Philosophische Bibliothek
Band 48.
Immanuel Kants
' kleinere Schriften
zur Naturphilosophie
Zweite Auflage,
Herausgegeben und mit einer Einleitung sowie
mit einem Personen- und Sachregister versehen
Dr. Otto Buek.
Erste Abteilung.
Leipzig.
Yerlag der Dürr'schen Buchhandlung.
1909.
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THE UNIVERSITY LIBRARY
UNIVERSITY OF CALIFORNIA, SAN DIEGO
LA JOLLA, CALIFORNIA
PROFESSOR JOSE MIRANDA
COLLECTION
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Philosophische Bibliothek
Band 48.
Immanuel Kants
kleinere Schriften
zur Naturphilosophie.
Zweite Auflag-e.
Herausgegeben und mit einer Einleitung sowie
mit einem Personen- und Sachregister versehen
Dr. Otto Buek.
Erste Abteilung-.
Leipzig.
Yerlag der Dürr'schen Buchhandlung.
1909.
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Druck von C. Grumbach in Leipzig.
Vorwort des Herausgebers.
Die vorliegende Neuausgabe von Kants Naturphilo-
sophischen Schriften (Abteilung I) enthält die beiden
Hauptwerke der vor- und nach kritischen Periode,
während der folgende Band (Abteilung II) die kleine-
ren naturwissenschaftlichen Abhandlungen und Neben-
schriften in sich vereinigt. Von dieser Reihenfolge
und Anordnung konnte nicht abgegangen werden, da
die neue Bearbeitung dieser Kantausgabe der Philo-
sophischen Bibliothek sich nur nach und nach voll-
zieht und in ihrem Plan und ihrer Disposition auf
die alte Kirchmannsche Ausgabe zurückgeht. Da in-
folgedessen eine streng chronologische Ordnung oder
eine rein sachliche Zusammenfassung der zusammen-
gehörenden Schriften nicht durchführbar war, erschei-
nen in dieser Abteilung zwei Werke nebeneinander,
die durch kein engeres geistiges Band zusammenge-
halten werden. War somit die Anordnung der Schriften
von vornherein gegeben, so hielt ich es für um so
notwendiger, der Durchsicht und Neubearbeitung des
Textes eine erhöhte Sorgfalt und Aufmerksamkeit
zuzuwenden. Ich habe mich hierbei von denselben
Prinzipien leiten lassen, die ich schon in der Vor-
rede zum 49. Bande ausgesprochen und bei seiner
Herausgabe zur Anwendung gebracht habe. Dem vor-
liegenden Text sind überall die Erstdrucke der ent-
sprechenden Kantischen Schriften zugrunde gelegt,
und auch der Stil Kants ist in all den Besonderheiten
und Eigentümlichkeiten reproduziert, die für die ent-
sprechende Epoche charakteristisch sind. Ich habe
mich hierbei lediglich bemüht, alle Druckfehler und
alle offenkundigen Textentstellungen gründlich aus-
zumerzen und die durch sie hervorgerufenen Unklar-
heiten nach Möglichkeit zu beseitigen, wobei ich alle
IV Einleitung.
mir zugänglichen Ausgaben, in erster Linie auch
die neue Akademieausgabe als Hilfsmittel benutzt
und herangezogen habe. Die wichtigsten Varianten
sind in Form von Fußnoten unter dem Texte ver-
zeichnet. Außerdem lasse ich noch eine Reihe weiterer
Änderungen und Vorschläge zu solchen, die sich in
den bisherigen Ausgaben nicht finden, am Schluß der
Einleitung folgen. In der Orthographie, die in den
Originalausgaben bekanntlich sehr schwankend ist,
habe ich dagegen eine eingreifende Modernisierung
nicht gescheut, und zwar aus Gründen, die ich in meiner
schon erwähnten Vorrede zu Band 49 ausführlich dar-
gelegt habe.
Einleitung.
Die beiden hier vereinigten Schriften sind zeitlich
wie sachlich durch einen großen Zwischenraum ge-
trennt. Während das eine ein Jugendwerk ist, fällt
das andre in die reifste kritische Zeit von Kants
Schaffen, und daher waltet denn auch in beiden ein sehr
verschiedenes Interesse. Wie bei allen großen Philo-
sophen der Vergangenheit verband sich auch bei Kant
der Drang nach Ermittelung und Sicherung der wissen-
schaftlichen Grundlagen mit dem lebendigen Forscher-
trieb und dem Verlangen nach schöpferischer Syn-
these und Erweiterung der Naturerkenntnis, und seine
tiefen Naturstudien sichern ihm einen festen Platz
unter den großen Naturforschern. In seinen Unter-
suchungen über die Erdbeben**) lieferte er die ersten
wissenschaftlichen Beschreibungen dieser Naturkata-
strophen; er wies in der Erregung von Ebbe und Flut
und den dadurch hervorgerufenen Meeresströmungen
die Ursache nach, die eine Verlangsamung in der Um-
drehungsgeschwindigkeit der Erde bewirkt, und stellte
damit eine Ansicht auf, die nachher in den Forschungen
*) Gr. Gerland. Immanuel Kant, seine geographischen
und anthropologischen Arbeiten. Kantstudien. Band X,
1905, S. 485.
**) Philosoph. Bibl., Bd. 49. Kants kleinere Schriften
zur Naturphilosophie S. 277—340.
Einleitung. V
Robert Mayers u. a, ihre Bestätigung fand, obwohl sie
von diesen in etwas anderer Weise begründet wurde*);
er lieferte eine richtige Theorie der Passate und des
später nach Dove benannten Drehungsgesetzes der
Winde**). Wenn er sich hierbei auch noch vielfach von
seinem Vorgängern abhängig erweist, und wenn ihm
zugleich mit seinen genialen Ahnungen auch Fehler
und Unrichtigkeiten mit unterlaufen, die den Wert sei-
ner Entdeckungen zu schmälern geeignet sind, so läßt
doch andererseits wiederum seine treffsichere Intuition,
mit der er trotz aller Irrtümer so häufig das Richtige
traf, überall die wahrhaft große und starke natur-
wissenschaftliche Begabung erkennen. Aber freilich
bildet die Einzelforschung nicht sein tiefstes und über-
wiegendes Interesse, sie tritt auch in Kants naturwissen-
schaftlichen Schriften nie isoliert, für sich und als alles
überragender Selbstzweck auf, sondern wo die Rich-
tung auf sie sich geltend macht, da erscheint sie im
Bunde mit der Philosophie und der philosophischen
Kritik. Es ist nicht allein das Einzelergebnis, die neu
ergründete Tatsache, was ihn bewegt und beschäftigt,
sondern der neue Zusammenhang, in dem diese
erscheint: das Band, das sie mit andern Tatsachen ver-
bindet, das Gesetz, dem sie unterworfen ist, und der
Weg, die Methode, durch die sie ermittelt wird. So
stellen die naturwissenschaftlichen Forschungen Kants
immer zugleich große philosophische Leistungen dar,
indem sie die Geltungssphäre der Grundsätze erwei-
tern, diese selbst vertiefen und begründen und der
positiven Forschung ein neues Gebiet erobern. Das
größte Beispiel einer solchen Forschungsmethode ist
Kants Jugendschrift, das erste der in diesem Band er-
scheinenden Werke, die
Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des
Himmels.
Diese berühmte Schrift Kants ist ein dauerndes Denk-
mal in der Geschichte der Wissenschaft und bedeutet
eine Etappe auf dem Siegeszuge des Menschengeistes;
*) Phil. Bibl., Bd. 49, S. 217.
**) Phil. Bibl., Bd. 49, S. 363.
VI Einleitung.
ein neues Stück festen Landes ward damit dem Natur-
rätsel abgewonnen und für die Bearbeitung durcii die
Wissenschaft urbar gemacht. Die eigentliche Ent-
wickelung knüpft freilich nicht unmittelbar an Kants
Werk an, sie nimmt fast ein halbes Jahrhundert später
von einer neuen Anregung ihren Ausgangspunkt, die von
einem französischen Denker herrührte. Aber die For-
schung suchte und fand bald die Spur, die auf Kant
zurückging, und verfolgte sie weiter, indem sie die
eigentümlichen Ideen, die in seinem Werke verborgen
lagen, neben denen des Laplace selbständig entwickelte
und fortführte. Und wenn heute das Gebäude in
manchem seiner Teile erschüttert und schwankend ge-
worden ist, es bleibt der unvergängliche Ruhm Kants,
zuerst ein Problem und den Weg zu seiner Lösung
gezeigt zu haben, als die Zeit dafür reif geworden
war. Das Einzelne und Akzidentelle dieses Werkes
mag untergehen, der in ihm waltende Geist ist un-
sterblich.
Die Naturgeschichte des Himmels nimmt in der
Reihenfolge der Kantischen Schriften die vierte Stelle
ein. Nur „Die Gedanken von der wahren Schätzung
der lebendigen Kräfte" (Bd. 49, S. 1), die 1746 be-
gonnen, aber erst 1749 herausgegeben wurden, sowie
zwei kleinere Schriften: „Untersuchung, ob die Erde
in ihrer Umdrehung um die Achse einige Veränderung
erlitten habe" (Bd. 49, S. 217) und „Die Frage, ob die
Erde veralte" (Bd. 49, S. 227), die beide 1754 in den
Königsberger Frage- und Anzeigungsnachrichten er-
schienen, liegen ihr voraus. Schon in der erstge-
nannten dieser kleinen Schriften erwähnt Kant die
Naturgeschichte des Himmels, deren Erscheinen
er hier allerdings noch unter einem andern Titel in
baldige Aussicht stellt. ,,Ich habe diesem Vorwurfe
eine lange Reihe Betrachtungen gewidmet und sie in
einem System verbunden, welches unter dem Titel
Kosmogonie oder Versuch, den Ursprung des
Weltgebäudes, die Bildung der Himmelskörper
und die Ursachen ihrer Bewegung aus den all-
gemeinen Bewegungsgesetzen der Materie, der
Theorie Newtons gemäß, herzuleiten, in kurzem
öffentlich erscheinen wird" (Bd. 49, S. 225). Nach
Einleitung, VII
Vollendung seiner Studien war Kant neun Jahre lang
Hauslehrer gewesen und dann nach Königsberg zurück-
gekehrt, um sich hier für seineHabilitation vorzubereiten.
Am 17. April 1755 — d. h. in seinem dreiunddreißig-
sten Lebensjahr — promovierte er mit der Schrift „De
Igne", ,,über das Feuer" (Bd. 49, S. 521), nachdem er
im März desselben Jahres — also einen Monat früher
— seine Naturgeschichte des Himmels herausgegeben
hatte. Sie war anonym erschienen und auf Anraten seiner
Freunde dem Landesherm König Friedrich IL gewid-
met, wie Borowski sagt, „lediglich in der Absicht,
damit unter der Autorität des Königs bei den Gelehrten
in Berlin und andern Orten nähere Untersuchungen
über sein System veranlaßt würden"*). Aber dem Werk
schien kein glücklicher Stern zu leuchten. Es ge-
langte nie in die Hände des Königs, was Kant selbst
lebhaft bedauerte; noch während des Abdruckes fal-
lierte der Verleger, sein ganzes Warenlager wurde
versiegelt, und Kants Schrift kam nicht einmal
auf die Messe**). Auch bei den Fachleuten scheint es
keine Beachtung gefunden zu haben, es erschien nur
eine einzige Rezension in den Hamburgischen freien
Urteilen (1755, S. 429—432)***), und so blieb denn
Kants Werk bis auf weiteres verschollen. Welche Be-
deutung Kant dieser Schrift selbst beimaß, geht schon
daraus hervor, daß er acht Jahre später wieder auf
seinen großartigen Grundgedanken zurückkam und in
seiner Abhandlung: „Der einzig mögliche Beweisgrund
zu einer Demonstration des Daseins Gottes" (Phil, Bibl.
Bd. 47, II, S. 96— 111) durch eine kurzgefaßte Darstel-
lung seiner Theorie das Interesse der Fachgelehrten
auf sie zu lenken suchte. In der genannten Schrift
erwähnt Kant auch Lambert, der in seinen Kosmolo-
gischen Briefen t), die sechs Jahre nach der Natur-
*) Borowski, Darstellung des Lebens und Charakters
Immanuel Kants. Königsberg 1804, S. 50.
**) a. o. a. 0. S. 194 f.
***) a. 0. a. 0. S. 50 und Akad. Ausg., Bd. I, S. 543.
f ) Cosmologische Briefe über die Einrichtung des Welt-
baues. Ausgefertigt von J. H. Lambert. Augspurg. Bey
Eberhard Kletts Wittib 1761.
VIII Einleitung.
geschichte des Himmels herauskamen, eine ähnliche
Anschauung über den Bau der Milchstrai3e und über
die sogenannten Nebelsterne aussprach, wie Kant sie
vor ihm entwickelt hatte, obwohl Lambert selbst seine
Theorie schon weit früher (im Jahre 1749)*) gefunden
haben will. Eine weitere Bestätigung fand die An-
sicht Kants in den Forschungen William Herschels,
der um 1785 auf Grund seiner tiefen Beobachtungen
mit Hilfe des Spiegelteleskops zu Ergebnissen gelangte,
die in den Hauptpunkten mit Kants Anschauungen über
die Struktur der Milchstraße, den Saturn und den Fix-
sternhimmel zusammentrafen.
Obwohl so durch die Resultate der genannten For-
scher das Interesse aufs neue auf Kants weit älteres
Werk gelenkt war, hat sich doch Kant selbst nie zu einer
zweiten Auflage seiner Naturgeschichte des Himmels
entschließen können; vielleicht weil er später über ein-
zelne Punkte anders dachte, und weil durch die neuen
Forschungen so manche von seinen Anschauungen schon
überholt warj. Er beauftragte daher den Magister
Johann Friedrich Gensichen mit der Herstellung eines
Auszuges aus seiner Schrift, den dieser Kant zur
Durchsicht vorlegte und im April des Jahres 1791
vollendete. Dieser Auszug, der als Anhang zu der von
Sommer veranstalteten Übersetzung einer Abhandlung
von Herschel: „Über den Bau des Himmels" erschien,
reproduziert**) nur die zentralen Partien der Schrift,
unter Hinweglassung allen Beiwerks: der Vorrede und
der Einleitung, und reicht nur bis S. 109 unserer Aus-
gabe, weil Kant, wie Gensichen in einer Anmerkung
hervorhebt, „sich nicht bewegen ließ, noch mehr aus
jener Schrift vorzulegen; das übrige enthalte zu sehr
bloße Hypothesen, als daß er es jetzt noch ganz
billigen könnte". In einem Anhange sind noch vier
Anmerkungen hinzugefügt, die von Kants Verhältnis
*) Vgl. Lamberts Brief an Kant. Kants Briefwechsel.
Ak. Ausgabe, Bd. I, S. 50.
**) William Herschel über den Bau des Himmels. Drey
Abhandlungen aus dem Englischen übersetzt (von G. M.
Sommer). Nebst einem authentischen Auszug aus Kants
Allgemeiner Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Königsberg 1791, bei Friedrich Nicolovius.
Einleitung. IX
zu seinen Nachfolgern handeln und die Gensichen
mit Genehmigung Kants und zum Teil unter Anführung
von Kants eigenen Worten veröffentlicht hat*). Die
"wesentlichsten Änderungen und Varianten dieses Aus-
zuges sind in den Fußnoten unserer Ausgabe verzeich-
net. Die Akademieausgabe erwähnt aui3erdem noch ein
Manuskript zu Gensichens Schrift, das sich im Be-
sitze des Herrn Geheimrats Professor Ernst Hagen
befindet und in dem Änderungen und Zusätze von
Kants eigener Hand eingetragen sind. Da mir dieses
Manuskript nicht zugänglich war, habe ich die
Daten aus ihm, soweit sie für unsere Ausgabe
in Betracht kamen, von der Akademieausgabe über-
nommen. Nach dem Auszuge von Gensichen wurde
die Naturgeschichte des Himmels zu Kants Lebzeiten
noch mehrmals wieder aufgelegt. Genauere Angaben
hierüber finden sich in dem bibliographischen Ver-
zeichnis aller vorhandenen Ausgaben, die ich am
Schlüsse meiner Einleitung aufführe.
Trotz dem neuerwachten Interesse für Kants
kosmologische Theorie scheint die Erinnerung an sie
doch bald wieder verloren gegangen zu sein. Denn
als im Jahre 1796 Pierre Simon Marquis de Laplace
mit seiner eigenen Nebularhypothese hervortrat, die
bei vielen individuellen Zügen doch eine bedeutende
Ähnlichkeit mit der Grundkonzeption Kants aufweist,
erwähnte er Kant unter seinen Vorgängern nicht**),
weil er, wie mit Bestimmtheit anzunehmen ist, von
diesem und seinem Werke nichts wui3te. Die neue
Nebularhypothese erhielt ihren Namen von Laplace
und wird in den wissenschaftlichen Lehrbüchern und
Darstellungen der nun folgenden Zeit immer dem
*) Vgl. Kants Brief an Gensichen (Briefwechsel, Bd. II,
S. 240).
**) Laplace hat seine Theorie an mehreren Stellen und
zu wiederholten Malen vorgetragen, zum ersten Male in
seiner „Exposition du Systeme du monde" (1. Aufl., Paris
1796). Eine zweite Darstellung findet sich in der Einleitung
zur Theorie analytique des probabilites. Paris 1820. Faye
(Sur l'origine du monde, S. 153 f. Paris 1885) und Zöllner
„Über die Natur der Kometen (S. 460 f.) führen die wich-
tigsten Stellen im Auszug an.
X Einleitung.
letzteren zugeschrieben. In einem der weitverbreitet-
sten gemeinverständlichen Lehrbücher der Astronomie
in Littrows Wundern des Himmels (erste Auflage von
1836) wird Kants Name gar nicht genannt, und erst
in der vierten wird er unter den Vorgängern des
Laplace mit erwähnt*). Der erste, der die Aufmerk-
samkeit wieder auf Kants fast vergessenes Werk ge-
lenkt zu haben scheint, ist der französische Physiker
*) Auch in dem verbroüteten populär-wissenschaftlichem
Werk von Bode, ,, Anleitung zur Kenntnis des gestirnten
Himmels" (5. Aufl. 1788, S. 637) wird Kant zwar genannt,
jedoch bloß im Anhang an Lambert, und erst 1801 (7. Aufl.)
wird er Lambert vorangestellt (s. Gerland a. o. a. 0, S. 418,
Schöne, Ostpreußische Monatsschrift, S. 33, 257 und Borowski,
S. 5L) Vergl. hierzu auch noch den Brief Kants an Biester
vom 8. Juni 1781. Briefwechsel, Bd. I, 256.
„Die Nachricht in Hrn. Goldbecks litterarischen Nach-
richten von Preussen S. 248 — 49 zeigt die Spuhr einer
gütigen, aber etwas zu vorteilhaften Gesinnung des Ver-
fassers gegen seinen vormaligen Lehrer an. Meine
Naturgesch. d. Himmels konte wohl niemals vor ein Pro-
duct des Lambertschen Geistes angesehen werden, dessen
tiefe Einsichten in der Astronomie sich so unterscheidend
ausnehmen, daß hierüber kein Misverstand obwalten kam
Dieser betrift allenfals die Priorität der Entstehung meines
schwachen Schattenrisses, von seinem meisterhaften und
von niemand erborgten Abrisse des cosmologischen Systems,
dessen Aussenlinien freylich mit jenem leicht zusammen-
treffen konten, ohne daß irgend eine andere Gemeinschaft,
als die der Analogie mit dem Planetensystem, daran Ur-
sache seyn dürfte, eine Anmerkung, die der vortreffliche
Mann in einem Briefe machte, womit er mich im Jahre
1765 beehrte, als ihm diese Übereinstimmung der Muth-
maßungen zufalligerweiße bekannt geworden war. Übrigens
hat Hr. Bode in seiner sehr gemeinnützigen Anleitung etc.,
da er nicht die Absicht hatte, historische Unterschiede
der daselbst vorgetragenen Sätze zu bemerken, meine
Meinung von der Analogie der Nebelsterne, die als ellip-
tische Gestalten erscheinen, mit einem Milchstraßensystem
unter denen Ideen, die unserer Hypothese gemein waren,
mitfortlaufen lassen, obgleich Hr. Lambert darauf nicht Rück-
sicht genommen hatte, sondern unsere Milchstraße selbst da,
wo sie gleiclisam Absätze zeigt, in mehrere Stufen von
IVIilchstraßen abtheilt; die elliptische Gestalt von jenen
aber macht einen wesentlichen Grund der Vermuthung
Einleitung. XI
Arago*) der in einer Analyse der Arbeiten W. Her-
schels auf die Übereinstimmung in den Anschauungen
beider Forscher über den Bau des Himmels hinwies
und seine Verwunderung darüber aussprach, daß der
letztere des ersteren an keiner Stelle gedenkt. Danach
findet man den Namen Kants wieder häufiger in diesem
Zusammenhange erwähnt. Es sind vor allem Alexander
von Humboldt**), Struve***), und nach ihnen Schopen-
aus, die ich von der Älilchstraße, als einem bloßen Gliede
eines noch größeren Systems ähnlicher Weltordnungen,
wagte. Doch es ist die Berichtigung des Antheils an Muth-
maßungen" die wohl jederzeit Muthmaßungen bleiben
werden, nur von geringer Erheblichkeit.
Eine tiefere Würdigung der Kantischen Schrift findet
sich bei Herder in einem Briefe an Lavater vom 30. Oktober
1772: „Von Kant der mein Freund und Lehrer ist, dessen
alle Lieblingsmeinungen ich nicht bloß so oft gehört und
m.ich mit ihm besprochen, sondern der mir auch seine Träume
bogenweise überschickt hat etc. scheinen Sie sein erstes,
recht Junglingsbuch voll Ihrer Ideen nicht zu kennen. Es
ist ohne N^amen und heißt ,, Allgemeine Theorie des Himmels,
wo Sie sogar Ihre ölittelsonne finden, die auch ein Eng-
länder ordentlich astronomisch behauptet hat usw." (Aus
Herders Nachlaß herausgegeben von Heinrich Düntzer und
F. G. V. Herder, 2. Bd. S. 24 f.) 1784 nennt er in seinen „Ideen"
die Theorie des Himmels „eine Schrift, die unbekannter
geblieben ist, als ihr Inhalt verdiente". J. G. v. Herder:
„Ideen zur Geschichte der Menschheit", hrsg. d. Joh. v.
Müller 1827, Teil I, S. 2. Siehe Gerland a. o. a. 0. S. 418.
*) Annuaire pour l'an 1842 presente au Roi par le bureau
des longitudes, 2. Edition, Paris. „Comment est-il arrive, que
six ans apres la publication de cet ouvrage, Lambert
n'ait fait aucune mention des vues, qui y sont developpees?
Comment 29 ans plus tard Herschel abordant les memes
problemes, ne trouva-t-il jamais sous sa plume le nom du
philosophe de Kcenigsberg ou du geometre de Muhlhouse?
Ce sont deux questions que je ne saurais resoudre" (S. 451).
**) A. v. Humboldt, Kosmos, Bd. I, S. 90 ('1845) : „Was
Wright, Kant und Lambert nach Vemunftschlüssen von der
allgemeinen Anordnung des Weltgebäudes, von der räum-
hchen Verteilung der Materie geahnet, ist durch Sir William
Herschel auf dem sicheren Wege der Beobachtung und
Messung begründet worden." Siehe femer Bd. I, 217, Bd. III
5, 49, 551, 558 usw.
***) Struve, Etudes d' Astronomie stellaire sur la Voie
XII Einleitung.
hauer*), Zöllner**), Helmholtz***), Faye und andere,
die Kants Verdienste um die kosmologische Forschung
wieder nachdrücklich hervorgehoben und die Natur-
geschichte des Himmels aus ihrer ungerechtfertigten
Vergessenheit hervorgezogen haben.
In der Tat muß Kants Kosmogonie, trotzdem die
heutige Wissenschaft in so manchen Punkten über sie
hinausgeeilt ist, gegenüber allen früheren Versuchen als
ein gewaltiger Fortschritt erscheinen. Denn alles, was
seit den Tagen der Griechen, von Lukrez bis auf
Descartes und Newton, in dieser Richtung geleistet
worden war, trug noch das Siegel der Unreife und
Kindheit der Wissenschaft an sich; aber auch die
späteren Hypothesen eines Whiston, Swedenborg,
Leibnizt), Buffon und Franklin blieben zu sehr im
Unbestimmten stecken und kamen nicht über geist-
reiche Anregungen hinaus. Einen eigentlichen Vor-
läufer, den er selbst als solchen bezeichnet und an-
erkannt hat, besaß Kant nur in dem Engländer Wright
von Durham, und er äußert sich folgendermaßen
über sein Verhältnis zu diesem: ,,Ich kann die Grenzen
nicht genau bestimmen, die zwischen dem System des
Herrn Wright und dem meinigen anzutreffen sein und
in welchen Stücken ich seinen Entwurf bloß nach-
lactee et sur la Distance des etoiles fixes. St. Petersbourg
1847, S. 8 — 11. „Entreprise sublime, si eile n'est pas trop
hardie pour l'esprit humain. En tous cas, Tastronome qui
a lu l'ouvrage, s'il ne souscrit point ä toutes les speculations
qu"il renferme, ne s'en separera sürement qu'avec une vive
admiration du genie et des vues parfois prophetiques de
l'auteur" (p. 8).
*) Schopenhauer, Parerga und Paralipomena , Bd. II,
S. 148, Eeclam.
**) Zöllner, „Photometrische Untersuchungen," Leipzig
1865, 214 fF. und .,Über die Natur der Kometen", Leipzig
1872, 426 ff.
***) Helmholtz, Vorträge und Reden, ßraunschweig 1884,
Bd. I, S. 44, 122, 350, Bd. II, 58 ff.
-}-) Leibniz nimmt an, die Planeten seien während einer
der Explosionen, die auf der Sonne stattfanden, von dieser
herausgeschleudert worden. Siehe Leibniz, Protogaea, Goet-
tingen 1749, § 3, S. 3.
Einleitung. XIII
geahmioder weiter ausgeführt habe" (vgl. S. 18 und
20 dieser Ausgabe). Die Übereinstimmung zwischen
beiden ist tatsächlich sehr groß und erstreckt sich
häufig bis in die kleinsten Einzelheiten. F. G. W. Struve
(a. 0. a. 0. S. 8f.) hat sieben Thesen aufgezählt, die für
das Kantische System charakteristisch sind und die sich
nach Nyren und Gerland alle ohne Ausnahme bei
Wright wiederfinden sollen. Diese Thesen lauten (ich
zitiere sie nach der kurzen Zusammenfassung, die sich
bei Gerland a. o. a. 0. Kantstudien, S. 448 findet):
„1. Die Schöpferkraft der göttlichen Allmacht ist un-
endlich, daher sind es auch die Welten zeitlich und
räumlich. 2. Alle Fixsterne sind Zentren von Systemen
analog unserem Planetensystem infolge von Gravitation
und Zentrifugalkraft. 3. Die Anziehung erstreckt sich
über alle Systeme, welche ein System höherer Ordnung,
das der Milchstraße bilden. 4. In Analogie zum Pla-
netensystem beziehen sich auch die Fixsterne auf einen
gemeinsamen Grundplan, gegen den hin sie besonders
gehäuft sind. 5. Auch das System der Milchstraße hat
einen Zentralkörper, vielleicht den Sirius. 6. Solche
Systeme sind sehr zahlreich. 7. Sie sind Glieder noch
höherer Systeme." — Die hier angeführten Punkte
finden sich tatsächlich in dem Werke Wrights, sowie
in dem deutschen Auszug der Hamburger freien Ur-
teile*), den Kant wahrscheinlich allein gekannt hat,
wieder; allein wenn man aus diesem allerdings weit-
gehenden Parallelismus zwischen beiden Forschern auf
eine völlige Abhängigkeit Kants von Wright schließen
und ersterem jegliche Originalität absprechen will, so
ist zu bedenken, daß mit den angeführten sieben
Thesen der Inhalt des Kantischen Werks noch nicht
im entferntesten erschöpft ist. Ganz abgesehen davon,
daß Kant aus der kurzen Rezension in den Hamburger
*) Hamburg-er „Freie Urtheile und Nachrichten etc.
Achtes Jahr 1751. An original Theory or new Hypothesis
of the Universe etc. Eine neu erfundene Theorie oder neue
Hypothesis von dem Weltg-ebäude, so sich auf die Gresetze
der Natur gründet und durch mathematische Grundsätze die
allgemeinen Phänomena der sichtbaren Schöpfung und in-
sonderheit der Milchstrasse auflöset" ... 84 in 4, S. 1 — 6,
9—14, 17—22.
XIV Einleitung.
freien Urteilen nur ein sehr unbestimmtes Bild van
den Ansichten Wrights gewinnen konnte und also selbst
in den Punkten, wo die Übereinstimmung deutlich ins
Auge fällt, bei der Ausführung und Begründung der
in Frage stehenden Sätze aus sich selbst schöpfen
mußte, sind es auch gar nicht diese besonderen Er-
gebnisse und Details, die man mit dem Gedanken an
Kants Nebularhypothese zu verbinden pflegt. Daß er
die Einzelmomente zu einem Ganzen zusammensah und
dieses Ganze nicht in seinem statischen Sein, sondern
in seinem Ursprung, in seiner Genesis erschaute, darin
liegt Kants bleibendes Verdienst um die Wissenschaft
vom Kosmos. Die erwähnten Thesen über den Bau
des Himmels, die er mit Wright gemein hat, erhalten
erst ihren vollen Sinn und ihre wahre Bedeutung, wenn
man sie als Konsequenz aus der Gesamtkonzep-
tion erfaßt, von der sie alle als Folgen aus ihrem
Grunde abgeleitet werden. Mit andern Worten: Kants
eigentliche Originalität liegt nicht dort, wo er mit
Wright, Lambert und Herschel, sondern da, wo er
mit Laplace zusammentrifft. Daß er die Phänomene
des Himmels und das ungeheure Triebwerk des Ma-
krokosmos aus seinen Ursachen ableitete und auf seine
einfachsten Bedingungen zurückführte, das ist sein
eigenstes Verdienst, mit dem er die Methoden der Wissen-
schaft erweiterte und dem Mechanismus ein neues
Anwendungsgebiet gewann. Noch Newton hatte, um
die Bewegungen der Planeten zu erklären, zu der Hand
Gottes seine Zuflucht genommen. Er hatte nur eine
Komponente: die Zentralkräfte auf die Gesetze der
Mechanik reduziert; die den Weltkörpern ursprünglich
eingepflanzte und nach dem Trägheitsgesetze in ihnen
fortbestehende Geschwindigkeit, die als zweiter Faktor
hinzutreten mußte, um zusammen mit den Zentral-
kräften die regelmäßigen Bahnen der Planeten zu er-
geben, hatte er auf den unmittelbaren Anstoß Gottes
zurückgeleitet. Auch die kartesischen Wirbel konnten
hier nicht weiterhelfen, sie waren von Newton für
immer aus dem Himmel verbannt, und auch Descartes
hatte letzten Endes die gegebene Spezifikation der
Himmelserscheinungen aus dem Schöpfungsplan Gottes
erklärt (vgl. Die Prinzipien der Philosophie. Deutsch
Einleitung. XV
V. Dr. A. Buchenau, Phil. Bibl. Bd. 28, S.83ff., 26 ff.).
Nun galt es, diesen Rest, den Newton stehen gelassen
hatte, noch aufzulösen, und zwar nach Newtons eigenen
Prinzipien: - — an dem Leitfaden der Mechanik weiter
hinabzusteigen, bis an die Grenze des Chaos selbst. In
dieser Regression geht Kant sogar noch über Laplace
hinaus: während dieser die um ein festes Zentrum rotie-
rende Nebelmasse, aus der sich allmählich die Planeten
herausdifferenzieren, zum Ausgangspunkt nimmt, ver-
sucht es Kant, auch die Entstehung eines solchen
Nebelellipsoids und dessen Rotation zu demonstrieren.
Die Konzeption ist die denkbar einfachste: sie beginnt
mit dem absoluten Dissolutionszustand der Materie und
betrachtet nun ihre Entwickeiung unter dem Einfluß
der Newtonschen Grundkräfte: der Anziehungskraft
und der Abstoßungskraft. Die erstere ballt die Ele-
mentarpartikeln zu einem großen Klumpen zusammen:
bei ihrem Fall nach dem Anziehungszentrum stoßen
die Teilchen gegen einander und werden durch die Re-
pulsion von ihrer Bahn abgebeugt; so entstehen Seiten-
bewegungen, die das Zentrum schließlich in einem
Kreise umfassen, nachdem sich die wiederstreitenden
Impulse gegenseitig aufgehoben haben. In der Mitte
dieser rotierenden Nebelmasse bildet sich die Sonne
durch die zum Zentrum hinsinkenden Partikeln, und
in dem um diese sich drehenden Nebelring entstehen
die Planeten mit ihren Trabanten, deren Ursprung man
sich nach demselben Schema vorzustellen hat. Dies
ist in den Hauptzügen der Grundgedanke der Kanti-
schen Kosmogonie, die sich jedoch in wesentlichen
Stücken von der des Laplace unterscheidet. Die Neben-
einanderstellung und Identifizierung beider Theorien,
der man häufig begegnet, sowie der Name Kant-
Laplacesche Hypothese ist daher nicht ganz gerecht-
fertigt. Einen wesentlichen Unterschied zwischen Kant
und Laplace haben wir schon erwähnt. Eine weitere
Differenz bezieht sich auf die Entstehung der Planeten,
die sich Laplace gleiclrfalls etwas anders denkt als
Kant. Nach ihm bilden sich diese durch Ringablösung,
die eine Folge der Zusammenziehung des Nebelellip-
soids und der dadurch bedingten, erhöhten Rotations-
geschwindigkeit und Zentrifugalkraft der Partikeln ist,
XVI Einleitunj?.
eine Vorstellung, die auf Buffon*) zurückgeht, welcher
die Drehung der Nebelmasse auf ihren Zusammenstoß
mit einem andern Weltkörper zurückführte. Auch über
den Ursprung der Kometen sind beide Forscher ver-
schiedener Ansicht. Während Kant diese in ähnlicher
Weise aus dem Nebelklumpen hervorgehen läßt wie
die Planeten, und ihre Exzentrizitäten aus der schwä-
cheren Anziehungskraft in den großen Entfernungen
ableitet, betrachtet Laplace die Kometen als fremde
Körper, die aus andern Welträumen in die Anziehungs-
sphäre unseres Planetensystems geraten sind. Es
muß daher auch bei der Prüfung der gegen die Kant-
Laplacesche Hypothese ins Feld geführten Einwände
eine strenge Grenzlinie zwischen beiden Systemen ge-
zogen werden. Eins der schwierigsten Bedenken, die
Rückläufigkeit der Uranusmonde (eines Planeten, der
zu Kants Zeiten noch nicht entdeckt war), bedroht
zwar beide Theorien in hohem Maße, dagegen treffen
die Einwürfe, die man neuerdings gegen die Entstehung
der Planeten durch Ringbildung gezogen hat, wohl die
Laplacesche Theorie, während sie die Kantische Hypo-
these keineswegs erschüttern. Ein andres Argument
hat Faye**) gegen Kant und Laplace geltend gemacht:
nach seiner Theorie müßten die Achsenbewegung der
Planeten sowie die Rotation ihrer Satelliten ihrer wirk-
lichen Drehungsrichtung entgegengesetzt sein, ein Zwei-
fel, den Hirn und G. H. Darwin ihrerseits durch eine
*) Der erste Anstoß zu der Konzeption einer Nebular-
hypothese, wie sie in den Systemen Kants und Laplaces
vorliegt, scheint auf Buffon zurückzuführen, der aus der von
Newton festgestellten Beziehung der Sonne und aller Planeten
auf eine gemeinsame Fläche, den gerade entgegengesetzten
Schluß zog wie dieser, und eine einheitliche materielle Ur-
sache für dieses Phänomen postulierte. Die wichtigsten Stellen,
an denen er seine kosmogonischen Ansichten darlegt, finden
sich in Histoire naturelle generale et particuliere, Tome I,
S. 133, Bd. VI, 1779, S 41 u. a. Näheres über diesen histo-
rischen Zusammenhang siehe 0. Liebmann, Philosophische
Monatshefte Bd. IX, S. 246 ff. und Analysis der Wirklichkeit.
2. Aufl. 1880, S. 369—379.
**) Faye, Sur l'origine du Monde, Paris 1885, seconde
Edition, pag. 138.
Einleitung. XVII
Theorie der Gezeitenwirkung zu beseitigen gesucht
haben*); nach Hirn könnten die starken Ebbe- und Flut-
erscheinungen auf den flüssigen oder dampfförmigen
Planeten allmählich die Gleichheit in der Umdrehungs-
und Umlaufsrichtung hergestellt haben. Überhaupt
richten sich alle Einwände, die gegen beide Systeme
erhoben w^orden sind, in ihrer überwiegenden Mehr-
heit nur gegen die einzelnen Ausführungen, während
selbst die Gegner die Grundidee der Nebularhypothese
beibehalten; auch da, wo sie sie in ihrer Gesamt-
tendenz verwerfen oder durch andere Hypothesen er-
setzen, die meist den Typus der Katastrophentheorie an
sich tragen, und die Entstehung des Planetensystems
aus kosmischen Zusammenstößen herleiten, wie das z. B.
in den Theorien eines Groll, Ritter, Kerz, Braun u. a.
geschieht, benutzen sie noch Elemente der Kant-La-
placeschen Kosmologie, wodurch sie ihre eigenen An-
schauungen der letzteren wieder erheblich annähern.
Mag also auch an Kants Theorie im einzelnen noch
soviel als überlebt und überholt erscheinen, ihr eigent-
liches Wesen wird nicht davon getroffen; sie hat sich
im Laufe der Zeit durchaus als verbesserungsfähig
erwiesen, und ihre lebendige befruchtende Kraft
ist bis heute noch nicht erschöpft. Wie sehr Kant
auch hier auf dem richtigen Wege war, das beweisen
seine tiefen Divinationen und Antezipationen, wie die
Voraussage weiterer Planeten jenseits vom Saturn,
seine Berechnung der Umschwungsdauer des inneren
Saturnringes u. a. m., die, obwohl sie oft auf
falschen Voraussetzungen fußten und auf unzu-
reichende Gründe gestützt waren, später durch exakte
Nachprüfungen eine Bestätigung fanden, und so ein
bedeutendes Zeugnis für den Scharfblick des Natur-
forschers Kant ablegten.
Und doch bleibt es richtig, daß Kants Natur-
geschichte des Himmels vor allem auch eine philoso-
phische Leistung ist, wie Gerland behauptet, wenn-
gleich nicht ganz in dem Sinne, wie er es ver-
steht. Es ist sicherlich nicht in erster Linie das
*) Siehe F. K. Ginzel, Die Entstehung der Welt usw.,
Berlin 1893, S. 24f.
Kant, Kl. Schriften Z.Naturphilosophie. I. B
XVIII Literaturverzeichnis.
Problem des Gottesbegriffs und die Aufstellung eines
einwandfreien Gottesbeweises, um die Kant sich in
seinen kosmologischen Spekulationen bemüht, sondern
es ist das Interesse der Wissenschaft und an der Wissen-
schaft, das ihn dabei leitet. Die restlose Durchwirkung
der Kausalität, die Souveränität der theoretischen Ver-
nunft im Gebiete der Natur, und die Verbannung der
Zweckursachen aus dem Naturreiche, das sind die
Forderungen, für die er kämpft, und so seltsam es
ist: der Gottesbegriff ist ihm hier noch ganz wie bei
Leibniz kein Gegensatz, sondern Grundlage und Ga-
rantie für die Autonomie der Vernunft. Daß die Welt
der Natur der theoretischen Forschung bis ans Ende
zugänglich sei, daß keine Lücke in der mechanischen
Gesetzlichkeit ihrer Organisation übrig bleibe, dafür
ist der Gottesbegriff, als der Idealbegriff der Vernunft,
Beweis und Bürge; die ungehemmte Durchführbarkeit
der Kausalität im Felde der theoretischen Naturwissen-
schaft ist dann umgekehrt wieder ein Beweis für
das Dasein Gottes — ein Beweis freilich, der eigent-
lich ein Postulat ist. So wird schon hier jene neue
Ideenbedeutung des Gottesberiffs vorbereitet, die
dieser in der Kritik der reinen Vernunft erhält, wo
sein Charakter als Aufgabe und Regulativ für die
theoretische Forschung nunmehr unverhüllt zutage tritt.
Daher bestehen noch heute die Worte zu Recht,
die Helmholtz I87I in seinem Vortrag über die Ent-
stehung des Planetensystems gesprochen hat: ,,Die
Kant-Laplacesche Hypothese erweist sich als einer
der glücklichen Griffe in der Wissenschaft, die uns
anfangs durch ihre Kühnheit erstaunen machen, sich
dann nach allen Seiten hin mit anderen Entdeckungen
in Wechselbeziehungen setzen und in ihren Folgerun-
gen bestätigen, bis sie uns vertraut werden."
Literaturyerzeichnis.
Die Literatur über die Kant-Laplacesche Hj-pothese
ist außerordentlich groß; dieses Verzeichnis kann da-
her nicht den Anspruch auf absolute Vollständigkeit
machen. — Wir führen hier außer den schon erwähnten
Literaturverzeichnis. XIX
Schriften noch eine Reihe von solchen an, die sich
teils direkt mit der Kantischen Theorie beschäftigen,
teils kritisch zu ihr Stellung nehmen oder auf ihrer
Grundlage weiterbauen. Eine gute Ergänzung zu der
hier gegebenen Literaturübersicht findet sich in Über-
weg Heinzes Grundriß der Geschichte der Philosophie,
Teil III, pag. 243 (8. Aufl.) sowie in Günthers Hand-
buch der Geophysik, Bd. I,^S. 64.
F. Ct. AV. Struve: Etudes d'astronomie stellaire,
St. Petersbourg, Inprimerie de TAcademie imperiale des
Sciences 1847, S. 8 ff., Systeme de Kant. — Dr. J. C.
F. Zöllner: Photometrisclie Untersuchungen, Leipzig,
Engelmann, 1865, S. 214 ff. — Überweg: Kants all-
gemeine Naturgeschichte usw.. Altpreußische Monatsschrift,
Bd. II, Königsberg 1865. — Hay, E.: Über Kants Kosmo-
gonie, Altpreuß. Monatsschrift, Band III, Königsberg 1866.
— Reuschle: Kant u. die Naturwissenschaft, Deutsche
Vierteljahrsschrift, 31. Jahigang, 1868, 2. Heft. — Johann
Carl Friedrich Zöllner: Über die Natur der Cometen,
Beiträge zur Geschichte u. Theorie der Erkenntniß, Leipzig,
Wilhelm Engelmann, 1872. Immanuel Kant und seine Ver-
dienste um die Naturwissenschaft, S. 426 ff. — A. Meyden-
bauer: Kant oder Laplace? Kosmologische Studie, Marburg,
N. Gr. Elwertsche Verlagsbuchhandlung, 1880. — du Frei,
Dr. Carl: Die Planetenbewohner und die Nebularhypothese,
Leipzig, E. Günther, 1880 u. Entwicklungsgeschichte des
Weltalls, Leipzig, 1882. — Thiele, Dr. Günther: Die
Philosophie Immanuel Kants nach ilirem systematischen
Zusammenhange und ihrer logisch -historischen Entwicklung
dargestellt und gewürdigt. Erster Band, erste Abteilung.
Kants vorkritische Naturphilosophie, Halle, Max Niemeyer,
1882. S. 56 ff., S. 144 ff. — F. Ritterfeld: Die Cardinal-
fragen der Kosmologie und K.s Entstehung des Weltalls,
Heidelberg 1883. — Helmholtz, Hermann von: Vor-
träge und Reden, zugleich dritte Auflage der „Populären
wissenschaftlichen Vorträge" des. Verfassers. Zweiter Band.
Viehweg und Sohn, 1885. Über die Entstehung des
Planetensystems. Vortrag gehalten in Heidelberg und
Köln am Rhein im Jahre 1871. — H. Fave: Sur l'origine
du monde, Paris 1885. S. 132 ff. — C. Wolf Hypotheses
cosmogoniques, Paris 1886. — F. K. Ginzel: Die Ent-
stehung der Welt nach den Ansichten von Kant bis
auf die Gegenwart, Berlin 1893. — Ludw. Graf Pfeil:
Ist die Kant-Laplacesche Weltbildungshypothese mit der
heutigen Wissenschaft vereinbar? Deutsche Revue, Breslau
1893. — Gustav Eberhard: Die Kosmogonie von
yy Literaturverzeichnis.
Kant, "Wien 1893. — P. von Lind: Im. Kant und Alex.
Humboldt, Zeitschr. für Phil. u. phil. Kritik, 18Ö.5 u. 1896.
— Schöne, Dr. G. H.: Die Stellung Im. Kants innerhalb
der geographischen Wissenschaft, AltpreuL'ische ^Monatshefte
1897. — Gr. Gerland: Immanuel Kant, Seine geographi-
schen u. anthropologischen Arbeiten, Kantstudien, X. Band,
Eerlin 1905. S. 417 ff. — Holzmüller, Gustav Prof. Dr.:
Elementare Kosmische Betrachtungen über das Sonnen-
system und "Widerlegung der von Kant u. Lapiace aufg.
Hypothesen über dessen Entwicklungsgeschichte, Leipzig,
E. G. Teubner, 1908. — Gockel, AI bertDr.: Schöpfungs-
geschichtliche Theorien, Köln 1907. — Arrhenius, Svante:
Das "Werden der "Welten. Deutsch von L. Bamberger, Leipzig
1908, und Neue Folge, Leipzig 1908. — Außerdem er-
wähnt Übenveg noch folgende Abhandlungen, die mir
nicht zugänglich waren: 0. Annel, Kants Kosmogonie und
der kritische Idealismus, Didascalia 1897, Xr. 18 — 20. —
"W. Hashi: K.s Cosmogony as in his Essay on the Retar-
dation of the Rotation of the Earth an his natural Hist/etc
with introduction — ed Glassr. 1900.
Verzeichnis der Texte.
Bei der Aufstellung der BibliogTaphie aller vorhandenen
Drucke habe ich auch die Ausgaben von Hartenstein, Rosen-
kranz und Kehrbach benutzt. Letzterer habe ich einige
Daten entnommen, die deren Herausgeber einer persön-
lichen Mitteilung von R e i c k e verdankt (siehe unten: Kehr-
bachs Ausg. Nr. 15), pag. XVIII.
1. Allgemeine Xaturgeschichte und Theorie des Him-
mels oder Versuch von der Verfassung und dem mechani-
schen Ursprünge des ganzen "Weltgebäudes nach Newton-
schen CTrundsätzeu abgehandelt. Königsberg und Leipzig
bey Johann Friedrich Peterson 1755, VI, S. 1—200.
2. Als Anhang zu: "William Herschel, über den Bau
des Himmels. Drei Abhandlungen aus dem Englischen
übersetzt nebst einem authentischen Auszug aus Kants all-
gemeiner Naturgeschichte und Theorie des Himmels, Königs-
berg 1791, bei Friedrich Xicolovius.
3. Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Him-
mels, in: I. Kants sämtliche kleine Schriften nach der Zeit-
folge geordnet. Erster Band, Xr. 2. Königsberg u. Leipzig
1797 (in Wirklichkeit Jena bei Voigt: Voigtsche Samm-
lung). Einl. XXXVIII, S. 295—494. Nachdruck.
4. Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Him-
mels usw. in : Immanuel Kants fi-üher noch nicht gesammelte
kleine Schriften. Frankfurt u. Leipzig 1797 (in Wahrheit
Zeitz bey Wilhelm Webel), S. 1—130. Nachdruck.
5. Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Him-
meis usw. von Immanuel Kant. Neue Auflage mit des Ver-
fassers eigenen neuen Berichtigungen. Frankfurt u. Leipzig
1797, Bl. 2— 8 b, Vorrede, Bl. 8 b. Vorerinnerung bey dieser
Ausgabe, unterzeichnet M. F. 1797. Bl. 9—10 Inhalt. S. 1
bis 130. Die Berichtigungen sind lediglich Anmerkungen,
die der Herausgeber Frege dem Auszug von Gensichen
(Nr. 2) entnommen und ,, gehörigen" Orts hinzugefügt hat.
Außerdem erklärt der Verfasser, er habe „übrigens auch
dem Style einige Aufmerksamkeit gewidmet und die Sprache
XXII Verzeichnis der Texte.
dem jetzigen Genie derselben näher zu bringen gesucht."
Wir zitieren diesen Nachdruck, der mit dem unter 4 ange-
führten identisch ist, als Ausgabe von 1797.
6. Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Him-
mels usw. von Immanuel Kant. Neue Auflage mit des Ver-
fassers eigenen neuen Berichtigungen. Zeitz bey Wilhelm
Webel 1798, ßl. 2—8. Vorrede Kants, El. 10 a— 10b. Vor-
erinnerung bey dieser Ausgabe, unterzeichnet M. F. 1797,
Bl. 11— -12, Inhalt, S. 1—143. Dieser Nachdruck ist mit
dem vorigen identisch.
7. Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Him-
mels in: Kants vermischte Schriften. Achte und vollstän-
dige Ausgabe, Halle in der Rengerschen Buchhandlung
1799, Nr. 3, Band I, S. 283—520. (Tieftrunk.)
8. Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Him-
mels usw. von Immanuel Kant, 4. Auflage, mit des Herrn
Verfassers eigenen neuen Berichtigungen, Zeitz bey Wil-
helm Webel, 1808, Bl. 2— 10 a. Kants Vorrede, 10 a— 10b.
Vorerinnerung bey dieser Ausgabe, unterzeichnet M. F.,
Bl. 11—12, Inhalt, S. 1—142. "identisch mit 4. 5. 6.
9. Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Him-
mels usw. in: Immanuel Kants Werke sorgfältig revidierte
Gesamtausgabe in 10 Bänden (herausgegeben von G. Harten-
stein, Leipzig 1838). Band 8, Nr 3, S. 217—381, Modes
und Baumann.
10. Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Him-
mels usw. in : Immanuel Kants Sämtliche Werke , heraus-
gegeben von Karl Rosenkranz und Friedr. Wilh. Schubert.
Teil 6: Schriften zur Physischen Geographie. Her. von
Friedi-. Wilh. Schubert. Nr. 3, S. 39—226, Leipzig, Leo-
pold Voß, 1839.
11. Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Him-
mels in: Immanuel Kants Sämtliche Werke in chronologi-
scher Reihenfolge herausgegeben von G, Hartenstein, Bd. I,
Nr. IV, S. 207—345, Leipzig, Leopold VoU, 1867.
12. Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Him-
mels in : Band 49, Abt. 1 der Philosojihischen Bibliothek usw.
Herausgegeben und erläutert von J. H. von Kirchmann.
Nr. 1, S. 1—169. Berlin, L. Heimann, 1872.
13. Allgemeine Naturgeschichte und Theorie^des Him-
mels. Herausgegeben von H. Ebert in: Ostwalds Klassiker
der exakten Wissenschaften. Nr. 12, S. 1—93 (93—101
Anmerkungen). Leipzig, Engelmann, 1890. Gekürzt. Vor-
rede, Inhaltsverzeichnis, Einleitung und Schlußkapitel fehlen.
Nachdruck der unter 8 zitierten Ausgabe.
14. Kants Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des
Himmels. Herausgegeben von A. J. von Oettingen in:
Verzeichnis der Texte. XXIII
Ostwalds Klassiker der exakten "Wissenschaften. Nr. 12,
S. 1 — 146 (147 — 158 Anmerkungen). Leipzig, Engelmann,
1898. Vollständiger Nachdruck der Erstausgabe von 1855 (1).
15. Immanuel Kants Allgemeine Naturgeschichte und
Theorie des Himmels nebst zwei Supplementen. Heraus-
gegeben von Karl Kebrbach XXI Vorrede des Heraus-
gebers, XXI— XXIV Inhaltsverzeichnis, S. 1 — 168. Supple-
mente: I. Kosmogonie, Eine Hypothese des Ursprungs der
Weltkörper usw. aus : Der einzig mögliche Beweisgrund zu
einer Demonstration des Daseyns Gottes von Immanuel Kaut
(1763), S. 171—188 und IL Gensichens Vorwort und Nach-
schrift zu dem Auszug zu Kants Naturgeschichte und Theorie
des Himmels (1791), Leipzig, bei Philipp Reclam, 1884.
16. Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Him-
mels usw. in: Kants gesammelte Schriften, herausgegeben
von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften,
Band I, 1. Abteilung, S. 215—368 (S. 544—558 Erläu-
terungen). Herausgeber Johannes Rahts, Berlin, Reimer,
1902.
17. Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Him-
mels in: Immanuel Kants "Werke in 8 Büchern. Ausge-
wählt und mit Einleitung versehen von Dr. Hugo Renner,
Buch VIII, Nr. IL S. 91— 182, Berlin, Weichei-t, 1907.
Gekürzt wie Nr. 13.
Die metaphysisehen Anfangsgründe der Natur-
wissenschaft.
Während die Naturgeschichte des Himmels das
typische Beispiel einer in die letzten Gründe der Natur
eindringenden, durch kühne Hypothesen vorwärts-
schreitenden Spekulation ist, die den Inhalt der meisten
vorkritischen Schriften naturwissenschaftlichen Cha-
rakters bildet, sind die Metaphysischen Anfangsgründe
die reife Frucht einer durch Kritik geläuterten Denk-
art. 1781 war Kants Icritisches Hauptwerk erschienen
und damit der Grund zu einer neuen Methode des
Philosophierens gelegt; nun galt es, diese bis in ihre
Folgen und Auszweigungen zu entwickeln und auf
ihrem Fundamente das neue System der Vernunft zu
errichten. Die drei Kulturgebiete: das der Natur, der
Sittlichkeit und der Schönheit harrten ihrer Be-
gründung und Sicherung aus den Prinzipien der Kritik.
Jetzt handelte es sich nicht mehr darum, durch kühn
erdachte Hypothesen noch unbekannte Welten der
Natur zu erschließen, sondern abwärts den durch-
messenen Weg der Wissenschaft zu durchforschen und
zu prüfen, die vorhandenen Mittel der Erkenntnis auf
ihren Gehalt zu untersuchen, an der aufgestellten Norm
zu messen und von hier aus die Richtung auf den
zukünftigen Fortschritt zu bestimmen. Nach der Voll-
endung der Kritik schreitet Kant sofort an die neue
Aufgabe. 1783 erscheinen die Prolegomena, in
denen er das Gewonnene gleichsam noch einmal rück-
schauend betrachtet, und zugleich durch eine neue
Darstellung eine leichtere gemeinverständliche Fas-
sung für die neubegründete Wissenschaft findet. Dann
folgen die großen Glieder des Systems: 1785 die
Einleitung. XXV
Grundlegung zur Metaphysik der Sitten; 1788 die
Kritik der praktischen Vernunft, 1790 die Kritik
der Urteilskraft, und dazwischen 1786 die Metaphysi-
schen Anfangsgründe der Naturwissenschaft, zugleich
(wenn wir von dem unvollendeten Alterswerk , Ȇber-
gang von den Metaphysischen Anfangsgründen der
Naturwissenschaft zur Physik" absehen) die letzte
größere naturphilosophische Schrift, nach der nur
noch zwei kleinere Abhandlungen „Etwas über den
Einfluß des Mondes auf die Witterung" vom Jahre 1794
und zu „Sömmering über das Organ der Seele" 1796
erschienen. Obwohl also diese Schrift einen ausge-
sprochen kritischen Charakter an sich trägt und sich
durchaus in den Grundplan des kritischen Systems
einordnet, reicht doch der Plan zu ihr bis weit in
die vorkritische Zeit hinab. Kants Denken läßt überall
eine deutliche Kontinuität erkennen, die die große
Umwälzung von vielen Seiten her vorbereitet. Unter
den Schriften, die den Metaphysischen Anfangs-
gründen voraufgehen, den drei Erdbebenstudien
1756, der Theorie der Winde 1756, der Ankündigung
eines Collegii der physischen Geographie 1757, den
anthropologischen Abhandlungen über die Menschen-
rassen von 1775 und 1785, dem kleinen Aufsatz
über die Vulkane im Monde von 1785, der physischen
Monadologie und dem „Neuen Lehrbegriff der Be-
wegung und der Ruhe" von 1756 und 1758 sind es
vorzüglich die beiden letzten, die schon Probleme aus
den Metaphysischen Anfangsgründen behandeln und
Grundtendenzen dieser Sclirift erkennen lassen. Die
Idee zu einem ähnlichen Werke scheint Kant schon
sehr früh und im Zusammenhange mit einer größeren
Schrift gekommen zu sein, in der bereits kritische
Motive anklingen sollten, wenigstens finden wir die
erste Andeutung auf sie in einem Schreiben an Lam-
bert vom Jahre 1765, in dem sich Kant folgender-
maßen über seine schriftstellerischen Pläne äußert:
„Alle diese Bestrebungen laufen hauptsächlich auf
eine eigentümliche Methode der Metaphysik und ver-
mittelst derselben auch der gesamten Philosophie hin-
aus, wobei ich Ihnen, mein Herr, nicht unangezeigt
lassen kann, das Herr Kanter, welcher von mir ver-
XXVI Einleitung.
nahm, daß ich eine Schrift unter diesem Titel viel-
leicht zur nächsten Ostermesse fertig haben möchte,
nach Buchhändler Art nicht gesäumt hat, diesen Titel,
obgleich etwas verfälscht, in den Leipziger Meßkatalog
setzen zu lassen. Ich bin gleichwohl von meinem
ersten Vorsatze so ferne abgegangen: daß ich dieses
Werk als das Hauptziel aller dieser Aussichten noch
ein wenig aussetzen will, und zwar darum, weil ich
im Fortgange desselben merkte, daß es mir wohl an
Beispielen der Verkehrtheit im Urteilen gar nicht
fehlete, um meine Sätze von dem unrichtigen Ver-
fahren zu illustrieren, daß es aber gar sehr an sol-
chen mangele, daran ich in concreto das eigentümliche
Verfahren zeigen könnte. Daher, um nicht etwa einer
neuen philosophischen Projektmacherey beschuldigt zu
werden, ich einige kleinere Ausarbeitungen voran-
schicken muß, deren Stoff vor mir fertig liegt,
worunter die: metaphysische Anfangsgründe der
natürlichen Weltweisheit und die metaph. An-
fangsgr. der practischen Weltweisheit die
ersten seyn werden, damit die Hauptschrift nicht
durch zu weitläuftigte und doch unzulängliche Bey-
spiele allzu sehr gedehnet werde." (Kants Briefwechsel,
Bd. I, S. 53, Akademieausgabe.)
Indessen all diese Pläne wurden durch das große
kritische Unternehmen umgestoßen, das im Laufe der
folgenden Jahre Kants ganzes Denken in Anspruch
nimmt. 1770 erscheint die Dissertation: „De mundi
sensibilis atque intelligibilis forma et principiis", das
Vorspiel zu dem großen Umwälzungswerk im Gebiete
der Philosophie (Philosoph. Bibl. Bd. 46 C, S. 86), dann
folgt die lange Zäsur in Kants schriftstellerischer
Tätigkeit, in der die ungeheueren Gedanken der Kritik
der reinen Vernunft reifen. Und nun erst, volle
zwanzig Jahre nach jenem ersten Briefe an Lambert
und vier Jahre nach der Kritik der reinen Vernunft,
kommt Kant wieder auf seine alte Absicht zurück.
In einem Schreiben an Schütz kündigt er die baldige
Vollendung der Metaphysischen Anfangsgründe an:
„Ehe ich an die versprochene Metaphysik der Na-
tur gehe, mußte ich vorher dasjenige, was zwar eine
bloße Anwendung derselben ist, aber doch einen empi-
Eiuleitung. XXVII
Tischen Begriff voraussetzt, nämlich die metaphysi-
schen Anfangsgründe der Körperlehre, sowie in einem
Anhange, die der Seelenlehre*) abmachen: weil jene
Metaphysik, wenn sie ganz gleichartig sein soll, rein
sein muß, und dann auch, damit ich etwas zur Hand
hätte, worauf, als Beispiele in concreto, ich mich dort
beziehen und so den Vortrag faßlich machen könnte,
ohne doch das System dadurch anzuschwellen, daß
ich diese mit in dasselbe zöge. Diese habe ich nun
unter dem Titel: Metaphysische Anfangsgründe
der Naturwissenschaft in diesem Sommer fertig
gemacht und glaube, daß sie selbst dem Mathematiker
nicht unwillkommen seyn werde. Sie würden diese
Michaelsmesse herausgekommen seyn, hätte ich nicht
einen Schaden an der rechten Hand bekommen, der
mich gegen das Ende am Schreiben hinderte. Das Manu-
skript muß also schon bis Ostern liegen bleiben" (Brief
V. 13. Sept. 1785)**) Bd. I S. 382. Einige Wochen
darauf schxeibtHartknoch anKant: „Es wäre doch besser
gewesen, wenn Sie Ihrem ersten Entschlüsse gefolgt
wären u. die fertig liegende Abhandlung an HEn.
Grunert nach Halle geschickt hätten. Ich weiß zwar,
daß er Sie sowohl mit dem Proleg. als mit der Metaph.
der Sitten lange aufgehalten hat: allein das wird nicht
mehr geschehen, nachdem ich es ihm verwiesen . . .
Da Sie indessen Ihre Meinung geändert haben, so bitte
ergebenst, das Werk auf Neujahr dem HEn. Grunert
zuzusenden, damit es zeitig zur Ostermesse fertig wer-
den. Es kann auch früher geschehen, wenn Sie es be-
fehlen," Bd. I S. 387. Kant scheint jedoch noch gegen
Ende des Jahres 1785 an der, wie aus diesen Briefen her-
vorgeht, schon druckfertigen Schrift gearbeitet zu haben;
er erwähnt nämlich in der Vorrede eine Rezension der
Institutiones Logicae et Metaph. des Herrn Professor
Ulrich in Nr. 295 der Allgemeinen Literatur-Zeitung;
*) Dieser hier versprochene Anhang fehlt in den Meta-
physischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft und ist nicht
erschienen. Über die Gi'ünde die Kant veranlaßt haben
mögen, ihn zu unterdrücken vergl. Gregor Itelson : Zur Ge-
schichte des psychophysischen Problems. Archiv für Ge-
schichte der Philos., Bd. III, 1890, S. 283—290.
**) a. o. a. 0. S. 383.
XXVIII Einleitung.
diese aber trägt das Datum vom 13. Dezember 1785*),
Die Metaphysischen Anfangsgründe gelangten 1786
in Riga bei Joh. Friedr. Hartknoch zur Ausgabe und
sind im Meßkatalog dieses Jahres unter den neu-
erschienenen Werken angekündigt**).
Borowski, der über die früheren Schriften mancher-
lei Einzelheiten mitteilt, weiß über diese nicht viel
zu berichten und beschränkt sich auf eine ganz kurze
Inhaltsangabe des Werkes (a. o. a. 0. S. 75). Über-
haupt scheinen die Metaphysischen Anfangsgründe bei
iiirem Erscheinen nur wenig beachtet worden zu sein.
Professor Beiiring in Marburg hatte zwar eine Vor-
lesung über sie angekündigt, allein eine Kabinetts-
order untersagte für den Winter alle Vorlesungen über
die Kantischen Lehrbücher, und zugleich wurde, wie
Behring Kant in einem Schreiben mitteilt, „der dorti-
gen philosophischen Fakultät aufgegeben, binnen einem
Vierteljahre zu berichten: was von Kants Schriften
überhaupt zu halten, insbesondere, ob solche zum
Skeptizismus Anlaß gäben, mithin die Gewißheit der
menschlichen Erkenntnis untergrüben" (21, Sept. 1786,
Briefwechsel a, o, a, 0, L, S, 442), Aber von da ab
finden wir die Schrift nur noch ganz selten erwähnt***).
Es erschienen wohl zwei Auszüge aus diesem Werke,
deren einer von Schulz, der andere von Siegismund
Beck herrührte; allein noch 1795 klagt Kiesewetter in
einem Schreiben an Kant: „Es ist mir eine sehr auf-
fallende Erscheinung, daß, so sehr man Ihre übrigen
Schriften genützt, erklärt, ausgezogen, erläutert u.s.w,
hat, sich doch nur sehr wenige bis jetzt erst mit den
metaph. Anfangsgründen der Naturwissenschaft be-
schäftigt haben. Ob man den unendlichen Wert dieses
Buchs nicht einsieht, oder ob man es zu schwierig
findet, weiß ich nicht. Mir ist bis jetzt keine Be-
arbeitung dieses Werkes bekannt, als der vortreff-
liche Auszug aus demselben vom HE, Hofprediger
*) Siehe A. Höfler, Akad. Ausg., Bd. IV, S. 635 u. 638 f.
**) a. 0. a. 0.
***) Vgl. den Brief von Hellwag 1790 und Kants Antwort
darauf II. 221 u. 232 f sowie den Briefwechsel mit Sigis-
mund Beck, vor allem ein Schreiben Kants v. 1792, II. 381,
Einleitung. XXIX
Schulz in der allgemeinen Litteraturzeitung und der
erläuternde Auszug vom HE. Mag. Beck, den ich aber
bis jetzt noch nicht gelesen habe. Sollte es dem Pu-
blico nicht angenehm sein, wenn ein Commentar über
dies Werk erschiene? mir hat es unter allen Ihren
Schriften die meiste Mühe gemacht, u. ich denke noch
mit großer Dankbarkeit daran, daß ich das völlige
Verstehen desselben Ihrem mündlichen Unterricht
schuldig bin"*); und am 20. April 1796 schreibt
Jenißch: „Worin ist die Ursache zu suchen, daß eine
große Masse wichtiger und höchst fruchtbarer Ideen
in den unsterblichen Werken Ihres Geistes unbeleuch-
tet, ungeprüft und am allermeisten ungebraucht und
ungenutzt daliegt? Die Ursache, daß einiger Ihrer
Werke, daß z. B. der metaphysischen Anfangsgründe
der Naturlehre von den erklärtesten Anhängern Ihres
Systems kaum erwähnt wird? . . . Herr Magister
Beck, ein ebenso gründlicher und kenntnisvoller, als
bescheidener Denker, hat nur vor einiger Zeit und
nicht ohne Glück angefangen, dies äußerst wichtige
Werk zu erläutern"**). Dagegen war die Wirkung
der Schrift auf die nachfolgenden Generationen um
so tiefer. Sie übte einen mächtigen Einfluß auf die
neu entstandene Richtung der Naturphilosophie, auf
Schelling und Hegel einerseits, und Fries und Apelt
andererseits aus. Mit Recht schreibt Rosenkranz: „will
man die Bedeutsamkeit der Kant'schen Dynamik recht
erkennen, so muß man erwägen, daß die Schellingsche
Construktion der Materie ohne sie unmöglich gewesen
wäre", und Hegel erklärt in seiner Enzyklopädie: „Kant
hat unter andern auch das Verdienst, durch seinen
Versuch einer sogenannten Konstruktion der Materie
in seinen metaphysischen Anfangsgründen der Natur-
wissenschaft, den Anfang zu einem Begriff der Materie
und mit diesem Versuch den Begriff einer Naturphilo-
sophie wieder erweckt zu haben." Seitdem ist das
Interesse für dieses Kantische Werk dauernd lebendig
geblieben. 1828 widmete ihm Herbart in seiner
allgemeinen Metaphysik eine ausführliche Rezension,
*) Bd. III, S. 23.
*) Bd. III, S. 76.
XXX Einleitung.
und so wirkte es auch von da ab weiter fort bis hinein
in die philosophische Diskussion der neuesten Zeit.
Allein das Lob Hegels ist zweideutig. Der Übergang
von Kants metaphysischen Anfangsgründen zur nach-
kantischen Naturspekulation ist nicht homogen. Die
Grenze, die Kant in diesem Werke zwischen Philosophie
und Wissenschaft zog, ist keineswegs zufällig, sondern
zieht zugleich einen scharfen Trennungsstrich zwischen
der ersteren und aller sogenannten Naturphilosophie.
Die Unterscheidung, die Kant zwischen Weg und Auf-
gabe der Wissenschaft errichtete, wehrt auch alle spe-
kulativen Abenteuer und Scheinlösungen ab, an denen
sich die philosophische Romantik berauschte, und be-
zeichnet prägnant den Punkt, wo Wissenschaft und Be-
griffsdichtung sich scheiden. Wohl ist die Form der
Wissenschaft durch die Bedingungen und das Ideal
der Erkenntnis bestimmt, wie sie in der Kritik der
reinen Vernunft aufgestellt waren, und die Konstituen-
tien des Erkenntnisbegriffes sind demnach maß- und
gesetzgebend für den Gegenstand — sie sind die allge-
meinen Schemata für die Naturgesetze. Doch die Ge-
setze müssen sich konkretisieren, am Besonderen und
Einzelnen in Funktion setzen und in der unendlichen
Spezifikation der Natur die Einheit des logischen
Bandes herstellen. Dieser Weg der Durchdringung
von Gesetz und Einzelobjekt geht durch eine Unend-
lichkeit von Ansätzen und Hypothesen, Versuchen und
Experimenten, mit deren Hilfe die exakte Wissenschaft
vorwärts schreitet, er geht durch die Schule der Ma-
thematik und nicht durch vage Analogien und Be-
griffskünsteleien, die die Kontrolle der wissenschaft-
lichen Methoden ignorieren. Zwar sind diese Experi-
mente und Hypothesen selbst wiederum Einzelanwen-
dungen allgemeiner Erkenntnisgrundsätze, aber unter
Zugrundelegung neuer Bedingungen, die wohl poten-
tiell in ihnen angelegt, doch zugleich durch die
Eigenart der zu lösenden Probleme bestimmt sind.
Damit haftet ihnen ein Moment des Willkürlichen
und Hypothetischen an, das seinerseits wieder von
einer tieferen fundamentaleren Setzung seine Be-
gründung erwartet, ein Regressus, der nie abbricht
und nie sein Ende erreicht, sondern der Uner-
Einleitung. XXXI
schöpflichkeit der Denkfunktion gemäß selbst unab-
lässig weitergeht. Das ist der Sinn des Empi-
rischen der Erkenntnis, mjt dem allererst der Über-
gang von den reinen Begriffen und Grundsätzen zur
eigentlichen Naturwissenschaft gewonnen wird: von
diesem Übergang handeln die Metaphysischen Anfangs-
gründe. Sie beobachten das Stadium des Erkennens,
wo es, gleichsam von der ersten empirischen Setzung
befruchtet, seinen Ausgangspunkt und Weg bis mitten
hinein in die Materie des Vielen und Mannigfaltigen
antritt. Eins der ersten und allgemeinsten Gebiete, das
es hierbei berührt und das schon ein Element des Kon-
kreten enthält, ist die Mechanik; allein das Konkrete
selbst, das sie enthält, unterliegt darum doch den
notwendigen Bestimmungen des Allgemeinen, dessen
Konkretes es ist. Es ist die Aufgabe der metaphysischen
Anfangsgründe, diese notwendigen Bestimmungen im
einzelnen und im besonderen zu entwickeln — eine
Aufgabe, die hier zuerst eine vorbildliche Formulie-
rung gefunden hat. Gewiß ist auch bei diesem Werk
die Zeit über so manche von den Ausführungen und
besonderen Definitionen, Sätzen und Lehrsätzen hinaus-
geschritten, allein das Problem, das Postulat, das in ihm
aufgestellt ist, hat sie nirgends und in keinem Punkte
erschüttert, es ist vielmehr seitdem nur noch aktueller
und dringlicher geworden. Dieses Postulat besteht in
der Forderung einer unausgesetzten Annäherung an das
Ideal wissenschaftlicher Gründlichkeit und Exaktheit.
Was aber der Naturwissenschaft die Exaktheit ver-
leiht, das ist die Mathematik — in diesem Satze gipfelt
der Grundsinn der berühmten Vorrede zu Kants meta-
physischen Anfangsgründen. Erst in der Mathematik,
in dem festen Größengefüge, treten die Dinge in
Reih' und Glied, werden sie aus der schwankenden
Vieldeutigkeit herausgehoben und zur strengen Ein-
deutigkeit determiniert. Es ist ein Grundgedanke der
neuen Zeit, dem die moderne Wissenschaft ihre größten
Erfolge verdankt, der hier von Kant ausgesprochen
und in aller Strenge bewiesen wird.
Mit sicherem Blicke hat Kant die wichtigen Pro-
bleme der exakten Naturwissenschaft hervorgehoben
und ausgezeichnet und die Punkte bloßgelegt, an
XXXII Einleitung.
denen diese noch der genaueren Begründung und
Vertiefung bedarf. Das Gebiet der Mechanik ist die
Lehre von den Bewegungen eines Massenpunktes.
Die reine Bewegung eines solchen Punktes, unter Ab-
straktion von ihrer Verursachung, und ihre Subsumtion
unter dem Begriff der Größe, ist der Gegenstand des
ersten Abschnittes: der Phoronomie, deren Hauptstück
von der Zusammensetzung der Geschwindigkeiten han-
delt. Hier rührt Kant an eine Frage, die von den
Physikern meist rein dogmatisch oder axiomatisch
entschieden wird. Daß Geschwindigkeiten addiert
werden können, wie andre numerische Größen, daran
wird gar nicht gezweifelt. Kant aber deckt die
Schwierigkeit einer solchen Addition auf und versucht
sie zu lösen. Denn daß die Strecke, die ein Punkt.
in einer Sekunde mit zwei gleichzeitig an ihm wirken-
den Geschwindigkeiten durchläuft, gleich der Strecke
ist, die er durchlaufen müßte, wenn er sich in der
ersten Sekunde mit der einen, und in der folgenden
mit der zweiten Geschwindigkeit bewegte, ist keines-
wegs selbstverständlich. Kant zeigt nun, daß diese
Gleichsetzung beider Bewegungen in der Tat in einem
Falle denkbar und darum möglich ist. Er läßt die Be-
wegnngsresultante nach einem bestimmten Verfahren
aus ihren Komponenten entstehen, womit er uns zugleich
ein instruktives Beispiel für die Methode vorführt, die er
Konstruktion eines Begriffs in der Anschauung nennt.
— Noch wichtiger als dieser erste Teil ist der zweite:
die Dynamik, der auch durch seine Wirkung auf die
folgende Zeit von großer Bedeutung ist. Er enthält
den Versuch, die Materie selbst aus Kräften zu kon-
struieren, d. h. den unklaren und verworrenen Begriff
des Materiellen auf die exakte Vorstellung wirkender
Kräfte oder Bewegungsgesetze zurückzuführen; der
erste Ansatz zu dieser Konstruktion findet sich be-
reits in der Physischen Monadologie (Philosoph. Bibl,
Bd. 49, S. 341) vor, in der Kant allerdings noch für
eine, an Boscowichs Theorie erinnernde Vorstellung
von Kraftzentren oder Punkten eintritt. Das spätere
Werk dagegen bricht endgültig mit jeder Art der Ato-
mistik, selbst mit der dynamischen, wie Kant sie noch
in der physischen Monadologie gelehrt hatte. Die abso-
Einleitung. XXXIIl
luten Bestimmungen sind von nun ab aus der Physik
verbannt, da sie im Widerspruch mit dem Funktions-
charakter der Erkenntnis stehen und auf letzte starre
Daten führen. Und endlich wird auch die Kraft jedes
Anthropomorphismus entkleidet und in einen gesetz-
lichen Abfluß mathematischer Bestimmungen aufge-
löst. — Auch diese Idealisierung des Begriffs der
Materie, wie sie sich in der Dynamik vollzieht, liegt
ganz in der Richtung modernster Tendenzen, die in
der Reduktion derponderabelnMasse auf Verschiebungen
elektrischer Energiequanta ihren Ausdruck finden.
Der dritte Abschnitt: die Mechanik, bringt eine
kritische Erörterung und Deduktion der wichtigsten
mechanischen Prinzipien: vor allem der drei Newton-
schen Leges, die allerdings auf zwei Sätze zu-
sammengezogen sind, dafür aber durch ein weiteres
Prinzip: das der Konstanz der Masse ergänzt werden.
Von besonderem Interesse ist der Fortschritt, den
Kant hier in der Formulierung des Trägheitsprinzips
über seine vorkritischen Schriften hinaus vollzieht.
Sein wichtigstes Ergebnis ist die Eliminierung der
Trägheitskraft, die ihn in seiner Erstlingsschrift „Über
die wahre Schätzung der lebendigen Kräfte" nicht zur
Klarheit durchdringen und auch das richtige Ver-
ständnis für das Prinzip der Wechselwirkung ver-
fehlen ließ. Kant faßt dort die Trägheit als eine
positive innerliche Potenz des Körpers, mit der er sich
andrängenden Bewegungen widersetzt und einem Teil
ihrer Kräfte die Wage hält, und er kennt noch freie
und ungehemmte Bewegungen, die zu ihrer Erhaltung
einer besonderen Kraft bedürfen. Dieser Mangel wird
in der Physischen Monadologie durch Gleichsetzung
von Trägheitskraft und Masse verbessert, und in der
Schrift: „Neuer Lehrbegriff der Bewegung und der
Ruhe" (Philosoph. Bibl. Bd. 49, S. 395) überwunden,
aber auch hier noch sucht Kant nach einem Ersatz
für die Trägheitskraft*). Erst die metaphysischen
Anfangsgründe bringen die prinzipielle Klärung, indem
*) Eine ausführliche Darstellung dieser Entwickelung
gibt Dr. Günther Thiele: Die Philosophie Immanuel
Kants u. v. a. Halle, Niemeyer, 1882 u. 1887.
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I. 0
XXXIV Einleitung.
sie das Trägheitsgesetz an Stelle der Trägheitskraft
setzen und damit zugleich eine einwandfreiere Formel
für das dritte Prinzip, die Wechselwirkung gewinnen.
Der vierte Teil, die metaphysischen Anfangsgründe
der Phänomenologie beschäftigt sich mit den modalen
Bestimmungen der naturwissenschaftlichen Grundsätze.
Die interessantesten und wichtigsten Abschnitte dieses
Teils handeln von dem absoluten und relativen Raum
und der absoluten und relativen Bewegung. Da der
Raum selbst unter den Begriff der Relation fällt und
die Bewegung immer eine Veränderung räumlicher
Verhältnisse ist, so muß an der Relativität beider
festgehalten werden. Daß kein Subjekt der Bewegung
als unwiderruflich letztes, keine Verrückung in einem
begrenzten Räume als endgültig betrachtet werde, daß
vielmehr die Möglichkeit einer Korrektur und einer
Beziehung auf immer neue erweiterte Räume stets
offen bleibe, dafür wird die Idee des absoluten Rau-
mes, als Bürgschaft des ungehemmten Erkenntnisfort-
schrittes aufgerichtet. Trotzdem aber muß zwischen
den willkürlichen Verschiebungen der Kinematik (Pho-
ronomie) und den eindeutigen Bewegungsvorgängen
der Mechanik unterschieden werden. Newton hatte die
Ermittelung absoluter Bewegungen als nicht ganz
hoffnungslos bezeichnet. Die Phänomene der Kreisbe-
wegung könnten es nach ihm ermöglichen, etwa auf
Grund von Fadenspannungen oder anderen Wirkungen
der Zentrifugalkraft den eigentlichen Träger der Be-
wegung zu entdecken und die Ortsveränderung einem
bestimmten Punkte zuzuschreiben. Kant löst diese
Schwierigkeit durch die Unterscheidung, die er zwi-
schen wahrer und absoluter Bewegung macht.
Gewiß führen, und sollen die Gesetze der Mechanik
auf eine eindeutige Verteilung der Bewegung an die
materiellen Punkte führen; allein auch so noch bleibt
die Kreisbewegung die Veränderung einer Relation,
und somit relativ zu einem Punkt, der wiederum
ruhig und bewegt sein kann, und so ins Unendliche.
Die Bewegung erfordert zu ihrer Bestimmbarkeit immer
mindestens das Verhältnis zweier Punkte, und eine
Bewegung im leeren, d. h. in einem Räume, in dem
außer dem Bewegten kein zweiter Punkt gegeben wäre,
Einleitung. XXXV
liegt außerhalb der Grenzen des Erkennbaren. Will
man jedoch unter wahrer Bewegung gerade das ver-
stehen, was mit der absoluten Bewegung gemeint sei,
so ist zu bedenken, daß wir unter Zugrundelegung
der Gesetze der Mechanik wohl zur Feststellung sol-
cher Bewegungen gelangen könnten, die aber gerade
darum relativ zu jenen Gesetzen blieben, welche
selbst keineswegs unbedingte und unumstößliche Gel-
tung beanspruchen, sondern mit teilnehmen an dem
unendlichen Progressus der Erkenntnis.
So reich somit Kants Werk an fruchtbaren Ge-
danken und Gesichtspunkten ist, die auch für unsere
Zeit noch ihren Wert nicht verloren haben, so ist
doch andererseits nicht zu vergessen, daß seine An-
schauungen etwas einseitig durch das Bild der
Wissenschaft bedingt und bestimmt sind, im Hinblick
auf welches er seine Beweise und Deduktionen unter-
nahm. Es sind die Newtonschen Prinzipien, die er
beständig vor Augen hat und nach denen er das Modell
der Naturwissenschaft formt, und dies macht es er-
klärlich, daß darüber gerade die Ansätze zu einer
neuen Entwickelung, denen wir in Kants früheren
Schriften begegnen, hier zu kurz kommen konnten.
So vermissen wir vor allem unter Kants Grundsätzen
das Prinzip der Erhaltung der Energie und den neuen
Kraftbegriff, mit dem er in seinen früheren Schriften
noch ringt*), um ihn zuletzt gänzlich zugunsten der
Newtonschen Kräftemechanik fallen zu lassen. Auch
an der Fernwirkung nimmt Kant keinen Anstoß, wie
ihm überhaupt Attraktion und Repulsion der durch-
gängige Typus aller Kraftwirkungen ist, und daher
wird ihm ganz folgerichtig die Mechanik zur höchsten
und letzten Form der exakten Naturwissenschaft, neben
der den andern Gebieten der Physik keine Selbständig-
keit zukommt. Daß gerade in dieser Rangordnung
noch ein Problem liegen konnte, will ihm nicht in
den Sinn. Und doch hat von diesen Fragen die neuere
Naturwissenschaft ihren Ausgang genommen. Sie hat
*) Vergl. die Nova dilucidatio, Bd. 46^, S. 36f., die
Schrift über die negativen Größen, 1763, Bd. 46a, S. 102f.
u. andre Stellen.
C*
XXXVI Literaturverzeichnis.
in der Faradey-Maxwellschen Theorie prinzipiell mit
den Fernkräften gebrochen und damit dem Infinite-
simalprinzip ausnahmslose Geltung verschafft, sie
hat den Kraftgedanken durch den der Energie er-
gänzt und uns in unaufhaltsamem Fortschritt bis an
einen Punkt geführt, wo sich der Zweifel selbst an
die Newtonsche Physik und an die altehrwürdigen
mechanischen Prinzipien wagt. Sie hat den Anspruch
der Mechanik auf den Titel einer Universalwissenschaft
erschüttert, und die neue Elektrizitätslehre rüstet sich
schon, das Erbe jener anzutreten. Zugleich aber wirkt
die moderne Energetik in konziliatorischer Tendenz,
indem sie den Streit um den Vorrang der einzelnen
physikalischen Disziplinen für gegenstandslos erklärt
und die Koordination der Energieformen proklamiert.
In diesem Kampf der Meinungen können uns die „Me-
taphysischen Anfangsgründe" freilich keine lösende
Formel bieten, die allen Streit und alle Gegensätze
schlichtet; eine solche soll man in ihnen auch gar
nicht suchen. Wohl aber können sie uns lehren, was
gerade heute der Wissenschaft am meisten nottut, wo
ihre alten Stützen und Fundamente wanken, und alles
wieder in Fluß gerät: die unermüdliche Arbeit an
der Begründung und Sicherstellung der Prinzipien und
der Ernst der philosophischen Gesinnung.
Literaturverzeichnis.
Lazarus Bendavid: Vorlesungen über die Metaphy-
sischen Anfangsgründe der Naturwissenschaft. Wien 1798. —
Joh. Friedr. Christoph Gräffe: Coramentar über eine der
schwersten Stellen in Kants Metaphysischen Anfangsgründen
der Naturwissenschaft. Celle 1798. — Joh. Christoph
Schwab: Pinifung der Kantischen Begriffe von der Un-
durchdringlichkeit, der Anziehung und Zurückstoßung der
Körper neust einer Darstellung der Hypothese des Herrn
Le Sage über die mechanische Ursache der allgemeinen
Gravitation. Leipzig 1808. — Jakob Friedrich Fries:
Die mathematische Natiu-philosophie nach philosophischer
Methode bearbeitet. Heidelberg 1822. — Friedr, Gott-
lieb V. Busse: Metaphysische Anfangsgründe der Natur-
Literaturverzeichnis. XXXVII
Wissenschaft. Dresden und Leipzig 1828 (Göthe gewidmet).
— Johann Friedrich Herbart: Allgemeine Meta-
physik. 1828 u. 1829. Sechste Abteilung. Naturphilosophie
von Kant. S. 440 — 488 (zitiert nach der Ausgabe von
Hartenstein. Dritter Band, erster Teil von Herbarts sämt-
lichen Werken. Leipzig 1851). — Georg Wilhelm Fried-
rich Hegel in der Wissenschaft der Logik, Teil 1, S. 201
bis 208 (siehe Hegels Werke, dritter Band, Berlin 1833). —
Schal 1er: Geschichte der Naturphilosophie. Halle 1846. —
Kuttner: Historisch -genetische Darstellung von Kants An-
sichten über dieMaterie, Dissertation. Berlin 1881. — August
Stadler: Kants Theorie der Materie, Leipzig 1883 (die
Hauptschrift über Kants metaphysische Anfangsgründe). —
Adolph Stöhr: Analyse der reinen Naturwissenschaft
Kants, Wien 1884, und ferner: Eine Verteidigung meiner
Schrift „Analyse der reinen N. usw." gegen Prof. J. Witte.
Wien 1885. — P. Tannery: La Theorie de la Matiere.
d'äpres Kant. Revue Philosophique, Bd. 19, 1885, p. 26
bis 46. — Dr. Robert Abendrot: Das Problem der
Materie. Leipzig 1889 (eine Schrift allgemeineren Inhalts,
die das Problem der Materie in seiner Beziehung zur
Philosophie und zur Naturwissenschaft vom Standpunkt
des Kantischen Kritizismus behandelt, ohne doch im be-
sonderen auf Kants „Metaphysische Anfangsgründe" ein-
zugehen). — Dr. Hans Keferstein: Die philosophischen
Grundlagen der Physik nach Kants „Metaphysischen An-
fangsgründen der Naturwissenschaft" und dem Manuskript
„Übergang von den Metaphysischen Anfangsgründen der
Naturwissenschaft zur Physik". Wissenschaftliche Beilage
der höheren Bürgerschule vor dem Lübeckertore in Ham-
burg zum Bericht über das Schuljahr 1891 — 1892. Ham-
burg 1892. — Arthur Drews: Kants Naturphilosophie als
Grundlage seines Systems. Berlin 1894. — Dr. Alois
Höfler: Studien zur gegenwärtigen Philosophie der Me-
chanik, als Nachwox't zu Kants Metaphysischen Anfangs-
gründen der Naturwissenschaft. Leipzig 1900, Veröifent-
hchungen der Philosophischen Gesellschaft an d'er Universität
zu Wien, Bd. III b.
Verzeichnis der Texte.
1. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft
von Immanuel Kant. Riga, bei Johann Friedrich Hart-
knoch, 1786, XXIV und 1 — 158 (A').
2. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft
von Immanuel Kant. Zweite Auflage. Riga, bey Johann
Friedrich Hartknoch, 1787, XXIV u. 1—158 (A").
3. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft
von Immanuel Kant. Dritte Auflage. Leipzig, bei Johann
Friedrich Hartknoch, 1800, XXIV und 1 — 126 (A'").
Diese drei Ausgaben unterscheiden sich nur durch ganz
wenige und unwesentliche Änderungen voneinander. Von
der zweiten Auflage gibt es, wie ich der Akademieausgabe
entnehme, außerdem noch einen anderen Druck, auf dessen
Vorhandensein der Herausgeber Höf ler durch Menzer auf-
merksam gemacht wurde. Höfler schreibt dazu:
„In der Tat ergab die Vergleichung aller dem Wormser
Paulus-Museum gehörenden Ausgaben und Drucke, daß hier
ein ähnlicher Fall vorliege, wie er in Sachen der Prolego-
menen (im vorliegenden Bande S. 607 — 616) eingehend
untersucht wurde. Es mag dahingestellt bleiben, ob es sich
um einen unbefugten Nachdruck oder um einen aus irgend
welchen Gründen wirklich von dem Verleger Hartknoch be-
werstelHgten Neudruck handelt. Man vergleiche z. B. die
peinlich nachgeahmten und doch nicht unmerklich verschie-
denen Ziervignetten des Titelblattes und des oberen Randes
der Seiten, ferner die ähnlichen, aber doch nicht gleichen
Lettern u. dgl. m. Doch stimmt sonst der Satz, wie zahl-
reiche Stichproben zeigten, sogar in der Abteilung der Silben
überein. (Daß sich die Nachahmung sogar auf schiefstehende
Lettern erstreckt, läßt irgendwelche mala fides vermuten.)"
5. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft
von Immanuel Kant. Neueste Auflage. Frankfurt und
Leipzig 1794, XXIV und 1 — 148 (Nachdruck).
6. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft
von Immanuel Kant. Neueste Auflage. Grätz 1796. Dieser
Verzeichnis der Texte. XXXIX
Druck war mir nicht zugänglich. Höfler (Akademieaus-
gabe) sagt über ihn: „Dem Exemplar der Wiener Univer-
sitätsbibliothek ist ein Porträt Kants mit der Bezeichnung:
Vernet pinx., C. Schindelmayer beigefügt (wieder veröffent-
licht in den Kantstudien, Band V, vgl.S. 14Bf). In einem
übrigens ganz gleichen Exemplar des Wormser Paulus-
Museums fehlt dieses Porträt" (Akademieausgabe, Bd. IV,
S. 637).
7. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
In: Immanuel Kants Werke: sorgfältig revidierte Gesamt-
ausgabe in zehn Bänden (herausgegeben von G. Harten-
stein) Achter Band, erste Abteilung, Nr. VII, S. 439—568.
Leipzig 1838.
8. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
In: Immanuel Kants Sämtliche Werke. Herausgegeben
von Karl Rosenkranz und Friedr. Wilh. Schubert, V. Teil.
Schriften zur Philosophie der Natur. Nr. VI, S. 303—436.
Leipzig, Leopold Voß, 18H9
9. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
In: Immanuel Kants Sämtliche AVerke In chronologischer
Reihenfolge herausgegeben von G-. Hartenstein. Vierter
Band, Nr. XIII, S. 355—462. Leipzig, Leopold Voß, 1867.
10. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissen-
schaft. In: Philosophische Bibliothek. Immanuel Kants
kleinere Schriften zur Naturphilosophie. Herausgegeben und
erläutert von I. H von Kirchmann, Band 49, I. Abteilung,
Nr. II, S. 171—306. BerHn, Heimann, 1872.
11. Immanuel Kant: Metaphysische Anfangsgründe der
Naturwissenschaft. Neu herausgegeben mit einem Nach-
wort: Studien zur gegenwärtigen Philosophie der Mechanik
von Alois Höfler. In den Veröffentlichungen der Philoso-
phischen Gesellschaft an der Universität zu Wien. Band III a,
S. 1—104 und Band Illb, S. 1 — 168 (Nachwort von Höfler).
Leipzig, Pfeffer, 1900.
12. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft
von Immanuel Kant. In: Kants gesammelte Schriften. Her-
ausgegeben von der Preußischen Akademie der Wissen-
schaften. Band IV. Erste Abteilung: Werke. S. 465 bis
565 und 635—651 (Erläuterungen von Höfler). Berlin,
Reimer, 1903.
Varianten.
Die meisten Textkorrekturen und Varianten sind
als Anmerkungen und Fußnoten im Texte selbst ver-
zeichnet. Ich führe nun noch eine Reihe weiterer Än-
derungen und Vorschläge zu solchen an, die in den
bisherigen Ausgaben nicht enthalten sind. Die großen
Ziffern bezeichnen die Zahl der Seiten, die kleinen die
der Zeilen in unserer Ausgabe — die erste Kolonne
enthält die ursprüngliche Fassung der Originaldrucke,
die zweite die vorgeschlagene Korrektur.
S. 65, 26: seine Wirkung — ihre Wirkung?
S. 67, 25: Bestehungsplane — Beziehungsplane?
S. 83, 33: verstatteu — verstattet?
S. 121, 8: und daselbst — und daß daselbst?
S. 161, 12: Materien, deren — Materien herrscht, deren?
S. 193, 33: d. i. kein Gesetz — d. i. sich kein Gesetz?
S. 221, 15: beiderseits Richtungen — beiderseits die
Richtungen?
S. 246, 1— 2 : in dem Erfahrungsbegriffe — in den Er-
fahrungsbegriff?
S. 247, 14: gemacht wurde — gemacht würde?
S. 252, 30: der Dynamik, d. i. — der Dynamik aus, d. i.?
S. 277, 2: weil diese — weil dieser?
S. 279, 34: und, da er — und daß, da er?
Zum Schluß ist es mir noch eine angenehme Pflicht,
Herrn Dr. Ernst Cassirer in Berlin für seine freund-
liche Unterstützung bei der Herstellung dieser Aus-
gabe meinen herzlichsten Dank auszusprechen,
Charlottenburg, den 30. September 1909.
Dr. Otto Buek.
Inlialtsanzeige.
Seite
Vorwort des Herausgebers III
Einleitung IV
I. Allg-emeine Naturg:esehichte und Theorie des
Himmels, oder Versuch tou der Verfassung und
dem mechauischeu Urspruug-e des ganzen Welt-
gehUudes nach Newtouischen Grundsätzen abge-
handelt. 1755 1
Zueignung 3
Vorrede 7
Inhalt des ganzen Werkes 23
Kurzer Abriß der nötigsten Grundbegriffe der Newtoni-
schen Weltwissenschaft 31
Erster Teil. Von der systematischen Verfassung
unter den Fixsternen 39
Zweiter Teil. Von dem ersten Zustande der
Natur, der Bildung der Himmelskörper, den Ur-
sachen ihrer Bewegung und der systematischen
Beziehung derselben sowohl in dem Planeten-
gebäude insonderheit, als auch in Ansehung der
ganzen Schöpfung 55
1. Hauptstück. Von dem Ursprünge des plane-
tischen Weltbaues überhaupt und den Ur-
sachen ihrer Bewegungen 59
2 Hauptstück. Von der verschiedenen Dichtig-
keit der Planeten und dem Verhältnisse ihrer
Massen 68
3. Hauptstück. Von der Exzentrizität der
Planetenkreise und dem Ursprünge der Ko-
meten 78
4. Hauptstück. Von dem Ursprünge der Monde
und den Bewegungen der Planeten um ihre
Achse 85
5. Hauptstück. Von dem Ursprünge des Ringes
des Saturns und der Berechnung der täglichen
Umdrehungen dieses Planeten aus den Ver-
hältnissen desselben 94
XLII Inhalteanzeige.
Seite
6. Haupt stück. Von dem Zodiakallichte . . 112
7. Hauptstück. Von der Schöpfung im ganzen
Umfange ihrer Unendlichkeit, sowohl dem
Räume, als der Zeit nach 114
Zugabe zum 7. Hauptstück. Allgemeine
Theorie und Geschichte der Sonne über-
haupt 134
8. Hauptstück. Allgemeiner Beweiß von der
Richtigkeit einer mechanischen Lehrrerfassung,
der Einrichtung des "Weltbaues überhaupt, in-
sonderheit von der Gewißheit der gegen-
wärtigen 144
Dritter Teih Welcher einen Versuch einer auf
die Analogien der Natur gegründeten Ver-
gleichung zwischen den Einwohnern verschiedener
Planeten in sich enthält. — Anhang. Von den
Bewohnern der Gestirne . 167
n. Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissen-
schaft. 1786 187
Vorrede 189
1. Hauptstück. Phoronomie 204
2. Hauptstück. Dynamik 227
3. Hauptstück. Mechanik 282
4. Hauptstück. Phänomenologie 305
Personenregister 321
Sachregister 327
Slllöcmeinc
25 e r f u d^
»ort t>tt ^Jerfafiung unb fcem mt^a^
nifc&en Urfprunge
nac^
3teU)tontfcben ®runöfd§eii
abgehandelt»
Ä&nig^bcrg iint Seipjig/
fc«9 3o6ann grieDericft 9)cCcrfen, 1755*
Dem Allerdlirchlauclitigsten
Grossmächtigsten Könige und Herrn
Herrn
Friederich,
Könige von Preussen,
Markgrafen zu Brandenburg,
des H. R. Reichs Erzkämmerer und Kurfürsten,
Souveränen und obersten Herzoge von Schlesien etc. etc. etc.
Meinem Allergnädigsten Könige und Herrn
1*
AUerdurchlauchtigster,
Großmächtigster König,
Allergnädigster
König und Herr!
Die Empfindung der eigenen Unwürdigkeit und der
Glanz des Thrones können meine Blödigkeit nicht so
kleinmütig machen, als die Gnade, die der allerhuld-
reichste Monarch über alle seine Untertanen mit
gleicher Großmut verbreitet, mir Hoffnung einflößet,
daß die Kühnheit, der ich mich unterwinde, nicht mit 10
ungnädigen Augen werde angesehen werden. Ich lege
hiemit in alleruntertänigster Ehrfurcht eine der ge-
ringsten Proben desjenigen Eifers zu den Füßen
Ew. Königl. Majestät, womit Höchst Dero Aka-
demien durch die Aufmunterung und den Schutz ihres
erleuchteten Souverains zur Nacheiferung anderer
Nationen in den Wissenschaften angetrieben werden.
Wie beglückt würde ich sein, wenn es gegenwärtigem
Versuche gelingen möchte, den Bemühungen, womit
der niedrigste und ehrfurchtsvolleste Untertan unaus- 20
gesetzt bestrebt ist, sich dem Nutzen seines Vater-
landes einigermaßen brauchbar zu machen, das aller-
höchste Wohlgefallen seines Monarchen zu erwerben.
Ich ersterbe in tiefster Devotion
Ew. Königl. Majestät
_.. . alleruntertänig'ster Knecht
Königsberg,
den 14. März 1755.
der Verfasser.
Vorrede.
Ich habe einen Vorwurf gewählet, welcher sowohl
von selten seiner Innern Schwierigkeit, als auch in
Ansehung der Religion einen großen Teil der Leser
gleich anfänglich mit einem nachteiligen Vorurteile ein-
zunehmen vermögend ist. Das Systematische, welches
die großen Glieder der Schöpfung in dem ganzen Um-
fange der Unendlichkeit verbindet, zu entdecken, die
Bildung der Weltkörper selber und den Ursprung ihrer
Bewegungen aus dem ersten Zustande der Natur durch 10
mechanische Gesetze herzuleiten: solche Einsichten
scheinen sehr weit die Kräfte der menschlichen Ver-
nunft zu überschreiten. Von der andern Seite drohet
die Religion mit einer feierlichen Anklage über die
Verwegenheit, da man der sich selbst überlassenen
Natur solche Folgen beizumessen sich erkühnen darf,
darin man mit Recht die unmittelbare Hand des
höchsten Wesens gewahr wird, und besorget in dem
Vorwitz solcher Betrachtungen eine Schutzrede des
Gottesleugners anzutreffen. Ich sehe alle diese 20
Schwierigkeiten wohl und werde doch nicht kleinmütig.
Ich empfinde die ganze Stärke der Hindernisse, die
sich entgegensetzen, und verzage doch nicht. Ich
habe auf eine geringe Vermutung eine gefährliche
Reise gewagt und erblicke schon die Vorgebirge neuer
Länder. Diejenigen, welche die Herzhaftigkeit haben,
die Untersuchung fortzusetzen, werden sie betreten
und das Vergnügen haben, selbige mit ihrem Namen zu
bezeichnen.
Ich habe nicht eher den Anschlag auf diese Unter- 30
nehmung gefasset, als bis ich mich in Ansehung der
Pflichten der Religion in Sicherheit gesehen habe.
Mein Eifer ist verdoppelt worden, als ich bei jedem
8 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmelß.
Schritte die Nebel sich zerstreuen sähe, welche hinter
ihrer Dunkelheit Ungeheuer zu verbergen schienen,
und nach deren Zerteilung die Herrlichkeit des höchsten
Wesens mit dem lebhaftesten Glänze hervorbrach. Da
ich diese Bemühungen von aller Sträflichkeit frei weiß,
so will ich getreulich anführen, was wohlgesinnete oder
auch schwache Gemüter in meinem Plane anstößig
finden können, und bin bereit, es der Strenge des recht-
gläubigen Areopagus mit einer Freimütigkeit zu unter-
10 werfen, die das Merkmal einer redlichen Gesinnung
ist. Der Sachwalter des Glaubens mag demnach zuerst
seine Gründe hören lassen.
Wenn der Weltbau mit aller Ordnung und Schön-
heit nur eine Wirkung der ihren allgemeinen Be-
wegungsgesetzen überlassenen Materie ist, wenn die
blinde Mechanik der Naturkräfte sich aus dem Chaos
so herrlich zu entwickeln weiß und zu solcher Voll-
kommenheit von selber gelanget, so ist der Beweis des
göttlichen Urhebers, den man aus dem Anblicke der
20 Schönheit des Weltgebäudes ziehet, völlig entkräftet,
die Natur ist sich selbst genugsam, die göttliche Re-
gierung ist unnötig, Epikur lebt mitten im Christen-
tume wieder auf, und eine unheilige Weltweisheit tritt
den Glauben unter die Füße, welcher ihr ein helles
Licht darreichet, sie zu erleuchten.
Wenn ich diesen Vorwurf gegründet fände, so ist
die Überzeugung, die ich von der Unfehlbarkeit gött-
licher Wahrheiten habe, bei mir so vermögend, daß
ich alles, was ihnen widerspricht, durch sie vor
30 gnugsam widerlegt halten und verwerfen würde. Allein
eben die Übereinstimmung, die ich zwischen meinem
System und der Religion antreffe, erhebet meine Zu-
versicht in Ansehung aller Schwierigkeiten zu einer
unerschrockenen Gelassenheit.
Ich erkenne den ganzen Wert derjenigen Beweise,
die man aus der Schönheit und vollkommenen An-
ordnung des Weltbaues zur Bestätigung eines höchst-
weisen Urhebers ziehet. Wenn man nicht aller Über-
zeugung mutwillig widerstrebet, so muß man so un-
40 widersprechlichen Gründen gewonnen geben a). Allein
a) Vorschlag Rehrbach: „sich-gewonnen geben".
Vorrede. 9
ich behaupte: daß die Verteidiger der Religion da-
durch, daß sie sich dieser Gründe auf eine schlechte
Art bedienen, den Streit mit den Naturalisten ver-
ewigen, indem sie ohne Not denselben eine schwache
Seite darbieten.
Man ist gewohnt, die Übereinstimmungen, die Schön-
heit, die Zwecke und eine vollkommene Beziehung
der Mittel auf dieselbe in der Natur zu bemerken
und herauszustreichen. Allein indem man die Natur
von dieser Seite erhebet, so sucht man sie anderer- 10
seits wiederum zu verringern. Diese Wohlgereimtheit,
sagt man, ist ihr fremd, sie würde ihren allgemeinen
Gesetzen überlassen, nichts als Unordnung zuwege
bringen. Die Übereinstimmungen zeigen eine fremde
Hand, die eine von aller Regelmäßigkeit verlassene
Materie in einen weisen Plan zu zwingen gewußt hat.
Allein ich antworte: wenn die allgemeinen Wirkungs-
gesetze der Materie gleichfalls eine Folge aus dem
höchsten Entwürfe sein, so können sie vermutlich keine
andere Bestimmungen haben, als die den Plan von selber 20
zu erfüllen trachten, den die höchste Weisheit sich vor-
gesetzet hat; oder wenn dieses nicht ist, sollte man
nicht in Versuchung geraten, zu glauben, daß wenigstens
die Materie und ihre allgemeine Gesetze unabhängig
wären, und daß die höchstweise Gewalt, die sich ihrer
so rühmlichst zu bedienen gewußt hat, zwar groß,
aber doch nicht unendlich, zwar mächtig, aber doch
nicht allgenugsam sei?
Der Verteidiger der Religion besorgt, daß die-
jenigen Übereinstimmungen, die sich aus einem natür- 30
liehen Hang der Materie erklären lassen, die Unab-
hängigkeit der Natur von der göttlichen Vorsehung
beweisen dürften. Er gesteht es nicht undeutlich: daß,
wenn man zu aller Ordnung des Weltbaues natürliche
Gründe entdecken kann, die dieselbe aus den allge-
meinsten und wesentlichen Eigenschaften der Materie
zustande bringen können, so sei es unnötig, sich auf
eine oberste Regierung zu berufen. Der Naturalist
findet seine Rechnung dabei, diese Voraussetzung nicht
zu bestreiten. Er treibt aber Beispiele auf, die die 40
Fruchtbarkeit der allgemeinen Naturgesetze an voll-
kommen schönen Folgen beweisen, und bringt den
10 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Rechtgläubigen durch solche Gründe in Gefahr, welche
in dessen Händen zu unüberwindlichen Waffen werden
könnten. Ich will Beispiele anführen. Man hat schon
mehrmalen es als eine der deutlichsten Proben einer
gütigen Vorsorge, die vor die Menschen wacht, an-
geführt: dai3 in dem heißesten Erdstriche die See-
winde gerade zu einer solchen Zeit, da das erhitzte Erd-
reich am meisten ihrer Abkühlung bedarf, gleichsam
gerufen über das Land streichen und es erquicken.
10 Z. E. In der Insel Jamaika, sobald die Sonne so hoch
gekommen ist, daß sie die empfindlichste Hitze auf das
Erdreich wirft, gleich nach 9 Uhr Vormittags, fängt
sich an, aus dem Meere ein Wind zu erheben, der von
allen Seiten über das Land wehet; seine Stärke nimmt
nach dem Maße zu, als die Höhe der Sonne zunimmt.
Um 1 Uhr Nachmittages, da es natürlicherweise am
heißesten ist, ist er am heftigsten und läßt wieder mit
der Erniedrigung der Sonne allmählich nach, so daß
gegen Abend eben die Stille als beim Aufgange
20 herrschet. Ohne diese erwünschte Einrichtung würde
diese Insel unbewohnbar sein. Eben diese Wohltat ge-
nießen alle Küsten der Länder, die im heißen Erd-
striche liegen. Ihnen ist es auch am nötigsten, weil
siea), da sie die niedrigsten Gegenden des trockenen
Landes sein, auch die größte Hitze erleiden; denn die
höher im Lande befindliche Gegenden, dahin dieser See-
wind niclit reichet, sind seiner auch weniger benötigt,
weil ihre höhere Lage sie in eine kühlere Luftgegend
versetzet. Ist dieses nicht alles schön, sind es nicht
30 sichtbare Zwecke, die durch klüglich angewandte Mittel
bewirket worden? Allein zum Widerspiel muß der Natu-
ralist die natürlichen Ursachen davon in den allge-
meinsten Eigenschaften der Luft antreffen, ohne be-
sondere Veranstaltungen deswegen vermuten zu dürfen.
Er bemerket mit Recht, daß diese Seewinde solche
periodische Bewegungen anstellen müssen, wenngleich
kein Mensch auf solcher Insel lebete, und zwar durch
keine andere Eigenschaft, als die der Luft auch ohne
Absicht auf diesen Zweck bloß zum Wachstum der
40 Pflanzen unentbehrlich vonnöten ist, nämlich durch
a) Fehlt in A. corr. Rosenkranz.
Vorrede. 1 1
ihre Elastizität und Schwere. Die Hitze der Sonne hebet
das Gleichgewicht der Luft auf, indem sie diejenige
verdünnet, die über dem Lande ist, und dadurch die
kühlere Meeresluft veranlasset, sie aus ihrer Stelle zu
heben und ihren Platz einzunehmen.
Was vor einen Nutzen haben nicht die Winde über-
haupt zum Vorteile der Erdkugel, und was vor einen
Gebrauch macht nicht der Menschen Scharfsinnigkeit
aus denselben; indessen waren keine andere Einrich-
tungen nötig, sie hervorzubringen, als dieselbe allge- lo
meine Beschaffenheit der Luft und Wärme, welche
auch unangesehen dieser Zwecke auf der Erde befind-
lich sein mußten.
Gebt ihr es, sagt allhier der Freigeist, zu: daß,
wenn man nützliche und auf Zwecke abzielende Ver-
fassungen aus den allgemeinsten und einfachsten Natur-
gesetzen herleiten kann, man keine besondere Re-
gierung einer obersten Weisheit nötig habe, so sehet
hier Beweise, die euch auf eurem eigenen Geständ-
nisse ertappen werden. Die ganze Natur, vornehm- 20
lieh die unorganisierte, ist voll von solchen Beweisen,
die zu erkennen geben, daß die sich selbst durch die
Mechanik ihrer Kräfte bestimmende Materie eine ge-
wisse Richtigkeit in ihren Folgen habe und den
Regeln der Wohlanständigkeit ungezwungen genug
tue. Wenn ein Wohlgesinneter, die gute Sache der
Religion zu retten, diese Fähigkeit der allgemeinen
Naturgesetze bestreiten will, so wird er sich selbst
in Verlegenheit setzen und dem Unglauben durch
eine schlechte Verteidigung Anlaß zu triumphieren 30
geben.
Allein laßt uns sehen, wie diese Gründe, die man
in den Händen der Gegner als schädlich befürchtet,
vielmehr kräftige Waffen sind, sie zu bestreiten. Die
nach ihren allgemeinsten Gesetzen sich bestimmende
Materie bringt durch ihr natürliches Betragen, oder
wenn man es so nennen will, durch eine blinde Mechanik
anständige Folgen hervor, die der Entwurf einer
höchsten Weisheit zu sein scheinen. Luft, Wasser,
Wärme erzeugen, wenn man sie sich selbst überlassen 40
betrachtet. Winde und Wolken, Regen, Ströme, welche
die Länder befeuchten, und alle die nützlichen Folgen,
1 2 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels
ohne welche die Natur traurig, öde und unfruchtbar
bleiben müßte. Sie bringen aber diese Folgen nicht
durch ein bloßes Ungefähr oder durch einen Zufall,
der ebenso leicht nachteilig hätte ausfallen können,
hervor, sondern man siehet, daß sie durch ihre natür-
liche Gesetze eingeschränkt sind, auf keine andere,
als diese Weise zu wirken. Was soll man von dieser
Übereinstimmung denn gedenken? Wie wäre es wohl
möglich, daß Dinge von verschiedenen Naturen in
10 Verbindung miteinander so vortreffliche Übereinstim-
mungen und Schönheiten zu bewirken trachten sollten,
sogar zu Zwecken solcher Dinge, die sich gewisser-
maßen außer dem Umfange der toten Materie be-
finden, nämlich zum Nutzen der Menschen und Tiere,
wenn sie nicht einen gemeinschaftlichen Ursprung er-
kenneten, nämlich einen unendlichen Verstand, in
welchem aller Dinge wesentliche Beschaffenheiten be-
ziehend entworfen worden? Wenn ihre Naturen vor
sich und unabhängig notwendig wären, was vor ein
20 erstaunliches Ohngefähr, oder vielmehr was vor eine
Unmöglichkeit würde es nicht sein, daß sie mit ihren
natürlichen Bestrebungen sich gerade so zusammen-
passen sollten, als eine überlegte kluge Wahl sie hätte
vereinbaren können.
Nunmehro mache ich getrost die Anwendung auf
mein gegenwärtiges Unterfangen. Ich nehme die
Materie aller Welt in einer allgemeinen Zerstreuung
an und mache aus derselben ein vollkommenes Chaos.
Ich sehe nach den ausgemachten Gesetzen der At-
30 traktion den Stoff sich bilden und durch die Zurück-
stoßung ihre Bewegung modifizieren. Ich genieße das
Vergnügen, ohne Beihilfe willkürlicher Erdichtungen,
unter der Veranlassung ausgemachter Bewegungs-
gesetze sich ein wohlgeordnetes Ganze erzeugen zu
sehen, welches demjenigen Weltsystem so ähnlich
siehet, das wir vor Augen haben, daß ich mich nicht
entbrechen kann, es vor dasselbe zu halten. Diese un-
erwartete Auswickelung der Ordnung der Natur im
Großen wird mir anfänglich verdächtig, da sie auf so
40 schlechtem und einfachem a) Grunde eine so zusammen-
a) „schlechten und einfachen" A. corr. Hartenstein.
Vorrede. 13
gesetzte Richtigkeit gründet. Ich belehre mich end-
lich aus der vorher angezeigten Betrachtung: daß eine
solche Auswickelung der Natur nicht etwas Uner-
hörtes an ihr ist, sondern daß ihre wesentliche Be-
strebung solche notwendig mit sich bringet, und daß
dieses das herrlichste Zeugnis ihrer Abhängigkeit von
demjenigen Urwesen ist, welches sogar die Quelle
der Wesen selber und ihrer ersten Wirkungsgesetze
in sich hat. Diese Einsicht verdoppelt mein Zutrauen
auf den Entwurf, den ich gemacht habe. Die Zuver- 10
sieht vermehret sich bei jedem*) Schritte, den ich mit
Fortgang weiter setze, und meine Kleinmütigkeit hört
völlig auf.
Aber die Verteidigung deines Systems, wird man
sagen, ist zugleich die Verteidigung der Meinungen
des Epikurs, welche damit die größeste Ähnlichkeit
haben. Ich will nicht völlig alle Übereinstimmung mit
demselben ablehnen. Viele sind durch den Schein
solcher Gründe zu Atheisten geworden, welche bei
genauerer Erwägung sie von der Gewißheit des 20
höchsten Wesens am kräftigsten hätten überzeugen
können. Die Folgen, die ein verkehrter Verstand aus
untadelhaften Grundsätzen zieht, sind öfters sehr tadel-
haft, und so waren es auch die Schlüsse des Epikurs,
ohnerachtet sein Entwurf der Scharfsinnigkeit eines
großen Geistes gemäß war.
Ich werde es also nicht in Abrede sein, daß die
Theorie des Lucrez oder dessen Vorgängers b), des
Epikurs, Leucipps und Demokritus mit der
meinigen viele Ähnlichkeit habe. Ich setze den ersten 30
Zustand der Natur, so wie jene Weltweise, in der
allgemeinen Zerstreuung des Urstoffs aller Weltkörper,
oder der Atomen, wie sie bei jenen genannt werden.
Epikur setzte eine Schwere, die diese elementarische
Teilchen zum Sinken trieb, und dieses scheinet von
der Newtonischen Anziehung, die ich annehme, nicht
sehr verschieden zu sein; er gab ihnen auch eine ge-
wisse Abweichung von der geradlinichten Bewegung
des Falles, ob er gleich in Ansehung der Ursache
a) Jeden" A. corr. Ausg. v. 1797.
b) „Vorgänger" (Akad. Ausg.).
14 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels,
derselben und ihren Folgen ungereimte Einbildungen
hatte; diese Abweichung kommt einigermaßen mit der
Veränderung der geradlinichten Senkung, die wir aus
derZurückstoßungskraft der Teilchen herleiten, überein;
endlich waren die Wirbel, die aus der verwirreten
Bewegung der Atomen entstanden, ein Hauptstück in
dem Lehrbegriffe des Leucipps und Deraokritus,
und man wird sie auch in dem unsrigen antreffen.
So viel Verwandtschaft mit einer Lehrverfassung, die
10 die wahre Theorie der Gottesleugnung im Alter-
tum war, zieht indessen die meinige dennoch nicht
in die Gemeinschaft ihrer Irrtümer. Auch in den aller-
unsinnigsten Meinungen, welche sich bei den Menschen
haben Beifall erwerben können, wird man jederzeit
etwas Wahres bemerken. Ein falscher Grundsatz oder
ein paar unüberlegte Verbindungssätze leiten den
Menschen von dem Fußsteige der Wahrheit durch
unmerkliche Abwege bis in den Abgrund. Es bleibt
ohnerachtet der angeführten Ähnlichkeit dennoch ein
20 wesentlicher Unterschied zwischen der alten Kos-
mogonie und der gegenwärtigen, um aus dieser ganz
entgegengesetzte Folgen ziehen zu können.
Die angeführten Lehrer der mechanischen Er-
zeugung des Weltbaues leiteten alle Ordnung, die
sich an demselben wahrnehmen läßt, aus dem unge-
fähren Zufalle her, der die Atomen so glücklich zu-
sammentreffen ließ, daß sie ein wohlgeordnetes Ganze
ausmachten. Epikur war gar so unverschämt, daß
er verlangte, die Atomen wichen von ihrer geraden Be-
30 wegung ohne alle Ursache ab, um einander begegnen
zu können. Alle insgesamt trieben diese Ungereimtheit
so weit, daß sie den Ursprung aller belebten Geschöpfe
eben diesem blinden Zusammenlauf beimaßen und die
Vernunft wirklich aus der Unvernunft herleiteten. In
meiner Lehrverfassung hingegen finde ich die Materie
an gewisse notwendige Gesetze gebunden. Ich
sehe in ihrer gänzlichen Auflösung und Zerstreuung ein
schönes und ordentliches Ganze sich ganz natürlich
daraus entwickeln. Es geschiehet dieses nicht durch
40 einen Zufall und von ungefähr, sondern man bemerket,
daß natürliche Eigenschaften es notwendig also mit
sich bringen. Wird man hiedurch nicht bewogen, zu
Vorrede. 15
fragen: warum mußte denn die Materie gerade solche
Gesetze haben, die auf Ordnung und Wohlanständigkeit
abzwecken? War es wohl möglich, daß viele Dinge,
deren jedes seine von dem andern unabhängige Natur
hat, einander von selber gerade so bestimmen sollten,
daß ein wohlgeordnetes Ganze daraus entspringe, und
wenn sie dieses tun, gibt es nicht einen unleugbaren
Beweis von der Gemeinschaft ihres ersten Ursprungs
ab, der ein allgenugsamer höchster Verstand sein muß,
in welchem die Naturen der Dinge zu vereinbarten 10
Absichten entworfen worden?
Die Materie, die der Urstoff aller Dinge ist, ist also
an gewisse Gesetze gebunden, welchen sie frei über-
lassen, notwendig schöne Verbindungen hervorbringen
muß. Sie hat keine Freiheit, von diesem Plane der Voll-
kommenheit abzuweichen. Da sie also sich einer höchst
weisen Absicht unterworfen befindet, so muß sie not-
wendig in solche übereinstimmende Verhältnisse durch
eine über sie herrschende erste Ursache versetzt worden
sein, und es ist ein Gott eben deswegen, weil die 20
Natur auch selbst im Chaos nicht anders als
regelmäßig und ordentlich verfahren kann.
Ich habe so viel gute Meinung von der redlichen
Gesinnung dererjenigen, die diesem Entwürfe die Ehre
tun, ihn zu prüfen, daß ich mich versichert halte, die
angeführte Gründe werden, wo sie noch nicht alle Be-
sorgnis schädlicher Folgen von meinem System auf-
heben können, dennoch wenigstens die Lauterkeit
meiner Absicht außer Zweifel setzen. Wenn es dem-
ungeachtet boshafte Eiferer gibt, die es vor eine 30
würdige Pflicht ihres heiligen Berufs halten, den un-
schuldigsten Meinungen schädliche Auslegungen an-
zuheften, so bin ich versichert, daß ihr Urteil bei
Vernünftigen gerade die entgegengesetzte Wirkung
ihrer Absicht hat. Man wird mich übrigens des Rechts
nicht berauben, das Cartesius, als er die Bildung
der Weltkörper aus bloß mechanischen Gesetzen zu
erklären wagte, bei billigen Richtern jederzeit genossen
hat. Ich will deswegen die Verfasser der allgemeinen
Welthistorie*) anführen: „Indessen können wir nicht 40
*) I. Teil § 88.
1 6 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
anders, als glauben: daß der Versuch dieses Welt-
weisen, der sich bemühet, die Bildung der Welt in
gewisser Zeit aus wüster Materie durch die bloße
Fortsetzung einer einmal eingedrückten Bewegung zu
erklären, und solches auf einige wenige leichte und
allgemeine Bewegungsgesetze gebracht, so wenig,
als anderer, die seitdem mit mehrerem Beifall
eben das versucht haben aus den ursprüng-
lichen und anerschaffenen Eigenschaften
10 der Materie zu tun, strafbar oder Gott ver-
kleinerlich sei, wie sich manche eingebildet haben,
indem dadurch vielmehr ein höherer Begriff
seiner unendlichen Weisheit verursacht wird.*'
Icü habe die Schwierigkeiten, die von selten der
Religion meine Sätze zu bedrohen schienen, hinweg-
zuräumen gesucht. Es gibt einige nicht geringere in
Ansehung der Sache selber. Wenn es gleich wahr ist,
wird man sagen, daß Gott in die Kräfte der Natur
eine geheime Kunst gelegt hat, sich aus dem Chaos
20 von selber zu einer vollkommenen Weltverfassung aus-
zubilden, wird der Verstand des Menschen, der bei den
gemeinsten Gegenständen so blöd ist, in so großem
Vorwurfe die verborgene Eigenschaften zu erforschen
vermögend sein? Ein solches Unterfangen heißt eben-
soviel, als wenn man sagte: Gebt mir nur Materie,
ich will euch eine Welt daraus bauen. Kann
dich die Schwäche deiner Einsichten, die an den ge-
ringsten Dingen, welche deinen Sinnen täglich und in
der Nähe vorkommen, zu schänden wird, nicht lehren:
30 daß es vergeblich sei, das Unermeßliche und das, was
in der Natur vorging, ehe noch eine Welt war, zu ent-
decken? Ich vernichte diese Schwierigkeit, indem
icha) deutlich zeige, daß eben diese Untersuchung unter
allen, die in der Naturlehre aufgeworfen werden
können, diejenige sei, in welcher man am leichtesten
und sichersten bis zum Ursprünge gelangen kann.
Ebenso wie unter allen Aufgaben der Naturforschung
keine mit mehr Richtigkeit und Gewißheit aufgelöset
worden, als die wahre Verfassung des Weltbaues im
40 Großen, die Gesetze der Bewegungen und das innere
a) Fehlt A. corr. Ausg. 1797.
Vorrede. 17
Triebwerk der Umläufe aller Planeten; als worin die
Newtonische Weltweisheit solche Einsichten gewähren
kann, dergleichen man sonst in .keinem Teile der Welt-
weisheit antrifft; eben also, behaupte ich, sei unter
allen Naturdingen, deren erste Ursache man nach-
forschet, der Ursprung des Weltsystems und die Er-
zeugung der Himmelskörper, samt den Ursachen ihrer
Bewegungen, dasjenige, was man am ersten gründlich
und zuverlässig einzusehen hoffen darf. Die Ursache
hievon ist leicht zu ersehen. Die Himmelskörper sind 10
runde Massen, also von der einfachsten Bildung, die
ein Körper, dessen Ursprung man sucht, nur immer
haben kann. Ihre Bewegungen sind gleichfalls unver-
mischt. Sie sind nichts als eine freie Fortsetzung
eines einmal eingedrückten Schwunges, welcher, mit
der Attraktion des Körpers im Mittelpunkte verbunden,
kreisförmicht wird. Überdem ist der Raum, darin sie
sich bewegen, leer, die Zwischenweiten, die sie von-
einander absondern, ganz ungemein groß, und also
alles sowohl zur unverwirrten Bewegung, als auch 20
deutlichen Bemerkung derselben auf das deutlichste
auseinandergesetzt. Mich dünkt, man könne hier in
gewissem Verstände ohne Vermessenheit sagen: Gebet
mir Materie, ich 'will eine Welt daraus bauen!
das ist: gebet mir Materie, ich will euch zeigen, wie
eine Welt daraus entstehen soll. Denn wenn Materie
vorhanden ist, welche mit einer wesentlichen Attrak-
tionskraft begabt ist, so ist es nicht schwer, diejenigen
Ursachen zu bestimmen, die zu der Einrichtung des
Weltsystems, im Großen betrachtet, haben beitragen 80
können. Man weiß, was dazu gehöret, daß ein Körper
eine kugelrunde Figur erlange; man begreift, was er-
fordert wird, daß freischwebende Kugeln eine kreis-
förmige Bewegung um den Mittelpunkt anstellen, gegen
den sie gezogen werden. Die Stellung der Kreise
gegeneinander, die Übereinstimmung der Richtung, die
Exzentrizität, alles kann auf die einfachsten mecha-
nischen Ursachen gebracht werden, und man darf mit
Zuversicht hoffen, sie zu entdecken, weil sie auf die
leichtesten und deutlichsten Gründe gesetzt werden 40
können. Kann man aber wohl von den geringsten
Pflanzen oder Insekt sich solcher Vorteile rühmen?
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I. O
18 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Ist man imstande, zu sagen: Gebt mir Materie, ich
will euch zeigen, wie eine Raupe erzeuget wer-
den könne? Bleibt man hier nicht bei dem ersten
Schritte, aus Unwissenheit der wahren innern Be-
schaffenheit des Objekts und der Verwickelung der
in demselben vorhandenen Mannichfaltigkeit, stecken?
Man darf es sich also nicht befremden lassen, wenn
ich mich unterstehe, zu sagen: daß eher die Bildung
aller Himmelskörper, die Ursach ihrer Bewegungen,
10 kurz, der Ursprung der ganzen gegenwärtigen Ver-
fassung des Weltbaues werde können eingesehen
werden, ehe die Erzeugung eines einzigen Krauts oder
einer Raupe aus mechanischen Gründen deutlich und
vollständig kund werden wird.
Dieses sind die Ursachen, worauf ich meine Zu-
versicht gründe, daß der physische Teil der Welt-
wissenchaft künftighin noch wohl eben die Vollkommen-
heit zu hoffen habe, zu der Newton die mathematische
Hälfte derselben erhoben hat. Es sind nächst den
20 Gesetzen, nach welchen der Weltbau in der Verfassung,
darin er ist, bestehet, vielleicht keine anderen in der
ganzen Naturforschung solcher mathematischen Be-
stimmungen fähig, als diejenigen, nach welchen er ent-
standen ist, und ohne Zweifel würde die Hand eines
versuchten Meßkünstlers hier nicht unfruchtbare Felder
bearbeiten.
Nachdem ich den Vorwurf meiner Betrachtung einer
günstigen Aufnahme zu empfehlen mir habe angelegen
sein lassen, so wird man mir erlauben, mich wegen der
30 Art, nach der ich 'ihn abgehandelt habe, kürzlich zu
erklären. Der erste Teil gehet mit einem neuen System
des Weltgebäudes im Großen um. Herr Wright von
Durham, dessen Abhandlung ich aus den Hamburgi-
schen freien Urteilen vom Jahre 1751 habe kennen
lernen, hat mir zuerst Anlaß gegeben, die Fixsterne
nicht als ein ohne sichtbare Ordnung zerstreutes Ge-
wimmel, sondern als ein System anzusehen, welches
mit einem planetischen die größte Ähnlichkeit hat, so
daß, gleichwie in diesem die Planeten sich einer ge-
40 meinschaftlichen Fläche sehr nahe befinden, also auch
die Fixsterne sich "in ihren Lagen auf eine gewisse
Fläche, die durch den ganzen Himmel muß gezogen
Vorrede. 19
gedacht werden, so nahe als möglich beziehen und
durch ihre dichteste Häufung zu derselben denjenigen
lichten Streif darstellen, welcher die Milchstraße ge-
nannt wird. Ich habe mich vergewissert, daß, weil
diese von unzähligen Sonnen erleuchtete Zone sehr
genau die Richtung eines größten Zirkels hat, unsere
Sonne sich dieser großen Beziehungsfläche gleichfalls
sehr nahe befinden müsse. Indem ich den Ursachen
dieser Bestimmung nachgegangen bin, habe ich sehr
wahrscheinlich zu sein befunden, daß die sogenannten 10
Fixsterne oder feste Sterne wohl eigentlich langsam
bewegte Wandelsterne einer höhern Ordnung sein
könnten. Zur Bestätigung dessen, was man an seinem
Orte von diesem Gedanken antreffen wird, will ich all-
hier nur eine Stelle aus einer Schrift des Herrn Brad-
ley von der Bewegung der Fixsterne anführen: „Wenn
man aus dem Erfolg der Vergleichung unserer besten
jetzigen Beobachtungen mit denen, welche vor diesem
mit einem erträglichen Grade der Richtigkeit ange-
stellet worden, ein Urteil fällen will, so erhellet: daß 20
einige Fixsterne wirklich ihren Stand gegeneinander
verändert haben, und zwar so, daß man siehet, daß
dieses nicht irgend von einer Bewegung in unserm
Pianetengebäude herrühret, sondern daß es bloß einer
Bewegung der Sterne selber zugeschrieben werden kann.
Der Är]{tu7- gibt einen starken Beweis hievon an die
Hand. Denn wenn man desselben gegenwärtige Dekli-
nation mit seinem Orte, wie derselbe sowohl von
Tycho als auch von Flammsteed ist bestimmt
worden, vergleicht, so wird man finden: daß der Unter- 30
schied größer ist, als man ihn von der Ungewißheit
ihrer Beobachtungen herzurühren vermuten kann. Man
hat Ursache, zu vermuten, daß auch andere Exempel
von gleicher Beschaffenheit unter der großen Anzahl
der sichtbaren Sterne vorkommen müssen, weil ihre
Lagen gegeneinander durch mancherlei Ursachen können
verändert werden. Denn wenn man sich vorstellt, daß
unser eigenes Sonnengebäude seinen Ort in Ansehung
des Weltraums verändert, so wird dieses nach Ver-
lauf einiger Zeit eine scheinbare Veränderung der 40
Winkelentfernungen der Fixsterne verursachen. Und
weil dieses in solchem Falle in die örter der nächsten
2*
20 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Sterne einen größeren Einfluß haben würde, als in
die örter dererjenigen, welche weit entfernet sind, so
würden ihre Lagen sich zu verändern scheinen,
obgleich die Sterne selbst wirklich unbeweglich
blieben. Und wenn im Gegenteil unser eigen Planeten-
gebäude stille steht und einige Sterne wirklich eine
Bewegung haben, so wird dieses gleichfalls ihre schein-
bare Lage verändern, und zwar um desto mehr, je
näher sie bei uns sind, oder je mehr die Richtung
10 der Bewegung so beschaffen ist, daß sie von uns
kann wahrgenommen werden. Da nun also die Lagen
der Sterne von so mancherlei Ursachen können ver-
ändert werden, indem man die erstaunlichen Entfer-
nungen, in welchen ganz gewiß einige gelegen sind,
betrachtet, so werden wohl die Beobachtungen vieler
Menschenalter nötig sein, die Gesetze der scheinbaren
Veränderungen, auch eines einzigen Sternes, zu be-
stimmen. Viel schwerer muß es also noch sein, die
Gesetze für alle die merkwürdigsten Sterne festzu-
20 setzen."
Ich kann die Grenzen nicht genau bestimmen, die
zwischen dem System des Herrn Wright und dem
meinigen anzutreffen sein, und in welchen Stücken
ich seinen Entwurf bloß nachgeahmet oder weiter ausge-
führt habe. Indessen boten sich mir nach der Hand
annehmungswürdige Gründe dar, es auf der einen Seite
beträchtlich zu erweitern. Ich betrachtete die Art
neblichter Sterne, deren Herr von Maupertuis in
der Abhandlung von der Figur der Gestirne^) ge-
^) Weil ich den angeführten Traktat nicht bei der Hand
habe, so will ich das dazu Gehörige aus der Anführung der
Ouvrages diverses de Msr. de Maupertuis in den Actis Erud.
1745 hier einrücken. Das erste Phänomenon sind diejenige
lichte Stellen am Himmel, welche neblichte Sterne ge-
nannt und vor einen Haufen kleiner Fixsterne gehalten
werden. Allein die Astronomen haben durch vortreffliche
Ferngläser sie nur als große länglichtrunde Plätzchen, die
etwas lichter als der übrige Teil des Himmels wären, be-
funden. Hu gen hat dergleichen etwas zuerst im Orion
angetroffen; Halley gedenket in dem Anglical Trans, sechs
solcher Plätzchen: 1. im Schwert des Orions, 2. im Schützen,
3. im Centam-us, 4. vor dem rechten Fuße des Antinous,
Vorrede. 21
denket, und die die Figur von mehr oder weniger offenen,
Ellipsen vorstellen, und versicherte mich leicht, daß
sie nichts anderes, als eine Häufung vieler Fixsterne
5. im Hercules, 6. im Gürtel der Andromeda. "Wenn diese
durch ein reflektierendes Seherohr von 8 Fiiß betrachtet
werden, so siehet man, daß nur der vierte Teil derselben
vor einen Haufen Sterne könne gehalten werden; die übrigen
haben nur weißlichte Plätzchen vorgestellt, ohne erhebhchen
Unterschied, außer daß eines mehr der Zü'kelrundung bei-
kommt, ein anderes aber länglichter ist. Es scheinet auch,
daß bei dem ersten die durch das Sehrohr sichtbaren
kleinen Sternchen seinen weißlichten Schimmer nicht ver-
ursachen können. Halley glaubt: daß man aus diesen
Erscheinungen dasjenige erklären könne, was man im An-
fang der Mosaischen Schöpfungsgeschichte antrifft, nämUch
daß das Licht eher als die Sonne erschaffen sei. Derham
vergleicht sie Offnungen, dadurch eine andere unermeßüche
Gegend, und vielleicht der Feuerhimmel durchscheine. Er
meinet, er habe bemerken können, daß die Sterne, die
neben diesen Plätzchen gesehen werden, uns viel näher
wären, als diese lichte Stellen. Diesen fügt der Verfasser
ein Verzeichnis der neblichten Sterne aus dem Hevelius
bei. Er hält diese Erscheinungen vor große, lichte Massen,
die durch eine gewaltige Umwälzung abgeplattet worden
wären. Die Materie, daraus sie bestehen, wenn sie eine
gleichleuchtende Kraft mit den übrigen Sternen hätte, würde
von ungeheurer Größe sein müssen, damit sie, aus einem
viel größeren Abstände, als der Sterne ihi-er ist, gesehen,
dennoch dem Fernglase unter merklicher Gestalt und Größe
erscheinen können. Wenn sie aber an Größe den übrigen
Fixsternen ohngefähr gleich kämen, müßten sie uns nicht
allein ungleich viel näher sein, sondern zugleich ein viel
schwächeres Licht haben; weil sie bei solcher Xähe und
scheinbarer Größe doch einen so blassen Schimmer an sich
zeigen. Es würde also der Mühe verlohnen, ihre Parallaxe,
wofern sie eine haben, zu entdecken. Denn diejenigen,
welche sie ihnen absprechen, schließen vielleicht von einigen
auf alle. Die Sternchen, die man mitten auf diesen Plätzchen
antrifft, vrie in dem Orion (oder noch schöner in dem vor
dem rechten Fuße des Antinous, welcher nicht anders
aussiebet, als ein Fixstern, der mit einem Nebel umgeben
ist), würden, wofern sie uns näher wären, entweder nach
Art der Projektion auf denselben gesehen, oder schienen
durch jene Massen, gleich als durch die Schweife der Ko-
meten, durch.
22 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
sein .können. Die jederzeit abgemessene Rundung dieser
Figuren belehrte mich, daß hier ein unbegreiflich zahl-
reiches Sternenheer, und zwar um einen gemeinschaft-
lichen Mittelpunkt müßte geordnet sein, weil sonst
ihre freie Stellungen gegeneinander wohl irreguläre
Gestalten, aber nicht abgemessene Figuren vorstellen
würden. Ich sähe auch ein, daß sie in dem System,
darin sie sich vereinigt befinden, vornehmlich auf eine
Fläche beschränkt sein müßten, weil sie nicht zirkel-
10 runde, sondern elliptische Figuren abbilden, und daß
sie wegen ihres blassen Lichts unbegreiflich weit von
uns abstehen. Was ich aus diesen Analogien ge-
schlossen habe, wird die Abhandlung selber der Unter-
suchung des vorurteilsfreien Lesers darlegen.
In dem zweiten Teile, der den eigentlichsten
Vorwurf dieser Abhandlung in sich enthält, suche ich
die Verfassung des Weltbaues aus dem einfachsten
Zustande der Natur bloß durch mechanische Gesetze
zu entwickeln. Wenn ich mich unterstehen darf, denen-
20 jenigen, die sich über die Kühnheit dieses Unter-
nehmens entrüsten, bei der Prüfung, womit sie meine
Gedanken beehren, eine gewisse Ordnung vorzu-
schlagen, so wollte ich bitten, das achte Hauptstück
zuerst durchzulesen, welches, wie ich hoffe, ihre Be-
urteilung zu einer richtigen Einsicht vorbereiten kann.
Wenn ich indessen den geneigten Leser zur Prüfung
meiner Meinungen einlade, so besorge ich mit Recht,
daß, da Hypothesen von dieser Art gemeiniglich nicht
in viel besserem Ansehen, als philosophische Träume
30 stehen, es eine saure Gefälligkeit vor einen Leser
ist, sich zu einer sorgfältigen Untersuchung von selbst
erdachten Geschichten der Natur zu entschließen und
dem Verfasser durch alle die Wendungen, dadurch er
den Schwierigkeiten, die ihm aufstoßen, ausweichet,
geduldig zu folgen, um vielleicht am Ende, wie die Zu-
schauer des londonschen Marktschreiers, *) seine eigene
Leichtgläubigkeit zu belachen. Indessen getraue ich
mir zu versprechen: daß, wenn der Leser durch das
vorgeschlagene Vorbereitungs-Hauptstück hoffentlich
40 wird überredet worden sein, auf so wahrscheinliche
*) Siehe Gellerts Fabel: Hans Nord.
Vorrede. 23
Vermutungen doch ein solches physisches Abenteuer
zu wagen, er auf dem Fortgange des Weges nicht soviel
krumme Abwege und unwegsame Hindernisse, als er
vielleicht anfänglich besorgt, antreffen werde.
Ich habe mich in der Tat mit größester Behutsam-
keit aller willkürlichen Erdichtungen entschlagen. Ich
habe, nachdem ich die Welt in das einfachste Chaos
versetzt, keine andere Kräfte als die Anziehungs- und
Zurückstoßungskraft, zur Entwickelung der großen
Ordnung der Natur angewandt, zwei Kräfte, welche lo
beide gleich gewiß, gleich einfach und zugleich gleich
ursprünglich und allgemein sind. Beide sind aus der
Newtonischen Weltweisheit entlehnet. Die erstere ist
ein nunmehro außer Zweifel gesetztes Naturgesetz. Die
zweite, welcher vielleicht die Naturwissenschaft des
Newton nicht so viel Deutlichkeit als der ersterena)
gewähren kann, nehme ich hier nur in demjenigen Ver-
stände an, da sie niemand in Abrede ist, nämlich bei
der feinsten Auflösung der Materie, wie z. E. bei den
Dünsten, Aus diesen so einfachen Gründen habe ich 20
auf eine ungekünstelte Art, ohne andere Folgen zu er-
sinnen, als diejenigen, worauf die Aufmerksamkeit des
Lesers ganz von selber verfallen muß, das folgende
System hergeleitet.
Man erlaube mir schließlich wegen der Gültigkeit
und des angeblichen Wertes derjenigen Sätze, die in
der folgenden Theorie vorkommen werden und wor-
nach ich sie vor billigen Richtern geprüft zu werden
wünsche, eine kurze Erklärung zu tun. Man beurteilt
billig den Verfasser nach demjenigen Stempel, den er 30
auf seine Ware drückt; daher hoffe ich, man werde
in den verschiedenen Teilen dieser Abhandlung keine
strengere Verantwortung meiner Meinungen fodern,
als nach Maßgebung des Werts, den ich von ihnen
selber ausgebe. Überhaupt kann die größte geo-
metrische Schärfe und mathematische Unfehlbarkeit
niemals von einer Abhandlung dieser Art verlangt
werden. Wenn das System auf Analogien und Über-,
einstimmungen nach den Regeln der Glaubwürdig-
keit und einer richtigen Denkungsart gegründet ist, 40
a) „als die erstere" A. corr. Akad. Ausg.
24 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
SO hat es allen Foderungen seines Objekts genug
getan. Diesen Grad der Tüchtigkeit meine ich in
einigen Stücken dieser Abhandlung, als in der Theorie
der Fixsternensystemen, in der Hypothese von der Be-
schaffenheit der neblichten Sterne, in dem allgemeinen
Entwürfe von der mechanischen Erzeugungsart des
Weltbaues, in der Theorie von dem Saturnusringe und
einigen andern erreicht zu haben. Etwas minder Über-
zeugung werden einige besondere Teile der Aus-
10 führung gewähren, wie z. E. die Bestimmung der
Verhältnisse der Exzentrizität, die Vergleichung der
Massen der Planeten, die mancherlei Abweichungen der
Kometen, und einige andere.
Wenn ich daher in dem siebenten Hauptstück, durch
die Fruchtbarkeit des Systems und die Annehmlichkeit
des größten und wunderwürdigsten Gegenstandes, den
man sich nur denken kann, angelocket, zwar stets
an dem Leitfaden der Analogie und einer vernünftigen
Glaubwürdigkeit, doch mit einiger Kühnheit die Folgen
20 des Lehrgebäudes so weit als möglich fortsetze; wenn
ich das Unendliche der ganzen Schöpfung, die Bil-
dung neuer Welten und den Untergang der alten, den
unbeschränkten Raum des Chaos der Einbildungskraft
darstelle, so hoffe ich, man werde der reizenden An-
nehmlichkeit des Objekts und dem Vergnügen, welches
man hat, die Übereinstimmungen einer Theorie in ihrer
größesten Ausdehnung zu sehen, so viel Nachsicht
vergönnen, sie nicht nach der größten geometrischen
Strenge, die ohnedem bei dieser Art der Betrachtungen
30 nicht statthat, zu beurteilen. Eben dieser Billigkeit
versehe ich mich in Ansehung des dritten Teiles. Man
wird indessen allemal etwas mehr wie bloß Willkür-
liches, obgleich jederzeit etwas weniger als Unge-
zweifeltes, in selbigen antreffen.
Inhalt
des ganzen Werkes.
Erster Teil. Seite 39.
Abriß einer allgemeinen systematischen Ver-
fassung unter den Fixsternen aus den Phäno-
menis der Milchstraße hergeleitet. Ähnlichkeit
dieses f ixsternensystems mit dem Systeme der Planeten.
Entdeckung vieler solcher Systeme, die sich in der Weite
des Himmels in Gestalt elliptischer Figuren zeigen. Neuer
Begriff von der systematischen Verfassung der ganzen
Schöpfung.
Beschluß. Wahrscheinliche Vermutung mehrerer Pla-
neten über dem Saturn aus dem Gesetze, nach welchem
die Exzentrizität der Planeten mit den Entfernungen zu-
nimmt.
Zweiter Teil.
Erstes Hauptstück. Seite 55.
Gründe vor die Lehrverfassung eines mechanischen
Ursprungs der Welt. Gegengründe. Einziger Begriff
unter allen möglichen, beiden genug zu tun. Erster Zu-
stand der Natur. Zerstreuung der Elemente aller Materie
durch den ganzen Weltraum. Erste Regung durch die
Anziehung. Anfang der Bildung eines Körpers in dem
Pimkte der stärksten Attraktion. Allgemeine Senkung der
Elemente gegen diesen Zentralkörper. Zurückstoßungs-
kraft der feinsten Teile, darin die Materie aufgelöset
26 Inhalt des ganzen Werkes.
worden. Veränderte Richtung der sinkenden Bewegung
durch die Verbindung dieser Kraft mit der erstem. Ein-
förmige Richtung aller dieser Bewegungen nach eben-
derselben Gegend. Bestrebung aller Partikeln, sich zu
einer gemeinschaftlichen Fläche zu dringen und daselbst
zu häufen. Mäßigung der Geschwindigkeit ihrer Be-
wegung zu einem Gleichgewichte mit der Schwere des
Abstandes ihres Orts. Freier Umlauf aller Teilchen um
den Zentralkörper in Zirkelkreisen. Bildung der Planeten
aus diesen bewegten Elementen. Freie Bewegung der
daraus zusammengesetzten Planeten in gleicher Richtung
im gemeinschaftlichen Plane, nahe beim Mittelpunkte
beinahe in Zirkelkreisen und weiter von demselben mit
zunehmenden Graden der Exzentrizität.
Zweites Hauptstück. Seite 68.
Handelt von der verschiedenen Dichtigkeit der
Planeten und dem Verhältnisse ihrer Massen.
Ursache, woher die nahen Planeten dichterer Art sind,
als die entferneten. Unzulänglichkeit der Erklärung des
Newton. Woher der Zentralkörper leichterer Art ist,
als die nächst um ihn laufende Kugeln. Verhältnis der
Massen der Planeten, nach der Proportion der Ent-
fernungen. Ursache aus der Art der Erzeugung, woher
der Zentralkörper die größte Masse hat. Ausrechnung
der Dünnigkeit, in welcher alle Elemente der Weltmaterie
zerstreuet gewesen. Wahrscheinlichkeit und Notwendig-
keit dieser Verdünnung. Wichtiger Beweis der Art der
Erzeugung der Himmelskörper aus einer merkwürdigen
Analogie des Herrn de Buffon.
Drittes Haiiptstück. Seite 78.
Von der Exzentrizität der Planetenkreise und
dem Ursprünge der Kometen. Die Exzentrizität
nimmt gradweise mit den Entfernungen von der Sonne
zu. Ursache dieses Gesetzes aus der Kosmogonie. Woher
die Kometenkreise von dem Plane der Ekliptik frei aus-
schweifen. Beweis, daß die Kometen aus der leichtesten
Gattung des Stoffes gebildet sein. Beiläufige Anmerkung
von dem Xordscheine.
Inhalt des ganzen Werkes. 27
Viertes Hauptstück. Seite 85.
Von dem Ursprünge der Monde und den Bewe-
gungen der Planeten um die Achse. Der Stoff zu
Erzeugung der Monde war in der Sphäre, daraus der
Planet die Teile zu seiner eigenen Bildung sammlete,
enthalten. Ursache der Bewegung dieser Monde mit allen
Bestimmungen. Woher nur die großen Planeten Monde
haben. Von der Achsendrehung der Planeten. Ob der
Mond ehedem eine schnellere gehabt habe? Ob die Ge-
schwindigkeit der Umwälzung der Erde sich vermindere ?
Von der Stellung der Achse der Planeten gegen den Plan
ihrer Kreise. Verrückung ihrer Achse.
Fünftes Hauptstück. Seite 94.
Von dem Ursprünge des Saturnusringes und der
Berechnung seiner täglichen Umdrehung aus
den Verhältnissen desselben. Erster Zustand des
Saturns mit der Beschaffenheit eines Kometen verglichen.
Bildung eines Ringes aus den Teilchen seiner Atmo-
sphäre vermittelst der von seinem Umschwünge einge-
drückten Bewegungen. Bestimmung der Zeit seiner
Achsendrehung nach dieser Hypothese. Betrachtung der
Figur des Saturns. Von der sphäroidischen Abplattung
der Himmelskörper überhaupt. Nähere Bestimmung der
Beschaffenheit dieses Ringes. Wahrscheinliche Vermutung
neuer Entdeckungen. Ob die Erde vor der Sündflut nicht
einen a) Ring gehabt habe?
Sechstes Hauptstück. Seite 112.
Von dem Zodiakallichte.
Siebentes Hauptstück. Seite 114.
Von der Schöpfung im ganzen Umfange ihrer Un-
endlichkeit, sowohl dem Räume, als der Zeit
nach. Ursprung eines großen Systems der Fixsterne.
Zentralkörper im Mittelpunkte des Stemeusystems. Un-
endlichkeit der Schöpfung. Allgemeine systematische Be-
ziehung in ihrem ganzen Inbegriffe. Zentralkörper der
ganzen Natur. Successive Fortsetzung der Schöpfung in
aller Unendlichkeit der Zeiten und Räume, durch unauf-
a) „einem" A.
28 Inhalt des ganzen "Werkes.
hörliche Bildung neuer Welten. Betrachtung über das
Chaos der ungebildeten Natur. Allmählicher Verfall
und Untergang des "Weltbaues. "Wohlanständigkeit eines
solchen Begriffes. "Wiederemeuerung der verfallenen
Natur.
Zugabe zum siebenten Hauptstück. Seite 134.
Allgemeine Theorie und Geschichte der Sonne
überhaupt. Woher der Zentralkörper eines Weltbaues
ein feuriger Körjjer ist. Nähere Betrachtung seiner Natur.
Gedanken von den Veränderungen der ihn umgebenden
j^uft. Erlöschung der Sonnen. Naher Anblick ihrer Ge-
stalt. Meinung des Herrn Wright von dem IVIittelpunkte
der ganzen Natur. Verbesserung derselben.
Achtes Hauptstück. Seite 1-44.
Allgemeiner Beweis von der Richtigkeit einer
mechanischen Lehrverfassung der Einrichtung
des Weltbaues überhaupt, insonderheit von der
Gewißheit der gegenwärtigen. Die wesentliche
Fähigkeit der Naturen der Dinge, sich von selber zur
Ordnung und Vollkommenheit zu erheben, ist der schönste
Beweis des Daseins Gottes. Verteidigung gegen den Vor-
wurf des Naturalismus.
Die Verfassung des Weltbaues ist einfach und nicht über
die Elräfte der Natur gesetzt. Analogien, die den mecha-
nischen Ursprung der Welt mit Gewißheit bewähren.
Ebendasselbe aus den Abweichungen bewiesen. Die An-
führung einer unmittelbaren göttlichen Anordnung tut
diesen Fragen kein Gnüge. Schwierigkeit, die den
Newton bewog, den mechanischen LehrbegTilf aufzu-
geben, Auflösung dieser Schwierigkeit. Das vorgetragene
System ist das einzige Mittel unter allen möglichen, bei-
derseitigen Gründen ein Gnüge zu leisten. Wii'd femer
durch das Verhältnis der Dichtigkeit der Planeten, ihrer
Massen, der Zwischenräume ihres Abstandes und dena)
stufenartigen Zusammenhang ihrer Bestimmungen er-
wiesen. Die ßewegungsgründe der Wahl Gottes be-
stimmen diese Umstände nicht unmittelbar. Rechtfer-
tigung in Ansehung der Religion. Schwierigkeiten, die
sich bei einer Lehrverfassung von der unmittelbaren gött-
lichen Anordnung- hervortun.
a) „dem — Zusammenhange" A. corr. Hartenstein.
Inhalt des ganzen Werkes. 29
Dritter Teil. Seite 165.
Enthält eine Vergleichung zwischen den Ein-
wohnern der Grestirne.
Ob alle Planeten bewohnt sein? Ursache, daran zu zweifeln.
Grund der physischen Verhältnisse zwischen den Be-
wohnern verschiedener Planeten. Betrachtung des Men-
schen. Ursachen der Unvollkommenheit seiner Natur.
Natürliches Verhältnis der körperlichen Eigenschaften
der belebten Kreaturen nach ihrem verschiedenen Ab-
stände von der Sonne. Folgen dieser Verhältnisse auf
ihre geistige Fähigkeiten. Vergleichung der denkenden
Naturen auf verschiedenen Himmelskörpern. Bestätigung
aus gewissen Umständen ihrer "Wohnplätze. Fernerer
Beweis aus den Anstalten der göttlichen Vorsehung, die
zu ihrem Besten gemacht sind. Kurze Ausschweifung.
Beschluß. Seite 185.
Die Begebenheiten des Menschen in dem künftigen Leben.
Allsfemeine
'O
Naturgeschichte und Theorie des Himmels
Erster Teil
Abriß einer systematischen Verfassung unter
den Fixsternen
imgleichen
Yon der Vielheit solcher Fixsternsystemen
Seht jene große "Wunderkette, die alle Teile dieser Welt
Vereinet und zusamnaenzieht und die das große Ganz' erhält.
Pope.
Kurzer Abriß der nötigsten Grundbegriffe
der
Newtonisclien Weltwissenschaft,*)
die zu dem Verstände des Nachfolgenden erfordert werden.
Sechs Planeten, davon drei Begleiter haben, Merkur,
Venus, die Erde mit ihrem Monde, Mars, Jupiter mit
vier, und Saturn mit fünf Trabanten, die um die Sonne
als den Mittelpunkt Kreise beschreiben, nebst den Ko-
meten, die es von allen Seiten her und in sehr langen
Kreisen tun, machen ein System aus, welches man 10
das System der Sonnen oder auch den planetischen
Weltbau nennt. Die Bewegung aller dieser Körper,
weil sie kreisförmig und in sich selbst zurückkehrend
ist, setzet zwei Kräfte voraus, welche bei einer jeg-
lichen Art des Lehrbegriffs gleich notwendig sind,
nämlich eine schießende Kraft, dadurch sie in jedem
Punkte ihres krummlinichten Laufes die gerade Rich-
tung fortsetzen und sich ins Unendliche entfernen
würden, wenn nicht eine andere Kraft, welche es
auch immer sein mag, sie beständig nötigte, diese zu 20
verlassen und in einem krummen Gleise zu laufen, der
die Sonne als Mittelpunkt umfasset. Diese zweite Kraft,
wie die Geometrie selber es ungezweifelt ausmacht,
*) Diese kurze Einleitung-, welche vielleicht in Ansehung
der meisten Leser überflüssig sein mochte, habe ich denen,
die etwa der Newtonischen Clrundsätze nicht genugsam
kundig sein, zur Vorbereitung der Einsicht in die folgende
Theorie vorher erteilen wollen.
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I. 3
34 Allg-eiiieinc Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
zielt allenthalben zu der Sonne hin und wird daher
die sinkende, die Zentripetalkraft, oder auch die
Gravität genennet.
Wenn die Kreise der Himmelskörper genaue Zirkel
wären, so würde die allereinfachste Zergliederung der
Zusammensetzung krummlinichter Bewegungen zeigen,
daß ein anhaltender Trieb gegen den Mittelpunkt dazu
erfordert werde; allein obgleich sie in allen Planeten
sowohl, als Kometen Ellipsen sind, in deren gemein-
10 schaftlichem Brennpunkte sich die Sonne befindet, so
tut doch die höhere Geometrie mit Hülfe der Kep-
lerschen Analogie (nach welcher der radius vector
oder die von dem Planeten zur Sonne gezogene Linie,
stets solche Räume von der elliptischen Bahn ab-
schneidet, die den Zeiten proportioniert sein) gleich-
falls mit untrüglicher Gewißheit dar, daß eine Kraft
den Planet in dem ganzen Kreislaufe gegen den Mittel-
punkt der Sonne unablässig treiben müßte. Diese
Senkungskraft, die durch den ganzen Raum des
20 Planetensystems herrschet und zu der Sonne hinzielet,
ist also ein ausgemachtes Phänomenon der Natur, und
ebenso zuverlässig ist auch das Gesetze erwiesen, nach
welchem sich diese Kraft von dem Mittelpunkte in
die ferne Weiten erstrecket. Sie nimmt immer um-
gekehrt ab, wie die Quadrate der Entfernungen von
demselben zunehmen. Diese Regel fließt auf eine
ebenso untrügliche Art aus der Zeit, die die Planeten
in verschiedenen Entfernungen zu ihren Umläufen
gebrauchen. Diese Zeiten sind immer, wie die
30 Quadratwurzel aus den Cubis ihrer mittlem Ent-
fernungen von der Sonne, woraus hergeleitet wird:
daß die Kraft, die diese Himmelskörper zu dem Mittel-
punkte ihrer Umwälzung treibt, im umgekehrten Ver-
hältnisse der Quadrate des Abstandes abnehmen müsse.
Ebendasselbe Gesetz, was unter den Planeten
herrscht, insofern sie um die Sonne laufen, findet sich
auch bei den kleinen Systemen, nämlich denen, die
die um ihre Hauptplaneten bewegte Monden aus-
machen. Ihre Umlaufszeiten sind ebenso gegen die
40 Entfernungen proportioniert und setzen eben dasselbe
Verhältnis der Senkungskraft gegen den Planeten fest,
als dasjenige ist, dem dieser zu der Sonne hin unter-
Einleitung. 35
worfen ist. Alles dieses ist aus der untrüglichsten
Geometrie, vermittelst unstrittiger Beobachtungen, auf
immer außer Widerspruch gesetzt. Hiezu kommt noch
die Idee, daß diese Senkungskraft ebenderselbe An-
trieb sei, der auf der Oberfläche des Planeten die
Schwere genannt wird, und der von diesem sich stufen-
weise nach dem angeführten Gesetze mit den Ent-
fernungen vermindert. Dieses ersiehet man aus der
Vergleichung der Quantität der Schwere auf der Ober-
fläche der Erde mit der Kraft, die den Mond zum lf>
Mittelpunkte seines Kreises hintreibt, welche gegen-
einander ebenso wie die Attraktion in dem ganzen
Weltgebäude, nämlich im umgekehrten Verhältnis des
Quadrats der Entfernungen ist. Dies ist die Ursache,
warum man oftgemeldete Zentralkraft auch die Gravität
nennet.
Weil es überdem auch im höchsten Grade wahr-
scheinlich ist, daß, wenn eine Wirkung nur in Gegen-
wart und nach Proportion der Annäherung zu einem
gewissen Körper geschiehet, die Richtung derselben 20
auch aufs genaueste auf diesen Körper beziehend ist, zu
glauben sei, dieser Körper sei auf was vor Art
es auch wolle, die Ursache derselben: so hat
man um deswillen Grund genug zu haben vermeinet,
diese allgemeine Senkung der Planeten gegen die Sonne
einer Anziehungskraft der letztern zuzuschreiben und
dieses Vermögen der Anziehung allen Himmelskörpern
überhaupt beizulegen.
Wenn ein Körper also diesem Antriebe, der ihn
zum Sinken gegen die Sonne oder irgend einen Pia- 30
neten treibt, frei überlassen wird, so wird er in stets
beschleunigter Bewegung zu ihm niederfallen und in
kurzem sich mit desselben Masse vereinigen. Wenn
er aber einen Stoß nach der Seite hin bekommen
hat, so wird er, wenn dieser nicht so kräftig ist,
dem Drucke des Sinkens genau das Gleichgewicht zu
leisten, sich in einer gebogenen Bewegung zu dem
Zentralkörper hinein senken, und wenn der Schwung,
der ihm eingedrückt worden, wenigstens so stark ge-
wesen, ihn, ehe er die Oberfläche desselben berührt, 40
von der senkrechten Linie um die halbe Dicke des
Körpers im Mittelpunkte zu entfernen, so wird er
3*
36 Allgemeine Xaturgeschichte und Theorie des Himmels.
nicht dessen Oberfläche berühren, sondern, nachdem
er sich dichte um ihn geschwungen hat, durch die
vom Falle erlangte Geschwindigkeit sich wieder so
hoch erheben, als er gefallen war, um in beständiger
Kreisbewegung um ihn seinen Umlauf fortzusetzen.
Der Unterschied zwischen den Laufkreisen der Ko-
meten und Planeten bestehet also in der Abwiegung
der Seitenbewegung gegen den Druck, der sie zum
Fallen treibt; welche zwei Kräfte, je mehr sie der
10 Gleichheit nahe kommen, desto ähnlicher wird der Kreis
der Zirkelfigur, und je ungleicher sie sein, je schwächer
die schießende Kraft in Ansehung der Zentralkraft ist,
desto länglichter ist der Kreis, oder wie man es nennt,
desto exzentrischer ist er, weil der Himmelskörper in
einem Teile seiner Bahn sich der Sonne weit mehr
nähert, als im andern.
Weil nichts in der ganzen Natur auf das ge-
naueste abgewogen ist, so hat auch kein Planet eine
ganz zirkeiförmige Bewegung; aber die Kometen
20 weichen am meisten davon ab, weil der Schwung, der
ihnen zur Seite eingedrückt worden, am wenigsten zu
der Zentralkraft ihres ersten Abstandes proportioniert
gewesen.
Ich werde mich in der Abhandlung sehr oft des
Ausdrucks einer systematischen Verfassung des
Weltbaues bedienen. Damit man keine Schwierigkeit
finde, sich deutlich vorzustellen, was dadurch soll an-
gedeutet werden, so will ich mich darüber mit wenigem
erklären. Eigentlich machen alle Planeten und Ko-
30 meten, die zu unserem Weltbau gehören, dadurch schon
ein System aus, daß sie sich um einen gemeinschaft-
lichen Zentralkörper drehen. Ich nehme aber diese
Benennung noch in engerem Verstände, indem ich auf
die genauere Beziehungen sehe, die ihre Verbindung
miteinander regelmäßig und gleichförmig gemacht hat.
Die Kreise der Planeten beziehen sich so nahe wie
möglich auf eine gemeinschaftliche Fläche, nämlich
auf die verlängerte Äquatorsfläche der Sonne; die Ab-
weichung von dieser Regel findet nur bei der äußersten
'10 Grenze des Systems, da alle Bewegungen allmählich auf-
hören, statt. Wenn daher eine gewisse Anzahl Himmels-
körper, die um einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt
Einleitung. 37
geordnet sind und sich um selbigen bewegen, zugleich
auf eine gewisse Fläche so beschränkt worden, daß
sie von selbiger zu beiden Seiten nur so wenig als
möglich abzuweichen die Freiheit haben; wenn die
Abweichung nur bei denen, die von dem Mittelpunkte
am weitesten entfernet sind und daher an den Be-
ziehungen weniger Anteil als die andarn haben, stufen-
weise stattfindet; so sage ich, diese Körper befinden
sich in einer systematischen Verfassung zu-
sammen verbunden. 10
Allgemeine
NaturgescMclite und Theorie des Himmels.
Erster Teil.
Von der systematischen Verfassung unter den Fixsternen.
Der Lehrbegriff von der allgemeinen Verfassung des
Weltbaues hat seit den Zeiten des Huygens keinen
merklichen Zuwachs gewonnen. Man v/eiß noch zur
Zeit nichts mehr, als was man schon damals gewußt
hat, nämlich daß sechs Planeten mit zehn Begleitern,
welche alle beinahe auf einer Fläche die Zirkel ihres lo
Umlaufs gerichtet haben, und die ewige kometische
Kugeln, die nach allen Seiten ausschweifen, ein System
ausmachen, dessen Mittelpunkt die Sonne ist, gegen
welciie sich alles senkt, um welche ihre Bewegungen
gehen, und von welcher sie alle erleuchtet, erwärmet
und belebet werden; daß endlich die Fixsterne, als
ebensoviel Sonnen, Mittelpunkte von ähnlichen Systemen
sein, in welchen alles ebenso groß und ebenso ordent-
lich als in dem unsrigen eingerichtet sein mag, und daß
der unendliche Weltraum von Weltgebäuden wimmele, 20
deren Zahl und Vortrefflichkeit ein Verhältnis zur
Unermeßlichkeit ihres Schöpfers hat.
Das Systematische, welches in der Verbindung der
Planeten, die um ihre Sonnen laufen, stattfand, ver-
schwand allhier in der Menge der Fixsterne, und es
schien, als wenn die gesetzmäßige Beziehung, die im
Kleinen angetroffen wird, nicht unter den Gliedern des
Weltalls im Großen herrsche; die Fixsterne bekamen
kein Gesetz, durch welches ihre Lagen gegeneinander
eingeschränket wurden, und man sähe sie alle Himmel 30
40 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
und aller Himmel Himmel ohne Ordnung und ohne Ab-
sicht erfüllen. Seitdem die Wißbegierde des Menschen
sich diese Schranken gesetzet hat, so hat man weiter
nichts getan, als die Größe desjenigen daraus abzu-
nehmen und zu bewundern, der in so unbegreiflich
großen Werken sich offenbaret hat.
Dem Herrn Wright von Durham, einem Enge-
länder, war es vorbehalten, einen glücklichen Schritt
zu einer Bemerkung zu tun, welche von ihm selber
10 zu keiner gar zu tüchtigen Absicht gebraucht zu sein
scheinet, und deren nützliche Anwendung er nicht
genugsam beobachtet hat. Er betrachtete die Fixsterne
nicht als ein untergeordnetes und ohne Absicht zer-
streutes Gewimmel, sondern er fand eine systematische
Verfassung im Ganzen und eine allgemeine Beziehung
dieser Gestirne gegen einen Hauptplan der Räume,
die sie einnehmen.
Wir wollen den Gedanken, den er vorgetragen, zu
verbessern und ihm diejenige Wendung zu erteilen
2ü suchen, dadurch er an wichtigen Folgen fruchtbar
sein kann, deren völlige Bestätigung den künftigen
Zeiten aufbehalten ist.
Jedermann, der den bestirnten Himmel in einer
heitern Nacht ansiehet, wird denjenigen lichten Streif
gewahr, der durch die Menge der Sterne, die daselbst
mehr als anderwärts gehäuft sein, und durch ihre sich
in der großen Weite verlierende Kenntlichkeit ein ein-
förmichtes Licht darstellet, welches man mit dem Namen
Milchstraße benennet hat. Es ist zu bewundern,
30 daß die Beobachter des Himmels durch die Beschaffen-
heit dieser am Himmel kenntlich unterschiedenen Zone
nicht längst bewogen worden, sonderbare Bestimmun-
gen in der Lage der Fixsterne daraus abzunehmen.
Denn man siehet ihn die Richtung eines größten Zirkels
und zwar in ununterbrochenem Zusammenhange um den
ganzen Himmel einnehmen, zwei Bedingungen, die eine
so genaue Bestimmung und von dem Unbestimmten
des Ungefährs so kenntlich unterschiedene Merkmale
mit sich führen, daß aufmerksame Sternkundige natür-
40 licherweise dadurch hätten veranlaßet w^erden sollen,
der Erklärung einer solchen Erscheinung mit Auf-
merksamkeit nachzuspüren.
I. Teil. Von d. systemat. Verfass. unter d. Fixsternen. 41
Weil die Sterne nicht auf die scheinbare hohle
Himmelssphäre gesetzet sind, sondern einer weiter
als der andere von unserm Gesichtspunkte entfernet,
sich in der Tiefe des Himmels verlieren, so folget aus
dieser Erscheinung, daß in den Entfernungen, darin
sie einer hinter dem andern von uns abstehen, sie
sich nicht in einer nach allen Seiten gleichgültigen
Zerstreuung befinden, sondern sich auf eine gewisse
FläcJie vornehmlich beziehen müssen, die durch unsern
Gesichtspunkt gehet, und welcher sie sich so nahe als 10
möglich zu befinden bestimmet sind.
Diese Beziehung ist ein so ungezweifeltes Phäno-
menen, daß auch selber die übrigen Sterne, die in dem
weißlichten Streife der Milchstraße nicht begriffen
sind, doch um desto gehäufter und dichter gesehen
werden, je näher ihre Örter dem Zirkel der Milch-
straße sind, so daß von den 2000 Sternen, die das
bloße Auge am Himmel entdecket, der größte Teil in
einer nicht gar breiten Zone, deren Mitte die Milch-
straße einnimmt, angetroffen wird. 20
Wenn wir nun eine Fläche durch den Sternen-
himmel hindurch in unbeschränkte Weiten gezogen ge-
denken und annehmen, daß zu dieser Fläche alle Fix-
sterne und Systemata eine allgemeine Beziehung ihres
Orts haben, um sich derselben näher als anderen
Gegenden zu befinden, so wird das Auge, welches sich
in dieser Beziehungsfläche befindet, bei seiner Aus-
sicht in das Feld der Gestirne an der hohlen Kugel-
fläche des Firmaments diese dichteste Häufung der
Sterne in der Richtung solcher gezogenen Fläche unter .30
der Gestalt einer von mehrerem Lichte erleuchteten
Zone erblicken. Dieser lichte Streif wird nach der
Richtung eines größten Zirkels fortgehen, weil der
Stand des Zuschauers in der Fläche selber ist. In dieser
Zone wird es von Sternen wimmeln, welche durch die
nicht zu unterscheidende Kleinigkeit der hellen Punkte,
die sich einzeln dem Gesichte entziehen, und durch
ihre scheinbare Dichtigkeit einen einförmig weiß-
lichten Schimmer, mit einem Worte eine Milchstraße
vorstellig machen. Das übrige Himmelsheer, dessen Be- 40
Ziehung gegen die gezogene Fläche sich nach und nach
vermindert, oder welches sich auch dem Stande des
42 Allgemeine Naturgescbichte und Theorie des Himmels.
Beobachters näher befindet, wird mehr zerstreuet, wie-
wohl doch ihrer Häufung nach auf eben diesen Plan
beziehend gesehen werden. Endlich folget hieraus, daß
unsere Sonnenwelt, weil von ihr aus dieses System
der Fixsterne in der Richtung eines größesten Zirkels
gesehen wird, mit in ebenderselben großen Fläche
befindlich sei und mit den übrigen ein System aus-
mache.
Wir wollen, um in die Beschaffenheit der allge-
10 meinen Verbindung, die in dem Weltbaue herrschet, desto-
besser zu dringen, die Ursache zu entdecken suchen,
welche die Örter der Fixsterne auf^') eine gemein-
schaftliche Fläche beziehend gemacht hat.
Die Sonne schränket die Weite ihrer Anziehungs-
kraft nicht in den engen Bezirk des Planetengebäudes
ein. Allem Ansehen nach erstreckt sie selbige ins
Unendliche. Die Kometen, die sich sehr weit über
den Kreis des Saturns erheben, v/erden durch die
Anziehung der Sonne genötiget, wieder zurückzukehren
20 und in Kreisen zu laufen. Ob es also gleich der Natur
einer Kraft, die dem Wesen der Materie einverleibt
zu sein scheinet, gemäßer ist, unbeschränkt zu sein, und
sie auch wirklich von denen, die Newtons Sätze an-
nehmen, davor erkannt wird, so wollen wir doch nur
zugestanden wissen, daß diese Anziehung der Sonne
ohngefähr bis zum nächsten Fixsterne reiche, und daß
die Fixsterne als ebensoviel Sonnen in gleichem
Umfange um sich wirken , folglich daß das
ganze Heer derselben einander durch die An-
30 Ziehung zu nähern bestrebt sei; so finden sich alle
Weltsystemen in der Verfassung, durch die gegenseitige
Annäherung, die unaufhörlich und durch nichts ge-
hindert ist, über kurz oder lang in einen Klumpen
zusammen zu fallen, wofern diesem Ruin nicht, so wie
bei den Kugeln unsers planetischen Systems, durch
die den Mittelpunkt fliehende Kräfte vorgebeugt
worden, welche, indem sie die Himmelskörper von
dem geraden Falle abbeugen, mit den Kräften der An-
ziehung in Verbindung die ewige Kreisumläufe zuwege
40 bringen, dadurch das Gebäude der Schöpfung vor der
a) „auch" A.
I. Teil. Von d. systeinat. Verfass. unter d. Fixsternen. 43
Zerstöruug gesichert und zu einer unvergänglichen
Dauer geschickt gemacht wird.
So haben denn alle Sonnen des Firmaments Umlaufs-
bewegungen, entweder um einen allgemeinen Mittel-
punkt oder um viele. Man kann sich aber allhier der
Analogie bedienen, dessen, was bei den Kreisläufen
unserer Sonnenwelt bemerket wird: daß nämlich,
gleichwie ebendieselbe Ursache, die den Planeten die
Zenterfliehkraft, durch die sie ihre Umläufe ver-
richten, erteilet hat, ihre Laufkreise auch so gerichtet, 10
daß sie sich alle auf eine Fläche beziehen, also auch
die Ursache, welche es auch immer sein mag, die
den Sonnen der Oberwelt, als so viel Wandelsternen
höherer Weltordnungen») die Kraft der Umwendungb)
gegeben, ihre Kreise zugleich so viel möglich auf eine
Fläche gebrachte) und die Abweichungen von der-
selben einzuschränken bestrebt gewesen.
Nach dieser Vorstellung kann man das System der
Fixsterne einigermaßen durch das planetische ab-
schildern, wenn man dieses unendlich vergrößert. Denn 20
wenn wir anstatt der 6 Planeten mit ihren 10 Be-
gleitern so viele tausend derselben, und anstatt der
28 oder 30 Kometen, die beobachtet worden, ihrer
hundert- oder tausendmal mehr annehmen, wenn wir
eben diese Körper als selbstleuchtend gedenken, so
würde dem Auge des Zuschauers, das sie von der
Erde ansiehet, eben der Schein, als von den Fixsternen
der MilchstralJe entstehen. Denn die gedachte Planeten
würden durch ihre Nahheit zu dem gemeinen Plane
ihrer Beziehung uns, die wir mit unserer Erde in 30
ebendemselben Plane befindlich sein, eine von unzähl-
baren Sternen dicht erleuchtete Zone darstellen, deren
Richtung nach dem größesten Zirkel ginge; dieser lichte
Streifen würde allenthalben mit Sternen genugsam be-
setzet sein, obgleich gemäß der Hypothese es Wandel-
sterne, mithin nicht an einen Ort geheftet sind; denn
es würden sich allezeit nach einer Soite Sterne genug
a — b) „den Schwung des Umlaufs" Änderung Kants in
Gensichens Auszug.
c) ;,zu bringen" Änderung Kante bei Gensichen.
44 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Hinimels.
durch ihre Versetzung befinden, obgleich andere diesen
Ort geändert hätten.
Die Breite dieser erleuchteten Zone, welche eine
Art eines Tierkreises vorstellet, wird durch die ver-
schiedene Grade der Abweichung besagter Irrsterne
von dem Plane ihrer Beziehung und durch die Neigung
ihrer Kreise gegen dieselbe Fläche veranlasset werden;
und weil die meisten diesem Plane nahe sein, so wird
ihre Anzahl nach dem Maße der Entfernung von dieser
10 Fläche zerstreuter erscheinen; die Kometen aber, die
alle Gegenden ohne Unterscheid einnehmen, werden
das Feld des Himmels von beiden Seiten bedecken.
Die Gestalt des Himmels der Fixsterne hat also
keine andere Ursache, als eben eine dergleichen syste-
matische Verfassung im Großen, als der planetische
Weltbau im Kleinen hat, indem alle Sonnen ein System
ausmachen, dessen allgemeine Beziehungsfläche die
Milchstraße ist; die sich am wenigsten auf diese
Fläche beziehende werden zur Seite gesehen, sie sind
20 aber ebendeswegen weniger gehäufet, weil zerstreuter
und seltener. Es sind sozusagen die Kometen unter
den Sonnen.
Dieser neue Lehrbegriff aber legt den Sonnen eine
fortrückende Bewegung bei, und jedermann erkennet
sie doch als unbewegt und von Anbeginn her an ihre
Örter geheftet. Die Benennung, die die Fixsterne da-
von erhalten haben, scheinet durch die Beobachtung
aller Jahrhunderte bestätigt und ungezweifelt zu sein.
Diese Schwierigkeit würde das vorgetragene Lehr-
30 gebäude vernichten, wenn sie gegründet wäre. Allein
allem Ansehen nach ist dieser Mangel der Bewegung
nur etwas^ Scheinbares. Es ist entweder nur eine
ausnehmende Langsamkeit, die von der großen Ent-
fernung von dem gemeinen Mittelpunkte ihres Um-
laufs, oder eine Unmerklichkeit, die durch den Abstand
von dem Orte der Beobachtung veranlasset wird.
Lasset uns die Wahrscheinlichkeit dieses Begriffes
durch die Ausrechnung der Bewegung schätzen, die
ein unserer Sonne naher Fixstern haben würde, wenn
40 wir setzten, daß unsere Sonne der Mittelpunkt seines
Kreises wäre. Wenn seine Weite nach dem Huygen
über 21000mal größer als der Abstand der Sonne
I. Teil. Von d. systemat. Verfass. unter d. Fixsternen. 45
von der Erde angenommen wird, so ist nacli dem
ausgemachten Gesetze der Umlaufszeiten, die im Ver-
hältnis der Quadratwurzel aus dem Würfel der Ent-
fernungen vom Mittelpunkte stehen, die Zeit, die er
anwenden müßte, seinen Zirkel um die Sonne einmal
zu durchlaufen, von mehr als anderthalb a) Millionen
Jahre, und dieses würde in 4000 b) Jahren eine Ver-
rückung seines Ortes nur um einen Grad setzen. Da
nun nur vielleicht sehr wenige Fixsterne der Sonne
so nahe sind, als Huygen den Sirius ihr zu sein ge- 10
mutmaßet hat, da die Entfernung des übrigen Himmels-
heeres des letzteren seine vielleicht ungemein
übertrifft, und also zu solcher periodischen Um-
wendung ungleich längere Zeiten erforderte) würden,
überdem auch wahrscheinlicher ist, daß die Bewegung
der Sonnen des Sternenhimmels um einen gemeinschaft-
lichen Mittelpunkt gehe, dessen Abstand ungemein
groß, und die Fortrückung der Sterne daher überaus
langsam sein kann, so läßt sich hieraus mit Wahr-
scheinlichkeit abnehmen, daß alle Zeit, seit der man 21
Beobachtungen am Himmel angestellet hat, vielleicht
noch nicht hinlänglich sei, die Veränderung, die in
ihren Stellungen vorgegangen, zu bemerken. Man darf
indessen noch nicht die Hoffnung aufgeben, auch diese
mit der Zeit zu entdecken. Es werden subtile und
sorgfältige Aufmerker, imgleichen eine Vergleichung
weit voneinander abstehender Beobachtungen dazu er-
fordert. Man müßte diese Beobachtungen vornehmlich
auf die Sterne der Milchstraße richten,*) welche der
Hauptplan aller Bewegung ist. Herr Bradleyhat bei- "^O
nahe unmerkliche Fortrückungen der Sterne beob-
achtet. Die Alten haben Sterne an gewissen Stellen
des Himmels gemerket, und wir sehen neue an andern.
*) Imgleichen auf diejenige Haufen von Sternen, deren
viele in einem kleinen Räume bei einander sein, als z. E.
das Siebengestirn, welche vielleicht unter sich ein kleines
System iu dem größern ausmachen.
a) „3 Millionen".
b) „8000 Jahren". Diese Zahlen, die sich im Auszuge
Gensichens finden, sind die richtigen.
c) „erfordern" A. corr. Eahts Akad. Ausg.
46 Allgemeine Xaturgeschichte und Theorie des Himmels.
Wer weiß, waren es nicht die (vorigen, die nur den Ort
geändert haben. Die Vortrefilichkeit der Werkzeuge
und die Vollkommenheit der Sternenwissenschaft machen
uns gegründete Hoffnung zur Entdeckung so sonder-
barer Merkwürdigkeiten.*) Die Glaubwürdigkeit der
Sache selber aus den Gründen der Natur und der
Analogie unterstützen diese Hoffnung so gut, daß sie
die Aufmerksamkeit der Naturforscher reizen können,
sie in Erfüllung zu bringen.
10 Die Milchstraße ist, sozusagen, auch der Tierkreis
neuer Sterne, welche fast in keiner andern Himmels-
gegend als in dieser wechselweise sich sehen lassen
und verschwinden. Wenn diese Abwechselung ihrer
Siciitbarkeit von ihrer periodischen Entfernung und
Annäherung zu uns herrühret, so scheinet wohl aus
der angeführten systematischen Verfassung der Ge-
stirne, daß ein solches Phänomenen m.ehrenteils nur
in dem Bezirk der Milchstraße müsse gesehen werden.
Denn da es Sterne sind, die in sehr ablangen -i) Kreisen
20 um andere Fixsterne als Trabanten um ihre Haupt-
planeten laufen, so erfordert es die Analogie mit
unserm planetischen Weltbau, in welchem nur die
dem gemeinen Plane der Bewegungen nahe Himmels-
körper um sich laufende Begleiter haben, daß auch
nur die Sterne, die in der Milchstraße sind, um sich
laufende Sonnen haben werden, b)
*) De la Hire bemerket in den Mänoires der Akademie
zu Paris vom Jahre 1693, er habe sowohl aus eigenen Beo-
bachtungen, als auch aus Vergleichung derselben mit des
Ricciolus seineu eine starke Änderung in den Stellungen
der Sterne des Siebengestirns wahrgenommen.
a) „oblongen" Ausgabe von 1797.
1)) Anmerkung Gensichens auf Grund einer Äußerung-
Kants: Herr Professor Kant hatte seine Vorstellung der
Milchstraße, als eines unserm Planetensystem ähnlichen
Systems bewegter Sterne schon seit 6 Jahren geliefert, als
Lambert in seinen kosmologischen Briefen über die Ein-
richtung des Weltbaues, die erst im Jahre 1761 heraus-
kamen, eine ähnliche Idee bekannt machte. Es gebührt also
■dem ersten das Recht des ersten ßesitznehmers einer Sache,
die noch niemanden angehörte. Überdem scheint auch die
Larabertische Vorstellung sich sehr und wie mich dünkt,
I. Teil. Yon d. systemat. Verfass. uuter d. Fixsternen. 47
Ich komme zu demjenigen Teile des vorgetragenen
Lehrbegriffs, der ihn durch die erhabene Vorstellung,
welche er von dem Plane der Schöpfung darstellet,
am meisten reizend macht. Die Reihe der Gedanken,
die mich darauf geleitet haben, ist kurz und unge-
künstelt; sie bestehet in folgendem. Wenn ein System
von Fixsternen, welche in ihren Lagen sich auf eine ge-
meinschaftliche Fläche beziehen, so wie wir die Milch-
straße entworfen haben, so weit von uns entfernet
ist, daß alle Kenntlichkeit der einzelnen Sterne, daraus 10
es bestehet, sogar dem Sehrohre nicht mehr empfind-
lich ist; wenn seine Entfernung zu der Entfernung der
Sterne der Milchstraße eben das Verhältnis, als diese
zum Abstände der Sonne von uns hat; kurz, wenn
eine solche Welt von Fixsternen in einem so uner-
meßlichen Abstände von dem Auge des Beobachters,
das sich außerhalb derselben a) befindet, angeschauet
wird, so wird dieselbe unter einem kleinen Winkel als
ein mit schwachem Lichte erleuchtetes Räumchen er-
scheinen, dessen Figur zirkelrund sein wird, wenn seine 20
Fläche sich dem Auge geradezu darbietet, und elliptisch,
wenn es von der Seite gesehen wird. Die Schwäche
des Lichts, die Figur und die kennbare Größe des
Durchmessers werden ein solches Phänomenon, wenn
es vorhanden ist, von allen Sternen, die einzeln gesehen
werden, gar deutlich unterscheiden.
Man darf sich unter den Beobachtungen der Stern-
kundigen nicht lange nach dieser Erscheinung um-
sehen. Sie ist von unterschiedlichen Beobachtern deut-
lich wahrgenommen worden. Man hat sich über ihre 30
Seltsamkeit verwundert, man hat gemutmaßet und bis-
weilen wunderlichen Einbildungen, bisweilen schein-
zum Vorteil der letzteren (zu ergänzen: von der Kantischen)
zu unterscheiden, indem Lambert die MilchstraHe in un-
zählige kleinere Teile teilte und annahm, daß unser Plane-
tensystem in einem solcher Teile, zu dem auch alle Sterne
außer der Milchstraße gehören sollten, befindlich sei (S. 128.
137. 151. 153.). Cxensichen in „William Herschel: Über den
Bau des Himmels usw.". Königsberg, Nikolovius 1791,
S. 202.
a) „demselben" A.
48 Allgemeine Natui-geschichte und Theorie des Himmels .
baren Begriffen, die aber doch ebenso unbegründet
als die erstem waren, Platz gegeben. Die neblichten
Sterne sind es, welche wir meinen, oder vielmehr
eine Gattung derselben, die der Herr von Mauper-
tuis so beschreibet:*) Daß es kleine, etwas
mehr als das Finstere des leeren Himmels-
raums erleuchtete Plätzchen sein, die alle
darin übereinkommen, daß sie mehr oder weni-
ger offene Ellipsen vorstellen, aber deren
10 Licht weit schwächer ist als irgendein ande-
res, das man am Himmel gewahr wird. Der Ver-
fasser der Astrotheologie bildete sich ein, daß es
Öffnungen im Firmamente wären, durch welche er den
Feuerhimmel zu sehen glaubte. Ein Philosoph von er-
leuchtetem Einsichten, der schon angeführte Herr von
Maupertuis, hält sie in Betrachtung ihrer Figur
und kennbaren Durchmessers vor erstaunlich große
Himmelskörper, die durch ihre von dem Drehungs-
schwunge verursachte große Abplattung, von der Seite
20 gesehen, elliptische Gestalten darstellen.
Man wird leicht überführt, daß diese letztere Er-
klärung gleichfalls nicht stattfinden könne. Weil diese
Art von neblichten Sternen außer Zweifel zum wenigsten
ebensoweit als die übrigen Fixsterne von uns ent-
fernet sein muß, so wäre nicht allein ihre Größe er-
staunlich, nach welcher sie auch die größesten Sterne
viele tausendmal übertreffen müßten, sondern das wäre
am allerseltsamsten, daß sie bei dieser außerordent-
lichen Größe, da es selbstleuchtende Körper und
30 Sonnen sein, das allerstumpfste und schwächste Licht
an sich zeigen sollten.
Weit natürlicher und begreiflicher ist es, daß es
nicht einzelne so große Sterne, sondern Systemata
von vielen sein, deren Entfernung sie in einem so engen
Räume darstellet, daß das Licht, welches von jedem
derselben einzeln unmerklich ist, bei ihrer un-
ermeßlichen Menge in einen einförmichten blassen
Schimmer ausschlägt. Die Analogie mit dem Sternen-
system, darin wir uns befinden, ihre Gestalt, welche
40 gerade so ist, als sie es nach unserem Lehrbegriffe
*) Abhandlung von der Figur der Sterne.
I. Teil. Von d. sj'stemat. Verfass. unter d. Fixsternen. 49
sein muß, die Schwäche des Lichts, die eine voraus-
gesetzte unendliche Entfernung erfordert. Alles stimmet
vollkommen überein, diese elliptische Figuren vor eben
dergleichen Weltordnungen, und so zu reden, Milch-
straßen zu halten, deren Verfassung wir eben ent-
wickelt haben; und wenn Mutmaßungen, in denen Ana-
logie und Beobachtung vollkommen übereinstimmen,
einander zu unterstützen, ebendieselbe Würdigkeit
haben als förmliche Beweise, so wird man die Gre-
wißheit dieser Systemen vor ausgemacht halten müssen. 10
Nunmehro hat die Aufmerksamkeit der Beobachter
des Himmels Bewegungsgründe genug, sich mit diesem
Vorwurfe zu beschäftigen. Die Fixsterne, wie wir
wissen, beziehen sich alle auf einen gemeinschaftlichen
Plan und machen dadurch ein zusammengeordnetes
Ganze, welches eine Welt von Welten ist. Man siehet,
daß in unermeßlichen Entfernungen es mehr solcher
Sternensystemen gibt, und daß die Schöpfung in dem
ganzen unendlichen Umfange ihrer Größe allenthalben
systematisch und aufeinander beziehend ist.*) 20
Man könnte noch mutmaßen, daß eben diese höhere
*) Anmerkung Gensichens auf Grund einer Äußerung
Kants a. o. a. 0. (S. 107): „Lambert scheint ungewiß ge-
wesen zu sein, wofür er die Nebelsterne halten sollte. Denn
ob man gleich aus einigen Stellen in seinen Briefen schließen
möchte, er habe sie für entfernte Milchstraßen angesehen
(S. 129. 147), so läßt sich doch wieder aus anderen Stellen
vermuten, daß er sie, wenigstens den Lichtschimmer im
Orion, für das Licht angesehen habe, das seine von benach-
barten Sternen erleuchteten dunkeln Zentralkörper zu uns
reflektieren (S. 254. 285. 302. u. 9., 310 u. 12). Gewiß
scheint zu sein, daß Lambert das Dasein mehrerer Milch-
straßen vermutet (S. 129. 147. 158, 305), aber es scheint
nicht, daß er die Nebelsterne für dergleichen entfernte
Milchstraßen ansieht. Man kann also diese Vorstellung nicht
eigentlich einen von Lambert gewagten Gedanken
nennen, wie Erxleben in seiner Naturlehre 1772 S. 540
sagt und wie es in den neuern durch H. Hofr. Lichten-
berg vermehrten Ausgaben stehen geblieben ist; und da
dieser Gedanke von Kant schon im Jahre 1755, und zwar
ganz bestimmt vorgetragen worden ist, so %vird, auf welcher
Seite die Priorität dieser Vorstellungsart sei, femer nicht
gezweifelt werden können.
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I. 4
50 Allgemeine XaturgeschicLte und Theorie des Himmels.
Weltordnungen niclit chne Beziehung gegeneinander
sein, und durch dieses gegenseitige Verhältnis wiederum
ein nocü unermeßlicheres System ausmachen. In der
Tat siehet man, daß die elliptische Figuren diesera)
Arten neblichter Sterne, welche der Herr vonMauper-
tuis anführet, eine sehr nahe Beziehung auf den Plan
der Milchstraße haben. Es stehet hier ein weites Feld
zu Entdeckungen offen, wozu die Beobachtung den
Schlüssel geben muß. Die eigentlich so genannten neb-
10 lichten Sterne und die, über welche man strittig ist, sie
so zu benennen, müßten nach Anleitung dieses Lehr-
begriffs untersucht und geprüft werden. Wenn man
die Teile der Natur nach Absichten und einem ent-
deckten Entwürfe betrachtet, so eröffnen sich gewisse
Eigenschaften, die sonst übersehen werden und ver-
borgen bleiben, wenn sich die Beobachtung ohne An-
leitung auf alle Gegenstände zerstreuet.
Der Lehrbegriff, den wir vorgetragen haben, er-
öffnet uns eine Aussicht in das unendliche Feld der
20 Schöpfung und bietet eine Vorstellung von dem Werke
Gottes dar, die der Unendlichkeit des großen Werk-
meisters gemäß ist. Wenn die Größe eines planetischen
Weltbaues, darin die Erde als ein Sandkorn kaum be-
merket wird, den Verstand in Verwunderung setzt,
mit welchem Erstaunen wird man entzücket, wenn
man die unendliche Menge Welten und Systemen
ansiehet, die den Inbegriff der Milchstraße erfüllen;
allein wie vermehrt sich dieses Erstaunen, wenn man
gewahr wird, daß alle diese unermeßliche Stern-
30 Ordnungen wiederum die Einheit von einer Zahl machen,
deren Ende wir nicht wissen, und die vielleicht ebenso
wie jene unbegreiflich groß und doch wiederum noch
die Einheit einer neuen Zahlverbindung ist Wir sehen
die ersten Glieder einer fortschreitenden Verhältnis
von Welten und Systemen, und der erste Teil dieser
unendlichen Progression gibt schon zu erkennen, was
man von dem Ganzen vermuten soll. Es ist hie kein
Ende, sondern ein Abgrund einer wahren Unermeß-
lichkeit, worin alle Fähigkeit der menschlichen Begriffe
40 sinket, wenn sie gleich durch die Hilfe der Zahl-
1) .,die8e" A.
I. Teil. Von d. systemat. Verfass. unter d. Fixsternen 51
Wissenschaft erhoben wird. Die Weisheit, die Güte,
die Macht, die sich offenbaret hat, ist unendlich und
in eben der Maße fruchtbar und geschäftig; der Plan
ihrer Offenbarung muß daher eben wie sie unendlich
und ohne Grenzen sein.
Es sind aber nicht allein im Großen wichtige Ent-
deckungen zu machen, die den Begriff zu erweitern
dienen, den man sich von der Größe der Schöpfung
machen kann. Im Kleinern ist nicht weniger unent-
deckt, und wir sehen sogar in unserer Sonnenwelt die 10
Glieder eines Systems, die unermeßlich weit vonein-
ander abstehen, und zwischen welchen man die
Zwischenteile noch nicht entdecket hat. Sollte zwischen
dem Saturn, dem äußersten unter den Wandelsternen,
die wir kennen, und dem am wenigsten exzentrischen
Kometen, der vielleicht von einer 10 und mehrmal
entlegenem Entfernung zu uns herabsteigt, kein Planet
mehr sein, dessen Bewegung der kometischen näher als
jener käme? und sollten nicht noch andere mehr durch
eine Annäherung ihrer Bestimmungen vermittelst einer 20
Reihe von Zwischengliedern die Planeten nach und nach
in Kometen verwandeln, und die letztere Gattung mit
der erstem zusammenhängen?
Das Gesetz, nach welchem die Exzentrizität der
Planetenkreise sich in Gegenhaltung ihres Abstandes
von der Sonne verhält, unterstützt diese Vermutung.
Die Exzentrizität in den Bewegungen der Planeten
nimmt mit derselben Abstände von der Sonne zu, und
die entfernten Planeten kommen dadurch der Bestim-
mung der Kometen näher. Es ist also zu vermuten, 30
daß es noch andere Planeten über dem Saturn geben
wird, welche noch exzentrischer, und dadurch also
jenen noch näher verwandt, vermittelst einer be-
ständigen Leiter die Planeten endlich zu Kometen
machen. Die Exzentrizität ist bei der Venus Vi26 von
der halben Achse ihres elliptischen Kreises; bei der
Erde Vss, beim Jupiter V2o> ^^nd beim Saturn Vi? der-
selben; sie nimmt also augenscheinlich mit den Ent-
fernungen zu. Es ist wahr, Merkur und Mars nehmen
sich durch ihre viel größere Exzentrizität, als das 40
Maß ihres Abstandes von der Sonne es erlaubet, von
diesem Gesetze aus; aber wir werden im folgenden
4*
52 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
belehret werden, daß eben dieselbe Ursache, wes-
wegen einigen Planeten bei ihrer Bildung eine kleinere
Masse zuteil worden, auch die Ermangelung des
zum Zirkellaufe erforderlichen Schwunges, folglich die
Exzentrizität nach sich gezogen, folglich sie in beiden
Stücken unvollständig gelassen hat,
Ist es diesem zufolge nicht wahrscheinlich, daß
die Abnahme a) der Exzentrizität der über dem Saturn
zunächst befindlichen Himmelskörper ohngefähr ebenso
10 gemäßigt als in den untern sei, und daß die Planeten
durch minder plötzliche Abfälle mit dem Geschlechte
der Kometen verwandt sein? Denn es ist gewiß, daß
eben diese Exzentrizität den wesentlichen Unterschied
zwischen den Kometen und Planeten macht, und die
Schweife und Dunstkugeln derselben nur deren Folge
sein; imgleichen, daß eben die Ursache, welche es
auch immerhin sein mag, die den Himmelskörpern
ihre Kreisbewegungen erteilet hat, bei größern Ent-
fernungen nicht allein schwächer gewesen, den
20 Drehungsschwung der Senkungskraft gleich zu machen,
und dadurch "die Bewegungen exzentrisch gelassen hat,
sondern auch eben deswegen weniger vermögend ge-
wesen, die Kreise dieser Kugeln auf eine gemein-
schaftliche Fläche, auf welcher sich die untern be-
wegen, zu bringen, und dadurch die Ausschweifung
der Kometen nach allen Gegenden veranlasset hat.
Man würde nach dieser Vermutung noch vielleicht
die Entdeckung neuer Planeten über dem Saturn zu
hoffen haben, die exzentrischer als dieser und also der
SO kometischen Eigenschaft näher sein würden; aber eben
daher würde man sie nur eine kurze Zeit, nämlich
in der Zeit ihrer Sonnennähe, erblicken können, welcher
Umstand zusamt dem geringen Maße der Annäherung
und der Schwäche des Lichts die Entdeckung der-
selben b) bisher verhindert haben und auch aufs
künftige schwer machen müssen. Der letzte Planet
a) Hierzu bemerkt Rahts: Ak. Ausg. S. 549 „soll wohl
heißen „Zunahme der Exzentrizität", da nach Kants Aus-
führungen die Bahnen vom Saturn nach den Kometen zu
immer exzentrischer werden". Vgl. S. 80f.
b) „desselben" A.
I. Teil. Von d. systemat. Verfass. unter d. Fixsternen. 53
und erste Komet würde, wenn es so beliebte, der-
jenige können genannt werden, dessen Exzentrizität so
groß wäre, daß er in seiner Sonnennähe den Kreis
des ihm nächsten Planeten, vielleicht also des Saturns,
durchschnitte. *)
*j Der Teil dieses Abschnitts, der von den zunehmenden
Exzentrizitäten mit wachsendem Abstand von der Sonne
handelt (von S. 50 „Der Lehrbegriff-' an bis zum Schluß;,
fehlt in Gensichens Auszug vollständig und ist wohl auf
Kants Veranlassung unterdrückt worden. Vgl. Ak. Ausg.
S. 549.
Allgemeine
Naturgeschichte und Theorie des Himmels
Zweiter Teil
Von dem ersten Zustande der Natur, der
Bildung der Himmelskörper, den Ursachen
ihrer Bewegung und der systematischen Be-
ziehung derselben sowohl in dem Planeten-
gebäude insonderheit, als auch in Ansehung
der ganzen Schöpfung
Schau sich die bildende Natur zu ihrem
großen Zweck beweg-en,
Ein jedes Sonnenstäubchen sich zu einem
andern Stäubchen regen,
Ein jedes, das gezogen wird, das andre
wieder an sich ziehn,
Das nächste wieder zu umfassen, es zu formieren
sich bemühn.
Beschaue die Materie auf tausend Art und
Weise sich
Zum allgemeinen Centro drängen.
Pope.
/
Allgemeine
Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Zweiter Teil.
Erstes Hauptstück.
Von dem Ursprünge des planetischen Weltbaues überhaupt und
den Ursachen ihrer Bewegungen.
Die Betrachtung des Weltbaues zeiget in Ansehung
der gewechselten Beziehungen, die seine Teile unter-
einander haben, und wodurch sie die Ursache be-
zeichnen, von der sie herstammen, zwo Seiten, welche 10
beide gleich wahrscheinlich und annehmungswürdig
sein. Wenn man einesteils erwäget, daß 6 Planeten
mit 9 a) Begleitern, die um die Sonne, als ihren Mittel-
punkt, Kreise beschreiben, alle nach einer Seite sich
bewegen, und zwar nach derjenigen, nach welcher sich
die Sonne selber drehet, welche ihrer alle Umläufe
durch die Kraft der Anziehung regieret, daß ihre
Kreise nicht weit von einer gemeinen Fläche ab-
weichen, nämlich von der verlängerten Äquatorsfläche
der Sonnen, daß bei den entferntesten der zur Sonnen- -20
weit gehörigen Himmelskörper, wo die gemeine
Ursache der Bewegung dem Vermuten nach nicht so
kräftig gewesen als in der Nahheit zum Mittel-
punkte, Abweichungen von der Genauheit dieser Be-
stimmungen stattgefunden, die mit dem Mangel der
eingedrückten Bev/egung ein genügsames Verhältnis
haben, wenn man, sage ich, allen diesen Zusammen-
a) Kehrbach u. Kahts \k. Ausg. „10" vgl. S. 148.
58 Allgemeine Xaturgeschicbte und Theorie des Himmels.
hang erwäget, so wird man bewogen, zu glauben,
daß eine Ursache, welche es auch sei, einen durch-
gängigen Einfluß in dem ganzen Räume des Systems
gehabt hat, und daß die Einträchtigkeit in der Rich-
tung und Stellung der planetischen Kreise eine Folge
der Übereinstimmung sei, die sie alle mit derjenigen
materialischen Ursache gehabt haben müssen, dadurch
sie in Bewegung gesetzet worden.
Wenn wir andernteils den Raum erwägen, in dem
10 die Planeten unsers Systems herumlaufen, so ist er
vollkommen leer*) und aller Materie beraubt, die eine
Gemeinschaft des Einflusses auf diese Himmelskörper
verursachen und die Übereinstimmung unter ihren Be-
wegungen nach sich ziehen könnte. Dieser Umstand ist
mit vollkommener Gewißheit ausgemacht und übertrifft
noch, wo möglich, die vorige Wahrscheinlichkeit.
Newton, durch diesen Grund bewogen, konnte keine
materialische Ursache verstatten, die durch ihre
Erstreckung in dem Räume des Planetengebäudes
20 die Gemeinschaft der Bewegungen unterhalten sollte.
Er behauptete, die unmittelbare Hand Gottes habe
diese Anordnung ohne die Anwendung der Kräfte
der Natur ausgerichtet.
Man siehet bei unparteiischer Erwägung, daß die
Gründe hier von beiden Seiten gleich stark und beide
einer völligen Gewißheit gleich zu schätzen sein. Es
ist aber ebenso klar, daß ein Begriff sein müsse, in
welchem diese dem Scheine nach wider einander strei-
tende Gründe vereiniget werden können und sollen,
30 und daß in diesem Begriffe das wahre System zu
suchen sei. Wir wollen ihn mit kurzen Worten an-
zeigen. In der jetzigen Verfassung des Raumes, darin
die Kugeln der ganzen Planetenwelt umlaufen, ist keine
materialische Ursache vorhanden, die ihre Bewegungen
*) Ich untersuche hier nicht, ob dieser Raum in dem
allereigentlichsten Verstände könne leer genannt werden.
Denn alihier ist genug, zu bemerken, daß alle Materie,
die etwa in diesem Räume anzutreffen sein möchte, viel zu
unvermögend sei, als daß sie in Ansehung der bewegten
Massen, von denen die Frage ist, einige Wirkung verüben
könnte.
II. Teil. 1. Hauptst. "\'on dem Ursprünge etc. 59
eindrücken oder richten könnte. Dieser Raum ist voll-
kommen leer, oder wenigstens so gut als leer; also
muß er ehemals anders beschaffen und mit genugsam
vermögender Materie erfüllet gewesen sein, die Be-
wegung auf alle darin befindliche Himmelskörper zu
übertragen, und sie mit der ihrigen, folglich alle unter-
einander einstimmig zu machen; und nachdem die An-
ziehung besagte Räume gereinigt und alle ausgebreitete
xMaterie in besondere Klumpen versammlet, so müssen
die Planeten nunmehro mit der einmal eingedrückten 10
Bewegung ihre Umläufe in einem nicht widerstehenden
Räume frei und unverändert fortsetzen. Die Gründe
der zuerst angeführten Wahrscheinlichkeit erfordern
durchaus diesen Begriff, und weil zwischen beiden
Fällen kein dritter möglich ist, so kann dieser müt
einer vorzüglichen Art des Beifalles, welcher ihn über
die Scheinbarkeit einer Hypothese erhebet, angesehen
werden. Man könnte, wenn man weitläuftig sein wollte,
durch eine Reihe aus einander gefolgerter Schlüsse nach
der Art einer mathematischen Methode mit allem Ge- 20
prange, den diese mit sich führet, und noch mit
größerem Schein, als ihr Aufzug in physischen Materien
gemeinhin zu sein pfleget, endlich auf den Entwurf
selber kommen, den ich von dem Ursprünge des Welt-
gebäudes darlegen werde; allein ich will meine
Meinungen lieber in der Gestalt einer Hypothese vor-
tragen und der Einsicht des Lesers es überlassen,
ihre Würdigkeit zu prüfen, als durch den Schein einer
erschlichenen Überführung ihre Gültigkeit verdächtig
machen, und, indem ich die Unwissenden einnehme, 30
den Beifall der Kenner verlieren.
Ich nehme an, daß alle Materien, daraus die Kugeln,
die zu unserer Sonnenwelt gehören, alle Planeten und
Kometen bestehen, im Anfange aller Dinge in ihren
elementarischen Grundstoff aufgelöset, den ganzen
Raum des Weltgebäudes erfüllet haben, darin jetzo
diese gebildete Körper herumlaufen. Dieser Zustand
der Natur, wenn man ihn, auch ohne Absicht auf ein
System an und vor sich selbst betrachtet, scheinet
nur der einfachste zu sein, der auf das Nichts folgen 40
kann. Damals hatte sich noch nichts gebildet. Die
Zusammensetzung voneinander abstehender Himmels-
CO Allgemeine Naturgeschichte und Theorie deß Himmels.
körper, ihre nach den Anziehungen gemäßigte Ent-
fernung, ihre Gestalt, die aus dem Gleichgewichte
der versammleten Materie entspringet, sind ein späterer
Zustand. Die Natur, die unmittelbar mit der Schöpfung
grenzete, war so roh, so ungebildet, als möglich. Allein
auch in den wesentlichen Eigenschaften der Elemente,
die das Chaos ausmachen, ist das Merkmal derjenigen
Vollkommenheit zu spüren, die sie von ihrem Ur-
sprünge her haben, indem ihr Wesen aus der ewigen
10 Idee des göttlichen Verstandes eine Folge ist. Die
einfachsten, die allgemeinsten Eigenschaften, die ohne
Absicht scheinen entworfen zu sein, die Materie, die
bloß leidend und der Formen und Anstalten be-
dürftig zu sein scheinet, hat in ihrem einfachsten Zu-
stande eine Bestrebung, sich durch eine natürliche
Entwickelung zu einer vollkommeneren Verfassung zu
bilden. Allein die Verschiedenheit in den Gat-
tungen der Elemente traget zu der Regung der
Natur und zur Bildung des Chaos das Vornehmste bei,
20 als wodurch die Ruhe, die bei einer allgemeinen Gleich-
heit unter den zerstreuten Elementen herrschen würde,
gehoben wird^), und das Chaos in den Punkten der
stärker anziehenden Partikeln sich zu bilden anfängt.
Die Gattungen dieses Grundstoffes sind ohne Zweifel
nach der Unermeßlichkeit, die die Natur an allen Seiten
zeigt, unendlich verschieden. Die von größter spezi-
fischen Dichtigkeit und Anziehungskraft, welche an und
vor sich weniger Raum einnehmen und auch seltener
sein, werden daher bei der gleichen Austeilung in dem
30 Räume der Welt zerstreuter als die leichtern Arten
sein. Elemente von lOOOmal größerer spezifischen
Schwere sind tausend, vielleicht auch millionenmal zer-
streuter als die in diesem Maße leichtern. Und da
diese Abfälle so unendlich als möglich müssen gedacht
werden, so wird, gleichwie es körperliche Bestand-
teile von einer Gattung geben kann, die eine andere
in dem Maße an Dichtigkeit übertrifft, als eine Kugel,
die mit dem Radius des Planetengebäudes beschrieben
worden, eine andere, die den tausendsten Teil einer
40 Linie im Durchmesser hat, also auch jene Art von
a) „wii'd" fehlt A. corr. Ak. Ausg.
IL Teil. 1. Hauptst. Von dem Ursprünge etc. ßl
zerstreuten Elementen um einen so viel größern Ab-
stand voneinander entfernet sein, als diese.
Bei einem auf solche Weise erfüllten Räume dauert
die allgemeine Ruhe nur einen Augenblick. Die Ele-
mente haben wesentliche Kräfte, einander in Bewegung
zu setzen, und sind sich selber eine Quelle des Lebens.
Die Materie ist sofort in Bestrebung, sich zu bilden.
Die zerstreuten Elemente dichterer Art sammlen, ver-
mittelst der Anziehung, aus einer Sphäre rund um sich
alle Materie von minder spezifischer Schwere; sie selber 10
aber zusamt der Materie, die sie mit sich vereinigt
haben, sammlen sich in den Punkten, da die Teilchen
von noch dichterer Gattung befindlich sein, diese
gleichergestalt zu noch dichteren, und so fortan. In-
dem man also dieser sich bildenden Natur in Gedanken
durch den ganzen Raum des Chaos nachgehet, so wird
man leichtlich inner daß alle Folgen dieser Wirkung
zuletzt in der Zusammensetzung verschiedener Klumpen
bestehen würden f») die nach 'Verrichtung ihrer Bil-
dungen durch die Gleichheit der Anziehung ruhig und 20
auf immer unbewegt sein würden.
Allein die Natur hat noch andere Kräfte im Vor-
rat, welche sich vornehmlich äußern, wenn die Materie
in feine Teilchen aufgelöset ist, als wodurch selbige
einander zurückstoßen und durch ihren Streit mit der
Anziehung diejenige Bewegung hervorbringen, b) die
gleichsam ein dauerhaftes Leben der Natur ist. Durch
diese Zurückstoßungskraft, die sich in der Elastizität
der Dünste, dem Ausflusse starkriechender Körper und
der Ausbreitung aller geistigen Materien offenbaret 30
und die ein unstreitiges Phänomenen der Natur ist,
werden die zu ihren Anziehungspunkten sinkende Ele-
mente c) durcheinander von der geradlinichten Bewe-
gung seitwärts gelenket, und der senkrechte Fall
a) „würde-'.
b) „hervorbringen können" Gensichen a. o. a. 0. wahr-
scheinlich Kants eigene Korrektur s. Ak. Ausg. Bd. I S. 650.
c) „wenn der Widerstand, den sie im Fallen gegenein-
ander seitwärts ausüben, nicht genau von allen Seiten gleich
ist, welches sich nicht wohl annehmen läßt". Zusatz bei
Gensichen vgl. b).
(32 Allgemeine Xaturgeschichte und Theorie des Himinela.
schlägt '^l in Kreisbewegungen aus, die den Mittel-
punkt der Senkung umfassen. Wir wollen, um die Bil-
dung des Weltbaues deutlich zu begreifen, unsere Be-
trachtung von dem unendlichen Inbegriffe der Natur
auf ein besonderes System einschränken, so wie dieses
zu unserer Sonne gehörige ist. Nachdem wir die Er-
zeugung desselben erwogen haben, so werden wir auf
eine ähnliche Weise zu dem Ursprünge der höhern
Weltordnungen fortschreiten und die Unendlichkeit der
10 ganzen Schöpfung in einem Lehrbegriffe zusammen-
fassen können.
Wenn demnach ein Punkt in einem sehr großen
Räume befindlich ist, wo die Anziehung der daselbst
befindlichen Elemente stärker als allenthalben um sich
wirket, so wird der in dem ganzen Umfange ausge-
breitete Grundstoff elementarischer Partikeln sich zu
diesem hinsenken. Die erste Wirkung dieser allge-
meinen Senkung ist die Bildung eines Körpers in diesem
Mittelpunkte der Attraktion, welcher sozusagen von
20 einem unendlich kleinen Keime'') in schnellen Graden
fortwächset, aber in eben der Maße, als diese Masse
sich vermehret, auch mit stärkerer Kraft die um-
gebenden Teile zu seiner Vereinigung beweget Wenn
die Masse dieses Zentralkörpers so weit angewachsen
ist, daß die Geschwindigkeit, womit er die Teilchen
von großen Entfernungen zu sich zieht, durch die
schwachen Grade der Zurückstoßung, womit selbige
einander hindern, seitwärts gebeuget in Seiten-
bewegungen ausschlaget, die den Zentralkörper, ver-
30 mittelst der Zenterfliehkraft, in einem Kreise zu um-
fassen imstande sein, so erzeugen sich große Wirbel
von Teilchen, deren jedes vor sich krumme Linien
durch die Zusammensetzung der anziehenden und der
seitwärts gelenkten Umwendungskraft beschreibet;
welche Arten von Kreisen alle einander durchschneiden,
wozu ihnen 'ihre große Zerstreuung in diesem Räume
Platz läßt. Indessen sind diese auf mancherlei Art
a) „schlägt so zuletzt" Zusatz im Auszug von Gensichen
eiehe b, S. 62).
b) „anfänglich langsam (durch chemische Anziehung), dar-
auf aber in schnellen Graden (durch die sogenannte New-
tonische . . ." Zusatz Kants, Gensichen a. o. a. 0.
II. Teil. 1. Hauptst, Von dem Ursprünge etc. 63
untereinander streitende Bewegungen natürlicherweise
betrebt, einander zur Gleichheit zu bringen, das ist
in einen Zustand, da eine Bewegung der andern so
wenig als möglich hinderlich ist. Dieses geschiehet
erstlich, indem die Teilchen eines des andern Be-
wegung so lange einschränken, bis alle nach einer
Richtung fortgehen; zweitens, daß die Partikeln ihre
Vertikalbewegung, vermittelst der sie sich dem Centro
der Attraktion nähern, so lange einschränken, bis sie
alle-i) horizontal, d. i. in parallel laufenden Zirkeln um 10
die Sonne als ihren Mittelpunkt beweget, einander
nicht mehr durchkreuzen und durch die Gleichheit
der Schw^mgskraft mit der senkenden sich in freien
Zirkelläufen in der Höhe, da sie schweben, immer er-
halten; so daß endlich nur diejenige Teilchen in dem
Umfange des Raumes schweben bleiben, die durch
ihr Fallen eine Geschwindigkeit, und durch die Wider-
stehung der andern eine Richtung bekommen haben,
dadurch sie eine freie Zirkelbewegung fortsetzen
können. In diesem Zustande, da alle Teilchen nach 20
einer Richtung und in parallellaufenden Kreisen, näm-
lich in freien Zirkelbewegungen durch die erlangt«
Schwungskräfte um den Zentralkörper laufen, ist der
Streit und der Zusammenlauf der Elemente gehoben,
und alles ist in dem Zustande der kleinsten Wechsel-
wirkung. Dieses ist die natürliche Folge, darein sich
allemal eine Materie, die in streitenden Bewegungen
begriffen ist, versetzet. Es ist also klar, daß von der
zerstreuten Menge der Partikeln eine große Menge
durch den Widerstand, dadurch sie einander auf diesen 30
Zustand zu bringen suchen, zu solcher Genauheit der
Bestimmungen gelangen muß; obgleich eine noch viel
größere Menge dazu nicht gelanget, und nur dazu
dienet, den Klumpen des Zentralkörpers zu vermehren,
in welchen sie sinken, indem sie sich nicht in der Höhe,
darin sie schweben, frei erhalten können, sondern die
Kreise der untern durchkreuzen und endlich durch
deren Widerstand alle Bewegung verlieren. Dieser
Körper in dem Mittelpunkte der Attraktion, der diesem
zufolge das Hauptstück des planetischen Gebäudes 40
aj „gleichsam horizontal" Zusatz Kants, Gensichen.
64 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
durch die Menge seiner versammleten Materie worden
ist, ist die Sonne, ob sie gleich diejenige flammende
Glut alsdenn noch nicht hat, die nach völlig vollen-
deter Bildung auf ihrer Oberfläche hervorbricht.
Noch ist zu bemerken: daß, indem also alle Ele-
mente der sich bildenden Natur, wie erwiesen, nach
einer Richtung um den Mittelpunkt der Sonne sich be-
wegen, bei solchen nach einer einzigen Gegend gerich-
teten Umläufen, die gleichsam auf einer gemeinschaft-
10 liehen Achse geschehen, die Drehung der feinen Materie
in dieser Art nicht bestehen kann; weil nach den Ge-
setzen der Zentralbewegung alle Umläufe mit dem Plan
ihrer Kreise den Mittelpunkt der Attraktion durch-
schneiden müssen, unter allen diesen aber um eine ge-
meinschaftliche Achse nach einer Richtung laufenden
Zirkeln nur ein einziger ist, der den Mittelpunkt der
Sonne durchschneidet, daher alle Materie von beiden
Seiten dieser in Gedanken gezogenen Achse nach dem-
jenigen Zirkel hineilet, der durch die Achse der Drehung
20 gerade in dem Mittelpunkte der gemeinschaftlichen
Senkung gehet, a) Welcher Zirkel der Plan der Be-
a) Zu dieser Stelle bemerkte Öttingen: „Kants Allge-
meine Naturgeschichte usw." in Ostwalds Klassikern der
exakten Wissenschaften, Leipzig 1898, S. 153. „Der ganze
Absatz gehört wohl zu den verworrensten und schlechtest
stylisierten der ganzen Abhandlung. Dazu kommt noch,
daß in allen späteren Ausgaben die Worte , Achse der
Drehung' in , Drehung der Achse'*) umgeändert worden sind,
wodurch die Verwirrung erheblich vermehrt worden ist.
Die Stelle ist indes wichtig für das ganze Kantsche System.
Darum muß man versuchen, seine Auffassung mit anderen
Worten wiederzugeben, mit möglichst engem Anschluß an
seine Gedankenreihe. Die von uns veränderten Worte heben
wir durch gesperrten Druck hervor: ,Noch ist zu bemerken,
daß indem also alle Elemente der sich bildenden Natur,
wie erwiesen, in einem Sinne um die Sonne sich be-
wegen, bei solchen in einerlei Sinne statthabenden
Umläufen die Fortbewegung feiner Materie in dieser
Art nicht bestehen kann, weil nach Gesetzen der Zentral-
bewegung alle Umlaufs ebenen den Mittelpunkt der At-
*) z.B. Ausg. V. 1797, dagegen nicht Hartenstein, Kehr-
bach. Ak. Ausg-.
II. Teil. 1. Hauptst. Von dem Ursprünge etc. 65
Ziehung aller herumschwebenden Elemente ist, um
welchen sie sich so sehr als möglich häufen, und da-
gegen die von dieser Fläche entferneten Gegenden leer
lassen; denn diejenigen, welche dieser Fläche, zu
welcher sich alles dränget, nicht so nahe kommen
können, werden sich in den Örtern, wo sie schweben,
nicht immer erhalten können, sondern, indem sie an
die herumschwebenden Elemente stoßen, ihren end-
lichen Fall zu der Sonne veranlassen.
Wenn man also diesen .herumschwebenden Grund- 10
Stoff der Weltmaterie in solchem Zustande, darin er
sich selbst durch die Anziehung und durch einen
mechanischen Erfolg der allgemeinen Gesetze des
Widerstandes versetzet, erwäget, so sehen wir einen
Raum, der zwischen zwei nicht weit voneinander ab-
stehenden Flächen, in dessen Mitte der allgemeine Plan
der Beziehung sich befindet, begriffen ist, von dem
Mittelpunkte der Sonne an in unbekannte Weiten aus-
gebreitet, in welchem alle begriffene Teilchen, jegliche
nach Maßgebung ihrer Höhe und der Attraktion, die da- 20
selbst herrschet, abgemessene Zirkelbewegungen in
freien Umläufen verrichten, und daher, indem sie bei
solcher Verfassung einander so v/enig als möglich mehr
hindern, darin immer verbleiben würden, wenn die An-
ziehung dieser Teilchen des Grundstoffes untereinander
nicht alsdenn anfinge, seinem) Wirkung zu tun und neue
Bildungen, die der Same zu Planeten, welche entstehen
sollen, sein, dadurch veranlassete. Denn indem die um
die Sonne in parallelen Zirkeln bewegte Elemente, in
nicht gar zu großem Unterschiede des Abstandes von 30
traktion durchschneiden müssen; alle um eine gemeinschaft-
liche Achse gedachten einander parallelen Bahnen
liegen in Ebenen, von denen nur eine den Mittel-
punkt der Sonne durchschneidet, daher alle Materie von
beiden Seiten nach dieser Ebene hineilet, die die Achse
der Drehung gerade im Mittelpunkt der Attraktion
schneidet.' Und weiter: Diese Ebene ist der Plan der
Beziehung aller herumschwebenden Elemente . . . usw."
Mögen die Herrn Herausgeber der Umsetzung in Drehung
der Achse einen andern Kommentar geben. Der von Kant
gedachte „Plan der Beziehung" ist kurz gesagt der Äquator",
a) „ihre"?
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I. 5
66 Allgemeine Xaturgeschichte und Theorie des Hiuimels.
der Sonne genommen, durch die Gleichheit der paral-
lelen Bewegung beinahe in respektiver Ruhe gegen-
einander sein, so tut die Anziehung der daselbst befind-
lichen Elemente von übertreffender spezifischer At-
traktion sogleich hier eine beträchtliche Wirkung,*)
die Sammlung der nächsten Partikeln zur Bildung eines
Körpers anzufangen, der, nach dem Maße des An-
wuchses seines Klumpens, seine Anziehung weiter aus-
breitet und die Elemente aus weitem Umfange zu seiner
10 Zusammensetzung bewegt.
Die Bildung der Planeten in diesem System hat
vor einem jeden möglichen Lehrbegriffe dieses voraus:
daß der Ursprung der Massen zugleich den Ursprung
der Bewegungen und die Stellung der Kreise in eben-
demselben Zeitpunkte darstellet; ja, daß sogar die Ab-
weichungen von der größesten Genauheit in diesen
Bestimmungen ebensowohl als die Übereinstimmungen
selber in einem Anblicke erhellen. Die Planeten bilden
sich aus den Teilchen, welche in der Höhe, da sie
20 schweben, genaue Bewegungen zu Zirkelkreisen haben;
also werden die aus ihnen zusammengesetzte
Massen ebendieselbe Bewegungen in eben dem
Grade nach ebenderselbenRichtungfortsetzen.
Dieses ist genug, um einzusehen, woher die Bewegung
der Planeten ohngefähr zirkeiförmig, und ihre Kreise
auf einer Fläche sein, Sie würden auch ganz genaue
*; Der Anfang der sich bildenden Planeten ist nicht
allein in der Newtonischen Anziehung zu suchen. Diese
würde bei einem Partikelchen von so ausnehmender Feinig-
keit gar zu langsam und schwach sein. Man würde -vdel-
mehr sagen, daß in diesem Räume die erste Bildung
durch den Zusammenlauf einiger Elemente, die sich durch
die gewöhnlichen Gesetze des Zusammenhanges vereinigen,
geschehe, bis derjenige Klumpen, der daraus entstanden,
nach und nach so weit angewachsen, daß die Newtonische
Anziehungskraft an ihm vermögend *) geworden, ihn
durch seine Wirkung in die Feme immer mehr zu ver-
größern.
a) „vermögend" wohl im Sinne von merklich zu nehmen.
Ottingen a. o. a. 0. S. 154.
II. Teil. 1. Hauptst. Von dem Ursprünge etc. 67
Zirkel sein,*) wenn die Weite, daraus sie die Elemente
zu ihrer Bildung versammlen, sehr klein, und also
der Unterschied ihrer Bewegungen sehr gering wäre.
Da aber dazu ein weiter Umfang gehöret, aus dem feinen
Grundstoffe, der in dem Himmelsraum so sehr zer-
streuet ist, einen dichten Klumpen eines Planeten zu
bilden, so ist der Unterschied der Entfernungen, die
diese Elemente von der Sonne haben, und mithin
auch der Unterschied ihrer Geschwindigkeiten nicht
mehr geringschätzig; folglich würde nötig sein, daß, 10
um bei diesem Unterschiede der Bewegungen dem
Planeten die Gleichheit der Zentralkräfte und die Zirkel-
geschwindigkeit zu erhalten, die Teilchen, die
aus verschiedenen Höhen mit verschiedenen Be-
v/egungen auf ihm zusammenkommen, eine den Mangel
der andern genau ersetzten, welches, ob es gleich
in der Tat ziemlich genau geschiehet, **) dennoch, da
an dieser vollkommenen Ersetzung etwas fehlet, den
Abgang an der Zirkelbewegung und die Exzentrizität
nach sich ziehet. Ebenso leicht erhellet, daß, obgleich 20
die Kreise aller Planeten billig auf einer Fläche sein
sollten, dennoch auch in diesem Stücke eine kleine Ab-
weichung anzutreffen ist, weil, wie schon erwähnet, die
elementarischen Teilchen, da sie sich dem allgemeinen
Bestehungsplane^) ihrer Bewegungen so nahe als möglich
*) Diese abgemessene Zirkelbewegung betrifft eigent-
lich nur die der Sonne nahen Planeten; denn von den
großen Entfernungen, da sich die entlegensten Planeten
oder auch die Kometen gebildet haben, ist leicht zu vermuten,
daß, weil die sinkende Bewegung des Grundstoffs daselbst
viel schwächer, die Weitläuftigkeit der Räume, da sie zer-
streuet sein, auch größer ist, die Elemente daselbst an und vor
sich schon von der zirkelgleichen Bewegung abweichen und
dadurch die Ursache der daraus gebildeten Körper sein müssen.
**) Denn die Teilchen von der zur Sonne nähern Ge-
gend, welche eine größere Umlaufsgeschwindigkeit haben
als in dem Orte, da sie auf dem Planeten sich versammlen,
zur Zirkelbewegung erfordert wird, ersetzen dasjenige, was
denen von der Sonne entfernteren Teilchen, die sich eben-
demselben Körper einverleiben, an Geschwindigkeit fehlet,
um in dem Abstände des Planeten zirkeiförmig zu laufen.
a) „Beziehungsplane"?
68 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
befinden, dennoch einigen Raum von beiden Seiten des-
selben einschließen; da es denn ein gar zu glückliches
Ohngefähr sein würde, wenn gerade alle Planeten ganz
genau in der Mitte zwischen diesen zwei Seiten in der
Fläche der Beziehung selber sich zu bilden anfangen
sollten, welches denn schon einige Neigung ihrer Kreise
gegeneinander veranlasset, obschon die Bestrebung der
Partikeln, von beiden Seiten diese Ausweichung so sehr
als möglich einzuschränken, ihr nur enge Grenzen zu-
10 lasset. Man darf sich also nicht wundern, auch hier die
größeste Genauheit der Bestimmungen so wenig wie
bei allen Dingen der Natur, anzutreffen weil überhaupt
die Vielheit der Umstände, die an jeglicher Natur-
beschaffenheit Anteil nehmen, eine abgemessene Regel-
mäßigkeit nicht verstattet.
Zweites Hauptstück.
Von der verschiedenen Dichtigkeit der Planeten und dem
Verliältnisse ihrer Massen.
Wir haben gezeiget, daß die Teilchen des elemen-
20 tariscben Grundstoffes, da sie an und vor sich in dem
Welträume gleich ausgeteilet waren, durch ihr Nieder-
sinken zur Sonne in den Orten schweben geblieben,
wo ihre im Fallen erlangte Geschwindigkeit gerade die
Gleichheit gegen die Anziehung leistete, und ihre Rich-
tung so, wie sie bei der Zirkelbewegung sein soll, senk-
recht gegen den Zirkelstrahl gebeuget worden. Wenn
wir nun aber Partikeln von unterschiedlicher spezi-
fischer Dichtigkeit in gleichem Abstände von der Sonne
gedenken, so dringen die von größerer spezifischen
30 Schwere tiefer durch den Widerstand der andern zur
Sonne hindurch und werden nicht sobald von ihrem
Wege abgebeuget, als die leichteren; daher ihre Be-
wegung nur in einer größeren Annäherung zur
Sonne zirkelförmicht wird. Dagegen werden die Ele-
mente leichterer Art eher von dem geradlinichten Falle
abgebeuget in Zirkelbewegungen ausschlagen, ehe sie
so tief zu dem Zentro hindurchgedrungen sein, und
II. Teil. 2. Hauptst. V. der versch. Dichtigkeit etc. 69
also in größeren Entfernungen schweben bleiben,»)
auch durch den erfüllten Raum der Elemente nicht so
tief hindurchdringen können, ohne daß ihre Bewegung
durch dieser ihren Widerstand geschwächet wird, und
sie die großen Grade der Geschwindigkeit, die zur
Umwendung näher beim Mittelpunkte erfordert werden,
nicht erlangen können; b) also werden, nach erlangter
Gleichheit der Bewegungen, die spezifisch leichtern
Partikeln in weitern Entfernungen von der Sonne um-
laufen, die schwereren aber in den näheren anzu- 10
treffen sein, und die Planeten, die sich aus ihnen bilden,
werden daher dichterer Art sein, welche sich näher
zur Sonne, als die sich weiter von ihr aus dem Zu-
sammenlaufe dieser Atomen formieren.
Es ist also eine Art eines statischen Gesetzes,
welches den Materien des Weltraumes ihre Höhen nach
dem verkehrten Verhältnisse der Dichtigkeit bestimmet.
Gleichwohl ist es, ebenso leicht zu begreifen: daß nicht
eben eine jegliche Höhe nur Partikeln von gleicher
spezifischen Dichtigkeit einnehmen müsse. Von denen 20
Teilchen von gewisser spezifischen Gattung bleiben
diejenigen in größern Weiten von der Sonne schweben
und erlangen die zur beständigen Zirkelbewegung er-
forderliche Mäßigung ihres Falles in weiterm Abstände,
welche von größern Entfernungen zu ihr herabgesunken;
dagegen die, deren ursprünglicher Ort bei der all-
gemeinen Austeilung der Materien im Chaos der Sonne
näher war, ungeachtet ihrer nicht größern Dichtig-
keit näher zu dieser ihrem c) Zirkel des Umlaufs
kommen werden. Und da also die Örter der Materien, 30
in Ansehung des Mittelpunkts ihrer Senkung nicht allein
durch die spezifische Schwere derselben, sondern auch
durch ihre ursprüngliche Plätze bei der ersten Ruhe
der Natur bestimmet werden, so ist leicht zu erachten,
daß ihrer sehr verschiedene Gattungen in jedem Ab-
stände von der Sonne zusammenkommen werden,
a — b) Diese Stelle lautet bei Gensichen: ,.weil sie durch
den erfüllten Raum der Elemente nicht so tief hindurch-
dringen dürfen, damit ihre Bewegung, durch diesen ihren
Widerstand seitwärts gewandt, die zum. .freien Umlaufe er-
forderliche Geschwindigkeit erlange". Änderung Kants.
c) Rahts (Ak. Ausg.) „zu dieser zu ihrem".
70 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
um daselbst hängen a) zu bleiben, daß überhaupt aber
die dichtem Materien häufiger zu dem Mittelpunkte
hin, als weiter von ihm ab werden angetroffen werden,
und daß also, ungeachtet die Planeten eine Mischung
sehr verschiedentlicher Materien sein werden, dennoch
überhaupt ihre Massen dichter sein müssen, nach dem
Maße, als sie der Sonne näher sein, und minderer
Dichtigkeit, nachdem ihr Abstand größer ist.
Unser System zeiget in Ansehung dieses unter den
10 Planeten herrschenden Gesetzes ihrer Dichtigkeiten eine
vorzügliche Vollkommenheit von allen denjenigen Be-
griffen, die man sich von ihrer Ursache gemacht hat,
oder noch machen könnte. Newton, der die Dichtig-
keit einiger Planeten durch Rechnung bestimmet hatte,
glaubte die Ursache ihres, nach dem Abstände einge-
richteten Verhältnisses in der Anständigkeit der Wahl
Gottes und in den Bewegungsgründen seines Endzwecks
zu finden, weil die der Sonne näheren Planeten mehr
Hitze von ihr aushalten müssen, und die entferntem
20 mit wenigem Graden der Wärme sich behelfen sollen;
welches nicht möglich zu sein scheinet, wenn die der
Sonne nahen Planeten nicht dichterer Art, und die ent-
ferneteren von leichterer Materie zusammengesetzt
wären. Allein die Unzulänglichkeit einer solchen Er-
klärung einzusehen, erfordert nicht eben viel Nach-
sinnen. Ein Planet, z. E. unsere Erde, ist aus sehr
weit voneinander unterschiedenen Gattungen Materie
zusammengesetzt; unter diesen war es nun nötig, daß
die leichteren, die durch die gleiche Wirkung der Sonne
30 mehr durchdrungen und bewegt werden, deren Zu-
sammensatz ein Verhältnis zu der Wärme hat, womit
ihre Strahlen wirken, auf der Oberfläche ausgebreitet
sein mußten; allein daß die Mischung der übrigen
Materien im Ganzen des Klumpens diese Beziehung
haben müsse, erhellet hieraus gar nicht, weil die
Sonne auf das Innere der Planeten gar keine Wirkung
■ tut. Newton befürchtete, wenn die Erde bis zu der
Nähe des Merkurs in den Strahlen der Sonne versenket
würde, so dürfte sie wie ein Komet brennen, und ihre
40 Materie nicht genügsame Feuerbeständigkeit haben.
a) „schweben" Kant nach Gensichen.
II. Teil. 2. Hauptst. V. der versch. Dichtigkeit etc. 71
um durch diese Hitze nicht zerstreuet zu werden. Allein
um wieviel mehr müßte der Sonnen eigene Materie
selber, welche doch 4 mal leichter als die ist, daraus
die Erde besteht, von dieser Glut zerstöret werden;
oder warum ist der Mond zweimal dichter als die Erde,
da er doch mit dieser in ebendemselben Abstände
von der Sonne schwebet? Man kann also die pro-
portionierten Dichtigkeiten nicht der Verhältnis zu der
Sonnenwärme zuschreiben, ohne sich in die größeste
Widersprüche zu verwickeln. Man siehet vielmehr, eine 10
Ursache, die die Örter der Planeten nach der Dichtig-
keit ihres Klumpens austeilet, müsse auf das Innere
ihrer Materie und nicht auf ihre Oberfläche eine Be-
ziehung gehabt haben; sie müsse, ohnerachtet dieser
Folge, die sie bestimmete, doch eine Verschiedenheit
der Materie in ebendemselben Himmelskörper ver-
statten und nur im Ganzen des Zusammensatzes dieses
Verhältnis der Dichtigkeit festsetzen; welchem allen
ob irgendein anderes statisches Gesetz, als wie das,
so in unserer Lehrverfassung vorgetragen wird, ein 20
Gnüge leisten könne, überlasse ich der Einsicht des
Lesers, zu urteilen.
Das Verhältnis unter den Dichtigkeiten der Pla-
neten führet noch einen Umstand mit sich, der durch
eine völlige Übereinstimmung mit der vorher ent-
worfenen Erklärung die Richtigkeit unseres Lehrbe-
griffes bewähret. Der Himmelskörper, der in dem
Mittelpunkte anderer um ihn laufenden Kugeln stehet,
ist gemeiniglich leichterer Art als der Körper, der am
nächsten um ihn herumläuft. Die Erde in Ansehung 30
des Mondes und die Sonne in Ansehung der Erde
zeigen ein solches Verhältnis ihrer Dichtigkeiten. Nach
dem Entwürfe, den wir dargelegt haben, ist eine solche
Beschaffenheit notwendig. Denn da die untern Pla-
neten vornehrnJich von dem Ausschusse der elementa-
rischen Materien a) gebildet worden, welche durch den
Vorzug ihrer Dichtigkeit bis zu solcher Nähe zum
Mittelpunkte mit dem erforderlichen Grade der Ge-
schwindigkeit haben dringen können; dagegen der
Körper in dem Mittelpunkte selber, ohne Unterscheid 40
a) Materie A.
72 Allgemeine Naturgdscbiobte und Theorie des Himmels.
aus denen Materien aller vorhandenen Gattungen, die
ihre gesetzmäßige Bewegungen nicht erlanget haben,
zusammen gehäufet worden, unter welchen, da die
leichteren Materien den größesten Teil ausmachen, es
leicht einzusehen ist, daß, weil der nächste oder die
nächsten zu dem Mittelpunkte umlaufenden Himmels-
körper gleichsam eine Aussonderung dichterer Sorten,
der Zentralkörper aber eine Mischung von allen ohne
Unterschied in sich fasset, jenes seine Substanz dich-
10 terer Art als dieser sein werde. In der Tat ist auch
der Mond 2 mal dichter als die Erde, und diese 4 mal
dichter als die Sonne, welche allem Vermuten nach
von den noch tieferen, der Venus und dem Merkur,
in noch höheren Graden an Dichtigkeit wird übertroffen
werden.
Anjetzo wendet sich unser Augenmerk auf das
Verhältnis, welches die Massen der Himmelskörper,
nach unserem Lehrbegriff in Vergleichung ihrer Ent-
fernungen haben sollen, um das Resultat unseres
20 Systems an den untrüglichen Rechnungen des Newton
zu prüfen. Es bedarf nicht viel Worte, um begreiflich
zu machen: daß der Zentralkörper jederzeit das Haupt-
stück seines Systems, folglich die Sonne auf eine
vorzügliche Art an Masse größer als die gesamten
Planeten sein müsse; wie denn dieses auch vom Jupiter
in Ansehung seiner Nebenplancten und vom Saturn in
Betrachtung der seinigen gelten wird. Der Zentral-
körper bildet sich aus dem Niedersatze aller Partikeln
aus dem ganzen Umfange seiner Anziehungssphäre,
30 welche die genaueste Bestimmung der Zirkelbewegung
und die nahe Beziehung auf die gemeinschaftliche
Fläche nicht haben bekommen können, und deren ohne
Zweifel eine ungemein größere Menge, als der
letzteren sein muß. Um an der Sonne vornehmlich
diese Betrachtung anzuwenden: wenn man die Breite
des Raumes, um den die in Zirkeln umlaufende Par-
tikeln, welche den Planeten zum Grundstoffe gedienet
haben, am weitesten von der gemeinschaftlichen Fläche
abgewichen sind, schätzen will, so kann man sie ohn-
40 gefähr etwas größer, als die Breite der größesten Ab-
weichung der Planetenkreise voneinander annehmen.
Nun macht aber, indem sie von der gemeinschaft-
II. Teil. 2. Hauptst. Y. der versch. Dichtigkeit etc. 73
liehen Fläche nach beiden Seiten ausschweifen, ihre
größte Neigung gegeneinander kaum TV^ Grade aus.
Also kann man alle Materie, daraus die Planeten sich
gebildet haben, sich als in denjenigen Raum aus-
gebreitet gewesen vorstellen, der zwischen zwei Flächen
von dem Mittelpunkte der Sonne aus begriffen war,
die einen Winkel von 7V2 Grade einschlössen. Nun
ist aber eine nach der Richtung des größten Zirkels
gehende Zone von 7V2 Grad Breite etwas mehr als
der 17 te Teil der Kugelfläche, also der körperliche 10
Raum zwischen den zwo Flächen, die den sphärischen
Raum in der Breite obgedachten Winkels ausschneiden,
etwas mehr als der 17te Teil des körperlichen Inhaltes
der ganzen Sphäre. Also würde dieser Hypothese
gemäß alle Materie, die zur Bildung der Planeten
angewandt worden, ohngefähr den siebzehnten Teil
derjenigen Materie ausmachen, die die Sonne aus eben
der Weite, als der äußerste Planet stehet, von beiden
Seiten zu ihrer Zusammensetzung gesammlet hat. Allein
dieser Zentralkörper hat einen Vorzug des Klumpens 20
vor dem gesamten Inhalte aller Planeten, der nicht
zu diesem wie 17 : 1, sondern wie 650 zu 1 ist, wie
die Ausrechnung des Newton es bestimmet; aber es
ist auch leicht einzusehen, daß in den obern Räumen
über dem Saturn, wo die planetischen Bildungen ent-
weder aufhören oder dochf^) selten sein, wo nur einige
wenige kometische Körper sich gebildet haben, und
wo vornehmlich die Bewegungen des Grundstoffes, in-
dem sie daselbst nicht geschickt sein, zu der ge-
setzmäßigen Gleichheit der Zentralkräfte zu gelangen 30
als in der nahen Gegend zum Zentro, nur in eine fast
allgemeine Senkung zum Mittelpunktet') ausschlagen
und die Sonne mit aller Materie aus so weit aus-
gedehnten Räumen vermehren, daß, sage ich, aus diesen
Ursachen der Sonnenklumpen die so vorzügliche Größe
der Masse erlangen müsse.
Um aber die Planeten in Ansehung ihrer Massen
a) „im Verhältnis auf die Größe der Räume". Zusatz
Kants n. Gensichen.
b) „oder wie bei den Kometen in eine derselben nahe
Bewegung". Zusatz Kants n. Gensichen.
74 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
untereinander zu vergleichen, so bemerken wir erst-
lich, daß nach der angezeigten Bildungsart die Quan-
tität der Materie, die in den Zusammensatz eines
Planeten kommt, auf die Weite seiner Entfernung von
der Sonne vornehmlich ankomme; 1. darum, weil die
Sonne durch ihre Anziehung die Sphäre der Attraktion
eines Planeten einschränkt, aber bei gleichen Um-
ständen der entfernteren ihre nicht so enge einschränkt,
als der nahen, 2. weil die Zirkel, aus denen alle Teil-
10 chen zusammengekommen sein, einen entferntem a) Pla-
neten auszumachen, mit größerem Radius beschrie-
ben werden, also mehr Grundstoff, als die kleinern
Zirkel in sich fassen, 3. weil aus eben dem letzten
Grunde die Breite zwischen den zwei Flächen der
größesten Abweichung, bei gleicher Anzahl Grade,
in großen Höhen größer als in kleinen ist. Dagegen
wird dieser Vorzug der entfernteren Planeten vor den
niedrigem zwar dadurch eingeschränkt, daß die Par-
tikeln näher zur Sonne dichterer Art, und allem An-
20 sehen nach auch weniger zerstreuet, als in größerem
Abstände sein werden; allein man kann leicht er-
messen, daß die ersteren Vorteile zu Bildung großer
Massen, die letztern Einschränkungen dennoch weit
übertreffen, und überhaupt die Planeten, die sich in
weitem Abstände von der Sonne bilden, größere
Massen, als die nahen bekommen müssen. Dieses ge-
schiehet also, insoferne man sich die Bildung eines
Planeten nur als in Gegenwart der Sonne vorstellet;
allein wenn man mehrere Planeten in unterschied-
30 lichem Abstände sich bilden läßt, so wird einer den
Umfang der Attraktion des andern durch seine An-
ziehungssphäre einschränken, und dieses bringt eine
Ausnahme von dem vorigen Gesetze zuwege. Denn
derjenige Planet, welcher einem andern von ausnehmen-
der Masse nahe ist, wird sehr viel von der Sphäre
seiner Bildung verlieren und dadurch ungleich kleiner
werden, als das Verhältnis seines Abstandes von der
Sonne allein es erheischet. Obgleich also im Ganzen
die Planeten von größerer Masse sein, nachdem sie
40 weiter von der Sonne entfernt sind, wie denn über-
a) „entfernteren" Zusatz n. Gensichen.
II. Teil. 2. Hauptst. V. der versch. Dichtigkeit etc. 75
haupt Saturn und Jupiter, als die zwei Hauptstücke
unseres Systems, darum die größesten sein, weil sie
von der Sonne am weitesten entfernet sind, so finden
sich dennoch Abweichungen von dieser Analogie, in
denen aber jederzeit das Merkmal der allgemeinen
Bildung hervorleuchtet^ die wir von den Himmels-
körpern behaupten: dai3 nämlich ein Planet von aus-
nehmender Größe die nächsten von beiden Seiten der
ihnen wegen ihrer Sonnenweite gebührenden Masse
beraubet, indem er einen Teil der Materien sich zu- 10
eignet, die zu jener ihrer Bildung kommen sollten. In
der Tat hat Mars, der vermöge seines Ortes größer
als die Erde sein sollte, durch die Anziehungskraft
des ihm nahen so großen Jupiters an seiner Masse
eingebüßet; und Saturn selber, ob er gleich durch
seine Höhe einen Vorzug über den Mars hat, ist den-
noch nicht gänzlich befreiet gewesen, durch Jupiters
Anziehung eine beträchtliche Einbuße zu erleiden, und
mich dünkt, Merkur habe die ausnehmende Kleinig-
keit seiner Masse nicht allein der Anziehung der ihm 20
so nahen mächtigen Sonne, sondern auch der Nachbar-
schaft der Venus zu verdanken, welche, wenn man
ihre mutmaßliche Dichtigkeit mit ihrer Größe ver-
gleicht, ein Planet von beträchtlicher Masse sein muß.
Indem nun alles so vortrefflich, als man es nur
wünschen mag, zusammenstimmet, die Zulänglichkeit
einer mechanischen Lehrverfassung bei dem Ursprünge
des Weltbaues und der Himmelskörper zu bestätigen,
so wollen wir, indem wir den Raum schätzen, darin
der Grundstoff der Planeten vor ihrer Bildung aus- 30
gebreitet gewesen, erwägen, in welchem Grade der
Dünnigkeit dieser Mittelraum damals erfüllet gev\'esen,
und mit was vor Freiheit, oder wie wenigen Hinder-
nissen die herumschwebenden Partikeln ihre gesetz-
mäßige Bewegungen darin haben anstellen können.
Wenn der Raum, der alle Materie der Planeten in
sich begriff, in demjenigen Teile der Saturnischen
Sphäre enthalten war, der von dem Mittelpunkte der
Sonne aus, zwischen zwei um 7^) Grade weit in allen
Höhen voneinander abstehenden Flächen begriffen, und 40
a) „zwei und 7''. Hartenstein.
76 Allgemeine Naturg-eschiclite und Theorie des Himmels.
daher der siebenzehnte Teil der ganzen Sphäre war,
die man mit dem Radius der Höhe des Saturns be-
schreiben kann, so wollen wir, um die Veränderung
des planetischen Grundstoffs, da er diesen Raum er-
füllete, auszurechnen, nur die Höhe des Saturns
100 000 Erddiameter ansetzen; so wird die ganze
Sphäre des Saturnischen Kreises den Raumesinhalt der
Erdkugel 1000 Billionen mal-'») übertreffen; davon, wenn
wir anstatt des siebenzehnten Teiles auch nur den
10 zwanzigsten nehmen, der Raum, darin der elementa-
rische Grundstoff schwebete, den Raumesinhalt der
Erdkugel dennoch 50 Billionen") mal übertreffen muß.
Wenn man nun die Masse aller Planeten mit ihren
Begleitern Veso des Sonnenklumpens nach dem Newton
ansetzet, so wird die Erde, die nur ^/i692S2 derselben
ist, sich zu der gesamten Masse aller planetischen
Materie wie 1 zu 27672*0 verhalten; und wenn man
daher alle diese Materie zu gleicher spezifischen
Dichtigkeit mit der Erde brächte, würde daraus ein
20 Körper entstehen, der 27T^/.jma\ größern Raum als
die Erde einnähme. Wenn wir daher die Dichtigkeit
der Erde in ihrem ganzen Klumpen nicht viel größer
als die Dichtigkeit der festen Materie, die man unter
der obersten Fläche derselben antrifft, annehmen, wie
es denn die Eigenschaften der Figur der Erde nicht
anders erfordern, und diese obere Materien ohngefähr
4- oder 5 mal dichter als das Wasser, das Wasser
aber 1000 mal schwerer als die Luft ansetzen, so würde
die Materie aller Planeten, wenn sie zu der Dünnigkeit
30 der Luft ausgedehnet würden, einen fast 14 mal hun-
derttausendmal größern Raum als die Erdkugel ein-
nehmen. Dieser Raum mit dem Räume, in welchem
nach unserer Voraussetzung alle Materie der Planeten
ausgebreitet war, verglichen, ist dreißig Millionenmal
kleiner als derselbe; also macht auch die Zerstreuung
der planetischen Materie in diesem Räume eine ebenso
vielmal größere Verdünnung aus, als die die Teilchen
unserer Atmosphäre haben. In der Tat, diese Größe
a) „Bimillionen" A. Rabts Akademieausg. berichtigt
8000 Millionen mal.
b) Rahts Akad. berichtigt: wie 1:260 1/2.
II. Teil. 2. Hauptst. V. der verscli. Dichtigkeit etc. 7 7
der Zerstreuung, so unglaublich sie auch scheinen
mag, war dennoch weder unnötig, noch unnatürlich.
Sie mußte so groß als möglich sein, um den schweben-
den Partikeln alle Freiheit der Bewegung, fast so,
als in einem leeren Räume, zu verstatten, und den
Widerstand unendlich zu verringern, den sie einander
leisten können; sie konnten aber auch von selber
einen solchen Zustand der Verdünnung annehmen,
woran man nicht zweifeln darf, wenn man ein wenig
die Ausbreitung kennet, die die Materie leidet, wenn 10
sie in Dünste verwandelt ist; oder wenn man, um
bei dem Himmel zu bleiben, die Verdünnung der Materie
in den Schweifen der Kometen erwäget, die bei einer
so unerhörten Dicke ihres Durchschnittes, der den
Durchmesser der Erde wohl hundertmal übertrifft, den-
noch so durchscheinend sind, daß die kleinen Sterne
dadurch können gesehen werden; welches unsere Luft,
wenn sie von der Sonne erleuchtet wird, in einer
Höhe, die viel tausendmal kleiner ist, nicht verstattet.
Ich beschließe dieses Hauptstück, indem ich eine 20
Analogie hinzufüge, die an und vor sich allein gegen-
wärtige Theorie von der mechanischen Bildung der
Himmelskörper, über die Wahrscheinlichkeit der Hypo-
these, zu einer förmlichen Gewißheit erheben kann.
Wenn die Sonne aus den Partikeln desselben Grund-
stoffes, daraus die Planeten sich gebildet haben, zu-
sammengesetzt ist, und wenn nur darin allein der
Unterschied bestehet, daß in der ersteren die Materien
aller Gattungen ohne Unterschied gehäufet, bei diesen
aber in verschiedenen Entfernungen, nach Beschaffen- 30
heit der Dichtigkeit ihrer Sorten») verteilet worden,
so wird, wenn man die Materie aller Planeten zu-
sammen vereinigt betrachtet, in ihrer ganzen Ver-
mischung eine Dichtigkeit herauskommen müssen, die
der Dichtigkeit des Sonnenkörpers beinahe gleich ist.
Nun findet diese nötige Folgerung unseres Systems
eine glückliche Bestätigung in der Vergleichung, die
der Herr von Buffon, dieser so würdig berühmte
Philosoph, zwischen den Dichtigkeiten der gesamten
a) „durch ihre eigenen Anziehungskräfte" Zusatz Kants
n. Grensichen,
78 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
planetischen Materie und der Sonnen ihren a) ange-
stellet hat; er fand eine Ähnlichkeit zwischen beiden,
wie zwischen 640 und 650. Wenn ungekünstelte und
notwendige Folgerungen aus einer Lehrverfassung in
den wirklichen Verhältnissen der Natur so glückliche
Bestätigungen antreffen, kann man denn wohl glauben,
daß ein bloßes Ungefähr diese Übereinstimmung
zwischen der Theorie und der Beobachtung veran-
lasse?
10 Drittes Hauptstück.
Von der Exzentrizität der Planetenlcreise und dem Ursprünge
der Kometen.
Man kann aus den Kometen nicht eine besondere
Gattung von Himmelskörpern machen, die sich von
dem Geschlechte der Planeten gänzlich unterschiede.
Die Natur wirket hier, wie anderwärts, durch unmerk-
liche Abfälle, und indem sie alle Stufen der Ver-
änderungen durchgehet, hänget sie vermittelst einer
Kette von Zwischengliedern die entferneten Eigen-
20 Schäften mit den nahen zusammen. Die Exzentrizität
ist bei den Planeten eine Folge des Mangelhaften in
derjenigen Bestrebung, dadurch die Natur trachtet,
die planetischen Bewegungen gerade zirkelgleich zu
machen, welches sie aber, wegen Dazwischenkunft von
mancherlei Umständen, niemals völlig erlangen kann,
aber doch in größeren Weiten mehr, als in nahen,
davon abweichet.
Diese Bestimmung führet durch eine beständige
Leiter, vermittelst aller möglichen Stufen der Exzen-
30 trizität, von den Planeten endlich bis zu den Kometen;
und obzwar dieser Zusammenhang bei dem Saturn
durch eine große Kluft scheinet abgeschnitten zu sein,
die das kometische Geschlecht von den Planeten völlig
absondert, so haben wir doch in dem ersten Teile an-
gemerket, daß es vermutlich über dem Saturn noch
andere Planeten geben mag, die durch eine größere
a) „ihre" A., Rahts „ihrer" Akad. Ausg.
II. Teil. 3. Hauptst. Von der Exzentrizität etc. 79
Abweichung von der Zirkelrundung der Kreise dem
Laufe der Kometen näher treten, und daß es nur an
dem Mangel der Beobachtung, oder auch an der
Schwierigkeit derselben liegt, daß diese Verwandt-
schaft dem Auge nicht ebenso sichtbar als dem Ver-
stände vorlängst dargestellet worden.
Wir haben schon eine Ursache in dem ersten Haupt-
stücke dieses Teils angeführet, welche die Laufbahn
eines Himmelskörpers exzentrisch machen kann, der
sich aus dem herumschwebenden Grundstoffe bildet, lo
wenn man gleich annimmt, daß dieser in allen seinen
Örtern gerade zur Zirkelbewegung abgewogene Kräfte
besitze. Denn weil der Planet sie aus weit vonein-
ander abstehenden Höhen sammlet, wo die Geschwindig-
keiten der Zirkelläufe unterschieden sein, so kommen
sie mit verschiedenen ihnen beiwohnenden Graden der
Umlaufsbewegung auf ihm zusammen, v/elche von dem
Maße der Geschwindigkeit, die dem Abstände des
Planeten gebühret, abweichen, und diesem dadurch
insoferne eine Exzentrizität zuziehen, als diese ver- 20
schiedentliche Eindrücke der Partikeln ermangeln, eine
der andern Abweichung völlig zu ersetzen.
Wenn die Exzentrizität keine andere Ursache hätte,
so würde sie allenthalben gemäßigt sein; sie würde
auch bei denen kleinen und v/eit von der Sonne ent-
ferneten Planeten geringer, als bei den nahen und
großen sein; wenn man nämlich voraussetzte, daß
die Partikeln des Grundstoffes v>arklich vorher genaue
Zirkelbewegungen gehabt hätten. Da nun diese Be-
stimmungen mit der Beobachtung nicht übereinstimmen, 30
indem, wie schon angemerkt, die Exzentrizität mit der
Sonnenweite zunimmt, und die Kleinigkeit der Massen
vielmehr eine Ausnahme, zu Vermehrung der Exzentri-
zität, zu machen scheinet, wie wir am Mars sehen,
so sind wir genötiget, die Hypothese von der ge-
nauen Zirkelbewegung der Partikeln des Grundstoffes
dahin einzuschränken, daß wira) sie in den der Sonne
nahen Gegenden zwar dieser Genauheit der Bestim-
mung sehr nahe beikommen, aber sie doch desto weiter
a) „wie" korr. G. Gerland, siehe Kantstudien Bd. X.,
S. 432.
80 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels,
davon abweichen lassen, je entfernter diese elemen-
tarische Teilchen von der Sonne geschvvebet haben.
Eine solche Mäßigung des Grundsatzes von der freien
zirkelgleichen Bewegung des Grundstoffes ist der Natur
gemäßer. Denn ungeachtet der Dünnigkeit des Rau-
mes, die ihnen Freiheit zu lassen scheinet, sich ein-
ander auf den Punkt der völlig abgewogenen Gleich-
heit der Zentralkräfte einzuschränken, so sind die Ur-
sachen dennoch nicht minder beträchtlich, diesen Zweck
10 der Natur an seiner Vollführung zu verhindern. Je
weiter die ausgebreiteten Teile des Urstoffs von der
Sonne entfernet sind, desto schwächer ist die Kraft,
die sie zum Sinken bringt; der Widerstand der untern
Teile, dera) ihren Fall seitwärts beugen und ihn nötigen
soll, seine Richtung senkrecht von dem Zirkelstrahl
anzustellen, vermindert sich nach dem Maße, als diese
unter ihm wegsinken, um entweder der Sonne sich
einzuverleiben, oder in näheren Gegenden Umläufe
anzustellen. Die spezifisch b) vorzügliche Leichtigkeit
20 dieser höheren Materie verstattet ihnen nicht, die
sinkende Bewegung, die der Grund von allem ist, mit
dem Nachdrucke, welcher erfordert wird, um die wider-
stehende Partikeln zum Weichen zu bringen, anzu-
stellen; und vielleicht, daß diese entfernete Partikeln
einander noch einschränken, um nach einer langen
Periode diese Gleichförmigkeit endlich zu überkommen,
so haben sich unter ihnen schon kleine Massen ge-
bildet, als Anfänge zu so viel Himmelskörpern, welche,
indem sie sich aus schwach bewegtem Stoffe sammeln,
30 eine nur«) exzentrische Bewegung haben, womit sie
zur Sonne sinken, und unter Wegen mehr und mehr
durch die Einverleibung schneller bewegten Teile vom
senkrechten Falle abgebeugt werden, endlich aber doch
Kometen bleiben, wenn jene Räume, in denen sie sich
gebildet haben, durch Niedersinken zur Sonne, oder
durch Versammlung in besondern Klumpen gereiniget
und leer geworden. Dieses ist die Ursache der mit
a) „die" A. korr. Hartenstein.
b) Gerland a. o. a. 0. „spezifische-'?
c) Hartenstein, Kirchmann, Kehrbach „mehr excen-
trische".
II. Teil. 3. Hauptst. Von der Exzentrizität etc. 81
den Entfernungen von der Sonne zunehmenden Exzen-
trizitäten der Planeten und derjenigen Himmelskörper,
die um deswillen Kometen genannt werden, weil sie
in dieser Eigenschaft die ersterea) vorzüglich über-
treffen. Es sind zwar noch zwei Ausnahmen, die das
Gesetz von der mit dem Abstände von der Sonne zu-
nehmenden Exzentrizität unterbrechen, die man an den
beiden kleinesten Planeten unseres Systems, an Mars
und Merkur wahrnimmt; allein an dem ersteren ist
vermutlich die Nachbarschaft des so großen Jupiters lo
Ursache, der, indem er durch seine Anziehung auf
seiner Seite den Mars der Partikeln zur Bildung be-
raubet, ihm vornehmlich nur Platz lasset, gegen
die Sonne sich auszubreiten, dadurch eine Überwucht
der Zentralkraft und Exzentrizität zuziehet. Was aber
den Merkur, den untersten, aber auch am meisten
exzentrischen unter den Planeten betrifft, so ist leicht
zu erachten, daß, weil die Sonne in ihrer Achsen-
drehung der Geschwindigkeit des Merkurs noch lange
nicht gleichkommt, der Widerstand, den sie der Materie 20
des sie umgebenden Raumes tut, nicht allein die
nächsten Teilchen ihrer Zentralbewegung berauben
werde, sondern auch leichtlich diese Widerstrebung
bis zum Merkur ausbreiten könne, und dessen Um-
schwungsgeschwindigkeit dadurch beträchtlich werde
vermindert haben.
Die Exzentrizität ist das vornehmste Unterschei-
dungszeichen der Kometen. Ihre Atmosphären und
Schweife, welche, bei ihrer großen Annäherung zur
Sonne, durch die Hitze sich verbreiten, sind nur Folgen 30
von dem erstem, ob sie gleich zu den Zeiten der
Unwissenheit gedienet haben, als ungewohnte Schreck-
bilder dem Pöbel eingebildete Schicksale zu ver-
kündigen. Die Astronomen, welche mehr Aufmerksam-
keit auf die Bewegungsgesetze, als auf die Seltsam-
keit der Gestalt bezeigen, bemerken eine zweite Eigen-
schaft, die das Geschlecht der Kometen von den Pla-
neten unterscheidet, nämlich daß sie sich nicht, wie
diese, an die Zone des Tierkreises binden, sondern
frei in allen Gegenden des Himmels ihre Umläufe 40
a) „ersteren" ? Gerland.
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I.
82 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
anstellen. Diese Besonderheit hat einerlei Ursache mit
der Exzentrizität. Wenn die Planeten darum ihre Kreise
in dem engen Bezirke des Zodiakus eingeschlossen
haben, weil die elementarische Materie nahe um die
Sonne Zirkelbewegungen bekommet, die bei jedem Um-
schwünge den Plan der Beziehung zu durchkreuzen
bemühet sein, und den einmal gebildeten Körper von
dieser Fläche, dahin sich alle Materie von beiden
Seiten dränget, nicht abweichen lassen; so muß der
10 Grundstoff der weit von dem Mittelpunkte entlegenen
Räume, welcher durch die Attraktion schwach bewegt,
zu dem freien Zirkelumschwunge nicht gelangen kann,
eben aus dieser Ursache, die die Exzentrizität hervor-
bringt, nicht vermögend sein, sich in dieser Höhe
zu dem Plane der Beziehung aller planetischen Be-
wegungen zu häufen, um die daselbst gebildete Körper
vornehmlich in diesem Gleise zu erhalten; vielmehr
wird der zerstreuete Grundstoff, da er keine Ein-
schränkung auf eine besondere Gegend, so wie bei
20 den untern Planeten hat, sich gleich leicht auf einer
Seite sowohl, als auf der andern, und weit von dem
Beziehungsplane ebenso häufig als nahe bei demselben
zu Himmelskörpern bilden. Daher werden die Kometen
mit aller Ungebundenheit aus allen Gegenden zu uns
herab kommen; aber doch diejenige, deren erster
Bildungsplatz nicht weit über der Planeten Kreise
erhaben ist, werden weniger Abweichung von den
Schranken ihrer Laufbahne ebensowohl, als weniger
Exzentrizität beweisen. Mit den Entfernungen von dem
30 Mittelpunkte des Systems nimmt diese gesetzlose Frei-
heit der Kometen, in Ansehung ihrer Abweichungen,
zu und verlieret sich in der Tiefe des Himmels in
einen gänzlichen Mangel der Umwendung, der die
äußeren sich bildenden Körper ihrem Falle zur Sonne
frei überläßt und der systematischen Verfassung die
letzten Grenzen setzet.
Ich setze bei diesem Entwürfe der kometischen Be-
wegungen voraus, daß, in Ansehung ihrer Richtung,
sie selbige größestenteils mit der Planeten ihrer ge-
40 mein haben werden. Bei denen nahen Kometen
scheinet mir dieses ungezweifelt zu sein, und diese
Gleichförmigkeit kann sich auch nicht eher in der
II. Teil. 3. Hauptst. Von der Exzentrizität etc. 83
Tiefe des Himmels verlieren, als da, wo der elemen-
tarische Grundstoff in der größten Mattigkeit der
Bewegung die etwa durch das Niedersinken entstehende
Drehung nach allerlei Gegenden anstellet, weil die
Zeit, die erfordert wird, durch 'die Gemeinschaft der
untern Bewegungen, sie in der Richtung einstimmig
zu machen, wegen der Weite der Entfernung zu lang
ist, als daß sie indessen, daß die Bildung der Natur
in der niederen Gegend verrichtet wird, sich bis dahin
erstrecken könne. Es werden also vielleicht Kometen 10
sein, die ihren Umlauf nach der entgegengesetzten
Seite, nämlich von Morgen gegen Abend, anstellen
werden; ob ich gleich aus Ursachen, die ich allhier
anzuführen Bedenken trage, mich beinahe überreden
möchte, daß von den 19 Kometen, an denen man
diese Besonderheit bemerket hat, bei einigen vielleicht
ein optischer Schein Anlaß dazu gegeben haben möchte.
Ich muß von den Massen der Kometen und von
der Dichtigkeit ihres Stoffes noch etwas anmerken.
Von Rechts wegen sollten in den obern Gegenden der 20
Bildung dieser Himmelskörper, aus denen im vorigen
Hauptstücke angeführten Gründen, sich immer nach
dem Maße, als die Entfernung zunimmt, desto größere
Massen bilden. Und es ist auch zu glauben, daß
einige Kometen größer sein als Saturn und Jupiter;
allein es ist eben nicht zu glauben, daß diese Größe
der Massen so immer zunimmt. Die Zerstreuung des
Grundstoffes, die spezifische Leichtigkeit ihrer Par-
tikeln machen die Bildung in der abgelegensten Gegend
des Weltraums langsam; die unbestimmte Verbreitung 30
desselben, in dem ganzen unermeßlichen Umfange
dieser Weite, ohne eine Bestimmung, sich gegen eine
gewisse Fläche zu häufen, verstatten a), anstatt einer
einzigen beträchtlichen Bildung, viele kleinere, und
der Mangel der Zentralkraft ziehet den größten Teil
der Partikeln zu der Sonne herab, ohne sich in Massen
versammlet zu haben.
Die spezifische Dichtigkeit des Stoffes, woraus die
Kometen entstehen, ist von mehrerer Merkv;ürdigkeit,
als die Größe ihrer Massen. Vermutlich, da sie in 40
a) „verstattet?"
84 Allgemeine Naturgeschichte und Tlieorie des Himmels.
der obersten Gegend des Weltgebäudes sich bilden,
sind die Teilchen ihres Zusammensatzes von der leich-
testen Gattung, und man darf nicht zweifeln, daß
dieses die vornehmste Ursache der Dunstkugeln und
der Schweife sei^), womit sie sich vor andern Himmels-
körpern kenntlich machen. Man kann der Wirkung
der Sonnenhitze diese Zerstreuung der kometischen
Materie in einen Dunst nicht hauptsächlich beimessen;
einige Kometen erreichen in ihrer Sonnennähe kaum
10 die Tiefe des Erdzirkels; viele bleiben zwischen dem
Kreise der Erde und der Venus und kehren sodann zu-
rück. Wenn ein so gemäßigter Grad Hitze die Materien
auf der Oberfläche dieser Körper dermaßen auflöset
und verdünnet, so müssen sie ausb) dem leichtesten
Stoffe bestehen, der durch die Wärme mehr Verdünnung
als irgendeine Materie in der ganzen Natur leidet.
Man kann auch diese, von dem Kometen so häufig
aufsteigende Dünste der Hitze nicht beimessen, die
sein Körper von der etwa ehemaligen Sonnennähe
20 übrig behalten hat; denn es ist zwar zu vermuten,
daß ein Komet zur Zeit seiner Bildung etliche Um-
läufe mit größerer Exzentrizität zurückgeleget hat
und diese nur nach und nach vermindert worden;
allein die andern Planeten, von denen man ebendas-
selbe vermuten könnte, zeigen dieses Phänomenen nicht.
Indessen würden sie es an sich zeigen, wenn die
Sorten der leichtesten Materie, die in dem Zusammen-
satze des Planeten begriffen sein, ebenso häufig als
bei den Kometen vorhanden wären.
30 Die Erde hat etwas an sich, was man mit der Aus-
breitung der kometischen Dünste und ihren Schweifen
vergleichen kann.*) Die feinsten Partikeln, die die
Sonnenwirkung aus ihrer Oberfläche ziehet, häufen sich
um einen von denen Polen, wenn die Sonne den halben
Zirkel ihres Laufes auf der entgegengesetzten Halb-
kugel verrichtet. Die feinsten und wirksamsten Teil-
chen, die in dem brennenden Erdgürtel aufsteigen,
nachdem sie eine gewisse Höhe der Atmosphäre er-
*) Dieses sind die Nordlichter.
aj „sein" A.
b) „sie nicht aus" A.
II. Teil. 4. Hauptst. V. d. Ursprünge der Monde etc. 85
reichet haben, werden durch die Wirkung der Sonnen-
strahlen genötiget, in diejenige Gegenden zu weichen
und sich zu "häufen, die alsdenn von der Sonne ab-
gewandt und in einer langen Nacht begraben sind,
und vergüten den Bewohnern der Eiszone die Ab-
wesenheit des großen Lichtes, welches ihnen auch
in dieser Entfernung die Wirkungen seiner a) Wärme
zuschicket. Ebendieselbe Kraft der Sonnenstrahlen,
welche die Nordlichter macht, würde einen Dunstkreis
mit einem Schweife hervorbringen, wenn die feinsten 10
und flüchtigen Partikeln auf der Erde ebenso häufig
als auf den Kometen anzutreffen wären.
Viertes Haui)tstück.
Von dem Ursprünge der Monde und den Bewegungen der
Planeten um ihre Achse.
Die Bestrebung eines Planeten, aus dem Umfange
der elementarischen Materie sich zu bilden, ist zu-
gleich die Ursache seiner Achsendrehung und erzeuget
die Monde, die um ihn laufen sollen. Was die Sonne
mit ihren Planeten im Großen ist, das stellet ein 20
Planet, der eine weit ausgedehnte Anziehungssphäre
hat, im Kleinern vor, nämlich das Hauptstück eines
Systems, dessen Teile durch die Attraktion des Zentral-
körpers in Bewegung gesetzet worden. Der sich bil-
dende Planet, indem er die Partikeln des Grundstoffs
aus dem ganzen Umfange zu seiner Bildung bewegt,
wird aus allen diesen sinkenden Bewegungen vermittelst
üirer Wechselwirkung Kreisbewegungen, und zwar end-
lich solche erzeugen, die in eine gemeinschaftliche
Richtung ausschlagen, und deren ein Teil die gehörige 30
Mäßigung des freien Zirkellaufes bekommen und in
dieser Einschränkung sich einer gemeinschaftlichen
Fläche nahe befinden werden. In diesem Räume wer-
den, so wie um die Sonne die Hauptplaneten, also
auch um diese sich die Monde bilden, wenn die Weite
der Attraktion solcher Himmelskörper günstige Um-
stände zu ihrer Erzeugung darreichet. Was übrigens
a) „ilirer" A. korr. Akad. Ausg.
86 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
in Ansehung des Ursprunges des Sonnensystems ge-
sagt worden, dasselbe läßt sich auf das System des
Jupiters und des Saturns mit genügsamer Gleichheit
anwenden. Die Monde werden alle nach einer Seite und
beinahe auf einer Fläche die Kreise ihres Umschwunges
gerichtet haben, und dieses zwar aus den gleichen Ur-
sachen, die diese Analogie im Großen bestimmen.
Aber warum bewegen sich diese Begleiter in ihrer
gemeinschaftlichen Richtung vielmehr nach der Seite,
10 nach der die Planeten laufen, als nach einer jeden
andern? Ihre Umläufe werden ja durch die Kreis-
bewegungen nicht erzeuget, sie erkennen lediglich die
Attraktion des Hauptplaneten zur Ursache, und in
Ansehung dieser sind alle Richtungen gleichgültig;
ein bloßes Ungefähr wird diejenige unter allen mög-
lichen entscheiden, nach der die sinkende Bewegung
des Stoffes in Kreise ausschlägt. In der Tat tut der
Zirkellauf des Hauptplaneten nichts dazu, dem Stoffe,
aus dem sich um 'ihn die Monde bilden sollen, Um-
20 wälzungen um diesen einzudrücken; alle Partikeln um
den Planeten bewegen sich in gleicher Bewegung mit
ihm um die Sonne und sind also in respektiver Ruhe
gegen denselben. Die Attraktion des Planeten tut
alles allein.*) Allein die Kreisbewegung, die aus ihr
*) Hierzu Kahts Ak. Ausg. S. 551: „Diese Stelle, an
welcher Kaut in kurzen Worten eine Erklärung für die
Richtung der Mondbewegung und die Rotation des Planeten
um seine Achse zu geben sucht, ist vielfach als unklar und
unrichtig bezeichnet worden. CVg\. Zöllner: Photometrische
Untersuchungen, 1865 S. 225; Faye: Sur l'origine du monde,
1884 p. 138; C. Wolf: Les hypotheses cosmogoniques, Paris
1886 p. 12 und Eberhard: Die Kosmogonie von Kant, 1893
S. XII.) Sowohl Zöllner als Paye folgern aus der Kanti-
schen Theorie eine retrograde, also der Beobachtung wider-
sprechende Bewegung der Monde, aber ihre Ableitung der
Mondbewegung ist wesentlich verschieden von der Kan-
tischen. Sie nehmen an, daß die Bewegungen der den
Planeten folgenden Partikeln lediglich durch die Anziehungs-
kraft der Sonne bestimmt werden, während Kant die At-
traktion des sich bildenden Planeten mit hinzuzieht. Wirkte
nur die Sonne auf die Teilchen, welche dem Planeten fol-
gen, 80 würden die dem Zentralkörper näheren in schnellerem
Schwünge an dem Planeten vorübereilen und, von diesem
II. Teil. 4. Hauptst. V. d. Ursprünge der Monde etc. 87
entstehen soll, weil sie in Ansehung aller Richtungen
an und vor sich gleichgültig ist, bedarf nur einer
kleinen äußerlichen Bestimmung, um nach einer Seite
vielmehr, als nach der andern auszuschlagen; und
diesen kleinen Grad der Lenkung bekommt sie von
der Vorrückung der elementarischen Partikeln, welche
zugleich mit um die Sonne, aber mit mehr Geschwindig-
keit, laufen und in die Sphäre der Attraktion des Pla-
neten kommen. Denn diese nötiget die zur Sonne nähere
Teilchen, die mit schnellerem Schwünge umlaufen, schon 10
von weitem die Richtung ihres Gleises zu verlassen und
in einer ablangen Ausschweifung sich über den Pla-
neten zu erheben. Diese, weil sie einen größern
Grad der Geschwindigkeit, als der Planet selber, haben,
wenn sie durch dessen Anziehung zum Sinken ge-
bracht werden, geben ihrem geradlinichten Falle und
auch Bern Falle der übrigen eine Abbeugung von
Abend gegen Morgen, und es bedarf nur dieser ge-
ringen Lenkung, um zu verursachen, daß die Kreis-
bewegung, dahin der Fall, den die Attraktion erregt, 20
ausschlägt, vielmehr diese, als eine jede andere Rich-
angezogen, in der Tat eine retrograde Umlaufsbewegung
erhalten. Weil aber nach Kant der Planet schon in einiger
Entfernung auf die heraneilenden Teilchen wirkt, so wird
deren Geschwindigkeit vermehrt und ihre Bahn geändert;
die Teilchen werden infolge der Beschleunigung ihrer Ge-
schwindigkeit sich von der Sonne entfernen und so hinter
den Planeten kommen. Das ist die Kantische Vorstellung.
Dieselbe läßt sich auch auf die Teilchen übertragen, welche
ursprünglich in etwas größerem Kreise dem Planeten voraus-
gehen und von ihm eingeholt werden. Durch die Attrak-
tion des Planeten wird ihre Geschwindigkeit verringert, sie
werden sich nicht mehr auf der durch die frühere Schnel-
ligkeit bedingten Höhe erhalten können, sondern zur Sonne
sinken und so unter den Planeten gelangen. Durch die
Mitwirkung des sich bildenden Planeten werden die Ver-
hältnisse gewissermaßen umgekehrt: Diejenigen Partikel,
welche dem Planeten folgen und ohne seine Anziehung
unter ihm vorbeieilen würden, werden durch ihn empor-
gehoben, und diejenigen Teilchen, welche dem Planeten vor-
ausgehen, werden durch ihn heruntergezogen und laufen
unter ihm hinweg. Damit wandelt sich die retrograde Be-
wegung in die von Kant behauptete direkte um.
88 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
tung nehme. Aus diesem Grunde werden alle Monde
in ihrer Richtung mit der Richtung des Umlaufs der
Hauptplaneten übereinstimmen. Aber auch die Fläche
ihrer Bahn kann nicht weit von dem Plane der Planeten-
kreise abweichen, weil die Materie, daraus sie sich
bilden, aus eben dem Grunde, den wir von der Rich-
tung überhaupt angeführet haben, auch auf diese ge-
naueste Bestimmung derselben, nämlich die Überein-
treffung mit der Fläche der Hauptkreise gelenket wird.
10 Man siehet aus allem diesen klärlich, welches die
Umstände sein, unter welchen ein Planet Trabanten
bekommen könne. Die Anziehungskraft desselben muß
groß, und folglich die Weite seiner Wirkungssphäre
weit ausgedehnt sein, damit sowohl die Teilchen durch
einen hohen Fall zum Planeten bewegt, ohnerachtet
dessen, was der Widerstand aufhebet, dennoch hinläng-
liche Geschwindigkeit zum freien Umschwünge er-
langen können, als auch genügsamer Stoff zu Bildung
der Monde in diesem Bezirke vorhanden sei, welches
20 bei einer geringen Attraktion nicht geschehen kann.
Daher sind nur die Planeten von großen Massen und
weiter Entfernung mit Begleitern begabt. Jupiter und
Saturn, die 2 größten und auch entfernetesten unter
den Planeten, haben die meisten Monde. Der Erde,
die viel kleiner als jene ist, ist nur einer zuteil
worden; und Mars, welchem wegen seines Abstandes
auch einiger Anteil an diesem Vorzuge gebührete,
gehet leer aus, weil seine Masse so gering ist.
Man nimmt mit Vergnügen wahr, wie dieselbe An-
30 Ziehung des Planeten, die den Stoff zur Bildung der
Monde herbeischaffte und zugleich derselben Bewegung
bestimmete, sich bis auf seinen eigenen Körper er-
streckt und dieser sich selber durch ebendieselbe Hand-
lung, durch welche er sich bildet, eine Drehung um
die Achse, nach der allgemeinen Richtung von Abend
gegen Morgen, erteilet. Die Partikeln des nieder-
sinkenden Grundstoffes, welche, wie gesagt, eine all-
gemeine drehende Bewegung von Abend gegen Mor-
gen hin bekommen, fallen größtenteils auf die Fläche
40 des Planeten und vermischen sich mit seinem Klum-
pen, weil sie die abgemessene Grade nicht haben,
sich frei schwebend in Zirkelbewegungen zu erhalten.
II. Teil. 4. Hauptst. V. d. Ursprünge der Monde etc. 89
Indem sie nun in den Zusammensatz des Planeten
kommen, so müssen sie, als Teile desselben, ebendie-
selbe Umwendung, nach ebenderselben Richtung, fort-
setzen, die sie hatten, ehe sie mit ihm vereiniget worden.
Und weil überhaupt aus dem vorigen zu ersehen,
daß die Menge der Teilchen, welche der Mangel an
der erforderlichen Bewegung auf den Zentralkörper
niederstürzet, sehr weit die Anzahl der andern über-
treffen müsse, welche die gehörige Grade der Ge-
schwindigkeit haben erlangen können, so begreifet 10
man auch leicht, woher dieser in seiner Achsendrehung
zwar bei weitem die Geschwindigkeit nicht haben werde,
der Schv/ere auf seiner Oberfläche mit der fliehenden
Kraft das Gleichgewicht zu leisten, aber dennoch bei
Planeten von großer Masse und weitem Abstände weit
schneller, als bei nahen und kleinen sein werde. In
der Tat hat Jupiter die schnelleste Achsendrehung,
die wir kennen, und ich weiß nicht, nach welchem
System man dieses mit einem Körper, dessen Klumpen
alle andern übertrifft, zusammenreimen könnte, wenn 20
man nicht seine Bewegungen selber als die Wirkung
derjenigen Anziehung ansehen könnte, die dieser
Himmelskörper nach dem Maße eben dieses Klumpens
ausübet. Wenn die Achsendrehung eine Wirkung einer
äußerlichen Ursache wäre, so müßte Mars eine
schnellere als Jupiter haben; denn ebendieselbe be-
wegende Kraft bewegt einen kleinern Körper mehr, als
einen größern, und über dieses würde man sich mit
Recht wundern, wie, da alle Bewegungen weiter von
dem Mittelpunkte hin abnehmen, die Geschwindigkeiten 30
der Umwälzungen mit denselben Entfernungen zu-
neJimen, und beim Jupiter sogar drittehalbmal schneller
als seine jährliche Bewegung selber sein könne.
Indem man also genötiget ist, in den täglichen
Umwendungen der Planeten ebendieselbe Ursache,
welche überhaupt die allgemeine Bewegungsquelle der
Natur ist, nämlich die Anziehung zu erkennen, so
wird diese Erklärungsart durch das natürliche Vorrecht
seines Grundbegriffes und durch eine ungezwungene
Folge aus demselben ihre Rechtmäßigkeit bewähren. 40
Allein wenn die Bildung eines Körpers selber die
Achsendrehung hervorbringt, so müssen sie billig alle
90 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Kugeln des Weltbaues haben; aber warum hat sie der
Mond nicht? welcher, wiewohl fälschlich, diejenige Art
einer Umwendung, dadurch er der Erde immer die-
selbe Seite zuwendet, einigen vielmehr von einer Art
einer Überwucht der einen Halbkugel, als von einem
wirklichen Schwünge der Revolution herzuhaben
scheinet. Sollte derselbe sich wohl ehedem schneller
um seine Achse gewälzet haben und durch, ich weiß
nicht was vor Ursachen, die diese Bewegung nach
10 und nach verminderten, bis zu diesem geringen und
abgemessenen Überrest gebracht worden sein? Man
darf diese Frage nur in Ansehung eines von den
Planeten auflösen, so ergibt sich daraus die Anwendung
auf alle von selber. Ich verspare diese Auflösung
zu einer andern Gelegenheit, weil sie eine notwendige
Verbindung mit derjenigen Aufgabe hat, die die König-
liche Akademie der Wissenschaften zu Berlin auf das
1754ste Jahr zum Preise aufgestellet hatte*).
Die Theorie, welche den Ursprung der Achsen-
20 drehungen erklären soll, muß auch die Stellung ihrer
Achsen, gegen den Plan ihrer Kreise, aus ebenden-
selben Ursachen herleiten können. Man hat Ursache,
sich zu verwundern, woher der Äquator der täglichen
Umwälzung mit der Fläche der Mondenkreise, die um
denselben Planeten laufen, nicht in demselben Plane
ist; denn dieselbe Bewegung, die den Umlauf eines
Trabanten gerichtet, hat durch ihre Erstreckung bis
zum Körper des Planeten dessen Drehung um die
Achse hervorgebracht und dieser ebendieselbe Be-
30 Stimmung in der Richtung und Lage erteilen sollen.
Himmelskörper, die keine um sich laufende Neben-
planeten haben, setzten sich dennoch durch eben die-
selbe Bewegung der Partikeln, die zu ihrem Stoffe
dieneten, und durch dasselbe Gesetze, welches jene
auf die Fläche ihrer periodischen Laufbahn ein-
*) Die Aufgabe der Akademie lautete: ,,0b die Erde in ihrer
Umdrehung um die Axe, wodurch sie die Abwechslung des
Tages und der Nacht hervorbringt, einige Veränderung seit
den ersten Zeiten ihres Ursprungs erlitten habe, welches die
Ursache davon sei und woraus man sich ihrer versichern
könne." Kant hat diese Frage 1760 in einer besonderen
Abhandlung beantwortet, vgl. Band 49, S. 227.
II. Teil. 4. Hauptst. V. d. Ursprünge der Monde etc. 91
schränkte, in eine Achsendrehung, welche aus den
gleichen Gründen mit ihrer Umlaufsfläche in der Rich-
tung übereintreffen mußte. Diesen Ursachen zufolge
müßten billig die Achsen aller Himmelskörper gegen
die allgemeine Beziehungsfläche des planetischen
Systems, welche nicht weit von der Ekliptik abweicht,
senkrecht stehen. Allein sie sind nur bei den zwei
wichtigsten Stücken dieses Weltbaues senkrecht: beim,
Jupiter und bei der Sonne; die andern, deren Um-
drehung man kennet, neigen ihre Achsen gegen den 10
Plan ihrer Kreise, der Saturn mehr als die andern,
die Erde aber mehr als Mars, dessen Achse auch
beinahe senkrecht gegen die Ekliptik gerichtet ist.
Der Äquator des Saturns (wofern man denselben durch
die Richtung seines Ringes bezeichnet halten kann)
neiget sich mit einem Winkel von 31 Graden zur
Fläche seiner Bahn; der Erden ihrer aber nur mit
23V2-^) Man kann die Ursache dieser Abweichungen
vielleicht der Ungleichheit in den Bewegungen des
Stoffes beimessen, die den Planeten zu bilden zu- 20
sammengekommen sind. In der Richtung der Fläche
seines Laufkreises war die vornehmste Bewegung der
Partikeln um den Mittelpunkt desselben, und daselbst
war der Plan der Beziehung, um welchen die elemen-
tarische Teilchen sich häuften, um daselbst die Be-
wegung, wo möglich, zirkelgleich zu machen und zur
Bildung der Nebenplaneten Materie zu häufen, welche
um deswillen niemals von der Umlaufsbahn weit ab-
weichen. Wenn der Planet sich größtenteils nur aus
diesen Teilchen bildete, so würde seine Achsendrehung 30
so wenig wie die Nebenplaneten, die um ihn laufen,
bei seiner ersten Bildung davon abgewichen sein; aber
er bildete sich, wie die Theorie es dargetan hat,
mehr aus den Partikeln, die auf beiden Seiten nieder-
sanken und deren Menge oder Geschwindigkeit nicht
so völlig abgewogen gewesen zu sein scheinet, daß
die eine Halbkugel nicht eine kleine Überwucht der
Bewegung über die andere, und daher einige Ab-
weichung der Achse hätte bekommen können.
a) „221/2" A. korr. in der Ausg. v. 1797 (wohl Schreib-
oder Druckfehler).
92 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Dieser Gründe ungeachtet, trage ich diese Erklärung
nur als eine Mutmaßung vor, die ich mir nicht aus-
zumachen getraue. Meine wahre Meinung gehet dahin,
daß die Umdrehung der Planeten um die Achse in
dem ursprünglichen Zustande der ersten Bildung mit
der Fläche ihrer jährlichen Bahn ziemlich genau über-
eingetroffen habe, und daß Ursachen vorhanden ge-
wesen, diese Achse aus ihrer ersten Stellung zu ver-
schieben. Ein Himmelskörper, welcher aus seinem
10 ersten flüssigen Zustande in den Stand der Festig-
keit übergehet, erleidet, wenn er sich auf solche Art
völlig ausbildet, eine große Veränderung in der Regel-
mäßigkeit seiner Oberfläche. Dieselbe wird feste und
gehärtet, indessen daß die tiefern Materien sich noch
nicht, nach Maßgebung ihrer spezifischen Schwere,
genugsam gesenket haben; die leichteren Sorten, die
mit in ihrem Klumpen untermengt waren, begeben
sich endlich, nachdem sie sich von den andern ge-
schieden, unter die oberste, fest gewordene Rinde
20 und erzeugen die großen Höhlen, deren, aus Ur-
sachen, welche allhier anzuführen zu weitläuftig ist,
die größeste und weiteste unter oder nahe zu dem
Äquator befindlich sind, in welche die gedachte Rinde
endlich hineinsinkt, mannigfaltige Ungleichheiten,
Berge und Höhlen erzeuget. Wenn nun auf solche
Art, wie es mit der Erde, .dem Monde, der Venus
augenscheinlich vorgegangen sein muß, die Ober-
fläche uneben geworden, so hat sie nicht das Gleich-
gewicht des Umschwunges in ihrer Achsendrehung
30 mehr auf allen Seiten leisten können. Einige hervor-
ragende Teile von beträchtlicher Masse, welche auf
der entgegengesetzten Seite keine andere fanden, die
ihnen die Gegenwirkung des Schwunges leisten konn-
ten, mußten alsbald die Achse der Umdrehung ver-
rücken und sie in solchen Stand zu setzen suchen,
um welchen die Materien sich im Gleichgewichte auf-
hielten. Ebendieselbe Ursache also, die bei der völligen
Ausbildung eines Himmelskörpers seine Oberfläche
aus dem wagerechten Zustande in abgebrochene Un-
40 gleichheiten versetzte, diese allgemeine Ursache, die
bei allen Himmelskörpern, welche das Fernglas deut-
lich genug entdecken kann, wahrgenommen wird, hat
II. Teil. 4. Hauptst. V. d. Ursprünge der Monde etc. 93
sie in die Notwendigkeit versetzet, die ursprüngliche
Stellung ihrer Achse etwas zu verändern. Allein diese
Veränderung hat ihre Grenzen, um nicht gar zu weit
auszuschweifen. Die Ungleichheiten erzeugen sich,
wie schon erwähnt, mehr neben dem Äquator einer
umdrehenden Himmelskugel, als weit von demselben;
zu den Polen hin verlieren sie sich fast gar, wovon
die Ursachen anzuführen ich andere Gelegenheit vor-
behalte. Daher werden die am meisten über die
gleiche Fläche hervorragende Massen nahe bei dem 10
Äquinoktialzirkel anzutreffen sein, und indem dieselbe
durch den Vorzug des Schwunges diesem sich zu
nähern streben, werden sie höchstens nur um einige
Grade die Achse des Himmelskörpers aus der senk-
rechten Stellung von der Fläche seiner Bahn erheben
können. Diesem zufolge wird ein Himmelskörper, der
sich noch nicht völlig ausgebildet hat, diese recht-
winklichte Lage der Achse zu seinem Laufkreise noch
an sich haben, die er vielleicht nur in der Folge
langer Jahrhunderte ändern wird. Jupiter scheinet 20
noch in diesem Zustande zu sein. Der Vorzug seiner
Masse und Größe, die Leichtigkeit seines Stoffes haben
ihn genötiget, den festen Ruhestand seiner Materien
einige Jahrhunderte später als andere Himmelskörper
zu überkommen. Vielleicht ist das Innere seines
Klumpens noch in der Bewegung, die Teile seines
Zusammensatzes zu dem Mittelpunkte, nach Beschaffen-
heit ihrer Schwere, zu senken, und durch die Schei-
dung der dünnern Gattungen von den schweren den
Stand der Festigkeit zu überkommen. Bei solcher 30
Bewandnis kann es auf seiner Oberfläche noch nicht
ruhig aussehen. Die Umstürzungen und Ruine herr-
schen auf derselben. Selbst das Fernglas hat uns
davon versichert. Die Gestalt dieses Planeten ändert
sich beständig, da indessen der Mond, die Venus, die
Erde dieselbe unverändert erhalten. Man kann auch
wohl mit Recht die Vollendung der Periode der Aus-
bildung bei einem Himmelskörper einige Jahrhunderte
später gedenken, der unsere Erde an Größe mehr
wie zwanzigtausendmal übertrifft und an Dichtigkeit 40
4mal nachstehet. Wenn seine Oberfläche eine ruhige
Beschaffenheit wird erreichet haben, so werden ohne
94 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Zweifel weit größere Ungleichheiten als die, so die
Erdfläche bedecken, mit der Schnelligkeit seines
Schwunges verbunden, seiner Umwendung in nicht
gar langem Zeitlaufe diejenige beständige Stellung
erteilen, die das Gleichgewicht der Kräfte auf ihm
erheischen wird.
Saturn, der 3mal kleiner als Jupiter ist, kann
vielleicht durch seinen weitern Abstand einen Vor-
zug einer geschwinderen Ausbildung vor diesem er-
10 halten haben; zum wenigsten macht die viel schnellere
Achsendrehung desselben und das große Verhältnis
seiner Zenterfliehkraft zu der Schwere auf seiner Ober-
fläche (welches in dem folgenden Hauptstücke soll
dargetan werden), daß die vermutlich auf derselben
dadurch erzeugte Ungleichheiten gar bald den Aus-
schlag auf die Seite der Überwucht, durch eine Ver-
rückung der Achse, gegeben haben. Ich gestehe frei-
mütig, daß dieser Teil meines Systems, welcher die
Stellung der planetischen Achsen betrifft, noch un-
20 vollkommen und ziemlich weit entfernt sei, der geo-
metrischen Rechnung unterworfen zu werden. Ich habe
dieses lieber aufrichtig entdecken wollen, als durch
allerhand erborgte Scheingründe der Tüchtigkeit der
übrigen Lehrverfassung Abbruch zu tun und ihr eine
schwache Seite zu geben. Nachfolgendes Hauptstück
kann eine Bestätigung von der Glaubwürdigkeit der
ganzen Hypothese abgeben, wodurch wir die Be-
wegungen des Weltbaues haben erklären wollen.
Fünftes Hauptstück.
30 Von dem Ursprünge des Ringes des Saturns und Berechnung
der täglichen Umdrehung dieses Planeten aus den Verhält-
nissen desselben.*)
Vermöge der systematischen Verfassung im Welt-
gebäude hängen die Teile derselben durch eine stufen-
artige Abänderung ihrer Eigenschaften zusammen, und
*) In Gensichens Auszug hat der Anfang dieses Haupt-
stückes folgenden Wortlaut : „Der Ursprung des Ringes, der
den Saturn umgibt, wird sich begreiflicher als viele andere
II. Teil. 5. Hauptstück. Von dem Saturn. 95
man kann vermuten, daß ein in der entlegensten
Gegend der Welt befindlicher Planet ohngefähr solche
Bestimmungen haben werde, als der nächste Komet
überkommen möchte, wenn er durch die Verminderung
der Exzentrizität in das planetische Geschlecht erhoben
würde. Wir wollen demnach den Saturn so ansehen,
als wenn er auf eine der kometischen Bewegung ähn-
liche Art etliche Umläufe mit größerer Exzentrizität
zurückgeleget habe und nach und nach zu einem dem
Zirkel ähnlichem Gleise gebracht worden.*) Die Hitze, 10
die sicn ihm in seiner Sonnennähe einverleibete, erhob
den leichten Stoff von seiner Oberfläche, der, wie
wir aus den vorigen Hauptstücken wissen, bei denen
obersten Himmelskörpern von überschwenglicher
Dünnigkeit ist, sich von geringen Graden Wärme aus-
breiten zu lassen. Indessen, nachdem der Planet in
etlichen Umschwüngen zu dem Abstände, da er jetzt
schwebet, gebracht worden, verlor er in einem so
gemäßigten Klima nach und nach die empfangene
Wärme, und die Dünste, welche von seiner Ober- 20
*) Oder, welches wahrscheinlicher ist, daß er in seiner
kometenähnlichen Natur, die er auch noch jetzo vermöge
seiner Exzentrizität an sich hat, bevor der leichteste Stoff
seiner Oberfläche völlig zerstreuet worden, eine kometische
Atmosphäre ausgebreitet habe.
Erscheinungen der Natur erklären lassen, wenn wir an-
nehmen, Saturn habe nach vollendeter Bildung eine Um-
drehung um seine Achse gehabt, und der leichteste Stoff
seiner Oberfläche sei durch die Wirkung der Wärme über
ihn erhoben worden."
In einer Anmerkung schreibt Gensichen: „In der Theorie
des Himmels selbst nimmt der Herr Verfasser an, Saturn habe
ehemals mit einer der kometischen ähnlichen Bewegung
etliche Umläufe mit größerer Exzentrizität zurückgelegt und
durch die Hitze, welche sich ihm in seiner Sonnennähe ein-
vei'leibt, sei der leichte Stoff von seiner Oberfläche erhoben
worden, oder er habe eine kometische Atmosphäre um sich
ausgebreitet. In der Folge aber ist er auf die sich noch
mehr empfehlende Vorstellung gekommen, daß durch die
Vermischung der Materien, die bei der Bildung der Planeten
vorgegangen ist, eine Wärme in ihrem Innern erzeugt wor-
den sei, und diese habe beim Saturn die angezeigte Wir-
kung gehabt." S. 189.
96 Allgemeine Xaturgeschichte und Theorie des Himmels.
fläche sich noch immer um ihn verbreiteten, ließen
nach und nach ab, sich bis in Schweifen zu erheben.
Es stiegen auch nicht mehr neue so häufig auf, um
die alten zu vermehren; kurz, die schon ihn um-
gebenden Dünste blieben durch Ursachen, welche wir
gleich anführen wollen, um ihn schweben, und er-
hielten ihm das Merkmal seiner ehemaligen kometen-
ähnlichen Natur in einem beständigen Ringe, indessen
daß sein Körper die Hitze verhauchte und zuletzt ein
10 ruhiger und gereinigter Planet wurde. Nun wollen
wir das Geheimnis anzeigen, das dem Himmelskörper
seine aufgestiegene Dünste frei schwebend hat er-
halten können, ja, sie aus einer rund um ihn aus-
gebreiteten Atmosphäre in die Form eines allenthalben
abstehenden Ringes verändert hat. Ich nehme an:
Saturn habe eine Umdrehung um die Achse gehabt;
und nichts mehr als dieses ist nötig, um das ganze
Geheimnis aufzudecken. Kein anderes Triebwerk, als
dieses einzige, hat durch einen unmittelbaren mecha-
20 nischen Erfolg gedachtes Phänomenen dem Planeten
zuwege gebracht; und ich getraue mir es zu be-
haupten, daß in der ganzen Natur nur wenig Dinge
auf einen so begreiflichen Ursprung können gebracht
werden, als diese Besonderheit des Himmels aus dem
rohen Zustande der ersten Bildung sich entwickeln
läßt.
Die von dem Saturn aufsteigende Dünste hatten
die Bewegung an sich und setzten sie in der Höhe,
dahin sie aufgestiegen waren, frei fort, die sie, als
30 dessen Teile bei seiner Umdrehung um die Achse,
gehabt hatten. Die Teilchen, die nahe beim Äquator
des Planeten aufstiegen, müssen die schnellste, und
weiter davon ab zu den Polen um so viel schwächere
Bewegungen gehabt haben, je größer die Breite des
Orts war, von dem sie aufstiegen. Das Verhältnis der
spezifischen Schwere ordnete den Partikeln die ver-
schiedentliche Höhen, zu denen sie aufstiegen; aber
nur diejenige Partikeln konnten die Örter ihres Ab-
standes in einem beständig freien Zirkelumschwunge
40 behaupten, deren Entfernungen, in die sie versetzt
waren, eine solche Zentralkraft erheischeten, als diese
mit der Geschwindigkeit, welche ihnen von der Achsen-
II. Teil. 5. Hauptstück. Von dem Saturn. 97
drehung eigen war, leisten konnten; die übrigen, wo-
fern sie durch die Wechselwirkung der andern nicht
zu dieser Genauheit gebracht werden können, müssen
entweder mit dem Übermaße der Bewegung aus der
Sphäre des Planeten sich entfernen oder durch den
Mangel derselben auf ihn zurück zu sinken genötiget
werden. Die durch den ganzen Umfang der Dunst-
kugel zerstreute Teilchen werden, vermöge ebender-
selben Zentralgesetze, in der Bewegung ihres Um-
schwunges die fortgesetzte Äquatorsfläche des Planeten 10
von beiden Seiten zu durchschneiden trachten, und
indem sie einander in diesem Plane von beiden Hemi-
sphärien^j einander aufhalten, werden sie sich daselbst
häufen; und weil ich setze, daß gedachte Dünste die-
jenige sind, die der Planet zu seiner Verkühlung zu-
letzt heraufschickt, wird alle zerstreuete Dunstmaterie
sich nelDen diesem Plane in einem nicht gar breiten
Räume sammlen und die Räume zu beiden Seiten leer
lassen. In dieser neuen und veränderten Richtang
aber werden sie dennoch ebendieselbe Bewegung fort- 20
setzen, welche sie in freien konzentrischen Zirkel-
umläufen schwebend erhält. Auf solche Weise nun
ändert der Dunstkreis seine Gestalt, welche eine er-
füllte Sphäre war, in eine Form einer ausgebreiteten
Fläche, welche gerade mit dem Äquator des Saturns
zusammentrifft; aber auch diese Fläche muß aus eben-
denselben mechanischen Gründen zuletzt die Form
eines Ringes annehmen, dessen äußerer Rand durch
die Wirkung der Sonnenstrahlen bestimmet wird,
welche diejenige Teilchen, die sich bis zu gewisser Weite 30
von dem Mittelpunkte des Planeten entfernet haben,
durch ihre Kraft zerstreuet und entfernet, so wie
sie es bei den Kometen tut, und dadurch die aus-
wendige Grenze ihres Dunstkreises abzeichnet. Der
inwendige Rand dieses entspringenden Ringes wird
durch die Verhältnis der Geschwindigkeit des Pla-
neten unter seinem Äquator bestimmt. Denn in dem-
jenigen Abstände von seinem Mittelpunkte, da diese
Geschwindigkeit mit der Attraktion des Orts das Gleich-
gewichte leistet, da ist die größte Nähe, in welcher 40
a) „Hemisphärien begegnend", Zusatz Rahts Ak. Ausg.
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I. 7
98 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
die von seinem Körper aufgestiegene Teilchen, durch
die von der Achsendrehung eigene Bewegung, Zirkel-
kreise beschreiben können. Die näheren Teilchen, weil
sie einer größern Geschwindigkeit zu solchem Um-
laufe bedürfen, die sie doch nicht haben können, weil
selbst auf dem Äquator des Planeten die Bewegung
nicht schneller ist, werden dadurch exzentrische Läufe
erhalten, die einander durchkreuzen, eine der andern
Bewegung schwächen und endlich insgesamt auf den
10 Planeten niederstürzen, von dem sie sich erhoben
hatten. Da sehen wir nun das wunderseltsame Phä-
nomenon, dessen Anblick seit seiner Entdeckung die
Astronomen jederzeit in Bewunderung gesetzet hat
und dessen Ursache zu entdecken man niemals auch
nur eine wahrscheinliche Hoffnung hat fassen können,
auf eine leichte, von aller Hypothese befreiete mecha-
nische Art entstehen. Was dem Saturn widerfahren ist,
das würde, wie hieraus leicht ersehen werden kann,
einem jeden Kometen, der genügsame Achsendrehung
20 hätte, wenn er in eine beständige Höhe versetzt würde,
in der sein Körper nach und nach verkühlen könnte,
ebenso regelmäßig widerfahren. Die Natur ist an
vortrefflichen Auswickelungen in dem sich selbst ge-
lassenen Zustande ihrer Kräfte sogar im Chaos frucht-
bar, und die darauf folgende Ausbildung bringet so
herrliche Beziehungen und Übereinstimmungen zum
gemeinsamen Nutzen der Kreatur mit sich, daß sie
sogar in den ewigen und unwandelbaren Gesetzen ihrer
wesentlichen Eigenschaften dasjenige große Wesen
30 mit einstimmiger Gewißheit zu erkennen geben, in
welchem sie vermittelst ihrer gemeinschaftlichen Ab-
hängigkeit sich zu einer gesamten Harmonie verein-
baren. Saturn hat von seinem Ringe große Vorteile;
er vermehret seinen Tag und erleuchtet unter so viel
Monden dessen Nacht dermaßen, daß man daselbst
leichtlich die Abwesenheit der Sonne vergißt. Aber
muß man denn deswegen leugnen, daß die allgemeine
Entwickelung der Materie durch mechanische Gesetze,
ohne andere, als ihre allgemeine Bestimmungen, zu
40 bedürfen, habe Beziehungen hervorbringen können, die
der vernünftigen Kreatur Nutzen schaffen? Alle Wesen
hängen aus einer Ursache zusammen, welche der Ver-
II. Teil. 5. Hauptstück. Von dem Saturn. 99
stand Gottes ist; sie können dahero keine andere Folgen
nach sich ziehen, als solche, die eine Vorstellung der
Vollkommenheit in ebenderselben göttlichen Idee mit
sich führen.
Wir wollen nunmehro die Zeit der Achsendrehung
dieses Himmelskörpers aus den Verhältnissen seines
Ringes, nach der angeführten Hypothese seiner Er-
zeugung, berechnen. Weil alle Bewegung der Teil-
chen des Ringes eine einverleibte Bewegung von der
Achsendrehung des Saturns ist, auf dessen Oberfläche 10
sie sich befanden, so trifft die schnelleste Bewegung
unter denen, die diese Teilchen haben, mit der
Schnellesten Umwendung, die auf der Oberfläche des
Saturns angetroffen wird, überein, das ist: die Ge-
schwindigkeit, womit die Partikeln des Ringes in seinem
inwendigen Rande umlaufen, ist derjenigen, die der
Planet auf seinem Äquator hat, gleich. Man kann
aber jene leicht finden, indem man sie aus der Ge-
schwindigkeit eines von den Saturnustrabanten suchet,
dadurch, daß man selbige in dem Verhältnisse der 20
Quadratwurzel der Entfernungen von dem Mittelpunkte
des Planeten nimmt. Aus der gefundenen Geschwindig-
keit ergibt sich unmittelbar die Zeit der Umdrehung
des Saturns um seine Achse; sie ist von sechs
Stunden, dreiundzwanzig Minuten und drei-
undfunfzig Sekunden.*) Diese mathematische Be-
rechnung einer unbekannten Bewegung eines Himmels-
körpers, die vielleicht die einzige Vorherverkündigung
ihrer Art in der eigentlichen Naturlehre ist, erwartet
*) Anmerkung Gensichens auf Grund einer Äußerung
Kants a. 0. a. 0. S. 203: „Da sich die von Xant vor mehr
als 30 Jahren berechnete Zeit der Achsendrehung des Sa-
turns durch die Folgerungen, die Bugge aus der beobachteten
Abplattung des Saturns in Ansehung dieser Achsendrehung
zieht, imgleichen die Zeit, in welcher die Teile des innem
Randes seines Ringes umlaufen, durch Herschels Beobach-
tungen, jetzt so schön zu bestätigen scheint, so erhält da-
durch die Kantische Theorie von der Erzeugung des
Ringes und der Erhaltung desselben nach bloßen Gesetzen
der Zentralkräfte einen sehr großen Grad der Glaubwürdig-
keit." Über die Berechnung der Umdrehungsgeschwindig-
keit des Saturns vgl. Gensichen S. 193 ff. Anm. und Ak,
Ausg. 554 ff.
7*
100 Allgemeine Xaturgeschichte und Theorie des Himmels.
von den Beobachtungen künftiger Zeiten die Be-
stätigung. Die noch zurzeit bekannte Ferngläser ver-
größern den Saturn nicht so sehr, daß man die Flecken,
die man auf seiner Oberfläche vermuten kann, da-
durch entdecken könnte, um durch deren Verrückung
seine Umwendung um die Achse zu ersehen. Allein
die Sehröhre haben vielleicht noch nicht alle die-
jenige Vollkommenheit erlanget, die man von ihnen
hoffen kann und welche der Fleiß und die Geschick-
10 lichkeit der Künstler uns zu versprechen scheinet.
Wenn man dereinst dahin gelangete, unsern Mut-
maßungen den Ausschlag durch den Augenschein zu
geben, welche Gewißheit würde die Theorie des Sa-
turns, und was vor eine vorzügliche Glaubwürdigkeit
würde das ganze System dadurch nicht erlangen, das
auf den gleichen Gründen errichtet ist. Die Zeit der
täglichen Umdrehung des Saturns führet auch die Ver-
hältnis der den Mittelpunkt fliehenden Kraft seines
Äquators zur Schwere auf seiner Oberfläche mit sich;
10 sie ist zu dieser, wie 20:32. Die Schwere ist also
nur um Vs größer als die Zenterfliehkraft. Dieses so
große Verhältnis verursachet notwendig einen sehr
beträchtlichen Unterscheid der Durchmesser dieses
Planeten, und man könnte besorgen, daß er so groß
entspringen müßte, daß die Beobachtung bei diesem,
obzwar wenig durch das Fernglas vergrößerten Pla-
neten dennoch gar zu deutlich in die Augen fallen
müßte, welches wirklich nicht geschiehet, und die
Theorie dadurch einen nachteiligen Anstoß erleiden
30 könnte. Eine gründliche Prüfung hebet diese Schwierig-
keit völlig. Nach der Huygenianischen Hypothese,
welche annimmt, daß die Schwere in dem Innern
eines Planeten durch und durch gleich sei, ist der
Unterscheid der Durchmesser in einer zweifach klei-
nern Verhältnis zu dem Durchmesser des Äquators, als
die Zenterfliehkraft zur Schwere unter den Polen hat.
Z. E. da bei der Erde die den Mittelpunkt fliehende
Kraft des Äquators ^l^m der Schwere unter den Polen
ist, so muß in der Huygenianischen Hypothese der
40 Durchmesser der Äquatorsfläche ^U-,^ größer als die
Erdachse sein. Die Ursache ist diese: weil, da die
Schwere der Voraussetzung gemäß, in dem Innern
IL Teil. 5. Hauptstück. Von dem Saturn. 101
des Erdklumpens, in allen Nähen zum Mittelpunkte
so groß wie auf der Oberfläche ist, die Zentrifugal-
kraft aber mit den Annäherungen zum Mittelpunkte
abnimmt, selbige nicht allenthalben V289 der Schwere
ist, sondern vielmehr die ganze Verminderung des
Gewichtes der flüssigen Säule in der Äquatorsfläche
aus diesem Grunde nicht V289, sondern die Hälfte
davon, d. i. Vsts desselben, beträgt. Dagegen hat in
der Hypothese des Newton die Zenterfliehkraft, welche
die Achsendrehung erreget, in der ganzen Fläche des 10
Äquators, bis zum Mittelpunkte, eine gleiche Verhält-
nis zur Schwere des Orts; weil diese in dem Innern
des Planeten (wenn er durch und durch von gleich-
förmiger Dichtigkeit angenommen wird) mit dem Ab-
stände vom Mittelpunkte in derselben Proportion, als
die Zenterfliehkraft, abnimmt, mithin diese jederzeit
V289 <ier erstem ist. Dieses verursachet eine Erleichte-
rung der flüssigen Säule in der Äquatorsfläche, und
auch die Erhebung derselben um Vsso» welcher Unter-
schied der Durchmesser in diesem Lehrbegriffe noch 20
dadurch verm^ehret wird, daß die Verkürzung der
Achse eine Annäherung der Teile zum Mittelpunkte,
mithin eine Vermehrung der Schwere, die Verlänge-
rung des Äquatordurchmessers aber eine Entfernung
der Teile von ebendemselben Mittelpunkte, und daher
eine Verringerung ihrer Gravität mit sich führet, und
aus diesem Grunde die Abplattung des Newtonischen
Sphäroids so vermehret, daß der Unterscheid der
Durchmesser von 1/239 bis zu V230 erhoben wird.
Nach diesen Gründen müßten die Durchmesser des 30
Saturns noch in größerem Verhältnisse, als das von
20:32 ist, gegeneinander sein; sie müßten der Pro-
portion von 1:2 beinahe gleich kommen. Ein Unter-
scheid, der so groß ist, daß die geringste Aufmerk-
samkeit ihn nicht fehlen würde, so klein auch Saturn
durcJi die Ferngläser erscheinen mag. Allein hieraus
ist nur zu ersehen, daß die Vorraussetzung der gleich-
förmigen Dichtigkeit, welche bei dem Erdkörper ziem-
lich richtig angebracht zu sein scheinet, beim Saturn
gar zu weit von der Wahrheit abweiche; welches schon 40
an sich selber bei einem Planeten wahrscheinlich ist,
dessen Klumpen dem größesten Teile seines Inhaltes
102 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
nach aus den leichtesten Materien bestehet, und denen
von schwererer Art in seinem Zusammensatze, bevor
er den Zustand der Festigkeit bekommt, die Nieder-
sinkung zum Mittelpunkte, nach Beschaffenheit ihrer
Schwere, weit freier verstattet, als diejenige Himmels-
körper, deren viel dichterer Stoff den Niedersatz der
Materien verzögert, und sie, ehe diese Niedersinkung
geschehen kann, fest werden läßt. Indem wir also
beim Saturn voraussetzen, daß die Dichtigkeit seiner
^0 Materien, in seinem Innern, mit der Annäherung zum
Mittelpunkte zunehme, so nimmt die Schwere nicht
mehr in diesem Verhältnisse ab; sondern die wachsende
Dichtigkeit ersetzt den Mangel der Teile, die über die
Höhe des in dem Planeten befindlichen Punkts gesetzt
sein, und durch ihre Anziehung zu dessen Gravität
nichts beitragen*). Wenn diese vorzügliche Dichtigkeit
der tiefsten Materien sehr groß ist, so verwandelt sie,
vermöge der Gesetze der Anziehung, die zum Mittel-
punkte hin in dem Innern abnehmende Schwere in
20 eine fast gleicJiförmige, und setzet das Verhältnis der
Durchmesser dem Huygenischen nahe, welches immer
die Hälfte von dem Verhältnis zwischen der Zentri-
fugalkraft und der Schwere ist; folglich, da diese
gegeneinander wie 2:3 waren, so wird der Unter-
scheid der Durchmesser dieses Planeten nicht 1/3, son-
dern Ve des Äquatordurchschnitts a) sein; welcher
Unterscheid schließlich noch dadurch verborgen wird,
weil Saturn, dessen Achse mit der Fläche seiner Bahn
jederzeit einen Winkel von 31 Graden macht, die
30 Stellung desselben gegen seinen Äquator niemals, wie
beim Jupiter, geradezu darbietet, welcJies den vorigen
*) Denn nach den Xewtonischen Gesetzen der Attraktion
wird ein Körper, der sich in dem Inwendigen einer Kugel
befindet, nur von demjenigen Teile derselben angezogen,
der in der Weite, welche jener vom Mittelpunkte hat, um
diesen sphärisch beschrieben worden. Der außer diesem
Abstände befindliche konzentrische Teil tut, wegen des
Gleichgewichts seiner Anziehungen, die einander aufheben,
nichts dazu, weder den Körper zum Mittelpunkte hin, noch
von ihm weg zu bewegen.
a) „Äquatordurchmessers" Kahts Ak. Ausg.
II. Teil. 5. Hauptstück. Von dem Satum. 103
Unterscheid fast um den dritten Teil, dem Scheine
nach, vermindert. Man kann bei solchen Umständen,
und vornehmlich bei der so großen Weite dieses Pla-
neten leiclit erachten, daß die abgeplattete Gestalt
seines Körpers nicht so leicht, als man wohl denken
sollte, in die Augen fallen werde; dennoch wird die
Sternwissenschaft, deren Aufnehmen vornehmlich auf
die Vollkommenheit der Werkzeuge ankommt, die Ent-
deckung einer so merkwürdigen Eigenschaft, wo ich
mir nicht zu sehr schmeichle, durch derselben Hilfe 10
vielleicht zu erreichen in den Stand gesetzet werden.
Was ich von der Figur des Saturns sage, kann
gewissermaßen der Naturlehre des Himmels zu einer
allgemeinen Bemerkung dienen. Jupiter, der nach einer
genauen Ausrechnung, eine Verhältnis der Schwere zur
Zentrifugalkraft auf seinem Äquator wenigstens wie
d^/i'.l hat, sollte, wenn sein Klumpen durch und durch
von gleichförmiger Dichtigkeit wäre, nach den Lehr-
sätzen des Newton, einen noch größern Unterscheid,
als V9, zwischen seiner Achse und dem Äquatorsdurch- 20
messer an sich zeigen. Allein Cassini hat ihn nur
Vi6> Poneda) Vi2> bisweilen 1/14 befunden; wenigstens
stimmen alle diese verschiedene Beobachtungen,
welche durch ihren Unterscheid die Schwierigkeit
dieser Abmessung bestätigen, darin überein, sie viel
kleiner zu setzen, als sie es nach dem Syst-em des
Newton, oder vielmehr nach seiner Hypothese von
der gleichförmigen Dichtigkeit sein sollte. Und wenn
man daher die Voraussetzung der gleichförmigen
Diciitigkeit, welche die so große Abweichung der 30
Theorie von der Beobachtung veranlasset, in die viel
wahrscheinlichere verändert, da die Dichtigkeit des
planetischen Klumpens zu seinem Mittelpunkte hin
zunehmend gesetzet wird, so wird man nicht allein
an dem Jupiter die Beobachtung rechtfertigen, sondern
aucJi bei dem Saturn, einem viel schwerer abzumessen-
den Planeten, die Ursache einer minderen Abplattung
seines sphäroidischen Körpers deutlich einsehen können.
Wir haben aus der Erzeugung des saturnischen
Ringes Anlaß genommen, den kühnen Schritt zu wagen, 40
a) „Pound". Ak. Ausg.
104 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
die Zeit der Achsendreiiung, welche die Ferngläser
zu entdecken nicht vermögen, ihm durch Rechnung
zu bestimmen. Lasset uns diese Probe einer physischen
Vorhersagung noch mit einer andern an eben diesem
Planeten vermehren, welche von vollkommeneren Werk-
zeugen künftiger Zeiten das Zeugnis ihrer Richtigkeit
zu erwarten hat.
Der Voraussetzung gemäß: daß der Ring des
Saturns eine Häufung der Teilchen sei, die, nachdem
10 sie von der Oberfläche dieses Himmelskörpers als
Dünste aufgestiegen, sich vermöge des Schwunges, den
sie von der Acbsendrehung desselben an sich haben
und fortsetzen, in der Höhe ihres Abstandes frei in
Zirkeln laufend erhalten, haben dieselbe nicht in allen
iliren Entfernungen vom Mittelpunkte gleiche perio-
dische Umlaufszeiten; sondern diese verhalten sich
vielmehr, wie die Quadratwurzeln aus den Würfeln
ihres Abstandes, wenn sie sich durch die Gesetze der
Zentralkräfte schwebend erhalten sollen. Nun ist die
20 Zeit, darin, nach dieser Hypothese, die Teilchen des
inwendigen Randes lliren Umlauf verrichten, ohngefähr
von 10 Stunden, und die Zeit des Zirkellaufs der
Partikeln im auswendigen Rande ist, nach gehöriger
Ausrechnung, 15 Stunden; also, wenn die niedrigsten
Teile des Ringes ihren Umlauf 3 mal verrichtet haben,
haben es die entferntesten nur 2 mal getan. Es ist
aber wahrscheinlich, man mag die Hindernis, die die
Partikeln bei ihrer großen Zerstreuung in der Ebene
des Ringes einander leisten, so gering schätzen, als
30 man will, daß das Nachbleiben der entferntem Teil-
chen, bei jeglichem ihrer Umläufe, die schneller be-
wegte niedrige Teile nach und nach verzögern und
aufhalten a), dagegen diese denen obern einen Teil
ihrer Bewegung zu einer geschwindern Umwendung
eindrücken müssen, welches, wenn diese Wechsel-
wirkung nicht endlich unterbrochen würde, so lange
dauren würde, bis die Teilchen des Ringes alle dahin
gebracht wären, sowohl die niedrigen, als die weitern,
in gleicher Zeit sich herumzuwenden, als in welchem
40 Zustande sie in respektiver Ruhe gegeneinander sein
a) „verzögert und aufhält". Ak. Ausg.
II. Teil. 5. Hauptstück. Von dem Saturn. 105
und durch die Wegrückung keine Wirkung ineinander
tun würden. Nun v/ürde aber ein solcher Zustand,
wenn die Bewegung des Ringes dahin ausschlüge, den-
selben gänzlich zerstören, weil, wenn man die Mitte
von der Ebene des Ringes nimmt, und setzet, daß
daselbst die Bewegung in dem Zustande verbleibe,
darin sie vorher war und sein muß, um einen freien
Zirkellauf leisten zu können, die untern Teilchen, weil
sie sehr zurückgehalten worden, sich nicht in ihrer
Höhe schwebend erhalten, sondern in schiefen und 10
exzentrischen Bewegungen einander durchkreuzen, die
entferntem aber durch den Eindruck einer größern
Bewegung, als sie vor die Zentralkraft ihres Abstandes
sein soll, weiter von der Sonne a) abgewandt, als die
Sonnenwirkung die äußere Grenze des Ringes bestimmt,
durch dieselbe hinter dem Planeten zerstreuet und
fortgeführet werden müßten.
Allein man darf alle diese Unordnung nicht be-
fürchten. Der Mechanismus der erzeugenden Bewegung
des Ringes führet auf eine Bestimmung, die denselben, 20
vermittelst eben der Ursachen, die ihn zerstören
sollen, in einen sichern Zustand versetzet, dadurch,
daß er in etliche konzentrische Zirkelstreifen geteilet
wird, welche wegen der Zwischenräume, die sie ab-
sondern, keine Gemeinschaft mehr untereinander haben.
Denn indem die Partikeln, die in dem inwendigen Rande
des Ringes umlaufen, die obere durch ihre schnellere
Bewegung etwas fortführen, und ihren Umlauf be-
schleunigen, so verursachen die vermehrten Grade der
Geschwindigkeit in diesen ein Übermaß der Zentrifugal- 30
kraft und eine Entfernung von dem Orte, da sie
schwebeten. Wenn man aber voraussetzet, daß, in-
dem dieselbe sich von den niedrigen zu trennen be-
streben, sie einen gewissen Zusammenhang zu über-
winden haben, der, ob es zwar zerstreuete Dünste
sein, dennoch bei diesen nicht ganz nichtsbedeutend
a) „dem Saturn". Ak. Ausgabe, Rahts bemerkt dazu:
„Die Teilchen des Ringes, welche bei kreisförmiger Be-
wegung immer gleich weit vom Saturn entfernt blieben,
entfernen sich bei vergrößerter Geschwindigkeit von dem-
selben."
106 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
zu sein scheinet, so wird dieser vermehrte Grad des
Schwunges gedachten Zusammenhang zu überwinden
trachten, aber selbigen nicht überwinden, solange der
Überschuß der Zenterfliehkraft, die er in gleicher
ümlaufszeit mit den niedrigsten anwendet, über die
Zentralkraft ihres Orts dieses Anhängen nicht über-
trifft. Und aus diesem Grunde muß in einer gewissen
Breite eines Streifens von diesem Ringe, obgleich, weil
dessen Teile in gleicher Zeit ihren Umlauf verrichten,
10 die obere eine Bestrebung anwenden, sich von den
untern abzureißen, dennoch der Zusammenhang be-
stehen, aber nicht in größerer Breite, weil siea), in-
dem die Geschwindigkeit dieser in gleichen Zeiten um-
bewegten b) Teilchen mit den Entfernungen, also mehr,
als sie es nach den Zentralgesetzen tun sollte, zu-
nimmt, wenn sie den Grad überschritten hat, den der
Zusammenhang der Dunstteilchen leisten kann, von
diesen sich abreißen und einen Abstand annehmen
müssen, welcJier dem Überschusse der Umwendungs-
20 kraft über die Zentralkraft des Orts gemäß ist. Auf
diese Weise wird der Zwischenraum bestimmet, der
den ersten Streifen des Ringes von den übrigen ab-
sondert; und auf gleiche Weise macht die beschleunigte
Bewegung der obern Teilchen, durch den schnellen
Umlauf der untern, und der Zusammenhang derselben,
welcher die Trennung zu hindern trachtet, den zweiten
konzentrischen Ring, von welchem der dritte um eine
mäßige Zwischenweite abstehet. Man könnte die Zahl
dieser Zirkelstreifen und die Breite ihrer Zwischen-
30 räume ausrechnen, wenn der Grad des Zusammen-
hanges bekannt wäre, welcher die Teilchen aneinander
hängt; allein wir können uns begnügen, überhaupt die
Zusammensetzung des saturnischen Ringes, die dessen
Zerstörung vorbeugt und ihn durch freie Bewegungen
scJiwebend erhält, mit gutem Grunde der Wahrschein-
lidikeit erraten zu haben.
Diese Mutmaßung vergnüget mich nicht wenig;
vermittelst der Hoffnung, selbige noch wohl dereinst
durch wirkliche Beobachtungen bestätiget zu sehen.
a) „sie"? (fehlt A.)
b) „unbewegten" A.
II. Teil. 5. Hauptstück. Von dem Saturn. 107
Vor einigen Jahren verlautete aus London, daß, indem
man mit einem neuen, vom Herrn Bradley ver-
besserten Newtonischen Sehrohre den Saturn be-
obacJitete, es geschienen habe, sein Ring sei eigent-
lich eine Zusammensetzung von vielen konzentrischen
Ringen, welche durch Zwischenräume abgesondert
wären. Diese Nachricht ist seitdem nicht fortgesetzet
worden*). Die Werkzeuge des Gesichts haben die
Kenntnisse der äußersten Gegenden des Weltgebäudes
dem Verstände eröffnet. Wenn es vornehmlich auf ^0
sie ankommt, neue Schritte darin zu tun, so kann
man von der Aufmerksamkeit des Jahrhunderts auf
alle dasjenige, was die Einsichten der Menschen er-
weitern kann, wohl mit Wahrscheinlichkeit hoffen, daß
sie sich vornehmlich auf eine Seite wenden werde.
*) Nachdem ich dieses aufgesetzet, finde ich in den Me-
moires der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Paris
vom Jahre 1705 in einer Abhandlung des Herrn Cassini,
von den Trabanten und dem Ringe des Saturns,
auf der 571sten Seite des zweiten Teils der von Stein-
wehr sehen Übersetzung, eine Bestätigung dieser Ver-
mutung, die fast keinen Zweifel ihrer Richtigkeit mehr
übrig laut. Nachdem Herr Cassini einen Gedanken vor-
getragen, der gewissermaßen eine kleine Annäherung zu
derjenigen Wahrheit hätte sein können, die wir heraus-
gebracht haben, ob er gleich an sich unwahrscheinlich ist:
nämlich daß vielleicht dieser Ring ein Schwärm kleiner
Trabanten sein möchte, die vom Saturn aus ebenso anzu-
sehen wären, als die Milchstraße von der Erde aus erscheinet
(welcher Gedanke Platz finden kann, wenn man vor diese
kleine Trabanten die Dunstteilchen nimmt, die mit eben
dergleichen Bewegung sich um ihn schwingen), so sagt er
ferner : „Diesen Gedanken bestätigen die Obser-
vationen, die man in den Jahren gemacht, da der
Ring des Saturns breiter und offener schien. Denn
man sähe die Breite des Ringes durch eine dunkle
elliptische Linie, deren nächster Teil, nach der
Kugel zu, heller war, als der entfernteste, in zween
Teile geteilet. Diese Linie bemerkte gleichsam
einen kleinen Zwischenraum zwischen den zween
Teilen, so wie die Weite der Kugel vom Ringe
durch die größte Dunkelheit zwischen beiden an-
gezeiget wird."
108 Allgemeine Naturgescliicbtc und Theorie des Himmels.
welche ihr die größte Hoffnung zu wichtigen Ent-
deckungen darbietet.
Wenn aber Saturn so glücklich gewesen, sich einen
Ring zu verschaffen, warum ist denn kein anderer
Planet mehr dieses Vorteils teilhaftig worden? Die
Ursache ist deutlich. Weil ein Ring aus den Aus-
dünstungen eines Planeten, der sie bei seinem rohen
Zustande aushauchet, entstehen soll, und die Achsen-
drehung diesen a) den Schwung geben muß, den sie
10 nur fortzusetzen haben, wenn sie in die Höhe gelanget
sein, da sie mit dieser eingepflanzten Bewegung der
Gravitation gegen den Planeten gerade das Gleich-
gewicht leisten können, so kann man leicht durch
Rechnung bestimmen, zu welcher Höhe die Dünste
von einem Planeten aufsteigen müssen, wenn sie durch
die Bewegungen, die sie unter dem Äquator desselben
hatten, sich in freier Zirkelbewegung erhalten sollen,
wenn man den Durchmesser des Planeten, die Zeit
seiner Umdrehung und die Schwere auf seiner Ober-
20 fläche kennet. Nach dem Gesetze der Zentralbewegung
wird die Entfernung eines Körpers, der um einen
Planeten mit einer dessen Achsendrehung gleichen
Geschwindigkeit frei ün Zirkel laufen kann, in eben-
solchem Verhältnisse zum halben Durchmesser des Pla-
neten sein, als die den Mittelpunkt fliehende Kraft,
unter dem Äquator desselben, zur Schwere ist. Aus
diesen Gründen war die Entfernung des Innern Randes
des Saturnringes wie 8, wenn der halbe Diameter
desselben wie 5 angenommen wird, welche zwei Zahlen
30 in demselben Verhältnisse wie 32:20 sindb), die so wie
wir vorher bemerket haben, die Proportion zwischen
der Schwere und der Zenterfliehkraft unter dem
Äquator ausdrücken c). Aus den gleichen Gründen, wenn
man setzte, daß Jupiter einen auf diese Art erzeugten
Ring haben sollte, würde dessen kleinster halber Durch-
messer die halbe Dicke des Jupiter 10 mal übertreffen,
welches gerade dahin treffen würde, wo sein äußerster
Trabante um ihn läuft, und daher sowohl aus diesen
a) „dieser" A.
b) „ist" A.
c) „ausdrückt" A. korr. Ak. Ausg.
II. Teil. 5. Hauptetück. Von dem Saturn. 109 '
Gründen, als auch, weil die Ausdünstung eines Pla-
neten sich so weit von ihm nicht ausbreiten kann,
unmöglich ist. Wenn man verlangte, zu wissen, warum
die Erde keinen Ring bekommen hat, so wird man die
Beantwortung in der Größe des halben Durchmessers
finden, den nur sein innerer Rand hätte haben müssen,
welcher 289 halbe Erddiameter müßte groß geworden
sein. Bei den langsamer bewegten Planeten entfernet
sich die Erzeugung eines Ringes noch weiter von
der Möglichkeit; also bleibt kein Fall übrig, da ein 10
Planet auf die Weise, wie wir es erkläret haben, einen
Ring hätte bekommen können, als derjenige, darin der
Planet ist, welcher ihn wirklich hat, welches eine nicht
geringe Bestärkung der Glaubwürdigkeit unserer Er-
klärungsart ist.
Was mich aber fast versichert macht, daß der Ring,
welcher den Saturn umgiebet, ihm nicht auf diejenige
allgemeine Art entstanden und durch die allgemeine
Bildungsgesetze erzeugt worden, die durch das ganze
System der Planeten geherrschet und dem Saturn auch 20
seine Trabanten verschaffet hat, daß, sage ich, diese
äußerliche Materie nicht ihren Stoff dazu hergegeben,
sondern er ein Geschöpf des Planeten selber sei, der
seine flüclitigsten Teile durch die Wärme erhoben
und ihnen durch seine eigene Achsendrehung den
Schwung zur Umwendung erteilet hat, ist dieses, daß
der Ring nicht so, wie die andern Trabanten des-
selben, und wie überhaupt alle umlaufende Körper,
die in der Begleitung der Hauptplaneten befindlich
sein, in der allgemeinen Beziehungsfläche der plane- 30
tischen Bev/egungen gerichtet ist, sondern von ihr
sehr abweicht, vv^elches ein sicherer Bev/eis ist, daß
er nicht aus dem allgemeinen Grundstoffe gebildet,
und seine Bewegung aus dessen Herabsinken be-
kommen, sondern von dem Planeten nach längst voll-
endeter Bildung aufgestiegen, und durch dessen ein-
gepflanzte Umschwungskräfte, als sein abgeschiedener
Teil, eine sich auf desselben Achsendrehung beziehende
Bewegung und Richtung bekommen habe*).
*) (Anmerkung- Kants vom J. 1791 nach Angabe des
Herrn Gensichen a. o. a. 0. S. 203/4) : „Die höchst-
110 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Das Vergnügen, eine von den seltensten Besonder-
heiten des Himmels in dem ganzen Umfange ihres
Wesens und Erzeugung begriffen zu haben, hat uns
in eine so weitläuftige Abhandlung verwickelt. Lasset
uns mit der Begünstigung unserer gefälligen Leser
dieselbe, wo es beliebig, bis zur Ausschweifung treiben,
um, nachdem wir uns auf eine angenehme Art will-
kürlichen Meinungen mit einer Art von Ungebunden-
heit überlassen haben, mit desto mehrerer Behutsam-
10 keit und Sorgfalt wiederum zu der Wahrheit zurück-
zukehren.
Könnte man sich nicht einbilden, daß die Erde
ebensowohl, wie Saturn, ehemals einen Ring gehabt
habe? Er möchte nun von ihrer a) Oberfläche ebenso,
wie Saturns seiner, aufgestiegen sein, und habe sich
lange Zeit erhalten, indessen daß die Erde von einer
viel schnelleren Umdrehung, als die gegenwärtige, ist,
wahrscheinliche Richtigkeit der Theorie der Erzeugung
dieses Ringes aus dunstartigem Stoffe, der sich nach Zentral-
gesetzen bewegte, wirft zugleich ein sehr vorteilhaftes Licht
auf die Theorie von der Entstehung der großen Weltkörper
selbst, nach ebendenselben Gesetzen, nur daß ihre Wurfs-
kraft durch den von der allgemeinen Schwere verursachten
Fall des zerstreuten Grundstoffs, nicht aber durch die
Achsendrehung des Zentralkörpers erzeugt worden; vor-
nehmlich wenn man (ich bediene mich hier eigner Worte
des Hrn. Prof. Kant) die durch Herrn Hofrat Lichten-
bergs wichtigen Beifall gewürdigte, spätere, als Supple-
ment zur Theorie des Himmels hinzugekommene Meinung
damit verbindet: daß nämlich jener dunstförmig im Welt-
raum verbreitete L^rstoff, der alle Materien von unendlich
verschiedener Art im elastischen Zustande in sich ent-
hielt, indem er die Weltkörper bildete, es nur dadurch tat,
daß die Materien, welche von chemischer Affinität waren,
wenn sie in ihrem Falle nach Gravitationsgesetzen aufein-
andertrafen, welchselseitig ihi-e Elastizität vernichteten, da-
durch aber dichte Massen und in diesen diejenige Hitze
hervorbrachten, welche in den größten Weltkörpem (den
Sonnen) äußerlich mit der leuchtenden Eigenschaft, an den
kleinereu (den Planeten) aber mit innerlicher Wärme ver-
bunden ist."
a) „seiner" A. korr. Rosenkranz.
II. Teil. 5. Hauptstück. Von dem Saturn. Hl
durch wer weiß was vor Ursachen bis zu gegen-
wärtigem Grade aufgehalten worden, oder daß man
dem abwärts sinkenden allgemeinen Grundstoffe es
zutrauet, denselben nach den Regeln, die wir oben
erkläret, gebildet zu haben; welches man so genau
nicht nehmen muß, wenn man seine Neigung zum
Sonderbaren vergnügen will. Allein was vor einen a)
Vorrat von schönen Erläuterungen und Folgen bietet
uns eine solche Idee dar. Ein Ring um die Erde!
Welche Schönheit eines Anblicks vor diejenige, die 10
erschaffen waren, die Erde als ein Paradies zu be-
wohnen; wie viel Bequemlichkeit vor diese, welche die
Natur von allen Seiten anlachen sollte! Allein dieses
ist noch nichts gegen die Bestätigung, die eine solche
Hypothese aus der Urkunde der Schöpfungsgeschichte
entlehnen kann, und die vor diejenige keine geringe
Empfehlung zum Beifalle ist, welche die Ehre der
Offenbarung nicht zu entweihen, sondern zu bestätigen
glauben, wenn sie sich ihrer bedienen, den Ausschwei-
fungen ihres Witzes dadurch ein Ansehen za geben. 20
Das Wasser der Veste, deren die Mosaische Beschrei-
bung erwähnet, hat den Auslegern schon nicht wenig
Mühe verursachet. Könnte man sich dieses Ringes
nicht bedienen, sich aus dieser Schwierigkeit heraus-
zuhelfen? Dieser Ring bestand ohne Zweifel aus wäß-
richten Dünsten, und man hat außer dem Vorteile,
den er den ersten Bewohnern der Erde verschaffen
konnte, nocli diesen, ihn im benötigten Falle zer-
brechen zu lassen, um die Welt, die solcher Schön-
heit sich unwürdig gemacht hatte, mit Überschwem- 30
mungen zu züchtigen. Ent\veder ein Komet, dessen
Anziehung die regelmäßige Bewegungen seiner Teile
in Verwirrung brachte, oder die Verkühlung der
Gegend seines Aufenthalts vereinigte dessen zerstreuete
Dunstteile, und stürzte sie in einem der allergrausam-
sten Wolkenbrüche auf den Erdboden nieder. Man
weiß leichtlich, was die Folge hievon war. Alle Welt
ging im Wasser unter und sog noch über dieses in
denen fremden und flüchtigen Dünsten dieses un-
natürlichen Regens denjenigen langsamen Gift ein, 40
a) „ein" A. korr. Ausg. v. 1797.
112 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels,
der alle Geschöpfe dem Tode und der Zerstörung
naher brachte. Nunmehro war die Figur eines blassen
und lichten Bogens von dem Horizonte verschwunden,
und die neue Welt, welcJie sich dieses Anblicks nie-
mals erinnern konnte, ohne ein Schrecken vor diesem
fürchterlichen Werkzeug der göttlichen Rache zu emp-
finden, sähe vielleicht mit nicht geringer Bestürzung
in dem ersten Regen denjenigen farbichten Bogen,
der seiner Figur nach den erstem abzubilden schien,
10 aber durch die Versicherung des versöhnten Himmels
ein Gnadenzeichen und Denkmal einer fortwährenden
Erhaltung des nunmehro veränderten Erdbodens sein
sollte. Die Ähnlichkeit der Gestalt dieses Erinnerungs-
zeichens mit der bezeichneten Begebenheit könnte eine
solche Hypothese denenjenigen anpreisen, die der herr-
scJienden Neigung ergeben sind, die Wunder der Offen-
barung mit den ordentlicJien Naturgesetzen in ein
System zu bringen. Ich finde es vor ratsamer, den
flüchtigen Beifall, den solche Übereinstimmungen er-
20 wecken können, dem wahren Vergnügen völlig aufzu-
opfern, welcJies aus der Wahrnehmung des regel-
mäßigen Zusammenhanges entspringet, wenn physische
Analogien einander zur Bezeichnung physischer Wahr-
heiten unterstützen.
Sechstes Hauptstück.
Von dem Zodiakalüchte.
Die Sonne ist mit einem subtilen und dunstigen
Wesen umgeben, welches in der Fläche ihres Äquators
mit einer nur geringen Ausbreitung auf beiden Seiten
30 bis zu einer großen Höhe sie umgibet, wovon man
nicht versichert sein kann, ob es, wie Herr von Mai ran
es abbildet, in der Figur eines erhaben geschliffenen
Glases (figura lenticulari) mit der Oberfläche der Sonne
zusammenstößt, oder wie der Ring des Saturns allent-
halben von ihm abstehet. Es sei nun das eine oder
das andere, so bleibet Ähnlichkeit genug übrig, um
dieses Phänomenon mit dem Ringe des Saturns in Ver-
II. Teil. 6. Hauptstück. Von dem Zodiakallichte. 113
gleichung zu stellen und es aus einem übereinkommen-
den Ursprünge herzuleiten. Wenn diese ausgebreitete
Materie ein Ausfluß aus der Sonne ist, wie es denn
am wahrscheinlichsten ist, sie davor zu halten, so
wird man die Ursache nicht verfehlen können, die
sie auf die dem Sonnenäquator gemeine Fläche ge-
bracht hat. Der leichteste und flüchtigste Stoff, den
das Sonnenfeuer von dessen Oberfläche erhebet und
schon lange erhoben hat, wird durch derselben Wir-
kung weit über sie fortgetrieben und bleibet, nach lO
Maßgebung seiner Lreichtigkeit, in einer Entfernung
schweben, wo die forttreibende Wirkung der Strahlen
der Schwere dieser Dunstteilchen das Gleichgewicht
leistet, oder sie werden von dem Zuflüsse neuer Par-
tikeln unterstützet, welche beständig zu ihnen hinzu-
kommen. Nun, weil die Sonne, indem sie sich um die
Achse drehet, diesen von ihrer Oberfläche abgerissenen
Dünsten ihre Bewegung gleichmäßig eindrückt, so be-
halten dieselbe einen gewissen Schwung zum Umlaufe,
wodurch sie von beiden Seiten, den Zentralgesetzen 20
gemäß, in dem Zirkel ihrer Bewegung die fortgesetzte
Äquatorsfläche der Sonne zu durchschneiden bestrebt
sein, und daher, weil sie in gleicher Quantität von
beiden Hemisphärien sich zu derselben hindringen, da-
selbst sich mit gleichen Kräften häufen, und eine
ausgebreitete Ebene in diesem, auf den Sonnenäquator
beziehenden Plan formieren.
Allein ohnerachtet dieser Ähnlichkeit mit dem Sa-
turnusringe bleibt ein wesentlicher Unterschied übrig,
welcher das Phänomenen des Zodiakallichtes von jenem 30
sehr abweichend macht. Die Partikeln des erstem
erhalten sich durch die eingepflanzte Umdrehungs-
bewegung in frei schwebendem Zirkellaufe; allein die
Teilchen des letztern werden durch die Kraft der
Sonnenstrahlen in ihrer Höhe erhalten, ohne welche
die ihnen von der Sonnenumwendung beiwohnende Be-
wegung gar weit fehlen würde, sie im freien Um-
schwünge vom Falle abzuhalten. Denn da die den
Mittelpunkt fliehende Kraft der Achsendrehung auf der
Oberfläche der Sonne noch nicht V40000 der Attraktion 40
ist, so würden diese aufgestiegene Dünste 40 000 halbe
Sonnendiameter von ihr entfernet werden müssen, um
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I. 3
X 14 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
in solcher Weite allererst eine Gravitation anzutreffen,
der ihre mitgeteilte a) Bewegung das Gleichgewicht
leisten könnte. Man ist also sicher, dieses Phänomenen
der Sonne ihr nicht auf die dem Saturnusringe gleiche
Art zuzumessen.
Gleichwohl bleibet eine nicht geringe Wahrschein-
lichkeit übrig, daß dieser Halsschmuck der Sonne
vielleicht denselben Ursprung erkenne, den die ge-
samte Natur erkennet, nämlich die Bildung aus dem
10 allgemeinen Grundstoff, dessen Teile, da sie in den
höchsten Gegenden der Sonnenwelt herumgeschwebet,
nur allererst nach völlig vollendeter Bildung des
ganzen Systems zu der Sonne, in einem späten Falle
mit geschwächter, aber doch von Abend gegen Morgen
gekrümmter Bewegung herabgesunken, und vermittelst
dieser Art des Kreislaufes die fortgesetzte Äquators-
fläclie derselben durchschnitten, daselbst durch ihre
Häufung von beiden Seiten, indem sie sich aufhielten,
eine in dieser Stellung ausgebreitete Ebene einge-
20 nommen haben, worin sie sich zum Teil durch der
Sonnenstrahlen Zurücktreibung, zum Teil durch ihre
wirklicli erlangte Kreisbewegung jetzo in beständig
gleicher Höhe erhalten. Die gegenwärtige Erklärung
hat keine andere Würdigkeit, als diejenige, welche
Mutmaßungen zukommt, und keinen Anspruch, als nur
auf einen willkürlichen Beifall; das Urteil des Lesers
mag sich auf diejenige Seite wenden, welche ihm die
annehmungswürdigste zu sein dünket.
Siebentes Hauptstück.
30 Von der Schöpfung im ganzen Umfange ihrer Unendlichkeit,
sowohl dem Räume als der Zeit nach.
Das Weltgebäude setzet durch seine unermeßliche
Größe und durch die unendliche Mannigfaltigkeit und
Schönheit, welche aus ihrb) von allen Seiten hervor-
a) „der ihrer mitgeteilten" Ak. Ausg. „die ihrer mitge-
teilten". Ak. Ausg.
b) „ihm" Ak. Ausg.
II. Teil. 7. Hauptstück. Von d. Schöpfung etc. 115
leuchtet, in ein stilles Erstaunen. Wenn die Vor-
stellung aller dieser Vollkommenlieit nun die Ein-
bildungskraft rühret, so nimmt den Verstand anderer-
seits eine andere Art der Entzückung ein, wenn er
betrachtet, wie so viel Pracht, so viel Größe aus einer
einzigen allgemeinen Regel mit einer ewigen und rich-
tigen Ordnung abfließet. Der planetische Weltbau,
in dem die Sonne aus dem Mittelpunkte aller Kreise,
mit ihrer mächtigen Anziehung, die bewohnte Kugeln
ihres Systems in ewigen Kreisen umlaufend macht, 10
ist gänzlich, wie wir gesehen haben, aus dem ur-
sprünglich ausgelDreiteten Grundstoff aller Weltmaterie
gebildet worden. Alle Fixsterne, die das Auge an der
hohlen Tiefe des Himmels entdecket und die eine
Art von Verschwendung anzuzeigen scheinen, sind
Sonnen und Mittelpunkte von ähnlichen Systemen. Die
Analogie erlaubt es also hier nicht, zu zweifeln, daß
diese auf die gleiche Art, wie das, darin wir uns
befinden, aus denen kleinsten Teilen der elementari-
schen Materie, die den leeren Raum, diesen unend- 20
liehen Umfang der göttlichen Gegenwart, erfülle te,
gebildet und erzeuget worden.
Wenn nun alle Welten und Weltordnung dieselbe
Art ihres Ursprunges erkennen, wenn die Anziehung
unbeschränkt und allgemein, die Zurückstoßung der
Elemente aber ebenfalls durchgehends wirksam, wenn
bei dem Unendlichen das Große und Kleine beiderseits
klein ist, sollten nicht alle die Weltgebäude gleicher-
maßen eine beziehende Verfassung und systematische
Verbindung untereinander angenommen haben, als die 30
Himmelskörper unserer Sonnenwelt im Kleinen, wie
Saturn, Jupiter und die Erde, die vor sich insonderheit
Systeme sein und dennoch untereinander als Glieder
in einem noch größern zusammenhängen? Wenn man
in dem unermeßlichen Räume, darin alle Sonnen der
Milchstraße sich gebildet haben, einen Punkt annimmt,
um welchen durch, ich weiß nicht was vor eine Ur-
sache die erste Bildung der Natur aus dem Chaos
angefangen hat, so wird daselbst die größte Masse
und ein Körper von der ungemeinsten Attraktion ent- 40
standen sein, der dadurch fähig geworden, in einer
ungeheuren Sphäre um sich alle in der Bildung be-
116 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
griffene Systeme zu nötigen, sich gegen ihn, als ihren
Mittelpunkt, zu senken und um ihn ein gleiches System
im Ganzen zu errichten, als derselbe elementarische
Grundstoff, der die Planeten bildete, um die Sonne
im Kleinen gemacht hat. Die Beobachtung macht diese
Mutmaßung beinahe ungezweifelt. Das Heer der Ge-
stirne macht, durch seine beziehende Stellung gegen
einen gemeinschaftlichen Plan, ebensowohl ein System
aus, als die Planeten unseres Sonnenbaues um die
10 Sonne. Die Milchstraße ist der Zodiakus dieser höheren
Weltordnungen, die von seiner Zone so wenig als
möglich abweichen, und deren Streif immer von ihrem
Lichte erleuchtet ist, so wie der Tierkreis der Planeten
von dem Scheine dieser Kugeln, obzwar nur in sehr
wenig Punkten, hin und wieder schimmert. Eine jede
dieser Sonnen macht mit ihren umlaufenden Planeten
vor sich ein besonderes System aus; alkin dieses hindert
nicht, Teile eines noch größeren Systems zu sein, so wie
Jupiter oder Saturn, ungeachtet ihrer eigenen Beglei-
20 tung, in der systematischen Verfassung eines noch grö-
ßeren Weltbaues beschränkt sein. Kann man an einer
so genauen Übereinstimmung in der Verfassung nicht
die gleiche Ursache und Art der Erzeugung erkennen?
•Wenn nun die Fixsterne ein System ausmachen,
dessen Umfang durch die Anziehungssphäre desjenigen
Körpers, der im Mittelpunkte befindlich ist, bestimmet
wird, werden nicht mehr Sonnensystemata und, so zu
reden, mehr Milchstraßen entstanden sein, die in dem
grenzenlosen Felde des Weltraums erzeuget worden?
30 Wir haben mit Erstaunen Figuren am Himmel erblickt,
welche nichts anders, als solche, auf einen gem.einschaft-
lichen Plan beschränkte Fixsternensystemata, solche
Milchstraßen, wenn ich mich so ausdrücken darf, sein,
die in verschiedenen Stellungen gegen das Auge mit
einem, ihrem unendlichen Abstände gemäß geschwäch-
ten Schimmer elliptische Gestalten darstellen; es sind
Systemata von sozusagen unendlichemal unendlich
größerm Durchmesser, als der Diameter unseres
Sonnenbaues ist, aber ohne Zweifel auf gleiche Art
40 entstanden, aus gleichen Ursachen geordnet und ein-
gerichtet, und erhalten sich durch ein gleiches Trieb-
werk, als dieses, in ihrer Verfassung.
II. Teil. 7. Hauptstück. Von d. Schöpfung etc. 117
Wenn man diese Sternensystemata wiederum als
Glieder an der großen Kette der gesamten Natur
ansiehet, so hat man ebensoviel Ursache wie vorher,
sie in einer gegenseitigen Beziehung zu gedenken,
und in Verbindungen, welche kraft des durch die
ganze Natur herrschenden Gesetzes der ersten Bildung
ein neues, noch größeres System ausmachen, das durch
die Anziehung eines Körpers von ungleich mächtigerer
Attraktion, als alle die vorige waren, aus dem Mittel-
punkte ihrer regelmäßigen Stellungen regieret wird. 10
Die Anziehung, welche die Ursache der systematischen
Verfassung unter den Fixsternen der Milchstraße ist,
wirket auch noch in der Entfernung eben dieser Welt-
ordnungen, um sie aus ihren Stellungen zu bringen,
und die Welt in einem unvermeidlich 'bevorstehenden
Chaos zu begraben, wenn nicht regelmäßig ausge-
teilte Schwungskräfte der Attraktion das Gegengewicht
leisten und beiderseits in Verbindung diejenige Be-
ziehung hervorbringen, die der Grund der systema-
tischen Verfassung ist. Die Anziehung ist ohne Zweifel 20
eine ebenso weit ausgedehnte Eigenschaft der Materie,
als die Koexistenz, welche den Raum macht, indem
sie die Substanzen durch gegenseitige Abhängigkeiten
verbindet oder, eigentlicher zu reden, die Anziehung
ist eben diese allgemeine Beziehung, welche die Teile
der Natur in einem Räume vereinigt; sie erstrecket
sich also auf die ganze Ausdehnung desselben, bis
in alle Weiten ihrer Unendlichkeit. Wenn das Licht
von diesen entfernten Systemen zu uns gelanget, das
Licht, welches nur eine eingedrückte Bewegung ist, 30
muß nicht vielmehr die Anziehung, diese ursprüng-
liche Bewegungsquelle, welche eher wie alle Bewegung
ist, die keiner fremden Ursache bedarf, auch durch
keine Hindernisse kann aufgehalten werden, weil sie
in das Innerste der Materie ohne einigen Stoß, selbst
bei der allgemeinen Ruhe der Natur wirket, muß, sage
ich, die Anziehung nicht diese Fixsternensystemata,
ihrer unermeßlichen Entfernungen ungeachtet, bei der
ungebildeten Zerstreuung ihres Stoffes im Anfange der
Regung der Natur in Bewegung versetzet haben, die 40
ebenso, wie wir im Kleinen gesehen haben, die Quelle
der systematischen Verbindung und der dauerhaften
118 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Beständigkeit ihrer Glieder ist, die sie vor dem Ver-
fall sichert?
Aber welches wird denn endlich da« Ende der
systematischen Einrichtungen sein? wo wird die
Schöpfung selber aufhören? Man merket wohl, daß,
um sie in einem Verhältnisse mit der Macht des un-
endlichen Wesens zu gedenken, sie gar keine Grenzen
haben müsse. Man kommt der Unendlichkeit der
Schöpfungskraft Gottes nicht näher, wenn man den
10 Raum ihrer Offenbarung in einer Sphäre, mit dem
Radius der Milchstraße beschrieben, einschließet, als
wenn man ihn in eine Kugel beschränken will, die
einen Zoll im Durchmesser hat. Alles was endlich,
was seine Schranken und ein bestimmtes Verhältnis
zur Einheit hat, ist von dem Unendlichen gleich weit
entfernet. Nun wäre es ungereimt, die Gottheit mit
einem unendlichen kleinen Teile ihres schöpferischen
Vermögens in Wirksamkeit zu setzen, und ihre un-
endliche Kraft, den Schatz einer wahren Unermeß-
20 lichkeit von Naturen und Welten untätig und in einem
ewigen Mangel der Ausübung verschlossen zu ge-
denken. Ist es nicht vielmehr anständiger oder, besser
zu sagen, ist es nicJht notwendig, den Inbegriff der
Schöpfung also anzustellen, als er sein muß, um ein
Zeugnis von derienigen Macht zu sein, die durch keinen
Maßstab kann abgemessen werden? Aus diesem Grunde
ist das Feld der Offenbarung göttlicher Eigenschaften
ebenso unendlich, als diese selber sind*). Die Ewig-
*) Der Begriff einer unendlichen Ausdehnung der Welt
findet unter den Metaphysikkündigern Gegner und hat
nur neulich an dem Herrn M. Weitenkampf einen ge-
funden. Wenn diese Herren, wegen der angeblichen Un-
möglichkeit einer Menge ohne Zahl und Grenzen, sich zu
dieser Idee nicht bequemen können, so wollte ich nur vor-
läufig fragen: ob die künftige Folge der Ewigkeit nicht
eine wahre Unendlichkeit von Mannigfaltigkeiten und Ver-
änderungen in sich fassen wird? und ob diese unendhche
Reihe nicht auf einmal schon jetzo dem göttlichen Verstände
gänzlich gegenwärtig sei? Wenn es nun möglich war, daU
Gott den Begriff der Unendlichkeit, der seinem Verstände
auf einmal darstehet, in einer aufeinander folgenden Reihe
mrklich machen kann, warum sollte derselbe nicht den
II. Teil. 7. Hauptstück. Von d. Schöpfung etc. 119
keit ist nicht hinlänglich, die Zeugnisse des höchsten
Wesens zu fassen, wo sie nicht mit der Unendlichkeit
des Raumes verbunden wird. Es ist wahr, die Aus-
bildung, die Form, die Schönheit und Vollkommenheit
sind Beziehungen der Grundstücke und der Substanzen,
die den Stoff des Weltbaues ausmachen, und man
bemerket es an den Anstalten, die die Weisheit Gottes
noch zu aller Zeit trifft; es ist ihr auch am gemäßesten,
daß sie sich aus diesen ihnen eingepflanzten allge-
meinen Gesetzen durch eine ungezwungene Folge 10
herauswickeln. Und daher kann man mit gutem Grunde
setzen, daß die Anordnung und Einrichtung der Welt-
gebäude, aus dem Vorrate des erschaffenen Natur-
stoffes in einer Folge der Zeit, nach und nach ge-
schehe; allein die Grundmaterie selber, deren Eigen-
schaften und Kräfte allen Veränderungen zum Grunde
liegen, ist eine unmittelbare Folge des göttlichen Da-
seins; selbige muß also auf einmal so reich, so voll-
ständig sein, daß die Entwickelung ihrer Zusammen-
setzungen in dem Abflüsse der Ewigkeit sich über 20
einen Plan ausbreiten könne, der alles in sich schließet,
was sein kann, der kein Maß annimmt, kurz, der un-
endlich ist.
Wenn nun also die Schöpfung dem Räume nach
unendlich ist oder es wenigstens der Materie nach
wirklich von Anbeginn her schon gewesen ist, der
Form oder der Ausbildung nach aber es bereit ist,
Begriff einer andern Unendlichkeit in einem, dem Räume
nach, verbundenen Zusammenhange darstellen und
dadurch den Umfang der Welt ohne Grenzen machen können?
Indessen, daß man diese Frage wird zu beantworten suchen,
so werde ich^) mich der Gelegenheit, die sich darbieten wird,
bedienen, durch eine aus der Natur der Zahlen gezogene
Erläuterung die vermeinte Schwierigkeit zu heben, wofeme
man, bei genauer Erwägung, es noch als eine, einer Erör-
terung bedürftige Frage ansehen kann: ob dasjenige, was
eine durch die höchste Weisheit begleitete Macht hervor-
gebracht hat, sich zu offenbaren, zu demjenigen, was sie
hat hervorbringen können, sich wie eine Differential-
größe verhalte.
a) „ich" fehlt in A. korr. Ausg. 1797.
120 Allgemeine Naturgeschiclite und Theorie des Himmels.
ZU werden, so wird der Weltraum mit Welten ohne
Zahl und ohne Ende belebet werden. Wird denn nun
jene systematische Verbindung, die wir vorher bei
allen Teilen insonderheit erwogen haben, auch aufs
Ganze gehen und das gesamte Universum, das All
der Natur in einem einzigen System, durch die Ver-
bindung der Anziehung und der fliehenden Kraft, zu-
sammenfassen? Ich sage ja; wenn nur lauter abge-
sonderte Weltgebäude, die untereinander keine vereinte
10 Beziehung zu einem Ganzen hätten, vorhanden wären,
so könnte man wohl, wenn man diese Kette von Glie-
dern als wirklich unendlich annähme, gedenken, daß
eine genaue Gleichheit der Anziehung ihrer Teile von
allen Seiten diese Systemata von dem Verfall, den
ihnen die innere Wechselanziehung drohet, sicher
halten könne. Allein hiezu gehöret eine so genaue
abgemessene Bestimmung in denen nach der Attraktion
abgewogenen Entfernungen, daß auch die geringste
Verrückung dem Universo den Untergang zuziehen
20 und sie in langen Perioden, die aber doch endlich
zu Ende laufen müssen, dem Umstürze überliefern
würde. Eine Weltverfassung, die sich ohne ein Wunder
nicht erhielt, hat nicht den Charakter der Beständig-
keit, die das Merkmal der Wahl Gottes ist; man
trifft es also dieser weit anständiger, wenn mana) der
gesamten Schöpfung ein einziges System machet,
welches alle Welten und Weltordnungen, die den
ganzen unendlichen Raum ausfüllen, auf einen ein-
zigen Mittelpunkt beziehend macht. Ein zerstreuetes
30 Gewimmel von Weltgebäuden, sie möchten auch durch
noch so weite Entfernungen voneinander getrennet
sein, würde mit einem unverhinderten Hang zum Ver-
derben und zur Zerstörung eilen, wenn nicht eine
gewisse beziehende Einrichtung gegen einen allge-
meinen Mittelpunkt, das Zentrum der Attraktion des
Universi und den Unterstützungspunkt der gesamten
Natur, durch systematische Bewegungen getroffen
wäre.
Um diesen allgemeinen Mittelpunkt der Senkung
a) Hartenstein, Kehrbach, Kirchmann wenn „man aus
der".
II. Teil. 7. Hauptstück. Von d. Schöpfung etc. 121
der ganzen Natur, sowohl der gebildeten als der rohen,
in welchem eich ohne Zweifel der Klumpen von der
ausnehmendsten Attraktion befindet, der in seine An-
ziehungssphäre alle Welten und Ordnungen, die die
Zeit hervorgebracht hat und die Ewigkeit hervor-
bringen wird, begreifet, kann man mit Wahrschein-
lichkeit annehmen, daß die Natur den Anfang ihrer
Bildung gemacht und daß daselbst auch die Systemen
am dichtesten gehäufet sein; weiter von demselben aber
in der Unendlichkeit des Raumes sich mit immer 10
größeren Graden der Zerstreuung verlieren. Man
könnte diese Regel aus der Analogie unseres Sonnen-
baues abnehmen, und diese Verfassung kann ohnedem
dazu dienen, daß in großen Entfernungen nicht allein
der allgemeine Zentralkörper, sondern auch alla um
ihn zunächst laufende Systemata ihre Anziehung zu-
sammen vereinigen und sie gleichsam aus einem
Klumpen gegen die Systemata des noch weiteren Ab-
standes ausüben. Dieses wird alsdenn mit dazu be-
hilflich sein, die ganze Natur in der ganzen Unend- 20
lichkeit ihrer Erstreckung in einem einzigen Systema
zu begreifen.
Um nun der Errichtung dieses allgemeinen Systems
der Natur aus den mechanischen Gesetzen der zur
Bildung strebenden Materie nachzuspüren, so muß,
in dem unendlichen Räume des ausgebreiteten ele-
mentarischen Grundstoffes, an irgendeinem Orte dieser
Grundstoff die dichteste Häufung gehabt haben, um
durch die daselbst geschehende vorzügliche Bildung
dem gesamten Universo eine Masse verschaffet zu 30
haben, die ihm zum Unterstützungspunkt dienete. Es
ist zwar an dem, daß in einem unendlichen Räume
kein Punkt eigentlich das Vorrecht haben kann, der
Mittelpunkt zu heißen; aber vermittelst einer gewissen
Verhältnis, die sich auf die wesentliche Grade der
Dichtigkeit des Urstoffes gründet, nach welcher diese
zugleich mit ihrer a) Schöpfung an einem gewissen
Orte vorzüglich dichter gehäufet, und mit den Weiten
von demselben in der Zerstreuung zunimmt, kann ein
solcher Punkt das Vorrecht haben, der Mittelpunkt zu 40
a) „nach welchem dieser zugleich mit seiner" Ak. Ausg.
122 Allgemeine Natiirgesohiclite und Theorie des Hiininels.
heißen; und er wird es auch wirklich durch die Bildung
der Zentralmasse von der kräftigsten Anziehung in
demselben, zu dem sicJi alle übrige, in Partikular-
bildungen begriffene, elementarische Materie senket,
und dadurch, soweit sich auch die Auswickelung der
Natur erstrecken mag, in der unendlichen Sphäre der
Schöpfung aus dem ganzen All nur ein einziges System
macht.
Das ist aber was Wichtiges, und welches, woferne
10 es Beifall erlanget, der größesten Aufmerksamkeit
würdig ist, daß der Ordnung der Natur in diesem
unserm System zufolge die Schöpfung, oder vielmehr
die Ausbildung der Natur bei diesem Mittelpunkte
zuerst anfängt, und mit stetiger Fortschreitung nach
und na&h in alle fernere Weiten ausgebreitet wird,
um den unendlichen Raum in dem Fortgange der
Ewigkeit mit Welten und Ordnungen zu erfüllen. Lasset
uns dieser Vorstellung einen Augenblick mit stillem
Vergnügen nachhängen. Ich finde nichts, das den
20 Geist des Menschen zu einem edleren Erstaunen er-
heben kann, indem es ihm eine Aussicht in das un-
endliche Feld der Allmacht eröffnet, als diesen Teil
der Theorie, der die successive Vollendung der Schöp-
fung betrifft. Wenn man mir zugibt, daß die Materie,
die der Stoff zu Bildung aller Welten ist, in dem
ganzen unendlichen Räume der göttlichen Gegenwart
nicht gleichförmig, sondern nach einem gewissen Ge-
setze ausgebreitet gewesen, das sicJi vielleicht auf
die Dichtigkeit der Partikeln bezog, und nach welchem
30 von einem gewissen Punkte, als dem Orte der dichtesten
Häufung, mit den Weiten von diesem Mittelpunkte
die Zerstreuung des Urstoffes zunahm, so wird in der
ursprünglichen Regung der Natur die Bildung zu-
nächst diesem Zentro angefangen, und denn in fort-
schreitender Zeitfolge der weitere Raum nach und
nach Welten und Weltordnungen mit einer gegen diesen
sich beziehenden systematischen Verfassung gebildet
haben. Ein jeder endlicher Periodus, dessen Länge
zu der Größe des zu vollbringenden Werks ein Ver-
40 hältnis hat, wird immer nur eine endliche Sphäre,
von diesem Mittelpunkte an, zur Ausbildung bringen;
der übrige unendliche Teil wird indessen noch mit
II. Teil. 7. Hauptstiick. Von d. Schöpfung etc. 123
der Verwirrung und dem Chaos streiten, und um so
viel weiter von dem Zustande der vollendeten Bildung
entfernet sein, je weiter dessen Abstand von der Sphäre
der schon ausgebildeten Natur entfernet ist. Diesem
zufolge, ob wir gleich von dem Orte unseres Aufent-
halts in dem Universo eine Aussichta) in eine, wie
es scheinet, völlig vollendete Welt und, so zu reden,
in ein unendliches Heer von Weltordnungen, die syste-
matisch verbunden sind, haben, so befinden wir uns
doch eigentlich nur in einer Nahheit zum Mittelpunkte 10
der ganzen Natur, wo diese sich schon aus dem Chaos
ausgewickelt und ihre gehörige Vollkommenheit er-
langet hat. Wenn wir eine gewisse Sphäre über-
schreiten könnten, würden wir daselbst das Chaos
und die Zerstreuung der Elemente erblicken, die nach
dem Maße, als sie sich diesem Mittelpunkte näher be-
finden, den rohen Zustand zum Teil verlassen und
der Vollkommenheit der Ausbildung b) näher sind, mit
den Graden der Entfernung aber sich nach und nach
in einer völligen Zerstreuung verlieren. Wir würden c) 20
sehen, wie der unendliche Raum der göttlichen Gegen-
wart, darin der Vorrat zu allen möglichen Natur-
bildungen anzutreffen ist, in einer stillen Nacht be-
graben, voll von Materie, den künftig zu erzeugenden
Welten zum Stoffe zu dienen, und von Triebfedern,
sie in Bewegung zu bringen, die mit einer schwachen
Regung diejenige Bewegungen anfangen, womit die
Unermeßlichkeit dieser öden Räume dereinst noch soll
belebet werden. Es ist vielleicht eine Reihe von
Millionen Jahren und Jahrhunderten verflossen, ehe 30
die Sphäre der gebildeten Natur, darin wir uns be-
finden, zu der Vollkommenheit gediehen ist, die ihr
jetzt beiwohnet; und es wird vielleicht ein ebenso
langer Periodus vergehen, bis die Natur einen ebenso
weiten Schritt in dem Chaos tut; allein die Sphäre
der ausgebildeten Natur ist unaufhörlich beschäftiget,
sich auszubreiten. Die Schöpfung ist nicht das Werk
von einem Augenblicke. Nachdem sie mit der Her-
a) „Aufsicht" A. korr. Ausg. 1797.
b) „Ausübung" korr. Ausg. 1797.
c) „Wer würde" A. korr. Tieftruuk.
1 24 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
vorbringung einer Unendlichkeit von Substanzen und
Materie den Anfang gemachet hat, so ist sie mit immer
zunehmenden Graden der Fruchtbarkeit die ganze Folge
der Ewigkeit hindurch wirksam. Es werden Millionen
und ganze Gebirge von Millionen Jahrhunderten ver-
fließen, binnen welchen immer neue Welten und Welt-
ordnungen nacheinander in denen entfernten Weiten
von dem Mittelpunkte der Natur sich bilden und zur
Vollkommenlieit gelangen werden; sie werden, ohn-
10 erachtet der systematischen Verfassung, die unter ihren
Teilen ist, eine allgemeine Beziehung auf den Mittel-
punkt erlangen, welcher der erste Bildungspunkt und
das Zentrum der Schöpfung durch das Anziehungs-
vermögen seiner vorzüglichen Masse geworden ist
Die Unendlichkeit der künftigen Zeitfolge, womit die
Ewigkeit unerschöpflich ist, wird alle Räume der
Gegenwart Gottes ganz und gar beleben und in die
Regelmäßigkeit, die der Trefflichkeit seines Entwurfes
gemäß ist, nach und nach versetzen; und wenn man
20 mit einer kühnen Vorstellung die ganze Ewigkeit so-
zusagen in einem Begriffe zusammenfassen könnte,
so würde man auch den ganzen unendlichen Raum
mit Weltordnungen angefüllet und die Schöpfung voll-
endet ansehen können. Weil aber in der Tat von der
Zeitfolge der Ewigkeit der rückständige Teil allemal
unendlich und der abgeflossene endlich ist, so ist die
Sphäre der ausgebildeten Natur allemal nur ein un-
endlich kleiner Teil desjenigen Inbegriffs, der den
Samen zukünftiger Welten in sich hat und sich aus
30 dem rohen Zustande des Chaos in längern oder kür-
zern Perioden auszuwickeln trachtet. Die Schöpfung
ist niemals vollendet. Sie hat zwar einmal angefangen,
aber sie wird niemals aufhören. Sie ist immer ge-
schäftig, mehr Auftritte der Natur, neue Dinge und
neue Welten hervorzubringen. Das Werk, welches sie
zustande bringet, hat ein Verhältnis zu der Zeit, die
sie darauf anwendet. Sie braucht nichts weniger als
eine Ewigkeit, um die ganze grenzenlose Weite der
unendlichen Räume mit Welten ohne Zahl und ohne
40 Ende zu beleben. Man kann von ihr dasjenige sagen,
was der erhabenste unter den deutschen Dichtern von
der Ewigkeit schreibet:
II. Teil. 7. Hauptstück, Von d. Schöpfung etc. 125
Unendlichkeit! ■wer misset dich?
Vor dir sind Welten Tag, und Menschen Augenblicke;
Vielleicht die tausendste der Sonnen -wälzt jetzt sich,
Und tausend bleiben noch zurücke.
Wie eine Uhr, beseelt durch ein Gewicht,
EUt eine Sonn', aus Gottes Kraft bewegt;
Ihr Trieb läuft ab, und eine andre schlägt,
Du aber bleibst, und zählst sie nicht.
V. Haller.
Es ist ein nicht geringes Vergnügen, mit seiner 10
Einbildungskraft über die Grenze der vollendeten
Sahöpfung in den Raum des Chaos auszuschweifen
und die halb rohe Natur, in der Nahheit zur Sphäre
der ausgebildeten Welt, sich nach und nach durch
alle Stufen und Schattierungen der Unvollkommenheit
in dem ganzen ungebildeten Räume verlieren zu sehen.
Aber ist es nicht eine tadelnswürdige Kühnheit, wird
man sagen, eine Hypothese aufzuvverfen und sie als
einen Vorwurf der Ergötzung des Verstandes anzu-
preisen, welche vielleicht nur gar zu willkürlich ist, 20
wenn man behauptet, daß die Natur nur einem un-
endlich kleinen Teile nach ausgebildet sei, und un-
endliche Räume noch mit dem Chaos streiten, um in der
Folge künftiger Zeiten ganze Heere von Welten und
Weltordnungen, in aller gehörigen Ordnung und Schön-
heit, darzustellen? Ich bin den Folgen, die meine
Theorie darbietet, nicht so sehr ergeben, daß ich
nicht erkennen sollte, wie die Mutmaßung von der
successiven Ausbreitung der Schöpfung durch die un-
endliche Räume, die den Stoff dazu in sich fassen, 30
den Einwurf der Unerweislichkeit nicht völlig ab-
lehnen könne. Indessen verspreche ich mir doch von
denenjenigen, welche die Grade der Wahrscheinlichkeit
zu schätzen imstande sind, daß eine solche Karte
der Unendlichkeit, ob sie gleich einen Vorwurf be-
greifet, der bestimmt zu sein scheinet, dem mensch-
lichen Verstände auf ewig verborgen zu sein, nicht um
deswillen sofort als ein Hirngespinste werde ange-
sehen werden, vornehmlich wenn man die Analogie
zu Hilfe nimmt, welche uns allemal in solchen Fällen 40
leiten muß, wo dem Verstände der Faden der un-
trüglichen Beweise mangelt.
Man kann aber auch die Analogie noch durch
annehmungswürdige Gründe unterstützen, und die Ein-
126 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
sieht des Lesers, wofern ich mich solchen Beifalls
schmeicheln darf, wird sie vielleicht mit noch wich-
tigern vermehren können. Denn wenn man erwäget,
daß die Schöpfung den Charakter der Beständigkeit
nicht mit sich führet, wofern sie der allgemeinen Be-
strebung der Anziehung, die durch alle ihre Teile
wirket, nicht eine ebenso durchgängige Bestimmung
entgegensetzet, die dem Hange der ersten zum Ver-
derben und zur Unordnung genugsam widerstehen
10 kann, wenn sie nicht Schwungskräfte ausgeteilet hat,
die in der Verbindung mit der Zentralneigung eine
, allgemeine systematische Verfassung festsetzen, so
wird man genötiget, einen allgemeinen Mittelpunkt
des ganzen Weltalls anzunehmen, dera) alle Teile des-
selben in verbundener Beziehung zusammenhält und
aus dem ganzen Inbegriff der Natur nur ein System
machet. Wenn man hiezu den Begriff von der Bildung
der Weltkörper aus der zerstreueten, elementarischen
Materie füget, wie wir ihn in dem Vorhergehenden
20 entworfen haben, jedoch ihn allhier nicht auf ein
absonderliches System einschränkt, sondern über die
ganze Natur ausdehnet, so wird man genötiget, eine
solche Austeilung des Grundstoffes in dem Räume des
ursprünglichen Chaos zu gedenken, die natürlicher-
weise einen Mittelpunkt der ganzen Schöpfung mit
sich bringet, damit in diesen die wirksame Masse,
die in ihrer Sphäre die gesamte Natur begreift, zu-
sammengebracht, und die durchgängige Beziehung be-
wirket werden könne, wodurch alle Welten nur ein
30 einziges Gebäude ausmachen. Es kann aber in dem
unendlichen Räume kaum eine Art der Austeilung des
ursprünglichen Grundstoffes gedacht werden, die einen
wahren Mittel- und Senkungspunkt der gesamten Natur
setzen sollte, als wenn sie nach einem Gesetze der zu-
nehmenden Zerstreuung, von diesem Punkte an, in
alle ferne Weiten eingerichtet ist. Dieses Gesetze aber
setzet zugleich einen Unterscheid in der Zeit, die ein
System in den verschiedenen Gegenden des unend-
lichen Raumes gebrauchet, zur Reife seiner Ausbildung
40 zu kommen, so daß diese Periode desto kürzer ist,
a) „die" A.
II. Teil. 7. Hauptstück. Von d. Schöpfung etc. 127
je näher der Bildungsplatz eines Weltbaues sich dem
Zentro der Schöpfung befindet, weil daselbst die Ele-
mente des Stoffes dichter gehäufet sind, und dagegen
um desto länger Zeit erfordert, je weiter der Abstand
ist, weil die Partikeln daselbst zerstreueter sind und
später zur Bildung zusammenkommen.
Wenn man die ganze Hypothese, die ich entwerfe,
in dem ganzen Umfange sowohl dessen, was ich gesagt
habe, als was ich noch eigentlich darlegen werde, er-
wäget, so wird man die Kühnheit ihrer Forderungen 10
wenigstens nicht vor unfähig halten, eine Entschuldi-
gung anzunehmen. Man kann den unvermeidlichen
Hang, den ein jegliches zur Vollkommenheit gebrachtes
Weltgebäude nach und nach zu seinem Untergange
hat, unter die Gründe rechnen, die es bewähren können,
daß das Universum dagegen in andern Gegenden
an Welten fruchtbar sein werde, um den Mangel zu
ersetzen, den es an einem Orte erlitten hat. Das ganze
Stück der Natur, das wir kennen, ob es gleich nur
ein Atomus in Ansehung dessen ist, was über oder 20
unter unserem Gesichtskreise verborgen bleibt, be-
stätiget doch diese Fruchtbarkeit der Natur, die ohne
Schranken ist, weil sie nichts anders als die Ausübung
der göttlichen Allmacht selber ist. Unzählige Tiere
und Pflanzen werden täglich zerstöret und sind ein
Opfer der Vergänglichkeit; aber nicht weniger bringet
die Natur, durch ein unerschöpftes Zeugungsvermögen,
an andern Orten wiederum hervor und füllet das Leere
aus. Beträchtliche Stücke des Erdbodens, den wir be-
wohnen, werden wiederum in dem Meere begraben, aus 30
dem sie ein günstiger Periodus hervorgezogen hatte;
aber an anderen Orten ergänzet die Natur den Mangel
und bringet andere Gegenden hervor, die in der Tiefe
des Wassers a) verborgen waren, um neue Reichtümer
ihrer Fruchtbarkeit über dieselbe auszubreiten. Auf
die gleiche Art vergehen Welten und Weltordnungen
und werden von dem Abgrunde der Ewigkeiten ver-
schlungen; dagegen ist die Schöpfung immerfort ge-
schäftig, in andern Himmelsgegenden neue Bildungen
zu verrichten und den Abgang mit Vorteile zu ergänzen. 40
a) „Wesens" A. korr. in der Ausgabe von 1797.
128 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Man darf nicht erstaunen, selbst in dem Großen
der Werke Gottes eine Vergängliciikeit zu verstatten.
Alles was endlich ist, was einen Anfang und Ur-
sprung hat, hat das Merkmal seiner eingeschränkten
Natur in sich; es muß vergehen und ein Ende haben.
Die Dauer eines Weltbaues hat durch die Vortreff-
lichkeit ihrer Errichtung eine Beständigkeit in sich,
die, unsern Begriffen nach, einer unendlichen Dauer
nahe kommt. Vielleicht werden tausend, vielleicht
10 Millionen Jahrhunderte sie nicht vernichten; allein weil
die Eitelkeit, die an denen endlichen Naturen haftet,
beständig an ihrer Zerstörung arbeitet, so wird die
Ewigkeit alle mögliche Perioden in sich halten, um
durch einen allmählichen Verfall den Zeitpunkt ihres
Unterganges doch endlich herbeizuführen. Newton,
dieser große Bewunderer der Eigenschaften Gottes
aus der Vollkommenheit seiner Werke, der mit der
tiefsten Einsicht jn die Trefflichkeit der Natur die
größte JEhrfurcht gegen die Offenbarung der gött-
20 liehen Allmacht verband, sähe sich genötiget, der Natur
ihren Verfall durch den natürlichen Hang, den die
Mechanik der Bewegungen dazu hat, vorher zu ver-
kündigen. Wenn eine systematische Verfassung durch
die wesentliche Folge der Hinfälligkeit in großen Zeit-
läuften auch den allerkleinsten Teil, den man sich nur
gedenken mag, dem Zustande ihrer Verwirrung nähert,
so muß in dem unendlichen Ablaufe der Ewigkeit
doch ein Zeitpunkt sein, da diese allmähliche Ver-
minderung alle Bewegung erschöpfet hat.
30 Wir dürfen aber den Untergang eines Weltgebäudes
nicht als einen wahren Verlust der Natur bedauren.
Sie beweiset ihren Reichtum in einer Art von Ver-
schwendung, welche, indem einige Teile der Vergäng-
lichkeit den Tribut bezahlen, sich durch unzählige
neue Zeugungen in dem ganzen Umfange ihrer Voll-
kommenheit unbeschadet erhält. Welch eine unrählige
Menge Blumen und Insekten zerstöret ein einziger
kalter Tag; aber wie wenig vermisset man sie, ohn-
erachtet es herrliche Kunstwerke der Natur und Be-
40 weistümer der göttlichen Allmacht sein; an einem
andern Orte wird dieser Abgang mit Überfluß wiederum
ersetzet. Der Mensch, der das Meisterstück der Schöp-
II. Teil. 7. Hauptstück. Von d. Schöpfung etc. 129
fung ZU sein scheinet, ist selbst von diesem Gesetze
nicht ausgenommen. Die Natur beweiset, daß sie ebenso
reich, ebenso unerschöpfet in Hervorbringung des Treff-
lichsten unter den Kreaturen, als des Geringschätzig-
sten ist und daß selbst deren Untergang eine not-
wendige Schattierung in der Mannigfaltigkeit ihrer
Sonnen ist, weil die Erzeugung derselben ihr nichts
kostet. Die schädlichen Wirkungen der angesteckten
Luft, die Erdbeben, die Überschwemmungen vertilgen
ganze Völker von dem Erdboden; allein es scheinet 10
nicht, daß die Natur dadurch einigen Nachteil erlitten
habe. Auf gleiche Weise verlassen ganze Welten und
Systemen den Schauplatz, nachdem sie ihre Rolle aus- .
gespielet haben. Die Unendlichkeit der Schöpfung ist
groß genug, um eine Welt oder eine Milchstraße von
Welten gegen sie anzusehen, wie man eine Blume oder
ein Insekt in Vergleichung gegen die Erde ansiehet.
Indessen, daß die Natur mit veränderlichen Auftritten
die Ewigkeit auszieret, bleibt Gott in einer unaufhör-
lichen Schöpfung geschäftig, den Zeug zur Bildung 20
noch größerer Welten zu formen.
Der stets mit einem gleichen Auge, ■weil er der Schöpfer ja von allen,
Sieht einen Helden untergehn und einen kleinen Sperling fallen,
Sieht eine Wasserblase springen und eine ganze Welt vergehn.
Pope, nach Brockes' Ühersetzung.
Laßt uns also unser Auge an diese erschreckliche
Umstürzungen, als an die gewöhnlichen Wege der
Vorsehung gewöhnen und sie sogar mit einer Art
von Wohlgefallen ansehen. Und in der Tat ist dem
Reichtume der Natur nichts anständiger, als dieses. 30
Denn wenn ein Weltsystem in der langen Folge seiner
Dauer alle Mannigfaltigkeit erschöpfet, die seine Ein-
richtung fassen kann, wenn es nun ein überflüssiges
Glied in der Kette der Wesen geworden, so ist nichts
geziemender, als daß es in dem Schauspiele der ab-
laufenden Veränderungen des Universi die letzte
Rolle spielet, die jedem endlichen Dinge gebühret,
nämlich der Vergänglichkeit ihr Gebühr abtrage.
Die Natur zeiget, wie gedacht, schon in dem kleinen
Teile ihres Inbegriffes diese Regel ihres Verfahrens, 40
die das ewige Schicksal ihr im Ganzen vorgeschrieben
hat, und ich sage es nochmals, die Größe desjenigen,
Kanfs, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I. Q
130 Allgemeine Xaturgeschiclite und Theorie des Himmels.
was untergehen soll, ist hierin nicht im geringsten
hinderlich; denn alles was groß ist, wird klein, ja
es wird gleichsam nur ein Punkt, wenn man es mit
dem Unendlichen vergleicht, welches die Schöpfung
in dem unbeschränkten Räume die Folge der Ewig-
keit hindurch darstellen wird.
Es scheinet, daß dieses denen Welten so wie allen
Naturdingen verhängte Ende einem gewissen Gesetze
unterworfen sei, dessen Erwägung der Theorie einen
10 neuen Zug der Anständigkeit gibet. Nach demselben
hebt es bei denen Weltkörpern an, die sich dem Mittel-
punkte des Weltalls am nächsten befinden, so wie die
Erzeugung und Bildung neben diesem Zentro zuerst
angefangen; von da breitet sich das Verderben und
die Zerstörung nach und nach in die weiteren Ent-
fernungen aus, um alle Welt, welche ihre Periode
zurückgeleget hat, durch einen allmählichen Verfall
der Bewegungen zuletzt in einem einzigen Chaos zu
begraben. Anderseits ist die Natur auf der entgegen-
20 gesetzten Grenze der ausgebildeten Welt unablässig
beschäftiget, aus dem rohen Zeuge der zerstreueten
Elemente Welten zu bilden, und indem sie an der einen
Seite neben dem Mittelpunkte veraltet, so ist sie auf
der andern jung und an neuen Zeugungen fruchtbar.
Die ausgebildete Welt befindet sich diesem nach
zwischen den Ruinen der zerstörten und zwischen dem
Chaos der ungebildeten Natur mitten inne beschränket:
und wenn man, wie es wahrscheinlich ist, sich vor-
stellet, daß eine schon zur Vollkommenheit gediehene
30 Welt eine längere Zeit dauren könne, als sie bedurft
hat, gebildet zu werden, so wird, ungeachtet aller der
Verheerungen, die die Vergänglichkeit unaufhörlich
anrichtet, der Umfang des Universi dennoch über-
haupt zunehmen.
Will man aber noch zuletzt einer Idee Platz lassen,
die ebenso wahrscheinlich, als der Verfassung der
göttlichen Werke wohlanständig ist, so wird die Zu-
friedenheit, welche eine solche Abschilderung der Ver-
änderungen der Natur erreget, bis zum höchsten Grade
40 des Wohlgefallens erhoben. Kann man nicht glauben,
die Natur, welche vermögend war, sich aus dem Chaos
in eine regelmäßige Ordnung und in ein geschicktes
II. Teil. 7. Hauptstück. Von d. Sclaöpfung- etc. 131
System zu setzen, sei ebenfalls imstande, aus dem
neuen Chaos, darin sie die Verminderung ihrer Be-
wegungen versenket hat, sich wiederum ebenso leicht
herzustellen und die erste Verbindung zu erneuren?
Können die Federn, welche den Stoff der zerstreuten
Materie in Bewegung und Ordnung brachten, nachdem
sie der ßtillstand der Maschine zur Ruhe gebracht
hat, durch erweiterte Kräfte nicht wiederum in Wir-
samkeit gesetzt werden und sich nach ebendenselben
allgemeinen Regeln zur Übereinstimmung einschränken, 10
wodurch die ursprüngliche Bildung zuwege gebracht
worden ist? Man wird nicht lange Bedenken tragen,
dieses zuzugeben, wenn man erwäget, daß, nachdem
die endliche Mattigkeit der Umlaufsbewegungen in
dem Weltgebäude die Planeten und Kometen insgesamt
auf die Sonne niedergestürzt hat, dieser ihre Glut
einen unermeßlichen Zuwachs durch die Vermischung
so vieler und großer Klumpen bekommen muß, vor-
nehmlich da die entfernete Kugeln des Sonnensystems,
unserer vorher erwiesenen Theorie zufolge, den leich- 20
testen und im Feuer wirksamsten Stoff der ganzen
Natur in sich enthalten. Dieses, durch neue Nahrung
und die flüchtigste Materie in die größte Heftigkeit
versetzte Feuer wird ohne Zweifel nicht allein alles
wiederum in die kleinsten Elemente auflösen, sondern
auch dieselbe in dieser Art, mit einer der Hitze ge-
mäßen Ausdehnungskraft und mit einer Schnelligkeit,
welche durch keinen Widerstand des Mittelraums ge-
schwächet wird, in dieselben weiten Räume wiederum
ausbreiten und zerstreuen, welche sie vor der ersten 30
Bildung der Natur eingenommen hatten, um, nachdem
die Heftigkeit des Zentralfeuers durch eine beinahe
gänzliche Zerstreuung ihrer Masse gedämpfet worden,
durch Verbindung der Attraktions- und Zurück-
stoßungskräfte die alten Zeugungen und systematisch
beziehende Bewegungen mit nicht minderer Regel-
mäßigkeit zu wiederholen und ein neues Weltgebäude
darzustellen. Wenn denn ein besonderes Planeten-
system auf diese Weise in Verfall geraten und durch
wesentliche Kräfte sich daraus wiederum hergestellet 40
hat, wenn es wohl gar dieses Spiel mehr wie einmal
wiederholet, so wird endlich die Periode herannahen.
132 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
die auf gleiche Weise das große System, darin die
Fixsterne Glieder sein, durcJi den Verfall ihrer Be-
wegungen, in einem Chaos versammlen wird. Man
wird hier noch weniger zweifeln, daß die Vereinigung
einer so unendlichen Menge Feuerschätze, als diese
brennenden Sonnen sind, zusamt dem Gefolge ihrer
Planeten den Stoff ihrer Massen, durch die unnennbare
Glut aufgelöset, in den alten Raum ihrer Bildungs-
sphäre zerstreuen und daselbst die Materalien zu neuen
10 Bildungen durch dieselbe mechanische Gesetze her-
geben werden, woraus wiederum der öde Raum mit
Welten und Systemen kann belebet werden. Wenn
wir denn diesem a) Phönix der Natur, der sich nur
darum verbrennet, um aus seiner Asche wiederum
verjüngt aufzuleben, durch alle Unendlichkeit der
Zeiten und Räume hindurch folgen; wenn man siehet,
wie sie sogar in der Gegend, da sie verfällt und ver-
altet, an neuen Auftritten unerschöpft, und auf der
andern Grenze der Schöpfung in dem Raum der un-
20 gebildeten rohen Materie mit stetigen Schritten zur
Ausdehnung des Plans der göttlichen Offenbarung fort-
schreitet, um die Ewigkeit sowohl, als alle Räume mit
ihren Wundern zu füllen, so versenket sich der Geist,
der alles dieses überdenket, in ein tiefes Erstaunen;
aber annoch mit diesem so großen Gegenstande un-
zufrieden, dessen Vergänglichkeit die Seele nicht
gnugsam zufriedenstellen kann, wünschet er dasjenige
Wesen von nahem kennen zu lernen, dessen Verstand,
dessen Größe die Quelle desjenigen Lichtes ist, das
30 sich über die gesamte Natur gleichsam als aus einem
Mittelpunkte ausbreitet. Mit welcher Art der Ehr-
furcht muß nicht die Seele sogar ihr eigen Wesen
ansehen, wenn sie betrachtet, daß sie noch alle diese Ver-
änderungen überleben soll; sie kann zu sich selber sagen,
was der philosophische Dichter von der Ewigkeit saget:
Wenn denn ein zweites Nichts -wird diese W^elt begraben ;
Wenn von dem Alles selbst nichts bleibet, als die Stelle;
Wenn mancher Himmel noch, von andern Sternen helle,
Wird seinen Lauf vollendet haben :
40 Wirst du so jung, als jetzt, von deinem Tod g'leich weit,
Gleich ewig künftig sein, wie heut.
V. Hall er.
a) „diesen" A.
II. Teil. 7. Hauptstück. Von d. Schöpfung etc. 133
0 glücklich, wenn sie unter dem Tumult der Ele-
mente und den Träumen a) der Natur jederzeit auf
eine Höhe gesetzet ist, von da sie die Verheerungen,
die die Hinfälligkeit den Dingen der Welt verursacht,
gleiclisam unter ihren Füßen kann vorbeirauschen
sehen. Eine Glückseligkeit, welche die Vernunft nicht
einmal zu erwünschen sich erkühnen darf, lehret uns
die Offenbarung mit Überzeugung hoffen. Wenn denn
die Fesseln, welche uns an die Eitelkeit der Kreaturen
geknüpft halten, in dem Augenblicke, welcher zu der 10
Verwandlung unseres Wesens bestimmt worden, ab-
gefallen sein, so wird der unsterbliche Geist, von
der Abhängigkeit der endlichen Dinge befreiet, in
der Gemeinschaft mit dem unendlichen Wesen den
Genuß der wahren Glückseligkeit finden. Die ganze
Natur, welche eine allgemeine harmonische Beziehung
zu dem Wohlgefallen der Gottheit hat, kann diejenige
vernünftige Kreatur nicht anders als mit immerwähren-
der Zufriedenheit erfüllen, die sich mit dieser Urquelle
aller Vollkommenheit vereint befindet. Die Natur von 20
diesem Mittelpunkte aus gesehen, wird von allen
Seiten lauter SicJierheit, lauter Wohlanständigkeit
zeigen. Die veränderlichen Szenen der Natur ver-
mögen nicht den Ruhestand der Glückseligkeit eines
Geistes zu verrücken, der einmal zu solcher Höhe er-
hoben ist. Indem er diesen Zustand mit einer süßen
Hoffnung schon zum voraus kostet, kann er seinen
Mund in denjenigen Lobgesängen üben, davon dereinst
alle Ewigkeiten erschallen sollen.
Wenn dereinst der Bau der Welt in sein Nichts zurückg'eeilet 30
Und sich deiner Hände Werk nicht durch Tag und Kacht mehr teüet;
Denn soll mein gerührt Geniüte sich, durch dich g-estärkt, bemühn,
In Verehrung deiner Allmacht stets vor deinen Thron zu ziehn.
Mein von Dank eriüllter Mund soll durch alle Ewigkeiten
Dir und deiner Majestät ein unendlich Lob bereiten;
Ist dabei gleich kein vollkommnes, denn, o Herrl so groß bist du,
Dich nach Würdigkeit zu loben, reicht die Ewigkeit nicht zu.
Addison, nach Gottsched 's Übersetzung.
a) „Trümmern" Hartenstein, Rosenkranz, Ak. Ausg.
134 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Zugabe
zum siebenten Hauptstücke.
Allgemeine Theorie und Geschichte der Sonne überhaupt.
Es ist noch eine Hauptfrage, deren Auflösung in
der Naturlehre des Himmels und in einer vollständigen
Kosmogonie unentbehrlich ist. Woher wird nämlich
der Mittelpunkt eines jeden Systems von einem
flammenden Körper eingenommen? Unser planetischer
Weltbau hat die Sonne zum Zentralkörper, und die
10 Fixsterne, die wir sehen, sind allem Ansehen nach
Mittelpunkte ähnlicher Systematum.
Um zu begreifen, woher in der Bildung eines
Weltgebäudes der Körper, der zum Mittelpunkte der
Attraktion dienet, ein feuriger Körper hat werden
müssen, indessen daß die übrige Kugeln seiner An-
ziehungssphäre dunkele und kalte Weltkörper blieben,
darf man nur die Art der Erzeugung eines Weltbaues
sich zurückerinnern, die wir in dem Vorhergehenden
umständlich entworfen haben. In dem weit aus-
20 gedehnten Räume, darin der ausgebreitete elementa-
rische Grundstoff sich zu Bildungen und systematischen
Bewegungen anschickt, bilden sich die Planeten und
Kometen nur allein aus demjenigen Teile des zum
Mittelpunkte der Attraktion sinkenden elementarischen
Grundstoffes, welcher durch den Fall und die Wechsel-
wirkung dena) gesamten Partikeln zu der genauen
Einschränkung der Eichtung und Geschwindigkeit, die
zum Umschwünge erfordert wird, bestimmt worden.
Dieser Teil ist, wie oben dargetan worden, der mindeste
30 von der ganzen Menge der abwärts sinkenden Materie,
und zwar nur der Ausschuß dichterer Sorten, welche
durch den Widerstand der andern zu diesem Grade
der Genauheit haben gelangen können. Es befinden
sich in diesem Gemenge heranschwebende Sorten vor-
züglicher Leichtigkeit, die, durch die Widerstrebung
des Raumes gehindert, durch ihren Fall zu der ge-
hörigen Schnelligkeit der periodischen Umwendungen
a) ..der" Ak. Ausg.
II. Teil. 7. Hauptst. Zugabe: Theorie der Sonne. 135
nicht durchdringen, und die folglich in der Mattigkeit
ihres Schwunges insgesamt zu dem Zentralkörper hinab-
gestürzet werden. Weil nun eben diese leichteren und
flüchtigen Teile auch die wirksamsten sein, das Feuer
zu unterhalten, so sehen wir, daß durch ihren Zusatz
der Körper und Mittelpunkt des Systems den Vorzug
erhält, eine flammende Kugel, mit einem Worte, eine
Sonne zu werden. Dagegen wird der schwerere und
unkräftige Stoff und der Mangel dieser feuernährenden
Teilchen aus den Planeten nur kalte und tote Klumpen 10
machen, die solcher Eigenschaft beraubt sein.
Dieser Zusatz so leichter Materien ist es auch,
wodurch die Sonne die spezifisch mindere Dichtig-
keit überkommen hat, dadurch sie auch sogar unserer
Erde, dem dritten Planeten in dem Abstände von ihr,
4mal an Dichtigkeit nachstehet; obgleich es natürlich
ist, zu glauben, daß») in diesem Mittelpunkte des Welt-
baues, als in dessen niedrigstem Orte, die schwersten
und dichtesten Gattungen der Materie sich befinden
sollten, wodurch sie, ohne den Zusatz einer so großen 20
Menge des leichtesten Stoffes, die Dichtigkeit aller
Planeten übertreffen würde.
Die Vermengung dichterer und schwerer Sorten
der Elemente, zu diesen leichtesten und flüchtigsten,
dienet gleichfalls, denb) Zentralkörper zu der heftigsten
Glut, die auf seiner Oberfläche brennen und unter-
halten werden soll, geschickt zu machen. Denn wir
wissen, daß das Feuer, in dessen nährendem c) Stoffe
dichte Materien unter den flüchtigen sich vermengt
befinden, einen großen Vorzug der Heftigkeit vor 30
denenjenigen Flammen hat, die nur von den leichten
Gattungen unterhalten werden d). Diese Untermischung
aber einiger schweren Sorten unter die leichteren ist
eine notwendige Folge unsers Lehrbegriffes von der
Bildung der Weltkörper, und hat noch diesen Nutzen,
daß die Gewalt der Glut die brennbare Materie der
Oberfläche nicht plötzlich zerstreue, und daß selbige
a) „daß sie" A. korr. Akad. Ausg.
b) „dem-' A.
c) „nährenden" A.
d) „wird" A. korr. Akad. Ausg.
136 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
durch den Zufluß der Nahrung aus dem Innern all-
mählich und beständig genähret wird.
Nachdem die Frage nun aufgelöset ist, woher der
Zentralkörper eines großen Sternsystems eine flam-
mende Kugel, d. i. eine Sonne sei, so scheinet es nicht
überflüssig zu sein, sich mit diesem Vorwurfe noch
einige Zeit zu beschäftigen und den Zustand eines
solchen Himmelskörpers mit einer sorgfältigen Prüfung
zu erforschen; vornehmlich da die Mutmaßungen all-
10 hier aus tüchtigeren Gründen sich herleiten lassen, als
sie es gemeiniglich bei den Untersuchungen der Be-
schaffenheit entf erneter Himmelskörper zu sein pflegen.
Zuvörderst setze ich fest, daß man nicht zweifeln
könne, die Sonne sei wirklich ein flammender Körper,
und nicht eine bis zum höchsten Grade erhitzte Masse
geschmolzener und glühender Materie, wie einige aus
gewissen Schwierigkeiten, welche sie bei der ersteren
Meinung zu finden vermeinet, haben schließen wollen.
Denn wenn man erwäget, daß ein flammendes Feuer
20 vor einer jeden andern Art der Hitze diesen wesent-
lichen Vorzug hat, daß es sozusagen aus sich selbst
wirksam, anstatt sich durch die Mitteilung zu ver-
ringern oder zu erschöpfen, vielmehr eben dadurch
mehr Stärke und Heftigkeit überkommt, und also nur
Stoff und Nahrung zum Unterhalte erfordert, um
immerfort zu währen; da hingegen die Glut einer auf
den höchsten Grad erhitzten Masse ein bloß leidender
Zustand ist, der sich durch die Gemeinschaft der be-
rührenden Materie unaufhörlich vermindert und keine
30 eigene Kräfte hat, sich aus einem kleinen Anfange
auszubreiten, oder bei der Verminderung wiederum
aufzuleben; wenn man, sage ich, dieses erwäget, so
wird man, ich geschweige der anderen Gründe, schon
hieraus sattsam ersehen können, daß der Sonne, der
Quelle des Lichtes und der Wärme in jeglichem Welt-
bau, jene Eigenschaft wahrscheinlicherweise müsse bei-
geleget werden.
Wenn die Sonne nun oder die Sonnen überhaupt
flammende Kugeln sein, so ist die erste Beschaffenheit
40 ihrer Oberfläche, die sich hieraus abnehmen läßt, daß
auf ihnen Luft befindlich sein müsse, weil ohne Luft
kein Feuer brennet. Dieser Umstand gibt Anlaß zu
II. Teil. 7. Hauptst. Zugabe; Theorie der Sonne. 137
merkwürdigen Folgerungen. Denn wenn man erstlich
die Atmosphäre der Sonne und ihr Gewicht in Ver-
hältnis des Sonnenklumpens setzet, in welchem aj Stande
der Zusammendrückung wird diese Luft nicht sein, und
wie vermögend wird sie nicht eben dadurch werden,
die heftigsten Grade des Feuers durch ihre Federkraft
zu unterhalten? In dieser Atmosphäre erheben sich,
allem Vermuten nach, auch die Rauchwolken von denen
durch die Flamme aufgelöseten Materien, die, wie man
nicht zweifeln darf, eine Mischung von groben und lO
leichteren Teilchen in sich haben, welche, nachdem
sie sich zu einer Höhe, die vor sie eine kühlere Luft
heget, erhoben haben, in schweren Pech- und Schwefel-
regen hinabstürzen und der Flamme neue Nahrung zu-
führen. Eben diese Atmosphäre ist auch, aus den gleichen
Ursachen wie auf unserer Erde, von denen Bewegungen
der Winde nicht befreiet, welche aber dem Ansehen
nach alles, was die Einbildungskraft nur sich vorzu-
stellen vermag, an Heftigkeit weit übertreffen müssen.
Wenn irgendeine Gegend auf der Oberfläche der Sonne, 20
entweder durcii die erstickende Gewalt der ausbrechen-
den Dämpfe, oder durch den sparsamen Zufluß brenn-
barer Materien in dem Ausbruche der Flamme nach-
läßt, so erkühlet die darüber befindliche Luft einiger-
maßen, und indem sie sich zusammenziehet, gibt sie
der daneben befindlichen Platz, mit einer dem Über-
schusse ihrer Ausspannung gemäßen Gewalt in ihren
Raum zu dringen, um die erloschene Flamme anzufachen.
Gleichwohl verschlinget alle Flamme immer viele
Luft, und es ist kein Zweifel, daß die Federkraft 30
des flüssigen Luftelements, das die Sonne umgibet,
dadurch in einiger Zeit nicht geringen Nachteil er-
leiden müsse. Wenn man dasjenige, was Herr Haies
hievon bei der Wirkung der Flamme in unserer
Atmosphäre durch sorgfältige Versuche bewähret hat,
hier im Großen anwendet, so kann man die immer-
währende Bestrebung der aus der Flamme gehenden
Rauchteilchen, die Elastizität der Sonnenatmosphäre
zu zernichten, als einen Hauptknoten ansehen, dessen
Auflösung mit Schwierigkeiten verbunden ist. Denn 40
a) „welchen" A.
138 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
dadurch, daß die Flamme, die über der ganzen Fläche
der Sonne brennet, sich selber die Luft benimmt, die
ihr zum Brennen unentbehrlich ist, so ist die Sonne
in Gefahr, gar zu verlöschen, wenn der größte Teil
ihrer Atmosphäre verschlungen worden. Es ist wahr,
das Feuer erzeuget auch, durch Auflösung gewisser
Materien, Luft; aber die Versuche beweisen, daß alle-
zeit mehr verschlungen, als erzeuget wird. Zwar wenn
ein Teil des Sonnenfeuers unter erstickenden Dämpfen
10 der Luft, die zu ihrer Erhaltung dienet, beraubet wird,
so werden, wie wir schon angemerket haben, heftige
Stürme sie zerstreuen und wegzuführen bemühet sein.
Allein im Ganzen wird man die Ersetzung dieses nötigen
Elements auf folgende Art sich begreiflich machen
können, wenn man in Betrachtung ziehet, daß, da
. bei einem flammenden Feuer die Hitze fast nur über
sich und nur wenig unter sich wirket, wenn sie durch
die angeführte Ursache ersticket worden, ihre») Heftig-
keit gegen das Innere des Sonnenkörpers kehret und
20 dessen tiefe Schlünde nötiget, die in ihren Höhlen
verschlossene Luft hervorbrechen zu lassen und das
Feuer aufs neue anzufachen; wenn man in diesem ihrem
Eingeweide durch eine Freiheit, die bei einem so unbe-
kannten Gegenstande nicht verboten ist, vornehmlich
Materien setzet, die, wie der Salpeter, an elastischer Luft
unerschöpflich ergiebig sein, so wird das Sonnenfeuer
überaus lange Perioden hindurch an dem Zuflüsse immer
erneueter Luft nicht leichtlich Mangel leiden können.
Gleichwohl siehet man die deutlichen Merkmale der
30 Vergänglichkeit auch an diesem unschätzbaren Feuer,
das die Natur zur Fackel der Welt aufgestecket. Es
kommt eine Zeit, darin sie wird erloschen sein. Die
Entziehung der flüchtigsten und feinsten Materien,
die, durch die Heftigkeit der Hitze zerstreuet, nie-
mals wieder zurückkehren und den Stoff des Zodiakal-
lichtes vermehren, die Häufung unverbrennlicher und
ausgebrannter Materien, z. E. der Asche auf der Ober-
fläche, endlich auch der Mangel der Luft werden der
Sonne ein Ziel setzen, da ihre Flamme dereinst er-
40 löschen und ihren Ort, der anjetzo der Mittelpunkt
a) „sie ihre"?
II. Teil. 7. Hauptst. Zugabe: Theorie der Sonne. 139
des Lichtes und des Lebens dem ganzen Weltgebäude
ist, ewige Finsternisse einnehmen werden. Die ab-
wechselnde Bestrebung ihres Feuers, durch die Er-
öffnung neuer Grüfte wiederum aufzuleben, wodurch
sie sich vielleicht vor ihrem Untergange etlichemal
herstellet, könnte eine Erklärung des Verschwindens
und der Wiedererscheinung einiger Fixsterne abgeben.
Es würden Sonnen sein, welche ihrem Erlöschen nahe
sind und die noch etlichemal aus ihrem Schutte auf-
zuleben trachten. Es mag diese Erklärung Beifall 10
verdienen oder nicht, so wird man sich doch gewiß
diese Betrachtung dazu dienen lassen, einzusehen, daß,
da der Vollkommenheit aller Weltordnungen, es sei
auf die eine oder andere Art, ein unvermeidlicher
Verfall drohet, man keine Schwierigkeit in dem oben
angeführten Gesetze ihres Unterganges, durch den
Hang der mechanischen Einrichtung, finden werde,
welche dadurch aber vornehmlich annehmungswürdig
wird, weil sie den Samen der Wiedererneuerung selbst
in der Vermengung mit dem Chaos bei sich führet. 20
Zuletzt lasset uns der Einbildungskraft ein so
wunderseltsames Objekt, als eine brennende Sonne ist,
gleichsam von nahen vorstellen. Man siehet in einem
Anblicke weite Feuerseen, die ihre Flammen gen Him-
mel erheben, rasende Stürme, deren Wut die Heftig-
keit der ersten verdoppelt, welcie, indem sie selbige
über ihre Ufer aufschwellend machen, bald die er-
habene Gegenden dieses Weltkörpers bedecken, bald
sie in ihre Grenzen zurücksinken lassen; ausgebrannte
Felsen, die aus den flammenden Schlünden ihre 30
fürchterliche Spitzen herausstrecken, und deren
Überschwemmung oder Entblößung von dem wallen-
den Feuerelemente das abwechselnde Erscheinen und
Verschwinden der Sonnenflecken verursachet; dicke
Dämpfe, die das Feuer ersticken und die, durch die
Gewalt der Winde erhoben, finstre Wolken ausmachen,
welche in feurigen Regengüssen wiederum herabstürzen
und als brennende Ströme von den Höhen des festen
Sonnenlandes*) sich in die flammende Täler ergießen.
*) Ich schreibe nicht ohne Ursache der Sonnen alle Un-
ebenheiten des festen Landes, der Gebirge und der Täler
l-j-O Allgemeine Naturgeschiclite und Theorie des Himmels«
das Krachen der Elemente, den Schutt ausgebrannter
Materien und die mit der Zerstörung ringende Natur,
welche selbst mit dem abscheulichsten Zustande ihrer
Zerrüttungen die Schönheit der Welt und den Nutzen
der Kreaturen bewirket.
Wenn denn die Mittelpunkte aller großen Welt-
systemen flammende Körper sein, so ist dieses am
meisten von dem Zentralkörper desjenigen unermeß-
lichen Systems zu vermuten, welches die Fixsterne
10 ausmachen. Wird nun aber dieser Körper, dessen
Masse zu der Größe seines Systems ein Verhältnis
haben muß, wenn er ein selbstleuchtender Körper oder
eine Sonne wäre, nicht mit vorzüglichem Glänze und
Größe in die Augen fallen? Gleichwohl sehen wir
keinen dergleichen sich ausnehmend unterscheidenden
Fixstern unter dem Himmelsheere hervorschimmern.
In der Tat, man darf es sich nicht befremden lassen,
wenn dieses nicht geschieht. Wenn er gleich lOOOOmal
unsere Sonne an Größe überträfe, so könnte er doch,
-20 wenn man seine Entfernung 100 mal größer als des
Sirius seine annimmt, nicht größer und heller als
dieser erscheinen.
Vielleicht aber ist es dena) künftigen Zeiten auf-
gehoben, wenigstens noch dereinst die Gegend zu ent-
zu, die wir auf unserer Erde und andern Weltkörpern an-
treffen. Die Bildung einer Weltkugel, die sich aus einem
flüssigen Zustande in einen festen verändert, bringt not-
wendig solche Ungleichheiten auf der Oberfläche zuwege.
Wenn die Oberfläche sich härtet, indessen daß in dem
flüssigen inwendigen Teile solcher Masse die Materien sich
noch nach Maßgebung ihrer Schwere zum Mittelpunkte
hinsenken, so werden die Partikeln des elastischen Luft-
oder Feuerelements, das sich in diesen Materien mit unter-
gemengt befindet, herausgejagt und häufen sich unter der
indessen festgewordenen Rinde, unter welcher sie große und,
nach Proportion des Sonnenklumpens, ungeheure Höhlen er-
zeugen, in die gedachte oberste Rinde zuletzt mit mannig-
faltigen Einbeugungen hereinsinkt, und sowohl erhöhete
Gegenden und Gebirge als auch Täler und Elutbette weiter
Peuerseen dadurch zubereitet.
a) ,.dem" A.
II. Teil. 7. Hauptst. Zugabe: Theorie der Sonne. 141
decken, wo der Mittelpunkt*) des Fixsternensystems,
darein unsere Sonne gehöret, befindlich ist, oder viel-
*) Ich habe eine Mutmaßung, nach welcher es mir sehr
wahrscheinlich zu sein dünket, daß der Sirius oder Hunds-
stern in dem Sj-stem der Sterne, die die Milchstraße aus-
machen, der Zentralkörper sei und den Mittelpunkt einnehme,
zu welchem sie sich alle beziehen. Wenn man dieses System,
nach dem Entwürfe des ersten Teils dieser Abhandlung,
wie ein Gewimmel von Sonnen, die zu einer gemeinschaft-
lichen Fläche gehäufet sein, ansiehet, welches nach allen
Seiten von dem Mittelpunkte derselben ausgestreuet ist, und
doch einen gewissen, so zu sagen, zirkelförmichten Raum, der
durch die geringe Abweichungen derselben vom Beziehungs-
plane sich auch in die Breite von beiden Seiten etwas aus-
dehnet, ausmacht; so wird die Sonne, die sich gleichfalls
diesem Plane nahe befindet, die Erscheinung dieser zirkel-
förmichten weißlicht schimmernden Zone nach derjenigen
Seite hin am breitesten sehen, nach welcher sie sich der
äußersten Grenze des Systems am nächsten befindet; denn
es ist leicht zu vermuten, daß sie sich nicht eben gerade
im Mittelpunkte aufhalten werde. Xun ist der Streif der
Milchstraße in dem Teile zwischen dem Zeichen des Schwans
und des Schützens am breitesten, folglich wird dieses die
Seite sein, da der Platz unserer Sonne der äußersten Peri-
pherie des zirkelförmichten Systems am nächsten ist; und
in diesem Teile werden wir den Ort, wo die Sternbilder
des Adlers und Fuchses mit der Gans stehen, insonderheit
vor den allernächsten halten, weil daselbst aus dem Zwischen-
räume, da die Milchstraße sich teilet, die größeste schein-
bare Zerstreuung der Sterne erhellet. Wenn man daher
ohngefähr von dem Orte neben dem Schwänze des Adlers
eine Linie mitten durch die Fläche der Milchstraße bis zu
dem gegenüberstehenden Punkte ziehet, so muß diese auf
den Mittelpunkt des Systems zutreffen, und sie trifft in der
Tat sehr genau auf den Sirius, den hellesten Stern am
ganzen Himmel, der wegen dieser glücklichen, mit seiner
vorzüglichen Gestalt so wohl harmonierenden Zusammen-
treffung, es zu verdienen scheinet, daß man ihn vor den
Zentralkörper selber halte. Er würde nach diesem Begriffe
auch gerade in dem Streife der Michstraße gesehen werden,
wenn») der Stand unserer Sonne, der beim Schwänze des
Adlers von dem Plane derselben etwas abweichet, nicht
den optischen Abstand des Mittelpunktes gegen die andere
Seite solcher Zone verursachte.
a) „wenn nicht" A. korr. Hartenstein.
142 Allgemeine Natui'gescliiclite und Theorie des Himmels.
leicht wohl gar zu bestimmen, wohin man den Zentral-
körper des Universi, nach welchem alle Teile des-
selben mit einstimmiger Senkung zielen, setzen müsse.
Von was vor einer Beschaffenheit dieses Fundamental-
stücke der ganzen Schöpfung sei, und was auf ihm
befindlich, wollen wir dem Herrn Wright von
Durham zu bestimmen überlassen, der mit einer
fanatischen Begeisterung ein kräftiges Wesen von der
Götterart mit geistlichen Anziehungs- und Zurück-
10 Stoßungskräften, das, in einer unendlichen Sphäre um
sich wirksam, alle Tugend an sich zöge, die Laster
aber zurücktriebe, in diesem glücklichen Orte, gleich-
sam auf einen Thron der gesamten Natur, erhöhete.
Wir wollen der Kühnheit unserer Mutmaßungen, wel-
chen wir vielleicht nur gar ,zu viel erlaubt haben,
nicht bis zu willkürlichen Erdichtungen den Zügel
schießen lassen. Die Gottheit ist in der Unendlich-
keit des ganzen Weltraumes allenthalben gleich gegen-
wärtig; allenthalben, wo Naturen sein, welche fähig
20 sein, sich über die Abhängigkeit der Geschöpfe zu der
Gemeinschaft des höchsten Wesens emporzuschwingen,
befindet es sich gleich nahe. Die ganze Schöpfung
ist von ihren Kräften durchdrungen, aber nur der-
jenige, der sich von dem Geschöpfe zu befreien weiß,
welcher so edel ist, einzusehen, daß in dem Genüsse
dieser Urquelle der Vollkommenheit die höchste Staffel
der Glückseligkeit einzig und allein zu suchen, der
allein ist fähig, diesem wahren Beziehungspunkte aller
Trefflichkeit sich näher, als irgend etwas anders in
30 der ganzen Natur zu befinden. Indessen wenn ich,
ohne an der enthusiastischen Vorstellung des Engel-
länders teilzunehmen, von den verschiedenen Graden
der Geisterwelt aus der physischen Beziehung ihrer
Wohnplätze gegen den Mittelpunkt der Schöpfung mut-
maßen soll, so wollte icha) mit mehrerer Wahrschein-
lichkeit die vollkommensten Klassen vernünftiger Wesen
weiter von diesem Mittelpunkte, als nahe bei dem-
selben suchen. Die Vollkommenheit mit Vernunft be-
gabter Geschöpfe, insoweit sie von der Beschaffen-
40 heit der Materie abhänget, in deren Verbindung sie
a) „ich" fehlt in A.
II. Teil. 7, Hauptst, Zugabe: Theorie der Sonne. 143
beschränket sein, kommt gar sehr auf die Feinigkeit des
Stoffes an, dessen Einfluß dieselbe zur Vorstellung
der Welt und zur Gegenwirkung in dieselbe bestimmt.
Die Trägheit und der Widerstand der Materie schränket
die Freiheit des geistigen Wesens zum Wirken und
die Deutlichkeit ihrer Empfindung von äußern Dingen
gar zu sehr ein, sie macht ihre Fähigkeiten stumpf,
indem sie deren Bewegungen nicht mit gehöriger
Leichtigkeit gehorchet. Daher wenn man, wie es wahr-
scheinlich ist, nahe zum Mittelpunkte der Natur die 10
dichtesten und schwersten Sorten der Materie, und
dagegen in der größeren Entfernung die zunehmenden
Grade der Feinigkeit und Leichtigkeit derselben, der
Analogie gemäß, die in unserma) Weltbau herrschet,
annimmt, so ist die Folge begreiflich. Die vernünftigen
Wesen, deren Erzeugungsplatz und Aufenthalt näher
zu dem Mittelpunkte der Schöpfung sich befindet, sind
in eine steife und unbewegliche Materie versenket,
die ihre Kräfte in einer unüberwindlichen Trägheit
verschlossen enthält und auch ebenso unfähig ist, die 20
Eindrücke des Universi mit der nötigen Deutlichkeit
und Leichtigkeit zu übertragen und mitzuteilen. Man
wird diese denkende Wesen also in die niedrige Klasse
zu zählen haben; dagegen wird mit den Entfernungen
vom allgemeinen Zentro diese Vollkommenheit der
Geisterwelt, welche auf der gewechselten Abhängig-
keit derselben von der Materie beruhet, wie eine be-
ständige Leiter wachsen. In der tiefsten Erniedrigung
zu diesem Senkungspunkte hat man diesem zufolge
die schlechtesten und unvollkommensten Gattungen 30
denkender Naturen zu setzen, und hiewärtshin ist,
wo diese Trefflichkeit der Wesen sich mit allen Schat-
tierungen der Verminderung endlich in den gänzlichen
Mangel der Überlegung und des Denkens verlieret.
In der Tat, wenn man erwäget, daß der Mittelpunkt
der Natur zugleich den Anfang ihrer Bildung aus
dem rohen Zeuge und ihre Grenze mit dem Chaos
ausmacht; wenn man dazu setzet, daß die Vollkommen-
heit geistiger Wesen, welche wohl eine äußerste Grenze
ihres Anfanges hat, wo ihre Fähigkeiten mit der Un- 40
a) „unsern" A.
144 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Vernunft zusammenstoßen, aber keine Grenzen der
Fortsetzung, über welche sie nicht könnte erhoben
werden, sondern nach der Seite hin eine völlige Un-
endlichkeit vor sich findet, so wird man, wenn ja
ein Gesetze stattfinden soll, nach welchem der ver-
nünftigen Kreaturen Wohnplätze nach der Ordnung
ihrer Beziehung zum gemeinschaftlichen Mittelpunkte
verteilet sein, die niedrigste und unvollkommenste
Gattung, die gleichsam den Anfang des Geschlechts
10 der Geisterwelt ausmacht, an demjenigen Orte zu setzen
haben, der der Anfang des gesamten Universi zu
nennen ist, um zugleich mit diesem in gleicher Fort-
schreitung alle Unendlichkeit der Zeit und der Räume,
mit ins unendliche wachsenden Graden der Voll-
kommenheit des Denkungsvermögens, zu erfüllen und
sich, gleichsam nach und nach, dem Ziele der höchsten
Trefflichkeit, nämlich der Gottheit zu näheren, ohne
es doch jemals erreichen zu können.
Achtes Hauptstück.
20 Allgemeiner Beweis von der Richtigiceit einer mechanischen
Lehrverfassung der Einrichtung des Weltbaues überhaupt,
insonderheit von der Gewißheit der gegenwärtigen.
Man kann das Weltgebäude nicht ansehen, ohne
die trefflichste Anordnung in seiner a) Einrichtung und
die sicheren Merkmale der Hand Gottes in der Voll-
kommenheit ihrer b) Beziehungen zu kennen. Die Ver-
nunft, nachdem sie so viel Schönheit, so viel Treff-
lichkeit erwogen und bewundert hat, entrüstet sich
mit Recht über die kühne Torheit, welche sich unter-
30 stehen darf, alles dieses dem Zufalle und einem glück-
lichen Ohngefähr zuzuschreiben. Es muß die höchste
Weisheit den Entwurf gemacht und eine unendliche
Macht selbigen c) ausgeführet haben, sonst wäre es un-
a) „ihrer" A. korr. Akad. Ausg.
b) „seiner" Ak. Ausg.
c) „selbige" A.
n. Teil. 8. Hauptst. Beweis d. Richtigkeit etc. 145
möglich, so viele in einem Zweck zusammenkommende
Absichten in der Verfassung des Weltgebäudes an-
zutreffen. Es kommt nur noch darauf an, zu ent-
scheiden, ob der Entwurf der Einrichtung des Uni-
versi von dem höchsten Verstände schon in die wesent-
liche Bestimmungen der ewigen Naturen gelegt und
in die allgemeine Bewegungsgesetze gepflanzet sei, um
sich aus ihnen, auf eine der vollkommensten Ordnung
anständige Art, ungezwungen zu entwickeln; oder ob
die allgemeine Eigenschaften der Bestandteile der Welt 10
die völlige Unfähigkeit zur Übereinstimmung und nicht
die geringste Beziehung zur Verbindung haben, und
durchaus einer fremden Hand bedurft haben, um die-
jenige Einschränkung und Zusammenfügung zu über-
kommen, welche Vollkommenheit und Schönheit an
sich blicken läßt. Ein fast allgemeines Vorurteil hat
die meisten Weltweisen gegen die Fähigkeit der Natur,
etwas Ordentliches durch ihre allgemeine Gesetze
hervorzubringen, eingenommen, gleich als wenn es
Gott die Regierung der Welt streitig machen hieße, 20
wenn man die ursprüngliche Bildungen in den Natur-
kräften suchet, und als wenn diese ein von der Gott-
heit unabhängiges Prinzipium und ein ewiges blindes
Schicksal wären a).
Wenn man aber erwäget, daß die Natur und die
ewigen Gesetze, welche den Substanzen zu ihrer
Wechselwirkung vorgeschrieben sein, kein selbstän-
diges und ohne Gott notwendiges Prinzipium sei, daß
eben dadurch, weil sie so viel Übereinstimmung und
Ordnung in demjenigen zeiget, was sie durch allge- 30
meine Gesetze hervorbringet, zu ersehen ist, daß die
Wesen aller Dinge in einem gewissen Grundwesen
ihren gemeinschaftlichen Ursprung haben müssen, und
daß sie darum lauter gewechselte Beziehungen und
lauter Harmonie zeigen, weil ihre Eigenschaften in
einem einzigen höchsten Verstände ihre Quelle haben,
dessen weise Idee sie in durchgängigen Beziehungen
entworfen, und ihnen diejenige Fähigkeit eingepflanzet
hat, dadurch sie lauter Schönheit, lauter Ordnung, in
dem ihnen selbst gelassenen Zustande ihrer Wirksam- 40
a) „wäre" A.
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I. \Q
146 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
keit, hervorbringen; wenn man, sage ich, dieses er-
wäget, so wird die Natur uns würdiger, als sie ge-
meiniglich angesehen wird, erscheinen, und man wird
von ihren Auswickelungen nichts als Übereinstimmung,
nichts als Ordnung erwarten. Wenn man hingegen
einem ungegründeten Vorurteile Platz lasset, daß die
allgemeine Naturgesetze an und vor sich selber nichts
als Unordnung zuwege bringen, und aller Überein-
stimmung zum Nutzena), welche bei der Verfassung
10 der Natur hervorleuchtet, die unmittelbare Hand Gottes
anzeiget; so wird man genötiget, die ganze Natur in
Wunder zu verkehren. Man wird den schönen far-
bichten Bogen, der in den Regentropfen erscheinet,
wenn dieselben die Farben des Sonnenlichts absondern,
wegen seiner Schönheit, den Regen wegen seines
Nutzens, die Winde wegen der unentbehrlichen Vor-
teile, die sie in unendlichen Arten der menschlichen
Bedürfnisse leisten, kurz, alle Veränderungen der Welt,
welche Wohlanständigkeit und Ordnung mit sich führen,
20 nicht aus den eingepflanzten Kräften der Materie her-
leiten sollen. Das Beginnen der Naturforscher, die
sich mit einer solchen Weltweisheit abgegeben haben,
wird vor dem Richterstuhle der Religion eine feier-
liche Abbitte tun müssen. Es wird in der Tat alsdenn
keine Natur mehr sein; es wird nur ein Gott in der
Maschine die Veränderungen der Welt hervorbringen.
Aber was wird denn dieses seltsame Mittel, die Ge-
wißheit des höchsten Wesens aus der wesentlichen
Unfähigkeit der Natur zu beweisen, vor eine Wirkung
30 zur Überführung des Epikurers tun? Wenn die Na-
turen der Dinge, durch die ewigen Gesetze ihrer
Wesen nichts als Unordnung und Ungereimtheit zu-
wege bringen, so werden sie eben dadurch den Cha-
rakter ihrer Unabhängigkeit von Gott beweisen; und
was vor einen Begriff wird man sich von einer Gott-
heit machen können, welcher die allgemeinen Natur-
gesetze nur durch eine Art von Zwange gehorchen,
und an und vor sich dessen weisesten Entwürfen wider-
streiten? Wird der Feind der Vorsehung nicht eben
40 so viel Siege über diese falschen Grundsätze davon-
a) Hartenstein, Kelirbach, Kirchm. „zum Trotze".
II, Teil. 8. Hauptst. Beweis d. Richtigkeit etc. 147
tragen, als er Übereinstimmungen aufweisen kann,
welche die allgemeinen Wirkungsgesetze der Natur
ohne alle besondere Einschränkungen hervorbringen?
und wird es ihm wohl an solchen Beispielen fehlen
können? Dagegen lasset uns mit größerer Anständig-
keit und Richtigkeit also schließen: die Natur, ihren
allgemeinen Eigenschaften überlassen, ist an lauter
schönen und vollkommenen Früchten fruchtbar, welche
nicht allein an sich Übereinstimmung und Trefflichkeit
zeigen, sondern auch mit dem ganzen Umfange ihrer 10
Wesen, mit dem Nutzen der Menschen und der .Ver-
herrlichung der göttlichen Eigenschaften wohl har-
monieren. Hieraus folget, daß ihre wesentlichen
Eigenschaften keine unabhängige Notwendigkeit haben
können; sondern daß sie ihren Ursprung in einem
einzigen Verstände, als dem Grunde und der Quelle
aller Wesen haben müssen, in welchem sie unter ge-
meinschaftlichen Beziehungen entworfen sind. Alles
was sich aufeinander zu einer gewechselten Harmonie
beziehet, muß in einem einzigen Wesen, von welchem 20
es insgesamt abhänget, untereinander verbunden wer-
den. Also ist ein Wesen aller Wesen, ein unendlicher
Verstand und selbständige Weisheit vorhanden, daraus
die Natur, auch sogar ihrer Möglichkeit nach, in dem
ganzen Inbegriffe der Bestimmungen ihren Ursprung
ziehet. Nunmehro darf man die Fähigkeit der Natur,
als dem Dasein eines höchsten Wesens nachteilig, nicht
bestreiten; je vollkommener sie in ihren Entwickelungen
ist, je besser ihre allgemeinen Gesetze zur Ordnung
und Übereinstimmung führen, ein desto sicherer Be- 30
weistum der Gottheit ist sie, von welcher sie diese Ver-
hältnisse entlehnet. Ihre Hervorbringungen sind nicht
mehr Wirkungen des Ohngefährs und Folgen des Zu-
falls; es fließet alles nach unwandelbaren Gesetzen
von ihr ab, welche darum lauter Geschicktes dar-
stellen müssen, weil sie lauter Züge aus dem aller-
weisesten Entwürfe sein, aus dem die Unordnung
verbannet ist. Nicht der ohngefähre Zusammenlauf
der Atomen des Lucrez hat die Welt gebildet; ein-
gepflanzte Kräfte und Gesetze, die den weisesten 40
Verstand zur Quelle haben, sind ein unwandelbarer
Ursprung derjenigen Ordnung gewesen, die aus ihnen
10*
148 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
nicht von ohngefähr, sondern notwendig abfließen
mußte.
Wenn man sich also eines alten ungegründeten
Vorurteils und der faulen Weltweisheit entschlagen
kann, die unter einer andächtigen Miene eine träge
Unwissenheit zu verbergen trachtet, so hoffe ich auf
unwidersprechliche Gründe eine sichere Überzeugung
zu gründen: daß die Welt eine mechanische Ent-
wickelung aus den allgemeinen Naturgesetzen
10 zum Ursprünge ihrer Verfassung erkenne; und
daß zweitens die Art der mechanischen Erzeu-
gung, die wir vorgestellet haben, die wahre
sei. Wenn man beurteilen will, ob die Natur genüg-
same Fähigkeiten habe, durch eine mechanische Folge
ihrer Bewegungsgesetze die Anordnung des Weltbaues
zuwege zu bringen, so muß man vorhero erwägen, wie
einfach die Bewegungen sein, welche die Weltkörper
beobachten, und daß sie nichts an sich haben, was
eine genauere Bestimmung erforderte, als es die all-
20 gemeinen Regeln der Naturkräfte mit sich führen. Die
Umlaufsbewegungen bestehen aus der Verbindung der
sinkenden Kraft, die eine gewisse Folge aus den Eigen-
schaften der Materie ist, und aus der schießenden
Bewegung, die als die Wirkung der ersteren, als eine
durch das Herabsinken erlangte Geschwindigkeit kann
angesehen werden, in der nur eine gewisse Ursache
nötig gewesen, den senkrechten Fall seitwärts abzu-
beugen. Nach einmal erlangter Bestimmung dieser
Bewegungen ist nichts ferner nötig, sie auf immer
30 zu erhalten. Sie bestehen in dem leeren Räume, durch
die Verbindung der einmal eingedrückten schießenden
Kraft, mit der aus den wesentlichen Naturkräften
fließenden Attraktion, und leiden weiterhin keine
Veränderung. Allein die Analogien, in der Überein-
stimmung dieser Bewegungen, bezeigen die Wirklich-
keit eines mechanischen Ursprunges so deutlich, daß
man daran keinen Zweifel tragen kann. Denn
1. haben diese Bewegungen eine durchgehends über-
einstimmende Richtung, daß von sechs Hauptplaneten,
40 von 10 Trabanten, sowohl in ihrer fortrückenden Be-
wegung, als in ihren Umdrehungen um die Achse,
nicht ein einziger ist, der nach einer andern Seite,
II. Teil. 8. Hauptst. Beweis d. Richtigkeit etc. 149
als von Abend gegen Morgen sich bewegete. Diese
Richtungen sind überdem so genau zusammentreffend,
daß sie nur wenig von einer gemeinschaftlichen Fläche
abweichen, und diese Fläche, auf welche sich alles
beziehet, ist die Äquatorsfläche des Körpers, der in
dem Mittelpunkte des ganzen Systems sich nach eben
derselben Gegend um die Achse drehet, und der durch
seine vorzügliche Attraktion der Beziehungspunkt aller
Bewegungen gev/orden, und folglich an denenselben
so genau als möglich hat teilnehmen müssen. Ein 10
Beweis, daß die gesamte Bewegungen auf eine, den
allgemeinen Naturgesetzen gemäße mechanische Art
entstanden und bestimmet worden, und daß die Ur-
sache, welche entweder die Seitenbewegungen ein-
drückte oder richtete, den ganzen Raum des Planeten-
gebäudes beherrschet hat, und darin den Gesetzen
gehorchet, welche die in einem gemeinschaftlich be-
wegten Räume befindliche Materie beobachtet, daß alle
verschiedene Bewegungen zuletzt eine einzige Richtung
annehmen und sich insgesamt so genau als möglich 20
auf eine einzige Fläche beziehend machen.
2. Sind die Geschwindigkeiten so beschaffen, als sie
es in einem Räume sein müssen, da die bewegende
Kraft in dem Mittelpunkte ist, nämlich sie nehmen in
beständigen Graden mit den Entfernungen von diesem
ab, und verlieren sich in der größesten Weite in eine
gänzliche Mattigkeit der Bewegung, welche den senk-
rechten Fall nur sehr wenig seitwärts beuget. Vom
Merkur an, welcher die größte Schwungskraft hat,
siebet man diese stufenweise sich vermindern, und in 30
dem äußersten Kometen so gering sein, als sie es sein
kann, um nicht gerade in die Sonne zu fallen. Man
kann nicht einwenden, daß die Regeln der Zentral-
bewegungen in Zirkelkreisen es so erheischen, daß,
je näher zum Mittelpunkte der allgemeinen Senkung,
desto größer die Umschwungsgeschwindigkeit sein
müsse; denn woher müssen eben die diesem Zentro
nahen Himmelskörper zirkelförmichte Kreise haben?
woher sind nicht die nächsten sehr exzentrisch, und
die entfernteren in Zirkeln umlaufend? oder vielmehr, 40
da sie alle von dieser abgemessenen geometrischen
Genauheit abweichen, warum nimmt diese Abweichung
150 Allgemeine NaturgescMclite und Theorie des Himmels.
mit den Entfernungen zu? Bezeichnen diese Verhält-
nisse nicht den Punkt, zu dem alle Bewegung ursprüng-
lich sich gedränget, und nach dem Maße der Nahheit
auch größere Grade erlanget hat, bevor andere Be-
stimmungen ihre Richtungen in die gegenwärtige ver-
ändert haben?
Will man nun aber die Verfassung des Weltbaues
und den Ursprung der Bewegungen von den allge-
meinen Naturgesetzen ausnehmen, um sie der un-
10 mittelbaren a) Hand Gottes zuzuschreiben, so wird man
alsbald inne, daß die angeführte Analogien einen
solchen Begriff offenbar widerlegen. Denn was erst-
lich die durchgängige Übereinstimmung in der Rich-
tung betrifft, so ist offenbar, daß hier kein Grund
sei, woher die Weltkörper gerade nach einer einzigen
Gegend ihre Umläufe anstellen müßten, wenn der
Mechanismus ihrer Erzeugung sie nicht dahin be-
stimmet hätte. Denn der Raum, in dem sie laufen,
ist unendlich wenig widerstehend und schränket ihre
20 Bewegungen so wenig nach der einen Seite, als nach
der andern ein; also würde die Wahl Gottes ohne
den geringsten Bewegungsgrund sich nicht an eine
einzige Bestimmung binden, sondern sich mit mehrerer
Freiheit in allerlei Abwechselungen und Verschieden-
heit zeigen. Noch mehr: warum sind die Kreise der
Planeten so genau auf eine gemeinschaftliche Fläche
beziehend, nämlich auf die Äquatorsfläche desjenigen
großen Körpers, der in dem Mittelpunkte aller Be-
wegung ihre Umläufe regieret? Diese Analogie, an-
30 statt einen Bewegungsgrund der Wohlanständigkeit an
sich zu zeigen, ist vielmehr die Ursache einer gewissen
Verwirrung, welche durch eine freie Abweichung der
Planetenkreise würde gehoben werden; denn die An-
ziehungen der Planeten stören anjetzo gewissermaßen
die Gleichförmigkeit ihrer Bewegungen, und würden
einander gar nicht hinderlich sein, wenn sie sich nicht
so genau auf eine gemeinschaftliche Fläche bezögen.
Noch mehr als alle diese Analogien zeiget sich
das deutlichste Merkmal von der Hand der Natur
40 an dem Mangel der genauesten Bestimmung in den-
a) „mittelbaren" A. kon-. Hartenstein.
II. Teil. 8. Hauptst. Beweis d. Richtigkeit etc. 151
jenigen Verhältnissen, die sie zu erreichen bestrebt
' gewesen. Wenn es am besten wäre, daß die Planeten-
kreise beinahe auf eine gemeinschaftliche Fläche ge-
stellet wären, warum sind sie es nicht ganz genau?
und warum ist ein Teil derjenigen Abweichung übrig-
geblieben, welche hat vermieden werden sollen? Wenn
darum die der Laufbahne der Sonne nahen Planeten
die der Attraktion das Gleichgewicht haltende Größe
der Schwungskraft empfangen haben, warum fehlet
noch etwas an dieser völligen Gleichheit? und wo- lO
her sind ihre Umläufe nicht vollkommen zirkelrund,
wenn bloß die weiseste Absicht, durch das größte
Vermögen unterstützet, diese Bestimmung hervorzu-
bringen getrachtet hat? Ist es nicht klar einzusehen,
daß diejenige Ursache, welche die Laufbahnen der
Himmelskörper gestellet hat, indem sie selbige auf
eine gemeinschaftliche Fläche zu bringen bestrebt ge-
wesen, es nicht völlig hat ausrichten können; in-
gleichen, daß die Kraft, welche den Himmelsraum
beherrschete, als alle Materie, die nunmehro in Kugeln 20
gebildet ist, ihre Umschwungsgeschwindigkeiten er-
hielt, sie zwar nahe beim Mittelpunkte in ein Gleich-
gewicht mit der senkenden Gewalt zu bringen ge-
trachtet hat, aber die völlige Genauheit nicht hat
erreichen können? Ist nicht das gewöhnliche Ver-
fahren der Natur hieran zu erkennen, welches, durch
die Dazwischenkunft der verschiedenen Mitwirkungen,
allemal von der ganz abgemessenen Bestimmung ab-
weichend gemacht wird? und wird man wohl lediglich
in den Endzwecken des unmittelbar so gebietenden 30
höchsten Willens die Gründe dieser Beschaffenheit
finden? Man kann, ohne eine Hartnäckigkeit zu be-
zeigen, nicht in Abrede sein, daß die gepriesene Er-
klärungsart, von den Natureigenschaften, durch An-
führung ihres Nutzens Grund anzugeben, hier nicht
die verhoffte Probe halte. Es war gewiß in Ansehung
des Nutzens der Welt ganz gleichgültig, ob die Pla-
netenkreise völlig zirkelrund oder ob sie ein wenig
exzentrisch wären; ob sie mit der Fläche ihrer all-
gemeinen Beziehung völlig zusammentreffen oder noch 40
etwas davon abweichen sollten; vielmehr, wenn es ja
nötig war, in dieser Art von Übereinstimmungen be-
152 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
schränkt zu sein, so war es am besten, sie völlig an
sich zua) haben. Wenn es wahr ist, was der Philosoph
sagte: daß Gott beständig die Geometrie ausübet, wenn
dieses auch in den Wegen der allgemeinen Natur-
gesetze hervorleuchtet, so würde gewiß diese Regel
bei den unmittelbaren Werken des allmächtigen Wor-
tes b) vollkommen zu spüren sein, und diese würden
alle Vollkommenheit der geometrischen Genauheit an
sich zeigen. Die Kometen gehören mit unter diese
10 Mängel der Natur. Man kann nicht leugnen, daß in
Ansehung ihres Laufes und der Veränderungen, die
sie dadurch erleiden, sie als unvollkommene Glieder
der Schöpfung anzusehen sein, welche weder dienen
können, vernünftigen Wesen bequeme Wohnplätze ab-
zugeben, noch dem Besten des ganzen Systems da-
durch nützlich zu werden, daß sie, wie man vermutet
hat, der Sonne dereinst zur Nahrung dieneten; denn
es ist gewiß, daß die meisten derselben diesen Zweck
nicht eher, als bei dem Umstürze des ganzen planeti-
20 sehen Gebäudes erreichen würden. In dem Lehrbegriffe
von der unmittelbaren höchsten Anordnung der Welt,
ohne eine natürliche Ent^vickelung aus allgemeinen
Naturgesetzen, würde eine solche Anmerkung anstößig
sein, oh sie gleich gewiß ist. Allein in einer mecha-
nischen Erklärungsart verherrlichet sich dadurch die
Schönheit der Welt und die Offenbarung der Allmacht
nicht wenig. Die Natur, indem sie alle mögliche
Stufen der Mannigfaltigkeit in sich fasset, erstrecket
ihren Umfang über alle Gattungen von der Vollkommen-
30 heit bis zum Nichts, und die Mängel selber sind ein
Zeichen des Überflusses, an welchem ihr Inbegriff
unerschöpft ist.
Es ist zu glauben, daß die angeführten Analogien
so viel über das Vorurteil vermögen würden, den
mechanischen Ursprung des Weltgebäudes annehmungs-
würdig zu machen, wenn nicht noch gewisse Gründe,
die aus der Natur der Sache selber hergenommen
sind, dieser Lehrverfassung gänzlich zu widersprechen
schienen. Der Himmelsraum ist, wie schon mehrmalen
a) „an sich haben" A. korr. in der Ausg. v. 1797.
b) „Willens" Ak. Ausg. Rahts.
II. Teil. 8. Hauptst. Beweis d. Richtigkeit etc. 153
gedacht, leer, oder wenigstens mit unendlich dünner
Materie angefüllet, welche folglich kein Mittel hat ab-
geben können, denen Himmelskörpern gemeinschaft-
liche Bewegungen einzudrücken. Diese Schwierigkeit
ist so bedeutend und gültig, daß Newton, welcher
Ursache hatte, den Einsichten seiner Weltweisheit so
viel als irgendein Sterblicher zu vertrauen, sich ge-
nötiget sähe, allhier die Hoffnung aufzugeben, die Ein-
drückung der den Planeten beiwohnenden Schwungs-
kräfte, ohnerachtet aller Übereinstimmung, welche auf 10
einen mechanischen Ursprung zeigete, durch die Ge-
setze der Natur und die Kräfte der Materie aufzulösen.
Ob es gleich vor einen Philosophen eine betrübte Ent-
schließung ist, bei einer zusammengesetzten und noch
weit von den einfachen Grundgesetzen entferneten Be-
schaffenheit, die Bemühung der Untersuchung aufzu-
geben, und sich mit der Anführung des unmittelbaren
Willens Gottes zu begnügen; so erkannte doch New-
ton hier die Grenzscheidung, welche die Natur und
den Finger Gottes, den Lauf der eingeführten Gesetze 20
der ersteren und den Wink des letzteren voneinander
scheidet. Nach eines so großen Weltweisen Verzweif-
lung scheinet es eine Vermessenheit zu sein, noch
einen glücklichen Fortgang in einer Sache von solcher
Schwierigkeit zu hoffen.
Allein ebendieselbe Schwierigkeit, welche dem
Newton die Hoffnung benahm, die denen Himmels-
körpern erteilte Schwungskräfte, deren Richtung und
Bestimmungen das Systematische des Weltbaues aus-
machet, aus denen Kräften der Natur zu begreifen, 30
ist die Quelle der Lehrverfassung gewesen, die wir
in den vorigen Hauptstücken vorgetragen haben. Sie
gründet einen mechanischen Lehrbegriff, aber einen
solchen, der weit von demjenigen entfernet ist, welchen
Newton unzulänglich befand, und um dessen willen
er alle Unterursachen verwarf, weil er (wenn ich es
mir unterstehen darf, zu sagen) darin irrete, daß er
ihn vor den einzigen unter allen möglichen seiner Art
hielte. Es ist ganz leicht und natürlich, selbst ver-
mittelst der Schwierigkeit des Newton, durch eine 40
kurze und gründliche Schlußfolge auf die Gewißheit
derjenigen mechanischen Erklärungsart zu kommen,
154 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
die wir in dieser Abhandlung entworfen haben. Wenn
man voraussetzet (wie man denn nicht umhin kann, es
zu bekennen), daß die obigen Analogien es mit
größester Gewißheit festsetzen, daß die harmonieren-
den und sich aufeinander ordentlich beziehenden Be-
wegungen und Kreise der Himmelskörper eine natür-
liche Ursache als ihren Ursprung anzeigen; so kann
diese doch nicht dieselbe Materie sein, welche an-
jetzt den Himmelsraum erfüllet. Also muß diejenige,
10 welche ehedem diese Räume erfüllete, und deren Be-
wegung der Grund von den gegenwärtigen Umläufen
der Himmelskörper gewesen ist, nachdem sie sich auf
diese Kugeln versammlet und dadurch die Räume ge-
reiniget hat, die man anjetzt leer siehet, oder, welches
unmittelbar hieraus herfließet, die Materien a) selber,
daraus die Planeten, die Kometen, ja die Sonne be-
stehen, müssen anfänglich in dem Räume des plane-
tischen Systems ausgebreitet gewesen sein, und in
diesem Zustande sich in Bewegungen versetzet haben,
20 welche sie behalten haben, als sie sich in besondere
Klumpen vereinigten und die Himmelskörper bildeten,
welche alle den ehemals zerstreueten Stoff der Welt-
materie in sich fassen. Man ist hiebei nicht lange in Ver-
legenheit, das Triebwerk zu entdecken, welches diesen
Stoff der sich bildenden Natur in Bewegung gesetzt
haben möge. Der Antrieb selber, der die Vereinigung
der Massen zuwege brachte, die Kraft der Anziehung,
welche der Materie wesentlich 'beiwohnet, und sich
daher bei der ersten Regung der Natur, zur ersten
30 Ursache der Bewegung so wohl schicket, war die
Quelle derselben. Die Richtung, welche bei dieser
Kraft immer gerade zum Mittelpunkte hinzielet, macht
allhier keine Bedenken; denn es ist gewiß, daß der
feine Stoff zerstreueter Elemente in der senkrechten
Bewegung, sowohl durch die Mannigfaltigkeit der
Attraktionspunkte, als durch die Hindernis, die ein-
ander ihre durchkreuzende Richtungslinien leisten, hat
in verschiedene Seitenbewegungen ausschlagen müssen,
bei denen das gewisse Naturgesetz, welches macht,
40 daß alle einander durch gewechselte Wirkung ein-
a) „die Materie" A. korr. Hartenstein.
II, Teil. 8. Hauptst. Beweis d. Richtigkeit etc. 155
schränkende Materie sich zuletzt auf einen solchen
Zustand bringet, da eine der andern so wenig Ver-
änderung, als möglich, mehr zuziehet, sowohl die Ein-
förmigkeit der Richtung, als auch die gehörigen Grade
der Geschwindigkeiten hervorgebracht hat, die in jedem
Abstände nach der Zentralkraft abgewogen sein und
durch deren Verbindung a) weder über noch unter
sich auszuschweifen trachten; da alle Elemente also
nicht allein nach einer Seite, sondern auch beinahe
in parallelen und freien Zirkeln um den gemeinschaft- 10
liehen Senkungspunkt in dem dünnen Himmelsraume
umlaufend gemacht worden. Diese Bewegungen der
Teile mußten hernach fortdauren, als sich plane-
tische Kugeln daraus gebildet hatten, und bestehen
anjetzt, durch die Verbindung des einmal eingepflanz-
ten Schwunges mit der Zentralkraft, in unbeschränkte
künftige Zeiten. Auf diesem so begreiflichen b)
Grunde beruhen die Einförmigkeit der Richtungen in
den Planetenkreisen, die genaue Beziehung auf eine
gemeinschaftliche Fläche, die Mäßigung der Schwungs- 20
kräfte nach der Attraktion des Ortes, die mit den
Entfernungen abnehmende Genauheit dieser Analogien
und die freie Abweichung der äußersten Himmels-
körper nach beiden Seiten sowohl, als nach ent-
gegengesetzter Richtung. Wenn diese Zeichen der
gewechselten Abhängigkeit in denen Bestimmungen
der Erzeugung auf eine, durch den ganzen Raum
verbreitete, ursprünglich bewegte Materie mit offen-
barer Gewißheit zeigen, so beweiset der gänzliche
Mangel aller Materien in diesem nunmehro leeren 30
Himmelsraume, außer derjenigen, woraus die Körper
der Planeten, der Sonne und der Kometen zusammen-
gesetzt sein, daß diese selber im Anfange in diesem
Zustande .der Ausbreitung müsse gewesen sein. Die
Leichtigkeit und Richtigkeit, mit welcher aus diesem
angenommenen Grundsatze alle Phänomena des Welt-
baues in den vorigen Hauptstücken hergeleitet worden,
ist eine Vollendung solcher Mutmaßung und gibt ihr
einen Wert, der nicht mehr willkürlich ist.
a) „die Elemente" Rahts Ak. Ausg.
b) „unbegreiflichen" A. korr. Hartenstein.
1 56 Allgemeine Naturgescbiclite und Theorie des Himmels.
Die Gewißheit einer mechanischen Lehrverfassung
von dem Ursprünge des Weltgebäudes, vornehmlich
des unsrigen, wird auf den höchsten Gipfel der
Überzeugung erhoben, wenn man die Bildung der
Himmelskörper selber, die Wichtigkeita) und Größe
ihrer Massen nach den Verhältnissen erwäget, die sie
in Ansehung ihres Abstandes von dem Mittelpunkte
der Gravitation haben. Denn erstlich ist die Dichtig-
keit ihres Stoffes, wenn man sie im Ganzen ihres
10 Klumpens erwäget, in beständigen Graden mit den
Entfernungen von der Sonne abnehmend; eine Be-
stimmung, die so deutlich auf die mechanischen Be-
stimmungen der ersten Bildung zielet, daß man nichts
mehr verlangen kann. Sie sind aus solchen Materien
zusammengesetzet, deren die von schwererer Art einen
tiefern Ort zu dem gemeinschaftlichen Senkungspunkte,
die von leichterer Art aber einen entferneteren Abstand
bekommen haben; welche Bedingung in aller Art der
natürlichen Erzeugung notwendig ist. Aber bei einer
20 unmittelbar aus dem göttlichen Willen fließenden Er-
richtung b) ist nicht der mindeste Grund zu gedachtem
Verhältnisse c) anzutreffen. Denn ob es gleich scheinen
möchte, daß die entfernteren Kugeln aus leichterem
Stoffe bestehen müßten, damit sie von der geringern
Kraft der Sonnenstrahlen die nötige Wirkung ver-
spüren könnten; so ist dieses doch nur ein Zweck,
der auf die Beschaffenheit der auf der Oberfläche be-
findlichen Materien und nicht auf die tieferen Sorten
ihres d) inwendigen Klumpens zielet, als in welche die
30 Sonnenwärme niemals einige Wirkung tut, die auch
nur dienen, die Attraktion des Planeten, welche die
ihn umgebenden Körper zu ihm sinkend machen soll,
zu bewirken, und daher nicht die mindeste Beziehung
auf die Stärke oder Schwäche der Sonnenstrahlen
haben dürfen e). Wenn man daher fraget, woher die
aus den richtigen Rechnungen des Newton gezogene
a) Hartenstein, Kebrbacb, Kirclimann „Dichtigkeit".
b) „Einrichtung" Kirchmann Ak. Ausg.
c) „gedachten Verhältnisse" A. Kehrbach, Hartenstein:
„gedachten Verbältnissen".
d) „seines" A.
e) „darf" A. korr. Ak. Ausg.
II. Teil. 8. Hauptst. Beweis d. Richtigkeit etc. 157
Dichtigkeiten der Erde, des Jupiters, des Saturns
sich gegeneinander, wie 400, 94V2 und 64 verhalten,
so wäre es ungereimt, die Ursache der Absicht Gottes,
welcher sie nach den Graden der Sonnenwärme ge-
mäßiget hat, beizumessen; denn da kann unsere Erde
uns zum Gegenbeweise dienen, bei der die Sonne nur
in eine so geringe Tiefe unter der Oberfläche durch ihre
Strahlen wirket, daß derjenige Teil ihres Klumpens,
der dazu einige Beziehung haben muß, bei weitem
nicht den millionsten Teil des Ganzen beträgt, wovon 10
das übrige in Ansehung dieser Absicht völlig gleich-
gültig ist. Wenn also der Stoff, daraus die Himmels-
körper bestehen, ein ordentliches mit den Entfernungen
harmonierendes Verhältnis gegeneinander hat, und die
Planeten einander anjetzt nicht einschränken können,
da sie nun im leeren Räume voneinander abstehen,
so muß ihre Materie vordem in einem Zustande ge-
wesen sein, da sie ineinander gemeinschaftliche Wir-
kung tun können, um sich in die ihrer spezifischen
Schwere proportionierte Örter einzuschränken, welches 20
nicht anders hat geschehen können, als daß ihre Teile
vor der Bildung in dem ganzen Räume des Systems
ausgebreitet gewesen und dem allgemeinen Gesetze
der Bewegung gemäß Örter gewonnen haben, welche
ihrer Dichtigkeit gebühren.
Das Verhältnis unter der Größe der planetischen
Massen, welches mit den Entfernungen zunimmt, ist
der zweite Grund, der die mechanische Bildung der
Himmelskörper, und vornehmlich unsere Theorie von
derselben klärlich beweiset. Warum nehmen die Massen 30
der Himmelskörper ohngefähr mit den Entfernungen
zu? Wenn man einer der Wahl Gottes alles zu-
schreibenden Lehrart nachgehet, so könnte keine an-
dere Absicht gedacht werden, warum die entfernetern
Planeten größere Massen haben müssen, als damit
sie durch a) die vorzügliche Stärke ihrer Anziehung
in ihrer Sphäre einen oder etliche Monde begreifen
könnten, welche dienen sollen, den Bewohnern, welche
vor sie bestimmt sind, den Aufenthalt bequemlich zu
machen. Allein dieser Zweck konnte ebensowohl durch 40
a) „durch" Zusatz der Ausgabe v. 1797.
158 Allgemeine NaturgescbicLte uud Theoiie des Himmels.
eine vorzügliche Dichtigkeit in dem Inwendigen ihres
Klumpens erhalten werden, und warum mußte denn
die aus besonderen Gründen fließende Leichtigkeit
des Stoffes, welche diesem Verhältnis entgegen ist,
bleiben und durch den Vorzug des Volumens so weit
übertroffen werden, daß dennoch die Masse der obern
wichtiger, als der untern ihre würde? Wenn man
nicht auf die Art der natürlichen Erzeugung dieser
Körper acht hat, so wird man schwerlich von diesem
10 Verhältnisse Grund geben können; aber in Betrach-
tung derselben ist nichts leichter, als diese Bestimmung*
zu begreifen. Als der Stoff aller Weltkörper in dem
Raum des planetischen Systems noch ausgebreitet war,
so bildete die Anziehung aus diesen Teilchen Kugeln,
welche ohne Zweifel um desto größer werden mußten,
je weiter der Ort ihrer Bildungssphäre von demjenigen
allgemeinen Zentralkörper entfernet war, der aus dem
Mittelpunkte des ganzen Raumes durch eine vorzüg-
lich mächtige Attraktion diese Vereinigung, soviel an
20 ihm ist, einschränkete und hinderte.
Man wird die Merkmale dieser Bildung der Himmels-
körper aus dem im Anfange ausgebreitet gewesenen
Grundstoffe mit Vergnügen an der Weite der Zwischen-
räume gewahr, die ihre Kreise voneinander scheiden,
und die nach diesem "Begriffe als die leeren Fächer
müssen angesehen werden, aus denen die Planeten die
Materie zu ihrer Bildung hergenommen haben. Man
siehet, wie diese Zwischenräume zwischen den Kreisen
ein Verhältnis zu der Größe der Massen haben, die
30 daraus gebildet sein. Die Weite zwischen dem Kreise
des Jupiters und des Mars ist so groß, daß der
darin beschlossene Raum die Fläche aller unteren
Planetenkreise zusammengenommen übertrifft; allein
er ist des größesten unter allen Planeten würdig,
desjenigen, der mehr Masse hat, als alle übrigen zu-
sammen. Man kann diese Entfernung des Jupiters
von dem Mars nicht der Absicht beimessen, daß ihre
Attraktionen einander so wenig, als möglich, hindern
sollten. Denn nach solchem Grunde würde sich der
40 Planet zwischen zwei Kreisen allemal demjenigena) am
a) „Planeten" Zusatz Rahts Ak. Ausg.
II. Teil. 8. Hauptst. Beweis d. Richtigkeit etc. 159
iiäclisten befinden, dessen mit der seinigen vereinigte
Attraktion die beiderseitigen Umläufe um die Sonne
am wenigsten stören kann; folglich demjenigen, der
die kleinste Masse hat. Weil nun nach den richtigen
Rechnungen Newtons die Gewalt, womit Jupiter in
den Lauf des Mars wirken kann, zu derjenigen, die
er in den Saturn durch die vereinigte Anziehung aus-
übet, sicha) wie V12512 zu V200 verhält; so kann man
leicht die Rechnung machen, um wieviel Jupiter sich
dem Kreise des Mars näher befinden müßte, als des 10
Saturns seinem, wenn ihr Abstand durch die Absicht
ihrer äußerlichen Beziehung, und nicht durch den
Mechanismus ihrer Erzeugung bestimmt worden wäre.
Da dieses sich nun aber ganz anders befindet; da ein
planetischer Kreis in Ansehung der zwei Kreise, die
über und unter ihm sein, sich oft von demjenigen
abstehender befindet, in welchem ein kleinerer Planet
läuft, als dieb) Bahn dessen von größerer Masse; die
Weite des Raumes aber um den Kreis eines jeden
Planeten allemal ein richtiges Verhältnis zu seiner 20
Masse hat, so ist klar, daß die Art der Erzeugung
diese Verhältnisse müsse bestimmt haben, und daß,
weil diese Bestimmungen so, wie die Ursache und die
Folgen derselben, scheinen verbunden zu sein, man
es wohl am richtigsten treffen wird, wenn m.an die
zwischen den Kreisen begriffene Räume als die Be-
hältnisse desjenigen Stoffes ansiehet, daraus sich die
Planeten gebildet haben; woraus unmittelbar folget, daß
deren Größe dieser ihren Massen proportioniert sein
muß, welches Verhältnis aber bei denen entferntem 30
Planeten durch die in dem ersten Zustande größere
Zerstreuung der elementarischen Materie in diesen
Gegenden vermehret wird. Daher von zwei Planeten,
die an Masse einander ziemlich gleichkommen, der
entferntere einen größern Bildungsraum, d. i. einen
größern Abstand von den beiden nächsten Kreisen
haben muß, sowohl weil der Stoff daselbst an sich
spezifisch leichterer Art, als auch weil er zerstreuter
war, als bei dem, so sich näher zu der Sonne bildete.
a) „sich" Zusatz Rosenkranz.
b) „von der" Rahts Ak. Ausg.
1QQ Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Daher, obgleich die Erde zusamt dem Monde der
Venus noch nicht an körperlichem Inhalte gleich zu
sein scheinet, so hat sie dennoch um sich einen grö-
ßern Bildungsraum erfordert, weil sie sich aus einem
mehr zerstreuten Stoffe zu bilden hatten), als dieser
untere Planet. Vom Saturn ist aus diesen Gründen
zu vermuten, daß seine Bildungssphäre sich auf der
abgelegenen Seite viel weiter wird ausgebreitet haben,
als auf der Seite gegen den Mittelpunkt hin (wie denn
10 dieses fast von allen Planeten gilt); und daher wird
der Zwischenraum zwischen dem Saturnuskreise und
der Bahn des diesem Planeten zunächst obern Himmels-
körpers, den man über ihm vermuten kann, viel weiter,
als zwischen ebendemselben und dem Jupiter sein.
Also gehet alles in dem planetischen Weltbaue
stufenweise, mit richtigen Beziehungen zu der ersten
erzeugenden Kraft, die neben dem Mittelpunkte wirk-
samer, als in der Ferne gewesen, in alle unbeschränkte
Weiten fort. Die Verminderung der eingedrückten
20 schießenden Kraft, die Abweichung von der genauesten
Übereinstimmung in der Richtung und der Stellung
der Kreise, die Dichtigkeiten der Himmelskörper, die
Sparsamkeit der Natur in Absehen auf den Raum
ihrer Bildung, alles vermindert sich stufenartig von
dem Zentro in die weiten Entfernungen; alles zeiget,
daß die erste Ursache an die mechanischen Regeln
der Bewegung gebunden gewesen, und nicht durch
eine freie Wahl gehandelt hat.
Allein, was so deutlich, als irgend sonsten etwas,
30 die natürliche Bildung der Himmelskugeln aus dem
ursprünglich in dem Räume des Himmels, der nun-
mehro leer ist, ausgebreitet gewesenen Grundstoffe
anzeiget, ist diejenige Übereinstimmung, die ich von
dem Herrn von Buffon entlehne, die aber in seiner
Theorie bei weitem den Nutzen, als in der unsrigen,
nicht hat. Denn nach seiner Bemerkung, wenn man
die Planeten, deren Massen man durch Rechnung be-
stimmen kann, zusammen summieret: nämlich den Sa-
turn, den Jupiter, die Erde und den Mond, so geben
40 sie einen Klumpen, dessen Dichtigkeit der Dichtigkeit
a) „hatten" A.
II. Teil. 8. Hauptst. Beweis d. Richtigkeit etc. 161
des Sonnenkörpers wie 640 zu 650 beikommt, gegen a)
welche, da es die Haupts tücke in demb) planetischen
System sindc) die übrigen Planeten Mars, Venus und
Merkur kaum verdienen gerechnet zu werden; so wird
man billig über die merkwürdige Gleichheit erstaunen,
die zwischen der Materie des gesamten planetischen
Gebäudes, wenn es als in einem Klumpen vereinigt
betrachtet wird, und zwischen der Masse der Sonnen
herrschet. Es wäre ein unverantwortlicher Leichtsinn,
diese Analogie einem Ungeiähr zuzuschreiben, welche 10
unter einer Mannigfaltigkeit so unendlich verschiedener
Materien, deren nur allein auf unserer Erde einige
anzutreffen sind, die IStausendmal an Dichtigkeit von-
einander übertroffen werden, dennoch im Ganzen der
Verhältnis von 1 zu^) 1 so nahe kommen; und man
muß zugeben, daß, wenn man die Sonne als ein
Mengsei von allen Sorten Materie, die in dem pla-
netischen Gebäude voneinander geschieden sein, be-
trachtet, alle insgesamt sich in einem Räume scheinen
gebildet zu haben, der ursprünglich mit gleich- 20
förmig ausgebreitetem Stoffe erfüllet war, und auf
dem Zentralkörper sich ohne Unterschied versammlet,
zur Bildung der Planeten aber nach Maßgebung der
Höhen eingeteilet worden. Ich überlasse es denen,
die die mechanische Erzeugung der Weltkörper nicht
zugeben können, aus den Bewegungsgründen der Wahl
Gottes diese so besondere Übereinstimmung, wo sie
können, zu erklären. Ich will endlich aufhören, eine
Sache von so überzeugender Deutlichkeit, als die Ent-
wickelung des Weltgebäudes aus den Kräften der 30
Natur ist, auf mehr Beweistümer zu gründen. Wenn
man imstande ist, bei so vieler Überführung unbe-
weglich zu bleiben, so muß man entweder gar zu tief
in den Fesseln des Vorurteils liegen, oder gänzlich
unfähig sein, sich über den Wust hergebrachter Mei-
nungen zu der Betrachtung der allerreinsten Wahr-
heit emporzuschwingen. Indessen ist zu glauben, daß
niemand, als die Blödsinnigen, auf deren Beifall man
a — b) „welche . . . gegen" korr. Hartenstein.
c) „den" A.
d) „bis" A.
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I. 1\
IQ2 Allgemeine Naturgeachichte und Theorie des Himmels.
nicht rechnen darf, die Richtigkeit dieser Theorie ver-
kennen könnte, wenn die Übereinstimmungen, die der
Weltbau in allen seinen Verbindungen zu dem Nutzen
der vernünftigen Kreatur hat, nicht etwas mehr als
bloße allgemeine Naturgesetze zum Grunde zu haben
schienen. Man glaubt auch mit Recht, daß geschickte
Anordnungen, welche auf einen würdigen Zweck ab-
zielen, einen weisen Verstand zum Urheber haben
müssen, und man wird völlig befriedigt werden, wenn
10 man bedenkt, daß, da die Naturen der Dinge keine
andere, als eben diese Urquelle erkennen, ihre wesent-
liche und allgemeine Beschaffenheiten eine natürliche
Neigung zu anständigen und untereinander wohl über-
einstimmenden Folgen haben müssen. Man wird sich
also nicht befremden dürfen, wenn man zum ge-
wechselten Vorteile der Kreaturen gereichende Ein-
richtungen der Weltverfassung gewahr wird, selbige
einer natürlichen Folge aus den allgemeinen Gesetzen
der Natur beizumessen; denn was aus diesen a) her-
20 fließet, ist nicht die Wirkung des blinden Zufalles
oder der unvernünftigen Notwendigkeit; es gründet
sich zuletzt doch in der höchsten Weisheit, von der
die allgemeinen Beschaffenheiten ihre Übereinstimmung
entlehnen. Der eine Schluß ist ganz richtig: wenn
in der Verfassung der Welt Ordnung und Schönheit
hervorleuchten, so ist ein Gott. Allein der andere ist
nicht weniger gegründet: wenn diese Ordnung aus all-
gemeinen Naturgesetzen hat herfließen können, so
ist die ganze Natur notwendig eine Wirkung der
30 höchsten Weisheit.
Wenn man es sich aber durchaus belieben läßt,
die unmittelbare Anwendung der göttlichen Weisheit
an allen Anordnungen der Natur, die unter sich Har-
monie und nützliche Zwecke begreifen, zu erkennen,
indem man der Entwickelung aus allgemeinen Be-
wegungsgesetzen keine übereinstimmende Folgen zu-
trauet; so wollte ich raten, in der Beschauung des
Weltbaues seine Augen nicht auf einen einzigen unter
den Himmelskörpern, sondern auf das Ganze zu richten,
40 um sich aus diesem Wahne auf einmal herauszureißen.
a) ..diesem" A.
II. Teil. 8. Hauptst. Beweis d. Richtigkeit etc. 163
Wenn die schiefe Lage der Erdachse gegen die Fläche
ihres jährlichen Laufes durch die beliebte Abwechse-
lung der Jahreszeiten ein Beweistum der unmittel-
baren Hand Gottes sein soll, so darf man nur diese
Beschaffenheit bei den andern Himmelskörpern da-
gegen halten; so wird man gewahr werden, daß sie
bei jedem derselben abwechselt, und daß in dieser
Verschiedenheit es auch einige gibt, die sie gar nicht
haben; wie z. E. Jupiter, dessen Achse senkrecht zu
dem Plane seines Kreises ist, und Mars, dessen seine 10
es beinahe ist, welche beide keine Verschiedenheit
der Jahreszeiten genießen, und doch ebensowohl Werke
der höchsten Weisheit, als die andern sind. Die Be-
gleitung der Monde beim Saturn, dem Jupiter und der
Erde würden scheinen besondere Anordnungen des
höchsten a) Wesens zu sein, wenn die freie Abweichung
von diesem Zwecke durch das ganze System des W^elt-
baues nicht anzeigte, daß die Natur, ohne durch einen
außerordentlichen Zwang in ihrem freien Betragen
gestört zu sein, diese Bestimmungen hervorgebracht 20
habe. Jupiter hat vier Monde, Saturn fünf, die Erde
einen, die übrigen Planeten gar keinen; ob es gleich
scheinet, daß diese wegen ihrer längeren Nächte der-
selben bedürftiger wären, als jene. Wenn man die
proportionierte Gleichheit der den Planeten einge-
drückten Schwungskräfte mit den Zentralneigungen
ihres Abstandes als die Ursache, woher sie beinahe
in Zirkeln um die Sonne laufen, und durch die Gleich-
mäßigkeit der von dieser erteilten Wärme zu Wohn-
plätzen vernünftiger Kreaturen geschickt werden, be- 30
wundert und sie als den unmittelbaren Finger der
Allmacht ansiehet, so wird man auf einmal auf die
allgemeinen Gesetze der Natur zurückgeführet, wenn
man erwäget, daß diese planetische Beschaffenheit
sich nach und nach, mit allen Stufen der Verminde-
rung, in der Tiefe des Himmels verlieret, und daß
eben die höchste Weisheit, welche an der gemäßigten
Bewegung der Planeten ein Wohlgefallen gehabt hat,
auch die Mängel nicht ausgeschlossen, mit welchen
sich das System endiget, indem es in der völligen 40
a) „höchsten" fehlt in A.
11^
164 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Unregelmäßigkeit und Unordnung aufhöret. Die Natur,
ohnerachtet sie eine wesentliche Bestimmung zur Voll-
kommenheit und Ordnung hat, fasset in dem Umfange
ihrer Mannigfaltigkeit alle mögliche Abwechselungen,
sogar bis auf die Mängel und Abweichungen, in sich.
Ebendieselbe unbeschränkte Fruchtbarkeit derselben
hat die bewohnten Himmelskugeln sowohl, als die
Kometen, die nützlichen Berge und die schädlichen
Klippen, die bewohnbaren Landschaften und öden
10 Wüsteneien, die Tugenden und Laster hervorgebracht.
Allgemeine
Naturgeschichte und Theorie des Himmels
Dritter Teil
Welcher einen Versuch einer auf die Ana-
logien der N'atur gegründeten Vergleichung
zwischen den Einwohnern verschiedener
Planeten in sich enthält.
Wer das Verhältnis aller Welten, von einem Teil zum
andern weiß,
Wer aller Sonnen Menge kennet und jeglichen Planeten-
kreis ;
Wer die verschiedenen Bewohner von einem
jeden Stern erkennet.
Dem ist allein, warum die Dinge so sein, als wie
sie sein, vergönnet.
Zu fassen und uns zu erklären.
Pope.
Allgemeine
Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Dritter Teil.
Anhang
von den Bewohnern der Gestirne.
Weil ich davor halte, daß es den Charakter der
Weltweisheit entehren heiße, wenn man sich ihrer
gebrauchet, mit einer Art von Leichtsinn freie Aus-
schweifungen des Witzes mit einiger Scheinbarkeit zu
behaupten, wenn man sich gleich erklären wollte, daß 10
es nur geschähe, um zu belustigen, so werde icha) in
gegenwärtigem Versuche keine anderen Sätze anführen,
als solche, die zur Erweiterung unseres Erkenntnisses
wirklich beitragen können, und deren Wahrscheinlich-
keit zugleich so wohl gegründet ist, daß man sich
kaum entbrechen kann, sie gelten zu lassen.
Obgleich es scheinen möchte, daß in dieser Art
des Vorwurfes die Freiheit, zu erdichten, keine eigent-
liche Schranken habe, und daß man in dem Urteil von
der Beschaffenheit der Einwohner entlegener Welten 20
mit weit größerer Ungebundenheit der Phantasei könne
den Zügel schießen lassen, als ein Maler in der Ab-
bildung der Gewächse oder Tiere unentdeckter Länder,
und daß dergleichen Gedanken weder recht erwiesen
noch widerleget werden könnten; so muß man doch
gestehen, daß die Entfernungen der Himmelskörper
von der Sonne gewisse Verhältnisse mit sich führen,
a) „ich" fehlt in A.
168 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
welche einen wesentlichen Einfluß in die verschie-
denen Eigenschaften der denkenden Naturen nach sich
ziehen, die auf denenselben befindlich sind, als deren
Art zu wirken und zu leiden, an die Beschaffenheit
der Materie, mit der sie verknüpfet sein, gebunden
ist und von dem Maß der Eindrücke abhänget, die die
Welt nach den Eigenschaften der Beziehung ihres
Wohnplatzes zu dem Mittelpunkte der Attraktion und
der Wärme in ihnen erwecket.
10 Ich bin der Meinung, daß es eben nicht notwendig
sei, zu behaupten, alle Planeten müßten bewohnt sein,
ob es gleich eine Ungereimtheit wäre, dieses in An-
sehung aller oder auch nur der meisten zu leugnen.
Bei dem Reichtume der Natur, da Welten und Systeme,
in Ansehung des Ganzen der Schöpfung, nur Sonnen-
stäubchen sein, könnte es auch wohl öde und unbe-
wohnte Gegenden geben, die nicht auf das genaueste
zu dem Zwecke der Natur, nämlich der Betrachtung
vernünftiger Wesen, genutzet würden. Es wäre, als
20 wenn man sich aus dem Grunde der Weisheit Gottes
ein Bedenken machen wollte, zuzugeben, daß sandichte
und unbewohnte Wüsteneien große Strecken des Erd-
bodens einnehmen, und daß es verlassene Inseln im
Weltmeere gebe, darauf kein Mensch befindlich ist
Indessen ist ein Planet viel weniger in Ansehung des
Ganzen der Schöpfung, als eine Wüste oder Insel in
Ansehung des Erdbodens.
Vielleicht, daß sich noch nicht alle Himmelskörper
völlig ausgebildet haben; es gehören Jahrhunderte, und
30 vielleicht Tausende von Jahren dazu, bis ein großer
Himmelskörper einen festen Stand seiner Materien er-
langet hat. Jupiter scheinet noch in diesem Streite
zu sein. Die merkliche Abwechselung seiner Gestalt
zu verschiedenen Zeiten hat die Astronomen schon vor-
längst mutmaßen lassen, daß er große Umstürzungen
erleiden müsse, und bei weitem so ruhig auf seiner
Oberfläche nicht sei, als es ein bewohnbarer Planet
sein muß. Wenn er keine Bewohner hat, und auch
keine jemals haben sollte, was vor ein unendlich kleiner
40 Aufwand der Natur wäre dieses, in Ansehung der Un-
ermeßlichkeit der ganzen Schöpfung? Und wäre es
nicht vielmehr ein Zeichen der Armut, als des Über-
III. Teil. Von den Bewohnern der Gestirne. I(j9
flusses derselben, wenn sie in jedem Punkte des Raumes
so sorgfältig sein sollte, alle ihre Reichtümer aufzu-
zeigen?
Allein man kann noch mit mehr Befriedigung ver-
muten, daß, wenn er gleich jetzt unbewohnt ist, er
dennoch es dereinst werden wird, wenn die Periode
seiner Bildung wird vollendet sein. Vielleicht ist unsere
Erde tausend oder mehr Jahre vorhanden gewesen,
ehe sie sich in Verfassung befunden hat, Menschen,
Tiere und Gewächse unterhalten zu können. Daß ein 10
Planet nun einige tausend Jahre später zu dieser
Vollkommenheit kommt, das tut dem Zwecke seines
Daseins keinen Abbruch. Er wird eben um deswillen
auch ins zukünftige länger in der Vollkommenheit
seiner Verfassung, wenn er sie einmal erreichet hat,
verbleiben; denn es ist einmal ein gewisses Natur-
gesetz: alles, was einen Anfang hat, nähert sich be-
ständig seinem Untergange, und ist demselben um so
viel näher, je mehr es sich von dem Punkte seines
Anfanges entfernet hat. 20
Die satirische Vorstellung jenes witzigen Kopfes
aus dem Haag, welcher, nach der Anführung der all-
gemeinen Nachrichten aus dem Reiche der Wissen-
schaften, die Einbildung von der notwendigen Be-
völkerung aller Weltkörper auf der lächerlichen Seite
vorzustellen wußte, kann nicht anders als gebilliget
werden. „Diejenigen Kreaturen," spricht er, „welche
die Wälder auf dem Kopfe eines Bettlers bewohnen,
hatten schon lange ihren Aufenthalt vor eine unermeß-
liche Kugel und sich selber als das Meisterstück der 30
Schöpfung angesehen, als einer unter ihnen, den der
Himmel mit ^einer feinern Seele begäbet hatte, ein
kleiner Fontenelle seines Geschlechts, den Kopf eines
Edelmanns unvermutet gewahr ward. Alsbald rief er
alle witzige Köpfe seines Quartiers zusammen und
sagte ihnen mit Entzückung: wir sind nicht die ein-
zigen belebten Wesen der ganzen Natur; sehet hier
ein neues Land, hie wohnen mehr Läuse." Wenn
der Ausgang dieses Schlusses ein Lachen erwecket,
so geschieht es nicht um deswillen, weil er von der 40
Menschen Art, zu urteilen, weit abgehet, sondern weil
ebenderselbe Irrtum, der bei dem Menschen eine gleiche
X 70 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Ursache zum Grunde hat, bei diesen mehr Entschul-
digung zu verdienen scheinet.
Laßt uns ohne Vorurteil urteilen. Dieses Insekt,
welches sowohl seiner Art, zu leben, als auch seiner
Nichtswürdigkeit nach die Beschaffenheit der meisten
Menschen sehr wohl ausdrückt, kann mit gutem Fuge
zu einer solchen Vergleichung gebraucht werden. Weil
seiner Einbildung nach der Natur an seinem Dasein
unendlich viel gelegen ist, so hält es die ganze übrige
10 Schöpfung vor vergeblich, die nicht eine genaue Ab-
zielung auf sein Geschlechte, als den Mittelpunkt ihrer
Zwecke mit sich führet. Der Mensch, welcher gleich
unendlich weit von der obersten Stufe der AVesen ab-
stehet, ist so verwegen, von der Notwendigkeit seines
Daseins sich mit gleicher Einbildung zu schmeicheln.
Die Unendlichkeit der Schöpfung fasset alle Naturen,
die ihr überschwenglicher Reichtum hervorbringt, mit
gleicher Notwendigkeit in sich. Von der erhabensten
Klasse unter den denkenden Wesen bis zu dem ver-
20 achtetsten Insekt ist ihr kein Glied gleichgültig; und
es kann keins fehlen, ohne daß die Schönheit des
Ganzen, welche in dem Zusammenhange bestehet, da-
durch unterbrochen würde. Indessen wird alles durch
allgemeine Gesetze bestimmet, welche die Natur durch
die Verbindung ihrer ursprünglich eingepflanzten
Kräfte bewirket. Weil sie in ihrem Verfahren lauter
Wohlanständigkeit und Ordnung hervorbringt, so darf
keine einzelne Absicht ihre Folgen stören und unter-
brechen. Bei ihrer ersten Bildung war die Erzeugung
30 eines Planeten nur eine unendlich kleine Folge ihrer
Fruchtbarkeit; und nun wäre es etwas Ungereimtes,
daß ihre so wohl gegründete Gesetze den besondern
Zwecken dieses Atomus nachgeben sollten. Wenn die
Beschaffenheit eines Himmelskörpers der Bevölkerung
natürliche Hindernisse entgegensetzet, so wird er un-
bewohnt sein, obgleich es an und vor sich schöner
wäre, daß er Einwohner hätte. Die Trefflichkeit der
Schöpfung verlieret dadurch nichts; denn das Unend-
liche ist unter allen Größen diejenige, welche durch
40 Entziehung eines endlichen Teiles nicht vermindert
wird. Es wäre, als wenn man klagen wollte, daß der
Raum z\\nschen dem Jupiter und dem Mars so un-
III. Teil. Von den Bewohnern der Gestirne. 171
nötig leer stehet, und daß es Kometen gibt, welche
nicht bevölkert sind. In der Tat, jenes Insekt mag
uns so nichtswürdig scheinen als es wolle, es ist der
Natur gewiß an der Erhaltung seiner ganzen Klasse
mehr gelegen als an einer kleinen Zahl vortrefflicherer
Geschöpfe, deren es dennoch unendlich viel gibt, wenn
ihnen gleich eine Gegend oder Ort beraubet sein sollte.
Weil sie in Hervorbringung beider unerschöpflich ist,
so sieht man ja gleich unbekümmert beide in ihrer
Erhaltung und Zerstörung den allgemeinen Gesetzen 10
überlassen. Hat wohl jemals der Besitzer jener be-
wohnten Wälder auf dem Kopfe des Bettlers größere
Verheerungen unter dem Geschlechte dieser Kolonie
gemacht, als der Sohn Philipps in dem Geschlechte
seiner Mitbürger anrichtete, als es ihm sein böser
Genius in den Kopf gesetzet hatte, daß die Welt nur
um seinetwillen hervorgebracht sei?
Indessen sind doch die meisten unter den Planeten
gewiß bewohnt, und die es nicht sind, werden es der-
einst werden. Was vor Verhältnisse werden nun, unter 20
den verschiedenen Arten dieser Einwohner, durch die
Beziehung ihres Ortes in dem Weltgebäude zu dem
Mittelpunkte, daraus sich die Wärme verbreitet, die
alles belebt, verursachet werden? Denn es ist gewiß,
daß diese, unter den Materien dieser Himmelskörper,
nach Proportion ihres Abstandes, gewisse Verhältnisse
in ihren Bestimmungen mit sich führet. Der Mensch,
welcher unter allen vernünftigen Wesen dasjenige ist,
welches wir am deutlichsten kennen, ob uns gleich
seine innere Beschaffenheit annoch ein unerforschtes 30
Problema ist, muß in dieser Vergleichung zum Grunde
und zum allgemeinen Beziehungspunkte dienen. Wir
wollen ihn allhier nicht nach seinen moralischen Eigen-
schaften, auch nicht nach der physischen Einrichtung
seines Baues betrachten; wir wollen nur untersuchen,
was das Vermögen, vernünftig zu denken, und die
Bewegung seines Leibes, die diesem gehorchet, durch
die dem Abstände von der Sonne proportionierte Be-
schaffenheit der Materie, an die er geknüpfet ist, vor
Einschränkungen leide. Des unendlichen Abstandes 40
ungeachtet, welcher zwischen der Kraft, zu denken,
und der Bewegung der Materie, zwischen dem ver-
172 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
nünftigen Geiste und dem Körper anzutreffen ist, so
ist es doch gewiß, daß der Mensch, der alle seine
Begriffe und Vorstellungen von den Eindrücken her
hat, die das Universum vermittelst des Körpers in
seiner Seele erreget, sowohl in Ansehung der Deut-
lichkeit derselben, als auch der Fertigkeit, dieselbe
zu verbinden und zu vergleichen, welche man das Ver-
mögen zu denken nennet, von der Beschaffenheit dieser
Materie völlig abhängt, an die der Schöpfer ihn ge-
10 bunden hat.
Der Mensch ist erschaffen, die Eindrücke und
Rührungen, die die Welt in ihm erregen soll, durch
denjenigen Körper anzunehmen, der der sichtbare Teil
seines Wesens ist, und dessen Materie nicht allein
dem unsichtbaren Geiste, welcher ihn bewohnet, dienet,
die ersten Begriffe der äußern Gegenstände einzu-
drücken, sondern auch in der Innern Handlung diese
zu wiederholen, zu verbinden, kurz, zu denken, un-
entbehrlich ist*). Nach dem Maße, als sein Körper
20 sich ausbildet, bekommen die Fähigkeiten seiner
denkenden Natur auch die gehörigen Grade der Voll-
kommenheit, und erlangen allererst ein gesetztes und
männliches Vermögen, wenn die Fasern seiner Werk-
zeuge die Festigkeit und Dauerhaftigkeit überkommen
haben, welche die Vollendung ihrer Ausbildung ist
Diejenigen Fähigkeiten entwickeln sich bei ihm früh
genug, durch welche er der Notdurft, die die Ab-
hängigkeit von den äußerlichen Dingen ihm zuziehet,
genug tun kann. Bei einigen Menschen bleibt es bei
30 diesem Grade der Auswickelung. Das Vermögen, ab-
gezogene Begriffe zu verbinden und durch eine freie
Anwendung der Einsichten über den Hang der Leiden-
schaften zu herrschen, findet sich spät ein, bei einigen
niemals in ihrem ganzen Leben; bei allen aber ist es
*) Es ist aus den Gründen der Psychologie ausgemacht,
daß vermöge der jetzigen Verfassung, darin die Schöpfung
Seele und Leib voneinander abhängig gemachet hat. die
erstere nicht allein alle Begriffe des Universi durch des
letztern Gemeinschaft und Einfluß überkommen muß, son-
dern auch die Ausübung seiner Denkungskraft selber auf
dessen Verfassung ankommt, und von dessen Beihilfe die
nötige Fähigkeit dazu entlehnet.
III. Teil. Yon den Bewohnern der Gestirne. 173
schwach; es dienet den unteren Kräften, über die es
doch herrschen sollte, und in deren Regierung der
Vorzug seiner Natur bestehet. Wenn man das Leben der
meisten Menschen ansiehet, so scheinet diese Kreatur
geschaffen zu sein, um wie eine Pflanze Saft in sich
zu ziehen und zu wachsen, sein Greschlecht fortzu-
setzen, endlich alt zu werden und zu sterben. Er
erreichet unter allen Geschöpfen am wenigsten den
Zweck seines Daseins, weil er seine vorzügliche
Fähigkeiten zu solchen Absichten verbrauchet, die die 10
übrigen Kreaturen mit weit minderen, und doch weit
sicherer und anständiger, erreichen. Er würde auch
das verachtungswürdigste unter allen, zum wenigsten
in den Augen der wahren Weisheit sein, wenn die
Hoffnung des Künftigen ihn nicht erhübe, und denen
in ihm verschlossenen Kräften nicht die Periode einer
völligen Auswickelung bevorstünde.
Wenn man die Ursache der Hindernisse untersuchet,
welche die menschliche Natur in einer so tiefen Er-
niedrigung erhalten, so findet sie sich in der Grobheit 20
der Materie, darin sein geistiger Teil versenket ist,
in der Unbiegsamkeit der Fasern, und der Trägheit
und Unbeweglichkeit der Säfte, welche dessen Regun-
gen gehorchen sollen. Die Nerven und Flüssigkeiten
seines Gehirnes liefern ihm nur grobe und undeut-
liche Begriffe, und weil er der Reizung der sinnlichen
Empfindungen, in dem Inwendigen seines Denkungs-
vermögens, nicht genugsam kräftige Vorstellungen
ziim Gleichgewichte entgegenstellen kann, so wird er
von seinen Leidenschaften hingerissen, von dem Ge- 30
tümmel der Elemente, die seine Maschine unterhalten,
übertäubet und gestöret. Die Bemühungen der Ver-
nunft, sich dagegen zu erheben, und diese Verwirrung
durch das Licht der Urteilskraft zu vertreiben, sind
wie die Sonnenblicke, wenn dicke Wolken ihre Heiter-
keit unablässig unterbrechen und verdunkeln.
Diese Grobheit des Stoffes und des Gewebes in
dem Baue der menschlichen Natur ist die Ursache
derjenigen Trägheit, welche die Fähigkeiten der Seele
in einer beständigen Mattigkeit und Kraftlosigkeit er- 40
hält Die Handlung des Nachdenkens und der durch
die Vernunft aufgeklärten Vorstellungen ist ein müh-
174 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
samer Zustand, darein die Seele sich nicht ohne Wider-
stand setzen kann, und aus welchem sie, durch einen
natürlichen Hang der körperlichen Maschine, alsbald
in den leidenden Zustand zurückfällt, da die sinn-
lichen a) Reizungen alle ihre Handlungen bestimmen
und regieren.
Diese Trägheit seiner Denkungskraft, welche eine
Folge der Abhängigkeit von einer groben und un-
gelenksamen Materie ist, ist nicht allein die Quelle
10 des Lasters, sondern auch des Irrtums. Durch die
Schwierigkeit, welche mit der Bemühung verbunden
ist, den Nebel der verwirrten Begriffe zu zerstreuen,
und das durch verglichene Ideen entspringende all-
gemeine Erkenntnis von den sinnlichen Eindrücken
abzusondern, abgehalten, gibt sie lieber einem über-
eilten Beifalle Platz, und beruhigt sich in dem Besitze
einer Einsicht, welche ihr die Trägheit ihrer Natur
und der Widerstand der Materie kaum von der Seite
erblicken lassen.
20 In dieser Abhängigkeit schwinden die geistigen
Fähigkeiten zugleich mit der Lebhaftigkeit des Leibes;
wenn das hohe Alter durch den geschwächten Umlauf
der Säfte nur dicke Säfte in dem Körper kochet, wenn
die Beugsamkeit der Fasern und die Behendigkeit in
allen Bewegungen abnimmt, so erstarren die Kräfte
des Geistes in einer gleichen Ermattung. Die Hurtig-
keit der Gedanken, die Klarheit der Vorstellung t»), die
Lebhaftigkeit des Witzes und das Erinnerungsvermögen
werden kraftlos und erkalten. Die durch lange Er-
30 fahrung eingepfropften Begriffe ersetzen noch einiger-
maßen den Abgang dieser Kräfte, und der Verstand
würde sein Unvermögen noch deutlicher verraten, wenn
die Heftigkeit der Leidenschaften, die dessen Zügel
nötig haben, nicht zugleich, und noch eher als er,
abnehmen möchten.
Es erhellet demnach hieraus deutlich, daß die Kräfte
der menschlichen Seele von den Hindernissen einer
groben Materie, an die sie innigst verbunden werden,
eingeschränket und gehemmet werden; aber es ist
a) ».sämtlichen" A. korr. Hartenstein.
b) ,. Vorstellungen" Ak. Ausg.
III. Teil. Von den Bewohnern der Gestirae. 175
etwas noch Merkwürdigers, daß diese spezifische Be-
schaffenheit des Stoffes eine wesentliche Beziehung
zu dem Grade des Einflussesa) hat, womit die Sonne
nach dem Maße ihres Abstandes sie belebet und zu
den Verrichtungen der animalischen Ökonomie tüchtig
macht. Diese notwendige Beziehung zu dem Feuer,
welches sich aus dem Mittelpunkte des Weltsystems
verbreitet, um die Materie in der nötigen Regung zu
erhalten, ist der Grund einer Analogie, die eben
hieraus, zwischen den verschiedenen Bewohnern der 10
Planeten, festgesetzet wird; und eine jede Klasse der-
selben ist vermöge dieser Verhältnis an den Ort durch
die Notwendigkeit ihrer Natur gebunden, der ihr in
dem Universo angewiesen worden.
Die Einwohner der Erde und der Venus können
ohne ihr beiderseitiges Verderben ihre Wohnplätze
gegeneinander nicht vertauschen. Der erstere, dessen
Bildungsstoff vor den Grad der Wärme seines Abstandes
proportioniert, und daher vor einen noch größern zu
leicht und flüchtig ist, würde in einer erhitzteren 20
Sphäre gewaltsame Bewegungen und eine Zerrüttung
seiner Natur erleiden, die von der Zerstreuung
und Austrocknung der Säfte und einer gewaltsamen
Spannung seiner elastischen Fasern entstehen würde;
der letztere, dessen gröberer Bau und Trägheit der
Elemente seiner Bildung eines großen Einflusses der
Sonne bedarf, würde in einer kühleren Himmelsgegend
erstarren und in einer Leblosigkeit verderben. Ebenso
müssen es weit leichtere und flüchtigere Materien
sein, daraus der Körper des Jupiters-Bewohners be- 30
stehet, damit die geringe Regung, womit die Sonne
in diesem Abstände wirken kann, diese Maschinen
ebenso kräftig bewegen könne, als sie es in den
unteren Gegenden verrichtet, und damit icht>) alles
in einem allgemeinen Begriffe zusammenfasse: der
Stoff, woraus die Einwohner verschiedener
Planeten, ja sogar die Tiere und Gewächse
auf denselben gebildet sein, muß überhaupt
um desto leichterer und feinerer Art, und die
a) „Hinflusses" A. korr. Ausg. 1797.
b) „ich" fehlt in A.
176 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Elastizität der Fasern samt der vorteilhaften
Anlage ihres Baues um desto vollkommener
sein, nach dem Maße, als sie weiter von der
Sonne abstehen.
Dieses Verhältnis ist so natürlich und wohl-
gegründet, daß nicht allein die Bewegungsgründe des
Endzwecks darauf führen, welche in der Naturlehre
gemeiniglich nur als schwache Gründe angesehen
werden, sondern zugleich die Proportion a) der spezi-
10 fischen Beschaffenheit der Materien, woraus die Pla-
neten bestehen, welche sowohl durch die Rechnungen
des Newton, als auch durch die Gründe der Kos-
mogonie ausgemacht sind, dasselbeb) bestätigen, nach
welchem der Stoff, woraus die Himmelskörper gebildet
sind, bei den entferntem allemal leichterer Art, als
bei den nahen ist, welches notwendig an denen Ge-
schöpfen, die sich auf ihnen erzeugen und unterhalten,
ein gleiches Verhältnis nach sich ziehen muß.
Wir haben eine Vergleichung zwischen der Be-
20 schaffenheit der Materie, damit die vernünftigen
Geschöpfe auf den Planeten wesentlich vereinigt sein,
ausgemacht; und es läßt sich auch nach der Ein-
leitung dieser Betrachtung leichtlich erachten, daß
diese Verhältnisse eine Folge auch in Ansehung ihrer
geistigen Fähigkeit nach sich ziehen werden. Wenn
demnach diese geistige Fähigkeiten eine notwendige
Abhängigkeit von dem Stoffe der Maschine haben,
welche sie bev/ohnen, so werden wir mit mehr als
wahrscheinlicher Vermutung schließen können: daß
30 die Trefflichkeit der denkenden Naturen, die
Hurtigkeit in ihren Vorstellungen, die Deut-
lichkeit und Lebhaftigkeit der Begriffe, die
sie durch äußerlichen Eindruck bekommen,
samt dem Vermögen, sie zusammenzusetzen,
endlich auch die Behendigkeit in der wirk-
lichen Ausübung, kurz, der ganze Umfang
ihrer Vollkommenheit unter einer gewissen
Regel stehen, nach welcher dieselben, nach
dem Verhältnis des Abstandes ihrer Wohn-
a) „Proportionen" Eahts Ak. Ausg.
b) „dieselbe — welchen" A, korr. Ak. Ausg.
TU. Teil. Von den Bewohnern der Gestirne. 177
platze von der Sonne immer trefflicher und
vollkommener werden.
Da dieses Verhältnis einen Grad der Glaubwürdig-
keit hat, der nicht weit von einer ausgemachten Ge-
wißheit entfernet ist, so finden wir ein offenes Feld
zu angenehmen Mutmaßungen, die aus der Verglei-
chung der Eigenschaften dieser verschiedenen Be-
wohner entspringen. Die menschliche Natur, welche
in der Leiter der Wesen gleichsam die mittelste Sprosse
innehat, siehet sich zwischen den zwei äußersten 10
Grenzen der Vollkommenheit mitten inne, von deren
beiden Enden sie gleich weit entfernet ist. Wenn
die Vorstellung der erhabensten Klassen vernünftiger
Kreaturen, die den Jupiter oder den Saturn bewohnen,
ihre Eifersucht reizet und sie durch die Erkenntnis
ihrer eigenen Niedrigkeit demütiget, so kann der An-
blick der niedrigen Stufen sie wiederum zufrieden
sprechen und beruhigen, die in den Planeten Venus
und Merkur weit unter der Vollkommenheit der
menschlichen Natur erniedrigt sein. Welch ein ver- 20
wunderungsv/ürdiger Anblick! Von der einen Seite
sahen wir denkende Geschöpfe, bei denen ein Grön-
länder oder Hottentotte ein Newton sein würde; und
auf der andern Seite andere, die diesen als einen
Affen bewundern.
Da jüngst die obern Wesen ^) sahn,
Was unlängst recht vei-wunderlich
Ein Sterblicher bei uns getan,
Und wie er der Natur Gesetz entfaltet, wunderten sie sich,
Daß durch ein irdisches Geschöpf dergleichen möglich zu geschehn. 30
Und sahen un Sern New ton an, so wie wir einen Affen sehn.
Pope.
Zu welch einem Fortgange in der Erkenntnis wird
die Einsicht jener glückseligen Wesen der obersten
Himmelssphären nicht gelangen! Welche schöne Folgen
wird diese Erleuchtung der Einsichten nicht in ihre
sittliche Beschaffenheit haben! Die Einsichten des
Verstandes, wenn sie die gehörigen Grade der Voll-
ständigkeit und Deutlichkeit besitzen, haben weit leb-
haftere Reizungen als die sinnlichen Anlockungen an 40
a) „Weisen-' A.
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I. \2
X 78 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
sich, und sind vermögend, diese siegreich zu beherr-
schen und unter den Fuß zu treten. Wie herrlich wird
sich die Gottheit selbst, die sich in allen Geschöpfen
malet, in diesen denkenden Naturen nicht malen, welche
als ein von den Stürmen der Leidenschaften unbe-
wegtes Meer ihr Bild ruhig aufnehmen und zurück-
strahlen! Wir wollen diese Mutmaßungen nicht über
die einer physischen Abhandlung vorgezeichnete Gren-
zen erstrecken, wir bemerken nur nochmals die oben
10 angeführte Analogie: daß die Vollkommenheit
der Geisterwelt sowohl als der materialischen
in den Planeten, von dem Merkur an bis zum
Saturn, oder vielleicht noch über ihm (wo-
ferne noch andere Planeten sein), in einer
richtigen Gradenfolge, nach der Proportion
ihrer Entfernungen von der Sonne, wachse
und fortschreite.
Indessen daß dieses aus den Folgen der physischen
Beziehung ihrer Wohnplätze zu dem Mittelpunkte der
20 Welt zum Teil natürlich herfließet, zum Teil gezie-
mend veranlasset wird, so bestätigt andererseits der
wirkliche Anblick der vortrefflichsten und sich vor
die vorzügliche Vollkommenheit dieser Naturen in den
obern Gegenden anschickende Anstalten diese Regel
so deutlich, daß sie beinahe einen Anspruch auf eine
völlige Überzeugung machen sollte. Die Hurtigkeit
der Handlungen, die mit den Vorzügen einer er-
habenen Natur verbunden ist, schicket sich besser zu
den schnell abwechselnden Zeitperioden jener Sphären,
30 als die Langsamkeit träger und unvollkommener Ge-
schöpfe.
Die Sehröhre lehren uns, daß die Abwechselung
des Tages und der Nacht im Jupiter in 10 Stunden
geschehe. Was würde der Bewohner der Erde, wenn
er in diesen Planeten gesetzt würde, bei dieser Ein-
teilung wohl anfangen? Die 10 Stunden würden kaum
zu derjenigen Ruhe zureichen, die diese grobe Ma-
schine zu ihrer Erholung durch den Schlaf gebrauchet.
Was würde die Vorbereitung zu den Verrichtungen
40 des Wachens, das Kleiden, die Zeit, die zum Essen
angewandt wird, nicht vor einen Anteil an der folgen-
den Zeit abfordern, und wie würde eine Kreatur, deren
III. Teil. Von den Bewohnern der Gestirne. 179
Handlungen mit solcher Langsamkeit geschehen, nicht
zerstreuet und zu etwas Tüchtigem unvermögend ge-
macht werden, deren 5 Stunden Geschäfte plötzlich
durch die Dazwischenkunft einer ebenso langen Finster-
nis unterbrochen würden? Dagegen, wenn Jupiter
von vollkommneren Kreaturen bewohnet ist, die mit
einer feinern Bildung mehr elastische Kräfte und eine
größere Behendigkeit in der Ausübung verbinden, so
kann man glauben, daß diese 5 Stunden ihnen eben-
dasselbe und mehr sind, als was die 12 Stunden des 10
Tages vor die niedrige Klasse der Menschen betragen.
Wir wissen, daß das Bedürfnis der Zeit etwas Rela-
tives ist, welches nicht anders, als aus der Größe
desjenigen, was verrichtet werden soll, mit der Ge-
schwindigkeit der Ausübung verglichen, kann erkannt
und verstanden werden. Daher ebendieselbe Zeit, die
vor eine Art der Geschöpfe gleichsam nur ein Augen-
blick ist, vor eine andere eine lange Periode sein
kann, in der sich eine große Folge der Veränderungen
durch eine schnelle Wirksamkeit auswickelt. Saturn 20
hat nach der wahrscheinlichen Berechnung seiner Um-
wälzung, die wir oben dargelegt haben, eine noch
weit kürzere Abteilung des Tages und der Nacht, und
lasset daher an der Natur seiner Bewohner noch vor-
züglichere Fähigkeit-en vermuten.
Endlich stimmet alles überein, das angeführte Ge-
setz zu bestätigen. Die Natur hat ihren Vorrat augen-
scheinlich auf der entlegenen Seite der Welt am reich-
lichsten ausgebreitet. Die Monde, die den geschäftigen
Wesen dieser glückseligen Gegenden durch eine hin- 30
längliche Ersetzung die Entziehung des Tageslichts
vergüten, sind in größester Menge daselbst ange-
bracht, und die Natur scheinet sorgfältig gewesen zu
sein, ihrer Wirksamkeit alle Beihilfe zu leisten, damit
ihnen fast keine Zeit hinderlich sei, solche anzuwenden.
Jupiter hat in Ansehung der Monde einen augenschein-
lichen Vorzug vor allen unteren Planeten, und Saturn
wiederum vor ihm, dessen Anstalten an dem schönen
und nützlichen Ringe, der ihn umgibt, noch größere
Vorzüge von seiner Beschaffenheit wahrscheinlich 40
machen; da hingegen die untern Planeten, bei denen
dieser Vorrat unnützlich würde verschwendet sein,
12*
180 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels,
deren Klasse weit näher an die Unvernunft grenzet,
solcher Vorteile entweder gar nicht oder doch sehr
wenig teilhaftig geworden sind.
Man kann aber (damit ich einem Einwurfe zuvor-
komme, der alle diese angeführte Übereinstimmung
vereiteln könnte) den größeren Abstand von der Sonne,
dieser Quelle des Lichts und des Lebens, nicht als ein
Übel ansehen, wogegen die Weitläuftigkeit solcher An-
stalten bei den entferntem Planeten nur vorgekehrt
10 wordena), um ihm einigermaßen abzuhelfen, und ein-
wenden b), daß in der Tat die obern Planeten eine
weniger vorteilhafte Lage im Weltgebäude und eine
Stellung hätten, die der Vollkommenheit ihrer An-
stalten nachteilig wäre, weil sie von der Sonne einen
schwächern Einfluß erhalten. Denn wir wissen, daß
die Wirkung des Lichts und der Wärme nicht durch
deren absolute Intensität, sondern durch die Fähigkeit
der Materie, womit sie solche annimmt und ihrem An-
triebe weniger oder mehr widerstehet, bestimmt werde,
20 und daß daher ebenderselbe Abstand, der vor eine
Art grober Materie ein gemäßigtes Klima kann ge-
nannt werden, subtilere Flüssigkeiten zerstreuen und
vor sie von schädlicher Heftigkeit sein würde; mit-
hin nur ein feinerer und aus beweglichem Elementen
bestehender Stoff dazu gehöret, um die Entfernungen
des Jupiters oder Saturns von der Sonne beiden zu
einer glücklichen Stellung zu machen.
Endlich scheinet noch die Trefflichkeit der Naturen
in diesen oberen Himmelsgegenden durch einen physi-
30 sehen Zusammenhang mit einer Dauerhaftigkeit, deren
sie würdig ist, verbunden zu sein. Das Verderben und
der Tod können diesen trefflichen Geschöpfen nicht
so viel, als uns niedrigen Naturen anhaben. Eben-
dieselbe Trägheit der Materie und Grobheit des Stoffes,
die bei den unteren Stufen das spezifische Prinzipium
ihrer Erniedrigung ist, ist auch die Ursache des-
jenigen Hanges, den sie zum Verderben haben. Wenn
die Säfte, die das Tier oder den Menschen nähren
und wachsen machen, indem sie sich zwischen seine
a) „werden" A. korr. Ausg. 1797 Ak. Ausg. „werde -^
b) „einwenden" Zusatz der Ak. Ausg. Rahts.
III. Teil. Von den Bewohnern der Gestirne. 181
Fäserchen einverleiben und an seine Masse ansetzen,
nicht mehr zugleich dessen Gefäße und Kanäle in
der Raumesausdehnung vergrößern können, wenn das
Wachstum schon vollendet ist, so müssen diese sich
ansetzende Nahrungssäfte durch el)en den mechani-
schen Trieb, der das Tier zu nähren angewandt wird,
die Höhle seiner Gefäße verengen und .verstopfen, und
den Bau der ganzen Maschine in einer nach und nach
zunehmenden Erstarrung zugrunde richten. Es ist zu
glauben, daß, obgleich die Vergänglichkeit auch an 10
den vollkommensten Naturen naget, dennoch der Vor-
zug in der Feinigkeit des Stoffes, in der Elastizität
der Gefäße und der Leichtigkeit und 'Wirksamkeit der
Säfte, woraus jene vollkommnere Wesen, welche in
den entferneten Planeten wohnen, gebildet sein, diese
Hinfälligkeit, welche eine Folge aus der Trägheit einer
groben Materie ist, weit länger aufhalten, und diesen
Kreaturen eine Dauer, deren Länge ihrer Vollkommen-
heit proportioniert ist, verschaffen werde, so wie die
Hinfälligkeit des Lebens der Menschen ein richtiges 20
Verhältnis zu ihrer Nichtswürdigkeit hat.
Ich kann diese Betrachtung nicht verlassen, ohne
einem Zweifel zuvorzukommen, welcher natürlicher-
weise aus der Vergleichung dieser Meinungen mit
unseren vorigen Sätzen entspringen könnte. Wir haben
in den Anstalten des Weltbaues an der Menge der
Trabanten, welche die Planeten der entferntesten Kreise
erleuchten, an der Schnelligkeit der Achsendrehung
und dem gegen die Sonnenwirkung proportionierten
Stoffe ihres Zusammensatzes die Weisheit Gottes er- 30
kannt, welche alles dem Vorteile der vernünftigen
Wesen, die sie bewohnen, so zuträglich angeordnet
hat. Aber wie wollte man anjetzt mit der Lehr-
verfassung der Absichten einen mechanischen Lehr-
begriff zusammenreimen, so daß, was die höchste
Weisheit selbst entwarf, der rohen Materie, und das
Regiment der Vorsehung der sich selbst überlassenen
Natur zur Ausführung aufgetragen worden? Ist das
erstere nicht vielmehr ein Geständnis, daß die An-
ordnung des Weltbaues nicht durch die allgemeinen 40
Gesetze der letzteren entwickelt worden?
Man wird diese Zweifel bald zerstreuen, wenn man
182 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
auf dasjenige nur zurückdenkt, was in gleicher Ab-
sicht in dem vorigen angeführet worden. Muß nicht
die Mechanik aller natürlichen Bewegungen einen
wesentlichen Hang zu lauter solchen Folgen haben,
die mit dem Projekt der höchsten Vernunft in dem
ganzen Umfange der Verbindungen wohl zusammen-
stimmen ?a) Wie kann sie abirrende Bestrebungen und
eine ungebundene Zerstreuung in ihrem b) Beginnen
haben, da alle ihre Eigenschaften, aus welchen sich
10 diese Folgen entwickeln, selbst ihre Bestimmung aus
der ewigen Idee des göttlichen Verstandes haben, in
welchem sich alles notwendig aufeinander beziehen und
zusammenschicken muß? Wenn man sich recht be-
sinnet, wie kann man die Art zu urteilen rechtfertigen,
daß man die Natur als ein widerwärtiges Subjekt
ansiehet, welches nur durch eine Art von Zwange, der
ihrem freien Betragen Schranken setzt, in dem Gleise
der Ordnung und der gemeinschaftlichen Harmonie
kann erhalten werden, woferne man nicht etwa davor
20 hält, daß sie ein sich selbst genügsames Prinzipium
sei, dessen Eigenschaften keine Ursache erkennen,
und welche Gott so gut, als es sich tun läßt, in den
Plan seiner Absichten zu zwingen trachtet? Je näher
man die Natur wird kennen lernen, desto mehr wird
man einsehen, daß die allgemeinen Beschaffenheiten der
Dinge einander nicht fremd und getrennt sein. Man
wird hinlänglich überführet werden, daß sie wesent-
liche Verwandtschaften haben, durch die sie sich von
selber anschicken, einander in Errichtung vollkommener
30 Verfassungen zu unterstützen, die Wechselwirkung der
Elemente zur Schönheit der materialischen und doch
auch zugleich zu den Vorteilen der Geisterwelt, und daß
überhaupt die einzelnen Naturen der Dinge in dem
Felde der ewigen Wahrheiten schon untereinander,
sozusagen, ein System ausmachen, in welchem eine
auf die andere beziehend ist; man wird auch alsbald
innewerden, daß die Verwandtschaft ihnen von der Ge-
meinschaft des Ursprungs eigen ist, aus dem sie insge-
samt ihre wesentlichen Bestimmungen geschöpft haben.
a) „zusammenstimmet-' kon-. Hartenstein.
b) „ihren-' A.
III. Teil. Von den Bewohnern der Gestirne. 183
Und um daher diese wiederholte Betrachtung zu
dem vorhabenden Zwecke anzuwenden: ebendieselbe
allgemeine Bewegungsgesetze, die den obersten Pla-
neten einen entfernten Platz von dem Mittelpunkte
der Anziehung und der Trägheit in dem Weltsystem
angewiesen haben, haben sie dadurch zugleich in die
vorteilhafteste Verfassung gesetzt, ihre Bildungen am
weitesten von dem Beziehungspunkte der groben Ma-
terie, und zwar mit größerer Freiheit anzustellen;
sie haben sie aber auch zugleich in eine regelmäßige 10
Verhältnis zu dem Einflüsse der Wärme versetzt,
welche sich nach gleichem Gesetze aus eben dem
Mittelpunkte ausbreitet. Da nun ebendiese Bestim-
mungen es sind, welche die Bildung der Weltkörper
in diesen entferneten Gegenden ungehinderter, die Er-
zeugung der davon abhängenden Bewegungen schneller
und, kurz zu sagen, das System wohlanständiger ge-
macht haben, da endlich die geistigen Wesen eine \
notwendige Abhängigkeit von der Materie haben, an *
die sie persönlich verbunden sind, so ist kein Wunder, 20 :
daß die Vollkommenheit der Natur von beiderlei Orten ;
in einem einzigen Zusammenhange der Ursachen und
aus gleichen Gründen bewirket worden. Diese Über-
einstimmung ist also bei genauer Erwägung nichts
Plötzliches oder Unerwartetes, und weil die letzteren
Wesen durch ein gleiches Prinzipium in die allgemeine
Verfassung der materialischen Natur eingeflochten
worden, so wird die Geisterwelt aus eben den Ur-
sachen in den entferneten Sphären vollkommener sein,
weswegen es die körperliche ist. 30
So hänget denn alles in dem ganzen Umfange der
Natur in einer ununterbrochenen Gradfolge zusammen,
durch die ewige Harmonie, die alle Glieder aufeinander
beziehend macht. Die Vollkommenheiten Gottes haben
sich in unsern Stufen deutlich offenbaret, und sind
nicht weniger herrlich in den niedrigsten Klassen, als |
in den erhabnem. i
Welch eine Kette, die von Gott den Anfang nimmt, was vor Naturen wF
Von himmlischen und irdischen, von Engeln, Menschen bis zum Vieh,
Vom Seraphim bis zum Gewürm: O Weite, die das Auge nie 40
Erreichen und betrachten kann !
A'on dem Unendlichen zu dir, von dir zum Nichts I
Pope.
l
J
lg4 Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels.
Wir haben die bisherigen Mutmaßungen treulich
an dem Leitfaden der physischen Verhältnisse fort-
geführet, welcher sie auf dem Pfade einer vernünftigen
Glaubwürdigkeit erhalten hat. Wollen wir uns noch
eine Ausschweifung aus diesem Gleise in das Feld
der Phantasie erlauben? Wer zeiget uns die Grenze,
wo die gegründete Wahrscheinlichkeit aufhöret und
die willkürlichen Erdichtungen anheben? Wer ist so
kühn, eine Beantwortung der Frage zu wagen: ob die
10 Sünde ihre Herrschaft auch in den andern Kugeln des
Weltbaues ausübe, oder ob die Tugend allein ihr Re-
giment daselbst aufgeschlagen?
Die Sterne sind vieUeicht ein Sitz verklärter Geister,
Wie hier das Laster herrseht, ist dort die Tugend Meister.
V. Haller.
Gehört nicht ein gewisser Mittelstand zwischen der
Weisheit und Unvernunft zu der unglücklichen Fähig-
keit, sündigen zu können? Wer weiß, sind also die
Bewohner jener entferneten Weltkörper nicht zu er-
20 haben und zu weise, um sich bis zu der Torheit, die
in der Sünde steckt, herabzulassen, diejenigen aber,
die in den unteren Planeten wohnen, zu fest an die
IVIaterie geheftet und mit gar zu geringen Fähigkeiten
des Geistes versehen, um die Verantwortung ihrer
Handlungen vor dem Richterstuhle der Gerechtigkeit
tragen zu dürfen? Auf diese Weise wäre die Erde
und vielleicht noch der Mars (damit der elende Trost
uns ja nicht genommen werde, Gefährten des Un-
glücks zu haben) allein in der gefährlichen Mittel-
30 Straße, wo die Versuchung der sinnlichen Reizungen
gegen die Oberherrschaft des Gjistes ein starkes Ver-
mögen zur Verleitung haben, dieser aber dennoch die-
jenige Fähigkeit nicht verleugnen kann, wodurch er
imstande ist, ihnen Widerstand zu leisten, wenn es
seiner Trägheit nicht vielmehr gefiele, sich durch
dieselbe hinreißen zu lassen, wo also der gefährliche
L Zwischenpunkt zwischen der Schwachheit und dem
W Vermögen ist, da ebendieselbe Vorzüge, die ihn über
die niederen Klassen erheben, ihn auf eine Höhe stellen,
40 von welcher er wiederum unendlich tiefer unter diese
herabsinken kann. In der Tat sind die beiden Pia-
III. Teil. Von den Bewohnern der Gestirne. 185
neten, die Erde und der Mars, die mittelsten Glieder
des planetischen Systems, und es läßt sich von ihren
Bewohnern vielleicht nicht mit Unwahrscheinlichkeit
ein mittlerer Stand der physischen sowohl als mora-
lischen Beschaffenheit zwischen den zwei Endpunkten
vermuten; allein ich will diese Betrachtung lieber
denenjenigen überlassen, die mehr Beruhigung bei
einem unerweislichen Erkenntnisse und mehr Neigung,
dessen Verantwortung zu übernehmen, bei sich finden.
Beschluß. 10
Es ist uns nicht einmal recht bekannt, was der
Mensch anjetzo wirklich ist, ob uns gleich das Be-
wußtsein und die Sinne hievon belehren sollten; wie-
viel weniger werden wir erraten können, was er der-
einst werden soll. Dennoch schnappet die Wißbegierde
der menschlichen Seele sehr begierig nach diesem von
ihr so entfernten Gegenstande, und strebet, in solchem
dunkeln Erkenntnisse einiges Licht zu bekommen.
Sollte die unsterbliche Seele wohl in der ganzen
Unendlichkeit ihrer künftigen Dauer, die das Grab 20
selber nicht unterbricht, sondern nur verändert, an
diesen Punkt des Weltraumes, an unsere Erde, jeder-
zeit geheftet bleiben? Sollte sie niemals von den
übrigen Wundern der Schöpfung eines näheren An-
S'Chauens teilhaftig werden? Wer weiß, ist es ihr
nicht zugedacht, daß sie dereinst jene entfernte
Kugeln des Weltgebäudes und die Trefflichkeit ihrer
Anstalten, die schon von weitem ihre Neugierde so
reizen, von nahem soll kennen lernen? Vielleicht
bilden sich darum noch einige Kugeln des Planeten- 30
Systems aus, um nach vollendetem Ablaufe der Zeit,
die unserem Aufenthalte allhier vorgeschrieben ist,
uns in andern Himmeln neue Wohnplätze zu bereiten.
Wer weiß, laufen nicht jene Trabanten um den Jupiter,
um uns dereinst zu leuchten?
Es ist erlaubt, es ist anständig, sich mit der-
gleichen Vorstellungen zu belustigen; allein niemand
wird die Hoffnung des Künftigen auf so unsichern
Bildern der Einbildungskraft gründen. Nachdem die
Eitelkeit ihren Anteil an der menschlichen Natur wird 40
186 Allgemeine Naturgeschichte und Theoiie des Himmels.
abgefordert haben, so wird der unsterbliche Geist mit
einem schnellen Schwünge sich über alles, was endlich
ist, emporschwingen und in einem neuen Verhältnisse
gegen die ganze Natur, welche aus einer näheren
Verbindung mit dem höchsten Wesen entspringet, sein
Dasein fortsetzen. Forthin wird diese erhöhete Natur,
welche die Quelle der Glückseligkeit in sich selber
hat, sich nicht mehr unter den äußeren Gegenständen
zerstreuen, um eine Beruhigung bei ihnen zu suchen.
10 Der gesamte Inbegriff der Geschöpfe, welcher eine
notwendige Übereinstimmung zum Wohlgefallen des
höchsten Urwesens hat, muß auch sie») zu dem seinigen
haben, und wird sie nicht anders als mit immerwähren-
der Zufriedenheit rühren.
In der Tat, wenn man mit solchen Betrachtungen,
und mit den vorhergehenden, sein Gemüt erfüllet hat,
so gibt der Anblick eines bestirnten Himmels bei einer
heitern Nacht eine Art des Vergnügens, welches nur
edle Seelen empfinden. Bei der allgemeinen Stille der
20 Natur und der Ruhe der Sinne redet das verborgene
Erkenntnisvermögen des unsterblichen Geistes eine un-
nennbare Sprache und gibt unausgewickelte Begriffe,
die sich wohl empfinden, aber nicht beschreiben lassen.
Wenn es unter den denkenden Geschöpfen dieses Pla-
neten niederträchtige Wesen gibt, die, ungeachtet aller
Reizungen, womit ein so großer Gegenstand sie an-
locken kann, dennoch imstande sind, sich fest an die
Dienstbarkeit der Eitelkeit zu heften: wie unglücklich
ist diese Kugel, daß sie so elende Geschöpfe hat er-
30 ziehen können! Wie glücklich aber ist sie anderer-
seits, da ihr unter den allerannehmungswürdigsten
Bedingungen ein Weg eröffnet ist, zu einer Glück-
seligkeit und Hoheit zu gelangen, welche unendlich
weit über die Vorzüge erhaben ist, die die allervorteil-
hafteste Einrichtung der Natur in allen Weltkörpern
erreichen kann.
a) „auch sie auch-' A., korr. Ausg. 1797, Rahts Ak. Ausg,
„sie auch-'.
Metaphysische Anfangsgründe
der
Naturwissenschaft
Immanuel Kant
Riga
bei Johann Friedrich Hartknoch
1786
Vorrede.
Wenn das Wort Natur bloß in formaler Bedeu-
tung genommen wird, da es das erste innere Prinzip
alles dessen bedeutet, was zum Dasein eines Dinges
gehört*), so kann es so vielerlei Naturwissenschaften
geben, als es spezifisch verschiedene Dinge gibt, deren
jedes sein eigentümliches inneres Prinzip der zu seinem
Dasein gehörigen Bestimmungen enthalten muß. Sonst
wird aber auch Natur in materieller Bedeutung
genommen, nicht als eine Beschaffenheit, sondern als 10
der Inbegriff aller Dinge, sofern sie Gegenstände
unserer Sinne, mithin auch der Erfahrung sein
können, worunter also das Ganze aller Erscheinungen,
d. i. die Sinnenwelt, mit Ausschließung aller nicht
sinnlichen Objekte, verstanden wird. Die Natur, in
dieser Bedeutung des Worts genommen, hat nun, nach
der Hauptverschiedenheit unserer Sinne, zwei Haupt-
t«ile, deren der eine die Gegenstände äußerer, der
andere den Gegenstand des inneren Sinnes enthält,
mithin ist von ihr eine zwiefache Naturlehre, die 20
Körperlehre und Seelenlehre möglich, wovon die
erste die ausgedehnte, die zweite die denkende
Natur in Erwägung zieht.
*) Wesen ist das erste innere Prinzip alles dessen, was
zur Möglichkeit eines Dinges gehört. Daher kann man den
geometrischen Figuren (da in ihrem Begriffe nichts, was
ein Dasein ausdrückte, gedacht wird) nur ein Wesen, nicht
aber eine Natur beilegen").
a) A. — „beizulegen-'.
190 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
Eine jede Lehre, wenn sie ein System, d. i. ein
nach Prinzipien geordnetes Ganze der Erkenntnis sein
soll, heißt Wissenschaft, und da jene Prinzipien ent-
weder Grundsätze der empirischen oder der ratio-
nalen Verknüpfung der Erkenntnisse in einem Ganzen
sein können, so würde auch die Naturwissenschaft,
sie mag nun Körperlehre oder Seelenlehre sein, in
historische oder rationale Naturwissenschaft ein-
geteilt werden müssen, wenn nur nicht das Wort
10 Natur (weil dieses eine Ableitung des mannigfaltigen,
zum Dasein der Dinge Gehörigen aus ihrem inneren
Prinzip bezeichnet) eine Erkenntnis durch Vernunft
von ihrem Zusammenhange notwendig machte, wofern
sie den Namen von Naturwissenschaft verdienen soll.
Daher wird die Naturlehre besser in historische
Naturlehre, welche nichts als systematisch geord-
nete Fakta der Naturdinge enthält (und wiederum aus
Naturbeschreibung, als einem Klassensystem der-
selben nach Ähnlichkeiten, und Naturgeschichte,
20 als einer systematischen Darstellung derselben in ver-
schiedenen Zeiten und Örtern, bestehen würde), und
Naturwissenschaft eingeteilt werden können. Die
Naturwissenschaft würde nun wiederum entweder
eigentlich oder uneigentlich so genannte Natur-
wissenschaft sein, wovon die erstere ihren Gegen-
stand gänzlich nach Prinzipien a priori, die zweite
nach Erfahrungsgesetzen behandelt.
Eigentliche Wissenschaft kann nur diejenige ge-
nannt werden, deren Gewißheit apodiktisch ist; Er-
30 kenntnis, die bloß empirische Gewißheit enthalten kann,
ist ein nur uneigentlich so genanntes Wissen. Das-
jenige Ganze der Erkenntnis, was systematisch ist,
kann schon darum Wissenschaft heißen, und, wenn
die Verknüpfung der Erkenntnis in diesem System
ein Zusammenhang von Gründen und Folgen ist, sogar
rationale Wissenschaft. Wenn aber diese Gründe
oder Prinzipien in ihr, wie z. B. in der Chemie, doch
zuletzt bloß empirisch sind, und die Gesetze, aus
denen die gegebene Fakta durch die Vernunft er-
40 klärt werden, bloß Erfahrungsgesetze sind, so führen
sie kein Bewußtsein ihrer Notwendigkeit bei sich
(sind nicht apodiktisch gewiß), und alsdenn verdient
Vorrede. 191
das Ganze in strengem Sinne nicht den Namen einer
Wissenschaft, und Chemie sollte daher eher systema-
tische Kunst, als Wissenschaft heißen.
Eine rationale Naturlehre verdient also den Namen
einer Naturwissenschaft nur alsdenn, wenn die Natur-
gesetze, die in ihr zum Grunde liegen, a priori er-
kannt werden und nicht bloße Erfahrungsgesetze sind.
Man nennt eine Naturerkenntnis von der ersteren Art
rein; die von der zweiten Art aber wird angewandte
Vernunfterkenntnis genannt. Da das Wort Natur schon 10
den Begriff von Gesetzen bei sich führt, dieser aber
den Begriff der Notwendigkeit aller Bestimmungen
eines Dinges, die zu seinem Dasein gehören, bei sich
führt, so sieht man leicht, warum Naturwissenschaft
die Rechtmäßigkeit dieser Benennung nur von einem
reinen Teil derselben, der nämlich die Prinzipien
a priori aller übrigen Naturerklärungen enthält, ab-
leiten müsse und nur kraft dieses reinen Teils eigent-
liche Wissenschaft sei, imgleichen daß, nach Fode-
rungen der Vernunft, jede Naturlehre zuletzt auf 20
Naturwissenschaft hinausgehen und darin sich endigen
müsse, weil jene Notwendigkeit der Gesetze dem Be-
griffe der Natur unzertrennlich anhängt und daher
durchaus eingesehen sein will; daher die vollständigste
Erklärung gewisser Erscheinungen aus chemischen
Prinzipien noch immer eine Unzufriedenheit zurück-
läßt, weil man von diesen, als zufälligen Gesetzen,
die bloß Erfahrung gelehrt hat, keine Gründe a priori
anführen kann.
Alle eigentliche Naturwissenschaft bedarf also 30
einen reinen Teil, auf dem sich die apodiktische
Gewißheit, die die Vernunft in ihr sucht, gründen
könne, und weil dieser, seinen Prinzipien nach, in
Vergleichung mit denen, die nur empirisch sind, ganz
ungleichartig ist, so ist es zugleich von der größten
Zuträglichkeit, ja der Natur der Sache nach von un-
erläßlicher Pflicht in Ansehung der Methode, jenen
Teil abgesondert und von dem andern ganz unbemengt,
so viel möglich in seiner ganzen Vollständigkeit vor-
zutragen, damit man genau bestimmen könne, was die 40
Vernunft für sich zu leisten vermag, und wo ihr Ver-
mögen anhebt, der Beihilfe der Erfahrungsprinzipien
292 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
nötig zu haben. Reine Vernunfterkenntnis aus bloßen
Begriffen heißt reine Philosophie oder Metaphysik;
dagegen wird die, welche nur auf der Konstruktion
der Begriffe, vermittelst Darstellung des Gegenstandes
in einer Anschauung a priori, ihr Erkenntnis gründet,
Mathematik genannt.
Eigentlich so zu nennende Naturwissenschaft
setzt zuerst Metaphysik der Natur voraus; denn Ge-
setze, d. i. Prinzipien der Not\vendigkeit dessen, was
10 zum Dasein eines Dinges gehört, beschäftigen sich
mit einem Begriffe, der sich nicht konstruieren läßt,
weil das Dasein in keiner Anschauung a priori dar-
gestellt werden kann. Daher setzt eigentliche Natur-
wissenschaft Metaphysik der Natur voraus. Diese
muß nun zwar jederzeit lauter Prinzipien, die nicht
empirisch sind, enthalten, (denn darum führt sie eben
den Namen einer Metaphysik,) aber sie kann doch
entweder sogar ohne Beziehung auf irgendein be-
stimmtes Erfahrungsobjekt, mithin unbestimmt in An-
20 sehung der Natur dieses oder jenen Dinges der Sinnen-
welt, von den Gesetzen, die den Begriff einer Natur
überhaupt möglich machen, handeln, und alsdenn ist
es der transzendentale Teil der Metaphysik der
Natur; oder sie beschäftigt sich mit einer besonderen
Natur dieser oder jener Art Dinge, von denen ein
empirischer Begriff gegeben ist, doch so, daß außer
dem, was in diesem Begriffe liegt, kein anderes
empirisches Prinzip zur Erkenntnis derselben gebraucht
wird (z. B. sie legt den empirischen Begriff einer
30 Materie oder eines denkenden Wesens zum Grunde
und sucht den Umfang der Erkenntnis, deren die
Vernunft über diese Gegenstände a priori fähig ist),
und da muß eine solche Wissenschaft noch immer
eine Metaphysik der Natur, nämlich der körperlichen
oder denkenden Natur heißen, aber es ist alsdenn
keine allgemeine, sondern besondere metaphysische
Naturwissenschaft (Physik und Psychologie), in der
jene transzendentale Prinzipien auf die zwei Gattungen
der Gegenstände unserer Sinne angewandt werden,
40 Ich behaupte aber, daß in jeder besonderen Natur-
lehre nur so viel eigentliche Wissenschaft ange-
troffen werden könne, als darin Mathematik anzu-
Vorrede 193
treffen ist. Denn nach dem Vorhergehenden erfodert
eigentliche Wissenschaft, vornehmlich der Natur, einen
reinen Teil, der dem empirischen zum Grunde liegt
und der auf Erkenntnis der Naturdinge a priori be-
ruht Nun heißt etwas a priori erkennen, es aus
seiner bloßen Möglichkeit erkennen. Die Möglichkeit
bestimmter Naturdinge kann aber nicht aus ihren
bloßen Begriffen erkannt werden; denn aus diesen
kann zwar die Möglichkeit des Gedankens (daß er
sich selbst nicht widerspreche), aber nicht des Ob- 10
jekts, als Naturdinges, erkannt werden, welches außer
dem Gedanken (als existierend) gegeben werden kann.
Also wird, um die Möglichkeit bestimmter Naturdinge,
mithin um diese a priori zu erkennen, noch erfodert,
daß die dem Begriffe korrespondierende Anschauung
a priori gegeben werde, d. i. daß der Begriff kon-
struiert werde. Nun ist die Vernunfterkenntnis durch
Konstruktion der Begriffe mathematisch. Also mag
zwar eine reine Philosophie der Natur überhaupt, d. i.
diejenige, die nur das, was den Begriff einer Natur 20
im allgemeinen ausmacht, untersucht, auch ohne Ma-
thematik möglich sein, aber eine reine Naturlehre
über bestimmte Naturdinge (Körperlehre und Seelen-
lehre) ist nur vermittelst der Mathematik möglich, und
da in jeder Naturlehre nur so viel eigentliche Wissen-
schaft angetroffen wird, als sich darin Erkenntnis
a priori befindet, so wird Naturlehre nur so viel eigent-
liche Wissenschaft enthalten, als Mathematik in ihr
angewandt werden kann.
So lange also noch für die chemischen Wirkungen 30
der Materien aufeinander kein Begriff ausgefunden
wird, der sich konstruieren läßt, d. i. kein Gesetz der
Annäherung oder Entfernung der Teile angeben läßt,
nach welchem etwa in Proportion ihrer Dichtigkeiten
u. dgl. ihre Bewegungen samt ihren Folgen sich im
Räume a priori anschaulich machen und darstellen
lassen (eine Foderung, die schwerlich jemals erfüllt
werden wird), so kann Chemie nichts mehr als syste-
matische Kunst oder Experimentallehre, niemals aber
eigentliche Wissenschaft werden, weil die Prinzipien 40
derselben bloß empirisch sind und keine Darstellung
a priori in der Anschauung erlauben, folglich die
Kant Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I. J3
194 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
Grundsätze chemischer Erscheinungen ihrer Möglich-
keit nach nicht im mindesten begreiflich machen, weil
sie der Anwendung der Mathematik unfähig sind.
Noch weiter aber, als selbst Chemie, muß empi-
rische Seelenlehre jederzeit von dem Range einer
eigentlich so zu nennenden Naturwissenschaft ent-
fernt bleiben, erstlich weil Mathematik auf die Phä-
nomene des inneren Sinnes und ihre Gesetze nicht
anwendbar ist, man müßte denn allein das Gesetz
10 der Stetigkeit in dem Abflüsse der inneren Ver-
änderungen desselben in Anschlag bringen wollen,
welches aber eine Erweiterung der Erkenntnis sein
würde, die sich zu der, welche die Mathematik der
Körperlehre verschafft, ohngefähr so verhalten würde,
wie die Lehre von den Eigenschaften der geraden
Linie zur ganzen Geometrie. Denn die reine innere
Anschauung, in welcher die Seelenerscheinungen kon-
struiert werden sollen, ist die Zeit, die nur eine^)
Dimension hat. Aber auch nicht einmal als systema-
20 t^che Zergliederungskunst oder Experimentallehre
kann sie der Chemie jemals nahe kommen, weil sich
in ihr das Mannigfaltige der inneren Beobachtung
nur durch bloße Gedankenteilung voneinander ab-
sondern, nicht aber abgesondert aufbehalten und be-
liebig wiederum verknüpfen, noch weniger aber ein
anderes denkendes Subjekt sich unseren Versuchen,
der Absicht angemessen, von uns unterwerfen läßt,
und selbst die Beobachtung an sich schon den Zu-
stand des beobachteten Gegenstandes alteriert und
30 verstellt. Sie kann daher niemals etwas mehr, als
eine historische, und als solche, so viel möglich, syste-
matische Naturlehre des inneren Sinnes, d. i. eine
Naturbeschreibung der Seele, aber nicht Seelenwissen-
«chaft, ja nicht einmal psychologische Experimental-
lehre werden; welches denn auch die Ursache ist,
weswegen wir uns zum Titel dieses Werks, welches
eigentlich die Grundsätze der Körperlehre enthält, dem
gewöhnlichen Gebrauche gemäß des allgemeinen Na-
mens der Naturwissenschaft bedient haben, weil ihr
40 diese Benennung im eigentlichen Sinne allein zu-
a) Ak. Ausg. „eine" gesperrt.
Vorrede. 195
kommt und also hiedurch keine Zweideutigkeit ver-
anlaßt wird.
Damit aber die Anwendung der Mathematik auf
die Körperlehre, die durch sie allein Naturwissen-
schaft werden kann, möglich werde, so müssen Prin-
zipien der Konstruktion der Begriffe, welche zur
Möglichkeit der Materie überhaupt gehören, voran-
geschickt werden; mithin wird eine vollständige Zer-
gliederung des Begriffs von einer Materie überhaupt
zum Grunde gelegt werden müssen, welches ein Ge- 10
schäft der reinen Philosophie ist, die zu dieser Ab-
sicht sich keiner besonderen Erfahrungen, sondern
nur dessen, was sie im abgesonderten (obzwar an sich
empirischen) Begriffe selbst antrifft, in Beziehung
auf die reinen Anschauungen im Räume und der Zeit
(nach Gesetzen, welche schon dem Begriffe der Natur
überhaupt wesentlich anhängen), bedient, mithin eine
wirkliche Metaphysik der körperlichen Natur ist.
Alle Naturphilosophen, welche in ihrem Geschäfte
mathematisch verfahren wollten, haben sich daher 20
jederzeit (obschon sich selbst unbewußt) metaphysi-
scher Prinzipien bedient und bedienen müssen, wenn
sie sich gleich sonst wider allen Anspruch der Meta-
physik auf ihre Wissenschaft feierlich verwahrten.
Ohne Zweifel verstanden sie unter der letzteren den
Wahn, sich Möglichkeiten nach Belieben auszudenken
und mit Begriffen zu spielen, die sich in der An-
schauung vielleicht gar nicht darstellen lassen und
keine andere Beglaubigung ihrer objektiven Realität
haben, als daß sie bloß mit sich selbst nicht im 30
Widerspruche stehen. Alle wahre Metaphysik ist aus
dem Wesen des Denkungsvermögens selbst genommen,
und keineswegs darum erdichtet, weil sie nicht von
der Erfahrung entlehnt ist, sondern enthält die reinen
Handlungen des Denkens, mithin Begriffe und Grund-
sätze a priori, welche das Mannigfaltige empirischer
Vorstellungen allererst in die gesetzmäßige Verbin-
dung bringen a), dadurch es empirisches Erkenntnis
d. i. Erfahrung werden kann. So konnten also jene
mathematische Physiker metaphysischer Prinzipien gar 40
a) A'., A" A" „bringt".
13^
196 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
nicht entbehren, und unter diesen auch nicht solcher,
welche den Begriff ihres eigentlichen Gegenstandes,
nämlich der Materie, a priori zur Anwendung auf
äußere Erfahrung tauglich machen, als des Begriffs
der Bewegung, der Erfüllung des Raums, der Träg-
heit usw. Darüber aber bloß empirische Grundsätze
gelten zu lassen, hielten sie mit Recht der apodikti-
schen Gewißheit, die sie ihren Naturgesetzen geben
wollten, gar nicht gemäß, daher sie solche lieber postu-
10 Herten, ohne nach ihren Quellen a priori zu forschen.
Es ist aber von der größten Wichtigkeit, zum
Vorteil der Wissenschaften ungleichartige Prinzipien
voneinander zu scheiden, jede in ein besonderes System
zu bringen, damit sie eine Wissenschaft ihrer eigenen
Art ausmachen, um dadurch die Ungewißheit zu ver-
hüten, die aus der Vermengung entspringt, da man
nicht wohl unterscheiden kann, welcher von beiden
teils die Schranken, teils auch die Verirrungen, die
sich im Gebrauche derselben zutragen möchten, bei-
20 zumessen sein dürften. Um deswillen habe ich für
nötig gehalten, von dem reinen Teile der Naturwissen-
schaft (physica generalis), wo metaphysische und ma-
thematische Konstruktionen durcheinander zu laufen
pflegen, die erstere, und mit ihnen zugleich die Prin-
zipien der Konstruktion dieser Begriffe, also der Mög-
lichkeit einer mathematischen Naturlehre selbst, in
einem System darzustellen. Diese Absonderung hat,
außer dem schon erwähnten Nutzen, den sie schafft,
noch einen besonderen Reiz, den die Einheit der Er-
30 kenntnis bei sich führt, wenn man verhütet, daß die
Grenzen der Wissenschaften nicht ineinanderlaufen,
sondern ihre gehörig abgeteilte Felder einnehmen.
Es kann noch zu einem zweiten Anpreisungsgrunde
dieses Verfahrens dienen, daß in allem, was Meta-
physik heißt, die absolute Vollständigkeit der
Wissenschaften gehofft werden kann, dergleichen man
sich in keiner anderen Art von Erkenntnissen ver-
sprechen darf, mithin ebenso, wie in der Metaphysik
der Natur überhaupt, also auch hier die Vollständig-
40 keit der Metaphysik der körperlichen Natur zuver-
sichtlich erwartet werden kann; wovon die Ursache;
ist, daß in der Metaphysik der Gegenstand nur, wie
Yorrede. 197
er bloß nach den allgemeinen Gesetzen des Denkens,
in andern Wissenschaften aber, wie er nach datis
der Anschauung (der reinen sowohl als empirischen)
vorgestellt werden muß, betrachtet wird, da denn jene,
weil der Gegenstand in ihr jederzeit mit allen not-
wendigen Gesetzen des Denkens verglichen werden
muß, eine bestimmte Zahl von Erkenntnissen geben
muß, die sich völlig erschöpfen läßt, diese aber, weil
sie eine unendliche Mannigfaltigkeit von Anschauungen
(reinen oder empirischen) mithin Objektena) des Denkens 10
darbieten, niemals zur absoluten Vollständigkeit ge-
langen, sondern ins Unendliche erweitert werden
können; wie reine Mathematik und empirische Natur-
lehre. Auch glaube ich diese metaphysische Körper-
lehre so weit, als sie sich immer nur erstreckt, voll-
ständig erschöpft, dadurch aber doch eben kein großes
Werk zustande gebracht zu haben.
Das Schema aber zur Vollständigkeit eines meta-
physischen Systems, es sei der Natur überhaupt oder
der körperlichen Natur insbesondere, ist die Tafel 20
der Kategorien*). Denn mehr gibt es nicht reine
*) Nicht wider diese Tafel der reinen Yerstandesbegriffe,
sondern die daraus gezogenen Schlüsse auf die Grenzbe-
stimmung des ganzen reinen Vemunftvermögens, mithin
auch aller Metaphysik, finde ich in der AUgem. Litt. Zeit.
Nr. 295, in der Rezension der Institutiones Logicae et
Metaph. des Herrn Prof. Ulrich Zweifel, in welchen der
tiefforschende Rezensent mit seinem nicht minder prüfenden
Verfasser übereinzukommen sich erklärt, und zwar Zweifel,
die, weil sie gerade das Hauptfundament meines in der
Kritik aufgestellten Systems treffen sollen, Ursache wären,
daß dieses in Ansehung seines Hauptzieles noch lange nicht
diejenige apodiktische Überzeugung bei sich führe, welche
zur Abnötigung einer uneingeschränkten Annahme erfoder-
lich ist; dieses Hauptfundament sei meine, teils dort, teils
in den Prolegomenen vorgetragene Deduktion der
reinen Verstandesbegriffe, die aber in dem Teile der KJritik,
welcher gerade der helleste sein müßte, am meisten dunkel
wäre, oder wohl gar sich im Zirkel herumdrehete etc. Ich
richte meine Beantwortung dieser Einwürfe nur auf den
Hauptpunkt derselben, daß nämlich ohne eine ganz klare
und genugtuende Deduktion der Kategorien das
a) „Objecte" A'. A". A'". korr. Hartenstein.
X98 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
Verstandesbegriffe, die die Natur der Dinge betreffen
können. Unter die vier Klassen derselben, die der
System der Kritik der reinen Vernunft in seinem Funda-
mente wanke. Dagegen behaupte ich, dali für denjenigen, der
meine Sätze von der Sinnlichkeit aller unserer Anschauung
und der Zulänglichkeit der Tafel der Kategorien, als von
den logischen Funktionen in Urteilen überhaupt entlehnter
Bestimjnungen unseres Bewußtseins , unterschreibt (wie
dieses denn der Rezensent tut), das System der Kritik
apodiktische Gewißheit bei sich führen müsse, weil dieses
auf dem Satze erbauet ist, daß der ganze spekulative
Gebrauch unserer Vernunft niemals weiter, als
auf Gegenstände möglicher Erfahrung reiche.
Denn wenn bewiesen werden kann, daß die Kategorien,
deren sich die Vernunft in allem ihrem Erkenntnis bedienen
muß, gar keinen anderen Gebrauch, als bloß in Beziehung
auf Gegenstände der Erfahrung haben können (dadurch, dalJ
sie in dieser bloß die Form des Denkens möglich machen),
so ist die Beantwortung der Frage: wie sie solche möglich
machen, zwar wichtig genug, um diese Deduktion, wo mög-
lich, zu vollenden, aber in Beziehung auf den Hauptzweck
des Systems, nämlich die Grenzbestimmung der reinen Ver-
nunft, keineswegs notwendig, sondern bloß verdienst-
lich. Denn in dieser Absicht ist die Deduktion schon alsdeun
weit genug geführt, wenn sie zeigt, daß gedachte Kate-
gorien nichts anders als bloße Formen der Urteile sind,
sofern sie auf Anschauungen (die bei uns immer nur sinnlich
sind) angewandt werden, dadurch aber allererst Objekte
bekommen und Erkenntnisse werden ; weil dieses schon hin-
reicht, das ganze System der eigentlichen Kritik darauf
mit völliger Sicherheit zu gründen. So steht Newtons
System der allgemeinen Gravitäten fest, ob es gleich die
Schwierigkeit bei sich führt, daß man nicht erklären kann,
wie Anziehung in die Ferne möglich sei; aber Schwierig-
keiten sind nicht Zweifel. Daß nun jenes Haviptfunda-
ment auch ohne vollständige Deduktion der Kategorien fest
stehe, beweise ich aus dem Zugestandenen also:
1. Zugestanden: daß die Tafel der Kategorien alle
reine Verstandesbegriffe vollständig enthalte, und ebenso
alle formale Verstandeshandlungen in Urteilen, von welchen
sie abgeleitet und auch in nichts unterschieden sind, als
daß durch den Verstandesbegriff ein Objekt in Ansehung
einer oder der andern Funktion der Urteile als bestimmt
gedacht wird (z. B. so wird in dem kategorischen Urteile:
der Stein ist hart, der Stein für Subjekt und hart als
Yorrede, 199
Größe, der Qualität, der Relation und endlich
der Modalität müssen sich auch alle Bestimmungen
Prädikat gebraucht, so doch, daß es dem Verstände unbe-
nommen bleibt, die logische Funktion dieser Begriffe umzu-
tauschen und zu sagen : einiges Harte ist ein Stein ; dagegen
wenn ich es mir im Objekte als bestimmt vorstelle,
daß der Stein in jeder möglichen Bestimmung eines Gegen-
standes, nicht des bloßen Begriffs, nur als Subjekt, die
Härte aber nur als Prädikat gedacht werden müsse, die-
selbe logische Funktionen nun reine Verstandesbegriffe
von Objekten, nämlich als Substanz und Akzidens,
werden) ;
2. zugestanden: daß der Verstand durch seine Natur
synthetische Grundsätze a priori bei sich führe, durch die
er alle Gegenstände, die ihm gegeben werden mögen, jenen
Kategorien unterwirft, mithin es auch Anschauungen a priori
geben müsse, welche die zur Anwendung jener reinen Ver-
etandesbegriffe erfoderliche Bedingungen enthalten, weil
ohne Anschauung kein Objekt, in Ansehung dessen
die logische Funktion als Kategorie bestimmt werden könnte,
mithin auch keine Erkenntnis irgend eines Gegenstandes,
und also auch ohne reine Anschauung kein Grundsatz, der
sie a priori in dieser Absicht bestimmte, stattfindet;
3. zugestanden: daß diese reine Anschauungen nie-
mals etwas anders, als bloße Formen der Erscheinungen
äußeren») oder des inneren Sinnes (Raum und Zeit), folglich
nur allein der Gegenstände möglicher Erfahrungen
sein können:
So folgt : daß aller Gebrauch der reinen Vernunft nie-
mals worauf anders, als auf Gegenstände der Erfahrung
gehen könne , und , weil in Grundsätzen a priori nichts
Empirisches die Bedingung sein kann, sie nichts weiter, als
Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt
sein können. Dieses allein ist das wahre und hinlängliche
Fundament der Grenzbestimmung der reinen Vernunft, aber
nicht die Auflösung der Aufgabe: wie nun Erfahrung ver-
mittelst jener Kategorien und nur allein durch dieselbe
möglich sei. Die letztere Aufgabe, obgleich auch ohne sie
das Gebäude fest steht, hat indessen große Wichtigkeit,
und, wie ich es jetzt einsehe, ebenso große Leichtigkeit, da
sie beinahe durch einen einzigen Schluß aus der genau
bestimmten Definition eines Urteils überhaupt (einer Hand-
lung, durch die gegebene^) Vorstellungen zuerst Erkennt-
a) „äußerer" A'".
b) „gegebenen" A'".
200 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
des allgemeinen Begriffs einer Materie überhaupt, mit-
hin auch alles, was a priori von ihr gedacht, was in
der mathematischen Konstruktion dargestellt, oder in
der Erfahrung als bestimmter Gegenstand derselben
gegeben werden mag, bringen lassen. Mehr ist hier
nicht zu tun, zu entdecken oder hinzuzusetzen, sondern
allenfalls, wo in der Deutlichkeit oder Gründlichkeit
gefehlt sein möchte, es besser zu machen.
Der Begriff der Materie mußte daher durch alle
nisse eines Objekts werden) verrichtet werden kann. Die
Dunkelheit, die in diesem Teile der Deduktion meinen
vorigen Verhandlungen anhängt, und die ich nicht in Ab-
rede ziehe, ist dem gewöhnlichen Schicksale des Verstandes
im Nachforschen beizumessen, dem der kürzeste Weg ge-
meiniglich nicht der erste ist, den er gewahr %\ärd. Daher
ich die nächste Gelegenheit ergreifen werde, diesen Mangel
(welcher auch nur die Ali; der Darstellung, nicht den dort
schon richtig angegebenen Erklärungsgrund betrifft), zu er-
gänzen, ohne daß der scharfsinnige Rezensent in die ihm
gewiß selbst unangenehm fallende Notwendigkeit versetzt
werden darf, wegen der befremdlichen Einstimmung der
Erscheinungen zu den Verstandesgesetzen, ob diese gleich
von jenen ganz verschiedene Quellen haben, zu einer prä-
stabilierten Harmonie seine Zuflucht zu nehmen; einem
Rettungsmittel, welches weit schlimmer wäre als das Übel,
dawider es helfen soll, und daß dagegen doch wirklich
nichts helfen kann. Denn auf diese kommt doch jene ob-
jektive Notwendigkeit nicht heraus, welche die reinen
Verstandesbegriffe (und die Grundsätze ihrer Anwendung
auf Erscheinungen) charakterisiert, z. ß. in dem Begriffe der
Ursache in Verknüpfung mit der "Wirkung, sondern alles
bleibt bloß subjektiv-notwendige, objektiv aber bloß
zufällige Zusammenstellung, gerade wie es Hume ■will,
wenn er sie bloße Täuschung aus Gewohnheit nennt. Auch
kann kein System in der "Welt diese Notwendigkeit wo
anders herleiten, als aus den a priori zum Grunde hegenden
Prinzipien der Möglichkeit des Denkens selbst; wodurch
allein die Erkenntnis der Objekte, deren Erscheinung uns
gegeben ist, d.i. Erfahrung möglich wird, und gesetzt, die
Art, wie Erfahrung dadurch allererst möglich werde, könnte
niemals hinreichend erklärt werden, so bleibt es doch un-
widersprechlich gewiß, daß sie bloß durch jene Begriffe
möglich, und jene Begriffe umgekehrt auch in keiner anderen
Beziehung, als auf Gegenstände der Erfahrung einer Be-
deutung und irgend eines Gebrauchs fähig sind.
Vorrede. 201
vier genannte Funktionen der Verstandesbegriffe (in
vier Hauptstücken) durchgeführt werden, in deren
jedem eine neue Bestimmung desselben hinzukam. Die
Grundbestimmung eines Etwas, das ein Gegenstand
äußerer Sinne sein soll, mußte Bewegung sein; denn
dadurch allein können diese Sinne affiziert werden.
Auf diese führt auch der Verstand alle übrige Prädi-
kate der Materie, die zu ihrer Natur gehören, zurück,
und so ist die Naturwissenschaft durchgängig eine
entweder reine oder angewandte Bewegungslehre. 10
Die metaphysischen Anfangsgründe der Natur-
wissenschaft sind also unter vier Hauptstücke zu
bringen, deren erstes die Bewegung als ein reines
Quantum, nach seiner Zusammensetzung, ohne alle
Qualität des Beweglichen betrachtet und Phoronomie
genannt werden kann, das zweite sie, als zur Quali-
tät der Materie gehörig, unter dem Namen einer ur-
sprünglich bewegenden Kraft in Erwägung zieht und
daher Dynamik heißt, das dritte die Materie mit
dieser Qualität durch ihre eigene Bewegung gegen- 20
einander in Relation betrachtet und unter dem Namen
Mechanik vorkommt, das vierte aber ihre Bewegung
oder Ruhe bloß in Beziehung auf die Vorstellungsart
oder Modalität, mithin als Erscheinung äußerer Sinne
bestimmt und Phänomenologie genannt wird.
Aber außer jener inneren Notwendigkeit, die meta-
physischen Anfangsgründe der Körperlehre nicht allein
von der Physik, welche empirische Prinzipien braucht,
sondern selbst von den rationalen Prämissen derselben,
die den Gebrauch der Mathematik in ihr betreffen, ab- 30
zusondern, ist noch ein äußerer, zwar nur zufälliger,
aber gleichwohl wichtiger Grund da, ihre ausführliche
Bearbeitung von dem allgemeinen System der Meta-
physik abzutrennen und sie als ein besonderes Ganze
systematisch darzustellen. Denn wenn es erlaubt ist,
die Grenzen einer Wissenschaft nicht bloß nach der
Beschaffenheit des Objekts und der spezifischen Er-
kenntnisart desselben, sondern auch nach dem Zwecke,
den man mit der Wissenschaft selbst zum anderweitigen
Gebrauche vor Augen hat, zu zeichnen, und man») 40
a) ..man" fehlt in A' A" A'".
202 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
findet, daß Metaphysik so viel Köpfe bisher nicht
darum beschäftigt hat und sie ferner beschäftigen
wird, um Naturkenntnisse dadurch zu erweitern (wel-
ches viel leichter und sicherer durch Beobachtung,
Experiment und Anwendung der Mathematik auf
äußere Erscheinungen geschieht), sondern um zur Er-
kenntnis dessen, was gänzlich über alle Grenzen der
Erfahrung hinausliegt, von Gott, Freiheit und Un-
sterblichkeit zu gelangen; so gewinnt man in Be-
10 f Order ung dieser Absicht, wenn man sie von einem,
zwar aus ihrer Wurzel sprossenden, aber doch ihrem
regelmäßigen Wüchse nur hinderlichen Sprößlinge be-
freiet, diesen besonders pflanzt, ohne dennoch dessen
Abstammung aus jener zu verkennen und sein völliges
Gewächs aus dem System der allgemeinen Metaphysik
wegzulassen. Dieses tut der Vollständigkeit der letzte-
ren keinen Abbruch und erleichtert doch den gleich-
förmigen Gang dieser Wissenschaft zu ihrem Zwecke,
wenn man in allen Fällen, wo man der allgemeinen
20 Körperlehre bedarf, sich nur auf das abgesonderte
System derselben berufen darf, ohne jenes größere
mit diesem anzuschwellen. Es ist auch in der Tat
sehr merkwürdig (kann aber hier nicht ausführlich
vor Augen gelegt werden), daß die allgemeine Meta-
physik in allen Fällen, wo sie Beispiele (Anschauungen)
bedarf, um ihren reinen Verstandesbegriffen Bedeu-
tung 2u verschaffen, diese jederzeit aus der allge-
meinen Körperlehre, mithin von der Form und den
Prinzipien der äußeren Anschauung hernehmen müsse,
30 und, wenn diese nicht vollendet darliegen, unter lauter
sinnleeren Begriffen unstet und schwankend herum-
tappe. Daher die bekannten Streitigkeiten, wenigstens
die Dunkelheit in den Fragen über die Möglichkeit
eines Widerstreits der Realitäten, die der intensiven
Größe u. a. m., bei welchen der Verstand nur durch
Beispiele aus der körperlichen Natur belehrt wird,
welches die Bedingungen sind, unter denen jene Be-
griffe allein objektive Realität, d. i. Bedeutung und
Wahrheit haben können. Und so tut eine abgesonderte
40 MetapnysTk der körperlichen Natur der allgemeinen
vortreffliche und unentbehrliche Dienste, indem sie
Beispiele (Fälle in Konkrete) herbeischafft, die Be-
Vorrede. 203
griffe und Lehrsätze der letzteren (eigentlich der Tran-
szendentalphilosophie) zu realisieren, d. i. einer bloßen
Gedankenform Sinn und Bedeutung unterzulegen.
Ich habe in dieser Abhandlung die mathematische
Methode, wenngleich nicht mit aller Strenge befolgt
(wozu mehr Zeit erfoderlich gewesen wäre, als ich
darauf zu verwenden hätte a), dennoch nachgeahmt,
nicht um ihr durch ein Gepränge von Gründlichkeit
besseren Eingang zu verschaffen, sondern weil ich
glaube, daß ein solches System deren wohl fähig sei 10
und diese Vollkommenheit auch mit der Zeit von ge-
schickterer Hand wohl erlangen könne, wenn durch
diesen Entwurf veranlaßt, mathematische Naturforscher
es nicht unwichtig finden sollten, den metaphysischen
Teil, de-ssen sie ohnedem nicht entübrigt sein können,
in ihrer allgemeinen Physik als einen besonderen
Grundteil zu behandeln und mit der mathematischen
Bewegungslehre in Vereinigung zu bringen.
Newton sagt in der Vorrede zu seinen mathe-
matischen Grundlehren der Nat. Wiss. (nachdem 20
er angemerkt hatte, daß die Geometrie von den
mechanischen Handgriffen, die sie postuliert, nur
zweier bedürfe, nämlich eine gerade Linie und einen
Zirkel zu beschreiben): die Geometrie ist stolz
darauf, daß sie mit so Wenigem, was sie ander-
wärts hernimmt, so viel zu leisten vermag*).
Von der Metaphysik könnte man dagegen sagen: sie
steht bestürzt, daß sie mit so Vielem, als ihr
die reine Mathematik darbietet, doch nur so
wenig ausrichten kann. Indessen ist doch dieses 30
Wenige etwas, das selbst die Mathematik in ihrer
Anwendung auf Naturwissenschaft unumgänglich
braucht, die sich also, da sie hier von der Meta-
physik notwendig borgen muß, auch nicht schämen
darf, sich mit ihr in Gemeinschaft sehen zu lassen.
*) Gloriatur geometria, quod tarn paucis principiis aliunde
petitis tarn multa praestet. Neivton, Princ. Phil. Nat.
Math. Praefat.
a) Höfler Ak. Ausg. schlägt vor „hatte".
Erstes Hauptstück.
Metaphysische Anfangsgründe
der
Plioronomie.
Erklärung 1.
Materie ist das Bewegliche im Eaume. Der
Eaum, der selbst beweglich ist, heißt der materielle
oder auch der relative Raum; der, in welchem
alle Bewegung zuletzt gedacht werden muß (der
10 mithin selbst schlechterdings unbeweglich ist), heißt
der reine oder auch absolute Raum.
Anmerkung 1.
Da in der Phoronomie von nichts, als Bewegung
geredet werden soll, so wird dem Subjekt derselben,
nämlich der Materie, hier keine andere Eigenschaft
beigelegt, als die Beweglichkeit. Sie selbst kann
also so lange auch für einen Punkt gelten, und man
abstrahiert in der Phoronomie von aller Innern Be-
schaffenheit, mithin auch der Größe des Beweglichen,
20 und hat es nur mit der Bewegung und dem, was in
dieser als Größe betrachtet werden kann (Geschwindig-
keit und Richtung), zu tun. — Wenn gleichwohl der
Ausdruck eines Körpers hier bisweilen gebraucht
1. Hauptstück. Phoronomie. 205
werden sollte, so geschieht es nur, um die Anwendung
der Prinzipien der Phoronomie auf die noch folgende
bestimmtere Begriffe der Materie gewissermaßen zu
antizipieren, damit der Vortrag weniger abstrakt und
faßlicher sei.
Anmerkung 2.
Wenn ich den Begriff der Materie nicht durch ein
Prädikat, was ihr selbst als Objekt zukommt, sondern
nur durch das Verhältnis zum Erkenntnisvermögen,
in welchem mir die Vorstellung allererst gegeben 10
werden kann, erklären soll, so ist Materie ein jeder
Gegenstand äußerer Sinne, und dieses wäre die
bloß metaphysische Erklärung derselben. Der Raum
aber wäre bloß die Form aller äußeren sinnlichen
Anschauung (ob ebendieselbe auch dem äußeren Ob-
jekt, das wir Materie nennen, an sich selbst zu-
komme, oder nur in der Beschaffenheit unseres Sinnes
bleibe, davon ist hier gar nicht die Frage). Die
Materie wäre im Gegensatz der Form das, was in
der äußeren Anschauung ein Gegenstand der Emp- 20
findung ist, folglich das eigentlich Empirische der
sinnlichen und äußeren Anschauung, weil es gar nicht
a priori gegeben werden kann. In aller Erfahrung
muß etwas empfunden werden, und das ist das Reale
der sinnlichen Anschauung; folglich muß auch der
Raum, in welchem wir über die Bewegungen Er-
fahrung anstellen sollen, empfindbar, d. i. durch das,
was empfunden werden kann, bezeichnet sein, und
dieser, als der Inbegriff aller Gegenstände der Er-
fahrung und selbst ein Objekt derselben, heißt der SO
empirische Raum. Dieser aber, als materiell, ist
selbst beweglich. Ein beweglicher Raum aber, wenn
seine Bewegung soll wahrgenommen werden können,
setzt wiederum einen anderen erweitertem mate-
riellen Raum voraus, in welchem er beweglich ist,
dieser ebensowohl einen andern und so forthin ins
Unendliche.
Also ist alle Bewegung, die ein Gegenstand der
Erfahrung ist, bloß relativ; der Raum, in dem sie
wahrgenommen wird, ist ein relativer Raum, der selbst 40
206 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
wiederum, und vielleicht in entgegengesetzter Rich-
tung, in einem erweiterten Räume a) bewegt, mithin
auch die in Beziehung auf den erstem bewegte Ma-
terie in Verhältnis auf den zweiten Raum ruhig ge-
nannt werden kann; und diese Abänderungen des Be-
griffs der Bewegungen gehen mit der Veränderung
des relativen Raumes so ins Unendliche fort. Einen
absoluten Raum, d. i. einen solchen, der, weil er nicht
materiell ist, auch kein Gegenstand der Erfahrung
10 sein kann, als für sich gegeben annehmen, heißt
etwas, das weder an sich, noch in seinen Folgen (der
Bewegung im absoluten Raum) wahrgenommen werden
kann, um der Möglichkeit der Erfahrung willen an-
nehmen, die doch jederzeit ohne ihn angestellt werden
muß. Der absolute Raum ist also an sich nichts
und gar kein Objekt, sondern bedeutet nur einen jeden
andern relativen Raum, den ich mir außer dem ge-
gebenen jederzeit denken kann, und den ich nur über
jeden gegebenen ins Unendliche hinausrücke, als einen
20 solchen, der diesen einschließt und in welchem ich
den ersteren als bewegt annehmen kann. Weil ich
den erweiterten, obgleich immer noch materiellen
Raum nur in Gedanken habe, und mir von der Materie,
die ihn bezeichnet, nichts bekannt ist, so abstrahiere
ich von dieser, und er wird daher wie ein reiner,
nicht empirischer und absoluter Raum vorgestellt, mit
dem ich jeden empirischen vergleichen und diesen in
ihm als beweglich Vorstellen kann, der also jederzeit
als unbeweglich gilt. Ihn zum wirklichen Dinge zu
30 machen, heißt die logische Allgemeinheit irgend-
eines Raums, mit dem ich jeden empirischen als
darin eingeschlossen vergleichen kann, in eine phy-
sische Allgemeinheit des wirklichen Umfanges
verwechseln, und die Vernunft in ihrer Idee miß-
verstehen.
Schließlich merke ich noch an, daß, da die Be-
weglichkeit eines Gegenstandes im Raum a priori
und ohne Belehrung durch Erfahrung nicht erkannt
werden kann, sie von mir eben darum in der Kritik
40 der reinen Vernunft auch nicht unter die reine Ver-
a) Hartenstein „sich bewegt".
1. Hauptstück. Phoronomie. 207
Standesbegriffe gezählt werden konnte, und daß dieser
Begriff als empirisch, nur in einer Naturwissenschaft,
als angewandter Metaphysik, welche sich mit einem
durch Erfahrung gegebenen Begriffe, obwohl nach
Prinzipien a priori, beschäftigt, Platz finden könne.
Erklärung 2.
Bewegung eines Dinges ist die Veränderung
der äußeren Verhältnisse desselben zu einem
gegebenen B,aum.
Anmerkung 1. 10
Vorher habe ich dem Begriffe der Materie schon
den Begriff der Bewegung zum Grund gelegt. Denn
da ich denselben selbst unabhängig vom Begriffe der
Ausdehnung bestimmen wollte, und die Materie also
auch in einem Punkte betrachten könnte a), so durfte
ich einräumen, daß man sich daselbst der gemeinen
Erklärung der Bewegung als Veränderung des
Orts bedienete. Jetzt, da der Begriff einer Materie
allgemein, mithin auch auf bewegte Körper passend,
erklärt werden soll, so reicht jene Definition nicht 20
zu. Denn der Ort eines jeden Körpers ist ein Punkt.
Wenn man die Weite des Mondes von der Erde be-
stimmen will, so will man die Entfernung ihrer Örter
wissen, und zu diesem Ende mißt man nicht von einem
beliebigen Punkte der Oberfläche oder des Inwendigen
der Erde zu jedem beliebigen Punkte des Mondes,
sondern nimmt die kürzeste Linie vom Mittelpunkte
dert») einen zum Mittelpunkte des andern, mithin ist
von jedem dieser Körper nur ein Punkt, der seinen
Ort ausmacht. Nun kann sich ein Körper bewegen, 30
ohne seinen Ort zu verändern, wie die Erde, indem
sie sich um ihre Achse dreht. Aber ihr Verhältnis
zum äußeren Räume verändert sich hiebei doch; denn
sie kehrt z. B. in 24 Stunden dem Monde ihre ver-
schiedene Seiten zu, woraus denn auch allerlei
a) Höfler Ak. Ausg. ,,konnte".
b) ,.des" A' A" A'" korr. Höfler Ak. Ausg.
208 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
wandelbare Wirkungen auf der Erde erfolgen. Nur.
von einem beweglichen, d. i. physischen Punkte kann
man gagen: Bewegung sei jederzeit Veränderung des
Orts. Man könnt« wider diese Erklärung erinnern,
daß die innere Bewegung, z. B. einer Gärung, nicht
in ihr mit eingeschlossen sei; aber das Ding, was
man bewegt nennt, muß sofern als Einheit betrachtet
werden. Die Materie, als z. B. ein Faß Bier, ist
bewegt, bedeutet also etwas anderes, als das Bier
10 im Fasse ist in Bewegung. Die Bewegung eines
Dinges ist mit der Bewegung in diesem Dinge nicht
einerlei, von der ersteren aber ist hier nur die Rede.
Dieses Begriffs Anwendung aber auf den zweiten
Fall ist nachher leicht.
Anmerkung 2.
Die Bewegungen können drehend (ohne Verände-
rung des Orts) oder fortschreitend, diese aber ent-
weder den Raum erweiternd, oder auf einen ge-
gebenen Raum eingeschränkte Bewegungen sein. Von
20 der ersteren Art sind die geradlinichte, oder auch
krummlinichte, in sich nicht zurückkehrende Be-
wegungen. Die von der zweiten sind die in sich
zurückkehrende. Die letztern sind wiederum entr
weder zirkulierende oder oszillierende, d. i.
Kreis- oder schwankende Bewegungen. Die erstem
legen ebendenselben Raum immer in derselben Rich-
tung, die zweiten immer wechselweise in entgegen-
gesetzter Richtung zurück, wie schwankende Penduln.
Zu beiden gehört noch Bebung (7notus trenmlus),
SO welche nicht eine fortschreitende Bewegung eines Kör-
pers, dennoch aber eine reziprozierende Bewegung einer
Materie ist, die dabei ihre Stelle im Ganzen nicht
verändert, wie die Zitterungen einer geschlagenen
Glocke, oder die Bebungen einer durch den Schall
in Bewegung gesetzten Luft. Ich tue dieser ver-
schiedenen Arten der Bewegung bloß darum in einer
Phoronomie Erwähnung, weil man bei allen, die nicht
fortschreitend sind, sich des Worts Geschwindigkeit
gemeiniglich in anderer Bedeutung bedient, als bei den
40 fortschreitenden, wie die folgende Anmerkung zeigt.
1. Hauptstück. Phoronomie. 209
Anmerkung 3.
In jeder Bewegung sind Richtung und Geschwindig-
keit die beiden Momente der Erwägung derselben,
wenn man von allen anderen Eigenschaften des Be-
weglichen abstrahiert. Ich setze hier die gewöhn-
liche Definition beider voraus; allein die der Rich-
tung bedarf noch verschiedener Einschränkungen. Ein
im Kreise bewegter Körper verändert seine Richtung
kontinuierlich, so, daß er bis zu seiner Rückkehr zum
Punkte, von dem er ausging, alle in einer Fläche nur 10
mögliche Richtungen eingeschlagen ist, und doch sagt
man: er bewege sich immer in derselben Richtung,
z. B. der Planet von Abend gegen Morgen.
Allein, was ist hier die Seite, nach der die Be-
wegung gerichtet ist? eine Frage, die mit der eine
Verwandtschaft hat: worauf beruht der innere Unter-
schied der Schnecken, die sonst ähnlich und sogar
gleich, aber davon eine Spezies rechts, die andere
links gewunden ist; oder des Windens der Schwert-
bohnen und des Hopfens, deren die erstere wie ein 20
Pfropfenzieher, oder, wie die Seeleute es ausdrücken
würden, wider die Sonne, der andere mit der
Sonne um ihre Stange laufen ?a) ein Begriff, der
sich zwar konstruieren, aber als Begriff, für sich
durch allgemeine Merkmale und in der diskursiven
Erkenntnisart gar nicht deutlich machen läßt, und
der in den Dingen selbst (z. B. an denen seltenen
Menschen, bei denen die Leicheneröffnung alleb) Teile
nach der physiologischen Regel mit andern Menschen
einstimmig, nur alle Eingeweide links oder rechts, 30
wider die gewöhnliche Ordnung versetzt fand) keinen
erdenklichen Unterschied in den Innern Folgen geben
kann und demnach ein wahrhafter mathematischer, und
zwar innerer Unterschied ist, womit der von dem Unter-
schiede zweier, sonst in allen Stücken gleichen, der
Richtung nach aber verschiedenen Kreisbewegungen,
obgleich nicht völlig einerlei, dennoch aber zusammen-
hängend ist. Ich habe anderwärts gezeigt, daß, da
a) Höfler Ak. Ausg.: ,.läuft".
b) A', A" „aller".
Kant, Kl. Schriften z. NatarpbiloBopbie. I. 14
210 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
sich dieser Unterschied zwar in der Anschauung geben,
aber gar nicht auf deutliche Begriffe bringen, mithin
nicht verständlich erklären (dari, non intelligi) läßt,
er einen guten bestätigenden Beweisgrund zu dem
Satze abgebe: daß der Raum überhaupt nicht zu den
Eigenschaften oder Verhältnissen der Dinge an sich
selbst, die sich notwendig auf objektive Begriffe
müßten bringen lassen, sondern bloß zu der subjekti-
ven Form unserer sinnlichen Anschauung von Dingen
10 oder Verhältnissen, die uns nach dem, was sie an sich
sein mögen, völlig unbekannt bleiben, gehöre. Doch
dies ist eine Abschweifung von unserem jetzigen Ge-
schäfte, in welchem wir den Raum ganz notwendig
als Eigenschaft der Dinge, die wir in Betrachtung
ziehen, nämlich körperlicher Wesen, behandeln
müssen, weil diese selbst nur Erscheinungen äußerer
Sinne sind und nur als solche hier erklärt zu werden
bedürfen. Was den Begriff der Geschwindigkeit be-
trifft, so bekommt dieser Ausdruck im Gebrauche
20 auch bisweilen eine abweichende Bedeutung, Vv^ir
sagen: die Erde dreht sich geschwinder um ihre
Achse, als die Sonne, weil sie es in kürzerer Zeit tut;
obgleich die Bewegung der letzteren viel geschwin-
der ist. Der Blutumlauf eines kleinen Vogels ist viel
geschwinder, als der eines Menschen, obgleich seine
strömende Bewegung im ersteren ohne Zweifel weniger
Geschwindigkeit hat, und so auch bei den Bebungen
elastischer Materien. Die Kürze der Zeit der Wieder-
kehr, es sei der zirkulierenden oder oszillierenden
30 Bewegung, macht den Grund dieses Gebrauchs aus,
an welchem, wenn sonst nur die Mißdeutung ver-
mieden wird, man auch nicht unrecht tut. Denn diese
bloße Vergrößerung der Eile in der Wiederkehr, ohne
Vergrößerung der räumlichen Geschwindigkeit, hat
ihre eigene und sehr erhebliche Wirkungen in der
Natur, worauf in dem Zirkellauf der Säfte der Tiere
vielleicht noch nicht gnug Rücksicht genommen
worden. In der Phoronomie brauchen wir das
Wort Geschwindigkeit bloß in räumlicher Bedeutung;
40 C = ^.
1. Hauptstück. Phoronomie. 211
Erklärung 3.
Kühe ist die beharrliche Gegenwart (p'aesentia
•perduraUUs) an demselben Orte; beharrlich aber
ist das, was eine Zeit hindurch existiert, d. i. dauret.
Anmerkung.
Ein Körper, der in Bewegung ist, ist in jedem
Punkte der Linie, die er durchläuft, einen Augen-
blick. Es fragt sich nun, ob er darin ruhe oder
sich bewege. Ohne Zweifel wird man das letztere
sagen; denn er ist in diesem Punkte nur sofern, als 10
er sich bewegt, gegenwärtig. Man nehme aber die
A B a
Bewegung desselben so an: daß der
0 0 . . 0,
Körper mit gleichförmiger Geschwindigkeit die Linie
AB vorwärts und rückwärts von B nach A zurück-
lege, so daß, weil der Augenblick, da er in B ist,
beiden Bewegungen gemein ist, die Bewegung von
A nach B in V2 Sekunde, die von B nach A aber
auch in V2 Sekunde, beide zusammen aber in einer
ganzen Sekunde zurückgelegt worden, so daß auch
nicht der kleinste Teil der Zeit auf die Gegenwart 20
des Körpers in B aufgewandt worden; so wird,
ohne den mindesten Zuwachs dieser Bewegungen, die
letztere, die in der Richtung BA geschähe, in die
nach der Richtung Ba, welches mit AB in einer
geraden Linie liegt, verwandelt werden können, wo
denn der Körper, indem er in B ist, darin nicht
als ruhig, sondern als bewegt angesehen werden muß.
Er mußte daher auch in der ersteren in sich selbst
wiederkehrenden Bewegung in dem Punkte B als be-
wegt angesehen werden, welches aber unmöglich ist; 30
weil, nach dem, was angenommen worden, es nur
ein Augenblick ist, der zur Bewegung AB und zu-
gleich zur gleichen Bewegung BA gehört, die der
vorigen entgegengesetzt und mit ihr in einem und
demselben Augenblicke verbunden a), völligen Mangel
a) A' A" A'" „verbunden ist", korr. Höfler Ak. Ausg.
14*
212 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
der Bewegung, folglich, wenn dieser den Begriff
der Ruhe ausmachte, auch in der gleichförmigen Be-
wegung Äa Ruhe des Körpers in jedem Punkte, z. B.
in B, beweisen müßte, welches der obigen Behauptung
widerspricht. Man stelle sich dagegen die Linie AB
als über den Punkt A aufgerichtet vor, so daß ein
Körper von A nach B steigend a), nachdem er durch
die Schwere im Punkte B seine Bewegung verloren
hat, von B nach A ebenso wiederum zurückfalle; so
10 frage ich: ob der Körper in B als bewegt oder als
ruhig angesehen werden könne? Ohne Zweifel wird
man sagen: als ruhig; weil ihm alle vorherige Be-
wegung genommen worden, nachdem er diesen Punkt
erreicht hat, und hernach eine gleichmäßige Bewegung
zurück allererst folgen soll, folglich noch nicht da
ist; der Mangel aber der Bewegung, wird man hinzu-
setzen, ist Ruhe. Aber in dem ersteren Falle einer
angenommenen gleichförmigen Bewegung konnte die
Bewegung BA auch 'nicht anders eintreten, als da-
20 durch, daß vorher die Bewegung AB aufgehört hatte
und die von B nach A noch nicht war, folglich, daß
in B ein Mangel aller Bewegung, und, nach der ge-
wöhnlichen Erklärung, Ruhe müßte angenommen wer-
den; aber man durfte sie doch nicht annehmen, weil
bei einer gegebenen Geschwindigkeit kein Körper in
einem Punkte seiner gleichförmigen Bewegung als
ruhend gedacht werden muß. Worauf beruht denn
im zweiten Falle die Anmaßung des Begriffs der Ruhe,
da doch dieses Steigen und Fallen gleichfalls nur
30 durch einen Augenblick voneinander getrennt wird?
Der Grund davon liegt darin, daß die letztere Be-
wegung nicht als gleichförmig mit gegebener Ge-
schwindigkeit gedacht wird, sondern zuerst als gleich-
förmig verzögert und hernach als gleichförmig be-
schleunigt, so doch, daß die Geschwindigkeit im Punkte
B nicht gänzlich, sondern nur bis zu einem Grad
verzögert werdet), der kleiner ist, als jede nur an-
zugebende Geschwindigkeit, mit welcher, wenn, an-
a) Höfler Ak. Ausg. „steige''.
b) „verzögert werde" fehlt in A' A" A'" Zusatz Harten-
stein.
1. Hauptstück. Phoronomie. 213
statt zurückzufallen, die Linie seines Falles BA in
die Richtung Ba gestellet, mithin der Körper immer
noch als steigend betrachtet würde, er, als mit einem
bloßen Moment der Geschwindigkeit (der Widerstand
der Schwere wird alsdenn beiseite gesetzt), in jeder
noch so großen anzugebenden Zeit gleichförmig, doch
nur einen Raum, der kleiner ist, als jeder anzugebende
Raum, zurücklegen, mithin seinen Ort (für irgendeine
mögliche Erfahrung) in alle Ewigkeit gar nicht ver-
ändern würde. Folglich wird er in den Zustand einer 10
daurenden Gegenwart an demselben Orte, d. i. der
Ruhe, versetzt, ob sie gleich wegen der kontinuier-
lichen Einwirkung der Schwere, d. i. der Verände-
rung dieses Zustandes, sofort aufgehoben wird. In
einem beharrlichen Zustande sein und darin be-
harren (wenn nichts anderes ihn verrückt), sind zwei
verschiedene Begriffe, deren einer dem anderen keinen
Abbruch tut. Also kann die Ruhe nicht durch den
Mangel der Bewegung, der sich, als = o, gar nicht
konstruieren läßt, sondern muß durch die beharrliche 20
Gegenwart an demselben Orte erklärt werden, da denn
dieser Begriff auch durch "die Vorstellung einer Be-
wegung mit unendlich kleiner Geschwindigkeit, eine
endliche Zeit hindurch, konstruiert, mithin zu nach-
heriger Anwendung der Mathematik auf Naturwissen-
schaft genutzt werden kann.
Erklärung 4.
Den Begriff einer zusammengesetzten Be-
wegung konstruieren, heißt eine Bewegung, so-
fern sie aus zweien oder mehreren gegebenen in 30
einem Beweglichen vereinigt entspringt, a priori in
der Anschauung darstellen.
Anmerkung.
Zur Konstruktion der Begriffe wird erfodert: daß
die Bedingung ihrer Darstellung nicht von der Er-
fahrung entlehnt sei, also auch nicht gewisse Kräfte
voraussetze, deren Existenz nur von der Erfahrung
214 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
abgeleitet werden kann, oder überhaupt, daß die Be-
dingung der Konstruktion nicht selbst ein Begriff sein
müsse, der gar nicht a priori in der Anschauung ge-
geben werden kann, wie z. B. der von Ursache und
Wirkung, Handlung und Widerstand etc. Hier ist nun
vorzüglich zu bemerken, daß Phoronomie durchaus
zuerst Konstruktion der Bewegungen überhaupt als
Größen, und, da sie die Materie bloß als etwas
Bewegliches, mithin an welchem gar auf keine
10 Größe derselben Rücksicht genommen wird, zum
Gegenstande hat, diese Bewegungen allein als Größen,
sowohl ihrer Geschwindigkeit als Richtung nach, und
zwar ihrer Zusammensetzung nach a 'priori zu be-
stimmen habe. Denn soviel muß gänzlich a priori
und zwar anschauend zum Behuf der angewandten-
Mathematik ausgemacht werden. Denn die Regeln
der Verknüpfung der Bewegungen durch physische
Ursachen, d. i. Kräfte, lassen sich, ehe die Grund-
sätze ihrer Zusammensetzung überhaupt vorher rein
20 mathematisch zugrunde gelegt worden, niemals gründ-
lich vortragen.
Grundsatz 1.
Eine jede Bewegung als Gegenstand einer mög-
lichen Erfahrung, kann nach Belieben als Bewegung
des Körpers in einem ruhigen Räume, oder als Ruhe
des Körpers und dagegen Bewegung des Raumes
in entgegengesetzter Richtung mit gleicher Ge-
schwindigkeit angesehen werden.
Anmerkung.
30 Von der Bewegung eines Körpers eine Erfahrung
zu machen, dazu wird erfodert, daß nicht allein der
Körper, sondern auch der Raum, darin er sich be-
wegt, Gegenstände der äußern Erfahrung, mithin
materiell sein. Eine absolute Bewegung also, d. i.
in Beziehung auf einen nicht materiellen Raum, ist
gar keiner Erfahrung fähig und für uns also nichts
(wenn man gleich einräumen wollte, der absolute
Raum sei an sich etwas). Aber auch in aller rela-
1. Hauptstück. Phoronomie. 215
tiven Bewegung kann der Raum selbst, weil er als
materiell angenommen wird, wiederum als ruhig oder
bewegt vorgestellt werden. Das erstere geschieht,
wenn mir über den Raum, in Beziehung auf welchen
ich einen Körper als bewegt ansehe, kein mehr er-
weiterter und ihn einschließender gegeben ist (wie
wenn ich in der Kajüte eines Schiffs eine Kugel auf
dem Tische bewegt sehe); das zweite, wenn mir über
diesen Raum hinaus noch ein anderer Raum, der ihn
einschließt (wie im genannten Falle das Ufer des 10
Flusses), gegeben ist, da ich denn in Ansehung d^es
letzteren den nächsten Raum (die Kajüte) als bewegt
und den Körper selbst allenfalls als ruhig ansehen
kann. Da es nun schlechterdings unmöglich ist, von
einem empirisch gegebenen Räume, wie erweitert er
auch sei, auszumachen, ob er nicht in Ansehung eines
in einem noch größeren Umfange ihn einschließenden
Raumes selbst wiederum bewegt sei oder nicht, so
muß es aller Erfahrung und jeder Folge aus der
Erfahrung völlig einerlei sein, ob ich einen Körper ^0
als bewegt oder ihn als ruhig, den Raum aber in
entgegengesetzter Richtung mit gleicher Geschwindig-
keit bewegt ansehen will. Noch mehr: da der absolute
Raum für alle mögliche Erfahrung nichts ist, so sind
auch die Begriffe einerlei, ob ich sage: ein Körper
bewegt sich in Ansehung dieses gegebenen Raumes
in dieser Richtung mit dieser Geschwindigkeit, oder
ob ich ihn mir als ruhig denken, und dem Raum
alles dieses, aber in entgegengesetzter Richtung, bei-
legen will. Denn ein jeder Begriff ist mit demjenigen, 30
von dessen Unterschiede vom erst-eren gar kein Bei-
spiel möglich "ist, völlig einerlei und nur in Beziehung
auf die Verknüpfung, die wir ihm im Verstände geben
wollen, verschieden.
Auch sind wir gar nicht imstande, in irgendeiner
Erfahrung einen festen Punkt anzugeben, in Beziehung
auf welchen, was Bewegung und Ruhe absolut heißen
sollte, bestimmt würde; denn alles, was uns auf die
Art gegeben wird, ist materiell, also auch beweglich,
und (da wir im Räume keine äußerste Grenze mög- 40
lieber Erfahrung kennen) vielleicht auch wirklich be-
wegt, ohne daß wir diese Bewegung woran wahr-
216 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
nehmen können. — Von dieser Bewegung eines Kör-
pers im empirischen Räume kann ich nun einen Teil
der gegebenen Geschwindigkeit dem Körper, den
andern dem Räume, aber in entgegengesetzter Rich-
tung, geben, und die ganze mögliche Erfahrung in
Ansehung der Folgen dieser zwei verbundenen Be-
wegungen ist völlig einerlei mit derjenigen, da ich
den Körper mit der ganzen Geschwindigkeit allein
bewegt, oder ihn als ruhig und den Raum mit der-
10 selben Geschwindigkeit in entgegengesetzter Richtung
bewegt denke. Ich nehme hier aber alle Be-
wegungen als ^eradlinicht an. Denn was die
krummlinichte betrifft, da es nicht in allen Stücken
einerlei ist, ob ich den Körper (z. B. die Erde in
ihrer täglichen Umdrehung) als bewegt, und den um-
gebenden Raum (den bestirnten Himmel) als ruhig,
oder diesen als bewegt und jenen als ruhig anzusehen
befugt bin, davon wird in der Folge besonders ge-
handelt werden. In der Phoronomie also, wo ich die
20 Bewegung eines Körpers nur mit dem Räume (auf
dessen Ruhe oder Bewegung jener gar keinen Ein-
fluß hat) in Verhältnis betrachte, ist es an sich ganz
unbestimmt und beliebig, ob und wieviel ich Ge-
schwindigkeit dem einen oder dem andern von der
gegebenen Bewegung beilegen will; künftig in der
Mechanik, da ein bewegter Körper in wirksamer Be-
ziehung auf andere Körper im Räume seiner Be-
wegung betrachtet werden soll, wird dieses nicht
mehr so völlig einerlei sein, wie es an seinem Orte
30 gezeigt werden soll.
Erklärung 5.
Die Zusammensetzung der Bewegung ist
die Vorstellung der Bewegung eines Punkts als
einerlei mit zweien oder mehreren Bewegungen
desselben zusammen verbunden.
Anmerkung.
In der Phoronomie, da ich die Materie durch keine
andere Eigenschaft, als ihre Beweglichkeit kenne, mit-
hin sie selbst nur als einen Punkt betrachten darf.
1, Hauptstück. Phoronomie. 217
kann die Bewegung nur als Beschreibung eines
Raumes betrachtet werden, doch so, daß ich nicht
bloß, wie in der Geometrie, auf den Raum, der be-
schrieben wird, sondern auch auf die Zeit darin, mit-
hin auf die Geschwindigkeit, womit ein Punkt den
Raum beschreibt, acht habe. Phoronomie ist also die
reine Größenlehre (mathesis) der Bewegungen. Der
bestimmte Begriff von einer Größe ist der Begriff
der Erzeugung der Vorstellung eines Gegenstandes
durch die Zusammensetzung des Gleichartigen. Da 10
nun der Bewegung nichts gleichartig ist, als wiederum
Bewegung, so ist die Phoronomie eine Lehre der Zu-
sammensetzung der Bewegungen ebendesselben Punkts
nach ihrer Richtung und Geschwindigkeit, d. i. die
Vorstellung einer einzigen Bewegung als einer solchen,
die zwei und so mehrere Bewegungen zugleich in sich
enthält, oder zweier Bewegungen ebendesselben Punkts
zugleich, soferne sie zusammen eine ausmachen, d. i.
mit dieser einerlei sind, und nicht etwa sofern sie die
letztere, als Ursachen ihre Wirkung, hervorbringen. 20
Um die Bewegung zu finden, die aus der Zusammen-
setzung von mehreren, so viel man will, entspringt,
darf man nur, wie bei aller Größenerzeugung, zuerst
diejenige suchen, die unter gegebenen Bedingungen
aus zweien zusammengesetzt ist; darauf diese mit
einer dritten verbinden a) usw. Folglich läßt die Lehre
der Zusammensetzung aller Bewegungen sich auf die
von zweien zurückführen. Zwei Bewegungen aber
eines und desselben Punkts, die zugleich an dem-
selben angetroffen werden, können auf zwiefache Weise 30
untCTSchieden sein, und als solche auf dreifache Art
an ihm verbunden werden. Erstlich geschehen sie
entweder in einer und derselben Linie, oder in
verschiedenen Linien zugleich; die letztere sind
Bewegungen, die einen Winkel einschließen. Die, so
in einer und derselben Linie geschehen, sind nun
der Richtung nach entweder einander entgegen-
gesetzt, oder halten einerlei Richtung. Da alle
diese Bewegungen als zugleich geschehend betrachtet
werden, so ergibt sich aus dem Verhältnis der Linien, 40
a) „verbunden" A' A" A'" korr. Höfler Ak. Ausg-.
218 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
d. i. der beschriebenen Räume der Bewegung, in
gleicher Zeit, sofort auch das Verhältnis der Ge-
schwindigkeit. Also sind der Fälle drei: 1. Da zwei
Bewegungen (sie mögen von gleichen oder un-
gleichen Geschwindigkeiten sein), in einem Körper
in derselben Richtung verbunden, eine daraus zu-
sammengesetzte Bewegung ausmachen sollen. 2. Da
zwei Bewegungen desselben Punkts (von gleicher
oder ungleicher Geschwindigkeit) in entgegengesetzter
10 Richtung verbunden durch ihre Zusammensetzung eine
dritte Bewegung in derselben Linie ausmachen sollen.
3. Da zwei Bewegungen eines Punkts, mit gleichen
oder ungleichen Geschwindigkeiten, aber in verschie-
denen Linien, die einen Winkel einschließen, als zu-
sammengesetzt betrachtet werden.
Lehrsatz 1.
Die Zusammensetzung zweier Bewegungen eines
und desselben Punkts kann nur dadurch gedacht
werden, daß die eine derselben im absoluten Räume,
20 statt der anderen aber eine, mit der gleichen Ge-
schwindigkeit in entgegengesetzter Richtung ge-
schehende Bewegung des relativen Raums, als mit
derselben einerlei, vorgestellt wird.
Beweis.
Erster Fall. Da zwei Bewegungen in eben-
derselben Linie und Richtung einem und dem-
selben Punkte zugleich zukommen.
&
Es sollen in einer Gesch\vindigkeit der Bewegung
zwei Geschwindigkeiten AB und ab als enthalten vor-
30 gestellt werden. Man nehme diese Geschwindigkeiten
1. Hauptstück. Phoronomie. 219
für diesmal als gleich an, so daß AB = ah ist, so sage
ich, sie können in einem und demselben Raum (dem
absoluten oder dem relativen) an demselben Punkte
nicht zugleich vorgestellt werden. Denn weil die
Linien AB und ab, welche die Geschwindigkeiten be-
zeichnen, eigentlich die Räume sind, welche sie in
gleichen Zeiten durchlaufen, so würde die Zusammen-
setzung dieser Räume AB und ab = BC, mithin die
Linie AC, als die Summe der Räume, die Summe
beider Geschwindigkeiten ausdrücken müssen. Aber 10
die Teile AB und BC stellen, jeder für sich, nicht
die Geschwindigkeit = a& vor; denn sie werden nicht
in gleicher Zeit wie ab zurückgelegt. Also stellt auch
die doppelte Linie AC, die in derselben Zeit zurück-
gelegt wird, wie die Linie ab, nicht die zwiefache
Geschwindigkeit der letztern vor, welches doch ver-
langt wurde. Also läßt sich die Zusammensetzung
zweier Geschwindigkeiten in einer Richtung in dem-
selben Räume nicht anschaulich darstellen.
Dageg-en, wenn der Körper A mit der Geschwindig- 20
keit AB im absoluten Räume als bewegt vorgestellt
wird, und ich gebe überdem dem relativen Räume
eine Geschwindigkeit ab = AB in entgegengesetzter
Richtung ba = CB, so ist dieses ebendasselbe, als ob
ich die letztere Geschwindigkeit dem Körper in der
Richtung AB erteilt hätte (Grundsatz 1). Der Kör-
per bewegt sich aber alsdenn in derselben Zeit durch
die Summe der Linien AB und BC = 2 ab, in welcher
er die Linie ab = AB allein würde zurückgelegt haben,
und seine Geschwindigkeit ist doch als die Summe 30
der zweien gleichen Geschwindigkeiten AB und ab
vorgestellt, welches das ist, was verlangt wurde.
Zweiter Fall. Da zwei Bewegungen in gerade
entgegengesetzten Richtungen an einem und
demselben Punkte sollen verbunden werden.
Es sei AB die eine dieser Bewegungen und AC
die andere in entgegengesetzter Richtung, deren Ge-
schwindigkeit wir hier der ersten gleich annehmen
220 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft,
wollen; so würde der Gedanke selbst, zwei solche
Bewegungen in einem und demselben Räume an eben-
demselben Punkte als zugleich vorzustellen, mithin der
Fall einer solchen Zusammensetzung der Bewegungen
selbst unmöglich sein, welches der Voraussetzung zu-
wider ist.
Dagegen denket euch die Bewegung AB im abso-
luten Räume, statt der Bewegung AC aber in dem-
selben absoluten Räume die entgegengesetzte CA des
10 relativen Raumes mit ebenderselben Geschwindigkeit,
die (nach Grundsatz 1) der Bewegung AC völlig gleich
gilt und also gänzlich an die Stelle derselben gesetzt
werden kann; so lassen sich zwei gerade entgegen-
gesetzte und gleiche Bewegungen desselben Punkts
zu gleicher Zeit gar wohl darstellen. Weil nun der
relative Raum mit derselben Geschwindigkeit CA = AB
in derselben Richtung mit dem Punkte A bewegt ist,
so verändert dieser Punkt, oder der in ihm befind-
liche Körper, in Ansehung des relativen Raumes seinen
20 Ort nicht, d. i. ein Körper, der nach zwei einander
gerade entgegengesetzten Richtungen mit gleicher
Geschwindigkeit bewegt wird, ruhet, oder allgemein
ausgedrückt: seine Bewegung ist der Differenz der
Geschwindigkeiten in der Richtung der größeren
gleich (welches sich aus dem Bewiesenen leicht fol-
gern läßt).
Dritter Fall. Da zwei Bewegungen ebendesselben
Punkts, nach Richtungen, die einen Winkel ein-
schließen, verbunden vorgestellt werden.
1. Hauptstück. PLoronomie. 221
Die zwei gegebenen Bewegungen sind AB und
ÄC, deren Geschwindigkeit und Eichtungen durch
diese Linien, der Winkel aber, den die letztere ein-
schließen, durch BÄC ausgedrückt wird (er mag,
wie hier, ein rechter, aber auch ein jeder beliebiger
schiefer Winkel sein). Wenn nun diese zwei Be-
wegungen zugleich in den Richtungen AB und ÄC,
und zwar in einem und demselben Räume geschehen
sollen, so würdena) sie doch nicht in diesen beiden
Linien AB und AC zugleich geschehen können, son- 10
dern nur in Linien, die diesen parallel laufen. Es
würde also angenommen werden müssen: daß eine
dieser Bewegungen in der anderen eine Veränderung
(nämlich die Abbringung von der gegebenen Bahn)
wirkte, wenngleich beiderseits Richtungen dieselbe
blieben. Dieses ist aber der Voraussetzung des Lehr-
satzes zuwider, welche unter dem Worte Zusammen-
setzung andeutet, daß beide gegebene Bewegungen in
einer dritten enthalten, mithin mit dieser einerlei
sein, und nicht daß, indem eine die andere ver- 20
ändert, sie eine dritte hervorbringen.
Dagegen nehme man die Bewegung AC als im
absoluten Räume vor sich gehend an, anstatt der Be-
wegung AB aber die Bewegung des relativen Raumes
in entgegengesetzter Richtung. Die Linie AC sei in
drei gleiche Teile ÄE, EF, FC geteilt. Während
daß nun der Körper Ä im absoluten Räume die Linie
ÄE durchläuft, durchläuft der relative Raum, und
mit ihm der Punkt E, den Raum Ee==MÄ; während
daß der Körper die zwei Teile zusammen = AF durch- 30
läuft, beschreibt der relative Raum und mit ihm der
Punkt F, die Linie Ff = NA; während daß der Körper
endlich die ganze Linie AC durchläuft, so beschreibt
derb) Raum, und mit ihm der Punkt C, die Linie
Cc = BA; welches alles ebendasselbe ist, als ob der
Körper Ä in diesen drei Zeitteilen die Linien Em,
Fn und CD = AM, AN, AB, und in der ganzen Zeit,
darin er AC durchläuft, die Linie CD = AB durch-
laufen hätte. Also ist er im letzten Augenblicke im
a) „würde" A' A" korr. A'".
b) Hartenstein „der relative Raum".
222 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
Punkte D und in dieser ganzen Zeit nach und nach
in allen Punkten der Diagonallinie AD, welche also
sowohl die Richtung, als Geschwindigkeit der zu-
sammengesetzten Bewegung ausdrückt. —
Anmerkung 1.
Die geometrische Konstruktion erfodert, daß
eine Größe mit der andern, oder zwei Größen in der
Zusammensetzung mit einer dritten einerlei sein,
nicht daß sie als Ursachen die dritte hervorbringen,-
10 welches die mechanische Konstruktion sein würde. Die
völlige Ähnlichkeit und Gleichheit, sofern sie nur in
der Anschauung erkannt werden kann, ist die Kon-
gruenz. Alle geometrische Konstruktion der völligen
Identität beruht auf Kongruenz. Diese Kongruenz
zweier zusammenverbundenen Bewegungen mit einer
dritten (als dem motu co)nposito selbst) kann nun
niem^als Statt haben, wenn jene beide in einem und
demselben Räume, z. B. dem relativen, vorgestellt
werden. Daher sind alle Versuche, obigen Lehrsatz
20 in seinen drei Fällen zu beweisen, immer nur mecha-
nische Auflösungen gewesen, da man nämlich be-
wegende Ursachen, durch die eine gegebene Bewegung,
mit einer andern verbunden, eine dritte hervorbringen
ließ, nicht aber Beweise, daß jene mit dieser einerlei
sind und sich, als solche, in der reinen Anschauung
a jyriori darstellen lassen.
Anmerkung 2.
Wenn z. B. eine Geschwindigkeit AB doppelt ge-
nannt wird, so kann darunter nichts anders verstanden
30 werden, als daß sie aus zwei einfachen und gleichen
AB und BC (siehe Fig. 1) bestehe. Erklärt man
aber eine doppelte Gesch\vindigkeit dadurch, daß man
sagt: sie sei eine Bewegung, dadurch in derselben
Zeit ein doppelt so großer Raum zurückgelegt wird,
so wird hier etwas angenommen, was sich nicht von
selbst versteht, nämlich: daß sich zwei gleiche Ge-
schwindigkeiten ebenso verbinden lassen, als zwei
gleiche Räume, und es ist nicht für sich klar, daJ3
1. Hauptstück. Phoronomie. 223
eine gegebene Geschwindigkeit aus kleinern und eine
Schnelligkeit aus Langsamkeiten ebenso bestehe, wie
ein Raum aus kleineren; denn die Teile der Ge-
schwindigkeit sind nicht außerhalb einander, wie die
Teile des Raumes, und wenn jene als Größe betrachtet
werden soll, so muß der Begriff ihrer Größe, da sie
intensiv ist, auf andere Art konstruiert werden, als
der ina) der extensiven Größe des Raumes. Diese
Konstruktion ist aber auf keine andere Art möglich,
als durch die mittelbare Zusammensetzung zweier 10
gleichen Bewegungen, deren eine die des Körpers,
die andere des relativen Raumes in entgegengesetzter
Richtung, aber eben darum mit einer ihr gleichen
Bevv^egung des Körpers in der vorigen Richtung völlig
einerlei ist. Denn in derselben Richtung lassen
sich zwei gleiche Geschwindigkeiten in einem Körper
gar nicht zusammensetzen, als nur durch äußere be-
wegende Ursachen, z. B. ein Schiff, welches den
Körper mit einer dieser Geschwindigkeiten trägt, in-
dessen daß eine andere mit dem Schiffe unbeweglich 20
verbundene bewegende Kraft dem Körper die zweite,
der vorigen gleiche, Geschwindigkeit eindrückt; wo-,
bei doch immer vorausgesetzt werden muß, daß der
Körper sich mit der ersten Geschwindigkeit in freier
Bewegung erhalte, indem die zweite hinzukommt;
welches ein Naturgesetz bewegender Kräfte ist, wo-
von gar nicht die Rede sein kann, wenn die Frage
lediglich ist, wie der Begriff der Geschwindigkeit als
einet») Größe konstruieret werde. Soviel von der
Hinzutuung der Geschwindigkeiten zueinander. Wenn 30
aber von der Abziehung einer von der anderen die
Rede ist, so läßt sich zwar diese letztere leicht
denken, wenn einmal die Möglichkeit einer Ge-
schwindigkeit als Größe durch Hinzutuung eingeräumt
worden, aber jener Begriff läßt sich nicht so leicht»
konstruieren. Denn zu dem Ende müssen zwei ent-
gegengesetzte Bewegungen in einem Körper verbunden
werden; aber wie soll dieses geschehen? Unmittelbar,
d. i. in Ansehung ebendesselben ruhenden Raumes ist
a) „der der intensiven Größe" Ak. Ansg. Höfler.
b) „einer" Höfler Ak. Ausg.
224 Metaphysische Anfangsgründe der Natunnsseuschaft.
es unmöglich, sich zwei gleiche Bewegungen in ent-
gegengesetzter Richtung an demselben Körper zu
denken; aber die Vorstellung der Unmöglichkeit
dieser beiden Bewegungen in einem Körper ist nicht
der Begriff von der Ruhe desselben, sondern der
Unmöglichkeit der Konstruktion dieser Zu-
sammensetzung entgegengesetzter Bewegungen, die
doch im Lehrsatz als möglich angenommen wird.
Diese Konstruktion ist aber nicht anders möglich,
lu als durch die Verbindung der Bewegung des Kör-
pers mit der Bewegung des Raums, wie gewiesen
worden. Endlich, was die Zusammensetzung zweier
Bewegungen, deren Richtung einen Winkel ein-
schließt, betrifft, so läßt sie sich an dem Körper, in
Beziehung auf einen und denselben Raum, gleichfalls
nicht denken, wenn man nicht gar eine derselben
durch äußere kontinuierlich einfließende Kraft
(z. E, ein den Körper forttragendes Fahrzeug) ge-
wirkt, die andern als sich selbst hiebei unverändert
20 erhaltend annimmt, oder überhaupt: man muß be-
wegende Kräfte und Erzeugung einer dritten Be-
wegung aus zwei vereinigten Kräften zum Grunde
legen, welches zwar die mechanische Ausführung
dessen, was ein Begriff enthält, aber nicht die«
mathematische Konstruktion derselben ist, die
nur anschaulich machen soll, was das Objekt (als
Quantum) sei, nicht, wie es durch Natur oder Kunst
vermittelst gewisser Werkzeuge und Kräfte hervor-
gebracht werden könne. — Die Zusammensetzung
30 der Bewegungen, um ihr Verhältnis zu andern als
Größe zu bestimmen, muß nach den Regeln der Kon-
gruenz geschehen, welches in allen dreien Fällen nur
vermittelst der Bewegung des Raums, die mit einer
der zwei gegebenen Bewegungen kongruiert, und da-
durch beide mit der zusammengesetzten kongruieren,
möglich ist.
Anmerkung 3.
Phoronomie, nicht als reine Bewegungslehre, son-
dern bloß als reine Größenlehre der Bewegung, in
40 welcher die Materie nach keiner Eigenschaft mehr,
1. Hauptstück. Phoronomie. 225
als der bloßen Beweglichkeit gedacht wird, enthält
also nichts mehr, als bloß diesen einzigen, durch die
angeführte drei Fälle geführten Lehrsatz von der
Zusammensetzung der Bewegung, und zwar von der
Möglichkeit der geradlinichten Bewegung allein,
nicht der krummlinichten. Denn weil in dieser die
Bewegung kontinuierlich (der Richtung nach) ver-
ändert wird, so muß eine Ursache dieser Verände-
rung, welche nun nicht der bloße Raum sein kann,
herbeigezogen werden. Daß man aber gewöhnlich 10
unter der Benennung der zusammengesetzten
Bewegung nur den einzigen Fall, da die Rich-
tungen derselben einen Winkel einschließen, ver-
stand, dadurch ward zwar wohl eben nicht der
Physik, wohl aber dem Prinzip der Einteilung einer
reinen philosophischen Wissenschaft überhaupt
einiger Abbruch getan. Denn was die erstere be-
trifft, so lassen sich alle im obigen Lehrsatze
behandelte drei Fälle im dritten allein hin-
reichend darstellen. Denn wenn der Winkel, den 20
die zwei gegebenen Bewegungen einschließen, als
unendlich klein gedacht wird, so enthält er den
ersten; wird er aber als von einer einzigen ge-
raden Linie nur unendlich wenig unterschieden vor-
gestellt, so enthält er den zweiten Fall; so daß sich
freilich in dem bekannten Lehrsatze der zusammen-
gesetzten Bewegung alle drei von uns genannte Fälle,
als in einer allgemeinen Formel, geben lassen. Man
konnte aber auf diese Art nicht wohl die Größen-
lehre der Bewegung nach ihren Teilen a priori ein- 30
sehen lernen, welches in mancher Absicht auch seinen
Nutzen hat.
Hat jemand Lust, die gedachten drei Teile des
allgemeinen phoronomischen Lehrsatzes an das Schema
der Einteilung aller reinen Verstandesbegriffe, nament-
lich hier der des Begriffs der Größe zu halten, so
wird er bemerken: daß, da der Begriff einer Größe
jederzeit den der Zusammensetzung des Gleichartigen
enthält, die Lehre der Zusammensetzung der Be-
wegungen zugleich die reine Größenlehre derselben 40
sei, und zwar nach allen drei Momenten, die der
Raum an die Hand gibt, der Einheit der Linie und
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I. 15
226 Metaphysische Anfangsgründe der Xaturwissenschaft.
Richtung, der Vielheit der Richtungen in einer und
derselben Linie, endlich der Allheit der Richtungen
sowohl, als der Linien, nach denen die Bewegung
geschehen mag, welches die Bestimmung aller mög-
lichen Bewegung als eines Quantum enthält, wie-
wohl die Quantität derselben (an einem beweglichen
Punkte) bloß in der Geschwindigkeit besteht. Diese
Bemerkung hat nur in der Transzendentalphilosophie
ihren Nutzen.
Zweites Hauptstück. a)
Metaphysische Anfangsgründe
der
Dynamik.
Erklärung 1.
Materie ist das Bewegliche, sofern es einen
Raum erfüllt. Einen Raum erfüllen, heißt
allem Beweglichen ■widerstehen, das durch seine
Bewegung in einen gewissen Raum einzudringen
bestrebt ist. Ein Raum der nicht erfüllt ist, ist 10
ein leerer Raum,
Anmerkung.
Dieses ist nun die dynamische Erklärung des Be-
griffs der Materie. Sie setzt die phoronomische voraus,
aber tut eine Eigenschaft hinzu, die sich als Ursache
auf eine Wirkung bezieht, nämUch das Vermögen,
einer Bewegung innerhalb eines gewissen Raumes zu
widerstehen, wovon in der vorhergehenden Wissen-
schaft gar nicht die Rede sein mußte, selbst nicht,
wenn man es mit Bewegungen eines und desselben
Punktes in entgegengesetzten Richtungen zu tun 20
a) Zweites Hauptstück der Metaphysischen usw. A'A"A"'.
15*
228 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
hatte. Diese Erfüllung des Raums hält einen ge-
wissen Raum von dem Eindringen irgendeines anderen
beweglichen frei, wenn seine Bewegung auf irgend-
einen Ort in diesem Räume hingerichtet ist. Worauf
nun der nach allen Seiten gerichtete Widerstand der
Materie beruhe, und was er sei, muß noch untersucht
werden. Soviel sieht man aber schon aus der obigen
Erklärung: daß die Materie hier nicht so betrachtet
wird, wie sie widersteht, wenn sie aus ihrem Orte
10 getrieben und also selbst bewegt werden soll (dieser
Fall wird künftig, als mechanischer Widerstand, noch
in Erwägung kommen), sondern wenn bloß der Raum
ihrer eigenen Ausdehnung verringert werden soll.
Man bedient sich des Worts: einen Raum einnehmen,
d. i. in allen Punkten desselben unmittelbar gegen-
wärtig sein, um die Ausdehnung eines Dinges im
Räume dadurch zu bezeichnen. Weil aber in diesem
Begriffe nicht bestimmt ist, welche Wirkung, oder
ob gar überall eine Wirkung aus dieser Gegenwart
20 entspringe, ob andern zu widerstehen, die hineinzu-
dringen bestrebt sein, oder ob es bloß einen Raum
ohne Materie bedeute, sofern er ein Inbegriff mehrerer
Räume ist, wie man von jeder geometrischen Figur
sagen kann: sie nimmt einen Raum ein (sie ist aus-
gedehnt), oder ob wohl gar im Räume etwas sei, was
ein anderes Bewegliche nötigt, tiefer in denselben
einzudringen (andere anzieht); weil, sage ich, durch
den Begriff des Einnehmens eines Raumes dieses alles
unbestimmt ist, so ist: einen Raum erfüllen, eine
30 nähere Bestimmung des Begriffs: einen Raum ein-
nehmen.
Lehrsatz 1.
Die Materie erfüllt einen Kaum, nicht durch
ihre bloße Existenz, sondern durch eine be-
sondere bewegende Kraft.
Beweis.
Das Eindringen in einen Raum (im Anfangsaugen-
blicke heißt solches die Bestrebung, einzudringen) ist
eine Bewegung. Der Widerstand gegen Bewegung
II. Hauptstück. Dynamik. 229
ist die Ursache der Verminderung, oder auch Ver-
änderung derselben in Ruhe. Nun kann mit keiner
Bewegung etwas verbunden werden, was sie ver-
mindert oder aufhebt, als eine andere Bewegung eben-
desselben Beweglichen in entgegengesetzter Richtung
(Phoron. Lehrs.). Also ist der Widerstand, den eine
Materie in dem Raum, den sie erfüllt, allem Ein-
dringen anderer leistet, eine Ursache der Bewegung
der letzteren in entgegengesetzter Richtung. Die Ur-
sache einer Bewegung heißt aber bewegende Kraft. 10
Also erfüllet die Materie ihren Raum durch bewegende
Kraft, und nicht durch ihre bloße Existenz.
Anmerkung.
Lambert und andere nannten die Eigenschaft der
Materie, da sie einen Raum erfüllt, die Solidität (ein
ziemlich vieldeutiger Ausdruck) und wollen, man müsse
sie an jedem Dinge, was existiert (Substanz), an-
nehmen, wenigstens in der äußeren Sinnenwelt. Nach
ihren Begriffen müßte die Anwesenheit von etwas
Reellem im Räume diesen Widerstand schon durch 20
seinen Begriff, mithin nach dem Satze des Wider-
spruchs bei sich führen und es machen, daß nichts
anderes in dem Räume der Anwesenheit eines solchen
Dinges zugleich sein, könne. Allein der Satz des
Widerspruchs treibt keine Materie zurück, welche an-
rückt, um in einen Raum einzudringen, in welchem
eine andere anzutreffen ist. Nur alsdann, wenn ich
dem, was einen Raum einnimmt, eine Kraft beilege,
alles äußere Bewegliche, welches sich annähert, zurück-
zutreiben, verstehe ich, wie es einen Widerspruch ent- 30
halte, daß in den Raum, den ein Ding einnimmt, noch
ein anderes von derselben Art eindringe. Hier hat
der Mathematiker etwas als ein erstes Datum der
Konstruktion des Begriffs einer Materie, welches sich
selbst nicht weiter konstruieren lasse, angenommen.
Nun kann er zwar von jedem beliebigen Dato seine
Konstruktion eines Begriffs anfangen, ohne sich
darauf einzulassen, dieses Datum auch wiederum zu
erklären; darum aber ist er doch nicht befugt, jenes
230 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
für etwas aller mathematischen Konstruktion ganz
Unfähiges zu erklären, um dadurch das Zurückgehen
zu den ersten Prinzipien in der Naturwissenschaft zu
hemmen.
Erklärung 2.
Anziehungskraft ist diejenige bewegende
Kraft, wodurch eine Materie die Ursache der An-
näherung anderer zu ihr sein kann (oder, welches
einerlei ist, dadurch sie der Entfernung anderer
10 von ihr widersteht).
Zurückstoßungskraft ist diejenige, wodurch
eine Materie Ursache sein kann, andere von sich
zu entfernen (oder, welches einerlei ist, wodurch
sie der Annäherung anderer zu ihr widersteht).
Die letztere werden wir auch zuweilen treibende,
so wie die erstere ziehende Kräfte "") nennen.
Zusatz.
Es lassen sich nur diese zwei bewegende Kräfte
der Materie denken. Denn alle Bewegung, die eine
20 Materie einer anderen eindrücken kann, da in dieser
Rücksicht jede derselben nur wie ein Punkt betrachtet
wird, muß jederzeit als in der geraden Linie zwischen
zweien Punkten erteilt angesehen werden. In dieser
geraden Linie aber sind nur zweierlei Bewegungen
möglich: die eine, dadurch sich jene Punkte vonein-
ander entfernen, die zweite, dadurch sie sich ein-
ander nähern. Die Kraft aber, die die Ursache der
ersteren Bewegung ist, heißt Zurückstoßungs-
und die der zweiten Anziehungskraft. Also
30 können nur diese zwei Arten von Kräften, als
solche, worauf alle Bewegungskräfte in der mate-
riellen Natur zurückgeführt werden müssen, ge-
dacht werden.
a) „Kraft" Höfler Ak. Ausg.
II. Hauptstück. Dynamik. 231
Lehrsatz 2.
Die Materie erfüllet ihre Räume durch repulsive
Kräfte aller ihrer Teile, d. i. durch eine ihr eigene
Ausdehnungskraft, die einen bestimmten Grad hat,
über den kleinere oder größere ins Unendliche
können gedacht werden.
Beweis.
Die Materie erfüllet einen Raum nur durch be-
wegende Kraft (Lehrs. l)a), und zwar eine solche,
die dem Eindringen anderer, d. i. der Annäherung 10
widersteht. Nun ist diese eine zurückstoi3ende Kraft.
(Erklärung 2.) Also erfüllet die Materie ihren Raum
nur durch zurückstoßende Kräfte, und zwar aller
ihrer Teile, weil sonst ein Teil ihres Raums (wider
die Voraussetzung) nicht erfüllet, sondern nur ein-
geschlossen sein würde. Die Kraft aber eines
Ausgedehnten vermöge der Zurückstoßung
aller seiner Teile ist eine Ausdehnungskraft
(expansive). Also erfüllet die Materie ihren Raum
nur durch eine ihr eigene Ausdehnungskraft; wel- 20
ches das er|ste war. Über jede gegebene Kraft
muß eine größere gedacht werden können; denn
die, über welche keine größere möglich ist, würde
eine solche sein, wodurch in einer endlichen Zeit
ein unendlicher Raum zurückgelegt werden würde
(welches unmöglich ist). Es muß ferner unter jeder
gegebenen bewegenden Kraft eine kleinere gedacht
werden können (denn die kleinste würde die sein,
durch deren unendliche Hinzutuung zu sich selbst
eine jede gegebene Zeit hindurch keine endliche Ge- 30
schwindigkeit erzeugt werden könnte, welches aber
den Mangel aller bewegenden Kraft bedeutet). Also
muß unter einem jeden gegebenen Grad einer be-
wegenden Kraft immer noch ein kleinerer gegeben
werden können; welches das zweite ist. Mithin
a) Lehrsatz 2 A' A" A" korr. Höfler Ak. Ausg.
232 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
hat die Ausdehnungskraft, womit jede Materie ihren
Raum erfüllt, ihren Grad, der niemals der größte
oder kleinste ist, sondern über den ins Unendliche
sowohl größere, als kleinere können gefunden werden.
Zusatz 1.
Die expansive Kraft einer Materie nennt man auch
Elastizität. Da nun jene der Grund ist, worauf die
Erfüllung des Raumes, als eine wesentliche Eigen-
schaft aller Materie, beruht, so muß diese Elastizität
10 ursprünglich heißen; weil sie von keiner anderen
Eigenschaft der Mat-erie abgeleitet werden kann. Alle
Materie ist demnach ursprünglich elastisch.
Zusatz 2.
Weil über jede ausdehnende Kraft eine größere
bewegende Kraft gefunden werden kann, diese aber
auch jener entgegenwirken kann, wodurch sie als-
denn den Raum der letzteren verengen würde, den
diese zu erweitern trachtet, in welchem Falle die
erstere eine zusammendrückende Kraft heißen
20 würde; so muß auch für jede Materie eine zu-
sammendrückende Kraft gefunden werden können, die
sie von einem jeden Raum, den sie erfüllt, in einen
engeren Raum zu treiben vermag.
Erklärung 3.
Eine Materie durchdringt in ihrer Bewegung
eine andere, wenn sie durch Zusammendrückung
den Raum ihrer Ausdehnung völlig aufhebt.
Anmerkung.
Wenn in einem mit Luft angefüllten Stiefel einer
30 Luftpumpe der Kolben dem Boden immer näher ge-
trieben wird, so wird die Luftmat«rie zusammen-
gedrückt. Könnte nun diese Zusammendrückung so
weit getrieben werden, daß der Kolben den Boden
II. Hauptstück. Dynamik. 233
völlig berührte (ohne daß das mindeste von Luft
entwischt wäre), so würde die Luftmaterie durch-
drungen sein; denn die Materien, zwischen denen sie
ist, lassen keinen Raum für sie übrig, und sie wäre
also zwischen dem Kolben und Boden anzutreffen,
ohne doch einen Raum einzunehmen. Diese Durch-
dringlichkeit der Materie durch äußere zusammen-
drückende Kräfte, wenn jemand eine solche an-
nehmen oder auch nur denken wollte, würde die
mechanische heißen können. Ich habe Ursache, 10
durch eine solche Einschränkung diese Durchdring-
lichkeit der Materie von einer andern zu unter-
scheiden, deren Begriff vielleicht ebenso unmöglich
als der erst-ere ist, von der ich aber doch künftig
etwas anzumerken Anlaß haben möchte.
Lehrsatz 3.
Die Materie kann ins Unendliche zusammen-
gedrückt, aber niemals von einer Materie, wie
groß auch die drückende Kraft derselben sei,
durchdrungen werden. 20
Beweis.
Eine ursprüngliche Kraft, womit eine Materie sich
über einen gegebenen Raum, den sie einnimmt, aller-
wärts auszudehnen trachtet, muß, in einen kleineren
Raum eingeschlossen, größer, und in einen unendlich
kleinen Raum zusammengepreßt, unendlich sein. Nun
kann für gegebene ausdehnende Kraft der Materie
eine größere zusammendrückende gefunden werden,
die diese in einen engeren Raum zwingt, und so ins
LTnendliche; welches das erste war. Zum Durchdringen 30
der Materie aber würde eine Zusammentreibung der-
selben in einen unendlich kleinen Raum, mithin eine
unendlich zusammendrückende Kraft erfodert, welche
unmöglich ist. Also kann eine Materie durch Zu-
sammendrückung von keiner anderen durchdrungen
werden; welches das zweite ist.
234 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
Anmerkung.
Ich habe in diesem Beweise gleich zu Anfangs
angenommen, daß eine ausdehnende Kraft, je mehr
sie in die Enge getrieben worden, desto stärker ent-
gegenwirken müsse. Dieses würde nun zwar nicht
so für jede Art elastischer Kräfte, die nur abgeleitet
sind, gelten; aber bei der Materie, sofern ihr als
Materie überhaupt, die einen Raum erfüllt, wesent-
liche Elastizität zukommt, läßt sich dieses postulieren.
10 Denn expansive Kraft aus allen Punkten nach allen
Seiten hin ausgeübt, macht sogar den Begriff der-
selben aus. Ebendasselbe Quantum aber, von aus-
spannenden Kräften in einen engeren Raum gebracht,
muß in jedem Punkte desselben soviel stärker zurück-
treiben, soviel umgekehrt der Raum kleiner ist, in
welchem ein gewisses Quantum von Kraft seine Wirk-
samkeit verbreitet.
Erklärung 4.
Die Undurchdringlichkeit der Materie, die
20 auf dem Widerstände beruht, der mit den Graden
der Zusammendiückung proportionierlich wächst,
nenne ich die relative; diejenige aber, welche auf
der Voraussetzung beruht, daß die Materie, als
solche, gar keiner Zusammendrückung fähig sei,
heißt die absolute Undurchdringlichkeit. Die Er-
füllung des Raumes mit absoluter Undurchdring-
lichkeit kann die mathematische, die mit blos
relativer die dynamische Erfüllung des Raums
heiJ3en.
30 Anmerkung 1.
Nach dem bloß mathematischen Begriffe der Un-
durchdringlichkeit (der keine bewegende Kraft als ur-
sprünglich der Materie eigen voraussetzt), ist keine
Materie einer Zusammendrückung fähig, als sofern sie
leere Räume in sich enthält; mithin die Materie als
Materie widersteht allem Eindringen schlechterdings
II. Hauptstück. Dynamik. 235
und mit absoluter Notwendigkeit. Nach unserer Er-
örterung dieser Eigenschaft aber beruht die Undurch-
dringlichkeit auf einem physischen Grunde; denn die
ausdehnende Kraft macht sie selbst, als ein Aus-
gedehntes, das seinen Raum erfüllt, allererst möglich.
Da aber diese Kraft einen Grad hat, welcher über-
wältigt, mithin der Raum der Ausdehnung verringert,'
d. i. in denselben bis auf ein gewisses Maß von einer
gegebenen zusammendrückenden Kraft eingedrungen
v/erden kann, doch so, daß die gänzliche Durch- 10
dringung, weil sie eine unendliche zusammendrückende
Kraft erfodern würde, unmöglich ist, so muß die
Erfüllung des Raums nur als relative Un-
durchdringlichkeit angesehen werden.
Anmerkung 2.
Die absolute Undurchdringlichkeit ist in der Tat
nichts mehr oder weniger, als qualitas occulta. Denn
man fragt, was die Ursache sei, daß Materien ein-
ander in ihrer Bewegung nicht durchdringen können,
und bekommt die Antwort: weil sie undurchdringlich 20
sind. Die Berufung auf zurücktreibende Kraft ist
von diesem Vorwurfe frei. Denn ob diese gleich ihrer
Möglichkeit nach auch nicht weiter erklärt werden
kann, mithin als Grundkraft gelten muß, so gibt sie
doch einen Begriff von einer wirkenden Ursache und
ihren Gesetzen, nach welchen die Wirkung, nämlich
der Widerstand in dem erfülleten Raum, ihren Graden
nach geschätzt werden kann.
Erklärung 5.
Materielle Substanz ist dasjenige im Räume, 30
was für sich, d. i. abgesondert von allem anderen,
was außer ihm im Räume existiert, beweglich ist.
Die Bewegung eines Teils der Materie, dadurch sie
aufhört, ein Teil zu sein, ist die Trennung. Die
Trennung der Teile einer Materie ist die physische
Teilung.
236 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
Anmerkung.
Der Begriff einer Substanz bedeutet das letzte
Subjekt der Existenz, d. i. dasjenige, was selbst nicht
wiederum bloß als Prädikat zur Existenz eines anderen
gehört. Nun ist Materie das Subjekt alles dessen,
was im Räume zur Existenz der Dinge gezählt werden
mag; denn außer ihr würde sonst kein Subjekt ge-
dacht werden können, als der Raum selbst, welcher
aber ein Begriff ist, der noch gar nichts Existieren--
10 des, sondern bloß die notwendigen Bedingungen der
äußeren Relation möglicher Gegenstände äußerer
Sinne enthält. Also ist Materie, als das Bewegliche
im Räume, die Substanz in demselben. Aber ebenso
werden auch alle Teile derselben, sofern man von
ihnen nur sagen kann, daß sie selbst Subjekte und
nicht bloß Prädikate von anderen Materien sein,
Substanzen, mithin selbst wiederum Materie heißen
müssen. Sie sind aber selbst Subjekte, wenn sie für
sich beweglich und also auch außer der Verbindung
20 mit anderen Nebenteilen etwas im Räume Existierendes
sind. Also ist die eigene Beweglichkeit der Materie,
oder irgendeines Teils derselben, zugleich ein Beweis
dafür, daß dieses Bewegliche und ein jeder beweg-
liche Teil desselben Substanz sei.
Lehrsatz 4.
Die Materie ist ins Unendliche teilbar, und
zwar in Teile, deren jeder wiederum Materie ist.
Beweis.
Die Materie ist undurchdringlich, und zwar durch
30 ihre ursprüngliche Ausdehnungskraft (Lehrs. 3), diese
aber ist nur die Folge der repulsiven Kräfte eines
jeden Punkts in einem von Materie erfüllten Raum.
Nun ist der Raum, den die Materie erfüllet, ins Un-
endliche mathematisch teilbar, d. i. seine Teile können
ins Unendliche unterschieden, obgleich nicht bewegt,
folglich auch nicht getrennt werden (nach Beweisen
der Geometrie). In einem mit Materie erfülleten Räume
II. Hauptstück. Dynamik. 237
aber enthält jeder Teil desselben repulsive Kraft, allen
übrigen nach allen Seiten entgegenzuwirken, mithin
sie zurückzutreiben, und von ihnen ebensowohl zurück-
getrieben, d. i. zur Entfernung von demselben bewegt
zu werden. Mithin ist ein jeder Teil eines durch
Materie erfüllten Raums für sich selbst beweglich,
folglich trennbar von den übrigen, als materielle Sub-
stanz durch physische Teilung. So weit sich also
die mathematische Teilbarkeit des Raumes, den eine
Materie erfüllt, erstreckt, soweit erstreckt sich auch 10
die mögliche physische Teilung der Substanz, die ihn
erfüllt. Die mathematische Teilbarkeit aber geht ins
Unendliche, folglich auch die physische, d. i. alle Ma-
terie ist ins Unendliche teilbar, und zwar in Teile,
deren jeder selbst wiederum materielle Substanz ist.
Anmerkung 1.
Durch den Beweis der unendlichen Teilbarkeit des
Raums ist die der Materie lange noch nicht bewiesen,
wenn nicht vorher dargetan worden: daß in jedem
Teile des Raumes materielle Substanz sei, d. i. für 20
sich bewegliche Teile anzutreffen sind. Denn wollte
ein Monadist annehmen, die Materie bestände aus
physischen Punkten, deren ein jeder zwar (eben darum)
keine beweglichen Teile habe, aber dennoch durch
bloße repulsive Kraft einen Raum erfüllete, so würde
er gestehen können, daß zwar dieser Raum, aber
nicht die Substanz, die in ihm wirkt, mithin zwar
die Sphäre der Wirksamkeit der letzteren, aber nicht
das wirkende bewegliche Subjekt selbst durch die
Teilung des Raums zugleich geteilt werde. Also würde 30
er die Materie aus physisch unteilbaren Teilen zu-
sammensetzen, und sie doch auf dynamische Art
einen Raum einnehmen lassen.
Durch den obigen Beweis aber ist dem Monadisten
diese Ausflucht gänzlich benommen. Denn daraus ist
klar, daß in einem erfülleten Räume kein Punkt sein
könne, der nicht selbst nach allen Seiten Zurück-
stoßung ausübete, so wie er zurückgestoßen wird, mit-
hin als ein außer jedem anderen zurückstoßenden
Punkte befindliches gegenwirkendes Subjekt an sich 40
238 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
selbst beweglich wäre, und daß die Hypothese eines
Punkts, der durch bloße treibende Kraft, und nicht
vermittelst anderer gleichfalls zurückstoßenden Kräfte,
einen Raum erfüllete, gänzlich unmöglich sei. Um
dieses und dadurch auch den Beweis des vorhergehen-
den Lehrsatzes anschaulich zu machen, nehme man
0 " — © ©
an, A sei der Ort einer Monas im Räume, ah sei
der Durchmesser der Sphäre ihrer repulsiven Kraft,
mithin aA der Halbmesser derselben, so ist zwischen
10 a, wo dem Eindringen einer äußeren Monade in den
Raum, den jene Sphäre einnimmt, widerstanden wird,
und dem Mittelpunkte derselben A, ein Punkt c an-
zugeben möglich (laut der unendlichen Teilbarkeit des
Raumes). Wenn nun A demjenigen, was in a einzu-
dringen trachtet, widersteht, so muß auch c den bei-
den Punkten A und a widerstehen. Denn wäre dieses
nicht, so würden sie sich einander ungehindert nähern,
folglich A und a im Punkte c zusammentreffen, d. i.
der Raum würde durchdrungen werden. Also muß
20 in c etwas sein, was dem Eindringen von A und a
widersteht und also die Monas A zurücktreibt, sowie
es auch von ihr zurückgetrieben wird. Da nun
Zurücktreiben ein Bewegen ist, so ist c etwas Be-
wegliches im Raum, mithin Materie, und der Raum
zwischen A und a konnte nicht durch die Sphäre der
Wirksamkeit einer einzigen Monade angefüllt sein, also
auch nicht der Raum zwischen c und A, und so ins
Unendliche.
Wenn Mathematiker die repulsiven Kräfte der Teile
30 elastischer Materien, bei größerer oder kleinerer Zu-
sammendrückung derselben, als nach einer gewissen
Proportion ihrer Entfernungen voneinander abnehmend
oder zunehmend sich vorstellen, z. B. daß die kleinsten
Teile der Luft sich in umgekehrtem Verhältnis ihrer
Entfernungen voneinander zurücktreiben, weil die
Elastizität derselben in umgekehrtem Verhältnis der
Räume steht, darin sie zusammengedrückt werden, so
verfehlt man gänzlich ihren Sinn und mißdeutet ihre
II. Hauptstück. Dynamik. 239
Sprache, wenn man das, was zum Verfahren der Kon-
struktion eines Begriffs notwendig gehört, dem Be-
griffe im Objekt selbst beiliegt. Denn nach jenem
kann eine jede Berührung als eine unendlich kleine
Entfernung vorgestellt werden; welches in solchen
Fällen auch notwendig geschehen muß, wo ein großer
oder kleiner Raum durch ebendieselbe Quantität der
Materie, d. i. einerlei Quantum repulsiver Kräfte, als
ganz erfüllt vorgestellt werden soll. Bei einem ins
Unendliche Teilbaren darf darum dennoch keine wirk- 10
liehe Entfernung der Teile, die bei aller Erweiterung
des Raums des Ganzen immer ein Kontinuum aus-
machen, angenommen werden, obgleich die Möglich-
keit dieser Erweiterung nur unter der Idee einer un-
endlich kleinen Entfernung anschaulich gemacht wer-
den kann.
Anmerkung 2.
Die Mathematik kann zwar in ihrem inneren
Gebrauche in Ansehung der Schikane einer ver-
fehlten Metaphysik ganz gleichgültig sein, und im 20
sicheren Besitz ihrer evidenten Behauptungen von der
unendlichen Teilbarkeit des Raumes beharren,
was für Einwürfe auch eine an bloßen Begriffen
klaubende Vernünftelei dagegen auf die Bahn bringen
mag; allein in der Anwendung ihrer Sätze, die vom
Räume gelten, auf Substanz, die ihna) erfüllt, muß
sie sich doch auf Prüfung nach bloßen Begriffen,
mithin auf Metaphysik einlassen. Obiger Lehrsatz ist
schon ein Beweis davon. Denn es folgt nicht not-
wendig, daß Materie ins Unendliche physisch teilbar SO
sei, wenn sie es gleich in mathematischer Absicht
ist, wenngleich ein jeder Teil des Raums wiederum
ein Raum ist, und also immer Teile außerhalb ein-
ander in sich faßt, woferne nicht bewiesen werden
kann, daß in jedem aller möglichen Teile dieses er-
fülle ten Raumes auch Substanz sei, die folglich
auch, abgesondert von allen übrigen, als für sich
beweglich existiere. Also fehlete doch bisher dem
a) ,.sie" A' A" A'" korr. Hartenstein,
240 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
mathematischen Beweise noch etwas, ohne welches
er auf die Naturwissenschaft keine sichere Anwendung
haben konnte, und diesem Mangel ist in obstehen-
dem Lehrsatz abgeholfen worden. Was nun aber
die übrigen Angriffe der Metaphysik auf den nun-
mehro physischen Lehrsatz der unendlichen Teil-
barkeit der Materie betrifft, so muß sie der Mathema-
tiker gänzlich dem Philosophen überlassen, der ohne-
dem durch diese Einwürfe sich selbst in ein Labyrinth
10 begibt, woraus es ihm schwer wird, auch in denen
ihn unmittelbar angehenden Fragen sich herauszufin-
den, und also mit sich selbst genug zu tun hat, ohne
daß der Mathematiker sich in dieses Geschäfte dürfte
einflechten lassen. Wenn nämlich die Materie ins Un-
endliche teilbar ist, so (schließt der dogmatische
Metaphysiker) besteht sie aus einer unendlichen
Menge von Teilen; denn ein Ganzes muß doch alle
die Teile zum voraus insgesamt schon in sich ent-
halten, in die es geteilt werden kann. Der letztere
20 Satz ist auch von einem jeden Ganzen, als Ding
an sich selbst, ungezweifelt gewiß, mithin, da man
doch nicht einräumen kann, die Materie, ja gar selbst
nicht einmal der Raum, bestehe aus unendlich
viel Teilen (weil es ein Widerspruch ist, eine un-
endliche Menge, deren Begriff es schon mit sich führt,
daß sie niemals vollendet vorgestellt werden könne,
sich als ganz vollendet zu denken), so müsse man
sich zu einem entschließen, entweder dem Geometer
zum Trotz zu sagen: der Raum ist nicht ins.
30 Unendliche teilbar, oder dem Metaphysiker zur
Ärgernis: der Raum ist keine Eigenschaft eines
Dinges an sich selbst, und also die Materie kein
Ding an sich selbst, sondern bloße Erscheinung
unserer äußeren Sinne überhaupt, sowie der Raum
die wesentliche Form derselben.
Hier gerät nun der Philosoph in ein Gedränge
zwischen den Hörnern eines gefährlichen Dilemms.
Den ersteren Satz: daß der Raum ins Unendliche
teilbar sei, abzuleugnen, ist ein leeres Unterfangen,
40 denn Mathematik läßt sich nichts wegvernünfteln;
Materie aber als Ding an sich selbst, mithin den
Raum als Eigenschaft der Dinge an sich selbst an-
II. Hauptstück. Dynamik. 241
sehen und dennoch a) jenen Satz ableugnen, ist einerlei.
Er sieht sich also notgedrungen, von der letzteren
Behauptung, so gemein und dem gemeinen Verstände
gemäß sie auch sei, abzugehen, aber natürlicherweise
nur unter dem Beding, daß man ihn auf den Fall, '
daß er Materie und Raum nur zur Erscheinung (mit-
hin letzteren nur zur Form unserer äußerer sinnlichen
Anschauung, also beide nicht zu Sachen an sich, son-
dern nur zu subjektiven Vorstellungsarten uns an sich
unbekannter Gegenstände) machte, alsdenn auch aus 10
jener Schwierigkeit, wegen unendlicher Teilbar-
keit der Materie, wobei sie doch nicht aus un-
endlich viel Teilen bestehe, heraushelfe. Dieses
letztere läßt sich nun ganz wohl durch die Vernunft
denken, obgleich unmöglich anschaulich machen und
konstruieren. Denn was nur dadurch wirklich ist,
daß es in der Vorstellung gegeben ist, davon ist
auch nicht mehr gegeben, als so viel in der Vor-
stellung angetroffen wird, d. i. so weit der Progressus
der Vorstellungen reicht. Also von Erscheinungen, 20
deren Teilung ins Unendliche geht, kann man nur
sagen, daß der Teile der Erscheinung so viel sind,
als wir deren nur geben, d. i. so weit wir nur immer
teilen mögen. Denn die Teile, als zur Existenz einer
Erscheinung gehörig, existieren nur in Gedanken,
nämlich in der Teilung selbst. Nun geht zwar die
Teilung ins Unendliche, aber sie ist doch niemals als
unendlich gegeben; also folgt daraus nicht, daß das
Teilbare eine unendliche Menge Teile an sich selbst
und außer unserer Vorstellung in sich enthalte, darum, 30
weil seine Teilung ins Unendliche geht. Denn es ist
nicht das Ding, sondern nur diese Vorstellung des-
selben, deren Teilung, ob sie zwar ins Unendliche
fortgesetzt werden kann, und im Objekte (das an sich
unbekannt ist), dazu auch ein Grund ist, dennoch nie-
mals vollendet, folglich ganz gegeben werden kann,
und also auch keine wirkliche unendliche Menge im
Objekte (als die ein ausdrücklicher Widerspruch sein
würde), beweiset. Ein großer Mann, der vielleicht
mehr als sonst jemand das Ansehen der Mathematik 40
a) „demnach?"
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I. Jß
242 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
in Deutschland zu erhalten beiträgt, hat mehrmalen
die metaphysischen Anmaßungen, Lehrsätze der
Geometrie von der unendlichen Teilbarkeit des Raumes
umzustoßen, durch die gegründete Erinnerung abge-
wiesen: daß der Raum nur zu der Erscheinung
äußerer Dinge gehöre; allein er ist nicht ver-
standen worden. Man nahm diesen Satz so, als ob
er sagen wollte: der Raum erscheine uns selbst, sonst
sei er eine Sache oder Verhältnis der Sachen an
10 sich selbst, der Mathematiker betrachtete ihn aber nur
wie er erscheint; anstatt daß sie darunter hätten ver-
stehen sollen, der Raum sei gar keine Eigenschaft,
die irgendeinem Dinge außer unseren Sinnen an sich
anhängt, sondern nur die subjektive Form unserer
Sinnlichkeit, unter welcher uns Gegenstände äußerer
Sinne^ die wir, wie sie an sich beschaffen sind,
nicht kennen, erscheinen, welche Erscheinung wir
denn Materie nennen. Bei jener Mißdeutung dachte
man eich den Raum immer noch als eine den Dingen
20 auch außer unserer Vorstellungskraft anhängende Be-
schaffenheit, die sich aber der Mathematiker nur nach
gemeinen Begriffen, d. i. verworren denkt (denn so
erklärt man gemeinhin Erscheinung), und schrieb also
den mathematischen Lehrsatz von der unendlichen Teil-
barkeit der Materie, einen Satz, der die höchste Deut-
lichkeit in dem Begriffe des Raums voraussetzt, einer
verworrenen Vorstellung vom Räume, die der Geo-
meter zum Grunde legte, zu, wobei es denn dem
Metaphysiker unbenommen blieb, den Raum aus
30 Punkten und die Materie aus einfachen Teilen zu-
sammenzusetzen und so (seiner Meinung nach) Deut-
lichkeit in diesen Begriff zu bringen. Der Grund
dieser Verirrung liegt in einer übelverstandenen
Monadologie, die gar nicht zur Erklärung der
Naturerscheinungen gehört, sondern ein von Leib-
nizen ausgeführter, an sich richtiger platonischer
Begriff von der Welt ist, sofern sie gar nicht als
Gegenstand der Sinne, sondern als Ding an sich selbst
betrachtet, bloß ein Gegenstand des Verstandes ist,
40 der aber doch den Erscheinungen der Sinne zugrunde
liegt. Nun muß freilich das Zusammengesetzte
der Dinge an sich selbst aus dem Einfachen be-
II. Hauptstück. Dynamik. 243
stehen; denn die Teile müssen hier vor aller Zu-
sammensetzung gegeben sein. Aber das Zusammen-
gesetzte in der Erscheinung besteht nicht aus
dem Einfachen, weil in der Erscheinung, die niemals
anders als zusammengesetzt (ausgedehnt) gegeben
werden kann, die Teile nur durch Teilung und also
nicht vor dem Zusammengesetzten, sondern nur in
demselben gegeben werden können. Daher war
Leibnizens Meinung, soviel ich einsehe, nicht, den
Raum durch die Ordnung einfacher Wesen neben- 10
einander zu erklären, sondern ihm vielmehr diese als
korrespondierend, aber zu einer bloß intelligibeln (für
uns unbekannten) Welt gehörig zur Seite zu setzen,
und nichts anderes zu behaupten, als was anderwärts
gezeigt worden, nämlich daß der Raum samt der
Materie, davon er die Form ist, nicht die Welt von
Dingen an sich selbst, sondern nur die Erscheinung
derselben enthalte und selbst nur die Form unserer^
äußern sinnlichen Anschauung sei.
Lehrsatz 5. 20
Die Möglichkeit der Materie erfodert eine An-
ziehungskraft, als die zweite wesentliche Grund-
kraft derselben.
Beweis.
Die Undurchdringlichkeit, als die Grundeigenschaft
der Materie, wodurch sie sich als etwas Reales im
Räume unseren äußeren Sinnen zuerst offenbart, ist
nichts als das Ausdehnungsvermögen der Materie
(Lehrsatz 2)a). Nun kann eine wesentliche bewegende
Kraft, dadurch die Teile der Materie einander fliehen, 30
erstlich nicht durch sich selbst eingeschränkt wer-
den, weil die Materie dadurch vielmehr bestrebt ist,
den Raum, den sie erfüllt, kontinuierlich zu erweitern;
zweitens auch nicht durch den Raum allein auf eine
gewisse Grenze der Ausdehnung gesetzt werden; denn
a) Lehrsatz A' A" A'" korr. Ak. Ausg.
16^
244 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
dieser kann zwar den Grund davon enthalten, daß
bei Erweiterung des Volumens einer sich ausdehnen-
den Materie die ausdehnende Kraft in umgekehrtem
Verhältnisse schwächer werde, aber, weil von einer
jeden bewegenden Kraft ins Unendliche kleinere Grade
möglich sind, niemals den Grund enthalten, daß sie
irgendwo aufhöre. Also würde die Materie durch ihre
repulsive Kraft (welche den Grund der Undurchdring-
lichkeit enthält) allein, und wenn ihr nicht eine andere
10 bewegende Kraft entgegenwirkte, innerhalb keinen
Grenzen der Ausdehnung gehalten sein, d. i. sich ins
Unendliche zerstreuen, und in keinem anzugebenden
Räume würde eine anzugebende Quantität Materie an-
zutreffen sein. Folglich würden bei bloß repellieren-
den Kräften der Materie alle Räume leer, mithin eigent-
lich gar keine Materie da sein. Es erfodert also
alle Materie zu ihrer Existenz Kräfte, die der aus-
dehnenden entgegengesetzt sind, d. i. zusammen-
drückende Kräfte. Diese können aber ursprünglich
20 nicht wiederum in der Entgegenstrebung einer an-
deren Materie gesucht werden; denn diese bedarf,
damit sie Materie sei, selbst einer zusammendrückenden
Kraft. Also muß irgendwo eine ursprüngliche Kraft
der Materie, welche in entgegengesetzter Direktion
der repulsiven, mithin zur Annäherung wirkt, d. i. eine
Anziehungskraft angenommen werden. Da nun diese
Anziehungskraft zur Möglichkeit einer Materie, als
Materie, überhaupt gehört, folglich vor allen Unter-
schieden derselben vorhergeht, so darf sie nicht bloß
30 einer besonderen Gattung derselben, sondern muß jeder
Materie überhaupt, und zwar ursprünglich beigelegt
werden. Also kommt aller Materie eine ursprüng-
liche Anziehung, als zu ihrem Wesen gehörige Grund-
kraft, zu.
Anmerkung.
Bei diesem Übergange von einer Eigenschaft der
Materie zu einer andern spezifisch davon unter-
schiedenen, die zum Begriffe der Materie ebensowohl
gehört, obgleich in demselben nicht enthalten
40 ist, muß das Verhalten unseres Verstandes in nähere
II. Hauptstück. Dynamik. 245
Erwägung gezogen werden. Wenn Anziehungskraft
selbst zur Möglichkeit der Materie ursprünglich er-
fodert wird, warum bedienen wir uns ihrer nicht
ebensowohl, als der Undurchdringlichkeit, zum ersten
Kennzeichen einer Materie? warum wird die letztere
unmittelbar mit dem Begriffe einer Materie gegeben,
die erstere aber nicht in dem Begriffe gedacht, son-
dern nur durch Schlüsse ihm beigefügt? Daß unsere
Sinne uns diese Anziehung nicht so unmittelbar wahr-
nehmen lassen, als die Zurückstoßung und das Wider- 10
streben der Undurchdringlichkeit, kann die Schwierig-
keit noch nicht hinlänglich beantworten. Denn wenn
wir auch ein solches Vermögen hätten, so ist doch
leicht einzusehen, daß unser Verstand sich nichts-
destoweniger die Erfüllung des Raumes wählen würde,
um dadurch die Substanz im Räume, d. i. die Materie
zu bezeichnen, wie denn eben in dieser Erfüllung,
oder, wie man sie sonst nennt, der Solidität das
Charakteristische der Materie, als eines vom Räume
unterschiedenen Dinges, gesetzt wird. Anziehung, 20
wenn wir sie auch noch so gut empfänden, würde
uns doch niemals eine Materie von bestimmten Vo-
lumen und Gestalt offenbaren, sondern nichts als
die Bestrebung unseres Organs, sich einem Punkte
außer uns (dem Mittelpunkt des anziehenden Körpers)
zu nähern. Denn die Anziehungskraft aller Teile der
Erde kann auf uns nichts mehr, auch nichts anderes
wirken, als wenn sie gänzlich in dem Mittelpunkte
derselben vereinigt wäre, und dieser allein auf unsern
Sinn einflösse, ebenso die Anziehung eines Berges, oder 30
jeden Steins etc. Nun bekommen wir dadurch keinen
bestimmten Begriff von irgendeinem Objekte im Räume,
da weder Gestalt noch Größe, ja nicht einmal der Ort,
wo er sich befände, in unsere Sinne fallen kann (die
bloße Direktion der Anziehung würde wahrgenommen
werden können, wie bei der Schwere; der anziehende
Punkt würde unbekannt sein, und ich sehe nicht ein-
mal wohl ein, wie er selbst durch Schlüsse, ohne
Wahrnehmung der Materie, sofern sie den Raum er-
füllt, sollte ausgemittelt werden). Also ist klar: daß 40
die erste Anwendung unserer Begriffe von Größen
auf Materie, durch die es uns zuerst möglich wird,
246 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
unsere äußere Wahrnehmungen in dem Erfahrungs-
begriffe einer Materie als Gegenstandes überhaupt zu
verwandeln, nur auf ihrer Eigenschaft, dadurch sie
einen Raum erfüllt, gegründet sei, welche vermittelst
des Sinnes des Gefühls uns die Größe und Gestalt
eines Ausgedehnten, mithin von einem bestimmten
Gegenstande im Räume einen Begriff verschafft, der
allem übrigen, was man von diesem Dinge sagen kann,
zum Grunde gelegt wird. Eben dieses ist ohne Zweifel
10 die Ursache, weswegen man bei den klarsten ander-
weitigen Beweisen, daß Anziehung ebensowohl zu den
Grundkräften der Materie gehören müsse, als Zurück-
stoßung, sich gleichwohl gegen die erstere so sehr
sträubt, und gar keine bewegende Kräfte, als nur
durch Stoß und Druck (beides vermittelst der Un-
durchdringlichkeit), einräumen will. Denn wodurch
der Raum erfüllet ist, das ist die Substanz, sagt man,
und das hat auch seine gute Richtigkeit. Da aber
diese Substanz ihr Dasein uns nicht anders, als durch
20 den Sinn, wodurch wir ihre Undurchdringlichkeit wahr-
nehmen, nämlich das Gefühl, offenbart, mithin nur in
Beziehung auf Berührung, deren Anfang (in der An-
näherung einer Materie zur andern) der Stoß, die
Fortdauer aber ein Druck heißt; so scheint es, als
ob alle unmittelbare Wirkung einer Materie auf die
andere niemals was anders, als Druck oder Stoß sein
könne; zwei Einflüsse, die wir allein unmittelbar emp-
finden können; dagegen Anziehung, die uns an sich
entweder gar keine Empfindung, oder doch keinen
30 bestimmten Gegenstand derselben geben kann, uns als
Grundkraft so schv/er in den Kopf will.
Lehrsatz 6.
Durch bloße Anziehungskraft, ohne Zurück-
stoßung ist keine Materie möglich.
Beweis.
Anziehungskraft ist die bewegende Kraft der Ma-
terie, wodurch sie eine andere treibt, sich ihr zu
nähern; folglich, wenn sie zwischen allen Teilen der
II. Hauptstück. Dynamik, 247
Materie angetroffen wird, ist die Materie vermittelst
ihrer bestrebt, die Entfernung ihrer Teile voneinander,
mithin auch den Raum, den sie zusammen einnehmen,
zu verringern. Nun kann nichts die Wirkung einer
bewegenden Kraft hindern, als eine andere ihr ent-
gegengesetzte bewegende Kraft; diese aber, welche
der Attraktion entgegengesetzt ist, ist die repulsive
Kraft. Also v/ürden, ohne repulsive Kräfte, durch
bloße Annäherung alle Teile der Materie sich ohne
Hindernis einander nähern und den Raum, den diese 10
einnimmt, verringern. Da nun in dem angenommenen
Falle keine Entfernung der Teile ist, in welcher eine
gröi3ere Annäherung durch Anziehung vermittelst einer
zurückstoßenden Kraft unmöglich gemacht wurde, so
würden sie sich so lange zueinander bewegen, bis gar
keine Entfernung zwischen ihnen angetroffen würde,
d. i. sie würden in einen mathematischen Punkt zu-
sammenfließen, und der Raum würde leer, mithin ohne
alle Materie sein. Demnach a) ist Materie durch bloße
Anziehungskräfte ohne zurückstoßende unmöglich. 20
Zusatz.
Diejenige Eigenschaft, auf welcher als Bedingung
selbst die innere Möglichkeit eines Dinges beruht, ist
ein wesentliches Stück derselben. Also gehört die
Zurückstoßungskraft zum Wesen der Materie ebenso-
wohl, wie die Anziehungskraft, und keine kann von
der anderen im Begriff der Materie getrennt werden.
Anmerkung.
Weil überall nur zwei bewegende Kräfte im Raum
gedacht werden können, die Zurückstoßung und An- 30
Ziehung, so war es, um beider ihret») Vereinigung
im Begriffe einer Materie überhaupt a priori zu be-
weisen, vorher nötig, daß jede für sich allein er-
wogen würde, um zu sehen, was sie, allein genommen,
zur Darstellung einer Materie leisten könnte. Es zeigt
a) „Dennoch" A' A" A" korr. Rosenkranz.
b) „ihre" fehlt in A'".
248 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
sich nun, daß, sowohl wenn man keine von beiden
zum Grunde legt, als auch wenn man bloß eine von
ihnen annimmt, der Raum allemal leer bleibe, und
keine Materie in demselben angetroffen werde.
Erklärung 6.
Berührung im physischen Verstände ist die un-
mittelbare "Wirkung und Gregenwirkung der Un-
durchdringlichkeit. Die Wirkung einer Materie
auf die andere außer der Berührung ist die Wir-
10 kung in die Ferne (actio in distans). Diese
Wirkung in die Ferne, die auch ohne Vermittelung
zwischen inne liegender Materie möglich ist, heißt
die unmittelbare Wirkung in die Ferne, oder auch
die Wirkung der Materien^) aufeinander durch
den leeren Raum.
Anmerkung.
Die Berührung in mathematischer Bedeutung ist
die gemeinschaftliche Grenze zweier Räume, die also
weder innerhalb dem einen, noch dem anderen Räume
20 ist. Daher können gerade Linien einander nicht be-
rühren, sondern, wenn sie einen Punkt gemein haben,
so gehört er sowohl innerhalb die eine, als die andere
dieser Linien, wenn sie fortgezogen werden, d. i. sie
schneiden sich. Aber Zirkel und gerade Linie, Zirkel
und Zirkel, berühren sich in einem Punkte, Flächen
in einer Linie und Körper in Flächen. Die mathema-
tische Berührung wird bei der physischen zum Grunde
gelegt, aber sie macht sie allein noch nicht aus, zu
ihr muß, damit die letztere daraus entspringe, noch
30 ein dynamisches Verhältnis, und zwar nicht der An-
ziehungskräfte, sondern der zurückstoßenden, d. i. der
Undurchdringlichkeit hinzugedacht werden. Physisch^
Berührung ist Wechselwirkung der repulsiven Kräfte
in der gemeinschaftlichen Grenze zweier Materien.
1) „Materie-' A' A" A'" korr. Hofler Ak. Ausg.
II. Hauptstück. Dynamik. 249
Lehrsatz 7.
Die aller Materie wesentliche Anziehung
ist eine unmittelbare Wirkung derselben auf andere
durch den leeren Raum.
Beweis.
Die ursprüngliche Anziehungskraft enthält selbst
den Grund der Möglichkeit der Materie als desjenigen
Dinges, was einen Raum in bestimmtem Grade er-
füllt, mithin selbst sogar von der Möglichkeit einer
physischen Berührung derselben. Sie muß also vor lo
dieser vorhergehen, und ihre Wirkung muß folglich
von der Bedingung der Berührung unabhängig sein.
Nun ist die Wirkung einer bewegenden Kraft, die
von aller Berührung unabhängig ist, auch von der
Erfüllung des Raumes zwischen dem Bewegenden und
dem Bewegten unabhängig, d. i. sie muß auch, ohne
daß der Raum zwischen beiden erfüllt ist. Statt finden,
mithin als Wirkung durch den leeren Raum. Also
ist die ursprüngliche und aller Materie wesentliche
Anziehung eine unmittelbare Wirkung derselben auf 20
andere durch den leeren Raum.
Anmerkung 1.
Daß man die Möglichkeit der Grundkräfte begreif-
Hch machen sollte, ist eine ganz unmögliche Fode-
rung; denn sie heißen eben darum Grundkräfte, weil
sie von keiner anderen abgeleitet, d. i. gar nicht be-
griffen werden können. Es ist aber die ursprüng-
liche Anziehungskraft nicht im mindesten unbegreif-
licher, als die ursprüngliche Zurückstoßung. Sie
bietet sich nur nicht so unmittelbar den Sinnen dar, 30
als die Undurchdringlichkeit, uns Begriffe von be-
stimmten Objekten im Räume zu Hefern. Weil sie
also nicht gefühlt, sondern nur geschlossen werden
will, so hat sie sofern den Anschein einer abgeleiteten
Kraft, gleich als ob sie nur ein verstecktes Spiel der
bewegenden Kräfte durch Zurückstoßung wäre. Näher
erwogen sehen wir, daß sie gar nicht weiter irgend
wovon abgeleitet werden könne, am \venigsten von
der bewegenden Kraft der Materien durch ihre Un-
250 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
durchdringlichkeit, da ihre Wirkung gerade das Wider-
spiel der letzteren ist. Der gemeinste EinwurJ: wider
die unmittelbare Wirkung in die Ferne ist, daß eine
Materie doch nicht da, wo sie nicht ist, unmittelbar
wirken könne. Wenn die Erde den Mond unmittelbar
treibt, sich ihr zu nähern, so wirkt die Erde auf ein
Ding, das viele tausend Meilen von ihr entfernt ist,
und dennoch unmittelbar; der Raum zwischen ihr und
dem Monde mag auch als völlig leer angesehen
10 werden. Denn obgleich zwischen beiden Körpern
Materie läge, so tut diese doch nichts zu jener An-
ziehung. Sie wirkt also an einem Orte, wo sie nicht
ist, unmittelbar; etwas, was dem Anscheine nach
widersprechend ist. Allein es ist so wenig wider-
sprechend, daß man vielmehr sagen kann: ein jedes
Ding im Räume wirkt auf ein anderes nur an einem
Orte, wo das Wirkende nicht ist. Denn sollte es an
demselben Orte, wo es selbst ist, wirken, so würde
das Ding, worauf es wirkt, gar nicht außer ihm
20 sein; denn dieses Außerhalb bedeutet die Gegen-
wart in einem Orte, darin das andere nichta) ist.
Wenn Erde und Mond einander auch berührten, so
wäre doch der Punkt der Berührung ein Ort, in dem
weder die Erde noch der Mond ist; denn beide sind
um die Summe ihrer Halbmesser voneinander entfernt.
Auch würde im Punkte der Berührung sogar kein
Teil weder der Erde noch des Mondes anzutreffen
sein, denn dieser Punkt liegt in der Grenze beider
erfüUeten Räume, die keinen Teil weder von dem einen
30 noch dem anderen ausmacht. Daß also Materien in-
einander in der Entfernung nicht unmittelbar wirken
können, würde so viel sagen, als: sie können inein-
ander nicht unmittelbar wirken, ohne Vermittelung der
Kräfte der Undurchdringlichkeit. Nun würde dieses
ebensoviel sein, als ob ich sagte: die repulsiven
Kräfte sind die einzigen, damit Materien wirksam sein
können, oder sie sind wenigstens die notwendigen Be-
dingungen, unter denen allein Materien aufeinander
wirken können, welches entweder die Anziehungskraft
40 für ganz unmöglich, oder doch immer von der Wir-
a) „nichts-' A' u. A".
II. Hauiitstück. Dynamik. 251
kung der repulsiven Kräfte abhängig erklären würde;
beides sind aber Behauptungen ohne allen Grund.
Die Verwechselung der mathematischen Berührung
der Räume und der physischen durch zurücktreibende
Kräfte machte hier den Grund des Mißverstandes aus.
Sich unmittelbar außer der Berührung anziehen, heißt
sich einander nach einem beständigen Gesetze nähern,
ohne daß eine Kraft der Zurückstoßung dazu die Be-
dingung enthalte, welches doch ebensogut sich muß
denken lassen, als einander unmittelbar zurückstoßen, 10
d. i. sich einander nach einem beständigen Gesetze
fliehen, ohne daß die Anziehungskraft daran irgend
einigen Anteil habe. Denn beide bewegende Kräfte
sind von ganz verschiedener Art, und es ist nicht
der mindeste Grund dazu, eine von der anderen ab-
hängig zu machen, und ihr ohne Vermittelung der
andern die Möglichkeit abzustreiten.
Anmerkung 2.
Aus der Anziehung in der Berührung kann gar-^)
keine Bewegung entspringen; denn die Berührung ist 20
Wechselwirkung der Undurchdringlichkeit, welche also
alle Bewegung abhält. Also muß doch irgendeine
unmittelbare Anziehung außer der Berührung und mit-
hin in der Entfernung angetroffen werden; denn sonst
könnten selbst die drückenden und stoßenden Kräfte,
welche die Bestrebung zur Annäherung hervorbringen
sollen, da sie in entgegengesetzter Richtung mit der
repulsiven Kraft der Materie wirken, keine, wenigstens
nicht in der Natur der Materie ursprünglich liegende
Ursache haben. Man kann diejenige Anziehung, die
ohne Vermittelung der repulsiven Kräfte geschieht,
die wahre Anziehung, diejenige, welche bloß auf 30
jene Art vor sich geht, die scheinbare nennen;
denn eigentlich übt der Körper, dem ein anderer sich
bloß darum zu nähern bestrebt ist, weil dieser ander-
weitig durch Stoß zu ihm getrieben worden, gar keine
Anziehungskraft auf diesen aus. Aber selbst diese
scheinbare Anziehungen müssen doch zuletzt eine wahre
zum Grunde haben, weil Materie, deren Druck oder
a) „ganz" A' A" A'" korr. Hartenstein,
252 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
Stoß statt Anziehung dienen soll, ohne anziehende
Kräfte nicht einmal Materie sein würde (Lehrsatz 5)
und folglich die Erklärungsart aller Phänomenen der
Annäherung durch bloß scheinbare Anziehung sich
im Zirkel herumdreht. Man hält gemeiniglich dafür,
Newton habe zu seinem System gar nicht nötig
gefunden, eine unmittelbare Attraktion der Materien
anzunehmen, sondern, mit der strengsten Enthaltsam-
keit der reinen Mathematik, hierin den Physikern volle
10 Freiheit gelassen, die Möglichkeit derselben zu er-
klären, wie sie es gut finden möchten, ohne seine
Sätze mit ihrem Hypothesenspiel zu bemengen. Allein
wie konnte er den Satz gründen, daß die allgemeine
Anziehung der Körper, die sie in gleichen Entfernun-
gen um sich ausüben, der Quantität ihrer Materie
proportioniert sei, wenn er nicht annahm, daß alle .
Materie, mithin bloß als Materie und durch ihre
wesentliche Eigenschaft, diese Bewegungskraft aus-
übe? Denn obgleich freilich zwischen zweien Kör-
20 pern, sie mögen der Materie nach gleichartig sein
oder nicht, wenn der eine den anderen zieht, die
wechselseitige Annäherung (nach dem Gesetze der
Gleichheit der Wechselwirkung) immer in umge-
kehrtem Verhältnis der Quantität der Materie ge-
schehen muß, so macht dieses Gesetz doch nur ein
Prinzip der Mechanik, aber nicht der Dynamik, d. i.
es ist ein Gesetz der Bewegungen, die aus an-
ziehenden Kräften folgen, nicht der Proportion der
Anziehungskräfte selbst, und gilt von allen be-
30 wegenden Kräften überhaupt. Wenn daher ein Ma-
gnet einmal durch einen anderen gleichen Magnet,
ein andermal durch ebendenselben, der aber in einer
zweimal schwereren hölzernen Büchse eingeschlossen
wäre, gezogen wird, so wird dieser im letzteren Falle
dem ersteren mehr relative Bewegung erteilen, als im
ersteren, obgleich das Holz, welches die Quantität der
Materie des letzteren vermehrt, zur Anziehungskraft
desselben gar nichts hinzutut und keine magnetische
Anziehung der Büchse beweiset. Newton sagt (Cor. 2.
40 Prop. 6. Lib. III. Princip. Phil. N.): „wenn der
Äther, oder irgendein anderer Körper ohne Schwere
wäre, so würde, da jener von jeder anderen Materie
II. Hauptstück. Dynamik. 253
doch in nichts, als der Form, unterschieden ist, er
nach und nach durch allmählige Veränderung dieser
Form in eine Materie von der Art, wie die, so auf
Erden die meiste Schwere haben, verwandelt werden
können, und diese letztere also umgekehrt durch all-
mählige Veränderung ilirer Form alle ihre Schwere
verlieren können, welches der Erfahrung zuwider
ist" usw. Er schloß also selbst nicht den Äther (wie-
viel weniger andere Materien) vom Gesetze der An-
ziehung aus. Was konnte ihm denn nun noch für 10
eine Materie übrigbleiben, um durch deren Stoß die
Annäherung der Körper zueinander als bloße schein-
bare Anziehung anzusehen? Also kann man diesen,
großen Stifter der Attraktionstheorie nicht als seinen
Vorgänger anführen, wenn man sich die Freiheit
nimmt, der wahren Anziehung, die dieser behauptete,
eine scheinbare zu unterschieben, und die Notwendig-
keit des Antriebs durch den Stoß anzunehmen, um
das Phänomen der Annäherung zu erklären. Er ab-
strahierte mit Recht von allen Hypothesen, die Frage 20
wegen der Ursache der allgemeinen Attraktion der
Materie zu beantworten; denn diese Frage ist physisch
oder metaphysisch, nicht aber mathematisch, und ob
er gleich in der Vorerinnerung zur zweiten Aus-
gabe seiner Optik sagt: ne quis gravitatem inter
essentiales corporum proprietates me habere existi-
met, quaestionem unam de eins causa investiganda
subieci,*) so merkt man wohl, daß der Anstoß, den seine
Zeitgenossen, und vielleicht er selbst am Begriffe einer
ursprünglichen Anziehung nahmen, ihn mit sich selbst 30
uneinig machte; denn er konnte schlechterdings nicht
sagen, daß sich die Anziehungskräfte zweier Planeten,
z. B. des Jupiters und Saturns, die sie in gleichen
Entfernungen ihrer Trabanten (deren Masse man nicht
kennt), beweisen, wie die Quantität der Materie jener
Weltkörper verhalten, wenn er nicht annahm, daß sie
bloß als Materie, mithin nach einer allgemeinen Eigen-
schaft derselben andere Materie anzögen.
*) Damit man nicht glaube, daß ich die Schwere für eine
wesentliche Eigenschaft der Körper halte, habe ich noch
eine Frage über die Erforschung ihrer Ursache hinzugefügt.
254 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
Erklärung 7.
Eine bewegende Kraft, dadurch Materien nur
in der gemeinschaftlichen Fläche der Berührung
unmittelbar aufeinander wirken können, nenne ich
eine Flächenkraft; diejenige aber, wodurch eine
Materie auf die Teile der andern auch über die
Fläche der Berührung hinaus unmittelbar wirken
kann, eine durchdringende Kraft.
Zusatz.
10 Die Zurückstoßungskraft, vermittelst deren die Ma-
terie einen Raum erfüllt, ist eine bloße Flächenkraft.
Denn die einander berührende Teile begrenzen einer
den Wirkungsraum der anderen, und die repulsive
Kraft kann keinen entferntem Teil bewegen, ohne
vermittelst der dazwischen liegenden, und eine quer
durch diese gehende unmittelbare Wirkung einer Ma-
terie auf eine andere durch Ausdehnungskräfte ist
unmöglich. Dagegen eine Anziehungskraft, vermittelst
deren eine Materie einen Raum einnimmt, ohne ihn
20 zu erfüllen, dadurch sie also auf andere entfernte
wirkt, durch den leeren Raum, deren Wirkung
setzt keine Materie, die dazwischen liegt, Grenzen.
So muß nun die ursprüngliche Anziehung, welche
die Materie selbst möglich macht, gedacht werden,
und also ist sie eine durchdringende Kraft, und da-
durch allein jederzeit der Quantität der Materie pro-
portioniert.
Lehrsatz 8.
Die ursprüngliche Anziehungskraft, worauf selbst
30 die Möglichkeit der Materie, als einer solchen be-
ruht, erstreckt sich im Welträume von jedem Teile
derselben auf jeden andern unmittelbar ins Un-
endliche.
II. Hauptstück. Dynamik. 255
Beweis.
Weil die ursprüngliche Anziehungskraft zum Wesen
der Materie gehört, so kommt sie auch jedem Teil
derselben zu, nämlich unmittelbar auch in die Ferne
zu wirken. Setzet nun: es sei eine Entfernung, über
welche heraus sie sich nicht erstreckte, so würde
diese Begrenzung der Sphäre ihrer Wirksamkeit
entweder auf der innerhalb dieser Sphäre liegenden
Materie, oder bloß auf der Größe des Raumes,
auf welchen sie diesen Einfluß verbreitet, beruhen. 10
Das erstere findet nicht statt; denn diese Anziehung
ist eine durchdringende Kraft und wirkt unmittel-
bar in der Entfernung, unerachtet aller dazA\dschen
liegenden Materien, durch jeden Raum, als einen leeren
Raum. Das zweite findet gleichfalls nicht statt. Denn
weil eine jede Anziehung eine bewegende Kraft ist,
die einen Grad hat, unter dem ins Unendliche noch
immer kleinere gedacht werden können; so würde
in der größeren Entfernung zwar ein Grund liegen,
den Grad der Attraktion, nach dem Maße der Aus- 20
breitung der Kraft, in umgekehrtem Verhältnisse zu
vermindern, niemals aber sie völlig aufzuheben. Da
nun also nichts ist, was die Sphäre der Wirksamkeit
der ursprünglichen Anziehung jedes Teils der Materie
irgendwo begrenzte, so erstreckt sie sich über alle
anzugebende Grenzen auf jede andere Materie, mithin
im Welträume ins Unendliche.
Zusatz 1.
Aus dieser ursprünglichen Anziehungskraft, als
einer durchdringenden, von aller Materie, mithin in 30
Proportion der Quantität derselben, ausgeübten und
auf alle Materie, in alle mögliche Weiten ihre Wir-
kung erstreckenden Kraft, müßte nun, in Verbindung
mit der ihr entgegenwirkenden, nämlich zurück-
treibenden Kraft, die Einschränkung der letzteren,
mithin die Möglichkeit eines in einem bestimmten
Grade erfülleten Raumes abgeleitet werden können;
und so würde der dynamische Begriff der Materie,
als des Beweglichen, das seinen Raum (in be-
256 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
stimmtem Grade erfüllt) konstruiert werden. Aber
hiezu bedarf man eines Gesetzes des Verhältnisses,
sowohl der ursprünglichen Anziehung, als Zurück-
stoßung in verschiedenen Entfernungen der Materie
und ihrer Teile voneinander, welches, da es nun ledig-
lich auf dem Unterschiede der Richtung dieser beiden
Kräfte (da ein Punkt getrieben wird, sich entweder
andern zu nähern, oder sich von ihnen zu entfernen),
und auf der Größe des Raumes beruht, in den sich
10 jede dieser Kräfte in verschiedenen Weiten verbreitet,
eine reine mathematische Aufgabe ist, die nicht mehr
für die Metaphysik gehört, selbst nicht was die Ver-
antwortung betrifft, wenn es etwa nicht gelingen
sollte, den Begriff der Materie auf diese Art zu kon-
struieren. Denn sie verantwortet bloß die Richtigkeit
der unserer Vernunfterkenntnis vergönneten Elemente
der Konstruktion, die Unzulänglichkeit und die Schran-
ken unserer Vernunft in der Ausführung verantwortet
sie nicht.
20 Zusatz 2.
Da alle gegebene Materie mit einem bestimmten
Grade der repulsiven Kraft ihren Raum erfüllen muß,
um ein bestimmtes materielles Ding auszumachen, so
kann nur eine ursprüngliche Anziehung im Konflikt mit
der ursprünglichen Zurückstoßung einen bestimmten
Grad der Erfüllung des Raums, mithin Materie mög-
lich machen; es mag nun sein, daß der erstere von
der eigenen Anziehung der Teile der zusammen-
30 gedrückten Materie untereinander oder von der Ver-
einigung derselben mit der Anziehung aller Welt-
materie herrühre.
Die ursprüngliche Anziehung ist der Quantität der
Materie proportional und erstreckt sich ins Unend-
liche. Also kann die dem Maße nach bestimmte Er-
füllung eines Raumes durch Materie am Ende nur
von der ins Unendliche sich erstreckenden Anziehung
derselben bewirkt und jeder Materie nach dem Maße
ihrer Zurückstoßungskraft erteilt werden.
40 Die Wirkung von der allgemeinen Anziehung, die
alle Materie auf alle und in allen Entfernungen un-
II. Hauptstück. Dynamik. 257
mittelbar ausübt, heißt die Gravitation; die Be-
strebung, in der Richtung der größeren Gravitation
sich zu bewegen, ist die Schwere. Die Wirkung
von der durchgängigen repulsiven Kraft der Teile
jeder gegebenen Materie heißt dieser ihre ursprüng-
liche Elastizität. Diese also und die Schwere
machen die einzigen a priori einzusehenden allge-
meinen Charaktere der Materie, jene innerlich, diese
im äußeren Verhältnisse, aus; denn auf den Gründen
beider beruht die Möglichkeit der Materie selbst; Zu- 10
sammenhang, wenn er als die wechselseitige An-
ziehung der Materie, die lediglich auf die Bedingung
der Berührung eingeschränkt ist, erklärt wird, gehört
nicht zur Möglichkeit der Materie überhaupt und kann
daher a -priori als damit verbunden nicht erkannt
werden. Diese Eigenschaft würde also nicht meta-
physisch, sondern physisch sein und daher nicht zu
unsern gegenwärtigen Betrachtungen gehören.
Anmerkung 1. 20
Eine kleine Vorerinnerung zum Behufe des Ver-
suches einer solchen vielleicht möglichen Konstruktion
kann ich doch nicht unterlassen, beizufügen,
1. Von einer jeden Kraft, die in verschiedene
Weitena) unmittelbar wirkt, und in Ansehung des
Grades, womit sie auf einen jeden in gewisser Weite
gegebenen Punkt bewegende Kraft ausübet, nur durch
die Größe des Raumes, in welchem sie sich aus-
breiten muß, um auf jenen Punkt zu wirken, ein-
geschränkt wird, kann man sagen: daß sie in allen 30
Räumen, in die sie sich verbreitet, so klein oder
groß sie auch sein mögen, immer ein gleiches Quan-
tum ausmache, daß aber der Grad ihrer Wirkung auf
jenen Punkt in diesem Räume jederzeit im umge-
kehrten Verhältnis des Raumes stehe, in welchen sie
sich hat verbreiten müssen, um auf ihn wirken zu
können. So breitet sichb) z. B. von einem leuchten-
den Punkt das Licht allerwärts in Kugelflächen aus.
a) „Welten" A'A"A"' korr. Hartenstein.
b) „sie" A'A"A"' korr. Hartenstein.
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I. YJ
258 Metaphysisclie Anfangsgründe der Xaturwissenscbaft.
die mit den Quadraten der Entfernung immer wachsen
und das Quantum der Erleuchtung ist in allen diesen
ins Unendliche größeren Kugelflächen im Ganzen
immer dasselbe, woraus aber folgt: daß ein in dieser
Kugelfläche angenommener gleicher Teil dem Grade
nach destoweniger erleuchtet sein müsse, als jene
Fläche der Verbreitung ebendesselben Lichtquantum
größer ist, und so bei allen anderen Kräften und
Gesetzen, nach welchen sie sich entweder in Flächen
10 oder auch körperlichen Raum verbreiten müssen, um
ihrer Natur nach auf entfernte Gegenstände zu wirken.
Es ist besser, die Verbreitung einer bewegenden Kraft
aus einem Punkt in alle Weiten so vorzustellen, als
auf die gewöhnliche Art, wie es unter andern in der
Optik geschieht, durch von einem Mittelpunkte aus-
einanderlaufende Zirkelstrahlen. Denn da auf solche
Art gezogene Linien niemals den Raum, durch den
sie gehen, und also auch nicht die Fläche, auf die
sie treffen, füllen können, so viel deren auch ge-
20 zogen oder angelegt werden, welches die unvermeid-
liche Folge ihrer Divergenz ist, so geben sie nur
zu beschwerlichen Folgerungen, diese aber zu Hypo-
thesen Anlaß, die gar wohl vermieden werden könnten,
wenn man bloß die Größe der ganzen Kugelfläche in
Betrachtung zöge, die von derselben Quantität Licht
gleichförm.ig erleuchtet werden soll, und den Grad
der Erleuchtung derselben in jeder Stelle, wie natür-
lich, in umgekehrtem Verhältnisse ihrer Größe zum
Ganzen nimmt, und so bei aller anderer Verbreitung
30 einer Kraft durch Räume von verschiedener Größe.
2. Wenn die Kraft eine unmittelbare Anziehung in
der Ferne ist, so müssen um desto mehr die Richtungs-
liniena) der Anziehung nicht, als ob sie von dem
ziehenden Punkte wie Strahlen ausliefen, sondern so
wie sie von allen Punkten der umgebenden Kugel-
fläche (deren Halbmesser jene gegebene Weite ist),
zum ziehenden Punkt zusammenlaufen, vorgestellt
werden. Denn selbst die Richtungslinie der Bewegung
zum Punkte hin, der die Ursache und Ziel derselben
a) „so muß .... die Ricbtungslinie" A' A" A'" koir.
Höfler Ak. Ausff.
II. Hauptstück. Dynamik. 259
ist, gibt schon den terminus a quo an, von wo die
Linien anfangen müssen, nämlich von allen Punkten
der Oberfläche, von dem sie zum ziehenden Mittel-
punkte und nicht umgekehrt ihre Richtung haben;
denn jene Größe der Fläche bestimmt allein die Menge
der Linien, der Mittelpunkt läßt sie unbestimmt*).
*) Es ist unmöglich, nach Linien, die sich strahlen-weise
aus einem Punkte ausbreiten, Flächen in gegebenen Ent-
fernungen als mit der "Wirkung derselben, sie sei Erleuch-
tung oder Anziehung, ganz erfüllt vorzustellen. So würde
bei solchen auslaufenden Lichtstrahlen die geringere Er-
leuchtung einer entfemeten Fläche bloß darauf beruhen, daß
z^\äschen den erleuchteten Stellen unerleuchtete, und diese
desto größer, je weiter die Fläche entfernt, übrig bleiben.
Eulers Hypothese vermeidet diese Unschicklichkeit, hat
aber freilich desto mehr Schwierigkeit, die geradlinichte Be-
wegung des Lichts begreiflich zu machen. Diese Schwierig-
keit aber rührt von einer gar wohl vermeidlichen mathe-
matischen Vorstellung der Lichtmaterie, als einer Anhäufung
von Kügelchen her, die freilich, nach ihrer verschiedentlich
schiefen Lage gegen die Richtung des Stoßes, Seitenbe-
wegung des Lichts geben würde, da an dessen Statt nichts
hindert, diese Materie als ein ursprünglich Flüssiges, und
zwar durch und durch, ohne iii feste Körperchen zerteilt
zu sein, zu denken. Will der Mathematiker die Abnahme
des Lichts bei zunehmender Entfernung anschaulich machen,
so bedient er sich auslaufender Zirkelstrahlen, um auf der
Kugelfläche ihrer Verbreitung die Größe des Raumes, darin
dieselbe Quantität des Lichts zwischen diesen Zirkelstrahlen
gleichförmig verbreitet werden soll, mithin die Verringerung
des Grades der Erleuchtung darzustellen; er will aber nicht,
daß man diese Strahlen als die einzig erleuchtenden an-
sehen solle, gleich als ob immer lichtleere Plätze, die bei
größerer Weite größer würden, z^^-ischen ihnen anzutreffen
wären. Will man jede solcher Flächen als durchaus er-
leuchtet sich vorstellen, so muß dieselbe Quantität der Er-
leuchtung, die die kleinere bedeckt, auf der größeren als
gleichförmig gedacht werden, und müssen also, um die gerad-
linichte Richtung anzuzeigen, von der Fläche und allen ihren
Punkten zu dem leuchtenden gerade Linien gezogen werden.
Die Wirkung und ihre Größe muß vorher gedacht sein und
darauf die Ursache verzeichnet werden. Eben dieses gilt
von den Anziehungsstrahlen, wenn man sie so nennen will, ja
von allen Richtungen der Kräfte, die von einem Punkte aus
einen Raum, und wäre er auch ein körperlicher, erfüllen sollen.
17*
260 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
3. Wenn die Kraft eine unmittelbare Zurückstoßung
ist, dadurch ein Punkt (in der bloß mathematischen
Darstellung) einen Raum dynamisch erfüllt, und es
ist die Frage, nach welchem Gesetze der unendlich
kleinen Entfernungen (die hier den Berührungen gleich
gelten), eine ursprüngliche repulsive Kraft (deren Ein-
schränkung folglich lediglich auf dem Raum beruht,
in dem sie verbreitet worden) in verschiedenen Ent-
fernungen wirke, so kann man noch weniger diese
10 Kraft durch divergierende Zurückstoßungsstrahlen aus
dem angenommenen repellierenden Punkte vorstellig
machen, obgleich die Richtung der Bewegung ihn zum
tenninus a quo hat, weil der Raum, in welchem die
Kraft verbreitet werden muß, um in der Entfernung
zu wirken, ein körperlicher Raum ist, der als erfüllt
gedacht werden soll (wovon die Art, wie nämlich ein
Punkt durch bewegende Kraft dieses, d. i. dynamisch,
einen Raum körperlich erfüllen könne, freilich keinec
weiteren mathematischen Darstellung fähig ist) und
20 divergierende Strahlen aus einem Punkte die repel-
lierende Kraft eines körperlichen erfülleten Raumes
unmöglich vorstellig machen können; sondern man
würde die Zurückstoßung, bei verschiedenen unendlich
kleinen Entfernungen dieser einander treibenden Punkte,
schlechterdings bloß in umgekehrtem Verhältnisse der
körperliche Räume, die jeder dieser Punkte dynamisch
erfüllt, mithin des Kubus der Entfernungen derselben
voneinander, schätzen, ohne sie konstruieren zu können.
4. Also würde die ursprüngliche Anziehung der
30 Materie in umgekehrtem Verhältnis der Quadrate der
Entfernung in alle Weiten, die ursprüngliche Zurück-
stoßung in umgekehrtem Verhältnis der Würfel der
unendlich kleinen Entfernungen wirken, und durch
eine solche Wirkung und Gegenwirkung beider Grund-
kräfte würde Materie von einem bestimmten Grade
der Erfüllung ihres Raumes möglich sein; weil, da
die Zurückstoßung bei Annäherung der Teile in
größerem Maße wächst, als die Anziehung, die
Grenze der Annäherung, über die durch gegebene
40 Anziehung keine größere möglich ist, mithin auch
jener Grad der Zusammendrückung bestimmt ist, der
das Maß der intensiven Erfüllung des Raumes ausmacht.
ir. Hauptstück. Dynamik. 261
Anmerkung 2.
Ich sehe wohl die Schwierigkeit dieser Erklärungs-
art der Möglichkeit einer Materie überhaupt, die darin
besteht, daß, wenn ein Punkt durch repulsive Kraft
unmittelbar keinen andern treiben kann, ohne zugleich
den ganzen körperlichen Raum bis zu der gegebenen
Entfernung durch seine Kraft zu erfüllen, dieser als-
denn, wie zu folgen scheint, mehrere treibende Punkte
enthalten müßte, welches der Voraussetzung wider-
spricht und oben (Lehrsatz 4) unter dem Namen einer 10
Sphäre der Zurückstoßung des Einfachen im Räume
widerlegt worden a). Es ist aber ein Unterschied
zwischen dem Begriffe eines wirklichen Raumes, der
gegeben werden kann, und der bloßen Idee von einem
Räume, der lediglich zur Bestimmung des Verhält-
nisses gegebener Räume gedacht wird, in der Tat
aber kein Raum ist, zu machen. In dem angeführten
Falle einer vermeinten physischen Monadologie sollten
es wirkliche Räume sein, welche von einem Punkte
dynamisch, nämlich durch Zurückstoßung erfüllt wären, 20
denn sie existierten, als Punkte, vor aller daraus mög-
lichen Erzeugung der Materie, und bestimmten durch
die ihnen eigene Sphäre ihrer Wirksamkeit den Teil
des zu erfüllenden Raumes, der ihnen angehören
könnte. Daher kann in gedachter Hypothese die Ma-
terie auch nicht als ins Unendliche teilbar und als
Quantum continuum angesehen werden; denn die Teile,
die unmittelbar einander zurückstoßen, haben doch
eine bestimmte Entfernung voneinander (die Summe
der Halbmesser der Sphäre ihrer Zurückstoßung); da- 30
gegen wenn wir, wie es wirklich geschieht, die Ma-
terie als stetige Größe denken, ganz und gar keine
Entfernung der einander unmittelbar zurückstoßenden
Teile stattfindet, folglich auch keine größer oder klei-
ner werdende Sphäre ihrer unmittelbaren Wirksamkeit.
Nun können sich aber Materien ausdehnen, oder zu-
sammengedrückt werden (v/ie die Luft), und da stellt
man sich eine Entfernung ihrer nächsten Teile vor,
die da wachsen und abnehmen könnet»). Weil aber
ti) „wareu-' A' A" korr. A'".
b) „könneu" A' A" A"' korr. Hartenstein.
262 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
die nächsten Teile einer stetigen Materie einander
berühren, sie mag nun weiter ausgedehnt oder zu-
sammengedrückt sein, so denkt man sich jene Ent-
fernungen voneinander als unendlich klein, und
diesen unendlich kleinen Raum als im größeren oder
kleineren Grade von ihrer Zurückstoßungskraft er-
füllta). Der unendlich kleine Zwischenraum ist aber
von der Berührung gar nicht unterschieden, also nur
die Idee vom Räume, die dazu dient, um die Er-
10 Weiterung einer Materie, als stetiger Größe, anschau-
lich zu machen, ob sie zwar wirklich so gar nicht
begriffen werden kann. Wenn es also heißt: die
zurückstoßenden Kräfte der einander unmittelbar trei-
benden Teile der Materie stehen in umgekehrtem Ver-
hältnisse der Würfel ihrer Entfernungen, so bedeutet
das nur: sie stehen in umgekehrtem Verhältnisse der
körperlichen Räume, die man sich zwischen Teilen
denkt, die einander dennoch unmittelbar berühren, und
deren Entfernung eben darum unendlich klein ge-
20 nannt werden muß, damit sie von aller wirklichen
Entfernung unterschieden werde. Man muß also aus
den Schwierigkeiten der Konstruktion eines Begriffs,
oder vielmehr aus der Mißdeutung derselben, keinen
Einv/urf wider den Begriff selber machen; denn sonst
würde er die mathematische Darstellung der Pro-
portion, mit welcher die Anziehung in verschiedenen
Entfernungen geschieht, ebensowohl als diejenigen,
wodurch ein jeder Punkt in einem sich ausdehnen-
den oder zusammengedrückten Ganzen von Materie
30 den andern unmittelbar zurückstößt, treffen. Das
allgemeine Gesetz der Dynamik würde in beiden Fällen
dieses sein: die Wirkung der bewegenden Kraft, die
von einem Punkte auf jeden anderen außer ihm aus-
geübt wird, verhält sich umgekehrt wie der Raum,
in welchem dasselbe Quantum der bewegenden Kraft
sich hat ausbreiten müssen, um auf diesen Punkt
unmittelbar in der bestimmten Entfernung zu wirken.
Aus dem Gesetze der ursprünglich einander
zurückstoßenden Teile der Materie in umgekehrtem
40 kubischen Verhältnisse ihrer unendlich kleinen Ent-
a) „erfüllt vor" A' A" A'" korr. Rosenkranz.
II. Hauptstück. Dynamik. 203
fernungen müßte also notwendig ein ganz anderes
Gesetz der Ausdehnung und Zusammendrückung der-
selben, als das Mariottische der Luft, folgen; denn
dieses beweiset fliehende Kräfte ihrer nächsten Teile,
die in umgekehrtem Verhältnisse ihrer Entfernungen
stehen, wie Newton dartut (Priiie. Ph. N. Lib. II.
Fropos. 23. Schol.). Allein man kann die Aus-
spannungskraft der letzteren auch nicht als die
Wirkung ursprünglich zurückstoßender Kräfte an-
sehen, sondern sie beruht auf der Wärme, die nicht 10
bloß als eine in sie eingedrungene Materie, sondern
allem Ansehen nach durch ihre Erschütterungen die
eigentlichen Luftteile (denen man überdem wirkliche
Entfernungen voneinander zugestehen kann) nötigt,
einander zu fliehen. Daß aber diese Bebungen den
einander nächsten Teilen eine Fliehkraft, die in um-
gekehrtem Verhältnisse ihrer Entfernungen steht, er-
teilen müsse a), läßt sich nach den Gesetzen der Mit-
teilung der Bewegung durch Schwingung elastischer
Materien wohl begreiflich machen. 20
Noch erkläre ich, daß ich nicht wolle, daß gegen-
wärtige Exposition des Gesetzes einer ursprünglichen
Zurückstoßung als zur Absicht meiner metaphysischen
Behandlung der Materie notwendig gehörig angesehen,
noch die letztere (welcher es genug ist, die Erfüllung
des Raums als dynamische Eigenschaft derselben dar-
gestellt zu haben) mit den Streitigkeiten und Zwei-
feln, welche die erste treffen könnten, bemengt werde.
Allgemeiner Zusatz zur Dynamik.
Wenn wir nach allen Verhandlungen derselben 30
zurücksehen, so werden wir bemerken: daß darin
zuerst das Reelle im Räume (sonst genannt das
Solide), in der Erfüllung desselben durch Zurück-
stoßungskraf t, zweitens das, was in Ansehung
des ersteren, als des eigentlichen Objekts unserer
äußeren Wahrnehmung negativ ist, nämlich die An-
ziehungskraft, durch welche, so viel an ihr ist.
a) „Daß diese Bebungen der . . . nächsten Teile
teilen müsse" A' A" A'" korr. Höfler Ak. Auscr.
264 Metaj)hysisclie Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
aller Raum würde durchdrungen, mithin das Solide
gänzlich aufgehoben werden, drittens die Ein-
schränkung der ersteren Kraft durch die zweite und
die daher rührende Bestimmung des Grades einer
Erfüllung des Raumes in Betrachtung gezogen, mit-
hin die Qualität der Materie unter den Titeln der
Realität, Negation und Limitation, soviel es
einer metaphysischen Dynamik zukommt, vollständig
abgehandelt worden.
10 Allgemeine Anmerkung zur Dynamik.
Das allgemeine Prinzip der Dynamik der mate-
riellen Natur ist, daß alles Reale der Gegenstände
äußerer Sinne, was^) nicht bloß Bestimmung des
Raums (Ort, Ausdehnung und Figur) ist, als be-
wegende Kraft angesehen werden müsse; wodurch
also das sogenannte Solide, oder die absolute Un-
durchdringlichkeit als ein leerer Begriff aus der Natur-
wissenschaft verwiesen und an ihrer Statt zurück-
treibende Kraft gesetzt, dagegen aber die wahre und
20 unmittelbare Anziehung gegen alle Vernünfteleien
einer sich selbst mißverstehenden Metaphysik ver-
teidigt und als Grundkraft selbst zur Möglichkeit
des Begriffs von Materie für notv;rendig erklärt wird.
Hieraus entspringt nun die Folge, daß der Raum
wenn man es nötig finden sollte, auch ohne leere
Zwischenräume innerhalb der Materie auszustreuen,
allenfalls durchgängig und gleichwohl in verschiedenem
Grade erfüllt angenommen werden könne. Denn es
kann nach dem ursprünglich verschiedenen Grade der
30 repulsiven Kräfte, auf denen die erste Eigenschaft
der Materie, nämlich die, einen Raum zu erfüllen,
beruht, ihr Verhältnis zur ursprünglichen Anziehung
(es sei einer jeden Materie für sich selbst, oder zur
vereinigten Anziehung aller Materie des Universums)
unendlich verschieden gedacht werden; weil die An-
ziehung auf der Menge der Materie in einem ge-
gebenen Räume beruht, da hingegen die expansive
Kraft derselben auf dem Grade, ihn zu erfüllen, der
a) „die das, was" . . . A' A" A'" korr. Höf 1er Ak. Ausg.
II. Hauptstück. Dynamik. 265
spezifisch sehr unterschieden sein kann (wie etwa
dieselbe Quantität Luft in demselben Volumen nach
ihrer größeren oder minderen Erwärmunga) mehr
oder weniger Elastizität beweiset); wovon der allge-
meine Grund dieser ist: daß durch wahre Anziehung
alle Teile der Materie unmittelbar auf alle Teile
der andern, durch expansive Kraft aber nur die in
der Berührungsfläche wirken, wobei es einerlei
ist, ob hinter dieser viel oder wenig von dieser Ma-
terie angetroffen werde. Hieraus allein entspringt nun 10
schon ein großer Vorteil für die Naturwissenschaft,
weil ihr dadurch die Last abgenommen wird, aus
dem Vollen und Leeren eine Welt bloß nach der
Phantasie zu zimmern, vielmehr alle Räume voll und
doch in verschiedenem Maße erfüllt gedacht werden
können, wodurch der leere Raum wenigstens eine
Notwendigkeit verliert und auf den Wert einer
Hypothese zurückgesetzt wird, da er sonst, unter dem
Vorwande einer zur Erklärung der verschiedentlichen
Grade der Erfüllung des Raumes notwendigen Be- 20
dingung, sich des Titels eines Grundsatzes anmaßen
konnte.
Bei allem diesem ist der Vorteil einer hier
methodisch gebrauchten Metaphysik, in Abstellung
gleichfalls metaphysischer, aber nicht auf die Probe
der Kritik gebrachter Prinzipien, augenscheinlich nur
negativ. Indirekt wird gleichwohl dadurch dem
Naturforscher sein Feld erweitert; weil die Bedingun-
gen, durch die er es vorher selbst einschränkte, und
wodurch alle ursprüngliche Bewegungskräfte weg- 30
philosophiert wurden, jetzt ihre Gültigkeit verlieren.
Man hüte sich aber, über das, was den allgemeinen
Begriff einer Materie überhaupt möglich macht,
hinauszugehen und die besondere oder sogar spezi-
fische Bestimmung und Verschiedenheit derselben
a 'priori erklären zu wollen. Der Begriff der Materie
wird auf lauter bewegende Kräfte zurückgeführt,
welches man auch nicht anders erv/arten konnte, weil
im Räume keine Tätigkeit, keine Veränderung, als
bloß Bewegung gedacht werden kann. Allein wer 40
a) „Erwägung" A' A" A'" korr. Hartenstein.
266 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
will die Möglichkeit der Grundkräfte einsehen? sie
können nur angenommen werden, wenn sie zu einem
Begriff, von dem es erweislich ist, daß er ein Grund-
begriff sei, der von keinem anderen weiter abgeleitet
werden kann (wie der der Erfüllung des Raums),
unvermeidlich gehören, und dieses sind Zurück-
stoßungs- und ihnen entgegenwirkende Anziehungs-
kräfte überhaupt. Von dieser ihrer Verknüpfung und
Folgen können wir allenfalls noch wohl a priori ur-
10 teilen, welche Verhältnisse derselben untereinander
man sich, ohne sich selbst zu v/idersprechen, denken
könne, aber sich darum doch nicht anmaßen, eine
derselben als wirklich anzunehmen, weil zur Befug-
nis, eine Hypothese zu errichten, unnachlaßlich ge-
fodert wird: daß die Möglichkeit dessen, was man
annimmt, völlig gewiß sei, bei Grundkräften aber
die Möglichkeit derselben niemals eingesehen werden
kann. Und hierin hat die mathematisch-mechanische
Erklärungsart über die metaphysisch-dynamische einen
20 Vorteil, der ihr nicht abgewonnen werden kann, näm-
lich aus einem durchgehends gleichartigen Stoffe,
durch die mannigfaltige Gestalt der Teile, vermittelst
eingestreuter leerer Zwischenräume, eine große spe-
zifische Mannigfaltigkeit der Materien, sowohl ihrer
Dichtigkeit als Wirkungsart nach (wenn fremde
Kräfte hinzukommen), zustande zu bringen. Denn die
Möglichkeit der Gestalten sowohl, als der leeren
Zwischenräume läßt sich mit mathematischer Evidenz
dartun; dagegen, wenn der Stoff selbst in Grund-
30 kräfte verwandelt wird (deren Gesetze a priori zu
bestimmen, noch weniger aber eine Mannigfaltigkeit
derselben, welche zu Erklärung der spezifischen Ver-
schiedenheit der Materie zureichte, zuverlässig anzu-
geben, wir nicht imstande sind), uns alle Mittel ab-
gehen, diesen Begriff der Materie zu konstruieren,
und, was wir allgemein dachten, in der Anschauung
als möglich darzustellen. Aber jenen Vorteil büßet
dagegen eine bloß mathematische Physik auf der
anderen Seite doppelt ein, indem sie erstlich einen
40 leeren Begriff (der absoluten Undurchdringlichkeit)
zum Grunde legen, zweitens alle der Materie eigene
Kräfte aufgeben muß, und überdem noch mit ihren
II. Hauptstück. Dynamik. 267
ursprünglichen Konfigurationen des Grundstoffs und
Einstreuung der leeren Räume, nachdem es das Be-
dürfnis zu erklären erfodert, der Einbildungskraft im
Felde der Philosophie mehr Freiheit, ja gar recht-
mäßigen Anspruch verstatten muß, als sich wohl mit
der Behutsamkeit der letzteren zusammenreimen läßt.
Statt einer hinreichenden Erklärung der Möglich-
keit der Materie und ihrer spezifischen Verschieden-
heit aus jenen Grundkräften, die ich nicht zu leisten
vermag, will ich "die Momente, worauf ihre spezifische 10
Verschiedenheit sich insgesamt a priori bringen (ob-
gleich nicht ebenso ihrer Möglichkeit nach begreifen)
lassen muß, wie ich hoffe, vollständig darstellen. Die
zwischen die Definitionen geschobene Anmerkungen
werden die Anwendung derselben erläutern.
1. ein Körper, in physischer Bedeutung, ist eine
Materie zwischen bestimmten Grenzen (die
also eine Figur hat). Der Raum zwischen diesen
Grenzen, seiner Größe nach betrachtet, ist
der Raumesinhalt (volwnen). Der Grad der Erfül- 20
lung eines Raumes von bestimmtem Inhalt heißt
Dichtigkeit. (Sonst wird der Ausdruck dicht auch
absolut gebraucht für das, was nicht hohl [blasicht,
löchericht] ist.) In dieser Bedeutung gibt es eine
absolute Dichtigkeit in dem System der absoluten Un-
durchdringlichkeit, und zwar, wenn eine Materie gar
keine leere Zwischenräume enthält. Nach diesem Be-
griffe von Erfüllung des Raumes stellt man Ver-
gleichungen an, und nennt eine Materie dichter, als
die andere, die weniger Leeres in sich enthält, bis so
endlich die, in der kein Teil des Raumes leer ist,
vollkommen dicht heißt. Des letzteren Ausdrucks kann
man sich nur nach dem bloß mathematischen Be-
griffe der Materie bedienen, allein im dynamischen
System einer bloß relativen Ündurchdringlichkeit gibt
es kein Maximum oder Minimum der Dichtigkeit, und
gleichwohl kann jede noch so dünne Materie doch
völlig dicht heißen, wenn sie ihren Raum ganz er-
füllt, ohne leere Zwischenräume zu enthalten, mithin
ein Kontinuum, nicht ein Interruptum ist; allein sie 40
ist doch in Vergleichung mit einer andern weniger
dicht, in dynamischer Bedeutung, wenn sie ihren Raum
268 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
zwar ganz, aber nicht in gleichem Grade erfüllt.
Allein auch 'in dem letzteren System ist es unschick-
lich, sich ein Verhältnis der Materien ihrer Dichtig-
keit nach zu denken, wenn man sie sich nicht unter-
einander als spezifisch gleichartig vorstellt, so daß
eine aus der andern durch bloße Zusammendrückung
erzeugt werden kann. Da nun das letzere nicht eben
notwendig zur Natur aller Materie an sich erfoder-
lich zu sein scheint, so kann zwischen ungleich-
10 artigen Materien keine Vergleichung in Ansehung
ihrer Dichtigkeit füglich stattfinden, z. B. zwischen
Wasser und Quecksilber, obzwar es im Gebrauche ist.
2. Anziehung, sofern sie bloß als in der
Berührung wirksam gedacht wird, heißt Zu-
sammenhang. (Zwar tut man durch sehr gute
Versuche dar, daß dieselbe Kraft, die in der Be-
rührung Zusammenhang heißt, auch in sehr kleiner
Entfernung wirksam befunden werde; allein die An-
ziehung heißt doch nur Zusammenhang, sofern ich
20 sie bloß in der Berührung denke, der gemeinen Er-
fahrung gemäß, bei welcher sie in kleinen Entfernun-
gen kaum wahrgenommen wird. Zusammenhang wird
gemeinhin für eine ganz allgemeine Eigenschaft der
Materie angenommen, nicht als ob man zu ihr schon
durch den Begriff einer Materie geleitet würde, son-
dern weil die Erfahrung sie allerwärts dartut. Allein
diese Allgemeinheit muß nicht kollektiv verstanden
werden, als ob jede Materie durch diese Art der
Anziehung auf jede andere im Welträume zugleich
30 wirkte, — dgl. die der Gravitation ist, — sondern
bloß disjunktiv, nämlich auf eine oder die andere,
von welcher Art Materien sie auch sein mag, die
mit ihr in Berührung kommt. Um deswillen, und
da diese Anziehung, wie es verschiedene Beweisgründe
dartun können, nicht durchdringend, sondern nur
Flächenkraft ist, da sie selbst als solche nicht einmal
allerv/ärts nach der Dichtigkeit sich richtet, da zur
völligen Stärke des Zusammenhanges ein vorhergehen-
der Zustand der Flüssigkeit der Materien und der
40 nachmaligen Erstarrung derselben erfoderlich ist, und
die allergenauste Berührung gebrochener fester Ma-
terien in ebendenselben Flächen, mit denen sie vorher
II. Hauptstück. Dynamik. 269
SO stark zusammenhingen, z. B. eines Spiegelglases,
wo es einen Riß hat, dennoch bei weitem den Grad
der Anziehung nicht mehr verstattet, den es von
seiner Erstarrung nach dem Flusse her hatte, so halte
ich diese Attraktion in der Berührung für keine Grund-
kraft der Materie, sondern eine nur abgeleitete; wo-
von weiter unten ein Mehreres). Eine Materie,
deren Teile, unerachtet ihres noch so starken
Zusammenhanges untereinander, dennoch von
jeder noch so kleinen bewegenden Kraft an- 10
einander können verschoben werden, ist
flüssig. Teile einer Materie werden aber
aneinander verschoben, wenn sie, ohne das
Quantum der Berührung zu vermindern, nur
genötigt werden, diese untereinander zu ver-
wechseln. Teile, mithin auch Materien, wer-
den getrennt, wenn die Berührung nicht bloß
mit andern verwechselt, sondern aufgehoben
oder ihr Quantum vermindert wird. Ein fester
— besser ein starrer — Körper (corpus rigidum) 20
ist der, dessen Teile nicht durch jede Kraft
aneinander verschoben werden können, — die
folglich mit einem gewissen Grade von Kraft dem
Verschieben widerstehen. — Das Hindernis des
Verschiebens der Materien aneinander ist die
Reibung. Der Widerstand gegen die Trennung
sich berührender Materien ist der Zusammenhang.
Flüssige Materien erleiden also in ihrer Teilung keine
Reibung, sondern wo diese angetroffen wird, werden
die Materien als starr, — in größerem oder minderem 30
Grade, deren dera) letzte Klebrigkeit (viscositas)
heißt, wenigstens ihren kleineren Teilen nach ange-
nommen. Der starre Körper ist spröde, wenn
seine Teile nicht können aneinander ver-
schoben werden, ohne zu reißen, — mithin wenn
der Zusammenhang derselben nicht kann verändert,
ohne zugleich aufgehoben zu werden. (Man setzt sehr
unrichtig den Unterschied der flüssigen und festen
Materien in dem verschiedenen Grade des Zusammen-
hanges ihrer Teile. Denn um eine Materie flüssig zu 40
a) „die" A' A"^A"' korr. Höfler^Ak. Ausg.
270 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
nennen, kommt es nicht auf den Grad des Wider-
standes an, den sie dem Zerreißen, sondern nur dem
Verschieben ihrer Teile aneinander entgegensetzt.
Jener kann so groß sein, als man will, so ist dieser
doch jederzeit in einer flüssigen Materie = 0. Man
betrachte einen Tropfen Wasser. Wenn ein Teilchen
innerhalb demselben durch eine noch so große
Attraktion der Nebenteile, die es berühren, nach der
einen Seite gezogen wird, so wird ebendasselbe doch
10 auch gerade ebensoviel nach der entgegengesetzten
gezogen, und da die Attraktionen beiderseitig ihre Wir-
kungen aufheben, ist das Partikelchen ebenso leicht
beweglich, als ob es im leeren Räume sich befände;
nämlich die Kraft, die es bewegen soll, hat keinen
Zusammenhang zu überwinden, sondern nur die so-
genannte Trägheit, die sie bei aller Materie, wenn sie
gleich gar nicht womit zusammenhinge, überwinden
müßte. Daher wird ein kleines mikroskopisches Tier-
chen sich so leicht darin bewegen, also ob gar kein
20 Zusammenhang zu trennen wäre. Denn es hat wirk-
lich keinen Zusammenhang des Wassers aufzuheben
und die Berührung desselben unter sich zu vermindern,
sondern nur zu verändern. Denket euch aber eben
dieses Tierchen, als ob es sich durch die äußere
Oberfläche des Tropfens durcharbeiten wollte, so ist
erstlich zu merken, daß die wechselseitige Anziehung
der Teile dieses Wasserklümpchens es macht, daß sie
sich so lange bewegen, bis sie in die größte Be-
rührung untereinander, mithin in die kleinste Be-
30 rührung mit dem leeren Raum gekommen sind, d. i.
eine Kugelgestalt gebildet haben. Wenn nun das ge-
nannte Insekt sich über die Oberfläche des Tropfens
hinauszuarbeiten bestrebt ist, so muß es die Kugel-
gestalt verändern, folglich mehr Berührung des
Wassers mit dem leeren Raum, und also auch weniger
Berührung der Teile desselben untereinander bewirken,
d. i. ihren Zusammenhang vermindern, und da wider-
steht ihm das Wasser allererst durch seinen Zusammen-
hang, aber nicht innerhalb dem Tropfen, wo die Be-
40 rührung der Teile untereinander gar nicht vermindert,
sondern nur in die Berührung mit andern Teilen ver-
ändert wird, mithin diese nicht im mindesten getrennt,
II. Haiiptstück. Dynamik. 271
sondern nur verschoben worden. Auch kann man auf
das mikroskopische Tierchen, und zwar aus ähnlichen
Gründen anwenden, was Newton vom Lichtstrahl sagt,
daß er nicht durch die dichte Materie, sondern nur
durch den leeren Raum zurückgeschlagen werde. Es
ist also klar, daß die Vergrößerung des Zusammen-
hanges der Teile einer Materie ihrer Flüssigkeit nicht
den mindesten Abbruch tue. Wasser hängt in seinen
Teilen weit stärker zusammen, als man gemeiniglich
glaubt, wenn man sich auf den Versuch einer von 10
der Oberfläche des Wassers losgerissenen metallenen
Platte verläßt, welcher nichts entscheidet, weil hier
das Wasser nicht in der ganzen Fläche der ersten
Berührung, sondern in einer viel kleineren reißt, zu
welcher es nämlich durch das Verschieben seiner Teile
endlich gelangt ist, wie etwa ein Stab von weichem
Wachse sich durch ein angehängt Gewicht erstlich
dünner ziehen läßt, und alsdenn in einer weit klei-
neren Fläche reißen muß, als man anfänglich an-
nahm. Was aber in Ansehung unsers Begriffs der 20
Flüssigkeit ganz entscheidend ist, ist dieses: daß
flüssige Materien auch als solche erklärt werden
können, deren jeder Punkt nach allen Direk-
tionen mit ebenderselben Kraft sich zu be-
wegen trachtet, mit welcher er nach irgend-
einer gedrückt wird; eine Eigenschaft, auf der
das erste Gesetz der Hydrodynamik beruht, die aber
einer Anhäufung von glatten und dabei festen
Körperchen, wie eine ganz leichte Auflösung ihres
Drucks nach Gesetzen der zusammengesetzten Be- 30
wegung zeigen kann, niemals beigelegt werden kann,
und dadurch die Originalität der Eigenschaft der
Flüssigkeit beweiset. Würde nun die flüssige Materie
das mindeste Hindernis des Verschiebens, mithin auch
nur die kleinste Reibung erleiden, so würde diese
mit der Stärke des Druckes, womit die Teile der-
selben aneinander gepreßt werden, wachsen und end-
lich ein Druck stattfinden, bei welchem die Teile
dieser Materie sich nicht aneinander durch jede kleine
Kraft verschieben lassen: z. B. in einer gebogenen 40
Röhre von zwei Schenkeln, deren der eine so weit
sein mag, als man will, der andere so enge, als man
272 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
will, außer daß er nur nicht ein Haarröhrchen ist,
— würde, wenn man beide Schenkel einige hundert
Fuß hoch denkt, die flüssige Materie in der engen
ebenso hoch stehen als in der weiten, nach Gesetzen
der Hydrostatik. Weil aber der Druck auf den Boden
der Röhren und also auch auf den Teil, der beide in
Gemeinschaft stehende Röhren verbindet, in Propor-
tion der Höhen ins Unendliche immer größer ge-
dacht werden kann, so müßte, wenn die mindeste
10 Reibung zwischen den Teilen des Flüssigen stattfände,
eine Höhe der Röhren gefunden werden können, bei
der eine kleine Quantität Wasser, in die engere Röhre
gegossen, das in der weiteren nicht aus seiner Lage
verrücken, mithin die Wassersäule in dieser höher
zu stehen kommen würde, als in jener, weil sich die
unteren Teile, bei so großem Drucke derselben gegen-
einander, nicht mehr durch so kleine bewegende Kraft,
als das zugesetzte Gewicht Wasser ist, verschieben
ließen, welches der Erfahrung und selbst dem Be-
20 griffe des Flüssigen zuwider ist. Ebendasselbe gilt,
wenn man statt des Drucks durch die Schwere den
Zusammenhang der Teile setzt, er mag so groß sein,
wie er will. Die angeführte zweite Definition der
Flüssigkeit, worauf das Grundgesetz der Hydrostatik
beruht, nämlich daß sie die Eigenschaft einer Ma-
terie sei, da ein jeder Teil derselben sich nach allen
Seiten mit ebenderselben Kraft zu bewegen bestrebt
ist, womit er in einer gegebenen Direktion gedrückt
wird, folgt aus der ersten Definition, wenn man damit
30 den Grundsatz der allgemeinen Dynamik verbindet,
daß alle Aiaterie ursprünglich elastisch sei, da denn
diese nach jeder Seite des Raums, darin sie zusammen-
gedrückt ist, mit derselben Kraft sich zu erweitern,
d. i. (wenn die Teile einer Materie sich aneinander
durch jede Kraft ohne Hindernis verschieben lassen,
wie es bei der flüssigen so wirklich ist) sich zu
bewegen bestrebt sein muß, womit der Druck in einer
jeden Richtung, welche es auch sei, geschiehet. Also
sind es eigentlich nur die starren Materien (deren
40 Möglichkeit noch außer dem Zusammenhange der
Teile eines anderen Erklärungsgrundes bedarf), denen
man Reibung beilegen darf, und die Reibung setzt
II. Hauptstück. Dynamik. 273
schon die Eigenschaft der Rigidität voraus. Warum
aber gewisse Materien, ob sie gleich vielleicht nicht
größere, vielleicht wohl gar kleinere Kraft des Zu-
sammenhanges haben, als andere flüssige, dennoch
dem Verschieben der Teile so mächtig widerstehen
und daher nicht anders als durch Aufhebung des
Zusammenhanges aller Teile in einer gegebenen
Fläche zugleich sich trennen lassen, welches denn
den Schein eines vorzüglichen Zusammenhanges gibt,
wie also starre Körper möglich sein, das ist immer 10
noch ein unaufgelöstes Problem, so leicht als auch
die gemeine Naturlehre damit fertig zu werden glaubt.
3. Elastizität (Springkraft) ist das Vermögen
einer Materie, ihre durch eine andere bewegende
Kraft veränderte Größe oder Gestalt bei Nach-
lassung derselben wiederum anzunehmen. Sie
ist entweder expansive oder attraktive Elastizität;
jene, um nach der Zusammendrückung das vorige
größere, diese, um nach der Ausdehnung das vorige
kleinere Volumen anzunehmen. (Die attraktive Elasti- 20
zität, ist, wie es schon der Ausdruck zeigt, offenbar
abgeleitet. Ein eiserner Draht, durch angehängte Ge-
wichte gedehnt, springt, wenn man das Band ab-
schneidet, in sein Volumen zurück. Vermöge derselben
Attraktion, die die Ursache seines Zusammenhanges
ist, oder bei flüssigen Materien, wenn die Wärme
dem Quecksilber plötzlich entzogen würde, würde die
Materie desselben eilen, um das vorige kleinere Vo-
lumen wieder anzunehmen. Die Elastizität, die bloß
in Herstellung der vorigen Figur besteht, ist jederzeit 30
attraktiv, wie an einer gebogenen Degenklinge, da
die Teile auf der konvexen Fläche auseinander ge-
zerret, ihre vorige Nahheit anzunehmen trachten, und
so kann auch ein kleiner Tropfen Quecksilber elastisch
genannt werden. Aber die expansive Elastizität kann
eine ursprüngliche, sie kann aber auch eine abgeleitete
sein. So hat die Luft eine abgeleitete Elastizität,
vermittelst der Materie der Wärme, welche mit ihr
innigst vereinigt ist, und deren Elastizität vielleicht
ursprünglich ist. Dagegen muß der Grundstoff des 40
Flüssigen, welches wir Luft nennen, dennoch als
Materie überhaupt schon an sich Elastizität haben,
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I. Jg
274 Metaphysische Anfangsgründe der Xaturwissenschaft.
welche ursprünglich heißt. Von welcher Art eine
wahrgenommene Elastizität sei, ist in vorkommenden
Fällen nicht möglich, mit Gewißheit zu entscheiden.)
4. Die Wirkung bewegter Körper aufein-
ander durch Mitteilung ihrer Bewegung heißt
mechanisch; die der Materien aber, sofern
sie auch in Ruhe durch eigene Kräfte wechsel-
seitig die Verbindung ihrer Teile verändern,
heißt chemisch. Dieser chemische Einfluß heißt
10 Auflösung, sofern er die Trennung der Teile
einer Materie zur Wirkung hat (die mechanische
Teilung, z. B. durch einen Keil, der zwischen die Teile
einer Materie getrieben wird, ist also, weil der Keil
nicht durch eigene Kraft wirkt, von einer chemischen
gänzlich unterschieden); derjenige aber, der die Ab-
sonderung zweier durcheinander aufgelöseten Materien
zur Wirkung hat, ist die Scheidung. Die Auflösung
spezifisch verschiedener Materien durcheinander, darin
kein Teil der einen angetroffen wird, der nicht mit
20 einem Teil der andern von ihr spezifisch unter-
schiedenen in derselben Proportion, wie die Ganzen,
vereinigt wäre, ist die absolute Auflösung, und
kann auch die chemische Durchdringung genannt
werden. Ob die auflösenden Kräfte, die in der Natur
wirklich anzutreffen sind, eine vollständige Auflösung
zu bewirken vermögen, mag unausgemacht bleiben.
Hier ist nur die Frage davon, ob sich eine solche
nur denken lasse. Nun ist offenbar, daß, solange
die Teile einer aufgelöseten Materie noch Klümpchen
30 (molecidae) sind, nicht minder eine Auflösung der-
selben möglich sei, als die der größeren, ja daß
diese wirklich so lange fortgehen müsse, wenn die
auflösende Kraft bleibt, bis kein Teil mehr da ist,
der nicht aus dem Auflösungsmittel und der aufzu-
lösenden Materie, in der Proportion, darin beide zu-
einander im Ganzen stehen, zusammengesetzt wäre.
Weil also in solchem Falle kein Teil von dem
Volumen der Auflösung sein kann, der nicht einen
Teil des auflösenden Mittels enthielte, so muß dieses,
40 als ein Kontinuum, das Volumen ganz erfüllen.
Ebenso, weil kein Teil ebendesselben Volumens der
Solution sein kann, der nicht einen proportionier-
IL Hauptstück. Dynamik. 275
liehen Teil der aufgelöseten Materie enthielte, so
muß diese auch als ein Kontinuum den ganzen Raum,
der das Volumen der Mischung ausmacht, erfüllen.
Wenn aber zwei Materien, und zwar jede derselben
ganz, einen und denselben Raum erfüllen, so durch-
dringen sie einander. Also würde eine vollkommene
chemische Auflösung eine Durchdringung der Materien
sein, welche dennoch von der mechanischen gänzlich
unterschieden wäre, indem bei der letzten gedacht
wird, daß bei der größern Annäherung bewegter Ma- 10
terien die repulsive Kraft der einen di? der andern
gänzlich überwiegen, und eine oder beide ihre Aus-
dehnung auf nichts bringen können; da hingegen hiar
die Ausdehnung bleibt, nur daß die Materien nicht
außer einander, sondern ineinander, d.i. durch Intus-
suszeption (wie man es zu nennen pflegt) zusammen
einen der Summe ihrer Dichtigkeit gemäßen Raum ein-
nehmen. Gegen die Möglichkeit dieser vollkommenen
Auflösung und also der chemischen Durchdringung
ist schwerlich etwas einzuwenden, obgleich sie eine 20
vollendete Teilung ins Unendliche enthält, die in
diesem Falle doch keinen Widerspruch in sich faßt,
weil die Auflösung eine Zeit hindurch kontinuierlich,
mithin gleichfalls durch eine unendliche Reihe Augen-
blicke mit Akzeleration geschieht, überdem durch die
Teilung die Summe der Oberflächen der noch zu tei-
lenden Materien wachsen, und da die auflösende Kraft
kontinuierlich wirkt, die gänzliche Auflösung in einer
anzugebenden Zeit vollendet werden kann. Die
Unbegreiflichkeit einer solchen chemischen Durch- 30
dringung zweier Materien ist auf Rechnung der Un-
begreiflichkeit der Teilbarkeit eines jeden Kontinuum
überhaupt ins Unendliche zu schreiben. Geht man
von dieser vollständigen Auflösung ab, so muß man
annehmen, sie ginge nur bis zu^) gewissen kleinen
Klumpen der aufzulösenden Materie, die in dem Auf-
lösungsmittel in gesetzten Weiten voneinander schwim-
men, ohne daß man den mindesten Grund angeben
kann, warum diese Klümpchen, da sie doch immer
teilbare^ Materien sind, nicht gleichfalls auf gelöset 40
a) „zu" fehlt in A' A" korr. A'".
18*
27G Metaphysische Anfangsgründe der Xaturwissenschaft.
werden. Denn daß das Auflösungsmittel nicht weiter
wirke, mag immer in der Natur, so weit Erfahrung
reicht, seine gute Richtigkeit haben; es ist hier aber
nur die Rede von der Möglichkeit einer auflösenden
Kraft, die auch dieses Klümpchen und so ferner jedes
andere, was noch übrig bleibt, auflöse, bis die Solu-
tion vollendet ist. Das Volumen, was die Auflösung
einnimmt, kann der Summe der Räume, die die ein-
ander auflösende Materien vor der Mischung ein-
10 nahmen, gleich, oder kleiner, oder auch größer sein,
nachdem die anziehenden Kräfte gegen die Zurück-
stoßungen in Verhältnis stehen. Sie machen in der
Auflösung jedes a) für sich und beide vereinigt ein
elastisches Medium aus. Dieses kann auch allein
einen hinreichenden Grund angeben, warum die auf-
gelösete Materie sich durch ihre Schwere nicht wie-
derum vom auflösenden Mittel scheide. Denn die An-
ziehung des letzteren, da sie nach allen Seiten gleich
stark geschieht, hebt ihren Widerstand selbst auf, und
20 eine gewisse Klebrigkeit im Flüssigen anzunehmen,
stimmt auch gar nicht mit der großen Kraft, die
dergleichen aufgelösete Materien, z. B. die Säuren, mit
Wasser verdünnt, auf metallische Körper ausüben, an
die sie sich nicht bloß anlegen, wie es geschehen
müßte, wenn sie bloß in ihrem Medium schwömmen,
sondern die sie mit großer Anziehungskraft von ein-
ander trennen und im ganzen Räume des Vehikels
verbreiten. Gesetzt auch, daß die Kunst keine che-
mische Auflösungskräfte dieser Art, die eine voll-
?.0 ständige Auflösung bewirkten, in ihrer Gewalt hätte,
so könnte doch vielleicht die Natur sie in ihren vege-
tabilischen und animalischen Operationen beweisen, und
dadurch vielleicht Materien erzeugen, die, ob sie zwar
gemischt sind, doch keine Kunst wiederum scheiden
kann. Diese chemische Durchdringung könnte auch
selbst da angetroffen werden, wo die eine beider Ma-
terien durch die andere eben nicht zertrennt und im
buchstäblichen Sinne aufgelöset wird, so wie etwa der
Wärmestoff die Körper durchdringt, da, wenn er sich
a) Höfler Ak, Ausg. schlägt vor: ,.jede-' was auf „auf-
lösendenMaterien" und nicht auf „Volumen-' zu beziehen wäre.
II. Hauptstück. Dynamik. 277
nur in leere Zwischenräume derselben verteilete, die
feste Substanz selbst kalt bleiben würde, weil diese
nichts von ihr einnehmen könnte. Imgleichen könnte
man sich sogar einen scheinbarlich freien Durchgang
gewisser Materien durch andere auf solche Weise
denken, z. B. der m.agnetischen Materie, ohne ihr dazu
offene Gänge und leere Zwischenräume in allen, selbst
den dichtesten Materien vorzubereiten. Doch es ist hier
nicht der Ort, Hypothesen zu besonderen Erscheinun-
gen, sondern nur das Prinzip, wornach sie alle zu 10
beurteilen sind, ausfindig zu machen. Alles, was uns
der Bedürfnis überhebt, zu leeren Räumen unsere Zu-
flucht zu nehmen, ist wirklicher Gewinn für die Natur-
wissenschaft. Denn diese geben gar zu viel Freiheit
der Einbildungskraft, den Mangel der inneren Natur-
kenntnis durch Erdichtung zu ersetzen. Das absolut
Leere und das absolut Dichte sind in der Naturlehro
ohngefähr das, was der blinde Zufall und das blinde
Schicksal in der metaphysischen Weltwissenschaft sind,
nämlich ein Schlagbaum für die herrschende^) Ver- 20
nunft, damit entweder Erdichtung ihre Stelle ein-
nehme, oder sie auf dem Polster dunkler Qualitäten
zur Ruhe gebracht werde.
Was nun aber das Verfahren in der Naturwissen-
schaft in Ansehung der vornehmsten aller ihrer Auf-
gaben, nämlich der Erklärung einer ins Unendliche
möglichen spezifischen Verschiedenheit der
Materien betrifft, so kann man dabei nur zv/ei Wege
einschlagen: den mechanischen, durch die Verbin-
dung des Absolutvollen mit dem Absolutleeren, oder 30
einen ihm entgegengesetzten dynamischen Weg,
durch die bloße Verschiedenheit in der Verbindung
der ursprünglichen Kräfte der Zurückstoßung und
Anziehung alle Verschiedenheiten der Materien zu er-
klären. Der erste hat zu Materialien seiner Ableitung
die Atomen und das Leere. Ein Atom ist ein kleiner
Teil der Materie, der physisch unteilbar ist. Physisch
unteilbar ist eine Materie, deren Teile mit einer
Kraft zusammenhängen, die durch keine in der Natur
befindliche bewegende Kraft überwältigt werden kann, 40
a) Hartenstein „forschende".
278 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
Ein Atom, sofern er sich durch seine Figur von andern
spezifisch unterscheidet, heißt ein erstes Körper-
chen. Ein Körper (oder Körperchen), dessen be-
wegende Kraft von seiner Figur abhängt, heißt
Maschine. Die Erklärungsart der spezifischen Ver-
schiedenheit der Materien durch die Beschaffenheit
und Zusammensetzung ihrer kleinsten Teile, als Ma-
schinen, ist die mechanische Naturphilosopsle;
diejenige aber, welche aus Materien, nicht als Ma-
10 schinen, d. i. bloßen Werkzeugen äußerer bewegenden
Kräfte, sondern ihnen ursprünglich eigenen bev/egen-
den Kräften der Anziehung und Zurückstoßung die
spezifische Verschiedenheit der Materie ableitet, kann
die dynamische Naturphilosophie genannt wer-
den. (Die mechanische Erklärungsart, da sie der Mathe-
matik am fügsamsten ist, hat unter dem Namen der
Atomistik oder Korpuskularphilosophie mit
weniger Abänderung vom alten Demokrit an bis
auf Cartesen und selbst bis zu unseren Zeiten immer
20 ihr Ansehen und Einfluß auf die Prinzipien der Natur-
wissenschaft erhalten. Das Wesentliche derselben be-
steht in der Voraussetzung der absoluten Undurch-
dringlichkeit der primitiven Materie, in der abso-
luten Gleichartigkeit dieses Stoffs und dem allein
übrig gelassenen Unterschiede in der Gestalt, und in
der absoluten Unüberwindlichkeit des Zusammen-
hanges der Materie in diesen Grundkörperchen selbst.
Dies waren die Materialien zu Erzeugung der spe-
zifisch verschiedenen Materien, um nichi allein zu der
30 Unveränderlichkeit der Gattungen und Arten einen un-
veränderlichen und gleichwohl verschiedentlich gestal-
teten Grundstoff bei der Handa) zu haben, sondern
auch aus der Gestalt dieser ersten Teile, als Maschinen
(denen nichts weiter, als eine äußerlich eingedrückte
Kraft fehlte), die mancherlei Naturwirkungen mecha-
nisch zu erklären. Die erste und vornehmste Be-
glaubigung dieses Systems aber beruht auf der
vorgeblich unvermeidlichen Notwendigkeit, zum
spezifischen Unterschiede der Dichtigkeit
40 der Materien leere Räume zu brauchen, die man
a) A' A" „bei Hand-' korr. A'".
II, Hauptstück. Dynamik. 279
innerhalb der Materien und zwischen jenen Partikeln
verteilt, in einer Proportion, wie man sie nötig fand,
zum Behuf einiger Erscheinungen gar so groß, daß
der erfüllete Teil des Volumens, auch der dichtesten
Materie, gegen den leeren beinahe für nichts zu halten
ist, annahm. — Um nun eine dynamische Erklärungs-
art einzuführen (die der Experimentalphilosophie weit
angemessener und beförderlicher ist, indem sie ge-
radezu darauf leitet, die den Materien eigene be-
wegende Kräfte und deren Gesetze auszufinden, die 10
Freiheit dagegen einschränkt, leere Zwischenräume
und Grundkörperchen von bestimmten Gestalten an-
zunehmen, die sich beide durch kein Experiment be-
stimmen und ausfindig machen lassen), ist es gar
nicht nötig, neue Hypothesen zu schmieden, sondern
allein das Postulat der bloß mechanischen Erklärungs-
art: daß es unmöglich sei, sich einen spezi-
fischen Unterschied der Dichtigkeit der Ma-
terien ohne Beimischung leerer Räume zu
denken, durch die bloße Anführung einer Art, wie 20
er sich ohne Widerspruch denken lasse, zu wider-
legen. Denn wenn das gedachte Postulat, worauf die
bloß mechanische Erklärungsart fußet, nur erst als
Grundsatz für ungültig erkläret worden, so versteht
es sich von selbst, daß man es als Hypothese in
der Naturwissenschaft nicht aufnehmen müsse, solange
noch eine Möglichkeit übrig bleibt, den spezifischen
Unterschied der Dichtigkeiten sich auch ohne alle leere
Zwischenräume zu denken. Diese Notwendigkeit aber
beruht darauf, daß die Materie nicht (wie bloß mecha- 30
nische Naturforscher annehmen) durch absolute Un-
durchdringlichkeit ihren Raum erfüllt, sondern durch
repulsive Kraft, die ihren Grad hat, der in verschie-
denen Materien verschieden sein kann, und, da er für
sich nichts mit der Anziehungskraft, welche der
Quantität der Materie gemäß ist, gemein hat, sie bei
einerlei Anziehungskraft in verschiedenen Materien
dem Grade nach ursprünglicha) verschieden sein
könne, folglich auch der Grad der Ausdehnung dieser
Materien bei derselben Quantität der Materie und um- 40
a) „als ursprünglich-' A' A" A'" korr. Rosenkranz,
280 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft
gekehrt die Quantität der Materie unter demselben
Volumen, d. i. die Dichtigkeit derselben ursprünglich
gar große spezifische Verschiedenheiten zulasse. Auf
diese Art würde man es nicht unmöglich finden, sich
eine Materie zu denken (wie man sich etwa den Äther
vorstellt), die ihren Raum ohne alles Leere ganz er-
füllete, und doch mit ohne Vergleichung minderer
Quantität der Materie unter gleichem Volumen, als
alle Körper, die wir unseren Versuchen unterwerfen
10 können. Die repulsive Kraft muß am Äther, in Ver-
hältnis auf die eigene Anziehungskraft desselben, ohne
Vergleichung größer gedacht werden, als an allen
andern uns bekannten Materien. Und das ist denn
auch das einzige, was wir bloß darum annehmen,
weil es sich denken läßt, nur zum Widerspiel
einer Hypothese (der leeren Räume), die sich allein
auf das Vorgeben stützt, daß sich dergleichen ohne
leere Räume nicht denken lasse. Denn außer
diesem darf weder irgendein Gesetz der anziehenden,
20 noch zurückstoßenden Kraft auf Mutmaßungen a prioi i
gewagt, sondern alles, selbst die allgemeine Attraktion,
als Ursache der Schweren, muß samt ihrem Gesetze
aus Datis der Erfahrung geschlossen werden. Noch
weniger wird dergleichen bei den chemischen Ver-
wandtschaften anders als durch den Weg des Experi-
ments versucht werden dürfen. Denn es ist über-
haupt über dem») Gesichtskreis unserer Vernunft ge-
legen, ursprüngliche Kräfte a priori ihrer Möglich-
keit nach einzusehen, vielmehr besteht alle Natur-
30 Philosophie in der Zurückführung gegebener, dem An-
scheine nach verschiedener Kräfte auf eine geringere
Zahl Kräfte und Vermögen, die zur Erklärung der
Wirkungen der ersten zulangen, welche Reduktion
aber nur bis zu Grundkräften fortgeht, über die
unsere Vernunft nicht hinaus kann. Und so ist Nach-
forschung der Metaphysik, hinter dem, was dem empi-
rischen Begriffe der Materie zum Grunde liegt, nur
zu der Absicht nützlich, die Naturphilosophie, so weit
als es immer möglich ist, auf die Erforschung der
40 dynamischen Erklärungsgründe zu leiten, weil diese
a) „den" A' u. A".
II. Hauptstück. Dynamik. 281
allein bestimmte Gesetze, folglich wahren Vernunft-
zusammenhang der Erklärungen hoffen lassen.
Dies ist nun alles, was Metaphysik zur Konstruk-
tion des Begriffs der Materie, mithin zum Behuf der
Anwendung der Mathematik auf Naturwissenschaft, in
Ansehung der Eigenschaften, wodurch Materie einen
Raum in bestimmtem Maße erfüllet, nur immer leisten
kann, nämlich diese Eigenschaften als dynamisch an-
zusehen und nicht als unbedingte ursprüngliche Posi-
tionen, wie sie etwan eine bloß mathematische Be- 10
handlung postulieren würde.
Den Beschluß kann die bekannt« Frage wegen der
Zulässigkeit leerer Räume in der Welt machen. Die
Möglichkeit derselben läßt sich nicht streiten. Denn
zu allen Kräften der Materie wird Raum erfodert,
und da dieser auch die Bedingungen der Gesetze der
Verbreitung jener erhält, notwendig vor aller Materie
vorausgesetzt. So wird der Materie Attraktionskraft
beigelegt, sofern sie einen Raum um sich durch An-
ziehung einnimmt, ohne ihn gleichwohl zu erfüllen, 20
der also selbst da, wo Materie wirksam ist, als leer
gedacht werden kann, weil sie da nicht durch Zurück-
stoßungskräfte wirksam ist und ihn also nicht erfüllt.
Allein leere Räume als wirklich anzunehmen, dazu
kann uns keine Erfahrung, oder Schluß aus derselben,
oder notwendige Hypothesis, sie zu erklären, berech-
tigen. Denn alle Erfahrung gibt uns nur komparativ-
leere Räume zu erkennen, welche, nach allen be-
liebigen Graden aus der Eigenschaft der Materie, ihren
Raum mit größerer oder bis ins Unendliche immer 30
kleinerer Ausspannungskraft zu erfüllen, vollkommen
erklärt werden können, ohne leere Räume zu bedürfen.
Drittes Hauptstück.
Metaphysische Anfangsgründe
der
Meciiaiiik.
Erklärung 1.
Materie ist das Bewegliche, sofern es, als ein
solches, bewegende Kraft hat.
Anmerkung.
Dieses ist nun die dritte Definition von einer Ma-
10 terie. Der bloß dynamische Begriff konnte die Materie
auch als in Euhe betrachten; die bewegende Kraft, die
da in Erwägung gezogen wurde, betraf bloß die Er-
füllung eines gewissen Raumes, ohne daß die Materie,
die ihn erfüllete, selbst als bewegt angesehen werden
durfte. Die Zurückstoßung war daher eine ursprüng-
lich-bewegende Kraft, um Bewegung zu erteilen;
dagegen wird in der Mechanik die Kraft einer in
Bewegung gesetzten Materie betrachtet, um diese Be-
wegung einer andern mitzuteilen. Es ist aber klar,
20 daß das Bewegliche durch seine Bewegung keine
bewegende Kraft haben würde, wenn es nicht ur-
sprüngHch-bewegende Kräfte besäße, dadurch es vor
aller eigener Bewegung in jedem Orte, da es sich
befindet, wirksam ist, und daß keine Materie einer
III. Hauptstück. Mechanik. 283
anderen a), die ihrer Bewegung in der geraden Linie
vor ihr im Wege liegt, gleichmäßige Bewegung ein-
drücken würde, wenn beide nicht ursprüngliche Ge-
setze der Zurückstoßung besäßen, noch daß sie eine
andere durch ihre Bewegung nötigen könne, in der
geraden Linie ihr zu folgen (sie nachschleppen
könnte), wenn beide nicht Anziehungskräfte besäßen.
Also setzen alle mechanische Gesetze die dynamische
voraus, und eine Materie, als bewegt, kann keine be-
wegende Kraft haben, als nur vermittelst ihrer Zurück- 10
stoßung oder Anziehung, auf welche und mit welchen
sie in ihrer Bewegung unmittelbar wirkt und dadurch
ihre eigene Bewegung einer anderen mitteilt. Man
vs'ird es mir nachsehen, daß ich der Mitteilung der
Bewegung durch Anziehung (z. B. wenn etwa ein
Komet von stärkerem Anziehungsvermögen, als die
Erde, im Vorbeigehen vor derselben sie nach sich
fortschleppte) hier nicht weiter Erwähnung tun werde,
sondern nur der Vermittelung der repulsiven Kräfte,
also durch Druck (wie vermittelst gespannter Federn) 20
oder durch Stoß, da ohnedem die Anwendung der Ge-
setze der einen auf die der anderen nur in Ansehung
der Richtungslinie verschieden, übrigens aber in bei-
den Fällen einerlei ist.
Erklärung 2.
Die Quantität der Materie ist die Menge des
BewegKchen in einem bestimmten Raum. Dieselbe,
sofern alle ihre Teile in ihrer Bewegung als zu-
gleich wirkend (bewegend) betrachtet werden, heißt
die Masse, und man sagt, eine Materie wirke in
Masse, wenn alle ihre Teile in einerlei Richtung 30
bewegt, außer sich zugleich ihre bewegende Kraft
ausüben. Eine Masse von bestimmter Gestalt heißt
ein Körper (in mechanischer Bedeutung). Die
Größe der Bewegung (mechanisch geschätzt) ist
diejenige, die durch die Quantität der bewegten
a) ..eine andere-' A' A" A'" korr. Hartenstein.
284 Metaphysische Anfangsgründe der Xaturwissenscbaft.
Materie und ihre Geschwindigkeit zugleich geschätzt
wird, phor onomisch besteht sie bloß in dem Grade
der Geschwindigkeit.
Lehrsatz 1.
Die Quantität der Materie kann in Vergleichung
mit jeder anderen nur durch die Quantität der Be-
wegung bei gegebener Geschwindigkeit geschätzt
werden.
Beweis.
10 Die Materie ist ins UnendUche teilbar, folglich kann
keiner ihre Quantität durch eine Menge ihrer Teile
unmittelbar bestimmt werden. Denn wenn dieses auch
in der Vergleichung der gegebenen Materie mit einer
gleichartigen geschieht, in welchem Falle die Quan-
tität der Materie der Größe des Volumens propor-
tional ist, so ist dieses doch der Federung des Lehr-
satzes, daß sie in Vergleichung mit jeder anderen
(auch spezifisch verschiedenen) geschätzt werden soll,
zuwider. Also kann die Materie weder unmittelbar
20 noch mittelbar, in Vergleichung mit jeder andern
gültig geschätzt werden, solange man von ihrer eigenen
Bewegung abstrahiert. Folglich ist kein anderes all-
gemein gültiges Maß derselben, als die Quantität ihrer
Bewegung übrig. In dieser aber kann der Unterschied
der Bewegung, der auf der verschiedenen Quantität
der Materien beruht, nur alsdenn gegeben werden,
wenn die Geschwindigkeit unter den verglichenen Ma-
terien als gleich angenommen wird, folglich usw.
Zusatz.
30 Die Quantität der Bewegung der Körper ist in zu-
sammengesetztem Verhältnis aus dem der Quantität
ihrer Materie und ihrer Geschwindigkeit, d. i. es ist
einerlei, ob ich die Quantität der Materie eines Kör-
pers doppelt so groß mache und die Geschwindigkeit
behalte, oder ob ich die Geschwindigkeit verdoppele
III. Hauptstück. Mechanik. 285
und eben diese Masse behalte. Denn der bestimmte
Begriff von einer Größe ist nur durch die Konstruktion
des Quantum möglich. Diese ist aber in Ansehung
des Begriffs der Quantität nichts, als die Zusammen-
setzung des Gleichgeltenden; folglich ist die Konstruk-
tion der Quantität einer Bewegung die Zusammen-
setzung vieler einander gleichgeltender Bewegungen.
Nun ist es nach den phoronomischen Lehrsätzen
einerlei, ob ich einem Beweglichen einen gewissen
Grad Geschwindigkeit oder vielen gleich Beweglichen 10
alle kleinere Grade der Geschwindigkeit erteile, die
aus der durch 'die Menge des Beweglichen dividierten
gegebenen Geschwindigkeit herauskommen. Hieraus
entspringt zuerst ein dem Anscheine nach phorono-
mischer Begriff von der Quantität einer Bewegung,
als zusammengesetzt aus viel Bewegungen außer ein-
ander, aber doch in einem Ganzen vereinigter, be-
weglicher Punkte. Werden nun diese Punkte als etwas
gedacht, was durch seine Bewegung bewegende
Kraft hat, so entspringt daraus der mechanische Be- 20
griff von der Quantität der Bewegung. In der Pho-
ronomie aber ist es nicht tunlich, sich eine Bewegung
als aus vielen außerhalb einander befindlichen zu-
sammengesetzt vorzustellen, weil das Bewegliche, da
es daselbst ohne alle bewegende Kraft vorgestellt
wird, in aller Zusammensetzung mit mehreren seiner
Art keinen Unterschied der Größe der Bewegung gibt,
als die mithin bloß in der Geschwindigkeit besteht.
Wie die Quantität der Bewegung eines Körpers zu
der eines anderen, so verhält sich auch die Größe 30
ihrer Wirkung, aber wohl zu verstehen, der ganzen
Wirkung. Diejenige, welche bloß die Größe eines mit
AViderstande erfülleten Raums (z. B. die Höhe, zu wel-
cher ein Körper mit einer gewissen Geschwindigkeit
wider die Schwere steigen, oder die Tiefe, zu der
derselbe in weiche Materien dringen kann) zum Maße
der ganzen Wirkung annahmen, brachten ein anderes
Gesetz der bewegenden Kräfte bei wirklichen Be-
wegungen heraus, nämlich das des zusammengesetzten
Verhältnisses aus dem der Quantität der Materien und 40
der Quadrate ihrer Geschwindigkeiten; allein sie über-
sahen die Größe der Wirkung in der gegebenen Zeit,
286 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
in welcher der Körper seinen Raum mit kleinerer
Geschwindigkeit zurücklegt, und diese kann doch allein
das Maß einer, durch einen gegebenen gleichförmigen
Widerstand erschöpften Bewegung sein. Es kann also
auch kein Unterschied zwischen lebendigen und toten
Kräften stattfinden, wenn die bewegende Kräfte mecha-
nisch, d. i. als diejenige, die die Körper haben, sofern
sie selbst bewegt sind, betrachtet werden, es mag
nun die Geschwindigkeit ihrer Bewegung endlich oder
10 unendlich klein sein (bloße Bestrebung zur Bewegung);
vielmehr würde man weit schicklicher diejenigen Kräfte,
womit die Materie, wenn man auch von ihrer eigenen
Bewegung, auch sogar von der Bestrebung, sich zu
bewegen, gänzlich abstrahiert, in andere wirkt, folg-
lich die ursprünglich bewegende Kräfte der Dynamik
tote Kräfte, alle mechanische a), d. i. durch eigene Be-
wegung bewegende Kräfte dagegen lebendige Kräfte
nennen können, ohne auf den Unterschied der Ge-
schwindigkeit zu sehen, deren Grad auch unendlich
20 klein sein darf, wenn ja noch diese Benennungen toter
und lebendiger Kräfte beibehalten zu werden ver-
dienten.
Anmerkung.
Wir wollen, um Weitläuftigkeit zu vermeiden, die
Erläuterung der vorstehenden drei Sätze in einer An-
merkung zusammenfassen.
Daß die Quantität der Materie nur als die Menge
des Beweglichen (außerhalb einander) könne gedacht
werden, wie die Definition es aussagt, ist ein
30 merkwürdiger und Fundamentalsatz der allgemeinen
Mechanik. Denn dadurch wird angezeigt, daß Materie
keine andere Größe habe, als die, welche in der
Menge des Mannigfaltigen außerhalb einander
besteht, folglich auch keinen Grad der bewegenden
Kraft mit gegebener Geschwindigkeit, der von dieser
Menge unabhängig wäre und bloß als intensive Größe
betrachtet werden könnte, welches allerdings statt-
finden würde, wenn die Materie aus Monaden be-
a) „mechanisch" A' A" korr. A'".
III. Hauptstück. Meclianik. 287
stände, deren Realität in aller Beziehung einen Grad
haben muß, welcher größer oder kleiner sein kann,
ohne von einer Menge der Teile außer einander ab-
zuhängen. Was den Begriff der Masse in ebender-
selben Erklärung betrifft, so kann man ihn nicht,
wie gewöhnlich, mit dem der Quantität für einerlei
halten. Flüssige Materien können durch ihre eigene
Bewegung in Masse, sie können aber auch im Flusse -
wirken. Im sogenannten Wasserhammer wirkt das
anstoßende Wasser in Masse, d. i. mit allen seinen 10
Teilen zugleich; eben das geschieht auch im Wasser,
welches, in einem Gefäße eingeschlossen, durch sein
Gewicht auf die Wagschale, darauf es steht, drückt.
Dagegen wirkt das Wasser eines Mühlbachs auf die
Schaufel des unterschlägigen Wasserrades nicht in
Masse, d. i. mit allen seinen Teilen, die gegen diese
anlaufen, zugleich, sondern nur nacheinander. Wenn
also hier die Quantität der Materie, die, mit einer
gewissen Geschwindigkeit bewegt, die bewegende Kraft
hat, bestimmt werden soll, so muß man allererst den 20
Wasserkörper, d.i. diejenige Quantität der Materie,
die, wenn sie in Masse mit einer gewissen Geschwin-
digkeit wirkt (mit ihrer Schwere), dieselbe Wirkung
hervorbringen kann, suchen. Daher versteht man auch
gewöhnlich unter dem Worte Masse die Quantität der
Materie eines festen Körpers (das Gefäß, darin ein
Flüssiges eingeschlossen ist, vertritt auch die Stelle
der Festigkeit desselben). Was endlich den Lehrsatz
mit dem angehängten Zusatz zusammen betrifft, so
liegt darin etwas Befremdliches, daß, nach dem £0
ersteren, die Quantität der Materie durch die Quan-
tität der Bewegung mit gegebener Geschwindigkeit,
nach dem zweiten aber wiederum die Quantität der
Bewegung (eines Körpers, denn die eines Punkts be-
steht bloß aus dem Grade der Geschwindigkeit), bei
derselben Geschwindigkeit durch die Quantität der be-
wegten Materie geschätzt werden müsse, welches im
Zirkel herum zu gehen und weder von einem, noch
dem anderen einen bestimmten Begriff zu versprechen
scheint. Allein dieser vermeinte Zirkel würde es wirk- 40
lieh sein, wenn er eine wechselseitige Ableitung zweier
identischen Begriffe voneinander wäre. Nun aber ent-
288 Meta])bysisclie Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
hält er nur einerseits die Erklärung eines Begriffs,
andererseits die der Anwendung desselben auf Er-
fahrung. Die Quantität des Beweglichen im Räume
ist die Quantität der Materie; aber diese Quantität
der Materie (die Menge des Beweglichen) beweiset
sich in der Erfahrung nur allein durch die Quantität
der Bewegung bei gleicher Geschwindigkeit (z. B.
durchs Gleichgewicht).
Noch ist zu merken, daß die Quantität der Materie
10 die Quantität der Substanz im Beweglichen sei,
folglich nicht die Größe einer gewissen Qualität der-
selben (der Zurückstoßung oder Anziehung, die in der
Dynamik angeführt werden), und daß das Quantum
der Substanz hier nichts anderes, als die bloße Menge
des Beweglichen bedeute, welches die Materie aus-
macht. Denn nur diese Menge des Bewegten kann
bei derselben Geschwindigkeit einen Unterschied in
der Quantität der Bewegung geben. Daß aber die
bewegende Kraft, die eine Materie in ihrer eigenen
20 Bewegung hat, allein die Quantität der Substanz be-
weise, beruht auf dem Begriffe der letzteren als dem
letzten Subjekt (das weiter kein Prädikat von einem
andern ist) im Räume, welches eben darum keine
andere Größe haben kann, als die der Menge des
Gleichartigen außerhalb einander. Da nun die eigene
Bewegung der Materie ein Prädikat ist, welches ihr
Subjekt (das Bewegliche) bestimmt, und an einer Ma-
terie, als einer Menge des Beweglichen, die Vielheit
der bewegten Subjekte (bei gleicher Geschwindigkeit
30 auf gleiche Art) angibt, welches bei dynamischen Eigen-
schaften, deren Größe auch die Größe der Wirkung
von einem einzigen Subjekte sein kann (z. B. da eift
Luftteilchen mehr oder weniger Elastizität haben
kann), nicht der Fall ist, so erhellet daraus, wie die
Quantität der Substanz an einer Materie nur mecha-
nisch, d. i. durch die Quantität der eigenen Bewegung
derselben, und nicht dynamisch, durch die Größe der
ursprünglich bewegenden Kräfte, geschätzt werden
müsse. Gleichwohl kann die ursprüngliche An-
40 Ziehung, als die Ursache der allgemeinen Gravita-
tion, doch ein Maß der Quantität der Materie und
ihrer Substanz abgeben (wie das wirklich in der Ver-
III. Hauptstück. Mechanik, 289
gleichung der Materien durch Abwiegen geschieht),
obgleich hier nicht eigene Bewegung der anziehenden
Materie, sondern ein dynamisch Maß, nämlich An-
ziehungskraft, zum Grunde gelegt zu sein scheint.
Aber weil bei dieser Kraft die Wirkung einer Materie
mit allen ihren Teilen unmittelbar auf alle Teile einer
andern geschieht, und also (bei gleichen Entfernungen)
offenbar der Menge der Teile proportioniert ist, der
ziehende Körper sich dadurch auch selbst eine Ge-
schwindigkeit der eigenen Bewegung erteilt (durch 10
den Widerstand des gezogenen), welche, in gleichen
äußeren Umständen, gerade der Menge seiner Teile
proportioniert ist, so geschieht die Schätzung hier
obzwar nur indirekt, doch in der Tat mechanisch.
Lehrsatz 2.
Erstes Gesetz der Mechanik. Bei allen
Veränderungen der körperlichen Natur bleibt die
Quantität der Materie im Ganzen dieselbe, imver-
mehrt und unvermindert.
Beweis. 20
(Aus der allgemeinen Metaphysik wird der Satz
zum Grunde gelegt, daß bei allen Veränderungen der
Natur keine Substanz weder entstehe, noch vergehe,
und hier wird nur dargetan, was in der Materie die
Substanz sei.) In jeder Materie ist das Bewegliche
im Räume das letzte Subjekt aller der Materie
inhärierenden Akzidenzen, und die Menge dieses Be-
weglichen außerhalb einander die Quantität der Sub-
stanz. Also ist die Größe der Materie, der Substanz
nach, nichts anders, als die Menge der Substanzen, 30
daraus sie besteht. Es kann also die Quantität der
Materie nicht vermehrt oder vermindert werden, als
dadurch, daß neue Substanz derselben entsteht oder
vergeht. Nun entsteht und vergeht bei allem Wechsel
der Materie die Substanz niemals; also wird auch die
Quantität der Materie dadurch weder vermehrt, noch
vermindert, sondern bleibt immer dieselbe, und zwar
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. 1. 19
290 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
im Ganzen, d. i. so, daß sie irgend in der Welt in
derselben Quantität fortdauert, obgleich diese oder
jene Materie durch Hinzukunft oder Absonderung der
Teile vermehrt oder vermindert werden kann.
Anmerkung.
Das Wesentliche, was in diesem Beweise diea) Sub-
stanz, die nur im Räume und nach Bedingungen des-
selben, folglich als Gegenstand äußerer Sinne mög-
lich ist, charakterisieret, ist, daß ihre Größe nicht
10 vermehrt oder vermindert werden kann, ohne daß
Substanz entstehe oder vergehe, darum, weil alle Größe
eines bloß im Raum möglichen Objekts aus Teilen
außerhalb einander bestehen muß, diese also, wenn
sie real (etwas Bewegliches) sind, notwendig Sub-
stanzen sein müssen. Dagegen kann das, was als
Gegenstand des inneren Sinnes betrachtet wird, als
Substanz eine Größe haben, die nicht aus Teilen
außerhalb einander besteht, deren Teile also auch
nicht Substanzen sind, deren Entstehen oder Vergehen
20 folglich auch nicht ein Entstehen oder Vergehen einer
Substanz sein darf, deren Vermehrung oder Verminde-
rung daher, dem Grundsatze von der Beharrlichkeit
der Substanz unbeschadet, möglich ist. So hat näm-
lich das Bewußtsein, mithin die Klarheit der Vor-
stellungen meiner Seele, und, derselben zufolge, auch
das Vermögen des Bewußtseins, die Apperzeption, mit
diesem aber selbst die Substanz der Seele einen Grad,
der größer oder kleiner werden kann, ohne daß irgend-
eine Substanz zu diesem Behuf entstehen oder ver-
30 gehen dürfte. Weil aber bei allmählicher Verminde-
rung dieses Vermögens der Apperzeption endlich ein
gänzliches Verschwinden derselben erfolgen müßte,
so würde doch selbst die Substanz der Seele einem
allmähligen Vergehen unterworfen sein, ob sie schon
einfacher Natur wäre, weil dieses Verschwinden ihrer
Grundkraft nicht durch Zerteilung (Absonderung der
Substanz von einem Zusammengesetzten), sondern
gleichsam durch Erlöschen, und auch dieses nicht in
a) „der" A' A" A'" korr. Hartenstein.
III. Hauptstück. Mechanik. 291
einem Augenblicke, sondern durch allmählige Nach-
lassung des Grades derselben, es sei aus welcher
Ursache es wolle, erfolgen könnte. Das Ich, das
allgemeine Korrelat der Apperzeption und selbst bloß
ein Gedanke, bezeichnet, als ein bloßes Vorwort, ein
Ding von unbestimmter Bedeutung, nämlich das Sub-
jekt aller Prädikate, ohne irgendeine Bedingung, die
diese Vorstellung des Subjekts von dem eines Etwas
überhaupt unterschiede, also Substanz, von der man,
was sie sei, durch diesen Ausdruck keinen Begriff 10
hat. Dagegen der Begriff einer Materie als Substanz
der Begriff des Beweglichen im Räume ist. Es ist
daher kein Wunder, wenn von der letzteren die Be-
harrlichkeit der Substanz bewiesen werden kann, von
der ersteren aber nicht, weil bei der Materie schon
aus ihrem Begriffe, nämlich daß sie das Beweg-
liche sei, das nur im Räume möglich ist, fließt, daß
das, was in ihr Größe hat, eine Vielheit des Realen
außer einander, mithin der Substanzen, enthalte,
und folglich die Quantität derselben nur durch Zer- 20
teilung, welche kein Verschwinden ist, vermindert wer-
den könne, und das letztere in ihr nach dem Gesetze
der Stetigkeit auch unmöglich sein würde. Der Ge-
danke Ich ist dagegen gar kein Begriff, sondern
nur innere Wahrnehmung, aus ihm kann also auch
gar nichts (außer der gänzliche Unterschied eines
Gegenstandes des inneren Sinnes von dem, was bloß
als Gegenstand äußerer Sinne gedacht wird), folglich
auch nicht die Beharrlichkeit der Seele, als Substanz,
gefolgert werden. 30
Lehrsatz 3.
Zweites Gesetz der Mechanik. Alle Ver-
änderung der Materie hat eine äußere Ursache.
(Ein jeder KörjDer beharrt in seinem Zustande der
Ruhe oder Bewegung, in derselben Richtung und
mit derselben Geschwindigkeit, wenn er nicht durch
eine äußere Ursache genötigt wird, diesen Zustand
zu verlassen).
19*
292 Metaphysische Anfangsgründe der Xaturwissenschaft.
Beweis.
(Aus der allgemeinen Metaphysik wird der Satz
zum Grunde gelegt, daß alle Veränderung eine Ur-
sache habe; hier soll von der Materie nur bewiesen
werden, daß ihre Veränderung jederzeit eine äußere
Ursache haben müsse.) Die Materie, als bloßer Gegen-
stand äußerer Sinne, hat keine andere Bestimmungen,
als die der äußeren Verhältnisse im Räume, und er-
leidet also auch keine Veränderungen, als durch Be-.
10 wegung. In Ansehung dieser, als Wechsels einer
Bewegung mit einer andern, oder derselben mit der
Ruhe, und umgekehrt, muß eine Ursache derselben
angetroffen werden (nach Prinz, der Metaph.). Diese
Ursache aber kann nicht innerlich sein, denn die
Materie hat keine schlechthin innere Bestimmungen
und Bestimmungsgründe. Also ist alle Veränderung
einer Materie auf äußere Ursache gegründet (d. i. ein
Körper beharrt usw.).
Anmerkung.
20 Dieses mechanische Gesetz muß allein das Gesetz
der Trägheit (lex inert iae) genannt werden; das Ge-
setz der einer jeden Wirkung entgegengesetzten glei-
chen Gegenwirkung kann diesen Namen nicht führen.
Denn dieses sagt, was die Materie tut, jenes aber
nur, was sie nicht tut, welches dem Ausdrucke der
Trägheit besser angemessen ist. Die Trägheit der
Materie ist und bedeutet nichts anders, als ihre Leb-
losigkeit, als Materie an sich selbst. Leben heißt
das Vermögen einer Substanz, sich aus einem
30 inneren Prinzip zum Handeln, einer endlichen
Substanz sich zur Veränderung, und einer mate-
riellen Substanz sich zur Bewegung oder Ruhe,
als Veränderung ihres Zustandes, zu bestimmen. Nun
kennen wir kein anderes inneres Prinzip einer Sub-
stanz, ihren Zustand zu verändern, als das Begehren,
und überhaupt keine andere innere Tätigkeit, als Den-
ken, mit dem, Avas davon abhängt, Gefühl der Lust
oder Unlust und Begierde oder Willen. Diese Be-
stimmungsgründe aber und Handlungen gehören gar
III. Hauptstück, Mechanik. 293
nicht ZU den Vorstellungen äußerer Sinne und also
auch nicht zu den Bestimmungen der Materie als
Materie. Also ist alle Materie als solche leblos.
Das sagt der Satz der Trägheit, und nichts mehr.
Wenn wir die Ursache irgendeiner Veränderung der
Materie im Leben suchen, so werden wir es auch
sofort in einer anderen, von der Materie verschie-
denen, obzwar mit ihr verbundenen Substanz zu suchen
haben. Denn in der Naturkenntnis ist es nötig, zuvor
die Gesetze der Materie als einer solchen zu kennen lo
und sie von dem Beitritte aller anderen wirkenden
Ursachen zu läutern, ehe man sie damit verknüpft,
um wohl zu unterscheiden, was und wie jede der-
selben für sich allein wirke. Auf dem Gesetze der
Trägheit (neben dem der Beharrlichkeit der Substanz)
beruht die Möglichkeit einer eigentlichen Naturwissen-
schaft ganz und gar. Das Gegenteil des erstem,
und daher auch der Tod aller Naturphilosophie, wäre
der Hylozoism. Aus ebendemselben Begriffe der
Trägheit, als bloßer Leblosigkeit, fließt von selbst, 20
daß sie nicht ein positives Bestreben, seinen Zu-
stand zu erhalten, bedeute. Nur lebende Wesen wer-
den in diesem letzteren Verstände trag genannt, weil
sie eine Vorstellung von einem anderen Zustande haben,
den sie verabscheuen, und ihre Kraft dagegen an-
strengen.
Lehrsatz 4.
Drittes mechanisches Gesetz. In aller
Mitteilung der Bewegung sind Wirkung und Gegen-
wirkung einander jederzeit gleich. 30
Beweis.
(Aus der allgemeinen Metaphysik muß der Satz
entlehnt werden, daß alle äußere Wirkung in der
Welt Wechselwirkung sei. Hier soll, um in den
Schranken der Mechanik zu bleiben, nur gezeigt wer-
den, daß diese Wechselwirkung (actio mutua) zugleich
Gegenwirkung (rcactiG) sei; allein ich kann, ohne
294 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
der Vollständigkeit der Einsicht Abbruch zu tun, jenes
metaphysische Gesetz der Gemeinschaft hier doch nicht
ganz weglassen.) Alle tätige Verhältnisse der Ma-
terien im Räume und alle Veränderungen dieser Ver-
hältnisse, sofern sie Ursachen von gewissen Wir-
kungen sein können, müssen jederzeit als wechsel-
seitig vorgestellt werden, d. i. weil alle Veränderung
derselben Bewegung ist, so kann keine Bewegung eines
Körpers in Beziehung auf einen absolut-ruhigen,
10 der dadurch auch in Bewegung gesetzt werden soll,
gedacht werden, vielmehr muß dieser nur als relativ-
ruhig in Ansehung des Raums, auf den man ihn be-
zieht, zusamt diesem Räume aber in entgegengesetzter
Richtung als mit ebenderselben Quantität der Bewegung
im absoluten Räume bewegt vorgestellt werden, als der
bewegte in ebendemselben gegen ihn hat. Denn die
Veränderung des Verhältnisses (mithin die Bewegung)
ist zwischen beiden durchaus wechselseitig; so viel der
eine Körper jedem Teile des anderen näher kommt,
20 so viel nähert sich der andere jedem Teil des ersteren;
und weil es hier nicht auf den empirischen Raum, der
beide Körper umgibt, sondern nur auf die Linie, die
zwischen ihnen liegt, ankommt (indem diese Körper
lediglich in Relation aufeinander, nach dem Einflüsse,
den die Bewegung des einen auf die Veränderung des
Zustandes des anderen, mit Abstraktion von aller Rela-
tion zum empirischen Räume, haben kann, betrachtet
werden), so wird ihre Bewegung als ibloß im absoluten
Räume bestimmbar betrachtet, in welchem jeder der
30 beiden Körper an der Bewegung, die dem einen im
relativen Räume beigelegt wird, gleichen Anteil haben
muß, indem kein Grund da ist, einem von beiden
mehr davon, als dem anderen, beizulegen. Auf diesem
Fuß wird die Bewegung eines Körpers A gegen einen
anderen ruhigen B, in Ansehung dessen er dadurch
bewegend sein kann, auf den absoluten Raum redu-
ziert, d. i. als Verhältnis wirkender Ursachen bloß
aufeinander bezogen, so betrachtet, wie beide an der
Bewegung, welche in der Erscheinung dem Körper A
40 allein beigelegt wird, gleichen Anteil haben; welches
nicht anders geschehen kann, als so, daß die Ge-
schwindigkeit, die im relativen Räume bloß dem Kör-
III. Hauptstück. Mechanik. 295
per Ä beigelegt wird, unter A und B in umgekehrtem
Verhältnis der Massen, dem A allein die seinige im
absoluten Räume, dem B dagegen zusamt dem rela-
tiven Räume, worin er ruht, in entgegengesetzter
Richtung ausgeteilt werde, wodurch dieselbe Erschei-
nung der Bewegung vollkommen beibehalten, die Wir-
kung aber in der Gemeinschaft beider Körper auf
folgende Art konstruiert wird.
? ^-€)
B
Es sei ein Körper A mit einer Geschwindigkeit =
AB in Ansehung des relativen Raumes gegen den 10
Körper B, der in Ansehung ebendesselben Raums
ruhig ist, im Anlaufe. Man teile die Geschwindig-
keit AB in zwei Teile, Ae und Bc, die sich umge-
kehrt wie die Massen B und A gegeneinander ver-
halten, und stelle sich A mit der Geschwindigkeit Ac
im absoluten Räume, B aber mit der Geschwindigkeit
Bc in entgegengesetzter Richtung zusamt dem rela-
tiven Räume bewegt vor: so sind beide Bewegungen
einander entgegengesetzt und gleich, und da sie ein-
ander wechselseitig aufheben, so versetzen sich beide 20
Körper beziehungsweise aufeinander, d. i. im abso-
luten Räume, in Ruhe. Nun war aber B mit der
Geschwindigkeit Bc in der Richtung BA, die der des
Körpers A, nämlich AB, gerade entgegengesetzt ist,
zusamt dem relativen Räume in Bewegung. Wenn
also die Bewegung des Körpers B durch den Stoß
aufgehoben wird, so wird darum doch die Bewegung
des relativen Raums nicht aufgehoben. Also bewegt
sich nach dem Stoße der relative Raum in An-
sehung beider Körper A und B (die nunmehr im 30
absoluten Räume ruhen) in der Richtung BA mit
der Geschwindigkeit Bc, oder, welches einerlei ist,
beide Körper bewegen sich nach dem Stoße mit glei-
cher Geschwindigkeit Bd = Bc in der Richtung des
stoßenden AB. Nun ist aber, nach dem vorigen, die
Quantität der Bewegung des Körpers B in der Rich-
tung und mit der Geschwindigkeit Bc, mithin auch die
296 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
in der Richtung Bd mit derselben Geschwindigkeit,
der Quantität der Bewegung des Körpers A mit der
Geschwindigkeit und in der Richtung Äc gleich; folg-
lich ist die Wirkung, d. i. die Bewegung Bd, die der
Körper B durch den Stoß im relativen Räume erhält,
und also auch die Handlung des Körpers A mit der
Geschwindigkeit Ac der Gegenwirkung Bc jederzeit
gleich. Da ebendasselbe Gesetz (wie die mathema-
tische Mechanik lehrt) keine Abänderung erleidet,
10 wenn, anstatt des Stoßes auf einen ruhigen, ein Stoß
desselben Körpers auf einen gleichfalls bewegten
Körper angenommen wird, imgleichen die Mitteilung
der Bewegung durch den Stoß von der durch den
Zug nur in der Richtung, nach welcher die Materien
einander in ihren Bewegungen widerstehen, unter-
schieden ist, so folgt, daß in aller Mitteilung der
Bewegung Wirkung und Gegenwirkung einander
jederzeit gleich sein; (daß jeder Stoß nur vermittelst
eines gleichen Gegenstoßes, jeder Druck vermittelst
20 eines gleichen Gegendrucks, imgleichen jeder Zug nur
durch einen gleichen Gegenzug die Bewegung eines
Körpers dem andern mitteilen könne)*).
*) In der Phoronomie, da die Bewegung eines Körpers
bloß in Ansehung des Raums, als Veränderung der Relation
in demselben, betrachtet wurde, war es ganz gleichgültig,
ob ich dem Körper im Räume, oder anstatt dessen dem rela-
tiven Räume eine gleiche, aber entgegengesetzte Bewegung
zugestehen wollte; beides gab völlig einerlei Erscheinung. Die
Quantität der Bewegung des Raums war bloß die Geschwin-
digkeit, und daher die des Körpers gleichfalls nichts, als
seine Geschwindigkeit (weswegen er als ein bloßer beweg-
licher Punkt betrachtet werden konnte). In der Mechanik
aber, da ein Körj>er in Bewegung gegen einen andern be-
trachtet wird, gegen den er durch seine Bewegung ein
Kausalverhältnis hat, nämlich das, ihn selbst zu be-
wegen, indem er») entweder bei seiner Annäherung durch die
Kraft der Undurchdringlichkeit, oder seiner Entfernung durch
die Kraft der Anziehung mit ihm in Gemeinschaft kommt,
da ist es nicht mehr gleichgültig, ob ich einem dieser Körper,
oder dem Räume eine entgegengesetzte Bewegung zueignen
will. Denn nunmehro kommt ein anderer Begriff der Quan-
a) ,,es" A' A" A'".
III. Hauptstück. Mechanik. 297
Zusatz 1.
Hieraus folgt das für die allgemeine Mechanik
nicht unwichtige Naturgesetz: daß ein jeder Körper,
wie groß auch seine Masse sei, durch den Stoß eines
jeden anderen, wie klein auch seine Masse oder Ge-
schwindigkeit sein mag, beweglich sein müsse.
Denn der Bewegung von Ä in der Richtung AB
korrespondiert notwendiger Weise eine entgegen-
gesetzte gleiche Bewegung von B in der Richtung
BA. Beide Bewegungen heben durch den Stoß ein- 10
ander im absoluten Räume auf. Dadurch aber er-
halten beide Körper eine Geschwindigkeit Bd = Bc
in der Richtung des stoßenden; folglich ist der
Körper B für jede noch so kleine Kraft des An-
stoßes beweglich.
tität der Bewegung ins Spiel, nämlich nicht derjenigen, die
bloß in Ansehung des Raumes gedacht wird und allein in
der Geschwindigkeit besteht, sondern derjenigen, wobei zu-
gleich die Quantität der Substanz (als bewegende Ursache)
in Anschlag gebracht werden niuU, und es ist hier nicht
mehr beliebig, sondern notwendig, jeden der beiden
Körper als bewegt anzunehmen, und zwar mit gleicher Quan-
tität der Bewegung in entgegengesetzter Eichtung; wenn
aber der eine relative in Ansehung des Raumes in Ruhe ist,
ihm die erfoderliche Bewegung zusamt dem Räume
beizulegen. Denn einer kann auf den anderen durch seine
eigene Bewegung nicht wirken, als entweder bei der An-
näherung vermittelst der Zui'ückstoßungskraft, oder bei der
Entfernung vermittelst der Anziehung. Da beide Kräfte
nun jederzeit beiderseitig in entgegengesetzten Richtungen
und gleich wirken, so kann kein Körper vermittelst ihrer
durch seine Bewegung auf einen anderen wirken ohne gerade
so viel, als der andere mit gleicher Quantität der Bewegung
entgegenwirkt. Also kann kein Körper einem schlechthin-
ruhigen durch seine Bewegung Bewegung erteilen, son-
dern dieser muß gerade mit derselben Quantität der Be-
wegung (zusamt dem Räume) in entgegengesetzter Richtung
bewegt sein, als diejenige ist, die er durch die Bewegung
des ersteren und in der Richtung desselben erhalten soll. —
Der Leser wird leicht inne werden, daß, unerachtet des
etwa Ungewöhnlichen, welches diese Vorstellungsart der
Mitteilung der Bewegung an sich hat, sie sich dennoch in
das helleste Licht stellen lasse, wenn man die Weitläuftig-
keit der Erläuterung nicht scheuet.
298 Metaphysische Anfangsgründe der Natiirwissenschaft.
Zusatz 2.
Dies ist also das mechanische Gesetz der
Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung, welches
darauf .beruht, daß keine Mitteilung der Bewegung
stattfinde, außer sofern eine Gemeinschaft dieser
Bewegungen vorausgesetzt wird, daß also kein Körper
einen anderen stoße, der in Ansehung seiner ruhig
ist, sondern, ist dieser es in Ansehung des Raums,
nur sofern er zusamt diesem Räume in gleichem
10 Maße aber in entgegengesetzter Richtung bewegt^),
mit der Bewegung, die alsdenn dem ersteren zu seinem
relativen Anteil fällt, zusammen, allererst die Quan-
tität der Bewegung gebe, die wir dem ersten im
absoluten Räume beilegen würden. Denn keine Be-
wegung, die in Ansehung eines anderen Körpers
bewegend sein soll, kann absolut sein; ist sie aber
relativ in Ansehung des letzteren, so gibt's keine
Relation im Räume, die nicht wechselseitig und gleich
sei. — ■ Es gibt aber noch ein anderes, nämlich ein
20 dynamisches Gesetz der Gleichheit der Wirkung
und Gegenwirkung der Materien, nicht sofern eine
der anderen ihre Bewegung mitteilt, sondern dieser
ursprünglich erteilt und durch deren Widerstreben
zugleich in sich hervorbringt. Diese läßt sich auf
ähnliche Art leicht dartun. Denn wenn die Materie A
die Materie B zieht, so nötigt sie diese, sich ihr zu
nähern, oder, welches einerlei ist, jene widersteht
der Kraft, womit diese sich zu entfernen trachten
möchte. Weil es aber einerlei ist, ob B sich von A,
30 oder A von B entferne, so ist dieser Widerstand zu-
gleich ein Widerstand, den der Körper B gegen A
ausübt, sofern er sich von ihm zu entfernen trachten
möchte, mithin sind Zug und Gegenzug einander gleich.
Ebenso, wenn A die Materie B zurückstößt, so wider-
steht A der Annäherung von B. Da es aber einerlei
ist, ob sich B dem A, oder A dem B nähere, so
widersteht B auch ebenso viel der Annäherung von
A; Druck und Gegendruck sind also auch jederzeit
einander gleich.
a) Harteusteiu „sich bewegt".
III. Hauptstück. Mechanik. 299
Anmerkung 1.
Dies ist also die Konstruktion der Mitteilung der
Bewegung, welche zugleich das Gesetz der Gleichheit
der Wirkung und Gegenwirkung, als notwendige Be-
dingung derselben bei sich führet, welches Newton
sich gar nicht getrauete a priori zu beweisen, sondern
sich deshalb auf Erfahrung berief, welchem zu Ge-
fallen andere eine besondere Kraft der Materie, unt^r
dem von Keplern zuerst angeführten Namen der
Trägheitskraft (vis inertiae), in der Naturwissen- 10
Schaft einführe ten und also im Grunde es auch von
Erfahrung ableiteten, endlich noch andere in dem Be-
griffe einer bloßen Mitteilung der Bewegung setzten,
welche sie wie einen allmählichen Übergang der Be-
wegung des einen Körpers in den andern ansahen,
wobei der bewegende gerade so viel einbüßen müsse,
als er dem bewegten erteilt, bis er dem letzteren
keine weiter eindrückt (wenn er nämlich mit diesem
schon bis zur Gleichheit der Geschwindigkeit in der-
selben Richtung gekommen ist*); wodurch sie im 20
*) Die Gleichheit der Wirkung- mit der in diesem Falle
fälschlich sogenannten Gegenwirkung kommt ebensowohl
heraus, wenn man bei der Hyi^othese der Transfusion der
Bewegungen aus einem Körjjer in den anderen den bewegten
Körjjer A dem ruhigen in einem Augenblicke seine ganze
Bewegung überliefern läßt, so, daß er nach dem Stoße
selber ruhe, welcher Fall unausbleiblich war, sobald man
beide Körper als absolut-hart (welche Eigenschaft von
der Elastizität unterschieden werden muß) dachte. Da dieses
Bewegungsgesetz aber weder mit der Erfahrung, noch mit
sich selbst in der Anwendung zusammenstimmen wollte, so
wußte man sich nicht anders zu helfen, als dadurch, daß
man die Existenz absolut harter Köi-per leugnete, welches
so viel hieß, als die Zufälligkeit dieses Gesetzes zugestehen,
indem es auf der besonderen Qualität der Materien») beruhen
sollte, die einander bewegen. In unserer Darstellung dieses
Gesetzes ist es dagegen ganz einerlei, ob man die Köi'per,
die einander stoßen , absolut-hart oder nicht denken will.
AVie aber die Transfusionisten der Bewegung die Be-
wegung elastischer Körper durch den Stoß nach ihrer
Art erklären wollen, ist mir ganz unbegreiflich. Denn das
a) „Materie" A' A" A'" korr. Hartenstein.
300 Metapliysisclie Anfangsgründe der Xaturwissenschaft.
Grunde alle Gegenwirkung aufhoben, d. i. alle wirk-
lich entgegenwirkende Kraft des gestoßenen gegen
den stoßenden (der etwa vermögend wäre, eine Spring-
feder zu spannen), und außerdem, daß sie das nicht
beweisen, was in dem genannten Gesetze eigentlich
gemeint ist, die Mitteilung der Bewegung selbst
ihrer Möglichkeit nach gar nicht erklärten. Denn der
Name vom Übergang der Bewegung von einem
Körper auf den andern erklärt nichts, und wenn
10 man ihn nicht etwa (dem Grundsatze: aeeidetitia non
Diigrant e siihstantiis in suhstantlas*) zuwider) buch-
stäblich nehmen will, als wenn Bewegung von einem
Körper in einen anderen, wie Wasser aus einem Glase
in das andere, gegossen würde, so ist es hier eben
die Aufgabe, wie diese Möglichkeit begreiflich zu
machen sei, deren Erklärung nun gerade auf dem-
selben Grunde beruht, woraus das Gesetz der Gleich-
heit der Wirkung und Gegenwirkung abgeleitet wird.
Man kann sich gar nicht denken^ wie die Bewegung
20 eines Körpers A mit der Bewegung eines anderen B
notwendig verbunden sein müsse, als so, daß man
sich Kräfte an beiden denkt, die ihnen (dynamisch)
vor aller Bewegung zukommen, z. B. Zurückstoßung,
und nun beweisen kann, daß die Bewegung des Kör-
pers A durch Annäherung gegen B mit der An-
näherung von B gegen ^1, und, wenn B als ruhig
angesehen wird, mit der Bewegung desselben zusamt
seinem Räume gegen A notwendig verbunden sei,
sofern die») Körper mit ihren (ursprünglich) be-
30 wegenden Kräften bloß relativ aufeinander in Be-
ist klar, daß der ruhende Körper nicht als bloß ruhend
Bewegung bekomme, die der stoßende einbüßt, sondern daß
er im Stoße -wirkliche Kraft in entgegengesetzter Kichtung
gegen den stoßenden ausübe, um gleichsam die Feder
zwischen beiden zusammenzudrücken, welches von seiner
Seite ebensowohl wirkliche Bewegung (aber in entgegen-
gesetzter Richtung) erfodert, als der bewegende Kör^ier
seinerseits dazu nötig hat.
*) „Die Akzidenzen wandern nicht aus einer Substanz
in die andere".
a) ,.ein" A' A" A'" korr. Hartenstein.
III. Hauptstück. Mechanik. 30I
wegung betrachtet werden. Dieses letztere kann völlig
a priori dadurch eingesehen werden, daß, es mag nun
der Körper B in Ansehung des empirisch kennbaren
Raumes ruhig oder bewegt sein, er doch in Ansehung
des Körpers A notwendig als bewegt, und zwar in ent-
gegengesetzter Richtung als bewegt angesehen werden
müsse; weil sonst kein Einfluß desselben auf die
repulsive Kraft beider stattfinden würde, ohne welchen
ganz und gar keine mechanische Wirkung der Mate-
rien aufeinander, d. i. keine Mitteilung der Bewegung 10
durch den Stoß möglich ist.
Anmerkung 2.
Die Benennung der Trägheitskraft (vis inertiae)
muß also, unerachtet des berühmten Namens ihres
Urhebers, aus der Naturwissenschaft gänzlich weg-
geschafft werden, nicht allein weil sie einen Wider-
spruch im Ausdrucke selbst bei sich führt, oder auch
deswegen, weil das Gesetz der Trägheit (Leblosigkeit)
dadurch leicht mit dem Gesetze der Gegenwirkung
in jeder mitgeteilten Bewegung verwechselt werden 20
könnte, sondern vornehmlich weil dadurch die irrige
Vorstellung derer, die der mechanischen Gesetze nicht
recht kundig sind, erhalten und bestärkt wird, nach
welcher die Gegenwirkung der Körper, von der unter
dem Namen der Trägheitskraft die Rede ist, darin
bestehe, daß die Bewegung dadurch in der Welt auf-
gezehrt, vermindert oder vertilgt, nicht aber die bloße
Mitt-eilung derselben dadurch bewirkt werde, indem
nämlich 'der bewegende Körper einen Teil seiner Be-
wegung bloß dazu aufwenden müßte, um die Trägheit 30
des ruhenden zu überwinden (welches denn reiner
Verlust wäre); mit dem übrigen Teile allein könne ")
er den letzteren in Bewegung setzen; bliebe ihm aber
nichts übrig, so würde er durch seinen Stoß den
letzteren, seiner großen Masse wegen, gar nicht in
Bewegung bringen. Einer Bewegung kann nichts
widerstehen, als entgegengesetzte Bewegung eines
anderen, keineswegs aber dessen Ruhe. Hier ist also
nicht Trägheit der Materie, d. i. bloßes Unvermögen,
a) Hartenstein „könnte".
302 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
sich von selbst zu bewegen, die Ursache eines Wider-
standes. Eine besondere ganz eigentümliche Kraft,
bloß um zu widerstehen, ohne einen Körper bewegen
zu können, wäre unter dem Namen einer Trägheits-
kraft ein Wort ohne alle Bedeutung. Man könnte also
die drei Gesetze der allgemeinen Mechanik schick-
licher so benennen: das Gesetz der Selbständig-
keit, der Trägheit und der Gegenwirkung der
Materien (lex Suhslstentiae, Inertiae et Antagonismi)
10 bei allen ihren Veränderungen derselben. Daß
diese, mithin die gesamten Lehrsätze gegenwärtiger
Wissenschaft, den Kategorien der Substanz, der
Kausalität und der Gemeinschaft, sofern diese
Begriffe auf Materie angewandt werden, genau ant-
worten, bedarf keiner weiteren Erörterung.
Allgemeine Anmerkung zur Mechanik.
Die Mitteilung der Bewegung geschieht nur ver-
mittelst solcher bewegenden Kräfte, die einer Materie
auch in Ruhe beiwohnen (Undurchdringlichkeit und
20 Anziehung). Die Wirkung einer bewegenden Kraft
auf einen Körper in einem Augenblicke ist die Solli-
zitation desselben, die gewirkte Geschwindigkeit des
letzteren durch die Sollizitation, sofern sie in gleichem
Verhältnis mit der Zeit wachsen kann, ist das Moment
der Akzeleration. (Das Moment der Akzeleration muH
also nur eine unendlich kleine Geschwindigkeit ent-
halten, weil sonst der Körper durch dasselbe in einer
gegebenen Zeit eine unendliche Geschwindigkeit er-
langen würde, welche unmöglich ist. Übrigens beruht
30 die Möglichkeit der Beschleunigung überhaupt,
durch ein fortwährendes Moment derselben, auf dem
Gesetze der Trägheit.) Die Sollizitation der Materie
durch expansive Kraft (z. B. einer zusammengedrückten
Luft, die ein Gewicht trägt) geschieht jederzeit mit
einer endlichen Geschwindigkeit, die Geschwindigkeit
aber, die dadurch einem anderen Körper eingedrückt
(oder entzogen) wird, kann nur unendlich klein sein;
denn jene ist nur eine Flächenkraft, oder, welches
einerlei ist, die Bewegung eines unendlich kleinen
40 Quantum von Materie, die folglich mit endlicher Ge-
III. Hauptstück. Mechanik. 303
schwindigkeit geschehen muß, um der Bewegung eines
Körpers von endlicher Masse mit unendlich kleiner
Geschwindigkeit (einem Gewichte) gleich zu sein. Da-
gegen ist die Anziehung eine durchdringende Kraft
und als mit einer solchen übt ein endliches Quantum
der Materie auf ein gleichfalls endliches Quantum
einer andern bewegende Kraft aus. Die Sollizitation
der Anziehung muß also unendlich klein sein, weil
sie dem Moment der Akzeleration (welches jederzeit
unendlich klein sein muß) gleich ist, welches bei der 10
Zurückstoßung, da ein unendlich kleiner Teil der
Materie einem endlichen ein Moment eindrücken soll,
der Fall nicht ist. Es läßt sich keine Anziehung
mit einer endlichen Geschwindigkeit denken, ohne daß
die Materie durch ihre eigene Anziehungskraft sich
selbst durchdringen müßte. Denn die Anziehung,
welche eine endliche Quantität Materie auf eine endliche
mit einer endlichen Geschwindigkeit ausübt, muß einer
jeden endlichen ») Geschwindigkeit, womit die Materie
durch ihre Undurchdringlichkeit, aber nur mit einem 20
unendlich kleinen Teil der Quantität ihrer Materie ent-
gegenwirkt, in allen Punkten der Zusammendrückung
überlegen sein. Wenn die Anziehung nur eine Flächen-
kraft ist, wie man sich den Zusammenhang denkt, so
würde das Gegenteil von diesem erfolgen. Allein es
ist unmöglich, ihn so zu denken, wenn er wahre An-
ziehung (und nicht bloß äußere Zusammendrückung)
sein soll.
Ein absolut-harter Körper würde derjenige sein,
dessen Teile einander so stark zögen, daß sie durch 30
kein Gewicht getrennt, noch in ihrer Lage gegen-
einander verändert werden könnten. Weil nun die
Teile der Materie eines solchen Körpers sich mit einem
Moment der Akzeleration ziehen müßten, welches
gegen das der Schwere unendlich, der Masse aber,
welche dadurch getrieben v/ird, endlich sein würde, so
müßte der Widerstand durch Undurchdringlichkeit, als
expansive Kraft, da er jederzeit mit einer unendlich
kleinen Quantität der Materie geschieht, mit mehr als
endlicher Geschwindigkeit der Sollizitation geschehen.
a) „eine jede endliche" A'A"A" korr. Rosenkranz.
304 Metaphysische Anfangsgrüude der Naturwissenschaft,
d. i. die Materie würde sich mit unendlicher Geschwin-
digkeit auszudehnen trachten, welches unmöglich ist.
Also ist ein absolut-harter Körper, d. i. ein solcher,
der einem mit endlicher Geschwindigkeit bewegten
Körper im Stoße einen Widerstand, der der ganzen
Kraft desselben gleich wäre, in einem Augenblick
entgegensetzte, unmöglich. Folglich leistet eine Ma-
terie durch ihre Undurchdringlichkeit oder Zusammen-
hang gegen die Kraft eines Körpers in endlicher Be-
10 wegung in einem Augenblicke nur unendlich kleinen
Widerstand. Hieraus folgt nun das mechanische Ge-
setz der Stetigkeit (lex continui mechanica), nämlich:
an keinem Körper wird der Zustand der Ruhe oder
der Bewegung, und an dieser, der Geschwindigkeit
oder der Richtung, durch den Stoß in einem Augen-
blicke verändert, sondern nur in einer gewissen Zeit,
durch eine unendliche Reihe von Zwischenzuständen,
deren Unterschied voneinander kleiner ist, als der des
ersten und letzten. Ein bewegter Körper, der auf
20 eine Materie stößt, wird also durch deren Widerstand
nicht auf einmal, sondern nur durch kontinuierliche
Retardation zur Ruhe, oder der, so in Ruhe war, nur
durch kontinuierliche Akzeleration in Bewegung, oder
aus einem Grade Geschwindigkeit in einen andern nur
nach derselben Regel versetzt; imgleichen wird die
Richtung seiner Bewegung in eine solche, die mit
jener einen Winkel macht, nicht anders, als ver-
mittelst aller möglichen dazwischen liegenden Rich-
tungen, d. i. vermittelst der Bewegung in einer
30 krummen Linie, verändert (welches Gesetz aus einem
ähnlichen Grunde auch auf die Veränderung des Zu-
standes eines Körpers durch Anziehung erweitert wer-
den kann). Diese (ex continui gründet sich auf dem
Gesetze der Trägheit der Materie, da hingegen das
metaphysische Gesetz der Stetigkeit auf alle Ver-
änderung (innere sowohl als äußere) überhaupt aus-
gedehnt sein müßte, und also auf dem bloßen Be-
griffe einer Veränderung überhaupt, als Größe,
und der Erzeugung derselben (die notwendig in einer
40 gewissen Zeit kontinuierlich, so wie die Zeit selbst,
vorginge) gegründet sein würde, hier also keinen Platz
findet.
Viertes Hauptstück.
Metaphysische Anfangsgründe
der
Phänomenologie.
Erklärung.
Materie ist das Bewegliche, sofern es, als ein
solches, ein Gegenstand der Erfahrung sein kann.
Anmerkung.
Bewegung ist, so wie alles, was durch Sinne vor-
gestellt wird, nur als Erscheinung gegeben. Damit 10
ihre Vorstellung Erfahrung werde, dazu wird noch
erfodert, daß etwas durch den Verstand gedacht
werde, nämlich zu der Art, wie die Vorstellung dem
Subjekte inhäriert, noch die Bestimmung eines Ob-
jekts durch dieselbe. Also wird das Bewegliche, als
ein solches, ein Gegenstand der Erfahrung, wenn ein
gewisses Objekt (hier also ein materielles Ding) in
Ansehung des Prädikats der Bewegung als be-
stimmt gedacht wird. Nun ist aber Bewegung Ver-
änderung der Relation im Räume. Es sind also hier 20
immer zwei Korrelata, deren einem in der Erschei-
nung erstlich ebenso gut wie dem anderen die Ver-
änderung beigelegt und dasselbe entweder, oder das
andere bewegt genannt werden kann, weil beides
Kant, Kl. Schriften z. Natiirphilosopliie. I. 20
306 Metaphysische Anfangsgründe der Xaturw-issenschaft.
gleichgültig ist, oder zweitens, deren eines in der
Erfahrung mit Ausschließung des anderen als bewegt
gedacht werden muß, oder drittens, deren beide
notwendig durch Vernunft als zugleich bewegt vor-
gestellt werden müssen. In der Erscheinung, die
nichts, als die Relation in der Bewegung (ihrer Ver-
änderung nach) enthält, ist nichts von diesen Be-
stimmungen enthalten; wenn aber das Bewegliche, als
ein solches, nämlich seiner Bewegung nach, be-
10 stimmt gedacht werden soll, d. i. zum Behuf einer
möglichen Erfahrung, ist es nötig, die Bedingungen
anzuzeigen, unter welchen der Gegenstand (die Ma-
terie) auf eine oder andere Art durch das Prädikat
der Bewegung bestimmt werden müsse. Hier ist nicht
die Rede von Verwandlung des Scheins in Wahrheit,
sondern der Erscheinung in Erfahrung; denn beim
Scheine ist der Verstand mit seinen, einen Gegen-
stand bestimmenden Urteilen jederzeit im Spiele, ob-
zwar er in Gefahr ist, das Subjektive für objektiv
20 zu nehmen; in der Erscheinung aber ist gar kein
Urteil des Verstandes anzutreffen; welches nicht bloß
hier, sondern in der ganzen Philosophie anzumerken
nötig ist, weil man sonst, wenn von Erscheinungen
die Rede ist, und man nimmt diesen Ausdruck für
einerlei der Bedeutung nach mit dem des Scheins,
jederzeit übel verstanden wird.
Lehrsatz I.
Die geradlinichte Bewegung einer Materie in
Ansehung eines empirischen Raumes ist, zum Unter-
30 schiede von der entgegengesetzten Bewegung des
Raums, ein bloß mögliches Prädikat. Ebendas-
selbe in gar keiner Eelation auf eine Materie außer
ihr, d. i. als absolute Bewegung gedacht, ist
unmöglich.
Beweis.
Ob ein Körper im relativen Räume bewegt, dieser
aber ruhig genannt werde, oder umgekehrt, dieser in
entgegengesetzter Richtung gleich geschwinde bewegt,
IV. Hauptstück. Phänomenologie. 307
dagegen jener ruhig genannt werden solle, ist kein
Streit über das, was dem Gegenstande, sondern nur
seinem Verhältnisse zum Subjekt, mithin der Erschei-
nung und nicht der Erfahrung zukommt. Denn stellt
sich der Zuschauer in demselben Räume als ruhig, so
heißt ihm der Körper bewegt; stellt er sich (wenigstens
in Gedanken) in einem andern und jenen umfassenden
Raum, in Ansehung dessen der Körper gleichfalls
ruhig ist, so heißt jener relative Raum bewegt. Also
ist in der Erfahrung (einer Erkenntnis, die das Ob- 10
jekt für alle Erscheinungen gültig bestimmt) gar kein
Unterschied zwischen der Bewegung des Körpers im
relativen Räume, oder der Ruhe des Körpers im ab-
soluten und der entgegengesetzten gleichen Bewegung
des relativen Raums. Nun ist die Vorstellung eines
Gegenstandes durch eines von zweien Prädikaten, die
in Ansehung des Objekts gleichgeltend sind und sich
nur in Ansehung des Subjekts und seiner Vorstellungs-
art voneinander unterscheiden, nicht die Bestimmung
nach einem disjunktiven, sondern bloß die Wahl liO
nach einem alternativen Urteile (deren das erstere
von zweien objektiv entgegengesetzten Prädikaten
eines mit Ausschließung des Gegenteils, das andere
aber von objektiv zwar gleichgeltenden, subjektiv
aber einander entgegengesetzten Urteilen, ohne Aus««
Schließung des Gegenteils vom Objekt, — also durch
bloße Wahl — eines zur Bestimmung desselben an-
nimmt)*); das heißt: durch den Begriff der Bewegung,
als Gegenstandes der Erfahrung, ist es an sich un-
bestimmt, mithin gleichgeltend, ob ein Körper im rela- 30
tiven Räume, oder dieser in Ansehung jenes als bewegt
vorgestellt werde. Nun ist dasjenige, was in Ansehung
zweier einander entgegengesetzter Prädikate an sich
unbestimmt ist, sofern bloß möglich. Also ist die
geradlinichte Bewegung einer Materie im empirischen
Räume, zum Unterschiede von der entgegengesetzten
gleichen Bewegung des Raumes, in der Erfahrung
ein bloß mögliches Prädikat; welches das erste war.
*) Von diesem Unterschiede der disjunktiven und alter-
nativen Entgegensetzung ein Mehreres in der allgemeinen
Anmerkung zu diesem Hauptstücke.
20*
308 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
Da ferner eine Relation, mithin auch eine Ver-
änderung derselben, d. i. Bewegung, nur sofern ein
Gegenstand der Erfahrung sein kann, als beide
Korrelate Gegenstände der Erfahrung sind; der reine
Raum aber, den man auch im Gegensatze gegen den
relativen (empirischen) den absoluten Raum nennt,
kein Gegenstand der Erfahrung und überall nichts
ist, so ist die geradlinichte Bewegung ohne Beziehung
auf irgend etwas Empirisches, d. i. die absolute Be-
10 wegung, schlechterdings unmöglich; welches das
zweite war.
Anmerkung.
Dieser Lehrsatz bestimmt die Modalität der Be-
wegung in Ansehung der Phoronomie.
Lehrsatz 2.
Die Kreisbewegung einer Materie ist, zum Unter-
schiede von der entgegengesetzten Bewegung des
Raums, ein wirkliches Prädikat derselben; da-
gegen ist die entgegengesetzte Bewegung eines rela-
'20 tiven Raums, statt der Bewegung des Körpers ge-
nommen, keine wirkliche Bewegung des letzteren,
sondern, wenn sie dafür gehalten wird, ein bloßer
Schein.
Beweis.
Die Kreisbewegung ist (so wie jede krummlinichte)
eine kontinuierliche Veränderung der geradlinichten,
und da diese selbst eine kontinuierliche Veränderung
der Relation in Ansehung des äußeren Raumes ist,
so ist die Kreisbewegung eine Veränderung der Ver-
oO änderung dieser äußeren Verhältnisse im Räume, folg-
lich ein kontinuierliches Entstehen neuer Bewegungen.
Weil nun nach dem Gesetze der Trägheit eine Be-
wegung, sofern sie entsteht, eine äußere Ursache haben
muß, gleichwohl aber der Körper in jedem Punkte
dieses Kreises (nach ebendemselben Gesetze) für sich
IV. Hauptstück. Phänomenologie. 309
in der den Kreis berührenden geraden Linie fort-
zugehen bestrebt ist, welche Bewegung jener äußeren
Ursache entgegenwirkt, so beweiset jeder Körper in
der Kreisbewegung durch seine Bewegung eine be-
wegende Kraft. Nun ist die Bewegung des Raumes,
zum Unterschiede der Bewegung des Körpers, blolä
phoronomisch und hat keine bewegende Kraft. Folg-
lich ist das Urteil, daß hier entweder der Körper
oder der Raum in entgegengesetzter Richtung bewegt
sei, ein disjunktives Urteil, durch welches, wenn 10
das eine Glied, nämlich die Bewegung des Körpers,
gesetzt ist, das andere, nämlich die des Raumes, aus-
geschlossen wird; also ist die Kreisbewegung eines
Körpers, zum Unterschiede von der Bewegung des
Raums, wirkliche Bewegung, folglich die letztere,
wenn sie gleich der Erscheinung nach mit der ersteren
übereinkommt, dennoch im Zusammenhange aller Er-
scheinungen, d. i. der möglichen Erfahrung, dieser
widerstreitend, also nichts als bloßer Schein.
Anmerkung. 20
Dieser Lehrsatz bestimmt die Modalität der Be-
wegung in Ansehung der Dynamik; denn eine Be-
wegung, die nicht ohne den Einfluß einer kontinuier-
lich wirkenden äußern bewegenden Kraft stattfinden
kann, beweiset mittelbar oder unmittelbar ursprüng-
liche Bewegkräfte der Materie, es sei der Anziehung
oder Zurückstoßung. — Übrigens kann Newtons
Scholium zu den Definitionen, die er seinen Princ.
Phil. Nat. Math, vorausgesetzta) hat, gegen das Ende,
hierüber nachgesehen werden, aus welchem erhellet, 30
daß die Kreisbewegung zweier Körper um einen ge-
meinschaftlichen Mittelpunkt (mithin auch die Achsen-
drehung der Erde), selbst im leeren Räume, also ohne
alle durch Erfahrung mögliche Vergleichung mit dem
äußeren Räume dennoch vermittelst der Erfahrung
könne erkannt werden, daß also eine Bewegung, die
eine Veränderung der äußeren Verhältnisse im Räume
ist, empirisch gegeben werden könne, obgleich dieser
a) „vorangesetzt" A' A".
,']10 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft-
Raum selbst nicht empirisch gegeben und kein Gegen-
stand der Erfahrung ist, welches Paradoxon aufge«
löset zu werden verdient.
Lehrsatz 3.
In jeder Bewegung eines Körpers, wodurch er
in Ansehung eines anderen bewegend ist, ist eine
entgegengesetzte gleiche Bewegung des letzteren
notwendig.
Beweis.
10 Nach dem dritten Gesetze der Mechanik (Lehr-
satz 4) ist die Mitteilung der Bewegung der Körper
nur durch die Gemeinschaft ihrer ursprünglich be-
wegenden Kräfte, und diese nur durch beiderseitige
entgegengesetzte und gleiche Bewegung möglich. Die
Bewegung beider ist also wirklich. Da aber die Wirk-
lichkeit dieser Bewegung nicht (wie im zweiten Lehr-
satze) auf dem Einflüsse äußerer Kräfte beruht, son-
dern aus dem Begriffe der Relation des Bewegten
im Räume zu jedem anderen dadurch Beweglichen
20 unmittelbar und unvermeidlich folgt, so ist die Be-
wegung des letzteren notwendig.
Anmerkung.
Dieser Lehrsatz bestimmt die Modalität der Be-
wegung in Ansehung der Mechanik. — • Daß übrigens
diese drei Lehrsätze die Bewegung der Materie in
Ansehung ihrer Möglichkeit, Wirklichkeit und
Notwendigkeit, mithin in Ansehung aller dreien
Kategorien der Modalität bestimmen, fällt von
selbst in die Augen.
30 Allgemeine Anmerkung zur Phänomenologie.
Es zeigen sich also hier drei Begriffe, deren Ge-
brauch in der allgemeinen Naturwissenschaft unver-
meidlich, deren genaue Bestimmung um deswillen not-
wendig, obgleich eben nicht so leicht und faßlich ist,
IV. Hauptstück. Phänomenologie. 311
nämlich der Begriff der Bewegung im relativen
(beweglichen) Räume, zweitens der Begriff der Be-
wegung im absoluten (unbeweglichen) Räume,
drittens der Begriff der relativen Bewegung über-
haupt, zum Unterschiede von der absoluten. Allen
wird der Begriff des absoluten Raumes zum Grunde
gelegt. Wie kommen wir aber zu diesem sonderbaren
Begriffe, und worauf beruht die Notwendigkeit seines
Gebrauchs?
Er kann kein Gegenstand der Erfahrung sein; denn 10
der Raum ohne Materie ist kein Objekt der Wahr-
nehmung, und dennoch ist er ein notwendiger Ver-
nunftbegriff, mithin nichts weiter, als eine bloße Idee.
Denn damit Bewegung auch nur als Erscheinung ge-
geben werden könne, dazu wird eine empirische Vor-
stellung des Raums, in Ansehung dessen das Beweg-
liche sein Verhältnis verändern soll, erfodert; der
Raum aber, der wahrgenommen werden soll, muß
material, mithin, dem Begriffe einer Materie über-
haupt zufolge, selbst beweglich sein. Um ihn nun 20
bewegt zu denken, darf man ihn nur als in einem
Räume von größerem Umfange enthalten denken und
diesen als ruhig annehmen. Mit diesem aber läßt
sicha) ebendasselbe in Ansehung eines noch mehr
erweiterten Raumes veranstalten und so ins Unend-
liche, ohne jemals zu einem unbeweglichen (unmate-
riellen) Räume durch Erfahrung zu gelangen, in
Ansehung dessen irgendeiner Materie schlechthin Be-
wegung oder Ruhe beigelegt werden könne, sondern
der Begriff dieser Verhältnisbestimmungen wird be- 30
ständig abgeändert werden müssen, nachdem man das
Bewegliche mit einem oder dem anderen dieser Räume
in Verhältnis betrachten wird. Da nun die Bedingung,
etwas als ruhig oder bewegt anzusehen, im relativen
Räume ins Unendliche immer wiederum bedingt ist,
so erhellet daraus erstlich: daß alle Bewegung oder
Ruhe bloß relativ und keine absolut sein könne, d. i.
daß Materie bloß in Verhältnis auf Materie, niemals
aber in Ansehung des bloßen Raumes ohne Materie
als bewegt oder ruhig gedacht werden könne, mit- 40
a) „sie-' A' A" korr. A'".
312 Metaphj-^sische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
hin absolute Bewegung, d. i. eine solche, die ohne
alle Beziehung einer Materie auf eine andere gedacht
wird, schlechthin unmöglich sei; zweitens, daß auch
eben darum kein für alle Erscheinung gültiger
Begriff von Bewegung oder Ruhe im relativen Räume
möglich sei, sondern man sich einen Raum, in wel-
chem dieser selbst als bewegt gedacht werden könne,
der aber seiner Bestimmung nach weiter von keinem
anderen empirischen Räume abhängt und daher nicht
10 wiederum bedingt ist, d. i. einen absoluten Raum, auf
den alle relativen Bewegungen bezogen werden können,
denken müsse, in welchem alles Empirische beweglich
ist, eben darum, damit in demselben alle Bewegung
des Materiellen, als bloß relativ gegeneinander, als
alternativ -wechselseitig*), keine aber als absolute Be-
*) In der Logik bezeichnet das Entweder-Oder jeder-
zeit ein disjunktives Urteil; da denn, wenn das eine
wahr ist, das andere falsch sein muß. Z. B. ein Körper
ist entweder bewegt, oder nicht bewegt, d. i. in Ruhe.
Denn man redet da lediglich von dem Verhältnis des Er-
kenntnisses zum Objekte. In der Erscheinungslehre, wo es
auf das Verhältnis zum Subjekt ankommt, um darnach
das Verhältnis der Objekte zu bestimmen, ist es anders.
Denn da ist der Satz: der Körper ist entweder bewegt und
der Raum ruhig, oder umgekehrt, nicht ein disjunktiver
Satz in objektiver, sondern nur in subjektiver Beziehung,
und beide darin enthaltene Urteile gelten alternativ.
In ebenderselben Phänomenologie, wo die Bewegung nicht
bloß phoronomisch, sondern vielmehr dynamisch betrachtet
wird, ist dagegen der disjunktive Satz in objektiver Be-
deutung zu nehmen; d. i. an die Stelle der Umdrehung
eines Körpers kann ich nicht die Ruhe desselben und da-
gegen die entgegengesetzte Bewegung des Raums annehmen.
Wo aber die Bewegung sogar mechanisch betrachtet wird
(wie w^enn ein Körper gegen einen dem Scheine nach
ruhigen anläuft), ist sogar das der Form nach disjunktive
Urteil in Ansehung des Objekts distributiv zu gebrauchen,
so daß xiie Bewegung nicht entweder dem einen, oder
dem andern, sondern einem jeden ein gleicher Anteil daran
beigelegt werden muß. Diese Unterscheidung der alter-
nativen, disjunktiven und distributiven Bestim-
mungen eines Begriffs, in Ansehung entgegengesetzter Prä-
dikate, hat ihre Wichtigkeit, kann aber hier nicht weiter
erörtert werden.
IV. Hauptstück. Phänomouologie. 313
wegung oder Ruhe (da, indem das eine bewegt heißt,
das andere, worauf in Beziehung jenes bewegt ist,
gleichwohl als schlechthin ruhig vorgestellt wird)
gelten möge. Der absolute Raum ist also nicht als
ein Begriff von einem wirklichen Objekt, sondern als
eine Idee, welche zur Regel dienen soll, alle Bewegung
in ihm bloß als relativ zu betrachten, notwendig, und
alle Bewegung und Ruhe muß auf den absoluten Raum
reduziert werden, wenn die Erscheinung derselben in
einen bestimmten Erfahrungsbegriff (der alle Erschei- 10
nungen vereinigt) verwandelt werden soll.
So wird die geradlinichte Bewegung eines Körpers
im relativen Räume auf den absoluten Raum reduziert,
wenn ich den Körper als an sich ruhig, jenen Raum
aber im absoluten (der nicht in die Sinne fällt) in
entgegengesetzter Richtung bewegt, und diese Vor-
stellung als diejenige denke, welche gerade die-
selbe Erscheinung gibt, wodurch denn alle mögliche
Erscheinungen geradlinichter Bewegungen, die ein
Körper allenfalls zugleich haben mag, auf den Er- 20
fahrungsbegriff, der sie insgesamt vereinigt, nämlich
den der bloß relativen Bewegung und Ruhe zurück-
geführt werden.
Die Kreisbewegung, weil sie nach dem zweiten
Lehrsatze auch ohne Beziehung auf den äußeren
empirisch -gegebenen Raum als wirkliche Bewegung in
der Erfahrung gegeben werden kann, scheint doch in
der Tat absolute Bewegung zu sein. Denn die relative
in Ansehung des äußeren Raums (z. B. die Achsen-
drehung der Erde relativ auf die Sterne des Himmels) 30
ist eine Erscheinung, an deren Stelle die entgegen-
gesetzte Bewegung dieses Raums (des Himmels) in
derselben Zeit, als jener völlig gleichgeltend, gesetzt
werden kann, die aber nach diesem Lehrsatze in der
Erfahrung durchaus nicht an deren Stelle gesetzt
werden darf, mithin auch jene Kreisdrehung nicht
als äußerlich relativ vorgestellt werden soll, welches
so lautet, als ob diese Art der Bewegung für absolut
anzunehmen sei.
Allein es ist wohl zu merken: daß hier von der 40
wahren (wirklichen) Bewegung, die doch nicht als
solche erscheint, die also, wenn man sie bloß nach
3 1-4 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
empirischen Verhältnissen zum Räume beurteilen wollte,
für Ruhe könnte gehalten werden, d. i. von der
wahren Bewegung, zum Unterschiede vom Schein,
nicht aber von ihr als absoluten Bewegung im Gegen-
satze der relativen die Rede sei, mithin die Kreis-
bewegung, ob sie zwar in der Erscheinung keine
Stellenveränderung, d. i. keine phoronomische, des
Verhältnisses des Bewegten zum (empirischen) Räume
zeigt, dennoch eine durch Erfahrung erweisliche kon-
10 tinuierliche dynamische Veränderung des Verhältnisses
der Materie in ihrem Räume, z. B. eine beständige
Verminderung der Anziehung durch eine Bestrebung
zu entfliehen, als Wirkung der Kreisbewegung zeige
und dadurch den Unterschied derselben vom Schein
sicher bezeichne. Man kann sich z. B. die Erde im
unendlichen leeren Raum als um die Achse gedreht
vorstellen, und diese Bewegung auch durch Erfahrung
dartun, obgleich weder das Verhältnis der Teile der
Erde untereinander, noch zum Räume außer ihr pho-
20 ronomisch, d. i. in der Erscheinung verändert wird.
Denn in Ansehung des erst-eren, als empirischen
Raumes, verändert nichts auf und in der Erde seine
Stelle, und in Beziehung des zweiten, der ganz leer
ist, kann überall kein äußeres verändertes Verhältnis,
mithin auch keine Erscheinung einer Bewegung statt-
finden. Allein wenn ich mir eine zum Mittelpunkt
der Erde hingehende tiefe Höhle vorstelle und lasse
einen Stein darin fallen, finde aber, daß, obzwar in
jeder Weite vom Mittelpunkt die Schwere immer nach
30 diesem hingerichtet ist, der fallende Stein dennoch
von seiner senkrechten Richtung im Fallen kontinuier-
lich, und zwar von West nach Ost») abweiche, so
schließe ich, die Erde sei von Abend gegen Morgen
um die Achse gedreht. Oder wenn ich auch außer-
halb den Stein von der Oberfläche der Erde weiter
entferne, und er bleibt nicht über demselben Punkte
der Oberfläche, sondern entfernt sich von demselben
von Westen nach Osten b), so werde ich auf eben-
a) Stadler schlägt vor von Ost nach West.
b) von Osten nach Westen A' A" A", siehe hierzu Höfler:
Studien zur gegenwärtigen Philosophie der Mechanik Bd.
IV. Hauptstück. Pliänomenologie. 315
dieselbe vorhergenannte Achsendrehung der Erde
schließen, und beiderlei Wahrnehmungen werden zum
Beweise der Wirklichkeit dieser Bewegung hinreichend
sein, wozu die Veränderung des Verhältnisses zum
äußeren Räume (dem bestirnten Himmel) nicht hin-
reicht, weil sie bloße Erscheinung ist, die von zwei
in der Tat entgegengesetzten Gründen herrühren kann
und nicht ein aus dem Erklärungsgrunde aller Er-
scheinungen dieser Veränderung abgeleitetes Erkennt-
nis, d. i. Erfahrung ist. Daß aber diese Bewegung, 10
ob sie gleich keine Veränderung des Verhältnisses
zum empirischen Räume ist, dennoch keine absolute
Bewegung, sondern kontinuierliche Veränderung der
Relationen der Materien zueinander, obzwar im abso-
luten Räume vorgestellt, mithin wirklich nur relative
und sogar darum allein wahre Bewegung sei, das
beruht auf der Vorstellung der wechselseitigen kon-
tinuierlichen Entfernung eines jeden Teils der Erde
(außerhalb der Achse) von jedem andern ihm in
gleicher Entfernung vom Mittelpunkte im Diameter 20
gegenüberliegenden. Denn diese Bewegung ist im
absoluten Räume wirklich, indem dadurch der Ab-
gang der gedachten Entfernung, den die Schwere für
sich allein dem Körper zuziehen würde, und zwar ohne
alle dynamische zurücktreibende Ursache (wie man
aus dem von Newton Princ. PJi. N. pag. 10. Edit.
1714*) gewählten Beispiele ersehen kann), mithin
*) Er sagt daselbst: Motus qaidem veros corporum sin-
(julorum cognoscere et ab apparentibus adu discritninare
diffidUimum est: proj)tcrea quod partes spaiii illius immo-
bilis, in quo corpora vere moventur, non incurrunt in sen-
sus. Causa tarnen non est prorsus desperata. („Die wahren
Bewegungen der einzelnen Körper zu erkennen und von
den scheinbaren scharf zu unterscheiden ist übrigens sehr
schwer, weil die Teile jenes unbeweglichen Raumes, in
denen die Körper sich wahrhaft bewegen, nicht sinnlich
III b Seite 8: „Stadlers Vorschlag aber widerspräche den
bekannten Tatsachen des von Newton vorausgesagten, von
Kant akzeptierten und erst 180l' von Benzenberg wirklich
ausgeführten Versuches-'. — ^'gl. auch Ak. Ausg. Band IV,
Seite 648.
316 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
durch wirkliche, aber auf den innerhalb der bewegten
Materie (nämlich das Zentrum derselben) beschlossenen,
nicht aber auf den äußeren Raum bezogene Bewegung,
kontinuierlich ersetzt wird.
Was den Pall des dritten Lehrsatzes anlangt,
so bedarf es, um die Wahrheit der wechselseitig- ent-
gegengesetzten und gleichen Bewegung beider Körper
auch ohne Rücksicht auf den empirischen Raum zu
zeigen, nicht einmal des im zweiten Fall nötigen,
10 durch Erfahrung gegebenen, tätigen dynamischen Ein-
flusses (der Schwere oder eines gespannten Fadens),
sondern die bloße dynamische Möglichkeit eines
solchen Einflusses, als Eigenschaft der Materie (die
Zurückstoßung oder Anziehung), führt bei der Be-
wegung der einen die gleiche und entgegengesetzte
Bewegung der andern zugleich mit sich, und zwar
aus bloßen Begriffen einer relativen Bewegung, wenn
sie im absoluten Räume, d. i. nach der Wahrheit be-
trachtet wird, und ist daher, wie alles, was aus bloßen
20 Begriffen hinreichend erweislich ist, ein Gesetz einer
schlechterdings notwendigen Gegenbewegung.
Es ist also auch keine absolute Bewegung, wenngleich
ein Körper im leeren Räume in Ansehung eines anderen
als bewegt gedacht wird; die Bewegung beider wird
hier nicht relativ auf den sie umgebenden Raum, son-
dern nur auf den zwischen ihnen, welcher ihr äußeres
Verhältnis untereinander allein bestimmt, als den ab-
soluten Raum betrachtet, und ist also wiederum nur
relativ. Absolute Bewegung würde also nur diejenige
30 sein, die einem Körper ohne ein Verhältnis auf irgend-
eine andere Materie zukäme. Eine solche wäre allein
die geradlinichte Bewegung des Weltganzen, d. 1.
des Systems aller Materie. Denn wenn außer einer
erkannt werden können. Die Sache ist jedoch nicht gänz-
lich hoffnungslos." Uebers. v. Wolfers.) Hierauf läßt er
zwei durch einen Faden verknüpfte Kugeln sich um ihren
gemeinschaftlichen Schwerpunkt im leeren Räume drehen,
und zeigt, wie die Wirklichkeit ihrer Bewegung samt der
Richtung derselben dennoch durch Erfahrung könne ge-
funden werden. Ich habe dieses auch an der um ihre x'^chse
bewegten Erde unter etwas veränderten Umständen zu
zeigen gesucht.
IV. Hauptstück. Phänomenologie. 317
Materie noch irgend eine andere, selbst durch den
leeren Raum getrennte Materie wäre, so würde die
Bewegung schon relativ sein. Um deswillen ist ein
jeder Beweis eines Bewegungsgesetzes, der darauf
hinausläuft, daß das Gegenteil desselben eine gerad-
linichte Bewegung des ganzen Weltgebäudes zur Folge
haben müßte, ein apodiktischer Beweis der Wahrheit
desselben; bloß weil daraus absolute Bewegung folgen
würde, die schlechterdings unmöglich ist. Von der
Art ist das Gesetz des Antagonisms in aller Ge- 10
meinschaft der Materie durch Bewegung. Denn eine
jede Abweichung von demselben würde den gemein-
schaftlichen Mittelpunkt der Schwere aller Materie,
mithin das ganze Weltgebäude aus der Stelle rücken,
welches dagegen, wenn man dieses sich als um
seine Achse gedreht vorstellen wollte, nicht ge-
schehen würde, welche Bewegung also immer noch
zu denken möglich, obzwar anzunehmen, so viel man
absehen kann, ganz ohne begreiflichen Nutzen sein
würde. 20
Auf die verschiedenen Begriffe der Bewegung und
bewegenden Kräfte haben auch die verschiedenen Be-
griffe vom leeren Räume ihre Beziehung. Der leere
Raum in phoronomischer Rücksicht, der auch der
absolute Raum heißt, sollte billig nicht ein leerer
Raum genannt werden; denn er ist nur die Idee von
einem Räume, in welchem ich von aller besonderen
Materie, die ihn zum Gegenstande der Erfahrung
macht, abstrahiere, um in ihm den materiellen, oder
jeden empirischen Raum noch als beweglich und da- 30
durch die Bewegung nicht bloß einseitig als abso-
lutes, sondern jederzeit wechselseitig als bloß relatives
Prädikat zu denken. Er ist also gar nichts, was zur
Existenz der Dinge, sondern bloß zur Bestimmung
der Begriffe gehört, und sofern existiert kein leerer
Raum. Der leere Raum in dynamischer Rück-
sicht ist der, der nicht erfüllet ist, d. i. worin in
dem Eindringen des Beweglichen nichts anderes Be-
wegliches widersteht, folglich keine repulsive Kraft
wirkt, und er kann entweder der leere Raum in der 40
Welt (vadium mundanum), oder, wenn diese als be-
grenzt vorgestellt wird, der leere Raum außer der
;]18 Metaphysische Anfangsgründe der Xaturwisseuschaft.
Welt (vacuum extramundanum) sein; der erstere auch
entweder als zerstreuter (vacuum disseminatum, der
nur einen Teil des Volumens der Materie ausmacht),
oder als gehäufter leerer Raum (vacuum coaceruatum,
der die Körper, z. B. Weltkörper, voneinander ab-
sondert) vorgestellt werden, welche Unterscheidung,
da sie nur auf dem Unterschied der Plätze, die man
dem leeren Raum in der Welt anweiset, beruht, eben
nicht wesentlich ist, aber doch in verschiedener Ab-
10 sieht gebraucht wird, der erste, um den spezifischen
Unterschied der Dichtigkeit, der zweite, um die Mög-
lichkeit einer von allem äußeren Widerstände freien
Bewegung im Welträume davon abzuleiten. Daß den
leeren Raum in der ersteren Absicht anzunehmen
nicht nötig sei, ist schon in der allgemeinen An-
merkung zur Dynamik gezeigt worden; daß es aber
unmöglich sei, kann aus seinem Begriffe allein, nach
dem Satze des Widerspruchs, keinesweges bewiesen
werden. Gleichwohl, wenn hier auch kein bloß logi-
20 scher Grund der Verwerfung desselben anzutreffen
wäre, könnte doch ein allgemeiner physischer Grund,
ihn aus der Naturlehre zu verweisen, nämlich der
von der Möglichkeit der Zusammensetzung einer Ma-
terie überhaupt, da sein, wenn man die letztere nur
besser einsähe. Denn wenn die Anziehung, die
man zur Erklärung des Zusammenhanges der Materie
annimmt, nur scheinbare, nicht wahre Anziehung, viel-
mehr etwa bloß die Wirkung einer Zusammen-
d rückung durch äußere im Welträume allenthalben
30 verbreitete Materie (den Äther), welche selbst nur
durch eine allgemeine und ursprüngliche Anziehung
nämlich die Gravitation, zu diesem Drucke gebracht
wird, sein sollte, welche Meinung manche Gründe für
sich «hat, so würde der leere Raum innerhalb den
Materien, wenngleich nicht logisch, doch dynamisch
und also physisch unmöglich sein, weil jede Materie
sich in die leeren Räume, die man innerhalb derselben
annähme (da ihrer expansiven Kraft hier nichts wider-
steht), von selbst ausbreiten und sie jederzeit erfüllet
40 erhalten würde. Ein leerer Raum außer der Welt
würde, wenn man unter dieser den Inbegriff aller vor-
züglich attraktiven Materien (der großen Weltkörper)
IV. Hauptstück, Phänomenologie. 319
versteht, aus ebendenselben Gründena) unmöglich sein,
weil nach dem Maße, als die Entfernung von diesen
zunimmt, auch die Anziehungskraft auf den Äther
(der jene Körper alle einschließt und, von jener ge-
trieben, sie in ihrer Dichtigkeit durch Zusammen-
drückung erhält) in umgekehrtem Verhältnisse ab-
nimmt, dieser also selbst nur ins Unendliche an Dichtig-
keit abnehmen, nirgend aber den Raum ganz leer
lassen würde. Daß es indessen mit dieser Weg-
schaffung des leeren Raums ganz hypothetisch zu- 10
geht, darf niemand befremden; geht es doch mit der
Behauptung desselben nicht besser zu. Diejenige,
welche diese Streitfrage dogmatisch zu entscheiden
wagen, sie mögen es bejahend oder verneinend tun,
stützen sich zuletzt auf lauter metaphysische Voraus-
setzungen, wie aus der Dynamik zu ersehen ist, und
es war wenigstens nötig, hier zu zeigen, daß diese
über gedachte Aufgabe gar nicht entscheiden können b).
Was drittens den leeren Raum in mechanischer
Absicht betrifft, so ist dieser das gehäufte Leere 'JO
innerhalb dem Weltganzen, um den Weltkörpern freie
Bewegung zu verschaffen. Man siehet leicht, daß die
Möglichkeit oder Unmöglichkeit desselben nicht auf
metaphysischen Gründen, sondern dem schwer auf-
zuschließenden Naturgeheimnisse, auf welche Art die
Materie ihrer eigenen ausdehnenden Kraft Schranken
setze, beruhe. Gleichwohl, wenn das, was in der all-
gemeinen Anmerkung zur Dynamik von der ins Un-
endliche möglichen größeren Ausdehnung spezifisch
verschiedener Stoffe, bei derselben Quantität der 30
Materie (ihrem Gewichte nach) gesagt worden, ein-
geräumt wird, so möchte wohl, um der freien und
daurenden Bewegung der Weltkörper willen, einen
leeren Raum anzunehmen unnötig sein, weil der Wider-
stand, selbst bei gänzlich erfülleten Räumen, alsdenn
doch so klein, als man will, gedacht werden kann.
a) „Grunde" A'".
b) „könne" A'".
320 Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
Und so endigt sich die metaphysische Körperlehre
mit dem Leeren und eben darum Unbegreiflichen,
worin sie einerlei Schicksal mit allen übrigen Ver-
suchen der Vernunft hat, wenn sie im Zurückgehen
zu Prinzipien den ersten Gründen der Dinge nach-
strebt, da, weil es ihre Natur so mit sich bringt,
niemals etwas anders, als sofern es unter gegebenen
Bedingungen bestimmt ist, zu begreifen, folglich sie
weder beim Bedingten stehen bleiben, noch sich das
10 Unbedingte faßlich machen kann, ihr, wenn Wiß-
begierde sie auffodert, das absolute Ganze aller Be-
dingungen zu fassen, nichts übrigbleibt, als von den
Gegenständen auf sich selbst zurückzukehren, um an-
statt der letzten Grenze der Dinge die letzte Grenze
ihres eigenen sich selbst überlassenen Vermögens zu
erforschen und zu bestimmen.
~^c:|^cx3— ■
Personenregister.
A.
Addison, Joseph, englischer
Dichter, Gelehrter und Staats-
mann, geboren am 1. Mai 1672
zu Milston in Wiltshire, ge-
storben am 17. Juni 1719 in
Holland House bei Kensington.
Vgl. zum Zitat Seite 133.
„Der Aufseher", deutsch dm*ch
L. A. Gottschedin, 2. Aufl.,
6. Teil, S. 277.
B.
Bradley, James, geboren 1692
zu Shireborn in Gloucester,
gestorben am 13. Juli 1762
zu Chalford, Astronom, Pro-
fessor der Astronomie und
Dr. der Theologie in Ox-
ford, später Professor der
Astronomie in Greenwich.
Entdecker der Abweichung
der Fixsterne, der Schwan-
kung der Erdachse und der
Aberration des Lichts 19 45.
107.
Brahe siehe Tycho de Brahe.
Brockes, ßarthold Heinrich, ge-
boren am 22. September 1680
zu Hamburg, gestorben am
16. Januar 1747 ebenda. Deut-
scher Dichter. Sein Haupt-
werk ist das Gedicht „Ir-
VerdienstvoUer Übersetzer
129.
Buffon, George Louis Leclerc,
Graf von B., geboren am
7. September 1707 zu Mont-
bard in Bourgogne, gestorben
am 16. April 1788 in Paris.
Berühmter Naturforscher, 1739
Intendant am Jardin royal
des plantes. Sein Hauptwerk
ist die Histoire naturelle ge-
nerale et particuliere (Paris
1749—1788), in 36 Bänden,
die von Lacepede fortgesetzt
wurde 77. 160.
Bug'ge, Thomas, geboren am
12, Oktober 1740 zu Kopen-
hagen, gestorben am 15. Ja-
nuar 1815 ebenda. Mathema-
tiker, Astronom und Geograph,
Professor der Mathematik und
Direktor der Sternwarte in
Kopenhagen. Sein Hauptwerk
„De forste Grunde til den
sphaeriske og theoretiske As-
tronomie samt den mathe-
matiske Geographie- (erste
Gründe der siahärischen und
theoretischen Astronomie und
mathematischen Geographie
erschien 1796) 99 Anm.
c.
Cartesius, Descartes, Bene,
geboren am 13. März 1596 zu
Kant, Kl. Schriften z. Naturphilosophie. I.
21
322
Personenresrister.
La Haye, Toiiraine, gestorben
am 1 1 . Februar 1650 zu Stock-
■ holm 15. 278.
Cassini. Giovanni Domenico, ge-
boren am 8. Juni 1G25 zu
Perinaldo bei Xizza, gestorben
am U. September 1712. Pro-
fessor der Astronomie zu Bo-
logna, Mitglied der Pariser
Akademie und erster Direktor
der neuerbauten Sternwarte
zu Paris: entdeckte die Ro-
tationen der Planeten JujMter,
Mars und Venus, vier Tra-
banten des Saturn und die
Teilung des Saturnringes 103.
107. Anm.
D.
Deiiiocritus aus Abdera um
470/370 a. Chr. n. 13. 14. 278.
Derliam, William, geboren 1657
in Stougliton (AVorcester), ge-
storben 1735, Naturphilosoph
und Theologe. Er schrieb
eine Physico-Theologie 1713,
eine Astro- Theologie 1714
(vgl. Kants Zitat Seite 48)
und eine Christo - Theologie
1730, sowie ein Buch über die
Uhrmacherkunst 21. Anm. 48.
E.
Epicur, geboren um 341 a.Chr.n,
zu Samos, gestorben um 270
8. 13. 14.
Erxleben, geboren am 22. Juni
1 744 zu Quedlinburg, gestorben
am 19. August 1777; Professor
der Philosophie an der Uni-
versität Gröttingen : er schrieb
„Anfangsgründe der Xatur-
lehre", 3. Aufl., mit Zusätzen
von Gr. C. Lichtenberg 1785
49. Anm.
Euler, Leonhard, geboren den
15. April 1707 zu Basel, ge-
storben den 18. September
1783 zu St. Petersburg, großer
Mathematiker und Physiker,
Professor der Physik und
Mathematik und Mitglied der
Akademie zu St. Petersburg,
seit 1741 Professor der Mathe-
matik zu Berlin; schrieb viele
vorzügliche Lehrbücher, die
„Introductio in aualysin in-
finitorum" 1748, ,.Introduc-
tiones calculi ditferentialis"
1755 und die „Introductiones
calculi integralis" 1768 — 1770,
sowie die „Briefe an eine
deutsche Prinzessin" „Lettres
a. une princesse d'Allemagne
sur quelques sujets de phy-
sique et de philosophie" 1768
bis 1772 259 Anm.
F.
Flammsteed, John, geboren am
19. August 1646 zu Derby,
gestorben am 31. Dezember
1719, königlicher Astronom
au der neuerbauteu Sternwarte
zu Greenwich, Yorgänger
Halleys: Seine „Historia coe-
lestis" und sein „Atlas coe-
lestis" erschienen erst nach
seinem Tode 19.
Fontenelle, Bemard le Bovier
de, geboren am 11. Februar
1657 zu Ronen, gestorben am
9. Januar 1757 zu Paris: be-
rühmter Schriftsteller. Mit-
glied der Academie fraugaise
und ständiger Sekretär der
Akademie des sciences. Sein
„Entretien sur la pluralite
des mondes" wurde 1727 von
Gottsched ins Deutsche über-
setzt 169.
Personenregister.
323
Gensichen , Johann Friedrich,
geboren 1769 zu Driesen in
der Neumark, gestorben am
7. September 1807: Zweiter
Inspektor des Alumnats beim
CoUegium Albertinum und
zweiter Bibliothekar an der
Schloßbibliothek zu Königs-
berg, außerordentlicher Pro-
fessor au der Universität
Königsberg 43. 46 f. 49. 53.
61 ff. 69 f. 73 f. 77. 94 f. 99.
109. Anm.
Gottsched, Johann Christoph,
geboren am 2. Februar 1700
zu Juditten bei Königsberg,
gestorben den 12. Dezember
1766 zu Leipzig: Dichter
und Gelehrter, Professor der
Dichtkunst, der Logik und
Metaphysik zu Leipzig 133.
H.
Haies, Stephanus, geboren am
7. September 1677 in der
Grafschaft Kent, gestorben
den 4. Januar 1761; Doktor
der Theologie und bedeuten-
der Naturforscher, Vikarius zu
Teddington und Parlock, zu-
letzt Pfarrer in Sarringdon,
Mitglied der Royal Society
zu London und der Akademie
der Wissenschaften zu Paris.
Er sclirieb eine „Statik der
Gewächse", eine „Statik des
Geblüts" und ein Buch über
die „Verbesserung des See-
wassers-' 187.
Haller, Albrecht v. , geboren
am 16. Oktober 1708 zu
Bern, gestorben am 12. De-
zember 1777 ebenda: Dichter
und Arzt, Professor der Ana- 1
tomie und Chirurgie in Göt-
tingen Verfasser des bekann-
ten Lehrgedichts „Die Alpen".
Kants Zitate stammen aus der
„Unvollkommenen Ode über
die Ewigkeit" 1743 125. 132.
184.
Halley, Edmund, geboren am
29. Oktober 1656 zu Hagger-
ston bei London, gestorben
am 14. Januar 1742 zu Green-
wich: großer Astronom, Pro-
fessor der Geometrie zu Ox-
ford und Direktor der Stern-
warte von Greenwich 20 f.
Anm.
Herscbel, Friedrich "Wilhelm
(Sir Fred. AVilliam), geboren
am 15. November 1738 in Han-
nover, gestorben am 25. August
1822 in Slough bei Wiudsor:
Königl. Astronom Georgs III.
Er entdeckte den Planeten
Uranus; die von ihm mit
Hilfe eines selbstverfertigten
Spiegelteleskops angestellten
Beobachtungen gehören zu
den wertvollsten Errungen-
schaften der neueren Astro-
nomie 47. Anm. 99. Anm.
Hevelius (Johannes Hevel oder
Höwelcke), geboren am 28. Ja-
nuar 1611 zuDanzig, gestorben
am 28. Januar 1687 ebeuda,
Ratsherr und Bierbrauer zu
Danzig und hervorragender
Astronom. Seine bedeutend-
sten Werke sind die „Seleno-
graphia" (INIondbeschreibung)
und die „Machina coelestis"
1673—1679 21. Anm.
Hire, Philippe de La, geboren
am 18. März 1640 zu Paris,
gestorben am 21. April 1718
ebenda: INIitglied der Aka-
demie des sciences und Pro-
fessor am College de France,
21*
324
Personenregister.
großer Mathematiker und As-
tronom 46. Anm.
Hugen. Huyghens, Christian,
geboren am 14. August 1629 im
Haag, gestorben am 8. Juni
1695 ebenda, großer Mathe-
matiker, Phj'siker und Astro-
nom, Mitglied der Royal So-
ciety und der Akademie der
Wissenschaften zu Paris 20.
Anm. 39. 44 f. 100.
Hume. David, geboren am
26. April 1711 zu Edinburgh,
gestorben am 25. August 1776
ebenda, Philosoph und Histo-
riker 200 Anm.
K.
Kepler, Johann, geboren am
27. Dezember 1571 zu "Weil
in Württemberg, gestorben am
15. November 1630 zu Regens-
burg 34. 299,
La Hlre siehe Hire.
Lambert, Johann Heinrich, ge-
boren am 26. August 1728
zu Mülhausen im E., gestor-
ben am 25. September 1777
zu Berlin: großer Mathema-
tiker, Physiker, Astronom und
Philosoph, Professor in Mün-
chen und Mitglied der Aka-
demie der Wissenschaften. Er
schrieb 1760 eine Photometrie,
1761 „Kosmologische Briefe",
das „Neue Organon" usw. 46 f.
Anm. 49. Anm, 229.
Leibniz, Gottfried Wilhelm, ge-
boren am 21. Juni 1646 zu
Leipzig, gestorben am 14. No-
vember 1716 zu Hannover
242 f
Leucipp, Leukippos aus Ab-
dera, lebte um das 5. Jahr-
hundert vor Christi Geburt 13.
14.
Lichtenberg, Georg Christoph,
geboren am 1. Juli 1742 in
Ober- Ramstadt bei Darmstadt,
gestorben am 24. Februar 1799
in Güttingen, Professor der
Philosophie in Göttingen, be-
deutender Naturforscher und
Satyriker 49. Anm. 110. Anm.
Lucrez. Titus Lucretius Carus,
geboren um 96 a Chr. n. ge-
storben 55 : römischer Dich-
ter, Verfasser des Lehrgedichts
„De rerum natura" 13. 197.
M.
Mairan, Herr von (Jean-Jacques
Dortous de), geboren am
26. November 1678 zu Be-
ziers, gestorben am 20. Feb-
ruar 1771 zu Paris: Schrift-
steller, Physiker und Astro-
nom. Ständiger Sekretär und
Mitglied der Pariser Akade-
mie des Sciences, der Royal
Society, sowie der Petersburger
Akademie. Drei seiner Ab-
handlungen wurden von der
Akademie zu Bordeaux preis-
gekrönt 112.
Mariotte. Edme, geboren um
1620 in Bourgogne, gestorben
am 12. Mai 1684 zu Paris, be-
rühmter Phj'siker, Prior von
St. Martin -sous-Beaune und
Mitglied der Pariser Akademie
des Sciences. Das nach ihm
benannte Gesetz, welches er
zugleich mit Robert Boyle ent-
deckte, wurde von ihm 1679 in
der Abhandlung „De la nature
de l'air" veröffentlicht 263.
Maupertuis, Pierre Louis, Mo-
reau de, geboren am 28. Sep-
Personenregister.
325
tember 1698 in St. Malo, ge-
storben am 27. Juli 1759 in
Basel, bedeutender Mathema-
tiker und Naturforscher, Mit-
glied der Akademie des Scien-
ces zu Paris und Präsident
der Berliner Akademie 20.
48. 50.
N.
Newton, Sir Isaak, geboren am
5. Januar 1643 zu Woolsthorpe
in Lincolnshire, gestorben am
31. März 1727 zu Kensington
13. 17. 18. 23. 33. 42. 66. 70.
72 f. 76. 101 ff. 107. 128. 153.
156. 159. 176. 177. 198. Anm.
203. 252 f. 263. 271. 299. 309.
315.
P.
Poned (Pound), Jacob, lebte im
ersten Viertel des 17. Jahr-
hunderts: bedeutender Phy-
siker und Astronom, Mitglied
der Royal Society und Pre-
diger an der englischen Kirche
zu London 103.
Pope, Alexander, geboren am
21. Mai 1688 zu London, ge-
storben am 30. Mai 1744 zu
Twickenham: Dichter; Ver-
treter des Pseudoklassizismus.
Kants Zitate sind dem „Ver-
such vom Menschen" ent- i
noramen, den ßrockes ^ ver- !
deutscht hat, vgl. diese Über-
setzung Seite 5, 59. 11, 5. 35,
25/26; 31. 55. 129. 165. 177.
183.
B.
Ricciolus (Riccioli), Giovanni
Battista, geboren 1598 zu
Terrara, gestorben am 25.
Juli 1671 zu Bologna: Jesuit,
berühmter Astronom. Sein
bedeutendstes Werk ist das im
Jahre 1651 zu Bologna er-
schienene „Almagestum no-
vum" 46.
S.
Steinwebr, "VVolf Balthasar
Adolph von, geboren am
9. August 1704 zu Delz bei
Soldin in der Neumark, ge-
storben am 4. April 1771,
a. o. Professor der Philosophie
in Göttingen, später Professor
der Geschichte, des Natur-
und Völkerrechts in Prank-
furt an der Oder 107. Anm.
T.
Tycho de Brahe, geboren am
14. Dezember 1546 zu Knuts-
torpbeiHelsingborg, gestorben
am 24. Oktober 1601 zu Prag,
berühmter Astronom, Vor-
steher der Sternwarte in Ura-
nienburg. Sein Hauptwerk
„AstroDomiae instauratae me-
chanica" erschien 1598 zu
"Wandsbeck. Bei der Aufstel-
lung seiner drei berühmten
Gesetze fußte Kei^ler vor allem
auf den vortrefflichen Be-
obachtungen Tycho de Brahes
19.
IT.
Ulrich, Johann August Hein-
rich, geboren am 26. April
1746 zu Rudolstadt, gestorben
am 3. Februar 1813. Professor
der Philosophie in Jena 197.
Anm.
W.
Weitenkampf, Johann Friedrich,
gestorben April 1758: Ma-
326
Personenregister.
gister und Privatdozent der
Philosophie an der Universität
zu Helmstädt, Diakonus zu
Braunschweig, schrieb das
„Lehrgebäude vom Untergang
der Erde" 118. Anm.
Wrlght von Durham, Thomas,
lebte um dielNIitte des 18. Jahr-
hunderts. Sein Werk, auf das
sich Kant in der „Naturge-
schichte des Himmels" beruft,
trägt den Titel: An original
Theory or new Hypothesis of
The Universe, founded upon
The Laws of Nature, and sol-
ving by mathematical Princip-
les The general Phaenomena of
The visible Creation; aud par-
ticulary The Yia lactea (eine
neu erfundene Theorie oder
neue Hypothese von dem^Velt-
gebäude, die sich auf die Ge-
setze der Natur gründet und
durch mathematische Grund-
sätze die allgemeinen Phäno-
mene der sichtbaren Schöpfung
und der Milchstraße im beson-
deren auflöst) 18. 20. 40. 142.
Sachregister.
A.
Abweichung-, freie, der Himmels-
körper 155.
— von der gemeinschaftlichen
Fläche 151.
— von der geradlinigen Be-
wegung 13, 14.
Achse, Verkürzung der 101.
cvondrehung, Theorie der 90 f.
actio in distans 248.
Adler (Sternbild) 141.
Äquator einer Himmelskugel 93.
101.
-^^sfläche 36, 57, 101.
Aquinoktialzirkel 93.
Äther 253, 280, 318.
Akzeleration, Moment der 302.
Akzidens 199 Anm.
Allgemeine Literaturzeitung 197,
Anm.
Allgemeinheit, logische 206,
— , physische 206.
Allheit 226.
Andromeda (Sternbild) 21 Anm.
Anordnung, höchste A. der "Welt
152.
Anschauung a priori 193, 199,
Anm.
— , innere = Zeit 194.
— , reine A.en und Formen der
Gegenstände möglicher Erfah-
rung 199, Anm.
Antagonismus, Gesetz des 317.
Antinous (Sternbild) 20 f. Anm.
Anziehen = sich einander nach
einem Gesetze nähern 251.
Anziehung 115, 117 f., 318.
— , die allgemeine A. ist pro-
portional der Quantität der
Materie 252 ff.
— durch den leeren Raum 249.
— , eine durchdringende Kraft
303.
— in die Ferne 198 Anm.
— , ursprüngliche 253, 256, 288.
— , ursprüngliche Bewegungs-
quelle 117.
— , Xewtonsche 66.
— , Sollizitation der 303.
— der Teilchen 65 f.
— , Versuch einer Konstruktion
der 258 f.
— , v>ahre und scheinbare 251 f.
cviskraft (siehe auch „Kraft") 23,
35, 57, 60 ff., 230, 243.
Apperzeption 290.
a priori erkennen = aus bloßer
Möglichkeit erkennen 193.
Arktiir 19.
Astrotheologie (siehe auch „Der-
ham") 48.
Atheisten 13.
Atome 147.
— und das Leere 277 f.
Atomistik oder Korpuskularphi-
losophie 278.
Attraktion 148.
— , Gesetze der 12, 102, Anm.
— , Mittelpunkt der 62, 64.
328
Sachregister.
Attraktion, spezifische ü6.
oostheorie 253.
c^szentruni des Universums 120.
Auflösung, Definition 274 f.
— , absolute 274.
Ausdehnung, unendliche 118,
Anm.
B.
Bebung 208.
Bedingung, das absolute Ganze
aller B.en 320.
Begehren 292.
Begriff, abgezogener 172.
— , Konstruktion des ß.s 193,
195, 239, 262, 281.
— , — der Bewegung 213.
— , platonischer ß. von der Welt
242.
Behan-ung, beharrlich, Definition
211.
— , beharren, nicht gleich in be-
harrlichem Zustande sein 213.
Berührung, mathematische 248,
251.
— , nicht unterschieden von:
durch unendlich kleine Zwi-
schenräume getrennt sein 262.
— , physische 248 f.
— = Wirkung der Undurchdring-
hchkeit 248, 251.
Beschleunigung 302.
Beweghchkeit 204. 206,
Bewegung, absolute 298, 306 f.,
308. 311. 316.
— , — des Weltganzen 316.
— , relative 205, 298, 311.
— , beschleunigte 35.
— , drehende 208.
— , eingedrückte 16, 59.
— , exzentrische 80.
— . fortschreitende 208.
— , geradhnige 208, 216, 225,
— . innere 208.
— , kreisförmige 17, 36, 52, 313 f,
— , krummlinige 225.
Bewegung, nicht in sich zurück-
kehrende 208.
— , oszillierende 208.
— , schießende 148.
— , wahre (wirkliche) 313 f.
— ; zirkulierende 208.
— , Begriff der B, und seine Kon-
struktion 213.
— , — als Gegenstand der Er-
fahrung 307.
— als Beschreibung des Raumes
217.
— als Größe 214.
— , Größe der B. mechanisch ge-
schätzt 283 f.
— , Größenlehre der 217.
— , Grundbestimmung eines Et-
was, das Gegenstand äußerer
Sinne ist 201.
— eines Dinges = Veränderung
seiner äußeren Verhältnisse
207.
— , Mitteilung der B. und ihre
Konstruktion 299.
— , Modalität der B, in der Pho-
ronomie 308.
— , — der B. in der Dynamik
310.
— , — der B. in der Mechanik
310,
— , — der geradlinigen B. 306 f.,
308.
— , — der kreisförmigen B. 308.
— , Mechanik der natürlichen
B.en 182.
— , Quantität der B. fphorono-
mischer und mechanischer Be-
griff der Quantität der B.) 285.
— , Zusammensetzung der 218.
225
1. Fall 218.
2. Fall 219.
3. Fall 220 f.
— , — , Definition 216.
— , Konstruktion der Zusammen-
setzung der B. 224.
— , Zusammensetzung derB. muß
Sachregister.
329
ohne Zuhilfenahme von Kräften
geschehen 224.
oosgesetze, allgemeine 16. 145 f.
162.
ooslehre, reine und angewandte
201.
Bewußtsein 290.
C.
Centaur (Sternbild) 20, Anm.
Chaos 12, 15, 23 f., 60 f., 98, 115,
117, 123 f., 126, 130 £f., 139,
143.
Chemie, nicht Wissenschaft, son-
dern systematische Kunst 191,
198.
— , chemische Wirkung 274 f.
D.
Denken 292.
— , Prinzipien der Möglichkeit
des D.s 200 Anm.
Denkvermögen 172 flf.
Dichtigkeit, Definition 267.
— , absolute 267.
— , Abnahme der D. mit der
Entfernung von der Sonne 166.
Ding an sich 240.
— , das Zusammengesetzte der
Dinge an sich 242.
Durchdringung der Materie 232 f.
— , chemische 274 f.
Dynamik 201, 227 ff., 252, 309.
— , allgemeine Gesetze der 262.
— , Grundsatz der allgemeinen
272.
— , allgemeine Prinzipien der
264.
— , dynamische Erklärung 277.
E.
Einfache, das 242 f.
Einheit 225.
Ekliptik 91.
Elastizität, ursprüngUche 232.
— (Definition) 257.
Elastizität, Si>ringkraft 299 Anm.
— , expansive \ „„o
— , attraktive j
— der Dünste 61.
— , elastisches Medium 276.
Ellipse, offene 48.
Empfindung 172 f.
Endzweck, Beweggründe desE's.
176.
Epikureer 146.
Erde (Planet) 33, 51, 70 ff., 76,
84, 91, 115, 135, 157, 160,
161, 169, 184f.
— , Erdachse, schiefe Lage der
163.
— , Einwohner der 175, 178.
— , Monde der 163.
— ■, ob die Erde einmal einen
Hing gehabt hat 110 ff.
Erfahrung 306.
— = empirische Erkenntnis —
enthält Metaphysik 195.
— , nur möglich durch Katego-
rien 199 Anm.
Erklärungsart, mechanische 152,
161 f.
— , mathematisch - mechanische
266.
Erscheinung 31 2 f.
— und Schein 306.
— , Teilbarkeit der 241.
— , das Zusammengesetzte der
243.
Erscheinungslehre 312.
Euler (Eulers Hypothese) 259.
Ewigkeit 118 Anm., 124.
Exzentrizität (der Planeten) 24,
51 f., 67, 78 ff.
— , Zunahme der, mit dem Ab-
stand von der Sonne 80.
— , Ausnahmen davon 81.
F.
Pernwirkung 248, 250.
fest (Definition) 269.
Feuerhimmel 48.
330
Sachregister.
Figuren (elliptische) 49, 50.
Fixsterne 18.
— = Sonnen 39, 11 5f.
— , System der 43, 47.
— , systematische Verfassung der
31 ff.
cv;nsysteme, Theorie der 24.
— = "Wandelsterne höherer Ord-
nung 19.
Fläche, gemeinschaftliche, der
Fixsterne 18, 41, 49.
, der Planeten 3G, 43, 66,
72 f., 149 ff., 155.
flüssig (Definition) 269,
Fuchs (Sternbild) 141.
Ct.
Gans (Sternbild) 141.
Gärung 208.
Geist, unsterblicher 133.
Geister, Wohnort der 142 f.
Geisterwelt, Anfang des Ge-
schlechts der 144.
Gemeinschaft, Kategorie der
302.
Geometrie 203.
— , geometrische Konstruktion
beruht auf Kongruenz 222.
Geschöpfe, belebte, ihr Ursprung
14.
Geschwindigkeit 208.
— , Begriff der 210.
— als Größe 222.
— , extensive Größe 223.
— , intensive Größe 223.
— , Konstruktion der, als Größe
223.
— , Abnahme der, nach dem
Grad der Entfernung vom
Mittelpunkt 149.
Gesetze, allgemeine 181.
— , eingepflanzte 147.
— , ewige 145.
— , die notwendigen, und die
Materie 14 f.
— , die, der scheinbaren Verän-
derungen eines Sternes 20.
Gestalten, Möglichkeit der 266.
Gleichartigkeit, absolute, des
Stoffes 278.
Glückseligkeit 133, 142, 186.
Gott 15, 129, 145, 152, 162,
— , Unendlichkeit seiner Schöp-
fungskraft 118.
cNDes Absicht 157.
cvjes Vollkommenheit 183.
c^es Wahl 161.
cv^es Weisheit 119 f., 162, 168,
181.
cvses Wille 153.
— in der Maschine 146.
Gottesleugnung, Theorie der 14.
Gottheit 133, 142, 144, 147, 178.
Götthche Allmacht 127 f.
— Gegenwart: leerer Raum als
Umfang der göttlichen Gegen-
wart 115.
— — , unendlicher Raum der
göttlichen Gegenwart 122 ff.
— Idee 99.
Göttlicher Urheber: Beweis eines
göttlichen Urhebers aus der
Schönheit und Vollkommen-
heit des Weltbaues 8.
— Verstand 98, 118 Anm., 182;
ewige Idee des göttlichen Ver-
standes 60, 182.
Gravität 34; System der Gra-vi-
täten 190 Anm.
Gravitation (Definition) 257.
Grenze, letzte, der Dinge 320.
— der sich selbst überlassenen
Vermögen 320.
Größe 199.
— , Begriff der 217, 225.
— , Anwendung des Begriffs der,
auf Materie 245.
— , Konstruktion der 285 ;
— , extensive 223,
— , intensive 202, 223, 286.
Größenlehre der Bewegungen
217.
Sachregister.
331
Grundsätze, synthetische 199
Anm.
Grundstoff, elementarischer 59.
Grundwesen 145.
H.
Harmonie , prästabilierte 200
Anm.
Härte, absolute 299 Anm., 303.
Herkules, Sternbild 21 Anm.
Himmelskörper, Bildung der
55ff.
— , Übereinstimmung in der Be-
wegung der 57.
— , Ursachen ihrer Bev>egungen
55 ff.
Hydrodj-namik, Gesetz der 271.
Hydrostatik, Gesetz der 272.
Hylozoismus, der Tod der Na-
turphilosophie 293.
Ich, das — kein Begriff 291.
Intussuszeption 275.
Irrsterne 44.
Irrtum: Quelle des Irrtums und
der Laster 174.
J.
Jamaika 10.
Jupiter (Planet) 88, 51, 72, 74f.,
81, 83, 86, 88 f., 91, 98 f.,
102f., 108, 115 f., 157 f., 168,
170, 178 ff., 185, 253.
— , seine Achse 163.
— , seine Bewohner 175.
— , seine Monde 163.
K.
Kategorien 199.
— , Deduktion der 197 Anm.
— , Tafel der 197 Anm.
Kausalität, Kategorie der 302.
Kausalverhältnis 296 Anm.
Keplersche Gesetze 34 (siehe
auch Kepler).
Klebrigkeit (viscositas) Defini-
tion 269.
Komet 33, 42, 44. 67 Anm., 149,
152, 171.
oon, Atmosphären der 81.
cv-n, Massen und Dichtigkeiten
der 83.
— , Schweife der 77, 81, 84.
cv;n, Abweichung der 24, 36.
— , Ursprung der 78 ff.
c^n, weniger exzentrische 51. 67.
— , kometische Bewegungen 82 f.
— , kometische Körper 73.
Kontinuum 239, 262, 267.
Körper: Bildung einesKörpers 66.
— , physischer, Definition 267.
— , mechanischer, Definition 283.
— , absolut harte 299 Anm., 303f.
— , elastische 299 Anm
Kosmogonie 176; alte 14.
Kraft, bewegende 228, 264, 265.
— , Anziehungskraft 131, 154,
230 f., 253, 279, 288, 303;
siehe auch Anziehung (Attrak-
tionskraft).
— , ursprüngliche Anziehungs-
kraft, erstreckt sich ins Un-
endliche 254 f., 263, wirkt im
umgekehrten Verhältnis der
Quadrate der Entfernung 259,
260 f., 262.
— •, Anziehungskraft, ist eine
Grundkraft 243 ff., 264.
— , Anziehungskraft, Grund der
Möglichkeit der Materie 249.
— , durchdringende 254.
— , eingepflanzte Kräfte 147.
— , expansive 265.
— , Flächenkraft 254.
— , geistige Kräfte 142.
— , Grundkräfte 249, 266.
— , lebendige Kräfte, Schätzung
der lebendigen Kräfte 265 f.
— , tote 286.
— , den Mittelpunkt fliehende
Kräfte 42, 43.
— , schießende 33.
332
Sachregister.
Kraft, Schwungkraft 63, 117, 153.
— , Senkungskraft .'34f., 52, 63, 148.
— , treibende 230.
— , Umwendungskraft 62.
— , wesentliche Kräfte 61.
— , Zentralkraft 96.
— , Zentripetalkraft 34.
— , ziehende 230.
— . zusammendrückende 232,
244. j
— , Zurückstoßungkraft (repul- '
sive [siehe auch da]) 131, 230 f.,
244, 246 ff., 250, 263, 279.
— — , gehört zum Wesen der
Materie 247.
— — , ursprüngliche 249, 263.
— — , Konstruktion; wirkt im
umgekehrten Verhältnis der
Würfel unendlich kleiner Ent-
fernungen 260, 262
— , Zurückstoßung, Sphäre der
Kraft des Einfachen 261.
Kreisbewegung, beständige 36.
— der Himmelskörper 52.
Kritik der reinen Vernunft 206,
L..
Leben, Definition 292.
Leblosigkeit 292.
Leere, das 320.
— , das absolut 277 f.
Lehrbegriff, mechanischer 181.
Lehrverfassung,mechanische 1 56.
— , des Weltbaues. Beweis ihrer
Richtigkeit 144 ff.
Licht, eingedrückte Bewegung
des L.s 117.
Limitation, Kategorie der 264.
Logik 312 Anm.
Luft 136 f.
Lust und Unlust, Gefühl der 292.
M.
Mars (Planet) 33, 51, 75, 79,
81, 88f., 91, 158f., 161, 170,
184 f.
— , seine Achse 163.
Mars, seine Bewohner 185.
Maschine, Definition 283.
Masse, Begriff der 287.
-, Definition 283.
cv)n der Himmelskörper im Ver-
gleich zu ihren Entfernungen
vom Zeutralkörper 72, 157.
— , Ursiirung der Massen zu-
gleich Ursprung der Bewegun-
gen 66.
Materie 196.
— , Allgemeiner Begriff der 200.
205.
— , der Begriff der, wird auf
bewegende Kräfte zurückge-
führt 265.
— , Konstruktion des Begriffs der
229, 255 f., 266.
— , Zergliederung der 195.
— , Definition = das Bewegliche
im Räume 204.
— , — = das Bewegliche, sofern
es einen Raum erfüllt 227.
— , Subjekt dessen, was im
Räume existiert 236.
— als etwas Bewegliches 214.
— , dynamische Erklärung der
227, 255.
— , mechanische Definition der
282 ff.
— , phänomenologische Defini-
tion der 305 f.
— , bloß leidend 60.
— , Gegenstand äußerer Sinne
205.
— , das eigentliche Empirische
205.
— hat keine inneren Bestim-
mungen 292.
— als Substanz 291.
=, anerschaffene Eigenschaften
der 16.
— , feinste Auflösung der 23.
— hat eine natüi'liche Bestre-
bung zu einer vollkommenen
Verfassung 60.
Sachreg-ister.
333
Materie, ihre Gesetze und der
Entwurf der höchsten "Weis-
heit 9.
— , Grundmaterie, eine Folge
des göttliclien Daseins 119.
— , die Materien des Weltraumes
befinden sich ihren Höhen
nach im verkehrten Verhältnis
ihrer Dichtigkeiten 69 f.
— , Kräfte der 146.
— , Quantität der, Definition
283 f., 288.
c^n, spezifische Verschiedenheit
der 277.
oon, stetige 262.
Mathematik — läLt sich nichts
wegvernünfteln 240.
— , die Anwendung der, auf
Körperlehre erfordert Kon-
struktion der Begrifle 195.
— gi'ündet ihre Erkenntnis auf
Konstruktion der Begriffe in
einer Anschauung a priori 192.
— und Metaphysik 239.
— , mathematische Konstruktion
195, 224.
Mechanik 201, 216. 224, 252.
282 flf., 296 Anm.
— . 1. Gesetz der 289.
—, 2. Gesetz der 291.
— , 3. Gesetz der 293.
— , bhnde 11.
— , mechanischer Weg 277 f.
— , mechanische Wirkung 274 f.
Menge ohne Zahl und Grenzen
118 Anm.
— , unendliche 240 f.
Mensch, seine Natur 171 ff., 177,
Merkur (Planet) 33, 51, 70, 72,
75, 81, 149, iei.
— , seine Bewohner 177 f.
Metaphysik 203, 239.
— oder Philosophie = reine
Vemunfterkenntnis aus bloßen
Begriffen 192.
— der Natur 192.
Metaphysik, der Xatur, transzen-
dentaler Teil, der 192.
— der köi-perlichen Natur 192,
195, 202.
— der denkenden Natur 192.
— enthält die reinen Hand-
lungen des Denkens, also Be-
griffe und Grundsätze a priori
195.
— läßt absolute Vollständigkeit in
den Wissenschaften hoffen 196.
— als Lehre von Gott, Freiheit
und Unsterblichkeit 202.
— , methodisch gebrauchte 265.
Milchstraße 19, 40 f., 44, 47 Anm.,
10, 107 Anm., 115 f., 141.
— , Sterne der 45.
— , Tierkreis neuer Sterne 46.
Mittelpunkt, warum der, eines
Sternensystems von einem
flammenden Körper gebildet
wii-d 134 f.
— des Fixsternensystems 141.
— der Natur 143.
— , Trieb gegen den 34.
Modalität, Kategorien der 109,
310.
Möglichkeit (Kategorie) 310.
Moleculae 274.
Monade 238, 286.
Monadist 237.
Monadologie 242.
— , physische 261.
Mond 88, 90, 160.
o^e, Ursprung der 85 ff.
c^e, Eichtung und Flächen ihrer
Bahn 88.
cv;e 179.
Nachrichten, allgemeine, aus dem
Reiche d. Wissenschaften 169.
Natur 133, 145 ff., 152, 182.
— , Begriff der 190.
— in formaler und materialer
Bedeutung 189.
— , Auswicklung der 13 f.
334
Sachre":ister.
Natur im Chaos 15.
— . allgemeines System der 121.
— , erste Regung der 154.
— , Entwicklung der großen Ord-
nung- der 23.
— -Wirkung der höchsten Weis-
heit 162 ff.
— .die Naturen der Dinge machen
ein System aus 182.
Naturalisten, Streit mit den 9.
Naturbeschreibung 190.
Naturerkenntnis, reine und an-
gewandte 191.
Naturgeschichte 190.
Naturgesetze 196.
— , allgemeine 152, 162 f., 170 ff. I
Naturkräfte 145. |
Naturlehre — enthält nur soviel \
eigentliche Wissenschaft, als i
sie Mathematik enthält 192 f. |
— , historische 190. {
Naturphilosophie besteht in der
Zurückführung gegebener
Kräfte auf Crrundkräfte 280.
— . mechanische 278 f.
— , dynamische 278 f.
Naturwissenschaft 190.
— (reiner Teil [physica gene-
ralis]) 196.
— , Prinzipien in der 230.
— . historische und rationale 190.
— , eigentliche und uneigentliche
190.
— , eigentliche, bedarf eines rei-
nen Teils 191.
— setzt Metaphysik voraus 192.
Nebeuplaueten 72, 91.
Negation, Kategorie der 264.
Neigung der Planetenkreise 68.
Nerven 173.
Newtonsche Anziehung 66 Anm.,
102 Anm.
— Sätze 42.
— Weltwissenschaft 33.
CV3S Optik 253; siehe auch Newton,
NordHchter 84 Anm,, 85.
Notwendigkeit 190.
Notwendigkeit, Kategorie d. 310,
— , objektive, der reinen Ver-
standesbegriffe 200 Anm.
o.
Offenbarung 133.
Orion, Sternbild des 20 f. Anm.
— , Lichtschimmer im 49 Anm.
— , Schwert des 20 Anm.
Ort eines Körpers — ein Punkt
p.
Phänomenologie 201, 305 ff,, 312.
Phoronomie 201, 204 ff., 224,
296 Anm., 308.
— hat die Konstruktion der Be»
wegung als Größe und der
Materie als des Beweglichen
zum Gegenstand 214.
— betrachtet Bewegung nur als
Beschreibung desßaumes216f,
— , reine Größenlehre der Be-
wegung 217.
— , phoronomischer Lehrsatz 225.
Physik 192.
— , mathematische 266.
Planeten, Achsen der, und ihre
Stellung 94.
— •, Achsenbewegung der 85ff., 92.
— , Attraktion der 86 f. Anm.
— , Bildung der 66.
— , verschiedene Dichtigkeit der,
i. Verhältnis ihrer Massen 68 ff,
— , Laufkreise der 36.
— , Blassen der 24, 73f., 66, 76.
— , Umläufe der 17, 67 Anm.
— , Ursache ihrer zirkeiförmigen
Bewegung und Beziehung auf
eine Fläche 66 ff., 79, 85.
— , Exzentrizität der Planeten-
kreise 78 f.
— , ob die, bewohnt sind? 170 f.
— , die Bewohner der 165 ff., 175.
— , die Vollkommenheit ihrer
Bewohner wächst mit der Ent-
fernung von der Sonne 178.
— , ihr Tod und Verderben 180 f.
Sachregister.
335
Planeten, Verwandtschaft der,
mit den Kometen 52.
— , obere 180.
— , untere 71, 179 f.
— , andere, über dem Saturn 51 f.
— , der äußerste Planet 73.
Prolegomena 197 Anm.
Punkt, dynamischer 261.
— , physischer 208, 237.
Psychologie 172, 192.
Qualität 199, 264.
R.
Radius vector 84:.
Raum: Form der äußeren sinn-
lichen Anschauung 205,210,240.
— , gehört nur zur Erscheinung
äußerer Dinge 242.
— , absoluter 204, 206, 215 f.,
218 f., 294 f., 298, 311 f.
— , absoluter, kein Objekt 206,
eine Idee 311, die Idee eines
Raumes zur Bestimmung des
Verhältnisses gegeben. Räume
261.
— , reiner 308.
— als Eigenschaft der körper-
lichen Wesen 210.
— , leerer 58 f., 227, 234, 248 f.,
265, 277 ff.
— , leerer = existiert nicht 317f.
— , "Wirkung durch den leeren
249 f., 254.
— , erfüllter 280.
— . empirischer 205.
—, relativer 204f., 214 f., 218f..
295, 311 f.
cvses, Endlichkeit des 119, 121,
124, 126.
cvses, unendliche Teilbarkeit des
239.
Raumerfüllung 227 f., 235 f., 245,
266, 280.
— , gradweise 264.
— , mathematische 234.
Raumerfüllung, dynamische 234,
263 f.
Raumesiuhalt (Volumen) , Defi-
nition 2G7.
Raupe, Erzeugung einer, aus
Materie 18.
Realität, Kategorie der 264.
— , das Reelle 229 = das Solide
263 f.
Regierung, oberste, und die Ma-
terie 9.
— , einer obersten Weisheit, und
die Mechanik der Kräfte 11.
Reibung, Definition 269.
Relation 199.
Religion 9, 16, 146.
— , Schwierigkeiten in Ansehung
der 7.
— , Übereinstimmung der, mit
dem System Kants 8.
Richtung der Bewegung 209 f.,
215, 304.
Ruhe 224.
— , absolute 215.
— , allgemeine 61.
— , beharrliche Gegenwart am
selben Ort 211, 213.
S.
Saturn (Planet) 33, 51 ff., 72 ff.,
83. 86, 88, 91, 94 ff., 157.
— , Äquator des 91, 97, 99.
— , Durchmesser des 100 ff.
— , tägliche Umdrehung des 94 ff.
— , Zeit seiner Achsendrehung,
berechnet aus den Verhält-
nissen seines Ringes 99.
— , seineMonde99, 107 Anm.,163.
— , seine Bewohner 177 f.
— , der Saturnring 94f., 107 Anm.,
112 ff., 179 f.
— , Ursprung des Ringes 94 ff.
— , konzentrische Zirkelstreifen
des Ringes 105 ff.
Schein und Erscheinung 306.
Schicksal, blindes 145.
Schöpfung 142.
336
Sacliregister
Schöpfung, Größe der 51.
— , ein System 120.
— , Mittelpunkt der 120 f., 126.
— , nie vollendet 124.
— , die, in ihrer Unendlichkeit
nach Raum und Zeit 114 ff.
— , Ende der 118.
Schöpfungsgeschichte, Mosaische
2lAnm., 111.
Schütze, Sternbild 20 Anm., 141.
Schwan, Sternbild 141.
Schweife und Dunstkugeln der
Kometen 52.
Schwere, Definition 257.
Seele, ihi- Verhältnis zum Leibe
172.
— , Naturbeschreibung der Seele,
nicht Seelenwisscuschaft 194.
Seeleulehre 189, 193.
— , empirische, nicht Natur-
wissenschaft 194.
Seelenwanderung 185 f.
Selbständigkeit, Gesetz der 302.
Siebengestim 45 Anm.
SoUizitation 302.
— der Anziehung 803 f.
Solidität 229, 245, 263 f.
Sirius 45.
— , Zentralkörper der Milch-
stralie 141.
Sonne 42, 71 f., 91.
— , Anziehung der 42.
c^natmosphäre, Elastizität d. 137.
— , Mittelpunkt der 64.
— , warum die Sonne spezifisch
weniger dicht ist, als die Erde
135.
— , allgemeine Theorie und Ge-
schichte der 134£f.
— , System der Sonnen 33, 116 f.
cvin des Firmaments 43 f.
Sonnenfeuer, seine Vergänglich-
keit 138.
Sonnenklumpen, Masse des Ss
73, 161.
Sonnensystem, Erzeugung des S.s
62.
Sonnenwelt, unsere 51.
Sphäroid, Newtonsches. Ab-
plattung des Newtonschen
Sphäroides 101 f.
spröde, Definition 269.
starr, Definition 269.
c^e Materien 272 f.
Stellen, lichte, am Himmel
20 Anm.
Sterne, neblichte 20, 48, 49, 50.
— , Hypothese der Beschaffen-
heit neblichter 24.
Stetigkeit, Gesetz der 291.
— , mechanisches Gesetz der
304.
— , metaphysisches Gesetz der
304.
— , Gesetz der, im Abfluß in-
nerer Veränderungen 194.
Stoß, Antrieb durch den 253.
Subjekt, letztes, im Räume 288.
Substanz 229, 246.
— , Kategorie der 302.
— , Materie als 291.
— und Akzidens 199 Anm.
— , Beharrung der 289 f.
— , letztes Subjekt der Existenz
236.
— , materielle 235.
— , Quantität der 288 f., 297 Anm.
— der Seele 290.
c^en, Unendlichkeit von 124.
Sünde und Tugend: ob Sünde
und Tugend auch auf andern
Weltkörpem herrschen 184.
System, wahres 58.
cvie, kleine 34.
T.
Teilbarkeit, mathematische 237.
— , physische 235.
— , unendliche 239, 275.
, der Materie 241.
— — , des Raumes 239.
— , vollendete unendliche Tei-
lung 275.
Tierkreis 44, 116.
Sachregister
337
Trabanten 33.
— , ihre Entstehung 88,
Trägheit, Gesetz der (vis inertiae)
292 f., 302, 304.
— , Gesetz der, und das Gesetz
der Wirkung und Gegen-
wirkung 292 f.
Trägheitskraft (lex inertiae) 299,
301.
— muß aus der Naturwissen-
schaft weggeschaftwerdenSOlf.
Transfusion 299 Anm.
Transfusionisten 299 Anm.
Trennung 235.
— , Definition 269.
IJ.
Umlaufsbeweguugen 148.
Umlaufszeiten der Planeten 34.
— , Gesetz der 320.
Unbedingte, das 320.
Undiu-chdringlichkeit 235, 248,
266.
— , absolute 234 f., relative 284 f.
— der Materie 233, 243 ff.
— , absolute, = eine qualitas
occulta 235.
— = zurücktreibende KJraft
243 f., 264.
Unendlichkeit, Begriflf der 118
Anm.
— , das Unendliche als Größe 170.
Unenneßlichkeit, Abgrund einer
wahren 50.
Universum, Umfang des Uni-
versums 130.
— , das, ein System 120.
Unteilbarkeit, physische 277.
Ursache, äußere 292.
— , erste 15.
— , materialische 58.
— , mechanische 17.
oon, natürliche 154.
Ursprung, mechanischer, der
Planetenbewegungen 148.
Urteil: Definition des Urteils
199 Anm.
Urteil, alternatives 307, 312 Anm.
— , disjunktives 807, 309, 312
Anm.
— , distributives 312 Anm.
— , kategorisches 198 Anm.
Urteilskraft 173.
Urwesen 13.
Vacuum coacervatum 318.
— disseminatum 318.
— mundanum 317.
— extramundanum 318.
Venus, Planet 33, 51, 72, 75,
84, 93, 160f.
— , Bewohner der 175, 177.
Veränderung, Begrifi" einer, über-
haupt als Größe 304.
Verfassung, systematische, des
Weltbaues 36, der Fixsterne
39 f.
Vernunft, der spekulative Ge-
brauch der, reicht nur auf
Gegenstände möglicher Er-
fahrung 198 f. Anm.
Verschiebung, Definition 269.
Verstand, göttlicher 118 Anm.;
Idee eines göttlichen Ver-
standes 182; höchster 15, 145f.;
unendlicher 147; — Verstand
und die Übereinstimmung und
Schönheit in den Zwecken 12.
— , weiser 162.
Vielheit, Kategorie der 226.
Vollkommenheit 145 ; Urquelle
der 132, 142.
Volumen 267, 280; Volumen u.
Gestalt 245.
Vorsorge: Probe einer gütigen
Vorsorge 10.
w.
Wärme 263.
Wechselwirkung 292, 293 f., 302.
— , Gleichheit der Wirkung und
Gegenwirkung 252, 298 f.
— , dynamisches Gesetz der
Kant, Kl. Schriften z. Katarphilosophie. I.
22
1? :7 V '55
338
Sachregister
Grleichheit der "Wirkung und
Gegen^värkung- 298 f.
— , mechanisches Gesetz der
Gleichheit der "Wirkung und
Gegenwirkung 298 f.
Weisheit, höchste 118 Anm., 144,
16Jf.
— , unendliche Macht der höch-
sten 144.
Weltbau, planetischer 33; Ur-
sprung des planetischen Welt-
baues 55ff. ; mechanische Er-
zeugung des Weltbaues 14;
wahre Verfassung der Welt-
baues 16, 22; allmählicher
Verfall und Untergang des
Weltbaues 130 f.
Welten, Entstehung neuer "Wel-
ten 131.
— , Bildung neuer, und Unter-
gang der alten 24.
— , Unendliche Menge der 50.
Weltgebäude: Untergang eines
Weltgebäudes 128.
"Welthistorie, allgemeine 15.
Weltkörper: Bildimg eines Welt-
körpers nach mechanischen
Gesetzen 15.
Weltordnungen, höhere 49, 50.
Weltsystem 12.
— , mechanische Erzeugung des
Weltsystems 24, 161.
Wesen, Definition 189 Anm.
— , höchstes 13, 142, 146, 186;
großes 98; unendliches 133;
unendliche Macht des unend-
lichen Wesens 118; Wesen
aller Wesen 147.
— , geistige, und ihre Abhängig-
keit von der Materie 183;
vernünftige Wesen 168.
Widerspruch, Satz des W.s 229.
Wille 292; höchster 161.
Winkelentfernung d. Fixsterne 91 .
Wirbel der Atome 14.
Wirklichkeit, Kategorie der 310.
Wirkung und Gegenwirkung
292 f., 298 f.; Gesetz der Ge-
genwirkung der Materien 302.
Wissenschaft, rationale 190.
— und Wissen 190.
Z.
Zeit, Relativität der 179 = innere
Anschauung 194.
— , Unendlichkeit der 124.
Zeutralbewegung,Ge8etze der 64.
Zentralfeuer 175.
Zentralkörper 35, 49 Anm., 136,
140 f., 158; gemeinschaftl. 36;
allgemeiner 121 ; des Uni-
versums 142; Klumpen des
Zentralkörpers 63 ; Bildung
des Zentralkörpers 62, 72 f.
Zentralkraft 35 f., 67, 78, 80:
siehe auch Kraft.
Zentrifugalkraft 43, 62; siehe
auch Ej-aft.
Zentripetalkraft 34 ; siehe a. Kraft.
Zirkel, parallel laufende 63.
Zirkelbewegung, freie 63, 65;
der Partikeln 79.
Zirkelgeschwindigkeit 67.
Zodiakalhcht 112 ff., 138.
Zodiakus 82, 116.
Zoue, erleuchtete 41, 43 f.
Zufall 12, 14, 144, 162.
— , blinder 277.
Zurückstoßung der Teilchen 14.
Zurückstoßungskraft 12, 23, 61.
115, 230, 246, 249, 260 f., 263 f.;
siehe auch „Kraft".
Zusammendrückung 318
Zusammendrückbarkeit der Ma-
terie 233.
Zusammenhang, Definition 268.
— , gewöhnliche Gesetze des
Zusammenhangs 66 Anm.
— gehört nicht zur Möglichkeit
der Materie 257.
Zustand, einfachster 59.
— , erster, der Xatur 13, 55.
— kleinster Wechselwirkung 63.
Zwischenräume , leere 264, 266
Jjlr/S-^8
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