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Full text of "Im Stromgebiet des Irrawaddy: Birma und seine Frauenwelt"

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LUCIAN UND CHRISTINE SCHERMAN 



IM 
STROMGEBIET 



DES 
I RRAWADDY 



BIRMA UND SEINE FRAUENWELT 



MIT 65 ORIGINALABBILDUNGEN 



VERLAG OSKAR SCHLOSS 



MÜNCHEN-NEUBIBERG 1922 



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Gedruckt und gebunden bei Knorr & Hirth, G. m. b. H., München 



Copyright 1922 by Oskar Schloß Verlag München-Neubiberg 



Alle Rechte vorbehalten 






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Dr. F. W, Thomas 

als Zeichen treuer Freundschaft zugeeignet 

in Erinnerung fördernder Stunden geselligen 

und wissenschaftlichen Verkehrs in 

glücklicher Vorkriegszeit 



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VORWORT 



I. EINLEITUNG 



II. BIRMANEN 



III. SHAN 40 



IV. PALAUNG 



68 



V. KAREN 79 



VI. KACHIN 97 



VII. CHIN 111 



VIII. N AGA 116 



IX. LISHAW 123 



X. SCHLUSS-ÜBERSICHT 126 



ANHANG: GESÄNGE 129 



V O R W O R T 

Ein für die „Deutsche Revue*" auf Einladung ihres Herausgebers, 
Herrn Richard Fleischer geschriebener Aufsatz „Frauenleben in 
Birma" hat den Anstoß zur vorliegenden Veröffentlichung gegeben. 
Da er der erläuternden Abbildungen entraten mußte, nahm ich den 
Vorschlag des opferwilligen Verlegers der „Zeitschrift für Buddhis- 
mus", den wichtigsten Teil der photographischen Belege in eine 
umfassendere Schilderung der mannigfachen Frauentypen Britisch- 
Hinterindiens zu verflechten, mit unverhohlener Freude an. Zwar 
hat die Teuerung, die während der Ausarbeitung und Drucklegung 
unser Wirtschaftsleben noch unbarmherziger erschütterte als jede 
vorangehende, zu manchen Abstrichen genötigt, denen leider u. a. 
der vollwertige Ersatz der Kartenskizze und das im Manuskript 
fast vollendete Sachregister zum Opfer fielen; aber es ist doch 
eine stattliche Anzahl völkerkundlich belehrender Platten zur Kli- 
schierung gelangt. Ich begrüße dies um so froher, als die Raumnot 
des Münchener Museums, das die gesamte (mit Schenkungsmitteln 
erworbene) Ausbeute meiner indischen Expeditionen der Jahre 
1910/11 verwahrt, eine zureichende Aufstellung unmöglich macht. 

Ein Wort zu Thema und Aufschrift. Daß der durch den geo- 
graphischen Obertitel umrissene Kreis in einigen Abschnitten über- 
schritten wird, dürfte kaum Anstoß erregen. Was die Heraus- 
hebung des Stoffes aus der Gesamtheit der Reiseaufzeichnungen 
anlangt, so erfolgte sie aus der Überzeugung heraus, daß Frauen- 
tracht und Frauenarbeit in Birma eine gesonderte Darlegung un- 
gleich mehr lohnen als man dies von den übrigen Provinzen des 
indischen Imperiums sagen kann. Alles ist natürlicher, originaler, 
die Betätigung der Frau zudem selbständiger und weiter reichend. 
Schon in Assam setzt der auffallende Wechsel ein. Die Völker- 
schau in Birma ist viel bunter. In Vorderindien beherrschen die 
lose um den Körper geschlungenen Tücher und die vom Islam ein- 



geführte Rock- und Schalmode das Kleiderbild. Leibchen und Jacke 
treten unter den Hüllen wenig hervor; bei den minder zivilisierten 
Schichten fehlen sie ganz, und nur selten gibt Farbe und Form 
der Gewandung einen Anhalt für die Stammeszugehörigkeit. Das 
ethnische Moment wird vom regionalen überschattet, und so ver- 
dichtet sich der Eindruck einer gewissen Gleichförmigkeit und 
Monotonie. Die Volksgruppen Indochinas hingegen grenzen sich 
durch Farbe und Musterung der Gewebe scharf ab, und es bietet 
Anreiz, den Beziehungen und Entlehnungen nachzuspüren. 

Die Erkundungen und Sammlungen, von denen die folgenden 
Seiten Zeugnis ablegen, stützen sich auf vielseitige Hilfe. Zu wärm- 
stem Dank fühle ich mich folgenden Herren verpflichtet: den ein- 
heimischen Fürsten der Shan-Staaten Hsawng Hsup,^) Hsipaw und 
Yawnghwe, den Verwaltungsbeamten S. Bazett(Bhamo), Gh. E. Brown 
<Thamakan), R. Grant Brown (Kindat), J. Carey (Loikaw), Mc Kenna 
(Mandalay), N. Nepean (Kanpetlet), H. A. Thornton (Lashio), den 
Mitgliedern der American Baptist Mission W. W. Cochrane (Hsipaw), 
O. Hanson (Namhkam), A. H. Henderson (Taunggyi), Johnson 
(Loikaw) und W. H. Roberts (Bhamo), ferner R. C. J. Swinhoe, 
Taw Sein Ko und U Kyaw Yan in Mandalay, Colonel G. Rippbn 
in Kalaw und Major Orman in Bhamo. Seitens der britischen Be- 
hörden habe ich ein Entgegenkommen erfahren, das oft weit über die 
Durchschnittswirkung amtlicher Empfehlungsschreiben hinausging. 

Von dem geistigen Eigentumsrecht an den Reisetagebüchern steht, 
insbesondere soweit sie über das weibliche Geschlecht bei den be- 
suchten Völkerschaften berichten, meiner Frau ein ansehnlicher Teil 
zu. Ich habe deshalb auf dem Titel ihren Namen beigefügt trotz 
des Widerstrebens meiner an Arbeitstreue und Selbstlosigkeit nicht 
zu überbietenden Partnerin. So erst gibt sich das kleine Buch 
als das, was es ist: als Niederschlag gemeinsamer Beobachtungen 
und Studien auf und nach mühe- und genußreichen Indienfahrten, 
die wir in lieber — nach dem Schrecklichen, was inzwischen über 
Deutschland hereingebrochen ist, mit tiefer Wehmut gemischter — 
Erinnerung bewahren. 

München, September 1922 

Museum für Völkerkunde L^ Scherman 



') In der Namenschreibung folge ich im allgemeinen den amtlichen Pu- 
blikationen, besonders dem „Imperial Gazetteer of India.'* 



I. 

Birma, die östlichste Provinz des britisch -indischen Reiches, 
ist diesem in seiner heutigen Ausdehnung erst seit wenigen Jahr- 
zehnten einverleibt. Soziale und wirtschaftliche Verhältnisse 
sowohl wie die Bevölkerung — die mit ihren 12 Millionen knapp 726 
des indischen Riesenbesitzes bildet —stehen in beträchtlichem Gegen- 
satzzu den vorderindischenGebieten.DiegeographischeLage desLandes, 
das im Nordwesten, Norden und Osten von hohen Gebirgen, im Süden 
und Westen vom Meer umspült ist, schob der Kriegs- und Ver* 
kehrstechnik früherer Jahrhunderte einen kräftigen Riegel vor, und 
deshalb blieb es auch lange vom Welthandel unberührt, zumal es keine 
Handelsprodukte erzetigte, die den Kauffahrer besonders angelockt 
hätten. So schufen sich in den hinterindischen Landen Volks- 
charakter, Kultur und Sitten ihre bodenständige Eigenart, die bis 
heute noch ein gut Teil ihrer frischen, reizvollen Ursprünglichkeit 
bewahrt hat. 

Verkehrserschwerung bedeutet aber noch längst keine herme- 
tische Abschließung. Von West und Ost bahnten die Hochkulturen 
sich den Weg nach den Irrawaddy-Niederungen: von Indien kam 
mit der ersten missionierenden Weltreligion, dem Buddhismus, eine 
Welle geistigen Fortschritts ; von Osten, aus China, strömten haupt- 
sächlich der Baukunst und dem Händwerk eine Fülle belebender 
Einflüsse zu. Dies alles, zusammen mit altererbtem- heimischen 
Gut, formte die gerade durch ihren Synkretismus so außerordentlich 
lehrreiche indochinesische Mischkultur. 

Was am auffallendsten das birmBnische Volksleben vom vorder- 
indischen unterscheidet, ist das Fehlen des Kastensystems, das mit 
seinen ausgeklügelten Paragraphen das Hindutum in zahllose Gruppen 

— die traditionelle Vierzahl hat wohl niemals der Wirklichkeit ent-* 
sprochen und war schwerlich mehr als eine summarische Theorie 

— zerlegt. Starre Scheidewände bauen sich zwischen ihnen nach 
alter Vorschrift, Sitte und Gewöhnung auf und hemmen das Auf* 



Birma und Vorderindien 



streben der Niedrigstehenden nicht minder, als sie die freie Be- 
wegung der höheren Kasten durch engherzige Weisungen über den 
Verkehr mit den unteren Schichten und nichthinduistischen Völkern 
einengen. Die Frauen der oberen Kasten verbringen ihr Leben in 
strenger Abgeschlossenheit von der Öffentlichkeit; eine andere 
Tätigkeit als dem Haushalt vorzustehen, sich zu schmücken und 
vor allem durch die Geburt von Söhnen das religiöse Gesetz zu 
erfüllen, wird von ihnen nicht erwartet. Bei den niederen Kasten 
beteiligt sich zwar die Frau rüstig an der Erwerbsarbeit, ohne damit 
aber ihöe Freiheit und Selbständigkeit merklich zu erhöhen. Inwie- 
weit dii Reformbewegungen, die schon seit längerem eingesetzt 
haben, durch die neuen, auch die Kasten ernstlich bedrohenden, 
Umwälzungsversuche eine Beschleunigung und Vertiefung erfahren 
werden, muß die Zukunft lehren. 

Verlassen wir das indische Festland mit dem emsigen Treiben 
der dichter bevölkerten Provinzen, um an der Küste Birmas zu 
landen, so dringt ein ähnlich geschäftiges Leben zunächst nur in 
den Hafenstädten, vor allem in der (nicht zuletzt auch durch Bremer 
Handelsgeist) kräftig emporgeschossenen Hauptstadt Rangoon, auf 
uns ein. Die eigentlichen Birmanen jedoch finden wir nicht dabei; 
Ostbengalen, südindische Tamil und Chinesen sind es, die die 
Straßen füllen und ihrem Erwerbe nachjagen. Gelangt man in die 
Basarviertel, zu den Markthallen für die Eingeborenen, dann erst 
begegnet man häufiger den Birmanen, und zwar vorwiegend dem 
weiblichen Element, das den Verkauf in den Hallen leitet. Es sind 
nicht die schlanken, geschmeidigen, würdevollen Gestalten, an die 
unser Auge in Calcutta und Madras gewöhnt war, sondern kleine, 
meist untersetzte Figuren mongoloiden Typs. Zugleich aber mit dem 
physischen Unterschied fällt uns die ganz anders geartete Rolle 
auf, die der Weiblichkeit hier überantwortet ist: während die Männer 
in läßiger Haltung als Zuschauer abseits stehen oder nur als Helfer 
mittun, halten die Frauen mit Energie und geschäftlicher Gewandt- 
heit den Betrieb in ihrer Hand und stehen in der Selbstsicherheit 
ihres Auftretens, in Intelligenz und Liebenswürdigkeit keiner Euro- 
päerin nach. All das gilt indes nicht etwa nur für die dem Welt- 
verkehr geöffnete Handelsstadt Rangoon; in ganz Birma ist der Frau 
diese Selbständigkeit eigen, in der Öffentlichkeit wie im Hause. 
Arbeitslust, Tatkraft und Zielbewußtsein befähigen sie zur führen- 



Statistisches 7 



den Stellung und sichern ihr ein Übergewicht über den Mann, der 
ihr den Löwenanteil in der Erledigung der meisten materiellen 
Fragen willig überläßt. 

Die Zahl der Frauen in dem sehr dünn bevölkerten Birma bleibt 
mit 5,93 Millionen erheblich hinter dem anderen Geschlechte (6,18 
Millionen) zurück. Dies erklärt sich aus dem hohen Prozentsatze 
indischer Einwanderer, die zum größten Teil ihre Ehefrauen nicht 
mitbringen, sondern nur die günstigeren Erwerbsverhältnisse des 
Landes ausnützen und die daheim zurückgelassene Familie unter- 
stützen. Wir haben das bekanntlich in Deutschland vor dem Kriege 
bei den italienischen Ziegelarbeitern ganz ähnlich beobachten können. 
Das Zahlenverhältnis kehrt sich um, sobald wir nur die birmanische 
Bevölkerung im engsten Sinne berücksichtigen; dann stehen 3,65 
Millionen männlichen Individuen 3,82 Millionen weibliche gegen- 
über. ^) 

Rechnen wir der eben genannten Summe noch einige nahe- 
stehende Gruppen zu, so ergibt sich eine Ziffer von rund 8 Millionen 
für die eigentliche birmanische Hauptmasse der Bevölkerung. Sie 
gilt den übrigen Stämmen als Zivilisationsvorbild. Ihr am nächsten 
folgen, wenn wir die Ka r en wegen ihrer Zersplitterung hier zunächst 
außer Ansatz lassen, die Shan, etwa eine Million, die sich in ge- 
schlossenen Massen im Osten und Norden von Oberbirma halten. 
Neben diese beiden führenden Schichten tritt eine große Zahl von 
Volksstämmen, die zumeist noch auf tieferen Kulturstufen stehen 
und in ihren vom Verkehr abliegenden Wohnsitzen ihre Sonderart 
zäher festgehalten haben. Vorwiegend sind es Bergvölker, die erst 
durch das britische Eingreifen um ihre Unabhängigkeit gekommen 
sind; dies beschleunigte zugleich ihre Annäherung an die zivilisier- 
teren Bewohner der Ebenen, denen sie vordem durch räuberische 
Überfälle und sonstige* Gewalttaten oft recht unbequem geworden 
waren. 

Die Landesreligion in Birma ist der Buddhismus in einer ver- 
hältnismäßig reinen, Ceylon und Slam engverwandten Form; ihm 



^) Die statistischen Angaben nach: Census of India 1911, Vol. 9 (Rangoon 
1912). Von einem neuen Census, der nach den bisherigen Intervallen 1921 
fällig gewesen wäre, haben wir nirgends etwas gelesen. Hingegen ist 1915 
die erste Sprachenstatistik in Birma durchgeführt worden: Linguistic Survey 
of Burma. Preparatory stage or linguistic census. Rangoon 1917. 



8 Birmanische Charakteranlagen 



hängen die Birmanen, die Shan und einzelne Bergvölker (insgesamt 
10,4 Millionen) an. Die übrigen Stämme sind einem Geisterglauben 
treu geblieben, dessen Spuren aber auch unter der Decke des bir- 
manischen Buddhismus sehr deutlich hervorschimmern. Wir finden 
sie gewöhnlich unter dem Namen „Animisten^^ zusammengefaßt; 
ihre Zahl übersteigt mit rund 700 000 beträchtlich die der anderen 
nichtbuddhistischen Religionsformen, unter deren Anhängern die 
Hindu und Muhammedaner mit etwas unter, bezw. über 400 000 
Personen folgen. Christen wurden in ganz Birma 210 000 gezählt; 
dass unter diesen die Birmanen nur mit knapp 18 000 vertreten 
sind, beleuchtet die schwachen Erfolge der Mission innerhalb der 
buddhistischen Zentren. 

Sorglosigkeit und unverwüstlicher Frohsinn sind die Charakter- 
züge, die den Birmanen am weitesten von seinen vorderindischen 
Nachbarn abrücken lassen. Der Hang zur Grübelei, zum Spekulieren 
und Schematisieren, der sich in großen Bereichen der altindischen 
Literatur, im Aufbau der Hindureligion und in den minutiösen Vor- 
schriften für jede Lebensphase und jede Lebenslage kundtut, gönnt 
dem Volke keinen leichten Sinn, keine harmlose Heiterkeit; bei 
seinen Festen wie bei seiner Arbeit nimmt der Inder alles ernst. 
Kein Wunder also, dass uns, kommen wir von Indien nach Birma, 
die offene Art der Landeskinder so wohltuend berührt. Jedem Be- 
sucher steht der Zutritt ins Haus offen; gastfreundlich wird er 
überall empfangen, ohne die zudringliche Neugier, mit der der 
Fremdling in Indien — beinahe wie im zivilisierten Europa — 
verfolgt wird. 

Der Birmane ist dem hastenden Treiben des Stadtlebens abhold, 
nach Möglichkeit zieht er sich davon zurück; das beschauliche 
Bauejnleben, das ihm ohne sonderliche Mühe und Aufregung seinen 
Unterhalt sichert, dünkt ihm weit erstrebenswerte];» So sehr er auf 
anständige Entlohnung dringt und auch vor Übervorteilungen nicht 
zurückschreckt, so steht sein Sinn doch nicht danach, Reichtümer 
anzusammeln. Was er erübrigt, legt er im Goldschmuck seiner 
Frau oder für festliche Veranstaltungen an — das Münchener 
Oktoberfest erschiene ihm als Gipfelpunkt aller Wonne, obwohl er 
für dessen Bierseligkeit kein Verständnis hätte! Das Meiste aber 
wird für Klöster und Mönche oder zur Errichtung von Pagoden 
und anderen Kultbauten gespendet. Da ist es eine natürliche Folge, 



Die Bi rmanin 9 



wenn die sparsamen indischen Einwanderer und die gescheiten, 
fleißigen Chinesen den wirtschaftlich ungeschulten und minder 
gelehrigen Birmanen überflügeln und in den Hintergrund drängen. 
Die britische Regierung sucht dem entgegenzuwirken; sie möchte 
das auch ihr sympathische Volk der Birmanen geschützt und vor 
dem Niedergang bewahrt sehen, solange es irgend geht. Deshalb 
untersagt sie den Verkauf von Ackergrund an Ausländer, und das 
Alkoholverbot soll einer Schwächung der birmanischen Arbeitskraft 
vorbeugen. Ungleich wirksamer als diese Maßnahmen aber ist das 
energische Zugreifen der birmanischen Frauen, die man mit vollem 
Recht als „Rückgrat des Landes" bezeichnet hat. 

IL 

Die Birmanin kann nicht eigentlich als Schönheit gelten. In den 
vortretenden Backenknochen und den leicht schräggestellten Augen 
prägt sich der mongolische Typ aus, ebenso in der gelblich-braunen 
Hautfarbe. Neben derberen Physiognomien findet man viele fein- 
geschnittene Gesichter mit zierlicher, schmaler, leichtgebogener Nase. 
Ausgesprochen hübsch sind die blitzenden dunklen Augen und das 
reiche, glänzend schwarze, wie eine Krone auf dem Scheitel auf- 
gesteckte Haar. Auf die Kleidung mit allem Drum und Dran wird, 
namentlich bei feierlichen Anlässen, große Sorgfalt verwendet. Als 
Verschönerungsmittel wertet man eine gelbliche Paste, die aus 
der zerriebenen Rinde der Murraya exoiica (birmianisch sana(p)khä) 
mit Wasser bereitet und mit gemahlenem Sandelholz parfümiert 
wird; man läßt die über das Gesicht gestrichene Paste trocknen 
und reibt nachher.^ das Überflüssige ab. Die ländlichen Schönen 
gehen damit oft weniger sorgsam um, namentlich den kleinen Mäd- 
chen wird das Antlitz bisweilen arg verschmiert — man sagt, das 
nütze gegen Hitzausschlag. In den Städten weiß man aber euro- 
päische Schönheitsmittel bereits zu schätzen; nicht selten wird 
Schminke und Puder so übermäßig aufgetragen, daß der Eindruck 
eines bemalten Puppenkopfes entsteht. Beim Schminken läßt die 
Birmanin unterm Haaransatz an der Stirn einen Streifen frei, wo- 
durch diese niedriger und in eckiger Haarumrahmung erscheint. 
Bei der jungen Frau auf Abb. 1 ist dies am besten zu erkennen; 
man darf sie als guten Birmanentyp gelten lassen, wenngleich sie 
die Schwester eines Shanfürsten ist. Das Mädchen an ihrer Seite 



10 Frauenkleidung 

ist die Tochter des Fürsten; bei der daneben sitzenden Dienerin, 
einem Shanmädchen, zeigt sich der Slamniesunterschied sehr augen- 
fällig. Die beiden Prinzessinnen tragen den in Birma altherkömm- 
lichen Rock, den Thamein^), ein rechteckiges StofTstück von un- 



Abbildung 1 

SchmHer aad Tochter des Slun-Fürsten von Hüpa» mit Diintria. 

geföhr l'/* m Länge und etwa gleicher Breite, das nicht zusammen- 
genäht, sondern oben um den Körper gelegt wird. Er besteht aus 

') Birmanische Schreibung thamin, Aussprache thamen. In Sach- und 
Ortsnamen behalten wir die in der neueren englischen Literatur über Birma 
üblichen Formen bei. Schreibung und Aussprache geben im Birmanischen 
oft stark auseinander, wozu auch die Aufpfropfung eines Indischen Alphabets 
auf die ganz anders gebaute Sprache beigetragen hat. 



■■■MMMmh 



Seidenwirkerei ü 



3 Teilen : einem gemusterten, ca. 60 cm breiten Mittelstück, dem 
unten ein in entsprechender Farbenstellung gehaltenes, ca. 35 cm 
breites gestreiftes Stück mit einfarbigem rosa Endrand und oben 
ein 30 — 50 cm breiter Streifen aus glatter, dunkler Baumwolle 
oder Samt angesetzt ist; das Ganze ist mit weißem Kaliko ge- 
füttert. Bei der geringen Weite läßt natürlich jeder Schritt die 
Beine bis zum Oberschenkel sichtbar werden; aber frühzeitig schon 
lernt das Mädchen beim Gehen durch einen bestimmten Ruck der 
Fersen nach auswärts eine Entblößung in der Öffentlichkeit bis 
über die Grenzen des Schicklichen vermeiden. In der Ifoftracht 
und sonst im Volke bei zeremoniellen Anlässen befestigt man den 
Thamein um die Hüften, sodaß die nun überflüssige Stofflänge 
ringsum auf dem Boden schleppt und die Enge des Rockes nur 
kleine Schritte und gemessene Bewegungen gestattet. Das kunst- 
volle Seidengobelingewebe auf Abb. l ist typisch birmanisch; es 
wird Acheik genannt; der Name (gesprochen atscheik, geschrieben 
akhyit) bedeutet „Welle'' und weist auf die welligen blumendurch- 
streuten Muster. Für die Wirkarbeit benötigt man 70 bis 130 Schiff- 
chen; die Vorderseite ist bei der Arbeit nach unten gekehrt, die 
Schußfäden der einzelnen Schiffchen werden miteinander verschlun- 
gen. Das Material ist chinesische Rohseide, die oft auch schon 
fertig gefärbt gekauft wird. Für junge Mädchen sind die Farben- 
stellungen gelb-rosa und weiß-rosa beliebt, für junge Frauen him- 
beerrote Schattierungen mit dunkelrot oder schwarz, für ältere 
Frauen grün mit gelb oder grün-rot; letzteres ist auch die Farben- 
mischung für Männerröcke. 

In altbirmanischer Zeit waren Acheikstoffe nur für das könig- 
liche Haus und die Hofkreise bestimmt. Seit dem Ende der Königs- 
herrschaft (1885) sind sie zur Prunkkleidung der Wohlhabenden 
hergenommen worden. Bei den Birmanen in der Provinz, die dieser 
alten Mode treu geblieben sind, und bei den Shan hält man noch 
jetzt den Acheik -Thamein für die vornehmste Festgewandung. 

Interessant war es uns zu erfahren, daß die reizvollen Acheik- 
muster schon in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts europäische 
Nachahmung gefunden haben, und zwar am birmanischen Hof selbst» 
Dort lebte ein Italiener, Denegri, der sich in Lyon niedergelassen 
hatte und 1861 von dort. nach Mandalay gekommen war; 10 Jahre 
später holte er seine kleine Tochter und den ersten Jacquard- 



12 Jacquard-Webstuhl in Mandalay 

Webstuhl aus Frankreich und verpflanzte beide in den Königspalast 
nach Mandalay. Diese Tochter lebte noch in Mandalay zur Zeit 
unserer Anwesenheit (1911) und befaßte sich mit dem Verkauf 
von birmanischen Seidenstoffen, die sie von Unsauberkeiten der 
Arbeit, Knoten, hängenden Fäden usw. befreite, um sie ihren euro- 
päischen Kunden gefälliger zu machen. Das alte Fräulein erzählte 
gern von den schönen Tagen im Palast zu Mandalay, wo sie von 
der letzten Königin Supaya Lat unter die Ehrenfräulein aufgenom- 
men wurde — als einzige Europäerin. Schon 100 Jahre früher war 
ein Italiener, ein Angehöriger der gleichen Familie, in Mandalay ge- 
wesen und hatte dort die Herstellung der Baumwollsamte eingeführt, 
deren Verwendung — und zwar in roter Farbe — ebenfalls zum Reser- 
vatrecht für den Hof wurde; noch heute werden die Särge von ver- 
storbenen Mitgliedern des Königshauses und von buddhistischen 
Mönchen mit rotem Samt bezogen. Von 1873—1885 arbeitete der 
Jacquardwebstuhl am Königshofe von Mandalay; Weberinnen aus 
Manipur wurden von Denegri und seiner Tochter in dessen Ge- 
brauch unterrichtet. Nach Ansicht von Fräulein Denegri stammen 
sogar die Acheikmuster aus Manipur.^) Uns zeigte sie auf 



^) Ähnliche Angaben machte man uns in dem entlegenen Yawnghwe in 
den südlichen Shan-Staaten. Und in nächster Nachbarschaft von Mandalay, in 
Sagaing, einer der zahlreichen früheren Residenzen, fanden wir noch Mani- 
puri mit gewerbsmäßiger Herstellung von Acheikstoffen für birmanische Auf- 
traggeber beschäftigt. Nun ist zwar richtig, daß die Manipuri, die in beträcht- 
licher Zahl in Oberbirma angesiedelt sind, außerordentliche Leistungen in 
den eingewirkten Bordüren ihrer heimischen Frauengewänder aufweisen; aber 
dabei handelt es sich ebensowenig um eigentliche Gobelintechnik wie um 
Acheik-Muster. Für beide liegt die Herleitung aus China wohl wesentlich 
näher, womit nicht behauptet sein soll, daß in China der Ursprung der 
Wirkerei überhaupt zu suchen ist. Im Gegenteil, die Wahrscheinlichkeit 
spricht dafür, daß China sie seinerseits aus Vorderasien entlehnt hat. Aber 
für die verhältnismäßig junge Periode, die für die birmanischen Acheik in 
Frage kommt, wird man sich wohl schon darum in China nach dem Lehr- 
meister umschauen, weil aus Vorderindien — dem anderen kulturellen Quell- 
gebiet Birmas — Seidenwirkerei (also das, was in Deutschland nach franzo- 
sischem Vorbild ,Gobelin', in England ,Tapestry' genannt wird) nicht bekannt 
ist. Die Kashmir-Schals sind zwar Wollarbeiten des Gobelintyps, jedoch tritt 
bei ihnen soviel anderes Technische hinzu — Verbindung gewirkter und über- 
stickter gewebter Teile — , daß sie schlechterdings nicht in eine Gruppe mit 
den Acheik eingereiht werden können. Dieses birmanische Künsthandwerk 
hebt sich somit in völliger Eigenart von seiner Umgebung ab. 



Jacquarcl-\rebstulil in MandaUy 13 

unsere Bitte die Reste von den Jacquard-Acheik, darunter ein 
Streifenmuster, das ihr jüngerer Bruder nach einem birmani- 
sehen Vorbild in Frankreich gewebt hatte, und ein rot-rosa gestreiftes 
Stück, einen Abschnitt von dem letzten Gewand, das sie für den 
König Thibaw angefertigt hatte. Trotz der sauberen Arbeit sind 
diese Kopien leblose Stücke im Vergleich mit dem Original-Acbeik. 
Wir erhielten einige Teilchen ihrer so sorgfältig als Andenken auf- 



AbbilduDg 2 

SchBBipielerlrappt in Mandalay in äir bei Tanz anä Spiel üblichen Haitang. 

bewahrten Gewebe als Angebinde für das Münchener Museum — 
die sonnige Heiterkeit und die Freude am Schenken scheint das 
alte Fräulein am birmanischen Hof von den Landeskindem ererbt 
zu haben. Aber bei aller Freundlichkeit durchzitlerie eine leise 
grollende Wehmut, die hauptsächlich auf den uns .begleitenden Eng- 
länder wirken sollte, ihre Stimme bei der Erzählung von den 
schönen Webarbeiten, die sie und ihr Vater zur Freude der 
Kdnigin geliefert hatten — und von dem jähen Ende, das dem 



14 Frauenkleidung 



Königtum und seiner Herrlichkeit zusamt dem Jacquard -Webstuhl 
bereitet worden war! 

Jacken waren ursprünglich kein notwendiger Bestandteil der bir- 
manischen Männer- und Frauentracht, sind aber im Laufe der Zeit 
allgemein in Aufnahme gekommen. Die ältere Form zeigt die Her- 
leitung vom indischen Schnitt: ein ^er die Hüften reichendes 
Gewand mit einem vorderen Einsatz, der seitlich geschlossen wird 
(Abb. 2). Bei Frauen ist dieser Einsatz häufig weggelassen, wie an 
den noch jetzt bei der Provinzbevölkerung und bei den Shanfrauen 
üblichen offen und lose niederhängenden Jacken (Abb. 12); statt 
dessen wird dann ein Tuch um die Brust gebunden. Für Alltags- 
zwecke nimmt man weißen Baumwollstoff, für festliche Veranstal- 
tungen aber ist die Jacke aus Seide, enganliegend mit geschweiften, 
schnabelförmig aufgebogenen und durch Bambusstäbchen gesteiften 
Schößen. 

Diese Tracht kommt jedoch immer mehr ab; als Alltagskleid ist 
der Thamein schon fast ganz aus den Städten verschwunden, er 
und das Seidenjäckchen mit den Schnabelschößen werden wohl 
bald, wie unsere Rittertrachten usw., nur noch Bühnenkostüm sein 
für die Schauspielerinnen, die bei den zahllosen Festen als Prin- 
zessinnen oder Hofdamen in den Theaterstücken mitwirken. In 
das Schauspiel sind stets Tanzszenen verflochten, außerdem gibt 
es auch reine Tanzvorführungen. Der enge, auf dem Boden schlep- 
pende Thamein wird bei den Tänzerinnen an der offenen Seite 
bis zu den Füßen mit Nadeln zusammengesteckt; die Enge dieses 
Futterals tut aber der Tanzbewegung keinen Eintrag, da diese aus- 
schließlich aus Beugungen und Drehungen des Körpers und ge- 
legentlichen Sprüngen am Orte besteht. Beim Einsetzen der Musik 
nimmt die Tänzerin eine seltsam gespreizte Haltung an, die vor- 
nehmlich in den Bewegungen der Arme, im Heben und Senken 
der Schultern und Biegen des Halses hervortritt. Die Gruppe auf 
Abb. 2 ist eine kleine Schauspielergesellschaft in Mandalay, deren 
Dienste man bei privaten und öffentlichen Veranstaltungen gern in 
Anspruch nahm; der männliche Partner galt als der beste Komiker 
Oberbirmas. 

Den Thamein hat in der Neuzeit der von Süden aus dem 
malaiischen Archipel eingedrungene Sarong ersetzt, ein zwei Meter 
weiter zusammengenähter Rock^ der um die Hüften gespannt und 



Ffuenkleidune 15 

vorne in einer tiefen Falte übereinandergesteckt wird. Die Be- 
nennung lungyi ist von dem weitverbreiteten indischen lungi, 
womit in den verschiedenen Distrikten Indiens Turban, ßrnst- 
oder Lendentuch bezeichnet wird, übernomnien ; dieses Wort ist 
vom Hindüstäni und BaiigilT aus auch in die Atj6h-Sprache von 



Abbildung 3 
Gebilden Bäretr/amilii In Maadelay; links lint V/m^anite (Shan) bei der Breltchentreberel. 

Nord-Sumatra eingedrungen'); die birmanische Schreibung ist 
lunkfayaii, die Aussprache lunjT (j wie in engl. jam). 

Zu diesem LunjT, aber auch zum Thamein wird eine kurze, 
weite Jacke chinesischen Schnittes aus weißem Batist oder 
aus Seide getragen (Abb. 3) ; sie ist in ihrer Nachtjacken 
ähnlichen Form weit weniger kleidsam als die altbirmanische. 



') J- E.Jasper u. Mas Pirngadie, De inlandsche kunstniiverheid in 
Nederl.IndieiH's-GravenhBgeI9I2),p. 256; H.T.Fischer, Katalog d.Elhoogr. 
Reicbsmus. VI (Leiden 1912), p. 67. Auch das Türkische kennt iüng und 
lüngi im indischen Sinne: J. Th. Zenker, Türk.-arab.-pers. Handwörter- 
buch II (Leipzig 1876), p. 797. 



16 Festschmuck 



Männer- wie Frauenröcke sind meistens aus Seide; keiner, der 
etwas auf sich hält, würde anders als in einem Seidenrock, den 
noch keine Wäsche seines Glanzes beraubt hat, ausgehen. — Die 
Fußbekleidung bilden Sandalen aus Büffelleder, mit Samt oder 
Filz bezogen, festgehalten durch Spangen aus gleichem Stoff, die 
zwischen der großen und der zweiten Zehe durchgehen. 

Von Geschmack zeugt auch der Schmuck der Birmanin; er ver- 
meidet die wuchtige Schwere des Göldschmuckes, mit dem sich 
die reiche Inderin behängt. Schmale Goldreifen umschließen das 
Handgelenk; Reife um die Fußknöchel kommen bereits außer 
Mode. Feine Brustgehänge aus Goldfiligran oder lange, dünne Gold- 
ketten, mit Tamarindensaft rötlich gefärbt, sowie kleine Goldknöpfe 
als Jacken Verschluß wirken diskret und gefällig. Im Haar blitzen 
als Festschmuck Goldfiligranblumen oder halbmondförmige^ bei 
Reichen mit Diamanten und Rubinen besetzte Steckkämmchen; 
diese Edelsteine sind ebenso beliebt an Fingerringen und Schrauben- 
rosetten im Ohr; die ursprünglichen Ohrpflöcke und Ohrzylinder 
sind in der Stadt längst verpönt. Am anmutigsten aber wirkt die 
Sitte, ein frisches Blütenzweigchen ins Haar zu stecken. 

Inmitten des frohgemuten Volkes verlebt die Jugend paradiesische 
Jahre. Namentlich das Mägdlein hat im Vergleich zur vorder- 
indischen Mitschwester ^) eine unendlich glücklichere. Kinderzeit. 
Mit Mißbehagen wird die kleine Inderin schon bei der Geburt von 
den Eltern begrüßt; denn ein Mädchen bürdet der Familie die Sorge 
auf, innerhalb der zuläßigen Kasten den geeigneten Gatten zu be- 
schaffen; die Verlobung findet häufig schon in den ersten Lebens- 
jahren statt, vorbei ist es mit aller Freiheit, nach der Herzens- 
neigung wird nicht gefragt, und sollte der Bräutigam noch vor der 
Ehe sterben, so steht der armen Kleinen das traurige Los einer 
indischen Witwe bevor, deren Wiederverheiratung Schimpf über 
die Angehörigen bringt. Kein solcher Schatten verdüstert die Kinder- 
jahre der Birmanin. Hat sie die unvernünftigen Bräuche der Ge- 
burtshilfe überstanden und trotzt die körperliche Veranlagung 
manchen Absonderlichkeiten der Ernährungsweise, so wächst sie 
in fröhlicher Ungebundenheit heran. Die Kleidung entspricht der 



*) Vgl. die trefPliijhen Aufsätze von M» Wintern itz „Die Frau in den 
indischen Religionen'^: Archiv für Frauenkunde (Würzburg) 1915 ff. 



Kinderzeit |7 

der Erwachsenen; das Haar wird bis zum zehnten oder zwölften 
Jahre verschiedenartig zugeschnitten, und Mädchen und Knaben 
sind oft kaum zu unterscheiden. Meist werden die Haare um Stirn 
und Nucken kranzförmig geschnitten, das Scheitelhaar bleibt lang 
und wird in einem Knoten aufgesteckt (Abb. 4; man beachte hier. 



Abbildung 4 
SIraßnIugmtd In Mandelay: 4 Midchm, S Kaabta. 

daß die Kinder auf der Hüfte reitend getragen werden, wie in 
Vorderindien; die Frauen der Shan und der Bergvölker tragen sie 
auf dem Rücken in ein Tuch eingebunden). 

Mit Schulpflichten war in der Zeit birmanischer Herrschaft die 
weibliche Jugend nicht geplagt. Für die Knaben war genügend ge- 
sorgt, sie erhielten, wie das auch heute die Regel ist, ihren Unter- 
rieht im Kloster durch die Mönche, die darauf pochen können, daß 
das buddhistische Birma unter den Provinzen Britisch-Indiens weit- 



nMW«pi 



18 Ohrbohrfeier 



aus die geringste Zahl von Analphabeten aufweist.^) Für die Mäd- 
chen war und ist eine solche Schule verschlossen; die christlichen 
Missionen aber haben sich der Jugenderziehung eifrig angenommen. 
Seit der britischen Oberhoheit sind da und dort weltliche Elementar- 
schulen und auch eigene Mädcheninstitute aufgekommen, bei denen 
sogar für den Anschluß an das Universitätsstudium gesorgt ist. 

Der wichtigste Tag im Jugendleben der Birmanin ist die Feier 
der Ohrbohrzeremonie; es werden die Ohrlöcher gestochen, die 
man ehedem allmählich durch Einlegen von gerollten Bambus- 
streifen zur Aufnahme der goldenen Ohrpflöcke ausdehnte. Das Fest 
findet in der Regel, namentlich bei erstgeborenen Töchtern, zwischen 
dem zehnten und zwölften Lebensjahre $tatt; ihm entspricht bei 
den Knaben die Feier des Klostereintritts — jeder Birmane muß 
für eine, wenn auch kurze, Frist sich dem geistlichen Leben wid- 
men. Da diese Feste in großem Stil veranstaltet werden und hohe 
Summen verschlingen, schließen sich oft mehrere Familien, ohne 
Rücksicht auf das Alter der Kinder, manchmal sogar für Knaben 
und Mädchen zusammen; das Ohrbohren wie der Klostereintritt 
erfolgen dann zu gegebener Zeit ohne weitere Förmlichkeiten. Für 
solche gemeinsame Feiern sieht man in den Straßen der Städte 
über Nacht große Festbuden mit Spiegeln, Flitter und Vergoldung 
entstehen; Theater und Tanz, Musik und Bewirtung ziehen sich 
durch mehrere Tage hin. Die Mädchen zeigten sich früher an ihrem 
Ehrentag in der altbirmanischen Hoftracht. Dieses steife Gewand, 
mit Glassteinen und Goldfiitterstickereien verziert und mit Samt 
eingefaßt, bestand aus einer Jacke und darüber gehängten Kragen- 
teilen, sowie aus einem zackig gebogten schürzenartigen vorderen 
und einem schweifartig aufsteigenden hinteren Schoßteil; dazu wurde 
die dex' Fürstin zustehende haubenähnliche Krone getragen (Abb. 5). 
Jetzt hat man nur noch etliche Reste der fürstlichen Prunkabzeichen 
beibehalten. 

Abb. 6 zeigt eine für die Ohrbohrfeier erbaute Festhalle in 
Mandalay. Im Hintergrunde auf der Estrade thront eine Schar 



^) ^The System of monastic schools has, I think, been an immense boon 
to the people of Burma, and if only tbe monks could be roused to educate 
themselves more and to cast oif some of their cid ideas I should like to 
see it maintained": Charles Crosthwaite, The pacification of Burma 
(London 1912), p. 339. 



Ohrbohrfeier IQ 

junger Mädcben verschiedenen Alters; die mittleren drei sind selbst 
an der Zeremonie beteiligt, die übrigen sind Freundinnen, die als 
Ehrenfräulein fungieren. Alle sind reich mit Juwelen geschmückt, 
an den Fingern blitzen die Edelsteine. Häufig ist dieser Pomp 
geborgt, Brillantringe z. B. werden für 5 Rupien für den Tag ver- 



Abbildung 5 . 

Kltidang fär das Ohr^Dft^/«f : Nachahmung des HoJkUMls 'intr bimaniichta Priaiiaia. 

lieben. Im Vordergrunde hocken die Gäste an niedrigen, mit Süßig- 
keiten besetzten Lacktischchen. 

Nach erfolgter Ohibohrung zählt das Mädchen zur reiferen Jugend; 
es gibt das Heramtollen mit den Knaben auf, gesellt sich zu Mutter 
und Schwester und benimmt sich wie eine Erwachsene, fängt auch 
dementsprechend zu kokettieren an. Zur Anknüpfung von Ltebes- 
beziehungen ist reichlich Gelegenheit. Bei den religiösen Festen 



20 Reltgjgse Feate ' 

zieht die ganze Familie hinaus zum Klostergrund, wo Rasthäuser 
Für die allgemeine Nutznießung oder als Eigentum einzelner Familien 
errichtet sind. Dort kocht und ißt man nach und zwischen den An- 
dachten, pflegt der Ruhe und plaudert mit Bekannten ; die jungen Leute 
tun sich dabei weniger durch Frömmigkeit als durch fröhlichen Flirt 
hervor. Mit Einbruch der Dunkelheit beginnt das richtige Festge- 



Abbildung 6 

Ftsthatli und Tribüne fSr eint Ohriolirfeitr in ManiSalay. Im Vordtrgiande die GSstt. 

triebe; das Theaterspiel hebt an, wobei entweder Berufsschauspieter 
in romantischen Szenen auftreten oder Alarionettenspiele geboten 
werden, deren StoFT dem -Schatze der buddhistischen Vorgeburts- 
legenden entnommen ist. Vor der Bühne lassen sich die Zuschauer, 
mit Eßvorräten ausgerüstet, auf Matten nieder und hören die ganze 
Nacht dem Spiel zu; die Kinder, selbst die allerkleinsten, sind dabei. 
Mit Rauchen hält man sich leicht munter, darum sieht man die 
birmanische Riesenzigarre überall glimmen; Männer und Frauen 
rauchen, ja selbst die kleinen Kinder läßt man zur Beruhigung dann 



Eheleben 21 



und wann einen Zug tun. Die Zigarre ist eine 15 bis 20 Zentimeter 
lange und 2^/2 Zentimeter dicke Rolle, gefüllt mit gehackten Tabak- 
blättern und dem Mark der Tabakstengel, zur Hülle nimmt man 
vom Mais oder von der Arekapalme die innere Haut der Blattscheide; 
auch Baumblätter, die auf einem heißen Stein geglättet werden, er- 
füllen den gleichen Zweck. Die Zigarren sind nicht stark, da auch 
Süßholz dem Tabak beigemischt ist. Neben dem Rauchen frönt man 
auch dem Betelkauen; die Schachtel hierfür aus Lack oder Silber 
mit ihren Abteilungen und Büchschen für Betelblatt, Kalk, Ge- 
würze usw. spielt in der birmanischen Gesellschaft dieselbe Rolle 
wie bei uns etwa die Zigarrenkiste, Schnupftabaksdose oder Bon- 
bonniere (vgl. Abb. 3). 

Von Brautwahl und Ehe sei hier nur so viel gesagt, daß der per- 
sönlichen Freiheit viel Spielraum gegönnt ist. Die meisten Ehen wer- 
den aus Neigung geschlossen, oft gegen den Willen der Eltern und 
nach Überwindung mancher romantischer Hindernisse. Das Jung- 
gesellentum verstößt ganz gegen die Sitte, und weiter verdient Her- 
vorhebung, daß nur die Großstädte von Prostitution etwas wissen. 
Die Hochzeit findet ohne religiöse Zeremonie statt; im Hause der 
Braut wird unter Beiziehung einiger Zeugen das Paar von den beider- 
seitigen Eltern mit kurzer Ansprache zusammengegeben, und den 
Beschluß bildet der gemeinsame Genuß gepökelten Tees, einer Deli- 
katesse, über die später noch zu reden sein wird. Bei größeren Feiern 
werden Astrologen zugezogen; das sind immer Abkömmlinge indi- 
scher Brahmanen, die in birmanischer Königszeit als Hofbeamte an- 
gestellt waren. — Zuweilen schließt sich auch ein Paar ganz formlos 
durch bloße stille Übereinkunft zur ehelichen Gemeinschaft zu- 
sammen. 

Auch die Scheidung ist leicht; trotzdem lebt man gemeiniglich in 
Frieden und Eintracht miteinander. Erfolgt eine Trennung, so nimmt 
die Frau ihr Eingebrachtes und das in der Ehe Erworbene mit sich, 
gemeinsames Gut wird geteilt. Von den Kindern bleiben die Knaben 
dem Vater, die Mädchen der Mutter; aber wenn es irgend geht, 
übernimmt diese die Sorge für alle ihre Kinder. — Wenn auch der 
Buddhismus die Polygamie nicht verbietet, so bleibt doch die Ein- 
ehe die Regel; nur Fürsten haben mehrere Frauen, und zuweilen 
halten sich auch reiche Private, die aus geschäftlichen Gründen 
lange Reisen unternehmen, an einem oder zwei anderen Orten eine 



Abbltdnog 7 



rr Klaatirfeitr. Im HbtUrgrand tini PagaiUnri 
•rt ist. Dorf Kaya am otirta Chindalit. 



Tagesarbeit 23 



Nebenfrau. Hier tritt die in Birma als vollwertig angesehene Ehe 
auf Zeit in Erscheinung, die von der Birmanin auch oft mit Indern, 
Chinesen und Europäern eingegangen wird. Die birmanisch-chinesi- 
sche Mischung ergibt die beste Nachkommenschaft. 

Die geschäftliche Selbständigkeit der Frau ist oben schon her- 
vorgehoben worden. Das birmanische Gesetz unterstützt sie; sie ist 
dem Manne rechtlich gleichgestellt, wird zur Beratung öffentlicher 
Angelegenheiten beigezogen unddarf rechtsgültige Verträge schließen. 
Diese soziale Stellung ist um so beachtenswerter, als nach der schon 
von der altindischen Gesetzgebung ausgesprochenen, auch in den 
Buddhismus übernommenen Anschauung die Frau an und für sich 
weit tiefer steht als der Mann. Und so bleibt es trotz allem der 
heiße Wunsch jeder Birmanin, in ihrer nächsten Geburt als Mann 
das Erdenlicht zu erblicken. 

Die birmanische Hausfrau ist keine Langschläferin. Ihre Arbeit 
beginnt beim Morgengrauen; da wird der für die Tagesmahlzeiten 
bestimmte Reis ausgehülst, was durch Stampfen mit einem schweren 
Holzstößel in einem Holzmörser geschieht. Ebenso frühzeitig wird 
das für den Tagesbedarf nötige Wasser von den Ziehbrunnen geholt; 
ist eine gute Quelle oder der Fluß weit abgelegen, so ziehen die 
Frauen und Mädchen in Reihen mit ihren Tontöpfen auf dem 
Kopfe aus (Abb. 7). Die Hauptmahlzeiten — eine früh gegen 9 Uhr, 
die andere vor Einbruch der Dunkelheit, also beim Tropentag un- 
gefähr um 6 Uhr — bestehen vornehmlich aus Reis, dazu werden 
allerhand Gemüse in dünnflüssiger gewürzter Tunke, auch mit frischen 
oder eingesalzenen Fischen, Fischpastete, Fleisch usw. gegessen. Die 
Familie sitzt um ein niedriges rundes Tischchen; es ist eigentlich ein 
Untersatz aus Geflecht, lackiertem Holz oder Bambus; darauf stehen 
rings um die mit Reis gefüllte Platte die einzelnen Schüsselchen 
mit den Beispeisen.^) Hieraus schöpft einer nach dem anderen Tunke 
und Gemüse auf den vor ihm liegenden Reis, vermischt alles und 
führt die Klümpchen mit den Fingern zum Munde; vor und nach 
dem Essen spült man Mund und Finger. 

Der Haushalt macht der Birmanin nicht eben viel zu schaffen. 
So sehr man auf gute, saubere Kleidung, tadellose Frisur und 



*) Vgl. unsere Archiv für Anthropologie XIV (1915), Taf. V, 3 gegebene 
Abbildung. 



24 Tagesarbeit 



erlesenen Schmuck außer Haus hält, so geringen Wert legt man 
auf das, was wir unter häuslichem Komfort verstehen. Außer einer 
Truhe für bessere Gewänder und Schmucksachen kennt ein bir- 
manisches Haus kein Mobiliar. Die Betten bestehen aus Kissen und 
Decken, die auf einer hübsch geflochtenen Matte liegen; mit dieser 
werden sie morgens zusammengerollt und in die Ecke geschoben. 
Feinere oder gröbere Matten dienen auch als Sitzunterlage auf dem 
Boden; die Sitzweise ist ein kniendes Kauern mit seitlich gewen- 
deten Füßen. Vor dem Buddhabild oder in Anwesenheit hochge- 
stellter Personen ist darauf zu achten, daß die Fußsohlen von die- 
sen abgewendet gehalten werden. 

Der Fußboden, aus gespaltenem Bambus oder Holzplanken, hat 
genügend Zwischenräume, um Staub und Kehricht durchfallen zu 
lassen, und da die Häuser alle auf meterhohen Pfosten stehen, macht 
das nichts aus; ein rutenartiger Handbesen aus Gras erleichtert die 
nötigste Reinigung. So erübrigt die Frau noch reichlich Zeit für 
Nebenbeschäftigung, zumal sich für häusliche Arbeiten und Über- 
wachung der Kinder leicht eine Verwandte findet. Am einträglichsten 
erscheint da ein kleiner Handelsbetrieb, entweder in Gestalt einer 
Krämerbude im Hause selbst oder eines Verkaufsplatzes im Basar. 
Neun Zehntel der Stände in den großen Basarhallen von Mandalay 
und Rangoon stehen unter der Leitung von Frauen und Mädchen, 
die sich den Verschleiß von Lebensmitteln und Gebrauchswaren 
jeder Art bis zu Seide und Edelmetallarbeiten angelegen sein lassen. 

Eine Frauenbetätigung aber, deren rühmenswerte Erfolge uns 
bereits oben (p. 11) bei Besprechung der Acheik in die Augen 
gefallen sind, darf nicht vergessen werden: die Weberei (Abb. 8). 
In Birma weben, wie es auch sonst in der malaiisch-mongolischen 
Welt die Regel ist, nur die Frauen, in Vorderindien nur die Männer. 
Auf dem Lande ist der Webstuhl unter dem Hause zwischen dessen 
Pfosten aufgestellt. Die Lade schneidet der Birmane in seiner 
Abneigung gegen gerade Linien in schön geschwungenen Konturen, 
die Kettenheberollen sind oft in nette Bronzefiguren eingesetzt, 
kleine Glöckchen oder lose Ringe klingen rhythmisch bei jedem 
Schwünge der Lade und künden den Fleiß der Weberin; sie locken 
auch Gesellschaft an — mit Vorliebe dient der Webstuhl als Stell- 
dichein für die jungen Leute. Das Weben wird nicht nur für den 
eigenen Bedarf, sondern auch als Hausindustrie betrieben, die 



Weberei 25 

Weberinnen erhalten von einem Unternehmer die Seide und Baum- 
volle und werden für Stückarbeit bezahlt. Als Durchschnittstage- 
lohn wurden 1911 In Birma 8 Annas (nach damaliger Währung 
70 Pfennig), in Indien die Hälfte gerechnet. 



Abbildung 8 

Seideitareberirt in Amarapura bei Kanäalay, 

Zur Herstellung von Bändern, Gürteln, Sandalen riemen usw. 
wird in Birma noch in ausgedehntem Maße die ethnologisch höchst 
merkwürdige sogenannte Brettchenweberei geübt, bei der die Kett- 
niden durch die durchlochten Ecken quadratischer Täfelchen laufen; 
durch deren Drehung um die eigene Achse wird das Heben und 
Senken der Kette bewirkt, und so entstehen Bandgewebe ("Abb. 3 
unten) von großer Dauerhaftigkeit.') 

Auch bei anderen einheimischen Industrien macht sich das weib- 



') Näheres hierüber haben wir im Münchener Jahrbuch der bildenden 
Kunst 1913, p. 223— 242 miigeteüt. Inzwischen haben A. van Gennep u. 
G. J^quier ein prächtig ausgestattetes Veric verSfTentlicbt : Le tissage aux 
cartons et son utilisttion dficoraiive dans l'Egypte ancienne (Neuchätel 1916). 



26 Frauenarbeitinderindustrie 

liehe Geschlecht nützlich, so bei Anfertigung der bunten Lack- 
gefSße, worin Pagan den größten Ruf erlangt hat; in der Töpferei 
ist namentlich das Dünnklopfen der Wandungen und das Einpressen 
von Mustern an den großen Wassertöpfen Sache der Frauen. Seine 
zahlreichsten Kräfte sammelt der Gewerbefleiß des Landes für jene 



Ahbildung 9 

Yrrfallatia Pnmkkloster nah« Manülay. £iii Numi Mun Kyaung (Glaskloster) berahl aaf den riiehtn 

Spitgilglas/BIUngm an din AaßtniräMrn. Kit Ausnahmt der Treppt dBrchveg Holiia». 

Betriebe, die sich mit der Herstellung von für die Klöster be- 
stimmten Gebrauchs-, Luxus- und Kultobjekten befassen. Die alte 
Hauptstadt Mandalay ist das Zentrum dieser Industrie, die freilich 
seit dem Sturz des einheimischen Königtums in stetem Niedergang 
begriffen ist; denn die Aufträge, die vom Hofe für den Bau und 
die Ausstattung von Klöstern usw. an die Handwerker ergingen, 
fehlen jetzt. Die Freigebigkeit Für die Kirche ist zwar so rege wie 
zuvor ; es werden Pagoden und Klöster gebaut, Mönche zu jedem 
religiösen Feste geladen und mit praktischen und überflüssigen 
Dingen reich beschenkt, oft weit über die Mittel der Spender. Da 



Pr^lgebigkeit für Kultzwecke 27 

diese aber mit immerhin beschränkten Summen einen großen äußeren 
Eindruck erzielen wollen, büßt die Arbeit technisch und künst- 
lerisch zusehends ein. Ein schlimmer Übelstand ist, daß man sich 
am seltensten zur Instandsetzung von Kultbauten entschließt, deren 
Stifter gestorben sind — die Verdienstansammlung fürs Jenseits, 
die durch alle solche Werke angestrebt wird, kommt nach der recht 
naiven Volksanschauung lediglich dem Erbauer, nicht dem Erneu- 
erer zugute! Und so sinken allerorts Ruinen buddhistischer Prunk- 
bauten in den Staub — oft ein viel höheres Alter vortäuschend, 
als sie wirklich haben. Man sehe auf Abb. 7, wie ein Baum mit 
seinen Wurzeln eine inmitten des belebten Klosterareals verfallende 
Pagode umklammert — sie mag schwerlich auf mehr als ein paar 
Jahrzehnte zurückblicken. Und selbst in der Umgebung von Man- 
dalay fallen unzählige Klöster aus der Königszeit mit kunst- 
vollem Schnitzwerk in Trümmer (Abb. 9). Nicht anders ergeht es 
den Buddha-Figuren, die in manchen Klöstern, sobald die Haupt- 
halle überfüllt ist, neuen — leider nicht immer besseren — Bildern 
Platz machen müssen und achtlos in irgend einem Versteck auf- 
gestapelt werden. 

Man darf hieraus nicht ohne weiteres auf religiöse Indifferenz 
der Mönche und Laien schließen. Jenen erscheint alles Vergäng- 
liche unwesentlich und wertlos; ohne Dank, ohne den Blick zu 
erheben, nehmen sie die Gaben entgegen, und nur auf Umwegen 
wagen sie es, einen persönlichen Wunsch leise anzudeuten. Die 
Laien aber halten ihre religiösen Pflichten mit der Hingabe ihrer 
Spenden für erfüllt; was aus ihnen wird, ficht sie nicht an. Aus 
derselben Stimmung heraus erklärt sich auch, daß den Mönchen 
nicht der Gedanke kommt, Vorteil aus der Überfülle frommer 
Geschenke zu ziehen und etwa Kultgegenstände zu veräußern; 
man empfände dies als schmählichen Wucher. „Man soll den Herrn 
nicht verkaufen": mit diesen Worten überreichte uns die Tochter 
eines hohen städtischen Beamten eine Buddha-Figur als Geschenk, 
die schon mit anderen Schnitzereien zusammen zum Verkaufe an 
uns bereitgestellt worden war. 

So manches Bildwerk hätten wir uns durch skrupelloses Vorgehen 
verschaffen können; das wäre undankbar gewesen, denn auf allen Ex- 
peditionen ward uns ein gastliches Obdach in den für buddhistische 
Pilger bestimmten Rasthäusern nie verwehrt, und nicht selten fanden 



28 Buddhistische Mönche 

wir auch in dem würdigen Pongyi ^) einen willigen Helfer für unsere 
Arbeiten, sobald sein Verständnis für ihren Sinn und Zweck geweckt 
werden konnte. Oft wurde ein Kultbild, das eine Typenbereiche- 
rung für die Münchener Staatssammlungen bedeutete, uns als 
Gastgeschenk überlassen, wenn wir zusicherten, daß es daheim 
hinter Glas und Riegel wohl gehütet der Volksbildung dienen und 
zur Veranschaulichung des buddhistischen Lehrsystems gezeigt 
werden sollte. Ein bescheidenes Angebinde beim Abschied, etliche 
Kerzen, ein Paar Seidentücher zur Umhüllung von Abschriften 
heiliger Texte u. a. wurden gerne entgegengenommen. Wohltuend 
sticht diese Uneigennützigkeit ab gegen das Gebahren in manchen 
Ceylon -Tempeln, wo man auf den Obolus der Fremden erpicht wartet 
und ihn an Orten wie Kandy unverblümt fordert. Solche Elemente 
sind in Birma höchst seltene Ausnahmen. 

Verantwortungsvoll ist das geistliche Amt nicht, auf dem Mönch 
lastet keine Seelsorgepflicht. Trotzdem steht der Pongyi in einem ge- 
wissen inneren Verhältnis zu seiner Gemeinde, und die männliche 
Jugend, die ihre elementare Bildung im Kloster einsaugt, behält 
den Lehrer in dankbarer Erinnerung. Die Dorfältesten besprechen 
mit ihm die Gemeinde-Angelegenheiten, und auch die Frauen holen 
sich oft Rat und Trost im Kloster. Sind sie auch von Unterricht 
und Erziehung dort ausgeschlossen, so steht ihnen doch der Zutritt, 
abgesehen von einigen besonders geweihten Räumen, jederzeit frei. 
Gerade die Birmanin mit ihrem scharfen Verstände und ihrem aus- 
gesprochenen rechnerischen Talente ist opferwillig und spenden- 
freudig. Wenn die Mönche am frühen Morgen ihren Almosengang 
antreten, finden sie die Frauen schon mit den Speisen zur Fül- 
lung ihrer Bettelschalen bereitstehend. Und wenn der helle Klang 
der dreieckigen Schlagplatte ertönt, mit dem sich die zum Ein- 
sammeln von Eßvorräten ausziehenden Novizen melden, wird auch 
ihnen die Hausfrau behend die Tragkörbe füllen (Abb. 10). 

An den vier den Mondphasen entsprechenden Feiertagen des 
Monats zieht die Familie zu Kloster und Pagode. Die frommen 
älteren Leute verbringen hier den Tag fastend und halten Andacht 
mit den Pongyi, der Abschnitte des Kanons rezitiert und durch- 
spricht (Abb. 11). Besondere Kulthandlungen gibt es nicht, und 

*)Geschr. Phuhkhyl, gespr. Ponji =großer Ruhm, Titel der Klosteräbte, 
der aber in der Umgangssprache jedem voUordinierten Mönche zugestanden wird. 



KtoslirschSler mit Tragkörbia 



unbehindert gewährt man dem Fremden den Zutritt zu den ge- 
heiligten Stätten. Welch ein Kontrast zu dem lärmenden, von 
schriller Musik begleiteten Götterdienst der Hindu, die in Fana- 



Abblldung 12 

Zmi Fraatn und tiu Kiacheti mit Lack-Spiltcgiflßm nnil einem Bantbas- 
DtckMori. fWacft flmr Pholographii von Samaeli, «anäalay). 

tischer Abwehr den Andersgläubigen vom Innern ihrer Heiligliimer 
und von ihren Opferdarbringungen fernhalten. Während unserer 
Fahrten auf dem oberen Chindwin, dem westlichen Nebenfluß des 
Irrawaddy, haben wir wiederholt der Feiertagsandacht in den ärm- 
lichen Klöstern der Uferdörfer beigewohnt. Bald nach Sonnenauf- 



.1 
1; 



32 BuddhistischeAndacht 

gang ziehen die Frauen mit den vornehmen Spei^egefässen zum 
Kloster, um das Beste von Küche und Vorratskammer den Mön- 
chen zu bringen (Abb. 12). Im dämmrigen Dunkel der Klosterhalle 
legten sie ihre Gaben vor sich nieder und verrichteten mit dem 
Pongyi ihre Andacht (Abb. 13); die aufsteigende Sonne sendet 
durch die geöffnete Türe ihre Strahlen, die mit ihrem schimmern- 
den Licht die stillen Beterinnen überflutet. Im Hintergrund trap- 
pelte die Schuljugend herum und freute sich des ungewohnten 
Besuches. Und wenn der Abend sich über das Flußtal senkte und 
auf den Flössen und hinter den Dorfhäusern sich die kleinen 
Bambusflöten vernehmen ließen, auf denen die Liebhaber den be- 
gehrten Schönen ihr Ständchen bringen, da klangen auch die silber- 
klaren Töne der Bronzeplatte, die zur Abendandacht rief, über die 
wehenden Palmen und über den Fluß. Der letzte Schimmer des 
Tages gleitet in die Klosterhalle, wo reihenweise Männer und 
Frauen knien: einer der älteren Dorfbewohner hat das Vorbeter- 
amt übernommen, und mit gedämpften Stimmen fällt der Chor ein. 
Vor den Frauen stehen gefüllte kleine Blumenvasen, die sie von 
Zeit zu Zeit in den gefalteten Händen andachtsversunken empor- 
halten (Abb. 14). Schnell sinkt die Tropensonne hinter dem Bambus- 
gehölz am Ufer, und stille wandeln die Beter im einbrechenden 
Dunkel ihren Hütten zu. 

Einen ähnlich starken Eindruck erlebten wir in der Stadt Man- 
dalay. Scharen von Wallfahrern zieht die Arakan-Pagode hierher, 
in der eine hochheilige Buddhastatue verehrt wird. In neuerer 
Zeit aber ist noch ein besonderer Anziehungspunkt dazu gekommen. 
Aus dem Bronzebehälter, der im Jahre 1909 im Schutt des großen 
Kanishka-Stüpa unfern Peshawar gefunden wurde, hat man den 
sechskantigen Bergkristall, in dessen Höhlung die Buddhareliquien 
(Knochenfragmente) lagerten, der Arakan-Pagode überwiesen. Sie 
waren zur Zeit unserer Anwesenheit (1911) in einem feuerfesten 
Geldschrank geborgen, der in der Zelle neben dem goldglänzenden 
Riesenbuddha steht, und sollen dort ruhen bis zur Vollendung des 
Tempels, der durch freiwillige Spenden auf dem Wallfahrtshügel 
bei Mandalay errichtet wird. Die Seele dieses Planes ist der Eremit^) 



^) Ober Tracht und Lebensführung birmanischer Asketensekten vgl. das 
textlich und illustrativ gleich hervorragende Werk von M. und B. Ferrars 
Burma (London 1901), p. 39. 



34 Buddhistische Nonnen 

U Kanti (Abb. 15), der ohne seiner Würde viel zu vergeben, 
eine ungemein rührige, auch finanziell ergiebige Tätigkeit entfaltet. 

Geeignete Fürsprache ermöglichte es uns, die kostbaren Reli- 
quien außerhalb ihres finsteren Gewahrsams zu sehen. Sie wurden 
über den Hof in eine lichte Halle gebracht, und ehrfurchtsvoll 
wurde ihr Träger mit dem goldverzierten Würdeschirm auf seinem 
Wege überdacht. Ihm nach drängten fromme Beter, wie sie zu 
allen Tagesstunden vor dem Heiligtum der Pagode in Lichterglanz 
und Blumenduft auf den Knien liegen. Es wurde ihnen gestattet, 
an der Besichtigung teilzunehmen, und inbrünstig sanken Männer 
und Frauen, Kinder und Nonnen mit Blumengaben vor den Aschen- 
brandresten des Erhabenen nieder, die nur einmal im Jahr dem 
Volk in dieser Halle in einem Glasgehäuse zur Verehrung ausgesetzt 
werden. Ein goldener lotusförmiger Aufsatz mit Kuppeldeckel ist zu 
ihrer Aufnahme angefertigt worden; daneben stellte man die Abbil- 
dung des Bronzebehälters ^), der in Peshawar geblieben ist (Abb. 16). 

Wir haben eben der Nonnen Erwähnung getan. Sie führen in 
Birma kein durch strenge Ordensvorschriften geregeltes Kloster- 
leben und befolgen eine ähnliche Lebensweise wie die außerhalb 

« 

des Klerus stehenden Eremiten und Wanderasketen. Gleich diesen 
tragen sie Gewänder von fahler, rötlichgelber Färbung, in der so 
häufig auch die Büßer und Einsiedler in Vorderindien gesehen 
werden. Das Nonnengewand entspricht der Mönchsrobe: über der 
Lendenbekleidung ein Tuch als Rock um den Unterkörper und ein 
großer Umschlag für den Oberkörper; dazu aber kommt eine 
Jacke. Das Haupthaar ist wie bei den Mönchen kurz geschoren, so 
daß der Fremde leicht glauben kann, einen Mann vor sich zu haben.^) 

Wöchentlich einmal ziehen die Nonnen mit einem Korb oder 
einer großen Schale auf dem Kopf zum Sammeln von Lebensmitteln 
für ihren Unterhalt aus (Abb. 17). In einzelnen ihrer Klöster wird 
Schulunterricht für Mädchen erteilt, die meisten Nonnen aber sind 
Analphabeten. Wo sie sich in der Nähe von Mönchsklöstern nieder- 
lassen, besorgen sie für diese unterwürfig wie die Laienwelt aller- 



^) Er trägt die RelieFgestalten Buddhas, des Königs Kanishka und mehrerer 
Götter; auf dem Deckel Buddha mit zwei Bodhisattva in Vollplastik. Vgl. 
D. B. Spooner, Archaeol. Survey of India, Annual Report 1908—9, p.38— 59. 

^) Kurt Boeck, Durch Indien ins verschlossene Land Nepal (Leipzig 1903) 
bringt p. 38 das Bild einer Nonne und erklärt es als »Pungi mit silberner 



Abbildung 15 

uf dem WallfakrtsIliK'' M 
vtrgoläiltr Lackarbelt (ma 
Maieaia jir Välketkanie gi. 



36 Die Frau im Buddhismus 

hand kleine Dienste. In der allgemeinen Ach- 
tung stehen sie hinter den Mönchen weit 
zurück. Die kanonische Literatur mit ihren 
wenig galanten Urteilen über das Frauen- 
gescblecht erechlieOt ganz ähnliche Ein- 
blicke; hierin ist also seit den Tagen Bud- 
dhas so ziemlich Alles beim Alien geblieben. 
Um übrigens die Betätigung der birma- 
nischen Frau innerhalb derganzen religiösen 
Sphäre richtig einzuschätzen, muß man zu- 
nächst diese selbst zu verstehen trachten. 
Mit dem Schlagwort „Buddhismus" allein 
ist es um so weniger getan, als sich hier in 
unseren landläußgen Anschauungen zuviel 
Einseitiges, Schiefes einnistet. Es wird leicht 
vergessen, daß der Buddhismus denselben 
Weg zurückgelegt hat wie andere Weltreli- 
gionen, daß also die Grundlehren des Stif- 
ters im Laufe derjahrhunderte verändert und 
verwässert worden sind. Für das Volk, das 
theoretischen Erörterungen kühl gegenüber 
steht, bedeutet „Atheismus" und „Pessimis- 
mus", so gewichtig diese Begriffe für die ge- 
schichtliche Analyse der Buddha- Lehre sind, 
herzlich wenig, und auch über die subtile 
Nirväna-ldee, um die so viele Federn stumpf 
geschrieben worden sind, zerbricht man sich 
Abbildung 17 kaum je den Kopf. Andererseits zeigen sich 

jBinmeiii von ubensiaitieisptadta dem gcschärftcn Auge höchst merkwürdige 
besiimmun Traeiiorb. Reste jener Glaübensvorstellungcn, Über die 

der Buddhismus in Ausübung seiner missionierenden Aufgabe — 
die in Birma noch lange nicht zu Ende geführt ist — seine Kultur- 
schicht zu breiten verstand. 

Schale zum Reis sammeln". Schon die Jacke hätte den Irrtum ausschließen 
müssen; außerdem trägt kein Pongyi eine Edelmetallschale beim Beitelgang. 
Auch die Abbildung p. 39 „Frau aus Kaischin" bedarf einer gründlichen 
Richtigstellung — man sieht, welche Vorsicht bei der Verwertung von Text 
und Bildmaterial gar zu eiliger Reisender am Platze ist. 



Buddhismus und Geisterkult 37. 

So darf man also auch nicht etwa in der Birmanin eine Hüterin 
der reinen Buddha-Lehre suchen. Für das ganze birmanische Volk 
steht, wenn auch im Hintergrund und ohne offenkundliche Betonung, 
neben Buddhas hehrer Gestalt und neben den wohlwollenden Ge- 
nien, die aus den indisch-buddhistischen Heiligenscharen übernom- 
men wurden, ein Heer unheimlicher Geister, die der Buddhismus 
nicht bannen konnte und wollte, sondern mit anpassungsfähiger 
Duldsamkeit unter seinem Mantel geborgen hat. Zu diesen viel- 
gefürchteten „Nat" gesellen sich noch ständig neue Gespenster: 
die Geister gewaltsam getöteter oder durch Unfall gestorbener 
Menschen, die an der Stätte ihres Todes „umgehen" und durch 
Opfer, bisweilen sogar durch regelrechte Feste, beschwichtigt werden. 
An alledem wird der buddhistische Mönch zwar keinen offiziellen 
Anteil nehmen, aber auch er bleibt doch ein Kind seines Volkes 
und wird diesem und anderem Aberglauben gegenüber mitfühlend 
ein Auge zudrücken. In den Nördlichen Shan-Staaten begrüßten wir 
als Oberhaupt eines Klosters einen 75 jährigen Greis (Abb. 18), 
dessen Brust und Arme mit einer Unzahl erhöhter Punkte durch- 
setzt waren ; es sind unter die Haut eingelassene kleine Silber- 
münzen, Amulette gegen Hieb-, Stich- und Schußwaffen ! Diese 
runden Metallstückchen in der Größe etwa unserer alten silbernen 
Zwanzigpfennig- Münzen heißen „set" (geschrieben cak = sanskrit 
cakra „Rad") und zeigen leicht eingraviert vier Silbenzeichen, bei 
deren Zusammenstellung verschiedene Schemata möglich sind. Die 
Mühe, einen Sinn herauszulesen, wäre vergeblich; solcher mystischer 
Bannsilben bedient man sich auch in Ostasien und am allermeisten in 
Tibet, wobei die indische Herkunft unzweifelhaft hervortritt. Wenn 
die Shan an eine Deutung glauben, die von Tiernamen in den Er- 
zählungen von Buddhas früheren Existenzen ausgeht, ^) so ist das 
eine durchsichtig sekundäre Erklärung. In den Nördlichen Shan- 
Staaten sagte man uns, daß es sich bei der Sache um eine von 
der alten Birmanen-Siedelung nahe Lashio übernommene Sittef handle, 
während man anderwärts die Priorität für die Shan in Anspruch 
nimmt. Die Amulette werden, bevor man sie unter die Haut schfebt, 
ein bis zwei Jahre lang in eine rotgefärbte Mischung aus Bienen- 



^) L. Milne and W. W. Cochrane, Shans at home (London 1910, ein 
warm und sachkundig geschriebenes Buch), p. 67; Ferra rs a. a. O. p. 13; 144 

3 



Abbildung 18 

ritigelassintn Amalitlin 



Buddhismus und Ceisterkult 3g 

wachs und Sesamöl gelegt. Die Vermutung Hegt nahe, daO der 
gute Alte, den wir in Hsipaw photographierten, wohl erst in späteren 
Jahren nach einer bewegten Jugend, in der ihm jener Zauber als 
wünschenswerter Besitz erschien, den Weg der WeltBucht beschritten 
hat. Freilich waren unter den Banden, die in den letzten Jahren 



Abbildung 19 

FtMch aafgcputzli NaI (Geistir) -Figuren. Kanäalay. 

der zerrütteten Königsherrschaft und noch nach Beginn der briti- 
schen Regierung das Land als patriotische Rebellen unsicher machten, 
auch Mönche gewesen.*) 

Ruft man sich ins Gedächtnis, wie vortrefflich es Buddha ver- 
standen hat, mit altüberkommenen Volksanscbauucgen zu paktieren, 
so wird man keinen besonderen Anstoß daran nehmen, daß auch 
der birmanische Mönch unserer Tage sich nicht dagegen sperrt. 



') Hierüber John Stuart, Burma through the centuries (London 1909), 
p. 174 IT. und Charles Crosthwaite, The pacißcation of Burma, namentlich 
p. 37ir. Siehe auch Cazetteer oF Upper Burma and the Shan States (Rango^ 
1900/01) 1,2, p.79— 82; Shway Yoe (Sir George Scoit), The Burman (Loniltfn 
1910), p. 43 f. — Die Wirbung eines ganz ähnlichen Unverwundbarkeitszaubers 
will schon Marco Polo festgestellt haben; s. H. Yule's 2. Ausg. (London 
1875) II, p. 241 f.; 244. 



40 I^ie Shan 



durch fromme Sprüche dem von Geistern drohenden Unglück ent- 
gegenzuwirken, und daß er auch keinen Einspruch dagegen erhebt, 
wenn die grotesken Figuren einzelner „Nat" sich in unmittelbarer 
Nähe von Buddha -Statuen aufpflanzen und hier ihres regulären 
Kultes harren. Die Frauen schließen sich hiervon durchaus nicht 
aus; ja es gibt „Nat-Kadaw", die als den Nat Vermählte ihnen 
Opfer darbringen und ekstatische Tänze vor ihnen aufführen. Ab- 
bildung 19 zeigt mit Seidentüchern festlich aufgeputzte Nat-Figuren, 
in einer Bambusbaracke auf ein Podium gestellt, und vor ihnen 
treten (Abb. 20) die Nat- Weiber in der für jeden Nat eigens vor- 
geschriebenen Kleidung zum Tanze an. Mit diesem Beruf ver- 
binden sie häufig den des Wahrsagens, und auch hierbei verstehen 
sie, aus ihren „Gatten'' an Wallfahrtsplätzen und bei anderen pas- 
senden Gelegenheiten Kapital zu schlagen. 

III. 

Greifen wir nunmehr von den übrigen Stämmen Birmas zunächst 
jene heraus, die sich zum Buddhismus bekennen — ein Kriterium, 
das auf die ganze zivilisatorische Entwicklung bestimmenden Ein- 
fluß ausübt — so stehen die Shan als größte und zugleich kulturell 
vorgeschrittenste Masse voran. Der letzte Zensus (1911) beziffert 
sie mit 996,946 Personen. Ihr jetziges Verhältnis zu den Birmanen 
leistet einer falschen Auffassung ihres Werdeganges insofern Vor- 
schub, als man aus ihrem Bestreben, sich den Birmanen anzu- 
gleichen, leicht den Schluß zieht, daß diese schlechthin als die 
Besitzer einer älteren, für die Shan vorbildlichen Kultur zu gelten 
haben. Zu einem vorsichtiger abwägenden Urteil befähigt erst ein 
historischer Rückblick.^) 

Die Shan nennen sich selbst Tai — Freie; wann und wie der 
Name Shan für sie in Aufnahme gekommen ist, konnte bis jetzt 
nicht enträtselt werden. In ihren verschiedenen Abzweigungen, die 
sich mit einer Unzahl Sondernamen belegen, bilden sie den am 



^) Vgl. zum Folgenden W. W. Cochrane im einleitenden Kapitel bei 
Mi Ine a. a. O. und Gazeiteer of Upper Burma I, 1 p. 187 ff. — Das 
neuere Buch von Cochrane, The Shans (Rangoon 1916), zu dem wir auf 
Wunsch des Verfassers, der uns s. Z. hilfreich an die Hand ging, Abbildungen 
beisteuerten, ist uns leider nur aus der Besprechung (Journal of the Royal 
Asiatic See. 1917) bekannt geworden. 



Verbreirung der Shan 41 

weitesten verbreiteten und zugleich zahlreichsten Volksstamtn der 
hinterindischen Halbinsel. Shan-Gruppen finden wir — abgesehen 
von den verstreut unter der birmanischen Bevölkerung lebenden — 
in Assam, wo im 13. Jahrhundert das große Shan-Reich der Ahom be- 
stand, und an der West- und Nordwestgrenze Birmas; kompakter sind 



sie im Nordosten und Osten Birmas als kleinere und grijßere Einzel- 
staaten zusammengeschlossen in den sog. Nördlichen und Südlichen 
Shan-Staaten. Von hier greift ihr Volkstum zur chinesischen Grenz- 
provinz Yünnan über, zu den Laos-Staaten und vor allem nach 
dem Königreich Siam, dem einzigen noch unabhängigen Reich der 
Tai -Gemeinschaft. In der Spräche sowohl, wie in der Schrift 
— die vom Birmanischen übernommen ist — haben sich solche 
Verschiedenheiten herausgebildet, daß sich ein Siamese mit Mühe 
und Geduld wohl mit seinem entlegensten Stammesgenossen, dem 
Hkamti-Shan an der assamesischen Grenze, verständlich machen 
kann, aber nicht mit dem ihm unmittelbar benachbarten Lao-Shan; 



42 Geschichte der Shan 

hinwiederum ist die Schrift der Hkamti und der Siamesen am weitesten 
verschieden. 

Die Shan stammen aus dem südwestlichen China und haben sich 
dort zu einem gesonderten Volkswesen entwickelt. Aus der Ein- 
heitlichkeit der jetzt so weit verstreuten Shan-Stämme läßt sich 
schließen, daß sie schon in China kulturell und politisch eine 
gewisse Höhe erreicht hatten. Jahrhunderte hindurch behaupteten 
sie sich in Yünnan als die vorherrschende Macht. Über ihr frühe- 
stes Auftreten in Birma weiß man wenig; es mögen schon in vor- 
christlicher Zeit Einbrüche der Shan erfolgt sein. Die birmanische 
Überlieferung berichtet von zwei großen militärischen Expeditionen 
der „Tayok* aus Yünnan, von denen eine kurz vor Beginn unserer 
Zeitrechnung, die andere ungefähr 240 n. Chr. erfolgte. Tayok ist 
das birmanische Wort für Chinesen; da diese aber erst im 13. Jh. 
Yünnan eroberten, können nur die Yünnan-Shan gemeint sein, die 
auch später noch öfter als „Tayok" in der birmanischen Geschichte 
auftauchen. Noch jetzt werden die an der Nordostgrenze wohnen- 
den Shan, die als Handwerker und Händler Birma durchwandern 
„Shan-Tayok"= chinesische Shan genannt. Die Haupteingangspforte 
war jedenfalls das Tal des Shweli, eines aus dem Yünnan kom- 
menden Nebenflusses des Irrawaddy, der bei Namhkam die Grenze 
überschreitet. Dieses Tal wurde von den Shan wahrscheinlich lange 
Zeit kultiviert und dicht bevölkert. Im 6. Jahrhundert scheint sich 
ein starker Einwanderungsstrom von den Yünnan-Bergen ins Shweli- 
Tal und dessen Umgegend ergossen zu haben. Von dem Shan- 
Namen des Shweli „Nam Mao* (nam = Wasser) haben seine An- 
wohner die Bezeichnung »Mao-Shan** erhalten. Sie gründeten anfangs 
des 7. Jahrhunderts das mächtige Mao-Shanreich, das sich bis in 
die ersten Jahre des 17. Jahrhunderts erhielt und das ungefähr 
gleichaltrige Shan-Reich Nan-chao (= südliches Reich) mit der Haupt- 
stadt Talifu überflügelte. Letzteres fiel 1254 der Mongoleninvasion 
unter Kublai Khan zum Opfer; es umfasste Yünnan, Teile der 
Provinzen Szechuen und Kuangsi und erstreckte sich einerseits 
über Oberbirma und Assam bis zum vorderindischen Magadha- 
Reich, dessen Hauptgebiet im heutigen Bihär lag, andererseits bis 
gegen Tonkin und Kambodscha. 

Vom Nam Mao aus verbreiteten sich die Shan über die jetzigen 
Shan-Staaten Birmas, dann nördlich ins Hkamti-Gebiet, in das Land 



GeschichtederShan 43 

westlich vom Irrawaddy bis zum Chindwin und zur Assam-Grenze 
und eroberten später Assam selbst. Im 13. Jahrhundert scheint das 
Mao-Reich seinen Zenith erreicht zu haben. Wenn wir von der 
Mongolen-Invasion hören, die 1284 das Pagan-Reich in Birma zu 
Fall brachte und hierbei das Mao -Reich unberührt ließ, so darf 
man wohl unter jenen Mongolen — die birmanische Überlieferung 
spricht wieder von „Tayok* — die aus Yünnan verdrängten oder 
vielleicht gar den Mongolen verbündeten Shan vermuten. Wenig 
später ward das birmanische Reich in Staaten aufgeteilt, in denen 
sich Shan-Fürsten zu Herrschern aufwarfen. Wie in Oberbirma, so 
vermochten auch im Süden sich Shan-Abenteurer auf den Thron 
zu schwingen; Martaban und Pegu hatten bis zur Mitte des 16. Jahr- 
hunderts Shan-Fürsten. Somit stand vom Ende des 13. bis zur 
Mitte des 16. Jahrhunderts ganz Birma, Arakan ausgenommen, unter 
Shan - Herrschaft. Die Befreiung kam von dem Vertreter einer 
obskuren Dynastie, die sich ein Reich in Toungoo (gespr. Taungu) 
aufgerichtet hatte; der junge Fürst Tabin Shweti hielt sich für den 
berechtigten Nachfolger der alten birmanischen Könige und unter- 
nahm es mit Erfolg, sein vermeintliches Erbe zurückzuerobern. 
Mit dem 14. Jahrhundert hatten auch schon chinesische Angriffe 
auf die Mao-Shan begonnen. Eingekeilt nun zwischen Chinesen 
und den wieder erstarkenden Birmanen verlieren die Shan mehr 
und mehr von ihrer nationalen Selbständigkeit, und innere Zwistig- 
keiten tun das Letzte, um die Shan-Geschichte vollends mit der 
birmanischen zu verquicken. 

Die Shan sind sämtlich Buddhisten^) — seit wann, ist unbekannt; 
sicher aber waren sie es schon im 1 I.Jahrhundert zur Zeit Anaw- 
ratas, des berühmten birmanischen Königs und religiösen Reformers, 
der eine Tochter des Mao-Shan-Herrschers zur Frau nahm. An- 
scheinend war aber ihr Buddhismus ziemlich korrupt, da im 16. Jahr- 
hundert ein anderer birmanischer König den Shan am oberen 
Irrawaddy religiöse Reformen aufzwang. Noch heute wird die 
buddhistische Lehre bei den unter birmanischem Einfluß stehenden 
Shan weit gewissenhafter beobachtet, als bei den Shan an der Ost- 
grenze gegen Siam und in Yünnan.^) 

*) Ober ganz vereinzelte Ausnahmen macht H. R. Da vi es, Yün-nan, the 

link between India and the Yangtze (Cambridge 1909) p.205; 383 f. Mitteilung. 

^) Eine besondere Sekte, Sawti genannt, die ihren Hauptsitz in Namhkam 



Die Shan sind ein ruhiges, gutmütiges, lieiieres Volk von kräf- 
tigem, untersetztem Körperbau, etwas kleiner als die Birmanen 



Abbildung 21 
und (SO Jahre all) ml dtt jBngeren (16 lahrij 



{Abb. 21). Der Gesichtsschnitt ist breiter, die Augen ein wenig schrä- 
ger gestellt, die Gesichtsfarbe heller, im Ganzen ßfemerkt man eine 

hat, kümmert sich um Klöster und Mönche überhaupt nicht (Gazetteer o' 
Upper Burma II, 2, p.601, 603) und hat auch den alten Shan-Kalender mit 
360 Jahrestagen beibehalten (J- ^- Ctrshing, Elementary Handhook ofthe 
Shan language' [Rangoon 1906], p. 52). 



Kleidung 45 

Annäherung an den chinesischen Typ. Den Frauen fehlt zwar die 
Beweglichkeit und das pikante Wesen der Birmaninnen, aber mit 
ihrer frischen Gesichtsfarbe, die bei manchen Stämmen, z. B. den 
Namhkam-Shan, sogar rosig ange- 
haucht ist, ihrer kräftigen, dabei ge- 
schmeidigen Figur Und ihrem liebens- 
würdigen, frohen Wesen erscheinen 
sie ungemein sympathisch. Sfe wer- 
den bei vorrückendem Alter nicht 
so hager wie die meisten Birmaninnen 
und bewahren ihren freundlichen Ge- 
sichtsausdruck (vgl. Abb. 22), Die 
Kleidung ist im Wesentlichen die 
gleiche, wie die birmanische, jedoch 
erzeugt die hochstehende Webkunst 
eigene Muster und Farbenstellungen. 
Leider wirkt aber der birmanische 
EinßuQ schon sehr nivellierend, und 
selbst in entlegenen Gebieteji der 
Shan-Staaten gilt, namentlich bei an- 
gesehenen Personen, für die Fest- 
kleidung die birmanische Tracht als 
vornehmer. So halte auch die junge 
Frau des Dorfvorstandes von Lashio 
(Abb. 21) eiligst ihren Acheik-Tamein 
umgelegt, als sie sich für eine photo- 
graphische Aufnahme bei uns auf- 
stellen sollte. Den richtigen Shan- 
Rock, quer gestreift, trägt die Alte 
auf Abb. 22. Ein merklicher Unter- AbMldung 22 

schied tritt vor allem darin herVOr.daß •*'" Sban-Fraa. Hmantm am o»«*n Ch:ndwm 

die Birmanin den Kopf unbedeckt läQt, 

während ihn die Shan-Frau mit einem Turban umwindet, der je 
nach der Stammessitte weiß, farbig quergestreift oder einfarbig mit 
Eadbordüren ist; darunter ist das Haar schnittcklös in einem Knoten 
auf dem Scheitel aufgesteckt. Zum Schutz gegen Regen und Sonne 
trägt man einen groQen glockenrörmigen Hut, der aus Bambus- 
streifen und den Blattscheiden des RiesenbSmbus verfertigt 



46 Weberei 

ist; zur Feldarbeit wird er ganz allgemein, auch bei den Bir- 
manen, benutzt. In den Nördlichen Shan-Staaten bat er einen 
spitzen, zuckerhutförmigen Kopf, in den südlichen kommt neben 
diesem auch die kuppeiförmige Rundung vor; bessere Stücke ver- 
ziert man mit Silberdraht und bunten Seidenßden. Die Männer 
bevorzugen als Sonnenschutz in der trockenen Jahreszeit breit- 
randige schlappende Hüte aus Strohgeflecht, die in Yünnan ge- 
thacht sind (vgl. Abb. 21). Von 
der Kleidung der Männer ist 
! nicht viel zu sagen: die lose, 

I seitlich geschlossene [acke und 

die sackigen weiten Hosen, eine 
I chinesische Kleiderform, sind 
nicht nur bei den Shan, son- 
dern auch bei allen in Reich- 
weite ihres Kulturkreises woh- 
nenden Bergvölkern das ein- 
heitliche Männergewand. 

In der Weberei hätten es 
die Shan-Frauen sicher nicht 
nötig, bei ihren birmanischen 
Schwestern eine Anleihe zu 
machen, denn sie verfügen über 
eine reiche Mannigfaltigkeit 
I kunstvoller Web- und Wirk- 

*kK-ij »la arbeiten, die ihren EinBuß auf 

Abbildung Z3 ' 

Tasciu aas ätnt Hkamti-Shan-Gebul. V7 "al. Grösse, die TCXtÜkunSt der benachbarten 

Bergvölker nicht verfehlen. Be- 
sonders gilt das für die Umhängetaschen. Bei den Hkamti-Shan im 
Nordwesten werden sie mit einer Fülle stilisierter Tier- und Pflanzen- 
motive geziert, und die dort wohnenden Kachin tragen sie ebenfalls 
und ahmen sie auch nach (Abb. 23). In den Südlichen Shan-Staaten 
sind es die im Umkreis des Inle-Sees gefertigten Taschen (Abb.24— 25), 
die man dort nicht nur bei den Shan, sondern auch bei den meisten 
unzivilisierteren Stämmen der Umgegend (vgl. Abb. 30) sieht. Sie 
sind eine Mischung von Web-, Wirk- und Stickarbeit, mit Sternen 
aus dem weißen Samen von Coix lacryma (Hiobstränen) benäht. 
Außerdem entstehen auf den Webstühlen (Abb. 26) der geschickten 



Namhkam-Sban 47 

Shan-Frauen Stoffe für Röcke, Umschlagtücher etc. in mannigfacher 
Köpemiusterung, in Bindßrberei und in golddurchwirkter Seiden* 
Weberei. Bei den nördlichen Shan, namentlich bei den Namhkam* 
Shan dicht an der Ostgrenze, finden vir an Röcken, Umschlag- und 
TurbantQchern, an Bettdecken und Matratzenstoffen eine Menge 
geometrischer Muster, die ihre 

chinesische Abkunft verraten. Die ' 

Namhkam-Shan wohnen ja an der | 

alten EinlaOpforte der Shan-Ein- j 

Wanderung aus China; und wenn 
sie auch durchaus zu den nörd- 
lichen, d. h. birmanischen und nicht I 
zu den chinesischen Shan gezählt . 
zu werden wünschen, 'J ]so verbin- 
det sie doch gerade mit diesen ' 1 
ihre materielle Kultur, wie nament- 
lichdie Arbeiten derSilberschmiede 

und die Webkunst der Frauen ^) j 

zeigen. 1 

Die Namhkam-Shan sind beson- I 

ders hellfarbige und kräftige Leute. 
Im Äußern und in der Gewandung 
heben sie sich von den übrigen 
Shan in Birma ab; aber auch 
von den Yünnan-Shan sondern sie [ 
sich zu ihrem Vorteil durch man- 
cherlei, was sie dem birmanischen 
Vorbild verdanken. Während letz- 
tere nach chinesischer Art ihre 

nicht eben hervorragend sauberen Häuser auf ebener Erde er- 
richten und Schweine halten, bauen jene die üblichen Pfosten- 
häuser, deren Umgebung ansprechend reinlich ist. Die Frauen sind 
meistens recht hübsch; die Alltagstracht (Abb. 27) ist ziemlich 
düster, schwarz ist sowohl für Rock und Turban wie für die mit 
Stehkragen versehene Jacke die gebräuchliche Farbe. Belebt wird 



') Gazetteer of Upper Burma II, 2, p. 601. 

') Vgl. das wohl begründete Lob bei John Anderson, Mandalay 
Momien (London 1876), p. 298 r. 



48 Naiühkam-Shan 

sie bei der Festkleidung durch die farbenbunten geometrischen 
Seidenmuster der Turbanenden und der unteren Rockhälfte. Am 
Rock sind vertikale Felder verschiedener Haken- und Raulen- 
muster, unten begrenzt von geflochtenen Börtchen aus vergoldeten, 
lederähnlicben PapierstreiFen, denen sich häufig noch eine Reihe 



Abbildung 25 
Hlrsltllang des GranagewIHes für Taschen aii Abb. 24, Ngaiiiaang, Kaiinni'Slaaiin. 

silberner Gehänge oder kleiner Schellen anschließt; den Endrand 
bilden schwarze Samtblenden. Der Silberschmuck am Halse be- 
schränkt sich auf kleine Schließen am Stehkragen der Jacke; zu- 
weilen werden lange Sitberge hänge, wie bei den Shan in China, mit 
Zahnstocher, Ohrlöffel, Nadelbüchschen usw. an der linken Jacken- 
Seile oberhalb der Brust befestigt. Ein typisches Schmuckstück der 
Namhkam-Shan-Frauen — jedenfalls auch von den chinesischen Shan 
übernommen*) — ist der breite, manschetten förmige Silber^rmreif,. 

') Caz. of Upper Burma !, 1, p. 205. 



Hohaa-Shan 49 

der mit Filigran -Ornamenten und großen Kugeln verziert ist. Auf 
Abb. 28 sind mit diesem Schmuckstück beide Arme einer Frau 
versehen, die, obwohl in Namhkam-Shan-T rächt, durch ihren 
Gesichtsschnitt und gedrungeneren Körperbau merklich von der 
typischen Namhkam-Shan-Frau auf Abb. 27 absticht. Sie gehört mit 



'■Sit; Hirsfellaag einit liliirdarchwirktm SeiitTtracki. 

ihren Begleitern zu den Hohsa <birra. Schreibung: Hotha)-Shan, 
die ihre Heimat in Yünnan, nahe der birmanischen Grenze, nord- 
östlich von Bhamo haben.') Sie bilden dort die Hauptmasse der 
Bewohner des kleinen Tales Mönghsa, das die beiden Staaten 
Hohsa und Lahsa umschlieQt. Da der Boden des Landes nicht 
genügende Nahrung für die noch durch chinesischen Zuzug stetig 

') Vgl. zum Folgenden J. Coggln Brown, The A-ch'ang (Maingtha)' tribe 
of Hohsa-Lahsa, YDnnan^Journa] and Proceedings AsiaticSoc. oFBengal, N. S. 9 
(1913f, p. 137— 148 u. die dort vermerkte Literatur. Unsere Abbildung 28 ist 
das einzige uns bekannte Bild einer Hohsa-Frau; ein Mann ist abgebildet 
bei H. R. Davies, rün-nan..p. 2a; vgl. auch den Text hier p.395f. 



50 Hohs«-Shan 

wachsende Bevölkerung liefert, wandern viele in das benachbarte 
Hinterindien aus. In der trockenen Winterszeit durchziehen diese 
Leute Birma als Silberarbeiter, Schmiede, Stein- und Erdarbeiter 
und sind dort unter dem Namen «Maingtha" bekannt, der eine 
Adaptierung des Sban-Namens ihres Heimatlandes Mßnghsa ist 
(Möng^Land, Stadt). Der Zensus von 
1911 verzeichnet 401 in Birma an- 
sässige Hotha-Shan. Dieser Name 
hat für das Völkchen, das auf Grund 
neuerer Untersuchungen zur Kachin- 
Gruppe der Tibeto - Birmanen zu 
stellen ist, eigentlich keine Berechti- 
Sung, obwohl er von ihm selbst an- 
gewendet wird; auf eindringliches 
Befragen erhält man auch das Zu- 
geständnis, daß der Stamm nicht zu 
den Shan zählt. Auch die Herrscher 
der beiden Staaten, die sich von chi- 
nesischen Vorfahren ableiten, sind 
dieser Ansicht. Der richtige Stam- 
mes-Name ist Achang oder Ngacbang; 
lange Zeit haben verschiedene For- 
scher sich mit dem Rätsel ihrer Ab- 
stammung befaßt, die durch den 
Abbiidune 27 Übertritt zum Buddhismus und durch 

K.n,hkan,.siu,n-Fra^,Mojnunk bei Bh„m,. j^^ Untertauchen in chinesischer und 
Shan-Kultur verschleiert ist. Sie spre- 
chen Shan, viele verstehen auch ebenso gut chinesisch; daneben haben 
sie aber noch einen eigenen Dialekt, der mit den Sprachen der 
Zi, Lashi und Maru verwandt ist, und das sind Volksgruppen, die 
von der birmanischen Einwanderungswelle in den Hochländern des 
Irrawaddy-Quellflusses Nmaikha zurückgeblieben sind und in sich 
birmanische und Kachin-Elemente vereinigen.') Von solchen Be- 
ziehungen wollen freilich die Achang nichts wissen; als zivilisierte 
eifrige Buddhisten lehnen sie jede Gemeinschaft mit den verach- 

') Damit ist eine im Prinzip schon von J. N. Cushing, Shan and 
English dlctionary (Rangoon 1881), p. <6) entwickelie Ansicht des nSbcren be- 
gründet. 



Hohsa-Shan 51 

teten Yeyön (= wilden Menschen) — wie die Chinesen die Kachin 
und ihre unkultivierten Verwandten nennen — ab. Immerhin be- 
wahren sie, wie wir unweit Bhamo von einer Frau aus Hohsa er- 
fuhren, eine Tradition, daß sie vor 300 Jahren von Nordwesten 
in ihre jetzigen Wohnsitze gekommen seien. Zur Stütze der Sciiei- 
dung zwischen Yunnan-Shan und Acbang verweist J. C. Brown 



Achavg (Hoksa-Slian) in dir diintsischta Sliaa-Siidelang von Namhkam, Nördl. Shan-StaaUn. 

(a. a. O. p. 140) auf den Unterschied in physischen Merkmalen und 
in der Prauenkleidung, den John Anderson') feststellt. Danach er- 
gibt sich eine Gewandung von der Art, wie wir sie bei den 
ebenfalls zu den Tibeto-Birmanen gehörigen Lishaw (unten Ab- 
schnitt IX) kennen leraen werden. Diese heimische Gewandung ver- 

*) a. a. O. p. 293. (Brown zitiert nach Anderson's uns unzugänglicbem Re- 
port on tbe expedItioR toYunnan via Btiamo.Calcutta 1871, wobi nur einem 
Vorläufer des oben p. 47 Anm. 2 angeführten Buches.) 



52 Yünnan-Shan 

liert sich bei der Grenz- und Wanderbevöllcerung der Hohsa mehr 
und niehr in der Richtung der Shan-Tracht. 

Die Yünnan - Shan-Frauen (Shan - Tayok) tragen schmucklose 
dunkelblaue Gewandung aus selbsterzeugtem Baumwollsioff. In der 



Festkleidung aber überbieten sie an Farbenreichtum und Schmuck 
weitaus ihre Nachbarinnen von Namhkam, die ja eigentlich nur die 
in der Ausstattung modifizierte Tracht ihrer Yünnan-Schwestem 
übernommen haben. Die Röcke glitzern und* leuchten in den bun- 



YOnnan-Sbtn 53 

testen golddurchwirkten Seidetimustern ; die Jacken sind aus weißem 
Baumwollstoff oder aus farbiger Seide mit reich gestickten Armel- 
aufschlägen, auch die Schuhe sind bestickt. Ganz eigenartig wirkt 
der hoch aufgetürmte Turban von dunkelblauer oder schwarzer 
Farbe, dessen endlose Stofflänge (7—8 m) in Spiralen aufgewunden 
wird. Das ist eine zeitraubende Mühe, und darum bewahrt man 



Abbildung 30 

Batar in Kala», Säm. Slian-Staaten. Shan-, Taangyo- und TaiingHia-Fmatn and -Mädchin. 
Links uUlich nnd rtcbU im Hinltrgraaä ladir. 

den einmal hergerichteten Turban sorgsam auf. Das prunkvolle 
Festgewand, in dem die Shan- Tay ok- Frau auf Abb. 29 erscheint, ist 
jetzt im Münchener Museum ausgestellt. Die Jacke ist aus kar- 
moisinroter chinesischer Seide; sie hat breite weiQe Ärmetauf- 
schläge mit chinesischer Seidenstickerei. Ein Gürtet aus hellgrüner 
Seide mit langen Quasten ßUt über den reich durchwirkten, von 
Silbergehängen umzogenen schwarzen Rock. Das hohe Turban- 
gebäude schmücken vorn und seitlich drei einzelne vergoldete 
Silberornamente chinesischen Stils mit Blumen und Drachen. Das 



54 Shan-Basar 

kleine Mädchen in birmanischer Tracht ist das Kind einer Nam- 
hkam-Shanfrau. 

Die Shan-Frauen sind nicht minder selbständig und arbeitsam 
als die Birmaninnen. Emsig gehen auch sie dem Handel nach und 
sind pünktlich auf den im fünftägigen Turnus abgehaltenen Basaren 
zu treifen (Abb. 30). Solche Märkte bieten mitunter gerade an ganz 



Abbildung 31 

Battr Itt Yawngbwi, SUi. Shan-Staatm. 

entlegenen Orten für gezählte Stunden eine wahre Völkerschau» 
bei der die hervorstechenden Frauentrachten verschiedener Berg- 
sfämme inmitten der einförmigen Männertypen eine erfrischende 
Note bilden. In dem gleichmäßig arbeitsreichen und freudearmen 
Alltagsleben der meisten Bergbewohnerinnen bedeutet ein Basar- 
tag eine willkommene Abwechslung; mit dem Erlös für die von 
ihnen zu Markt gebrachten FeldfrSchte, Indigo u. a. m. vermögen 
sie ihre Bedürfnisse für den Haushalt zu bestreiten. Da sieht man 
nun alles mögliche feilgeboten (Abb. 31); neben den heimischen 



Erde-Essen 55 



Produkten und gewerblichen Erzeugnissen haben sich europäischeWa- 
ren — bei unserm Besuch noch Faberbleistifte, Taschenmesser und 
anderes „made in Germany** — den Markt erobert. Für die leib- 
liche Stärkung sorgen lange Reihen überdachter Stände mit Ge- 
richten aus einheimischen Garküchen, Büchsenkonserven und Süßig- 
keiten europäischer Herkunft. Besonders begehrt sind die zum 
Betelgenuß benötigten Areka-Nüsse und Betelblätter; neben ein- 
heimischem Tabak liegen die bekannten Sicherheitszündhölzer, und 
trotz der reichfließenden birmanischen Erdölquellen am Irrawaddy 
spielt die amerikanische Petroleumblechbüchse eine große Rolle, 
da das birmanische Produkt ungenügend raffiniert ist. Reis ist 
selbstverständlich die Hauptstapelware. Der Fleischmarkt ist gut 
beschickt; Schweine liefern die Bergvölker, Großvieh der chine- 
sische Schlächter. Unter den Verkaufswaren der Basarhändler wird 
auch essbare Erde feilgeboten oder genauer gesagt grauer, gelber 
und rötlicher Ton. 

Das Erde-Essen — und zwar nicht nur aus Hunger, wie es aus 
dem bolschewistischen Rußland unserer Zeit die Tagespresse in 
krassester Form meldet — ist weit über die Erde verbreitet. Schon 
Alexander von Humboldt hat es von südamerikanischen Indianern 
berichtet, hierbei aber gleich auf deutsche Parallelen hingewiesen. 
Auch unsere Bergarbeiter können davon erzählen, und in den Sand- 
steingruben des Kyffhäuser strich man feinen Ton als „Steinbutter** 
auf das Brot. Die Bevorzugung des Erdgenusses seitens schwan- 
gerer Frauen ist in der Geschichte der Medizin viel belegt und in 
Vorder- und Hinterindien gleicherweise bekannt. Krankhafte Be- 
gierde scheint der Hauptgrund zu dieser schlimmen, die Blutleere 
befördernden Gewohnheit zu sein. Manche als „Reisbauch ^ erklärte 
Anschwellung im Kindesalter dürfte auf sie zurückzuführen sein. 

Die im Handel gebrauchten Maße und Gewichte^) beginnen theo- 
retisch mit lächerlich geringen Einheiten: Längenmaße mit einer 



^) Näheres über die Sitte bei R. Lasch, Mitt. d. anthr. Ges. Wien 28 
(1898), p. 214flP.; D. Hooper and H. H.Mann, Earth-eating and the earth- 
eating habit in India: Memoirs of the Asiatic See. of Bengal 1, Nr. 12, 
p. 249—70. Über Erdessen der Chin: Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 472; 
javanische Figürchen aus eßbarem Ton: H. H.Juynboll, Katalog des Ethno- 
graphischen Reichsmuseums 9 (Leiden 1914), p. 178. 

2) Vgl. F. Noetling, Z. f. Ethnologie 28 (1896), p. (40) ff. 



56 Altertümliche Gewichte 

Haaresbreite, Hohlmaße mit einer Kornähre, die auf 200 Körner 
taxiert ist — in der Praxis aber setzt man bei höheren Werten 
ein. Am raffiniertesten ist die Gewichts - Skala eingeteilt. Sie be- 
ginnt — die ganze pedantische Klassifizierung ist natürlich Vorder- 
indien abgelauscht — mit Atomen, die nicht für gewöhnliche Sterb- 
liche sondern nur fürNat-Deva, d.s. himmlische Geister, sichtbar 



sind. Dann erst kommen Stäubchen, die man im Sonnenstrahl flim- 
mern sieht, und so setzt sich das irreale Schema fort, bis man mit 
den Samenkörnern der Paternoster-Erbse (Abrus precatorius) bei der 
Wirklichkeit angelangt ist (2 Abruskörner sind mit 0,53 gr bewertet). 
Diese sieht man tatsächlich als Ergänzungsgewichte für Gold- und 
Silberwagen in Verwendung. Sehr bedauerlich ist es, daß die hübschen 
Ftgurengewichte (Abb. 32), die in Birma und den Shan-Staalen, wie 
auch in Slam gebraucht wurden, allmählich zur Seltenheit werden; 
in Birma sind sie für den allgemeinen Gebrauch verboten, und so 
kommen sie höchstens noch in entlegenen Shan-Dörfem zum Vor- 
schein. Auf Abb. 31 hat der Händler vorne rechts solche Gewichte 
auf einem Tuch am Boden neben sich liegen; sie werden meist 



Altertümliche Gewichte 57 

in einem Zugbeutel verwahrt. Die Birmanen formten ihre Gewichte 
in der Gestalt der dem Gotte Brahma geweihten Gans, hintha 
(hanisa = Gans). Einen vollständigen Satz solcher Gewichte kauften 
wir in Mandalay, einzelne Stücke trafen wir noch in einem Dorf- 
basar am Obern Chindwin. Diese Vogelfiguren mit ihren weit vor- 
tretenden Augen, der tiefen Einkerbung hinten am Hals und 
dem kammartigen Kopfansatz gleichen in ihrer Stilisierung eher 
Hühnern (Abb. 32 oben). Guß und Ausführung ist grob; die Ge- 
wichtswerte bewegen sich von 4 bis 1645 Gramm. In einem Dorf- 
basar der Südlichen Shan-Siaaten erwarben wir einen kleineren 
Gewichtssatz aus einer Legierung in sogenannter Glockenspeise 
(Abb. 32 unten links); die Vögel nähern sich hier mehr der Enten- 
Gestalt. Unter weiteren von Shan-Händiern gekauften Gewichten 
waren auch zwei Löwenfiguren (unten rechts), wie sie in verschie- 
dener Größe das Münchener Museum bereits in älteren Beständen 
aufwies; sie gemahnen in ihrer Durcharbeitung und in ihrem 
ganzen Ausdruck an chinesische Formenspracbe.^) Im eigentlichen 
l irma scheinen sie seltener zu sein als unter den Lao des nörd- 
lichen Siam, woher auch ein Elefantengewichtchen stammt, das 
unser Museum jüngst im Tausch erhielt. Aus Laos sind auch noch 
andere Formen bekannt geworden: Pferd, Schaf, Ratte, Hase, Huhn 
usw. Gustave Sa 16 hat einen ergiebig illustrierten kleinen Auf- 
satz hierüber veröffentlicht,^) in dem er die Vermutung ausspricht, 
die volle Reihe entspreche ursprünglich der ganzen Tierkreis-Serie. 
Hiefür ist kein Grund ersichtlich. Weit eher wird man mit Shway 
Yoe^) an den Brauch denken, das den königlichen Geburtstag 



*) Adolf Fischer spricht Z. f. Ethnologie 41 (1909). p. 16 von altchinesi- 
schen Entengewichten. Sollte hier eine Verwechslung mit Hinterindien vor- 
liegen? Für die These einer Entlehnung aus Babylon hätte er greifbare An- 
haltspunkte ins Feld führen müssen; es fehlt aber an jedem literarischen 
oder musealen Beleg. Was sich (nach F. Hommels freundl. Hinweis) aus 
Br. Meißner, Babylonien und Assyrien (Heidelberg 1920), Abb. 143 und 
207 entnehmen läßt, geht doch über ganz formale Ähnlichkeiten dieser Ge- 
wichtssteine und -Bronzen kaum hinaus. 

*) L'Art d6coratif 12 (Paris 1910), p. 103—6. In der mittleren Bildreihe 
p. 104 ist das erste Tier wohl ein Löwe, das zweite ein Schaf; die Figur 
p. 105 Mitte links dürfte kaum ein Truthahn, sondern wieder der übliche 
Hintha, mit einem Zweig im Schnabel, sein. 

^) The Burman, p. 557 und p. 6. 



58 Ackerbau 

symbolisierende Tier als Gewichtsaufsatz zu verwenden; dann 
liämen, mit Sonntag beginnend, der dem indisclien Garuda ent- 
sprechende Fabelvogel, Tiger, Löwe, Elephant, Ratte, Schwein und 
Drachen in Frage. 

Die Feldarbeit stellt an die Shan-Frauen große Anforderung. Die 
Shan betreiben den Ackerbau weit intensiver und mit viel größerer 
Soi^falt, als die Birmanen, und wo sie, an den Fuß der Berge 



Abbildung 33 

Shan-Fraaea beim Rtis-Vtrpftaaitn, NamHIiaBi. 

gedrängt, nicht genügend Talboden zur Ausnutzung haben, müssen 
für den Reisbau Terrassen angelegt und mit der nötigen Bewässe- 
rung versehen werden. 

Den Frauen ist außer der Mithilfe bei der Ernte zu großem 
Teil die Geduld heischende Arbeit des Verpflanzens der Reissetzlinge 
zugewiesen, bei der sie außer dem mühsamen Bücken auch noch 
die ausgiebigen Güsse der Regenzeit mit in Kauf nehmen müssen 
(Abb. 33). Ist die Reisemte eingebracht, was je nach Sorte oder 
der Pflanzzeit zwischen Oktober und Dezember der Fall ist, so ist 
es in ganz Birma glückbringender Brauch, vom ersten ausgehülsten 
Reis der Ernte, nachdem ein Quantum den Mönchen des Gemeinde- 
klosters gespendet ist, den Nachbarn und Freunden eine Probe zu 
verehren. Das Aushülsen für diesen Zweck wird zum Feste: man 
schickt einige Jungen mit kleinen Paketchen gepökelten Tees in 



TSglicbe Natarung 59 



die Häuser und lädt sie für den Abend zum Reishülsen ein. Da 
kommt nun die Jugend mit Holzmörsern und Keulen, und man 
verbringt viele Stunden mit Reishülsen, Teetrinken, Plaudern und 
Singen und trennt sich oft erst lange nach Mitternacht. Wir gerieten 
am oberen Chindwin gegen neun Uhr abends in solch eine Gesell- 
schaft von Shan-Burschen und -Mädchen, die uns durch den rhyth- 
misch das ReisstampFen begleitenden Gesang angelockt hatte. BHtz- 



AbbilduDg 34 

NächtUchti RiähüUia im Shai-Dorf Waangfryiii am oberm CWirfw/a. 

licht und Phonograph') verhalfen uns zu dauernden Erinnerungen 
an das idyllische Intermezzo (Abb. 34). 

Haushalt und Küche verden bei den Shan ähnlich gefübn, wie bei 
den Birmanen ; während diese aber einen eigenen Kochraum haben, 
ist die Kochstelle bei den Shan stets am Feuerplatz des Wohn- 
raumes, wo auch gegessen wird. Die Birmanin kocht den Reis in 
Wasser, die Shan dämpfen Ihn meist in einem Siebtopf, nach dem 
Prinzip unseres Kartoffetkochers. Im Essen sind die Shan noch 
veniger wählerisch als die Birmanen, die gegen den schlimmsten 



') Siehe die Noteitbeilage im Anhang. 



60 • Töpferei 

Hautgout keine Abneigung zeigen. Den Shan und ihnen nahe- 
stehenden Völkern gelten die Larven von Wespen, einer großen 
Ameisenart und vor allem die einer großen Skarabeenart als be- 
vorzugte Delikatesse. In Streifen geschnittene Büffelhaut, die in 
öl gebacken schneeweiß und knusprig wird, ist ein begehrtes Ge- 
richt in den Basar - Eßbuden der Nördlichen Shan-Staaten. Gepö- 
kelte Gemüse und Früchte, wie unser Sauerkraut behandelt,, bilden 
beliebte Beispeisen. Die im frischgekochtem Zustand geschmack- 
losen Bambussprößlinge werden, dünn geschnitten, gepökelt und 
hernach getrocknet aufbewahrt und bei Gebrauch mit anderen Ge- 
müsen vermengt, um auch diesen den säuerlichen Geschmack mit- 
zuteilen. Hühner zu Schlachtzwecken aufzuziehen, gilt buddhistischen 
Stämmen als Unrecht — gegessen werden sie aber doch. Eier 
werden nicht verzehrt, auch Milch wird, wie bei den meisten mon- 
golischen Völkern, nicht genossen. Brot kennt man nicht; seine 
Stelle ersetzt der Reis, der gekocht und kalt, in Blättern verpackt, 
als Mundvorrat mitgenommen wird. 

Im Handwerk tun die Shan-Frauen fleißig bei der Töpferei mit, 
die in den Südlichen Shan - Staaten ihre beste Entwicklung zeigt, 
namentlich soweit glasierte Ware in Betracht kommt. Die Arbeit ver- 
teilt sich unter Männern und Frauen in der Weise, daß erstere 
den harten Lehm stampfen und sieben, ihn mit Wasser und Sand 
mischen und mit den Füßen auf einer Brettunterlage zurecht 
kneten; auch das Brennen und Glasieren besorgen die Männer. 
Die Frauen formen die Geschirre auf der Töpferscheibe (selten 
mit freier Hand), verzieren sie durch Einpreßmuster mittels ge- 
schnitzter Holzstempel und übernehmen auch das Polieren nicht- 
glasierter Gefäße vor dem Brennen. Besonders fällt ihnen die 
Mühe zu, die gewöhnlichen Wassergefäße nach dem Formen dünn- 
wandig zu klopfen, indem sie innen einen runden Tonknauf gegen 
die Wandung halten und von außen mit einem Holz dagegen- 
schlagen. Abb. 35 zeigt in der Mitte einen sehr dünnwandigen 
Wassertopf, der mit angesetzten welligen Tonornamenten verziert 
ist; er stammt aus Shwegu am obern Irrawaddy, also aus birma- 
nischem Gebiet. In Birma stand das Töpfergewerbe früher jeden- 
falls höher, da im 16. Jahrhundert schon glasierte Krüge aus Pegu 
ausgeführt wurden. Gegenwärtig sind in den Shan-Staaten und auch 
in Birma weit mehr Shan als Birmanen in der Töpferei tätig. Aus 



Töprerei 61 

den Nördlichen Shan-Slaaien stammen die beiden unglasierten Stücke 
Abb. 35 lioks uod Abb. 36 links. Ersteres, eine Wasserflasche, ist 
aus ^«ueni, hellbrennenden Ton, sehr schwach gebrannt, über- 
fangeo mit einem siegellackroten Tonschlamm. Vor dem Brennen 
wurde dieser poliert — mit einem flachen Schiererstein oder mit 
einem Gonyinkern, dem großen flachen Samen eines Schling- 
gewächses (Entada scandens); dann hat man die Ritzlinien der 



Ornamentierung um die Bauchung eingeschnitten und die lotus- 
blattartigen Reliefverzierungen um Fuß und Hals eingepreßt. Durch 
die seitlichen Tonhenkel ist eine Aufhänge- Schnur gezogen, die 
unten durch zwei Löcher in dem gesondert gedrehten und ange- 
setzten Fuß läuft. Die Teekanne links auf Abb. 36 ist aus rot 
brennendem Ton, der im Feuer durch Reduktion geschwärzt ist. 
Der Glanz wurde wie bei der Wasserflasche durch Polieren vor 
dem Brennen erzeugt. Der Ausguß des Gefäßes ist als Nagä, d.i. 
Drachen- oder Schlangenkopf ausgestaltet; an der entgegengesetzten 
Seite ringelt sich der Schwanz des Tieres zum Henkel hinauf. 

Die beiden neben dieser Kanne stehenden Gefäße stammen aus - 
dem Distrikt des Inle-Sees in den Südlichen Shan-Staaten. Die 
Bewohner hier sind neben Shan und Birmanen die Intha, ein aus 
Unterbirma vor einigen Jahrhunderten eingewanderter Birmanen- 
stamm, der sich immer mehr mit den dort ansässigen Shan ver- 
mischt und gerade handwerklich Tüchtiges leistet. Die Keramik 



62 TSpferei 

dieser Gegend charakterisiert sich durch die reizvollen Effekte ihrer 
GlasieruDg, die durch Untertegung hellbrennender Tonscbichten 
erhbtit wird. Die Teekanne in der Mitte zeigt einen weibJicben 
Kinnara, fein aus der indischen Mythologie übernommenes Fabel- 
wesen mit menschlichem Oberkörper, der in einen Vogelleib aus- 
läuft. Hinter den Vogelfüßen stehen noch zwei Tonstäbe als Stand- 
stUtzen. Die ganze Figur ist in mannigfaltigen Tönen von gelb, 



TÖpfereiia aas den Skan-Slaalen. >l, nat. Grässt. 

grün und braun abschattiert. Gesiebt und Brust erscheinen grün- 
lichgelb, Kopfschmuck und Henkel bräunlichgrün, Körper und 
Schulterkragen grün. An das eigentliche auf der Töpferscheibe ge- 
drehte GetäÜ wurden die frei modellierten Körperteile angesetzt. 
Der ziegelrote Ton ist sehr hoch gebrannt, zum Teil mit hell- 
brennendem Ton überzogen, in dem die zeichnerische Ausgestal- 
tung der Federn, des Körperschmuckes etc. ausgekratzt wurde. 
Das Ganze ist teils mit grüner, teils mit gelber Glasur überdeckt. 
Wie wir von den Handwerkern an Ort und Stelle erfuhren, verwen- 
den sie zur Herstellung gelber Glasur ausgenutztes Silbererz ; Bei- 
mischung von Kupfervitriol ergibt grüne, unausgenutztes Erz 
dunkelbraune Glasur. 

Der Napf rechts auf Abb. 36 hat denselben roten Ziegelgrund, 
aber weniger hoch gebrannt. Außen ist er überfangen (engobiert) 
mit hellgelb brennendem Ton, in dem die Ornamente ausgeschnitten 
sind (SgrafHto). Die Innenwandung und die obere Hälfte der Außen- 



Shan-Papier 63 

Seite ist mit Bleiglasur überzogen, die über den einzelnen Blumen 
und am Geßßrand grün gefärbt ist. 

Eine Phantasie-Töpferei modernerer Richtung — wahrscheinlich 
für eine der Ausstetlungen gefertigt, die die Regierung von Zeit 
zu Zeit in größeren Städten veranstaltet — ist die technisch wohl- 
gelungene Keramik auf Abb. 37; sie stellt in der flatternden Prunk- 
gewandung eine Prinzessin oder 
einen weiblichen Nat dar. Solche 
Gestalten fehlen in keinem Zweig 
des birmanischen Kunstgewerbes 
und sind der bildenden Hand des- 
halb ziemlich geläufig. Das Material 
der Figur ist rot brennender Ton, 
überkleidet mit hellbrennendem 
Ton und mit einer stark eisenhal- 
tigen, glänzendbraunen Glasur. 

Shan-Papier erfreute sich von 
jeher eines besonders guten Rufes, 
Auch heute noch, nachdem die 
Einführung europäischer Ware das 
Pflanzenpapier mehr in den Hinter- 
grund gedrängt hat, ist es vielbe- 
gehrt, und vorzugsweise Frauen be- 
fassen sich mit seiner Herstellung. 
Es gibt verschiedene Qualitäten ; 

die beste dient als Material für die Abbildung 37 

religiösen Schriften, das gröbere ««^'"t bi^manucii^ Kunrnspfini. Gocä««* da 

alS Bespannstoff für die Sonnen- ^kner Muxeam f&r Vaikirkand.. V. «a'. Grösse. 

schirme, ^wozu es wegen seiner 

Zähigkeit sich gut eignet'; durch Tränken mit ungereinigtem Petro- 
leum wird es steif und wasserdicht gemacht. Als Packpapier ist es 
seiner Dauerhaftigkeit wegen auch bei Europäern sehr beliebt. Als 
Material dient die Innenrinde des Papiermaulbeerbaumes (Brousso- 
netia papyrifera, birm. mahlaing') oder der Papierschlingpflanze, sele 

>) Milne a.a.0.p.l75 vermerkt als Shan-Vort hiefür hsä, dessen Gleich- 
setzung mit Broussonetla aber Cushing's Dictionary mit einem Frage- 
zeiclien versiebt. 



64 Shan-Papier 

genannt, einer uaserm Seidelbast verwandten Daphne-Art. Die Zube- 
reitung aus letzterem StofF, wie wir sie in den südlichen Shan-Staaten 
beobachteten, ist einfach. Nachdem die Rinde über Nacht in Wasser 
eingeweicht lag, läßt man sie mit Holzesche vermischt und mit Tü- 
chern bedeckt in flachen Eisenkesseln 24 Stunden kochen. Dann 
wird sie mit Holzschlägeln auf einem Stein zwei Stundei lang ge- 



Papier-Hirslellüng bei Nampan im Init-OisIrikI, SSdl. Shan-SlaüU.i. 

schlagen, bis sie ein breiiges Aussehen hat. Ein quadratischer mit 
dünnem Baumwollstoff bespannter Bambusrahmen (Abb. 38) wird 
auf einer kleinen Wasserfläche schwimmend erhalten, eine Hand 
voll von der breiig geschlagenen Rinde wird mit etwas Wasser in 
einem Topf angerührt und auf der Oberfläche des schwimmenden 
Rahmens mit der Hand verteilt; dann hebt man den Rahmen 
heraus, das Wasser fließt ab, und er wird mit der darjn haftenden 
Papiermasse in die Sonne gestellt (Abb. 38). Getrocknet läßt sich 



Geschichte der Papierbereitung 65 

die dünne Schicht als fertiges Papier leicht ablösen; eine Person 
vermag täglich etwa 100 Blätter Fertig zu stellen. 

Dieses Verfahren der Papiererzeugung durch Verfilzung geht in 
graue Vorzeit zurück — ja, es ist nicht ausgeschlossen, daO der 
Platz, von dem aus es sich die Welt erobert hat, nicht weit von 
der birmanisch -chinesischen Grenze ablag. Textilien aus einer 



Bastfaser, in der man mit hoher Wahrscheinlichkeit die Brousso- 
netia papyrifera vermutet, hat Sir Aurel Stein unter Funden 
aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert in den Ruinen des 
Tun-huang Limes entdeckt. Sie zeigen, daß der Papierherstellung 
in China, die nach glaubwürdigen Quellen 105 n. Chr. erfunden 
wurde, die Verwendung des gleichen Materials zu Webzwecken 
vorausging. Ein ausschließlich aus Hadern erzeugtes Papier hatten 
die Chinesen schon sehr früh; Steins älteste Funde dieser Art 
stammen aus dem 2. Jahrhundert n. Chr.') Daneben aber verstanden 

') Aurel Stein, Serindla. Detailed Report of exploraiions in Central Asia 



66 Geschichte der Papierbereitung 

sie es, der aus wertlos gewordenen Geweben (Hadern) erzeugten 
Papiermasse, die vorwiegend aus chinesischem Hanf, Boehmeria 
nivea, bestand, die edleren Bastfasern des Papiermaulbeerbaums 
beizumengen; solche Mischungen in ein- und demselben Papier 
hat Wiesner^) für das 4. — S.Jahrhundert nachgewiesen. 

Aus Daphne sind die tibetischen Manuskripte, die Stein in 
Endere fand und ins 8. Jahrhundert datiert ^). Damit arbeiten auch 
heute die Himalaya-Staaten und zwar nach' der gleichen Methode 
wie die Shan ^) ; in Khotan hingegen, von wo das übrige Chinesisch- 
Turkestan mit Papier versorgt wird, benutzt man jetzt ausschließ- 
lich Broussonetia, die in China den Ersatz für Bambus und Reisstroh 
liefert und namentlich im Westen zur Verwendung kam *). Die 
Aufschlüsse, die Davies^) über die in der südwestlichen Grenz- 



and Westernmost China (Oxford 1921), p. 650; 672 f.; s. auch den kultur- 
historisch abgerundeten Aufsatz von Frdr. Hirth, Chinesische Studien 1 
(München 1890), p. 259— 71. 

*) J. V. Wiesner, Über die ältesten bis jetzt aufgefundenen Hadern- 
papiere : Sitzungsber. Wiener Akademie d. Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 1 68 
(1911), Abhandl. 5, p. 8 ff.; 18; 25. 

2) Stein, Ancient Khotan I (Oxford 1907), p. 426; vgl. Serindia p. 462; 919. 

^) Beste Auskunft hierüber bei C. Hörne, Paper-making in the Himä- 
layas: Indian Antiquary 6 (Bombay 1877), p. 94 — 8 mit folgendem wichtigen 
Zitat über Nepal aus Hodgson: „Though called Nipälese, the paper is not 
in fact made in Nipäl Proper. It is manufactured exclusively in Cis-Himä- 
layan Bhöt, and by the race of Bhotiäs denominated Rangbo . . . the best 
market for it is afforded by the Nipälese people, and hence probably it deri- 
ved its name; a great quantity is annually made and exported southwards 
to Nipäl and Hindustän ... I conjecture that the art of paper-making was go 
by the Cis-Himälayan Bhotiäs viä Lhassa from China, a paper of the very 
same sort being manufactured at Lhassa, and most of the useful arts of these 
regions having flowed upon them, through Tibet, from China, and not from 
Hindustän.*' S. auch Alberuni's India . . . by E. C. Sachau (London 1910) I, 
p. 171; II. p. 431. - Über das tibetische Papier vgl. W. W.Rockhill, Notes 
on the ethnology of Tibet: Report U. S. National Museum for 1893 (Washington 
1895), p. 719. 

^) H. A. Giles, A glossary of reference on subjects connected with the 
Far EastS (Shanghai 1900), p. 208; Genaueres gibt S. Couling, Ency- 
clopaedia Sinica (London 1917), p. 423, wo auch die Verarbeitung von Brousso- 
netia in Westchina betont ist; diese geographische Bestimmung ist sicher 
richtiger als die Nennung des Nordens bei S. W. Williams, The Middle 
Kingdom 1 (London 1883), p. 599. 

^) a. a. O. p. 125. 



Chinesisches Papiergeld 67 

provinz befolgte Herstellungsweise gibt, versteht man leichter, wenn 
man J. J. Reins^) ausgezeichnete Darlegung des japanischen Klein- 
gewerbes der Papiermacherei beizieht. Die Bearbeitung des Bastes 
fällt nach Rein auch in Japan in der Regel Frauenhänden zu. 

Auch im Papiergeld ist uns China weit voraus — im guten 
wie im bösen Sinne! Leinwand- und Lederstreifen werden im 
Jahre 806 n. Chr. von „fliegendem Geld", worunter man Papier- 
scheine vermutet, abgelöst; jedenfalls sind diese seit 1154 allgemein 
in Umlauf, und zwar bald in einem Grade, der uns nur zu sehr an 
eigenes Missgeschick mahnt. Wird uns doch berichtet, wie Marco 
Polo das große Geheimnis Kublai Khans anstaunte, mit Papiergeld, 
schwarzen Blättern aus dem Maulbeerbaumbast, die niemand zu- 
zückweisen darf, alles zu bezahlen, und auch sonst wissen China- 
Reisende des 13. — 14. Jahrhunderts, z. B. Carpini und Ihn Ba- 
tuta von diesem wirtschaftlichen Hilfsmittel; sein Mißbrauch 
förderte den Aufstand und führte 1368 zur Vertreibung der 
Mongolen - Dynastie. Knapp 200 Jahre waren damals wahrschein- 
lich erst verstrichen, seit Europa überhaupt mit der Papiererzeu- 
gung vertraut geworden war; auch für Deutschland führen lange 
Umwege zu den Arabern und Persern als Lehrmeistern, die ihrer- 
seits seit dem Jahre 751, als kriegsgefangene Chinesen in Samar- 
kand sie in ihre Technik einweihten und damit den Siegeszug 
des den ägyptischen Papyrus überwindenden „Samarkander" oder 
„Chorasaner" Papiers in der Welt des Islams einleiteten, in den 
Spuren der Chinesen gewandelt sind.^) 

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß die unter dem 



*) Japan 2 (Leipzig 1886), p. 463 ff., besonders p. 478. S. auch M. Boy es , 
Geist des Ostens 2 (München 1914), p. 62 ff. 

^) Hierzu Williams a. a. O. 2, p. 85; 177; 422; H. Yule, Marco Polo* 
I, p. 409 ff. und Encyclop. Britannica" 6 (Cambridge 1910), p. 189; J.v. Wies- 
ner a. a. O. p. 10. — Die älteste existierende Banknote hat das British Mu- 
seum 1890 erworben, sie stammt aus der frühen Ming-Zeit (1368—1399); 
300 Jahre später beginnt Europa nachzufolgen, wobei eine Stockholmer Bank 
voranging: J. D. Ball, Things Chinese* (Hongkong 1913), p. 79. — Von 
älterer Literatur zur ganzen Frage ist die viel zu selten herangezogene 
Ökonomisch-technologische Encyklopädie v. J. G. Krünitz, Bd. 106— 107 
(Brunn 1818) zu nennen; von neuerer George Watt, The commercial pro- 
ducts of India (London 1908), p. 861 ff. Im übrigen geben die bibliographi- 
schen Angaben v. Wiesners a. a. O. Aufschluß, namentlich die Hinweise 
auf die Untersuchungen vonj. Karabacek. 



68 I^ie Palaung 



Namen ,Tapa^ bekannten Rindenzeugstoffe der Südsee in ihren 
besten (polynesischen) Beständen ebenfalls zumeist aus Broussonetia 
gearbeitet sind und einen fast regelrecht Industriellen Betrieb mit 
Matrizen usw. ins Dasein gerufen haben. ^) 

IV. 

Die dritte, geschlossen dem Buddhismus anhängende Volksgruppe 
Birmas sind die Palaung, die nach der sprachlichen Gruppierung 
zursogenannten Mon-Khmer-Familie^) gehören. Die Palaung beziffert 
der Zensus auf 144248 Personen, wobei die Zahl für die beiden Ge- 
schlechter ziemlich gleich ist. Ihre Verbreitungsgebiete sind, von 
ganz unbedeutenden verstreuten Gemeinden abgesehen, die Nördlichen 
und die Südlichen Shan-Staaten und der Ruby-Mines Distrikt. Die 
Palaung-Ansiedlungen haben sich in den letzten Jahrzehnten zu- 
sehends südwärts in die britischen Verwaltungsgebiete hineinge- 
schoben, eine Folge des rücksichtslosen Vordrängens der Kachin, 
die früher ebenso hart den Shan mitgespielt haben. Die friedlichen 
Palaung vertragen sich überall mit ihrer Umgebung; zusammen- 
geschlossen zu einer Art von nationalem Staatengebilde finden wir 
sie nur in Tawngpeng in den Nördlichen Shan-Staaten unter einem 
Herrscher, der wie die Shan-Fürsten den Titel Sawbwa (Birmani- 
sierung von Shan-„Sau-hpa" = Herr des Himmels) führt und ebenso 
wie diese der britischen Oberhoheit unterstellt ist. 

Es scheint, daß der Name Palaung erst sekundär von dem Volke 
übernommen worden ist und auf birmanischen Ursprung zurück- 
geht, wie das bei manchen anderen Bergstämmen Birmas der Fall 
ist. Darüber sind allerlei Auslegungen im Umlauf. Die Palaung be- 
zeichnen sich selbst als Ta-ang, Ra-ang, Da-rang; die Shan nennen 
sie Kun-loi, Menschen der Berge — ganz bezeichnend für ein Volk, 
das seine Wohnstätten immer in hohen Berglagen hat. Was die 



*) Vgl. O. Finsch, Südseearbeiten (Hamburg 1914), p. 361 ff.; A.Eich- 
horn, Hawaiische Baststoffe (Kapa) und Werkzeuge zu ihrer Herstellung: 
Baeßler^Archiv 6 (Berlin 1922), p. 176—203. 

*) Hierüber W. Schmidt, DieMon-Khmer-Völker, ein Bindeglied zwischen 
Völkern Zeniralasiens und Austronesiens. Braunschweig 1906. Zu der Archiv 
f. Anthrop., N.F. 1 4 (Braunschweig I9l5),p.217 verzeichneten Palaung-Literatur 
ist jetzt hinzuzufügen L. Milne, An elementary Palaung grammar. With an 
introd. by C. O. ßlagden. Oxford 1921. 



Geschichte der Palaung 69 

Palaung über ihre Abstammung in mythischer Ausschmückung er- 
zählen, hat dem Hauptinhalt nach so viel Berührung mit den Le- 
genden der Nachbarstämme, namentlich der Shan, daß hier sicher 
Übertragungen anzunehmen sind. Als Stammeseltern gelten gewöhn- 
lich ein Himmelsgott und eine Schlangenprinzessin, und diese Ab- 
stammungssage findet sich zusammen mit anderem Mythenmaterial 
auch in einer Chronik, die uns der jetzige Palaung-Fürst bei unserm 
Besuch in seiner Residenzstadt zeigte und von der einer der wissen- 
schaftlich tätigsten Missionare der amerikanischen Baptisten, 
Mr. W. W. Goch ran e in Hsipaw, dem Münchener Museum eine 
Abschrift und eine gedrängte Inhaltsangabe zu besorgen die Güte 
hatte. Die Ghronik ist 1899 in Shan-Sprache und -Schrift nieder- 
geschrieben — eine eigene Schrift und Literatur besitzen die Pa- 
laung nicht. Geht man über das rein Legendäre und Phantastische 
hinweg, so läßt sich als historisch verwendbares Material heraus- 
schälen, daß die Palaung als ihren ältesten Wohnsitz das Shweli- 
Tal, bezw. die diesem benachbarten Bergregionen ansehen. Damit 
ist wohl derselbe Südwestzipfel der chinesischen Provinz Yünnan ge- 
meint, der einstmals auch das Eingangstor für die Shan gebildet 
hat. Was die Palaung-Ghronik also von der Verdrängung durch die 
Shan erzählt, dürfte geographisch hierher zu verlegen sein; als 
Datum wäre an der Hand der geschichtlichen Angaben über die 
Shan das 9. — 10. Jh. anzusetzen. Die birmanische Herrschaft be- 
ginnt für beide Völker gleichzeitig um die Mitte des 16. Jahrhunderts. 

Der Buddhismus kam derselben Tradition zufolge im Jahre 1144 
der birmanischen Ära (d.i. 1782 nach Ghr.) zu den Palaung, jeden- 
falls durch die Shan, da als Lehrer ein buddhistischer Priester 
aus dem Shan -Staat Möngnai genannt wird. Damit kam auch die 
Shan-Schrift in Aufnahme, die die Palaung fortan für ihr eigenes 
Idiom verwendeten. Merkwürdig ist, daß die Palaung nicht nur die 
ihnen sprachverwandten Talaing von Unterbirma, sondern auch die 
ihnen fernstehenden Karen und Taungthu als verwandt betrachten, 
während sie von Beziehungen zu den Wa, die ihnen sprachlich 
am nächsten stehen, nichts wissen wollen. 

Abgesehen von den Stammesbezeichnungen, die sich die Palaung 
selbst beilegen, und von den administrativen Benennungen, die von 
britischer Seite im Zusammenhang mit den Wohndistrikten ge- 
braucht werden, hört man noch von einer Scheidung in Palaung 



70 Palaung und Pale 



und Pale; hiefür ist jedoch keine genaue Unterlage festzustellen. 
Der Zensus nimmt keine Rücksicht darauf; für ihn sind jedenfalls 
nur die Angaben der Stammeszugehörigen selbst maßgebend, und 
so erscheinen in der Statistik nur 68 Pale. Das ist nicht ver- 
wunderlich, wenn man weiß, daß die Pale als der minder vor- 
nehme 'Teil bei dieser Scheidung gelten ; wenn diese auch nicht 
frei von Willkür sein mag, so hat sie doch im Volke selbst Wurzel 
geschlagen, und die echten Palaung haben das Bestreben, sich als 
eine Art Aristokratie von den übrigen, den Pale, abzusondern. Wir 
konnten diese Tatsache in Tawngpeng, dem Zentrum der Palaung- 
Stämme beobachten^ und vom Fürsten selbst bestätigt erhalten ; auch 
manche Bemerkungen in der spärlichen Literatur über die Palaung 
scheinen hiefür Stützpunkte zu gewähren. Nach allem, was man 
hört, dürfte die Vermögenslage dabei kräftig mitsprechen. Als echte 
Palaung anerkannt zu werden, hätten nach dieser Auffassung nur 
wenige Stämme das Recht, die in Namhsan, der Hauptstadt des 
Tawngpeng-Staates, und deren Umgebung wohnen, eng verwandte Dia- 
lekte sprechen und sich fast ausschließlich mit dem Teebau be- 
schäftigen, der hier die Quelle der Wohlhabenheit bildet.^) Physisch 
bestehen keine Unterscheidungsmerkmale zwischen Palaung und Pale; 
es dürften von letzteren sogar die in isolierten Höhenlagen Leben- 
den einen reineren Palaung-Typ darstellen, als die in regem Ver- 
kehr mitten unter Shan hausenden Tawngpeng- Palaung. 

Die Palaung-Männer heben sich in der Tracht wie in ihrer körper- 
lichen Erscheinung wenig von der Shan-Umgebung ab, um so 
deutlicher aber die Palaung- oder Pale-Frauen. Ausgeprägt ist an 
ihnen der kurze gedrungene Körperbau, der derbe Kopf mit groben, 
fast männlichen Gesichtszügen, der große Mund und die breite 
Nase; die Augen sind größer als bei den übrigen birmanischen 
Stämmen und zeigen nur selten die bekannte mongolische Schräg- 
stellung. (Abb. 40.) Die Hautfarbe ist ziemlich dunkel, das schwarze 
Haar wird meistens kurz geschnitten und unter der Kopfbedeckung 
geborgen, manchmal auch lang und ofipen über die Schultern hän- 
gend getragen; vereinzelt nur findet man es auch gescheitelt nieder- 
gekämmt und rückwärts aufgesteckt. Die Gewandung ist nicht ge- 
eignet, die ohnehin spärlichen Reize der Frauen zu erhöhen und 

^) Die Chinesen nennen Tawngpeng Cha Shan = Teehügel (Gaz. of Upper 
Burma II, 3, p. 250). 



Frauenkleidung 71 

läßt diese bei manchen Stämmen geradezu vierschrötig erscheinen. 
An der Frauenkleidung werden sowohl Stammesunterschiede wie 
der Abstand zwischen Palaung und Pale am deutlichsten bemerk- 
bar. Hauptmerkmale für die letzteren sind ein bis über die Brust 
gezogener Rock mit mehr oder weniger breiten, roten und blauen 



Querstreifen, um die Hüften festgehalten von einer Anzahl Rohr- 
reifen, ein kurzes, vorn offenes Jäckchen und ein Turban. Die 
Palaung- Frauen kennzeichnen sich durch die geschlossene, mit 
einem Schlitz zum Durchstecken des Kopfes versehene Jacke, die 
zuweilen durch ein mantelartiges Gewand oder eine längere, nach 
Art der Shan vorn offen getragene Jacke ersetzt ist; ferner durch 



72 Frauenkleidung 

eine Kapuze, die über einer Mütze den Kopf deckt oder in kleineres 
Ausmaßen gehalten turbanartig umgeschlungen wird. 

Weitaus am schönsten und reichsten kleiden sich die Katurr- 
Palaung (Abb. 41); auch nach Rang und Besitz stehen sie voran, 
und zu ihrem Stamme gehört der Palaung-Fürst. Über einem bis 
zu den Knöcheln reichenden Rock aus rotem, mit feinen hellblauen 



Abbildung 41 

Kalarr-Palaune-Mädchen im Festschmack, Namhsan. 

und gelben Streifen durchzogenem Gewebe werden zwei rechteckige 
schürzenartige StoFFstücke umgebunden ; das breitere wird von rück- 
wärts um die Hüften gelegt, das schmälere deckt vorn den Rock, 
beide stoßen seitlich aneinander. Diese Schürzen ') aus grobem 



') In dieser Scbürzentracbt, die eine spezifische Eigenart der Katurr-Gc- 
wandung ist und von Pale- Stämmen der Umgebung nacbgealimt wird, dürfen 
wir wobi den Überrest einer in Yünnan heimischen Kleiderrorm vermuten. 
In Birma ßnden wir sie sonst nirgends außer bei einzelnen Völkern des 
Sstlicben Grenzgebietes, deren Hauptmasse in Yünnan ansässig ist. In erster 



Abstammungssagen 73 



ungebleichten, mit farbigen Linien durchschossenen BaumwollstofiP 
sind seitlich umrahmt mit weißen, roten, grünen, braungelben und 
schwarzen Stoffstreifen, die auch unten den breiten roten Flanell- 
rand begleiten. Die Jacke aus dunkelblauer Baumwolle hat an den 
Armlöchern Stoffstreifen in der gleichen Farbenskala angesetzt; 
quer über Brust und Rücken sind eigentümlich gekrümmte, feine 
Zickzacklinien in grün, gelb und weiß eingestickt, darunter zieht 
sich ein roter Flanellstreifen. Die Beine sind von Wadentüchern 
umhüllt, wie dies bei vielen Bergstämmen Brauch ist. Ganz kom- 
pliziert ist die Zusammensetzung der großen Kapuze, die über 
einer das Haar deckenden schwarzen Samtmütze getragen wird. 
Sie verhüllt rückwärts den Körper bis fast zum Rockrand; in der 
Form erinnert sie an die Art, wie unsere Arbeiter oft einen seit- 
lich aufgeschnittenen Sack als Regen- oder Staubschutz über Kopf 
und Rücken hängen. Sie ist in vier Hauptfelder abgeteilt, die mit 
Stoffstücken und -Streifen in der schon mehrfach erwähnten Farben- 
reihe ausgefüllt und in den Zwischenräumen mit den typischen 
Zackenfiguren bestickt sind. Diese bunt zusammengesetzte Haube 
und die farbige Ausgestaltung der Kleidunjg wird zu der Schlangen- 
prinzessin in Beziehung gebracht, die als Stammesmutter der Pa- 
laung gilt. 

Die Abstammungslegende nun hat verschiedene Versionen. 
Der Gott, der sich mit der Schlangenprinzessin einläßt, wird als 
Thagyi, d. i. der indische Indra, oder auch als der Sonnenprinz 
Thuriya, d. i. der indische Sonnengott Sürya, erklärt. Uns ward 
in Tawngpeng die Historie so erzählt: Die Schlangen fürstin 
legte, nachdem Thagyi bereits in seinen Himmel zurückgekehrt 
war, drei Eier; über den Abschiedsbrief, den der Gott ihr durch 
eine Krähe zusendet, ist sie sehr betrübt, zumal der Brief mit 
einem menschlichen Fußknochen versiegelt ist — der vorher als 
Siegel aufgesetzte Rubin war der nachlässigen Krähe gestohlen 
worden. Sie wirft verdrießlich ihre drei Eier fort. Eines von diesen, 
das ins Wasser fiel, wurde von einem Ehepaar aufgefischt und 



Linie sei da auf die Lishaw hingewiesen, von denen weiter unten noch die 
Rede sein wird. Ferner ist an den Abschnitt über die chinesischen Sban 
zu erinnern, wo (p. 51) unter Hinweis auf Anderson die Frauentracht der 
Acbang erwähnt wurde; mit ihren Hosen und Schurzen sticht diese von der 
Kleidung der Shan-Umgebung ab. 



74 Abstammungssagen 



heimgetragen, und als es nach längerer Zeit aufbrach, ging ein 
Mensch daraus hervor. Dieser heiratete später eine Schlangen- 
jungfrau, ohne deren wahre Natur zu erkennen. Der Ehe entspringt 
eine Tochter; sie überrascht einmal ihre Mutter beim Baden 
und erkennt sie an ihrem Körper als Schlangenwesen. Voll Be- 
stürzung über die Enthüllung ihres Geheimnisses wagt die Mutter 
nicht mehr nach Hause zu gehen und beauftragt ihre Tochter, 
dem Vater alles zu erzählen und ihm zu sagen, daß sie nicht 
wiederkehre. Sie ritzt sodann auf einem Blatt die verschiede- 
nen Farben ihres schillernden Schlangenleibes ein und gibt es der 
Tochter, indem sie ihr sagt, sie möge nun noch ihre Mutter zum 
Abschied genau betrachten und nach ihrer Heimkehr nur noch 
Kleider in den auf dem Blatt angegebenen Farben tragen. Die 
pietätvolle Erfüllung dieser Mahnung gibt sich nun heutigen Tages 
noch in der Palaungtracht kund, vor allem durch die Haube, in 
der man die Nachbildung der bei allen kanongemäßen indischen 
Schlangendarstellungen typischen „Haube'' — d. i. der geblähte 
Hals der aufgerichteten Cobra — sieht. In unserer Palaung-Chronik 
aus Tawngpeng lautet die Lesart wieder anders : es soll die Schlangen- 
prinzessin ihren Bewerber sofort über ihre wahre Natur aufgeklärt 
haben; die Trennung erfolgte, weil sie die Regel vergaß, der zu- 
folge ein Nagä (Schlange), der am siebenten Tage im siebenten 
Monat des siebenten Jahres nach seiner Wandlung in Menschen- 
gestalt ins Wasser taucht, unmittelbar in seine ursprüngliche Wesens- 
form zurückversetzt wird und diese nicht mehr ablegen kann. Das 
passiert nun der armen Prinzessin, als sie an dem kritischen Tage 
ein Bad im Flusse nimmt; die nach ihr ausgesandte Tochter findet 
in ihr ein buntschillerndes Nagi-Weib, das trotz aller Bemühungen 
nur teilweise die Menschenform anzunehmen vermag ; die breite 
„Haube'' des Schlangenkopfes — das Muster für die Palaunghaube 
— bleibt ihr, und sie nimmt mit den schon angeführten Verfügun- 
gen Abschied von ihrem Kind. 

In neuerer Zeit werden die Gewänder leider immer weniger 
aus den heimischen Stoffen und in den traditionellen harmonisch 
abgestimmten Farben hergestellt. Der wachsende Wohlstand er- 
möglicht den Frauen einen Kleiderluxus, bei dem ein leuchtendes 
Scharlachrot, namentlich an den Schürzen und Hauben, den Ton 
angibt. Europäische Samte, Plüsche, Seidendamaste und Flitter- 



Palaung-Völkerschaften 75 

Stickereien in grellbunten Farben verdrängen die schlichten Gewebe. 
Auch bei der Arbeit werden reichverzierte Kleider samt der langen, 
unbequemen Haube getragen. Eine Last von Silberschmuck zeugt 
von der Wohlhabenheit: dicke silberne, hufeisenförmige Arm- 
reife und große trompetenförmige Ohrpflöcke, beim Festgewand 
noch federkieldicke Silberspiralstäbe, dicht aneinandergesetzt um 
Halsausschnitt, Schultern und Oberarm und gürtelartig unten an 
der Jacke aufgenäht ; sie schmücken auch den Seitenrand der Samt- 
mütze, deren Boden mit einer getriebenen Silberscheibe bedeckt 
ist. Solche Scheiben sind auch unterhalb der Brust auf der Jacke 
aneinandergereiht; großgliedrige Silberketten decken als Gürtel- 
schmuck vorn den Leib. 

Als unbestritten echte Palaung gelten neben den Katurr nur 
noch die Kwanhai- und die Tawngma- Palaung. Beide Stämme aber 
haben in der Frauentracht fast gar nichts Gemeinsames mit jenen. 
Die Kwanhai-Palaung, die an der Grenze gegen den Shan-Staat 
Hsipaw wohnen, haben sicher schon viel von Shan-Brauch ange- 
nommen, einige sogar Shan-Kleidung. Der dunkle, schmalgestreifte 
Rock ist Shan-Gewebe, die mit farbigem Flanell besetzte offene 
Samtjacke hat Shan-Form; die Brust bedecken sie mit einem mieder- 
artig gearbeiteten Plüschstreifen. Die Kopfbedeckung hat zwar die 
Form der Palaung-Haube, ist aber schmal, aus weißem Stoff und 
wird als Turban verwendet; der Haubenzipfel birgt den Knoten 
des gescheitelt am Kopf niedergekämmten Haares. Die Frauen unter- 
scheiden sich vorteilhaft von anderen Stämmen durch ihren hüb- 
schen, regelmäßigen Gesichtsschnitt. 

Die Tawngma- oder, wie sie sich selbst nennen, Kwantun-Palaung 
haben eine merkwürdige Tracht, die vielleicht auch jenseits der 
Yünnan-Grenze ihren Ursprung hat. Der rot und gelb gestreifte Rock 
besteht aus zwei, in der Art eines Doppelrockes auf Kattununter- 
lage übereinandergesetzten Stoffbreiten. Er wird fast ganz von einem 
langen, dunkelblauen — zuweilen auch weißen — mantelartigen Ge- 
wand bedeckt, dessen Ränder mit rotem Flanell besetzt sind; ein 
Gürtel von flanellüberzogenen roten, gelben und grünen Schnüren 
hält es zusammen. Auch hier wird die aus weißen und farbigen 
Stoffstreifen zusammengesetzte Haube zum Bergen der Haare be- 
nützt und lose um den Kopf gelegt. Die stämmigen Frauen zeigen 
in ihrem Aussehen und im ganzen Auftreten ein wohltuend 



76 Palaung-VÖlkerschsfien 

frisches uad resolutes Wesen. Die vielen vom Palaung-Typ ab- 
weichenden Physiognomien sind eine Folge häußgerer Mischungen. 
Bezeichnend ist, daß wohlhabend gewordene Pale den Ehrgeiz 
haben, die Kalurrtracht nachzuahmen und schlieOlich sich sogar 
den Namen Palaung aneignen. Aber auch im Schmuck treiben 
die Pale in Tawngpeng einen Aufwand, den sich ihre ärmeren 



Stammesgenossen anderer Distrikte, die vom Ertrag ihrer 
kümmerlichen Bergkulturen leben, nicht leisten können; sie 
prunken mit mächtigen Silberreifen um den Hals, großen Ohr- 
zylindern, reichem Silberplättchenbesatz an den Jacken, breiten 
silbernen Hüftgürteln und schweren Armreifen; Samt und Plüsch 
für Jacken gilt ihnen als selbstverständlich (Abb. 42). Rock- 
farbe und Kopfbedeckung markieren zumeist die Stammesunter- 
schiede.^) 

*) Vertreter von nicbt weniger sls neun Stammen hatte der unseren Ar- 
beiten rege und verständnisvoll folgende Palaung-Fürst aus seinem Landchen 



Teepflanzungen 77 

Der Feldbau deckt nur die eigenen Bedürfnisse des Einzelhaus- 
halts. In dem steilen Gelände kann weder PHug und Egge noch 
der Ochsenkarren verwendet werden; alle Feldarbeit geschieht, wie 
bei den Bergvölkern überhaupt, mit Hacke und Spaten. Die Lasten 
müssen getragen werden. Eine saure Arbeit ist das Wasserholen; 
dazu dienen die natürlichen Abschnitte des Riesenbambus, die in 



Abbildung 43 
IVaaurtragimle Fale-Wliber aus dir Umgibang von Lashln, Ndrdt. Shan-Slaattn. 

einen Tragkorb gestellt oder an Schnüren befestigt und über die 
Stirn gehängt heimgeschleppt werden (Abb. 43), Die Hauptarbeit 
leisten die Frauen in den Teepflanzungen; diese liefern für ganz 
Birma den beliebten „gepökelten" Tee, von dem oben <p. 21; 58) 
kurz die Rede war. Nur im Westen des birmanischen Katbä-Distriktes 
ist noch eine nennenswerte Teeproduktion , von der sich Aus- 
läufer in etlichen Dörfern am obern Chindwin nördlich von Homalin 
Rnden. Die Paiaung selber genießen den „gepökelten" Tee nicht, 
und nur wenig wird von ihnen zum Getränk für eigene Verwen- 

nacb Namhsin berufen. Nur >o konnte beträcb Hiebes ethnographisches Material 
ausgearbeitet werden, dessen Veröffentlichung in den Abhandlungen der 
Münchener Akademie geplant ist. Hier sind nur einige Ausschnitte daraus 
gegeben; vgl. auch die p hon ographi sehe Probe im Anhang. 



78 „Gepökelter" Tee 



düng und für den Verkauf getrocknet. Die Sträucher schneidet 
man nicht zu, sondern läßt sie zum Baum aufwachsen. Der ge- 
pflückte Tee wird gedämpft; man benutzt dazu einen primitiven, 
nach dem System unseres Kartoffelkochers hergestellten Holztopf 
— wie wir ihn bei den Shan als Reiskochtopf gefunden haben 
(oben p. 59) — , dessen Zwischenboden aus einigen mit dem netz* 
artigen Fasergewebe der Loofah bedeckten Bambusstäben besteht. 
Dann wird er gerollt und in tiefen, mit Bambus ausgeholzten Gruben 
unter einem mit Steinen beschwerten Holzdeckel der Gärung 
überlassen; so hält man ihn einen Monat bis zu einem Jahr. Für 
den Transport presst man ihn, hoch aufgehäuft, in enge hohe Körbe 
und stülpt eine Decke aus Mattengeflecht, ringsum fest eingesteckt, 
darüber. Der getrocknete Tee kommt in niedrigere, breite Körbe. 
Den Transport zu den Märkten und den Verkauf besorgen die 
Shan; unaufhörlich begegnet man ihren Ochsenkarawanen auf den 
Wegen zur Ebene. Die beste Sorte gegorenen Tees hat einen Preis 
von 30—45 Rupien (42—63 M.) für ca. 325 Pfd.; den besten ge- 
trockneten Tee bezahlt man mit iVi— 2 Rs. (1.70—2.70 M.) für 
ca. 3V4 Pfd. an Ort und Stelle. Die Teeproduktion ist aber stets 
auf den Betrieb und Verbrauch im Lande beschränkt geblieben 
und hat sich nie mit der Ausfuhr befaßt.^) 

Der als Salat zubereitete Tee scheint die stimulierende Wirkung 
nicht zu verlieren, die der Teein-Gehalt des als Getränk genossenen 
Tees ausübt^); in Ober-Laos und in Nord-Siam wird in Bambus- 
rohre gepresster gegorener Tee als Ersatz für Betel verkauft und 
wie dieser gekaut.^) 

Im häuslichen Leben, in den Bräuchen bei Geburt und Heirat 
zeigt sich wenig Abweichung von den Shan-Sitten. Der Buddhismus 
hat die religiösen, wie die sozialen Verhältnisse nach und nach 



^) Vgl. Imp. Gazetteer of India 22, p. 242; 15, p. 160 werden für den 
Distr. Kathä zwei Sorten von *pickled tea' als paungthi und pyaokthi unter- 
schieden; die näheren Angaben, die hier fehlen, sind wohl aus R. Grant 
Brown, Burma Gazetteer. Upper Chindwin District, Vol. A (Rangoon 1913), 
p. 33 zu entnehmen. — Volksetymologische Erklärung des Namens Let-phet 
für „gepökelten** Tee: Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 492; II, 3, p. 251. 

'-^) Siehe auch Walter del Mar, The romantic Hast (London 1906), p. 83. 

^) *Tea is not used as a beverage, but the practice of chewing fermented 
tea-leaves is almost universal amongst the inhabitants of upper Siam' : P. A. 
Thompson, Lotus Land (London 1906), p. 3. 



Volkssitten — Die Karen 79 

geändert; er besitzt an den Palaung die bigottesten Anhänger; 
daß trotzdem der alte Geisterkult sich kräftiger noch als bei Bir- 
manen und Shan bemerkbar macht und im Zentrum von Tawngpeng 
sogar über eine offizielle, vom buddhistischen Klerus stillschwei- 
gend sanktionierte Hierarchie verfügt,^) darf bei der späten Konver- 
tierung der Palaung nicht wunder nehmen. In der Volkssitte ist 
aber bereits mit vielen alten Bräuchen aufgeräumt, und so finden 
wir auch nicht mehr den ungezügelten Geschlechtsverkehr vor der 
Heirat wie bei vielen nichtbuddhistischen Bergstämmen, sondern 
fester gefügte Verlobungsbräuche, ähnlich wie bei Birmanen und 
Shan; nur der Brautkauf ist noch beibehalten. In Namhsan bewegt 
sich der Preis zwischen 30 und 150 Rupien. 

Die Palaung-Frauen haben noch das schwerfällige, scheue Be- 
nehmen der Bergstämme; die geistige Beweglichkeit und das ener- 
gische, geschäftstüchtige Wesen ihrer birmanischen und Shan- Nach- 
barinnen mangelt ihnen. Das Volk ist schüchtern und hat sich nie 
durch Energie hervorgetan ; gegen Andere hat es höchstens Abwehr- 
kämpfe geführt, bis es dem Stärkeren weichen mußte. Ueberall 
lobt man seinen außerordentlich friedlichen, rechtlichen Charakter, 
die einwandfreie Moral und die bei Birmanen und Shan so selten 
zu treffende Sparsamkeit. 

V. 

In der Gesamtzahl (1102695) folgen unmittelbar hinter den Bir- 
manen die Karen. Über ihre Abstammung und Heimat, ihren Wan- 
derweg und ihre ersten Siedelungen in den Südlichen Shan-Staaten 
weiß man wenig. Obwohl sie sprachlich sich den Shan zur Seite 
stellen, zeigen sie sonst keine näheren Beziehungen zu ihnen; die 
sprachliche Verwandtschaft mag vielleicht nur oberflächlich, wenn 
nicht gar etwas Sekundäres sein, ohne daß eine ethnische Zusam- 
mengehörigkeit zu gründe liegt. Eine Menge der widersprechend- 
sten Theorien hat das Rätsel der Karen-Herkunft zu lösen ver- 
sucht, wobei natürlich auch die Zurechnung zu den zehn verlorenen 
Stämmen Israels nicht fehlte. Dazu dürften die religiösen Über- 
lieferungen Veranlassung gegeben haben, die stellenweise an die 
Bibel anklingen. Wahrscheinlich bleibt, daß die Karen urspünglich 



^) Vgl. Seh er man, Der Geisterkult der budddistiscben Palaung, Festschrift 
für Alfr. Hillebrandt (Halle 1913) p. 160 ff. 



80 Geschichte der Karen 

den Weg, den so viele indochinesische Stämme zogen, von den 
Bergländern des westlichen China her angetreten haben, und daß 
sie vor der Hauptmasse der Shan in Birma ansäßig wurden. Sie 
scheinen friedlich ihren Weg durch abgeschiedene, unbewohnte 
Landstriche genommen und die Geschichte anderer Völker in kei- 
ner Weise beeinflußt zu haben. ^) Die Überlieferungen der Karen, 
die von einem „Fluß von rinnendem Sand'^ sprechen, den ihre 
Vorfahren überschritten haben sollen, auf die Gobi-Wüste zu deu- 
ten, ist recht gewagt. Von dem in den Südlichen Shan-Staaten etwas 
nördlich vom jetzigen Karenni-Gebiet liegenden Bergland aus ver- 
breiteten sie sich nach Süden und Westen über die Ebenen der 
Flußmündungen und die Küste von Tenasserim. Von allen birma- 
nischen Völkerschaften haben sie sich am wenigsten mit anderen 
Stämmen gemischt; der Hauptgrund ist in den strengen endogami- 
schen Heiratssitten zu suchen, die gerade im kastenlosen Birma 
so befremden; selbst unter den zivilisierten Karen, bei denen die 
früheren strengen Vorschriften aufgegeben sind und die verschie- 
denen Stämme untereinander heiraten, sind Ehen mit Nicht-Karen 
eine Seltenheit. Auch die bereitwillige Annahme des Christentums 
stärkt ihre Eigenart insofern, als dadurch die Verschmelzung mit 
dem Birmanentum hintangehalten wird, die sonst das Schicksal aller 
ihm naherückenden Stämme ist. Trotzdem sie ursprünglich in den 
Bergen lebten, haben sie sich nach und nach auch in der Ebene 
gut akklimatisiert. Gegenwärtig finden wir Karen im zentralen Ge- 
birgsland des Pegu Yoma, der die Wasserscheide zwischen Irra- 
waddy und Sittang bildet, im Paunglaung-Gebirge zwischen Sittang 
und Salween, an den Ostabhängen des Arakan Yoma westlich vom 
Irrawaddy-Delta; im Südwestteile der Südlichen Shan-Staaten bil- 
den sie die Hauptbevölkerung; in der Nord-Süd-Richtung erstrecken 
sich ihre Wohnsitze von Toungoo bis Mergui. 

Der Name Karen stammt von den Birmanen. Man unter- 



^) Merkwürdig bleibt immerhin, daß die p. 69 genannte Chronik aus der 
Zeit, als die Palaung von den Shan aus ihren ältesten Wohnsitzen verdrängt 
wurden, berichtet, es hätten sich damals die „Weißen," „Roten" und „Schwar- 
zen'^ getrennt; aus ersteren wurden die weißen und roten Karen, aus den 
Schwarzen die Taungthu und aus den „Gestreiften", den Nachkommen der 
Nagä-Prinzessin, die Palaung. Sollte diese Sage auf irgend welche Tatsachen 
zurückleiten, so hätten die Karen mit Palaung und Shan zusammen in der 
gleichen Gegend gewohnt. 



scheidet drei Hauptgruppen : die Sgaw, Pwo und Bghai. Die ersten 
beiden bilden die südliche Gruppe, die man als die eigentlichen 
Karen, volkstümlich auch als weiße Karen') bezeichnet. Sie sind 
von gedrungenerem Körperbau und von hellerer Hautfarbe als die 
Birmanen, geistig weniger rege und 
haben — ganz im Gegensatz zu Bir- 
manen und Shan — ein schweres, 
humorloses Temperament. Ihre apa- 
thische Natur hat Jahrhunderte lang 
die tyrannische Unterdrückung durch 
die Birmanen wie ein unabwendbares 
Schicksal ertragen, sodaß ihnen die 
britische Annexion geradezu eine Er- 
leichterung bedeutete. Das ursprüng- 
liche Karen -Kleid, das jetzt immer 
seltener wird, ein langer Kittel (bir- 
man. thindaing) mit zwei seitlichen 
Offnungen für die Arme und einem 
Schlitz für den Kopf, bildet das 
einzige Obergewand für Männer, 
Knaben und Mädchen. Bei Frauen, 
die unter dem Kittel einen Rock 
tragen, ist er kürzer und häußg reich 
verziert mit Grassamen und Stickerei 
(Abb. 44). Dies ist nun auch für 
Mädchen allgemein Brauch geworden. 
Den Kopf umschlingt ein Turban. 

Den ursprünglichen Geislerkult 
haben die zivilisierten Karen längst Abbiidun 44 

aufgegeben, scharenweise sind sie zum G,ko-Kar,n.Fra.. Nach .;«« PMcgrapbu i,r 
Christentum übergetreten ; die Arne- Americaa BapUst Mission. 

rican Baptist Mission hat hier die 

größten Erfolge erzielt. Eine weit geringere Zahl hat sich dem Buddhis- 
mus zugewendet. Unter ihnen wären vor allem dieTaungthu zu nen- 
nen, ein Zweig der Pwo -Karen, der nach dem letzten Zensus 
183054 Personen umfaßt. Geschlossene Massen derTaungthu wohnen 

') Diese Bezeichnung wird aber aucb auf die Mepu-Karen, eineo nörd- 
lichen Karen- Stamm, angewendet: Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 550. 



82 Taungthu 

im südlichen Birma, hauptsächlich im Thaton-Distrikt, und im Süd- 
westen der Südlichen Shan-Staaten, wo sie die Hauptbevölkerung 
des Staates Hsatung {birman. Thaton) ausmachen; sogar das Staats- 
oberhaupt ist hier ein Taungthu. Man triiTt sie ferner in Slam und 



Zayiia-Taaaglka-Fraa und (rechts) Taangtliii-Fraa im Basar ran Wanlhin, 
Säät. Shan-SlaaUn. 

Kambodscha, wo sie sich mit Elephanten- und Pferdehandel abgeben; 
in Birma sind sie durchweg Bauern. Den Geisterkult hat der Bud- 
dhismus auch bei ihnen nicht zum Erlöschen gebracht; sonst sind ihre 
Sitten nach dem landesüblichen Schema umgestaltet. Die Kleidung 
ist bei den Männern den Shan angepaßt, bei den Frauen folgt sie 



Taungyo 83 

in den entlegeneren Distrikten noch der Karen-Sitte (Abb. 45 rechts). 
Sie hüllen sich ganz in Schwarz: ein kurzes Röckchen, darüber 
ein langer Schlitzkittel, dessen düstere Farbe nur durch Zier- 
nähte an den Rändern und aufgenähte weiße Grassamen belebt 
wird. Den langen, schwarzen Turban schmücken schmale bunt- 
seidene Börtchen in Brettchenwebtechnik und farbige Endfransen. 
Die Wadentücher und die an kühlen Tagen den Armlochrändern 
angefügten Armstutzen sind farbig, mit Vorliebe wählt man grünen 
oder violetten Samt. 

In enger Nachbarschaft mit den Taungthu leben die Taungyo, 
die aber trotz großer äußerer Ähnlichkeit, namentlich in der Klei- 
dung, in keiner Weise mit ihnen verwandt sind ; sie gehören über- 
haupt nicht zu den Karen, sondern sind ein birmanischer Stamm, 
der vor unbestimmter Zeit aus dem Irrawaddy-Tal ostwärts nach 
dem westlichen Plateau der Südlichen Shan-Staaten vordrang und 
sich stark mit den umgebenden Shan und Taungthu vermischte. 
Ihre Zahl ist nicht groß (19656); die religiösen Bedürfnisse be- 
friedigt nominell der Buddhismus, dessen Decke aber noch dünner 
als bei den Taungthu den Geisterglauben überspannt. Wir fanden 
zwar überall in ihren Dörfern ein Kloster und in den Häusern 
ein, oft sehr hübsch geschnitztes, Regal mit Blumenvasen für das 
Buddhabild, aber an der Eingangstür schon baumelte ein Kaktus- 
zweig oder auch ein Schlinggewächs nebst einem Stein als Abwehr- 
mittel gegen üble, namentlich die Kinder bedrohende Einflüsse. 

Von den Taungthu werden die Taungyo etwas über die Achsel 
angesehen, hauptsächlich wegen der zweifelhaften Moral ihrer 
Frauen, denen man sogar Käuflichkeit nachsagt. Jedenfalls urteilen 
Shan und Taungthu abfällig über das Verhalten der Taungyo-Mäd- 
chen, die ihren Liebhaber nicht als offiziellen Besuch im Eltern- 
haus empfangen, sondern nächtlicherweile vor dem Haus auf ihn 
warten und sich mit ihm entfernen. Die Hochzeit ist eine sehr 
einfache Sache: hat der Bräutigam genügende Mittel zum Heiraten, 
so begibt er sich mit etlichen Geschenken zu den Eltern des Mäd- 
chens und begehrt sie zur Frau; ist ihnen das recht, so sagen sie 
ihm, er solle sie mitnehmen. Dann gehen beide in sein Haus, und 
damit ist das Zeremoniell beendigt. Scheidungen sind trotz dieser 
Laxheit selten. Wird ein Mädchen außerehelich Mutter, so muß 
sie — wie es auch bei den Taungthu Brauch ist — unter eid- 



84 Taungyo 

lieber Versicherung den Vater nennen. MPeigert dieser sich, sie zu 
heiraten, so muß er 30 Rupien zahlen ; läugnet er die Vaterschaft, 
so muß das Mädchen Beweise erbringen; kann sie das nicht, so 
muß sie in Schande das Dorf verlassen. 

Die Weiber der Taungyo sind tüch- 
tige Feldarbeiterinnen und gehen auch 
in Lohnarbeit. Auf der großen Farm, 
die der englische Oberst Rippon, 
dessen Gäste wir eine Woche lang 
waren, in Kalaw, am Eingang der 
Südlichen Shan-Staaten,angelegthaite, 
erwiesen sie sich als die fleissigsten 
Gartenarbeiterinnen. Die Gewandung 
(Abb. 46] unterscheidet sich haupt- 
sächlich in der Farbe von der der 
Taungthu; statt des düsteren Schwarz 
nehmen sie Blau mit farbigen Rand- 
streifen für ihre kurzen Röckchen, 
der lange Kittel ist rot mit schmalen 
gelben und grünen Querstreifen, an 
den Hals und Armausschnitten mit 
weissen Grassamen benäht. Die kräf- 
tigen Beine sind mit Wadentüchern 
bekleidet und unterhalb der Knie 
mit Messingspiraldrahtreifen und Bün- 
deln lackierter Schnüre umwunden; 
Armstulpen aus Baumwollstoff oder 
Plüsch ersetzen — wie bei den mei- 
sten Kitteltrachten der Bergvölker — 
""^ ^ außerhalb der Arbeitszeit die fehlen- 

Myinmati, Sädi. Shan-Siaaien. den Ärmel. Kctteu aus dickcn, roh 

gegossenen Silberscheiben umgeben 
den Hals, große silberne Ohrzylinder weiten die Ohrlappen, in 
denen noch Bündel von würfelförmigen Filigranohrringen hängen. 
Der auf dem Hinterkopf aufgesteckte Haarknoten ist von einer 
Silberkette umschlungen und mit Schmucknadeln durchsteckt. Da- 
rüber winden die Mädchen ein rot und blau karriertes Tuch, wäh- 
rend die Frauen einen dunkelblauen, kunstvoll mit verschieden- 



Ostgrenze der Shan-Siaaien 85 

farbigen Blumen- und Streifenmustern durchwirkten und von einer 
breiten roten Flanellkante umrahmten Turban tragen (Abb. 47). 

Die Bekanntschaft dieser Stämme machten wir im Südwesten 
der Südlichen Shan-Staaten, die in der JVlannigFaltigkeil der Nationali- 



Älttr, 



täten einen Typenreichtum aufweisen, wie kaum ein anderes Ge- 
biet innerhalb Birmas. Bis zu dem ganz besonders ergiebigen öst- 
lichsten Staat Kengtung vorzudringen, gestattete leider unsere Zeit- 
einteilung nicht, und so müssen wir es für diesen Landstrich bei 
einer kurzen Übersicht und dem allgemeinen Hinweis auf das 



86 Ostgrenze der Shan-Staaten 

Material im Gazetteer of Upper Burma bewenden lassen. Das meiste 
Interesse beanspruchen die Wa, die bereits oben (p. 69) als Sprach- 
verwandte der Palaung Erwähnung fanden. Die ,^zahmen^^ Wa 
wohnen in Kengtung, Manglön und den angrenzenden Shan- 
Gebieten (14674); teilweise rechnen sie sich nach Annahme des 
Buddhismus als „Tai-loi^^ (Berg-Shan) sogar zu den Shan. Die 
„wilden" Wa hingegen in den eigentlichen Wa - Territorien zäh- 
len zu den unzugänglichsten Volksstämmen, und die bei ihnen 
noch eifrig betriebene Kopfjagd^) macht den Aufenthalt dort ge- 
fährlich. 

Als Verwandte der Palaung gelten noch mehrere Stämme an 
dieser Ostgrenze, deren Hauptmassen in den Laos-Staaten und in 
Yünnan leben und nach und nach immer mehr Ausläufer auf bir- 
manisches Gebiet vorschieben, sodaß bereits etliche Hundert in 
Kengtung wohnen; das sind die Miaotse und noch einige Yao- 
Stämme.^) Von der birmanischen Sprachgruppe finden wir dort die 
Lahu (18103), die Kwi (3189), die Ako (4119) und die Akha oder 
Kaw (33181); bei den letzteren tragen die Frauen merkwürdige Reifen- 
hüte, von denen wir durch einen britischen Beamten zwei Exem- 
plare für die Münchener Staatssammlungen erwerben konnten. 

Die Hüte bestehen aus zwei oder drei Reifen aus Bambusspänen 
von ca. 6 — 8 cm Breite, über die schmale, in verschiedener Muste- 
rung mit Grasfasern fein umflochtene Ringe gelegt und mit Spangen 
aus blauer Baumwolle festgehalten sind. Diese Reifen sind schräg 
nach hinten übereinandergesetzt und gehalten von einem lang- 
gezogenen, gebogenen, aus Bambusstreifen zusammengerollten Ring, 
der nach hinten aufgestellt wie ein hoher Steckkamm aus dem 
obersten Hutreifen hervorsteht. Ein rechteckiger dunkelblauer 
BaumwoUappeii , mit umflochtenen Bambusstäbchen und Samen- 
schnüren benäht, hängt rückwärts vom Hut in den Nacken. Gehänge 
dieser Grassamen schmücken das Ganze. Manchmal sind die Reifen 



^) Über dieses weite Ausblicke eröflPnende Thema vgl. die beiden inhalts- 
reichen, das Material vorsichtig abwägenden Aufsätze „Kopfjagd und Menschen- 
opfer in Assam und Birma und ihre Ausstrahlungen nach Vorderindien*^ und 
„Mutterrecht und Kopfjagd im westlichen Hinterindien" von R. v. Heine- 
Geldern: Mitteilungen d. Anthropol. Gesellsch. Wien 47 (1917), p. 1—65; 
51 (1921), p. 105—40. Dazu W. Schmidt, Anthropos, Bd. 14/5, p. 1138-46. 

2) Vgl. Archiv f. Anthropologie, N. F. 14, p. 213. 



Karenni 87 

auch über einem helmartigen Rohrgeflecht aufgebaut und die StofiF- 
lappen hängen vorn auf die Stirn. ^) 

Mit großem Bedauern sahen wir die Straße nach Kengtung von 
unserm Weg abzweigen, der uns nach dem Karenni-Gebiet fährte. 
Die Reise dorthin — auf der Landstraße und einem Kanalweg bis 
Yawnghwe, von hier in viertägiger Bootfahrt über den Inle-See 
und auf dem ihn durchfließenden Nam Hpilu (birm. Balu Chaung) 
bis nach Loikaw in Gantarawaddi, dem östlichsten Karenni-Staat — 
hat uns an ethnographischen Beobachtungen und Sammlungen er- 
freuliche Ernte eingetragen. Wir befanden uns vornehmlich im 
Bereich der nördlichen Hauptgruppe der Karen, der Bghai ; sie 
begreift eine Anzahl Stämme in sich, die weit mehr in ihrem 
ursprünglichen Kulturstande verharrt haben, als die südlichen 
Gruppen. Ihre Wohnsitze liegen abseits vom Verkehr in dem frühe- 
sten Einwanderungsgebiet der Karen; birmanischer und Shan-Ein- 
fluß haben da noch weniger gewirkt. Der Nam Hpilu, der im 
Süden des Shan-Staates Thamakan entspringt und, wo er das Süd- 
ende des Sees verläßt, sich aus einem schilfdurchwachsenen Sumpf 
allmählich wieder zu einem Flußlauf entwickelt,^) bildet die 
wichtigste Verkehrsader zwischen dem See und dem Hauptort Loi- 
kaw; er ist nur für die einheimischen langen, schmalen, ausge- 
höhlten Boote befahrbar wegen seiner ungleichen Wassertiefe und 
der Schwierigkeiten, die die eingebauten Stauwehre verursachen; 
diese ermöglichen den riesigen Schöpfrädern, von denen bis zu 
drei neben einander stehen, das zur Feldbewässerung nötige Wasser 
in die Leitungsrinnen zu heben. 

Die Flußfahrt brachte uns zunächst in das Gebiet der roten 
Karen oder Karenni (birmanisch ni = rot). Sie sind im Zensus 
1911 mit 19008 Personen beziffert. Klein und schmächtig, stehen 
sie körperlich hinter den südlichen Karen - Stämmen zurück; die 
Gesichtsfarbe« ist hell, färbt sich aber im Sonnenbrand rötlichbraun. 



*) Abbildungen bei Scott, Burma, p. 101, Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 500 
und Da vi es, Yün-nan, p. 394 f. Wenn W. A. Graham, Siam^ (London 1912) 
in seinen Illustrationen hinter p. 128 dieselbe Hutform den Miaotse beilegt, 
so dürfte da ein Irrtum obwalten. 

^ Angaben über diesen (in den Registern gewöhnlich fehlenden) Fluß im 
Gaz. of Upper Burma II, 1, p. 309 und II, 3, p. 381; Imp. Gaz. of India, 
Provincial Series. Burma II (Calcutta 1908), p. 335. 



Sie sind tatkräftiger und auch kriegerischer veranlagt als ihre süd- 
lichen Vettern ; sie waren der einzige Karen-Stamm, der selbst der 
britischen Okkupation Widerstand leistete. Dem Geisterkult sind 
sie treu ergeben ; die „Naf-Prosten ragen weithin sichtbar bei 



ihren Dörfern empor. In neuerer Zeit aber haben auch bei ihnen die 
amerikanischen Baptisten sowie die katholische Mission Erfolge 
gehabt und zuweilen ganze Dörfer zum Christentum bekehrt. Dessen 
ungeachtet steht ihre innere wie 3uDere Kultur ziemlich tief; na- 
mentlich an Unsauberkeit übertreffen sie die meisten, ohnehin 
nicht durch Reinlichkeit berühmten Bergstämme. Die vorwiegende 
Farbe der Gewandung — auch der kurzen JVlännerhosen — ist rot. 
Die Frauen (Abb. 48) tragen über einem kurzen, rot und blau gestreif- 
ten Rock dicke Stränge von grünen, roten und blauen Perlen;eine weiße 



Yimbaw- und Bre-Karen 89 

Stoffschärpe umgürtet den Leib, die Brust deckt ein rotes, mit 
weißen Streifen durchzogenes Tuch, das quer über die Schulter 
geknüpft ist; auch über den Kopf wird ein ähnliches rotes Tuch 
gestülpt. Perlstränge, wie bei den Hüftketten, außerdem Reihen 
von dicken, plump gegossenen Silberscheiben bilden den Hals- 
schmuck, in den Ohrlappen stecken weite silberne Pflöcke, und 
darunter hängen noch Bündel eicheiförmiger, spitz zulaufender Ohr- 
ringe. Recht massig und unbequem ist der Knieschmuck: dicke 
Bündel lackierter Rohrreifen, durch Messingringe vereinigt, bilden 
einen unförmigen Wulst um die derben Beine und nötigen die 
Frauen zu einem schwerfälligen, breitspurigen Gang; sie zwingen 
sie auch, weil sie das Abbiegen der Knie hindern, auf dem Boden 
mit gerade ausgestreckten Beinen zu sitzen — eine Stellung, die 
von den Birmaninnen und Shan-Frauen als höchst anstößig emp- 
funden wird. Bei ihren Tänzen stört die geringe Beweglichkeit der 
Beine nicht, da sie nur ein ruhiges Schreiten erfordern. Bei den 
Leichentänzen, an denen auch die Männer teilnehmen, wirken die 
gemessenen, federnden Schritte, das Neigen und Wiegen der reihen- 
weise mit angefaßten Händen vor- und rückwärts schreitenden 
Tänzer wirklich ergreifend. Ähnlich feierliche Reigentänze finden 
wir auch sonst bei hinterindischen Bergvölkern; sie lassen sich 
bis zum malaiischen Archipel verfolgen. ^) Eine Filmaufnahme von 
einer Totenfeier der Tura auf Celebes, die der Amsterdamer 
Professor van Wuuren jüngst auch in Deutschland vorgeführt hat, 
rief uns durch ähnliche, wenn auch rhythmisch minder graziös be- 
wegte, von taktmäßigem Schleudern der Arme begleitete Tanz- 
schritte der Frauenreihen die Tage von Loikaw in lebhafte Er- 
innerung. 

Die Karenni -Weiber schaffen rüstig in Feld und Haus, weben 
alle Gewänder selbst und fehlen auch nicht beim Basarhandel. Bei 
einigen verwandten Stämmen, z. B. den Yimbaw-Karen (Abb. 49) 
finden wir gleiche Gewandung und Sitten. Bei anderen Karen geht 
die Weiblichkeit im Verzicht auf jede Bequemlichkeit dem Körper- 
schmuck zuliebe noch erheblich weiter und stellt selbst europäische 
Modetorheiten in den Schatten. Die Frauen der Bre(k)-Karen (Ab- 
bildung 50) eines außerordentlich scheuen, 6911 Seelen zählenden 

*) Ober Tänze der Nichteuropäer reiches Material bei W. Ridgeway' 
The dramas and dramatic dances (Cambridge 1915). 



90 Bre-Karen 

Stammes, tragen breite, schwere Messingspiralstulpen oberhalb der 
Knie und schmälere Spiralreife um die Fußknöchel; auch den Unter- 
arm beschwert der gleiche gewichtige Messingschmuck. Über den Knien 
endigt das dunkelblaue, rotgeränderte Röckchen, den Oberkörper 
umhüllt eine Schlltzjacke aus weiOem, rot und schwarz gestreiftem 



Abbildung 40 

Ymbaw-Karen-Frauttt Bul tUm Padaang-Dorf Naangitur, Säill. Shan-Slaaltn. 

Stoff mit Fransen an den Armlöchern. Perlketten, Messingreifen 
und halbmondförmige Silberscheiben zieren Hals und Brust, sil- 
berne Pflöcke weiten die Ohrlappen. Beim Tanz, der wieder ein 
wiegender, feierlicher Reigen ist, blasen die Frauen auf Bambus- 
pfeifen. Ganz auffallend harmonische Töne geben die Büffel- 
hörner, denen die Männer einen lang gehaltenen, sanft an- und 
langsam abschwellenden Akkord entlocken. Überrascht horch- 
ten wir auf, als dieser wundervolle Klang über die Felder zu uns 
drang — die Bre hatten auf Veranlassung des britischen Distrikts* 
beamten Leute entsandt, die uns gerade noch in letzter Stunde 
vor dem Aufbruch erreichten, um unsere photographischen und phono- 
graphischen Arbeiten um seltenes Material zu bereichem. 



Padiung 91 

Das schwerste Gewicht an Metallschmuck bürden sich die Frauen 
derPadaung{Abb.5l — 52) oder, wie sich der 8516KJ}pfe zählende 
Stamm selbst bezeichnet, der Kekawngdu auf. Zur „Zier" an 
Armen und Beinen ' kommt bei ihnen ein hober Halskragen 
aus den gleichen Messingspiralen. Schon den kleinen Mädchen wird 
dieses ersehnte Schmuckstück angeschmiedet, das von Zeit zu Zeit 



Abbildung 50 

Brt-Karta, ärtl Framn aiiii (linl:]) tin Kann aus Brelipa bei Ngwtiaang, Kartaai-StaaUn. 

durch ein gröOeres ersetzt wird. So erreicht schließlich der Hals- 
kragen eine Höhe von 20 cm; an ihn schließt sich unten ein fla- 
cher den Schulteransatz deckender Kragen, und in diesen ist im 
Nacken ein 10 cm breiter Spiralring eingezogen — es heißt, zur 
Strafe würden die Frauen von ihren Männern daran festgeschlossen. 
Von diesem Kragen hSngt ein Strang haselnuOgroßer Silberperlen 
nieder, der mitjeiner Silberscheibe abschließt; eine gleiche Kette 
geht von der rechten Schulter quer über die Brust unterm Arm 
durch. Die ganze Auftakelung macht aus der Padsung-Schönen 



eine uas überaus komisch erscheinende Figur, die schon zu Ver- 
gleichen mit einer Champagoerflasche angeregt hat: aber dem kur- 
zen schwarzen, rotgeränderten RSckchen bauscht sich die weite 
Schlitzjacke, aus dem hohen Messingkragen lugt rundlich, wie ein 
Sektkorken aus dem Flaschenhals, der Kopf mit dem zu einem 



Abbildung 51 
Padaang-Maan (mit FanfiSte) and imi Fr:xaea. Karrnai-SiaaUn. 

hohen Schopf aufgedrehten und mit allerhand Läppchen, Litzen, 
Samenkörnern, Perlen, Kämmchen und Schmucknadeln verzierten 
Haar. Die Jacke ist übrigens schöne Webarbeit; der obere Teil 
weiß, zuweilen mit roten Sternen bestickt, die untere Hälfte doppel- 
seitig, innen weiSe Baumwolle, auf3en rote Seide. Es heißt, daß 
andere Karen diese Jacken Für die Padaung weben.') 

') Ein ganz gleiches Slück trSg! die Geko-Karenfrau auf Abb. 44. Es isr 
nicbt ausgeschlossen, daß hier alle Stammesbeziehungen mitspielen; nach 
H. R. Spearman, British Burma Gazelleer I (Raogoon 1880), p. 167 werden 



Padaung 93 

Der Heirat geht bei den Padaung ein formelles \Perben bei den 
Eltern des Mädchens mit länger fortgesetzten, offiziellen Besuchen 
des jungen Mannes voran. Hat dieser sich endgültig entschlossen, 
so läOt er die Einwilligung des Mädchens und der Eltern einholen, 
und nach beiderseitigem Geschenkwechsel erfolgt die Hochzeit ohne 



Spttr, Am}ir<al); links am BoHea lia Karinni-Kcstelgoag (Slian-Arbtit aus Ngmedaang). 

nennenswertes Zeremoniell, mit langem Ess- und Trinkgelage. ' Be- 
merkenswert ist, daß die Padaung nicht wie die anderen Karen 
endogamische Heiratsregeln befolgen, sondern durchaus exogamisch 
verfahren; jeder kann unbehindert durch Rücksicht auf verwandt- 
schaftliche Beziehungen seine Frau wählen. 

Die Zayein (Salein)- oder Sawntüng-Karen bewohnen in einer 
Zahl von 4981 Personen 26 Dörfer der Shan-Staaten Loilong und 
Möngpai (Mowbye). Der birmanische Name Gaungto weist in 

die „Gai-kbo"- Karen, ein Zweig der Pwo, von den Karennl mit der Bezeich- 
nung „Padoung" belegt. 



94 Gaungto-Karen 



seiner Wortbedeutung auf den kurzgeschorenen Kopf der Männer. 
Weiß ist die Gewandfarbe der meisten hierher gehörigen Grup- 
pen. Die Männer haben in der Regel kurze Hosen aus unge- 
bleichtem Stoff und darüber an kühlen Tagen ein ebensolches 
hemdartiges Gewand. Bei den Frauen ist der kurze Rock und 
die Schlitzjacke zumeist mit blauen Bändern versehen; die ein- 
zelnen Dörfer lassen Unterschiede auch in Schmuck- und Kopf- 
putz beobachten. Auf unserer Bootsfahrt flußabwärts nach Loi- 
kaw waren wir beim Basarbesuch in einem Uferdorf einer Frau 
(Abb. 45 links) mit langem weißen, blau geränderten Schlitzkittel be- 
gegnet, mit dunklem Turban und Gürtel, Wadentüchern und Arm- 
stulpen in schwarz; sie wurde uns als wZayein-Taungthu-Frau" be- 
zeichnet. Augenscheinlich hatten wir eineSinsin-Karenfrau*) vor 
uns, aus einem Zayein-Stamm, der sich unter Shan und Taungthu 
angesiedelt und hauptsächlich letzteren angeähnelt hat. Erst ängstlich 
ausweichend hielt sie schließlich doch unserer Kamera Stand und 
verkaufte uns sogar ihre Ohrringe. Ihre Gesichtszüge zeigen typi- 
schen Karenschnitt, obschon ihr Stamm sich längst nicht mehr an 
die endogamischen Heiratsregeln der Karen bindet. 

Später glückte es uns, von Loikaw aus in einem zweitägigen Ritt 
ein Gaungto-Karendorf im Staat Möngpai aufzusuchen. Es lag auf dem 
Gipfel eines bis fast zur Höhe bewaldeten Hügels und bestand nur 
aus sechs neuen Häusern, da es kurz zuvor abgebrannt war. 
Unser Besuch war vorher angekündigt worden, und so trafen wir 
die weibliche Bewohnerschaft scheu zusammengedrängt, auf einer 
Hausveranda unter dem tief niederhängenden Dach hockend und 
neugierig nach uns auslugend — sie hatten bis dahin noch keine 
Europäer zu Gesicht bekommen. Der Dorfobmann und sein Sohn, 
struppige Gestalten, waren schon vorher im Waldesdickicht plötzlich 
vor uns aufgetaucht, um uns hinauf zu geleiten. Ein Dutzend Email- 
Eßteller, die wir als Mitbringsel im Basar erworben hatten, reichte 
gerade für die Zahl der Damen und half bald die schüchterne Zurück- 
haltung überwinden, die vor allem auch in der geschämigen Um- 
hüllung des Unterkörpers ihren Ausdruck gef^nden hatte. Um die 
Hüften trugen sie bis zu den Füßen reichende weiße ümschlag- 
decken mit grünen und roten Streifen, die wir als Schaltücher 



^) Vgl. Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 544. 



Gaungto-Karen 95 

bereits bei den Karenni in Gebrauch gesellen hatten. Als diese ab- 
gelegt waren, standen die Weiblein in ihren kurzen weißen, blau- 
geränderten Röckeben und den ebenso gefärbten Schlitzjacken da, 
die ein schmaler Gürtel umspannte (Abb. 53). Der bei den nörd- 



Abbllduns 53 
Zayila(Gaiuiglo)-Karin-Urtlbir, Tadeka (birm. Tarudaw), Sädl. ShaaSlaalm. 

liehen Karen-Stämmen so beliebte Knieschmuck macht bei ihnen 
trotz der Schwere keinen arg ungefügen Eindruck, ist jedoch sicher- 
lich weitaus der unbequemste. Breite Messingstulpen umschließen die 
Schenkel oberhalb des Knies. Von den Knöcheln aufwärts sind die 
Waden von schwarz lackierten Schnüren umwunden ; wo sie unter 
dem Knie endigen, liegen über den aus ihnen vorhängenden wei- 
ßen Stofflappen schmale Messingreifen, an denen ringsum 8 — 10 
Messingringe von 12cm Durchmesserhängen. Natürlich beeinträch- 
tigt dies das Gehen derart, daß die jüngsten Mädchen steif wie 
gichtbrüchige Alte einberstelzen. Das Haar ist vom ziemlich kurz, 
in der Mitte gescheitelt und hängt in Strähnen seitlich nieder ; das übrige 



96 Endogamie der Karen 

Haar wird am Hinterkopf in einen Knoten gedreht, den ein weißes Tüch- 
lein mit roten Fransen deckt. Männer und Frauen tragen die glei- 
chen Silberohrringe: spitze Blätter mit eingestanzten, punktierten 
Rippenlinien. Ketten aus Glas- und Steinperlen, Gehänge aus Eber- 
zähnen schmücken den Hals, und von der Jackenöffnung aus zieht 
sich quer über die Brust zum Gürtel ein Strang Silberperlen, wie 
die Padaung sie tragen. Unter dem Kinn ist den Frauen ein son- 
derbares Muster, pfeilförmig mit gebogenen Ausläufern zu beiden 
Seiten der Spitze, eintatauiert; bei den Männern findet sich ein 
anderes Ornament an der Hand.*) 

Ihre Gewänder weben die Gaungto-Frauen dieses Dorfes nicht 
selbst; man sagte uns, daß sie in Kalä^), einem von demselben 
Karen-Stamm bewohnten Dorf im Möngpai-Staat, hergestellt wür- 
den. Vielleicht liegt hiefür ein abergläubischer Beweggrund vor, 
der für die Zayein-Karen der Dörfer Loilong und Nankwo (Loi- 
long-Staat) angegeben wird : vor etlichen Generationen seien in 
diesen Dörfern mehrere Personen durch Weben verrückt geworden 
und seitdem wurden Webstühle dort verboten^). Den Messing- 
schmuck machen, wie wir hörten, Taungthu im Loilong-Staat. 

Die endogamischen Heiratssitten, die bei den nördlichen Karen 
durchweg noch strenger als bei den südlichen beobachtet werden, 
haben bei den Zayein-Karen die extremste Form erreicht und könn- 
ten, wenn sie nicht abgeschwächt werden, sogar den Stamm zum 
Aussterben führen. Nach Angaben des Gaz. of Upper Burma (I, 1, 
p. 546) besteht das Zayein-Dorf Banyin im Loilong-Staat aus sechs 
Häusern, unter deren Bewohnern alljährlich nur ein Paar — noch 
dazu nach Befehl und Gutdünken eines Eingebornen-Beamten, der 
eigens zu dem Zweck hinkommt — zur Ehe zusammengetan wird. 

So schlimm war es in dem von uns besuchten Dorfe noch nicht 
bestellt. Es bestand, wie gesagt, auch nur aus sechs Häusern; vier 
Familien gab es, außerdem noch vier heiratsfähige Mädchen und 
vier Junggesellen, denen, wie man uns sagte, das für die Hochzeit 
nötige Geld mangelte. Das ist aber durchaus nicht immer der ein- 
zige Hinderungsgrund; die Vorschriften, daß nur innerhalb be- 



*) Die Zayein-Männer in Loilong haben zwei schwarze Vierecke unterm 
Kinn als Tatauiermale : Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 543. 
*) Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 54; II, 2, p. 455. 
*) Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 543. 



Soziale Bräuche 97 



stimmter naher Verwandtschaftsgrade und mit Einwilligung der Dorf- 
ältesten geheiratet werden darf, dazu die Regel, daß nur gewisse 
Dörfer mit einander in Heiratsbeziehung stehen, erschöpfen eben 
unter Umständen die Heiratsmöglichkeiten so gut wie ganz. So 
kommt es, daß man unter den Zayein-Karen häufig betagte Jung- 
gesellen und alte Jungfern trifft — eine in Birma höchst befremd- 
liche Erscheinung. Wir befinden uns hier auf einer ganz anderen 
Kulturstufe; das erweist auch die übliche Einrichtung des Jung- 
gesellenhauses, das die jungen Burschen nach erreichter Pubertät 
beziehen ; von da ab bis zu ihrer Heirat dürfen sie das Elternhaus 
nicht mehr betreten. Das Junggesellenhaus dient auch als Gast- 
herberge. In dem von uns besuchten Zayein-Dorfe war es nach 
dem Brande leider noch nicht wieder aufgebaut. Die Mädchen der 
Zayein bleiben im Eiternhaus und kommen nie aus dem Dorfe, 
kein junger Bursche darf mit ihnen sprechen. Bei der Heirat be- 
fragen die Eltern des jungen Mannes jene des Mädchens; willigt 
dieses ein, so erhält es Brautgeschenke; dann rüsten die beider- 
seitigen Eltern ein Fest, das, abgesehen von einem Reisopfer an 
die Nat, in einem Eß- und Trinkgelage besteht, das drei Nächte 
hindurch währt. Es ist die einzige Gelegenheit, bei der die Un- 
verheirateten beiderlei Geschlechts sich treffen, aber nur Ver- 
wandte des Brautpaares. 

Die Heiratsbeschränkungen führen auch häufig zu höchst un- 
gleichen Verbindungen; ein jugendlicher Bräutigam wird an eine 
Matrone gefesselt und umgekehrt. Witwer und Witwen können mit 
Einwilligung des Dorfvorstandes wieder heiraten. Früher war es 
Brauch, wenn ein Mädchen mit einem Nicht-Karen durchging, das 
Paar zu einem grausamen Erhängungstod zu verdammen; jetzt be- 
gnügt man sich mit dem Ausschluß der Frau aus der Dorfgemeinde. 
Entfernt sich ein junges Paar, um ohne Erlaubnis die Ehe einzu- 
gehen, so darf es sein Geburtsdorf und auch kein anderes Zayein- 
Dorf mehr betreten; auf solche Weise sind schon eine An- 
zahl neuer Dörfer gegründet worden. 

VI. 

Innerhalb des birmanischen Staatengebildes sind die Kachin 
(Aussprache: Katschin) gewißermaßen „Parvenüs"; mit rücksichts- 
loser Stoßkraft haben sie es vermocht, auf ihren ungestümen Wander- 



98 \(^ohnsitzederKachin 

Zügen Völker, die auf ältere Rechte pochen konnten, aus ihren 
Wegen zu drängen. Den Shan und Palaung insbesondere verbitter- 
ten sie in wenig nachbarlicher Gesinnung das Leben durch Räubereien 
und Erpressungen, und auch den britischen Machthabern gelang es 
nicht leicht, ihnen Ordnung und Friedfertigheit aufzuzwingen. An 
dem Kulturaufstieg der Birmanen haben sie, obwohl sprach- und 
stammverwandt, in Religion und Lebenshaltung kaum einen Anteil. 
Ihre Zahl in Birma beläuft sich auf 162368, aber eine noch größere 
Ziffer ist für den im Norden auf unverwaltetem Gebiet und in China 
wohnenden Volksteil vorzubehalten. In der Frage nach der ältesten 
erkundbaren Heimat treffen eigene Überlieferungen der Kachin und 
allgemeine ethnologische Erwägungen zusammen ; man wird hiefür 
nach dem östlichen Assam und der südöstlichen Grenzecke des 
zerklüfteten tibetischen Hochlandes, dem Gebiet der Irrawaddy- 
Quellflüsse zu blicken haben. Vor zwei bis drei Jahrhunderten 
mögen ihre Wanderungen nach Süden begonnen haben, die sie 
in zumeist feindliche Berührung mit Shan und anderen Stämmen 
am Irrawaddy brachten. Am Westufer des Malihka-Irrawaddy 
vordringend, warfen sie sich zu Herren der Hkamti-Shan auf, er- 
griffen Besitz vom Hukong-Tal und taten das ihrige, um die Reste 
des einst so blühenden Ahom-Reiches in Assam zu vernichten. 
Die weiter südwärts ziehenden Kachin finden sich einer geschlossenen 
Masse von Shan und Birmanen gegenüber, die sie zwingt, in der 
Gegend des heutigen Myitkyina den Irrawaddy zu überschreiten. 
Von da ab folgen sie den Bergzügen am Ostufer des Stromes, 
wobei sie den Palaung und den anderen dort ansässigen Stämmen 
gefährlich werden. Größere Massen siedeln sich im Hügelland um 
Bhamo an, wo sie mit den chinesischen Grenzprovinzen Fühlung 
gewinnen. So erstrecken sich schließlich, da einzelne Gruppen am 
Oberlauf des Irrawaddy zurückgeblieben sind, die Wohnsitze der 
Kachin, wenn man isolierte Gemeinden in den Shan-Staaten mit 
einrechnet, vom 29. bis fast zum 20. Grad nördl. Breite, und schon 
diese. geographische Verteilung hilft uns verstehen, wie der Vor- 
stoß nach Süden die allmähliche Annäherung an höhere Kulturen 
begünstigt, wenn auch bis jetzt die isolierte Lage ihrer Wohnsitze 
in abgelegenen Berghöhen und eine komplizierte Stammesverfassung 
ihnen noch viel von der alten Eigenart gewahrt hat. Der Name 
Kachin ist birmanisch und hat sich innerhalb Birmas eingebürgert. 



Stammesnamen — Schriftsage 99 

Als älteste Benennung ist „Chingpaw'* mit verschieden artikulier- 
ter Aussprache des Anlautes (tonloser oder tönender Palatal oder 
Sibilant) anzusetzen. Der Name Hkahku, für die am Irrawaddy- 
Oberlauf näher ihrer alten Heimat sitzenden Kachin gebraucht, 
kann nicht als eigentliche Stammessonderung ausgelegt werden, 
sondern bestätigt nur, daß die Leute in dem Quellflussland (Hkahku 
heißt Flußhaupt), aus dem alle Kachin herzustammen behaupten, 
geblieben sind; er dient somit zur Unterscheidung der südlichen 
und nördlichen Gruppe. 

Die Kachin sind in eine Unzahl von Stämmen und Unterstämmen 
zersplittert; bestimmte Familien stellen die Obrigkeit, wobei es 
nicht als selbstverständlich gilt, daß diese erblichen Ämter von 
Angehörigen des eigenen Stammes bekleidet werden müssen. Im 
Norden ist auch freie Wahl ohne Erblichkeit als Ausfluß früherer 
Rebellenbewegungen nicht unbekannt; dieses System erlischt aber 
zusehends, da innerhalb der birmanischen Verwaltungsgrenzen solche 
Organisationen nicht geduldet werden. 

Die durch die britische Okkupation geschaffene Sicherung 
von Handel und Verkehr hat dem Wohlstande des Volkes, der 
sich in erster Linie auf einem gewissen Raubrittertum aufgebaut 
hatte, einen argen Stoß versetzt. Die Kachin sind nun, wie die 
übrigen Bergvölker, auf den kümmerlichen Ertrag ihrer Bergkul- 
turen angewiesen ; in den Ebenen aber können sie sich nicht recht 
akklimatisieren. Die Verarmung zeigt sich vor allem in der Ein- 
schränkung der großen mit Tänzen und Schlachtopfern verbundenen 
Feste (Menau), die von den Häuptlingen alljährlich veranstaltet 
wurden und die sich auch bei Hochzeitsfeiern in großer Üppigkeit 
entfalteten. 

Der Geisterkult bürdet den Kachin lähmende Sorgen auf ; sie rechnen 
mit einer Unzahl »Nat''. Das bespötteln die Kachin sogar selbst in launig 
gefärbten Geschichtchen. Um die hier einschlägige Erzählung zu ver- 
stehen, muß man zuerst ihre Sage ^) über die ihnen von einem göttlichen 
Wesen verliehene und zu Verlust gegangene Schrift gehört haben. Als 
der große Geist einstmals die Schrift verteilte, gab er sie den Birmanen 
und Shan auf einem Palmblatt, den Chinesen und den Europäern auf Pa- 
pier, den Kachin auf Pergament. Der Kachin, der das lederne Schrift- 



') Unten (Abschnitt VIII) in weiterem Zusammenhang beleuchtet. 



100 Geisterkult 



Stück unterm Arm forttrug, schwitzte so, daß es ganz durchnäßt 
wurde und zum Trocknen über das Feuer gehängt werden mußte. 
Da erwischten es die Ratten, verschleppten es in den Reiskorb 
und zernagten es. Man meinte den Inhalt der Schrift zu retten, 
indem man den Reis einweichte und das Wasser trank. Daher be- 
trinkt sich noch heutigentags jeder Dumsa (Priester), bevor er 
seine Prophezeiungen beginnt, mit Reisschnaps, um so das Wissen 
in sich aufzunehmen. 

Als nun der große Geist später wieder alle Volksstämme zu sich 
berief, suchten die Shan, Birmanen und die Fremden in ihren 
Büchern nach dem Grund der Einberufung und erkannten, daß 
es sich um die Verteilung von Gold, Silber und Reichtümern 
handeln werde ; sie nahmen darum große Körbe mit. Die Kachin 
die keine Bücher mehr hatten, wußten von nichts und rückten 
bloß mit ihren kleinen Umhängtaschen an. Natürlich zogen sie mit 
karger Ausbeute von dannen und blieben arm, während die andern 
mit den ihnen zugeteilten Schätzen ihren Reichtum begründeten. 
Bald darauf erfolgte wieder eine Zusammenberufung. Die mit 
Büchern versehenen Völker ersahen aus diesen, daß Nat verteilt 
werden sollten und versorgten sich mit Blumen, um diese zu 
ehren. Die Kachin erwarteten sich wieder Schätze und zogen 
diesesmal mit großen Tragkörben aus. Als alle vor dem großen 
Geist versammelt waren, gebot er jenen, nach ihrer Heimkehr den 
ihnen zugewiesenen Nat die Blumen zu opfern. Den Kachin aber 
füllte er die Körbe mit Nat an. Unterwegs ward ihnen die Last 
zu beschwerlich, und so ließen sie von Zeit zu Zeit einen Nat 
am Wege zurück, brachten aber immerhin die Körbe noch halb- 
voll heim. So müssen sie nun nicht allein den Nat daheim, son- 
dern auch noch den unterwegs zurückgelassenen, in Wäldern, Fel- 
sen, Schluchten und Strömen hausenden Geistern opfern. 

Und das merkt ein Jeder, den sein Pfad durch Kachin-Gebiet 
führt. An über, den Weg gespannten Seilen sind sternförmige 
Bambusgitter aufgehängt, die eine in der Nachbarschaft grassierende 
Krankheit oder Viehseuche vom eigenen Dorfe abhalten sollen; 
auch an Rastplätzen von Karawanen sieht man die Gitter als 
Geisterschutz hängen. (Die Hexenkreuze in der Dachauer Gegend 
Südbayerns entsprießen genau dem gleichen Vorstellungskreisel) Bam- 
bus-Altäre verschiedener Form stehen an den Wegen im Waldes- 



Geisterkult m 

dunkel, mit Gräsern geschmückt und mit Bambushülsen für 
Reisschnaps, Früchten etc. als Opfer versehen; kleine Schutzhütten 
daneben zeigen an, daD hier kürzlich Opferspeisen für eine Fest- 
lichkeit bereitet wurden. Hohe Masten ragen in die Lüfte, mit 
länglichen, korbähnlichen Geflechten besetzt; in diese werden Hühner 
als Opfer gesteckt, die man sich nachher gut schmecken läßt. Am 
Dorfeingang sind dreikantige Holzpfosten aufgestellt, schwarz be- 



malt mit Darstellungen von Reisähren, Waffen und Frauenschmuck; 
alljährlich zur Saatzeit aufgerichtet, wollen sie symbolisch gute Ernte, 
Jagdgluck und Reichtum erbitten. Kreuzförmig oder H-förmig ge- 
fügte Balkengerüste, mit Büffelschädeln behängt, künden die Stätte 
für Bülfelopfer, die bei grSQeren Festen stattßnden. Auch im Hause 
fehlt der Geisteraltar nicht, und in dem des Häuptlings ist ein 
eigener Raum für den Scbutzgeist der Häuptlinge, den Madai-Nat, 
vorgesehen ; hier wird auch der Reisscfanaps destilliert, der für den 
Kult sowohl wie als Festgetränk so notwendig ist. Trotzig, wie eine 



102 Kleidung und Scbmuck 

Festung, nimmt sich solch ein Häuptlingsbaus in den Kachin-Bergen 
aus: ein mächtiger, langer Pfostenbau mit vorspringendem spitzen 
Frontgiebel, am Eingang umwallt von einer hohen, starken Bambus* 
wand. 

Die Kachin (Abb. 54) sind kleine, aber sehnige Gestallen mit 
breiten Gesichtern, starken Backenknochen und etwas schräg ge- 
stellten Augen. Die Nase ist ge- 
wöhnlich breit, öfters ganz flach, 
zuweilen aber auch hübsch geformt, 
mit hohem Nasenrücken. In der Klei- 
dung prägen sich auch hier wieder 
nur bei den Frauen die Stammes- 
unterschiedeaus, die Männer richten 
sich nach der birmanischen, chine- 
sischen oder Shan -Nachbarschaft. 
Das Frauengewand besteht aus einem 
aus drei Webebahnen zusammenge- 
setzten Stoffstück von 0,60—0,75 m 
Breite und 1,60 — 1,70m Länge, das 
als Rock um den Leib befestigt und 
seitlich übereinander gesteckt wird ; 
eine Anzahl Rohrreifen, bei einigen 
Stämmen mit Kaurimuscheln be- 
setzt, werden als Hüftenringe da- 
rüber geschoben. Eine ärmellose, 
kurze Jacke mit Kopfschlitz wird 
bei der Arbeit oder in kalter Jahres- 
zeit als Unterjacke getragen. Zum 
vollständigen Anzug gehört weiter die langärmelige, vorn zu schließende 
Oberjacke. Die Beine werden durch Wadengamaschen geschützt. 
Den Kopf haben die jungen Mädchen unbedeckt, die ringsum 
gleichmäßig kurz geschnittenen Haare sind ins Gesicht gekämmt 
{vgl. Abb. 54). Die verheirateten Frauen tragen einen hoch aufge- 
stellten dunkelblauen Turban. (Abb. 55.) 

Beim Schmuck fällt vor allem der Ohrzierrat auf; durch die 
Ohrlappen sind lange Silberzylinder gesteckt, aus deren vorderer 
öfftiung Fransen aus rotem Wollstoff oder bunten Litzen heraus- 
hängen (auch verschiedene Pale-Stämme tragen diese Form); zu- 



Kleidung und Schmuck 103 

weilen ist statt der Fransen ein quastenförmiges Silbergehänge 
eingesetzt. Die Frauen des Nordens, die näher an den von den 
Kachin ausgebeuteten Bemsteinminen wohnen, stecken kerzen- 
förmige Stangen aus klarem rötlichen Bernstein durch. Durch den 
oberen Teil der Ohrmuschel sind Flanellappen gezogen, auf denen 
länglich rechteckige Silberplatten mit farbiger Emailauflage befestigt 
sind. Den Hals umgeben Silbertorques und Ketten aus Glasperlen^); 
die Jacken sind mit silbernen Plättchen, Scheibchen oder Halb- 
kugeln besetzt. 

Ganz erstaunlich ist der riesige Kunstfleiß, der von den über- 
genug mit schwerer Haus- und Feldarbeit bedachten Kachin- 
Weibern auf die Ausstattung ihrer Gewänder, Umhängtaschen, Gürtel 
u. s. w. verwendet wird. Das gilt hauptsächlich von den östlichen 
Gruppen. Der Stolz dieser Kachin-Frauen ist ihr Rock. Selten nur 
sieht man noch die einfachen weißen, an den Seitenrändern mit 
kupferroter und schwarzer Webmusterung durchzogenen Röcke, die 
früher auch die Männer trugen. Rot und schwarz gestreifte Ge- 
webe tauchen vereinzelt auf; die weitaus gebräuchlichste Farbe ist 
ein dunkles, zuweilen fast schwärzliches Indigoblau, in Abständen 
von etwa 6 cm mit feinen hellblauen Linien durchzogen. Die All- 
tagsröcke haben nur an den Seiten rändern rot gemusterte Web- 
streifen; bei den bessern Röcken aber ist der ganze untere Teil, 
oft bis zu zwei Dritteln der Gesamthöhe, mit einer Fülle von ein- 
gewirkten Mustern in den lebhaftesten Farben bedeckt. Ebenso 
reich durchwirkt sind die Gürtelbänder des Rockes; die ärmellose 
Unterjacke aus grobem blauen Baumwolltuch durchzieht ein schmaler 
weißer Musterstreifen der vorderen und hinteren Mitte entlang. 
Die Oberjacken aus gleichem Stoff werden an Oberärmel und 
Schultern mit buntfarbigen Mustern in genauer Nachahmung der 
Wirktechnik bestickt; sind sie aber aus europäischen Satin oder 
Samt, so werden sie nur mit rotem Flanell, Litzen und getriebenen 
Silberplättchen benäht. Auch die Wadenhüllen sind mit den ge- 
stickten Wirkmustern bedeckt; häufig sieht man, daß Frauen und 
Mädchen sich diese Stickereien zum Basar mitnehmen und daran 
in der kargen Zeit, die ihnen nach dem Absatz ihrer zum Markt 
geschleppten Last bis zur Heimkehr bleibt, emsig sticheln. 

*) O. Hansen, The Kachins (Rangoon 1913), p. 48 erwähnt Perlen aus 
versteinertem Holz als besonders geschätzt. 



104 Taschen 

Mit den Frauenröcken wetteifern in Farbenpracht und Reich- 
haltigkeit der Wirkmuster die Umhängtaschen (Abb. 56), die von 
beiden Geschlechtern über die linke Schulter gehängt werden 
(vgl. die Mädchen auf Abb. 54). Die jungen Burschen haben 
daran oft ganze Bündel besonders reich und fein gewebter Schärpen 
angeschlungen (Abb. 57); das sind — etwa wie unsere Guitarren- 



Kachln-Taseht aus dim Distrikt Bhsmo. i/r ""t- Großi. 

bänder — Liebeszeichen von zarter Hand, die mit Stolz getragen 
werden. 

Zu all dieser feinen Muslerweberei genügt das dürftigste Web- 
gerät: ein Bündel Bambusstäbe, auf das die Kette aufgerollt ist, 
etliche Schlingstäbe zum Heben ;der Kettfäden für das Grund- 
gewebe, ein einfaches, gabelförmiges Schiffchen und ein grobes 
Holzmesser zum Festschlagen der Schußfäden. Der ganze Apparat 
wird an einem Ende an einem Pfosten befestigt, am andern wird 
ein Gürtel aus Kuh- oder Büffelhaut an die Bambusstäbe gehängt, 
auf denen das fertige Gewebe aufgerollt wird; diesen Gürtel legt 
sich die Weberin rückwärts um die Hüften, und so hält sie, flach 



Weberet 105 

auf der Erde sitzend und die Füße gegen ein im Boden befestigtes 
Holzstiick gestemmt, den Webstuhl in Spannung. Für die bunten 
Wirkmuster aber wird jeder Kettfaden mit der linken Hand ge- 
hoben und mit den Fingern der rechten der ganz kurze farbige 
Faden durchgezogen. AlleWeb- 

und Wirkmuster der östlichen i 

Kachln sind streng geometrisch; I 

einfache und mäandrische Ha- 
ken, Rauten und Zickzacklinien 
sind die Hauptmotive, und be- 
sonders häußg begegnet der Sva- ! 
siika {das Hakenkreuz). Dergan- 
ze Ornamentenschatz verrät die 
Beziehung zu den Shan an der 
Ostgrenze und in Yünnan; man 
vergleiche auf der unserem Auf- 
satze „Webmuster der birmani- 
schen Kachin, ihre Namen und 
ihreStilgrundlagen" (Aufsätze zur 
Kultur- und Sprachgeschichte, 
Ernst Kuhn gewidmet, Breslau 

1 9 1 6)entnommenen Tafel 58 Fig. ! 

1-28 mit den Shan-Mustern Abbildung 57 

Fig. 33—35. Den mannigfachen Kachm-Tasche mil Sabenierral and ang,!chl«ngeiun 

Abwandlungsformen legt der scUrp^x ««, dir c^g^rj ™, umo, mdi. shaa- 

° Slaauti. <Ij nai, Größe. 

Volksmund allerhand, manchmal 

recht drastische, Namen bei.') Bei der nordwestlichen Kachin-Gruppe 

habendieziemlichkurzen Frauenröcke breite rote undschwarzeStreifen 

*) Die „Bankfleld Museum Notes" bringen 1917 eine von Laura E. Start 
an der Hand einer von E. S. Scott aufgebrachten Sammlung verfoßte Ab- 
handlung „Burmese Textiles from the Shan and Kachin DlstrJcis." Gewand- 
stücke von Taungyo, Yanglam (schwarzen Karen), Lahu, Muhsö werden hier 
hinsichtlich ihrer Technik sorgfältig beschrieben. Von den geometrischen 
Rockmustern der Shan an der chinesischen Grenze und der Kachin ist be- 
sonders eingehend die Farbenatellung behandelt. Auch Hkamti-Taschen sind 
abgebildet und den Kachin zugeschrieben. In der ethnographischen Glie- 
derung Ist manches irrig. So werden p. 15 die Taungyo als „nördlicher 
Shan-Stamm, der sich kaum über den südlichen Teil des Myelat (Westen 
der südlichen Sban-Staaien) ausdehnt" aufgeführt, p. IS sind die Yanglam 




AbbilduDi 58 

WiimaiUr itr Kaehia (1-29). der HKamli-Snaa (30-3i) nntf 



und yannan-SAan (33 -35). 



Webmuster 107 



und sind nur an den Rändern mit Wirkarbeit versehen ; über der ärmel- 
losen Jacke wird noch eine zweite getragen, die vorn ofiPen ist und bis 
über die Hüften reicht; den Kopf deckt ein weißes oder farbiges 
Turbantuch ^). Ihnen nahestehende Kachin, die wir am oberen 
Chindwin und jenseits der Westgrenze am Dihing in Assam trafen, 
waren durch das Zusammenwohnen mit Shan schon wesentlich 
zivilisierter; sie hatten Röcke, die bis zu den Füßen reichten, 
und nach Art der birmanischen Shan ein Tuch um die Brust gewun- 
den ; darüber trugen die Frauen am Chindwin (Abb. 59) nach Shan- 
Sitte eine lange offene Jacke; in Assam war diese ganz kurz, wie 
bei den auch dort wohnenden Phakial-Shan, einem versprengten 
Zweige der Hkamti-Shan. Die Umhängetaschen, die im Hkamti- 
Gebiet von den Kachin gebraucht werden, sind, wie wir schon ge- 
sehen haben (Abb. 23), in Form und Muster sicher Shan -Gut. 
Am klarsten tritt dies in den stilisierten, gegeneinandergewende- 
ten Vogelgestalten hervor, die als Füllung der Sechsecke im 
Mittelfeld der Tasche verwendet sind (vergl. die Abb. 58, 
Fig. 30 — 32). In ihnen erkennen wir das in der religiösen Kunst der 
Birmanen und Shan so vielfach abgewandelte Hintha-Motiv, das uns 
schon von dem Gewichtssatz her bekannt ist (oben p. 57). Neben 



(schwarzen Karen) als ein Stamm der Karenni (roten Karen) genannt. 
Mehrere sachliche Erklärungen bedürfen der Berichtigung: Fig. 16 p. 20 ist 
keinesfalls ein „ländliches Shan-Frauengewand des Bhamo-Distriktes'^, son- 
dern gehört wahrscheinlich einem Yünnan- oder Laos-Stamm. — Der Stickerei- 
Streifen Figur 17, p. 21 stammt von einem als „Tamein einer Shan -Frau 
der birmanisch -chinesischen Grenze bezeichneten Rock; der Verfasserin 
selbst erscheint der Rock wegen seiner Webebreiten und vor allem wegen 
des Stiles seiner Stickerei muster, aus dem sie sehr richtig indische Grund- 
lagen herausfühlt, als „ungewöhnlicher Typ" für eine Shan-Frau. Er ist ein 
Frauenrock der birmanischen Manipuri (s. p. 80 Anm.). — Fig. 25 „Shan- 
Kopftuch" (südliche Sban-Staaten) ist wohl ein Taungyo- Frauenturban. Da- 
gegen hat der Turban p. 6, Fig. 6 sicher nichts mit den Taungyo zu tun, 
er mag einem Karen- oder Pale-Stamm zugehören. Die Bezeichnung „Taung 
Hin" zu Fig. 8 beruht wohl auf falscher Lesung der Originalnotiz; das be- 
treffende Gewandstück ist den Taungyo zugeschrieben, es könnte aber auch 
den Taungthu gehören, die durchweg schwarz tragen. Daß Fig. 26 p. 32 
einen Teil eines „Kopftuches einer Shan-Frau der besseren Stände" sein soll, 
erscheint schon wegen des Ausmaßes (27X266 cm) unglaubhaft. Dieses würde 
viel eher für ein Gürtelband sprechen; nach Farben und Muster denkt man 
an Kachin-Herkunft. 

^) Diese Einzelheiten nach Gaz. of Upper Burma I, 1, p. 397. 



diesen durch Feinheit der Arbeit, harmonische FarbentBnung und 
strenge Geschlossenheit der Mustereinteilung hervortretenden Hkamti- 
Taschen, die auch noch durch die kantig geflochtene Tragschnur 
auffallen, haben wir in der dem Hkamti- Gebiet nahen Chindwin- 
Gegend mehrere Taschen von Kachln erworben, hei denen das 
Schema des Musters nur auf der Vorderseite festgehalten ist oder 



Abbildung 50 
Kachin, Maakkalaak am atirm ChlmwiH. 

auch willkürlich und verständnislos aufgelöst erscheint, während 
auf der Rückseite die Einzetfiguren — Doppelvogel, Menschen- und 
Tiergestalten, Pagoden etc. — in Reihen stehen. Andere vereinen 
figürliche Darstellungen mit Rauten-, Kreuz- und Hakenmustem, 
wie Abhildung 60; sie entsprechen auch in der Form dem gebräuch- 
lichen Schema der Taschen mit den eingesetzten, zu Tragbändem 
verlängerten Seitenteilen. 

Obwohl also der Musterscbatz, mit dem die Kachln-Frauen arbeiten, 
zu großem Teil erborgt ist, muD doch die Gewandtheit in der 
Auffassung bewundert werden, mit der sie die Formen weiter aus- 



Tagesarbeit 109 

gestalten und verwenden, zumal die Last schwerer Arbeit und 
sklavischer Gehorsam sonst jede geistige Regsamkeit bei diesen 
Frauen unterbinden. Für das Spinnen und Weben bleiben ihnen 
nur die Wintermonate von ungeföhr Mitte Dezember bis Ende 
März, wenn die Feldarbeit ruht. Mit dem Einsetzen des Frühjahrs 
beginnt das Niederbrennen des Bei^dickichts für Feldrodung, das 
Aufbacken des Bodens und die 

Arbeit der Saat, und ist diese auf* f- - - ^ 

gegangen, so erfordert sie wäh- 
rend der Regenmonate ständige 
Aufsicht und Mühe, sodaO beson- 
dere Hütten an den Berghängen 
über den Feldern errichtet und 
von dem arbeitenden Teil der 
Familie bewohnt werden. Im Haus 
gibt es das ganze Jahr reich- 
lich für die Frauen zu tun: das 
Reisstampfen ist ein mühsames 
Geschäft, das sie mit quieken- 
den, summenden Tönen taktmäDig 
begleiten. Die Kachin-Frauen ha- 
ben sich für diese Arbelt noch keine 

Erleichterung geschafft, wie die i 

Birmanen, die dazu auch einen i 

langen, mit dem FuQ bewegbaren 

Holzhammerbenutzen,oderwiedie Abbildung eo 

Sban und Palaung, die die Was- ^.t o^e™ ainawin. i;. n«i, Crasw. 

serkraft ihrer Bergbäche heran- 
ziehen, um einen solchen Stößel automatisch in Bewegung zu 
setzen. Kröpfe, die bei den Shan schon keine Seltenheit sind, 
fanden wir bei den Kachin-Frauen noch weit häufiger ; ob das Tra- 
gen von Lasten mit Stirnbändern die Ursache ist, wie Mrs. Milne, 
a. a. O. p. 180 meint, ist fraglich; uns erschien es fast wahrschein- 
licher, daß das Hochheben und Niederstoßen des schweren langen 
Holzstößels beim Reisstampfen dazu beiträgt. Wassertragen und 
Sammeln und Zerkleinern von Holz ist ebenfalls Sache der Frau. 
Dazu hat sie noch zu kochen, zu nähen — gewaschen wird selten — 
und die Kinder zu versorgen. So manches Mal sahen wir ein 



110 Familienleben 



Kachin-Weib mit einem Lastkorb auf dem Rücken, einem vorn um- 
gehängten Säugling und dazu noch ihre Handspindel drehend ihren 
miihsamen Bergweg verfolgen. Der Mann hingegen überarbeitet 
sich nicht. Die Ehe wird durch Brautkauf geschlossen, und der 
Preis ist ziemlich hoch ; damit hat er sich die Arbeitskraft seines 
Weibes erworben und nutzt sie weidlich aus. Auch die Mädchen, 
deren Geburt mit geringer Freude begrüßt wird, und die man in 
der Kinderzahl meist gar nicht mitnennt, werden schon zeitig im 
Kindesalter zur Arbeit herangezogen; sie entbehren alle Jugendfreu- 
den und vertauschen oft schon mit fünfzehn, sechzehn Jahren das 
harte Leben im Elternhause mit dem Sklavenleben beim Gatten, 
als Dienerin seiner Familie, namentlich der Schwiegermutter. 
Erst in vorgeschrittenem Alter und als Mutter von etlichen Söhnen 
gelangt die Kachin-Frau zu Ansehen und bei genügender Energie 
auch zu selbständiger Herrschaft im Hause. Die Kindersterblich- 
keit ist groß; wir wunderten uns oft, die langen, geräumigen Häu- 
ser in den Dörfern so spärlich bevölkert zu finden. Außerdem 
begegnet man überall mißgestalteten, taubstummen, blinden und 
blöden Kindern; der Grund ist sicher in der entbehrungsreichen 
Lebensweise der Frauen, wahrscheinlich aber auch in dem 
ungebundenen Geschlechtsleben vor der Heirat zu suchen. 
In jedem Haus ist ein Mädchengemach, wo sich allabendlich 
die jungen Leute zur Unterhaltung mit Musik und Gesang 
zusammenfinden. Manche Dörfer haben dafür eine eigene Hütte. 
Um Mitternacht ungefähr löst sich die Gesellschaft auf und sucht 
sich nach Belieben irgendwo Schlafplätze. Dem Verkehr der Ge- 
schlechter ist keinerlei Beschränkung auferlegt, auch die Eltern 
erblicken darin nichts Unziemliches, sondern nur einen selbstver- 
ständlichen Brauch, gegen den man, wenn er auch zuweilen lästig 
ist, nicht einschreiten kann. Trotz alledem vermindert ein unehe- 
licher Sproß die Heiratschancen, und deshalb muß der Kindsvater 
den Eltern einen angemessenen Schadenersatz entrichten. Mit der 
Ehe aber ändert sich die Moral; Ehebruch ist ungewöhnlich und 
gilt als schwer zu ahndende Verfehlung.^) Ganz ähnliche Aufifas- 



*) Vgl. Hansen a. a. O. p. 88f.; von der Archiv f. Anthropologie, N. 
F. 14, p. 220 angegebenen Literatur kommt dieses auf langjährige Beobach- 
tungen gestützte Buch in erster Linie in Betracht. 



Die Chin m 



sungen vom Sittenkodex vor und nach der Heirat sind auch den 
Chin und Naga geläufig. 

VIL 

In den Bergländern an Birmas Westgrenze bilden die Chin die 
vorherrschende Bevölkerung. Mit diesem birmanischen Wort werden 
verschiedene Stämme bezeichnet, die in den gebirgigen Strecken 
zwischen Birma und den vorderindischen Provinzen Assam und 
Bengalen angesiedelt sind. Die Gesamtgruppe dehnt sich über die 
birmanischen Grenzen hinaus, indem sie die Meithei (das sind die 
Bewohner von Manipur), Naga und Lushai einschließt; wissen- 
schaftlich hat sich für sie die Benennung Kuki-Chin eingebürgert, 
die eigentlich aus zwei synonym gebrauchten Wortteilen besteht 
und besser durch *Meithei-Chin' ersetzt worden wäre.^) Die Ge- 
schichte dieser Tibeto-Birmanen setzt nur für die Meithei in einer 
mehr als ein Jahrtausend zurückliegenden Vergangenheit ein; die 
übrigen haben wahrscheinlich erst in den letzten Jahrhunderten 
ihr Nomadenleben aufgegeben und sich in den Lushai- und Chin 
Hills ansäßig gemacht. In letzteren haben die birmanischen Chin 
(306 486) ihre Wohnsitze. Unter den einzelnen Stämmen herrscht 
große Verschiedenheit im Äußern und eine noch größere in der 
Sprache. Die nördlichen Chin bewohnen die mit dem Chindwin 
mehr oder weniger parallel laufenden Berge bis zu seiner Mün- 
dung in den Irrawaddy ; die zentralen Chin sitzen in den nördlichen 
Arakan Hills-Bezirken und den Pakokku Chin Hills, während die 
südlichen, mehr zersplitterten und weniger bedeutenden Stämme 
sich gegen das Irrawaddy-Delta und das südliche Arakan erstrecken. 
Gegenwärtig ist der Wandertrieb der birmanischen Chin nordwärts ge- 
richtet, der Zug in die Manipur- und Kachar-Berge ist unverkennbar; 
die verlassenen Dörfer werden von nachrückenden südlicheren Stäm- 
men eingenommen, und so setzt sich der Schub ganz allmählich fort.^) 



^) Eine übersichtliche Darlegung der Grundprobleme bei Sten Konow, 
Zur Kenntnis der Kuki-Chinsprachen : Z. d. D. Morgenl. Gesellsch. 56 (1902), 
p. 486—517; englisch übernommen in O.A. Grierson, Linguistic Survey 
of India III, 3 (Calcutta 1904); hiernach auch Gensus of India, 1911, Vol. IX, 
Part I, p. 195 f. 

^) Zu den folgenden Ausführungen vgl. namentlich B. S. Garey and H. 
N. Tuck, The Ghin Hills (Rangoon 1896). 



112 KleidungundSchmuck 

In der physischen Erscheinung heben sich besonders die Männer 
mit ihren großen kräftigen Gestalten vorteilhaft von den Nachbar- 
stämmen ab; ihr langes Haar schlingen sie in einen Knoten, den 
manche Stämme oberhalb der Stirn aufdrehen und mit dem Turban 
umwinden; andere tragen ihn im Nacken. Die Kleidung beschränkt 
sich im allgemeinen auf Lendentuch und Umschlagdecke. Die 
Weiblichkeit zeigt keinen Überfluß körperlicher Reize. Die Tracht 
ist verschieden; die Sitte, bis an die Hüften nackt zu gehen, die 
früher noch bei den Siyin-Frauen üblich war, ist mit der britischen 
Okkupation verschwunden. Vom Rock kann man sagen, daß er 
immer kürzer wird, je weiter man gegen Norden kommt; es ist 
ein glattes, blaues oder schwarzes, beim Haka-Stamm farbig durch- 
wirktes Stoffstück, das über einem Unterrock anderthalbmal oder 
zweimal um die Hüften gelegt und durch messingne oder eiserne 
Gürtelketten festgehalten wird. Darüber tragen die Haka-Frauen 
und die der südlichen Stämme die ärmellose Schlitzjacke; bei 
andern trifft man die gewöhnliche Ärmeljacke. Großkarierte Stoff- 
muster werden im Süden für Männer- und Frauenröcke bevorzugt. 
Der Kopf bleibt unbedeckt, das in der Mitte gescheitelte Haar 
wird auf dem Hinterkopf in einen Knoten gedreht oder in Zöpfen 
geflochten herumgelegt. Armreife aus Metall, namentlich aus Mes- 
sing, werden viel getragen, Beinschmuck gibt es nicht, nur die bei 
hinterindischen Bergvölkern, so bekannten lackierten Faserschnur- 
ringe unterhalb des Knies oder um die Knöchel. Eine Menge von 
Ketten deckt den Hals ; sie bestehen hauptsächlich aus Steinperlen 
— Karneol ist sehr beliebt und hochbezahlt — , dann auch aus 
heimischen Messing- und englischen Glasperlen, Kupfer- und 
Silbermünzen. Der Gesamthalsschmuck erreicht oft eih Gewicht 
von 5 Pfund, zumal da bei den südlichen Stämmen als Mittelstück 
eine große polierte Muschelhälfte^) beliebt ist, die allein fast ein 
halbes Pfund wiegt. Die Frauen auf Abb. 61 tragen solchen Schmuck. 
Sie gehören zu einer Gruppe von Khongzai Chin (Thado), die uns 
im Gehöft des Sawbwa von Hsawng Hsup (Thaungthut) am obern 



^)Turbinella pyrum, in Vorderindien besonders heilig und auch unter die 
buddhistischen Glückssymbole eingereiht. Vgl. J. H o r n e 1 1 , The chank hangle 
industry: its antiquity and present condition: Memoirs of the Asiatic See. 
of Bengal 111,7 (Calcutta 1913), p. 407-48; am Schlüsse wird auch der Ge- 
brauch von Muschelscheiben als Halsschmuck kurz erwähnt. 



Wanderackerbau 113 

Chmdwin vorgeführt wurde.') Die Leute waren vor 30 Jahren durch 
einen stärkeren Stamm vom Norden der Chin Hills nach Manipur 
gedrängt worden und wanderten von da nach den Uferbergen des 
oberen Chindwin aus. Ihre Anwesenheit verriet sich bald durch das 
Niederbrennen der Wälder für den berüchtigten Vanderackerbau ; 
man erblickte vom Chindwin-Ufer hinter Homalin deutlich im Grün 
der Berge die kahlen Plätze bei ihren Dorfsiedelungen. Die Ein- 
wirkung der Waldverwüstung auf den Wasserstand des Chindwin 



Abbildung 61 

KhaiiKzal-Ckln von dm wtsiL Grrnibtrgen des cttren Cliindwin. 

konnten wir selbst mitverfolgen — schon bald nach Beginn der 
trockenen Jahreszeit haben die Schiffe mit dem seichten Fahrwasser 
zu kämpfen; unser kleiner, flach gebauter Regierungsdampfer blieb 



') Vgl. R. Grant Brown, Burma Gazetieer. Upper Chindwin District. Vol. 
A (Rangoon 1913), p. 22 f., wo dieselbe Gruppe wie unsere Abb. 61 nach 
einer Aufnahme auf unserer gemeinsamen Tour phoiographiert ist. Zum 
Namen s. aucb K o n o w a. a. O. p. 487 oben. 



114 Rauchen 

auf der Anfangs Februar begonneoen Fahrt wiederholt auf den 
Sandbänken stecken; des öfteren sahen wir eines der schönen 
birmanischen Chindwin-Boote trübselig inmitten des Flusses auf Sand 
liegen — man musste bis zum Eintritt der Regenzeit warten, um 
es flott zu kriegen. 

Das Rauchen ist bei den Chin durchweg gebräuchlich, merk- 
würdigerweise aber weit intensiver bei den Frauen als bei den 



Männern. Erstere rauchen unaufhörlich ihre Wasserpfeife (Abb. 62), 
jedoch nicht ausschließlich des Genasses wegen, sondern um die 
Männer mit dem beliebten Nikotin-Wasser zu versorgen. Der ur- 
nenförmige Tonkopf sitzt auf einem Wasserbehälter aus Bambus, 
in den das kurze Pfeifenrohr mündet. Ist das Wasser durch den 
hindurchziehenden Tabakrauch genügend mit Nikotin gesättigt, so 
wird es in eine Kürbisflasche entleert, die die Frauen ständig bei 
sich tragen, und aus ihr füllen die Männer ihre oft hübsch verzierten 



Sitten und Bräuche 115 

Nikotin-Kürbisse. Das Wasser trinken sie nicht, sondern behalten 
es nur eine Zeitlang im Mund, um es dann wieder auszuspucken — 
es dient also dem gleichen Zwecke, wie anderwärts das Tabakkauen, 
bei dem das Nikotin in fester Form in den Mund gelangt und 
ausgequetscht wird. 

Bei den südlichen, die Pakokku Chin-Hills bewohnenden Stämmen 
der Chinbok, Chinbon und Yindu') herrscht der Brauch, die Ge- 
sichter der Frauen mit Tatauierungen zu überziehen; die Proze- 
dur beginnt schon im Kindesalter und zieht sich oft eine Reihe 
von Jahren dahin; die Muster wechseln je nach der Stammessitte. 
Die Yindu-Frauen haben horizontale Linien quer übers Gesicht ge- 
zogen; bei den Chinbok- Frauen sind Punkte, Linien und Tupfen 
zu einem bestimmten Muster zusammengesetzt; auch die Brüste 
sind mit einem Tupfenkreis umgeben; die Chinbon-Frauen sind 
am abschreckendsten durch einen tiefschwarzen Überzug entstellt. 
Man weiss nichts über den Ursprung dieser Sitte, die bei den andern 
Chin fehlt; man glaubt, da sie nur den den Birmanen zunächst 
wohnenden Stämmen eigen ist, daß sie dem Frauenraub durch 
Birmanen vorbeugen oder ein Mittel zur leichten Auffindung ent- 
führter Frauen sein sollte. 

Die zivilisierteren südlichen Chin haben bereits zur birmanischen 
Gewandung gegriffen ; bei den unzivilisierten aber ist die Kleidung 
recht spärlich. Die Chinbok-Frauen tragen unter ihrer ärmellosen 
Schlitzjacke ein Röckchen, das kaum 20 cm breit unter ihr vor- 
guckt und eigentlich nur ein Lendentuch genannt werden kann. 

Die Chin sind starke Alkoholiker und zwar schon in früher Jugend, 
erreichen aber trotzdem ein hohes Alter. Aus Hirse, Mais oder 
(seltener) Reis, je nach den vorhandenen Agrarprodukten, wird 
Schnaps gebraut, dem namentlich bei Hochzeitsfeiern eifrig zuge- 
sprochen wird« 

Heiraten werden gewöhnlich durch die Eltern des jungen Mannes 
bestimmt. Ausschlaggebend ist die Arbeitstüchtigkeit des Mädchens; 
dadurch wird sie zur guten Partie gestempelt. Aussehen und Vor- 
leben sind nebensächlich, und auch von Mitgift ist keine Rede. Die 



') Ober eine dem Münchener Museum für Völkerkunde von Mr. N. Nepean 
geschenkte Sammlung aus diesem Gebiete ist ein illustrierter Bericht unter 
Benutzung der einschlägigen Literatur im Münchner Jahrbuch der bildenden 
Kunst 1913, p. 315—8 veröffentlicht. 



116 Die Naga 

Eltern erzielen im Gegenteil für kräftige Töchter einen hohen Preis 
von dem Bräutigam. Bei einigen Stämmen des Nordens herrscht 
die gleiche geschlechtliche Ungebundenheit vor der Ehe wie bei 
den Kachin. Uneheliche Kinder aber scheut man; die Mädchen ge- 
brauchen Abortivmittel. 

VIII. 

Die mit den Chin am häufigsten zusammen genannten Naga führen 
uns bereits nach Manipur und in das eigentliche Assam; einzelne 
Trupps von ihnen dringen jedoch über die Gebirgskette ins Tal 
des Chindwin vor. Hier siedeln sie sich an oder mischen sich als 
Kuli Arbeit suchend mit der Bevölkerung der Uferorte; da und 
dort gründen sie aber auch im Bereiche der birmanischen Verwal- 
tung eigene Dorfgemeinschaften.^) Die stete Hilfsbereitschaft des 
damaligen Deputy-Commissioner des Upper Chindwin-Distrikts, Mr. 
Grant Brown, eines ausgezeichneten Kenners von Land und 
Leuten, bot uns die sehr erwünschte Möglichkeit, in diese dem ge- 
wöhnlichen Verkehr weit entrückten Dörfer einen Einblick zu tun. 
Später stießen wir in Dimapur (Assam) nochmals auf eine Gruppe 
von Naga (hauptsächlich Tangkhul); sie kamen frisch aus ihren 
Dörfern im Naga Hills-Distrikt und waren als Träger für das bri- 
tische Militär zu einem Straffeldzug gegen die Abor angeworben 
worden; durch ihre Ausdauer im schwierigsten Dschungelgelände 
und durch ihr munteres, drolliges Wesen haben sie sich viele 
Freunde gewonnen. Freilich geben andererseits die in alter Wild- 
heit lebenden Naga -Stämme, die zwar innerhalb der politischen 
Grenzen Birmas, aber außerhalb der derzeitigen Verwaltungszone 
hausen, mitunter Anlaß zu Beschwerden. 

Von Natur sind die Naga -- Etymologie und Bedeutung des 
Namens harren noch immer zweifelsfreier Klärung^) — ein kampf- 
lustiges Volk. Ihr kriegerischer Schmuck und die reichliche Ver- 
wendung von rot- und weißgefärbten Ziegen- und schwarzen 
Menschenhaaren, Muscheln, Büffelhom und Messingscheiben ist 
zu einem phantastischen^ farbenfreudigen Aufputz zusammen- 



^) Diese birmanischen Naga sind im Census 1911 nicht zahlenmäßig be- 
rücksichtigt; Vol. IX, Burma, Part I (Rangoon 1912), p. 270 nennt sie nur 
als „Chins unspecified''. 

^) Vgl.J. H. Hutton, The Angami Nagas (London 1921), p. 5. 



Schriftsage 117 



gestimmt. Die Männer tragen zumeist das Haar rings um Stirn und 
Nacken kranzförmig zugeschnitten; bei einigen Manipur-Stämmen 
sieht man auch den über der Stirn aufgedrehten Haarknoten, durch 
den, wie bei vielen Chin, pfeilartige Eisennadeln gesteckt sind. In 
solcher Haartracht erscheinen z. B. die Maring-Naga, von denen 
sich eine Anzahl im Staate Thaungthut niedergelassen hat, und 
merkwürdigerweise bringen sie eben jenen Haarpfeil mit einer 
Sage über den Verlust ihrer Schriftkenntnis in Verbindung. Es war 
einmal — so etwa lautete die uns mitgeteilte Überlieferung^) — 
ein Gott; der starb, und das Volk suchte nach einer von ihm 
hinterlassenen Schrift, die, wie es hieß, auf einer Tierhaut nieder- 
geschrieben sei. Sie war aber nicht zu finden, denn das Tier war 
inzwischen von Hunden gefressen worden. Nur das Schreibgerät 
war übrig geblieben: der spitze Eisenpfeil, wie er jetzt zum Haar- 
schmuck dient. Aber schreiben kann heutzutage kein Maring. 

Wir haben oben (p. 99) gehört, wie auch die Kachin sich rühmen, ein 
göttliches Wesen habe ihnen einstmals die Schrift verliehen; die Be- 
gebenheiten, die ihren Verlust verschuldet haben, werden ganz ähnlich 
geschildert. Nur haben die Kachin Reste des zur Schrift verwen- 
deten Pergaments ihrem Magen zuzuführen gewußt und damit ge- 
wissermaßen ein heiliges Wissen „verinnerlicht". In der Version, 
wie sie H. F. Hertz, A practical handbook of the Kachin or Ching- 
paw language (Rangoon 1902) p. 151 (vgl. p. 52; 156) mitteilt, fehlt so- 
gar der Umweg über die Ratten; sie besagt nur, die Kachin hätten 
das von den Nat erhaltene Pergament mit der Schrift, weil ihnen 
die Nahrung auf dem Heimweg ausging, gekocht und verzehrt. 
Unsere Maring-Sage hat auch T. C. Hodson, The Näga tribes of 
Manipur (London' 1911), p. 29 f. aufgezeichnet; hier sind es sieben 
Familien, die Rohrfedern und Lederhäute zum Schreiben von der 
Gottheit erhalten haben. Hunde fressen das Leder, die Federn ver- 
derben oder gehen verloren, und als Andenken an sie wird der 
Haarpfeil getragen. Hodson fügt hinzu, daß diese Sage weit ver- 
breitet sei.^) Er geht nicht näher auf den Verbreitungsweg ein, und 



L. Scherman, Völkerkundl. Notizen aus Oberbirma. I. Die Maring: 
Sitzungsberichte d. Bayer. Akad. der Wissensch., Phil.-hist. Kl. 1911, 9, p. 6f. 

*) Ähnlich Hutton a. a. O. p. 291, wo auch die Vertrautheit der Abor mit 
unserer Erzählung unter Berufung auf Sir G. Duff Sutherland Dun bar kurz 
erwähnt wird. Hanson, der die Kachin-Sage ausführlich wiedergibt (a. a. O., 

8 



118 Schriftsage 



darum verlohnt es, hier darauf hinzuweisen, daß dieser südwärts 
bis nach Borneo führt. Wie lesen bei A. R. H e i n , Die bildenden 
Künste bei denDayaks auf Borneo (Wien 1890), p. 25 f.: „Von der 
Sinthflut glauben sie, daß ein Drache sie veranlaßt habe, der die 
Reisfelder der ganzen Gegend verwüstet und den man dafür ge- 
tötet hatte. Als man nämlich das Fleisch des seltsamen Ungeheuers 
in Bamburöhren kochte, ertönten Geisterstimmen daraus hervor, 
welche die Wolken des Himmels zusammenriefen und den unend- 
lichen. Alles vertilgenden Regen auf die Erde herabbeschworen. 
In der Panik, welche durch das plötzliche Hervorbrechen und durch 
das schnelle Anwachsen der Gewässer entstand, nahmen die Flie- 
henden als ihren kostbarsten Schatz auch die Bücher mit sich, die 
sie besaßen. Die Einen, die Malayen, banden sich dieselben an 
Haupt und Schultern fest, während die Anderen, die Dayaks, sich 
die Lenden damit umgürteten. Während des Watens und Schwim- 
mens wurden nun die Bücher der letzteren naß und verdarben, 
und damit ist den Dayaks die Kenntnis der Schrift für immer ver- 
loren gegangen. "Those who saved their books from the waters 
were the ancestors of the Malays and other nations who possess a 
knowledge of letters". (Reverend E. Dünn, The Dyaks of Sarawak^ 
Borneo, Journal of the Manchester geographical society, vol. III, 
1887, p. 223/224.)" 

Hiezu stelle man H. Ling Roth, The Natives of Sarawak and 
British North Borneo II (New York 1896),p.CLXI f.^): „Ethnographical 
Notes by Dr. Schwan er, translated from his work on "Borneo": 
The natives do not possess an aiphabet, but they are acquainted 
with the existence of letters among other nations. According to 
their traditions, the Creator, having given a language to mankind, 
had assembled the oldest men of the different nations, in order to 
communicate the use of letters to them. All of them did receive 
such writing-signs, but the representatives of Borneo swallowed 
them, so that they are united with the body and changed into me- 
mory. The descendants have therefore their history, their laws, 
their agreements, etc.,printed in their heartsasimmutably and surely 



p. 116 f.), beruft sich auf eine ähnliche Überlieferung der Karen; hierzu vgl. 
A. R. McMahon, The Karens (London 1876), p. 72 f.; 77 f. 

^) Dieser Passus führt die Bemerkungen auf p. 292 weiter aus, wo im 
Zitat aus Kern, Intern. Archiv f. Ethnogr. IX statt XI zu lesen ist. 



Schriftsage 119 



as other peoples have put them in writing in their books, but at 
the same time more Hvely, active, and accessible, for every one 
is now well acquainted with the history of his tribe, knows the 
legends of his gods and heroes, their influence on man, their in- 
structions, etc., without the necessity of possessing or studying 
books, and without fear of forgetting his readings. Indeed, the me- 
mory of the natives is admirable, and their traditions bear the 
aspect of great general agreement."*) 

Was hier von der Wohlbekömmlichkeit der verschluckten Schrift- 
zeichen und der heilsamen Folge dieses Prozesses verlautet, ist 
nichts anderes als die logische Ausführung des am Schlüsse der 
Kachin-Erzählung ausgesprochenen Gedankens, daß der mit den 
heiligen Pergamentfetzen destillierte Reisschnaps übermenschliches 
Wissen verleihe! 

Soweit wäre der Wanderweg der Sage vom Schriftverlust noch 
nichts besonders Auffallendes. Zu denken gibt jedoch eine Notiz 
in Alberunis India (Ausgabe v. E. C. S ach au, London 1910, I, 
p. 171 f.): 'As to the writing or aiphabet of the Hindus, we have 
already mentioned that it once had been lost and forgotten; that 
nobody cared for it, and that in consequence people became illi- 
terate, sunken into gross ignorance, and entirely estranged from 
science. But then Vyäsa, the son of Paräsara, rediscovered their 
aiphabet of fifty letters by an Inspiration of God.' 

Also dieselbe Überlieferung vom i n d i s c h e n Alphabet, berichtet 
von einem Reisenden des 11. Jahrhunderts! Wo er sich sonst über 
die Sache äußert, ist trotz der Worte 'already mentioned' nicht 
ersichtlich. Haben wir die gemeinsame Quelle in Manipur — Assam 
schlägt ja die Brücke zwischen Vorder- und Hinterindien — zu 
suchen, und halten wir bei einem Punkte jener weitverästelten, in 
manchen Intervallen sich annoch im Dunkel verlierenden Ver- 
bindungslinie zwischen Indien und der malaiischen Inselwelt? 

Schließlich eine allgemeine Frage: Können wir diese Erzählung 
— oder wenigstens ihren Prototyp — psychologisch werten, ver- 
mögen wir einen kulturhistorisch nutzbaren Untergrund bloszu- 



*) C. A. L. M. Schwaner, 1817 in Mannheim geboren, 1851 in Batavia 
gestorben, reiste 1843—47 auf Borneo. Das Werk ist holländisch in Amster- 
dam 1853/4 erschienen. 



120 Schriftsage 



legen? Auf den ersten Blick dünkt uns die Lösung einfach: wir 
meinen die Einkleidung des Verlustes eines der wichtigsten Bil- 
dungsmittel, wie es die Schrift ist, die nur Götter oder Über- 
menschen erfunden haben können, in die Form volkstümlich-legen- 
därer Schilderung zu erkennen. Ist jedoch ein solcher kultureller 
Degenerationsprozeß, der ja zweifelsfrei da und dort aufzeigbar 
ist, ^) für unsern Fall sonderlich naheliegend, und klingt es nicht 
wahrscheinlicher, daß Verkehrsbeziehungen zu einem Volke mit 
buchmäßig gesicherter „literarischer^ Überlieferung in jenen 
Stämmen, die auf ein derartiges Erbteil nicht pochen konnten, 
den Wunsch nach einer Erklärung dieser ungleichen Zuteilung^) 
idealer Güter wachriefen? Ja sogar die Absicht des witzigen Ein- 
schlags, wie er aus der ergötzlichen Persiflage des priesterlichen 
Rauschtranks in der Kachin-Schnurre (oben p. 99) hervorlugt, 3) ist 
recht wohl denkbar; die alteingeführte Sitte der Märkte (jetzt ist 
in Oberbirma der Basar-Turnus gewöhnlich fünftägig) ebnete sicher- 
lich der wandernden Anekdote den Weg. 

Auch eine dritte Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, daß näm- 
lich die Sage, in den Hauptzügen gleichlautend, sich von Volk zu 
Volk fortpflanzte, daß aber die ursprünglichen Motive hier so, dort 
anders gelagert waren. Das Weben der Volkssage vollzieht sich 
nach Gesetzen, die wir nie bis zum Grunde durchschauen werden. 



^) Vgl. das Material aus Assams Geschichte bei v. Heine-Geldern, 
a. a. 0. 47, p. 34. Ein Schulbeispiel für das Abwärtsgleiten geistiger Bildung 
liefert Korea, von dem die große Welt kaum mehr ahnt, daß es einst für 
Japan und China der Lehrmeister und Mitarbeiter in den schönen Künsten 
gewesen ist. 

^) Die Version der Angami-Naga bei Hutton a.a.O. p. 291 stellt direkt 
die Berg-Naga und die Bewohner der Assam- Ebene einander gegenüber; 
letztere bewahrten die göttlichen Aufzeichnungen auf Stein und Papier, erstere 
auf Fellen, denen, weil sie eßbar waren, kein langer Bestand beschieden war. 

^ Wieder zum Ernst geglättet in der von Schwaner oben mitgeteilten 
Borneo-Fassung. Auch Hanson, a. a. O. p. 116, hält es für ungeklärt, ob 
die Kachin das Pergament aus Hunger verzehrten oder weil sie dies als 
beste Art der Bewahrung ansahen: die Priester und Erzähler bewahren 
seitdem den Inhalt in ihrem Magen, d.i. im Gedächtnis und verkünden 
hieraus bei großen Festen die authentischen Überlieferungen. — Wer denkt 
hierbei nicht an die durch Jahrtausende betätigte mündliche Weitergabe des 
indischen Veda! 



Eine Naga-Siedelung 12£ 

Was die Naga an Kleidung besitzen, ist wenig (Abb. 63). Eine 
schmale Lendenbinde, bei manchen Stämmen ein kurzes Lenden- 
tuch, zuweilen auch eine ärmellose Jacke, dazu bei Kälte eine 
große Umschlagdecke ist die Män- 
nertracht. Die Frauen haben ein 
kurzes Hfiftenröckchen und in 
größerer Nähe des Verkehrs eine 
Jacke oder ein Tuch; ältere Per- 
sonen umhüllen den Oberkörper 
meist mit einem großen Um- 
schlagtuch. 

Eine noch getreu den ererbten 
Gewohnheitenentsprechende Naga- 
Siedelung besuchten wir an der Ein- 
mündungdesNantaleikin denChind- 
win ; es waren von den hohenGrenz- 
bergen zugewanderte Sengkadong- 
Naga. Pfosten, mit allerhand Ge- 
brauchsgegenstSnden,Schmuckund 
Eßwaren als Opfergaben behängt, 
standen am Eingang des das Dorf 
umgebenden Bambuszaunes — die 
üblichen Zeugen des Geisterkults. 
Die Häuser bildeten, in einer Dop- 
pelreihe aufgestellt, eine leicht ge- 
krümmte Straße. Große Bambus- 
masten waren als Trophäen auf- 
gerichtet zum Gedächtnis einer Abbildung 63 

, „ ^ , ,. SingkiuUmg, Naga-Dorf Htliaam am WislafT 

Siegreich verlaufenen Strafexpedi- at> »b. CMndmin. 

tion der britischen Behörden, die 

die Zerstörung eines benachbarten Sengkadong-Naga-Dorfes und 
die Ermordung mehrerer Bewohner durch einen fremden Naga- 
Stamm, die Makware nördlich vom Saramati, dem höchsten Gipfel 
Birmas, gesühnt hatte. Einheimische Sitte hätte die Aufpflanzung 
der erbeuteten Feindesschädel geheischt; statt ihrer begnügte man 
sich damit, symbolisch Kürbisse auf eine Stange zu stecken,') 

') Vgl. hierzu v. Heine-Geldern a.a.O. 47, p, 17-19. 



122 Eine Naga-Siedelung 

Die Weiber waren mit Reisstampfen beschäftigt, meist kleine 
Gestalten von ziemlich stumpfem Gesichtsausdruck — ganz im 
Gegensatz zu den intelligenten und heiter dreinblickenden Phy- 
siognomien der Männer. Bei den Mädchen hing das Haar gescheitelt 



AbbiiduDS 64 

Sentkadang-Naga-Mädcha, Heltiiunt, 

in Strähnen auf die Schulter, ein langes, blau und rot gemustertes 
Röckchen umgab die Hüften, der Oberkörper war unbekleidet und 
ließ die Tatauierung an Brust und Oberarm sehen ; auch die Waden 
waren damit geschmückt, gerade und schräg gekreuzte Linien bil- 
deten die Ornamente. (Abb. 64.) 



Die Lishaw 123 



In der Einschätzung der Halsketten aus Karneolperlen und bezüg- 
lich der Armreife gilt das vorher von den Chin Gesagte ; auch die 
Rauchsitten schließen sich hier an.^) Die Stellung der Frauen, ihre 
Arbeitspflichten, die Heiratsbräuche und der ungehinderte Verkehr 
der Geschlechter vor der Heirat unterscheiden sich nicht erheblich 
von den Kachin-Bräuchen. Auf Reinlichkeit im Hause ist der Ehr- 
geiz nicht gerichtet; die Reishülsen bleiben im vorderen Räume 
liegen, und Schweine und Hühner treiben sich vergnügt darin herum. 
Hingegen hält man sehr auf Exaktheit bei der Weberei, die in den 
von der Haushalt- und Feldarbeit abgesparten Stunden fleißig betrie- 
ben wird« Zwischen die Streifenmuster sind zuweilen feine Rauten- 
und Kreuzornamente verteilt. Bei den Frauen der Tangkhul-Naga 
kann man geradezu von einer Textilindustrie sprechen ; sechs Dörfer 
haben sich so darauf eingerichtet, daß sie ihre Mädchen vom Hei- 
raten in andere Gemeinden, die diese Gewerbe nicht ausüben, 
abhalten, um sich den Vorrang zu sichern.^) 

IX. 

Wie im Westen die Naga ins birmanische Gebiet herüberdrängen, 
so überschreitet im Osten ein anderes tibeto-birmanisches Volk, 
die Lishaw, die Grenzen. Ihre Hauptsiedelungen liegen am Sal- 
ween; in den unwirtlichen Hochtälern seines Oberlaufes hausen 
abgeschlossen die unabhängigen, sogenannten schwarzen Lishaw, 
die ihr von Stammesfehden und Raubzügen ausgefülltes Leben 
unbehindert fortführen. Wissenschaftlich ist noch wenig über sie 
erkundet; zwei deutsche Forscher, Brunhuber und Schmitz, fan- 
den dort 1909 ein gewaltsames Ende. Bei den südlicher wohnen- 
den Lishaw haben sich chinesische Kultureinflüsse fühlbar gemacht. 

Von Yünnan aus haben sich Lishaw in die östlichen Distrikte 
von Birma verbreitet;^) 1911 ist ihre Zahl mit 8487 angegeben. 
In den Bezirken Myitkyina und Bhamo sind sie als Yawyin bekannt; 
diese Namen legen ihnen die Kachln bei. Er könnte leicht zu einer 



^) Hodson a. a. O. p. 33; 61. 

^ Hodson a. a. O. p. 47. Ober die Maring-Kleidung gibt die oben p. 117 
zitierte Abhandlung p. 10 f. mit Illustrationen Aufschluß; vgl. auch die Ta- 
feln 3 und 14 in Grant Browns Gazetteer. 

^ Näheres: Arch. f. Anthropologie, N. F. 14, p. 212 f. mit den erforder- 
lichen Literaturangaben. 



124 Ein Lishaw-Dorf 



irreführenden Verwechslung mit den Yao-Stämmen führen, von 
denen einige Gruppen über die Yünnan-Grenze in den südlichen 
Shan-Staat Kengtung gewandert sind ; unter den verschiedenen auf 
sie angewendeten Namen ist ebenfalls die Bezeichnung Yawyin. 
Die Lishaw sind ein Bergvolk, das die übliche Art des Wander- 
ackerbaues betreibt und auch Schweine hält. Ihre Religion ist eine 
Mischung von Ahnen- und Geisterkult; in der Kultur sind sie 
von den Chinesen ihrer Umgebung beeinflußt, mit denen sie auch 
Heiraten eingehen. Die Ehen werden durch einen Vermittler ein- 
geleitet, der Bräutigam hat den Brauteltern eine Kaufsumme zu 
entrichten. Der Preis der Braut entspricht der Summe, die für 
ihre Mutter einstmals bezahlt wurde und der in der Familien- 
tradition bewahrt wird. Die sexuelle Moral steht wesentlich höher 
als bei den Kachin. 

Ein isoliertes Lishaw-Dorf, Pangsapyi, trafen wir auf dem Weg 
nach Namhsan; es lag 16 Kilometer von der Hauptstadt des Shan- 
Staates Hsipaw entfernt und war ehedem eine Palaung-Siedelung 
gewesen, von der aber kein Haus mehr stand. Die 89 Bewohner 
waren zur Zeit unseres Besuches (Juni 1911) erst ein halbes Jahr 
dort; aus ihren früheren, etwas nördlich gelegenen Wohnungen 
waren sie von der Regierung wegen ihres den Waldbestand schä- 
digenden Wanderackerbaues nach Pangsapyi verwiesen worden, 
bauten etwas Tee auf dem ihnen zugeteilten Grund und arbei- 
teten als Kuli in den Teepflanzungen der Palaung. Die Behau- 
sungen und die Bewohner machten einen höchst ärmlichen Ein- 
druck; ihrer Überlieferung nach sind ihre Vorfahren vor 200 Jahren 
aus China eingewandert. Die Männer sind kräftige Gestalten, die 
Frauen hübsch, mit regelmäßigen Gesichtszügen ohne Schrägstel- 
lung der Augen. In Hausbau, Sitten und Tracht verraten sich noch 
die Beziehungen zur Provinz Yünnan. Das grobe dunkelblaue Baum- 
wolltuch für ihre Gewandung kaufen sie von chinesischen Hau- 
sierern. Bei unserem Besuch sahen alle ziemlich abgerissen aus,, 
ihre Verarmung gestattete ihnen keinen Feststaat. . Die Männer 
kleideten sich wie die Yünnan-Shan : dunkelblaue Hose, Jacke und 
Turban. Die ebenfalls blaue Frauengewandung ist gefälliger : ein 
tunika-artiges, von einem Gürtel umspanntes Obergewand deckt 
den Rock bis zu den Knieen, die Beine umhüllen Wadengamaschen. 
Farbige Stoffauflagen an den Ärmeln belebten bei einigen die dunkle 



Ein Lishaw-Dorf 125 

Gewandfarbe; es fehlte auch nicht an Silberschmuck; am Steh- 
kragen und an der Brust des Obergewandes waren silberne Hals- 
kugeln und viereckige Scheibeben als Zierrat aufgenäht; die sil- 
bernen Ohrringe waren unterm Kinn durch dünne Glasperlketten 
verbunden, um den Hals hatten einige die auch bei Palaung und 
Kachin üblichen Silbertorques. Ein dunkelblauer Turban umschlang 



den Kopf; das Haar war in einen losen Knoten gedreht oder in 
einem Zopf geflochten ; bei alten Frauen war es geschoren. Es fiel 
uns auf, daO etliche Männer und Kinder am Jackenrücken einen, 
bisweilen zwei Flecke aus weißem groben Stoff aufgesetzt hatten; 
dies soll nach dem uns gewordenen Bescheid ein Amulett bei 
Erkrankung, Fieber etc. sein, das der Patient noch einige Wochen 
nach der Genesung trägt. 

Das ursprüngliche Lishaw-Frauengewand, bestehend aus Kittel, 



126 „Blumige*^ Li Shaw 



grobem Rock, Wadengamaschen und einem mit Silber oder Kauri 
verzierten Kopftuch, sieht man noch am obern Salween. Sonst 
aber haben sich unter den einzelnen Stämmen Verschiedenheiten 
herausgebildet; fast jeder hat seine eigene Frauentracht. Die leb- 
hafteste Farbenstellung sieht man bei den Frauen der Hua (=blumig) 
Lishaw; der Name spielt jedenfalls auf ihre bunte Frauenkleidung 
an. Wir konnten im Basar von Namhkam eine Anzahl Lishaw- 
Mädchen, die sich im schönsten Feststaat dort eingefunden hatten, 
photographieren (Abb. 65). Ganz leicht ging es zwar nicht; als sie 
unsere Absicht merkten, unterbrachen sie ihre Einkäufe und ent- 
flohen — wir hatten eine regelrechte Jagd auf sie zu eröffnen und 
konnten sie schließlich, in eine Ecke eng zusammengedrängt, in der 
Rückansicht auf die Platte bringen. Nach langem Zureden von 
Mittelspersonen gelang es, sie zum Umwenden und Stehenbleiben 
zu bewegen, und dann reichte ihre Geduld sogar noch für eine 
tadellose Lumi^re-Aufnahme. 

Die Gewandung war aus hell- und dunkelblauem Baumwollstoff; 
das über Hosen getragene Oberkleid reichte rückwärts bis über die 
Waden, vorn war es kürzer und von einer Doppelschürze gedeckt, 
von der die Beiden neben dem mittleren Mädchen die obere Hälfte 
zurückgesteckt haben. Breite rote Flanellstreifen schmückten die 
Ärmel. Von der Schürze fällt rückwärts eine lange, breite, ver- 
zierte Stoffschärpe nieder. Der Gürtel endigt seitlich in lange, mit 
Kaurimuscheln verzierte Quasten, über denen die sorgfältig in ein 
sauberes Tüchlein gehüllte Betelbüchse befestigt war. Silberne 
Schließen sicherten den Jackenschluß; der Stehkragen war rings- 
um mit Silbergehängen besetzt. Das schwarze Haar war in einen 
mit Münzen durchflochtenen Zopf vereinigt und bei einigen Mäd- 
chen wie ein Zierrat über den blauen, in bunte Fransen endi- 
genden Turban gelegt. In Gesichtsschnitt und Körperbau waren 
sie robustere Erscheinungen, als die Frauen des Lishaw-Dorfes bei 
Hsipaw; Behäbigkeit und bessere Lebensführung sprach wie aus 
ihrer Kleidung, so auch aus ihren frischen Gesichtern. 

X. 

Dem Leser, der uns geduldig gefolgt ist, hoffen wir in Wort 
und Bild, soviel sich auch daran erweitern und vertiefen ließe» 
eine Völkerschaü eröffnet zu haben, die ihm das Auge schärft für 



Kulturübergänge 127 



die Bewertung sinnfälliger Merkmale der Kulturentwicklung in 
jenen Landen zwischen Indien, Tibet, China und Siam. Aus der 
Erinnerung, die in einem Rundblick die vielen Gesichter zu sam- 
meln strebt, beschwören wir zwei, so dünkt uns, einander völlig 
wesensfremde Gestalten herauf. Zuerst: die in leuchtender Seide 
anmutig dahinschreitende lebenskluge Birmanin — sie zieht in 
Rangoon oder Mandalay hinaus, dem Buddha-Priester, der ihren 
Mann schreiben und lesen gelehrt hat, die letzte Ehre zu erweisen 
und mit anzuschauen, wie seine Feuerbestattung sich inmitten eines 
pomphaften Jahrmarktrummels vollzieht, dem das Grammophon mit 
den abgedroschensten „Schlagern" zur Weihe jüngsteuropäischer 
Zivilisation verhilft. Und dann: Hinten im Bergesdickicht, wohin 
kein Eisenbahnpfiff, kein Ruderschlag schallt, kein knarrendes Ochsen- 
gefährt den Weg sichtet, ein Naga-Weib, notdürftig gekleidet und den 
stumpfen Sinn, den nur der Geisterkult in leise Wallung setzt, auf die 
Alltagsarbeit eingestellt; die schweren Wassereimeram Rücken,ächzt es 
zu der mit Büffelschädeln behängten ebenerdigen Bambushütte hinauf. 

Welten dehnen sich zwischen diesen beiden britischen Untertanen 
des birmanischen Reiches. Aber keine abgrundtiefen Klüfte trennen sie 
von einander. Schritt für Schritt tastend, findet man Übergänge, wenn 
man wachen Blicks dem beinahe kinematographisch zu beobachten- 
den Wechsel folgt, wie er sich draußen an den Rändern der ver- 
schiedenen Stammeskulturen abspielt. Da vertauscht die Chin- 
oder Naga- Familie, um leichteren Unterhalt zu erarbeiten, die hei- 
matlichen Höhenwaldungen mit Winkeln im nordwestlichen Irra- 
waddy-Stromgebiet ; sie knüpft nachbarliche Beziehungen zu K a c h i n 
und Shan, und die heranwachsende Jugend übernimmt von ihnen 
gefügig Sprache und Kleidung. Nicht gar lange, und man gewinnt 
Fühlung mit der birmanischen Ein- und Umwohnerschaft — 
das ersehnte Niveau ist erreicht, und Verstand und Gemüt werden auf- 
nahmsfähig für den wohlig empfundenen Anprallder mächtigen Kultur- 
wellen vom indischen Westen und vom chinesischen Osten. 

So führt der Weg allgemach in die Vorhöfe der Heiligtümer an 
den Wallfahrtorten des pagodenbesäten Birma • . • und das mild- 
lächelnde 'Buddhabild senkt mit seinem flimmernden Glanz 
Demut und sinnende Ruhe in die Herzen der neuen Verehrer- 
schar, in der ein Ahnen aufdämmert von irdischer Selbst- 
bezwingung und gottähnlichem Menschentum. 




Kartenekizte mit Angabe der wichtl|SMn im Text genaoniea 
Stimme. Die Unterstreichung kennzeichnet die Haustypeo: 

PfoslCDhaus EiMnerdiges Haus 

■ ;_^j^_^ Beide Typen Im Gebrauch 

(Aus Scherman, Archiv t. Anthropoloeie 14 (1915), p. 204.) 



Frauengesänge 129 



ANHANG 

FRAUENGESÄNGE AUS BIRMA 

I 

Von Privatdozent Dr. Kurt Huber (München). 
(S. oben p. 59 und 77.) 

Die beiden Gesänge, die aus der reichen Scherman'schen Pho- 
nogrammsammlung als Proben des birmanischen Frauenlieds in Über- 
tragung mitgeteilt werden, gehören verschiedenen Liedkategorien an. 
Das reizvolle Reisstampflied der Shan ist ein frischer, volkstüm- 
licher Arbeitsgesang, in dessen Ausführung sich eine Vorsängerin 
mit dem Chor der Burschen und Mädchen teilt. Kunstvoller ge- 
staltet sich die Liebesklage der Palaung-Sängerin, ein ausgesproche- 
ner Sologesang mit reicher Koloratur. Gemeinsam ist den beiden 
Liedern der formale Aufbau der Melodie. Es handelt sich um 
Strophengesänge, deren einzelne Strophen Varianten eines ein- 
fachen musikalischen Grundschemas darstellen. 

Diese strophische Variationenform — die Grundform 
der meisten birmanischen Lieder aus der Scherman'schen Samm- 
lung — erwächst aus dem Charakter der Texte, die großenteils 
improvisiert sind. Ein landläufiges Melodieschema wird jeweils 
den Worten angepaßt, nach Bedürfnis und Belieben in den ein- 
zelnen Strophen erweitert, verkürzt, ausgeschmückt, wobei sich 
Kehlfertigkeit und Phantasie des Sängers reich entfalten können. 
Die einzelnen musikalischen Liedschemen aber sind sicher mehr 
oder weniger Gemeingut, wie etwa die Melodieschemen unserer 
Kouplets, G'stanzln und anderer Improvisationsformen. 

Das zweiteilige Strophenschema der Liebesklage wird in 
schlichtester Weise durch Repetition einer Kadenzformel aus den 
Tönen b-a(as)-g mit g als Grundton gebildet. Die langgezoge- 
nen Kadenztöne sind das Gerippe, das in von Strophe zu Strophe 
reicher werdender Ornamentik umspielt wird. Derartige Halteton- 
melodien beschränken sich in der Scherman'schen Sammlung 
charakteristisch genug auf die innerbirmanischen Fremdstämme 
der Karen und Palaung und die vorderindischen Gond,^) während 
die eigenartige Vertiefung des Mitteltons in den Strophen 3 — 7 
zur Gruppe jener chromatischen Alterationen zu rechnen ist, die 



^) Vgl. Sammlung Scherman, Phonogramm 4, 10, 17. 



130 Palaung-Lied 



eines der typischsten Merkmale des vorder- und hinterasiatischen 
Kunstlieds bilden. Die Vertiefung entsteht hier offensichtlich 
aus einem Leittonbedürfnis nach dem Grundton g, hat aber zu- 
gleich Ausdrucksbedeutung, sofern sie im Verein mit den schluch- 
zenden Haltetönen den Charakter der Liebesklage treffend illustriert. 
Tonal ruht jedoch die Melodiekadenz auf einem unserem g-Moll 
verwandten Leiterausschnitt. 

Von den sieben Textstrophen sind hier nur die musikalisch be- 
deutsamsten Abschnitte wiedergegeben (Strophe 2, 3 und 5 b). Trotz 
des mehr rezitativischen Charakters und sehr freier Temponahme 
ist die Melodie taktlich streng gegliedert. In komplizierter Weise 
wechseln Zwei- und Viertaktgruppen, selbst wieder in Triolenbil- 
dungen unterteilt (die hier im Dreiachteltakt notiert sind), mitein- 
ander ab. Es bilden somit je 2 bzw. 4 Takte unserer Übertragung 
eine — durch Akzente über den Taktstrichen markierte — Takt- 
einheit. Solch komplizierte rhythmische Gliederungen, für das vorder- 
indische Lied typisch,^) fehlen in der Vokalmusik des hinterindisch- 
chinesischen Kulturkreises fast gänzlich. Auf vorderindische Paralle- 
len weist weiterhin die reiche, ausdrucksvolle Ornamentik mit ihrem 
rein vokalen Charakter, endlich die — in der Übertragung nur an- 
gedeutete — feine 'dynamisch-agogische Schattierung der einzelnen 
Strophen. 

Zweiteilige Strophenform zeigt auch das chorische Reisstampf- 
lied. Das erste Glied (A) wird durch bloße Ai-Ai-Rufe gebildet, die 
der Chor wiederholt; das zweite fungiert als eine Art Abgesang, von 
der Vorsängerin frei variiert (B^, Bg . . .). Der Chor wiederholt auf 
eine eigene stereotype Einleitungsphrase (C) das Ende jeder Strophe 
refrainartig oder schiebt gelegentlich einen eigenen Abgesang ein. 
Das Aufschlagen der schweren Reiskolben markiert den einfachen, 
geradteiligen Rhythmus des hübschen Wechselgesangs. 

Die Melodie baut sich — im Gegensatz zur vorigen — auf einer 
rein diatonischen, im Grunde fünftönigen Durleiter es- (f)- (g) - 
as-b-c-es auf. Der Ton as ist Dominante, f und g kommen nur 
als Durchgänge, d überhaupt nicht vor. Mit zwingender Deutlich- 

^) Vgl. Otto Abraham und Erich M. v. Hornbostel, Phonograph ierte 
indische Melodien, Sammelb. der Int. Musikges. V (1903), p. 399 ff. und die 
Beispiele. Damit vergleiche man die siamesisch-chinesische Rhythmik der von 
P. I. Mariano (s. u.) veröffentlichten birmanischen Gesänge. 



n.n:T''^y^ 



((PalcMna) 







i y^iirfi^ff f^