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LUCIAN UND CHRISTINE SCHERMAN
IM
STROMGEBIET
DES
I RRAWADDY
BIRMA UND SEINE FRAUENWELT
MIT 65 ORIGINALABBILDUNGEN
VERLAG OSKAR SCHLOSS
MÜNCHEN-NEUBIBERG 1922
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Gedruckt und gebunden bei Knorr & Hirth, G. m. b. H., München
Copyright 1922 by Oskar Schloß Verlag München-Neubiberg
Alle Rechte vorbehalten
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Dr. F. W, Thomas
als Zeichen treuer Freundschaft zugeeignet
in Erinnerung fördernder Stunden geselligen
und wissenschaftlichen Verkehrs in
glücklicher Vorkriegszeit
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N
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A
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VORWORT
I. EINLEITUNG
II. BIRMANEN
III. SHAN 40
IV. PALAUNG
68
V. KAREN 79
VI. KACHIN 97
VII. CHIN 111
VIII. N AGA 116
IX. LISHAW 123
X. SCHLUSS-ÜBERSICHT 126
ANHANG: GESÄNGE 129
V O R W O R T
Ein für die „Deutsche Revue*" auf Einladung ihres Herausgebers,
Herrn Richard Fleischer geschriebener Aufsatz „Frauenleben in
Birma" hat den Anstoß zur vorliegenden Veröffentlichung gegeben.
Da er der erläuternden Abbildungen entraten mußte, nahm ich den
Vorschlag des opferwilligen Verlegers der „Zeitschrift für Buddhis-
mus", den wichtigsten Teil der photographischen Belege in eine
umfassendere Schilderung der mannigfachen Frauentypen Britisch-
Hinterindiens zu verflechten, mit unverhohlener Freude an. Zwar
hat die Teuerung, die während der Ausarbeitung und Drucklegung
unser Wirtschaftsleben noch unbarmherziger erschütterte als jede
vorangehende, zu manchen Abstrichen genötigt, denen leider u. a.
der vollwertige Ersatz der Kartenskizze und das im Manuskript
fast vollendete Sachregister zum Opfer fielen; aber es ist doch
eine stattliche Anzahl völkerkundlich belehrender Platten zur Kli-
schierung gelangt. Ich begrüße dies um so froher, als die Raumnot
des Münchener Museums, das die gesamte (mit Schenkungsmitteln
erworbene) Ausbeute meiner indischen Expeditionen der Jahre
1910/11 verwahrt, eine zureichende Aufstellung unmöglich macht.
Ein Wort zu Thema und Aufschrift. Daß der durch den geo-
graphischen Obertitel umrissene Kreis in einigen Abschnitten über-
schritten wird, dürfte kaum Anstoß erregen. Was die Heraus-
hebung des Stoffes aus der Gesamtheit der Reiseaufzeichnungen
anlangt, so erfolgte sie aus der Überzeugung heraus, daß Frauen-
tracht und Frauenarbeit in Birma eine gesonderte Darlegung un-
gleich mehr lohnen als man dies von den übrigen Provinzen des
indischen Imperiums sagen kann. Alles ist natürlicher, originaler,
die Betätigung der Frau zudem selbständiger und weiter reichend.
Schon in Assam setzt der auffallende Wechsel ein. Die Völker-
schau in Birma ist viel bunter. In Vorderindien beherrschen die
lose um den Körper geschlungenen Tücher und die vom Islam ein-
geführte Rock- und Schalmode das Kleiderbild. Leibchen und Jacke
treten unter den Hüllen wenig hervor; bei den minder zivilisierten
Schichten fehlen sie ganz, und nur selten gibt Farbe und Form
der Gewandung einen Anhalt für die Stammeszugehörigkeit. Das
ethnische Moment wird vom regionalen überschattet, und so ver-
dichtet sich der Eindruck einer gewissen Gleichförmigkeit und
Monotonie. Die Volksgruppen Indochinas hingegen grenzen sich
durch Farbe und Musterung der Gewebe scharf ab, und es bietet
Anreiz, den Beziehungen und Entlehnungen nachzuspüren.
Die Erkundungen und Sammlungen, von denen die folgenden
Seiten Zeugnis ablegen, stützen sich auf vielseitige Hilfe. Zu wärm-
stem Dank fühle ich mich folgenden Herren verpflichtet: den ein-
heimischen Fürsten der Shan-Staaten Hsawng Hsup,^) Hsipaw und
Yawnghwe, den Verwaltungsbeamten S. Bazett(Bhamo), Gh. E. Brown
<Thamakan), R. Grant Brown (Kindat), J. Carey (Loikaw), Mc Kenna
(Mandalay), N. Nepean (Kanpetlet), H. A. Thornton (Lashio), den
Mitgliedern der American Baptist Mission W. W. Cochrane (Hsipaw),
O. Hanson (Namhkam), A. H. Henderson (Taunggyi), Johnson
(Loikaw) und W. H. Roberts (Bhamo), ferner R. C. J. Swinhoe,
Taw Sein Ko und U Kyaw Yan in Mandalay, Colonel G. Rippbn
in Kalaw und Major Orman in Bhamo. Seitens der britischen Be-
hörden habe ich ein Entgegenkommen erfahren, das oft weit über die
Durchschnittswirkung amtlicher Empfehlungsschreiben hinausging.
Von dem geistigen Eigentumsrecht an den Reisetagebüchern steht,
insbesondere soweit sie über das weibliche Geschlecht bei den be-
suchten Völkerschaften berichten, meiner Frau ein ansehnlicher Teil
zu. Ich habe deshalb auf dem Titel ihren Namen beigefügt trotz
des Widerstrebens meiner an Arbeitstreue und Selbstlosigkeit nicht
zu überbietenden Partnerin. So erst gibt sich das kleine Buch
als das, was es ist: als Niederschlag gemeinsamer Beobachtungen
und Studien auf und nach mühe- und genußreichen Indienfahrten,
die wir in lieber — nach dem Schrecklichen, was inzwischen über
Deutschland hereingebrochen ist, mit tiefer Wehmut gemischter —
Erinnerung bewahren.
München, September 1922
Museum für Völkerkunde L^ Scherman
') In der Namenschreibung folge ich im allgemeinen den amtlichen Pu-
blikationen, besonders dem „Imperial Gazetteer of India.'*
I.
Birma, die östlichste Provinz des britisch -indischen Reiches,
ist diesem in seiner heutigen Ausdehnung erst seit wenigen Jahr-
zehnten einverleibt. Soziale und wirtschaftliche Verhältnisse
sowohl wie die Bevölkerung — die mit ihren 12 Millionen knapp 726
des indischen Riesenbesitzes bildet —stehen in beträchtlichem Gegen-
satzzu den vorderindischenGebieten.DiegeographischeLage desLandes,
das im Nordwesten, Norden und Osten von hohen Gebirgen, im Süden
und Westen vom Meer umspült ist, schob der Kriegs- und Ver*
kehrstechnik früherer Jahrhunderte einen kräftigen Riegel vor, und
deshalb blieb es auch lange vom Welthandel unberührt, zumal es keine
Handelsprodukte erzetigte, die den Kauffahrer besonders angelockt
hätten. So schufen sich in den hinterindischen Landen Volks-
charakter, Kultur und Sitten ihre bodenständige Eigenart, die bis
heute noch ein gut Teil ihrer frischen, reizvollen Ursprünglichkeit
bewahrt hat.
Verkehrserschwerung bedeutet aber noch längst keine herme-
tische Abschließung. Von West und Ost bahnten die Hochkulturen
sich den Weg nach den Irrawaddy-Niederungen: von Indien kam
mit der ersten missionierenden Weltreligion, dem Buddhismus, eine
Welle geistigen Fortschritts ; von Osten, aus China, strömten haupt-
sächlich der Baukunst und dem Händwerk eine Fülle belebender
Einflüsse zu. Dies alles, zusammen mit altererbtem- heimischen
Gut, formte die gerade durch ihren Synkretismus so außerordentlich
lehrreiche indochinesische Mischkultur.
Was am auffallendsten das birmBnische Volksleben vom vorder-
indischen unterscheidet, ist das Fehlen des Kastensystems, das mit
seinen ausgeklügelten Paragraphen das Hindutum in zahllose Gruppen
— die traditionelle Vierzahl hat wohl niemals der Wirklichkeit ent-*
sprochen und war schwerlich mehr als eine summarische Theorie
— zerlegt. Starre Scheidewände bauen sich zwischen ihnen nach
alter Vorschrift, Sitte und Gewöhnung auf und hemmen das Auf*
Birma und Vorderindien
streben der Niedrigstehenden nicht minder, als sie die freie Be-
wegung der höheren Kasten durch engherzige Weisungen über den
Verkehr mit den unteren Schichten und nichthinduistischen Völkern
einengen. Die Frauen der oberen Kasten verbringen ihr Leben in
strenger Abgeschlossenheit von der Öffentlichkeit; eine andere
Tätigkeit als dem Haushalt vorzustehen, sich zu schmücken und
vor allem durch die Geburt von Söhnen das religiöse Gesetz zu
erfüllen, wird von ihnen nicht erwartet. Bei den niederen Kasten
beteiligt sich zwar die Frau rüstig an der Erwerbsarbeit, ohne damit
aber ihöe Freiheit und Selbständigkeit merklich zu erhöhen. Inwie-
weit dii Reformbewegungen, die schon seit längerem eingesetzt
haben, durch die neuen, auch die Kasten ernstlich bedrohenden,
Umwälzungsversuche eine Beschleunigung und Vertiefung erfahren
werden, muß die Zukunft lehren.
Verlassen wir das indische Festland mit dem emsigen Treiben
der dichter bevölkerten Provinzen, um an der Küste Birmas zu
landen, so dringt ein ähnlich geschäftiges Leben zunächst nur in
den Hafenstädten, vor allem in der (nicht zuletzt auch durch Bremer
Handelsgeist) kräftig emporgeschossenen Hauptstadt Rangoon, auf
uns ein. Die eigentlichen Birmanen jedoch finden wir nicht dabei;
Ostbengalen, südindische Tamil und Chinesen sind es, die die
Straßen füllen und ihrem Erwerbe nachjagen. Gelangt man in die
Basarviertel, zu den Markthallen für die Eingeborenen, dann erst
begegnet man häufiger den Birmanen, und zwar vorwiegend dem
weiblichen Element, das den Verkauf in den Hallen leitet. Es sind
nicht die schlanken, geschmeidigen, würdevollen Gestalten, an die
unser Auge in Calcutta und Madras gewöhnt war, sondern kleine,
meist untersetzte Figuren mongoloiden Typs. Zugleich aber mit dem
physischen Unterschied fällt uns die ganz anders geartete Rolle
auf, die der Weiblichkeit hier überantwortet ist: während die Männer
in läßiger Haltung als Zuschauer abseits stehen oder nur als Helfer
mittun, halten die Frauen mit Energie und geschäftlicher Gewandt-
heit den Betrieb in ihrer Hand und stehen in der Selbstsicherheit
ihres Auftretens, in Intelligenz und Liebenswürdigkeit keiner Euro-
päerin nach. All das gilt indes nicht etwa nur für die dem Welt-
verkehr geöffnete Handelsstadt Rangoon; in ganz Birma ist der Frau
diese Selbständigkeit eigen, in der Öffentlichkeit wie im Hause.
Arbeitslust, Tatkraft und Zielbewußtsein befähigen sie zur führen-
Statistisches 7
den Stellung und sichern ihr ein Übergewicht über den Mann, der
ihr den Löwenanteil in der Erledigung der meisten materiellen
Fragen willig überläßt.
Die Zahl der Frauen in dem sehr dünn bevölkerten Birma bleibt
mit 5,93 Millionen erheblich hinter dem anderen Geschlechte (6,18
Millionen) zurück. Dies erklärt sich aus dem hohen Prozentsatze
indischer Einwanderer, die zum größten Teil ihre Ehefrauen nicht
mitbringen, sondern nur die günstigeren Erwerbsverhältnisse des
Landes ausnützen und die daheim zurückgelassene Familie unter-
stützen. Wir haben das bekanntlich in Deutschland vor dem Kriege
bei den italienischen Ziegelarbeitern ganz ähnlich beobachten können.
Das Zahlenverhältnis kehrt sich um, sobald wir nur die birmanische
Bevölkerung im engsten Sinne berücksichtigen; dann stehen 3,65
Millionen männlichen Individuen 3,82 Millionen weibliche gegen-
über. ^)
Rechnen wir der eben genannten Summe noch einige nahe-
stehende Gruppen zu, so ergibt sich eine Ziffer von rund 8 Millionen
für die eigentliche birmanische Hauptmasse der Bevölkerung. Sie
gilt den übrigen Stämmen als Zivilisationsvorbild. Ihr am nächsten
folgen, wenn wir die Ka r en wegen ihrer Zersplitterung hier zunächst
außer Ansatz lassen, die Shan, etwa eine Million, die sich in ge-
schlossenen Massen im Osten und Norden von Oberbirma halten.
Neben diese beiden führenden Schichten tritt eine große Zahl von
Volksstämmen, die zumeist noch auf tieferen Kulturstufen stehen
und in ihren vom Verkehr abliegenden Wohnsitzen ihre Sonderart
zäher festgehalten haben. Vorwiegend sind es Bergvölker, die erst
durch das britische Eingreifen um ihre Unabhängigkeit gekommen
sind; dies beschleunigte zugleich ihre Annäherung an die zivilisier-
teren Bewohner der Ebenen, denen sie vordem durch räuberische
Überfälle und sonstige* Gewalttaten oft recht unbequem geworden
waren.
Die Landesreligion in Birma ist der Buddhismus in einer ver-
hältnismäßig reinen, Ceylon und Slam engverwandten Form; ihm
^) Die statistischen Angaben nach: Census of India 1911, Vol. 9 (Rangoon
1912). Von einem neuen Census, der nach den bisherigen Intervallen 1921
fällig gewesen wäre, haben wir nirgends etwas gelesen. Hingegen ist 1915
die erste Sprachenstatistik in Birma durchgeführt worden: Linguistic Survey
of Burma. Preparatory stage or linguistic census. Rangoon 1917.
8 Birmanische Charakteranlagen
hängen die Birmanen, die Shan und einzelne Bergvölker (insgesamt
10,4 Millionen) an. Die übrigen Stämme sind einem Geisterglauben
treu geblieben, dessen Spuren aber auch unter der Decke des bir-
manischen Buddhismus sehr deutlich hervorschimmern. Wir finden
sie gewöhnlich unter dem Namen „Animisten^^ zusammengefaßt;
ihre Zahl übersteigt mit rund 700 000 beträchtlich die der anderen
nichtbuddhistischen Religionsformen, unter deren Anhängern die
Hindu und Muhammedaner mit etwas unter, bezw. über 400 000
Personen folgen. Christen wurden in ganz Birma 210 000 gezählt;
dass unter diesen die Birmanen nur mit knapp 18 000 vertreten
sind, beleuchtet die schwachen Erfolge der Mission innerhalb der
buddhistischen Zentren.
Sorglosigkeit und unverwüstlicher Frohsinn sind die Charakter-
züge, die den Birmanen am weitesten von seinen vorderindischen
Nachbarn abrücken lassen. Der Hang zur Grübelei, zum Spekulieren
und Schematisieren, der sich in großen Bereichen der altindischen
Literatur, im Aufbau der Hindureligion und in den minutiösen Vor-
schriften für jede Lebensphase und jede Lebenslage kundtut, gönnt
dem Volke keinen leichten Sinn, keine harmlose Heiterkeit; bei
seinen Festen wie bei seiner Arbeit nimmt der Inder alles ernst.
Kein Wunder also, dass uns, kommen wir von Indien nach Birma,
die offene Art der Landeskinder so wohltuend berührt. Jedem Be-
sucher steht der Zutritt ins Haus offen; gastfreundlich wird er
überall empfangen, ohne die zudringliche Neugier, mit der der
Fremdling in Indien — beinahe wie im zivilisierten Europa —
verfolgt wird.
Der Birmane ist dem hastenden Treiben des Stadtlebens abhold,
nach Möglichkeit zieht er sich davon zurück; das beschauliche
Bauejnleben, das ihm ohne sonderliche Mühe und Aufregung seinen
Unterhalt sichert, dünkt ihm weit erstrebenswerte];» So sehr er auf
anständige Entlohnung dringt und auch vor Übervorteilungen nicht
zurückschreckt, so steht sein Sinn doch nicht danach, Reichtümer
anzusammeln. Was er erübrigt, legt er im Goldschmuck seiner
Frau oder für festliche Veranstaltungen an — das Münchener
Oktoberfest erschiene ihm als Gipfelpunkt aller Wonne, obwohl er
für dessen Bierseligkeit kein Verständnis hätte! Das Meiste aber
wird für Klöster und Mönche oder zur Errichtung von Pagoden
und anderen Kultbauten gespendet. Da ist es eine natürliche Folge,
Die Bi rmanin 9
wenn die sparsamen indischen Einwanderer und die gescheiten,
fleißigen Chinesen den wirtschaftlich ungeschulten und minder
gelehrigen Birmanen überflügeln und in den Hintergrund drängen.
Die britische Regierung sucht dem entgegenzuwirken; sie möchte
das auch ihr sympathische Volk der Birmanen geschützt und vor
dem Niedergang bewahrt sehen, solange es irgend geht. Deshalb
untersagt sie den Verkauf von Ackergrund an Ausländer, und das
Alkoholverbot soll einer Schwächung der birmanischen Arbeitskraft
vorbeugen. Ungleich wirksamer als diese Maßnahmen aber ist das
energische Zugreifen der birmanischen Frauen, die man mit vollem
Recht als „Rückgrat des Landes" bezeichnet hat.
IL
Die Birmanin kann nicht eigentlich als Schönheit gelten. In den
vortretenden Backenknochen und den leicht schräggestellten Augen
prägt sich der mongolische Typ aus, ebenso in der gelblich-braunen
Hautfarbe. Neben derberen Physiognomien findet man viele fein-
geschnittene Gesichter mit zierlicher, schmaler, leichtgebogener Nase.
Ausgesprochen hübsch sind die blitzenden dunklen Augen und das
reiche, glänzend schwarze, wie eine Krone auf dem Scheitel auf-
gesteckte Haar. Auf die Kleidung mit allem Drum und Dran wird,
namentlich bei feierlichen Anlässen, große Sorgfalt verwendet. Als
Verschönerungsmittel wertet man eine gelbliche Paste, die aus
der zerriebenen Rinde der Murraya exoiica (birmianisch sana(p)khä)
mit Wasser bereitet und mit gemahlenem Sandelholz parfümiert
wird; man läßt die über das Gesicht gestrichene Paste trocknen
und reibt nachher.^ das Überflüssige ab. Die ländlichen Schönen
gehen damit oft weniger sorgsam um, namentlich den kleinen Mäd-
chen wird das Antlitz bisweilen arg verschmiert — man sagt, das
nütze gegen Hitzausschlag. In den Städten weiß man aber euro-
päische Schönheitsmittel bereits zu schätzen; nicht selten wird
Schminke und Puder so übermäßig aufgetragen, daß der Eindruck
eines bemalten Puppenkopfes entsteht. Beim Schminken läßt die
Birmanin unterm Haaransatz an der Stirn einen Streifen frei, wo-
durch diese niedriger und in eckiger Haarumrahmung erscheint.
Bei der jungen Frau auf Abb. 1 ist dies am besten zu erkennen;
man darf sie als guten Birmanentyp gelten lassen, wenngleich sie
die Schwester eines Shanfürsten ist. Das Mädchen an ihrer Seite
10 Frauenkleidung
ist die Tochter des Fürsten; bei der daneben sitzenden Dienerin,
einem Shanmädchen, zeigt sich der Slamniesunterschied sehr augen-
fällig. Die beiden Prinzessinnen tragen den in Birma altherkömm-
lichen Rock, den Thamein^), ein rechteckiges StofTstück von un-
Abbildung 1
SchmHer aad Tochter des Slun-Fürsten von Hüpa» mit Diintria.
geföhr l'/* m Länge und etwa gleicher Breite, das nicht zusammen-
genäht, sondern oben um den Körper gelegt wird. Er besteht aus
') Birmanische Schreibung thamin, Aussprache thamen. In Sach- und
Ortsnamen behalten wir die in der neueren englischen Literatur über Birma
üblichen Formen bei. Schreibung und Aussprache geben im Birmanischen
oft stark auseinander, wozu auch die Aufpfropfung eines Indischen Alphabets
auf die ganz anders gebaute Sprache beigetragen hat.
■■■MMMmh
Seidenwirkerei ü
3 Teilen : einem gemusterten, ca. 60 cm breiten Mittelstück, dem
unten ein in entsprechender Farbenstellung gehaltenes, ca. 35 cm
breites gestreiftes Stück mit einfarbigem rosa Endrand und oben
ein 30 — 50 cm breiter Streifen aus glatter, dunkler Baumwolle
oder Samt angesetzt ist; das Ganze ist mit weißem Kaliko ge-
füttert. Bei der geringen Weite läßt natürlich jeder Schritt die
Beine bis zum Oberschenkel sichtbar werden; aber frühzeitig schon
lernt das Mädchen beim Gehen durch einen bestimmten Ruck der
Fersen nach auswärts eine Entblößung in der Öffentlichkeit bis
über die Grenzen des Schicklichen vermeiden. In der Ifoftracht
und sonst im Volke bei zeremoniellen Anlässen befestigt man den
Thamein um die Hüften, sodaß die nun überflüssige Stofflänge
ringsum auf dem Boden schleppt und die Enge des Rockes nur
kleine Schritte und gemessene Bewegungen gestattet. Das kunst-
volle Seidengobelingewebe auf Abb. l ist typisch birmanisch; es
wird Acheik genannt; der Name (gesprochen atscheik, geschrieben
akhyit) bedeutet „Welle'' und weist auf die welligen blumendurch-
streuten Muster. Für die Wirkarbeit benötigt man 70 bis 130 Schiff-
chen; die Vorderseite ist bei der Arbeit nach unten gekehrt, die
Schußfäden der einzelnen Schiffchen werden miteinander verschlun-
gen. Das Material ist chinesische Rohseide, die oft auch schon
fertig gefärbt gekauft wird. Für junge Mädchen sind die Farben-
stellungen gelb-rosa und weiß-rosa beliebt, für junge Frauen him-
beerrote Schattierungen mit dunkelrot oder schwarz, für ältere
Frauen grün mit gelb oder grün-rot; letzteres ist auch die Farben-
mischung für Männerröcke.
In altbirmanischer Zeit waren Acheikstoffe nur für das könig-
liche Haus und die Hofkreise bestimmt. Seit dem Ende der Königs-
herrschaft (1885) sind sie zur Prunkkleidung der Wohlhabenden
hergenommen worden. Bei den Birmanen in der Provinz, die dieser
alten Mode treu geblieben sind, und bei den Shan hält man noch
jetzt den Acheik -Thamein für die vornehmste Festgewandung.
Interessant war es uns zu erfahren, daß die reizvollen Acheik-
muster schon in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts europäische
Nachahmung gefunden haben, und zwar am birmanischen Hof selbst»
Dort lebte ein Italiener, Denegri, der sich in Lyon niedergelassen
hatte und 1861 von dort. nach Mandalay gekommen war; 10 Jahre
später holte er seine kleine Tochter und den ersten Jacquard-
12 Jacquard-Webstuhl in Mandalay
Webstuhl aus Frankreich und verpflanzte beide in den Königspalast
nach Mandalay. Diese Tochter lebte noch in Mandalay zur Zeit
unserer Anwesenheit (1911) und befaßte sich mit dem Verkauf
von birmanischen Seidenstoffen, die sie von Unsauberkeiten der
Arbeit, Knoten, hängenden Fäden usw. befreite, um sie ihren euro-
päischen Kunden gefälliger zu machen. Das alte Fräulein erzählte
gern von den schönen Tagen im Palast zu Mandalay, wo sie von
der letzten Königin Supaya Lat unter die Ehrenfräulein aufgenom-
men wurde — als einzige Europäerin. Schon 100 Jahre früher war
ein Italiener, ein Angehöriger der gleichen Familie, in Mandalay ge-
wesen und hatte dort die Herstellung der Baumwollsamte eingeführt,
deren Verwendung — und zwar in roter Farbe — ebenfalls zum Reser-
vatrecht für den Hof wurde; noch heute werden die Särge von ver-
storbenen Mitgliedern des Königshauses und von buddhistischen
Mönchen mit rotem Samt bezogen. Von 1873—1885 arbeitete der
Jacquardwebstuhl am Königshofe von Mandalay; Weberinnen aus
Manipur wurden von Denegri und seiner Tochter in dessen Ge-
brauch unterrichtet. Nach Ansicht von Fräulein Denegri stammen
sogar die Acheikmuster aus Manipur.^) Uns zeigte sie auf
^) Ähnliche Angaben machte man uns in dem entlegenen Yawnghwe in
den südlichen Shan-Staaten. Und in nächster Nachbarschaft von Mandalay, in
Sagaing, einer der zahlreichen früheren Residenzen, fanden wir noch Mani-
puri mit gewerbsmäßiger Herstellung von Acheikstoffen für birmanische Auf-
traggeber beschäftigt. Nun ist zwar richtig, daß die Manipuri, die in beträcht-
licher Zahl in Oberbirma angesiedelt sind, außerordentliche Leistungen in
den eingewirkten Bordüren ihrer heimischen Frauengewänder aufweisen; aber
dabei handelt es sich ebensowenig um eigentliche Gobelintechnik wie um
Acheik-Muster. Für beide liegt die Herleitung aus China wohl wesentlich
näher, womit nicht behauptet sein soll, daß in China der Ursprung der
Wirkerei überhaupt zu suchen ist. Im Gegenteil, die Wahrscheinlichkeit
spricht dafür, daß China sie seinerseits aus Vorderasien entlehnt hat. Aber
für die verhältnismäßig junge Periode, die für die birmanischen Acheik in
Frage kommt, wird man sich wohl schon darum in China nach dem Lehr-
meister umschauen, weil aus Vorderindien — dem anderen kulturellen Quell-
gebiet Birmas — Seidenwirkerei (also das, was in Deutschland nach franzo-
sischem Vorbild ,Gobelin', in England ,Tapestry' genannt wird) nicht bekannt
ist. Die Kashmir-Schals sind zwar Wollarbeiten des Gobelintyps, jedoch tritt
bei ihnen soviel anderes Technische hinzu — Verbindung gewirkter und über-
stickter gewebter Teile — , daß sie schlechterdings nicht in eine Gruppe mit
den Acheik eingereiht werden können. Dieses birmanische Künsthandwerk
hebt sich somit in völliger Eigenart von seiner Umgebung ab.
Jacquarcl-\rebstulil in MandaUy 13
unsere Bitte die Reste von den Jacquard-Acheik, darunter ein
Streifenmuster, das ihr jüngerer Bruder nach einem birmani-
sehen Vorbild in Frankreich gewebt hatte, und ein rot-rosa gestreiftes
Stück, einen Abschnitt von dem letzten Gewand, das sie für den
König Thibaw angefertigt hatte. Trotz der sauberen Arbeit sind
diese Kopien leblose Stücke im Vergleich mit dem Original-Acbeik.
Wir erhielten einige Teilchen ihrer so sorgfältig als Andenken auf-
AbbilduDg 2
SchBBipielerlrappt in Mandalay in äir bei Tanz anä Spiel üblichen Haitang.
bewahrten Gewebe als Angebinde für das Münchener Museum —
die sonnige Heiterkeit und die Freude am Schenken scheint das
alte Fräulein am birmanischen Hof von den Landeskindem ererbt
zu haben. Aber bei aller Freundlichkeit durchzitlerie eine leise
grollende Wehmut, die hauptsächlich auf den uns .begleitenden Eng-
länder wirken sollte, ihre Stimme bei der Erzählung von den
schönen Webarbeiten, die sie und ihr Vater zur Freude der
Kdnigin geliefert hatten — und von dem jähen Ende, das dem
14 Frauenkleidung
Königtum und seiner Herrlichkeit zusamt dem Jacquard -Webstuhl
bereitet worden war!
Jacken waren ursprünglich kein notwendiger Bestandteil der bir-
manischen Männer- und Frauentracht, sind aber im Laufe der Zeit
allgemein in Aufnahme gekommen. Die ältere Form zeigt die Her-
leitung vom indischen Schnitt: ein ^er die Hüften reichendes
Gewand mit einem vorderen Einsatz, der seitlich geschlossen wird
(Abb. 2). Bei Frauen ist dieser Einsatz häufig weggelassen, wie an
den noch jetzt bei der Provinzbevölkerung und bei den Shanfrauen
üblichen offen und lose niederhängenden Jacken (Abb. 12); statt
dessen wird dann ein Tuch um die Brust gebunden. Für Alltags-
zwecke nimmt man weißen Baumwollstoff, für festliche Veranstal-
tungen aber ist die Jacke aus Seide, enganliegend mit geschweiften,
schnabelförmig aufgebogenen und durch Bambusstäbchen gesteiften
Schößen.
Diese Tracht kommt jedoch immer mehr ab; als Alltagskleid ist
der Thamein schon fast ganz aus den Städten verschwunden, er
und das Seidenjäckchen mit den Schnabelschößen werden wohl
bald, wie unsere Rittertrachten usw., nur noch Bühnenkostüm sein
für die Schauspielerinnen, die bei den zahllosen Festen als Prin-
zessinnen oder Hofdamen in den Theaterstücken mitwirken. In
das Schauspiel sind stets Tanzszenen verflochten, außerdem gibt
es auch reine Tanzvorführungen. Der enge, auf dem Boden schlep-
pende Thamein wird bei den Tänzerinnen an der offenen Seite
bis zu den Füßen mit Nadeln zusammengesteckt; die Enge dieses
Futterals tut aber der Tanzbewegung keinen Eintrag, da diese aus-
schließlich aus Beugungen und Drehungen des Körpers und ge-
legentlichen Sprüngen am Orte besteht. Beim Einsetzen der Musik
nimmt die Tänzerin eine seltsam gespreizte Haltung an, die vor-
nehmlich in den Bewegungen der Arme, im Heben und Senken
der Schultern und Biegen des Halses hervortritt. Die Gruppe auf
Abb. 2 ist eine kleine Schauspielergesellschaft in Mandalay, deren
Dienste man bei privaten und öffentlichen Veranstaltungen gern in
Anspruch nahm; der männliche Partner galt als der beste Komiker
Oberbirmas.
Den Thamein hat in der Neuzeit der von Süden aus dem
malaiischen Archipel eingedrungene Sarong ersetzt, ein zwei Meter
weiter zusammengenähter Rock^ der um die Hüften gespannt und
Ffuenkleidune 15
vorne in einer tiefen Falte übereinandergesteckt wird. Die Be-
nennung lungyi ist von dem weitverbreiteten indischen lungi,
womit in den verschiedenen Distrikten Indiens Turban, ßrnst-
oder Lendentuch bezeichnet wird, übernomnien ; dieses Wort ist
vom Hindüstäni und BaiigilT aus auch in die Atj6h-Sprache von
Abbildung 3
Gebilden Bäretr/amilii In Maadelay; links lint V/m^anite (Shan) bei der Breltchentreberel.
Nord-Sumatra eingedrungen'); die birmanische Schreibung ist
lunkfayaii, die Aussprache lunjT (j wie in engl. jam).
Zu diesem LunjT, aber auch zum Thamein wird eine kurze,
weite Jacke chinesischen Schnittes aus weißem Batist oder
aus Seide getragen (Abb. 3) ; sie ist in ihrer Nachtjacken
ähnlichen Form weit weniger kleidsam als die altbirmanische.
') J- E.Jasper u. Mas Pirngadie, De inlandsche kunstniiverheid in
Nederl.IndieiH's-GravenhBgeI9I2),p. 256; H.T.Fischer, Katalog d.Elhoogr.
Reicbsmus. VI (Leiden 1912), p. 67. Auch das Türkische kennt iüng und
lüngi im indischen Sinne: J. Th. Zenker, Türk.-arab.-pers. Handwörter-
buch II (Leipzig 1876), p. 797.
16 Festschmuck
Männer- wie Frauenröcke sind meistens aus Seide; keiner, der
etwas auf sich hält, würde anders als in einem Seidenrock, den
noch keine Wäsche seines Glanzes beraubt hat, ausgehen. — Die
Fußbekleidung bilden Sandalen aus Büffelleder, mit Samt oder
Filz bezogen, festgehalten durch Spangen aus gleichem Stoff, die
zwischen der großen und der zweiten Zehe durchgehen.
Von Geschmack zeugt auch der Schmuck der Birmanin; er ver-
meidet die wuchtige Schwere des Göldschmuckes, mit dem sich
die reiche Inderin behängt. Schmale Goldreifen umschließen das
Handgelenk; Reife um die Fußknöchel kommen bereits außer
Mode. Feine Brustgehänge aus Goldfiligran oder lange, dünne Gold-
ketten, mit Tamarindensaft rötlich gefärbt, sowie kleine Goldknöpfe
als Jacken Verschluß wirken diskret und gefällig. Im Haar blitzen
als Festschmuck Goldfiligranblumen oder halbmondförmige^ bei
Reichen mit Diamanten und Rubinen besetzte Steckkämmchen;
diese Edelsteine sind ebenso beliebt an Fingerringen und Schrauben-
rosetten im Ohr; die ursprünglichen Ohrpflöcke und Ohrzylinder
sind in der Stadt längst verpönt. Am anmutigsten aber wirkt die
Sitte, ein frisches Blütenzweigchen ins Haar zu stecken.
Inmitten des frohgemuten Volkes verlebt die Jugend paradiesische
Jahre. Namentlich das Mägdlein hat im Vergleich zur vorder-
indischen Mitschwester ^) eine unendlich glücklichere. Kinderzeit.
Mit Mißbehagen wird die kleine Inderin schon bei der Geburt von
den Eltern begrüßt; denn ein Mädchen bürdet der Familie die Sorge
auf, innerhalb der zuläßigen Kasten den geeigneten Gatten zu be-
schaffen; die Verlobung findet häufig schon in den ersten Lebens-
jahren statt, vorbei ist es mit aller Freiheit, nach der Herzens-
neigung wird nicht gefragt, und sollte der Bräutigam noch vor der
Ehe sterben, so steht der armen Kleinen das traurige Los einer
indischen Witwe bevor, deren Wiederverheiratung Schimpf über
die Angehörigen bringt. Kein solcher Schatten verdüstert die Kinder-
jahre der Birmanin. Hat sie die unvernünftigen Bräuche der Ge-
burtshilfe überstanden und trotzt die körperliche Veranlagung
manchen Absonderlichkeiten der Ernährungsweise, so wächst sie
in fröhlicher Ungebundenheit heran. Die Kleidung entspricht der
*) Vgl. die trefPliijhen Aufsätze von M» Wintern itz „Die Frau in den
indischen Religionen'^: Archiv für Frauenkunde (Würzburg) 1915 ff.
Kinderzeit |7
der Erwachsenen; das Haar wird bis zum zehnten oder zwölften
Jahre verschiedenartig zugeschnitten, und Mädchen und Knaben
sind oft kaum zu unterscheiden. Meist werden die Haare um Stirn
und Nucken kranzförmig geschnitten, das Scheitelhaar bleibt lang
und wird in einem Knoten aufgesteckt (Abb. 4; man beachte hier.
Abbildung 4
SIraßnIugmtd In Mandelay: 4 Midchm, S Kaabta.
daß die Kinder auf der Hüfte reitend getragen werden, wie in
Vorderindien; die Frauen der Shan und der Bergvölker tragen sie
auf dem Rücken in ein Tuch eingebunden).
Mit Schulpflichten war in der Zeit birmanischer Herrschaft die
weibliche Jugend nicht geplagt. Für die Knaben war genügend ge-
sorgt, sie erhielten, wie das auch heute die Regel ist, ihren Unter-
rieht im Kloster durch die Mönche, die darauf pochen können, daß
das buddhistische Birma unter den Provinzen Britisch-Indiens weit-
nMW«pi
18 Ohrbohrfeier
aus die geringste Zahl von Analphabeten aufweist.^) Für die Mäd-
chen war und ist eine solche Schule verschlossen; die christlichen
Missionen aber haben sich der Jugenderziehung eifrig angenommen.
Seit der britischen Oberhoheit sind da und dort weltliche Elementar-
schulen und auch eigene Mädcheninstitute aufgekommen, bei denen
sogar für den Anschluß an das Universitätsstudium gesorgt ist.
Der wichtigste Tag im Jugendleben der Birmanin ist die Feier
der Ohrbohrzeremonie; es werden die Ohrlöcher gestochen, die
man ehedem allmählich durch Einlegen von gerollten Bambus-
streifen zur Aufnahme der goldenen Ohrpflöcke ausdehnte. Das Fest
findet in der Regel, namentlich bei erstgeborenen Töchtern, zwischen
dem zehnten und zwölften Lebensjahre $tatt; ihm entspricht bei
den Knaben die Feier des Klostereintritts — jeder Birmane muß
für eine, wenn auch kurze, Frist sich dem geistlichen Leben wid-
men. Da diese Feste in großem Stil veranstaltet werden und hohe
Summen verschlingen, schließen sich oft mehrere Familien, ohne
Rücksicht auf das Alter der Kinder, manchmal sogar für Knaben
und Mädchen zusammen; das Ohrbohren wie der Klostereintritt
erfolgen dann zu gegebener Zeit ohne weitere Förmlichkeiten. Für
solche gemeinsame Feiern sieht man in den Straßen der Städte
über Nacht große Festbuden mit Spiegeln, Flitter und Vergoldung
entstehen; Theater und Tanz, Musik und Bewirtung ziehen sich
durch mehrere Tage hin. Die Mädchen zeigten sich früher an ihrem
Ehrentag in der altbirmanischen Hoftracht. Dieses steife Gewand,
mit Glassteinen und Goldfiitterstickereien verziert und mit Samt
eingefaßt, bestand aus einer Jacke und darüber gehängten Kragen-
teilen, sowie aus einem zackig gebogten schürzenartigen vorderen
und einem schweifartig aufsteigenden hinteren Schoßteil; dazu wurde
die dex' Fürstin zustehende haubenähnliche Krone getragen (Abb. 5).
Jetzt hat man nur noch etliche Reste der fürstlichen Prunkabzeichen
beibehalten.
Abb. 6 zeigt eine für die Ohrbohrfeier erbaute Festhalle in
Mandalay. Im Hintergrunde auf der Estrade thront eine Schar
^) ^The System of monastic schools has, I think, been an immense boon
to the people of Burma, and if only tbe monks could be roused to educate
themselves more and to cast oif some of their cid ideas I should like to
see it maintained": Charles Crosthwaite, The pacification of Burma
(London 1912), p. 339.
Ohrbohrfeier IQ
junger Mädcben verschiedenen Alters; die mittleren drei sind selbst
an der Zeremonie beteiligt, die übrigen sind Freundinnen, die als
Ehrenfräulein fungieren. Alle sind reich mit Juwelen geschmückt,
an den Fingern blitzen die Edelsteine. Häufig ist dieser Pomp
geborgt, Brillantringe z. B. werden für 5 Rupien für den Tag ver-
Abbildung 5 .
Kltidang fär das Ohr^Dft^/«f : Nachahmung des HoJkUMls 'intr bimaniichta Priaiiaia.
lieben. Im Vordergrunde hocken die Gäste an niedrigen, mit Süßig-
keiten besetzten Lacktischchen.
Nach erfolgter Ohibohrung zählt das Mädchen zur reiferen Jugend;
es gibt das Heramtollen mit den Knaben auf, gesellt sich zu Mutter
und Schwester und benimmt sich wie eine Erwachsene, fängt auch
dementsprechend zu kokettieren an. Zur Anknüpfung von Ltebes-
beziehungen ist reichlich Gelegenheit. Bei den religiösen Festen
20 Reltgjgse Feate '
zieht die ganze Familie hinaus zum Klostergrund, wo Rasthäuser
Für die allgemeine Nutznießung oder als Eigentum einzelner Familien
errichtet sind. Dort kocht und ißt man nach und zwischen den An-
dachten, pflegt der Ruhe und plaudert mit Bekannten ; die jungen Leute
tun sich dabei weniger durch Frömmigkeit als durch fröhlichen Flirt
hervor. Mit Einbruch der Dunkelheit beginnt das richtige Festge-
Abbildung 6
Ftsthatli und Tribüne fSr eint Ohriolirfeitr in ManiSalay. Im Vordtrgiande die GSstt.
triebe; das Theaterspiel hebt an, wobei entweder Berufsschauspieter
in romantischen Szenen auftreten oder Alarionettenspiele geboten
werden, deren StoFT dem -Schatze der buddhistischen Vorgeburts-
legenden entnommen ist. Vor der Bühne lassen sich die Zuschauer,
mit Eßvorräten ausgerüstet, auf Matten nieder und hören die ganze
Nacht dem Spiel zu; die Kinder, selbst die allerkleinsten, sind dabei.
Mit Rauchen hält man sich leicht munter, darum sieht man die
birmanische Riesenzigarre überall glimmen; Männer und Frauen
rauchen, ja selbst die kleinen Kinder läßt man zur Beruhigung dann
Eheleben 21
und wann einen Zug tun. Die Zigarre ist eine 15 bis 20 Zentimeter
lange und 2^/2 Zentimeter dicke Rolle, gefüllt mit gehackten Tabak-
blättern und dem Mark der Tabakstengel, zur Hülle nimmt man
vom Mais oder von der Arekapalme die innere Haut der Blattscheide;
auch Baumblätter, die auf einem heißen Stein geglättet werden, er-
füllen den gleichen Zweck. Die Zigarren sind nicht stark, da auch
Süßholz dem Tabak beigemischt ist. Neben dem Rauchen frönt man
auch dem Betelkauen; die Schachtel hierfür aus Lack oder Silber
mit ihren Abteilungen und Büchschen für Betelblatt, Kalk, Ge-
würze usw. spielt in der birmanischen Gesellschaft dieselbe Rolle
wie bei uns etwa die Zigarrenkiste, Schnupftabaksdose oder Bon-
bonniere (vgl. Abb. 3).
Von Brautwahl und Ehe sei hier nur so viel gesagt, daß der per-
sönlichen Freiheit viel Spielraum gegönnt ist. Die meisten Ehen wer-
den aus Neigung geschlossen, oft gegen den Willen der Eltern und
nach Überwindung mancher romantischer Hindernisse. Das Jung-
gesellentum verstößt ganz gegen die Sitte, und weiter verdient Her-
vorhebung, daß nur die Großstädte von Prostitution etwas wissen.
Die Hochzeit findet ohne religiöse Zeremonie statt; im Hause der
Braut wird unter Beiziehung einiger Zeugen das Paar von den beider-
seitigen Eltern mit kurzer Ansprache zusammengegeben, und den
Beschluß bildet der gemeinsame Genuß gepökelten Tees, einer Deli-
katesse, über die später noch zu reden sein wird. Bei größeren Feiern
werden Astrologen zugezogen; das sind immer Abkömmlinge indi-
scher Brahmanen, die in birmanischer Königszeit als Hofbeamte an-
gestellt waren. — Zuweilen schließt sich auch ein Paar ganz formlos
durch bloße stille Übereinkunft zur ehelichen Gemeinschaft zu-
sammen.
Auch die Scheidung ist leicht; trotzdem lebt man gemeiniglich in
Frieden und Eintracht miteinander. Erfolgt eine Trennung, so nimmt
die Frau ihr Eingebrachtes und das in der Ehe Erworbene mit sich,
gemeinsames Gut wird geteilt. Von den Kindern bleiben die Knaben
dem Vater, die Mädchen der Mutter; aber wenn es irgend geht,
übernimmt diese die Sorge für alle ihre Kinder. — Wenn auch der
Buddhismus die Polygamie nicht verbietet, so bleibt doch die Ein-
ehe die Regel; nur Fürsten haben mehrere Frauen, und zuweilen
halten sich auch reiche Private, die aus geschäftlichen Gründen
lange Reisen unternehmen, an einem oder zwei anderen Orten eine
Abbltdnog 7
rr Klaatirfeitr. Im HbtUrgrand tini PagaiUnri
•rt ist. Dorf Kaya am otirta Chindalit.
Tagesarbeit 23
Nebenfrau. Hier tritt die in Birma als vollwertig angesehene Ehe
auf Zeit in Erscheinung, die von der Birmanin auch oft mit Indern,
Chinesen und Europäern eingegangen wird. Die birmanisch-chinesi-
sche Mischung ergibt die beste Nachkommenschaft.
Die geschäftliche Selbständigkeit der Frau ist oben schon her-
vorgehoben worden. Das birmanische Gesetz unterstützt sie; sie ist
dem Manne rechtlich gleichgestellt, wird zur Beratung öffentlicher
Angelegenheiten beigezogen unddarf rechtsgültige Verträge schließen.
Diese soziale Stellung ist um so beachtenswerter, als nach der schon
von der altindischen Gesetzgebung ausgesprochenen, auch in den
Buddhismus übernommenen Anschauung die Frau an und für sich
weit tiefer steht als der Mann. Und so bleibt es trotz allem der
heiße Wunsch jeder Birmanin, in ihrer nächsten Geburt als Mann
das Erdenlicht zu erblicken.
Die birmanische Hausfrau ist keine Langschläferin. Ihre Arbeit
beginnt beim Morgengrauen; da wird der für die Tagesmahlzeiten
bestimmte Reis ausgehülst, was durch Stampfen mit einem schweren
Holzstößel in einem Holzmörser geschieht. Ebenso frühzeitig wird
das für den Tagesbedarf nötige Wasser von den Ziehbrunnen geholt;
ist eine gute Quelle oder der Fluß weit abgelegen, so ziehen die
Frauen und Mädchen in Reihen mit ihren Tontöpfen auf dem
Kopfe aus (Abb. 7). Die Hauptmahlzeiten — eine früh gegen 9 Uhr,
die andere vor Einbruch der Dunkelheit, also beim Tropentag un-
gefähr um 6 Uhr — bestehen vornehmlich aus Reis, dazu werden
allerhand Gemüse in dünnflüssiger gewürzter Tunke, auch mit frischen
oder eingesalzenen Fischen, Fischpastete, Fleisch usw. gegessen. Die
Familie sitzt um ein niedriges rundes Tischchen; es ist eigentlich ein
Untersatz aus Geflecht, lackiertem Holz oder Bambus; darauf stehen
rings um die mit Reis gefüllte Platte die einzelnen Schüsselchen
mit den Beispeisen.^) Hieraus schöpft einer nach dem anderen Tunke
und Gemüse auf den vor ihm liegenden Reis, vermischt alles und
führt die Klümpchen mit den Fingern zum Munde; vor und nach
dem Essen spült man Mund und Finger.
Der Haushalt macht der Birmanin nicht eben viel zu schaffen.
So sehr man auf gute, saubere Kleidung, tadellose Frisur und
*) Vgl. unsere Archiv für Anthropologie XIV (1915), Taf. V, 3 gegebene
Abbildung.
24 Tagesarbeit
erlesenen Schmuck außer Haus hält, so geringen Wert legt man
auf das, was wir unter häuslichem Komfort verstehen. Außer einer
Truhe für bessere Gewänder und Schmucksachen kennt ein bir-
manisches Haus kein Mobiliar. Die Betten bestehen aus Kissen und
Decken, die auf einer hübsch geflochtenen Matte liegen; mit dieser
werden sie morgens zusammengerollt und in die Ecke geschoben.
Feinere oder gröbere Matten dienen auch als Sitzunterlage auf dem
Boden; die Sitzweise ist ein kniendes Kauern mit seitlich gewen-
deten Füßen. Vor dem Buddhabild oder in Anwesenheit hochge-
stellter Personen ist darauf zu achten, daß die Fußsohlen von die-
sen abgewendet gehalten werden.
Der Fußboden, aus gespaltenem Bambus oder Holzplanken, hat
genügend Zwischenräume, um Staub und Kehricht durchfallen zu
lassen, und da die Häuser alle auf meterhohen Pfosten stehen, macht
das nichts aus; ein rutenartiger Handbesen aus Gras erleichtert die
nötigste Reinigung. So erübrigt die Frau noch reichlich Zeit für
Nebenbeschäftigung, zumal sich für häusliche Arbeiten und Über-
wachung der Kinder leicht eine Verwandte findet. Am einträglichsten
erscheint da ein kleiner Handelsbetrieb, entweder in Gestalt einer
Krämerbude im Hause selbst oder eines Verkaufsplatzes im Basar.
Neun Zehntel der Stände in den großen Basarhallen von Mandalay
und Rangoon stehen unter der Leitung von Frauen und Mädchen,
die sich den Verschleiß von Lebensmitteln und Gebrauchswaren
jeder Art bis zu Seide und Edelmetallarbeiten angelegen sein lassen.
Eine Frauenbetätigung aber, deren rühmenswerte Erfolge uns
bereits oben (p. 11) bei Besprechung der Acheik in die Augen
gefallen sind, darf nicht vergessen werden: die Weberei (Abb. 8).
In Birma weben, wie es auch sonst in der malaiisch-mongolischen
Welt die Regel ist, nur die Frauen, in Vorderindien nur die Männer.
Auf dem Lande ist der Webstuhl unter dem Hause zwischen dessen
Pfosten aufgestellt. Die Lade schneidet der Birmane in seiner
Abneigung gegen gerade Linien in schön geschwungenen Konturen,
die Kettenheberollen sind oft in nette Bronzefiguren eingesetzt,
kleine Glöckchen oder lose Ringe klingen rhythmisch bei jedem
Schwünge der Lade und künden den Fleiß der Weberin; sie locken
auch Gesellschaft an — mit Vorliebe dient der Webstuhl als Stell-
dichein für die jungen Leute. Das Weben wird nicht nur für den
eigenen Bedarf, sondern auch als Hausindustrie betrieben, die
Weberei 25
Weberinnen erhalten von einem Unternehmer die Seide und Baum-
volle und werden für Stückarbeit bezahlt. Als Durchschnittstage-
lohn wurden 1911 In Birma 8 Annas (nach damaliger Währung
70 Pfennig), in Indien die Hälfte gerechnet.
Abbildung 8
Seideitareberirt in Amarapura bei Kanäalay,
Zur Herstellung von Bändern, Gürteln, Sandalen riemen usw.
wird in Birma noch in ausgedehntem Maße die ethnologisch höchst
merkwürdige sogenannte Brettchenweberei geübt, bei der die Kett-
niden durch die durchlochten Ecken quadratischer Täfelchen laufen;
durch deren Drehung um die eigene Achse wird das Heben und
Senken der Kette bewirkt, und so entstehen Bandgewebe ("Abb. 3
unten) von großer Dauerhaftigkeit.')
Auch bei anderen einheimischen Industrien macht sich das weib-
') Näheres hierüber haben wir im Münchener Jahrbuch der bildenden
Kunst 1913, p. 223— 242 miigeteüt. Inzwischen haben A. van Gennep u.
G. J^quier ein prächtig ausgestattetes Veric verSfTentlicbt : Le tissage aux
cartons et son utilisttion dficoraiive dans l'Egypte ancienne (Neuchätel 1916).
26 Frauenarbeitinderindustrie
liehe Geschlecht nützlich, so bei Anfertigung der bunten Lack-
gefSße, worin Pagan den größten Ruf erlangt hat; in der Töpferei
ist namentlich das Dünnklopfen der Wandungen und das Einpressen
von Mustern an den großen Wassertöpfen Sache der Frauen. Seine
zahlreichsten Kräfte sammelt der Gewerbefleiß des Landes für jene
Ahbildung 9
Yrrfallatia Pnmkkloster nah« Manülay. £iii Numi Mun Kyaung (Glaskloster) berahl aaf den riiehtn
Spitgilglas/BIUngm an din AaßtniräMrn. Kit Ausnahmt der Treppt dBrchveg Holiia».
Betriebe, die sich mit der Herstellung von für die Klöster be-
stimmten Gebrauchs-, Luxus- und Kultobjekten befassen. Die alte
Hauptstadt Mandalay ist das Zentrum dieser Industrie, die freilich
seit dem Sturz des einheimischen Königtums in stetem Niedergang
begriffen ist; denn die Aufträge, die vom Hofe für den Bau und
die Ausstattung von Klöstern usw. an die Handwerker ergingen,
fehlen jetzt. Die Freigebigkeit Für die Kirche ist zwar so rege wie
zuvor ; es werden Pagoden und Klöster gebaut, Mönche zu jedem
religiösen Feste geladen und mit praktischen und überflüssigen
Dingen reich beschenkt, oft weit über die Mittel der Spender. Da
Pr^lgebigkeit für Kultzwecke 27
diese aber mit immerhin beschränkten Summen einen großen äußeren
Eindruck erzielen wollen, büßt die Arbeit technisch und künst-
lerisch zusehends ein. Ein schlimmer Übelstand ist, daß man sich
am seltensten zur Instandsetzung von Kultbauten entschließt, deren
Stifter gestorben sind — die Verdienstansammlung fürs Jenseits,
die durch alle solche Werke angestrebt wird, kommt nach der recht
naiven Volksanschauung lediglich dem Erbauer, nicht dem Erneu-
erer zugute! Und so sinken allerorts Ruinen buddhistischer Prunk-
bauten in den Staub — oft ein viel höheres Alter vortäuschend,
als sie wirklich haben. Man sehe auf Abb. 7, wie ein Baum mit
seinen Wurzeln eine inmitten des belebten Klosterareals verfallende
Pagode umklammert — sie mag schwerlich auf mehr als ein paar
Jahrzehnte zurückblicken. Und selbst in der Umgebung von Man-
dalay fallen unzählige Klöster aus der Königszeit mit kunst-
vollem Schnitzwerk in Trümmer (Abb. 9). Nicht anders ergeht es
den Buddha-Figuren, die in manchen Klöstern, sobald die Haupt-
halle überfüllt ist, neuen — leider nicht immer besseren — Bildern
Platz machen müssen und achtlos in irgend einem Versteck auf-
gestapelt werden.
Man darf hieraus nicht ohne weiteres auf religiöse Indifferenz
der Mönche und Laien schließen. Jenen erscheint alles Vergäng-
liche unwesentlich und wertlos; ohne Dank, ohne den Blick zu
erheben, nehmen sie die Gaben entgegen, und nur auf Umwegen
wagen sie es, einen persönlichen Wunsch leise anzudeuten. Die
Laien aber halten ihre religiösen Pflichten mit der Hingabe ihrer
Spenden für erfüllt; was aus ihnen wird, ficht sie nicht an. Aus
derselben Stimmung heraus erklärt sich auch, daß den Mönchen
nicht der Gedanke kommt, Vorteil aus der Überfülle frommer
Geschenke zu ziehen und etwa Kultgegenstände zu veräußern;
man empfände dies als schmählichen Wucher. „Man soll den Herrn
nicht verkaufen": mit diesen Worten überreichte uns die Tochter
eines hohen städtischen Beamten eine Buddha-Figur als Geschenk,
die schon mit anderen Schnitzereien zusammen zum Verkaufe an
uns bereitgestellt worden war.
So manches Bildwerk hätten wir uns durch skrupelloses Vorgehen
verschaffen können; das wäre undankbar gewesen, denn auf allen Ex-
peditionen ward uns ein gastliches Obdach in den für buddhistische
Pilger bestimmten Rasthäusern nie verwehrt, und nicht selten fanden
28 Buddhistische Mönche
wir auch in dem würdigen Pongyi ^) einen willigen Helfer für unsere
Arbeiten, sobald sein Verständnis für ihren Sinn und Zweck geweckt
werden konnte. Oft wurde ein Kultbild, das eine Typenbereiche-
rung für die Münchener Staatssammlungen bedeutete, uns als
Gastgeschenk überlassen, wenn wir zusicherten, daß es daheim
hinter Glas und Riegel wohl gehütet der Volksbildung dienen und
zur Veranschaulichung des buddhistischen Lehrsystems gezeigt
werden sollte. Ein bescheidenes Angebinde beim Abschied, etliche
Kerzen, ein Paar Seidentücher zur Umhüllung von Abschriften
heiliger Texte u. a. wurden gerne entgegengenommen. Wohltuend
sticht diese Uneigennützigkeit ab gegen das Gebahren in manchen
Ceylon -Tempeln, wo man auf den Obolus der Fremden erpicht wartet
und ihn an Orten wie Kandy unverblümt fordert. Solche Elemente
sind in Birma höchst seltene Ausnahmen.
Verantwortungsvoll ist das geistliche Amt nicht, auf dem Mönch
lastet keine Seelsorgepflicht. Trotzdem steht der Pongyi in einem ge-
wissen inneren Verhältnis zu seiner Gemeinde, und die männliche
Jugend, die ihre elementare Bildung im Kloster einsaugt, behält
den Lehrer in dankbarer Erinnerung. Die Dorfältesten besprechen
mit ihm die Gemeinde-Angelegenheiten, und auch die Frauen holen
sich oft Rat und Trost im Kloster. Sind sie auch von Unterricht
und Erziehung dort ausgeschlossen, so steht ihnen doch der Zutritt,
abgesehen von einigen besonders geweihten Räumen, jederzeit frei.
Gerade die Birmanin mit ihrem scharfen Verstände und ihrem aus-
gesprochenen rechnerischen Talente ist opferwillig und spenden-
freudig. Wenn die Mönche am frühen Morgen ihren Almosengang
antreten, finden sie die Frauen schon mit den Speisen zur Fül-
lung ihrer Bettelschalen bereitstehend. Und wenn der helle Klang
der dreieckigen Schlagplatte ertönt, mit dem sich die zum Ein-
sammeln von Eßvorräten ausziehenden Novizen melden, wird auch
ihnen die Hausfrau behend die Tragkörbe füllen (Abb. 10).
An den vier den Mondphasen entsprechenden Feiertagen des
Monats zieht die Familie zu Kloster und Pagode. Die frommen
älteren Leute verbringen hier den Tag fastend und halten Andacht
mit den Pongyi, der Abschnitte des Kanons rezitiert und durch-
spricht (Abb. 11). Besondere Kulthandlungen gibt es nicht, und
*)Geschr. Phuhkhyl, gespr. Ponji =großer Ruhm, Titel der Klosteräbte,
der aber in der Umgangssprache jedem voUordinierten Mönche zugestanden wird.
KtoslirschSler mit Tragkörbia
unbehindert gewährt man dem Fremden den Zutritt zu den ge-
heiligten Stätten. Welch ein Kontrast zu dem lärmenden, von
schriller Musik begleiteten Götterdienst der Hindu, die in Fana-
Abblldung 12
Zmi Fraatn und tiu Kiacheti mit Lack-Spiltcgiflßm nnil einem Bantbas-
DtckMori. fWacft flmr Pholographii von Samaeli, «anäalay).
tischer Abwehr den Andersgläubigen vom Innern ihrer Heiligliimer
und von ihren Opferdarbringungen fernhalten. Während unserer
Fahrten auf dem oberen Chindwin, dem westlichen Nebenfluß des
Irrawaddy, haben wir wiederholt der Feiertagsandacht in den ärm-
lichen Klöstern der Uferdörfer beigewohnt. Bald nach Sonnenauf-
.1
1;
32 BuddhistischeAndacht
gang ziehen die Frauen mit den vornehmen Spei^egefässen zum
Kloster, um das Beste von Küche und Vorratskammer den Mön-
chen zu bringen (Abb. 12). Im dämmrigen Dunkel der Klosterhalle
legten sie ihre Gaben vor sich nieder und verrichteten mit dem
Pongyi ihre Andacht (Abb. 13); die aufsteigende Sonne sendet
durch die geöffnete Türe ihre Strahlen, die mit ihrem schimmern-
den Licht die stillen Beterinnen überflutet. Im Hintergrund trap-
pelte die Schuljugend herum und freute sich des ungewohnten
Besuches. Und wenn der Abend sich über das Flußtal senkte und
auf den Flössen und hinter den Dorfhäusern sich die kleinen
Bambusflöten vernehmen ließen, auf denen die Liebhaber den be-
gehrten Schönen ihr Ständchen bringen, da klangen auch die silber-
klaren Töne der Bronzeplatte, die zur Abendandacht rief, über die
wehenden Palmen und über den Fluß. Der letzte Schimmer des
Tages gleitet in die Klosterhalle, wo reihenweise Männer und
Frauen knien: einer der älteren Dorfbewohner hat das Vorbeter-
amt übernommen, und mit gedämpften Stimmen fällt der Chor ein.
Vor den Frauen stehen gefüllte kleine Blumenvasen, die sie von
Zeit zu Zeit in den gefalteten Händen andachtsversunken empor-
halten (Abb. 14). Schnell sinkt die Tropensonne hinter dem Bambus-
gehölz am Ufer, und stille wandeln die Beter im einbrechenden
Dunkel ihren Hütten zu.
Einen ähnlich starken Eindruck erlebten wir in der Stadt Man-
dalay. Scharen von Wallfahrern zieht die Arakan-Pagode hierher,
in der eine hochheilige Buddhastatue verehrt wird. In neuerer
Zeit aber ist noch ein besonderer Anziehungspunkt dazu gekommen.
Aus dem Bronzebehälter, der im Jahre 1909 im Schutt des großen
Kanishka-Stüpa unfern Peshawar gefunden wurde, hat man den
sechskantigen Bergkristall, in dessen Höhlung die Buddhareliquien
(Knochenfragmente) lagerten, der Arakan-Pagode überwiesen. Sie
waren zur Zeit unserer Anwesenheit (1911) in einem feuerfesten
Geldschrank geborgen, der in der Zelle neben dem goldglänzenden
Riesenbuddha steht, und sollen dort ruhen bis zur Vollendung des
Tempels, der durch freiwillige Spenden auf dem Wallfahrtshügel
bei Mandalay errichtet wird. Die Seele dieses Planes ist der Eremit^)
^) Ober Tracht und Lebensführung birmanischer Asketensekten vgl. das
textlich und illustrativ gleich hervorragende Werk von M. und B. Ferrars
Burma (London 1901), p. 39.
34 Buddhistische Nonnen
U Kanti (Abb. 15), der ohne seiner Würde viel zu vergeben,
eine ungemein rührige, auch finanziell ergiebige Tätigkeit entfaltet.
Geeignete Fürsprache ermöglichte es uns, die kostbaren Reli-
quien außerhalb ihres finsteren Gewahrsams zu sehen. Sie wurden
über den Hof in eine lichte Halle gebracht, und ehrfurchtsvoll
wurde ihr Träger mit dem goldverzierten Würdeschirm auf seinem
Wege überdacht. Ihm nach drängten fromme Beter, wie sie zu
allen Tagesstunden vor dem Heiligtum der Pagode in Lichterglanz
und Blumenduft auf den Knien liegen. Es wurde ihnen gestattet,
an der Besichtigung teilzunehmen, und inbrünstig sanken Männer
und Frauen, Kinder und Nonnen mit Blumengaben vor den Aschen-
brandresten des Erhabenen nieder, die nur einmal im Jahr dem
Volk in dieser Halle in einem Glasgehäuse zur Verehrung ausgesetzt
werden. Ein goldener lotusförmiger Aufsatz mit Kuppeldeckel ist zu
ihrer Aufnahme angefertigt worden; daneben stellte man die Abbil-
dung des Bronzebehälters ^), der in Peshawar geblieben ist (Abb. 16).
Wir haben eben der Nonnen Erwähnung getan. Sie führen in
Birma kein durch strenge Ordensvorschriften geregeltes Kloster-
leben und befolgen eine ähnliche Lebensweise wie die außerhalb
«
des Klerus stehenden Eremiten und Wanderasketen. Gleich diesen
tragen sie Gewänder von fahler, rötlichgelber Färbung, in der so
häufig auch die Büßer und Einsiedler in Vorderindien gesehen
werden. Das Nonnengewand entspricht der Mönchsrobe: über der
Lendenbekleidung ein Tuch als Rock um den Unterkörper und ein
großer Umschlag für den Oberkörper; dazu aber kommt eine
Jacke. Das Haupthaar ist wie bei den Mönchen kurz geschoren, so
daß der Fremde leicht glauben kann, einen Mann vor sich zu haben.^)
Wöchentlich einmal ziehen die Nonnen mit einem Korb oder
einer großen Schale auf dem Kopf zum Sammeln von Lebensmitteln
für ihren Unterhalt aus (Abb. 17). In einzelnen ihrer Klöster wird
Schulunterricht für Mädchen erteilt, die meisten Nonnen aber sind
Analphabeten. Wo sie sich in der Nähe von Mönchsklöstern nieder-
lassen, besorgen sie für diese unterwürfig wie die Laienwelt aller-
^) Er trägt die RelieFgestalten Buddhas, des Königs Kanishka und mehrerer
Götter; auf dem Deckel Buddha mit zwei Bodhisattva in Vollplastik. Vgl.
D. B. Spooner, Archaeol. Survey of India, Annual Report 1908—9, p.38— 59.
^) Kurt Boeck, Durch Indien ins verschlossene Land Nepal (Leipzig 1903)
bringt p. 38 das Bild einer Nonne und erklärt es als »Pungi mit silberner
Abbildung 15
uf dem WallfakrtsIliK'' M
vtrgoläiltr Lackarbelt (ma
Maieaia jir Välketkanie gi.
36 Die Frau im Buddhismus
hand kleine Dienste. In der allgemeinen Ach-
tung stehen sie hinter den Mönchen weit
zurück. Die kanonische Literatur mit ihren
wenig galanten Urteilen über das Frauen-
gescblecht erechlieOt ganz ähnliche Ein-
blicke; hierin ist also seit den Tagen Bud-
dhas so ziemlich Alles beim Alien geblieben.
Um übrigens die Betätigung der birma-
nischen Frau innerhalb derganzen religiösen
Sphäre richtig einzuschätzen, muß man zu-
nächst diese selbst zu verstehen trachten.
Mit dem Schlagwort „Buddhismus" allein
ist es um so weniger getan, als sich hier in
unseren landläußgen Anschauungen zuviel
Einseitiges, Schiefes einnistet. Es wird leicht
vergessen, daß der Buddhismus denselben
Weg zurückgelegt hat wie andere Weltreli-
gionen, daß also die Grundlehren des Stif-
ters im Laufe derjahrhunderte verändert und
verwässert worden sind. Für das Volk, das
theoretischen Erörterungen kühl gegenüber
steht, bedeutet „Atheismus" und „Pessimis-
mus", so gewichtig diese Begriffe für die ge-
schichtliche Analyse der Buddha- Lehre sind,
herzlich wenig, und auch über die subtile
Nirväna-ldee, um die so viele Federn stumpf
geschrieben worden sind, zerbricht man sich
Abbildung 17 kaum je den Kopf. Andererseits zeigen sich
jBinmeiii von ubensiaitieisptadta dem gcschärftcn Auge höchst merkwürdige
besiimmun Traeiiorb. Reste jener Glaübensvorstellungcn, Über die
der Buddhismus in Ausübung seiner missionierenden Aufgabe —
die in Birma noch lange nicht zu Ende geführt ist — seine Kultur-
schicht zu breiten verstand.
Schale zum Reis sammeln". Schon die Jacke hätte den Irrtum ausschließen
müssen; außerdem trägt kein Pongyi eine Edelmetallschale beim Beitelgang.
Auch die Abbildung p. 39 „Frau aus Kaischin" bedarf einer gründlichen
Richtigstellung — man sieht, welche Vorsicht bei der Verwertung von Text
und Bildmaterial gar zu eiliger Reisender am Platze ist.
Buddhismus und Geisterkult 37.
So darf man also auch nicht etwa in der Birmanin eine Hüterin
der reinen Buddha-Lehre suchen. Für das ganze birmanische Volk
steht, wenn auch im Hintergrund und ohne offenkundliche Betonung,
neben Buddhas hehrer Gestalt und neben den wohlwollenden Ge-
nien, die aus den indisch-buddhistischen Heiligenscharen übernom-
men wurden, ein Heer unheimlicher Geister, die der Buddhismus
nicht bannen konnte und wollte, sondern mit anpassungsfähiger
Duldsamkeit unter seinem Mantel geborgen hat. Zu diesen viel-
gefürchteten „Nat" gesellen sich noch ständig neue Gespenster:
die Geister gewaltsam getöteter oder durch Unfall gestorbener
Menschen, die an der Stätte ihres Todes „umgehen" und durch
Opfer, bisweilen sogar durch regelrechte Feste, beschwichtigt werden.
An alledem wird der buddhistische Mönch zwar keinen offiziellen
Anteil nehmen, aber auch er bleibt doch ein Kind seines Volkes
und wird diesem und anderem Aberglauben gegenüber mitfühlend
ein Auge zudrücken. In den Nördlichen Shan-Staaten begrüßten wir
als Oberhaupt eines Klosters einen 75 jährigen Greis (Abb. 18),
dessen Brust und Arme mit einer Unzahl erhöhter Punkte durch-
setzt waren ; es sind unter die Haut eingelassene kleine Silber-
münzen, Amulette gegen Hieb-, Stich- und Schußwaffen ! Diese
runden Metallstückchen in der Größe etwa unserer alten silbernen
Zwanzigpfennig- Münzen heißen „set" (geschrieben cak = sanskrit
cakra „Rad") und zeigen leicht eingraviert vier Silbenzeichen, bei
deren Zusammenstellung verschiedene Schemata möglich sind. Die
Mühe, einen Sinn herauszulesen, wäre vergeblich; solcher mystischer
Bannsilben bedient man sich auch in Ostasien und am allermeisten in
Tibet, wobei die indische Herkunft unzweifelhaft hervortritt. Wenn
die Shan an eine Deutung glauben, die von Tiernamen in den Er-
zählungen von Buddhas früheren Existenzen ausgeht, ^) so ist das
eine durchsichtig sekundäre Erklärung. In den Nördlichen Shan-
Staaten sagte man uns, daß es sich bei der Sache um eine von
der alten Birmanen-Siedelung nahe Lashio übernommene Sittef handle,
während man anderwärts die Priorität für die Shan in Anspruch
nimmt. Die Amulette werden, bevor man sie unter die Haut schfebt,
ein bis zwei Jahre lang in eine rotgefärbte Mischung aus Bienen-
^) L. Milne and W. W. Cochrane, Shans at home (London 1910, ein
warm und sachkundig geschriebenes Buch), p. 67; Ferra rs a. a. O. p. 13; 144
3
Abbildung 18
ritigelassintn Amalitlin
Buddhismus und Ceisterkult 3g
wachs und Sesamöl gelegt. Die Vermutung Hegt nahe, daO der
gute Alte, den wir in Hsipaw photographierten, wohl erst in späteren
Jahren nach einer bewegten Jugend, in der ihm jener Zauber als
wünschenswerter Besitz erschien, den Weg der WeltBucht beschritten
hat. Freilich waren unter den Banden, die in den letzten Jahren
Abbildung 19
FtMch aafgcputzli NaI (Geistir) -Figuren. Kanäalay.
der zerrütteten Königsherrschaft und noch nach Beginn der briti-
schen Regierung das Land als patriotische Rebellen unsicher machten,
auch Mönche gewesen.*)
Ruft man sich ins Gedächtnis, wie vortrefflich es Buddha ver-
standen hat, mit altüberkommenen Volksanscbauucgen zu paktieren,
so wird man keinen besonderen Anstoß daran nehmen, daß auch
der birmanische Mönch unserer Tage sich nicht dagegen sperrt.
') Hierüber John Stuart, Burma through the centuries (London 1909),
p. 174 IT. und Charles Crosthwaite, The pacißcation of Burma, namentlich
p. 37ir. Siehe auch Cazetteer oF Upper Burma and the Shan States (Rango^
1900/01) 1,2, p.79— 82; Shway Yoe (Sir George Scoit), The Burman (Loniltfn
1910), p. 43 f. — Die Wirbung eines ganz ähnlichen Unverwundbarkeitszaubers
will schon Marco Polo festgestellt haben; s. H. Yule's 2. Ausg. (London
1875) II, p. 241 f.; 244.
40 I^ie Shan
durch fromme Sprüche dem von Geistern drohenden Unglück ent-
gegenzuwirken, und daß er auch keinen Einspruch dagegen erhebt,
wenn die grotesken Figuren einzelner „Nat" sich in unmittelbarer
Nähe von Buddha -Statuen aufpflanzen und hier ihres regulären
Kultes harren. Die Frauen schließen sich hiervon durchaus nicht
aus; ja es gibt „Nat-Kadaw", die als den Nat Vermählte ihnen
Opfer darbringen und ekstatische Tänze vor ihnen aufführen. Ab-
bildung 19 zeigt mit Seidentüchern festlich aufgeputzte Nat-Figuren,
in einer Bambusbaracke auf ein Podium gestellt, und vor ihnen
treten (Abb. 20) die Nat- Weiber in der für jeden Nat eigens vor-
geschriebenen Kleidung zum Tanze an. Mit diesem Beruf ver-
binden sie häufig den des Wahrsagens, und auch hierbei verstehen
sie, aus ihren „Gatten'' an Wallfahrtsplätzen und bei anderen pas-
senden Gelegenheiten Kapital zu schlagen.
III.
Greifen wir nunmehr von den übrigen Stämmen Birmas zunächst
jene heraus, die sich zum Buddhismus bekennen — ein Kriterium,
das auf die ganze zivilisatorische Entwicklung bestimmenden Ein-
fluß ausübt — so stehen die Shan als größte und zugleich kulturell
vorgeschrittenste Masse voran. Der letzte Zensus (1911) beziffert
sie mit 996,946 Personen. Ihr jetziges Verhältnis zu den Birmanen
leistet einer falschen Auffassung ihres Werdeganges insofern Vor-
schub, als man aus ihrem Bestreben, sich den Birmanen anzu-
gleichen, leicht den Schluß zieht, daß diese schlechthin als die
Besitzer einer älteren, für die Shan vorbildlichen Kultur zu gelten
haben. Zu einem vorsichtiger abwägenden Urteil befähigt erst ein
historischer Rückblick.^)
Die Shan nennen sich selbst Tai — Freie; wann und wie der
Name Shan für sie in Aufnahme gekommen ist, konnte bis jetzt
nicht enträtselt werden. In ihren verschiedenen Abzweigungen, die
sich mit einer Unzahl Sondernamen belegen, bilden sie den am
^) Vgl. zum Folgenden W. W. Cochrane im einleitenden Kapitel bei
Mi Ine a. a. O. und Gazeiteer of Upper Burma I, 1 p. 187 ff. — Das
neuere Buch von Cochrane, The Shans (Rangoon 1916), zu dem wir auf
Wunsch des Verfassers, der uns s. Z. hilfreich an die Hand ging, Abbildungen
beisteuerten, ist uns leider nur aus der Besprechung (Journal of the Royal
Asiatic See. 1917) bekannt geworden.
Verbreirung der Shan 41
weitesten verbreiteten und zugleich zahlreichsten Volksstamtn der
hinterindischen Halbinsel. Shan-Gruppen finden wir — abgesehen
von den verstreut unter der birmanischen Bevölkerung lebenden —
in Assam, wo im 13. Jahrhundert das große Shan-Reich der Ahom be-
stand, und an der West- und Nordwestgrenze Birmas; kompakter sind
sie im Nordosten und Osten Birmas als kleinere und grijßere Einzel-
staaten zusammengeschlossen in den sog. Nördlichen und Südlichen
Shan-Staaten. Von hier greift ihr Volkstum zur chinesischen Grenz-
provinz Yünnan über, zu den Laos-Staaten und vor allem nach
dem Königreich Siam, dem einzigen noch unabhängigen Reich der
Tai -Gemeinschaft. In der Spräche sowohl, wie in der Schrift
— die vom Birmanischen übernommen ist — haben sich solche
Verschiedenheiten herausgebildet, daß sich ein Siamese mit Mühe
und Geduld wohl mit seinem entlegensten Stammesgenossen, dem
Hkamti-Shan an der assamesischen Grenze, verständlich machen
kann, aber nicht mit dem ihm unmittelbar benachbarten Lao-Shan;
42 Geschichte der Shan
hinwiederum ist die Schrift der Hkamti und der Siamesen am weitesten
verschieden.
Die Shan stammen aus dem südwestlichen China und haben sich
dort zu einem gesonderten Volkswesen entwickelt. Aus der Ein-
heitlichkeit der jetzt so weit verstreuten Shan-Stämme läßt sich
schließen, daß sie schon in China kulturell und politisch eine
gewisse Höhe erreicht hatten. Jahrhunderte hindurch behaupteten
sie sich in Yünnan als die vorherrschende Macht. Über ihr frühe-
stes Auftreten in Birma weiß man wenig; es mögen schon in vor-
christlicher Zeit Einbrüche der Shan erfolgt sein. Die birmanische
Überlieferung berichtet von zwei großen militärischen Expeditionen
der „Tayok* aus Yünnan, von denen eine kurz vor Beginn unserer
Zeitrechnung, die andere ungefähr 240 n. Chr. erfolgte. Tayok ist
das birmanische Wort für Chinesen; da diese aber erst im 13. Jh.
Yünnan eroberten, können nur die Yünnan-Shan gemeint sein, die
auch später noch öfter als „Tayok" in der birmanischen Geschichte
auftauchen. Noch jetzt werden die an der Nordostgrenze wohnen-
den Shan, die als Handwerker und Händler Birma durchwandern
„Shan-Tayok"= chinesische Shan genannt. Die Haupteingangspforte
war jedenfalls das Tal des Shweli, eines aus dem Yünnan kom-
menden Nebenflusses des Irrawaddy, der bei Namhkam die Grenze
überschreitet. Dieses Tal wurde von den Shan wahrscheinlich lange
Zeit kultiviert und dicht bevölkert. Im 6. Jahrhundert scheint sich
ein starker Einwanderungsstrom von den Yünnan-Bergen ins Shweli-
Tal und dessen Umgegend ergossen zu haben. Von dem Shan-
Namen des Shweli „Nam Mao* (nam = Wasser) haben seine An-
wohner die Bezeichnung »Mao-Shan** erhalten. Sie gründeten anfangs
des 7. Jahrhunderts das mächtige Mao-Shanreich, das sich bis in
die ersten Jahre des 17. Jahrhunderts erhielt und das ungefähr
gleichaltrige Shan-Reich Nan-chao (= südliches Reich) mit der Haupt-
stadt Talifu überflügelte. Letzteres fiel 1254 der Mongoleninvasion
unter Kublai Khan zum Opfer; es umfasste Yünnan, Teile der
Provinzen Szechuen und Kuangsi und erstreckte sich einerseits
über Oberbirma und Assam bis zum vorderindischen Magadha-
Reich, dessen Hauptgebiet im heutigen Bihär lag, andererseits bis
gegen Tonkin und Kambodscha.
Vom Nam Mao aus verbreiteten sich die Shan über die jetzigen
Shan-Staaten Birmas, dann nördlich ins Hkamti-Gebiet, in das Land
GeschichtederShan 43
westlich vom Irrawaddy bis zum Chindwin und zur Assam-Grenze
und eroberten später Assam selbst. Im 13. Jahrhundert scheint das
Mao-Reich seinen Zenith erreicht zu haben. Wenn wir von der
Mongolen-Invasion hören, die 1284 das Pagan-Reich in Birma zu
Fall brachte und hierbei das Mao -Reich unberührt ließ, so darf
man wohl unter jenen Mongolen — die birmanische Überlieferung
spricht wieder von „Tayok* — die aus Yünnan verdrängten oder
vielleicht gar den Mongolen verbündeten Shan vermuten. Wenig
später ward das birmanische Reich in Staaten aufgeteilt, in denen
sich Shan-Fürsten zu Herrschern aufwarfen. Wie in Oberbirma, so
vermochten auch im Süden sich Shan-Abenteurer auf den Thron
zu schwingen; Martaban und Pegu hatten bis zur Mitte des 16. Jahr-
hunderts Shan-Fürsten. Somit stand vom Ende des 13. bis zur
Mitte des 16. Jahrhunderts ganz Birma, Arakan ausgenommen, unter
Shan - Herrschaft. Die Befreiung kam von dem Vertreter einer
obskuren Dynastie, die sich ein Reich in Toungoo (gespr. Taungu)
aufgerichtet hatte; der junge Fürst Tabin Shweti hielt sich für den
berechtigten Nachfolger der alten birmanischen Könige und unter-
nahm es mit Erfolg, sein vermeintliches Erbe zurückzuerobern.
Mit dem 14. Jahrhundert hatten auch schon chinesische Angriffe
auf die Mao-Shan begonnen. Eingekeilt nun zwischen Chinesen
und den wieder erstarkenden Birmanen verlieren die Shan mehr
und mehr von ihrer nationalen Selbständigkeit, und innere Zwistig-
keiten tun das Letzte, um die Shan-Geschichte vollends mit der
birmanischen zu verquicken.
Die Shan sind sämtlich Buddhisten^) — seit wann, ist unbekannt;
sicher aber waren sie es schon im 1 I.Jahrhundert zur Zeit Anaw-
ratas, des berühmten birmanischen Königs und religiösen Reformers,
der eine Tochter des Mao-Shan-Herrschers zur Frau nahm. An-
scheinend war aber ihr Buddhismus ziemlich korrupt, da im 16. Jahr-
hundert ein anderer birmanischer König den Shan am oberen
Irrawaddy religiöse Reformen aufzwang. Noch heute wird die
buddhistische Lehre bei den unter birmanischem Einfluß stehenden
Shan weit gewissenhafter beobachtet, als bei den Shan an der Ost-
grenze gegen Siam und in Yünnan.^)
*) Ober ganz vereinzelte Ausnahmen macht H. R. Da vi es, Yün-nan, the
link between India and the Yangtze (Cambridge 1909) p.205; 383 f. Mitteilung.
^) Eine besondere Sekte, Sawti genannt, die ihren Hauptsitz in Namhkam
Die Shan sind ein ruhiges, gutmütiges, lieiieres Volk von kräf-
tigem, untersetztem Körperbau, etwas kleiner als die Birmanen
Abbildung 21
und (SO Jahre all) ml dtt jBngeren (16 lahrij
{Abb. 21). Der Gesichtsschnitt ist breiter, die Augen ein wenig schrä-
ger gestellt, die Gesichtsfarbe heller, im Ganzen ßfemerkt man eine
hat, kümmert sich um Klöster und Mönche überhaupt nicht (Gazetteer o'
Upper Burma II, 2, p.601, 603) und hat auch den alten Shan-Kalender mit
360 Jahrestagen beibehalten (J- ^- Ctrshing, Elementary Handhook ofthe
Shan language' [Rangoon 1906], p. 52).
Kleidung 45
Annäherung an den chinesischen Typ. Den Frauen fehlt zwar die
Beweglichkeit und das pikante Wesen der Birmaninnen, aber mit
ihrer frischen Gesichtsfarbe, die bei manchen Stämmen, z. B. den
Namhkam-Shan, sogar rosig ange-
haucht ist, ihrer kräftigen, dabei ge-
schmeidigen Figur Und ihrem liebens-
würdigen, frohen Wesen erscheinen
sie ungemein sympathisch. Sfe wer-
den bei vorrückendem Alter nicht
so hager wie die meisten Birmaninnen
und bewahren ihren freundlichen Ge-
sichtsausdruck (vgl. Abb. 22), Die
Kleidung ist im Wesentlichen die
gleiche, wie die birmanische, jedoch
erzeugt die hochstehende Webkunst
eigene Muster und Farbenstellungen.
Leider wirkt aber der birmanische
EinßuQ schon sehr nivellierend, und
selbst in entlegenen Gebieteji der
Shan-Staaten gilt, namentlich bei an-
gesehenen Personen, für die Fest-
kleidung die birmanische Tracht als
vornehmer. So halte auch die junge
Frau des Dorfvorstandes von Lashio
(Abb. 21) eiligst ihren Acheik-Tamein
umgelegt, als sie sich für eine photo-
graphische Aufnahme bei uns auf-
stellen sollte. Den richtigen Shan-
Rock, quer gestreift, trägt die Alte
auf Abb. 22. Ein merklicher Unter- AbMldung 22
schied tritt vor allem darin herVOr.daß •*'" Sban-Fraa. Hmantm am o»«*n Ch:ndwm
die Birmanin den Kopf unbedeckt läQt,
während ihn die Shan-Frau mit einem Turban umwindet, der je
nach der Stammessitte weiß, farbig quergestreift oder einfarbig mit
Eadbordüren ist; darunter ist das Haar schnittcklös in einem Knoten
auf dem Scheitel aufgesteckt. Zum Schutz gegen Regen und Sonne
trägt man einen groQen glockenrörmigen Hut, der aus Bambus-
streifen und den Blattscheiden des RiesenbSmbus verfertigt
46 Weberei
ist; zur Feldarbeit wird er ganz allgemein, auch bei den Bir-
manen, benutzt. In den Nördlichen Shan-Staaten bat er einen
spitzen, zuckerhutförmigen Kopf, in den südlichen kommt neben
diesem auch die kuppeiförmige Rundung vor; bessere Stücke ver-
ziert man mit Silberdraht und bunten Seidenßden. Die Männer
bevorzugen als Sonnenschutz in der trockenen Jahreszeit breit-
randige schlappende Hüte aus Strohgeflecht, die in Yünnan ge-
thacht sind (vgl. Abb. 21). Von
der Kleidung der Männer ist
! nicht viel zu sagen: die lose,
I seitlich geschlossene [acke und
die sackigen weiten Hosen, eine
I chinesische Kleiderform, sind
nicht nur bei den Shan, son-
dern auch bei allen in Reich-
weite ihres Kulturkreises woh-
nenden Bergvölkern das ein-
heitliche Männergewand.
In der Weberei hätten es
die Shan-Frauen sicher nicht
nötig, bei ihren birmanischen
Schwestern eine Anleihe zu
machen, denn sie verfügen über
eine reiche Mannigfaltigkeit
I kunstvoller Web- und Wirk-
*kK-ij »la arbeiten, die ihren EinBuß auf
Abbildung Z3 '
Tasciu aas ätnt Hkamti-Shan-Gebul. V7 "al. Grösse, die TCXtÜkunSt der benachbarten
Bergvölker nicht verfehlen. Be-
sonders gilt das für die Umhängetaschen. Bei den Hkamti-Shan im
Nordwesten werden sie mit einer Fülle stilisierter Tier- und Pflanzen-
motive geziert, und die dort wohnenden Kachin tragen sie ebenfalls
und ahmen sie auch nach (Abb. 23). In den Südlichen Shan-Staaten
sind es die im Umkreis des Inle-Sees gefertigten Taschen (Abb.24— 25),
die man dort nicht nur bei den Shan, sondern auch bei den meisten
unzivilisierteren Stämmen der Umgegend (vgl. Abb. 30) sieht. Sie
sind eine Mischung von Web-, Wirk- und Stickarbeit, mit Sternen
aus dem weißen Samen von Coix lacryma (Hiobstränen) benäht.
Außerdem entstehen auf den Webstühlen (Abb. 26) der geschickten
Namhkam-Sban 47
Shan-Frauen Stoffe für Röcke, Umschlagtücher etc. in mannigfacher
Köpemiusterung, in Bindßrberei und in golddurchwirkter Seiden*
Weberei. Bei den nördlichen Shan, namentlich bei den Namhkam*
Shan dicht an der Ostgrenze, finden vir an Röcken, Umschlag- und
TurbantQchern, an Bettdecken und Matratzenstoffen eine Menge
geometrischer Muster, die ihre
chinesische Abkunft verraten. Die '
Namhkam-Shan wohnen ja an der |
alten EinlaOpforte der Shan-Ein- j
Wanderung aus China; und wenn
sie auch durchaus zu den nörd-
lichen, d. h. birmanischen und nicht I
zu den chinesischen Shan gezählt .
zu werden wünschen, 'J ]so verbin-
det sie doch gerade mit diesen ' 1
ihre materielle Kultur, wie nament-
lichdie Arbeiten derSilberschmiede
und die Webkunst der Frauen ^) j
zeigen. 1
Die Namhkam-Shan sind beson- I
ders hellfarbige und kräftige Leute.
Im Äußern und in der Gewandung
heben sie sich von den übrigen
Shan in Birma ab; aber auch
von den Yünnan-Shan sondern sie [
sich zu ihrem Vorteil durch man-
cherlei, was sie dem birmanischen
Vorbild verdanken. Während letz-
tere nach chinesischer Art ihre
nicht eben hervorragend sauberen Häuser auf ebener Erde er-
richten und Schweine halten, bauen jene die üblichen Pfosten-
häuser, deren Umgebung ansprechend reinlich ist. Die Frauen sind
meistens recht hübsch; die Alltagstracht (Abb. 27) ist ziemlich
düster, schwarz ist sowohl für Rock und Turban wie für die mit
Stehkragen versehene Jacke die gebräuchliche Farbe. Belebt wird
') Gazetteer of Upper Burma II, 2, p. 601.
') Vgl. das wohl begründete Lob bei John Anderson, Mandalay
Momien (London 1876), p. 298 r.
48 Naiühkam-Shan
sie bei der Festkleidung durch die farbenbunten geometrischen
Seidenmuster der Turbanenden und der unteren Rockhälfte. Am
Rock sind vertikale Felder verschiedener Haken- und Raulen-
muster, unten begrenzt von geflochtenen Börtchen aus vergoldeten,
lederähnlicben PapierstreiFen, denen sich häufig noch eine Reihe
Abbildung 25
Hlrsltllang des GranagewIHes für Taschen aii Abb. 24, Ngaiiiaang, Kaiinni'Slaaiin.
silberner Gehänge oder kleiner Schellen anschließt; den Endrand
bilden schwarze Samtblenden. Der Silberschmuck am Halse be-
schränkt sich auf kleine Schließen am Stehkragen der Jacke; zu-
weilen werden lange Sitberge hänge, wie bei den Shan in China, mit
Zahnstocher, Ohrlöffel, Nadelbüchschen usw. an der linken Jacken-
Seile oberhalb der Brust befestigt. Ein typisches Schmuckstück der
Namhkam-Shan-Frauen — jedenfalls auch von den chinesischen Shan
übernommen*) — ist der breite, manschetten förmige Silber^rmreif,.
') Caz. of Upper Burma !, 1, p. 205.
Hohaa-Shan 49
der mit Filigran -Ornamenten und großen Kugeln verziert ist. Auf
Abb. 28 sind mit diesem Schmuckstück beide Arme einer Frau
versehen, die, obwohl in Namhkam-Shan-T rächt, durch ihren
Gesichtsschnitt und gedrungeneren Körperbau merklich von der
typischen Namhkam-Shan-Frau auf Abb. 27 absticht. Sie gehört mit
'■Sit; Hirsfellaag einit liliirdarchwirktm SeiitTtracki.
ihren Begleitern zu den Hohsa <birra. Schreibung: Hotha)-Shan,
die ihre Heimat in Yünnan, nahe der birmanischen Grenze, nord-
östlich von Bhamo haben.') Sie bilden dort die Hauptmasse der
Bewohner des kleinen Tales Mönghsa, das die beiden Staaten
Hohsa und Lahsa umschlieQt. Da der Boden des Landes nicht
genügende Nahrung für die noch durch chinesischen Zuzug stetig
') Vgl. zum Folgenden J. Coggln Brown, The A-ch'ang (Maingtha)' tribe
of Hohsa-Lahsa, YDnnan^Journa] and Proceedings AsiaticSoc. oFBengal, N. S. 9
(1913f, p. 137— 148 u. die dort vermerkte Literatur. Unsere Abbildung 28 ist
das einzige uns bekannte Bild einer Hohsa-Frau; ein Mann ist abgebildet
bei H. R. Davies, rün-nan..p. 2a; vgl. auch den Text hier p.395f.
50 Hohs«-Shan
wachsende Bevölkerung liefert, wandern viele in das benachbarte
Hinterindien aus. In der trockenen Winterszeit durchziehen diese
Leute Birma als Silberarbeiter, Schmiede, Stein- und Erdarbeiter
und sind dort unter dem Namen «Maingtha" bekannt, der eine
Adaptierung des Sban-Namens ihres Heimatlandes Mßnghsa ist
(Möng^Land, Stadt). Der Zensus von
1911 verzeichnet 401 in Birma an-
sässige Hotha-Shan. Dieser Name
hat für das Völkchen, das auf Grund
neuerer Untersuchungen zur Kachin-
Gruppe der Tibeto - Birmanen zu
stellen ist, eigentlich keine Berechti-
Sung, obwohl er von ihm selbst an-
gewendet wird; auf eindringliches
Befragen erhält man auch das Zu-
geständnis, daß der Stamm nicht zu
den Shan zählt. Auch die Herrscher
der beiden Staaten, die sich von chi-
nesischen Vorfahren ableiten, sind
dieser Ansicht. Der richtige Stam-
mes-Name ist Achang oder Ngacbang;
lange Zeit haben verschiedene For-
scher sich mit dem Rätsel ihrer Ab-
stammung befaßt, die durch den
Abbiidune 27 Übertritt zum Buddhismus und durch
K.n,hkan,.siu,n-Fra^,Mojnunk bei Bh„m,. j^^ Untertauchen in chinesischer und
Shan-Kultur verschleiert ist. Sie spre-
chen Shan, viele verstehen auch ebenso gut chinesisch; daneben haben
sie aber noch einen eigenen Dialekt, der mit den Sprachen der
Zi, Lashi und Maru verwandt ist, und das sind Volksgruppen, die
von der birmanischen Einwanderungswelle in den Hochländern des
Irrawaddy-Quellflusses Nmaikha zurückgeblieben sind und in sich
birmanische und Kachin-Elemente vereinigen.') Von solchen Be-
ziehungen wollen freilich die Achang nichts wissen; als zivilisierte
eifrige Buddhisten lehnen sie jede Gemeinschaft mit den verach-
') Damit ist eine im Prinzip schon von J. N. Cushing, Shan and
English dlctionary (Rangoon 1881), p. <6) entwickelie Ansicht des nSbcren be-
gründet.
Hohsa-Shan 51
teten Yeyön (= wilden Menschen) — wie die Chinesen die Kachin
und ihre unkultivierten Verwandten nennen — ab. Immerhin be-
wahren sie, wie wir unweit Bhamo von einer Frau aus Hohsa er-
fuhren, eine Tradition, daß sie vor 300 Jahren von Nordwesten
in ihre jetzigen Wohnsitze gekommen seien. Zur Stütze der Sciiei-
dung zwischen Yunnan-Shan und Acbang verweist J. C. Brown
Achavg (Hoksa-Slian) in dir diintsischta Sliaa-Siidelang von Namhkam, Nördl. Shan-StaaUn.
(a. a. O. p. 140) auf den Unterschied in physischen Merkmalen und
in der Prauenkleidung, den John Anderson') feststellt. Danach er-
gibt sich eine Gewandung von der Art, wie wir sie bei den
ebenfalls zu den Tibeto-Birmanen gehörigen Lishaw (unten Ab-
schnitt IX) kennen leraen werden. Diese heimische Gewandung ver-
*) a. a. O. p. 293. (Brown zitiert nach Anderson's uns unzugänglicbem Re-
port on tbe expedItioR toYunnan via Btiamo.Calcutta 1871, wobi nur einem
Vorläufer des oben p. 47 Anm. 2 angeführten Buches.)
52 Yünnan-Shan
liert sich bei der Grenz- und Wanderbevöllcerung der Hohsa mehr
und niehr in der Richtung der Shan-Tracht.
Die Yünnan - Shan-Frauen (Shan - Tayok) tragen schmucklose
dunkelblaue Gewandung aus selbsterzeugtem Baumwollsioff. In der
Festkleidung aber überbieten sie an Farbenreichtum und Schmuck
weitaus ihre Nachbarinnen von Namhkam, die ja eigentlich nur die
in der Ausstattung modifizierte Tracht ihrer Yünnan-Schwestem
übernommen haben. Die Röcke glitzern und* leuchten in den bun-
YOnnan-Sbtn 53
testen golddurchwirkten Seidetimustern ; die Jacken sind aus weißem
Baumwollstoff oder aus farbiger Seide mit reich gestickten Armel-
aufschlägen, auch die Schuhe sind bestickt. Ganz eigenartig wirkt
der hoch aufgetürmte Turban von dunkelblauer oder schwarzer
Farbe, dessen endlose Stofflänge (7—8 m) in Spiralen aufgewunden
wird. Das ist eine zeitraubende Mühe, und darum bewahrt man
Abbildung 30
Batar in Kala», Säm. Slian-Staaten. Shan-, Taangyo- und TaiingHia-Fmatn and -Mädchin.
Links uUlich nnd rtcbU im Hinltrgraaä ladir.
den einmal hergerichteten Turban sorgsam auf. Das prunkvolle
Festgewand, in dem die Shan- Tay ok- Frau auf Abb. 29 erscheint, ist
jetzt im Münchener Museum ausgestellt. Die Jacke ist aus kar-
moisinroter chinesischer Seide; sie hat breite weiQe Ärmetauf-
schläge mit chinesischer Seidenstickerei. Ein Gürtet aus hellgrüner
Seide mit langen Quasten ßUt über den reich durchwirkten, von
Silbergehängen umzogenen schwarzen Rock. Das hohe Turban-
gebäude schmücken vorn und seitlich drei einzelne vergoldete
Silberornamente chinesischen Stils mit Blumen und Drachen. Das
54 Shan-Basar
kleine Mädchen in birmanischer Tracht ist das Kind einer Nam-
hkam-Shanfrau.
Die Shan-Frauen sind nicht minder selbständig und arbeitsam
als die Birmaninnen. Emsig gehen auch sie dem Handel nach und
sind pünktlich auf den im fünftägigen Turnus abgehaltenen Basaren
zu treifen (Abb. 30). Solche Märkte bieten mitunter gerade an ganz
Abbildung 31
Battr Itt Yawngbwi, SUi. Shan-Staatm.
entlegenen Orten für gezählte Stunden eine wahre Völkerschau»
bei der die hervorstechenden Frauentrachten verschiedener Berg-
sfämme inmitten der einförmigen Männertypen eine erfrischende
Note bilden. In dem gleichmäßig arbeitsreichen und freudearmen
Alltagsleben der meisten Bergbewohnerinnen bedeutet ein Basar-
tag eine willkommene Abwechslung; mit dem Erlös für die von
ihnen zu Markt gebrachten FeldfrSchte, Indigo u. a. m. vermögen
sie ihre Bedürfnisse für den Haushalt zu bestreiten. Da sieht man
nun alles mögliche feilgeboten (Abb. 31); neben den heimischen
Erde-Essen 55
Produkten und gewerblichen Erzeugnissen haben sich europäischeWa-
ren — bei unserm Besuch noch Faberbleistifte, Taschenmesser und
anderes „made in Germany** — den Markt erobert. Für die leib-
liche Stärkung sorgen lange Reihen überdachter Stände mit Ge-
richten aus einheimischen Garküchen, Büchsenkonserven und Süßig-
keiten europäischer Herkunft. Besonders begehrt sind die zum
Betelgenuß benötigten Areka-Nüsse und Betelblätter; neben ein-
heimischem Tabak liegen die bekannten Sicherheitszündhölzer, und
trotz der reichfließenden birmanischen Erdölquellen am Irrawaddy
spielt die amerikanische Petroleumblechbüchse eine große Rolle,
da das birmanische Produkt ungenügend raffiniert ist. Reis ist
selbstverständlich die Hauptstapelware. Der Fleischmarkt ist gut
beschickt; Schweine liefern die Bergvölker, Großvieh der chine-
sische Schlächter. Unter den Verkaufswaren der Basarhändler wird
auch essbare Erde feilgeboten oder genauer gesagt grauer, gelber
und rötlicher Ton.
Das Erde-Essen — und zwar nicht nur aus Hunger, wie es aus
dem bolschewistischen Rußland unserer Zeit die Tagespresse in
krassester Form meldet — ist weit über die Erde verbreitet. Schon
Alexander von Humboldt hat es von südamerikanischen Indianern
berichtet, hierbei aber gleich auf deutsche Parallelen hingewiesen.
Auch unsere Bergarbeiter können davon erzählen, und in den Sand-
steingruben des Kyffhäuser strich man feinen Ton als „Steinbutter**
auf das Brot. Die Bevorzugung des Erdgenusses seitens schwan-
gerer Frauen ist in der Geschichte der Medizin viel belegt und in
Vorder- und Hinterindien gleicherweise bekannt. Krankhafte Be-
gierde scheint der Hauptgrund zu dieser schlimmen, die Blutleere
befördernden Gewohnheit zu sein. Manche als „Reisbauch ^ erklärte
Anschwellung im Kindesalter dürfte auf sie zurückzuführen sein.
Die im Handel gebrauchten Maße und Gewichte^) beginnen theo-
retisch mit lächerlich geringen Einheiten: Längenmaße mit einer
^) Näheres über die Sitte bei R. Lasch, Mitt. d. anthr. Ges. Wien 28
(1898), p. 214flP.; D. Hooper and H. H.Mann, Earth-eating and the earth-
eating habit in India: Memoirs of the Asiatic See. of Bengal 1, Nr. 12,
p. 249—70. Über Erdessen der Chin: Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 472;
javanische Figürchen aus eßbarem Ton: H. H.Juynboll, Katalog des Ethno-
graphischen Reichsmuseums 9 (Leiden 1914), p. 178.
2) Vgl. F. Noetling, Z. f. Ethnologie 28 (1896), p. (40) ff.
56 Altertümliche Gewichte
Haaresbreite, Hohlmaße mit einer Kornähre, die auf 200 Körner
taxiert ist — in der Praxis aber setzt man bei höheren Werten
ein. Am raffiniertesten ist die Gewichts - Skala eingeteilt. Sie be-
ginnt — die ganze pedantische Klassifizierung ist natürlich Vorder-
indien abgelauscht — mit Atomen, die nicht für gewöhnliche Sterb-
liche sondern nur fürNat-Deva, d.s. himmlische Geister, sichtbar
sind. Dann erst kommen Stäubchen, die man im Sonnenstrahl flim-
mern sieht, und so setzt sich das irreale Schema fort, bis man mit
den Samenkörnern der Paternoster-Erbse (Abrus precatorius) bei der
Wirklichkeit angelangt ist (2 Abruskörner sind mit 0,53 gr bewertet).
Diese sieht man tatsächlich als Ergänzungsgewichte für Gold- und
Silberwagen in Verwendung. Sehr bedauerlich ist es, daß die hübschen
Ftgurengewichte (Abb. 32), die in Birma und den Shan-Staalen, wie
auch in Slam gebraucht wurden, allmählich zur Seltenheit werden;
in Birma sind sie für den allgemeinen Gebrauch verboten, und so
kommen sie höchstens noch in entlegenen Shan-Dörfem zum Vor-
schein. Auf Abb. 31 hat der Händler vorne rechts solche Gewichte
auf einem Tuch am Boden neben sich liegen; sie werden meist
Altertümliche Gewichte 57
in einem Zugbeutel verwahrt. Die Birmanen formten ihre Gewichte
in der Gestalt der dem Gotte Brahma geweihten Gans, hintha
(hanisa = Gans). Einen vollständigen Satz solcher Gewichte kauften
wir in Mandalay, einzelne Stücke trafen wir noch in einem Dorf-
basar am Obern Chindwin. Diese Vogelfiguren mit ihren weit vor-
tretenden Augen, der tiefen Einkerbung hinten am Hals und
dem kammartigen Kopfansatz gleichen in ihrer Stilisierung eher
Hühnern (Abb. 32 oben). Guß und Ausführung ist grob; die Ge-
wichtswerte bewegen sich von 4 bis 1645 Gramm. In einem Dorf-
basar der Südlichen Shan-Siaaten erwarben wir einen kleineren
Gewichtssatz aus einer Legierung in sogenannter Glockenspeise
(Abb. 32 unten links); die Vögel nähern sich hier mehr der Enten-
Gestalt. Unter weiteren von Shan-Händiern gekauften Gewichten
waren auch zwei Löwenfiguren (unten rechts), wie sie in verschie-
dener Größe das Münchener Museum bereits in älteren Beständen
aufwies; sie gemahnen in ihrer Durcharbeitung und in ihrem
ganzen Ausdruck an chinesische Formenspracbe.^) Im eigentlichen
l irma scheinen sie seltener zu sein als unter den Lao des nörd-
lichen Siam, woher auch ein Elefantengewichtchen stammt, das
unser Museum jüngst im Tausch erhielt. Aus Laos sind auch noch
andere Formen bekannt geworden: Pferd, Schaf, Ratte, Hase, Huhn
usw. Gustave Sa 16 hat einen ergiebig illustrierten kleinen Auf-
satz hierüber veröffentlicht,^) in dem er die Vermutung ausspricht,
die volle Reihe entspreche ursprünglich der ganzen Tierkreis-Serie.
Hiefür ist kein Grund ersichtlich. Weit eher wird man mit Shway
Yoe^) an den Brauch denken, das den königlichen Geburtstag
*) Adolf Fischer spricht Z. f. Ethnologie 41 (1909). p. 16 von altchinesi-
schen Entengewichten. Sollte hier eine Verwechslung mit Hinterindien vor-
liegen? Für die These einer Entlehnung aus Babylon hätte er greifbare An-
haltspunkte ins Feld führen müssen; es fehlt aber an jedem literarischen
oder musealen Beleg. Was sich (nach F. Hommels freundl. Hinweis) aus
Br. Meißner, Babylonien und Assyrien (Heidelberg 1920), Abb. 143 und
207 entnehmen läßt, geht doch über ganz formale Ähnlichkeiten dieser Ge-
wichtssteine und -Bronzen kaum hinaus.
*) L'Art d6coratif 12 (Paris 1910), p. 103—6. In der mittleren Bildreihe
p. 104 ist das erste Tier wohl ein Löwe, das zweite ein Schaf; die Figur
p. 105 Mitte links dürfte kaum ein Truthahn, sondern wieder der übliche
Hintha, mit einem Zweig im Schnabel, sein.
^) The Burman, p. 557 und p. 6.
58 Ackerbau
symbolisierende Tier als Gewichtsaufsatz zu verwenden; dann
liämen, mit Sonntag beginnend, der dem indisclien Garuda ent-
sprechende Fabelvogel, Tiger, Löwe, Elephant, Ratte, Schwein und
Drachen in Frage.
Die Feldarbeit stellt an die Shan-Frauen große Anforderung. Die
Shan betreiben den Ackerbau weit intensiver und mit viel größerer
Soi^falt, als die Birmanen, und wo sie, an den Fuß der Berge
Abbildung 33
Shan-Fraaea beim Rtis-Vtrpftaaitn, NamHIiaBi.
gedrängt, nicht genügend Talboden zur Ausnutzung haben, müssen
für den Reisbau Terrassen angelegt und mit der nötigen Bewässe-
rung versehen werden.
Den Frauen ist außer der Mithilfe bei der Ernte zu großem
Teil die Geduld heischende Arbeit des Verpflanzens der Reissetzlinge
zugewiesen, bei der sie außer dem mühsamen Bücken auch noch
die ausgiebigen Güsse der Regenzeit mit in Kauf nehmen müssen
(Abb. 33). Ist die Reisemte eingebracht, was je nach Sorte oder
der Pflanzzeit zwischen Oktober und Dezember der Fall ist, so ist
es in ganz Birma glückbringender Brauch, vom ersten ausgehülsten
Reis der Ernte, nachdem ein Quantum den Mönchen des Gemeinde-
klosters gespendet ist, den Nachbarn und Freunden eine Probe zu
verehren. Das Aushülsen für diesen Zweck wird zum Feste: man
schickt einige Jungen mit kleinen Paketchen gepökelten Tees in
TSglicbe Natarung 59
die Häuser und lädt sie für den Abend zum Reishülsen ein. Da
kommt nun die Jugend mit Holzmörsern und Keulen, und man
verbringt viele Stunden mit Reishülsen, Teetrinken, Plaudern und
Singen und trennt sich oft erst lange nach Mitternacht. Wir gerieten
am oberen Chindwin gegen neun Uhr abends in solch eine Gesell-
schaft von Shan-Burschen und -Mädchen, die uns durch den rhyth-
misch das ReisstampFen begleitenden Gesang angelockt hatte. BHtz-
AbbilduDg 34
NächtUchti RiähüUia im Shai-Dorf Waangfryiii am oberm CWirfw/a.
licht und Phonograph') verhalfen uns zu dauernden Erinnerungen
an das idyllische Intermezzo (Abb. 34).
Haushalt und Küche verden bei den Shan ähnlich gefübn, wie bei
den Birmanen ; während diese aber einen eigenen Kochraum haben,
ist die Kochstelle bei den Shan stets am Feuerplatz des Wohn-
raumes, wo auch gegessen wird. Die Birmanin kocht den Reis in
Wasser, die Shan dämpfen Ihn meist in einem Siebtopf, nach dem
Prinzip unseres Kartoffetkochers. Im Essen sind die Shan noch
veniger wählerisch als die Birmanen, die gegen den schlimmsten
') Siehe die Noteitbeilage im Anhang.
60 • Töpferei
Hautgout keine Abneigung zeigen. Den Shan und ihnen nahe-
stehenden Völkern gelten die Larven von Wespen, einer großen
Ameisenart und vor allem die einer großen Skarabeenart als be-
vorzugte Delikatesse. In Streifen geschnittene Büffelhaut, die in
öl gebacken schneeweiß und knusprig wird, ist ein begehrtes Ge-
richt in den Basar - Eßbuden der Nördlichen Shan-Staaten. Gepö-
kelte Gemüse und Früchte, wie unser Sauerkraut behandelt,, bilden
beliebte Beispeisen. Die im frischgekochtem Zustand geschmack-
losen Bambussprößlinge werden, dünn geschnitten, gepökelt und
hernach getrocknet aufbewahrt und bei Gebrauch mit anderen Ge-
müsen vermengt, um auch diesen den säuerlichen Geschmack mit-
zuteilen. Hühner zu Schlachtzwecken aufzuziehen, gilt buddhistischen
Stämmen als Unrecht — gegessen werden sie aber doch. Eier
werden nicht verzehrt, auch Milch wird, wie bei den meisten mon-
golischen Völkern, nicht genossen. Brot kennt man nicht; seine
Stelle ersetzt der Reis, der gekocht und kalt, in Blättern verpackt,
als Mundvorrat mitgenommen wird.
Im Handwerk tun die Shan-Frauen fleißig bei der Töpferei mit,
die in den Südlichen Shan - Staaten ihre beste Entwicklung zeigt,
namentlich soweit glasierte Ware in Betracht kommt. Die Arbeit ver-
teilt sich unter Männern und Frauen in der Weise, daß erstere
den harten Lehm stampfen und sieben, ihn mit Wasser und Sand
mischen und mit den Füßen auf einer Brettunterlage zurecht
kneten; auch das Brennen und Glasieren besorgen die Männer.
Die Frauen formen die Geschirre auf der Töpferscheibe (selten
mit freier Hand), verzieren sie durch Einpreßmuster mittels ge-
schnitzter Holzstempel und übernehmen auch das Polieren nicht-
glasierter Gefäße vor dem Brennen. Besonders fällt ihnen die
Mühe zu, die gewöhnlichen Wassergefäße nach dem Formen dünn-
wandig zu klopfen, indem sie innen einen runden Tonknauf gegen
die Wandung halten und von außen mit einem Holz dagegen-
schlagen. Abb. 35 zeigt in der Mitte einen sehr dünnwandigen
Wassertopf, der mit angesetzten welligen Tonornamenten verziert
ist; er stammt aus Shwegu am obern Irrawaddy, also aus birma-
nischem Gebiet. In Birma stand das Töpfergewerbe früher jeden-
falls höher, da im 16. Jahrhundert schon glasierte Krüge aus Pegu
ausgeführt wurden. Gegenwärtig sind in den Shan-Staaten und auch
in Birma weit mehr Shan als Birmanen in der Töpferei tätig. Aus
Töprerei 61
den Nördlichen Shan-Slaaien stammen die beiden unglasierten Stücke
Abb. 35 lioks uod Abb. 36 links. Ersteres, eine Wasserflasche, ist
aus ^«ueni, hellbrennenden Ton, sehr schwach gebrannt, über-
fangeo mit einem siegellackroten Tonschlamm. Vor dem Brennen
wurde dieser poliert — mit einem flachen Schiererstein oder mit
einem Gonyinkern, dem großen flachen Samen eines Schling-
gewächses (Entada scandens); dann hat man die Ritzlinien der
Ornamentierung um die Bauchung eingeschnitten und die lotus-
blattartigen Reliefverzierungen um Fuß und Hals eingepreßt. Durch
die seitlichen Tonhenkel ist eine Aufhänge- Schnur gezogen, die
unten durch zwei Löcher in dem gesondert gedrehten und ange-
setzten Fuß läuft. Die Teekanne links auf Abb. 36 ist aus rot
brennendem Ton, der im Feuer durch Reduktion geschwärzt ist.
Der Glanz wurde wie bei der Wasserflasche durch Polieren vor
dem Brennen erzeugt. Der Ausguß des Gefäßes ist als Nagä, d.i.
Drachen- oder Schlangenkopf ausgestaltet; an der entgegengesetzten
Seite ringelt sich der Schwanz des Tieres zum Henkel hinauf.
Die beiden neben dieser Kanne stehenden Gefäße stammen aus -
dem Distrikt des Inle-Sees in den Südlichen Shan-Staaten. Die
Bewohner hier sind neben Shan und Birmanen die Intha, ein aus
Unterbirma vor einigen Jahrhunderten eingewanderter Birmanen-
stamm, der sich immer mehr mit den dort ansässigen Shan ver-
mischt und gerade handwerklich Tüchtiges leistet. Die Keramik
62 TSpferei
dieser Gegend charakterisiert sich durch die reizvollen Effekte ihrer
GlasieruDg, die durch Untertegung hellbrennender Tonscbichten
erhbtit wird. Die Teekanne in der Mitte zeigt einen weibJicben
Kinnara, fein aus der indischen Mythologie übernommenes Fabel-
wesen mit menschlichem Oberkörper, der in einen Vogelleib aus-
läuft. Hinter den Vogelfüßen stehen noch zwei Tonstäbe als Stand-
stUtzen. Die ganze Figur ist in mannigfaltigen Tönen von gelb,
TÖpfereiia aas den Skan-Slaalen. >l, nat. Grässt.
grün und braun abschattiert. Gesiebt und Brust erscheinen grün-
lichgelb, Kopfschmuck und Henkel bräunlichgrün, Körper und
Schulterkragen grün. An das eigentliche auf der Töpferscheibe ge-
drehte GetäÜ wurden die frei modellierten Körperteile angesetzt.
Der ziegelrote Ton ist sehr hoch gebrannt, zum Teil mit hell-
brennendem Ton überzogen, in dem die zeichnerische Ausgestal-
tung der Federn, des Körperschmuckes etc. ausgekratzt wurde.
Das Ganze ist teils mit grüner, teils mit gelber Glasur überdeckt.
Wie wir von den Handwerkern an Ort und Stelle erfuhren, verwen-
den sie zur Herstellung gelber Glasur ausgenutztes Silbererz ; Bei-
mischung von Kupfervitriol ergibt grüne, unausgenutztes Erz
dunkelbraune Glasur.
Der Napf rechts auf Abb. 36 hat denselben roten Ziegelgrund,
aber weniger hoch gebrannt. Außen ist er überfangen (engobiert)
mit hellgelb brennendem Ton, in dem die Ornamente ausgeschnitten
sind (SgrafHto). Die Innenwandung und die obere Hälfte der Außen-
Shan-Papier 63
Seite ist mit Bleiglasur überzogen, die über den einzelnen Blumen
und am Geßßrand grün gefärbt ist.
Eine Phantasie-Töpferei modernerer Richtung — wahrscheinlich
für eine der Ausstetlungen gefertigt, die die Regierung von Zeit
zu Zeit in größeren Städten veranstaltet — ist die technisch wohl-
gelungene Keramik auf Abb. 37; sie stellt in der flatternden Prunk-
gewandung eine Prinzessin oder
einen weiblichen Nat dar. Solche
Gestalten fehlen in keinem Zweig
des birmanischen Kunstgewerbes
und sind der bildenden Hand des-
halb ziemlich geläufig. Das Material
der Figur ist rot brennender Ton,
überkleidet mit hellbrennendem
Ton und mit einer stark eisenhal-
tigen, glänzendbraunen Glasur.
Shan-Papier erfreute sich von
jeher eines besonders guten Rufes,
Auch heute noch, nachdem die
Einführung europäischer Ware das
Pflanzenpapier mehr in den Hinter-
grund gedrängt hat, ist es vielbe-
gehrt, und vorzugsweise Frauen be-
fassen sich mit seiner Herstellung.
Es gibt verschiedene Qualitäten ;
die beste dient als Material für die Abbildung 37
religiösen Schriften, das gröbere ««^'"t bi^manucii^ Kunrnspfini. Gocä««* da
alS Bespannstoff für die Sonnen- ^kner Muxeam f&r Vaikirkand.. V. «a'. Grösse.
schirme, ^wozu es wegen seiner
Zähigkeit sich gut eignet'; durch Tränken mit ungereinigtem Petro-
leum wird es steif und wasserdicht gemacht. Als Packpapier ist es
seiner Dauerhaftigkeit wegen auch bei Europäern sehr beliebt. Als
Material dient die Innenrinde des Papiermaulbeerbaumes (Brousso-
netia papyrifera, birm. mahlaing') oder der Papierschlingpflanze, sele
>) Milne a.a.0.p.l75 vermerkt als Shan-Vort hiefür hsä, dessen Gleich-
setzung mit Broussonetla aber Cushing's Dictionary mit einem Frage-
zeiclien versiebt.
64 Shan-Papier
genannt, einer uaserm Seidelbast verwandten Daphne-Art. Die Zube-
reitung aus letzterem StofF, wie wir sie in den südlichen Shan-Staaten
beobachteten, ist einfach. Nachdem die Rinde über Nacht in Wasser
eingeweicht lag, läßt man sie mit Holzesche vermischt und mit Tü-
chern bedeckt in flachen Eisenkesseln 24 Stunden kochen. Dann
wird sie mit Holzschlägeln auf einem Stein zwei Stundei lang ge-
Papier-Hirslellüng bei Nampan im Init-OisIrikI, SSdl. Shan-SlaüU.i.
schlagen, bis sie ein breiiges Aussehen hat. Ein quadratischer mit
dünnem Baumwollstoff bespannter Bambusrahmen (Abb. 38) wird
auf einer kleinen Wasserfläche schwimmend erhalten, eine Hand
voll von der breiig geschlagenen Rinde wird mit etwas Wasser in
einem Topf angerührt und auf der Oberfläche des schwimmenden
Rahmens mit der Hand verteilt; dann hebt man den Rahmen
heraus, das Wasser fließt ab, und er wird mit der darjn haftenden
Papiermasse in die Sonne gestellt (Abb. 38). Getrocknet läßt sich
Geschichte der Papierbereitung 65
die dünne Schicht als fertiges Papier leicht ablösen; eine Person
vermag täglich etwa 100 Blätter Fertig zu stellen.
Dieses Verfahren der Papiererzeugung durch Verfilzung geht in
graue Vorzeit zurück — ja, es ist nicht ausgeschlossen, daO der
Platz, von dem aus es sich die Welt erobert hat, nicht weit von
der birmanisch -chinesischen Grenze ablag. Textilien aus einer
Bastfaser, in der man mit hoher Wahrscheinlichkeit die Brousso-
netia papyrifera vermutet, hat Sir Aurel Stein unter Funden
aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert in den Ruinen des
Tun-huang Limes entdeckt. Sie zeigen, daß der Papierherstellung
in China, die nach glaubwürdigen Quellen 105 n. Chr. erfunden
wurde, die Verwendung des gleichen Materials zu Webzwecken
vorausging. Ein ausschließlich aus Hadern erzeugtes Papier hatten
die Chinesen schon sehr früh; Steins älteste Funde dieser Art
stammen aus dem 2. Jahrhundert n. Chr.') Daneben aber verstanden
') Aurel Stein, Serindla. Detailed Report of exploraiions in Central Asia
66 Geschichte der Papierbereitung
sie es, der aus wertlos gewordenen Geweben (Hadern) erzeugten
Papiermasse, die vorwiegend aus chinesischem Hanf, Boehmeria
nivea, bestand, die edleren Bastfasern des Papiermaulbeerbaums
beizumengen; solche Mischungen in ein- und demselben Papier
hat Wiesner^) für das 4. — S.Jahrhundert nachgewiesen.
Aus Daphne sind die tibetischen Manuskripte, die Stein in
Endere fand und ins 8. Jahrhundert datiert ^). Damit arbeiten auch
heute die Himalaya-Staaten und zwar nach' der gleichen Methode
wie die Shan ^) ; in Khotan hingegen, von wo das übrige Chinesisch-
Turkestan mit Papier versorgt wird, benutzt man jetzt ausschließ-
lich Broussonetia, die in China den Ersatz für Bambus und Reisstroh
liefert und namentlich im Westen zur Verwendung kam *). Die
Aufschlüsse, die Davies^) über die in der südwestlichen Grenz-
and Westernmost China (Oxford 1921), p. 650; 672 f.; s. auch den kultur-
historisch abgerundeten Aufsatz von Frdr. Hirth, Chinesische Studien 1
(München 1890), p. 259— 71.
*) J. V. Wiesner, Über die ältesten bis jetzt aufgefundenen Hadern-
papiere : Sitzungsber. Wiener Akademie d. Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 1 68
(1911), Abhandl. 5, p. 8 ff.; 18; 25.
2) Stein, Ancient Khotan I (Oxford 1907), p. 426; vgl. Serindia p. 462; 919.
^) Beste Auskunft hierüber bei C. Hörne, Paper-making in the Himä-
layas: Indian Antiquary 6 (Bombay 1877), p. 94 — 8 mit folgendem wichtigen
Zitat über Nepal aus Hodgson: „Though called Nipälese, the paper is not
in fact made in Nipäl Proper. It is manufactured exclusively in Cis-Himä-
layan Bhöt, and by the race of Bhotiäs denominated Rangbo . . . the best
market for it is afforded by the Nipälese people, and hence probably it deri-
ved its name; a great quantity is annually made and exported southwards
to Nipäl and Hindustän ... I conjecture that the art of paper-making was go
by the Cis-Himälayan Bhotiäs viä Lhassa from China, a paper of the very
same sort being manufactured at Lhassa, and most of the useful arts of these
regions having flowed upon them, through Tibet, from China, and not from
Hindustän.*' S. auch Alberuni's India . . . by E. C. Sachau (London 1910) I,
p. 171; II. p. 431. - Über das tibetische Papier vgl. W. W.Rockhill, Notes
on the ethnology of Tibet: Report U. S. National Museum for 1893 (Washington
1895), p. 719.
^) H. A. Giles, A glossary of reference on subjects connected with the
Far EastS (Shanghai 1900), p. 208; Genaueres gibt S. Couling, Ency-
clopaedia Sinica (London 1917), p. 423, wo auch die Verarbeitung von Brousso-
netia in Westchina betont ist; diese geographische Bestimmung ist sicher
richtiger als die Nennung des Nordens bei S. W. Williams, The Middle
Kingdom 1 (London 1883), p. 599.
^) a. a. O. p. 125.
Chinesisches Papiergeld 67
provinz befolgte Herstellungsweise gibt, versteht man leichter, wenn
man J. J. Reins^) ausgezeichnete Darlegung des japanischen Klein-
gewerbes der Papiermacherei beizieht. Die Bearbeitung des Bastes
fällt nach Rein auch in Japan in der Regel Frauenhänden zu.
Auch im Papiergeld ist uns China weit voraus — im guten
wie im bösen Sinne! Leinwand- und Lederstreifen werden im
Jahre 806 n. Chr. von „fliegendem Geld", worunter man Papier-
scheine vermutet, abgelöst; jedenfalls sind diese seit 1154 allgemein
in Umlauf, und zwar bald in einem Grade, der uns nur zu sehr an
eigenes Missgeschick mahnt. Wird uns doch berichtet, wie Marco
Polo das große Geheimnis Kublai Khans anstaunte, mit Papiergeld,
schwarzen Blättern aus dem Maulbeerbaumbast, die niemand zu-
zückweisen darf, alles zu bezahlen, und auch sonst wissen China-
Reisende des 13. — 14. Jahrhunderts, z. B. Carpini und Ihn Ba-
tuta von diesem wirtschaftlichen Hilfsmittel; sein Mißbrauch
förderte den Aufstand und führte 1368 zur Vertreibung der
Mongolen - Dynastie. Knapp 200 Jahre waren damals wahrschein-
lich erst verstrichen, seit Europa überhaupt mit der Papiererzeu-
gung vertraut geworden war; auch für Deutschland führen lange
Umwege zu den Arabern und Persern als Lehrmeistern, die ihrer-
seits seit dem Jahre 751, als kriegsgefangene Chinesen in Samar-
kand sie in ihre Technik einweihten und damit den Siegeszug
des den ägyptischen Papyrus überwindenden „Samarkander" oder
„Chorasaner" Papiers in der Welt des Islams einleiteten, in den
Spuren der Chinesen gewandelt sind.^)
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß die unter dem
*) Japan 2 (Leipzig 1886), p. 463 ff., besonders p. 478. S. auch M. Boy es ,
Geist des Ostens 2 (München 1914), p. 62 ff.
^) Hierzu Williams a. a. O. 2, p. 85; 177; 422; H. Yule, Marco Polo*
I, p. 409 ff. und Encyclop. Britannica" 6 (Cambridge 1910), p. 189; J.v. Wies-
ner a. a. O. p. 10. — Die älteste existierende Banknote hat das British Mu-
seum 1890 erworben, sie stammt aus der frühen Ming-Zeit (1368—1399);
300 Jahre später beginnt Europa nachzufolgen, wobei eine Stockholmer Bank
voranging: J. D. Ball, Things Chinese* (Hongkong 1913), p. 79. — Von
älterer Literatur zur ganzen Frage ist die viel zu selten herangezogene
Ökonomisch-technologische Encyklopädie v. J. G. Krünitz, Bd. 106— 107
(Brunn 1818) zu nennen; von neuerer George Watt, The commercial pro-
ducts of India (London 1908), p. 861 ff. Im übrigen geben die bibliographi-
schen Angaben v. Wiesners a. a. O. Aufschluß, namentlich die Hinweise
auf die Untersuchungen vonj. Karabacek.
68 I^ie Palaung
Namen ,Tapa^ bekannten Rindenzeugstoffe der Südsee in ihren
besten (polynesischen) Beständen ebenfalls zumeist aus Broussonetia
gearbeitet sind und einen fast regelrecht Industriellen Betrieb mit
Matrizen usw. ins Dasein gerufen haben. ^)
IV.
Die dritte, geschlossen dem Buddhismus anhängende Volksgruppe
Birmas sind die Palaung, die nach der sprachlichen Gruppierung
zursogenannten Mon-Khmer-Familie^) gehören. Die Palaung beziffert
der Zensus auf 144248 Personen, wobei die Zahl für die beiden Ge-
schlechter ziemlich gleich ist. Ihre Verbreitungsgebiete sind, von
ganz unbedeutenden verstreuten Gemeinden abgesehen, die Nördlichen
und die Südlichen Shan-Staaten und der Ruby-Mines Distrikt. Die
Palaung-Ansiedlungen haben sich in den letzten Jahrzehnten zu-
sehends südwärts in die britischen Verwaltungsgebiete hineinge-
schoben, eine Folge des rücksichtslosen Vordrängens der Kachin,
die früher ebenso hart den Shan mitgespielt haben. Die friedlichen
Palaung vertragen sich überall mit ihrer Umgebung; zusammen-
geschlossen zu einer Art von nationalem Staatengebilde finden wir
sie nur in Tawngpeng in den Nördlichen Shan-Staaten unter einem
Herrscher, der wie die Shan-Fürsten den Titel Sawbwa (Birmani-
sierung von Shan-„Sau-hpa" = Herr des Himmels) führt und ebenso
wie diese der britischen Oberhoheit unterstellt ist.
Es scheint, daß der Name Palaung erst sekundär von dem Volke
übernommen worden ist und auf birmanischen Ursprung zurück-
geht, wie das bei manchen anderen Bergstämmen Birmas der Fall
ist. Darüber sind allerlei Auslegungen im Umlauf. Die Palaung be-
zeichnen sich selbst als Ta-ang, Ra-ang, Da-rang; die Shan nennen
sie Kun-loi, Menschen der Berge — ganz bezeichnend für ein Volk,
das seine Wohnstätten immer in hohen Berglagen hat. Was die
*) Vgl. O. Finsch, Südseearbeiten (Hamburg 1914), p. 361 ff.; A.Eich-
horn, Hawaiische Baststoffe (Kapa) und Werkzeuge zu ihrer Herstellung:
Baeßler^Archiv 6 (Berlin 1922), p. 176—203.
*) Hierüber W. Schmidt, DieMon-Khmer-Völker, ein Bindeglied zwischen
Völkern Zeniralasiens und Austronesiens. Braunschweig 1906. Zu der Archiv
f. Anthrop., N.F. 1 4 (Braunschweig I9l5),p.217 verzeichneten Palaung-Literatur
ist jetzt hinzuzufügen L. Milne, An elementary Palaung grammar. With an
introd. by C. O. ßlagden. Oxford 1921.
Geschichte der Palaung 69
Palaung über ihre Abstammung in mythischer Ausschmückung er-
zählen, hat dem Hauptinhalt nach so viel Berührung mit den Le-
genden der Nachbarstämme, namentlich der Shan, daß hier sicher
Übertragungen anzunehmen sind. Als Stammeseltern gelten gewöhn-
lich ein Himmelsgott und eine Schlangenprinzessin, und diese Ab-
stammungssage findet sich zusammen mit anderem Mythenmaterial
auch in einer Chronik, die uns der jetzige Palaung-Fürst bei unserm
Besuch in seiner Residenzstadt zeigte und von der einer der wissen-
schaftlich tätigsten Missionare der amerikanischen Baptisten,
Mr. W. W. Goch ran e in Hsipaw, dem Münchener Museum eine
Abschrift und eine gedrängte Inhaltsangabe zu besorgen die Güte
hatte. Die Ghronik ist 1899 in Shan-Sprache und -Schrift nieder-
geschrieben — eine eigene Schrift und Literatur besitzen die Pa-
laung nicht. Geht man über das rein Legendäre und Phantastische
hinweg, so läßt sich als historisch verwendbares Material heraus-
schälen, daß die Palaung als ihren ältesten Wohnsitz das Shweli-
Tal, bezw. die diesem benachbarten Bergregionen ansehen. Damit
ist wohl derselbe Südwestzipfel der chinesischen Provinz Yünnan ge-
meint, der einstmals auch das Eingangstor für die Shan gebildet
hat. Was die Palaung-Ghronik also von der Verdrängung durch die
Shan erzählt, dürfte geographisch hierher zu verlegen sein; als
Datum wäre an der Hand der geschichtlichen Angaben über die
Shan das 9. — 10. Jh. anzusetzen. Die birmanische Herrschaft be-
ginnt für beide Völker gleichzeitig um die Mitte des 16. Jahrhunderts.
Der Buddhismus kam derselben Tradition zufolge im Jahre 1144
der birmanischen Ära (d.i. 1782 nach Ghr.) zu den Palaung, jeden-
falls durch die Shan, da als Lehrer ein buddhistischer Priester
aus dem Shan -Staat Möngnai genannt wird. Damit kam auch die
Shan-Schrift in Aufnahme, die die Palaung fortan für ihr eigenes
Idiom verwendeten. Merkwürdig ist, daß die Palaung nicht nur die
ihnen sprachverwandten Talaing von Unterbirma, sondern auch die
ihnen fernstehenden Karen und Taungthu als verwandt betrachten,
während sie von Beziehungen zu den Wa, die ihnen sprachlich
am nächsten stehen, nichts wissen wollen.
Abgesehen von den Stammesbezeichnungen, die sich die Palaung
selbst beilegen, und von den administrativen Benennungen, die von
britischer Seite im Zusammenhang mit den Wohndistrikten ge-
braucht werden, hört man noch von einer Scheidung in Palaung
70 Palaung und Pale
und Pale; hiefür ist jedoch keine genaue Unterlage festzustellen.
Der Zensus nimmt keine Rücksicht darauf; für ihn sind jedenfalls
nur die Angaben der Stammeszugehörigen selbst maßgebend, und
so erscheinen in der Statistik nur 68 Pale. Das ist nicht ver-
wunderlich, wenn man weiß, daß die Pale als der minder vor-
nehme 'Teil bei dieser Scheidung gelten ; wenn diese auch nicht
frei von Willkür sein mag, so hat sie doch im Volke selbst Wurzel
geschlagen, und die echten Palaung haben das Bestreben, sich als
eine Art Aristokratie von den übrigen, den Pale, abzusondern. Wir
konnten diese Tatsache in Tawngpeng, dem Zentrum der Palaung-
Stämme beobachten^ und vom Fürsten selbst bestätigt erhalten ; auch
manche Bemerkungen in der spärlichen Literatur über die Palaung
scheinen hiefür Stützpunkte zu gewähren. Nach allem, was man
hört, dürfte die Vermögenslage dabei kräftig mitsprechen. Als echte
Palaung anerkannt zu werden, hätten nach dieser Auffassung nur
wenige Stämme das Recht, die in Namhsan, der Hauptstadt des
Tawngpeng-Staates, und deren Umgebung wohnen, eng verwandte Dia-
lekte sprechen und sich fast ausschließlich mit dem Teebau be-
schäftigen, der hier die Quelle der Wohlhabenheit bildet.^) Physisch
bestehen keine Unterscheidungsmerkmale zwischen Palaung und Pale;
es dürften von letzteren sogar die in isolierten Höhenlagen Leben-
den einen reineren Palaung-Typ darstellen, als die in regem Ver-
kehr mitten unter Shan hausenden Tawngpeng- Palaung.
Die Palaung-Männer heben sich in der Tracht wie in ihrer körper-
lichen Erscheinung wenig von der Shan-Umgebung ab, um so
deutlicher aber die Palaung- oder Pale-Frauen. Ausgeprägt ist an
ihnen der kurze gedrungene Körperbau, der derbe Kopf mit groben,
fast männlichen Gesichtszügen, der große Mund und die breite
Nase; die Augen sind größer als bei den übrigen birmanischen
Stämmen und zeigen nur selten die bekannte mongolische Schräg-
stellung. (Abb. 40.) Die Hautfarbe ist ziemlich dunkel, das schwarze
Haar wird meistens kurz geschnitten und unter der Kopfbedeckung
geborgen, manchmal auch lang und ofipen über die Schultern hän-
gend getragen; vereinzelt nur findet man es auch gescheitelt nieder-
gekämmt und rückwärts aufgesteckt. Die Gewandung ist nicht ge-
eignet, die ohnehin spärlichen Reize der Frauen zu erhöhen und
^) Die Chinesen nennen Tawngpeng Cha Shan = Teehügel (Gaz. of Upper
Burma II, 3, p. 250).
Frauenkleidung 71
läßt diese bei manchen Stämmen geradezu vierschrötig erscheinen.
An der Frauenkleidung werden sowohl Stammesunterschiede wie
der Abstand zwischen Palaung und Pale am deutlichsten bemerk-
bar. Hauptmerkmale für die letzteren sind ein bis über die Brust
gezogener Rock mit mehr oder weniger breiten, roten und blauen
Querstreifen, um die Hüften festgehalten von einer Anzahl Rohr-
reifen, ein kurzes, vorn offenes Jäckchen und ein Turban. Die
Palaung- Frauen kennzeichnen sich durch die geschlossene, mit
einem Schlitz zum Durchstecken des Kopfes versehene Jacke, die
zuweilen durch ein mantelartiges Gewand oder eine längere, nach
Art der Shan vorn offen getragene Jacke ersetzt ist; ferner durch
72 Frauenkleidung
eine Kapuze, die über einer Mütze den Kopf deckt oder in kleineres
Ausmaßen gehalten turbanartig umgeschlungen wird.
Weitaus am schönsten und reichsten kleiden sich die Katurr-
Palaung (Abb. 41); auch nach Rang und Besitz stehen sie voran,
und zu ihrem Stamme gehört der Palaung-Fürst. Über einem bis
zu den Knöcheln reichenden Rock aus rotem, mit feinen hellblauen
Abbildung 41
Kalarr-Palaune-Mädchen im Festschmack, Namhsan.
und gelben Streifen durchzogenem Gewebe werden zwei rechteckige
schürzenartige StoFFstücke umgebunden ; das breitere wird von rück-
wärts um die Hüften gelegt, das schmälere deckt vorn den Rock,
beide stoßen seitlich aneinander. Diese Schürzen ') aus grobem
') In dieser Scbürzentracbt, die eine spezifische Eigenart der Katurr-Gc-
wandung ist und von Pale- Stämmen der Umgebung nacbgealimt wird, dürfen
wir wobi den Überrest einer in Yünnan heimischen Kleiderrorm vermuten.
In Birma ßnden wir sie sonst nirgends außer bei einzelnen Völkern des
Sstlicben Grenzgebietes, deren Hauptmasse in Yünnan ansässig ist. In erster
Abstammungssagen 73
ungebleichten, mit farbigen Linien durchschossenen BaumwollstofiP
sind seitlich umrahmt mit weißen, roten, grünen, braungelben und
schwarzen Stoffstreifen, die auch unten den breiten roten Flanell-
rand begleiten. Die Jacke aus dunkelblauer Baumwolle hat an den
Armlöchern Stoffstreifen in der gleichen Farbenskala angesetzt;
quer über Brust und Rücken sind eigentümlich gekrümmte, feine
Zickzacklinien in grün, gelb und weiß eingestickt, darunter zieht
sich ein roter Flanellstreifen. Die Beine sind von Wadentüchern
umhüllt, wie dies bei vielen Bergstämmen Brauch ist. Ganz kom-
pliziert ist die Zusammensetzung der großen Kapuze, die über
einer das Haar deckenden schwarzen Samtmütze getragen wird.
Sie verhüllt rückwärts den Körper bis fast zum Rockrand; in der
Form erinnert sie an die Art, wie unsere Arbeiter oft einen seit-
lich aufgeschnittenen Sack als Regen- oder Staubschutz über Kopf
und Rücken hängen. Sie ist in vier Hauptfelder abgeteilt, die mit
Stoffstücken und -Streifen in der schon mehrfach erwähnten Farben-
reihe ausgefüllt und in den Zwischenräumen mit den typischen
Zackenfiguren bestickt sind. Diese bunt zusammengesetzte Haube
und die farbige Ausgestaltung der Kleidunjg wird zu der Schlangen-
prinzessin in Beziehung gebracht, die als Stammesmutter der Pa-
laung gilt.
Die Abstammungslegende nun hat verschiedene Versionen.
Der Gott, der sich mit der Schlangenprinzessin einläßt, wird als
Thagyi, d. i. der indische Indra, oder auch als der Sonnenprinz
Thuriya, d. i. der indische Sonnengott Sürya, erklärt. Uns ward
in Tawngpeng die Historie so erzählt: Die Schlangen fürstin
legte, nachdem Thagyi bereits in seinen Himmel zurückgekehrt
war, drei Eier; über den Abschiedsbrief, den der Gott ihr durch
eine Krähe zusendet, ist sie sehr betrübt, zumal der Brief mit
einem menschlichen Fußknochen versiegelt ist — der vorher als
Siegel aufgesetzte Rubin war der nachlässigen Krähe gestohlen
worden. Sie wirft verdrießlich ihre drei Eier fort. Eines von diesen,
das ins Wasser fiel, wurde von einem Ehepaar aufgefischt und
Linie sei da auf die Lishaw hingewiesen, von denen weiter unten noch die
Rede sein wird. Ferner ist an den Abschnitt über die chinesischen Sban
zu erinnern, wo (p. 51) unter Hinweis auf Anderson die Frauentracht der
Acbang erwähnt wurde; mit ihren Hosen und Schurzen sticht diese von der
Kleidung der Shan-Umgebung ab.
74 Abstammungssagen
heimgetragen, und als es nach längerer Zeit aufbrach, ging ein
Mensch daraus hervor. Dieser heiratete später eine Schlangen-
jungfrau, ohne deren wahre Natur zu erkennen. Der Ehe entspringt
eine Tochter; sie überrascht einmal ihre Mutter beim Baden
und erkennt sie an ihrem Körper als Schlangenwesen. Voll Be-
stürzung über die Enthüllung ihres Geheimnisses wagt die Mutter
nicht mehr nach Hause zu gehen und beauftragt ihre Tochter,
dem Vater alles zu erzählen und ihm zu sagen, daß sie nicht
wiederkehre. Sie ritzt sodann auf einem Blatt die verschiede-
nen Farben ihres schillernden Schlangenleibes ein und gibt es der
Tochter, indem sie ihr sagt, sie möge nun noch ihre Mutter zum
Abschied genau betrachten und nach ihrer Heimkehr nur noch
Kleider in den auf dem Blatt angegebenen Farben tragen. Die
pietätvolle Erfüllung dieser Mahnung gibt sich nun heutigen Tages
noch in der Palaungtracht kund, vor allem durch die Haube, in
der man die Nachbildung der bei allen kanongemäßen indischen
Schlangendarstellungen typischen „Haube'' — d. i. der geblähte
Hals der aufgerichteten Cobra — sieht. In unserer Palaung-Chronik
aus Tawngpeng lautet die Lesart wieder anders : es soll die Schlangen-
prinzessin ihren Bewerber sofort über ihre wahre Natur aufgeklärt
haben; die Trennung erfolgte, weil sie die Regel vergaß, der zu-
folge ein Nagä (Schlange), der am siebenten Tage im siebenten
Monat des siebenten Jahres nach seiner Wandlung in Menschen-
gestalt ins Wasser taucht, unmittelbar in seine ursprüngliche Wesens-
form zurückversetzt wird und diese nicht mehr ablegen kann. Das
passiert nun der armen Prinzessin, als sie an dem kritischen Tage
ein Bad im Flusse nimmt; die nach ihr ausgesandte Tochter findet
in ihr ein buntschillerndes Nagi-Weib, das trotz aller Bemühungen
nur teilweise die Menschenform anzunehmen vermag ; die breite
„Haube'' des Schlangenkopfes — das Muster für die Palaunghaube
— bleibt ihr, und sie nimmt mit den schon angeführten Verfügun-
gen Abschied von ihrem Kind.
In neuerer Zeit werden die Gewänder leider immer weniger
aus den heimischen Stoffen und in den traditionellen harmonisch
abgestimmten Farben hergestellt. Der wachsende Wohlstand er-
möglicht den Frauen einen Kleiderluxus, bei dem ein leuchtendes
Scharlachrot, namentlich an den Schürzen und Hauben, den Ton
angibt. Europäische Samte, Plüsche, Seidendamaste und Flitter-
Palaung-Völkerschaften 75
Stickereien in grellbunten Farben verdrängen die schlichten Gewebe.
Auch bei der Arbeit werden reichverzierte Kleider samt der langen,
unbequemen Haube getragen. Eine Last von Silberschmuck zeugt
von der Wohlhabenheit: dicke silberne, hufeisenförmige Arm-
reife und große trompetenförmige Ohrpflöcke, beim Festgewand
noch federkieldicke Silberspiralstäbe, dicht aneinandergesetzt um
Halsausschnitt, Schultern und Oberarm und gürtelartig unten an
der Jacke aufgenäht ; sie schmücken auch den Seitenrand der Samt-
mütze, deren Boden mit einer getriebenen Silberscheibe bedeckt
ist. Solche Scheiben sind auch unterhalb der Brust auf der Jacke
aneinandergereiht; großgliedrige Silberketten decken als Gürtel-
schmuck vorn den Leib.
Als unbestritten echte Palaung gelten neben den Katurr nur
noch die Kwanhai- und die Tawngma- Palaung. Beide Stämme aber
haben in der Frauentracht fast gar nichts Gemeinsames mit jenen.
Die Kwanhai-Palaung, die an der Grenze gegen den Shan-Staat
Hsipaw wohnen, haben sicher schon viel von Shan-Brauch ange-
nommen, einige sogar Shan-Kleidung. Der dunkle, schmalgestreifte
Rock ist Shan-Gewebe, die mit farbigem Flanell besetzte offene
Samtjacke hat Shan-Form; die Brust bedecken sie mit einem mieder-
artig gearbeiteten Plüschstreifen. Die Kopfbedeckung hat zwar die
Form der Palaung-Haube, ist aber schmal, aus weißem Stoff und
wird als Turban verwendet; der Haubenzipfel birgt den Knoten
des gescheitelt am Kopf niedergekämmten Haares. Die Frauen unter-
scheiden sich vorteilhaft von anderen Stämmen durch ihren hüb-
schen, regelmäßigen Gesichtsschnitt.
Die Tawngma- oder, wie sie sich selbst nennen, Kwantun-Palaung
haben eine merkwürdige Tracht, die vielleicht auch jenseits der
Yünnan-Grenze ihren Ursprung hat. Der rot und gelb gestreifte Rock
besteht aus zwei, in der Art eines Doppelrockes auf Kattununter-
lage übereinandergesetzten Stoffbreiten. Er wird fast ganz von einem
langen, dunkelblauen — zuweilen auch weißen — mantelartigen Ge-
wand bedeckt, dessen Ränder mit rotem Flanell besetzt sind; ein
Gürtel von flanellüberzogenen roten, gelben und grünen Schnüren
hält es zusammen. Auch hier wird die aus weißen und farbigen
Stoffstreifen zusammengesetzte Haube zum Bergen der Haare be-
nützt und lose um den Kopf gelegt. Die stämmigen Frauen zeigen
in ihrem Aussehen und im ganzen Auftreten ein wohltuend
76 Palaung-VÖlkerschsfien
frisches uad resolutes Wesen. Die vielen vom Palaung-Typ ab-
weichenden Physiognomien sind eine Folge häußgerer Mischungen.
Bezeichnend ist, daß wohlhabend gewordene Pale den Ehrgeiz
haben, die Kalurrtracht nachzuahmen und schlieOlich sich sogar
den Namen Palaung aneignen. Aber auch im Schmuck treiben
die Pale in Tawngpeng einen Aufwand, den sich ihre ärmeren
Stammesgenossen anderer Distrikte, die vom Ertrag ihrer
kümmerlichen Bergkulturen leben, nicht leisten können; sie
prunken mit mächtigen Silberreifen um den Hals, großen Ohr-
zylindern, reichem Silberplättchenbesatz an den Jacken, breiten
silbernen Hüftgürteln und schweren Armreifen; Samt und Plüsch
für Jacken gilt ihnen als selbstverständlich (Abb. 42). Rock-
farbe und Kopfbedeckung markieren zumeist die Stammesunter-
schiede.^)
*) Vertreter von nicbt weniger sls neun Stammen hatte der unseren Ar-
beiten rege und verständnisvoll folgende Palaung-Fürst aus seinem Landchen
Teepflanzungen 77
Der Feldbau deckt nur die eigenen Bedürfnisse des Einzelhaus-
halts. In dem steilen Gelände kann weder PHug und Egge noch
der Ochsenkarren verwendet werden; alle Feldarbeit geschieht, wie
bei den Bergvölkern überhaupt, mit Hacke und Spaten. Die Lasten
müssen getragen werden. Eine saure Arbeit ist das Wasserholen;
dazu dienen die natürlichen Abschnitte des Riesenbambus, die in
Abbildung 43
IVaaurtragimle Fale-Wliber aus dir Umgibang von Lashln, Ndrdt. Shan-Slaattn.
einen Tragkorb gestellt oder an Schnüren befestigt und über die
Stirn gehängt heimgeschleppt werden (Abb. 43), Die Hauptarbeit
leisten die Frauen in den Teepflanzungen; diese liefern für ganz
Birma den beliebten „gepökelten" Tee, von dem oben <p. 21; 58)
kurz die Rede war. Nur im Westen des birmanischen Katbä-Distriktes
ist noch eine nennenswerte Teeproduktion , von der sich Aus-
läufer in etlichen Dörfern am obern Chindwin nördlich von Homalin
Rnden. Die Paiaung selber genießen den „gepökelten" Tee nicht,
und nur wenig wird von ihnen zum Getränk für eigene Verwen-
nacb Namhsin berufen. Nur >o konnte beträcb Hiebes ethnographisches Material
ausgearbeitet werden, dessen Veröffentlichung in den Abhandlungen der
Münchener Akademie geplant ist. Hier sind nur einige Ausschnitte daraus
gegeben; vgl. auch die p hon ographi sehe Probe im Anhang.
78 „Gepökelter" Tee
düng und für den Verkauf getrocknet. Die Sträucher schneidet
man nicht zu, sondern läßt sie zum Baum aufwachsen. Der ge-
pflückte Tee wird gedämpft; man benutzt dazu einen primitiven,
nach dem System unseres Kartoffelkochers hergestellten Holztopf
— wie wir ihn bei den Shan als Reiskochtopf gefunden haben
(oben p. 59) — , dessen Zwischenboden aus einigen mit dem netz*
artigen Fasergewebe der Loofah bedeckten Bambusstäben besteht.
Dann wird er gerollt und in tiefen, mit Bambus ausgeholzten Gruben
unter einem mit Steinen beschwerten Holzdeckel der Gärung
überlassen; so hält man ihn einen Monat bis zu einem Jahr. Für
den Transport presst man ihn, hoch aufgehäuft, in enge hohe Körbe
und stülpt eine Decke aus Mattengeflecht, ringsum fest eingesteckt,
darüber. Der getrocknete Tee kommt in niedrigere, breite Körbe.
Den Transport zu den Märkten und den Verkauf besorgen die
Shan; unaufhörlich begegnet man ihren Ochsenkarawanen auf den
Wegen zur Ebene. Die beste Sorte gegorenen Tees hat einen Preis
von 30—45 Rupien (42—63 M.) für ca. 325 Pfd.; den besten ge-
trockneten Tee bezahlt man mit iVi— 2 Rs. (1.70—2.70 M.) für
ca. 3V4 Pfd. an Ort und Stelle. Die Teeproduktion ist aber stets
auf den Betrieb und Verbrauch im Lande beschränkt geblieben
und hat sich nie mit der Ausfuhr befaßt.^)
Der als Salat zubereitete Tee scheint die stimulierende Wirkung
nicht zu verlieren, die der Teein-Gehalt des als Getränk genossenen
Tees ausübt^); in Ober-Laos und in Nord-Siam wird in Bambus-
rohre gepresster gegorener Tee als Ersatz für Betel verkauft und
wie dieser gekaut.^)
Im häuslichen Leben, in den Bräuchen bei Geburt und Heirat
zeigt sich wenig Abweichung von den Shan-Sitten. Der Buddhismus
hat die religiösen, wie die sozialen Verhältnisse nach und nach
^) Vgl. Imp. Gazetteer of India 22, p. 242; 15, p. 160 werden für den
Distr. Kathä zwei Sorten von *pickled tea' als paungthi und pyaokthi unter-
schieden; die näheren Angaben, die hier fehlen, sind wohl aus R. Grant
Brown, Burma Gazetteer. Upper Chindwin District, Vol. A (Rangoon 1913),
p. 33 zu entnehmen. — Volksetymologische Erklärung des Namens Let-phet
für „gepökelten** Tee: Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 492; II, 3, p. 251.
'-^) Siehe auch Walter del Mar, The romantic Hast (London 1906), p. 83.
^) *Tea is not used as a beverage, but the practice of chewing fermented
tea-leaves is almost universal amongst the inhabitants of upper Siam' : P. A.
Thompson, Lotus Land (London 1906), p. 3.
Volkssitten — Die Karen 79
geändert; er besitzt an den Palaung die bigottesten Anhänger;
daß trotzdem der alte Geisterkult sich kräftiger noch als bei Bir-
manen und Shan bemerkbar macht und im Zentrum von Tawngpeng
sogar über eine offizielle, vom buddhistischen Klerus stillschwei-
gend sanktionierte Hierarchie verfügt,^) darf bei der späten Konver-
tierung der Palaung nicht wunder nehmen. In der Volkssitte ist
aber bereits mit vielen alten Bräuchen aufgeräumt, und so finden
wir auch nicht mehr den ungezügelten Geschlechtsverkehr vor der
Heirat wie bei vielen nichtbuddhistischen Bergstämmen, sondern
fester gefügte Verlobungsbräuche, ähnlich wie bei Birmanen und
Shan; nur der Brautkauf ist noch beibehalten. In Namhsan bewegt
sich der Preis zwischen 30 und 150 Rupien.
Die Palaung-Frauen haben noch das schwerfällige, scheue Be-
nehmen der Bergstämme; die geistige Beweglichkeit und das ener-
gische, geschäftstüchtige Wesen ihrer birmanischen und Shan- Nach-
barinnen mangelt ihnen. Das Volk ist schüchtern und hat sich nie
durch Energie hervorgetan ; gegen Andere hat es höchstens Abwehr-
kämpfe geführt, bis es dem Stärkeren weichen mußte. Ueberall
lobt man seinen außerordentlich friedlichen, rechtlichen Charakter,
die einwandfreie Moral und die bei Birmanen und Shan so selten
zu treffende Sparsamkeit.
V.
In der Gesamtzahl (1102695) folgen unmittelbar hinter den Bir-
manen die Karen. Über ihre Abstammung und Heimat, ihren Wan-
derweg und ihre ersten Siedelungen in den Südlichen Shan-Staaten
weiß man wenig. Obwohl sie sprachlich sich den Shan zur Seite
stellen, zeigen sie sonst keine näheren Beziehungen zu ihnen; die
sprachliche Verwandtschaft mag vielleicht nur oberflächlich, wenn
nicht gar etwas Sekundäres sein, ohne daß eine ethnische Zusam-
mengehörigkeit zu gründe liegt. Eine Menge der widersprechend-
sten Theorien hat das Rätsel der Karen-Herkunft zu lösen ver-
sucht, wobei natürlich auch die Zurechnung zu den zehn verlorenen
Stämmen Israels nicht fehlte. Dazu dürften die religiösen Über-
lieferungen Veranlassung gegeben haben, die stellenweise an die
Bibel anklingen. Wahrscheinlich bleibt, daß die Karen urspünglich
^) Vgl. Seh er man, Der Geisterkult der budddistiscben Palaung, Festschrift
für Alfr. Hillebrandt (Halle 1913) p. 160 ff.
80 Geschichte der Karen
den Weg, den so viele indochinesische Stämme zogen, von den
Bergländern des westlichen China her angetreten haben, und daß
sie vor der Hauptmasse der Shan in Birma ansäßig wurden. Sie
scheinen friedlich ihren Weg durch abgeschiedene, unbewohnte
Landstriche genommen und die Geschichte anderer Völker in kei-
ner Weise beeinflußt zu haben. ^) Die Überlieferungen der Karen,
die von einem „Fluß von rinnendem Sand'^ sprechen, den ihre
Vorfahren überschritten haben sollen, auf die Gobi-Wüste zu deu-
ten, ist recht gewagt. Von dem in den Südlichen Shan-Staaten etwas
nördlich vom jetzigen Karenni-Gebiet liegenden Bergland aus ver-
breiteten sie sich nach Süden und Westen über die Ebenen der
Flußmündungen und die Küste von Tenasserim. Von allen birma-
nischen Völkerschaften haben sie sich am wenigsten mit anderen
Stämmen gemischt; der Hauptgrund ist in den strengen endogami-
schen Heiratssitten zu suchen, die gerade im kastenlosen Birma
so befremden; selbst unter den zivilisierten Karen, bei denen die
früheren strengen Vorschriften aufgegeben sind und die verschie-
denen Stämme untereinander heiraten, sind Ehen mit Nicht-Karen
eine Seltenheit. Auch die bereitwillige Annahme des Christentums
stärkt ihre Eigenart insofern, als dadurch die Verschmelzung mit
dem Birmanentum hintangehalten wird, die sonst das Schicksal aller
ihm naherückenden Stämme ist. Trotzdem sie ursprünglich in den
Bergen lebten, haben sie sich nach und nach auch in der Ebene
gut akklimatisiert. Gegenwärtig finden wir Karen im zentralen Ge-
birgsland des Pegu Yoma, der die Wasserscheide zwischen Irra-
waddy und Sittang bildet, im Paunglaung-Gebirge zwischen Sittang
und Salween, an den Ostabhängen des Arakan Yoma westlich vom
Irrawaddy-Delta; im Südwestteile der Südlichen Shan-Staaten bil-
den sie die Hauptbevölkerung; in der Nord-Süd-Richtung erstrecken
sich ihre Wohnsitze von Toungoo bis Mergui.
Der Name Karen stammt von den Birmanen. Man unter-
^) Merkwürdig bleibt immerhin, daß die p. 69 genannte Chronik aus der
Zeit, als die Palaung von den Shan aus ihren ältesten Wohnsitzen verdrängt
wurden, berichtet, es hätten sich damals die „Weißen," „Roten" und „Schwar-
zen'^ getrennt; aus ersteren wurden die weißen und roten Karen, aus den
Schwarzen die Taungthu und aus den „Gestreiften", den Nachkommen der
Nagä-Prinzessin, die Palaung. Sollte diese Sage auf irgend welche Tatsachen
zurückleiten, so hätten die Karen mit Palaung und Shan zusammen in der
gleichen Gegend gewohnt.
scheidet drei Hauptgruppen : die Sgaw, Pwo und Bghai. Die ersten
beiden bilden die südliche Gruppe, die man als die eigentlichen
Karen, volkstümlich auch als weiße Karen') bezeichnet. Sie sind
von gedrungenerem Körperbau und von hellerer Hautfarbe als die
Birmanen, geistig weniger rege und
haben — ganz im Gegensatz zu Bir-
manen und Shan — ein schweres,
humorloses Temperament. Ihre apa-
thische Natur hat Jahrhunderte lang
die tyrannische Unterdrückung durch
die Birmanen wie ein unabwendbares
Schicksal ertragen, sodaß ihnen die
britische Annexion geradezu eine Er-
leichterung bedeutete. Das ursprüng-
liche Karen -Kleid, das jetzt immer
seltener wird, ein langer Kittel (bir-
man. thindaing) mit zwei seitlichen
Offnungen für die Arme und einem
Schlitz für den Kopf, bildet das
einzige Obergewand für Männer,
Knaben und Mädchen. Bei Frauen,
die unter dem Kittel einen Rock
tragen, ist er kürzer und häußg reich
verziert mit Grassamen und Stickerei
(Abb. 44). Dies ist nun auch für
Mädchen allgemein Brauch geworden.
Den Kopf umschlingt ein Turban.
Den ursprünglichen Geislerkult
haben die zivilisierten Karen längst Abbiidun 44
aufgegeben, scharenweise sind sie zum G,ko-Kar,n.Fra.. Nach .;«« PMcgrapbu i,r
Christentum übergetreten ; die Arne- Americaa BapUst Mission.
rican Baptist Mission hat hier die
größten Erfolge erzielt. Eine weit geringere Zahl hat sich dem Buddhis-
mus zugewendet. Unter ihnen wären vor allem dieTaungthu zu nen-
nen, ein Zweig der Pwo -Karen, der nach dem letzten Zensus
183054 Personen umfaßt. Geschlossene Massen derTaungthu wohnen
') Diese Bezeichnung wird aber aucb auf die Mepu-Karen, eineo nörd-
lichen Karen- Stamm, angewendet: Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 550.
82 Taungthu
im südlichen Birma, hauptsächlich im Thaton-Distrikt, und im Süd-
westen der Südlichen Shan-Staaten, wo sie die Hauptbevölkerung
des Staates Hsatung {birman. Thaton) ausmachen; sogar das Staats-
oberhaupt ist hier ein Taungthu. Man triiTt sie ferner in Slam und
Zayiia-Taaaglka-Fraa und (rechts) Taangtliii-Fraa im Basar ran Wanlhin,
Säät. Shan-SlaaUn.
Kambodscha, wo sie sich mit Elephanten- und Pferdehandel abgeben;
in Birma sind sie durchweg Bauern. Den Geisterkult hat der Bud-
dhismus auch bei ihnen nicht zum Erlöschen gebracht; sonst sind ihre
Sitten nach dem landesüblichen Schema umgestaltet. Die Kleidung
ist bei den Männern den Shan angepaßt, bei den Frauen folgt sie
Taungyo 83
in den entlegeneren Distrikten noch der Karen-Sitte (Abb. 45 rechts).
Sie hüllen sich ganz in Schwarz: ein kurzes Röckchen, darüber
ein langer Schlitzkittel, dessen düstere Farbe nur durch Zier-
nähte an den Rändern und aufgenähte weiße Grassamen belebt
wird. Den langen, schwarzen Turban schmücken schmale bunt-
seidene Börtchen in Brettchenwebtechnik und farbige Endfransen.
Die Wadentücher und die an kühlen Tagen den Armlochrändern
angefügten Armstutzen sind farbig, mit Vorliebe wählt man grünen
oder violetten Samt.
In enger Nachbarschaft mit den Taungthu leben die Taungyo,
die aber trotz großer äußerer Ähnlichkeit, namentlich in der Klei-
dung, in keiner Weise mit ihnen verwandt sind ; sie gehören über-
haupt nicht zu den Karen, sondern sind ein birmanischer Stamm,
der vor unbestimmter Zeit aus dem Irrawaddy-Tal ostwärts nach
dem westlichen Plateau der Südlichen Shan-Staaten vordrang und
sich stark mit den umgebenden Shan und Taungthu vermischte.
Ihre Zahl ist nicht groß (19656); die religiösen Bedürfnisse be-
friedigt nominell der Buddhismus, dessen Decke aber noch dünner
als bei den Taungthu den Geisterglauben überspannt. Wir fanden
zwar überall in ihren Dörfern ein Kloster und in den Häusern
ein, oft sehr hübsch geschnitztes, Regal mit Blumenvasen für das
Buddhabild, aber an der Eingangstür schon baumelte ein Kaktus-
zweig oder auch ein Schlinggewächs nebst einem Stein als Abwehr-
mittel gegen üble, namentlich die Kinder bedrohende Einflüsse.
Von den Taungthu werden die Taungyo etwas über die Achsel
angesehen, hauptsächlich wegen der zweifelhaften Moral ihrer
Frauen, denen man sogar Käuflichkeit nachsagt. Jedenfalls urteilen
Shan und Taungthu abfällig über das Verhalten der Taungyo-Mäd-
chen, die ihren Liebhaber nicht als offiziellen Besuch im Eltern-
haus empfangen, sondern nächtlicherweile vor dem Haus auf ihn
warten und sich mit ihm entfernen. Die Hochzeit ist eine sehr
einfache Sache: hat der Bräutigam genügende Mittel zum Heiraten,
so begibt er sich mit etlichen Geschenken zu den Eltern des Mäd-
chens und begehrt sie zur Frau; ist ihnen das recht, so sagen sie
ihm, er solle sie mitnehmen. Dann gehen beide in sein Haus, und
damit ist das Zeremoniell beendigt. Scheidungen sind trotz dieser
Laxheit selten. Wird ein Mädchen außerehelich Mutter, so muß
sie — wie es auch bei den Taungthu Brauch ist — unter eid-
84 Taungyo
lieber Versicherung den Vater nennen. MPeigert dieser sich, sie zu
heiraten, so muß er 30 Rupien zahlen ; läugnet er die Vaterschaft,
so muß das Mädchen Beweise erbringen; kann sie das nicht, so
muß sie in Schande das Dorf verlassen.
Die Weiber der Taungyo sind tüch-
tige Feldarbeiterinnen und gehen auch
in Lohnarbeit. Auf der großen Farm,
die der englische Oberst Rippon,
dessen Gäste wir eine Woche lang
waren, in Kalaw, am Eingang der
Südlichen Shan-Staaten,angelegthaite,
erwiesen sie sich als die fleissigsten
Gartenarbeiterinnen. Die Gewandung
(Abb. 46] unterscheidet sich haupt-
sächlich in der Farbe von der der
Taungthu; statt des düsteren Schwarz
nehmen sie Blau mit farbigen Rand-
streifen für ihre kurzen Röckchen,
der lange Kittel ist rot mit schmalen
gelben und grünen Querstreifen, an
den Hals und Armausschnitten mit
weissen Grassamen benäht. Die kräf-
tigen Beine sind mit Wadentüchern
bekleidet und unterhalb der Knie
mit Messingspiraldrahtreifen und Bün-
deln lackierter Schnüre umwunden;
Armstulpen aus Baumwollstoff oder
Plüsch ersetzen — wie bei den mei-
sten Kitteltrachten der Bergvölker —
""^ ^ außerhalb der Arbeitszeit die fehlen-
Myinmati, Sädi. Shan-Siaaien. den Ärmel. Kctteu aus dickcn, roh
gegossenen Silberscheiben umgeben
den Hals, große silberne Ohrzylinder weiten die Ohrlappen, in
denen noch Bündel von würfelförmigen Filigranohrringen hängen.
Der auf dem Hinterkopf aufgesteckte Haarknoten ist von einer
Silberkette umschlungen und mit Schmucknadeln durchsteckt. Da-
rüber winden die Mädchen ein rot und blau karriertes Tuch, wäh-
rend die Frauen einen dunkelblauen, kunstvoll mit verschieden-
Ostgrenze der Shan-Siaaien 85
farbigen Blumen- und Streifenmustern durchwirkten und von einer
breiten roten Flanellkante umrahmten Turban tragen (Abb. 47).
Die Bekanntschaft dieser Stämme machten wir im Südwesten
der Südlichen Shan-Staaten, die in der JVlannigFaltigkeil der Nationali-
Älttr,
täten einen Typenreichtum aufweisen, wie kaum ein anderes Ge-
biet innerhalb Birmas. Bis zu dem ganz besonders ergiebigen öst-
lichsten Staat Kengtung vorzudringen, gestattete leider unsere Zeit-
einteilung nicht, und so müssen wir es für diesen Landstrich bei
einer kurzen Übersicht und dem allgemeinen Hinweis auf das
86 Ostgrenze der Shan-Staaten
Material im Gazetteer of Upper Burma bewenden lassen. Das meiste
Interesse beanspruchen die Wa, die bereits oben (p. 69) als Sprach-
verwandte der Palaung Erwähnung fanden. Die ,^zahmen^^ Wa
wohnen in Kengtung, Manglön und den angrenzenden Shan-
Gebieten (14674); teilweise rechnen sie sich nach Annahme des
Buddhismus als „Tai-loi^^ (Berg-Shan) sogar zu den Shan. Die
„wilden" Wa hingegen in den eigentlichen Wa - Territorien zäh-
len zu den unzugänglichsten Volksstämmen, und die bei ihnen
noch eifrig betriebene Kopfjagd^) macht den Aufenthalt dort ge-
fährlich.
Als Verwandte der Palaung gelten noch mehrere Stämme an
dieser Ostgrenze, deren Hauptmassen in den Laos-Staaten und in
Yünnan leben und nach und nach immer mehr Ausläufer auf bir-
manisches Gebiet vorschieben, sodaß bereits etliche Hundert in
Kengtung wohnen; das sind die Miaotse und noch einige Yao-
Stämme.^) Von der birmanischen Sprachgruppe finden wir dort die
Lahu (18103), die Kwi (3189), die Ako (4119) und die Akha oder
Kaw (33181); bei den letzteren tragen die Frauen merkwürdige Reifen-
hüte, von denen wir durch einen britischen Beamten zwei Exem-
plare für die Münchener Staatssammlungen erwerben konnten.
Die Hüte bestehen aus zwei oder drei Reifen aus Bambusspänen
von ca. 6 — 8 cm Breite, über die schmale, in verschiedener Muste-
rung mit Grasfasern fein umflochtene Ringe gelegt und mit Spangen
aus blauer Baumwolle festgehalten sind. Diese Reifen sind schräg
nach hinten übereinandergesetzt und gehalten von einem lang-
gezogenen, gebogenen, aus Bambusstreifen zusammengerollten Ring,
der nach hinten aufgestellt wie ein hoher Steckkamm aus dem
obersten Hutreifen hervorsteht. Ein rechteckiger dunkelblauer
BaumwoUappeii , mit umflochtenen Bambusstäbchen und Samen-
schnüren benäht, hängt rückwärts vom Hut in den Nacken. Gehänge
dieser Grassamen schmücken das Ganze. Manchmal sind die Reifen
^) Über dieses weite Ausblicke eröflPnende Thema vgl. die beiden inhalts-
reichen, das Material vorsichtig abwägenden Aufsätze „Kopfjagd und Menschen-
opfer in Assam und Birma und ihre Ausstrahlungen nach Vorderindien*^ und
„Mutterrecht und Kopfjagd im westlichen Hinterindien" von R. v. Heine-
Geldern: Mitteilungen d. Anthropol. Gesellsch. Wien 47 (1917), p. 1—65;
51 (1921), p. 105—40. Dazu W. Schmidt, Anthropos, Bd. 14/5, p. 1138-46.
2) Vgl. Archiv f. Anthropologie, N. F. 14, p. 213.
Karenni 87
auch über einem helmartigen Rohrgeflecht aufgebaut und die StofiF-
lappen hängen vorn auf die Stirn. ^)
Mit großem Bedauern sahen wir die Straße nach Kengtung von
unserm Weg abzweigen, der uns nach dem Karenni-Gebiet fährte.
Die Reise dorthin — auf der Landstraße und einem Kanalweg bis
Yawnghwe, von hier in viertägiger Bootfahrt über den Inle-See
und auf dem ihn durchfließenden Nam Hpilu (birm. Balu Chaung)
bis nach Loikaw in Gantarawaddi, dem östlichsten Karenni-Staat —
hat uns an ethnographischen Beobachtungen und Sammlungen er-
freuliche Ernte eingetragen. Wir befanden uns vornehmlich im
Bereich der nördlichen Hauptgruppe der Karen, der Bghai ; sie
begreift eine Anzahl Stämme in sich, die weit mehr in ihrem
ursprünglichen Kulturstande verharrt haben, als die südlichen
Gruppen. Ihre Wohnsitze liegen abseits vom Verkehr in dem frühe-
sten Einwanderungsgebiet der Karen; birmanischer und Shan-Ein-
fluß haben da noch weniger gewirkt. Der Nam Hpilu, der im
Süden des Shan-Staates Thamakan entspringt und, wo er das Süd-
ende des Sees verläßt, sich aus einem schilfdurchwachsenen Sumpf
allmählich wieder zu einem Flußlauf entwickelt,^) bildet die
wichtigste Verkehrsader zwischen dem See und dem Hauptort Loi-
kaw; er ist nur für die einheimischen langen, schmalen, ausge-
höhlten Boote befahrbar wegen seiner ungleichen Wassertiefe und
der Schwierigkeiten, die die eingebauten Stauwehre verursachen;
diese ermöglichen den riesigen Schöpfrädern, von denen bis zu
drei neben einander stehen, das zur Feldbewässerung nötige Wasser
in die Leitungsrinnen zu heben.
Die Flußfahrt brachte uns zunächst in das Gebiet der roten
Karen oder Karenni (birmanisch ni = rot). Sie sind im Zensus
1911 mit 19008 Personen beziffert. Klein und schmächtig, stehen
sie körperlich hinter den südlichen Karen - Stämmen zurück; die
Gesichtsfarbe« ist hell, färbt sich aber im Sonnenbrand rötlichbraun.
*) Abbildungen bei Scott, Burma, p. 101, Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 500
und Da vi es, Yün-nan, p. 394 f. Wenn W. A. Graham, Siam^ (London 1912)
in seinen Illustrationen hinter p. 128 dieselbe Hutform den Miaotse beilegt,
so dürfte da ein Irrtum obwalten.
^ Angaben über diesen (in den Registern gewöhnlich fehlenden) Fluß im
Gaz. of Upper Burma II, 1, p. 309 und II, 3, p. 381; Imp. Gaz. of India,
Provincial Series. Burma II (Calcutta 1908), p. 335.
Sie sind tatkräftiger und auch kriegerischer veranlagt als ihre süd-
lichen Vettern ; sie waren der einzige Karen-Stamm, der selbst der
britischen Okkupation Widerstand leistete. Dem Geisterkult sind
sie treu ergeben ; die „Naf-Prosten ragen weithin sichtbar bei
ihren Dörfern empor. In neuerer Zeit aber haben auch bei ihnen die
amerikanischen Baptisten sowie die katholische Mission Erfolge
gehabt und zuweilen ganze Dörfer zum Christentum bekehrt. Dessen
ungeachtet steht ihre innere wie 3uDere Kultur ziemlich tief; na-
mentlich an Unsauberkeit übertreffen sie die meisten, ohnehin
nicht durch Reinlichkeit berühmten Bergstämme. Die vorwiegende
Farbe der Gewandung — auch der kurzen JVlännerhosen — ist rot.
Die Frauen (Abb. 48) tragen über einem kurzen, rot und blau gestreif-
ten Rock dicke Stränge von grünen, roten und blauen Perlen;eine weiße
Yimbaw- und Bre-Karen 89
Stoffschärpe umgürtet den Leib, die Brust deckt ein rotes, mit
weißen Streifen durchzogenes Tuch, das quer über die Schulter
geknüpft ist; auch über den Kopf wird ein ähnliches rotes Tuch
gestülpt. Perlstränge, wie bei den Hüftketten, außerdem Reihen
von dicken, plump gegossenen Silberscheiben bilden den Hals-
schmuck, in den Ohrlappen stecken weite silberne Pflöcke, und
darunter hängen noch Bündel eicheiförmiger, spitz zulaufender Ohr-
ringe. Recht massig und unbequem ist der Knieschmuck: dicke
Bündel lackierter Rohrreifen, durch Messingringe vereinigt, bilden
einen unförmigen Wulst um die derben Beine und nötigen die
Frauen zu einem schwerfälligen, breitspurigen Gang; sie zwingen
sie auch, weil sie das Abbiegen der Knie hindern, auf dem Boden
mit gerade ausgestreckten Beinen zu sitzen — eine Stellung, die
von den Birmaninnen und Shan-Frauen als höchst anstößig emp-
funden wird. Bei ihren Tänzen stört die geringe Beweglichkeit der
Beine nicht, da sie nur ein ruhiges Schreiten erfordern. Bei den
Leichentänzen, an denen auch die Männer teilnehmen, wirken die
gemessenen, federnden Schritte, das Neigen und Wiegen der reihen-
weise mit angefaßten Händen vor- und rückwärts schreitenden
Tänzer wirklich ergreifend. Ähnlich feierliche Reigentänze finden
wir auch sonst bei hinterindischen Bergvölkern; sie lassen sich
bis zum malaiischen Archipel verfolgen. ^) Eine Filmaufnahme von
einer Totenfeier der Tura auf Celebes, die der Amsterdamer
Professor van Wuuren jüngst auch in Deutschland vorgeführt hat,
rief uns durch ähnliche, wenn auch rhythmisch minder graziös be-
wegte, von taktmäßigem Schleudern der Arme begleitete Tanz-
schritte der Frauenreihen die Tage von Loikaw in lebhafte Er-
innerung.
Die Karenni -Weiber schaffen rüstig in Feld und Haus, weben
alle Gewänder selbst und fehlen auch nicht beim Basarhandel. Bei
einigen verwandten Stämmen, z. B. den Yimbaw-Karen (Abb. 49)
finden wir gleiche Gewandung und Sitten. Bei anderen Karen geht
die Weiblichkeit im Verzicht auf jede Bequemlichkeit dem Körper-
schmuck zuliebe noch erheblich weiter und stellt selbst europäische
Modetorheiten in den Schatten. Die Frauen der Bre(k)-Karen (Ab-
bildung 50) eines außerordentlich scheuen, 6911 Seelen zählenden
*) Ober Tänze der Nichteuropäer reiches Material bei W. Ridgeway'
The dramas and dramatic dances (Cambridge 1915).
90 Bre-Karen
Stammes, tragen breite, schwere Messingspiralstulpen oberhalb der
Knie und schmälere Spiralreife um die Fußknöchel; auch den Unter-
arm beschwert der gleiche gewichtige Messingschmuck. Über den Knien
endigt das dunkelblaue, rotgeränderte Röckchen, den Oberkörper
umhüllt eine Schlltzjacke aus weiOem, rot und schwarz gestreiftem
Abbildung 40
Ymbaw-Karen-Frauttt Bul tUm Padaang-Dorf Naangitur, Säill. Shan-Slaaltn.
Stoff mit Fransen an den Armlöchern. Perlketten, Messingreifen
und halbmondförmige Silberscheiben zieren Hals und Brust, sil-
berne Pflöcke weiten die Ohrlappen. Beim Tanz, der wieder ein
wiegender, feierlicher Reigen ist, blasen die Frauen auf Bambus-
pfeifen. Ganz auffallend harmonische Töne geben die Büffel-
hörner, denen die Männer einen lang gehaltenen, sanft an- und
langsam abschwellenden Akkord entlocken. Überrascht horch-
ten wir auf, als dieser wundervolle Klang über die Felder zu uns
drang — die Bre hatten auf Veranlassung des britischen Distrikts*
beamten Leute entsandt, die uns gerade noch in letzter Stunde
vor dem Aufbruch erreichten, um unsere photographischen und phono-
graphischen Arbeiten um seltenes Material zu bereichem.
Padiung 91
Das schwerste Gewicht an Metallschmuck bürden sich die Frauen
derPadaung{Abb.5l — 52) oder, wie sich der 8516KJ}pfe zählende
Stamm selbst bezeichnet, der Kekawngdu auf. Zur „Zier" an
Armen und Beinen ' kommt bei ihnen ein hober Halskragen
aus den gleichen Messingspiralen. Schon den kleinen Mädchen wird
dieses ersehnte Schmuckstück angeschmiedet, das von Zeit zu Zeit
Abbildung 50
Brt-Karta, ärtl Framn aiiii (linl:]) tin Kann aus Brelipa bei Ngwtiaang, Kartaai-StaaUn.
durch ein gröOeres ersetzt wird. So erreicht schließlich der Hals-
kragen eine Höhe von 20 cm; an ihn schließt sich unten ein fla-
cher den Schulteransatz deckender Kragen, und in diesen ist im
Nacken ein 10 cm breiter Spiralring eingezogen — es heißt, zur
Strafe würden die Frauen von ihren Männern daran festgeschlossen.
Von diesem Kragen hSngt ein Strang haselnuOgroßer Silberperlen
nieder, der mitjeiner Silberscheibe abschließt; eine gleiche Kette
geht von der rechten Schulter quer über die Brust unterm Arm
durch. Die ganze Auftakelung macht aus der Padsung-Schönen
eine uas überaus komisch erscheinende Figur, die schon zu Ver-
gleichen mit einer Champagoerflasche angeregt hat: aber dem kur-
zen schwarzen, rotgeränderten RSckchen bauscht sich die weite
Schlitzjacke, aus dem hohen Messingkragen lugt rundlich, wie ein
Sektkorken aus dem Flaschenhals, der Kopf mit dem zu einem
Abbildung 51
Padaang-Maan (mit FanfiSte) and imi Fr:xaea. Karrnai-SiaaUn.
hohen Schopf aufgedrehten und mit allerhand Läppchen, Litzen,
Samenkörnern, Perlen, Kämmchen und Schmucknadeln verzierten
Haar. Die Jacke ist übrigens schöne Webarbeit; der obere Teil
weiß, zuweilen mit roten Sternen bestickt, die untere Hälfte doppel-
seitig, innen weiSe Baumwolle, auf3en rote Seide. Es heißt, daß
andere Karen diese Jacken Für die Padaung weben.')
') Ein ganz gleiches Slück trSg! die Geko-Karenfrau auf Abb. 44. Es isr
nicbt ausgeschlossen, daß hier alle Stammesbeziehungen mitspielen; nach
H. R. Spearman, British Burma Gazelleer I (Raogoon 1880), p. 167 werden
Padaung 93
Der Heirat geht bei den Padaung ein formelles \Perben bei den
Eltern des Mädchens mit länger fortgesetzten, offiziellen Besuchen
des jungen Mannes voran. Hat dieser sich endgültig entschlossen,
so läOt er die Einwilligung des Mädchens und der Eltern einholen,
und nach beiderseitigem Geschenkwechsel erfolgt die Hochzeit ohne
Spttr, Am}ir<al); links am BoHea lia Karinni-Kcstelgoag (Slian-Arbtit aus Ngmedaang).
nennenswertes Zeremoniell, mit langem Ess- und Trinkgelage. ' Be-
merkenswert ist, daß die Padaung nicht wie die anderen Karen
endogamische Heiratsregeln befolgen, sondern durchaus exogamisch
verfahren; jeder kann unbehindert durch Rücksicht auf verwandt-
schaftliche Beziehungen seine Frau wählen.
Die Zayein (Salein)- oder Sawntüng-Karen bewohnen in einer
Zahl von 4981 Personen 26 Dörfer der Shan-Staaten Loilong und
Möngpai (Mowbye). Der birmanische Name Gaungto weist in
die „Gai-kbo"- Karen, ein Zweig der Pwo, von den Karennl mit der Bezeich-
nung „Padoung" belegt.
94 Gaungto-Karen
seiner Wortbedeutung auf den kurzgeschorenen Kopf der Männer.
Weiß ist die Gewandfarbe der meisten hierher gehörigen Grup-
pen. Die Männer haben in der Regel kurze Hosen aus unge-
bleichtem Stoff und darüber an kühlen Tagen ein ebensolches
hemdartiges Gewand. Bei den Frauen ist der kurze Rock und
die Schlitzjacke zumeist mit blauen Bändern versehen; die ein-
zelnen Dörfer lassen Unterschiede auch in Schmuck- und Kopf-
putz beobachten. Auf unserer Bootsfahrt flußabwärts nach Loi-
kaw waren wir beim Basarbesuch in einem Uferdorf einer Frau
(Abb. 45 links) mit langem weißen, blau geränderten Schlitzkittel be-
gegnet, mit dunklem Turban und Gürtel, Wadentüchern und Arm-
stulpen in schwarz; sie wurde uns als wZayein-Taungthu-Frau" be-
zeichnet. Augenscheinlich hatten wir eineSinsin-Karenfrau*) vor
uns, aus einem Zayein-Stamm, der sich unter Shan und Taungthu
angesiedelt und hauptsächlich letzteren angeähnelt hat. Erst ängstlich
ausweichend hielt sie schließlich doch unserer Kamera Stand und
verkaufte uns sogar ihre Ohrringe. Ihre Gesichtszüge zeigen typi-
schen Karenschnitt, obschon ihr Stamm sich längst nicht mehr an
die endogamischen Heiratsregeln der Karen bindet.
Später glückte es uns, von Loikaw aus in einem zweitägigen Ritt
ein Gaungto-Karendorf im Staat Möngpai aufzusuchen. Es lag auf dem
Gipfel eines bis fast zur Höhe bewaldeten Hügels und bestand nur
aus sechs neuen Häusern, da es kurz zuvor abgebrannt war.
Unser Besuch war vorher angekündigt worden, und so trafen wir
die weibliche Bewohnerschaft scheu zusammengedrängt, auf einer
Hausveranda unter dem tief niederhängenden Dach hockend und
neugierig nach uns auslugend — sie hatten bis dahin noch keine
Europäer zu Gesicht bekommen. Der Dorfobmann und sein Sohn,
struppige Gestalten, waren schon vorher im Waldesdickicht plötzlich
vor uns aufgetaucht, um uns hinauf zu geleiten. Ein Dutzend Email-
Eßteller, die wir als Mitbringsel im Basar erworben hatten, reichte
gerade für die Zahl der Damen und half bald die schüchterne Zurück-
haltung überwinden, die vor allem auch in der geschämigen Um-
hüllung des Unterkörpers ihren Ausdruck gef^nden hatte. Um die
Hüften trugen sie bis zu den Füßen reichende weiße ümschlag-
decken mit grünen und roten Streifen, die wir als Schaltücher
^) Vgl. Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 544.
Gaungto-Karen 95
bereits bei den Karenni in Gebrauch gesellen hatten. Als diese ab-
gelegt waren, standen die Weiblein in ihren kurzen weißen, blau-
geränderten Röckeben und den ebenso gefärbten Schlitzjacken da,
die ein schmaler Gürtel umspannte (Abb. 53). Der bei den nörd-
Abbllduns 53
Zayila(Gaiuiglo)-Karin-Urtlbir, Tadeka (birm. Tarudaw), Sädl. ShaaSlaalm.
liehen Karen-Stämmen so beliebte Knieschmuck macht bei ihnen
trotz der Schwere keinen arg ungefügen Eindruck, ist jedoch sicher-
lich weitaus der unbequemste. Breite Messingstulpen umschließen die
Schenkel oberhalb des Knies. Von den Knöcheln aufwärts sind die
Waden von schwarz lackierten Schnüren umwunden ; wo sie unter
dem Knie endigen, liegen über den aus ihnen vorhängenden wei-
ßen Stofflappen schmale Messingreifen, an denen ringsum 8 — 10
Messingringe von 12cm Durchmesserhängen. Natürlich beeinträch-
tigt dies das Gehen derart, daß die jüngsten Mädchen steif wie
gichtbrüchige Alte einberstelzen. Das Haar ist vom ziemlich kurz,
in der Mitte gescheitelt und hängt in Strähnen seitlich nieder ; das übrige
96 Endogamie der Karen
Haar wird am Hinterkopf in einen Knoten gedreht, den ein weißes Tüch-
lein mit roten Fransen deckt. Männer und Frauen tragen die glei-
chen Silberohrringe: spitze Blätter mit eingestanzten, punktierten
Rippenlinien. Ketten aus Glas- und Steinperlen, Gehänge aus Eber-
zähnen schmücken den Hals, und von der Jackenöffnung aus zieht
sich quer über die Brust zum Gürtel ein Strang Silberperlen, wie
die Padaung sie tragen. Unter dem Kinn ist den Frauen ein son-
derbares Muster, pfeilförmig mit gebogenen Ausläufern zu beiden
Seiten der Spitze, eintatauiert; bei den Männern findet sich ein
anderes Ornament an der Hand.*)
Ihre Gewänder weben die Gaungto-Frauen dieses Dorfes nicht
selbst; man sagte uns, daß sie in Kalä^), einem von demselben
Karen-Stamm bewohnten Dorf im Möngpai-Staat, hergestellt wür-
den. Vielleicht liegt hiefür ein abergläubischer Beweggrund vor,
der für die Zayein-Karen der Dörfer Loilong und Nankwo (Loi-
long-Staat) angegeben wird : vor etlichen Generationen seien in
diesen Dörfern mehrere Personen durch Weben verrückt geworden
und seitdem wurden Webstühle dort verboten^). Den Messing-
schmuck machen, wie wir hörten, Taungthu im Loilong-Staat.
Die endogamischen Heiratssitten, die bei den nördlichen Karen
durchweg noch strenger als bei den südlichen beobachtet werden,
haben bei den Zayein-Karen die extremste Form erreicht und könn-
ten, wenn sie nicht abgeschwächt werden, sogar den Stamm zum
Aussterben führen. Nach Angaben des Gaz. of Upper Burma (I, 1,
p. 546) besteht das Zayein-Dorf Banyin im Loilong-Staat aus sechs
Häusern, unter deren Bewohnern alljährlich nur ein Paar — noch
dazu nach Befehl und Gutdünken eines Eingebornen-Beamten, der
eigens zu dem Zweck hinkommt — zur Ehe zusammengetan wird.
So schlimm war es in dem von uns besuchten Dorfe noch nicht
bestellt. Es bestand, wie gesagt, auch nur aus sechs Häusern; vier
Familien gab es, außerdem noch vier heiratsfähige Mädchen und
vier Junggesellen, denen, wie man uns sagte, das für die Hochzeit
nötige Geld mangelte. Das ist aber durchaus nicht immer der ein-
zige Hinderungsgrund; die Vorschriften, daß nur innerhalb be-
*) Die Zayein-Männer in Loilong haben zwei schwarze Vierecke unterm
Kinn als Tatauiermale : Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 543.
*) Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 54; II, 2, p. 455.
*) Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 543.
Soziale Bräuche 97
stimmter naher Verwandtschaftsgrade und mit Einwilligung der Dorf-
ältesten geheiratet werden darf, dazu die Regel, daß nur gewisse
Dörfer mit einander in Heiratsbeziehung stehen, erschöpfen eben
unter Umständen die Heiratsmöglichkeiten so gut wie ganz. So
kommt es, daß man unter den Zayein-Karen häufig betagte Jung-
gesellen und alte Jungfern trifft — eine in Birma höchst befremd-
liche Erscheinung. Wir befinden uns hier auf einer ganz anderen
Kulturstufe; das erweist auch die übliche Einrichtung des Jung-
gesellenhauses, das die jungen Burschen nach erreichter Pubertät
beziehen ; von da ab bis zu ihrer Heirat dürfen sie das Elternhaus
nicht mehr betreten. Das Junggesellenhaus dient auch als Gast-
herberge. In dem von uns besuchten Zayein-Dorfe war es nach
dem Brande leider noch nicht wieder aufgebaut. Die Mädchen der
Zayein bleiben im Eiternhaus und kommen nie aus dem Dorfe,
kein junger Bursche darf mit ihnen sprechen. Bei der Heirat be-
fragen die Eltern des jungen Mannes jene des Mädchens; willigt
dieses ein, so erhält es Brautgeschenke; dann rüsten die beider-
seitigen Eltern ein Fest, das, abgesehen von einem Reisopfer an
die Nat, in einem Eß- und Trinkgelage besteht, das drei Nächte
hindurch währt. Es ist die einzige Gelegenheit, bei der die Un-
verheirateten beiderlei Geschlechts sich treffen, aber nur Ver-
wandte des Brautpaares.
Die Heiratsbeschränkungen führen auch häufig zu höchst un-
gleichen Verbindungen; ein jugendlicher Bräutigam wird an eine
Matrone gefesselt und umgekehrt. Witwer und Witwen können mit
Einwilligung des Dorfvorstandes wieder heiraten. Früher war es
Brauch, wenn ein Mädchen mit einem Nicht-Karen durchging, das
Paar zu einem grausamen Erhängungstod zu verdammen; jetzt be-
gnügt man sich mit dem Ausschluß der Frau aus der Dorfgemeinde.
Entfernt sich ein junges Paar, um ohne Erlaubnis die Ehe einzu-
gehen, so darf es sein Geburtsdorf und auch kein anderes Zayein-
Dorf mehr betreten; auf solche Weise sind schon eine An-
zahl neuer Dörfer gegründet worden.
VI.
Innerhalb des birmanischen Staatengebildes sind die Kachin
(Aussprache: Katschin) gewißermaßen „Parvenüs"; mit rücksichts-
loser Stoßkraft haben sie es vermocht, auf ihren ungestümen Wander-
98 \(^ohnsitzederKachin
Zügen Völker, die auf ältere Rechte pochen konnten, aus ihren
Wegen zu drängen. Den Shan und Palaung insbesondere verbitter-
ten sie in wenig nachbarlicher Gesinnung das Leben durch Räubereien
und Erpressungen, und auch den britischen Machthabern gelang es
nicht leicht, ihnen Ordnung und Friedfertigheit aufzuzwingen. An
dem Kulturaufstieg der Birmanen haben sie, obwohl sprach- und
stammverwandt, in Religion und Lebenshaltung kaum einen Anteil.
Ihre Zahl in Birma beläuft sich auf 162368, aber eine noch größere
Ziffer ist für den im Norden auf unverwaltetem Gebiet und in China
wohnenden Volksteil vorzubehalten. In der Frage nach der ältesten
erkundbaren Heimat treffen eigene Überlieferungen der Kachin und
allgemeine ethnologische Erwägungen zusammen ; man wird hiefür
nach dem östlichen Assam und der südöstlichen Grenzecke des
zerklüfteten tibetischen Hochlandes, dem Gebiet der Irrawaddy-
Quellflüsse zu blicken haben. Vor zwei bis drei Jahrhunderten
mögen ihre Wanderungen nach Süden begonnen haben, die sie
in zumeist feindliche Berührung mit Shan und anderen Stämmen
am Irrawaddy brachten. Am Westufer des Malihka-Irrawaddy
vordringend, warfen sie sich zu Herren der Hkamti-Shan auf, er-
griffen Besitz vom Hukong-Tal und taten das ihrige, um die Reste
des einst so blühenden Ahom-Reiches in Assam zu vernichten.
Die weiter südwärts ziehenden Kachin finden sich einer geschlossenen
Masse von Shan und Birmanen gegenüber, die sie zwingt, in der
Gegend des heutigen Myitkyina den Irrawaddy zu überschreiten.
Von da ab folgen sie den Bergzügen am Ostufer des Stromes,
wobei sie den Palaung und den anderen dort ansässigen Stämmen
gefährlich werden. Größere Massen siedeln sich im Hügelland um
Bhamo an, wo sie mit den chinesischen Grenzprovinzen Fühlung
gewinnen. So erstrecken sich schließlich, da einzelne Gruppen am
Oberlauf des Irrawaddy zurückgeblieben sind, die Wohnsitze der
Kachin, wenn man isolierte Gemeinden in den Shan-Staaten mit
einrechnet, vom 29. bis fast zum 20. Grad nördl. Breite, und schon
diese. geographische Verteilung hilft uns verstehen, wie der Vor-
stoß nach Süden die allmähliche Annäherung an höhere Kulturen
begünstigt, wenn auch bis jetzt die isolierte Lage ihrer Wohnsitze
in abgelegenen Berghöhen und eine komplizierte Stammesverfassung
ihnen noch viel von der alten Eigenart gewahrt hat. Der Name
Kachin ist birmanisch und hat sich innerhalb Birmas eingebürgert.
Stammesnamen — Schriftsage 99
Als älteste Benennung ist „Chingpaw'* mit verschieden artikulier-
ter Aussprache des Anlautes (tonloser oder tönender Palatal oder
Sibilant) anzusetzen. Der Name Hkahku, für die am Irrawaddy-
Oberlauf näher ihrer alten Heimat sitzenden Kachin gebraucht,
kann nicht als eigentliche Stammessonderung ausgelegt werden,
sondern bestätigt nur, daß die Leute in dem Quellflussland (Hkahku
heißt Flußhaupt), aus dem alle Kachin herzustammen behaupten,
geblieben sind; er dient somit zur Unterscheidung der südlichen
und nördlichen Gruppe.
Die Kachin sind in eine Unzahl von Stämmen und Unterstämmen
zersplittert; bestimmte Familien stellen die Obrigkeit, wobei es
nicht als selbstverständlich gilt, daß diese erblichen Ämter von
Angehörigen des eigenen Stammes bekleidet werden müssen. Im
Norden ist auch freie Wahl ohne Erblichkeit als Ausfluß früherer
Rebellenbewegungen nicht unbekannt; dieses System erlischt aber
zusehends, da innerhalb der birmanischen Verwaltungsgrenzen solche
Organisationen nicht geduldet werden.
Die durch die britische Okkupation geschaffene Sicherung
von Handel und Verkehr hat dem Wohlstande des Volkes, der
sich in erster Linie auf einem gewissen Raubrittertum aufgebaut
hatte, einen argen Stoß versetzt. Die Kachin sind nun, wie die
übrigen Bergvölker, auf den kümmerlichen Ertrag ihrer Bergkul-
turen angewiesen ; in den Ebenen aber können sie sich nicht recht
akklimatisieren. Die Verarmung zeigt sich vor allem in der Ein-
schränkung der großen mit Tänzen und Schlachtopfern verbundenen
Feste (Menau), die von den Häuptlingen alljährlich veranstaltet
wurden und die sich auch bei Hochzeitsfeiern in großer Üppigkeit
entfalteten.
Der Geisterkult bürdet den Kachin lähmende Sorgen auf ; sie rechnen
mit einer Unzahl »Nat''. Das bespötteln die Kachin sogar selbst in launig
gefärbten Geschichtchen. Um die hier einschlägige Erzählung zu ver-
stehen, muß man zuerst ihre Sage ^) über die ihnen von einem göttlichen
Wesen verliehene und zu Verlust gegangene Schrift gehört haben. Als
der große Geist einstmals die Schrift verteilte, gab er sie den Birmanen
und Shan auf einem Palmblatt, den Chinesen und den Europäern auf Pa-
pier, den Kachin auf Pergament. Der Kachin, der das lederne Schrift-
') Unten (Abschnitt VIII) in weiterem Zusammenhang beleuchtet.
100 Geisterkult
Stück unterm Arm forttrug, schwitzte so, daß es ganz durchnäßt
wurde und zum Trocknen über das Feuer gehängt werden mußte.
Da erwischten es die Ratten, verschleppten es in den Reiskorb
und zernagten es. Man meinte den Inhalt der Schrift zu retten,
indem man den Reis einweichte und das Wasser trank. Daher be-
trinkt sich noch heutigentags jeder Dumsa (Priester), bevor er
seine Prophezeiungen beginnt, mit Reisschnaps, um so das Wissen
in sich aufzunehmen.
Als nun der große Geist später wieder alle Volksstämme zu sich
berief, suchten die Shan, Birmanen und die Fremden in ihren
Büchern nach dem Grund der Einberufung und erkannten, daß
es sich um die Verteilung von Gold, Silber und Reichtümern
handeln werde ; sie nahmen darum große Körbe mit. Die Kachin
die keine Bücher mehr hatten, wußten von nichts und rückten
bloß mit ihren kleinen Umhängtaschen an. Natürlich zogen sie mit
karger Ausbeute von dannen und blieben arm, während die andern
mit den ihnen zugeteilten Schätzen ihren Reichtum begründeten.
Bald darauf erfolgte wieder eine Zusammenberufung. Die mit
Büchern versehenen Völker ersahen aus diesen, daß Nat verteilt
werden sollten und versorgten sich mit Blumen, um diese zu
ehren. Die Kachin erwarteten sich wieder Schätze und zogen
diesesmal mit großen Tragkörben aus. Als alle vor dem großen
Geist versammelt waren, gebot er jenen, nach ihrer Heimkehr den
ihnen zugewiesenen Nat die Blumen zu opfern. Den Kachin aber
füllte er die Körbe mit Nat an. Unterwegs ward ihnen die Last
zu beschwerlich, und so ließen sie von Zeit zu Zeit einen Nat
am Wege zurück, brachten aber immerhin die Körbe noch halb-
voll heim. So müssen sie nun nicht allein den Nat daheim, son-
dern auch noch den unterwegs zurückgelassenen, in Wäldern, Fel-
sen, Schluchten und Strömen hausenden Geistern opfern.
Und das merkt ein Jeder, den sein Pfad durch Kachin-Gebiet
führt. An über, den Weg gespannten Seilen sind sternförmige
Bambusgitter aufgehängt, die eine in der Nachbarschaft grassierende
Krankheit oder Viehseuche vom eigenen Dorfe abhalten sollen;
auch an Rastplätzen von Karawanen sieht man die Gitter als
Geisterschutz hängen. (Die Hexenkreuze in der Dachauer Gegend
Südbayerns entsprießen genau dem gleichen Vorstellungskreisel) Bam-
bus-Altäre verschiedener Form stehen an den Wegen im Waldes-
Geisterkult m
dunkel, mit Gräsern geschmückt und mit Bambushülsen für
Reisschnaps, Früchten etc. als Opfer versehen; kleine Schutzhütten
daneben zeigen an, daD hier kürzlich Opferspeisen für eine Fest-
lichkeit bereitet wurden. Hohe Masten ragen in die Lüfte, mit
länglichen, korbähnlichen Geflechten besetzt; in diese werden Hühner
als Opfer gesteckt, die man sich nachher gut schmecken läßt. Am
Dorfeingang sind dreikantige Holzpfosten aufgestellt, schwarz be-
malt mit Darstellungen von Reisähren, Waffen und Frauenschmuck;
alljährlich zur Saatzeit aufgerichtet, wollen sie symbolisch gute Ernte,
Jagdgluck und Reichtum erbitten. Kreuzförmig oder H-förmig ge-
fügte Balkengerüste, mit Büffelschädeln behängt, künden die Stätte
für Bülfelopfer, die bei grSQeren Festen stattßnden. Auch im Hause
fehlt der Geisteraltar nicht, und in dem des Häuptlings ist ein
eigener Raum für den Scbutzgeist der Häuptlinge, den Madai-Nat,
vorgesehen ; hier wird auch der Reisscfanaps destilliert, der für den
Kult sowohl wie als Festgetränk so notwendig ist. Trotzig, wie eine
102 Kleidung und Scbmuck
Festung, nimmt sich solch ein Häuptlingsbaus in den Kachin-Bergen
aus: ein mächtiger, langer Pfostenbau mit vorspringendem spitzen
Frontgiebel, am Eingang umwallt von einer hohen, starken Bambus*
wand.
Die Kachin (Abb. 54) sind kleine, aber sehnige Gestallen mit
breiten Gesichtern, starken Backenknochen und etwas schräg ge-
stellten Augen. Die Nase ist ge-
wöhnlich breit, öfters ganz flach,
zuweilen aber auch hübsch geformt,
mit hohem Nasenrücken. In der Klei-
dung prägen sich auch hier wieder
nur bei den Frauen die Stammes-
unterschiedeaus, die Männer richten
sich nach der birmanischen, chine-
sischen oder Shan -Nachbarschaft.
Das Frauengewand besteht aus einem
aus drei Webebahnen zusammenge-
setzten Stoffstück von 0,60—0,75 m
Breite und 1,60 — 1,70m Länge, das
als Rock um den Leib befestigt und
seitlich übereinander gesteckt wird ;
eine Anzahl Rohrreifen, bei einigen
Stämmen mit Kaurimuscheln be-
setzt, werden als Hüftenringe da-
rüber geschoben. Eine ärmellose,
kurze Jacke mit Kopfschlitz wird
bei der Arbeit oder in kalter Jahres-
zeit als Unterjacke getragen. Zum
vollständigen Anzug gehört weiter die langärmelige, vorn zu schließende
Oberjacke. Die Beine werden durch Wadengamaschen geschützt.
Den Kopf haben die jungen Mädchen unbedeckt, die ringsum
gleichmäßig kurz geschnittenen Haare sind ins Gesicht gekämmt
{vgl. Abb. 54). Die verheirateten Frauen tragen einen hoch aufge-
stellten dunkelblauen Turban. (Abb. 55.)
Beim Schmuck fällt vor allem der Ohrzierrat auf; durch die
Ohrlappen sind lange Silberzylinder gesteckt, aus deren vorderer
öfftiung Fransen aus rotem Wollstoff oder bunten Litzen heraus-
hängen (auch verschiedene Pale-Stämme tragen diese Form); zu-
Kleidung und Schmuck 103
weilen ist statt der Fransen ein quastenförmiges Silbergehänge
eingesetzt. Die Frauen des Nordens, die näher an den von den
Kachin ausgebeuteten Bemsteinminen wohnen, stecken kerzen-
förmige Stangen aus klarem rötlichen Bernstein durch. Durch den
oberen Teil der Ohrmuschel sind Flanellappen gezogen, auf denen
länglich rechteckige Silberplatten mit farbiger Emailauflage befestigt
sind. Den Hals umgeben Silbertorques und Ketten aus Glasperlen^);
die Jacken sind mit silbernen Plättchen, Scheibchen oder Halb-
kugeln besetzt.
Ganz erstaunlich ist der riesige Kunstfleiß, der von den über-
genug mit schwerer Haus- und Feldarbeit bedachten Kachin-
Weibern auf die Ausstattung ihrer Gewänder, Umhängtaschen, Gürtel
u. s. w. verwendet wird. Das gilt hauptsächlich von den östlichen
Gruppen. Der Stolz dieser Kachin-Frauen ist ihr Rock. Selten nur
sieht man noch die einfachen weißen, an den Seitenrändern mit
kupferroter und schwarzer Webmusterung durchzogenen Röcke, die
früher auch die Männer trugen. Rot und schwarz gestreifte Ge-
webe tauchen vereinzelt auf; die weitaus gebräuchlichste Farbe ist
ein dunkles, zuweilen fast schwärzliches Indigoblau, in Abständen
von etwa 6 cm mit feinen hellblauen Linien durchzogen. Die All-
tagsröcke haben nur an den Seiten rändern rot gemusterte Web-
streifen; bei den bessern Röcken aber ist der ganze untere Teil,
oft bis zu zwei Dritteln der Gesamthöhe, mit einer Fülle von ein-
gewirkten Mustern in den lebhaftesten Farben bedeckt. Ebenso
reich durchwirkt sind die Gürtelbänder des Rockes; die ärmellose
Unterjacke aus grobem blauen Baumwolltuch durchzieht ein schmaler
weißer Musterstreifen der vorderen und hinteren Mitte entlang.
Die Oberjacken aus gleichem Stoff werden an Oberärmel und
Schultern mit buntfarbigen Mustern in genauer Nachahmung der
Wirktechnik bestickt; sind sie aber aus europäischen Satin oder
Samt, so werden sie nur mit rotem Flanell, Litzen und getriebenen
Silberplättchen benäht. Auch die Wadenhüllen sind mit den ge-
stickten Wirkmustern bedeckt; häufig sieht man, daß Frauen und
Mädchen sich diese Stickereien zum Basar mitnehmen und daran
in der kargen Zeit, die ihnen nach dem Absatz ihrer zum Markt
geschleppten Last bis zur Heimkehr bleibt, emsig sticheln.
*) O. Hansen, The Kachins (Rangoon 1913), p. 48 erwähnt Perlen aus
versteinertem Holz als besonders geschätzt.
104 Taschen
Mit den Frauenröcken wetteifern in Farbenpracht und Reich-
haltigkeit der Wirkmuster die Umhängtaschen (Abb. 56), die von
beiden Geschlechtern über die linke Schulter gehängt werden
(vgl. die Mädchen auf Abb. 54). Die jungen Burschen haben
daran oft ganze Bündel besonders reich und fein gewebter Schärpen
angeschlungen (Abb. 57); das sind — etwa wie unsere Guitarren-
Kachln-Taseht aus dim Distrikt Bhsmo. i/r ""t- Großi.
bänder — Liebeszeichen von zarter Hand, die mit Stolz getragen
werden.
Zu all dieser feinen Muslerweberei genügt das dürftigste Web-
gerät: ein Bündel Bambusstäbe, auf das die Kette aufgerollt ist,
etliche Schlingstäbe zum Heben ;der Kettfäden für das Grund-
gewebe, ein einfaches, gabelförmiges Schiffchen und ein grobes
Holzmesser zum Festschlagen der Schußfäden. Der ganze Apparat
wird an einem Ende an einem Pfosten befestigt, am andern wird
ein Gürtel aus Kuh- oder Büffelhaut an die Bambusstäbe gehängt,
auf denen das fertige Gewebe aufgerollt wird; diesen Gürtel legt
sich die Weberin rückwärts um die Hüften, und so hält sie, flach
Weberet 105
auf der Erde sitzend und die Füße gegen ein im Boden befestigtes
Holzstiick gestemmt, den Webstuhl in Spannung. Für die bunten
Wirkmuster aber wird jeder Kettfaden mit der linken Hand ge-
hoben und mit den Fingern der rechten der ganz kurze farbige
Faden durchgezogen. AlleWeb-
und Wirkmuster der östlichen i
Kachln sind streng geometrisch; I
einfache und mäandrische Ha-
ken, Rauten und Zickzacklinien
sind die Hauptmotive, und be-
sonders häußg begegnet der Sva- !
siika {das Hakenkreuz). Dergan-
ze Ornamentenschatz verrät die
Beziehung zu den Shan an der
Ostgrenze und in Yünnan; man
vergleiche auf der unserem Auf-
satze „Webmuster der birmani-
schen Kachin, ihre Namen und
ihreStilgrundlagen" (Aufsätze zur
Kultur- und Sprachgeschichte,
Ernst Kuhn gewidmet, Breslau
1 9 1 6)entnommenen Tafel 58 Fig. !
1-28 mit den Shan-Mustern Abbildung 57
Fig. 33—35. Den mannigfachen Kachm-Tasche mil Sabenierral and ang,!chl«ngeiun
Abwandlungsformen legt der scUrp^x ««, dir c^g^rj ™, umo, mdi. shaa-
° Slaauti. <Ij nai, Größe.
Volksmund allerhand, manchmal
recht drastische, Namen bei.') Bei der nordwestlichen Kachin-Gruppe
habendieziemlichkurzen Frauenröcke breite rote undschwarzeStreifen
*) Die „Bankfleld Museum Notes" bringen 1917 eine von Laura E. Start
an der Hand einer von E. S. Scott aufgebrachten Sammlung verfoßte Ab-
handlung „Burmese Textiles from the Shan and Kachin DlstrJcis." Gewand-
stücke von Taungyo, Yanglam (schwarzen Karen), Lahu, Muhsö werden hier
hinsichtlich ihrer Technik sorgfältig beschrieben. Von den geometrischen
Rockmustern der Shan an der chinesischen Grenze und der Kachin ist be-
sonders eingehend die Farbenatellung behandelt. Auch Hkamti-Taschen sind
abgebildet und den Kachin zugeschrieben. In der ethnographischen Glie-
derung Ist manches irrig. So werden p. 15 die Taungyo als „nördlicher
Shan-Stamm, der sich kaum über den südlichen Teil des Myelat (Westen
der südlichen Sban-Staaien) ausdehnt" aufgeführt, p. IS sind die Yanglam
AbbilduDi 58
WiimaiUr itr Kaehia (1-29). der HKamli-Snaa (30-3i) nntf
und yannan-SAan (33 -35).
Webmuster 107
und sind nur an den Rändern mit Wirkarbeit versehen ; über der ärmel-
losen Jacke wird noch eine zweite getragen, die vorn ofiPen ist und bis
über die Hüften reicht; den Kopf deckt ein weißes oder farbiges
Turbantuch ^). Ihnen nahestehende Kachin, die wir am oberen
Chindwin und jenseits der Westgrenze am Dihing in Assam trafen,
waren durch das Zusammenwohnen mit Shan schon wesentlich
zivilisierter; sie hatten Röcke, die bis zu den Füßen reichten,
und nach Art der birmanischen Shan ein Tuch um die Brust gewun-
den ; darüber trugen die Frauen am Chindwin (Abb. 59) nach Shan-
Sitte eine lange offene Jacke; in Assam war diese ganz kurz, wie
bei den auch dort wohnenden Phakial-Shan, einem versprengten
Zweige der Hkamti-Shan. Die Umhängetaschen, die im Hkamti-
Gebiet von den Kachin gebraucht werden, sind, wie wir schon ge-
sehen haben (Abb. 23), in Form und Muster sicher Shan -Gut.
Am klarsten tritt dies in den stilisierten, gegeneinandergewende-
ten Vogelgestalten hervor, die als Füllung der Sechsecke im
Mittelfeld der Tasche verwendet sind (vergl. die Abb. 58,
Fig. 30 — 32). In ihnen erkennen wir das in der religiösen Kunst der
Birmanen und Shan so vielfach abgewandelte Hintha-Motiv, das uns
schon von dem Gewichtssatz her bekannt ist (oben p. 57). Neben
(schwarzen Karen) als ein Stamm der Karenni (roten Karen) genannt.
Mehrere sachliche Erklärungen bedürfen der Berichtigung: Fig. 16 p. 20 ist
keinesfalls ein „ländliches Shan-Frauengewand des Bhamo-Distriktes'^, son-
dern gehört wahrscheinlich einem Yünnan- oder Laos-Stamm. — Der Stickerei-
Streifen Figur 17, p. 21 stammt von einem als „Tamein einer Shan -Frau
der birmanisch -chinesischen Grenze bezeichneten Rock; der Verfasserin
selbst erscheint der Rock wegen seiner Webebreiten und vor allem wegen
des Stiles seiner Stickerei muster, aus dem sie sehr richtig indische Grund-
lagen herausfühlt, als „ungewöhnlicher Typ" für eine Shan-Frau. Er ist ein
Frauenrock der birmanischen Manipuri (s. p. 80 Anm.). — Fig. 25 „Shan-
Kopftuch" (südliche Sban-Staaten) ist wohl ein Taungyo- Frauenturban. Da-
gegen hat der Turban p. 6, Fig. 6 sicher nichts mit den Taungyo zu tun,
er mag einem Karen- oder Pale-Stamm zugehören. Die Bezeichnung „Taung
Hin" zu Fig. 8 beruht wohl auf falscher Lesung der Originalnotiz; das be-
treffende Gewandstück ist den Taungyo zugeschrieben, es könnte aber auch
den Taungthu gehören, die durchweg schwarz tragen. Daß Fig. 26 p. 32
einen Teil eines „Kopftuches einer Shan-Frau der besseren Stände" sein soll,
erscheint schon wegen des Ausmaßes (27X266 cm) unglaubhaft. Dieses würde
viel eher für ein Gürtelband sprechen; nach Farben und Muster denkt man
an Kachin-Herkunft.
^) Diese Einzelheiten nach Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 397.
diesen durch Feinheit der Arbeit, harmonische FarbentBnung und
strenge Geschlossenheit der Mustereinteilung hervortretenden Hkamti-
Taschen, die auch noch durch die kantig geflochtene Tragschnur
auffallen, haben wir in der dem Hkamti- Gebiet nahen Chindwin-
Gegend mehrere Taschen von Kachln erworben, hei denen das
Schema des Musters nur auf der Vorderseite festgehalten ist oder
Abbildung 50
Kachin, Maakkalaak am atirm ChlmwiH.
auch willkürlich und verständnislos aufgelöst erscheint, während
auf der Rückseite die Einzetfiguren — Doppelvogel, Menschen- und
Tiergestalten, Pagoden etc. — in Reihen stehen. Andere vereinen
figürliche Darstellungen mit Rauten-, Kreuz- und Hakenmustem,
wie Abhildung 60; sie entsprechen auch in der Form dem gebräuch-
lichen Schema der Taschen mit den eingesetzten, zu Tragbändem
verlängerten Seitenteilen.
Obwohl also der Musterscbatz, mit dem die Kachln-Frauen arbeiten,
zu großem Teil erborgt ist, muD doch die Gewandtheit in der
Auffassung bewundert werden, mit der sie die Formen weiter aus-
Tagesarbeit 109
gestalten und verwenden, zumal die Last schwerer Arbeit und
sklavischer Gehorsam sonst jede geistige Regsamkeit bei diesen
Frauen unterbinden. Für das Spinnen und Weben bleiben ihnen
nur die Wintermonate von ungeföhr Mitte Dezember bis Ende
März, wenn die Feldarbeit ruht. Mit dem Einsetzen des Frühjahrs
beginnt das Niederbrennen des Bei^dickichts für Feldrodung, das
Aufbacken des Bodens und die
Arbeit der Saat, und ist diese auf* f- - - ^
gegangen, so erfordert sie wäh-
rend der Regenmonate ständige
Aufsicht und Mühe, sodaO beson-
dere Hütten an den Berghängen
über den Feldern errichtet und
von dem arbeitenden Teil der
Familie bewohnt werden. Im Haus
gibt es das ganze Jahr reich-
lich für die Frauen zu tun: das
Reisstampfen ist ein mühsames
Geschäft, das sie mit quieken-
den, summenden Tönen taktmäDig
begleiten. Die Kachin-Frauen ha-
ben sich für diese Arbelt noch keine
Erleichterung geschafft, wie die i
Birmanen, die dazu auch einen i
langen, mit dem FuQ bewegbaren
Holzhammerbenutzen,oderwiedie Abbildung eo
Sban und Palaung, die die Was- ^.t o^e™ ainawin. i;. n«i, Crasw.
serkraft ihrer Bergbäche heran-
ziehen, um einen solchen Stößel automatisch in Bewegung zu
setzen. Kröpfe, die bei den Shan schon keine Seltenheit sind,
fanden wir bei den Kachin-Frauen noch weit häufiger ; ob das Tra-
gen von Lasten mit Stirnbändern die Ursache ist, wie Mrs. Milne,
a. a. O. p. 180 meint, ist fraglich; uns erschien es fast wahrschein-
licher, daß das Hochheben und Niederstoßen des schweren langen
Holzstößels beim Reisstampfen dazu beiträgt. Wassertragen und
Sammeln und Zerkleinern von Holz ist ebenfalls Sache der Frau.
Dazu hat sie noch zu kochen, zu nähen — gewaschen wird selten —
und die Kinder zu versorgen. So manches Mal sahen wir ein
110 Familienleben
Kachin-Weib mit einem Lastkorb auf dem Rücken, einem vorn um-
gehängten Säugling und dazu noch ihre Handspindel drehend ihren
miihsamen Bergweg verfolgen. Der Mann hingegen überarbeitet
sich nicht. Die Ehe wird durch Brautkauf geschlossen, und der
Preis ist ziemlich hoch ; damit hat er sich die Arbeitskraft seines
Weibes erworben und nutzt sie weidlich aus. Auch die Mädchen,
deren Geburt mit geringer Freude begrüßt wird, und die man in
der Kinderzahl meist gar nicht mitnennt, werden schon zeitig im
Kindesalter zur Arbeit herangezogen; sie entbehren alle Jugendfreu-
den und vertauschen oft schon mit fünfzehn, sechzehn Jahren das
harte Leben im Elternhause mit dem Sklavenleben beim Gatten,
als Dienerin seiner Familie, namentlich der Schwiegermutter.
Erst in vorgeschrittenem Alter und als Mutter von etlichen Söhnen
gelangt die Kachin-Frau zu Ansehen und bei genügender Energie
auch zu selbständiger Herrschaft im Hause. Die Kindersterblich-
keit ist groß; wir wunderten uns oft, die langen, geräumigen Häu-
ser in den Dörfern so spärlich bevölkert zu finden. Außerdem
begegnet man überall mißgestalteten, taubstummen, blinden und
blöden Kindern; der Grund ist sicher in der entbehrungsreichen
Lebensweise der Frauen, wahrscheinlich aber auch in dem
ungebundenen Geschlechtsleben vor der Heirat zu suchen.
In jedem Haus ist ein Mädchengemach, wo sich allabendlich
die jungen Leute zur Unterhaltung mit Musik und Gesang
zusammenfinden. Manche Dörfer haben dafür eine eigene Hütte.
Um Mitternacht ungefähr löst sich die Gesellschaft auf und sucht
sich nach Belieben irgendwo Schlafplätze. Dem Verkehr der Ge-
schlechter ist keinerlei Beschränkung auferlegt, auch die Eltern
erblicken darin nichts Unziemliches, sondern nur einen selbstver-
ständlichen Brauch, gegen den man, wenn er auch zuweilen lästig
ist, nicht einschreiten kann. Trotz alledem vermindert ein unehe-
licher Sproß die Heiratschancen, und deshalb muß der Kindsvater
den Eltern einen angemessenen Schadenersatz entrichten. Mit der
Ehe aber ändert sich die Moral; Ehebruch ist ungewöhnlich und
gilt als schwer zu ahndende Verfehlung.^) Ganz ähnliche Aufifas-
*) Vgl. Hansen a. a. O. p. 88f.; von der Archiv f. Anthropologie, N.
F. 14, p. 220 angegebenen Literatur kommt dieses auf langjährige Beobach-
tungen gestützte Buch in erster Linie in Betracht.
Die Chin m
sungen vom Sittenkodex vor und nach der Heirat sind auch den
Chin und Naga geläufig.
VIL
In den Bergländern an Birmas Westgrenze bilden die Chin die
vorherrschende Bevölkerung. Mit diesem birmanischen Wort werden
verschiedene Stämme bezeichnet, die in den gebirgigen Strecken
zwischen Birma und den vorderindischen Provinzen Assam und
Bengalen angesiedelt sind. Die Gesamtgruppe dehnt sich über die
birmanischen Grenzen hinaus, indem sie die Meithei (das sind die
Bewohner von Manipur), Naga und Lushai einschließt; wissen-
schaftlich hat sich für sie die Benennung Kuki-Chin eingebürgert,
die eigentlich aus zwei synonym gebrauchten Wortteilen besteht
und besser durch *Meithei-Chin' ersetzt worden wäre.^) Die Ge-
schichte dieser Tibeto-Birmanen setzt nur für die Meithei in einer
mehr als ein Jahrtausend zurückliegenden Vergangenheit ein; die
übrigen haben wahrscheinlich erst in den letzten Jahrhunderten
ihr Nomadenleben aufgegeben und sich in den Lushai- und Chin
Hills ansäßig gemacht. In letzteren haben die birmanischen Chin
(306 486) ihre Wohnsitze. Unter den einzelnen Stämmen herrscht
große Verschiedenheit im Äußern und eine noch größere in der
Sprache. Die nördlichen Chin bewohnen die mit dem Chindwin
mehr oder weniger parallel laufenden Berge bis zu seiner Mün-
dung in den Irrawaddy ; die zentralen Chin sitzen in den nördlichen
Arakan Hills-Bezirken und den Pakokku Chin Hills, während die
südlichen, mehr zersplitterten und weniger bedeutenden Stämme
sich gegen das Irrawaddy-Delta und das südliche Arakan erstrecken.
Gegenwärtig ist der Wandertrieb der birmanischen Chin nordwärts ge-
richtet, der Zug in die Manipur- und Kachar-Berge ist unverkennbar;
die verlassenen Dörfer werden von nachrückenden südlicheren Stäm-
men eingenommen, und so setzt sich der Schub ganz allmählich fort.^)
^) Eine übersichtliche Darlegung der Grundprobleme bei Sten Konow,
Zur Kenntnis der Kuki-Chinsprachen : Z. d. D. Morgenl. Gesellsch. 56 (1902),
p. 486—517; englisch übernommen in O.A. Grierson, Linguistic Survey
of India III, 3 (Calcutta 1904); hiernach auch Gensus of India, 1911, Vol. IX,
Part I, p. 195 f.
^) Zu den folgenden Ausführungen vgl. namentlich B. S. Garey and H.
N. Tuck, The Ghin Hills (Rangoon 1896).
112 KleidungundSchmuck
In der physischen Erscheinung heben sich besonders die Männer
mit ihren großen kräftigen Gestalten vorteilhaft von den Nachbar-
stämmen ab; ihr langes Haar schlingen sie in einen Knoten, den
manche Stämme oberhalb der Stirn aufdrehen und mit dem Turban
umwinden; andere tragen ihn im Nacken. Die Kleidung beschränkt
sich im allgemeinen auf Lendentuch und Umschlagdecke. Die
Weiblichkeit zeigt keinen Überfluß körperlicher Reize. Die Tracht
ist verschieden; die Sitte, bis an die Hüften nackt zu gehen, die
früher noch bei den Siyin-Frauen üblich war, ist mit der britischen
Okkupation verschwunden. Vom Rock kann man sagen, daß er
immer kürzer wird, je weiter man gegen Norden kommt; es ist
ein glattes, blaues oder schwarzes, beim Haka-Stamm farbig durch-
wirktes Stoffstück, das über einem Unterrock anderthalbmal oder
zweimal um die Hüften gelegt und durch messingne oder eiserne
Gürtelketten festgehalten wird. Darüber tragen die Haka-Frauen
und die der südlichen Stämme die ärmellose Schlitzjacke; bei
andern trifft man die gewöhnliche Ärmeljacke. Großkarierte Stoff-
muster werden im Süden für Männer- und Frauenröcke bevorzugt.
Der Kopf bleibt unbedeckt, das in der Mitte gescheitelte Haar
wird auf dem Hinterkopf in einen Knoten gedreht oder in Zöpfen
geflochten herumgelegt. Armreife aus Metall, namentlich aus Mes-
sing, werden viel getragen, Beinschmuck gibt es nicht, nur die bei
hinterindischen Bergvölkern, so bekannten lackierten Faserschnur-
ringe unterhalb des Knies oder um die Knöchel. Eine Menge von
Ketten deckt den Hals ; sie bestehen hauptsächlich aus Steinperlen
— Karneol ist sehr beliebt und hochbezahlt — , dann auch aus
heimischen Messing- und englischen Glasperlen, Kupfer- und
Silbermünzen. Der Gesamthalsschmuck erreicht oft eih Gewicht
von 5 Pfund, zumal da bei den südlichen Stämmen als Mittelstück
eine große polierte Muschelhälfte^) beliebt ist, die allein fast ein
halbes Pfund wiegt. Die Frauen auf Abb. 61 tragen solchen Schmuck.
Sie gehören zu einer Gruppe von Khongzai Chin (Thado), die uns
im Gehöft des Sawbwa von Hsawng Hsup (Thaungthut) am obern
^)Turbinella pyrum, in Vorderindien besonders heilig und auch unter die
buddhistischen Glückssymbole eingereiht. Vgl. J. H o r n e 1 1 , The chank hangle
industry: its antiquity and present condition: Memoirs of the Asiatic See.
of Bengal 111,7 (Calcutta 1913), p. 407-48; am Schlüsse wird auch der Ge-
brauch von Muschelscheiben als Halsschmuck kurz erwähnt.
Wanderackerbau 113
Chmdwin vorgeführt wurde.') Die Leute waren vor 30 Jahren durch
einen stärkeren Stamm vom Norden der Chin Hills nach Manipur
gedrängt worden und wanderten von da nach den Uferbergen des
oberen Chindwin aus. Ihre Anwesenheit verriet sich bald durch das
Niederbrennen der Wälder für den berüchtigten Vanderackerbau ;
man erblickte vom Chindwin-Ufer hinter Homalin deutlich im Grün
der Berge die kahlen Plätze bei ihren Dorfsiedelungen. Die Ein-
wirkung der Waldverwüstung auf den Wasserstand des Chindwin
Abbildung 61
KhaiiKzal-Ckln von dm wtsiL Grrnibtrgen des cttren Cliindwin.
konnten wir selbst mitverfolgen — schon bald nach Beginn der
trockenen Jahreszeit haben die Schiffe mit dem seichten Fahrwasser
zu kämpfen; unser kleiner, flach gebauter Regierungsdampfer blieb
') Vgl. R. Grant Brown, Burma Gazetieer. Upper Chindwin District. Vol.
A (Rangoon 1913), p. 22 f., wo dieselbe Gruppe wie unsere Abb. 61 nach
einer Aufnahme auf unserer gemeinsamen Tour phoiographiert ist. Zum
Namen s. aucb K o n o w a. a. O. p. 487 oben.
114 Rauchen
auf der Anfangs Februar begonneoen Fahrt wiederholt auf den
Sandbänken stecken; des öfteren sahen wir eines der schönen
birmanischen Chindwin-Boote trübselig inmitten des Flusses auf Sand
liegen — man musste bis zum Eintritt der Regenzeit warten, um
es flott zu kriegen.
Das Rauchen ist bei den Chin durchweg gebräuchlich, merk-
würdigerweise aber weit intensiver bei den Frauen als bei den
Männern. Erstere rauchen unaufhörlich ihre Wasserpfeife (Abb. 62),
jedoch nicht ausschließlich des Genasses wegen, sondern um die
Männer mit dem beliebten Nikotin-Wasser zu versorgen. Der ur-
nenförmige Tonkopf sitzt auf einem Wasserbehälter aus Bambus,
in den das kurze Pfeifenrohr mündet. Ist das Wasser durch den
hindurchziehenden Tabakrauch genügend mit Nikotin gesättigt, so
wird es in eine Kürbisflasche entleert, die die Frauen ständig bei
sich tragen, und aus ihr füllen die Männer ihre oft hübsch verzierten
Sitten und Bräuche 115
Nikotin-Kürbisse. Das Wasser trinken sie nicht, sondern behalten
es nur eine Zeitlang im Mund, um es dann wieder auszuspucken —
es dient also dem gleichen Zwecke, wie anderwärts das Tabakkauen,
bei dem das Nikotin in fester Form in den Mund gelangt und
ausgequetscht wird.
Bei den südlichen, die Pakokku Chin-Hills bewohnenden Stämmen
der Chinbok, Chinbon und Yindu') herrscht der Brauch, die Ge-
sichter der Frauen mit Tatauierungen zu überziehen; die Proze-
dur beginnt schon im Kindesalter und zieht sich oft eine Reihe
von Jahren dahin; die Muster wechseln je nach der Stammessitte.
Die Yindu-Frauen haben horizontale Linien quer übers Gesicht ge-
zogen; bei den Chinbok- Frauen sind Punkte, Linien und Tupfen
zu einem bestimmten Muster zusammengesetzt; auch die Brüste
sind mit einem Tupfenkreis umgeben; die Chinbon-Frauen sind
am abschreckendsten durch einen tiefschwarzen Überzug entstellt.
Man weiss nichts über den Ursprung dieser Sitte, die bei den andern
Chin fehlt; man glaubt, da sie nur den den Birmanen zunächst
wohnenden Stämmen eigen ist, daß sie dem Frauenraub durch
Birmanen vorbeugen oder ein Mittel zur leichten Auffindung ent-
führter Frauen sein sollte.
Die zivilisierteren südlichen Chin haben bereits zur birmanischen
Gewandung gegriffen ; bei den unzivilisierten aber ist die Kleidung
recht spärlich. Die Chinbok-Frauen tragen unter ihrer ärmellosen
Schlitzjacke ein Röckchen, das kaum 20 cm breit unter ihr vor-
guckt und eigentlich nur ein Lendentuch genannt werden kann.
Die Chin sind starke Alkoholiker und zwar schon in früher Jugend,
erreichen aber trotzdem ein hohes Alter. Aus Hirse, Mais oder
(seltener) Reis, je nach den vorhandenen Agrarprodukten, wird
Schnaps gebraut, dem namentlich bei Hochzeitsfeiern eifrig zuge-
sprochen wird«
Heiraten werden gewöhnlich durch die Eltern des jungen Mannes
bestimmt. Ausschlaggebend ist die Arbeitstüchtigkeit des Mädchens;
dadurch wird sie zur guten Partie gestempelt. Aussehen und Vor-
leben sind nebensächlich, und auch von Mitgift ist keine Rede. Die
') Ober eine dem Münchener Museum für Völkerkunde von Mr. N. Nepean
geschenkte Sammlung aus diesem Gebiete ist ein illustrierter Bericht unter
Benutzung der einschlägigen Literatur im Münchner Jahrbuch der bildenden
Kunst 1913, p. 315—8 veröffentlicht.
116 Die Naga
Eltern erzielen im Gegenteil für kräftige Töchter einen hohen Preis
von dem Bräutigam. Bei einigen Stämmen des Nordens herrscht
die gleiche geschlechtliche Ungebundenheit vor der Ehe wie bei
den Kachin. Uneheliche Kinder aber scheut man; die Mädchen ge-
brauchen Abortivmittel.
VIII.
Die mit den Chin am häufigsten zusammen genannten Naga führen
uns bereits nach Manipur und in das eigentliche Assam; einzelne
Trupps von ihnen dringen jedoch über die Gebirgskette ins Tal
des Chindwin vor. Hier siedeln sie sich an oder mischen sich als
Kuli Arbeit suchend mit der Bevölkerung der Uferorte; da und
dort gründen sie aber auch im Bereiche der birmanischen Verwal-
tung eigene Dorfgemeinschaften.^) Die stete Hilfsbereitschaft des
damaligen Deputy-Commissioner des Upper Chindwin-Distrikts, Mr.
Grant Brown, eines ausgezeichneten Kenners von Land und
Leuten, bot uns die sehr erwünschte Möglichkeit, in diese dem ge-
wöhnlichen Verkehr weit entrückten Dörfer einen Einblick zu tun.
Später stießen wir in Dimapur (Assam) nochmals auf eine Gruppe
von Naga (hauptsächlich Tangkhul); sie kamen frisch aus ihren
Dörfern im Naga Hills-Distrikt und waren als Träger für das bri-
tische Militär zu einem Straffeldzug gegen die Abor angeworben
worden; durch ihre Ausdauer im schwierigsten Dschungelgelände
und durch ihr munteres, drolliges Wesen haben sie sich viele
Freunde gewonnen. Freilich geben andererseits die in alter Wild-
heit lebenden Naga -Stämme, die zwar innerhalb der politischen
Grenzen Birmas, aber außerhalb der derzeitigen Verwaltungszone
hausen, mitunter Anlaß zu Beschwerden.
Von Natur sind die Naga -- Etymologie und Bedeutung des
Namens harren noch immer zweifelsfreier Klärung^) — ein kampf-
lustiges Volk. Ihr kriegerischer Schmuck und die reichliche Ver-
wendung von rot- und weißgefärbten Ziegen- und schwarzen
Menschenhaaren, Muscheln, Büffelhom und Messingscheiben ist
zu einem phantastischen^ farbenfreudigen Aufputz zusammen-
^) Diese birmanischen Naga sind im Census 1911 nicht zahlenmäßig be-
rücksichtigt; Vol. IX, Burma, Part I (Rangoon 1912), p. 270 nennt sie nur
als „Chins unspecified''.
^) Vgl.J. H. Hutton, The Angami Nagas (London 1921), p. 5.
Schriftsage 117
gestimmt. Die Männer tragen zumeist das Haar rings um Stirn und
Nacken kranzförmig zugeschnitten; bei einigen Manipur-Stämmen
sieht man auch den über der Stirn aufgedrehten Haarknoten, durch
den, wie bei vielen Chin, pfeilartige Eisennadeln gesteckt sind. In
solcher Haartracht erscheinen z. B. die Maring-Naga, von denen
sich eine Anzahl im Staate Thaungthut niedergelassen hat, und
merkwürdigerweise bringen sie eben jenen Haarpfeil mit einer
Sage über den Verlust ihrer Schriftkenntnis in Verbindung. Es war
einmal — so etwa lautete die uns mitgeteilte Überlieferung^) —
ein Gott; der starb, und das Volk suchte nach einer von ihm
hinterlassenen Schrift, die, wie es hieß, auf einer Tierhaut nieder-
geschrieben sei. Sie war aber nicht zu finden, denn das Tier war
inzwischen von Hunden gefressen worden. Nur das Schreibgerät
war übrig geblieben: der spitze Eisenpfeil, wie er jetzt zum Haar-
schmuck dient. Aber schreiben kann heutzutage kein Maring.
Wir haben oben (p. 99) gehört, wie auch die Kachin sich rühmen, ein
göttliches Wesen habe ihnen einstmals die Schrift verliehen; die Be-
gebenheiten, die ihren Verlust verschuldet haben, werden ganz ähnlich
geschildert. Nur haben die Kachin Reste des zur Schrift verwen-
deten Pergaments ihrem Magen zuzuführen gewußt und damit ge-
wissermaßen ein heiliges Wissen „verinnerlicht". In der Version,
wie sie H. F. Hertz, A practical handbook of the Kachin or Ching-
paw language (Rangoon 1902) p. 151 (vgl. p. 52; 156) mitteilt, fehlt so-
gar der Umweg über die Ratten; sie besagt nur, die Kachin hätten
das von den Nat erhaltene Pergament mit der Schrift, weil ihnen
die Nahrung auf dem Heimweg ausging, gekocht und verzehrt.
Unsere Maring-Sage hat auch T. C. Hodson, The Näga tribes of
Manipur (London' 1911), p. 29 f. aufgezeichnet; hier sind es sieben
Familien, die Rohrfedern und Lederhäute zum Schreiben von der
Gottheit erhalten haben. Hunde fressen das Leder, die Federn ver-
derben oder gehen verloren, und als Andenken an sie wird der
Haarpfeil getragen. Hodson fügt hinzu, daß diese Sage weit ver-
breitet sei.^) Er geht nicht näher auf den Verbreitungsweg ein, und
L. Scherman, Völkerkundl. Notizen aus Oberbirma. I. Die Maring:
Sitzungsberichte d. Bayer. Akad. der Wissensch., Phil.-hist. Kl. 1911, 9, p. 6f.
*) Ähnlich Hutton a. a. O. p. 291, wo auch die Vertrautheit der Abor mit
unserer Erzählung unter Berufung auf Sir G. Duff Sutherland Dun bar kurz
erwähnt wird. Hanson, der die Kachin-Sage ausführlich wiedergibt (a. a. O.,
8
118 Schriftsage
darum verlohnt es, hier darauf hinzuweisen, daß dieser südwärts
bis nach Borneo führt. Wie lesen bei A. R. H e i n , Die bildenden
Künste bei denDayaks auf Borneo (Wien 1890), p. 25 f.: „Von der
Sinthflut glauben sie, daß ein Drache sie veranlaßt habe, der die
Reisfelder der ganzen Gegend verwüstet und den man dafür ge-
tötet hatte. Als man nämlich das Fleisch des seltsamen Ungeheuers
in Bamburöhren kochte, ertönten Geisterstimmen daraus hervor,
welche die Wolken des Himmels zusammenriefen und den unend-
lichen. Alles vertilgenden Regen auf die Erde herabbeschworen.
In der Panik, welche durch das plötzliche Hervorbrechen und durch
das schnelle Anwachsen der Gewässer entstand, nahmen die Flie-
henden als ihren kostbarsten Schatz auch die Bücher mit sich, die
sie besaßen. Die Einen, die Malayen, banden sich dieselben an
Haupt und Schultern fest, während die Anderen, die Dayaks, sich
die Lenden damit umgürteten. Während des Watens und Schwim-
mens wurden nun die Bücher der letzteren naß und verdarben,
und damit ist den Dayaks die Kenntnis der Schrift für immer ver-
loren gegangen. "Those who saved their books from the waters
were the ancestors of the Malays and other nations who possess a
knowledge of letters". (Reverend E. Dünn, The Dyaks of Sarawak^
Borneo, Journal of the Manchester geographical society, vol. III,
1887, p. 223/224.)"
Hiezu stelle man H. Ling Roth, The Natives of Sarawak and
British North Borneo II (New York 1896),p.CLXI f.^): „Ethnographical
Notes by Dr. Schwan er, translated from his work on "Borneo":
The natives do not possess an aiphabet, but they are acquainted
with the existence of letters among other nations. According to
their traditions, the Creator, having given a language to mankind,
had assembled the oldest men of the different nations, in order to
communicate the use of letters to them. All of them did receive
such writing-signs, but the representatives of Borneo swallowed
them, so that they are united with the body and changed into me-
mory. The descendants have therefore their history, their laws,
their agreements, etc.,printed in their heartsasimmutably and surely
p. 116 f.), beruft sich auf eine ähnliche Überlieferung der Karen; hierzu vgl.
A. R. McMahon, The Karens (London 1876), p. 72 f.; 77 f.
^) Dieser Passus führt die Bemerkungen auf p. 292 weiter aus, wo im
Zitat aus Kern, Intern. Archiv f. Ethnogr. IX statt XI zu lesen ist.
Schriftsage 119
as other peoples have put them in writing in their books, but at
the same time more Hvely, active, and accessible, for every one
is now well acquainted with the history of his tribe, knows the
legends of his gods and heroes, their influence on man, their in-
structions, etc., without the necessity of possessing or studying
books, and without fear of forgetting his readings. Indeed, the me-
mory of the natives is admirable, and their traditions bear the
aspect of great general agreement."*)
Was hier von der Wohlbekömmlichkeit der verschluckten Schrift-
zeichen und der heilsamen Folge dieses Prozesses verlautet, ist
nichts anderes als die logische Ausführung des am Schlüsse der
Kachin-Erzählung ausgesprochenen Gedankens, daß der mit den
heiligen Pergamentfetzen destillierte Reisschnaps übermenschliches
Wissen verleihe!
Soweit wäre der Wanderweg der Sage vom Schriftverlust noch
nichts besonders Auffallendes. Zu denken gibt jedoch eine Notiz
in Alberunis India (Ausgabe v. E. C. S ach au, London 1910, I,
p. 171 f.): 'As to the writing or aiphabet of the Hindus, we have
already mentioned that it once had been lost and forgotten; that
nobody cared for it, and that in consequence people became illi-
terate, sunken into gross ignorance, and entirely estranged from
science. But then Vyäsa, the son of Paräsara, rediscovered their
aiphabet of fifty letters by an Inspiration of God.'
Also dieselbe Überlieferung vom i n d i s c h e n Alphabet, berichtet
von einem Reisenden des 11. Jahrhunderts! Wo er sich sonst über
die Sache äußert, ist trotz der Worte 'already mentioned' nicht
ersichtlich. Haben wir die gemeinsame Quelle in Manipur — Assam
schlägt ja die Brücke zwischen Vorder- und Hinterindien — zu
suchen, und halten wir bei einem Punkte jener weitverästelten, in
manchen Intervallen sich annoch im Dunkel verlierenden Ver-
bindungslinie zwischen Indien und der malaiischen Inselwelt?
Schließlich eine allgemeine Frage: Können wir diese Erzählung
— oder wenigstens ihren Prototyp — psychologisch werten, ver-
mögen wir einen kulturhistorisch nutzbaren Untergrund bloszu-
*) C. A. L. M. Schwaner, 1817 in Mannheim geboren, 1851 in Batavia
gestorben, reiste 1843—47 auf Borneo. Das Werk ist holländisch in Amster-
dam 1853/4 erschienen.
120 Schriftsage
legen? Auf den ersten Blick dünkt uns die Lösung einfach: wir
meinen die Einkleidung des Verlustes eines der wichtigsten Bil-
dungsmittel, wie es die Schrift ist, die nur Götter oder Über-
menschen erfunden haben können, in die Form volkstümlich-legen-
därer Schilderung zu erkennen. Ist jedoch ein solcher kultureller
Degenerationsprozeß, der ja zweifelsfrei da und dort aufzeigbar
ist, ^) für unsern Fall sonderlich naheliegend, und klingt es nicht
wahrscheinlicher, daß Verkehrsbeziehungen zu einem Volke mit
buchmäßig gesicherter „literarischer^ Überlieferung in jenen
Stämmen, die auf ein derartiges Erbteil nicht pochen konnten,
den Wunsch nach einer Erklärung dieser ungleichen Zuteilung^)
idealer Güter wachriefen? Ja sogar die Absicht des witzigen Ein-
schlags, wie er aus der ergötzlichen Persiflage des priesterlichen
Rauschtranks in der Kachin-Schnurre (oben p. 99) hervorlugt, 3) ist
recht wohl denkbar; die alteingeführte Sitte der Märkte (jetzt ist
in Oberbirma der Basar-Turnus gewöhnlich fünftägig) ebnete sicher-
lich der wandernden Anekdote den Weg.
Auch eine dritte Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, daß näm-
lich die Sage, in den Hauptzügen gleichlautend, sich von Volk zu
Volk fortpflanzte, daß aber die ursprünglichen Motive hier so, dort
anders gelagert waren. Das Weben der Volkssage vollzieht sich
nach Gesetzen, die wir nie bis zum Grunde durchschauen werden.
^) Vgl. das Material aus Assams Geschichte bei v. Heine-Geldern,
a. a. 0. 47, p. 34. Ein Schulbeispiel für das Abwärtsgleiten geistiger Bildung
liefert Korea, von dem die große Welt kaum mehr ahnt, daß es einst für
Japan und China der Lehrmeister und Mitarbeiter in den schönen Künsten
gewesen ist.
^) Die Version der Angami-Naga bei Hutton a.a.O. p. 291 stellt direkt
die Berg-Naga und die Bewohner der Assam- Ebene einander gegenüber;
letztere bewahrten die göttlichen Aufzeichnungen auf Stein und Papier, erstere
auf Fellen, denen, weil sie eßbar waren, kein langer Bestand beschieden war.
^ Wieder zum Ernst geglättet in der von Schwaner oben mitgeteilten
Borneo-Fassung. Auch Hanson, a. a. O. p. 116, hält es für ungeklärt, ob
die Kachin das Pergament aus Hunger verzehrten oder weil sie dies als
beste Art der Bewahrung ansahen: die Priester und Erzähler bewahren
seitdem den Inhalt in ihrem Magen, d.i. im Gedächtnis und verkünden
hieraus bei großen Festen die authentischen Überlieferungen. — Wer denkt
hierbei nicht an die durch Jahrtausende betätigte mündliche Weitergabe des
indischen Veda!
Eine Naga-Siedelung 12£
Was die Naga an Kleidung besitzen, ist wenig (Abb. 63). Eine
schmale Lendenbinde, bei manchen Stämmen ein kurzes Lenden-
tuch, zuweilen auch eine ärmellose Jacke, dazu bei Kälte eine
große Umschlagdecke ist die Män-
nertracht. Die Frauen haben ein
kurzes Hfiftenröckchen und in
größerer Nähe des Verkehrs eine
Jacke oder ein Tuch; ältere Per-
sonen umhüllen den Oberkörper
meist mit einem großen Um-
schlagtuch.
Eine noch getreu den ererbten
Gewohnheitenentsprechende Naga-
Siedelung besuchten wir an der Ein-
mündungdesNantaleikin denChind-
win ; es waren von den hohenGrenz-
bergen zugewanderte Sengkadong-
Naga. Pfosten, mit allerhand Ge-
brauchsgegenstSnden,Schmuckund
Eßwaren als Opfergaben behängt,
standen am Eingang des das Dorf
umgebenden Bambuszaunes — die
üblichen Zeugen des Geisterkults.
Die Häuser bildeten, in einer Dop-
pelreihe aufgestellt, eine leicht ge-
krümmte Straße. Große Bambus-
masten waren als Trophäen auf-
gerichtet zum Gedächtnis einer Abbildung 63
, „ ^ , ,. SingkiuUmg, Naga-Dorf Htliaam am WislafT
Siegreich verlaufenen Strafexpedi- at> »b. CMndmin.
tion der britischen Behörden, die
die Zerstörung eines benachbarten Sengkadong-Naga-Dorfes und
die Ermordung mehrerer Bewohner durch einen fremden Naga-
Stamm, die Makware nördlich vom Saramati, dem höchsten Gipfel
Birmas, gesühnt hatte. Einheimische Sitte hätte die Aufpflanzung
der erbeuteten Feindesschädel geheischt; statt ihrer begnügte man
sich damit, symbolisch Kürbisse auf eine Stange zu stecken,')
') Vgl. hierzu v. Heine-Geldern a.a.O. 47, p, 17-19.
122 Eine Naga-Siedelung
Die Weiber waren mit Reisstampfen beschäftigt, meist kleine
Gestalten von ziemlich stumpfem Gesichtsausdruck — ganz im
Gegensatz zu den intelligenten und heiter dreinblickenden Phy-
siognomien der Männer. Bei den Mädchen hing das Haar gescheitelt
AbbiiduDS 64
Sentkadang-Naga-Mädcha, Heltiiunt,
in Strähnen auf die Schulter, ein langes, blau und rot gemustertes
Röckchen umgab die Hüften, der Oberkörper war unbekleidet und
ließ die Tatauierung an Brust und Oberarm sehen ; auch die Waden
waren damit geschmückt, gerade und schräg gekreuzte Linien bil-
deten die Ornamente. (Abb. 64.)
Die Lishaw 123
In der Einschätzung der Halsketten aus Karneolperlen und bezüg-
lich der Armreife gilt das vorher von den Chin Gesagte ; auch die
Rauchsitten schließen sich hier an.^) Die Stellung der Frauen, ihre
Arbeitspflichten, die Heiratsbräuche und der ungehinderte Verkehr
der Geschlechter vor der Heirat unterscheiden sich nicht erheblich
von den Kachin-Bräuchen. Auf Reinlichkeit im Hause ist der Ehr-
geiz nicht gerichtet; die Reishülsen bleiben im vorderen Räume
liegen, und Schweine und Hühner treiben sich vergnügt darin herum.
Hingegen hält man sehr auf Exaktheit bei der Weberei, die in den
von der Haushalt- und Feldarbeit abgesparten Stunden fleißig betrie-
ben wird« Zwischen die Streifenmuster sind zuweilen feine Rauten-
und Kreuzornamente verteilt. Bei den Frauen der Tangkhul-Naga
kann man geradezu von einer Textilindustrie sprechen ; sechs Dörfer
haben sich so darauf eingerichtet, daß sie ihre Mädchen vom Hei-
raten in andere Gemeinden, die diese Gewerbe nicht ausüben,
abhalten, um sich den Vorrang zu sichern.^)
IX.
Wie im Westen die Naga ins birmanische Gebiet herüberdrängen,
so überschreitet im Osten ein anderes tibeto-birmanisches Volk,
die Lishaw, die Grenzen. Ihre Hauptsiedelungen liegen am Sal-
ween; in den unwirtlichen Hochtälern seines Oberlaufes hausen
abgeschlossen die unabhängigen, sogenannten schwarzen Lishaw,
die ihr von Stammesfehden und Raubzügen ausgefülltes Leben
unbehindert fortführen. Wissenschaftlich ist noch wenig über sie
erkundet; zwei deutsche Forscher, Brunhuber und Schmitz, fan-
den dort 1909 ein gewaltsames Ende. Bei den südlicher wohnen-
den Lishaw haben sich chinesische Kultureinflüsse fühlbar gemacht.
Von Yünnan aus haben sich Lishaw in die östlichen Distrikte
von Birma verbreitet;^) 1911 ist ihre Zahl mit 8487 angegeben.
In den Bezirken Myitkyina und Bhamo sind sie als Yawyin bekannt;
diese Namen legen ihnen die Kachln bei. Er könnte leicht zu einer
^) Hodson a. a. O. p. 33; 61.
^ Hodson a. a. O. p. 47. Ober die Maring-Kleidung gibt die oben p. 117
zitierte Abhandlung p. 10 f. mit Illustrationen Aufschluß; vgl. auch die Ta-
feln 3 und 14 in Grant Browns Gazetteer.
^ Näheres: Arch. f. Anthropologie, N. F. 14, p. 212 f. mit den erforder-
lichen Literaturangaben.
124 Ein Lishaw-Dorf
irreführenden Verwechslung mit den Yao-Stämmen führen, von
denen einige Gruppen über die Yünnan-Grenze in den südlichen
Shan-Staat Kengtung gewandert sind ; unter den verschiedenen auf
sie angewendeten Namen ist ebenfalls die Bezeichnung Yawyin.
Die Lishaw sind ein Bergvolk, das die übliche Art des Wander-
ackerbaues betreibt und auch Schweine hält. Ihre Religion ist eine
Mischung von Ahnen- und Geisterkult; in der Kultur sind sie
von den Chinesen ihrer Umgebung beeinflußt, mit denen sie auch
Heiraten eingehen. Die Ehen werden durch einen Vermittler ein-
geleitet, der Bräutigam hat den Brauteltern eine Kaufsumme zu
entrichten. Der Preis der Braut entspricht der Summe, die für
ihre Mutter einstmals bezahlt wurde und der in der Familien-
tradition bewahrt wird. Die sexuelle Moral steht wesentlich höher
als bei den Kachin.
Ein isoliertes Lishaw-Dorf, Pangsapyi, trafen wir auf dem Weg
nach Namhsan; es lag 16 Kilometer von der Hauptstadt des Shan-
Staates Hsipaw entfernt und war ehedem eine Palaung-Siedelung
gewesen, von der aber kein Haus mehr stand. Die 89 Bewohner
waren zur Zeit unseres Besuches (Juni 1911) erst ein halbes Jahr
dort; aus ihren früheren, etwas nördlich gelegenen Wohnungen
waren sie von der Regierung wegen ihres den Waldbestand schä-
digenden Wanderackerbaues nach Pangsapyi verwiesen worden,
bauten etwas Tee auf dem ihnen zugeteilten Grund und arbei-
teten als Kuli in den Teepflanzungen der Palaung. Die Behau-
sungen und die Bewohner machten einen höchst ärmlichen Ein-
druck; ihrer Überlieferung nach sind ihre Vorfahren vor 200 Jahren
aus China eingewandert. Die Männer sind kräftige Gestalten, die
Frauen hübsch, mit regelmäßigen Gesichtszügen ohne Schrägstel-
lung der Augen. In Hausbau, Sitten und Tracht verraten sich noch
die Beziehungen zur Provinz Yünnan. Das grobe dunkelblaue Baum-
wolltuch für ihre Gewandung kaufen sie von chinesischen Hau-
sierern. Bei unserem Besuch sahen alle ziemlich abgerissen aus,,
ihre Verarmung gestattete ihnen keinen Feststaat. . Die Männer
kleideten sich wie die Yünnan-Shan : dunkelblaue Hose, Jacke und
Turban. Die ebenfalls blaue Frauengewandung ist gefälliger : ein
tunika-artiges, von einem Gürtel umspanntes Obergewand deckt
den Rock bis zu den Knieen, die Beine umhüllen Wadengamaschen.
Farbige Stoffauflagen an den Ärmeln belebten bei einigen die dunkle
Ein Lishaw-Dorf 125
Gewandfarbe; es fehlte auch nicht an Silberschmuck; am Steh-
kragen und an der Brust des Obergewandes waren silberne Hals-
kugeln und viereckige Scheibeben als Zierrat aufgenäht; die sil-
bernen Ohrringe waren unterm Kinn durch dünne Glasperlketten
verbunden, um den Hals hatten einige die auch bei Palaung und
Kachin üblichen Silbertorques. Ein dunkelblauer Turban umschlang
den Kopf; das Haar war in einen losen Knoten gedreht oder in
einem Zopf geflochten ; bei alten Frauen war es geschoren. Es fiel
uns auf, daO etliche Männer und Kinder am Jackenrücken einen,
bisweilen zwei Flecke aus weißem groben Stoff aufgesetzt hatten;
dies soll nach dem uns gewordenen Bescheid ein Amulett bei
Erkrankung, Fieber etc. sein, das der Patient noch einige Wochen
nach der Genesung trägt.
Das ursprüngliche Lishaw-Frauengewand, bestehend aus Kittel,
126 „Blumige*^ Li Shaw
grobem Rock, Wadengamaschen und einem mit Silber oder Kauri
verzierten Kopftuch, sieht man noch am obern Salween. Sonst
aber haben sich unter den einzelnen Stämmen Verschiedenheiten
herausgebildet; fast jeder hat seine eigene Frauentracht. Die leb-
hafteste Farbenstellung sieht man bei den Frauen der Hua (=blumig)
Lishaw; der Name spielt jedenfalls auf ihre bunte Frauenkleidung
an. Wir konnten im Basar von Namhkam eine Anzahl Lishaw-
Mädchen, die sich im schönsten Feststaat dort eingefunden hatten,
photographieren (Abb. 65). Ganz leicht ging es zwar nicht; als sie
unsere Absicht merkten, unterbrachen sie ihre Einkäufe und ent-
flohen — wir hatten eine regelrechte Jagd auf sie zu eröffnen und
konnten sie schließlich, in eine Ecke eng zusammengedrängt, in der
Rückansicht auf die Platte bringen. Nach langem Zureden von
Mittelspersonen gelang es, sie zum Umwenden und Stehenbleiben
zu bewegen, und dann reichte ihre Geduld sogar noch für eine
tadellose Lumi^re-Aufnahme.
Die Gewandung war aus hell- und dunkelblauem Baumwollstoff;
das über Hosen getragene Oberkleid reichte rückwärts bis über die
Waden, vorn war es kürzer und von einer Doppelschürze gedeckt,
von der die Beiden neben dem mittleren Mädchen die obere Hälfte
zurückgesteckt haben. Breite rote Flanellstreifen schmückten die
Ärmel. Von der Schürze fällt rückwärts eine lange, breite, ver-
zierte Stoffschärpe nieder. Der Gürtel endigt seitlich in lange, mit
Kaurimuscheln verzierte Quasten, über denen die sorgfältig in ein
sauberes Tüchlein gehüllte Betelbüchse befestigt war. Silberne
Schließen sicherten den Jackenschluß; der Stehkragen war rings-
um mit Silbergehängen besetzt. Das schwarze Haar war in einen
mit Münzen durchflochtenen Zopf vereinigt und bei einigen Mäd-
chen wie ein Zierrat über den blauen, in bunte Fransen endi-
genden Turban gelegt. In Gesichtsschnitt und Körperbau waren
sie robustere Erscheinungen, als die Frauen des Lishaw-Dorfes bei
Hsipaw; Behäbigkeit und bessere Lebensführung sprach wie aus
ihrer Kleidung, so auch aus ihren frischen Gesichtern.
X.
Dem Leser, der uns geduldig gefolgt ist, hoffen wir in Wort
und Bild, soviel sich auch daran erweitern und vertiefen ließe»
eine Völkerschaü eröffnet zu haben, die ihm das Auge schärft für
Kulturübergänge 127
die Bewertung sinnfälliger Merkmale der Kulturentwicklung in
jenen Landen zwischen Indien, Tibet, China und Siam. Aus der
Erinnerung, die in einem Rundblick die vielen Gesichter zu sam-
meln strebt, beschwören wir zwei, so dünkt uns, einander völlig
wesensfremde Gestalten herauf. Zuerst: die in leuchtender Seide
anmutig dahinschreitende lebenskluge Birmanin — sie zieht in
Rangoon oder Mandalay hinaus, dem Buddha-Priester, der ihren
Mann schreiben und lesen gelehrt hat, die letzte Ehre zu erweisen
und mit anzuschauen, wie seine Feuerbestattung sich inmitten eines
pomphaften Jahrmarktrummels vollzieht, dem das Grammophon mit
den abgedroschensten „Schlagern" zur Weihe jüngsteuropäischer
Zivilisation verhilft. Und dann: Hinten im Bergesdickicht, wohin
kein Eisenbahnpfiff, kein Ruderschlag schallt, kein knarrendes Ochsen-
gefährt den Weg sichtet, ein Naga-Weib, notdürftig gekleidet und den
stumpfen Sinn, den nur der Geisterkult in leise Wallung setzt, auf die
Alltagsarbeit eingestellt; die schweren Wassereimeram Rücken,ächzt es
zu der mit Büffelschädeln behängten ebenerdigen Bambushütte hinauf.
Welten dehnen sich zwischen diesen beiden britischen Untertanen
des birmanischen Reiches. Aber keine abgrundtiefen Klüfte trennen sie
von einander. Schritt für Schritt tastend, findet man Übergänge, wenn
man wachen Blicks dem beinahe kinematographisch zu beobachten-
den Wechsel folgt, wie er sich draußen an den Rändern der ver-
schiedenen Stammeskulturen abspielt. Da vertauscht die Chin-
oder Naga- Familie, um leichteren Unterhalt zu erarbeiten, die hei-
matlichen Höhenwaldungen mit Winkeln im nordwestlichen Irra-
waddy-Stromgebiet ; sie knüpft nachbarliche Beziehungen zu K a c h i n
und Shan, und die heranwachsende Jugend übernimmt von ihnen
gefügig Sprache und Kleidung. Nicht gar lange, und man gewinnt
Fühlung mit der birmanischen Ein- und Umwohnerschaft —
das ersehnte Niveau ist erreicht, und Verstand und Gemüt werden auf-
nahmsfähig für den wohlig empfundenen Anprallder mächtigen Kultur-
wellen vom indischen Westen und vom chinesischen Osten.
So führt der Weg allgemach in die Vorhöfe der Heiligtümer an
den Wallfahrtorten des pagodenbesäten Birma • . • und das mild-
lächelnde 'Buddhabild senkt mit seinem flimmernden Glanz
Demut und sinnende Ruhe in die Herzen der neuen Verehrer-
schar, in der ein Ahnen aufdämmert von irdischer Selbst-
bezwingung und gottähnlichem Menschentum.
Kartenekizte mit Angabe der wichtl|SMn im Text genaoniea
Stimme. Die Unterstreichung kennzeichnet die Haustypeo:
PfoslCDhaus EiMnerdiges Haus
■ ;_^j^_^ Beide Typen Im Gebrauch
(Aus Scherman, Archiv t. Anthropoloeie 14 (1915), p. 204.)
Frauengesänge 129
ANHANG
FRAUENGESÄNGE AUS BIRMA
I
Von Privatdozent Dr. Kurt Huber (München).
(S. oben p. 59 und 77.)
Die beiden Gesänge, die aus der reichen Scherman'schen Pho-
nogrammsammlung als Proben des birmanischen Frauenlieds in Über-
tragung mitgeteilt werden, gehören verschiedenen Liedkategorien an.
Das reizvolle Reisstampflied der Shan ist ein frischer, volkstüm-
licher Arbeitsgesang, in dessen Ausführung sich eine Vorsängerin
mit dem Chor der Burschen und Mädchen teilt. Kunstvoller ge-
staltet sich die Liebesklage der Palaung-Sängerin, ein ausgesproche-
ner Sologesang mit reicher Koloratur. Gemeinsam ist den beiden
Liedern der formale Aufbau der Melodie. Es handelt sich um
Strophengesänge, deren einzelne Strophen Varianten eines ein-
fachen musikalischen Grundschemas darstellen.
Diese strophische Variationenform — die Grundform
der meisten birmanischen Lieder aus der Scherman'schen Samm-
lung — erwächst aus dem Charakter der Texte, die großenteils
improvisiert sind. Ein landläufiges Melodieschema wird jeweils
den Worten angepaßt, nach Bedürfnis und Belieben in den ein-
zelnen Strophen erweitert, verkürzt, ausgeschmückt, wobei sich
Kehlfertigkeit und Phantasie des Sängers reich entfalten können.
Die einzelnen musikalischen Liedschemen aber sind sicher mehr
oder weniger Gemeingut, wie etwa die Melodieschemen unserer
Kouplets, G'stanzln und anderer Improvisationsformen.
Das zweiteilige Strophenschema der Liebesklage wird in
schlichtester Weise durch Repetition einer Kadenzformel aus den
Tönen b-a(as)-g mit g als Grundton gebildet. Die langgezoge-
nen Kadenztöne sind das Gerippe, das in von Strophe zu Strophe
reicher werdender Ornamentik umspielt wird. Derartige Halteton-
melodien beschränken sich in der Scherman'schen Sammlung
charakteristisch genug auf die innerbirmanischen Fremdstämme
der Karen und Palaung und die vorderindischen Gond,^) während
die eigenartige Vertiefung des Mitteltons in den Strophen 3 — 7
zur Gruppe jener chromatischen Alterationen zu rechnen ist, die
^) Vgl. Sammlung Scherman, Phonogramm 4, 10, 17.
130 Palaung-Lied
eines der typischsten Merkmale des vorder- und hinterasiatischen
Kunstlieds bilden. Die Vertiefung entsteht hier offensichtlich
aus einem Leittonbedürfnis nach dem Grundton g, hat aber zu-
gleich Ausdrucksbedeutung, sofern sie im Verein mit den schluch-
zenden Haltetönen den Charakter der Liebesklage treffend illustriert.
Tonal ruht jedoch die Melodiekadenz auf einem unserem g-Moll
verwandten Leiterausschnitt.
Von den sieben Textstrophen sind hier nur die musikalisch be-
deutsamsten Abschnitte wiedergegeben (Strophe 2, 3 und 5 b). Trotz
des mehr rezitativischen Charakters und sehr freier Temponahme
ist die Melodie taktlich streng gegliedert. In komplizierter Weise
wechseln Zwei- und Viertaktgruppen, selbst wieder in Triolenbil-
dungen unterteilt (die hier im Dreiachteltakt notiert sind), mitein-
ander ab. Es bilden somit je 2 bzw. 4 Takte unserer Übertragung
eine — durch Akzente über den Taktstrichen markierte — Takt-
einheit. Solch komplizierte rhythmische Gliederungen, für das vorder-
indische Lied typisch,^) fehlen in der Vokalmusik des hinterindisch-
chinesischen Kulturkreises fast gänzlich. Auf vorderindische Paralle-
len weist weiterhin die reiche, ausdrucksvolle Ornamentik mit ihrem
rein vokalen Charakter, endlich die — in der Übertragung nur an-
gedeutete — feine 'dynamisch-agogische Schattierung der einzelnen
Strophen.
Zweiteilige Strophenform zeigt auch das chorische Reisstampf-
lied. Das erste Glied (A) wird durch bloße Ai-Ai-Rufe gebildet, die
der Chor wiederholt; das zweite fungiert als eine Art Abgesang, von
der Vorsängerin frei variiert (B^, Bg . . .). Der Chor wiederholt auf
eine eigene stereotype Einleitungsphrase (C) das Ende jeder Strophe
refrainartig oder schiebt gelegentlich einen eigenen Abgesang ein.
Das Aufschlagen der schweren Reiskolben markiert den einfachen,
geradteiligen Rhythmus des hübschen Wechselgesangs.
Die Melodie baut sich — im Gegensatz zur vorigen — auf einer
rein diatonischen, im Grunde fünftönigen Durleiter es- (f)- (g) -
as-b-c-es auf. Der Ton as ist Dominante, f und g kommen nur
als Durchgänge, d überhaupt nicht vor. Mit zwingender Deutlich-
^) Vgl. Otto Abraham und Erich M. v. Hornbostel, Phonograph ierte
indische Melodien, Sammelb. der Int. Musikges. V (1903), p. 399 ff. und die
Beispiele. Damit vergleiche man die siamesisch-chinesische Rhythmik der von
P. I. Mariano (s. u.) veröffentlichten birmanischen Gesänge.
n.n:T''^y^
((PalcMna)
i y^iirfi^ff f^