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Full text of "Immanuel Kants kleinere Schriften zur Naturphilosophie"

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Philosophische  Bibliothek 

Band  48. 

Immanuel  Kants 

'  kleinere  Schriften 

zur  Naturphilosophie 

Zweite  Auflage, 


Herausgegeben  und  mit  einer  Einleitung  sowie 
mit  einem  Personen-  und  Sachregister  versehen 


Dr.  Otto  Buek. 


Erste  Abteilung. 


Leipzig. 

Yerlag  der  Dürr'schen  Buchhandlung. 
1909. 


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THE  UNIVERSITY  LIBRARY 
UNIVERSITY  OF  CALIFORNIA,  SAN  DIEGO 
LA  JOLLA,  CALIFORNIA 


PROFESSOR  JOSE  MIRANDA 

COLLECTION 


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Philosophische  Bibliothek 

Band  48. 

Immanuel  Kants 

kleinere  Schriften 

zur  Naturphilosophie. 

Zweite  Auflag-e. 


Herausgegeben  und  mit  einer  Einleitung  sowie 
mit  einem  Personen-  und  Sachregister  versehen 


Dr.  Otto  Buek. 

Erste  Abteilung-. 


Leipzig. 

Yerlag  der  Dürr'schen  Buchhandlung. 
1909. 


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Druck  von  C.  Grumbach  in  Leipzig. 


Vorwort  des  Herausgebers. 


Die  vorliegende  Neuausgabe  von  Kants  Naturphilo- 
sophischen Schriften  (Abteilung  I)  enthält  die  beiden 
Hauptwerke  der  vor-  und  nach  kritischen  Periode, 
während  der  folgende  Band  (Abteilung  II)  die  kleine- 
ren naturwissenschaftlichen  Abhandlungen  und  Neben- 
schriften in  sich  vereinigt.  Von  dieser  Reihenfolge 
und  Anordnung  konnte  nicht  abgegangen  werden,  da 
die  neue  Bearbeitung  dieser  Kantausgabe  der  Philo- 
sophischen Bibliothek  sich  nur  nach  und  nach  voll- 
zieht und  in  ihrem  Plan  und  ihrer  Disposition  auf 
die  alte  Kirchmannsche  Ausgabe  zurückgeht.  Da  in- 
folgedessen eine  streng  chronologische  Ordnung  oder 
eine  rein  sachliche  Zusammenfassung  der  zusammen- 
gehörenden Schriften  nicht  durchführbar  war,  erschei- 
nen in  dieser  Abteilung  zwei  Werke  nebeneinander, 
die  durch  kein  engeres  geistiges  Band  zusammenge- 
halten werden.  War  somit  die  Anordnung  der  Schriften 
von  vornherein  gegeben,  so  hielt  ich  es  für  um  so 
notwendiger,  der  Durchsicht  und  Neubearbeitung  des 
Textes  eine  erhöhte  Sorgfalt  und  Aufmerksamkeit 
zuzuwenden.  Ich  habe  mich  hierbei  von  denselben 
Prinzipien  leiten  lassen,  die  ich  schon  in  der  Vor- 
rede zum  49.  Bande  ausgesprochen  und  bei  seiner 
Herausgabe  zur  Anwendung  gebracht  habe.  Dem  vor- 
liegenden Text  sind  überall  die  Erstdrucke  der  ent- 
sprechenden Kantischen  Schriften  zugrunde  gelegt, 
und  auch  der  Stil  Kants  ist  in  all  den  Besonderheiten 
und  Eigentümlichkeiten  reproduziert,  die  für  die  ent- 
sprechende Epoche  charakteristisch  sind.  Ich  habe 
mich  hierbei  lediglich  bemüht,  alle  Druckfehler  und 
alle  offenkundigen  Textentstellungen  gründlich  aus- 
zumerzen und  die  durch  sie  hervorgerufenen  Unklar- 
heiten nach  Möglichkeit  zu  beseitigen,  wobei  ich  alle 


IV  Einleitung. 

mir  zugänglichen  Ausgaben,  in  erster  Linie  auch 
die  neue  Akademieausgabe  als  Hilfsmittel  benutzt 
und  herangezogen  habe.  Die  wichtigsten  Varianten 
sind  in  Form  von  Fußnoten  unter  dem  Texte  ver- 
zeichnet. Außerdem  lasse  ich  noch  eine  Reihe  weiterer 
Änderungen  und  Vorschläge  zu  solchen,  die  sich  in 
den  bisherigen  Ausgaben  nicht  finden,  am  Schluß  der 
Einleitung  folgen.  In  der  Orthographie,  die  in  den 
Originalausgaben  bekanntlich  sehr  schwankend  ist, 
habe  ich  dagegen  eine  eingreifende  Modernisierung 
nicht  gescheut,  und  zwar  aus  Gründen,  die  ich  in  meiner 
schon  erwähnten  Vorrede  zu  Band  49  ausführlich  dar- 
gelegt habe. 


Einleitung. 

Die  beiden  hier  vereinigten  Schriften  sind  zeitlich 
wie  sachlich  durch  einen  großen  Zwischenraum  ge- 
trennt. Während  das  eine  ein  Jugendwerk  ist,  fällt 
das  andre  in  die  reifste  kritische  Zeit  von  Kants 
Schaffen,  und  daher  waltet  denn  auch  in  beiden  ein  sehr 
verschiedenes  Interesse.  Wie  bei  allen  großen  Philo- 
sophen der  Vergangenheit  verband  sich  auch  bei  Kant 
der  Drang  nach  Ermittelung  und  Sicherung  der  wissen- 
schaftlichen Grundlagen  mit  dem  lebendigen  Forscher- 
trieb und  dem  Verlangen  nach  schöpferischer  Syn- 
these und  Erweiterung  der  Naturerkenntnis,  und  seine 
tiefen  Naturstudien  sichern  ihm  einen  festen  Platz 
unter  den  großen  Naturforschern.  In  seinen  Unter- 
suchungen über  die  Erdbeben**)  lieferte  er  die  ersten 
wissenschaftlichen  Beschreibungen  dieser  Naturkata- 
strophen; er  wies  in  der  Erregung  von  Ebbe  und  Flut 
und  den  dadurch  hervorgerufenen  Meeresströmungen 
die  Ursache  nach,  die  eine  Verlangsamung  in  der  Um- 
drehungsgeschwindigkeit der  Erde  bewirkt,  und  stellte 
damit  eine  Ansicht  auf,  die  nachher  in  den  Forschungen 

*)  Gr.  Gerland.  Immanuel  Kant,  seine  geographischen 
und  anthropologischen  Arbeiten.  Kantstudien.  Band  X, 
1905,  S.  485. 

**)  Philosoph.  Bibl.,  Bd.  49.  Kants  kleinere  Schriften 
zur  Naturphilosophie  S.  277—340. 


Einleitung.  V 

Robert  Mayers  u.  a,  ihre  Bestätigung  fand,  obwohl  sie 
von  diesen  in  etwas  anderer  Weise  begründet  wurde*); 
er  lieferte  eine  richtige  Theorie  der  Passate  und  des 
später  nach  Dove  benannten  Drehungsgesetzes  der 
Winde**).  Wenn  er  sich  hierbei  auch  noch  vielfach  von 
seinem  Vorgängern  abhängig  erweist,  und  wenn  ihm 
zugleich  mit  seinen  genialen  Ahnungen  auch  Fehler 
und  Unrichtigkeiten  mit  unterlaufen,  die  den  Wert  sei- 
ner Entdeckungen  zu  schmälern  geeignet  sind,  so  läßt 
doch  andererseits  wiederum  seine  treffsichere  Intuition, 
mit  der  er  trotz  aller  Irrtümer  so  häufig  das  Richtige 
traf,  überall  die  wahrhaft  große  und  starke  natur- 
wissenschaftliche Begabung  erkennen.  Aber  freilich 
bildet  die  Einzelforschung  nicht  sein  tiefstes  und  über- 
wiegendes Interesse,  sie  tritt  auch  in  Kants  naturwissen- 
schaftlichen Schriften  nie  isoliert,  für  sich  und  als  alles 
überragender  Selbstzweck  auf,  sondern  wo  die  Rich- 
tung auf  sie  sich  geltend  macht,  da  erscheint  sie  im 
Bunde  mit  der  Philosophie  und  der  philosophischen 
Kritik.  Es  ist  nicht  allein  das  Einzelergebnis,  die  neu 
ergründete  Tatsache,  was  ihn  bewegt  und  beschäftigt, 
sondern  der  neue  Zusammenhang,  in  dem  diese 
erscheint:  das  Band,  das  sie  mit  andern  Tatsachen  ver- 
bindet, das  Gesetz,  dem  sie  unterworfen  ist,  und  der 
Weg,  die  Methode,  durch  die  sie  ermittelt  wird.  So 
stellen  die  naturwissenschaftlichen  Forschungen  Kants 
immer  zugleich  große  philosophische  Leistungen  dar, 
indem  sie  die  Geltungssphäre  der  Grundsätze  erwei- 
tern, diese  selbst  vertiefen  und  begründen  und  der 
positiven  Forschung  ein  neues  Gebiet  erobern.  Das 
größte  Beispiel  einer  solchen  Forschungsmethode  ist 
Kants  Jugendschrift,  das  erste  der  in  diesem  Band  er- 
scheinenden Werke,  die 

Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des 
Himmels. 

Diese  berühmte  Schrift  Kants  ist  ein  dauerndes  Denk- 
mal in  der  Geschichte  der  Wissenschaft  und  bedeutet 
eine  Etappe  auf  dem  Siegeszuge  des  Menschengeistes; 


*)  Phil.  Bibl.,  Bd.  49,  S.  217. 
**)  Phil.  Bibl.,  Bd.  49,  S.  363. 


VI  Einleitung. 

ein  neues  Stück  festen  Landes  ward  damit  dem  Natur- 
rätsel abgewonnen  und  für  die  Bearbeitung  durcii  die 
Wissenschaft  urbar  gemacht.  Die  eigentliche  Ent- 
wickelung  knüpft  freilich  nicht  unmittelbar  an  Kants 
Werk  an,  sie  nimmt  fast  ein  halbes  Jahrhundert  später 
von  einer  neuen  Anregung  ihren  Ausgangspunkt,  die  von 
einem  französischen  Denker  herrührte.  Aber  die  For- 
schung suchte  und  fand  bald  die  Spur,  die  auf  Kant 
zurückging,  und  verfolgte  sie  weiter,  indem  sie  die 
eigentümlichen  Ideen,  die  in  seinem  Werke  verborgen 
lagen,  neben  denen  des  Laplace  selbständig  entwickelte 
und  fortführte.  Und  wenn  heute  das  Gebäude  in 
manchem  seiner  Teile  erschüttert  und  schwankend  ge- 
worden ist,  es  bleibt  der  unvergängliche  Ruhm  Kants, 
zuerst  ein  Problem  und  den  Weg  zu  seiner  Lösung 
gezeigt  zu  haben,  als  die  Zeit  dafür  reif  geworden 
war.  Das  Einzelne  und  Akzidentelle  dieses  Werkes 
mag  untergehen,  der  in  ihm  waltende  Geist  ist  un- 
sterblich. 

Die  Naturgeschichte  des  Himmels  nimmt  in  der 
Reihenfolge  der  Kantischen  Schriften  die  vierte  Stelle 
ein.  Nur  „Die  Gedanken  von  der  wahren  Schätzung 
der  lebendigen  Kräfte"  (Bd.  49,  S.  1),  die  1746  be- 
gonnen, aber  erst  1749  herausgegeben  wurden,  sowie 
zwei  kleinere  Schriften:  „Untersuchung,  ob  die  Erde 
in  ihrer  Umdrehung  um  die  Achse  einige  Veränderung 
erlitten  habe"  (Bd.  49,  S.  217)  und  „Die  Frage,  ob  die 
Erde  veralte"  (Bd.  49,  S.  227),  die  beide  1754  in  den 
Königsberger  Frage-  und  Anzeigungsnachrichten  er- 
schienen, liegen  ihr  voraus.  Schon  in  der  erstge- 
nannten dieser  kleinen  Schriften  erwähnt  Kant  die 
Naturgeschichte  des  Himmels,  deren  Erscheinen 
er  hier  allerdings  noch  unter  einem  andern  Titel  in 
baldige  Aussicht  stellt.  ,,Ich  habe  diesem  Vorwurfe 
eine  lange  Reihe  Betrachtungen  gewidmet  und  sie  in 
einem  System  verbunden,  welches  unter  dem  Titel 
Kosmogonie  oder  Versuch,  den  Ursprung  des 
Weltgebäudes,  die  Bildung  der  Himmelskörper 
und  die  Ursachen  ihrer  Bewegung  aus  den  all- 
gemeinen Bewegungsgesetzen  der  Materie,  der 
Theorie  Newtons  gemäß,  herzuleiten,  in  kurzem 
öffentlich    erscheinen   wird"    (Bd.  49,    S.  225).    Nach 


Einleitung,  VII 

Vollendung  seiner  Studien  war  Kant  neun  Jahre  lang 
Hauslehrer  gewesen  und  dann  nach  Königsberg  zurück- 
gekehrt, um  sich  hier  für  seineHabilitation  vorzubereiten. 
Am  17.  April  1755  —  d.  h.  in  seinem  dreiunddreißig- 
sten Lebensjahr  —  promovierte  er  mit  der  Schrift  „De 
Igne",  ,,über  das  Feuer"  (Bd.  49,  S.  521),  nachdem  er 
im  März  desselben  Jahres  —  also  einen  Monat  früher 
—  seine  Naturgeschichte  des  Himmels  herausgegeben 
hatte.  Sie  war  anonym  erschienen  und  auf  Anraten  seiner 
Freunde  dem  Landesherm  König  Friedrich  IL  gewid- 
met, wie  Borowski  sagt,  „lediglich  in  der  Absicht, 
damit  unter  der  Autorität  des  Königs  bei  den  Gelehrten 
in  Berlin  und  andern  Orten  nähere  Untersuchungen 
über  sein  System  veranlaßt  würden"*).  Aber  dem  Werk 
schien  kein  glücklicher  Stern  zu  leuchten.  Es  ge- 
langte nie  in  die  Hände  des  Königs,  was  Kant  selbst 
lebhaft  bedauerte;  noch  während  des  Abdruckes  fal- 
lierte der  Verleger,  sein  ganzes  Warenlager  wurde 
versiegelt,  und  Kants  Schrift  kam  nicht  einmal 
auf  die  Messe**).  Auch  bei  den  Fachleuten  scheint  es 
keine  Beachtung  gefunden  zu  haben,  es  erschien  nur 
eine  einzige  Rezension  in  den  Hamburgischen  freien 
Urteilen  (1755,  S.  429—432)***),  und  so  blieb  denn 
Kants  Werk  bis  auf  weiteres  verschollen.  Welche  Be- 
deutung Kant  dieser  Schrift  selbst  beimaß,  geht  schon 
daraus  hervor,  daß  er  acht  Jahre  später  wieder  auf 
seinen  großartigen  Grundgedanken  zurückkam  und  in 
seiner  Abhandlung:  „Der  einzig  mögliche  Beweisgrund 
zu  einer  Demonstration  des  Daseins  Gottes"  (Phil,  Bibl. 
Bd.  47,  II,  S.  96— 111)  durch  eine  kurzgefaßte  Darstel- 
lung seiner  Theorie  das  Interesse  der  Fachgelehrten 
auf  sie  zu  lenken  suchte.  In  der  genannten  Schrift 
erwähnt  Kant  auch  Lambert,  der  in  seinen  Kosmolo- 
gischen  Briefen t),  die  sechs  Jahre  nach  der  Natur- 


*)  Borowski,   Darstellung  des  Lebens  und  Charakters 
Immanuel  Kants.     Königsberg  1804,  S.  50. 
**)  a.  o.  a.  0.  S.  194  f. 
***)  a.  0.  a.  0.  S.  50  und  Akad.  Ausg.,  Bd.  I,  S.  543. 
f )  Cosmologische  Briefe  über  die  Einrichtung  des  Welt- 
baues.    Ausgefertigt  von  J.  H.  Lambert.     Augspurg.     Bey 
Eberhard  Kletts  Wittib  1761. 


VIII  Einleitung. 

geschichte  des  Himmels  herauskamen,  eine  ähnliche 
Anschauung  über  den  Bau  der  Milchstrai3e  und  über 
die  sogenannten  Nebelsterne  aussprach,  wie  Kant  sie 
vor  ihm  entwickelt  hatte,  obwohl  Lambert  selbst  seine 
Theorie  schon  weit  früher  (im  Jahre  1749)*)  gefunden 
haben  will.  Eine  weitere  Bestätigung  fand  die  An- 
sicht Kants  in  den  Forschungen  William  Herschels, 
der  um  1785  auf  Grund  seiner  tiefen  Beobachtungen 
mit  Hilfe  des  Spiegelteleskops  zu  Ergebnissen  gelangte, 
die  in  den  Hauptpunkten  mit  Kants  Anschauungen  über 
die  Struktur  der  Milchstraße,  den  Saturn  und  den  Fix- 
sternhimmel zusammentrafen. 

Obwohl  so  durch  die  Resultate  der  genannten  For- 
scher das  Interesse  aufs  neue  auf  Kants  weit  älteres 
Werk  gelenkt  war,  hat  sich  doch  Kant  selbst  nie  zu  einer 
zweiten  Auflage  seiner  Naturgeschichte  des  Himmels 
entschließen  können;  vielleicht  weil  er  später  über  ein- 
zelne Punkte  anders  dachte,  und  weil  durch  die  neuen 
Forschungen  so  manche  von  seinen  Anschauungen  schon 
überholt  warj.  Er  beauftragte  daher  den  Magister 
Johann  Friedrich  Gensichen  mit  der  Herstellung  eines 
Auszuges  aus  seiner  Schrift,  den  dieser  Kant  zur 
Durchsicht  vorlegte  und  im  April  des  Jahres  1791 
vollendete.  Dieser  Auszug,  der  als  Anhang  zu  der  von 
Sommer  veranstalteten  Übersetzung  einer  Abhandlung 
von  Herschel:  „Über  den  Bau  des  Himmels"  erschien, 
reproduziert**)  nur  die  zentralen  Partien  der  Schrift, 
unter  Hinweglassung  allen  Beiwerks:  der  Vorrede  und 
der  Einleitung,  und  reicht  nur  bis  S.  109  unserer  Aus- 
gabe, weil  Kant,  wie  Gensichen  in  einer  Anmerkung 
hervorhebt,  „sich  nicht  bewegen  ließ,  noch  mehr  aus 
jener  Schrift  vorzulegen;  das  übrige  enthalte  zu  sehr 
bloße  Hypothesen,  als  daß  er  es  jetzt  noch  ganz 
billigen  könnte".  In  einem  Anhange  sind  noch  vier 
Anmerkungen  hinzugefügt,   die  von  Kants  Verhältnis 

*)  Vgl.  Lamberts  Brief  an  Kant.     Kants  Briefwechsel. 
Ak.  Ausgabe,  Bd.  I,  S.  50. 

**)  William  Herschel  über  den  Bau  des  Himmels.  Drey 
Abhandlungen  aus  dem  Englischen  übersetzt  (von  G.  M. 
Sommer).  Nebst  einem  authentischen  Auszug  aus  Kants 
Allgemeiner  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 
Königsberg  1791,  bei  Friedrich  Nicolovius. 


Einleitung.  IX 

zu  seinen  Nachfolgern  handeln  und  die  Gensichen 
mit  Genehmigung  Kants  und  zum  Teil  unter  Anführung 
von  Kants  eigenen  Worten  veröffentlicht  hat*).  Die 
"wesentlichsten  Änderungen  und  Varianten  dieses  Aus- 
zuges sind  in  den  Fußnoten  unserer  Ausgabe  verzeich- 
net. Die  Akademieausgabe  erwähnt  aui3erdem  noch  ein 
Manuskript  zu  Gensichens  Schrift,  das  sich  im  Be- 
sitze des  Herrn  Geheimrats  Professor  Ernst  Hagen 
befindet  und  in  dem  Änderungen  und  Zusätze  von 
Kants  eigener  Hand  eingetragen  sind.  Da  mir  dieses 
Manuskript  nicht  zugänglich  war,  habe  ich  die 
Daten  aus  ihm,  soweit  sie  für  unsere  Ausgabe 
in  Betracht  kamen,  von  der  Akademieausgabe  über- 
nommen. Nach  dem  Auszuge  von  Gensichen  wurde 
die  Naturgeschichte  des  Himmels  zu  Kants  Lebzeiten 
noch  mehrmals  wieder  aufgelegt.  Genauere  Angaben 
hierüber  finden  sich  in  dem  bibliographischen  Ver- 
zeichnis aller  vorhandenen  Ausgaben,  die  ich  am 
Schlüsse  meiner  Einleitung  aufführe. 

Trotz  dem  neuerwachten  Interesse  für  Kants 
kosmologische  Theorie  scheint  die  Erinnerung  an  sie 
doch  bald  wieder  verloren  gegangen  zu  sein.  Denn 
als  im  Jahre  1796  Pierre  Simon  Marquis  de  Laplace 
mit  seiner  eigenen  Nebularhypothese  hervortrat,  die 
bei  vielen  individuellen  Zügen  doch  eine  bedeutende 
Ähnlichkeit  mit  der  Grundkonzeption  Kants  aufweist, 
erwähnte  er  Kant  unter  seinen  Vorgängern  nicht**), 
weil  er,  wie  mit  Bestimmtheit  anzunehmen  ist,  von 
diesem  und  seinem  Werke  nichts  wui3te.  Die  neue 
Nebularhypothese  erhielt  ihren  Namen  von  Laplace 
und  wird  in  den  wissenschaftlichen  Lehrbüchern  und 
Darstellungen    der    nun   folgenden    Zeit    immer   dem 

*)  Vgl.  Kants  Brief  an  Gensichen  (Briefwechsel,  Bd.  II, 
S.  240). 

**)  Laplace  hat  seine  Theorie  an  mehreren  Stellen  und 
zu  wiederholten  Malen  vorgetragen,  zum  ersten  Male  in 
seiner  „Exposition  du  Systeme  du  monde"  (1.  Aufl.,  Paris 
1796).  Eine  zweite  Darstellung  findet  sich  in  der  Einleitung 
zur  Theorie  analytique  des  probabilites.  Paris  1820.  Faye 
(Sur  l'origine  du  monde,  S.  153  f.  Paris  1885)  und  Zöllner 
„Über  die  Natur  der  Kometen  (S.  460  f.)  führen  die  wich- 
tigsten Stellen  im  Auszug  an. 


X  Einleitung. 

letzteren  zugeschrieben.  In  einem  der  weitverbreitet- 
sten gemeinverständlichen  Lehrbücher  der  Astronomie 
in  Littrows  Wundern  des  Himmels  (erste  Auflage  von 
1836)  wird  Kants  Name  gar  nicht  genannt,  und  erst 
in  der  vierten  wird  er  unter  den  Vorgängern  des 
Laplace  mit  erwähnt*).  Der  erste,  der  die  Aufmerk- 
samkeit wieder  auf  Kants  fast  vergessenes  Werk  ge- 
lenkt zu  haben  scheint,  ist  der  französische  Physiker 


*)  Auch  in  dem  verbroüteten  populär-wissenschaftlichem 
Werk  von  Bode,  ,, Anleitung  zur  Kenntnis  des  gestirnten 
Himmels"  (5.  Aufl.  1788,  S.  637)  wird  Kant  zwar  genannt, 
jedoch  bloß  im  Anhang  an  Lambert,  und  erst  1801  (7.  Aufl.) 
wird  er  Lambert  vorangestellt  (s.  Gerland  a.  o.  a.  0,  S.  418, 
Schöne,  Ostpreußische  Monatsschrift,  S.  33,  257  und  Borowski, 
S.  5L)  Vergl.  hierzu  auch  noch  den  Brief  Kants  an  Biester 
vom  8.  Juni  1781.     Briefwechsel,  Bd.  I,  256. 

„Die  Nachricht  in  Hrn.  Goldbecks  litterarischen  Nach- 
richten   von  Preussen    S.  248 — 49   zeigt   die  Spuhr   einer 
gütigen,   aber  etwas  zu  vorteilhaften  Gesinnung  des  Ver- 
fassers   gegen     seinen    vormaligen    Lehrer     an.      Meine 
Naturgesch.  d.  Himmels  konte  wohl  niemals  vor  ein  Pro- 
duct  des  Lambertschen  Geistes  angesehen  werden,  dessen 
tiefe  Einsichten  in  der  Astronomie  sich  so  unterscheidend 
ausnehmen,   daß  hierüber  kein  Misverstand  obwalten  kam 
Dieser  betrift  allenfals  die  Priorität  der  Entstehung  meines 
schwachen  Schattenrisses,   von  seinem  meisterhaften  und 
von  niemand  erborgten  Abrisse  des  cosmologischen  Systems, 
dessen  Aussenlinien  freylich  mit  jenem  leicht   zusammen- 
treffen konten,  ohne  daß  irgend  eine  andere  Gemeinschaft, 
als  die  der  Analogie  mit  dem  Planetensystem,  daran  Ur- 
sache seyn  dürfte,  eine  Anmerkung,  die  der  vortreffliche 
Mann   in   einem  Briefe  machte,  womit  er  mich  im  Jahre 
1765  beehrte,    als  ihm  diese  Übereinstimmung  der  Muth- 
maßungen  zufalligerweiße  bekannt  geworden  war.  Übrigens 
hat  Hr.  Bode  in  seiner  sehr  gemeinnützigen  Anleitung  etc., 
da   er  nicht  die  Absicht  hatte,    historische  Unterschiede 
der    daselbst    vorgetragenen    Sätze    zu    bemerken,    meine 
Meinung  von  der  Analogie  der  Nebelsterne,  die  als  ellip- 
tische Gestalten  erscheinen,  mit  einem  Milchstraßensystem 
unter  denen  Ideen,  die  unserer  Hypothese  gemein  waren, 
mitfortlaufen  lassen,  obgleich  Hr.  Lambert  darauf  nicht  Rück- 
sicht genommen  hatte,  sondern  unsere  Milchstraße  selbst  da, 
wo  sie   gleiclisam  Absätze   zeigt,    in  mehrere  Stufen  von 
IVIilchstraßen   abtheilt;    die    elliptische  Gestalt  von   jenen 
aber    macht   einen  wesentlichen  Grund   der  Vermuthung 


Einleitung.  XI 

Arago*)  der  in  einer  Analyse  der  Arbeiten  W.  Her- 
schels  auf  die  Übereinstimmung  in  den  Anschauungen 
beider  Forscher  über  den  Bau  des  Himmels  hinwies 
und  seine  Verwunderung  darüber  aussprach,  daß  der 
letztere  des  ersteren  an  keiner  Stelle  gedenkt.  Danach 
findet  man  den  Namen  Kants  wieder  häufiger  in  diesem 
Zusammenhange  erwähnt.  Es  sind  vor  allem  Alexander 
von  Humboldt**),  Struve***),  und  nach  ihnen  Schopen- 


aus,  die  ich  von  der  Älilchstraße,  als  einem  bloßen  Gliede 
eines  noch  größeren  Systems  ähnlicher  Weltordnungen, 
wagte.  Doch  es  ist  die  Berichtigung  des  Antheils  an  Muth- 
maßungen"  die  wohl  jederzeit  Muthmaßungen  bleiben 
werden,  nur  von  geringer  Erheblichkeit. 

Eine  tiefere  Würdigung  der  Kantischen  Schrift  findet 
sich  bei  Herder  in  einem  Briefe  an  Lavater  vom  30.  Oktober 
1772:  „Von  Kant  der  mein  Freund  und  Lehrer  ist,  dessen 
alle  Lieblingsmeinungen  ich  nicht  bloß  so  oft  gehört  und 
m.ich  mit  ihm  besprochen,  sondern  der  mir  auch  seine  Träume 
bogenweise  überschickt  hat  etc.  scheinen  Sie  sein  erstes, 
recht  Junglingsbuch  voll  Ihrer  Ideen  nicht  zu  kennen.  Es 
ist  ohne  N^amen  und  heißt  ,, Allgemeine  Theorie  des  Himmels, 
wo  Sie  sogar  Ihre  ölittelsonne  finden,  die  auch  ein  Eng- 
länder ordentlich  astronomisch  behauptet  hat  usw."  (Aus 
Herders  Nachlaß  herausgegeben  von  Heinrich  Düntzer  und 
F.  G.  V.  Herder,  2.  Bd.  S.  24  f.)  1784  nennt  er  in  seinen  „Ideen" 
die  Theorie  des  Himmels  „eine  Schrift,  die  unbekannter 
geblieben  ist,  als  ihr  Inhalt  verdiente".  J.  G.  v.  Herder: 
„Ideen  zur  Geschichte  der  Menschheit",  hrsg.  d.  Joh.  v. 
Müller  1827,  Teil  I,  S.  2.  Siehe  Gerland  a.  o.  a.  0.  S.  418. 
*)  Annuaire  pour  l'an  1842  presente  au  Roi  par  le  bureau 
des  longitudes,  2.  Edition,  Paris.  „Comment  est-il  arrive,  que 
six  ans  apres  la  publication  de  cet  ouvrage,  Lambert 
n'ait  fait  aucune  mention  des  vues,  qui  y  sont  developpees? 
Comment  29  ans  plus  tard  Herschel  abordant  les  memes 
problemes,  ne  trouva-t-il  jamais  sous  sa  plume  le  nom  du 
philosophe  de  Kcenigsberg  ou  du  geometre  de  Muhlhouse? 
Ce  sont  deux  questions  que  je  ne  saurais  resoudre"  (S.  451). 
**)  A.  v.  Humboldt,  Kosmos,  Bd.  I,  S.  90  ('1845) :  „Was 
Wright,  Kant  und  Lambert  nach  Vemunftschlüssen  von  der 
allgemeinen  Anordnung  des  Weltgebäudes,  von  der  räum- 
hchen  Verteilung  der  Materie  geahnet,  ist  durch  Sir  William 
Herschel  auf  dem  sicheren  Wege  der  Beobachtung  und 
Messung  begründet  worden."  Siehe  femer  Bd.  I,  217,  Bd.  III 
5,  49,  551,  558  usw. 

***)  Struve,    Etudes   d' Astronomie  stellaire    sur    la    Voie 


XII  Einleitung. 

hauer*),  Zöllner**),  Helmholtz***),  Faye  und  andere, 
die  Kants  Verdienste  um  die  kosmologische  Forschung 
wieder  nachdrücklich  hervorgehoben  und  die  Natur- 
geschichte des  Himmels  aus  ihrer  ungerechtfertigten 
Vergessenheit  hervorgezogen  haben. 

In  der  Tat  muß  Kants  Kosmogonie,  trotzdem  die 
heutige  Wissenschaft  in  so  manchen  Punkten  über  sie 
hinausgeeilt  ist,  gegenüber  allen  früheren  Versuchen  als 
ein  gewaltiger  Fortschritt  erscheinen.  Denn  alles,  was 
seit  den  Tagen  der  Griechen,  von  Lukrez  bis  auf 
Descartes  und  Newton,  in  dieser  Richtung  geleistet 
worden  war,  trug  noch  das  Siegel  der  Unreife  und 
Kindheit  der  Wissenschaft  an  sich;  aber  auch  die 
späteren  Hypothesen  eines  Whiston,  Swedenborg, 
Leibnizt),  Buffon  und  Franklin  blieben  zu  sehr  im 
Unbestimmten  stecken  und  kamen  nicht  über  geist- 
reiche Anregungen  hinaus.  Einen  eigentlichen  Vor- 
läufer, den  er  selbst  als  solchen  bezeichnet  und  an- 
erkannt hat,  besaß  Kant  nur  in  dem  Engländer  Wright 
von  Durham,  und  er  äußert  sich  folgendermaßen 
über  sein  Verhältnis  zu  diesem:  ,,Ich  kann  die  Grenzen 
nicht  genau  bestimmen,  die  zwischen  dem  System  des 
Herrn  Wright  und  dem  meinigen  anzutreffen  sein  und 
in  welchen   Stücken  ich   seinen  Entwurf  bloß   nach- 


lactee  et  sur  la  Distance  des  etoiles  fixes.  St.  Petersbourg 
1847,  S.  8 — 11.  „Entreprise  sublime,  si  eile  n'est  pas  trop 
hardie  pour  l'esprit  humain.  En  tous  cas,  Tastronome  qui 
a  lu  l'ouvrage,  s'il  ne  souscrit  point  ä  toutes  les  speculations 
qu"il  renferme,  ne  s'en  separera  sürement  qu'avec  une  vive 
admiration  du  genie  et  des  vues  parfois  prophetiques  de 
l'auteur"   (p.  8). 

*)  Schopenhauer,  Parerga  und  Paralipomena ,  Bd.  II, 
S.  148,  Eeclam. 

**)  Zöllner,  „Photometrische  Untersuchungen,"  Leipzig 
1865,  214  fF.  und  .,Über  die  Natur  der  Kometen",  Leipzig 
1872,  426  ff. 

***)  Helmholtz,  Vorträge  und  Reden,  ßraunschweig  1884, 
Bd.  I,  S.  44,  122,  350,  Bd.  II,  58  ff. 

-}-)  Leibniz  nimmt  an,  die  Planeten  seien  während  einer 
der  Explosionen,  die  auf  der  Sonne  stattfanden,  von  dieser 
herausgeschleudert  worden.  Siehe  Leibniz,  Protogaea,  Goet- 
tingen  1749,  §  3,  S.  3. 


Einleitung.  XIII 

geahmioder  weiter  ausgeführt  habe"  (vgl.  S.  18  und 
20  dieser  Ausgabe).  Die  Übereinstimmung  zwischen 
beiden  ist  tatsächlich  sehr  groß  und  erstreckt  sich 
häufig  bis  in  die  kleinsten  Einzelheiten.  F.  G.  W.  Struve 
(a.  0.  a.  0.  S.  8f.)  hat  sieben  Thesen  aufgezählt,  die  für 
das  Kantische  System  charakteristisch  sind  und  die  sich 
nach  Nyren  und  Gerland  alle  ohne  Ausnahme  bei 
Wright  wiederfinden  sollen.  Diese  Thesen  lauten  (ich 
zitiere  sie  nach  der  kurzen  Zusammenfassung,  die  sich 
bei  Gerland  a.  o.  a.  0.  Kantstudien,  S.  448  findet): 
„1.  Die  Schöpferkraft  der  göttlichen  Allmacht  ist  un- 
endlich, daher  sind  es  auch  die  Welten  zeitlich  und 
räumlich.  2.  Alle  Fixsterne  sind  Zentren  von  Systemen 
analog  unserem  Planetensystem  infolge  von  Gravitation 
und  Zentrifugalkraft.  3.  Die  Anziehung  erstreckt  sich 
über  alle  Systeme,  welche  ein  System  höherer  Ordnung, 
das  der  Milchstraße  bilden.  4.  In  Analogie  zum  Pla- 
netensystem beziehen  sich  auch  die  Fixsterne  auf  einen 
gemeinsamen  Grundplan,  gegen  den  hin  sie  besonders 
gehäuft  sind.  5.  Auch  das  System  der  Milchstraße  hat 
einen  Zentralkörper,  vielleicht  den  Sirius.  6.  Solche 
Systeme  sind  sehr  zahlreich.  7.  Sie  sind  Glieder  noch 
höherer  Systeme."  —  Die  hier  angeführten  Punkte 
finden  sich  tatsächlich  in  dem  Werke  Wrights,  sowie 
in  dem  deutschen  Auszug  der  Hamburger  freien  Ur- 
teile*), den  Kant  wahrscheinlich  allein  gekannt  hat, 
wieder;  allein  wenn  man  aus  diesem  allerdings  weit- 
gehenden Parallelismus  zwischen  beiden  Forschern  auf 
eine  völlige  Abhängigkeit  Kants  von  Wright  schließen 
und  ersterem  jegliche  Originalität  absprechen  will,  so 
ist  zu  bedenken,  daß  mit  den  angeführten  sieben 
Thesen  der  Inhalt  des  Kantischen  Werks  noch  nicht 
im  entferntesten  erschöpft  ist.  Ganz  abgesehen  davon, 
daß  Kant  aus  der  kurzen  Rezension  in  den  Hamburger 

*)  Hamburg-er  „Freie  Urtheile  und  Nachrichten  etc. 
Achtes  Jahr  1751.  An  original  Theory  or  new  Hypothesis 
of  the  Universe  etc.  Eine  neu  erfundene  Theorie  oder  neue 
Hypothesis  von  dem  Weltg-ebäude,  so  sich  auf  die  Gresetze 
der  Natur  gründet  und  durch  mathematische  Grundsätze  die 
allgemeinen  Phänomena  der  sichtbaren  Schöpfung  und  in- 
sonderheit der  Milchstrasse  auflöset"  ...  84  in  4,  S.  1 — 6, 
9—14,  17—22. 


XIV  Einleitung. 

freien  Urteilen  nur  ein  sehr  unbestimmtes  Bild  van 
den  Ansichten  Wrights  gewinnen  konnte  und  also  selbst 
in  den  Punkten,  wo  die  Übereinstimmung  deutlich  ins 
Auge  fällt,  bei  der  Ausführung  und  Begründung  der 
in   Frage   stehenden   Sätze  aus   sich   selbst   schöpfen 
mußte,  sind  es  auch  gar  nicht  diese  besonderen  Er- 
gebnisse und  Details,  die  man  mit  dem  Gedanken  an 
Kants  Nebularhypothese  zu  verbinden  pflegt.    Daß  er 
die  Einzelmomente  zu  einem  Ganzen  zusammensah  und 
dieses  Ganze  nicht  in  seinem  statischen  Sein,  sondern 
in  seinem  Ursprung,  in  seiner  Genesis  erschaute,  darin 
liegt  Kants  bleibendes  Verdienst  um  die  Wissenschaft 
vom  Kosmos.     Die  erwähnten  Thesen  über  den  Bau 
des  Himmels,  die  er  mit  Wright  gemein  hat,  erhalten 
erst  ihren  vollen  Sinn  und  ihre  wahre  Bedeutung,  wenn 
man    sie    als    Konsequenz    aus    der    Gesamtkonzep- 
tion  erfaßt,   von  der  sie  alle  als  Folgen  aus  ihrem 
Grunde  abgeleitet  werden.    Mit  andern  Worten:  Kants 
eigentliche   Originalität   liegt   nicht   dort,   wo   er   mit 
Wright,   Lambert   und   Herschel,   sondern   da,   wo   er 
mit  Laplace  zusammentrifft.    Daß  er  die  Phänomene 
des  Himmels  und  das  ungeheure  Triebwerk  des  Ma- 
krokosmos aus  seinen  Ursachen  ableitete  und  auf  seine 
einfachsten   Bedingungen   zurückführte,    das   ist   sein 
eigenstes  Verdienst,  mit  dem  er  die  Methoden  der  Wissen- 
schaft   erweiterte    und    dem  Mechanismus    ein    neues 
Anwendungsgebiet  gewann.    Noch  Newton  hatte,  um 
die  Bewegungen  der  Planeten  zu  erklären,  zu  der  Hand 
Gottes  seine  Zuflucht  genommen.    Er  hatte  nur  eine 
Komponente:   die   Zentralkräfte   auf   die    Gesetze   der 
Mechanik  reduziert;  die  den  Weltkörpern  ursprünglich 
eingepflanzte  und  nach  dem  Trägheitsgesetze  in  ihnen 
fortbestehende  Geschwindigkeit,  die  als  zweiter  Faktor 
hinzutreten   mußte,    um   zusammen   mit   den   Zentral- 
kräften die  regelmäßigen  Bahnen  der  Planeten  zu  er- 
geben, hatte  er  auf  den  unmittelbaren  Anstoß  Gottes 
zurückgeleitet.    Auch  die  kartesischen  Wirbel  konnten 
hier   nicht  weiterhelfen,   sie   waren  von  Newton   für 
immer  aus  dem  Himmel  verbannt,  und  auch  Descartes 
hatte   letzten   Endes   die   gegebene    Spezifikation   der 
Himmelserscheinungen  aus  dem  Schöpfungsplan  Gottes 
erklärt  (vgl.  Die  Prinzipien  der  Philosophie.    Deutsch 


Einleitung.  XV 

V.  Dr.  A.  Buchenau,  Phil.  Bibl.  Bd.  28,  S.83ff.,  26  ff.). 
Nun  galt  es,  diesen  Rest,  den  Newton  stehen  gelassen 
hatte,  noch  aufzulösen,  und  zwar  nach  Newtons  eigenen 
Prinzipien:  - —  an  dem  Leitfaden  der  Mechanik  weiter 
hinabzusteigen,  bis  an  die  Grenze  des  Chaos  selbst.  In 
dieser  Regression  geht  Kant  sogar  noch  über  Laplace 
hinaus:  während  dieser  die  um  ein  festes  Zentrum  rotie- 
rende Nebelmasse,  aus  der  sich  allmählich  die  Planeten 
herausdifferenzieren,  zum  Ausgangspunkt  nimmt,  ver- 
sucht es  Kant,  auch  die  Entstehung  eines  solchen 
Nebelellipsoids  und  dessen  Rotation  zu  demonstrieren. 
Die  Konzeption  ist  die  denkbar  einfachste:  sie  beginnt 
mit  dem  absoluten  Dissolutionszustand  der  Materie  und 
betrachtet  nun  ihre  Entwickeiung  unter  dem  Einfluß 
der  Newtonschen  Grundkräfte:  der  Anziehungskraft 
und  der  Abstoßungskraft.  Die  erstere  ballt  die  Ele- 
mentarpartikeln zu  einem  großen  Klumpen  zusammen: 
bei  ihrem  Fall  nach  dem  Anziehungszentrum  stoßen 
die  Teilchen  gegen  einander  und  werden  durch  die  Re- 
pulsion von  ihrer  Bahn  abgebeugt;  so  entstehen  Seiten- 
bewegungen, die  das  Zentrum  schließlich  in  einem 
Kreise  umfassen,  nachdem  sich  die  wiederstreitenden 
Impulse  gegenseitig  aufgehoben  haben.  In  der  Mitte 
dieser  rotierenden  Nebelmasse  bildet  sich  die  Sonne 
durch  die  zum  Zentrum  hinsinkenden  Partikeln,  und 
in  dem  um  diese  sich  drehenden  Nebelring  entstehen 
die  Planeten  mit  ihren  Trabanten,  deren  Ursprung  man 
sich  nach  demselben  Schema  vorzustellen  hat.  Dies 
ist  in  den  Hauptzügen  der  Grundgedanke  der  Kanti- 
schen Kosmogonie,  die  sich  jedoch  in  wesentlichen 
Stücken  von  der  des  Laplace  unterscheidet.  Die  Neben- 
einanderstellung und  Identifizierung  beider  Theorien, 
der  man  häufig  begegnet,  sowie  der  Name  Kant- 
Laplacesche  Hypothese  ist  daher  nicht  ganz  gerecht- 
fertigt. Einen  wesentlichen  Unterschied  zwischen  Kant 
und  Laplace  haben  wir  schon  erwähnt.  Eine  weitere 
Differenz  bezieht  sich  auf  die  Entstehung  der  Planeten, 
die  sich  Laplace  gleiclrfalls  etwas  anders  denkt  als 
Kant.  Nach  ihm  bilden  sich  diese  durch  Ringablösung, 
die  eine  Folge  der  Zusammenziehung  des  Nebelellip- 
soids und  der  dadurch  bedingten,  erhöhten  Rotations- 
geschwindigkeit und  Zentrifugalkraft  der  Partikeln  ist, 


XVI  Einleitunj?. 

eine  Vorstellung,  die  auf  Buffon*)  zurückgeht,  welcher 
die  Drehung  der  Nebelmasse  auf  ihren  Zusammenstoß 
mit  einem  andern  Weltkörper  zurückführte.  Auch  über 
den  Ursprung  der  Kometen  sind  beide  Forscher  ver- 
schiedener Ansicht.  Während  Kant  diese  in  ähnlicher 
Weise  aus  dem  Nebelklumpen  hervorgehen  läßt  wie 
die  Planeten,  und  ihre  Exzentrizitäten  aus  der  schwä- 
cheren Anziehungskraft  in  den  großen  Entfernungen 
ableitet,  betrachtet  Laplace  die  Kometen  als  fremde 
Körper,  die  aus  andern  Welträumen  in  die  Anziehungs- 
sphäre unseres  Planetensystems  geraten  sind.  Es 
muß  daher  auch  bei  der  Prüfung  der  gegen  die  Kant- 
Laplacesche  Hypothese  ins  Feld  geführten  Einwände 
eine  strenge  Grenzlinie  zwischen  beiden  Systemen  ge- 
zogen werden.  Eins  der  schwierigsten  Bedenken,  die 
Rückläufigkeit  der  Uranusmonde  (eines  Planeten,  der 
zu  Kants  Zeiten  noch  nicht  entdeckt  war),  bedroht 
zwar  beide  Theorien  in  hohem  Maße,  dagegen  treffen 
die  Einwürfe,  die  man  neuerdings  gegen  die  Entstehung 
der  Planeten  durch  Ringbildung  gezogen  hat,  wohl  die 
Laplacesche  Theorie,  während  sie  die  Kantische  Hypo- 
these keineswegs  erschüttern.  Ein  andres  Argument 
hat  Faye**)  gegen  Kant  und  Laplace  geltend  gemacht: 
nach  seiner  Theorie  müßten  die  Achsenbewegung  der 
Planeten  sowie  die  Rotation  ihrer  Satelliten  ihrer  wirk- 
lichen Drehungsrichtung  entgegengesetzt  sein,  ein  Zwei- 
fel, den  Hirn  und  G.  H.  Darwin  ihrerseits  durch  eine 


*)  Der  erste  Anstoß  zu  der  Konzeption  einer  Nebular- 
hypothese,  wie  sie  in  den  Systemen  Kants  und  Laplaces 
vorliegt,  scheint  auf  Buffon  zurückzuführen,  der  aus  der  von 
Newton  festgestellten  Beziehung  der  Sonne  und  aller  Planeten 
auf  eine  gemeinsame  Fläche,  den  gerade  entgegengesetzten 
Schluß  zog  wie  dieser,  und  eine  einheitliche  materielle  Ur- 
sache für  dieses  Phänomen  postulierte.  Die  wichtigsten  Stellen, 
an  denen  er  seine  kosmogonischen  Ansichten  darlegt,  finden 
sich  in  Histoire  naturelle  generale  et  particuliere,  Tome  I, 
S.  133,  Bd.  VI,  1779,  S  41  u.  a.  Näheres  über  diesen  histo- 
rischen Zusammenhang  siehe  0.  Liebmann,  Philosophische 
Monatshefte  Bd.  IX,  S.  246  ff.  und  Analysis  der  Wirklichkeit. 
2.  Aufl.  1880,  S.  369—379. 

**)  Faye,    Sur  l'origine  du  Monde,   Paris  1885,  seconde 
Edition,  pag.  138. 


Einleitung.  XVII 

Theorie  der  Gezeitenwirkung  zu  beseitigen  gesucht 
haben*);  nach  Hirn  könnten  die  starken  Ebbe- und  Flut- 
erscheinungen auf  den  flüssigen  oder  dampfförmigen 
Planeten  allmählich  die  Gleichheit  in  der  Umdrehungs- 
und Umlaufsrichtung  hergestellt  haben.  Überhaupt 
richten  sich  alle  Einwände,  die  gegen  beide  Systeme 
erhoben  w^orden  sind,  in  ihrer  überwiegenden  Mehr- 
heit nur  gegen  die  einzelnen  Ausführungen,  während 
selbst  die  Gegner  die  Grundidee  der  Nebularhypothese 
beibehalten;  auch  da,  wo  sie  sie  in  ihrer  Gesamt- 
tendenz verwerfen  oder  durch  andere  Hypothesen  er- 
setzen, die  meist  den  Typus  der  Katastrophentheorie  an 
sich  tragen,  und  die  Entstehung  des  Planetensystems 
aus  kosmischen  Zusammenstößen  herleiten,  wie  das  z.  B. 
in  den  Theorien  eines  Groll,  Ritter,  Kerz,  Braun  u.  a. 
geschieht,  benutzen  sie  noch  Elemente  der  Kant-La- 
placeschen  Kosmologie,  wodurch  sie  ihre  eigenen  An- 
schauungen der  letzteren  wieder  erheblich  annähern. 
Mag  also  auch  an  Kants  Theorie  im  einzelnen  noch 
soviel  als  überlebt  und  überholt  erscheinen,  ihr  eigent- 
liches Wesen  wird  nicht  davon  getroffen;  sie  hat  sich 
im  Laufe  der  Zeit  durchaus  als  verbesserungsfähig 
erwiesen,  und  ihre  lebendige  befruchtende  Kraft 
ist  bis  heute  noch  nicht  erschöpft.  Wie  sehr  Kant 
auch  hier  auf  dem  richtigen  Wege  war,  das  beweisen 
seine  tiefen  Divinationen  und  Antezipationen,  wie  die 
Voraussage  weiterer  Planeten  jenseits  vom  Saturn, 
seine  Berechnung  der  Umschwungsdauer  des  inneren 
Saturnringes  u.  a.  m.,  die,  obwohl  sie  oft  auf 
falschen  Voraussetzungen  fußten  und  auf  unzu- 
reichende Gründe  gestützt  waren,  später  durch  exakte 
Nachprüfungen  eine  Bestätigung  fanden,  und  so  ein 
bedeutendes  Zeugnis  für  den  Scharfblick  des  Natur- 
forschers Kant  ablegten. 

Und  doch  bleibt  es  richtig,  daß  Kants  Natur- 
geschichte des  Himmels  vor  allem  auch  eine  philoso- 
phische Leistung  ist,  wie  Gerland  behauptet,  wenn- 
gleich nicht  ganz  in  dem  Sinne,  wie  er  es  ver- 
steht.    Es   ist    sicherlich    nicht   in   erster   Linie   das 


*)  Siehe  F.  K.  Ginzel,   Die  Entstehung  der  Welt  usw., 
Berlin  1893,  S.  24f. 

Kant,  Kl.  Schriften  Z.Naturphilosophie.     I.  B 


XVIII  Literaturverzeichnis. 

Problem  des  Gottesbegriffs  und  die  Aufstellung  eines 
einwandfreien  Gottesbeweises,  um  die  Kant  sich  in 
seinen  kosmologischen  Spekulationen  bemüht,  sondern 
es  ist  das  Interesse  der  Wissenschaft  und  an  der  Wissen- 
schaft, das  ihn  dabei  leitet.  Die  restlose  Durchwirkung 
der  Kausalität,  die  Souveränität  der  theoretischen  Ver- 
nunft im  Gebiete  der  Natur,  und  die  Verbannung  der 
Zweckursachen  aus  dem  Naturreiche,  das  sind  die 
Forderungen,  für  die  er  kämpft,  und  so  seltsam  es 
ist:  der  Gottesbegriff  ist  ihm  hier  noch  ganz  wie  bei 
Leibniz  kein  Gegensatz,  sondern  Grundlage  und  Ga- 
rantie für  die  Autonomie  der  Vernunft.  Daß  die  Welt 
der  Natur  der  theoretischen  Forschung  bis  ans  Ende 
zugänglich  sei,  daß  keine  Lücke  in  der  mechanischen 
Gesetzlichkeit  ihrer  Organisation  übrig  bleibe,  dafür 
ist  der  Gottesbegriff,  als  der  Idealbegriff  der  Vernunft, 
Beweis  und  Bürge;  die  ungehemmte  Durchführbarkeit 
der  Kausalität  im  Felde  der  theoretischen  Naturwissen- 
schaft ist  dann  umgekehrt  wieder  ein  Beweis  für 
das  Dasein  Gottes  —  ein  Beweis  freilich,  der  eigent- 
lich ein  Postulat  ist.  So  wird  schon  hier  jene  neue 
Ideenbedeutung  des  Gottesberiffs  vorbereitet,  die 
dieser  in  der  Kritik  der  reinen  Vernunft  erhält,  wo 
sein  Charakter  als  Aufgabe  und  Regulativ  für  die 
theoretische  Forschung  nunmehr  unverhüllt  zutage  tritt. 
Daher  bestehen  noch  heute  die  Worte  zu  Recht, 
die  Helmholtz  I87I  in  seinem  Vortrag  über  die  Ent- 
stehung des  Planetensystems  gesprochen  hat:  ,,Die 
Kant-Laplacesche  Hypothese  erweist  sich  als  einer 
der  glücklichen  Griffe  in  der  Wissenschaft,  die  uns 
anfangs  durch  ihre  Kühnheit  erstaunen  machen,  sich 
dann  nach  allen  Seiten  hin  mit  anderen  Entdeckungen 
in  Wechselbeziehungen  setzen  und  in  ihren  Folgerun- 
gen bestätigen,  bis  sie  uns  vertraut  werden." 


Literaturyerzeichnis. 

Die  Literatur  über  die  Kant-Laplacesche  Hj-pothese 
ist  außerordentlich  groß;  dieses  Verzeichnis  kann  da- 
her nicht  den  Anspruch  auf  absolute  Vollständigkeit 
machen.  —  Wir  führen  hier  außer  den  schon  erwähnten 


Literaturverzeichnis.  XIX 

Schriften  noch  eine  Reihe  von  solchen  an,  die  sich 
teils  direkt  mit  der  Kantischen  Theorie  beschäftigen, 
teils  kritisch  zu  ihr  Stellung  nehmen  oder  auf  ihrer 
Grundlage  weiterbauen.  Eine  gute  Ergänzung  zu  der 
hier  gegebenen  Literaturübersicht  findet  sich  in  Über- 
weg Heinzes  Grundriß  der  Geschichte  der  Philosophie, 
Teil  III,  pag.  243  (8.  Aufl.)  sowie  in  Günthers  Hand- 
buch der  Geophysik,  Bd.  I,^S.  64. 

F.  Ct.  AV.  Struve:  Etudes  d'astronomie  stellaire, 
St.  Petersbourg,  Inprimerie  de  TAcademie  imperiale  des 
Sciences  1847,  S.  8  ff.,  Systeme  de  Kant.  —  Dr.  J.  C. 
F.  Zöllner:  Photometrisclie  Untersuchungen,  Leipzig, 
Engelmann,  1865,  S.  214  ff.  —  Überweg:  Kants  all- 
gemeine Naturgeschichte  usw..  Altpreußische  Monatsschrift, 
Bd.  II,  Königsberg  1865.  —  Hay,  E.:  Über  Kants  Kosmo- 
gonie,  Altpreuß.  Monatsschrift,  Band  III,  Königsberg  1866. 
—  Reuschle:  Kant  u.  die  Naturwissenschaft,  Deutsche 
Vierteljahrsschrift,  31.  Jahigang,  1868,  2.  Heft.  —  Johann 
Carl  Friedrich  Zöllner:  Über  die  Natur  der  Cometen, 
Beiträge  zur  Geschichte  u.  Theorie  der  Erkenntniß,  Leipzig, 
Wilhelm  Engelmann,  1872.  Immanuel  Kant  und  seine  Ver- 
dienste um  die  Naturwissenschaft,  S.  426  ff.  —  A.  Meyden- 
bauer:  Kant  oder  Laplace?  Kosmologische  Studie,  Marburg, 
N.  Gr.  Elwertsche  Verlagsbuchhandlung,  1880.  —  du  Frei, 
Dr.  Carl:  Die  Planetenbewohner  und  die  Nebularhypothese, 
Leipzig,  E.  Günther,  1880  u.  Entwicklungsgeschichte  des 
Weltalls,  Leipzig,  1882.  —  Thiele,  Dr.  Günther:  Die 
Philosophie  Immanuel  Kants  nach  ilirem  systematischen 
Zusammenhange  und  ihrer  logisch -historischen  Entwicklung 
dargestellt  und  gewürdigt.  Erster  Band,  erste  Abteilung. 
Kants  vorkritische  Naturphilosophie,  Halle,  Max  Niemeyer, 
1882.  S.  56  ff.,  S.  144  ff.  —  F.  Ritterfeld:  Die  Cardinal- 
fragen  der  Kosmologie  und  K.s  Entstehung  des  Weltalls, 
Heidelberg  1883.  —  Helmholtz,  Hermann  von:  Vor- 
träge und  Reden,  zugleich  dritte  Auflage  der  „Populären 
wissenschaftlichen  Vorträge"  des. Verfassers.  Zweiter  Band. 
Viehweg  und  Sohn,  1885.  Über  die  Entstehung  des 
Planetensystems.  Vortrag  gehalten  in  Heidelberg  und 
Köln  am  Rhein  im  Jahre  1871.  —  H.  Fave:  Sur  l'origine 
du  monde,  Paris  1885.  S.  132  ff.  —  C.  Wolf  Hypotheses 
cosmogoniques,  Paris  1886.  —  F.  K.  Ginzel:  Die  Ent- 
stehung der  Welt  nach  den  Ansichten  von  Kant  bis 
auf  die  Gegenwart,  Berlin  1893.  —  Ludw.  Graf  Pfeil: 
Ist  die  Kant-Laplacesche  Weltbildungshypothese  mit  der 
heutigen  Wissenschaft  vereinbar?  Deutsche  Revue,  Breslau 
1893.     —     Gustav     Eberhard:      Die     Kosmogonie     von 


yy  Literaturverzeichnis. 

Kant,  "Wien  1893.  —  P.  von  Lind:  Im.  Kant  und  Alex. 
Humboldt,  Zeitschr.  für  Phil.  u.  phil.  Kritik,  18Ö.5  u.  1896. 
—  Schöne,  Dr.  G.  H.:  Die  Stellung  Im.  Kants  innerhalb 
der  geographischen  Wissenschaft,  AltpreuL'ische  ^Monatshefte 
1897.  —  Gr.  Gerland:  Immanuel  Kant,  Seine  geographi- 
schen u.  anthropologischen  Arbeiten,  Kantstudien,  X.  Band, 
Eerlin  1905.  S.  417  ff.  —  Holzmüller,  Gustav  Prof.  Dr.: 
Elementare  Kosmische  Betrachtungen  über  das  Sonnen- 
system und  "Widerlegung  der  von  Kant  u.  Lapiace  aufg. 
Hypothesen  über  dessen  Entwicklungsgeschichte,  Leipzig, 
E.  G.  Teubner,  1908.  —  Gockel, AI  bertDr.:  Schöpfungs- 
geschichtliche Theorien,  Köln  1907.  —  Arrhenius,  Svante: 
Das  "Werden  der  "Welten.  Deutsch  von  L.  Bamberger,  Leipzig 
1908,  und  Neue  Folge,  Leipzig  1908.  —  Außerdem  er- 
wähnt Übenveg  noch  folgende  Abhandlungen,  die  mir 
nicht  zugänglich  waren:  0.  Annel,  Kants  Kosmogonie  und 
der  kritische  Idealismus,  Didascalia  1897,  Xr.  18 — 20.  — 
"W.  Hashi:  K.s  Cosmogony  as  in  his  Essay  on  the  Retar- 
dation  of  the  Rotation  of  the  Earth  an  his  natural  Hist/etc 
with  introduction  —  ed  Glassr.  1900. 


Verzeichnis  der  Texte. 

Bei  der  Aufstellung  der  BibliogTaphie  aller  vorhandenen 
Drucke  habe  ich  auch  die  Ausgaben  von  Hartenstein,  Rosen- 
kranz und  Kehrbach  benutzt.  Letzterer  habe  ich  einige 
Daten  entnommen,  die  deren  Herausgeber  einer  persön- 
lichen Mitteilung  von  R  e  i  c  k  e  verdankt  (siehe  unten:  Kehr- 
bachs  Ausg.  Nr.  15),  pag.  XVIII. 

1.  Allgemeine  Xaturgeschichte  und  Theorie  des  Him- 
mels oder  Versuch  von  der  Verfassung  und  dem  mechani- 
schen Ursprünge  des  ganzen  "Weltgebäudes  nach  Newton- 
schen  CTrundsätzeu  abgehandelt.  Königsberg  und  Leipzig 
bey  Johann  Friedrich  Peterson  1755,  VI,  S.  1—200. 

2.  Als  Anhang  zu:  "William  Herschel,  über  den  Bau 
des  Himmels.  Drei  Abhandlungen  aus  dem  Englischen 
übersetzt  nebst  einem  authentischen  Auszug  aus  Kants  all- 
gemeiner Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels,  Königs- 
berg 1791,  bei  Friedrich  Xicolovius. 

3.  Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Him- 
mels, in:  I.  Kants  sämtliche  kleine  Schriften  nach  der  Zeit- 
folge geordnet.  Erster  Band,  Xr.  2.  Königsberg  u.  Leipzig 
1797  (in  Wirklichkeit  Jena  bei  Voigt:  Voigtsche  Samm- 
lung).    Einl.  XXXVIII,  S.  295—494.     Nachdruck. 

4.  Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Him- 
mels usw.  in :  Immanuel  Kants  fi-üher  noch  nicht  gesammelte 
kleine  Schriften.  Frankfurt  u.  Leipzig  1797  (in  Wahrheit 
Zeitz  bey  Wilhelm  Webel),  S.  1—130.     Nachdruck. 

5.  Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Him- 
meis usw.  von  Immanuel  Kant.  Neue  Auflage  mit  des  Ver- 
fassers eigenen  neuen  Berichtigungen.  Frankfurt  u.  Leipzig 
1797,  Bl.  2— 8  b,  Vorrede,  Bl.  8  b.  Vorerinnerung  bey  dieser 
Ausgabe,  unterzeichnet  M.  F.  1797.  Bl.  9—10  Inhalt.  S.  1 
bis  130.  Die  Berichtigungen  sind  lediglich  Anmerkungen, 
die  der  Herausgeber  Frege  dem  Auszug  von  Gensichen 
(Nr.  2)  entnommen  und  ,, gehörigen"  Orts  hinzugefügt  hat. 
Außerdem  erklärt  der  Verfasser,  er  habe  „übrigens  auch 
dem  Style  einige  Aufmerksamkeit  gewidmet  und  die  Sprache 


XXII  Verzeichnis  der  Texte. 

dem  jetzigen  Genie  derselben  näher  zu  bringen  gesucht." 
Wir  zitieren  diesen  Nachdruck,  der  mit  dem  unter  4  ange- 
führten identisch  ist,  als  Ausgabe  von  1797. 

6.  Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Him- 
mels usw.  von  Immanuel  Kant.  Neue  Auflage  mit  des  Ver- 
fassers eigenen  neuen  Berichtigungen.  Zeitz  bey  Wilhelm 
Webel  1798,  ßl.  2—8.  Vorrede  Kants,  El.  10 a— 10b.  Vor- 
erinnerung bey  dieser  Ausgabe,  unterzeichnet  M.  F.  1797, 
Bl.  11— -12,  Inhalt,  S.  1—143.  Dieser  Nachdruck  ist  mit 
dem  vorigen  identisch. 

7.  Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Him- 
mels in:  Kants  vermischte  Schriften.  Achte  und  vollstän- 
dige Ausgabe,  Halle  in  der  Rengerschen  Buchhandlung 
1799,  Nr.  3,  Band  I,  S.  283—520.     (Tieftrunk.) 

8.  Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Him- 
mels usw.  von  Immanuel  Kant,  4.  Auflage,  mit  des  Herrn 
Verfassers  eigenen  neuen  Berichtigungen,  Zeitz  bey  Wil- 
helm Webel,  1808,  Bl.  2— 10  a.  Kants  Vorrede,  10  a— 10b. 
Vorerinnerung  bey  dieser  Ausgabe,  unterzeichnet  M.  F., 
Bl.  11—12,  Inhalt,  S.  1—142.   "identisch  mit  4.  5.  6. 

9.  Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Him- 
mels usw.  in:  Immanuel  Kants  Werke  sorgfältig  revidierte 
Gesamtausgabe  in  10  Bänden  (herausgegeben  von  G.  Harten- 
stein, Leipzig  1838).  Band  8,  Nr  3,  S.  217—381,  Modes 
und  Baumann. 

10.  Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Him- 
mels usw.  in :  Immanuel  Kants  Sämtliche  Werke ,  heraus- 
gegeben von  Karl  Rosenkranz  und  Friedr.  Wilh.  Schubert. 
Teil  6:  Schriften  zur  Physischen  Geographie.  Her.  von 
Friedi-.  Wilh.  Schubert.  Nr.  3,  S.  39—226,  Leipzig,  Leo- 
pold Voß,  1839. 

11.  Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Him- 
mels in:  Immanuel  Kants  Sämtliche  Werke  in  chronologi- 
scher Reihenfolge  herausgegeben  von  G,  Hartenstein,  Bd.  I, 
Nr.  IV,  S.  207—345,  Leipzig,  Leopold  VoU,  1867. 

12.  Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Him- 
mels in :  Band  49,  Abt.  1  der  Philosojihischen  Bibliothek  usw. 
Herausgegeben  und  erläutert  von  J.  H.  von  Kirchmann. 
Nr.  1,  S.  1—169.     Berlin,  L.  Heimann,  1872. 

13.  Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie^des  Him- 
mels. Herausgegeben  von  H.  Ebert  in:  Ostwalds  Klassiker 
der  exakten  Wissenschaften.  Nr.  12,  S.  1—93  (93—101 
Anmerkungen).  Leipzig,  Engelmann,  1890.  Gekürzt.  Vor- 
rede, Inhaltsverzeichnis,  Einleitung  und  Schlußkapitel  fehlen. 
Nachdruck  der  unter  8  zitierten  Ausgabe. 

14.  Kants  Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des 
Himmels.      Herausgegeben    von    A.   J.    von    Oettingen    in: 


Verzeichnis  der  Texte.  XXIII 

Ostwalds  Klassiker  der  exakten  "Wissenschaften.  Nr.  12, 
S.  1 — 146  (147 — 158  Anmerkungen).  Leipzig,  Engelmann, 
1898.   Vollständiger  Nachdruck  der  Erstausgabe  von  1855  (1). 

15.  Immanuel  Kants  Allgemeine  Naturgeschichte  und 
Theorie  des  Himmels  nebst  zwei  Supplementen.  Heraus- 
gegeben von  Karl  Kebrbach  XXI  Vorrede  des  Heraus- 
gebers, XXI— XXIV  Inhaltsverzeichnis,  S.  1 — 168.  Supple- 
mente: I.  Kosmogonie,  Eine  Hypothese  des  Ursprungs  der 
Weltkörper  usw.  aus :  Der  einzig  mögliche  Beweisgrund  zu 
einer  Demonstration  des  Daseyns  Gottes  von  Immanuel  Kaut 
(1763),  S.  171—188  und  IL  Gensichens  Vorwort  und  Nach- 
schrift zu  dem  Auszug  zu  Kants  Naturgeschichte  und  Theorie 
des  Himmels  (1791),  Leipzig,  bei  Philipp  Reclam,  1884. 

16.  Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Him- 
mels usw.  in:  Kants  gesammelte  Schriften,  herausgegeben 
von  der  Königlich  Preußischen  Akademie  der  Wissenschaften, 
Band  I,  1.  Abteilung,  S.  215—368  (S.  544—558  Erläu- 
terungen). Herausgeber  Johannes  Rahts,  Berlin,  Reimer, 
1902. 

17.  Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Him- 
mels in:  Immanuel  Kants  "Werke  in  8  Büchern.  Ausge- 
wählt und  mit  Einleitung  versehen  von  Dr.  Hugo  Renner, 
Buch  VIII,  Nr.  IL  S.  91— 182,  Berlin,  Weichei-t,  1907. 
Gekürzt  wie  Nr.  13. 


Die  metaphysisehen  Anfangsgründe  der  Natur- 
wissenschaft. 

Während  die  Naturgeschichte  des  Himmels  das 
typische  Beispiel  einer  in  die  letzten  Gründe  der  Natur 
eindringenden,  durch  kühne  Hypothesen  vorwärts- 
schreitenden Spekulation  ist,  die  den  Inhalt  der  meisten 
vorkritischen  Schriften  naturwissenschaftlichen  Cha- 
rakters bildet,  sind  die  Metaphysischen  Anfangsgründe 
die  reife  Frucht  einer  durch  Kritik  geläuterten  Denk- 
art. 1781  war  Kants  Icritisches  Hauptwerk  erschienen 
und  damit  der  Grund  zu  einer  neuen  Methode  des 
Philosophierens  gelegt;  nun  galt  es,  diese  bis  in  ihre 
Folgen  und  Auszweigungen  zu  entwickeln  und  auf 
ihrem  Fundamente  das  neue  System  der  Vernunft  zu 
errichten.  Die  drei  Kulturgebiete:  das  der  Natur,  der 
Sittlichkeit  und  der  Schönheit  harrten  ihrer  Be- 
gründung und  Sicherung  aus  den  Prinzipien  der  Kritik. 
Jetzt  handelte  es  sich  nicht  mehr  darum,  durch  kühn 
erdachte  Hypothesen  noch  unbekannte  Welten  der 
Natur  zu  erschließen,  sondern  abwärts  den  durch- 
messenen  Weg  der  Wissenschaft  zu  durchforschen  und 
zu  prüfen,  die  vorhandenen  Mittel  der  Erkenntnis  auf 
ihren  Gehalt  zu  untersuchen,  an  der  aufgestellten  Norm 
zu  messen  und  von  hier  aus  die  Richtung  auf  den 
zukünftigen  Fortschritt  zu  bestimmen.  Nach  der  Voll- 
endung der  Kritik  schreitet  Kant  sofort  an  die  neue 
Aufgabe.  1783  erscheinen  die  Prolegomena,  in 
denen  er  das  Gewonnene  gleichsam  noch  einmal  rück- 
schauend betrachtet,  und  zugleich  durch  eine  neue 
Darstellung  eine  leichtere  gemeinverständliche  Fas- 
sung für  die  neubegründete  Wissenschaft  findet.  Dann 
folgen    die    großen    Glieder    des    Systems:    1785    die 


Einleitung.  XXV 

Grundlegung  zur  Metaphysik  der  Sitten;  1788  die 
Kritik  der  praktischen  Vernunft,  1790  die  Kritik 
der  Urteilskraft,  und  dazwischen  1786  die  Metaphysi- 
schen Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft,  zugleich 
(wenn  wir  von  dem  unvollendeten  Alterswerk  , Ȇber- 
gang von  den  Metaphysischen  Anfangsgründen  der 
Naturwissenschaft  zur  Physik"  absehen)  die  letzte 
größere  naturphilosophische  Schrift,  nach  der  nur 
noch  zwei  kleinere  Abhandlungen  „Etwas  über  den 
Einfluß  des  Mondes  auf  die  Witterung"  vom  Jahre  1794 
und  zu  „Sömmering  über  das  Organ  der  Seele"  1796 
erschienen.  Obwohl  also  diese  Schrift  einen  ausge- 
sprochen kritischen  Charakter  an  sich  trägt  und  sich 
durchaus  in  den  Grundplan  des  kritischen  Systems 
einordnet,  reicht  doch  der  Plan  zu  ihr  bis  weit  in 
die  vorkritische  Zeit  hinab.  Kants  Denken  läßt  überall 
eine  deutliche  Kontinuität  erkennen,  die  die  große 
Umwälzung  von  vielen  Seiten  her  vorbereitet.  Unter 
den  Schriften,  die  den  Metaphysischen  Anfangs- 
gründen voraufgehen,  den  drei  Erdbebenstudien 
1756,  der  Theorie  der  Winde  1756,  der  Ankündigung 
eines  Collegii  der  physischen  Geographie  1757,  den 
anthropologischen  Abhandlungen  über  die  Menschen- 
rassen von  1775  und  1785,  dem  kleinen  Aufsatz 
über  die  Vulkane  im  Monde  von  1785,  der  physischen 
Monadologie  und  dem  „Neuen  Lehrbegriff  der  Be- 
wegung und  der  Ruhe"  von  1756  und  1758  sind  es 
vorzüglich  die  beiden  letzten,  die  schon  Probleme  aus 
den  Metaphysischen  Anfangsgründen  behandeln  und 
Grundtendenzen  dieser  Sclirift  erkennen  lassen.  Die 
Idee  zu  einem  ähnlichen  Werke  scheint  Kant  schon 
sehr  früh  und  im  Zusammenhange  mit  einer  größeren 
Schrift  gekommen  zu  sein,  in  der  bereits  kritische 
Motive  anklingen  sollten,  wenigstens  finden  wir  die 
erste  Andeutung  auf  sie  in  einem  Schreiben  an  Lam- 
bert vom  Jahre  1765,  in  dem  sich  Kant  folgender- 
maßen über  seine  schriftstellerischen  Pläne  äußert: 
„Alle  diese  Bestrebungen  laufen  hauptsächlich  auf 
eine  eigentümliche  Methode  der  Metaphysik  und  ver- 
mittelst derselben  auch  der  gesamten  Philosophie  hin- 
aus, wobei  ich  Ihnen,  mein  Herr,  nicht  unangezeigt 
lassen  kann,  das  Herr  Kanter,  welcher  von  mir  ver- 


XXVI  Einleitung. 

nahm,  daß  ich  eine  Schrift  unter  diesem  Titel  viel- 
leicht zur  nächsten  Ostermesse  fertig  haben  möchte, 
nach  Buchhändler  Art  nicht  gesäumt  hat,  diesen  Titel, 
obgleich  etwas  verfälscht,  in  den  Leipziger  Meßkatalog 
setzen  zu  lassen.  Ich  bin  gleichwohl  von  meinem 
ersten  Vorsatze  so  ferne  abgegangen:  daß  ich  dieses 
Werk  als  das  Hauptziel  aller  dieser  Aussichten  noch 
ein  wenig  aussetzen  will,  und  zwar  darum,  weil  ich 
im  Fortgange  desselben  merkte,  daß  es  mir  wohl  an 
Beispielen  der  Verkehrtheit  im  Urteilen  gar  nicht 
fehlete,  um  meine  Sätze  von  dem  unrichtigen  Ver- 
fahren zu  illustrieren,  daß  es  aber  gar  sehr  an  sol- 
chen mangele,  daran  ich  in  concreto  das  eigentümliche 
Verfahren  zeigen  könnte.  Daher,  um  nicht  etwa  einer 
neuen  philosophischen  Projektmacherey  beschuldigt  zu 
werden,  ich  einige  kleinere  Ausarbeitungen  voran- 
schicken muß,  deren  Stoff  vor  mir  fertig  liegt, 
worunter  die:  metaphysische  Anfangsgründe  der 
natürlichen  Weltweisheit  und  die  metaph.  An- 
fangsgr.  der  practischen  Weltweisheit  die 
ersten  seyn  werden,  damit  die  Hauptschrift  nicht 
durch  zu  weitläuftigte  und  doch  unzulängliche  Bey- 
spiele  allzu  sehr  gedehnet  werde."  (Kants  Briefwechsel, 
Bd.  I,  S.  53,  Akademieausgabe.) 

Indessen  all  diese  Pläne  wurden  durch  das  große 
kritische  Unternehmen  umgestoßen,  das  im  Laufe  der 
folgenden  Jahre  Kants  ganzes  Denken  in  Anspruch 
nimmt.  1770  erscheint  die  Dissertation:  „De  mundi 
sensibilis  atque  intelligibilis  forma  et  principiis",  das 
Vorspiel  zu  dem  großen  Umwälzungswerk  im  Gebiete 
der  Philosophie  (Philosoph.  Bibl.  Bd.  46  C,  S.  86),  dann 
folgt  die  lange  Zäsur  in  Kants  schriftstellerischer 
Tätigkeit,  in  der  die  ungeheueren  Gedanken  der  Kritik 
der  reinen  Vernunft  reifen.  Und  nun  erst,  volle 
zwanzig  Jahre  nach  jenem  ersten  Briefe  an  Lambert 
und  vier  Jahre  nach  der  Kritik  der  reinen  Vernunft, 
kommt  Kant  wieder  auf  seine  alte  Absicht  zurück. 
In  einem  Schreiben  an  Schütz  kündigt  er  die  baldige 
Vollendung  der  Metaphysischen  Anfangsgründe  an: 
„Ehe  ich  an  die  versprochene  Metaphysik  der  Na- 
tur gehe,  mußte  ich  vorher  dasjenige,  was  zwar  eine 
bloße  Anwendung  derselben  ist,  aber  doch  einen  empi- 


Eiuleitung.  XXVII 

Tischen  Begriff  voraussetzt,  nämlich  die  metaphysi- 
schen Anfangsgründe  der  Körperlehre,  sowie  in  einem 
Anhange,  die  der  Seelenlehre*)  abmachen:  weil  jene 
Metaphysik,  wenn  sie  ganz  gleichartig  sein  soll,  rein 
sein  muß,  und  dann  auch,  damit  ich  etwas  zur  Hand 
hätte,  worauf,  als  Beispiele  in  concreto,  ich  mich  dort 
beziehen  und  so  den  Vortrag  faßlich  machen  könnte, 
ohne  doch  das  System  dadurch  anzuschwellen,  daß 
ich  diese  mit  in  dasselbe  zöge.  Diese  habe  ich  nun 
unter  dem  Titel:  Metaphysische  Anfangsgründe 
der  Naturwissenschaft  in  diesem  Sommer  fertig 
gemacht  und  glaube,  daß  sie  selbst  dem  Mathematiker 
nicht  unwillkommen  seyn  werde.  Sie  würden  diese 
Michaelsmesse  herausgekommen  seyn,  hätte  ich  nicht 
einen  Schaden  an  der  rechten  Hand  bekommen,  der 
mich  gegen  das  Ende  am  Schreiben  hinderte.  Das  Manu- 
skript muß  also  schon  bis  Ostern  liegen  bleiben"  (Brief 
V.  13.  Sept.  1785)**)  Bd.  I  S.  382.  Einige  Wochen 
darauf  schxeibtHartknoch  anKant:  „Es  wäre  doch  besser 
gewesen,  wenn  Sie  Ihrem  ersten  Entschlüsse  gefolgt 
wären  u.  die  fertig  liegende  Abhandlung  an  HEn. 
Grunert  nach  Halle  geschickt  hätten.  Ich  weiß  zwar, 
daß  er  Sie  sowohl  mit  dem  Proleg.  als  mit  der  Metaph. 
der  Sitten  lange  aufgehalten  hat:  allein  das  wird  nicht 
mehr  geschehen,  nachdem  ich  es  ihm  verwiesen  .  .  . 
Da  Sie  indessen  Ihre  Meinung  geändert  haben,  so  bitte 
ergebenst,  das  Werk  auf  Neujahr  dem  HEn.  Grunert 
zuzusenden,  damit  es  zeitig  zur  Ostermesse  fertig  wer- 
den. Es  kann  auch  früher  geschehen,  wenn  Sie  es  be- 
fehlen," Bd.  I  S.  387.  Kant  scheint  jedoch  noch  gegen 
Ende  des  Jahres  1785  an  der,  wie  aus  diesen  Briefen  her- 
vorgeht, schon  druckfertigen  Schrift  gearbeitet  zu  haben; 
er  erwähnt  nämlich  in  der  Vorrede  eine  Rezension  der 
Institutiones  Logicae  et  Metaph.  des  Herrn  Professor 
Ulrich  in  Nr.  295  der  Allgemeinen  Literatur-Zeitung; 

*)  Dieser  hier  versprochene  Anhang  fehlt  in  den  Meta- 
physischen Anfangsgründen  der  Naturwissenschaft  und  ist  nicht 
erschienen.  Über  die  Gi'ünde  die  Kant  veranlaßt  haben 
mögen,  ihn  zu  unterdrücken  vergl.  Gregor  Itelson :  Zur  Ge- 
schichte des  psychophysischen  Problems.  Archiv  für  Ge- 
schichte der  Philos.,  Bd.  III,  1890,  S.  283—290. 
**)  a.  o.  a.  0.     S.  383. 


XXVIII  Einleitung. 

diese  aber  trägt  das  Datum  vom  13.  Dezember  1785*), 
Die  Metaphysischen  Anfangsgründe  gelangten  1786 
in  Riga  bei  Joh.  Friedr.  Hartknoch  zur  Ausgabe  und 
sind  im  Meßkatalog  dieses  Jahres  unter  den  neu- 
erschienenen Werken  angekündigt**). 

Borowski,  der  über  die  früheren  Schriften  mancher- 
lei Einzelheiten  mitteilt,  weiß  über  diese  nicht  viel 
zu  berichten  und  beschränkt  sich  auf  eine  ganz  kurze 
Inhaltsangabe  des  Werkes  (a.  o.  a.  0.  S.  75).  Über- 
haupt scheinen  die  Metaphysischen  Anfangsgründe  bei 
iiirem  Erscheinen  nur  wenig  beachtet  worden  zu  sein. 
Professor  Beiiring  in  Marburg  hatte  zwar  eine  Vor- 
lesung über  sie  angekündigt,  allein  eine  Kabinetts- 
order untersagte  für  den  Winter  alle  Vorlesungen  über 
die  Kantischen  Lehrbücher,  und  zugleich  wurde,  wie 
Behring  Kant  in  einem  Schreiben  mitteilt,  „der  dorti- 
gen philosophischen  Fakultät  aufgegeben,  binnen  einem 
Vierteljahre  zu  berichten:  was  von  Kants  Schriften 
überhaupt  zu  halten,  insbesondere,  ob  solche  zum 
Skeptizismus  Anlaß  gäben,  mithin  die  Gewißheit  der 
menschlichen  Erkenntnis  untergrüben"  (21,  Sept.  1786, 
Briefwechsel  a,  o,  a,  0,  L,  S,  442),  Aber  von  da  ab 
finden  wir  die  Schrift  nur  noch  ganz  selten  erwähnt***). 
Es  erschienen  wohl  zwei  Auszüge  aus  diesem  Werke, 
deren  einer  von  Schulz,  der  andere  von  Siegismund 
Beck  herrührte;  allein  noch  1795  klagt  Kiesewetter  in 
einem  Schreiben  an  Kant:  „Es  ist  mir  eine  sehr  auf- 
fallende Erscheinung,  daß,  so  sehr  man  Ihre  übrigen 
Schriften  genützt,  erklärt,  ausgezogen,  erläutert  u.s.w, 
hat,  sich  doch  nur  sehr  wenige  bis  jetzt  erst  mit  den 
metaph.  Anfangsgründen  der  Naturwissenschaft  be- 
schäftigt haben.  Ob  man  den  unendlichen  Wert  dieses 
Buchs  nicht  einsieht,  oder  ob  man  es  zu  schwierig 
findet,  weiß  ich  nicht.  Mir  ist  bis  jetzt  keine  Be- 
arbeitung dieses  Werkes  bekannt,  als  der  vortreff- 
liche  Auszug   aus    demselben    vom   HE,    Hofprediger 


*)  Siehe  A.  Höfler,  Akad.  Ausg.,  Bd.  IV,  S.  635  u.  638  f. 

**)  a.  0.  a.  0. 

***)  Vgl.  den  Brief  von  Hellwag  1790  und  Kants  Antwort 

darauf  II.  221  u.  232  f     sowie  den  Briefwechsel  mit  Sigis- 

mund  Beck,  vor  allem  ein  Schreiben  Kants  v.  1792,  II.  381, 


Einleitung.  XXIX 

Schulz  in  der  allgemeinen  Litteraturzeitung  und  der 
erläuternde  Auszug  vom  HE.  Mag.  Beck,  den  ich  aber 
bis  jetzt  noch  nicht  gelesen  habe.  Sollte  es  dem  Pu- 
blico  nicht  angenehm  sein,  wenn  ein  Commentar  über 
dies  Werk  erschiene?  mir  hat  es  unter  allen  Ihren 
Schriften  die  meiste  Mühe  gemacht,  u.  ich  denke  noch 
mit  großer  Dankbarkeit  daran,  daß  ich  das  völlige 
Verstehen  desselben  Ihrem  mündlichen  Unterricht 
schuldig  bin"*);  und  am  20.  April  1796  schreibt 
Jenißch:  „Worin  ist  die  Ursache  zu  suchen,  daß  eine 
große  Masse  wichtiger  und  höchst  fruchtbarer  Ideen 
in  den  unsterblichen  Werken  Ihres  Geistes  unbeleuch- 
tet, ungeprüft  und  am  allermeisten  ungebraucht  und 
ungenutzt  daliegt?  Die  Ursache,  daß  einiger  Ihrer 
Werke,  daß  z.  B.  der  metaphysischen  Anfangsgründe 
der  Naturlehre  von  den  erklärtesten  Anhängern  Ihres 
Systems  kaum  erwähnt  wird?  .  .  .  Herr  Magister 
Beck,  ein  ebenso  gründlicher  und  kenntnisvoller,  als 
bescheidener  Denker,  hat  nur  vor  einiger  Zeit  und 
nicht  ohne  Glück  angefangen,  dies  äußerst  wichtige 
Werk  zu  erläutern"**).  Dagegen  war  die  Wirkung 
der  Schrift  auf  die  nachfolgenden  Generationen  um 
so  tiefer.  Sie  übte  einen  mächtigen  Einfluß  auf  die 
neu  entstandene  Richtung  der  Naturphilosophie,  auf 
Schelling  und  Hegel  einerseits,  und  Fries  und  Apelt 
andererseits  aus.  Mit  Recht  schreibt  Rosenkranz:  „will 
man  die  Bedeutsamkeit  der  Kant'schen  Dynamik  recht 
erkennen,  so  muß  man  erwägen,  daß  die  Schellingsche 
Construktion  der  Materie  ohne  sie  unmöglich  gewesen 
wäre",  und  Hegel  erklärt  in  seiner  Enzyklopädie:  „Kant 
hat  unter  andern  auch  das  Verdienst,  durch  seinen 
Versuch  einer  sogenannten  Konstruktion  der  Materie 
in  seinen  metaphysischen  Anfangsgründen  der  Natur- 
wissenschaft, den  Anfang  zu  einem  Begriff  der  Materie 
und  mit  diesem  Versuch  den  Begriff  einer  Naturphilo- 
sophie wieder  erweckt  zu  haben."  Seitdem  ist  das 
Interesse  für  dieses  Kantische  Werk  dauernd  lebendig 
geblieben.  1828  widmete  ihm  Herbart  in  seiner 
allgemeinen  Metaphysik  eine  ausführliche  Rezension, 


*)  Bd.  III,  S.  23. 
*)  Bd.  III,  S.  76. 


XXX  Einleitung. 

und  so  wirkte  es  auch  von  da  ab  weiter  fort  bis  hinein 
in  die  philosophische  Diskussion  der  neuesten  Zeit. 

Allein  das  Lob  Hegels  ist  zweideutig.  Der  Übergang 
von  Kants  metaphysischen  Anfangsgründen  zur  nach- 
kantischen  Naturspekulation  ist  nicht  homogen.  Die 
Grenze,  die  Kant  in  diesem  Werke  zwischen  Philosophie 
und  Wissenschaft  zog,  ist  keineswegs  zufällig,  sondern 
zieht  zugleich  einen  scharfen  Trennungsstrich  zwischen 
der  ersteren  und  aller  sogenannten  Naturphilosophie. 
Die  Unterscheidung,  die  Kant  zwischen  Weg  und  Auf- 
gabe der  Wissenschaft  errichtete,  wehrt  auch  alle  spe- 
kulativen Abenteuer  und  Scheinlösungen  ab,  an  denen 
sich  die  philosophische  Romantik  berauschte,  und  be- 
zeichnet prägnant  den  Punkt,  wo  Wissenschaft  und  Be- 
griffsdichtung sich  scheiden.  Wohl  ist  die  Form  der 
Wissenschaft  durch  die  Bedingungen  und  das  Ideal 
der  Erkenntnis  bestimmt,  wie  sie  in  der  Kritik  der 
reinen  Vernunft  aufgestellt  waren,  und  die  Konstituen- 
tien  des  Erkenntnisbegriffes  sind  demnach  maß-  und 
gesetzgebend  für  den  Gegenstand  —  sie  sind  die  allge- 
meinen Schemata  für  die  Naturgesetze.  Doch  die  Ge- 
setze müssen  sich  konkretisieren,  am  Besonderen  und 
Einzelnen  in  Funktion  setzen  und  in  der  unendlichen 
Spezifikation  der  Natur  die  Einheit  des  logischen 
Bandes  herstellen.  Dieser  Weg  der  Durchdringung 
von  Gesetz  und  Einzelobjekt  geht  durch  eine  Unend- 
lichkeit von  Ansätzen  und  Hypothesen,  Versuchen  und 
Experimenten,  mit  deren  Hilfe  die  exakte  Wissenschaft 
vorwärts  schreitet,  er  geht  durch  die  Schule  der  Ma- 
thematik und  nicht  durch  vage  Analogien  und  Be- 
griffskünsteleien, die  die  Kontrolle  der  wissenschaft- 
lichen Methoden  ignorieren.  Zwar  sind  diese  Experi- 
mente und  Hypothesen  selbst  wiederum  Einzelanwen- 
dungen allgemeiner  Erkenntnisgrundsätze,  aber  unter 
Zugrundelegung  neuer  Bedingungen,  die  wohl  poten- 
tiell in  ihnen  angelegt,  doch  zugleich  durch  die 
Eigenart  der  zu  lösenden  Probleme  bestimmt  sind. 
Damit  haftet  ihnen  ein  Moment  des  Willkürlichen 
und  Hypothetischen  an,  das  seinerseits  wieder  von 
einer  tieferen  fundamentaleren  Setzung  seine  Be- 
gründung erwartet,  ein  Regressus,  der  nie  abbricht 
und    nie    sein    Ende    erreicht,     sondern    der    Uner- 


Einleitung.  XXXI 

schöpflichkeit  der  Denkfunktion  gemäß  selbst  unab- 
lässig weitergeht.  Das  ist  der  Sinn  des  Empi- 
rischen der  Erkenntnis,  mjt  dem  allererst  der  Über- 
gang von  den  reinen  Begriffen  und  Grundsätzen  zur 
eigentlichen  Naturwissenschaft  gewonnen  wird:  von 
diesem  Übergang  handeln  die  Metaphysischen  Anfangs- 
gründe. Sie  beobachten  das  Stadium  des  Erkennens, 
wo  es,  gleichsam  von  der  ersten  empirischen  Setzung 
befruchtet,  seinen  Ausgangspunkt  und  Weg  bis  mitten 
hinein  in  die  Materie  des  Vielen  und  Mannigfaltigen 
antritt.  Eins  der  ersten  und  allgemeinsten  Gebiete,  das 
es  hierbei  berührt  und  das  schon  ein  Element  des  Kon- 
kreten enthält,  ist  die  Mechanik;  allein  das  Konkrete 
selbst,  das  sie  enthält,  unterliegt  darum  doch  den 
notwendigen  Bestimmungen  des  Allgemeinen,  dessen 
Konkretes  es  ist.  Es  ist  die  Aufgabe  der  metaphysischen 
Anfangsgründe,  diese  notwendigen  Bestimmungen  im 
einzelnen  und  im  besonderen  zu  entwickeln  —  eine 
Aufgabe,  die  hier  zuerst  eine  vorbildliche  Formulie- 
rung gefunden  hat.  Gewiß  ist  auch  bei  diesem  Werk 
die  Zeit  über  so  manche  von  den  Ausführungen  und 
besonderen  Definitionen,  Sätzen  und  Lehrsätzen  hinaus- 
geschritten, allein  das  Problem,  das  Postulat,  das  in  ihm 
aufgestellt  ist,  hat  sie  nirgends  und  in  keinem  Punkte 
erschüttert,  es  ist  vielmehr  seitdem  nur  noch  aktueller 
und  dringlicher  geworden.  Dieses  Postulat  besteht  in 
der  Forderung  einer  unausgesetzten  Annäherung  an  das 
Ideal  wissenschaftlicher  Gründlichkeit  und  Exaktheit. 

Was  aber  der  Naturwissenschaft  die  Exaktheit  ver- 
leiht, das  ist  die  Mathematik  —  in  diesem  Satze  gipfelt 
der  Grundsinn  der  berühmten  Vorrede  zu  Kants  meta- 
physischen Anfangsgründen.  Erst  in  der  Mathematik, 
in  dem  festen  Größengefüge,  treten  die  Dinge  in 
Reih'  und  Glied,  werden  sie  aus  der  schwankenden 
Vieldeutigkeit  herausgehoben  und  zur  strengen  Ein- 
deutigkeit determiniert.  Es  ist  ein  Grundgedanke  der 
neuen  Zeit,  dem  die  moderne  Wissenschaft  ihre  größten 
Erfolge  verdankt,  der  hier  von  Kant  ausgesprochen 
und  in  aller  Strenge  bewiesen  wird. 

Mit  sicherem  Blicke  hat  Kant  die  wichtigen  Pro- 
bleme der  exakten  Naturwissenschaft  hervorgehoben 
und    ausgezeichnet    und    die    Punkte    bloßgelegt,    an 


XXXII  Einleitung. 

denen  diese  noch  der  genaueren  Begründung  und 
Vertiefung  bedarf.  Das  Gebiet  der  Mechanik  ist  die 
Lehre  von  den  Bewegungen  eines  Massenpunktes. 
Die  reine  Bewegung  eines  solchen  Punktes,  unter  Ab- 
straktion von  ihrer  Verursachung,  und  ihre  Subsumtion 
unter  dem  Begriff  der  Größe,  ist  der  Gegenstand  des 
ersten  Abschnittes:  der  Phoronomie,  deren  Hauptstück 
von  der  Zusammensetzung  der  Geschwindigkeiten  han- 
delt. Hier  rührt  Kant  an  eine  Frage,  die  von  den 
Physikern  meist  rein  dogmatisch  oder  axiomatisch 
entschieden  wird.  Daß  Geschwindigkeiten  addiert 
werden  können,  wie  andre  numerische  Größen,  daran 
wird  gar  nicht  gezweifelt.  Kant  aber  deckt  die 
Schwierigkeit  einer  solchen  Addition  auf  und  versucht 
sie  zu  lösen.  Denn  daß  die  Strecke,  die  ein  Punkt. 
in  einer  Sekunde  mit  zwei  gleichzeitig  an  ihm  wirken- 
den Geschwindigkeiten  durchläuft,  gleich  der  Strecke 
ist,  die  er  durchlaufen  müßte,  wenn  er  sich  in  der 
ersten  Sekunde  mit  der  einen,  und  in  der  folgenden 
mit  der  zweiten  Geschwindigkeit  bewegte,  ist  keines- 
wegs selbstverständlich.  Kant  zeigt  nun,  daß  diese 
Gleichsetzung  beider  Bewegungen  in  der  Tat  in  einem 
Falle  denkbar  und  darum  möglich  ist.  Er  läßt  die  Be- 
wegnngsresultante  nach  einem  bestimmten  Verfahren 
aus  ihren  Komponenten  entstehen,  womit  er  uns  zugleich 
ein  instruktives  Beispiel  für  die  Methode  vorführt,  die  er 
Konstruktion  eines  Begriffs  in  der  Anschauung  nennt. 
—  Noch  wichtiger  als  dieser  erste  Teil  ist  der  zweite: 
die  Dynamik,  der  auch  durch  seine  Wirkung  auf  die 
folgende  Zeit  von  großer  Bedeutung  ist.  Er  enthält 
den  Versuch,  die  Materie  selbst  aus  Kräften  zu  kon- 
struieren, d.  h.  den  unklaren  und  verworrenen  Begriff 
des  Materiellen  auf  die  exakte  Vorstellung  wirkender 
Kräfte  oder  Bewegungsgesetze  zurückzuführen;  der 
erste  Ansatz  zu  dieser  Konstruktion  findet  sich  be- 
reits in  der  Physischen  Monadologie  (Philosoph.  Bibl, 
Bd.  49,  S.  341)  vor,  in  der  Kant  allerdings  noch  für 
eine,  an  Boscowichs  Theorie  erinnernde  Vorstellung 
von  Kraftzentren  oder  Punkten  eintritt.  Das  spätere 
Werk  dagegen  bricht  endgültig  mit  jeder  Art  der  Ato- 
mistik, selbst  mit  der  dynamischen,  wie  Kant  sie  noch 
in  der  physischen  Monadologie  gelehrt  hatte.  Die  abso- 


Einleitung.  XXXIIl 

luten  Bestimmungen  sind  von  nun  ab  aus  der  Physik 
verbannt,  da  sie  im  Widerspruch  mit  dem  Funktions- 
charakter der  Erkenntnis  stehen  und  auf  letzte  starre 
Daten  führen.  Und  endlich  wird  auch  die  Kraft  jedes 
Anthropomorphismus  entkleidet  und  in  einen  gesetz- 
lichen Abfluß  mathematischer  Bestimmungen  aufge- 
löst. —  Auch  diese  Idealisierung  des  Begriffs  der 
Materie,  wie  sie  sich  in  der  Dynamik  vollzieht,  liegt 
ganz  in  der  Richtung  modernster  Tendenzen,  die  in 
der  Reduktion  derponderabelnMasse  auf  Verschiebungen 
elektrischer  Energiequanta  ihren  Ausdruck  finden. 

Der  dritte  Abschnitt:  die  Mechanik,  bringt  eine 
kritische  Erörterung  und  Deduktion  der  wichtigsten 
mechanischen  Prinzipien:  vor  allem  der  drei  Newton- 
schen  Leges,  die  allerdings  auf  zwei  Sätze  zu- 
sammengezogen sind,  dafür  aber  durch  ein  weiteres 
Prinzip:  das  der  Konstanz  der  Masse  ergänzt  werden. 
Von  besonderem  Interesse  ist  der  Fortschritt,  den 
Kant  hier  in  der  Formulierung  des  Trägheitsprinzips 
über  seine  vorkritischen  Schriften  hinaus  vollzieht. 
Sein  wichtigstes  Ergebnis  ist  die  Eliminierung  der 
Trägheitskraft,  die  ihn  in  seiner  Erstlingsschrift  „Über 
die  wahre  Schätzung  der  lebendigen  Kräfte"  nicht  zur 
Klarheit  durchdringen  und  auch  das  richtige  Ver- 
ständnis für  das  Prinzip  der  Wechselwirkung  ver- 
fehlen ließ.  Kant  faßt  dort  die  Trägheit  als  eine 
positive  innerliche  Potenz  des  Körpers,  mit  der  er  sich 
andrängenden  Bewegungen  widersetzt  und  einem  Teil 
ihrer  Kräfte  die  Wage  hält,  und  er  kennt  noch  freie 
und  ungehemmte  Bewegungen,  die  zu  ihrer  Erhaltung 
einer  besonderen  Kraft  bedürfen.  Dieser  Mangel  wird 
in  der  Physischen  Monadologie  durch  Gleichsetzung 
von  Trägheitskraft  und  Masse  verbessert,  und  in  der 
Schrift:  „Neuer  Lehrbegriff  der  Bewegung  und  der 
Ruhe"  (Philosoph.  Bibl.  Bd.  49,  S.  395)  überwunden, 
aber  auch  hier  noch  sucht  Kant  nach  einem  Ersatz 
für  die  Trägheitskraft*).  Erst  die  metaphysischen 
Anfangsgründe  bringen  die  prinzipielle  Klärung,  indem 


*)  Eine  ausführliche  Darstellung  dieser  Entwickelung 
gibt  Dr.  Günther  Thiele:  Die  Philosophie  Immanuel 
Kants  u.  v.  a.     Halle,  Niemeyer,  1882  u.  1887. 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     I.  0 


XXXIV  Einleitung. 

sie  das  Trägheitsgesetz  an  Stelle  der  Trägheitskraft 
setzen  und  damit  zugleich  eine  einwandfreiere  Formel 
für  das  dritte  Prinzip,  die  Wechselwirkung  gewinnen. 
Der  vierte  Teil,  die  metaphysischen  Anfangsgründe 
der  Phänomenologie  beschäftigt  sich  mit  den  modalen 
Bestimmungen  der  naturwissenschaftlichen  Grundsätze. 
Die  interessantesten  und  wichtigsten  Abschnitte  dieses 
Teils  handeln  von  dem  absoluten  und  relativen  Raum 
und  der  absoluten  und  relativen  Bewegung.  Da  der 
Raum  selbst  unter  den  Begriff  der  Relation  fällt  und 
die  Bewegung  immer  eine  Veränderung  räumlicher 
Verhältnisse  ist,  so  muß  an  der  Relativität  beider 
festgehalten  werden.  Daß  kein  Subjekt  der  Bewegung 
als  unwiderruflich  letztes,  keine  Verrückung  in  einem 
begrenzten  Räume  als  endgültig  betrachtet  werde,  daß 
vielmehr  die  Möglichkeit  einer  Korrektur  und  einer 
Beziehung  auf  immer  neue  erweiterte  Räume  stets 
offen  bleibe,  dafür  wird  die  Idee  des  absoluten  Rau- 
mes, als  Bürgschaft  des  ungehemmten  Erkenntnisfort- 
schrittes aufgerichtet.  Trotzdem  aber  muß  zwischen 
den  willkürlichen  Verschiebungen  der  Kinematik  (Pho- 
ronomie)  und  den  eindeutigen  Bewegungsvorgängen 
der  Mechanik  unterschieden  werden.  Newton  hatte  die 
Ermittelung  absoluter  Bewegungen  als  nicht  ganz 
hoffnungslos  bezeichnet.  Die  Phänomene  der  Kreisbe- 
wegung könnten  es  nach  ihm  ermöglichen,  etwa  auf 
Grund  von  Fadenspannungen  oder  anderen  Wirkungen 
der  Zentrifugalkraft  den  eigentlichen  Träger  der  Be- 
wegung zu  entdecken  und  die  Ortsveränderung  einem 
bestimmten  Punkte  zuzuschreiben.  Kant  löst  diese 
Schwierigkeit  durch  die  Unterscheidung,  die  er  zwi- 
schen wahrer  und  absoluter  Bewegung  macht. 
Gewiß  führen,  und  sollen  die  Gesetze  der  Mechanik 
auf  eine  eindeutige  Verteilung  der  Bewegung  an  die 
materiellen  Punkte  führen;  allein  auch  so  noch  bleibt 
die  Kreisbewegung  die  Veränderung  einer  Relation, 
und  somit  relativ  zu  einem  Punkt,  der  wiederum 
ruhig  und  bewegt  sein  kann,  und  so  ins  Unendliche. 
Die  Bewegung  erfordert  zu  ihrer  Bestimmbarkeit  immer 
mindestens  das  Verhältnis  zweier  Punkte,  und  eine 
Bewegung  im  leeren,  d.  h.  in  einem  Räume,  in  dem 
außer  dem  Bewegten  kein  zweiter  Punkt  gegeben  wäre, 


Einleitung.  XXXV 

liegt  außerhalb  der  Grenzen  des  Erkennbaren.  Will 
man  jedoch  unter  wahrer  Bewegung  gerade  das  ver- 
stehen, was  mit  der  absoluten  Bewegung  gemeint  sei, 
so  ist  zu  bedenken,  daß  wir  unter  Zugrundelegung 
der  Gesetze  der  Mechanik  wohl  zur  Feststellung  sol- 
cher Bewegungen  gelangen  könnten,  die  aber  gerade 
darum  relativ  zu  jenen  Gesetzen  blieben,  welche 
selbst  keineswegs  unbedingte  und  unumstößliche  Gel- 
tung beanspruchen,  sondern  mit  teilnehmen  an  dem 
unendlichen  Progressus  der  Erkenntnis. 

So  reich  somit  Kants  Werk  an  fruchtbaren  Ge- 
danken und  Gesichtspunkten  ist,  die  auch  für  unsere 
Zeit  noch  ihren  Wert  nicht  verloren  haben,  so  ist 
doch  andererseits  nicht  zu  vergessen,  daß  seine  An- 
schauungen etwas  einseitig  durch  das  Bild  der 
Wissenschaft  bedingt  und  bestimmt  sind,  im  Hinblick 
auf  welches  er  seine  Beweise  und  Deduktionen  unter- 
nahm. Es  sind  die  Newtonschen  Prinzipien,  die  er 
beständig  vor  Augen  hat  und  nach  denen  er  das  Modell 
der  Naturwissenschaft  formt,  und  dies  macht  es  er- 
klärlich, daß  darüber  gerade  die  Ansätze  zu  einer 
neuen  Entwickelung,  denen  wir  in  Kants  früheren 
Schriften  begegnen,  hier  zu  kurz  kommen  konnten. 
So  vermissen  wir  vor  allem  unter  Kants  Grundsätzen 
das  Prinzip  der  Erhaltung  der  Energie  und  den  neuen 
Kraftbegriff,  mit  dem  er  in  seinen  früheren  Schriften 
noch  ringt*),  um  ihn  zuletzt  gänzlich  zugunsten  der 
Newtonschen  Kräftemechanik  fallen  zu  lassen.  Auch 
an  der  Fernwirkung  nimmt  Kant  keinen  Anstoß,  wie 
ihm  überhaupt  Attraktion  und  Repulsion  der  durch- 
gängige Typus  aller  Kraftwirkungen  ist,  und  daher 
wird  ihm  ganz  folgerichtig  die  Mechanik  zur  höchsten 
und  letzten  Form  der  exakten  Naturwissenschaft,  neben 
der  den  andern  Gebieten  der  Physik  keine  Selbständig- 
keit zukommt.  Daß  gerade  in  dieser  Rangordnung 
noch  ein  Problem  liegen  konnte,  will  ihm  nicht  in 
den  Sinn.  Und  doch  hat  von  diesen  Fragen  die  neuere 
Naturwissenschaft  ihren  Ausgang  genommen.    Sie  hat 


*)  Vergl.  die  Nova  dilucidatio,  Bd.  46^,  S.  36f.,  die 
Schrift  über  die  negativen  Größen,  1763,  Bd.  46a,  S.  102f. 
u.  andre  Stellen. 


C* 


XXXVI  Literaturverzeichnis. 

in  der  Faradey-Maxwellschen  Theorie  prinzipiell  mit 
den  Fernkräften  gebrochen  und  damit  dem  Infinite- 
simalprinzip ausnahmslose  Geltung  verschafft,  sie 
hat  den  Kraftgedanken  durch  den  der  Energie  er- 
gänzt und  uns  in  unaufhaltsamem  Fortschritt  bis  an 
einen  Punkt  geführt,  wo  sich  der  Zweifel  selbst  an 
die  Newtonsche  Physik  und  an  die  altehrwürdigen 
mechanischen  Prinzipien  wagt.  Sie  hat  den  Anspruch 
der  Mechanik  auf  den  Titel  einer  Universalwissenschaft 
erschüttert,  und  die  neue  Elektrizitätslehre  rüstet  sich 
schon,  das  Erbe  jener  anzutreten.  Zugleich  aber  wirkt 
die  moderne  Energetik  in  konziliatorischer  Tendenz, 
indem  sie  den  Streit  um  den  Vorrang  der  einzelnen 
physikalischen  Disziplinen  für  gegenstandslos  erklärt 
und  die  Koordination  der  Energieformen  proklamiert. 
In  diesem  Kampf  der  Meinungen  können  uns  die  „Me- 
taphysischen Anfangsgründe"  freilich  keine  lösende 
Formel  bieten,  die  allen  Streit  und  alle  Gegensätze 
schlichtet;  eine  solche  soll  man  in  ihnen  auch  gar 
nicht  suchen.  Wohl  aber  können  sie  uns  lehren,  was 
gerade  heute  der  Wissenschaft  am  meisten  nottut,  wo 
ihre  alten  Stützen  und  Fundamente  wanken,  und  alles 
wieder  in  Fluß  gerät:  die  unermüdliche  Arbeit  an 
der  Begründung  und  Sicherstellung  der  Prinzipien  und 
der  Ernst  der  philosophischen  Gesinnung. 


Literaturverzeichnis. 

Lazarus  Bendavid:  Vorlesungen  über  die  Metaphy- 
sischen Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft.  Wien  1798.  — 
Joh.  Friedr.  Christoph  Gräffe:  Coramentar  über  eine  der 
schwersten  Stellen  in  Kants  Metaphysischen  Anfangsgründen 
der  Naturwissenschaft.  Celle  1798.  —  Joh.  Christoph 
Schwab:  Pinifung  der  Kantischen  Begriffe  von  der  Un- 
durchdringlichkeit, der  Anziehung  und  Zurückstoßung  der 
Körper  neust  einer  Darstellung  der  Hypothese  des  Herrn 
Le  Sage  über  die  mechanische  Ursache  der  allgemeinen 
Gravitation.  Leipzig  1808.  —  Jakob  Friedrich  Fries: 
Die  mathematische  Natiu-philosophie  nach  philosophischer 
Methode  bearbeitet.  Heidelberg  1822.  —  Friedr,  Gott- 
lieb  V.  Busse:    Metaphysische   Anfangsgründe   der   Natur- 


Literaturverzeichnis.  XXXVII 

Wissenschaft.  Dresden  und  Leipzig  1828  (Göthe  gewidmet). 
—  Johann  Friedrich  Herbart:  Allgemeine  Meta- 
physik. 1828  u.  1829.  Sechste  Abteilung.  Naturphilosophie 
von  Kant.  S.  440 — 488  (zitiert  nach  der  Ausgabe  von 
Hartenstein.  Dritter  Band,  erster  Teil  von  Herbarts  sämt- 
lichen Werken.  Leipzig  1851).  —  Georg  Wilhelm  Fried- 
rich Hegel  in  der  Wissenschaft  der  Logik,  Teil  1,  S.  201 
bis  208  (siehe  Hegels  Werke,  dritter  Band,  Berlin  1833).  — 
Schal  1er:  Geschichte  der  Naturphilosophie.  Halle  1846.  — 
Kuttner:  Historisch -genetische  Darstellung  von  Kants  An- 
sichten über  dieMaterie,  Dissertation.  Berlin  1881.  —  August 
Stadler:  Kants  Theorie  der  Materie,  Leipzig  1883  (die 
Hauptschrift  über  Kants  metaphysische  Anfangsgründe).  — 
Adolph  Stöhr:  Analyse  der  reinen  Naturwissenschaft 
Kants,  Wien  1884,  und  ferner:  Eine  Verteidigung  meiner 
Schrift  „Analyse  der  reinen  N.  usw."  gegen  Prof.  J.  Witte. 
Wien  1885.  —  P.  Tannery:  La  Theorie  de  la  Matiere. 
d'äpres  Kant.  Revue  Philosophique,  Bd.  19,  1885,  p.  26 
bis  46.  —  Dr.  Robert  Abendrot:  Das  Problem  der 
Materie.  Leipzig  1889  (eine  Schrift  allgemeineren  Inhalts, 
die  das  Problem  der  Materie  in  seiner  Beziehung  zur 
Philosophie  und  zur  Naturwissenschaft  vom  Standpunkt 
des  Kantischen  Kritizismus  behandelt,  ohne  doch  im  be- 
sonderen auf  Kants  „Metaphysische  Anfangsgründe"  ein- 
zugehen). —  Dr.  Hans  Keferstein:  Die  philosophischen 
Grundlagen  der  Physik  nach  Kants  „Metaphysischen  An- 
fangsgründen der  Naturwissenschaft"  und  dem  Manuskript 
„Übergang  von  den  Metaphysischen  Anfangsgründen  der 
Naturwissenschaft  zur  Physik".  Wissenschaftliche  Beilage 
der  höheren  Bürgerschule  vor  dem  Lübeckertore  in  Ham- 
burg zum  Bericht  über  das  Schuljahr  1891 — 1892.  Ham- 
burg 1892.  —  Arthur  Drews:  Kants  Naturphilosophie  als 
Grundlage  seines  Systems.  Berlin  1894.  —  Dr.  Alois 
Höfler:  Studien  zur  gegenwärtigen  Philosophie  der  Me- 
chanik, als  Nachwox't  zu  Kants  Metaphysischen  Anfangs- 
gründen der  Naturwissenschaft.  Leipzig  1900,  Veröifent- 
hchungen  der  Philosophischen  Gesellschaft  an  d'er  Universität 
zu  Wien,  Bd.  III b. 


Verzeichnis  der  Texte. 

1.  Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft 
von  Immanuel  Kant.  Riga,  bei  Johann  Friedrich  Hart- 
knoch,  1786,  XXIV  und  1  —  158  (A'). 

2.  Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft 
von  Immanuel  Kant.  Zweite  Auflage.  Riga,  bey  Johann 
Friedrich  Hartknoch,  1787,  XXIV  u.  1—158  (A"). 

3.  Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft 
von  Immanuel  Kant.  Dritte  Auflage.  Leipzig,  bei  Johann 
Friedrich  Hartknoch,  1800,  XXIV  und  1  —  126  (A'"). 

Diese  drei  Ausgaben  unterscheiden  sich  nur  durch  ganz 
wenige  und  unwesentliche  Änderungen  voneinander.  Von 
der  zweiten  Auflage  gibt  es,  wie  ich  der  Akademieausgabe 
entnehme,  außerdem  noch  einen  anderen  Druck,  auf  dessen 
Vorhandensein  der  Herausgeber  Höf  ler  durch  Menzer  auf- 
merksam gemacht  wurde.     Höfler  schreibt  dazu: 

„In  der  Tat  ergab  die  Vergleichung  aller  dem  Wormser 
Paulus-Museum  gehörenden  Ausgaben  und  Drucke,  daß  hier 
ein  ähnlicher  Fall  vorliege,  wie  er  in  Sachen  der  Prolego- 
menen  (im  vorliegenden  Bande  S.  607 — 616)  eingehend 
untersucht  wurde.  Es  mag  dahingestellt  bleiben,  ob  es  sich 
um  einen  unbefugten  Nachdruck  oder  um  einen  aus  irgend 
welchen  Gründen  wirklich  von  dem  Verleger  Hartknoch  be- 
werstelHgten  Neudruck  handelt.  Man  vergleiche  z.  B.  die 
peinlich  nachgeahmten  und  doch  nicht  unmerklich  verschie- 
denen Ziervignetten  des  Titelblattes  und  des  oberen  Randes 
der  Seiten,  ferner  die  ähnlichen,  aber  doch  nicht  gleichen 
Lettern  u.  dgl.  m.  Doch  stimmt  sonst  der  Satz,  wie  zahl- 
reiche Stichproben  zeigten,  sogar  in  der  Abteilung  der  Silben 
überein.  (Daß  sich  die  Nachahmung  sogar  auf  schiefstehende 
Lettern  erstreckt,  läßt  irgendwelche  mala  fides  vermuten.)" 

5.  Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft 
von  Immanuel  Kant.  Neueste  Auflage.  Frankfurt  und 
Leipzig  1794,  XXIV  und  1  —  148  (Nachdruck). 

6.  Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft 
von  Immanuel  Kant.    Neueste  Auflage.    Grätz  1796.    Dieser 


Verzeichnis  der  Texte.  XXXIX 

Druck  war  mir  nicht  zugänglich.  Höfler  (Akademieaus- 
gabe) sagt  über  ihn:  „Dem  Exemplar  der  Wiener  Univer- 
sitätsbibliothek ist  ein  Porträt  Kants  mit  der  Bezeichnung: 
Vernet  pinx.,  C.  Schindelmayer  beigefügt  (wieder  veröffent- 
licht in  den  Kantstudien,  Band  V,  vgl.S.  14Bf).  In  einem 
übrigens  ganz  gleichen  Exemplar  des  Wormser  Paulus- 
Museums  fehlt  dieses  Porträt"  (Akademieausgabe,  Bd.  IV, 
S.  637). 

7.  Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 
In:  Immanuel  Kants  Werke:  sorgfältig  revidierte  Gesamt- 
ausgabe in  zehn  Bänden  (herausgegeben  von  G.  Harten- 
stein) Achter  Band,  erste  Abteilung,  Nr.  VII,  S.  439—568. 
Leipzig  1838. 

8.  Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 
In:  Immanuel  Kants  Sämtliche  Werke.  Herausgegeben 
von  Karl  Rosenkranz  und  Friedr.  Wilh.  Schubert,  V.  Teil. 
Schriften  zur  Philosophie  der  Natur.  Nr.  VI,  S.  303—436. 
Leipzig,  Leopold  Voß,  18H9 

9.  Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 
In:  Immanuel  Kants  Sämtliche  AVerke  In  chronologischer 
Reihenfolge  herausgegeben  von  G-.  Hartenstein.  Vierter 
Band,  Nr.  XIII,  S.  355—462.    Leipzig,  Leopold  Voß,  1867. 

10.  Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissen- 
schaft. In:  Philosophische  Bibliothek.  Immanuel  Kants 
kleinere  Schriften  zur  Naturphilosophie.  Herausgegeben  und 
erläutert  von  I.  H  von  Kirchmann,  Band  49,  I.  Abteilung, 
Nr.  II,  S.  171—306.     BerHn,  Heimann,   1872. 

11.  Immanuel  Kant:  Metaphysische  Anfangsgründe  der 
Naturwissenschaft.  Neu  herausgegeben  mit  einem  Nach- 
wort: Studien  zur  gegenwärtigen  Philosophie  der  Mechanik 
von  Alois  Höfler.  In  den  Veröffentlichungen  der  Philoso- 
phischen Gesellschaft  an  der  Universität  zu  Wien.  Band  III  a, 
S.  1—104  und  Band  Illb,  S.  1  —  168  (Nachwort  von  Höfler). 
Leipzig,  Pfeffer,   1900. 

12.  Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft 
von  Immanuel  Kant.  In:  Kants  gesammelte  Schriften.  Her- 
ausgegeben von  der  Preußischen  Akademie  der  Wissen- 
schaften. Band  IV.  Erste  Abteilung:  Werke.  S.  465  bis 
565  und  635—651  (Erläuterungen  von  Höfler).  Berlin, 
Reimer,  1903. 


Varianten. 

Die  meisten  Textkorrekturen  und  Varianten  sind 
als  Anmerkungen  und  Fußnoten  im  Texte  selbst  ver- 
zeichnet. Ich  führe  nun  noch  eine  Reihe  weiterer  Än- 
derungen und  Vorschläge  zu  solchen  an,  die  in  den 
bisherigen  Ausgaben  nicht  enthalten  sind.  Die  großen 
Ziffern  bezeichnen  die  Zahl  der  Seiten,  die  kleinen  die 
der  Zeilen  in  unserer  Ausgabe  —  die  erste  Kolonne 
enthält  die  ursprüngliche  Fassung  der  Originaldrucke, 
die  zweite  die  vorgeschlagene  Korrektur. 

S.  65,  26:    seine  Wirkung  —  ihre  Wirkung? 

S.  67,  25:    Bestehungsplane  —  Beziehungsplane? 

S.  83,  33:    verstatteu  —  verstattet? 

S.  121,  8:    und  daselbst  —  und  daß  daselbst? 

S.  161,   12:    Materien,  deren  —  Materien  herrscht,  deren? 

S.  193,  33:    d.  i.  kein  Gesetz  —  d.  i.  sich  kein  Gesetz? 

S.  221,  15:  beiderseits  Richtungen  —  beiderseits  die 
Richtungen? 

S.  246,  1—  2 :  in  dem  Erfahrungsbegriffe  —  in  den  Er- 
fahrungsbegriff? 

S.  247,  14:    gemacht  wurde  —  gemacht  würde? 

S.  252,  30:    der  Dynamik,  d.  i.  —  der  Dynamik  aus,  d.  i.? 

S.  277,  2:    weil  diese  —  weil  dieser? 

S.  279,  34:    und,  da  er  —  und  daß,  da  er? 

Zum  Schluß  ist  es  mir  noch  eine  angenehme  Pflicht, 
Herrn  Dr.  Ernst  Cassirer  in  Berlin  für  seine  freund- 
liche Unterstützung  bei  der  Herstellung  dieser  Aus- 
gabe meinen  herzlichsten  Dank  auszusprechen, 

Charlottenburg,  den  30.  September  1909. 

Dr.  Otto  Buek. 


Inlialtsanzeige. 


Seite 

Vorwort  des  Herausgebers III 

Einleitung IV 

I.  Allg-emeine  Naturg:esehichte  und  Theorie  des 
Himmels,  oder  Versuch  tou  der  Verfassung  und 
dem  mechauischeu  Urspruug-e  des  ganzen  Welt- 
gehUudes  nach  Newtouischen  Grundsätzen  abge- 
handelt.   1755 1 

Zueignung 3 

Vorrede 7 

Inhalt  des  ganzen  Werkes 23 

Kurzer  Abriß  der  nötigsten  Grundbegriffe  der  Newtoni- 
schen Weltwissenschaft 31 

Erster  Teil.    Von  der  systematischen  Verfassung 

unter  den  Fixsternen 39 

Zweiter  Teil.  Von  dem  ersten  Zustande  der 
Natur,  der  Bildung  der  Himmelskörper,  den  Ur- 
sachen ihrer  Bewegung  und  der  systematischen 
Beziehung  derselben  sowohl  in  dem  Planeten- 
gebäude insonderheit,  als  auch  in  Ansehung  der 

ganzen  Schöpfung 55 

1.  Hauptstück.  Von  dem  Ursprünge  des  plane- 
tischen Weltbaues  überhaupt  und  den  Ur- 
sachen ihrer  Bewegungen 59 

2  Hauptstück.  Von  der  verschiedenen  Dichtig- 
keit der  Planeten  und  dem  Verhältnisse  ihrer 
Massen 68 

3.  Hauptstück.  Von  der  Exzentrizität  der 
Planetenkreise  und  dem  Ursprünge  der  Ko- 
meten   78 

4.  Hauptstück.  Von  dem  Ursprünge  der  Monde 
und  den  Bewegungen  der  Planeten  um  ihre 
Achse 85 

5.  Hauptstück.  Von  dem  Ursprünge  des  Ringes 
des  Saturns  und  der  Berechnung  der  täglichen 
Umdrehungen  dieses  Planeten  aus  den  Ver- 
hältnissen desselben 94 


XLII  Inhalteanzeige. 

Seite 

6.  Haupt  stück.     Von  dem  Zodiakallichte    .     .     112 

7.  Hauptstück.  Von  der  Schöpfung  im  ganzen 
Umfange  ihrer  Unendlichkeit,  sowohl  dem 
Räume,  als  der  Zeit  nach 114 

Zugabe  zum  7.  Hauptstück.  Allgemeine 
Theorie  und  Geschichte  der  Sonne  über- 
haupt     134 

8.  Hauptstück.  Allgemeiner  Beweiß  von  der 
Richtigkeit  einer  mechanischen  Lehrrerfassung, 
der  Einrichtung  des  "Weltbaues  überhaupt,  in- 
sonderheit von  der  Gewißheit  der  gegen- 
wärtigen   144 

Dritter  Teih  Welcher  einen  Versuch  einer  auf 
die  Analogien  der  Natur  gegründeten  Ver- 
gleichung  zwischen  den  Einwohnern  verschiedener 
Planeten  in  sich   enthält.  —  Anhang.     Von  den 

Bewohnern  der  Gestirne    . 167 

n.  Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissen- 
schaft.   1786 187 

Vorrede 189 

1.  Hauptstück.     Phoronomie 204 

2.  Hauptstück.     Dynamik 227 

3.  Hauptstück.     Mechanik 282 

4.  Hauptstück.     Phänomenologie 305 

Personenregister 321 

Sachregister 327 


Slllöcmeinc 


25  e  r  f  u  d^ 

»ort  t>tt  ^Jerfafiung  unb  fcem  mt^a^ 

nifc&en  Urfprunge 

nac^ 

3teU)tontfcben  ®runöfd§eii 

abgehandelt» 


Ä&nig^bcrg  iint  Seipjig/ 

fc«9  3o6ann  grieDericft  9)cCcrfen,  1755* 


Dem  Allerdlirchlauclitigsten 
Grossmächtigsten  Könige  und  Herrn 

Herrn 

Friederich, 

Könige  von  Preussen, 

Markgrafen  zu  Brandenburg, 

des  H.  R.  Reichs  Erzkämmerer  und  Kurfürsten, 

Souveränen  und  obersten  Herzoge  von  Schlesien  etc.  etc.  etc. 

Meinem  Allergnädigsten  Könige  und  Herrn 


1* 


AUerdurchlauchtigster, 
Großmächtigster  König, 
Allergnädigster 
König  und  Herr! 

Die  Empfindung  der  eigenen  Unwürdigkeit  und  der 
Glanz  des  Thrones  können  meine  Blödigkeit  nicht  so 
kleinmütig  machen,  als  die  Gnade,  die  der  allerhuld- 
reichste  Monarch  über  alle  seine  Untertanen  mit 
gleicher  Großmut  verbreitet,  mir  Hoffnung  einflößet, 
daß  die  Kühnheit,  der  ich  mich  unterwinde,  nicht  mit  10 
ungnädigen  Augen  werde  angesehen  werden.  Ich  lege 
hiemit  in  alleruntertänigster  Ehrfurcht  eine  der  ge- 
ringsten Proben  desjenigen  Eifers  zu  den  Füßen 
Ew.  Königl.  Majestät,  womit  Höchst  Dero  Aka- 
demien durch  die  Aufmunterung  und  den  Schutz  ihres 
erleuchteten  Souverains  zur  Nacheiferung  anderer 
Nationen  in  den  Wissenschaften  angetrieben  werden. 
Wie  beglückt  würde  ich  sein,  wenn  es  gegenwärtigem 
Versuche  gelingen  möchte,  den  Bemühungen,  womit 
der  niedrigste  und  ehrfurchtsvolleste  Untertan  unaus-  20 
gesetzt  bestrebt  ist,  sich  dem  Nutzen  seines  Vater- 
landes einigermaßen  brauchbar  zu  machen,  das  aller- 
höchste Wohlgefallen  seines  Monarchen  zu  erwerben. 
Ich  ersterbe  in  tiefster  Devotion 


Ew.  Königl.  Majestät 

_..    .  alleruntertänig'ster  Knecht 

Königsberg, 

den  14.  März  1755. 

der  Verfasser. 


Vorrede. 


Ich  habe  einen  Vorwurf  gewählet,  welcher  sowohl 
von  selten  seiner  Innern  Schwierigkeit,  als  auch  in 
Ansehung  der  Religion  einen  großen  Teil  der  Leser 
gleich  anfänglich  mit  einem  nachteiligen  Vorurteile  ein- 
zunehmen vermögend  ist.  Das  Systematische,  welches 
die  großen  Glieder  der  Schöpfung  in  dem  ganzen  Um- 
fange der  Unendlichkeit  verbindet,  zu  entdecken,  die 
Bildung  der  Weltkörper  selber  und  den  Ursprung  ihrer 
Bewegungen  aus  dem  ersten  Zustande  der  Natur  durch  10 
mechanische  Gesetze  herzuleiten:  solche  Einsichten 
scheinen  sehr  weit  die  Kräfte  der  menschlichen  Ver- 
nunft zu  überschreiten.  Von  der  andern  Seite  drohet 
die  Religion  mit  einer  feierlichen  Anklage  über  die 
Verwegenheit,  da  man  der  sich  selbst  überlassenen 
Natur  solche  Folgen  beizumessen  sich  erkühnen  darf, 
darin  man  mit  Recht  die  unmittelbare  Hand  des 
höchsten  Wesens  gewahr  wird,  und  besorget  in  dem 
Vorwitz  solcher  Betrachtungen  eine  Schutzrede  des 
Gottesleugners  anzutreffen.  Ich  sehe  alle  diese  20 
Schwierigkeiten  wohl  und  werde  doch  nicht  kleinmütig. 
Ich  empfinde  die  ganze  Stärke  der  Hindernisse,  die 
sich  entgegensetzen,  und  verzage  doch  nicht.  Ich 
habe  auf  eine  geringe  Vermutung  eine  gefährliche 
Reise  gewagt  und  erblicke  schon  die  Vorgebirge  neuer 
Länder.  Diejenigen,  welche  die  Herzhaftigkeit  haben, 
die  Untersuchung  fortzusetzen,  werden  sie  betreten 
und  das  Vergnügen  haben,  selbige  mit  ihrem  Namen  zu 
bezeichnen. 

Ich  habe  nicht  eher  den  Anschlag  auf  diese  Unter-  30 
nehmung  gefasset,  als  bis  ich  mich  in  Ansehung  der 
Pflichten   der   Religion    in    Sicherheit   gesehen    habe. 
Mein  Eifer  ist  verdoppelt  worden,  als  ich  bei  jedem 


8     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmelß. 

Schritte  die  Nebel  sich  zerstreuen  sähe,  welche  hinter 
ihrer  Dunkelheit  Ungeheuer  zu  verbergen  schienen, 
und  nach  deren  Zerteilung  die  Herrlichkeit  des  höchsten 
Wesens  mit  dem  lebhaftesten  Glänze  hervorbrach.  Da 
ich  diese  Bemühungen  von  aller  Sträflichkeit  frei  weiß, 
so  will  ich  getreulich  anführen,  was  wohlgesinnete  oder 
auch  schwache  Gemüter  in  meinem  Plane  anstößig 
finden  können,  und  bin  bereit,  es  der  Strenge  des  recht- 
gläubigen Areopagus  mit  einer  Freimütigkeit  zu  unter- 

10  werfen,  die  das  Merkmal  einer  redlichen  Gesinnung 
ist.  Der  Sachwalter  des  Glaubens  mag  demnach  zuerst 
seine  Gründe  hören  lassen. 

Wenn  der  Weltbau  mit  aller  Ordnung  und  Schön- 
heit nur  eine  Wirkung  der  ihren  allgemeinen  Be- 
wegungsgesetzen überlassenen  Materie  ist,  wenn  die 
blinde  Mechanik  der  Naturkräfte  sich  aus  dem  Chaos 
so  herrlich  zu  entwickeln  weiß  und  zu  solcher  Voll- 
kommenheit von  selber  gelanget,  so  ist  der  Beweis  des 
göttlichen  Urhebers,  den  man  aus  dem  Anblicke  der 

20  Schönheit  des  Weltgebäudes  ziehet,  völlig  entkräftet, 
die  Natur  ist  sich  selbst  genugsam,  die  göttliche  Re- 
gierung ist  unnötig,  Epikur  lebt  mitten  im  Christen- 
tume  wieder  auf,  und  eine  unheilige  Weltweisheit  tritt 
den  Glauben  unter  die  Füße,  welcher  ihr  ein  helles 
Licht  darreichet,  sie  zu  erleuchten. 

Wenn  ich  diesen  Vorwurf  gegründet  fände,  so  ist 
die  Überzeugung,  die  ich  von  der  Unfehlbarkeit  gött- 
licher Wahrheiten  habe,  bei  mir  so  vermögend,  daß 
ich    alles,    was    ihnen    widerspricht,    durch    sie    vor 

30  gnugsam  widerlegt  halten  und  verwerfen  würde.  Allein 
eben  die  Übereinstimmung,  die  ich  zwischen  meinem 
System  und  der  Religion  antreffe,  erhebet  meine  Zu- 
versicht in  Ansehung  aller  Schwierigkeiten  zu  einer 
unerschrockenen  Gelassenheit. 

Ich  erkenne  den  ganzen  Wert  derjenigen  Beweise, 
die  man  aus  der  Schönheit  und  vollkommenen  An- 
ordnung des  Weltbaues  zur  Bestätigung  eines  höchst- 
weisen Urhebers  ziehet.  Wenn  man  nicht  aller  Über- 
zeugung mutwillig  widerstrebet,  so  muß  man  so  un- 

40  widersprechlichen  Gründen  gewonnen  geben  a).    Allein 


a)  Vorschlag  Rehrbach:  „sich-gewonnen  geben". 


Vorrede.  9 

ich  behaupte:  daß  die  Verteidiger  der  Religion  da- 
durch, daß  sie  sich  dieser  Gründe  auf  eine  schlechte 
Art  bedienen,  den  Streit  mit  den  Naturalisten  ver- 
ewigen, indem  sie  ohne  Not  denselben  eine  schwache 
Seite  darbieten. 

Man  ist  gewohnt,  die  Übereinstimmungen,  die  Schön- 
heit, die  Zwecke  und  eine  vollkommene  Beziehung 
der  Mittel  auf  dieselbe  in  der  Natur  zu  bemerken 
und  herauszustreichen.  Allein  indem  man  die  Natur 
von  dieser  Seite  erhebet,  so  sucht  man  sie  anderer-  10 
seits  wiederum  zu  verringern.  Diese  Wohlgereimtheit, 
sagt  man,  ist  ihr  fremd,  sie  würde  ihren  allgemeinen 
Gesetzen  überlassen,  nichts  als  Unordnung  zuwege 
bringen.  Die  Übereinstimmungen  zeigen  eine  fremde 
Hand,  die  eine  von  aller  Regelmäßigkeit  verlassene 
Materie  in  einen  weisen  Plan  zu  zwingen  gewußt  hat. 
Allein  ich  antworte:  wenn  die  allgemeinen  Wirkungs- 
gesetze der  Materie  gleichfalls  eine  Folge  aus  dem 
höchsten  Entwürfe  sein,  so  können  sie  vermutlich  keine 
andere  Bestimmungen  haben,  als  die  den  Plan  von  selber  20 
zu  erfüllen  trachten,  den  die  höchste  Weisheit  sich  vor- 
gesetzet  hat;  oder  wenn  dieses  nicht  ist,  sollte  man 
nicht  in  Versuchung  geraten,  zu  glauben,  daß  wenigstens 
die  Materie  und  ihre  allgemeine  Gesetze  unabhängig 
wären,  und  daß  die  höchstweise  Gewalt,  die  sich  ihrer 
so  rühmlichst  zu  bedienen  gewußt  hat,  zwar  groß, 
aber  doch  nicht  unendlich,  zwar  mächtig,  aber  doch 
nicht  allgenugsam  sei? 

Der  Verteidiger  der  Religion  besorgt,  daß  die- 
jenigen Übereinstimmungen,  die  sich  aus  einem  natür-  30 
liehen  Hang  der  Materie  erklären  lassen,  die  Unab- 
hängigkeit der  Natur  von  der  göttlichen  Vorsehung 
beweisen  dürften.  Er  gesteht  es  nicht  undeutlich:  daß, 
wenn  man  zu  aller  Ordnung  des  Weltbaues  natürliche 
Gründe  entdecken  kann,  die  dieselbe  aus  den  allge- 
meinsten und  wesentlichen  Eigenschaften  der  Materie 
zustande  bringen  können,  so  sei  es  unnötig,  sich  auf 
eine  oberste  Regierung  zu  berufen.  Der  Naturalist 
findet  seine  Rechnung  dabei,  diese  Voraussetzung  nicht 
zu  bestreiten.  Er  treibt  aber  Beispiele  auf,  die  die  40 
Fruchtbarkeit  der  allgemeinen  Naturgesetze  an  voll- 
kommen  schönen   Folgen   beweisen,    und   bringt   den 


10        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Rechtgläubigen  durch  solche  Gründe  in  Gefahr,  welche 
in  dessen  Händen  zu  unüberwindlichen  Waffen  werden 
könnten.  Ich  will  Beispiele  anführen.  Man  hat  schon 
mehrmalen  es  als  eine  der  deutlichsten  Proben  einer 
gütigen  Vorsorge,  die  vor  die  Menschen  wacht,  an- 
geführt: dai3  in  dem  heißesten  Erdstriche  die  See- 
winde gerade  zu  einer  solchen  Zeit,  da  das  erhitzte  Erd- 
reich am  meisten  ihrer  Abkühlung  bedarf,  gleichsam 
gerufen  über  das  Land  streichen  und  es  erquicken. 

10  Z.  E.  In  der  Insel  Jamaika,  sobald  die  Sonne  so  hoch 
gekommen  ist,  daß  sie  die  empfindlichste  Hitze  auf  das 
Erdreich  wirft,  gleich  nach  9  Uhr  Vormittags,  fängt 
sich  an,  aus  dem  Meere  ein  Wind  zu  erheben,  der  von 
allen  Seiten  über  das  Land  wehet;  seine  Stärke  nimmt 
nach  dem  Maße  zu,  als  die  Höhe  der  Sonne  zunimmt. 
Um  1  Uhr  Nachmittages,  da  es  natürlicherweise  am 
heißesten  ist,  ist  er  am  heftigsten  und  läßt  wieder  mit 
der  Erniedrigung  der  Sonne  allmählich  nach,  so  daß 
gegen    Abend    eben    die    Stille    als    beim    Aufgange 

20  herrschet.  Ohne  diese  erwünschte  Einrichtung  würde 
diese  Insel  unbewohnbar  sein.  Eben  diese  Wohltat  ge- 
nießen alle  Küsten  der  Länder,  die  im  heißen  Erd- 
striche liegen.  Ihnen  ist  es  auch  am  nötigsten,  weil 
siea),  da  sie  die  niedrigsten  Gegenden  des  trockenen 
Landes  sein,  auch  die  größte  Hitze  erleiden;  denn  die 
höher  im  Lande  befindliche  Gegenden,  dahin  dieser  See- 
wind niclit  reichet,  sind  seiner  auch  weniger  benötigt, 
weil  ihre  höhere  Lage  sie  in  eine  kühlere  Luftgegend 
versetzet.    Ist  dieses  nicht  alles  schön,  sind  es  nicht 

30  sichtbare  Zwecke,  die  durch  klüglich  angewandte  Mittel 
bewirket  worden?  Allein  zum  Widerspiel  muß  der  Natu- 
ralist die  natürlichen  Ursachen  davon  in  den  allge- 
meinsten Eigenschaften  der  Luft  antreffen,  ohne  be- 
sondere Veranstaltungen  deswegen  vermuten  zu  dürfen. 
Er  bemerket  mit  Recht,  daß  diese  Seewinde  solche 
periodische  Bewegungen  anstellen  müssen,  wenngleich 
kein  Mensch  auf  solcher  Insel  lebete,  und  zwar  durch 
keine  andere  Eigenschaft,  als  die  der  Luft  auch  ohne 
Absicht  auf  diesen  Zweck  bloß  zum  Wachstum  der 

40  Pflanzen   unentbehrlich   vonnöten   ist,    nämlich   durch 


a)  Fehlt  in  A.  corr.  Rosenkranz. 


Vorrede.  1 1 

ihre  Elastizität  und  Schwere.  Die  Hitze  der  Sonne  hebet 
das  Gleichgewicht  der  Luft  auf,  indem  sie  diejenige 
verdünnet,  die  über  dem  Lande  ist,  und  dadurch  die 
kühlere  Meeresluft  veranlasset,  sie  aus  ihrer  Stelle  zu 
heben  und  ihren  Platz  einzunehmen. 

Was  vor  einen  Nutzen  haben  nicht  die  Winde  über- 
haupt zum  Vorteile  der  Erdkugel,  und  was  vor  einen 
Gebrauch  macht  nicht  der  Menschen  Scharfsinnigkeit 
aus  denselben;  indessen  waren  keine  andere  Einrich- 
tungen nötig,  sie  hervorzubringen,  als  dieselbe  allge-  lo 
meine  Beschaffenheit  der  Luft  und  Wärme,  welche 
auch  unangesehen  dieser  Zwecke  auf  der  Erde  befind- 
lich sein  mußten. 

Gebt  ihr  es,  sagt  allhier  der  Freigeist,  zu:  daß, 
wenn  man  nützliche  und  auf  Zwecke  abzielende  Ver- 
fassungen aus  den  allgemeinsten  und  einfachsten  Natur- 
gesetzen herleiten  kann,  man  keine  besondere  Re- 
gierung einer  obersten  Weisheit  nötig  habe,  so  sehet 
hier  Beweise,  die  euch  auf  eurem  eigenen  Geständ- 
nisse ertappen  werden.  Die  ganze  Natur,  vornehm-  20 
lieh  die  unorganisierte,  ist  voll  von  solchen  Beweisen, 
die  zu  erkennen  geben,  daß  die  sich  selbst  durch  die 
Mechanik  ihrer  Kräfte  bestimmende  Materie  eine  ge- 
wisse Richtigkeit  in  ihren  Folgen  habe  und  den 
Regeln  der  Wohlanständigkeit  ungezwungen  genug 
tue.  Wenn  ein  Wohlgesinneter,  die  gute  Sache  der 
Religion  zu  retten,  diese  Fähigkeit  der  allgemeinen 
Naturgesetze  bestreiten  will,  so  wird  er  sich  selbst 
in  Verlegenheit  setzen  und  dem  Unglauben  durch 
eine  schlechte  Verteidigung  Anlaß  zu  triumphieren  30 
geben. 

Allein  laßt  uns  sehen,  wie  diese  Gründe,  die  man 
in  den  Händen  der  Gegner  als  schädlich  befürchtet, 
vielmehr  kräftige  Waffen  sind,  sie  zu  bestreiten.  Die 
nach  ihren  allgemeinsten  Gesetzen  sich  bestimmende 
Materie  bringt  durch  ihr  natürliches  Betragen,  oder 
wenn  man  es  so  nennen  will,  durch  eine  blinde  Mechanik 
anständige  Folgen  hervor,  die  der  Entwurf  einer 
höchsten  Weisheit  zu  sein  scheinen.  Luft,  Wasser, 
Wärme  erzeugen,  wenn  man  sie  sich  selbst  überlassen  40 
betrachtet.  Winde  und  Wolken,  Regen,  Ströme,  welche 
die  Länder  befeuchten,  und  alle  die  nützlichen  Folgen, 


1 2        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels 

ohne  welche  die  Natur  traurig,  öde  und  unfruchtbar 
bleiben  müßte.  Sie  bringen  aber  diese  Folgen  nicht 
durch  ein  bloßes  Ungefähr  oder  durch  einen  Zufall, 
der  ebenso  leicht  nachteilig  hätte  ausfallen  können, 
hervor,  sondern  man  siehet,  daß  sie  durch  ihre  natür- 
liche Gesetze  eingeschränkt  sind,  auf  keine  andere, 
als  diese  Weise  zu  wirken.  Was  soll  man  von  dieser 
Übereinstimmung  denn  gedenken?  Wie  wäre  es  wohl 
möglich,    daß   Dinge    von   verschiedenen   Naturen   in 

10  Verbindung  miteinander  so  vortreffliche  Übereinstim- 
mungen und  Schönheiten  zu  bewirken  trachten  sollten, 
sogar  zu  Zwecken  solcher  Dinge,  die  sich  gewisser- 
maßen außer  dem  Umfange  der  toten  Materie  be- 
finden, nämlich  zum  Nutzen  der  Menschen  und  Tiere, 
wenn  sie  nicht  einen  gemeinschaftlichen  Ursprung  er- 
kenneten,  nämlich  einen  unendlichen  Verstand,  in 
welchem  aller  Dinge  wesentliche  Beschaffenheiten  be- 
ziehend entworfen  worden?  Wenn  ihre  Naturen  vor 
sich  und  unabhängig  notwendig  wären,   was  vor  ein 

20  erstaunliches  Ohngefähr,  oder  vielmehr  was  vor  eine 
Unmöglichkeit  würde  es  nicht  sein,  daß  sie  mit  ihren 
natürlichen  Bestrebungen  sich  gerade  so  zusammen- 
passen sollten,  als  eine  überlegte  kluge  Wahl  sie  hätte 
vereinbaren  können. 

Nunmehro  mache  ich  getrost  die  Anwendung  auf 
mein  gegenwärtiges  Unterfangen.  Ich  nehme  die 
Materie  aller  Welt  in  einer  allgemeinen  Zerstreuung 
an  und  mache  aus  derselben  ein  vollkommenes  Chaos. 
Ich  sehe  nach   den  ausgemachten   Gesetzen   der   At- 

30  traktion  den  Stoff  sich  bilden  und  durch  die  Zurück- 
stoßung ihre  Bewegung  modifizieren.  Ich  genieße  das 
Vergnügen,  ohne  Beihilfe  willkürlicher  Erdichtungen, 
unter  der  Veranlassung  ausgemachter  Bewegungs- 
gesetze sich  ein  wohlgeordnetes  Ganze  erzeugen  zu 
sehen,  welches  demjenigen  Weltsystem  so  ähnlich 
siehet,  das  wir  vor  Augen  haben,  daß  ich  mich  nicht 
entbrechen  kann,  es  vor  dasselbe  zu  halten.  Diese  un- 
erwartete Auswickelung  der  Ordnung  der  Natur  im 
Großen  wird  mir  anfänglich  verdächtig,  da  sie  auf  so 

40  schlechtem  und  einfachem  a)  Grunde  eine  so  zusammen- 


a)  „schlechten  und  einfachen"  A.  corr.  Hartenstein. 


Vorrede.  13 

gesetzte  Richtigkeit  gründet.  Ich  belehre  mich  end- 
lich aus  der  vorher  angezeigten  Betrachtung:  daß  eine 
solche  Auswickelung  der  Natur  nicht  etwas  Uner- 
hörtes an  ihr  ist,  sondern  daß  ihre  wesentliche  Be- 
strebung solche  notwendig  mit  sich  bringet,  und  daß 
dieses  das  herrlichste  Zeugnis  ihrer  Abhängigkeit  von 
demjenigen  Urwesen  ist,  welches  sogar  die  Quelle 
der  Wesen  selber  und  ihrer  ersten  Wirkungsgesetze 
in  sich  hat.  Diese  Einsicht  verdoppelt  mein  Zutrauen 
auf  den  Entwurf,  den  ich  gemacht  habe.  Die  Zuver-  10 
sieht  vermehret  sich  bei  jedem*)  Schritte,  den  ich  mit 
Fortgang  weiter  setze,  und  meine  Kleinmütigkeit  hört 
völlig   auf. 

Aber  die  Verteidigung  deines  Systems,  wird  man 
sagen,  ist  zugleich  die  Verteidigung  der  Meinungen 
des  Epikurs,  welche  damit  die  größeste  Ähnlichkeit 
haben.  Ich  will  nicht  völlig  alle  Übereinstimmung  mit 
demselben  ablehnen.  Viele  sind  durch  den  Schein 
solcher  Gründe  zu  Atheisten  geworden,  welche  bei 
genauerer  Erwägung  sie  von  der  Gewißheit  des  20 
höchsten  Wesens  am  kräftigsten  hätten  überzeugen 
können.  Die  Folgen,  die  ein  verkehrter  Verstand  aus 
untadelhaften  Grundsätzen  zieht,  sind  öfters  sehr  tadel- 
haft, und  so  waren  es  auch  die  Schlüsse  des  Epikurs, 
ohnerachtet  sein  Entwurf  der  Scharfsinnigkeit  eines 
großen  Geistes  gemäß  war. 

Ich  werde  es  also  nicht  in  Abrede  sein,  daß  die 
Theorie  des  Lucrez  oder  dessen  Vorgängers b),  des 
Epikurs,  Leucipps  und  Demokritus  mit  der 
meinigen  viele  Ähnlichkeit  habe.  Ich  setze  den  ersten  30 
Zustand  der  Natur,  so  wie  jene  Weltweise,  in  der 
allgemeinen  Zerstreuung  des  Urstoffs  aller  Weltkörper, 
oder  der  Atomen,  wie  sie  bei  jenen  genannt  werden. 
Epikur  setzte  eine  Schwere,  die  diese  elementarische 
Teilchen  zum  Sinken  trieb,  und  dieses  scheinet  von 
der  Newtonischen  Anziehung,  die  ich  annehme,  nicht 
sehr  verschieden  zu  sein;  er  gab  ihnen  auch  eine  ge- 
wisse Abweichung  von  der  geradlinichten  Bewegung 
des  Falles,   ob  er  gleich  in  Ansehung  der  Ursache 


a)  Jeden"  A.  corr.  Ausg.  v.  1797. 

b)  „Vorgänger"  (Akad.  Ausg.). 


14        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels, 

derselben  und  ihren  Folgen  ungereimte  Einbildungen 
hatte;  diese  Abweichung  kommt  einigermaßen  mit  der 
Veränderung  der  geradlinichten  Senkung,  die  wir  aus 
derZurückstoßungskraft  der  Teilchen  herleiten,  überein; 
endlich  waren  die  Wirbel,  die  aus  der  verwirreten 
Bewegung  der  Atomen  entstanden,  ein  Hauptstück  in 
dem  Lehrbegriffe  des  Leucipps  und  Deraokritus, 
und  man  wird  sie  auch  in  dem  unsrigen  antreffen. 
So  viel  Verwandtschaft  mit  einer  Lehrverfassung,  die 

10  die  wahre  Theorie  der  Gottesleugnung  im  Alter- 
tum war,  zieht  indessen  die  meinige  dennoch  nicht 
in  die  Gemeinschaft  ihrer  Irrtümer.  Auch  in  den  aller- 
unsinnigsten  Meinungen,  welche  sich  bei  den  Menschen 
haben  Beifall  erwerben  können,  wird  man  jederzeit 
etwas  Wahres  bemerken.  Ein  falscher  Grundsatz  oder 
ein  paar  unüberlegte  Verbindungssätze  leiten  den 
Menschen  von  dem  Fußsteige  der  Wahrheit  durch 
unmerkliche  Abwege  bis  in  den  Abgrund.  Es  bleibt 
ohnerachtet  der  angeführten  Ähnlichkeit  dennoch  ein 

20  wesentlicher  Unterschied  zwischen  der  alten  Kos- 
mogonie  und  der  gegenwärtigen,  um  aus  dieser  ganz 
entgegengesetzte  Folgen  ziehen  zu  können. 

Die  angeführten  Lehrer  der  mechanischen  Er- 
zeugung des  Weltbaues  leiteten  alle  Ordnung,  die 
sich  an  demselben  wahrnehmen  läßt,  aus  dem  unge- 
fähren Zufalle  her,  der  die  Atomen  so  glücklich  zu- 
sammentreffen ließ,  daß  sie  ein  wohlgeordnetes  Ganze 
ausmachten.  Epikur  war  gar  so  unverschämt,  daß 
er  verlangte,  die  Atomen  wichen  von  ihrer  geraden  Be- 

30  wegung  ohne  alle  Ursache  ab,  um  einander  begegnen 
zu  können.  Alle  insgesamt  trieben  diese  Ungereimtheit 
so  weit,  daß  sie  den  Ursprung  aller  belebten  Geschöpfe 
eben  diesem  blinden  Zusammenlauf  beimaßen  und  die 
Vernunft  wirklich  aus  der  Unvernunft  herleiteten.  In 
meiner  Lehrverfassung  hingegen  finde  ich  die  Materie 
an  gewisse  notwendige  Gesetze  gebunden.  Ich 
sehe  in  ihrer  gänzlichen  Auflösung  und  Zerstreuung  ein 
schönes  und  ordentliches  Ganze  sich  ganz  natürlich 
daraus  entwickeln.    Es  geschiehet  dieses  nicht  durch 

40  einen  Zufall  und  von  ungefähr,  sondern  man  bemerket, 
daß  natürliche  Eigenschaften  es  notwendig  also  mit 
sich  bringen.    Wird  man  hiedurch  nicht  bewogen,  zu 


Vorrede.  15 

fragen:  warum  mußte  denn  die  Materie  gerade  solche 
Gesetze  haben,  die  auf  Ordnung  und  Wohlanständigkeit 
abzwecken?  War  es  wohl  möglich,  daß  viele  Dinge, 
deren  jedes  seine  von  dem  andern  unabhängige  Natur 
hat,  einander  von  selber  gerade  so  bestimmen  sollten, 
daß  ein  wohlgeordnetes  Ganze  daraus  entspringe,  und 
wenn  sie  dieses  tun,  gibt  es  nicht  einen  unleugbaren 
Beweis  von  der  Gemeinschaft  ihres  ersten  Ursprungs 
ab,  der  ein  allgenugsamer  höchster  Verstand  sein  muß, 
in  welchem  die  Naturen  der  Dinge  zu  vereinbarten  10 
Absichten  entworfen  worden? 

Die  Materie,  die  der  Urstoff  aller  Dinge  ist,  ist  also 
an  gewisse  Gesetze  gebunden,  welchen  sie  frei  über- 
lassen, notwendig  schöne  Verbindungen  hervorbringen 
muß.  Sie  hat  keine  Freiheit,  von  diesem  Plane  der  Voll- 
kommenheit abzuweichen.  Da  sie  also  sich  einer  höchst 
weisen  Absicht  unterworfen  befindet,  so  muß  sie  not- 
wendig in  solche  übereinstimmende  Verhältnisse  durch 
eine  über  sie  herrschende  erste  Ursache  versetzt  worden 
sein,  und  es  ist  ein  Gott  eben  deswegen,  weil  die  20 
Natur  auch  selbst  im  Chaos  nicht  anders  als 
regelmäßig  und  ordentlich  verfahren  kann. 

Ich  habe  so  viel  gute  Meinung  von  der  redlichen 
Gesinnung  dererjenigen,  die  diesem  Entwürfe  die  Ehre 
tun,  ihn  zu  prüfen,  daß  ich  mich  versichert  halte,  die 
angeführte  Gründe  werden,  wo  sie  noch  nicht  alle  Be- 
sorgnis schädlicher  Folgen  von  meinem  System  auf- 
heben können,  dennoch  wenigstens  die  Lauterkeit 
meiner  Absicht  außer  Zweifel  setzen.  Wenn  es  dem- 
ungeachtet  boshafte  Eiferer  gibt,  die  es  vor  eine  30 
würdige  Pflicht  ihres  heiligen  Berufs  halten,  den  un- 
schuldigsten Meinungen  schädliche  Auslegungen  an- 
zuheften, so  bin  ich  versichert,  daß  ihr  Urteil  bei 
Vernünftigen  gerade  die  entgegengesetzte  Wirkung 
ihrer  Absicht  hat.  Man  wird  mich  übrigens  des  Rechts 
nicht  berauben,  das  Cartesius,  als  er  die  Bildung 
der  Weltkörper  aus  bloß  mechanischen  Gesetzen  zu 
erklären  wagte,  bei  billigen  Richtern  jederzeit  genossen 
hat.  Ich  will  deswegen  die  Verfasser  der  allgemeinen 
Welthistorie*)  anführen:  „Indessen  können  wir  nicht  40 

*)  I.  Teil  §  88. 


1 6        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

anders,  als  glauben:  daß  der  Versuch  dieses  Welt- 
weisen, der  sich  bemühet,  die  Bildung  der  Welt  in 
gewisser  Zeit  aus  wüster  Materie  durch  die  bloße 
Fortsetzung  einer  einmal  eingedrückten  Bewegung  zu 
erklären,  und  solches  auf  einige  wenige  leichte  und 
allgemeine  Bewegungsgesetze  gebracht,  so  wenig, 
als  anderer,  die  seitdem  mit  mehrerem  Beifall 
eben  das  versucht  haben  aus  den  ursprüng- 
lichen    und      anerschaffenen     Eigenschaften 

10  der  Materie  zu  tun,  strafbar  oder  Gott  ver- 
kleinerlich  sei,  wie  sich  manche  eingebildet  haben, 
indem  dadurch  vielmehr  ein  höherer  Begriff 
seiner  unendlichen  Weisheit  verursacht  wird.*' 
Icü  habe  die  Schwierigkeiten,  die  von  selten  der 
Religion  meine  Sätze  zu  bedrohen  schienen,  hinweg- 
zuräumen gesucht.  Es  gibt  einige  nicht  geringere  in 
Ansehung  der  Sache  selber.  Wenn  es  gleich  wahr  ist, 
wird  man  sagen,  daß  Gott  in  die  Kräfte  der  Natur 
eine  geheime  Kunst  gelegt  hat,  sich  aus  dem  Chaos 

20  von  selber  zu  einer  vollkommenen  Weltverfassung  aus- 
zubilden, wird  der  Verstand  des  Menschen,  der  bei  den 
gemeinsten  Gegenständen  so  blöd  ist,  in  so  großem 
Vorwurfe  die  verborgene  Eigenschaften  zu  erforschen 
vermögend  sein?  Ein  solches  Unterfangen  heißt  eben- 
soviel, als  wenn  man  sagte:  Gebt  mir  nur  Materie, 
ich  will  euch  eine  Welt  daraus  bauen.  Kann 
dich  die  Schwäche  deiner  Einsichten,  die  an  den  ge- 
ringsten Dingen,  welche  deinen  Sinnen  täglich  und  in 
der  Nähe  vorkommen,  zu  schänden  wird,  nicht  lehren: 

30  daß  es  vergeblich  sei,  das  Unermeßliche  und  das,  was 
in  der  Natur  vorging,  ehe  noch  eine  Welt  war,  zu  ent- 
decken? Ich  vernichte  diese  Schwierigkeit,  indem 
icha)  deutlich  zeige,  daß  eben  diese  Untersuchung  unter 
allen,  die  in  der  Naturlehre  aufgeworfen  werden 
können,  diejenige  sei,  in  welcher  man  am  leichtesten 
und  sichersten  bis  zum  Ursprünge  gelangen  kann. 
Ebenso  wie  unter  allen  Aufgaben  der  Naturforschung 
keine  mit  mehr  Richtigkeit  und  Gewißheit  aufgelöset 
worden,  als  die  wahre  Verfassung  des  Weltbaues  im 

40  Großen,  die  Gesetze  der  Bewegungen  und  das  innere 


a)  Fehlt  A.  corr.  Ausg.  1797. 


Vorrede.  17 

Triebwerk  der  Umläufe  aller  Planeten;  als  worin  die 
Newtonische  Weltweisheit  solche  Einsichten  gewähren 
kann,  dergleichen  man  sonst  in  .keinem  Teile  der  Welt- 
weisheit antrifft;  eben  also,  behaupte  ich,  sei  unter 
allen  Naturdingen,  deren  erste  Ursache  man  nach- 
forschet, der  Ursprung  des  Weltsystems  und  die  Er- 
zeugung der  Himmelskörper,  samt  den  Ursachen  ihrer 
Bewegungen,  dasjenige,  was  man  am  ersten  gründlich 
und  zuverlässig  einzusehen  hoffen  darf.  Die  Ursache 
hievon  ist  leicht  zu  ersehen.  Die  Himmelskörper  sind  10 
runde  Massen,  also  von  der  einfachsten  Bildung,  die 
ein  Körper,  dessen  Ursprung  man  sucht,  nur  immer 
haben  kann.  Ihre  Bewegungen  sind  gleichfalls  unver- 
mischt.  Sie  sind  nichts  als  eine  freie  Fortsetzung 
eines  einmal  eingedrückten  Schwunges,  welcher,  mit 
der  Attraktion  des  Körpers  im  Mittelpunkte  verbunden, 
kreisförmicht  wird.  Überdem  ist  der  Raum,  darin  sie 
sich  bewegen,  leer,  die  Zwischenweiten,  die  sie  von- 
einander absondern,  ganz  ungemein  groß,  und  also 
alles  sowohl  zur  unverwirrten  Bewegung,  als  auch  20 
deutlichen  Bemerkung  derselben  auf  das  deutlichste 
auseinandergesetzt.  Mich  dünkt,  man  könne  hier  in 
gewissem  Verstände  ohne  Vermessenheit  sagen:  Gebet 
mir  Materie,  ich  'will  eine  Welt  daraus  bauen! 
das  ist:  gebet  mir  Materie,  ich  will  euch  zeigen,  wie 
eine  Welt  daraus  entstehen  soll.  Denn  wenn  Materie 
vorhanden  ist,  welche  mit  einer  wesentlichen  Attrak- 
tionskraft begabt  ist,  so  ist  es  nicht  schwer,  diejenigen 
Ursachen  zu  bestimmen,  die  zu  der  Einrichtung  des 
Weltsystems,  im  Großen  betrachtet,  haben  beitragen  80 
können.  Man  weiß,  was  dazu  gehöret,  daß  ein  Körper 
eine  kugelrunde  Figur  erlange;  man  begreift,  was  er- 
fordert wird,  daß  freischwebende  Kugeln  eine  kreis- 
förmige Bewegung  um  den  Mittelpunkt  anstellen,  gegen 
den  sie  gezogen  werden.  Die  Stellung  der  Kreise 
gegeneinander,  die  Übereinstimmung  der  Richtung,  die 
Exzentrizität,  alles  kann  auf  die  einfachsten  mecha- 
nischen Ursachen  gebracht  werden,  und  man  darf  mit 
Zuversicht  hoffen,  sie  zu  entdecken,  weil  sie  auf  die 
leichtesten  und  deutlichsten  Gründe  gesetzt  werden  40 
können.  Kann  man  aber  wohl  von  den  geringsten 
Pflanzen   oder   Insekt  sich  solcher   Vorteile  rühmen? 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     I.  O 


18        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Ist  man  imstande,  zu  sagen:  Gebt  mir  Materie,  ich 
will  euch  zeigen,  wie  eine  Raupe  erzeuget  wer- 
den könne?  Bleibt  man  hier  nicht  bei  dem  ersten 
Schritte,  aus  Unwissenheit  der  wahren  innern  Be- 
schaffenheit des  Objekts  und  der  Verwickelung  der 
in  demselben  vorhandenen  Mannichfaltigkeit,  stecken? 
Man  darf  es  sich  also  nicht  befremden  lassen,  wenn 
ich  mich  unterstehe,  zu  sagen:  daß  eher  die  Bildung 
aller  Himmelskörper,  die  Ursach  ihrer  Bewegungen, 
10  kurz,  der  Ursprung  der  ganzen  gegenwärtigen  Ver- 
fassung des  Weltbaues  werde  können  eingesehen 
werden,  ehe  die  Erzeugung  eines  einzigen  Krauts  oder 
einer  Raupe  aus  mechanischen  Gründen  deutlich  und 
vollständig  kund  werden  wird. 

Dieses  sind  die  Ursachen,  worauf  ich  meine  Zu- 
versicht gründe,  daß  der  physische  Teil  der  Welt- 
wissenchaft  künftighin  noch  wohl  eben  die  Vollkommen- 
heit zu  hoffen  habe,  zu  der  Newton  die  mathematische 
Hälfte  derselben  erhoben  hat.  Es  sind  nächst  den 
20  Gesetzen,  nach  welchen  der  Weltbau  in  der  Verfassung, 
darin  er  ist,  bestehet,  vielleicht  keine  anderen  in  der 
ganzen  Naturforschung  solcher  mathematischen  Be- 
stimmungen fähig,  als  diejenigen,  nach  welchen  er  ent- 
standen ist,  und  ohne  Zweifel  würde  die  Hand  eines 
versuchten  Meßkünstlers  hier  nicht  unfruchtbare  Felder 
bearbeiten. 

Nachdem  ich  den  Vorwurf  meiner  Betrachtung  einer 
günstigen  Aufnahme  zu  empfehlen  mir  habe  angelegen 
sein  lassen,  so  wird  man  mir  erlauben,  mich  wegen  der 
30  Art,  nach  der  ich  'ihn  abgehandelt  habe,  kürzlich  zu 
erklären.  Der  erste  Teil  gehet  mit  einem  neuen  System 
des  Weltgebäudes  im  Großen  um.  Herr  Wright  von 
Durham,  dessen  Abhandlung  ich  aus  den  Hamburgi- 
schen freien  Urteilen  vom  Jahre  1751  habe  kennen 
lernen,  hat  mir  zuerst  Anlaß  gegeben,  die  Fixsterne 
nicht  als  ein  ohne  sichtbare  Ordnung  zerstreutes  Ge- 
wimmel, sondern  als  ein  System  anzusehen,  welches 
mit  einem  planetischen  die  größte  Ähnlichkeit  hat,  so 
daß,  gleichwie  in  diesem  die  Planeten  sich  einer  ge- 
40  meinschaftlichen  Fläche  sehr  nahe  befinden,  also  auch 
die  Fixsterne  sich  "in  ihren  Lagen  auf  eine  gewisse 
Fläche,  die  durch  den  ganzen  Himmel  muß  gezogen 


Vorrede.  19 

gedacht  werden,  so  nahe  als  möglich  beziehen  und 
durch  ihre  dichteste  Häufung  zu  derselben  denjenigen 
lichten  Streif  darstellen,  welcher  die  Milchstraße  ge- 
nannt wird.  Ich  habe  mich  vergewissert,  daß,  weil 
diese  von  unzähligen  Sonnen  erleuchtete  Zone  sehr 
genau  die  Richtung  eines  größten  Zirkels  hat,  unsere 
Sonne  sich  dieser  großen  Beziehungsfläche  gleichfalls 
sehr  nahe  befinden  müsse.  Indem  ich  den  Ursachen 
dieser  Bestimmung  nachgegangen  bin,  habe  ich  sehr 
wahrscheinlich  zu  sein  befunden,  daß  die  sogenannten  10 
Fixsterne  oder  feste  Sterne  wohl  eigentlich  langsam 
bewegte  Wandelsterne  einer  höhern  Ordnung  sein 
könnten.  Zur  Bestätigung  dessen,  was  man  an  seinem 
Orte  von  diesem  Gedanken  antreffen  wird,  will  ich  all- 
hier  nur  eine  Stelle  aus  einer  Schrift  des  Herrn  Brad- 
ley  von  der  Bewegung  der  Fixsterne  anführen:  „Wenn 
man  aus  dem  Erfolg  der  Vergleichung  unserer  besten 
jetzigen  Beobachtungen  mit  denen,  welche  vor  diesem 
mit  einem  erträglichen  Grade  der  Richtigkeit  ange- 
stellet  worden,  ein  Urteil  fällen  will,  so  erhellet:  daß  20 
einige  Fixsterne  wirklich  ihren  Stand  gegeneinander 
verändert  haben,  und  zwar  so,  daß  man  siehet,  daß 
dieses  nicht  irgend  von  einer  Bewegung  in  unserm 
Pianetengebäude  herrühret,  sondern  daß  es  bloß  einer 
Bewegung  der  Sterne  selber  zugeschrieben  werden  kann. 
Der Är]{tu7-  gibt  einen  starken  Beweis  hievon  an  die 
Hand.  Denn  wenn  man  desselben  gegenwärtige  Dekli- 
nation mit  seinem  Orte,  wie  derselbe  sowohl  von 
Tycho  als  auch  von  Flammsteed  ist  bestimmt 
worden,  vergleicht,  so  wird  man  finden:  daß  der  Unter-  30 
schied  größer  ist,  als  man  ihn  von  der  Ungewißheit 
ihrer  Beobachtungen  herzurühren  vermuten  kann.  Man 
hat  Ursache,  zu  vermuten,  daß  auch  andere  Exempel 
von  gleicher  Beschaffenheit  unter  der  großen  Anzahl 
der  sichtbaren  Sterne  vorkommen  müssen,  weil  ihre 
Lagen  gegeneinander  durch  mancherlei  Ursachen  können 
verändert  werden.  Denn  wenn  man  sich  vorstellt,  daß 
unser  eigenes  Sonnengebäude  seinen  Ort  in  Ansehung 
des  Weltraums  verändert,  so  wird  dieses  nach  Ver- 
lauf einiger  Zeit  eine  scheinbare  Veränderung  der  40 
Winkelentfernungen  der  Fixsterne  verursachen.  Und 
weil  dieses  in  solchem  Falle  in  die  örter  der  nächsten 

2* 


20        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Sterne  einen  größeren  Einfluß  haben  würde,  als  in 
die  örter  dererjenigen,  welche  weit  entfernet  sind,  so 
würden  ihre  Lagen  sich  zu  verändern  scheinen, 
obgleich  die  Sterne  selbst  wirklich  unbeweglich 
blieben.  Und  wenn  im  Gegenteil  unser  eigen  Planeten- 
gebäude stille  steht  und  einige  Sterne  wirklich  eine 
Bewegung  haben,  so  wird  dieses  gleichfalls  ihre  schein- 
bare Lage  verändern,  und  zwar  um  desto  mehr,  je 
näher  sie  bei  uns  sind,   oder  je   mehr   die  Richtung 

10  der  Bewegung  so  beschaffen  ist,  daß  sie  von  uns 
kann  wahrgenommen  werden.  Da  nun  also  die  Lagen 
der  Sterne  von  so  mancherlei  Ursachen  können  ver- 
ändert werden,  indem  man  die  erstaunlichen  Entfer- 
nungen, in  welchen  ganz  gewiß  einige  gelegen  sind, 
betrachtet,  so  werden  wohl  die  Beobachtungen  vieler 
Menschenalter  nötig  sein,  die  Gesetze  der  scheinbaren 
Veränderungen,  auch  eines  einzigen  Sternes,  zu  be- 
stimmen. Viel  schwerer  muß  es  also  noch  sein,  die 
Gesetze   für   alle   die   merkwürdigsten   Sterne   festzu- 

20  setzen." 

Ich  kann  die  Grenzen  nicht  genau  bestimmen,  die 
zwischen  dem  System  des  Herrn  Wright  und  dem 
meinigen  anzutreffen  sein,  und  in  welchen  Stücken 
ich  seinen  Entwurf  bloß  nachgeahmet  oder  weiter  ausge- 
führt habe.  Indessen  boten  sich  mir  nach  der  Hand 
annehmungswürdige  Gründe  dar,  es  auf  der  einen  Seite 
beträchtlich  zu  erweitern.  Ich  betrachtete  die  Art 
neblichter  Sterne,  deren  Herr  von  Maupertuis  in 
der  Abhandlung  von  der  Figur  der  Gestirne^)  ge- 


^)  Weil  ich  den  angeführten  Traktat  nicht  bei  der  Hand 
habe,  so  will  ich  das  dazu  Gehörige  aus  der  Anführung  der 
Ouvrages  diverses  de  Msr.  de  Maupertuis  in  den  Actis  Erud. 
1745  hier  einrücken.  Das  erste  Phänomenon  sind  diejenige 
lichte  Stellen  am  Himmel,  welche  neblichte  Sterne  ge- 
nannt und  vor  einen  Haufen  kleiner  Fixsterne  gehalten 
werden.  Allein  die  Astronomen  haben  durch  vortreffliche 
Ferngläser  sie  nur  als  große  länglichtrunde  Plätzchen,  die 
etwas  lichter  als  der  übrige  Teil  des  Himmels  wären,  be- 
funden. Hu  gen  hat  dergleichen  etwas  zuerst  im  Orion 
angetroffen;  Halley  gedenket  in  dem  Anglical  Trans,  sechs 
solcher  Plätzchen:  1.  im  Schwert  des  Orions,  2.  im  Schützen, 
3.  im  Centam-us,    4.  vor  dem   rechten   Fuße    des  Antinous, 


Vorrede.  21 

denket,  und  die  die  Figur  von  mehr  oder  weniger  offenen, 
Ellipsen  vorstellen,  und  versicherte  mich  leicht,  daß 
sie  nichts  anderes,  als  eine  Häufung  vieler  Fixsterne 


5.  im  Hercules,  6.  im  Gürtel  der  Andromeda.  "Wenn  diese 
durch  ein  reflektierendes  Seherohr  von  8  Fiiß  betrachtet 
werden,  so  siehet  man,  daß  nur  der  vierte  Teil  derselben 
vor  einen  Haufen  Sterne  könne  gehalten  werden;  die  übrigen 
haben  nur  weißlichte  Plätzchen  vorgestellt,  ohne  erhebhchen 
Unterschied,  außer  daß  eines  mehr  der  Zü'kelrundung  bei- 
kommt, ein  anderes  aber  länglichter  ist.  Es  scheinet  auch, 
daß  bei  dem  ersten  die  durch  das  Sehrohr  sichtbaren 
kleinen  Sternchen  seinen  weißlichten  Schimmer  nicht  ver- 
ursachen können.  Halley  glaubt:  daß  man  aus  diesen 
Erscheinungen  dasjenige  erklären  könne,  was  man  im  An- 
fang der  Mosaischen  Schöpfungsgeschichte  antrifft,  nämUch 
daß  das  Licht  eher  als  die  Sonne  erschaffen  sei.  Derham 
vergleicht  sie  Offnungen,  dadurch  eine  andere  unermeßüche 
Gegend,  und  vielleicht  der  Feuerhimmel  durchscheine.  Er 
meinet,  er  habe  bemerken  können,  daß  die  Sterne,  die 
neben  diesen  Plätzchen  gesehen  werden,  uns  viel  näher 
wären,  als  diese  lichte  Stellen.  Diesen  fügt  der  Verfasser 
ein  Verzeichnis  der  neblichten  Sterne  aus  dem  Hevelius 
bei.  Er  hält  diese  Erscheinungen  vor  große,  lichte  Massen, 
die  durch  eine  gewaltige  Umwälzung  abgeplattet  worden 
wären.  Die  Materie,  daraus  sie  bestehen,  wenn  sie  eine 
gleichleuchtende  Kraft  mit  den  übrigen  Sternen  hätte,  würde 
von  ungeheurer  Größe  sein  müssen,  damit  sie,  aus  einem 
viel  größeren  Abstände,  als  der  Sterne  ihi-er  ist,  gesehen, 
dennoch  dem  Fernglase  unter  merklicher  Gestalt  und  Größe 
erscheinen  können.  Wenn  sie  aber  an  Größe  den  übrigen 
Fixsternen  ohngefähr  gleich  kämen,  müßten  sie  uns  nicht 
allein  ungleich  viel  näher  sein,  sondern  zugleich  ein  viel 
schwächeres  Licht  haben;  weil  sie  bei  solcher  Xähe  und 
scheinbarer  Größe  doch  einen  so  blassen  Schimmer  an  sich 
zeigen.  Es  würde  also  der  Mühe  verlohnen,  ihre  Parallaxe, 
wofern  sie  eine  haben,  zu  entdecken.  Denn  diejenigen, 
welche  sie  ihnen  absprechen,  schließen  vielleicht  von  einigen 
auf  alle.  Die  Sternchen,  die  man  mitten  auf  diesen  Plätzchen 
antrifft,  vrie  in  dem  Orion  (oder  noch  schöner  in  dem  vor 
dem  rechten  Fuße  des  Antinous,  welcher  nicht  anders 
aussiebet,  als  ein  Fixstern,  der  mit  einem  Nebel  umgeben 
ist),  würden,  wofern  sie  uns  näher  wären,  entweder  nach 
Art  der  Projektion  auf  denselben  gesehen,  oder  schienen 
durch  jene  Massen,  gleich  als  durch  die  Schweife  der  Ko- 
meten, durch. 


22        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

sein  .können.  Die  jederzeit  abgemessene  Rundung  dieser 
Figuren  belehrte  mich,  daß  hier  ein  unbegreiflich  zahl- 
reiches Sternenheer,  und  zwar  um  einen  gemeinschaft- 
lichen Mittelpunkt  müßte  geordnet  sein,  weil  sonst 
ihre  freie  Stellungen  gegeneinander  wohl  irreguläre 
Gestalten,  aber  nicht  abgemessene  Figuren  vorstellen 
würden.  Ich  sähe  auch  ein,  daß  sie  in  dem  System, 
darin  sie  sich  vereinigt  befinden,  vornehmlich  auf  eine 
Fläche  beschränkt  sein  müßten,  weil  sie  nicht  zirkel- 

10  runde,  sondern  elliptische  Figuren  abbilden,  und  daß 
sie  wegen  ihres  blassen  Lichts  unbegreiflich  weit  von 
uns  abstehen.  Was  ich  aus  diesen  Analogien  ge- 
schlossen habe,  wird  die  Abhandlung  selber  der  Unter- 
suchung des  vorurteilsfreien  Lesers  darlegen. 

In  dem  zweiten  Teile,  der  den  eigentlichsten 
Vorwurf  dieser  Abhandlung  in  sich  enthält,  suche  ich 
die  Verfassung  des  Weltbaues  aus  dem  einfachsten 
Zustande  der  Natur  bloß  durch  mechanische  Gesetze 
zu  entwickeln.  Wenn  ich  mich  unterstehen  darf,  denen- 

20  jenigen,  die  sich  über  die  Kühnheit  dieses  Unter- 
nehmens entrüsten,  bei  der  Prüfung,  womit  sie  meine 
Gedanken  beehren,  eine  gewisse  Ordnung  vorzu- 
schlagen, so  wollte  ich  bitten,  das  achte  Hauptstück 
zuerst  durchzulesen,  welches,  wie  ich  hoffe,  ihre  Be- 
urteilung zu  einer  richtigen  Einsicht  vorbereiten  kann. 
Wenn  ich  indessen  den  geneigten  Leser  zur  Prüfung 
meiner  Meinungen  einlade,  so  besorge  ich  mit  Recht, 
daß,  da  Hypothesen  von  dieser  Art  gemeiniglich  nicht 
in  viel  besserem  Ansehen,  als  philosophische  Träume 

30  stehen,  es  eine  saure  Gefälligkeit  vor  einen  Leser 
ist,  sich  zu  einer  sorgfältigen  Untersuchung  von  selbst 
erdachten  Geschichten  der  Natur  zu  entschließen  und 
dem  Verfasser  durch  alle  die  Wendungen,  dadurch  er 
den  Schwierigkeiten,  die  ihm  aufstoßen,  ausweichet, 
geduldig  zu  folgen,  um  vielleicht  am  Ende,  wie  die  Zu- 
schauer des  londonschen  Marktschreiers,  *)  seine  eigene 
Leichtgläubigkeit  zu  belachen.  Indessen  getraue  ich 
mir  zu  versprechen:  daß,  wenn  der  Leser  durch  das 
vorgeschlagene  Vorbereitungs-Hauptstück   hoffentlich 

40  wird  überredet  worden  sein,   auf  so  wahrscheinliche 


*)  Siehe  Gellerts  Fabel:  Hans  Nord. 


Vorrede.  23 

Vermutungen  doch  ein  solches  physisches  Abenteuer 
zu  wagen,  er  auf  dem  Fortgange  des  Weges  nicht  soviel 
krumme  Abwege  und  unwegsame  Hindernisse,  als  er 
vielleicht  anfänglich  besorgt,  antreffen  werde. 

Ich  habe  mich  in  der  Tat  mit  größester  Behutsam- 
keit aller  willkürlichen  Erdichtungen  entschlagen.  Ich 
habe,  nachdem  ich  die  Welt  in  das  einfachste  Chaos 
versetzt,  keine  andere  Kräfte  als  die  Anziehungs-  und 
Zurückstoßungskraft,  zur  Entwickelung  der  großen 
Ordnung  der  Natur  angewandt,  zwei  Kräfte,  welche  lo 
beide  gleich  gewiß,  gleich  einfach  und  zugleich  gleich 
ursprünglich  und  allgemein  sind.  Beide  sind  aus  der 
Newtonischen  Weltweisheit  entlehnet.  Die  erstere  ist 
ein  nunmehro  außer  Zweifel  gesetztes  Naturgesetz.  Die 
zweite,  welcher  vielleicht  die  Naturwissenschaft  des 
Newton  nicht  so  viel  Deutlichkeit  als  der  ersterena) 
gewähren  kann,  nehme  ich  hier  nur  in  demjenigen  Ver- 
stände an,  da  sie  niemand  in  Abrede  ist,  nämlich  bei 
der  feinsten  Auflösung  der  Materie,  wie  z.  E.  bei  den 
Dünsten,  Aus  diesen  so  einfachen  Gründen  habe  ich  20 
auf  eine  ungekünstelte  Art,  ohne  andere  Folgen  zu  er- 
sinnen, als  diejenigen,  worauf  die  Aufmerksamkeit  des 
Lesers  ganz  von  selber  verfallen  muß,  das  folgende 
System  hergeleitet. 

Man  erlaube  mir  schließlich  wegen  der  Gültigkeit 
und  des  angeblichen  Wertes  derjenigen  Sätze,  die  in 
der  folgenden  Theorie  vorkommen  werden  und  wor- 
nach  ich  sie  vor  billigen  Richtern  geprüft  zu  werden 
wünsche,  eine  kurze  Erklärung  zu  tun.  Man  beurteilt 
billig  den  Verfasser  nach  demjenigen  Stempel,  den  er  30 
auf  seine  Ware  drückt;  daher  hoffe  ich,  man  werde 
in  den  verschiedenen  Teilen  dieser  Abhandlung  keine 
strengere  Verantwortung  meiner  Meinungen  fodern, 
als  nach  Maßgebung  des  Werts,  den  ich  von  ihnen 
selber  ausgebe.  Überhaupt  kann  die  größte  geo- 
metrische Schärfe  und  mathematische  Unfehlbarkeit 
niemals  von  einer  Abhandlung  dieser  Art  verlangt 
werden.  Wenn  das  System  auf  Analogien  und  Über-, 
einstimmungen  nach  den  Regeln  der  Glaubwürdig- 
keit und  einer  richtigen  Denkungsart  gegründet  ist,  40 

a)  „als  die  erstere"  A.  corr.  Akad.  Ausg. 


24        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

SO  hat  es  allen  Foderungen  seines  Objekts  genug 
getan.  Diesen  Grad  der  Tüchtigkeit  meine  ich  in 
einigen  Stücken  dieser  Abhandlung,  als  in  der  Theorie 
der  Fixsternensystemen,  in  der  Hypothese  von  der  Be- 
schaffenheit der  neblichten  Sterne,  in  dem  allgemeinen 
Entwürfe  von  der  mechanischen  Erzeugungsart  des 
Weltbaues,  in  der  Theorie  von  dem  Saturnusringe  und 
einigen  andern  erreicht  zu  haben.  Etwas  minder  Über- 
zeugung  werden    einige    besondere    Teile    der    Aus- 

10  führung  gewähren,  wie  z.  E.  die  Bestimmung  der 
Verhältnisse  der  Exzentrizität,  die  Vergleichung  der 
Massen  der  Planeten,  die  mancherlei  Abweichungen  der 
Kometen,   und   einige  andere. 

Wenn  ich  daher  in  dem  siebenten  Hauptstück,  durch 
die  Fruchtbarkeit  des  Systems  und  die  Annehmlichkeit 
des  größten  und  wunderwürdigsten  Gegenstandes,  den 
man  sich  nur  denken  kann,  angelocket,  zwar  stets 
an  dem  Leitfaden  der  Analogie  und  einer  vernünftigen 
Glaubwürdigkeit,  doch  mit  einiger  Kühnheit  die  Folgen 

20  des  Lehrgebäudes  so  weit  als  möglich  fortsetze;  wenn 
ich  das  Unendliche  der  ganzen  Schöpfung,  die  Bil- 
dung neuer  Welten  und  den  Untergang  der  alten,  den 
unbeschränkten  Raum  des  Chaos  der  Einbildungskraft 
darstelle,  so  hoffe  ich,  man  werde  der  reizenden  An- 
nehmlichkeit des  Objekts  und  dem  Vergnügen,  welches 
man  hat,  die  Übereinstimmungen  einer  Theorie  in  ihrer 
größesten  Ausdehnung  zu  sehen,  so  viel  Nachsicht 
vergönnen,  sie  nicht  nach  der  größten  geometrischen 
Strenge,  die  ohnedem  bei  dieser  Art  der  Betrachtungen 

30  nicht  statthat,  zu  beurteilen.  Eben  dieser  Billigkeit 
versehe  ich  mich  in  Ansehung  des  dritten  Teiles.  Man 
wird  indessen  allemal  etwas  mehr  wie  bloß  Willkür- 
liches, obgleich  jederzeit  etwas  weniger  als  Unge- 
zweifeltes,  in  selbigen  antreffen. 


Inhalt 

des  ganzen  Werkes. 


Erster  Teil.    Seite  39. 

Abriß  einer  allgemeinen  systematischen  Ver- 
fassung unter  den  Fixsternen  aus  den  Phäno- 
menis  der  Milchstraße  hergeleitet.  Ähnlichkeit 
dieses  f  ixsternensystems  mit  dem  Systeme  der  Planeten. 
Entdeckung  vieler  solcher  Systeme,  die  sich  in  der  Weite 
des  Himmels  in  Gestalt  elliptischer  Figuren  zeigen.  Neuer 
Begriff  von  der  systematischen  Verfassung  der  ganzen 
Schöpfung. 

Beschluß.  Wahrscheinliche  Vermutung  mehrerer  Pla- 
neten über  dem  Saturn  aus  dem  Gesetze,  nach  welchem 
die  Exzentrizität  der  Planeten  mit  den  Entfernungen  zu- 
nimmt. 


Zweiter  Teil. 


Erstes  Hauptstück.     Seite  55. 

Gründe  vor  die  Lehrverfassung  eines  mechanischen 
Ursprungs  der  Welt.  Gegengründe.  Einziger  Begriff 
unter  allen  möglichen,  beiden  genug  zu  tun.  Erster  Zu- 
stand der  Natur.  Zerstreuung  der  Elemente  aller  Materie 
durch  den  ganzen  Weltraum.  Erste  Regung  durch  die 
Anziehung.  Anfang  der  Bildung  eines  Körpers  in  dem 
Pimkte  der  stärksten  Attraktion.  Allgemeine  Senkung  der 
Elemente  gegen  diesen  Zentralkörper.  Zurückstoßungs- 
kraft    der    feinsten    Teile,    darin    die    Materie    aufgelöset 


26  Inhalt  des  ganzen  Werkes. 

worden.  Veränderte  Richtung  der  sinkenden  Bewegung 
durch  die  Verbindung  dieser  Kraft  mit  der  erstem.  Ein- 
förmige Richtung  aller  dieser  Bewegungen  nach  eben- 
derselben Gegend.  Bestrebung  aller  Partikeln,  sich  zu 
einer  gemeinschaftlichen  Fläche  zu  dringen  und  daselbst 
zu  häufen.  Mäßigung  der  Geschwindigkeit  ihrer  Be- 
wegung zu  einem  Gleichgewichte  mit  der  Schwere  des 
Abstandes  ihres  Orts.  Freier  Umlauf  aller  Teilchen  um 
den  Zentralkörper  in  Zirkelkreisen.  Bildung  der  Planeten 
aus  diesen  bewegten  Elementen.  Freie  Bewegung  der 
daraus  zusammengesetzten  Planeten  in  gleicher  Richtung 
im  gemeinschaftlichen  Plane,  nahe  beim  Mittelpunkte 
beinahe  in  Zirkelkreisen  und  weiter  von  demselben  mit 
zunehmenden  Graden  der  Exzentrizität. 


Zweites  Hauptstück.     Seite  68. 

Handelt  von  der  verschiedenen  Dichtigkeit  der 
Planeten  und  dem  Verhältnisse  ihrer  Massen. 
Ursache,  woher  die  nahen  Planeten  dichterer  Art  sind, 
als  die  entferneten.  Unzulänglichkeit  der  Erklärung  des 
Newton.  Woher  der  Zentralkörper  leichterer  Art  ist, 
als  die  nächst  um  ihn  laufende  Kugeln.  Verhältnis  der 
Massen  der  Planeten,  nach  der  Proportion  der  Ent- 
fernungen. Ursache  aus  der  Art  der  Erzeugung,  woher 
der  Zentralkörper  die  größte  Masse  hat.  Ausrechnung 
der  Dünnigkeit,  in  welcher  alle  Elemente  der  Weltmaterie 
zerstreuet  gewesen.  Wahrscheinlichkeit  und  Notwendig- 
keit dieser  Verdünnung.  Wichtiger  Beweis  der  Art  der 
Erzeugung  der  Himmelskörper  aus  einer  merkwürdigen 
Analogie  des  Herrn  de  Buffon. 


Drittes  Haiiptstück.     Seite  78. 

Von  der  Exzentrizität  der  Planetenkreise  und 
dem  Ursprünge  der  Kometen.  Die  Exzentrizität 
nimmt  gradweise  mit  den  Entfernungen  von  der  Sonne 
zu.  Ursache  dieses  Gesetzes  aus  der  Kosmogonie.  Woher 
die  Kometenkreise  von  dem  Plane  der  Ekliptik  frei  aus- 
schweifen. Beweis,  daß  die  Kometen  aus  der  leichtesten 
Gattung  des  Stoffes  gebildet  sein.  Beiläufige  Anmerkung 
von  dem  Xordscheine. 


Inhalt  des  ganzen  Werkes.  27 

Viertes  Hauptstück.     Seite  85. 

Von  dem  Ursprünge  der  Monde  und  den  Bewe- 
gungen der  Planeten  um  die  Achse.  Der  Stoff  zu 
Erzeugung  der  Monde  war  in  der  Sphäre,  daraus  der 
Planet  die  Teile  zu  seiner  eigenen  Bildung  sammlete, 
enthalten.  Ursache  der  Bewegung  dieser  Monde  mit  allen 
Bestimmungen.  Woher  nur  die  großen  Planeten  Monde 
haben.  Von  der  Achsendrehung  der  Planeten.  Ob  der 
Mond  ehedem  eine  schnellere  gehabt  habe?  Ob  die  Ge- 
schwindigkeit der  Umwälzung  der  Erde  sich  vermindere  ? 
Von  der  Stellung  der  Achse  der  Planeten  gegen  den  Plan 
ihrer  Kreise.     Verrückung  ihrer  Achse. 

Fünftes  Hauptstück.     Seite  94. 

Von  dem  Ursprünge  des  Saturnusringes  und  der 
Berechnung  seiner  täglichen  Umdrehung  aus 
den  Verhältnissen  desselben.  Erster  Zustand  des 
Saturns  mit  der  Beschaffenheit  eines  Kometen  verglichen. 
Bildung  eines  Ringes  aus  den  Teilchen  seiner  Atmo- 
sphäre vermittelst  der  von  seinem  Umschwünge  einge- 
drückten Bewegungen.  Bestimmung  der  Zeit  seiner 
Achsendrehung  nach  dieser  Hypothese.  Betrachtung  der 
Figur  des  Saturns.  Von  der  sphäroidischen  Abplattung 
der  Himmelskörper  überhaupt.  Nähere  Bestimmung  der 
Beschaffenheit  dieses  Ringes.  Wahrscheinliche  Vermutung 
neuer  Entdeckungen.  Ob  die  Erde  vor  der  Sündflut  nicht 
einen a)  Ring  gehabt  habe? 

Sechstes  Hauptstück.     Seite  112. 
Von  dem  Zodiakallichte. 

Siebentes  Hauptstück.     Seite  114. 

Von  der  Schöpfung  im  ganzen  Umfange  ihrer  Un- 
endlichkeit, sowohl  dem  Räume,  als  der  Zeit 
nach.  Ursprung  eines  großen  Systems  der  Fixsterne. 
Zentralkörper  im  Mittelpunkte  des  Stemeusystems.  Un- 
endlichkeit der  Schöpfung.  Allgemeine  systematische  Be- 
ziehung in  ihrem  ganzen  Inbegriffe.  Zentralkörper  der 
ganzen  Natur.  Successive  Fortsetzung  der  Schöpfung  in 
aller  Unendlichkeit  der  Zeiten  und  Räume,  durch  unauf- 

a)  „einem"  A. 


28  Inhalt  des  ganzen  "Werkes. 

hörliche  Bildung  neuer  Welten.  Betrachtung  über  das 
Chaos  der  ungebildeten  Natur.  Allmählicher  Verfall 
und  Untergang  des  "Weltbaues.  "Wohlanständigkeit  eines 
solchen  Begriffes.  "Wiederemeuerung  der  verfallenen 
Natur. 

Zugabe  zum  siebenten  Hauptstück.     Seite  134. 

Allgemeine  Theorie  und  Geschichte  der  Sonne 
überhaupt.  Woher  der  Zentralkörper  eines  Weltbaues 
ein  feuriger  Körjjer  ist.  Nähere  Betrachtung  seiner  Natur. 
Gedanken  von  den  Veränderungen  der  ihn  umgebenden 
j^uft.  Erlöschung  der  Sonnen.  Naher  Anblick  ihrer  Ge- 
stalt. Meinung  des  Herrn  Wright  von  dem  IVIittelpunkte 
der  ganzen  Natur.     Verbesserung  derselben. 

Achtes  Hauptstück.     Seite  1-44. 

Allgemeiner  Beweis  von  der  Richtigkeit  einer 
mechanischen  Lehrverfassung  der  Einrichtung 
des  Weltbaues  überhaupt,  insonderheit  von  der 
Gewißheit  der  gegenwärtigen.  Die  wesentliche 
Fähigkeit  der  Naturen  der  Dinge,  sich  von  selber  zur 
Ordnung  und  Vollkommenheit  zu  erheben,  ist  der  schönste 
Beweis  des  Daseins  Gottes.  Verteidigung  gegen  den  Vor- 
wurf des  Naturalismus. 

Die  Verfassung  des  Weltbaues  ist  einfach  und  nicht  über 
die  Elräfte  der  Natur  gesetzt.  Analogien,  die  den  mecha- 
nischen Ursprung  der  Welt  mit  Gewißheit  bewähren. 
Ebendasselbe  aus  den  Abweichungen  bewiesen.  Die  An- 
führung einer  unmittelbaren  göttlichen  Anordnung  tut 
diesen  Fragen  kein  Gnüge.  Schwierigkeit,  die  den 
Newton  bewog,  den  mechanischen  LehrbegTilf  aufzu- 
geben, Auflösung  dieser  Schwierigkeit.  Das  vorgetragene 
System  ist  das  einzige  Mittel  unter  allen  möglichen,  bei- 
derseitigen Gründen  ein  Gnüge  zu  leisten.  Wii'd  femer 
durch  das  Verhältnis  der  Dichtigkeit  der  Planeten,  ihrer 
Massen,  der  Zwischenräume  ihres  Abstandes  und  dena) 
stufenartigen  Zusammenhang  ihrer  Bestimmungen  er- 
wiesen. Die  ßewegungsgründe  der  Wahl  Gottes  be- 
stimmen diese  Umstände  nicht  unmittelbar.  Rechtfer- 
tigung in  Ansehung  der  Religion.  Schwierigkeiten,  die 
sich  bei  einer  Lehrverfassung  von  der  unmittelbaren  gött- 
lichen Anordnung-  hervortun. 


a)   „dem  —  Zusammenhange"   A.  corr.  Hartenstein. 


Inhalt  des  ganzen  Werkes.  29 

Dritter  Teil.     Seite  165. 

Enthält  eine  Vergleichung  zwischen  den  Ein- 
wohnern der  Grestirne. 

Ob  alle  Planeten  bewohnt  sein?  Ursache,  daran  zu  zweifeln. 
Grund  der  physischen  Verhältnisse  zwischen  den  Be- 
wohnern verschiedener  Planeten.  Betrachtung  des  Men- 
schen. Ursachen  der  Unvollkommenheit  seiner  Natur. 
Natürliches  Verhältnis  der  körperlichen  Eigenschaften 
der  belebten  Kreaturen  nach  ihrem  verschiedenen  Ab- 
stände von  der  Sonne.  Folgen  dieser  Verhältnisse  auf 
ihre  geistige  Fähigkeiten.  Vergleichung  der  denkenden 
Naturen  auf  verschiedenen  Himmelskörpern.  Bestätigung 
aus  gewissen  Umständen  ihrer  "Wohnplätze.  Fernerer 
Beweis  aus  den  Anstalten  der  göttlichen  Vorsehung,  die 
zu  ihrem  Besten  gemacht  sind.     Kurze  Ausschweifung. 

Beschluß.     Seite  185. 
Die  Begebenheiten  des  Menschen  in  dem  künftigen  Leben. 


Allsfemeine 


'O 


Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels 

Erster  Teil 

Abriß  einer  systematischen  Verfassung  unter 
den  Fixsternen 

imgleichen 
Yon  der  Vielheit  solcher  Fixsternsystemen 


Seht  jene  große  "Wunderkette,  die  alle  Teile  dieser  Welt 
Vereinet  und  zusamnaenzieht  und  die  das  große  Ganz'  erhält. 

Pope. 


Kurzer  Abriß  der  nötigsten  Grundbegriffe 
der 

Newtonisclien  Weltwissenschaft,*) 

die  zu  dem  Verstände  des  Nachfolgenden  erfordert  werden. 


Sechs  Planeten,  davon  drei  Begleiter  haben,  Merkur, 
Venus,  die  Erde  mit  ihrem  Monde,  Mars,  Jupiter  mit 
vier,  und  Saturn  mit  fünf  Trabanten,  die  um  die  Sonne 
als  den  Mittelpunkt  Kreise  beschreiben,  nebst  den  Ko- 
meten, die  es  von  allen  Seiten  her  und  in  sehr  langen 
Kreisen  tun,  machen  ein  System  aus,  welches  man  10 
das  System  der  Sonnen  oder  auch  den  planetischen 
Weltbau  nennt.  Die  Bewegung  aller  dieser  Körper, 
weil  sie  kreisförmig  und  in  sich  selbst  zurückkehrend 
ist,  setzet  zwei  Kräfte  voraus,  welche  bei  einer  jeg- 
lichen Art  des  Lehrbegriffs  gleich  notwendig  sind, 
nämlich  eine  schießende  Kraft,  dadurch  sie  in  jedem 
Punkte  ihres  krummlinichten  Laufes  die  gerade  Rich- 
tung fortsetzen  und  sich  ins  Unendliche  entfernen 
würden,  wenn  nicht  eine  andere  Kraft,  welche  es 
auch  immer  sein  mag,  sie  beständig  nötigte,  diese  zu  20 
verlassen  und  in  einem  krummen  Gleise  zu  laufen,  der 
die  Sonne  als  Mittelpunkt  umfasset.  Diese  zweite  Kraft, 
wie  die   Geometrie   selber  es  ungezweifelt  ausmacht, 


*)  Diese  kurze  Einleitung-,  welche  vielleicht  in  Ansehung 
der  meisten  Leser  überflüssig  sein  mochte,  habe  ich  denen, 
die  etwa  der  Newtonischen  Clrundsätze  nicht  genugsam 
kundig  sein,  zur  Vorbereitung  der  Einsicht  in  die  folgende 
Theorie  vorher  erteilen  wollen. 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     I.  3 


34        Allg-eiiieinc  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

zielt  allenthalben  zu  der  Sonne  hin  und  wird  daher 
die  sinkende,  die  Zentripetalkraft,  oder  auch  die 
Gravität  genennet. 

Wenn  die  Kreise  der  Himmelskörper  genaue  Zirkel 
wären,  so  würde  die  allereinfachste  Zergliederung  der 
Zusammensetzung  krummlinichter  Bewegungen  zeigen, 
daß  ein  anhaltender  Trieb  gegen  den  Mittelpunkt  dazu 
erfordert  werde;  allein  obgleich  sie  in  allen  Planeten 
sowohl,  als  Kometen  Ellipsen  sind,  in  deren  gemein- 

10  schaftlichem  Brennpunkte  sich  die  Sonne  befindet,  so 
tut  doch  die  höhere  Geometrie  mit  Hülfe  der  Kep- 
lerschen  Analogie  (nach  welcher  der  radius  vector 
oder  die  von  dem  Planeten  zur  Sonne  gezogene  Linie, 
stets  solche  Räume  von  der  elliptischen  Bahn  ab- 
schneidet, die  den  Zeiten  proportioniert  sein)  gleich- 
falls mit  untrüglicher  Gewißheit  dar,  daß  eine  Kraft 
den  Planet  in  dem  ganzen  Kreislaufe  gegen  den  Mittel- 
punkt der  Sonne  unablässig  treiben  müßte.  Diese 
Senkungskraft,    die    durch    den    ganzen    Raum    des 

20  Planetensystems  herrschet  und  zu  der  Sonne  hinzielet, 
ist  also  ein  ausgemachtes  Phänomenon  der  Natur,  und 
ebenso  zuverlässig  ist  auch  das  Gesetze  erwiesen,  nach 
welchem  sich  diese  Kraft  von  dem  Mittelpunkte  in 
die  ferne  Weiten  erstrecket.  Sie  nimmt  immer  um- 
gekehrt ab,  wie  die  Quadrate  der  Entfernungen  von 
demselben  zunehmen.  Diese  Regel  fließt  auf  eine 
ebenso  untrügliche  Art  aus  der  Zeit,  die  die  Planeten 
in  verschiedenen  Entfernungen  zu  ihren  Umläufen 
gebrauchen.      Diese     Zeiten     sind     immer,     wie     die 

30  Quadratwurzel  aus  den  Cubis  ihrer  mittlem  Ent- 
fernungen von  der  Sonne,  woraus  hergeleitet  wird: 
daß  die  Kraft,  die  diese  Himmelskörper  zu  dem  Mittel- 
punkte ihrer  Umwälzung  treibt,  im  umgekehrten  Ver- 
hältnisse der  Quadrate  des  Abstandes  abnehmen  müsse. 
Ebendasselbe  Gesetz,  was  unter  den  Planeten 
herrscht,  insofern  sie  um  die  Sonne  laufen,  findet  sich 
auch  bei  den  kleinen  Systemen,  nämlich  denen,  die 
die  um  ihre  Hauptplaneten  bewegte  Monden  aus- 
machen.   Ihre   Umlaufszeiten   sind   ebenso   gegen  die 

40  Entfernungen  proportioniert  und  setzen  eben  dasselbe 
Verhältnis  der  Senkungskraft  gegen  den  Planeten  fest, 
als  dasjenige  ist,  dem  dieser  zu  der  Sonne  hin  unter- 


Einleitung.  35 

worfen  ist.  Alles  dieses  ist  aus  der  untrüglichsten 
Geometrie,  vermittelst  unstrittiger  Beobachtungen,  auf 
immer  außer  Widerspruch  gesetzt.  Hiezu  kommt  noch 
die  Idee,  daß  diese  Senkungskraft  ebenderselbe  An- 
trieb sei,  der  auf  der  Oberfläche  des  Planeten  die 
Schwere  genannt  wird,  und  der  von  diesem  sich  stufen- 
weise nach  dem  angeführten  Gesetze  mit  den  Ent- 
fernungen vermindert.  Dieses  ersiehet  man  aus  der 
Vergleichung  der  Quantität  der  Schwere  auf  der  Ober- 
fläche der  Erde  mit  der  Kraft,  die  den  Mond  zum  lf> 
Mittelpunkte  seines  Kreises  hintreibt,  welche  gegen- 
einander ebenso  wie  die  Attraktion  in  dem  ganzen 
Weltgebäude,  nämlich  im  umgekehrten  Verhältnis  des 
Quadrats  der  Entfernungen  ist.  Dies  ist  die  Ursache, 
warum  man  oftgemeldete  Zentralkraft  auch  die  Gravität 
nennet. 

Weil  es  überdem  auch  im  höchsten  Grade  wahr- 
scheinlich ist,  daß,  wenn  eine  Wirkung  nur  in  Gegen- 
wart und  nach  Proportion  der  Annäherung  zu  einem 
gewissen  Körper  geschiehet,  die  Richtung  derselben  20 
auch  aufs  genaueste  auf  diesen  Körper  beziehend  ist,  zu 
glauben  sei,  dieser  Körper  sei  auf  was  vor  Art 
es  auch  wolle,  die  Ursache  derselben:  so  hat 
man  um  deswillen  Grund  genug  zu  haben  vermeinet, 
diese  allgemeine  Senkung  der  Planeten  gegen  die  Sonne 
einer  Anziehungskraft  der  letztern  zuzuschreiben  und 
dieses  Vermögen  der  Anziehung  allen  Himmelskörpern 
überhaupt  beizulegen. 

Wenn  ein  Körper  also  diesem  Antriebe,  der  ihn 
zum  Sinken  gegen  die  Sonne  oder  irgend  einen  Pia-  30 
neten  treibt,  frei  überlassen  wird,  so  wird  er  in  stets 
beschleunigter  Bewegung  zu  ihm  niederfallen  und  in 
kurzem  sich  mit  desselben  Masse  vereinigen.  Wenn 
er  aber  einen  Stoß  nach  der  Seite  hin  bekommen 
hat,  so  wird  er,  wenn  dieser  nicht  so  kräftig  ist, 
dem  Drucke  des  Sinkens  genau  das  Gleichgewicht  zu 
leisten,  sich  in  einer  gebogenen  Bewegung  zu  dem 
Zentralkörper  hinein  senken,  und  wenn  der  Schwung, 
der  ihm  eingedrückt  worden,  wenigstens  so  stark  ge- 
wesen, ihn,  ehe  er  die  Oberfläche  desselben  berührt,  40 
von  der  senkrechten  Linie  um  die  halbe  Dicke  des 
Körpers   im   Mittelpunkte   zu    entfernen,    so    wird   er 

3* 


36        Allgemeine  Xaturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

nicht  dessen  Oberfläche  berühren,  sondern,  nachdem 
er  sich  dichte  um  ihn  geschwungen  hat,  durch  die 
vom  Falle  erlangte  Geschwindigkeit  sich  wieder  so 
hoch  erheben,  als  er  gefallen  war,  um  in  beständiger 
Kreisbewegung  um  ihn  seinen  Umlauf  fortzusetzen. 
Der  Unterschied  zwischen  den  Laufkreisen  der  Ko- 
meten und  Planeten  bestehet  also  in  der  Abwiegung 
der  Seitenbewegung  gegen  den  Druck,  der  sie  zum 
Fallen   treibt;   welche   zwei   Kräfte,   je   mehr   sie   der 

10  Gleichheit  nahe  kommen,  desto  ähnlicher  wird  der  Kreis 
der  Zirkelfigur,  und  je  ungleicher  sie  sein,  je  schwächer 
die  schießende  Kraft  in  Ansehung  der  Zentralkraft  ist, 
desto  länglichter  ist  der  Kreis,  oder  wie  man  es  nennt, 
desto  exzentrischer  ist  er,  weil  der  Himmelskörper  in 
einem  Teile  seiner  Bahn  sich  der  Sonne  weit  mehr 
nähert,  als  im  andern. 

Weil  nichts  in  der  ganzen  Natur  auf  das  ge- 
naueste abgewogen  ist,  so  hat  auch  kein  Planet  eine 
ganz    zirkeiförmige    Bewegung;     aber     die    Kometen 

20  weichen  am  meisten  davon  ab,  weil  der  Schwung,  der 
ihnen  zur  Seite  eingedrückt  worden,  am  wenigsten  zu 
der  Zentralkraft  ihres  ersten  Abstandes  proportioniert 
gewesen. 

Ich  werde  mich  in  der  Abhandlung  sehr  oft  des 
Ausdrucks  einer  systematischen  Verfassung  des 
Weltbaues  bedienen.  Damit  man  keine  Schwierigkeit 
finde,  sich  deutlich  vorzustellen,  was  dadurch  soll  an- 
gedeutet werden,  so  will  ich  mich  darüber  mit  wenigem 
erklären.    Eigentlich   machen  alle   Planeten   und   Ko- 

30  meten,  die  zu  unserem  Weltbau  gehören,  dadurch  schon 
ein  System  aus,  daß  sie  sich  um  einen  gemeinschaft- 
lichen Zentralkörper  drehen.  Ich  nehme  aber  diese 
Benennung  noch  in  engerem  Verstände,  indem  ich  auf 
die  genauere  Beziehungen  sehe,  die  ihre  Verbindung 
miteinander  regelmäßig  und  gleichförmig  gemacht  hat. 
Die  Kreise  der  Planeten  beziehen  sich  so  nahe  wie 
möglich  auf  eine  gemeinschaftliche  Fläche,  nämlich 
auf  die  verlängerte  Äquatorsfläche  der  Sonne;  die  Ab- 
weichung von  dieser  Regel  findet  nur  bei  der  äußersten 

'10  Grenze  des  Systems,  da  alle  Bewegungen  allmählich  auf- 
hören, statt.  Wenn  daher  eine  gewisse  Anzahl  Himmels- 
körper,  die  um  einen  gemeinschaftlichen  Mittelpunkt 


Einleitung.  37 

geordnet  sind  und  sich  um  selbigen  bewegen,  zugleich 
auf  eine  gewisse  Fläche  so  beschränkt  worden,  daß 
sie  von  selbiger  zu  beiden  Seiten  nur  so  wenig  als 
möglich  abzuweichen  die  Freiheit  haben;  wenn  die 
Abweichung  nur  bei  denen,  die  von  dem  Mittelpunkte 
am  weitesten  entfernet  sind  und  daher  an  den  Be- 
ziehungen weniger  Anteil  als  die  andarn  haben,  stufen- 
weise stattfindet;  so  sage  ich,  diese  Körper  befinden 
sich  in  einer  systematischen  Verfassung  zu- 
sammen verbunden.  10 


Allgemeine 
NaturgescMclite  und  Theorie  des  Himmels. 

Erster  Teil. 


Von  der  systematischen  Verfassung  unter  den  Fixsternen. 

Der  Lehrbegriff  von  der  allgemeinen  Verfassung  des 
Weltbaues  hat  seit  den  Zeiten  des  Huygens  keinen 
merklichen  Zuwachs  gewonnen.  Man  v/eiß  noch  zur 
Zeit  nichts  mehr,  als  was  man  schon  damals  gewußt 
hat,  nämlich  daß  sechs  Planeten  mit  zehn  Begleitern, 
welche  alle  beinahe  auf  einer  Fläche  die  Zirkel  ihres  lo 
Umlaufs  gerichtet  haben,  und  die  ewige  kometische 
Kugeln,  die  nach  allen  Seiten  ausschweifen,  ein  System 
ausmachen,  dessen  Mittelpunkt  die  Sonne  ist,  gegen 
welciie  sich  alles  senkt,  um  welche  ihre  Bewegungen 
gehen,  und  von  welcher  sie  alle  erleuchtet,  erwärmet 
und  belebet  werden;  daß  endlich  die  Fixsterne,  als 
ebensoviel  Sonnen,  Mittelpunkte  von  ähnlichen  Systemen 
sein,  in  welchen  alles  ebenso  groß  und  ebenso  ordent- 
lich als  in  dem  unsrigen  eingerichtet  sein  mag,  und  daß 
der  unendliche  Weltraum  von  Weltgebäuden  wimmele,  20 
deren  Zahl  und  Vortrefflichkeit  ein  Verhältnis  zur 
Unermeßlichkeit  ihres  Schöpfers  hat. 

Das  Systematische,  welches  in  der  Verbindung  der 
Planeten,  die  um  ihre  Sonnen  laufen,  stattfand,  ver- 
schwand allhier  in  der  Menge  der  Fixsterne,  und  es 
schien,  als  wenn  die  gesetzmäßige  Beziehung,  die  im 
Kleinen  angetroffen  wird,  nicht  unter  den  Gliedern  des 
Weltalls  im  Großen  herrsche;  die  Fixsterne  bekamen 
kein  Gesetz,  durch  welches  ihre  Lagen  gegeneinander 
eingeschränket  wurden,  und  man  sähe  sie  alle  Himmel  30 


40        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

und  aller  Himmel  Himmel  ohne  Ordnung  und  ohne  Ab- 
sicht erfüllen.  Seitdem  die  Wißbegierde  des  Menschen 
sich  diese  Schranken  gesetzet  hat,  so  hat  man  weiter 
nichts  getan,  als  die  Größe  desjenigen  daraus  abzu- 
nehmen und  zu  bewundern,  der  in  so  unbegreiflich 
großen  Werken  sich  offenbaret  hat. 

Dem  Herrn  Wright  von  Durham,  einem  Enge- 
länder, war  es  vorbehalten,  einen  glücklichen  Schritt 
zu  einer  Bemerkung  zu  tun,   welche  von  ihm  selber 

10  zu  keiner  gar  zu  tüchtigen  Absicht  gebraucht  zu  sein 
scheinet,  und  deren  nützliche  Anwendung  er  nicht 
genugsam  beobachtet  hat.  Er  betrachtete  die  Fixsterne 
nicht  als  ein  untergeordnetes  und  ohne  Absicht  zer- 
streutes Gewimmel,  sondern  er  fand  eine  systematische 
Verfassung  im  Ganzen  und  eine  allgemeine  Beziehung 
dieser  Gestirne  gegen  einen  Hauptplan  der  Räume, 
die  sie  einnehmen. 

Wir  wollen  den  Gedanken,  den  er  vorgetragen,  zu 
verbessern   und   ihm   diejenige   Wendung   zu   erteilen 

2ü  suchen,  dadurch  er  an  wichtigen  Folgen  fruchtbar 
sein  kann,  deren  völlige  Bestätigung  den  künftigen 
Zeiten  aufbehalten  ist. 

Jedermann,  der  den  bestirnten  Himmel  in  einer 
heitern  Nacht  ansiehet,  wird  denjenigen  lichten  Streif 
gewahr,  der  durch  die  Menge  der  Sterne,  die  daselbst 
mehr  als  anderwärts  gehäuft  sein,  und  durch  ihre  sich 
in  der  großen  Weite  verlierende  Kenntlichkeit  ein  ein- 
förmichtes  Licht  darstellet,  welches  man  mit  dem  Namen 
Milchstraße   benennet  hat.    Es   ist   zu   bewundern, 

30  daß  die  Beobachter  des  Himmels  durch  die  Beschaffen- 
heit dieser  am  Himmel  kenntlich  unterschiedenen  Zone 
nicht  längst  bewogen  worden,  sonderbare  Bestimmun- 
gen in  der  Lage  der  Fixsterne  daraus  abzunehmen. 
Denn  man  siehet  ihn  die  Richtung  eines  größten  Zirkels 
und  zwar  in  ununterbrochenem  Zusammenhange  um  den 
ganzen  Himmel  einnehmen,  zwei  Bedingungen,  die  eine 
so  genaue  Bestimmung  und  von  dem  Unbestimmten 
des  Ungefährs  so  kenntlich  unterschiedene  Merkmale 
mit  sich  führen,  daß  aufmerksame  Sternkundige  natür- 

40  licherweise  dadurch  hätten  veranlaßet  w^erden  sollen, 
der  Erklärung  einer  solchen  Erscheinung  mit  Auf- 
merksamkeit nachzuspüren. 


I.  Teil.  Von  d.  systemat.  Verfass.  unter  d.  Fixsternen.       41 

Weil  die  Sterne  nicht  auf  die  scheinbare  hohle 
Himmelssphäre  gesetzet  sind,  sondern  einer  weiter 
als  der  andere  von  unserm  Gesichtspunkte  entfernet, 
sich  in  der  Tiefe  des  Himmels  verlieren,  so  folget  aus 
dieser  Erscheinung,  daß  in  den  Entfernungen,  darin 
sie  einer  hinter  dem  andern  von  uns  abstehen,  sie 
sich  nicht  in  einer  nach  allen  Seiten  gleichgültigen 
Zerstreuung  befinden,  sondern  sich  auf  eine  gewisse 
FläcJie  vornehmlich  beziehen  müssen,  die  durch  unsern 
Gesichtspunkt  gehet,  und  welcher  sie  sich  so  nahe  als  10 
möglich   zu   befinden   bestimmet   sind. 

Diese  Beziehung  ist  ein  so  ungezweifeltes  Phäno- 
menen, daß  auch  selber  die  übrigen  Sterne,  die  in  dem 
weißlichten  Streife  der  Milchstraße  nicht  begriffen 
sind,  doch  um  desto  gehäufter  und  dichter  gesehen 
werden,  je  näher  ihre  Örter  dem  Zirkel  der  Milch- 
straße sind,  so  daß  von  den  2000  Sternen,  die  das 
bloße  Auge  am  Himmel  entdecket,  der  größte  Teil  in 
einer  nicht  gar  breiten  Zone,  deren  Mitte  die  Milch- 
straße einnimmt,  angetroffen  wird.  20 

Wenn  wir  nun  eine  Fläche  durch  den  Sternen- 
himmel hindurch  in  unbeschränkte  Weiten  gezogen  ge- 
denken und  annehmen,  daß  zu  dieser  Fläche  alle  Fix- 
sterne und  Systemata  eine  allgemeine  Beziehung  ihres 
Orts  haben,  um  sich  derselben  näher  als  anderen 
Gegenden  zu  befinden,  so  wird  das  Auge,  welches  sich 
in  dieser  Beziehungsfläche  befindet,  bei  seiner  Aus- 
sicht in  das  Feld  der  Gestirne  an  der  hohlen  Kugel- 
fläche des  Firmaments  diese  dichteste  Häufung  der 
Sterne  in  der  Richtung  solcher  gezogenen  Fläche  unter  .30 
der  Gestalt  einer  von  mehrerem  Lichte  erleuchteten 
Zone  erblicken.  Dieser  lichte  Streif  wird  nach  der 
Richtung  eines  größten  Zirkels  fortgehen,  weil  der 
Stand  des  Zuschauers  in  der  Fläche  selber  ist.  In  dieser 
Zone  wird  es  von  Sternen  wimmeln,  welche  durch  die 
nicht  zu  unterscheidende  Kleinigkeit  der  hellen  Punkte, 
die  sich  einzeln  dem  Gesichte  entziehen,  und  durch 
ihre  scheinbare  Dichtigkeit  einen  einförmig  weiß- 
lichten Schimmer,  mit  einem  Worte  eine  Milchstraße 
vorstellig  machen.  Das  übrige  Himmelsheer,  dessen  Be-  40 
Ziehung  gegen  die  gezogene  Fläche  sich  nach  und  nach 
vermindert,  oder  welches  sich  auch  dem  Stande  des 


42        Allgemeine  Naturgescbichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Beobachters  näher  befindet,  wird  mehr  zerstreuet,  wie- 
wohl doch  ihrer  Häufung  nach  auf  eben  diesen  Plan 
beziehend  gesehen  werden.  Endlich  folget  hieraus,  daß 
unsere  Sonnenwelt,  weil  von  ihr  aus  dieses  System 
der  Fixsterne  in  der  Richtung  eines  größesten  Zirkels 
gesehen  wird,  mit  in  ebenderselben  großen  Fläche 
befindlich  sei  und  mit  den  übrigen  ein  System  aus- 
mache. 

Wir  wollen,   um   in   die  Beschaffenheit  der  allge- 

10  meinen  Verbindung,  die  in  dem  Weltbaue  herrschet,  desto- 
besser  zu  dringen,  die  Ursache  zu  entdecken  suchen, 
welche  die  Örter  der  Fixsterne  auf^')  eine  gemein- 
schaftliche  Fläche  beziehend   gemacht  hat. 

Die  Sonne  schränket  die  Weite  ihrer  Anziehungs- 
kraft nicht  in  den  engen  Bezirk  des  Planetengebäudes 
ein.  Allem  Ansehen  nach  erstreckt  sie  selbige  ins 
Unendliche.  Die  Kometen,  die  sich  sehr  weit  über 
den  Kreis  des  Saturns  erheben,  v/erden  durch  die 
Anziehung  der  Sonne  genötiget,  wieder  zurückzukehren 

20  und  in  Kreisen  zu  laufen.  Ob  es  also  gleich  der  Natur 
einer  Kraft,  die  dem  Wesen  der  Materie  einverleibt 
zu  sein  scheinet,  gemäßer  ist,  unbeschränkt  zu  sein,  und 
sie  auch  wirklich  von  denen,  die  Newtons  Sätze  an- 
nehmen, davor  erkannt  wird,  so  wollen  wir  doch  nur 
zugestanden  wissen,  daß  diese  Anziehung  der  Sonne 
ohngefähr  bis  zum  nächsten  Fixsterne  reiche,  und  daß 
die  Fixsterne  als  ebensoviel  Sonnen  in  gleichem 
Umfange  um  sich  wirken ,  folglich  daß  das 
ganze    Heer     derselben     einander     durch     die     An- 

30  Ziehung  zu  nähern  bestrebt  sei;  so  finden  sich  alle 
Weltsystemen  in  der  Verfassung,  durch  die  gegenseitige 
Annäherung,  die  unaufhörlich  und  durch  nichts  ge- 
hindert ist,  über  kurz  oder  lang  in  einen  Klumpen 
zusammen  zu  fallen,  wofern  diesem  Ruin  nicht,  so  wie 
bei  den  Kugeln  unsers  planetischen  Systems,  durch 
die  den  Mittelpunkt  fliehende  Kräfte  vorgebeugt 
worden,  welche,  indem  sie  die  Himmelskörper  von 
dem  geraden  Falle  abbeugen,  mit  den  Kräften  der  An- 
ziehung in  Verbindung  die  ewige  Kreisumläufe  zuwege 

40  bringen,  dadurch  das  Gebäude  der  Schöpfung  vor  der 

a)  „auch"  A. 


I.  Teil.  Von  d.  systeinat.  Verfass.  unter  d.  Fixsternen.       43 

Zerstöruug    gesichert   und    zu    einer    unvergänglichen 
Dauer  geschickt  gemacht  wird. 

So  haben  denn  alle  Sonnen  des  Firmaments  Umlaufs- 
bewegungen, entweder  um  einen  allgemeinen  Mittel- 
punkt oder  um  viele.  Man  kann  sich  aber  allhier  der 
Analogie  bedienen,  dessen,  was  bei  den  Kreisläufen 
unserer  Sonnenwelt  bemerket  wird:  daß  nämlich, 
gleichwie  ebendieselbe  Ursache,  die  den  Planeten  die 
Zenterfliehkraft,  durch  die  sie  ihre  Umläufe  ver- 
richten, erteilet  hat,  ihre  Laufkreise  auch  so  gerichtet,  10 
daß  sie  sich  alle  auf  eine  Fläche  beziehen,  also  auch 
die  Ursache,  welche  es  auch  immer  sein  mag,  die 
den  Sonnen  der  Oberwelt,  als  so  viel  Wandelsternen 
höherer  Weltordnungen»)  die  Kraft  der  Umwendungb) 
gegeben,  ihre  Kreise  zugleich  so  viel  möglich  auf  eine 
Fläche  gebrachte)  und  die  Abweichungen  von  der- 
selben  einzuschränken   bestrebt   gewesen. 

Nach  dieser  Vorstellung  kann  man  das  System  der 
Fixsterne  einigermaßen  durch  das  planetische  ab- 
schildern, wenn  man  dieses  unendlich  vergrößert.  Denn  20 
wenn  wir  anstatt  der  6  Planeten  mit  ihren  10  Be- 
gleitern so  viele  tausend  derselben,  und  anstatt  der 
28  oder  30  Kometen,  die  beobachtet  worden,  ihrer 
hundert-  oder  tausendmal  mehr  annehmen,  wenn  wir 
eben  diese  Körper  als  selbstleuchtend  gedenken,  so 
würde  dem  Auge  des  Zuschauers,  das  sie  von  der 
Erde  ansiehet,  eben  der  Schein,  als  von  den  Fixsternen 
der  MilchstralJe  entstehen.  Denn  die  gedachte  Planeten 
würden  durch  ihre  Nahheit  zu  dem  gemeinen  Plane 
ihrer  Beziehung  uns,  die  wir  mit  unserer  Erde  in  30 
ebendemselben  Plane  befindlich  sein,  eine  von  unzähl- 
baren Sternen  dicht  erleuchtete  Zone  darstellen,  deren 
Richtung  nach  dem  größesten  Zirkel  ginge;  dieser  lichte 
Streifen  würde  allenthalben  mit  Sternen  genugsam  be- 
setzet sein,  obgleich  gemäß  der  Hypothese  es  Wandel- 
sterne, mithin  nicht  an  einen  Ort  geheftet  sind;  denn 
es  würden  sich  allezeit  nach  einer  Soite  Sterne  genug 


a — b)  „den  Schwung  des  Umlaufs"  Änderung  Kants  in 
Gensichens  Auszug. 

c)  ;,zu  bringen"  Änderung  Kante  bei  Gensichen. 


44        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Hinimels. 

durch  ihre  Versetzung  befinden,  obgleich  andere  diesen 
Ort  geändert  hätten. 

Die  Breite  dieser  erleuchteten  Zone,  welche  eine 
Art  eines  Tierkreises  vorstellet,  wird  durch  die  ver- 
schiedene Grade  der  Abweichung  besagter  Irrsterne 
von  dem  Plane  ihrer  Beziehung  und  durch  die  Neigung 
ihrer  Kreise  gegen  dieselbe  Fläche  veranlasset  werden; 
und  weil  die  meisten  diesem  Plane  nahe  sein,  so  wird 
ihre  Anzahl  nach  dem  Maße  der  Entfernung  von  dieser 

10  Fläche  zerstreuter  erscheinen;  die  Kometen  aber,  die 
alle  Gegenden  ohne  Unterscheid  einnehmen,  werden 
das  Feld  des  Himmels  von  beiden  Seiten  bedecken. 

Die  Gestalt  des  Himmels  der  Fixsterne  hat  also 
keine  andere  Ursache,  als  eben  eine  dergleichen  syste- 
matische Verfassung  im  Großen,  als  der  planetische 
Weltbau  im  Kleinen  hat,  indem  alle  Sonnen  ein  System 
ausmachen,  dessen  allgemeine  Beziehungsfläche  die 
Milchstraße  ist;  die  sich  am  wenigsten  auf  diese 
Fläche  beziehende  werden  zur  Seite  gesehen,  sie  sind 

20  aber  ebendeswegen  weniger  gehäufet,  weil  zerstreuter 
und  seltener.  Es  sind  sozusagen  die  Kometen  unter 
den  Sonnen. 

Dieser  neue  Lehrbegriff  aber  legt  den  Sonnen  eine 
fortrückende  Bewegung  bei,  und  jedermann  erkennet 
sie  doch  als  unbewegt  und  von  Anbeginn  her  an  ihre 
Örter  geheftet.  Die  Benennung,  die  die  Fixsterne  da- 
von erhalten  haben,  scheinet  durch  die  Beobachtung 
aller  Jahrhunderte  bestätigt  und  ungezweifelt  zu  sein. 
Diese    Schwierigkeit   würde    das    vorgetragene    Lehr- 

30  gebäude  vernichten,  wenn  sie  gegründet  wäre.  Allein 
allem  Ansehen  nach  ist  dieser  Mangel  der  Bewegung 
nur  etwas^  Scheinbares.  Es  ist  entweder  nur  eine 
ausnehmende  Langsamkeit,  die  von  der  großen  Ent- 
fernung von  dem  gemeinen  Mittelpunkte  ihres  Um- 
laufs, oder  eine  Unmerklichkeit,  die  durch  den  Abstand 
von  dem  Orte  der  Beobachtung  veranlasset  wird. 
Lasset  uns  die  Wahrscheinlichkeit  dieses  Begriffes 
durch  die  Ausrechnung  der  Bewegung  schätzen,  die 
ein  unserer  Sonne  naher  Fixstern  haben  würde,  wenn 

40  wir  setzten,  daß  unsere  Sonne  der  Mittelpunkt  seines 
Kreises  wäre.  Wenn  seine  Weite  nach  dem  Huygen 
über  21000mal   größer   als   der   Abstand   der   Sonne 


I.  Teil.  Von  d.  systemat.  Verfass.  unter  d.  Fixsternen.       45 

von  der  Erde  angenommen  wird,  so  ist  nacli  dem 
ausgemachten  Gesetze  der  Umlaufszeiten,  die  im  Ver- 
hältnis der  Quadratwurzel  aus  dem  Würfel  der  Ent- 
fernungen vom  Mittelpunkte  stehen,  die  Zeit,  die  er 
anwenden  müßte,  seinen  Zirkel  um  die  Sonne  einmal 
zu  durchlaufen,  von  mehr  als  anderthalb  a)  Millionen 
Jahre,  und  dieses  würde  in  4000  b)  Jahren  eine  Ver- 
rückung seines  Ortes  nur  um  einen  Grad  setzen.  Da 
nun  nur  vielleicht  sehr  wenige  Fixsterne  der  Sonne 
so  nahe  sind,  als  Huygen  den  Sirius  ihr  zu  sein  ge-  10 
mutmaßet  hat,  da  die  Entfernung  des  übrigen  Himmels- 
heeres des  letzteren  seine  vielleicht  ungemein 
übertrifft,  und  also  zu  solcher  periodischen  Um- 
wendung  ungleich  längere  Zeiten  erforderte)  würden, 
überdem  auch  wahrscheinlicher  ist,  daß  die  Bewegung 
der  Sonnen  des  Sternenhimmels  um  einen  gemeinschaft- 
lichen Mittelpunkt  gehe,  dessen  Abstand  ungemein 
groß,  und  die  Fortrückung  der  Sterne  daher  überaus 
langsam  sein  kann,  so  läßt  sich  hieraus  mit  Wahr- 
scheinlichkeit abnehmen,  daß  alle  Zeit,  seit  der  man  21 
Beobachtungen  am  Himmel  angestellet  hat,  vielleicht 
noch  nicht  hinlänglich  sei,  die  Veränderung,  die  in 
ihren  Stellungen  vorgegangen,  zu  bemerken.  Man  darf 
indessen  noch  nicht  die  Hoffnung  aufgeben,  auch  diese 
mit  der  Zeit  zu  entdecken.  Es  werden  subtile  und 
sorgfältige  Aufmerker,  imgleichen  eine  Vergleichung 
weit  voneinander  abstehender  Beobachtungen  dazu  er- 
fordert. Man  müßte  diese  Beobachtungen  vornehmlich 
auf  die  Sterne  der  Milchstraße  richten,*)  welche  der 
Hauptplan  aller  Bewegung  ist.  Herr  Bradleyhat  bei-  "^O 
nahe  unmerkliche  Fortrückungen  der  Sterne  beob- 
achtet. Die  Alten  haben  Sterne  an  gewissen  Stellen 
des  Himmels  gemerket,  und  wir  sehen  neue  an  andern. 


*)  Imgleichen  auf  diejenige  Haufen  von  Sternen,  deren 
viele  in  einem  kleinen  Räume  bei  einander  sein,  als  z.  E. 
das  Siebengestirn,  welche  vielleicht  unter  sich  ein  kleines 
System  iu  dem  größern  ausmachen. 


a)  „3  Millionen". 

b)  „8000   Jahren".     Diese  Zahlen,    die  sich  im  Auszuge 
Gensichens  finden,  sind  die  richtigen. 

c)  „erfordern"   A.  corr.  Eahts  Akad.  Ausg. 


46        Allgemeine  Xaturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Wer  weiß,  waren  es  nicht  die  (vorigen,  die  nur  den  Ort 
geändert  haben.  Die  Vortrefilichkeit  der  Werkzeuge 
und  die  Vollkommenheit  der  Sternenwissenschaft  machen 
uns  gegründete  Hoffnung  zur  Entdeckung  so  sonder- 
barer Merkwürdigkeiten.*)  Die  Glaubwürdigkeit  der 
Sache  selber  aus  den  Gründen  der  Natur  und  der 
Analogie  unterstützen  diese  Hoffnung  so  gut,  daß  sie 
die  Aufmerksamkeit  der  Naturforscher  reizen  können, 
sie    in   Erfüllung   zu    bringen. 

10  Die  Milchstraße  ist,  sozusagen,  auch  der  Tierkreis 
neuer  Sterne,  welche  fast  in  keiner  andern  Himmels- 
gegend als  in  dieser  wechselweise  sich  sehen  lassen 
und  verschwinden.  Wenn  diese  Abwechselung  ihrer 
Siciitbarkeit  von  ihrer  periodischen  Entfernung  und 
Annäherung  zu  uns  herrühret,  so  scheinet  wohl  aus 
der  angeführten  systematischen  Verfassung  der  Ge- 
stirne, daß  ein  solches  Phänomenen  m.ehrenteils  nur 
in  dem  Bezirk  der  Milchstraße  müsse  gesehen  werden. 
Denn  da  es  Sterne  sind,  die  in  sehr  ablangen -i)  Kreisen 

20  um  andere  Fixsterne  als  Trabanten  um  ihre  Haupt- 
planeten laufen,  so  erfordert  es  die  Analogie  mit 
unserm  planetischen  Weltbau,  in  welchem  nur  die 
dem  gemeinen  Plane  der  Bewegungen  nahe  Himmels- 
körper um  sich  laufende  Begleiter  haben,  daß  auch 
nur  die  Sterne,  die  in  der  Milchstraße  sind,  um  sich 
laufende  Sonnen  haben  werden,  b) 


*)  De  la  Hire  bemerket  in  den  Mänoires  der  Akademie 
zu  Paris  vom  Jahre  1693,  er  habe  sowohl  aus  eigenen  Beo- 
bachtungen, als  auch  aus  Vergleichung  derselben  mit  des 
Ricciolus  seineu  eine  starke  Änderung  in  den  Stellungen 
der  Sterne  des  Siebengestirns  wahrgenommen. 


a)   „oblongen"  Ausgabe  von  1797. 

1))  Anmerkung  Gensichens  auf  Grund  einer  Äußerung- 
Kants:  Herr  Professor  Kant  hatte  seine  Vorstellung  der 
Milchstraße,  als  eines  unserm  Planetensystem  ähnlichen 
Systems  bewegter  Sterne  schon  seit  6  Jahren  geliefert,  als 
Lambert  in  seinen  kosmologischen  Briefen  über  die  Ein- 
richtung des  Weltbaues,  die  erst  im  Jahre  1761  heraus- 
kamen, eine  ähnliche  Idee  bekannt  machte.  Es  gebührt  also 
■dem  ersten  das  Recht  des  ersten  ßesitznehmers  einer  Sache, 
die  noch  niemanden  angehörte.  Überdem  scheint  auch  die 
Larabertische   Vorstellung    sich  sehr    und   wie   mich  dünkt, 


I.  Teil.  Yon  d.  systemat.  Verfass.  uuter  d.  Fixsternen.       47 

Ich  komme  zu  demjenigen  Teile  des  vorgetragenen 
Lehrbegriffs,  der  ihn  durch  die  erhabene  Vorstellung, 
welche  er  von  dem  Plane  der  Schöpfung  darstellet, 
am  meisten  reizend  macht.  Die  Reihe  der  Gedanken, 
die  mich  darauf  geleitet  haben,  ist  kurz  und  unge- 
künstelt; sie  bestehet  in  folgendem.  Wenn  ein  System 
von  Fixsternen,  welche  in  ihren  Lagen  sich  auf  eine  ge- 
meinschaftliche Fläche  beziehen,  so  wie  wir  die  Milch- 
straße entworfen  haben,  so  weit  von  uns  entfernet 
ist,  daß  alle  Kenntlichkeit  der  einzelnen  Sterne,  daraus  10 
es  bestehet,  sogar  dem  Sehrohre  nicht  mehr  empfind- 
lich ist;  wenn  seine  Entfernung  zu  der  Entfernung  der 
Sterne  der  Milchstraße  eben  das  Verhältnis,  als  diese 
zum  Abstände  der  Sonne  von  uns  hat;  kurz,  wenn 
eine  solche  Welt  von  Fixsternen  in  einem  so  uner- 
meßlichen Abstände  von  dem  Auge  des  Beobachters, 
das  sich  außerhalb  derselben  a)  befindet,  angeschauet 
wird,  so  wird  dieselbe  unter  einem  kleinen  Winkel  als 
ein  mit  schwachem  Lichte  erleuchtetes  Räumchen  er- 
scheinen, dessen  Figur  zirkelrund  sein  wird,  wenn  seine  20 
Fläche  sich  dem  Auge  geradezu  darbietet,  und  elliptisch, 
wenn  es  von  der  Seite  gesehen  wird.  Die  Schwäche 
des  Lichts,  die  Figur  und  die  kennbare  Größe  des 
Durchmessers  werden  ein  solches  Phänomenon,  wenn 
es  vorhanden  ist,  von  allen  Sternen,  die  einzeln  gesehen 
werden,   gar  deutlich  unterscheiden. 

Man  darf  sich  unter  den  Beobachtungen  der  Stern- 
kundigen nicht  lange  nach  dieser  Erscheinung  um- 
sehen. Sie  ist  von  unterschiedlichen  Beobachtern  deut- 
lich wahrgenommen  worden.  Man  hat  sich  über  ihre  30 
Seltsamkeit  verwundert,  man  hat  gemutmaßet  und  bis- 
weilen   wunderlichen    Einbildungen,    bisweilen    schein- 


zum  Vorteil  der  letzteren  (zu  ergänzen:  von  der  Kantischen) 
zu  unterscheiden,  indem  Lambert  die  MilchstraHe  in  un- 
zählige kleinere  Teile  teilte  und  annahm,  daß  unser  Plane- 
tensystem in  einem  solcher  Teile,  zu  dem  auch  alle  Sterne 
außer  der  Milchstraße  gehören  sollten,  befindlich  sei  (S.  128. 
137.  151.  153.).  Cxensichen  in  „William  Herschel:  Über  den 
Bau  des  Himmels  usw.".  Königsberg,  Nikolovius  1791, 
S.  202. 


a)  „demselben"  A. 


48        Allgemeine  Natui-geschichte  und  Theorie  des  Himmels . 

baren  Begriffen,  die  aber  doch  ebenso  unbegründet 
als  die  erstem  waren,  Platz  gegeben.  Die  neblichten 
Sterne  sind  es,  welche  wir  meinen,  oder  vielmehr 
eine  Gattung  derselben,  die  der  Herr  von  Mauper- 
tuis  so  beschreibet:*)  Daß  es  kleine,  etwas 
mehr  als  das  Finstere  des  leeren  Himmels- 
raums erleuchtete  Plätzchen  sein,  die  alle 
darin  übereinkommen,  daß  sie  mehr  oder  weni- 
ger  offene    Ellipsen   vorstellen,     aber    deren 

10  Licht  weit  schwächer  ist  als  irgendein  ande- 
res, das  man  am  Himmel  gewahr  wird.  Der  Ver- 
fasser der  Astrotheologie  bildete  sich  ein,  daß  es 
Öffnungen  im  Firmamente  wären,  durch  welche  er  den 
Feuerhimmel  zu  sehen  glaubte.  Ein  Philosoph  von  er- 
leuchtetem Einsichten,  der  schon  angeführte  Herr  von 
Maupertuis,  hält  sie  in  Betrachtung  ihrer  Figur 
und  kennbaren  Durchmessers  vor  erstaunlich  große 
Himmelskörper,  die  durch  ihre  von  dem  Drehungs- 
schwunge  verursachte  große  Abplattung,  von  der  Seite 

20  gesehen,    elliptische   Gestalten   darstellen. 

Man  wird  leicht  überführt,  daß  diese  letztere  Er- 
klärung gleichfalls  nicht  stattfinden  könne.  Weil  diese 
Art  von  neblichten  Sternen  außer  Zweifel  zum  wenigsten 
ebensoweit  als  die  übrigen  Fixsterne  von  uns  ent- 
fernet sein  muß,  so  wäre  nicht  allein  ihre  Größe  er- 
staunlich, nach  welcher  sie  auch  die  größesten  Sterne 
viele  tausendmal  übertreffen  müßten,  sondern  das  wäre 
am  allerseltsamsten,  daß  sie  bei  dieser  außerordent- 
lichen   Größe,     da    es    selbstleuchtende   Körper   und 

30  Sonnen  sein,  das  allerstumpfste  und  schwächste  Licht 
an   sich   zeigen   sollten. 

Weit  natürlicher  und  begreiflicher  ist  es,  daß  es 
nicht  einzelne  so  große  Sterne,  sondern  Systemata 
von  vielen  sein,  deren  Entfernung  sie  in  einem  so  engen 
Räume  darstellet,  daß  das  Licht,  welches  von  jedem 
derselben  einzeln  unmerklich  ist,  bei  ihrer  un- 
ermeßlichen Menge  in  einen  einförmichten  blassen 
Schimmer  ausschlägt.  Die  Analogie  mit  dem  Sternen- 
system,  darin  wir  uns  befinden,  ihre  Gestalt,  welche 

40  gerade  so  ist,  als  sie  es  nach  unserem  Lehrbegriffe 


*)  Abhandlung  von  der  Figur  der  Sterne. 


I.  Teil.  Von  d.  sj'stemat.  Verfass.  unter  d.  Fixsternen.       49 

sein  muß,  die  Schwäche  des  Lichts,  die  eine  voraus- 
gesetzte unendliche  Entfernung  erfordert.  Alles  stimmet 
vollkommen  überein,  diese  elliptische  Figuren  vor  eben 
dergleichen  Weltordnungen,  und  so  zu  reden,  Milch- 
straßen zu  halten,  deren  Verfassung  wir  eben  ent- 
wickelt haben;  und  wenn  Mutmaßungen,  in  denen  Ana- 
logie und  Beobachtung  vollkommen  übereinstimmen, 
einander  zu  unterstützen,  ebendieselbe  Würdigkeit 
haben  als  förmliche  Beweise,  so  wird  man  die  Gre- 
wißheit  dieser  Systemen  vor  ausgemacht  halten  müssen.  10 

Nunmehro  hat  die  Aufmerksamkeit  der  Beobachter 
des  Himmels  Bewegungsgründe  genug,  sich  mit  diesem 
Vorwurfe  zu  beschäftigen.  Die  Fixsterne,  wie  wir 
wissen,  beziehen  sich  alle  auf  einen  gemeinschaftlichen 
Plan  und  machen  dadurch  ein  zusammengeordnetes 
Ganze,  welches  eine  Welt  von  Welten  ist.  Man  siehet, 
daß  in  unermeßlichen  Entfernungen  es  mehr  solcher 
Sternensystemen  gibt,  und  daß  die  Schöpfung  in  dem 
ganzen  unendlichen  Umfange  ihrer  Größe  allenthalben 
systematisch  und  aufeinander  beziehend  ist.*)  20 

Man  könnte  noch  mutmaßen,  daß  eben  diese  höhere 


*)  Anmerkung  Gensichens  auf  Grund  einer  Äußerung 
Kants  a.  o.  a.  0.  (S.  107):  „Lambert  scheint  ungewiß  ge- 
wesen zu  sein,  wofür  er  die  Nebelsterne  halten  sollte.  Denn 
ob  man  gleich  aus  einigen  Stellen  in  seinen  Briefen  schließen 
möchte,  er  habe  sie  für  entfernte  Milchstraßen  angesehen 
(S.  129.  147),  so  läßt  sich  doch  wieder  aus  anderen  Stellen 
vermuten,  daß  er  sie,  wenigstens  den  Lichtschimmer  im 
Orion,  für  das  Licht  angesehen  habe,  das  seine  von  benach- 
barten Sternen  erleuchteten  dunkeln  Zentralkörper  zu  uns 
reflektieren  (S.  254.  285.  302.  u.  9.,  310  u.  12).  Gewiß 
scheint  zu  sein,  daß  Lambert  das  Dasein  mehrerer  Milch- 
straßen vermutet  (S.  129.  147.  158,  305),  aber  es  scheint 
nicht,  daß  er  die  Nebelsterne  für  dergleichen  entfernte 
Milchstraßen  ansieht.  Man  kann  also  diese  Vorstellung  nicht 
eigentlich  einen  von  Lambert  gewagten  Gedanken 
nennen,  wie  Erxleben  in  seiner  Naturlehre  1772  S.  540 
sagt  und  wie  es  in  den  neuern  durch  H.  Hofr.  Lichten- 
berg vermehrten  Ausgaben  stehen  geblieben  ist;  und  da 
dieser  Gedanke  von  Kant  schon  im  Jahre  1755,  und  zwar 
ganz  bestimmt  vorgetragen  worden  ist,  so  %vird,  auf  welcher 
Seite  die  Priorität  dieser  Vorstellungsart  sei,  femer  nicht 
gezweifelt  werden  können. 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.    I.  4 


50        Allgemeine  XaturgeschicLte  und  Theorie  des  Himmels. 

Weltordnungen  niclit  chne  Beziehung  gegeneinander 
sein,  und  durch  dieses  gegenseitige  Verhältnis  wiederum 
ein  nocü  unermeßlicheres  System  ausmachen.  In  der 
Tat  siehet  man,  daß  die  elliptische  Figuren  diesera) 
Arten  neblichter  Sterne,  welche  der  Herr  vonMauper- 
tuis  anführet,  eine  sehr  nahe  Beziehung  auf  den  Plan 
der  Milchstraße  haben.  Es  stehet  hier  ein  weites  Feld 
zu  Entdeckungen  offen,  wozu  die  Beobachtung  den 
Schlüssel  geben  muß.  Die  eigentlich  so  genannten  neb- 

10  lichten  Sterne  und  die,  über  welche  man  strittig  ist,  sie 
so  zu  benennen,  müßten  nach  Anleitung  dieses  Lehr- 
begriffs untersucht  und  geprüft  werden.  Wenn  man 
die  Teile  der  Natur  nach  Absichten  und  einem  ent- 
deckten Entwürfe  betrachtet,  so  eröffnen  sich  gewisse 
Eigenschaften,  die  sonst  übersehen  werden  und  ver- 
borgen bleiben,  wenn  sich  die  Beobachtung  ohne  An- 
leitung auf  alle  Gegenstände  zerstreuet. 

Der  Lehrbegriff,  den  wir  vorgetragen  haben,   er- 
öffnet uns  eine  Aussicht  in  das  unendliche  Feld  der 

20  Schöpfung  und  bietet  eine  Vorstellung  von  dem  Werke 
Gottes  dar,  die  der  Unendlichkeit  des  großen  Werk- 
meisters gemäß  ist.  Wenn  die  Größe  eines  planetischen 
Weltbaues,  darin  die  Erde  als  ein  Sandkorn  kaum  be- 
merket wird,  den  Verstand  in  Verwunderung  setzt, 
mit  welchem  Erstaunen  wird  man  entzücket,  wenn 
man  die  unendliche  Menge  Welten  und  Systemen 
ansiehet,  die  den  Inbegriff  der  Milchstraße  erfüllen; 
allein  wie  vermehrt  sich  dieses  Erstaunen,  wenn  man 
gewahr   wird,    daß   alle    diese    unermeßliche    Stern- 

30  Ordnungen  wiederum  die  Einheit  von  einer  Zahl  machen, 
deren  Ende  wir  nicht  wissen,  und  die  vielleicht  ebenso 
wie  jene  unbegreiflich  groß  und  doch  wiederum  noch 
die  Einheit  einer  neuen  Zahlverbindung  ist  Wir  sehen 
die  ersten  Glieder  einer  fortschreitenden  Verhältnis 
von  Welten  und  Systemen,  und  der  erste  Teil  dieser 
unendlichen  Progression  gibt  schon  zu  erkennen,  was 
man  von  dem  Ganzen  vermuten  soll.  Es  ist  hie  kein 
Ende,  sondern  ein  Abgrund  einer  wahren  Unermeß- 
lichkeit, worin  alle  Fähigkeit  der  menschlichen  Begriffe 

40  sinket,    wenn    sie    gleich  durch    die  Hilfe  der  Zahl- 

1)   .,die8e"  A. 


I.  Teil.  Von  d.  systemat.  Verfass.  unter  d.  Fixsternen       51 

Wissenschaft  erhoben  wird.  Die  Weisheit,  die  Güte, 
die  Macht,  die  sich  offenbaret  hat,  ist  unendlich  und 
in  eben  der  Maße  fruchtbar  und  geschäftig;  der  Plan 
ihrer  Offenbarung  muß  daher  eben  wie  sie  unendlich 
und  ohne  Grenzen  sein. 

Es  sind  aber  nicht  allein  im  Großen  wichtige  Ent- 
deckungen zu  machen,  die  den  Begriff  zu  erweitern 
dienen,  den  man  sich  von  der  Größe  der  Schöpfung 
machen  kann.  Im  Kleinern  ist  nicht  weniger  unent- 
deckt,  und  wir  sehen  sogar  in  unserer  Sonnenwelt  die  10 
Glieder  eines  Systems,  die  unermeßlich  weit  vonein- 
ander abstehen,  und  zwischen  welchen  man  die 
Zwischenteile  noch  nicht  entdecket  hat.  Sollte  zwischen 
dem  Saturn,  dem  äußersten  unter  den  Wandelsternen, 
die  wir  kennen,  und  dem  am  wenigsten  exzentrischen 
Kometen,  der  vielleicht  von  einer  10  und  mehrmal 
entlegenem  Entfernung  zu  uns  herabsteigt,  kein  Planet 
mehr  sein,  dessen  Bewegung  der  kometischen  näher  als 
jener  käme?  und  sollten  nicht  noch  andere  mehr  durch 
eine  Annäherung  ihrer  Bestimmungen  vermittelst  einer  20 
Reihe  von  Zwischengliedern  die  Planeten  nach  und  nach 
in  Kometen  verwandeln,  und  die  letztere  Gattung  mit 
der  erstem  zusammenhängen? 

Das  Gesetz,  nach  welchem  die  Exzentrizität  der 
Planetenkreise  sich  in  Gegenhaltung  ihres  Abstandes 
von  der  Sonne  verhält,  unterstützt  diese  Vermutung. 
Die  Exzentrizität  in  den  Bewegungen  der  Planeten 
nimmt  mit  derselben  Abstände  von  der  Sonne  zu,  und 
die  entfernten  Planeten  kommen  dadurch  der  Bestim- 
mung der  Kometen  näher.  Es  ist  also  zu  vermuten,  30 
daß  es  noch  andere  Planeten  über  dem  Saturn  geben 
wird,  welche  noch  exzentrischer,  und  dadurch  also 
jenen  noch  näher  verwandt,  vermittelst  einer  be- 
ständigen Leiter  die  Planeten  endlich  zu  Kometen 
machen.  Die  Exzentrizität  ist  bei  der  Venus  Vi26  von 
der  halben  Achse  ihres  elliptischen  Kreises;  bei  der 
Erde  Vss,  beim  Jupiter  V2o>  ^^nd  beim  Saturn  Vi?  der- 
selben; sie  nimmt  also  augenscheinlich  mit  den  Ent- 
fernungen zu.  Es  ist  wahr,  Merkur  und  Mars  nehmen 
sich  durch  ihre  viel  größere  Exzentrizität,  als  das  40 
Maß  ihres  Abstandes  von  der  Sonne  es  erlaubet,  von 
diesem   Gesetze  aus;  aber   wir   werden  im   folgenden 

4* 


52        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

belehret  werden,  daß  eben  dieselbe  Ursache,  wes- 
wegen einigen  Planeten  bei  ihrer  Bildung  eine  kleinere 
Masse  zuteil  worden,  auch  die  Ermangelung  des 
zum  Zirkellaufe  erforderlichen  Schwunges,  folglich  die 
Exzentrizität  nach  sich  gezogen,  folglich  sie  in  beiden 
Stücken  unvollständig  gelassen  hat, 

Ist  es  diesem  zufolge  nicht  wahrscheinlich,  daß 
die  Abnahme  a)  der  Exzentrizität  der  über  dem  Saturn 
zunächst  befindlichen  Himmelskörper  ohngefähr  ebenso 

10  gemäßigt  als  in  den  untern  sei,  und  daß  die  Planeten 
durch  minder  plötzliche  Abfälle  mit  dem  Geschlechte 
der  Kometen  verwandt  sein?  Denn  es  ist  gewiß,  daß 
eben  diese  Exzentrizität  den  wesentlichen  Unterschied 
zwischen  den  Kometen  und  Planeten  macht,  und  die 
Schweife  und  Dunstkugeln  derselben  nur  deren  Folge 
sein;  imgleichen,  daß  eben  die  Ursache,  welche  es 
auch  immerhin  sein  mag,  die  den  Himmelskörpern 
ihre  Kreisbewegungen  erteilet  hat,  bei  größern  Ent- 
fernungen    nicht     allein     schwächer    gewesen,     den 

20  Drehungsschwung  der  Senkungskraft  gleich  zu  machen, 
und  dadurch  "die  Bewegungen  exzentrisch  gelassen  hat, 
sondern  auch  eben  deswegen  weniger  vermögend  ge- 
wesen, die  Kreise  dieser  Kugeln  auf  eine  gemein- 
schaftliche Fläche,  auf  welcher  sich  die  untern  be- 
wegen, zu  bringen,  und  dadurch  die  Ausschweifung 
der  Kometen  nach  allen  Gegenden  veranlasset  hat. 
Man  würde  nach  dieser  Vermutung  noch  vielleicht 
die  Entdeckung  neuer  Planeten  über  dem  Saturn  zu 
hoffen  haben,  die  exzentrischer  als  dieser  und  also  der 

SO  kometischen  Eigenschaft  näher  sein  würden;  aber  eben 
daher  würde  man  sie  nur  eine  kurze  Zeit,  nämlich 
in  der  Zeit  ihrer  Sonnennähe,  erblicken  können,  welcher 
Umstand  zusamt  dem  geringen  Maße  der  Annäherung 
und  der  Schwäche  des  Lichts  die  Entdeckung  der- 
selben b)  bisher  verhindert  haben  und  auch  aufs 
künftige  schwer  machen  müssen.    Der   letzte   Planet 


a)  Hierzu  bemerkt  Rahts:  Ak.  Ausg.  S.  549  „soll  wohl 
heißen  „Zunahme  der  Exzentrizität",  da  nach  Kants  Aus- 
führungen die  Bahnen  vom  Saturn  nach  den  Kometen  zu 
immer  exzentrischer  werden".     Vgl.  S.  80f. 

b)  „desselben"  A. 


I.  Teil.  Von  d.  systemat.  Verfass.  unter  d.  Fixsternen.       53 

und  erste  Komet  würde,  wenn  es  so  beliebte,  der- 
jenige können  genannt  werden,  dessen  Exzentrizität  so 
groß  wäre,  daß  er  in  seiner  Sonnennähe  den  Kreis 
des  ihm  nächsten  Planeten,  vielleicht  also  des  Saturns, 
durchschnitte.  *) 


*j  Der  Teil  dieses  Abschnitts,  der  von  den  zunehmenden 
Exzentrizitäten  mit  wachsendem  Abstand  von  der  Sonne 
handelt  (von  S.  50  „Der  Lehrbegriff-'  an  bis  zum  Schluß;, 
fehlt  in  Gensichens  Auszug  vollständig  und  ist  wohl  auf 
Kants  Veranlassung  unterdrückt  worden.  Vgl.  Ak.  Ausg. 
S.  549. 


Allgemeine 

Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels 

Zweiter  Teil 

Von  dem  ersten  Zustande  der  Natur,  der 
Bildung  der  Himmelskörper,  den  Ursachen 
ihrer  Bewegung  und  der  systematischen  Be- 
ziehung derselben  sowohl  in  dem  Planeten- 
gebäude insonderheit,  als  auch  in  Ansehung 
der  ganzen  Schöpfung 


Schau    sich   die  bildende  Natur  zu  ihrem 

großen  Zweck  beweg-en, 
Ein  jedes  Sonnenstäubchen  sich  zu  einem 

andern  Stäubchen  regen, 
Ein   jedes,    das  gezogen  wird,    das  andre 

wieder  an  sich  ziehn, 
Das  nächste  wieder  zu  umfassen,  es  zu  formieren 

sich  bemühn. 
Beschaue  die  Materie  auf  tausend  Art  und 

Weise  sich 
Zum  allgemeinen  Centro  drängen. 

Pope. 


/ 


Allgemeine 
Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Zweiter  Teil. 


Erstes  Hauptstück. 

Von  dem  Ursprünge  des  planetischen  Weltbaues  überhaupt  und 
den  Ursachen  ihrer  Bewegungen. 

Die  Betrachtung  des  Weltbaues  zeiget  in  Ansehung 
der  gewechselten  Beziehungen,  die  seine  Teile  unter- 
einander haben,  und  wodurch  sie  die  Ursache  be- 
zeichnen, von  der  sie  herstammen,  zwo  Seiten,  welche  10 
beide  gleich  wahrscheinlich  und  annehmungswürdig 
sein.  Wenn  man  einesteils  erwäget,  daß  6  Planeten 
mit  9  a)  Begleitern,  die  um  die  Sonne,  als  ihren  Mittel- 
punkt, Kreise  beschreiben,  alle  nach  einer  Seite  sich 
bewegen,  und  zwar  nach  derjenigen,  nach  welcher  sich 
die  Sonne  selber  drehet,  welche  ihrer  alle  Umläufe 
durch  die  Kraft  der  Anziehung  regieret,  daß  ihre 
Kreise  nicht  weit  von  einer  gemeinen  Fläche  ab- 
weichen, nämlich  von  der  verlängerten  Äquatorsfläche 
der  Sonnen,  daß  bei  den  entferntesten  der  zur  Sonnen-  -20 
weit  gehörigen  Himmelskörper,  wo  die  gemeine 
Ursache  der  Bewegung  dem  Vermuten  nach  nicht  so 
kräftig  gewesen  als  in  der  Nahheit  zum  Mittel- 
punkte, Abweichungen  von  der  Genauheit  dieser  Be- 
stimmungen stattgefunden,  die  mit  dem  Mangel  der 
eingedrückten  Bev/egung  ein  genügsames  Verhältnis 
haben,  wenn  man,  sage  ich,  allen  diesen  Zusammen- 


a)  Kehrbach  u.  Kahts  \k.  Ausg.  „10"  vgl.  S.  148. 


58        Allgemeine  Xaturgeschicbte  und  Theorie  des  Himmels. 

hang  erwäget,  so  wird  man  bewogen,  zu  glauben, 
daß  eine  Ursache,  welche  es  auch  sei,  einen  durch- 
gängigen Einfluß  in  dem  ganzen  Räume  des  Systems 
gehabt  hat,  und  daß  die  Einträchtigkeit  in  der  Rich- 
tung und  Stellung  der  planetischen  Kreise  eine  Folge 
der  Übereinstimmung  sei,  die  sie  alle  mit  derjenigen 
materialischen  Ursache  gehabt  haben  müssen,  dadurch 
sie  in  Bewegung  gesetzet  worden. 

Wenn  wir  andernteils  den  Raum  erwägen,  in  dem 

10  die  Planeten  unsers  Systems  herumlaufen,  so  ist  er 
vollkommen  leer*)  und  aller  Materie  beraubt,  die  eine 
Gemeinschaft  des  Einflusses  auf  diese  Himmelskörper 
verursachen  und  die  Übereinstimmung  unter  ihren  Be- 
wegungen nach  sich  ziehen  könnte.  Dieser  Umstand  ist 
mit  vollkommener  Gewißheit  ausgemacht  und  übertrifft 
noch,  wo  möglich,  die  vorige  Wahrscheinlichkeit. 
Newton,  durch  diesen  Grund  bewogen,  konnte  keine 
materialische  Ursache  verstatten,  die  durch  ihre 
Erstreckung    in    dem    Räume    des    Planetengebäudes 

20  die  Gemeinschaft  der  Bewegungen  unterhalten  sollte. 
Er  behauptete,  die  unmittelbare  Hand  Gottes  habe 
diese  Anordnung  ohne  die  Anwendung  der  Kräfte 
der  Natur  ausgerichtet. 

Man  siehet  bei  unparteiischer  Erwägung,  daß  die 
Gründe  hier  von  beiden  Seiten  gleich  stark  und  beide 
einer  völligen  Gewißheit  gleich  zu  schätzen  sein.  Es 
ist  aber  ebenso  klar,  daß  ein  Begriff  sein  müsse,  in 
welchem  diese  dem  Scheine  nach  wider  einander  strei- 
tende  Gründe  vereiniget  werden   können   und   sollen, 

30  und  daß  in  diesem  Begriffe  das  wahre  System  zu 
suchen  sei.  Wir  wollen  ihn  mit  kurzen  Worten  an- 
zeigen. In  der  jetzigen  Verfassung  des  Raumes,  darin 
die  Kugeln  der  ganzen  Planetenwelt  umlaufen,  ist  keine 
materialische  Ursache  vorhanden,  die  ihre  Bewegungen 


*)  Ich  untersuche  hier  nicht,  ob  dieser  Raum  in  dem 
allereigentlichsten  Verstände  könne  leer  genannt  werden. 
Denn  alihier  ist  genug,  zu  bemerken,  daß  alle  Materie, 
die  etwa  in  diesem  Räume  anzutreffen  sein  möchte,  viel  zu 
unvermögend  sei,  als  daß  sie  in  Ansehung  der  bewegten 
Massen,  von  denen  die  Frage  ist,  einige  Wirkung  verüben 
könnte. 


II.  Teil.     1.  Hauptst.     "\'on  dem  Ursprünge  etc.         59 

eindrücken  oder  richten  könnte.  Dieser  Raum  ist  voll- 
kommen leer,  oder  wenigstens  so  gut  als  leer;  also 
muß  er  ehemals  anders  beschaffen  und  mit  genugsam 
vermögender  Materie  erfüllet  gewesen  sein,  die  Be- 
wegung auf  alle  darin  befindliche  Himmelskörper  zu 
übertragen,  und  sie  mit  der  ihrigen,  folglich  alle  unter- 
einander einstimmig  zu  machen;  und  nachdem  die  An- 
ziehung besagte  Räume  gereinigt  und  alle  ausgebreitete 
xMaterie  in  besondere  Klumpen  versammlet,  so  müssen 
die  Planeten  nunmehro  mit  der  einmal  eingedrückten  10 
Bewegung  ihre  Umläufe  in  einem  nicht  widerstehenden 
Räume  frei  und  unverändert  fortsetzen.  Die  Gründe 
der  zuerst  angeführten  Wahrscheinlichkeit  erfordern 
durchaus  diesen  Begriff,  und  weil  zwischen  beiden 
Fällen  kein  dritter  möglich  ist,  so  kann  dieser  müt 
einer  vorzüglichen  Art  des  Beifalles,  welcher  ihn  über 
die  Scheinbarkeit  einer  Hypothese  erhebet,  angesehen 
werden.  Man  könnte,  wenn  man  weitläuftig  sein  wollte, 
durch  eine  Reihe  aus  einander  gefolgerter  Schlüsse  nach 
der  Art  einer  mathematischen  Methode  mit  allem  Ge-  20 
prange,  den  diese  mit  sich  führet,  und  noch  mit 
größerem  Schein,  als  ihr  Aufzug  in  physischen  Materien 
gemeinhin  zu  sein  pfleget,  endlich  auf  den  Entwurf 
selber  kommen,  den  ich  von  dem  Ursprünge  des  Welt- 
gebäudes darlegen  werde;  allein  ich  will  meine 
Meinungen  lieber  in  der  Gestalt  einer  Hypothese  vor- 
tragen und  der  Einsicht  des  Lesers  es  überlassen, 
ihre  Würdigkeit  zu  prüfen,  als  durch  den  Schein  einer 
erschlichenen  Überführung  ihre  Gültigkeit  verdächtig 
machen,  und,  indem  ich  die  Unwissenden  einnehme,  30 
den   Beifall   der   Kenner   verlieren. 

Ich  nehme  an,  daß  alle  Materien,  daraus  die  Kugeln, 
die  zu  unserer  Sonnenwelt  gehören,  alle  Planeten  und 
Kometen  bestehen,  im  Anfange  aller  Dinge  in  ihren 
elementarischen  Grundstoff  aufgelöset,  den  ganzen 
Raum  des  Weltgebäudes  erfüllet  haben,  darin  jetzo 
diese  gebildete  Körper  herumlaufen.  Dieser  Zustand 
der  Natur,  wenn  man  ihn,  auch  ohne  Absicht  auf  ein 
System  an  und  vor  sich  selbst  betrachtet,  scheinet 
nur  der  einfachste  zu  sein,  der  auf  das  Nichts  folgen  40 
kann.  Damals  hatte  sich  noch  nichts  gebildet.  Die 
Zusammensetzung  voneinander   abstehender  Himmels- 


CO        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  deß  Himmels. 

körper,  ihre  nach  den  Anziehungen  gemäßigte  Ent- 
fernung, ihre  Gestalt,  die  aus  dem  Gleichgewichte 
der  versammleten  Materie  entspringet,  sind  ein  späterer 
Zustand.  Die  Natur,  die  unmittelbar  mit  der  Schöpfung 
grenzete,  war  so  roh,  so  ungebildet,  als  möglich.  Allein 
auch  in  den  wesentlichen  Eigenschaften  der  Elemente, 
die  das  Chaos  ausmachen,  ist  das  Merkmal  derjenigen 
Vollkommenheit  zu  spüren,  die  sie  von  ihrem  Ur- 
sprünge her  haben,  indem  ihr  Wesen  aus  der  ewigen 

10  Idee  des  göttlichen  Verstandes  eine  Folge  ist.  Die 
einfachsten,  die  allgemeinsten  Eigenschaften,  die  ohne 
Absicht  scheinen  entworfen  zu  sein,  die  Materie,  die 
bloß  leidend  und  der  Formen  und  Anstalten  be- 
dürftig zu  sein  scheinet,  hat  in  ihrem  einfachsten  Zu- 
stande eine  Bestrebung,  sich  durch  eine  natürliche 
Entwickelung  zu  einer  vollkommeneren  Verfassung  zu 
bilden.  Allein  die  Verschiedenheit  in  den  Gat- 
tungen der  Elemente  traget  zu  der  Regung  der 
Natur  und  zur  Bildung  des  Chaos  das  Vornehmste  bei, 

20  als  wodurch  die  Ruhe,  die  bei  einer  allgemeinen  Gleich- 
heit unter  den  zerstreuten  Elementen  herrschen  würde, 
gehoben  wird^),  und  das  Chaos  in  den  Punkten  der 
stärker  anziehenden  Partikeln  sich  zu  bilden  anfängt. 
Die  Gattungen  dieses  Grundstoffes  sind  ohne  Zweifel 
nach  der  Unermeßlichkeit,  die  die  Natur  an  allen  Seiten 
zeigt,  unendlich  verschieden.  Die  von  größter  spezi- 
fischen Dichtigkeit  und  Anziehungskraft,  welche  an  und 
vor  sich  weniger  Raum  einnehmen  und  auch  seltener 
sein,  werden  daher  bei  der  gleichen  Austeilung  in  dem 

30  Räume  der  Welt  zerstreuter  als  die  leichtern  Arten 
sein.  Elemente  von  lOOOmal  größerer  spezifischen 
Schwere  sind  tausend,  vielleicht  auch  millionenmal  zer- 
streuter als  die  in  diesem  Maße  leichtern.  Und  da 
diese  Abfälle  so  unendlich  als  möglich  müssen  gedacht 
werden,  so  wird,  gleichwie  es  körperliche  Bestand- 
teile von  einer  Gattung  geben  kann,  die  eine  andere 
in  dem  Maße  an  Dichtigkeit  übertrifft,  als  eine  Kugel, 
die  mit  dem  Radius  des  Planetengebäudes  beschrieben 
worden,   eine  andere,   die  den  tausendsten  Teil  einer 

40  Linie  im  Durchmesser  hat,   also   auch  jene   Art  von 


a)  „wii'd"  fehlt  A.  corr.  Ak.  Ausg. 


IL  Teil.     1.  Hauptst.     Von  dem  Ursprünge  etc.         ßl 

zerstreuten  Elementen  um  einen  so  viel  größern  Ab- 
stand voneinander  entfernet  sein,  als  diese. 

Bei  einem  auf  solche  Weise  erfüllten  Räume  dauert 
die  allgemeine  Ruhe  nur  einen  Augenblick.  Die  Ele- 
mente haben  wesentliche  Kräfte,  einander  in  Bewegung 
zu  setzen,  und  sind  sich  selber  eine  Quelle  des  Lebens. 
Die  Materie  ist  sofort  in  Bestrebung,  sich  zu  bilden. 
Die  zerstreuten  Elemente  dichterer  Art  sammlen,  ver- 
mittelst der  Anziehung,  aus  einer  Sphäre  rund  um  sich 
alle  Materie  von  minder  spezifischer  Schwere;  sie  selber  10 
aber  zusamt  der  Materie,  die  sie  mit  sich  vereinigt 
haben,  sammlen  sich  in  den  Punkten,  da  die  Teilchen 
von  noch  dichterer  Gattung  befindlich  sein,  diese 
gleichergestalt  zu  noch  dichteren,  und  so  fortan.  In- 
dem man  also  dieser  sich  bildenden  Natur  in  Gedanken 
durch  den  ganzen  Raum  des  Chaos  nachgehet,  so  wird 
man  leichtlich  inner  daß  alle  Folgen  dieser  Wirkung 
zuletzt  in  der  Zusammensetzung  verschiedener  Klumpen 
bestehen  würden  f»)  die  nach  'Verrichtung  ihrer  Bil- 
dungen durch  die  Gleichheit  der  Anziehung  ruhig  und  20 
auf  immer  unbewegt  sein  würden. 

Allein  die  Natur  hat  noch  andere  Kräfte  im  Vor- 
rat, welche  sich  vornehmlich  äußern,  wenn  die  Materie 
in  feine  Teilchen  aufgelöset  ist,  als  wodurch  selbige 
einander  zurückstoßen  und  durch  ihren  Streit  mit  der 
Anziehung  diejenige  Bewegung  hervorbringen,  b)  die 
gleichsam  ein  dauerhaftes  Leben  der  Natur  ist.  Durch 
diese  Zurückstoßungskraft,  die  sich  in  der  Elastizität 
der  Dünste,  dem  Ausflusse  starkriechender  Körper  und 
der  Ausbreitung  aller  geistigen  Materien  offenbaret  30 
und  die  ein  unstreitiges  Phänomenen  der  Natur  ist, 
werden  die  zu  ihren  Anziehungspunkten  sinkende  Ele- 
mente c)  durcheinander  von  der  geradlinichten  Bewe- 
gung   seitwärts   gelenket,    und    der    senkrechte   Fall 


a)  „würde-'. 

b)  „hervorbringen  können"  Gensichen  a.  o.  a.  0.  wahr- 
scheinlich Kants  eigene  Korrektur  s.  Ak.  Ausg.  Bd.  I  S.  650. 

c)  „wenn  der  Widerstand,  den  sie  im  Fallen  gegenein- 
ander seitwärts  ausüben,  nicht  genau  von  allen  Seiten  gleich 
ist,  welches  sich  nicht  wohl  annehmen  läßt".  Zusatz  bei 
Gensichen  vgl.  b). 


(32        Allgemeine  Xaturgeschichte  und  Theorie  des  Himinela. 

schlägt '^l  in  Kreisbewegungen  aus,  die  den  Mittel- 
punkt der  Senkung  umfassen.  Wir  wollen,  um  die  Bil- 
dung des  Weltbaues  deutlich  zu  begreifen,  unsere  Be- 
trachtung von  dem  unendlichen  Inbegriffe  der  Natur 
auf  ein  besonderes  System  einschränken,  so  wie  dieses 
zu  unserer  Sonne  gehörige  ist.  Nachdem  wir  die  Er- 
zeugung desselben  erwogen  haben,  so  werden  wir  auf 
eine  ähnliche  Weise  zu  dem  Ursprünge  der  höhern 
Weltordnungen  fortschreiten  und  die  Unendlichkeit  der 

10  ganzen  Schöpfung  in  einem  Lehrbegriffe  zusammen- 
fassen können. 

Wenn  demnach  ein  Punkt  in  einem  sehr  großen 
Räume  befindlich  ist,  wo  die  Anziehung  der  daselbst 
befindlichen  Elemente  stärker  als  allenthalben  um  sich 
wirket,  so  wird  der  in  dem  ganzen  Umfange  ausge- 
breitete Grundstoff  elementarischer  Partikeln  sich  zu 
diesem  hinsenken.  Die  erste  Wirkung  dieser  allge- 
meinen Senkung  ist  die  Bildung  eines  Körpers  in  diesem 
Mittelpunkte   der   Attraktion,    welcher   sozusagen   von 

20  einem  unendlich  kleinen  Keime'')  in  schnellen  Graden 
fortwächset,  aber  in  eben  der  Maße,  als  diese  Masse 
sich  vermehret,  auch  mit  stärkerer  Kraft  die  um- 
gebenden Teile  zu  seiner  Vereinigung  beweget  Wenn 
die  Masse  dieses  Zentralkörpers  so  weit  angewachsen 
ist,  daß  die  Geschwindigkeit,  womit  er  die  Teilchen 
von  großen  Entfernungen  zu  sich  zieht,  durch  die 
schwachen  Grade  der  Zurückstoßung,  womit  selbige 
einander  hindern,  seitwärts  gebeuget  in  Seiten- 
bewegungen ausschlaget,  die  den  Zentralkörper,  ver- 

30  mittelst  der  Zenterfliehkraft,  in  einem  Kreise  zu  um- 
fassen imstande  sein,  so  erzeugen  sich  große  Wirbel 
von  Teilchen,  deren  jedes  vor  sich  krumme  Linien 
durch  die  Zusammensetzung  der  anziehenden  und  der 
seitwärts  gelenkten  Umwendungskraft  beschreibet; 
welche  Arten  von  Kreisen  alle  einander  durchschneiden, 
wozu  ihnen  'ihre  große  Zerstreuung  in  diesem  Räume 
Platz  läßt.    Indessen  sind   diese   auf   mancherlei   Art 

a)  „schlägt  so  zuletzt"  Zusatz  im  Auszug  von  Gensichen 
eiehe  b,  S.  62). 

b)  „anfänglich  langsam  (durch  chemische  Anziehung),  dar- 
auf aber  in  schnellen  Graden  (durch  die  sogenannte  New- 
tonische .  .  ."  Zusatz  Kants,  Gensichen  a.  o.  a.  0. 


II.  Teil.     1.  Hauptst,     Von  dem  Ursprünge  etc.         63 

untereinander  streitende  Bewegungen  natürlicherweise 
betrebt,  einander  zur  Gleichheit  zu  bringen,  das  ist 
in  einen  Zustand,  da  eine  Bewegung  der  andern  so 
wenig  als  möglich  hinderlich  ist.  Dieses  geschiehet 
erstlich,  indem  die  Teilchen  eines  des  andern  Be- 
wegung so  lange  einschränken,  bis  alle  nach  einer 
Richtung  fortgehen;  zweitens,  daß  die  Partikeln  ihre 
Vertikalbewegung,  vermittelst  der  sie  sich  dem  Centro 
der  Attraktion  nähern,  so  lange  einschränken,  bis  sie 
alle-i)  horizontal,  d.  i.  in  parallel  laufenden  Zirkeln  um  10 
die  Sonne  als  ihren  Mittelpunkt  beweget,  einander 
nicht  mehr  durchkreuzen  und  durch  die  Gleichheit 
der  Schw^mgskraft  mit  der  senkenden  sich  in  freien 
Zirkelläufen  in  der  Höhe,  da  sie  schweben,  immer  er- 
halten; so  daß  endlich  nur  diejenige  Teilchen  in  dem 
Umfange  des  Raumes  schweben  bleiben,  die  durch 
ihr  Fallen  eine  Geschwindigkeit,  und  durch  die  Wider- 
stehung der  andern  eine  Richtung  bekommen  haben, 
dadurch  sie  eine  freie  Zirkelbewegung  fortsetzen 
können.  In  diesem  Zustande,  da  alle  Teilchen  nach  20 
einer  Richtung  und  in  parallellaufenden  Kreisen,  näm- 
lich in  freien  Zirkelbewegungen  durch  die  erlangt« 
Schwungskräfte  um  den  Zentralkörper  laufen,  ist  der 
Streit  und  der  Zusammenlauf  der  Elemente  gehoben, 
und  alles  ist  in  dem  Zustande  der  kleinsten  Wechsel- 
wirkung. Dieses  ist  die  natürliche  Folge,  darein  sich 
allemal  eine  Materie,  die  in  streitenden  Bewegungen 
begriffen  ist,  versetzet.  Es  ist  also  klar,  daß  von  der 
zerstreuten  Menge  der  Partikeln  eine  große  Menge 
durch  den  Widerstand,  dadurch  sie  einander  auf  diesen  30 
Zustand  zu  bringen  suchen,  zu  solcher  Genauheit  der 
Bestimmungen  gelangen  muß;  obgleich  eine  noch  viel 
größere  Menge  dazu  nicht  gelanget,  und  nur  dazu 
dienet,  den  Klumpen  des  Zentralkörpers  zu  vermehren, 
in  welchen  sie  sinken,  indem  sie  sich  nicht  in  der  Höhe, 
darin  sie  schweben,  frei  erhalten  können,  sondern  die 
Kreise  der  untern  durchkreuzen  und  endlich  durch 
deren  Widerstand  alle  Bewegung  verlieren.  Dieser 
Körper  in  dem  Mittelpunkte  der  Attraktion,  der  diesem 
zufolge    das  Hauptstück    des    planetischen   Gebäudes  40 


aj  „gleichsam  horizontal"  Zusatz  Kants,  Gensichen. 


64        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

durch  die  Menge  seiner  versammleten  Materie  worden 
ist,  ist  die  Sonne,  ob  sie  gleich  diejenige  flammende 
Glut  alsdenn  noch  nicht  hat,  die  nach  völlig  vollen- 
deter Bildung  auf  ihrer  Oberfläche  hervorbricht. 

Noch  ist  zu  bemerken:  daß,  indem  also  alle  Ele- 
mente der  sich  bildenden  Natur,  wie  erwiesen,  nach 
einer  Richtung  um  den  Mittelpunkt  der  Sonne  sich  be- 
wegen, bei  solchen  nach  einer  einzigen  Gegend  gerich- 
teten Umläufen,  die  gleichsam  auf  einer  gemeinschaft- 

10  liehen  Achse  geschehen,  die  Drehung  der  feinen  Materie 
in  dieser  Art  nicht  bestehen  kann;  weil  nach  den  Ge- 
setzen der  Zentralbewegung  alle  Umläufe  mit  dem  Plan 
ihrer  Kreise  den  Mittelpunkt  der  Attraktion  durch- 
schneiden müssen,  unter  allen  diesen  aber  um  eine  ge- 
meinschaftliche Achse  nach  einer  Richtung  laufenden 
Zirkeln  nur  ein  einziger  ist,  der  den  Mittelpunkt  der 
Sonne  durchschneidet,  daher  alle  Materie  von  beiden 
Seiten  dieser  in  Gedanken  gezogenen  Achse  nach  dem- 
jenigen Zirkel  hineilet,  der  durch  die  Achse  der  Drehung 

20  gerade  in  dem  Mittelpunkte  der  gemeinschaftlichen 
Senkung  gehet,  a)    Welcher  Zirkel  der  Plan  der  Be- 


a)  Zu  dieser  Stelle  bemerkte  Öttingen:  „Kants  Allge- 
meine Naturgeschichte  usw."  in  Ostwalds  Klassikern  der 
exakten  Wissenschaften,  Leipzig  1898,  S.  153.  „Der  ganze 
Absatz  gehört  wohl  zu  den  verworrensten  und  schlechtest 
stylisierten  der  ganzen  Abhandlung.  Dazu  kommt  noch, 
daß  in  allen  späteren  Ausgaben  die  Worte  , Achse  der 
Drehung'  in  , Drehung  der  Achse'*)  umgeändert  worden  sind, 
wodurch  die  Verwirrung  erheblich  vermehrt  worden  ist. 
Die  Stelle  ist  indes  wichtig  für  das  ganze  Kantsche  System. 
Darum  muß  man  versuchen,  seine  Auffassung  mit  anderen 
Worten  wiederzugeben,  mit  möglichst  engem  Anschluß  an 
seine  Gedankenreihe.  Die  von  uns  veränderten  Worte  heben 
wir  durch  gesperrten  Druck  hervor:  ,Noch  ist  zu  bemerken, 
daß  indem  also  alle  Elemente  der  sich  bildenden  Natur, 
wie  erwiesen,  in  einem  Sinne  um  die  Sonne  sich  be- 
wegen, bei  solchen  in  einerlei  Sinne  statthabenden 
Umläufen  die  Fortbewegung  feiner  Materie  in  dieser 
Art  nicht  bestehen  kann,  weil  nach  Gesetzen  der  Zentral- 
bewegung alle  Umlaufs  ebenen  den  Mittelpunkt   der  At- 


*)  z.B.  Ausg.  V.  1797,  dagegen  nicht  Hartenstein,  Kehr- 
bach.    Ak.  Ausg-. 


II.  Teil.     1.  Hauptst.     Von  dem  Ursprünge  etc.         65 

Ziehung  aller  herumschwebenden  Elemente  ist,  um 
welchen  sie  sich  so  sehr  als  möglich  häufen,  und  da- 
gegen die  von  dieser  Fläche  entferneten  Gegenden  leer 
lassen;  denn  diejenigen,  welche  dieser  Fläche,  zu 
welcher  sich  alles  dränget,  nicht  so  nahe  kommen 
können,  werden  sich  in  den  Örtern,  wo  sie  schweben, 
nicht  immer  erhalten  können,  sondern,  indem  sie  an 
die  herumschwebenden  Elemente  stoßen,  ihren  end- 
lichen Fall  zu  der  Sonne  veranlassen. 

Wenn  man  also  diesen  .herumschwebenden  Grund-  10 
Stoff  der  Weltmaterie  in  solchem  Zustande,  darin  er 
sich  selbst  durch  die  Anziehung  und  durch  einen 
mechanischen  Erfolg  der  allgemeinen  Gesetze  des 
Widerstandes  versetzet,  erwäget,  so  sehen  wir  einen 
Raum,  der  zwischen  zwei  nicht  weit  voneinander  ab- 
stehenden Flächen,  in  dessen  Mitte  der  allgemeine  Plan 
der  Beziehung  sich  befindet,  begriffen  ist,  von  dem 
Mittelpunkte  der  Sonne  an  in  unbekannte  Weiten  aus- 
gebreitet, in  welchem  alle  begriffene  Teilchen,  jegliche 
nach  Maßgebung  ihrer  Höhe  und  der  Attraktion,  die  da-  20 
selbst  herrschet,  abgemessene  Zirkelbewegungen  in 
freien  Umläufen  verrichten,  und  daher,  indem  sie  bei 
solcher  Verfassung  einander  so  v/enig  als  möglich  mehr 
hindern,  darin  immer  verbleiben  würden,  wenn  die  An- 
ziehung dieser  Teilchen  des  Grundstoffes  untereinander 
nicht  alsdenn  anfinge,  seinem)  Wirkung  zu  tun  und  neue 
Bildungen,  die  der  Same  zu  Planeten,  welche  entstehen 
sollen,  sein,  dadurch  veranlassete.  Denn  indem  die  um 
die  Sonne  in  parallelen  Zirkeln  bewegte  Elemente,  in 
nicht  gar  zu  großem  Unterschiede  des  Abstandes  von  30 


traktion  durchschneiden  müssen;  alle  um  eine  gemeinschaft- 
liche Achse  gedachten  einander  parallelen  Bahnen 
liegen  in  Ebenen,  von  denen  nur  eine  den  Mittel- 
punkt der  Sonne  durchschneidet,  daher  alle  Materie  von 
beiden  Seiten  nach  dieser  Ebene  hineilet,  die  die  Achse 
der  Drehung  gerade  im  Mittelpunkt  der  Attraktion 
schneidet.'  Und  weiter:  Diese  Ebene  ist  der  Plan  der 
Beziehung  aller  herumschwebenden  Elemente  .  .  .  usw." 
Mögen  die  Herrn  Herausgeber  der  Umsetzung  in  Drehung 
der  Achse  einen  andern  Kommentar  geben.  Der  von  Kant 
gedachte  „Plan  der  Beziehung"  ist  kurz  gesagt  der  Äquator", 
a)  „ihre"? 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     I.  5 


66        Allgemeine  Xaturgeschichte  und  Theorie  des  Hiuimels. 

der  Sonne  genommen,  durch  die  Gleichheit  der  paral- 
lelen Bewegung  beinahe  in  respektiver  Ruhe  gegen- 
einander sein,  so  tut  die  Anziehung  der  daselbst  befind- 
lichen Elemente  von  übertreffender  spezifischer  At- 
traktion sogleich  hier  eine  beträchtliche  Wirkung,*) 
die  Sammlung  der  nächsten  Partikeln  zur  Bildung  eines 
Körpers  anzufangen,  der,  nach  dem  Maße  des  An- 
wuchses seines  Klumpens,  seine  Anziehung  weiter  aus- 
breitet und  die  Elemente  aus  weitem  Umfange  zu  seiner 

10  Zusammensetzung  bewegt. 

Die  Bildung  der  Planeten  in  diesem  System  hat 
vor  einem  jeden  möglichen  Lehrbegriffe  dieses  voraus: 
daß  der  Ursprung  der  Massen  zugleich  den  Ursprung 
der  Bewegungen  und  die  Stellung  der  Kreise  in  eben- 
demselben Zeitpunkte  darstellet;  ja,  daß  sogar  die  Ab- 
weichungen von  der  größesten  Genauheit  in  diesen 
Bestimmungen  ebensowohl  als  die  Übereinstimmungen 
selber  in  einem  Anblicke  erhellen.  Die  Planeten  bilden 
sich  aus  den  Teilchen,   welche  in  der  Höhe,   da  sie 

20  schweben,  genaue  Bewegungen  zu  Zirkelkreisen  haben; 
also  werden  die  aus  ihnen  zusammengesetzte 
Massen  ebendieselbe  Bewegungen  in  eben  dem 
Grade  nach  ebenderselbenRichtungfortsetzen. 
Dieses  ist  genug,  um  einzusehen,  woher  die  Bewegung 
der  Planeten  ohngefähr  zirkeiförmig,  und  ihre  Kreise 
auf  einer  Fläche  sein,    Sie  würden  auch  ganz  genaue 


*;  Der  Anfang  der  sich  bildenden  Planeten  ist  nicht 
allein  in  der  Newtonischen  Anziehung  zu  suchen.  Diese 
würde  bei  einem  Partikelchen  von  so  ausnehmender  Feinig- 
keit  gar  zu  langsam  und  schwach  sein.  Man  würde  -vdel- 
mehr  sagen,  daß  in  diesem  Räume  die  erste  Bildung 
durch  den  Zusammenlauf  einiger  Elemente,  die  sich  durch 
die  gewöhnlichen  Gesetze  des  Zusammenhanges  vereinigen, 
geschehe,  bis  derjenige  Klumpen,  der  daraus  entstanden, 
nach  und  nach  so  weit  angewachsen,  daß  die  Newtonische 
Anziehungskraft  an  ihm  vermögend  *)  geworden,  ihn 
durch  seine  Wirkung  in  die  Feme  immer  mehr  zu  ver- 
größern. 


a)  „vermögend"  wohl  im  Sinne  von  merklich  zu  nehmen. 
Ottingen  a.  o.  a.  0.  S.  154. 


II.  Teil.     1.  Hauptst.     Von  dem  Ursprünge  etc.         67 

Zirkel  sein,*)  wenn  die  Weite,  daraus  sie  die  Elemente 
zu  ihrer  Bildung  versammlen,  sehr  klein,  und  also 
der  Unterschied  ihrer  Bewegungen  sehr  gering  wäre. 
Da  aber  dazu  ein  weiter  Umfang  gehöret,  aus  dem  feinen 
Grundstoffe,  der  in  dem  Himmelsraum  so  sehr  zer- 
streuet ist,  einen  dichten  Klumpen  eines  Planeten  zu 
bilden,  so  ist  der  Unterschied  der  Entfernungen,  die 
diese  Elemente  von  der  Sonne  haben,  und  mithin 
auch  der  Unterschied  ihrer  Geschwindigkeiten  nicht 
mehr  geringschätzig;  folglich  würde  nötig  sein,  daß,  10 
um  bei  diesem  Unterschiede  der  Bewegungen  dem 
Planeten  die  Gleichheit  der  Zentralkräfte  und  die  Zirkel- 
geschwindigkeit zu  erhalten,  die  Teilchen,  die 
aus  verschiedenen  Höhen  mit  verschiedenen  Be- 
v/egungen  auf  ihm  zusammenkommen,  eine  den  Mangel 
der  andern  genau  ersetzten,  welches,  ob  es  gleich 
in  der  Tat  ziemlich  genau  geschiehet,  **)  dennoch,  da 
an  dieser  vollkommenen  Ersetzung  etwas  fehlet,  den 
Abgang  an  der  Zirkelbewegung  und  die  Exzentrizität 
nach  sich  ziehet.  Ebenso  leicht  erhellet,  daß,  obgleich  20 
die  Kreise  aller  Planeten  billig  auf  einer  Fläche  sein 
sollten,  dennoch  auch  in  diesem  Stücke  eine  kleine  Ab- 
weichung anzutreffen  ist,  weil,  wie  schon  erwähnet,  die 
elementarischen  Teilchen,  da  sie  sich  dem  allgemeinen 
Bestehungsplane^)  ihrer  Bewegungen  so  nahe  als  möglich 

*)  Diese  abgemessene  Zirkelbewegung  betrifft  eigent- 
lich nur  die  der  Sonne  nahen  Planeten;  denn  von  den 
großen  Entfernungen,  da  sich  die  entlegensten  Planeten 
oder  auch  die  Kometen  gebildet  haben,  ist  leicht  zu  vermuten, 
daß,  weil  die  sinkende  Bewegung  des  Grundstoffs  daselbst 
viel  schwächer,  die  Weitläuftigkeit  der  Räume,  da  sie  zer- 
streuet sein,  auch  größer  ist,  die  Elemente  daselbst  an  und  vor 
sich  schon  von  der  zirkelgleichen  Bewegung  abweichen  und 
dadurch  die  Ursache  der  daraus  gebildeten  Körper  sein  müssen. 

**)  Denn  die  Teilchen  von  der  zur  Sonne  nähern  Ge- 
gend, welche  eine  größere  Umlaufsgeschwindigkeit  haben 
als  in  dem  Orte,  da  sie  auf  dem  Planeten  sich  versammlen, 
zur  Zirkelbewegung  erfordert  wird,  ersetzen  dasjenige,  was 
denen  von  der  Sonne  entfernteren  Teilchen,  die  sich  eben- 
demselben Körper  einverleiben,  an  Geschwindigkeit  fehlet, 
um  in  dem  Abstände   des  Planeten  zirkeiförmig  zu  laufen. 


a)  „Beziehungsplane"? 


68        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

befinden,  dennoch  einigen  Raum  von  beiden  Seiten  des- 
selben einschließen;  da  es  denn  ein  gar  zu  glückliches 
Ohngefähr  sein  würde,  wenn  gerade  alle  Planeten  ganz 
genau  in  der  Mitte  zwischen  diesen  zwei  Seiten  in  der 
Fläche  der  Beziehung  selber  sich  zu  bilden  anfangen 
sollten,  welches  denn  schon  einige  Neigung  ihrer  Kreise 
gegeneinander  veranlasset,  obschon  die  Bestrebung  der 
Partikeln,  von  beiden  Seiten  diese  Ausweichung  so  sehr 
als  möglich  einzuschränken,  ihr  nur  enge  Grenzen  zu- 
10  lasset.  Man  darf  sich  also  nicht  wundern,  auch  hier  die 
größeste  Genauheit  der  Bestimmungen  so  wenig  wie 
bei  allen  Dingen  der  Natur,  anzutreffen  weil  überhaupt 
die  Vielheit  der  Umstände,  die  an  jeglicher  Natur- 
beschaffenheit Anteil  nehmen,  eine  abgemessene  Regel- 
mäßigkeit nicht  verstattet. 


Zweites  Hauptstück. 

Von  der  verschiedenen  Dichtigkeit  der  Planeten  und  dem 
Verliältnisse  ihrer  Massen. 

Wir  haben  gezeiget,  daß  die  Teilchen  des  elemen- 
20  tariscben  Grundstoffes,  da  sie  an  und  vor  sich  in  dem 
Welträume  gleich  ausgeteilet  waren,  durch  ihr  Nieder- 
sinken zur  Sonne  in  den  Orten  schweben  geblieben, 
wo  ihre  im  Fallen  erlangte  Geschwindigkeit  gerade  die 
Gleichheit  gegen  die  Anziehung  leistete,  und  ihre  Rich- 
tung so,  wie  sie  bei  der  Zirkelbewegung  sein  soll,  senk- 
recht gegen  den  Zirkelstrahl  gebeuget  worden.  Wenn 
wir  nun  aber  Partikeln  von  unterschiedlicher  spezi- 
fischer Dichtigkeit  in  gleichem  Abstände  von  der  Sonne 
gedenken,  so  dringen  die  von  größerer  spezifischen 
30  Schwere  tiefer  durch  den  Widerstand  der  andern  zur 
Sonne  hindurch  und  werden  nicht  sobald  von  ihrem 
Wege  abgebeuget,  als  die  leichteren;  daher  ihre  Be- 
wegung nur  in  einer  größeren  Annäherung  zur 
Sonne  zirkelförmicht  wird.  Dagegen  werden  die  Ele- 
mente leichterer  Art  eher  von  dem  geradlinichten  Falle 
abgebeuget  in  Zirkelbewegungen  ausschlagen,  ehe  sie 
so   tief  zu  dem  Zentro  hindurchgedrungen  sein,   und 


II.  Teil.   2.  Hauptst.  V.  der  versch.  Dichtigkeit  etc.       69 

also  in  größeren  Entfernungen  schweben  bleiben,») 
auch  durch  den  erfüllten  Raum  der  Elemente  nicht  so 
tief  hindurchdringen  können,  ohne  daß  ihre  Bewegung 
durch  dieser  ihren  Widerstand  geschwächet  wird,  und 
sie  die  großen  Grade  der  Geschwindigkeit,  die  zur 
Umwendung  näher  beim  Mittelpunkte  erfordert  werden, 
nicht  erlangen  können; b)  also  werden,  nach  erlangter 
Gleichheit  der  Bewegungen,  die  spezifisch  leichtern 
Partikeln  in  weitern  Entfernungen  von  der  Sonne  um- 
laufen, die  schwereren  aber  in  den  näheren  anzu-  10 
treffen  sein,  und  die  Planeten,  die  sich  aus  ihnen  bilden, 
werden  daher  dichterer  Art  sein,  welche  sich  näher 
zur  Sonne,  als  die  sich  weiter  von  ihr  aus  dem  Zu- 
sammenlaufe dieser  Atomen  formieren. 

Es  ist  also  eine  Art  eines  statischen  Gesetzes, 
welches  den  Materien  des  Weltraumes  ihre  Höhen  nach 
dem  verkehrten  Verhältnisse  der  Dichtigkeit  bestimmet. 
Gleichwohl  ist  es,  ebenso  leicht  zu  begreifen:  daß  nicht 
eben  eine  jegliche  Höhe  nur  Partikeln  von  gleicher 
spezifischen  Dichtigkeit  einnehmen  müsse.  Von  denen  20 
Teilchen  von  gewisser  spezifischen  Gattung  bleiben 
diejenigen  in  größern  Weiten  von  der  Sonne  schweben 
und  erlangen  die  zur  beständigen  Zirkelbewegung  er- 
forderliche Mäßigung  ihres  Falles  in  weiterm  Abstände, 
welche  von  größern  Entfernungen  zu  ihr  herabgesunken; 
dagegen  die,  deren  ursprünglicher  Ort  bei  der  all- 
gemeinen Austeilung  der  Materien  im  Chaos  der  Sonne 
näher  war,  ungeachtet  ihrer  nicht  größern  Dichtig- 
keit näher  zu  dieser  ihrem  c)  Zirkel  des  Umlaufs 
kommen  werden.  Und  da  also  die  Örter  der  Materien,  30 
in  Ansehung  des  Mittelpunkts  ihrer  Senkung  nicht  allein 
durch  die  spezifische  Schwere  derselben,  sondern  auch 
durch  ihre  ursprüngliche  Plätze  bei  der  ersten  Ruhe 
der  Natur  bestimmet  werden,  so  ist  leicht  zu  erachten, 
daß  ihrer  sehr  verschiedene  Gattungen  in  jedem  Ab- 
stände   von    der    Sonne    zusammenkommen    werden, 

a — b)  Diese  Stelle  lautet  bei  Gensichen:  ,.weil  sie  durch 
den  erfüllten  Raum  der  Elemente  nicht  so  tief  hindurch- 
dringen dürfen,  damit  ihre  Bewegung,  durch  diesen  ihren 
Widerstand  seitwärts  gewandt,  die  zum. .freien  Umlaufe  er- 
forderliche Geschwindigkeit  erlange".     Änderung  Kants. 

c)  Rahts  (Ak.  Ausg.)   „zu  dieser  zu  ihrem". 


70        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

um  daselbst  hängen a)  zu  bleiben,  daß  überhaupt  aber 
die  dichtem  Materien  häufiger  zu  dem  Mittelpunkte 
hin,  als  weiter  von  ihm  ab  werden  angetroffen  werden, 
und  daß  also,  ungeachtet  die  Planeten  eine  Mischung 
sehr  verschiedentlicher  Materien  sein  werden,  dennoch 
überhaupt  ihre  Massen  dichter  sein  müssen,  nach  dem 
Maße,  als  sie  der  Sonne  näher  sein,  und  minderer 
Dichtigkeit,    nachdem   ihr   Abstand   größer   ist. 

Unser  System  zeiget  in  Ansehung  dieses  unter  den 

10  Planeten  herrschenden  Gesetzes  ihrer  Dichtigkeiten  eine 
vorzügliche  Vollkommenheit  von  allen  denjenigen  Be- 
griffen, die  man  sich  von  ihrer  Ursache  gemacht  hat, 
oder  noch  machen  könnte.  Newton,  der  die  Dichtig- 
keit einiger  Planeten  durch  Rechnung  bestimmet  hatte, 
glaubte  die  Ursache  ihres,  nach  dem  Abstände  einge- 
richteten Verhältnisses  in  der  Anständigkeit  der  Wahl 
Gottes  und  in  den  Bewegungsgründen  seines  Endzwecks 
zu  finden,  weil  die  der  Sonne  näheren  Planeten  mehr 
Hitze  von  ihr  aushalten  müssen,   und  die  entferntem 

20  mit  wenigem  Graden  der  Wärme  sich  behelfen  sollen; 
welches  nicht  möglich  zu  sein  scheinet,  wenn  die  der 
Sonne  nahen  Planeten  nicht  dichterer  Art,  und  die  ent- 
ferneteren  von  leichterer  Materie  zusammengesetzt 
wären.  Allein  die  Unzulänglichkeit  einer  solchen  Er- 
klärung einzusehen,  erfordert  nicht  eben  viel  Nach- 
sinnen. Ein  Planet,  z.  E.  unsere  Erde,  ist  aus  sehr 
weit  voneinander  unterschiedenen  Gattungen  Materie 
zusammengesetzt;  unter  diesen  war  es  nun  nötig,  daß 
die  leichteren,  die  durch  die  gleiche  Wirkung  der  Sonne 

30  mehr  durchdrungen  und  bewegt  werden,  deren  Zu- 
sammensatz ein  Verhältnis  zu  der  Wärme  hat,  womit 
ihre  Strahlen  wirken,  auf  der  Oberfläche  ausgebreitet 
sein  mußten;  allein  daß  die  Mischung  der  übrigen 
Materien  im  Ganzen  des  Klumpens  diese  Beziehung 
haben  müsse,  erhellet  hieraus  gar  nicht,  weil  die 
Sonne  auf  das  Innere  der  Planeten  gar  keine  Wirkung 
■  tut.  Newton  befürchtete,  wenn  die  Erde  bis  zu  der 
Nähe  des  Merkurs  in  den  Strahlen  der  Sonne  versenket 
würde,  so  dürfte  sie  wie  ein  Komet  brennen,  und  ihre 

40  Materie    nicht   genügsame   Feuerbeständigkeit   haben. 


a)  „schweben"  Kant  nach  Gensichen. 


II.  Teil.   2.  Hauptst.  V.  der  versch.  Dichtigkeit  etc.       71 

um  durch  diese  Hitze  nicht  zerstreuet  zu  werden.  Allein 
um  wieviel  mehr  müßte  der  Sonnen  eigene  Materie 
selber,  welche  doch  4  mal  leichter  als  die  ist,  daraus 
die  Erde  besteht,  von  dieser  Glut  zerstöret  werden; 
oder  warum  ist  der  Mond  zweimal  dichter  als  die  Erde, 
da  er  doch  mit  dieser  in  ebendemselben  Abstände 
von  der  Sonne  schwebet?  Man  kann  also  die  pro- 
portionierten Dichtigkeiten  nicht  der  Verhältnis  zu  der 
Sonnenwärme  zuschreiben,  ohne  sich  in  die  größeste 
Widersprüche  zu  verwickeln.  Man  siehet  vielmehr,  eine  10 
Ursache,  die  die  Örter  der  Planeten  nach  der  Dichtig- 
keit ihres  Klumpens  austeilet,  müsse  auf  das  Innere 
ihrer  Materie  und  nicht  auf  ihre  Oberfläche  eine  Be- 
ziehung gehabt  haben;  sie  müsse,  ohnerachtet  dieser 
Folge,  die  sie  bestimmete,  doch  eine  Verschiedenheit 
der  Materie  in  ebendemselben  Himmelskörper  ver- 
statten und  nur  im  Ganzen  des  Zusammensatzes  dieses 
Verhältnis  der  Dichtigkeit  festsetzen;  welchem  allen 
ob  irgendein  anderes  statisches  Gesetz,  als  wie  das, 
so  in  unserer  Lehrverfassung  vorgetragen  wird,  ein  20 
Gnüge  leisten  könne,  überlasse  ich  der  Einsicht  des 
Lesers,   zu  urteilen. 

Das  Verhältnis  unter  den  Dichtigkeiten  der  Pla- 
neten führet  noch  einen  Umstand  mit  sich,  der  durch 
eine  völlige  Übereinstimmung  mit  der  vorher  ent- 
worfenen Erklärung  die  Richtigkeit  unseres  Lehrbe- 
griffes bewähret.  Der  Himmelskörper,  der  in  dem 
Mittelpunkte  anderer  um  ihn  laufenden  Kugeln  stehet, 
ist  gemeiniglich  leichterer  Art  als  der  Körper,  der  am 
nächsten  um  ihn  herumläuft.  Die  Erde  in  Ansehung  30 
des  Mondes  und  die  Sonne  in  Ansehung  der  Erde 
zeigen  ein  solches  Verhältnis  ihrer  Dichtigkeiten.  Nach 
dem  Entwürfe,  den  wir  dargelegt  haben,  ist  eine  solche 
Beschaffenheit  notwendig.  Denn  da  die  untern  Pla- 
neten vornehrnJich  von  dem  Ausschusse  der  elementa- 
rischen Materien a)  gebildet  worden,  welche  durch  den 
Vorzug  ihrer  Dichtigkeit  bis  zu  solcher  Nähe  zum 
Mittelpunkte  mit  dem  erforderlichen  Grade  der  Ge- 
schwindigkeit haben  dringen  können;  dagegen  der 
Körper  in  dem  Mittelpunkte  selber,  ohne  Unterscheid  40 

a)  Materie  A. 


72        Allgemeine  Naturgdscbiobte  und  Theorie  des  Himmels. 

aus  denen  Materien  aller  vorhandenen  Gattungen,  die 
ihre  gesetzmäßige  Bewegungen  nicht  erlanget  haben, 
zusammen  gehäufet  worden,  unter  welchen,  da  die 
leichteren  Materien  den  größesten  Teil  ausmachen,  es 
leicht  einzusehen  ist,  daß,  weil  der  nächste  oder  die 
nächsten  zu  dem  Mittelpunkte  umlaufenden  Himmels- 
körper gleichsam  eine  Aussonderung  dichterer  Sorten, 
der  Zentralkörper  aber  eine  Mischung  von  allen  ohne 
Unterschied  in  sich  fasset,  jenes  seine  Substanz  dich- 

10  terer  Art  als  dieser  sein  werde.  In  der  Tat  ist  auch 
der  Mond  2  mal  dichter  als  die  Erde,  und  diese  4  mal 
dichter  als  die  Sonne,  welche  allem  Vermuten  nach 
von  den  noch  tieferen,  der  Venus  und  dem  Merkur, 
in  noch  höheren  Graden  an  Dichtigkeit  wird  übertroffen 
werden. 

Anjetzo  wendet  sich  unser  Augenmerk  auf  das 
Verhältnis,  welches  die  Massen  der  Himmelskörper, 
nach  unserem  Lehrbegriff  in  Vergleichung  ihrer  Ent- 
fernungen   haben    sollen,    um    das    Resultat    unseres 

20  Systems  an  den  untrüglichen  Rechnungen  des  Newton 
zu  prüfen.  Es  bedarf  nicht  viel  Worte,  um  begreiflich 
zu  machen:  daß  der  Zentralkörper  jederzeit  das  Haupt- 
stück seines  Systems,  folglich  die  Sonne  auf  eine 
vorzügliche  Art  an  Masse  größer  als  die  gesamten 
Planeten  sein  müsse;  wie  denn  dieses  auch  vom  Jupiter 
in  Ansehung  seiner  Nebenplancten  und  vom  Saturn  in 
Betrachtung  der  seinigen  gelten  wird.  Der  Zentral- 
körper bildet  sich  aus  dem  Niedersatze  aller  Partikeln 
aus   dem   ganzen   Umfange   seiner   Anziehungssphäre, 

30  welche  die  genaueste  Bestimmung  der  Zirkelbewegung 
und  die  nahe  Beziehung  auf  die  gemeinschaftliche 
Fläche  nicht  haben  bekommen  können,  und  deren  ohne 
Zweifel  eine  ungemein  größere  Menge,  als  der 
letzteren  sein  muß.  Um  an  der  Sonne  vornehmlich 
diese  Betrachtung  anzuwenden:  wenn  man  die  Breite 
des  Raumes,  um  den  die  in  Zirkeln  umlaufende  Par- 
tikeln, welche  den  Planeten  zum  Grundstoffe  gedienet 
haben,  am  weitesten  von  der  gemeinschaftlichen  Fläche 
abgewichen  sind,  schätzen  will,  so  kann  man  sie  ohn- 

40  gefähr  etwas  größer,  als  die  Breite  der  größesten  Ab- 
weichung der  Planetenkreise  voneinander  annehmen. 
Nun   macht  aber,    indem   sie   von   der   gemeinschaft- 


II.  Teil.   2.  Hauptst.  Y.  der  versch.  Dichtigkeit  etc.       73 

liehen  Fläche  nach  beiden  Seiten  ausschweifen,  ihre 
größte  Neigung  gegeneinander  kaum  TV^  Grade  aus. 
Also  kann  man  alle  Materie,  daraus  die  Planeten  sich 
gebildet  haben,  sich  als  in  denjenigen  Raum  aus- 
gebreitet gewesen  vorstellen,  der  zwischen  zwei  Flächen 
von  dem  Mittelpunkte  der  Sonne  aus  begriffen  war, 
die  einen  Winkel  von  7V2  Grade  einschlössen.  Nun 
ist  aber  eine  nach  der  Richtung  des  größten  Zirkels 
gehende  Zone  von  7V2  Grad  Breite  etwas  mehr  als 
der  17  te  Teil  der  Kugelfläche,  also  der  körperliche  10 
Raum  zwischen  den  zwo  Flächen,  die  den  sphärischen 
Raum  in  der  Breite  obgedachten  Winkels  ausschneiden, 
etwas  mehr  als  der  17te  Teil  des  körperlichen  Inhaltes 
der  ganzen  Sphäre.  Also  würde  dieser  Hypothese 
gemäß  alle  Materie,  die  zur  Bildung  der  Planeten 
angewandt  worden,  ohngefähr  den  siebzehnten  Teil 
derjenigen  Materie  ausmachen,  die  die  Sonne  aus  eben 
der  Weite,  als  der  äußerste  Planet  stehet,  von  beiden 
Seiten  zu  ihrer  Zusammensetzung  gesammlet  hat.  Allein 
dieser  Zentralkörper  hat  einen  Vorzug  des  Klumpens  20 
vor  dem  gesamten  Inhalte  aller  Planeten,  der  nicht 
zu  diesem  wie  17  : 1,  sondern  wie  650  zu  1  ist,  wie 
die  Ausrechnung  des  Newton  es  bestimmet;  aber  es 
ist  auch  leicht  einzusehen,  daß  in  den  obern  Räumen 
über  dem  Saturn,  wo  die  planetischen  Bildungen  ent- 
weder aufhören  oder  dochf^)  selten  sein,  wo  nur  einige 
wenige  kometische  Körper  sich  gebildet  haben,  und 
wo  vornehmlich  die  Bewegungen  des  Grundstoffes,  in- 
dem sie  daselbst  nicht  geschickt  sein,  zu  der  ge- 
setzmäßigen Gleichheit  der  Zentralkräfte  zu  gelangen  30 
als  in  der  nahen  Gegend  zum  Zentro,  nur  in  eine  fast 
allgemeine  Senkung  zum  Mittelpunktet')  ausschlagen 
und  die  Sonne  mit  aller  Materie  aus  so  weit  aus- 
gedehnten Räumen  vermehren,  daß,  sage  ich,  aus  diesen 
Ursachen  der  Sonnenklumpen  die  so  vorzügliche  Größe 
der  Masse  erlangen  müsse. 

Um  aber  die  Planeten  in  Ansehung  ihrer  Massen 


a)  „im  Verhältnis  auf  die  Größe   der  Räume".     Zusatz 
Kants  n.  Gensichen. 

b)  „oder  wie  bei  den  Kometen  in   eine  derselben  nahe 
Bewegung".  Zusatz  Kants  n.  Gensichen. 


74        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

untereinander  zu  vergleichen,  so  bemerken  wir  erst- 
lich, daß  nach  der  angezeigten  Bildungsart  die  Quan- 
tität der  Materie,  die  in  den  Zusammensatz  eines 
Planeten  kommt,  auf  die  Weite  seiner  Entfernung  von 
der  Sonne  vornehmlich  ankomme;  1.  darum,  weil  die 
Sonne  durch  ihre  Anziehung  die  Sphäre  der  Attraktion 
eines  Planeten  einschränkt,  aber  bei  gleichen  Um- 
ständen der  entfernteren  ihre  nicht  so  enge  einschränkt, 
als  der  nahen,  2.  weil  die  Zirkel,  aus  denen  alle  Teil- 

10  chen  zusammengekommen  sein,  einen  entferntem a)  Pla- 
neten auszumachen,  mit  größerem  Radius  beschrie- 
ben werden,  also  mehr  Grundstoff,  als  die  kleinern 
Zirkel  in  sich  fassen,  3.  weil  aus  eben  dem  letzten 
Grunde  die  Breite  zwischen  den  zwei  Flächen  der 
größesten  Abweichung,  bei  gleicher  Anzahl  Grade, 
in  großen  Höhen  größer  als  in  kleinen  ist.  Dagegen 
wird  dieser  Vorzug  der  entfernteren  Planeten  vor  den 
niedrigem  zwar  dadurch  eingeschränkt,  daß  die  Par- 
tikeln näher  zur  Sonne  dichterer  Art,  und  allem  An- 

20  sehen  nach  auch  weniger  zerstreuet,  als  in  größerem 
Abstände  sein  werden;  allein  man  kann  leicht  er- 
messen, daß  die  ersteren  Vorteile  zu  Bildung  großer 
Massen,  die  letztern  Einschränkungen  dennoch  weit 
übertreffen,  und  überhaupt  die  Planeten,  die  sich  in 
weitem  Abstände  von  der  Sonne  bilden,  größere 
Massen,  als  die  nahen  bekommen  müssen.  Dieses  ge- 
schiehet  also,  insoferne  man  sich  die  Bildung  eines 
Planeten  nur  als  in  Gegenwart  der  Sonne  vorstellet; 
allein    wenn    man    mehrere   Planeten    in   unterschied- 

30  lichem  Abstände  sich  bilden  läßt,  so  wird  einer  den 
Umfang  der  Attraktion  des  andern  durch  seine  An- 
ziehungssphäre einschränken,  und  dieses  bringt  eine 
Ausnahme  von  dem  vorigen  Gesetze  zuwege.  Denn 
derjenige  Planet,  welcher  einem  andern  von  ausnehmen- 
der Masse  nahe  ist,  wird  sehr  viel  von  der  Sphäre 
seiner  Bildung  verlieren  und  dadurch  ungleich  kleiner 
werden,  als  das  Verhältnis  seines  Abstandes  von  der 
Sonne  allein  es  erheischet.  Obgleich  also  im  Ganzen 
die  Planeten  von  größerer  Masse  sein,   nachdem  sie 

40  weiter  von  der  Sonne  entfernt  sind,  wie  denn  über- 


a)  „entfernteren"  Zusatz  n.  Gensichen. 


II.  Teil.   2.  Hauptst.  V.  der  versch.  Dichtigkeit  etc.       75 

haupt  Saturn  und  Jupiter,  als  die  zwei  Hauptstücke 
unseres  Systems,  darum  die  größesten  sein,  weil  sie 
von  der  Sonne  am  weitesten  entfernet  sind,  so  finden 
sich  dennoch  Abweichungen  von  dieser  Analogie,  in 
denen  aber  jederzeit  das  Merkmal  der  allgemeinen 
Bildung  hervorleuchtet^  die  wir  von  den  Himmels- 
körpern behaupten:  dai3  nämlich  ein  Planet  von  aus- 
nehmender Größe  die  nächsten  von  beiden  Seiten  der 
ihnen  wegen  ihrer  Sonnenweite  gebührenden  Masse 
beraubet,  indem  er  einen  Teil  der  Materien  sich  zu-  10 
eignet,  die  zu  jener  ihrer  Bildung  kommen  sollten.  In 
der  Tat  hat  Mars,  der  vermöge  seines  Ortes  größer 
als  die  Erde  sein  sollte,  durch  die  Anziehungskraft 
des  ihm  nahen  so  großen  Jupiters  an  seiner  Masse 
eingebüßet;  und  Saturn  selber,  ob  er  gleich  durch 
seine  Höhe  einen  Vorzug  über  den  Mars  hat,  ist  den- 
noch nicht  gänzlich  befreiet  gewesen,  durch  Jupiters 
Anziehung  eine  beträchtliche  Einbuße  zu  erleiden,  und 
mich  dünkt,  Merkur  habe  die  ausnehmende  Kleinig- 
keit seiner  Masse  nicht  allein  der  Anziehung  der  ihm  20 
so  nahen  mächtigen  Sonne,  sondern  auch  der  Nachbar- 
schaft der  Venus  zu  verdanken,  welche,  wenn  man 
ihre  mutmaßliche  Dichtigkeit  mit  ihrer  Größe  ver- 
gleicht, ein  Planet  von  beträchtlicher  Masse  sein  muß. 
Indem  nun  alles  so  vortrefflich,  als  man  es  nur 
wünschen  mag,  zusammenstimmet,  die  Zulänglichkeit 
einer  mechanischen  Lehrverfassung  bei  dem  Ursprünge 
des  Weltbaues  und  der  Himmelskörper  zu  bestätigen, 
so  wollen  wir,  indem  wir  den  Raum  schätzen,  darin 
der  Grundstoff  der  Planeten  vor  ihrer  Bildung  aus-  30 
gebreitet  gewesen,  erwägen,  in  welchem  Grade  der 
Dünnigkeit  dieser  Mittelraum  damals  erfüllet  gev\'esen, 
und  mit  was  vor  Freiheit,  oder  wie  wenigen  Hinder- 
nissen die  herumschwebenden  Partikeln  ihre  gesetz- 
mäßige Bewegungen  darin  haben  anstellen  können. 
Wenn  der  Raum,  der  alle  Materie  der  Planeten  in 
sich  begriff,  in  demjenigen  Teile  der  Saturnischen 
Sphäre  enthalten  war,  der  von  dem  Mittelpunkte  der 
Sonne  aus,  zwischen  zwei  um  7^)  Grade  weit  in  allen 
Höhen  voneinander  abstehenden  Flächen  begriffen,  und  40 


a)  „zwei  und  7''.   Hartenstein. 


76        Allgemeine  Naturg-eschiclite  und  Theorie  des  Himmels. 

daher  der  siebenzehnte  Teil  der  ganzen  Sphäre  war, 
die  man  mit  dem  Radius  der  Höhe  des  Saturns  be- 
schreiben kann,  so  wollen  wir,  um  die  Veränderung 
des  planetischen  Grundstoffs,  da  er  diesen  Raum  er- 
füllete,  auszurechnen,  nur  die  Höhe  des  Saturns 
100  000  Erddiameter  ansetzen;  so  wird  die  ganze 
Sphäre  des  Saturnischen  Kreises  den  Raumesinhalt  der 
Erdkugel  1000  Billionen  mal-'»)  übertreffen;  davon,  wenn 
wir   anstatt  des   siebenzehnten   Teiles   auch   nur   den 

10  zwanzigsten  nehmen,  der  Raum,  darin  der  elementa- 
rische Grundstoff  schwebete,  den  Raumesinhalt  der 
Erdkugel  dennoch  50  Billionen")  mal  übertreffen  muß. 
Wenn  man  nun  die  Masse  aller  Planeten  mit  ihren 
Begleitern  Veso  des  Sonnenklumpens  nach  dem  Newton 
ansetzet,  so  wird  die  Erde,  die  nur  ^/i692S2  derselben 
ist,  sich  zu  der  gesamten  Masse  aller  planetischen 
Materie  wie  1  zu  27672*0  verhalten;  und  wenn  man 
daher  alle  diese  Materie  zu  gleicher  spezifischen 
Dichtigkeit  mit  der  Erde  brächte,   würde  daraus  ein 

20  Körper  entstehen,  der  27T^/.jma\  größern  Raum  als 
die  Erde  einnähme.  Wenn  wir  daher  die  Dichtigkeit 
der  Erde  in  ihrem  ganzen  Klumpen  nicht  viel  größer 
als  die  Dichtigkeit  der  festen  Materie,  die  man  unter 
der  obersten  Fläche  derselben  antrifft,  annehmen,  wie 
es  denn  die  Eigenschaften  der  Figur  der  Erde  nicht 
anders  erfordern,  und  diese  obere  Materien  ohngefähr 
4-  oder  5  mal  dichter  als  das  Wasser,  das  Wasser 
aber  1000  mal  schwerer  als  die  Luft  ansetzen,  so  würde 
die  Materie  aller  Planeten,  wenn  sie  zu  der  Dünnigkeit 

30  der  Luft  ausgedehnet  würden,  einen  fast  14  mal  hun- 
derttausendmal größern  Raum  als  die  Erdkugel  ein- 
nehmen. Dieser  Raum  mit  dem  Räume,  in  welchem 
nach  unserer  Voraussetzung  alle  Materie  der  Planeten 
ausgebreitet  war,  verglichen,  ist  dreißig  Millionenmal 
kleiner  als  derselbe;  also  macht  auch  die  Zerstreuung 
der  planetischen  Materie  in  diesem  Räume  eine  ebenso 
vielmal  größere  Verdünnung  aus,  als  die  die  Teilchen 
unserer  Atmosphäre  haben.    In  der  Tat,  diese  Größe 


a)  „Bimillionen"    A.      Rabts    Akademieausg.    berichtigt 
8000  Millionen  mal. 

b)  Rahts  Akad.  berichtigt:  wie  1:260 1/2. 


II.  Teil.   2.  Hauptst.  V.  der  verscli.  Dichtigkeit  etc.       7  7 

der  Zerstreuung,  so  unglaublich  sie  auch  scheinen 
mag,  war  dennoch  weder  unnötig,  noch  unnatürlich. 
Sie  mußte  so  groß  als  möglich  sein,  um  den  schweben- 
den Partikeln  alle  Freiheit  der  Bewegung,  fast  so, 
als  in  einem  leeren  Räume,  zu  verstatten,  und  den 
Widerstand  unendlich  zu  verringern,  den  sie  einander 
leisten  können;  sie  konnten  aber  auch  von  selber 
einen  solchen  Zustand  der  Verdünnung  annehmen, 
woran  man  nicht  zweifeln  darf,  wenn  man  ein  wenig 
die  Ausbreitung  kennet,  die  die  Materie  leidet,  wenn  10 
sie  in  Dünste  verwandelt  ist;  oder  wenn  man,  um 
bei  dem  Himmel  zu  bleiben,  die  Verdünnung  der  Materie 
in  den  Schweifen  der  Kometen  erwäget,  die  bei  einer 
so  unerhörten  Dicke  ihres  Durchschnittes,  der  den 
Durchmesser  der  Erde  wohl  hundertmal  übertrifft,  den- 
noch so  durchscheinend  sind,  daß  die  kleinen  Sterne 
dadurch  können  gesehen  werden;  welches  unsere  Luft, 
wenn  sie  von  der  Sonne  erleuchtet  wird,  in  einer 
Höhe,  die  viel  tausendmal  kleiner  ist,  nicht  verstattet. 

Ich  beschließe  dieses  Hauptstück,  indem  ich  eine  20 
Analogie  hinzufüge,  die  an  und  vor  sich  allein  gegen- 
wärtige Theorie  von  der  mechanischen  Bildung  der 
Himmelskörper,  über  die  Wahrscheinlichkeit  der  Hypo- 
these, zu  einer  förmlichen  Gewißheit  erheben  kann. 
Wenn  die  Sonne  aus  den  Partikeln  desselben  Grund- 
stoffes, daraus  die  Planeten  sich  gebildet  haben,  zu- 
sammengesetzt ist,  und  wenn  nur  darin  allein  der 
Unterschied  bestehet,  daß  in  der  ersteren  die  Materien 
aller  Gattungen  ohne  Unterschied  gehäufet,  bei  diesen 
aber  in  verschiedenen  Entfernungen,  nach  Beschaffen-  30 
heit  der  Dichtigkeit  ihrer  Sorten»)  verteilet  worden, 
so  wird,  wenn  man  die  Materie  aller  Planeten  zu- 
sammen vereinigt  betrachtet,  in  ihrer  ganzen  Ver- 
mischung eine  Dichtigkeit  herauskommen  müssen,  die 
der  Dichtigkeit  des  Sonnenkörpers  beinahe  gleich  ist. 
Nun  findet  diese  nötige  Folgerung  unseres  Systems 
eine  glückliche  Bestätigung  in  der  Vergleichung,  die 
der  Herr  von  Buffon,  dieser  so  würdig  berühmte 
Philosoph,   zwischen   den   Dichtigkeiten  der   gesamten 


a)  „durch  ihre  eigenen  Anziehungskräfte"   Zusatz  Kants 
n.  Grensichen, 


78        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

planetischen  Materie  und  der  Sonnen  ihren  a)  ange- 
stellet  hat;  er  fand  eine  Ähnlichkeit  zwischen  beiden, 
wie  zwischen  640  und  650.  Wenn  ungekünstelte  und 
notwendige  Folgerungen  aus  einer  Lehrverfassung  in 
den  wirklichen  Verhältnissen  der  Natur  so  glückliche 
Bestätigungen  antreffen,  kann  man  denn  wohl  glauben, 
daß  ein  bloßes  Ungefähr  diese  Übereinstimmung 
zwischen  der  Theorie  und  der  Beobachtung  veran- 
lasse? 


10  Drittes  Hauptstück. 

Von  der  Exzentrizität  der  Planetenlcreise  und  dem  Ursprünge 
der  Kometen. 

Man  kann  aus  den  Kometen  nicht  eine  besondere 
Gattung  von  Himmelskörpern  machen,  die  sich  von 
dem  Geschlechte  der  Planeten  gänzlich  unterschiede. 
Die  Natur  wirket  hier,  wie  anderwärts,  durch  unmerk- 
liche Abfälle,  und  indem  sie  alle  Stufen  der  Ver- 
änderungen durchgehet,  hänget  sie  vermittelst  einer 
Kette    von    Zwischengliedern    die    entferneten   Eigen- 

20  Schäften  mit  den  nahen  zusammen.  Die  Exzentrizität 
ist  bei  den  Planeten  eine  Folge  des  Mangelhaften  in 
derjenigen  Bestrebung,  dadurch  die  Natur  trachtet, 
die  planetischen  Bewegungen  gerade  zirkelgleich  zu 
machen,  welches  sie  aber,  wegen  Dazwischenkunft  von 
mancherlei  Umständen,  niemals  völlig  erlangen  kann, 
aber  doch  in  größeren  Weiten  mehr,  als  in  nahen, 
davon  abweichet. 

Diese  Bestimmung  führet  durch  eine  beständige 
Leiter,  vermittelst  aller  möglichen  Stufen  der  Exzen- 

30  trizität,  von  den  Planeten  endlich  bis  zu  den  Kometen; 
und  obzwar  dieser  Zusammenhang  bei  dem  Saturn 
durch  eine  große  Kluft  scheinet  abgeschnitten  zu  sein, 
die  das  kometische  Geschlecht  von  den  Planeten  völlig 
absondert,  so  haben  wir  doch  in  dem  ersten  Teile  an- 
gemerket,  daß  es  vermutlich  über  dem  Saturn  noch 
andere  Planeten  geben  mag,  die  durch  eine  größere 


a)  „ihre"  A.,  Rahts  „ihrer"  Akad.  Ausg. 


II.  Teil.    3.  Hauptst.    Von  der  Exzentrizität  etc.      79 

Abweichung  von  der  Zirkelrundung  der  Kreise  dem 
Laufe  der  Kometen  näher  treten,  und  daß  es  nur  an 
dem  Mangel  der  Beobachtung,  oder  auch  an  der 
Schwierigkeit  derselben  liegt,  daß  diese  Verwandt- 
schaft dem  Auge  nicht  ebenso  sichtbar  als  dem  Ver- 
stände vorlängst  dargestellet  worden. 

Wir  haben  schon  eine  Ursache  in  dem  ersten  Haupt- 
stücke dieses  Teils  angeführet,  welche  die  Laufbahn 
eines  Himmelskörpers  exzentrisch  machen  kann,  der 
sich  aus  dem  herumschwebenden  Grundstoffe  bildet,  lo 
wenn  man  gleich  annimmt,  daß  dieser  in  allen  seinen 
Örtern  gerade  zur  Zirkelbewegung  abgewogene  Kräfte 
besitze.  Denn  weil  der  Planet  sie  aus  weit  vonein- 
ander abstehenden  Höhen  sammlet,  wo  die  Geschwindig- 
keiten der  Zirkelläufe  unterschieden  sein,  so  kommen 
sie  mit  verschiedenen  ihnen  beiwohnenden  Graden  der 
Umlaufsbewegung  auf  ihm  zusammen,  v/elche  von  dem 
Maße  der  Geschwindigkeit,  die  dem  Abstände  des 
Planeten  gebühret,  abweichen,  und  diesem  dadurch 
insoferne  eine  Exzentrizität  zuziehen,  als  diese  ver-  20 
schiedentliche  Eindrücke  der  Partikeln  ermangeln,  eine 
der  andern  Abweichung  völlig  zu  ersetzen. 

Wenn  die  Exzentrizität  keine  andere  Ursache  hätte, 
so  würde  sie  allenthalben  gemäßigt  sein;  sie  würde 
auch  bei  denen  kleinen  und  v/eit  von  der  Sonne  ent- 
ferneten  Planeten  geringer,  als  bei  den  nahen  und 
großen  sein;  wenn  man  nämlich  voraussetzte,  daß 
die  Partikeln  des  Grundstoffes  v>arklich  vorher  genaue 
Zirkelbewegungen  gehabt  hätten.  Da  nun  diese  Be- 
stimmungen mit  der  Beobachtung  nicht  übereinstimmen,  30 
indem,  wie  schon  angemerkt,  die  Exzentrizität  mit  der 
Sonnenweite  zunimmt,  und  die  Kleinigkeit  der  Massen 
vielmehr  eine  Ausnahme,  zu  Vermehrung  der  Exzentri- 
zität, zu  machen  scheinet,  wie  wir  am  Mars  sehen, 
so  sind  wir  genötiget,  die  Hypothese  von  der  ge- 
nauen Zirkelbewegung  der  Partikeln  des  Grundstoffes 
dahin  einzuschränken,  daß  wira)  sie  in  den  der  Sonne 
nahen  Gegenden  zwar  dieser  Genauheit  der  Bestim- 
mung sehr  nahe  beikommen,  aber  sie  doch  desto  weiter 


a)   „wie"    korr.   G.  Gerland,    siehe  Kantstudien  Bd.   X., 
S.  432. 


80        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels, 

davon  abweichen  lassen,  je  entfernter  diese  elemen- 
tarische Teilchen  von  der  Sonne  geschvvebet  haben. 
Eine  solche  Mäßigung  des  Grundsatzes  von  der  freien 
zirkelgleichen  Bewegung  des  Grundstoffes  ist  der  Natur 
gemäßer.  Denn  ungeachtet  der  Dünnigkeit  des  Rau- 
mes, die  ihnen  Freiheit  zu  lassen  scheinet,  sich  ein- 
ander auf  den  Punkt  der  völlig  abgewogenen  Gleich- 
heit der  Zentralkräfte  einzuschränken,  so  sind  die  Ur- 
sachen dennoch  nicht  minder  beträchtlich,  diesen  Zweck 

10  der  Natur  an  seiner  Vollführung  zu  verhindern.  Je 
weiter  die  ausgebreiteten  Teile  des  Urstoffs  von  der 
Sonne  entfernet  sind,  desto  schwächer  ist  die  Kraft, 
die  sie  zum  Sinken  bringt;  der  Widerstand  der  untern 
Teile,  dera)  ihren  Fall  seitwärts  beugen  und  ihn  nötigen 
soll,  seine  Richtung  senkrecht  von  dem  Zirkelstrahl 
anzustellen,  vermindert  sich  nach  dem  Maße,  als  diese 
unter  ihm  wegsinken,  um  entweder  der  Sonne  sich 
einzuverleiben,  oder  in  näheren  Gegenden  Umläufe 
anzustellen.    Die  spezifisch  b)  vorzügliche  Leichtigkeit 

20  dieser  höheren  Materie  verstattet  ihnen  nicht,  die 
sinkende  Bewegung,  die  der  Grund  von  allem  ist,  mit 
dem  Nachdrucke,  welcher  erfordert  wird,  um  die  wider- 
stehende Partikeln  zum  Weichen  zu  bringen,  anzu- 
stellen; und  vielleicht,  daß  diese  entfernete  Partikeln 
einander  noch  einschränken,  um  nach  einer  langen 
Periode  diese  Gleichförmigkeit  endlich  zu  überkommen, 
so  haben  sich  unter  ihnen  schon  kleine  Massen  ge- 
bildet, als  Anfänge  zu  so  viel  Himmelskörpern,  welche, 
indem  sie  sich  aus  schwach  bewegtem  Stoffe  sammeln, 

30  eine  nur«)  exzentrische  Bewegung  haben,  womit  sie 
zur  Sonne  sinken,  und  unter  Wegen  mehr  und  mehr 
durch  die  Einverleibung  schneller  bewegten  Teile  vom 
senkrechten  Falle  abgebeugt  werden,  endlich  aber  doch 
Kometen  bleiben,  wenn  jene  Räume,  in  denen  sie  sich 
gebildet  haben,  durch  Niedersinken  zur  Sonne,  oder 
durch  Versammlung  in  besondern  Klumpen  gereiniget 
und  leer  geworden.    Dieses  ist  die  Ursache  der  mit 


a)  „die"  A.  korr.  Hartenstein. 

b)  Gerland  a.  o.  a.  0.  „spezifische-'? 

c)  Hartenstein,    Kirchmann,    Kehrbach     „mehr    excen- 
trische". 


II.  Teil.    3.  Hauptst.    Von  der  Exzentrizität  etc.      81 

den  Entfernungen  von  der  Sonne  zunehmenden  Exzen- 
trizitäten der  Planeten  und  derjenigen  Himmelskörper, 
die  um  deswillen  Kometen  genannt  werden,  weil  sie 
in  dieser  Eigenschaft  die  ersterea)  vorzüglich  über- 
treffen. Es  sind  zwar  noch  zwei  Ausnahmen,  die  das 
Gesetz  von  der  mit  dem  Abstände  von  der  Sonne  zu- 
nehmenden Exzentrizität  unterbrechen,  die  man  an  den 
beiden  kleinesten  Planeten  unseres  Systems,  an  Mars 
und  Merkur  wahrnimmt;  allein  an  dem  ersteren  ist 
vermutlich  die  Nachbarschaft  des  so  großen  Jupiters  lo 
Ursache,  der,  indem  er  durch  seine  Anziehung  auf 
seiner  Seite  den  Mars  der  Partikeln  zur  Bildung  be- 
raubet, ihm  vornehmlich  nur  Platz  lasset,  gegen 
die  Sonne  sich  auszubreiten,  dadurch  eine  Überwucht 
der  Zentralkraft  und  Exzentrizität  zuziehet.  Was  aber 
den  Merkur,  den  untersten,  aber  auch  am  meisten 
exzentrischen  unter  den  Planeten  betrifft,  so  ist  leicht 
zu  erachten,  daß,  weil  die  Sonne  in  ihrer  Achsen- 
drehung der  Geschwindigkeit  des  Merkurs  noch  lange 
nicht  gleichkommt,  der  Widerstand,  den  sie  der  Materie  20 
des  sie  umgebenden  Raumes  tut,  nicht  allein  die 
nächsten  Teilchen  ihrer  Zentralbewegung  berauben 
werde,  sondern  auch  leichtlich  diese  Widerstrebung 
bis  zum  Merkur  ausbreiten  könne,  und  dessen  Um- 
schwungsgeschwindigkeit dadurch  beträchtlich  werde 
vermindert  haben. 

Die  Exzentrizität  ist  das  vornehmste  Unterschei- 
dungszeichen der  Kometen.  Ihre  Atmosphären  und 
Schweife,  welche,  bei  ihrer  großen  Annäherung  zur 
Sonne,  durch  die  Hitze  sich  verbreiten,  sind  nur  Folgen  30 
von  dem  erstem,  ob  sie  gleich  zu  den  Zeiten  der 
Unwissenheit  gedienet  haben,  als  ungewohnte  Schreck- 
bilder dem  Pöbel  eingebildete  Schicksale  zu  ver- 
kündigen. Die  Astronomen,  welche  mehr  Aufmerksam- 
keit auf  die  Bewegungsgesetze,  als  auf  die  Seltsam- 
keit der  Gestalt  bezeigen,  bemerken  eine  zweite  Eigen- 
schaft, die  das  Geschlecht  der  Kometen  von  den  Pla- 
neten unterscheidet,  nämlich  daß  sie  sich  nicht,  wie 
diese,  an  die  Zone  des  Tierkreises  binden,  sondern 
frei   in   allen   Gegenden   des   Himmels   ihre   Umläufe  40 


a)  „ersteren"  ?  Gerland. 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     I. 


82        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

anstellen.  Diese  Besonderheit  hat  einerlei  Ursache  mit 
der  Exzentrizität.  Wenn  die  Planeten  darum  ihre  Kreise 
in  dem  engen  Bezirke  des  Zodiakus  eingeschlossen 
haben,  weil  die  elementarische  Materie  nahe  um  die 
Sonne  Zirkelbewegungen  bekommet,  die  bei  jedem  Um- 
schwünge den  Plan  der  Beziehung  zu  durchkreuzen 
bemühet  sein,  und  den  einmal  gebildeten  Körper  von 
dieser  Fläche,  dahin  sich  alle  Materie  von  beiden 
Seiten  dränget,   nicht  abweichen  lassen;  so  muß  der 

10  Grundstoff  der  weit  von  dem  Mittelpunkte  entlegenen 
Räume,  welcher  durch  die  Attraktion  schwach  bewegt, 
zu  dem  freien  Zirkelumschwunge  nicht  gelangen  kann, 
eben  aus  dieser  Ursache,  die  die  Exzentrizität  hervor- 
bringt, nicht  vermögend  sein,  sich  in  dieser  Höhe 
zu  dem  Plane  der  Beziehung  aller  planetischen  Be- 
wegungen zu  häufen,  um  die  daselbst  gebildete  Körper 
vornehmlich  in  diesem  Gleise  zu  erhalten;  vielmehr 
wird  der  zerstreuete  Grundstoff,  da  er  keine  Ein- 
schränkung auf   eine   besondere   Gegend,   so  wie   bei 

20  den  untern  Planeten  hat,  sich  gleich  leicht  auf  einer 
Seite  sowohl,  als  auf  der  andern,  und  weit  von  dem 
Beziehungsplane  ebenso  häufig  als  nahe  bei  demselben 
zu  Himmelskörpern  bilden.  Daher  werden  die  Kometen 
mit  aller  Ungebundenheit  aus  allen  Gegenden  zu  uns 
herab  kommen;  aber  doch  diejenige,  deren  erster 
Bildungsplatz  nicht  weit  über  der  Planeten  Kreise 
erhaben  ist,  werden  weniger  Abweichung  von  den 
Schranken  ihrer  Laufbahne  ebensowohl,  als  weniger 
Exzentrizität  beweisen.  Mit  den  Entfernungen  von  dem 

30  Mittelpunkte  des  Systems  nimmt  diese  gesetzlose  Frei- 
heit der  Kometen,  in  Ansehung  ihrer  Abweichungen, 
zu  und  verlieret  sich  in  der  Tiefe  des  Himmels  in 
einen  gänzlichen  Mangel  der  Umwendung,  der  die 
äußeren  sich  bildenden  Körper  ihrem  Falle  zur  Sonne 
frei  überläßt  und  der  systematischen  Verfassung  die 
letzten  Grenzen  setzet. 

Ich  setze  bei  diesem  Entwürfe  der  kometischen  Be- 
wegungen voraus,  daß,  in  Ansehung  ihrer  Richtung, 
sie  selbige  größestenteils  mit  der  Planeten  ihrer  ge- 

40  mein  haben  werden.  Bei  denen  nahen  Kometen 
scheinet  mir  dieses  ungezweifelt  zu  sein,  und  diese 
Gleichförmigkeit   kann   sich   auch   nicht   eher  in  der 


II.  Teil.    3.  Hauptst.   Von  der  Exzentrizität  etc.      83 

Tiefe  des  Himmels  verlieren,  als  da,  wo  der  elemen- 
tarische  Grundstoff  in  der  größten  Mattigkeit  der 
Bewegung  die  etwa  durch  das  Niedersinken  entstehende 
Drehung  nach  allerlei  Gegenden  anstellet,  weil  die 
Zeit,  die  erfordert  wird,  durch  'die  Gemeinschaft  der 
untern  Bewegungen,  sie  in  der  Richtung  einstimmig 
zu  machen,  wegen  der  Weite  der  Entfernung  zu  lang 
ist,  als  daß  sie  indessen,  daß  die  Bildung  der  Natur 
in  der  niederen  Gegend  verrichtet  wird,  sich  bis  dahin 
erstrecken  könne.  Es  werden  also  vielleicht  Kometen  10 
sein,  die  ihren  Umlauf  nach  der  entgegengesetzten 
Seite,  nämlich  von  Morgen  gegen  Abend,  anstellen 
werden;  ob  ich  gleich  aus  Ursachen,  die  ich  allhier 
anzuführen  Bedenken  trage,  mich  beinahe  überreden 
möchte,  daß  von  den  19  Kometen,  an  denen  man 
diese  Besonderheit  bemerket  hat,  bei  einigen  vielleicht 
ein  optischer  Schein  Anlaß  dazu  gegeben  haben  möchte. 

Ich  muß  von  den  Massen  der  Kometen  und  von 
der  Dichtigkeit  ihres  Stoffes  noch  etwas  anmerken. 
Von  Rechts  wegen  sollten  in  den  obern  Gegenden  der  20 
Bildung  dieser  Himmelskörper,  aus  denen  im  vorigen 
Hauptstücke  angeführten  Gründen,  sich  immer  nach 
dem  Maße,  als  die  Entfernung  zunimmt,  desto  größere 
Massen  bilden.  Und  es  ist  auch  zu  glauben,  daß 
einige  Kometen  größer  sein  als  Saturn  und  Jupiter; 
allein  es  ist  eben  nicht  zu  glauben,  daß  diese  Größe 
der  Massen  so  immer  zunimmt.  Die  Zerstreuung  des 
Grundstoffes,  die  spezifische  Leichtigkeit  ihrer  Par- 
tikeln machen  die  Bildung  in  der  abgelegensten  Gegend 
des  Weltraums  langsam;  die  unbestimmte  Verbreitung  30 
desselben,  in  dem  ganzen  unermeßlichen  Umfange 
dieser  Weite,  ohne  eine  Bestimmung,  sich  gegen  eine 
gewisse  Fläche  zu  häufen,  verstatten  a),  anstatt  einer 
einzigen  beträchtlichen  Bildung,  viele  kleinere,  und 
der  Mangel  der  Zentralkraft  ziehet  den  größten  Teil 
der  Partikeln  zu  der  Sonne  herab,  ohne  sich  in  Massen 
versammlet  zu  haben. 

Die  spezifische  Dichtigkeit  des  Stoffes,  woraus  die 
Kometen  entstehen,  ist  von  mehrerer  Merkv;ürdigkeit, 
als  die   Größe  ihrer  Massen.    Vermutlich,   da  sie  in  40 


a)  „verstattet?" 


84        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Tlieorie  des  Himmels. 

der  obersten  Gegend  des  Weltgebäudes  sich  bilden, 
sind  die  Teilchen  ihres  Zusammensatzes  von  der  leich- 
testen Gattung,  und  man  darf  nicht  zweifeln,  daß 
dieses  die  vornehmste  Ursache  der  Dunstkugeln  und 
der  Schweife  sei^),  womit  sie  sich  vor  andern  Himmels- 
körpern kenntlich  machen.  Man  kann  der  Wirkung 
der  Sonnenhitze  diese  Zerstreuung  der  kometischen 
Materie  in  einen  Dunst  nicht  hauptsächlich  beimessen; 
einige  Kometen  erreichen  in  ihrer  Sonnennähe  kaum 

10  die  Tiefe  des  Erdzirkels;  viele  bleiben  zwischen  dem 
Kreise  der  Erde  und  der  Venus  und  kehren  sodann  zu- 
rück. Wenn  ein  so  gemäßigter  Grad  Hitze  die  Materien 
auf  der  Oberfläche  dieser  Körper  dermaßen  auflöset 
und  verdünnet,  so  müssen  sie  ausb)  dem  leichtesten 
Stoffe  bestehen,  der  durch  die  Wärme  mehr  Verdünnung 
als  irgendeine  Materie  in  der  ganzen  Natur  leidet. 

Man  kann  auch  diese,  von  dem  Kometen  so  häufig 
aufsteigende  Dünste  der  Hitze  nicht  beimessen,  die 
sein   Körper    von    der    etwa    ehemaligen    Sonnennähe 

20  übrig  behalten  hat;  denn  es  ist  zwar  zu  vermuten, 
daß  ein  Komet  zur  Zeit  seiner  Bildung  etliche  Um- 
läufe mit  größerer  Exzentrizität  zurückgeleget  hat 
und  diese  nur  nach  und  nach  vermindert  worden; 
allein  die  andern  Planeten,  von  denen  man  ebendas- 
selbe vermuten  könnte,  zeigen  dieses  Phänomenen  nicht. 
Indessen  würden  sie  es  an  sich  zeigen,  wenn  die 
Sorten  der  leichtesten  Materie,  die  in  dem  Zusammen- 
satze des  Planeten  begriffen  sein,  ebenso  häufig  als 
bei  den  Kometen  vorhanden  wären. 

30  Die  Erde  hat  etwas  an  sich,  was  man  mit  der  Aus- 
breitung der  kometischen  Dünste  und  ihren  Schweifen 
vergleichen  kann.*)  Die  feinsten  Partikeln,  die  die 
Sonnenwirkung  aus  ihrer  Oberfläche  ziehet,  häufen  sich 
um  einen  von  denen  Polen,  wenn  die  Sonne  den  halben 
Zirkel  ihres  Laufes  auf  der  entgegengesetzten  Halb- 
kugel verrichtet.  Die  feinsten  und  wirksamsten  Teil- 
chen, die  in  dem  brennenden  Erdgürtel  aufsteigen, 
nachdem  sie  eine  gewisse  Höhe  der  Atmosphäre  er- 

*)  Dieses  sind  die  Nordlichter. 


aj   „sein"  A. 

b)  „sie  nicht  aus"  A. 


II.  Teil.    4.  Hauptst.    V.  d.  Ursprünge  der  Monde  etc.      85 

reichet  haben,  werden  durch  die  Wirkung  der  Sonnen- 
strahlen genötiget,  in  diejenige  Gegenden  zu  weichen 
und  sich  zu  "häufen,  die  alsdenn  von  der  Sonne  ab- 
gewandt und  in  einer  langen  Nacht  begraben  sind, 
und  vergüten  den  Bewohnern  der  Eiszone  die  Ab- 
wesenheit des  großen  Lichtes,  welches  ihnen  auch 
in  dieser  Entfernung  die  Wirkungen  seiner  a)  Wärme 
zuschicket.  Ebendieselbe  Kraft  der  Sonnenstrahlen, 
welche  die  Nordlichter  macht,  würde  einen  Dunstkreis 
mit  einem  Schweife  hervorbringen,  wenn  die  feinsten  10 
und  flüchtigen  Partikeln  auf  der  Erde  ebenso  häufig 
als  auf  den  Kometen  anzutreffen  wären. 


Viertes  Haui)tstück. 

Von  dem  Ursprünge  der  Monde  und  den  Bewegungen  der 
Planeten  um  ihre  Achse. 

Die  Bestrebung  eines  Planeten,  aus  dem  Umfange 
der  elementarischen  Materie  sich  zu  bilden,  ist  zu- 
gleich die  Ursache  seiner  Achsendrehung  und  erzeuget 
die  Monde,  die  um  ihn  laufen  sollen.  Was  die  Sonne 
mit  ihren  Planeten  im  Großen  ist,  das  stellet  ein  20 
Planet,  der  eine  weit  ausgedehnte  Anziehungssphäre 
hat,  im  Kleinern  vor,  nämlich  das  Hauptstück  eines 
Systems,  dessen  Teile  durch  die  Attraktion  des  Zentral- 
körpers in  Bewegung  gesetzet  worden.  Der  sich  bil- 
dende Planet,  indem  er  die  Partikeln  des  Grundstoffs 
aus  dem  ganzen  Umfange  zu  seiner  Bildung  bewegt, 
wird  aus  allen  diesen  sinkenden  Bewegungen  vermittelst 
üirer  Wechselwirkung  Kreisbewegungen,  und  zwar  end- 
lich solche  erzeugen,  die  in  eine  gemeinschaftliche 
Richtung  ausschlagen,  und  deren  ein  Teil  die  gehörige  30 
Mäßigung  des  freien  Zirkellaufes  bekommen  und  in 
dieser  Einschränkung  sich  einer  gemeinschaftlichen 
Fläche  nahe  befinden  werden.  In  diesem  Räume  wer- 
den, so  wie  um  die  Sonne  die  Hauptplaneten,  also 
auch  um  diese  sich  die  Monde  bilden,  wenn  die  Weite 
der  Attraktion  solcher  Himmelskörper  günstige  Um- 
stände zu  ihrer  Erzeugung  darreichet.    Was  übrigens 

a)  „ilirer"  A.  korr.  Akad.  Ausg. 


86        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

in  Ansehung  des  Ursprunges  des  Sonnensystems  ge- 
sagt worden,  dasselbe  läßt  sich  auf  das  System  des 
Jupiters  und  des  Saturns  mit  genügsamer  Gleichheit 
anwenden.  Die  Monde  werden  alle  nach  einer  Seite  und 
beinahe  auf  einer  Fläche  die  Kreise  ihres  Umschwunges 
gerichtet  haben,  und  dieses  zwar  aus  den  gleichen  Ur- 
sachen, die  diese  Analogie  im  Großen  bestimmen. 
Aber  warum  bewegen  sich  diese  Begleiter  in  ihrer 
gemeinschaftlichen  Richtung  vielmehr  nach  der  Seite, 

10  nach  der  die  Planeten  laufen,  als  nach  einer  jeden 
andern?  Ihre  Umläufe  werden  ja  durch  die  Kreis- 
bewegungen nicht  erzeuget,  sie  erkennen  lediglich  die 
Attraktion  des  Hauptplaneten  zur  Ursache,  und  in 
Ansehung  dieser  sind  alle  Richtungen  gleichgültig; 
ein  bloßes  Ungefähr  wird  diejenige  unter  allen  mög- 
lichen entscheiden,  nach  der  die  sinkende  Bewegung 
des  Stoffes  in  Kreise  ausschlägt.  In  der  Tat  tut  der 
Zirkellauf  des  Hauptplaneten  nichts  dazu,  dem  Stoffe, 
aus  dem  sich  um  'ihn  die  Monde  bilden  sollen,   Um- 

20  wälzungen  um  diesen  einzudrücken;  alle  Partikeln  um 
den  Planeten  bewegen  sich  in  gleicher  Bewegung  mit 
ihm  um  die  Sonne  und  sind  also  in  respektiver  Ruhe 
gegen  denselben.  Die  Attraktion  des  Planeten  tut 
alles  allein.*)    Allein  die  Kreisbewegung,  die  aus  ihr 


*)  Hierzu  Kahts  Ak.  Ausg.  S.  551:  „Diese  Stelle,  an 
welcher  Kaut  in  kurzen  Worten  eine  Erklärung  für  die 
Richtung  der  Mondbewegung  und  die  Rotation  des  Planeten 
um  seine  Achse  zu  geben  sucht,  ist  vielfach  als  unklar  und 
unrichtig  bezeichnet  worden.  CVg\.  Zöllner:  Photometrische 
Untersuchungen,  1865  S.  225;  Faye:  Sur  l'origine  du  monde, 
1884  p.  138;  C.  Wolf:  Les  hypotheses  cosmogoniques,  Paris 
1886  p.  12  und  Eberhard:  Die  Kosmogonie  von  Kant,  1893 
S.  XII.)  Sowohl  Zöllner  als  Paye  folgern  aus  der  Kanti- 
schen Theorie  eine  retrograde,  also  der  Beobachtung  wider- 
sprechende Bewegung  der  Monde,  aber  ihre  Ableitung  der 
Mondbewegung  ist  wesentlich  verschieden  von  der  Kan- 
tischen. Sie  nehmen  an,  daß  die  Bewegungen  der  den 
Planeten  folgenden  Partikeln  lediglich  durch  die  Anziehungs- 
kraft der  Sonne  bestimmt  werden,  während  Kant  die  At- 
traktion des  sich  bildenden  Planeten  mit  hinzuzieht.  Wirkte 
nur  die  Sonne  auf  die  Teilchen,  welche  dem  Planeten  fol- 
gen, 80  würden  die  dem  Zentralkörper  näheren  in  schnellerem 
Schwünge  an  dem  Planeten  vorübereilen  und,    von  diesem 


II.  Teil.    4.  Hauptst.    V.  d.  Ursprünge  der  Monde  etc.      87 

entstehen  soll,  weil  sie  in  Ansehung  aller  Richtungen 
an  und  vor  sich  gleichgültig  ist,  bedarf  nur  einer 
kleinen  äußerlichen  Bestimmung,  um  nach  einer  Seite 
vielmehr,  als  nach  der  andern  auszuschlagen;  und 
diesen  kleinen  Grad  der  Lenkung  bekommt  sie  von 
der  Vorrückung  der  elementarischen  Partikeln,  welche 
zugleich  mit  um  die  Sonne,  aber  mit  mehr  Geschwindig- 
keit, laufen  und  in  die  Sphäre  der  Attraktion  des  Pla- 
neten kommen.  Denn  diese  nötiget  die  zur  Sonne  nähere 
Teilchen,  die  mit  schnellerem  Schwünge  umlaufen,  schon  10 
von  weitem  die  Richtung  ihres  Gleises  zu  verlassen  und 
in  einer  ablangen  Ausschweifung  sich  über  den  Pla- 
neten zu  erheben.  Diese,  weil  sie  einen  größern 
Grad  der  Geschwindigkeit,  als  der  Planet  selber,  haben, 
wenn  sie  durch  dessen  Anziehung  zum  Sinken  ge- 
bracht werden,  geben  ihrem  geradlinichten  Falle  und 
auch  Bern  Falle  der  übrigen  eine  Abbeugung  von 
Abend  gegen  Morgen,  und  es  bedarf  nur  dieser  ge- 
ringen Lenkung,  um  zu  verursachen,  daß  die  Kreis- 
bewegung, dahin  der  Fall,  den  die  Attraktion  erregt,  20 
ausschlägt,  vielmehr  diese,  als  eine  jede  andere  Rich- 


angezogen,  in  der  Tat  eine  retrograde  Umlaufsbewegung 
erhalten.  Weil  aber  nach  Kant  der  Planet  schon  in  einiger 
Entfernung  auf  die  heraneilenden  Teilchen  wirkt,  so  wird 
deren  Geschwindigkeit  vermehrt  und  ihre  Bahn  geändert; 
die  Teilchen  werden  infolge  der  Beschleunigung  ihrer  Ge- 
schwindigkeit sich  von  der  Sonne  entfernen  und  so  hinter 
den  Planeten  kommen.  Das  ist  die  Kantische  Vorstellung. 
Dieselbe  läßt  sich  auch  auf  die  Teilchen  übertragen,  welche 
ursprünglich  in  etwas  größerem  Kreise  dem  Planeten  voraus- 
gehen und  von  ihm  eingeholt  werden.  Durch  die  Attrak- 
tion des  Planeten  wird  ihre  Geschwindigkeit  verringert,  sie 
werden  sich  nicht  mehr  auf  der  durch  die  frühere  Schnel- 
ligkeit bedingten  Höhe  erhalten  können,  sondern  zur  Sonne 
sinken  und  so  unter  den  Planeten  gelangen.  Durch  die 
Mitwirkung  des  sich  bildenden  Planeten  werden  die  Ver- 
hältnisse gewissermaßen  umgekehrt:  Diejenigen  Partikel, 
welche  dem  Planeten  folgen  und  ohne  seine  Anziehung 
unter  ihm  vorbeieilen  würden,  werden  durch  ihn  empor- 
gehoben, und  diejenigen  Teilchen,  welche  dem  Planeten  vor- 
ausgehen, werden  durch  ihn  heruntergezogen  und  laufen 
unter  ihm  hinweg.  Damit  wandelt  sich  die  retrograde  Be- 
wegung in  die  von  Kant  behauptete  direkte  um. 


88        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

tung  nehme.  Aus  diesem  Grunde  werden  alle  Monde 
in  ihrer  Richtung  mit  der  Richtung  des  Umlaufs  der 
Hauptplaneten  übereinstimmen.  Aber  auch  die  Fläche 
ihrer  Bahn  kann  nicht  weit  von  dem  Plane  der  Planeten- 
kreise abweichen,  weil  die  Materie,  daraus  sie  sich 
bilden,  aus  eben  dem  Grunde,  den  wir  von  der  Rich- 
tung überhaupt  angeführet  haben,  auch  auf  diese  ge- 
naueste Bestimmung  derselben,  nämlich  die  Überein- 
treffung  mit  der  Fläche  der  Hauptkreise  gelenket  wird. 

10  Man  siehet  aus  allem  diesen  klärlich,  welches  die 
Umstände  sein,  unter  welchen  ein  Planet  Trabanten 
bekommen  könne.  Die  Anziehungskraft  desselben  muß 
groß,  und  folglich  die  Weite  seiner  Wirkungssphäre 
weit  ausgedehnt  sein,  damit  sowohl  die  Teilchen  durch 
einen  hohen  Fall  zum  Planeten  bewegt,  ohnerachtet 
dessen,  was  der  Widerstand  aufhebet,  dennoch  hinläng- 
liche Geschwindigkeit  zum  freien  Umschwünge  er- 
langen können,  als  auch  genügsamer  Stoff  zu  Bildung 
der  Monde  in  diesem  Bezirke  vorhanden  sei,  welches 

20  bei  einer  geringen  Attraktion  nicht  geschehen  kann. 
Daher  sind  nur  die  Planeten  von  großen  Massen  und 
weiter  Entfernung  mit  Begleitern  begabt.  Jupiter  und 
Saturn,  die  2  größten  und  auch  entfernetesten  unter 
den  Planeten,  haben  die  meisten  Monde.  Der  Erde, 
die  viel  kleiner  als  jene  ist,  ist  nur  einer  zuteil 
worden;  und  Mars,  welchem  wegen  seines  Abstandes 
auch  einiger  Anteil  an  diesem  Vorzuge  gebührete, 
gehet  leer  aus,  weil  seine  Masse  so  gering  ist. 

Man  nimmt  mit  Vergnügen  wahr,  wie  dieselbe  An- 

30  Ziehung  des  Planeten,  die  den  Stoff  zur  Bildung  der 
Monde  herbeischaffte  und  zugleich  derselben  Bewegung 
bestimmete,  sich  bis  auf  seinen  eigenen  Körper  er- 
streckt und  dieser  sich  selber  durch  ebendieselbe  Hand- 
lung, durch  welche  er  sich  bildet,  eine  Drehung  um 
die  Achse,  nach  der  allgemeinen  Richtung  von  Abend 
gegen  Morgen,  erteilet.  Die  Partikeln  des  nieder- 
sinkenden Grundstoffes,  welche,  wie  gesagt,  eine  all- 
gemeine drehende  Bewegung  von  Abend  gegen  Mor- 
gen hin  bekommen,  fallen  größtenteils  auf  die  Fläche 

40  des  Planeten  und  vermischen  sich  mit  seinem  Klum- 
pen, weil  sie  die  abgemessene  Grade  nicht  haben, 
sich  frei  schwebend  in  Zirkelbewegungen  zu  erhalten. 


II.  Teil.    4.  Hauptst.    V.  d.  Ursprünge  der  Monde  etc.      89 

Indem  sie  nun  in  den  Zusammensatz  des  Planeten 
kommen,  so  müssen  sie,  als  Teile  desselben,  ebendie- 
selbe Umwendung,  nach  ebenderselben  Richtung,  fort- 
setzen, die  sie  hatten,  ehe  sie  mit  ihm  vereiniget  worden. 
Und  weil  überhaupt  aus  dem  vorigen  zu  ersehen, 
daß  die  Menge  der  Teilchen,  welche  der  Mangel  an 
der  erforderlichen  Bewegung  auf  den  Zentralkörper 
niederstürzet,  sehr  weit  die  Anzahl  der  andern  über- 
treffen müsse,  welche  die  gehörige  Grade  der  Ge- 
schwindigkeit haben  erlangen  können,  so  begreifet  10 
man  auch  leicht,  woher  dieser  in  seiner  Achsendrehung 
zwar  bei  weitem  die  Geschwindigkeit  nicht  haben  werde, 
der  Schv/ere  auf  seiner  Oberfläche  mit  der  fliehenden 
Kraft  das  Gleichgewicht  zu  leisten,  aber  dennoch  bei 
Planeten  von  großer  Masse  und  weitem  Abstände  weit 
schneller,  als  bei  nahen  und  kleinen  sein  werde.  In 
der  Tat  hat  Jupiter  die  schnelleste  Achsendrehung, 
die  wir  kennen,  und  ich  weiß  nicht,  nach  welchem 
System  man  dieses  mit  einem  Körper,  dessen  Klumpen 
alle  andern  übertrifft,  zusammenreimen  könnte,  wenn  20 
man  nicht  seine  Bewegungen  selber  als  die  Wirkung 
derjenigen  Anziehung  ansehen  könnte,  die  dieser 
Himmelskörper  nach  dem  Maße  eben  dieses  Klumpens 
ausübet.  Wenn  die  Achsendrehung  eine  Wirkung  einer 
äußerlichen  Ursache  wäre,  so  müßte  Mars  eine 
schnellere  als  Jupiter  haben;  denn  ebendieselbe  be- 
wegende Kraft  bewegt  einen  kleinern  Körper  mehr,  als 
einen  größern,  und  über  dieses  würde  man  sich  mit 
Recht  wundern,  wie,  da  alle  Bewegungen  weiter  von 
dem  Mittelpunkte  hin  abnehmen,  die  Geschwindigkeiten  30 
der  Umwälzungen  mit  denselben  Entfernungen  zu- 
neJimen,  und  beim  Jupiter  sogar  drittehalbmal  schneller 
als  seine  jährliche  Bewegung  selber  sein  könne. 

Indem  man  also  genötiget  ist,  in  den  täglichen 
Umwendungen  der  Planeten  ebendieselbe  Ursache, 
welche  überhaupt  die  allgemeine  Bewegungsquelle  der 
Natur  ist,  nämlich  die  Anziehung  zu  erkennen,  so 
wird  diese  Erklärungsart  durch  das  natürliche  Vorrecht 
seines  Grundbegriffes  und  durch  eine  ungezwungene 
Folge  aus  demselben  ihre  Rechtmäßigkeit  bewähren.  40 

Allein  wenn  die  Bildung  eines  Körpers  selber  die 
Achsendrehung  hervorbringt,  so  müssen  sie  billig  alle 


90        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Kugeln  des  Weltbaues  haben;  aber  warum  hat  sie  der 
Mond  nicht?  welcher,  wiewohl  fälschlich,  diejenige  Art 
einer  Umwendung,  dadurch  er  der  Erde  immer  die- 
selbe Seite  zuwendet,  einigen  vielmehr  von  einer  Art 
einer  Überwucht  der  einen  Halbkugel,  als  von  einem 
wirklichen  Schwünge  der  Revolution  herzuhaben 
scheinet.  Sollte  derselbe  sich  wohl  ehedem  schneller 
um  seine  Achse  gewälzet  haben  und  durch,  ich  weiß 
nicht   was   vor   Ursachen,   die   diese   Bewegung  nach 

10  und  nach  verminderten,  bis  zu  diesem  geringen  und 
abgemessenen  Überrest  gebracht  worden  sein?  Man 
darf  diese  Frage  nur  in  Ansehung  eines  von  den 
Planeten  auflösen,  so  ergibt  sich  daraus  die  Anwendung 
auf  alle  von  selber.  Ich  verspare  diese  Auflösung 
zu  einer  andern  Gelegenheit,  weil  sie  eine  notwendige 
Verbindung  mit  derjenigen  Aufgabe  hat,  die  die  König- 
liche Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin  auf  das 
1754ste  Jahr  zum  Preise  aufgestellet  hatte*). 

Die   Theorie,    welche   den   Ursprung   der   Achsen- 

20  drehungen  erklären  soll,  muß  auch  die  Stellung  ihrer 
Achsen,  gegen  den  Plan  ihrer  Kreise,  aus  ebenden- 
selben Ursachen  herleiten  können.  Man  hat  Ursache, 
sich  zu  verwundern,  woher  der  Äquator  der  täglichen 
Umwälzung  mit  der  Fläche  der  Mondenkreise,  die  um 
denselben  Planeten  laufen,  nicht  in  demselben  Plane 
ist;  denn  dieselbe  Bewegung,  die  den  Umlauf  eines 
Trabanten  gerichtet,  hat  durch  ihre  Erstreckung  bis 
zum  Körper  des  Planeten  dessen  Drehung  um  die 
Achse    hervorgebracht    und    dieser    ebendieselbe    Be- 

30  Stimmung  in  der  Richtung  und  Lage  erteilen  sollen. 
Himmelskörper,  die  keine  um  sich  laufende  Neben- 
planeten haben,  setzten  sich  dennoch  durch  eben  die- 
selbe Bewegung  der  Partikeln,  die  zu  ihrem  Stoffe 
dieneten,  und  durch  dasselbe  Gesetze,  welches  jene 
auf    die    Fläche    ihrer    periodischen    Laufbahn    ein- 

*)  Die  Aufgabe  der  Akademie  lautete:  ,,0b  die  Erde  in  ihrer 
Umdrehung  um  die  Axe,  wodurch  sie  die  Abwechslung  des 
Tages  und  der  Nacht  hervorbringt,  einige  Veränderung  seit 
den  ersten  Zeiten  ihres  Ursprungs  erlitten  habe,  welches  die 
Ursache  davon  sei  und  woraus  man  sich  ihrer  versichern 
könne."  Kant  hat  diese  Frage  1760  in  einer  besonderen 
Abhandlung  beantwortet,  vgl.  Band  49,  S.  227. 


II.  Teil.    4.  Hauptst.    V.  d.  Ursprünge  der  Monde  etc.      91 

schränkte,  in  eine  Achsendrehung,  welche  aus  den 
gleichen  Gründen  mit  ihrer  Umlaufsfläche  in  der  Rich- 
tung übereintreffen  mußte.  Diesen  Ursachen  zufolge 
müßten  billig  die  Achsen  aller  Himmelskörper  gegen 
die  allgemeine  Beziehungsfläche  des  planetischen 
Systems,  welche  nicht  weit  von  der  Ekliptik  abweicht, 
senkrecht  stehen.  Allein  sie  sind  nur  bei  den  zwei 
wichtigsten  Stücken  dieses  Weltbaues  senkrecht:  beim, 
Jupiter  und  bei  der  Sonne;  die  andern,  deren  Um- 
drehung man  kennet,  neigen  ihre  Achsen  gegen  den  10 
Plan  ihrer  Kreise,  der  Saturn  mehr  als  die  andern, 
die  Erde  aber  mehr  als  Mars,  dessen  Achse  auch 
beinahe  senkrecht  gegen  die  Ekliptik  gerichtet  ist. 
Der  Äquator  des  Saturns  (wofern  man  denselben  durch 
die  Richtung  seines  Ringes  bezeichnet  halten  kann) 
neiget  sich  mit  einem  Winkel  von  31  Graden  zur 
Fläche  seiner  Bahn;  der  Erden  ihrer  aber  nur  mit 
23V2-^)  Man  kann  die  Ursache  dieser  Abweichungen 
vielleicht  der  Ungleichheit  in  den  Bewegungen  des 
Stoffes  beimessen,  die  den  Planeten  zu  bilden  zu-  20 
sammengekommen  sind.  In  der  Richtung  der  Fläche 
seines  Laufkreises  war  die  vornehmste  Bewegung  der 
Partikeln  um  den  Mittelpunkt  desselben,  und  daselbst 
war  der  Plan  der  Beziehung,  um  welchen  die  elemen- 
tarische Teilchen  sich  häuften,  um  daselbst  die  Be- 
wegung, wo  möglich,  zirkelgleich  zu  machen  und  zur 
Bildung  der  Nebenplaneten  Materie  zu  häufen,  welche 
um  deswillen  niemals  von  der  Umlaufsbahn  weit  ab- 
weichen. Wenn  der  Planet  sich  größtenteils  nur  aus 
diesen  Teilchen  bildete,  so  würde  seine  Achsendrehung  30 
so  wenig  wie  die  Nebenplaneten,  die  um  ihn  laufen, 
bei  seiner  ersten  Bildung  davon  abgewichen  sein;  aber 
er  bildete  sich,  wie  die  Theorie  es  dargetan  hat, 
mehr  aus  den  Partikeln,  die  auf  beiden  Seiten  nieder- 
sanken und  deren  Menge  oder  Geschwindigkeit  nicht 
so  völlig  abgewogen  gewesen  zu  sein  scheinet,  daß 
die  eine  Halbkugel  nicht  eine  kleine  Überwucht  der 
Bewegung  über  die  andere,  und  daher  einige  Ab- 
weichung der  Achse  hätte  bekommen  können. 


a)  „221/2"  A.  korr.  in  der  Ausg.  v.  1797  (wohl  Schreib- 
oder  Druckfehler). 


92        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Dieser  Gründe  ungeachtet,  trage  ich  diese  Erklärung 
nur  als  eine  Mutmaßung  vor,  die  ich  mir  nicht  aus- 
zumachen getraue.  Meine  wahre  Meinung  gehet  dahin, 
daß  die  Umdrehung  der  Planeten  um  die  Achse  in 
dem  ursprünglichen  Zustande  der  ersten  Bildung  mit 
der  Fläche  ihrer  jährlichen  Bahn  ziemlich  genau  über- 
eingetroffen habe,  und  daß  Ursachen  vorhanden  ge- 
wesen, diese  Achse  aus  ihrer  ersten  Stellung  zu  ver- 
schieben.    Ein    Himmelskörper,    welcher   aus    seinem 

10  ersten  flüssigen  Zustande  in  den  Stand  der  Festig- 
keit übergehet,  erleidet,  wenn  er  sich  auf  solche  Art 
völlig  ausbildet,  eine  große  Veränderung  in  der  Regel- 
mäßigkeit seiner  Oberfläche.  Dieselbe  wird  feste  und 
gehärtet,  indessen  daß  die  tiefern  Materien  sich  noch 
nicht,  nach  Maßgebung  ihrer  spezifischen  Schwere, 
genugsam  gesenket  haben;  die  leichteren  Sorten,  die 
mit  in  ihrem  Klumpen  untermengt  waren,  begeben 
sich  endlich,  nachdem  sie  sich  von  den  andern  ge- 
schieden,   unter    die    oberste,    fest    gewordene    Rinde 

20  und  erzeugen  die  großen  Höhlen,  deren,  aus  Ur- 
sachen, welche  allhier  anzuführen  zu  weitläuftig  ist, 
die  größeste  und  weiteste  unter  oder  nahe  zu  dem 
Äquator  befindlich  sind,  in  welche  die  gedachte  Rinde 
endlich  hineinsinkt,  mannigfaltige  Ungleichheiten, 
Berge  und  Höhlen  erzeuget.  Wenn  nun  auf  solche 
Art,  wie  es  mit  der  Erde,  .dem  Monde,  der  Venus 
augenscheinlich  vorgegangen  sein  muß,  die  Ober- 
fläche uneben  geworden,  so  hat  sie  nicht  das  Gleich- 
gewicht  des    Umschwunges    in   ihrer    Achsendrehung 

30  mehr  auf  allen  Seiten  leisten  können.  Einige  hervor- 
ragende Teile  von  beträchtlicher  Masse,  welche  auf 
der  entgegengesetzten  Seite  keine  andere  fanden,  die 
ihnen  die  Gegenwirkung  des  Schwunges  leisten  konn- 
ten, mußten  alsbald  die  Achse  der  Umdrehung  ver- 
rücken und  sie  in  solchen  Stand  zu  setzen  suchen, 
um  welchen  die  Materien  sich  im  Gleichgewichte  auf- 
hielten. Ebendieselbe  Ursache  also,  die  bei  der  völligen 
Ausbildung  eines  Himmelskörpers  seine  Oberfläche 
aus  dem  wagerechten  Zustande  in  abgebrochene  Un- 

40  gleichheiten  versetzte,  diese  allgemeine  Ursache,  die 
bei  allen  Himmelskörpern,  welche  das  Fernglas  deut- 
lich genug  entdecken  kann,  wahrgenommen  wird,  hat 


II.  Teil.    4.  Hauptst.    V.  d.  Ursprünge  der  Monde  etc.      93 

sie  in  die  Notwendigkeit  versetzet,  die  ursprüngliche 
Stellung  ihrer  Achse  etwas  zu  verändern.  Allein  diese 
Veränderung  hat  ihre  Grenzen,  um  nicht  gar  zu  weit 
auszuschweifen.  Die  Ungleichheiten  erzeugen  sich, 
wie  schon  erwähnt,  mehr  neben  dem  Äquator  einer 
umdrehenden  Himmelskugel,  als  weit  von  demselben; 
zu  den  Polen  hin  verlieren  sie  sich  fast  gar,  wovon 
die  Ursachen  anzuführen  ich  andere  Gelegenheit  vor- 
behalte. Daher  werden  die  am  meisten  über  die 
gleiche  Fläche  hervorragende  Massen  nahe  bei  dem  10 
Äquinoktialzirkel  anzutreffen  sein,  und  indem  dieselbe 
durch  den  Vorzug  des  Schwunges  diesem  sich  zu 
nähern  streben,  werden  sie  höchstens  nur  um  einige 
Grade  die  Achse  des  Himmelskörpers  aus  der  senk- 
rechten Stellung  von  der  Fläche  seiner  Bahn  erheben 
können.  Diesem  zufolge  wird  ein  Himmelskörper,  der 
sich  noch  nicht  völlig  ausgebildet  hat,  diese  recht- 
winklichte  Lage  der  Achse  zu  seinem  Laufkreise  noch 
an  sich  haben,  die  er  vielleicht  nur  in  der  Folge 
langer  Jahrhunderte  ändern  wird.  Jupiter  scheinet  20 
noch  in  diesem  Zustande  zu  sein.  Der  Vorzug  seiner 
Masse  und  Größe,  die  Leichtigkeit  seines  Stoffes  haben 
ihn  genötiget,  den  festen  Ruhestand  seiner  Materien 
einige  Jahrhunderte  später  als  andere  Himmelskörper 
zu  überkommen.  Vielleicht  ist  das  Innere  seines 
Klumpens  noch  in  der  Bewegung,  die  Teile  seines 
Zusammensatzes  zu  dem  Mittelpunkte,  nach  Beschaffen- 
heit ihrer  Schwere,  zu  senken,  und  durch  die  Schei- 
dung der  dünnern  Gattungen  von  den  schweren  den 
Stand  der  Festigkeit  zu  überkommen.  Bei  solcher  30 
Bewandnis  kann  es  auf  seiner  Oberfläche  noch  nicht 
ruhig  aussehen.  Die  Umstürzungen  und  Ruine  herr- 
schen auf  derselben.  Selbst  das  Fernglas  hat  uns 
davon  versichert.  Die  Gestalt  dieses  Planeten  ändert 
sich  beständig,  da  indessen  der  Mond,  die  Venus,  die 
Erde  dieselbe  unverändert  erhalten.  Man  kann  auch 
wohl  mit  Recht  die  Vollendung  der  Periode  der  Aus- 
bildung bei  einem  Himmelskörper  einige  Jahrhunderte 
später  gedenken,  der  unsere  Erde  an  Größe  mehr 
wie  zwanzigtausendmal  übertrifft  und  an  Dichtigkeit  40 
4mal  nachstehet.  Wenn  seine  Oberfläche  eine  ruhige 
Beschaffenheit  wird  erreichet  haben,  so  werden  ohne 


94        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Zweifel  weit  größere  Ungleichheiten  als  die,  so  die 
Erdfläche  bedecken,  mit  der  Schnelligkeit  seines 
Schwunges  verbunden,  seiner  Umwendung  in  nicht 
gar  langem  Zeitlaufe  diejenige  beständige  Stellung 
erteilen,  die  das  Gleichgewicht  der  Kräfte  auf  ihm 
erheischen  wird. 

Saturn,  der  3mal  kleiner  als  Jupiter  ist,  kann 
vielleicht  durch  seinen  weitern  Abstand  einen  Vor- 
zug einer  geschwinderen  Ausbildung  vor  diesem  er- 

10  halten  haben;  zum  wenigsten  macht  die  viel  schnellere 
Achsendrehung  desselben  und  das  große  Verhältnis 
seiner  Zenterfliehkraft  zu  der  Schwere  auf  seiner  Ober- 
fläche (welches  in  dem  folgenden  Hauptstücke  soll 
dargetan  werden),  daß  die  vermutlich  auf  derselben 
dadurch  erzeugte  Ungleichheiten  gar  bald  den  Aus- 
schlag auf  die  Seite  der  Überwucht,  durch  eine  Ver- 
rückung der  Achse,  gegeben  haben.  Ich  gestehe  frei- 
mütig, daß  dieser  Teil  meines  Systems,  welcher  die 
Stellung   der   planetischen  Achsen  betrifft,   noch  un- 

20  vollkommen  und  ziemlich  weit  entfernt  sei,  der  geo- 
metrischen Rechnung  unterworfen  zu  werden.  Ich  habe 
dieses  lieber  aufrichtig  entdecken  wollen,  als  durch 
allerhand  erborgte  Scheingründe  der  Tüchtigkeit  der 
übrigen  Lehrverfassung  Abbruch  zu  tun  und  ihr  eine 
schwache  Seite  zu  geben.  Nachfolgendes  Hauptstück 
kann  eine  Bestätigung  von  der  Glaubwürdigkeit  der 
ganzen  Hypothese  abgeben,  wodurch  wir  die  Be- 
wegungen des  Weltbaues  haben  erklären  wollen. 


Fünftes  Hauptstück. 

30  Von  dem  Ursprünge  des  Ringes  des  Saturns  und  Berechnung 
der  täglichen  Umdrehung  dieses  Planeten   aus   den  Verhält- 
nissen desselben.*) 

Vermöge  der  systematischen  Verfassung  im  Welt- 
gebäude hängen  die  Teile  derselben  durch  eine  stufen- 
artige Abänderung  ihrer  Eigenschaften  zusammen,  und 

*)  In  Gensichens  Auszug  hat  der  Anfang  dieses  Haupt- 
stückes folgenden  Wortlaut :  „Der  Ursprung  des  Ringes,  der 
den  Saturn  umgibt,  wird  sich  begreiflicher  als  viele  andere 


II.  Teil.     5.  Hauptstück.     Von  dem  Saturn.  95 

man  kann  vermuten,  daß  ein  in  der  entlegensten 
Gegend  der  Welt  befindlicher  Planet  ohngefähr  solche 
Bestimmungen  haben  werde,  als  der  nächste  Komet 
überkommen  möchte,  wenn  er  durch  die  Verminderung 
der  Exzentrizität  in  das  planetische  Geschlecht  erhoben 
würde.  Wir  wollen  demnach  den  Saturn  so  ansehen, 
als  wenn  er  auf  eine  der  kometischen  Bewegung  ähn- 
liche Art  etliche  Umläufe  mit  größerer  Exzentrizität 
zurückgeleget  habe  und  nach  und  nach  zu  einem  dem 
Zirkel  ähnlichem  Gleise  gebracht  worden.*)  Die  Hitze,  10 
die  sicn  ihm  in  seiner  Sonnennähe  einverleibete,  erhob 
den  leichten  Stoff  von  seiner  Oberfläche,  der,  wie 
wir  aus  den  vorigen  Hauptstücken  wissen,  bei  denen 
obersten  Himmelskörpern  von  überschwenglicher 
Dünnigkeit  ist,  sich  von  geringen  Graden  Wärme  aus- 
breiten zu  lassen.  Indessen,  nachdem  der  Planet  in 
etlichen  Umschwüngen  zu  dem  Abstände,  da  er  jetzt 
schwebet,  gebracht  worden,  verlor  er  in  einem  so 
gemäßigten  Klima  nach  und  nach  die  empfangene 
Wärme,    und    die    Dünste,    welche    von   seiner    Ober-  20 

*)  Oder,  welches  wahrscheinlicher  ist,  daß  er  in  seiner 
kometenähnlichen  Natur,  die  er  auch  noch  jetzo  vermöge 
seiner  Exzentrizität  an  sich  hat,  bevor  der  leichteste  Stoff 
seiner  Oberfläche  völlig  zerstreuet  worden,  eine  kometische 
Atmosphäre  ausgebreitet  habe. 

Erscheinungen  der  Natur  erklären  lassen,  wenn  wir  an- 
nehmen, Saturn  habe  nach  vollendeter  Bildung  eine  Um- 
drehung um  seine  Achse  gehabt,  und  der  leichteste  Stoff 
seiner  Oberfläche  sei  durch  die  Wirkung  der  Wärme  über 
ihn  erhoben  worden." 

In  einer  Anmerkung  schreibt  Gensichen:  „In  der  Theorie 
des  Himmels  selbst  nimmt  der  Herr  Verfasser  an,  Saturn  habe 
ehemals  mit  einer  der  kometischen  ähnlichen  Bewegung 
etliche  Umläufe  mit  größerer  Exzentrizität  zurückgelegt  und 
durch  die  Hitze,  welche  sich  ihm  in  seiner  Sonnennähe  ein- 
vei'leibt,  sei  der  leichte  Stoff  von  seiner  Oberfläche  erhoben 
worden,  oder  er  habe  eine  kometische  Atmosphäre  um  sich 
ausgebreitet.  In  der  Folge  aber  ist  er  auf  die  sich  noch 
mehr  empfehlende  Vorstellung  gekommen,  daß  durch  die 
Vermischung  der  Materien,  die  bei  der  Bildung  der  Planeten 
vorgegangen  ist,  eine  Wärme  in  ihrem  Innern  erzeugt  wor- 
den sei,  und  diese  habe  beim  Saturn  die  angezeigte  Wir- 
kung gehabt."  S.  189. 


96        Allgemeine  Xaturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

fläche  sich  noch  immer  um  ihn  verbreiteten,  ließen 
nach  und  nach  ab,  sich  bis  in  Schweifen  zu  erheben. 
Es  stiegen  auch  nicht  mehr  neue  so  häufig  auf,  um 
die  alten  zu  vermehren;  kurz,  die  schon  ihn  um- 
gebenden Dünste  blieben  durch  Ursachen,  welche  wir 
gleich  anführen  wollen,  um  ihn  schweben,  und  er- 
hielten ihm  das  Merkmal  seiner  ehemaligen  kometen- 
ähnlichen Natur  in  einem  beständigen  Ringe,  indessen 
daß  sein  Körper  die  Hitze  verhauchte  und  zuletzt  ein 

10  ruhiger  und  gereinigter  Planet  wurde.  Nun  wollen 
wir  das  Geheimnis  anzeigen,  das  dem  Himmelskörper 
seine  aufgestiegene  Dünste  frei  schwebend  hat  er- 
halten können,  ja,  sie  aus  einer  rund  um  ihn  aus- 
gebreiteten Atmosphäre  in  die  Form  eines  allenthalben 
abstehenden  Ringes  verändert  hat.  Ich  nehme  an: 
Saturn  habe  eine  Umdrehung  um  die  Achse  gehabt; 
und  nichts  mehr  als  dieses  ist  nötig,  um  das  ganze 
Geheimnis  aufzudecken.  Kein  anderes  Triebwerk,  als 
dieses  einzige,   hat  durch  einen  unmittelbaren  mecha- 

20  nischen  Erfolg  gedachtes  Phänomenen  dem  Planeten 
zuwege  gebracht;  und  ich  getraue  mir  es  zu  be- 
haupten, daß  in  der  ganzen  Natur  nur  wenig  Dinge 
auf  einen  so  begreiflichen  Ursprung  können  gebracht 
werden,  als  diese  Besonderheit  des  Himmels  aus  dem 
rohen  Zustande  der  ersten  Bildung  sich  entwickeln 
läßt. 

Die  von  dem  Saturn  aufsteigende  Dünste  hatten 
die  Bewegung  an  sich  und  setzten  sie  in  der  Höhe, 
dahin  sie  aufgestiegen  waren,  frei  fort,   die  sie,  als 

30  dessen  Teile  bei  seiner  Umdrehung  um  die  Achse, 
gehabt  hatten.  Die  Teilchen,  die  nahe  beim  Äquator 
des  Planeten  aufstiegen,  müssen  die  schnellste,  und 
weiter  davon  ab  zu  den  Polen  um  so  viel  schwächere 
Bewegungen  gehabt  haben,  je  größer  die  Breite  des 
Orts  war,  von  dem  sie  aufstiegen.  Das  Verhältnis  der 
spezifischen  Schwere  ordnete  den  Partikeln  die  ver- 
schiedentliche  Höhen,  zu  denen  sie  aufstiegen;  aber 
nur  diejenige  Partikeln  konnten  die  Örter  ihres  Ab- 
standes  in  einem  beständig  freien  Zirkelumschwunge 

40  behaupten,  deren  Entfernungen,  in  die  sie  versetzt 
waren,  eine  solche  Zentralkraft  erheischeten,  als  diese 
mit  der  Geschwindigkeit,  welche  ihnen  von  der  Achsen- 


II.  Teil.     5.  Hauptstück.     Von  dem  Saturn.  97 

drehung  eigen  war,  leisten  konnten;  die  übrigen,  wo- 
fern sie  durch  die  Wechselwirkung  der  andern  nicht 
zu  dieser  Genauheit  gebracht  werden  können,  müssen 
entweder  mit  dem  Übermaße  der  Bewegung  aus  der 
Sphäre  des  Planeten  sich  entfernen  oder  durch  den 
Mangel  derselben  auf  ihn  zurück  zu  sinken  genötiget 
werden.  Die  durch  den  ganzen  Umfang  der  Dunst- 
kugel zerstreute  Teilchen  werden,  vermöge  ebender- 
selben Zentralgesetze,  in  der  Bewegung  ihres  Um- 
schwunges die  fortgesetzte  Äquatorsfläche  des  Planeten  10 
von  beiden  Seiten  zu  durchschneiden  trachten,  und 
indem  sie  einander  in  diesem  Plane  von  beiden  Hemi- 
sphärien^j  einander  aufhalten,  werden  sie  sich  daselbst 
häufen;  und  weil  ich  setze,  daß  gedachte  Dünste  die- 
jenige sind,  die  der  Planet  zu  seiner  Verkühlung  zu- 
letzt heraufschickt,  wird  alle  zerstreuete  Dunstmaterie 
sich  nelDen  diesem  Plane  in  einem  nicht  gar  breiten 
Räume  sammlen  und  die  Räume  zu  beiden  Seiten  leer 
lassen.  In  dieser  neuen  und  veränderten  Richtang 
aber  werden  sie  dennoch  ebendieselbe  Bewegung  fort-  20 
setzen,  welche  sie  in  freien  konzentrischen  Zirkel- 
umläufen schwebend  erhält.  Auf  solche  Weise  nun 
ändert  der  Dunstkreis  seine  Gestalt,  welche  eine  er- 
füllte Sphäre  war,  in  eine  Form  einer  ausgebreiteten 
Fläche,  welche  gerade  mit  dem  Äquator  des  Saturns 
zusammentrifft;  aber  auch  diese  Fläche  muß  aus  eben- 
denselben mechanischen  Gründen  zuletzt  die  Form 
eines  Ringes  annehmen,  dessen  äußerer  Rand  durch 
die  Wirkung  der  Sonnenstrahlen  bestimmet  wird, 
welche  diejenige  Teilchen,  die  sich  bis  zu  gewisser  Weite  30 
von  dem  Mittelpunkte  des  Planeten  entfernet  haben, 
durch  ihre  Kraft  zerstreuet  und  entfernet,  so  wie 
sie  es  bei  den  Kometen  tut,  und  dadurch  die  aus- 
wendige Grenze  ihres  Dunstkreises  abzeichnet.  Der 
inwendige  Rand  dieses  entspringenden  Ringes  wird 
durch  die  Verhältnis  der  Geschwindigkeit  des  Pla- 
neten unter  seinem  Äquator  bestimmt.  Denn  in  dem- 
jenigen Abstände  von  seinem  Mittelpunkte,  da  diese 
Geschwindigkeit  mit  der  Attraktion  des  Orts  das  Gleich- 
gewichte leistet,  da  ist  die  größte  Nähe,  in  welcher  40 


a)  „Hemisphärien  begegnend",   Zusatz  Rahts  Ak.  Ausg. 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     I.  7 


98        Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

die  von  seinem  Körper  aufgestiegene  Teilchen,  durch 
die  von  der  Achsendrehung  eigene  Bewegung,  Zirkel- 
kreise beschreiben  können.   Die  näheren  Teilchen,  weil 
sie  einer   größern   Geschwindigkeit  zu  solchem  Um- 
laufe bedürfen,  die  sie  doch  nicht  haben  können,  weil 
selbst  auf  dem  Äquator  des  Planeten  die  Bewegung 
nicht  schneller  ist,  werden  dadurch  exzentrische  Läufe 
erhalten,  die  einander  durchkreuzen,  eine  der  andern 
Bewegung  schwächen  und  endlich  insgesamt  auf  den 
10  Planeten    niederstürzen,    von    dem    sie    sich    erhoben 
hatten.    Da  sehen  wir  nun  das  wunderseltsame  Phä- 
nomenon,  dessen  Anblick  seit  seiner  Entdeckung  die 
Astronomen    jederzeit    in    Bewunderung   gesetzet   hat 
und  dessen  Ursache  zu  entdecken  man  niemals  auch 
nur  eine  wahrscheinliche  Hoffnung  hat  fassen  können, 
auf  eine  leichte,  von  aller  Hypothese  befreiete  mecha- 
nische Art  entstehen.  Was  dem  Saturn  widerfahren  ist, 
das  würde,   wie  hieraus  leicht  ersehen  werden  kann, 
einem  jeden  Kometen,  der  genügsame  Achsendrehung 
20  hätte,  wenn  er  in  eine  beständige  Höhe  versetzt  würde, 
in  der  sein  Körper  nach  und  nach  verkühlen  könnte, 
ebenso    regelmäßig    widerfahren.     Die   Natur    ist   an 
vortrefflichen  Auswickelungen  in  dem  sich  selbst  ge- 
lassenen Zustande  ihrer  Kräfte  sogar  im  Chaos  frucht- 
bar,  und  die  darauf  folgende  Ausbildung  bringet  so 
herrliche    Beziehungen    und    Übereinstimmungen    zum 
gemeinsamen  Nutzen   der  Kreatur  mit  sich,   daß  sie 
sogar  in  den  ewigen  und  unwandelbaren  Gesetzen  ihrer 
wesentlichen    Eigenschaften    dasjenige    große    Wesen 
30  mit   einstimmiger    Gewißheit   zu  erkennen   geben,    in 
welchem  sie  vermittelst  ihrer  gemeinschaftlichen  Ab- 
hängigkeit sich  zu  einer  gesamten  Harmonie  verein- 
baren.   Saturn  hat  von  seinem  Ringe  große  Vorteile; 
er  vermehret  seinen  Tag  und  erleuchtet  unter  so  viel 
Monden   dessen   Nacht   dermaßen,    daß   man   daselbst 
leichtlich  die  Abwesenheit  der  Sonne  vergißt.    Aber 
muß  man  denn  deswegen  leugnen,  daß  die  allgemeine 
Entwickelung  der  Materie  durch  mechanische  Gesetze, 
ohne   andere,    als   ihre  allgemeine   Bestimmungen,   zu 
40  bedürfen,  habe  Beziehungen  hervorbringen  können,  die 
der  vernünftigen  Kreatur  Nutzen  schaffen?  Alle  Wesen 
hängen  aus  einer  Ursache  zusammen,  welche  der  Ver- 


II.  Teil.     5.  Hauptstück.     Von  dem  Saturn.  99 

stand  Gottes  ist;  sie  können  dahero  keine  andere  Folgen 
nach  sich  ziehen,  als  solche,  die  eine  Vorstellung  der 
Vollkommenheit  in  ebenderselben  göttlichen  Idee  mit 
sich  führen. 

Wir  wollen  nunmehro  die  Zeit  der  Achsendrehung 
dieses  Himmelskörpers  aus  den  Verhältnissen  seines 
Ringes,  nach  der  angeführten  Hypothese  seiner  Er- 
zeugung, berechnen.  Weil  alle  Bewegung  der  Teil- 
chen des  Ringes  eine  einverleibte  Bewegung  von  der 
Achsendrehung  des  Saturns  ist,  auf  dessen  Oberfläche  10 
sie  sich  befanden,  so  trifft  die  schnelleste  Bewegung 
unter  denen,  die  diese  Teilchen  haben,  mit  der 
Schnellesten  Umwendung,  die  auf  der  Oberfläche  des 
Saturns  angetroffen  wird,  überein,  das  ist:  die  Ge- 
schwindigkeit, womit  die  Partikeln  des  Ringes  in  seinem 
inwendigen  Rande  umlaufen,  ist  derjenigen,  die  der 
Planet  auf  seinem  Äquator  hat,  gleich.  Man  kann 
aber  jene  leicht  finden,  indem  man  sie  aus  der  Ge- 
schwindigkeit eines  von  den  Saturnustrabanten  suchet, 
dadurch,  daß  man  selbige  in  dem  Verhältnisse  der  20 
Quadratwurzel  der  Entfernungen  von  dem  Mittelpunkte 
des  Planeten  nimmt.  Aus  der  gefundenen  Geschwindig- 
keit ergibt  sich  unmittelbar  die  Zeit  der  Umdrehung 
des  Saturns  um  seine  Achse;  sie  ist  von  sechs 
Stunden,  dreiundzwanzig  Minuten  und  drei- 
undfunfzig  Sekunden.*)  Diese  mathematische  Be- 
rechnung einer  unbekannten  Bewegung  eines  Himmels- 
körpers, die  vielleicht  die  einzige  Vorherverkündigung 
ihrer  Art  in  der  eigentlichen  Naturlehre  ist,  erwartet 

*)  Anmerkung  Gensichens  auf  Grund  einer  Äußerung 
Kants  a.  0.  a.  0.  S.  203:  „Da  sich  die  von  Xant  vor  mehr 
als  30  Jahren  berechnete  Zeit  der  Achsendrehung  des  Sa- 
turns durch  die  Folgerungen,  die  Bugge  aus  der  beobachteten 
Abplattung  des  Saturns  in  Ansehung  dieser  Achsendrehung 
zieht,  imgleichen  die  Zeit,  in  welcher  die  Teile  des  innem 
Randes  seines  Ringes  umlaufen,  durch  Herschels  Beobach- 
tungen, jetzt  so  schön  zu  bestätigen  scheint,  so  erhält  da- 
durch die  Kantische  Theorie  von  der  Erzeugung  des 
Ringes  und  der  Erhaltung  desselben  nach  bloßen  Gesetzen 
der  Zentralkräfte  einen  sehr  großen  Grad  der  Glaubwürdig- 
keit." Über  die  Berechnung  der  Umdrehungsgeschwindig- 
keit des  Saturns  vgl.  Gensichen  S.  193  ff.  Anm.  und  Ak, 
Ausg.  554  ff. 

7* 


100      Allgemeine  Xaturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

von  den  Beobachtungen  künftiger  Zeiten  die  Be- 
stätigung. Die  noch  zurzeit  bekannte  Ferngläser  ver- 
größern den  Saturn  nicht  so  sehr,  daß  man  die  Flecken, 
die  man  auf  seiner  Oberfläche  vermuten  kann,  da- 
durch entdecken  könnte,  um  durch  deren  Verrückung 
seine  Umwendung  um  die  Achse  zu  ersehen.  Allein 
die  Sehröhre  haben  vielleicht  noch  nicht  alle  die- 
jenige Vollkommenheit  erlanget,  die  man  von  ihnen 
hoffen  kann  und  welche  der  Fleiß  und  die  Geschick- 

10  lichkeit  der  Künstler  uns  zu  versprechen  scheinet. 
Wenn  man  dereinst  dahin  gelangete,  unsern  Mut- 
maßungen den  Ausschlag  durch  den  Augenschein  zu 
geben,  welche  Gewißheit  würde  die  Theorie  des  Sa- 
turns,  und  was  vor  eine  vorzügliche  Glaubwürdigkeit 
würde  das  ganze  System  dadurch  nicht  erlangen,  das 
auf  den  gleichen  Gründen  errichtet  ist.  Die  Zeit  der 
täglichen  Umdrehung  des  Saturns  führet  auch  die  Ver- 
hältnis der  den  Mittelpunkt  fliehenden  Kraft  seines 
Äquators  zur  Schwere  auf  seiner  Oberfläche  mit  sich; 

10  sie  ist  zu  dieser,  wie  20:32.  Die  Schwere  ist  also 
nur  um  Vs  größer  als  die  Zenterfliehkraft.  Dieses  so 
große  Verhältnis  verursachet  notwendig  einen  sehr 
beträchtlichen  Unterscheid  der  Durchmesser  dieses 
Planeten,  und  man  könnte  besorgen,  daß  er  so  groß 
entspringen  müßte,  daß  die  Beobachtung  bei  diesem, 
obzwar  wenig  durch  das  Fernglas  vergrößerten  Pla- 
neten dennoch  gar  zu  deutlich  in  die  Augen  fallen 
müßte,  welches  wirklich  nicht  geschiehet,  und  die 
Theorie   dadurch   einen   nachteiligen  Anstoß   erleiden 

30  könnte.  Eine  gründliche  Prüfung  hebet  diese  Schwierig- 
keit völlig.  Nach  der  Huygenianischen  Hypothese, 
welche  annimmt,  daß  die  Schwere  in  dem  Innern 
eines  Planeten  durch  und  durch  gleich  sei,  ist  der 
Unterscheid  der  Durchmesser  in  einer  zweifach  klei- 
nern Verhältnis  zu  dem  Durchmesser  des  Äquators,  als 
die  Zenterfliehkraft  zur  Schwere  unter  den  Polen  hat. 
Z.  E.  da  bei  der  Erde  die  den  Mittelpunkt  fliehende 
Kraft  des  Äquators  ^l^m  der  Schwere  unter  den  Polen 
ist,   so   muß   in   der  Huygenianischen  Hypothese  der 

40  Durchmesser  der  Äquatorsfläche  ^U-,^  größer  als  die 
Erdachse  sein.  Die  Ursache  ist  diese:  weil,  da  die 
Schwere   der    Voraussetzung   gemäß,   in   dem  Innern 


IL  Teil.     5.  Hauptstück.     Von  dem  Saturn.       101 

des  Erdklumpens,  in  allen  Nähen  zum  Mittelpunkte 
so  groß  wie  auf  der  Oberfläche  ist,  die  Zentrifugal- 
kraft aber  mit  den  Annäherungen  zum  Mittelpunkte 
abnimmt,  selbige  nicht  allenthalben  V289  der  Schwere 
ist,  sondern  vielmehr  die  ganze  Verminderung  des 
Gewichtes  der  flüssigen  Säule  in  der  Äquatorsfläche 
aus  diesem  Grunde  nicht  V289,  sondern  die  Hälfte 
davon,  d.  i.  Vsts  desselben,  beträgt.  Dagegen  hat  in 
der  Hypothese  des  Newton  die  Zenterfliehkraft,  welche 
die  Achsendrehung  erreget,  in  der  ganzen  Fläche  des  10 
Äquators,  bis  zum  Mittelpunkte,  eine  gleiche  Verhält- 
nis zur  Schwere  des  Orts;  weil  diese  in  dem  Innern 
des  Planeten  (wenn  er  durch  und  durch  von  gleich- 
förmiger Dichtigkeit  angenommen  wird)  mit  dem  Ab- 
stände vom  Mittelpunkte  in  derselben  Proportion,  als 
die  Zenterfliehkraft,  abnimmt,  mithin  diese  jederzeit 
V289  <ier  erstem  ist.  Dieses  verursachet  eine  Erleichte- 
rung der  flüssigen  Säule  in  der  Äquatorsfläche,  und 
auch  die  Erhebung  derselben  um  Vsso»  welcher  Unter- 
schied der  Durchmesser  in  diesem  Lehrbegriffe  noch  20 
dadurch  verm^ehret  wird,  daß  die  Verkürzung  der 
Achse  eine  Annäherung  der  Teile  zum  Mittelpunkte, 
mithin  eine  Vermehrung  der  Schwere,  die  Verlänge- 
rung des  Äquatordurchmessers  aber  eine  Entfernung 
der  Teile  von  ebendemselben  Mittelpunkte,  und  daher 
eine  Verringerung  ihrer  Gravität  mit  sich  führet,  und 
aus  diesem  Grunde  die  Abplattung  des  Newtonischen 
Sphäroids  so  vermehret,  daß  der  Unterscheid  der 
Durchmesser  von  1/239  bis  zu  V230  erhoben  wird. 

Nach  diesen  Gründen  müßten  die  Durchmesser  des  30 
Saturns  noch  in  größerem  Verhältnisse,  als  das  von 
20:32  ist,  gegeneinander  sein;  sie  müßten  der  Pro- 
portion von  1:2  beinahe  gleich  kommen.  Ein  Unter- 
scheid, der  so  groß  ist,  daß  die  geringste  Aufmerk- 
samkeit ihn  nicht  fehlen  würde,  so  klein  auch  Saturn 
durcJi  die  Ferngläser  erscheinen  mag.  Allein  hieraus 
ist  nur  zu  ersehen,  daß  die  Vorraussetzung  der  gleich- 
förmigen Dichtigkeit,  welche  bei  dem  Erdkörper  ziem- 
lich richtig  angebracht  zu  sein  scheinet,  beim  Saturn 
gar  zu  weit  von  der  Wahrheit  abweiche;  welches  schon  40 
an  sich  selber  bei  einem  Planeten  wahrscheinlich  ist, 
dessen  Klumpen  dem  größesten  Teile  seines  Inhaltes 


102     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

nach  aus  den  leichtesten  Materien  bestehet,  und  denen 
von  schwererer  Art  in  seinem  Zusammensatze,  bevor 
er  den  Zustand  der  Festigkeit  bekommt,  die  Nieder- 
sinkung zum  Mittelpunkte,  nach  Beschaffenheit  ihrer 
Schwere,  weit  freier  verstattet,  als  diejenige  Himmels- 
körper, deren  viel  dichterer  Stoff  den  Niedersatz  der 
Materien  verzögert,  und  sie,  ehe  diese  Niedersinkung 
geschehen  kann,  fest  werden  läßt.  Indem  wir  also 
beim  Saturn  voraussetzen,  daß  die  Dichtigkeit  seiner 

^0  Materien,  in  seinem  Innern,  mit  der  Annäherung  zum 
Mittelpunkte  zunehme,  so  nimmt  die  Schwere  nicht 
mehr  in  diesem  Verhältnisse  ab;  sondern  die  wachsende 
Dichtigkeit  ersetzt  den  Mangel  der  Teile,  die  über  die 
Höhe  des  in  dem  Planeten  befindlichen  Punkts  gesetzt 
sein,  und  durch  ihre  Anziehung  zu  dessen  Gravität 
nichts  beitragen*).  Wenn  diese  vorzügliche  Dichtigkeit 
der  tiefsten  Materien  sehr  groß  ist,  so  verwandelt  sie, 
vermöge  der  Gesetze  der  Anziehung,  die  zum  Mittel- 
punkte  hin   in   dem  Innern   abnehmende   Schwere   in 

20  eine  fast  gleicJiförmige,  und  setzet  das  Verhältnis  der 
Durchmesser  dem  Huygenischen  nahe,  welches  immer 
die  Hälfte  von  dem  Verhältnis  zwischen  der  Zentri- 
fugalkraft und  der  Schwere  ist;  folglich,  da  diese 
gegeneinander  wie  2:3  waren,  so  wird  der  Unter- 
scheid der  Durchmesser  dieses  Planeten  nicht  1/3,  son- 
dern Ve  des  Äquatordurchschnitts a)  sein;  welcher 
Unterscheid  schließlich  noch  dadurch  verborgen  wird, 
weil  Saturn,  dessen  Achse  mit  der  Fläche  seiner  Bahn 
jederzeit   einen    Winkel    von   31    Graden   macht,    die 

30  Stellung  desselben  gegen  seinen  Äquator  niemals,  wie 
beim  Jupiter,  geradezu  darbietet,  welcJies  den  vorigen 


*)  Denn  nach  den  Xewtonischen  Gesetzen  der  Attraktion 
wird  ein  Körper,  der  sich  in  dem  Inwendigen  einer  Kugel 
befindet,  nur  von  demjenigen  Teile  derselben  angezogen, 
der  in  der  Weite,  welche  jener  vom  Mittelpunkte  hat,  um 
diesen  sphärisch  beschrieben  worden.  Der  außer  diesem 
Abstände  befindliche  konzentrische  Teil  tut,  wegen  des 
Gleichgewichts  seiner  Anziehungen,  die  einander  aufheben, 
nichts  dazu,  weder  den  Körper  zum  Mittelpunkte  hin,  noch 
von  ihm  weg  zu  bewegen. 


a)  „Äquatordurchmessers"  Kahts  Ak.  Ausg. 


II.  Teil.     5.  Hauptstück.     Von  dem  Satum.       103 

Unterscheid  fast  um  den  dritten  Teil,  dem  Scheine 
nach,  vermindert.  Man  kann  bei  solchen  Umständen, 
und  vornehmlich  bei  der  so  großen  Weite  dieses  Pla- 
neten leiclit  erachten,  daß  die  abgeplattete  Gestalt 
seines  Körpers  nicht  so  leicht,  als  man  wohl  denken 
sollte,  in  die  Augen  fallen  werde;  dennoch  wird  die 
Sternwissenschaft,  deren  Aufnehmen  vornehmlich  auf 
die  Vollkommenheit  der  Werkzeuge  ankommt,  die  Ent- 
deckung einer  so  merkwürdigen  Eigenschaft,  wo  ich 
mir  nicht  zu  sehr  schmeichle,  durch  derselben  Hilfe  10 
vielleicht  zu  erreichen  in  den  Stand  gesetzet  werden. 

Was  ich  von  der  Figur  des  Saturns  sage,  kann 
gewissermaßen  der  Naturlehre  des  Himmels  zu  einer 
allgemeinen  Bemerkung  dienen.  Jupiter,  der  nach  einer 
genauen  Ausrechnung,  eine  Verhältnis  der  Schwere  zur 
Zentrifugalkraft  auf  seinem  Äquator  wenigstens  wie 
d^/i'.l  hat,  sollte,  wenn  sein  Klumpen  durch  und  durch 
von  gleichförmiger  Dichtigkeit  wäre,  nach  den  Lehr- 
sätzen des  Newton,  einen  noch  größern  Unterscheid, 
als  V9,  zwischen  seiner  Achse  und  dem  Äquatorsdurch-  20 
messer  an  sich  zeigen.  Allein  Cassini  hat  ihn  nur 
Vi6>  Poneda)  Vi2>  bisweilen  1/14  befunden;  wenigstens 
stimmen  alle  diese  verschiedene  Beobachtungen, 
welche  durch  ihren  Unterscheid  die  Schwierigkeit 
dieser  Abmessung  bestätigen,  darin  überein,  sie  viel 
kleiner  zu  setzen,  als  sie  es  nach  dem  Syst-em  des 
Newton,  oder  vielmehr  nach  seiner  Hypothese  von 
der  gleichförmigen  Dichtigkeit  sein  sollte.  Und  wenn 
man  daher  die  Voraussetzung  der  gleichförmigen 
Diciitigkeit,  welche  die  so  große  Abweichung  der  30 
Theorie  von  der  Beobachtung  veranlasset,  in  die  viel 
wahrscheinlichere  verändert,  da  die  Dichtigkeit  des 
planetischen  Klumpens  zu  seinem  Mittelpunkte  hin 
zunehmend  gesetzet  wird,  so  wird  man  nicht  allein 
an  dem  Jupiter  die  Beobachtung  rechtfertigen,  sondern 
aucJi  bei  dem  Saturn,  einem  viel  schwerer  abzumessen- 
den Planeten,  die  Ursache  einer  minderen  Abplattung 
seines  sphäroidischen  Körpers  deutlich  einsehen  können. 

Wir   haben   aus   der  Erzeugung   des   saturnischen 
Ringes  Anlaß  genommen,  den  kühnen  Schritt  zu  wagen,  40 

a)  „Pound".  Ak.  Ausg. 


104     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

die  Zeit  der  Achsendreiiung,  welche  die  Ferngläser 
zu  entdecken  nicht  vermögen,  ihm  durch  Rechnung 
zu  bestimmen.  Lasset  uns  diese  Probe  einer  physischen 
Vorhersagung  noch  mit  einer  andern  an  eben  diesem 
Planeten  vermehren,  welche  von  vollkommeneren  Werk- 
zeugen künftiger  Zeiten  das  Zeugnis  ihrer  Richtigkeit 
zu  erwarten  hat. 

Der    Voraussetzung    gemäß:    daß    der    Ring    des 
Saturns  eine  Häufung  der  Teilchen  sei,  die,  nachdem 

10  sie  von  der  Oberfläche  dieses  Himmelskörpers  als 
Dünste  aufgestiegen,  sich  vermöge  des  Schwunges,  den 
sie  von  der  Acbsendrehung  desselben  an  sich  haben 
und  fortsetzen,  in  der  Höhe  ihres  Abstandes  frei  in 
Zirkeln  laufend  erhalten,  haben  dieselbe  nicht  in  allen 
iliren  Entfernungen  vom  Mittelpunkte  gleiche  perio- 
dische Umlaufszeiten;  sondern  diese  verhalten  sich 
vielmehr,  wie  die  Quadratwurzeln  aus  den  Würfeln 
ihres  Abstandes,  wenn  sie  sich  durch  die  Gesetze  der 
Zentralkräfte  schwebend  erhalten  sollen.    Nun  ist  die 

20  Zeit,  darin,  nach  dieser  Hypothese,  die  Teilchen  des 
inwendigen  Randes  lliren  Umlauf  verrichten,  ohngefähr 
von  10  Stunden,  und  die  Zeit  des  Zirkellaufs  der 
Partikeln  im  auswendigen  Rande  ist,  nach  gehöriger 
Ausrechnung,  15  Stunden;  also,  wenn  die  niedrigsten 
Teile  des  Ringes  ihren  Umlauf  3  mal  verrichtet  haben, 
haben  es  die  entferntesten  nur  2  mal  getan.  Es  ist 
aber  wahrscheinlich,  man  mag  die  Hindernis,  die  die 
Partikeln  bei  ihrer  großen  Zerstreuung  in  der  Ebene 
des  Ringes  einander  leisten,  so  gering  schätzen,  als 

30  man  will,  daß  das  Nachbleiben  der  entferntem  Teil- 
chen, bei  jeglichem  ihrer  Umläufe,  die  schneller  be- 
wegte niedrige  Teile  nach  und  nach  verzögern  und 
aufhalten a),  dagegen  diese  denen  obern  einen  Teil 
ihrer  Bewegung  zu  einer  geschwindern  Umwendung 
eindrücken  müssen,  welches,  wenn  diese  Wechsel- 
wirkung nicht  endlich  unterbrochen  würde,  so  lange 
dauren  würde,  bis  die  Teilchen  des  Ringes  alle  dahin 
gebracht  wären,  sowohl  die  niedrigen,  als  die  weitern, 
in  gleicher  Zeit  sich  herumzuwenden,  als  in  welchem 

40  Zustande  sie  in  respektiver  Ruhe  gegeneinander  sein 


a)  „verzögert  und  aufhält".  Ak.  Ausg. 


II.  Teil.     5.  Hauptstück.     Von  dem  Saturn.       105 

und  durch  die  Wegrückung  keine  Wirkung  ineinander 
tun  würden.  Nun  v/ürde  aber  ein  solcher  Zustand, 
wenn  die  Bewegung  des  Ringes  dahin  ausschlüge,  den- 
selben gänzlich  zerstören,  weil,  wenn  man  die  Mitte 
von  der  Ebene  des  Ringes  nimmt,  und  setzet,  daß 
daselbst  die  Bewegung  in  dem  Zustande  verbleibe, 
darin  sie  vorher  war  und  sein  muß,  um  einen  freien 
Zirkellauf  leisten  zu  können,  die  untern  Teilchen,  weil 
sie  sehr  zurückgehalten  worden,  sich  nicht  in  ihrer 
Höhe  schwebend  erhalten,  sondern  in  schiefen  und  10 
exzentrischen  Bewegungen  einander  durchkreuzen,  die 
entferntem  aber  durch  den  Eindruck  einer  größern 
Bewegung,  als  sie  vor  die  Zentralkraft  ihres  Abstandes 
sein  soll,  weiter  von  der  Sonne  a)  abgewandt,  als  die 
Sonnenwirkung  die  äußere  Grenze  des  Ringes  bestimmt, 
durch  dieselbe  hinter  dem  Planeten  zerstreuet  und 
fortgeführet  werden  müßten. 

Allein  man  darf  alle  diese  Unordnung  nicht  be- 
fürchten. Der  Mechanismus  der  erzeugenden  Bewegung 
des  Ringes  führet  auf  eine  Bestimmung,  die  denselben,  20 
vermittelst  eben  der  Ursachen,  die  ihn  zerstören 
sollen,  in  einen  sichern  Zustand  versetzet,  dadurch, 
daß  er  in  etliche  konzentrische  Zirkelstreifen  geteilet 
wird,  welche  wegen  der  Zwischenräume,  die  sie  ab- 
sondern, keine  Gemeinschaft  mehr  untereinander  haben. 
Denn  indem  die  Partikeln,  die  in  dem  inwendigen  Rande 
des  Ringes  umlaufen,  die  obere  durch  ihre  schnellere 
Bewegung  etwas  fortführen,  und  ihren  Umlauf  be- 
schleunigen, so  verursachen  die  vermehrten  Grade  der 
Geschwindigkeit  in  diesen  ein  Übermaß  der  Zentrifugal-  30 
kraft  und  eine  Entfernung  von  dem  Orte,  da  sie 
schwebeten.  Wenn  man  aber  voraussetzet,  daß,  in- 
dem dieselbe  sich  von  den  niedrigen  zu  trennen  be- 
streben, sie  einen  gewissen  Zusammenhang  zu  über- 
winden haben,  der,  ob  es  zwar  zerstreuete  Dünste 
sein,   dennoch  bei  diesen  nicht  ganz  nichtsbedeutend 


a)  „dem  Saturn".  Ak.  Ausgabe,  Rahts  bemerkt  dazu: 
„Die  Teilchen  des  Ringes,  welche  bei  kreisförmiger  Be- 
wegung immer  gleich  weit  vom  Saturn  entfernt  blieben, 
entfernen  sich  bei  vergrößerter  Geschwindigkeit  von  dem- 
selben." 


106     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

zu  sein  scheinet,  so  wird  dieser  vermehrte  Grad  des 
Schwunges  gedachten  Zusammenhang  zu  überwinden 
trachten,  aber  selbigen  nicht  überwinden,  solange  der 
Überschuß  der  Zenterfliehkraft,  die  er  in  gleicher 
ümlaufszeit  mit  den  niedrigsten  anwendet,  über  die 
Zentralkraft  ihres  Orts  dieses  Anhängen  nicht  über- 
trifft. Und  aus  diesem  Grunde  muß  in  einer  gewissen 
Breite  eines  Streifens  von  diesem  Ringe,  obgleich,  weil 
dessen  Teile  in  gleicher  Zeit  ihren  Umlauf  verrichten, 

10  die  obere  eine  Bestrebung  anwenden,  sich  von  den 
untern  abzureißen,  dennoch  der  Zusammenhang  be- 
stehen, aber  nicht  in  größerer  Breite,  weil  siea),  in- 
dem die  Geschwindigkeit  dieser  in  gleichen  Zeiten  um- 
bewegten b)  Teilchen  mit  den  Entfernungen,  also  mehr, 
als  sie  es  nach  den  Zentralgesetzen  tun  sollte,  zu- 
nimmt, wenn  sie  den  Grad  überschritten  hat,  den  der 
Zusammenhang  der  Dunstteilchen  leisten  kann,  von 
diesen  sich  abreißen  und  einen  Abstand  annehmen 
müssen,  welcJier  dem  Überschusse  der  Umwendungs- 

20  kraft  über  die  Zentralkraft  des  Orts  gemäß  ist.  Auf 
diese  Weise  wird  der  Zwischenraum  bestimmet,  der 
den  ersten  Streifen  des  Ringes  von  den  übrigen  ab- 
sondert; und  auf  gleiche  Weise  macht  die  beschleunigte 
Bewegung  der  obern  Teilchen,  durch  den  schnellen 
Umlauf  der  untern,  und  der  Zusammenhang  derselben, 
welcher  die  Trennung  zu  hindern  trachtet,  den  zweiten 
konzentrischen  Ring,  von  welchem  der  dritte  um  eine 
mäßige  Zwischenweite  abstehet.  Man  könnte  die  Zahl 
dieser  Zirkelstreifen   und  die  Breite  ihrer  Zwischen- 

30  räume  ausrechnen,  wenn  der  Grad  des  Zusammen- 
hanges bekannt  wäre,  welcher  die  Teilchen  aneinander 
hängt;  allein  wir  können  uns  begnügen,  überhaupt  die 
Zusammensetzung  des  saturnischen  Ringes,  die  dessen 
Zerstörung  vorbeugt  und  ihn  durch  freie  Bewegungen 
scJiwebend  erhält,  mit  gutem  Grunde  der  Wahrschein- 
lidikeit  erraten  zu  haben. 

Diese  Mutmaßung  vergnüget  mich  nicht  wenig; 
vermittelst  der  Hoffnung,  selbige  noch  wohl  dereinst 
durch   wirkliche   Beobachtungen  bestätiget  zu  sehen. 


a)  „sie"?  (fehlt  A.) 

b)  „unbewegten"  A. 


II.  Teil.     5.  Hauptstück.     Von  dem  Saturn.       107 

Vor  einigen  Jahren  verlautete  aus  London,  daß,  indem 
man  mit  einem  neuen,  vom  Herrn  Bradley  ver- 
besserten Newtonischen  Sehrohre  den  Saturn  be- 
obacJitete,  es  geschienen  habe,  sein  Ring  sei  eigent- 
lich eine  Zusammensetzung  von  vielen  konzentrischen 
Ringen,  welche  durch  Zwischenräume  abgesondert 
wären.  Diese  Nachricht  ist  seitdem  nicht  fortgesetzet 
worden*).  Die  Werkzeuge  des  Gesichts  haben  die 
Kenntnisse  der  äußersten  Gegenden  des  Weltgebäudes 
dem  Verstände  eröffnet.  Wenn  es  vornehmlich  auf  ^0 
sie  ankommt,  neue  Schritte  darin  zu  tun,  so  kann 
man  von  der  Aufmerksamkeit  des  Jahrhunderts  auf 
alle  dasjenige,  was  die  Einsichten  der  Menschen  er- 
weitern kann,  wohl  mit  Wahrscheinlichkeit  hoffen,  daß 
sie  sich  vornehmlich  auf  eine   Seite   wenden  werde. 


*)  Nachdem  ich  dieses  aufgesetzet,  finde  ich  in  den  Me- 
moires  der  königlichen  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Paris 
vom  Jahre  1705  in  einer  Abhandlung  des  Herrn  Cassini, 
von  den  Trabanten  und  dem  Ringe  des  Saturns, 
auf  der  571sten  Seite  des  zweiten  Teils  der  von  Stein- 
wehr sehen  Übersetzung,  eine  Bestätigung  dieser  Ver- 
mutung, die  fast  keinen  Zweifel  ihrer  Richtigkeit  mehr 
übrig  laut.  Nachdem  Herr  Cassini  einen  Gedanken  vor- 
getragen, der  gewissermaßen  eine  kleine  Annäherung  zu 
derjenigen  Wahrheit  hätte  sein  können,  die  wir  heraus- 
gebracht haben,  ob  er  gleich  an  sich  unwahrscheinlich  ist: 
nämlich  daß  vielleicht  dieser  Ring  ein  Schwärm  kleiner 
Trabanten  sein  möchte,  die  vom  Saturn  aus  ebenso  anzu- 
sehen wären,  als  die  Milchstraße  von  der  Erde  aus  erscheinet 
(welcher  Gedanke  Platz  finden  kann,  wenn  man  vor  diese 
kleine  Trabanten  die  Dunstteilchen  nimmt,  die  mit  eben 
dergleichen  Bewegung  sich  um  ihn  schwingen),  so  sagt  er 
ferner :  „Diesen  Gedanken  bestätigen  die  Obser- 
vationen, die  man  in  den  Jahren  gemacht,  da  der 
Ring  des  Saturns  breiter  und  offener  schien.  Denn 
man  sähe  die  Breite  des  Ringes  durch  eine  dunkle 
elliptische  Linie,  deren  nächster  Teil,  nach  der 
Kugel  zu,  heller  war,  als  der  entfernteste,  in  zween 
Teile  geteilet.  Diese  Linie  bemerkte  gleichsam 
einen  kleinen  Zwischenraum  zwischen  den  zween 
Teilen,  so  wie  die  Weite  der  Kugel  vom  Ringe 
durch  die  größte  Dunkelheit  zwischen  beiden  an- 
gezeiget  wird." 


108     Allgemeine  Naturgescliicbtc  und  Theorie  des  Himmels. 

welche   ihr   die   größte  Hoffnung  zu  wichtigen  Ent- 
deckungen darbietet. 

Wenn  aber  Saturn  so  glücklich  gewesen,  sich  einen 
Ring  zu  verschaffen,  warum  ist  denn  kein  anderer 
Planet  mehr  dieses  Vorteils  teilhaftig  worden?  Die 
Ursache  ist  deutlich.  Weil  ein  Ring  aus  den  Aus- 
dünstungen eines  Planeten,  der  sie  bei  seinem  rohen 
Zustande  aushauchet,  entstehen  soll,  und  die  Achsen- 
drehung diesen a)   den  Schwung  geben  muß,  den  sie 

10  nur  fortzusetzen  haben,  wenn  sie  in  die  Höhe  gelanget 
sein,  da  sie  mit  dieser  eingepflanzten  Bewegung  der 
Gravitation  gegen  den  Planeten  gerade  das  Gleich- 
gewicht leisten  können,  so  kann  man  leicht  durch 
Rechnung  bestimmen,  zu  welcher  Höhe  die  Dünste 
von  einem  Planeten  aufsteigen  müssen,  wenn  sie  durch 
die  Bewegungen,  die  sie  unter  dem  Äquator  desselben 
hatten,  sich  in  freier  Zirkelbewegung  erhalten  sollen, 
wenn  man  den  Durchmesser  des  Planeten,  die  Zeit 
seiner  Umdrehung  und  die  Schwere  auf  seiner  Ober- 

20  fläche  kennet.  Nach  dem  Gesetze  der  Zentralbewegung 
wird  die  Entfernung  eines  Körpers,  der  um  einen 
Planeten  mit  einer  dessen  Achsendrehung  gleichen 
Geschwindigkeit  frei  ün  Zirkel  laufen  kann,  in  eben- 
solchem Verhältnisse  zum  halben  Durchmesser  des  Pla- 
neten sein,  als  die  den  Mittelpunkt  fliehende  Kraft, 
unter  dem  Äquator  desselben,  zur  Schwere  ist.  Aus 
diesen  Gründen  war  die  Entfernung  des  Innern  Randes 
des  Saturnringes  wie  8,  wenn  der  halbe  Diameter 
desselben  wie  5  angenommen  wird,  welche  zwei  Zahlen 

30  in  demselben  Verhältnisse  wie  32:20  sindb),  die  so  wie 
wir  vorher  bemerket  haben,  die  Proportion  zwischen 
der  Schwere  und  der  Zenterfliehkraft  unter  dem 
Äquator  ausdrücken  c).  Aus  den  gleichen  Gründen,  wenn 
man  setzte,  daß  Jupiter  einen  auf  diese  Art  erzeugten 
Ring  haben  sollte,  würde  dessen  kleinster  halber  Durch- 
messer die  halbe  Dicke  des  Jupiter  10  mal  übertreffen, 
welches  gerade  dahin  treffen  würde,  wo  sein  äußerster 
Trabante  um  ihn  läuft,  und  daher  sowohl  aus  diesen 


a)  „dieser"  A. 

b)  „ist"  A. 

c)  „ausdrückt"  A.  korr.  Ak.  Ausg. 


II.  Teil.     5.  Hauptetück.     Von  dem  Saturn.       109         ' 

Gründen,  als  auch,  weil  die  Ausdünstung  eines  Pla- 
neten sich  so  weit  von  ihm  nicht  ausbreiten  kann, 
unmöglich  ist.  Wenn  man  verlangte,  zu  wissen,  warum 
die  Erde  keinen  Ring  bekommen  hat,  so  wird  man  die 
Beantwortung  in  der  Größe  des  halben  Durchmessers 
finden,  den  nur  sein  innerer  Rand  hätte  haben  müssen, 
welcher  289  halbe  Erddiameter  müßte  groß  geworden 
sein.  Bei  den  langsamer  bewegten  Planeten  entfernet 
sich  die  Erzeugung  eines  Ringes  noch  weiter  von 
der  Möglichkeit;  also  bleibt  kein  Fall  übrig,  da  ein  10 
Planet  auf  die  Weise,  wie  wir  es  erkläret  haben,  einen 
Ring  hätte  bekommen  können,  als  derjenige,  darin  der 
Planet  ist,  welcher  ihn  wirklich  hat,  welches  eine  nicht 
geringe  Bestärkung  der  Glaubwürdigkeit  unserer  Er- 
klärungsart ist. 

Was  mich  aber  fast  versichert  macht,  daß  der  Ring, 
welcher  den  Saturn  umgiebet,  ihm  nicht  auf  diejenige 
allgemeine  Art  entstanden  und  durch  die  allgemeine 
Bildungsgesetze  erzeugt  worden,  die  durch  das  ganze 
System  der  Planeten  geherrschet  und  dem  Saturn  auch  20 
seine  Trabanten  verschaffet  hat,  daß,  sage  ich,  diese 
äußerliche  Materie  nicht  ihren  Stoff  dazu  hergegeben, 
sondern  er  ein  Geschöpf  des  Planeten  selber  sei,  der 
seine  flüclitigsten  Teile  durch  die  Wärme  erhoben 
und  ihnen  durch  seine  eigene  Achsendrehung  den 
Schwung  zur  Umwendung  erteilet  hat,  ist  dieses,  daß 
der  Ring  nicht  so,  wie  die  andern  Trabanten  des- 
selben, und  wie  überhaupt  alle  umlaufende  Körper, 
die  in  der  Begleitung  der  Hauptplaneten  befindlich 
sein,  in  der  allgemeinen  Beziehungsfläche  der  plane-  30 
tischen  Bev/egungen  gerichtet  ist,  sondern  von  ihr 
sehr  abweicht,  vv^elches  ein  sicherer  Bev/eis  ist,  daß 
er  nicht  aus  dem  allgemeinen  Grundstoffe  gebildet, 
und  seine  Bewegung  aus  dessen  Herabsinken  be- 
kommen, sondern  von  dem  Planeten  nach  längst  voll- 
endeter Bildung  aufgestiegen,  und  durch  dessen  ein- 
gepflanzte Umschwungskräfte,  als  sein  abgeschiedener 
Teil,  eine  sich  auf  desselben  Achsendrehung  beziehende 
Bewegung  und  Richtung  bekommen  habe*). 


*)  (Anmerkung-  Kants  vom  J.  1791    nach  Angabe   des 
Herrn    Gensichen    a.    o.    a.   0.    S.    203/4) :      „Die     höchst- 


110     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Das  Vergnügen,  eine  von  den  seltensten  Besonder- 
heiten des  Himmels  in  dem  ganzen  Umfange  ihres 
Wesens  und  Erzeugung  begriffen  zu  haben,  hat  uns 
in  eine  so  weitläuftige  Abhandlung  verwickelt.  Lasset 
uns  mit  der  Begünstigung  unserer  gefälligen  Leser 
dieselbe,  wo  es  beliebig,  bis  zur  Ausschweifung  treiben, 
um,  nachdem  wir  uns  auf  eine  angenehme  Art  will- 
kürlichen Meinungen  mit  einer  Art  von  Ungebunden- 
heit  überlassen  haben,  mit  desto  mehrerer  Behutsam- 
10  keit  und  Sorgfalt  wiederum  zu  der  Wahrheit  zurück- 
zukehren. 

Könnte  man  sich  nicht  einbilden,  daß  die  Erde 
ebensowohl,  wie  Saturn,  ehemals  einen  Ring  gehabt 
habe?  Er  möchte  nun  von  ihrer a)  Oberfläche  ebenso, 
wie  Saturns  seiner,  aufgestiegen  sein,  und  habe  sich 
lange  Zeit  erhalten,  indessen  daß  die  Erde  von  einer 
viel  schnelleren  Umdrehung,  als  die  gegenwärtige,  ist, 


wahrscheinliche  Richtigkeit  der  Theorie  der  Erzeugung 
dieses  Ringes  aus  dunstartigem  Stoffe,  der  sich  nach  Zentral- 
gesetzen bewegte,  wirft  zugleich  ein  sehr  vorteilhaftes  Licht 
auf  die  Theorie  von  der  Entstehung  der  großen  Weltkörper 
selbst,  nach  ebendenselben  Gesetzen,  nur  daß  ihre  Wurfs- 
kraft durch  den  von  der  allgemeinen  Schwere  verursachten 
Fall  des  zerstreuten  Grundstoffs,  nicht  aber  durch  die 
Achsendrehung  des  Zentralkörpers  erzeugt  worden;  vor- 
nehmlich wenn  man  (ich  bediene  mich  hier  eigner  Worte 
des  Hrn.  Prof.  Kant)  die  durch  Herrn  Hofrat  Lichten- 
bergs wichtigen  Beifall  gewürdigte,  spätere,  als  Supple- 
ment zur  Theorie  des  Himmels  hinzugekommene  Meinung 
damit  verbindet:  daß  nämlich  jener  dunstförmig  im  Welt- 
raum verbreitete  L^rstoff,  der  alle  Materien  von  unendlich 
verschiedener  Art  im  elastischen  Zustande  in  sich  ent- 
hielt, indem  er  die  Weltkörper  bildete,  es  nur  dadurch  tat, 
daß  die  Materien,  welche  von  chemischer  Affinität  waren, 
wenn  sie  in  ihrem  Falle  nach  Gravitationsgesetzen  aufein- 
andertrafen, welchselseitig  ihi-e  Elastizität  vernichteten,  da- 
durch aber  dichte  Massen  und  in  diesen  diejenige  Hitze 
hervorbrachten,  welche  in  den  größten  Weltkörpem  (den 
Sonnen)  äußerlich  mit  der  leuchtenden  Eigenschaft,  an  den 
kleinereu  (den  Planeten)  aber  mit  innerlicher  Wärme  ver- 
bunden ist." 


a)  „seiner"  A.  korr.  Rosenkranz. 


II.  Teil.     5.  Hauptstück.     Von  dem  Saturn.       Hl 

durch  wer  weiß  was  vor  Ursachen  bis  zu  gegen- 
wärtigem Grade  aufgehalten  worden,  oder  daß  man 
dem  abwärts  sinkenden  allgemeinen  Grundstoffe  es 
zutrauet,  denselben  nach  den  Regeln,  die  wir  oben 
erkläret,  gebildet  zu  haben;  welches  man  so  genau 
nicht  nehmen  muß,  wenn  man  seine  Neigung  zum 
Sonderbaren  vergnügen  will.  Allein  was  vor  einen  a) 
Vorrat  von  schönen  Erläuterungen  und  Folgen  bietet 
uns  eine  solche  Idee  dar.  Ein  Ring  um  die  Erde! 
Welche  Schönheit  eines  Anblicks  vor  diejenige,  die  10 
erschaffen  waren,  die  Erde  als  ein  Paradies  zu  be- 
wohnen; wie  viel  Bequemlichkeit  vor  diese,  welche  die 
Natur  von  allen  Seiten  anlachen  sollte!  Allein  dieses 
ist  noch  nichts  gegen  die  Bestätigung,  die  eine  solche 
Hypothese  aus  der  Urkunde  der  Schöpfungsgeschichte 
entlehnen  kann,  und  die  vor  diejenige  keine  geringe 
Empfehlung  zum  Beifalle  ist,  welche  die  Ehre  der 
Offenbarung  nicht  zu  entweihen,  sondern  zu  bestätigen 
glauben,  wenn  sie  sich  ihrer  bedienen,  den  Ausschwei- 
fungen ihres  Witzes  dadurch  ein  Ansehen  za  geben.  20 
Das  Wasser  der  Veste,  deren  die  Mosaische  Beschrei- 
bung erwähnet,  hat  den  Auslegern  schon  nicht  wenig 
Mühe  verursachet.  Könnte  man  sich  dieses  Ringes 
nicht  bedienen,  sich  aus  dieser  Schwierigkeit  heraus- 
zuhelfen? Dieser  Ring  bestand  ohne  Zweifel  aus  wäß- 
richten  Dünsten,  und  man  hat  außer  dem  Vorteile, 
den  er  den  ersten  Bewohnern  der  Erde  verschaffen 
konnte,  nocli  diesen,  ihn  im  benötigten  Falle  zer- 
brechen zu  lassen,  um  die  Welt,  die  solcher  Schön- 
heit sich  unwürdig  gemacht  hatte,  mit  Überschwem-  30 
mungen  zu  züchtigen.  Ent\veder  ein  Komet,  dessen 
Anziehung  die  regelmäßige  Bewegungen  seiner  Teile 
in  Verwirrung  brachte,  oder  die  Verkühlung  der 
Gegend  seines  Aufenthalts  vereinigte  dessen  zerstreuete 
Dunstteile,  und  stürzte  sie  in  einem  der  allergrausam- 
sten  Wolkenbrüche  auf  den  Erdboden  nieder.  Man 
weiß  leichtlich,  was  die  Folge  hievon  war.  Alle  Welt 
ging  im  Wasser  unter  und  sog  noch  über  dieses  in 
denen  fremden  und  flüchtigen  Dünsten  dieses  un- 
natürlichen   Regens   denjenigen    langsamen   Gift   ein,  40 


a)  „ein"  A.  korr.  Ausg.  v.  1797. 


112     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels, 

der  alle  Geschöpfe  dem  Tode  und  der  Zerstörung 
naher  brachte.  Nunmehro  war  die  Figur  eines  blassen 
und  lichten  Bogens  von  dem  Horizonte  verschwunden, 
und  die  neue  Welt,  welcJie  sich  dieses  Anblicks  nie- 
mals erinnern  konnte,  ohne  ein  Schrecken  vor  diesem 
fürchterlichen  Werkzeug  der  göttlichen  Rache  zu  emp- 
finden, sähe  vielleicht  mit  nicht  geringer  Bestürzung 
in  dem  ersten  Regen  denjenigen  farbichten  Bogen, 
der  seiner  Figur  nach  den  erstem  abzubilden  schien, 

10  aber  durch  die  Versicherung  des  versöhnten  Himmels 
ein  Gnadenzeichen  und  Denkmal  einer  fortwährenden 
Erhaltung  des  nunmehro  veränderten  Erdbodens  sein 
sollte.  Die  Ähnlichkeit  der  Gestalt  dieses  Erinnerungs- 
zeichens mit  der  bezeichneten  Begebenheit  könnte  eine 
solche  Hypothese  denenjenigen  anpreisen,  die  der  herr- 
scJienden  Neigung  ergeben  sind,  die  Wunder  der  Offen- 
barung mit  den  ordentlicJien  Naturgesetzen  in  ein 
System  zu  bringen.  Ich  finde  es  vor  ratsamer,  den 
flüchtigen  Beifall,  den  solche  Übereinstimmungen  er- 

20  wecken  können,  dem  wahren  Vergnügen  völlig  aufzu- 
opfern, welcJies  aus  der  Wahrnehmung  des  regel- 
mäßigen Zusammenhanges  entspringet,  wenn  physische 
Analogien  einander  zur  Bezeichnung  physischer  Wahr- 
heiten unterstützen. 


Sechstes  Hauptstück. 

Von  dem  Zodiakalüchte. 

Die  Sonne  ist  mit  einem  subtilen  und  dunstigen 
Wesen  umgeben,  welches  in  der  Fläche  ihres  Äquators 
mit  einer  nur  geringen  Ausbreitung  auf  beiden  Seiten 
30  bis  zu  einer  großen  Höhe  sie  umgibet,  wovon  man 
nicht  versichert  sein  kann,  ob  es,  wie  Herr  von  Mai  ran 
es  abbildet,  in  der  Figur  eines  erhaben  geschliffenen 
Glases  (figura  lenticulari)  mit  der  Oberfläche  der  Sonne 
zusammenstößt,  oder  wie  der  Ring  des  Saturns  allent- 
halben von  ihm  abstehet.  Es  sei  nun  das  eine  oder 
das  andere,  so  bleibet  Ähnlichkeit  genug  übrig,  um 
dieses  Phänomenon  mit  dem  Ringe  des  Saturns  in  Ver- 


II.  Teil.     6.  Hauptstück.     Von  dem  Zodiakallichte.        113 

gleichung  zu  stellen  und  es  aus  einem  übereinkommen- 
den Ursprünge  herzuleiten.  Wenn  diese  ausgebreitete 
Materie  ein  Ausfluß  aus  der  Sonne  ist,  wie  es  denn 
am  wahrscheinlichsten  ist,  sie  davor  zu  halten,  so 
wird  man  die  Ursache  nicht  verfehlen  können,  die 
sie  auf  die  dem  Sonnenäquator  gemeine  Fläche  ge- 
bracht hat.  Der  leichteste  und  flüchtigste  Stoff,  den 
das  Sonnenfeuer  von  dessen  Oberfläche  erhebet  und 
schon  lange  erhoben  hat,  wird  durch  derselben  Wir- 
kung weit  über  sie  fortgetrieben  und  bleibet,  nach  lO 
Maßgebung  seiner  Lreichtigkeit,  in  einer  Entfernung 
schweben,  wo  die  forttreibende  Wirkung  der  Strahlen 
der  Schwere  dieser  Dunstteilchen  das  Gleichgewicht 
leistet,  oder  sie  werden  von  dem  Zuflüsse  neuer  Par- 
tikeln unterstützet,  welche  beständig  zu  ihnen  hinzu- 
kommen. Nun,  weil  die  Sonne,  indem  sie  sich  um  die 
Achse  drehet,  diesen  von  ihrer  Oberfläche  abgerissenen 
Dünsten  ihre  Bewegung  gleichmäßig  eindrückt,  so  be- 
halten dieselbe  einen  gewissen  Schwung  zum  Umlaufe, 
wodurch  sie  von  beiden  Seiten,  den  Zentralgesetzen  20 
gemäß,  in  dem  Zirkel  ihrer  Bewegung  die  fortgesetzte 
Äquatorsfläche  der  Sonne  zu  durchschneiden  bestrebt 
sein,  und  daher,  weil  sie  in  gleicher  Quantität  von 
beiden  Hemisphärien  sich  zu  derselben  hindringen,  da- 
selbst sich  mit  gleichen  Kräften  häufen,  und  eine 
ausgebreitete  Ebene  in  diesem,  auf  den  Sonnenäquator 
beziehenden  Plan  formieren. 

Allein  ohnerachtet  dieser  Ähnlichkeit  mit  dem  Sa- 
turnusringe  bleibt  ein  wesentlicher  Unterschied  übrig, 
welcher  das  Phänomenen  des  Zodiakallichtes  von  jenem  30 
sehr  abweichend  macht.  Die  Partikeln  des  erstem 
erhalten  sich  durch  die  eingepflanzte  Umdrehungs- 
bewegung in  frei  schwebendem  Zirkellaufe;  allein  die 
Teilchen  des  letztern  werden  durch  die  Kraft  der 
Sonnenstrahlen  in  ihrer  Höhe  erhalten,  ohne  welche 
die  ihnen  von  der  Sonnenumwendung  beiwohnende  Be- 
wegung gar  weit  fehlen  würde,  sie  im  freien  Um- 
schwünge vom  Falle  abzuhalten.  Denn  da  die  den 
Mittelpunkt  fliehende  Kraft  der  Achsendrehung  auf  der 
Oberfläche  der  Sonne  noch  nicht  V40000  der  Attraktion  40 
ist,  so  würden  diese  aufgestiegene  Dünste  40  000  halbe 
Sonnendiameter  von  ihr  entfernet  werden  müssen,  um 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     I.  3 


X 14     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

in  solcher  Weite  allererst  eine  Gravitation  anzutreffen, 
der  ihre  mitgeteilte  a)  Bewegung  das  Gleichgewicht 
leisten  könnte.  Man  ist  also  sicher,  dieses  Phänomenen 
der  Sonne  ihr  nicht  auf  die  dem  Saturnusringe  gleiche 
Art  zuzumessen. 

Gleichwohl  bleibet  eine  nicht  geringe  Wahrschein- 
lichkeit übrig,  daß  dieser  Halsschmuck  der  Sonne 
vielleicht  denselben  Ursprung  erkenne,  den  die  ge- 
samte Natur  erkennet,  nämlich  die  Bildung  aus  dem 

10  allgemeinen  Grundstoff,  dessen  Teile,  da  sie  in  den 
höchsten  Gegenden  der  Sonnenwelt  herumgeschwebet, 
nur  allererst  nach  völlig  vollendeter  Bildung  des 
ganzen  Systems  zu  der  Sonne,  in  einem  späten  Falle 
mit  geschwächter,  aber  doch  von  Abend  gegen  Morgen 
gekrümmter  Bewegung  herabgesunken,  und  vermittelst 
dieser  Art  des  Kreislaufes  die  fortgesetzte  Äquators- 
fläclie  derselben  durchschnitten,  daselbst  durch  ihre 
Häufung  von  beiden  Seiten,  indem  sie  sich  aufhielten, 
eine    in    dieser    Stellung   ausgebreitete    Ebene   einge- 

20  nommen  haben,  worin  sie  sich  zum  Teil  durch  der 
Sonnenstrahlen  Zurücktreibung,  zum  Teil  durch  ihre 
wirklicli  erlangte  Kreisbewegung  jetzo  in  beständig 
gleicher  Höhe  erhalten.  Die  gegenwärtige  Erklärung 
hat  keine  andere  Würdigkeit,  als  diejenige,  welche 
Mutmaßungen  zukommt,  und  keinen  Anspruch,  als  nur 
auf  einen  willkürlichen  Beifall;  das  Urteil  des  Lesers 
mag  sich  auf  diejenige  Seite  wenden,  welche  ihm  die 
annehmungswürdigste  zu  sein  dünket. 


Siebentes  Hauptstück. 

30  Von  der  Schöpfung  im   ganzen  Umfange   ihrer  Unendlichkeit, 
sowohl  dem  Räume  als  der  Zeit  nach. 

Das  Weltgebäude  setzet  durch  seine  unermeßliche 
Größe  und  durch  die  unendliche  Mannigfaltigkeit  und 
Schönheit,  welche  aus  ihrb)  von  allen  Seiten  hervor- 

a)  „der  ihrer  mitgeteilten"  Ak.  Ausg.  „die  ihrer  mitge- 
teilten". Ak.  Ausg. 

b)  „ihm"  Ak.  Ausg. 


II.  Teil.     7.  Hauptstück.     Von  d.  Schöpfung  etc.       115 

leuchtet,  in  ein  stilles  Erstaunen.  Wenn  die  Vor- 
stellung aller  dieser  Vollkommenlieit  nun  die  Ein- 
bildungskraft rühret,  so  nimmt  den  Verstand  anderer- 
seits eine  andere  Art  der  Entzückung  ein,  wenn  er 
betrachtet,  wie  so  viel  Pracht,  so  viel  Größe  aus  einer 
einzigen  allgemeinen  Regel  mit  einer  ewigen  und  rich- 
tigen Ordnung  abfließet.  Der  planetische  Weltbau, 
in  dem  die  Sonne  aus  dem  Mittelpunkte  aller  Kreise, 
mit  ihrer  mächtigen  Anziehung,  die  bewohnte  Kugeln 
ihres  Systems  in  ewigen  Kreisen  umlaufend  macht,  10 
ist  gänzlich,  wie  wir  gesehen  haben,  aus  dem  ur- 
sprünglich ausgelDreiteten  Grundstoff  aller  Weltmaterie 
gebildet  worden.  Alle  Fixsterne,  die  das  Auge  an  der 
hohlen  Tiefe  des  Himmels  entdecket  und  die  eine 
Art  von  Verschwendung  anzuzeigen  scheinen,  sind 
Sonnen  und  Mittelpunkte  von  ähnlichen  Systemen.  Die 
Analogie  erlaubt  es  also  hier  nicht,  zu  zweifeln,  daß 
diese  auf  die  gleiche  Art,  wie  das,  darin  wir  uns 
befinden,  aus  denen  kleinsten  Teilen  der  elementari- 
schen Materie,  die  den  leeren  Raum,  diesen  unend-  20 
liehen  Umfang  der  göttlichen  Gegenwart,  erfülle te, 
gebildet  und  erzeuget  worden. 

Wenn  nun  alle  Welten  und  Weltordnung  dieselbe 
Art  ihres  Ursprunges  erkennen,  wenn  die  Anziehung 
unbeschränkt  und  allgemein,  die  Zurückstoßung  der 
Elemente  aber  ebenfalls  durchgehends  wirksam,  wenn 
bei  dem  Unendlichen  das  Große  und  Kleine  beiderseits 
klein  ist,  sollten  nicht  alle  die  Weltgebäude  gleicher- 
maßen eine  beziehende  Verfassung  und  systematische 
Verbindung  untereinander  angenommen  haben,  als  die  30 
Himmelskörper  unserer  Sonnenwelt  im  Kleinen,  wie 
Saturn,  Jupiter  und  die  Erde,  die  vor  sich  insonderheit 
Systeme  sein  und  dennoch  untereinander  als  Glieder 
in  einem  noch  größern  zusammenhängen?  Wenn  man 
in  dem  unermeßlichen  Räume,  darin  alle  Sonnen  der 
Milchstraße  sich  gebildet  haben,  einen  Punkt  annimmt, 
um  welchen  durch,  ich  weiß  nicht  was  vor  eine  Ur- 
sache die  erste  Bildung  der  Natur  aus  dem  Chaos 
angefangen  hat,  so  wird  daselbst  die  größte  Masse 
und  ein  Körper  von  der  ungemeinsten  Attraktion  ent-  40 
standen  sein,  der  dadurch  fähig  geworden,  in  einer 
ungeheuren  Sphäre  um  sich  alle  in  der  Bildung  be- 


116     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

griffene  Systeme  zu  nötigen,  sich  gegen  ihn,  als  ihren 
Mittelpunkt,  zu  senken  und  um  ihn  ein  gleiches  System 
im  Ganzen  zu  errichten,  als  derselbe  elementarische 
Grundstoff,  der  die  Planeten  bildete,  um  die  Sonne 
im  Kleinen  gemacht  hat.  Die  Beobachtung  macht  diese 
Mutmaßung  beinahe  ungezweifelt.  Das  Heer  der  Ge- 
stirne macht,  durch  seine  beziehende  Stellung  gegen 
einen  gemeinschaftlichen  Plan,  ebensowohl  ein  System 
aus,    als    die   Planeten   unseres    Sonnenbaues   um   die 

10  Sonne.  Die  Milchstraße  ist  der  Zodiakus  dieser  höheren 
Weltordnungen,  die  von  seiner  Zone  so  wenig  als 
möglich  abweichen,  und  deren  Streif  immer  von  ihrem 
Lichte  erleuchtet  ist,  so  wie  der  Tierkreis  der  Planeten 
von  dem  Scheine  dieser  Kugeln,  obzwar  nur  in  sehr 
wenig  Punkten,  hin  und  wieder  schimmert.  Eine  jede 
dieser  Sonnen  macht  mit  ihren  umlaufenden  Planeten 
vor  sich  ein  besonderes  System  aus;  alkin  dieses  hindert 
nicht,  Teile  eines  noch  größeren  Systems  zu  sein,  so  wie 
Jupiter  oder  Saturn,  ungeachtet  ihrer  eigenen  Beglei- 

20  tung,  in  der  systematischen  Verfassung  eines  noch  grö- 
ßeren Weltbaues  beschränkt  sein.  Kann  man  an  einer 
so  genauen  Übereinstimmung  in  der  Verfassung  nicht 
die  gleiche  Ursache  und  Art  der  Erzeugung  erkennen? 
•Wenn  nun  die  Fixsterne  ein  System  ausmachen, 
dessen  Umfang  durch  die  Anziehungssphäre  desjenigen 
Körpers,  der  im  Mittelpunkte  befindlich  ist,  bestimmet 
wird,  werden  nicht  mehr  Sonnensystemata  und,  so  zu 
reden,  mehr  Milchstraßen  entstanden  sein,  die  in  dem 
grenzenlosen  Felde  des  Weltraums  erzeuget  worden? 

30  Wir  haben  mit  Erstaunen  Figuren  am  Himmel  erblickt, 
welche  nichts  anders,  als  solche,  auf  einen  gem.einschaft- 
lichen  Plan  beschränkte  Fixsternensystemata,  solche 
Milchstraßen,  wenn  ich  mich  so  ausdrücken  darf,  sein, 
die  in  verschiedenen  Stellungen  gegen  das  Auge  mit 
einem,  ihrem  unendlichen  Abstände  gemäß  geschwäch- 
ten Schimmer  elliptische  Gestalten  darstellen;  es  sind 
Systemata  von  sozusagen  unendlichemal  unendlich 
größerm  Durchmesser,  als  der  Diameter  unseres 
Sonnenbaues  ist,   aber  ohne  Zweifel  auf  gleiche  Art 

40  entstanden,  aus  gleichen  Ursachen  geordnet  und  ein- 
gerichtet, und  erhalten  sich  durch  ein  gleiches  Trieb- 
werk, als  dieses,  in  ihrer  Verfassung. 


II.  Teil.     7.  Hauptstück.     Von  d.  Schöpfung  etc.       117 

Wenn  man  diese  Sternensystemata  wiederum  als 
Glieder  an  der  großen  Kette  der  gesamten  Natur 
ansiehet,  so  hat  man  ebensoviel  Ursache  wie  vorher, 
sie  in  einer  gegenseitigen  Beziehung  zu  gedenken, 
und  in  Verbindungen,  welche  kraft  des  durch  die 
ganze  Natur  herrschenden  Gesetzes  der  ersten  Bildung 
ein  neues,  noch  größeres  System  ausmachen,  das  durch 
die  Anziehung  eines  Körpers  von  ungleich  mächtigerer 
Attraktion,  als  alle  die  vorige  waren,  aus  dem  Mittel- 
punkte ihrer  regelmäßigen  Stellungen  regieret  wird.  10 
Die  Anziehung,  welche  die  Ursache  der  systematischen 
Verfassung  unter  den  Fixsternen  der  Milchstraße  ist, 
wirket  auch  noch  in  der  Entfernung  eben  dieser  Welt- 
ordnungen, um  sie  aus  ihren  Stellungen  zu  bringen, 
und  die  Welt  in  einem  unvermeidlich 'bevorstehenden 
Chaos  zu  begraben,  wenn  nicht  regelmäßig  ausge- 
teilte Schwungskräfte  der  Attraktion  das  Gegengewicht 
leisten  und  beiderseits  in  Verbindung  diejenige  Be- 
ziehung hervorbringen,  die  der  Grund  der  systema- 
tischen Verfassung  ist.  Die  Anziehung  ist  ohne  Zweifel  20 
eine  ebenso  weit  ausgedehnte  Eigenschaft  der  Materie, 
als  die  Koexistenz,  welche  den  Raum  macht,  indem 
sie  die  Substanzen  durch  gegenseitige  Abhängigkeiten 
verbindet  oder,  eigentlicher  zu  reden,  die  Anziehung 
ist  eben  diese  allgemeine  Beziehung,  welche  die  Teile 
der  Natur  in  einem  Räume  vereinigt;  sie  erstrecket 
sich  also  auf  die  ganze  Ausdehnung  desselben,  bis 
in  alle  Weiten  ihrer  Unendlichkeit.  Wenn  das  Licht 
von  diesen  entfernten  Systemen  zu  uns  gelanget,  das 
Licht,  welches  nur  eine  eingedrückte  Bewegung  ist,  30 
muß  nicht  vielmehr  die  Anziehung,  diese  ursprüng- 
liche Bewegungsquelle,  welche  eher  wie  alle  Bewegung 
ist,  die  keiner  fremden  Ursache  bedarf,  auch  durch 
keine  Hindernisse  kann  aufgehalten  werden,  weil  sie 
in  das  Innerste  der  Materie  ohne  einigen  Stoß,  selbst 
bei  der  allgemeinen  Ruhe  der  Natur  wirket,  muß,  sage 
ich,  die  Anziehung  nicht  diese  Fixsternensystemata, 
ihrer  unermeßlichen  Entfernungen  ungeachtet,  bei  der 
ungebildeten  Zerstreuung  ihres  Stoffes  im  Anfange  der 
Regung  der  Natur  in  Bewegung  versetzet  haben,  die  40 
ebenso,  wie  wir  im  Kleinen  gesehen  haben,  die  Quelle 
der  systematischen  Verbindung  und  der  dauerhaften 


118     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Beständigkeit  ihrer  Glieder  ist,  die  sie  vor  dem  Ver- 
fall sichert? 

Aber  welches  wird  denn  endlich  da«  Ende  der 
systematischen  Einrichtungen  sein?  wo  wird  die 
Schöpfung  selber  aufhören?  Man  merket  wohl,  daß, 
um  sie  in  einem  Verhältnisse  mit  der  Macht  des  un- 
endlichen Wesens  zu  gedenken,  sie  gar  keine  Grenzen 
haben  müsse.  Man  kommt  der  Unendlichkeit  der 
Schöpfungskraft  Gottes   nicht  näher,   wenn  man  den 

10  Raum  ihrer  Offenbarung  in  einer  Sphäre,  mit  dem 
Radius  der  Milchstraße  beschrieben,  einschließet,  als 
wenn  man  ihn  in  eine  Kugel  beschränken  will,  die 
einen  Zoll  im  Durchmesser  hat.  Alles  was  endlich, 
was  seine  Schranken  und  ein  bestimmtes  Verhältnis 
zur  Einheit  hat,  ist  von  dem  Unendlichen  gleich  weit 
entfernet.  Nun  wäre  es  ungereimt,  die  Gottheit  mit 
einem  unendlichen  kleinen  Teile  ihres  schöpferischen 
Vermögens  in  Wirksamkeit  zu  setzen,  und  ihre  un- 
endliche  Kraft,    den   Schatz  einer   wahren  Unermeß- 

20  lichkeit  von  Naturen  und  Welten  untätig  und  in  einem 
ewigen  Mangel  der  Ausübung  verschlossen  zu  ge- 
denken. Ist  es  nicht  vielmehr  anständiger  oder,  besser 
zu  sagen,  ist  es  nicJht  notwendig,  den  Inbegriff  der 
Schöpfung  also  anzustellen,  als  er  sein  muß,  um  ein 
Zeugnis  von  derienigen  Macht  zu  sein,  die  durch  keinen 
Maßstab  kann  abgemessen  werden?  Aus  diesem  Grunde 
ist  das  Feld  der  Offenbarung  göttlicher  Eigenschaften 
ebenso  unendlich,  als  diese  selber  sind*).    Die  Ewig- 


*)  Der  Begriff  einer  unendlichen  Ausdehnung  der  Welt 
findet  unter  den  Metaphysikkündigern  Gegner  und  hat 
nur  neulich  an  dem  Herrn  M.  Weitenkampf  einen  ge- 
funden. Wenn  diese  Herren,  wegen  der  angeblichen  Un- 
möglichkeit einer  Menge  ohne  Zahl  und  Grenzen,  sich  zu 
dieser  Idee  nicht  bequemen  können,  so  wollte  ich  nur  vor- 
läufig fragen:  ob  die  künftige  Folge  der  Ewigkeit  nicht 
eine  wahre  Unendlichkeit  von  Mannigfaltigkeiten  und  Ver- 
änderungen in  sich  fassen  wird?  und  ob  diese  unendhche 
Reihe  nicht  auf  einmal  schon  jetzo  dem  göttlichen  Verstände 
gänzlich  gegenwärtig  sei?  Wenn  es  nun  möglich  war,  daU 
Gott  den  Begriff  der  Unendlichkeit,  der  seinem  Verstände 
auf  einmal  darstehet,  in  einer  aufeinander  folgenden  Reihe 
mrklich    machen    kann,    warum    sollte   derselbe    nicht    den 


II.  Teil.     7.  Hauptstück.     Von  d.  Schöpfung  etc.       119 

keit  ist  nicht  hinlänglich,  die  Zeugnisse  des  höchsten 
Wesens  zu  fassen,  wo  sie  nicht  mit  der  Unendlichkeit 
des  Raumes  verbunden  wird.  Es  ist  wahr,  die  Aus- 
bildung, die  Form,  die  Schönheit  und  Vollkommenheit 
sind  Beziehungen  der  Grundstücke  und  der  Substanzen, 
die  den  Stoff  des  Weltbaues  ausmachen,  und  man 
bemerket  es  an  den  Anstalten,  die  die  Weisheit  Gottes 
noch  zu  aller  Zeit  trifft;  es  ist  ihr  auch  am  gemäßesten, 
daß  sie  sich  aus  diesen  ihnen  eingepflanzten  allge- 
meinen Gesetzen  durch  eine  ungezwungene  Folge  10 
herauswickeln.  Und  daher  kann  man  mit  gutem  Grunde 
setzen,  daß  die  Anordnung  und  Einrichtung  der  Welt- 
gebäude, aus  dem  Vorrate  des  erschaffenen  Natur- 
stoffes in  einer  Folge  der  Zeit,  nach  und  nach  ge- 
schehe; allein  die  Grundmaterie  selber,  deren  Eigen- 
schaften und  Kräfte  allen  Veränderungen  zum  Grunde 
liegen,  ist  eine  unmittelbare  Folge  des  göttlichen  Da- 
seins; selbige  muß  also  auf  einmal  so  reich,  so  voll- 
ständig sein,  daß  die  Entwickelung  ihrer  Zusammen- 
setzungen in  dem  Abflüsse  der  Ewigkeit  sich  über  20 
einen  Plan  ausbreiten  könne,  der  alles  in  sich  schließet, 
was  sein  kann,  der  kein  Maß  annimmt,  kurz,  der  un- 
endlich ist. 

Wenn  nun  also  die  Schöpfung  dem  Räume  nach 
unendlich  ist  oder  es  wenigstens  der  Materie  nach 
wirklich  von  Anbeginn  her  schon  gewesen  ist,  der 
Form  oder  der  Ausbildung  nach  aber  es  bereit  ist, 


Begriff  einer  andern  Unendlichkeit  in  einem,  dem  Räume 
nach,  verbundenen  Zusammenhange  darstellen  und 
dadurch  den  Umfang  der  Welt  ohne  Grenzen  machen  können? 
Indessen,  daß  man  diese  Frage  wird  zu  beantworten  suchen, 
so  werde  ich^)  mich  der  Gelegenheit,  die  sich  darbieten  wird, 
bedienen,  durch  eine  aus  der  Natur  der  Zahlen  gezogene 
Erläuterung  die  vermeinte  Schwierigkeit  zu  heben,  wofeme 
man,  bei  genauer  Erwägung,  es  noch  als  eine,  einer  Erör- 
terung bedürftige  Frage  ansehen  kann:  ob  dasjenige,  was 
eine  durch  die  höchste  Weisheit  begleitete  Macht  hervor- 
gebracht hat,  sich  zu  offenbaren,  zu  demjenigen,  was  sie 
hat  hervorbringen  können,  sich  wie  eine  Differential- 
größe verhalte. 


a)  „ich"  fehlt  in  A.  korr.  Ausg.  1797. 


120     Allgemeine  Naturgeschiclite  und  Theorie  des  Himmels. 

ZU  werden,  so  wird  der  Weltraum  mit  Welten  ohne 
Zahl  und  ohne  Ende  belebet  werden.  Wird  denn  nun 
jene  systematische  Verbindung,  die  wir  vorher  bei 
allen  Teilen  insonderheit  erwogen  haben,  auch  aufs 
Ganze  gehen  und  das  gesamte  Universum,  das  All 
der  Natur  in  einem  einzigen  System,  durch  die  Ver- 
bindung der  Anziehung  und  der  fliehenden  Kraft,  zu- 
sammenfassen? Ich  sage  ja;  wenn  nur  lauter  abge- 
sonderte Weltgebäude,  die  untereinander  keine  vereinte 

10  Beziehung  zu  einem  Ganzen  hätten,  vorhanden  wären, 
so  könnte  man  wohl,  wenn  man  diese  Kette  von  Glie- 
dern als  wirklich  unendlich  annähme,  gedenken,  daß 
eine  genaue  Gleichheit  der  Anziehung  ihrer  Teile  von 
allen  Seiten  diese  Systemata  von  dem  Verfall,  den 
ihnen  die  innere  Wechselanziehung  drohet,  sicher 
halten  könne.  Allein  hiezu  gehöret  eine  so  genaue 
abgemessene  Bestimmung  in  denen  nach  der  Attraktion 
abgewogenen  Entfernungen,  daß  auch  die  geringste 
Verrückung  dem  Universo  den  Untergang  zuziehen 

20  und  sie  in  langen  Perioden,  die  aber  doch  endlich 
zu  Ende  laufen  müssen,  dem  Umstürze  überliefern 
würde.  Eine  Weltverfassung,  die  sich  ohne  ein  Wunder 
nicht  erhielt,  hat  nicht  den  Charakter  der  Beständig- 
keit, die  das  Merkmal  der  Wahl  Gottes  ist;  man 
trifft  es  also  dieser  weit  anständiger,  wenn  mana)  der 
gesamten  Schöpfung  ein  einziges  System  machet, 
welches  alle  Welten  und  Weltordnungen,  die  den 
ganzen  unendlichen  Raum  ausfüllen,  auf  einen  ein- 
zigen Mittelpunkt  beziehend  macht.    Ein  zerstreuetes 

30  Gewimmel  von  Weltgebäuden,  sie  möchten  auch  durch 
noch  so  weite  Entfernungen  voneinander  getrennet 
sein,  würde  mit  einem  unverhinderten  Hang  zum  Ver- 
derben und  zur  Zerstörung  eilen,  wenn  nicht  eine 
gewisse  beziehende  Einrichtung  gegen  einen  allge- 
meinen Mittelpunkt,  das  Zentrum  der  Attraktion  des 
Universi  und  den  Unterstützungspunkt  der  gesamten 
Natur,  durch  systematische  Bewegungen  getroffen 
wäre. 

Um   diesen  allgemeinen  Mittelpunkt  der   Senkung 


a)  Hartenstein,   Kehrbach,   Kirchmann    wenn   „man  aus 
der". 


II.  Teil.     7.  Hauptstück.     Von  d.  Schöpfung  etc.       121 

der  ganzen  Natur,  sowohl  der  gebildeten  als  der  rohen, 
in  welchem  eich  ohne  Zweifel  der  Klumpen  von  der 
ausnehmendsten  Attraktion  befindet,  der  in  seine  An- 
ziehungssphäre alle  Welten  und  Ordnungen,  die  die 
Zeit  hervorgebracht  hat  und  die  Ewigkeit  hervor- 
bringen wird,  begreifet,  kann  man  mit  Wahrschein- 
lichkeit annehmen,  daß  die  Natur  den  Anfang  ihrer 
Bildung  gemacht  und  daß  daselbst  auch  die  Systemen 
am  dichtesten  gehäufet  sein;  weiter  von  demselben  aber 
in  der  Unendlichkeit  des  Raumes  sich  mit  immer  10 
größeren  Graden  der  Zerstreuung  verlieren.  Man 
könnte  diese  Regel  aus  der  Analogie  unseres  Sonnen- 
baues abnehmen,  und  diese  Verfassung  kann  ohnedem 
dazu  dienen,  daß  in  großen  Entfernungen  nicht  allein 
der  allgemeine  Zentralkörper,  sondern  auch  alla  um 
ihn  zunächst  laufende  Systemata  ihre  Anziehung  zu- 
sammen vereinigen  und  sie  gleichsam  aus  einem 
Klumpen  gegen  die  Systemata  des  noch  weiteren  Ab- 
standes  ausüben.  Dieses  wird  alsdenn  mit  dazu  be- 
hilflich sein,  die  ganze  Natur  in  der  ganzen  Unend-  20 
lichkeit  ihrer  Erstreckung  in  einem  einzigen  Systema 
zu  begreifen. 

Um  nun  der  Errichtung  dieses  allgemeinen  Systems 
der  Natur  aus  den  mechanischen  Gesetzen  der  zur 
Bildung  strebenden  Materie  nachzuspüren,  so  muß, 
in  dem  unendlichen  Räume  des  ausgebreiteten  ele- 
mentarischen Grundstoffes,  an  irgendeinem  Orte  dieser 
Grundstoff  die  dichteste  Häufung  gehabt  haben,  um 
durch  die  daselbst  geschehende  vorzügliche  Bildung 
dem  gesamten  Universo  eine  Masse  verschaffet  zu  30 
haben,  die  ihm  zum  Unterstützungspunkt  dienete.  Es 
ist  zwar  an  dem,  daß  in  einem  unendlichen  Räume 
kein  Punkt  eigentlich  das  Vorrecht  haben  kann,  der 
Mittelpunkt  zu  heißen;  aber  vermittelst  einer  gewissen 
Verhältnis,  die  sich  auf  die  wesentliche  Grade  der 
Dichtigkeit  des  Urstoffes  gründet,  nach  welcher  diese 
zugleich  mit  ihrer a)  Schöpfung  an  einem  gewissen 
Orte  vorzüglich  dichter  gehäufet,  und  mit  den  Weiten 
von  demselben  in  der  Zerstreuung  zunimmt,  kann  ein 
solcher  Punkt  das  Vorrecht  haben,  der  Mittelpunkt  zu  40 


a)  „nach  welchem  dieser  zugleich  mit  seiner"  Ak.  Ausg. 


122      Allgemeine  Natiirgesohiclite  und  Theorie  des  Hiininels. 

heißen;  und  er  wird  es  auch  wirklich  durch  die  Bildung 
der  Zentralmasse  von  der  kräftigsten  Anziehung  in 
demselben,  zu  dem  sicJi  alle  übrige,  in  Partikular- 
bildungen begriffene,  elementarische  Materie  senket, 
und  dadurch,  soweit  sich  auch  die  Auswickelung  der 
Natur  erstrecken  mag,  in  der  unendlichen  Sphäre  der 
Schöpfung  aus  dem  ganzen  All  nur  ein  einziges  System 
macht. 

Das  ist  aber  was  Wichtiges,  und  welches,  woferne 

10  es  Beifall  erlanget,  der  größesten  Aufmerksamkeit 
würdig  ist,  daß  der  Ordnung  der  Natur  in  diesem 
unserm  System  zufolge  die  Schöpfung,  oder  vielmehr 
die  Ausbildung  der  Natur  bei  diesem  Mittelpunkte 
zuerst  anfängt,  und  mit  stetiger  Fortschreitung  nach 
und  na&h  in  alle  fernere  Weiten  ausgebreitet  wird, 
um  den  unendlichen  Raum  in  dem  Fortgange  der 
Ewigkeit  mit  Welten  und  Ordnungen  zu  erfüllen.  Lasset 
uns  dieser  Vorstellung  einen  Augenblick  mit  stillem 
Vergnügen    nachhängen.     Ich    finde   nichts,    das   den 

20  Geist  des  Menschen  zu  einem  edleren  Erstaunen  er- 
heben kann,  indem  es  ihm  eine  Aussicht  in  das  un- 
endliche Feld  der  Allmacht  eröffnet,  als  diesen  Teil 
der  Theorie,  der  die  successive  Vollendung  der  Schöp- 
fung betrifft.  Wenn  man  mir  zugibt,  daß  die  Materie, 
die  der  Stoff  zu  Bildung  aller  Welten  ist,  in  dem 
ganzen  unendlichen  Räume  der  göttlichen  Gegenwart 
nicht  gleichförmig,  sondern  nach  einem  gewissen  Ge- 
setze ausgebreitet  gewesen,  das  sicJi  vielleicht  auf 
die  Dichtigkeit  der  Partikeln  bezog,  und  nach  welchem 

30  von  einem  gewissen  Punkte,  als  dem  Orte  der  dichtesten 
Häufung,  mit  den  Weiten  von  diesem  Mittelpunkte 
die  Zerstreuung  des  Urstoffes  zunahm,  so  wird  in  der 
ursprünglichen  Regung  der  Natur  die  Bildung  zu- 
nächst diesem  Zentro  angefangen,  und  denn  in  fort- 
schreitender Zeitfolge  der  weitere  Raum  nach  und 
nach  Welten  und  Weltordnungen  mit  einer  gegen  diesen 
sich  beziehenden  systematischen  Verfassung  gebildet 
haben.  Ein  jeder  endlicher  Periodus,  dessen  Länge 
zu  der  Größe  des  zu  vollbringenden  Werks  ein  Ver- 

40  hältnis  hat,  wird  immer  nur  eine  endliche  Sphäre, 
von  diesem  Mittelpunkte  an,  zur  Ausbildung  bringen; 
der   übrige   unendliche   Teil  wird  indessen  noch  mit 


II.  Teil.     7.  Hauptstiick.     Von  d.  Schöpfung  etc.       123 

der  Verwirrung  und  dem  Chaos  streiten,  und  um  so 
viel  weiter  von  dem  Zustande  der  vollendeten  Bildung 
entfernet  sein,  je  weiter  dessen  Abstand  von  der  Sphäre 
der  schon  ausgebildeten  Natur  entfernet  ist.  Diesem 
zufolge,  ob  wir  gleich  von  dem  Orte  unseres  Aufent- 
halts in  dem  Universo  eine  Aussichta)  in  eine,  wie 
es  scheinet,  völlig  vollendete  Welt  und,  so  zu  reden, 
in  ein  unendliches  Heer  von  Weltordnungen,  die  syste- 
matisch verbunden  sind,  haben,  so  befinden  wir  uns 
doch  eigentlich  nur  in  einer  Nahheit  zum  Mittelpunkte  10 
der  ganzen  Natur,  wo  diese  sich  schon  aus  dem  Chaos 
ausgewickelt  und  ihre  gehörige  Vollkommenheit  er- 
langet hat.  Wenn  wir  eine  gewisse  Sphäre  über- 
schreiten könnten,  würden  wir  daselbst  das  Chaos 
und  die  Zerstreuung  der  Elemente  erblicken,  die  nach 
dem  Maße,  als  sie  sich  diesem  Mittelpunkte  näher  be- 
finden, den  rohen  Zustand  zum  Teil  verlassen  und 
der  Vollkommenheit  der  Ausbildung  b)  näher  sind,  mit 
den  Graden  der  Entfernung  aber  sich  nach  und  nach 
in  einer  völligen  Zerstreuung  verlieren.  Wir  würden  c)  20 
sehen,  wie  der  unendliche  Raum  der  göttlichen  Gegen- 
wart, darin  der  Vorrat  zu  allen  möglichen  Natur- 
bildungen anzutreffen  ist,  in  einer  stillen  Nacht  be- 
graben, voll  von  Materie,  den  künftig  zu  erzeugenden 
Welten  zum  Stoffe  zu  dienen,  und  von  Triebfedern, 
sie  in  Bewegung  zu  bringen,  die  mit  einer  schwachen 
Regung  diejenige  Bewegungen  anfangen,  womit  die 
Unermeßlichkeit  dieser  öden  Räume  dereinst  noch  soll 
belebet  werden.  Es  ist  vielleicht  eine  Reihe  von 
Millionen  Jahren  und  Jahrhunderten  verflossen,  ehe  30 
die  Sphäre  der  gebildeten  Natur,  darin  wir  uns  be- 
finden, zu  der  Vollkommenheit  gediehen  ist,  die  ihr 
jetzt  beiwohnet;  und  es  wird  vielleicht  ein  ebenso 
langer  Periodus  vergehen,  bis  die  Natur  einen  ebenso 
weiten  Schritt  in  dem  Chaos  tut;  allein  die  Sphäre 
der  ausgebildeten  Natur  ist  unaufhörlich  beschäftiget, 
sich  auszubreiten.  Die  Schöpfung  ist  nicht  das  Werk 
von  einem  Augenblicke.    Nachdem  sie  mit  der  Her- 


a)  „Aufsicht"  A.  korr.  Ausg.  1797. 

b)  „Ausübung"  korr.  Ausg.  1797. 

c)  „Wer  würde"  A.  korr.  Tieftruuk. 


1 24     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

vorbringung  einer  Unendlichkeit  von  Substanzen  und 
Materie  den  Anfang  gemachet  hat,  so  ist  sie  mit  immer 
zunehmenden  Graden  der  Fruchtbarkeit  die  ganze  Folge 
der  Ewigkeit  hindurch  wirksam.  Es  werden  Millionen 
und  ganze  Gebirge  von  Millionen  Jahrhunderten  ver- 
fließen, binnen  welchen  immer  neue  Welten  und  Welt- 
ordnungen nacheinander  in  denen  entfernten  Weiten 
von  dem  Mittelpunkte  der  Natur  sich  bilden  und  zur 
Vollkommenlieit   gelangen   werden;   sie   werden,    ohn- 

10  erachtet  der  systematischen  Verfassung,  die  unter  ihren 
Teilen  ist,  eine  allgemeine  Beziehung  auf  den  Mittel- 
punkt erlangen,  welcher  der  erste  Bildungspunkt  und 
das  Zentrum  der  Schöpfung  durch  das  Anziehungs- 
vermögen seiner  vorzüglichen  Masse  geworden  ist 
Die  Unendlichkeit  der  künftigen  Zeitfolge,  womit  die 
Ewigkeit  unerschöpflich  ist,  wird  alle  Räume  der 
Gegenwart  Gottes  ganz  und  gar  beleben  und  in  die 
Regelmäßigkeit,  die  der  Trefflichkeit  seines  Entwurfes 
gemäß  ist,  nach  und  nach  versetzen;  und  wenn  man 

20  mit  einer  kühnen  Vorstellung  die  ganze  Ewigkeit  so- 
zusagen in  einem  Begriffe  zusammenfassen  könnte, 
so  würde  man  auch  den  ganzen  unendlichen  Raum 
mit  Weltordnungen  angefüllet  und  die  Schöpfung  voll- 
endet ansehen  können.  Weil  aber  in  der  Tat  von  der 
Zeitfolge  der  Ewigkeit  der  rückständige  Teil  allemal 
unendlich  und  der  abgeflossene  endlich  ist,  so  ist  die 
Sphäre  der  ausgebildeten  Natur  allemal  nur  ein  un- 
endlich kleiner  Teil  desjenigen  Inbegriffs,  der  den 
Samen  zukünftiger  Welten  in  sich  hat  und  sich  aus 

30  dem  rohen  Zustande  des  Chaos  in  längern  oder  kür- 
zern Perioden  auszuwickeln  trachtet.  Die  Schöpfung 
ist  niemals  vollendet.  Sie  hat  zwar  einmal  angefangen, 
aber  sie  wird  niemals  aufhören.  Sie  ist  immer  ge- 
schäftig, mehr  Auftritte  der  Natur,  neue  Dinge  und 
neue  Welten  hervorzubringen.  Das  Werk,  welches  sie 
zustande  bringet,  hat  ein  Verhältnis  zu  der  Zeit,  die 
sie  darauf  anwendet.  Sie  braucht  nichts  weniger  als 
eine  Ewigkeit,  um  die  ganze  grenzenlose  Weite  der 
unendlichen  Räume  mit  Welten  ohne  Zahl  und  ohne 

40  Ende  zu  beleben.  Man  kann  von  ihr  dasjenige  sagen, 
was  der  erhabenste  unter  den  deutschen  Dichtern  von 
der  Ewigkeit  schreibet: 


II.  Teil.     7.  Hauptstück,     Von  d.  Schöpfung  etc.       125 

Unendlichkeit!  ■wer  misset  dich? 

Vor  dir  sind  Welten  Tag,  und  Menschen  Augenblicke; 

Vielleicht  die  tausendste  der  Sonnen  -wälzt  jetzt  sich, 

Und  tausend  bleiben  noch  zurücke. 

Wie  eine  Uhr,  beseelt  durch  ein  Gewicht, 

EUt  eine  Sonn',  aus  Gottes  Kraft  bewegt; 

Ihr  Trieb  läuft  ab,  und  eine  andre  schlägt, 

Du  aber  bleibst,  und  zählst  sie  nicht. 

V.  Haller. 

Es  ist  ein  nicht  geringes  Vergnügen,  mit  seiner  10 
Einbildungskraft  über  die  Grenze  der  vollendeten 
Sahöpfung  in  den  Raum  des  Chaos  auszuschweifen 
und  die  halb  rohe  Natur,  in  der  Nahheit  zur  Sphäre 
der  ausgebildeten  Welt,  sich  nach  und  nach  durch 
alle  Stufen  und  Schattierungen  der  Unvollkommenheit 
in  dem  ganzen  ungebildeten  Räume  verlieren  zu  sehen. 
Aber  ist  es  nicht  eine  tadelnswürdige  Kühnheit,  wird 
man  sagen,  eine  Hypothese  aufzuvverfen  und  sie  als 
einen  Vorwurf  der  Ergötzung  des  Verstandes  anzu- 
preisen, welche  vielleicht  nur  gar  zu  willkürlich  ist,  20 
wenn  man  behauptet,  daß  die  Natur  nur  einem  un- 
endlich kleinen  Teile  nach  ausgebildet  sei,  und  un- 
endliche Räume  noch  mit  dem  Chaos  streiten,  um  in  der 
Folge  künftiger  Zeiten  ganze  Heere  von  Welten  und 
Weltordnungen,  in  aller  gehörigen  Ordnung  und  Schön- 
heit, darzustellen?  Ich  bin  den  Folgen,  die  meine 
Theorie  darbietet,  nicht  so  sehr  ergeben,  daß  ich 
nicht  erkennen  sollte,  wie  die  Mutmaßung  von  der 
successiven  Ausbreitung  der  Schöpfung  durch  die  un- 
endliche Räume,  die  den  Stoff  dazu  in  sich  fassen,  30 
den  Einwurf  der  Unerweislichkeit  nicht  völlig  ab- 
lehnen könne.  Indessen  verspreche  ich  mir  doch  von 
denenjenigen,  welche  die  Grade  der  Wahrscheinlichkeit 
zu  schätzen  imstande  sind,  daß  eine  solche  Karte 
der  Unendlichkeit,  ob  sie  gleich  einen  Vorwurf  be- 
greifet, der  bestimmt  zu  sein  scheinet,  dem  mensch- 
lichen Verstände  auf  ewig  verborgen  zu  sein,  nicht  um 
deswillen  sofort  als  ein  Hirngespinste  werde  ange- 
sehen werden,  vornehmlich  wenn  man  die  Analogie 
zu  Hilfe  nimmt,  welche  uns  allemal  in  solchen  Fällen  40 
leiten  muß,  wo  dem  Verstände  der  Faden  der  un- 
trüglichen Beweise  mangelt. 

Man    kann   aber   auch    die    Analogie   noch   durch 
annehmungswürdige  Gründe  unterstützen,  und  die  Ein- 


126     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

sieht  des  Lesers,  wofern  ich  mich  solchen  Beifalls 
schmeicheln  darf,  wird  sie  vielleicht  mit  noch  wich- 
tigern vermehren  können.  Denn  wenn  man  erwäget, 
daß  die  Schöpfung  den  Charakter  der  Beständigkeit 
nicht  mit  sich  führet,  wofern  sie  der  allgemeinen  Be- 
strebung der  Anziehung,  die  durch  alle  ihre  Teile 
wirket,  nicht  eine  ebenso  durchgängige  Bestimmung 
entgegensetzet,  die  dem  Hange  der  ersten  zum  Ver- 
derben   und    zur    Unordnung   genugsam    widerstehen 

10  kann,  wenn  sie  nicht  Schwungskräfte  ausgeteilet  hat, 
die  in  der  Verbindung  mit  der  Zentralneigung  eine 
, allgemeine  systematische  Verfassung  festsetzen,  so 
wird  man  genötiget,  einen  allgemeinen  Mittelpunkt 
des  ganzen  Weltalls  anzunehmen,  dera)  alle  Teile  des- 
selben in  verbundener  Beziehung  zusammenhält  und 
aus  dem  ganzen  Inbegriff  der  Natur  nur  ein  System 
machet.  Wenn  man  hiezu  den  Begriff  von  der  Bildung 
der  Weltkörper  aus  der  zerstreueten,  elementarischen 
Materie  füget,   wie  wir  ihn  in  dem  Vorhergehenden 

20  entworfen  haben,  jedoch  ihn  allhier  nicht  auf  ein 
absonderliches  System  einschränkt,  sondern  über  die 
ganze  Natur  ausdehnet,  so  wird  man  genötiget,  eine 
solche  Austeilung  des  Grundstoffes  in  dem  Räume  des 
ursprünglichen  Chaos  zu  gedenken,  die  natürlicher- 
weise einen  Mittelpunkt  der  ganzen  Schöpfung  mit 
sich  bringet,  damit  in  diesen  die  wirksame  Masse, 
die  in  ihrer  Sphäre  die  gesamte  Natur  begreift,  zu- 
sammengebracht, und  die  durchgängige  Beziehung  be- 
wirket werden   könne,   wodurch  alle  Welten  nur  ein 

30  einziges  Gebäude  ausmachen.  Es  kann  aber  in  dem 
unendlichen  Räume  kaum  eine  Art  der  Austeilung  des 
ursprünglichen  Grundstoffes  gedacht  werden,  die  einen 
wahren  Mittel-  und  Senkungspunkt  der  gesamten  Natur 
setzen  sollte,  als  wenn  sie  nach  einem  Gesetze  der  zu- 
nehmenden Zerstreuung,  von  diesem  Punkte  an,  in 
alle  ferne  Weiten  eingerichtet  ist.  Dieses  Gesetze  aber 
setzet  zugleich  einen  Unterscheid  in  der  Zeit,  die  ein 
System  in  den  verschiedenen  Gegenden  des  unend- 
lichen Raumes  gebrauchet,  zur  Reife  seiner  Ausbildung 

40  zu  kommen,   so  daß  diese  Periode  desto  kürzer  ist, 

a)  „die"  A. 


II.  Teil.     7.  Hauptstück.     Von  d.  Schöpfung  etc.       127 

je  näher  der  Bildungsplatz  eines  Weltbaues  sich  dem 
Zentro  der  Schöpfung  befindet,  weil  daselbst  die  Ele- 
mente des  Stoffes  dichter  gehäufet  sind,  und  dagegen 
um  desto  länger  Zeit  erfordert,  je  weiter  der  Abstand 
ist,  weil  die  Partikeln  daselbst  zerstreueter  sind  und 
später  zur  Bildung  zusammenkommen. 

Wenn  man  die  ganze  Hypothese,  die  ich  entwerfe, 
in  dem  ganzen  Umfange  sowohl  dessen,  was  ich  gesagt 
habe,  als  was  ich  noch  eigentlich  darlegen  werde,  er- 
wäget, so  wird  man  die  Kühnheit  ihrer  Forderungen  10 
wenigstens  nicht  vor  unfähig  halten,  eine  Entschuldi- 
gung anzunehmen.  Man  kann  den  unvermeidlichen 
Hang,  den  ein  jegliches  zur  Vollkommenheit  gebrachtes 
Weltgebäude  nach  und  nach  zu  seinem  Untergange 
hat,  unter  die  Gründe  rechnen,  die  es  bewähren  können, 
daß  das  Universum  dagegen  in  andern  Gegenden 
an  Welten  fruchtbar  sein  werde,  um  den  Mangel  zu 
ersetzen,  den  es  an  einem  Orte  erlitten  hat.  Das  ganze 
Stück  der  Natur,  das  wir  kennen,  ob  es  gleich  nur 
ein  Atomus  in  Ansehung  dessen  ist,  was  über  oder  20 
unter  unserem  Gesichtskreise  verborgen  bleibt,  be- 
stätiget doch  diese  Fruchtbarkeit  der  Natur,  die  ohne 
Schranken  ist,  weil  sie  nichts  anders  als  die  Ausübung 
der  göttlichen  Allmacht  selber  ist.  Unzählige  Tiere 
und  Pflanzen  werden  täglich  zerstöret  und  sind  ein 
Opfer  der  Vergänglichkeit;  aber  nicht  weniger  bringet 
die  Natur,  durch  ein  unerschöpftes  Zeugungsvermögen, 
an  andern  Orten  wiederum  hervor  und  füllet  das  Leere 
aus.  Beträchtliche  Stücke  des  Erdbodens,  den  wir  be- 
wohnen, werden  wiederum  in  dem  Meere  begraben,  aus  30 
dem  sie  ein  günstiger  Periodus  hervorgezogen  hatte; 
aber  an  anderen  Orten  ergänzet  die  Natur  den  Mangel 
und  bringet  andere  Gegenden  hervor,  die  in  der  Tiefe 
des  Wassers  a)  verborgen  waren,  um  neue  Reichtümer 
ihrer  Fruchtbarkeit  über  dieselbe  auszubreiten.  Auf 
die  gleiche  Art  vergehen  Welten  und  Weltordnungen 
und  werden  von  dem  Abgrunde  der  Ewigkeiten  ver- 
schlungen; dagegen  ist  die  Schöpfung  immerfort  ge- 
schäftig, in  andern  Himmelsgegenden  neue  Bildungen 
zu  verrichten  und  den  Abgang  mit  Vorteile  zu  ergänzen.  40 

a)  „Wesens"  A.  korr.  in  der  Ausgabe  von  1797. 


128     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Man  darf  nicht  erstaunen,  selbst  in  dem  Großen 
der  Werke  Gottes  eine  Vergängliciikeit  zu  verstatten. 
Alles  was  endlich  ist,  was  einen  Anfang  und  Ur- 
sprung hat,  hat  das  Merkmal  seiner  eingeschränkten 
Natur  in  sich;  es  muß  vergehen  und  ein  Ende  haben. 
Die  Dauer  eines  Weltbaues  hat  durch  die  Vortreff- 
lichkeit ihrer  Errichtung  eine  Beständigkeit  in  sich, 
die,  unsern  Begriffen  nach,  einer  unendlichen  Dauer 
nahe    kommt.     Vielleicht   werden   tausend,     vielleicht 

10  Millionen  Jahrhunderte  sie  nicht  vernichten;  allein  weil 
die  Eitelkeit,  die  an  denen  endlichen  Naturen  haftet, 
beständig  an  ihrer  Zerstörung  arbeitet,  so  wird  die 
Ewigkeit  alle  mögliche  Perioden  in  sich  halten,  um 
durch  einen  allmählichen  Verfall  den  Zeitpunkt  ihres 
Unterganges  doch  endlich  herbeizuführen.  Newton, 
dieser  große  Bewunderer  der  Eigenschaften  Gottes 
aus  der  Vollkommenheit  seiner  Werke,  der  mit  der 
tiefsten  Einsicht  jn  die  Trefflichkeit  der  Natur  die 
größte  JEhrfurcht   gegen   die   Offenbarung   der   gött- 

20  liehen  Allmacht  verband,  sähe  sich  genötiget,  der  Natur 
ihren  Verfall  durch  den  natürlichen  Hang,  den  die 
Mechanik  der  Bewegungen  dazu  hat,  vorher  zu  ver- 
kündigen. Wenn  eine  systematische  Verfassung  durch 
die  wesentliche  Folge  der  Hinfälligkeit  in  großen  Zeit- 
läuften auch  den  allerkleinsten  Teil,  den  man  sich  nur 
gedenken  mag,  dem  Zustande  ihrer  Verwirrung  nähert, 
so  muß  in  dem  unendlichen  Ablaufe  der  Ewigkeit 
doch  ein  Zeitpunkt  sein,  da  diese  allmähliche  Ver- 
minderung alle  Bewegung  erschöpfet  hat. 

30  Wir  dürfen  aber  den  Untergang  eines  Weltgebäudes 
nicht  als  einen  wahren  Verlust  der  Natur  bedauren. 
Sie  beweiset  ihren  Reichtum  in  einer  Art  von  Ver- 
schwendung, welche,  indem  einige  Teile  der  Vergäng- 
lichkeit den  Tribut  bezahlen,  sich  durch  unzählige 
neue  Zeugungen  in  dem  ganzen  Umfange  ihrer  Voll- 
kommenheit unbeschadet  erhält.  Welch  eine  unrählige 
Menge  Blumen  und  Insekten  zerstöret  ein  einziger 
kalter  Tag;  aber  wie  wenig  vermisset  man  sie,  ohn- 
erachtet  es  herrliche  Kunstwerke  der  Natur  und  Be- 

40  weistümer  der  göttlichen  Allmacht  sein;  an  einem 
andern  Orte  wird  dieser  Abgang  mit  Überfluß  wiederum 
ersetzet.   Der  Mensch,  der  das  Meisterstück  der  Schöp- 


II.  Teil.     7.  Hauptstück.     Von  d.  Schöpfung  etc.       129 

fung  ZU  sein  scheinet,  ist  selbst  von  diesem  Gesetze 
nicht  ausgenommen.  Die  Natur  beweiset,  daß  sie  ebenso 
reich,  ebenso  unerschöpfet  in  Hervorbringung  des  Treff- 
lichsten unter  den  Kreaturen,  als  des  Geringschätzig- 
sten ist  und  daß  selbst  deren  Untergang  eine  not- 
wendige Schattierung  in  der  Mannigfaltigkeit  ihrer 
Sonnen  ist,  weil  die  Erzeugung  derselben  ihr  nichts 
kostet.  Die  schädlichen  Wirkungen  der  angesteckten 
Luft,  die  Erdbeben,  die  Überschwemmungen  vertilgen 
ganze  Völker  von  dem  Erdboden;  allein  es  scheinet  10 
nicht,  daß  die  Natur  dadurch  einigen  Nachteil  erlitten 
habe.  Auf  gleiche  Weise  verlassen  ganze  Welten  und 
Systemen  den  Schauplatz,  nachdem  sie  ihre  Rolle  aus-  . 
gespielet  haben.  Die  Unendlichkeit  der  Schöpfung  ist 
groß  genug,  um  eine  Welt  oder  eine  Milchstraße  von 
Welten  gegen  sie  anzusehen,  wie  man  eine  Blume  oder 
ein  Insekt  in  Vergleichung  gegen  die  Erde  ansiehet. 
Indessen,  daß  die  Natur  mit  veränderlichen  Auftritten 
die  Ewigkeit  auszieret,  bleibt  Gott  in  einer  unaufhör- 
lichen Schöpfung  geschäftig,  den  Zeug  zur  Bildung  20 
noch  größerer  Welten  zu  formen. 

Der  stets  mit  einem  gleichen  Auge,  ■weil  er  der  Schöpfer  ja  von  allen, 
Sieht  einen  Helden  untergehn  und  einen  kleinen  Sperling  fallen, 
Sieht  eine  Wasserblase  springen  und  eine  ganze  Welt  vergehn. 
Pope,  nach  Brockes'  Ühersetzung. 

Laßt  uns  also  unser  Auge  an  diese  erschreckliche 
Umstürzungen,  als  an  die  gewöhnlichen  Wege  der 
Vorsehung  gewöhnen  und  sie  sogar  mit  einer  Art 
von  Wohlgefallen  ansehen.  Und  in  der  Tat  ist  dem 
Reichtume  der  Natur  nichts  anständiger,  als  dieses.  30 
Denn  wenn  ein  Weltsystem  in  der  langen  Folge  seiner 
Dauer  alle  Mannigfaltigkeit  erschöpfet,  die  seine  Ein- 
richtung fassen  kann,  wenn  es  nun  ein  überflüssiges 
Glied  in  der  Kette  der  Wesen  geworden,  so  ist  nichts 
geziemender,  als  daß  es  in  dem  Schauspiele  der  ab- 
laufenden Veränderungen  des  Universi  die  letzte 
Rolle  spielet,  die  jedem  endlichen  Dinge  gebühret, 
nämlich  der  Vergänglichkeit  ihr  Gebühr  abtrage. 
Die  Natur  zeiget,  wie  gedacht,  schon  in  dem  kleinen 
Teile  ihres  Inbegriffes  diese  Regel  ihres  Verfahrens,  40 
die  das  ewige  Schicksal  ihr  im  Ganzen  vorgeschrieben 
hat,  und  ich  sage  es  nochmals,  die  Größe  desjenigen, 

Kanfs,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     I.  Q 


130      Allgemeine  Xaturgeschiclite  und  Theorie  des  Himmels. 

was  untergehen  soll,  ist  hierin  nicht  im  geringsten 
hinderlich;  denn  alles  was  groß  ist,  wird  klein,  ja 
es  wird  gleichsam  nur  ein  Punkt,  wenn  man  es  mit 
dem  Unendlichen  vergleicht,  welches  die  Schöpfung 
in  dem  unbeschränkten  Räume  die  Folge  der  Ewig- 
keit hindurch  darstellen  wird. 

Es  scheinet,  daß  dieses  denen  Welten  so  wie  allen 
Naturdingen  verhängte  Ende  einem  gewissen  Gesetze 
unterworfen  sei,  dessen  Erwägung  der  Theorie  einen 

10  neuen  Zug  der  Anständigkeit  gibet.  Nach  demselben 
hebt  es  bei  denen  Weltkörpern  an,  die  sich  dem  Mittel- 
punkte des  Weltalls  am  nächsten  befinden,  so  wie  die 
Erzeugung  und  Bildung  neben  diesem  Zentro  zuerst 
angefangen;  von  da  breitet  sich  das  Verderben  und 
die  Zerstörung  nach  und  nach  in  die  weiteren  Ent- 
fernungen aus,  um  alle  Welt,  welche  ihre  Periode 
zurückgeleget  hat,  durch  einen  allmählichen  Verfall 
der  Bewegungen  zuletzt  in  einem  einzigen  Chaos  zu 
begraben.    Anderseits  ist  die  Natur  auf  der  entgegen- 

20  gesetzten  Grenze  der  ausgebildeten  Welt  unablässig 
beschäftiget,  aus  dem  rohen  Zeuge  der  zerstreueten 
Elemente  Welten  zu  bilden,  und  indem  sie  an  der  einen 
Seite  neben  dem  Mittelpunkte  veraltet,  so  ist  sie  auf 
der  andern  jung  und  an  neuen  Zeugungen  fruchtbar. 
Die  ausgebildete  Welt  befindet  sich  diesem  nach 
zwischen  den  Ruinen  der  zerstörten  und  zwischen  dem 
Chaos  der  ungebildeten  Natur  mitten  inne  beschränket: 
und  wenn  man,  wie  es  wahrscheinlich  ist,  sich  vor- 
stellet, daß  eine  schon  zur  Vollkommenheit  gediehene 

30  Welt  eine  längere  Zeit  dauren  könne,  als  sie  bedurft 
hat,  gebildet  zu  werden,  so  wird,  ungeachtet  aller  der 
Verheerungen,  die  die  Vergänglichkeit  unaufhörlich 
anrichtet,  der  Umfang  des  Universi  dennoch  über- 
haupt zunehmen. 

Will  man  aber  noch  zuletzt  einer  Idee  Platz  lassen, 
die  ebenso  wahrscheinlich,  als  der  Verfassung  der 
göttlichen  Werke  wohlanständig  ist,  so  wird  die  Zu- 
friedenheit, welche  eine  solche  Abschilderung  der  Ver- 
änderungen der  Natur  erreget,  bis  zum  höchsten  Grade 

40  des  Wohlgefallens  erhoben.  Kann  man  nicht  glauben, 
die  Natur,  welche  vermögend  war,  sich  aus  dem  Chaos 
in  eine  regelmäßige  Ordnung  und  in  ein  geschicktes 


II.  Teil.     7.  Hauptstück.     Von  d.  Sclaöpfung-  etc.       131 

System  zu  setzen,  sei  ebenfalls  imstande,  aus  dem 
neuen  Chaos,  darin  sie  die  Verminderung  ihrer  Be- 
wegungen versenket  hat,  sich  wiederum  ebenso  leicht 
herzustellen  und  die  erste  Verbindung  zu  erneuren? 
Können  die  Federn,  welche  den  Stoff  der  zerstreuten 
Materie  in  Bewegung  und  Ordnung  brachten,  nachdem 
sie  der  ßtillstand  der  Maschine  zur  Ruhe  gebracht 
hat,  durch  erweiterte  Kräfte  nicht  wiederum  in  Wir- 
samkeit  gesetzt  werden  und  sich  nach  ebendenselben 
allgemeinen  Regeln  zur  Übereinstimmung  einschränken,  10 
wodurch  die  ursprüngliche  Bildung  zuwege  gebracht 
worden  ist?  Man  wird  nicht  lange  Bedenken  tragen, 
dieses  zuzugeben,  wenn  man  erwäget,  daß,  nachdem 
die  endliche  Mattigkeit  der  Umlaufsbewegungen  in 
dem  Weltgebäude  die  Planeten  und  Kometen  insgesamt 
auf  die  Sonne  niedergestürzt  hat,  dieser  ihre  Glut 
einen  unermeßlichen  Zuwachs  durch  die  Vermischung 
so  vieler  und  großer  Klumpen  bekommen  muß,  vor- 
nehmlich da  die  entfernete  Kugeln  des  Sonnensystems, 
unserer  vorher  erwiesenen  Theorie  zufolge,  den  leich-  20 
testen  und  im  Feuer  wirksamsten  Stoff  der  ganzen 
Natur  in  sich  enthalten.  Dieses,  durch  neue  Nahrung 
und  die  flüchtigste  Materie  in  die  größte  Heftigkeit 
versetzte  Feuer  wird  ohne  Zweifel  nicht  allein  alles 
wiederum  in  die  kleinsten  Elemente  auflösen,  sondern 
auch  dieselbe  in  dieser  Art,  mit  einer  der  Hitze  ge- 
mäßen Ausdehnungskraft  und  mit  einer  Schnelligkeit, 
welche  durch  keinen  Widerstand  des  Mittelraums  ge- 
schwächet wird,  in  dieselben  weiten  Räume  wiederum 
ausbreiten  und  zerstreuen,  welche  sie  vor  der  ersten  30 
Bildung  der  Natur  eingenommen  hatten,  um,  nachdem 
die  Heftigkeit  des  Zentralfeuers  durch  eine  beinahe 
gänzliche  Zerstreuung  ihrer  Masse  gedämpfet  worden, 
durch  Verbindung  der  Attraktions-  und  Zurück- 
stoßungskräfte  die  alten  Zeugungen  und  systematisch 
beziehende  Bewegungen  mit  nicht  minderer  Regel- 
mäßigkeit zu  wiederholen  und  ein  neues  Weltgebäude 
darzustellen.  Wenn  denn  ein  besonderes  Planeten- 
system auf  diese  Weise  in  Verfall  geraten  und  durch 
wesentliche  Kräfte  sich  daraus  wiederum  hergestellet  40 
hat,  wenn  es  wohl  gar  dieses  Spiel  mehr  wie  einmal 
wiederholet,  so  wird  endlich  die  Periode  herannahen. 


132     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

die  auf  gleiche  Weise  das  große  System,  darin  die 
Fixsterne  Glieder  sein,  durcJi  den  Verfall  ihrer  Be- 
wegungen, in  einem  Chaos  versammlen  wird.  Man 
wird  hier  noch  weniger  zweifeln,  daß  die  Vereinigung 
einer  so  unendlichen  Menge  Feuerschätze,  als  diese 
brennenden  Sonnen  sind,  zusamt  dem  Gefolge  ihrer 
Planeten  den  Stoff  ihrer  Massen,  durch  die  unnennbare 
Glut  aufgelöset,  in  den  alten  Raum  ihrer  Bildungs- 
sphäre zerstreuen  und  daselbst  die  Materalien  zu  neuen 

10  Bildungen  durch  dieselbe  mechanische  Gesetze  her- 
geben werden,  woraus  wiederum  der  öde  Raum  mit 
Welten  und  Systemen  kann  belebet  werden.  Wenn 
wir  denn  diesem  a)  Phönix  der  Natur,  der  sich  nur 
darum  verbrennet,  um  aus  seiner  Asche  wiederum 
verjüngt  aufzuleben,  durch  alle  Unendlichkeit  der 
Zeiten  und  Räume  hindurch  folgen;  wenn  man  siehet, 
wie  sie  sogar  in  der  Gegend,  da  sie  verfällt  und  ver- 
altet, an  neuen  Auftritten  unerschöpft,  und  auf  der 
andern  Grenze  der  Schöpfung  in  dem  Raum  der  un- 

20  gebildeten  rohen  Materie  mit  stetigen  Schritten  zur 
Ausdehnung  des  Plans  der  göttlichen  Offenbarung  fort- 
schreitet, um  die  Ewigkeit  sowohl,  als  alle  Räume  mit 
ihren  Wundern  zu  füllen,  so  versenket  sich  der  Geist, 
der  alles  dieses  überdenket,  in  ein  tiefes  Erstaunen; 
aber  annoch  mit  diesem  so  großen  Gegenstande  un- 
zufrieden, dessen  Vergänglichkeit  die  Seele  nicht 
gnugsam  zufriedenstellen  kann,  wünschet  er  dasjenige 
Wesen  von  nahem  kennen  zu  lernen,  dessen  Verstand, 
dessen  Größe  die  Quelle  desjenigen  Lichtes  ist,  das 

30  sich  über  die  gesamte  Natur  gleichsam  als  aus  einem 
Mittelpunkte  ausbreitet.  Mit  welcher  Art  der  Ehr- 
furcht muß  nicht  die  Seele  sogar  ihr  eigen  Wesen 
ansehen,  wenn  sie  betrachtet,  daß  sie  noch  alle  diese  Ver- 
änderungen überleben  soll;  sie  kann  zu  sich  selber  sagen, 
was  der  philosophische  Dichter  von  der  Ewigkeit  saget: 

Wenn  denn  ein  zweites  Nichts  -wird  diese  W^elt  begraben ; 
Wenn  von  dem  Alles  selbst  nichts  bleibet,  als  die  Stelle; 
Wenn  mancher  Himmel  noch,  von  andern  Sternen  helle, 
Wird  seinen  Lauf  vollendet  haben : 
40  Wirst  du  so  jung,  als  jetzt,  von  deinem  Tod  g'leich  weit, 

Gleich  ewig  künftig  sein,  wie  heut. 

V.  Hall  er. 

a)  „diesen"  A. 


II.  Teil.     7.  Hauptstück.     Von  d.  Schöpfung  etc.       133 

0  glücklich,  wenn  sie  unter  dem  Tumult  der  Ele- 
mente und  den  Träumen  a)  der  Natur  jederzeit  auf 
eine  Höhe  gesetzet  ist,  von  da  sie  die  Verheerungen, 
die  die  Hinfälligkeit  den  Dingen  der  Welt  verursacht, 
gleiclisam  unter  ihren  Füßen  kann  vorbeirauschen 
sehen.  Eine  Glückseligkeit,  welche  die  Vernunft  nicht 
einmal  zu  erwünschen  sich  erkühnen  darf,  lehret  uns 
die  Offenbarung  mit  Überzeugung  hoffen.  Wenn  denn 
die  Fesseln,  welche  uns  an  die  Eitelkeit  der  Kreaturen 
geknüpft  halten,  in  dem  Augenblicke,  welcher  zu  der  10 
Verwandlung  unseres  Wesens  bestimmt  worden,  ab- 
gefallen sein,  so  wird  der  unsterbliche  Geist,  von 
der  Abhängigkeit  der  endlichen  Dinge  befreiet,  in 
der  Gemeinschaft  mit  dem  unendlichen  Wesen  den 
Genuß  der  wahren  Glückseligkeit  finden.  Die  ganze 
Natur,  welche  eine  allgemeine  harmonische  Beziehung 
zu  dem  Wohlgefallen  der  Gottheit  hat,  kann  diejenige 
vernünftige  Kreatur  nicht  anders  als  mit  immerwähren- 
der Zufriedenheit  erfüllen,  die  sich  mit  dieser  Urquelle 
aller  Vollkommenheit  vereint  befindet.  Die  Natur  von  20 
diesem  Mittelpunkte  aus  gesehen,  wird  von  allen 
Seiten  lauter  SicJierheit,  lauter  Wohlanständigkeit 
zeigen.  Die  veränderlichen  Szenen  der  Natur  ver- 
mögen nicht  den  Ruhestand  der  Glückseligkeit  eines 
Geistes  zu  verrücken,  der  einmal  zu  solcher  Höhe  er- 
hoben ist.  Indem  er  diesen  Zustand  mit  einer  süßen 
Hoffnung  schon  zum  voraus  kostet,  kann  er  seinen 
Mund  in  denjenigen  Lobgesängen  üben,  davon  dereinst 
alle  Ewigkeiten  erschallen  sollen. 

Wenn  dereinst  der  Bau  der  Welt  in  sein  Nichts  zurückg'eeilet  30 

Und  sich  deiner  Hände  Werk  nicht  durch  Tag  und  Kacht  mehr  teüet; 
Denn  soll  mein  gerührt  Geniüte  sich,  durch  dich  g-estärkt,  bemühn, 
In  Verehrung  deiner  Allmacht  stets  vor  deinen  Thron  zu  ziehn. 
Mein  von  Dank  eriüllter  Mund  soll  durch  alle  Ewigkeiten 
Dir  und  deiner  Majestät  ein  unendlich  Lob  bereiten; 
Ist  dabei  gleich  kein  vollkommnes,  denn,  o  Herrl  so  groß  bist  du, 
Dich  nach  Würdigkeit  zu  loben,  reicht  die  Ewigkeit  nicht  zu. 

Addison,  nach  Gottsched 's  Übersetzung. 


a)  „Trümmern"  Hartenstein,  Rosenkranz,  Ak.  Ausg. 


134     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Zugabe 

zum  siebenten  Hauptstücke. 

Allgemeine  Theorie  und  Geschichte  der  Sonne  überhaupt. 

Es  ist  noch  eine  Hauptfrage,  deren  Auflösung  in 
der  Naturlehre  des  Himmels  und  in  einer  vollständigen 
Kosmogonie  unentbehrlich  ist.  Woher  wird  nämlich 
der  Mittelpunkt  eines  jeden  Systems  von  einem 
flammenden  Körper  eingenommen?  Unser  planetischer 
Weltbau  hat  die   Sonne  zum   Zentralkörper,   und   die 

10  Fixsterne,  die  wir  sehen,  sind  allem  Ansehen  nach 
Mittelpunkte  ähnlicher   Systematum. 

Um  zu  begreifen,  woher  in  der  Bildung  eines 
Weltgebäudes  der  Körper,  der  zum  Mittelpunkte  der 
Attraktion  dienet,  ein  feuriger  Körper  hat  werden 
müssen,  indessen  daß  die  übrige  Kugeln  seiner  An- 
ziehungssphäre dunkele  und  kalte  Weltkörper  blieben, 
darf  man  nur  die  Art  der  Erzeugung  eines  Weltbaues 
sich  zurückerinnern,  die  wir  in  dem  Vorhergehenden 
umständlich    entworfen    haben.      In    dem    weit    aus- 

20  gedehnten  Räume,  darin  der  ausgebreitete  elementa- 
rische Grundstoff  sich  zu  Bildungen  und  systematischen 
Bewegungen  anschickt,  bilden  sich  die  Planeten  und 
Kometen  nur  allein  aus  demjenigen  Teile  des  zum 
Mittelpunkte  der  Attraktion  sinkenden  elementarischen 
Grundstoffes,  welcher  durch  den  Fall  und  die  Wechsel- 
wirkung dena)  gesamten  Partikeln  zu  der  genauen 
Einschränkung  der  Eichtung  und  Geschwindigkeit,  die 
zum  Umschwünge  erfordert  wird,  bestimmt  worden. 
Dieser  Teil  ist,  wie  oben  dargetan  worden,  der  mindeste 

30  von  der  ganzen  Menge  der  abwärts  sinkenden  Materie, 
und  zwar  nur  der  Ausschuß  dichterer  Sorten,  welche 
durch  den  Widerstand  der  andern  zu  diesem  Grade 
der  Genauheit  haben  gelangen  können.  Es  befinden 
sich  in  diesem  Gemenge  heranschwebende  Sorten  vor- 
züglicher Leichtigkeit,  die,  durch  die  Widerstrebung 
des  Raumes  gehindert,  durch  ihren  Fall  zu  der  ge- 
hörigen Schnelligkeit  der  periodischen  Umwendungen 

a)  ..der"  Ak.  Ausg. 


II.  Teil.    7.  Hauptst.    Zugabe:  Theorie  der  Sonne.     135 

nicht  durchdringen,  und  die  folglich  in  der  Mattigkeit 
ihres  Schwunges  insgesamt  zu  dem  Zentralkörper  hinab- 
gestürzet  werden.  Weil  nun  eben  diese  leichteren  und 
flüchtigen  Teile  auch  die  wirksamsten  sein,  das  Feuer 
zu  unterhalten,  so  sehen  wir,  daß  durch  ihren  Zusatz 
der  Körper  und  Mittelpunkt  des  Systems  den  Vorzug 
erhält,  eine  flammende  Kugel,  mit  einem  Worte,  eine 
Sonne  zu  werden.  Dagegen  wird  der  schwerere  und 
unkräftige  Stoff  und  der  Mangel  dieser  feuernährenden 
Teilchen  aus  den  Planeten  nur  kalte  und  tote  Klumpen  10 
machen,  die  solcher  Eigenschaft  beraubt  sein. 

Dieser  Zusatz  so  leichter  Materien  ist  es  auch, 
wodurch  die  Sonne  die  spezifisch  mindere  Dichtig- 
keit überkommen  hat,  dadurch  sie  auch  sogar  unserer 
Erde,  dem  dritten  Planeten  in  dem  Abstände  von  ihr, 
4mal  an  Dichtigkeit  nachstehet;  obgleich  es  natürlich 
ist,  zu  glauben,  daß»)  in  diesem  Mittelpunkte  des  Welt- 
baues, als  in  dessen  niedrigstem  Orte,  die  schwersten 
und  dichtesten  Gattungen  der  Materie  sich  befinden 
sollten,  wodurch  sie,  ohne  den  Zusatz  einer  so  großen  20 
Menge  des  leichtesten  Stoffes,  die  Dichtigkeit  aller 
Planeten  übertreffen  würde. 

Die  Vermengung  dichterer  und  schwerer  Sorten 
der  Elemente,  zu  diesen  leichtesten  und  flüchtigsten, 
dienet  gleichfalls,  denb)  Zentralkörper  zu  der  heftigsten 
Glut,  die  auf  seiner  Oberfläche  brennen  und  unter- 
halten werden  soll,  geschickt  zu  machen.  Denn  wir 
wissen,  daß  das  Feuer,  in  dessen  nährendem  c)  Stoffe 
dichte  Materien  unter  den  flüchtigen  sich  vermengt 
befinden,  einen  großen  Vorzug  der  Heftigkeit  vor  30 
denenjenigen  Flammen  hat,  die  nur  von  den  leichten 
Gattungen  unterhalten  werden d).  Diese  Untermischung 
aber  einiger  schweren  Sorten  unter  die  leichteren  ist 
eine  notwendige  Folge  unsers  Lehrbegriffes  von  der 
Bildung  der  Weltkörper,  und  hat  noch  diesen  Nutzen, 
daß  die  Gewalt  der  Glut  die  brennbare  Materie  der 
Oberfläche  nicht  plötzlich  zerstreue,  und  daß  selbige 


a)  „daß  sie"  A.  korr.  Akad.  Ausg. 

b)  „dem-'  A. 

c)  „nährenden"  A. 

d)  „wird"  A.  korr.  Akad.  Ausg. 


136     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

durch  den  Zufluß  der  Nahrung  aus  dem  Innern  all- 
mählich und  beständig  genähret  wird. 

Nachdem  die  Frage  nun  aufgelöset  ist,  woher  der 
Zentralkörper  eines  großen  Sternsystems  eine  flam- 
mende Kugel,  d.  i.  eine  Sonne  sei,  so  scheinet  es  nicht 
überflüssig  zu  sein,  sich  mit  diesem  Vorwurfe  noch 
einige  Zeit  zu  beschäftigen  und  den  Zustand  eines 
solchen  Himmelskörpers  mit  einer  sorgfältigen  Prüfung 
zu  erforschen;  vornehmlich  da  die  Mutmaßungen  all- 

10  hier  aus  tüchtigeren  Gründen  sich  herleiten  lassen,  als 
sie  es  gemeiniglich  bei  den  Untersuchungen  der  Be- 
schaffenheit entf erneter  Himmelskörper  zu  sein  pflegen. 
Zuvörderst  setze  ich  fest,  daß  man  nicht  zweifeln 
könne,  die  Sonne  sei  wirklich  ein  flammender  Körper, 
und  nicht  eine  bis  zum  höchsten  Grade  erhitzte  Masse 
geschmolzener  und  glühender  Materie,  wie  einige  aus 
gewissen  Schwierigkeiten,  welche  sie  bei  der  ersteren 
Meinung  zu  finden  vermeinet,  haben  schließen  wollen. 
Denn  wenn  man  erwäget,  daß  ein  flammendes  Feuer 

20  vor  einer  jeden  andern  Art  der  Hitze  diesen  wesent- 
lichen Vorzug  hat,  daß  es  sozusagen  aus  sich  selbst 
wirksam,  anstatt  sich  durch  die  Mitteilung  zu  ver- 
ringern oder  zu  erschöpfen,  vielmehr  eben  dadurch 
mehr  Stärke  und  Heftigkeit  überkommt,  und  also  nur 
Stoff  und  Nahrung  zum  Unterhalte  erfordert,  um 
immerfort  zu  währen;  da  hingegen  die  Glut  einer  auf 
den  höchsten  Grad  erhitzten  Masse  ein  bloß  leidender 
Zustand  ist,  der  sich  durch  die  Gemeinschaft  der  be- 
rührenden Materie  unaufhörlich  vermindert  und  keine 

30  eigene  Kräfte  hat,  sich  aus  einem  kleinen  Anfange 
auszubreiten,  oder  bei  der  Verminderung  wiederum 
aufzuleben;  wenn  man,  sage  ich,  dieses  erwäget,  so 
wird  man,  ich  geschweige  der  anderen  Gründe,  schon 
hieraus  sattsam  ersehen  können,  daß  der  Sonne,  der 
Quelle  des  Lichtes  und  der  Wärme  in  jeglichem  Welt- 
bau, jene  Eigenschaft  wahrscheinlicherweise  müsse  bei- 
geleget werden. 

Wenn  die  Sonne  nun  oder  die  Sonnen  überhaupt 
flammende  Kugeln  sein,  so  ist  die  erste  Beschaffenheit 

40  ihrer  Oberfläche,  die  sich  hieraus  abnehmen  läßt,  daß 
auf  ihnen  Luft  befindlich  sein  müsse,  weil  ohne  Luft 
kein  Feuer  brennet.     Dieser  Umstand  gibt  Anlaß  zu 


II.  Teil.    7.  Hauptst.    Zugabe;  Theorie  der  Sonne.     137 

merkwürdigen  Folgerungen.  Denn  wenn  man  erstlich 
die  Atmosphäre  der  Sonne  und  ihr  Gewicht  in  Ver- 
hältnis des  Sonnenklumpens  setzet,  in  welchem aj  Stande 
der  Zusammendrückung  wird  diese  Luft  nicht  sein,  und 
wie  vermögend  wird  sie  nicht  eben  dadurch  werden, 
die  heftigsten  Grade  des  Feuers  durch  ihre  Federkraft 
zu  unterhalten?  In  dieser  Atmosphäre  erheben  sich, 
allem  Vermuten  nach,  auch  die  Rauchwolken  von  denen 
durch  die  Flamme  aufgelöseten  Materien,  die,  wie  man 
nicht  zweifeln  darf,  eine  Mischung  von  groben  und  lO 
leichteren  Teilchen  in  sich  haben,  welche,  nachdem 
sie  sich  zu  einer  Höhe,  die  vor  sie  eine  kühlere  Luft 
heget,  erhoben  haben,  in  schweren  Pech-  und  Schwefel- 
regen hinabstürzen  und  der  Flamme  neue  Nahrung  zu- 
führen. Eben  diese  Atmosphäre  ist  auch,  aus  den  gleichen 
Ursachen  wie  auf  unserer  Erde,  von  denen  Bewegungen 
der  Winde  nicht  befreiet,  welche  aber  dem  Ansehen 
nach  alles,  was  die  Einbildungskraft  nur  sich  vorzu- 
stellen vermag,  an  Heftigkeit  weit  übertreffen  müssen. 
Wenn  irgendeine  Gegend  auf  der  Oberfläche  der  Sonne,  20 
entweder  durcii  die  erstickende  Gewalt  der  ausbrechen- 
den Dämpfe,  oder  durch  den  sparsamen  Zufluß  brenn- 
barer Materien  in  dem  Ausbruche  der  Flamme  nach- 
läßt, so  erkühlet  die  darüber  befindliche  Luft  einiger- 
maßen, und  indem  sie  sich  zusammenziehet,  gibt  sie 
der  daneben  befindlichen  Platz,  mit  einer  dem  Über- 
schusse ihrer  Ausspannung  gemäßen  Gewalt  in  ihren 
Raum  zu  dringen,  um  die  erloschene  Flamme  anzufachen. 
Gleichwohl  verschlinget  alle  Flamme  immer  viele 
Luft,  und  es  ist  kein  Zweifel,  daß  die  Federkraft  30 
des  flüssigen  Luftelements,  das  die  Sonne  umgibet, 
dadurch  in  einiger  Zeit  nicht  geringen  Nachteil  er- 
leiden müsse.  Wenn  man  dasjenige,  was  Herr  Haies 
hievon  bei  der  Wirkung  der  Flamme  in  unserer 
Atmosphäre  durch  sorgfältige  Versuche  bewähret  hat, 
hier  im  Großen  anwendet,  so  kann  man  die  immer- 
währende Bestrebung  der  aus  der  Flamme  gehenden 
Rauchteilchen,  die  Elastizität  der  Sonnenatmosphäre 
zu  zernichten,  als  einen  Hauptknoten  ansehen,  dessen 
Auflösung  mit  Schwierigkeiten  verbunden  ist.    Denn  40 


a)   „welchen"  A. 


138      Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

dadurch,  daß  die  Flamme,  die  über  der  ganzen  Fläche 
der  Sonne  brennet,  sich  selber  die  Luft  benimmt,  die 
ihr  zum  Brennen  unentbehrlich  ist,  so  ist  die  Sonne 
in  Gefahr,  gar  zu  verlöschen,  wenn  der  größte  Teil 
ihrer  Atmosphäre  verschlungen  worden.  Es  ist  wahr, 
das  Feuer  erzeuget  auch,  durch  Auflösung  gewisser 
Materien,  Luft;  aber  die  Versuche  beweisen,  daß  alle- 
zeit mehr  verschlungen,  als  erzeuget  wird.  Zwar  wenn 
ein  Teil  des  Sonnenfeuers  unter  erstickenden  Dämpfen 

10  der  Luft,  die  zu  ihrer  Erhaltung  dienet,  beraubet  wird, 
so  werden,  wie  wir  schon  angemerket  haben,  heftige 
Stürme  sie  zerstreuen  und  wegzuführen  bemühet  sein. 
Allein  im  Ganzen  wird  man  die  Ersetzung  dieses  nötigen 
Elements  auf  folgende  Art  sich  begreiflich  machen 
können,  wenn  man  in  Betrachtung  ziehet,  daß,  da 
.  bei  einem  flammenden  Feuer  die  Hitze  fast  nur  über 
sich  und  nur  wenig  unter  sich  wirket,  wenn  sie  durch 
die  angeführte  Ursache  ersticket  worden,  ihre»)  Heftig- 
keit gegen  das  Innere  des  Sonnenkörpers  kehret  und 

20  dessen  tiefe  Schlünde  nötiget,  die  in  ihren  Höhlen 
verschlossene  Luft  hervorbrechen  zu  lassen  und  das 
Feuer  aufs  neue  anzufachen;  wenn  man  in  diesem  ihrem 
Eingeweide  durch  eine  Freiheit,  die  bei  einem  so  unbe- 
kannten Gegenstande  nicht  verboten  ist,  vornehmlich 
Materien  setzet,  die,  wie  der  Salpeter,  an  elastischer  Luft 
unerschöpflich  ergiebig  sein,  so  wird  das  Sonnenfeuer 
überaus  lange  Perioden  hindurch  an  dem  Zuflüsse  immer 
erneueter  Luft  nicht  leichtlich  Mangel  leiden  können. 
Gleichwohl  siehet  man  die  deutlichen  Merkmale  der 

30  Vergänglichkeit  auch  an  diesem  unschätzbaren  Feuer, 
das  die  Natur  zur  Fackel  der  Welt  aufgestecket.  Es 
kommt  eine  Zeit,  darin  sie  wird  erloschen  sein.  Die 
Entziehung  der  flüchtigsten  und  feinsten  Materien, 
die,  durch  die  Heftigkeit  der  Hitze  zerstreuet,  nie- 
mals wieder  zurückkehren  und  den  Stoff  des  Zodiakal- 
lichtes  vermehren,  die  Häufung  unverbrennlicher  und 
ausgebrannter  Materien,  z.  E.  der  Asche  auf  der  Ober- 
fläche, endlich  auch  der  Mangel  der  Luft  werden  der 
Sonne  ein  Ziel   setzen,  da  ihre  Flamme  dereinst  er- 

40  löschen  und   ihren   Ort,   der  anjetzo   der  Mittelpunkt 

a)  „sie  ihre"? 


II.  Teil.    7.  Hauptst.    Zugabe:  Theorie  der  Sonne.     139 

des  Lichtes  und  des  Lebens  dem  ganzen  Weltgebäude 
ist,  ewige  Finsternisse  einnehmen  werden.  Die  ab- 
wechselnde Bestrebung  ihres  Feuers,  durch  die  Er- 
öffnung neuer  Grüfte  wiederum  aufzuleben,  wodurch 
sie  sich  vielleicht  vor  ihrem  Untergange  etlichemal 
herstellet,  könnte  eine  Erklärung  des  Verschwindens 
und  der  Wiedererscheinung  einiger  Fixsterne  abgeben. 
Es  würden  Sonnen  sein,  welche  ihrem  Erlöschen  nahe 
sind  und  die  noch  etlichemal  aus  ihrem  Schutte  auf- 
zuleben trachten.  Es  mag  diese  Erklärung  Beifall  10 
verdienen  oder  nicht,  so  wird  man  sich  doch  gewiß 
diese  Betrachtung  dazu  dienen  lassen,  einzusehen,  daß, 
da  der  Vollkommenheit  aller  Weltordnungen,  es  sei 
auf  die  eine  oder  andere  Art,  ein  unvermeidlicher 
Verfall  drohet,  man  keine  Schwierigkeit  in  dem  oben 
angeführten  Gesetze  ihres  Unterganges,  durch  den 
Hang  der  mechanischen  Einrichtung,  finden  werde, 
welche  dadurch  aber  vornehmlich  annehmungswürdig 
wird,  weil  sie  den  Samen  der  Wiedererneuerung  selbst 
in  der  Vermengung  mit  dem  Chaos  bei  sich  führet.         20 

Zuletzt  lasset  uns  der  Einbildungskraft  ein  so 
wunderseltsames  Objekt,  als  eine  brennende  Sonne  ist, 
gleichsam  von  nahen  vorstellen.  Man  siehet  in  einem 
Anblicke  weite  Feuerseen,  die  ihre  Flammen  gen  Him- 
mel erheben,  rasende  Stürme,  deren  Wut  die  Heftig- 
keit der  ersten  verdoppelt,  welcie,  indem  sie  selbige 
über  ihre  Ufer  aufschwellend  machen,  bald  die  er- 
habene Gegenden  dieses  Weltkörpers  bedecken,  bald 
sie  in  ihre  Grenzen  zurücksinken  lassen;  ausgebrannte 
Felsen,  die  aus  den  flammenden  Schlünden  ihre  30 
fürchterliche  Spitzen  herausstrecken,  und  deren 
Überschwemmung  oder  Entblößung  von  dem  wallen- 
den Feuerelemente  das  abwechselnde  Erscheinen  und 
Verschwinden  der  Sonnenflecken  verursachet;  dicke 
Dämpfe,  die  das  Feuer  ersticken  und  die,  durch  die 
Gewalt  der  Winde  erhoben,  finstre  Wolken  ausmachen, 
welche  in  feurigen  Regengüssen  wiederum  herabstürzen 
und  als  brennende  Ströme  von  den  Höhen  des  festen 
Sonnenlandes*)  sich  in  die  flammende  Täler  ergießen. 


*)  Ich  schreibe  nicht  ohne  Ursache  der  Sonnen  alle  Un- 
ebenheiten des  festen  Landes,    der  Gebirge  und  der  Täler 


l-j-O     Allgemeine  Naturgeschiclite  und  Theorie  des  Himmels« 

das  Krachen  der  Elemente,  den  Schutt  ausgebrannter 
Materien  und  die  mit  der  Zerstörung  ringende  Natur, 
welche  selbst  mit  dem  abscheulichsten  Zustande  ihrer 
Zerrüttungen  die  Schönheit  der  Welt  und  den  Nutzen 
der  Kreaturen  bewirket. 

Wenn  denn  die  Mittelpunkte  aller  großen  Welt- 
systemen flammende  Körper  sein,  so  ist  dieses  am 
meisten  von  dem  Zentralkörper  desjenigen  unermeß- 
lichen  Systems   zu  vermuten,   welches  die   Fixsterne 

10  ausmachen.  Wird  nun  aber  dieser  Körper,  dessen 
Masse  zu  der  Größe  seines  Systems  ein  Verhältnis 
haben  muß,  wenn  er  ein  selbstleuchtender  Körper  oder 
eine  Sonne  wäre,  nicht  mit  vorzüglichem  Glänze  und 
Größe  in  die  Augen  fallen?  Gleichwohl  sehen  wir 
keinen  dergleichen  sich  ausnehmend  unterscheidenden 
Fixstern  unter  dem  Himmelsheere  hervorschimmern. 
In  der  Tat,  man  darf  es  sich  nicht  befremden  lassen, 
wenn  dieses  nicht  geschieht.  Wenn  er  gleich  lOOOOmal 
unsere  Sonne  an  Größe  überträfe,  so  könnte  er  doch, 

-20  wenn  man  seine  Entfernung  100  mal  größer  als  des 
Sirius  seine  annimmt,  nicht  größer  und  heller  als 
dieser  erscheinen. 

Vielleicht  aber  ist  es  dena)  künftigen  Zeiten  auf- 
gehoben, wenigstens  noch  dereinst  die  Gegend  zu  ent- 


zu,  die  wir  auf  unserer  Erde  und  andern  Weltkörpern  an- 
treffen. Die  Bildung  einer  Weltkugel,  die  sich  aus  einem 
flüssigen  Zustande  in  einen  festen  verändert,  bringt  not- 
wendig solche  Ungleichheiten  auf  der  Oberfläche  zuwege. 
Wenn  die  Oberfläche  sich  härtet,  indessen  daß  in  dem 
flüssigen  inwendigen  Teile  solcher  Masse  die  Materien  sich 
noch  nach  Maßgebung  ihrer  Schwere  zum  Mittelpunkte 
hinsenken,  so  werden  die  Partikeln  des  elastischen  Luft- 
oder Feuerelements,  das  sich  in  diesen  Materien  mit  unter- 
gemengt befindet,  herausgejagt  und  häufen  sich  unter  der 
indessen  festgewordenen  Rinde,  unter  welcher  sie  große  und, 
nach  Proportion  des  Sonnenklumpens,  ungeheure  Höhlen  er- 
zeugen, in  die  gedachte  oberste  Rinde  zuletzt  mit  mannig- 
faltigen Einbeugungen  hereinsinkt,  und  sowohl  erhöhete 
Gegenden  und  Gebirge  als  auch  Täler  und  Elutbette  weiter 
Peuerseen  dadurch  zubereitet. 


a)  ,.dem"  A. 


II.  Teil.    7.  Hauptst.    Zugabe:  Theorie  der  Sonne.     141 

decken,  wo  der  Mittelpunkt*)  des  Fixsternensystems, 
darein  unsere  Sonne  gehöret,  befindlich  ist,  oder  viel- 

*)  Ich  habe  eine  Mutmaßung,  nach  welcher  es  mir  sehr 
wahrscheinlich  zu  sein  dünket,  daß  der  Sirius  oder  Hunds- 
stern in  dem  Sj-stem  der  Sterne,  die  die  Milchstraße  aus- 
machen, der  Zentralkörper  sei  und  den  Mittelpunkt  einnehme, 
zu  welchem  sie  sich  alle  beziehen.  Wenn  man  dieses  System, 
nach  dem  Entwürfe  des  ersten  Teils  dieser  Abhandlung, 
wie  ein  Gewimmel  von  Sonnen,  die  zu  einer  gemeinschaft- 
lichen Fläche  gehäufet  sein,  ansiehet,  welches  nach  allen 
Seiten  von  dem  Mittelpunkte  derselben  ausgestreuet  ist,  und 
doch  einen  gewissen,  so  zu  sagen,  zirkelförmichten  Raum,  der 
durch  die  geringe  Abweichungen  derselben  vom  Beziehungs- 
plane sich  auch  in  die  Breite  von  beiden  Seiten  etwas  aus- 
dehnet, ausmacht;  so  wird  die  Sonne,  die  sich  gleichfalls 
diesem  Plane  nahe  befindet,  die  Erscheinung  dieser  zirkel- 
förmichten weißlicht  schimmernden  Zone  nach  derjenigen 
Seite  hin  am  breitesten  sehen,  nach  welcher  sie  sich  der 
äußersten  Grenze  des  Systems  am  nächsten  befindet;  denn 
es  ist  leicht  zu  vermuten,  daß  sie  sich  nicht  eben  gerade 
im  Mittelpunkte  aufhalten  werde.  Xun  ist  der  Streif  der 
Milchstraße  in  dem  Teile  zwischen  dem  Zeichen  des  Schwans 
und  des  Schützens  am  breitesten,  folglich  wird  dieses  die 
Seite  sein,  da  der  Platz  unserer  Sonne  der  äußersten  Peri- 
pherie des  zirkelförmichten  Systems  am  nächsten  ist;  und 
in  diesem  Teile  werden  wir  den  Ort,  wo  die  Sternbilder 
des  Adlers  und  Fuchses  mit  der  Gans  stehen,  insonderheit 
vor  den  allernächsten  halten,  weil  daselbst  aus  dem  Zwischen- 
räume,  da  die  Milchstraße  sich  teilet,  die  größeste  schein- 
bare Zerstreuung  der  Sterne  erhellet.  Wenn  man  daher 
ohngefähr  von  dem  Orte  neben  dem  Schwänze  des  Adlers 
eine  Linie  mitten  durch  die  Fläche  der  Milchstraße  bis  zu 
dem  gegenüberstehenden  Punkte  ziehet,  so  muß  diese  auf 
den  Mittelpunkt  des  Systems  zutreffen,  und  sie  trifft  in  der 
Tat  sehr  genau  auf  den  Sirius,  den  hellesten  Stern  am 
ganzen  Himmel,  der  wegen  dieser  glücklichen,  mit  seiner 
vorzüglichen  Gestalt  so  wohl  harmonierenden  Zusammen- 
treffung, es  zu  verdienen  scheinet,  daß  man  ihn  vor  den 
Zentralkörper  selber  halte.  Er  würde  nach  diesem  Begriffe 
auch  gerade  in  dem  Streife  der  Michstraße  gesehen  werden, 
wenn»)  der  Stand  unserer  Sonne,  der  beim  Schwänze  des 
Adlers  von  dem  Plane  derselben  etwas  abweichet,  nicht 
den  optischen  Abstand  des  Mittelpunktes  gegen  die  andere 
Seite  solcher  Zone  verursachte. 


a)  „wenn  nicht"  A.  korr.  Hartenstein. 


142     Allgemeine  Natui'gescliiclite  und  Theorie  des  Himmels. 

leicht  wohl  gar  zu  bestimmen,  wohin  man  den  Zentral- 
körper des  Universi,  nach  welchem  alle  Teile  des- 
selben mit  einstimmiger  Senkung  zielen,  setzen  müsse. 
Von  was  vor  einer  Beschaffenheit  dieses  Fundamental- 
stücke der  ganzen  Schöpfung  sei,  und  was  auf  ihm 
befindlich,  wollen  wir  dem  Herrn  Wright  von 
Durham  zu  bestimmen  überlassen,  der  mit  einer 
fanatischen  Begeisterung  ein  kräftiges  Wesen  von  der 
Götterart   mit    geistlichen    Anziehungs-   und    Zurück- 

10  Stoßungskräften,  das,  in  einer  unendlichen  Sphäre  um 
sich  wirksam,  alle  Tugend  an  sich  zöge,  die  Laster 
aber  zurücktriebe,  in  diesem  glücklichen  Orte,  gleich- 
sam auf  einen  Thron  der  gesamten  Natur,  erhöhete. 
Wir  wollen  der  Kühnheit  unserer  Mutmaßungen,  wel- 
chen wir  vielleicht  nur  gar  ,zu  viel  erlaubt  haben, 
nicht  bis  zu  willkürlichen  Erdichtungen  den  Zügel 
schießen  lassen.  Die  Gottheit  ist  in  der  Unendlich- 
keit des  ganzen  Weltraumes  allenthalben  gleich  gegen- 
wärtig; allenthalben,   wo  Naturen  sein,  welche  fähig 

20  sein,  sich  über  die  Abhängigkeit  der  Geschöpfe  zu  der 
Gemeinschaft  des  höchsten  Wesens  emporzuschwingen, 
befindet  es  sich  gleich  nahe.  Die  ganze  Schöpfung 
ist  von  ihren  Kräften  durchdrungen,  aber  nur  der- 
jenige, der  sich  von  dem  Geschöpfe  zu  befreien  weiß, 
welcher  so  edel  ist,  einzusehen,  daß  in  dem  Genüsse 
dieser  Urquelle  der  Vollkommenheit  die  höchste  Staffel 
der  Glückseligkeit  einzig  und  allein  zu  suchen,  der 
allein  ist  fähig,  diesem  wahren  Beziehungspunkte  aller 
Trefflichkeit  sich  näher,  als  irgend  etwas  anders  in 

30  der  ganzen  Natur  zu  befinden.  Indessen  wenn  ich, 
ohne  an  der  enthusiastischen  Vorstellung  des  Engel- 
länders  teilzunehmen,  von  den  verschiedenen  Graden 
der  Geisterwelt  aus  der  physischen  Beziehung  ihrer 
Wohnplätze  gegen  den  Mittelpunkt  der  Schöpfung  mut- 
maßen soll,  so  wollte  icha)  mit  mehrerer  Wahrschein- 
lichkeit die  vollkommensten  Klassen  vernünftiger  Wesen 
weiter  von  diesem  Mittelpunkte,  als  nahe  bei  dem- 
selben suchen.  Die  Vollkommenheit  mit  Vernunft  be- 
gabter  Geschöpfe,   insoweit  sie  von  der  Beschaffen- 

40  heit  der  Materie  abhänget,  in  deren  Verbindung  sie 


a)  „ich"  fehlt  in  A. 


II.  Teil.    7,  Hauptst,    Zugabe:  Theorie  der  Sonne.     143 

beschränket  sein,  kommt  gar  sehr  auf  die  Feinigkeit  des 
Stoffes  an,  dessen  Einfluß  dieselbe  zur  Vorstellung 
der  Welt  und  zur  Gegenwirkung  in  dieselbe  bestimmt. 
Die  Trägheit  und  der  Widerstand  der  Materie  schränket 
die  Freiheit  des  geistigen  Wesens  zum  Wirken  und 
die  Deutlichkeit  ihrer  Empfindung  von  äußern  Dingen 
gar  zu  sehr  ein,  sie  macht  ihre  Fähigkeiten  stumpf, 
indem  sie  deren  Bewegungen  nicht  mit  gehöriger 
Leichtigkeit  gehorchet.  Daher  wenn  man,  wie  es  wahr- 
scheinlich ist,  nahe  zum  Mittelpunkte  der  Natur  die  10 
dichtesten  und  schwersten  Sorten  der  Materie,  und 
dagegen  in  der  größeren  Entfernung  die  zunehmenden 
Grade  der  Feinigkeit  und  Leichtigkeit  derselben,  der 
Analogie  gemäß,  die  in  unserma)  Weltbau  herrschet, 
annimmt,  so  ist  die  Folge  begreiflich.  Die  vernünftigen 
Wesen,  deren  Erzeugungsplatz  und  Aufenthalt  näher 
zu  dem  Mittelpunkte  der  Schöpfung  sich  befindet,  sind 
in  eine  steife  und  unbewegliche  Materie  versenket, 
die  ihre  Kräfte  in  einer  unüberwindlichen  Trägheit 
verschlossen  enthält  und  auch  ebenso  unfähig  ist,  die  20 
Eindrücke  des  Universi  mit  der  nötigen  Deutlichkeit 
und  Leichtigkeit  zu  übertragen  und  mitzuteilen.  Man 
wird  diese  denkende  Wesen  also  in  die  niedrige  Klasse 
zu  zählen  haben;  dagegen  wird  mit  den  Entfernungen 
vom  allgemeinen  Zentro  diese  Vollkommenheit  der 
Geisterwelt,  welche  auf  der  gewechselten  Abhängig- 
keit derselben  von  der  Materie  beruhet,  wie  eine  be- 
ständige Leiter  wachsen.  In  der  tiefsten  Erniedrigung 
zu  diesem  Senkungspunkte  hat  man  diesem  zufolge 
die  schlechtesten  und  unvollkommensten  Gattungen  30 
denkender  Naturen  zu  setzen,  und  hiewärtshin  ist, 
wo  diese  Trefflichkeit  der  Wesen  sich  mit  allen  Schat- 
tierungen der  Verminderung  endlich  in  den  gänzlichen 
Mangel  der  Überlegung  und  des  Denkens  verlieret. 
In  der  Tat,  wenn  man  erwäget,  daß  der  Mittelpunkt 
der  Natur  zugleich  den  Anfang  ihrer  Bildung  aus 
dem  rohen  Zeuge  und  ihre  Grenze  mit  dem  Chaos 
ausmacht;  wenn  man  dazu  setzet,  daß  die  Vollkommen- 
heit geistiger  Wesen,  welche  wohl  eine  äußerste  Grenze 
ihres  Anfanges  hat,  wo  ihre  Fähigkeiten  mit  der  Un-  40 

a)  „unsern"  A. 


144     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Vernunft  zusammenstoßen,  aber  keine  Grenzen  der 
Fortsetzung,  über  welche  sie  nicht  könnte  erhoben 
werden,  sondern  nach  der  Seite  hin  eine  völlige  Un- 
endlichkeit vor  sich  findet,  so  wird  man,  wenn  ja 
ein  Gesetze  stattfinden  soll,  nach  welchem  der  ver- 
nünftigen Kreaturen  Wohnplätze  nach  der  Ordnung 
ihrer  Beziehung  zum  gemeinschaftlichen  Mittelpunkte 
verteilet  sein,  die  niedrigste  und  unvollkommenste 
Gattung,  die  gleichsam  den  Anfang  des  Geschlechts 
10  der  Geisterwelt  ausmacht,  an  demjenigen  Orte  zu  setzen 
haben,  der  der  Anfang  des  gesamten  Universi  zu 
nennen  ist,  um  zugleich  mit  diesem  in  gleicher  Fort- 
schreitung alle  Unendlichkeit  der  Zeit  und  der  Räume, 
mit  ins  unendliche  wachsenden  Graden  der  Voll- 
kommenheit des  Denkungsvermögens,  zu  erfüllen  und 
sich,  gleichsam  nach  und  nach,  dem  Ziele  der  höchsten 
Trefflichkeit,  nämlich  der  Gottheit  zu  näheren,  ohne 
es  doch  jemals  erreichen  zu  können. 


Achtes  Hauptstück. 

20  Allgemeiner  Beweis  von  der  Richtigiceit  einer  mechanischen 
Lehrverfassung    der   Einrichtung    des   Weltbaues    überhaupt, 
insonderheit  von  der  Gewißheit  der  gegenwärtigen. 

Man  kann  das  Weltgebäude  nicht  ansehen,  ohne 
die  trefflichste  Anordnung  in  seiner  a)  Einrichtung  und 
die  sicheren  Merkmale  der  Hand  Gottes  in  der  Voll- 
kommenheit ihrer  b)  Beziehungen  zu  kennen.  Die  Ver- 
nunft, nachdem  sie  so  viel  Schönheit,  so  viel  Treff- 
lichkeit erwogen  und  bewundert  hat,  entrüstet  sich 
mit  Recht  über  die  kühne  Torheit,  welche  sich  unter- 
30  stehen  darf,  alles  dieses  dem  Zufalle  und  einem  glück- 
lichen Ohngefähr  zuzuschreiben.  Es  muß  die  höchste 
Weisheit  den  Entwurf  gemacht  und  eine  unendliche 
Macht  selbigen  c)  ausgeführet  haben,  sonst  wäre  es  un- 


a)  „ihrer"  A.  korr.  Akad.  Ausg. 

b)  „seiner"  Ak.  Ausg. 

c)  „selbige"  A. 


n.  Teil.    8.  Hauptst.    Beweis  d.  Richtigkeit  etc.       145 

möglich,  so  viele  in  einem  Zweck  zusammenkommende 
Absichten  in  der  Verfassung  des  Weltgebäudes  an- 
zutreffen. Es  kommt  nur  noch  darauf  an,  zu  ent- 
scheiden, ob  der  Entwurf  der  Einrichtung  des  Uni- 
versi  von  dem  höchsten  Verstände  schon  in  die  wesent- 
liche Bestimmungen  der  ewigen  Naturen  gelegt  und 
in  die  allgemeine  Bewegungsgesetze  gepflanzet  sei,  um 
sich  aus  ihnen,  auf  eine  der  vollkommensten  Ordnung 
anständige  Art,  ungezwungen  zu  entwickeln;  oder  ob 
die  allgemeine  Eigenschaften  der  Bestandteile  der  Welt  10 
die  völlige  Unfähigkeit  zur  Übereinstimmung  und  nicht 
die  geringste  Beziehung  zur  Verbindung  haben,  und 
durchaus  einer  fremden  Hand  bedurft  haben,  um  die- 
jenige Einschränkung  und  Zusammenfügung  zu  über- 
kommen, welche  Vollkommenheit  und  Schönheit  an 
sich  blicken  läßt.  Ein  fast  allgemeines  Vorurteil  hat 
die  meisten  Weltweisen  gegen  die  Fähigkeit  der  Natur, 
etwas  Ordentliches  durch  ihre  allgemeine  Gesetze 
hervorzubringen,  eingenommen,  gleich  als  wenn  es 
Gott  die  Regierung  der  Welt  streitig  machen  hieße,  20 
wenn  man  die  ursprüngliche  Bildungen  in  den  Natur- 
kräften suchet,  und  als  wenn  diese  ein  von  der  Gott- 
heit unabhängiges  Prinzipium  und  ein  ewiges  blindes 
Schicksal  wären  a). 

Wenn  man  aber  erwäget,  daß  die  Natur  und  die 
ewigen  Gesetze,  welche  den  Substanzen  zu  ihrer 
Wechselwirkung  vorgeschrieben  sein,  kein  selbstän- 
diges und  ohne  Gott  notwendiges  Prinzipium  sei,  daß 
eben  dadurch,  weil  sie  so  viel  Übereinstimmung  und 
Ordnung  in  demjenigen  zeiget,  was  sie  durch  allge-  30 
meine  Gesetze  hervorbringet,  zu  ersehen  ist,  daß  die 
Wesen  aller  Dinge  in  einem  gewissen  Grundwesen 
ihren  gemeinschaftlichen  Ursprung  haben  müssen,  und 
daß  sie  darum  lauter  gewechselte  Beziehungen  und 
lauter  Harmonie  zeigen,  weil  ihre  Eigenschaften  in 
einem  einzigen  höchsten  Verstände  ihre  Quelle  haben, 
dessen  weise  Idee  sie  in  durchgängigen  Beziehungen 
entworfen,  und  ihnen  diejenige  Fähigkeit  eingepflanzet 
hat,  dadurch  sie  lauter  Schönheit,  lauter  Ordnung,  in 
dem  ihnen  selbst  gelassenen  Zustande  ihrer  Wirksam-  40 


a)  „wäre"  A. 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     I.  \Q 


146      Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

keit,  hervorbringen;  wenn  man,  sage  ich,  dieses  er- 
wäget, so  wird  die  Natur  uns  würdiger,  als  sie  ge- 
meiniglich angesehen  wird,  erscheinen,  und  man  wird 
von  ihren  Auswickelungen  nichts  als  Übereinstimmung, 
nichts  als  Ordnung  erwarten.  Wenn  man  hingegen 
einem  ungegründeten  Vorurteile  Platz  lasset,  daß  die 
allgemeine  Naturgesetze  an  und  vor  sich  selber  nichts 
als  Unordnung  zuwege  bringen,  und  aller  Überein- 
stimmung zum  Nutzena),  welche  bei  der  Verfassung 

10  der  Natur  hervorleuchtet,  die  unmittelbare  Hand  Gottes 
anzeiget;  so  wird  man  genötiget,  die  ganze  Natur  in 
Wunder  zu  verkehren.  Man  wird  den  schönen  far- 
bichten  Bogen,  der  in  den  Regentropfen  erscheinet, 
wenn  dieselben  die  Farben  des  Sonnenlichts  absondern, 
wegen  seiner  Schönheit,  den  Regen  wegen  seines 
Nutzens,  die  Winde  wegen  der  unentbehrlichen  Vor- 
teile, die  sie  in  unendlichen  Arten  der  menschlichen 
Bedürfnisse  leisten,  kurz,  alle  Veränderungen  der  Welt, 
welche  Wohlanständigkeit  und  Ordnung  mit  sich  führen, 

20  nicht  aus  den  eingepflanzten  Kräften  der  Materie  her- 
leiten sollen.  Das  Beginnen  der  Naturforscher,  die 
sich  mit  einer  solchen  Weltweisheit  abgegeben  haben, 
wird  vor  dem  Richterstuhle  der  Religion  eine  feier- 
liche Abbitte  tun  müssen.  Es  wird  in  der  Tat  alsdenn 
keine  Natur  mehr  sein;  es  wird  nur  ein  Gott  in  der 
Maschine  die  Veränderungen  der  Welt  hervorbringen. 
Aber  was  wird  denn  dieses  seltsame  Mittel,  die  Ge- 
wißheit des  höchsten  Wesens  aus  der  wesentlichen 
Unfähigkeit  der  Natur  zu  beweisen,  vor  eine  Wirkung 

30  zur  Überführung  des  Epikurers  tun?  Wenn  die  Na- 
turen der  Dinge,  durch  die  ewigen  Gesetze  ihrer 
Wesen  nichts  als  Unordnung  und  Ungereimtheit  zu- 
wege bringen,  so  werden  sie  eben  dadurch  den  Cha- 
rakter ihrer  Unabhängigkeit  von  Gott  beweisen;  und 
was  vor  einen  Begriff  wird  man  sich  von  einer  Gott- 
heit machen  können,  welcher  die  allgemeinen  Natur- 
gesetze nur  durch  eine  Art  von  Zwange  gehorchen, 
und  an  und  vor  sich  dessen  weisesten  Entwürfen  wider- 
streiten?   Wird  der  Feind  der  Vorsehung  nicht  eben 

40  so  viel  Siege  über  diese  falschen  Grundsätze  davon- 


a)  Hartenstein,  Kelirbach,  Kirchm.  „zum  Trotze". 


II,  Teil.    8.  Hauptst.    Beweis  d.  Richtigkeit  etc.       147 

tragen,  als  er  Übereinstimmungen  aufweisen  kann, 
welche  die  allgemeinen  Wirkungsgesetze  der  Natur 
ohne  alle  besondere  Einschränkungen  hervorbringen? 
und  wird  es  ihm  wohl  an  solchen  Beispielen  fehlen 
können?  Dagegen  lasset  uns  mit  größerer  Anständig- 
keit und  Richtigkeit  also  schließen:  die  Natur,  ihren 
allgemeinen  Eigenschaften  überlassen,  ist  an  lauter 
schönen  und  vollkommenen  Früchten  fruchtbar,  welche 
nicht  allein  an  sich  Übereinstimmung  und  Trefflichkeit 
zeigen,  sondern  auch  mit  dem  ganzen  Umfange  ihrer  10 
Wesen,  mit  dem  Nutzen  der  Menschen  und  der  .Ver- 
herrlichung der  göttlichen  Eigenschaften  wohl  har- 
monieren. Hieraus  folget,  daß  ihre  wesentlichen 
Eigenschaften  keine  unabhängige  Notwendigkeit  haben 
können;  sondern  daß  sie  ihren  Ursprung  in  einem 
einzigen  Verstände,  als  dem  Grunde  und  der  Quelle 
aller  Wesen  haben  müssen,  in  welchem  sie  unter  ge- 
meinschaftlichen Beziehungen  entworfen  sind.  Alles 
was  sich  aufeinander  zu  einer  gewechselten  Harmonie 
beziehet,  muß  in  einem  einzigen  Wesen,  von  welchem  20 
es  insgesamt  abhänget,  untereinander  verbunden  wer- 
den. Also  ist  ein  Wesen  aller  Wesen,  ein  unendlicher 
Verstand  und  selbständige  Weisheit  vorhanden,  daraus 
die  Natur,  auch  sogar  ihrer  Möglichkeit  nach,  in  dem 
ganzen  Inbegriffe  der  Bestimmungen  ihren  Ursprung 
ziehet.  Nunmehro  darf  man  die  Fähigkeit  der  Natur, 
als  dem  Dasein  eines  höchsten  Wesens  nachteilig,  nicht 
bestreiten;  je  vollkommener  sie  in  ihren  Entwickelungen 
ist,  je  besser  ihre  allgemeinen  Gesetze  zur  Ordnung 
und  Übereinstimmung  führen,  ein  desto  sicherer  Be-  30 
weistum  der  Gottheit  ist  sie,  von  welcher  sie  diese  Ver- 
hältnisse entlehnet.  Ihre  Hervorbringungen  sind  nicht 
mehr  Wirkungen  des  Ohngefährs  und  Folgen  des  Zu- 
falls; es  fließet  alles  nach  unwandelbaren  Gesetzen 
von  ihr  ab,  welche  darum  lauter  Geschicktes  dar- 
stellen müssen,  weil  sie  lauter  Züge  aus  dem  aller- 
weisesten  Entwürfe  sein,  aus  dem  die  Unordnung 
verbannet  ist.  Nicht  der  ohngefähre  Zusammenlauf 
der  Atomen  des  Lucrez  hat  die  Welt  gebildet;  ein- 
gepflanzte Kräfte  und  Gesetze,  die  den  weisesten  40 
Verstand  zur  Quelle  haben,  sind  ein  unwandelbarer 
Ursprung  derjenigen  Ordnung  gewesen,  die  aus  ihnen 

10* 


148     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

nicht   von    ohngefähr,    sondern   notwendig    abfließen 
mußte. 

Wenn  man  sich  also  eines  alten  ungegründeten 
Vorurteils  und  der  faulen  Weltweisheit  entschlagen 
kann,  die  unter  einer  andächtigen  Miene  eine  träge 
Unwissenheit  zu  verbergen  trachtet,  so  hoffe  ich  auf 
unwidersprechliche  Gründe  eine  sichere  Überzeugung 
zu  gründen:  daß  die  Welt  eine  mechanische  Ent- 
wickelung  aus  den  allgemeinen  Naturgesetzen 

10  zum  Ursprünge  ihrer  Verfassung  erkenne;  und 
daß  zweitens  die  Art  der  mechanischen  Erzeu- 
gung, die  wir  vorgestellet  haben,  die  wahre 
sei.  Wenn  man  beurteilen  will,  ob  die  Natur  genüg- 
same Fähigkeiten  habe,  durch  eine  mechanische  Folge 
ihrer  Bewegungsgesetze  die  Anordnung  des  Weltbaues 
zuwege  zu  bringen,  so  muß  man  vorhero  erwägen,  wie 
einfach  die  Bewegungen  sein,  welche  die  Weltkörper 
beobachten,  und  daß  sie  nichts  an  sich  haben,  was 
eine  genauere  Bestimmung  erforderte,  als  es  die  all- 

20  gemeinen  Regeln  der  Naturkräfte  mit  sich  führen.  Die 
Umlaufsbewegungen  bestehen  aus  der  Verbindung  der 
sinkenden  Kraft,  die  eine  gewisse  Folge  aus  den  Eigen- 
schaften der  Materie  ist,  und  aus  der  schießenden 
Bewegung,  die  als  die  Wirkung  der  ersteren,  als  eine 
durch  das  Herabsinken  erlangte  Geschwindigkeit  kann 
angesehen  werden,  in  der  nur  eine  gewisse  Ursache 
nötig  gewesen,  den  senkrechten  Fall  seitwärts  abzu- 
beugen.  Nach  einmal  erlangter  Bestimmung  dieser 
Bewegungen  ist  nichts   ferner  nötig,   sie  auf  immer 

30  zu  erhalten.  Sie  bestehen  in  dem  leeren  Räume,  durch 
die  Verbindung  der  einmal  eingedrückten  schießenden 
Kraft,  mit  der  aus  den  wesentlichen  Naturkräften 
fließenden  Attraktion,  und  leiden  weiterhin  keine 
Veränderung.  Allein  die  Analogien,  in  der  Überein- 
stimmung dieser  Bewegungen,  bezeigen  die  Wirklich- 
keit eines  mechanischen  Ursprunges  so  deutlich,  daß 
man  daran  keinen  Zweifel  tragen  kann.    Denn 

1.  haben  diese  Bewegungen  eine  durchgehends  über- 
einstimmende Richtung,  daß  von  sechs  Hauptplaneten, 

40  von  10  Trabanten,  sowohl  in  ihrer  fortrückenden  Be- 
wegung, als  in  ihren  Umdrehungen  um  die  Achse, 
nicht  ein   einziger  ist,  der  nach  einer  andern  Seite, 


II.  Teil.    8.  Hauptst.    Beweis  d.  Richtigkeit  etc.       149 

als  von  Abend  gegen  Morgen  sich  bewegete.  Diese 
Richtungen  sind  überdem  so  genau  zusammentreffend, 
daß  sie  nur  wenig  von  einer  gemeinschaftlichen  Fläche 
abweichen,  und  diese  Fläche,  auf  welche  sich  alles 
beziehet,  ist  die  Äquatorsfläche  des  Körpers,  der  in 
dem  Mittelpunkte  des  ganzen  Systems  sich  nach  eben 
derselben  Gegend  um  die  Achse  drehet,  und  der  durch 
seine  vorzügliche  Attraktion  der  Beziehungspunkt  aller 
Bewegungen  gev/orden,  und  folglich  an  denenselben 
so  genau  als  möglich  hat  teilnehmen  müssen.  Ein  10 
Beweis,  daß  die  gesamte  Bewegungen  auf  eine,  den 
allgemeinen  Naturgesetzen  gemäße  mechanische  Art 
entstanden  und  bestimmet  worden,  und  daß  die  Ur- 
sache, welche  entweder  die  Seitenbewegungen  ein- 
drückte oder  richtete,  den  ganzen  Raum  des  Planeten- 
gebäudes beherrschet  hat,  und  darin  den  Gesetzen 
gehorchet,  welche  die  in  einem  gemeinschaftlich  be- 
wegten Räume  befindliche  Materie  beobachtet,  daß  alle 
verschiedene  Bewegungen  zuletzt  eine  einzige  Richtung 
annehmen  und  sich  insgesamt  so  genau  als  möglich  20 
auf  eine  einzige  Fläche  beziehend  machen. 

2.  Sind  die  Geschwindigkeiten  so  beschaffen,  als  sie 
es  in  einem  Räume  sein  müssen,  da  die  bewegende 
Kraft  in  dem  Mittelpunkte  ist,  nämlich  sie  nehmen  in 
beständigen  Graden  mit  den  Entfernungen  von  diesem 
ab,  und  verlieren  sich  in  der  größesten  Weite  in  eine 
gänzliche  Mattigkeit  der  Bewegung,  welche  den  senk- 
rechten Fall  nur  sehr  wenig  seitwärts  beuget.  Vom 
Merkur  an,  welcher  die  größte  Schwungskraft  hat, 
siebet  man  diese  stufenweise  sich  vermindern,  und  in  30 
dem  äußersten  Kometen  so  gering  sein,  als  sie  es  sein 
kann,  um  nicht  gerade  in  die  Sonne  zu  fallen.  Man 
kann  nicht  einwenden,  daß  die  Regeln  der  Zentral- 
bewegungen in  Zirkelkreisen  es  so  erheischen,  daß, 
je  näher  zum  Mittelpunkte  der  allgemeinen  Senkung, 
desto  größer  die  Umschwungsgeschwindigkeit  sein 
müsse;  denn  woher  müssen  eben  die  diesem  Zentro 
nahen  Himmelskörper  zirkelförmichte  Kreise  haben? 
woher  sind  nicht  die  nächsten  sehr  exzentrisch,  und 
die  entfernteren  in  Zirkeln  umlaufend?  oder  vielmehr,  40 
da  sie  alle  von  dieser  abgemessenen  geometrischen 
Genauheit  abweichen,  warum  nimmt  diese  Abweichung 


150     Allgemeine  NaturgescMclite  und  Theorie  des  Himmels. 

mit  den  Entfernungen  zu?  Bezeichnen  diese  Verhält- 
nisse nicht  den  Punkt,  zu  dem  alle  Bewegung  ursprüng- 
lich sich  gedränget,  und  nach  dem  Maße  der  Nahheit 
auch  größere  Grade  erlanget  hat,  bevor  andere  Be- 
stimmungen ihre  Richtungen  in  die  gegenwärtige  ver- 
ändert haben? 

Will  man  nun  aber  die  Verfassung  des  Weltbaues 
und  den  Ursprung  der  Bewegungen  von  den  allge- 
meinen   Naturgesetzen    ausnehmen,    um   sie    der    un- 

10  mittelbaren a)  Hand  Gottes  zuzuschreiben,  so  wird  man 
alsbald  inne,  daß  die  angeführte  Analogien  einen 
solchen  Begriff  offenbar  widerlegen.  Denn  was  erst- 
lich die  durchgängige  Übereinstimmung  in  der  Rich- 
tung betrifft,  so  ist  offenbar,  daß  hier  kein  Grund 
sei,  woher  die  Weltkörper  gerade  nach  einer  einzigen 
Gegend  ihre  Umläufe  anstellen  müßten,  wenn  der 
Mechanismus  ihrer  Erzeugung  sie  nicht  dahin  be- 
stimmet hätte.  Denn  der  Raum,  in  dem  sie  laufen, 
ist  unendlich  wenig  widerstehend  und  schränket  ihre 

20  Bewegungen  so  wenig  nach  der  einen  Seite,  als  nach 
der  andern  ein;  also  würde  die  Wahl  Gottes  ohne 
den  geringsten  Bewegungsgrund  sich  nicht  an  eine 
einzige  Bestimmung  binden,  sondern  sich  mit  mehrerer 
Freiheit  in  allerlei  Abwechselungen  und  Verschieden- 
heit zeigen.  Noch  mehr:  warum  sind  die  Kreise  der 
Planeten  so  genau  auf  eine  gemeinschaftliche  Fläche 
beziehend,  nämlich  auf  die  Äquatorsfläche  desjenigen 
großen  Körpers,  der  in  dem  Mittelpunkte  aller  Be- 
wegung ihre  Umläufe  regieret?    Diese  Analogie,  an- 

30  statt  einen  Bewegungsgrund  der  Wohlanständigkeit  an 
sich  zu  zeigen,  ist  vielmehr  die  Ursache  einer  gewissen 
Verwirrung,  welche  durch  eine  freie  Abweichung  der 
Planetenkreise  würde  gehoben  werden;  denn  die  An- 
ziehungen der  Planeten  stören  anjetzo  gewissermaßen 
die  Gleichförmigkeit  ihrer  Bewegungen,  und  würden 
einander  gar  nicht  hinderlich  sein,  wenn  sie  sich  nicht 
so  genau  auf  eine  gemeinschaftliche  Fläche  bezögen. 
Noch  mehr  als  alle  diese  Analogien  zeiget  sich 
das    deutlichste    Merkmal    von    der    Hand   der    Natur 

40  an  dem  Mangel  der  genauesten  Bestimmung  in  den- 


a)  „mittelbaren"  A.  kon-.  Hartenstein. 


II.  Teil.    8.  Hauptst.    Beweis  d.  Richtigkeit  etc.       151 

jenigen  Verhältnissen,  die  sie  zu  erreichen  bestrebt 
'  gewesen.  Wenn  es  am  besten  wäre,  daß  die  Planeten- 
kreise beinahe  auf  eine  gemeinschaftliche  Fläche  ge- 
stellet wären,  warum  sind  sie  es  nicht  ganz  genau? 
und  warum  ist  ein  Teil  derjenigen  Abweichung  übrig- 
geblieben, welche  hat  vermieden  werden  sollen?  Wenn 
darum  die  der  Laufbahne  der  Sonne  nahen  Planeten 
die  der  Attraktion  das  Gleichgewicht  haltende  Größe 
der  Schwungskraft  empfangen  haben,  warum  fehlet 
noch  etwas  an  dieser  völligen  Gleichheit?  und  wo-  lO 
her  sind  ihre  Umläufe  nicht  vollkommen  zirkelrund, 
wenn  bloß  die  weiseste  Absicht,  durch  das  größte 
Vermögen  unterstützet,  diese  Bestimmung  hervorzu- 
bringen getrachtet  hat?  Ist  es  nicht  klar  einzusehen, 
daß  diejenige  Ursache,  welche  die  Laufbahnen  der 
Himmelskörper  gestellet  hat,  indem  sie  selbige  auf 
eine  gemeinschaftliche  Fläche  zu  bringen  bestrebt  ge- 
wesen, es  nicht  völlig  hat  ausrichten  können;  in- 
gleichen, daß  die  Kraft,  welche  den  Himmelsraum 
beherrschete,  als  alle  Materie,  die  nunmehro  in  Kugeln  20 
gebildet  ist,  ihre  Umschwungsgeschwindigkeiten  er- 
hielt, sie  zwar  nahe  beim  Mittelpunkte  in  ein  Gleich- 
gewicht mit  der  senkenden  Gewalt  zu  bringen  ge- 
trachtet hat,  aber  die  völlige  Genauheit  nicht  hat 
erreichen  können?  Ist  nicht  das  gewöhnliche  Ver- 
fahren der  Natur  hieran  zu  erkennen,  welches,  durch 
die  Dazwischenkunft  der  verschiedenen  Mitwirkungen, 
allemal  von  der  ganz  abgemessenen  Bestimmung  ab- 
weichend gemacht  wird?  und  wird  man  wohl  lediglich 
in  den  Endzwecken  des  unmittelbar  so  gebietenden  30 
höchsten  Willens  die  Gründe  dieser  Beschaffenheit 
finden?  Man  kann,  ohne  eine  Hartnäckigkeit  zu  be- 
zeigen, nicht  in  Abrede  sein,  daß  die  gepriesene  Er- 
klärungsart, von  den  Natureigenschaften,  durch  An- 
führung ihres  Nutzens  Grund  anzugeben,  hier  nicht 
die  verhoffte  Probe  halte.  Es  war  gewiß  in  Ansehung 
des  Nutzens  der  Welt  ganz  gleichgültig,  ob  die  Pla- 
netenkreise völlig  zirkelrund  oder  ob  sie  ein  wenig 
exzentrisch  wären;  ob  sie  mit  der  Fläche  ihrer  all- 
gemeinen Beziehung  völlig  zusammentreffen  oder  noch  40 
etwas  davon  abweichen  sollten;  vielmehr,  wenn  es  ja 
nötig  war,  in  dieser  Art  von  Übereinstimmungen  be- 


152     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

schränkt  zu  sein,  so  war  es  am  besten,  sie  völlig  an 
sich  zua)  haben.  Wenn  es  wahr  ist,  was  der  Philosoph 
sagte:  daß  Gott  beständig  die  Geometrie  ausübet,  wenn 
dieses  auch  in  den  Wegen  der  allgemeinen  Natur- 
gesetze hervorleuchtet,  so  würde  gewiß  diese  Regel 
bei  den  unmittelbaren  Werken  des  allmächtigen  Wor- 
tes b)  vollkommen  zu  spüren  sein,  und  diese  würden 
alle  Vollkommenheit  der  geometrischen  Genauheit  an 
sich   zeigen.    Die  Kometen  gehören  mit  unter  diese 

10  Mängel  der  Natur.  Man  kann  nicht  leugnen,  daß  in 
Ansehung  ihres  Laufes  und  der  Veränderungen,  die 
sie  dadurch  erleiden,  sie  als  unvollkommene  Glieder 
der  Schöpfung  anzusehen  sein,  welche  weder  dienen 
können,  vernünftigen  Wesen  bequeme  Wohnplätze  ab- 
zugeben, noch  dem  Besten  des  ganzen  Systems  da- 
durch nützlich  zu  werden,  daß  sie,  wie  man  vermutet 
hat,  der  Sonne  dereinst  zur  Nahrung  dieneten;  denn 
es  ist  gewiß,  daß  die  meisten  derselben  diesen  Zweck 
nicht  eher,  als  bei  dem  Umstürze  des  ganzen  planeti- 

20  sehen  Gebäudes  erreichen  würden.  In  dem  Lehrbegriffe 
von  der  unmittelbaren  höchsten  Anordnung  der  Welt, 
ohne  eine  natürliche  Ent^vickelung  aus  allgemeinen 
Naturgesetzen,  würde  eine  solche  Anmerkung  anstößig 
sein,  oh  sie  gleich  gewiß  ist.  Allein  in  einer  mecha- 
nischen Erklärungsart  verherrlichet  sich  dadurch  die 
Schönheit  der  Welt  und  die  Offenbarung  der  Allmacht 
nicht  wenig.  Die  Natur,  indem  sie  alle  mögliche 
Stufen  der  Mannigfaltigkeit  in  sich  fasset,  erstrecket 
ihren  Umfang  über  alle  Gattungen  von  der  Vollkommen- 

30  heit  bis  zum  Nichts,  und  die  Mängel  selber  sind  ein 
Zeichen  des  Überflusses,  an  welchem  ihr  Inbegriff 
unerschöpft  ist. 

Es  ist  zu  glauben,  daß  die  angeführten  Analogien 
so  viel  über  das  Vorurteil  vermögen  würden,  den 
mechanischen  Ursprung  des  Weltgebäudes  annehmungs- 
würdig  zu  machen,  wenn  nicht  noch  gewisse  Gründe, 
die  aus  der  Natur  der  Sache  selber  hergenommen 
sind,  dieser  Lehrverfassung  gänzlich  zu  widersprechen 
schienen.   Der  Himmelsraum  ist,  wie  schon  mehrmalen 


a)  „an  sich  haben"  A.  korr.  in  der  Ausg.  v.   1797. 

b)  „Willens"  Ak.  Ausg.  Rahts. 


II.  Teil.    8.  Hauptst.    Beweis  d.  Richtigkeit  etc.       153 

gedacht,  leer,  oder  wenigstens  mit  unendlich  dünner 
Materie  angefüllet,  welche  folglich  kein  Mittel  hat  ab- 
geben können,  denen  Himmelskörpern  gemeinschaft- 
liche Bewegungen  einzudrücken.  Diese  Schwierigkeit 
ist  so  bedeutend  und  gültig,  daß  Newton,  welcher 
Ursache  hatte,  den  Einsichten  seiner  Weltweisheit  so 
viel  als  irgendein  Sterblicher  zu  vertrauen,  sich  ge- 
nötiget sähe,  allhier  die  Hoffnung  aufzugeben,  die  Ein- 
drückung der  den  Planeten  beiwohnenden  Schwungs- 
kräfte, ohnerachtet  aller  Übereinstimmung,  welche  auf  10 
einen  mechanischen  Ursprung  zeigete,  durch  die  Ge- 
setze der  Natur  und  die  Kräfte  der  Materie  aufzulösen. 
Ob  es  gleich  vor  einen  Philosophen  eine  betrübte  Ent- 
schließung ist,  bei  einer  zusammengesetzten  und  noch 
weit  von  den  einfachen  Grundgesetzen  entferneten  Be- 
schaffenheit, die  Bemühung  der  Untersuchung  aufzu- 
geben, und  sich  mit  der  Anführung  des  unmittelbaren 
Willens  Gottes  zu  begnügen;  so  erkannte  doch  New- 
ton hier  die  Grenzscheidung,  welche  die  Natur  und 
den  Finger  Gottes,  den  Lauf  der  eingeführten  Gesetze  20 
der  ersteren  und  den  Wink  des  letzteren  voneinander 
scheidet.  Nach  eines  so  großen  Weltweisen  Verzweif- 
lung scheinet  es  eine  Vermessenheit  zu  sein,  noch 
einen  glücklichen  Fortgang  in  einer  Sache  von  solcher 
Schwierigkeit  zu  hoffen. 

Allein  ebendieselbe  Schwierigkeit,  welche  dem 
Newton  die  Hoffnung  benahm,  die  denen  Himmels- 
körpern erteilte  Schwungskräfte,  deren  Richtung  und 
Bestimmungen  das  Systematische  des  Weltbaues  aus- 
machet, aus  denen  Kräften  der  Natur  zu  begreifen,  30 
ist  die  Quelle  der  Lehrverfassung  gewesen,  die  wir 
in  den  vorigen  Hauptstücken  vorgetragen  haben.  Sie 
gründet  einen  mechanischen  Lehrbegriff,  aber  einen 
solchen,  der  weit  von  demjenigen  entfernet  ist,  welchen 
Newton  unzulänglich  befand,  und  um  dessen  willen 
er  alle  Unterursachen  verwarf,  weil  er  (wenn  ich  es 
mir  unterstehen  darf,  zu  sagen)  darin  irrete,  daß  er 
ihn  vor  den  einzigen  unter  allen  möglichen  seiner  Art 
hielte.  Es  ist  ganz  leicht  und  natürlich,  selbst  ver- 
mittelst der  Schwierigkeit  des  Newton,  durch  eine  40 
kurze  und  gründliche  Schlußfolge  auf  die  Gewißheit 
derjenigen  mechanischen   Erklärungsart   zu  kommen, 


154     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

die  wir  in  dieser  Abhandlung  entworfen  haben.  Wenn 
man  voraussetzet  (wie  man  denn  nicht  umhin  kann,  es 
zu  bekennen),  daß  die  obigen  Analogien  es  mit 
größester  Gewißheit  festsetzen,  daß  die  harmonieren- 
den und  sich  aufeinander  ordentlich  beziehenden  Be- 
wegungen und  Kreise  der  Himmelskörper  eine  natür- 
liche Ursache  als  ihren  Ursprung  anzeigen;  so  kann 
diese  doch  nicht  dieselbe  Materie  sein,  welche  an- 
jetzt  den  Himmelsraum  erfüllet.    Also  muß  diejenige, 

10  welche  ehedem  diese  Räume  erfüllete,  und  deren  Be- 
wegung der  Grund  von  den  gegenwärtigen  Umläufen 
der  Himmelskörper  gewesen  ist,  nachdem  sie  sich  auf 
diese  Kugeln  versammlet  und  dadurch  die  Räume  ge- 
reiniget hat,  die  man  anjetzt  leer  siehet,  oder,  welches 
unmittelbar  hieraus  herfließet,  die  Materien a)  selber, 
daraus  die  Planeten,  die  Kometen,  ja  die  Sonne  be- 
stehen, müssen  anfänglich  in  dem  Räume  des  plane- 
tischen Systems  ausgebreitet  gewesen  sein,  und  in 
diesem  Zustande  sich  in  Bewegungen  versetzet  haben, 

20  welche  sie  behalten  haben,  als  sie  sich  in  besondere 
Klumpen  vereinigten  und  die  Himmelskörper  bildeten, 
welche  alle  den  ehemals  zerstreueten  Stoff  der  Welt- 
materie in  sich  fassen.  Man  ist  hiebei  nicht  lange  in  Ver- 
legenheit, das  Triebwerk  zu  entdecken,  welches  diesen 
Stoff  der  sich  bildenden  Natur  in  Bewegung  gesetzt 
haben  möge.  Der  Antrieb  selber,  der  die  Vereinigung 
der  Massen  zuwege  brachte,  die  Kraft  der  Anziehung, 
welche  der  Materie  wesentlich  'beiwohnet,  und  sich 
daher  bei  der  ersten  Regung  der  Natur,  zur  ersten 

30  Ursache  der  Bewegung  so  wohl  schicket,  war  die 
Quelle  derselben.  Die  Richtung,  welche  bei  dieser 
Kraft  immer  gerade  zum  Mittelpunkte  hinzielet,  macht 
allhier  keine  Bedenken;  denn  es  ist  gewiß,  daß  der 
feine  Stoff  zerstreueter  Elemente  in  der  senkrechten 
Bewegung,  sowohl  durch  die  Mannigfaltigkeit  der 
Attraktionspunkte,  als  durch  die  Hindernis,  die  ein- 
ander ihre  durchkreuzende  Richtungslinien  leisten,  hat 
in  verschiedene  Seitenbewegungen  ausschlagen  müssen, 
bei  denen   das  gewisse  Naturgesetz,   welches  macht, 

40  daß  alle   einander   durch   gewechselte   Wirkung   ein- 


a)  „die  Materie"  A.  korr.  Hartenstein. 


II,  Teil.    8.  Hauptst.    Beweis  d.  Richtigkeit  etc.       155 

schränkende  Materie  sich  zuletzt  auf  einen  solchen 
Zustand  bringet,  da  eine  der  andern  so  wenig  Ver- 
änderung, als  möglich,  mehr  zuziehet,  sowohl  die  Ein- 
förmigkeit der  Richtung,  als  auch  die  gehörigen  Grade 
der  Geschwindigkeiten  hervorgebracht  hat,  die  in  jedem 
Abstände  nach  der  Zentralkraft  abgewogen  sein  und 
durch  deren  Verbindung  a)  weder  über  noch  unter 
sich  auszuschweifen  trachten;  da  alle  Elemente  also 
nicht  allein  nach  einer  Seite,  sondern  auch  beinahe 
in  parallelen  und  freien  Zirkeln  um  den  gemeinschaft-  10 
liehen  Senkungspunkt  in  dem  dünnen  Himmelsraume 
umlaufend  gemacht  worden.  Diese  Bewegungen  der 
Teile  mußten  hernach  fortdauren,  als  sich  plane- 
tische Kugeln  daraus  gebildet  hatten,  und  bestehen 
anjetzt,  durch  die  Verbindung  des  einmal  eingepflanz- 
ten Schwunges  mit  der  Zentralkraft,  in  unbeschränkte 
künftige  Zeiten.  Auf  diesem  so  begreiflichen b) 
Grunde  beruhen  die  Einförmigkeit  der  Richtungen  in 
den  Planetenkreisen,  die  genaue  Beziehung  auf  eine 
gemeinschaftliche  Fläche,  die  Mäßigung  der  Schwungs-  20 
kräfte  nach  der  Attraktion  des  Ortes,  die  mit  den 
Entfernungen  abnehmende  Genauheit  dieser  Analogien 
und  die  freie  Abweichung  der  äußersten  Himmels- 
körper nach  beiden  Seiten  sowohl,  als  nach  ent- 
gegengesetzter Richtung.  Wenn  diese  Zeichen  der 
gewechselten  Abhängigkeit  in  denen  Bestimmungen 
der  Erzeugung  auf  eine,  durch  den  ganzen  Raum 
verbreitete,  ursprünglich  bewegte  Materie  mit  offen- 
barer Gewißheit  zeigen,  so  beweiset  der  gänzliche 
Mangel  aller  Materien  in  diesem  nunmehro  leeren  30 
Himmelsraume,  außer  derjenigen,  woraus  die  Körper 
der  Planeten,  der  Sonne  und  der  Kometen  zusammen- 
gesetzt sein,  daß  diese  selber  im  Anfange  in  diesem 
Zustande  .der  Ausbreitung  müsse  gewesen  sein.  Die 
Leichtigkeit  und  Richtigkeit,  mit  welcher  aus  diesem 
angenommenen  Grundsatze  alle  Phänomena  des  Welt- 
baues in  den  vorigen  Hauptstücken  hergeleitet  worden, 
ist  eine  Vollendung  solcher  Mutmaßung  und  gibt  ihr 
einen  Wert,  der  nicht  mehr  willkürlich  ist. 


a)  „die  Elemente"  Rahts  Ak.  Ausg. 

b)  „unbegreiflichen"  A.  korr.  Hartenstein. 


1 56      Allgemeine  Naturgescbiclite  und  Theorie  des  Himmels. 

Die  Gewißheit  einer  mechanischen  Lehrverfassung 
von  dem  Ursprünge  des  Weltgebäudes,  vornehmlich 
des  unsrigen,  wird  auf  den  höchsten  Gipfel  der 
Überzeugung  erhoben,  wenn  man  die  Bildung  der 
Himmelskörper  selber,  die  Wichtigkeita)  und  Größe 
ihrer  Massen  nach  den  Verhältnissen  erwäget,  die  sie 
in  Ansehung  ihres  Abstandes  von  dem  Mittelpunkte 
der  Gravitation  haben.  Denn  erstlich  ist  die  Dichtig- 
keit  ihres  Stoffes,   wenn   man   sie   im   Ganzen   ihres 

10  Klumpens  erwäget,  in  beständigen  Graden  mit  den 
Entfernungen  von  der  Sonne  abnehmend;  eine  Be- 
stimmung, die  so  deutlich  auf  die  mechanischen  Be- 
stimmungen der  ersten  Bildung  zielet,  daß  man  nichts 
mehr  verlangen  kann.  Sie  sind  aus  solchen  Materien 
zusammengesetzet,  deren  die  von  schwererer  Art  einen 
tiefern  Ort  zu  dem  gemeinschaftlichen  Senkungspunkte, 
die  von  leichterer  Art  aber  einen  entferneteren  Abstand 
bekommen  haben;  welche  Bedingung  in  aller  Art  der 
natürlichen  Erzeugung  notwendig  ist.    Aber  bei  einer 

20  unmittelbar  aus  dem  göttlichen  Willen  fließenden  Er- 
richtung b)  ist  nicht  der  mindeste  Grund  zu  gedachtem 
Verhältnisse  c)  anzutreffen.  Denn  ob  es  gleich  scheinen 
möchte,  daß  die  entfernteren  Kugeln  aus  leichterem 
Stoffe  bestehen  müßten,  damit  sie  von  der  geringern 
Kraft  der  Sonnenstrahlen  die  nötige  Wirkung  ver- 
spüren könnten;  so  ist  dieses  doch  nur  ein  Zweck, 
der  auf  die  Beschaffenheit  der  auf  der  Oberfläche  be- 
findlichen Materien  und  nicht  auf  die  tieferen  Sorten 
ihres  d)  inwendigen  Klumpens  zielet,  als  in  welche  die 

30  Sonnenwärme  niemals  einige  Wirkung  tut,  die  auch 
nur  dienen,  die  Attraktion  des  Planeten,  welche  die 
ihn  umgebenden  Körper  zu  ihm  sinkend  machen  soll, 
zu  bewirken,  und  daher  nicht  die  mindeste  Beziehung 
auf  die  Stärke  oder  Schwäche  der  Sonnenstrahlen 
haben  dürfen  e).  Wenn  man  daher  fraget,  woher  die 
aus  den  richtigen  Rechnungen  des  Newton  gezogene 

a)  Hartenstein,  Kebrbacb,  Kirclimann  „Dichtigkeit". 

b)  „Einrichtung"  Kirchmann  Ak.  Ausg. 

c)  „gedachten  Verhältnisse"  A.  Kehrbach,  Hartenstein: 
„gedachten  Verbältnissen". 

d)  „seines"  A. 

e)  „darf"  A.  korr.  Ak.  Ausg. 


II.  Teil.    8.  Hauptst.    Beweis  d.  Richtigkeit  etc.       157 

Dichtigkeiten  der  Erde,  des  Jupiters,  des  Saturns 
sich  gegeneinander,  wie  400,  94V2  und  64  verhalten, 
so  wäre  es  ungereimt,  die  Ursache  der  Absicht  Gottes, 
welcher  sie  nach  den  Graden  der  Sonnenwärme  ge- 
mäßiget hat,  beizumessen;  denn  da  kann  unsere  Erde 
uns  zum  Gegenbeweise  dienen,  bei  der  die  Sonne  nur 
in  eine  so  geringe  Tiefe  unter  der  Oberfläche  durch  ihre 
Strahlen  wirket,  daß  derjenige  Teil  ihres  Klumpens, 
der  dazu  einige  Beziehung  haben  muß,  bei  weitem 
nicht  den  millionsten  Teil  des  Ganzen  beträgt,  wovon  10 
das  übrige  in  Ansehung  dieser  Absicht  völlig  gleich- 
gültig ist.  Wenn  also  der  Stoff,  daraus  die  Himmels- 
körper bestehen,  ein  ordentliches  mit  den  Entfernungen 
harmonierendes  Verhältnis  gegeneinander  hat,  und  die 
Planeten  einander  anjetzt  nicht  einschränken  können, 
da  sie  nun  im  leeren  Räume  voneinander  abstehen, 
so  muß  ihre  Materie  vordem  in  einem  Zustande  ge- 
wesen sein,  da  sie  ineinander  gemeinschaftliche  Wir- 
kung tun  können,  um  sich  in  die  ihrer  spezifischen 
Schwere  proportionierte  Örter  einzuschränken,  welches  20 
nicht  anders  hat  geschehen  können,  als  daß  ihre  Teile 
vor  der  Bildung  in  dem  ganzen  Räume  des  Systems 
ausgebreitet  gewesen  und  dem  allgemeinen  Gesetze 
der  Bewegung  gemäß  Örter  gewonnen  haben,  welche 
ihrer  Dichtigkeit  gebühren. 

Das  Verhältnis  unter  der  Größe  der  planetischen 
Massen,  welches  mit  den  Entfernungen  zunimmt,  ist 
der  zweite  Grund,  der  die  mechanische  Bildung  der 
Himmelskörper,  und  vornehmlich  unsere  Theorie  von 
derselben  klärlich  beweiset.  Warum  nehmen  die  Massen  30 
der  Himmelskörper  ohngefähr  mit  den  Entfernungen 
zu?  Wenn  man  einer  der  Wahl  Gottes  alles  zu- 
schreibenden Lehrart  nachgehet,  so  könnte  keine  an- 
dere Absicht  gedacht  werden,  warum  die  entfernetern 
Planeten  größere  Massen  haben  müssen,  als  damit 
sie  durch  a)  die  vorzügliche  Stärke  ihrer  Anziehung 
in  ihrer  Sphäre  einen  oder  etliche  Monde  begreifen 
könnten,  welche  dienen  sollen,  den  Bewohnern,  welche 
vor  sie  bestimmt  sind,  den  Aufenthalt  bequemlich  zu 
machen.   Allein  dieser  Zweck  konnte  ebensowohl  durch  40 


a)  „durch"  Zusatz  der  Ausgabe  v.  1797. 


158     Allgemeine  NaturgescbicLte  uud  Theoiie  des  Himmels. 

eine  vorzügliche  Dichtigkeit  in  dem  Inwendigen  ihres 
Klumpens  erhalten  werden,  und  warum  mußte  denn 
die  aus  besonderen  Gründen  fließende  Leichtigkeit 
des  Stoffes,  welche  diesem  Verhältnis  entgegen  ist, 
bleiben  und  durch  den  Vorzug  des  Volumens  so  weit 
übertroffen  werden,  daß  dennoch  die  Masse  der  obern 
wichtiger,  als  der  untern  ihre  würde?  Wenn  man 
nicht  auf  die  Art  der  natürlichen  Erzeugung  dieser 
Körper  acht  hat,  so  wird  man  schwerlich  von  diesem 

10  Verhältnisse  Grund  geben  können;  aber  in  Betrach- 
tung derselben  ist  nichts  leichter,  als  diese  Bestimmung* 
zu  begreifen.  Als  der  Stoff  aller  Weltkörper  in  dem 
Raum  des  planetischen  Systems  noch  ausgebreitet  war, 
so  bildete  die  Anziehung  aus  diesen  Teilchen  Kugeln, 
welche  ohne  Zweifel  um  desto  größer  werden  mußten, 
je  weiter  der  Ort  ihrer  Bildungssphäre  von  demjenigen 
allgemeinen  Zentralkörper  entfernet  war,  der  aus  dem 
Mittelpunkte  des  ganzen  Raumes  durch  eine  vorzüg- 
lich mächtige  Attraktion  diese  Vereinigung,  soviel  an 

20  ihm  ist,  einschränkete  und  hinderte. 

Man  wird  die  Merkmale  dieser  Bildung  der  Himmels- 
körper aus  dem  im  Anfange  ausgebreitet  gewesenen 
Grundstoffe  mit  Vergnügen  an  der  Weite  der  Zwischen- 
räume gewahr,  die  ihre  Kreise  voneinander  scheiden, 
und  die  nach  diesem  "Begriffe  als  die  leeren  Fächer 
müssen  angesehen  werden,  aus  denen  die  Planeten  die 
Materie  zu  ihrer  Bildung  hergenommen  haben.  Man 
siehet,  wie  diese  Zwischenräume  zwischen  den  Kreisen 
ein  Verhältnis  zu  der  Größe  der  Massen  haben,  die 

30  daraus  gebildet  sein.  Die  Weite  zwischen  dem  Kreise 
des  Jupiters  und  des  Mars  ist  so  groß,  daß  der 
darin  beschlossene  Raum  die  Fläche  aller  unteren 
Planetenkreise  zusammengenommen  übertrifft;  allein 
er  ist  des  größesten  unter  allen  Planeten  würdig, 
desjenigen,  der  mehr  Masse  hat,  als  alle  übrigen  zu- 
sammen. Man  kann  diese  Entfernung  des  Jupiters 
von  dem  Mars  nicht  der  Absicht  beimessen,  daß  ihre 
Attraktionen  einander  so  wenig,  als  möglich,  hindern 
sollten.     Denn  nach  solchem  Grunde  würde  sich  der 

40  Planet  zwischen  zwei  Kreisen  allemal  demjenigena)  am 


a)  „Planeten"  Zusatz  Rahts  Ak.  Ausg. 


II.  Teil.    8.  Hauptst.    Beweis  d.  Richtigkeit  etc.       159 

iiäclisten  befinden,  dessen  mit  der  seinigen  vereinigte 
Attraktion  die  beiderseitigen  Umläufe  um  die  Sonne 
am  wenigsten  stören  kann;  folglich  demjenigen,  der 
die  kleinste  Masse  hat.  Weil  nun  nach  den  richtigen 
Rechnungen  Newtons  die  Gewalt,  womit  Jupiter  in 
den  Lauf  des  Mars  wirken  kann,  zu  derjenigen,  die 
er  in  den  Saturn  durch  die  vereinigte  Anziehung  aus- 
übet, sicha)  wie  V12512  zu  V200  verhält;  so  kann  man 
leicht  die  Rechnung  machen,  um  wieviel  Jupiter  sich 
dem  Kreise  des  Mars  näher  befinden  müßte,  als  des  10 
Saturns  seinem,  wenn  ihr  Abstand  durch  die  Absicht 
ihrer  äußerlichen  Beziehung,  und  nicht  durch  den 
Mechanismus  ihrer  Erzeugung  bestimmt  worden  wäre. 
Da  dieses  sich  nun  aber  ganz  anders  befindet;  da  ein 
planetischer  Kreis  in  Ansehung  der  zwei  Kreise,  die 
über  und  unter  ihm  sein,  sich  oft  von  demjenigen 
abstehender  befindet,  in  welchem  ein  kleinerer  Planet 
läuft,  als  dieb)  Bahn  dessen  von  größerer  Masse;  die 
Weite  des  Raumes  aber  um  den  Kreis  eines  jeden 
Planeten  allemal  ein  richtiges  Verhältnis  zu  seiner  20 
Masse  hat,  so  ist  klar,  daß  die  Art  der  Erzeugung 
diese  Verhältnisse  müsse  bestimmt  haben,  und  daß, 
weil  diese  Bestimmungen  so,  wie  die  Ursache  und  die 
Folgen  derselben,  scheinen  verbunden  zu  sein,  man 
es  wohl  am  richtigsten  treffen  wird,  wenn  m.an  die 
zwischen  den  Kreisen  begriffene  Räume  als  die  Be- 
hältnisse desjenigen  Stoffes  ansiehet,  daraus  sich  die 
Planeten  gebildet  haben;  woraus  unmittelbar  folget,  daß 
deren  Größe  dieser  ihren  Massen  proportioniert  sein 
muß,  welches  Verhältnis  aber  bei  denen  entferntem  30 
Planeten  durch  die  in  dem  ersten  Zustande  größere 
Zerstreuung  der  elementarischen  Materie  in  diesen 
Gegenden  vermehret  wird.  Daher  von  zwei  Planeten, 
die  an  Masse  einander  ziemlich  gleichkommen,  der 
entferntere  einen  größern  Bildungsraum,  d.  i.  einen 
größern  Abstand  von  den  beiden  nächsten  Kreisen 
haben  muß,  sowohl  weil  der  Stoff  daselbst  an  sich 
spezifisch  leichterer  Art,  als  auch  weil  er  zerstreuter 
war,  als  bei  dem,  so  sich  näher  zu  der  Sonne  bildete. 


a)  „sich"  Zusatz  Rosenkranz. 

b)  „von  der"  Rahts  Ak.  Ausg. 


1QQ     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Daher,  obgleich  die  Erde  zusamt  dem  Monde  der 
Venus  noch  nicht  an  körperlichem  Inhalte  gleich  zu 
sein  scheinet,  so  hat  sie  dennoch  um  sich  einen  grö- 
ßern Bildungsraum  erfordert,  weil  sie  sich  aus  einem 
mehr  zerstreuten  Stoffe  zu  bilden  hatten),  als  dieser 
untere  Planet.  Vom  Saturn  ist  aus  diesen  Gründen 
zu  vermuten,  daß  seine  Bildungssphäre  sich  auf  der 
abgelegenen  Seite  viel  weiter  wird  ausgebreitet  haben, 
als  auf  der  Seite  gegen  den  Mittelpunkt  hin  (wie  denn 

10  dieses  fast  von  allen  Planeten  gilt);  und  daher  wird 
der  Zwischenraum  zwischen  dem  Saturnuskreise  und 
der  Bahn  des  diesem  Planeten  zunächst  obern  Himmels- 
körpers, den  man  über  ihm  vermuten  kann,  viel  weiter, 
als  zwischen  ebendemselben  und  dem  Jupiter  sein. 

Also  gehet  alles  in  dem  planetischen  Weltbaue 
stufenweise,  mit  richtigen  Beziehungen  zu  der  ersten 
erzeugenden  Kraft,  die  neben  dem  Mittelpunkte  wirk- 
samer, als  in  der  Ferne  gewesen,  in  alle  unbeschränkte 
Weiten   fort.     Die   Verminderung   der   eingedrückten 

20  schießenden  Kraft,  die  Abweichung  von  der  genauesten 
Übereinstimmung  in  der  Richtung  und  der  Stellung 
der  Kreise,  die  Dichtigkeiten  der  Himmelskörper,  die 
Sparsamkeit  der  Natur  in  Absehen  auf  den  Raum 
ihrer  Bildung,  alles  vermindert  sich  stufenartig  von 
dem  Zentro  in  die  weiten  Entfernungen;  alles  zeiget, 
daß  die  erste  Ursache  an  die  mechanischen  Regeln 
der  Bewegung  gebunden  gewesen,  und  nicht  durch 
eine  freie  Wahl  gehandelt  hat. 

Allein,  was  so  deutlich,  als  irgend  sonsten  etwas, 

30  die  natürliche  Bildung  der  Himmelskugeln  aus  dem 
ursprünglich  in  dem  Räume  des  Himmels,  der  nun- 
mehro  leer  ist,  ausgebreitet  gewesenen  Grundstoffe 
anzeiget,  ist  diejenige  Übereinstimmung,  die  ich  von 
dem  Herrn  von  Buffon  entlehne,  die  aber  in  seiner 
Theorie  bei  weitem  den  Nutzen,  als  in  der  unsrigen, 
nicht  hat.  Denn  nach  seiner  Bemerkung,  wenn  man 
die  Planeten,  deren  Massen  man  durch  Rechnung  be- 
stimmen kann,  zusammen  summieret:  nämlich  den  Sa- 
turn, den  Jupiter,  die  Erde  und  den  Mond,  so  geben 

40  sie  einen  Klumpen,  dessen  Dichtigkeit  der  Dichtigkeit 

a)  „hatten"  A. 


II.  Teil.    8.  Hauptst.    Beweis  d.  Richtigkeit  etc.       161 

des  Sonnenkörpers  wie  640  zu  650  beikommt,  gegen  a) 
welche,  da  es  die  Haupts tücke  in  demb)  planetischen 
System  sindc)  die  übrigen  Planeten  Mars,  Venus  und 
Merkur  kaum  verdienen  gerechnet  zu  werden;  so  wird 
man  billig  über  die  merkwürdige  Gleichheit  erstaunen, 
die  zwischen  der  Materie  des  gesamten  planetischen 
Gebäudes,  wenn  es  als  in  einem  Klumpen  vereinigt 
betrachtet  wird,  und  zwischen  der  Masse  der  Sonnen 
herrschet.  Es  wäre  ein  unverantwortlicher  Leichtsinn, 
diese  Analogie  einem  Ungeiähr  zuzuschreiben,  welche  10 
unter  einer  Mannigfaltigkeit  so  unendlich  verschiedener 
Materien,  deren  nur  allein  auf  unserer  Erde  einige 
anzutreffen  sind,  die  IStausendmal  an  Dichtigkeit  von- 
einander übertroffen  werden,  dennoch  im  Ganzen  der 
Verhältnis  von  1  zu^)  1  so  nahe  kommen;  und  man 
muß  zugeben,  daß,  wenn  man  die  Sonne  als  ein 
Mengsei  von  allen  Sorten  Materie,  die  in  dem  pla- 
netischen Gebäude  voneinander  geschieden  sein,  be- 
trachtet, alle  insgesamt  sich  in  einem  Räume  scheinen 
gebildet  zu  haben,  der  ursprünglich  mit  gleich-  20 
förmig  ausgebreitetem  Stoffe  erfüllet  war,  und  auf 
dem  Zentralkörper  sich  ohne  Unterschied  versammlet, 
zur  Bildung  der  Planeten  aber  nach  Maßgebung  der 
Höhen  eingeteilet  worden.  Ich  überlasse  es  denen, 
die  die  mechanische  Erzeugung  der  Weltkörper  nicht 
zugeben  können,  aus  den  Bewegungsgründen  der  Wahl 
Gottes  diese  so  besondere  Übereinstimmung,  wo  sie 
können,  zu  erklären.  Ich  will  endlich  aufhören,  eine 
Sache  von  so  überzeugender  Deutlichkeit,  als  die  Ent- 
wickelung  des  Weltgebäudes  aus  den  Kräften  der  30 
Natur  ist,  auf  mehr  Beweistümer  zu  gründen.  Wenn 
man  imstande  ist,  bei  so  vieler  Überführung  unbe- 
weglich zu  bleiben,  so  muß  man  entweder  gar  zu  tief 
in  den  Fesseln  des  Vorurteils  liegen,  oder  gänzlich 
unfähig  sein,  sich  über  den  Wust  hergebrachter  Mei- 
nungen zu  der  Betrachtung  der  allerreinsten  Wahr- 
heit emporzuschwingen.  Indessen  ist  zu  glauben,  daß 
niemand,  als  die  Blödsinnigen,  auf  deren  Beifall  man 


a — b)  „welche  .  .  .  gegen"  korr.  Hartenstein. 

c)  „den"  A. 

d)  „bis"  A. 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.    I.  1\ 


IQ2     Allgemeine  Naturgeachichte  und  Theorie  des  Himmels. 

nicht  rechnen  darf,  die  Richtigkeit  dieser  Theorie  ver- 
kennen könnte,  wenn  die  Übereinstimmungen,  die  der 
Weltbau  in  allen  seinen  Verbindungen  zu  dem  Nutzen 
der  vernünftigen  Kreatur  hat,  nicht  etwas  mehr  als 
bloße  allgemeine  Naturgesetze  zum  Grunde  zu  haben 
schienen.  Man  glaubt  auch  mit  Recht,  daß  geschickte 
Anordnungen,  welche  auf  einen  würdigen  Zweck  ab- 
zielen, einen  weisen  Verstand  zum  Urheber  haben 
müssen,  und  man  wird  völlig  befriedigt  werden,  wenn 

10  man  bedenkt,  daß,  da  die  Naturen  der  Dinge  keine 
andere,  als  eben  diese  Urquelle  erkennen,  ihre  wesent- 
liche und  allgemeine  Beschaffenheiten  eine  natürliche 
Neigung  zu  anständigen  und  untereinander  wohl  über- 
einstimmenden Folgen  haben  müssen.  Man  wird  sich 
also  nicht  befremden  dürfen,  wenn  man  zum  ge- 
wechselten Vorteile  der  Kreaturen  gereichende  Ein- 
richtungen der  Weltverfassung  gewahr  wird,  selbige 
einer  natürlichen  Folge  aus  den  allgemeinen  Gesetzen 
der  Natur  beizumessen;  denn  was  aus  diesen a)  her- 

20  fließet,  ist  nicht  die  Wirkung  des  blinden  Zufalles 
oder  der  unvernünftigen  Notwendigkeit;  es  gründet 
sich  zuletzt  doch  in  der  höchsten  Weisheit,  von  der 
die  allgemeinen  Beschaffenheiten  ihre  Übereinstimmung 
entlehnen.  Der  eine  Schluß  ist  ganz  richtig:  wenn 
in  der  Verfassung  der  Welt  Ordnung  und  Schönheit 
hervorleuchten,  so  ist  ein  Gott.  Allein  der  andere  ist 
nicht  weniger  gegründet:  wenn  diese  Ordnung  aus  all- 
gemeinen Naturgesetzen  hat  herfließen  können,  so 
ist   die   ganze    Natur    notwendig   eine   Wirkung   der 

30  höchsten  Weisheit. 

Wenn  man  es  sich  aber  durchaus  belieben  läßt, 
die  unmittelbare  Anwendung  der  göttlichen  Weisheit 
an  allen  Anordnungen  der  Natur,  die  unter  sich  Har- 
monie und  nützliche  Zwecke  begreifen,  zu  erkennen, 
indem  man  der  Entwickelung  aus  allgemeinen  Be- 
wegungsgesetzen keine  übereinstimmende  Folgen  zu- 
trauet; so  wollte  ich  raten,  in  der  Beschauung  des 
Weltbaues  seine  Augen  nicht  auf  einen  einzigen  unter 
den  Himmelskörpern,  sondern  auf  das  Ganze  zu  richten, 

40  um  sich  aus  diesem  Wahne  auf  einmal  herauszureißen. 

a)  ..diesem"  A. 


II.  Teil.    8.  Hauptst.    Beweis  d.  Richtigkeit  etc.       163 

Wenn  die  schiefe  Lage  der  Erdachse  gegen  die  Fläche 
ihres  jährlichen  Laufes  durch  die  beliebte  Abwechse- 
lung der  Jahreszeiten  ein  Beweistum  der  unmittel- 
baren Hand  Gottes  sein  soll,  so  darf  man  nur  diese 
Beschaffenheit  bei  den  andern  Himmelskörpern  da- 
gegen halten;  so  wird  man  gewahr  werden,  daß  sie 
bei  jedem  derselben  abwechselt,  und  daß  in  dieser 
Verschiedenheit  es  auch  einige  gibt,  die  sie  gar  nicht 
haben;  wie  z.  E.  Jupiter,  dessen  Achse  senkrecht  zu 
dem  Plane  seines  Kreises  ist,  und  Mars,  dessen  seine  10 
es  beinahe  ist,  welche  beide  keine  Verschiedenheit 
der  Jahreszeiten  genießen,  und  doch  ebensowohl  Werke 
der  höchsten  Weisheit,  als  die  andern  sind.  Die  Be- 
gleitung der  Monde  beim  Saturn,  dem  Jupiter  und  der 
Erde  würden  scheinen  besondere  Anordnungen  des 
höchsten a)  Wesens  zu  sein,  wenn  die  freie  Abweichung 
von  diesem  Zwecke  durch  das  ganze  System  des  W^elt- 
baues  nicht  anzeigte,  daß  die  Natur,  ohne  durch  einen 
außerordentlichen  Zwang  in  ihrem  freien  Betragen 
gestört  zu  sein,  diese  Bestimmungen  hervorgebracht  20 
habe.  Jupiter  hat  vier  Monde,  Saturn  fünf,  die  Erde 
einen,  die  übrigen  Planeten  gar  keinen;  ob  es  gleich 
scheinet,  daß  diese  wegen  ihrer  längeren  Nächte  der- 
selben bedürftiger  wären,  als  jene.  Wenn  man  die 
proportionierte  Gleichheit  der  den  Planeten  einge- 
drückten Schwungskräfte  mit  den  Zentralneigungen 
ihres  Abstandes  als  die  Ursache,  woher  sie  beinahe 
in  Zirkeln  um  die  Sonne  laufen,  und  durch  die  Gleich- 
mäßigkeit der  von  dieser  erteilten  Wärme  zu  Wohn- 
plätzen vernünftiger  Kreaturen  geschickt  werden,  be-  30 
wundert  und  sie  als  den  unmittelbaren  Finger  der 
Allmacht  ansiehet,  so  wird  man  auf  einmal  auf  die 
allgemeinen  Gesetze  der  Natur  zurückgeführet,  wenn 
man  erwäget,  daß  diese  planetische  Beschaffenheit 
sich  nach  und  nach,  mit  allen  Stufen  der  Verminde- 
rung, in  der  Tiefe  des  Himmels  verlieret,  und  daß 
eben  die  höchste  Weisheit,  welche  an  der  gemäßigten 
Bewegung  der  Planeten  ein  Wohlgefallen  gehabt  hat, 
auch  die  Mängel  nicht  ausgeschlossen,  mit  welchen 
sich  das   System   endiget,   indem  es  in  der  völligen  40 


a)  „höchsten"  fehlt  in  A. 

11^ 


164     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Unregelmäßigkeit  und  Unordnung  aufhöret.  Die  Natur, 
ohnerachtet  sie  eine  wesentliche  Bestimmung  zur  Voll- 
kommenheit und  Ordnung  hat,  fasset  in  dem  Umfange 
ihrer  Mannigfaltigkeit  alle  mögliche  Abwechselungen, 
sogar  bis  auf  die  Mängel  und  Abweichungen,  in  sich. 
Ebendieselbe  unbeschränkte  Fruchtbarkeit  derselben 
hat  die  bewohnten  Himmelskugeln  sowohl,  als  die 
Kometen,  die  nützlichen  Berge  und  die  schädlichen 
Klippen,  die  bewohnbaren  Landschaften  und  öden 
10  Wüsteneien,  die  Tugenden  und  Laster  hervorgebracht. 


Allgemeine 

Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels 

Dritter  Teil 

Welcher  einen  Versuch  einer  auf  die  Ana- 
logien der  N'atur  gegründeten  Vergleichung 
zwischen     den     Einwohnern     verschiedener 
Planeten  in  sich  enthält. 


Wer  das  Verhältnis  aller  Welten,  von  einem  Teil  zum 
andern  weiß, 

Wer  aller  Sonnen  Menge  kennet  und  jeglichen  Planeten- 
kreis ; 

Wer  die  verschiedenen  Bewohner  von  einem 
jeden  Stern  erkennet. 

Dem  ist  allein,  warum  die  Dinge  so  sein,  als  wie 
sie  sein,  vergönnet. 

Zu  fassen  und  uns  zu  erklären. 

Pope. 


Allgemeine 
Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Dritter  Teil. 


Anhang 
von  den  Bewohnern  der  Gestirne. 

Weil  ich  davor  halte,  daß  es  den  Charakter  der 
Weltweisheit  entehren  heiße,  wenn  man  sich  ihrer 
gebrauchet,  mit  einer  Art  von  Leichtsinn  freie  Aus- 
schweifungen des  Witzes  mit  einiger  Scheinbarkeit  zu 
behaupten,  wenn  man  sich  gleich  erklären  wollte,  daß  10 
es  nur  geschähe,  um  zu  belustigen,  so  werde  icha)  in 
gegenwärtigem  Versuche  keine  anderen  Sätze  anführen, 
als  solche,  die  zur  Erweiterung  unseres  Erkenntnisses 
wirklich  beitragen  können,  und  deren  Wahrscheinlich- 
keit zugleich  so  wohl  gegründet  ist,  daß  man  sich 
kaum  entbrechen  kann,  sie  gelten  zu  lassen. 

Obgleich  es  scheinen  möchte,  daß  in  dieser  Art 
des  Vorwurfes  die  Freiheit,  zu  erdichten,  keine  eigent- 
liche Schranken  habe,  und  daß  man  in  dem  Urteil  von 
der  Beschaffenheit  der  Einwohner  entlegener  Welten  20 
mit  weit  größerer  Ungebundenheit  der  Phantasei  könne 
den  Zügel  schießen  lassen,  als  ein  Maler  in  der  Ab- 
bildung der  Gewächse  oder  Tiere  unentdeckter  Länder, 
und  daß  dergleichen  Gedanken  weder  recht  erwiesen 
noch  widerleget  werden  könnten;  so  muß  man  doch 
gestehen,  daß  die  Entfernungen  der  Himmelskörper 
von  der  Sonne  gewisse  Verhältnisse  mit  sich  führen, 


a)  „ich"  fehlt  in  A. 


168     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

welche  einen  wesentlichen  Einfluß  in  die  verschie- 
denen Eigenschaften  der  denkenden  Naturen  nach  sich 
ziehen,  die  auf  denenselben  befindlich  sind,  als  deren 
Art  zu  wirken  und  zu  leiden,  an  die  Beschaffenheit 
der  Materie,  mit  der  sie  verknüpfet  sein,  gebunden 
ist  und  von  dem  Maß  der  Eindrücke  abhänget,  die  die 
Welt  nach  den  Eigenschaften  der  Beziehung  ihres 
Wohnplatzes  zu  dem  Mittelpunkte  der  Attraktion  und 
der  Wärme  in  ihnen  erwecket. 

10  Ich  bin  der  Meinung,  daß  es  eben  nicht  notwendig 
sei,  zu  behaupten,  alle  Planeten  müßten  bewohnt  sein, 
ob  es  gleich  eine  Ungereimtheit  wäre,  dieses  in  An- 
sehung aller  oder  auch  nur  der  meisten  zu  leugnen. 
Bei  dem  Reichtume  der  Natur,  da  Welten  und  Systeme, 
in  Ansehung  des  Ganzen  der  Schöpfung,  nur  Sonnen- 
stäubchen sein,  könnte  es  auch  wohl  öde  und  unbe- 
wohnte Gegenden  geben,  die  nicht  auf  das  genaueste 
zu  dem  Zwecke  der  Natur,  nämlich  der  Betrachtung 
vernünftiger  Wesen,  genutzet  würden.     Es  wäre,  als 

20  wenn  man  sich  aus  dem  Grunde  der  Weisheit  Gottes 
ein  Bedenken  machen  wollte,  zuzugeben,  daß  sandichte 
und  unbewohnte  Wüsteneien  große  Strecken  des  Erd- 
bodens einnehmen,  und  daß  es  verlassene  Inseln  im 
Weltmeere  gebe,  darauf  kein  Mensch  befindlich  ist 
Indessen  ist  ein  Planet  viel  weniger  in  Ansehung  des 
Ganzen  der  Schöpfung,  als  eine  Wüste  oder  Insel  in 
Ansehung  des  Erdbodens. 

Vielleicht,  daß  sich  noch  nicht  alle  Himmelskörper 
völlig  ausgebildet  haben;  es  gehören  Jahrhunderte,  und 

30  vielleicht  Tausende  von  Jahren  dazu,  bis  ein  großer 
Himmelskörper  einen  festen  Stand  seiner  Materien  er- 
langet hat.  Jupiter  scheinet  noch  in  diesem  Streite 
zu  sein.  Die  merkliche  Abwechselung  seiner  Gestalt 
zu  verschiedenen  Zeiten  hat  die  Astronomen  schon  vor- 
längst mutmaßen  lassen,  daß  er  große  Umstürzungen 
erleiden  müsse,  und  bei  weitem  so  ruhig  auf  seiner 
Oberfläche  nicht  sei,  als  es  ein  bewohnbarer  Planet 
sein  muß.  Wenn  er  keine  Bewohner  hat,  und  auch 
keine  jemals  haben  sollte,  was  vor  ein  unendlich  kleiner 

40  Aufwand  der  Natur  wäre  dieses,  in  Ansehung  der  Un- 
ermeßlichkeit der  ganzen  Schöpfung?  Und  wäre  es 
nicht  vielmehr  ein  Zeichen  der  Armut,  als  des  Über- 


III.  Teil.     Von  den  Bewohnern  der  Gestirne.      I(j9 

flusses  derselben,  wenn  sie  in  jedem  Punkte  des  Raumes 
so  sorgfältig  sein  sollte,  alle  ihre  Reichtümer  aufzu- 
zeigen? 

Allein  man  kann  noch  mit  mehr  Befriedigung  ver- 
muten,  daß,  wenn  er  gleich  jetzt  unbewohnt  ist,  er 
dennoch  es  dereinst  werden  wird,  wenn  die  Periode 
seiner  Bildung  wird  vollendet  sein.  Vielleicht  ist  unsere 
Erde  tausend  oder  mehr  Jahre  vorhanden  gewesen, 
ehe  sie  sich  in  Verfassung  befunden  hat,  Menschen, 
Tiere  und  Gewächse  unterhalten  zu  können.  Daß  ein  10 
Planet  nun  einige  tausend  Jahre  später  zu  dieser 
Vollkommenheit  kommt,  das  tut  dem  Zwecke  seines 
Daseins  keinen  Abbruch.  Er  wird  eben  um  deswillen 
auch  ins  zukünftige  länger  in  der  Vollkommenheit 
seiner  Verfassung,  wenn  er  sie  einmal  erreichet  hat, 
verbleiben;  denn  es  ist  einmal  ein  gewisses  Natur- 
gesetz: alles,  was  einen  Anfang  hat,  nähert  sich  be- 
ständig seinem  Untergange,  und  ist  demselben  um  so 
viel  näher,  je  mehr  es  sich  von  dem  Punkte  seines 
Anfanges  entfernet  hat.  20 

Die  satirische  Vorstellung  jenes  witzigen  Kopfes 
aus  dem  Haag,  welcher,  nach  der  Anführung  der  all- 
gemeinen Nachrichten  aus  dem  Reiche  der  Wissen- 
schaften, die  Einbildung  von  der  notwendigen  Be- 
völkerung aller  Weltkörper  auf  der  lächerlichen  Seite 
vorzustellen  wußte,  kann  nicht  anders  als  gebilliget 
werden.  „Diejenigen  Kreaturen,"  spricht  er,  „welche 
die  Wälder  auf  dem  Kopfe  eines  Bettlers  bewohnen, 
hatten  schon  lange  ihren  Aufenthalt  vor  eine  unermeß- 
liche Kugel  und  sich  selber  als  das  Meisterstück  der  30 
Schöpfung  angesehen,  als  einer  unter  ihnen,  den  der 
Himmel  mit  ^einer  feinern  Seele  begäbet  hatte,  ein 
kleiner  Fontenelle  seines  Geschlechts,  den  Kopf  eines 
Edelmanns  unvermutet  gewahr  ward.  Alsbald  rief  er 
alle  witzige  Köpfe  seines  Quartiers  zusammen  und 
sagte  ihnen  mit  Entzückung:  wir  sind  nicht  die  ein- 
zigen belebten  Wesen  der  ganzen  Natur;  sehet  hier 
ein  neues  Land,  hie  wohnen  mehr  Läuse."  Wenn 
der  Ausgang  dieses  Schlusses  ein  Lachen  erwecket, 
so  geschieht  es  nicht  um  deswillen,  weil  er  von  der  40 
Menschen  Art,  zu  urteilen,  weit  abgehet,  sondern  weil 
ebenderselbe  Irrtum,  der  bei  dem  Menschen  eine  gleiche 


X  70     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Ursache  zum  Grunde  hat,  bei  diesen  mehr  Entschul- 
digung zu  verdienen  scheinet. 

Laßt  uns  ohne  Vorurteil  urteilen.  Dieses  Insekt, 
welches  sowohl  seiner  Art,  zu  leben,  als  auch  seiner 
Nichtswürdigkeit  nach  die  Beschaffenheit  der  meisten 
Menschen  sehr  wohl  ausdrückt,  kann  mit  gutem  Fuge 
zu  einer  solchen  Vergleichung  gebraucht  werden.  Weil 
seiner  Einbildung  nach  der  Natur  an  seinem  Dasein 
unendlich  viel  gelegen  ist,  so  hält  es  die  ganze  übrige 

10  Schöpfung  vor  vergeblich,  die  nicht  eine  genaue  Ab- 
zielung auf  sein  Geschlechte,  als  den  Mittelpunkt  ihrer 
Zwecke  mit  sich  führet.  Der  Mensch,  welcher  gleich 
unendlich  weit  von  der  obersten  Stufe  der  AVesen  ab- 
stehet, ist  so  verwegen,  von  der  Notwendigkeit  seines 
Daseins  sich  mit  gleicher  Einbildung  zu  schmeicheln. 
Die  Unendlichkeit  der  Schöpfung  fasset  alle  Naturen, 
die  ihr  überschwenglicher  Reichtum  hervorbringt,  mit 
gleicher  Notwendigkeit  in  sich.  Von  der  erhabensten 
Klasse  unter  den  denkenden  Wesen  bis  zu  dem  ver- 

20  achtetsten  Insekt  ist  ihr  kein  Glied  gleichgültig;  und 
es  kann  keins  fehlen,  ohne  daß  die  Schönheit  des 
Ganzen,  welche  in  dem  Zusammenhange  bestehet,  da- 
durch unterbrochen  würde.  Indessen  wird  alles  durch 
allgemeine  Gesetze  bestimmet,  welche  die  Natur  durch 
die  Verbindung  ihrer  ursprünglich  eingepflanzten 
Kräfte  bewirket.  Weil  sie  in  ihrem  Verfahren  lauter 
Wohlanständigkeit  und  Ordnung  hervorbringt,  so  darf 
keine  einzelne  Absicht  ihre  Folgen  stören  und  unter- 
brechen.   Bei  ihrer  ersten  Bildung  war  die  Erzeugung 

30  eines  Planeten  nur  eine  unendlich  kleine  Folge  ihrer 
Fruchtbarkeit;  und  nun  wäre  es  etwas  Ungereimtes, 
daß  ihre  so  wohl  gegründete  Gesetze  den  besondern 
Zwecken  dieses  Atomus  nachgeben  sollten.  Wenn  die 
Beschaffenheit  eines  Himmelskörpers  der  Bevölkerung 
natürliche  Hindernisse  entgegensetzet,  so  wird  er  un- 
bewohnt sein,  obgleich  es  an  und  vor  sich  schöner 
wäre,  daß  er  Einwohner  hätte.  Die  Trefflichkeit  der 
Schöpfung  verlieret  dadurch  nichts;  denn  das  Unend- 
liche ist  unter  allen  Größen  diejenige,  welche  durch 

40  Entziehung  eines  endlichen  Teiles  nicht  vermindert 
wird.  Es  wäre,  als  wenn  man  klagen  wollte,  daß  der 
Raum  z\\nschen   dem  Jupiter   und   dem  Mars  so   un- 


III.  Teil.     Von  den  Bewohnern  der  Gestirne.      171 

nötig  leer  stehet,  und  daß  es  Kometen  gibt,  welche 
nicht  bevölkert  sind.  In  der  Tat,  jenes  Insekt  mag 
uns  so  nichtswürdig  scheinen  als  es  wolle,  es  ist  der 
Natur  gewiß  an  der  Erhaltung  seiner  ganzen  Klasse 
mehr  gelegen  als  an  einer  kleinen  Zahl  vortrefflicherer 
Geschöpfe,  deren  es  dennoch  unendlich  viel  gibt,  wenn 
ihnen  gleich  eine  Gegend  oder  Ort  beraubet  sein  sollte. 
Weil  sie  in  Hervorbringung  beider  unerschöpflich  ist, 
so  sieht  man  ja  gleich  unbekümmert  beide  in  ihrer 
Erhaltung  und  Zerstörung  den  allgemeinen  Gesetzen  10 
überlassen.  Hat  wohl  jemals  der  Besitzer  jener  be- 
wohnten Wälder  auf  dem  Kopfe  des  Bettlers  größere 
Verheerungen  unter  dem  Geschlechte  dieser  Kolonie 
gemacht,  als  der  Sohn  Philipps  in  dem  Geschlechte 
seiner  Mitbürger  anrichtete,  als  es  ihm  sein  böser 
Genius  in  den  Kopf  gesetzet  hatte,  daß  die  Welt  nur 
um  seinetwillen  hervorgebracht  sei? 

Indessen  sind  doch  die  meisten  unter  den  Planeten 
gewiß  bewohnt,  und  die  es  nicht  sind,  werden  es  der- 
einst werden.  Was  vor  Verhältnisse  werden  nun,  unter  20 
den  verschiedenen  Arten  dieser  Einwohner,  durch  die 
Beziehung  ihres  Ortes  in  dem  Weltgebäude  zu  dem 
Mittelpunkte,  daraus  sich  die  Wärme  verbreitet,  die 
alles  belebt,  verursachet  werden?  Denn  es  ist  gewiß, 
daß  diese,  unter  den  Materien  dieser  Himmelskörper, 
nach  Proportion  ihres  Abstandes,  gewisse  Verhältnisse 
in  ihren  Bestimmungen  mit  sich  führet.  Der  Mensch, 
welcher  unter  allen  vernünftigen  Wesen  dasjenige  ist, 
welches  wir  am  deutlichsten  kennen,  ob  uns  gleich 
seine  innere  Beschaffenheit  annoch  ein  unerforschtes  30 
Problema  ist,  muß  in  dieser  Vergleichung  zum  Grunde 
und  zum  allgemeinen  Beziehungspunkte  dienen.  Wir 
wollen  ihn  allhier  nicht  nach  seinen  moralischen  Eigen- 
schaften, auch  nicht  nach  der  physischen  Einrichtung 
seines  Baues  betrachten;  wir  wollen  nur  untersuchen, 
was  das  Vermögen,  vernünftig  zu  denken,  und  die 
Bewegung  seines  Leibes,  die  diesem  gehorchet,  durch 
die  dem  Abstände  von  der  Sonne  proportionierte  Be- 
schaffenheit der  Materie,  an  die  er  geknüpfet  ist,  vor 
Einschränkungen  leide.  Des  unendlichen  Abstandes  40 
ungeachtet,  welcher  zwischen  der  Kraft,  zu  denken, 
und  der  Bewegung  der  Materie,   zwischen  dem  ver- 


172      Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

nünftigen  Geiste  und  dem  Körper  anzutreffen  ist,  so 
ist  es  doch  gewiß,  daß  der  Mensch,  der  alle  seine 
Begriffe  und  Vorstellungen  von  den  Eindrücken  her 
hat,  die  das  Universum  vermittelst  des  Körpers  in 
seiner  Seele  erreget,  sowohl  in  Ansehung  der  Deut- 
lichkeit derselben,  als  auch  der  Fertigkeit,  dieselbe 
zu  verbinden  und  zu  vergleichen,  welche  man  das  Ver- 
mögen zu  denken  nennet,  von  der  Beschaffenheit  dieser 
Materie  völlig  abhängt,  an  die  der  Schöpfer  ihn  ge- 

10  bunden  hat. 

Der  Mensch  ist  erschaffen,  die  Eindrücke  und 
Rührungen,  die  die  Welt  in  ihm  erregen  soll,  durch 
denjenigen  Körper  anzunehmen,  der  der  sichtbare  Teil 
seines  Wesens  ist,  und  dessen  Materie  nicht  allein 
dem  unsichtbaren  Geiste,  welcher  ihn  bewohnet,  dienet, 
die  ersten  Begriffe  der  äußern  Gegenstände  einzu- 
drücken, sondern  auch  in  der  Innern  Handlung  diese 
zu  wiederholen,  zu  verbinden,  kurz,  zu  denken,  un- 
entbehrlich ist*).    Nach  dem  Maße,  als  sein  Körper 

20  sich  ausbildet,  bekommen  die  Fähigkeiten  seiner 
denkenden  Natur  auch  die  gehörigen  Grade  der  Voll- 
kommenheit, und  erlangen  allererst  ein  gesetztes  und 
männliches  Vermögen,  wenn  die  Fasern  seiner  Werk- 
zeuge die  Festigkeit  und  Dauerhaftigkeit  überkommen 
haben,  welche  die  Vollendung  ihrer  Ausbildung  ist 
Diejenigen  Fähigkeiten  entwickeln  sich  bei  ihm  früh 
genug,  durch  welche  er  der  Notdurft,  die  die  Ab- 
hängigkeit von  den  äußerlichen  Dingen  ihm  zuziehet, 
genug  tun  kann.    Bei  einigen  Menschen  bleibt  es  bei 

30  diesem  Grade  der  Auswickelung.  Das  Vermögen,  ab- 
gezogene Begriffe  zu  verbinden  und  durch  eine  freie 
Anwendung  der  Einsichten  über  den  Hang  der  Leiden- 
schaften zu  herrschen,  findet  sich  spät  ein,  bei  einigen 
niemals  in  ihrem  ganzen  Leben;  bei  allen  aber  ist  es 


*)  Es  ist  aus  den  Gründen  der  Psychologie  ausgemacht, 
daß  vermöge  der  jetzigen  Verfassung,  darin  die  Schöpfung 
Seele  und  Leib  voneinander  abhängig  gemachet  hat.  die 
erstere  nicht  allein  alle  Begriffe  des  Universi  durch  des 
letztern  Gemeinschaft  und  Einfluß  überkommen  muß,  son- 
dern auch  die  Ausübung  seiner  Denkungskraft  selber  auf 
dessen  Verfassung  ankommt,  und  von  dessen  Beihilfe  die 
nötige  Fähigkeit  dazu  entlehnet. 


III.  Teil.     Yon  den  Bewohnern  der  Gestirne.      173 

schwach;  es  dienet  den  unteren  Kräften,  über  die  es 
doch  herrschen  sollte,  und  in  deren  Regierung  der 
Vorzug  seiner  Natur  bestehet.  Wenn  man  das  Leben  der 
meisten  Menschen  ansiehet,  so  scheinet  diese  Kreatur 
geschaffen  zu  sein,  um  wie  eine  Pflanze  Saft  in  sich 
zu  ziehen  und  zu  wachsen,  sein  Greschlecht  fortzu- 
setzen, endlich  alt  zu  werden  und  zu  sterben.  Er 
erreichet  unter  allen  Geschöpfen  am  wenigsten  den 
Zweck  seines  Daseins,  weil  er  seine  vorzügliche 
Fähigkeiten  zu  solchen  Absichten  verbrauchet,  die  die  10 
übrigen  Kreaturen  mit  weit  minderen,  und  doch  weit 
sicherer  und  anständiger,  erreichen.  Er  würde  auch 
das  verachtungswürdigste  unter  allen,  zum  wenigsten 
in  den  Augen  der  wahren  Weisheit  sein,  wenn  die 
Hoffnung  des  Künftigen  ihn  nicht  erhübe,  und  denen 
in  ihm  verschlossenen  Kräften  nicht  die  Periode  einer 
völligen  Auswickelung  bevorstünde. 

Wenn  man  die  Ursache  der  Hindernisse  untersuchet, 
welche  die  menschliche  Natur  in  einer  so  tiefen  Er- 
niedrigung erhalten,  so  findet  sie  sich  in  der  Grobheit  20 
der  Materie,  darin  sein  geistiger  Teil  versenket  ist, 
in  der  Unbiegsamkeit  der  Fasern,  und  der  Trägheit 
und  Unbeweglichkeit  der  Säfte,  welche  dessen  Regun- 
gen gehorchen  sollen.  Die  Nerven  und  Flüssigkeiten 
seines  Gehirnes  liefern  ihm  nur  grobe  und  undeut- 
liche Begriffe,  und  weil  er  der  Reizung  der  sinnlichen 
Empfindungen,  in  dem  Inwendigen  seines  Denkungs- 
vermögens,  nicht  genugsam  kräftige  Vorstellungen 
ziim  Gleichgewichte  entgegenstellen  kann,  so  wird  er 
von  seinen  Leidenschaften  hingerissen,  von  dem  Ge-  30 
tümmel  der  Elemente,  die  seine  Maschine  unterhalten, 
übertäubet  und  gestöret.  Die  Bemühungen  der  Ver- 
nunft, sich  dagegen  zu  erheben,  und  diese  Verwirrung 
durch  das  Licht  der  Urteilskraft  zu  vertreiben,  sind 
wie  die  Sonnenblicke,  wenn  dicke  Wolken  ihre  Heiter- 
keit unablässig  unterbrechen  und  verdunkeln. 

Diese  Grobheit  des  Stoffes  und  des  Gewebes  in 
dem  Baue  der  menschlichen  Natur  ist  die  Ursache 
derjenigen  Trägheit,  welche  die  Fähigkeiten  der  Seele 
in  einer  beständigen  Mattigkeit  und  Kraftlosigkeit  er-  40 
hält  Die  Handlung  des  Nachdenkens  und  der  durch 
die  Vernunft  aufgeklärten  Vorstellungen  ist  ein  müh- 


174     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

samer  Zustand,  darein  die  Seele  sich  nicht  ohne  Wider- 
stand setzen  kann,  und  aus  welchem  sie,  durch  einen 
natürlichen  Hang  der  körperlichen  Maschine,  alsbald 
in  den  leidenden  Zustand  zurückfällt,  da  die  sinn- 
lichen a)  Reizungen  alle  ihre  Handlungen  bestimmen 
und  regieren. 

Diese  Trägheit  seiner  Denkungskraft,  welche  eine 
Folge  der  Abhängigkeit  von  einer  groben  und  un- 
gelenksamen  Materie   ist,   ist  nicht  allein  die   Quelle 

10  des  Lasters,  sondern  auch  des  Irrtums.  Durch  die 
Schwierigkeit,  welche  mit  der  Bemühung  verbunden 
ist,  den  Nebel  der  verwirrten  Begriffe  zu  zerstreuen, 
und  das  durch  verglichene  Ideen  entspringende  all- 
gemeine Erkenntnis  von  den  sinnlichen  Eindrücken 
abzusondern,  abgehalten,  gibt  sie  lieber  einem  über- 
eilten Beifalle  Platz,  und  beruhigt  sich  in  dem  Besitze 
einer  Einsicht,  welche  ihr  die  Trägheit  ihrer  Natur 
und  der  Widerstand  der  Materie  kaum  von  der  Seite 
erblicken  lassen. 

20  In  dieser  Abhängigkeit  schwinden  die  geistigen 
Fähigkeiten  zugleich  mit  der  Lebhaftigkeit  des  Leibes; 
wenn  das  hohe  Alter  durch  den  geschwächten  Umlauf 
der  Säfte  nur  dicke  Säfte  in  dem  Körper  kochet,  wenn 
die  Beugsamkeit  der  Fasern  und  die  Behendigkeit  in 
allen  Bewegungen  abnimmt,  so  erstarren  die  Kräfte 
des  Geistes  in  einer  gleichen  Ermattung.  Die  Hurtig- 
keit der  Gedanken,  die  Klarheit  der  Vorstellung t»),  die 
Lebhaftigkeit  des  Witzes  und  das  Erinnerungsvermögen 
werden  kraftlos  und  erkalten.     Die  durch  lange  Er- 

30  fahrung  eingepfropften  Begriffe  ersetzen  noch  einiger- 
maßen den  Abgang  dieser  Kräfte,  und  der  Verstand 
würde  sein  Unvermögen  noch  deutlicher  verraten,  wenn 
die  Heftigkeit  der  Leidenschaften,  die  dessen  Zügel 
nötig  haben,  nicht  zugleich,  und  noch  eher  als  er, 
abnehmen  möchten. 

Es  erhellet  demnach  hieraus  deutlich,  daß  die  Kräfte 
der  menschlichen  Seele  von  den  Hindernissen  einer 
groben  Materie,  an  die  sie  innigst  verbunden  werden, 
eingeschränket   und   gehemmet   werden;   aber    es   ist 


a)  ».sämtlichen"  A.  korr.  Hartenstein. 

b)  ,. Vorstellungen"  Ak.  Ausg. 


III.  Teil.     Von  den  Bewohnern  der  Gestirae.      175 

etwas  noch  Merkwürdigers,  daß  diese  spezifische  Be- 
schaffenheit des  Stoffes  eine  wesentliche  Beziehung 
zu  dem  Grade  des  Einflussesa)  hat,  womit  die  Sonne 
nach  dem  Maße  ihres  Abstandes  sie  belebet  und  zu 
den  Verrichtungen  der  animalischen  Ökonomie  tüchtig 
macht.  Diese  notwendige  Beziehung  zu  dem  Feuer, 
welches  sich  aus  dem  Mittelpunkte  des  Weltsystems 
verbreitet,  um  die  Materie  in  der  nötigen  Regung  zu 
erhalten,  ist  der  Grund  einer  Analogie,  die  eben 
hieraus,  zwischen  den  verschiedenen  Bewohnern  der  10 
Planeten,  festgesetzet  wird;  und  eine  jede  Klasse  der- 
selben ist  vermöge  dieser  Verhältnis  an  den  Ort  durch 
die  Notwendigkeit  ihrer  Natur  gebunden,  der  ihr  in 
dem  Universo  angewiesen  worden. 

Die  Einwohner  der  Erde  und  der  Venus  können 
ohne  ihr  beiderseitiges  Verderben  ihre  Wohnplätze 
gegeneinander  nicht  vertauschen.  Der  erstere,  dessen 
Bildungsstoff  vor  den  Grad  der  Wärme  seines  Abstandes 
proportioniert,  und  daher  vor  einen  noch  größern  zu 
leicht  und  flüchtig  ist,  würde  in  einer  erhitzteren  20 
Sphäre  gewaltsame  Bewegungen  und  eine  Zerrüttung 
seiner  Natur  erleiden,  die  von  der  Zerstreuung 
und  Austrocknung  der  Säfte  und  einer  gewaltsamen 
Spannung  seiner  elastischen  Fasern  entstehen  würde; 
der  letztere,  dessen  gröberer  Bau  und  Trägheit  der 
Elemente  seiner  Bildung  eines  großen  Einflusses  der 
Sonne  bedarf,  würde  in  einer  kühleren  Himmelsgegend 
erstarren  und  in  einer  Leblosigkeit  verderben.  Ebenso 
müssen  es  weit  leichtere  und  flüchtigere  Materien 
sein,  daraus  der  Körper  des  Jupiters-Bewohners  be-  30 
stehet,  damit  die  geringe  Regung,  womit  die  Sonne 
in  diesem  Abstände  wirken  kann,  diese  Maschinen 
ebenso  kräftig  bewegen  könne,  als  sie  es  in  den 
unteren  Gegenden  verrichtet,  und  damit  icht>)  alles 
in  einem  allgemeinen  Begriffe  zusammenfasse:  der 
Stoff,  woraus  die  Einwohner  verschiedener 
Planeten,  ja  sogar  die  Tiere  und  Gewächse 
auf  denselben  gebildet  sein,  muß  überhaupt 
um  desto  leichterer  und  feinerer  Art,  und  die 


a)  „Hinflusses"  A.  korr.  Ausg.  1797. 

b)  „ich"  fehlt  in  A. 


176      Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Elastizität  der  Fasern  samt  der  vorteilhaften 
Anlage  ihres  Baues  um  desto  vollkommener 
sein,  nach  dem  Maße,  als  sie  weiter  von  der 
Sonne  abstehen. 

Dieses  Verhältnis  ist  so  natürlich  und  wohl- 
gegründet, daß  nicht  allein  die  Bewegungsgründe  des 
Endzwecks  darauf  führen,  welche  in  der  Naturlehre 
gemeiniglich  nur  als  schwache  Gründe  angesehen 
werden,  sondern  zugleich  die  Proportion  a)  der  spezi- 

10  fischen  Beschaffenheit  der  Materien,  woraus  die  Pla- 
neten bestehen,  welche  sowohl  durch  die  Rechnungen 
des  Newton,  als  auch  durch  die  Gründe  der  Kos- 
mogonie  ausgemacht  sind,  dasselbeb)  bestätigen,  nach 
welchem  der  Stoff,  woraus  die  Himmelskörper  gebildet 
sind,  bei  den  entferntem  allemal  leichterer  Art,  als 
bei  den  nahen  ist,  welches  notwendig  an  denen  Ge- 
schöpfen, die  sich  auf  ihnen  erzeugen  und  unterhalten, 
ein  gleiches  Verhältnis  nach  sich  ziehen  muß. 

Wir   haben   eine   Vergleichung   zwischen   der   Be- 

20  schaffenheit  der  Materie,  damit  die  vernünftigen 
Geschöpfe  auf  den  Planeten  wesentlich  vereinigt  sein, 
ausgemacht;  und  es  läßt  sich  auch  nach  der  Ein- 
leitung dieser  Betrachtung  leichtlich  erachten,  daß 
diese  Verhältnisse  eine  Folge  auch  in  Ansehung  ihrer 
geistigen  Fähigkeit  nach  sich  ziehen  werden.  Wenn 
demnach  diese  geistige  Fähigkeiten  eine  notwendige 
Abhängigkeit  von  dem  Stoffe  der  Maschine  haben, 
welche  sie  bev/ohnen,  so  werden  wir  mit  mehr  als 
wahrscheinlicher  Vermutung   schließen  können:  daß 

30  die  Trefflichkeit  der  denkenden  Naturen,  die 
Hurtigkeit  in  ihren  Vorstellungen,  die  Deut- 
lichkeit und  Lebhaftigkeit  der  Begriffe,  die 
sie  durch  äußerlichen  Eindruck  bekommen, 
samt  dem  Vermögen,  sie  zusammenzusetzen, 
endlich  auch  die  Behendigkeit  in  der  wirk- 
lichen Ausübung,  kurz,  der  ganze  Umfang 
ihrer  Vollkommenheit  unter  einer  gewissen 
Regel  stehen,  nach  welcher  dieselben,  nach 
dem    Verhältnis    des    Abstandes    ihrer    Wohn- 


a)  „Proportionen"  Eahts  Ak.  Ausg. 

b)  „dieselbe  —  welchen"  A,  korr.  Ak.  Ausg. 


TU.  Teil.     Von  den  Bewohnern  der  Gestirne.      177 

platze  von   der  Sonne  immer   trefflicher  und 
vollkommener  werden. 

Da  dieses  Verhältnis  einen  Grad  der  Glaubwürdig- 
keit hat,  der  nicht  weit  von  einer  ausgemachten  Ge- 
wißheit entfernet  ist,  so  finden  wir  ein  offenes  Feld 
zu  angenehmen  Mutmaßungen,  die  aus  der  Verglei- 
chung  der  Eigenschaften  dieser  verschiedenen  Be- 
wohner entspringen.  Die  menschliche  Natur,  welche 
in  der  Leiter  der  Wesen  gleichsam  die  mittelste  Sprosse 
innehat,  siehet  sich  zwischen  den  zwei  äußersten  10 
Grenzen  der  Vollkommenheit  mitten  inne,  von  deren 
beiden  Enden  sie  gleich  weit  entfernet  ist.  Wenn 
die  Vorstellung  der  erhabensten  Klassen  vernünftiger 
Kreaturen,  die  den  Jupiter  oder  den  Saturn  bewohnen, 
ihre  Eifersucht  reizet  und  sie  durch  die  Erkenntnis 
ihrer  eigenen  Niedrigkeit  demütiget,  so  kann  der  An- 
blick der  niedrigen  Stufen  sie  wiederum  zufrieden 
sprechen  und  beruhigen,  die  in  den  Planeten  Venus 
und  Merkur  weit  unter  der  Vollkommenheit  der 
menschlichen  Natur  erniedrigt  sein.  Welch  ein  ver-  20 
wunderungsv/ürdiger  Anblick!  Von  der  einen  Seite 
sahen  wir  denkende  Geschöpfe,  bei  denen  ein  Grön- 
länder oder  Hottentotte  ein  Newton  sein  würde;  und 
auf  der  andern  Seite  andere,  die  diesen  als  einen 
Affen  bewundern. 

Da  jüngst  die  obern  Wesen  ^)  sahn, 
Was  unlängst  recht  vei-wunderlich 
Ein  Sterblicher  bei  uns  getan, 

Und  wie  er  der  Natur  Gesetz  entfaltet,  wunderten  sie  sich, 
Daß  durch  ein  irdisches  Geschöpf  dergleichen  möglich  zu  geschehn.   30 
Und  sahen  un  Sern  New  ton  an,  so  wie  wir  einen  Affen  sehn. 

Pope. 

Zu  welch  einem  Fortgange  in  der  Erkenntnis  wird 
die  Einsicht  jener  glückseligen  Wesen  der  obersten 
Himmelssphären  nicht  gelangen!  Welche  schöne  Folgen 
wird  diese  Erleuchtung  der  Einsichten  nicht  in  ihre 
sittliche  Beschaffenheit  haben!  Die  Einsichten  des 
Verstandes,  wenn  sie  die  gehörigen  Grade  der  Voll- 
ständigkeit und  Deutlichkeit  besitzen,  haben  weit  leb- 
haftere Reizungen  als  die  sinnlichen  Anlockungen  an  40 


a)  „Weisen-'  A. 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     I.  \2 


X  78     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

sich,  und  sind  vermögend,  diese  siegreich  zu  beherr- 
schen und  unter  den  Fuß  zu  treten.  Wie  herrlich  wird 
sich  die  Gottheit  selbst,  die  sich  in  allen  Geschöpfen 
malet,  in  diesen  denkenden  Naturen  nicht  malen,  welche 
als  ein  von  den  Stürmen  der  Leidenschaften  unbe- 
wegtes Meer  ihr  Bild  ruhig  aufnehmen  und  zurück- 
strahlen! Wir  wollen  diese  Mutmaßungen  nicht  über 
die  einer  physischen  Abhandlung  vorgezeichnete  Gren- 
zen erstrecken,  wir  bemerken  nur  nochmals  die  oben 

10  angeführte  Analogie:  daß  die  Vollkommenheit 
der  Geisterwelt  sowohl  als  der  materialischen 
in  den  Planeten,  von  dem  Merkur  an  bis  zum 
Saturn,  oder  vielleicht  noch  über  ihm  (wo- 
ferne  noch  andere  Planeten  sein),  in  einer 
richtigen  Gradenfolge,  nach  der  Proportion 
ihrer  Entfernungen  von  der  Sonne,  wachse 
und  fortschreite. 

Indessen  daß  dieses  aus  den  Folgen  der  physischen 
Beziehung  ihrer  Wohnplätze  zu  dem  Mittelpunkte  der 

20  Welt  zum  Teil  natürlich  herfließet,  zum  Teil  gezie- 
mend veranlasset  wird,  so  bestätigt  andererseits  der 
wirkliche  Anblick  der  vortrefflichsten  und  sich  vor 
die  vorzügliche  Vollkommenheit  dieser  Naturen  in  den 
obern  Gegenden  anschickende  Anstalten  diese  Regel 
so  deutlich,  daß  sie  beinahe  einen  Anspruch  auf  eine 
völlige  Überzeugung  machen  sollte.  Die  Hurtigkeit 
der  Handlungen,  die  mit  den  Vorzügen  einer  er- 
habenen Natur  verbunden  ist,  schicket  sich  besser  zu 
den  schnell  abwechselnden  Zeitperioden  jener  Sphären, 

30  als  die  Langsamkeit  träger  und  unvollkommener  Ge- 
schöpfe. 

Die  Sehröhre  lehren  uns,  daß  die  Abwechselung 
des  Tages  und  der  Nacht  im  Jupiter  in  10  Stunden 
geschehe.  Was  würde  der  Bewohner  der  Erde,  wenn 
er  in  diesen  Planeten  gesetzt  würde,  bei  dieser  Ein- 
teilung wohl  anfangen?  Die  10  Stunden  würden  kaum 
zu  derjenigen  Ruhe  zureichen,  die  diese  grobe  Ma- 
schine zu  ihrer  Erholung  durch  den  Schlaf  gebrauchet. 
Was  würde   die  Vorbereitung   zu  den  Verrichtungen 

40  des  Wachens,  das  Kleiden,  die  Zeit,  die  zum  Essen 
angewandt  wird,  nicht  vor  einen  Anteil  an  der  folgen- 
den Zeit  abfordern,  und  wie  würde  eine  Kreatur,  deren 


III.  Teil.     Von  den  Bewohnern  der  Gestirne.      179 

Handlungen  mit  solcher  Langsamkeit  geschehen,  nicht 
zerstreuet  und  zu  etwas  Tüchtigem  unvermögend  ge- 
macht werden,  deren  5  Stunden  Geschäfte  plötzlich 
durch  die  Dazwischenkunft  einer  ebenso  langen  Finster- 
nis unterbrochen  würden?  Dagegen,  wenn  Jupiter 
von  vollkommneren  Kreaturen  bewohnet  ist,  die  mit 
einer  feinern  Bildung  mehr  elastische  Kräfte  und  eine 
größere  Behendigkeit  in  der  Ausübung  verbinden,  so 
kann  man  glauben,  daß  diese  5  Stunden  ihnen  eben- 
dasselbe und  mehr  sind,  als  was  die  12  Stunden  des  10 
Tages  vor  die  niedrige  Klasse  der  Menschen  betragen. 
Wir  wissen,  daß  das  Bedürfnis  der  Zeit  etwas  Rela- 
tives ist,  welches  nicht  anders,  als  aus  der  Größe 
desjenigen,  was  verrichtet  werden  soll,  mit  der  Ge- 
schwindigkeit der  Ausübung  verglichen,  kann  erkannt 
und  verstanden  werden.  Daher  ebendieselbe  Zeit,  die 
vor  eine  Art  der  Geschöpfe  gleichsam  nur  ein  Augen- 
blick ist,  vor  eine  andere  eine  lange  Periode  sein 
kann,  in  der  sich  eine  große  Folge  der  Veränderungen 
durch  eine  schnelle  Wirksamkeit  auswickelt.  Saturn  20 
hat  nach  der  wahrscheinlichen  Berechnung  seiner  Um- 
wälzung, die  wir  oben  dargelegt  haben,  eine  noch 
weit  kürzere  Abteilung  des  Tages  und  der  Nacht,  und 
lasset  daher  an  der  Natur  seiner  Bewohner  noch  vor- 
züglichere Fähigkeit-en  vermuten. 

Endlich  stimmet  alles  überein,  das  angeführte  Ge- 
setz zu  bestätigen.  Die  Natur  hat  ihren  Vorrat  augen- 
scheinlich auf  der  entlegenen  Seite  der  Welt  am  reich- 
lichsten ausgebreitet.  Die  Monde,  die  den  geschäftigen 
Wesen  dieser  glückseligen  Gegenden  durch  eine  hin-  30 
längliche  Ersetzung  die  Entziehung  des  Tageslichts 
vergüten,  sind  in  größester  Menge  daselbst  ange- 
bracht, und  die  Natur  scheinet  sorgfältig  gewesen  zu 
sein,  ihrer  Wirksamkeit  alle  Beihilfe  zu  leisten,  damit 
ihnen  fast  keine  Zeit  hinderlich  sei,  solche  anzuwenden. 
Jupiter  hat  in  Ansehung  der  Monde  einen  augenschein- 
lichen Vorzug  vor  allen  unteren  Planeten,  und  Saturn 
wiederum  vor  ihm,  dessen  Anstalten  an  dem  schönen 
und  nützlichen  Ringe,  der  ihn  umgibt,  noch  größere 
Vorzüge  von  seiner  Beschaffenheit  wahrscheinlich  40 
machen;  da  hingegen  die  untern  Planeten,  bei  denen 
dieser    Vorrat    unnützlich    würde    verschwendet   sein, 

12* 


180     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels, 

deren  Klasse  weit  näher  an  die  Unvernunft  grenzet, 
solcher  Vorteile  entweder  gar  nicht  oder  doch  sehr 
wenig  teilhaftig  geworden  sind. 

Man  kann  aber  (damit  ich  einem  Einwurfe  zuvor- 
komme, der  alle  diese  angeführte  Übereinstimmung 
vereiteln  könnte)  den  größeren  Abstand  von  der  Sonne, 
dieser  Quelle  des  Lichts  und  des  Lebens,  nicht  als  ein 
Übel  ansehen,  wogegen  die  Weitläuftigkeit  solcher  An- 
stalten bei  den  entferntem  Planeten  nur  vorgekehrt 

10  wordena),  um  ihm  einigermaßen  abzuhelfen,  und  ein- 
wenden b),  daß  in  der  Tat  die  obern  Planeten  eine 
weniger  vorteilhafte  Lage  im  Weltgebäude  und  eine 
Stellung  hätten,  die  der  Vollkommenheit  ihrer  An- 
stalten nachteilig  wäre,  weil  sie  von  der  Sonne  einen 
schwächern  Einfluß  erhalten.  Denn  wir  wissen,  daß 
die  Wirkung  des  Lichts  und  der  Wärme  nicht  durch 
deren  absolute  Intensität,  sondern  durch  die  Fähigkeit 
der  Materie,  womit  sie  solche  annimmt  und  ihrem  An- 
triebe weniger  oder  mehr  widerstehet,  bestimmt  werde, 

20  und  daß  daher  ebenderselbe  Abstand,  der  vor  eine 
Art  grober  Materie  ein  gemäßigtes  Klima  kann  ge- 
nannt werden,  subtilere  Flüssigkeiten  zerstreuen  und 
vor  sie  von  schädlicher  Heftigkeit  sein  würde;  mit- 
hin nur  ein  feinerer  und  aus  beweglichem  Elementen 
bestehender  Stoff  dazu  gehöret,  um  die  Entfernungen 
des  Jupiters  oder  Saturns  von  der  Sonne  beiden  zu 
einer  glücklichen  Stellung  zu  machen. 

Endlich  scheinet  noch  die  Trefflichkeit  der  Naturen 
in  diesen  oberen  Himmelsgegenden  durch  einen  physi- 

30  sehen  Zusammenhang  mit  einer  Dauerhaftigkeit,  deren 
sie  würdig  ist,  verbunden  zu  sein.  Das  Verderben  und 
der  Tod  können  diesen  trefflichen  Geschöpfen  nicht 
so  viel,  als  uns  niedrigen  Naturen  anhaben.  Eben- 
dieselbe Trägheit  der  Materie  und  Grobheit  des  Stoffes, 
die  bei  den  unteren  Stufen  das  spezifische  Prinzipium 
ihrer  Erniedrigung  ist,  ist  auch  die  Ursache  des- 
jenigen Hanges,  den  sie  zum  Verderben  haben.  Wenn 
die  Säfte,  die  das  Tier  oder  den  Menschen  nähren 
und  wachsen  machen,  indem  sie  sich  zwischen  seine 


a)  „werden"  A.  korr.  Ausg.  1797  Ak.  Ausg.  „werde -^ 

b)  „einwenden"  Zusatz  der  Ak.  Ausg.  Rahts. 


III.  Teil.     Von  den  Bewohnern  der  Gestirne.      181 

Fäserchen  einverleiben  und  an  seine  Masse  ansetzen, 
nicht  mehr  zugleich  dessen  Gefäße  und  Kanäle  in 
der  Raumesausdehnung  vergrößern  können,  wenn  das 
Wachstum  schon  vollendet  ist,  so  müssen  diese  sich 
ansetzende  Nahrungssäfte  durch  el)en  den  mechani- 
schen Trieb,  der  das  Tier  zu  nähren  angewandt  wird, 
die  Höhle  seiner  Gefäße  verengen  und  .verstopfen,  und 
den  Bau  der  ganzen  Maschine  in  einer  nach  und  nach 
zunehmenden  Erstarrung  zugrunde  richten.  Es  ist  zu 
glauben,  daß,  obgleich  die  Vergänglichkeit  auch  an  10 
den  vollkommensten  Naturen  naget,  dennoch  der  Vor- 
zug in  der  Feinigkeit  des  Stoffes,  in  der  Elastizität 
der  Gefäße  und  der  Leichtigkeit  und  'Wirksamkeit  der 
Säfte,  woraus  jene  vollkommnere  Wesen,  welche  in 
den  entferneten  Planeten  wohnen,  gebildet  sein,  diese 
Hinfälligkeit,  welche  eine  Folge  aus  der  Trägheit  einer 
groben  Materie  ist,  weit  länger  aufhalten,  und  diesen 
Kreaturen  eine  Dauer,  deren  Länge  ihrer  Vollkommen- 
heit proportioniert  ist,  verschaffen  werde,  so  wie  die 
Hinfälligkeit  des  Lebens  der  Menschen  ein  richtiges  20 
Verhältnis  zu  ihrer  Nichtswürdigkeit  hat. 

Ich  kann  diese  Betrachtung  nicht  verlassen,  ohne 
einem  Zweifel  zuvorzukommen,  welcher  natürlicher- 
weise aus  der  Vergleichung  dieser  Meinungen  mit 
unseren  vorigen  Sätzen  entspringen  könnte.  Wir  haben 
in  den  Anstalten  des  Weltbaues  an  der  Menge  der 
Trabanten,  welche  die  Planeten  der  entferntesten  Kreise 
erleuchten,  an  der  Schnelligkeit  der  Achsendrehung 
und  dem  gegen  die  Sonnenwirkung  proportionierten 
Stoffe  ihres  Zusammensatzes  die  Weisheit  Gottes  er-  30 
kannt,  welche  alles  dem  Vorteile  der  vernünftigen 
Wesen,  die  sie  bewohnen,  so  zuträglich  angeordnet 
hat.  Aber  wie  wollte  man  anjetzt  mit  der  Lehr- 
verfassung der  Absichten  einen  mechanischen  Lehr- 
begriff zusammenreimen,  so  daß,  was  die  höchste 
Weisheit  selbst  entwarf,  der  rohen  Materie,  und  das 
Regiment  der  Vorsehung  der  sich  selbst  überlassenen 
Natur  zur  Ausführung  aufgetragen  worden?  Ist  das 
erstere  nicht  vielmehr  ein  Geständnis,  daß  die  An- 
ordnung des  Weltbaues  nicht  durch  die  allgemeinen  40 
Gesetze  der  letzteren  entwickelt  worden? 

Man  wird  diese  Zweifel  bald  zerstreuen,  wenn  man 


182     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

auf  dasjenige  nur  zurückdenkt,  was  in  gleicher  Ab- 
sicht in  dem  vorigen  angeführet  worden.  Muß  nicht 
die  Mechanik  aller  natürlichen  Bewegungen  einen 
wesentlichen  Hang  zu  lauter  solchen  Folgen  haben, 
die  mit  dem  Projekt  der  höchsten  Vernunft  in  dem 
ganzen  Umfange  der  Verbindungen  wohl  zusammen- 
stimmen ?a)  Wie  kann  sie  abirrende  Bestrebungen  und 
eine  ungebundene  Zerstreuung  in  ihrem  b)  Beginnen 
haben,  da  alle  ihre  Eigenschaften,  aus  welchen  sich 

10  diese  Folgen  entwickeln,  selbst  ihre  Bestimmung  aus 
der  ewigen  Idee  des  göttlichen  Verstandes  haben,  in 
welchem  sich  alles  notwendig  aufeinander  beziehen  und 
zusammenschicken  muß?  Wenn  man  sich  recht  be- 
sinnet, wie  kann  man  die  Art  zu  urteilen  rechtfertigen, 
daß  man  die  Natur  als  ein  widerwärtiges  Subjekt 
ansiehet,  welches  nur  durch  eine  Art  von  Zwange,  der 
ihrem  freien  Betragen  Schranken  setzt,  in  dem  Gleise 
der  Ordnung  und  der  gemeinschaftlichen  Harmonie 
kann  erhalten  werden,  woferne  man  nicht  etwa  davor 

20  hält,  daß  sie  ein  sich  selbst  genügsames  Prinzipium 
sei,  dessen  Eigenschaften  keine  Ursache  erkennen, 
und  welche  Gott  so  gut,  als  es  sich  tun  läßt,  in  den 
Plan  seiner  Absichten  zu  zwingen  trachtet?  Je  näher 
man  die  Natur  wird  kennen  lernen,  desto  mehr  wird 
man  einsehen,  daß  die  allgemeinen  Beschaffenheiten  der 
Dinge  einander  nicht  fremd  und  getrennt  sein.  Man 
wird  hinlänglich  überführet  werden,  daß  sie  wesent- 
liche Verwandtschaften  haben,  durch  die  sie  sich  von 
selber  anschicken,  einander  in  Errichtung  vollkommener 

30  Verfassungen  zu  unterstützen,  die  Wechselwirkung  der 
Elemente  zur  Schönheit  der  materialischen  und  doch 
auch  zugleich  zu  den  Vorteilen  der  Geisterwelt,  und  daß 
überhaupt  die  einzelnen  Naturen  der  Dinge  in  dem 
Felde  der  ewigen  Wahrheiten  schon  untereinander, 
sozusagen,  ein  System  ausmachen,  in  welchem  eine 
auf  die  andere  beziehend  ist;  man  wird  auch  alsbald 
innewerden,  daß  die  Verwandtschaft  ihnen  von  der  Ge- 
meinschaft des  Ursprungs  eigen  ist,  aus  dem  sie  insge- 
samt ihre  wesentlichen  Bestimmungen  geschöpft  haben. 


a)  „zusammenstimmet-'  kon-.  Hartenstein. 

b)  „ihren-'  A. 


III.  Teil.     Von  den  Bewohnern  der  Gestirne.      183 

Und  um  daher  diese  wiederholte  Betrachtung  zu 
dem  vorhabenden  Zwecke  anzuwenden:  ebendieselbe 
allgemeine  Bewegungsgesetze,  die  den  obersten  Pla- 
neten einen  entfernten  Platz  von  dem  Mittelpunkte 
der  Anziehung  und  der  Trägheit  in  dem  Weltsystem 
angewiesen  haben,  haben  sie  dadurch  zugleich  in  die 
vorteilhafteste  Verfassung  gesetzt,  ihre  Bildungen  am 
weitesten  von  dem  Beziehungspunkte  der  groben  Ma- 
terie, und  zwar  mit  größerer  Freiheit  anzustellen; 
sie  haben  sie  aber  auch  zugleich  in  eine  regelmäßige  10 
Verhältnis  zu  dem  Einflüsse  der  Wärme  versetzt, 
welche  sich  nach  gleichem  Gesetze  aus  eben  dem 
Mittelpunkte  ausbreitet.  Da  nun  ebendiese  Bestim- 
mungen es  sind,  welche  die  Bildung  der  Weltkörper 
in  diesen  entferneten  Gegenden  ungehinderter,  die  Er- 
zeugung der  davon  abhängenden  Bewegungen  schneller 
und,  kurz  zu  sagen,  das  System  wohlanständiger  ge- 
macht haben,  da  endlich  die  geistigen  Wesen  eine  \ 
notwendige  Abhängigkeit  von  der  Materie  haben,  an  * 
die  sie  persönlich  verbunden  sind,  so  ist  kein  Wunder,  20  : 
daß  die  Vollkommenheit  der  Natur  von  beiderlei  Orten  ; 
in  einem  einzigen  Zusammenhange  der  Ursachen  und 
aus  gleichen  Gründen  bewirket  worden.  Diese  Über- 
einstimmung ist  also  bei  genauer  Erwägung  nichts 
Plötzliches  oder  Unerwartetes,  und  weil  die  letzteren 
Wesen  durch  ein  gleiches  Prinzipium  in  die  allgemeine 
Verfassung  der  materialischen  Natur  eingeflochten 
worden,  so  wird  die  Geisterwelt  aus  eben  den  Ur- 
sachen in  den  entferneten  Sphären  vollkommener  sein, 
weswegen  es  die  körperliche  ist.  30 

So  hänget  denn  alles  in  dem  ganzen  Umfange  der 
Natur  in  einer  ununterbrochenen  Gradfolge  zusammen, 
durch  die  ewige  Harmonie,  die  alle  Glieder  aufeinander 
beziehend  macht.  Die  Vollkommenheiten  Gottes  haben 
sich  in  unsern  Stufen  deutlich  offenbaret,  und  sind 
nicht  weniger  herrlich  in  den  niedrigsten  Klassen,  als  | 
in  den  erhabnem.  i 

Welch  eine  Kette,  die  von  Gott  den  Anfang  nimmt,  was  vor  Naturen        wF 
Von  himmlischen  und  irdischen,  von  Engeln,  Menschen  bis  zum  Vieh, 
Vom  Seraphim  bis  zum  Gewürm:    O  Weite,  die  das  Auge  nie  40 

Erreichen  und  betrachten  kann ! 
A'on  dem  Unendlichen  zu  dir,  von  dir  zum  Nichts  I 

Pope. 


l 


J 


lg4     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theorie  des  Himmels. 

Wir  haben  die  bisherigen  Mutmaßungen  treulich 
an  dem  Leitfaden  der  physischen  Verhältnisse  fort- 
geführet,  welcher  sie  auf  dem  Pfade  einer  vernünftigen 
Glaubwürdigkeit  erhalten  hat.  Wollen  wir  uns  noch 
eine  Ausschweifung  aus  diesem  Gleise  in  das  Feld 
der  Phantasie  erlauben?  Wer  zeiget  uns  die  Grenze, 
wo  die  gegründete  Wahrscheinlichkeit  aufhöret  und 
die  willkürlichen  Erdichtungen  anheben?  Wer  ist  so 
kühn,  eine  Beantwortung  der  Frage  zu  wagen:  ob  die 
10  Sünde  ihre  Herrschaft  auch  in  den  andern  Kugeln  des 
Weltbaues  ausübe,  oder  ob  die  Tugend  allein  ihr  Re- 
giment daselbst  aufgeschlagen? 

Die  Sterne  sind  vieUeicht  ein  Sitz  verklärter  Geister, 
Wie  hier  das  Laster  herrseht,  ist  dort  die  Tugend  Meister. 

V.  Haller. 

Gehört  nicht  ein  gewisser  Mittelstand  zwischen  der 
Weisheit  und  Unvernunft  zu  der  unglücklichen  Fähig- 
keit, sündigen  zu  können?  Wer  weiß,  sind  also  die 
Bewohner  jener  entferneten  Weltkörper  nicht  zu  er- 

20  haben  und  zu  weise,  um  sich  bis  zu  der  Torheit,  die 
in  der  Sünde  steckt,  herabzulassen,  diejenigen  aber, 
die  in  den  unteren  Planeten  wohnen,  zu  fest  an  die 
IVIaterie  geheftet  und  mit  gar  zu  geringen  Fähigkeiten 
des  Geistes  versehen,  um  die  Verantwortung  ihrer 
Handlungen  vor  dem  Richterstuhle  der  Gerechtigkeit 
tragen  zu  dürfen?  Auf  diese  Weise  wäre  die  Erde 
und  vielleicht  noch  der  Mars  (damit  der  elende  Trost 
uns  ja  nicht  genommen  werde,  Gefährten  des  Un- 
glücks  zu   haben)   allein  in   der  gefährlichen  Mittel- 

30  Straße,  wo  die  Versuchung  der  sinnlichen  Reizungen 
gegen  die  Oberherrschaft  des  Gjistes  ein  starkes  Ver- 
mögen zur  Verleitung  haben,  dieser  aber  dennoch  die- 
jenige Fähigkeit  nicht  verleugnen  kann,  wodurch  er 
imstande  ist,  ihnen  Widerstand  zu  leisten,  wenn  es 
seiner  Trägheit  nicht  vielmehr  gefiele,  sich  durch 
dieselbe  hinreißen  zu  lassen,  wo  also  der  gefährliche 

L      Zwischenpunkt    zwischen    der    Schwachheit   und   dem 

W  Vermögen  ist,  da  ebendieselbe  Vorzüge,  die  ihn  über 
die  niederen  Klassen  erheben,  ihn  auf  eine  Höhe  stellen, 

40  von  welcher  er  wiederum  unendlich  tiefer  unter  diese 
herabsinken  kann.    In  der  Tat  sind  die  beiden  Pia- 


III.  Teil.     Von  den  Bewohnern  der  Gestirne.      185 

neten,  die  Erde  und  der  Mars,  die  mittelsten  Glieder 
des  planetischen  Systems,  und  es  läßt  sich  von  ihren 
Bewohnern  vielleicht  nicht  mit  Unwahrscheinlichkeit 
ein  mittlerer  Stand  der  physischen  sowohl  als  mora- 
lischen Beschaffenheit  zwischen  den  zwei  Endpunkten 
vermuten;  allein  ich  will  diese  Betrachtung  lieber 
denenjenigen  überlassen,  die  mehr  Beruhigung  bei 
einem  unerweislichen  Erkenntnisse  und  mehr  Neigung, 
dessen  Verantwortung  zu  übernehmen,  bei  sich  finden. 

Beschluß.  10 

Es  ist  uns  nicht  einmal  recht  bekannt,  was  der 
Mensch  anjetzo  wirklich  ist,  ob  uns  gleich  das  Be- 
wußtsein und  die  Sinne  hievon  belehren  sollten;  wie- 
viel weniger  werden  wir  erraten  können,  was  er  der- 
einst werden  soll.  Dennoch  schnappet  die  Wißbegierde 
der  menschlichen  Seele  sehr  begierig  nach  diesem  von 
ihr  so  entfernten  Gegenstande,  und  strebet,  in  solchem 
dunkeln  Erkenntnisse  einiges  Licht  zu  bekommen. 

Sollte  die  unsterbliche  Seele  wohl  in  der  ganzen 
Unendlichkeit  ihrer  künftigen  Dauer,  die  das  Grab  20 
selber  nicht  unterbricht,  sondern  nur  verändert,  an 
diesen  Punkt  des  Weltraumes,  an  unsere  Erde,  jeder- 
zeit geheftet  bleiben?  Sollte  sie  niemals  von  den 
übrigen  Wundern  der  Schöpfung  eines  näheren  An- 
S'Chauens  teilhaftig  werden?  Wer  weiß,  ist  es  ihr 
nicht  zugedacht,  daß  sie  dereinst  jene  entfernte 
Kugeln  des  Weltgebäudes  und  die  Trefflichkeit  ihrer 
Anstalten,  die  schon  von  weitem  ihre  Neugierde  so 
reizen,  von  nahem  soll  kennen  lernen?  Vielleicht 
bilden  sich  darum  noch  einige  Kugeln  des  Planeten-  30 
Systems  aus,  um  nach  vollendetem  Ablaufe  der  Zeit, 
die  unserem  Aufenthalte  allhier  vorgeschrieben  ist, 
uns  in  andern  Himmeln  neue  Wohnplätze  zu  bereiten. 
Wer  weiß,  laufen  nicht  jene  Trabanten  um  den  Jupiter, 
um  uns  dereinst  zu  leuchten? 

Es  ist  erlaubt,  es  ist  anständig,  sich  mit  der- 
gleichen Vorstellungen  zu  belustigen;  allein  niemand 
wird  die  Hoffnung  des  Künftigen  auf  so  unsichern 
Bildern  der  Einbildungskraft  gründen.  Nachdem  die 
Eitelkeit  ihren  Anteil  an  der  menschlichen  Natur  wird  40 


186     Allgemeine  Naturgeschichte  und  Theoiie  des  Himmels. 

abgefordert  haben,  so  wird  der  unsterbliche  Geist  mit 
einem  schnellen  Schwünge  sich  über  alles,  was  endlich 
ist,  emporschwingen  und  in  einem  neuen  Verhältnisse 
gegen  die  ganze  Natur,  welche  aus  einer  näheren 
Verbindung  mit  dem  höchsten  Wesen  entspringet,  sein 
Dasein  fortsetzen.  Forthin  wird  diese  erhöhete  Natur, 
welche  die  Quelle  der  Glückseligkeit  in  sich  selber 
hat,  sich  nicht  mehr  unter  den  äußeren  Gegenständen 
zerstreuen,  um  eine  Beruhigung  bei  ihnen  zu  suchen. 

10  Der  gesamte  Inbegriff  der  Geschöpfe,  welcher  eine 
notwendige  Übereinstimmung  zum  Wohlgefallen  des 
höchsten  Urwesens  hat,  muß  auch  sie»)  zu  dem  seinigen 
haben,  und  wird  sie  nicht  anders  als  mit  immerwähren- 
der Zufriedenheit  rühren. 

In  der  Tat,  wenn  man  mit  solchen  Betrachtungen, 
und  mit  den  vorhergehenden,  sein  Gemüt  erfüllet  hat, 
so  gibt  der  Anblick  eines  bestirnten  Himmels  bei  einer 
heitern  Nacht  eine  Art  des  Vergnügens,  welches  nur 
edle  Seelen  empfinden.    Bei  der  allgemeinen  Stille  der 

20  Natur  und  der  Ruhe  der  Sinne  redet  das  verborgene 
Erkenntnisvermögen  des  unsterblichen  Geistes  eine  un- 
nennbare Sprache  und  gibt  unausgewickelte  Begriffe, 
die  sich  wohl  empfinden,  aber  nicht  beschreiben  lassen. 
Wenn  es  unter  den  denkenden  Geschöpfen  dieses  Pla- 
neten niederträchtige  Wesen  gibt,  die,  ungeachtet  aller 
Reizungen,  womit  ein  so  großer  Gegenstand  sie  an- 
locken kann,  dennoch  imstande  sind,  sich  fest  an  die 
Dienstbarkeit  der  Eitelkeit  zu  heften:  wie  unglücklich 
ist  diese  Kugel,  daß  sie  so  elende  Geschöpfe  hat  er- 

30  ziehen  können!  Wie  glücklich  aber  ist  sie  anderer- 
seits, da  ihr  unter  den  allerannehmungswürdigsten 
Bedingungen  ein  Weg  eröffnet  ist,  zu  einer  Glück- 
seligkeit und  Hoheit  zu  gelangen,  welche  unendlich 
weit  über  die  Vorzüge  erhaben  ist,  die  die  allervorteil- 
hafteste  Einrichtung  der  Natur  in  allen  Weltkörpern 
erreichen  kann. 


a)  „auch  sie  auch-'  A.,  korr.  Ausg.  1797,  Rahts  Ak.  Ausg, 
„sie  auch-'. 


Metaphysische  Anfangsgründe 


der 


Naturwissenschaft 


Immanuel  Kant 


Riga 

bei  Johann  Friedrich  Hartknoch 
1786 


Vorrede. 


Wenn  das  Wort  Natur  bloß  in  formaler  Bedeu- 
tung genommen  wird,  da  es  das  erste  innere  Prinzip 
alles  dessen  bedeutet,  was  zum  Dasein  eines  Dinges 
gehört*),  so  kann  es  so  vielerlei  Naturwissenschaften 
geben,  als  es  spezifisch  verschiedene  Dinge  gibt,  deren 
jedes  sein  eigentümliches  inneres  Prinzip  der  zu  seinem 
Dasein  gehörigen  Bestimmungen  enthalten  muß.  Sonst 
wird  aber  auch  Natur  in  materieller  Bedeutung 
genommen,  nicht  als  eine  Beschaffenheit,  sondern  als  10 
der  Inbegriff  aller  Dinge,  sofern  sie  Gegenstände 
unserer  Sinne,  mithin  auch  der  Erfahrung  sein 
können,  worunter  also  das  Ganze  aller  Erscheinungen, 
d.  i.  die  Sinnenwelt,  mit  Ausschließung  aller  nicht 
sinnlichen  Objekte,  verstanden  wird.  Die  Natur,  in 
dieser  Bedeutung  des  Worts  genommen,  hat  nun,  nach 
der  Hauptverschiedenheit  unserer  Sinne,  zwei  Haupt- 
t«ile,  deren  der  eine  die  Gegenstände  äußerer,  der 
andere  den  Gegenstand  des  inneren  Sinnes  enthält, 
mithin  ist  von  ihr  eine  zwiefache  Naturlehre,  die  20 
Körperlehre  und  Seelenlehre  möglich,  wovon  die 
erste  die  ausgedehnte,  die  zweite  die  denkende 
Natur  in  Erwägung  zieht. 


*)  Wesen  ist  das  erste  innere  Prinzip  alles  dessen,  was 
zur  Möglichkeit  eines  Dinges  gehört.  Daher  kann  man  den 
geometrischen  Figuren  (da  in  ihrem  Begriffe  nichts,  was 
ein  Dasein  ausdrückte,  gedacht  wird)  nur  ein  Wesen,  nicht 
aber  eine  Natur  beilegen"). 

a)  A.  —  „beizulegen-'. 


190     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

Eine  jede  Lehre,  wenn  sie  ein  System,  d.  i.  ein 
nach  Prinzipien  geordnetes  Ganze  der  Erkenntnis  sein 
soll,  heißt  Wissenschaft,  und  da  jene  Prinzipien  ent- 
weder Grundsätze  der  empirischen  oder  der  ratio- 
nalen Verknüpfung  der  Erkenntnisse  in  einem  Ganzen 
sein  können,  so  würde  auch  die  Naturwissenschaft, 
sie  mag  nun  Körperlehre  oder  Seelenlehre  sein,  in 
historische  oder  rationale  Naturwissenschaft  ein- 
geteilt   werden    müssen,    wenn    nur    nicht   das    Wort 

10  Natur  (weil  dieses  eine  Ableitung  des  mannigfaltigen, 
zum  Dasein  der  Dinge  Gehörigen  aus  ihrem  inneren 
Prinzip  bezeichnet)  eine  Erkenntnis  durch  Vernunft 
von  ihrem  Zusammenhange  notwendig  machte,  wofern 
sie  den  Namen  von  Naturwissenschaft  verdienen  soll. 
Daher  wird  die  Naturlehre  besser  in  historische 
Naturlehre,  welche  nichts  als  systematisch  geord- 
nete Fakta  der  Naturdinge  enthält  (und  wiederum  aus 
Naturbeschreibung,  als  einem  Klassensystem  der- 
selben  nach  Ähnlichkeiten,   und  Naturgeschichte, 

20  als  einer  systematischen  Darstellung  derselben  in  ver- 
schiedenen Zeiten  und  Örtern,  bestehen  würde),  und 
Naturwissenschaft  eingeteilt  werden  können.  Die 
Naturwissenschaft  würde  nun  wiederum  entweder 
eigentlich  oder  uneigentlich  so  genannte  Natur- 
wissenschaft sein,  wovon  die  erstere  ihren  Gegen- 
stand gänzlich  nach  Prinzipien  a  priori,  die  zweite 
nach  Erfahrungsgesetzen  behandelt. 

Eigentliche  Wissenschaft  kann  nur  diejenige  ge- 
nannt werden,    deren  Gewißheit  apodiktisch   ist;  Er- 

30  kenntnis,  die  bloß  empirische  Gewißheit  enthalten  kann, 
ist  ein  nur  uneigentlich  so  genanntes  Wissen.  Das- 
jenige Ganze  der  Erkenntnis,  was  systematisch  ist, 
kann  schon  darum  Wissenschaft  heißen,  und,  wenn 
die  Verknüpfung  der  Erkenntnis  in  diesem  System 
ein  Zusammenhang  von  Gründen  und  Folgen  ist,  sogar 
rationale  Wissenschaft.  Wenn  aber  diese  Gründe 
oder  Prinzipien  in  ihr,  wie  z.  B.  in  der  Chemie,  doch 
zuletzt  bloß  empirisch  sind,  und  die  Gesetze,  aus 
denen   die    gegebene    Fakta   durch   die   Vernunft   er- 

40  klärt  werden,  bloß  Erfahrungsgesetze  sind,  so  führen 
sie  kein  Bewußtsein  ihrer  Notwendigkeit  bei  sich 
(sind  nicht  apodiktisch  gewiß),  und  alsdenn  verdient 


Vorrede.  191 

das  Ganze  in  strengem  Sinne  nicht  den  Namen  einer 
Wissenschaft,  und  Chemie  sollte  daher  eher  systema- 
tische Kunst,   als  Wissenschaft  heißen. 

Eine  rationale  Naturlehre  verdient  also  den  Namen 
einer  Naturwissenschaft  nur  alsdenn,  wenn  die  Natur- 
gesetze, die  in  ihr  zum  Grunde  liegen,  a  priori  er- 
kannt werden  und  nicht  bloße  Erfahrungsgesetze  sind. 
Man  nennt  eine  Naturerkenntnis  von  der  ersteren  Art 
rein;  die  von  der  zweiten  Art  aber  wird  angewandte 
Vernunfterkenntnis  genannt.  Da  das  Wort  Natur  schon  10 
den  Begriff  von  Gesetzen  bei  sich  führt,  dieser  aber 
den  Begriff  der  Notwendigkeit  aller  Bestimmungen 
eines  Dinges,  die  zu  seinem  Dasein  gehören,  bei  sich 
führt,  so  sieht  man  leicht,  warum  Naturwissenschaft 
die  Rechtmäßigkeit  dieser  Benennung  nur  von  einem 
reinen  Teil  derselben,  der  nämlich  die  Prinzipien 
a  priori  aller  übrigen  Naturerklärungen  enthält,  ab- 
leiten müsse  und  nur  kraft  dieses  reinen  Teils  eigent- 
liche Wissenschaft  sei,  imgleichen  daß,  nach  Fode- 
rungen  der  Vernunft,  jede  Naturlehre  zuletzt  auf  20 
Naturwissenschaft  hinausgehen  und  darin  sich  endigen 
müsse,  weil  jene  Notwendigkeit  der  Gesetze  dem  Be- 
griffe der  Natur  unzertrennlich  anhängt  und  daher 
durchaus  eingesehen  sein  will;  daher  die  vollständigste 
Erklärung  gewisser  Erscheinungen  aus  chemischen 
Prinzipien  noch  immer  eine  Unzufriedenheit  zurück- 
läßt, weil  man  von  diesen,  als  zufälligen  Gesetzen, 
die  bloß  Erfahrung  gelehrt  hat,  keine  Gründe  a  priori 
anführen  kann. 

Alle  eigentliche  Naturwissenschaft  bedarf  also  30 
einen  reinen  Teil,  auf  dem  sich  die  apodiktische 
Gewißheit,  die  die  Vernunft  in  ihr  sucht,  gründen 
könne,  und  weil  dieser,  seinen  Prinzipien  nach,  in 
Vergleichung  mit  denen,  die  nur  empirisch  sind,  ganz 
ungleichartig  ist,  so  ist  es  zugleich  von  der  größten 
Zuträglichkeit,  ja  der  Natur  der  Sache  nach  von  un- 
erläßlicher Pflicht  in  Ansehung  der  Methode,  jenen 
Teil  abgesondert  und  von  dem  andern  ganz  unbemengt, 
so  viel  möglich  in  seiner  ganzen  Vollständigkeit  vor- 
zutragen, damit  man  genau  bestimmen  könne,  was  die  40 
Vernunft  für  sich  zu  leisten  vermag,  und  wo  ihr  Ver- 
mögen anhebt,  der  Beihilfe  der  Erfahrungsprinzipien 


292      Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

nötig  zu  haben.  Reine  Vernunfterkenntnis  aus  bloßen 
Begriffen  heißt  reine  Philosophie  oder  Metaphysik; 
dagegen  wird  die,  welche  nur  auf  der  Konstruktion 
der  Begriffe,  vermittelst  Darstellung  des  Gegenstandes 
in  einer  Anschauung  a  priori,  ihr  Erkenntnis  gründet, 
Mathematik  genannt. 

Eigentlich  so  zu  nennende  Naturwissenschaft 
setzt  zuerst  Metaphysik  der  Natur  voraus;  denn  Ge- 
setze, d.  i.  Prinzipien  der  Not\vendigkeit  dessen,  was 

10  zum  Dasein  eines  Dinges  gehört,  beschäftigen  sich 
mit  einem  Begriffe,  der  sich  nicht  konstruieren  läßt, 
weil  das  Dasein  in  keiner  Anschauung  a  priori  dar- 
gestellt werden  kann.  Daher  setzt  eigentliche  Natur- 
wissenschaft Metaphysik  der  Natur  voraus.  Diese 
muß  nun  zwar  jederzeit  lauter  Prinzipien,  die  nicht 
empirisch  sind,  enthalten,  (denn  darum  führt  sie  eben 
den  Namen  einer  Metaphysik,)  aber  sie  kann  doch 
entweder  sogar  ohne  Beziehung  auf  irgendein  be- 
stimmtes Erfahrungsobjekt,  mithin  unbestimmt  in  An- 

20  sehung  der  Natur  dieses  oder  jenen  Dinges  der  Sinnen- 
welt, von  den  Gesetzen,  die  den  Begriff  einer  Natur 
überhaupt  möglich  machen,  handeln,  und  alsdenn  ist 
es  der  transzendentale  Teil  der  Metaphysik  der 
Natur;  oder  sie  beschäftigt  sich  mit  einer  besonderen 
Natur  dieser  oder  jener  Art  Dinge,  von  denen  ein 
empirischer  Begriff  gegeben  ist,  doch  so,  daß  außer 
dem,  was  in  diesem  Begriffe  liegt,  kein  anderes 
empirisches  Prinzip  zur  Erkenntnis  derselben  gebraucht 
wird    (z.  B.    sie   legt   den   empirischen   Begriff   einer 

30  Materie  oder  eines  denkenden  Wesens  zum  Grunde 
und  sucht  den  Umfang  der  Erkenntnis,  deren  die 
Vernunft  über  diese  Gegenstände  a  priori  fähig  ist), 
und  da  muß  eine  solche  Wissenschaft  noch  immer 
eine  Metaphysik  der  Natur,  nämlich  der  körperlichen 
oder  denkenden  Natur  heißen,  aber  es  ist  alsdenn 
keine  allgemeine,  sondern  besondere  metaphysische 
Naturwissenschaft  (Physik  und  Psychologie),  in  der 
jene  transzendentale  Prinzipien  auf  die  zwei  Gattungen 
der  Gegenstände  unserer  Sinne  angewandt  werden, 

40  Ich  behaupte  aber,  daß  in  jeder  besonderen  Natur- 
lehre nur  so  viel  eigentliche  Wissenschaft  ange- 
troffen werden  könne,  als  darin  Mathematik  anzu- 


Vorrede  193 

treffen  ist.  Denn  nach  dem  Vorhergehenden  erfodert 
eigentliche  Wissenschaft,  vornehmlich  der  Natur,  einen 
reinen  Teil,  der  dem  empirischen  zum  Grunde  liegt 
und  der  auf  Erkenntnis  der  Naturdinge  a  priori  be- 
ruht Nun  heißt  etwas  a  priori  erkennen,  es  aus 
seiner  bloßen  Möglichkeit  erkennen.  Die  Möglichkeit 
bestimmter  Naturdinge  kann  aber  nicht  aus  ihren 
bloßen  Begriffen  erkannt  werden;  denn  aus  diesen 
kann  zwar  die  Möglichkeit  des  Gedankens  (daß  er 
sich  selbst  nicht  widerspreche),  aber  nicht  des  Ob-  10 
jekts,  als  Naturdinges,  erkannt  werden,  welches  außer 
dem  Gedanken  (als  existierend)  gegeben  werden  kann. 
Also  wird,  um  die  Möglichkeit  bestimmter  Naturdinge, 
mithin  um  diese  a  priori  zu  erkennen,  noch  erfodert, 
daß  die  dem  Begriffe  korrespondierende  Anschauung 
a  priori  gegeben  werde,  d.  i.  daß  der  Begriff  kon- 
struiert werde.  Nun  ist  die  Vernunfterkenntnis  durch 
Konstruktion  der  Begriffe  mathematisch.  Also  mag 
zwar  eine  reine  Philosophie  der  Natur  überhaupt,  d.  i. 
diejenige,  die  nur  das,  was  den  Begriff  einer  Natur  20 
im  allgemeinen  ausmacht,  untersucht,  auch  ohne  Ma- 
thematik möglich  sein,  aber  eine  reine  Naturlehre 
über  bestimmte  Naturdinge  (Körperlehre  und  Seelen- 
lehre) ist  nur  vermittelst  der  Mathematik  möglich,  und 
da  in  jeder  Naturlehre  nur  so  viel  eigentliche  Wissen- 
schaft angetroffen  wird,  als  sich  darin  Erkenntnis 
a  priori  befindet,  so  wird  Naturlehre  nur  so  viel  eigent- 
liche Wissenschaft  enthalten,  als  Mathematik  in  ihr 
angewandt  werden  kann. 

So  lange  also  noch  für  die  chemischen  Wirkungen  30 
der  Materien  aufeinander  kein  Begriff  ausgefunden 
wird,  der  sich  konstruieren  läßt,  d.  i.  kein  Gesetz  der 
Annäherung  oder  Entfernung  der  Teile  angeben  läßt, 
nach  welchem  etwa  in  Proportion  ihrer  Dichtigkeiten 
u.  dgl.  ihre  Bewegungen  samt  ihren  Folgen  sich  im 
Räume  a  priori  anschaulich  machen  und  darstellen 
lassen  (eine  Foderung,  die  schwerlich  jemals  erfüllt 
werden  wird),  so  kann  Chemie  nichts  mehr  als  syste- 
matische Kunst  oder  Experimentallehre,  niemals  aber 
eigentliche  Wissenschaft  werden,  weil  die  Prinzipien  40 
derselben  bloß  empirisch  sind  und  keine  Darstellung 
a   priori   in   der   Anschauung   erlauben,   folglich   die 

Kant     Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     I.  J3 


194     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

Grundsätze  chemischer  Erscheinungen  ihrer  Möglich- 
keit nach  nicht  im  mindesten  begreiflich  machen,  weil 
sie  der  Anwendung  der  Mathematik  unfähig  sind. 

Noch  weiter  aber,  als  selbst  Chemie,  muß  empi- 
rische Seelenlehre  jederzeit  von  dem  Range  einer 
eigentlich  so  zu  nennenden  Naturwissenschaft  ent- 
fernt bleiben,  erstlich  weil  Mathematik  auf  die  Phä- 
nomene des  inneren  Sinnes  und  ihre  Gesetze  nicht 
anwendbar  ist,   man  müßte   denn  allein  das    Gesetz 

10  der  Stetigkeit  in  dem  Abflüsse  der  inneren  Ver- 
änderungen desselben  in  Anschlag  bringen  wollen, 
welches  aber  eine  Erweiterung  der  Erkenntnis  sein 
würde,  die  sich  zu  der,  welche  die  Mathematik  der 
Körperlehre  verschafft,  ohngefähr  so  verhalten  würde, 
wie  die  Lehre  von  den  Eigenschaften  der  geraden 
Linie  zur  ganzen  Geometrie.  Denn  die  reine  innere 
Anschauung,  in  welcher  die  Seelenerscheinungen  kon- 
struiert werden  sollen,  ist  die  Zeit,  die  nur  eine^) 
Dimension  hat.     Aber  auch  nicht  einmal  als  systema- 

20  t^che  Zergliederungskunst  oder  Experimentallehre 
kann  sie  der  Chemie  jemals  nahe  kommen,  weil  sich 
in  ihr  das  Mannigfaltige  der  inneren  Beobachtung 
nur  durch  bloße  Gedankenteilung  voneinander  ab- 
sondern, nicht  aber  abgesondert  aufbehalten  und  be- 
liebig wiederum  verknüpfen,  noch  weniger  aber  ein 
anderes  denkendes  Subjekt  sich  unseren  Versuchen, 
der  Absicht  angemessen,  von  uns  unterwerfen  läßt, 
und  selbst  die  Beobachtung  an  sich  schon  den  Zu- 
stand   des    beobachteten    Gegenstandes    alteriert    und 

30  verstellt.  Sie  kann  daher  niemals  etwas  mehr,  als 
eine  historische,  und  als  solche,  so  viel  möglich,  syste- 
matische Naturlehre  des  inneren  Sinnes,  d.  i.  eine 
Naturbeschreibung  der  Seele,  aber  nicht  Seelenwissen- 
«chaft,  ja  nicht  einmal  psychologische  Experimental- 
lehre werden;  welches  denn  auch  die  Ursache  ist, 
weswegen  wir  uns  zum  Titel  dieses  Werks,  welches 
eigentlich  die  Grundsätze  der  Körperlehre  enthält,  dem 
gewöhnlichen  Gebrauche  gemäß  des  allgemeinen  Na- 
mens der  Naturwissenschaft  bedient  haben,   weil  ihr 

40  diese    Benennung    im    eigentlichen    Sinne    allein    zu- 


a)  Ak.  Ausg.  „eine"  gesperrt. 


Vorrede.  195 

kommt  und  also   hiedurch  keine   Zweideutigkeit  ver- 
anlaßt wird. 

Damit  aber  die  Anwendung  der  Mathematik  auf 
die  Körperlehre,  die  durch  sie  allein  Naturwissen- 
schaft werden  kann,  möglich  werde,  so  müssen  Prin- 
zipien der  Konstruktion  der  Begriffe,  welche  zur 
Möglichkeit  der  Materie  überhaupt  gehören,  voran- 
geschickt werden;  mithin  wird  eine  vollständige  Zer- 
gliederung des  Begriffs  von  einer  Materie  überhaupt 
zum  Grunde  gelegt  werden  müssen,  welches  ein  Ge-  10 
schäft  der  reinen  Philosophie  ist,  die  zu  dieser  Ab- 
sicht sich  keiner  besonderen  Erfahrungen,  sondern 
nur  dessen,  was  sie  im  abgesonderten  (obzwar  an  sich 
empirischen)  Begriffe  selbst  antrifft,  in  Beziehung 
auf  die  reinen  Anschauungen  im  Räume  und  der  Zeit 
(nach  Gesetzen,  welche  schon  dem  Begriffe  der  Natur 
überhaupt  wesentlich  anhängen),  bedient,  mithin  eine 
wirkliche  Metaphysik  der  körperlichen  Natur  ist. 

Alle  Naturphilosophen,  welche  in  ihrem  Geschäfte 
mathematisch  verfahren  wollten,  haben  sich  daher  20 
jederzeit  (obschon  sich  selbst  unbewußt)  metaphysi- 
scher Prinzipien  bedient  und  bedienen  müssen,  wenn 
sie  sich  gleich  sonst  wider  allen  Anspruch  der  Meta- 
physik auf  ihre  Wissenschaft  feierlich  verwahrten. 
Ohne  Zweifel  verstanden  sie  unter  der  letzteren  den 
Wahn,  sich  Möglichkeiten  nach  Belieben  auszudenken 
und  mit  Begriffen  zu  spielen,  die  sich  in  der  An- 
schauung vielleicht  gar  nicht  darstellen  lassen  und 
keine  andere  Beglaubigung  ihrer  objektiven  Realität 
haben,  als  daß  sie  bloß  mit  sich  selbst  nicht  im  30 
Widerspruche  stehen.  Alle  wahre  Metaphysik  ist  aus 
dem  Wesen  des  Denkungsvermögens  selbst  genommen, 
und  keineswegs  darum  erdichtet,  weil  sie  nicht  von 
der  Erfahrung  entlehnt  ist,  sondern  enthält  die  reinen 
Handlungen  des  Denkens,  mithin  Begriffe  und  Grund- 
sätze a  priori,  welche  das  Mannigfaltige  empirischer 
Vorstellungen  allererst  in  die  gesetzmäßige  Verbin- 
dung bringen a),  dadurch  es  empirisches  Erkenntnis 
d.  i.  Erfahrung  werden  kann.  So  konnten  also  jene 
mathematische  Physiker  metaphysischer  Prinzipien  gar  40 


a)  A'.,  A"  A"  „bringt". 

13^ 


196     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

nicht  entbehren,  und  unter  diesen  auch  nicht  solcher, 
welche  den  Begriff  ihres  eigentlichen  Gegenstandes, 
nämlich  der  Materie,  a  priori  zur  Anwendung  auf 
äußere  Erfahrung  tauglich  machen,  als  des  Begriffs 
der  Bewegung,  der  Erfüllung  des  Raums,  der  Träg- 
heit usw.  Darüber  aber  bloß  empirische  Grundsätze 
gelten  zu  lassen,  hielten  sie  mit  Recht  der  apodikti- 
schen Gewißheit,  die  sie  ihren  Naturgesetzen  geben 
wollten,  gar  nicht  gemäß,  daher  sie  solche  lieber  postu- 

10  Herten,  ohne  nach  ihren  Quellen  a  priori  zu  forschen. 
Es  ist  aber  von  der  größten  Wichtigkeit,  zum 
Vorteil  der  Wissenschaften  ungleichartige  Prinzipien 
voneinander  zu  scheiden,  jede  in  ein  besonderes  System 
zu  bringen,  damit  sie  eine  Wissenschaft  ihrer  eigenen 
Art  ausmachen,  um  dadurch  die  Ungewißheit  zu  ver- 
hüten, die  aus  der  Vermengung  entspringt,  da  man 
nicht  wohl  unterscheiden  kann,  welcher  von  beiden 
teils  die  Schranken,  teils  auch  die  Verirrungen,  die 
sich  im  Gebrauche  derselben  zutragen  möchten,  bei- 

20  zumessen  sein  dürften.  Um  deswillen  habe  ich  für 
nötig  gehalten,  von  dem  reinen  Teile  der  Naturwissen- 
schaft (physica  generalis),  wo  metaphysische  und  ma- 
thematische Konstruktionen  durcheinander  zu  laufen 
pflegen,  die  erstere,  und  mit  ihnen  zugleich  die  Prin- 
zipien der  Konstruktion  dieser  Begriffe,  also  der  Mög- 
lichkeit einer  mathematischen  Naturlehre  selbst,  in 
einem  System  darzustellen.  Diese  Absonderung  hat, 
außer  dem  schon  erwähnten  Nutzen,  den  sie  schafft, 
noch  einen  besonderen  Reiz,  den  die  Einheit  der  Er- 

30  kenntnis  bei  sich  führt,  wenn  man  verhütet,  daß  die 
Grenzen  der  Wissenschaften  nicht  ineinanderlaufen, 
sondern  ihre  gehörig  abgeteilte  Felder  einnehmen. 

Es  kann  noch  zu  einem  zweiten  Anpreisungsgrunde 
dieses  Verfahrens  dienen,  daß  in  allem,  was  Meta- 
physik heißt,  die  absolute  Vollständigkeit  der 
Wissenschaften  gehofft  werden  kann,  dergleichen  man 
sich  in  keiner  anderen  Art  von  Erkenntnissen  ver- 
sprechen darf,  mithin  ebenso,  wie  in  der  Metaphysik 
der  Natur  überhaupt,  also  auch  hier  die  Vollständig- 

40  keit  der  Metaphysik  der  körperlichen  Natur  zuver- 
sichtlich erwartet  werden  kann;  wovon  die  Ursache; 
ist,  daß  in  der  Metaphysik  der  Gegenstand  nur,  wie 


Yorrede.  197 

er  bloß  nach  den  allgemeinen  Gesetzen  des  Denkens, 
in  andern  Wissenschaften  aber,  wie  er  nach  datis 
der  Anschauung  (der  reinen  sowohl  als  empirischen) 
vorgestellt  werden  muß,  betrachtet  wird,  da  denn  jene, 
weil  der  Gegenstand  in  ihr  jederzeit  mit  allen  not- 
wendigen Gesetzen  des  Denkens  verglichen  werden 
muß,  eine  bestimmte  Zahl  von  Erkenntnissen  geben 
muß,  die  sich  völlig  erschöpfen  läßt,  diese  aber,  weil 
sie  eine  unendliche  Mannigfaltigkeit  von  Anschauungen 
(reinen  oder  empirischen)  mithin  Objektena)  des  Denkens  10 
darbieten,  niemals  zur  absoluten  Vollständigkeit  ge- 
langen, sondern  ins  Unendliche  erweitert  werden 
können;  wie  reine  Mathematik  und  empirische  Natur- 
lehre. Auch  glaube  ich  diese  metaphysische  Körper- 
lehre so  weit,  als  sie  sich  immer  nur  erstreckt,  voll- 
ständig erschöpft,  dadurch  aber  doch  eben  kein  großes 
Werk  zustande  gebracht  zu  haben. 

Das  Schema  aber  zur  Vollständigkeit  eines  meta- 
physischen Systems,  es  sei  der  Natur  überhaupt  oder 
der   körperlichen   Natur    insbesondere,    ist   die    Tafel  20 
der   Kategorien*).     Denn   mehr    gibt   es    nicht   reine 

*)  Nicht  wider  diese  Tafel  der  reinen  Yerstandesbegriffe, 
sondern  die  daraus  gezogenen  Schlüsse  auf  die  Grenzbe- 
stimmung des  ganzen  reinen  Vemunftvermögens,  mithin 
auch  aller  Metaphysik,  finde  ich  in  der  AUgem.  Litt.  Zeit. 
Nr.  295,  in  der  Rezension  der  Institutiones  Logicae  et 
Metaph.  des  Herrn  Prof.  Ulrich  Zweifel,  in  welchen  der 
tiefforschende  Rezensent  mit  seinem  nicht  minder  prüfenden 
Verfasser  übereinzukommen  sich  erklärt,  und  zwar  Zweifel, 
die,  weil  sie  gerade  das  Hauptfundament  meines  in  der 
Kritik  aufgestellten  Systems  treffen  sollen,  Ursache  wären, 
daß  dieses  in  Ansehung  seines  Hauptzieles  noch  lange  nicht 
diejenige  apodiktische  Überzeugung  bei  sich  führe,  welche 
zur  Abnötigung  einer  uneingeschränkten  Annahme  erfoder- 
lich  ist;  dieses  Hauptfundament  sei  meine,  teils  dort,  teils 
in  den  Prolegomenen  vorgetragene  Deduktion  der 
reinen  Verstandesbegriffe,  die  aber  in  dem  Teile  der  KJritik, 
welcher  gerade  der  helleste  sein  müßte,  am  meisten  dunkel 
wäre,  oder  wohl  gar  sich  im  Zirkel  herumdrehete  etc.  Ich 
richte  meine  Beantwortung  dieser  Einwürfe  nur  auf  den 
Hauptpunkt  derselben,  daß  nämlich  ohne  eine  ganz  klare 
und  genugtuende    Deduktion    der  Kategorien  das 

a)  „Objecte"  A'.  A".  A'".  korr.  Hartenstein. 


X98     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

Verstandesbegriffe,  die  die  Natur  der  Dinge  betreffen 
können.     Unter  die  vier  Klassen  derselben,   die  der 


System  der  Kritik  der  reinen  Vernunft  in  seinem  Funda- 
mente wanke.  Dagegen  behaupte  ich,  dali  für  denjenigen,  der 
meine  Sätze  von  der  Sinnlichkeit  aller  unserer  Anschauung 
und  der  Zulänglichkeit  der  Tafel  der  Kategorien,  als  von 
den  logischen  Funktionen  in  Urteilen  überhaupt  entlehnter 
Bestimjnungen  unseres  Bewußtseins ,  unterschreibt  (wie 
dieses  denn  der  Rezensent  tut),  das  System  der  Kritik 
apodiktische  Gewißheit  bei  sich  führen  müsse,  weil  dieses 
auf  dem  Satze  erbauet  ist,  daß  der  ganze  spekulative 
Gebrauch  unserer  Vernunft  niemals  weiter,  als 
auf  Gegenstände  möglicher  Erfahrung  reiche. 
Denn  wenn  bewiesen  werden  kann,  daß  die  Kategorien, 
deren  sich  die  Vernunft  in  allem  ihrem  Erkenntnis  bedienen 
muß,  gar  keinen  anderen  Gebrauch,  als  bloß  in  Beziehung 
auf  Gegenstände  der  Erfahrung  haben  können  (dadurch,  dalJ 
sie  in  dieser  bloß  die  Form  des  Denkens  möglich  machen), 
so  ist  die  Beantwortung  der  Frage:  wie  sie  solche  möglich 
machen,  zwar  wichtig  genug,  um  diese  Deduktion,  wo  mög- 
lich, zu  vollenden,  aber  in  Beziehung  auf  den  Hauptzweck 
des  Systems,  nämlich  die  Grenzbestimmung  der  reinen  Ver- 
nunft, keineswegs  notwendig,  sondern  bloß  verdienst- 
lich. Denn  in  dieser  Absicht  ist  die  Deduktion  schon  alsdeun 
weit  genug  geführt,  wenn  sie  zeigt,  daß  gedachte  Kate- 
gorien nichts  anders  als  bloße  Formen  der  Urteile  sind, 
sofern  sie  auf  Anschauungen  (die  bei  uns  immer  nur  sinnlich 
sind)  angewandt  werden,  dadurch  aber  allererst  Objekte 
bekommen  und  Erkenntnisse  werden ;  weil  dieses  schon  hin- 
reicht, das  ganze  System  der  eigentlichen  Kritik  darauf 
mit  völliger  Sicherheit  zu  gründen.  So  steht  Newtons 
System  der  allgemeinen  Gravitäten  fest,  ob  es  gleich  die 
Schwierigkeit  bei  sich  führt,  daß  man  nicht  erklären  kann, 
wie  Anziehung  in  die  Ferne  möglich  sei;  aber  Schwierig- 
keiten sind  nicht  Zweifel.  Daß  nun  jenes  Haviptfunda- 
ment  auch  ohne  vollständige  Deduktion  der  Kategorien  fest 
stehe,  beweise  ich  aus  dem  Zugestandenen  also: 

1.  Zugestanden:  daß  die  Tafel  der  Kategorien  alle 
reine  Verstandesbegriffe  vollständig  enthalte,  und  ebenso 
alle  formale  Verstandeshandlungen  in  Urteilen,  von  welchen 
sie  abgeleitet  und  auch  in  nichts  unterschieden  sind,  als 
daß  durch  den  Verstandesbegriff  ein  Objekt  in  Ansehung 
einer  oder  der  andern  Funktion  der  Urteile  als  bestimmt 
gedacht  wird  (z.  B.  so  wird  in  dem  kategorischen  Urteile: 
der  Stein  ist  hart,  der  Stein  für  Subjekt  und  hart  als 


Yorrede,  199 

Größe,  der  Qualität,  der  Relation  und  endlich 
der  Modalität  müssen  sich  auch  alle  Bestimmungen 

Prädikat  gebraucht,  so  doch,  daß  es  dem  Verstände  unbe- 
nommen bleibt,  die  logische  Funktion  dieser  Begriffe  umzu- 
tauschen und  zu  sagen :  einiges  Harte  ist  ein  Stein ;  dagegen 
wenn  ich  es  mir  im  Objekte  als  bestimmt  vorstelle, 
daß  der  Stein  in  jeder  möglichen  Bestimmung  eines  Gegen- 
standes, nicht  des  bloßen  Begriffs,  nur  als  Subjekt,  die 
Härte  aber  nur  als  Prädikat  gedacht  werden  müsse,  die- 
selbe logische  Funktionen  nun  reine  Verstandesbegriffe 
von  Objekten,  nämlich  als  Substanz  und  Akzidens, 
werden) ; 

2.  zugestanden:  daß  der  Verstand  durch  seine  Natur 
synthetische  Grundsätze  a  priori  bei  sich  führe,  durch  die 
er  alle  Gegenstände,  die  ihm  gegeben  werden  mögen,  jenen 
Kategorien  unterwirft,  mithin  es  auch  Anschauungen  a priori 
geben  müsse,  welche  die  zur  Anwendung  jener  reinen  Ver- 
etandesbegriffe  erfoderliche  Bedingungen  enthalten,  weil 
ohne  Anschauung  kein  Objekt,  in  Ansehung  dessen 
die  logische  Funktion  als  Kategorie  bestimmt  werden  könnte, 
mithin  auch  keine  Erkenntnis  irgend  eines  Gegenstandes, 
und  also  auch  ohne  reine  Anschauung  kein  Grundsatz,  der 
sie  a  priori  in  dieser  Absicht  bestimmte,  stattfindet; 

3.  zugestanden:  daß  diese  reine  Anschauungen  nie- 
mals etwas  anders,  als  bloße  Formen  der  Erscheinungen 
äußeren»)  oder  des  inneren  Sinnes  (Raum  und  Zeit),  folglich 
nur  allein  der  Gegenstände  möglicher  Erfahrungen 
sein  können: 

So  folgt :  daß  aller  Gebrauch  der  reinen  Vernunft  nie- 
mals worauf  anders,  als  auf  Gegenstände  der  Erfahrung 
gehen  könne ,  und ,  weil  in  Grundsätzen  a  priori  nichts 
Empirisches  die  Bedingung  sein  kann,  sie  nichts  weiter,  als 
Prinzipien  der  Möglichkeit  der  Erfahrung  überhaupt 
sein  können.  Dieses  allein  ist  das  wahre  und  hinlängliche 
Fundament  der  Grenzbestimmung  der  reinen  Vernunft,  aber 
nicht  die  Auflösung  der  Aufgabe:  wie  nun  Erfahrung  ver- 
mittelst jener  Kategorien  und  nur  allein  durch  dieselbe 
möglich  sei.  Die  letztere  Aufgabe,  obgleich  auch  ohne  sie 
das  Gebäude  fest  steht,  hat  indessen  große  Wichtigkeit, 
und,  wie  ich  es  jetzt  einsehe,  ebenso  große  Leichtigkeit,  da 
sie  beinahe  durch  einen  einzigen  Schluß  aus  der  genau 
bestimmten  Definition  eines  Urteils  überhaupt  (einer  Hand- 
lung,  durch  die   gegebene^)  Vorstellungen  zuerst  Erkennt- 

a)  „äußerer"  A'". 

b)  „gegebenen"  A'". 


200     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

des  allgemeinen  Begriffs  einer  Materie  überhaupt,  mit- 
hin auch  alles,  was  a  priori  von  ihr  gedacht,  was  in 
der  mathematischen  Konstruktion  dargestellt,  oder  in 
der  Erfahrung  als  bestimmter  Gegenstand  derselben 
gegeben  werden  mag,  bringen  lassen.  Mehr  ist  hier 
nicht  zu  tun,  zu  entdecken  oder  hinzuzusetzen,  sondern 
allenfalls,  wo  in  der  Deutlichkeit  oder  Gründlichkeit 
gefehlt  sein  möchte,  es  besser  zu  machen. 

Der  Begriff  der  Materie  mußte  daher  durch  alle 

nisse  eines  Objekts  werden)  verrichtet  werden  kann.  Die 
Dunkelheit,  die  in  diesem  Teile  der  Deduktion  meinen 
vorigen  Verhandlungen  anhängt,  und  die  ich  nicht  in  Ab- 
rede ziehe,  ist  dem  gewöhnlichen  Schicksale  des  Verstandes 
im  Nachforschen  beizumessen,  dem  der  kürzeste  Weg  ge- 
meiniglich nicht  der  erste  ist,  den  er  gewahr  %\ärd.  Daher 
ich  die  nächste  Gelegenheit  ergreifen  werde,  diesen  Mangel 
(welcher  auch  nur  die  Ali;  der  Darstellung,  nicht  den  dort 
schon  richtig  angegebenen  Erklärungsgrund  betrifft),  zu  er- 
gänzen, ohne  daß  der  scharfsinnige  Rezensent  in  die  ihm 
gewiß  selbst  unangenehm  fallende  Notwendigkeit  versetzt 
werden  darf,  wegen  der  befremdlichen  Einstimmung  der 
Erscheinungen  zu  den  Verstandesgesetzen,  ob  diese  gleich 
von  jenen  ganz  verschiedene  Quellen  haben,  zu  einer  prä- 
stabilierten  Harmonie  seine  Zuflucht  zu  nehmen;  einem 
Rettungsmittel,  welches  weit  schlimmer  wäre  als  das  Übel, 
dawider  es  helfen  soll,  und  daß  dagegen  doch  wirklich 
nichts  helfen  kann.  Denn  auf  diese  kommt  doch  jene  ob- 
jektive  Notwendigkeit  nicht  heraus,  welche  die  reinen 
Verstandesbegriffe  (und  die  Grundsätze  ihrer  Anwendung 
auf  Erscheinungen)  charakterisiert,  z.  ß.  in  dem  Begriffe  der 
Ursache  in  Verknüpfung  mit  der  "Wirkung,  sondern  alles 
bleibt  bloß  subjektiv-notwendige,  objektiv  aber  bloß 
zufällige  Zusammenstellung,  gerade  wie  es  Hume  ■will, 
wenn  er  sie  bloße  Täuschung  aus  Gewohnheit  nennt.  Auch 
kann  kein  System  in  der  "Welt  diese  Notwendigkeit  wo 
anders  herleiten,  als  aus  den  a  priori  zum  Grunde  hegenden 
Prinzipien  der  Möglichkeit  des  Denkens  selbst;  wodurch 
allein  die  Erkenntnis  der  Objekte,  deren  Erscheinung  uns 
gegeben  ist,  d.i.  Erfahrung  möglich  wird,  und  gesetzt,  die 
Art,  wie  Erfahrung  dadurch  allererst  möglich  werde,  könnte 
niemals  hinreichend  erklärt  werden,  so  bleibt  es  doch  un- 
widersprechlich  gewiß,  daß  sie  bloß  durch  jene  Begriffe 
möglich,  und  jene  Begriffe  umgekehrt  auch  in  keiner  anderen 
Beziehung,  als  auf  Gegenstände  der  Erfahrung  einer  Be- 
deutung und  irgend  eines  Gebrauchs  fähig  sind. 


Vorrede.  201 

vier  genannte  Funktionen  der  Verstandesbegriffe  (in 
vier  Hauptstücken)  durchgeführt  werden,  in  deren 
jedem  eine  neue  Bestimmung  desselben  hinzukam.  Die 
Grundbestimmung  eines  Etwas,  das  ein  Gegenstand 
äußerer  Sinne  sein  soll,  mußte  Bewegung  sein;  denn 
dadurch  allein  können  diese  Sinne  affiziert  werden. 
Auf  diese  führt  auch  der  Verstand  alle  übrige  Prädi- 
kate der  Materie,  die  zu  ihrer  Natur  gehören,  zurück, 
und  so  ist  die  Naturwissenschaft  durchgängig  eine 
entweder  reine  oder  angewandte  Bewegungslehre.  10 
Die  metaphysischen  Anfangsgründe  der  Natur- 
wissenschaft sind  also  unter  vier  Hauptstücke  zu 
bringen,  deren  erstes  die  Bewegung  als  ein  reines 
Quantum,  nach  seiner  Zusammensetzung,  ohne  alle 
Qualität  des  Beweglichen  betrachtet  und  Phoronomie 
genannt  werden  kann,  das  zweite  sie,  als  zur  Quali- 
tät der  Materie  gehörig,  unter  dem  Namen  einer  ur- 
sprünglich bewegenden  Kraft  in  Erwägung  zieht  und 
daher  Dynamik  heißt,  das  dritte  die  Materie  mit 
dieser  Qualität  durch  ihre  eigene  Bewegung  gegen-  20 
einander  in  Relation  betrachtet  und  unter  dem  Namen 
Mechanik  vorkommt,  das  vierte  aber  ihre  Bewegung 
oder  Ruhe  bloß  in  Beziehung  auf  die  Vorstellungsart 
oder  Modalität,  mithin  als  Erscheinung  äußerer  Sinne 
bestimmt  und  Phänomenologie   genannt  wird. 

Aber  außer  jener  inneren  Notwendigkeit,  die  meta- 
physischen Anfangsgründe  der  Körperlehre  nicht  allein 
von  der  Physik,  welche  empirische  Prinzipien  braucht, 
sondern  selbst  von  den  rationalen  Prämissen  derselben, 
die  den  Gebrauch  der  Mathematik  in  ihr  betreffen,  ab-  30 
zusondern,  ist  noch  ein  äußerer,  zwar  nur  zufälliger, 
aber  gleichwohl  wichtiger  Grund  da,  ihre  ausführliche 
Bearbeitung  von  dem  allgemeinen  System  der  Meta- 
physik abzutrennen  und  sie  als  ein  besonderes  Ganze 
systematisch  darzustellen.  Denn  wenn  es  erlaubt  ist, 
die  Grenzen  einer  Wissenschaft  nicht  bloß  nach  der 
Beschaffenheit  des  Objekts  und  der  spezifischen  Er- 
kenntnisart desselben,  sondern  auch  nach  dem  Zwecke, 
den  man  mit  der  Wissenschaft  selbst  zum  anderweitigen 
Gebrauche  vor   Augen  hat,   zu  zeichnen,   und  man»)  40 


a)  ..man"  fehlt  in  A'  A"  A'". 


202     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

findet,  daß  Metaphysik  so  viel  Köpfe  bisher  nicht 
darum  beschäftigt  hat  und  sie  ferner  beschäftigen 
wird,  um  Naturkenntnisse  dadurch  zu  erweitern  (wel- 
ches viel  leichter  und  sicherer  durch  Beobachtung, 
Experiment  und  Anwendung  der  Mathematik  auf 
äußere  Erscheinungen  geschieht),  sondern  um  zur  Er- 
kenntnis dessen,  was  gänzlich  über  alle  Grenzen  der 
Erfahrung  hinausliegt,  von  Gott,  Freiheit  und  Un- 
sterblichkeit  zu   gelangen;   so    gewinnt   man   in    Be- 

10  f Order ung  dieser  Absicht,  wenn  man  sie  von  einem, 
zwar  aus  ihrer  Wurzel  sprossenden,  aber  doch  ihrem 
regelmäßigen  Wüchse  nur  hinderlichen  Sprößlinge  be- 
freiet, diesen  besonders  pflanzt,  ohne  dennoch  dessen 
Abstammung  aus  jener  zu  verkennen  und  sein  völliges 
Gewächs  aus  dem  System  der  allgemeinen  Metaphysik 
wegzulassen.  Dieses  tut  der  Vollständigkeit  der  letzte- 
ren keinen  Abbruch  und  erleichtert  doch  den  gleich- 
förmigen Gang  dieser  Wissenschaft  zu  ihrem  Zwecke, 
wenn  man  in  allen  Fällen,  wo  man  der  allgemeinen 

20  Körperlehre  bedarf,  sich  nur  auf  das  abgesonderte 
System  derselben  berufen  darf,  ohne  jenes  größere 
mit  diesem  anzuschwellen.  Es  ist  auch  in  der  Tat 
sehr  merkwürdig  (kann  aber  hier  nicht  ausführlich 
vor  Augen  gelegt  werden),  daß  die  allgemeine  Meta- 
physik in  allen  Fällen,  wo  sie  Beispiele  (Anschauungen) 
bedarf,  um  ihren  reinen  Verstandesbegriffen  Bedeu- 
tung 2u  verschaffen,  diese  jederzeit  aus  der  allge- 
meinen Körperlehre,  mithin  von  der  Form  und  den 
Prinzipien  der  äußeren  Anschauung  hernehmen  müsse, 

30  und,  wenn  diese  nicht  vollendet  darliegen,  unter  lauter 
sinnleeren  Begriffen  unstet  und  schwankend  herum- 
tappe. Daher  die  bekannten  Streitigkeiten,  wenigstens 
die  Dunkelheit  in  den  Fragen  über  die  Möglichkeit 
eines  Widerstreits  der  Realitäten,  die  der  intensiven 
Größe  u.  a.  m.,  bei  welchen  der  Verstand  nur  durch 
Beispiele  aus  der  körperlichen  Natur  belehrt  wird, 
welches  die  Bedingungen  sind,  unter  denen  jene  Be- 
griffe allein  objektive  Realität,  d.  i.  Bedeutung  und 
Wahrheit  haben  können.   Und  so  tut  eine  abgesonderte 

40  MetapnysTk  der  körperlichen  Natur  der  allgemeinen 
vortreffliche  und  unentbehrliche  Dienste,  indem  sie 
Beispiele    (Fälle  in  Konkrete)    herbeischafft,   die   Be- 


Vorrede.  203 

griffe  und  Lehrsätze  der  letzteren  (eigentlich  der  Tran- 
szendentalphilosophie) zu  realisieren,  d.  i.  einer  bloßen 
Gedankenform  Sinn  und  Bedeutung  unterzulegen. 

Ich  habe  in  dieser  Abhandlung  die  mathematische 
Methode,  wenngleich  nicht  mit  aller  Strenge  befolgt 
(wozu  mehr  Zeit  erfoderlich  gewesen  wäre,  als  ich 
darauf  zu  verwenden  hätte  a),  dennoch  nachgeahmt, 
nicht  um  ihr  durch  ein  Gepränge  von  Gründlichkeit 
besseren  Eingang  zu  verschaffen,  sondern  weil  ich 
glaube,  daß  ein  solches  System  deren  wohl  fähig  sei  10 
und  diese  Vollkommenheit  auch  mit  der  Zeit  von  ge- 
schickterer Hand  wohl  erlangen  könne,  wenn  durch 
diesen  Entwurf  veranlaßt,  mathematische  Naturforscher 
es  nicht  unwichtig  finden  sollten,  den  metaphysischen 
Teil,  de-ssen  sie  ohnedem  nicht  entübrigt  sein  können, 
in  ihrer  allgemeinen  Physik  als  einen  besonderen 
Grundteil  zu  behandeln  und  mit  der  mathematischen 
Bewegungslehre  in  Vereinigung  zu  bringen. 

Newton  sagt  in  der  Vorrede  zu  seinen  mathe- 
matischen Grundlehren  der  Nat.  Wiss.  (nachdem  20 
er  angemerkt  hatte,  daß  die  Geometrie  von  den 
mechanischen  Handgriffen,  die  sie  postuliert,  nur 
zweier  bedürfe,  nämlich  eine  gerade  Linie  und  einen 
Zirkel  zu  beschreiben):  die  Geometrie  ist  stolz 
darauf,  daß  sie  mit  so  Wenigem,  was  sie  ander- 
wärts hernimmt,  so  viel  zu  leisten  vermag*). 
Von  der  Metaphysik  könnte  man  dagegen  sagen:  sie 
steht  bestürzt,  daß  sie  mit  so  Vielem,  als  ihr 
die  reine  Mathematik  darbietet,  doch  nur  so 
wenig  ausrichten  kann.  Indessen  ist  doch  dieses  30 
Wenige  etwas,  das  selbst  die  Mathematik  in  ihrer 
Anwendung  auf  Naturwissenschaft  unumgänglich 
braucht,  die  sich  also,  da  sie  hier  von  der  Meta- 
physik notwendig  borgen  muß,  auch  nicht  schämen 
darf,  sich  mit  ihr  in  Gemeinschaft  sehen  zu  lassen. 


*)  Gloriatur  geometria,  quod  tarn  paucis  principiis  aliunde 
petitis  tarn  multa  praestet.  Neivton,  Princ.  Phil.  Nat. 
Math.  Praefat. 


a)  Höfler  Ak.  Ausg.  schlägt  vor  „hatte". 


Erstes  Hauptstück. 

Metaphysische  Anfangsgründe 
der 

Plioronomie. 


Erklärung  1. 

Materie  ist  das  Bewegliche  im  Eaume.  Der 
Eaum,  der  selbst  beweglich  ist,  heißt  der  materielle 
oder  auch  der  relative  Raum;  der,  in  welchem 
alle  Bewegung  zuletzt  gedacht  werden  muß  (der 
10  mithin  selbst  schlechterdings  unbeweglich  ist),  heißt 
der  reine  oder  auch  absolute  Raum. 


Anmerkung  1. 

Da  in  der  Phoronomie  von  nichts,  als  Bewegung 
geredet  werden  soll,  so  wird  dem  Subjekt  derselben, 
nämlich  der  Materie,  hier  keine  andere  Eigenschaft 
beigelegt,  als  die  Beweglichkeit.  Sie  selbst  kann 
also  so  lange  auch  für  einen  Punkt  gelten,  und  man 
abstrahiert  in  der  Phoronomie  von  aller  Innern  Be- 
schaffenheit, mithin  auch  der  Größe  des  Beweglichen, 
20  und  hat  es  nur  mit  der  Bewegung  und  dem,  was  in 
dieser  als  Größe  betrachtet  werden  kann  (Geschwindig- 
keit und  Richtung),  zu  tun.  —  Wenn  gleichwohl  der 
Ausdruck   eines    Körpers    hier    bisweilen    gebraucht 


1.  Hauptstück.     Phoronomie.  205 

werden  sollte,  so  geschieht  es  nur,  um  die  Anwendung 
der  Prinzipien  der  Phoronomie  auf  die  noch  folgende 
bestimmtere  Begriffe  der  Materie  gewissermaßen  zu 
antizipieren,  damit  der  Vortrag  weniger  abstrakt  und 
faßlicher  sei. 

Anmerkung  2. 

Wenn  ich  den  Begriff  der  Materie  nicht  durch  ein 
Prädikat,  was  ihr  selbst  als  Objekt  zukommt,  sondern 
nur  durch  das  Verhältnis  zum  Erkenntnisvermögen, 
in  welchem  mir  die  Vorstellung  allererst  gegeben  10 
werden  kann,  erklären  soll,  so  ist  Materie  ein  jeder 
Gegenstand  äußerer  Sinne,  und  dieses  wäre  die 
bloß  metaphysische  Erklärung  derselben.  Der  Raum 
aber  wäre  bloß  die  Form  aller  äußeren  sinnlichen 
Anschauung  (ob  ebendieselbe  auch  dem  äußeren  Ob- 
jekt, das  wir  Materie  nennen,  an  sich  selbst  zu- 
komme, oder  nur  in  der  Beschaffenheit  unseres  Sinnes 
bleibe,  davon  ist  hier  gar  nicht  die  Frage).  Die 
Materie  wäre  im  Gegensatz  der  Form  das,  was  in 
der  äußeren  Anschauung  ein  Gegenstand  der  Emp-  20 
findung  ist,  folglich  das  eigentlich  Empirische  der 
sinnlichen  und  äußeren  Anschauung,  weil  es  gar  nicht 
a  priori  gegeben  werden  kann.  In  aller  Erfahrung 
muß  etwas  empfunden  werden,  und  das  ist  das  Reale 
der  sinnlichen  Anschauung;  folglich  muß  auch  der 
Raum,  in  welchem  wir  über  die  Bewegungen  Er- 
fahrung anstellen  sollen,  empfindbar,  d.  i.  durch  das, 
was  empfunden  werden  kann,  bezeichnet  sein,  und 
dieser,  als  der  Inbegriff  aller  Gegenstände  der  Er- 
fahrung und  selbst  ein  Objekt  derselben,  heißt  der  SO 
empirische  Raum.  Dieser  aber,  als  materiell,  ist 
selbst  beweglich.  Ein  beweglicher  Raum  aber,  wenn 
seine  Bewegung  soll  wahrgenommen  werden  können, 
setzt  wiederum  einen  anderen  erweitertem  mate- 
riellen Raum  voraus,  in  welchem  er  beweglich  ist, 
dieser  ebensowohl  einen  andern  und  so  forthin  ins 
Unendliche. 

Also  ist  alle  Bewegung,  die  ein  Gegenstand  der 
Erfahrung  ist,  bloß  relativ;  der  Raum,  in  dem  sie 
wahrgenommen  wird,  ist  ein  relativer  Raum,  der  selbst  40 


206     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

wiederum,  und  vielleicht  in  entgegengesetzter  Rich- 
tung, in  einem  erweiterten  Räume  a)  bewegt,  mithin 
auch  die  in  Beziehung  auf  den  erstem  bewegte  Ma- 
terie in  Verhältnis  auf  den  zweiten  Raum  ruhig  ge- 
nannt werden  kann;  und  diese  Abänderungen  des  Be- 
griffs der  Bewegungen  gehen  mit  der  Veränderung 
des  relativen  Raumes  so  ins  Unendliche  fort.  Einen 
absoluten  Raum,  d.  i.  einen  solchen,  der,  weil  er  nicht 
materiell  ist,    auch   kein    Gegenstand    der   Erfahrung 

10  sein  kann,  als  für  sich  gegeben  annehmen,  heißt 
etwas,  das  weder  an  sich,  noch  in  seinen  Folgen  (der 
Bewegung  im  absoluten  Raum)  wahrgenommen  werden 
kann,  um  der  Möglichkeit  der  Erfahrung  willen  an- 
nehmen, die  doch  jederzeit  ohne  ihn  angestellt  werden 
muß.  Der  absolute  Raum  ist  also  an  sich  nichts 
und  gar  kein  Objekt,  sondern  bedeutet  nur  einen  jeden 
andern  relativen  Raum,  den  ich  mir  außer  dem  ge- 
gebenen jederzeit  denken  kann,  und  den  ich  nur  über 
jeden  gegebenen  ins  Unendliche  hinausrücke,  als  einen 

20  solchen,  der  diesen  einschließt  und  in  welchem  ich 
den  ersteren  als  bewegt  annehmen  kann.  Weil  ich 
den  erweiterten,  obgleich  immer  noch  materiellen 
Raum  nur  in  Gedanken  habe,  und  mir  von  der  Materie, 
die  ihn  bezeichnet,  nichts  bekannt  ist,  so  abstrahiere 
ich  von  dieser,  und  er  wird  daher  wie  ein  reiner, 
nicht  empirischer  und  absoluter  Raum  vorgestellt,  mit 
dem  ich  jeden  empirischen  vergleichen  und  diesen  in 
ihm  als  beweglich  Vorstellen  kann,  der  also  jederzeit 
als  unbeweglich  gilt.     Ihn  zum  wirklichen  Dinge  zu 

30  machen,  heißt  die  logische  Allgemeinheit  irgend- 
eines Raums,  mit  dem  ich  jeden  empirischen  als 
darin  eingeschlossen  vergleichen  kann,  in  eine  phy- 
sische Allgemeinheit  des  wirklichen  Umfanges 
verwechseln,  und  die  Vernunft  in  ihrer  Idee  miß- 
verstehen. 

Schließlich  merke  ich  noch  an,  daß,  da  die  Be- 
weglichkeit eines  Gegenstandes  im  Raum  a  priori 
und  ohne  Belehrung  durch  Erfahrung  nicht  erkannt 
werden  kann,  sie  von  mir  eben  darum  in  der  Kritik 

40  der  reinen  Vernunft  auch  nicht  unter  die  reine  Ver- 


a)  Hartenstein  „sich  bewegt". 


1.  Hauptstück.     Phoronomie.  207 

Standesbegriffe  gezählt  werden  konnte,  und  daß  dieser 
Begriff  als  empirisch,  nur  in  einer  Naturwissenschaft, 
als  angewandter  Metaphysik,  welche  sich  mit  einem 
durch  Erfahrung  gegebenen  Begriffe,  obwohl  nach 
Prinzipien  a  priori,   beschäftigt,   Platz  finden  könne. 


Erklärung  2. 

Bewegung  eines  Dinges  ist  die  Veränderung 
der  äußeren  Verhältnisse  desselben  zu  einem 
gegebenen  B,aum. 

Anmerkung  1.  10 

Vorher  habe  ich  dem  Begriffe  der  Materie  schon 
den  Begriff  der  Bewegung  zum  Grund  gelegt.  Denn 
da  ich  denselben  selbst  unabhängig  vom  Begriffe  der 
Ausdehnung  bestimmen  wollte,  und  die  Materie  also 
auch  in  einem  Punkte  betrachten  könnte  a),  so  durfte 
ich  einräumen,  daß  man  sich  daselbst  der  gemeinen 
Erklärung  der  Bewegung  als  Veränderung  des 
Orts  bedienete.  Jetzt,  da  der  Begriff  einer  Materie 
allgemein,  mithin  auch  auf  bewegte  Körper  passend, 
erklärt  werden  soll,  so  reicht  jene  Definition  nicht  20 
zu.  Denn  der  Ort  eines  jeden  Körpers  ist  ein  Punkt. 
Wenn  man  die  Weite  des  Mondes  von  der  Erde  be- 
stimmen will,  so  will  man  die  Entfernung  ihrer  Örter 
wissen,  und  zu  diesem  Ende  mißt  man  nicht  von  einem 
beliebigen  Punkte  der  Oberfläche  oder  des  Inwendigen 
der  Erde  zu  jedem  beliebigen  Punkte  des  Mondes, 
sondern  nimmt  die  kürzeste  Linie  vom  Mittelpunkte 
dert»)  einen  zum  Mittelpunkte  des  andern,  mithin  ist 
von  jedem  dieser  Körper  nur  ein  Punkt,  der  seinen 
Ort  ausmacht.  Nun  kann  sich  ein  Körper  bewegen,  30 
ohne  seinen  Ort  zu  verändern,  wie  die  Erde,  indem 
sie  sich  um  ihre  Achse  dreht.  Aber  ihr  Verhältnis 
zum  äußeren  Räume  verändert  sich  hiebei  doch;  denn 
sie  kehrt  z.  B.  in  24  Stunden  dem  Monde  ihre  ver- 
schiedene   Seiten    zu,    woraus     denn    auch    allerlei 

a)  Höfler  Ak.  Ausg.  ,,konnte". 

b)  ,.des"  A'  A"  A'"  korr.  Höfler  Ak.  Ausg. 


208     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

wandelbare  Wirkungen  auf  der  Erde  erfolgen.  Nur. 
von  einem  beweglichen,  d.  i.  physischen  Punkte  kann 
man  gagen:  Bewegung  sei  jederzeit  Veränderung  des 
Orts.  Man  könnt«  wider  diese  Erklärung  erinnern, 
daß  die  innere  Bewegung,  z.  B.  einer  Gärung,  nicht 
in  ihr  mit  eingeschlossen  sei;  aber  das  Ding,  was 
man  bewegt  nennt,  muß  sofern  als  Einheit  betrachtet 
werden.  Die  Materie,  als  z.  B.  ein  Faß  Bier,  ist 
bewegt,  bedeutet  also  etwas  anderes,  als  das  Bier 
10  im  Fasse  ist  in  Bewegung.  Die  Bewegung  eines 
Dinges  ist  mit  der  Bewegung  in  diesem  Dinge  nicht 
einerlei,  von  der  ersteren  aber  ist  hier  nur  die  Rede. 
Dieses  Begriffs  Anwendung  aber  auf  den  zweiten 
Fall  ist  nachher  leicht. 

Anmerkung  2. 

Die  Bewegungen  können  drehend  (ohne  Verände- 
rung des  Orts)  oder  fortschreitend,  diese  aber  ent- 
weder den  Raum  erweiternd,  oder  auf  einen  ge- 
gebenen Raum  eingeschränkte  Bewegungen  sein.    Von 

20  der  ersteren  Art  sind  die  geradlinichte,  oder  auch 
krummlinichte,  in  sich  nicht  zurückkehrende  Be- 
wegungen. Die  von  der  zweiten  sind  die  in  sich 
zurückkehrende.  Die  letztern  sind  wiederum  entr 
weder  zirkulierende  oder  oszillierende,  d.  i. 
Kreis-  oder  schwankende  Bewegungen.  Die  erstem 
legen  ebendenselben  Raum  immer  in  derselben  Rich- 
tung, die  zweiten  immer  wechselweise  in  entgegen- 
gesetzter Richtung  zurück,  wie  schwankende  Penduln. 
Zu  beiden   gehört  noch   Bebung   (7notus   trenmlus), 

SO  welche  nicht  eine  fortschreitende  Bewegung  eines  Kör- 
pers, dennoch  aber  eine  reziprozierende  Bewegung  einer 
Materie  ist,  die  dabei  ihre  Stelle  im  Ganzen  nicht 
verändert,  wie  die  Zitterungen  einer  geschlagenen 
Glocke,  oder  die  Bebungen  einer  durch  den  Schall 
in  Bewegung  gesetzten  Luft.  Ich  tue  dieser  ver- 
schiedenen Arten  der  Bewegung  bloß  darum  in  einer 
Phoronomie  Erwähnung,  weil  man  bei  allen,  die  nicht 
fortschreitend  sind,  sich  des  Worts  Geschwindigkeit 
gemeiniglich  in  anderer  Bedeutung  bedient,  als  bei  den 

40  fortschreitenden,  wie  die  folgende  Anmerkung  zeigt. 


1.  Hauptstück.     Phoronomie.  209 

Anmerkung  3. 

In  jeder  Bewegung  sind  Richtung  und  Geschwindig- 
keit die  beiden  Momente  der  Erwägung  derselben, 
wenn  man  von  allen  anderen  Eigenschaften  des  Be- 
weglichen abstrahiert.  Ich  setze  hier  die  gewöhn- 
liche Definition  beider  voraus;  allein  die  der  Rich- 
tung bedarf  noch  verschiedener  Einschränkungen.  Ein 
im  Kreise  bewegter  Körper  verändert  seine  Richtung 
kontinuierlich,  so,  daß  er  bis  zu  seiner  Rückkehr  zum 
Punkte,  von  dem  er  ausging,  alle  in  einer  Fläche  nur  10 
mögliche  Richtungen  eingeschlagen  ist,  und  doch  sagt 
man:  er  bewege  sich  immer  in  derselben  Richtung, 
z.  B.  der  Planet  von  Abend  gegen  Morgen. 

Allein,  was  ist  hier  die  Seite,  nach  der  die  Be- 
wegung gerichtet  ist?  eine  Frage,  die  mit  der  eine 
Verwandtschaft  hat:  worauf  beruht  der  innere  Unter- 
schied der  Schnecken,  die  sonst  ähnlich  und  sogar 
gleich,  aber  davon  eine  Spezies  rechts,  die  andere 
links  gewunden  ist;  oder  des  Windens  der  Schwert- 
bohnen und  des  Hopfens,  deren  die  erstere  wie  ein  20 
Pfropfenzieher,  oder,  wie  die  Seeleute  es  ausdrücken 
würden,  wider  die  Sonne,  der  andere  mit  der 
Sonne  um  ihre  Stange  laufen  ?a)  ein  Begriff,  der 
sich  zwar  konstruieren,  aber  als  Begriff,  für  sich 
durch  allgemeine  Merkmale  und  in  der  diskursiven 
Erkenntnisart  gar  nicht  deutlich  machen  läßt,  und 
der  in  den  Dingen  selbst  (z.  B.  an  denen  seltenen 
Menschen,  bei  denen  die  Leicheneröffnung  alleb)  Teile 
nach  der  physiologischen  Regel  mit  andern  Menschen 
einstimmig,  nur  alle  Eingeweide  links  oder  rechts,  30 
wider  die  gewöhnliche  Ordnung  versetzt  fand)  keinen 
erdenklichen  Unterschied  in  den  Innern  Folgen  geben 
kann  und  demnach  ein  wahrhafter  mathematischer,  und 
zwar  innerer  Unterschied  ist,  womit  der  von  dem  Unter- 
schiede zweier,  sonst  in  allen  Stücken  gleichen,  der 
Richtung  nach  aber  verschiedenen  Kreisbewegungen, 
obgleich  nicht  völlig  einerlei,  dennoch  aber  zusammen- 
hängend ist.    Ich  habe   anderwärts  gezeigt,   daß,   da 

a)  Höfler  Ak.  Ausg.:  ,.läuft". 

b)  A',  A"  „aller". 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  NatarpbiloBopbie.     I.  14 


210     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

sich  dieser  Unterschied  zwar  in  der  Anschauung  geben, 
aber  gar  nicht  auf  deutliche  Begriffe  bringen,  mithin 
nicht  verständlich  erklären  (dari,  non  intelligi)  läßt, 
er  einen  guten  bestätigenden  Beweisgrund  zu  dem 
Satze  abgebe:  daß  der  Raum  überhaupt  nicht  zu  den 
Eigenschaften  oder  Verhältnissen  der  Dinge  an  sich 
selbst,  die  sich  notwendig  auf  objektive  Begriffe 
müßten  bringen  lassen,  sondern  bloß  zu  der  subjekti- 
ven Form  unserer  sinnlichen  Anschauung  von  Dingen 

10  oder  Verhältnissen,  die  uns  nach  dem,  was  sie  an  sich 
sein  mögen,  völlig  unbekannt  bleiben,  gehöre.  Doch 
dies  ist  eine  Abschweifung  von  unserem  jetzigen  Ge- 
schäfte, in  welchem  wir  den  Raum  ganz  notwendig 
als  Eigenschaft  der  Dinge,  die  wir  in  Betrachtung 
ziehen,  nämlich  körperlicher  Wesen,  behandeln 
müssen,  weil  diese  selbst  nur  Erscheinungen  äußerer 
Sinne  sind  und  nur  als  solche  hier  erklärt  zu  werden 
bedürfen.  Was  den  Begriff  der  Geschwindigkeit  be- 
trifft,  so    bekommt    dieser    Ausdruck   im    Gebrauche 

20  auch  bisweilen  eine  abweichende  Bedeutung,  Vv^ir 
sagen:  die  Erde  dreht  sich  geschwinder  um  ihre 
Achse,  als  die  Sonne,  weil  sie  es  in  kürzerer  Zeit  tut; 
obgleich  die  Bewegung  der  letzteren  viel  geschwin- 
der ist.  Der  Blutumlauf  eines  kleinen  Vogels  ist  viel 
geschwinder,  als  der  eines  Menschen,  obgleich  seine 
strömende  Bewegung  im  ersteren  ohne  Zweifel  weniger 
Geschwindigkeit  hat,  und  so  auch  bei  den  Bebungen 
elastischer  Materien.  Die  Kürze  der  Zeit  der  Wieder- 
kehr,   es    sei    der    zirkulierenden    oder    oszillierenden 

30  Bewegung,  macht  den  Grund  dieses  Gebrauchs  aus, 
an  welchem,  wenn  sonst  nur  die  Mißdeutung  ver- 
mieden wird,  man  auch  nicht  unrecht  tut.  Denn  diese 
bloße  Vergrößerung  der  Eile  in  der  Wiederkehr,  ohne 
Vergrößerung  der  räumlichen  Geschwindigkeit,  hat 
ihre  eigene  und  sehr  erhebliche  Wirkungen  in  der 
Natur,  worauf  in  dem  Zirkellauf  der  Säfte  der  Tiere 
vielleicht  noch  nicht  gnug  Rücksicht  genommen 
worden.  In  der  Phoronomie  brauchen  wir  das 
Wort  Geschwindigkeit  bloß  in  räumlicher  Bedeutung; 

40  C  =  ^. 


1.  Hauptstück.     Phoronomie.  211 

Erklärung  3. 

Kühe  ist  die  beharrliche  Gegenwart  (p'aesentia 
•perduraUUs)  an  demselben  Orte;  beharrlich  aber 
ist  das,  was  eine  Zeit  hindurch  existiert,  d.  i.  dauret. 

Anmerkung. 

Ein  Körper,  der  in  Bewegung  ist,  ist  in  jedem 
Punkte  der  Linie,  die  er  durchläuft,  einen  Augen- 
blick. Es  fragt  sich  nun,  ob  er  darin  ruhe  oder 
sich  bewege.  Ohne  Zweifel  wird  man  das  letztere 
sagen;  denn  er  ist  in  diesem  Punkte  nur  sofern,  als  10 
er  sich  bewegt,   gegenwärtig.     Man  nehme  aber  die 

A  B        a 

Bewegung  desselben  so  an:  daß    der 

0 0  .  .  0, 

Körper  mit  gleichförmiger  Geschwindigkeit  die  Linie 
AB  vorwärts  und  rückwärts  von  B  nach  A  zurück- 
lege, so  daß,  weil  der  Augenblick,  da  er  in  B  ist, 
beiden  Bewegungen  gemein  ist,  die  Bewegung  von 
A  nach  B  in  V2  Sekunde,  die  von  B  nach  A  aber 
auch  in  V2  Sekunde,  beide  zusammen  aber  in  einer 
ganzen  Sekunde  zurückgelegt  worden,  so  daß  auch 
nicht  der  kleinste  Teil  der  Zeit  auf  die  Gegenwart  20 
des  Körpers  in  B  aufgewandt  worden;  so  wird, 
ohne  den  mindesten  Zuwachs  dieser  Bewegungen,  die 
letztere,  die  in  der  Richtung  BA  geschähe,  in  die 
nach  der  Richtung  Ba,  welches  mit  AB  in  einer 
geraden  Linie  liegt,  verwandelt  werden  können,  wo 
denn  der  Körper,  indem  er  in  B  ist,  darin  nicht 
als  ruhig,  sondern  als  bewegt  angesehen  werden  muß. 
Er  mußte  daher  auch  in  der  ersteren  in  sich  selbst 
wiederkehrenden  Bewegung  in  dem  Punkte  B  als  be- 
wegt angesehen  werden,  welches  aber  unmöglich  ist;  30 
weil,  nach  dem,  was  angenommen  worden,  es  nur 
ein  Augenblick  ist,  der  zur  Bewegung  AB  und  zu- 
gleich zur  gleichen  Bewegung  BA  gehört,  die  der 
vorigen  entgegengesetzt  und  mit  ihr  in  einem  und 
demselben  Augenblicke  verbunden a),  völligen  Mangel 

a)  A'  A"  A'"  „verbunden  ist",  korr.  Höfler  Ak.  Ausg. 

14* 


212     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

der  Bewegung,  folglich,  wenn  dieser  den  Begriff 
der  Ruhe  ausmachte,  auch  in  der  gleichförmigen  Be- 
wegung Äa  Ruhe  des  Körpers  in  jedem  Punkte,  z.  B. 
in  B,  beweisen  müßte,  welches  der  obigen  Behauptung 
widerspricht.  Man  stelle  sich  dagegen  die  Linie  AB 
als  über  den  Punkt  A  aufgerichtet  vor,  so  daß  ein 
Körper  von  A  nach  B  steigend a),  nachdem  er  durch 
die  Schwere  im  Punkte  B  seine  Bewegung  verloren 
hat,  von  B  nach  A  ebenso  wiederum  zurückfalle;  so 

10  frage  ich:  ob  der  Körper  in  B  als  bewegt  oder  als 
ruhig  angesehen  werden  könne?  Ohne  Zweifel  wird 
man  sagen:  als  ruhig;  weil  ihm  alle  vorherige  Be- 
wegung genommen  worden,  nachdem  er  diesen  Punkt 
erreicht  hat,  und  hernach  eine  gleichmäßige  Bewegung 
zurück  allererst  folgen  soll,  folglich  noch  nicht  da 
ist;  der  Mangel  aber  der  Bewegung,  wird  man  hinzu- 
setzen, ist  Ruhe.  Aber  in  dem  ersteren  Falle  einer 
angenommenen  gleichförmigen  Bewegung  konnte  die 
Bewegung  BA  auch  'nicht  anders  eintreten,   als   da- 

20  durch,  daß  vorher  die  Bewegung  AB  aufgehört  hatte 
und  die  von  B  nach  A  noch  nicht  war,  folglich,  daß 
in  B  ein  Mangel  aller  Bewegung,  und,  nach  der  ge- 
wöhnlichen Erklärung,  Ruhe  müßte  angenommen  wer- 
den; aber  man  durfte  sie  doch  nicht  annehmen,  weil 
bei  einer  gegebenen  Geschwindigkeit  kein  Körper  in 
einem  Punkte  seiner  gleichförmigen  Bewegung  als 
ruhend  gedacht  werden  muß.  Worauf  beruht  denn 
im  zweiten  Falle  die  Anmaßung  des  Begriffs  der  Ruhe, 
da   doch    dieses    Steigen    und   Fallen    gleichfalls   nur 

30  durch  einen  Augenblick  voneinander  getrennt  wird? 
Der  Grund  davon  liegt  darin,  daß  die  letztere  Be- 
wegung nicht  als  gleichförmig  mit  gegebener  Ge- 
schwindigkeit gedacht  wird,  sondern  zuerst  als  gleich- 
förmig verzögert  und  hernach  als  gleichförmig  be- 
schleunigt, so  doch,  daß  die  Geschwindigkeit  im  Punkte 
B  nicht  gänzlich,  sondern  nur  bis  zu  einem  Grad 
verzögert  werdet),  der  kleiner  ist,  als  jede  nur  an- 
zugebende  Geschwindigkeit,   mit   welcher,    wenn,   an- 


a)  Höfler  Ak.  Ausg.  „steige''. 

b)  „verzögert  werde"  fehlt  in  A'  A"  A'"  Zusatz  Harten- 
stein. 


1.  Hauptstück.     Phoronomie.  213 

statt  zurückzufallen,  die  Linie  seines  Falles  BA  in 
die  Richtung  Ba  gestellet,  mithin  der  Körper  immer 
noch  als  steigend  betrachtet  würde,  er,  als  mit  einem 
bloßen  Moment  der  Geschwindigkeit  (der  Widerstand 
der  Schwere  wird  alsdenn  beiseite  gesetzt),  in  jeder 
noch  so  großen  anzugebenden  Zeit  gleichförmig,  doch 
nur  einen  Raum,  der  kleiner  ist,  als  jeder  anzugebende 
Raum,  zurücklegen,  mithin  seinen  Ort  (für  irgendeine 
mögliche  Erfahrung)  in  alle  Ewigkeit  gar  nicht  ver- 
ändern würde.  Folglich  wird  er  in  den  Zustand  einer  10 
daurenden  Gegenwart  an  demselben  Orte,  d.  i.  der 
Ruhe,  versetzt,  ob  sie  gleich  wegen  der  kontinuier- 
lichen Einwirkung  der  Schwere,  d.  i.  der  Verände- 
rung dieses  Zustandes,  sofort  aufgehoben  wird.  In 
einem  beharrlichen  Zustande  sein  und  darin  be- 
harren (wenn  nichts  anderes  ihn  verrückt),  sind  zwei 
verschiedene  Begriffe,  deren  einer  dem  anderen  keinen 
Abbruch  tut.  Also  kann  die  Ruhe  nicht  durch  den 
Mangel  der  Bewegung,  der  sich,  als  =  o,  gar  nicht 
konstruieren  läßt,  sondern  muß  durch  die  beharrliche  20 
Gegenwart  an  demselben  Orte  erklärt  werden,  da  denn 
dieser  Begriff  auch  durch  "die  Vorstellung  einer  Be- 
wegung mit  unendlich  kleiner  Geschwindigkeit,  eine 
endliche  Zeit  hindurch,  konstruiert,  mithin  zu  nach- 
heriger  Anwendung  der  Mathematik  auf  Naturwissen- 
schaft genutzt  werden  kann. 


Erklärung  4. 

Den  Begriff  einer   zusammengesetzten   Be- 
wegung konstruieren,   heißt  eine  Bewegung,  so- 
fern   sie    aus   zweien  oder  mehreren  gegebenen  in  30 
einem  Beweglichen  vereinigt  entspringt,  a  priori  in 
der  Anschauung  darstellen. 

Anmerkung. 

Zur  Konstruktion  der  Begriffe  wird  erfodert:  daß 
die  Bedingung  ihrer  Darstellung  nicht  von  der  Er- 
fahrung entlehnt  sei,  also  auch  nicht  gewisse  Kräfte 
voraussetze,  deren  Existenz  nur  von  der  Erfahrung 


214     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

abgeleitet  werden  kann,  oder  überhaupt,  daß  die  Be- 
dingung der  Konstruktion  nicht  selbst  ein  Begriff  sein 
müsse,  der  gar  nicht  a  priori  in  der  Anschauung  ge- 
geben werden  kann,  wie  z.  B.  der  von  Ursache  und 
Wirkung,  Handlung  und  Widerstand  etc.  Hier  ist  nun 
vorzüglich  zu  bemerken,  daß  Phoronomie  durchaus 
zuerst  Konstruktion  der  Bewegungen  überhaupt  als 
Größen,  und,  da  sie  die  Materie  bloß  als  etwas 
Bewegliches,    mithin    an    welchem    gar   auf    keine 

10  Größe  derselben  Rücksicht  genommen  wird,  zum 
Gegenstande  hat,  diese  Bewegungen  allein  als  Größen, 
sowohl  ihrer  Geschwindigkeit  als  Richtung  nach,  und 
zwar  ihrer  Zusammensetzung  nach  a  'priori  zu  be- 
stimmen habe.  Denn  soviel  muß  gänzlich  a  priori 
und  zwar  anschauend  zum  Behuf  der  angewandten- 
Mathematik  ausgemacht  werden.  Denn  die  Regeln 
der  Verknüpfung  der  Bewegungen  durch  physische 
Ursachen,  d.  i.  Kräfte,  lassen  sich,  ehe  die  Grund- 
sätze ihrer  Zusammensetzung  überhaupt  vorher  rein 

20  mathematisch  zugrunde  gelegt  worden,  niemals  gründ- 
lich vortragen. 

Grundsatz  1. 

Eine  jede  Bewegung  als  Gegenstand  einer  mög- 
lichen Erfahrung,  kann  nach  Belieben  als  Bewegung 
des  Körpers  in  einem  ruhigen  Räume,  oder  als  Ruhe 
des  Körpers  und  dagegen  Bewegung  des  Raumes 
in  entgegengesetzter  Richtung  mit  gleicher  Ge- 
schwindigkeit angesehen  werden. 

Anmerkung. 

30  Von  der  Bewegung  eines  Körpers  eine  Erfahrung 
zu  machen,  dazu  wird  erfodert,  daß  nicht  allein  der 
Körper,  sondern  auch  der  Raum,  darin  er  sich  be- 
wegt, Gegenstände  der  äußern  Erfahrung,  mithin 
materiell  sein.  Eine  absolute  Bewegung  also,  d.  i. 
in  Beziehung  auf  einen  nicht  materiellen  Raum,  ist 
gar  keiner  Erfahrung  fähig  und  für  uns  also  nichts 
(wenn  man  gleich  einräumen  wollte,  der  absolute 
Raum  sei  an  sich  etwas).     Aber  auch  in  aller  rela- 


1.  Hauptstück.     Phoronomie.  215 

tiven  Bewegung  kann  der  Raum  selbst,  weil  er  als 
materiell  angenommen  wird,  wiederum  als  ruhig  oder 
bewegt  vorgestellt  werden.  Das  erstere  geschieht, 
wenn  mir  über  den  Raum,  in  Beziehung  auf  welchen 
ich  einen  Körper  als  bewegt  ansehe,  kein  mehr  er- 
weiterter und  ihn  einschließender  gegeben  ist  (wie 
wenn  ich  in  der  Kajüte  eines  Schiffs  eine  Kugel  auf 
dem  Tische  bewegt  sehe);  das  zweite,  wenn  mir  über 
diesen  Raum  hinaus  noch  ein  anderer  Raum,  der  ihn 
einschließt  (wie  im  genannten  Falle  das  Ufer  des  10 
Flusses),  gegeben  ist,  da  ich  denn  in  Ansehung  d^es 
letzteren  den  nächsten  Raum  (die  Kajüte)  als  bewegt 
und  den  Körper  selbst  allenfalls  als  ruhig  ansehen 
kann.  Da  es  nun  schlechterdings  unmöglich  ist,  von 
einem  empirisch  gegebenen  Räume,  wie  erweitert  er 
auch  sei,  auszumachen,  ob  er  nicht  in  Ansehung  eines 
in  einem  noch  größeren  Umfange  ihn  einschließenden 
Raumes  selbst  wiederum  bewegt  sei  oder  nicht,  so 
muß  es  aller  Erfahrung  und  jeder  Folge  aus  der 
Erfahrung  völlig  einerlei  sein,  ob  ich  einen  Körper  ^0 
als  bewegt  oder  ihn  als  ruhig,  den  Raum  aber  in 
entgegengesetzter  Richtung  mit  gleicher  Geschwindig- 
keit bewegt  ansehen  will.  Noch  mehr:  da  der  absolute 
Raum  für  alle  mögliche  Erfahrung  nichts  ist,  so  sind 
auch  die  Begriffe  einerlei,  ob  ich  sage:  ein  Körper 
bewegt  sich  in  Ansehung  dieses  gegebenen  Raumes 
in  dieser  Richtung  mit  dieser  Geschwindigkeit,  oder 
ob  ich  ihn  mir  als  ruhig  denken,  und  dem  Raum 
alles  dieses,  aber  in  entgegengesetzter  Richtung,  bei- 
legen will.  Denn  ein  jeder  Begriff  ist  mit  demjenigen,  30 
von  dessen  Unterschiede  vom  erst-eren  gar  kein  Bei- 
spiel möglich  "ist,  völlig  einerlei  und  nur  in  Beziehung 
auf  die  Verknüpfung,  die  wir  ihm  im  Verstände  geben 
wollen,  verschieden. 

Auch  sind  wir  gar  nicht  imstande,  in  irgendeiner 
Erfahrung  einen  festen  Punkt  anzugeben,  in  Beziehung 
auf  welchen,  was  Bewegung  und  Ruhe  absolut  heißen 
sollte,  bestimmt  würde;  denn  alles,  was  uns  auf  die 
Art  gegeben  wird,  ist  materiell,  also  auch  beweglich, 
und  (da  wir  im  Räume  keine  äußerste  Grenze  mög-  40 
lieber  Erfahrung  kennen)  vielleicht  auch  wirklich  be- 
wegt,  ohne    daß   wir    diese   Bewegung   woran   wahr- 


216     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

nehmen  können.  —  Von  dieser  Bewegung  eines  Kör- 
pers im  empirischen  Räume  kann  ich  nun  einen  Teil 
der  gegebenen  Geschwindigkeit  dem  Körper,  den 
andern  dem  Räume,  aber  in  entgegengesetzter  Rich- 
tung, geben,  und  die  ganze  mögliche  Erfahrung  in 
Ansehung  der  Folgen  dieser  zwei  verbundenen  Be- 
wegungen ist  völlig  einerlei  mit  derjenigen,  da  ich 
den  Körper  mit  der  ganzen  Geschwindigkeit  allein 
bewegt,  oder  ihn  als  ruhig  und  den  Raum  mit  der- 

10  selben  Geschwindigkeit  in  entgegengesetzter  Richtung 
bewegt  denke.  Ich  nehme  hier  aber  alle  Be- 
wegungen als  ^eradlinicht  an.  Denn  was  die 
krummlinichte  betrifft,  da  es  nicht  in  allen  Stücken 
einerlei  ist,  ob  ich  den  Körper  (z.  B.  die  Erde  in 
ihrer  täglichen  Umdrehung)  als  bewegt,  und  den  um- 
gebenden Raum  (den  bestirnten  Himmel)  als  ruhig, 
oder  diesen  als  bewegt  und  jenen  als  ruhig  anzusehen 
befugt  bin,  davon  wird  in  der  Folge  besonders  ge- 
handelt werden.     In  der  Phoronomie  also,  wo  ich  die 

20  Bewegung  eines  Körpers  nur  mit  dem  Räume  (auf 
dessen  Ruhe  oder  Bewegung  jener  gar  keinen  Ein- 
fluß hat)  in  Verhältnis  betrachte,  ist  es  an  sich  ganz 
unbestimmt  und  beliebig,  ob  und  wieviel  ich  Ge- 
schwindigkeit dem  einen  oder  dem  andern  von  der 
gegebenen  Bewegung  beilegen  will;  künftig  in  der 
Mechanik,  da  ein  bewegter  Körper  in  wirksamer  Be- 
ziehung auf  andere  Körper  im  Räume  seiner  Be- 
wegung betrachtet  werden  soll,  wird  dieses  nicht 
mehr  so  völlig  einerlei  sein,  wie  es  an  seinem  Orte 

30  gezeigt  werden  soll. 

Erklärung  5. 

Die  Zusammensetzung  der  Bewegung  ist 
die  Vorstellung  der  Bewegung  eines  Punkts  als 
einerlei  mit  zweien  oder  mehreren  Bewegungen 
desselben  zusammen  verbunden. 

Anmerkung. 

In  der  Phoronomie,  da  ich  die  Materie  durch  keine 
andere  Eigenschaft,  als  ihre  Beweglichkeit  kenne,  mit- 
hin sie  selbst   nur  als  einen  Punkt  betrachten  darf. 


1,  Hauptstück.     Phoronomie.  217 

kann  die  Bewegung  nur  als  Beschreibung  eines 
Raumes  betrachtet  werden,  doch  so,  daß  ich  nicht 
bloß,  wie  in  der  Geometrie,  auf  den  Raum,  der  be- 
schrieben wird,  sondern  auch  auf  die  Zeit  darin,  mit- 
hin auf  die  Geschwindigkeit,  womit  ein  Punkt  den 
Raum  beschreibt,  acht  habe.  Phoronomie  ist  also  die 
reine  Größenlehre  (mathesis)  der  Bewegungen.  Der 
bestimmte  Begriff  von  einer  Größe  ist  der  Begriff 
der  Erzeugung  der  Vorstellung  eines  Gegenstandes 
durch  die  Zusammensetzung  des  Gleichartigen.  Da  10 
nun  der  Bewegung  nichts  gleichartig  ist,  als  wiederum 
Bewegung,  so  ist  die  Phoronomie  eine  Lehre  der  Zu- 
sammensetzung der  Bewegungen  ebendesselben  Punkts 
nach  ihrer  Richtung  und  Geschwindigkeit,  d.  i.  die 
Vorstellung  einer  einzigen  Bewegung  als  einer  solchen, 
die  zwei  und  so  mehrere  Bewegungen  zugleich  in  sich 
enthält,  oder  zweier  Bewegungen  ebendesselben  Punkts 
zugleich,  soferne  sie  zusammen  eine  ausmachen,  d.  i. 
mit  dieser  einerlei  sind,  und  nicht  etwa  sofern  sie  die 
letztere,  als  Ursachen  ihre  Wirkung,  hervorbringen.  20 
Um  die  Bewegung  zu  finden,  die  aus  der  Zusammen- 
setzung von  mehreren,  so  viel  man  will,  entspringt, 
darf  man  nur,  wie  bei  aller  Größenerzeugung,  zuerst 
diejenige  suchen,  die  unter  gegebenen  Bedingungen 
aus  zweien  zusammengesetzt  ist;  darauf  diese  mit 
einer  dritten  verbinden a)  usw.  Folglich  läßt  die  Lehre 
der  Zusammensetzung  aller  Bewegungen  sich  auf  die 
von  zweien  zurückführen.  Zwei  Bewegungen  aber 
eines  und  desselben  Punkts,  die  zugleich  an  dem- 
selben angetroffen  werden,  können  auf  zwiefache  Weise  30 
untCTSchieden  sein,  und  als  solche  auf  dreifache  Art 
an  ihm  verbunden  werden.  Erstlich  geschehen  sie 
entweder  in  einer  und  derselben  Linie,  oder  in 
verschiedenen  Linien  zugleich;  die  letztere  sind 
Bewegungen,  die  einen  Winkel  einschließen.  Die,  so 
in  einer  und  derselben  Linie  geschehen,  sind  nun 
der  Richtung  nach  entweder  einander  entgegen- 
gesetzt, oder  halten  einerlei  Richtung.  Da  alle 
diese  Bewegungen  als  zugleich  geschehend  betrachtet 
werden,  so  ergibt  sich  aus  dem  Verhältnis  der  Linien,  40 


a)  „verbunden"  A'  A"  A'"  korr.  Höfler  Ak.  Ausg-. 


218     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

d.  i.  der  beschriebenen  Räume  der  Bewegung,  in 
gleicher  Zeit,  sofort  auch  das  Verhältnis  der  Ge- 
schwindigkeit. Also  sind  der  Fälle  drei:  1.  Da  zwei 
Bewegungen  (sie  mögen  von  gleichen  oder  un- 
gleichen Geschwindigkeiten  sein),  in  einem  Körper 
in  derselben  Richtung  verbunden,  eine  daraus  zu- 
sammengesetzte Bewegung  ausmachen  sollen.  2.  Da 
zwei  Bewegungen  desselben  Punkts  (von  gleicher 
oder  ungleicher  Geschwindigkeit)  in  entgegengesetzter 
10  Richtung  verbunden  durch  ihre  Zusammensetzung  eine 
dritte  Bewegung  in  derselben  Linie  ausmachen  sollen. 
3.  Da  zwei  Bewegungen  eines  Punkts,  mit  gleichen 
oder  ungleichen  Geschwindigkeiten,  aber  in  verschie- 
denen Linien,  die  einen  Winkel  einschließen,  als  zu- 
sammengesetzt betrachtet  werden. 

Lehrsatz  1. 

Die  Zusammensetzung  zweier  Bewegungen  eines 
und  desselben  Punkts  kann  nur  dadurch  gedacht 
werden,  daß  die  eine  derselben  im  absoluten  Räume, 
20  statt  der  anderen  aber  eine,  mit  der  gleichen  Ge- 
schwindigkeit in  entgegengesetzter  Richtung  ge- 
schehende Bewegung  des  relativen  Raums,  als  mit 
derselben  einerlei,  vorgestellt  wird. 

Beweis. 

Erster  Fall.  Da  zwei  Bewegungen  in  eben- 
derselben Linie  und  Richtung  einem  und  dem- 
selben Punkte  zugleich  zukommen. 


& 


Es  sollen  in  einer  Gesch\vindigkeit  der  Bewegung 

zwei  Geschwindigkeiten  AB  und  ab  als  enthalten  vor- 

30  gestellt  werden.    Man  nehme  diese  Geschwindigkeiten 


1.  Hauptstück.     Phoronomie.  219 

für  diesmal  als  gleich  an,  so  daß  AB  =  ah  ist,  so  sage 
ich,  sie  können  in  einem  und  demselben  Raum  (dem 
absoluten  oder  dem  relativen)  an  demselben  Punkte 
nicht  zugleich  vorgestellt  werden.  Denn  weil  die 
Linien  AB  und  ab,  welche  die  Geschwindigkeiten  be- 
zeichnen, eigentlich  die  Räume  sind,  welche  sie  in 
gleichen  Zeiten  durchlaufen,  so  würde  die  Zusammen- 
setzung dieser  Räume  AB  und  ab  =  BC,  mithin  die 
Linie  AC,  als  die  Summe  der  Räume,  die  Summe 
beider  Geschwindigkeiten  ausdrücken  müssen.  Aber  10 
die  Teile  AB  und  BC  stellen,  jeder  für  sich,  nicht 
die  Geschwindigkeit  =  a&  vor;  denn  sie  werden  nicht 
in  gleicher  Zeit  wie  ab  zurückgelegt.  Also  stellt  auch 
die  doppelte  Linie  AC,  die  in  derselben  Zeit  zurück- 
gelegt wird,  wie  die  Linie  ab,  nicht  die  zwiefache 
Geschwindigkeit  der  letztern  vor,  welches  doch  ver- 
langt wurde.  Also  läßt  sich  die  Zusammensetzung 
zweier  Geschwindigkeiten  in  einer  Richtung  in  dem- 
selben Räume  nicht  anschaulich  darstellen. 

Dageg-en,  wenn  der  Körper  A  mit  der  Geschwindig-  20 
keit  AB  im  absoluten  Räume  als  bewegt  vorgestellt 
wird,  und  ich  gebe  überdem  dem  relativen  Räume 
eine  Geschwindigkeit  ab  =  AB  in  entgegengesetzter 
Richtung  ba  =  CB,  so  ist  dieses  ebendasselbe,  als  ob 
ich  die  letztere  Geschwindigkeit  dem  Körper  in  der 
Richtung  AB  erteilt  hätte  (Grundsatz  1).  Der  Kör- 
per bewegt  sich  aber  alsdenn  in  derselben  Zeit  durch 
die  Summe  der  Linien  AB  und  BC  =  2  ab,  in  welcher 
er  die  Linie  ab  =  AB  allein  würde  zurückgelegt  haben, 
und  seine  Geschwindigkeit  ist  doch  als  die  Summe  30 
der  zweien  gleichen  Geschwindigkeiten  AB  und  ab 
vorgestellt,  welches  das  ist,  was  verlangt  wurde. 

Zweiter  Fall.  Da  zwei  Bewegungen  in  gerade 
entgegengesetzten  Richtungen  an  einem  und 
demselben  Punkte  sollen  verbunden  werden. 


Es  sei  AB  die  eine  dieser  Bewegungen  und  AC 
die  andere  in  entgegengesetzter  Richtung,  deren  Ge- 
schwindigkeit wir   hier   der   ersten   gleich   annehmen 


220     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft, 

wollen;  so  würde  der  Gedanke  selbst,  zwei  solche 
Bewegungen  in  einem  und  demselben  Räume  an  eben- 
demselben Punkte  als  zugleich  vorzustellen,  mithin  der 
Fall  einer  solchen  Zusammensetzung  der  Bewegungen 
selbst  unmöglich  sein,  welches  der  Voraussetzung  zu- 
wider ist. 

Dagegen  denket  euch  die  Bewegung  AB  im  abso- 
luten Räume,  statt  der  Bewegung  AC  aber  in  dem- 
selben absoluten  Räume  die  entgegengesetzte  CA  des 

10  relativen  Raumes  mit  ebenderselben  Geschwindigkeit, 
die  (nach  Grundsatz  1)  der  Bewegung  AC  völlig  gleich 
gilt  und  also  gänzlich  an  die  Stelle  derselben  gesetzt 
werden  kann;  so  lassen  sich  zwei  gerade  entgegen- 
gesetzte und  gleiche  Bewegungen  desselben  Punkts 
zu  gleicher  Zeit  gar  wohl  darstellen.  Weil  nun  der 
relative  Raum  mit  derselben  Geschwindigkeit  CA  =  AB 
in  derselben  Richtung  mit  dem  Punkte  A  bewegt  ist, 
so  verändert  dieser  Punkt,  oder  der  in  ihm  befind- 
liche Körper,  in  Ansehung  des  relativen  Raumes  seinen 

20  Ort  nicht,  d.  i.  ein  Körper,  der  nach  zwei  einander 
gerade  entgegengesetzten  Richtungen  mit  gleicher 
Geschwindigkeit  bewegt  wird,  ruhet,  oder  allgemein 
ausgedrückt:  seine  Bewegung  ist  der  Differenz  der 
Geschwindigkeiten  in  der  Richtung  der  größeren 
gleich  (welches  sich  aus  dem  Bewiesenen  leicht  fol- 
gern läßt). 

Dritter  Fall.  Da  zwei  Bewegungen  ebendesselben 
Punkts,  nach  Richtungen,  die  einen  Winkel  ein- 
schließen, verbunden  vorgestellt  werden. 


1.  Hauptstück.     PLoronomie.  221 

Die  zwei  gegebenen  Bewegungen  sind  AB  und 
ÄC,  deren  Geschwindigkeit  und  Eichtungen  durch 
diese  Linien,  der  Winkel  aber,  den  die  letztere  ein- 
schließen, durch  BÄC  ausgedrückt  wird  (er  mag, 
wie  hier,  ein  rechter,  aber  auch  ein  jeder  beliebiger 
schiefer  Winkel  sein).  Wenn  nun  diese  zwei  Be- 
wegungen zugleich  in  den  Richtungen  AB  und  ÄC, 
und  zwar  in  einem  und  demselben  Räume  geschehen 
sollen,  so  würdena)  sie  doch  nicht  in  diesen  beiden 
Linien  AB  und  AC  zugleich  geschehen  können,  son-  10 
dern  nur  in  Linien,  die  diesen  parallel  laufen.  Es 
würde  also  angenommen  werden  müssen:  daß  eine 
dieser  Bewegungen  in  der  anderen  eine  Veränderung 
(nämlich  die  Abbringung  von  der  gegebenen  Bahn) 
wirkte,  wenngleich  beiderseits  Richtungen  dieselbe 
blieben.  Dieses  ist  aber  der  Voraussetzung  des  Lehr- 
satzes zuwider,  welche  unter  dem  Worte  Zusammen- 
setzung andeutet,  daß  beide  gegebene  Bewegungen  in 
einer  dritten  enthalten,  mithin  mit  dieser  einerlei 
sein,  und  nicht  daß,  indem  eine  die  andere  ver-  20 
ändert,  sie  eine  dritte  hervorbringen. 

Dagegen  nehme  man  die  Bewegung  AC  als  im 
absoluten  Räume  vor  sich  gehend  an,  anstatt  der  Be- 
wegung AB  aber  die  Bewegung  des  relativen  Raumes 
in  entgegengesetzter  Richtung.  Die  Linie  AC  sei  in 
drei  gleiche  Teile  ÄE,  EF,  FC  geteilt.  Während 
daß  nun  der  Körper  Ä  im  absoluten  Räume  die  Linie 
ÄE  durchläuft,  durchläuft  der  relative  Raum,  und 
mit  ihm  der  Punkt  E,  den  Raum  Ee==MÄ;  während 
daß  der  Körper  die  zwei  Teile  zusammen  =  AF  durch-  30 
läuft,  beschreibt  der  relative  Raum  und  mit  ihm  der 
Punkt  F,  die  Linie  Ff  =  NA;  während  daß  der  Körper 
endlich  die  ganze  Linie  AC  durchläuft,  so  beschreibt 
derb)  Raum,  und  mit  ihm  der  Punkt  C,  die  Linie 
Cc  =  BA;  welches  alles  ebendasselbe  ist,  als  ob  der 
Körper  Ä  in  diesen  drei  Zeitteilen  die  Linien  Em, 
Fn  und  CD  =  AM,  AN,  AB,  und  in  der  ganzen  Zeit, 
darin  er  AC  durchläuft,  die  Linie  CD  =  AB  durch- 
laufen hätte.     Also  ist  er  im  letzten  Augenblicke  im 


a)  „würde"  A'  A"  korr.  A'". 

b)  Hartenstein  „der  relative  Raum". 


222     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

Punkte  D  und  in  dieser  ganzen  Zeit  nach  und  nach 
in  allen  Punkten  der  Diagonallinie  AD,  welche  also 
sowohl  die  Richtung,  als  Geschwindigkeit  der  zu- 
sammengesetzten Bewegung  ausdrückt.  — 

Anmerkung  1. 

Die  geometrische  Konstruktion  erfodert,  daß 
eine  Größe  mit  der  andern,  oder  zwei  Größen  in  der 
Zusammensetzung  mit  einer  dritten  einerlei  sein, 
nicht  daß  sie  als  Ursachen  die  dritte  hervorbringen,- 

10  welches  die  mechanische  Konstruktion  sein  würde.  Die 
völlige  Ähnlichkeit  und  Gleichheit,  sofern  sie  nur  in 
der  Anschauung  erkannt  werden  kann,  ist  die  Kon- 
gruenz. Alle  geometrische  Konstruktion  der  völligen 
Identität  beruht  auf  Kongruenz.  Diese  Kongruenz 
zweier  zusammenverbundenen  Bewegungen  mit  einer 
dritten  (als  dem  motu  co)nposito  selbst)  kann  nun 
niem^als  Statt  haben,  wenn  jene  beide  in  einem  und 
demselben  Räume,  z.  B.  dem  relativen,  vorgestellt 
werden.     Daher  sind  alle  Versuche,  obigen  Lehrsatz 

20  in  seinen  drei  Fällen  zu  beweisen,  immer  nur  mecha- 
nische Auflösungen  gewesen,  da  man  nämlich  be- 
wegende Ursachen,  durch  die  eine  gegebene  Bewegung, 
mit  einer  andern  verbunden,  eine  dritte  hervorbringen 
ließ,  nicht  aber  Beweise,  daß  jene  mit  dieser  einerlei 
sind  und  sich,  als  solche,  in  der  reinen  Anschauung 
a  jyriori  darstellen  lassen. 

Anmerkung  2. 

Wenn  z.  B.  eine  Geschwindigkeit  AB  doppelt  ge- 
nannt wird,  so  kann  darunter  nichts  anders  verstanden 
30  werden,  als  daß  sie  aus  zwei  einfachen  und  gleichen 
AB  und  BC  (siehe  Fig.  1)  bestehe.  Erklärt  man 
aber  eine  doppelte  Gesch\vindigkeit  dadurch,  daß  man 
sagt:  sie  sei  eine  Bewegung,  dadurch  in  derselben 
Zeit  ein  doppelt  so  großer  Raum  zurückgelegt  wird, 
so  wird  hier  etwas  angenommen,  was  sich  nicht  von 
selbst  versteht,  nämlich:  daß  sich  zwei  gleiche  Ge- 
schwindigkeiten ebenso  verbinden  lassen,  als  zwei 
gleiche  Räume,  und  es  ist  nicht  für  sich  klar,  daJ3 


1.  Hauptstück.     Phoronomie.  223 

eine  gegebene  Geschwindigkeit  aus  kleinern  und  eine 
Schnelligkeit  aus  Langsamkeiten  ebenso  bestehe,  wie 
ein  Raum  aus  kleineren;  denn  die  Teile  der  Ge- 
schwindigkeit sind  nicht  außerhalb  einander,  wie  die 
Teile  des  Raumes,  und  wenn  jene  als  Größe  betrachtet 
werden  soll,  so  muß  der  Begriff  ihrer  Größe,  da  sie 
intensiv  ist,  auf  andere  Art  konstruiert  werden,  als 
der  ina)  der  extensiven  Größe  des  Raumes.  Diese 
Konstruktion  ist  aber  auf  keine  andere  Art  möglich, 
als  durch  die  mittelbare  Zusammensetzung  zweier  10 
gleichen  Bewegungen,  deren  eine  die  des  Körpers, 
die  andere  des  relativen  Raumes  in  entgegengesetzter 
Richtung,  aber  eben  darum  mit  einer  ihr  gleichen 
Bevv^egung  des  Körpers  in  der  vorigen  Richtung  völlig 
einerlei  ist.  Denn  in  derselben  Richtung  lassen 
sich  zwei  gleiche  Geschwindigkeiten  in  einem  Körper 
gar  nicht  zusammensetzen,  als  nur  durch  äußere  be- 
wegende Ursachen,  z.  B.  ein  Schiff,  welches  den 
Körper  mit  einer  dieser  Geschwindigkeiten  trägt,  in- 
dessen daß  eine  andere  mit  dem  Schiffe  unbeweglich  20 
verbundene  bewegende  Kraft  dem  Körper  die  zweite, 
der  vorigen  gleiche,  Geschwindigkeit  eindrückt;  wo-, 
bei  doch  immer  vorausgesetzt  werden  muß,  daß  der 
Körper  sich  mit  der  ersten  Geschwindigkeit  in  freier 
Bewegung  erhalte,  indem  die  zweite  hinzukommt; 
welches  ein  Naturgesetz  bewegender  Kräfte  ist,  wo- 
von gar  nicht  die  Rede  sein  kann,  wenn  die  Frage 
lediglich  ist,  wie  der  Begriff  der  Geschwindigkeit  als 
einet»)  Größe  konstruieret  werde.  Soviel  von  der 
Hinzutuung  der  Geschwindigkeiten  zueinander.  Wenn  30 
aber  von  der  Abziehung  einer  von  der  anderen  die 
Rede  ist,  so  läßt  sich  zwar  diese  letztere  leicht 
denken,  wenn  einmal  die  Möglichkeit  einer  Ge- 
schwindigkeit als  Größe  durch  Hinzutuung  eingeräumt 
worden,  aber  jener  Begriff  läßt  sich  nicht  so  leicht» 
konstruieren.  Denn  zu  dem  Ende  müssen  zwei  ent- 
gegengesetzte Bewegungen  in  einem  Körper  verbunden 
werden;  aber  wie  soll  dieses  geschehen?  Unmittelbar, 
d.  i.  in  Ansehung  ebendesselben  ruhenden  Raumes  ist 


a)  „der  der  intensiven  Größe"  Ak.  Ansg.  Höfler. 

b)  „einer"  Höfler  Ak.  Ausg. 


224     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Natunnsseuschaft. 

es  unmöglich,  sich  zwei  gleiche  Bewegungen  in  ent- 
gegengesetzter Richtung  an  demselben  Körper  zu 
denken;  aber  die  Vorstellung  der  Unmöglichkeit 
dieser  beiden  Bewegungen  in  einem  Körper  ist  nicht 
der  Begriff  von  der  Ruhe  desselben,  sondern  der 
Unmöglichkeit  der  Konstruktion  dieser  Zu- 
sammensetzung entgegengesetzter  Bewegungen,  die 
doch  im  Lehrsatz  als  möglich  angenommen  wird. 
Diese   Konstruktion    ist   aber    nicht   anders    möglich, 

lu  als  durch  die  Verbindung  der  Bewegung  des  Kör- 
pers mit  der  Bewegung  des  Raums,  wie  gewiesen 
worden.  Endlich,  was  die  Zusammensetzung  zweier 
Bewegungen,  deren  Richtung  einen  Winkel  ein- 
schließt, betrifft,  so  läßt  sie  sich  an  dem  Körper,  in 
Beziehung  auf  einen  und  denselben  Raum,  gleichfalls 
nicht  denken,  wenn  man  nicht  gar  eine  derselben 
durch  äußere  kontinuierlich  einfließende  Kraft 
(z.  E,  ein  den  Körper  forttragendes  Fahrzeug)  ge- 
wirkt, die  andern  als  sich  selbst  hiebei  unverändert 

20  erhaltend  annimmt,  oder  überhaupt:  man  muß  be- 
wegende Kräfte  und  Erzeugung  einer  dritten  Be- 
wegung aus  zwei  vereinigten  Kräften  zum  Grunde 
legen,  welches  zwar  die  mechanische  Ausführung 
dessen,  was  ein  Begriff  enthält,  aber  nicht  die« 
mathematische  Konstruktion  derselben  ist,  die 
nur  anschaulich  machen  soll,  was  das  Objekt  (als 
Quantum)  sei,  nicht,  wie  es  durch  Natur  oder  Kunst 
vermittelst  gewisser  Werkzeuge  und  Kräfte  hervor- 
gebracht werden  könne.   —   Die   Zusammensetzung 

30  der  Bewegungen,  um  ihr  Verhältnis  zu  andern  als 
Größe  zu  bestimmen,  muß  nach  den  Regeln  der  Kon- 
gruenz geschehen,  welches  in  allen  dreien  Fällen  nur 
vermittelst  der  Bewegung  des  Raums,  die  mit  einer 
der  zwei  gegebenen  Bewegungen  kongruiert,  und  da- 
durch beide  mit  der  zusammengesetzten  kongruieren, 
möglich  ist. 

Anmerkung  3. 

Phoronomie,  nicht  als  reine  Bewegungslehre,  son- 
dern bloß  als   reine   Größenlehre  der  Bewegung,   in 
40  welcher  die  Materie   nach   keiner  Eigenschaft  mehr, 


1.  Hauptstück.     Phoronomie.  225 

als  der   bloßen   Beweglichkeit  gedacht  wird,   enthält 
also  nichts  mehr,  als  bloß  diesen  einzigen,  durch  die 
angeführte   drei    Fälle    geführten    Lehrsatz   von    der 
Zusammensetzung  der  Bewegung,   und  zwar  von  der 
Möglichkeit  der  geradlinichten  Bewegung  allein, 
nicht  der  krummlinichten.     Denn  weil  in  dieser  die 
Bewegung   kontinuierlich    (der    Richtung    nach)    ver- 
ändert wird,   so  muß   eine   Ursache  dieser   Verände- 
rung, welche  nun  nicht  der  bloße  Raum  sein  kann, 
herbeigezogen   werden.     Daß    man    aber    gewöhnlich  10 
unter    der    Benennung    der     zusammengesetzten 
Bewegung    nur    den    einzigen    Fall,    da    die    Rich- 
tungen   derselben    einen    Winkel    einschließen,    ver- 
stand,   dadurch    ward    zwar    wohl    eben    nicht    der 
Physik,  wohl  aber  dem  Prinzip  der  Einteilung  einer 
reinen      philosophischen       Wissenschaft      überhaupt 
einiger   Abbruch   getan.      Denn   was   die   erstere   be- 
trifft,   so    lassen     sich    alle    im    obigen    Lehrsatze 
behandelte    drei    Fälle    im    dritten    allein    hin- 
reichend   darstellen.      Denn    wenn    der    Winkel,    den  20 
die    zwei    gegebenen    Bewegungen    einschließen,    als 
unendlich    klein    gedacht    wird,    so    enthält    er    den 
ersten;    wird    er    aber    als    von    einer    einzigen    ge- 
raden Linie  nur  unendlich  wenig  unterschieden  vor- 
gestellt, so  enthält  er  den  zweiten  Fall;  so  daß  sich 
freilich  in  dem  bekannten  Lehrsatze  der  zusammen- 
gesetzten Bewegung  alle  drei  von  uns  genannte  Fälle, 
als  in  einer  allgemeinen  Formel,  geben  lassen.    Man 
konnte  aber  auf   diese   Art  nicht  wohl   die   Größen- 
lehre der  Bewegung  nach  ihren  Teilen  a  priori  ein-  30 
sehen  lernen,  welches  in  mancher  Absicht  auch  seinen 
Nutzen  hat. 

Hat  jemand  Lust,  die  gedachten  drei  Teile  des 
allgemeinen  phoronomischen  Lehrsatzes  an  das  Schema 
der  Einteilung  aller  reinen  Verstandesbegriffe,  nament- 
lich hier  der  des  Begriffs  der  Größe  zu  halten,  so 
wird  er  bemerken:  daß,  da  der  Begriff  einer  Größe 
jederzeit  den  der  Zusammensetzung  des  Gleichartigen 
enthält,  die  Lehre  der  Zusammensetzung  der  Be- 
wegungen zugleich  die  reine  Größenlehre  derselben  40 
sei,  und  zwar  nach  allen  drei  Momenten,  die  der 
Raum  an  die  Hand  gibt,  der  Einheit  der  Linie  und 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     I.  15 


226     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Xaturwissenschaft. 

Richtung,  der  Vielheit  der  Richtungen  in  einer  und 
derselben  Linie,  endlich  der  Allheit  der  Richtungen 
sowohl,  als  der  Linien,  nach  denen  die  Bewegung 
geschehen  mag,  welches  die  Bestimmung  aller  mög- 
lichen Bewegung  als  eines  Quantum  enthält,  wie- 
wohl die  Quantität  derselben  (an  einem  beweglichen 
Punkte)  bloß  in  der  Geschwindigkeit  besteht.  Diese 
Bemerkung  hat  nur  in  der  Transzendentalphilosophie 
ihren  Nutzen. 


Zweites  Hauptstück. a) 

Metaphysische  Anfangsgründe 
der 

Dynamik. 


Erklärung  1. 

Materie  ist  das  Bewegliche,  sofern  es  einen 
Raum  erfüllt.  Einen  Raum  erfüllen,  heißt 
allem  Beweglichen  ■widerstehen,  das  durch  seine 
Bewegung  in  einen  gewissen  Raum  einzudringen 
bestrebt  ist.  Ein  Raum  der  nicht  erfüllt  ist,  ist  10 
ein  leerer  Raum, 

Anmerkung. 

Dieses  ist  nun  die  dynamische  Erklärung  des  Be- 
griffs der  Materie.  Sie  setzt  die  phoronomische  voraus, 
aber  tut  eine  Eigenschaft  hinzu,  die  sich  als  Ursache 
auf  eine  Wirkung  bezieht,  nämUch  das  Vermögen, 
einer  Bewegung  innerhalb  eines  gewissen  Raumes  zu 
widerstehen,  wovon  in  der  vorhergehenden  Wissen- 
schaft gar  nicht  die  Rede  sein  mußte,  selbst  nicht, 
wenn  man  es  mit  Bewegungen  eines  und  desselben 
Punktes    in    entgegengesetzten    Richtungen    zu    tun  20 


a)  Zweites  Hauptstück  der  Metaphysischen  usw.  A'A"A"'. 

15* 


228     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

hatte.  Diese  Erfüllung  des  Raums  hält  einen  ge- 
wissen Raum  von  dem  Eindringen  irgendeines  anderen 
beweglichen  frei,  wenn  seine  Bewegung  auf  irgend- 
einen Ort  in  diesem  Räume  hingerichtet  ist.  Worauf 
nun  der  nach  allen  Seiten  gerichtete  Widerstand  der 
Materie  beruhe,  und  was  er  sei,  muß  noch  untersucht 
werden.  Soviel  sieht  man  aber  schon  aus  der  obigen 
Erklärung:  daß  die  Materie  hier  nicht  so  betrachtet 
wird,  wie  sie  widersteht,  wenn  sie  aus  ihrem  Orte 

10  getrieben  und  also  selbst  bewegt  werden  soll  (dieser 
Fall  wird  künftig,  als  mechanischer  Widerstand,  noch 
in  Erwägung  kommen),  sondern  wenn  bloß  der  Raum 
ihrer  eigenen  Ausdehnung  verringert  werden  soll. 
Man  bedient  sich  des  Worts:  einen  Raum  einnehmen, 
d.  i.  in  allen  Punkten  desselben  unmittelbar  gegen- 
wärtig sein,  um  die  Ausdehnung  eines  Dinges  im 
Räume  dadurch  zu  bezeichnen.  Weil  aber  in  diesem 
Begriffe  nicht  bestimmt  ist,  welche  Wirkung,  oder 
ob  gar  überall   eine   Wirkung  aus  dieser   Gegenwart 

20  entspringe,  ob  andern  zu  widerstehen,  die  hineinzu- 
dringen bestrebt  sein,  oder  ob  es  bloß  einen  Raum 
ohne  Materie  bedeute,  sofern  er  ein  Inbegriff  mehrerer 
Räume  ist,  wie  man  von  jeder  geometrischen  Figur 
sagen  kann:  sie  nimmt  einen  Raum  ein  (sie  ist  aus- 
gedehnt), oder  ob  wohl  gar  im  Räume  etwas  sei,  was 
ein  anderes  Bewegliche  nötigt,  tiefer  in  denselben 
einzudringen  (andere  anzieht);  weil,  sage  ich,  durch 
den  Begriff  des  Einnehmens  eines  Raumes  dieses  alles 
unbestimmt  ist,  so  ist:  einen  Raum  erfüllen,  eine 

30  nähere  Bestimmung  des  Begriffs:  einen  Raum  ein- 
nehmen. 

Lehrsatz  1. 

Die  Materie  erfüllt  einen  Kaum,  nicht  durch 
ihre  bloße  Existenz,  sondern  durch  eine  be- 
sondere bewegende  Kraft. 

Beweis. 

Das  Eindringen  in  einen  Raum  (im  Anfangsaugen- 
blicke heißt  solches  die  Bestrebung,  einzudringen)  ist 
eine  Bewegung.     Der   Widerstand    gegen   Bewegung 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  229 

ist  die  Ursache  der  Verminderung,  oder  auch  Ver- 
änderung derselben  in  Ruhe.  Nun  kann  mit  keiner 
Bewegung  etwas  verbunden  werden,  was  sie  ver- 
mindert oder  aufhebt,  als  eine  andere  Bewegung  eben- 
desselben Beweglichen  in  entgegengesetzter  Richtung 
(Phoron.  Lehrs.).  Also  ist  der  Widerstand,  den  eine 
Materie  in  dem  Raum,  den  sie  erfüllt,  allem  Ein- 
dringen anderer  leistet,  eine  Ursache  der  Bewegung 
der  letzteren  in  entgegengesetzter  Richtung.  Die  Ur- 
sache einer  Bewegung  heißt  aber  bewegende  Kraft.  10 
Also  erfüllet  die  Materie  ihren  Raum  durch  bewegende 
Kraft,  und  nicht  durch  ihre  bloße  Existenz. 


Anmerkung. 

Lambert  und  andere  nannten  die  Eigenschaft  der 
Materie,  da  sie  einen  Raum  erfüllt,  die  Solidität  (ein 
ziemlich  vieldeutiger  Ausdruck)  und  wollen,  man  müsse 
sie  an  jedem  Dinge,  was  existiert  (Substanz),  an- 
nehmen, wenigstens  in  der  äußeren  Sinnenwelt.  Nach 
ihren  Begriffen  müßte  die  Anwesenheit  von  etwas 
Reellem  im  Räume  diesen  Widerstand  schon  durch  20 
seinen  Begriff,  mithin  nach  dem  Satze  des  Wider- 
spruchs bei  sich  führen  und  es  machen,  daß  nichts 
anderes  in  dem  Räume  der  Anwesenheit  eines  solchen 
Dinges  zugleich  sein,  könne.  Allein  der  Satz  des 
Widerspruchs  treibt  keine  Materie  zurück,  welche  an- 
rückt, um  in  einen  Raum  einzudringen,  in  welchem 
eine  andere  anzutreffen  ist.  Nur  alsdann,  wenn  ich 
dem,  was  einen  Raum  einnimmt,  eine  Kraft  beilege, 
alles  äußere  Bewegliche,  welches  sich  annähert,  zurück- 
zutreiben, verstehe  ich,  wie  es  einen  Widerspruch  ent-  30 
halte,  daß  in  den  Raum,  den  ein  Ding  einnimmt,  noch 
ein  anderes  von  derselben  Art  eindringe.  Hier  hat 
der  Mathematiker  etwas  als  ein  erstes  Datum  der 
Konstruktion  des  Begriffs  einer  Materie,  welches  sich 
selbst  nicht  weiter  konstruieren  lasse,  angenommen. 
Nun  kann  er  zwar  von  jedem  beliebigen  Dato  seine 
Konstruktion  eines  Begriffs  anfangen,  ohne  sich 
darauf  einzulassen,  dieses  Datum  auch  wiederum  zu 
erklären;  darum  aber  ist  er  doch  nicht  befugt,  jenes 


230      Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

für  etwas  aller  mathematischen  Konstruktion  ganz 
Unfähiges  zu  erklären,  um  dadurch  das  Zurückgehen 
zu  den  ersten  Prinzipien  in  der  Naturwissenschaft  zu 
hemmen. 


Erklärung  2. 

Anziehungskraft  ist  diejenige  bewegende 
Kraft,  wodurch  eine  Materie  die  Ursache  der  An- 
näherung anderer  zu  ihr  sein  kann  (oder,  welches 
einerlei  ist,  dadurch  sie  der  Entfernung  anderer 
10  von  ihr  widersteht). 

Zurückstoßungskraft  ist  diejenige,  wodurch 
eine  Materie  Ursache  sein  kann,  andere  von  sich 
zu  entfernen  (oder,  welches  einerlei  ist,  wodurch 
sie  der  Annäherung  anderer  zu  ihr  widersteht). 
Die  letztere  werden  wir  auch  zuweilen  treibende, 
so  wie  die  erstere  ziehende  Kräfte "")  nennen. 

Zusatz. 

Es  lassen  sich  nur  diese  zwei  bewegende  Kräfte 
der  Materie  denken.     Denn  alle  Bewegung,  die  eine 

20  Materie  einer  anderen  eindrücken  kann,  da  in  dieser 
Rücksicht  jede  derselben  nur  wie  ein  Punkt  betrachtet 
wird,  muß  jederzeit  als  in  der  geraden  Linie  zwischen 
zweien  Punkten  erteilt  angesehen  werden.  In  dieser 
geraden  Linie  aber  sind  nur  zweierlei  Bewegungen 
möglich:  die  eine,  dadurch  sich  jene  Punkte  vonein- 
ander entfernen,  die  zweite,  dadurch  sie  sich  ein- 
ander nähern.  Die  Kraft  aber,  die  die  Ursache  der 
ersteren  Bewegung  ist,  heißt  Zurückstoßungs- 
und   die    der     zweiten     Anziehungskraft.        Also 

30  können  nur  diese  zwei  Arten  von  Kräften,  als 
solche,  worauf  alle  Bewegungskräfte  in  der  mate- 
riellen Natur  zurückgeführt  werden  müssen,  ge- 
dacht werden. 


a)  „Kraft"  Höfler  Ak.  Ausg. 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  231 

Lehrsatz  2. 

Die  Materie  erfüllet  ihre  Räume  durch  repulsive 
Kräfte  aller  ihrer  Teile,  d.  i.  durch  eine  ihr  eigene 
Ausdehnungskraft,  die  einen  bestimmten  Grad  hat, 
über  den  kleinere  oder  größere  ins  Unendliche 
können  gedacht  werden. 

Beweis. 

Die  Materie  erfüllet  einen  Raum  nur  durch  be- 
wegende Kraft  (Lehrs.  l)a),  und  zwar  eine  solche, 
die  dem  Eindringen  anderer,  d.  i.  der  Annäherung  10 
widersteht.  Nun  ist  diese  eine  zurückstoi3ende  Kraft. 
(Erklärung  2.)  Also  erfüllet  die  Materie  ihren  Raum 
nur  durch  zurückstoßende  Kräfte,  und  zwar  aller 
ihrer  Teile,  weil  sonst  ein  Teil  ihres  Raums  (wider 
die  Voraussetzung)  nicht  erfüllet,  sondern  nur  ein- 
geschlossen sein  würde.  Die  Kraft  aber  eines 
Ausgedehnten  vermöge  der  Zurückstoßung 
aller  seiner  Teile  ist  eine  Ausdehnungskraft 
(expansive).  Also  erfüllet  die  Materie  ihren  Raum 
nur  durch  eine  ihr  eigene  Ausdehnungskraft;  wel-  20 
ches  das  er|ste  war.  Über  jede  gegebene  Kraft 
muß  eine  größere  gedacht  werden  können;  denn 
die,  über  welche  keine  größere  möglich  ist,  würde 
eine  solche  sein,  wodurch  in  einer  endlichen  Zeit 
ein  unendlicher  Raum  zurückgelegt  werden  würde 
(welches  unmöglich  ist).  Es  muß  ferner  unter  jeder 
gegebenen  bewegenden  Kraft  eine  kleinere  gedacht 
werden  können  (denn  die  kleinste  würde  die  sein, 
durch  deren  unendliche  Hinzutuung  zu  sich  selbst 
eine  jede  gegebene  Zeit  hindurch  keine  endliche  Ge-  30 
schwindigkeit  erzeugt  werden  könnte,  welches  aber 
den  Mangel  aller  bewegenden  Kraft  bedeutet).  Also 
muß  unter  einem  jeden  gegebenen  Grad  einer  be- 
wegenden Kraft  immer  noch  ein  kleinerer  gegeben 
werden  können;  welches   das   zweite  ist.     Mithin 


a)  Lehrsatz  2  A'  A"  A"  korr.  Höfler  Ak.  Ausg. 


232     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

hat  die  Ausdehnungskraft,  womit  jede  Materie  ihren 
Raum  erfüllt,  ihren  Grad,  der  niemals  der  größte 
oder  kleinste  ist,  sondern  über  den  ins  Unendliche 
sowohl  größere,  als  kleinere  können  gefunden  werden. 

Zusatz  1. 

Die  expansive  Kraft  einer  Materie  nennt  man  auch 
Elastizität.  Da  nun  jene  der  Grund  ist,  worauf  die 
Erfüllung  des  Raumes,  als  eine  wesentliche  Eigen- 
schaft aller  Materie,  beruht,  so  muß  diese  Elastizität 
10  ursprünglich  heißen;  weil  sie  von  keiner  anderen 
Eigenschaft  der  Mat-erie  abgeleitet  werden  kann.  Alle 
Materie  ist  demnach  ursprünglich  elastisch. 

Zusatz  2. 

Weil  über  jede  ausdehnende  Kraft  eine  größere 
bewegende  Kraft  gefunden  werden  kann,  diese  aber 
auch  jener  entgegenwirken  kann,  wodurch  sie  als- 
denn  den  Raum  der  letzteren  verengen  würde,  den 
diese  zu  erweitern  trachtet,  in  welchem  Falle  die 
erstere  eine  zusammendrückende  Kraft  heißen 
20  würde;  so  muß  auch  für  jede  Materie  eine  zu- 
sammendrückende Kraft  gefunden  werden  können,  die 
sie  von  einem  jeden  Raum,  den  sie  erfüllt,  in  einen 
engeren  Raum   zu   treiben   vermag. 


Erklärung  3. 

Eine  Materie  durchdringt  in  ihrer  Bewegung 
eine  andere,  wenn  sie  durch  Zusammendrückung 
den  Raum  ihrer  Ausdehnung  völlig  aufhebt. 

Anmerkung. 

Wenn  in  einem  mit  Luft  angefüllten  Stiefel  einer 
30  Luftpumpe  der  Kolben  dem  Boden  immer  näher  ge- 
trieben   wird,    so    wird    die    Luftmat«rie    zusammen- 
gedrückt.    Könnte   nun   diese   Zusammendrückung  so 
weit  getrieben   werden,    daß   der   Kolben   den   Boden 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  233 

völlig  berührte  (ohne  daß  das  mindeste  von  Luft 
entwischt  wäre),  so  würde  die  Luftmaterie  durch- 
drungen sein;  denn  die  Materien,  zwischen  denen  sie 
ist,  lassen  keinen  Raum  für  sie  übrig,  und  sie  wäre 
also  zwischen  dem  Kolben  und  Boden  anzutreffen, 
ohne  doch  einen  Raum  einzunehmen.  Diese  Durch- 
dringlichkeit der  Materie  durch  äußere  zusammen- 
drückende Kräfte,  wenn  jemand  eine  solche  an- 
nehmen oder  auch  nur  denken  wollte,  würde  die 
mechanische  heißen  können.  Ich  habe  Ursache,  10 
durch  eine  solche  Einschränkung  diese  Durchdring- 
lichkeit der  Materie  von  einer  andern  zu  unter- 
scheiden, deren  Begriff  vielleicht  ebenso  unmöglich 
als  der  erst-ere  ist,  von  der  ich  aber  doch  künftig 
etwas  anzumerken  Anlaß   haben   möchte. 


Lehrsatz  3. 

Die  Materie  kann  ins  Unendliche  zusammen- 
gedrückt, aber  niemals  von  einer  Materie,  wie 
groß  auch  die  drückende  Kraft  derselben  sei, 
durchdrungen  werden.  20 


Beweis. 

Eine  ursprüngliche  Kraft,  womit  eine  Materie  sich 
über  einen  gegebenen  Raum,  den  sie  einnimmt,  aller- 
wärts  auszudehnen  trachtet,  muß,  in  einen  kleineren 
Raum  eingeschlossen,  größer,  und  in  einen  unendlich 
kleinen  Raum  zusammengepreßt,  unendlich  sein.  Nun 
kann  für  gegebene  ausdehnende  Kraft  der  Materie 
eine  größere  zusammendrückende  gefunden  werden, 
die  diese  in  einen  engeren  Raum  zwingt,  und  so  ins 
LTnendliche;  welches  das  erste  war.  Zum  Durchdringen  30 
der  Materie  aber  würde  eine  Zusammentreibung  der- 
selben in  einen  unendlich  kleinen  Raum,  mithin  eine 
unendlich  zusammendrückende  Kraft  erfodert,  welche 
unmöglich  ist.  Also  kann  eine  Materie  durch  Zu- 
sammendrückung von  keiner  anderen  durchdrungen 
werden;  welches  das  zweite  ist. 


234     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

Anmerkung. 

Ich  habe  in  diesem  Beweise  gleich  zu  Anfangs 
angenommen,  daß  eine  ausdehnende  Kraft,  je  mehr 
sie  in  die  Enge  getrieben  worden,  desto  stärker  ent- 
gegenwirken müsse.  Dieses  würde  nun  zwar  nicht 
so  für  jede  Art  elastischer  Kräfte,  die  nur  abgeleitet 
sind,  gelten;  aber  bei  der  Materie,  sofern  ihr  als 
Materie  überhaupt,  die  einen  Raum  erfüllt,  wesent- 
liche Elastizität  zukommt,  läßt  sich  dieses  postulieren. 
10  Denn  expansive  Kraft  aus  allen  Punkten  nach  allen 
Seiten  hin  ausgeübt,  macht  sogar  den  Begriff  der- 
selben aus.  Ebendasselbe  Quantum  aber,  von  aus- 
spannenden Kräften  in  einen  engeren  Raum  gebracht, 
muß  in  jedem  Punkte  desselben  soviel  stärker  zurück- 
treiben, soviel  umgekehrt  der  Raum  kleiner  ist,  in 
welchem  ein  gewisses  Quantum  von  Kraft  seine  Wirk- 
samkeit verbreitet. 

Erklärung  4. 

Die  Undurchdringlichkeit  der  Materie,  die 
20  auf  dem  Widerstände  beruht,  der  mit  den  Graden 
der  Zusammendiückung  proportionierlich  wächst, 
nenne  ich  die  relative;  diejenige  aber,  welche  auf 
der  Voraussetzung  beruht,  daß  die  Materie,  als 
solche,  gar  keiner  Zusammendrückung  fähig  sei, 
heißt  die  absolute  Undurchdringlichkeit.  Die  Er- 
füllung des  Raumes  mit  absoluter  Undurchdring- 
lichkeit kann  die  mathematische,  die  mit  blos 
relativer  die  dynamische  Erfüllung  des  Raums 
heiJ3en. 

30  Anmerkung  1. 

Nach  dem  bloß  mathematischen  Begriffe  der  Un- 
durchdringlichkeit (der  keine  bewegende  Kraft  als  ur- 
sprünglich der  Materie  eigen  voraussetzt),  ist  keine 
Materie  einer  Zusammendrückung  fähig,  als  sofern  sie 
leere  Räume  in  sich  enthält;  mithin  die  Materie  als 
Materie  widersteht  allem   Eindringen   schlechterdings 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  235 

und  mit  absoluter  Notwendigkeit.  Nach  unserer  Er- 
örterung dieser  Eigenschaft  aber  beruht  die  Undurch- 
dringlichkeit auf  einem  physischen  Grunde;  denn  die 
ausdehnende  Kraft  macht  sie  selbst,  als  ein  Aus- 
gedehntes, das  seinen  Raum  erfüllt,  allererst  möglich. 
Da  aber  diese  Kraft  einen  Grad  hat,  welcher  über- 
wältigt, mithin  der  Raum  der  Ausdehnung  verringert,' 
d.  i.  in  denselben  bis  auf  ein  gewisses  Maß  von  einer 
gegebenen  zusammendrückenden  Kraft  eingedrungen 
v/erden  kann,  doch  so,  daß  die  gänzliche  Durch-  10 
dringung,  weil  sie  eine  unendliche  zusammendrückende 
Kraft  erfodern  würde,  unmöglich  ist,  so  muß  die 
Erfüllung  des  Raums  nur  als  relative  Un- 
durchdringlichkeit angesehen   werden. 


Anmerkung  2. 

Die  absolute  Undurchdringlichkeit  ist  in  der  Tat 
nichts  mehr  oder  weniger,  als  qualitas  occulta.  Denn 
man  fragt,  was  die  Ursache  sei,  daß  Materien  ein- 
ander in  ihrer  Bewegung  nicht  durchdringen  können, 
und  bekommt  die  Antwort:  weil  sie  undurchdringlich  20 
sind.  Die  Berufung  auf  zurücktreibende  Kraft  ist 
von  diesem  Vorwurfe  frei.  Denn  ob  diese  gleich  ihrer 
Möglichkeit  nach  auch  nicht  weiter  erklärt  werden 
kann,  mithin  als  Grundkraft  gelten  muß,  so  gibt  sie 
doch  einen  Begriff  von  einer  wirkenden  Ursache  und 
ihren  Gesetzen,  nach  welchen  die  Wirkung,  nämlich 
der  Widerstand  in  dem  erfülleten  Raum,  ihren  Graden 
nach  geschätzt  werden   kann. 


Erklärung  5. 

Materielle  Substanz  ist  dasjenige  im  Räume,  30 
was  für  sich,  d.  i.  abgesondert  von  allem  anderen, 
was  außer  ihm  im  Räume  existiert,  beweglich  ist. 
Die  Bewegung  eines  Teils  der  Materie,  dadurch  sie 
aufhört,  ein  Teil  zu  sein,  ist  die  Trennung.  Die 
Trennung  der  Teile  einer  Materie  ist  die  physische 
Teilung. 


236     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

Anmerkung. 

Der  Begriff  einer  Substanz  bedeutet  das  letzte 
Subjekt  der  Existenz,  d.  i.  dasjenige,  was  selbst  nicht 
wiederum  bloß  als  Prädikat  zur  Existenz  eines  anderen 
gehört.  Nun  ist  Materie  das  Subjekt  alles  dessen, 
was  im  Räume  zur  Existenz  der  Dinge  gezählt  werden 
mag;  denn  außer  ihr  würde  sonst  kein  Subjekt  ge- 
dacht werden  können,  als  der  Raum  selbst,  welcher 
aber  ein  Begriff  ist,  der  noch  gar  nichts  Existieren-- 

10  des,  sondern  bloß  die  notwendigen  Bedingungen  der 
äußeren  Relation  möglicher  Gegenstände  äußerer 
Sinne  enthält.  Also  ist  Materie,  als  das  Bewegliche 
im  Räume,  die  Substanz  in  demselben.  Aber  ebenso 
werden  auch  alle  Teile  derselben,  sofern  man  von 
ihnen  nur  sagen  kann,  daß  sie  selbst  Subjekte  und 
nicht  bloß  Prädikate  von  anderen  Materien  sein, 
Substanzen,  mithin  selbst  wiederum  Materie  heißen 
müssen.  Sie  sind  aber  selbst  Subjekte,  wenn  sie  für 
sich  beweglich  und  also  auch  außer  der  Verbindung 

20  mit  anderen  Nebenteilen  etwas  im  Räume  Existierendes 
sind.  Also  ist  die  eigene  Beweglichkeit  der  Materie, 
oder  irgendeines  Teils  derselben,  zugleich  ein  Beweis 
dafür,  daß  dieses  Bewegliche  und  ein  jeder  beweg- 
liche Teil  desselben  Substanz  sei. 

Lehrsatz  4. 

Die  Materie  ist  ins  Unendliche  teilbar,  und 
zwar   in  Teile,    deren  jeder  wiederum  Materie   ist. 

Beweis. 

Die  Materie  ist  undurchdringlich,  und  zwar  durch 
30  ihre  ursprüngliche  Ausdehnungskraft  (Lehrs.  3),  diese 
aber  ist  nur  die  Folge  der  repulsiven  Kräfte  eines 
jeden  Punkts  in  einem  von  Materie  erfüllten  Raum. 
Nun  ist  der  Raum,  den  die  Materie  erfüllet,  ins  Un- 
endliche mathematisch  teilbar,  d.  i.  seine  Teile  können 
ins  Unendliche  unterschieden,  obgleich  nicht  bewegt, 
folglich  auch  nicht  getrennt  werden  (nach  Beweisen 
der  Geometrie).    In  einem  mit  Materie  erfülleten  Räume 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  237 

aber  enthält  jeder  Teil  desselben  repulsive  Kraft,  allen 
übrigen  nach  allen  Seiten  entgegenzuwirken,  mithin 
sie  zurückzutreiben,  und  von  ihnen  ebensowohl  zurück- 
getrieben, d.  i.  zur  Entfernung  von  demselben  bewegt 
zu  werden.  Mithin  ist  ein  jeder  Teil  eines  durch 
Materie  erfüllten  Raums  für  sich  selbst  beweglich, 
folglich  trennbar  von  den  übrigen,  als  materielle  Sub- 
stanz durch  physische  Teilung.  So  weit  sich  also 
die  mathematische  Teilbarkeit  des  Raumes,  den  eine 
Materie  erfüllt,  erstreckt,  soweit  erstreckt  sich  auch  10 
die  mögliche  physische  Teilung  der  Substanz,  die  ihn 
erfüllt.  Die  mathematische  Teilbarkeit  aber  geht  ins 
Unendliche,  folglich  auch  die  physische,  d.  i.  alle  Ma- 
terie ist  ins  Unendliche  teilbar,  und  zwar  in  Teile, 
deren  jeder  selbst  wiederum  materielle  Substanz  ist. 

Anmerkung  1. 

Durch  den  Beweis  der  unendlichen  Teilbarkeit  des 
Raums  ist  die  der  Materie  lange  noch  nicht  bewiesen, 
wenn  nicht  vorher  dargetan  worden:  daß  in  jedem 
Teile  des  Raumes  materielle  Substanz  sei,  d.  i.  für  20 
sich  bewegliche  Teile  anzutreffen  sind.  Denn  wollte 
ein  Monadist  annehmen,  die  Materie  bestände  aus 
physischen  Punkten,  deren  ein  jeder  zwar  (eben  darum) 
keine  beweglichen  Teile  habe,  aber  dennoch  durch 
bloße  repulsive  Kraft  einen  Raum  erfüllete,  so  würde 
er  gestehen  können,  daß  zwar  dieser  Raum,  aber 
nicht  die  Substanz,  die  in  ihm  wirkt,  mithin  zwar 
die  Sphäre  der  Wirksamkeit  der  letzteren,  aber  nicht 
das  wirkende  bewegliche  Subjekt  selbst  durch  die 
Teilung  des  Raums  zugleich  geteilt  werde.  Also  würde  30 
er  die  Materie  aus  physisch  unteilbaren  Teilen  zu- 
sammensetzen, und  sie  doch  auf  dynamische  Art 
einen  Raum  einnehmen  lassen. 

Durch  den  obigen  Beweis  aber  ist  dem  Monadisten 
diese  Ausflucht  gänzlich  benommen.  Denn  daraus  ist 
klar,  daß  in  einem  erfülleten  Räume  kein  Punkt  sein 
könne,  der  nicht  selbst  nach  allen  Seiten  Zurück- 
stoßung ausübete,  so  wie  er  zurückgestoßen  wird,  mit- 
hin als  ein  außer  jedem  anderen  zurückstoßenden 
Punkte  befindliches  gegenwirkendes  Subjekt  an  sich  40 


238     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

selbst  beweglich  wäre,  und  daß  die  Hypothese  eines 
Punkts,  der  durch  bloße  treibende  Kraft,  und  nicht 
vermittelst  anderer  gleichfalls  zurückstoßenden  Kräfte, 
einen  Raum  erfüllete,  gänzlich  unmöglich  sei.  Um 
dieses  und  dadurch  auch  den  Beweis  des  vorhergehen- 
den  Lehrsatzes   anschaulich   zu  machen,   nehme   man 

0 " — © © 

an,  A  sei  der  Ort  einer  Monas  im  Räume,  ah  sei 
der  Durchmesser  der  Sphäre  ihrer  repulsiven  Kraft, 
mithin  aA  der  Halbmesser  derselben,  so  ist  zwischen 

10  a,  wo  dem  Eindringen  einer  äußeren  Monade  in  den 
Raum,  den  jene  Sphäre  einnimmt,  widerstanden  wird, 
und  dem  Mittelpunkte  derselben  A,  ein  Punkt  c  an- 
zugeben möglich  (laut  der  unendlichen  Teilbarkeit  des 
Raumes).  Wenn  nun  A  demjenigen,  was  in  a  einzu- 
dringen trachtet,  widersteht,  so  muß  auch  c  den  bei- 
den Punkten  A  und  a  widerstehen.  Denn  wäre  dieses 
nicht,  so  würden  sie  sich  einander  ungehindert  nähern, 
folglich  A  und  a  im  Punkte  c  zusammentreffen,  d.  i. 
der  Raum   würde   durchdrungen   werden.     Also  muß 

20  in  c  etwas  sein,  was  dem  Eindringen  von  A  und  a 
widersteht  und  also  die  Monas  A  zurücktreibt,  sowie 
es  auch  von  ihr  zurückgetrieben  wird.  Da  nun 
Zurücktreiben  ein  Bewegen  ist,  so  ist  c  etwas  Be- 
wegliches im  Raum,  mithin  Materie,  und  der  Raum 
zwischen  A  und  a  konnte  nicht  durch  die  Sphäre  der 
Wirksamkeit  einer  einzigen  Monade  angefüllt  sein,  also 
auch  nicht  der  Raum  zwischen  c  und  A,  und  so  ins 
Unendliche. 

Wenn  Mathematiker  die  repulsiven  Kräfte  der  Teile 

30  elastischer  Materien,  bei  größerer  oder  kleinerer  Zu- 
sammendrückung derselben,  als  nach  einer  gewissen 
Proportion  ihrer  Entfernungen  voneinander  abnehmend 
oder  zunehmend  sich  vorstellen,  z.  B.  daß  die  kleinsten 
Teile  der  Luft  sich  in  umgekehrtem  Verhältnis  ihrer 
Entfernungen  voneinander  zurücktreiben,  weil  die 
Elastizität  derselben  in  umgekehrtem  Verhältnis  der 
Räume  steht,  darin  sie  zusammengedrückt  werden,  so 
verfehlt  man  gänzlich  ihren  Sinn  und  mißdeutet  ihre 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  239 

Sprache,  wenn  man  das,  was  zum  Verfahren  der  Kon- 
struktion eines  Begriffs  notwendig  gehört,  dem  Be- 
griffe im  Objekt  selbst  beiliegt.  Denn  nach  jenem 
kann  eine  jede  Berührung  als  eine  unendlich  kleine 
Entfernung  vorgestellt  werden;  welches  in  solchen 
Fällen  auch  notwendig  geschehen  muß,  wo  ein  großer 
oder  kleiner  Raum  durch  ebendieselbe  Quantität  der 
Materie,  d.  i.  einerlei  Quantum  repulsiver  Kräfte,  als 
ganz  erfüllt  vorgestellt  werden  soll.  Bei  einem  ins 
Unendliche  Teilbaren  darf  darum  dennoch  keine  wirk-  10 
liehe  Entfernung  der  Teile,  die  bei  aller  Erweiterung 
des  Raums  des  Ganzen  immer  ein  Kontinuum  aus- 
machen, angenommen  werden,  obgleich  die  Möglich- 
keit dieser  Erweiterung  nur  unter  der  Idee  einer  un- 
endlich kleinen  Entfernung  anschaulich  gemacht  wer- 
den kann. 

Anmerkung  2. 

Die  Mathematik  kann  zwar  in  ihrem  inneren 
Gebrauche  in  Ansehung  der  Schikane  einer  ver- 
fehlten Metaphysik  ganz  gleichgültig  sein,  und  im  20 
sicheren  Besitz  ihrer  evidenten  Behauptungen  von  der 
unendlichen  Teilbarkeit  des  Raumes  beharren, 
was  für  Einwürfe  auch  eine  an  bloßen  Begriffen 
klaubende  Vernünftelei  dagegen  auf  die  Bahn  bringen 
mag;  allein  in  der  Anwendung  ihrer  Sätze,  die  vom 
Räume  gelten,  auf  Substanz,  die  ihna)  erfüllt,  muß 
sie  sich  doch  auf  Prüfung  nach  bloßen  Begriffen, 
mithin  auf  Metaphysik  einlassen.  Obiger  Lehrsatz  ist 
schon  ein  Beweis  davon.  Denn  es  folgt  nicht  not- 
wendig, daß  Materie  ins  Unendliche  physisch  teilbar  SO 
sei,  wenn  sie  es  gleich  in  mathematischer  Absicht 
ist,  wenngleich  ein  jeder  Teil  des  Raums  wiederum 
ein  Raum  ist,  und  also  immer  Teile  außerhalb  ein- 
ander in  sich  faßt,  woferne  nicht  bewiesen  werden 
kann,  daß  in  jedem  aller  möglichen  Teile  dieses  er- 
fülle ten  Raumes  auch  Substanz  sei,  die  folglich 
auch,  abgesondert  von  allen  übrigen,  als  für  sich 
beweglich   existiere.     Also   fehlete   doch   bisher   dem 


a)  ,.sie"  A'  A"  A'"  korr.  Hartenstein, 


240     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

mathematischen  Beweise  noch  etwas,  ohne  welches 
er  auf  die  Naturwissenschaft  keine  sichere  Anwendung 
haben  konnte,  und  diesem  Mangel  ist  in  obstehen- 
dem  Lehrsatz  abgeholfen  worden.  Was  nun  aber 
die  übrigen  Angriffe  der  Metaphysik  auf  den  nun- 
mehro  physischen  Lehrsatz  der  unendlichen  Teil- 
barkeit der  Materie  betrifft,  so  muß  sie  der  Mathema- 
tiker gänzlich  dem  Philosophen  überlassen,  der  ohne- 
dem durch  diese  Einwürfe  sich  selbst  in  ein  Labyrinth 

10  begibt,  woraus  es  ihm  schwer  wird,  auch  in  denen 
ihn  unmittelbar  angehenden  Fragen  sich  herauszufin- 
den, und  also  mit  sich  selbst  genug  zu  tun  hat,  ohne 
daß  der  Mathematiker  sich  in  dieses  Geschäfte  dürfte 
einflechten  lassen.  Wenn  nämlich  die  Materie  ins  Un- 
endliche teilbar  ist,  so  (schließt  der  dogmatische 
Metaphysiker)  besteht  sie  aus  einer  unendlichen 
Menge  von  Teilen;  denn  ein  Ganzes  muß  doch  alle 
die  Teile  zum  voraus  insgesamt  schon  in  sich  ent- 
halten, in  die  es  geteilt  werden  kann.     Der  letztere 

20  Satz  ist  auch  von  einem  jeden  Ganzen,  als  Ding 
an  sich  selbst,  ungezweifelt  gewiß,  mithin,  da  man 
doch  nicht  einräumen  kann,  die  Materie,  ja  gar  selbst 
nicht  einmal  der  Raum,  bestehe  aus  unendlich 
viel  Teilen  (weil  es  ein  Widerspruch  ist,  eine  un- 
endliche Menge,  deren  Begriff  es  schon  mit  sich  führt, 
daß  sie  niemals  vollendet  vorgestellt  werden  könne, 
sich  als  ganz  vollendet  zu  denken),  so  müsse  man 
sich  zu  einem  entschließen,  entweder  dem  Geometer 
zum    Trotz    zu   sagen:    der    Raum   ist   nicht   ins. 

30  Unendliche  teilbar,  oder  dem  Metaphysiker  zur 
Ärgernis:  der  Raum  ist  keine  Eigenschaft  eines 
Dinges  an  sich  selbst,  und  also  die  Materie  kein 
Ding  an  sich  selbst,  sondern  bloße  Erscheinung 
unserer  äußeren  Sinne  überhaupt,  sowie  der  Raum 
die  wesentliche  Form  derselben. 

Hier  gerät  nun  der  Philosoph  in  ein  Gedränge 
zwischen  den  Hörnern  eines  gefährlichen  Dilemms. 
Den  ersteren  Satz:  daß  der  Raum  ins  Unendliche 
teilbar  sei,  abzuleugnen,   ist  ein  leeres  Unterfangen, 

40  denn  Mathematik  läßt  sich  nichts  wegvernünfteln; 
Materie  aber  als  Ding  an  sich  selbst,  mithin  den 
Raum  als  Eigenschaft  der  Dinge  an  sich  selbst  an- 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  241 

sehen  und  dennoch  a)  jenen  Satz  ableugnen,  ist  einerlei. 
Er  sieht  sich  also  notgedrungen,  von  der  letzteren 
Behauptung,  so  gemein  und  dem  gemeinen  Verstände 
gemäß  sie  auch  sei,  abzugehen,  aber  natürlicherweise 
nur  unter  dem  Beding,  daß  man  ihn  auf  den  Fall,  ' 
daß  er  Materie  und  Raum  nur  zur  Erscheinung  (mit- 
hin letzteren  nur  zur  Form  unserer  äußerer  sinnlichen 
Anschauung,  also  beide  nicht  zu  Sachen  an  sich,  son- 
dern nur  zu  subjektiven  Vorstellungsarten  uns  an  sich 
unbekannter  Gegenstände)  machte,  alsdenn  auch  aus  10 
jener  Schwierigkeit,  wegen  unendlicher  Teilbar- 
keit der  Materie,  wobei  sie  doch  nicht  aus  un- 
endlich viel  Teilen  bestehe,  heraushelfe.  Dieses 
letztere  läßt  sich  nun  ganz  wohl  durch  die  Vernunft 
denken,  obgleich  unmöglich  anschaulich  machen  und 
konstruieren.  Denn  was  nur  dadurch  wirklich  ist, 
daß  es  in  der  Vorstellung  gegeben  ist,  davon  ist 
auch  nicht  mehr  gegeben,  als  so  viel  in  der  Vor- 
stellung angetroffen  wird,  d.  i.  so  weit  der  Progressus 
der  Vorstellungen  reicht.  Also  von  Erscheinungen,  20 
deren  Teilung  ins  Unendliche  geht,  kann  man  nur 
sagen,  daß  der  Teile  der  Erscheinung  so  viel  sind, 
als  wir  deren  nur  geben,  d.  i.  so  weit  wir  nur  immer 
teilen  mögen.  Denn  die  Teile,  als  zur  Existenz  einer 
Erscheinung  gehörig,  existieren  nur  in  Gedanken, 
nämlich  in  der  Teilung  selbst.  Nun  geht  zwar  die 
Teilung  ins  Unendliche,  aber  sie  ist  doch  niemals  als 
unendlich  gegeben;  also  folgt  daraus  nicht,  daß  das 
Teilbare  eine  unendliche  Menge  Teile  an  sich  selbst 
und  außer  unserer  Vorstellung  in  sich  enthalte,  darum,  30 
weil  seine  Teilung  ins  Unendliche  geht.  Denn  es  ist 
nicht  das  Ding,  sondern  nur  diese  Vorstellung  des- 
selben, deren  Teilung,  ob  sie  zwar  ins  Unendliche 
fortgesetzt  werden  kann,  und  im  Objekte  (das  an  sich 
unbekannt  ist),  dazu  auch  ein  Grund  ist,  dennoch  nie- 
mals vollendet,  folglich  ganz  gegeben  werden  kann, 
und  also  auch  keine  wirkliche  unendliche  Menge  im 
Objekte  (als  die  ein  ausdrücklicher  Widerspruch  sein 
würde),  beweiset.  Ein  großer  Mann,  der  vielleicht 
mehr  als  sonst  jemand  das  Ansehen  der  Mathematik  40 


a)  „demnach?" 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     I.  Jß 


242     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

in  Deutschland  zu  erhalten  beiträgt,  hat  mehrmalen 
die  metaphysischen  Anmaßungen,  Lehrsätze  der 
Geometrie  von  der  unendlichen  Teilbarkeit  des  Raumes 
umzustoßen,  durch  die  gegründete  Erinnerung  abge- 
wiesen: daß  der  Raum  nur  zu  der  Erscheinung 
äußerer  Dinge  gehöre;  allein  er  ist  nicht  ver- 
standen worden.  Man  nahm  diesen  Satz  so,  als  ob 
er  sagen  wollte:  der  Raum  erscheine  uns  selbst,  sonst 
sei    er    eine    Sache    oder    Verhältnis    der    Sachen   an 

10  sich  selbst,  der  Mathematiker  betrachtete  ihn  aber  nur 
wie  er  erscheint;  anstatt  daß  sie  darunter  hätten  ver- 
stehen sollen,  der  Raum  sei  gar  keine  Eigenschaft, 
die  irgendeinem  Dinge  außer  unseren  Sinnen  an  sich 
anhängt,  sondern  nur  die  subjektive  Form  unserer 
Sinnlichkeit,  unter  welcher  uns  Gegenstände  äußerer 
Sinne^  die  wir,  wie  sie  an  sich  beschaffen  sind, 
nicht  kennen,  erscheinen,  welche  Erscheinung  wir 
denn  Materie  nennen.  Bei  jener  Mißdeutung  dachte 
man  eich  den  Raum  immer  noch  als  eine  den  Dingen 

20  auch  außer  unserer  Vorstellungskraft  anhängende  Be- 
schaffenheit, die  sich  aber  der  Mathematiker  nur  nach 
gemeinen  Begriffen,  d.  i.  verworren  denkt  (denn  so 
erklärt  man  gemeinhin  Erscheinung),  und  schrieb  also 
den  mathematischen  Lehrsatz  von  der  unendlichen  Teil- 
barkeit der  Materie,  einen  Satz,  der  die  höchste  Deut- 
lichkeit in  dem  Begriffe  des  Raums  voraussetzt,  einer 
verworrenen  Vorstellung  vom  Räume,  die  der  Geo- 
meter  zum  Grunde  legte,  zu,  wobei  es  denn  dem 
Metaphysiker     unbenommen     blieb,     den     Raum    aus 

30  Punkten  und  die  Materie  aus  einfachen  Teilen  zu- 
sammenzusetzen und  so  (seiner  Meinung  nach)  Deut- 
lichkeit in  diesen  Begriff  zu  bringen.  Der  Grund 
dieser  Verirrung  liegt  in  einer  übelverstandenen 
Monadologie,  die  gar  nicht  zur  Erklärung  der 
Naturerscheinungen  gehört,  sondern  ein  von  Leib- 
nizen  ausgeführter,  an  sich  richtiger  platonischer 
Begriff  von  der  Welt  ist,  sofern  sie  gar  nicht  als 
Gegenstand  der  Sinne,  sondern  als  Ding  an  sich  selbst 
betrachtet,   bloß  ein   Gegenstand   des   Verstandes  ist, 

40  der  aber  doch  den  Erscheinungen  der  Sinne  zugrunde 
liegt.  Nun  muß  freilich  das  Zusammengesetzte 
der  Dinge  an  sich  selbst  aus  dem  Einfachen  be- 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  243 

stehen;  denn  die  Teile  müssen  hier  vor  aller  Zu- 
sammensetzung gegeben  sein.  Aber  das  Zusammen- 
gesetzte in  der  Erscheinung  besteht  nicht  aus 
dem  Einfachen,  weil  in  der  Erscheinung,  die  niemals 
anders  als  zusammengesetzt  (ausgedehnt)  gegeben 
werden  kann,  die  Teile  nur  durch  Teilung  und  also 
nicht  vor  dem  Zusammengesetzten,  sondern  nur  in 
demselben  gegeben  werden  können.  Daher  war 
Leibnizens  Meinung,  soviel  ich  einsehe,  nicht,  den 
Raum  durch  die  Ordnung  einfacher  Wesen  neben-  10 
einander  zu  erklären,  sondern  ihm  vielmehr  diese  als 
korrespondierend,  aber  zu  einer  bloß  intelligibeln  (für 
uns  unbekannten)  Welt  gehörig  zur  Seite  zu  setzen, 
und  nichts  anderes  zu  behaupten,  als  was  anderwärts 
gezeigt  worden,  nämlich  daß  der  Raum  samt  der 
Materie,  davon  er  die  Form  ist,  nicht  die  Welt  von 
Dingen  an  sich  selbst,  sondern  nur  die  Erscheinung 
derselben  enthalte  und  selbst  nur  die  Form  unserer^ 
äußern  sinnlichen  Anschauung  sei. 

Lehrsatz  5.  20 

Die  Möglichkeit  der  Materie  erfodert  eine  An- 
ziehungskraft, als  die  zweite  wesentliche  Grund- 
kraft derselben. 


Beweis. 

Die  Undurchdringlichkeit,  als  die  Grundeigenschaft 
der  Materie,  wodurch  sie  sich  als  etwas  Reales  im 
Räume  unseren  äußeren  Sinnen  zuerst  offenbart,  ist 
nichts  als  das  Ausdehnungsvermögen  der  Materie 
(Lehrsatz  2)a).  Nun  kann  eine  wesentliche  bewegende 
Kraft,  dadurch  die  Teile  der  Materie  einander  fliehen,  30 
erstlich  nicht  durch  sich  selbst  eingeschränkt  wer- 
den, weil  die  Materie  dadurch  vielmehr  bestrebt  ist, 
den  Raum,  den  sie  erfüllt,  kontinuierlich  zu  erweitern; 
zweitens  auch  nicht  durch  den  Raum  allein  auf  eine 
gewisse  Grenze  der  Ausdehnung  gesetzt  werden;  denn 


a)  Lehrsatz  A'  A"  A'"  korr.  Ak.  Ausg. 

16^ 


244     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

dieser  kann  zwar  den  Grund  davon  enthalten,  daß 
bei  Erweiterung  des  Volumens  einer  sich  ausdehnen- 
den Materie  die  ausdehnende  Kraft  in  umgekehrtem 
Verhältnisse  schwächer  werde,  aber,  weil  von  einer 
jeden  bewegenden  Kraft  ins  Unendliche  kleinere  Grade 
möglich  sind,  niemals  den  Grund  enthalten,  daß  sie 
irgendwo  aufhöre.  Also  würde  die  Materie  durch  ihre 
repulsive  Kraft  (welche  den  Grund  der  Undurchdring- 
lichkeit enthält)  allein,  und  wenn  ihr  nicht  eine  andere 

10  bewegende  Kraft  entgegenwirkte,  innerhalb  keinen 
Grenzen  der  Ausdehnung  gehalten  sein,  d.  i.  sich  ins 
Unendliche  zerstreuen,  und  in  keinem  anzugebenden 
Räume  würde  eine  anzugebende  Quantität  Materie  an- 
zutreffen sein.  Folglich  würden  bei  bloß  repellieren- 
den  Kräften  der  Materie  alle  Räume  leer,  mithin  eigent- 
lich gar  keine  Materie  da  sein.  Es  erfodert  also 
alle  Materie  zu  ihrer  Existenz  Kräfte,  die  der  aus- 
dehnenden entgegengesetzt  sind,  d.  i.  zusammen- 
drückende Kräfte.     Diese   können   aber   ursprünglich 

20  nicht  wiederum  in  der  Entgegenstrebung  einer  an- 
deren Materie  gesucht  werden;  denn  diese  bedarf, 
damit  sie  Materie  sei,  selbst  einer  zusammendrückenden 
Kraft.  Also  muß  irgendwo  eine  ursprüngliche  Kraft 
der  Materie,  welche  in  entgegengesetzter  Direktion 
der  repulsiven,  mithin  zur  Annäherung  wirkt,  d.  i.  eine 
Anziehungskraft  angenommen  werden.  Da  nun  diese 
Anziehungskraft  zur  Möglichkeit  einer  Materie,  als 
Materie,  überhaupt  gehört,  folglich  vor  allen  Unter- 
schieden derselben  vorhergeht,  so  darf  sie  nicht  bloß 

30  einer  besonderen  Gattung  derselben,  sondern  muß  jeder 
Materie  überhaupt,  und  zwar  ursprünglich  beigelegt 
werden.  Also  kommt  aller  Materie  eine  ursprüng- 
liche Anziehung,  als  zu  ihrem  Wesen  gehörige  Grund- 
kraft, zu. 

Anmerkung. 

Bei  diesem  Übergange  von  einer  Eigenschaft  der 
Materie    zu    einer    andern    spezifisch    davon    unter- 
schiedenen, die  zum  Begriffe  der  Materie  ebensowohl 
gehört,  obgleich  in  demselben  nicht  enthalten 
40  ist,  muß  das  Verhalten  unseres  Verstandes  in  nähere 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  245 

Erwägung  gezogen  werden.  Wenn  Anziehungskraft 
selbst  zur  Möglichkeit  der  Materie  ursprünglich  er- 
fodert  wird,  warum  bedienen  wir  uns  ihrer  nicht 
ebensowohl,  als  der  Undurchdringlichkeit,  zum  ersten 
Kennzeichen  einer  Materie?  warum  wird  die  letztere 
unmittelbar  mit  dem  Begriffe  einer  Materie  gegeben, 
die  erstere  aber  nicht  in  dem  Begriffe  gedacht,  son- 
dern nur  durch  Schlüsse  ihm  beigefügt?  Daß  unsere 
Sinne  uns  diese  Anziehung  nicht  so  unmittelbar  wahr- 
nehmen lassen,  als  die  Zurückstoßung  und  das  Wider-  10 
streben  der  Undurchdringlichkeit,  kann  die  Schwierig- 
keit noch  nicht  hinlänglich  beantworten.  Denn  wenn 
wir  auch  ein  solches  Vermögen  hätten,  so  ist  doch 
leicht  einzusehen,  daß  unser  Verstand  sich  nichts- 
destoweniger die  Erfüllung  des  Raumes  wählen  würde, 
um  dadurch  die  Substanz  im  Räume,  d.  i.  die  Materie 
zu  bezeichnen,  wie  denn  eben  in  dieser  Erfüllung, 
oder,  wie  man  sie  sonst  nennt,  der  Solidität  das 
Charakteristische  der  Materie,  als  eines  vom  Räume 
unterschiedenen  Dinges,  gesetzt  wird.  Anziehung,  20 
wenn  wir  sie  auch  noch  so  gut  empfänden,  würde 
uns  doch  niemals  eine  Materie  von  bestimmten  Vo- 
lumen und  Gestalt  offenbaren,  sondern  nichts  als 
die  Bestrebung  unseres  Organs,  sich  einem  Punkte 
außer  uns  (dem  Mittelpunkt  des  anziehenden  Körpers) 
zu  nähern.  Denn  die  Anziehungskraft  aller  Teile  der 
Erde  kann  auf  uns  nichts  mehr,  auch  nichts  anderes 
wirken,  als  wenn  sie  gänzlich  in  dem  Mittelpunkte 
derselben  vereinigt  wäre,  und  dieser  allein  auf  unsern 
Sinn  einflösse,  ebenso  die  Anziehung  eines  Berges,  oder  30 
jeden  Steins  etc.  Nun  bekommen  wir  dadurch  keinen 
bestimmten  Begriff  von  irgendeinem  Objekte  im  Räume, 
da  weder  Gestalt  noch  Größe,  ja  nicht  einmal  der  Ort, 
wo  er  sich  befände,  in  unsere  Sinne  fallen  kann  (die 
bloße  Direktion  der  Anziehung  würde  wahrgenommen 
werden  können,  wie  bei  der  Schwere;  der  anziehende 
Punkt  würde  unbekannt  sein,  und  ich  sehe  nicht  ein- 
mal wohl  ein,  wie  er  selbst  durch  Schlüsse,  ohne 
Wahrnehmung  der  Materie,  sofern  sie  den  Raum  er- 
füllt, sollte  ausgemittelt  werden).  Also  ist  klar:  daß  40 
die  erste  Anwendung  unserer  Begriffe  von  Größen 
auf  Materie,  durch  die  es  uns  zuerst  möglich  wird, 


246     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

unsere  äußere  Wahrnehmungen  in  dem  Erfahrungs- 
begriffe einer  Materie  als  Gegenstandes  überhaupt  zu 
verwandeln,  nur  auf  ihrer  Eigenschaft,  dadurch  sie 
einen  Raum  erfüllt,  gegründet  sei,  welche  vermittelst 
des  Sinnes  des  Gefühls  uns  die  Größe  und  Gestalt 
eines  Ausgedehnten,  mithin  von  einem  bestimmten 
Gegenstande  im  Räume  einen  Begriff  verschafft,  der 
allem  übrigen,  was  man  von  diesem  Dinge  sagen  kann, 
zum  Grunde  gelegt  wird.    Eben  dieses  ist  ohne  Zweifel 

10  die  Ursache,  weswegen  man  bei  den  klarsten  ander- 
weitigen Beweisen,  daß  Anziehung  ebensowohl  zu  den 
Grundkräften  der  Materie  gehören  müsse,  als  Zurück- 
stoßung, sich  gleichwohl  gegen  die  erstere  so  sehr 
sträubt,  und  gar  keine  bewegende  Kräfte,  als  nur 
durch  Stoß  und  Druck  (beides  vermittelst  der  Un- 
durchdringlichkeit), einräumen  will.  Denn  wodurch 
der  Raum  erfüllet  ist,  das  ist  die  Substanz,  sagt  man, 
und  das  hat  auch  seine  gute  Richtigkeit.  Da  aber 
diese  Substanz  ihr  Dasein  uns  nicht  anders,  als  durch 

20  den  Sinn,  wodurch  wir  ihre  Undurchdringlichkeit  wahr- 
nehmen, nämlich  das  Gefühl,  offenbart,  mithin  nur  in 
Beziehung  auf  Berührung,  deren  Anfang  (in  der  An- 
näherung einer  Materie  zur  andern)  der  Stoß,  die 
Fortdauer  aber  ein  Druck  heißt;  so  scheint  es,  als 
ob  alle  unmittelbare  Wirkung  einer  Materie  auf  die 
andere  niemals  was  anders,  als  Druck  oder  Stoß  sein 
könne;  zwei  Einflüsse,  die  wir  allein  unmittelbar  emp- 
finden können;  dagegen  Anziehung,  die  uns  an  sich 
entweder   gar   keine   Empfindung,    oder   doch   keinen 

30  bestimmten  Gegenstand  derselben  geben  kann,  uns  als 
Grundkraft  so  schv/er  in  den  Kopf  will. 

Lehrsatz  6. 

Durch  bloße  Anziehungskraft,  ohne  Zurück- 
stoßung ist  keine  Materie  möglich. 

Beweis. 

Anziehungskraft  ist  die  bewegende  Kraft  der  Ma- 
terie, wodurch  sie  eine  andere  treibt,  sich  ihr  zu 
nähern;  folglich,  wenn  sie  zwischen  allen  Teilen  der 


II.  Hauptstück.     Dynamik,  247 

Materie  angetroffen  wird,  ist  die  Materie  vermittelst 
ihrer  bestrebt,  die  Entfernung  ihrer  Teile  voneinander, 
mithin  auch  den  Raum,  den  sie  zusammen  einnehmen, 
zu  verringern.  Nun  kann  nichts  die  Wirkung  einer 
bewegenden  Kraft  hindern,  als  eine  andere  ihr  ent- 
gegengesetzte bewegende  Kraft;  diese  aber,  welche 
der  Attraktion  entgegengesetzt  ist,  ist  die  repulsive 
Kraft.  Also  v/ürden,  ohne  repulsive  Kräfte,  durch 
bloße  Annäherung  alle  Teile  der  Materie  sich  ohne 
Hindernis  einander  nähern  und  den  Raum,  den  diese  10 
einnimmt,  verringern.  Da  nun  in  dem  angenommenen 
Falle  keine  Entfernung  der  Teile  ist,  in  welcher  eine 
gröi3ere  Annäherung  durch  Anziehung  vermittelst  einer 
zurückstoßenden  Kraft  unmöglich  gemacht  wurde,  so 
würden  sie  sich  so  lange  zueinander  bewegen,  bis  gar 
keine  Entfernung  zwischen  ihnen  angetroffen  würde, 
d.  i.  sie  würden  in  einen  mathematischen  Punkt  zu- 
sammenfließen, und  der  Raum  würde  leer,  mithin  ohne 
alle  Materie  sein.  Demnach  a)  ist  Materie  durch  bloße 
Anziehungskräfte  ohne  zurückstoßende  unmöglich.        20 

Zusatz. 

Diejenige  Eigenschaft,  auf  welcher  als  Bedingung 
selbst  die  innere  Möglichkeit  eines  Dinges  beruht,  ist 
ein  wesentliches  Stück  derselben.  Also  gehört  die 
Zurückstoßungskraft  zum  Wesen  der  Materie  ebenso- 
wohl, wie  die  Anziehungskraft,  und  keine  kann  von 
der  anderen  im  Begriff  der  Materie  getrennt  werden. 

Anmerkung. 

Weil  überall  nur  zwei  bewegende  Kräfte  im  Raum 
gedacht  werden  können,  die  Zurückstoßung  und  An-  30 
Ziehung,  so  war  es,  um  beider  ihret»)  Vereinigung 
im  Begriffe  einer  Materie  überhaupt  a  priori  zu  be- 
weisen, vorher  nötig,  daß  jede  für  sich  allein  er- 
wogen würde,  um  zu  sehen,  was  sie,  allein  genommen, 
zur  Darstellung  einer  Materie  leisten  könnte.    Es  zeigt 


a)  „Dennoch"  A'  A"  A"  korr.  Rosenkranz. 

b)  „ihre"  fehlt  in  A'". 


248     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

sich  nun,  daß,  sowohl  wenn  man  keine  von  beiden 
zum  Grunde  legt,  als  auch  wenn  man  bloß  eine  von 
ihnen  annimmt,  der  Raum  allemal  leer  bleibe,  und 
keine  Materie  in  demselben  angetroffen  werde. 


Erklärung  6. 

Berührung  im  physischen  Verstände  ist  die  un- 
mittelbare "Wirkung  und  Gregenwirkung  der  Un- 
durchdringlichkeit.  Die  Wirkung  einer  Materie 
auf  die  andere  außer  der  Berührung  ist  die  Wir- 
10  kung  in  die  Ferne  (actio  in  distans).  Diese 
Wirkung  in  die  Ferne,  die  auch  ohne  Vermittelung 
zwischen  inne  liegender  Materie  möglich  ist,  heißt 
die  unmittelbare  Wirkung  in  die  Ferne,  oder  auch 
die  Wirkung  der  Materien^)  aufeinander  durch 
den  leeren  Raum. 

Anmerkung. 

Die  Berührung  in  mathematischer  Bedeutung  ist 
die  gemeinschaftliche  Grenze  zweier  Räume,  die  also 
weder  innerhalb  dem  einen,  noch  dem  anderen  Räume 

20  ist.  Daher  können  gerade  Linien  einander  nicht  be- 
rühren, sondern,  wenn  sie  einen  Punkt  gemein  haben, 
so  gehört  er  sowohl  innerhalb  die  eine,  als  die  andere 
dieser  Linien,  wenn  sie  fortgezogen  werden,  d.  i.  sie 
schneiden  sich.  Aber  Zirkel  und  gerade  Linie,  Zirkel 
und  Zirkel,  berühren  sich  in  einem  Punkte,  Flächen 
in  einer  Linie  und  Körper  in  Flächen.  Die  mathema- 
tische Berührung  wird  bei  der  physischen  zum  Grunde 
gelegt,  aber  sie  macht  sie  allein  noch  nicht  aus,  zu 
ihr  muß,  damit  die  letztere  daraus  entspringe,  noch 

30  ein  dynamisches  Verhältnis,  und  zwar  nicht  der  An- 
ziehungskräfte, sondern  der  zurückstoßenden,  d.  i.  der 
Undurchdringlichkeit  hinzugedacht  werden.  Physisch^ 
Berührung  ist  Wechselwirkung  der  repulsiven  Kräfte 
in  der  gemeinschaftlichen  Grenze  zweier  Materien. 


1)  „Materie-'  A'  A"  A'"  korr.  Hofler  Ak.  Ausg. 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  249 

Lehrsatz  7. 

Die  aller  Materie  wesentliche  Anziehung 
ist  eine  unmittelbare  Wirkung  derselben  auf  andere 
durch  den  leeren  Raum. 

Beweis. 

Die  ursprüngliche  Anziehungskraft  enthält  selbst 
den  Grund  der  Möglichkeit  der  Materie  als  desjenigen 
Dinges,  was  einen  Raum  in  bestimmtem  Grade  er- 
füllt, mithin  selbst  sogar  von  der  Möglichkeit  einer 
physischen  Berührung  derselben.  Sie  muß  also  vor  lo 
dieser  vorhergehen,  und  ihre  Wirkung  muß  folglich 
von  der  Bedingung  der  Berührung  unabhängig  sein. 
Nun  ist  die  Wirkung  einer  bewegenden  Kraft,  die 
von  aller  Berührung  unabhängig  ist,  auch  von  der 
Erfüllung  des  Raumes  zwischen  dem  Bewegenden  und 
dem  Bewegten  unabhängig,  d.  i.  sie  muß  auch,  ohne 
daß  der  Raum  zwischen  beiden  erfüllt  ist.  Statt  finden, 
mithin  als  Wirkung  durch  den  leeren  Raum.  Also 
ist  die  ursprüngliche  und  aller  Materie  wesentliche 
Anziehung  eine  unmittelbare  Wirkung  derselben  auf  20 
andere  durch  den  leeren  Raum. 

Anmerkung  1. 

Daß  man  die  Möglichkeit  der  Grundkräfte  begreif- 
Hch  machen  sollte,  ist  eine  ganz  unmögliche  Fode- 
rung;  denn  sie  heißen  eben  darum  Grundkräfte,  weil 
sie  von  keiner  anderen  abgeleitet,  d.  i.  gar  nicht  be- 
griffen werden  können.  Es  ist  aber  die  ursprüng- 
liche Anziehungskraft  nicht  im  mindesten  unbegreif- 
licher, als  die  ursprüngliche  Zurückstoßung.  Sie 
bietet  sich  nur  nicht  so  unmittelbar  den  Sinnen  dar,  30 
als  die  Undurchdringlichkeit,  uns  Begriffe  von  be- 
stimmten Objekten  im  Räume  zu  Hefern.  Weil  sie 
also  nicht  gefühlt,  sondern  nur  geschlossen  werden 
will,  so  hat  sie  sofern  den  Anschein  einer  abgeleiteten 
Kraft,  gleich  als  ob  sie  nur  ein  verstecktes  Spiel  der 
bewegenden  Kräfte  durch  Zurückstoßung  wäre.  Näher 
erwogen  sehen  wir,  daß  sie  gar  nicht  weiter  irgend 
wovon  abgeleitet  werden  könne,  am  \venigsten  von 
der  bewegenden  Kraft  der  Materien  durch  ihre  Un- 


250     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

durchdringlichkeit,  da  ihre  Wirkung  gerade  das  Wider- 
spiel der  letzteren  ist.  Der  gemeinste  EinwurJ:  wider 
die  unmittelbare  Wirkung  in  die  Ferne  ist,  daß  eine 
Materie  doch  nicht  da,  wo  sie  nicht  ist,  unmittelbar 
wirken  könne.  Wenn  die  Erde  den  Mond  unmittelbar 
treibt,  sich  ihr  zu  nähern,  so  wirkt  die  Erde  auf  ein 
Ding,  das  viele  tausend  Meilen  von  ihr  entfernt  ist, 
und  dennoch  unmittelbar;  der  Raum  zwischen  ihr  und 
dem    Monde    mag    auch    als    völlig    leer    angesehen 

10  werden.  Denn  obgleich  zwischen  beiden  Körpern 
Materie  läge,  so  tut  diese  doch  nichts  zu  jener  An- 
ziehung. Sie  wirkt  also  an  einem  Orte,  wo  sie  nicht 
ist,  unmittelbar;  etwas,  was  dem  Anscheine  nach 
widersprechend  ist.  Allein  es  ist  so  wenig  wider- 
sprechend, daß  man  vielmehr  sagen  kann:  ein  jedes 
Ding  im  Räume  wirkt  auf  ein  anderes  nur  an  einem 
Orte,  wo  das  Wirkende  nicht  ist.  Denn  sollte  es  an 
demselben  Orte,  wo  es  selbst  ist,  wirken,  so  würde 
das  Ding,   worauf   es   wirkt,   gar   nicht  außer  ihm 

20  sein;  denn  dieses  Außerhalb  bedeutet  die  Gegen- 
wart in  einem  Orte,  darin  das  andere  nichta)  ist. 
Wenn  Erde  und  Mond  einander  auch  berührten,  so 
wäre  doch  der  Punkt  der  Berührung  ein  Ort,  in  dem 
weder  die  Erde  noch  der  Mond  ist;  denn  beide  sind 
um  die  Summe  ihrer  Halbmesser  voneinander  entfernt. 
Auch  würde  im  Punkte  der  Berührung  sogar  kein 
Teil  weder  der  Erde  noch  des  Mondes  anzutreffen 
sein,  denn  dieser  Punkt  liegt  in  der  Grenze  beider 
erfüUeten  Räume,  die  keinen  Teil  weder  von  dem  einen 

30  noch  dem  anderen  ausmacht.  Daß  also  Materien  in- 
einander in  der  Entfernung  nicht  unmittelbar  wirken 
können,  würde  so  viel  sagen,  als:  sie  können  inein- 
ander nicht  unmittelbar  wirken,  ohne  Vermittelung  der 
Kräfte  der  Undurchdringlichkeit.  Nun  würde  dieses 
ebensoviel  sein,  als  ob  ich  sagte:  die  repulsiven 
Kräfte  sind  die  einzigen,  damit  Materien  wirksam  sein 
können,  oder  sie  sind  wenigstens  die  notwendigen  Be- 
dingungen, unter  denen  allein  Materien  aufeinander 
wirken  können,  welches  entweder  die  Anziehungskraft 

40  für  ganz  unmöglich,  oder  doch  immer  von  der  Wir- 


a)  „nichts-'  A'  u.  A". 


II.  Hauiitstück.     Dynamik.  251 

kung  der  repulsiven  Kräfte  abhängig  erklären  würde; 
beides  sind  aber  Behauptungen  ohne  allen  Grund. 
Die  Verwechselung  der  mathematischen  Berührung 
der  Räume  und  der  physischen  durch  zurücktreibende 
Kräfte  machte  hier  den  Grund  des  Mißverstandes  aus. 
Sich  unmittelbar  außer  der  Berührung  anziehen,  heißt 
sich  einander  nach  einem  beständigen  Gesetze  nähern, 
ohne  daß  eine  Kraft  der  Zurückstoßung  dazu  die  Be- 
dingung enthalte,  welches  doch  ebensogut  sich  muß 
denken  lassen,  als  einander  unmittelbar  zurückstoßen,  10 
d.  i.  sich  einander  nach  einem  beständigen  Gesetze 
fliehen,  ohne  daß  die  Anziehungskraft  daran  irgend 
einigen  Anteil  habe.  Denn  beide  bewegende  Kräfte 
sind  von  ganz  verschiedener  Art,  und  es  ist  nicht 
der  mindeste  Grund  dazu,  eine  von  der  anderen  ab- 
hängig zu  machen,  und  ihr  ohne  Vermittelung  der 
andern  die  Möglichkeit  abzustreiten. 

Anmerkung  2. 

Aus  der  Anziehung  in  der  Berührung  kann  gar-^) 
keine  Bewegung  entspringen;  denn  die  Berührung  ist  20 
Wechselwirkung  der  Undurchdringlichkeit,  welche  also 
alle  Bewegung  abhält.  Also  muß  doch  irgendeine 
unmittelbare  Anziehung  außer  der  Berührung  und  mit- 
hin in  der  Entfernung  angetroffen  werden;  denn  sonst 
könnten  selbst  die  drückenden  und  stoßenden  Kräfte, 
welche  die  Bestrebung  zur  Annäherung  hervorbringen 
sollen,  da  sie  in  entgegengesetzter  Richtung  mit  der 
repulsiven  Kraft  der  Materie  wirken,  keine,  wenigstens 
nicht  in  der  Natur  der  Materie  ursprünglich  liegende 
Ursache  haben.  Man  kann  diejenige  Anziehung,  die 
ohne  Vermittelung  der  repulsiven  Kräfte  geschieht, 
die  wahre  Anziehung,  diejenige,  welche  bloß  auf  30 
jene  Art  vor  sich  geht,  die  scheinbare  nennen; 
denn  eigentlich  übt  der  Körper,  dem  ein  anderer  sich 
bloß  darum  zu  nähern  bestrebt  ist,  weil  dieser  ander- 
weitig durch  Stoß  zu  ihm  getrieben  worden,  gar  keine 
Anziehungskraft  auf  diesen  aus.  Aber  selbst  diese 
scheinbare  Anziehungen  müssen  doch  zuletzt  eine  wahre 
zum  Grunde  haben,   weil  Materie,   deren  Druck  oder 

a)  „ganz"  A'  A"  A'"  korr.  Hartenstein, 


252     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

Stoß  statt  Anziehung  dienen  soll,  ohne  anziehende 
Kräfte  nicht  einmal  Materie  sein  würde  (Lehrsatz  5) 
und  folglich  die  Erklärungsart  aller  Phänomenen  der 
Annäherung  durch  bloß  scheinbare  Anziehung  sich 
im  Zirkel  herumdreht.  Man  hält  gemeiniglich  dafür, 
Newton  habe  zu  seinem  System  gar  nicht  nötig 
gefunden,  eine  unmittelbare  Attraktion  der  Materien 
anzunehmen,  sondern,  mit  der  strengsten  Enthaltsam- 
keit der  reinen  Mathematik,  hierin  den  Physikern  volle 

10  Freiheit  gelassen,  die  Möglichkeit  derselben  zu  er- 
klären, wie  sie  es  gut  finden  möchten,  ohne  seine 
Sätze  mit  ihrem  Hypothesenspiel  zu  bemengen.  Allein 
wie  konnte  er  den  Satz  gründen,  daß  die  allgemeine 
Anziehung  der  Körper,  die  sie  in  gleichen  Entfernun- 
gen um  sich  ausüben,  der  Quantität  ihrer  Materie 
proportioniert  sei,  wenn  er  nicht  annahm,  daß  alle . 
Materie,  mithin  bloß  als  Materie  und  durch  ihre 
wesentliche  Eigenschaft,  diese  Bewegungskraft  aus- 
übe?    Denn   obgleich   freilich   zwischen  zweien  Kör- 

20  pern,  sie  mögen  der  Materie  nach  gleichartig  sein 
oder  nicht,  wenn  der  eine  den  anderen  zieht,  die 
wechselseitige  Annäherung  (nach  dem  Gesetze  der 
Gleichheit  der  Wechselwirkung)  immer  in  umge- 
kehrtem Verhältnis  der  Quantität  der  Materie  ge- 
schehen muß,  so  macht  dieses  Gesetz  doch  nur  ein 
Prinzip  der  Mechanik,  aber  nicht  der  Dynamik,  d.  i. 
es  ist  ein  Gesetz  der  Bewegungen,  die  aus  an- 
ziehenden Kräften  folgen,  nicht  der  Proportion  der 
Anziehungskräfte   selbst,   und   gilt   von   allen   be- 

30  wegenden  Kräften  überhaupt.  Wenn  daher  ein  Ma- 
gnet einmal  durch  einen  anderen  gleichen  Magnet, 
ein  andermal  durch  ebendenselben,  der  aber  in  einer 
zweimal  schwereren  hölzernen  Büchse  eingeschlossen 
wäre,  gezogen  wird,  so  wird  dieser  im  letzteren  Falle 
dem  ersteren  mehr  relative  Bewegung  erteilen,  als  im 
ersteren,  obgleich  das  Holz,  welches  die  Quantität  der 
Materie  des  letzteren  vermehrt,  zur  Anziehungskraft 
desselben  gar  nichts  hinzutut  und  keine  magnetische 
Anziehung  der  Büchse  beweiset.  Newton  sagt  (Cor.  2. 

40  Prop.  6.  Lib.  III.  Princip.  Phil.  N.):  „wenn  der 
Äther,  oder  irgendein  anderer  Körper  ohne  Schwere 
wäre,  so  würde,  da  jener  von  jeder  anderen  Materie 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  253 

doch  in  nichts,  als  der  Form,  unterschieden  ist,  er 
nach  und  nach  durch  allmählige  Veränderung  dieser 
Form  in  eine  Materie  von  der  Art,  wie  die,  so  auf 
Erden  die  meiste  Schwere  haben,  verwandelt  werden 
können,  und  diese  letztere  also  umgekehrt  durch  all- 
mählige Veränderung  ilirer  Form  alle  ihre  Schwere 
verlieren  können,  welches  der  Erfahrung  zuwider 
ist"  usw.  Er  schloß  also  selbst  nicht  den  Äther  (wie- 
viel weniger  andere  Materien)  vom  Gesetze  der  An- 
ziehung aus.  Was  konnte  ihm  denn  nun  noch  für  10 
eine  Materie  übrigbleiben,  um  durch  deren  Stoß  die 
Annäherung  der  Körper  zueinander  als  bloße  schein- 
bare Anziehung  anzusehen?  Also  kann  man  diesen, 
großen  Stifter  der  Attraktionstheorie  nicht  als  seinen 
Vorgänger  anführen,  wenn  man  sich  die  Freiheit 
nimmt,  der  wahren  Anziehung,  die  dieser  behauptete, 
eine  scheinbare  zu  unterschieben,  und  die  Notwendig- 
keit des  Antriebs  durch  den  Stoß  anzunehmen,  um 
das  Phänomen  der  Annäherung  zu  erklären.  Er  ab- 
strahierte mit  Recht  von  allen  Hypothesen,  die  Frage  20 
wegen  der  Ursache  der  allgemeinen  Attraktion  der 
Materie  zu  beantworten;  denn  diese  Frage  ist  physisch 
oder  metaphysisch,  nicht  aber  mathematisch,  und  ob 
er  gleich  in  der  Vorerinnerung  zur  zweiten  Aus- 
gabe seiner  Optik  sagt:  ne  quis  gravitatem  inter 
essentiales  corporum  proprietates  me  habere  existi- 
met,  quaestionem  unam  de  eins  causa  investiganda 
subieci,*)  so  merkt  man  wohl,  daß  der  Anstoß,  den  seine 
Zeitgenossen,  und  vielleicht  er  selbst  am  Begriffe  einer 
ursprünglichen  Anziehung  nahmen,  ihn  mit  sich  selbst  30 
uneinig  machte;  denn  er  konnte  schlechterdings  nicht 
sagen,  daß  sich  die  Anziehungskräfte  zweier  Planeten, 
z.  B.  des  Jupiters  und  Saturns,  die  sie  in  gleichen 
Entfernungen  ihrer  Trabanten  (deren  Masse  man  nicht 
kennt),  beweisen,  wie  die  Quantität  der  Materie  jener 
Weltkörper  verhalten,  wenn  er  nicht  annahm,  daß  sie 
bloß  als  Materie,  mithin  nach  einer  allgemeinen  Eigen- 
schaft derselben  andere  Materie  anzögen. 


*)  Damit  man  nicht  glaube,  daß  ich  die  Schwere  für  eine 
wesentliche  Eigenschaft  der  Körper  halte,  habe  ich  noch 
eine  Frage  über  die  Erforschung  ihrer  Ursache  hinzugefügt. 


254     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

Erklärung  7. 

Eine  bewegende  Kraft,  dadurch  Materien  nur 
in  der  gemeinschaftlichen  Fläche  der  Berührung 
unmittelbar  aufeinander  wirken  können,  nenne  ich 
eine  Flächenkraft;  diejenige  aber,  wodurch  eine 
Materie  auf  die  Teile  der  andern  auch  über  die 
Fläche  der  Berührung  hinaus  unmittelbar  wirken 
kann,  eine  durchdringende  Kraft. 

Zusatz. 

10  Die  Zurückstoßungskraft,  vermittelst  deren  die  Ma- 
terie einen  Raum  erfüllt,  ist  eine  bloße  Flächenkraft. 
Denn  die  einander  berührende  Teile  begrenzen  einer 
den  Wirkungsraum  der  anderen,  und  die  repulsive 
Kraft  kann  keinen  entferntem  Teil  bewegen,  ohne 
vermittelst  der  dazwischen  liegenden,  und  eine  quer 
durch  diese  gehende  unmittelbare  Wirkung  einer  Ma- 
terie auf  eine  andere  durch  Ausdehnungskräfte  ist 
unmöglich.  Dagegen  eine  Anziehungskraft,  vermittelst 
deren  eine  Materie  einen  Raum  einnimmt,  ohne  ihn 

20  zu  erfüllen,  dadurch  sie  also  auf  andere  entfernte 
wirkt,  durch  den  leeren  Raum,  deren  Wirkung 
setzt  keine  Materie,  die  dazwischen  liegt,  Grenzen. 
So  muß  nun  die  ursprüngliche  Anziehung,  welche 
die  Materie  selbst  möglich  macht,  gedacht  werden, 
und  also  ist  sie  eine  durchdringende  Kraft,  und  da- 
durch allein  jederzeit  der  Quantität  der  Materie  pro- 
portioniert. 

Lehrsatz  8. 

Die  ursprüngliche  Anziehungskraft,  worauf  selbst 
30  die  Möglichkeit  der  Materie,  als  einer  solchen  be- 
ruht, erstreckt  sich  im  Welträume  von  jedem  Teile 
derselben    auf  jeden    andern   unmittelbar   ins  Un- 
endliche. 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  255 

Beweis. 

Weil  die  ursprüngliche  Anziehungskraft  zum  Wesen 
der  Materie  gehört,  so  kommt  sie  auch  jedem  Teil 
derselben  zu,  nämlich  unmittelbar  auch  in  die  Ferne 
zu  wirken.  Setzet  nun:  es  sei  eine  Entfernung,  über 
welche  heraus  sie  sich  nicht  erstreckte,  so  würde 
diese  Begrenzung  der  Sphäre  ihrer  Wirksamkeit 
entweder  auf  der  innerhalb  dieser  Sphäre  liegenden 
Materie,  oder  bloß  auf  der  Größe  des  Raumes, 
auf  welchen  sie  diesen  Einfluß  verbreitet,  beruhen.  10 
Das  erstere  findet  nicht  statt;  denn  diese  Anziehung 
ist  eine  durchdringende  Kraft  und  wirkt  unmittel- 
bar in  der  Entfernung,  unerachtet  aller  dazA\dschen 
liegenden  Materien,  durch  jeden  Raum,  als  einen  leeren 
Raum.  Das  zweite  findet  gleichfalls  nicht  statt.  Denn 
weil  eine  jede  Anziehung  eine  bewegende  Kraft  ist, 
die  einen  Grad  hat,  unter  dem  ins  Unendliche  noch 
immer  kleinere  gedacht  werden  können;  so  würde 
in  der  größeren  Entfernung  zwar  ein  Grund  liegen, 
den  Grad  der  Attraktion,  nach  dem  Maße  der  Aus-  20 
breitung  der  Kraft,  in  umgekehrtem  Verhältnisse  zu 
vermindern,  niemals  aber  sie  völlig  aufzuheben.  Da 
nun  also  nichts  ist,  was  die  Sphäre  der  Wirksamkeit 
der  ursprünglichen  Anziehung  jedes  Teils  der  Materie 
irgendwo  begrenzte,  so  erstreckt  sie  sich  über  alle 
anzugebende  Grenzen  auf  jede  andere  Materie,  mithin 
im  Welträume  ins  Unendliche. 

Zusatz  1. 

Aus  dieser  ursprünglichen  Anziehungskraft,  als 
einer  durchdringenden,  von  aller  Materie,  mithin  in  30 
Proportion  der  Quantität  derselben,  ausgeübten  und 
auf  alle  Materie,  in  alle  mögliche  Weiten  ihre  Wir- 
kung erstreckenden  Kraft,  müßte  nun,  in  Verbindung 
mit  der  ihr  entgegenwirkenden,  nämlich  zurück- 
treibenden Kraft,  die  Einschränkung  der  letzteren, 
mithin  die  Möglichkeit  eines  in  einem  bestimmten 
Grade  erfülleten  Raumes  abgeleitet  werden  können; 
und  so  würde  der  dynamische  Begriff  der  Materie, 
als    des    Beweglichen,     das    seinen    Raum    (in    be- 


256     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

stimmtem  Grade  erfüllt)  konstruiert  werden.  Aber 
hiezu  bedarf  man  eines  Gesetzes  des  Verhältnisses, 
sowohl  der  ursprünglichen  Anziehung,  als  Zurück- 
stoßung in  verschiedenen  Entfernungen  der  Materie 
und  ihrer  Teile  voneinander,  welches,  da  es  nun  ledig- 
lich auf  dem  Unterschiede  der  Richtung  dieser  beiden 
Kräfte  (da  ein  Punkt  getrieben  wird,  sich  entweder 
andern  zu  nähern,  oder  sich  von  ihnen  zu  entfernen), 
und  auf  der  Größe  des  Raumes  beruht,  in  den  sich 
10  jede  dieser  Kräfte  in  verschiedenen  Weiten  verbreitet, 
eine  reine  mathematische  Aufgabe  ist,  die  nicht  mehr 
für  die  Metaphysik  gehört,  selbst  nicht  was  die  Ver- 
antwortung betrifft,  wenn  es  etwa  nicht  gelingen 
sollte,  den  Begriff  der  Materie  auf  diese  Art  zu  kon- 
struieren. Denn  sie  verantwortet  bloß  die  Richtigkeit 
der  unserer  Vernunfterkenntnis  vergönneten  Elemente 
der  Konstruktion,  die  Unzulänglichkeit  und  die  Schran- 
ken unserer  Vernunft  in  der  Ausführung  verantwortet 
sie  nicht. 

20  Zusatz  2. 

Da  alle  gegebene  Materie  mit  einem  bestimmten 
Grade  der  repulsiven  Kraft  ihren  Raum  erfüllen  muß, 
um  ein  bestimmtes  materielles  Ding  auszumachen,  so 
kann  nur  eine  ursprüngliche  Anziehung  im  Konflikt  mit 
der  ursprünglichen  Zurückstoßung  einen  bestimmten 
Grad  der  Erfüllung  des  Raums,  mithin  Materie  mög- 
lich machen;  es  mag  nun  sein,  daß  der  erstere  von 
der    eigenen    Anziehung    der    Teile    der    zusammen- 

30  gedrückten  Materie  untereinander  oder  von  der  Ver- 
einigung derselben  mit  der  Anziehung  aller  Welt- 
materie herrühre. 

Die  ursprüngliche  Anziehung  ist  der  Quantität  der 
Materie  proportional  und  erstreckt  sich  ins  Unend- 
liche. Also  kann  die  dem  Maße  nach  bestimmte  Er- 
füllung eines  Raumes  durch  Materie  am  Ende  nur 
von  der  ins  Unendliche  sich  erstreckenden  Anziehung 
derselben  bewirkt  und  jeder  Materie  nach  dem  Maße 
ihrer  Zurückstoßungskraft  erteilt  werden. 

40  Die  Wirkung  von  der  allgemeinen  Anziehung,  die 
alle  Materie  auf  alle  und  in  allen  Entfernungen  un- 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  257 

mittelbar  ausübt,  heißt  die  Gravitation;  die  Be- 
strebung, in  der  Richtung  der  größeren  Gravitation 
sich  zu  bewegen,  ist  die  Schwere.  Die  Wirkung 
von  der  durchgängigen  repulsiven  Kraft  der  Teile 
jeder  gegebenen  Materie  heißt  dieser  ihre  ursprüng- 
liche Elastizität.  Diese  also  und  die  Schwere 
machen  die  einzigen  a  priori  einzusehenden  allge- 
meinen Charaktere  der  Materie,  jene  innerlich,  diese 
im  äußeren  Verhältnisse,  aus;  denn  auf  den  Gründen 
beider  beruht  die  Möglichkeit  der  Materie  selbst;  Zu-  10 
sammenhang,  wenn  er  als  die  wechselseitige  An- 
ziehung der  Materie,  die  lediglich  auf  die  Bedingung 
der  Berührung  eingeschränkt  ist,  erklärt  wird,  gehört 
nicht  zur  Möglichkeit  der  Materie  überhaupt  und  kann 
daher  a  -priori  als  damit  verbunden  nicht  erkannt 
werden.  Diese  Eigenschaft  würde  also  nicht  meta- 
physisch, sondern  physisch  sein  und  daher  nicht  zu 
unsern   gegenwärtigen   Betrachtungen   gehören. 

Anmerkung  1.  20 

Eine  kleine  Vorerinnerung  zum  Behufe  des  Ver- 
suches einer  solchen  vielleicht  möglichen  Konstruktion 
kann  ich  doch  nicht  unterlassen,  beizufügen, 

1.  Von  einer  jeden  Kraft,  die  in  verschiedene 
Weitena)  unmittelbar  wirkt,  und  in  Ansehung  des 
Grades,  womit  sie  auf  einen  jeden  in  gewisser  Weite 
gegebenen  Punkt  bewegende  Kraft  ausübet,  nur  durch 
die  Größe  des  Raumes,  in  welchem  sie  sich  aus- 
breiten muß,  um  auf  jenen  Punkt  zu  wirken,  ein- 
geschränkt wird,  kann  man  sagen:  daß  sie  in  allen  30 
Räumen,  in  die  sie  sich  verbreitet,  so  klein  oder 
groß  sie  auch  sein  mögen,  immer  ein  gleiches  Quan- 
tum ausmache,  daß  aber  der  Grad  ihrer  Wirkung  auf 
jenen  Punkt  in  diesem  Räume  jederzeit  im  umge- 
kehrten Verhältnis  des  Raumes  stehe,  in  welchen  sie 
sich  hat  verbreiten  müssen,  um  auf  ihn  wirken  zu 
können.  So  breitet  sichb)  z.  B.  von  einem  leuchten- 
den Punkt  das  Licht  allerwärts  in  Kugelflächen  aus. 


a)  „Welten"  A'A"A"'  korr.  Hartenstein. 

b)  „sie"  A'A"A"'  korr.  Hartenstein. 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     I.  YJ 


258     Metaphysisclie  Anfangsgründe  der  Xaturwissenscbaft. 

die  mit  den  Quadraten  der  Entfernung  immer  wachsen 
und  das  Quantum  der  Erleuchtung  ist  in  allen  diesen 
ins  Unendliche  größeren  Kugelflächen  im  Ganzen 
immer  dasselbe,  woraus  aber  folgt:  daß  ein  in  dieser 
Kugelfläche  angenommener  gleicher  Teil  dem  Grade 
nach  destoweniger  erleuchtet  sein  müsse,  als  jene 
Fläche  der  Verbreitung  ebendesselben  Lichtquantum 
größer  ist,  und  so  bei  allen  anderen  Kräften  und 
Gesetzen,  nach  welchen  sie  sich  entweder  in  Flächen 

10  oder  auch  körperlichen  Raum  verbreiten  müssen,  um 
ihrer  Natur  nach  auf  entfernte  Gegenstände  zu  wirken. 
Es  ist  besser,  die  Verbreitung  einer  bewegenden  Kraft 
aus  einem  Punkt  in  alle  Weiten  so  vorzustellen,  als 
auf  die  gewöhnliche  Art,  wie  es  unter  andern  in  der 
Optik  geschieht,  durch  von  einem  Mittelpunkte  aus- 
einanderlaufende Zirkelstrahlen.  Denn  da  auf  solche 
Art  gezogene  Linien  niemals  den  Raum,  durch  den 
sie  gehen,  und  also  auch  nicht  die  Fläche,  auf  die 
sie   treffen,    füllen   können,    so   viel   deren   auch   ge- 

20  zogen  oder  angelegt  werden,  welches  die  unvermeid- 
liche Folge  ihrer  Divergenz  ist,  so  geben  sie  nur 
zu  beschwerlichen  Folgerungen,  diese  aber  zu  Hypo- 
thesen Anlaß,  die  gar  wohl  vermieden  werden  könnten, 
wenn  man  bloß  die  Größe  der  ganzen  Kugelfläche  in 
Betrachtung  zöge,  die  von  derselben  Quantität  Licht 
gleichförm.ig  erleuchtet  werden  soll,  und  den  Grad 
der  Erleuchtung  derselben  in  jeder  Stelle,  wie  natür- 
lich, in  umgekehrtem  Verhältnisse  ihrer  Größe  zum 
Ganzen  nimmt,  und  so  bei  aller  anderer  Verbreitung 

30  einer  Kraft  durch  Räume  von  verschiedener  Größe. 
2.  Wenn  die  Kraft  eine  unmittelbare  Anziehung  in 
der  Ferne  ist,  so  müssen  um  desto  mehr  die  Richtungs- 
liniena)  der  Anziehung  nicht,  als  ob  sie  von  dem 
ziehenden  Punkte  wie  Strahlen  ausliefen,  sondern  so 
wie  sie  von  allen  Punkten  der  umgebenden  Kugel- 
fläche (deren  Halbmesser  jene  gegebene  Weite  ist), 
zum  ziehenden  Punkt  zusammenlaufen,  vorgestellt 
werden.  Denn  selbst  die  Richtungslinie  der  Bewegung 
zum  Punkte  hin,  der  die  Ursache  und  Ziel  derselben 


a)  „so    muß   ....   die  Ricbtungslinie"  A'  A"  A'"    koir. 
Höfler  Ak.  Ausff. 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  259 

ist,  gibt  schon  den  terminus  a  quo  an,  von  wo  die 
Linien  anfangen  müssen,  nämlich  von  allen  Punkten 
der  Oberfläche,  von  dem  sie  zum  ziehenden  Mittel- 
punkte und  nicht  umgekehrt  ihre  Richtung  haben; 
denn  jene  Größe  der  Fläche  bestimmt  allein  die  Menge 
der  Linien,  der  Mittelpunkt  läßt  sie  unbestimmt*). 


*)  Es  ist  unmöglich,  nach  Linien,  die  sich  strahlen-weise 
aus  einem  Punkte  ausbreiten,  Flächen  in  gegebenen  Ent- 
fernungen als  mit  der  "Wirkung  derselben,  sie  sei  Erleuch- 
tung oder  Anziehung,  ganz  erfüllt  vorzustellen.  So  würde 
bei  solchen  auslaufenden  Lichtstrahlen  die  geringere  Er- 
leuchtung einer  entfemeten  Fläche  bloß  darauf  beruhen,  daß 
z^\äschen  den  erleuchteten  Stellen  unerleuchtete,  und  diese 
desto  größer,  je  weiter  die  Fläche  entfernt,  übrig  bleiben. 
Eulers  Hypothese  vermeidet  diese  Unschicklichkeit,  hat 
aber  freilich  desto  mehr  Schwierigkeit,  die  geradlinichte  Be- 
wegung des  Lichts  begreiflich  zu  machen.  Diese  Schwierig- 
keit aber  rührt  von  einer  gar  wohl  vermeidlichen  mathe- 
matischen Vorstellung  der  Lichtmaterie,  als  einer  Anhäufung 
von  Kügelchen  her,  die  freilich,  nach  ihrer  verschiedentlich 
schiefen  Lage  gegen  die  Richtung  des  Stoßes,  Seitenbe- 
wegung des  Lichts  geben  würde,  da  an  dessen  Statt  nichts 
hindert,  diese  Materie  als  ein  ursprünglich  Flüssiges,  und 
zwar  durch  und  durch,  ohne  iii  feste  Körperchen  zerteilt 
zu  sein,  zu  denken.  Will  der  Mathematiker  die  Abnahme 
des  Lichts  bei  zunehmender  Entfernung  anschaulich  machen, 
so  bedient  er  sich  auslaufender  Zirkelstrahlen,  um  auf  der 
Kugelfläche  ihrer  Verbreitung  die  Größe  des  Raumes,  darin 
dieselbe  Quantität  des  Lichts  zwischen  diesen  Zirkelstrahlen 
gleichförmig  verbreitet  werden  soll,  mithin  die  Verringerung 
des  Grades  der  Erleuchtung  darzustellen;  er  will  aber  nicht, 
daß  man  diese  Strahlen  als  die  einzig  erleuchtenden  an- 
sehen solle,  gleich  als  ob  immer  lichtleere  Plätze,  die  bei 
größerer  Weite  größer  würden,  z^^-ischen  ihnen  anzutreffen 
wären.  Will  man  jede  solcher  Flächen  als  durchaus  er- 
leuchtet sich  vorstellen,  so  muß  dieselbe  Quantität  der  Er- 
leuchtung, die  die  kleinere  bedeckt,  auf  der  größeren  als 
gleichförmig  gedacht  werden,  und  müssen  also,  um  die  gerad- 
linichte Richtung  anzuzeigen,  von  der  Fläche  und  allen  ihren 
Punkten  zu  dem  leuchtenden  gerade  Linien  gezogen  werden. 
Die  Wirkung  und  ihre  Größe  muß  vorher  gedacht  sein  und 
darauf  die  Ursache  verzeichnet  werden.  Eben  dieses  gilt 
von  den  Anziehungsstrahlen,  wenn  man  sie  so  nennen  will,  ja 
von  allen  Richtungen  der  Kräfte,  die  von  einem  Punkte  aus 
einen  Raum,  und  wäre  er  auch  ein  körperlicher,  erfüllen  sollen. 

17* 


260     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

3.  Wenn  die  Kraft  eine  unmittelbare  Zurückstoßung 
ist,  dadurch  ein  Punkt  (in  der  bloß  mathematischen 
Darstellung)  einen  Raum  dynamisch  erfüllt,  und  es 
ist  die  Frage,  nach  welchem  Gesetze  der  unendlich 
kleinen  Entfernungen  (die  hier  den  Berührungen  gleich 
gelten),  eine  ursprüngliche  repulsive  Kraft  (deren  Ein- 
schränkung folglich  lediglich  auf  dem  Raum  beruht, 
in  dem  sie  verbreitet  worden)  in  verschiedenen  Ent- 
fernungen  wirke,   so  kann  man   noch  weniger   diese 

10  Kraft  durch  divergierende  Zurückstoßungsstrahlen  aus 
dem  angenommenen  repellierenden  Punkte  vorstellig 
machen,  obgleich  die  Richtung  der  Bewegung  ihn  zum 
tenninus  a  quo  hat,  weil  der  Raum,  in  welchem  die 
Kraft  verbreitet  werden  muß,  um  in  der  Entfernung 
zu  wirken,  ein  körperlicher  Raum  ist,  der  als  erfüllt 
gedacht  werden  soll  (wovon  die  Art,  wie  nämlich  ein 
Punkt  durch  bewegende  Kraft  dieses,  d.  i.  dynamisch, 
einen  Raum  körperlich  erfüllen  könne,  freilich  keinec 
weiteren  mathematischen   Darstellung   fähig  ist)   und 

20  divergierende  Strahlen  aus  einem  Punkte  die  repel- 
lierende  Kraft  eines  körperlichen  erfülleten  Raumes 
unmöglich  vorstellig  machen  können;  sondern  man 
würde  die  Zurückstoßung,  bei  verschiedenen  unendlich 
kleinen  Entfernungen  dieser  einander  treibenden  Punkte, 
schlechterdings  bloß  in  umgekehrtem  Verhältnisse  der 
körperliche  Räume,  die  jeder  dieser  Punkte  dynamisch 
erfüllt,  mithin  des  Kubus  der  Entfernungen  derselben 
voneinander,  schätzen,  ohne  sie  konstruieren  zu  können. 

4.  Also   würde    die    ursprüngliche    Anziehung   der 
30  Materie  in  umgekehrtem  Verhältnis  der  Quadrate  der 

Entfernung  in  alle  Weiten,  die  ursprüngliche  Zurück- 
stoßung in  umgekehrtem  Verhältnis  der  Würfel  der 
unendlich  kleinen  Entfernungen  wirken,  und  durch 
eine  solche  Wirkung  und  Gegenwirkung  beider  Grund- 
kräfte würde  Materie  von  einem  bestimmten  Grade 
der  Erfüllung  ihres  Raumes  möglich  sein;  weil,  da 
die  Zurückstoßung  bei  Annäherung  der  Teile  in 
größerem  Maße  wächst,  als  die  Anziehung,  die 
Grenze  der  Annäherung,  über  die  durch  gegebene 
40  Anziehung  keine  größere  möglich  ist,  mithin  auch 
jener  Grad  der  Zusammendrückung  bestimmt  ist,  der 
das  Maß  der  intensiven  Erfüllung  des  Raumes  ausmacht. 


ir.  Hauptstück.     Dynamik.  261 

Anmerkung  2. 

Ich  sehe  wohl  die  Schwierigkeit  dieser  Erklärungs- 
art der  Möglichkeit  einer  Materie  überhaupt,  die  darin 
besteht,  daß,  wenn  ein  Punkt  durch  repulsive  Kraft 
unmittelbar  keinen  andern  treiben  kann,  ohne  zugleich 
den  ganzen  körperlichen  Raum  bis  zu  der  gegebenen 
Entfernung  durch  seine  Kraft  zu  erfüllen,  dieser  als- 
denn,  wie  zu  folgen  scheint,  mehrere  treibende  Punkte 
enthalten  müßte,  welches  der  Voraussetzung  wider- 
spricht und  oben  (Lehrsatz  4)  unter  dem  Namen  einer  10 
Sphäre  der  Zurückstoßung  des  Einfachen  im  Räume 
widerlegt  worden  a).  Es  ist  aber  ein  Unterschied 
zwischen  dem  Begriffe  eines  wirklichen  Raumes,  der 
gegeben  werden  kann,  und  der  bloßen  Idee  von  einem 
Räume,  der  lediglich  zur  Bestimmung  des  Verhält- 
nisses gegebener  Räume  gedacht  wird,  in  der  Tat 
aber  kein  Raum  ist,  zu  machen.  In  dem  angeführten 
Falle  einer  vermeinten  physischen  Monadologie  sollten 
es  wirkliche  Räume  sein,  welche  von  einem  Punkte 
dynamisch,  nämlich  durch  Zurückstoßung  erfüllt  wären,  20 
denn  sie  existierten,  als  Punkte,  vor  aller  daraus  mög- 
lichen Erzeugung  der  Materie,  und  bestimmten  durch 
die  ihnen  eigene  Sphäre  ihrer  Wirksamkeit  den  Teil 
des  zu  erfüllenden  Raumes,  der  ihnen  angehören 
könnte.  Daher  kann  in  gedachter  Hypothese  die  Ma- 
terie auch  nicht  als  ins  Unendliche  teilbar  und  als 
Quantum  continuum  angesehen  werden;  denn  die  Teile, 
die  unmittelbar  einander  zurückstoßen,  haben  doch 
eine  bestimmte  Entfernung  voneinander  (die  Summe 
der  Halbmesser  der  Sphäre  ihrer  Zurückstoßung);  da-  30 
gegen  wenn  wir,  wie  es  wirklich  geschieht,  die  Ma- 
terie als  stetige  Größe  denken,  ganz  und  gar  keine 
Entfernung  der  einander  unmittelbar  zurückstoßenden 
Teile  stattfindet,  folglich  auch  keine  größer  oder  klei- 
ner werdende  Sphäre  ihrer  unmittelbaren  Wirksamkeit. 
Nun  können  sich  aber  Materien  ausdehnen,  oder  zu- 
sammengedrückt werden  (v/ie  die  Luft),  und  da  stellt 
man  sich  eine  Entfernung  ihrer  nächsten  Teile  vor, 
die  da  wachsen  und  abnehmen  könnet»).     Weil  aber 

ti)  „wareu-'  A' A"  korr.  A'". 

b)   „könneu"  A'  A"  A"'  korr.  Hartenstein. 


262     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

die  nächsten  Teile  einer  stetigen  Materie  einander 
berühren,  sie  mag  nun  weiter  ausgedehnt  oder  zu- 
sammengedrückt sein,  so  denkt  man  sich  jene  Ent- 
fernungen voneinander  als  unendlich  klein,  und 
diesen  unendlich  kleinen  Raum  als  im  größeren  oder 
kleineren  Grade  von  ihrer  Zurückstoßungskraft  er- 
füllta).  Der  unendlich  kleine  Zwischenraum  ist  aber 
von  der  Berührung  gar  nicht  unterschieden,  also  nur 
die   Idee    vom   Räume,    die   dazu   dient,    um   die   Er- 

10  Weiterung  einer  Materie,  als  stetiger  Größe,  anschau- 
lich zu  machen,  ob  sie  zwar  wirklich  so  gar  nicht 
begriffen  werden  kann.  Wenn  es  also  heißt:  die 
zurückstoßenden  Kräfte  der  einander  unmittelbar  trei- 
benden Teile  der  Materie  stehen  in  umgekehrtem  Ver- 
hältnisse der  Würfel  ihrer  Entfernungen,  so  bedeutet 
das  nur:  sie  stehen  in  umgekehrtem  Verhältnisse  der 
körperlichen  Räume,  die  man  sich  zwischen  Teilen 
denkt,  die  einander  dennoch  unmittelbar  berühren,  und 
deren  Entfernung  eben  darum  unendlich  klein  ge- 

20  nannt  werden  muß,  damit  sie  von  aller  wirklichen 
Entfernung  unterschieden  werde.  Man  muß  also  aus 
den  Schwierigkeiten  der  Konstruktion  eines  Begriffs, 
oder  vielmehr  aus  der  Mißdeutung  derselben,  keinen 
Einv/urf  wider  den  Begriff  selber  machen;  denn  sonst 
würde  er  die  mathematische  Darstellung  der  Pro- 
portion, mit  welcher  die  Anziehung  in  verschiedenen 
Entfernungen  geschieht,  ebensowohl  als  diejenigen, 
wodurch  ein  jeder  Punkt  in  einem  sich  ausdehnen- 
den   oder   zusammengedrückten    Ganzen   von   Materie 

30  den  andern  unmittelbar  zurückstößt,  treffen.  Das 
allgemeine  Gesetz  der  Dynamik  würde  in  beiden  Fällen 
dieses  sein:  die  Wirkung  der  bewegenden  Kraft,  die 
von  einem  Punkte  auf  jeden  anderen  außer  ihm  aus- 
geübt wird,  verhält  sich  umgekehrt  wie  der  Raum, 
in  welchem  dasselbe  Quantum  der  bewegenden  Kraft 
sich  hat  ausbreiten  müssen,  um  auf  diesen  Punkt 
unmittelbar  in  der  bestimmten  Entfernung  zu  wirken. 
Aus  dem  Gesetze  der  ursprünglich  einander 
zurückstoßenden   Teile   der   Materie   in   umgekehrtem 

40  kubischen   Verhältnisse  ihrer   unendlich   kleinen  Ent- 


a)  „erfüllt  vor"  A'  A"  A'"  korr.  Rosenkranz. 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  203 

fernungen  müßte  also  notwendig  ein  ganz  anderes 
Gesetz  der  Ausdehnung  und  Zusammendrückung  der- 
selben, als  das  Mariottische  der  Luft,  folgen;  denn 
dieses  beweiset  fliehende  Kräfte  ihrer  nächsten  Teile, 
die  in  umgekehrtem  Verhältnisse  ihrer  Entfernungen 
stehen,  wie  Newton  dartut  (Priiie.  Ph.  N.  Lib.  II. 
Fropos.  23.  Schol.).  Allein  man  kann  die  Aus- 
spannungskraft der  letzteren  auch  nicht  als  die 
Wirkung  ursprünglich  zurückstoßender  Kräfte  an- 
sehen, sondern  sie  beruht  auf  der  Wärme,  die  nicht  10 
bloß  als  eine  in  sie  eingedrungene  Materie,  sondern 
allem  Ansehen  nach  durch  ihre  Erschütterungen  die 
eigentlichen  Luftteile  (denen  man  überdem  wirkliche 
Entfernungen  voneinander  zugestehen  kann)  nötigt, 
einander  zu  fliehen.  Daß  aber  diese  Bebungen  den 
einander  nächsten  Teilen  eine  Fliehkraft,  die  in  um- 
gekehrtem Verhältnisse  ihrer  Entfernungen  steht,  er- 
teilen müsse  a),  läßt  sich  nach  den  Gesetzen  der  Mit- 
teilung der  Bewegung  durch  Schwingung  elastischer 
Materien   wohl    begreiflich   machen.  20 

Noch  erkläre  ich,  daß  ich  nicht  wolle,  daß  gegen- 
wärtige Exposition  des  Gesetzes  einer  ursprünglichen 
Zurückstoßung  als  zur  Absicht  meiner  metaphysischen 
Behandlung  der  Materie  notwendig  gehörig  angesehen, 
noch  die  letztere  (welcher  es  genug  ist,  die  Erfüllung 
des  Raums  als  dynamische  Eigenschaft  derselben  dar- 
gestellt zu  haben)  mit  den  Streitigkeiten  und  Zwei- 
feln, welche  die  erste  treffen  könnten,  bemengt  werde. 

Allgemeiner  Zusatz  zur  Dynamik. 

Wenn  wir  nach  allen  Verhandlungen  derselben  30 
zurücksehen,  so  werden  wir  bemerken:  daß  darin 
zuerst  das  Reelle  im  Räume  (sonst  genannt  das 
Solide),  in  der  Erfüllung  desselben  durch  Zurück- 
stoßungskraf t,  zweitens  das,  was  in  Ansehung 
des  ersteren,  als  des  eigentlichen  Objekts  unserer 
äußeren  Wahrnehmung  negativ  ist,  nämlich  die  An- 
ziehungskraft,  durch   welche,   so   viel   an  ihr   ist. 


a)  „Daß  diese  Bebungen  der  .  .  .  nächsten  Teile 
teilen  müsse"  A'  A"  A'"  korr.  Höfler  Ak.  Auscr. 


264     Metaj)hysisclie  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

aller  Raum  würde  durchdrungen,  mithin  das  Solide 
gänzlich  aufgehoben  werden,  drittens  die  Ein- 
schränkung der  ersteren  Kraft  durch  die  zweite  und 
die  daher  rührende  Bestimmung  des  Grades  einer 
Erfüllung  des  Raumes  in  Betrachtung  gezogen,  mit- 
hin die  Qualität  der  Materie  unter  den  Titeln  der 
Realität,  Negation  und  Limitation,  soviel  es 
einer  metaphysischen  Dynamik  zukommt,  vollständig 
abgehandelt  worden. 

10  Allgemeine   Anmerkung   zur  Dynamik. 

Das  allgemeine  Prinzip  der  Dynamik  der  mate- 
riellen Natur  ist,  daß  alles  Reale  der  Gegenstände 
äußerer  Sinne,  was^)  nicht  bloß  Bestimmung  des 
Raums  (Ort,  Ausdehnung  und  Figur)  ist,  als  be- 
wegende Kraft  angesehen  werden  müsse;  wodurch 
also  das  sogenannte  Solide,  oder  die  absolute  Un- 
durchdringlichkeit als  ein  leerer  Begriff  aus  der  Natur- 
wissenschaft verwiesen  und  an  ihrer  Statt  zurück- 
treibende Kraft  gesetzt,  dagegen  aber  die  wahre  und 

20  unmittelbare  Anziehung  gegen  alle  Vernünfteleien 
einer  sich  selbst  mißverstehenden  Metaphysik  ver- 
teidigt und  als  Grundkraft  selbst  zur  Möglichkeit 
des  Begriffs  von  Materie  für  notv;rendig  erklärt  wird. 
Hieraus  entspringt  nun  die  Folge,  daß  der  Raum 
wenn  man  es  nötig  finden  sollte,  auch  ohne  leere 
Zwischenräume  innerhalb  der  Materie  auszustreuen, 
allenfalls  durchgängig  und  gleichwohl  in  verschiedenem 
Grade  erfüllt  angenommen  werden  könne.  Denn  es 
kann  nach  dem  ursprünglich  verschiedenen  Grade  der 

30  repulsiven  Kräfte,  auf  denen  die  erste  Eigenschaft 
der  Materie,  nämlich  die,  einen  Raum  zu  erfüllen, 
beruht,  ihr  Verhältnis  zur  ursprünglichen  Anziehung 
(es  sei  einer  jeden  Materie  für  sich  selbst,  oder  zur 
vereinigten  Anziehung  aller  Materie  des  Universums) 
unendlich  verschieden  gedacht  werden;  weil  die  An- 
ziehung auf  der  Menge  der  Materie  in  einem  ge- 
gebenen Räume  beruht,  da  hingegen  die  expansive 
Kraft  derselben  auf  dem  Grade,  ihn  zu  erfüllen,  der 


a)  „die  das,  was"  .  .  .  A'  A"  A'"  korr.  Höf  1er  Ak.  Ausg. 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  265 

spezifisch  sehr  unterschieden  sein  kann  (wie  etwa 
dieselbe  Quantität  Luft  in  demselben  Volumen  nach 
ihrer  größeren  oder  minderen  Erwärmunga)  mehr 
oder  weniger  Elastizität  beweiset);  wovon  der  allge- 
meine Grund  dieser  ist:  daß  durch  wahre  Anziehung 
alle  Teile  der  Materie  unmittelbar  auf  alle  Teile 
der  andern,  durch  expansive  Kraft  aber  nur  die  in 
der  Berührungsfläche  wirken,  wobei  es  einerlei 
ist,  ob  hinter  dieser  viel  oder  wenig  von  dieser  Ma- 
terie angetroffen  werde.  Hieraus  allein  entspringt  nun  10 
schon  ein  großer  Vorteil  für  die  Naturwissenschaft, 
weil  ihr  dadurch  die  Last  abgenommen  wird,  aus 
dem  Vollen  und  Leeren  eine  Welt  bloß  nach  der 
Phantasie  zu  zimmern,  vielmehr  alle  Räume  voll  und 
doch  in  verschiedenem  Maße  erfüllt  gedacht  werden 
können,  wodurch  der  leere  Raum  wenigstens  eine 
Notwendigkeit  verliert  und  auf  den  Wert  einer 
Hypothese  zurückgesetzt  wird,  da  er  sonst,  unter  dem 
Vorwande  einer  zur  Erklärung  der  verschiedentlichen 
Grade  der  Erfüllung  des  Raumes  notwendigen  Be-  20 
dingung,  sich  des  Titels  eines  Grundsatzes  anmaßen 
konnte. 

Bei  allem  diesem  ist  der  Vorteil  einer  hier 
methodisch  gebrauchten  Metaphysik,  in  Abstellung 
gleichfalls  metaphysischer,  aber  nicht  auf  die  Probe 
der  Kritik  gebrachter  Prinzipien,  augenscheinlich  nur 
negativ.  Indirekt  wird  gleichwohl  dadurch  dem 
Naturforscher  sein  Feld  erweitert;  weil  die  Bedingun- 
gen, durch  die  er  es  vorher  selbst  einschränkte,  und 
wodurch  alle  ursprüngliche  Bewegungskräfte  weg-  30 
philosophiert  wurden,  jetzt  ihre  Gültigkeit  verlieren. 
Man  hüte  sich  aber,  über  das,  was  den  allgemeinen 
Begriff  einer  Materie  überhaupt  möglich  macht, 
hinauszugehen  und  die  besondere  oder  sogar  spezi- 
fische Bestimmung  und  Verschiedenheit  derselben 
a  'priori  erklären  zu  wollen.  Der  Begriff  der  Materie 
wird  auf  lauter  bewegende  Kräfte  zurückgeführt, 
welches  man  auch  nicht  anders  erv/arten  konnte,  weil 
im  Räume  keine  Tätigkeit,  keine  Veränderung,  als 
bloß    Bewegung   gedacht   werden    kann.     Allein   wer  40 


a)  „Erwägung"  A'  A"  A'"  korr.  Hartenstein. 


266     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

will  die  Möglichkeit  der  Grundkräfte  einsehen?  sie 
können  nur  angenommen  werden,  wenn  sie  zu  einem 
Begriff,  von  dem  es  erweislich  ist,  daß  er  ein  Grund- 
begriff sei,  der  von  keinem  anderen  weiter  abgeleitet 
werden  kann  (wie  der  der  Erfüllung  des  Raums), 
unvermeidlich  gehören,  und  dieses  sind  Zurück- 
stoßungs-  und  ihnen  entgegenwirkende  Anziehungs- 
kräfte überhaupt.  Von  dieser  ihrer  Verknüpfung  und 
Folgen  können  wir  allenfalls  noch  wohl  a  priori  ur- 

10  teilen,  welche  Verhältnisse  derselben  untereinander 
man  sich,  ohne  sich  selbst  zu  v/idersprechen,  denken 
könne,  aber  sich  darum  doch  nicht  anmaßen,  eine 
derselben  als  wirklich  anzunehmen,  weil  zur  Befug- 
nis, eine  Hypothese  zu  errichten,  unnachlaßlich  ge- 
fodert  wird:  daß  die  Möglichkeit  dessen,  was  man 
annimmt,  völlig  gewiß  sei,  bei  Grundkräften  aber 
die  Möglichkeit  derselben  niemals  eingesehen  werden 
kann.  Und  hierin  hat  die  mathematisch-mechanische 
Erklärungsart  über  die  metaphysisch-dynamische  einen 

20  Vorteil,  der  ihr  nicht  abgewonnen  werden  kann,  näm- 
lich aus  einem  durchgehends  gleichartigen  Stoffe, 
durch  die  mannigfaltige  Gestalt  der  Teile,  vermittelst 
eingestreuter  leerer  Zwischenräume,  eine  große  spe- 
zifische Mannigfaltigkeit  der  Materien,  sowohl  ihrer 
Dichtigkeit  als  Wirkungsart  nach  (wenn  fremde 
Kräfte  hinzukommen),  zustande  zu  bringen.  Denn  die 
Möglichkeit  der  Gestalten  sowohl,  als  der  leeren 
Zwischenräume  läßt  sich  mit  mathematischer  Evidenz 
dartun;   dagegen,    wenn   der    Stoff   selbst  in    Grund- 

30  kräfte  verwandelt  wird  (deren  Gesetze  a  priori  zu 
bestimmen,  noch  weniger  aber  eine  Mannigfaltigkeit 
derselben,  welche  zu  Erklärung  der  spezifischen  Ver- 
schiedenheit der  Materie  zureichte,  zuverlässig  anzu- 
geben, wir  nicht  imstande  sind),  uns  alle  Mittel  ab- 
gehen, diesen  Begriff  der  Materie  zu  konstruieren, 
und,  was  wir  allgemein  dachten,  in  der  Anschauung 
als  möglich  darzustellen.  Aber  jenen  Vorteil  büßet 
dagegen  eine  bloß  mathematische  Physik  auf  der 
anderen   Seite   doppelt  ein,   indem  sie   erstlich   einen 

40  leeren  Begriff  (der  absoluten  Undurchdringlichkeit) 
zum  Grunde  legen,  zweitens  alle  der  Materie  eigene 
Kräfte  aufgeben  muß,  und  überdem  noch  mit  ihren 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  267 

ursprünglichen  Konfigurationen  des  Grundstoffs  und 
Einstreuung  der  leeren  Räume,  nachdem  es  das  Be- 
dürfnis zu  erklären  erfodert,  der  Einbildungskraft  im 
Felde  der  Philosophie  mehr  Freiheit,  ja  gar  recht- 
mäßigen Anspruch  verstatten  muß,  als  sich  wohl  mit 
der  Behutsamkeit  der  letzteren  zusammenreimen  läßt. 

Statt  einer  hinreichenden  Erklärung  der  Möglich- 
keit der  Materie  und  ihrer  spezifischen  Verschieden- 
heit aus  jenen  Grundkräften,  die  ich  nicht  zu  leisten 
vermag,  will  ich  "die  Momente,  worauf  ihre  spezifische  10 
Verschiedenheit  sich  insgesamt  a  priori  bringen  (ob- 
gleich nicht  ebenso  ihrer  Möglichkeit  nach  begreifen) 
lassen  muß,  wie  ich  hoffe,  vollständig  darstellen.  Die 
zwischen  die  Definitionen  geschobene  Anmerkungen 
werden  die  Anwendung  derselben  erläutern. 

1.  ein  Körper,  in  physischer  Bedeutung,  ist  eine 
Materie  zwischen  bestimmten  Grenzen  (die 
also  eine  Figur  hat).  Der  Raum  zwischen  diesen 
Grenzen,  seiner  Größe  nach  betrachtet,  ist 
der  Raumesinhalt  (volwnen).  Der  Grad  der  Erfül-  20 
lung  eines  Raumes  von  bestimmtem  Inhalt  heißt 
Dichtigkeit.  (Sonst  wird  der  Ausdruck  dicht  auch 
absolut  gebraucht  für  das,  was  nicht  hohl  [blasicht, 
löchericht]  ist.)  In  dieser  Bedeutung  gibt  es  eine 
absolute  Dichtigkeit  in  dem  System  der  absoluten  Un- 
durchdringlichkeit, und  zwar,  wenn  eine  Materie  gar 
keine  leere  Zwischenräume  enthält.  Nach  diesem  Be- 
griffe von  Erfüllung  des  Raumes  stellt  man  Ver- 
gleichungen  an,  und  nennt  eine  Materie  dichter,  als 
die  andere,  die  weniger  Leeres  in  sich  enthält,  bis  so 
endlich  die,  in  der  kein  Teil  des  Raumes  leer  ist, 
vollkommen  dicht  heißt.  Des  letzteren  Ausdrucks  kann 
man  sich  nur  nach  dem  bloß  mathematischen  Be- 
griffe der  Materie  bedienen,  allein  im  dynamischen 
System  einer  bloß  relativen  Ündurchdringlichkeit  gibt 
es  kein  Maximum  oder  Minimum  der  Dichtigkeit,  und 
gleichwohl  kann  jede  noch  so  dünne  Materie  doch 
völlig  dicht  heißen,  wenn  sie  ihren  Raum  ganz  er- 
füllt, ohne  leere  Zwischenräume  zu  enthalten,  mithin 
ein  Kontinuum,  nicht  ein  Interruptum  ist;  allein  sie  40 
ist  doch  in  Vergleichung  mit  einer  andern  weniger 
dicht,  in  dynamischer  Bedeutung,  wenn  sie  ihren  Raum 


268      Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

zwar  ganz,  aber  nicht  in  gleichem  Grade  erfüllt. 
Allein  auch  'in  dem  letzteren  System  ist  es  unschick- 
lich, sich  ein  Verhältnis  der  Materien  ihrer  Dichtig- 
keit nach  zu  denken,  wenn  man  sie  sich  nicht  unter- 
einander als  spezifisch  gleichartig  vorstellt,  so  daß 
eine  aus  der  andern  durch  bloße  Zusammendrückung 
erzeugt  werden  kann.  Da  nun  das  letzere  nicht  eben 
notwendig  zur  Natur  aller  Materie  an  sich  erfoder- 
lich    zu    sein    scheint,    so    kann    zwischen    ungleich- 

10  artigen  Materien  keine  Vergleichung  in  Ansehung 
ihrer  Dichtigkeit  füglich  stattfinden,  z.  B.  zwischen 
Wasser  und  Quecksilber,  obzwar  es  im  Gebrauche  ist. 
2.  Anziehung,  sofern  sie  bloß  als  in  der 
Berührung  wirksam  gedacht  wird,  heißt  Zu- 
sammenhang. (Zwar  tut  man  durch  sehr  gute 
Versuche  dar,  daß  dieselbe  Kraft,  die  in  der  Be- 
rührung Zusammenhang  heißt,  auch  in  sehr  kleiner 
Entfernung  wirksam  befunden  werde;  allein  die  An- 
ziehung heißt  doch  nur  Zusammenhang,  sofern  ich 

20  sie  bloß  in  der  Berührung  denke,  der  gemeinen  Er- 
fahrung gemäß,  bei  welcher  sie  in  kleinen  Entfernun- 
gen kaum  wahrgenommen  wird.  Zusammenhang  wird 
gemeinhin  für  eine  ganz  allgemeine  Eigenschaft  der 
Materie  angenommen,  nicht  als  ob  man  zu  ihr  schon 
durch  den  Begriff  einer  Materie  geleitet  würde,  son- 
dern weil  die  Erfahrung  sie  allerwärts  dartut.  Allein 
diese  Allgemeinheit  muß  nicht  kollektiv  verstanden 
werden,  als  ob  jede  Materie  durch  diese  Art  der 
Anziehung  auf  jede  andere  im  Welträume  zugleich 

30  wirkte,  —  dgl.  die  der  Gravitation  ist,  —  sondern 
bloß  disjunktiv,  nämlich  auf  eine  oder  die  andere, 
von  welcher  Art  Materien  sie  auch  sein  mag,  die 
mit  ihr  in  Berührung  kommt.  Um  deswillen,  und 
da  diese  Anziehung,  wie  es  verschiedene  Beweisgründe 
dartun  können,  nicht  durchdringend,  sondern  nur 
Flächenkraft  ist,  da  sie  selbst  als  solche  nicht  einmal 
allerv/ärts  nach  der  Dichtigkeit  sich  richtet,  da  zur 
völligen  Stärke  des  Zusammenhanges  ein  vorhergehen- 
der  Zustand   der   Flüssigkeit   der   Materien   und   der 

40  nachmaligen  Erstarrung  derselben  erfoderlich  ist,  und 
die  allergenauste  Berührung  gebrochener  fester  Ma- 
terien in  ebendenselben  Flächen,  mit  denen  sie  vorher 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  269 

SO  stark  zusammenhingen,   z.  B.   eines   Spiegelglases, 
wo  es  einen  Riß  hat,  dennoch  bei  weitem  den  Grad 
der    Anziehung    nicht   mehr    verstattet,    den   es    von 
seiner  Erstarrung  nach  dem  Flusse  her  hatte,  so  halte 
ich  diese  Attraktion  in  der  Berührung  für  keine  Grund- 
kraft der  Materie,  sondern  eine  nur  abgeleitete;  wo- 
von  weiter    unten    ein    Mehreres).     Eine    Materie, 
deren  Teile,  unerachtet  ihres  noch  so  starken 
Zusammenhanges  untereinander,  dennoch  von 
jeder  noch  so  kleinen  bewegenden  Kraft  an-  10 
einander     können     verschoben     werden,     ist 
flüssig.      Teile    einer    Materie    werden    aber 
aneinander   verschoben,   wenn  sie,    ohne   das 
Quantum   der   Berührung  zu  vermindern,   nur 
genötigt  werden,  diese  untereinander  zu  ver- 
wechseln.   Teile,  mithin  auch  Materien,   wer- 
den getrennt,  wenn  die  Berührung  nicht  bloß 
mit  andern  verwechselt,  sondern  aufgehoben 
oder  ihr  Quantum  vermindert  wird.   Ein  fester 
—  besser  ein  starrer  —  Körper  (corpus  rigidum)  20 
ist  der,   dessen  Teile  nicht  durch  jede  Kraft 
aneinander  verschoben  werden  können,  —  die 
folglich  mit  einem   gewissen   Grade   von  Kraft  dem 
Verschieben   widerstehen.    —    Das   Hindernis   des 
Verschiebens  der  Materien  aneinander  ist  die 
Reibung.    Der    Widerstand    gegen   die    Trennung 
sich    berührender    Materien    ist   der    Zusammenhang. 
Flüssige  Materien  erleiden  also  in  ihrer  Teilung  keine 
Reibung,  sondern  wo  diese  angetroffen  wird,  werden 
die  Materien  als  starr,  —  in  größerem  oder  minderem  30 
Grade,   deren  dera)   letzte  Klebrigkeit   (viscositas) 
heißt,   wenigstens  ihren  kleineren  Teilen  nach  ange- 
nommen.    Der  starre   Körper  ist   spröde,   wenn 
seine    Teile    nicht    können    aneinander    ver- 
schoben werden,  ohne  zu  reißen,  —  mithin  wenn 
der   Zusammenhang  derselben   nicht  kann   verändert, 
ohne  zugleich  aufgehoben  zu  werden.    (Man  setzt  sehr 
unrichtig   den   Unterschied   der   flüssigen   und   festen 
Materien  in  dem  verschiedenen  Grade  des  Zusammen- 
hanges ihrer  Teile.    Denn  um  eine  Materie  flüssig  zu  40 


a)  „die"  A'  A"^A"'  korr.  Höfler^Ak.  Ausg. 


270     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

nennen,  kommt  es  nicht  auf  den  Grad  des  Wider- 
standes an,  den  sie  dem  Zerreißen,  sondern  nur  dem 
Verschieben  ihrer  Teile  aneinander  entgegensetzt. 
Jener  kann  so  groß  sein,  als  man  will,  so  ist  dieser 
doch  jederzeit  in  einer  flüssigen  Materie  =  0.  Man 
betrachte  einen  Tropfen  Wasser.  Wenn  ein  Teilchen 
innerhalb  demselben  durch  eine  noch  so  große 
Attraktion  der  Nebenteile,  die  es  berühren,  nach  der 
einen  Seite  gezogen  wird,  so  wird  ebendasselbe  doch 

10  auch  gerade  ebensoviel  nach  der  entgegengesetzten 
gezogen,  und  da  die  Attraktionen  beiderseitig  ihre  Wir- 
kungen aufheben,  ist  das  Partikelchen  ebenso  leicht 
beweglich,  als  ob  es  im  leeren  Räume  sich  befände; 
nämlich  die  Kraft,  die  es  bewegen  soll,  hat  keinen 
Zusammenhang  zu  überwinden,  sondern  nur  die  so- 
genannte Trägheit,  die  sie  bei  aller  Materie,  wenn  sie 
gleich  gar  nicht  womit  zusammenhinge,  überwinden 
müßte.  Daher  wird  ein  kleines  mikroskopisches  Tier- 
chen sich  so  leicht  darin  bewegen,  also  ob  gar  kein 

20  Zusammenhang  zu  trennen  wäre.  Denn  es  hat  wirk- 
lich keinen  Zusammenhang  des  Wassers  aufzuheben 
und  die  Berührung  desselben  unter  sich  zu  vermindern, 
sondern  nur  zu  verändern.  Denket  euch  aber  eben 
dieses  Tierchen,  als  ob  es  sich  durch  die  äußere 
Oberfläche  des  Tropfens  durcharbeiten  wollte,  so  ist 
erstlich  zu  merken,  daß  die  wechselseitige  Anziehung 
der  Teile  dieses  Wasserklümpchens  es  macht,  daß  sie 
sich  so  lange  bewegen,  bis  sie  in  die  größte  Be- 
rührung   untereinander,     mithin    in    die    kleinste    Be- 

30  rührung  mit  dem  leeren  Raum  gekommen  sind,  d.  i. 
eine  Kugelgestalt  gebildet  haben.  Wenn  nun  das  ge- 
nannte Insekt  sich  über  die  Oberfläche  des  Tropfens 
hinauszuarbeiten  bestrebt  ist,  so  muß  es  die  Kugel- 
gestalt verändern,  folglich  mehr  Berührung  des 
Wassers  mit  dem  leeren  Raum,  und  also  auch  weniger 
Berührung  der  Teile  desselben  untereinander  bewirken, 
d.  i.  ihren  Zusammenhang  vermindern,  und  da  wider- 
steht ihm  das  Wasser  allererst  durch  seinen  Zusammen- 
hang, aber  nicht  innerhalb  dem  Tropfen,  wo  die  Be- 

40  rührung  der  Teile  untereinander  gar  nicht  vermindert, 
sondern  nur  in  die  Berührung  mit  andern  Teilen  ver- 
ändert wird,  mithin  diese  nicht  im  mindesten  getrennt, 


II.  Haiiptstück.     Dynamik.  271 

sondern  nur  verschoben  worden.  Auch  kann  man  auf 
das  mikroskopische  Tierchen,  und  zwar  aus  ähnlichen 
Gründen  anwenden,  was  Newton  vom  Lichtstrahl  sagt, 
daß  er  nicht  durch  die  dichte  Materie,  sondern  nur 
durch  den  leeren  Raum  zurückgeschlagen  werde.  Es 
ist  also  klar,  daß  die  Vergrößerung  des  Zusammen- 
hanges der  Teile  einer  Materie  ihrer  Flüssigkeit  nicht 
den  mindesten  Abbruch  tue.  Wasser  hängt  in  seinen 
Teilen  weit  stärker  zusammen,  als  man  gemeiniglich 
glaubt,  wenn  man  sich  auf  den  Versuch  einer  von  10 
der  Oberfläche  des  Wassers  losgerissenen  metallenen 
Platte  verläßt,  welcher  nichts  entscheidet,  weil  hier 
das  Wasser  nicht  in  der  ganzen  Fläche  der  ersten 
Berührung,  sondern  in  einer  viel  kleineren  reißt,  zu 
welcher  es  nämlich  durch  das  Verschieben  seiner  Teile 
endlich  gelangt  ist,  wie  etwa  ein  Stab  von  weichem 
Wachse  sich  durch  ein  angehängt  Gewicht  erstlich 
dünner  ziehen  läßt,  und  alsdenn  in  einer  weit  klei- 
neren Fläche  reißen  muß,  als  man  anfänglich  an- 
nahm. Was  aber  in  Ansehung  unsers  Begriffs  der  20 
Flüssigkeit  ganz  entscheidend  ist,  ist  dieses:  daß 
flüssige  Materien  auch  als  solche  erklärt  werden 
können,  deren  jeder  Punkt  nach  allen  Direk- 
tionen mit  ebenderselben  Kraft  sich  zu  be- 
wegen trachtet,  mit  welcher  er  nach  irgend- 
einer gedrückt  wird;  eine  Eigenschaft,  auf  der 
das  erste  Gesetz  der  Hydrodynamik  beruht,  die  aber 
einer  Anhäufung  von  glatten  und  dabei  festen 
Körperchen,  wie  eine  ganz  leichte  Auflösung  ihres 
Drucks  nach  Gesetzen  der  zusammengesetzten  Be-  30 
wegung  zeigen  kann,  niemals  beigelegt  werden  kann, 
und  dadurch  die  Originalität  der  Eigenschaft  der 
Flüssigkeit  beweiset.  Würde  nun  die  flüssige  Materie 
das  mindeste  Hindernis  des  Verschiebens,  mithin  auch 
nur  die  kleinste  Reibung  erleiden,  so  würde  diese 
mit  der  Stärke  des  Druckes,  womit  die  Teile  der- 
selben aneinander  gepreßt  werden,  wachsen  und  end- 
lich ein  Druck  stattfinden,  bei  welchem  die  Teile 
dieser  Materie  sich  nicht  aneinander  durch  jede  kleine 
Kraft  verschieben  lassen:  z.  B.  in  einer  gebogenen  40 
Röhre  von  zwei  Schenkeln,  deren  der  eine  so  weit 
sein  mag,  als  man  will,  der  andere  so  enge,  als  man 


272     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

will,  außer  daß  er  nur  nicht  ein  Haarröhrchen  ist, 
—  würde,  wenn  man  beide  Schenkel  einige  hundert 
Fuß  hoch  denkt,  die  flüssige  Materie  in  der  engen 
ebenso  hoch  stehen  als  in  der  weiten,  nach  Gesetzen 
der  Hydrostatik.  Weil  aber  der  Druck  auf  den  Boden 
der  Röhren  und  also  auch  auf  den  Teil,  der  beide  in 
Gemeinschaft  stehende  Röhren  verbindet,  in  Propor- 
tion der  Höhen  ins  Unendliche  immer  größer  ge- 
dacht  werden    kann,    so    müßte,    wenn   die    mindeste 

10  Reibung  zwischen  den  Teilen  des  Flüssigen  stattfände, 
eine  Höhe  der  Röhren  gefunden  werden  können,  bei 
der  eine  kleine  Quantität  Wasser,  in  die  engere  Röhre 
gegossen,  das  in  der  weiteren  nicht  aus  seiner  Lage 
verrücken,  mithin  die  Wassersäule  in  dieser  höher 
zu  stehen  kommen  würde,  als  in  jener,  weil  sich  die 
unteren  Teile,  bei  so  großem  Drucke  derselben  gegen- 
einander, nicht  mehr  durch  so  kleine  bewegende  Kraft, 
als  das  zugesetzte  Gewicht  Wasser  ist,  verschieben 
ließen,   welches   der   Erfahrung   und   selbst  dem   Be- 

20  griffe  des  Flüssigen  zuwider  ist.  Ebendasselbe  gilt, 
wenn  man  statt  des  Drucks  durch  die  Schwere  den 
Zusammenhang  der  Teile  setzt,  er  mag  so  groß  sein, 
wie  er  will.  Die  angeführte  zweite  Definition  der 
Flüssigkeit,  worauf  das  Grundgesetz  der  Hydrostatik 
beruht,  nämlich  daß  sie  die  Eigenschaft  einer  Ma- 
terie sei,  da  ein  jeder  Teil  derselben  sich  nach  allen 
Seiten  mit  ebenderselben  Kraft  zu  bewegen  bestrebt 
ist,  womit  er  in  einer  gegebenen  Direktion  gedrückt 
wird,  folgt  aus  der  ersten  Definition,  wenn  man  damit 

30  den  Grundsatz  der  allgemeinen  Dynamik  verbindet, 
daß  alle  Aiaterie  ursprünglich  elastisch  sei,  da  denn 
diese  nach  jeder  Seite  des  Raums,  darin  sie  zusammen- 
gedrückt ist,  mit  derselben  Kraft  sich  zu  erweitern, 
d.  i.  (wenn  die  Teile  einer  Materie  sich  aneinander 
durch  jede  Kraft  ohne  Hindernis  verschieben  lassen, 
wie  es  bei  der  flüssigen  so  wirklich  ist)  sich  zu 
bewegen  bestrebt  sein  muß,  womit  der  Druck  in  einer 
jeden  Richtung,  welche  es  auch  sei,  geschiehet.  Also 
sind   es    eigentlich   nur   die   starren   Materien   (deren 

40  Möglichkeit  noch  außer  dem  Zusammenhange  der 
Teile  eines  anderen  Erklärungsgrundes  bedarf),  denen 
man  Reibung   beilegen   darf,    und   die  Reibung  setzt 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  273 

schon  die  Eigenschaft  der  Rigidität  voraus.  Warum 
aber  gewisse  Materien,  ob  sie  gleich  vielleicht  nicht 
größere,  vielleicht  wohl  gar  kleinere  Kraft  des  Zu- 
sammenhanges haben,  als  andere  flüssige,  dennoch 
dem  Verschieben  der  Teile  so  mächtig  widerstehen 
und  daher  nicht  anders  als  durch  Aufhebung  des 
Zusammenhanges  aller  Teile  in  einer  gegebenen 
Fläche  zugleich  sich  trennen  lassen,  welches  denn 
den  Schein  eines  vorzüglichen  Zusammenhanges  gibt, 
wie  also  starre  Körper  möglich  sein,  das  ist  immer  10 
noch  ein  unaufgelöstes  Problem,  so  leicht  als  auch 
die  gemeine  Naturlehre  damit  fertig  zu  werden  glaubt. 
3.  Elastizität  (Springkraft)  ist  das  Vermögen 
einer  Materie,  ihre  durch  eine  andere  bewegende 
Kraft  veränderte  Größe  oder  Gestalt  bei  Nach- 
lassung derselben  wiederum  anzunehmen.  Sie 
ist  entweder  expansive  oder  attraktive  Elastizität; 
jene,  um  nach  der  Zusammendrückung  das  vorige 
größere,  diese,  um  nach  der  Ausdehnung  das  vorige 
kleinere  Volumen  anzunehmen.  (Die  attraktive  Elasti-  20 
zität,  ist,  wie  es  schon  der  Ausdruck  zeigt,  offenbar 
abgeleitet.  Ein  eiserner  Draht,  durch  angehängte  Ge- 
wichte gedehnt,  springt,  wenn  man  das  Band  ab- 
schneidet, in  sein  Volumen  zurück.  Vermöge  derselben 
Attraktion,  die  die  Ursache  seines  Zusammenhanges 
ist,  oder  bei  flüssigen  Materien,  wenn  die  Wärme 
dem  Quecksilber  plötzlich  entzogen  würde,  würde  die 
Materie  desselben  eilen,  um  das  vorige  kleinere  Vo- 
lumen wieder  anzunehmen.  Die  Elastizität,  die  bloß 
in  Herstellung  der  vorigen  Figur  besteht,  ist  jederzeit  30 
attraktiv,  wie  an  einer  gebogenen  Degenklinge,  da 
die  Teile  auf  der  konvexen  Fläche  auseinander  ge- 
zerret, ihre  vorige  Nahheit  anzunehmen  trachten,  und 
so  kann  auch  ein  kleiner  Tropfen  Quecksilber  elastisch 
genannt  werden.  Aber  die  expansive  Elastizität  kann 
eine  ursprüngliche,  sie  kann  aber  auch  eine  abgeleitete 
sein.  So  hat  die  Luft  eine  abgeleitete  Elastizität, 
vermittelst  der  Materie  der  Wärme,  welche  mit  ihr 
innigst  vereinigt  ist,  und  deren  Elastizität  vielleicht 
ursprünglich  ist.  Dagegen  muß  der  Grundstoff  des  40 
Flüssigen,  welches  wir  Luft  nennen,  dennoch  als 
Materie   überhaupt  schon  an   sich   Elastizität   haben, 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     I.  Jg 


274     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Xaturwissenschaft. 

welche  ursprünglich  heißt.  Von  welcher  Art  eine 
wahrgenommene  Elastizität  sei,  ist  in  vorkommenden 
Fällen  nicht  möglich,  mit  Gewißheit  zu  entscheiden.) 
4.  Die  Wirkung  bewegter  Körper  aufein- 
ander durch  Mitteilung  ihrer  Bewegung  heißt 
mechanisch;  die  der  Materien  aber,  sofern 
sie  auch  in  Ruhe  durch  eigene  Kräfte  wechsel- 
seitig die  Verbindung  ihrer  Teile  verändern, 
heißt  chemisch.    Dieser  chemische  Einfluß  heißt 

10  Auflösung,  sofern  er  die  Trennung  der  Teile 
einer  Materie  zur  Wirkung  hat  (die  mechanische 
Teilung,  z.  B.  durch  einen  Keil,  der  zwischen  die  Teile 
einer  Materie  getrieben  wird,  ist  also,  weil  der  Keil 
nicht  durch  eigene  Kraft  wirkt,  von  einer  chemischen 
gänzlich  unterschieden);  derjenige  aber,  der  die  Ab- 
sonderung zweier  durcheinander  aufgelöseten  Materien 
zur  Wirkung  hat,  ist  die  Scheidung.  Die  Auflösung 
spezifisch  verschiedener  Materien  durcheinander,  darin 
kein  Teil  der  einen  angetroffen  wird,  der  nicht  mit 

20  einem  Teil  der  andern  von  ihr  spezifisch  unter- 
schiedenen in  derselben  Proportion,  wie  die  Ganzen, 
vereinigt  wäre,  ist  die  absolute  Auflösung,  und 
kann  auch  die  chemische  Durchdringung  genannt 
werden.  Ob  die  auflösenden  Kräfte,  die  in  der  Natur 
wirklich  anzutreffen  sind,  eine  vollständige  Auflösung 
zu  bewirken  vermögen,  mag  unausgemacht  bleiben. 
Hier  ist  nur  die  Frage  davon,  ob  sich  eine  solche 
nur  denken  lasse.  Nun  ist  offenbar,  daß,  solange 
die  Teile  einer  aufgelöseten  Materie  noch  Klümpchen 

30  (molecidae)  sind,  nicht  minder  eine  Auflösung  der- 
selben möglich  sei,  als  die  der  größeren,  ja  daß 
diese  wirklich  so  lange  fortgehen  müsse,  wenn  die 
auflösende  Kraft  bleibt,  bis  kein  Teil  mehr  da  ist, 
der  nicht  aus  dem  Auflösungsmittel  und  der  aufzu- 
lösenden Materie,  in  der  Proportion,  darin  beide  zu- 
einander im  Ganzen  stehen,  zusammengesetzt  wäre. 
Weil  also  in  solchem  Falle  kein  Teil  von  dem 
Volumen  der  Auflösung  sein  kann,  der  nicht  einen 
Teil  des  auflösenden  Mittels  enthielte,  so  muß  dieses, 

40  als  ein  Kontinuum,  das  Volumen  ganz  erfüllen. 
Ebenso,  weil  kein  Teil  ebendesselben  Volumens  der 
Solution   sein   kann,     der    nicht   einen    proportionier- 


IL  Hauptstück.     Dynamik.  275 

liehen  Teil  der  aufgelöseten  Materie  enthielte,  so 
muß  diese  auch  als  ein  Kontinuum  den  ganzen  Raum, 
der  das  Volumen  der  Mischung  ausmacht,  erfüllen. 
Wenn  aber  zwei  Materien,  und  zwar  jede  derselben 
ganz,  einen  und  denselben  Raum  erfüllen,  so  durch- 
dringen sie  einander.  Also  würde  eine  vollkommene 
chemische  Auflösung  eine  Durchdringung  der  Materien 
sein,  welche  dennoch  von  der  mechanischen  gänzlich 
unterschieden  wäre,  indem  bei  der  letzten  gedacht 
wird,  daß  bei  der  größern  Annäherung  bewegter  Ma-  10 
terien  die  repulsive  Kraft  der  einen  di?  der  andern 
gänzlich  überwiegen,  und  eine  oder  beide  ihre  Aus- 
dehnung auf  nichts  bringen  können;  da  hingegen  hiar 
die  Ausdehnung  bleibt,  nur  daß  die  Materien  nicht 
außer  einander,  sondern  ineinander,  d.i.  durch  Intus- 
suszeption  (wie  man  es  zu  nennen  pflegt)  zusammen 
einen  der  Summe  ihrer  Dichtigkeit  gemäßen  Raum  ein- 
nehmen. Gegen  die  Möglichkeit  dieser  vollkommenen 
Auflösung  und  also  der  chemischen  Durchdringung 
ist  schwerlich  etwas  einzuwenden,  obgleich  sie  eine  20 
vollendete  Teilung  ins  Unendliche  enthält,  die  in 
diesem  Falle  doch  keinen  Widerspruch  in  sich  faßt, 
weil  die  Auflösung  eine  Zeit  hindurch  kontinuierlich, 
mithin  gleichfalls  durch  eine  unendliche  Reihe  Augen- 
blicke mit  Akzeleration  geschieht,  überdem  durch  die 
Teilung  die  Summe  der  Oberflächen  der  noch  zu  tei- 
lenden Materien  wachsen,  und  da  die  auflösende  Kraft 
kontinuierlich  wirkt,  die  gänzliche  Auflösung  in  einer 
anzugebenden  Zeit  vollendet  werden  kann.  Die 
Unbegreiflichkeit  einer  solchen  chemischen  Durch-  30 
dringung  zweier  Materien  ist  auf  Rechnung  der  Un- 
begreiflichkeit der  Teilbarkeit  eines  jeden  Kontinuum 
überhaupt  ins  Unendliche  zu  schreiben.  Geht  man 
von  dieser  vollständigen  Auflösung  ab,  so  muß  man 
annehmen,  sie  ginge  nur  bis  zu^)  gewissen  kleinen 
Klumpen  der  aufzulösenden  Materie,  die  in  dem  Auf- 
lösungsmittel in  gesetzten  Weiten  voneinander  schwim- 
men, ohne  daß  man  den  mindesten  Grund  angeben 
kann,  warum  diese  Klümpchen,  da  sie  doch  immer 
teilbare^  Materien    sind,    nicht    gleichfalls    auf  gelöset  40 

a)  „zu"  fehlt  in  A'  A"  korr.  A'". 

18* 


27G      Metaphysische  Anfangsgründe  der  Xaturwissenschaft. 

werden.  Denn  daß  das  Auflösungsmittel  nicht  weiter 
wirke,  mag  immer  in  der  Natur,  so  weit  Erfahrung 
reicht,  seine  gute  Richtigkeit  haben;  es  ist  hier  aber 
nur  die  Rede  von  der  Möglichkeit  einer  auflösenden 
Kraft,  die  auch  dieses  Klümpchen  und  so  ferner  jedes 
andere,  was  noch  übrig  bleibt,  auflöse,  bis  die  Solu- 
tion vollendet  ist.  Das  Volumen,  was  die  Auflösung 
einnimmt,  kann  der  Summe  der  Räume,  die  die  ein- 
ander  auflösende    Materien    vor    der    Mischung    ein- 

10  nahmen,  gleich,  oder  kleiner,  oder  auch  größer  sein, 
nachdem  die  anziehenden  Kräfte  gegen  die  Zurück- 
stoßungen in  Verhältnis  stehen.  Sie  machen  in  der 
Auflösung  jedes a)  für  sich  und  beide  vereinigt  ein 
elastisches  Medium  aus.  Dieses  kann  auch  allein 
einen  hinreichenden  Grund  angeben,  warum  die  auf- 
gelösete  Materie  sich  durch  ihre  Schwere  nicht  wie- 
derum vom  auflösenden  Mittel  scheide.  Denn  die  An- 
ziehung des  letzteren,  da  sie  nach  allen  Seiten  gleich 
stark  geschieht,  hebt  ihren  Widerstand  selbst  auf,  und 

20  eine  gewisse  Klebrigkeit  im  Flüssigen  anzunehmen, 
stimmt  auch  gar  nicht  mit  der  großen  Kraft,  die 
dergleichen  aufgelösete  Materien,  z.  B.  die  Säuren,  mit 
Wasser  verdünnt,  auf  metallische  Körper  ausüben,  an 
die  sie  sich  nicht  bloß  anlegen,  wie  es  geschehen 
müßte,  wenn  sie  bloß  in  ihrem  Medium  schwömmen, 
sondern  die  sie  mit  großer  Anziehungskraft  von  ein- 
ander trennen  und  im  ganzen  Räume  des  Vehikels 
verbreiten.  Gesetzt  auch,  daß  die  Kunst  keine  che- 
mische   Auflösungskräfte    dieser    Art,    die    eine   voll- 

?.0  ständige  Auflösung  bewirkten,  in  ihrer  Gewalt  hätte, 
so  könnte  doch  vielleicht  die  Natur  sie  in  ihren  vege- 
tabilischen und  animalischen  Operationen  beweisen,  und 
dadurch  vielleicht  Materien  erzeugen,  die,  ob  sie  zwar 
gemischt  sind,  doch  keine  Kunst  wiederum  scheiden 
kann.  Diese  chemische  Durchdringung  könnte  auch 
selbst  da  angetroffen  werden,  wo  die  eine  beider  Ma- 
terien durch  die  andere  eben  nicht  zertrennt  und  im 
buchstäblichen  Sinne  aufgelöset  wird,  so  wie  etwa  der 
Wärmestoff  die  Körper  durchdringt,  da,  wenn  er  sich 


a)  Höfler  Ak,  Ausg.    schlägt  vor:    ,.jede-'   was  auf  „auf- 
lösendenMaterien"  und  nicht  auf  „Volumen-'  zu  beziehen  wäre. 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  277 

nur  in  leere  Zwischenräume  derselben  verteilete,  die 
feste  Substanz  selbst  kalt  bleiben  würde,  weil  diese 
nichts  von  ihr  einnehmen  könnte.  Imgleichen  könnte 
man  sich  sogar  einen  scheinbarlich  freien  Durchgang 
gewisser  Materien  durch  andere  auf  solche  Weise 
denken,  z.  B.  der  m.agnetischen  Materie,  ohne  ihr  dazu 
offene  Gänge  und  leere  Zwischenräume  in  allen,  selbst 
den  dichtesten  Materien  vorzubereiten.  Doch  es  ist  hier 
nicht  der  Ort,  Hypothesen  zu  besonderen  Erscheinun- 
gen, sondern  nur  das  Prinzip,  wornach  sie  alle  zu  10 
beurteilen  sind,  ausfindig  zu  machen.  Alles,  was  uns 
der  Bedürfnis  überhebt,  zu  leeren  Räumen  unsere  Zu- 
flucht zu  nehmen,  ist  wirklicher  Gewinn  für  die  Natur- 
wissenschaft. Denn  diese  geben  gar  zu  viel  Freiheit 
der  Einbildungskraft,  den  Mangel  der  inneren  Natur- 
kenntnis durch  Erdichtung  zu  ersetzen.  Das  absolut 
Leere  und  das  absolut  Dichte  sind  in  der  Naturlehro 
ohngefähr  das,  was  der  blinde  Zufall  und  das  blinde 
Schicksal  in  der  metaphysischen  Weltwissenschaft  sind, 
nämlich  ein  Schlagbaum  für  die  herrschende^)  Ver-  20 
nunft,  damit  entweder  Erdichtung  ihre  Stelle  ein- 
nehme, oder  sie  auf  dem  Polster  dunkler  Qualitäten 
zur  Ruhe  gebracht  werde. 

Was  nun  aber  das  Verfahren  in  der  Naturwissen- 
schaft in  Ansehung  der  vornehmsten  aller  ihrer  Auf- 
gaben, nämlich  der  Erklärung  einer  ins  Unendliche 
möglichen  spezifischen  Verschiedenheit  der 
Materien  betrifft,  so  kann  man  dabei  nur  zv/ei  Wege 
einschlagen:  den  mechanischen,  durch  die  Verbin- 
dung des  Absolutvollen  mit  dem  Absolutleeren,  oder  30 
einen  ihm  entgegengesetzten  dynamischen  Weg, 
durch  die  bloße  Verschiedenheit  in  der  Verbindung 
der  ursprünglichen  Kräfte  der  Zurückstoßung  und 
Anziehung  alle  Verschiedenheiten  der  Materien  zu  er- 
klären. Der  erste  hat  zu  Materialien  seiner  Ableitung 
die  Atomen  und  das  Leere.  Ein  Atom  ist  ein  kleiner 
Teil  der  Materie,  der  physisch  unteilbar  ist.  Physisch 
unteilbar  ist  eine  Materie,  deren  Teile  mit  einer 
Kraft  zusammenhängen,  die  durch  keine  in  der  Natur 
befindliche  bewegende  Kraft  überwältigt  werden  kann,  40 


a)  Hartenstein  „forschende". 


278     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

Ein  Atom,  sofern  er  sich  durch  seine  Figur  von  andern 
spezifisch  unterscheidet,  heißt  ein  erstes  Körper- 
chen. Ein  Körper  (oder  Körperchen),  dessen  be- 
wegende Kraft  von  seiner  Figur  abhängt,  heißt 
Maschine.  Die  Erklärungsart  der  spezifischen  Ver- 
schiedenheit der  Materien  durch  die  Beschaffenheit 
und  Zusammensetzung  ihrer  kleinsten  Teile,  als  Ma- 
schinen, ist  die  mechanische  Naturphilosopsle; 
diejenige  aber,   welche   aus   Materien,   nicht  als  Ma- 

10  schinen,  d.  i.  bloßen  Werkzeugen  äußerer  bewegenden 
Kräfte,  sondern  ihnen  ursprünglich  eigenen  bev/egen- 
den  Kräften  der  Anziehung  und  Zurückstoßung  die 
spezifische  Verschiedenheit  der  Materie  ableitet,  kann 
die  dynamische  Naturphilosophie  genannt  wer- 
den. (Die  mechanische  Erklärungsart,  da  sie  der  Mathe- 
matik am  fügsamsten  ist,  hat  unter  dem  Namen  der 
Atomistik  oder  Korpuskularphilosophie  mit 
weniger  Abänderung  vom  alten  Demokrit  an  bis 
auf  Cartesen  und  selbst  bis  zu  unseren  Zeiten  immer 

20  ihr  Ansehen  und  Einfluß  auf  die  Prinzipien  der  Natur- 
wissenschaft erhalten.  Das  Wesentliche  derselben  be- 
steht in  der  Voraussetzung  der  absoluten  Undurch- 
dringlichkeit der  primitiven  Materie,  in  der  abso- 
luten Gleichartigkeit  dieses  Stoffs  und  dem  allein 
übrig  gelassenen  Unterschiede  in  der  Gestalt,  und  in 
der  absoluten  Unüberwindlichkeit  des  Zusammen- 
hanges der  Materie  in  diesen  Grundkörperchen  selbst. 
Dies  waren  die  Materialien  zu  Erzeugung  der  spe- 
zifisch verschiedenen  Materien,  um  nichi  allein  zu  der 

30  Unveränderlichkeit  der  Gattungen  und  Arten  einen  un- 
veränderlichen und  gleichwohl  verschiedentlich  gestal- 
teten Grundstoff  bei  der  Handa)  zu  haben,  sondern 
auch  aus  der  Gestalt  dieser  ersten  Teile,  als  Maschinen 
(denen  nichts  weiter,  als  eine  äußerlich  eingedrückte 
Kraft  fehlte),  die  mancherlei  Naturwirkungen  mecha- 
nisch zu  erklären.  Die  erste  und  vornehmste  Be- 
glaubigung dieses  Systems  aber  beruht  auf  der 
vorgeblich  unvermeidlichen  Notwendigkeit,  zum 
spezifischen    Unterschiede     der     Dichtigkeit 

40  der  Materien  leere  Räume  zu  brauchen,  die  man 


a)  A'  A"  „bei  Hand-'  korr.  A'". 


II,  Hauptstück.     Dynamik.  279 

innerhalb  der  Materien  und  zwischen  jenen  Partikeln 
verteilt,  in  einer  Proportion,  wie  man  sie  nötig  fand, 
zum  Behuf  einiger  Erscheinungen  gar  so  groß,  daß 
der  erfüllete  Teil  des  Volumens,  auch  der  dichtesten 
Materie,  gegen  den  leeren  beinahe  für  nichts  zu  halten 
ist,  annahm.  —  Um  nun  eine  dynamische  Erklärungs- 
art einzuführen  (die  der  Experimentalphilosophie  weit 
angemessener  und  beförderlicher  ist,  indem  sie  ge- 
radezu darauf  leitet,  die  den  Materien  eigene  be- 
wegende Kräfte  und  deren  Gesetze  auszufinden,  die  10 
Freiheit  dagegen  einschränkt,  leere  Zwischenräume 
und  Grundkörperchen  von  bestimmten  Gestalten  an- 
zunehmen, die  sich  beide  durch  kein  Experiment  be- 
stimmen und  ausfindig  machen  lassen),  ist  es  gar 
nicht  nötig,  neue  Hypothesen  zu  schmieden,  sondern 
allein  das  Postulat  der  bloß  mechanischen  Erklärungs- 
art: daß  es  unmöglich  sei,  sich  einen  spezi- 
fischen Unterschied  der  Dichtigkeit  der  Ma- 
terien ohne  Beimischung  leerer  Räume  zu 
denken,  durch  die  bloße  Anführung  einer  Art,  wie  20 
er  sich  ohne  Widerspruch  denken  lasse,  zu  wider- 
legen. Denn  wenn  das  gedachte  Postulat,  worauf  die 
bloß  mechanische  Erklärungsart  fußet,  nur  erst  als 
Grundsatz  für  ungültig  erkläret  worden,  so  versteht 
es  sich  von  selbst,  daß  man  es  als  Hypothese  in 
der  Naturwissenschaft  nicht  aufnehmen  müsse,  solange 
noch  eine  Möglichkeit  übrig  bleibt,  den  spezifischen 
Unterschied  der  Dichtigkeiten  sich  auch  ohne  alle  leere 
Zwischenräume  zu  denken.  Diese  Notwendigkeit  aber 
beruht  darauf,  daß  die  Materie  nicht  (wie  bloß  mecha-  30 
nische  Naturforscher  annehmen)  durch  absolute  Un- 
durchdringlichkeit ihren  Raum  erfüllt,  sondern  durch 
repulsive  Kraft,  die  ihren  Grad  hat,  der  in  verschie- 
denen Materien  verschieden  sein  kann,  und,  da  er  für 
sich  nichts  mit  der  Anziehungskraft,  welche  der 
Quantität  der  Materie  gemäß  ist,  gemein  hat,  sie  bei 
einerlei  Anziehungskraft  in  verschiedenen  Materien 
dem  Grade  nach  ursprünglicha)  verschieden  sein 
könne,  folglich  auch  der  Grad  der  Ausdehnung  dieser 
Materien  bei  derselben  Quantität  der  Materie  und  um-  40 


a)  „als  ursprünglich-'  A'  A"  A'"  korr.  Rosenkranz, 


280     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft 

gekehrt  die  Quantität  der  Materie  unter  demselben 
Volumen,  d.  i.  die  Dichtigkeit  derselben  ursprünglich 
gar  große  spezifische  Verschiedenheiten  zulasse.  Auf 
diese  Art  würde  man  es  nicht  unmöglich  finden,  sich 
eine  Materie  zu  denken  (wie  man  sich  etwa  den  Äther 
vorstellt),  die  ihren  Raum  ohne  alles  Leere  ganz  er- 
füllete,  und  doch  mit  ohne  Vergleichung  minderer 
Quantität  der  Materie  unter  gleichem  Volumen,  als 
alle  Körper,  die  wir  unseren  Versuchen  unterwerfen 

10  können.  Die  repulsive  Kraft  muß  am  Äther,  in  Ver- 
hältnis auf  die  eigene  Anziehungskraft  desselben,  ohne 
Vergleichung  größer  gedacht  werden,  als  an  allen 
andern  uns  bekannten  Materien.  Und  das  ist  denn 
auch  das  einzige,  was  wir  bloß  darum  annehmen, 
weil  es  sich  denken  läßt,  nur  zum  Widerspiel 
einer  Hypothese  (der  leeren  Räume),  die  sich  allein 
auf  das  Vorgeben  stützt,  daß  sich  dergleichen  ohne 
leere  Räume  nicht  denken  lasse.  Denn  außer 
diesem  darf  weder  irgendein  Gesetz  der  anziehenden, 

20  noch  zurückstoßenden  Kraft  auf  Mutmaßungen  a  prioi  i 
gewagt,  sondern  alles,  selbst  die  allgemeine  Attraktion, 
als  Ursache  der  Schweren,  muß  samt  ihrem  Gesetze 
aus  Datis  der  Erfahrung  geschlossen  werden.  Noch 
weniger  wird  dergleichen  bei  den  chemischen  Ver- 
wandtschaften anders  als  durch  den  Weg  des  Experi- 
ments versucht  werden  dürfen.  Denn  es  ist  über- 
haupt über  dem»)  Gesichtskreis  unserer  Vernunft  ge- 
legen, ursprüngliche  Kräfte  a  priori  ihrer  Möglich- 
keit   nach    einzusehen,    vielmehr    besteht   alle   Natur- 

30  Philosophie  in  der  Zurückführung  gegebener,  dem  An- 
scheine nach  verschiedener  Kräfte  auf  eine  geringere 
Zahl  Kräfte  und  Vermögen,  die  zur  Erklärung  der 
Wirkungen  der  ersten  zulangen,  welche  Reduktion 
aber  nur  bis  zu  Grundkräften  fortgeht,  über  die 
unsere  Vernunft  nicht  hinaus  kann.  Und  so  ist  Nach- 
forschung der  Metaphysik,  hinter  dem,  was  dem  empi- 
rischen Begriffe  der  Materie  zum  Grunde  liegt,  nur 
zu  der  Absicht  nützlich,  die  Naturphilosophie,  so  weit 
als  es  immer  möglich  ist,   auf  die  Erforschung  der 

40  dynamischen  Erklärungsgründe   zu   leiten,   weil  diese 

a)  „den"  A'  u.  A". 


II.  Hauptstück.     Dynamik.  281 

allein  bestimmte  Gesetze,   folglich  wahren  Vernunft- 
zusammenhang  der  Erklärungen   hoffen  lassen. 

Dies  ist  nun  alles,  was  Metaphysik  zur  Konstruk- 
tion des  Begriffs  der  Materie,  mithin  zum  Behuf  der 
Anwendung  der  Mathematik  auf  Naturwissenschaft,  in 
Ansehung  der  Eigenschaften,  wodurch  Materie  einen 
Raum  in  bestimmtem  Maße  erfüllet,  nur  immer  leisten 
kann,  nämlich  diese  Eigenschaften  als  dynamisch  an- 
zusehen und  nicht  als  unbedingte  ursprüngliche  Posi- 
tionen, wie  sie  etwan  eine  bloß  mathematische  Be-  10 
handlung  postulieren  würde. 

Den  Beschluß  kann  die  bekannt«  Frage  wegen  der 
Zulässigkeit  leerer  Räume  in  der  Welt  machen.  Die 
Möglichkeit  derselben  läßt  sich  nicht  streiten.  Denn 
zu  allen  Kräften  der  Materie  wird  Raum  erfodert, 
und  da  dieser  auch  die  Bedingungen  der  Gesetze  der 
Verbreitung  jener  erhält,  notwendig  vor  aller  Materie 
vorausgesetzt.  So  wird  der  Materie  Attraktionskraft 
beigelegt,  sofern  sie  einen  Raum  um  sich  durch  An- 
ziehung einnimmt,  ohne  ihn  gleichwohl  zu  erfüllen,  20 
der  also  selbst  da,  wo  Materie  wirksam  ist,  als  leer 
gedacht  werden  kann,  weil  sie  da  nicht  durch  Zurück- 
stoßungskräfte  wirksam  ist  und  ihn  also  nicht  erfüllt. 
Allein  leere  Räume  als  wirklich  anzunehmen,  dazu 
kann  uns  keine  Erfahrung,  oder  Schluß  aus  derselben, 
oder  notwendige  Hypothesis,  sie  zu  erklären,  berech- 
tigen. Denn  alle  Erfahrung  gibt  uns  nur  komparativ- 
leere  Räume  zu  erkennen,  welche,  nach  allen  be- 
liebigen Graden  aus  der  Eigenschaft  der  Materie,  ihren 
Raum  mit  größerer  oder  bis  ins  Unendliche  immer  30 
kleinerer  Ausspannungskraft  zu  erfüllen,  vollkommen 
erklärt  werden  können,  ohne  leere  Räume  zu  bedürfen. 


Drittes  Hauptstück. 

Metaphysische  Anfangsgründe 
der 

Meciiaiiik. 


Erklärung  1. 

Materie  ist  das  Bewegliche,    sofern    es,    als   ein 
solches,  bewegende  Kraft  hat. 

Anmerkung. 

Dieses  ist  nun  die  dritte  Definition  von  einer  Ma- 
10  terie.  Der  bloß  dynamische  Begriff  konnte  die  Materie 
auch  als  in  Euhe  betrachten;  die  bewegende  Kraft,  die 
da  in  Erwägung  gezogen  wurde,  betraf  bloß  die  Er- 
füllung eines  gewissen  Raumes,  ohne  daß  die  Materie, 
die  ihn  erfüllete,  selbst  als  bewegt  angesehen  werden 
durfte.  Die  Zurückstoßung  war  daher  eine  ursprüng- 
lich-bewegende Kraft,  um  Bewegung  zu  erteilen; 
dagegen  wird  in  der  Mechanik  die  Kraft  einer  in 
Bewegung  gesetzten  Materie  betrachtet,  um  diese  Be- 
wegung einer  andern  mitzuteilen.  Es  ist  aber  klar, 
20  daß  das  Bewegliche  durch  seine  Bewegung  keine 
bewegende  Kraft  haben  würde,  wenn  es  nicht  ur- 
sprüngHch-bewegende  Kräfte  besäße,  dadurch  es  vor 
aller  eigener  Bewegung  in  jedem  Orte,  da  es  sich 
befindet,   wirksam   ist,   und  daß  keine  Materie   einer 


III.  Hauptstück.     Mechanik.  283 

anderen a),  die  ihrer  Bewegung  in  der  geraden  Linie 
vor  ihr  im  Wege  liegt,  gleichmäßige  Bewegung  ein- 
drücken würde,  wenn  beide  nicht  ursprüngliche  Ge- 
setze der  Zurückstoßung  besäßen,  noch  daß  sie  eine 
andere  durch  ihre  Bewegung  nötigen  könne,  in  der 
geraden  Linie  ihr  zu  folgen  (sie  nachschleppen 
könnte),  wenn  beide  nicht  Anziehungskräfte  besäßen. 
Also  setzen  alle  mechanische  Gesetze  die  dynamische 
voraus,  und  eine  Materie,  als  bewegt,  kann  keine  be- 
wegende Kraft  haben,  als  nur  vermittelst  ihrer  Zurück-  10 
stoßung  oder  Anziehung,  auf  welche  und  mit  welchen 
sie  in  ihrer  Bewegung  unmittelbar  wirkt  und  dadurch 
ihre  eigene  Bewegung  einer  anderen  mitteilt.  Man 
vs'ird  es  mir  nachsehen,  daß  ich  der  Mitteilung  der 
Bewegung  durch  Anziehung  (z.  B.  wenn  etwa  ein 
Komet  von  stärkerem  Anziehungsvermögen,  als  die 
Erde,  im  Vorbeigehen  vor  derselben  sie  nach  sich 
fortschleppte)  hier  nicht  weiter  Erwähnung  tun  werde, 
sondern  nur  der  Vermittelung  der  repulsiven  Kräfte, 
also  durch  Druck  (wie  vermittelst  gespannter  Federn)  20 
oder  durch  Stoß,  da  ohnedem  die  Anwendung  der  Ge- 
setze der  einen  auf  die  der  anderen  nur  in  Ansehung 
der  Richtungslinie  verschieden,  übrigens  aber  in  bei- 
den Fällen   einerlei  ist. 


Erklärung  2. 

Die  Quantität  der  Materie  ist  die  Menge  des 
BewegKchen  in  einem  bestimmten  Raum.  Dieselbe, 
sofern  alle  ihre  Teile  in  ihrer  Bewegung  als  zu- 
gleich wirkend  (bewegend)  betrachtet  werden,  heißt 
die  Masse,  und  man  sagt,  eine  Materie  wirke  in 
Masse,  wenn  alle  ihre  Teile  in  einerlei  Richtung  30 
bewegt,  außer  sich  zugleich  ihre  bewegende  Kraft 
ausüben.  Eine  Masse  von  bestimmter  Gestalt  heißt 
ein  Körper  (in  mechanischer  Bedeutung).  Die 
Größe  der  Bewegung  (mechanisch  geschätzt)  ist 
diejenige,    die    durch    die   Quantität    der   bewegten 


a)  ..eine  andere-'  A'  A"  A'"  korr.  Hartenstein. 


284     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Xaturwissenscbaft. 

Materie  und  ihre  Geschwindigkeit  zugleich  geschätzt 
wird,  phor onomisch  besteht  sie  bloß  in  dem  Grade 
der  Geschwindigkeit. 

Lehrsatz  1. 

Die  Quantität  der  Materie  kann  in  Vergleichung 
mit  jeder  anderen  nur  durch  die  Quantität  der  Be- 
wegung bei  gegebener  Geschwindigkeit  geschätzt 
werden. 

Beweis. 

10  Die  Materie  ist  ins  UnendUche  teilbar,  folglich  kann 
keiner  ihre  Quantität  durch  eine  Menge  ihrer  Teile 
unmittelbar  bestimmt  werden.  Denn  wenn  dieses  auch 
in  der  Vergleichung  der  gegebenen  Materie  mit  einer 
gleichartigen  geschieht,  in  welchem  Falle  die  Quan- 
tität der  Materie  der  Größe  des  Volumens  propor- 
tional ist,  so  ist  dieses  doch  der  Federung  des  Lehr- 
satzes, daß  sie  in  Vergleichung  mit  jeder  anderen 
(auch  spezifisch  verschiedenen)  geschätzt  werden  soll, 
zuwider.     Also   kann   die   Materie   weder   unmittelbar 

20  noch  mittelbar,  in  Vergleichung  mit  jeder  andern 
gültig  geschätzt  werden,  solange  man  von  ihrer  eigenen 
Bewegung  abstrahiert.  Folglich  ist  kein  anderes  all- 
gemein gültiges  Maß  derselben,  als  die  Quantität  ihrer 
Bewegung  übrig.  In  dieser  aber  kann  der  Unterschied 
der  Bewegung,  der  auf  der  verschiedenen  Quantität 
der  Materien  beruht,  nur  alsdenn  gegeben  werden, 
wenn  die  Geschwindigkeit  unter  den  verglichenen  Ma- 
terien als  gleich  angenommen  wird,  folglich  usw. 

Zusatz. 

30  Die  Quantität  der  Bewegung  der  Körper  ist  in  zu- 
sammengesetztem Verhältnis  aus  dem  der  Quantität 
ihrer  Materie  und  ihrer  Geschwindigkeit,  d.  i.  es  ist 
einerlei,  ob  ich  die  Quantität  der  Materie  eines  Kör- 
pers doppelt  so  groß  mache  und  die  Geschwindigkeit 
behalte,  oder  ob  ich  die  Geschwindigkeit  verdoppele 


III.  Hauptstück.     Mechanik.  285 

und  eben  diese  Masse  behalte.  Denn  der  bestimmte 
Begriff  von  einer  Größe  ist  nur  durch  die  Konstruktion 
des  Quantum  möglich.  Diese  ist  aber  in  Ansehung 
des  Begriffs  der  Quantität  nichts,  als  die  Zusammen- 
setzung des  Gleichgeltenden;  folglich  ist  die  Konstruk- 
tion der  Quantität  einer  Bewegung  die  Zusammen- 
setzung vieler  einander  gleichgeltender  Bewegungen. 
Nun  ist  es  nach  den  phoronomischen  Lehrsätzen 
einerlei,  ob  ich  einem  Beweglichen  einen  gewissen 
Grad  Geschwindigkeit  oder  vielen  gleich  Beweglichen  10 
alle  kleinere  Grade  der  Geschwindigkeit  erteile,  die 
aus  der  durch  'die  Menge  des  Beweglichen  dividierten 
gegebenen  Geschwindigkeit  herauskommen.  Hieraus 
entspringt  zuerst  ein  dem  Anscheine  nach  phorono- 
mischer  Begriff  von  der  Quantität  einer  Bewegung, 
als  zusammengesetzt  aus  viel  Bewegungen  außer  ein- 
ander, aber  doch  in  einem  Ganzen  vereinigter,  be- 
weglicher Punkte.  Werden  nun  diese  Punkte  als  etwas 
gedacht,  was  durch  seine  Bewegung  bewegende 
Kraft  hat,  so  entspringt  daraus  der  mechanische  Be-  20 
griff  von  der  Quantität  der  Bewegung.  In  der  Pho- 
ronomie  aber  ist  es  nicht  tunlich,  sich  eine  Bewegung 
als  aus  vielen  außerhalb  einander  befindlichen  zu- 
sammengesetzt vorzustellen,  weil  das  Bewegliche,  da 
es  daselbst  ohne  alle  bewegende  Kraft  vorgestellt 
wird,  in  aller  Zusammensetzung  mit  mehreren  seiner 
Art  keinen  Unterschied  der  Größe  der  Bewegung  gibt, 
als  die  mithin  bloß  in  der  Geschwindigkeit  besteht. 
Wie  die  Quantität  der  Bewegung  eines  Körpers  zu 
der  eines  anderen,  so  verhält  sich  auch  die  Größe  30 
ihrer  Wirkung,  aber  wohl  zu  verstehen,  der  ganzen 
Wirkung.  Diejenige,  welche  bloß  die  Größe  eines  mit 
AViderstande  erfülleten  Raums  (z.  B.  die  Höhe,  zu  wel- 
cher ein  Körper  mit  einer  gewissen  Geschwindigkeit 
wider  die  Schwere  steigen,  oder  die  Tiefe,  zu  der 
derselbe  in  weiche  Materien  dringen  kann)  zum  Maße 
der  ganzen  Wirkung  annahmen,  brachten  ein  anderes 
Gesetz  der  bewegenden  Kräfte  bei  wirklichen  Be- 
wegungen heraus,  nämlich  das  des  zusammengesetzten 
Verhältnisses  aus  dem  der  Quantität  der  Materien  und  40 
der  Quadrate  ihrer  Geschwindigkeiten;  allein  sie  über- 
sahen die  Größe  der  Wirkung  in  der  gegebenen  Zeit, 


286     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

in  welcher  der  Körper  seinen  Raum  mit  kleinerer 
Geschwindigkeit  zurücklegt,  und  diese  kann  doch  allein 
das  Maß  einer,  durch  einen  gegebenen  gleichförmigen 
Widerstand  erschöpften  Bewegung  sein.  Es  kann  also 
auch  kein  Unterschied  zwischen  lebendigen  und  toten 
Kräften  stattfinden,  wenn  die  bewegende  Kräfte  mecha- 
nisch, d.  i.  als  diejenige,  die  die  Körper  haben,  sofern 
sie  selbst  bewegt  sind,  betrachtet  werden,  es  mag 
nun  die  Geschwindigkeit  ihrer  Bewegung  endlich  oder 

10  unendlich  klein  sein  (bloße  Bestrebung  zur  Bewegung); 
vielmehr  würde  man  weit  schicklicher  diejenigen  Kräfte, 
womit  die  Materie,  wenn  man  auch  von  ihrer  eigenen 
Bewegung,  auch  sogar  von  der  Bestrebung,  sich  zu 
bewegen,  gänzlich  abstrahiert,  in  andere  wirkt,  folg- 
lich die  ursprünglich  bewegende  Kräfte  der  Dynamik 
tote  Kräfte,  alle  mechanische  a),  d.  i.  durch  eigene  Be- 
wegung bewegende  Kräfte  dagegen  lebendige  Kräfte 
nennen  können,  ohne  auf  den  Unterschied  der  Ge- 
schwindigkeit zu  sehen,   deren   Grad  auch  unendlich 

20  klein  sein  darf,  wenn  ja  noch  diese  Benennungen  toter 
und  lebendiger  Kräfte  beibehalten  zu  werden  ver- 
dienten. 


Anmerkung. 

Wir  wollen,  um  Weitläuftigkeit  zu  vermeiden,  die 
Erläuterung  der  vorstehenden  drei  Sätze  in  einer  An- 
merkung  zusammenfassen. 

Daß  die  Quantität  der  Materie  nur  als  die  Menge 
des  Beweglichen  (außerhalb  einander)  könne  gedacht 
werden,  wie  die  Definition  es  aussagt,  ist  ein 
30  merkwürdiger  und  Fundamentalsatz  der  allgemeinen 
Mechanik.  Denn  dadurch  wird  angezeigt,  daß  Materie 
keine  andere  Größe  habe,  als  die,  welche  in  der 
Menge  des  Mannigfaltigen  außerhalb  einander 
besteht,  folglich  auch  keinen  Grad  der  bewegenden 
Kraft  mit  gegebener  Geschwindigkeit,  der  von  dieser 
Menge  unabhängig  wäre  und  bloß  als  intensive  Größe 
betrachtet  werden  könnte,  welches  allerdings  statt- 
finden  würde,    wenn    die    Materie   aus   Monaden    be- 


a)  „mechanisch"  A'  A"  korr.  A'". 


III.  Hauptstück.     Meclianik.  287 

stände,  deren  Realität  in  aller  Beziehung  einen  Grad 
haben  muß,  welcher  größer  oder  kleiner  sein  kann, 
ohne  von  einer  Menge  der  Teile  außer  einander  ab- 
zuhängen. Was  den  Begriff  der  Masse  in  ebender- 
selben Erklärung  betrifft,  so  kann  man  ihn  nicht, 
wie  gewöhnlich,  mit  dem  der  Quantität  für  einerlei 
halten.  Flüssige  Materien  können  durch  ihre  eigene 
Bewegung  in  Masse,  sie  können  aber  auch  im  Flusse  - 
wirken.  Im  sogenannten  Wasserhammer  wirkt  das 
anstoßende  Wasser  in  Masse,  d.  i.  mit  allen  seinen  10 
Teilen  zugleich;  eben  das  geschieht  auch  im  Wasser, 
welches,  in  einem  Gefäße  eingeschlossen,  durch  sein 
Gewicht  auf  die  Wagschale,  darauf  es  steht,  drückt. 
Dagegen  wirkt  das  Wasser  eines  Mühlbachs  auf  die 
Schaufel  des  unterschlägigen  Wasserrades  nicht  in 
Masse,  d.  i.  mit  allen  seinen  Teilen,  die  gegen  diese 
anlaufen,  zugleich,  sondern  nur  nacheinander.  Wenn 
also  hier  die  Quantität  der  Materie,  die,  mit  einer 
gewissen  Geschwindigkeit  bewegt,  die  bewegende  Kraft 
hat,  bestimmt  werden  soll,  so  muß  man  allererst  den  20 
Wasserkörper,  d.i.  diejenige  Quantität  der  Materie, 
die,  wenn  sie  in  Masse  mit  einer  gewissen  Geschwin- 
digkeit wirkt  (mit  ihrer  Schwere),  dieselbe  Wirkung 
hervorbringen  kann,  suchen.  Daher  versteht  man  auch 
gewöhnlich  unter  dem  Worte  Masse  die  Quantität  der 
Materie  eines  festen  Körpers  (das  Gefäß,  darin  ein 
Flüssiges  eingeschlossen  ist,  vertritt  auch  die  Stelle 
der  Festigkeit  desselben).  Was  endlich  den  Lehrsatz 
mit  dem  angehängten  Zusatz  zusammen  betrifft,  so 
liegt  darin  etwas  Befremdliches,  daß,  nach  dem  £0 
ersteren,  die  Quantität  der  Materie  durch  die  Quan- 
tität der  Bewegung  mit  gegebener  Geschwindigkeit, 
nach  dem  zweiten  aber  wiederum  die  Quantität  der 
Bewegung  (eines  Körpers,  denn  die  eines  Punkts  be- 
steht bloß  aus  dem  Grade  der  Geschwindigkeit),  bei 
derselben  Geschwindigkeit  durch  die  Quantität  der  be- 
wegten Materie  geschätzt  werden  müsse,  welches  im 
Zirkel  herum  zu  gehen  und  weder  von  einem,  noch 
dem  anderen  einen  bestimmten  Begriff  zu  versprechen 
scheint.  Allein  dieser  vermeinte  Zirkel  würde  es  wirk-  40 
lieh  sein,  wenn  er  eine  wechselseitige  Ableitung  zweier 
identischen  Begriffe  voneinander  wäre.    Nun  aber  ent- 


288     Meta])bysisclie  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

hält  er  nur  einerseits  die  Erklärung  eines  Begriffs, 
andererseits  die  der  Anwendung  desselben  auf  Er- 
fahrung. Die  Quantität  des  Beweglichen  im  Räume 
ist  die  Quantität  der  Materie;  aber  diese  Quantität 
der  Materie  (die  Menge  des  Beweglichen)  beweiset 
sich  in  der  Erfahrung  nur  allein  durch  die  Quantität 
der  Bewegung  bei  gleicher  Geschwindigkeit  (z.  B. 
durchs  Gleichgewicht). 

Noch  ist  zu  merken,  daß  die  Quantität  der  Materie 

10  die  Quantität  der  Substanz  im  Beweglichen  sei, 
folglich  nicht  die  Größe  einer  gewissen  Qualität  der- 
selben (der  Zurückstoßung  oder  Anziehung,  die  in  der 
Dynamik  angeführt  werden),  und  daß  das  Quantum 
der  Substanz  hier  nichts  anderes,  als  die  bloße  Menge 
des  Beweglichen  bedeute,  welches  die  Materie  aus- 
macht. Denn  nur  diese  Menge  des  Bewegten  kann 
bei  derselben  Geschwindigkeit  einen  Unterschied  in 
der  Quantität  der  Bewegung  geben.  Daß  aber  die 
bewegende  Kraft,  die  eine  Materie  in  ihrer  eigenen 

20  Bewegung  hat,  allein  die  Quantität  der  Substanz  be- 
weise, beruht  auf  dem  Begriffe  der  letzteren  als  dem 
letzten  Subjekt  (das  weiter  kein  Prädikat  von  einem 
andern  ist)  im  Räume,  welches  eben  darum  keine 
andere  Größe  haben  kann,  als  die  der  Menge  des 
Gleichartigen  außerhalb  einander.  Da  nun  die  eigene 
Bewegung  der  Materie  ein  Prädikat  ist,  welches  ihr 
Subjekt  (das  Bewegliche)  bestimmt,  und  an  einer  Ma- 
terie, als  einer  Menge  des  Beweglichen,  die  Vielheit 
der  bewegten  Subjekte  (bei  gleicher  Geschwindigkeit 

30  auf  gleiche  Art)  angibt,  welches  bei  dynamischen  Eigen- 
schaften, deren  Größe  auch  die  Größe  der  Wirkung 
von  einem  einzigen  Subjekte  sein  kann  (z.  B.  da  eift 
Luftteilchen  mehr  oder  weniger  Elastizität  haben 
kann),  nicht  der  Fall  ist,  so  erhellet  daraus,  wie  die 
Quantität  der  Substanz  an  einer  Materie  nur  mecha- 
nisch, d.  i.  durch  die  Quantität  der  eigenen  Bewegung 
derselben,  und  nicht  dynamisch,  durch  die  Größe  der 
ursprünglich  bewegenden  Kräfte,  geschätzt  werden 
müsse.     Gleichwohl    kann    die    ursprüngliche    An- 

40  Ziehung,  als  die  Ursache  der  allgemeinen  Gravita- 
tion, doch  ein  Maß  der  Quantität  der  Materie  und 
ihrer  Substanz  abgeben  (wie  das  wirklich  in  der  Ver- 


III.  Hauptstück.     Mechanik,  289 

gleichung  der  Materien  durch  Abwiegen  geschieht), 
obgleich  hier  nicht  eigene  Bewegung  der  anziehenden 
Materie,  sondern  ein  dynamisch  Maß,  nämlich  An- 
ziehungskraft, zum  Grunde  gelegt  zu  sein  scheint. 
Aber  weil  bei  dieser  Kraft  die  Wirkung  einer  Materie 
mit  allen  ihren  Teilen  unmittelbar  auf  alle  Teile  einer 
andern  geschieht,  und  also  (bei  gleichen  Entfernungen) 
offenbar  der  Menge  der  Teile  proportioniert  ist,  der 
ziehende  Körper  sich  dadurch  auch  selbst  eine  Ge- 
schwindigkeit der  eigenen  Bewegung  erteilt  (durch  10 
den  Widerstand  des  gezogenen),  welche,  in  gleichen 
äußeren  Umständen,  gerade  der  Menge  seiner  Teile 
proportioniert  ist,  so  geschieht  die  Schätzung  hier 
obzwar  nur  indirekt,  doch  in  der  Tat  mechanisch. 

Lehrsatz  2. 

Erstes  Gesetz  der  Mechanik.  Bei  allen 
Veränderungen  der  körperlichen  Natur  bleibt  die 
Quantität  der  Materie  im  Ganzen  dieselbe,  imver- 
mehrt  und  unvermindert. 

Beweis.  20 

(Aus  der  allgemeinen  Metaphysik  wird  der  Satz 
zum  Grunde  gelegt,  daß  bei  allen  Veränderungen  der 
Natur  keine  Substanz  weder  entstehe,  noch  vergehe, 
und  hier  wird  nur  dargetan,  was  in  der  Materie  die 
Substanz  sei.)  In  jeder  Materie  ist  das  Bewegliche 
im  Räume  das  letzte  Subjekt  aller  der  Materie 
inhärierenden  Akzidenzen,  und  die  Menge  dieses  Be- 
weglichen außerhalb  einander  die  Quantität  der  Sub- 
stanz. Also  ist  die  Größe  der  Materie,  der  Substanz 
nach,  nichts  anders,  als  die  Menge  der  Substanzen,  30 
daraus  sie  besteht.  Es  kann  also  die  Quantität  der 
Materie  nicht  vermehrt  oder  vermindert  werden,  als 
dadurch,  daß  neue  Substanz  derselben  entsteht  oder 
vergeht.  Nun  entsteht  und  vergeht  bei  allem  Wechsel 
der  Materie  die  Substanz  niemals;  also  wird  auch  die 
Quantität  der  Materie  dadurch  weder  vermehrt,  noch 
vermindert,  sondern  bleibt  immer  dieselbe,  und  zwar 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     1.  19 


290     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

im  Ganzen,  d.  i.  so,  daß  sie  irgend  in  der  Welt  in 
derselben  Quantität  fortdauert,  obgleich  diese  oder 
jene  Materie  durch  Hinzukunft  oder  Absonderung  der 
Teile   vermehrt  oder   vermindert  werden   kann. 

Anmerkung. 

Das  Wesentliche,  was  in  diesem  Beweise  diea)  Sub- 
stanz, die  nur  im  Räume  und  nach  Bedingungen  des- 
selben, folglich  als  Gegenstand  äußerer  Sinne  mög- 
lich  ist,    charakterisieret,   ist,   daß   ihre   Größe   nicht 

10  vermehrt  oder  vermindert  werden  kann,  ohne  daß 
Substanz  entstehe  oder  vergehe,  darum,  weil  alle  Größe 
eines  bloß  im  Raum  möglichen  Objekts  aus  Teilen 
außerhalb  einander  bestehen  muß,  diese  also,  wenn 
sie  real  (etwas  Bewegliches)  sind,  notwendig  Sub- 
stanzen sein  müssen.  Dagegen  kann  das,  was  als 
Gegenstand  des  inneren  Sinnes  betrachtet  wird,  als 
Substanz  eine  Größe  haben,  die  nicht  aus  Teilen 
außerhalb  einander  besteht,  deren  Teile  also  auch 
nicht  Substanzen  sind,  deren  Entstehen  oder  Vergehen 

20  folglich  auch  nicht  ein  Entstehen  oder  Vergehen  einer 
Substanz  sein  darf,  deren  Vermehrung  oder  Verminde- 
rung daher,  dem  Grundsatze  von  der  Beharrlichkeit 
der  Substanz  unbeschadet,  möglich  ist.  So  hat  näm- 
lich das  Bewußtsein,  mithin  die  Klarheit  der  Vor- 
stellungen meiner  Seele,  und,  derselben  zufolge,  auch 
das  Vermögen  des  Bewußtseins,  die  Apperzeption,  mit 
diesem  aber  selbst  die  Substanz  der  Seele  einen  Grad, 
der  größer  oder  kleiner  werden  kann,  ohne  daß  irgend- 
eine Substanz  zu   diesem   Behuf  entstehen  oder  ver- 

30  gehen  dürfte.  Weil  aber  bei  allmählicher  Verminde- 
rung dieses  Vermögens  der  Apperzeption  endlich  ein 
gänzliches  Verschwinden  derselben  erfolgen  müßte, 
so  würde  doch  selbst  die  Substanz  der  Seele  einem 
allmähligen  Vergehen  unterworfen  sein,  ob  sie  schon 
einfacher  Natur  wäre,  weil  dieses  Verschwinden  ihrer 
Grundkraft  nicht  durch  Zerteilung  (Absonderung  der 
Substanz  von  einem  Zusammengesetzten),  sondern 
gleichsam  durch  Erlöschen,  und  auch  dieses  nicht  in 


a)  „der"  A'  A"  A'"  korr.  Hartenstein. 


III.  Hauptstück.     Mechanik.  291 

einem  Augenblicke,  sondern  durch  allmählige  Nach- 
lassung des  Grades  derselben,  es  sei  aus  welcher 
Ursache  es  wolle,  erfolgen  könnte.  Das  Ich,  das 
allgemeine  Korrelat  der  Apperzeption  und  selbst  bloß 
ein  Gedanke,  bezeichnet,  als  ein  bloßes  Vorwort,  ein 
Ding  von  unbestimmter  Bedeutung,  nämlich  das  Sub- 
jekt aller  Prädikate,  ohne  irgendeine  Bedingung,  die 
diese  Vorstellung  des  Subjekts  von  dem  eines  Etwas 
überhaupt  unterschiede,  also  Substanz,  von  der  man, 
was  sie  sei,  durch  diesen  Ausdruck  keinen  Begriff  10 
hat.  Dagegen  der  Begriff  einer  Materie  als  Substanz 
der  Begriff  des  Beweglichen  im  Räume  ist.  Es  ist 
daher  kein  Wunder,  wenn  von  der  letzteren  die  Be- 
harrlichkeit der  Substanz  bewiesen  werden  kann,  von 
der  ersteren  aber  nicht,  weil  bei  der  Materie  schon 
aus  ihrem  Begriffe,  nämlich  daß  sie  das  Beweg- 
liche sei,  das  nur  im  Räume  möglich  ist,  fließt,  daß 
das,  was  in  ihr  Größe  hat,  eine  Vielheit  des  Realen 
außer  einander,  mithin  der  Substanzen,  enthalte, 
und  folglich  die  Quantität  derselben  nur  durch  Zer-  20 
teilung,  welche  kein  Verschwinden  ist,  vermindert  wer- 
den könne,  und  das  letztere  in  ihr  nach  dem  Gesetze 
der  Stetigkeit  auch  unmöglich  sein  würde.  Der  Ge- 
danke Ich  ist  dagegen  gar  kein  Begriff,  sondern 
nur  innere  Wahrnehmung,  aus  ihm  kann  also  auch 
gar  nichts  (außer  der  gänzliche  Unterschied  eines 
Gegenstandes  des  inneren  Sinnes  von  dem,  was  bloß 
als  Gegenstand  äußerer  Sinne  gedacht  wird),  folglich 
auch  nicht  die  Beharrlichkeit  der  Seele,  als  Substanz, 
gefolgert  werden.  30 


Lehrsatz  3. 

Zweites  Gesetz  der  Mechanik.  Alle  Ver- 
änderung der  Materie  hat  eine  äußere  Ursache. 
(Ein  jeder  KörjDer  beharrt  in  seinem  Zustande  der 
Ruhe  oder  Bewegung,  in  derselben  Richtung  und 
mit  derselben  Geschwindigkeit,  wenn  er  nicht  durch 
eine  äußere  Ursache  genötigt  wird,  diesen  Zustand 
zu  verlassen). 

19* 


292     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Xaturwissenschaft. 

Beweis. 

(Aus  der  allgemeinen  Metaphysik  wird  der  Satz 
zum  Grunde  gelegt,  daß  alle  Veränderung  eine  Ur- 
sache habe;  hier  soll  von  der  Materie  nur  bewiesen 
werden,  daß  ihre  Veränderung  jederzeit  eine  äußere 
Ursache  haben  müsse.)  Die  Materie,  als  bloßer  Gegen- 
stand äußerer  Sinne,  hat  keine  andere  Bestimmungen, 
als  die  der  äußeren  Verhältnisse  im  Räume,  und  er- 
leidet also  auch  keine  Veränderungen,  als  durch  Be-. 
10  wegung.  In  Ansehung  dieser,  als  Wechsels  einer 
Bewegung  mit  einer  andern,  oder  derselben  mit  der 
Ruhe,  und  umgekehrt,  muß  eine  Ursache  derselben 
angetroffen  werden  (nach  Prinz,  der  Metaph.).  Diese 
Ursache  aber  kann  nicht  innerlich  sein,  denn  die 
Materie  hat  keine  schlechthin  innere  Bestimmungen 
und  Bestimmungsgründe.  Also  ist  alle  Veränderung 
einer  Materie  auf  äußere  Ursache  gegründet  (d.  i.  ein 
Körper  beharrt  usw.). 

Anmerkung. 

20  Dieses  mechanische  Gesetz  muß  allein  das  Gesetz 
der  Trägheit  (lex  inert iae)  genannt  werden;  das  Ge- 
setz der  einer  jeden  Wirkung  entgegengesetzten  glei- 
chen Gegenwirkung  kann  diesen  Namen  nicht  führen. 
Denn  dieses  sagt,  was  die  Materie  tut,  jenes  aber 
nur,  was  sie  nicht  tut,  welches  dem  Ausdrucke  der 
Trägheit  besser  angemessen  ist.  Die  Trägheit  der 
Materie  ist  und  bedeutet  nichts  anders,  als  ihre  Leb- 
losigkeit, als  Materie  an  sich  selbst.  Leben  heißt 
das    Vermögen    einer    Substanz,    sich    aus    einem 

30  inneren  Prinzip  zum  Handeln,  einer  endlichen 
Substanz  sich  zur  Veränderung,  und  einer  mate- 
riellen Substanz  sich  zur  Bewegung  oder  Ruhe, 
als  Veränderung  ihres  Zustandes,  zu  bestimmen.  Nun 
kennen  wir  kein  anderes  inneres  Prinzip  einer  Sub- 
stanz, ihren  Zustand  zu  verändern,  als  das  Begehren, 
und  überhaupt  keine  andere  innere  Tätigkeit,  als  Den- 
ken, mit  dem,  Avas  davon  abhängt,  Gefühl  der  Lust 
oder  Unlust  und  Begierde  oder  Willen.  Diese  Be- 
stimmungsgründe aber  und  Handlungen  gehören  gar 


III.  Hauptstück,     Mechanik.  293 

nicht  ZU  den  Vorstellungen  äußerer  Sinne  und  also 
auch  nicht  zu  den  Bestimmungen  der  Materie  als 
Materie.  Also  ist  alle  Materie  als  solche  leblos. 
Das  sagt  der  Satz  der  Trägheit,  und  nichts  mehr. 
Wenn  wir  die  Ursache  irgendeiner  Veränderung  der 
Materie  im  Leben  suchen,  so  werden  wir  es  auch 
sofort  in  einer  anderen,  von  der  Materie  verschie- 
denen, obzwar  mit  ihr  verbundenen  Substanz  zu  suchen 
haben.  Denn  in  der  Naturkenntnis  ist  es  nötig,  zuvor 
die  Gesetze  der  Materie  als  einer  solchen  zu  kennen  lo 
und  sie  von  dem  Beitritte  aller  anderen  wirkenden 
Ursachen  zu  läutern,  ehe  man  sie  damit  verknüpft, 
um  wohl  zu  unterscheiden,  was  und  wie  jede  der- 
selben für  sich  allein  wirke.  Auf  dem  Gesetze  der 
Trägheit  (neben  dem  der  Beharrlichkeit  der  Substanz) 
beruht  die  Möglichkeit  einer  eigentlichen  Naturwissen- 
schaft ganz  und  gar.  Das  Gegenteil  des  erstem, 
und  daher  auch  der  Tod  aller  Naturphilosophie,  wäre 
der  Hylozoism.  Aus  ebendemselben  Begriffe  der 
Trägheit,  als  bloßer  Leblosigkeit,  fließt  von  selbst,  20 
daß  sie  nicht  ein  positives  Bestreben,  seinen  Zu- 
stand zu  erhalten,  bedeute.  Nur  lebende  Wesen  wer- 
den in  diesem  letzteren  Verstände  trag  genannt,  weil 
sie  eine  Vorstellung  von  einem  anderen  Zustande  haben, 
den  sie  verabscheuen,  und  ihre  Kraft  dagegen  an- 
strengen. 

Lehrsatz  4. 

Drittes  mechanisches  Gesetz.  In  aller 
Mitteilung  der  Bewegung  sind  Wirkung  und  Gegen- 
wirkung einander  jederzeit  gleich.  30 

Beweis. 

(Aus  der  allgemeinen  Metaphysik  muß  der  Satz 
entlehnt  werden,  daß  alle  äußere  Wirkung  in  der 
Welt  Wechselwirkung  sei.  Hier  soll,  um  in  den 
Schranken  der  Mechanik  zu  bleiben,  nur  gezeigt  wer- 
den, daß  diese  Wechselwirkung  (actio  mutua)  zugleich 
Gegenwirkung  (rcactiG)  sei;  allein  ich  kann,  ohne 


294     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

der  Vollständigkeit  der  Einsicht  Abbruch  zu  tun,  jenes 
metaphysische  Gesetz  der  Gemeinschaft  hier  doch  nicht 
ganz  weglassen.)  Alle  tätige  Verhältnisse  der  Ma- 
terien im  Räume  und  alle  Veränderungen  dieser  Ver- 
hältnisse, sofern  sie  Ursachen  von  gewissen  Wir- 
kungen sein  können,  müssen  jederzeit  als  wechsel- 
seitig vorgestellt  werden,  d.  i.  weil  alle  Veränderung 
derselben  Bewegung  ist,  so  kann  keine  Bewegung  eines 
Körpers  in  Beziehung  auf  einen  absolut-ruhigen, 

10  der  dadurch  auch  in  Bewegung  gesetzt  werden  soll, 
gedacht  werden,  vielmehr  muß  dieser  nur  als  relativ- 
ruhig in  Ansehung  des  Raums,  auf  den  man  ihn  be- 
zieht, zusamt  diesem  Räume  aber  in  entgegengesetzter 
Richtung  als  mit  ebenderselben  Quantität  der  Bewegung 
im  absoluten  Räume  bewegt  vorgestellt  werden,  als  der 
bewegte  in  ebendemselben  gegen  ihn  hat.  Denn  die 
Veränderung  des  Verhältnisses  (mithin  die  Bewegung) 
ist  zwischen  beiden  durchaus  wechselseitig;  so  viel  der 
eine  Körper  jedem  Teile  des  anderen  näher  kommt, 

20  so  viel  nähert  sich  der  andere  jedem  Teil  des  ersteren; 
und  weil  es  hier  nicht  auf  den  empirischen  Raum,  der 
beide  Körper  umgibt,  sondern  nur  auf  die  Linie,  die 
zwischen  ihnen  liegt,  ankommt  (indem  diese  Körper 
lediglich  in  Relation  aufeinander,  nach  dem  Einflüsse, 
den  die  Bewegung  des  einen  auf  die  Veränderung  des 
Zustandes  des  anderen,  mit  Abstraktion  von  aller  Rela- 
tion zum  empirischen  Räume,  haben  kann,  betrachtet 
werden),  so  wird  ihre  Bewegung  als  ibloß  im  absoluten 
Räume  bestimmbar  betrachtet,  in  welchem  jeder  der 

30  beiden  Körper  an  der  Bewegung,  die  dem  einen  im 
relativen  Räume  beigelegt  wird,  gleichen  Anteil  haben 
muß,  indem  kein  Grund  da  ist,  einem  von  beiden 
mehr  davon,  als  dem  anderen,  beizulegen.  Auf  diesem 
Fuß  wird  die  Bewegung  eines  Körpers  A  gegen  einen 
anderen  ruhigen  B,  in  Ansehung  dessen  er  dadurch 
bewegend  sein  kann,  auf  den  absoluten  Raum  redu- 
ziert, d.  i.  als  Verhältnis  wirkender  Ursachen  bloß 
aufeinander  bezogen,  so  betrachtet,  wie  beide  an  der 
Bewegung,  welche  in  der  Erscheinung  dem  Körper  A 

40  allein  beigelegt  wird,  gleichen  Anteil  haben;  welches 
nicht  anders  geschehen  kann,  als  so,  daß  die  Ge- 
schwindigkeit, die  im  relativen  Räume  bloß  dem  Kör- 


III.  Hauptstück.     Mechanik.  295 

per  Ä  beigelegt  wird,  unter  A  und  B  in  umgekehrtem 
Verhältnis  der  Massen,  dem  A  allein  die  seinige  im 
absoluten  Räume,  dem  B  dagegen  zusamt  dem  rela- 
tiven Räume,  worin  er  ruht,  in  entgegengesetzter 
Richtung  ausgeteilt  werde,  wodurch  dieselbe  Erschei- 
nung der  Bewegung  vollkommen  beibehalten,  die  Wir- 
kung aber  in  der  Gemeinschaft  beider  Körper  auf 
folgende  Art  konstruiert  wird. 


? ^-€) 


B 

Es  sei  ein  Körper  A  mit  einer  Geschwindigkeit  = 
AB  in  Ansehung  des  relativen  Raumes  gegen  den  10 
Körper  B,  der  in  Ansehung  ebendesselben  Raums 
ruhig  ist,  im  Anlaufe.  Man  teile  die  Geschwindig- 
keit AB  in  zwei  Teile,  Ae  und  Bc,  die  sich  umge- 
kehrt wie  die  Massen  B  und  A  gegeneinander  ver- 
halten, und  stelle  sich  A  mit  der  Geschwindigkeit  Ac 
im  absoluten  Räume,  B  aber  mit  der  Geschwindigkeit 
Bc  in  entgegengesetzter  Richtung  zusamt  dem  rela- 
tiven Räume  bewegt  vor:  so  sind  beide  Bewegungen 
einander  entgegengesetzt  und  gleich,  und  da  sie  ein- 
ander wechselseitig  aufheben,  so  versetzen  sich  beide  20 
Körper  beziehungsweise  aufeinander,  d.  i.  im  abso- 
luten Räume,  in  Ruhe.  Nun  war  aber  B  mit  der 
Geschwindigkeit  Bc  in  der  Richtung  BA,  die  der  des 
Körpers  A,  nämlich  AB,  gerade  entgegengesetzt  ist, 
zusamt  dem  relativen  Räume  in  Bewegung.  Wenn 
also  die  Bewegung  des  Körpers  B  durch  den  Stoß 
aufgehoben  wird,  so  wird  darum  doch  die  Bewegung 
des  relativen  Raums  nicht  aufgehoben.  Also  bewegt 
sich  nach  dem  Stoße  der  relative  Raum  in  An- 
sehung beider  Körper  A  und  B  (die  nunmehr  im  30 
absoluten  Räume  ruhen)  in  der  Richtung  BA  mit 
der  Geschwindigkeit  Bc,  oder,  welches  einerlei  ist, 
beide  Körper  bewegen  sich  nach  dem  Stoße  mit  glei- 
cher Geschwindigkeit  Bd  =  Bc  in  der  Richtung  des 
stoßenden  AB.  Nun  ist  aber,  nach  dem  vorigen,  die 
Quantität  der  Bewegung  des  Körpers  B  in  der  Rich- 
tung und  mit  der  Geschwindigkeit  Bc,  mithin  auch  die 


296     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

in  der  Richtung  Bd  mit  derselben  Geschwindigkeit, 
der  Quantität  der  Bewegung  des  Körpers  A  mit  der 
Geschwindigkeit  und  in  der  Richtung  Äc  gleich;  folg- 
lich ist  die  Wirkung,  d.  i.  die  Bewegung  Bd,  die  der 
Körper  B  durch  den  Stoß  im  relativen  Räume  erhält, 
und  also  auch  die  Handlung  des  Körpers  A  mit  der 
Geschwindigkeit  Ac  der  Gegenwirkung  Bc  jederzeit 
gleich.  Da  ebendasselbe  Gesetz  (wie  die  mathema- 
tische   Mechanik    lehrt)    keine    Abänderung    erleidet, 

10  wenn,  anstatt  des  Stoßes  auf  einen  ruhigen,  ein  Stoß 
desselben  Körpers  auf  einen  gleichfalls  bewegten 
Körper  angenommen  wird,  imgleichen  die  Mitteilung 
der  Bewegung  durch  den  Stoß  von  der  durch  den 
Zug  nur  in  der  Richtung,  nach  welcher  die  Materien 
einander  in  ihren  Bewegungen  widerstehen,  unter- 
schieden ist,  so  folgt,  daß  in  aller  Mitteilung  der 
Bewegung  Wirkung  und  Gegenwirkung  einander 
jederzeit  gleich  sein;  (daß  jeder  Stoß  nur  vermittelst 
eines  gleichen  Gegenstoßes,  jeder  Druck  vermittelst 

20  eines  gleichen  Gegendrucks,  imgleichen  jeder  Zug  nur 
durch  einen  gleichen  Gegenzug  die  Bewegung  eines 
Körpers   dem   andern   mitteilen   könne)*). 


*)  In  der  Phoronomie,  da  die  Bewegung  eines  Körpers 
bloß  in  Ansehung  des  Raums,  als  Veränderung  der  Relation 
in  demselben,  betrachtet  wurde,  war  es  ganz  gleichgültig, 
ob  ich  dem  Körper  im  Räume,  oder  anstatt  dessen  dem  rela- 
tiven Räume  eine  gleiche,  aber  entgegengesetzte  Bewegung 
zugestehen  wollte;  beides  gab  völlig  einerlei  Erscheinung.  Die 
Quantität  der  Bewegung  des  Raums  war  bloß  die  Geschwin- 
digkeit, und  daher  die  des  Körpers  gleichfalls  nichts,  als 
seine  Geschwindigkeit  (weswegen  er  als  ein  bloßer  beweg- 
licher Punkt  betrachtet  werden  konnte).  In  der  Mechanik 
aber,  da  ein  Körj>er  in  Bewegung  gegen  einen  andern  be- 
trachtet wird,  gegen  den  er  durch  seine  Bewegung  ein 
Kausalverhältnis  hat,  nämlich  das,  ihn  selbst  zu  be- 
wegen, indem  er»)  entweder  bei  seiner  Annäherung  durch  die 
Kraft  der  Undurchdringlichkeit,  oder  seiner  Entfernung  durch 
die  Kraft  der  Anziehung  mit  ihm  in  Gemeinschaft  kommt, 
da  ist  es  nicht  mehr  gleichgültig,  ob  ich  einem  dieser  Körper, 
oder  dem  Räume  eine  entgegengesetzte  Bewegung  zueignen 
will.    Denn  nunmehro  kommt  ein  anderer  Begriff  der  Quan- 

a)  ,,es"  A'  A"  A'". 


III.  Hauptstück.     Mechanik.  297 

Zusatz  1. 

Hieraus  folgt  das  für  die  allgemeine  Mechanik 
nicht  unwichtige  Naturgesetz:  daß  ein  jeder  Körper, 
wie  groß  auch  seine  Masse  sei,  durch  den  Stoß  eines 
jeden  anderen,  wie  klein  auch  seine  Masse  oder  Ge- 
schwindigkeit sein  mag,  beweglich  sein  müsse. 
Denn  der  Bewegung  von  Ä  in  der  Richtung  AB 
korrespondiert  notwendiger  Weise  eine  entgegen- 
gesetzte gleiche  Bewegung  von  B  in  der  Richtung 
BA.  Beide  Bewegungen  heben  durch  den  Stoß  ein-  10 
ander  im  absoluten  Räume  auf.  Dadurch  aber  er- 
halten beide  Körper  eine  Geschwindigkeit  Bd  =  Bc 
in  der  Richtung  des  stoßenden;  folglich  ist  der 
Körper  B  für  jede  noch  so  kleine  Kraft  des  An- 
stoßes beweglich. 

tität  der  Bewegung  ins  Spiel,  nämlich  nicht  derjenigen,  die 
bloß  in  Ansehung  des  Raumes  gedacht  wird  und  allein  in 
der  Geschwindigkeit  besteht,  sondern  derjenigen,  wobei  zu- 
gleich die  Quantität  der  Substanz  (als  bewegende  Ursache) 
in  Anschlag  gebracht  werden  niuU,  und  es  ist  hier  nicht 
mehr  beliebig,  sondern  notwendig,  jeden  der  beiden 
Körper  als  bewegt  anzunehmen,  und  zwar  mit  gleicher  Quan- 
tität der  Bewegung  in  entgegengesetzter  Eichtung;  wenn 
aber  der  eine  relative  in  Ansehung  des  Raumes  in  Ruhe  ist, 
ihm  die  erfoderliche  Bewegung  zusamt  dem  Räume 
beizulegen.  Denn  einer  kann  auf  den  anderen  durch  seine 
eigene  Bewegung  nicht  wirken,  als  entweder  bei  der  An- 
näherung vermittelst  der  Zui'ückstoßungskraft,  oder  bei  der 
Entfernung  vermittelst  der  Anziehung.  Da  beide  Kräfte 
nun  jederzeit  beiderseitig  in  entgegengesetzten  Richtungen 
und  gleich  wirken,  so  kann  kein  Körper  vermittelst  ihrer 
durch  seine  Bewegung  auf  einen  anderen  wirken  ohne  gerade 
so  viel,  als  der  andere  mit  gleicher  Quantität  der  Bewegung 
entgegenwirkt.  Also  kann  kein  Körper  einem  schlechthin- 
ruhigen durch  seine  Bewegung  Bewegung  erteilen,  son- 
dern dieser  muß  gerade  mit  derselben  Quantität  der  Be- 
wegung (zusamt  dem  Räume)  in  entgegengesetzter  Richtung 
bewegt  sein,  als  diejenige  ist,  die  er  durch  die  Bewegung 
des  ersteren  und  in  der  Richtung  desselben  erhalten  soll.  — 
Der  Leser  wird  leicht  inne  werden,  daß,  unerachtet  des 
etwa  Ungewöhnlichen,  welches  diese  Vorstellungsart  der 
Mitteilung  der  Bewegung  an  sich  hat,  sie  sich  dennoch  in 
das  helleste  Licht  stellen  lasse,  wenn  man  die  Weitläuftig- 
keit  der  Erläuterung  nicht  scheuet. 


298     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Natiirwissenschaft. 

Zusatz  2. 

Dies  ist  also  das  mechanische  Gesetz  der 
Gleichheit  der  Wirkung  und  Gegenwirkung,  welches 
darauf  .beruht,  daß  keine  Mitteilung  der  Bewegung 
stattfinde,  außer  sofern  eine  Gemeinschaft  dieser 
Bewegungen  vorausgesetzt  wird,  daß  also  kein  Körper 
einen  anderen  stoße,  der  in  Ansehung  seiner  ruhig 
ist,  sondern,  ist  dieser  es  in  Ansehung  des  Raums, 
nur  sofern  er  zusamt  diesem  Räume  in  gleichem 

10  Maße  aber  in  entgegengesetzter  Richtung  bewegt^), 
mit  der  Bewegung,  die  alsdenn  dem  ersteren  zu  seinem 
relativen  Anteil  fällt,  zusammen,  allererst  die  Quan- 
tität der  Bewegung  gebe,  die  wir  dem  ersten  im 
absoluten  Räume  beilegen  würden.  Denn  keine  Be- 
wegung, die  in  Ansehung  eines  anderen  Körpers 
bewegend  sein  soll,  kann  absolut  sein;  ist  sie  aber 
relativ  in  Ansehung  des  letzteren,  so  gibt's  keine 
Relation  im  Räume,  die  nicht  wechselseitig  und  gleich 
sei.   — ■  Es  gibt  aber  noch  ein  anderes,   nämlich  ein 

20  dynamisches  Gesetz  der  Gleichheit  der  Wirkung 
und  Gegenwirkung  der  Materien,  nicht  sofern  eine 
der  anderen  ihre  Bewegung  mitteilt,  sondern  dieser 
ursprünglich  erteilt  und  durch  deren  Widerstreben 
zugleich  in  sich  hervorbringt.  Diese  läßt  sich  auf 
ähnliche  Art  leicht  dartun.  Denn  wenn  die  Materie  A 
die  Materie  B  zieht,  so  nötigt  sie  diese,  sich  ihr  zu 
nähern,  oder,  welches  einerlei  ist,  jene  widersteht 
der  Kraft,  womit  diese  sich  zu  entfernen  trachten 
möchte.    Weil  es  aber  einerlei  ist,  ob  B  sich  von  A, 

30  oder  A  von  B  entferne,  so  ist  dieser  Widerstand  zu- 
gleich ein  Widerstand,  den  der  Körper  B  gegen  A 
ausübt,  sofern  er  sich  von  ihm  zu  entfernen  trachten 
möchte,  mithin  sind  Zug  und  Gegenzug  einander  gleich. 
Ebenso,  wenn  A  die  Materie  B  zurückstößt,  so  wider- 
steht A  der  Annäherung  von  B.  Da  es  aber  einerlei 
ist,  ob  sich  B  dem  A,  oder  A  dem  B  nähere,  so 
widersteht  B  auch  ebenso  viel  der  Annäherung  von 
A;  Druck  und  Gegendruck  sind  also  auch  jederzeit 
einander  gleich. 


a)  Harteusteiu  „sich  bewegt". 


III.  Hauptstück.     Mechanik.  299 

Anmerkung  1. 

Dies  ist  also  die  Konstruktion  der  Mitteilung  der 
Bewegung,  welche  zugleich  das  Gesetz  der  Gleichheit 
der  Wirkung  und  Gegenwirkung,  als  notwendige  Be- 
dingung derselben  bei  sich  führet,  welches  Newton 
sich  gar  nicht  getrauete  a  priori  zu  beweisen,  sondern 
sich  deshalb  auf  Erfahrung  berief,  welchem  zu  Ge- 
fallen andere  eine  besondere  Kraft  der  Materie,  unt^r 
dem  von  Keplern  zuerst  angeführten  Namen  der 
Trägheitskraft  (vis  inertiae),  in  der  Naturwissen-  10 
Schaft  einführe ten  und  also  im  Grunde  es  auch  von 
Erfahrung  ableiteten,  endlich  noch  andere  in  dem  Be- 
griffe einer  bloßen  Mitteilung  der  Bewegung  setzten, 
welche  sie  wie  einen  allmählichen  Übergang  der  Be- 
wegung des  einen  Körpers  in  den  andern  ansahen, 
wobei  der  bewegende  gerade  so  viel  einbüßen  müsse, 
als  er  dem  bewegten  erteilt,  bis  er  dem  letzteren 
keine  weiter  eindrückt  (wenn  er  nämlich  mit  diesem 
schon  bis  zur  Gleichheit  der  Geschwindigkeit  in  der- 
selben   Richtung    gekommen    ist*);    wodurch    sie    im  20 


*)  Die  Gleichheit  der  Wirkung-  mit  der  in  diesem  Falle 
fälschlich  sogenannten  Gegenwirkung  kommt  ebensowohl 
heraus,  wenn  man  bei  der  Hyi^othese  der  Transfusion  der 
Bewegungen  aus  einem  Körjjer  in  den  anderen  den  bewegten 
Körjjer  A  dem  ruhigen  in  einem  Augenblicke  seine  ganze 
Bewegung  überliefern  läßt,  so,  daß  er  nach  dem  Stoße 
selber  ruhe,  welcher  Fall  unausbleiblich  war,  sobald  man 
beide  Körper  als  absolut-hart  (welche  Eigenschaft  von 
der  Elastizität  unterschieden  werden  muß)  dachte.  Da  dieses 
Bewegungsgesetz  aber  weder  mit  der  Erfahrung,  noch  mit 
sich  selbst  in  der  Anwendung  zusammenstimmen  wollte,  so 
wußte  man  sich  nicht  anders  zu  helfen,  als  dadurch,  daß 
man  die  Existenz  absolut  harter  Köi-per  leugnete,  welches 
so  viel  hieß,  als  die  Zufälligkeit  dieses  Gesetzes  zugestehen, 
indem  es  auf  der  besonderen  Qualität  der  Materien»)  beruhen 
sollte,  die  einander  bewegen.  In  unserer  Darstellung  dieses 
Gesetzes  ist  es  dagegen  ganz  einerlei,  ob  man  die  Köi'per, 
die  einander  stoßen ,  absolut-hart  oder  nicht  denken  will. 
AVie  aber  die  Transfusionisten  der  Bewegung  die  Be- 
wegung elastischer  Körper  durch  den  Stoß  nach  ihrer 
Art  erklären  wollen,  ist  mir  ganz  unbegreiflich.     Denn  das 

a)  „Materie"  A'  A"  A'"  korr.  Hartenstein. 


300     Metapliysisclie  Anfangsgründe  der  Xaturwissenschaft. 

Grunde  alle  Gegenwirkung  aufhoben,  d.  i.  alle  wirk- 
lich entgegenwirkende  Kraft  des  gestoßenen  gegen 
den  stoßenden  (der  etwa  vermögend  wäre,  eine  Spring- 
feder zu  spannen),  und  außerdem,  daß  sie  das  nicht 
beweisen,  was  in  dem  genannten  Gesetze  eigentlich 
gemeint  ist,  die  Mitteilung  der  Bewegung  selbst 
ihrer  Möglichkeit  nach  gar  nicht  erklärten.  Denn  der 
Name  vom  Übergang  der  Bewegung  von  einem 
Körper    auf    den    andern    erklärt    nichts,    und    wenn 

10  man  ihn  nicht  etwa  (dem  Grundsatze:  aeeidetitia  non 
Diigrant  e  siihstantiis  in  suhstantlas*)  zuwider)  buch- 
stäblich nehmen  will,  als  wenn  Bewegung  von  einem 
Körper  in  einen  anderen,  wie  Wasser  aus  einem  Glase 
in  das  andere,  gegossen  würde,  so  ist  es  hier  eben 
die  Aufgabe,  wie  diese  Möglichkeit  begreiflich  zu 
machen  sei,  deren  Erklärung  nun  gerade  auf  dem- 
selben Grunde  beruht,  woraus  das  Gesetz  der  Gleich- 
heit der  Wirkung  und  Gegenwirkung  abgeleitet  wird. 
Man  kann  sich  gar  nicht  denken^  wie  die  Bewegung 

20  eines  Körpers  A  mit  der  Bewegung  eines  anderen  B 
notwendig  verbunden  sein  müsse,  als  so,  daß  man 
sich  Kräfte  an  beiden  denkt,  die  ihnen  (dynamisch) 
vor  aller  Bewegung  zukommen,  z.  B.  Zurückstoßung, 
und  nun  beweisen  kann,  daß  die  Bewegung  des  Kör- 
pers A  durch  Annäherung  gegen  B  mit  der  An- 
näherung von  B  gegen  ^1,  und,  wenn  B  als  ruhig 
angesehen  wird,  mit  der  Bewegung  desselben  zusamt 
seinem  Räume  gegen  A  notwendig  verbunden  sei, 
sofern    die»)    Körper    mit    ihren    (ursprünglich)    be- 

30   wegenden   Kräften   bloß   relativ   aufeinander   in   Be- 


ist  klar,  daß  der  ruhende  Körper  nicht  als  bloß  ruhend 
Bewegung  bekomme,  die  der  stoßende  einbüßt,  sondern  daß 
er  im  Stoße  -wirkliche  Kraft  in  entgegengesetzter  Kichtung 
gegen  den  stoßenden  ausübe,  um  gleichsam  die  Feder 
zwischen  beiden  zusammenzudrücken,  welches  von  seiner 
Seite  ebensowohl  wirkliche  Bewegung  (aber  in  entgegen- 
gesetzter Richtung)  erfodert,  als  der  bewegende  Kör^ier 
seinerseits  dazu  nötig  hat. 

*)  „Die  Akzidenzen   wandern    nicht    aus    einer  Substanz 
in  die  andere". 


a)   ,.ein"  A'  A"  A'"  korr.  Hartenstein. 


III.  Hauptstück.     Mechanik.  30I 

wegung  betrachtet  werden.  Dieses  letztere  kann  völlig 
a  priori  dadurch  eingesehen  werden,  daß,  es  mag  nun 
der  Körper  B  in  Ansehung  des  empirisch  kennbaren 
Raumes  ruhig  oder  bewegt  sein,  er  doch  in  Ansehung 
des  Körpers  A  notwendig  als  bewegt,  und  zwar  in  ent- 
gegengesetzter Richtung  als  bewegt  angesehen  werden 
müsse;  weil  sonst  kein  Einfluß  desselben  auf  die 
repulsive  Kraft  beider  stattfinden  würde,  ohne  welchen 
ganz  und  gar  keine  mechanische  Wirkung  der  Mate- 
rien aufeinander,  d.  i.  keine  Mitteilung  der  Bewegung  10 
durch  den  Stoß  möglich  ist. 

Anmerkung  2. 

Die  Benennung  der  Trägheitskraft  (vis  inertiae) 
muß  also,  unerachtet  des  berühmten  Namens  ihres 
Urhebers,  aus  der  Naturwissenschaft  gänzlich  weg- 
geschafft werden,  nicht  allein  weil  sie  einen  Wider- 
spruch im  Ausdrucke  selbst  bei  sich  führt,  oder  auch 
deswegen,  weil  das  Gesetz  der  Trägheit  (Leblosigkeit) 
dadurch  leicht  mit  dem  Gesetze  der  Gegenwirkung 
in  jeder  mitgeteilten  Bewegung  verwechselt  werden  20 
könnte,  sondern  vornehmlich  weil  dadurch  die  irrige 
Vorstellung  derer,  die  der  mechanischen  Gesetze  nicht 
recht  kundig  sind,  erhalten  und  bestärkt  wird,  nach 
welcher  die  Gegenwirkung  der  Körper,  von  der  unter 
dem  Namen  der  Trägheitskraft  die  Rede  ist,  darin 
bestehe,  daß  die  Bewegung  dadurch  in  der  Welt  auf- 
gezehrt, vermindert  oder  vertilgt,  nicht  aber  die  bloße 
Mitt-eilung  derselben  dadurch  bewirkt  werde,  indem 
nämlich  'der  bewegende  Körper  einen  Teil  seiner  Be- 
wegung bloß  dazu  aufwenden  müßte,  um  die  Trägheit  30 
des  ruhenden  zu  überwinden  (welches  denn  reiner 
Verlust  wäre);  mit  dem  übrigen  Teile  allein  könne ") 
er  den  letzteren  in  Bewegung  setzen;  bliebe  ihm  aber 
nichts  übrig,  so  würde  er  durch  seinen  Stoß  den 
letzteren,  seiner  großen  Masse  wegen,  gar  nicht  in 
Bewegung  bringen.  Einer  Bewegung  kann  nichts 
widerstehen,  als  entgegengesetzte  Bewegung  eines 
anderen,  keineswegs  aber  dessen  Ruhe.  Hier  ist  also 
nicht  Trägheit  der  Materie,  d.  i.  bloßes  Unvermögen, 

a)  Hartenstein  „könnte". 


302     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

sich  von  selbst  zu  bewegen,  die  Ursache  eines  Wider- 
standes. Eine  besondere  ganz  eigentümliche  Kraft, 
bloß  um  zu  widerstehen,  ohne  einen  Körper  bewegen 
zu  können,  wäre  unter  dem  Namen  einer  Trägheits- 
kraft ein  Wort  ohne  alle  Bedeutung.  Man  könnte  also 
die  drei  Gesetze  der  allgemeinen  Mechanik  schick- 
licher so  benennen:  das  Gesetz  der  Selbständig- 
keit, der  Trägheit  und  der  Gegenwirkung  der 
Materien  (lex  Suhslstentiae,  Inertiae  et  Antagonismi) 
10  bei  allen  ihren  Veränderungen  derselben.  Daß 
diese,  mithin  die  gesamten  Lehrsätze  gegenwärtiger 
Wissenschaft,  den  Kategorien  der  Substanz,  der 
Kausalität  und  der  Gemeinschaft,  sofern  diese 
Begriffe  auf  Materie  angewandt  werden,  genau  ant- 
worten,  bedarf  keiner  weiteren  Erörterung. 

Allgemeine  Anmerkung  zur  Mechanik. 

Die  Mitteilung  der  Bewegung  geschieht  nur  ver- 
mittelst solcher  bewegenden  Kräfte,  die  einer  Materie 
auch    in   Ruhe    beiwohnen    (Undurchdringlichkeit   und 

20  Anziehung).  Die  Wirkung  einer  bewegenden  Kraft 
auf  einen  Körper  in  einem  Augenblicke  ist  die  Solli- 
zitation  desselben,  die  gewirkte  Geschwindigkeit  des 
letzteren  durch  die  Sollizitation,  sofern  sie  in  gleichem 
Verhältnis  mit  der  Zeit  wachsen  kann,  ist  das  Moment 
der  Akzeleration.  (Das  Moment  der  Akzeleration  muH 
also  nur  eine  unendlich  kleine  Geschwindigkeit  ent- 
halten, weil  sonst  der  Körper  durch  dasselbe  in  einer 
gegebenen  Zeit  eine  unendliche  Geschwindigkeit  er- 
langen würde,  welche  unmöglich  ist.    Übrigens  beruht 

30  die  Möglichkeit  der  Beschleunigung  überhaupt, 
durch  ein  fortwährendes  Moment  derselben,  auf  dem 
Gesetze  der  Trägheit.)  Die  Sollizitation  der  Materie 
durch  expansive  Kraft  (z.  B.  einer  zusammengedrückten 
Luft,  die  ein  Gewicht  trägt)  geschieht  jederzeit  mit 
einer  endlichen  Geschwindigkeit,  die  Geschwindigkeit 
aber,  die  dadurch  einem  anderen  Körper  eingedrückt 
(oder  entzogen)  wird,  kann  nur  unendlich  klein  sein; 
denn  jene  ist  nur  eine  Flächenkraft,  oder,  welches 
einerlei    ist,    die    Bewegung    eines    unendlich    kleinen 

40  Quantum  von  Materie,  die  folglich  mit  endlicher  Ge- 


III.  Hauptstück.     Mechanik.  303 

schwindigkeit  geschehen  muß,  um  der  Bewegung  eines 
Körpers  von  endlicher  Masse  mit  unendlich  kleiner 
Geschwindigkeit  (einem  Gewichte)  gleich  zu  sein.  Da- 
gegen ist  die  Anziehung  eine  durchdringende  Kraft 
und  als  mit  einer  solchen  übt  ein  endliches  Quantum 
der  Materie  auf  ein  gleichfalls  endliches  Quantum 
einer  andern  bewegende  Kraft  aus.  Die  Sollizitation 
der  Anziehung  muß  also  unendlich  klein  sein,  weil 
sie  dem  Moment  der  Akzeleration  (welches  jederzeit 
unendlich  klein  sein  muß)  gleich  ist,  welches  bei  der  10 
Zurückstoßung,  da  ein  unendlich  kleiner  Teil  der 
Materie  einem  endlichen  ein  Moment  eindrücken  soll, 
der  Fall  nicht  ist.  Es  läßt  sich  keine  Anziehung 
mit  einer  endlichen  Geschwindigkeit  denken,  ohne  daß 
die  Materie  durch  ihre  eigene  Anziehungskraft  sich 
selbst  durchdringen  müßte.  Denn  die  Anziehung, 
welche  eine  endliche  Quantität  Materie  auf  eine  endliche 
mit  einer  endlichen  Geschwindigkeit  ausübt,  muß  einer 
jeden  endlichen »)  Geschwindigkeit,  womit  die  Materie 
durch  ihre  Undurchdringlichkeit,  aber  nur  mit  einem  20 
unendlich  kleinen  Teil  der  Quantität  ihrer  Materie  ent- 
gegenwirkt, in  allen  Punkten  der  Zusammendrückung 
überlegen  sein.  Wenn  die  Anziehung  nur  eine  Flächen- 
kraft ist,  wie  man  sich  den  Zusammenhang  denkt,  so 
würde  das  Gegenteil  von  diesem  erfolgen.  Allein  es 
ist  unmöglich,  ihn  so  zu  denken,  wenn  er  wahre  An- 
ziehung (und  nicht  bloß  äußere  Zusammendrückung) 
sein   soll. 

Ein  absolut-harter  Körper  würde  derjenige  sein, 
dessen  Teile  einander  so  stark  zögen,  daß  sie  durch  30 
kein  Gewicht  getrennt,  noch  in  ihrer  Lage  gegen- 
einander verändert  werden  könnten.  Weil  nun  die 
Teile  der  Materie  eines  solchen  Körpers  sich  mit  einem 
Moment  der  Akzeleration  ziehen  müßten,  welches 
gegen  das  der  Schwere  unendlich,  der  Masse  aber, 
welche  dadurch  getrieben  v/ird,  endlich  sein  würde,  so 
müßte  der  Widerstand  durch  Undurchdringlichkeit,  als 
expansive  Kraft,  da  er  jederzeit  mit  einer  unendlich 
kleinen  Quantität  der  Materie  geschieht,  mit  mehr  als 
endlicher  Geschwindigkeit  der  Sollizitation  geschehen. 


a)  „eine  jede  endliche"  A'A"A"  korr.  Rosenkranz. 


304     Metaphysische  Anfangsgrüude  der  Naturwissenschaft, 

d.  i.  die  Materie  würde  sich  mit  unendlicher  Geschwin- 
digkeit auszudehnen  trachten,  welches  unmöglich  ist. 
Also  ist  ein  absolut-harter  Körper,  d.  i.  ein  solcher, 
der  einem  mit  endlicher  Geschwindigkeit  bewegten 
Körper  im  Stoße  einen  Widerstand,  der  der  ganzen 
Kraft  desselben  gleich  wäre,  in  einem  Augenblick 
entgegensetzte,  unmöglich.  Folglich  leistet  eine  Ma- 
terie durch  ihre  Undurchdringlichkeit  oder  Zusammen- 
hang gegen  die  Kraft  eines  Körpers  in  endlicher  Be- 

10  wegung  in  einem  Augenblicke  nur  unendlich  kleinen 
Widerstand.  Hieraus  folgt  nun  das  mechanische  Ge- 
setz der  Stetigkeit  (lex  continui  mechanica),  nämlich: 
an  keinem  Körper  wird  der  Zustand  der  Ruhe  oder 
der  Bewegung,  und  an  dieser,  der  Geschwindigkeit 
oder  der  Richtung,  durch  den  Stoß  in  einem  Augen- 
blicke verändert,  sondern  nur  in  einer  gewissen  Zeit, 
durch  eine  unendliche  Reihe  von  Zwischenzuständen, 
deren  Unterschied  voneinander  kleiner  ist,  als  der  des 
ersten   und   letzten.     Ein   bewegter   Körper,   der   auf 

20  eine  Materie  stößt,  wird  also  durch  deren  Widerstand 
nicht  auf  einmal,  sondern  nur  durch  kontinuierliche 
Retardation  zur  Ruhe,  oder  der,  so  in  Ruhe  war,  nur 
durch  kontinuierliche  Akzeleration  in  Bewegung,  oder 
aus  einem  Grade  Geschwindigkeit  in  einen  andern  nur 
nach  derselben  Regel  versetzt;  imgleichen  wird  die 
Richtung  seiner  Bewegung  in  eine  solche,  die  mit 
jener  einen  Winkel  macht,  nicht  anders,  als  ver- 
mittelst aller  möglichen  dazwischen  liegenden  Rich- 
tungen,    d.    i.    vermittelst    der    Bewegung    in    einer 

30  krummen  Linie,  verändert  (welches  Gesetz  aus  einem 
ähnlichen  Grunde  auch  auf  die  Veränderung  des  Zu- 
standes  eines  Körpers  durch  Anziehung  erweitert  wer- 
den kann).  Diese  (ex  continui  gründet  sich  auf  dem 
Gesetze  der  Trägheit  der  Materie,  da  hingegen  das 
metaphysische  Gesetz  der  Stetigkeit  auf  alle  Ver- 
änderung (innere  sowohl  als  äußere)  überhaupt  aus- 
gedehnt sein  müßte,  und  also  auf  dem  bloßen  Be- 
griffe einer  Veränderung  überhaupt,  als  Größe, 
und  der  Erzeugung  derselben  (die  notwendig  in  einer 

40  gewissen  Zeit  kontinuierlich,  so  wie  die  Zeit  selbst, 
vorginge)  gegründet  sein  würde,  hier  also  keinen  Platz 
findet. 


Viertes  Hauptstück. 

Metaphysische  Anfangsgründe 

der 

Phänomenologie. 


Erklärung. 

Materie  ist  das  Bewegliche,    sofern   es,    als   ein 
solches,  ein  Gegenstand   der  Erfahrung   sein  kann. 

Anmerkung. 

Bewegung  ist,  so  wie  alles,  was  durch  Sinne  vor- 
gestellt wird,  nur  als  Erscheinung  gegeben.  Damit  10 
ihre  Vorstellung  Erfahrung  werde,  dazu  wird  noch 
erfodert,  daß  etwas  durch  den  Verstand  gedacht 
werde,  nämlich  zu  der  Art,  wie  die  Vorstellung  dem 
Subjekte  inhäriert,  noch  die  Bestimmung  eines  Ob- 
jekts durch  dieselbe.  Also  wird  das  Bewegliche,  als 
ein  solches,  ein  Gegenstand  der  Erfahrung,  wenn  ein 
gewisses  Objekt  (hier  also  ein  materielles  Ding)  in 
Ansehung  des  Prädikats  der  Bewegung  als  be- 
stimmt gedacht  wird.  Nun  ist  aber  Bewegung  Ver- 
änderung der  Relation  im  Räume.  Es  sind  also  hier  20 
immer  zwei  Korrelata,  deren  einem  in  der  Erschei- 
nung erstlich  ebenso  gut  wie  dem  anderen  die  Ver- 
änderung beigelegt  und  dasselbe  entweder,  oder  das 
andere    bewegt   genannt   werden   kann,    weil   beides 

Kant,  Kl.  Schriften  z.  Natiirphilosopliie.     I.  20 


306      Metaphysische  Anfangsgründe  der  Xaturw-issenschaft. 

gleichgültig  ist,  oder  zweitens,  deren  eines  in  der 
Erfahrung  mit  Ausschließung  des  anderen  als  bewegt 
gedacht  werden  muß,  oder  drittens,  deren  beide 
notwendig  durch  Vernunft  als  zugleich  bewegt  vor- 
gestellt werden  müssen.  In  der  Erscheinung,  die 
nichts,  als  die  Relation  in  der  Bewegung  (ihrer  Ver- 
änderung nach)  enthält,  ist  nichts  von  diesen  Be- 
stimmungen enthalten;  wenn  aber  das  Bewegliche,  als 
ein   solches,    nämlich    seiner    Bewegung    nach,    be- 

10  stimmt  gedacht  werden  soll,  d.  i.  zum  Behuf  einer 
möglichen  Erfahrung,  ist  es  nötig,  die  Bedingungen 
anzuzeigen,  unter  welchen  der  Gegenstand  (die  Ma- 
terie) auf  eine  oder  andere  Art  durch  das  Prädikat 
der  Bewegung  bestimmt  werden  müsse.  Hier  ist  nicht 
die  Rede  von  Verwandlung  des  Scheins  in  Wahrheit, 
sondern  der  Erscheinung  in  Erfahrung;  denn  beim 
Scheine  ist  der  Verstand  mit  seinen,  einen  Gegen- 
stand bestimmenden  Urteilen  jederzeit  im  Spiele,  ob- 
zwar  er  in   Gefahr   ist,   das   Subjektive   für   objektiv 

20  zu  nehmen;  in  der  Erscheinung  aber  ist  gar  kein 
Urteil  des  Verstandes  anzutreffen;  welches  nicht  bloß 
hier,  sondern  in  der  ganzen  Philosophie  anzumerken 
nötig  ist,  weil  man  sonst,  wenn  von  Erscheinungen 
die  Rede  ist,  und  man  nimmt  diesen  Ausdruck  für 
einerlei  der  Bedeutung  nach  mit  dem  des  Scheins, 
jederzeit   übel   verstanden   wird. 

Lehrsatz  I. 

Die  geradlinichte  Bewegung  einer  Materie  in 
Ansehung  eines  empirischen  Raumes  ist,  zum  Unter- 
30  schiede  von  der  entgegengesetzten  Bewegung  des 
Raums,  ein  bloß  mögliches  Prädikat.  Ebendas- 
selbe in  gar  keiner  Eelation  auf  eine  Materie  außer 
ihr,  d.  i.  als  absolute  Bewegung  gedacht,  ist 
unmöglich. 

Beweis. 

Ob  ein  Körper  im  relativen  Räume  bewegt,  dieser 
aber  ruhig  genannt  werde,  oder  umgekehrt,  dieser  in 
entgegengesetzter  Richtung  gleich  geschwinde  bewegt, 


IV.  Hauptstück.     Phänomenologie.  307 

dagegen  jener  ruhig  genannt  werden  solle,  ist  kein 
Streit  über  das,  was  dem  Gegenstande,  sondern  nur 
seinem  Verhältnisse  zum  Subjekt,  mithin  der  Erschei- 
nung und  nicht  der  Erfahrung  zukommt.  Denn  stellt 
sich  der  Zuschauer  in  demselben  Räume  als  ruhig,  so 
heißt  ihm  der  Körper  bewegt;  stellt  er  sich  (wenigstens 
in  Gedanken)  in  einem  andern  und  jenen  umfassenden 
Raum,  in  Ansehung  dessen  der  Körper  gleichfalls 
ruhig  ist,  so  heißt  jener  relative  Raum  bewegt.  Also 
ist  in  der  Erfahrung  (einer  Erkenntnis,  die  das  Ob-  10 
jekt  für  alle  Erscheinungen  gültig  bestimmt)  gar  kein 
Unterschied  zwischen  der  Bewegung  des  Körpers  im 
relativen  Räume,  oder  der  Ruhe  des  Körpers  im  ab- 
soluten und  der  entgegengesetzten  gleichen  Bewegung 
des  relativen  Raums.  Nun  ist  die  Vorstellung  eines 
Gegenstandes  durch  eines  von  zweien  Prädikaten,  die 
in  Ansehung  des  Objekts  gleichgeltend  sind  und  sich 
nur  in  Ansehung  des  Subjekts  und  seiner  Vorstellungs- 
art voneinander  unterscheiden,  nicht  die  Bestimmung 
nach  einem  disjunktiven,  sondern  bloß  die  Wahl  liO 
nach  einem  alternativen  Urteile  (deren  das  erstere 
von  zweien  objektiv  entgegengesetzten  Prädikaten 
eines  mit  Ausschließung  des  Gegenteils,  das  andere 
aber  von  objektiv  zwar  gleichgeltenden,  subjektiv 
aber  einander  entgegengesetzten  Urteilen,  ohne  Aus«« 
Schließung  des  Gegenteils  vom  Objekt,  —  also  durch 
bloße  Wahl  —  eines  zur  Bestimmung  desselben  an- 
nimmt)*); das  heißt:  durch  den  Begriff  der  Bewegung, 
als  Gegenstandes  der  Erfahrung,  ist  es  an  sich  un- 
bestimmt, mithin  gleichgeltend,  ob  ein  Körper  im  rela-  30 
tiven  Räume,  oder  dieser  in  Ansehung  jenes  als  bewegt 
vorgestellt  werde.  Nun  ist  dasjenige,  was  in  Ansehung 
zweier  einander  entgegengesetzter  Prädikate  an  sich 
unbestimmt  ist,  sofern  bloß  möglich.  Also  ist  die 
geradlinichte  Bewegung  einer  Materie  im  empirischen 
Räume,  zum  Unterschiede  von  der  entgegengesetzten 
gleichen  Bewegung  des  Raumes,  in  der  Erfahrung 
ein  bloß  mögliches  Prädikat;  welches  das  erste  war. 


*)  Von  diesem  Unterschiede  der  disjunktiven  und  alter- 
nativen Entgegensetzung  ein  Mehreres  in  der  allgemeinen 
Anmerkung  zu  diesem  Hauptstücke. 

20* 


308     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

Da  ferner  eine  Relation,  mithin  auch  eine  Ver- 
änderung derselben,  d.  i.  Bewegung,  nur  sofern  ein 
Gegenstand  der  Erfahrung  sein  kann,  als  beide 
Korrelate  Gegenstände  der  Erfahrung  sind;  der  reine 
Raum  aber,  den  man  auch  im  Gegensatze  gegen  den 
relativen  (empirischen)  den  absoluten  Raum  nennt, 
kein  Gegenstand  der  Erfahrung  und  überall  nichts 
ist,  so  ist  die  geradlinichte  Bewegung  ohne  Beziehung 
auf  irgend  etwas  Empirisches,  d.  i.  die  absolute  Be- 
10  wegung,  schlechterdings  unmöglich;  welches  das 
zweite   war. 

Anmerkung. 

Dieser   Lehrsatz   bestimmt   die   Modalität   der   Be- 
wegung in  Ansehung  der  Phoronomie. 

Lehrsatz  2. 

Die  Kreisbewegung  einer  Materie  ist,  zum  Unter- 
schiede von  der  entgegengesetzten  Bewegung  des 
Raums,  ein  wirkliches  Prädikat  derselben;  da- 
gegen ist  die  entgegengesetzte  Bewegung  eines  rela- 
'20  tiven  Raums,  statt  der  Bewegung  des  Körpers  ge- 
nommen, keine  wirkliche  Bewegung  des  letzteren, 
sondern,  wenn  sie  dafür  gehalten  wird,  ein  bloßer 
Schein. 

Beweis. 

Die  Kreisbewegung  ist  (so  wie  jede  krummlinichte) 
eine  kontinuierliche  Veränderung  der  geradlinichten, 
und  da  diese  selbst  eine  kontinuierliche  Veränderung 
der  Relation  in  Ansehung  des  äußeren  Raumes  ist, 
so  ist  die  Kreisbewegung  eine  Veränderung  der  Ver- 
oO  änderung  dieser  äußeren  Verhältnisse  im  Räume,  folg- 
lich ein  kontinuierliches  Entstehen  neuer  Bewegungen. 
Weil  nun  nach  dem  Gesetze  der  Trägheit  eine  Be- 
wegung, sofern  sie  entsteht,  eine  äußere  Ursache  haben 
muß,  gleichwohl  aber  der  Körper  in  jedem  Punkte 
dieses  Kreises  (nach  ebendemselben  Gesetze)  für  sich 


IV.  Hauptstück.     Phänomenologie.  309 

in  der  den  Kreis  berührenden  geraden  Linie  fort- 
zugehen bestrebt  ist,  welche  Bewegung  jener  äußeren 
Ursache  entgegenwirkt,  so  beweiset  jeder  Körper  in 
der  Kreisbewegung  durch  seine  Bewegung  eine  be- 
wegende Kraft.  Nun  ist  die  Bewegung  des  Raumes, 
zum  Unterschiede  der  Bewegung  des  Körpers,  blolä 
phoronomisch  und  hat  keine  bewegende  Kraft.  Folg- 
lich ist  das  Urteil,  daß  hier  entweder  der  Körper 
oder  der  Raum  in  entgegengesetzter  Richtung  bewegt 
sei,  ein  disjunktives  Urteil,  durch  welches,  wenn  10 
das  eine  Glied,  nämlich  die  Bewegung  des  Körpers, 
gesetzt  ist,  das  andere,  nämlich  die  des  Raumes,  aus- 
geschlossen wird;  also  ist  die  Kreisbewegung  eines 
Körpers,  zum  Unterschiede  von  der  Bewegung  des 
Raums,  wirkliche  Bewegung,  folglich  die  letztere, 
wenn  sie  gleich  der  Erscheinung  nach  mit  der  ersteren 
übereinkommt,  dennoch  im  Zusammenhange  aller  Er- 
scheinungen, d.  i.  der  möglichen  Erfahrung,  dieser 
widerstreitend,  also  nichts  als  bloßer  Schein. 

Anmerkung.  20 

Dieser  Lehrsatz  bestimmt  die  Modalität  der  Be- 
wegung in  Ansehung  der  Dynamik;  denn  eine  Be- 
wegung, die  nicht  ohne  den  Einfluß  einer  kontinuier- 
lich wirkenden  äußern  bewegenden  Kraft  stattfinden 
kann,  beweiset  mittelbar  oder  unmittelbar  ursprüng- 
liche Bewegkräfte  der  Materie,  es  sei  der  Anziehung 
oder  Zurückstoßung.  —  Übrigens  kann  Newtons 
Scholium  zu  den  Definitionen,  die  er  seinen  Princ. 
Phil.  Nat.  Math,  vorausgesetzta)  hat,  gegen  das  Ende, 
hierüber  nachgesehen  werden,  aus  welchem  erhellet,  30 
daß  die  Kreisbewegung  zweier  Körper  um  einen  ge- 
meinschaftlichen Mittelpunkt  (mithin  auch  die  Achsen- 
drehung der  Erde),  selbst  im  leeren  Räume,  also  ohne 
alle  durch  Erfahrung  mögliche  Vergleichung  mit  dem 
äußeren  Räume  dennoch  vermittelst  der  Erfahrung 
könne  erkannt  werden,  daß  also  eine  Bewegung,  die 
eine  Veränderung  der  äußeren  Verhältnisse  im  Räume 
ist,  empirisch  gegeben  werden  könne,  obgleich  dieser 


a)  „vorangesetzt"  A'  A". 


,']10  Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft- 
Raum  selbst  nicht  empirisch  gegeben  und  kein  Gegen- 
stand der  Erfahrung  ist,  welches  Paradoxon  aufge« 
löset  zu  werden  verdient. 

Lehrsatz  3. 

In  jeder  Bewegung  eines  Körpers,  wodurch  er 
in  Ansehung  eines  anderen  bewegend  ist,  ist  eine 
entgegengesetzte    gleiche    Bewegung    des    letzteren 


notwendig. 


Beweis. 


10  Nach  dem  dritten  Gesetze  der  Mechanik  (Lehr- 
satz 4)  ist  die  Mitteilung  der  Bewegung  der  Körper 
nur  durch  die  Gemeinschaft  ihrer  ursprünglich  be- 
wegenden Kräfte,  und  diese  nur  durch  beiderseitige 
entgegengesetzte  und  gleiche  Bewegung  möglich.  Die 
Bewegung  beider  ist  also  wirklich.  Da  aber  die  Wirk- 
lichkeit dieser  Bewegung  nicht  (wie  im  zweiten  Lehr- 
satze) auf  dem  Einflüsse  äußerer  Kräfte  beruht,  son- 
dern aus  dem  Begriffe  der  Relation  des  Bewegten 
im  Räume  zu  jedem  anderen  dadurch  Beweglichen 

20  unmittelbar  und  unvermeidlich  folgt,  so  ist  die  Be- 
wegung  des   letzteren   notwendig. 

Anmerkung. 

Dieser  Lehrsatz  bestimmt  die  Modalität  der  Be- 
wegung in  Ansehung  der  Mechanik.  — •  Daß  übrigens 
diese  drei  Lehrsätze  die  Bewegung  der  Materie  in 
Ansehung  ihrer  Möglichkeit,  Wirklichkeit  und 
Notwendigkeit,  mithin  in  Ansehung  aller  dreien 
Kategorien  der  Modalität  bestimmen,  fällt  von 
selbst  in  die  Augen. 

30      Allgemeine  Anmerkung  zur  Phänomenologie. 

Es  zeigen  sich  also  hier  drei  Begriffe,  deren  Ge- 
brauch in  der  allgemeinen  Naturwissenschaft  unver- 
meidlich, deren  genaue  Bestimmung  um  deswillen  not- 
wendig, obgleich  eben  nicht  so  leicht  und  faßlich  ist, 


IV.  Hauptstück.     Phänomenologie.  311 

nämlich  der  Begriff  der  Bewegung  im  relativen 
(beweglichen)  Räume,  zweitens  der  Begriff  der  Be- 
wegung im  absoluten  (unbeweglichen)  Räume, 
drittens  der  Begriff  der  relativen  Bewegung  über- 
haupt, zum  Unterschiede  von  der  absoluten.  Allen 
wird  der  Begriff  des  absoluten  Raumes  zum  Grunde 
gelegt.  Wie  kommen  wir  aber  zu  diesem  sonderbaren 
Begriffe,  und  worauf  beruht  die  Notwendigkeit  seines 
Gebrauchs? 

Er  kann  kein  Gegenstand  der  Erfahrung  sein;  denn  10 
der  Raum  ohne  Materie  ist  kein  Objekt  der  Wahr- 
nehmung, und  dennoch  ist  er  ein  notwendiger  Ver- 
nunftbegriff,  mithin  nichts  weiter,  als  eine  bloße  Idee. 
Denn  damit  Bewegung  auch  nur  als  Erscheinung  ge- 
geben werden  könne,  dazu  wird  eine  empirische  Vor- 
stellung des  Raums,  in  Ansehung  dessen  das  Beweg- 
liche sein  Verhältnis  verändern  soll,  erfodert;  der 
Raum  aber,  der  wahrgenommen  werden  soll,  muß 
material,  mithin,  dem  Begriffe  einer  Materie  über- 
haupt zufolge,  selbst  beweglich  sein.  Um  ihn  nun  20 
bewegt  zu  denken,  darf  man  ihn  nur  als  in  einem 
Räume  von  größerem  Umfange  enthalten  denken  und 
diesen  als  ruhig  annehmen.  Mit  diesem  aber  läßt 
sicha)  ebendasselbe  in  Ansehung  eines  noch  mehr 
erweiterten  Raumes  veranstalten  und  so  ins  Unend- 
liche, ohne  jemals  zu  einem  unbeweglichen  (unmate- 
riellen) Räume  durch  Erfahrung  zu  gelangen,  in 
Ansehung  dessen  irgendeiner  Materie  schlechthin  Be- 
wegung oder  Ruhe  beigelegt  werden  könne,  sondern 
der  Begriff  dieser  Verhältnisbestimmungen  wird  be-  30 
ständig  abgeändert  werden  müssen,  nachdem  man  das 
Bewegliche  mit  einem  oder  dem  anderen  dieser  Räume 
in  Verhältnis  betrachten  wird.  Da  nun  die  Bedingung, 
etwas  als  ruhig  oder  bewegt  anzusehen,  im  relativen 
Räume  ins  Unendliche  immer  wiederum  bedingt  ist, 
so  erhellet  daraus  erstlich:  daß  alle  Bewegung  oder 
Ruhe  bloß  relativ  und  keine  absolut  sein  könne,  d.  i. 
daß  Materie  bloß  in  Verhältnis  auf  Materie,  niemals 
aber  in  Ansehung  des  bloßen  Raumes  ohne  Materie 
als  bewegt  oder   ruhig  gedacht  werden  könne,   mit-  40 


a)  „sie-'  A'  A"  korr.  A'". 


312     Metaphj-^sische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

hin  absolute  Bewegung,  d.  i.  eine  solche,  die  ohne 
alle  Beziehung  einer  Materie  auf  eine  andere  gedacht 
wird,  schlechthin  unmöglich  sei;  zweitens,  daß  auch 
eben  darum  kein  für  alle  Erscheinung  gültiger 
Begriff  von  Bewegung  oder  Ruhe  im  relativen  Räume 
möglich  sei,  sondern  man  sich  einen  Raum,  in  wel- 
chem dieser  selbst  als  bewegt  gedacht  werden  könne, 
der  aber  seiner  Bestimmung  nach  weiter  von  keinem 
anderen  empirischen  Räume  abhängt  und  daher  nicht 
10  wiederum  bedingt  ist,  d.  i.  einen  absoluten  Raum,  auf 
den  alle  relativen  Bewegungen  bezogen  werden  können, 
denken  müsse,  in  welchem  alles  Empirische  beweglich 
ist,  eben  darum,  damit  in  demselben  alle  Bewegung 
des  Materiellen,  als  bloß  relativ  gegeneinander,  als 
alternativ -wechselseitig*),  keine  aber  als  absolute  Be- 


*)  In  der  Logik  bezeichnet  das  Entweder-Oder  jeder- 
zeit ein  disjunktives  Urteil;  da  denn,  wenn  das  eine 
wahr  ist,  das  andere  falsch  sein  muß.  Z.  B.  ein  Körper 
ist  entweder  bewegt,  oder  nicht  bewegt,  d.  i.  in  Ruhe. 
Denn  man  redet  da  lediglich  von  dem  Verhältnis  des  Er- 
kenntnisses zum  Objekte.  In  der  Erscheinungslehre,  wo  es 
auf  das  Verhältnis  zum  Subjekt  ankommt,  um  darnach 
das  Verhältnis  der  Objekte  zu  bestimmen,  ist  es  anders. 
Denn  da  ist  der  Satz:  der  Körper  ist  entweder  bewegt  und 
der  Raum  ruhig,  oder  umgekehrt,  nicht  ein  disjunktiver 
Satz  in  objektiver,  sondern  nur  in  subjektiver  Beziehung, 
und  beide  darin  enthaltene  Urteile  gelten  alternativ. 
In  ebenderselben  Phänomenologie,  wo  die  Bewegung  nicht 
bloß  phoronomisch,  sondern  vielmehr  dynamisch  betrachtet 
wird,  ist  dagegen  der  disjunktive  Satz  in  objektiver  Be- 
deutung zu  nehmen;  d.  i.  an  die  Stelle  der  Umdrehung 
eines  Körpers  kann  ich  nicht  die  Ruhe  desselben  und  da- 
gegen die  entgegengesetzte  Bewegung  des  Raums  annehmen. 
Wo  aber  die  Bewegung  sogar  mechanisch  betrachtet  wird 
(wie  w^enn  ein  Körper  gegen  einen  dem  Scheine  nach 
ruhigen  anläuft),  ist  sogar  das  der  Form  nach  disjunktive 
Urteil  in  Ansehung  des  Objekts  distributiv  zu  gebrauchen, 
so  daß  xiie  Bewegung  nicht  entweder  dem  einen,  oder 
dem  andern,  sondern  einem  jeden  ein  gleicher  Anteil  daran 
beigelegt  werden  muß.  Diese  Unterscheidung  der  alter- 
nativen, disjunktiven  und  distributiven  Bestim- 
mungen eines  Begriffs,  in  Ansehung  entgegengesetzter  Prä- 
dikate, hat  ihre  Wichtigkeit,  kann  aber  hier  nicht  weiter 
erörtert  werden. 


IV.  Hauptstück.     Phänomouologie.  313 

wegung  oder  Ruhe  (da,  indem  das  eine  bewegt  heißt, 
das  andere,  worauf  in  Beziehung  jenes  bewegt  ist, 
gleichwohl  als  schlechthin  ruhig  vorgestellt  wird) 
gelten  möge.  Der  absolute  Raum  ist  also  nicht  als 
ein  Begriff  von  einem  wirklichen  Objekt,  sondern  als 
eine  Idee,  welche  zur  Regel  dienen  soll,  alle  Bewegung 
in  ihm  bloß  als  relativ  zu  betrachten,  notwendig,  und 
alle  Bewegung  und  Ruhe  muß  auf  den  absoluten  Raum 
reduziert  werden,  wenn  die  Erscheinung  derselben  in 
einen  bestimmten  Erfahrungsbegriff  (der  alle  Erschei-  10 
nungen  vereinigt)  verwandelt  werden  soll. 

So  wird  die  geradlinichte  Bewegung  eines  Körpers 
im  relativen  Räume  auf  den  absoluten  Raum  reduziert, 
wenn  ich  den  Körper  als  an  sich  ruhig,  jenen  Raum 
aber  im  absoluten  (der  nicht  in  die  Sinne  fällt)  in 
entgegengesetzter  Richtung  bewegt,  und  diese  Vor- 
stellung als  diejenige  denke,  welche  gerade  die- 
selbe Erscheinung  gibt,  wodurch  denn  alle  mögliche 
Erscheinungen  geradlinichter  Bewegungen,  die  ein 
Körper  allenfalls  zugleich  haben  mag,  auf  den  Er-  20 
fahrungsbegriff,  der  sie  insgesamt  vereinigt,  nämlich 
den  der  bloß  relativen  Bewegung  und  Ruhe  zurück- 
geführt werden. 

Die  Kreisbewegung,  weil  sie  nach  dem  zweiten 
Lehrsatze  auch  ohne  Beziehung  auf  den  äußeren 
empirisch -gegebenen  Raum  als  wirkliche  Bewegung  in 
der  Erfahrung  gegeben  werden  kann,  scheint  doch  in 
der  Tat  absolute  Bewegung  zu  sein.  Denn  die  relative 
in  Ansehung  des  äußeren  Raums  (z.  B.  die  Achsen- 
drehung der  Erde  relativ  auf  die  Sterne  des  Himmels)  30 
ist  eine  Erscheinung,  an  deren  Stelle  die  entgegen- 
gesetzte Bewegung  dieses  Raums  (des  Himmels)  in 
derselben  Zeit,  als  jener  völlig  gleichgeltend,  gesetzt 
werden  kann,  die  aber  nach  diesem  Lehrsatze  in  der 
Erfahrung  durchaus  nicht  an  deren  Stelle  gesetzt 
werden  darf,  mithin  auch  jene  Kreisdrehung  nicht 
als  äußerlich  relativ  vorgestellt  werden  soll,  welches 
so  lautet,  als  ob  diese  Art  der  Bewegung  für  absolut 
anzunehmen  sei. 

Allein  es  ist  wohl  zu  merken:  daß  hier  von  der  40 
wahren  (wirklichen)  Bewegung,  die  doch  nicht  als 
solche  erscheint,  die  also,  wenn  man  sie  bloß  nach 


3 1-4     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

empirischen  Verhältnissen  zum  Räume  beurteilen  wollte, 
für  Ruhe  könnte  gehalten  werden,  d.  i.  von  der 
wahren  Bewegung,  zum  Unterschiede  vom  Schein, 
nicht  aber  von  ihr  als  absoluten  Bewegung  im  Gegen- 
satze der  relativen  die  Rede  sei,  mithin  die  Kreis- 
bewegung, ob  sie  zwar  in  der  Erscheinung  keine 
Stellenveränderung,  d.  i.  keine  phoronomische,  des 
Verhältnisses  des  Bewegten  zum  (empirischen)  Räume 
zeigt,  dennoch  eine  durch  Erfahrung  erweisliche  kon- 

10  tinuierliche  dynamische  Veränderung  des  Verhältnisses 
der  Materie  in  ihrem  Räume,  z.  B.  eine  beständige 
Verminderung  der  Anziehung  durch  eine  Bestrebung 
zu  entfliehen,  als  Wirkung  der  Kreisbewegung  zeige 
und  dadurch  den  Unterschied  derselben  vom  Schein 
sicher  bezeichne.  Man  kann  sich  z.  B.  die  Erde  im 
unendlichen  leeren  Raum  als  um  die  Achse  gedreht 
vorstellen,  und  diese  Bewegung  auch  durch  Erfahrung 
dartun,  obgleich  weder  das  Verhältnis  der  Teile  der 
Erde  untereinander,  noch  zum  Räume  außer  ihr  pho- 

20  ronomisch,  d.  i.  in  der  Erscheinung  verändert  wird. 
Denn  in  Ansehung  des  erst-eren,  als  empirischen 
Raumes,  verändert  nichts  auf  und  in  der  Erde  seine 
Stelle,  und  in  Beziehung  des  zweiten,  der  ganz  leer 
ist,  kann  überall  kein  äußeres  verändertes  Verhältnis, 
mithin  auch  keine  Erscheinung  einer  Bewegung  statt- 
finden. Allein  wenn  ich  mir  eine  zum  Mittelpunkt 
der  Erde  hingehende  tiefe  Höhle  vorstelle  und  lasse 
einen  Stein  darin  fallen,  finde  aber,  daß,  obzwar  in 
jeder  Weite  vom  Mittelpunkt  die  Schwere  immer  nach 

30  diesem  hingerichtet  ist,  der  fallende  Stein  dennoch 
von  seiner  senkrechten  Richtung  im  Fallen  kontinuier- 
lich, und  zwar  von  West  nach  Ost»)  abweiche,  so 
schließe  ich,  die  Erde  sei  von  Abend  gegen  Morgen 
um  die  Achse  gedreht.  Oder  wenn  ich  auch  außer- 
halb den  Stein  von  der  Oberfläche  der  Erde  weiter 
entferne,  und  er  bleibt  nicht  über  demselben  Punkte 
der  Oberfläche,  sondern  entfernt  sich  von  demselben 
von   Westen   nach   Osten  b),   so   werde   ich  auf  eben- 


a)  Stadler  schlägt  vor  von  Ost  nach  West. 

b)  von  Osten  nach  Westen  A'  A"  A",  siehe  hierzu  Höfler: 
Studien   zur  gegenwärtigen  Philosophie   der  Mechanik  Bd. 


IV.  Hauptstück.     Pliänomenologie.  315 

dieselbe  vorhergenannte  Achsendrehung  der  Erde 
schließen,  und  beiderlei  Wahrnehmungen  werden  zum 
Beweise  der  Wirklichkeit  dieser  Bewegung  hinreichend 
sein,  wozu  die  Veränderung  des  Verhältnisses  zum 
äußeren  Räume  (dem  bestirnten  Himmel)  nicht  hin- 
reicht, weil  sie  bloße  Erscheinung  ist,  die  von  zwei 
in  der  Tat  entgegengesetzten  Gründen  herrühren  kann 
und  nicht  ein  aus  dem  Erklärungsgrunde  aller  Er- 
scheinungen dieser  Veränderung  abgeleitetes  Erkennt- 
nis, d.  i.  Erfahrung  ist.  Daß  aber  diese  Bewegung,  10 
ob  sie  gleich  keine  Veränderung  des  Verhältnisses 
zum  empirischen  Räume  ist,  dennoch  keine  absolute 
Bewegung,  sondern  kontinuierliche  Veränderung  der 
Relationen  der  Materien  zueinander,  obzwar  im  abso- 
luten Räume  vorgestellt,  mithin  wirklich  nur  relative 
und  sogar  darum  allein  wahre  Bewegung  sei,  das 
beruht  auf  der  Vorstellung  der  wechselseitigen  kon- 
tinuierlichen Entfernung  eines  jeden  Teils  der  Erde 
(außerhalb  der  Achse)  von  jedem  andern  ihm  in 
gleicher  Entfernung  vom  Mittelpunkte  im  Diameter  20 
gegenüberliegenden.  Denn  diese  Bewegung  ist  im 
absoluten  Räume  wirklich,  indem  dadurch  der  Ab- 
gang der  gedachten  Entfernung,  den  die  Schwere  für 
sich  allein  dem  Körper  zuziehen  würde,  und  zwar  ohne 
alle  dynamische  zurücktreibende  Ursache  (wie  man 
aus  dem  von  Newton  Princ.  PJi.  N.  pag.  10.  Edit. 
1714*)    gewählten    Beispiele    ersehen    kann),    mithin 


*)  Er  sagt  daselbst:  Motus  qaidem  veros  corporum  sin- 
(julorum  cognoscere  et  ab  apparentibus  adu  discritninare 
diffidUimum  est:  proj)tcrea  quod  partes  spaiii  illius  immo- 
bilis,  in  quo  corpora  vere  moventur,  non  incurrunt  in  sen- 
sus.  Causa  tarnen  non  est  prorsus  desperata.  („Die  wahren 
Bewegungen  der  einzelnen  Körper  zu  erkennen  und  von 
den  scheinbaren  scharf  zu  unterscheiden  ist  übrigens  sehr 
schwer,  weil  die  Teile  jenes  unbeweglichen  Raumes,  in 
denen    die   Körper   sich   wahrhaft   bewegen,    nicht  sinnlich 


III  b  Seite  8:  „Stadlers  Vorschlag  aber  widerspräche  den 
bekannten  Tatsachen  des  von  Newton  vorausgesagten,  von 
Kant  akzeptierten  und  erst  180l'  von  Benzenberg  wirklich 
ausgeführten  Versuches-'.  —  ^'gl.  auch  Ak.  Ausg.  Band  IV, 
Seite  648. 


316      Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

durch  wirkliche,  aber  auf  den  innerhalb  der  bewegten 
Materie  (nämlich  das  Zentrum  derselben)  beschlossenen, 
nicht  aber  auf  den  äußeren  Raum  bezogene  Bewegung, 
kontinuierlich   ersetzt  wird. 

Was  den  Pall  des  dritten  Lehrsatzes  anlangt, 
so  bedarf  es,  um  die  Wahrheit  der  wechselseitig- ent- 
gegengesetzten und  gleichen  Bewegung  beider  Körper 
auch  ohne  Rücksicht  auf  den  empirischen  Raum  zu 
zeigen,    nicht   einmal    des    im    zweiten   Fall    nötigen, 

10  durch  Erfahrung  gegebenen,  tätigen  dynamischen  Ein- 
flusses (der  Schwere  oder  eines  gespannten  Fadens), 
sondern  die  bloße  dynamische  Möglichkeit  eines 
solchen  Einflusses,  als  Eigenschaft  der  Materie  (die 
Zurückstoßung  oder  Anziehung),  führt  bei  der  Be- 
wegung der  einen  die  gleiche  und  entgegengesetzte 
Bewegung  der  andern  zugleich  mit  sich,  und  zwar 
aus  bloßen  Begriffen  einer  relativen  Bewegung,  wenn 
sie  im  absoluten  Räume,  d.  i.  nach  der  Wahrheit  be- 
trachtet wird,  und  ist  daher,  wie  alles,  was  aus  bloßen 

20  Begriffen  hinreichend  erweislich  ist,  ein  Gesetz  einer 
schlechterdings  notwendigen  Gegenbewegung. 

Es  ist  also  auch  keine  absolute  Bewegung,  wenngleich 
ein  Körper  im  leeren  Räume  in  Ansehung  eines  anderen 
als  bewegt  gedacht  wird;  die  Bewegung  beider  wird 
hier  nicht  relativ  auf  den  sie  umgebenden  Raum,  son- 
dern nur  auf  den  zwischen  ihnen,  welcher  ihr  äußeres 
Verhältnis  untereinander  allein  bestimmt,  als  den  ab- 
soluten Raum  betrachtet,  und  ist  also  wiederum  nur 
relativ.    Absolute  Bewegung  würde  also  nur  diejenige 

30  sein,  die  einem  Körper  ohne  ein  Verhältnis  auf  irgend- 
eine andere  Materie  zukäme.  Eine  solche  wäre  allein 
die  geradlinichte  Bewegung  des  Weltganzen,  d.  1. 
des  Systems  aller  Materie.     Denn  wenn  außer  einer 


erkannt  werden  können.  Die  Sache  ist  jedoch  nicht  gänz- 
lich hoffnungslos."  Uebers.  v.  Wolfers.)  Hierauf  läßt  er 
zwei  durch  einen  Faden  verknüpfte  Kugeln  sich  um  ihren 
gemeinschaftlichen  Schwerpunkt  im  leeren  Räume  drehen, 
und  zeigt,  wie  die  Wirklichkeit  ihrer  Bewegung  samt  der 
Richtung  derselben  dennoch  durch  Erfahrung  könne  ge- 
funden werden.  Ich  habe  dieses  auch  an  der  um  ihre  x'^chse 
bewegten  Erde  unter  etwas  veränderten  Umständen  zu 
zeigen  gesucht. 


IV.  Hauptstück.     Phänomenologie.  317 

Materie  noch  irgend  eine  andere,  selbst  durch  den 
leeren  Raum  getrennte  Materie  wäre,  so  würde  die 
Bewegung  schon  relativ  sein.  Um  deswillen  ist  ein 
jeder  Beweis  eines  Bewegungsgesetzes,  der  darauf 
hinausläuft,  daß  das  Gegenteil  desselben  eine  gerad- 
linichte  Bewegung  des  ganzen  Weltgebäudes  zur  Folge 
haben  müßte,  ein  apodiktischer  Beweis  der  Wahrheit 
desselben;  bloß  weil  daraus  absolute  Bewegung  folgen 
würde,  die  schlechterdings  unmöglich  ist.  Von  der 
Art  ist  das  Gesetz  des  Antagonisms  in  aller  Ge-  10 
meinschaft  der  Materie  durch  Bewegung.  Denn  eine 
jede  Abweichung  von  demselben  würde  den  gemein- 
schaftlichen Mittelpunkt  der  Schwere  aller  Materie, 
mithin  das  ganze  Weltgebäude  aus  der  Stelle  rücken, 
welches  dagegen,  wenn  man  dieses  sich  als  um 
seine  Achse  gedreht  vorstellen  wollte,  nicht  ge- 
schehen würde,  welche  Bewegung  also  immer  noch 
zu  denken  möglich,  obzwar  anzunehmen,  so  viel  man 
absehen  kann,  ganz  ohne  begreiflichen  Nutzen  sein 
würde.  20 

Auf  die  verschiedenen  Begriffe  der  Bewegung  und 
bewegenden  Kräfte  haben  auch  die  verschiedenen  Be- 
griffe vom  leeren  Räume  ihre  Beziehung.  Der  leere 
Raum  in  phoronomischer  Rücksicht,  der  auch  der 
absolute  Raum  heißt,  sollte  billig  nicht  ein  leerer 
Raum  genannt  werden;  denn  er  ist  nur  die  Idee  von 
einem  Räume,  in  welchem  ich  von  aller  besonderen 
Materie,  die  ihn  zum  Gegenstande  der  Erfahrung 
macht,  abstrahiere,  um  in  ihm  den  materiellen,  oder 
jeden  empirischen  Raum  noch  als  beweglich  und  da-  30 
durch  die  Bewegung  nicht  bloß  einseitig  als  abso- 
lutes, sondern  jederzeit  wechselseitig  als  bloß  relatives 
Prädikat  zu  denken.  Er  ist  also  gar  nichts,  was  zur 
Existenz  der  Dinge,  sondern  bloß  zur  Bestimmung 
der  Begriffe  gehört,  und  sofern  existiert  kein  leerer 
Raum.  Der  leere  Raum  in  dynamischer  Rück- 
sicht ist  der,  der  nicht  erfüllet  ist,  d.  i.  worin  in 
dem  Eindringen  des  Beweglichen  nichts  anderes  Be- 
wegliches widersteht,  folglich  keine  repulsive  Kraft 
wirkt,  und  er  kann  entweder  der  leere  Raum  in  der  40 
Welt  (vadium  mundanum),  oder,  wenn  diese  als  be- 
grenzt vorgestellt  wird,  der  leere  Raum  außer  der 


;]18     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Xaturwisseuschaft. 

Welt  (vacuum  extramundanum)  sein;  der  erstere  auch 
entweder  als  zerstreuter  (vacuum  disseminatum,  der 
nur  einen  Teil  des  Volumens  der  Materie  ausmacht), 
oder  als  gehäufter  leerer  Raum  (vacuum  coaceruatum, 
der  die  Körper,  z.  B.  Weltkörper,  voneinander  ab- 
sondert) vorgestellt  werden,  welche  Unterscheidung, 
da  sie  nur  auf  dem  Unterschied  der  Plätze,  die  man 
dem  leeren  Raum  in  der  Welt  anweiset,  beruht,  eben 
nicht  wesentlich  ist,  aber  doch  in  verschiedener  Ab- 

10  sieht  gebraucht  wird,  der  erste,  um  den  spezifischen 
Unterschied  der  Dichtigkeit,  der  zweite,  um  die  Mög- 
lichkeit einer  von  allem  äußeren  Widerstände  freien 
Bewegung  im  Welträume  davon  abzuleiten.  Daß  den 
leeren  Raum  in  der  ersteren  Absicht  anzunehmen 
nicht  nötig  sei,  ist  schon  in  der  allgemeinen  An- 
merkung zur  Dynamik  gezeigt  worden;  daß  es  aber 
unmöglich  sei,  kann  aus  seinem  Begriffe  allein,  nach 
dem  Satze  des  Widerspruchs,  keinesweges  bewiesen 
werden.    Gleichwohl,  wenn  hier  auch  kein  bloß  logi- 

20  scher  Grund  der  Verwerfung  desselben  anzutreffen 
wäre,  könnte  doch  ein  allgemeiner  physischer  Grund, 
ihn  aus  der  Naturlehre  zu  verweisen,  nämlich  der 
von  der  Möglichkeit  der  Zusammensetzung  einer  Ma- 
terie überhaupt,  da  sein,  wenn  man  die  letztere  nur 
besser  einsähe.  Denn  wenn  die  Anziehung,  die 
man  zur  Erklärung  des  Zusammenhanges  der  Materie 
annimmt,  nur  scheinbare,  nicht  wahre  Anziehung,  viel- 
mehr etwa  bloß  die  Wirkung  einer  Zusammen- 
d rückung  durch  äußere  im  Welträume  allenthalben 

30  verbreitete  Materie  (den  Äther),  welche  selbst  nur 
durch  eine  allgemeine  und  ursprüngliche  Anziehung 
nämlich  die  Gravitation,  zu  diesem  Drucke  gebracht 
wird,  sein  sollte,  welche  Meinung  manche  Gründe  für 
sich  «hat,  so  würde  der  leere  Raum  innerhalb  den 
Materien,  wenngleich  nicht  logisch,  doch  dynamisch 
und  also  physisch  unmöglich  sein,  weil  jede  Materie 
sich  in  die  leeren  Räume,  die  man  innerhalb  derselben 
annähme  (da  ihrer  expansiven  Kraft  hier  nichts  wider- 
steht), von  selbst  ausbreiten  und  sie  jederzeit  erfüllet 

40  erhalten  würde.  Ein  leerer  Raum  außer  der  Welt 
würde,  wenn  man  unter  dieser  den  Inbegriff  aller  vor- 
züglich attraktiven  Materien  (der  großen  Weltkörper) 


IV.  Hauptstück,     Phänomenologie.  319 

versteht,  aus  ebendenselben  Gründena)  unmöglich  sein, 
weil  nach  dem  Maße,  als  die  Entfernung  von  diesen 
zunimmt,  auch  die  Anziehungskraft  auf  den  Äther 
(der  jene  Körper  alle  einschließt  und,  von  jener  ge- 
trieben, sie  in  ihrer  Dichtigkeit  durch  Zusammen- 
drückung erhält)  in  umgekehrtem  Verhältnisse  ab- 
nimmt, dieser  also  selbst  nur  ins  Unendliche  an  Dichtig- 
keit abnehmen,  nirgend  aber  den  Raum  ganz  leer 
lassen  würde.  Daß  es  indessen  mit  dieser  Weg- 
schaffung des  leeren  Raums  ganz  hypothetisch  zu-  10 
geht,  darf  niemand  befremden;  geht  es  doch  mit  der 
Behauptung  desselben  nicht  besser  zu.  Diejenige, 
welche  diese  Streitfrage  dogmatisch  zu  entscheiden 
wagen,  sie  mögen  es  bejahend  oder  verneinend  tun, 
stützen  sich  zuletzt  auf  lauter  metaphysische  Voraus- 
setzungen, wie  aus  der  Dynamik  zu  ersehen  ist,  und 
es  war  wenigstens  nötig,  hier  zu  zeigen,  daß  diese 
über  gedachte  Aufgabe  gar  nicht  entscheiden  können  b). 
Was  drittens  den  leeren  Raum  in  mechanischer 
Absicht  betrifft,  so  ist  dieser  das  gehäufte  Leere  'JO 
innerhalb  dem  Weltganzen,  um  den  Weltkörpern  freie 
Bewegung  zu  verschaffen.  Man  siehet  leicht,  daß  die 
Möglichkeit  oder  Unmöglichkeit  desselben  nicht  auf 
metaphysischen  Gründen,  sondern  dem  schwer  auf- 
zuschließenden Naturgeheimnisse,  auf  welche  Art  die 
Materie  ihrer  eigenen  ausdehnenden  Kraft  Schranken 
setze,  beruhe.  Gleichwohl,  wenn  das,  was  in  der  all- 
gemeinen Anmerkung  zur  Dynamik  von  der  ins  Un- 
endliche möglichen  größeren  Ausdehnung  spezifisch 
verschiedener  Stoffe,  bei  derselben  Quantität  der  30 
Materie  (ihrem  Gewichte  nach)  gesagt  worden,  ein- 
geräumt wird,  so  möchte  wohl,  um  der  freien  und 
daurenden  Bewegung  der  Weltkörper  willen,  einen 
leeren  Raum  anzunehmen  unnötig  sein,  weil  der  Wider- 
stand, selbst  bei  gänzlich  erfülleten  Räumen,  alsdenn 
doch   so  klein,   als  man  will,   gedacht  werden  kann. 


a)  „Grunde"  A'". 

b)  „könne"  A'". 


320     Metaphysische  Anfangsgründe  der  Naturwissenschaft. 

Und  so  endigt  sich  die  metaphysische  Körperlehre 
mit  dem  Leeren  und  eben  darum  Unbegreiflichen, 
worin  sie  einerlei  Schicksal  mit  allen  übrigen  Ver- 
suchen der  Vernunft  hat,  wenn  sie  im  Zurückgehen 
zu  Prinzipien  den  ersten  Gründen  der  Dinge  nach- 
strebt, da,  weil  es  ihre  Natur  so  mit  sich  bringt, 
niemals  etwas  anders,  als  sofern  es  unter  gegebenen 
Bedingungen  bestimmt  ist,  zu  begreifen,  folglich  sie 
weder  beim  Bedingten  stehen  bleiben,  noch  sich  das 
10  Unbedingte  faßlich  machen  kann,  ihr,  wenn  Wiß- 
begierde sie  auffodert,  das  absolute  Ganze  aller  Be- 
dingungen zu  fassen,  nichts  übrigbleibt,  als  von  den 
Gegenständen  auf  sich  selbst  zurückzukehren,  um  an- 
statt der  letzten  Grenze  der  Dinge  die  letzte  Grenze 
ihres  eigenen  sich  selbst  überlassenen  Vermögens  zu 
erforschen  und  zu  bestimmen. 


~^c:|^cx3— ■ 


Personenregister. 


A. 

Addison,  Joseph,  englischer 
Dichter,  Gelehrter  und  Staats- 
mann, geboren  am  1.  Mai  1672 
zu  Milston  in  Wiltshire,  ge- 
storben am  17.  Juni  1719  in 
Holland  House  bei  Kensington. 
Vgl.  zum  Zitat  Seite  133. 
„Der  Aufseher",  deutsch  dm*ch 
L.  A.  Gottschedin,  2.  Aufl., 
6.  Teil,  S.  277. 

B. 

Bradley,  James,  geboren  1692 
zu  Shireborn  in  Gloucester, 
gestorben  am  13.  Juli  1762 
zu  Chalford,  Astronom,  Pro- 
fessor der  Astronomie  und 
Dr.  der  Theologie  in  Ox- 
ford, später  Professor  der 
Astronomie  in  Greenwich. 
Entdecker  der  Abweichung 
der  Fixsterne,  der  Schwan- 
kung der  Erdachse  und  der 
Aberration  des  Lichts  19  45. 
107. 

Brahe  siehe  Tycho  de  Brahe. 

Brockes,  ßarthold  Heinrich,  ge- 
boren am  22.  September  1680 
zu  Hamburg,  gestorben  am 
16.  Januar  1747  ebenda.  Deut- 
scher Dichter.  Sein  Haupt- 
werk   ist     das    Gedicht    „Ir- 


VerdienstvoUer  Übersetzer 
129. 

Buffon,  George  Louis  Leclerc, 
Graf  von  B.,  geboren  am 
7.  September  1707  zu  Mont- 
bard  in  Bourgogne,  gestorben 
am  16.  April  1788  in  Paris. 
Berühmter  Naturforscher,  1739 
Intendant  am  Jardin  royal 
des  plantes.  Sein  Hauptwerk 
ist  die  Histoire  naturelle  ge- 
nerale et  particuliere  (Paris 
1749—1788),  in  36  Bänden, 
die  von  Lacepede  fortgesetzt 
wurde  77.  160. 

Bug'ge,  Thomas,  geboren  am 
12,  Oktober  1740  zu  Kopen- 
hagen, gestorben  am  15.  Ja- 
nuar 1815  ebenda.  Mathema- 
tiker, Astronom  und  Geograph, 
Professor  der  Mathematik  und 
Direktor  der  Sternwarte  in 
Kopenhagen.  Sein  Hauptwerk 
„De  forste  Grunde  til  den 
sphaeriske  og  theoretiske  As- 
tronomie samt  den  mathe- 
matiske  Geographie-  (erste 
Gründe  der  siahärischen  und 
theoretischen  Astronomie  und 
mathematischen  Geographie 
erschien  1796)  99  Anm. 

c. 

Cartesius,    Descartes,   Bene, 

geboren  am  13.  März  1596  zu 


Kant,  Kl.  Schriften  z.  Naturphilosophie.     I. 


21 


322 


Personenresrister. 


La  Haye,  Toiiraine,  gestorben 
am  1 1 .  Februar  1650  zu  Stock- 

■  holm  15.  278. 

Cassini.  Giovanni  Domenico,  ge- 
boren am  8.  Juni  1G25  zu 
Perinaldo  bei  Xizza,  gestorben 
am  U.  September  1712.  Pro- 
fessor der  Astronomie  zu  Bo- 
logna, Mitglied  der  Pariser 
Akademie  und  erster  Direktor 
der  neuerbauten  Sternwarte 
zu  Paris:  entdeckte  die  Ro- 
tationen der  Planeten  JujMter, 
Mars  und  Venus,  vier  Tra- 
banten des  Saturn  und  die 
Teilung  des  Saturnringes  103. 
107.  Anm. 

D. 

Deiiiocritus  aus  Abdera  um 
470/370  a.  Chr.  n.  13.  14.  278. 

Derliam,  William,  geboren  1657 
in  Stougliton  (AVorcester),  ge- 
storben 1735,  Naturphilosoph 
und  Theologe.  Er  schrieb 
eine  Physico-Theologie  1713, 
eine  Astro- Theologie  1714 
(vgl.  Kants  Zitat  Seite  48) 
und  eine  Christo  -  Theologie 
1730,  sowie  ein  Buch  über  die 
Uhrmacherkunst  21.  Anm.  48. 

E. 

Epicur,  geboren  um  341  a.Chr.n, 
zu  Samos,  gestorben  um  270 
8.  13.  14. 

Erxleben,  geboren  am  22.  Juni 
1 744  zu  Quedlinburg,  gestorben 
am  19.  August  1777;  Professor 
der  Philosophie  an  der  Uni- 
versität Gröttingen :  er  schrieb 
„Anfangsgründe  der  Xatur- 
lehre",  3.  Aufl.,  mit  Zusätzen 
von  Gr.  C.  Lichtenberg  1785 
49.  Anm. 


Euler,  Leonhard,  geboren  den 
15.  April  1707  zu  Basel,  ge- 
storben den  18.  September 
1783  zu  St.  Petersburg,  großer 
Mathematiker  und  Physiker, 
Professor  der  Physik  und 
Mathematik  und  Mitglied  der 
Akademie  zu  St.  Petersburg, 
seit  1741  Professor  der  Mathe- 
matik zu  Berlin;  schrieb  viele 
vorzügliche  Lehrbücher,  die 
„Introductio  in  aualysin  in- 
finitorum"  1748,  ,.Introduc- 
tiones  calculi  ditferentialis" 
1755  und  die  „Introductiones 
calculi  integralis"  1768 — 1770, 
sowie  die  „Briefe  an  eine 
deutsche  Prinzessin"  „Lettres 
a.  une  princesse  d'Allemagne 
sur  quelques  sujets  de  phy- 
sique  et  de  philosophie"  1768 
bis  1772  259  Anm. 

F. 

Flammsteed,  John,  geboren  am 
19.  August  1646  zu  Derby, 
gestorben  am  31.  Dezember 
1719,  königlicher  Astronom 
au  der  neuerbauteu  Sternwarte 
zu  Greenwich,  Yorgänger 
Halleys:  Seine  „Historia  coe- 
lestis"  und  sein  „Atlas  coe- 
lestis"  erschienen  erst  nach 
seinem  Tode  19. 

Fontenelle,  Bemard  le  Bovier 
de,  geboren  am  11.  Februar 
1657  zu  Ronen,  gestorben  am 
9.  Januar  1757  zu  Paris:  be- 
rühmter Schriftsteller.  Mit- 
glied der  Academie  fraugaise 
und  ständiger  Sekretär  der 
Akademie  des  sciences.  Sein 
„Entretien  sur  la  pluralite 
des  mondes"  wurde  1727  von 
Gottsched  ins  Deutsche  über- 
setzt 169. 


Personenregister. 


323 


Gensichen ,  Johann  Friedrich, 
geboren  1769  zu  Driesen  in 
der  Neumark,  gestorben  am 
7.  September  1807:  Zweiter 
Inspektor  des  Alumnats  beim 
CoUegium  Albertinum  und 
zweiter  Bibliothekar  an  der 
Schloßbibliothek  zu  Königs- 
berg, außerordentlicher  Pro- 
fessor au  der  Universität 
Königsberg  43.  46  f.  49.  53. 
61  ff.  69  f.  73  f.  77.  94  f.  99. 
109.  Anm. 

Gottsched,  Johann  Christoph, 
geboren  am  2.  Februar  1700 
zu  Juditten  bei  Königsberg, 
gestorben  den  12.  Dezember 
1766  zu  Leipzig:  Dichter 
und  Gelehrter,  Professor  der 
Dichtkunst,  der  Logik  und 
Metaphysik  zu  Leipzig  133. 

H. 

Haies,  Stephanus,  geboren  am 
7.  September  1677  in  der 
Grafschaft  Kent,  gestorben 
den  4.  Januar  1761;  Doktor 
der  Theologie  und  bedeuten- 
der Naturforscher,  Vikarius  zu 
Teddington  und  Parlock,  zu- 
letzt Pfarrer  in  Sarringdon, 
Mitglied  der  Royal  Society 
zu  London  und  der  Akademie 
der  Wissenschaften  zu  Paris. 
Er  sclirieb  eine  „Statik  der 
Gewächse",  eine  „Statik  des 
Geblüts"  und  ein  Buch  über 
die  „Verbesserung  des  See- 
wassers-' 187. 

Haller,  Albrecht  v. ,  geboren 
am  16.  Oktober  1708  zu 
Bern,  gestorben  am  12.  De- 
zember 1777  ebenda:  Dichter 
und  Arzt,  Professor  der  Ana- 1 


tomie  und  Chirurgie  in  Göt- 
tingen Verfasser  des  bekann- 
ten Lehrgedichts  „Die  Alpen". 
Kants  Zitate  stammen  aus  der 
„Unvollkommenen  Ode  über 
die  Ewigkeit"  1743  125.  132. 
184. 

Halley,  Edmund,  geboren  am 
29.  Oktober  1656  zu  Hagger- 
ston bei  London,  gestorben 
am  14.  Januar  1742  zu  Green- 
wich:  großer  Astronom,  Pro- 
fessor der  Geometrie  zu  Ox- 
ford und  Direktor  der  Stern- 
warte von  Greenwich  20  f. 
Anm. 

Herscbel,  Friedrich  "Wilhelm 
(Sir  Fred.  AVilliam),  geboren 
am  15.  November  1738  in  Han- 
nover, gestorben  am  25.  August 
1822  in  Slough  bei  Wiudsor: 
Königl.  Astronom  Georgs  III. 
Er  entdeckte  den  Planeten 
Uranus;  die  von  ihm  mit 
Hilfe  eines  selbstverfertigten 
Spiegelteleskops  angestellten 
Beobachtungen  gehören  zu 
den  wertvollsten  Errungen- 
schaften der  neueren  Astro- 
nomie 47.  Anm.  99.  Anm. 

Hevelius  (Johannes  Hevel  oder 
Höwelcke),  geboren  am  28.  Ja- 
nuar 1611  zuDanzig,  gestorben 
am  28.  Januar  1687  ebeuda, 
Ratsherr  und  Bierbrauer  zu 
Danzig  und  hervorragender 
Astronom.  Seine  bedeutend- 
sten Werke  sind  die  „Seleno- 
graphia"  (INIondbeschreibung) 
und  die  „Machina  coelestis" 
1673—1679  21.  Anm. 

Hire,  Philippe  de  La,  geboren 
am  18.  März  1640  zu  Paris, 
gestorben  am  21.  April  1718 
ebenda:  INIitglied  der  Aka- 
demie des  sciences  und  Pro- 
fessor am  College  de  France, 

21* 


324 


Personenregister. 


großer  Mathematiker  und  As- 
tronom 46.  Anm. 

Hugen.  Huyghens,  Christian, 
geboren  am  14.  August  1629  im 
Haag,  gestorben  am  8.  Juni 
1695  ebenda,  großer  Mathe- 
matiker, Phj'siker  und  Astro- 
nom, Mitglied  der  Royal  So- 
ciety und  der  Akademie  der 
Wissenschaften  zu  Paris  20. 
Anm.  39.  44  f.  100. 

Hume.     David,     geboren     am 

26.  April  1711  zu  Edinburgh, 
gestorben  am  25.  August  1776 
ebenda,  Philosoph  und  Histo- 
riker 200  Anm. 

K. 

Kepler,    Johann,    geboren    am 

27.  Dezember  1571  zu  "Weil 
in  Württemberg,  gestorben  am 
15.  November  1630  zu  Regens- 
burg 34.  299, 

La  Hlre  siehe  Hire. 

Lambert,  Johann  Heinrich,  ge- 
boren am  26.  August  1728 
zu  Mülhausen  im  E.,  gestor- 
ben am  25.  September  1777 
zu  Berlin:  großer  Mathema- 
tiker, Physiker,  Astronom  und 
Philosoph,  Professor  in  Mün- 
chen und  Mitglied  der  Aka- 
demie der  Wissenschaften.  Er 
schrieb  1760  eine  Photometrie, 
1761  „Kosmologische  Briefe", 
das  „Neue  Organon"  usw.  46  f. 
Anm.  49.  Anm,  229. 

Leibniz,  Gottfried  Wilhelm,  ge- 
boren am  21.  Juni  1646  zu 
Leipzig,  gestorben  am  14.  No- 
vember 1716  zu  Hannover 
242  f 

Leucipp,     Leukippos    aus    Ab- 


dera,  lebte  um  das  5.  Jahr- 
hundert vor  Christi  Geburt  13. 
14. 

Lichtenberg,  Georg  Christoph, 
geboren  am  1.  Juli  1742  in 
Ober- Ramstadt  bei  Darmstadt, 
gestorben  am  24.  Februar  1799 
in  Güttingen,  Professor  der 
Philosophie  in  Göttingen,  be- 
deutender Naturforscher  und 
Satyriker  49.  Anm.   110.  Anm. 

Lucrez.  Titus  Lucretius  Carus, 
geboren  um  96  a  Chr.  n.  ge- 
storben 55 :  römischer  Dich- 
ter, Verfasser  des  Lehrgedichts 
„De  rerum  natura"  13.  197. 

M. 

Mairan,  Herr  von  (Jean-Jacques 
Dortous  de),  geboren  am 
26.  November  1678  zu  Be- 
ziers, gestorben  am  20.  Feb- 
ruar 1771  zu  Paris:  Schrift- 
steller, Physiker  und  Astro- 
nom. Ständiger  Sekretär  und 
Mitglied  der  Pariser  Akade- 
mie des  Sciences,  der  Royal 
Society,  sowie  der  Petersburger 
Akademie.  Drei  seiner  Ab- 
handlungen wurden  von  der 
Akademie  zu  Bordeaux  preis- 
gekrönt 112. 

Mariotte.  Edme,  geboren  um 
1620  in  Bourgogne,  gestorben 
am  12.  Mai  1684  zu  Paris,  be- 
rühmter Phj'siker,  Prior  von 
St.  Martin -sous-Beaune  und 
Mitglied  der  Pariser  Akademie 
des  Sciences.  Das  nach  ihm 
benannte  Gesetz,  welches  er 
zugleich  mit  Robert  Boyle  ent- 
deckte, wurde  von  ihm  1679  in 
der  Abhandlung  „De  la  nature 
de  l'air"  veröffentlicht  263. 

Maupertuis,  Pierre  Louis,  Mo- 
reau  de,  geboren  am  28.  Sep- 


Personenregister. 


325 


tember  1698  in  St.  Malo,  ge- 
storben am  27.  Juli  1759  in 
Basel,  bedeutender  Mathema- 
tiker und  Naturforscher,  Mit- 
glied der  Akademie  des  Scien- 
ces zu  Paris  und  Präsident 
der  Berliner  Akademie  20. 
48.  50. 

N. 

Newton,  Sir  Isaak,  geboren  am 
5.  Januar  1643  zu  Woolsthorpe 
in  Lincolnshire,  gestorben  am 
31.  März  1727  zu  Kensington 
13.  17.  18.  23.  33.  42.  66.  70. 
72  f.  76.  101  ff.  107.  128.  153. 
156.  159.  176.  177.  198.  Anm. 
203.  252  f.  263.  271.  299.  309. 
315. 

P. 

Poned  (Pound),  Jacob,  lebte  im 
ersten  Viertel  des  17.  Jahr- 
hunderts: bedeutender  Phy- 
siker und  Astronom,  Mitglied 
der  Royal  Society  und  Pre- 
diger an  der  englischen  Kirche 
zu  London  103. 

Pope,  Alexander,  geboren  am 
21.  Mai  1688  zu  London,  ge- 
storben am  30.  Mai  1744  zu 
Twickenham:  Dichter;  Ver- 
treter des  Pseudoklassizismus. 
Kants  Zitate  sind  dem  „Ver- 
such vom  Menschen"  ent-  i 
noramen,  den  ßrockes  ^  ver- ! 
deutscht  hat,  vgl.  diese  Über- 
setzung Seite  5,  59.  11,  5.  35, 
25/26;  31.  55.  129.  165.  177. 
183. 

B. 

Ricciolus  (Riccioli),  Giovanni 
Battista,  geboren  1598  zu 
Terrara,  gestorben  am  25. 
Juli  1671  zu  Bologna:  Jesuit, 


berühmter  Astronom.  Sein 
bedeutendstes  Werk  ist  das  im 
Jahre  1651  zu  Bologna  er- 
schienene „Almagestum  no- 
vum"  46. 

S. 

Steinwebr,  "VVolf  Balthasar 
Adolph  von,  geboren  am 
9.  August  1704  zu  Delz  bei 
Soldin  in  der  Neumark,  ge- 
storben am  4.  April  1771, 
a.  o.  Professor  der  Philosophie 
in  Göttingen,  später  Professor 
der  Geschichte,  des  Natur- 
und  Völkerrechts  in  Prank- 
furt an  der  Oder  107.  Anm. 

T. 

Tycho  de  Brahe,  geboren  am 
14.  Dezember  1546  zu  Knuts- 
torpbeiHelsingborg,  gestorben 
am  24.  Oktober  1601  zu  Prag, 
berühmter  Astronom,  Vor- 
steher der  Sternwarte  in  Ura- 
nienburg. Sein  Hauptwerk 
„AstroDomiae  instauratae  me- 
chanica"  erschien  1598  zu 
"Wandsbeck.  Bei  der  Aufstel- 
lung seiner  drei  berühmten 
Gesetze  fußte  Kei^ler  vor  allem 
auf  den  vortrefflichen  Be- 
obachtungen Tycho  de  Brahes 
19. 

IT. 

Ulrich,  Johann  August  Hein- 
rich, geboren  am  26.  April 
1746  zu  Rudolstadt,  gestorben 
am  3.  Februar  1813.  Professor 
der  Philosophie  in  Jena  197. 
Anm. 

W. 

Weitenkampf,  Johann  Friedrich, 
gestorben    April    1758:     Ma- 


326 


Personenregister. 


gister  und  Privatdozent  der 
Philosophie  an  der  Universität 
zu  Helmstädt,  Diakonus  zu 
Braunschweig,  schrieb  das 
„Lehrgebäude  vom  Untergang 
der  Erde"  118.  Anm. 
Wrlght  von  Durham,  Thomas, 
lebte  um  dielNIitte  des  18.  Jahr- 
hunderts. Sein  Werk,  auf  das 
sich  Kant  in  der  „Naturge- 
schichte des  Himmels"  beruft, 
trägt  den  Titel:  An  original 
Theory  or  new  Hypothesis  of 
The  Universe,   founded   upon 


The  Laws  of  Nature,  and  sol- 
ving  by  mathematical  Princip- 
les  The  general  Phaenomena  of 
The  visible  Creation;  aud  par- 
ticulary  The  Yia  lactea  (eine 
neu  erfundene  Theorie  oder 
neue  Hypothese  von  dem^Velt- 
gebäude,  die  sich  auf  die  Ge- 
setze der  Natur  gründet  und 
durch  mathematische  Grund- 
sätze die  allgemeinen  Phäno- 
mene der  sichtbaren  Schöpfung 
und  der  Milchstraße  im  beson- 
deren auflöst)  18.  20.  40.   142. 


Sachregister. 


A. 

Abweichung-,  freie,  der  Himmels- 
körper 155. 

—  von  der  gemeinschaftlichen 
Fläche  151. 

—  von  der  geradlinigen  Be- 
wegung 13,  14. 

Achse,  Verkürzung  der  101. 

cvondrehung,  Theorie  der  90  f. 

actio  in  distans  248. 

Adler  (Sternbild)  141. 

Äquator  einer  Himmelskugel  93. 
101. 

-^^sfläche  36,  57,  101. 

Aquinoktialzirkel  93. 

Äther  253,  280,  318. 

Akzeleration,  Moment  der  302. 

Akzidens  199  Anm. 

Allgemeine  Literaturzeitung  197, 
Anm. 

Allgemeinheit,  logische  206, 

— ,  physische  206. 

Allheit  226. 

Andromeda  (Sternbild)  21  Anm. 

Anordnung,  höchste  A.  der  "Welt 
152. 

Anschauung  a  priori  193,  199, 
Anm. 

— ,  innere  =  Zeit  194. 

— ,  reine  A.en  und  Formen  der 
Gegenstände  möglicher  Erfah- 
rung 199,  Anm. 

Antagonismus,  Gesetz  des  317. 

Antinous  (Sternbild)   20  f.  Anm. 


Anziehen  =  sich  einander  nach 
einem  Gesetze  nähern  251. 

Anziehung  115,  117  f.,  318. 

— ,  die  allgemeine  A.  ist  pro- 
portional der  Quantität  der 
Materie  252  ff. 

—  durch  den  leeren  Raum  249. 
— ,   eine   durchdringende  Kraft 

303. 

—  in  die  Ferne  198  Anm. 

— ,  ursprüngliche  253,  256,  288. 
— ,     ursprüngliche    Bewegungs- 
quelle 117. 
— ,  Xewtonsche  66. 
— ,  Sollizitation  der  303. 

—  der  Teilchen  65  f. 

— ,  Versuch  einer  Konstruktion 

der  258  f. 
— ,  v>ahre  und  scheinbare  251  f. 
cviskraft  (siehe  auch  „Kraft")  23, 

35,  57,  60  ff.,  230,  243. 
Apperzeption  290. 
a  priori   erkennen  =  aus  bloßer 

Möglichkeit  erkennen  193. 
Arktiir  19. 
Astrotheologie  (siehe  auch  „Der- 

ham")  48. 
Atheisten  13. 
Atome  147. 

—  und  das  Leere  277  f. 
Atomistik  oder  Korpuskularphi- 
losophie 278. 

Attraktion  148. 

— ,  Gesetze  der  12,  102,  Anm. 

— ,  Mittelpunkt  der  62,  64. 


328 


Sachregister. 


Attraktion,  spezifische  ü6. 
oostheorie  253. 

c^szentruni  des  Universums  120. 
Auflösung,  Definition  274  f. 
— ,  absolute  274. 
Ausdehnung,     unendliche     118, 
Anm. 

B. 

Bebung  208. 

Bedingung,  das  absolute  Ganze 
aller  B.en  320. 

Begehren  292. 

Begriff,  abgezogener  172. 

— ,  Konstruktion  des  ß.s  193, 
195,  239,  262,  281. 

— ,  —  der  Bewegung  213. 

— ,  platonischer  ß.  von  der  Welt 
242. 

Behan-ung,  beharrlich,  Definition 
211. 

— ,  beharren,  nicht  gleich  in  be- 
harrlichem Zustande  sein  213. 

Berührung,  mathematische  248, 
251. 

— ,  nicht  unterschieden  von: 
durch  unendlich  kleine  Zwi- 
schenräume getrennt  sein  262. 

— ,  physische  248  f. 

—  =  Wirkung  der  Undurchdring- 
hchkeit  248,  251. 

Beschleunigung  302. 

Beweghchkeit  204.  206, 

Bewegung,  absolute  298,  306  f., 
308.  311.  316. 

— ,  —  des  Weltganzen  316. 

— ,  relative  205,  298,  311. 

— ,  beschleunigte  35. 

— ,  drehende  208. 

— ,  eingedrückte  16,  59. 

— ,  exzentrische  80. 

— .  fortschreitende  208. 

— ,  geradhnige  208,  216,  225, 

— .  innere  208. 

— ,  kreisförmige  17,  36,  52,  313  f, 

— ,  krummlinige  225. 


Bewegung,  nicht  in  sich  zurück- 
kehrende 208. 

— ,  oszillierende  208. 

— ,  schießende  148. 

— ,  wahre  (wirkliche)  313  f. 

— ;  zirkulierende  208. 

— ,  Begriff  der  B,  und  seine  Kon- 
struktion 213. 

— ,  —  als  Gegenstand  der  Er- 
fahrung 307. 

—  als  Beschreibung  des  Raumes 
217. 

—  als  Größe  214. 

— ,  Größe  der  B.  mechanisch  ge- 
schätzt 283  f. 

— ,  Größenlehre  der  217. 

— ,  Grundbestimmung  eines  Et- 
was, das  Gegenstand  äußerer 
Sinne  ist  201. 

—  eines  Dinges  =  Veränderung 
seiner  äußeren  Verhältnisse 
207. 

— ,  Mitteilung  der  B.  und  ihre 
Konstruktion  299. 

— ,  Modalität  der  B,  in  der  Pho- 
ronomie  308. 

— ,  —  der  B.  in  der  Dynamik 
310. 

— ,  —  der  B.  in  der  Mechanik 
310, 

— ,  —  der  geradlinigen  B.  306  f., 
308. 

— ,  —  der  kreisförmigen  B.  308. 

— ,  Mechanik  der  natürlichen 
B.en  182. 

— ,  Quantität  der  B.  fphorono- 
mischer  und  mechanischer  Be- 
griff der  Quantität  der  B.)  285. 

— ,  Zusammensetzung  der  218. 

225 

1.  Fall  218. 

2.  Fall  219. 

3.  Fall  220  f. 
— ,  — ,  Definition  216. 

— ,  Konstruktion  der  Zusammen- 
setzung der  B.  224. 
— ,  Zusammensetzung  derB.  muß 


Sachregister. 


329 


ohne  Zuhilfenahme  von  Kräften 

geschehen  224. 
oosgesetze,  allgemeine  16.  145  f. 

162. 
ooslehre,  reine  und  angewandte 

201. 
Bewußtsein  290. 

C. 

Centaur  (Sternbild)  20,  Anm. 

Chaos  12,  15,  23  f.,  60  f.,  98,  115, 
117,  123  f.,  126,  130  £f.,  139, 
143. 

Chemie,  nicht  Wissenschaft,  son- 
dern systematische  Kunst  191, 
198. 

— ,  chemische  Wirkung  274  f. 

D. 

Denken  292. 

— ,   Prinzipien  der  Möglichkeit 

des  D.s  200  Anm. 
Denkvermögen  172  flf. 
Dichtigkeit,  Definition  267. 
— ,  absolute  267. 
— ,    Abnahme    der  D.   mit   der 

Entfernung  von  der  Sonne  166. 
Ding  an  sich  240. 
— ,   das    Zusammengesetzte    der 

Dinge  an  sich  242. 
Durchdringung  der  Materie  232  f. 
— ,  chemische  274  f. 
Dynamik  201,   227  ff.,   252,   309. 
— ,  allgemeine  Gesetze  der  262. 
— ,  Grundsatz    der   allgemeinen 

272. 
— ,  allgemeine     Prinzipien     der 

264. 
— ,  dynamische   Erklärung  277. 

E. 

Einfache,  das  242  f. 

Einheit  225. 

Ekliptik  91. 

Elastizität,  ursprüngUche  232. 

—  (Definition)  257. 


Elastizität,  Si>ringkraft  299  Anm. 
— ,  expansive  \  „„o 
— ,  attraktive  j 

—  der  Dünste  61. 

— ,  elastisches  Medium  276. 
Ellipse,  offene  48. 
Empfindung  172  f. 
Endzweck,  Beweggründe  desE's. 

176. 
Epikureer  146. 
Erde  (Planet)    33,  51,  70  ff.,  76, 

84,    91,    115,    135,    157,    160, 

161,  169,  184f. 
— ,  Erdachse,  schiefe  Lage  der 

163. 
— ,  Einwohner  der  175,  178. 
— ,  Monde  der  163. 
— ■,  ob   die   Erde    einmal    einen 

Hing  gehabt  hat  110  ff. 
Erfahrung  306. 

—  =  empirische  Erkenntnis  — 
enthält  Metaphysik  195. 

— ,  nur  möglich  durch  Katego- 
rien 199  Anm. 

Erklärungsart,  mechanische  152, 
161  f. 

— ,  mathematisch  -  mechanische 
266. 

Erscheinung  31 2  f. 

—  und  Schein  306. 

— ,  Teilbarkeit  der  241. 

— ,  das  Zusammengesetzte  der 
243. 

Erscheinungslehre  312. 

Euler  (Eulers   Hypothese)    259. 

Ewigkeit  118  Anm.,  124. 

Exzentrizität  (der  Planeten)  24, 
51  f.,  67,  78  ff. 

— ,  Zunahme  der,  mit  dem  Ab- 
stand von  der  Sonne  80. 

— ,  Ausnahmen  davon  81. 

F. 

Pernwirkung  248,  250. 
fest  (Definition)  269. 
Feuerhimmel  48. 


330 


Sachregister. 


Figuren  (elliptische)  49,  50. 
Fixsterne  18. 

—  =  Sonnen  39,  11 5f. 
— ,  System  der  43,  47. 

— ,  systematische  Verfassung  der 

31  ff. 
cv;nsysteme,  Theorie  der  24. 

—  =  "Wandelsterne  höherer  Ord- 
nung 19. 

Fläche,    gemeinschaftliche,    der 

Fixsterne  18,  41,  49. 
,  der  Planeten  3G,  43,  66, 

72  f.,  149  ff.,  155. 
flüssig  (Definition)  269, 
Fuchs  (Sternbild)  141. 

Ct. 

Gans  (Sternbild)  141. 

Gärung  208. 

Geist,  unsterblicher  133. 

Geister,  Wohnort  der  142  f. 

Geisterwelt,  Anfang  des  Ge- 
schlechts der  144. 

Gemeinschaft,  Kategorie  der 
302. 

Geometrie  203. 

— ,  geometrische  Konstruktion 
beruht  auf  Kongruenz  222. 

Geschöpfe,  belebte,  ihr  Ursprung 
14. 

Geschwindigkeit  208. 

— ,  Begriff  der  210. 

—  als  Größe  222. 

— ,  extensive  Größe  223. 

— ,  intensive  Größe  223. 

— ,  Konstruktion  der,  als  Größe 
223. 

— ,  Abnahme  der,  nach  dem 
Grad  der  Entfernung  vom 
Mittelpunkt  149. 

Gesetze,  allgemeine  181. 

— ,  eingepflanzte  147. 

— ,  ewige  145. 

— ,  die  notwendigen,  und  die 
Materie  14  f. 

— ,  die,  der  scheinbaren  Verän- 
derungen eines  Sternes  20. 


Gestalten,  Möglichkeit  der  266. 

Gleichartigkeit,  absolute,  des 
Stoffes  278. 

Glückseligkeit  133,  142,  186. 

Gott  15,   129,  145,  152,  162, 

— ,  Unendlichkeit  seiner  Schöp- 
fungskraft 118. 

cNDes  Absicht  157. 

cvjes  Vollkommenheit  183. 

c^es  Wahl  161. 

cv^es  Weisheit  119  f.,  162,  168, 
181. 

cvses  Wille  153. 

—  in  der  Maschine  146. 
Gottesleugnung,  Theorie  der  14. 
Gottheit  133,  142,  144,  147,  178. 
Götthche  Allmacht  127  f. 

—  Gegenwart:  leerer  Raum  als 
Umfang  der  göttlichen  Gegen- 
wart 115. 

—  — ,  unendlicher  Raum  der 
göttlichen  Gegenwart  122  ff. 

—  Idee  99. 

Göttlicher  Urheber:  Beweis  eines 
göttlichen  Urhebers  aus  der 
Schönheit  und  Vollkommen- 
heit des  Weltbaues  8. 

—  Verstand  98,  118  Anm.,  182; 
ewige  Idee  des  göttlichen  Ver- 
standes 60,  182. 

Gravität  34;  System  der  Gra-vi- 

täten  190  Anm. 
Gravitation  (Definition)  257. 
Grenze,  letzte,    der  Dinge  320. 

—  der  sich  selbst  überlassenen 
Vermögen  320. 

Größe  199. 

— ,  Begriff  der  217,  225. 

— ,  Anwendung  des  Begriffs  der, 

auf  Materie  245. 
— ,  Konstruktion  der  285 ; 
— ,  extensive  223, 
— ,  intensive  202,  223,  286. 
Größenlehre     der    Bewegungen 

217. 


Sachregister. 


331 


Grundsätze,     synthetische     199 

Anm. 
Grundstoff,    elementarischer  59. 
Grundwesen  145. 

H. 

Harmonie ,  prästabilierte  200 
Anm. 

Härte,  absolute  299  Anm.,  303. 

Herkules,  Sternbild  21  Anm. 

Himmelskörper,  Bildung  der 
55ff. 

— ,  Übereinstimmung  in  der  Be- 
wegung der  57. 

— ,  Ursachen  ihrer  Bev>egungen 
55  ff. 

Hydrodj-namik,  Gesetz  der  271. 

Hydrostatik,  Gesetz  der  272. 

Hylozoismus,  der  Tod  der  Na- 
turphilosophie 293. 


Ich,  das  —  kein  Begriff  291. 
Intussuszeption  275. 
Irrsterne  44. 

Irrtum:  Quelle  des  Irrtums  und 
der  Laster  174. 

J. 

Jamaika  10. 

Jupiter  (Planet)  88,  51,  72,  74f., 
81,  83,  86,  88  f.,  91,  98  f., 
102f.,  108,  115  f.,  157  f.,  168, 
170,  178  ff.,  185,  253. 

— ,  seine  Achse  163. 

— ,  seine  Bewohner  175. 

— ,  seine  Monde  163. 

K. 

Kategorien  199. 
— ,  Deduktion  der  197  Anm. 
— ,  Tafel  der  197  Anm. 
Kausalität,  Kategorie   der   302. 
Kausalverhältnis  296  Anm. 
Keplersche    Gesetze    34    (siehe 
auch  Kepler). 


Klebrigkeit  (viscositas)  Defini- 
tion 269. 

Komet  33,  42,  44.  67  Anm.,  149, 
152,  171. 

oon,  Atmosphären  der  81. 

cv-n,  Massen  und  Dichtigkeiten 
der  83. 

— ,  Schweife  der  77,  81,  84. 

cv;n,  Abweichung  der  24,  36. 

— ,  Ursprung  der  78  ff. 

c^n,  weniger  exzentrische  51.  67. 

— ,  kometische  Bewegungen  82  f. 

— ,  kometische  Körper  73. 

Kontinuum  239,  262,  267. 

Körper:  Bildung  einesKörpers  66. 

— ,  physischer,  Definition  267. 

— ,  mechanischer,  Definition  283. 

— ,  absolut  harte  299  Anm.,  303f. 

— ,  elastische  299  Anm 

Kosmogonie  176;  alte  14. 

Kraft,  bewegende  228,  264,  265. 

— ,  Anziehungskraft  131,  154, 
230  f.,  253,  279,  288,  303; 
siehe  auch  Anziehung  (Attrak- 
tionskraft). 

— ,  ursprüngliche  Anziehungs- 
kraft, erstreckt  sich  ins  Un- 
endliche 254  f.,  263,  wirkt  im 
umgekehrten  Verhältnis  der 
Quadrate  der  Entfernung  259, 
260  f.,  262. 

— •,  Anziehungskraft,  ist  eine 
Grundkraft  243  ff.,  264. 

— ,  Anziehungskraft,  Grund  der 
Möglichkeit  der  Materie  249. 

— ,  durchdringende  254. 

— ,  eingepflanzte  Kräfte  147. 

— ,  expansive  265. 

— ,  Flächenkraft  254. 

— ,  geistige  Kräfte  142. 

— ,  Grundkräfte  249,  266. 

— ,  lebendige  Kräfte,  Schätzung 
der  lebendigen  Kräfte   265  f. 

— ,  tote  286. 

— ,  den  Mittelpunkt  fliehende 
Kräfte  42,  43. 

— ,  schießende  33. 


332 


Sachregister. 


Kraft,  Schwungkraft  63, 117, 153. 

— ,  Senkungskraft .'34f., 52, 63, 148. 

— ,  treibende  230. 

— ,  Umwendungskraft  62. 

— ,  wesentliche  Kräfte  61. 

— ,  Zentralkraft  96. 

— ,  Zentripetalkraft  34. 

— ,  ziehende  230. 

— .  zusammendrückende  232, 
244.  j 

— ,  Zurückstoßungkraft     (repul- ' 
sive  [siehe  auch  da])  131,  230  f., 
244,  246  ff.,  250,  263,  279. 

—  — ,  gehört  zum  Wesen  der 
Materie  247. 

—  — ,  ursprüngliche  249,  263. 

—  — ,  Konstruktion;  wirkt  im 
umgekehrten  Verhältnis  der 
Würfel  unendlich  kleiner  Ent- 
fernungen 260,  262 

— ,  Zurückstoßung,    Sphäre  der 

Kraft  des  Einfachen  261. 
Kreisbewegung,   beständige   36. 

—  der  Himmelskörper  52. 
Kritik  der  reinen  Vernunft  206, 

L.. 

Leben,  Definition  292. 

Leblosigkeit  292. 

Leere,  das  320. 

— ,  das  absolut  277  f. 

Lehrbegriff,    mechanischer    181. 

Lehrverfassung,mechanische  1 56. 

— ,  des  Weltbaues.  Beweis  ihrer 

Richtigkeit  144  ff. 
Licht,    eingedrückte   Bewegung 

des  L.s  117. 
Limitation,   Kategorie   der  264. 
Logik  312  Anm. 
Luft  136  f. 
Lust  und  Unlust,  Gefühl  der  292. 

M. 

Mars  (Planet)  33,  51,  75,  79, 
81,  88f.,  91,  158f.,  161,  170, 
184  f. 

— ,  seine  Achse  163. 


Mars,  seine  Bewohner  185. 

Maschine,  Definition  283. 

Masse,  Begriff  der  287. 

-,  Definition  283. 

cv)n  der  Himmelskörper  im  Ver- 
gleich zu  ihren  Entfernungen 
vom  Zeutralkörper  72,  157. 

— ,  Ursiirung  der  Massen  zu- 
gleich Ursprung  der  Bewegun- 
gen 66. 

Materie  196. 

— ,  Allgemeiner  Begriff  der  200. 
205. 

— ,  der  Begriff  der,  wird  auf 
bewegende  Kräfte  zurückge- 
führt 265. 

— ,  Konstruktion  des  Begriffs  der 
229,  255 f.,  266. 

— ,  Zergliederung  der  195. 

— ,  Definition  =  das  Bewegliche 
im  Räume  204. 

— ,  —  =  das  Bewegliche,  sofern 
es  einen  Raum  erfüllt  227. 

— ,  Subjekt  dessen,  was  im 
Räume  existiert  236. 

—  als  etwas  Bewegliches  214. 
— ,  dynamische    Erklärung    der 

227,  255. 

— ,  mechanische  Definition  der 
282  ff. 

— ,  phänomenologische  Defini- 
tion der  305  f. 

— ,  bloß  leidend  60. 

— ,  Gegenstand  äußerer  Sinne 
205. 

— ,  das  eigentliche  Empirische 
205. 

—  hat  keine  inneren  Bestim- 
mungen 292. 

—  als  Substanz  291. 

=,   anerschaffene  Eigenschaften 

der  16. 
— ,  feinste  Auflösung  der  23. 

—  hat  eine  natüi'liche  Bestre- 
bung zu  einer  vollkommenen 
Verfassung  60. 


Sachreg-ister. 


333 


Materie,  ihre  Gesetze  und  der 
Entwurf  der  höchsten  "Weis- 
heit 9. 

— ,  Grundmaterie,  eine  Folge 
des  göttliclien  Daseins  119. 

— ,  die  Materien  des  Weltraumes 
befinden  sich  ihren  Höhen 
nach  im  verkehrten  Verhältnis 
ihrer  Dichtigkeiten  69  f. 

— ,  Kräfte  der  146. 

— ,  Quantität  der,  Definition 
283  f.,  288. 

c^n,  spezifische  Verschiedenheit 
der  277. 

oon,  stetige  262. 

Mathematik  —  läLt  sich  nichts 
wegvernünfteln  240. 

— ,  die  Anwendung  der,  auf 
Körperlehre  erfordert  Kon- 
struktion der  Begrifle  195. 

—  gi'ündet  ihre  Erkenntnis  auf 
Konstruktion  der  Begriffe  in 
einer  Anschauung  a  priori  192. 

—  und  Metaphysik  239. 

— ,  mathematische  Konstruktion 

195,  224. 
Mechanik    201,    216.    224,   252. 

282  flf.,  296  Anm. 
— .  1.  Gesetz  der  289. 
—,  2.  Gesetz  der  291. 
— ,  3.  Gesetz  der  293. 
— ,  bhnde  11. 

— ,  mechanischer  Weg  277 f. 
— ,  mechanische  Wirkung  274 f. 
Menge  ohne  Zahl  und  Grenzen 

118  Anm. 
— ,  unendliche  240  f. 
Mensch,  seine  Natur  171  ff.,  177, 
Merkur  (Planet)  33,  51,  70,  72, 

75,  81,  149,  iei. 
— ,  seine  Bewohner  177  f. 
Metaphysik  203,  239. 

—  oder  Philosophie  =  reine 
Vemunfterkenntnis  aus  bloßen 
Begriffen  192. 

—  der  Natur  192. 


Metaphysik,  der  Xatur,  transzen- 
dentaler Teil,  der  192. 

—  der  köi-perlichen  Natur  192, 
195,  202. 

—  der  denkenden  Natur  192. 

—  enthält  die  reinen  Hand- 
lungen des  Denkens,  also  Be- 
griffe und  Grundsätze  a  priori 
195. 

—  läßt  absolute  Vollständigkeit  in 
den  Wissenschaften  hoffen  196. 

—  als  Lehre  von  Gott,  Freiheit 
und  Unsterblichkeit  202. 

— ,  methodisch  gebrauchte  265. 
Milchstraße  19,  40  f.,  44,  47  Anm., 

10,  107  Anm.,  115  f.,  141. 
— ,  Sterne  der  45. 
— ,  Tierkreis  neuer  Sterne  46. 
Mittelpunkt,   warum  der,    eines 

Sternensystems      von      einem 

flammenden  Körper    gebildet 

wii-d  134  f. 

—  des  Fixsternensystems  141. 

—  der  Natur  143. 

— ,  Trieb  gegen  den  34. 
Modalität,   Kategorien  der  109, 

310. 
Möglichkeit  (Kategorie)  310. 
Moleculae  274. 
Monade  238,  286. 
Monadist  237. 
Monadologie  242. 
— ,  physische  261. 
Mond  88,  90,  160. 
o^e,  Ursprung  der  85  ff. 
c^e,  Eichtung  und  Flächen  ihrer 

Bahn  88. 
cv;e  179. 

Nachrichten,  allgemeine,  aus  dem 
Reiche  d.  Wissenschaften  169. 
Natur  133,  145  ff.,  152,  182. 
— ,  Begriff  der  190. 

—  in  formaler  und  materialer 
Bedeutung  189. 

— ,  Auswicklung  der  13  f. 


334 


Sachre":ister. 


Natur  im  Chaos  15. 
— .  allgemeines  System  der  121. 
— ,  erste  Regung  der  154. 
— ,  Entwicklung  der  großen  Ord- 
nung- der  23. 

—  -Wirkung  der  höchsten  Weis- 
heit 162  ff. 

— .die  Naturen  der  Dinge  machen 
ein  System  aus  182. 

Naturalisten,    Streit  mit   den  9. 

Naturbeschreibung  190. 

Naturerkenntnis,  reine  und  an- 
gewandte 191. 

Naturgeschichte  190. 

Naturgesetze  196. 

— ,  allgemeine  152,  162  f.,  170  ff.  I 

Naturkräfte  145.  | 

Naturlehre  —  enthält  nur  soviel  \ 
eigentliche  Wissenschaft,  als  i 
sie  Mathematik   enthält   192  f.  | 

— ,  historische  190.  { 

Naturphilosophie  besteht  in  der 
Zurückführung    gegebener 
Kräfte   auf  Crrundkräfte    280. 

— .  mechanische  278  f. 

— ,  dynamische  278  f. 

Naturwissenschaft  190. 

—  (reiner  Teil  [physica  gene- 
ralis]) 196. 

— ,  Prinzipien  in  der  230. 

— .  historische  und  rationale  190. 

— ,  eigentliche  und  uneigentliche 
190. 

— ,  eigentliche,  bedarf  eines  rei- 
nen Teils  191. 

—  setzt  Metaphysik  voraus  192. 
Nebeuplaueten  72,  91. 
Negation,  Kategorie  der  264. 
Neigung  der  Planetenkreise  68. 
Nerven  173. 

Newtonsche  Anziehung  66  Anm., 
102  Anm. 

—  Sätze  42. 

—  Weltwissenschaft  33. 

CV3S  Optik  253;  siehe  auch  Newton, 
NordHchter  84  Anm,,  85. 
Notwendigkeit  190. 


Notwendigkeit,  Kategorie  d.  310, 
— ,  objektive,    der  reinen  Ver- 
standesbegriffe 200  Anm. 

o. 

Offenbarung  133. 

Orion,  Sternbild  des  20  f.  Anm. 

— ,  Lichtschimmer  im  49  Anm. 

— ,  Schwert  des  20  Anm. 

Ort  eines  Körpers  —  ein  Punkt 

p. 

Phänomenologie  201,  305  ff,,  312. 
Phoronomie    201,    204  ff.,    224, 
296  Anm.,  308. 

—  hat  die  Konstruktion  der  Be» 
wegung  als  Größe  und  der 
Materie  als  des  Beweglichen 
zum  Gegenstand  214. 

—  betrachtet  Bewegung  nur  als 
Beschreibung  desßaumes216f, 

— ,  reine  Größenlehre  der  Be- 
wegung 217. 

— ,  phoronomischer Lehrsatz  225. 

Physik  192. 

— ,  mathematische  266. 

Planeten,  Achsen  der,  und  ihre 
Stellung  94. 

— •,  Achsenbewegung  der  85ff.,  92. 

— ,  Attraktion  der  86  f.  Anm. 

— ,  Bildung  der  66. 

— ,  verschiedene  Dichtigkeit  der, 
i.  Verhältnis  ihrer  Massen  68  ff, 

— ,  Laufkreise  der  36. 

— ,  Blassen  der  24,  73f.,  66,    76. 

— ,  Umläufe  der  17,  67  Anm. 

— ,  Ursache  ihrer  zirkeiförmigen 
Bewegung  und  Beziehung  auf 
eine  Fläche  66  ff.,  79,  85. 

— ,  Exzentrizität  der  Planeten- 
kreise 78  f. 

— ,  ob  die,  bewohnt  sind?  170 f. 

— ,  die  Bewohner  der  165  ff.,  175. 

— ,  die  Vollkommenheit  ihrer 
Bewohner  wächst  mit  der  Ent- 
fernung von  der   Sonne   178. 

— ,  ihr  Tod  und  Verderben  180  f. 


Sachregister. 


335 


Planeten,    Verwandtschaft     der, 

mit  den  Kometen  52. 
— ,  obere  180. 
— ,  untere  71,  179  f. 
— ,  andere,  über  dem  Saturn  51  f. 
— ,  der  äußerste  Planet  73. 
Prolegomena  197  Anm. 
Punkt,  dynamischer  261. 
— ,  physischer  208,  237. 
Psychologie  172,  192. 

Qualität  199,  264. 

R. 

Radius  vector  84:. 

Raum:  Form  der  äußeren  sinn- 
lichen Anschauung  205,210,240. 

— ,  gehört  nur  zur  Erscheinung 
äußerer  Dinge  242. 

— ,  absoluter  204,  206,  215 f., 
218 f.,  294 f.,  298,  311  f. 

— ,  absoluter,  kein  Objekt  206, 
eine  Idee  311,  die  Idee  eines 
Raumes  zur  Bestimmung  des 
Verhältnisses  gegeben.  Räume 
261. 

— ,  reiner  308. 

—  als  Eigenschaft  der  körper- 
lichen Wesen  210. 

— ,  leerer  58  f.,  227,  234,  248  f., 

265,  277  ff. 

— ,  leerer  =  existiert  nicht  317f. 
— ,  "Wirkung   durch   den  leeren 

249  f.,  254. 
— ,  erfüllter  280. 
— .  empirischer  205. 
—,  relativer  204f.,  214 f.,  218f.. 

295,  311  f. 
cvses,  Endlichkeit  des  119,  121, 

124,  126. 
cvses,  unendliche  Teilbarkeit  des 

239. 
Raumerfüllung  227  f.,  235  f.,  245, 

266,  280. 

— ,  gradweise  264. 

— ,  mathematische  234. 


Raumerfüllung,  dynamische  234, 
263  f. 

Raumesiuhalt  (Volumen) ,  Defi- 
nition 2G7. 

Raupe,  Erzeugung  einer,  aus 
Materie  18. 

Realität,  Kategorie  der  264. 

— ,  das  Reelle  229  =  das  Solide 
263  f. 

Regierung,  oberste,  und  die  Ma- 
terie 9. 

— ,  einer  obersten  Weisheit,  und 
die  Mechanik   der  Kräfte  11. 

Reibung,  Definition  269. 

Relation  199. 

Religion  9,  16,  146. 

— ,  Schwierigkeiten  in  Ansehung 
der  7. 

— ,  Übereinstimmung  der,  mit 
dem  System  Kants  8. 

Richtung  der  Bewegung  209  f., 
215,  304. 

Ruhe  224. 

— ,  absolute  215. 

— ,  allgemeine  61. 

— ,  beharrliche  Gegenwart  am 
selben  Ort  211,  213. 

S. 

Saturn  (Planet)  33,  51  ff.,  72  ff., 
83.  86,  88,  91,  94  ff.,  157. 

— ,  Äquator  des  91,  97,  99. 

— ,  Durchmesser  des  100  ff. 

— ,  tägliche  Umdrehung  des  94  ff. 

— ,  Zeit  seiner  Achsendrehung, 
berechnet  aus  den  Verhält- 
nissen seines  Ringes  99. 

— ,  seineMonde99, 107  Anm.,163. 

— ,  seine  Bewohner  177  f. 

— ,  der  Saturnring  94f.,  107  Anm., 
112  ff.,  179  f. 

— ,  Ursprung    des  Ringes    94  ff. 

— ,  konzentrische  Zirkelstreifen 
des  Ringes  105  ff. 

Schein  und  Erscheinung  306. 

Schicksal,  blindes  145. 

Schöpfung  142. 


336 


Sacliregister 


Schöpfung,  Größe  der  51. 

— ,  ein  System  120. 

— ,  Mittelpunkt  der  120 f.,    126. 

— ,  nie  vollendet  124. 

— ,  die,  in  ihrer  Unendlichkeit 
nach  Raum  und  Zeit  114  ff. 

— ,  Ende  der  118. 

Schöpfungsgeschichte,  Mosaische 
2lAnm.,  111. 

Schütze,  Sternbild  20  Anm.,  141. 

Schwan,  Sternbild  141. 

Schweife  und  Dunstkugeln  der 
Kometen  52. 

Schwere,  Definition  257. 

Seele,  ihi-  Verhältnis  zum  Leibe 
172. 

— ,  Naturbeschreibung  der  Seele, 
nicht   Seelenwisscuschaft   194. 

Seeleulehre  189,  193. 

— ,  empirische,  nicht  Natur- 
wissenschaft 194. 

Seelenwanderung  185  f. 

Selbständigkeit,  Gesetz  der  302. 

Siebengestim  45  Anm. 

SoUizitation  302. 

—  der  Anziehung  803  f. 

Solidität  229,  245,  263  f. 

Sirius  45. 

— ,  Zentralkörper  der  Milch- 
stralie  141. 

Sonne  42,  71  f.,  91. 

— ,  Anziehung  der  42. 

c^natmosphäre,  Elastizität  d.  137. 

— ,  Mittelpunkt  der  64. 

— ,  warum  die  Sonne  spezifisch 
weniger  dicht  ist,  als  die  Erde 
135. 

— ,  allgemeine  Theorie  und  Ge- 
schichte der  134£f. 

— ,  System  der  Sonnen  33,  116  f. 

cvin  des  Firmaments  43  f. 

Sonnenfeuer,  seine  Vergänglich- 
keit 138. 

Sonnenklumpen,  Masse  des  Ss 
73,  161. 

Sonnensystem,  Erzeugung  des  S.s 
62. 


Sonnenwelt,  unsere  51. 

Sphäroid,  Newtonsches.  Ab- 
plattung des  Newtonschen 
Sphäroides  101  f. 

spröde,  Definition  269. 

starr,  Definition  269. 

c^e  Materien  272  f. 

Stellen,  lichte,  am  Himmel 
20  Anm. 

Sterne,  neblichte  20,  48,  49,  50. 

— ,  Hypothese  der  Beschaffen- 
heit neblichter  24. 

Stetigkeit,  Gesetz  der  291. 

— ,  mechanisches  Gesetz  der 
304. 

— ,  metaphysisches  Gesetz  der 
304. 

— ,  Gesetz  der,  im  Abfluß  in- 
nerer Veränderungen  194. 

Stoß,  Antrieb  durch  den  253. 

Subjekt,  letztes,  im  Räume  288. 

Substanz  229,  246. 

— ,  Kategorie  der  302. 

— ,  Materie  als  291. 

—  und  Akzidens  199  Anm. 
— ,  Beharrung  der  289  f. 

— ,  letztes  Subjekt  der  Existenz 

236. 
— ,  materielle  235. 
— ,  Quantität  der  288  f.,  297  Anm. 

—  der  Seele  290. 

c^en,  Unendlichkeit  von  124. 

Sünde  und  Tugend:  ob  Sünde 
und  Tugend  auch  auf  andern 
Weltkörpem  herrschen  184. 

System,  wahres  58. 

cvie,  kleine  34. 

T. 

Teilbarkeit,  mathematische  237. 
— ,  physische  235. 
— ,  unendliche  239,  275. 
,  der  Materie  241. 

—  — ,  des  Raumes  239. 

— ,  vollendete    unendliche    Tei- 
lung 275. 
Tierkreis  44,  116. 


Sachregister 


337 


Trabanten  33. 

— ,  ihre  Entstehung  88, 

Trägheit,  Gesetz  der  (vis  inertiae) 
292  f.,  302,  304. 

— ,  Gesetz  der,  und  das  Gesetz 
der  Wirkung  und  Gegen- 
wirkung 292  f. 

Trägheitskraft  (lex  inertiae)  299, 
301. 

—  muß  aus  der  Naturwissen- 
schaft weggeschaftwerdenSOlf. 

Transfusion  299  Anm. 
Transfusionisten  299  Anm. 
Trennung  235. 
— ,  Definition  269. 

IJ. 

Umlaufsbeweguugen  148. 
Umlaufszeiten  der  Planeten  34. 
— ,  Gesetz  der  320. 
Unbedingte,  das  320. 
Undiu-chdringlichkeit  235,   248, 

266. 
— ,  absolute  234  f.,  relative  284  f. 

—  der  Materie  233,  243  ff. 

— ,  absolute,  =  eine  qualitas 
occulta  235. 

—  =  zurücktreibende  KJraft 
243  f.,  264. 

Unendlichkeit,  Begriflf  der  118 
Anm. 

— ,  das  Unendliche  als  Größe  170. 

Unenneßlichkeit,  Abgrund  einer 
wahren  50. 

Universum,  Umfang  des  Uni- 
versums 130. 

— ,  das,  ein  System  120. 

Unteilbarkeit,  physische  277. 

Ursache,  äußere  292. 

— ,  erste  15. 

— ,  materialische  58. 

— ,  mechanische  17. 

oon,  natürliche  154. 

Ursprung,  mechanischer,  der 
Planetenbewegungen  148. 

Urteil:  Definition  des  Urteils 
199  Anm. 


Urteil,  alternatives  307,  312  Anm. 
— ,  disjunktives    807,    309,    312 

Anm. 
— ,  distributives  312  Anm. 
— ,  kategorisches  198  Anm. 
Urteilskraft  173. 
Urwesen  13. 


Vacuum  coacervatum  318. 

—  disseminatum  318. 

—  mundanum  317. 

—  extramundanum  318. 
Venus,    Planet    33,   51,   72,   75, 

84,  93,  160f. 

— ,  Bewohner  der  175,  177. 

Veränderung,  Begrifi"  einer,  über- 
haupt als  Größe  304. 

Verfassung,  systematische,  des 
Weltbaues  36,  der  Fixsterne 
39  f. 

Vernunft,  der  spekulative  Ge- 
brauch der,  reicht  nur  auf 
Gegenstände  möglicher  Er- 
fahrung 198  f.  Anm. 

Verschiebung,  Definition  269. 

Verstand,  göttlicher  118  Anm.; 
Idee  eines  göttlichen  Ver- 
standes 182;  höchster  15, 145f.; 
unendlicher  147;  —  Verstand 
und  die  Übereinstimmung  und 
Schönheit  in  den  Zwecken  12. 

— ,  weiser  162. 

Vielheit,  Kategorie  der  226. 

Vollkommenheit  145 ;  Urquelle 
der  132,  142. 

Volumen  267,  280;  Volumen  u. 
Gestalt  245. 

Vorsorge:  Probe  einer  gütigen 
Vorsorge  10. 

w. 

Wärme  263. 

Wechselwirkung  292,  293 f.,  302. 

— ,  Gleichheit  der  Wirkung  und 

Gegenwirkung  252,  298  f. 
— ,     dynamisches     Gesetz     der 


Kant,  Kl.  Schriften  z.  Katarphilosophie.    I. 


22 


1?  :7  V '55 

338 


Sachregister 


Grleichheit  der  "Wirkung  und 
Gegen^värkung-  298  f. 

— ,  mechanisches  Gesetz  der 
Gleichheit  der  "Wirkung  und 
Gegenwirkung  298  f. 

Weisheit,  höchste  118  Anm.,  144, 
16Jf. 

— ,  unendliche  Macht  der  höch- 
sten 144. 

Weltbau,  planetischer  33;  Ur- 
sprung des  planetischen  Welt- 
baues 55ff. ;  mechanische  Er- 
zeugung des  Weltbaues  14; 
wahre  Verfassung  der  Welt- 
baues 16,  22;  allmählicher 
Verfall  und  Untergang  des 
Weltbaues  130  f. 

Welten,  Entstehung  neuer  "Wel- 
ten 131. 

— ,  Bildung  neuer,  und  Unter- 
gang der  alten  24. 

— ,  Unendliche   Menge   der  50. 

Weltgebäude:  Untergang  eines 
Weltgebäudes  128. 

"Welthistorie,  allgemeine  15. 

Weltkörper:  Bildimg  eines  Welt- 
körpers nach  mechanischen 
Gesetzen  15. 

Weltordnungen,  höhere  49,  50. 

Weltsystem  12. 

— ,  mechanische  Erzeugung  des 
Weltsystems  24,  161. 

Wesen,  Definition  189  Anm. 

— ,  höchstes  13,  142,  146,  186; 
großes  98;  unendliches  133; 
unendliche  Macht  des  unend- 
lichen Wesens  118;  Wesen 
aller  Wesen  147. 

— ,  geistige,  und  ihre  Abhängig- 
keit von  der  Materie  183; 
vernünftige  Wesen  168. 

Widerspruch,  Satz  des  W.s  229. 

Wille  292;  höchster  161. 

Winkelentfernung  d.  Fixsterne  91 . 

Wirbel  der  Atome  14. 

Wirklichkeit,  Kategorie  der  310. 

Wirkung      und      Gegenwirkung 


292 f.,  298 f.;    Gesetz   der  Ge- 
genwirkung der  Materien  302. 
Wissenschaft,  rationale  190. 

—  und  Wissen  190. 

Z. 

Zeit,  Relativität  der  179  =  innere 
Anschauung  194. 

— ,  Unendlichkeit  der  124. 

Zeutralbewegung,Ge8etze  der  64. 

Zentralfeuer  175. 

Zentralkörper  35,  49  Anm.,  136, 
140  f.,  158;  gemeinschaftl.  36; 
allgemeiner  121 ;  des  Uni- 
versums 142;  Klumpen  des 
Zentralkörpers  63 ;  Bildung 
des  Zentralkörpers  62,  72  f. 

Zentralkraft  35  f.,  67,  78,  80: 
siehe  auch  Kraft. 

Zentrifugalkraft  43,  62;  siehe 
auch  Ej-aft. 

Zentripetalkraft  34 ;  siehe  a.  Kraft. 

Zirkel,  parallel  laufende  63. 

Zirkelbewegung,  freie  63,  65; 
der  Partikeln  79. 

Zirkelgeschwindigkeit  67. 

Zodiakalhcht  112  ff.,  138. 

Zodiakus  82,  116. 

Zoue,  erleuchtete  41,  43  f. 

Zufall  12,  14,  144,  162. 

— ,  blinder  277. 

Zurückstoßung  der  Teilchen  14. 

Zurückstoßungskraft  12,  23,  61. 
115,  230,  246,  249,  260 f.,  263 f.; 
siehe  auch  „Kraft". 

Zusammendrückung  318 

Zusammendrückbarkeit  der  Ma- 
terie 233. 

Zusammenhang,   Definition  268. 

— ,  gewöhnliche  Gesetze  des 
Zusammenhangs  66  Anm. 

—  gehört  nicht  zur  Möglichkeit 
der  Materie  257. 

Zustand,  einfachster  59. 

— ,  erster,  der  Xatur  13,  55. 

—  kleinster  Wechselwirkung  63. 
Zwischenräume ,  leere  264,  266 


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