harte  und 
weiche  th  erhalten;  K  ist  das  halbe  markomannische  X;  ^  ist  das  hebräische 
j  5/,  wie  griechisch  A  auch  /  und  </  war,  markomannisch  [  l  ist  das  grie- 
chische r  g;  H  ist  dem  C>^  nicht  ferne,  ebenso  H  dem  /f;  Q  7  ist  dem 
marko mannischen  {^  sehr  ähnlich,  wie  oben  erwähnt  ist  perch  das  gothische 
berma  geworden:  an  seiner  Stelle  finden  wir  n  1*  und  n p,  Zeichen,  weKhe 
sich  ebenso  ähnlich  sind,  wie  deren  Laute  u=p;  wir  erinnern  nur  hierbei, 
dass  markomannisch  jA  asch  und  B  birith  an  die  Stelle  der  nordischen  Rune 
f  ff  n  ur  getreten  sind,  also  offenbar  ein  Wechsel  vorliegt.  |t  ist  nicht  grie- 
chisch, s  weder  griechisch  noch  markomannisoh,  wohl  aber  römisch  und 
mit  dem  altgriechischen  S  verwandt,  welches  zu  Vullila's  Zeiten  ziemlich 
vergessen  war;  sollte  es  nicht  gothisch  gewesen  sein?  T  ist  an  die  Stelle  des 
markomannischen  T  getreten,  welches  letztere  als  900  die  Reihe  srhlit-sl, 
der  markomannische  Name  für  das  letzte  Zeichen  ^  ziu  ist  der  nordische 
tyr,  der  Zeus  der  Griechen.  So  weit  reichen  die  phönikisclien  Laute,  wa^  mm 
folgt,  ist  jrriechisch-gothisch-markomannisch.  H  wi/ar  oiIit /i/vuV  ist  die  Sonn»*, 


522  •  Gothische  Schrift-  und  Sprachprobe. 

das  markomannische  T  huyri,  das  griechische  phoibos  4>|  das  oben  als  ^th/t 
(Zeit)  vorkommt.  Dass  die  griechische  Uncialform  OJ  zu  gothisch  9.  werden 
konnte,  ist  unverständlich,  begreiflicher  ist,  dass  gothisch  ft  othal  (Yaterland) 
zur  griechischen  Majuskel  Q  werden  konnte ,  und  wir  erinnern  uns  hierbei, 
dass  dessen  Nebenform  O  dem  gothischen  6  uuaer  entspricht  und  sowohl 
Omikron  als  Theta  war.  Ich  beschränke  mich  auf  diese  Andeutungen  und 
gebe  als  Schriftprobe  das  Vaterunser  nach  dem  Codex  Argenteus  zu  Upsala: 

^.TT^nNSMt(|)nTNhlHlN|^H  • 

N^ssns(|)6ms*  YMI^<^MY^Q^ 
T6iNj^Nri^nNShiHH^.(\^r^'  Qj^h 

M^A6TnNS(|)jS.T6lSRnA^NSSlQ^h 
HjS.*  SY^SY6Q^hY6lS^f:AaT^H(J)^r 

rj^isnNsiN|?|tMSTnBNQ^r  ^RAj^n 
s6inHs^|?(|)^HHj^nBiAm'  riNTa 

Qj^hYnA(|)nsTHj^iYiNS  •  ^H6N\- 

Transscription  und  Übersetzung. 
Atta   unsar   Hu  in    himinam,         tveihnai         natno    Hein,      gimai 
Vater  unser  du  in  Himmeln,  geweiht  werde  Name  dein,  es  komme 
Oiudinassus  Heins,  icairHai  wilya  Heins^swe  in   himina     yaJi   ana  airitai,  hlnf 
Königreich  dein,  es  werde  Wille  dein  so  im  Himmel  auch  auf  Erden,  Brod 
U7i8arana  Hana  sinteinan  gif  uns    himma      daga,   yah   aflet   uns  Hatei  dtäa»i 
unser  dieses  tägliches  gieb  uns  an  diesem  Tage,  und  erlass  uns  das  schuldig 
siyaifna^   stvastce  yah  weis     afletam     Hain       skulam     unsaraim,   yah     «» 
wir  sind,  sowie  auch  wir  erlassen  diesen  Schuldigen  unseren,    auch  nicht 


Entstehung  der  slavischen  Schriften.  523 

brifujais  uns  in  fraistiibfiyai,       ak        lausei   uns  af  Hamma  ubilin,  unte  Heina 
bringe    uns  in  Versuchung,  sondern  erlöse  uns  von  diesem  Übel,  denn  dein 
ist  ^iudan-jardi,  yah  niahts  yah      umWus      in    aiwins,    Amen. 
ist   Herrschaft   und  Macbt  und  Herrlichkeit  in  Ewigkeit.  Amen. 

in.  DIE  SLAVISCHEN  SCHRIFTEN. 

Wurden  wir  von  den  slavischen  Schriften  nur  die  cyrillische  kennen, 
so  befänden  wir  uns  ihr  gegenüber  in  derselben  Verlegenheit  wie  gegenüber 
der  gothischen:  wir  fänden  griechische  Buchstaben  mit  fremden  vermischt, 
und  man  würde  uns  erzählen,  die  Slaven  hätten  keine  Schrift  gehabt  und 
daher  von  den  Griechen  die  Schrift  entlehnen  müssen.  Spricht  sich  ja  doch 
in  ähnlicher  Weise  ein  bulgarischer  Mönch,  Khrabre,  aus,  der  nicht  lange  nach 
Cyrillus  lebte  und  von  dessen  , Erfindung"  der  slavischen  Schrift  Folgendes 
erzählt:  «In  alter  Zeit  hatten  die  Slovenen  (ci\c»K'kHf)  keine  Bücher  und  keine 
Buchstaben  zum  Schreiben.  Sie  waren  Heiden  und  lasen  und  losten  mittelst 
Zeichen  und  Einschnitten  (tsrutami  und  rtzatni,  worunter  man  sich  Runen 
oder  Kerbhölzer  denken  kann,  das  erstere  ist  verwandt  mit  hebräisch  toin  /erei 
, Griffel*,  c»BCin  jrariummim  , heilige  Schreiber",  das  zweite  mit  aramäisch 
n  vaz  .Geheimniss",  griechisch  rhedzetn  »Opfer darbringen").  Nachdem  sie 
das  Christenthum  angenommen  hatten,  sahen  sie  die  Nothwendigkeit  ein, 
ihre  Zuflucht  zu  den  griechischen  und  lateinischen  Zeichen  zu  nehmen,  um 
ihre  von  Regeln  entblösste  Sprache  schreiben  zu  können.  Doch  wie  konnte 
man  mit  griechischen  Buchstaben  Wörter  wie  BC^m  {bog  «Gott),  /KHKOTK 
(üiirßt'  ,das  Leben"),  aicAiv  (zeW  »viel")  u.s,  w.  schreiben?  Manche  behalfen 
sich  auf  diese  Weise.  Endlich  hatte  der  gnädige  Gott  Mitleid  mit  den  Slaven. 
Er  schickte  ihnen  einen  frommen  und  rechtschaffenen  Menschen,  den  heiligen 
Constantin,  den  Philosophen,  Cyrillus  genannt.  Dieser  ehrwürdige  Heilige 
schuf  für  sie  ein  Alphabet  von  38  Buchstaben,  von  denen  einige  den  grie- 
chischen ähnlich,  andere  nach  der  slavischen  Aussprache  sind.  Es  war  unter 
der  Herrschaft  des  Kaisers  Michael  der  Griechen,  des  Boris,  Fürsten  von 
Bulgarien,  des  Rastitz,  Fürsten  von  Maravien,  und  des  Kotzel,  Fürsten  von 
Blatno,  nach  der  Erschaffung  der  Welt  6363  (855  nach  Christo)."  *'» 
24  Buchstaben  sind  aus  dem  Griechischen  entlehnt:  Aa^u:rg\  diese 


524  Entstehung  der  slavischen  Schriften. 

14  aus  dem , Slavischen  e  b  tk  i  s  dz  u,  tä  u  is  ui  S  i\i  ätä  li  ü  k  l  iii  ii  ^ 

Es  geht  hieraus  ohne  Zweifel  hervor,  dass  die  Slaven  Runenzeichen 
hatten,  aber  sie  schrieben  damit  nicht;  jedenfalls  waren  diese  Zeichen  Wort- 
zeichen, sie  verstanden  nicht  einen  einzelnen  Lautwerth  davon  abzulösen, 
lieber  quälten  sie  sich  ab,  mit  einem  fremden  unvollkommenen  Alphabet  ihre 
Sprache  zu  schreiben,  denn  die  fremden  Zeichen  hatten  für  sie  nur  einen 
Lautwerth,  keine  Begriffsbedeutung.  Die  Sache  mag  ungefähr  so  gewesen 
sein:  Das  Zeichen  b  bedeutete  bei  den  Slaven  bog  (Gott),  bükwi  (Buche), 
buka  (Lärm),  bokü  (Rippe),  bukar  (Zeichen) ;  der  Slave  konnte  sich  nicht 
entschliessen  in  r  ein  b  oder  bu  zu  sehen,  immer  blieb  es  ihm  ein  BegrüT; 
das  B  dagegen  der  Griechen,  das  war  ihm  b  oder  vielmehr  tc,  Cyrillus  ver- 
fiel in  seiner  Noth,  da  die  griechischen  Laute  für  das  Slavische  nicht  aus- 
reichten und  für  eine  Predigt  in  griechischer  Sprache  von  den  Slaven  wenig 
Verständniss  zu  erwarten  war,  auf  den  Gedanken,  r  ebenso  für  b  zu  verwenden, 
wie  er  k  für  tv  verwendete,  vielleicht  ohne  zu  ahnen,  dass  das  B  auf  dieselbe 
Weise  aus  dem  Zeichen  des  Weibes  zum  Lautzeichen  w  geworden  war,  wie 
er  jetzt  b  von  seinen  Begriffen  loslöste,  um  es  zum  Lautzeichen  b  zu  machen. 
Mit  Staunen  vernahmen  die  Slaven,  dass  ihre  Zeichen  ebenso  gut  Laül- 
zeichen  sein  konnten  wie  die  griechischen,  und  die  Erfindung  war  mit  Gottes 
Gnade  gemacht.  Hier  haben  wir  die  Lösung  des  Räthsels  der  Buchstaben- 
schrift überhaupt;  so  erfand  der  unbekannte  Jude  das  hebräisch-phönikische 
Alphabet,  so  entstanden  die  persischen,  tatarischen,  syrischen,  arabischen, 
indischen  Schriften,  auf  diese  Weise  wurde  in  Griechenland  die  Buchstaben- 
schrift eingeführt,  und  wir  möchten  fast  vermuthen,  dass  Segwoyab,  der 
Täirokese,  und  Doalu-Bukere,  der  Vei-Neger,  auf  dieselbe  Weise  ihre  Schriften 
erfunden  haben.  Es  waren  „Erfindungen",  man  fand  dasjenige  plötzlich  von 
Werth,  worüber  man  bisher  tagtäglich  achtlos  hinweggegangen  war;  wie 
Millionen  den  Blitz  einschlagen  sehen  und  nur  ein  Einziger,  Franklin,  dadurch 
auf  den  Gedanken  des  Blitzableiters  kam,  wie  in  China  und  Deutschland  man 
den  Typendruck  erfand,  während  die  Römer  längst  mit  Typen  gespielt  hatten, 
ohne  auf  den  Gedanken  zu  kommen,  damit  zu  drucken. 

Übrigens  war  Cyrillus  nicht  der  Erste,  der  auf  den  Gedanken  kam,  die 
slavischen  Runen  als  Lautzeichen  zu  verwenden,  schon  mehrere  Jahrhunderte 
vor  ihm  hatte  der  heilige  Hieronymus,  ein  Zeitgenosse  des  Vulfila,  und  vielleicht 


Cyrillisch  und  Glagolitisch.  525 

duich  diesen  angeregt,  ein  rein  slavisches  Alphabet  aufgestellt.  Er  war  in  einer 
slavischen  Familie  zu   Studon  in   Pannonien  (Blatno)  geboren,    und  hatte 
jenes  Alphabet  aufgestellt,  welches  unter  dem  Namen  Glagolitza  die  Schrift 
der  katholischen  Slaven  ist,  wie  die  Kyrillitza  die  Schrift  der  zur  griechischen 
Kirche  gehörigen  Slaven;  es  scheinen  somit  Glaubensstreitigkeiten  verhindert 
zu  haben,  dass  die  letzteren  die  Schrift  der  katholischen  Slaven  annahmen, 
doch  bezeichnet  Chodzko  eine  runde  und  verschnörkeltere  Form  der  Gla- 
golitza als  bulgarisch,  die  einfache  gerade  Form  als  illyrisch-kroatisch.  Dass 
beide  Alphabete  aus  derselben  slavischen  Urquelle  stammen,   beweist  die 
Glt'ichheil    der  Namen,  sowie   die   Übereinstimmung    der    echt   slavischen 
Zeichen  des  cyrillischen  Alphabets;  man  vergleiche: 
Kyrillitza:      b     h;     B     g     M     ül     14J     ]i^     K     "k     l^     Jv     a 
Glagolitza:  EflÄcfitfWUJW     «BAJP&€3€ 
doch  scheint  ein  Wechsel  zwischen  glagolitisch   A  ya  und  cyrillisch  ^  t  vor- 
gekommen zu  sein. 

Der  Zahlwerth  ist  bei  beiden  Alphabelen  ein  verschiedener;  das  Cyril- 
lische hat  die  Zahlenreihe  des  Griechischen  und  lässt  daher  die  slavischen 
Zeichen  bis  auf  s,  welches  als  sechs  an  die  Stelle  des  hau  getreten  ist. 
ungezählt,  daher 

AKKT^'^B-'^HAi        Ki\        M       II        ^        0       II        M        p 

1        2  3    4    5        6     7   8  9    10  20  30    40    50    60    70   80   90   100 
a   h    IC  g    d    e    i  dz    z    i  th       i     k     l       m      n     ks      0      p      ts       r 

200  300  400  500  600  700  800  900 
stuf      kh      pst      ö       t 

Es  ist  hierbei  zu  bemerken,  dass  das  slavische  ztlo  erklärt,  warum  statt 
des  ursprünglichen  f  in  der  griechischen  Sclu*ifl  C  zu  6  wurde;  ferner  geht 
aus  der  Zahl  90  hervor,  dass  das  phönikischc  q  im  Slavischen  zu  U  wurde, 
stall  seiner  stand  auch  a;  0  für  90,  welches  in  der  gla^'olitischen  Oixlnung 
ebenfalls  auf  j:?  folgte,  wahrend  andererseits  auch  m  t<t  für  900  diente,  wie  es 
auch  in  der  glagolitischen  Ordnung  auf  Omega  folgt.  Für  1000  dient  eine 
Form,  welche  dem  griechischen  Sampi  (^  900)  ähnlich  ist. 

Die  glagolitische  Ordnung  zählt  die  eingeschobenen  Buchslaben,  l.i^sl 
aber  dafür  H  und  9  weg,  so  duss  mit  r  beide  Ordnungen  in  lOO  zusammen- 
trefT»*n,  daher 


RP 

A    dfa    (^    ?    a    in    b 

30 

40    50    60    70    80    90   100 

<fi 

k      l      m      n      0     p       r 

O 

W      «V         tf 

526  Die  sla vischen  Schriflzeichen, 

iti&afl2iab3df][£ÖD?    8 

1     23456789    10    20 
ahtogdeidzz      i      y 

€"   OD   S   4>   ^ 
200  300  400  500  600  700  800  900  1000 
s    t        u        f     hh      0       St§      ts       tS 

Es  durfte  diess  die  alte  echt  slavische  Zahlenordnung  gewesen  sein, 
da  sie  dem  gewöhnlichen  Gebrauche  widerstreitet,  die  fremden  Zeichen  am 
Ende  anzuhängen;  zwar  haben  alle  slavischen  Alphabete  derlei  Anhängsel 
wie  %K^s.  etc.,  aber  diese  scheinen  Hilfszeichen  gewesen  zu  sein,  um  auch  jene 
Laute  getreu  wiederzugeben,  welche  nicht  am  Anfange  der  Wörter  vorkommen; 
merkwürdigerweise  hat  das  cyrillische  Alphabet  die  Laute  kn  psthysm  Ende 
angehängt,  wobei  im  Russischen  A  zu  f  (fita  statt  thila)  geworden  ist 

Untersuchen  wir  nun  die  Bedeutung  der  Zeichen  auf  Grundlage  der 
Zeichennamen,  ^^^  so  fällt  uns  sofort  auf,  dass  das  slavische  Alphabet  wie 
das  gothische  mit  az  beginnt,  und  dass  das  gothische  wie  das  cyrillische  und 
selbst  das  hunnisch-skythische  Alphabet  dafür  <v  haben,  das  glagolitische  hat 
dafür  itl,  die  nordische  ^  Fr-Rune;  alle  diese  Zeichen  haben  dieselbe  Bedeu- 
tung, die  im  illyrischen  fl"  a  (später  ih)  noch  klarer  hervortritt;  a$  ist  der  Gott 
Amor  mit  Bogen  und  Pfeil,  der  lebengebende  Gott,  das  lateinische  esse,  deutsch 
Wesen  (das  höchste  Wesen),  der  theilende  (halb  ^  Alpha)  und  zwiegeschlech- 
tige  Gott,  der  schwarz-weisse  Harpokrates  der  Ägypter,  der  Janus  der  Römer, 
der  Hermes  der  Griechen,  das  schaffende  Wort  (PAarOAn  glagd,  daher  der 
Name  glagolitisch  d.  h.  die  (heimische)  Sprache  im  Gegensatz  zur  griechischen. 

Cyrillisch  b  b  buky  ist  glagolitisch  h  r  (rtsi);  damit  stimmt  überein, 
dass  reis  .Wort*,  hukar  .der  Sprachkundige*  bedeutet;  beide  Zeichen 
schliessen  sich  an  den  ersten  Buchstaben  (das  Wort)  an,  wie  denn  hog  im 
Slavischen  Gott  bedeutet  (altpersisch  hago^,  k  ist  offenbar  das  demotische  0 
.Gott",  in  der  hieratischen  Schrift  ^^  hk  (das  gebärende  Weib),  ]^  die  Göttin 
oder  vornehme  Frau  das  griechische  P.  r  verhält  sich  zu  rfl  wie  ägyptisch  ^ 
zu  |,  d.  i.  wie  Weib  zu  Mann,  und  da  wir  gesehen  haben,  dass  is  dem  alten 
g  entsprach,  so  wäre  reisi  das  hebräische  rpi  raqioL  ,die  Himmelsfeste*, 
welche  wir  in  der  Schöpfungsgeschichte  als  ^  kennen  gelernt  haben,  die  um- 
gekehrte Form  von  B.  Diese  Himmelsfeste  dürfte  auch  das  glagolitische  B 
sein,  das  phönikische  *^,  hieratisch  ^  ^  (hebräisch  ^vMÜm  Himmel),  die 


Die  slaviscben  Schriflzeichen.  527 

Feuchte»  das  fruchtbare  Erdreich,  b^k%  bok  .die  Rippe  (aus  der  das  Weib 
geschaffen  wurde),  die  Weiche,*  bo^'kilkh  buktüi  ,die  Buche*  (der  frucht- 
tragende Baum),  BO^'KapHU  hdcariya  der  Sitz,  ägyptisch  J  das  Symbol  der  Isis. 

Cyrillisch  r  w  wedi  ist  das  umgekehrte  glagolitische  3  on  oder  o  .er, 
jener*  (das  Hintere  im  Gegensatz  zu  B),  glagolitisch  w  ist  OD  wedi ,  die  Wiese* 
(die  Bucht,  der  Busen),  ferner  Kic^k  wed'  »die  Wissenschaft*,  bulgarisch  V 
was  mit  R'k;^po  widro  »die  Urne*  übereinstimmt.  Dieses  Zeichen  lehnt  sich 
an  das  vorige  an,  denn  auch  Isis  ist  die  Göttin  des  Geheimnisses  und  des 
Wissens,  wie  die  griechische  Pallas  Athene,  wie  überhaupt  im  Alterthume  die 
Frauen  »die  Wissenden,  Klugen,  die  Zauberinnen,  die  Runenkundigen*  waren. 
K  ist  das  Weib,  die  Urne,  die  Sudkunst. 

Cyrillisch  r,  glagolitisch  &  g  heisst  PAarcAH  glagoli,  verwandt  mit 
PAaroAK  glagd'  »Sprache*,  griechisch  glotia.  Das  slavische  glagoV  hat  sich  in 
unserer  »Glocke*  erhalten,  und  klöckel  (vulgär  klakkd)  ist  das  griechische 
gioda  »Zunge*.  Nun  sieht  das  gothische  ^  cua  eher  wie  eine  aus  dem  Munde 
heraushängende  Zunge  (das  Symbol  des  Loki)  aus  als  r  oder  &,  dagegen 
dürften  diese  Formen  das  altgriechische  <  zur  Grundlage  haben,  der  Gaumen, 
der  tönende  Raum,  wie  die  Glocke,  und  das  Wort  wäre  mit  unserem  »gähnen* 
vem^andt.  Da  das  Ginnungagap  oder  das  Chaos  zuerst  war,  und  das  illyrisch- 
bulgarische  Alphabet  den  Namen  glagolitza  führt,  so  möchte  man  fast  ver- 
muthen,  dass  ein  Wechsel  stattgefunden  habe  und  ghgol  einst  der  erste 
Buchstabe,  die  Rune  der  Mitternacht  war.  Übrigens  war  &  auch  die  Klinke, 
der  Thürklopfer,  als  Zeitrune  das  Zeichen,  wann  der  Hahn  zum  ersten 
Male  kräht. 

Cyrillisch  x  glagolitisch  Ob  oder  a  (f  heisst  ^V^Kpo  rfo6ro  »  gut,  schon  * . 
Das  letzte  Zeichen  ist  jedenfalls  die  Wagre  und  weist  auf  eine  Zeit  hin, 
wo  ,v  Rune  des  Morgens  und  die  Frühlings-Tag-  und  Nachtgleiche  war;  Ob 
ist  dagegen  die  Hieroglyphe  TT  (Himmel),  \  aber  A  tu,  beides  der  Morgen- 
stern, das  Ende  der  Nacht.  \^  do  ist  eine  Präposition,  welche  als  griechisches 
A*Vi  »so  lange  bis,  indessen*  aber  auch  »Frühroth,  Morgonrölhe*  be- 
deutet, es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  auch  das  slavische  do  diese  Doppel- 
bedeutung hatte. 

Cyrillisch  e,  glagolitisch  3  oder  3 ;  das  letztere  ist  das  umgekehrte 
griechische  *,  verwandt  mit  cyrillisch  3  oder  5  ^^^'w/a,  welche  Form  im  Mittel- 
alter auch  in   die   lateinische  Schrift  gedrungen  isl;  mc  yes  heisst   »s(Mn*, 


528  Die  slavischen  Schrittzeichen. 

esf  »ist",  die  Zeichen  dürften  daher  der  Mund  und  sein  Gegentheil  sein,  wie 
hieratisch  ^ft  ,die  Nase*,  beides  Organe  des  Odems,  des  Lebens. 

Cyrillisch  3K,  glagolitisch  |}b  i  ziwife  ,, Leben*  schliesst  sich  eng  an 
das  vorige  an ;  beide  Zeichen  weisen  auf  die  Hieroglyphe  m,  hieratisch  ^i  m 
„bilden,  gebären,  hervorbringen"  hin,  eine  keimende  Wurzel,  als  Zeitzeichen 
die  Sonne  am  Horizonte  heraufleuchtend,  da  das  siebente  Zeichen  der 
28-theiligen  Zeitrose  unmittelbar  vor  der  Rune  des  Ostens  steht. 

Cyrillisch  S,  glagolitisch  Jj  z,  z^Jo  ist  unser  deutsches  ,  sehr*  mit  der 
weitern  Bedeutung  von  heftig,  leidenschaftlich,  griechisch  zehs,  s  ist  die 
Schlange  "^^j  hieratisch  /5,  der  griechische  Zeus,  das  glagolitische  Zeichen 
dürfte  die  Hieroglyphe  jJb«  hieratisch  i£Ll)  die  aufgegangene  Sonne  sein, 
der  ägyptische  Osiris,  hieratisch  jh,  das  chinesische  \Q/. 

Cyrillisch  h,  glagolitisch  Qu  z,  scA\/\y  zemlya  «die  Erde* ;  das  glagoli- 
tische Zeichen  dürfte  die  Mutter  mit  dem  Kinde  sein,  die  Erde  nimmt  die 
neugeborne  Sonne  in  ihre  Arme;  das  cyrillische  Zeichen  ist  bei  es^  als 
„Leben*  erwähnt  worden,  es  ist  das  junge  Leben,  das  Kind,  welches  noch 
nicht  laufen  kann,  die  Hieroglyphe   Ju). 

Cyrillisch  h,  glagolitisch  ¥  i,  hHxC  t^  bedeutet  »und*,  und  daraufweist 
auch  die  Verbindung  h  hin,  aber  wir  haben  dieses  Zeichen  auch  als  Himmel 
erkannt,  und  die  glagolitische  Form  ist  die  Hieroglyphe  y  a;^,hoch*,  es  ist 
die  Sonne,  die  sich  erhebt,  noch  steht  sie  so,  dass  man  glauben  möchte,  man 
könne  sie  noch  mit  den  Händen  erreichen,  die  Verbindung  mit  der  Erde  ist 
also  erst  gelockert,  übrigens  dürfte  durch  die  Erweiterung  des  Zeitkreises 
sich  die  Bedeutung  geändert  haben ;  im  Griechischen  war  H  die  Ostrune,  die 
Vereinigung  von  Himmel  und  Erde,  hier  war  das  .und*  noch  am  Platze. 

Cyrillisch  i,  glagolitisch  8  t.  Das  cyrillische  Zeichen  war  im  Glagohli- 
sehen  yerek,  das  hebräische  ipi*  yerek  .Lende*,  das  nordische  X  und  dadurch 
mit  itl  az  verwandt,  wie  das  an  seine  Stelle  getretene  k  das  vereinfachte  B 
buki  ist.  I  ist  das  Symbol  der  Fruchtbarkeit,  der  zeugende  Sonnenstrahl, 
hieratisch  ^  akp,  griechisch  agdpe  »die  Liebe*,  verwandt  mit  h  inr  t^^ 
Mühle*,  und  8  scheinen  in  der  That  zwei  Mühlsteine  zu  sein. 

Glagolitisch  RP  d^rw'  hat  kein  Gegenstück  im  Cyrillischen,  es  müsste 
denn  ki  yeri  sein ;  die  Figur  scheint  dasselbe  zu  bedeuten  wie  die  vorige ;  ^^ 
der  hieratischen  Schrift  dürfte  ihm  Jöf"  das  Sistrum  entsprechen;  es  ist  die 
Zeit  der  Liebe,  der  Freude,  des  Glückes,  der  Juni. 


Die  slavischen  Schriflzeichen.  529 

Cyrillisch  k,  glagolitisch  A,  bulgarisch  !>  ,  KaKO  »wie,  auf  welche  Art 
und  Weise*,  dürfte  ursprünglich  ,Art  und  Weise*  selbst  bedeutet  haben.  Im 
Griechischen  heisst  kakös  „schlecht*,  H  ist  die  Rune  der  Sonne,  die  sowohl 
.zeugen*  wie  I  bedeutet,  aber  auch  den  Strick,  dalier  «Ränke  spinnen,  ver- 
dreht*, und  wir  erinnern  hierbei  daran,  dass  in  der  phönikischen  Schrift  ^  k 
das  verkehrte  K  a  war.  In  unserem  Liebesroman  ist  es  die  Zeit,  wo  die 
Götterhelden  die  Geliebte  verlassen.  Das  Zeichen  steht  im  Zeitkreise  ungefähr 
dort,  wo  die  nordische  Rune  +  nattd  stand,  dort  war  es  Zeichen  der  Befruch- 
tung, und  damit  stimmt  »Art  und  Weise*  überein,  aber  genauer  dürfte  es 
das  Ende  der  Befruchtung  sein,  und  man  möge  beachten,  dass  dort  +  w  vor 
I  stand,  hier  stehen  sie  umgekehrt. 

Cyriüisch  A,  glagolitisch  [ft/,  A^XHte  It^tidit/e  »Leute*  bedeutet  wie 
Loden  »Nachwuchs,  Kinder*,  daher  a  zwei  Füsse  (Fussgänger  im  Gegensatz 
zu  Reisigen),  entsprechende  Hieroglyphen  glebt  es  so  viele,  dass  derReichthum 
beirrend  wirkt;  am  passendsten  scheint  mir  11  hieratisch  4^  un  ^ähnlich 
sein*,  das  hebräische  pj  «im  »Nachkomme*,  es  wäre  dann  die  Zeit  des 
wachsenden  Getreides,  wie  aus  der  nordischen  Getreidegöttin  Sif  die  Sippe 
geworden  ist. 

CyriUisch  a\,  glagolitisch  ^  m,  mucahti  mtisliiv.  Die  beiden  Zeichen 
sind  in  der  Form  identisch,  das  Zeichen  fällt  auf  die  12.  Mittagsstunde  und 
bedeutet  die  Mitte,  griechisch  mesos,  davon  ist  der  slavische  Name  abgeleitet, 
welcher  »bedenken,  nachsinnen,  zögern*  bedeutet,  wie  auch  im  Deutschen 
Minne  und  meinen,   wintie  (Hoffnung  im  Gewinn)  und  weinen  verwandt  sind. 

Cyrillisch  m,  glagolitisch  p  w,  HaiiiK  m/x  »wir*.  Dieser  Begriff  ist  im  n 
ausgedrückt,  welches  eine  Vergleichung,  die  zwei  II  ist,  ebenso  weist  HaiiiKKK 
fioMc  auf  die  Hieroglyphe  \^\  »das  Gewebe"  hin,  dagegen  ist  P,  welches 
wir  als  Zeichen  der  Jugend  kennen,  das  griechiche  uroa  , frisch,  jung,  schön* 
slavisch  NauiKA  ^*<^  »kommen*.  Mit  diesem  Zeichen  beginnt  die  zweite 
Hälfte  des  Zeitkreises  und  <^  entspricht  dem  b. 

Cyrillisch  o,  glagolitisch  9  o  oNk  on'  »jener*  ist  bereits  bei  k  als  die  um- 
gekehrte Form  dieses  Zeichens  besprochen,  wie  es  auch  als  o  mit  tc  verwan<lt 
ist.  Wenn  übrigens  9  das  Hintertheil  ist,  so  ist  o  nicht  das  Auge,  sondern 
der  Auswurf.  In  dieser  Beziehung  würde  das  lateinische  unu:<  »die  Last*, 
noch  mehr  aber  anu;f  »der  Kreis,  der  Afler*  entsprechen,  worauf  auch  cm- 
p<»^VHTH  anerwiiti  »schmähen,  verachten*  liin weist, 

FAulmann.  (tetcbiclita  d.  Schrifl.  ',*,{, 


Ö30  Die  slavischen  Schriftzeichen. 

Cyrillisch  n,  glagolitisch  fü  p,  noKOH|?oA'oy  »Ruhe*.  Die  beiden  Zeichen 
bedeuten  dasselbe,  [D  ist  überdiess  identisch  mit  Ob,  welches  wir  als  Morgen- 
stern kennen  gelernt  haben,  welches  aber  auch  die  Nacht  bedeutet;  im  mar- 
komannischen  Alphabete  war  perc  eine  Nacht-Rune,  welche  auf  das  Zeichen 
des  Westens  folgte.  Hier  dürfte  das  Zeichen  dem  englischen  afler-noon 
„  Nachmittag  •  entsprechen,  der  Zeit  der  drückenden  Hitze,  welche  die  Arbeit 
lähmt. 

CyrilUsch  p,  glagoUtisch  B  r,  psi^H  rtsi.  p  ist  dasselbe  wie  glagolitisch 
9ia^,  glagolitisch  t  dasselbe  wie  cyrillisch  bukt,  jenes  bedeutet  »jung",  dieses 
das  Wort  p'ki^K  rets,  in  der  Wiederholung  der  Zeichen  entspricht  es  e  est' 
„ist*  (Leben);  endlich  ist  es  dem  slavischen  k  ähnlich,  dem  unausgesproche- 
nen Zeichen,  schliesst  sich  somit  an  ,Ruhe'  an.  Wenn  die  Zeichen  einmal 
nur  bis  90  reichten,  so  fing  mit  P  r  eine  neue  Reihe  an  und  dieses,  wäre 
so  viel  wie  itl  az  gewesen. 

Cyrillisch  c,  glagolitisch  ^s,  cac»ro  slotco  y,W  ort*  ist  derselbe  Begriff  wie 
der  vorige.  Das  glagolitische  Zeichen  dürfte  die  Hieroglyphe  W  sa  ,  Schutz, 
Hintertheil,  Rücken"  sein,  wozu  sich  die  einfache  Hinterbacke  C  gesellt,  von 
der  man  nicht  weiss,  wie  sie  in  die  griechische  Uncialschrift  hineingekommen 
ist,  ausser  sie  müsste  von  den  Slaven  entlehnt  sein.  In  der  Minuskel  wird  gar 
<7  daraus ,  während  die  Finalform  ^  sich  an  das  archaistische  ^  anlehnt, 
(7  ist  aber  das  hebräische  d  satne/^  Als  Wiederholung  schliesst  sich  Slowo 
an  ziweie  »Leben"  an. 

Cyrillischr,  glagolitisch  OD  ^^TKkpjs^o  tun-do^fesiy  Firmament".  OD  ist  das 
cyrillische  n  und  mit  fD  verwandt ;  es  mag  also  ebenfalls  die  Hieroglyphe  '"^ 
Himmel  sein ;  T  haben  wir  als  die  Wage  kennen  gelernt,  sie  war  im  Griechi- 
schen Zeichen  des  Westens,  hier  steht  sie  nur  um  ein  Zeichen  vor  der  West- 
linie. Übrigens  zeigt  die  Hieroglyphe'  11 ',  dass  man  auch  den  Himmel  als 
eine  ungeheure  Wage  betrachtete,  an  welcher  sich  die  Sterne  wie  Gewichte 
auf  und  nieder  bewegten,  so  dass  wenn  ein  Stern  erscheint,  der  andere 
vei  schwindet. 

Cyrillisch  «^•=S,  glagolitisch  9  u,  QyK%  uk.  Letzteres  ist  dasselbe  me 
cyrlDisch  k»  yu.  Uk  »Gelehrsamkeit"  ist  dasselbe  wie  k  wed'  »die  Wissen- 
schaft", das  Dunkel,  der  Untergang  der  Sonne,  das  Insichgehen,  Einsehen. 

Cyrillisch  ^,  glagolitisch  *  f  sind  identisch.  Wir  kennen  das  Zeichen 
bereits  als  den  Haarzopf  des  Phöbos  Apollo;   ^^opSTO^'Ha  fortuna  ist  »der 


Die  slavischen  Schriflzeichen.  53 1 

Sturm",  womit  ^(fpKKa^a  ferkada  «das  Schiffchen"  zusammenhängt,  das  wäre 
die  Hieroglyphe  ^i^^  des  Segels,  auch  ^^apHHCk /arii  .das  Pferd"  hängt  damit 
zusammen,  es  ist  das  windschnelle  und  daher  dem  Wagen  Apollos  vor- 
gespannt; ^  ist  auch  die  dunkle  Wolke;  es  begiimt  die  Zeit  der  Stürme,  und 
im  nordischen  Runenkreise  fanden  wir  an  dieser  Stelle  r,  welches  die  Heim- 
kehr der  Schiffer  bedeutete. 

Cyrillisch  jf,  glagolitisch  Ic  kh.  Was  ]("kpk  kiwr  bedeutet,  ist  unbekannt; 
jfsiipa  khira  ist  die  «Gebrechlichkeit,  die  Krankheit*,  und  im  phönikischen 
Alphabet  war  X  ^^^  Schluss.  I0  ist  offenbar  dasselbe  wie  &  glagoV,  daher 
das  Gähnen,  die  Müdigkeit,  die  Zeit  des  Schlafengehens. 

Cyrillisch  w,  glagolitisch  Q  0;  die  Bedeutung  des  Namens  wr%  ot  ist 
unbekannt;  iv  ist  das  Hintertheil,  das  glagolitische  Zeichen  scheint  der  Mond 
zu  sein,  hieroglyphisch  O  pauL  Es  ist  jedenfalls  ein  Nachtzeichen. 

Glagolitisch  W  Sta  und  ^  Uaw,  cyrillisch  i|j  äta  und  g  Ueruf  sind  ebenso 
verwandt,  wie  in  den  angelsächsischen  Runen  ^  si  und  ts  ist;  es  ist  jeden- 
falls  die  Hieroglyphe  rij,  das  grosse  Höllenthor,  welche  wir  bereits  bei  s 
angezogen  haben,  mit  dem  Begriffe  der  «Stütze*,  deim  sta  heisst  in  den 
europäischen  Sprachen  durchwegs  «stehen*;  das  festverschlossene  Thor  der 
Unterwelt  hält  die  Todten  fest,  die  Unterwelt  ist  die  Stütze  der  OberwelL 
Verwandt  hiermit  ist  auch  lu  Sa,  welches  keinen  Lautwerth  hat;  es  ist  das 
chinesische  San  «Berg*  und  bedeutet  wie  Sta  «die  Starre,  den  Tod,  die  Ver- 
steinerung der  Erde",  wie  auch  die  angelsächsische  Rune  st  der  «Stein*  ist; 
übrigens  kann  Sta  auch  der  Scheiterhaufen  sein. 

Cyrillisch  1^,  glagolitisch  ^  tsi  ist  die  Urne,  in  welche  die  Asche  des 
Todten  gesanmiielt  wird,  das  ägyptische  %  /n,  welches  den  ursprünglichen 
^-Werth  hat,  vielleicht  auch,  da  (  zu^'lcich  See  bedeutet,  der  Charon  und 
sein  Nachen  in  der  griechischen  Mythe;  in  diesem  Falle  dürfte  Q  0  der  Obolus 
sem,  welcher  dem  Todten  mit  in's  Grab  gegeben  wurde;  i^p&RK  tsrtv'  ist  der 
Wurm,  als  ^  Skorpion  ebenfalls  Symbol  des  Todes. 

Die  übrigen  Zeichen  sind  Entlehnungen  der  früheren,  si  k  *k  sind 
Modißcationen  von  b  b  und  h  r,  k  ist  Zusammensetzung  von  1  und  0,  wie  o 
Ton  I  und  a,  le  von  1  und  i,  jh  e^und  «i%d  sind  Nebenformen  von  rfl  a;  das- 
selbe ist  bei  den  glagolitischen  Zeichen  der  Fall.  Daher  haben  diese  Zeichen 
auch  keinen  Zahlwerth,  es  sind  Bildungen  der  Grammatiker,  und  es  wäre 
sogar  möglich,  dass  sie  auch  erst  in  späterer  Zeit  aufgekommen  wären. 

3  t» 


532  Glagolitisch. 

So  haben  wir  auch  in  der  slavischen  Schrift  eine  Zeitrose  kennen 
gelernt;  während  aber  in  dem  2i-stündigen  Zeitkreise  die  Bahn  der  Sonne 
beschrieben  wird,  habeii  wir  in  dem  vorliegenden  28-theiligen  Kreise  die 
Geschichte  des  Mondes,  sein  Aufnehmen  und  sein  Abnehmen:  ftl  az  ist  der 
Neumond,  ^  zelo  das  erste  Viertel,  SB  mislite  der  Vollmond,  ffl  vk  das  letzte 
Viertel.  Es  ist  jedoch  wahrscheinhch,  dass  sich  in  diesem  Zeitkreise  auch 
der  Tageskreis  einmischte,  der  sich  ja  vom  Mondkreise  nur  dadurch  unter- 
schieden, dass  seine  Viertel  sechs  Theile  die  des  Mondes  aber,  die  Woche, 
sieben  Theile  hat.  Demnach  ist  rfl  Mitternacht,  ^  Sonnenaufgang,  Sß  Mittag, 
SB  Sonnenuntergang. 

Wir  lassen  nun  als  Schriftprobe  einige  Vaterunser-Texte  folgen : 

1.  Glagolitisch. 

Die  glagolitische  Schrift  wird  nur  noch  in  den  Kirchenbüchern  ange- 
wendet, die  Slavonier  wie  die  Slovenen  und  Kroaten  haben  in  neuerer  Zeit 
das  lateinische  Alphabet  angenommen.  In  den  alten  Texten  wurden  die 
Wörter  ohne  Zwischenraum  aneinander  gereiht,  wahrscheinlich  hatten  die 
Consonanten,  wie  noch  die  einfachen  Namen  §a,  äta  ein  inhärirendes  a, 
wo  ein  anderer  Vokal  lautete,  wurde  dieser  geschrieben,  wo  kein  Vokal  folgte, 
stand  I  (yerekjy  das  Virama  der  Inder,  mit  welchem  sogar  die  Form  Ähnlich- 
keit hat.  Das  Vaterunser  lautet: 

SODItfi  PitlUJ)  :  8db3  S'o'BPrt]  PSBS'q'S  :  Obltl  ^QD^DDSODI^^  8M€ 

000033 :  Olartl  [DBBObSOOl  WL^ODOOS  000033 :  Olartl  E?SBab30DI  OOaAebODQOaBi. 

&Aa  Pitl  P3Ef3'o'8,  8  Pitl  0O3CA(ft)8  :  {Ldfa&Bl  PitlUJI  Pitl'o'atf  IPi8  ObrtldbOb)  PitiMt 

0biP39i :  H  a9oortiao8  prtiMi  obifbi&io  pihuj^ .  ebAS  A3  8  mi8  Q^ooihooiftiBiaMi 
Ob  (ft]i(}i]iP8AaMi  pitiuiOMi :  H  p3  ooioosobo  pih'o'i  ooa  8'o'asbuj3P83  :  Fa  aOoeitiODS 
prhei  aooi  cftiaAitioorti&a :  tt^spi : 

Transscription  und  Übersetzung. 
Ott§e    naä,     tze      esi    na  nehesi,      da  Sivftit  s§  im 

Vater  unser,  der  du  bist  in  den  Himmeln,  lass  ihm  sein  geheiligt  Name 
tu'oye,  da         pridet  tsarstwo  itcoye,  da    budet    tcolya  ttcoya,  yako  na   nebci^i, 
dein,  lass  es  kommen  Reich  dein,  lass  ihm  sein  Willen  dein,  wie  im  Himmel 

i     na      zetnli,    /lyab   naä  nasu§t/n  daid  nam  dnes,  i  ostawi  nam     dlyii 
und  auf  der  Erde,  Brod  unser  täglich    gieb  uns  heule  und  vergieb  uns  Schulden 


Cvrilliscli.  533 

fia^,     yako   i     mi  ostawhjayem  dlznikom      naäim,       i      ne    wwedi  uas  wo 
unsere,  wie  auch  wir  vergeben  Schuldigern  unseren,  und  nicht  führe  uns  in 

hkuseniye,         no       izhawi   uas     ot    lukaivago.  Amin. 
Versuchung,  sondern  befreie  uns  vom     Übel.    Amen. 

2.  Cyrillisch. 

Das  Folgende  ist  ein  allslavonischer  Text  nach  den  ältesten  Manu- 
Scripten,  er  stimmt  ziemlich  genau  mit  dem  vorstehenden  glagolitischen 
überein,  so  dass  Transscription  und  Übersetzung  überflüssig  sind. 

Oh€  HdllJk  H;K€  KCH  Hd  HBC€\K«  ^d  CTHTkC^A 
HAHA  TBOK  ^a  npH^€Tk  HpCTBHK  TBOK.  Ji,A  BJIk- 
A^Tk  BO/\ia  TBOA.  laKd  Hd  HBCH  H  Hd  3€A1\AH» 
X^I'kBK  HdlUk  HdCJIkllJTkHKIH.  A^^*^  HdAHK 
AkHkCk.  HOCTdBHHdAHKA^KrKIHdlUA  KIKOHAIIKI 
OCTAfiXtaaSX^  A'\2;KHHK0A\K  HaiUHAIIZ  H  HtBSBf ^h 
HdCK  BK  HdnaCTk.  H2  HSBdBH  HKI  OTK  HfnpH- 
ta3HH   laKO  TBOK  KCTk   HpcTBHK  H  CHAA  H  CAAKA 

Sk  B'kKKI  ^AHHHk. 

3.  Russisch. 

Die  Russen  schrieben  früher  ebenfalls  mit  der  cyrillischen  Schrift.  Peter 
<ler  Grosse,  dem  die  Schrift  zu  schwerfaUig  war,  liess  dieselbe  1704  verein- 
fachen und  dem  lateinischen  Ductus  mehr  anpassen.  Nach  dem  Muster  des 
letztern  wurde  auch  eine  Schreibschrift  gebildet,  welche  auch  von  den 
Rulhenen,  Serben  und  Bulgaren  aufgenommen  wurde. 
Man  beachte  die  Unterschiede: 

Cyrillisch  a  «  k  b  t  e  ^  ^^  u  \^  r  i\  iif  if  f^  td  yn  le  ye 
Russisch    a      ö      e      y  p       i;       h       n         « 

Noch  mehr  tritt  diese  Ähnlichkeit  mit  der  Lateinschrift  in  der  Schreib- 
schrift hervor,  wo  noch  mehr  cyrillische  Buchstaben  durch  lateinische  ersetzt 
wurden.  Übereinstimmend  werden  geschrieben  a  e  I  k  o  y  r,  dagcgtMi  sind 
gleich  aber  von  verschiedener  Bedeutung: 


534  Russisch. 

Russisch    Oh^wO'dßz  (weiches  s)    U    i    U    p  /l   r 

C    s    W.     i    X    kh     Z    a. 

Von  cyrillischen  Buchstaben  wurden  ganz  aufgegeben:  s,  welches 
ohnehin  nur  Zahlzeichen  war,  das  die  Russen,  nachdem  sie  die  arabischen 
Zahlzeichen  angenommen  halten,  nicht  mehr  bedurften,  S=oy,  welches  durch 
y  ersetzt  wurde,  w,  ih,  ^  welches  durch  kc  ersetzt  wird,  und  i|'.  Den  Russen 
fehlen  von  unseren  Lauten  ä,  welches  ganz  ausgelassen  oder  durch  g  ersetzt 
wird,  z.  B.  raM6ypn>  Hamburg ;  c,  welches  seiner  Aussprache  gemäss  durch 
H  ts  oder  k  k  ersetzt  wird,  /  und  v,  welche  durch  4>  ersetzt  werden,  das  alte 
it  wurde  zu  ät^  und  kommt  also  schon  früh  in  cyrillischen  Texten  vor,. 
A  zeigt  einen  Diphthong  an. 

Das  Vaterunser  lautet  nach  der  im  Jahre  1870  von  der  Petersburger 
Staatsdruckerei  herausgegebenen  Vaterunser-Sammlung: 

Othc  HsasTb^  cymiH  na  Heßecaxii!  ^a  cbä- 
THTcii  nmaTBoe;  fl^SL  npiH/(,eTn»napcTBieTBoe: 
^a  6j^eTb  BOJia  Tboa  h  na  seAia't  RaRii  na 

Ha  cen  fl^eiih;  n  iipocm  HanrB  /i^oarn  Hauin^ 
KaKii  H  Mbi  npoin^aeMii  fl^ojimauRawb  naniHMi» ; 
H  He  BBe^  Hacii  bi»  HCRjmeHie^  ho  nsöaBb 
Hacii  OTh  ajKaBaro.  Hßo  Tboc  ecxt  i^apcxBO 
h  cnaa  h  caaBa  bo  b^kh.  Amhhl. 

Schreibschrift. 

(^//ite    Haaib,     cuau?/^    /la    /eeoecaa^^f    ^a 


Serbisch.  535 

a^^eafc    hocz   ab  ucÄfiMe/iie,    /la    u^a/M    /lacz 


Transscription. 
OUe  naS  su^tSii  na  nebesa//  Da  swyaiitsya  imya  Twoye,  da  priidet  tsarst  wi 
TwoyCfda  budet  wolyaTwoya  ina  zenUye  kok  fia  nebye,/lyeb  nas  nasust^nii dai nam 
na  sei  den,  i  prosii  nam  dolgi  na^,  hak  i  mit  prost saem  dolznikam  tui^im,  i  ne 
tctdi  nas  tv  iskvtäenie  no  izbaw  nas  ot  lukawayo.  Ibo  Twoye  yest    tsat'sitco     i 

denn  dein  ist  das  Reich  und 
sila         i  slawa  uo    tvyeki,      Amin. 

die  Macht  und  die  Herrlichkeit  in  Ewigkeit.  Amen. 

4.  Serbisch. 
Die  Serben  bedienen  sich  ebenfalls  der  russischen  Schrift  mit  einigen 
Änderungen  als  %  dy  ^  ly  b*  ny  ti  ty  6  ye,  da^ojren  haben  die  Kroaten 
die   lateinischen   Lettern   angenommen.   Wir  lassen  hier  das  Vaterunser  in 
serbischer  Schrift  folgen : 

Othc  iiainii,  iiaje  ecii  iia  Hcöecfext.  ^i,a  cbh- 
TiiTCfl  HMfl  TBO65  /(,a  npw^exb  u^apcTBiß  tboc^ 
^a  6j^eTb  BoaA  tboa^  ako  na  iie5ecbu  h  iia 
3eMÄM^  xa%6b  Haiub  iiacyii^iibi  ^aw^i^b  naMb 
^Hecb^  H  ocTaBH  HaMb  ^oarbi  iiaiiiA.  akohuC  h 

Mbl  OCTaBaACMb  ,^0*IHSIlliKOMb  IiaillllMb.  li  iie 

Bo  Be^H  Hacb  Bo  HCKviiieiiiie«  ho  iiäöaBii  iiacb 
OTb  ajKaBaro»  AMUHb. 


S36  Rumänisch. 

5.  Rumänisch. 

Auch  die  Rumänen  bedienten  sich  in  früherer  Zeit  der  cyrillischeD 
Schrift,  in  neuerer  Zeit  haben  sie  immer  mehr  lateinische  Buchstaben  ange- 
nommen. Wir  geben  hier  eine  Probe  dieser  Schrift  aus  älterer  Zeit: 

0 


C 


ta:   (biE   BOA  TAo   npE    kVaal  -KIEpi^o  UJH  n|l{ 

n'kAA^HTk.  IBRÄHt  HOACTf'k  ^4:  Af  TOATf 
3HAEAE0  A'kHfW  HOAW  ACT'k3H  I  UIh  H£  »fTT. 
HOAW  AATOpiHAE  HOMTfi  ttfi  kVaAL  UJH  ,h6h 
EfT'kAAk  AATOpHHtHAWpk  HOLjJjlH :  IUh  hV  Hl 
AVif  njJf  HÖH  4^  HCnHTTvi,  ^H  Hf  H3K1B4H1C 
A(  t(Ak  p'k^.  AAAHHk. 

6.  Die  Schriften  der  westlichen   Slaven. 

Die  westlichen  Slaven  haben  unter  dem  Einflüsse  der  katholischen 
Mönche,  welche,  wie  auch  in  Deutschland,  lateinisch  predigten  und  die  Landes- 
sprache missaehteten,  die  lateinische  Schrift  und  besonders  die  in  Deutschland 
gebräuchliche  Fracturforra  angenommen,  welche  noch  jetzt  von  den  Slovaken 

V  _ 

und  Wenden  der  Lausitz  gebraucht  wird,  während  die  Cechen  vor  Kurzem 
und  die  Polen  schon  längere  Zeit  die  lateinische  Antiqua-Schrift  annahmen. 
Um  ihre  Sprache  mit  dem  für  sie  unvollkommenen  lateinischen  Alpha- 
bete schreiben  zu  können,  wendeten  sie  Accente  an,  namentlich  ",  welches 
eine  Erweichung  bezeichnet,  z.  B.  e  ist  ye,  d  ist  dye,  r  ist  rz,  z  ist  das  weiche 
seh,  §  das  harte,  c  ist  das  deutsche  tsch.  Die  Polen  gebrauchten  das  Zeichen  ' 
zur  Erweichung,  daher:  b'  ist  by,  s  sy,  c  tsy,  sc  syt^y,  seh  wurde  durch  Zu- 
sammensetzung als  sz;  sehtsch,  das  russische  m,  durch  szcz  wiedergegeben; 
für  das  weiche  seh  haben  die  Polen  zweierlei  Aussprachen,  welche  sie  durch 
i  und  i  unterscheiden,  q  und  f  sind  Nasallaute.  Wir  lassen  hier  das  Vater- 
unser in  der  jetzigen  Orthographie  dieser  Völker  folgen: 


Cechisch.  —  Polnisch.  587 

Cechisch. 
Ot(e  iUiS,  kieiy£jsi  v  7iebesich,  posvet  sejmSno  tt4;  prijd  krdlovstvi  tv^,  bud 
uile  tvdjako  v  nebt  iak  i  na  zemL  Chleb  ndä  vezdejH  dej  ndm  dnes;  a  odpusi  tidm 
rinny   naSe,  jakoi  i  my  odpouSUme  vinnlküm  naSim;  i  neuvod  näs  v  pokuSetil, 
ale  zbac  näs  od  zl^ho;  fiebo  tvejest  krdlovstvl,  %  moc,  i  sldva  na  veky,  Amen, 

Polnisch. 
Ojcze  nasz,  ktöry^  je^t  tc  niebieüech,  iwi^i  si{  itni{  twoje;  przyidz  krdle- 
stwo  twqjej  bqdz  tcola  tum,  jako  w  niebie,  tak  i  na  ziemi.  Chleba  naszeyo  ^o- 
trszedniego  daj  nam  dzisaj;  i  odpiui^  nam  nasze  ioiny^  jako  i  my  odpuszczamy 
fui^zym  mnmvajcom:  i  nie  tvwödz  tias  w  pokuszenie.  Ale  nas  zbaw  ode  zieyo,  al" 
botviem  ticoje  jesi  kröUstwo,  i  moc  i  chwafa,  na  wieka.  Amen, 

IV.  ALBAXESISCH. 

Ganz  im  Gegensatze  zu  der  Meinung,  dass  das  phönikische  Alphabet 
die  Runde  durch  die  Welt  gemacht  habe,  sehen  wir  in  manchen  Erdenwinkeln, 
wo  man  keine  Kenntniss  der  Schrift  vermuthet,  eine  Anzahl  Alphabete  von 
Geschlecht  zu  Geschlecht  als  Geheimschrift  vererben.  So  bedienen  sich  die 
Albanesen  im  Aligemeinen  der  griechischen  oder  der  lateinischen  Schrift,  und 
zwar  die  Tosken  der  griechischen,  die  Gegen  der  lateinischen,  und  doch  hat 
der  österreichische  Consul  v.  Hahn  bei  ihnen  drei  verschiedene  Alphabete 
gefunden,  von  denen  das  eine  52  Zeichen  (also  so  viel  als  das  Jahr  Wochen) 
das  andere  33  und  das  dritte  2:2  Zeichen,  wie  das  phönikische  Alphabet,  hat.^^^ 

Das  letzte  wurde  Hahn  von  Veso  Bei  aus  der  Familie  der  Alisot- 
Paschaliden,  einem  der  angesehensten  Häuptlinge  von  Argyrokastron,  mit- 
getheilt,  welcher  es  in  seiner  Jugend  von  seinem  Hofmeister,  der  gleichfalls 
ein  Albanese  war  und  in  dessen  Familie  es  zu  einer  erblichen  Geheimschrift 
benutzt  wurde,  erlernt  hatte.  Es  besteht  aus  folgenden  Zeichen: 

Wir  möchten  dieses  Alphabet  nicht  von  vorniierein  als  willkürlich 
verwerfen,  es  ist  noch  nicht  aufgeklärt,  weshalb  manche  Capitalbuchs>laben 
in  der  Minuskel  Veränderungen  erlitten,  andere  nicht;  wir  fmden  hier  m  (ov) 
als  b,  das  phönikische  Aleph  als  r,  und  umgekehrt  H  als  Alpha,  wir  finden 
femer  die  Minuskelform  c  t  a,  die  lateinische  Minuskel  x  (ks>  als  y. 


538  Albanesisch. 

Von  dem  zweiten  Alphabete  meint  Hahn,  dass  ein  Albanese  Namens 
Büthakukye  es  erfunden  haben  soll;  es  wäre  dies  möglich,  da  dieses  Alphabet 
fast  ebensoviel  Zeichen  hat^  als  Hahn  zur  richtigen  Umschreihung  der  alba- 
nesischen  Sprache  bedurfte,  auffallend  ist  jedoch,  dass  der  Albanese  sich  so 
viele  Mühe  gegeben  haben  soll,   Zeichen  zu  erfinden,   welche  mit  keinem 
bekannten  Alphabete  Ähnlichkeit  haben,  statt,  wie  es  Hahn  gethan  hat,  sich 
die  Arbeit  dadurch  einfacher  zu  machen,  dass  er  die  griechischen  Zeichen 
durch  Accentuirung  vermehrte.  Wir  erinnern  uns  hierbei  lebhaft  daran,  dass 
auch  der  Armenier  Mesrop  ein  solches  Alphabet  erfunden  hat,  welches  aus 
eigenthümlichen  Zeichen  bestand,  und  auch  das  von  Hahn  zuerst  erwähnte 
Alphabet  hat  mit  keiner  bekannten  Schrift  Ähnlichkeit.  Von  diesem  erzählt 
Hahn,  dass  es  nur  in  der  Stadt  Elbassan  heimisch  zu  sein  scheine,  doch 
soll  es  auch  in  der  südlichen  Nachbarstadt  Berat  verstanden  und  benutzt 
werden,   und  zwar  auch  zur  Correspondenz  mit  abwesenden  Landsleuten. 
Einige  führen  sogar  ihre  Bücher  in  dieser  Schrift.   Nach  der  Tradition  soll 
dasselbe  von  einem  Lehrer  der  dortigen  Griechenschule  Namens  Theodor 
herrühren,  dessen  Schriften  in  einer  starken  Pest-Epidemie  von  den  Verwand- 
ten aus  Furcht  vor  Ansteckung  verbrannt  wurden.  Merkwürdigerweise  hat 
dieses  Alphabet  trotz  seiner  vielen  Zeichen  keine  mehrfachen  Zeichen  für 
Laute,  wohl  aber  Zeichen  für  Lautverbindungen,  von  denen  einige  offenbar 
combinirt  sind  wie  7  efe  v  zu  n  i  nds.  Alle  Consonanten  haben  als  Namen 
ein  inhärirendes  a  wie  bei  den  Indern. 

Wir  geben  hier  mehrere  Vaterunser  in  albanesischer  Sprache. 

1.  Schrift  von  Elbassan. 

XX^  ciicj  v/^ö  i  AI  U  AI.  iüvv  vvf  l1  fiö()^v  I  80V(!l  (\} 
vv  \öxl1^  i^i^  645^vX  I  AIXX^H'vv  öv^il:^  low,  8i  cö- 
XXv:^  XK^Hi^ic!:^   I  AI  vv   viv  ()^  6)W\^h)^  XX^  vif  ii  i 

Alc!08  vv   W^kot  vif  l1  XK:?  XKOVl   kll^V8c!o,    UO    Xü^loW 

vvf  l1  Kv  I  Hibö,  81  holibv  l5^  fi^lO^iv  I  AI  6ö(iv  I  Ai 

H^f  Aldi  XX^  V'^^   ^^  fiv848ÖV:?   OM. 


Albanesisch.  539 

2.  Schrift  Büthakukye*s. 

tv«  tfc«.  ^^äS^a  H^M^I  kvIv-H,     n  WjS«  ciSv-  \a  ■L\''.^n|v  Äeio  'Oi.t»|v'iv'.  '^  "Le  "Lv^- 
»V»    01*^«!^  |dV*,    i»i   Äv'lj-Iov-  tbV^'V<i»5v'  n  Ik.«   H.A  ft^A  (Sv  'OvvA^iv'iv  "Lv  Veu- 

-Afcv-,    19e  V|^^*    vw^v   kbefvklA   n   "L«   -«Hvai*    n   tu«    Wuttiöt    "Lv  \t\y'    {.v 

3.  Griechische  Lettern. 

rcdre  Tvg  i|  yi  fiTz^  xieX  xwiprg  äg\^'raoo'jaoe  ip-gfn  tT'  apre  /iTz/ßS- 
T§fßca  yedre*  o'j  /fi^rg  o^fßSefn  er,  ai  xoi^fzpg  n-Jverg  vre  xis).  dävo^'j  i  Sk 
fJLT:\  iti'  iTTva  vdifsT  Ko6xey  i  ad/i/is  xk  vi  Soi^sre  nhp  iphargvg'  i  dk 
^TgXi)fa  ifdfere  rova,  at  xouvTpe  vrsHysfxg  i  dk  vi  6?ri  xk  ipeliyeyg  vre 
vifeT'  i  ßh/ih^  vi  X^äoT^  vi(tsT  vr|  vr/)v|  Tzcpafffid,  7zd  äTzerdva  vd(tsT  yxo. 
l  hpou,  ak  ythrtyia  iärg  (xJzpsTgpia,  i  3k  (pouxia^  i  3k  ?.Bff3i/i(.  vre  i-ire 
r|  ^aauao'jpg  (feprir, 

Transscription :  Yati  inü  tsü  tje  mbü  kieV,  kiofiü  suntüruarü  ümüri  it. 
Artü  mbretürla  yote,  Umbü/tä  urdüri  it,  si  kutub'u  n^f/ünetu  du  kiel'  astu  e  de 
mbü  de.  Epna  ndtctt  mh\it§ün  e  sonne  t$ü  na  3t4/etü  per  fi^iiünü.  E  de  ndülma 
fayttü  tona,  si  kuntrü  ndiilajemü  e  de  na  aiä  iHl  fühUjünü  ndü  nnvtt,  K  dernos  na 
lüsotH  nrtcei  ndü  ndone  pirasmo.  Po  ^pütofia  mUvet  wja  i  litju,  St  yotnja  tlstii 
mbrtiüria  e  de  fukia,  e  de  lüwdimi,  ndü  yttü  tu  nibasds.trü  tcürttt. 

Während  es  von  den  Griechen  nicht  bekannt  ist,  dass  sie  Lieder  be- 
sessen haben,  welche  die  Buchstaben  des  Alphabets  zu  Versen  verwendeten, 
wie  die  nordischen  und  angelsächsisrhon  Hunenlieder  oder  mehrere  Psalmen 
und  die  Klagelieder  Jeremiä,  muss  es  doppelt  auffallen,  dass  die  Albanesen 
ein  solches  besitzen,  welchem  das  griechische  Alphabet  zu  Gnmde  liepl.  und 
welches  Hahn  veröffentlicht  hat.  Wir  glauben  auf  eine  Reproducirung  des- 
selben nicht  verzichten  zu  dürfen,  da  Hahn's  albanesis(  he  Sliidirn  wohl  nicht 
allgemein  bekannt  sind. 

Audv  ae  a'  re  om3t^^  Gnade,  donn  es  steht  dir  nicht  zu, 

xjg  ra  fxo^jvddjd  ifouxo'Jpdv^.  Mich,  den  Ärmsten,  zu  quJilen. 


540 


Alphabetisches  Lied  der  Al)»anesen. 


xoup  xgHivs  €  ctxiv  fxg  vj   ave. 


JHrya,  o  jadtfjdp^ 

Tg  ppU9  pjdkJT  s8i  äsxjip. 
Adpbt  papfaptrdp 

pLB  nXjdfez  zifxe  6av  oe/ip. 
El  t  pjsp  ]^dji^a 

xf  o*j(Tuä  vg  bo'jxoüptr, 

ZipgpoLz'  s  ^i^a 

xje  vdpczädtve  pe  daäo'jpiz. 
(HJEtt  pou/aiiz,  o  däav^ 

ae  \^oupe  uz  däxoui/  e  axjo\^. 
^ipp^^*  xgpxoty  deppdv 

npity  voupez  zaz  xje  pe  7:gpße?j6v. 
lou  (Tu! po^  ätxoyc 

ZOO  ai:  vaat)(dz  vjs  fjdXje. 

Kap  fpixs,  ßspbovt 

Tzpity  ]^o'jpez  xivc  ^sßdlje. 

(Kgzaij  dipzipav  o'fjiiy  djdza;) 

(zif^ p^o'jpbnoij  ^ipapa  Tzljoz  ae/ip) 
Ajaßd6\f  boDXoupivg 

aöixou  V6  xgzi  ^spdv, 
Me  fjoij^ooy  aäixgpivs 

s  xap  fpydip  xji  za  ^av  tpxjdp. 
Noup!  xdXs  zg  pg  ßpaza^ 

/£0C  oubd)^  xdd^  o  dülbip. 
0  dokbip^  zingp  pg  8sp 

pn<:  pg  atxgAdi^  xdxjg  za  fdty. 


Deine  Augenbrauen  vernichten  mich, 

Wenn  du  dich  abwendest  und  von 
der  Seite  blickst. 

Aus  deinem  Munde,  o  Liebling, 

Quillt  Honig  und  Zucker. 

Deine  Perlenzähne 

Sind  Gift  für  meine  Wunde. 

Ach,  ich  Ärmster!  wohin  bin  ich  ge- 
rathen, 

Dass  ich  (meine  Liebe)  auf  die  Schön- 
heit stütze! 

0  schwarze  Herzen, 

Welche  in  der  Liebe  glänzen! 

Sprich  zu  mir,  o  Knabe, 

Denn  dein  Glanz  erweckt  mein  Feuer. 

Ich  rufe,  ich  suche  ein  Heilmittel 

Gegen  deinen  Glanz, der  mich  versengt 

Ihr  Augen,  blickt  nicht  um  euch, 

Diess   eine  Wort  rieht  ich  an  euch 
als  Mahnung. 

Sonst  fürchte  ich,  ihr  erblindet 

Von  dem  Glänze,  der  euch  beschwer- 
lich ist. 

Für  diese  Qual  finde  ich  kein  Heil- 
kraut mehr. 

Wie  füllte  sich  mein  Herz  mit  Gift. 

Er  preist  die  Schönheit 

Der  Liebende  in  dieser  ZeiL 

Mit  der  Zunge  die  Liebe  zu  leugnen, 

Halt  ich  für  Sünde. 

0  Glanz!  du  stelltest  andere  an,  um 
mich  zu  tödten, 

Lass  dich  nicht  verleiten,  o  Liebling. 

0  Liebling,  es  schmerzt  zu  sehr, 

Marfre  mich  nicht  so  ohne  Schuld. 


Alphabetisches  Lied  der  Albanesen. 


541 


flftsiy  Ttep'^diai  0s  norpifi^ 
fjLo^  fjLB  ÄJsp  /jte  xaxjg  ßacy. 

\>aT  e  der'  zep  ruey  Hgppi<:, 
Jf  ^tza  /IOC  v/f/?/ 

jap  doi>arBi  ppap  s  pev/^ji^. 
T  a  pgTäiip  aäcxepcvg, 

s  xapt  fjuvuip  r'  a  Cöv  tpxjdp. 
i'V>E  dpär  Tznai  xjtphs 

pspp  voüp  /aAxoüT,  o  jddtfjdp  ! 
0dxjsT'  €  Toua  jdvs 

id)fa  He  dUXt  xji  vdpcve, 

\apdp  p'a  bav  du)/jd\^e 


s.-r. 


xtvjp  Tg  coip^  opgptv  p  a  VTi^ep 

9's  ng  po'j>düV^  o  ^oukrdvf 

fig  dp  er  €  Tzoal  xjcpiou, 
Q!  wjpho'ja  ZifiBpa,  pa  <f  hHv, 

hadf^  aar  darä  nspi^dcvg. 


Denn  scheue  dich  vor  Gott 

Und  lass  mich  nicht  in  solchem  Weh. 

Schütze  ihn,  o  Golt! 

Rufe  ich  Tag  und  Nacht  für  dich. 

Wie  kein  anderer  Mensch 

Bete  ich  am  Morgen  und  am  Abend. 

Ich  verberge  dir  die  Liebe; 

Ich  halte  es  ftirSünde,sie  zuverleugnen. 

Sie  schmelze  ihn  wie  Wachs, 

Nimm  den  Glanz  der  Welt,  o  Liebling. 

Deine  Wangen  sind 

Der  Mond  und  die  Sonne,   welche 

scheinen. 
Das   Dasein   hast   du   mir  verhasst 

gemacht, 
Wenn  ich  dich  sehe,  nimmst  du  mir 

das  Leben. 
Warum  quälst  du  mich,  o  Sultan? 
Du  schmelzest  mich,  wie  Wachs. 
0!  mein  Herz  ist  voll,  es  fasst  nicht 
!       mehr, 
Genug!  soweit,  wenn  du  Gott  liehst. 


Diese  Verse  sind  ihrem  Zusammenhange  nach  ebenso  ungereimt  wie 
die  Runenlieder  und  die  Psalmen,  daher  ist  auch  hier  die  Vermuthung  nahe 
liegend,  dass  der  Inhalt  gleichgiltig  war  und  dass  sie  nichts  als  eine  Deutung 
der  Zeichen  enthalten.  In  diesem  Falle  würde  bedeuten: 
A  Gnade,  zustehen,  nicht,  Ärmster,  quälen. 

B  Augenbrauen  (OQ  ?),  vernichten,  abwenden,  auf  die  Seite  blicken  (schielen  ?). 
r  Mund  (<),  Liebling  (vergleiche  Levi),  Quell,  süss  (Zunge  oder  schmecken)? 
A  Perle,  Zahn,  Gift,  Wunde. 

E    Ach,  Ärmster,  wohin  gerathen,  Schönheit,  Stütze. 
Z    Schwarz,  Herz,  Liebe,  Glanz  {^ip§pa  heisst  ,Herz,  Leib,  Bauch,  Wille, 

Begehren,  Nachmitlagszeit;   schwarz   heisst  bekanntlich  ursprüiijrlich 

«verbrannt'). 
H    sprechen,  Knabe,  Glanz,  Feuer,  erwecken. 


54^2  Bedeutung  der  Zeichen. 

©  rufen  (Mund?),  sehen  (Auge?),  Heilmittel,  Glanz,  versengen,  gegen. 

I  ihr,  Auge,  Blick,  nicht,  eins,  Wort,  richten,  Mahnung. 

K  sonst  (einst?),  fürchten,  erblinden,  Glanz,  beschwerlich. 

K  Qual,  ßnden,  Heilkraut,  füllen,  Herz,  Gift. 

A  preisen,  Schönheit,  Lieben,  diess,  Zeit. 

M  mit,  Zunge,  Liebe,  leugnen,  dafür  halten  (meinen),  Sünde. 

N  Glanz,  anstellen,  anderes,  tödten,  verleiten  lassen,  Liebling. 

O  o!  Liebling,  schmerzen,  zu  viel,  martern,  nicht,  schuldlos. 

n  denn,  scheuen,  Gott,  lassen,  nicht,  solches,  Weh. 

P  schützen,  Gott,  rufen,  Tag  und  Nacht  (immerwährend?),  für,  ihn,  dich. 

Z  wie  (Gleichung?),  anderer,  Mensch,  kein,  anbeten,  Morgen  und  Abend. 

T  verbergen,  Liebe,  dafür  halten,  Sünde,  ich,  es,  verleugnen. 

Y  schmelzen,  wie  (Gleichung?),  Wachs,  nehmen,  Glanz,  Welt,  Liebling. 
♦  Wangen,  Sonne  und  Mond,  scheinen. 

X    Dasein,   machen,  verhasst,  sehen,  nehmen,  Leben  oder  Leben  nehmen. 

V  warum   (Frage?),  quälen,   Sultan,  schmelzen,  wie  (Gleichung),  Wachs 

(also  Y=Y). 
n    0,  Herz,  voll  sein,  genug,  so  weit,  Gott,  lieben. 

Nach  dem,  was  wir  bisher  über  die  Bedeutung  der  Zeichen  in  Erfahrung 
gebracht  haben,  können  wir  nicht  zweifeln,  dass  die  vorstehenden  Buchstaben 
diese  Bedeutung  hatten,  es  wäre  nicht  unmöglich,  dass  dieses  Lied  einem 
griechischen  Muster  nachgebildet  ist,  doch  würde  eine  solche  Untersuchung 
hier  zu  weit  führen. 


V.  ALTITALISCHE  SCHRIFTEN. 

Bevor  Rom  ganz  Italien  zu  einem  Reiche  mit  einer  Sprache  und  Schrift 
vereinigte,  wohnten  in  diesem  Lande  eine  Reihe  kleiner  Völker  mit  eigenem 
Cultus,  eigener  Sprache  und  eigener  Schrift.  Die  letztere  ist  der  altgriechischen 
eng  verwandt  und  die  Unterschiede  zwischen  den  einzelnen  Schriften  sind 
nicht  grösser,  als  sie  in  Griechenland  zwischen  den  Schriften  der  einzelnen 
Länder  bestanden,  bevor  das  ionische  Alphabet,  mit  welchem  die  üias  in 
innigem  Zusammenhange  stand,  in  ganz  Griechenland  angenonmien  wurde. 

Daraus  ist  aber  nicht  zu  folgern,  dass  die  Italiener  ihre  Schrift  von  den 
Griechen   erhalten  hätten,    vielmehr  ist  es  wahrscheiiticher,    dass  diese 


Uinbrisch.  543 

Alphabete  ebenso  alt  als  die  griechischen  sind,  denn  wenn  überall,  wo 
Schriften  wirklich  von  anderen  Völkern  entlehnt  wurden,  das  volle  Alphabet 
angenommen  wurde,  auch  wenn  die  Sprache  nicht  alle  Laute  des  fremden 
Alphabets  hatte  (ich  erinnere  an  das  koptische  Alphabet),  so  ist  es  au^allend, 
dass  die  altitalischen  Alphabete  weniger  Zeichen  haben  als  die  altgriechischen. 
Das  faliskische  hat  nur  18  Zeichen,  das  etruskische,  oskische  und  messapische 
jedes  20,  möglicherweise  hatte  auch  das  faliskische  so  viel,  nur  sind  vielleicht 
zwei  in  den  Inschriften  nicht  vorgekommen. 

Auch  die  Zeichen  haben  einige  Abweichungen  von  den  griechischen. 
So  stimmt  das  etruskische  M  m  nicht  mit  dem  griechischen,  wohl  aber  mit 
der  markomannischen  Rune  überein,  und  wie  diese  (auch  im  Angelsächsi- 
schen) identisch  mit  d  war,  so  finden  wir  im  Etruskischen,  welches  kein  d 
kennt,  M  auch  als  s  auftreten.  Die  Urabrer  hatten  einen  Laut  d  rs,  welcher 
dem  slavischen  b  i^  umsomehr  entspricht,  als  die  Italiener  von  rechts  nach 
nach  links  schrieben,  die  Slaven  aber  von  links  nach  rechts. 

Am  meisten  stimmt  mit  dem  griechischen  das  messapische  Alphabet 
überein;  ABTAE  FZHOIKI^MHopp^TX, 
an  dieses  lehnt  sich  das  römische  an,  welches  kein  O,  dafür  aber  Y  und  Q 
hat.  Das  letztere  Zeichen  kommt  in  keinem  andern  italischen  Alphabete 
vor.  Die  meisten  Eigenthümlichkeiten  haben  das  etruskische,  das  umbrische 
und  oskische  Alphabet,  in  diesem  kommt  z.  B.  m  als  [i\  oder  141  vor,  welche 
Form  später  in  die  Minuskel  übergegangen  ist,  es  war  ursprünglich  die  Drei 
gegenüber  N  n  der  zwei;  im  Ägyptischen  war  der  Lautwerth  dafür  u,  der 
durch  Lautverschiebung  zu  m  wurde. 

1.  Umbrisch. 

Wir  geben  hier  als  Probe  ein  Stück  aus  den  iguvinischen  Tafeln  (V  a, 
Z.  *-  —  27)  in  umbrischer  Sprache  (die  Zeilen  laufen  von  rechts  nach  links). 

'im(lV8^■(lV'\ß\^^G3(i'^Q3U(lSS^f\ 
y(lA)im'i23A-333'\d^V'\my^'3'\G3(lB33 

••^raavn3aYviv=3(]vrviq3in/i.vo^/i(]8 

=>i393=V03Y^;i(IV>l=3N6)30NH3(]V)ll2V(I1 

•1^:38  VG'l 


544 


Oskisch. 


Transscription  und  Übersetzung. 


Umbrisch. 
Äpef rater  geranatur  furent, 
ehvelkiu  feia  fratreks  ute  kvestur, 
sve  rehte  kuratu  si.  Sve  mestru  kam 
fratru  Atiieriu,  pure  ulu  henurent, 
prusikurent  reJUe  kuratu  eru,  erek 
prüfe  si. 


Lateinisch. 
Postquam  fratres  cenati  ßierint 
decretum  faciat  magisier  aut  quaes^Wj 
si  rede  curat  um  sit,  Si  major  pars 
'  fratrum  Attidiorum,  qui  iUuc  vmerint, 
censuerint  recte  curatum  esse,  tum 
probe  sit. 


»Nachdem  die  Bruder  gegessen  haben  werden,  hat  der  Vorsteher  oder 
Quästor  zu  bestimmen,  ob  es  richtig  besorgt  ist.  Wenn  der  grössere  Theil 
der  Brüder  Attidii,  welche  dorthin  kommen,  meint,  dass  es  richtig  besorgt 
sei,  dann  ist  es  gut.  '^ 

2.  Oskisch. 
Die  Inschrift  eines  Steines  aus  Pompeji  in  oskischer  Sprache  lautet: 

fliTrnaT-nwiiiravn4Nii3(i3D 

mflHHfl^nV-WHI>H(ST-^BIH 


Transscription 
Oskisch. 
t\  aadirans  v.  eyetiuvam  paam 

vereii  aije  pümpaiianaije  tryestaa- 
metitud  deded  eyeaak  eyetiuvad 
V.  myetiikiyes  mr,  kwayesstur  piimp- 

aiians  tryeydnim  ekak  kümhen- 
nieyes  tanginud  itpannam 
deded  yezyedum  prufatted. 


und  Übersetzung. 

Lateinisch. 

I 

Vibius  Adiranus  Vibii  (filius)  pecuniam 

quam 
reipubUcae  Pompejanae  testa- 
'   inento  dedit,  iUa  pecunia 

Vibius  Vimcius  Jifarat  (filius)  quaestor 

Pomp- 
ejanus  aedificium  hie  convefi- 
tus  sententia  sperandum 
dedit,  idem  probavit. 


545 


VI.  DIE  LATEINISCHE  SCHRIFT. 

Von  den  Schriften  der  italischen  Länder  ist  eine  zu  so  grosser  Bedeu- 
tung gelangt,  dass  ich  ihr  einen  besondem  Abschnitt  widmen  muss,  obgleich 
ich  nicht  der  Gepflogenheit  mancher  Geschichtsschreiber  huldige,  welche  den 
Gegenstand  desto  breiter  behandeln,  je  mehr  Quellen  ihnen  vorliegen  und 
je  bequemer  ihnen  die  Arbeit  wird.  Deshalb,  weil  die  lateinische  Schrift 
unsere  gewöhnliche  Schrift  ist,  hat  sie  nicht  mehr  Verdienst  als  jede  andere ; 
nur  wegen  ihrer  grossen  Verbreitung  in  der  ganzen  westlichen  Hälfte  von 
Europa  und  wegen  ihrer  merkwürdigen  Entwicklungsphasen  darf  sie  einen 
grossem  Raum  in  der  Geschichte  der  Schrift  beanspruchen. 

Aus  den  Mythen,  welche  die  Entstehung  Roms  umgeben,  scheint  her- 
Torzugehen,  dass  Rom  eine  Pflanzstätte  der  Latiner  war,  welche  ihren  Ursprung 
Ton  Kleinasien,  und  zwar  von  Troja  ableiteten,  welches  in  einem  Religions- 
kriege zerstört  wurde.  Das  römische  Alphabet  der  ältesten  Zeit  hatte  21 
Zeichen;  Z  stand  an  der  Stelle,  wo  jetzt  G  steht,  ein  Wechsel,  der  sich  ausser 
den  Seite  134  angeführten  Gründen  auch  daraus  erklären  dürfte,  dass  Z  im 
mösogothischen  Alphabet  die  Namen  iuya  und  iua  führte,  somit  fQr  y  (unser  j) 
und  8  {=z)  stehen  konnte;  nachdem  das  Zeichen  G  (auf  dessen  Ähnlichkeit 
mit  dem  gothischen  q  yer  bereits  oben  hingewiesen  worden  ist),  aufgenommen 
worden  war,  rückte  Z  an  die  letzte  Stelle  des  Alphabets.  Vorher  war  noch 
T  zum  Alphabete  hinzugewachsen,   obgleich  V  ursprünglich  dasselbe  war. 
Dass  die  Zeichen  Y  und  Z  deshalb  aufgenommen  worden  seien,   weil  sie 
im  griechischen  Alphabet  vorkamen  und  zu  griechischen  Wörtern  und  Namen 
gebraucht  wurden,  muss  bezweifelt  werden,  da  aus  denselben  Gründen  auch 
<I>  und  V  hätten  aufgenommen  werden  müssen,  die  durch  PH  und  PS  ersetzt 
wurden;  viel  näher  liegt  es,  anzunehmen,  dass  die  Römer  den  gleichen  Zeit- 
kreis annahmen  wie  die  Markomannen,  da,  wie  auf  Seite  133  zu  sehen  ist, 
das  römische  mit  dem  markomannischen  Abece  genau  in   der  Zahl  und 
Reihenfolge  der  Zeichen  übereinstimmt. 

Von  einer  Entlehnung  kann,  wie  schon  Seite  1 34  bemerkt  wurde,  nicht 
die  Rede  sein,  Namen  und  Zeichen  sind  ganz  verschieden,  und  es  ist  keine 
Spur  vorhanden,  dass  die  Römer  die  markomannischen  Zeichen  und  Namen 
gekannt  hätten.  Dagegen  wäre  es  interessant  zu  wissen,  wie  die  Römer  ihre 
Zeichen  nannten,  denn  Alpha,  Beta,  Gamma,  sowie  der  Name  Alphabet  dürfte 

FADlmann.  Otfchichte  d.  Schrift.  [\7t 


546  Capitalschrift 

von  den  griechischen  Grammatikern  herrühren,  welche  nach  Rom  zur  Beför- 
derung der  Bildmig  berufen  wurden ;  es  ist  aber  nicht  unwahrscheinlich,  dass 
die  Wörter  Abece  und  Abecedarius  (Elementarschüler),  welche  im  Mittelalter 
gebräuchlich  waren,  von  den  Römern  ausgegangen  sind,  führte  doch  auch 
das  Rechenbret  den  Namen  abacus,  welches  Wort  kaum  vom  Griechischen 
abstammen  dürfte,  eher  dürfte  das  griechische  abäkian  und  abakiZ  (ich  weiss 
nichts)  auf  Abece  hinweisen. 

Unsere  Namen :  abecedeeefgehaikaelemenopekueresieurau 
ice  iks  ypsilon  zet  dürften  keinesfalls  auf  dem  Zufall  beruhen,  so  gut  wie 
Ypsilon  und  Zet  konnten  sich  auch  Alpha,  Beta,  Gamma  u.  s.  w.  erhalten, 
nun  haben  aber  die  Kehllaute  bezeichnende  Vokale  bei  sich,  nämlich  ge  ka  ku, 
geradeso  wie  in  der  persischen  Keilschrift  j,ka  ku,  da  dt  du*^  vorkamen,  ebenso 
merkwürdig  ist,  dass  die  Vokale  hei  ef  d  em  en  er  es  vorlauten;  war  doch 
griechisch  Sigma  (C)  in  Rom  zu  ce  geworden,  hidessen  ist  es  auch  möglich, 
dass  diese  einfachen  Namen  später  aufgekommen  sind.  Ich  möchte  daher 
diese  Frage  nur  angeregt  haben. 

1.  Capitalschrift. 

Die  römischen  Inschriften  aus  der  ältesten  Zeit  zeigen  ein  eben  solches 
Schwanken  in  den  Zeichen  wie  die  altgriechische  Schrift.  Neben  A  kommt 
A  A  und  A  vor,  neben  C  auch  <,  neben  E  auch  II,  neben  F  auch  H,  welches 
letztere  «Lose*  zu  bedeuten  scheint;  in  jüngerer  Zeit  traten  die  der  alt- 
griechischen Schrift  mehr  entsprechenden  Formen  zurück  und  machen  den 
Formen  Platz,  welche  gegenwärtig  die  Versalbuchstaben  unserer  Drackschrift 
bilden  und  schon  zur  Zeit  der  römischen  Kaiser  in  vollster  Ausbildung  sich 
befanden.  Römische  Inschriften,  deren  Buchstaben  daher  Capitalzeichen 
genannt  werden,  finden  sich  über  alle  Länder  der  alten  Welt  verbreitet,  in 
Ägypten,  wie  in  Asien,  wie  im  nördlichen  Europa  errichteten  die  romischen 
Legionen  Denkmäler.  Proben  davon  zu  geben,  ist  überflüssig.  Die  Ziffern  dieser 
Inschriften  bestanden  in  Strichen  von  eins  bis  vier  I  1  II  2  III  3  Uli  4,  wofür 
auch  IV  gebraucht  wurde,  dann  folgte  V  5  VI  6  VII  7  VIII  oder  IIX  8,  Villi 
oder  IX  9  X  10;  höhere  Potenzen  waren  L  50  C  100  D  500  M  auch  CD 
1000.  Später  bildete  man  mit  ccloo  10.000  und  ccccIoood  100.000.  C  und 
M  können  als  Abbreviaturen  von  centum  (100)  und  mille  (1000)  gelt^i,  die  I 
Erklärung  von  V  5  als  Hand,  X  10  als  zwx^i  Hände,   L  50  als  halbes  C  und 


Uncialschrifl.  547 

D  als  halbes  CO  sind  jedoch  zweifelhaft.  Die  griechischen  Zahlzeichen  für 
5,  10,  100  u.  s.  w.  waren  Abbreviaturen  der  Zahlworte  und  wir  finden  dem- 
entsprechend lateinisch  M  miUe  für  1000,  wie  das  griechische  M  müriai  für 
10.000.  Beide  Worte  bedeuteten  ursprünglich  dasselbe,  nämlich  etwas  Un- 
zählbares. Wäre  V  die  Hand  gewesen,  so  müsste  es  ein  entsprechendes  Zahl- 
wort haben,  quinque  scheint  eine  Reduplication  von  gii€  zu  sein,  que  «und* 
ist  gleich  dem  hebräischen  ii  vctv,  dessen  älteste  Form  Y  war,  genau  genom- 
men bedeutet  das  2,  hieran  reiht  sich  f\^  kaph  «die  Faust',  griechisch  K 
kappa,  als  Thorr  so  viel  wie  Mus,  , Alles,  das  Ganze*.  Somit  scheinen  |  V  X 
die  ältesten  Zahlen  «eins,  zwei,  alles'  gewesen  zu  sein,  welche  dann  durch 
II  III  IUI  auseinander  gehalten  und  zu  Potenzen  erhoben  wurden.  Im  römi- 
schen Alphabet  ist  K  das  zehnte  Zeichen,  ihm  folgt  L  als  20,  M  als  30, 
womit  die  Zahlenreihe  der  römischen  As,  welche  aus  12  Theilen  besteht, 
erschöpft  war.  Daher  ist  es  wahrscheinlich,  dass  wie  aus  der  2  die  5,  so 
auch  L  aus  der  20  die  50  wurde,  dann  wäre  M  früher  100  gewesen.  Als 
die  Zeichenordnung  auf  22  angewachsen  war,  war  der  22.  Buchstabe  die 
Zahl  400,  mit  500  fing  man  von  vorne  wieder  an.  Wir  haben  Alpha  als  die 
Hälfte  kennen  gelernt,  sollte  nicht  der  Halbmond  D  diese  Hälfte  gewesen  sein? 

2.  Die  Uncialschrift. 

Wie  bei  den  Griechen,  schuf  die  Kalligraphie  bei  den  Römern  eine 
gerundete  Abart  der  Capitalschrifl,  welche  die  Paläographen  Uncial  nennen. 
Wir  sind  auch  hier  in  der  Lage,  unseren  Lesern  eine  schöne  Probe  derselben 
zu  geben,  indem  wir  auf  Tafel  XIII  ein  Stück  eines  Palimpsestes  abgebildet 
haben,  welcher  eine  schöne  Uncialform  aus  dem  1.  Jahrhundert,  ein  Bruch- 
stück aus  Cicero*s  Abhandlung  «de  Respublica"  zeigt.  ^^' 

Im  Mittelalter  pflegten  nämlich  die  Mönche,  wenn  sie  kein  Geld  hatten, 
sich  neues  Pergament  zu  kaufen  oder  wohl  auch  aus  Büssachtung  der  heid- 
nischen Schriften,  in  deren  Besitz  sie  zufällig  gekommen  waren,  beschriebene 
Pergamente  auszuradiren,  um  den  so  gewonnenen  Raum  mit  ihren  gottseligen 
Betrachtungen  auszufüllen.  Die  neuere  Wissenschaft  ist  andern  Sinnes  und 
schätzt  die  Oberreste  der  alten  römischen  Literatur  höher  als  die  frommen 
Betrachtungen  mittelalterlicher  Mönche,  sie  hat  daher  Mittel  gefunden,  auf 
chemischem  Wege  die  Urschriften  solcher  Pergamente  wieder  herzustellen ; 
solche  Wiederauffrischungen  nennt  man  Palimpseste  (Wiederaufschabungen), 

30* 


548  Erklärung  der  Tafeln  Xül  und  XIV. 

und  ein  solcher,  wo  ein  Schriftstück  aus  dem  1.  Jahrhundert  unserer  Zeit- 
rechnung mit  einer  Schrift  im  10.  Jahrhundert  überschriehen  wurde,  liegt  in 
Tafel  Xni  vor. 

Da  die  Überschrift  in  rothen  Buchstaben  ebenfalls  in  Uncialform  ist, 
so  ist  zugleich  eine  Vergleichung  der  im  10.  Jahrhundert  gebräuchlichen 
Uncialschrift  mit  der  altem  gegebenen  und  man  wird  wenig  Unterschied  finden. 
Der  Grundtext  lautet: 

eagenus  alt  ro  proapicer 

uod  ccUo  inpendentis 

cscereexü  in  guhema 

squa  cante  darempmo 

ixi  solet  mi  derantem 

riq  sunt  or  cursum  cUq  in 

Die  neue  Überschrift  lautet:  Inc.fynt)  depsalmo  CXXIIII  .Anfang  des 
124.  Psalms*.  Auf  den  weitem  Text  werden  wir  Seite  560  zmrückkommen. 

3.  Cursiv. 

Neben  der  schönen  Uncialschrift  hatte  sich  bei  den  Römern  auch  eine 
Cursiv  aus  der  Capitalschrifl  gebildet,  welche  zu  flöchtigen  Notizen  gebraucht 
wurde.  In  Manuscripten  kommt  von  dieser  Cursiv  wenig  vor,  doch  hat  man 
einige  Metall-  und  Wachstäfelchen  gefunden,  in  welche  diese  cursiven  Zeichen 
mit  eisernem  Griffel  eingeritzt  wurden.  Die  Römer  bedienten  sich  dieser  Wachs- 
tftfelchen  als  Notizbucher;  der  Griffel  war  an  einem  Ende  spitz,  am  andern 
abgeplattet,  so  dass  man  das  Eingeritzte  mit  dem  stumpfen  Ende  wieder 
verlöschen  konnte.  Wir  haben  auf  Tafel  XIV  eine  getreue  Nachbildung  eines 
solchen  Wachstäfelchens  gegeben,  welches  in  einem  Bergwerke  in  Ungarn 
gefunden  worden  ist  und  aus  dem  1.  Jahrhundert  unserer  Zeitrechnung 
stammt.  Die  gekritzelten  Zöge  sind  schwer  zu  entziffem,  der  Anfang  lautet 
nach  Massmann's  Lesung:  ^^^ 

juHum  julii  quoque  commagistrarum  suum 

ex  die  magisieri  sui  non  accessisse  ad  Älbumum  neq(ue) 

Wir  geben  ferner  das  Alphabet  der  Cursiv  aus  dem  2.  Jahrhundert,*** 
im  Falle  ein  Leser  Lust  an  der  Entzifferung  hätte : 

abcdefghilmnop    q    r  $    t   v  x 


llllitiiiiiiililiill 


^ 


Gursiv. 


549 


Das  Lesen  solcher  Cursivschrift  wird  sehr  dadurch  erschwert,  dass 
mehrere  Buchstaben  zusammengezogen  wurden ;  wir  geben  noch  als  Probe 
ein  deutlicheres  Gursivstück  aus  späterer  Zeit:  ^^^ 


Transscription. 
tunc  non  solum  ut  periurii  reatus  incurram 
nichihminus  (i)  hatte  pUnariam  securüaftem] 
suscribendam  quam  si  geatis  fnunicipali[busj 
inserendo  breue  breue  de  diuersis  »pect 

4.  Tachygraphie. 

Die  römische  Republik  hatte  durch  den  Muth  ihrer  abgehärteten  Sol- 
daten, durch  die  Klugheit  ihrer  Feldherren  und  durch  die  weise  Benützung 
der  Umstände  seitens  ihrer  Lenker  fast  die  ganze  den  Alten  bekannte  Welt 
erobert;  das  nördliche  Afrika,  Ägypten,  Palästina,  Kleinasien,  Griechenland, 
Europa  südlich  der  Donau  und  des  Rheins  waren  römische  Provinzen,  regiert 
▼on  dem  römischen  Senate,  einer  Versammlung  von  Bürgern,  welche  von 
den  Fremden  Fürsten  genannt  wurden,  aber  auch  reich  und  mächtig  wie 
diese  waren,  denn  die  reiche  Beute  der  Kriege,  der  Tribut  und  das  denselben 
weit  übersteigende  Erpresste  führte  Unmassen  von  Reichthümern  nach  Rom, 
das  darin  verweichlichte  und  erstickte. 

Nie  war  das  Wort  mächtiger  als  in  dem  römischen  Senat,  von  dessen 
Berathungen  und  Entscheidungen  Krieg  und  Frieden  für  viele  Völker,  Glück 
oder  Verderben  für  den  Einzelnen  abhing;  glücklicher  als  Demosthenes  ver- 
mochte Cicero  durch  eine  kühne  Rede  den  römischen  Staat  vor  der  drohenden 
Gefahr  zu  bewahren,  während  Cato's  stachelnde  Rede  Kartago  den  Unter- 
gang brachte.  Unter  diesen  Umständen  erwuchs  das  Bedürfniss,  das  gespro- 
chene Wort  in  der  Schrift  festzuhalten,  und  während  bisher  die  Schrift  nur 


650  Tironische  Noten. 

mühsam  die  Aufgabe  gelöst  hatte,  die  Laute  verstfindlich  dem  Auge  in 
Buchstaben  darzustellen,  fiel  ihr  jetzt  die  höhere  Aufgabe  zu,  dem  schnelien 
Worte  zu  folgen.  Weder  die  Zeichen  noch  das  Schreibmaterial  waren  za 
diesem  Zwecke  besonders  geeignet;  aber  die  Noth  macht  erfinderisch,  und  ein 
Freigelassener  des  Cicero,  Marcus  Tullius  Tiro,  machte  die  ersten  erfolg- 
reichen Schritte  auf  dem  Boden  dieser  Erfindung,  welche  später  von  Anderen 
noch  mehr  ausgebildet  wurde,  aber  ihrem  Begründer  zu  Ehren  den  Namen 
«tironische  Noten"  erhielt. 

Bevor  wir  auf  dieselben  eingehen,  dürfte  es  zweckmässig  sein,  einige 
Bemerkungen  über  die  Schreiber  zu  machen.  Rom  war  der  Sklavenmarkt  der 
ganzen  alten  Welt;  die  endlosen  Kriege  führten  demselben  einen  ununter- 
brochenen Zufluss  von  Kriegsgefangenen  zu,  welche  oft  zu  den  gebildetsten 
Leuten  gehörten,  wie  denn  auch  das  Bücherabsch reiben,  welches  von  den 
römischen  Buchhändlern  fabriksmässig  betrieben  ward,  durch  Sklaven  besorgt 
wurde.  Roms  Geschichte  wird  unverständlich,  wenn  man  nicht  den  Einfluss 
seiner  Sklaven  in's  Auge  fasst,  von  denen  die  einen  ihre  Herren  zu  allerlei 
Lastern  verführten,  während  die  anderen  einen  bildenden  Einfluss  auf  sie 
übten.  Man  denke  sich  einen  Philosophen  als  Skkiven  eines  rohen,  aber 
bildungsfähigen  Kriegers,  das  Zusammenleben  konnte  nicht  ohne  Folgen  sein. 

Wir  bemerken  diesen  Einfluss  in  der  römischen  Schrift;  wenn  in  der 
Gursiv  S  zu  f  wurde,  so  war  das  letztere  das  phönikische  \y  sode,  welches 
durch  phönikische  Sklaven  in  die  Schrift  eingeschmuggelt  wurde,  ebenso  ist 
Jl  (r)  der  Capitalschrift  fremd  und  g  ein  neues  fremdes  Zeichen.  Die  beiden 
letzteren  finden  wir  am  schärfsten  in  der  irisch-angelsächsischen  Schrift  aus- 
geprägt, fl  war  das  nordische  D  ur,  ^  die  Hieroglyphe  (  /n  {genus  «das 
Geschlecht«). 

Welcher  Herkunft  Tiro  war,  ist  nicht  bekannt,  es  dürfte  aber  wahr- 
scheinlich sein,  dass  er  vieler  Zeichen  kundig  war  und  diese  Kenntniss  zur 
Schnellschrift  benützte.  Übrigens  war  der  Boden  dazu  schon  vorbereitet  Die 
Römer  hatten  mit  den  Juden  das  Streben  gemein,  die  Wörter  abzukürzen; 
kein  Volk  der  Welt  hat  so  viele  Abbreviaturen  als  diese  beiden,  gemeinsam 
war  ihnen  ein  kleines  Abbreviationszeichen,  bei  den  Römern  der  Punkt,  bei 
den  Juden  der  Strich,  gemeinsam  war  ihnen  der  Gebrauch  eines  Zeichens 
für  verschiedene  Wörter,  je  nach  dem  Sinne  des  Satzes,  Alles  dieses  bot  die 
Grundlage  zur  Schnellschrift. 


J 


Tironische  Noten.  55  t 

So  hiess  bei  den  Römern  A.  Absolvo,  AdsigncUur,  AediUSf  Ager,  Ajunt, 
aUqtiando,  Amicus,  Aftimo,  Anno,  Annu^,  Ante  etc. ;  B.  Biübus,  Befieficiaius,  Bis, 
Bona,  Bonus,  Brutus;  C.  Caesar,  Cajus,  Ckdendae,  Candidatus,  Capit,  Castro, 
Causa  etc.;  D.  Dea,  Decimus,  Decius,  Decuria,  Dedit,  Deus,  Dies,  Divus  etc. 
Bekannt  ist  die  Abbreviatur  S.  P.  Q.  R.  {Senatus  Papulus  Que  Ramanus 
d.  h.  ,der  Senat  und  das  römische  Volk'),  welche  sich  auf  den  Standarten 
der  Legiionen  befand.  Erschien  der  einfache  Anfangsbuchstabe  nicht  aus- 
reichend, so  wurden  mehrere  Buchstaben  angewendet:  SA.  fQr  ScUus  oder 
Sacerdos,  QV.  Ar  Quartus,  QS.  für  Quasi,  TM.  DD.  für  Terminum  Dedicavit 
oder  TermaeDicatae.  Solche  Buchstaben  wurden  auch  gern  zusammengezogen, 
wie  2%  oh,  AL  ant,  J^  aru,  ß  dixit,  f  intei-,  Jj  locus,  Jj  libra  (unser 
Pfundzeichen  U  ist  aus  der  Abbreviatur  Ib  mit  durchkreuzendem  Strich 
gebildet)  JJJ  nihil,  J^J  "w,  "ft,  rex,^^  vestes  u.  s.  w. 

Dem  entsprechend  wurden  in  der  Tachygraphie  die  Lautzeichen  in 
ihren  einfachsten  Formen  oder  auch  aus  anderen  Alphabeten  als  Wörter 
verwendet,  wie  A  fiir  cUienus,  i  für  brems,  C  für  centum,  D  für  con,  H  fQr 
circum,  ^  für  dicit,  t  für  ego,  V  für  equus,  auch  als  /  ^t  forte,  ^  für  homo,  V 
für  hie,  I  für  in,  —  ^x  jacet,  K  für  kalendae,  L  für  latum,  -^  für  longus,  V  für 
fiihil,  ^  für  liber,  M  für  mqjestas,  M  für  nuiximus,  M  für  meditatur,  H/  für 
mons,  W  für  modestus,  i  für  maiurus,  Z  für  ne,  1  fQr  natura,  ^^  für  noster, 
M  für  nescio,  -^  für  non,  (f  für  o^nen,  ca)  för  optimus,  A  für  praetor,  ^  für 
pendit,  ^  fQr  ponit,  jl  fQr  |>er,  ^  für  posuit,  <^  für  poi»^  ^  für  51«*,  ?  für 
quOf  \  für  giiMf;  /  für  quando,  ^  für  re^  9  für  wp-a^  C/)  fQr  sursum,  "1  für 
«f^  T  fQr  to,  U  für  verus.  Der  Punkt,  welcher  anfangs  nur  die  Abbreviatur 
anzeigte,  wurde  in  verschiedener  Stellung  zur  Unterscheidung  ähnlicher 
Wörter  gebraucht:  A  war  aliemis,  »A  andro,  C*  certus,  3  ciri.t,  ö  «>»•<•'*»  "O 
comitatus,  von  1'  /or/e  wurde  I!  equus  durch  den  Punkt  unterschieden  u.  s.  w. 
Weiters  wurden  wie  in  der  Capitalschrift  durch  Verschmelzung  mehrerer 
Zeichen  Monogramme  gebildet,  z.  B.  K,  an  und  T  gab  2S  a9ifiqHUj<  (\  monttui 
)  fUius,  die  Durchkreuzung  war  immer  x  oder /(was  an  den  angelsächsischen 
Runennamen  fQr /rd:  toür, erinnert)  z.B.  ^  (c/a^i^Daniel,  ^  luxuria.  Die  wich- 
tigste Erfindung  Tiro*s  war  jedoch  die  der  Hilfszeichen  für  Endungen  und 
Präpositionen,  vondenen  viele  dann  auch  als  Stammzeichen  verwendet  wurden 
und  so  das  tironische  Alphabet  erweiterten.  So  dürfte  h  zuerst  Hilfzeichen 
für  die  Endung  a  gewesen  sein  z.  B.  0^  causa,  denn  dem  römischen  Alphabet 


552  Tironische  Noten. 

gehörte  es  nie  an,  sondern  ist  aus  dem  markomannischen  K  ^c^  als  A  in 
<lie  römische  Cursiv  übergegangen;  ebenso  /  at,  welches  denn  auch  die 
Vorsilbe  ad  wurde,  /  am  ?  oO  08  i  arum  '^re9  us  -^  um.  Diese  Zeichen  wurden 
nicht  nur  an  die  Stammzeichen  angestellt,  sondern  auch  mit  denselben  ver- 
bunden, so  ist  r  cu  =  c<matur,  aus  dem  ^,  welches  ursprOnglicb  wohl  u  war, 
erklärt  sich  \  quid,  wo  u  das  qu  vertritt,  —  es  wird  zu  einer  Verlängerung 
der  Zeichen  u.  s.  w.  In  früherer  Zeit  ging  man  in  der  Abbreviatur  sehr  weit 
und  überliess  manches  der  Ergänzung  durch  das  Gedächtniss.  So  hat  sich 
z.  B.  in  dem  Verzeichnisse  der  tironischen  Noten  ein  Zeichen  erhalten,  welches 
seiner  Natur  nach  nur  einmal  gebraucht  worden  sein  konnte,  das  aber  als 
Musterbeispiel  aufbewahrt  worden  ist,  nämlich 

d.  h.  quausque  (andern  abutere,  Catüina,  patietitia  nostra,  zu  deutsch:  «wie 
lange  noch,  Catilina,  missbrauchst  du  unsere  Geduld?'  Es  ist  der  Anfang  der 
tachygraphisch  aufgenommenen  ersten  Rede  des  Cicero  gegen  Catilina  und 
besteht  aus  den  Buchstaben  Q  P  N,  die  Worte  ^tandem  abutere,  (Jatüina*, 
überliess  der  Tachygraph  seinem  Gedächtniss.  Als  die  Tachygraphie  nicht 
mehr  zum  Nachschreiben  von  Reden  gebraucht  wurde,  mumificirten  sich  die 
Zeichen  in  Siglen  (siglae  heissen  die  Abbreviaturen,  das  Wort  wird  erklärt 
durch  singula  liiterapro  toto  terbo  .einzelne  Buchstaben  für  ein  ganzes  Wort*, 
dürfte  aber  eher  von  sigiüum  abstammen,  das  waren  die  Figuren  auf  Münzen 
und  Sigeln,  in  denen  wahrscheinlich  zuerst  Abbreviaturen  vorkamen,  so  ist 
auch  siglos  eine  persische  Münze  oder  hebräisch  ^pw  Sekel  ein  Gewicht),  welche 
ängstlich  unterschieden  wurden,  so  dass  die  frühere  Kürze  sehr  beeinträchtigt 
wurde  und  die  Schrift  schliesslich  zu  einer  Greheimschrift  ward.  Dennoch 
erhielten  sich  die  tironischen  Noten  bis  zum  10.  Jahrhundert,  also  über  ein 
Jahrtausend  im  Gebrauch. 

Wir  geben  hier  als  Probe  den  28.  Psalm  aus  einer  schönen  Handschrift 
des  10.  Jahrhunderts.^®® 

Transscription. 

(Die  Stammzeichen  sind  mit  Versalien,  die  Hilfszeichen  mit  gemeinen 
Buchslaben  gesetzt,  das  Fehlende  in  Klammer.) 

AF(er)te  D(omi)No  F(i)Ln  D(e)i,  AF(er)te  D(omi)No  F(i)L(i)as  AB(ie)tu(m). 
AF(er)te  D(omiJNo  GL(ori)am  eT  HO(no)rem,  AF(er)te  D(omi)No  GL(m)am 

N(omin)i  eJUS.  A(do)R(a)te  D(omi)Num  I(n)  A(iri)o  S(an)Cto  eJÜS. 


Tironische  Noten.  553 


1«^ 


KVul  [)  r9 


#♦ 
A/ 


7  ^ <;4\'^' ^-^'^^^'^-• 
y,  -TW  ^7  ö^- n  9^7^^  Vi^' • 


(Fortsetzung  von  Seite  552.) 
Vro)X  D(omi)yi  Sruper)  ÄQ(u)a8,  DEus  m(ajest)atis  I(n)TO(n)uit,  D(ominus) 

S(uper)  AQuas  MV(lt)as. 
V(o)X  D(omi)Ni  I(n)  VIR(tu)U,  V(o)X  D(omi)N%  I(n)  M(agnificen)tia, 
V(o)XD(omi)Ni  C(on)F(rm)G(en)ti8  CEDRos,  eT  C(on)F(rin)Gei  D(omi)Nu9 

CEDRos  L(i)B(a)nu 
€TCo(mmi)N(u)et  EAS  (t)AM(quam)  VI(tu)L(um)  L(i)B(a)ni,  tTDfOLfecUus 

Qruemad)M(odum '  F(i)Lrius)  rNiCO(r)S(iHm). 


554  Tironische  Noten.  —  Merowingisch. 

V(o)X  D(omi)Ni  I(nterci)Dentü  F(lam)M(m)am  IG(n)is,   V(o)X  D((m)Ni 

CC<mc;TJ(HJmti8  DEfsejEtum  eT  CC<mmo)VCeJbU  DfomimisJ  DEfsejRtm 
-     CCajDEs. 
VfojX  DramijNi  PCräjPCamJniis  C(e)RCvJos,  eT  RCejVCeiaJbU  Cofndensja,  eT 

Ifn  temjPClJo  eJüS  OCmnesJ  Dficjent  GLforiJam. 
DC(mijNCusJ  DfijLCuvßutn  iCnkajBfiJtare  Ffacßt.  eT  SCedeJhU  DfimjNfusJ 

RCejXiCnJ  ECterJtium. 
DCwnijNfusJ  VIRCtuUJm  PCo)PCulJo  Sfujo  DCaJhit,  DC(mijN(us)  BrejNfedicJet 

PfojPfulJo  ICnJ  PfajXe  [pace]. 

Spuren  dieser  Tachygraphie  haben  sich  in  den  Abbreviaturen  des 
Mittelalters  noch  lange  erhalten.  Das  ganze  Princip  der  KQrzung  wurde  auf 
die  Minuskelschrift,  wenn  auch  in  beschränkter  Weise  übertragen,  z.  6. 
coa  Consequentia,  dmf  domimss,  Aür  dkuntur,  m  muUiplex,  ppm  perpetmm, 
£1  substanUa,  fcim  saeculum,  fpf  spiritus,  if  fratres  u.  s.  w.  Tironianische 
Zeichen  in  den  Abbreviaturen  sind:  x  oder  o  con,  k  oder  %  de,  ^  us,  ^  ^f 
=  esse,  -f  est,  1  et  (dagegen  SC  eine  cursive  Verschmelzung),  7*  id  est,  t 
vel,    $  omino,  «  pro,  "  re,  ?  sibi,  ^  ur  etc. 

5.  Merowingisch. 

Durch  das  Christenthum  war  die  lateinische  Schrift  und  die  lateinische 
Sprache  bei  den  westlichen  Völkern  Europas  verbreitet  worden,  nur  Stücke 
des  Katechismus,  Taufgelöbnisse,  Glaubensbekenntnisse,  Beichtformehi  und 
das  Vaterunser  kamen  in  deutscher  Sprache  vor,  der  ganze  Qbrige  Gottes- 
dienst wurde  in  lateinischer  Sprache  gehalten,  und  man  ging  sogar  so  weit, 
den  niederen  Geistlichen  das  Predigen  zu  untersagen  und  dieses  Recht  den 
Bischöfen  vorzubehalten,  welche  sich  darauf  beschränkten,  eine  lateinische 
Homilie  vorzulesen.  Auch  der  diplomatische  Verkehr  wurde  in  lateinisdier 
Sprache  gepflogen,  und  in  den  Diplomen  bildete  sich  ein  Mittelding  zwischen 
Cursiv  und  Uncial  aus,  welches  zur  spätem  Minuskel  wurde.  Natüriich 
entwickelte  sich  im  Laufe  der  Zeit  ein  verschiedener  Ductus,  welcher  den 
Paläographen  ermöglicht,  aus  den  Formen  der  Buchstaben  genau  die  Zeit 
zu  bestimmen,  wann  eine  Urkunde  geschrieben  wurde.  Diese  Einzelheiten 
gehen  aber  über  die  Tendenz  des  vorliegenden  Werkes  hinaus,  wir  begnügen 
uns  daher  hier  eine  Probe  der  fränkischen  Diplomschrift  in  verkleinerter  Form 
zu  geben. 


Merowingische  Diplomschrift. 


555 


S56 


GJtterschrifl.  ~  Minuskel. 


TransscriptiOD. 
f  Si^Hutn  chüperici  glurioai  regis. 
ego  eltricus  paiaiinus  scriptor  recognoui. 
data  anno  dominicae  irKamat(ionisJ  DCVJ  indictione  VIII.  anno  regm  dtäperiä 

regis  XXU. 
actum  ruiomagi  in  gtneraii  conuentu  III  nutias  magii  mensia. 

Es  ist  der  Schluss  der  Charte  Chilperich's  I.,  betreffend  den  Wieder 
aufbau  der  Kirche  von  Beauvais  583. 

Später  streckte  man  die  Buchstaben,  namentlich  in  den  Anfangszeilen 
der  Diplome  so,  dass  dieselben  Gitter  bildeten,  in  denen  die  charaktenstischen 
Unterschiede  sich  in  dem  obem  oder  untern  Theile  verkrochen,  i.  B.  fol- 
gende Stelle  aus  dem  Missale  von  St.  Germain  zu  Paris  822. 


st  v^is     anguiUam     strictts     tenere  moHÜM  quanto  forüus 

Wir  würden  diese  Schrift,  als  einer  Spielerei,  nicht  erwähnt  haben, 

wenn  sie  nicht  dieselbe  Tendenz  trüge,  welche  sich  in  der  spatem  tUnuskel 

zur  Zeit  Gutenberg's  ausgebildet  hat  Diese  Gitterschrifl  florirte  besonders  in 

den  Missalen,  nur  dass  die  Striche  später  dick  wie  Gaxtenzaun pfähle  wurden. 


6.  Die  Minuskel. 
Während  in  der  Gapitalschrift  alte  Zeichen  von  gleicher  Höhe  waren, 
gingen  schon  in  der  Uncial  einzelne  Buchstaben  aber  die  Zeile  nach  oben 
oder  nach  unten  hinaus,  noch  mehr  tritt  diess  in  der  Minuskel  hervor,  in 
welcher,  je  mehr  einzelne  Striche  oben  oder  unten  Oberragten,  der  Kern  der 
Schrift  mehr  und  mehr  zusammengedrückt  wurde.  Auch  die  Gestalt  der 
Zeichen  erlitt  Veränderungen,  welche  mehr  oder  weniger  den  Runen  zuzu- 
schreiben sind,  denn  wie  die  germanischen  Völker  zwar  die  neue  Religion 
annahmen,  aber  derselben  unbewusst  manche  ihrer  ererbten  Anschauungen 


Entwicklung  der  Minuskel.  557 

einpflanzten,  da  mit  der  Taufe  nicht  das  ganze  Denken  umgestaltet  wurde, 
so  nahmen  sie  auch  die  lateinische  Schrift  im  Ganzen  an,  übertrugen  aber 
unwillkQrlich  ihre  gewohnten  Zeichen  in  dieselbe,  wenn  sie  mit  jenen  Ähn- 
lichkeit hatten.  So  ßnden  wir  in  der  longobardischen  Schrift  die  gothische 
Rune  IS  j7  als  k  b,  in  der  merowingischen  schon  b  wie  im  Slavischen  b 
bukt  zu  b  wurde,  während  das  griechische  B  als  w  galt;  so  scheint  auf  ^  d 
das  markomannische  DO  d  eingewirkt  zu  haben,  jedenfalls  aber  ist  d  das 
markomannische  d,  wie  h  das  markomannische  |v  khen;  in  der  Folge 
wechselten  c  und  h  fQr  /,  bis  man  beide  zu  einem  Zeichen  ch  verschmolz ;  in 
^  tritt  die  angelsächsische  /e-Rune  mehr  hervor  als  im  römischen  F,  in  p  das 
markomannische  J\  hur,  welches  in  der  gothischen  Schrift  u  war,  manche 
Buchstaben  traten  übrigens  auf,  welche  weder  im  lateinischen  Alphabet  noch 
in  den  Runen  ein  Vorbild  hatten,  wie  das  irische  3(,  das  angelsächsische  5 
und  das  i.  3(  ist  das  hieratische  ^L  ^^^  Adler,  der  im  Deutschen  ar  heisst 
wie  im  Ägyptischen  (hebräisch  iw  or  Licht),  5  die  Hieroglyphe  i/n,  f  ist  das 
hebräische  f  sade,  wie  bereits  bei  der  römischen  Schrift  erwähnt  wurde. 
Diese  Zeichen  durch  Corrumpirung  von  BDHRaGSzu  erklären ,  ist  so 
gewaltsam,  dass  ich  die  Verantwortung  dafür  nicht  übernehmen  möchte, 
übrigens  scheint  schon  G  ein  Gefäss  zu  sein,  die  hieratische  Form  ^  der 
Hieroglyphe  (.  Auffallend  ist  es  jedenfalls,  in  ein  und  derselben  Handschrift 
verschiedene  Formen  für  r  und  s  zu  finden,  je  nachdem  die  Worte  lateinisch 
oder  deutsch  sind,  wie  in  der  alten  fränkischen  Taufformel  im  7.  Jahrhundert.^®' 

f^o-^ftji^Mnifux  unVioLöun  .  1  npi|ir\>JKu 

Interrogatio  sacerdotis  (Frage  des  Priesters). 

Fomahhistu  unhddun.  Ihfursahu.  (Entsagst  du  dem  Teufel?  Ich  entsage.) 

Eine  besonders  eckige  Form  nahm  die  Schrift  bei  den  Iren  an,  die 
diesen  Ductus  später  nach  Deutschland  herüber  brachten,  welches  zum  grossen 
Theile  durch  irische  Mönche  zum  Christenthum  bekehrt  wurde.  Irland 
war  es  auch,  wo  die  Kalligraphie  im  8.  Jahrhundert  zur  Blüthe  gedieh; 
namentlich  sind  die  verzierten  Initialen  von  den  Iren  ausgegangen.  Bei  den 
Römern  waren  solche  Verzierungen  nicht  im  Gebrauche,  dagegen  findet  man 
schon   in  ägyptischen  Papyrus  •  Schriften  die  Anfange  von    Capiteln    rulh 


558  Irische  Minuskel. 

gemalt.  Wie  Seite  180  erwähnt,  hatten  die  Iren  auch  eigene,  dem  Pflanzen- 
reiche entlehnte  Buchstaben  und  eine  Geheimschrift.  Wir  geben  hier  eine 
Probe  des  irischen  Vaterunsers  aus  dem  9.  Jahrhundert. 

^laici^jm-p.  X3ix)  x)o  coil  i  calmain  atnail  aca  ii)  nitn.  Z^^^J^ 
xyux)  itioiu  a/i  -pa-pax)  laci!?!.  Ocu-p  I05  outi  a^i  j:iacl!?a  flitnail 
losmaicii«  x)ia;i  ^eci!7etn!iA.ib  Ocu|*  ntf  Ifcea  pnx)  1  n-aTnuf 

Transscription  und  Übersetzung. 

A  athair  ß  hi    nimib,        Noemthar        thainm,  Tosi 

0  Vater,  welcher  bist  in  Hinmieln,  geheiligt  sei  dein  Name.  Es  komme 

do      flaithius,  Did  do     tau  i  talniain  amail  <xta  in    nim.    Tabair 

dein  Königreich.  Es  geschehe  dein  Wille  auf  Erden    wie   im  Himmel.  Gteb 

dun        indiu  ar      sasad    lathi,  Okns     log     dun      ar        fiachu  amaü 

uns  diesen  Tag  unser  täglich  Brod.  Und  vergieb  uns  unsere  Schulden  wie 

logmaitre  diar  fhechemnaib.  Ocus  nis  lekea  sind  i  n-omitö 
wir  vergeben  unseren  Schuldnern.  Und  nicht  lasse  fallen  uns  in  unerträgliche 
n-dofulachtai.  Acht  nan  soer  0  kech  ,  ulk,  Amen  ropfir. 
Versuchung,  sondern  befreie  uns  von  jedem  Übel.  Amen,  möge  es  auch  sein. 
In  neuerer  Zeit  hat  die  irische  Schrift  unter  dem  Einflüsse  der  eng- 
lischen mehr  den  Charakter  der  Antiqua  angenommen ;  destomehr  muss  die 
Treue  auffallen,  mit  welcher  die  alten  Formen  7  ^  p  r  p  9  bewahrt  wurden. 
Wir  geben  als  Probe  das  Vaterunser  aus  einem  1827  erschienenen  Werke: 

Qp  Nachcnp  aca  ap  ncam,  MaoTncap  iainm.  Oyeaö  00  pio^aco.  Oe^iv 
rap  DO  roil  ap  an  ccalorii,  map  bo  nic^p  ap  neam.  Qp  napon  laetonml  caBoip 
tovnn  a  niv,^.  Qjvp  maic  övnn  ap  Bpiaca,  map  maitmibne  bap  BFcireaipn>8B 
(pein).  Qjvp  na  leij  pmn  a  ccacvjab,  acb  paop  in  o  olc:  Oip  ip  Icacb  fcin  an 
piojacb,  ajyp  ancvmacb,  a'^y\'  an  jloip,  50  piojpMje.  Qmen. 

Die  Angelsachsen  waren  Schüler  der  Iren ;  wir  finden  daher  dieselben 
Zeichen  bei  ihnen,  ausserdem  aber  noch  drei  besondere  Zeichen,  nämlich 
die  Runen  P  uu,  P  th  und  S  dh.  Diese  Zeichen  sind  später  in  der  Druckschrift 
aufgegeben  und  durch  W  und  th  ersetzt  worden.  Das  angelsächsische  Vater- 
unser lautete  nach  Bede: 


Angelsächsische  und  deutsche  Minuskel.  559 

®u  upe  F«be]i  he  eapc  on  heofmuin,  f y  hin  nama  jehdijob  jecu- 
me  ^in  pice.  Sy  Sin  Pilla  fPayPa  on  heopnum  fPa  edc  on  eopf^an.  Syle 
af  CO  hm$  upne  baD^bPomlican  hlop  anb  fopjyp  uf  ape  3ylcaf  fPa  fPa 
Pe  pop3y|:a|>  ham  he  Pif»  uf  asylcaf».  Anb  ne  leb  Su  na  uf  on  cofcnunje 

dc  dlyi  Uf  ppam  ypele,   Sy  hic  j?a. 

Die  Schrift  ist  von  der  jetzigen  so  wenig  verschieden,  dass  eine  Trans- 
scription überflüssig  ist,  dagegen  geben  wir  zur  Vergleichung  das  Vaterunser 
in  jetziger  ^Sprache. 

Our  father,  tchich  ort  in  heavett,  haüowed  be  thy  name,  Thy  kingdom  come. 
Thy  will  be  done  on  earth  as  it  is  in  heaven.  Give  U8  this  day  our  daüy  bread, 
Änd  forgive  %as  our  debts  as  tceforgive  our  debtors.  And  lead  us  not  into  temjh 
tation,  btU  deliver  usfrom  evil. 

Statt  debts  wurde  früher  auch  tresspasses  gebraucht. 

In  Deutschland  wurde  die  heimische  Sprache  von  der  Geistlichkeit  so 
missachtet,  dass  der  Mönch  Otfried  im  9.  Jahrhundert  sich  in  einem  lateinisch 
geschriebenen  Brief  an  den  Bischof  von  Mainz  gegen  den  Vorwurf,  dass  er 
bäurisch-deutsch  anstatt  lateinisch  geschrieben  habe  (er  hatte  die  Evangelien 
in  deutscher  Sprache  umgedichtet),  mit  der  Versicherung  rechtfertigte,  er  habe 
die  deutschen  unnützen  und  unzüchtigen  Lieder  verdrängen  wollen.  ^^^ 

Von  diesem  Mönch  Otfried  besitzen  wir  auch  ein  deutsches  Vaterunseri 
welches  wir  in  den  den  Handschriften  jener  Zeit  nachgebildeten  Typen  der 
Staatsdruckerei  folgen  lassen: 

(Xx-rer  unfir,  du  m  htmtle  btf^.  dxn  nxma  -werde  gthedigeT,  din 
riche  cbome.  din  vriUe  ^tfkehe  in  erdx  fcn  tnenntfgen,  xlfo  xn  htmtle  fon 
den  engiien,  llnfvr  Txgeiicii  frex'  ^b  auf  htuTO,  unde  txnfere  feulde 
belAi(h  utif^  j^tfb  ouh  uuir  firlA^hen  unferen  fcuidenxrenx  txnde  xn  dt^ 
chorunjA  nelexTxik  du  unfxh,  futiTtr  triefe  unfih  fettA  demo  ubde* 

Ihre  schönste  Blüthe  erreichte  die  Minuskel  im  10.  Jahrhundert,  und 
diese  Buchstaben  waren  es,  welche  die  Buchdrucker  der  ersten  Zeit,  um  mit 
ihren  gedruckten  Büchern  alle  geschriebenen  an  Schönheit  zu  übertrefTen, 
nachahmten,  weshalb  die  so  entstandene  Lateinschrift  den  Namen  .Antiqua* 
(alte  Schrift  im  Gegensatze  zu  der  eckigen  des  15.  Jalu-hunderts)  erhielt. 
Der  lateinische  Palimpsest  unserer  Tafel  XIII  zeigt  eine  solche  schöne  Minuskel, 


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560  Erklärung  der  Tafel  XIU. 

welche  zwar  in  manchen  Buchstaben  wie  r  tn  a  g  sich  noch  mehr  an  die 
Uncial  anlehnt. 

Der  Text  lautet:  Psalmus  iste  pertinens  ad  numerum  caniicorum  graduum, 
de  quo  tüulo  in  aUis  tarn  tnulta  diximus  et  rtpetere  nolumus,  ne  uas  Mmdamus 
poHus  quam  instruamus,  docet  nas  ascendenies  et  leuantes  animas  nastras  ad 
dominum  dominorum  afectu  caritatis  atque  pietaüa  non  intendere  in  hominäm, 
qui  prosperantur  in  hoc  saeculo  fdiätate  falsa  atque  uentosa  et  prorsus  seduämria, 
uln  nihil  aliud  nutriunt,  quam  superhiam,  et  cor  eorum  congelasdt  aduersus  deum 
et  ß  durum  aduersus  imbrem  gratiae  ipsius,  ne  fructum  ferat,  praesumentes  emm 
omnia  sibi  abundare,  quae  uidentur  huic  uitae  necessaria  et  \dira  qua  necessana 
extoüuntur. 

Übersetzung:  .Dieser  Psalm,  zu  der  Zahl  der  Cantica  graduum  gehbn% 
—  von  welchem  Titel  wir  schon  an  anderem  Orte  viel  gesagt  haben,  was 
wir  nicht  wiederholen  wollen,  damit  wir  euch  nicht  vielmehr  belästigen  als 
unterrichten  —  lehrt  uns,  uns  aufschwingend  und  unsere  Seelen  erhebend 
zum  Herrn  der  Herren  im  Affecte  der  Liebe  und  Frömmigkeit,  nicht  zu 
achten  auf  die  Menschen,  welche  in  diesem  Zeitalter  gedeihen  in  einem 
falschen  unbeständigen  und  gänzUch  verführerischen  Glücke,  wo  sie  nichts 
Anderes  nähren  als  Übermuth  und  ihr  Herz  erstarrt  gegen  Gott  und  wird  hart 
gegen  den  Regen  seiner  Gnade,  dass  er  keine  Frucht  trägt,  denn  vermeinend, 
dass  sie  Alles  im  Überfluss  haben,  was  für  dieses  Leben  nothwendig 
erscheint ■ 

Um  diese  Zeit  gab  man  auch  in  der  Cursivschrift  die  frühere  Yer- 
schHngung  der  Zeichen  auf  und  näherte  sich  der  Buchschrift.  Wir  geben  zum 
Beleg  dessen  nebenstehend  die  Abbildung  des  Anfanges  einer  der  ältesten 
deutschen  Urkunden,  nämlich  des  Diploms  König  Rudolfs  vom  Jahre  1281, 
worin  der  Landfriede  Kaiser  Friedrich's  II.  vom  Jahre  1235  bestätigt  wurde. 

Die  römischen   Zahlzeichen  machten  natürlich  die  Wandlungen  der 
Schrift  von  der  Majuskel  bis  zur  Minuskel  und  Cursiv  mit,  wir  finden  sie  in 
folgenden  Formen 
I     II     in     nn  oder  IV     V     VI     VII     Vin     IX     X     L     C     D     lo     M 

iTiTn  nn  vvivn       ixxxco 

I     11      111      tili  IV     V    VI     vu  viu  villi  pc  ^      l      c      d 

Man  vergleiche  auch  die  Zahlzeichen,  welche  die  Charte  Chilpericb's 
Seite  555  enthält. 


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Diplom  Schrift  im  13.  Jahrhundert. 


562  Deutsche  Ziffern.  —  Buchdruck. 

Der  Verkehr  mit  den  Arabern  vermittelte  im  1 2.  Jahrhundert  die  Be- 
kanntschaft mit  dem  indisch- arabischen  Ziffemsystem,  welches  im  Jahre  1202 
durch  die  Schriften  des  Leonardo  Fibonacci  aus  Pisa  in  Europa  bekannt 
wurde,  indess  kamen  die  Ziffern  vereinzelt  schon  früher  vor.  *** 

Fibonacci,  welcher  als  Kind  mit  seinem  Vater,  einem  pisanlschen 
Douanier  zu  Bugia  lebte,  lernte  die  arabischen  Ziffeiii  in  der  mayrebischen 
Form  (Gobar-Ziffern)  kennen,  welche  von  der  Form  der  ostarabischen  Ziffern 
abweicht,***^  und  hieraus  erklärt  sich  die  grosse  Abweichung  unserer  Ziffern 
von  den  bekannten  arabischen.  Wir  lassen  zum  Beleg  dessen  eine  Zusam- 
menstellung dieser  Ziffern  folgen: 

Ostarabische  Ziffern  \      T      fl      o     ^     \      A    \ 

Gobar-Ziffern  |      ^^^f^A     X^ 

Europäische  Ziffern  im  Mittelalter    i     o-      '^     ;^      7     c      A      S    f\ 
Jetzige  Ziffern  1234      56      7      89 

VII.  DER  BUCHDRUCK. 

Die  Erfmdung  des  Buchdrucks  würde  in  diesem  Werke  schon  deshalb 
einen  Platz  verdienen,  weil  sie  die  Kenntniss  des  Lesens  und  Schreibens  in 
die  weitesten  Kreise  verbreitete  und  den  Bücherbesitz,  der  vordem  nur  das 
Privilegium  der  Reichen  war,  auch  den  Mittelclassen  und  in  neuester  Zeit 
selbst  den  Ärmsten  ermöglichte;  sie  ist  aber  ausserdem  von  einschneidender 
Bedeutung  für  die  Bildung  der  Schrift  selbst  gewesen,  indem  sie  einerseits 
den  Buchstaben  einen  hohen  Grad  kalligraphischer  Ausbildung  gab,  und 
andererseits,  da  diese  Formen  in  der  Handschrift  schwer  nachzuahmen  waren, 
zur  Bildung  einer  sich  selbständig  entwickelnden  Schreibschrift  Anlass  gab. 

Der  Gedanke,  die  Schrift  auf  mechanischem  Wege  zu  vervielfältigen, 
ist  eigentlich  schon  uralt;  die  Babylonier  besassen  Holzformen,  mittelst 
deren  den  Ziegeln  kleinere  Inschriften  eingedrückt  wurden ;  die  Siegel  haben 
gleichfalls  von  jeher  den  Zweck  gehabt,  die  Schrift  mittelst  Aufdrücken 
mechanisch  zu  vervielfältigen ;  die  klösterlichen  Abschreiber  des  Mittelalters 
verwendeten  geschnittene  Stempel,  um  die  Umrisse  der  Anfangsbuchstaben 
ihrer  Manuscripte  vorzudrucken ;  ferner  bedienten  sich  die  Alten  schon  der 
Blechblättchen  mit  ausgeschnittenen  Buchstaben  als  Patronen,  um  ihren 
Namen  auf  irgend  einen  Stoff  zu  pinseln,  und  derselben  Patronen  bedienten 


Buchdruck.  563 

sich  die  Römer,  um  die  Kinder  schreiben  zu  lehren,  indem  diese  den  Griffel 
durch  die  Einschnitte  der  Patronen  hindurchführen  mussten.  Hieronymus,  zu 
Ende  des  4.  Jahrhunderts,  empfahl  der  Römerin  Lata,  ihrer  Tochter  Paula 
den  Lese-  und  Schreibunterricht  derart  zu  lehren,  dass  man  ihr  Buchstaben 
Ton  Buchsbaum  oder  Elfenbein  als  Spielzeug  gebe,  damit  sie  daraus  Wörter 
bilden  lerne.  *•*  Doch  alle  diese  Völker  kannten  für  die  Vervielfältigung  von 
BQchern  nur  das  Mittel  des  Abschreibens ,  welches  in  Rom  mittelst  Sklaven 
fabriksmässig  betrieben  wurde.  Auch  viele  Klöster  des  Mittelalters  waren 
derartige  Schreibfabriken. 

Die  ersten,  welche  Bücher  mechanisch  vervielfältigten,  waren  die 
Chinesen,  welche  im  4.  Jahrhundert  den  Holzschnitt  und  Holztafeldruck 
erfanden,  der  noch  gegenwärtig  bei  ihnen  vorwiegend  angewendet  wird;  im 
9.  Jahrhundert  stellte  ein  Schmid  Pi-§in  bewegliche  Typen  her,  und  auch  in 
neuerer  Zeit  hat  man  wieder  bewegliche  Typen  für  die  chinesische  Sprache 
in  Anwendung  gebracht,  nachdem  die  Europäer  hierin  mit  Beispiel  voran- 
gegangen waren;  aber  der  Nutzen  dieser  beweglichen  Lettern  konnte  bei  den 
vielen  Zeichen  der  chinesischen  Schrift  nicht  so  hervortreten  als  bei  der 
Buchstabenschrift. 

In  Europa  ßndet  man  mit  Beginn  des  15.  Jahrhunderts  Spuren,  dass 
Spielkarten  und  Heiligenbilder,  welche  früher  von  den  Briefmalem  nur  gemalt 
wurden,  durch  Abdrücke  von  Holztafeln  vervielfältigt  worden  sind.  So  ent- 
standen aus  den  Briefmalem  und  Karten machern  Briefdrucker  und  Form- 
schneider, welche  schon  gegen  Ende  des  15.  Jahrhunderts  zunftmässige 
Genossenschaften  bildeten.  Zu  den  Bildern  gesellten  sich  dann  kurze  Texte«  und 
aus  einzelnen  Blättern  entstanden  Bücher,  von  denen  die  berühmte  Armen- 
bibel CBihUa  paupemmj  sich  bis  auf  unsere  Tage  erhalten  hat. 

Den  ersten  Fortschritt  auf  dem  Gebiete  der  mechanischen  Bücher- 
vervielfältigung machte  Johann  (Henne)  Gensfleisch,  genannt  Gutenberg 
(geboren  zu  Mainz  1397,  gestorben  146S).  durch  die  Erfindung  der  Buch- 
druckpresse, welche  er  nach  dem  Musler  einer  Weinpresse  erbaute.  Bisher 
geschah  der  Druck  der  Holzschnitte  dadurch»  dass  letztere  mit  einer  Schwärze 
aus  Lanipenruss  überstrichen,  ein  Blatt  Papier  darüber  gebreitet  und  mit 
einem  hölzernen  Reiber  oder  auch  mit  einer  Bürste  darüber  jrffahren  wurde. 
Daher  waren  alle  diese  Blätter  (wie  noch  jetzt  die  chinesischen  Holztafel- 
drucke) nur  auf  einer  Seite  bedruckt.  Die  Erfindung  der  Buchdnickpro^se 

t  »'I 


564  Johann  Gutenberg. 

ermöglichte  nicht  nur  eine  schnellere  und  bessere  Herstellung  des  Druckes 
als  mittelst  des  Reibers,  sie  gestattete  auch,  die  Blätter  auf  beiden  Seiten 
zu  drucken,  dadurch  die  Form  der  geschriebenen  Bücher  besser  nachzuahmen 
und  an  Papier  zu  sparen,  denn  früher  wurden  die  Holzschnittblätter  an  ihren 
leeren  Seiten  aufeinander  geklebt.  Zugleich  mit  dieser  Erfindung  begann 
Gutenberg,  die  Lettern  einzeln  zu  schneiden,  um  durch  deren  Zusammen- 
fiigung  die  Holztafeln  zu  ersetzen,  und  endlich  vertiefte  Formen  (Matmen) 
herzustellen,  aus  welchen  dauerhaftere  bleierne  Typen  gegossen  wurden. 
Alle  diese  Erfindungen  machte  Gutenberg  um  das  Jahr  1440  zu  Strassburg 
und  unterrichtete  darin  zwei  Bürger :  Andreas  Dritzehn  und  Hans  Riffe,  denn 
als  es  nach  dem  Tode  eines  dieser  Theilnehmer  zu  einem  Processe  kam,  war 
nach  den  Zeugenaussagen  Gutenberg  ängstlich  bemüht,  den  Druckapparat  zu 
zerlegen,  um  zu  verhindern,  dass  Jemand  die  Presse  und  die  Formen  sehe, 
auch  war  in  dem  Processe  von  einer  Presse,  von  einer  darin  liegenden  vier- 
theiligen Form,  die  durch  Schrauben  zusanmiengehalten  wurde  und  nach 
Öffnung  der  Schrauben  auseinander  fiel,  sowie  von  Bleilieferungen  die  Rede. 

Ende  1444  oder  Anfangs  1445  kehrte  Gutenberg  nach  Mainz  zurück, 
wo  er  anfangs  allein  oder  mit  Gehilfen  Holzplatten,  Alphabet-Tafeln  und  Aus- 
züge aus  der  damals  beliebten  Grammatik  des  Donatus  druckte. 

Der  Ertrag,  welchen  diese  Druckwerke  lieferten,  stand  jedoch  in  keinem 
Verhältnisse  zu  den  Kosten,  welche  die  Versuche  erzeugten,  insbesondere 
scheint  die  Zubereitung  einer  hinlänglich  zähen  Schwärze,  damals  Tinte 
genannt,  sowie  dauerhafter  Typen,  viele  Mühe  und  Ausgaben  verursacht  zu 
haben,  denn  der  AbtTrithemius,  ein  Zeitgenosse,  der  sich  auf  die  Mittheilungen 
des  Peter  Schöffer  stützt,  sagt  in  seinen  lateinisch  geschriebenen  Annalen 
des  Klosters  Hirschau  beim  Jahre  1450,  .um  diese  Zeit  wurde  die  bewun- 
demswerthe,  bisher  noch  unerhörte  Kunst,  Bücher  durch  einzelne  Buchstaben 
zu  drucken,  von  einem  Bürger  in  Mainz,  Johann  Gutenberg,  erfunden  und 
ausgedacht.  Nachdem  dieser  fast  sein  ganzes  Vermögen  darauf  verwendet 
und  dennoch  wegen  vieler  Schwierigkeiten  bald  an  diesem,  bald  an  jenem 
Mangel  litt,  so  dass  er  die  Sache  schon  liegen  lassen  wollte,  hat  er  durch 
den  guten  Rath  und  Vorschuss  eines  andern  Mainzer  Bürgers,  Johann  Fust, 
sie  endlich  glücklich  zu  Stande  gebracht.  Anfänglich  haben  sie  die  Buchstaben 
auf  Tafeln  zerschnitten  und  ein  allgemeines  Wörterbuch,  Vocabidarium  catho- 
licon,  gedruckt,  konnten  aber  mit  denselben  Tafeln  nichts  Anderes  drucken. 


Gulenberg.  Fust.  Schöflfer.  565 

weil  die  Buchstaben  in  dieselben  eingeschnitten  und  unbeweglich  waren. 
Darum  haben  sie  die  Buchstaben  des  lateinischen  Alphabets  zu  giessen  er- 
funden, welche  sie  Matrizen  nannten,  vermöge  deren  sie  Buchstaben  von  Erz 
oder  Zinn  gössen,  so  viel  sie  nöthig  hatten,  welche  sie  vordem  mit  den 
Händen  zuerst  schnitten.  Diese  Art  zu  drucken  hat  aber  so  viele  Schwierig- 
keit gehabt,  dass  sie  an  die  Bibel  schon  4000  Gulden  gewendet  hatten,  ehe 
noch  der  zwölfte  FoUobogen  beendet  war.  Peter  Schöffer  aber,  erst  Diener, 
dann  Eidam  des  Johann  Fust,  erfand  eine  leichtere  Art  zu  giessen.  Beide 
haben  eine  Zeitlang  die  Kunst  geheim  gehalten,  bis  sie  durch  die  ihnen 
nöthigen  Diener  erst  nach  Strassburg  gebracht  worden  ist  und  dann  zu 
anderen  Völkern.  Es  wohnten  aber  hier  die  ersten  Erfinder  zu  Mainz  in  einem 
Hause  «zum  Jungen",  hernach  das  , Druckhaus*  genannt." 

In  dieser  Erzählung  ist  manches  Unzusanmiengehörige  zusammen- 
gezogen worden,  um  dem  Johann  Fust  eine  Theilnahme  an  der  Erfindung 
zuzuschreiben,  welche  ihm  kaum  gebührt,  denn  im  Jahre  1856  wurde  in  den 
Tiefen  eines  verfallenen  Kellergewölbes  in  dem  oben  erwähnten,  noch  heute 
existirenden  Druckhause  der  Querbalken  einer  Druckpresse,  durch  welchen 
eine  Schraubenmutter  geht,  gefunden,  welcher  die  eingeschnittene  Bezeich- 
nung J.  G.  1441  trägt,  ein  Beweis,  dass  Gutenberg  die  Presse  von  Strassburg 
mit  nach  Mainz  gebracht  hat;  ^*'  femer  war  in  dem  Strassburger  Processe 
von  Bleilieferungen  und  von  Formen  die  Rede,  welche  auseinanderfielen,  wenn 
die  dieselben  zusammenhaltenden  Schrauben  geöffnet  wurden,  also  ein 
Beweis,  dass  Gutenberg  schon  in  Strassburg  bewegliche  T}i)en  gehabt  hat; 
der  Mainzer  Periode  dürften  die  Verbesserung  der  Matrizen  und  die  gegossenen 
Typen  aus  Erz  oder  Zinn  angehören,  zumal  Fust*s  Bruder  Jakob  ein  Gold- 
schmied war,  der  das  Graviren  von  Matrizen  verstand. 

Die  Verbindung  mit  Fust  scheint  Gutenberg  deshalb  eingegangen  zu 
sein,  um  seine  bisherigen  Bemühungen  mit  einem  grossartigen  Unternehmen, 
dem  Druck  der  oben  erwähnten  Bibel,  zu  krönen  und  damit  ein  Werk  zu 
liefern,  welches  mit  den  besten  kalligraphischen  Erzeugnissen  seiner  Zeit 
rivalisiren  konnte.  Der  Preis  war  der  Anstrengung  würdig,  denn  ein  Exemplar 
der  Bibel  wurde  damals  mit  500  Goldkronen  bezahlt,  die  Druckkosten  konnten 
also  bald  gedeckt  werden.  Diese  Bibel  sollte  nicht  mit  den  vulgären  Typen, 
deren  sich  Gutenberg  bisher  bedient  hatte,  gedruckt  werden,  sondern  mit  der 
gitterartigen  Schrift,  mit  welcher  die  Missale  geschrieben  wurden.  Zu  diesem 


/ 


566  Gutenberg's  Bibel. 

Zwecke  nahm  Gulenberg  be!  Fust  ein  Darlehen  zuerst  im  Betrage  von  800 
Goldgulden  zu  6  Percent  auf,  wofür  er  ihm  sein  ganzes  Handwerkzeug  ver- 
pfändete ;  für  dieses  Werk  wurde  auch  Peter  Schöffer  aus  Gernsheiin  gedun- 
gen, der  lange  Zeit  in  Paris  gelebt  hatte  und  in  der  Kunst  des  Rubricirens 
und  niuminirens  der  Bücher  geschickt  war.  Als  dieser  aber  in  die  Geheimnisse 
Gutenberg's  eingeweiht  war,  und  durch  neue  HandgriiTe  Gutenberg^s  Erfindung 
zu  verbessern  verstand,  verband  sich  Fust  mit  ihm,  den  er  durch  die  Hand 
seiner  Tochter  an  sich  fesselte,  um  Gutenherg  um  den  Lohn  seiner  Arbeiten 
zu  betrügen,  indem  er  vor  Beendigung  des  Bibelwerkes  Gutenberg  auf  Zurück- 
zahlung des  Darlehens  klagte.  Wirklich  erhielt  er,  da  dieser  nicht  zahlen 
konnte,  durch  Gerichtsbeschluss  sämmtliche  Werkzeuge  als  Eigenthum  zuge- 
sprochen. Fust  scheint  im  Jahre  1466  zu  Paris,  wohin  er  sich  zum  Verkauf 
seiner  Druckwerke  begeben  hatte,  an  der  Pest  gestorben  zu  sein.  Gutenberg 
starb  in  Eltvil,  nachdem  er  mit  Hilfe  eines  Darlehens  des  städtischen  Syndicus 
Dr.  Humery  eine  eigene  Buchdruckerei  errichtet  und  mehrere  Werke  (das 
letzte,  das  Vocabularium  latino-teuUmicum  erschien  am  4.  November  1467) 
gedruckt  hatte.  Sein  Todestag  ist  nicht  bekannt. 

Wir  geben  hier  als  Probe  das  Vaterunser  mit  den  der  Gutenberg-Bibel 
nachgebildeten  Typen  der  Staatsdruckerei. 

^atec  nofltc  qui  m  In  rrlm  (üw 
ttifimur  nome  tutu  /iltmniiat  rrgofi 
tuu  jPiat  uolütad  tua :  firut  in  rein  et 
in  tecca.  ^ane  nnßcQ  fugfuliftätiale 
Ha  nnbi^  t^ntiie.  £t  tiimitte  nnbis  Xu* 
bita  nnfica :  firut  et  nna  tiimittimua 
tiebitnnbnd  nnffais.  iEt  ne  nns  mtiU' 
raa  in  temptatinne:  feti  libeca  noa  a 
malo 


193 


per  Ruhm,  die  Buchdruckerkunst  erfunden  zu  haben,  wurde  übrigens 
Gutenberg  von  den  Holländern  streitig  gemacht,  welche  (allerdings  ohne 
Erfolg)  die  Erfindung  dem  Harlemer  Bürger  Koster  zuschrieben. 


Verbreitung  der  Buchdruckerkunst.  567 

Aus  den  Berichten  über  die  Entstehung  und  die  ersten  Anfänge  der 
Buchdruckerkunst  geht  hervor,  dass  diese  Kunst  als  grosses  Geheimniss 
betrachtet  wurde ;  die  Arbeiter  und  Gehilfen  waren  eidlich  verpflichtet,  Anderen 
keinerlei  Mittheilung  zu  machen,  auch  die  Werkstätten  nicht  zu  verlassen; 
wenn  dennoch  bereits  im  Jahre  1461  zu  Bamberg  Pfister  als  Buchdrucker 
auftrat,  so  mag  derselbe  wohl  früher  Gutenberg's  Gehilfe  allein  gewesen  sein 
und  den  Streit  zwischen  ihm  und  Fust  zu  seiner  Entfernung  benutzt  haben. 
Als  aber  am  28.  October  1462  Mainz  durch  den  Kurfürsten  und  Erzbischof 
Adolf  von  Nassau  erobert  und  geplündert  wurde,  zerstreuten  sich  die  Gehilfen 
der  Fusfschen  Druckerei,  wanderten  theils  als  fahrende  Buchdrucker  von 
Ort  zu  Ort,  kleinere  Werke  druckend,  oder  Hessen  sich  in  anderen  Städten 
dauernd  nieder.  Die  ersten  im  Jahre  1482  zu  Wien  gedruckten  Werke 
scheinen  von  einem  fahrenden  Buchdrucker  herzurühren.  So  finden  wir  die 
Buchdruckerei  zu  Strassburg  im  Jahre  1460,  Köhi  1466,  Nürnberg  1173, 
Breslau  1475,  Pilsen  1476,  Frag  1478,  Würzburg  1479,  Leipzig  li81, 
Wien  1482,  München  1482,  Magdeburg  1483,  Heidelberg  14S5,  Schleswig 
14S6,  Hamburg  1491,  Krakau  1491,  Tübingen  1498  u.s.w.  hi  Italien  wurde 
1464  zu  Subiaco  bei  Rom  eine  Druckwerkstälte  eröffnet,  in  Frankreich  1470 
zu  Paris,  in  Belgien  1473  zu  Aalst,  in  der  Schweiz  1470  zu  Beromünsler 
(Canton  Luzern),  in  England  147  i  zu  London,  in  Spanien  1 17  i  zu  Valencia, 
in  Portugal  heimlich  durch  die  Juden  1489,  öffentlich  1514,  in  Schweden 
1483  zu  Stockholm,  in  Dänemark  1490  zu  Kopenhagen,  in  Russland  1193 
zu  Tschernigow,  in  der  Türkei  heimlich  durch  die  Juden  1490,  ölTenHich  erst 
1 726,  in  Mexiko  1 5 19,  in  Lima  1 586,  in  Massachusetts  in  Nordamerika  1639. 

Da  der  Buchdruck  die  Handschrift  ersetzen  sollte,  so  ahmten  die  ersten 
Buchdrucker  die  besten  handschriftlichen  Must(»r  nach. 

Wir  geben  Seite  568  und  569  zum  Beleg  dessen  eine  Gegenüb«T- 
Stellung  der  Probe  eines  handschriftlichen  Missais  und  einer  pholozinko- 
graphisrhen  Nachbildung  eines  Stückes  der  Gutenberg-Bibel.  '•* 

Neben  dieser  Missal-Schrift  bediente  man  sich  zu  gewöhnlichen 
Büchern  einer  einfachem  Schrift,  von  welcher  der  auf  Seite  570  betfulsende 
Ablass- Brief,  der  aus  der  Gulenberg-Fust'schen  Buchdruckerei  h^Tvorp»- 
gangen  sein  dürfte,  eine  Probe  giebt;  dieselbe  liefert  zugleich  den  Beweis, 
dass  man  schon  damals  anfing,  verschiedene  Schriften  zu  gebrauchen. 
Aus  dieser  gemeinen  Bücherschrift  ji^ing  die  sogenannte  Schwabacher-Schrilt 


568  Blissal-Handschrifl  aus  dem  15.  Jahrhundert. 

hervor,  welche  sich  bis  auf  unsere  Zeit  erhalten  hat,  neuerdings  sogar  in  einer 
modemisirten  Form  beliebt  geworden  ist. 

titOc^^tui  p^miüaif  cm^lnau^ubt  cnio 

tatti&MuiMoM  cu  cniQ&aiGat^cu 
(»nriftfipmtfiphmifB.  gnif  ftiifrfitnitt  toxi 

oll  tmtiflcm  Jftott  imumttu0  ^ 


Hr  ifia  omii^fll^tiHicnptina'tmito^^ 

...d^Q^aiit^üiirte  cmtf  ijcfii  maftroiti^eibib 
tin  madu^atur'mana  dcopi^r^tnaiiattief' 

apuludatdem  quemHütgibaf f  H^maiä 
üi(^.^uIicrmrfßm6rfuulDQtaiei^ 

qma  omtafonfilmate  fim^^tif  confiSmam 

fint))6uainH^.Staoi^a^atitrpolUi^^ 
aiefoplmu^autemqiimgtatttplma — ' 


Gutenberg^s  Nachahmung  der  Missal- Handschrift.  569 

'wT       f  rigawimtonigitpfii^ 
n        f  BI$]uiuäcBit|abtal|itnt. 

BfUDs  Hut  QQmit  tttfkOCtfil8flX0ll^ 
ffinmm*.  Bnflttft  iltff  IimuiC  fUEOItC 

tCniin  flutflfiiuttfitsiti*  ^tfttnfiiic 

QCCIlltt  dlOtll^Bil  I  dlllttitfwl  0ltt  tt^ 
fltitftfniiiftfflV.llfflf  fltitf  fwtnttrhA^ 

mnint  robofltnrnibDflttt  fiitt  flwinit 

fib^mn*  ^braa  aut  goDitr  auitafii 
{omtt  uramnöcfitii  wi  gnoiit  09^ 

ilffln  flttt  BBTOit  achflr  >  gldiaT  JtmF 

Qflmit  CZEuPnllUf iiRIftflB  flUI  nCUlUt 

•  jytntiiton  mit  gnnnt  toiFftnc 


Hiin 


Annierkung.  Die  hellere  SchrafTirung  des  Initial-L  ist  im  Buche  rulli  (;eiiiall, 
ebenso  sind  alle  Versalbuchstaben  mit  einem  farbigen  Klecks«  versehen. 


Ablass-Brief  aus  der  Gutenberg-Fust'schen  Dructerei- 


si 


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3  5ls,a 


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imiiiFiiiijisifr 
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fllfl      4,iil-ii;iT|iri:fll?iiä 


Schwabacher  und  Antiqua.  571 

Wir  lassen  nun  das  Vaterunser  nach  einer  Frankfurter  deutschen  Bibel 
in  alter  Schwabacher  folgen. 

CV^Üfer  Dater  tit  dem  ^6hnel/  Deht  Haine  tver^e  gcl^etlt^et. 

^^  Dciit  Meid^  Urne.  Dein  tpille  ^cfd^et^c/  auff  <£tim  wie  im 
"^imeU  <Sih  vm  vitfer  U^lidf  ^rot  jmcr  Dar.  Vn  vergib  vitj» 
vnfer  Stinte/  Dcit  aiid;  tpir  vergeben  alleit  Die  vne  fd^SlDi^ 
ftnD.  Vni  flirre  9ti5  nit  iit  Derftid^uit^.  SoitDern  erlofe  vtte  von 
Dem  Dbel. 

Conrad  Sweynheim  und  Arnold  Pannartz  in  Rom  ahmten  1467  den 
runden  römischen  Ductus  nach  und  wurden  dadurch  die  Begründer  der 
Antiqua- Schrift,  welche  von  Aldus  in  Venedig  und  später  von  Claude  Gara- 
mond verbessert  und  von  Zauner  in  Augsburg  1472  in  Deutschland  einge- 
führt win-de.  Wir  geben  hier  als  Probe  einen  der  ersten  römischen  Drucke,  mit 
dem  Bemerken,  dass  die  ersten  vier  Zeilen  mit  der  Hand  eingeschrieben  sind. 

|AdHO«0aKlllBf^ni9fMfMnft 

admcpifaTclf  iicriiarfsffaicUift 

mdmiknhonmhMhbarart:(l^u^^ 
fiK:Mad(fltocnpoffe(rfMncdbim 

Aldus  Manulius  in  Venedig  liess  von  Francesco  de  Bologna  Cursiv- 
Typen  schneiden,  welche  daher  noch  jetzt  bei  den  Franzosen  Italique  heissen, 
wir  geben  hier  die  Probe  eines  Druckes  vom  Jahre  1514.  Der  Rauu)  für  die 
Initial- Vignette  ist  leer  gelassen . 


572  Cursiv. 

F.V.  M.CBORGICON  riBEJt    PRI« 
MVS    AD   MfiCOBNATfiM. 

yidfiädiLnmJiffmrfm  ^im 

ttrräm 

CMMnMt:^  OTTtf  ioiMn^f»  mt 
imhakaiJo 

H  MM-  amert  mapärn»     v«  o  cUr^Jima  nrnnJU 
L  9$mmä,Ub€nigm  cmlo  mut  dmmt  ammm: 

C  häomam  fnigi^4mdmwiuaäi  ärifin 
p  oadiäyimefitts  Acbdäämtfimttmf: 

^  eng  fmm^äimii^  feiimpfyaiwp  ftfilU. 
BA  untfd  tkjtfdütno-tiiif  o^oii  pfbvM  panuviteK 
F  M^f  ffurn»  m^  dbtf  faratßi  truUnh, 
U  ifnmKdr  athsr  ntmcrmn,m  fmffiä  Q£a 
T  trwmmtmmktdtntdmmiHHoia. 

Aiftfo  TeffiefitkmitlutiB  umema 

I   WWmfyLl.ilUliA'  ftUT  HUMUV lUWittätfK 

fi  ittairämdhradutßremsylmm  mffißim: 

D  if^fjJfdll^ammfyfiHMmn^hiiämamefii 

Qjd^  nmm4bii$nmmMßnimifhmr* 

€lm4pfitts Urgm raelo denumus  imfcrciN. 

X  f^-  4ito/fMnmffxfmPni  hakiurädeomm 

c  • 
Schönsperger  der  Ältere  in  Augsburg  (1413  —  1475)  liess  zum  Dracke 
des  von  Kaiser  Maximilian  selbst  verfassten  und  mit  zahlreichen  Holzschnilten 
aus  DOrer's  Schule  ülustrirten,  überhaupt  mit  aussergewöhnlicher  Pracht 
ausgestatteten  Gedichtes  .Theuerdank*  eine  neue  Schriftart  schneiden,  welche 
die  Mutter  der  jetzigen  Frakturschrift  geworden  ist 

Wir  lassen  hier  zunächst  eine  Probe  der  Handschrift  in  Kaiser  Maxi- 
milian's  Gebetbuch  vom  Jahre  1514  folgen,  virelche  den  Typen  des  ,Theuer- 
dank*  als  Vorbild  diente.  Ein  ähnlicher  Ductus  hat  sich  als  Kanzlei-Schrift 
bis  in  das  vorige  Jahrhundert  erhalten  und  kommt  noch  unter  dem  Namen 
«Kanzlei*  in  Buchdruckereien  vor. 


ö^gtio  ot)  tuu  j?pafianflem- 


bmit)u$Mebii$t)tfemcc« 


9at$lacobmi|cmgm(f-<£t 


Tis» 9KS- 


miftctn  at)affitmmcump?o^ 
r«mmattcdu^c«ioliirtmu: 


Die  Theuerdank-Type  zeigt  folgende  Probe: 


0 

^C^orStwcrtßaufnncScKrütAi 


<S6 


574  Französische  und  englische  Fraktur. 

Diese  vier  Schriftgattungen,  Antiqua  mit  Cursiv,  Schwabacher  und 
Fraktur  blieben  seither  die  ausschliesslichen  Buchdruckschriflen. 

Italiener,  Franzosen  und  Engländer  gaben  schon  frühzeitig  die  eckige 
Buchschrifl,  mit  der  die  ersten  Werke  gedruckt  wurden,  auf  und  pflegten 
nur  die  Antiqua  und  Cursiv,  wogegen  die  Deutschen,  Holländer,  Dänen, 
Schweden,  Czechen  und  Slovaken  die  Frakturschrift  bis  auf  die  jüngste  Zeit 
bewahrt  haben,  indem  hier  der  Gebrauch  der  Antiqua  auf  die  Werke  in 
lateinischer,  sowie  allen  romanischen  und  in  englischer  Sprache  beschränkt 
wurde.  Hieraus  entstand  die  Ansicht,  die  Frakturschrift  sei  die  nationale 
deutsche  Schrift,  ein  Missverständniss,  dessen  sich  nur  Derjenige  schuldig 
machen  kann,  der  die  ältesten  englischen  und  französischen  Drucke  nicht 
kennt.  Wir  geben  zum  Belege  eine  Probe  einer  französischen  Übersetzung 
von  Sebastian  Brandrs  ,NarrenschifT*,  welche  die  französische  Fraktur  zeigt: 

CleinemierfbrSeraneffiife 
IcBMto  »siis  Settfa  tiMDi 
flSmeaiiairtne  Sdh^ 
lefqn^ieiie  Sop  fbjc  iie  mo^ 
3Dec»in^qM(dplRai5f^  8e6aiif 
£Dane(te(n(dife.foinme  tntte 
TCäcttfeeUoi  fanionrqKi  9mßti. 

F'emer  eine  Probe  enghscher  Fraktur  ans  dem  von  Caxton  1476 
gedruckten  »Ganterbuty  Taks.* 

J^  «« i^  (cmet?  i^  tBo«  fb^  ^Mi* 

^^  tt^  fb«6  ]Mne  9jn9  p0i«  an(i^  int^UNtff 
ib^  fet?  ^  out  oß  (t  fQoToe  ^  ^  fM 

Cur  o|le  9x^  ^9k  tB«^  fo»  166  aK0 


Fremdsprachliche  Leitern.  575 

Der  Eifer  der  ersten  Buchdrucker  in  Bezug  auf  Herstellung  schöner 
Druckwerke  kannte  keine  Grenze;  Schöffer  druckte  in  seinen  Psalter  schon 
Musiknoten  hinein;  zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  schnitt  Oltavio  Pelrucci 
Musiknoten,  welche  Erfindung  von  dem  Franzosen  Jacques  Salecque  1610  ver- 
bessert, dann  von  Fleischmann  in  Leipzig  und  dem  Leipziger  Buchdrucker 
Breitkopf  vervollkomnmet  wurde.  Konrad  Fyer  in  Esslingen  wendete  1475 
zum  ersten  Male  hebräische  Typen  an;  das  erste  hebräische  Buch  wurde  zur 
selben  Zeit  von  Salomon  Jarchi  in  Calabrien  gedruckt.  Sweynheim  und  Hahn 
in  Rom  gössen  bereits  griechische  Lettern;  das  erste  griechische  Buch  wurde 
1516  von  Valentin  Schumann  in  Leipzig  gedruckt,  wobei  zu  bemerken  ist, 
dass  diese  Drucker  die  damalige  griechische  Minuskel  mit  ihren  vielen  Liga- 
turen nachahmten,  welche  letztere  erst  in  unserem  Jahrhundert  ganz  aus  der 
Druckschrift  entfernt  worden  sind.  1514  wurde  zu  Fano  das  erste  arabische 
ßuch  und  1518  zu  Venedig  der  Qöran  in  arabischer  Schrift  gedruckt.  1527 
erschien  zu  Venedig  ein  Buch  in  russischer  Sprache;  1528  zu  Urach  ein 
glagolitisches  Messbuch,  zu  dessen  Herstellung  Hans  Ungnad  Freiherr  von 
Sonnegg  einen  beträchtlichen  Theil  seines  Vermögens  hergab.  In  Ostindien 
wurden  die  ersten  einheimischen  Schriften  mit  tamulischen  Lettern,  welche 
in  Halle  an  der  Saale  gegossen  wurden,  1714  gedruckt.  Der  Leipziger  Buch- 
drucker Gessner  veröffentlichte  bereits  im  vorigen  Jahrhundert  hundert  fremd- 
sprachliche Alphabete.  In  jüngster  Zeit  ist  es  dem  Verfasser  dieses  Werkes 
gelungen,  auch  die  Stenographie  schriflgetreu  in  Typen  hei-zustellen. 

Auch  der  innern  Einrichtung  der  Bücher  schenkten  die  Buchdrucker 
mehr  Aufmerksamkeit  als  die  Bücherabschreiber  des  Mittelalters.  Die  Worte, 
welche  in  alten  Handschriften  nicht  immer  durch  Zwischenräume  getreimt 
sind,  wurden  regelmässig  abgetheilt,  der  Gebrauch  der  Unterscheidungszeichen 
namentlich  durch  Manutius  geordnet;  die  Bücher  anfangs  mit  Blattzahlen 
(durch  Aniold  Ter  Hoernen  in  Köln  1470—  1483),  dann  mit  Seilenzahlen 
versehen:  die  anfangs  hinemgemalten  Initialen  schon  von  Schöffer  durch 
hineingedruckte  Holzschnitte  ersetzt;  Zayner  hi  Ulm  1473—1475  wendete 
zum  ersten  Male  gedruckte  Randleisten  an.  Während  die  ältrsten  Drucke  noch 
keinen  Titel  hatten,  sondern  der  Inhalt  gewöhnlich  in  den  ersten  Z»*ilen  an- 
(rezeigl  wurde,  wogegen  Drucker,  Druckort  und  Jahreszahl  in  einer  .^chlu>s- 
schrift  enthalten  waren,  fing  man  schon  1475  an,  einfache  Tilelbliillt»r  vor- 
zusetzen, welche  später  mehr  und  mehr  ausjieschniückt  wurden,  wobei  man 


576  Ausschmückung  der  Bücher.  —  Correclur. 

sich  zur  Henrorhebung  der  Hauptzeilen  häufig  des  Druckes  mit  rother  Farbe 
bediente.  Die  Cennini,  Vater  und  Söhne,  welche  in  Florenz  die  Buchdruckerei 
einführten,  gaben  1477  ein  Buch  mit  Kupferstichen  heraus  (die  ältesten  bis- 
her aufgefundenen  Kupferstiche  sind  vom  Jahre  1440  und  deutsche  Arbeit; 
wann  der  Kupferstich  erfunden  wurde,  ist  nicht  bekannt),  ausserdem  schmückte 
man  die  Bücher  gern  mit  Holzschnitten,  auch  wurde  in  allen  Farben,  in  Gold 
und  Silber,  auf  Pergament  und  Seide  gedruckt.  Natürlich  bediente  man  sich 
für  die  gewöhnlichen  Ausgaben  des  Leinenpapiers,  welches  in  Deutschland 
im  13.  Jahrhundert  erfunden  worden  war  (1390  entstand  in  Nürnberg  die 
erste  Papiermühle)  und  dessen  Billigkeit,  namentlich  als  man  im  16.  Jahr- 
hundert auch  ungeleimtes  Papier  zum  Drucke  verwendete,  der  Verbreitung  des 
Buchdrucks  sehr  zu  statten  kam. 

Eine  grosse  Sorgfalt  verwendeten  die. Buchdrucker  auf  die  Correctheit 
der  Schrift.  Fehler  kamen  bei  dem  mechanischen  Abschreiben  der  Bücher 
von  jeher  und  sehr  zahlreich  vor;  bei  dem  Buchdruck  ist  die  Möglichkeit 
gegeben,  einen  vor  dem  eigentlichen  Druck  abgezogenen  Probebogen  durch- 
zulesen und  die  Fehler  des  Setzers  zu  verbessern;  manche  Drucker,  wie 
Robert  Stephanus  (Etienne)  zu  Paris,  gaben  kein  Werk  heraus,  ohne  zuvor 
Bogen  für  Bogen  zur  öffentlichen  Correctur  ausgehängt   zu    haben,  wobei 
für  jeden  entdeckten  Fehler  eine  Belohnung  versprochen  wurde;  aber  trotz 
alledem  sind  Fehler  im  Druck  stehen  geblieben,  und  diese  Thatsache  möge 
den  Autor  oder  Corrector  entschuldigen,  der  trotz  der  grössten  Sorgfalt  Fehler 
übersieht:  unter  allen  menschlichen  Beschäftigungen  ist  die  des  Correctors 
die  peinlichste;  er  darf  sich  vom  Inhalt  nicht  gefangen  nehmen  lassen,  um 
Formfehler  zu  übersehen,  und  er  darf  nicht  mechanisch  lesen,  weil  der  Sinn 
wesentlich  zur  richtigen  Auffassung  der  Worte  gehört;  objectiv  und  allwissend 
soll  er  richten,  und  er  ist  doch  nur  ein  Mensch. 

Das  17.  Jahrhundert  zeigte  einen  auffälligen  Niedergang  der  Buch- 
druckerkunst; der  Wetteifer  mit  der  Kalligraphie  der  Handschrift  hatte  auf- 
gehört; Privilegien  und  Zunflverband  schützten  die  Buchdrucker  in  ihrem 
Erwerbe ;  die  Gemächlichkeit  machte  sich  breit,  welche  für  mögliebst  viel 
Geld  möglichst  schlechte  Waare  lieferte,  und  die  Kriegsunruhen,  welche  ver- 
wildernd auf  alle  Kreise  einwirkten,  trugen  zur  Verschlechterung  des  Greschmacks 
wesentlich  bei,  wie  sie  auch  eine  aufTallende  Verminderung  der  geistigen 
Production  zur  Folge  hatten. 


Stereotypie.  —  Verbesserung  der  Fressen.  577 

Im  18.  Jahrhundert  traten  zwei  wichtige  Erfindungen  in  England  auf, 
welche  wieder  fordernd  auf  den  Buchdruck  einwirkten,  nämlich  die  Stereotypie 
und  die  eiserne  Presse.  Die  Stereotypie  ist  gewissermassen  ein  Zurückgreifen 
auf  den  Tafeldruck,   indem  von  gesetzten  Seiten  ein  Abdruck  in  Gyps  (in 
neuerer  Zeit   auch   in    feuchtes  Papier)   gemacht  wird,    aus   dem  Platten 
jr*'gossen  werden,  welche  sich  wie  Lettemsatz  drucken  lassen.  In  früherer  Zeit 
musste  bei  Werken,  welche  viele  Auflagen  erlebten,  der  Satz  zum  Drucken 
stehen  und  damit  ein  grosses  Capital  todt  liegen  bleiben.  Die  dünnen  Stereo- 
typplatten sind  billig,  leicht  aufzubewahren  und  schützen  vordem  Einschleichen 
von  Fehlern,  die  bei  dem  Neusetzen -schwer  ganz  zu  vermeiden  sind.  Der 
schottische  Goldschmied  William  Ged  in  Edinburg  war  der  Erste,  der  \ld\^ 
solche  Platten  aus  Matrizen  goss.  Die  eiserne  Presse  wurde  von  Lord  Stan- 
hope  (1753  —  1816)  erfunden,   sie  erfordert  weniger  Kraftaufwand  als  die 
Holzpresse,  ist  dauerhaft  und  liefert  einen  guten  scharfen  Druck.  Um  dieselbe 
Zeit  wurden  auch  statt  der  Handballen,  mit  denen  bisher  die  Farbe  auf  die 
Form  gerieben  wurde,  elastische  Walzen  aus  Leim  und  Syrup  erzeugt,  mit 
welchen  man  die  Druckform  leicht  und  schnell  überstreichen  konnte.  An  und 
tür  sich  vortheilhaft,  gewinnt  diese  Erfmdung  dadurch  an  Bedeutung,  dass 
sie  eine  andere,  noch  wichtigere  Erfindung  ermöglichte,  nämlich  die  von  einem 
Deutschen,  Namens  König,  in  England  gebaute  Schnellpresse,  welche  sowohl 
durch  Menschen  wie  durch  Dampfkrafl  in  Bewegung  gesetzt  wird.  In  diesc^r 
wird  die  Druckform  in  beständiger  Bewegung  erhalten,  und  während  die  alle 
Handpresse  es  im  günstigsten  Falle  auf  täglich  300  Bogen  brachte,  die  ver- 
l)e5serte  Handpresse  gegenwärtig  100—150  Abdrücke  in  der  Stunde  liefert, 
f'ihält  man   von  der  einfachen  Schnellpresse  ohne  Dampfbewegung    1200 
Abzüge   in  der  Stunde,   während  die  neuesten  Schnellpressen,   welche  den 
bo^^en  zu  gleicher  Zeit  auf  beiden  Seiten  bedrucken,  wie  z.  B.  die  Schnell- 
presse der  »Neuen  Freien  Presse*  in  Wien,  9000  Bogen  in  Format  30  iS" 
in  der  Stunde  liefern.   Durch  die  Schnellpresse  wurde   der  Zeitungsdruck  in 
&«*iner  gf*f:enwärtipen  Ausdehnung  ermöglicht. 

Während  in  dieser  Weise  die  Bücher  durch  Verbesserung  des  Druck - 
v*.'rfahrens  zu  ausserordentlich  billigen  Preisen  geliefert  werden  konnten. 
•  rhielt  die  Buchdruckerkunst  durch  eine  andere  Erfindung  Iheils  eine  wesent- 
liche Unterstützung,  theils  einen  wirksamen  Sporn,  die  hrichste  Elejranz  in 
.'liren  Formen  anzustreben.  Im  Jahre  1790  erfand  der  zu  Pra^j  ^'eborne  und 

FaiJ^maDn.  Goxchichte  <1.  Srhrift.  ;»" 


578  Steindruck.  —    Kupferdruck. 

in  München  erzogene  Alois  Sennefelder  in  der  letztern  Stadt  den  Steindruck. 
Diese  Erfindung  besteht  darin,  dass  man^  statt  in  theure  Kupferplatten  die 
Schrift  in  Stein  ritzt,  wozu  sich  der  Solenhofener  Kalkstein,  der  in  München 
schon  seit  Jahrhunderten  zum  Belegen  von  Hausfluren,  zu  Tischplatten, 
Grabsteinen  u.  s.  >v.  verwendet  wird,  vorzuglich  eignet.  Der  Steinschreilwr 
(Lithograph)  hat  also  ein  billiges  Material,  in  welches  er  entweder  mit  der 
Nadel  Schriften  in  beliebiger  Form  oder  Zeichnung  einritzt  oder  auf  welches 
er   mit  Kreide   Zeichnungen  hinwirft,  welche  von  dem  präparirten  Steine 
ebenso  mittelst  Papier  und  Druckerschwärze  abgezogen  werden  können,  wie 
die  Zeichnungen  des  Kupferdrucks  ode?  der  Typensatz  in  derBuchdruckpresse. 
Die  Billigkeit  der  lithographischen  Erzeugnisse  schädigte  das  Monopol  des 
Buchdrucks  in  empfindlicher  Weise;  man  begann  alle  kleineren  Drucksachen 
(Accidenzarbeiten)  auf  lithographischem  Wege  herzustellen,  so  dass  für  die 
Buchdruckpresse  nur  der  ordinäre  Buchdruck  übrig  zu  bleiben  schien.  Wollten 
die  Buchdruokereibesitzer  nicht  den  grössten  Theil  ihrer  Kunden  verlieren. 
so  waren  sie  genölhigt,   an  Schönheit  der  Typenformen  mit  der  Zeichnung 
des  Lithographen  zu  wetteifern,  und  so  sehen  wir  seit  Beginn  dieses  Jahr- 
hunderts   die    Stempelschneider    fortwährend   beschäftigt,    schöne  zierliche 
Typen  und  Zierschriften  in  buntester  Mannigfaltigkeit  zu  liefern,  geschmack- 
volle Einfassungen  zur  Verzierung  der  Seilen  herzustellen,  während  andererseits 
der  Holzschnitt  verbessert  und  zur  künstlerischen  Vollkommenheit  erhoben 
wurde.  Schliesslich  wurde  sogar  die  Photographie  druckfähig  gemacht.  Das 
vorliegende  Werk  giebt  eine  kleine  Probe  der  verschiedenen  Erfindungen;  der 
Letterndruck  repräsentirt  sich  mit  seinen  Schriflzeich^n  aller  Völker  der  Erde, 
worunter  die  Antiquaschrift  mit  der  dazu  gehörigen  Gursiv  sich  durch  ihre 
edle  Einfachheit  und  Gleichmässigkeit  auszeichnet,  der  Holzschnitt  ist  theil- 
weise,  insbesondere  zu  den  Windrosen  in  Anspruch  genommen,  die  sonstigen 
Bilder  im  Texte  sind  Lithographie,  welche  durch  Hochätzung  für  die  Buch- 
druckpresse geeignet  gemacht  wurde,  die  Probe  des  japanischen  Romans, 
sowie  die  Buchdruckproben  sind,  da  keine  menschliche  Hand  eine  identische 
Nachbildung  der  Typenschrifl  liefern  kann,  mittelst  Photographie  copirt  und 
diese  Photographien  durch  Hochätzung  druckbar  gemacht,  endlich  zeigen  die 
Tafeln  den  lithographischen  Farbendruck. 

Der  Bücherdruck  hat  noch  ein  anderes  Gewerbe  in's  Leben  gerufen, 
dessen  wir  hier  mit  einigen  Worten  gedenken  müssen:  den  Buchhandel.  Be. 


Buchhandel.  579 

allen  Völkern,  wo  die  Büchererzeugung  eine  fabriksmässige  wurde,  wie  in 
China  und  im  Allerthum  bei  den  Römern,  entwickelte  sich  auch  der  Buch- 
handel. Seine  grösste  Blüthe  hat  er  jedoch  in  Deutschland  erlangt,  wo  durch 
einen  in  einander  greifenden  Organismus  der  Bücherfreund  von  allen  neu 
erscheinenden  Werken  in  Kenntniss  erhalten  und  binnen  wenigen  Tagen  in 
den  Besitz  der  gewünschten  Bücher  gesetzt  wird. 

Die  Anfange  des  deutschen  Buchhandels  fallen  mit  der  Entstehung  der 
Briefmaler  zusammen,  welche  die  Messen  und  Jahrmärkte  mit  ihren  Producten 
besuchten;  im  16.  Jahrhundert  ßng  aber  die  Frankfurter  Messe  an,  dem  Buch- 
handel einen  ständigen  Wohnsitz  zu  bieten,   wo  die  Buchhändler  ihre  neu 
erschienenen  Werke  zum  Verkaufe  anboten,  und  wo  zuerst  die  Kataloge  ent- 
standen, welche  Titel  und  Preis  aller  neu  erschienenen  Bücher  enthielten. 
Dank  dieser  Messkataloge,  welche  von  Dr.  Gustav  Schwetschke  vom  Jahre 
15G4  bis  zum  Jahre  1846  gesammelt  und  deren  statistischer  Inhalt  von  ihm 
in  seinem  Werke  Codex  Xundhtat'um  übersichtlich  zusammengestellt  ist,  sind 
wir  in  der  Lage  den  Aufschwung  des  deutschen  Bücherwesens  zu  verfolgen. 
Im  Jahre  156i  erschienen  256  Werke,   1565  550,   1566  224,  von 
156S  erhält  sich  die  Zahl  über  400,  steigt  1570  über  455,  1583  auf  600, 
15S5  auf  722,   1589  auf  836,   1590  auf  930,  sinkt  dann  wieder,  erreicht 
aber  1600  schon  1059,    1618  sogar  1757,   während  des  dreissigjährigen 
Krieges  sank  die  Produotion  unter  1000,   1635  sogar  auf  307,  ab  und  zu 
stieg  sie  über  1000,  behauptete  diese  Höhe  aber  erst  1694,  1771  stieg  sie 
über  2000,  1783  über  3000,  1800  über  4000.  1825  über  5000,  1828  über 
6000,  1837  über  10.000.    Der  letztere  Aufschwung  dürfte  der  Einführung 
der   Schnellpresse  zuzuschreiben  sein.   Von  1564—1846  kamen  auf  den 
deutschen  Büchermarkt  591.939  Bücher,  darunter  40.541  fremdsprachliche, 
ungerechnet  die  grosse  Zahl  der  aus  dem  Auslande  importirten  Bücher,  von 
denen  besonders  aus  Frankreich  viele  bezogen  werden.  Seit  der  Gründung  des 
Leipziger  Buchhändlervereins,  der  Theilung  des  Buchhandels  in  Verlajrs-  und 
Sortimcntsbuchhandlungen,  der  Verbesserung  der  Schnellpressen  u.  s.  w.  hat 
sich    die  Bücherproduction  enorm   gesteigert,   im  vorigen  Jahre  erschienen 
über  1 4.000,  wobei  der  massenhafte  Vertrieb  der  periodischen  Literatur  noch 
zu  berücksichtigen  ist.  Die  letztere  ist  um  so  wichtiger,  als  viele  periodische 
Druckschriften  eine  Literatur  im  Kleinen  bilden   und   in  ihren  kurzen  Aut- 
sätzen oft  eine  Fülle  von  Geist  und  Wissen  bieten. 


580  Das  deutsche  Schriflthuni.  —  SchreibschrilL 

Auch  auf  die  Entwicklung  der  Sprache  hatte  der  Buchdruck  Einfluss, 
denn  ein  Vergleich  zwischen  den  lateinischen  und  deutschen  Werken  lässt 
eine  constante  Zunahme  der  letzteren  bemerken;  1504  erschienen  \b^ 
lateinische  und  73  deutsche,  1681  erschienen  zum  erstenmale  mehr  deutsche 
(iOl)  als  lateinische  Werke  (373),  1714  wurde  das  Verhältniss  von  l:i 
überschritten  (333  lateinische,  777  deutsche),  1735  war  das  Verhältniss  1 :4, 
1754  1  :  5,  1764  1  :  10.  In  ähnlichem  Masse  sank  das  Verhältniss  der 
theologischen  Bücher;  1564  waren  von  256  Büchern  104  theologische,  im 
Jahre  1846  war  das  Verhältniss  wie  5:1;  allerdings  hat  sich  die  theologische 
Production  auf  2243  Bücher  erhoben,  aber  daneben  haben  sich  die  anderen 
Wissenschaften  mächtig  entwickelt. 

Es  ist  anzunehmen,  dass  in  den  Nachbarländern,  namentlich  Frankreich 
und  England,  die  Bücherproduction  sich  in  gleichem  Masse  entwickelte,  und 
so  liefern  die  obigen  Zahlen  ein  sprechendes  Bild  von  der  Bedeutung  de^ 
Mannes,  dessen  Bild  wir  auf  unserem  Titel  mit  Recht  obenangestellt  haben. 


Vffl.  DIE  SCHREffiSCHRIFT. 

War  schon  vor  der  Erfindung' der  Buchdruckerkunst  ein  Unterschied 
zwischen  Buchschrifl  einerseits  und  Urkunden-  und  Briefschrift  andererseits 
vorhanden,  so  mussten  die  Gegens^ätze  noch  mehr  auseinandergehen,  je 
weniger  die  Buchschrift  mit  der  Hand  nachgeahmt  werden  konnte.  Sobald 
einmal  das  Wesen  des  Buchdrucks  bekannt  geworden  war  und  seine  Producte 
nicht  mehr  für  Handschriften  gelten  konnten,  warfen  die  Buchdrucker  Alles 
ab,  was  ihnen  hinderlich  war;  die  Ligaturen  wurden  in  einzelne  Buchstaben 
aufgelöst,  jede  Spur  von  Verbindung  der  Buchstaben  fallen  gelassen,  dagegen 
immer  kleinere  Schriftgrade  erzeugt,  um  die  Bücherformate  handlicher  zu 
machen.  Die  Schreibschrift  hingegen  bildete  die  Verbindung  desto  mehr  aus, 
je  melir  der  gerade  Schriftcharakter  aufgegeben  wurde.  In  der  Laleinschnfl 
ist  zwischen  der  Gursivschrift ,  welche  zu  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  iß 
den  Buchdruck  eingeführt  wurde,  und  der  Schreibschrift  nur  der  Unterschied 
vorhanden,  dass  längere  Buchstaben  Schleifen  erhielten,  die  Buchslaben 
möglichst  in  einem  Zuge  und  ebenso  die  Wörter  geschrieben  wurden;  zwischen 
Cursiv  und  Antiqua  ist  ein  Unterschied  nur  bei  a  a  vorhanden,  der  auch 
nicht  wesentlich  ist.  Man  vergleiche 


Entwicklung  der  Schreibschrift.  581 


Aa         Bh         Cc         D  d         Ee 


Jj  Kk  LI  M  m  N  n 

Rr  Ss  Tt         Uh       Vv  W  tc         Xx         Yy        Zz 


Die  eckige  Frakturschrifl  bot  mehr  Schwierigkeiten,  in  die  flüssige  Form 
überzugehen,  hier  wurden 

2(25    fjjtej'    cBr^3:Ri    mn<i> 

a  ^  ^.^  g^ g^  f  ^ at  ^  M  ^  ^ 

X)  (b,  ^  <?>   ^         V    tC  3 

-p a  n  rru  v  vß i ^ ^ 

femer 

a    bebe    f5^ij    ^Imn    opqrfs 
M.^r^*/5^^     ^  ^  yM,^^  li  y  ^  r  { t- 

t   tt    V    W    je    V     3 

y  ^  ^  '*»  ^  /-  / 

Wir  lassen  hier,  um  den  Übergang  in  dem  Charakter  der  Schriften  zu 
zeigen,  Tier  Proben  aus  der  Zeit  von  1515—1777  folgen: 


582  Entwicklung  der  Schreibschrift 


^2rl^w>  vvvM.^  (^/ d^  ^' ^UvivUXr/^ 
^^P^^^ff    ■  (1515.) 


7>U^  Ifl^tUp^UiAj'-^  ''^^ 


(1671) 


(1777.) 


Sprache  und  Schrill.  583 

Der  handschriftliche  Charakter  weist  übrigens  viele  Varietäten  auf; 
schon  im  16.  Jahrhundert  bedienten  sich  Männer,  welche  grosse  Fertigkeit 
im  Schönschreiben  besassen,  in  ihren  Briefen  derselben  nachlässigen  und 
unleserlichen  Schrift,  wie  sie  gegenwärtig  gang  und  gäbe  ist.  Der  Strom  der 
Zeit  schlifT  zwar  im  allgemeinen  die  Kiesel  der  Currentschrift  glatt,  wie  aber 
an  Stelle  heftiger  Strömung  diese  Abschleifung  schneller  erfolgt,  als  im  lang- 
samen Gewässer,  so  haben  auch  allezeit  Vielschreiber  sich  einer  flüssigen 
nachlässigen  Schrift  bedient.  Interessante  Studien  in  dieser  Beziehung  liefert 
Adolf  Henze*s  Handschriften-Lesebuch,  Leipzig  bei  Hübner  ISoi. 


IX.  SPRACHE  UND  SCHRIFT. 

Es  wird  unserer  Buchstabenschrift  nachgerühmt,  dass  sie  die  einfachste 
und  daher  vollkommenste  Schrift  sei,  man  brauche  nur  25  Zeichen  sich  zu 
merken,  um  Alles  lesen  und  schreiben  zu  können.  In  der  Praxis  ist  die  Sache 
so  einfach  nicht,  denn  das  Aneinanderreihen  von  Lautzeichen,  um  das  Wort 
zu  bilden,  welches  in  der  Sprache  sich  als  Einheit  darstellt,  erfordert  eine 
Kunst  des  Analysirens,  welche  weder  bei  Kindern  noch  bei  Schriftunkundigen 
zu  finden  ist,  das  Buchstabiren  führt  nicht  zum  Lesen,  sondern  einzig  nur 
das  Auswendiglernen  von  Zeichen,  von  Lautgruppen  und  schliesslich  von 
Wörtern;  wenn  jemand  das  Wort  ,was*  zehnmal  nach  einander  mit  Hinblick 
auf  die  vorstehende  Buchstabenverbindung  aussprechen  muss,  so  wird  er 
dieses  Wort  leichter  lesen  können,  als  wenn  er  es  zehnmal  buchstabirt;  erst 
wenn  der  Lernende  eine  grosse  Anzahl  solcher  Wörter  kennt,  wird  er  fähig 
sein,  auch  andere  Wörter  langsam  aufzufassen  und  zu  lesen,  dann  aber  wird 
vielmehr  eine  solche  Ideenverbindung  eintreten,  wie  bei  jenem  Wiener  Knaben, 
der  buchstabirte,  j-o^o  s^e^f-sef  und  dann  nach  kurzem  Besinnen  rief:  Pfpi! 
(die  Wiener  Abkürzung  für  JoseQ. 

Wer  diese  EIrfahrung  gemacht  hat,  dem  wird  es  erklärlich,  dass  die 
Lautzeichen  älter  sind  als  die  Schrift,  dass  die  Völker  Buchstaben  besassen, 
aber  nicht  lesen,  noch  schreiben  konnten,  dass  in  Phönikien  die  Buchstaben- 
schrift erfunden  wurde,  dassVulfila  für  die  Gothen,  Cyrill  für  die  Slaven  u.  s.w. 
das  Schreiben  erfanden,  während  wir  doch  gesehen  haben,  dass  Juden,  (lOtheii 
und  Slaven  eigene  Schriftzeichen  besassen,  dem  wird  es  auch  begreiflich 
erscheinen,  dass  man  für  die  Mongolen  Syllabare  aufstellen  musste,  wie  man 


ö84r  Orthographie. 

auch  in  griechischen  und  lateinischen  Schriften  Syllabare  gefunden  hat 
^velche  beweisen,  dass  man  hahebihobu  leichter  als  Sylben  auffasste,  als 
man  im  Stande  war,  von  vornherein  aus  b  a  e  i  o  u  jene  Sylben  zu  bilden. 

Diese  mechanische '  Auffassung  und  Erlernung  von  geschriebenen 
Wörtern  als  Spracheinheit  macht  es  auch  erklärlich,  dass  die  Schrift  eine 
von  der  Sprache  abweichende  Entwicklung  nahm,  dass  man  im  Deutschen 
«die*  statt  «di*  schreibt,  aWohl*  für  «wol*,  dass  man  sich  nicht  daran 
stösst,  «in*  ebenso  auszusprechen  wie  «inn*  in  „Kinn",  dass  man  im 
Französischen  «mot*  schreibt  und  ^tnoa^  liest,  obgleich  in  ,to*  derselbe 
^1-Laut  anders  geschrieben  wird,  dass  man  im  Englischen  ^enough*^  schreibt 
und  »iwö/**  liest,  dass  y  einmal  ein  Consonant  (j),  das  anderemal  der  Diph- 
thong ei,  ein  drittesmal  der  Vokal  i  ist,  kurz  dass  man  anders  schreibt  als 
liest  und  die  Schrift,  weit  entfernt,  zur  richtigen  Aussprache  anzuleiten,  eher 
zu  falscher  Aussprache  verführt.  Die  Ursache  hegt  eben  darin,  dass  die  Sprache 
sich  verändert  hat,  während  die  Schrift  an  altgewohnten  Schreibweisen  fest- 
hält. Aus  gleicher  Ursache  erkläi*t  es  sich,  dass  das  Zeichen  c  einmal  k,  das 
anderemal  s,  das  drittemal  ts  ist,  dass  dem  entsprechend  ch  einmal  kh,  das 
anderemal  seh,  das  dritlemal  tsch  ist,  dass  x  im  Spanischen  den  griechischen 
Laulwerth  kh  beibehalten  hat,  während  es  im  Lateinischen  zu  ks  geworden 
ist  u.  s.w. 

Das  ist  eine  Krankheit,  eine  Entartung  der  Lautschrift,  welche  zur  Folge 
hat,  dass  der  Jugend  viele  kostbare  Zeit  unnütz  mit  geistlosem  Auswendig- 
lernen abgeschmackter  Unterscheidungen  geraubt  wird,  dass  Lesen  und 
Schreiben  mühsam  erlernt  und  leicht  wieder  vergessen  werden,  dass  die 
Hälfte  des  englischen  Volkes  weder  lesen,  noch  schreiben  lernt,  und  dass  in 
den  französischen  Elementarschulen  die  ganze  Zeit  zum  richtigen  Lesen  und 
Schreiben  aufgewendet  werden  muss,  so  dass  für  andere  nützliche  Kenntnisse 
keine  Zeit  übrig  bleibt.  Leider  wird  dieser  Zustand  gerade  von  den  Gelehrten 
aufrecht  erhalten,  welche  doch  berufen  wären,  am  ersten  demselben  ent- 
gegenzutreten ;  leider  fehlt  gerade  diesen  der  offene  Sinn  für  die  Bedürfnisse 
des  Volkes  und  der  Muth,  mit  ihren  eigenen  Gewohnheiten  zu  brechen,  sie 
ziehen  es  vor,  mit  nichtigen  Düfteleien  zu  prahlen  und  orthographische  Systeme 
aufzubauen,  denen  sie  um  so  grossem  «Werth  beilegen,  je  weniger  sie  der 
Sprache  entsprechen.  Thatsache  ist,  dass  die  Pariser  Akademie  der  rein 
lautlichen  Schreibung  so  entschiedenen  Widerstand  entgegensetzt,  dass  diess- 


Orthographie.  58  5 

bezügliche  Versuche  sich  nicht  an  das  Licht  der  Öfl'entlichkeit  wagen ;  in 
England  ist  von  Isaac  Pitman  eine  rein  lautliche  Schrift  mit  Energie  in's  Werk 
gesetzt  worden,  aber  die  wissenschaftlichen  Kreise  halten  sich  derselben 
negirend  gegenüber;  in  Deutschland  hat  zwar  die  preussische  Regierung  die 
Orthographie  zu  regeln  versucht,  und  eine^Conferenz  von  Schulmännern  ein- 
einberufen, welche  vom  4.  bis  15.  Januar  1876  beriethen,  aber  das  Elaborat 
derselben  ist  nicht  viel  mehr  als  eine  Sanctionirung  ererbter  Missbräuche 
und  hat  zur  Folge,  dass  man  jedes  Wort  der  Sprache  bezüglich  seiner 
Schreibung  auswendig  lernen  muss;  denn  es  heisst  z.  B.: 

«Langes  e  wird  bezeichnet:* 

a)  Durch  ee  in:  Beere,  Beet,  Geest,  Heer,  verheeren,  Kaneel,  Krakeel, 
Klee,  Lee  (leewärts),  leer,  leeren,  Meer,  Paneel,  Reede  (Ankerplatz),  scheel, 
Schnee,  See,  Seele,  Speer,  Teer. 

h)  Durch  «/*  in:  dehnen,  ehren,  entbehren,  Fehde, Fehl,  fehlen,  befehlen, 
empfehlen,  begehren,  hehr,  Kehle,  kehren,  Wiederkehr,  Einkehr,  Lehne,  an- 
lehnen, lehren,  Lehrer,  Mehl,  Mehltau,  mehr,  nehmen,  angenehm,  vornehm, 
vornehmlich,  Nehrung,  Sehne,  sehnen,  Sehnsucht,  sehr,  versehren,  stehlen, 
wehren,  Wehr,  Mühlenwehr,  Gewehr,  zehren,  Zwehle  (Quehle). 

Anmerkung.  Wörter,  welche  auf  e  ausgehen,  behalten  das  e  auch  vor 
Flexionen,  wenn  diese  als  selbständige  Silben  bezeichnet  werden  sollen,  z.  B. 
Kniee,  Seeen,  Feeen,  Theorieen,  Kolonieen. 

Im  Übrigen  wird  die  Länge  der  Vokale  nicht  besonders  bezeichnet. 
Man  schreibt  also: 

a)  Feme,  Hei,  verhelen,  Kamel,  Lorber,  quer,  Schere,  scheren,  be- 
scheren, Schmer,  Wergeid,  Werwolf"  u.  s.  w. 

Wenn  also  jemand  analog  «hehr*  .hehl",  analog  «Kaneel^  ,Kameel* 
schreibt,  so  ist  das  falsch !  Mit  solchen  Lehren  wird  in  der  Schule  das  Denken 
getödtet^  statt  es  anzuregen,  wird  das  mechanische  Auswendiglernen  statt  das 
Versländniss  gross  gezogen. 

Unter  diesen  Umständen  ist  es  erfreulich,  dass  wenigstens  für  den 
internationalen  wissenschaftlichen  Verkehr  eine  lautliche  Schrift  hergestellt 
worden  ist,  welche  eine  gleichmässige  Umschreibung  fremder  Wörter  gestattet, 
nämlich  das  von  Professor  Lepsius  in  Berlin  aufgestellte  Standard-Alphabet, 
d.  h.  Muster-Alphabet,  welches  auch  in  diesem  Werke  bei  fremden  Wörtern 
xur  Anwendung  gekommen  ist. 


586  Lepsius'  Standard-Alphabet.  —  Telegraphie. 

Hiernach  werden  die  Buchstaben  ai  o  u  ö  ü  au  für  die  entsprechenden 
deutschen  Laute  gebraucht;  ^  ist  das  kaum  hörbare  e  in  bddagen,  e  ist  das 
helle  €  in  sehr,  e  das  dunkle  e  in  her,  respective  das  a;  o  oder  a  ist  der 
zwischen  a  und  o  schwankende  Laut  im  englischen  all;  femer  sind  e  und  t 
harte  slavische  Laute;  die  Nasale  werden  durch"  ausgedrückt,  daher  ä=aH; 
die  Consonanten  werden  eingetheilt  in  Faucales :  h,  h'  (das  harte  arabische  A), 
'  (Spiritus  lenis),  *  das  ain  der  Araber  (welches  aber  hier  durch  das  bequeme 
d  ersetzt  worden  ist,  während  der  Spiritus  lenis  in  arabischen  und  seoiiü- 
sehen  Worten  unbezeichnet  blieb) ;  Gutturales  Ar,  q,  g,  n  Cng),  y  (^e  im 
Deutschen  acli)^  y  derselbe  aber  sanftere  Laut,  arabisch  ghain;  Palatales:  k 
(ähnlich  dem  hj  woraus  tä,  unser  tsch  entstand),  g  (der  weichere  Laut,  woraus 
d£,  unser  dsch  entstand),  A  fnjj,  y  (wie  im  Deutschen  icä),  7,  ^  (unser  sc*), 
i  (das  sanfte  sch)^  S  oder  4  (schjej,  i,  y  welches  stets  als  Consonant  (unser  j) 
gelesen  wird  und  V  das  italienische  gli;  Cerebrales  f  d  n  ä  r  l  kommen  nur 
im  Indischen  vor;  Linguales J  d  szS  kommen  nur  im  Arabischen  und  Hebräi- 
schen vor;  Dentales  t  d  n  s  tf  (das  scharfe  englische  th),  z  (das  weiche  j^^nie 
unser  z,  welches  hart  ts,  weich  dz  geschrieben  wird),  d  (das  weiche  englische 
th),  r,  l;  Labiales:  p,  h,  m,  f,  v,  w. 

Proben  dieser  Schreibart  sind  in  den  Transscriptionen  des  vorliegenden 
Buches  zur  Genüge  gegeben. 


X.  TELEGRAPHIE. 

Telegraphie  durch  Feuerzeichen  oder  Signale  an  aufgerichteten  Stangen 
war  bereits  im  Alterthume  gebräuchlich,  um  im  Falle  eines  Krieges  das 
Volk  zu  den  Waffen  zu  rufen;  die  ägyptische  Hieroglyphe  f  scheint  ein  solches 
Signal  gewesen  zu  sein.  Morse's  Erfindung,  den  Elektromagnetismus  zur 
Herstellung  einer  telegraphischen  Verbindung  anzuwenden,  machte  eine 
eigene  Zeichensohrift  nothwendig,  welche  aus  den  einfachsten  Elementen, 
dem  Punkte  und  dem  Striche,  besteht.  Sein  System  besteht  nämlich  dann, 
dass  von  einem  durch  den  Strom  erregten  Elektromagnete  ein  Anker  mit 
einem  Stifte  angezogen  wird,  welcher,  je  nachdem  man  mittelst  eines  Tasten- 
druckers den  Strom  kürzere  oder  längere  Zeit  wirken  lässt,  einen  Punkt  oder 
einen  Strich  in  einem  vorbei  passirenden  Papierstreifen  ritzt  Seither  sind 
künstliche  Apparate,  welche  selbst  die  Handschrift  getreu  wiedergeben,  erfunden 


Telegraphie.  —  Stenographie.  587 

worden,  aber  die  ausserordentliche  Einfachheit  des  Morse'schen  Apparates 
hat  seinem  Systeme  noch  immer  den  Vorrang  gelassen.  Wir  haben  auf  dem 
Titelbildc  eine  Probe  dieser  Schrift  gegeben,  welche  lautet : 

/  /  l  u  8        i        r  i  r       t     e 

G        t         s  ch  i  ch  t     e  d        e         r 


i>  ch  r  i  f  t  t  0  n 

Kar  l  F        a         u  l  m       a      n       n 

XI.  DIE  STENOGRAPHIE. 

Wir  haben  schon  bei  den  Schriften  der  Griechen  und  Römer  schnell- 
schriftliche  Systeme  (Tachygraphien)  kennen  gelernt  (Seite  517  und  5i9)r 
denn  die  Noth  ist  die  Mutter  der  Erfmdungen,  und  wo  die  vorhandenen  Mittel 
nicht  ausreichen,  lehrt  sie  neue  Wege  einschlagen,  um  dem  BedQrfniss  zu 
entsprechen.  Sie  zwang  römische  Sklaven,  ihren  Scharfsinn  aufzubieten,  um 
die  Schrift  derart  zu  vereinfachen,  dass  sie  die  Reden  ihrer  Herren  mit  ihr 
aufnehmen  konnten.  In  gleicher  Weise  rief  in  der  neueren  Zeit,  und  zwar 
zuerst  in  England,  die  aufblühende  religiöse  und  politische  Beredsamkeit 
Schnellschriften  in's  Leben,  für  welche  der  Name  Stenographie  (Engschrift) 
aufgekommen  ist.  Vom  Jahre  1602  bis  auf  die  Gegenwart  haben  mehrere 
Hunderte  von  Männern  ihren  Geist  angestrengt,  solche  Kunstschriften  aufzu- 
stellen, von  denen  zwar  viele  Nachahmungen  früherer  Versuche  waren, 
manche  jedoch  sich  durch  Originalität  auszeichneten  und  neue  Principien 
in  die  Schrift  trugen,  daher  wohl  noch  grössern  Anspruch  auf  die  Beach- 
tung denkender  Menschen  haben,  als  die  meisten  der  ererbten  Schriften, 
welche  wir  bisher  kennen  lernten.  Uebrigens  tritt  in  neuerer  Zeit  immer 
mehr  das  Streben  hervor,  der  Schnellschrift  eine  solche  Genauigkeit  der 
Bezeichnung  zu  geben,  dass  sie  die  historische  Currentschrift  zu  verdrängen 
und  die  Schrift  der  Zukunft  zu  werden  geeignet  ist. 

Es  sind  besonders  drei  Nationen,  welche  auf  dem  Gebiete  der  Steno- 
graphie Hervorragendes  geleistet  haben:  die  Engländer,  die  Franzosen  und 
die  Deutschen. 


588  Ratcliff.  —  John  Willis. 

A.  ENGLISCHE  STENOGRAPHIE -SYSTEME. 

1.  Ratcliff  1588. 

Es  war  natürlich,  dass  zuerst  zum  Nächstliegenden,  zur  Verkürzung 
der  Gurrentschrift  geschritten  wurde;  so  empfahl  Ratcliff  in  Plymouth  im 
16.  Jahrhundert,  sich  in  der  Bezeichnung  der  Wörter  auf  die  wesentlichsten 
Laute  zu  beschränken  und  z.  B.  das  Vaterunser  in  folgender  Weise  zu 
schreiben : 

Our  Fth  weh  rt  n  hvn;  Mwd  b  y  *  Nm,  Y  Kgdm  cm.  Y  u)l\  h  dnnrthz 
it  8  n  Hvn.  Gv  z  ths  da  r  dltj  brd.  Ad  frgv  z  r  trpss  z  w  frgv  y  y  trspss  agst  z. 
Ad  Id  z  nt  nto  tmptin,  ht  dlvr  zfrom  evl,  for  ihn  z  y  Kjd/n  <t  y  pwr  dt  y  glrii 
fr  evr  dt  evr,  Amn,^^^ 

Das  ist  vollständig:  Oui'  Faiher,  which  art  in  heaten,  hallowed  be  thf 
JSufne,  Thy  kingdom  cotne.  Thy  will  be  done  on  tfte  earth,  as  it  is  in  heacetu  Givt  u$ 
this  day  our  dailg  bread.  And  forgive  us  our  trespasses  as  we  forgive  them  that  ins- 
pa-is  ajainst  us.  And  leai  us  not  into  temptation;  but  ddioer  usfrom  etil:  for 
thine  is  the  kingdom  and  the  potver  and  the  glory,  for  ecer  af%d  ever,  Atnen, 

2.  John  Willis  1602. 

Einen  neuen  Weg  betrat  John  Willis,  ein  Geistlicher,  welcher  der 
Ansicht  war,  dass  das  erste  Mittel  zur  Verkürzung  der  Schrift  die  Verein- 
fachung der  Schriftzeichen  sein  müsse  und  der  in  Folge  dessen  folgendes 
Alphabet  aufstellte: 

Ani<LJ0o<7  r  -^^\  C/O-ICÄV   )>oyz 

a  b  d  €  f  g  h  i  j  k  Imnopqrstuvwxyz 
Die  Vokale  suchte  er  durch  die  Veränderung  der  Stellung  des  folgenden 
Gonsonanten  auszudrücken,  wozu  die  Reihenfolge  der  Vokale  im  Alphabet: 
a  e  i  0  u  Anlass  gab,  z.  B.  ..fl^'^''  emboldened;  ausserdem  legte  er  durch 
den  Versuch,  zwei  oder  drei  Buchstaben  in  ein  einziges  kurzes  Zeichen  zu 
verwandeln,  den  Grund  zu  den  arbitrary  signSj  das  sind  willkürliche  Zeichen 
für  Vor>  und  Nachsilben,  welche  später  in  der  englischen  Stenographie  eine 
grosse  Rolle  spielten,  Gurrentbuchstaben  für  Wörter,  wie  A  among,  P  coimtf 
A  also,  N  number,  symbolische  Zeichen,  wie  ©  Sonne,  3^  Mond,  ^  Herz, 
@  Welt  u.  s.  w.  Beachlenswerth  ist,  dass  bereits  Willis  in  der  lautgetreueu 

*  Das  Zeichen  des  y  für  the  welches  sich  in  den  Drucken  des  16.  und 
17.  Jahrhunderts  findet,  dürfte  auf  der  alten  Dorn-Rune  beruhen. 


Ellmond  Willis.  589 

Dezeichnung  ein  wichtiges  Mittel  zur  Kürzung  erkannte;  er  stellte  kein 
Zeichen  für  c  auf;  sondern  bezeichnete  dasselbe  seiner  Aussprache  gemäss 
durch  k  oder  s,  er  lehrte  die  Weglassung  der  Zeichen,  welche  nicht  gesprochen 
und  nur  deshalb  geschrieben  werden,  weil  sie  früher  einmal  hörbar  waren, 
wie  b  in  debt,  lanibj  subtel,  welche  Wörter  erdet,  lam,  suiel  schrieb.  Trotzdem 
seine  Zeichen  noch  unbeholfen  waren,  wurde  seine  Stenographie  doch  prak- 
tisch angewendet.  Eigenthümlichkeiten  der  Ausgabe  von  Shakespeare's 
Hamlet  mit  der  Jahreszahl  1603  deuten  darauf  hin,  dass  diese  Ausgabe  nach 
einer  stenographischen  Niederschrift  des  Schauspieles  gedruckt  worden  ist, 
die  Erßndung  des  frommen  Geistlichen  also  zu  einem  literarischen  Diebstahl 
verwendet  wurde.  ^®* 

:i  Edmond  Willis  1618. 

Die  neue  Theorie  fand  bald  Anhänger  und  Verbesserer,  Edmond  Willis 
vereinfachte  manche  Zeichen  seines  Vorgängers,  nahm  auch  Currentbuch- 
staben  wieder  auf,  welche  sich  leicht  darstellen  Hessen,  und  führte  den  Punkt 
als  Vokalzeichen  ein.  Dieser  Punkt  bezeichnete  über  einem  Zeichen  o,  unter 
demselben  m,  links  neben  dem  Zeichen  oben  ee,  in  der  Mitte  oi,  unten  oo, 
rechts  neben  dem  Zeichen  e,  in  der  Mitte  t,  unten  o,  ausserdem  dienten  noch 
höher  stehende  Punkte  links  für  ai,  rechts  für  ea,  noch  tiefer  stehende  Punkte 
links  für  au,  rechts  für  ouy  eine  Vokalbezeichnung,  welche  in  der  Theorie 
zwar  sehr  genau  scheint,  aber  praktisch  nicht  durchzuführen  ist,  und  bei 
einer  nicht  sorgfältipen  Schrift  Verwechslungen  herbeiführt.  Der  Plural  wurde 
durch  zwei  Punkte  ausgedrückt.  Auch  wendete  er  Currentbuchslaben  für 
Wörter  an.  Das  Alphabet  war  folgendes: 

abcdefghijk    l  m   n     o      p      q   r   s   t    ti    v  ic  x  y    z 
Als  Schriftprobe  geben  wir  folgenden  Satz : 

Fear  and  Lote  God,  Uotior  and  Obtij  tjour  kintj. ^® ' 
Da  das  vorliegende  Werk  keine  Literaturgeschichte  ist,  so  übergehen 
wir  jene  Autoren,  deren  Werke  sich  nur  wenig  von  ihren  Vorgängern  unter- 
scheiden,  um  mehr  Raum  für  die  Beschreibung  iI^t  wie  hliueren  Systenio  zu 
gewinnen. 


590 


4.  Jeremiah  Rieh  1654. 

/ 1  ( ) .  n  H  h  .  -  ^  ^_  _  /- .-  i  p  r  / .  L  /-,  y  z  ^ 

a  h  c  d  e  f  g  h  i  k  l  m  n  o  p  q  r  s  t  u  tc  x  y  z  th 
Die  Einführung  der  Null  für  e  war  keine  gluckliche  Idee,  da  sie  Ver- 
wechslung mit  den  Consonanlen  hervorrief,  weshalb  e  in  den  Silben  em, ««,  el 
^/,  es,  ex,  er,  de,  he,  pe,  te,  ye,  sowie  häufig  inmitten  der  Wörter  unbezeichnet 
blieb.  Neu  ist  das  Zeichen  für  th.  Rieh  verwendete  gleichfalls  den  Punkt  für 
Vokale,  bezeichnete  aber  nur  vier  in  folgender  Weise: 

i       <i-     -i-      fr     -n 
ha   hi    ho  hu     pa    pi     po    pu 
Statt  des  Punktes  werden  die  folgenden  Consonantenzeichen  an  die  beireffende 
Stelle  gesetzt,  daher 

C"  i^         ).        /?\ 

chanye  bring  dotcne  eure. 
In  hrifig  finden  wir  ein  anderes  Zeichen  für  r,  nämlich  einen  schrägen 
Aufstrich,  derselbe  hat  sich  als  Nebenform  des  r  bis  auf  die  jetzige  Zeil  in 
der  englischen  Stenographie   erhalten.    Sämmtliche   alphabetische  Zeichen, 
sowie  die  Zeichen  für  zusammengesetzte  Consonanten  haben  bei  Rieh  auch 
Wortbedeutung;  so  bedeutet  a  öfter,  hhe,  c  children,church,  d  nothing,  e  etnenetitf 
f  of,  g  god,  h  hospitalitg,  k  kitig,  l  Lord,  m  man,  n  in,  o  order,  p  prindpalit^, 
q  question,  r  remnant,  s  sfnall,  t  thee,  u  you,  w  wherefbre,  x  example,  y  Jerusalem, 
z  is,  his,  th  th^,  that,  Doppel-/Ä  C  thus,  this,  these,  there,  hl  hlessed,  gl  glory- 
kn  knowledge,  sh  shalt,    mp  impediment,  gr  grace;    alles  glücklich  gewählte 
Abkürzungen.  Ausserdem  besteht  sein  System:  1.  aus  Zeichen  für  Vor-  und 
Nachsilben,  was  jedoch  nicht  streng  sprachlich  zu  nehmen  ist,  denn  actions 
wird  mit  dem  Zeichen  der  Vorsilbe  ac  und  dem  der  Nachsilbe  tion  geschrieben, 
2.  aus  Begriffs-  und  symbolischen  Zeichen;  3.  aus  Abbreviaturen  in  folgen- 
der Weise:  ein  Punkt  vor  dem  Worte  heisst:  to  come  to,  z.  B.  'X  to  come  io 
Christ,   ein  Punkt  nach   dem  Worte:    to  depart  from,   also   X  *  to  depart  ftvm 
Christ,  zwei  Punkte  über  dem  Worte  heissen  mefi  oder  sons,  vor  dem  Worte 
oben  saints,   unten   serrants,   nach  dem  Worte  oben  uH)men  oder  daughters, 
unten  children,  unter  dem  Worte  people,  z.  B.  H  sotis  of  god,  "H  saints  ofgo'l 
,M  servants  of  god,  H"  daughters  of  god,  H..  childreti  of  god,   H  people  of  yo(U 
drei  Punkte  haben  in  den  verschiedenen  Stellungen  wieder  andere  Bedeutungen. 


Hicil.  —  Masoii.  591 

ebenso  currentschriflliche  Zeichen,  welche  für  Worte  gelten,  so  z.  B.  bedeutet 
h  in  verschiedenen  Stellungen  happiness,  heaviness,  holiness,  humility,  k:  cala- 
mUij,  kindness,  coldurss,  covenant  u.  s.  w.  u.  s.  w.  Von  seinen  vielen  symboli- 
schen Zeichen   erwähnen  wir  nur  beispielshalber  cia  arguments,  ,^  advance, 
^  att  over  the  world,    I  abore,    \  below,   '    behind,   ..  before,    r  beitceen  hoih, 
aboundance,  y^  contvartj,   =?  even,   =-  uneven   (heisst  auch  wörtlich  name), 
H"*  evtfi  at  the  righi  hand  of  tjod,  '  •  ei/es,  :  n7y,  :•  first  of  cdl,  /  lumd  ofall,  ::  both 
high  and  Unc,    :->:  from  east  fo  tcest,  from  north  to  south   u.  s.  w.    So  scharf- 
sinnig, mitunter  auch  witzig  diese  Abbreviaturen  waren,  so  erschwerten  sie 
doch  das  Erlernen  unnüthigerweise,  auch  waren  sie  vorzugsweise,  dem  geist- 
liehen  Stande  des  Erfinders  entsprechend,  zum  Aufzeichnen  von  Fredigten 
eingerichtet.  Der  Werth  eines  stenografischen  Systems  lässt  sich  am  besten 
aus  dem  Vergleiche  des  Alphabets  mit  der  Schriftprobe  erkennen,  je  leichter 
sich  die  Schriftprobe  mit  Hilfe  des  Alphabets  dechifTriren  lässt,  desto  besser 
ist  das  System,  denn  andernfalls  liegt  der  Beweis  vor,  dass  die  Kürze,  welche 
die  Zeichen    nicht  gewährten,    auf  künsthche  Weise  der  Schrift   eingeimpft 
worden  ist.  Wir  geben  als  Schriftprobe  den  Text  des  Vaterunsers: 

Onr  FaiheTi  tchich  art  in  heaveti,  Hallowed  be  (kyNaine.  Thy  kinydom  come* 
Thy  will  be  done  on  the  earth,  as  it  i$  in  lieaven,  Give  m  this  day  our  daily  bread. 
And  /orgire  us  our  treaiHtsats  as  tce  forgive  them  that  ^re^/xw^  against  ua.  And 
lead  148  not  into  temptation;  but  deliver  usfrotn  etil:  for  thine  is  tlte  kinydom  and 
the  power  aml  tlie  ghryyfor  euer  and  ever,  Anien.^^^ 

5.  William  Mason.    1G72. 

Mason  hatte  schon  in  seiner  Jugend  die  Stenographie  nach  verschie- 
denen Systemen  gelernt,  unter  denen  ihm  das  von  Rieh  am  meisten  zusagte, 
welches  er  auch  seinem  ersten  Werke:  A  Pen  Pluck'd  fvom  an  EayJrs  uing 
{VAne  Feder,  gepflückt  aus  eines  Adlers  Schwinge)  zu  Grunde  legte.  Später 
gab  er  dieses  System  auf  und  nahm  eine  durchgreifende  Änderung  der  Zeichen 
vor.  So  entstand  folgendes  Alphabet: 

a    h  rkd  ef  y    h   i  j  I  in  u  o  p    q    r   s    t    n   r   »r     x     y  z  rh  sh  sf  th  irh 


592  Masou. 

Die  Vokalzeichen  reducirte  er  auf  drei:  '  a,  t  •  i,  t/  ,  o,  «,  an  die  Stelle 
der  Punkte  tritt  das  folgende  Consonantenzeichen.  Die  Orthographie  der  ge- 
wohnlichen  Schrift  wird  nicht  beachtet^  aber  auch  zur  reinen  Lautschrift  hatte 
sich  sein  Geist  noch  nicht  durchgearbeitet,  denn  er  schreibt  ag  für  o^e  (edzf, 
brut  für  brouyht,  huti  für  beauty  u.  s.w.  Sein  System  theilte  er  ein  1.  in 
SpellingCharacters,  das  sind  die  stenographischen  Lautzeichen,  2.  in  Symbo- 
lical  Short-hand,  welche  die  Verwendung  currentschrifllicher  Buchstaben  in 
Fraktur-  und  Cursivschrifl,  Versalien  und  gemeine  Buchstaben  für  verschie- 
dene Wörter,  sowie  die  Vokalisations  -  Theorie  umfasst,  3.  in  Deficient 
Writing,  das  ist  die  abgekürzte  Schrift,  in  welcher  einzelne  Laute  und  ins- 
besondere die  Endsilben  weggelassen  werden,  4.  in  Arbitrary  Characters, 
das  sind  willkürliche  Zeichen.  Für  das  Schreiben  gelten  noch  folgende 
Regeln:  ein  Punkt  an  Stelle  des  e  gilt  für  -edst,  -est,  -eth;  zwei  Punkte  für 
'thed,  ein  Punkt  über  dem  Consonanten  für  ity,  nach  einem  Vokale  tf ;  ugh 
und  w  nach  einem  Vokale  werden  weggelassen,  ebenso  y;  et  wird  durch 
einen  links  an  den  Consonanten  angesetzten  Strich  ausgedrückt;  für  rer,  ror 
werden  die  Striche  /  x  links  und  rechts  an  den  Consonanten  angesetzt;  für 
fnU  ein  Strich  unter  dem  Consonanten  geschrieben,  iftg  wird  durch  eine 
kleine  Null  ausgedrückt;  ausserdem  giebt  es  noch  64  besondere  Zeichen  für 
Vor-  und  Nachsilben.  Für  das  Nachschreiben  von  Reden  empfiehlt  Mason 
folgende  Regeln;  a,  an,  over  werden  durch  einen  Punkt  über  dem  Worte 
ausgedrückt,  down,  under  durch  den  Punkt  unten,  the,  of  durch  den  Punkt 
oben  links  am  Worte,  frotn,  for  durch  den  Punkt  links  unten;  die  Artikel 
können  wejrgelassen  werden;  endigt  ein  W^ort  mit  dem  Buchstaben,  mit 
welchem  das  folgende  beginnt,  so  werden  die  Wörter  in  eines  zusammen- 
gezogen und  der  betreffende  Buchstabe  nur  einmal  geschrieben;  in  gleicher 
Weise  können  Vokalzeichen  dadurch  entbehrt  werden,  dass  das  folgende 
Wort  an  die  Stelle  des  Vokalpunktes  gesetzt  wird;  ein  kleines  n  über  dem 
Worte  steht  für  on  oder  an  the,  ein  längeres  für  upon,  upon  the;  n  unter  dem 
Worte  steht  für  undei^eath,  understünd,  understood;  ist  ein  Wort  von  from— 
to  eingeschlossen,  so  wird  es  in  zwei  Punkte  gestellt;  ein  Zeichen  ver- 
grössert  hat  die  Bedeutung  »gross",  verkleinert  die  Bedeutung  „klein', 
Wiederholungen  werden  durch  einen  breiten  Strich  unter  dem  W^orte  aus- 
gedrückt; das  Ge^'entheil  durch  eine  Klammer.  Wir  geben  als  Schriftprobe 
den  Vaterunser-Text,  welcher  mit  dem  vorigen  verglichen  werden  möge. 


Gurney.  ^^^ 

6.  Thomas  Gurney.   1740. 

Gurney  hatte  das  Glück,  1737  die  Stelle  eines  Regierungs-Steno- 
^raphen  zu  erhalten  und  diese  Stelle  bis  auf  unsere  Zeit  in  seiner  Familie  zu 
vererben,  sonst  würde  sein  System,  welches  nur  eine  Verbesserung  des 
Mason'schen  ist,  keine  besondere  Rolle  in  der  Geschichte  der  Stenographie 
gespielt  haben  und  nicht  so  gut  bezahlt  worden  sein,  denn  sein  wenig  um- 
fangreiches Lehrbuch  kostete  1  Guinea,  welcher  Preis  später  von  seinen  Nach- 
folgern auf  die  Hälfte  herabgesetzt  wurde.  Gurney  Hess  aus  Mason's  Al- 
phabet die  Doppelzeichen  hinweg,  gab  jedem  stenographischen  Zeichen  eine 
oder  mehrere  Wortbedeutungen,  nahm  currentschriflliehe  Zeichen  als  Wort- 
zeichen auf,  reducirte  die  willkürlichen  Zeichen  Mason's  und  fügte  die  Ver- 
bindung der  Hilfsredewörter  untereinander  und  mit  den  Fürwörtern  hinzu; 
<lie  Vokale  werden  häufig  nicht  beachtet  und  die  Consonanten  untereinander 
ohne  Vokal  verbunden.  Sein  Alphabet  ist  folgendes: 

a  b  c  k  d    c  f  g    h  ij   l   m  n    o  p    q    r  8  z  s    t  u  v  w  x    y  etc. 
Wir  geben  zunächst  zum  Vergleiche  mit  dem  obigen  den  Vaterunser- 
Text  in  Gumey's  Schrift: 

Es  dürfte  den  Lesern  interessant  sein,  auch  eine  Probe  seiner  Par- 
laments-Stenographie  kennen  zu  lernen,  da  dieselbe  noch  gegenwärtig  ango- 
wf»ndf*t  wird. 

■ 
\Ve  am  now  arrired  at  the  fiffh  tjeneral  hranch  ur  head,  undtr  ichich  I  pnj- 

y*«/W  to  (vnaitler  ihe  subjecf  o/thus  book  ofmtv  commenUiries ;  rlz,  the  m€(nta  ofj/rt^ 

*'*ftthuj  the  rammüssion  of  crimes  and  misdemeauM'it.  Ami  rmilij  it  i,t  an  honout\ 

FaalmaQn,  Gesrhichte  d.  ächrin.  :;s 


594  Weslon. 

and  almosl  a  singidar  one,  to  cur  English  lates,  that  ilmj  furnish  a  title  of  this 
sort;  since  preventive  justice  is^  upon  everij  principh  of  reason,  ofhwnanity  andof 
sound  policy,  preferable  in  all  respects  to  punishing  justice ;  tite  execution  ofwhich^ 
though  necessarg,  and  in  its  consequences  a  species  of  niercg  to  the  coimmn- 
wealthy  is  ahcays  attended  with  mang  Iiarsh  and  disagreable  ciratnistatices, 

7.  James  Weslon.  1727. 

Der  würdige  Mann  mit  Allonge-Perrücke,  dessen  Bild  sein  ziemlich 
umfangreiches,  in  Kupfer  gestochenes  und  fast  durchwegs  aus  Worttabellea 
bestehendes  Werk  ziert,  hat  kein  neues  Alphabet  aufgestellt,  sondern  das 
von  Metcalf  1645  veröffentlichte  benutzt,  um  Unmassen  von  Abkürzungen 
darauf  zu  bauen ;  jedes  Zeichen  bedeutet  ein  oder  mehrere  Wörter,  so  a  für 
atce,  an;  b  für  be,  bg^  bug;  i  für  I,  eye,  lügh;  l  für  Lord,  will,  hell;  r  für  enn 
air,  her,  liear,  here,  hither  u.  s.w.;  jede  Zeichenverbindung  dient  gleichfalls 
für  ein  oder  mehrere  Wörter,  meist  ist  in  solchen  Wörtern  nur  der  Vokal 
weggelassen,  wie  z.  B.  Iflife,  fil  retail  bedeutet,  doch  fehlen  in  anderen 
Wörtern  auch  Consonanten,  z.  B.  dient  rld  für  rdged,  rebeUed,  revecded,  related, 
ntl  für  genile,  gentile,  pt  für  penitetit  u.  s.  w. ;  für  Vor-  und  Nachsilben  sind 
besondere  Zeichen  aufgestellt,  welche  wieder  für  Wörter  dienen,  z.  B.  T  ab 
und  about,  A  ante,  anti  und  among,  O  omni  und  tcorld,  i_  sub  und  is  not; 
die  Vokalisation  hat  er  wieder  auf  fünf  Stellen  erweitert,  z.  B.  T  sa  T  «e  •  si 

\,  80  ,,  SU,  _:_.  na 1  ne  — .  wi  -r  no  -r-  nu;  ausserdem  charakterisirt  seine 

Schrift  das  Bestreben  mehrere  Wörter  zusammenzuziehen.  Wir  geben  hier 
zuerst  das  Metcalf- Weston'sche  Alphabet: 

A<C)c/^LHh/^^\_ep^lr!^     /V7>o^Z 
abcdefghijkl     m  n   o      p     q    r     s     t  u  r  w   x    g   z 
und  als  Schriftprobe  das  Vaterunser  nach  Weston's  Lehre: 

Wir  geben  hier  eine  Transscription,  um  durch  den  Bindestrich  die 
zusammengezogenen  Wörter  anzudeuten:  Onr-falher  which-art  in  heaven 
hallowed  be  thg  name  thg  kingdom  come  thg  will  be-done  an  earth  as^f^  in 
heaven  give-us  this-dag  our-daüg  bread  ofui-forgire-us  our^debts  as-tce^forgite 
our-dehtcrs  and-lead-us-not  inio  tetnptatiofi  but-deliver^us  from  evtl  for  ihine  is 
the  kingdom  and  power  and  glorg  for-ever,  Amepi. 


,./y^-^.  -^^ 


Mitchell.  —  Macaulay.  595 

8.  John   Mitchell.  1783. 

Obgleich  Weston's  Schrift  schon  ein  fürchterlicher  Wust  von  aus- 
uendig  zu  lernenden  Zeichen  war,  wurde  sein  Streben  doch  noch  von 
Mitchell  übertrieben,  der  den  alphabetischen  Zeichen  noch  Nebenzeichen 
beifugte,  wie  es  scheint,  weniger,  um  sie  schreibflüchtig  zu  machen,  als  viel- 
mehr um  neue  Abkürzungen  zu  gewinnen. 

Was  Mitchell  in  der  Wortzusammenziehung  leistete,  zeigt  folgende 
Probe,  welche  den  Anfang  der  Genesis  enthält;  in  der  Transscription  sind  die 
weggelassenen  Wörter  eingeklammert,  die  zusammengezogenen  durch  Binde- 
striche verbunden: 

i.  Ifi'(the  'hefginn)htg  g(od) 'Cr(eat)ed'  (the)'}ieaven'  fand  the)  -  earth 
{.^  Itearen  ^_^  earth],  2.  And-ftheJ-eatih-was  withoui-form  and-void  and- 
darhtess'was  tqM)H'(tfte)'face'(of  the)'dep(h  and'(the)'SpirU-(of)'god'mov€d  upon- 
(th€)'face-(of  the)'tv(ate)r3.  3.  And-god-said  kt-there-be-Ught  and-there-uras-Ught. 
4.  And'god-mW'(the)'Ught,  ihaUis-was-good  and-god-d'mded'(the)4ight  from-Ohe)- 
dtirkfiess.  5 ,  And-god-called-iOiehUght  day  afid-OM-darkness  he-called-night,  and 
(the)^repHng'  [die  Durchkreuzung  bedeutet  das  Gegentheil,  daher  hier  :  and 
the  mormng\-\c€re'(the)'fir8t'day,  6,  And-God-said  let-there'he-(a)'firmament  in 
((fie)'ntid3t'(oftfie)'Wafersand'l€t'it'^iv(id)'(tfie)'Wafersfivf^^^^  l.And- 

gwl-made-fthehfinnanient  ami'dimM'(the)'Wnter$'whirh'Were  undeV'(th€)'firim- 
mmi  from-fthehwaters  whirh-were  abore'(th4')'finnament  and-it-was-so.  8,  And- 
god'Catled'(the)'firmatnent'fteaien  and-(the)'evening'(and  the  mornhig)'fcer€' 
( theh.^-cond'dag, 

9.  Aulay  Macaulay.  1747. 

Noch  bevor  die  Stenographie  den  Culmlnationspunkt  der  Kürze  und 
Unleserlichkeit  erreicht  hatte,  den  Mitcheirs  System  repräsentirt  (denn  die 
obige  Schriftprobe  kann  doch  nur  Derjenige  entziffern,  der  die  Genesis  aus- 
wendig gelernt  hat),  war  eine  Reaction  eingetreten,  welche  eine  leicht  erlern- 
bare und  leicht  leserliche  Schrift  anstrebte.  Macaulay  wollte  eine  buchstäblich 
bezeichnende  Schnellschrifl  schaffen  und  er  baute  dieselbe  auf  die  einfachslen 

38* 


^^ö  Hacaulay. 

geometrischen  Gebilde,  den  Strich  und  den  Kreis,  beide  Figuren  ergaben 
folgende  10  Zeichen  _iv/^Nvy^^,  welche  er  durch  Vergrössening 
vermehrte  und  nun  >.  d  \  m\  v  /  $  /  n  /  w    ,a    |/     \  l  ^  a  ^i  _h  ^  o 

^  H  ^^  qu  ^  s  ^  u  ^^  k  bildete;  so  entstand  folgendes  Alphabet: 

ahcdefghi    k   l  tn  n    o   p   q    r  s    t    u     v  w  x    y  z  etc, 
welche  Zeichen  zugleich  Wortbedeutung  erhielten,  z.  B.  a  andy  b  but,  c  cofM, 
d  do,  e  he,  ever,  f  for,  g  god,  gite,  h  htm,  have,  i  in,  k  keep,  l  lord,  Id,  m  me, 
n  not,  0  out,  otherunse  etc.  Die  Vokale  wurden  geschrieben  und  mit  den  Con- 
sonanten  verbunden,  daher 


ba  he    bi   ho  bu         ab    eb   ib   ob   üb 
Aber  damit  begnügte  sich  Macaulay  nicht;  er  stellte  die  Zeichen  über 
die  Zeile,  um  daraus  Gonsonanzen  zu  gewinnen,  nämlich 
auf  der  Zeile:       a     a     b     c     d      fghilmnoopr 
über  der  Zeile:    gl    th    bl   sp  wh  seh  ph  gr  /»•  ch    st    sh  sm  sn    $1  d 
auf  der  Zeile:      s     t     u     v     to     x 
über  der  Zeile :    er   tr  dw   fl    sh    ihr 

Ausserdem  bildete  er  noch  Zeichen  für  th,  shr,  br  etc.^  ja  selbst  für 
die  Ziffern. 

Das  Vaterunser  ist  in  dieser  Schrift  folgendes: 

Die  gesunde  Idee,  welche  Macaulay*s  Schrift  zu  Grunde  liegt,  war 
leider  durch  die  Ausführung  compromittirt.  Der  Mangel  phonetischen  Ver- 
ständnisses Hess  ihn  einfache  Laute  wie  oh  durch  zwei  Zeichen,  ebenso  das 
stumme  e  schreiben,  femer  waren  die  Zeichen  so  wenig  verbindungsflhig. 
dass  }ial  in  haUowed  nur  durch  Doppel-a  verbindungsföhig  gemacht  werden 
konnte.  Die  Klagen  über  die  Undeutlichkeit  seiner  Schrift  veranlassten  ihn. 
im  Jahre  1756  ein  neues  Alphabet  aufzustellen,  aber  seine  Schrift  war  schon 
in  Misscredit  gekommen,  sein  Streben  blieb  erfolglos. 


Byrom.  597 

10.  John  Byrom.  1767. 

Byrom,  dessen  System  erst  nach  seinem  Tode  Ton  einer  Stenographen- 
Gesellschaft  veröfTentlicht  wurde,  hatte  viel  über  das  Yerhältniss  der  Schrift 
zur  Sprache  nachgedacht.  Er  war  sich  klar  über  den  heillosen  Unterschied, 
der  im  Englischen  zwischen  Schrift  und  Sprache  besteht,  er  erkannte,  dass 
die  englische  Sprache  aus  folgenden  2 1  Consonanten  besteht :  h  p  f  v,  s  z  sh 
zh,  t  d  th  dh,  k  g  chjy  m  n  l  rh;  er  sprach  den  richtigen  Gedanken  aus, 
dass  die  Laute  derart  mit  Zeichen  bedacht  werden  müssten,  dass  die  am 
häufigsten  vorkommenden  Laute  die  einfachsten  Zeichen  erhalten,  dass  die 
Zeichen  sich  leicht  verbinden  und  leicht  zu  unterscheiden  sein,  dass  die 
Wörter  ohne  Absetzen  geschrieben,  dass  die  Zeiolien  nicht  über-  oder  unter- 
einander hinausgehen  sollten.  Wie  Macaulay  wählte  er  die  Zeichen  der  geo- 
metrischen Linie  und  die  Theile  des  Kreises,  welche  er  durch  den  stehenden 
Halbkreis  C  )  vermehrte,  wodurch  er  12  Zeichen  erhielt,  welche  noch  durch 
Anbringung  einer  kleinen  Kreisschlinge  vermehrt  wurden.  Von  diesen 
Zeichen  wählte  er  _  als  die  bequemste  Form  für  5,  /  als  die  verbindungs- 
fähigste für  r,  ^  ^"^  7  ^  ^1^  schlecht  zu  verbindende  für  ä  J  x  y ;  übrigens 
konnte  er  das  Hinausgehen  der  Zeichen  über-  und  untereinander  nur  dadurch 
vermeiden,  dass  er  für  einzelne  Laute  mehrere  Zeichen  aufstellte  oder  die 
Buchstaben  verkürzte.  Sein  Alphabet  ist  folgendes: 

>'^',  Neid  ^o)  <^/r\  ->  ^ )  --  /- 1  a</'^^»-cc-  ^^ 

h    d  f  g    h       j      h         l        m    n  p    q     r  8  t   w     X     y    ch    sh     th 

Aber  auch  Byroui  vermochte  seine  Theorie  nicht  durchzuführen,  aus 
Mangel  an  Zeichen  warf  er  die  Laute  s  und  z,  th  und  dh,  sh  und  zh,  deren 
Unterschied  er  sehr  wohl  kannte,  zusammen,  andererseits  stellte  er  für  q  und 
«9,  welche  er  richtig  als  kw  und  u  defmirt  hatte,  eigene  Zeichen  auf,  in  der 
Vokalbezeichnung  Hess  er  den  ganzen  Wirrwarr  bestehen,  indem  er  a  für  a,  ah 
m  aw,  e  (ÜT  p  ee  ea  ei  eOy  1  für  alle  1,  gleichviel  wie  sie  gesprochen  wurden, 
u.  s.w.  gebrauchte,  ja,  wenn  seine  Gonsonantenzeichen  sich  nicht  gut  ver- 
binden Hessen,  so  ersetzte  er  sie  durch  ähnliche,  schrieb  toyach  für  voyage,  fikure 
für  figure,  rhursh  für  chunh  u.  s.  w.;  seine  Schreibweise,  z.  B. :  ^It  ma  hiU 
perpleks  a  karles  Riter  of  uuKanikters,  to  desi/er  the  tru  Sens  theivf,  tho  it  shud  he 
/»f  enuf  io  kno  it,  bi  a  Utl  ApUkashon  and  Praktis*  statt  ^It  may  hiyhly  per- 
piex  a  cardesaWriter  qfffpirdtaraktets,  to  decypher  the  tna  Sms  thereof;  fhouyh  it 


598  Byrom.  —  Taylor. 

sliould  he  easij  etiough  to  hiotc  ii  hy  a  Utile  Applkation  and  Praktice*,  ist  weder 
phonetisch  noch  buchstäblich,  obgleich  nicht  verkannt  werden  kann,  dass 
er  damit  der  phonetischen  Schreibweise  eine  breite  Gasse  bahnte. 

Die  Vokale  werden  durch  Punkte  in  fünferlei  Stellungen  wie  bei 
Weston  ausgedrückt,  können  aber  in  der  Mitte  der  Wörter  auch  uobezeich- 
net  bleiben,  während  andererseits  Consonanten  die  Vokalstellung  einnebnieD 
können;  die  Nachsilbe  ing  wird  durch  einen  kleinen  Strich  nach  dem 
Worte  ausgedrückt.  Die  LautT.eichen  haben  auch  Wortbedeutung,  und 
können  Präpositionen  und  Nachsilben  vertreten;  so  dient  b  für  be,  hü,  die 
Präposition  he  und  die  Nachsilben  6/e,  abU;  k  für  can,  could^  die  Präpositionen 
coft,  com,  contra  und  die  Nachsilben  ical,  tele;  n  hochgestellt  für  an  und  die  Prä- 
positionen ante,  anti,  in  Mittelstellung  für  tn,  die  Präpositionen  in,  inier  und 
die  Nachsilbe  ness ;  auf  der  Zeile  für  under  und  die  Präpositionen  undn-,  mi 
u.  s.w.  Das  Vaterunser  gestaltet  sich  in  folgender  Weise: 

Für  das  Nachschreiben  von  Reden  werden  noch  empfohlen :  das  Zu- 
sammenziehen von  Wörtern,  die  Vertretung  der  Endsilben  durch  Punkte,  die 
Vertretung  der  Wörter  durch  den  Anfangsbuchstaben  und  mehrere  derlei 
Abkürzungen,  für  welche  der  Satzzusammenhang  ergänzend  eintritt. 

11.   Samuel  Taylor.  1786, 

Während  bisher  die  stenographischen  Systeme  voller  Spitzlindigkeitei^ 
und  eitel  Flick  werk  waren,  womit  die  Verbindungs  Widrigkeit  der  alphabeti- 
sehen  Zeichen  zu  verdecken  gesucht  wurde,  stellte  Taylor  ein  System  von 
verblühender  Einfachheit  auf.  Auch  seine  Zeichen  waren  auf  demselben 
Baume  gewachsen  wie  die  seiner  Vorgänger,  er  wusste  sie  aber  so  gut  zu 
wählen,  dass  nur  für  r  zwei  Zeichen  benöthigt  wurden,  während  die 
übrigen  Zeichen  sich  gut,  wenn  auch  mitunter  in  den  bei  geometrischen 
Zeichen  unvermeidlichen  stumpfen  Winkeln  verbinden.  Sem  Alphabet  ist 
folgendes : 

b    d    f  V   gj   h  kq    l    m    n   p     r     $    t    w   x     y  ch  sh  ih  iatis  ing  eic  riz 


Taylor.  59l> 

Jedes  dieser  Zeichen  hat  zwei  bis  vier  Wortbedeutungen,  manche  stehen 
auch  für  Nachsilben,  z.  B.  bedeutet  b  he,  hy,  been,  -able;  f  of,  off,  if,  -fall; 
l  lord  und  allj  s  his,  is,  as,  us^  -seif  u.  s.  w.  Die  Zeichen  werden  von  oben 
nach  abwärts  und  von  links  nach  rechts  geschrieben,  b  wird  ausgelassen  in 
nuntbeTy  überhaupt  alle  stummen  Zeichen,  c  wird  seiner  Aussprache  gemäss 
durch  s  oder  k  ersetzt,  das  erste  Zeichen  des  r  wird  nur  alleinstehend  oder 
wenn  zwei  r  aufeinander  folgen,  geschrieben,  sonst  wird  das  zweite  Zeichen 
gebraucht,  welches  stets  nach  aufwärts  geschrieben  wird,  während  d  wie  alle 
übrigen  Zeichen  abwärts  gezogen  wird,  doch  wird  letzteres  nach  schrägen 
Strichen  durch  das  gerade  t  ersetzt;  folgen  zwei  gleiche  Consonanten  auf- 
einander, so  wird  der  Buchstabe  vergrössert,  hat  er  eine  Kreisschlinge,  so 
wird  diese  vergrössert;  die  Vokale  werden  in  der  Mitte  der  Wörter  gar  nicht, 
am  Anfange  oder  am  Ende  durch  einen  Punkt  ausgedrückt,  der  aber  für  alle 
Vokale  steht,  denn  die  verschiedene  Stellung  des  Punktes  führt  nach  Taylor*s 
Meinung  nur  zuUndeutlichkeiten;  ausserdem  dient  ein  Punkt  unter  dem  Worte 
für  die  Nachsilbe  /t/,  ein  Punkt  über  dem  Worte  für  die  Nachsilbe  /m>n,  ein 
Strich  für  tions,  ein  verbundener  Doppelstrich  für  ings,  ein  langer  schräger 
Strich  bedeutet  das  Gegentheil.  Das  Vaterunser  ist  in  dieser  Schrift  folgendes : 

Für  das  Nachschreiben  von  .Reden  wird  empfohlen:  die  Reducirung 
langer  W^örter  auf  ihre  charakteristischen  Laute:  z.  B.  ps  für  pomtibU,  rp 
für  rtputatiofi,  die  Vertretung  der  Wörter  durch  den  Anfangsbuchstaben  und 
die  Weglassung  der  Vokalpunkte  auch  am  Anfange  und  am  Ende  der 
Wörter,  wenn  sie  durch  den  Zusammenhang  des  Satzes  erklärt  werden. 

Wegen  seiner  Einfachheit  hat  sich  das  Taylor'sche  System  nicht  nur 
in  England,  sondern  auch  in  der  ganzen  Welt  verbreitet,  es  ist  auf  alle 
Sprachen  übertragen  worden,  denn  es  gleicht  in  seiner  Vokallosigkeit  dem 
Fausthandschuh,  der  für  jede  Hand  passt;  diese  Einfachheit  der  Erlernung 
wird  aber  mit  der  Schwierigkeit  des  Lesens  theuer  bezahlt,  denn  die  Worl- 
zeirhen  dieser  Schritt  können  nur  aus  dem  [Zusammenhange  des  Satzes  erkannt 
werden,  und  auch  dieser  giebt  nicht  an,  ob  die  Hülfen  oder  die  Jitf^n  gut 
gerathen  sind;  im  Englischen  werden  in  diesem  Systeme  die  Wörter  sinn, 
fum^f,  ffuns,  M-itnce,  atounds,  stfiae  (weil,  Söhne,  Sonnen,  Wissenschaft,  Laute, 


600 


Taylor,  —  Pitman. 


Oefühl)  ganz  gleich  geschrieben.  Stenographen,  welche  mit  diesem  Systeme 
arbeiten,  müssen  sich  mehr  auf  ihr  Gedächtniss  als  auf  ihre  Schrift  verlassen, 
denn  diese  bietet  nur  eine  Hilfe  für  das  Gedächtniss.  Uebrigens  ist  zu 
bemerken,  dass  keine  Uebersetzung  des  Taylor  sehen  Systems  die  Kürze  des 
Originals  erreicht  hat;  Taylor's  Zeichen  waren  für  die  englische  Sprache  gut 
geeignet,  ebenso  seine  Abkürzungen;  das  englische  ^  haUawed  ist  bedeutend 
einfacher  als  das  deutsche  ^  geheiligt,  das  englische  !  dayli  kürzer  als  das 
deutsche  ^  täglich  u.  s.  w. 


12.  Isaac  Pitman.  1837. 

Rationeller  als  alle  seine  Vorgänger  brach  Pitman  gänzlich  mit  der 
überlieferten  Schreibweise.  Von  dem  richtigen  Grundsatze  ausgehend,  dass  die 
Schrift  sich  genau  an  die  Sprache  anlehnen  müsse,  fixirte  er  zuerst  die 
Sprachlaute  ohne  Rücksicht  auf  ihre  Darstellung  in  der  gewöhnlichen  Schrift 
einzig  nach  ihrer  Aussprache  und  kam  auf  diese  Weise  zu  einem  Alphabet 
von  12  Vokalen,  6  Diphthongen  und  Halbvokalen  und  22  Gonsonanten,  im 
Ganzen  40  Sprachlauten.  Für  diese  schuf  er  nicht  nur  stenographische 
Zeichen,  sondern  auch,  soweit  die  vorhandenen  nicht  ausreichten,  current- 
schrifUiche  Zeichen,  in  Antiqua-,  Gursiv-  und  Schreibschrift,  wie  sich  denn 
auch  seine  Bestrebungen  nicht  nur  auf  die  Stenographie,  sondern  in  noch 
grösserem  Umfange  auf  die  Reform  der  Gurrentschrift  beziehen,  zu  welchem 
Zweck  er  eine  grosse  Zahl  populärer  Schriften  in  seiner  Orthographie 
publicirt  hat.  Wir  lassen  hier  zunächst  sem  Alphabet  folgen: 

Vokale, 


Druck- 

Schreib- 

Steno- 

Druck- 

Schreib-     Steno- 

Druck- 

Steuo- 

Druck- 

Steno- 

schrift 

schrift 

graphie 

schrift 

Schrift      graphie 

schrift 

graphie 

schxift 

graphie 

fl  ß 

t.#  /f 

• 

A  a 

1 

• 

ai,  ay 

1 

wob 

1 

1        « 

€  e 

0  e 

• 

E  e 

€  « 

• 

oi.  ov 

• 

•f 

1 

WOG 

w 

^  < 

• 

I  i 

^, 

.1. 

ow 

A 

vah 

O  o 

äTo. 

" 

0  o 

&  a 

wall 

N     ' 

veh 

'     1- 

a    CT 

p  » 

Z   3 

r*  ,    -1 

weh 

C 

vee 

«« 

IV  m 

«<^« 

1 

U  u 

:?/    «   '       _| 

wee 

c 

yaw 

1' 
1 

*i 

// 

VI 

1 

Uu 

^^ 

Ci 

waw 

9 

yoo 

'      I 

Pitman. 


601 


Consonanten 

• 

Druck- 

Schreib» 

Steno- 

Druck- 

Schreib- 

Steno- 

Druck-   1  Schrtib-     SUno- 

Schrift 

Schrift 

1 

graphie 

schrift 

schrift 

graphie 

schriit       schrin     graphie 

Pp 

1 

\ 

F  f 

^/ 

V 

M  m 

^^6  m 

'-^ 

B  b 

36  / 

\ 

V  V 

e^» 

^ 

N  n 

J^'n 

T  t 

^/ 

1 

Fl  1 

;^  ^ 

C 

TJ  g 

jV'p 

w 

D  d 

3)  • 

1 

1 

a  d 

;§  ^ 

( 

L  1 

^  / 

r 

e  9 

r/ 

/ 

S  s 

y* 

)o 

R  r 

^  f 

^^ 

J  j 

// 

/ 

Z  z 

-^    « 

)o 

Ww 

1f^U0 

<^ 

K  k 

3^  A 

^y 

J 

Y  V 

• 

Vy 

tr" 

Gg 

/^ 

— 

2^  3 

// 

J 

11  h 

9ISA 

/V 

BetrachteD  wir  zunächst  die  Vokale,  so  finden  wir,  dass  Pitman  den 
Punkt  in  dreifacher  Stellung  für  die  Vokale  a  e  i  verwendet,  und  zwar  vertritt 
ein  starker  Punkt  den  langen  Vokal,  ein  schwacher  Punkt  den  kurzen;  ein 
Querstrich  die  o-  und  ti-Laute ;  nämlich  ~  das  tiefe  a  (d),  "  das  reine  lange  o. 
.  das  lange  u\  "  das  kurze  o,  -  das  ö^  .  das  kurze  w,  ein  kleiner  Winkel  den 
£i-Laut,  ein  kleiner  Haken  den  yu-Laut,  hieran  schliessen  sich  durch  die 
veränderte  Stellung  der  beiden  letzten  Zeichen  mehrere  Diphthonge  an.  Die 
Consonantenzeichen  sind  aus  der  geometrischen  Linie  und  den  Theilen  des 
Kreises  gebildet,  wobei  das  dünne  Zeichen  den  harten,  das  verstärkte  Zeichen 
den  weichen  Laut  vertritt;  so  bedeutet  der  von  links  nach  rechts  laufende 
schräge  Strich  p  h,  der  stehende  Strich  t  d,  der  von  rechts  nach  links 
gehende  schräge  Strich  tä  cU  (englisch  ch  j),  der  liegende  k  ^,  das  untere 
linke  Kreisviertel  /  r,  der  linke  Halbkreis  H  8  (englisch  th),  der  rechte  Halb- 
kreis 8  2,  das  untere  rechte  Kreisviertel  ä  i  (englisch  sh  zh),  der  obere  Halb- 
kreis m,  das  untere  n  7ig^  das  obere  linke  Kreisviertel  /,  das  obere  rechte 
Kreisviertel  r,  der  eingeringelte  schräge  Strich  ä,  hieran  schliessen  sich  noch 
die  zwei  Halbvokale  w  und  y  an,  welche  durch  den  links  und  rechts  gebo- 
genen Haken  vertreten  werden.  Neben  zeichen  haben  s  z  (die  kleine  Kreis- 
schlinge)  r,  (den  aufwärts  gezogenen  schrägen  Strich,  den  wir  bei  den  meisten 
englischen  Systemen  kennen  gelernt  haben)  und  ä,  welches  nicht  nur  auf- 
wärts und  abwärts  geschrieben,  sondern  auch  durch  einen  Punkt  ersetzt  wird. 


602  Pitmaii. 

Pitman*s  Orthographie  ist  originell  und  ein  Meisterwerk,  seine  Steno- 
graphie ist  weniger  originell  und  ein  Flickwerk;  wenn  sich  zwei  Consonanten- 
zeichen  vereinigen,  so  steht  das  Vokalzeichen,  welches  am  Ende  des  ersten 
Consonanten  steht,  zugleich  am  Anfange  des  zweiten ;  um  dieses  zu  ver- 
meiden, mussten  Special bestimmungen  gegeben  werden,  um  diese  nicht  zu 
sehr  zu  häufen,  suchte  Pitman  mehrere  Gonsonantenzeichen  zu  emem  ein- 
zigen zu  vereinigen;  so  bedeutet  eine  Umbiegung  rechts  oben  am  Zeichen 
nachlautendes  /,  links  nachlautendes  r,  eine  Umbiegung  rechts  unten  ein 
nachlautendes  /,  links  ein  nachlautendes  n,  ein  unten  eingeringelter  Kreis 
nachlautendßs  s,  oben  eingelegt  vorlautendes  Sy  eine  eingelegte  Schleife  vor- 
lautendes st,  die  Einringelung  oben  links  vorlautendes  s  mit  nachlautendem  r, 
eine  Verkleinerung  der  Zeichen  nachlautendes  t  bei  starken  Lauten,  d  bei 
weichen,  z.  B. 


\\\\VVMA        vc-xw 


s 


P  P^  P^  P^^PfP^  spstpspr       pt  plt  prt  pnt  spt  plnt  jdtits 
Da  nun  aber  diese  Consonanten  auch  durch  Aneinanderreihung  der 
einzelnen   Zeichen    geschrieben    werden    können,    so   wird    diese  Doppel- 
schreibung in   der  Schnellschrift  benutzt,   um  den  Vokal  wegzulassen  und 
durch  verschiedene  Schreibung  ähnliche  Wörter  zu  unterscheiden,  so  ist 

C    }         IT    ,.    n      ^    y   i,  ^      )     ^    ^ 

flij  fill  oder  füll  fully  might  miylUy  stray  story  satire  star  easter  ausier  esiuary 
Bezüglich  des  Wortes  easter  muss  noch  bemerkt  werden,  dass  eine 
Vergrösserung  des  Zeichens  die  doppelte  Aussprache  des  Consonanten  oder 
die  Anfügung  von  tr  bedeutet,  weshalb  hier  str  durch  ein  vergrössertes  *• 
vertreten  ist. 

Ausserdem  kann  noch  jedes  Zeichen  eine  Wortbedeutung  haben  und 
die  Zahl  dieser  Abkürzungen  ist  beträchtlich.  So  gestaltet  sich  die  einfache 
Grundlage  der  Pitman'schen  Stenographie  zu  einem  verwickelten  Mechanis- 
mus, welcher  nur  Wenige  zur  Meisterschaft  gelangen  lässt,  während  die 
Meisten  sich  mit  den  Elementen  so  gut  es  geht  behelfen. 

Wir  geben  als  Schriftprobe  das  Vaterunser  in  lateinischer  Sprache, 
einerseits  weil  hier  die  Schrift  elementarer  ist,  andererseits  weil  auch  der 
des  Englischen  Unkundige  die  Aussprache  besser  verfolgen  kann. 


Fitmaii.  603 


\.  , 

1=»   ■ 

-. ) 

v^ 

-r^. 

"^ 

V^U:S- 

x"^--^ 

U:  Vi 

^•'T  1 

*     »f     V 

->    -H 

'^, 

.■    -^ 

^   U^: 

■^^vu. 

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o:    •      y»   , 

• 

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1 

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-     U   0    / 

> 

•'\' 

•1     c_/ 

^V_^       1 

Q-iJ  •     X 

y^  X 

1 

Pßter  Nastcr,  ki  es  in  ktlis,  saijktifikctur  nermem  tuium  :  Veniat 
rognum  timim:  Fiat  voliuutas  tuia  s.ikut  in  ktltr,  ita  etiam  in  terra: 
Pßuc  m  nostrum  kcrtidißnum  da  nerbis  hodie :  £t  remitte  nerbis  dcbita 
ncrstra,  sikut  et  ners  remittimus  d^bitcrribus  nerstris:  Et  ne  nos  indiukßs 
in  teutßticnem,  sed  libera  ncrs  ab  illcr  mßlcr :  Kia  tuium  est  rcgiium^ 
et  pctcutia^  et  glaria  in  sekuüis.   Hmeu. 

Um  auch  die  stenographische  Gorrespondenzschrift  mit  ihren  Abbre- 
viaturen zu  zeicen,  lassen  wir  noch  einen  enghschen  Text  folgen: 

Transscription:  Ute  advantaye  of  a  practical  acquaintance  with  ihe  steno- 
gnsphic  ari  to  individuals  in  all  situaiiotis  of  life,  but  more  particularly  to  literanj 
mett,  is  sirikingly  shown  in  the  career  of  some  who  hare^  for  a  course  of  yvars, 
ustti  the  ficinged  icords*  of  stetiography,  either  in  reportiny  for  the  pre^,  or  in 
ihtif  ordinary  writiny,  and  wo  have  therehy  attained  a  mental  elemtion  für 
btyond  urhat  tconhl  liace  been  possible  in  any  other  circum;sfanres. 

Uebersetzung:  ,Der  Vorlheil,  welchen  eine  praktische  Kenntniss  der 
stenographischen  Kunst  einem  Jeden  in  allen  Lebenslagen,  besonders  aber 
wissenschaftlich  Gebildeten  gewährt,  lässt  sich  schlagend  an  der  Laufbahn 
Derjenigen  nachweisen,  welche  jahrelang  .die  beflügelten  Worte*  der  Sleno- 
):raphie  als  Berichterstatter  für  Zeitungen  oder'  zu  anderen  schriftlichen 
Arbeiten  verwendet  haben,  und  sich  dadurch  zu  einer  grossem  geistigen 
Bedeutung  aufschwangen,  als  sie  durch  irgend  welche  andere  Unislände 
hätten  erreichen  können.* 

Pitman's  System  hat  in  England  und  Nordamerika  eine  grosse  Ver- 
breitung gefunden  und  viele  Stenographen  bedienen  sich  desselben  zum  Nach- 
schreiben von  Reden,  wobei  aber  die  Vokale  unbezeichnet  bleiben. 


604  Cossard.  —  Ramsay.  —  Thevenot. 

B.  FRANZÖSISCHE  STENOGRAPH  IE- SYSTEME. 

1.  Jacques  Cossard.  1651. 

Das  erste  System  der  Stenographie  für  die  französische  Sprache  wurde 
von  Cossard  veröffentlicht,  welcher  sich  auf  englische  Autoren  stützte,  von 
ihnen  aber  durch  einfachere  Zeichen  sich  unterschied.  Sein  Alphabet  ist 
mir  nicht  bekannt,  eine  Probe  seiner  Orthographie  ist  folgende: 

Msr         ain     u         coicaon         d     vre     Ire      i     l  coique      a  deu 

Monsieur,   aijant  eu  communkation  de  votre  lettre,  je  Vai  communiquSe  a  dexa 

adca    e    deu        pro         ql     mo     di  apre 
<idvocat8  et  deux  procureurs  qui  m^ont  dit  apres  etc,^^^ 

2.   Charles  Aloys  Ramsay.  1665. 

Ramsay  soll  ein  Schotte  gewesen  sein,  doch  ist  kein  enghsches  System 
von   ihm  bekannt,   sondern  nur  eine   Stenographie    für   die    französische, 
lateinische  und  deutsche  Sprache.  Sein  französisches  Alphabet  ist  folgendes : 
.\    \   c  9    e    r    "1    ^    ,    ^    \    _    5   3-    ^    r    ;^  /    v    ^^    >'    e 

a  h  c  d  e  f  g  h  i  l  m  n  s  p  q  r  s  t  u  x  y  z 
Die  Vokale  werden  symbolisch  durch  Veränderung  der  Stellung  der 
folgenden  Consonantenzeichen  ausgedrückt,  und  zwar  über  dem  vorher- 
gehenden Zeichen  a,  oben  neben  demselben  «,  in  der  Mitte  i,  unten  o,  unter 
dem  vorhergehenden  Zeichen  m.  Die  Vokalzeichen  werden  nur  am  Anfange 
eines  Satzes  geschrieben,  oder  wenn  das  vorausgehende  Wort  mit  einem 
Vokale  endigt,  sonst  treten  auch  Wörter  in  die  ,Vokalstellung.  Die  Diph- 
thonge, sowie  die  Vorsilben  werden  durch  eigene  Zeichen  ausgedrückt.  Wir 
geben  als  Probe  einige  Wörter 

non    par   pas  uu    laquai   jylehvdre    le  feu    chapeau    aujourd'hui  transmettre. 

3.  Coulon  de  Thevenot.  1778. 

Th^venot's  Alphabet  ist  mir  nicht  bekannt,  wie  überhaupt  ältere  fran- 
zösische Werke  über  Stenographie  schwer  zu  erlangen  sind;'  sein  System 
soll  aber  vor  noch  nicht  langer  Zeit  von  einem  Stenographen  des 
Moniteur  praktisch  verwendet  worden   sein.   Er  soll  nach  Desbrosses  Vor- 


Bertin.  —  Prepean.  605 

gang  die  Laute  wissenschaftlich  in  labiales,  linguales,  dentales,  palatales» 
gutturales  und  nasales  eingetheilt,  die  Lippenlaute  durch  liegende,  die 
Zungen-  und  Gaumenlaute*  durch  stehende  Zeichen  dargestellt  und  überhaupt 
die  Zeichen  so  vertheilt  haben,  dass  verwandte  Laute  verwandte  Zeichen, 
weiche  Laute  kleine  und  starke  Laute  grössere  Zeichen  erhielten;  die  Ortho- 
graphie soll  in  der  Hauptsache  auf  dem  phonetischen  Principe  beruht  haben 
und  bezüglich  der  Kürzungen  die  Abbreviaturen  der  Gurrentschrifl  nach- 
geahmt worden  sein. 

4.  Theodore  Pierre  Berlin.  1792. 

« 

Bertin  lernte  bei  seinem  Aufenthalte  in  England  Taylors  System 
kennen  und  übertrug  dasselbe  auf  die  französische  Sprache,  doch  sah  er 
sich  genöthigt,  der  Vokalbezeichnung  mehr  Ausdruck  zu  geben.  Sein  Alphabet 
ist  folgendes: 


<  /    \    )    ^    ^   (^  er-  _  P  r  /  _  I  c-  c/  (   '  r 


7  • 


b  d  fv  gj  h  k  q  l  m  n  p    r    s    t   x  y  ch  a  e  i  ai  au  ou  eu  oui  on  etc. 
Die  Vokalzeichen  gelten  zugleich  für  Endungen,  nämlich  a  für  as  at  ea 
t*t;f  tat  ia  oua  ua  ac  acs  ach  etc.;  at  für  ais  aii  aimt  aise  ks  et  est  estes  ete  oid  oie 
oient  aise  oix  mt  aii  aii  aigt  ai  etc.  etc.  Die  Artikel  werden  durch  Punkte  auf 
<ler  Zeile  dargestellt.  Das  Vaterunser  in  der  Schrift  ist  folgendes: 

Transscription:  Isatre  pere  qui  es  aux  cietix,  Ton  ttam  sait  sanctific. 
Ton  rhjne  titnne,  Ta  volanU  sait  faxte  sur  la  tetre  camme  au  ciel,  Doftne-nous 
QHJaurd'hui  natre  pain  quatidien  et  pardanne-naus  nas  offenses,  camme  naus  par- 
donnofis  ä  ceux  qui  tiaus  ant  offens^s,  et  ne  twus  induis  ptts  tn  ttntation,  tfMi.< 
dtlivre  naus  du  mal,  Amen, 

Nach  langem  Bemühen,  welches  durch  die  Staalsurawälzungen  durch- 
kreuzt wurde,  gelang  es  Berlin,  die  Stenographie  beim  französischen  Par- 
lamente einzuführen. 

0.  Conen  de  Prepean,   1813, 

trat  der  Vokalweglassung  mit   seiner  Schrift  enlgerren,  welche  er  deshalb 
«Stenographie  exacle*  nannte.  Sein  Alphabet  besteht  aus  folgenden  Zeichen: 


606  Aslier. 

abdefgijkq    l    m    v    o  p  r    s    t  u  r   x    ch    gn 
Ausserdem  verwendete  er  besondere  Zeichen  für  Endsilben,  z.  B. 

ly^     /^>    y\^    u^^    >v>    >*f>^     >sr/r    >^. 

janiais  discours  plainte  parfaii  cruel  regniez  raleur  darifier. 

6.  F.  G.  Astier.  1816. 

Graphodromie  oder  Ecriture  cursive  nannte  Astier  seine  Schrift,  welche 
ebenfalls  eine  genaue  Vokalbezeichnung  anstrebte;  die  Schrift  ist  eine  Silben- 
schrift, wobei  dieselben  Silben  anders  am  Anfange  als  am  Ende  der  Wörter 
geschrieben  werden;  dagegen  ist  das  Consonanten-System  sehr  nachlässig 
behandelt,  es  besteht  aus  folgenden  Zeichen: 

p  h   gqkc     td    fv      l     y     m    n    gn    r   s     ch 
Diese  Zeichen  sind  zugleich  die  Auslaute  auf  e  und  i  als  epf  ip^  eg,  ig 
etc.,  dagegen  sind  Auslaute  auf  a: 

?  ^  r  ^  ^  ?  ^       )    c   c  ^- 

ap  aq   af   af  al  aill  an  =  am  ar    as  ach 
Auslaute  auf  o:         «-^    1       \     /      ^^    c    c»    c — 

op  oq  ot  of  ol  oiü  or  os  och  sie. 
Die  Schreibart  ist  weder  phonetisch  noch  buchstäblich,  Astier  schreibt 
famü  für  famiUe,  sinifier  für  siguifier;  die  Endsilben  bleiben  unbezeidmet 
daher  tnirak  für  miracle,  cof  für  coffre;  eu  wird  nur  am  Ende  geschrieben, 
sonst  durch  e  ersetzt;  also  hereux  für  lieureux.  Wir  geben  hier  als  Probe  den 
Anfang  der  »Aventures  de  T616maque*. 

Transscription :  Calypso  ne  pouvait  se  consoler  du  dipart  (f  Ulgsse.  Dans 
sa  douleur  eile  se  trauvait  inaUieureuse  d^etre  immortdle,  Sa  grotte  ne  resonnait 
plus  de  son  chant.  Les  nymphes,  qtn  la  servaient,  n'oisaient  lui  parier.  Elle  se 
promefiait  souvent  seul  stir  les  goaopts  fletmSy  dout  un  printems  iternel  bordaii 
son  ile. 


FayeL  —  Prevost-Delaunay.  607 

7.  Fayet.  1832. 

Eine  origcinelle  Idee  versuchte  Fayet  durchzuführen,  er  lässt  seine 
Gonsonantenzeichen  unten  in  einen  geraden  Stab  auslaufen,  der  dann  in  die 
Vokalzeichen,  die  gerade  oder  gerundet  sind,  übergeht;  da  es  aber  schwer 
ist,  die  unterscheidenden  Merkmale  der  Consonanten  in  dem  obern  Theile 
eines  Stabes  durch  Modification  desselben  anzudeuten,  so  verliert  dadurch 
die  Schrift  den  Charakter  der  leichten  Unterscheidbarkeit  und  die  Verbind* 
barkeit,  der  Autor  wird  genöthigt,  willkürliche  Uuterscheidungen  zu  machen 
und  statt  einfacher  zu  werden,  gestalteten  sich  die  Regehi  verwickelter. 

Der  Schriftkörper  ist  in  fünf  Linien  eingeschlossen;  innerhalb  der 
übern  Doppellinie  bewegen  sich  die  Consonanten,  innerhalb  der  untern 
die  Vokale,  deren  Zeichen  mitunter  eine  Verlängerung  bis  zur  unteren  Grenz- 
linie erhalten;  das  sanfte  r  welches  die  Mitte  zwischen  dem  Consonanten 
hält,  steht  mit  seinem  Zeichen  auch  in  der  Mitte  des  Liniennetzes,  z.  B. : 

.  /  ^c  ^  ^  r  r  /  ,  ^  .    ^ 

a  au   H    u    eu     un     tj    k      t    d     b     p     r     etc. 
Wir    lassen   hier  als  Probe   seiner   Schrift  wieder  den  Anfang  der 
.Aventures  de  Telomaque*  folgen:  *®*^ 

8.  Prevost-Delaunav.  1820  1878. 

Die  französischen  Parlaments-Stenographen  hielten  sich  den  Versuchen, 
die  Schrift  durch  den  Vokalausdruck  deutlicher  zu  gestalten,  ablehnend 
gegenüber,  sie  blieben  auf  dem  Boden  der  von  Bertin  importirten  Taylor*schen 
Stenographie,  welche  durch  Pr^^vost,  den  langjährigen  Vorstand  des  Steno- 
graphen-Bureau, und  durch  Delaunay,  einen  langjährigen  Stenographen- 
Revisor  des  Senats,  verbessert  wurde.  Prevost  behielt  das  Alphabet  Bertin  s 
im  Ganzen  bei,  nur  verwarf  er  das  Zeichen  r,  indem  er  sich  für  die  Bezeich- 
nung dieses  Lautes  auf  das  aufwärts  gezogene  /  beschränkte,  vertauschte 
die  Zeichen  fQr  h  und  &,  gab  dem  p  eine  andere  Form,  stellte  eigene  Zeichen 
für  gn  con  Utn  ran  pr  pl  fr  fl  ir  cl  auf,  von  denen  die  sechs  letzten  zugleich 
(Ür  br  bl  rr  rl  gr  gl  dienten,  schuf  noch  einige  andere  entsprechende  Zeichen 


608  Prevost-Delaunay.  —  Duploye. 

und  eine  grosse  Zahl  von  Hilfszeichen  für  Präfixe  und  Suffixe;  Delaunay 
corrigirte  dieses  System  insofern,  als  er  dasjenige,  was  sich  in  der  Praxis 
nicht  bewährt  hatte,  ausschied,  im  Grossen  und  Ganzen  behielt  er  Pr^vosfs 
System  bei. 

Das  Alphabet  ist  gegenwärtig  das  folgende : 

d    r     s      f    b     p     l    m   ch    g     k     n     x     y 
Die  Lautverbindungen  sind  in  willkürlicher  Weise  behandelt,  so  ist 
/  ^^     /^  S    o^a      (       )       ^   _    C 

dp  db  rp  rb  per  pel  Id  mel  chm  gmjm  km  nm  gn  etc. 
Die  Vokale  werden  fast  nur  am  Anfange  und  am  Ende  geschrieben, 
überdiess  haben  fast  alle  Zeichen  und  Zeichenverbindungen  Wortbedeutun- 
gen, z.  B. :  o/  leurs,  c^  Varme,  Varm^e,  0'  l'ar^me,  /  dp  dupe,  dt^f 
y^  radouhe,  rSdhiber,  /\  dMve,  dSriver,  d'arrivtr  etc.  Von  theoretischen  Be- 
denken ist  diese  Schrift  nicht  angekränkelt,  ihr  einziges  Princip  ist  Kürze. 
Namen  werden  mit  Gurren tbuchstaben  geschrieben,  wie  folgende  Probe  zeigt: 

Pam,  h  6  mai  1878.  Mon  eher  anU!  Je  te  dirm,  que  fapprends  la 
Stenographie  d'aprh  la  methode  Fr A^ost' Delaunay  et  que  fy  trouve  un  vif  wOrH. 
A  premier  bard,  je  croyais  cette  itude  plus  longue  et  pHus  difpcüe,  maisje  vais, 
qu^apThs  quelques  heures  de  travaü,je  puis  en  tirer  profit. 

9.  Duploye. 

Ein  sehr  einfaches  uud  sinnreiches  System  stellten  die  Gebrüder 
Duploy^  auf,  dasselbe  besteht  aus  9  Zeichen  für  Consonanten: 

pe  te  fe  ke  le  je    se   ne  me 
von  diesen  geben  die  vier  ersten  vergrössert  die  weichen  Laute  be  defe  gt,  re, 
die  drei  folgenden  mit  eingeschlossenen  Punkte  che  ze  gne,  hieran  schliesst 
sich  -?7/,  femer  die  Vokale  und  Nasale 

a     0      ti      en  u   4  ^     i    au  ou  in  nn 


Duploy6.  —  Mosengeil.  609 

die  Zeichen  für  z  t  n  r  k  geben  mit  eingezeichneten  Strichen  an,  dass  die 
betreffenden  Auslaute  zu  dem  folgenden  Worte  hinübergezogen  werden,  wie 
in  nau-s-avona;  die  Zeichen  för  k  und  l  unterscheiden  sich  dadurch,  dass 
ersteres  abwärts,  letzteres  aufwärts  geschrieben  wird. 

Obgleich  sich  die  Schrift  in  den  handwidrigsten  Formen  bewegt  und 
durch  die  Punktation  sehr  schwerfällig  ist,  hat  sich  diese  Schrift  in  jüngster 
Zeit  doch  eine  grosse  Verbreitung  in  Frankreich  erworben.  Wir  geben  davon 
folgende  Probe: 

Monseigneur,  mes  frhrea!  En  reparaissant  pour  la  premihre  fois  dans  Vutie 
des  dunres  de  cetie  capitale  oü  ü  m'avait  it4  donni  si  3(Hit?ent  de  faire  eniendre 
la  pardU  de  Dieu,  je  me  puis  ne  difendre  d'une  emotion  Inen  vive  quand  je  pen$^ 
au  lieu  oi^  je  parle  et  aux  drconstances  qui  me  ratnknent  au  milieu  dt  vous. 

a  DEUTSCHE  STENOGRAPH  IE.  SYSTEME. 
1.  Friedrich  Mosengeil  1796. 

Als  die  englische  Stenographie  in  Deutschland  bekannt  wurde,  fand 
sie  auch  hier  Nachahmer;  wir  haben  schon  oben  erwähnt,  dass  Ramsay  sein 
System  auf  die  deutsche  Sprache  übertragen  hat,  und  gehen  auf  diese  Über- 
tragung nur  deshalb  nicht  näher  ein,  weil  sie  von  seiner  französischen 
Stenographie  wenig  abweicht«  Durch  das  Taylor'sche  System  angeregt, 
suchte  Mosengeil  eine  Stenographie  für  die  deutsche  Sprache  zu  schaffen, 
wobei  er  sich  aber  wenig  an  Taylor  anlehnte;  die  Vokale  werden  durch 
Punkte  ausgedrückt,  Vor*  und  Nachsilben,  sowie  die  Hilfszeitwörter  erhielten 
besondere  Zeichen.  Sein  Alphabet  ist  folgendes: 

c  ^  /  :>  f    ?\^'^^/^^)A^d^    :    . 

h    ch  gj  k  qu     d     t    w  bp  fv   s   seh   st   z     x     l    m     9t      r 

2.  Gottlieb  Horstig.  1797. 

Horstig  kannte  Mosengeil's  System,  aber  die  Zeichen  desselben  er- 
schienen ihm  nicht  einfach  genug,  weshalb  er  ein  eigenes  Alphabet  aufstellte : 

Fanlmann.  Geschichte  d.  Schrtfl.  39 


610  Horstig.  —  Danzer. 

d  t  n  m  l  h  p  V  f  w  s  seh  h  ch  g  k  r  x  z  a  e  i  ei  o  u  au 
Eigenthümlich  ist  die  Schattirung,  Horstig  hielt  dafGr,  dass  der  Druck 
in  den  Querstrichen  leichter  auszufuhren  sei.  Die  Zeichen  werden  so  ver- 
bunden, wie  sie  sich  am  besten  vereinigen  lassen,  daher  werden  /  und  d  so- 
wohl aufwärts  als  abwärts  geschrieben,  die  vordere  Krümmung  des  m  kann 
im  vorhergehenden  Buchstaben  aufgehen,  x  wird  durch  Durchkreuzung  des 
Consonantenzeichens  ausgedruckt;  die  Vokale  bleiben  in  der  Regel  .onbe- 
zeichnet,  meist  nur  bei  Eigennamen  werden  sie,  und  zwar  wie  die  hebräischen 
Vokale,  über  die  Consonanten  gesetzt,  der  Punkt  unter  dem  Consonanten 
bezeichnet  et.  Fast  jeder  Buchstabe  hat  ein  oder  mehrere  Wortbedeutungen, 
ausserdem  vnrd  noch  eine  Anzahl  Wortzeichen  aufgestellt.  Eine  Buch- 
stabirung  des  folgenden  Vaterunsers  giebt  eine  genügende  Einsicht  in  dieses 
System,  welches  eine  bedeutende  Kürze  der  Schrift  gestattet: 

Transscription:  Vater  unser,  der  du  bist  im  Himmel,  geheiligt  werde 
dein  Name,  dein  Reich  komme,  dein  Wille  geschehe  wie  im  Himmd  also  auch  auf 
Erden,  unser  täglich  Brot  gieb  uns  heute  und  vergieb  uns  unsere  Schuld,  wie  tcir 
rergebefi  unsereti  Schuldigem,  und  führe  uns  nicht  in  Versuchung,  sondern  erlfise 
uns  vom  Übel,  Amen, 

3.  J.  G.  Danzer.  1800. 

Im  Gegensatze  zu  den  Vorigen  hielt  sich  der  österreichische  Lieutenant 
Danzer  streng  an  das  Taylor'sche  Alphabet,  obgleich  er  sich  mit  dessen 
Einem  Punkte  für  alle  Vokale  auch  nicht  begnügte,  sondern  mehrere  Vokal- 
zeichen aufstellte.  Sein  Alphabet  ist  folgendes: 

b    d     f  gj    h    k     l    m    n     p     r      s     t    w    x    z   ch    seh  a    e   i  o  n 
ausserdem  hatte  er  Zeichen  für  die  Nachsilben  heit  keit  ung  niss,  für  etc.  und 
d,  h.  Das  Vaterunser  ist  in  dieser  Schrift  folgendes: 


LeichUen.  —  Nowak.  611 

4.  Julius  Leichtlen.  1819. 

Unter  den  Nachahmern  der  englischen  Methoden  ragt  besonders  der 
badische  Archivar  Leichtlen  hervor,  der  nicht  nur  das  Taylor'sche  System, 
sondern  auch  andere  englische  Systeme  studirt  hatte.  Sein  Alphabet  macht 
zwar  keinen  guten  Eindruck,  dessenungeachtet  ist  seine  Schrift  flüssiger  als 
die  seiner  Concurrenten,  auch  er  schreibt  die  Vokale  nur  am  Anfange  und 
am  Ende  der  Wörter,  ausserdem  stellte  er  eine  grosse  Zahl  Abkürzungen 
lur  Formwörter  auf,  wobei  er  wie  die  älteren  englischen  Systeme  auch  will- 
kürliche Zeichen  verwendete.  Sein  Alphabet  ist  folgendes : 

/   -}.    )  /?  -„-  ^  i  /y\    o  ^   /    \  \  .^   ^   /^  i]   >.   /    .    .    ,     X     V 

h  ch  tj   k    w    f  b  b  s  seh  d    i    l  r   m    H    j  z  a   e    i   0   u  ei  au 
Die  Hilfszeitwörter  wurden  in  folgender  Weise   geschrieben:   ..  stin 
.  bin  ..  sind  .*  war  *.  toäre  :  gewesen  :  bin  gewesen  .'*  war  gewesen  .. .  gewesen 
.<ein  *".  wäre  gewesen,  ebenso  c  habe  und  y  werde.  Das  Vaterunser  ist  in  dieser 
Schrift  folgendes: 

^A  ^^.^r^S-^'L  ,^  ^^-s  ♦•-^  /^  ^  J.  /r>  *.>v-S  %%h_v->x--sX^-fc/^^  2  ^  A  ^ 

5.  J.  Nowak.   1830.  1840. 

In  der  ersten,  im  Jahre  1830  erfolgten  Veröffentlichung  seines  Systems 
schloss  sich  Nowak  an  Horstig  an,  dessen  Zeichen  er  mit  Ausnahme  von  ch 
z  und  j,  welche  er  von  Leichtlen  entlehnte,  verwendete,  doch  stellte  er  neue 
Zeichen  liir  d  und  p  auf,  die  bei  Horstig  von  t  und  b  nicht  zu  unterscheiden 
waren.  Ais  er  sich  durch  das  1834  erschienene  System  von  Gabelsberger 
überflügelt  sah,  nahm  er  von  diesem  mehrere  Zeichen,  namentlich  auch  die 
Vokalverbindung  an.  Sein  letztes  Alphabet  ist  folgendes: 

Irmnhchgkw  f  b  p  s  seh  t  d  quj  z  a  e  i  o  u  eu  au 
Auch  stellte  er  nach  Gabelsberger's  Vorgange  symbolische  Merkmale 
:ür  die  Vokale  auf,  nämlich  für  a  wird  das  Gonsonantenzeichen  klein  und 
dick,  für  i  klein  und  dünn,  für  o  gross  und  dünn^  für  u  gross  und  dick 
{^geschrieben,  aber  dieses  collidirte  wieder  mit  der  Unterscheidung  von  g  und 
L\    f  und  w,  s  und  seh  durch  Vergrösserung  der  Zeichen,  scheint  auch  übor- 


012  Gabelsberger. 

haupt  mehr  Idee  geblieben  zu  sein,  als  greifbare  Gestalt  angenommen  zu 
haben,  denn  in  deti  Schriftproben,  welche  überdiess  nicht  besonders  deutlich 
sind,  ist  von  dieser  Symbolik  wenig  zu  finden.  Sein  Vaterunser  ist  folgendes: 


>!• 


G.  Franz  X.  Gabelsberger.  1818. 

Eine  ganz  neue  Bahn  betrat  Gabelsberger  mit  seinem  zwischen  IS  17 
und  1818  erfundenen  und  erst  1834  veröffentlichten  System.  Gabelsberger 
hatte  sich  viel  mit  Dechiffrirkunst  beschäftigt  und  bei  Sennefelder  die  Litho- 
graphie gelernt.  Die  Dechiffrirkunst  lehrte  ihn,  welche  Laute  am  häufigsten 
in  der  Sprache  vorkommen,  die  Lithographie  hatte  ihm  die  Elemente  gezeigt, 
aus  denen  die  Buchstaben  der  Currentschrift  bestehen,  ausserdem  beschäftigte 
ihn  der  Gedanke,  dass  die  Schrift  sich  an  die  Sprache  anlehnen  müsse,  und 
so  war  er,  ohne  noch  von  der  englischen  Stenographie  etwas  zu  kennen,  von 
selbst  zu  den  Principien  gelangt,  welche  Byrom  für  die  Stenographie  auf- 
gestellt hatte.  Sein  Alphabet  ist  daher  eine  Mischung  von  Theilzügen  der 
Currentschrift  und  von  eigens  erfundenen  Zeichen.  Betrachten  wir  sein 
ältestes  Alphabet: 

ahcdefghik  Imnopqrs  t  u  r  to  x  y  z 
so  sind  die  Buchstaben  .f/t,i  ©  s  unzweifelhaft  von  der  Currentschrift 
entlehnt,  c  b  z  m  y^  p  können  ebenfalls  als  Theilzüge  gelten,  aber  die 
übrigen  Zeichen  sind  originell,  so  ^  für  e  als  häufigst  vorkommenden  Laut, 
ihm  verwandt  sind  ^  n  und  ^  r;  dass  d  durch  e  bezeichnet  wurde  mag  in 
der  Nachbarschaft  von  d  und  e  im  Alphabet  liegen,  :>  h  7  g  ^  ch  ^k  berohen 
auf  dem  Bestreben,  ähnlichen  Lauten  ähnliche  Zeichen  zu  geben,  was  auch 
aus  ^u  y  V  ^  w  ersichtlicht  ist,  o>  x  ist  eine  Verschmelzung  von  A*  und  .<• 
Und  auch  dadurch  unterscheidet  sich  Gabelsberger's  System  von  den  früheren, 
dass  er  seine  Zeichen  nicht  blos  aneinanderreihte,  sondern  sie  vielmehr  zu 
Wortbildem  zu  verschmelzen  suchte,  in  welchem  Sinne  auch  dieVokalzeichen 
aufzufassen  sind,  denn  c,  u  gab  mit  e  d  e,  du,  ^  0  mit  c  b  c^  bo,  ebenso  « t  mit 
9  cht  9  chti  in  j..^"^  ^allmächtiger'^;  wo  die  Vokale  sich  nicht  verschmelzen 
Hessen,  wurden  sie  buchstäblich  geschrieben  oder  weggelassen,  auf  letztere 


Gabelsberger.  013 

Weise  sind  z.  B.  cd  und  v  r  zu  ^  der  verbunden ;  die  Verdopplung  wurde 
manchmal  durch  eine  Schlinge  ausgedrückt;  die  Vorsilbe  ge  hat  ein  eigenes 
Zeichen  A  So  schrieb  Gabelsberger  im  Jahre  1818: 

y  ^  c  c,  ^,  yt"  /^/  c  6^  -a  /^^  y  ^-^  ^^  ^-^  7*  -rr  /^  ^  ^  #  Tt •  etc. 
d.  i.  rat(€)r  u(n)s(er)  d(e)r  du  h(i)st  i(m)  h(i)mtn(e)l  geh(ei)l(i)gt  (u:e)rd(e)  dein 
n(a)in(€)  z(u)  k(o)m(me)  u(n)s  dein  reich  dein  h(eijL  iv(i)U(e)  gescheh(e)  wie 
i(mf  h(i)mm(e)l. 

Einen  mächtigen  Einfluss  auf  Gabelsberger's  System  übte  die  Aussicht 
für  Gabelsberger,  seine  Kunst  zur  Aufnahme  von  mündlichen  Reden  ver* 
werthen  zu  können,  da  ihn  mitten  in  seinen  Versuchen  und  Arbeiten  die 
Verleihung  der  baierischen  Verfassung  und  die  Einbemfung  der  Stände  über- 
raschte.  Hier  galt  es,  kurz  und  möglichst  deutlich  zu  schreiben,  alles  Über- 
flüssige wegzulassen,  aber  Unterscheidungen,  wo  er  sie  für  nöthig  hielte 
sorgfältig  zu  schreiben;  daher  die  Weglassung  einzelner  Buchstaben  in  obiger 
Probe.  Nachdem  der  erste  Versuch,  Reden  nachzuschreiben,  gut  gelungen 
und  Gabelsberger  mit  der  Aufnahme  der  Landtagsverhandlungen  beauftragt 
worden  war,  war  die  stenographische  Praxis  seine  Lehrmeisterin,  wobei  er 
unablässig  bemüht  war,  seine  Schrift  zu  vereinfachen;  er  verwarf  daher 
bald  die  Zeichen  ^w^p^s  und  ersetzte  die  ersteren  durch  c  w  und  ^  p , 
während  er  für  s  nur  das  Zeichen  c  beibehielt,  schuf  Consonantenverbin- 
düngen  wie /?  mp  -x  ng  y  gr  ^  %p  u.  s.  w. 

Bisher  war  Gabelsberger  auf  eigenen  Wegen  gegangen,  und  man  kann 
sagen,  Willis  und  er  sind  die  Einzigen,  welche  originelle  Alphabete  aufgestellt 
haben,  denn  alle  anderen  stenographischen  Systeme  sind  auf  den  Grundlagen 
dieser  beiden  Alphabete  aufgebaut;  aber  Gabelsberger  fühlte,  sobald  ihm  die 
Landtagsarbeiten  etwas  Ruhe  gönnten,  das  Bedürfniss,  auch  die  Methoden 
seiner  Vorgänger  kennen  zu  lernen;  mit  der  ihm  eigenen  Arbeitskraft  studirte 
er  alle  stenographischen  Systeme,  deren  er  habhaft  werden  konnte,  und  die 
Geschichte  der  Stenographie,  welche  er  in  seiner  1834  erschienenen  An- 
leitung veröfTentlichte,  zählt  fast  alle  bis  dahin  erschienenen  Systeme  nicht 
nur  auf,  sondern  bespricht  dieselben  zugleich  mit  dem  kritischen  Scharfblick 
eines  Meisters.  Es  sind  wohl  seither  ausführlichere  Geschichtswerke  über 
Stenographie  erscliienen,  keines  ist  aber  so  instructiv  wie  das  Gabelsber^rer^s. 
So  verschieden  nun  Gabel sberger's  Ansichten  von  denen  seiner  Vor- 
gänger waren,  Einzelnes  fand  er  doch  in  diesen  Systemen,  welches  seinen  Bei- 


€  1 4  Gabelsberger. 

fall  fand,  so  besonders  die  Bezeichnung  der  Vokale  durch  verschiedene 
Stellung  der  Punkte.  Doch  ahmte  Gabelsberger  dieses  nicht  ohne  weiters 
nach;  es  führte  ihn  nur  zu  einem  neuen  Gedanken,  die  Vokale  symbolisch 
durch  verschiedene  Verbindung  der  Consonanten  auszudrücken,  und  zwar 
folgte  er  hierbei  nicht  der  alphabetischen  Reihenfolge  der  Engländer:  ^  i  j^ 
sondern  den  ihm  bekannten  musikalischen  Gesetzen,  wonach  i  der  höchste. 
a  der  mittlere  und  u  der  tiefe  Ton  ist,  und  er  schrieb  daher  ^u.  rebe  ^  rabe 
^  rieb  ^o^  rubin,  wozu  er  noch  durch  Verstärkung  x^^-  rauben  fügte.  Damit 
kam  freilich  in  sein  System  ein  Dualismus,  der  die  Lehre  complicirte,  denn 
die  Vokale  konnten  nunmehr  auf  dreierlei  Weise  ausgedruckt  werden,  nämlich 
erstens  symbolisch  durch  veränderte  Stellung  der  Consonanten,  zweitens 
durch  Verschmelzung,  drittens  durch  einfache  Anreihung  an  die  Consonanten. 
Gabelsberger  war  dies  gleichgiltig,  für  ihn  handelte  es  sich  nur  um  kurze 
deutliche  Wortbilder,  er  liess  nur  Universitätshörer  als  Schüler  zu,  als  aber 
sein  System  in  weitere  Kreise  drang,  erwies  sich  die  Complicirung  als  ein 
Hinderniss  der  Schrilleinheit. 

Neun  Jahre  nach  Bekanntmachung  seines  Systems  veröffentlichte 
Gabelsberger  «Neue  Vervollkommnungen",  welche  darin  bestanden,  dass 
Zeichen  auch  über  die  Zeile  gestellt  als  Abkürzungen  verwendet  werden,  wie 
^  am  ^  dem  ^  an  *"  den  -^  es~^  des  u.  s.  w.,  und  dass  er  für  die  Abkürzung 
der  Wörter  eine  freie  Kürzungsmethode  einführte,  wonach  ein  und  dasselbe 
Zeichen  je  nach  dem  Sinne  des  Satzes  für  verschiedene  Wörter  stehen 
konnte,  z.  B.  #  /^^^  *^^  (tnach)e  den  Vorschlay;  #  "  ?/'^  <  n*^  Q  ich  (yd>ie 
mich  der  Hoffnung  hin,  #  "  //'/  c  ich  ßeg)e  Gewicht  darauf,  *^  ^^^  ~  ^  j^  o 
auf  unserer  (Reis)e  hatten  wir  schönes  Wetter,  Dieses  System  der  freien  Kür- 
zung ist  später  von  seinen  Nachfolgern  noch  weiter  ausgebildet  worden, 
jedoch  hat  sich  im  Laufe  der  Zeit  das  Verständniss  dafür  mehr  und  mehr 
verloren,  so  dass  vor  einigen  Jahren  ein  Lehrbuch  der  Satzkürzung  mit  einem 
Preise  gekrönt  wurde,  welches  an  Stelle  dieser  freien  Kürzung  fixe  Kürzungen 
aufstellte.  Von  vielen  Seiten  wurden  die  letzteren  angenonmien,  von 
anderer  Seite  perhorrescirt,  so  dass  gegenwärtig  auf  dem  Gebiete  der  Kür- 
zungen in  der  Gabelsberger  *schen  Stenographie  ein  grosser  Wirrwarr 
herrscht. 

Auch  auf  dem  Gebiete  der  vollen  Schrift  stellte  sich  nach  Gabeis- 
berger's  Tode  eine  Schriflverwirrung  ein,   an  welcher  der  Mangel  fester 


Gabelsberger.  •    615 

Regeln  schuld  war.  So  entstand  eine  Münchener,  eine  Dresdener  und  eine 
Wiener  Schule,  deren  jede  andere  Consequenzen  aus  Gabelsberger's  Schreib- 
weisen zog.  Um  die  Schrifteinheit  herzustellen,  wurden  zuerst  in  München 
1852,  dann  in  Dresden  1857  Vereinbarungen  getroffen,  welche  jedoch  eben« 
falls  der  principiellen  Grundlage  entbehrten  und  mehr  die  Feststellung 
bestimmter  Schreibweisen  als  die  Aufstellung  consequent  durchführbarer 
Regeln  im  Auge  hatten.  In  Folge  des  Zusammenwirkens  der  Stenographen- 
Vereine  gelang  es  wohl,  namentlich  den  Dresdener  Beschlüssen  eine  ziemlich 
allgemeine  Anerkennung  zu  verschaffen,  aber  mit  ihnen  wurde  auch  eine 
Orthographie  in*s  Leben  gerufen,  welche  die  Orthographie  der  Gurrentschrift 
an  Inconsequenz  und  Willkür  weit  übertrifft. 

Was  zunächst  die  Lautschreibung  betrifft,  so  hielt  man  Gabelsberger*s 
Freiheiten,  wonach  die  Dehnung  der  Vokale  bis  auf  einzelne  Unterscheidungen 
(denen  und  dehnen,  modern  und  modern  etc.),  sowie  häufig  die  Verdopplung 
der  Consonanten  unberücksichtigt  blieb  und  ähnliche  Laute  einander  ver- 
treten konnten  (wie  i  das  tV,  ei  das  eu)  aufrecht,  empfahl  aber  zugleich  die 
buchstäbliche  Schreibung  der  Eigennamen,  wie  die  sorgfaltige  Bezeichnung 
der  Vokale  m  allen  Wörtern;  bezüglich  der  stenographischen  Schreibung 
wurde  eine  grosse  Anzahl  verwickelter  Bestimmungen  geschaffen;  so  wird 
in  'c  ^ Liebe*,  das  vorausgehende Consonantenzeichen  in  dieHGhe  gestellt,  in 
o"^  ^ Biene*  das  nachfolgende,  in  ^^  ^dienen*  weder  das  eine  noch  das 
andere,  sondern  i  durch  Verdichtung  ausgedrückt,  in  {/^  ^bieten*  i  durch  eine 
steilere  Stellung  in  f ,  in  ^  ,  tnii  *  aber  durch  Vergrösserung  des  m  ausgedrückt 
u.  s.  w.  Schlagwörter  wie  ,  Zeilenmässigkeit,  Deutlichkeit,  Kürze,  Schreib- 
flüchtigkeit' richteten  in  den  Köpfen  der  Gabelsberger*schen  Gesetzgeber  eine 
Verwirrung  an,  welche  den  Begriff  der  Consequenz  nie  zum  Durchbruch 
kommen  liess. 

Trotzdem  hat  die  Gabelsberger'sche  Stenographie  in  Folge  ihrer  Ver- 
wendung beim  Parlament  grosse  Verbreitung  gefunden,  die  Regierungen  von 
Baiem^  Oesterreich  und  Sachsen  beschützen  sie  und  haben  sie  als  Unter- 
richtsgegenstand in  die  Schulen  aufgenommen,  alljährlich  werden  viele  Tau- 
sende von  Schülern  in  derselben  unterrichtet,  und  wenn  trotzdem  die  Stati- 
stik eme  Stagnation  aufweist,  so  liegt  der  Grund  eben  in  den  verwickelten 
Regeln  des  Systems,  welche  zur  Folge  haben,  dass  Viele  das  Gelernte  wieder 
vergessen. 


616  Gab  eisberger. 

Das  Vaterunser  ist  in  Gabelsberger's  Schrift  nach  der  jetzigen  Schreibung 
folgendes : 

^  /^  "r-^  f  C  ^  ^  :?^  z:?-*^  ^  e-^  -a,  €^  >.^  rz,  o^  er  /0:^  r  Z -y^  ^' 

i^9  ^  z^,  *rx  /^  ^/  /  ^  ;?^1,  >s  9^  •t>  "^.y^  r  ^9  C  ^IC  "v-^m/^  s   >  'o  /'  --^f 

Auch  die  Gabelsberger'sche  Stenographie  ist  auf  fremde  Sprachen 
übertragen  worden^  wir  geben  hier  das  Vaterunser  in  jenen  Übertragungen, 
^velche  die  meiste  Verbreitung  gefunden  haben,  mit  den  Namen  der  Autoren* 
welche  die  Übertragungen  besorgten,  in  Parenthese. 

Dänisch  (Dessau). 
>ex  c  c  tr2  ^  #  ^<iL^,  a^y  ^ /^ ^-^,  n  /^  ^, -?  c^  a»  ^  •  ^^^  cr>  -- y-'^/ 

7^  '^  ^'7  C''  fi'y  (jt,  w  y  '^  <L  -yf^  €^  r  J^  C^nstfTs^,    v^  ^  ^^  /^  /^^  '    ^  y^*® 

Transscripton :  i^aef«*  vor  du  som  er  i  hitnlen,  heüiget  verde  dii  Navtty 
IkOmme  dii  Bige,  skee  din  rilUe  som  i  himmlen  saa  og  paa  Jardm,  giv  as  idag 
rort  daglige  bröd,  og  forlad  o$  vor  Skyld  som  vi  forlade  vore  Skylänem,  og 
led  08  ilka  i  fristeise,  men  freh  os  fra  det  Onde,  thi  dii  er  Riget  og  Magien,  og 
Airen  i  Evighed,  Amett, 

Czechisch  (Prager  I.  Stenographen-Verein). 

Transscription:  Oice  m^,  jenijsi  na  tiebesich.  Posvif  sejmeno  ivi.  Pfijd 

hdlovstvi  ive.  Bud  vule  tvd  jako  v  nebt  iak  i  na  zemi.   ChiA  ndS  vezd^H  def 

juhn   dms,    Od^vat    ndm   hoie  viny ,  jaloi   i  wy  odpomtfme  svym   vmMm, 

Sexivoä  nös  v  pokn^eni,  ah  zhav  näs  zUho.  Amen, 

•  • 

Ungarisch  (Markovils). 
^  /     ^^     ^     / 


Gabelsberger.  G 1 7 

Transscription :  Mi  atyänk,  ky  vagya  a  fnetiyekbeti,  szenteltessik  a  ie  neved^ 
jöjjön  a  te  orszä^od,  legyen  a  ie  dkaraiod,  imkipen  mmybtn,  azonkfpen  a  fSldSn 
is,  mmdennapi  kenyerünket  add  nekütik  ma,  hoczcisd  meg  vitkeinkei,  tnik^pen  mt 
is  meyboczätunk  elleneinknek  is  ne  vigy  minket  a  kis^ietbe  de  szabädits  mag  a 
Qwoszt6i,  Amen, 

Italienisch  (Noe). 

Transscription :  "Paart  nostro,  che  sei  ne  cieli,  sia  sandificaio  il  name  tuo,^ 
Tuiga  il  regno  tue,  siafaM  la  vdonta  tua  came  in  cieio  cosi  in  terra,  dacci  oggi 
il  nostro  pane  quotidiano,  rimettici  i  nostri  debiti,  si  come  noi  li  rimettiamo  ai 
nostri  debitori,  E  non  &indurre  in  tentaziane.  Ma  liberaci  dal  male.  Cosi  sia. 

Neugriechisch  (Mindler). 

^   f  /   ,         X         ^"^  , 

Transscription:  Faiei'  himon,  ho  en  tis  uranis,  agiaaiitho  to  onama  su, 
tlthetQ  hi  tcasilia  su,  genithito  to  thelima  su,  hos  en  uratio  kä  epi  tis  gis,  tan 
artopi  himon  ton  epiusian  dos  himin  simeron,  kä  afes  himin  ta  ofilimata  himan^ 
hos  kä  himis  afiemen  tois  ofiletais  himon  kä  mi  isenenkis  himas  is  pirasman,  aUa 
rOsai  himas  apo  tu  poniru,  Amin. 

Wir  lassen  hier  noch  eine  Probe  der  Gabelsberger'schen  Debalten- 
schrift  nach  Connys  «Liehrbuch  der  Kammerstenographie*  folgen: 

Transscription :  (Ich)  mache  keine  Versprechungefi,  (sie)  Hessen  (sich)  nicht 
im  Momente  formxdiren  und  würden  auch  von  (den)  Gegnern  zurück  (gewiesen 
werden),  allein  auf  eines  möchte  (ich  die  geehrten  Herren  der)  Opposition  auf" 
merksam  (machen)  und  hier  komme  (ich)  auf  (die)  Besprtchung  (lines)  Momentes, 


^18  stolze. 

welches  (der  geehrte  Herr)  Vorredner  in  Betreff  (des)  Wahlmodus  früher  berührt 
(hatte).  Nun  (!  =  meine  Herren)  (Sie)  wissen,  dass  verschiedene  Manner  gerade 
jener  Partei,  (die  man  die)  verfassungsfreundliche  nennt,  diese  Verfassungsänderung 
in  der  Weise  empfohlen  (haben),  dass  nicht  nur  (die)  directai  Wahlen  eingeßhrt 
(werden),  sondern  dass  hiermit  auch  (das)  Gruppensystem  falle, 

7.  Wilhelm  Stolze.  1840. 

Von  den  Ideen  der  neueren  Grammatiker  (Grimm  und  Becker)  beseelt 
suchte  Stolze  die  stenographische  Schrift  auf  ein  wissenschaftliches  System 
zu  gründen,  welches  auf  der  Bedeutsamkeit  der  Stammsilben  beruht.  Seine 
Schrift  sollte  den  grammatikalischen  Aufbau  der  Wörter  im  Bilde  zeigen ;  die 
Vor-  und  Nachsilben  sichtbar  von  der  Stammsilbe  unterscheiden  und  auch 
in  der  Stammsilbe  den  Anlaut  hervortreten  lassen.  Dazu  reichten  aber  die 
stenographischen  Zeichen,  bei  deren  Aufstellung  er  sich  an  Gabelsberger 
angelehnt  hatte,  nicht  aus,  trotzdem  er  dieselben  Zeichen  in  dreifacher 
Grössenabstufung  verwendete.  So  unterschied  er  wohl  die  Anlaute 

/y^^fy^^r    von  den  Auslauten  ^'?icj^^^r 
n  ch  g  h  seh   z  X    c  n  ch  g  h  seh  z    x   c 

aber  für  die  Laute 

'2oZc'?9cCee(^6^f//Zr 
l   r  m    h   j     k   w  ph   V    f  pf  p   s   st   d     t   sp   ss 

hatte  er  nur  je  ein  Zeichen.  Sonach  erwies  sich  seine  Theorie  nicht  aus- 
führbar; aber  auch  bei  den  kleinen  Auslautzeichen  fährte  Stolze  dieselbe 
nicht  consequent  durch,  denn  um  seiner  Schrifl  mehr  Kürze  zu  geben,  ver- 
wendete er  dieselben  in  der  Grösse  der  Anlautzeichen  für  Verbindungen  mit 
folgendem  t,  und  so  wurde  der  sichtbare  Unterschied  zwischen  Anlaut  und 
Auslaut  zu  einem  fingirten.  Hierbei  trat  die  Inconsequenz  ein,  dass  t  mki 
durch  Aneinanderreihung  verbunden  wurde,  während  gt  als  ein  Zeichen  auf- 
trat. Im  ersten  Falle  musste  sogar  das  aufwärts  geschriebene  d  für  t  dienen, 
da  t  die  Silbe  et  bedeutet.  Überhaupt  zeigen  die  Stolze'schen  Zeichen  einen 
grossen  Mangel  an  Verbindungsfähigkeit,  meistens  können  sie  nur  anein- 
andergereiht werden,  und  da  die  einfache  Aneinanderreihung  der  Gonsonanten- 
zeichen  den  Vokal  e  bedeutet,  so  muss  der  Vorlaut  höher  gestellt  werden,  um 
das  Fehlen  eines  Vokales  anzuzeigen;  z.  B. 


stolze.  « 1 9 

c/)      2^9        t/f      C^      {^      ^       ^ 

hegi  viei'kt  merket  welkt  welket  Hettid  Schmelz. 
Stolze  konnte  somit  nicht,  wie  Gabelsberger,  durch  Höher-  oder  Tiefer- 
Stellung  eines  Consonantenzeichens  einen  Vokal  ausdrücken,  und  daher  griff 
er  zu  einem  gefährlichen  Mittel,  indem  er  die  Vokale  symbolisch  dadurch 
ausdrückte,  dass  er  das  ganze  Wort  über,  auf  oder  unter  die  Zeile  stellte, 
wodm-ch  der  Stammvokal  nicht  nur  die  Stammsilbe,  sondern  auch  Vor-  und 
Nachsilben,  ja  selbst  Artikel,  Fürwörter  und  Präpositionen  beherrscht,  die 
nach  Stolze's  Anschauung  zum  Worte  gehören  und  daher  mit  demselben 
verbunden  werden  mussten.  Die  Stellung  über  der  Zeile  drückt  den  Vokal  i, 
auf  der  Zeile  e,  unter  der  Zeile  o  aus,  durch  Verstärkung  des  Anlautes  wurden 
e  und  0  zu  a  und  u,  durch  breite  Verbindung  i  zu  ie  (mit  Verstärkung  des 
Anlautes  zu  ai)  a  zu  d^,  e  zu  et,  o  zu  d,  u  zu  ü;  eu  und  au  werden  dadurch 
bezeichnet,  dass  das  erste  Zeichen  auf,  das  zweite  unter  der  Zeile  steht,  also 

GL      O-t    Ot     Q-t  T  r>  f^t/-^' 

OL    o^t  Ot  o-t     ^i       y.  

lih    li^    Laib    Id)  leib  lab  lab  loh   lob   lub  lab  leitb   laub    vor  einer  Krippr 

mit  einem  Loche. 

Die  Verstärkung  des  Auslautesr  drückt  eine  Verdopplung  oder,  wo 
eine  solche  nicht  platzgreifen  kann,  einen  harten  Consonanten  aus,  macht 
somit  aus  ng  nk,  aus  9ch  tsch,  aber  diese  Verstärkung  des  Auslautes  hatte  zur 
nothwendigen  Folge,  dass  die  Vokale  der  Nachsilben  entweder  buchstäblich 
geschrieben  oder  nach  verwickelten  Regeln  ausgedrückt  werden  mussten. 

Ich  habe  Stolze's  Vokalbezeichnung  ein  gefahrliches  Mittel  genannt, 
da  die  SchriA  hierdurch  ihre  Selbständigkeit  verlor  und  einer  geschriebenen 
oder  gedachten  Schreiblinie  bedarf,  um  lesbar  zu  sein  oder  wenigstens  um 
Missverständnissen  vorzubeugen;  wenn  geübte  Stolzeaner  leugnen,  dass  ihre 
Schrift  dadurch  an  leichler  Lesbarkeit  einbüsse,  so  gleicht  ihre  Verantwortung 
der  der  Taylorianer,  dass  sich  vokallose  Schrift  ganz  gut  lesen  lasse. 

Die  Stolze'sche  Stenographie  bietet  ein  eigenthümliches  Schauspiel 
des  Widerstreites  zwischen  Wollen  und  Können,  dunkel  lagen  richtige  Ideen 
in  Stolze's  Geiste,  aber  wenn  er  sie  zu  verwirklichen  strebte,  so  scheiterten 
sie;  hätte  er  das  Schrift-Ideal,  welches  er  vor  Augen  hatte,  durchgeführt,  so 
wäre  seine  Schrift  keine  Kurzschrift  geworden,  der  Kürze  halber  war  er  fort- 


620  Stolze.  —  Arends. 

während  gezwungen,  seine  Principien  zu  verletzen;  aber  Stolze  wusste,  dass 
nur  eine  Kurzschrift  Aussicht  auf  Erfolg  hatte,  und  so  ging  er  denn  in  der 
Kürzung  so  weit,  dass  nach  seinem  Tode  von  einem  grossen  Theile  seiner 
Schule  eine  Anzahl  seiner  Sigel  und  verwickelten  Regeb  (darunter  auch  die 
oben  erwähnte  Verbindung  der  Artikel  und  Fürwörter)  aufgegeben  wurde. 
Seine  Schrift  hat  sich  in  einem  grossen  Theile  Norddeutschlands  und  der 
Schweiz  verbreitet  und  ist  auch  mit  praktischem  Erfolg  auf  die  ungarische 
Sprache  übertragen  worden.  Das  Vaterunser  in  seiner  Schrift  ist  folgendes: 

Es  ist  oben  erwähnt  worden,  dass  Stolze  die  Ideen  der  neuen 
Grammatiker  in  die  Schnellschrift  einzuführen  gesucht  habe,  dem  ent- 
sprechend hat  er  sich  auch  an  die  historische  Orthographie  gehalten  und 
Zeichen  für  ih^  ph,  ß,  y  und  c  aufgestellt.  Er  strebte  die  grösste  Genauigkeit 
in  der  Schrift  an^  welche  die  Grammatiker  seiner  Zeit  verlangten,  aber  die 
Ansichten  dieser  Granmiatiker  waren  nicht  immer  die  richtigen.  Demunge- 
achtet  hat  Stolze  viel  zur  Klärung  der  Ideen  über  die  Stenographie  bei- 
getragen und  auch  die  Richtung  der  Gabelsberger'schen  Schule  stark  beein- 
flusst.  Ihm  ist  es  zu  danken,  dass  das  Streben  nach  Genauigkeit  und  phone- 
tischer Grundlage  in  der  deutschen  Stenographie  sich  Bahn  gebrochen  hat. 

8.  Leopold  A.  F.  Arends.  1860. 

Arends  hatte  schon  im  Jahre  1850  ein  stenographisches  System  ver- 
öffentlicht, 'dasselbe  aber  später  verworfen  und  1860  ein  neues  aufgestellt, 
welches  sich  in  Norddeutschland  etwas  verbreitet  hat.  Sein  System  ist  inso- 
feme  interessant,  als  er  den  schon  von  Fayet  gemachten  Versuch,  die  Buch- 
staben der  Vokale  an  die  Buchstaben  der  Consonanten  anzureihen,  wieder 
aufgenommen  und  den  Beweis  geliefert  hat,  dass  derselbe  undurchführbar 
ist.  Seine  Consonantenzeichen  gehen  mit  Ausnahme  des  r  in  einen  geraden 
Strich  unten  aus,  damit  die  folgenden  Vokalmerkmale 

a   0     H     e       i     ä      ö     ü     ei  eti    (iu    au  ai 


Arends.  —  Faulmann.  621 

UDten  angefügt  werden  können  wie  in 

da  do  du  de  di    da  dö  du  deu  dei  däu  dau  dai 
r  aber,  welches   durch  den  Punkt  vertreten  ist,   erhält  jene  Vokalzeichen, 
welche  sonst  am  Anfange  des  Wortes  stehen,  nämlich 

ra    ro  ru    re   n   rä     rö     iü    rei    reu    rau 
Viele  Consonantenzeichen  haben  doppelte  Formen,  6^  deren  sogar  vier, 
nämlich 

//   //   7  ?  J  r  r/O  /^^  f^  ^O    ///ff  /'/^-v  3  .  /V    f    ~7/-i 

d    i    f  n    l  m  y     di     k     q       z      b    w  j)  pf    h      8    ß   r  J    x     seh 
Auf  dieser  Grundlage  entwickelte   sich  nun   ein  System  verwickelter 
Regeln,  so  dass  von  der  alphabetischen  Grundlage  wenig  erhalten  bleibt. 
Man  vergleiche  mit  den  obigen  Zeichen  folgendes  Vaterunser  in  Arends^scher 
Schrill: 

9.  Karl  Faulmann.  1875. 

Nachdem  ich  vergeblich  versucht  hatte,  im  Gabelsberger*schen  System 
eine  grössere  Regelmässigkeit  durchzuführen,  gelangte  ich  zur  Einsicht,  dass 
der  Grundfehler  des  Gabelsberger'schen  Systems  in  der  Auswahl  der  Zeichen 
liege;  und  arbeitete  ein  System  aus,  welches  Gustav  Braut  1875  veröffent- 
lichte. Hierbei  hatte  ich  mich  an  die  gewöhnliche  Orthographie  so  weit 
gehalten;  dass  ich  nur  die  Dehnungszeichen  der  Vokale  unbezeichnet  liess. 
Ich  fand  jedoch,  dass  die  gebräuchliche  Orthographie  ein  schwankender 
Boden  sei,  auf  dem  sich  kein  dauerhaftes  Gebäude  aufführen  lasse,  und  ver- 
öfTentlichte  im  heurigen  Jahre  (1879)  eine  neue  Orthographie,  welche  auf 
Grund  historischer  Untersuchungen  und  gestützt  auf  die  Ergebnisse  der 
Sprach-Physiologie  die  Regel  aufstellt,  dass  nach  langen  Vokalen  ein  weicher 
oder  einfacher,  nach  kurzen  Vokalen  ein  harter  oder  Doppelconsonant 
geschrieben  werde.  Demnach  besteht  mein  Alphabet  aus  folgenden  Zeichen: 


C        <^      -fc 


622  Faulmann. 

Vokale:  y    ^    ^    ^^  /    a    ,--^  ,*^^    „    _    ^    __, 

'      e     a     ä  t    u      ei     eu     0     b     u    au 

weiche  Gonsonanten:   >^  "?    y    i  c    c         c    s^    /    ^     c    ^    . 

h  j   ch  (/  w  f         h   s    d  seh    z  sd   l    r    n   m 
harte  Gonsonanten:            o    /    z        e^/'x/y^^'S-'C^A. 

j;  cÄ/i  A:        ff  pf  P  ^    ^  ^chh  tz  st   ü  rr  nn  mm 
Die  Vokale  werden  mit  den  Gonsonanten  verbunden,  wobei  der  starke 
Niederstrich  des  Vokals  in  einen  Schatten  des  Gonsonanten  übergeht,  '  ist 
das  tonlose  e  in  gebahren,  eu  ist  derselbe  Laut  wie  au;  also 

^s    es    OS    äs    is    üs    eis  eus    os     ös     us  aus    nis^    nas'    noss    g'nüss' 
Die  Gonsonantenzeichen,  zwischen  denen  kein  Vokal  oder  nur  das  ' 
lautet,  werden  unmittelbar  verbunden,  z.  B. 

n      y      fig  p      t      pi  tn      f    mf  seh     r  sehr  s      k     sk   n      s     ns 
Das  System  hat  nur  72  Sigel  für  Form  Wörter.  Seine  Einfachheit  kann 
aus  der  Vergleichung  des  folgenden  Vaterunsers  erkannt  werden: 

Transscription :  fad'r  unns'r  dar  du  bist  imm  himm'I,  g^heUikt  wärcP  dein 
nam*,  zu  unns  komm'  dein  reif,  dein  will'  geschah'  wi  imm  himm'l  aüso  auch  auf 
Ävd'n,  unn^r  täglijj  brod  gib  unns  heud'  unt  f'rgib  unns  unns^r'  sdudlt,  tri  auch 
tvir  frgäb^n  uns^m  schuütik'm  unt  für'  unns  nijjt  inn  frsuchung,  son^rn  ärrlo»^ 
utws  fomm  ül/l,  detm  dein  ist  das  reij  unt  di  krafft  unt  di  härrlijjkeid  inn  ewikeid 
am*». 

So  fremdartig  diese  Orthographie  erscheinen  mag,  so  dürfte  sie  doch 
das  einzige  Mittel  sein,  eine  vom  mündlichen  Unterrichte  unabhängige 
richtige  Aussprache  zu  erreichen ;  unsere  jetzige  Orthographie  erfüllt  diesen 
Zweck  nicht,  da  sie  das  kurze  Wort  am  und  das  lange  kam,  das  lange  ruft 
und  das  kurze  gruft,  das  lange  werth  und  das  kurze  wirth  gleich  schreibt, 
dagegen  die  gleichlautenden  Wörter  werthe  und  werde  unterscheidet. 

Ein  einfaches  Abbreviaturverfahren,  wie  solches  schon  in  der  Gurrenl- 
schrifl  angewendet  wird,  sowie  die  Auslassung  von  Formwörtem,  wie  sie  in 


Faulmann.  623 

allen  stenographischen  Systemen  stattfindet,  ermöglicht  eine  solche  Kürze 
der  Schrift,  dass  die  schnellsten  Reden  aufgenommen  werden  können,  den 
Beweis  dafür  liefert  folgende  Schriftprobe,  welche  denselben  Text  enthält^ 
der  oben  für  die  Gabelsberger'sche  Debattenschrift  verwendet  wurde. 

Transscription :  (Ich)  mache  keine  Versprechungen,  (siej  Hessen  (sichj  nicht 
•wi  Nomente  formuliren  und  uürden  aitch  von  (den)  Gegnern  zurückgewiesen 
f  la  rden),  allein  auf  eines  möchte  (ich  die  geehrten  Herren  der)  Opposition  auf- 
merksani  (machen)  und  hier  komme  (ich)  auf  (die)  Besprechung  (eines)  Momentes^ 
tctlches  (der  geehrte  Herr)  Vorredner  in  Betreff  (des)  Wahlmodus  früher  berührt 
'hatte).  Nun,  meine  Herren,  (Sie)  wissen,  dass  verschiedene  Männer  gerade  jener 
Partei,  (die  man  die)  verfassungsfreundliche  nennt,  die  Vetftusungsanderung  in 
fler  Weise  empfohlen  (haben),  dass  nicht  nur  (die)  directeti  Wahlen  eingeführt 
^tcf-rdefi),  sondern  dass  hiermit  auch  (das)  Gruppensystem  falle,  «•< 

Aus  einer  Vergleichung  mit  der  auf  S.  6 1 7  gegebenen  Gabelsberger- 
sehen  Debattenschrift,  sowie  mit  den  englischen  Stenographie-Systemen  geht 
hervor,  dass  hier  von  keiner  andern  Wortweglassung  Gebrauch  gemacht 
wird,  als  sie  von  den  Stenographen  zu  allen  Zeiten  geübt  wurde.  Was  die 
Kürzung  der  einzelnen  Wörter  betrifft,  so  schreibt  die  Phonographie  genauer 
als  die  Gabelsberger'sche  Stenographie,  wie  die  W^örler:  Moment,  formuliren, 
Vorredner,  Betreff,  Wahlmodus,  berührt.  Mannet',  Partei,  Weise,  System  beweisen, 
uud  trotzdem  ist  die  Phonographie  kürzer,  verbindungsHlhiger  und  zeilen- 
massiger;  ihr  grösster  Werth  aber  dürfte  darin  liegen,  dass  sie  jeder  Ab- 
kürzung entbehren  kann  und  dabei  gegenüber  der  Gurrentschrifl  die  vierfache 
Kürze  und  die  getreueste  Wiedergabe  der  Sprache  bietet. 


Wir  haben  im  Verlauf  dieser  Arbeit  gesehen,  wie  die  Schriftzeicheii 
mit  den  Begriffen  und  den  Lauten  entstanden,  wie  sie  entweder  mit  der  Ent- 
wicklung der  Sprache  fortschreitend  zu  Wortbildern  wurden  oder  hinter  der 
Entwicklung  der  Sprache  zurückbleibend,  meist  nur  als  Zeit-  oder  Zauber- 
iseichen  sich  erhielten,  um  erst  später  als  künstliche  Buchstabenschrift  zum 


^24  Schlussl»emerkung. 

Niederschreiben  der  Wörter  herangezogen  zu  werden;  wir  haben  ferner 
gesehen,  wie  einzelne  Religionen  und  die  mit  ihnen  verbundene  Literatur  die 
Verbreitung  einzelner  Alphabete  begünstigten  und  diese  Sprachen  auf- 
pfropften, deren  Lautverhältnissen  sie  wenig  entsprachen.  So  entwickelte 
sich  die  historische  Schrift  mit  ihrer  Ungenauigkeit,  ihrer  Schwerfälligkeit 
und  ihrer  dem  lebendigen  Worte  oft  wenig  entsprechenden  Orthographie, 
welche  an  Goethe's  Worte  erinnert: 

Vernunft  wird  Unsinn,  Wohllhat  Plage : 

Wehe  dir,  dass  du  ein  Enkel  bist 

Vom  Rechte,  das  mit  uns  geboren  ist. 

Von  dem  ist,  leider!  nie  die  Frage. 
Ein  solches  Recht,  welches  mit  uns  geboren  ist,  ist  das  Recht  auf  eine 
der  gegenwärtigen  Sprache  und  den  Bedürfnissen  unserer  Zeit  entsprechende 
Schrift,  wie  sie  die  Stenographie  auf  phonetischer  Grundlage  bietet,  welche 
gestattet,  dem  schnellsten  Woi-te  mit  der  Schrift  zu  folgen  und  den  Gedanken 
im  Augenblicke  des  Entstehens  festzuhalten. 

Wenn  es  die  höchste  Aufgabe  der  Geschichte  ist,  die  Lehrerin  der 
Menschheit  zu  sein,  so  liefert  die  vorliegende  Arbeit  den  Nachweis,  dass  in 
dem  Entwicklungsgange  der  Schrift  wirklich  ein  Fortschritt  zum  Bessern  klar 
zu  erkennen  ist  und  dass,  nachdem  die  historische  Schrift  alle  Stufen  der 
mechanischen  Ausbildung  durchlaufen  hat,  sie  von  einer  neuen  Schrift  abge- 
löst wird,  welche  die  Wissenschaft  zur  Grundlage,  die  Technik  zur  Lehrerin 
und  die  höchste  Leistung  zur  Aufgabe  hat;  demnach  kann  man^  sofern 
menschliche  Einsicht  ein  Urtheil  für  die  Zukunft  gestattet,  wohl  sagen: 

der  Stenographie  gehört  die  Zukunft. 


625 


Anmerkungen. 


•  Die  Anschauung,  dass  die  pliönikischen  Buchstaben  venlorbene  hieratische 
Zeichen  seien,  wurde  zuerst  von  Vic.  de  Rouge  aufgestellt,  dann  von  den  Ägypto- 
i«»>ren  wie  Heinrich  Brugsch  u.  A.  adoptirt  und  auch  von  Fr.  Lenormant  seinem 
preisgekrönten  Werke  ,Essay  sur  la  propagation  de  Talpliahet  phenicien*,  von 
welchem  jedoch  nur  anderthalb  Bände  erschienen  sind,  zu  Grunde  gelegt  Dagegen 
«teilte  Wuttke  in  seiner  Geschichte  der  Schrift  und  des  Schriftthunis  S.  718  jede 
Verwandtschaft  der  phönikischen  Zeichen  mit  irgend  welchen  Bildern  in  Abrede 
niiil  behauptete,  sie  seien  eine  Strichelschrift,  deren  Formen  nur  durch  die  Bequem- 
lichkeit, gerade  Striche  in  verschiedener  Stellung  in  Stein  zu  hauen,  in  Holz  zu 
»nraben  oder  in  Thon  einzudrücken,  entstanden  seien. 

-  Ich  verweise  in  dieser  Beziehung  auf  die  ausfuhrliche  Abhandlung,  welche 
F.  Lenormant  in  seinem  Werke  ,Die  Anfänge  der  Cultur'  (deutsch  bei  (iJostenoble  in 
-lena  1875),  Bd.  H.,  S.  241  flf.  veröffentlicht  hat. 

s  Fr.  Lenormant  in  seinem  Werke  über  die  akkadischo  Keilschrift  führt  als 
vt'rwandt  mit  den  Chaldaern  die  griechischen  Namen  XaX^aOoi,  Kaf«^axf;,  KaodoO/ou 
Ko&<$ts(oi,  Fo/^dvi^voc,  Fop^vatot,  Kuprai  an. 

*  Diese  Nachricht  ist  aus  A.  v.  Humboldt's  „Vues  de  Cordillere*?*,  L,  S.  :J1 1 
♦entnommen. 

^  Vetromile,  Eugene,  The  Abnakis  and  their  history.  New7ork  LSOO,  S.  iL 

^  Tylor  giebt  in  seinen  .AniauKen  der  Cultur*  I.,  4.  Cap.,  S.  47,  48  derlei 
Nachrichten  über  die  Entartung,  denen  wir  hier  einige  Notizen  entnommen  hab«!i. 

7  Wuttke,  , Geschichte  des  Schriftthunis*.  S.  197. 

'  Julien,  St.,  „Le  livre  de  niilles  mots,  le  plus  ancien  livre  elementair»'  *W^ 
f  A.iinns*, 

^  Frinsep,  »Essays  on  Indiau  Antiquities*,  lirsg^r.  v.  Thoma«.  S.  i-J. 

^'*  Spiegel,  »Eränische  Alterthuiiiskunde".  I.,  S.  ."»18  IT. 

"  Wuttke,  a.  a.  O.  S.  177. 

^'  Oppert,  , Expedition  en  Mesopotamie*. 

iu 


626 


13  Reiiüsch,  ,Die  ägyptischen  Denkmäler  von  Miramare*.  S.  116  flf. 

1^  Simrock,  ,Die  Edda». 

1*  Siinrock,  ^Handbuch  der  deutschen  Mythologie'.  S.  196. 

Iß  Tschudi  erzählt  in  seinem  Werke  ,Peru',  IL,  S.  114,  dass  auch  die  Ent- 
deckung von  Silbemünen  in  Peru  dadurch  entstanden  sei,  dass  Steine,  welche 
unter  dem  Lagerfeuer  sich  befanden,  sich  nach  dem  Erlöschen  des  Feuers  als 
geschmolzenes  Silber  erwiesen. 

1"  Ich  entnehme  diese  Xachricht  aus  Dietericb's  Runen -Sprachschatz,  wo 
noch  ein  anderes  Helsing-Futhork  mit  keilförmigen  Zeichen  in  derselben  Stellung 
aufgeführt  wird. 

1®  Journal  of  the  Asiatic  Society  of  Bengal.  V.  Bd. 

1^  Liliencron,  „Runenlehre*.  S.  31. 

20  Tylor,  ,  Anfange  der  Cultur*,  I.,  S.  238  flf.  giebt  eine  sehr  eingehende  Dar- 
Stellung  des  Zustandes  der  Arithmetik  bei  uncivüisirten  Völkern. 

21  Tylor,  .Anfänge  der  Cultur*,  L,  S.  411,  412. 
—  Dieterich,  „ Runensprachschatz "  unter  N. 

25  Lubbock,  ,The  origin  of  civilisation*.  London  1870.  S.  58  flf, 

24  Lenormant,  «Die  Anfänge  der  Cultur".  S.  21.  Man  vergleiche  auch  bezüg- 
lich der  Jetztzeit  Tschudi's  ,Peru*,  wo  dieser  Naturforscher  seinen  Aufenthalt  im 
Urwalde  und  die  Entbehrungen  und  Gefahren  eines  solchen  schildert 

25  Ebenda. 

26  Ich  bin  zu  dieserBemerkung  durch  den  von  Lenormant  in  seinen ,  Anßüigen 
derCultur*,  I.,  S.206  erwähnten  Streit,  ob  unter  QO*  „Maulthiere*  oder  etwas  Anderes 
zu  verstehen  sei,  geführt  worden;  mir  schwebte  sofort  das  ägyptische  W  ^*** 
(hebräisch  *  =  ägyptisch  h)  als  erklärend  vor  Augen,  und  diess  beweist,  wie  wichtig 
die  Hieroglyphen  für  die  Entscheidung  dunkler  etymologischer  Fragen  sind. 

27  M'Clatchie,  ,die  Theologie  der  Chinesen*.  Journal  of  Asiatic  Society  1856. 
XVI.  Bd.,  II.  Theil,  S.  368  flf. 

2«  Lenormant,  , Anfänge  der  Cultur*.  L,  S.  96,  97. 

2»  Simrock,  , Handbuch  der  Mythologie*.  S.  368,  wo  noch  mehr  Beleg»» 
jregeben  sind. 

3^  M'Glatchie,  a.  a.  O. 

31  Simrock,  ,  Hand  buch  der  Mythologie*. 

32  Es  ist  unbegreiflich,  wie  die  Philologen  einen  Unterschied  zwischen  Arierrx 
und  Semiten  annehmen  konnten,  denn  stützten  sie  sich  auf  die  biblische  Tradition, 
so  konnte  von  Ariern,  welche  die  Bibel  nicht  erwähnt,  keine  Rede  sein,  sondern 
nur  von  Semiten,  Chamiten  und  Japhetiten;  die  letzteren  aber,  welche  «die  Inseln 
bewohnten*,  waren  eher  Schiffer  als  Hirten.  Lenormant  sucht  die  Frage  zu  um- 
gehen, indem  er  ein  Geschlecht  des  Kain  annimmt;  er  irrt  aber,  wenn  er  annimmt 
dass  das  Geschlecht  des  Noah  ein  anderes  sei  als  das  des  Kain,  man  vergleiche 
die  Geschlechtsregister: 


627 


Adam 

ru  Seth 

191JK  Eno8 

]^p  Kahl  p^p  Kenan 

l^n  Hanoch  Tljn  Hetwch 

■Tn»P  Irad  -n»  Jat/«/ 

i>K»ino  Mahuyael  hvhhrM^  Mahalael 

i^KÜiria  Methusad  n^viro  Methusalah 

107  Lantech  107  Lantech 

Dass  Lamech  derselbe  ist  wie  Kain,  geht  aus  den  auf  Lainech  sich  beziehenden 
Worten  hervor,  .ich  habe  einen  Mann  erschlagen  mir  zur  Wunde  und  einen  Jüng- 
ling mir  zur  Beule*.  Wunde  und  Beule  sind  Umschreibungen  der  nordischen  Rune 
Y  kttun,  die  auch  «Beule '^  bedeutet.  Noah  wurde  nach  den  Keilschrift-Überlieferungen 
nicht  begraben,  sondern  von  der  Erde  entrückt,  was  von  der  Bibel  dem  Jared  nach- 
gesagt wird.  Jüdische  Gelehrte  konnten  Grund  haben,  um  die  Geschlechtsregister 
auseinander  zu  halten,  den  Namen  durch  veränderte  Vokalisation  einen  Schein  von 
Verschiedenheit  zu  geben,  der  unbefangene  Forscher  darf  sich  dadurch  nicht  täuschen 
lassen. 

•^3  M'Clatchie,  a.  a.  O. 

^  Pallas,  «Chronologische  Nachrichten*. 

^  Lauth,  das  germanische  Runen-Fudark;  aus  diesem  AVerke  sind  auch  die 
.Namen  der  folgenden  Tageszeiten  entnommen. 

^  Auch  diese  Bemerkung  entnehme  ich  der  geistvollen  Abhandlung  Lauth's 
über  das  Runen-Fudark. 

''  Ideler,  über  die  Zeitrechnung  der  Chinesen. 

3®  Oppert,  »Expedition  enMesopotamie*,  ferner  b*»achtete  ich  das  in  Lenor- 
iiianfs  ,1  Anfängen  der  Cultur*,  Bd.  II,  darüber  Bemerkte. 

5*  Hahn's  »Albanesische  Studien*. 

**  Grimm,  ,Über  deutsche  Runen*. 

*i  Grimm  a.  a.  O. 

*'  Lauth,  das  Runen-Fudark;  das  betreffeinb*  AImmo  i<t  auch  sehr  getreu  in 
Sylvestre'p  Paläographie  abjfebildet. 

<*  Grimm  a.  a.  O. 

*■*  Ebenda. 

^^  Tacitus  Germania.  11.  ^6. 

*«  Tacitus,  a.  a.  0.  38. 

*'  Tacitus,  a.  a.  0.  -2:1, 

*^  Spiegel,  .Eränisch«»  Allerthuinskuinlp*.  S.  511. 

*^  Lenormant  »Anfange  der  Cullur*.  II.  Bil. 

^^  Ideler,  historisch**  l'iiteF'surhunirf»!!  iil>»'r  <li»*  a-tron4niii*i'h»*H*'Mlia«'htunK»*n 
«l'-r  Alt**n.  ^^m 


628 


51  Ebenda. 

52  Tschudi  J.  S.,  .Peru\  Reiseskizzen  aus  dem  Jahre  1838—18+5.  U.,  3$5 
bis  387. 

M  Wuttke  H.,  , Geschichte  der  Schrift  und  des  SchriftthumsV  S.  150,  151. 

w  Schoolcrafl,  Henry  R.,  Historibai  and  Statistical  Information  respectiu;: 
the  history,  condition  and  prospects  of  the  Indian  tribes  of  the  United  States.  Phila- 
delphia 1851.  S.  16,  17: 

"  Schoolcrafl,  a.  a.  O.  S.  19. 

56  Schoolcraft,  a.  a.  O.  S.  317. 

5"  Ebenda.  , 

58  Ebenda.  Bd.  III.,  S.  85. 

ö9  Ebenda.  S.  493. 

6"  Ebenda.  Bd.  IV.,  Taf.  34,  S.  I:J53. 

®i  Robert  Hermann  Schomburgk*s  Reisen  in  Guyana  und  am  Orinoko  wäh- 
rend der  Jahre  1835—1839.  S.  "21%  147,  310,  ^258. 

«2  Ebenda.  S.  297  u.  500. 

^3  Kingsborough,  Antiquities  of  Mexiko,  comprising  facsimües  of  ancient 
Mexikan  Paintings  and  hieroglyfics.  Bd.  I. 

<^*  Humboldt,  AI.  Vues  des  Gordilleres.  S.  204. 

ß5  Ebenda.  Taf.  XL  Vgl.  auch  Bd.  IL,  S.  3. 

^^  Kingsborough.  Antiquities  of  Mexico.  Bd.  II,  Taf.  75. 

6^  Lubbock,  The  origin  of  civilisation.  S.  150. 

**  Reiniscb,  Denkmäler  von  Miramare.  S.  24. 

ß^  Kopp,  Ulr.,  Paläographia  critica.  Bd.  IV.,  S.  205. 

^ö  Journal  of  the  Royal  Asiatic  Society. 

'1  Kingsborough,  a.  a.  O.  Manuscript  Botturini. 

^2  Journal  of  the  Royal  Asiatic  Society. 

"3  Diego  de  Landa,  Relation  de  Las  Cosas  de  Yucatan ,  traduction  fran^aisc 
pur  l'abb^  Brasseur  de  Bourbourg. 

'■*  Wuttke,  .Geschichte  der  Schrift».  Taf.  XXIV. 

'^  Humboldt,  Alex.,  Vues  des  Gordilleres.  IL  S.  220. 

76  Wir  entnehmen  diese  Zeichen  Spamer's  illustrirtem  Con versa tions-Lexikon 
I.  S.  389. 

"  Schoolcraft.  IL  Taf.  41,  S.  228. 

"8  Das  vollständige  Syllabar  ist  enthalten  in  Faulmann  s  ,Buch  der  Schrill* 
i?.  11;  der  Schrifttext  ist  entnommen  dem  von  der  britischen  Bibelsgesellscbaft 
herausgegebenen  Schriftchen  „Das  Evangelium  in  verschiedenen  Sprachen*. 

7^  Das  Sillabar  ist  zuerst  veröfTenUicht  in  ,Tour  du  monde*,  1S60,  L  Se- 
mester, S.  286.  Der  Text  ist  dem  oben  erwähnten  Evangelium  entnommen. 

^^  Vetromile,  Eugene,  The  Abnakis  and  their  history  or  historical  notices  ol 
the  aborigines  of  Acadia.  S.  41  fl". 


6-29 


**  Aus  Lepsius*  Prachtwerke  ^Die  Denkmäler  Ägypteiiar".  Bih  III. 

*-  Ebers,  .Über  das  hieroglyphische  Schriftsysteiu*.  S.  17  ff. 

*^^  Reinisch,  «Denkmäler  von  Miramare*.  S.  216. 

**  Lepsius,  .Denkmäler  Ä{r}'ptens*.  Bd.  III,  Blatt  19. 

^*  Reinlsch,  „Denkmäler  von  Miramare*. 

^*  Lenormant,  „Anfänge  der  Cultur*.  I.,  S.  127. 

***  „Zeitschrift  der  deutsch-morgenländischen  Gesellschaft". 

>*«  Brugsch,  „Inschrift  von  Rosette*. 

^^  Movers,  Dr.  F.  C.  „Die  Phönikier*.  II.  Bd.,  II.  Theil,  S.  363  ff.,  dem  auch 
manche  der  folgenden  Bemerkungen  über  die  Berber  entlehnt  wurden. 

^  Hal6vy,  J.,  „Etudes  herberes*  im  Journal  asiatique.  Fevr.,  Mars  1874. 

^1  Hanoteau,  A.,  „Essay  de  grammaire  de  la  langue  tamachek'*. 

^'-  Die  Publication  Richardson's,  welche  ich  in  der  Bibliothek  der  k.k.  Staats - 
druckerei  fand,  enthält  nur  ein  Alphabet  und  besteht  nur  aus  wenigen  Blättern. 

*3  Dobrowsky's  Slavin,  Botschaft  aus  Böhmen  an  alle  slavischen  Völker  etc. 
Von  Wenceslav  Hanka.  S.  285. 

^  Rüppell,  Dr.  Ed.,  „Reise  in  xVbyssinien*. 

•*  Prätorius,  Franz,  „Himy arische  Inschriften",  Zeitschrift  der  deutsoh- 
morgenlftndischen  Gesellschaft.  1872.  S.  417. 

^*  Koelle,  S.  W.,  „Outlines  of  a  grammar  of  the  Vei  laugua^e'*. 

^^  Mohl,  J.,  „Y-king,  antiquissimum  Sinarum  liber*. 

^^  Pauthier,  M.  G.,  „Memoires  sur  T Antiquile  de  Thistoire  etd»»  la  civilisatiuii 
chinoises*,  Journal  asiatique.  Ap.  Mai  1868. 

^  Pfizmaier,  Dr.  A.,  „Zur  Geschichte  der  Erfindung  und  des  Gebrauches  d»T 
chinesischen  Schriftgattunpen*.  S.  6,  20,  Ul 

500  Pauthier,  a.  a.  0. 

*oi  Klaproth,  Julius,  „Memoires  relatifs  äTAsie*. 

10«  Pfizmaier,  a.  a.  O. 

*03  Hager  J.,  Monument  de  Yu,  ou  la  plus  ancienne  inscription  de  hi  (Uiine, 
Paris  1802.  Klaproth,  Julius  v.,  Inschrift  des  Yü,  Halle  1811. 

»04  Klaproth,  a.  a.  0. 

105  Pauthier,  a.  a.  O.  S.  367,  3üS. 

»0«  Pfizmaier,  a.  a.  0.  S.  43  u.  4. 

*07  Amiot,  Eloge  de  la  ville  Moukden,  Paris  1770;  tÜe  Pr^lMMi  ^'i\u\  an«* 
Hageres  „Monument  de  Yu*  entnommen. 

10«  Caller)',  J.  M.,  Systenia  phonelituin  i?iriplurae  Sinieae,  M.irao  IS  11. 

509  Wuttke,  „Geschichte  der  Schrift  uutl  des  SelirirtUiums*.  S.  •>%. 

"0  Pfizmaier,  a.  a.  0.  S.  48. 

m  pfizmaier,  a.  a.  0.  S.  51. 

11-  Julien,  M.  Stanislas,  Syntaxe  uouvelle  de  la  lanpne  cliin«»i*»».  II. 

113  R(>!4ny,  Introduction  ä  Telmle  de  hi  lan^Mie  japuii,iis«\  Pari'.  1  V»i). 


630 

11^  Siebold,  Isagoge  in  bibliothecum  japanicum,  Leiden  1841. 

"*  Auer's  Vaterunser-Sammlung.  Die  Typen  sind  von  dem  Wiener  üniver- 
sitätsbuchdrucker  Herrn  Holzhausen  dem  Verfasser  freundlichst  zur  Verfügung 
gestellt  worden. 

"«  Wuttke,  , Geschichte  der  Schrift  und  des  Schriftthums'.  S.  430. 

11"  Nach  den  Typen  des  nestorianischen  Erzbischofs  Mr.  Bartatar. 

118  V&mb^ry,  ,Uigurische  Sprachdenkmäler*. 

11»  Nach  Dr.  J.  Euting's  Qolasta. 

^^^  Lenormant,  Essay  sur  la  propagation  de  Talphabet  ph^nicien  dans  Tan- 
cien  monde  II.,  S.  50  fif.  * 

121  Pallas,  , Chronologische  Nachrichten*. 

1--  Strahlenberg,  Phil.  Job.  v.,  der  Norden  und  östliche  Theil  von  Europa 
und  Asien. 

^23  ^Journal  of  the  Asiatic  Society*. 

12*  Vämbery,  ,Uigurische  Sprachdenkmäler*. 

1*5  Bergmann,  Benj.,  «Nomadische  Streifereien  unter  den  Kahnücken*. 

126  Wuttke,  a.  a.  O.  S.  477,  478. 

127  Lenormant,  la  langue  primitive  de  la  Ghaldee. 

128  Sayce,  A.  H.,  ,The  Accadian  numerals*,  Zeitschrift  der  deutsch-morgen- 
ländischen Gesellschaft,  1873.  S.  696. 

129  Schrader,  Lr.  Eberh.,  ,Die  assyrisch -babylonischen  Keilinschriften*. 
Zeitschrift  der  deutsch-morgenländischen  Gesellschaft,  1872. 

130  Oppert,  Jules,  Expedition  seien tifique  en  Mesopotamie.  T.  II. 
1»!  Ebenda. 

132  Journal  of  the  Royal  Asiatic  Society.  X. 

ISS  Mordtmann,  Dr.  A.  D.,  ,  Entzifferung  und  Erklärung  der  armenischen 
Keilschrift*.  Zeitschrift  der  deutsch-morgenländischen  Gesellschaft,  1872.  S.  465. 

13*  Oppert,  Note  sur  ]a  formation  de  Talphabet  perse.  Journal  asiaticpie, 
1874.  S.  238. 

1S5  Schrader,  ,Indo-germanische  Chrestomathie*. 

1*6  Schmidt,  Moriz,  ,Die  Inschrift  von  Idalion  und  das  kyprische  Syllabar'. 

1S7  Faulmann,  KarJ,  .Neue  Untersuchungen  über  die  Entstehung  der  Buch- 
stabenschrift*. 

1^^  Nöldeke,  „Die  Inschrift  des  Königs  Mesa  von  Moab*. 

isd  Lenormant,  „Essay  sur  la  propagation  de  Talphabet  ph^nicien  dans  Tan- 
cien  monde*.  L  S.  191,  178. 

i*ö  Derenbourg,  im  Journal  Asiatique.  VI.  S.  XL  S.  279. 

1*1  Kopp,  „Bilder  und  Schriften  der  Vorzeit*. 

1*2  Lenormant,  Essay  S.  307;  Gesenius,  Geschichte  der  hebräischen  Sprache 
und  Schrift. 

143  Sylvestre,  Paleographie  universelle.  Bd.  I. 


631 


1**  Spiegel,  Grammatik  der  HuzvareS-Sprache.  S.  35. 

1"*^  Spiegel,  eränische  Alterthumskunde.  S.  664. 

1^^  Spiegel,  Grammatik  der  HuzvareS-Sprache.  S.  15. 

1^7  Mordtmann  in  der  Zeitschrift  der  deutsch -morgenländiscben  Geseil- 
schaft 1872.  S.  9. 

1**  Sacy,  Memoires  sur  diverses  antiquites  de  la  Perse;  ferner:  Bore  im 
Journal  Asiatique.  Juni  1841. 

^*^  Thomas,  Essays  on  Indian  Antiquities,  historic,  numismatic  und  palaeo- 
graphic  of  the  late  James  Prinsep.  I.  180. 

^^  Halevy,  .Die  Inschriften  von  Safa*.  Journal  asiatique. 

1*1  Müller,  David  Heinrich.  Ebenda. 

^^^  Levy,  ,Die  siuaitischen  Inschriflen*.  Zeitschrift  der  deutsch-morgeu- 
ländischen  Gesellschalt. 

1*3  Spiegel,  Grammatik  der  Huzvare§-Sprache.  S.  11. 

1**  Levy,  a.  a.  0. 

1**  Lenormant,  Essay  sur  la  propagation  de  Talphabet  phenicien.  II.  S.  130  ff. 

15«  Marcel,  J.  J.,  sur  quelques  inscriptions  koufiques  d'un  genre  singulier. 
Journal  asiatique. 

1*"  Niebuhr,  Reisen  in  Arabien. 

158  Sylvestre,  Paleographie  universelle.  T.  I. 

159  Lassen,  Christian,  „Indische  Alterthumskunde'.  I.  S.  1008. 

160  Müller,  Friedrich  Novarareise.  Anthropolgischer  Theil.  S.  88. 
ißi  Spiegel,  Fr.,  er&nische  Alterthumskunde.  S.  526. 

162  Lassen,  indische  Alterthumskunde.  I.  S.  776. 

163  Pallas,  Sammlung  historischer  Nachrichten. 
1^*  M.  Aymonier,  Gours  de  Cambodgien. 

>«*  Wilson,  im  Journal  of  the  Royal  Asiaüc  Society.   Bd.  XVI. 

1^«  Sykes,  on  the  miniature  Ghaityas  and  Inscriptions  of  the  Buddhist  reli- 
gious  dogma.  Journal  of  the  Royal  Asiatic  Society.  1854. 

1^'  Bumouf  et  Lassen,  Essay  sur  le  Pali.  Sylvestre,  Paleographie  universell»'. 

168  Bumouf  et  Lassen,  a,  a.  0. 

1^*  Müller,  Friedrich,  ,Über  den  Ursprung  der  armenischen  Schrift*. 

1^^  Brugsch,  geographische  Inschriften.  Ebers,  Ägypten  und  die  fünf  Bücher 
51osis.  Laut,  die  Achiver  in  Ägypten  etc. 

J^J  Lenormant,  ,Die  Anfänge  der  Gultur*.  IL 

*^*-  Kirchhoff,  «Studien  zur  Geschichte  des  griechischen  Alphabets*. 

'•3  Philipps,  „Ober  das  iberische  Alphabet^.  Akademie  der  \Vis3en«äclial"t. 

1'*  Gessner,  die  wohleingerichtete  BuchdruckenM. 

*^*  Brugsch,  „Demotische  Grammatik*. 

*^<  Sylvestre,  Paleographie  universelle.  Bd.  11. 

*''  Kopp,  Ulrich,  Palaeogruphia  critica.  Bd.  1. 


632 


<^8  Lauth,  „Das  Runen-Fudark". 
1'^  Chodzko,  Alex.,  Grammaire  paleoslave. 

^^^  Die  hier  citirten  Wörter  sind  entnommen  aus  Miklosicb,  Lexicon  palaeo- 
slovenico-graeco-Iatinum. 

^81  Hahn,  Dr.  J.  v.,  „Albanesische  Studien*. 

^"2  Sylvestre,  ,Paleographie  universelle*. 

i»3  Ebenda. 

^^*  Wattenbach,  ,  Anleitung  zur  lateinischen  l*aläographie*. 

18*  Kopp,  U.,  »Paläographia  critica*. 

186  Sylvestre,  «Paleographie  universelle*. 

1®"  König,  , Deutsche  Literaturgeschichte*.  S.  15. 

i»s  Ebenda.  S.  25. 

189  Wattenbach,  W.,  „Anleitung  zur  lateinischen  Paläographie*.  S.  42. 

190  Woepke,  M.  F.,  „Memoire  sur  la  propagation  des  chiffres  Indiens*.  Jour- 
nal asiatique  1863.  S.  27,  234,  242. 

1^1  Falkenstein,  „Geschichte  der  Buchdruckerkunst.*  Aus  diesem  Werke 
sind  auch  die  meisten  der  folgenden  Daten  entnommen. 

1^2  ^Malerische  Feierstunden."  Leipzig  bei  Spamer.  S.  35. 

193  Nachbildung  der  in  der  k.  k.  Hon)ibliothek  zu  Wien  befindlichen  Guten- 
berg-Bibel. 

lö*  Humphreys,  H.  Xoel,  A  history  of  the  Art.of  printing.  London  1868. 
Aus  diesem  Werke  sind  auch  die  folgenden  Abbildungen  entnommen. 

19*  Panstenographikon.  L,  39. 

196  Levy,  Math.,  The  history  of  Short-hand  Writing.  Chapter  HI. 

19^  Panstenographikon.  L,  45  ff. 

19^  Dieses  System  ist,  sowie  die  folgenden,  sofern  nicht  eine  andere  Quell»» 
angegeben  ist,  nach  dem  Original-Lehrbuche  behandelt. 

199  Panstenographikon.. 

200  Krieg,  Katechismus  der  Stenographie. 

-Ol  Faulmann,  Karl,  System  der  deutschen  Stenographie  auf  phonetischer 
Grundlage.  In  acht  Lectionen.  Wien,  Bermann  &  Altmann.  1880. 


Druckfehler. 

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zu  lesen. 

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womit  auch  die  javanischen  Zeichen  übereinstimmen.